Minderheitenschutz in der Bundesrepublik Deutschland: Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung [1 ed.] 9783428494941, 9783428094943

Ziel der Dissertation ist der Beweis, daß der Minderheitenschutz in der Bundesrepublik lückenhaft ist und einer Ergänzun

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Minderheitenschutz in der Bundesrepublik Deutschland: Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung [1 ed.]
 9783428494941, 9783428094943

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 774

Minderheitenschutz in der Bundesrepublik Deutschland Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung Von Anja Siegert

Duncker & Humblot · Berlin

A N J A SIEGERT

Minderheitenschutz in der Bundesrepublik Deutschland

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 774

Minderheitenschutz in der Bundesrepublik Deutschland Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung

Von

Anja Siegert

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Siegert, Anja: Minderheitenschutz in der Bundesrepublik Deutschland : Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung / von Anja Siegert. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 774) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09494-8

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09494-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern

Vorwort An dieser Stelle möchte ich mich bei denjenigen bedanken, die in der einen oder anderen Weise zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Mein Dank gilt voi allem meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth, der mein Thema nicht nur von Anfang an umfassend betreute, sondern mir auch die Freiheit ließ, meiner Arbeit eine ganz neue Richtung zu geben; sowie dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Dr. Albert Bleckmann, für die konstruktive Kritik. Besonders bedanken möchte ich mich aber auch bei all denen unter meinen Angehörigen, Freunden und Bekannten, die mich von den ersten Überlegungen an bis zum Druck der Arbeit begleitet, unterstützt und ermutigt haben.

Bremen, im August 1998 Anja Siegert

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19

Α. Problemstellung

19

Β. Gang der Darstellung

20

C. Terminologie

21 Erster Teil

Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz 1. Abschnitt: Der Minderheiten begriff

23

A. Problemstellung

23

B. Der traditionelle völkerrechtliche Minderheitenbegriff

26

I. Die geschichtliche Entwicklung im Überblick

26

1. Die Anfange: Vom Schutz religiöser zum Schutz nationaler Minderheiten. 26 2. Die Völkerbund-Ära

27

3. Minderheitenschutz unter den Vereinten Nationen 31 II. Insbesondere: Die Merkmale des Minderheitenbegriffes von Capotorti und seine üblichen Ergänzungen 34 1. Unterlegene Stellung 34 2. Ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten

34

3. Staatsangehörigkeit

36

4. Gruppenbewußtsein

36

5. Stabile Einheit/Ansässigkeit

37

6. Loyalität?

38

C. Fortentwicklung des Minderheitenbegriffes I. Der Hintergrund II. Lösungsansatz

39 39 41

1. Gemeinsamer Minderheitenbegriff für Völkerrecht und innerstaatliches Recht? 41 2. Die für die Einbeziehung in den Minderheitenbegriff in Betracht kommenden Personengruppen 42 a) Ausländer 42 b) „Neue" Minderheiten 43 c) Opfer ethnischer Konflikte jeglicher Art 44

10

nsverzeichnis

3. Kollisionen mit dem traditionellen Minderheitenbegriff und deren Bewertung a) Die Staatsangehörigkeit aa) Der Stand der Diskussion bb) Bewertung: Keine eigenständige Bedeutung der Staatsangehörigkeit b) Ansässigkeit aa) Der Stand der Diskussion bb) Bewertung: Drei Generationen oder 90 Jahre c) Auflösung des traditionellen Minderheitenbegriffs? D. Ergebnis

45 49 49 50 52 54

2. Abschnitt: Minderheitenschutz

54

44 44 44

A. Ziele

54

B. Die Minderheitenproblematik

55

I. Die typische Minderheitensituation II. Folgen

55 56

1. Verfolgung, Diskriminierung und Assimilationszwang.

56

2. Faktischer Assimilationsdruck

57

C. Mittel

59

I. Grundtypen von Lösungsmodellen

59

1. Der menschenrechtliche Ansatz

59

2. Der gruppenrechtliche Ansatz.

62

II. Normative Gestaltungsmöglichkeiten

64

1. Direkter und indirekter Minderheitenschutz

64

2. Positive und negative Regelungen

65

3. Rechte der Betroffenen und Pflichten des Staates.

65

D. Gestaltungsvorschlag für einen effektiven Minderheitenschutz

66

I. Die „Kombinationslösung": Individual- und Gruppenschutz II. Normative Ausgestaltung.

66 69

1. Die menschenrechtliche Komponente

69

2. Die gruppenrechtliche Komponente

70

E. Ergebnis

71 Zweiter Teil Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

1. Abschnitt: Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland

72

A. Von der deutschen Rechtsordnung ausdrücklich geschützte Minderheiten

72

I. Dänen

72

nsverzeichnis

II. Friesen

75

III. Sorben

77

B. Von der deutschen Rechtsordnung nicht ausdrücklich geschützte Minderheiten.... 79 I. Sinti und Roma

79

II. Juden

82

III. Polen

83

IV. Ausländer und „neue" Minderheiten

85

C. Ergebnis

86

2. Abschnitt: Rechtslage

86

A. Völkerrechtliche Minderheitenschutzbestimmungen

86

I. Multilaterale Abkommen

86

1. Vereinte Nationen a) Art. 27 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) vom 19. 12. 1966 b) Die Deklaration über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehören, von 1992 2. Europarat a) Die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 (EMRK) b) Das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten von 1995 3. KSZE/OSZE-Prozeß II. Bilaterale Verträge der Bundesrepublik

86 86

90 91 91 92 94 96

1. Deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit von 1991 96 2. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slovakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit 99 3. Sonstige Verträge mit osteuropäischen Staaten B. Schutzbestimmungen auf Bundesebene I. Verfassungsrecht

99 100 100

1. Exkurs: „Verfassungstradition"

100

2. Freiheitsrechte

101

3. Diskriminierungsverbote. 102 a) Verbot der Diskriminierung aufgrund der Abstammung, Rasse, Sprache, Religion - Art. 3 Abs. 3 GG 102 b) Verbot der herabwürdigenden Ungleichbehandlung- Art. 1 Abs. 1 GG 103 c) Verbot der staatlichen Beteiligung an „ethnischer Kastenbildung" Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG? 104

12

nsverzeichnis

II. Einfache Gesetze 1. Einigungsvertrag a) Protokollnotiz 14 zu Art. 35 Einigungsvertrag b) Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III 1. r) 2. § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG C. Schutzbestimmungen auf Landesebene I. Bedeutung

105 105 105 106 107 108 108

II. Landesverfassungen 1. Art. 5 der schleswig-holsteinischen Verfassung

108 108

2. Art. 25 der brandenburgischen Verfassung

112

3. Art. 5, 6 der sächsischen Verfassung

115

4. Art. 37 der Verfassung von Sachsen-Anhalt

119

5. Art. 18 der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern

120

III. Einfache Gesetze 1. „Sorbengesetz" 2. § 4 Abs. 1 Satz 2 Landeswahlgesetz von Schleswig-Holstein D. Bewertung - Effektivität des bestehenden Schutzsystems?

122 122 123 123

I. Standard für die von der deutschen Rechtsordnung ausdrücklich geschützten Minderheiten 123 II. Standard für nicht ausdrücklich anerkannte Minderheiten E. Ergebnis

125 127

Dritter Teil Verfassungsänderung als Lösungsweg 1. Abschnitt: Notwendigkeit einer Regelung auf Verfassungsebene

128

A. Bedenken

128

I. Das Föderalismusargument II. Förderung nationalistischen Denkens III. „Bloßes Vollzugsdefizit" B. Vorteile I. „Einheit und Vollständigkeit der Verfassung" II. „Gemeinsamer Standard" III. Internationale Dimension und politisches Zeichen C. Ergebnis

128 129 130 130 130 131 131 133

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

134

A. Wortlaut

134

B. Entstehungsgeschichte und Scheitern des Vorschlages

134

nsverzeichnis

I. Die Kommission Verfassungsreform des Bundesrates

134

1. Aufgaben

134

2. Anträge und Beratungsverlauf

134

II. Die Gemeinsame Verfassungskommission 1. Aufgaben

136 136

2. Das Positionspapier des Landes Brandenburg

136

3. Die Anträge und der Beratungsverlauf

137

III. Das Gesetzgebungsverfahren C. Regelungsgehalt I. Der Minderheitenbegriff des Art. 20 b 1. Streitstand 2. Auslegung a) Wörtliche Auslegung b) Genetische Auslegung c) Historische Auslegung d) Systematisch-teleologische Auslegung e) Auslegungsergebnis II. Umfang der Gewährleistungen 1. Streitstand

139 139 139 139 140 140 141 142 143 144 146 146

2. Auslegung 149 a) Wörtliche Auslegung 149 aa) „Der Staat..." 149 bb) „...achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten." 149 b) Genetische Auslegung 150 aa) „Verbot des Assimilationsdruckes" 150 bb) „Zeichen kultureller Toleranz" 151 c) Systematisch-teleologische Auslegung 152 d) Auslegungsergebnis 153 III. Justitiabilität 1. Abstrakte Normenkontrolle

153 153

2. Verfassungsbeschwerde

154

3. Sonstige Verfahren

156

IV. Politische Aspekte 1. Die internationale Entwicklung

156 156

2. Macht- und Autoritätsverlust des Parlaments

157

3. Desintegrative Wirkung

158

V. Bewertung D. Ergebnis

158 160

14

nsverzeichnis

3. Abschnitt: Alternatiworschlag zu Art. 20 b A. Inhaltliche Vorgaben I. Klärung des Minderheitenbegriffes

160 160 160

1. Namentliche Aufzählung

160

2. Definition

161

3. „Volksgruppe"? II. Regelungsgehalt 1. Schutz und Förderung

161 162 162

2. Konkrete Maßnahmen

162

III. Rechtsnatur und Justitiabilität

163

IV. Stellung im Grundgesetz

164

B. Wortlaut

164

Fazit

165

Literaturverzeichnis

166

Sachverzeichnis

180

Abkürzungsverzeichnis a. Α. aaO Abs. AöR Art. Aufl. AWR BayVBl. Bd. BGBl. BRD BR-Drs. BT-Drs. BVerfGE BVerfGG BWahlG ca. CDU C.P.J.I.

CSU dass. DDR ders. dies. die taz DM DVB1. einschl. EMRK etc. EuGRZ europ. e. V. EV f. FAZ FDP

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Artikel Auflage Forschungsgesellschaft für das Weltflüchtlingsproblem Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Band Bundesgesetzblatt Bundesrepublik Deutschland Bundesrats-Drucksache Bundestags-Drucksache Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundeswahlgesetz circa Christlich-Demokratische Union Cour Permanente de Justice Internationale (=Permanent Court of International Justice/Ständiger Internationaler Gerichtshof) Christlich-Soziale Union dasselbe Deutsche Demokratische Republik derselbe dieselben/dieselbe die tageszeitung Deutsche Mark Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) einschließlich Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 et cetera Europäische Grundrechte-Zeitschrift europäische(r/s) eingetragener Verein Einigungsvertrag folgende (Seite etc.) Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei

16

ff. Fn. FR Frankfurt/M. FS FUEV GG GUS GVB1. GVG GVK Hrsg. InfAuslR internat. (I)CCPR

Abkürzungsverzeichnis

folgende (Seiten etc.) Fußnote Frankfurter Rundschau (Zeitung) Frankfurt am Main Festschrift Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen Grundgesetz Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gemeinsame Verfassungskommission Herausgeber Informationsbrief zum Ausländerrecht (Zeitschrift) internationale(r/s) (International) Convenant on Civil and Political Rights (=IPBPR) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPBPR vom 16.12.1966 i.V.m. in Verbindung mit JZ Juristenzeitung Kommissionsdrs. Kommissionsdrucksache KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Marburg/L. Marburg an der Lahn Millionen Mio mit weiteren Nachweisen m.w.N. Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW Number No Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift) RdJB Randnummer Rn. Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz RuStAG Seite S. Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPD Südschleswigscher Wählerverband SSW Schweizerische Zeitschrift für internationales SZIER und europäisches Recht und andere u.a. United Nations (Organization) UN(O) UN-Doc. E/CN.4(/Sub.2) United Nations-Document Economic and Social Council/ Commission on Human Rights (/Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities) unveröffentlicht unveröffentl. vergleiche vgl. Vereinte Nationen VN Weimarer Reichsverfassung WRV Wintersemester WS

Abkürzungsverzeichnis

ZaöRV ζ. B. zit. ZRP

2 Siegelt

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung Α. Problemstellung Der Schutz ethnischer Minderheiten ist mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, dem Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates Jugoslawien und den daraus folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen auch in der Bundesrepublik Deutschland ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Die tägliche Berichterstattung über die Greueltaten in Bosnien sowie die Konflikte in der GUS und in Ruanda haben ein neues Bewußtsein für die Gefahren ethnisch motivierter Konflikte geschaffen. Angesichts der Explosivität ethnischer Konflikte hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß nur ein effektiver Schutz der Minderheiten den innerstaatlichen und internationalen Frieden zu sichern vermag. Weder diese Erkenntnis noch die zugrundeliegende Problematik sind Produkte des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Bereits zur Zeit des Völkerbundes hatten Minderheitenfragen Hochkonjunktur. Während man aber in der Vergangenheit vorrangig darum bemüht war, einen effektiven Minderheitenschutz auf völkerrechtlicher Ebene zu verankern, ist in der Gegenwart die Ansicht im Vordringen begriffen, daß ein wirksamer Schutz der Minderheiten am ehesten durch Schutzbestimmungen auf innerstaatlicher Ebene zu erreichen sei. Auch hat sich der inhaltliche Schwerpunkt der Thematik verlagert: Statt der Konflikte der traditionell im Lande lebenden Minderheiten, in der Bundesrepublik etwa der Dänen, Friesen und Sorben, steht nunmehr die Bewältigung der Folgen der Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte im Vordergrund. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß Politiker, Journalisten und Juristen den Standard des geltenden Minderheitenschutzes in der Bundesrepublik hinterfragen. Dieser befaßt sich ausdrücklich nur mit den traditionellen Minderheiten. Dementsprechend steht im Mittelpunkt des Interesses die Frage, ob der Minderheitenschutz in der Bundesrepublik um Schutzbestimmungen zugunsten von Ausländern und „neuen" Minderheiten ergänzt werden sollte und welche Regelungsebene hierfür sinnvoll wäre. Insbesondere wird diskutiert, ob dieser hauptsächlich auf Landesebene normierte Minderheitenschutz einer Ergänzung im Grundgesetz bedarf. Im Rahmen der Verfassungsreformdebatte des Jahres 1994 hatte die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundesrat und Bundestag eine solche Grundgesetzänderung erwogen. Nachdem Wünschbarkeit,

20

Einleitung

Effektivität und notwendiger Inhalt einer solchen Bestimmung äußerst kontrovers diskutiert worden waren, setzte sich in der Gemeinsamen Verfassungskommission schließlich die Auffassung durch, daß der Minderheitenschutz in der Bundesrepublik um eine Bestimmung im Grundgesetz erweitert werden sollte; ein entsprechender Vorschlag fand die notwendige Zweidrittelmehrheit und wurde damit in den Katalog der empfohlenen Verfassungsänderungen aufgenommen. Das Produkt dieser Kontroverse, Art. 20 b, scheiterte jedoch anschließend wider Erwarten im Gesetzgebungsverfahren am Widerstand der CDU/CSU. Dies verdeutlicht vor allem, daß in Sachen Minderheitenschutz kein politischer Konsens in der Bundesrepublik besteht, sagt aber wenig darüber aus, ob eine Ergänzung des Grundgesetzes um einen Minderheitenschutzartikel sinnvoll gewesen wäre und ob Art. 20 b in angemessener und effektiver Weise auf die Migrationsbewegungen der jüngeren Vergangenheit reagiert hätte. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, nicht nur zu beweisen, daß der Minderheitenschutz in der Bundesrepublik lückenhaft ist und also ein entsprechender Handlungsbedarf besteht. Darüberhinaus soll auch aufgezeigt werden, daß gerade eine Verfassungsänderung, bei entsprechender Ausgestaltung, geeignet wäre, diesem Defizit abzuhelfen.

B. Gang der Darstellung Zu diesem Zweck soll der Leser zunächst in einem ersten Teil mit den Grundlagen der Thematik „Minderheiten und Minderheitenschutz" vertraut gemacht werden. Dabei wird zunächst zu klären sein, was überhaupt unter dem umstrittenen Begriff „Minderheit" zu verstehen ist. In einem zweiten Schritt folgt eine Auseinandersetzung mit den Zielsetzungen des Minderheitenschutzes, den verschiedenen Lösungsmodellen und den jeweiligen Möglichkeiten der Ausgestaltung. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Frage zu legen sein, welcher der verschiedenen Lösungsansätze am ehesten geeignet ist, der speziellen Situation und den Bedürfhissen der Minderheiten gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund wird im zweiten Teil der Minderheitenschutz in der Bundesrepublik zu analysieren sein. Dabei muß zunächst von Interesse sein, welche Minderheiten tatsächlich - unabhängig von einer staatlichen Anerkennung - im Lande leben. Daran schließt sich die Frage an, welche Schutzbestimmungen zugunsten der einzelnen Minderheiten und Minderheitsangehörigen existieren und ob diese den Anforderungen entsprechen, die im ersten Teil herausgearbeitet worden sind. Dabei wird sich zeigen, daß dies für die nicht ausdrücklich anerkannten Minderheiten nicht der Fall ist und insofern ein Defizit besteht.

Einleitung

Der dritte Teil schließlich widmet sich der Frage, ob diesem Defizit mit einer Verfassungsänderung wirksam begegnet werden kann. Dies verlangt zunächst eine Auseinandersetzung mit der These, daß gerade eine Regelung auf Verfassungsebene Vorteile aufzuweisen hat, die in dieser Form auf keiner anderen Regelungsebene gegeben sind. Zudem bleibt zu klären, wie eine solche Verfassungsänderung ausgestaltet sein müßte, um die Lücke im geltenden Minderheitenschutz zu schließen. Dabei bietet es sich an, den Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission, Art. 20 b, zum Ausgangspunkt der Suche nach dem notwendigen Inhalt einer solche Bestimmung zu machen.

C. Terminologie Nicht unkommentiert bleiben soll an dieser Stelle die Verwendung der Begriffe „Minderheit" und „Minderheitenschutz". Diese sind insofern problematisch, als die Betroffenen selbst die Bezeichnung „Minderheit" zum Teil ausdrücklich ablehnen.1 Der Grund dafür mag in dem pejorativen Unterton dieses Terminus liegen.2 Auch in der Völkerrechtslehre ist eine allmähliche Abkehr von dem Begriff erkennbar. 3 In der deutschsprachigen Literatur gewinnt zunehmend der Begriff „Volksgruppe" an Bedeutung,4 eine Entwicklung vom „Minderheitenrecht zum Volksgruppenrecht" 5 deutet sich an. Für die Klärung des behandelten Gegenstandes ist damit allerdings wenig gewonnen: Der Begriff Volksgruppe ist nicht weniger umstritten als der der Minderheit und zu-

1

So wies z.B. die Domowina in ihrem Schreiben vom 22. 11. 1994 ausdrücklich darauf hin, daß die Terminologie „sorbische Minderheit" verfehlt sei, da es eine „sorbische Mehrheit" in einem eigenen Mutterland nicht gebe; auch die Friesen ziehen zumindest teilweise die Bezeichnung Volksgruppe vor, so Tholund in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 19, vgl. zu den diesbezüglichen Meinungsverschiedenheiten bei den Friesen auch unten, 2. Teil, 1. Abschnitt, Α., II. 2 Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 13;Kimminich, Rechtsprobleme, S. 110; von Zathurecky, in: Wittmann/Graf Bethlen, S. 71. 3 So Blumenwitz, S. 31. 4 Vgl. ζ. B. Hahn, Criticón 1994, S. 105 ff., insbesondere S. 106,Kimminich, Rechtsprobleme, S. 109 ff.; bereits in den 60er Jahren verwendete Veiter den Begriff, vgl. ders., Europa Ethnica 1969, S. 65 ff.; vgl. auch den FUEV-Konventionsentwurf der Grundrechte der europäischen Volksgruppen (Zusatzprotokoll zur EMRK), insb. Art. 2, abgedruckt in: Ermacora, FUEV. 5 Kimminich, Rechtsprobleme, S. 109 ff.

22

Einleitung

dem von diesem nicht klar abgegrenzt.6 Großteils werden die Begriffe nationale bzw. ethnische Minderheit und Volksgruppe synonym verwendet. 7 Die Verwendung des „moderneren" Begriffes der Volksgruppe schafft insofern keine Klarheit. Zudem ist sie in der völkervertraglichen Praxis wenig gebräuchlich: Der Begriff „Minderheit" ist im Gegensatz zur „Volksgruppe" fester Bestandteil des internationalen Minderheitenschutzrechtes, so ζ. B. in Art. 14 EMRK und Art. 27 IPBPR, aber auch in neueren Dokumenten wie der UN-Deklaration von 1992 und den KSZE-Dokumenten. Deshalb soll vorliegend unter ausdrücklicher Distanzierung von einer pejorativen Bedeutung dem Terminus „Minderheit" der Vorzug gegeben werden. 8

6

So betont etwa Pernthaler, in: Wittmann/Graf Bethlen, S. 10, den besonderen territorialen Bezug der Volksgruppe. Diese könne nur adäquat erfaßt werden, wenn man den Begriff „Heimat" mitbetrachte. Kritisch dazu Oxenknecht, S. 122 f.; Veiter, 20. Jahrhundert, S. 250, stellt auf das besondere Gruppenbewußtsein der Volksgruppe ab, die damit eine „Zielsetzungsgemeinschaft" sei. An anderer Stelle betont er dagegen, daß die Begriffe nationale Minderheit und Volksgruppe synonym zu verwenden seien, vgl. ders., Aus Politik und Zeitgeschichte, 1975/B 18, 29/31. Verschiedentlich wird auch betont, daß der Volksgruppenbegriff mit dem Bestreben einhergehe, den Minderheitenschutz kollektivrechtlich auszugestalten, so ζ. B. von Studnitz, in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 17 und Brunner, S. 18. 7

Blumenwitz, S. 31, so auch Veiter, Aus Politik und Zeitgeschichte 1975/B 18, 31, obwohl er nur bei der Volksgruppe eine geistige Komponente („Zielsetzungsgemeinschaft") für gegeben hält, vgl. S. 30. 8 Allerdings wird an dieser Stelle schon darauf hingewiesen, daß es im Rahmen einer Minderheitenschutznorm sinnvoll sein könnte, demjenigen Ausdruck, der dem Selbstverständnis der Betroffenen entspricht, den Vorrang zuzugestehen, dazu siehe unten, 3. Teil, 3. Abschnitt, Α., I., 3.

Erster Teil

Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz 1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff A. Problemstellung Grundlage jeder Auseinandersetzung mit Fragen des Minderheitenschutzes muß eine Klärung des behandelten Gegenstandes, also zunächst einmal eine Definition des Minderheitenbegriffes sein. Gleichwohl existiert bislang keine allgemeinverbindliche völkerrechtliche Definition. 1 Auch im partikulären Völkerrecht wird nicht selten auf eine Definition des Begriffes verzichtet. 2 Dies ist insofern erstaunlich, als es in der umfangreichen Literatur zum Thema Minderheitenschutz nicht an wissenschaftlichen Versuchen fehlt, einen akzeptablen Minderheitenbegriff zu entwickeln,3 und trotz verschiedener strittiger Punkte eine Definition existiert, die weitgehende Akzeptanz genießt. Die von Francesco Capotorti in seiner Funktion als Berichterstatter der Unterkommission über die Verhinderung der Diskriminierung und den Schutz der Minderheiten der UNO-Menschenrechtskommission erarbeitete Definition 4 dient einem Großteil der Literatur zumindest als Orientierungshilfe. Diese lautet: „Eine Minderheit ist eine der übrigen Bevölkerung eines Staates zahlenmäßig unterlegene Gruppe, die keine herrschende Stellung einnimmt, deren Angehörige Bürger dieses Staates - in ethnischer, religiöser oder sprachlicher Hinsicht Merkmale aufweisen, die sie von der übrigen Bevölkerung unterscheiden, und

1 Weder UNO noch KSZE haben sich offiziell auf eine Definition geeinigt; allgemein anerkannt ist vielmehr nur ein „Definitionskern", so Kimminich, Rechtsprobleme, S. 108, der es immerhin ermöglicht, die völkerrechtlichen Instrumente überhaupt anzuwenden. 2 Vgl. beispielhaft die vom Europarat beschlossene „Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten". 3 Die Literatur zum Minderheitenbegriff ist unüberschaubar, da in fast jedem Beitrag zum Thema zumindest ein Abschnitt dieser Frage gewidmet ist, vgl. beispielhaft Messtorff, S. 4 ff.; für den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte Oxenknecht, S. 89 ff. und Tomuschat, in: FS für Mosler, S. 954 ff. 4 Ders., § 568.

24

1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

die zumindest implizit ein Gefühl der Solidarität bezeigen, das auf die Bewahrung der eigenen Kultur, der eigenen Traditionen, der eigenen Religion oder der eigenen Sprache gerichtet ist." 5 Auch in den Fällen, in denen ein völkerrechtliches Dokument zum Minderheitenschutz seinen Gegenstand definiert, lehnt sich dies nicht selten an Capotortis Vorschlag an.6 Trotz dieser weitgehenden Akzeptanz ist eine offizielle Einigung auf diesen oder einen anderen Minderheitenbegriff nicht in Sicht; stattdessen werden immer wieder von Neuem die notwendigen Merkmale erwogen, diskutiert und wieder verworfen. Dieser Zustand eines „Ringens um begriffliche Klarheit" 7 wird kontinuierlich seit der Zeit des Völkerbundes als unbefriedigend empfunden und beklagt.8 Der Grund für die erstaunliche Erfolglosigkeit aller diesbezüglichen Bemühungen ist weniger in der Komplexität der Materie, als vielmehr in der politischen Dimension des Themas zu suchen:9 Der Minderheitenschutz ist bisher in erster Linie Gegenstand völkerrechtlicher Abkommen und Verträge. 10 Die Vertragsstaaten scheuen dabei die Festlegung auf einen verbindlichen Minderheitenbegriff, um in ihrer Souveränität, genauer: der Freiheit, zu entscheiden, ob und wen sie in der schließlich ausgehandelten Weise zu schützen gedenken, keine Einschränkungen hinnehmen zu müssen. Erst recht haben sie kein Interesse daran, daß eine Definition als allge-

5

Deutsche Übersetzung von Capotorti, VN 1980, 113/118, Fn. 30, die originale Fassung lautet: „A group numerically inferior to the rest of the population of a State, in a non-dominant position, whose members - being nationals of the State - possess ethnic, religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population and show, if only implicitly, a sense of solidarity, directed towards preserving their culture, traditions, religion or language.", Capotorti , § 568; vgl. auch unten 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., I., 3. 6 Vgl. etwa den Konventionsentwurf der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht vom 4. 3. 1991, Art. 2 Abs. 1, abgedruckt im Human Rights Law Journal 1991, 269 ff.; sowie die Europarats-Empfehlung 1134 (199) und die Richtlinie 456 (1990) betr. die Minderheitenrechte, BT-Drs. 12/14 v. 2. 1. 1991, S. 44 ff. 7 Kimminich, Rechtsprobleme, S. 96. 8 In der Gegenwart ζ. B. ausdrücklich für das Erfordernis einer verbindlichen Begriffsbestimmung Blumenwitz, S. 28; für die Völkerbundzeit vgl. etwa von Balogh, S. 68: „...ein großer Mangel". 9 In diesem Sinne auch Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 24. 10 Es existieren keine konkreten völkergewohnheitsrechtlichen Minderheitenschutzregelungen, vgl. Oxenknecht, S. 63; Seidl-Hohenveldern, Rn. 1580; zu den Ausnahmen vgl. Pircher, S. 38, Fn. 91; innerstaatliche Minderheitenschutznormen sind dagegen vorhanden, vgl. für die Bundesrepublik unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, B. und C., haben aber gegenüber den völkerrechtlichen bisher weniger Bedeutung erlangt.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

25

meinverbindlich anerkannt wird. So kommt es, daß tragfahige Kompromisse inhaltlicher Art um den Preis des Verzichts auf eine Minderheitendefinition erzielt werden. 11 Diesem Problem ist naturgemäß mit wissenschaftlichen Methoden und immer neuen Definitionsvorschlägen nur begrenzt abzuhelfen: Selbst der Versuch Capotortis, die Anregungen der verschiedenen Regierungen in seinen Definitionsvorschlag einzubeziehen,12 führte nicht zum Erfolg. Aller Voraussicht nach ist auch jede weitere Definition in der völkervertraglichen Praxis zum Scheitern verurteilt. Etwas hoffnungsvoller ist die Situation höchstens auf der innerstaatlichen Ebene: Hier müssen zumindest nur die divergierenden politischen Interessen innerhalb eines Staates zum Ausgleich gebracht werden, was der Hauptgrund dafür sein dürfte, daß diese Regelungsebene in der Minderheitenschutzdiskussion der jüngeren Vergangenheit verstärkt Beachtung fand. Trotz dieser Schwierigkeiten auf der politischen Ebene muß es Ziel und Zweck eines weiteren Definitionsversuches sein, zu bestimmen, wer als Minderheit anerkannt werden sollte und müßte. In diesem Sinne sind die folgenden Ausführungen zu verstehen.

11 Exemplarisch die Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten, vgl. Nr. 12 des Erläuternden Berichts, abgedruckt in EuGRZ 1995, 271/272. Frankreich, Deutschland und die Türkei galten als Hauptkontrahenten in den vorausgehenden Auseinandersetzungen. Hintergrund waren die jeweiligen politischen Interessen, etwa die Kurden nicht als Minderheit schützen zu müssen, die eigenen Landsleute in Deutschland aber als Minderheit geschützt zu sehen (Türkei), diese neueingewanderten Türken gerade vom Minderheitenschutz ausschließen zu können (Deutschland) oder aber Minderheitenschutz überhaupt nicht gewähren zu müssen (Frankreich). Vgl. auch 2. Teil, 2. Abschnitt, Α., I., 2., b. Alle diese „Wünsche" lassen sich über eine passende Minderheitendefinition erfüllen. Nachdem auf eine verbindliche Definition des Begriffes „nationale Minderheit" verzichtet worden und damit Raum für die jeweils passende geschaffen war, gelang es denn auch, einen tragfahigen Kompromiß für die inhaltliche Ausgestaltung des Schutzes zu finden. Ob die geplante unabhängige Kommission, die für jedes Land gesondert bestimmen soll, wer Minderheit ist, diesen Mangel wird ausgleichen können, bleibt abzuwarten. Vgl. zu den Verhandlungen Das Parlament vom 24. 2. 1995, S. 16. 12

Siehe ders., §§ 28-49.

26

1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

B. Der traditionelle völkerrechtliche Minderheitenbegriff I. Die geschichtliche Entwicklung im Überblick 1. Die Anfange: Vom Schutz religiöser zum Schutz nationaler Minderheiten Ausgangspunkt des Minderheitenschutzes in der Geschichte war der zumeist innerstaatlich geregelte Schutz religiöser Minderheiten im 16. Jahrhundert, etwa im Augsburger Religionsfrieden von 1555.13 Dieser sicherte das freie Bekenntnis sowohl zur katholischen als auch zur evangelisch-lutherischen Glaubensgemeinschaft. 14 Zwar hatten die Untertanen die Religion ihres Landesherren prinzipiell zu teilen („cuius regio, eius religio"), jedoch stand ihnen das Recht zu, unbehelligt auszuwandern, wenn dies für sie nicht akzeptabel erschien.15 Im Westfälischen Frieden von 1648 wurde diese Regelung bestätigt, um besondere Schutzbestimmungen zugunsten der Reformierten ergänzt 16 und auf die internationale Ebene gehoben.17 Obwohl Juden von den Garantien nicht erfaßt wurden, führte doch die Tatsache, daß es nicht mehr nur eine einzige anerkannte Kirche gab, zumindest indirekt zu mehr Toleranz ihnen gegenüber. 18 Auch außerhalb des Heiligen Römischen Reiches bemühte man sich zunehmend um den Schutz religiöser Minderheiten. 19 Definitionsschwierigkeiten tauchten bei der Bestimmung dieser ersten geschützten Minderheiten kaum auf: Welcher Religion eine Person angehörte, war in der Regel nicht zweifelhaft und letztlich vom subjektiven Bekenntnis abhängig.20 Erst mit Entstehen der Nationalstaatsidee im 19. Jahrhundert entwickelte sich ein völkerrechtlicher Schutz ethnischer bzw. nationaler Minderheiten. Als erste Schutzbestimmung für nationale Minderheiten ist Art. 1 Abs. 2 der Schlußakte des Wiener Kongresses von 1815 zu verstehen: 21 Dieser verpflichtete Österreich, Preußen und Rußland zum Schutz der polnischen Minderheit. Die Ent-

13 Bereits vor dem Augsburger Religionsfrieden lassen sich einzelne Bestimmungen zum Minderheitenschutz nachweisen. Vgl. dazu Wintgens, S. 61 f. 14 Pircher, S. 54; Stopp, S. 13 f. unter Hinweis auf Kimminich, in: Wittmann/Graf Bethlen, S. 38. 15 Blumenwitz, S. 35; Pircher, S. 54, Fn. 3: „ius emigrandi". 16 Vgl. Hilpold, SZIER 1994, 31/33. 17 Kimminich, in: Wittmann/Graf Bethlen, S. 38. 18 Elbogen/ Steri ing, S. 117. 19 Einen Überblick bieten Kimminich, Rechtsprobleme, S. 53 und Pircher, S. 55. 20 So Stopp, S. 15. 21 Abgedruckt bei von Balogh, S. 14; zur Vorgeschichte und Durchführung vgl. Erler, S. 89 ff.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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wicklung vom Schutz religiöser zum Schutz nationaler Minderheiten vollzog sich aber nicht abrupt mit dem Wiener Kongreß. 22 Vielmehr hatte der Schutz nationaler Minderheiten in der Auswanderungsfreiheit einen Vorläufer, und auch nach dem Wiener Kongreß existierten noch zahlreiche Bestimmungen zum Schutz religiöser Minderheiten. 23 Definitionsschwierigkeiten bezüglich der von der genannten Schlußakte geschützten Minderheiten bestanden ebensowenig wie bei den folgenden Konferenzen und Verträgen des 19. Jahrhunderts, da die zu schützenden nationalen Minderheiten stets namentlich benannt wurden. 24

2. Die Völkerbund-Ära Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Eintritt in die VölkerbundÄra begann eine neue Epoche des Minderheitenschutzes, in der das politische und juristische Interesse am Minderheitenschutz geradezu explosionsartig zunahm. 25 Presse, Wissenschaft und Politik widmeten sich der Frage in „seltener Einmütigkeit". 26 Diese vorrangige Behandlung des Minderheitenschutzes mag daran gelegen haben, daß die verbündeten Westmächte den Hauptgrund fur den Ausbruch des Weltkrieges in der ungelösten Nationalitätenfrage in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie sahen und sich deshalb einen dauernden Frieden nicht ohne eine befried(ig)ende Regelung dieser Frage vorstellen konnten. 27 Jedenfalls wurde erstmals ein über einzelne Verträge hinausgehendes Minderheitenschutzsystem geschaffen. 28 Allerdings fand dieses keine Aufnahme in die Völkerbundsatzung selbst, obwohl entsprechende Entwürfe existierten. 29 Stattdessen beruhte es auf komplexen partikulären Minderheitenschutz-

22

Kimminich, in: Brunner/Camartin/Harbich/Kimminich, S. 15. Vgl. Kimminich, Heimat, S. 160 f.; ders., in: Wittmann/Graf Bethlen, S. 39 f.; Beispiele für die vertragliche Zusicherung der Auswanderungsfreiheit finden sich bei Wintgens, S. 83 ff. 24 Stopp, S. 16; einen Überblick über die Konventionen und Verträge vom Wiener Kongreß bis zum Versailler Vertrag findet sich bei Pircher, S. 56 ff. 25 Eine Auswahl der damals veröffentlichten Literatur zum Thema findet sich bei Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 16; einen Eindruck von der damaligen Literaturfülle verschafft auch die Bibliographie von Robinson aus dem Jahre 1928, die bereits 265 Seiten lang war. 26 Wintgens, S. 1. 27 So von Balogh, S. 22. 28 Capotorti, Encyclopedia of Public International Law, 1985, 385/386: „...first system of protection". 29 Vgl. zum Vorschlag des amerikanischen Präsidenten Wilson von Balogh, S. 24 f.; Erler, S. 113; Gütermann, S. 17; Héraud, in: Wittmann/Graf Bethlen, S. 28 f. 23

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

Verpflichtungen. 30 Inhaltlich lag der Schwerpunkt der Gewährleistungen auf dem Schutz des Individuums, nicht auf dem Schutz der Gruppe als solcher. 31 Gleichzeitig ging man aber davon aus, daß auch die Minderheiten als solche Träger besonderer Rechte seien.32 Zumindest eine gruppenrechtliche Komponente war damit gegeben. Dieses System war von Anfang an nicht unbelastet von Problemen. 33 So tauchten erstmals schwerwiegende Zweifel bezüglich des Schutzgegenstandes der Bestimmungen auf. 34 Die Minderheitenschutzverträge boten zu Diskussionen auch reichlich Anlaß. Diese geboten etwa den Schutz der Angehörigen einer „völkischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit", 35 ohne zu definieren, was darunter zu verstehen sei. Auch eine namentliche Aufführung der in Betracht kommenden Minderheiten fand nur teilweise statt.36 Immerhin bietet eine vom Sekretariat des Völkerbundes herausgegebene Broschüre einen Anhaltspunkt für die damals vorherrschende Begriffsbildung. Dort wird der Minderheitenbegriff wie folgt definiert: „Unter Minderheit versteht man den Kreis der Personen anderer Rasse, Religion oder Sprache, als derjenigen der Mehrheit der Bevölkerung des betreffenden Landes. Diese Minderheiten sind wiederum zweierlei Art, nämlich: a) Staatsangehörige einer fremden Macht; b) Staatsangehörige desselben Landes." 37 Dabei verstand man den heute nicht mehr verwendeten Begriff „Rasse" 38 als Synonym zu Abstammung. 39

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Die Minderheitenschutzbestimmungen der Friedensverträge und die in der Folge abgeschlossenen Minderheitenschutzverträge sind abgedruckt bei Kraus, S. 50 ff.; ausführlich erläutert werden sie bei Wintgens, S. 107 ff., 198 ff. und bei Erler, S. 127 ff.; insbesondere auf den deutsch-polnischen „Mustervertrag" vom 28.6. 1919 geht Pircher, S. 73 ff., ein; einen Überblick über die verschiedenen Verträge und deren Inhalt bieten Capotorti, in: Wolfrum, S. 599 f.; Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 14 f.; Hofmann, ZaöRV 1992, 1/4 f.; Rabl, in: System II, S. 99 f. 31 Veiter, 20. Jahrhundert, S. 30: „...im wesentlichen einen individuellen Schutz". 32 So ζ. B. der Rechte aus Art. 8 Satz 2 und Art. 9 des deutsch-polnischen „Mustervertrages"; abgedruckt bei Kraus, S. 50 ff.; zur Auseinandersetzung um die systematische Einordnung dieser Vorschriften vgl. im einzelnen Münch, in: System I, S. 98. 33 Dazu Pircher, S. 63 ff.; vgl. auch Rabl, in: System II, S. 103 f.; Wintgens, S. 122 f. 34 Vgl. etwa die umfangreiche Auseinandersetzung mit dieser Frage beivo« Balogh, S. 61 ff.; Wintgens, S. 9 ff.; Erler, S. 39 ff. 35 Vgl. etwa den deutsch-polnischen „Mustervertrag", Art. 8, 9, 12, abgedruckt bei Kraus, S. 50/69 ff.; sowie die entsprechenden Art. der übrigen Verträge; vgl. die Verweise bei Kraus, S. 51, Fn. 2. 36 Die betreffenden Minderheiten und Verträge sind nachzulesen bei Erler, S. 331. 37 Zitiert nach Kimminich, Rechtsprobleme, S. 97. 38 Capotorti, §§196 ff., erklärt dazu, daß die Vereinten Nationen bereits in den 50er Jahren den belasteten Begriff „Rasse" zu vermeiden bemüht waren.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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In der Literatur tauchten daneben immer wieder die Begriffselemente gemeinsame Sprache, gemeinsame Kultur, gemeinsames historisches Schicksal als konstitutive Merkmale der Minderheit auf. 40 Auffällig ist, daß die Staatsangehörigkeit für den Minderheitenbegriff offenbar keine entscheidende Rolle spielte.41 Hiervon ging jedenfalls großteils die deutschsprachige Literatur der Völkerbundzeit aus,42 wenn auch zum Teil Staatsangehörige als Minderheit im engeren Sinne43 und „wohnberechtigte Ausländer und Heimatlose" als Minderheiten im weiteren Sinne bezeichnet wurden. 44 Im einzelnen war der Minderheitenbegriff aber in der gesamten VölkerbundÄra umstritten. So wurde zum Beispiel die erforderliche Dauer der Ansässigkeit einer Minderheit trotz der vergleichsweise geringeren Mobilität in der Völkerbundzeit debattiert. Sollten Minderheiten- unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit - nur autochthone , das heißt seit jeher im Staatsgebiet lebende Gruppen sein können 45 oder konnten Minderheiten auch durch Zuwanderung entstehen? Bezeichnenderweise bestanden gerade Einwanderungsländer darauf, daß Einwanderer nicht als Minderheiten anzuerkennen seien.46 Der politische Hintergrund der Debatte um den Minderheitenbegriff ist dabei klar erkennbar. 47 Er tritt noch deutlicher zutage, wenn man sich vor Augen führt, daß es zumin-

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Wintgens, S. 14. Kimminich, Rechtsprobleme, S. 97. 41 Allerdings gewährt der deutsch-polnische „Mustervertrag" in Art. 8 nur den „polnischen Staatsangehörigen", die einer Minderheit angehören, besondere Rechte; Art. 3 sieht aber gleichzeitig ein Optionsrecht für deutsche, österreichische, ungarische oder russische Staatsangehörige vor, die im polnischen Gebiet leben. 42 Gerber, S. 24 f.: „Der Begriff Minderheit wird im rechtlichen Sinne sowohl dann angewendet, wenn" Angehörige mehrere Völker dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen, „als auch dann, wenn im Bereiche eines Staates sich Angehörige eines anderen Staates nicht nur vorübergehend aufhalten"; allerdings stellt er auf S. 27 dem sog. „Minderheitenfremdenrechte" das sog. „echte Minderheitenrecht" gegenüber; vorsichtig Erler, S. 40 f., der die Gleichstellung von Staatsangehörigen und Staatsfremden von der zukünftigen Entwicklung abhängig machen wollte. 43 So von von Balogh, S. 70. 44 So von Wintgens, S. 13. 45 Der Begriff „autochthone Minderheiten" wird nicht ausschließlich im vorliegenden Sinne verwendet, sondern auch in einem engeren Sinne, nämlich für Ureinwohner, vgl. dazu Murswiek, S. 12. 46 Vgl. Stopp, S. 20 f., dieser verweist für die ablehnende Haltung der „klassischen Einwanderungsländer" auf die vieldiskutierte persönliche Erklärung des brasilianischen Delegierten, Mello Franco, abgegeben vor dem Völkerbundrat am 9. 12. 1925, abgedruckt bei Kraus, S. 226 ff. 47 Vgl. dazu unten, 2. Teil, 1. Abschnitt, B., III. 40

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

dest in Deutschland gar nicht zweifelhaft war, welche Personengruppen für den Minderheitenstatus jeweils in Betracht kamen: Die Diskussion bezog sich auf bestimmte, vorgegebene Gruppierungen, 48 wie etwa die Polenstämmigen in Deutschland. Auch in den übrigen Völkerbundstaaten war keineswegs die Existenz einer bestimmten Gruppierung umstritten. Vielmehr war der strittige Punkt stets, ob es aus politischer Sicht als wünschenswert erschien, die betreffende Gruppe in den Minderheitenschutz einzubeziehen.49 Aber die Streitigkeiten gingen noch über die Frage nach den konstitutiven Merkmalen der Minderheit hinaus: Problematisch war außerdem, anhand welcher Kriterien festzustellen sei, ob eine Person überhaupt einer bestimmten Minderheit zugehörig war oder nicht. 50 In Betracht kam dabei sowohl eine Anknüpfung an objektive Kriterien wie die Beherrschung der Minderheitensprache, als auch an ein rein subjektives Bekenntnis. Exemplarisch für dieses Problem war der „oberschlesische Schulstreit,,, der sich an der Auslegung der Schulparagraphen der deutsch-polnischen Oberschlesienkonvention vom 15. 5. 192251 entzündet hatte. Es ging dabei um die Frage, ob die elterliche Entscheidung, die Kinder eine deutsche Minderheitenschule besuchen zu lassen, durch eine Sprachprüfung für die Kinder in Frage gestellt werden durfte. 52 Dies hätte bedeutet, daß die subjektive Einschätzung der Eltern nicht allein maßgeblich gewesen wäre, sondern durch eine Überprüfung objektiver Merkmale zumindest ergänzt worden wäre. Dem stand der Wortlaut des Art. 131 der Konvention entgegen,53 ebenso die zumindest im deutschsprachigen Bereich vorherrschenden Auffassung. 54 Als die strittige Frage 1928 schließlich dem Ständigen Internationalen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt wurde, bestätigte dieser trotzdem die objektive Theorie. 55

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Kimminich, Rechtsprobleme, S. 104. So etwa die jüdischen Bevölkerungsteile in Ost-, Mittel- und Westeuropa, vgl. Junghann, S. 30, Fn. 1. 50 Vgl. zu dieser Fragestellung Erler, S. 332 ff. 51 Abgedruckt bei Kraus, S. 126 ff. 52 Ausführlich zum oberschlesischen Schulstreit Schot, S. 187 ff. 53 Art. 131 Satz 1 und 2 lauten: „ Was die Sprache eines Kindes oder Schülers ist, bestimmt ausschließlich die mündlich oder schriftlich abgegebene Erklärung des Erziehungsberechtigten. Diese Erklärung darf von der Schulbehörde weder nachgeprüft noch bestritten werden." 54 Vgl. etwa von Balogh, S. 65 ff.; Erler, S. 334; ebenso Wintgens, S. 16 ff.; zum subjektiven Ansatz einer 1928 zugunsten der polnischen Minderheit erlassenen Verordnung Dachselt, Deutsche Juristen-Zeitung 1929, 891/893. 55 C.P.J.I. Series A, No 15, S. 32: „...is a question of fact and not solely one of intention". 49

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

31

Diese Unklarheiten über den Minderheitenbegriff waren aber nicht der einzige Schwachpunkt des Minderheitenschutzsystems der Völkerbund-Ära. Hinzu kam etwa von Anfang an der Unmut der verpflichteten Staaten darüber, daß nicht alle Mitglieder des Völkerbundes in gleicher Weise Minderheitenschutzbestimmungen zu erfüllen hatten. Obwohl der Völkerbund erst 1946 förmlich aufgelöst wurde, war das unter seiner Ägide ausgebildete Minderheitenschutzsystem schon in den 30er Jahren immer schwächer und unwirksamer geworden. 56 Endgültig ins Wanken gebracht wurde es dadurch, daß Polen sich bereits 1934 seiner völkerrechtlichen Minderheitenschutzverpflichtungen ledig erklärte. 57 Es herrscht deshalb allgemein die Ansicht vor, daß dem Völkerbund die Schaffung eines funktionstüchtigen Minderheitenschutzsystems im Ergebnis nicht gelungen,58 womöglich dieses System sogar von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen sei. 59

3. Minderheitenschutz unter den Vereinten Nationen Dieses Scheitern mag einer der Gründe dafür gewesen sein, daß die Satzung der Vereinten Nationen vom 26. 6. 1945 den Minderheitenschutz gänzlich unerwähnt ließ. 60 Auch Minderheitenschutzverträge wurden nur sehr vereinzelt abgeschlossen.61 Ebenso wurde in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948 trotz entsprechender Bemühungen62 keine spezielle Minderheitenschutzverpflichtung aufgenommen. Lediglich Art. 14 EMRK stellt im Rahmen eines Diskriminierungsverbotes klar, daß die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit kein legitimes Unterscheidungskriterium ist. 63

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Veiter, in: System I, S. 81. Dazu Rabl, in: System II, S. 104 m.w.N. zum Inhalt dieser Erklärung. 58 Zu den möglichen Ursachen vgl. etwa Hofmann, ZaöRV 1992, 1/5 f., Kimminich, Rechtsprobleme, S. 57 f.; ders., in: Brunner/Camartin/Harbich/Kimminich, S. 23; Veiter, 20. Jahrhundert, S. 30; Rabl, in: System II, S. 114: „...spektakulär-katastrophalen Versagens". 59 Kimminich, in: Wittmann/Graf Bethlen, S. 46. 60 Weitere Gründe dafür bei Kimminich, BayVBl. 1993, 321 f. und bei Rensmann, AWR-Bulletin 1992, 99, mit Nachweisen aus den Beratungen zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte; allerdings geht letzterer fälschlicherweise davon aus, daß Australien nicht Mitglied im Völkerbund gewesen sei. 61 Zu den Ausnahmen vgl. Blumenwitz, S. 42 ff. 62 Vgl. dazu Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 19; wegen dieser Bemühungen bescheinigt Münch, in: System I, S. 99, den Vereinten Nationen in dieser Phase ein zumindest zögerliches Interesse. 63 Vgl. dazu unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, Α., I., 2., a. 57

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

Jedoch setzte die Menschenrechtskommission bereits 1946 eine „Unterkommission zur Verhütung von Diskriminierung und für Minderheitenschutz" ein, die sich von 1947 bis 1954 vor allem damit beschäftigte, eine brauchbare Minderheitendefmition auszuarbeiten, ohne daß ein tragfähiger Kompromiß gefunden wurde. 64 Die Erfolglosigkeit der aus Fachleuten zusammengesetzten Unterkommission könnte darauf zurückzuführen sein, daß sich das Thema Minderheiten und Minderheitenschutz auf politischer Ebene keiner besonderen Beliebtheit erfreute. 65 Folge davon war jedenfalls, daß die Suche nach einem brauchbaren Minderheitenbegriff sich nunmehr nicht mehr nur auf die Unterkommission beschränkte, sondern in sämtlichen Gremien der Vereinten Nationen problematisiert wurde. 66 Schließlich wandte sich die Kommission 1955 weniger frustierenden Tätigkeitsfeldern zu. 67 In den 60er Jahren begann sich jedoch eine vorsichtige Wende in der Politik der Vereinten Nationen abzuzeichnen: Mit der Aufnahme des Art. 27 in den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte aus dem Jahre 196668 existierte nunmehr wieder eine ausdrückliche Minderheitenschutzbestimmung.69 Dies war der Anfang der Rückbesinnung auf den ausdrücklichen Minderheitenschutz. 70 Inhaltlich warf diese Bestimmung aber mancherlei Schwierigkeiten auf, 71 auch der Minderheitenbegriff war unklar. Insbesondere war umstritten, ob die zahlenmäßige Unterlegenheit der Gruppe von Bedeutung sei, ebenso das Bestreben der Gruppe, die eigenen Charakteristika zu bewahren. Auch die nötige Dauer der Existenz der Gruppe war frag-

64

So Capotorti, Encyclopedia of Public International Law 1985, 385/389\Hilpold, SZIER 1994, 31/39. 65 Rensmann, AWR-Bulletin 1992, 99/100, geht sogar davon aus, daß die Arbeit der Unterkommission von den politischen Organen der Vereinten Nationen systematisch boykottiert worden sei. 66 Dazu Er mac ora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 25. 67 So Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 25; Hilpold, SZIER 1994,31/39. 68 BGBl. 1973 II, 1534. 69 Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut: „In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen." Vgl. BGBl. 1973 II, 1534/1545. 70 Kimminich, BayVBl. 1993, 321, bezeichnet dieses wechselnde Verhältnis zum ausdrücklichen Minderheitenschutz als „Wellenbewegung der völkerrechtlichen Entwicklung". 71 Zum heutigen Stand der Diskussion um Art. 27 IPBPR vgl. unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, Α., I., 1., a.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

33

lieh. 72 So betraute man schließlich 1971 Francesco Capotorti als Mitglied der Unterkommission mit der Untersuchung der Frage, wer Minderheit im Sinne der Vorschrift und wie diese anzuwenden sei. 1977 lag die entsprechende Studie 73 und damit die bereits erwähnte, vielbeachtete Definition vor. 74 Aber auch diese wurde nicht als verbindlich anerkannt. Trotzdem stellte man in den folgenden Jahren wiederum die Suche nach einer Minderheitendefmition zurück. Erst 1984 beauftragte die Menschenrechtskommission noch einmal die Unterkommission, eine entsprechende Definition auszuarbeiten.75 1985 legte Jules Dêschenes seinen Vorschlag vor, 76 der aber gegenüber der Definition von Capotorti wenig Neues brachte 77 und nur einen geringeren Grad der Beachtung und Akzeptanz fand. Auch die weitere Arbeit der Vereinten Nationen brachte keinen verbindlichen Minderheitenbegriff. 78 Insofern ist die Definition von Capotorti immer noch aktuell. Obwohl die Auslegungsschwierigkeiten keineswegs gänzlich beseitigt wurden und die in der Literatur überwiegend verwendeten Definitionsmerkmale zum Teil geringfügig über die von Capotorti vorgeschlagenen hinausgehen, ist diese doch als zumindest vorläufiges Ergebnis der völkerrechtlichen Diskussion um den Minderheitenbegriff und als Ausgangspunkt jeder weiteren Diskussion zu verstehen.

72 73

Capotorti, in: Wolfrum, S. 604. Study on the rights of persons belonging to ethnic, religious and linguistic minori-

ties. 74

Vgl. dazu oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Α. Vgl. dazu Oxenknecht, S. 93. 76 Proposal concerning a definition of the term „minority", UN-Doc. E/CN.4/Sub.2 /1985/31. 77 Vgl. den Definitionsvorschlag in § 181: „A group of citizens of a State, constituting a numerical minority and in a non-dominant position in that State, endowed with ethnic, religious or linguistic characteristics which differ from those of majority of the population, having a sense of solidarity with one another, motivated, if only implicitly, by a collective will to survive and whose aim is to achieve equality with the majority in fact and in law." 78 Auch die Deklaration über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehören, die am 22. Februar 1992 von der Menschenrechtskommission und am 18. Dezember 1992 von der Generalversammlung angenommen wurde, verzichtet auf eine abschließende Definition, vgl. dazu Hilpold, SZIER 94, 1/2, 31/48. 75

3 Siegert

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

II Insbesondere: Die Merkmale des Minderheitenbegriffes von Capotorti und seine üblichen Ergänzungen 1. Unterlegene Stellung Bereits der Wortsinn des Begriffes „Minderheit", der seinen Ursprung im lateinischen „minor" (=kleiner, geringer) hat, legt es nahe, daß es sich dabei um eine zahlenmäßig der Mehrheit unterlegene Gruppe handeln muß: Eine „Minderheit" ohne „Mehrheit" erscheint schlichtweg nicht denkbar. 79 Daß diese zahlenmäßig geringere Gruppe zudem keine dominierende Stellung einnehmen darf, um als Minderheit im Sinne des Völkerrechts zu gelten, soll verhindern, daß eine kleine Gruppe, die die Mehrheitsbevölkerung beherrscht, den Schutzanspruch der Minderheit geltend machen kann, dessen sie nicht bedarf und der nicht fur diese Konstellation konzipiert wurde. 80 „...the need to protect minorities derives essentially from the weakness of their position". 81

2. Ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten Eine ethnische Minderheit, abgeleitet vom griechischen ethnos (=Volk), ist eine Gruppe, die von gemeinsamen biologischen, kulturellen oder historischen Eigenschaften geprägt wird, 82 was neben physischen Besonderheiten insbesondere Sitten und Gebräuche, Sprache und Religion, Siedlungsgewohnheiten und die allgemeine Lebensart sein können.83 Zum Teil wird zusätzlich zum Vorhandensein dieser charakteristischen Merkmale verlangt, daß sich die Gruppe und deren Umwelt dieser Merkmale bewußt sind. 84 Soziologische Randgruppen wie etwa Homosexuelle oder Nicht-Seßhafle fallen dabei nicht unter diesen juristischen Minderheitenbegriff, 85 auch wenn sie bewußt eine eigene Kultur pflegen oder man ihnen etwa eine biologische Besonderheit unterstellen wollte. Häufig wird an Stelle von „ethnische" auch die Bezeichnung „nationale" Minderheit verwendet. 86 Der Begriff ist jedoch nicht eindeutig bestimmt. So wird er in den einschlägigen Dokumenten der KSZE als Oberbegriff für ethni79 80 81 82 83 84 85 86

Brunner, S. 17. Messtorff, S. 6. Capotorti, § 55. Oxenknecht, S. 110. Pircher, S. 30. Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 46; Pircher, S. 30. Kimminich, Rechtsprobleme, S. 103; Murswiek, S. 11. Blumenwitz, S. 30.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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schfe, kulturelle, sprachliche und religiöse Minderheiten verwendet; 87 zum Teil werden darunter aber auch im Gegensatz zu ethnischen Minderheiten Bevölkerungsgruppen verstanden, die neben dem Staat, in dem sie leben, noch einen „Heimatstaat" haben, in dem sie die Mehrheitsbevölkerung darstellen, 88 oder solche, die den Willen besitzen, als Gruppe am politischen Entscheidungsprozeß mitzuwirken, 89 bzw. „sich selbst zu beherrschen". 90 Verschiedentlich werden auch komplexe Definitionen für die „nationale" Minderheit gefunden. 91 Wegen dieser Unklarheiten erscheint es sinnvoll, auf den Gebrauch des Begriffes nach und nach ganz zu verzichten. 92 Religiöse Minderheiten sind Personengruppen, deren religiöses Bekenntnis nicht mit dem der Mehrheitsbevölkerung übereinstimmt. Auf den Inhalt des Bekenntnisses kommt es dabei nicht an; jede theistische, nichttheistische oder auch atheistische Überzeugung kann die religiöse Minderheit kennzeichnen.93 Nach dem Verständnis der Vereinten Nationen handelt es sich auch um eine religiöse Minderheit, wenn eine Personengruppe sich mit einem religiösen Bekenntnis von der atheistischen Grundhaltung der Mehrheitsbevölkerung abhebt.94

87

Vgl. etwa das Kopenhagener Abschlußdokument über die menschliche Dimension der KSZE vom 29. 6. 1990 und die Charta von Paris für ein neues Europa vom 21. 11. 1990. 88 So die häufig in den Staaten des östlichen Mitteleuropas vertretene Auffassung, vgl. Hofmann, ZaöRV 1992, 1/3. 89 Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 46. 90 Pernthaler, S. 35, Fn. 112. 91 So lautet etwa die Definition von Pircher, S. 33: „Als „nationale Minderheit" wäre somit eine Gruppe von Staatsangehörigen eines Staates zu bezeichnen, die eine von den übrigen Staatsangehörigen dieses Staates, denen sie zahlenmäßig unterlegen sind, gesonderte enge Kulturgemeinschaft bilden und die sich als in sich geschlossene Einheit fühlen. Sie sind gewillt, ihre sie kennzeichnenden Eigenschaften zu bewahren, und sie fühlen sich in besonderer Weise mit der Bevölkerungsmehrheit eines anderen Staates verbunden oder es ist ihr erklärtes Ziel, über sich eigenständig und souverän bestimmen zu können"; Héraud, in: System I, S. 21, definiert folgendermaßen: „Jede Bevölkerung, die auf dem Territorium, das sie innehat, traditionell siedelt und nach ihrem Bewußtsein eine von der Nation verschiedene Gemeinschaft bildet und gewillt ist, ihr eigenes Wesen bestmöglich zu bekennen und bewahren, ist eine nationale Minderheit. Es ist nicht entscheidend, ob die objektive Besonderheit in der Sprache, der Geschichte, dem Boden, der Religion oder irgendeinem anderen Faktor gelegen ist." 92 93 94

So der Vorschlag von Veiter, in: System I, S. 38. Blumenwitz, S. 29, Pircher, S. 37. So Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 45.

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

Sprachliche Minderheiten sind solche, deren Sprache nicht der der Mehrheitsbevölkerung entspricht. 95 In der Arbeit der Vereinten Nationen wird der Begriff der „Sprache" dabei weit ausgelegt und umfaßt neben Hochsprachen auch Dialekte, selbst wenn es sich nicht um geschriebene, sondern nur um gesprochene handelt. 96

3. Staatsangehörigkeit Im Gegensatz zu dem in der Völkerbund-Ära vertretenen Ansatz sieht die Definition von Capotorti zwingend vor, daß die Minderheitsangehörigen die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates innehaben. Dies wird damit begründet, daß die Situation von Ausländern nicht mit der von Staatsangehörigen vergleichbar sei, selbst wenn man anerkenne, daß diese besonders in den Industrieländern mit vielen Problemen konfrontiert seien. Sie profitierten bereits vom völkerrechtlichen Fremdenrecht und von in speziellen Vereinbarungen garantierten Rechten.97 Diese Auffassung ist bis heute zumindest in Europa weit verbreitet. 98 Gerade für Art. 27 IPBPR wird jedoch auch vertreten, daß zur Minderheit auch NichtStaatsangehörige gehören können.99

4. Gruppenbewußtsein Eine Minderheit ist mehr als eine Summe von Einzelpersonen, 100 die bestimmte charakteristische Merkmale aufweisen. Erst der solidarische Wunsch, die Gruppencharakteristika zu erhalten, macht aus dieser Summe von Personen eine Gruppe, denn dieser gemeinsame Wunsch begründet die Gruppenidentität. 101 Diesem subjektiven Kriterium wird bis heute besondere Bedeutung bei95

Messtorff, S. 5. Oxenknecht, S. 117, unter Hinweis auf Pircher, S. 35 f. 97 Capotorti, § 57. 98 Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, 401/402; Hofmann, ZaöRV 1992, 1/3 , Pircher, S. 25; ebenso schon Pernthaler, S. 34; für Art. 27 IPBPR Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 55; Oxenknecht, S. 127; zur aktuellen Diskussion vgl. unten, 1. Teil, 1. Abschnitt, C. 99 Nowak, Art. 27, Rn. 16 f.; Tomuschat, in: FS für Mosler, S. 960. Zu Art. 27 IPBPR vgl. auch unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, Α., I., 1., a. 100 Tholund in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 9. 101 Capotorti, § 55. 96

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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gemessen.102 Zum Teil wird auf das Gruppenbewußtsein noch vor den objektiven Kriterien abgestellt, die dann nur noch zum Zwecke der Mißbrauchskontrolle herangezogen werden sollen. 103 Diesem subjektiven Ansatz entspricht es, daß die Zugehörigkeit zu einer Minderheit allgemein vom subjektiven Bekenntnis des einzelnen abhängig gemacht wird. 1 0 4 Dies ist schon allein deshalb sinnvoll, weil objektive Merkmale wie etwa die Beherrschung der Minderheitensprache unter dem Assimilationsdruck der Mehrheitsbevölkerung verlorengehen können, was dem Minderheitsangehörigen nicht zum Nachteil ausgelegt werden darf. Auch kann man auf diese Weise verhindern, daß Personen gegen ihren Willen zum Minderheitsangehörigen erklärt werden. 105

5. Stabile Einheit/Ansässigkeit Über den ausdrücklichen Definitionsvorschlag von Capotorti hinaus geht auch das in den Organen der Vereinten Nationen geforderte Merkmal der „stabilen Einheit" der Gruppe, 106 die wiederum Rückschlüsse auf das Vorhandensein einer gemeinsamen Gruppenidentität zulassen soll. Die gemeinsame Identität wird in der Regel vermutet, wenn die Gruppe geschlossen in einem bestimmten Gebiet siedelt und eine seßhafte Lebensweise pflegt. 107 Ausnahmen hiervon werden aber anerkannt, etwa wenn es gerade zur Tradition und damit zur Identität einer Gruppe gehört, nicht dauerhaft an einem Ort zu leben, sondern umherzuziehen. Jedenfalls wird die Siedlungsweise nicht als allein entscheidend angesehen.108 Eng mit der Forderung nach einer stabilen Einheit der Gruppe verknüpft ist auch der prinzipielle Ausschluß von Zuwanderern aus dem völkerrechtlichen Minderheitenbegriff. 109 Der Ausschluß von Gruppen, die noch nicht seit langer Zeit auf dem Gebiet des Staates etabliert seien, so Capotorti in seinem Bericht, lasse sich direkt aus der Formulierung des Art. 27 IPBPR „ I n those States in which ethnic, religious or linguistic minorities exist", 102

Vgl. etwa Blumenwitz, S. 27 f.; Messtorff, S. 7; Oxenknecht, S. 102 ff. So Brunner, S. 16. 104 Laut Pan, in: Blumenwitz/Murswiek, S. 29, gilt diese Erkenntnis bis heute auf völkerrechtlicher Ebene als gesichert. Blumenwitz, S. 64, besteht übrigens auf einer Trennung der Frage nach der Zugehörigkeit von der eigentlichen Minderheitendefinition. Genaugenommen handelt es sich dabei um eine Frage der Definition des Minderheitsangehörigen. 105 Hofmann, ZaöRV 1992, 1/3. 106 Dazu Oxenknecht, S. 98. 107 Dazu Stopp, S. 25, mit weiteren Nachweisen. 108 So Oxenknecht, S. 128, für die „Zigeuner". 109 Zur aktuellen Diskussion vgl. unten, 1. Teil, 1. Abschnitt, C. 103

38

1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

ableiten. 110 Die Ausklammerung dieser Personengruppe wird vor allem damit begründet, daß sie in der Regel danach trachten würden- so wird zumindest bis in die Gegenwart unterstellt - , in ihrer Wahlheimat möglichst schnell und umfassend integriert zu werden, ohne dabei besonderen Wert auf ihre gemeinsame Identität zu legen. Dementsprechend vermutet man bei ihnen keinen stabilen Gruppenzusammenhalt. Durchaus anerkannt ist aber, daß dies im Einzelfall auch anders sein kann. 111

6. Loyalität? In der Arbeit der Vereinten Nationen fand verschiedentlich das Merkmal der „Loyalität" Erwähnung. Dahinter steht der Gedanke, daß ein Staat, der seine Minderheiten in besonderer Weise schützt, dafür quasi im Gegenzug sicher seien müßte, daß diese Minderheiten nichts unternehmen, was den Staat gefährden könnte. Insbesondere Sezessionsbestrebungen dürften demgemäß von einer Minderheit nicht ausgehen. Auch in völkerrechtlichen Dokumenten findet sich häufig der Hinweis darauf, daß von einer zu schützenden Minderheit Loyalität gegenüber dem Aufenthaltsstaat erwartet werden könne. 112 Die „Loyalität" der Minderheit wurde allerdings nicht als Definitionsmerkmal in den Capotorti-Bericht aufgenommen. 113 Dies ist insofern zu begrüßen, als die „Loyalität" tatsächlich nicht als Definitionsmerkmal begriffen werden kann. Die Frage, ob eine Minderheit sich in einer Weise loyal gegenüber dem Aufenthaltsstaat verhält, die die Forderung nach Schutz durch eben diesen Staat rechtfertigt, sagt nichts über den Status der Gruppe aus. Auch eine illoyale Minderheit ist eine Minderheit. 114

110

Capotorti, § 202. Für Art. 27 IPBPR Tomuschat, in: FS für Mosler, S. 961 f. 112 Etwa in der Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten, vgl. Section III, Art. 20 und Art. 21, die von den Minderheiten als Gegenleistung für gewährten Schutz Respekt vor der Gesetzgebung und territorialen Einheit des Aufenthaltsstaates verlangt; weitere Nachweise bei Kimminich, Rechtsprobleme, S. 100 und bei Luchterhandt, in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 77 f.; zum Inhalt und den Grenzen der Loyalität ders., aaO, S. 75 ff.; ausführlich dazu auch Veiter, 20. Jahrhundert, S. 162 ff; zu den Hintergründen der Loyalitätsforderung in demokratischen Staaten vgl. unten, 1. Teil, 2. Abschnitt, C., I., 1. 113 Das Merkmal fand sich aber etwa im UN-Doc. E/CN.4/Sub.2/L. 564 v. 21.6. 1972, zitiert nach Veiter, Aus Politik und Zeitgeschichte 1975/B 18, 29/30. 114 Kimminich, Rechtsprobleme, S. 100. 111

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

39

C. Fortentwicklung des Minderheitenbegriffes I. Der Hintergrund Dieser klassische Minderheitenbegriff wurde in jüngerer Vergangenheit immer wieder in Frage gestellt. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die Frage, ob die Merkmale „Staatsangehörigkeit" und die Ansässigkeit der Gruppe entbehrlich sind oder unverändert aufrecht erhalten werden sollten. Darüberhinaus hat die heillose Verstrickung in Merkmale, Begründungen und Interessen die Tendenz hervorgebracht, den juristischen Minderheitenbegriff zugunsten eines soziologischen gänzlich aufzugeben. Die Wiederbelebung dieser zwar nicht gelösten, aber doch allmählich für ausdiskutiert gehaltenen Probleme kommt nicht von ungefähr. Ebensowenig ist es Zufall, daß das Thema insgesamt in Europa, besonders aber in der Bundesrepublik Beachtung findet. Vordergründig ließe sich dies neu erwachte Interesse zumindest für die Bundesrepublik mit der Verfassungsreformdebatte erklären. Immerhin gehörte auch die Einfügung eines Minderheitenschutzartikels zu den Vorschlägen der Gemeinsamen Verfassungskommission. 115 Wichtiger fur das Verständnis der Debatte ist aber ein Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik. Diese hat in den vergangenen Jahrzehnten ihre Bevölkerungsstruktur erheblich verändert. Die ursprünglich als zusätzliche Arbeitskräfte angeworbenen „Gastarbeiter,, haben eine unerwartete Migrationswelle ins Rollen gebracht. Gleichzeitig waren noch nie mehr Menschen - neuerdings zumeist als Opfer ethnischer Konflikte - auf der Flucht. 116 Die Zahl der Asylbewerber hat erst durch die umstrittene 117 Änderung des Grundrechts auf Asyl wieder abge-

115

Dazu vgl. unten, 3. Teil, 2. Abschnitt. Dazu die taz vom 13. 7. 1995, S. 12. Laut dieses Artikels bewegen sich zwar die meisten Flüchtlinge innerhalb Afrikas, trotzdem soll als Reaktion auf die internationale Flüchtlingsbewegung die Abwehr ungewollter Einwanderung zu einem zentralen Thema europäischer Politik geworden sein. 117 Neben Fragen der politischen Wünschbarkeit und solchen der richtigen Auslegung galt die Diskussion der Verfassungsmäßigkeit des Art. 16 a GG. Vgl. dazuPieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 16 a, Rn. 24 m.w.N.; dabei ging das Bundesverfassungsgericht von der Verfassungsmäßigkeit des Artikels aus, vgl. BVerfGE 94, 49. Einen Eindruck von der Brisanz der Materie im übrigen kann man sich bereits anhand der einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der abweichenden Meinungen verschaffen, vgl. BVerfGE 94, 115 (zum Thema sichere Herkunftsstaaten), dazu abweichende Meinungen von Limbach, Böckenförde und Sommer, sowie BVerfGE 94, 166 (zum Thema Flughafenverfahren), dazu wiederum abweichende Meinungen ders. 116

40

1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

nommen. 118 Die Bundesrepublik hat sich - man mag es für wünschenswert halten oder auch nicht - zumindest faktisch zu einem Einwanderungsland entwickelt. 119 Schwerpunkt der ethnischen Konflikte ist längst nicht mehr das Verhältnis der Mehrheitsbevölkerung zu den traditionell anerkannten Minderheiten, wie etwa den Dänen, Friesen und Sorben. Stattdessen steht die Bewältigung der Folgen der neuen Einwanderungswelle im Vordergrund. 120 Aber diese Problematik überwiegt nicht nur quantitativ. 121 Die beim Zusammenleben der Bundesbürger mit den Zuwanderern auftretenden Probleme gehen inzwischen weit über das Maß hinaus, das beim Zusammentreffen verschiedener Kulturen, Sprachen und Religionen wohl zwangsläufig zu erwarten ist: Die Einwanderungssituation bringt in auffälliger Weise Spannungen und „Hackordnungen" zwischen verschiedenen Gruppen von Einheimischen und „Fremden" mit sich. 122 Außerdem bestehen gegenüber bestimmten Einwanderergruppen, etwa aus Rumänien zugewanderte Sinti und Roma, ebenso hartnäckige wie unbegründete Vorbehalte und Agressionen. 123 Schließlich hat die allgemeine Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik erschreckende Formen angenommen: Selbst Zuwanderer, die bereits in der zweiten oder dritten Generation im Lande leben, sind mit spürbaren Diskriminierungen bis hin zu lebensbedrohlichen Tätlichkeiten konfrontiert. 124 Angesichts dieser Situation muß sich der traditionelle Minderheitenschutz ebenso wie der entsprechende Minderheitenbegriff den Vorwurf gefallen lassen, zur Lösung der vordringlicheren der ethnisch motivierten Konflikte nichts

118

Dabei ist die Zahl der Asylbewerber in der ersten Hälfte von 1997 auf den niedrigsten Stand seit Inkrafittreten der Asylrechtsreform gesunken: 76, 5 % weniger Personen als vor dem Inkrafittreten der Reform am 1. 7. 1993 stellten einen entsprechenden Antrag. Angaben des Bonner Innenministeriums, zitiert nach der taz vom 5./6. 7. 1997, S. 5. 119 Vgl. zur „neuen Einwanderungssituation" der Bundesrepublik Ende des 20. Jahrhunderts Bade, in: ders., Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland, S. 442 ff. 120 So auch Stopp, S. 6. 121 Kimminich, Rechtsprobleme, S. 115, vergleicht die Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts mit der Völkerwanderung am Ende der Antike und zu Beginn des frühen Mittelalters. 122 Vgl. dazu Bade, in: ders., Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland, S. 444. 123 Bade, in: ders., Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland, S. 445, spricht von einer „Zigeunerphobie". 124 Dies Problem beschränkt sich allerdings nicht auf die Bundesrepublik, sondern entspricht einer allgemeinen Entwicklung in Westeuropa, vgl. die taz vom 13. 7. 1995, S. 12.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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beizutragen. 125 Damit steht die Frage im Raum, ob der Minderheitenbegriff in seiner klassischen Form noch den heutigen Bedürfhissen entspricht, oder ob es einen Modifizierungsbedarf gibt.

IL Lösungsansatz 1. Gemeinsamer Minderheitenbegriff für Völkerrecht und innerstaatliches Recht? Die Weiterungen des Minderheitenbegriffes werden sowohl für das Völkerrecht als auch für den innerstaatlichen Bereich der Bundesrepublik diskutiert. Häufig wird jedoch nicht eindeutig zwischen beiden Ebenen getrennt. 126 Dies mag daran liegen, daß in Sachen Minderheitenschutz beide Bereiche eng miteinander verzahnt sind: Innerstaatlicher Minderheitenschutz setzt häufig internationale Verträge um. 1 2 7 Will ein Vertragsstaat seine völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllen, so kann er deren Umsetzung nicht an einem abweichenden, enger gefaßten innerstaatlichen Minderheitenbegriff scheitern lassen. In diesem Rahmen scheidet eine Abweichung der Definitionen also aus. Zumindest aber ist es den Staaten nicht verwehrt, innerstaatlich Gruppen als Minderheit anzuerkennen und zu schützen, die nicht unter den völkerrechtlichen Minderheitenbegriff fallen. 128 Weiterungen des Minderheitenbegriffes im innerstaatlichen Recht sind insofern unproblematisch und nur von politischen Erwägungen und der Vereinbarkeit mit höherrangigem innerstaatlichem Recht abhängig. Angesichts des eingangs erwähnten politischen Hintergrundes der Definitionsprobleme mag die Möglichkeit, einen weiteren Definitionsversuch auf den innerdeutschen Bereich zu beschränken, verlockend sein: Die Hoffnung auf eine politische Einigung zumindest im innerstaatlichen Bereich ist realistischer als im zwischenstaatlichen, die Chancen zur Anerkennung der Definition in der Praxis damit durch eine solche Begrenzung größer. Dies sollte jedoch nicht den Blick dafür verstellen, daß aus bundesdeutscher Sicht eine gemeinsame Definition für die innerstaatliche und völkerrechtliche

125 So etwa Alexy, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 51, der in der verfassungsrechtlichen Privilegierung der traditionellen Minderheiten etwas „Rückwärtsgewandtes" sieht. 126 Vgl. etwa Messtorff, S. 4 ff.; eindeutig aber Murswiek, S. 11 f. 127 So auch Murswiek, S. 11. 128 So auch Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Bd. VIII, § 201, Rn. 4.

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

Ebene sinnvoll ist. 129 Beide rechtlichen Ebenen sind mit der veränderten gesellschaftlichen und politischen Situation in Europa konfrontiert. Eine Unterscheidung könnte nur in Staaten sinnvoll sein, deren innerstaatliche Situation mit der Lage in anderen Staaten nicht vergleichbar ist und die deshalb auf einen „individuellen", großzügigeren Minderheitenbegriff zurückgreifen müssen, um den Minderheiten im Lande gerecht werden zu können. Die Bundesrepublik ist aber ein typisches Beispiel für die Situation, die auch auf internationaler Ebene zum Nachdenken über den traditionellen Minderheitenbegriff angeregt hat. Im folgenden wird daher zwischen völkerrechtlichem und innerstaatlichem bundesdeutschen Minderheitenbegriff nicht mehr unterschieden, sondern von einem einheitlichen Begriff ausgegangen.

2. Die für die Einbeziehung in den Minderheitenbegriff in Betracht kommenden Personengruppen a) Ausländer Nicht selten bleibt es unklar, welche Personengruppen im einzelnen für eine Einbeziehung in den Minderheitenbegriff in Betracht kommen. Diese Unklarheit könnte System haben. Gerade der Hinweis, nunmehr würden die in der Bundesrepublik lebenden „Ausländer" Identitätsschutz als Minderheit begehren, eignet sich ausgezeichnet, um irrationale Ängste zu schüren: 130 Die kommentarlose Bezugnahme auf die „Ausländer" impliziert dabei, daß alle in der Bundesrepublik lebenden Ausländer in die Diskussion um den Minderheitenbegriff einbezogen würden. Tatsächlich wird nur vereinzelt vertreten, daß sämtliche Ausländer Anwärter auf den Minderheitenstatus sind. 131 In der Regel sind, wenn von der Einbeziehung von „Ausländern" in den Minderheitenbegriff die Rede ist, nur solche Personen gemeint, die alle Merkmale der Minderheitsangehörigen im traditionellen Sinne aufweisen - bis eben auf die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates. In diesem Sinne soll der Begriff auch im folgenden verwendet werden. Die „Ausländer" werden zum Teil auch als Personen charakterisiert, die ihre „Heimat" verlassen haben, um „in der Fremde ein günstigeres Los zu su-

129

Zumindest die „Möglichkeit einer gemeinsamen Definition" erkennt auch Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 40, an; vgl. auch Kimminich, Rechtsprobleme, S. 103. 130 Ähnlich, mit Hinweisen auf die Tagespresse, Kimminich, Rechtsprobleme, S. 17 f., Fn. 309. 131 Dazu siehe unten, 1. Teil, 1. Abschnitt, C., II., 2., c.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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chen". 132 Den Gesichtspunkt der „Freiwilligkeit" oder zumindest der von Vorteilsstreben geleiteten Einwanderung betonen auch Bezeichnungen wie „reine Wanderungsminderheit" oder „Utilitäts-Zuwanderer". 133 Diese Begriffe sind jedoch als irreführend abzulehnen, denn abgesehen von der Vielschichtigkeit der Gründe, die zum Verlassen des Herkunftsstaates gefuhrt haben können und die häufig mit „Freiwilligkeit" wenig zu tun haben, verzerrt die Klassifizierung als „in der Fremde Befindliche" auch die zeitliche Dimension der Angelegenheit: Es kann sich durchaus um Personen handeln, die sich bereits Jahrzehnte oder sogar seit mehreren Generationen in der Bundesrepublik aufhalten und damit nicht ohne weiteres als „fremd" zu bezeichnen sind.

b) „Neue" Minderheiten Die zweite vielfach in Betracht gezogene Personengruppe sind die „neuen" Minderheiten. Damit werden in der Regel Zuwanderer bezeichnet, die sich haben einbürgern lassen.134 Die Besonderheit der „neuen" Minderheiten ist also, daß es sich zwar um Personen handelt, die die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates innehaben und insofern dieses traditionelle Minderheitenmerkmal aufweisen. Diese haben sie aber entweder selbst oder zumindest ihre Vorfahren, etwa die Eltern oder Großeltern, durch Einbürgerung, nicht durch Geburt erlangt. In der Regel bedeutet dies, daß die betreffenden Personen und deren Familien erst seit begrenzter Zeit im Lande ansässig sind. Allerdings setzt die Einbürgerung im Regelfall zumindest eine längere Aufenthaltsdauer voraus. In der Bundesrepublik wird für die allgemeine Ermessenseinbürgerung gemäß § 8 RuStAG in der Regel ein Inlandsaufenthalt von mindestens zehn Jahren gefordert. 135 Die Einbeziehung dieser Personengruppe in den Minderheitenbegriff hat in Europa mehr Unterstützer gefunden als die Einbeziehung der zuvor genannten Ausländer, 136 wohl aus dem Grund, daß eine Kollision mit dem besonders vehement verteidigten Erfordernis der Staatsangehörigkeit ausscheidet.

132

SoMurswiek,S. 18. Veiter, Aus Politik und Zeitgeschichte, 1975/B18, 29/32. 134 Etwa von Franke/Hofmann,, EuGRZ 1992, 401/403; Murswiek, S. 19. 135 So die vom Bundesminister des Innern in Abstimmung mit den Innenministern bzw. -Senatoren der Länder und im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt erstellten Einbürgerungsrichtlinien vom 1. 7. 1977, 3.3.1., abgedruckt etwa bei Bergmann/Korth, Rn. 87 ff. 136 So Pircher, S. 26, ihm folgend Messtorff, S. 9; ebenso Alexy, InfAuslR 1994, 301/304. 133

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

c) Opfer ethnischer Konflikte jeglicher Art Vereinzelt wird angesichts der geschilderten Problemlage die Frage aufgeworfen, ob es nicht möglich und sinnvoll wäre, statt ausgewählter Gruppen sämtliche Personen, die in irgendeiner Weise wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit Nachteilen ausgesetzt sind, in den Minderheitenbegriff einzubeziehen.137 In diesem Fall würde es keine Rolle spielen, ob es sich um Asylbewerber, Ausländer oder Angehörige traditioneller Minderheiten handeln würde; auch auf einen Gruppenzusammenhalt oder eine bestimmte Aufenthaltsdauer käme es nicht an. Entscheidend wäre alleine das Vorhandensein einer ethnischen Konfliktlage. Dieser Vorschlag geht über eine Weiterung des gängigen Minderheitenbegriffs hinaus; er beinhaltet die Auflösung des juristischen Minderheitenbegriffs zugunsten eines soziologischen.

3. Kollisionen mit dem traditionellen Minderheitenbegriff und deren Bewertung a) Die Staatsangehörigkeit aa) Der Stand der Diskussion Obwohl in Europa Tendenzen zur Einbeziehung von Ausländern in den Minderheitenbegriff und damit zur Aufgabe des Kriteriums „Staatsangehörigkeit" bestehen, scheint sich doch die Auffassung durchzusetzen, daß es unverzichtbar sei. 138 Die Beschränkung des Minderheitenbegriffes auf Staatsangehörige wird dabei häufig als „traditionell" bezeichnet und im übrigen mit der Kumulation von Rechten erklärt, die sich ansonsten für Ausländer ergebe. 139 Zum Teil wird die Unentbehrlichkeit des Merkmales der Staatsangehörigkeit aber auch aus der Nationalstaatsidee hergeleitet. 140 Diesem Ansatz gemäß lebt in einem Staat ein in der Regel von bestimmten ethnischen Merkmalen geprägtes Volk in seiner spezifischen Einheit. „Fremde,, sollen von den Angehörigen dieses Volkes grundsätzlich verschieden sein. Da aber in der Realität kaum ein ethnisch homogener Staat existiere, müßten zum Staatsvolk zwangsläufig auch Personen mit einer anderen ethnischen Zugehörigkeit gehören. Diese hätten, so die Theorie, einen Anspruch darauf, in ihrer Andersartigkeit respektiert, das

137

Nämlich von Stopp, S. 12 ff; vgl. auch ders., Staatswissenschaft und Staatspraxis 1994, 3 ff. 138 Vgl. Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, 401/402; Hofmann, ZaöRV 1992, 1/3. 139 Vgl. oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., II., 3. ho Ygj z u mfolgenden Murswiek, S. 15 ff.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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heißt: als Minderheit anerkannt und in je spezifischer Weise gefördert zu werden, da auch sie Teil des Staatsvolkes und keine „Fremden" seien. Nur so sei zu rechtfertigen, daß ein Teil desselben Volkes einen anderen politisch beherrsche. Grundsätzlich anders sei die Situation von solchen Personen zu bewerten, die mehr oder weniger freiwillig ihr Heimatland verließen, um in einem anderen Land zu leben: Diese könnten als „Gast in einem fremden Land" nicht erwarten, sich dort wie in ihrer eigenen Heimat einzurichten. 141 Daher sei die Staatsangehörigkeit entscheidend für die Zuerkennung des Minderheitenstatus, die Aufgabe dieses Merkmales begründe eine Gefahr für die nationale Einheit. Schließlich findet sich noch der Hinweis darauf, daß das Völkerrecht nun einmal zwischen Individuen in ihrer Stellung als Fremde und als Staatsangehörige unterscheide. Nur die Beschränkung des Minderheitenbegriffes auf Staatsangehörige, so eine häufig zitierte Begründung, werde diesem Umstand gerecht. 142

bb) Bewertung: Keine eigenständige Bedeutung der Staatsangehörigkeit Abgesehen davon, daß schon die Bezugnahme auf eine lange geübte, „traditionelle" Praxis fragwürdig erscheint, ist zudem die als Begründung bemühte Tradition noch recht jung: Jedenfalls zur Zeit des Völkerbundes legte man auf die Staatsangehörigkeit wesentlich weniger Wert als heute.143 Auf die Hintergründe dieser Haltung wird noch einzugehen sein. Auch das Argument, der Ausländer profitiere bereits von den Gewährleistungen des völkerrechtlichen Fremdenrechts und bedürfe daher keiner Anerkennung als Minderheit, überzeugt bei näherer Betrachtung nicht. Zwar sichert das Fremdenrecht in der Tat einen Mindeststandard an Rechten, die die Staaten den Ausländern einzuräumen haben. Dabei handelt es sich aber, sofern man sich auf das Völkergewohnheitsrecht und nicht auf multi- oder bilaterale Verträge beruft, um einen bloßen Grundbestand an Rechten.144 Gewährleistet sind etwa das Recht auf die Rechtsfähigkeit, bestimmte Freiheitsrechte, wie zum Beispiel die private Religionsausübung, und der Schutz gegen Angriffe. 145 Dagegen

141

Erler, S. 40, wußte schon 1931, daß im modernen Staat auch der Staatsfremde in wachsendem Maße mit Loyalitätsforderungen des Wohnstaates konfrontiert ist und es deshalb eines modernen Staates nicht würdig sei, die Klagen fremdstaatiger Gäste zu ignorieren und ihnen notfalls die Rückkehr in ihr eigenes Land nahezulegen. 142 Pircher, S. 25. 143 Vgl. oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., I., 2. 144 Ipsen, § 46, Rn. 6. 145 Vgl. im einzelnen zu den Mindeststandards Seidl-Hohenveldern, Rn. 1604 ff.

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

gehört ein differenziertes Instrumentarium, das auf die Bedürfnisse von Personen und Gruppen abgestimmt wäre, die sich von der Mehrheitsbevölkerung ihres Aufenthaltsstaates durch die ethnischen Zugehörigkeit unterscheiden, nicht zum Inhalt des Fremdenrechts. Selbst aber wenn das Fremdenrecht ein solches Instrumentarium aufwiese, bestünde noch ein weiteres Hindernis für einen effektiven Schutz der Betroffenen: Die Durchsetzung der Fremdenrechte steht nur dem Heimatstaat der Betroffenen zu. 146 Dieser Staat mag ein Interesse daran haben, seine Staatsangehörigen im Ausland vor Diskriminierungen, einer herabsetzenden Behandlung oder einer Gefahr für Leib und Leben zu schützen. Ob er aber willens und in der Lage ist, die darüber hinausgehenden Bedürfnisse derer zu erkennen und zu vertreten, die dauerhaft und vielleicht schon vor Generationen den Heimatstaat verlassen haben, ist zweifelhaft. Die Haltung der Herkunftsstaaten gegenüber ihren ausgewanderten Staatsbürgern illustriert etwa die Art und Weise, wie die Türkei die in Deutschland zu empfangenden Fernsehprogramme gestaltet. Mittels nationalistischer Kampagnen wirbt sie um finanzielle Unterstützung für ihre innerstaatlichen Interessen, wie Militäraktionen gegen aufständische Kurden. Die bundesrepublikanische Gesellschaft und Politik, die die tägliche Umwelt der „Zielgruppe" der Programme ausmacht, sowie mögliche Konflikte und Lösungsstrategien spielen dagegen eine mehr als geringe Rolle in diesen Medien. 147 Dies läßt vermuten, daß das Interesse an der Situation der Türken in der Bundesrepublik gering ist und daß diese hauptsächlich als Potential zur Durchsetzung innerstaatlicher Interessen betrachtet werden. Die Schlußfolgerung, daß die Türkei auch ihren diplomatischen Schutz an ihren innerstaatlichen Bedürfnissen statt an denen der Türken im Ausland ausrichten wird, liegt nahe. Der Nutzen des völkerrechtlichen Fremdenrechts dürfte für diese Personengruppe daher eher gering sein 148 und kaum ein vollwertiger Ersatz für einen speziellen Minderheitenschutz. Aber auch die auf der Nationalstaatsidee beruhende Argumentation ist, vorausgesetzt, man läßt sich überhaupt auf die zugrundeliegende Idee ein, nur solange folgerichtig, wie man davon ausgeht, daß „Nation" als Synonym zu Staatsvolk zu verstehen ist - und darunter nur Staatsangehörige verstanden werden. Nur dann ist die „richtige" Staatsangehörigkeit entscheidend für die Zugehörigkeit der ethnischen Gruppe zur Nation und damit den Anspruch auf Anerkennung und Förderung als Minderheit. Tatsächlich ist diese Definition von Nation nicht ungebräuchlich. 149 Jedoch gilt es zu berücksichtigen, daß kaum ein Begriff so unklar und umstritten ist wie der der „Nation". Dies gilt in 146 147 148 149

Seidl-Hohenveldern, Rn. 943. Zu dieser gesonderten Medienwelt Gaserow, die taz vom 9. 5. 1995, S. 13. Ähnlich auch Stopp, S. 129. Vgl. dazu Kimminich, Rechtsprobleme, S. 34.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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besonderem Maße in Relation zu „Volk" und „Staat". 150 So wird eine Nation auch als Synonym zu einem Volksbegriff verstanden, der, unabhängig von Staat und Staatsangehörigkeit, auf das Bestehen einer Abstammungs- und Kulturgemeinschaft abstellt. 151 Versucht man, auf Grundlage dieses Nationenbegriffes die schützenswerten Minderheiten zu bestimmen, so ergibt sich ein gänzlich anderes Bild: Grundsätzlich kann die ethnische Minderheit dann gar nicht zum Volk und zur Nation gehören, weil sie ja gerade anderer „Abstammung" und „Kultur" ist, eine „Nation im Kleinen" darstellt. 152 In dieser Ausgestaltung, so scheint es, gebietet die „nationale Idee" überhaupt nicht den Schutz der Minderheiten, egal welcher Staatsangehörigkeit, sondern deren Vernichtung. 153 Akzeptiert man aber wiederum, daß in der Realität keine Nation ethnisch homogen ist 1 5 4 und daß es gerade deshalb eines Minderheitenschutzes bedarf, so könnte die Nationalstaatsidee, die erst die „Denkformen liefert, welche ein Recht der Nationalitäten beziehungsweise der nationalen Minderheiten möglich macht", 155 einen Schutz fur diejenigen Gruppen begründen, die eben eine solche Abstammungs- und Kulturgemeinschaft darstellen. Der Schutz fremdnationaler „Volkssplitter" im nationalen Staat entspringt dann einem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden. 156 Hierfür aber kommt es auf eine bestimmte Staatsangehörigkeit gerade nicht an. 157 Fordert also auch die Nationalstaatsidee bei näherer Betrachtung nicht zwingend die Beschränkung des Minderheitenbegriffes auf Staatsangehörige, so ist doch immerhin nicht zu leugnen, daß das Völkerrecht üblicherweise zwischen Staatsangehörigen und „Fremden" unterscheidet. 158 Zugegebenermaßen ist eine Differenzierung zwischen „Zugehörigen" und „Fremden" grundsätzlich sinnvoll, solange der Staat seine kulturelle und politische Identität nicht gänzlich aufgeben will. 1 5 9 Gerade das zögerliche Zusammenwachsen Europas macht 150

Zu den Schwierigkeiten der exakten Bestimmung der Begriffe „Volk", „Staat" und „Nation" vgl. Kimminich, Rechtsprobleme, S. 15 ff. 151 Vgl. dazu Veiter, 20. Jahrhundert, S. 12 f. 152 Pernthaler, S. 20. 153 Pernthaler, S. 25. 154 So schon Erler, S. 33 f. 155 Pernthaler, S. 25. 156 Erler, S. 34, der allerdings als konstituierendes Element der Nation eine rein subjektiv begründete Einheitlichkeit ansieht, vgl. ders., aaO, S. 20. 157 Erler, S. 16, geht zumindest davon aus, daß die Staatlichkeit als Element der Nation keinen Anspruch auf allgemeine Geltung hat. 158 Vgl. etwa für das Völkervertragsrecht Art. 25 des IPBPR, BGBl. II 1973, S. 1534 ff. 159 Laut Kimminich, in: Bade, Das Manifest, S. 49 f., ist sie sogar „existentiell" für den modernen Staat.

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

deutlich, daß auch heute noch starke Bestrebungen zur Bewahrung einer solchen staatlichen Identität bestehen.160 Soll diese aber zumindest in Grundzügen erhalten bleiben, so kann als Minderheit vom Staat nur anerkannt und geschützt werden, wer dem Staat zugehörig und nicht „fremd" ist. An diesem Punkt stellt sich allerdings die entscheidende Frage: Ist diese Zugehörigkeit zum Staat, das „nicht fremd sein", zwangsläufig mit der Staatsangehörigkeit gleichzusetzen? Weiterhelfen kann hier ein erneuter Rückblick in die Völkerbund-Ära: Daß man damals auf die Staatsangehörigkeit weitaus weniger Wert als heute legte, hatte nichts damit zu tun, daß man etwa „flukturierende Elemente" 161 aller Art unterschiedslos in den Minderheitenbegriff einbezogen sehen wollte, auch stand damals die Preisgabe der staatlichen Identität noch weniger als heute zur Debatte. Aber die Personengruppen, die für den Minderheitenschutz in Betracht kamen, waren aufgrund der weit geringer ausgeprägten Mobilität in vielen Fällen seit sehr langer Zeit in ihrem Siedlungsgebiet ansässig und lebten dort meist in einem festen Verbund; fehlte ausnahmsweise einmal die Staatsangehörigkeit des Staates, der über die Heimat der Gruppe die Gebietshoheit ausübte, beruhte dies zumindest nicht auf einer kürzlich erfolgten Einwanderung. 162 Man vernachlässigte also das Kriterium der Staatsangehörigkeit in dem Bewußtsein, zumindest im Regelfall diejenigen Personen zu schützen, die traditionell im Staatsgebiet ansässig waren. Auch heute erscheint es vertretbar, 163 daß es für die Anerkennung als Minderheit zunächst einmal darauf ankommt, daß die Gruppe sich in ihrer „angestammten Heimat" befindet. Die Völkerrechtsordnung geht davon aus, daß Minderheiten in ihrem angestammten Siedlungsraum auch in Zukunft leben dürfen, egal, wie sich die Situation des betreffenden Gebietes hinsichtlich der Gebietshoheit und der Staatsangehörigkeit ändert. 164 Eine solche Betrachtungsweise ist sinnvoll, denn sie ist die einzige Möglichkeit, den Minderheiten eine gewisse Sicherheit gegenüber politischen Entwicklungen zu verschaffen, auf die sie wenig Einfluß haben, wie zum Beispiel die Folgen eines Krieges oder den Zerfall eines Vielvölkerstaates. Aber auch weniger gravierende politische Umstände, wie zum Beispiel die 160

Entsprechenden Befürchtungen soll Art. F I des Vertrages über die Europäische Union entgegentreten, der den Respekt der Union gegenüber der „nationale(n) Identität ihrer Mitgliedstaaten" zusichert. Vgl. dazu Bleckmann, JZ 1997, 265 ff. 161 So Veiter, Volksgruppen und Sprachminderheiten, S. 61. 162 Diesen Aspekt betont Kimminich, Rechtsprobleme, S. 99. 163 Selbst strikte Verfechter des Staatsangehörigkeitserfordernisses wollen von dessen Erforderlichkeit zumindest dann eine Ausnahme anerkennen, wenn die Ausländereigenschaft nicht auf einer erst kürzlich erfolgten Einwanderung, sondern auf einem Gebietswechsel oder einer Grenzverschiebung beruht, die Minderheit aber „seit eh und jeh" in ihrem traditionellen Siedlungsgebiet lebt; vgl. Murswiek, S. 19. 164 Kimminich, Heimat, S. 159.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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Hinnahme oder Ablehnung der Mehrstaatigkeit im innerstaatlichen Staatsangehörigkeitsrecht haben einen Einfluß darauf, ob im Lande lebende ethnische Gruppen dauerhaft Ausländer bleiben oder die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates annehmen. Will man die Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit der Betroffenen hiervon nicht in Frage gestellt sehen, so ist die Anknüpfung an die Ansässigkeit, Heimatverbundenheit oder auch Bodenständigkeit165 der Gruppe statt an die Staatsangehörigkeit der Gruppenangehörigen völlig ausreichend, um zu verhindern, daß „Fremde" als Minderheit geschützt werden. Verfolgt man diesen Ansatz konsequent, so bedeutet dies im Ergebnis, daß die Staatsangehörigkeit keine eigene Bedeutung für den Status als Minderheit hat. Entscheidend ist neben den übrigen Minderheitsmerkmalen vor allem die Ansässigkeit der Gruppe. 166 Allerdings bleibt dann noch zu überprüfen, ob die Vorstellungen der Völkerbundzeit betreffend der Frage, was „Ansässigkeit" zu bedeuten hat, heute noch aktuell sind.

b) Ansässigkeit aa) Der Stand der Diskussion Vorauszuschicken ist, daß es bereits nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten bereitet zu definieren, wann eine Gruppe sich in ihrer angestammten „Heimat" befindet. 167 Für Minderheiten bzw. Volksgruppen soll das grundsätzlich der Fall sein, wenn die Gruppe in dem betreffenden Gebiet seit „eh undjeh" wohnt, dort zu Hause ist, ihr angestammtes Gebiet hat. 168 Zunehmend kontrovers beurteilt wird aber, ob eine solche extrem lange Verwurzelungs-Zeitspanne den heutigen Lebensbedingungen noch angemessenen ist. Veiter hat bereits in den 70er Jahren als Bedingung für die Anerkennung von „Utilitätszuwanderern" einen im Inland verbrachten Zeitraum von drei Generationen, also etwa 90 Jahren, vorgeschlagen. 169 Im Gespräch ist auch, ob nicht nur ein Aufenthalt seit „eh und jeh" zuviel verlangt ist, sondern ob zumindest für die Anerkennung „neuer" Minderheiten gänzlich auf eine „Wartezeit" verzichtet werden könne. 165

Die Ausdrücke „Heimatverbundenheit" und „Bodenständigkeit" verwendet etwa Veiter, Volksgruppen und Sprachminderheiten, S. 61. 166 So im Ergebnis auch Incesu, Recht und Politik 1995, 4, 199/202, die zur Begründung allerdings nur darauf verweist, daß andernfalls der Schutzumfang vom Einbürgerungsrecht abhängen würde. 167 Vgl. zu den Schwierigkeiten der Definition Blumenwitz, in: ders./Gornig, Rechtliche und politische Perspektiven, S. 15; Kimminich, Heimat, S. 20 ff. 168 Pernthaler, in: Wittmann/Graf Bethlen, S. 10. 169 Veiter, Aus Politik und Zeitgeschichte 1975/B 18, 29/32. 4 Siegert

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

Begründet wird die Entbehrlichkeit einer längeren, im Lande verbrachten Zeitspanne speziell für diese Personengruppe damit, daß die Einbürgerung das nötige Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Gruppe bereits begründen würde. 170

bb) Bewertung: Drei Generationen oder 90 Jahre Ethnisch andersartige Gruppen, die schon sehr lange, vielleicht sogar „seit eh und jeh" in einem bestimmten Gebiet leben, waren allenfalls zur Zeit des Völkerbundes die Regel: Heute liegt der Schwerpunkt der Minderheitenproblematik auf den Wanderungsbewegungen der jüngeren Vergangenheit. Dabei mutet bereits die Formulierung „seit eh und jeh" im juristischen Kontext seltsam literarisch und antiquiert an. Selbst die traditionsreichsten Völker sind irgendwann einmal entstanden, auch wenn dieser Zeitpunkt lange zurückliegt und sich möglicherweise nicht mehr exakt rekonstruieren läßt. 171 Insofern läßt das Erfordernis „seit eh und jeh ansässig" eine Blockadehaltung erkennen: Als Minderheit soll nur anerkannt werden, wer dies schon „immer" war. Will man aber tatsächlich ein Kriterium definieren, mit dem im Lande verwurzelte Gruppen von kürzlich zugewanderten getrennt werden können, so ist zu klären, welche im Inland verbrachte Zeitspanne hierfür als angemessen anzusehen ist. Dieser Problematik vorgeschaltet ist allerdings die Frage, ob in bestimmten Fällen eine solche Verwurzelung auch gänzlich unabhängig von einer bestimmten Aufenthaltsdauer vorliegen kann. Dies kommt insbesondere für die „neuen" Minderheiten in Betracht, die über die Einbürgerung die Ernsthaftigkeit ihres Wunsches, dem Aufenthaltsstaat zuzugehören, dokumentiert haben. Fraglich ist aber, welche Bedeutung das dadurch zwischen Staat und Minderheitsangehörigen entstehende „Vertrauensverhältnis" 172 hat. Zunächst einmal wird man bei einem eingebürgerten Zuwanderer davon ausgehen können, daß er bereits bis zu einem gewissen Grad in seinem „neuen" Staat verwurzelt ist, da er sonst im Regelfall die Einbürgerung gar nicht erreichen könnte. Versteht man das durch eine Einbürgerung entstehende „Vertrauen" aber als einen Tatbestand, der das Merkmal der Ansässigkeit zu ersetzen in der Lage ist, so entsteht ein unhaltbarer Widerspruch. Zwar wäre es noch verständlich, insofern die eingebürgerten Zuwanderer gegenüber den Ausländern zu privilegieren: Bei ersteren würde die Einbürgerung und die dafür zu erfüllenden Bedingungen, bei letzteren einige im Land verbrachte Generationen die Zusammengehörigkeit herstellen. Dabei

170 171 172

Pircher, S. 26; ihm folgend Messtorff, S. 9. In diesem Sinne auch Kimminich, Rechtsprobleme, S. 115. Pircher, S. 26; ihm folgend Messtorff, S. 9.

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

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darf aber nicht übersehen werden, daß die Ansässigkeit nicht nur von Ausländern gefordert wird, sondern ausnahmslos von allen Minderheiten; also auch von solchen Gruppen, deren Angehörige nie einem anderen Staat als dem Aufenthaltsstaat angehörten. Auch sie müssen grundsätzlich in einem ganz bestimmten Gebiet, einer klar definierten Region verwurzelt sein, wenn sie als Minderheit anerkannt werden wollen. Ausnahmen sind nur dann anzuerkennen, wenn es gerade Ausdruck ihrer Identität ist, sich nicht an einen bestimmten Ort zu binden. Verlangt man aber auch von Minderheiten, die traditionell die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates innehaben, eine langdauernde Verwurzelung in ihrem Siedlungsgebiet, so gibt es keinen Grund, die „neuen" Minderheiten demgegenüber zu bevorzugen. Eine Privilegierung dieser „neuen" Minderheiten gegenüber den traditionellen würde vielmehr bedeuten, daß die durch Einbürgerung erworbene Staatsangehörigkeit höher zu bewerten ist, als die durch Geburt erlangte. Ein Zwei-Klassen-Staatsangehörigkeitsrecht ist zumindest der Bundesrepublik aber fremd; ungerechtfertigt ist es ohnehin. Insofern ist die Unterscheidung nicht haltbar. Auch die Einbürgerung kann also nichts daran ändern, daß die Ansässigkeit oder die Verbundenheit mit dem Staat eine gewisse, im Inland verbrachte Zeit erfordert. 173 Dies fuhrt wieder zurück zu der Frage nach der zu fordernden Verwurzelungszeitspanne. Zwar muß sich die Festsetzung einer Frist immer den Vorwurf der Willkürlichkeit gefallen lassen. Ein spezielles Problem des Minderheitenbegriffes und der Ansässigkeit ist dies indes nicht. An dieser Stelle bietet es sich an, als Diskussionsgrundlage auf die von Veiter vorgeschlagenen drei Generationen zurückzugreifen. Literarischer drückt Kloss denselben Vorschlag aus: Die Ansässigkeit der Gruppe sei gegeben, wenn „eine Mehrheit ihrer mündigen Mitglieder aus den Kindern inlandbürtiger Eltern besteht". 174 Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob zu Beginn dieser Zeitspanne bereits ein Gruppenbewußtsein vorlag; dies muß erst gegeben sein, wenn die Mitglieder sich auf ihren Minderheitenstatus berufen. Die Ansässigkeit einer Gruppe würde damit also voraussetzen, daß die Mehrzahl ihrer erwachsenen Mitglieder Eltern hat, die bereits im Inland geboren wurden, deren Großeltern also die Einwanderergeneration waren. Sind aber die Gruppenmitglieder bereits bei Eltern aufgewachsen, die ihrerseits nie in einem anderen Land gelebt haben, so läßt dies die Verbundenheit mit dem betreffenden Staat zumindest vermuten. Darüberhinaus muß berücksichtigt werden, daß angesichts der modernen Mobilität eine Ansässigkeitsdauer, die in der Vergangenheit als eher kurz gelten mochte, heute bereits ein beträchtliches Beharrungs173 Unsinnig wäre es, diese Frist erst von der Einbürgerung an laufen zu lassen, denn ansonsten stünde der Neueingebürgerte schlechter da als der Ausländer. Es kommt also auf die Aufenthaltsdauer an, die ein Zuwanderer insgesamt aufzuweisen hat. 174 Ders., in: System II, S. 218.

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

vermögen und entsprechend eine weitgehende Verwurzelung erkennen läßt. In unserer „schnellebigen Welt" 1 7 5 scheint ein knappes Jahrhundert für die Verwurzelung einer Gruppe in einem bestimmten Gebiet deshalb ein realistischer Wert zu sein. Eine darüber hinausgehende Ansässigkeit „seit eh und jeh" ist dagegen nicht erforderlich.

c) Auflösung des traditionellen

Minderheitenbegriffs?

A u f mehr als eine bloße Weiterung des traditionellen Minderheitenbegriffes zielt die Frage ab, ob der juristische Begriff nach all den Jahren fruchtloser Diskussionen nicht besser gänzlich aufzugeben sei, um Minderheitenschutz einfach den von ethnischen Konflikten Betroffenen zu gewähren, die seiner bedürfen. Ermittelt werden könnten diese Personen mit Hilfe von soziologischen Methoden. Statt begrifflicher Finessen und diverser Definitionsmerkmale, so der Vorschlag, sollte besser der konkrete soziologische Vorgang der „ethnischen Mobilisierung" 176 als Anknüpfungspunkt der rechtlichen Bewertung herangezogen werden. 177 Ethnische Mobilisierung soll dabei gekennzeichnet sein durch drei Aspekte: den Bezug auf ethnische Kriterien oder auch nur deren Symbole, einen zugrunde liegenden Konflikt um soziale Ressourcen und die Willkürlichkeit der Anknüpfung an ethnische Kriterien. Diese „soziologische Tatsache" aber sei unabhängig von den Merkmalen des traditionellen Minderheitenbegriffes, etwa von der Staatsangehörigkeit, 178 auch das Merkmal der Ansässigkeit spiele hierfür keine Rolle. 179 „Ethnische Mobilisierung" könne sich gegen Asylbewerber, Ausländer oder aber gegen traditionelle Minderheiten richten. 180 Diesem Ansatz ist zugute zu halten, daß auf diese Weise nicht nur eine jahrzehntelange juristische Debatte beendet wäre, sondern auch sämtliche Erscheinungsformen ethnisch begründeter Benachteiligung erfaßt werden könnten. Tatsächlich scheint in modernen Industriegesellschaften tendenziell Ethnizität zu einer sehr privaten Sache zu werden, zu einem „Bestandteil des persönlichen Lebenszusammenhangs",181 und deren Ausprägungen sind vielfältig. Es kann

175

Kimminich, Rechtsprobleme, S. 118. Stopp, Staatswissenschaft und Staatspraxis, 1994, 3/13; vgl. auch ders., S. 128 f. 177 Stopp, Staatswissenschaft und Staatspraxis, 1994, 3/11,13. 178 Stopp, S. 66. 179 Stopp, S. 129 f. 180 Stopp, S. 130. 181 Bukow, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 11; vgl. auch die Nachweise soziologischer Untersuchungen zu diesem Thema bei Stopp, S. 55 ff. 176

1. Abschnitt: Der Minderheitenbegriff

53

eine allgemeine „Ethnisierung sozialer Probleme" beobachtet werden. 182 Zudem scheint es zumindest, als würde diese Auflösung des traditionellen Minderheitenbegriffes der Tatsache, daß heutzutage die Probleme von Einwanderern jeglicher Couleur gegenüber denjenigen der traditionell anerkannten Minderheiten im Vordergrund stehen, angemessen Rechnung tragen. Aber diese Auflösung des juristischen Minderheitenbegriffes hat ihren Preis. Abgesehen davon, daß sich auch über die Frage, ob jemand Opfer einer „ethnischen Mobilisierung" ist oder nicht, trefflich streiten ließe, sind die erfaßten Personen so verschieden voneinander, wie die möglichen Probleme, die in der modernen Gesellschaft beim Verteilungskampf um soziale Vorteile auftauchen können. Will man all diesen gänzlich verschiedenen Personen, die nun unter dieselbe Minderheitendefinition fielen, mit ein- und demselben Instrumentarium gerecht werden, so kann dies nur eins bedeuten: daß der Minderheitenschutz in Zukunft nur sehr allgemein gehaltene Grenzen setzen kann fur das, was gegenüber Ausländern, Asylbewerbern, traditionellen Minderheiten oder sonstigen Betroffenen erlaubt oder verboten ist. Eine Regelung etwa, die gebietet, den Zusammenhalt als Gruppe zu fördern, macht wenig Sinn, wenn für den Minderheitenstatus gar nicht erforderlich ist, daß die Einbindung in eine Gruppe gegeben ist. Wollte man aber den verschiedenen Bedürfhissen der unterschiedlichen Personen und Personengruppen über Einzelbestimmungen Rechnung tragen, so bedürfte es wiederum differenzierter Unterscheidungskriterien, die neue Defmitionsprobleme auslösten, womit die Vorteile des Ansatzes verloren gingen. Die Auflösung des traditionellen Minderheitenbegriffes im Sinne des genannten Ansatzes geht also zu Lasten des Umfangs und der Differenziertheit des Minderheitenschutzes. 183 Gedient ist mit einem solchen Minimalismus weder den traditionellen Minderheiten noch den sonstigen Opfern „ethnischer Mobilisierung". Der Minderheitenschutz ist kein Allheilmittel für die Konflikte der modernen Gesellschaft. Unter diesem Gesichtspunkt ruft der Umfang der vorgeschlagenen „Neuerungen" Zweifel hervor, ob überhaupt noch irgendein Aspekt erhalten bleibt, der die Bezeichnung als Minderheitenschutz rechtfertigt. Löst man den traditionellen Minderheitenbegriff gänzlich auf, um allen aufgrund ethnischer Merkmale oder auch nur deren Symbolen bedrohten Menschen einen bloß rudimentären Schutz zu gewährleisten, so mag dies aus der Sicht der Betroffenen vielleicht noch einen symbolischen Wert haben. Konsequenter wäre

182

So der Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer, zitiert nach DER SPIEGEL vom 14. 4. 1997, S. 84. 183 Stopp vertritt denn auch, daß in der Bundesrepublik ein ausreichender und für sämtliche Opfer „ethnischer Mobilisierung" passender Minderheitenschutz bereits über die Diskriminierungsverbote des Art. 3 GG gewährleistet werde.

54

1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

es aber, für diese Maßnahmen eine eigene Begrifflichkeit zu finden. Die historisch geprägte Bezeichnung Minderheitenschutz verdient dies jedenfalls nicht mehr. Eine komplette Auflösung des traditionellen Minderheitenbegriffes ist damit abzulehnen.

D. Ergebnis Der traditionelle Minderheitenbegriff, wie er insbesondere von Capotorti formuliert wurde, ist auch heute noch grundsätzlich aktuell. Allerdings bedarf er einiger Modifizierungen: Das Erfordernis der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates hat neben der Ansässigkeit der betreffenden Gruppe keine eigenständige Bedeutung mehr und ist deshalb aufzugeben. Für die Ansässigkeit wiederum ist für alle Minderheiten notwendig, aber auch ausreichend, wenn sie seit drei Generationen im Lande leben.

2. Abschnitt: Minderheitenschutz A. Ziele Die Notwendigkeit, Minderheiten im Mehrheitsstaat zu schützen, ist im Völkerrecht allgemein anerkannt. 184 Diese Anerkennung beschränkt sich aber auf das grundsätzliche Handlungsbedürfnis und sagt wenig darüber aus, welchen Inhalt ein solches Schutzsystem haben sollte. 185 Beeinflußt vom Zeitgeist, aber auch von der jeweiligen Staatsform haben sich im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung gänzlich verschiedene Grundtypen von Minderheitenschutzmodellen. herauskristallisiert. Diesen ist immerhin eines gemeinsam: Sie verfolgen auf verschiedenen Wegen ein und dasselbe Ziel, nämlich der Minderheitenproblematik ihre „Sprengkraft" 186 zu nehmen. Bei allen sonstigen Interessen, die ein Staat bei einer bestimmten Minderheitenpolitik im Auge haben mag, ist die friedensbewahrende Wirkung eines effektiven Minderheitenschutzes der vorrangige Grund dafür, daß sich Staaten aller politischen Schattierungen der Probleme der Minderheiten in der einen oder anderen Weise annehmen. In freiheitlich-demokratischen Staaten kommt noch eine weniger pragmatische Zielsetzung hinzu. In einer solchen Staatsform kann man davon ausgehen, 184

Eine entsprechende Übereinkunft kann aus der Tatsache gefolgert werden, daß das Völkerrecht zu allen Zeiten Minderheitenschutzbestimmungen enthielt. 185 Ähnlich Oxenknecht, S. 64 f. 186 Wollenschläger, AWR-Bulletin 1994, S. 7.

. Abschnitt: Minderheiten

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daß es dem Selbstverständnis des Staates entspricht, den Minderheitsangehörigen ein menschenwürdiges Leben zu sichern. 187 Dies gilt allemal unter dem Grundgesetz, dessen oberster Wert die Würde des Menschen ist. 188 Die Achtung vor der Menschenwürde verlangt die Achtung vor der Einzigartigkeit jedes Individuums, gegebenenfalls vor seiner Andersartigkeit. 189 Deshalb läßt sich der Schutz einer Gruppe von „andersartigen" Menschen auf die Wertentscheidung, die im Art. 1 GG zum Ausdruck kommt, zurückfuhren.

B. Die Minderheitenproblematik /. Die typische Minderheitensituation Ist damit geklärt, mit welcher Intention sich Staaten überhaupt der Minderheitenproblematik annehmen, so bleibt noch zu untersuchen, welcher Art die Problematik ist, die entschärft werden soll. Dazu gilt es zunächst, sich die typische Situation der Minderheiten vor Augen zu führen. Bei diesen handelt es sich schon definitionsgemäß um Gruppen, die der Mehrheitsbevölkerung sowohl zahlenmäßig als auch an Einfluß unterlegen sind. Gleichzeitig unterscheiden sie sich in einem grundlegenden Punkt, etwa der Religion oder der Sprache, von dieser überlegenen Gruppe. Allein die Beschreibung dieser Situation läßt das Konfliktpotential erahnen. Für die Minderheiten, die in einem demokratischen Staat leben, kommt ein weiteres Problem hinzu. Während in einer Demokratie die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit grundsätzlich damit gerechtfertigt werden kann, daß für jede momentan unterlegene Gruppe zumindest die theoretische Möglichkeit besteht, die Mehrheit von morgen zu sein, existiert eine solche Chance für die ethnische Minderheit typischerweise nicht. 190 Deshalb könnte man die Demokratie insgesamt als eher minderheitenfeindliche Staatsform einstufen. 191 187

Pircher, S. 21, betrachtet es darüberhinaus als „Zweck eines jeden Minderheitenschutzes", den Minderheitsangehörigen ein der Menschenwürde entsprechendes Leben zu sichern, geht dabei aber wohl eher von einer idealtypischen Zielsetzung als von Ziel Vorstellungen in der politischen Realität aus; ähnlich Klein, in: Β lumen witz/von Mangoldt, S. 51. 188 BVerfGE 32, 98/108; 50, 166/175; 54, 341/357. 189 Pircher, S. 26 und 44. 190 So auch Kimminich, Heimat, S. 168 f.; Rittstieg, Blätter für deutsche und internationale Politik 1996, 993/998 f.; ähnlich Veiter, in: FS für Ermacora, S. 416; Pernthaler, in: System II, S. 93. 191 So die Domowina in der Arbeitsunterlage Nr. 116 der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 4; auf die besonderen Gefahren für Minderheiten in einer Demo-

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

Einschränkend sollte man allerdings hinzufügen, daß wohl keine Staatsform als per se minderheitenfreundlich bezeichnet werden kann. Außerdem wird eine solche pauschale Qualifizierung 192 kaum der unterschiedlichen Qualität des Minderheitenschutzes in verschiedenen demokratischen Staaten, noch den verschiedenen Formen von Demokratie 193 gerecht. Deshalb soll an dieser Stelle nur festgehalten werden, daß die Situation von Minderheiten in einer Demokratie dadurch gekennzeichnet ist, daß sie dauerhaft mit und neben einer Mehrheit leben, von der sie Grundsätzliches unterscheidet, ohne über die politischen Mittel zu verfügen, angemessen die eigenen Interessen vertreten zu können.

II Folgen 1. Verfolgung, Diskriminierung und Assimilationszwang Einerseits läßt die geschilderte Situation befürchten, daß der einzelne Minderheitsangehörige, das Individuum, wegen seines Abweichens von der „Mehrheitslinie" als unliebsamer Störenfried oder als willkommener Sündenbock staatlicher und privater Verfolgung oder in einer freiheitlich-demokratischen Staatsform zumindest Diskriminierungen ausgesetzt sein könnte. Im extremsten Fall ist die Einzelperson nicht nur Unannehmlichkeiten und Beeinträchtigungen ausgesetzt, sondern auch in der physischen Existenz bedroht. 194 Gleichzeitig bleibt eine solche Benachteiligung auch nicht ohne Folgen für die Gruppe. So wurden an Minderheiten, deren Angehörige fortdauernden Diskriminierungen ausgesetzt waren, verschiedene typische Reaktionen beobachtet. 195 Diese suchten zum Teil die direkte Konfrontation mit der Mehrheit, was den Frieden im betroffenen Gebiet naturgemäß in Frage stellte. Eine weitere Reaktionsmöglichkeit ist, daß die betroffene Minderheit sich verstärkt um die Integration in die Mehrheitsbevölkerung bemüht, was für die Minderheitenidentität nur dann problematisch ist, wenn die Bemühungen mit einer Abkehr von den eigenen Identitätsmerkmalen einhergehen. Ebenso wurden aber auch kratie verweist auch Elle, Domowina Information 3/1993, Anlage 9, S. 4; ebenso Ziesch, schriftliche Stellungnahme zur 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, S. 4. 192 Kritisch gegenüber einer solchen Verallgemeinerungen Brems, S. 108 ff., der davon ausgeht, daß der effiziente Minderheitenschutz gerade zum Wesen der freiheitlichen Demokratie gehört; kritisch auch Kloss, in: System I, S. 112 ff. 193 Vgl. dazu Kloss, in: System I, S. 105 ff. 194 Bis hin zur physischen Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus. 195 Vgl. dazu Bott-Bodenhausen in: Blumenwitz/Gornig, Minderheiten- und Volksgruppenrechte, S. 97.

. Abschnitt: Minderheiten

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Separationsbestrebungen der Gruppe beobachtet, also ein Verhalten, das den Staat in seiner Existenz in Frage stellt und deshalb in besonderem Maße den Frieden gefährdet. Schließlich gehört zum Spektrum der typischen Reaktionen auch die vollständige Anpassung, also die Assimilation und damit die Vernichtung der Minderheit. Auch dieses Phänomen läßt sich unproblematisch auf die Benachteiligung des einzelnen zurückfuhren. Ein Minderheitsangehöriger, der sich ständiger Benachteiligungen wegen seiner Gruppenzugehörigkeit ausgesetzt sieht, wird letztlich in Konflikt mit dieser geraten und die Abkehr von der Gruppe in Betracht ziehen. Wenden sich aber die Individuen von der Gruppe ab, kann diese keinen Bestand haben. Besonders prekär ist die Lage für die Minderheit und die Minderheitsangehörigen, wenn der Staat versucht, sich der „Störenfriede" mittels einer zwangsweisen Assimilation zu entledigen. Eine solche Zwangsassimilation darf nicht mit dem allen Seiten dienlichen Bemühen um die Integration der Minderheit verwechselt werden. Eine sinnvolle Integrationspolitik beschränkt sich darauf, ein friedliches, von Toleranz geprägtes Zusammenleben zu fördern, und wirbt zu diesem Zweck für Verständnis und Toleranz auf Seiten der Mehrheit und der Minderheit. 196 Bei der Zwangsassimilation versucht dagegen der Staat, der geschilderten Minderheitenproblematik dadurch Herr zu werden, daß er gewaltsam die Minderheit zur Aufgabe ihrer Identität zu bewegen versucht: Dies kann er zum Beispiel dadurch erreichen, daß er es unter Strafandrohung verbietet, die Minderheitenreligion zu praktizieren oder die Minderheitensprache zu sprechen. Auch diese massive Form der Beeinträchtigung wirkt sowohl auf die Gruppe, deren gemeinsamer Identität die Grundlage entzogen werden soll, als auch auf den einzelnen, der von den Verboten und Sanktionen betroffen ist.

2. Faktischer Assimilationsdruck Andererseits muß aber auch Folge der typischen Minderheitenkonstellation sein, daß der Minderheitsangehörige in seiner Andersartigkeit einem ständigen faktischen Druck ausgesetzt ist, sich der solcherart überlegenen Mehrheitsbevölkerung anzupassen und seine ursprüngliche Identität aufzugeben. Ein solcher faktischer Druck hängt nicht unmittelbar mit Diskriminierungen oder Übergriffen seitens des Staates oder Privater zusammen. Auch setzt er nicht voraus, daß der Staat selbst versucht, die Minderheit zur Assimilation zu zwingen. Er besteht vielmehr sogar dann, wenn die Minderheit staatlicherseits vor 196

Allerdings wird „Integration" teilweise auch als Synonym zu Assimilation gebraucht und bezeichnet dann ebenfalls ein vollständiges Aufgehen der Minderheit in der Mehrheit. Von der Zwangsassimilation unterscheidet sich eine solche „Integration" dadurch, daß die Auflösung der Minderheit nicht auf Zwang beruht.

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

Diskriminierungen geschützt wird, denn der faktische Assimilationsdruck beruht ausschließlich auf dem oftmals als überwältigend empfundenen Einfluß der Mehrheitskultur. 197 Er ist daher auch unabhängig von der jeweiligen Staatsform. Die ständige Präsenz der Mehrheitskultur kann es schwierig bis unmöglich machen, dem Ansturm der fremden Kultur zu widerstehen. Nur eine intensive Pflege der eigenen Kultur, die viel freie Zeit kostet und nicht selten erheblichen finanziellen Einsatz verlangt, 198 kann dem entgegenwirken. Dies gilt sogar besonders dann, wenn die Mehrheitsbevölkerung der Minderheit mit Toleranz begegnet, vielleicht sogar betont den Dialog mit ihr sucht. Gerade wenn das Leben der Minderheitsangehörigen mit der Mehrheitsbevölkerung relativ leicht und angenehm verläuft, empfinden die Betroffenen es als besonders schwierig, ihre Identität im gewünschten Ausmaß zu erhalten. 199 Lastet ein solcher faktischer Assimilationsdruck auf Einwanderern, so bedeutet dies in jedem Fall erhebliche Probleme für sie. Typisch ist etwa der Generationenkonflikt in islamischen Familien, die in der Elterngeneration häufig an den traditionellen Werten festhalten, während ihre Kinder mit dem Verhaltenskodex der Aufnahmegesellschaft sympathisieren. Es kann nicht Aufgabe des Minderheitenschutzes sein, auch diejenigen zum Erhalt der Herkunftskultur zu „bekehren", die daran kein Interesse mehr haben: Minderheitenschutz ist immer nur als Angebot an diejenigen zu verstehen, die ihre Identität zu bewahren wünschen.200 Besteht in einer solchen Situation aber nicht einmal die Wahl zwischen einer ungestörten Pflege der überkommenen Kultur einerseits und der freiwilligen Assimilation in die Mehrheitsgesellschaft 197

Vgl. Runge, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 142; Pernthaler, in: System II, S. 94, nennt dies „Assimilationssog". 198 Bott-Bodenhausen in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 97, verweist etwa darauf, daß die sorbischen Osterreiter die Kosten in Höhe von ca. 250,- DM für das Ausleihen der Pferde selbst tragen müssen, was vielen Familien die Teilnahme unmöglich mache. 199 Vgl. zu dieser Problematik etwa für die Dänen Runge, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 142. Stopp geht davon aus, daß Minderheiten heute gar nicht mehr ein vorrangiges Interesse daran hätten, ihre Identität zu bewahren, sondern im Rahmen einer „sekundären Ethnizität" nur noch in einem sehr privaten Bereich ihre Herkunft als Teil ihre persönlichen Identität empfänden, im übrigen aber nur noch an einer möglichst erfolgreichen Integration in die Mehrheitsbevölkerung interessiert seien. Dabei muß aber berücksichtigt werden, daß er infolge eines extrem weiten Minderheitenbegriffs in erster Linie von Personen ausgeht, die bereits gegenwärtig nicht mehr in einer Gruppe verankert sind, während sich die vorliegenden Ausführungen schon definitionsgemäß nur auf solche Gruppen beziehen, die durch den Wunsch, die gemeinsame Identität zu bewahren, miteinander verbunden sind. 200

So auch Klein, in: Β lumen witz/von Mangoldt, S. 54. Ein „künstlicher" Erhalt der Gruppe gegen deren Willen ist damit von vornherein ausgeschlossen.

. Abschnitt: Minderheiten

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andererseits, droht die Situation zu eskalieren. Radikale Gruppen wie die islamische Gesellschaft M i l l i Görüs, deren Ableger versprechen, ein „Schild" gegen die Assimilation zu bieten, erfreuen sich gerade unter den traditionsbewußten jüngeren türkischen Mitbürgern in der Bundesrepublik einer wachsenden Beliebtheit; gleichzeitig steigt deren Gewaltbereitschaft. 201 Es scheint die einzige Möglichkeit für sie zu sein, ihre Identität zu erhalten. Die Belastung des einzelnen durch den faktischen Assimilationsdruck stellt daneben aber auch in jedem Fall eine massive Bedrohung für die Gruppenidentität dar. Diese beruht auf der Solidarität der Einzelpersonen. 202 Wünschen diese unter dem Druck der Umstände nicht länger, die Gruppencharakteristika zu bewahren, so wird aus einer Gruppe wieder eine Summe von Einzelpersonen, die Gruppe ist assimiliert und damit vernichtet. Will der Staat also im Interesse der Friedenssicherung und der Achtung vor der Würde der Minderheitsangehörigen den typischen Minderheitenkonflikten ihre Sprengkraft nehmen, so muß ihm zweierlei gelingen: Diskriminierungen, Verfolgung und Assimilationszwang zu verhindern und dem faktischen Assimilationsdruck, der zwangsläufig von der Mehrheitsbevölkerung ausgeht, die Wirkung zu nehmen.

C. Mittel /. Grundtypen von Lösungsmodellen 1. Der menschenrechtliche Ansatz Eine der beiden grundsätzlichen Möglichkeiten, auf die Bedürfnisse der Minderheiten einzugehen, besteht darin, dem einzelnen Angehörigen einer Minderheit in seiner Eigenschaft als Rechtspersönlichkeit 203 den vollen Schutz der allgemeinen Menschenrechte zukommen zu lassen. Dabei liegt der Schwerpunkt dieses Minderheitenschutzkonzeptes weniger auf der Gewährleistung von Freiheitsrechten, als vielmehr darauf, daß die Minderheitsangehörigen ebenso als Träger der Menschenrechte anerkannt werden wie die Mehrheitsangehörigen. Bezeichnend für den menschenrechtlichen Ansatz ist also die strikte Gleichbehandlung, unabhängig von einer etwaigen Gruppenzugehörigkeit. Anknüpfungspunkt der Gewährleistungen ist dabei stets das Individuum, 201

Vgl. dazu DER SPIEGEL vom 12. 2. 1996, S. 46 ff., sowie DER SPIEGEL vom 14. 4. 1997, S. 90. 202 Vgl. oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, B., II., 4. 203 Pircher, S. 40.

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

nicht die Gruppe als solches.204 Jegliche Diskriminierung der Minderheitsangehörigen aufgrund ihres Bekenntnisses zur Minderheit wird damit ausgeschlossen. Ein solcher Diskriminierungsschutz gilt als „Anfang jeden Minderheitenschutzes".205 Er hat dabei zumindest auf indirektem Wege auch einen positiven Einfluß auf die Minderheit als Gruppe: 206 Sind die einzelnen Minderheitsangehörigen vor gezielten Benachteiligungen aufgrund der Gruppenzugehörigkeit geschützt, so entfällt der damit einhergehende Druck, sich von der Gruppe abzuwenden. Entsprechend geringer ist das Risiko der vollständigen Auflösung und damit der Vernichtung der Gruppe. Der menschenrechtliche Ansatz hatte Hochkonjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg. Insbesondere unter den Vereinten Nationen wurde dieser Ansatz vertreten. So stellte das Generalsekretariat im April 1950 in einer Studie für den Wirtschafts- und Sozialrat nicht nur fest, daß die meisten Minderheitenschutzverträge der Völkerbund-Ära hinfällig seien,207 sondern erklärte auch den allgemeinen Schutz der Menschenrechte für ausreichend. 208 Darüberhinaus ist der menschenrechtliche Ansatz insgesamt das bevorzugte Minderheitenschutzmodell der freiheitlich-demokratischen Staatsordnungen. 209 Diese streben in der Regel die „Integration" im Sinne einer allmählichen Annäherung der Positionen bei vollständiger rechtlicher Gleichstellung der Minderheitsangehörigen mit den Mehrheitsangehörigen an und begrüßen die damit einhergehende „Vereinheitlichungstendenz" als einen für beide Seiten fruchtbaren Prozeß. 210 Statt einer künstlichen „Verfestigung ethnischer Kollektive von außen" 211 soll so jede Kultur von der jeweils anderen profitieren, jedes Individuum seine persönliche, gruppenunabhängige Identität finden können. 212 Auf diese Weise steht 204

Deshalb wird dieser Lösungsansatz auch individualrechtliches Konzept genannt, vgl. Alexy, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 44. 205 Kimminich, Rechtsprobleme, S. 87. 206 So z. B. Pircher, S. 40; weitergehend zum Schutz des Kollektivs durch individuelle Rechte Pernthaler. 207 Dazu Doehring, ZaöRV 1954, S. 521 ff. 208 Drucks. E/CN.4/367. 209 So zum Beispiel das Konzept des Grundgesetzes. Anders allerdings einige Landesverfassungen, vgl. dazu im einzelnen unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, C., II. 210 So für den menschenrechtlichen Ansatz Alexy, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 55. 211 Stopp, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1994, 3/26. 212 Vgl. zu dieser „sekundären", nämlich häufig von der ursprünglichen Identität abweichenden und auf die einzelne Persönlichkeit zugeschnittene Ethnizität Stopp, insbesondere S. 64 f.

. Abschnitt: Minderheiten

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steht also die Freiheit, vor allem aber die Gleichheit des Individuums im Vordergrund. An einer speziellen Förderung der Minderheit als Gruppe haben demokratische Staaten häufig wenig Interesse. Dies mag daran liegen, daß eine solche „Nation im Kleinen" 213 im Gegensatz zu einer politischen Minderheit nicht durch ein politisches Interesse, sondern durch das Interesse, gemeinsam in ihrer Kultur zu leben, zusammengehalten wird. Eine solche Gruppe ist wenig kompromißfähig. 214 Denn sie kann ihr Interesse nur sehr begrenzt an politische Gegebenheiten anpassen oder es gar entsprechenden Erwägungen unterordnen, ohne den Zusammenhalt als Gruppe zu riskieren. Ihr fehlt damit eine notwendige Voraussetzung, um in ein pluralistisches System eingebunden werden zu können. Demokratische Staaten scheinen sich deshalb nicht selten von der Minderheit als Gruppe mehr als von der Summe der einzelnen Individuen bedroht zu fühlen, selbst wenn Sezessionsbestrebungen nicht erkennbar sind. 215 Wohl deshalb fordern sie immer wieder mit Nachdruck die „Loyalität" 216 der Minderheiten. Zusammenfassend kann man feststellen, daß der menschenrechtliche Ansatz Ausdruck eines gezielten minderheitenschutzrechtlichen Minimalismus ist: Genaugenommen sieht dieser Ansatz nämlich gar keinen speziellen Minderheitenschutz vor, sondern basiert auf der vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg weitverbreitete These,217 daß es in einem demokratischen Rechtsstaat, der allen Personen unterschiedslos die Geltung der Menschenrechte zusichere, keines zusätzlichen Schutzes ethnischer Minderheiten mehr bedürfe.

213

Pernthaler, S. 20; vgl. auch oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, C., II., 3., a., bb. Pernthaler, S. 20. 215 In diesem Sinne etwa die Einschätzung von Rittstieg, Blätter für deutsche und internationale Politik 1996, 993/1004, der den Gruppenrechten prinzipiell die Förderung einer „Spaltung der Gesellschaft" zuspricht; zur Funktion des Minderheitenschutzes als Schutz vor Sezession vgl. von Studnitz, in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 27. 216 Vgl. oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., II., 6. 217 So etwa die Generalversammlung der Vereinten Nationen, vgl. oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., I., 3.; aus neuerer Zeit vgl. vor allem Alexy, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 43 ff., der auf die fehlende Gefahr der Zwangsassimilation im nicht nationalistisch ausgerichteten Staat abstellt; ders., InfAuslR 1994, 301 ff. 214

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

2. Der gruppenrechtliche Ansatz Demgegenüber geht der gruppenrechtliche Ansatz davon aus, daß die Minderheit als Gruppe 218 eines besonderen Schutzes bedürfe, um überleben zu können. 219 Nur eine solche scheinbare 220 Privilegierung des Kollektivs könne die Gruppenexistenz sichern, indem sie mittels rechtlicher Bevorzugung im Sinne einer „positiven Diskriminierung" die faktische Gleichstellung mit der Mehrheit sichere. Neben der bloßen Existenz der Gruppe könne man auf diese Weise auch eine angemessene Entfaltung der speziellen Minderheitenkultur ermöglichen. 221 Der gruppenrechtliche Ansatz wendet sich ausdrücklich gegen einen Minderheitenschutz, der langfristig die Auflösung der Gruppe in Kauf nimmt und nur für die Übergangszeit ein friedliches Zusammenleben regeln will: 2 2 2 Er hält gerade den Erhalt der Gruppe für ein vitales Interesse der Minderheitsangehörigen. Um dieses zu sichern, beziehen sich gruppenrechtliche Regelungen typischerweise 223 auf die Einrichtung eines Minderheitenschulwesens, lassen die Minderheitensprache als zusätzliche Amtssprache bei Behörden und Gerichten zu oder sichern allgemein die finanzielle Förderung kultureller Aktivitäten. Ebenso sind auch Regelungen über die politische Vertretung der 218 Dabei erkennt Pircher, S. 41, eine Regelung nur dann als gruppenrechtlich an, wenn sie der Minderheit die Anerkennung als juristische Person des öffentlichen Rechts gewährt und ihr subjektive Rechte verleiht, nicht aber, wenn sie sie lediglich als „soziologische Gruppierungen" anspricht. In diesem Fall sei nämlich der Schutz nur scheinbar der Gruppe, tatsächlich aber dem Individuum als Mitglied der Gruppe zugedacht. Diese Auffassung ist abzulehnen. Letztlich bezwecken alle Minderheitenschutzbestimmungen den Schutz der lebendigen Menschen, nicht einer Rechtsfigur. Dieser Schutz soll aber beim gruppenrechtlichen Ansatz dadurch erreicht werden, daß das Überleben der Gruppe gesichert wird. Ob diese als juristische Person anerkannt wird oder nicht, ist dafür nicht entscheidend. Auf die Problematik der Ausübbarkeit dieser Rechte durch die Gruppe und einer sinnvollen Ausgestaltung durch subjektive oder objektiv-rechtliche Normen wird noch einzugehen sein. 219 Vgl. etwa Kimminich, Rechtsprobleme, S. 88 f.; ähnlich Münch, in: System I, S. 102; Steiner in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 29. 220 Vgl. Luchterhandt, in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 79 f., zur Einordnung besonderer Minderheitenrechte als „Sonderrechte" zum Zweck der faktischen Gleichstellung von Mehrheit und Minderheit statt als „Vorrechte". 221 Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, Bd. VIII, § 201, Rn. 10. 222 Klein, in: Β lumenwitz/von Mangoldt, S. 54, begründet dies damit, daß einem solchen Minderheitenschutz der „rechtliche, jedenfalls der politische Ernst" fehle. 223 Rein formal betrachtet gehört allerdings auch der Schutz des Kollektivs vor Diskriminierungen zum gruppenrechtlich ausgestalteten Minderheitenschutz, obwohl die Vertreter dieses Ansatzes in der Regel weniger Wert auf diese rechtliche Gleichstellung der Gruppe legen. Ausdrücklich bezieht aber zum Beispiel Pernthaler, S. 12, diesen Aspekt in den gruppenrechtlichen Ansatz ein.

. Abschnitt: Minderheiten

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Minderheit bezeichnend für den gruppenrechtlichen Ansatz. Dabei ist es zum Beispiel möglich, die politische Repräsentation der Gruppe durch Privilegierungen im Wahlrecht zu sichern. Denkbar sind auch weitergehende Regelungen, die zum Beispiel der Minderheit in ihrem Siedlungsgebiet eine weitgehende kulturelle oder politische Selbstverwaltung im Sinne einer Territorialautonomie zusichern. 224 Außerdem kann eine solche Selbstverwaltung als Personalautonomie an einen Personen verband statt an ein Gebiet anknüpfen: In diesem Fall konstituiert die jeweilige Minderheit einen Personenverband mit demokratisch bestellten Organen, die für ihn handeln und staatlich übertragene Aufgaben übernehmen. 225 Rechtsträger ist dabei entsprechend der Idee eines Gruppenschutzes der Personenverband als solcher, nicht die einzelnen Mitglieder. 226 Ob die Selbstverwaltung territorial oder personal ausgestaltet werden sollte, wird dabei als eine reine Zweckmäßigkeitsfrage betrachtet: Eine territoriale Basis ist nur dann möglich, wenn ein geschlossenes Siedlungsgebiet vorhanden ist, das hauptsächlich von Minderheitsangehörigen bewohnt wird. 2 2 7 Im Völkerrecht ist seit der Zeit des Völkerbundes eine „Wellenbewegung" 228 der Anerkennung und Ablehnung dieses gruppenrechtlichen Ansatzes erkennbar: Hatte der Völkerbund noch Tendenzen zur Anerkennung von Gruppenrechten erkennen lassen, wurden solche nach Ende des Zweiten Weltkrieges abgelehnt, um sich in der jüngeren Vergangenheit wieder wie der vielzitierte „Phönix aus der Asche" 229 zu erheben. Dabei mag bei der Ablehnung dieses Ansatzes zunächst das Scheitern des Minderheitenschutzsystems des Völkerbundes eine Rolle gespielt haben. 230 Später geriet der gruppenrechtliche Ansatz in Verruf, weil er in totalitären Staaten dazu benutzt wurde, die Minderheit als „Vorzeigegruppe" für ideologische Zwecke zu mißbrauchen. 231 Diese Verbin-

224

Beispiel für eine funktionierende Territorialautonomie sind die Aland-Inseln, vgl. dazu von Studnitz, in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 23. 225 Brunner, S. 91. 226 Von Studnitz, in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 26. 227 So bereits Erler, S. 499; lebt in dem Gebiet zugleich eine „Minderheit" von Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung oder einer anderen Mehrheitsbevölkerung, so fordert Brunner, S. 89, zur Verminderung der Probleme dieser neugeschaffenen Minderheiten wiederum einen speziellen Schutz. 228 Kimminich, BayVBl. 1993, 321. 229 Vgl. etwa Kimminich, BayVBl. 1993, 321. 230 Vgl. oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., I., 2. 231 So wird der umfassende Schutz, den die Sorben in der ehemaligen DDR genossen, heute eher für ein Instrument staatlicher Machtausübung gehalten, vgl. etwa Elle, Domowina Information 3/1993, Anlage 9, S. 2. Diesen gestanden die DDR-Verfassungen vom 7. 10. 1949 (Art. 11) sowie vom 6. 4. 1968 (Art. 40) und vom 7. 10. 1974

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

dung von Gruppenschutz und totalitärem Staat ist aber keineswegs zwingend, ebensowenig der Mißbrauch eines Minderheitenschutzsystems in dieser Staatsform. Vielmehr kann grundsätzlich in jeder Staatsform ein funktionierendes Schutzsystem vorhanden sein oder fehlen. 232 Die Renaissance des gruppenrechtlichen Ansatzes mag denn auch auf der Erkenntnis basieren, daß Fehlentwicklungen in der politischen Wirklichkeit mit ihren komplexen Ursachen und Wirkungen wenig über den Wert eines kollektiven Minderheitenschutzsystems aussagen.

IL Normative Gestaltungsmöglichkeiten 1. Direkter und indirekter Minderheitenschutz 233 Im Rahmen dieser beiden Grundtypen von Lösungsmodellen besteht wiederum die Möglichkeit, die einzelnen Schutzbestimmungen zugunsten der Minderheiten auf verschiedene Arten auszugestalten. So können sie sich zum Beispiel entweder direkt, das heißt ausdrücklich auf Minderheiten oder Minderheitsangehörige beziehen, oder aber diese nur indirekt schützen.234 Ein solcher indirekter Minderheitenschutz liegt immer dann vor, wenn eine Norm sich sowohl auf Mehrheits- als auch auf Minderheitsangehörige bezieht und sowohl diese als auch jene begünstigt. Daraus ergibt sich bereits, daß sich mittels indirekter Minderheitenschutzbestimmungen eine strikte Gleichbehandlung von Mehrheits- und Minderheitsangehörigen erreichen läßt und diese also vor allem Diskriminierungen verhindern können. Auf die spezielle Situation der Minderheiten kann der allgemein gehaltene indirekte Schutz dagegen nicht eingehen. Im Gegensatz dazu sprechen direkte Minderheitenschutzbestimmungen ausdrücklich die jeweils betroffenen Minderheiten an und gewähren diesen zum Beispiel besonderen Schutz oder eine spezielle Förderung der Gruppe oder der Gruppenangehörigen.

(Art. 40) besondere kollektive Förderansprüche zu, Wortlaut etwa bei Franke/Hofmann EuGRZ 1992, 401/405 f., Fn. 46. 232 So auch Klein, in: System I, S. 146. 233 Bezeichnung von Oxenknecht, S. 60. 234 Vgl. dazu Pircher, S. 39; Oxenknecht S. 60.

2. Abschnitt: Minderheitenschutz

65

2. Positive und negative Regelungen235 Weiterhin kann Minderheitenschutz positiv ausgestaltet werden, also staatliche Leistungen verbürgen. Ebenso kann er aber auch negativ durch Verbote wirken, indem also zum Beispiel allen Trägern staatlicher Macht untersagt wird, Angehörige der Minderheit schlechter zu behandeln als andere Personen. Positive Minderheitenschutzbestimmungen gewähren in erster Linie Förderung durch finanzielle Unterstützung, etwa soweit es um kulturelle Aktivitäten der Minderheiten geht. Ebenso können sie aber auch Minderheiten gegen Eingriffe von Seiten Dritter schützen. In diesem Fall also gebietet die Regelung dem Staat nicht, solche Eingriffe selbst zu unterlassen, sondern erlegt ihm eine Verpflichtung auf, aktiv schützend einzugreifen, wenn solche Beeinträchtigungen von Dritten ausgehen. Ein positiver Minderheitenschutz, der in der geschilderten Weise sowohl die Minderheit fördert als auch gegen private Übergriffe abschirmt, wird in der Regel von besonders intensiver Wirkung sein, fordert aber gleichzeitig den Staat in höherem Maße als ein bloßes negatives Verbot von staatlichen Benachteiligungen und Übergriffen.

3. Rechte der Betroffenen und Pflichten des Staates Schließlich können Minderheitenschutzbestimmungen entweder unmittelbar die Betroffenen berechtigen oder aber lediglich den Staat zu einem Tätigwerden zu ihren Gunsten verpflichten und so die Minderheit nur mittelbar bevorteilen. Im innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik steht dies in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage, ob die Minderheitenschutzbestimmung der Minderheit beziehungsweise den Minderheitsangehörigen subjektive Rechte gewährt oder nur objektiv-rechtlich die öffentliche Gewalt bindet. Im ersteren Fall haben die Betroffenen einen Anspruch gegenüber dem Träger öffentlicher Gewalt auf die entsprechende Begünstigung. Das hat den Vorteil, daß sie diese unmittelbar einfordern und damit grundsätzlich auch durchsetzen können, so daß ein besonders intensiver Schutz gegeben ist. Allerdings können solche subjektiven Minderheitenrechte auch eine besondere Belastung für den Staat bedeuten, etwa wenn mehrere Minderheiten zugleich eine Anspruch auf finanzielle Unterstützung geltend machten. In einem solchen Fall können faktische Probleme bei der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs entstehen. Zudem besteht ein weiteres prozessuales Problem, wenn nicht der einzelne Minderheitsangehörige, sondern das Kollektiv Träger des betreffenden Anspruchs ist. Wer soll in einem solchen Fall berechtigt sein, das subjektive Recht einzuklagen: ein Minderheitenverband, ein Vertreter oder das ganze Kollektiv 235

Bezeichnung von Oxenknecht, S. 61.

5 Siegert

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1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

im Sinne einer „Verbandsklage"? Solchen Schwierigkeiten gehen objektivrechtliche Minderheitenschutzbestimmungen um den Preis des geringeren Schutzes für die Minderheit aus dem Wege. Ist der Minderheitenschutz objektiv-rechtlich ausgestaltet, so wird zwar die öffentliche Gewalt zu einem entsprechenden minderheitenschützenden Verhalten verpflichtet, aber ohne daß die Betroffenen einen Anspruch auf eine bestimmte Begünstigung hätten. Im Völkerrecht setzt die unmittelbare Berechtigung der Betroffenen voraus, daß die betreffende Minderheitenschutzbestimmung „self-executing" ist, also keiner weiteren staatlichen Umsetzung mehr bedarf, um den Betroffenen dienlich sein zu können. 236 Andernfalls sind die Minderheiten darauf angewiesen, daß der Staat seinen Verpflichtungen, die häufig recht vage gefaßt sind, durch Umsetzungsmaßnahmen nachkommt. Solange dies nicht der Fall ist, haben die Betroffenen keinen unmittelbaren Vorteil durch ein etwaiges Minderheitenschutzabkommen.

D. Gestaltungsvorschlag für einen effektiven Minderheitenschutz I Die „Kombinationslösung":

Individual- und Gruppenschutz

Welcher dieser beiden verschiedenen Lösungswege und welche normative Ausgestaltung werden nun am ehesten der Zielsetzung eines effektiven Minderheitenschutzes gerecht? Zunächst einmal wäre die Schlußfolgerung naheliegend, daß es zum Wohle der Minderheiten sowohl eines Individual- als auch eines Gruppenschutzes bedürfe, weil ja sowohl der einzelne Minderheitsangehörige als auch die Gruppe an sich Beeinträchtigungen ausgesetzt sind. Eine solche Argumentation, die sich mehr auf die sichtbaren Erscheinungen als die Ursachen der Minderheitenproblematik bezieht, wäre aber zu kurzsichtig. Wie bereits dargestellt, beruhen die verschiedenen Beeinträchtigungen des Individuums und der Gruppe auf denselben Ursachen oder Mechanismen und stehen stets in engem Zusammenhang miteinander. Dies ist wiederum auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Gruppe und ihren Mitgliedern zurückzuführen: Wird die Identität der Gruppe in Frage gestellt, betrifft dies auch die Freiheit des Individuums - besteht das Kollektiv, das eine gemeinsame Sprache spricht und ein bestimmtes Brauchtum pflegt, nicht länger fort, so wird damit auch dem einzelnen die Möglichkeit genommen, in seiner Kultur zu leben. Wird aber der einzelne, lebendige Mensch an der Pflege seiner Kultur gehindert, wird ein rechtlich anerkannter und geforderter Gruppenzusammenhalt bedeutungslos.

236

Vgl. dazu im einzelnen unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, Α., I., 1.

2. Abschnitt: Minderheitenschutz

67

Die Ursachen dieser Beeinträchtigungen lassen sich aber auf zwei grundlegende Aspekte reduzieren: einerseits die Verfolgung, Diskriminierung und zwangsweise Assimilation als aktive Einwirkungen durch die Mehrheit und den Mehrheitsstaat und andererseits den faktischen Assimilationsdruck, den die Mehrheitsbevölkerung zwangsläufig auch dann ausübt, wenn sie der Minderheit bewußt mit Toleranz begegnet. Die richtige Fragestellung ist also nicht, mittels welchen Lösungsmodelles sowohl die Gruppe als auch das Individuum begünstigt werden können, sondern welcher Lösungsansatz beide Ursachen dafür, daß gleichzeitig Individuum und Gruppe beeinträchtigt sind, beseitigen oder zumindest eindämmen kann. Nur wenn es zur Entschärfung dieser beiden grundlegenden Konflikte notwendig sein sollte, sowohl zugunsten des Individuums als auch der Gruppe einzugreifen, muß ein effektiver Minderheitenschutz eine menschenrechtliche und zugleich auch eine gruppenrechtliche Komponente aufweisen. Betrachtet man zunächst den ersten Aspekt der Minderheitenproblematik, also den Komplex „Verfolgung, Diskriminierung und Assimilationszwang", so erscheint betreffend staatlicher Übergriffe der menschenrechtliche Ansatz als ebenso wirksam wie ausreichend: Staatliche Diskriminierungen bis hin zu gezielten Verfolgungen lassen sich mit Diskriminierungsverboten verhindern. Ebenfalls ist es kaum problematisch, die Wirkung des menschenrechtlichen Ansatzes auf eine zwangsweise Assimilation gegen den Willen der Betroffenen als positiv zu beurteilen. In der Bundesrepublik wäre es etwa angesichts der von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgten individuellen Glaubensfreiheit unmöglich, den Angehörigen einer religiösen Minderheit die Ausübung ihrer Religion schlichtweg zu untersagen. Vielmehr müßten sich eventuelle Beschränkungen im Rahmen der Schranken dieses Grundrechts halten. 237 Andere Maßnahmen der Zwangsassimilation, wie etwa das Verbot der Kommunikation in der Muttersprache, würden zumindest einen Eingriff in die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit darstellen und wären deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn sie nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung als Gesamtheit der formell und materiell verfassungsmäßigen Normen verstießen. 238 Weniger unproblematisch ist dagegen die Frage, ob der menschenrechtliche Ansatz auch geeignet ist, Diskriminierungen und eventuelle Übergriffe seitens Privater zu verhindern. Direkt wird durch Diskriminierungsverbote und die Anwendung der Menschenrechte - in der Bundesrepublik der Grundrechte des Grundgesetzes - nur der Staat verpflichtet. Zumindest indirekt strahlen diese

237

Vgl. zu den Schranken des Art. 4 statt vieler Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 4, Rn.

17 ff. 238

Rn. 14.

Vgl. zu den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2,

68

1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

Verbürgungen aber auch auf privatrechtliche Beziehungen aus. 239 Insofern vermögen sie also auch privatrechtliche Beziehungen zugunsten der Minderheiten zu beeinflussen. Wirksamer aber muß es sein, wenn der Staat auf Grundlage einer positiven Verpflichtung zugunsten der Minderheit eingreift, wenn Übergriffe seitens Privater drohen. Schließlich bleibt der menschenrechtliche Ansatz gegenüber dem faktischen Assimilationsdruck, der von der Mehrheitsbevölkerung ausgeht, ohne Wirkung. Einer solchen tatsächlichen Benachteiligung ist allein mit Herstellung der rechtlichen Gleichheit nicht abzuhelfen: Ein unbeabsichtigt, womöglich sogar unbewußt durch die Mehrheit ausgeübter Druck kann nicht durch ein staatliches Gleichbehandlungsgebot beeinflußt werden. Auch die Wirkung der Freiheitsrechte kann an dieser Stelle nichts ausrichten. Die faktische Überlegenheit der Mehrheit kann vielmehr nur dann in ihren Wirkungen gemildert werden, wenn der Staat die Unterlegenheit der Minderheit zumindest teilweise ausgleicht. Dies kann er nur dadurch erreichen, daß er der Minderheit Begünstigungen zukommen läßt, die es dieser ermöglichen, ihre Eigenheit zu bewahren. Wird die Minderheit auf diese Weise gestärkt, so gibt man ihr damit eine Chance, ihre Andersartigkeit zu erhalten. 240 Eine solche Hilfe muß die Gruppe als Ganzes anvisieren und kann durch den Schutz einzelner nicht ersetzt werden. Zweckmäßigerweise sollte sie es der Gruppe ermöglichen, ihre Identität zu bewahren, indem sie etwa die politische Mitwirkung sichert, die Pflege der Kultur unterstützt und insbesondere muttersprachlichen Unterricht in Schulen und Kindergärten ermöglicht. An diesem Punkt wird deutlich, daß nur die Kombination beider Ansätze die Problematik der Beeinträchtigung von Gruppen und Individuen ursächlich entschärfen kann. Eine solche Begünstigung der Gruppe als Ganzes neben dem Schutz des Individuums wird auch der Verbindung von Minderheitenschutz und der Achtung vor der Würde des Menschen am ehesten gerecht: In einer solchen Förderung der gemeinsamen Identität der Gruppe drückt sich am deutlichsten aus, daß gerade die Andersartigkeit der Betroffenen, ihre gemeinsame Identität, mag sie auch für Konflikte sorgen, die Achtung des Staates genießt.

239

Auf eine nähere Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Drittwirkung der Grundrechte" wird an dieser Stelle verzichtet. 240 Daß dies nur dann notwendig und sinnvoll ist, wenn die Minderheit es auch wünscht, ihre Identität zu erhalten, bedarf keiner näheren Begründung. Definitionsgemäß ist eine andersartige Gruppe überhaupt nur dann als Minderheit anzusehen, wenn sie danach trachtet, ihre gemeinsame Identität zu erhalten. Daß Minderheitenschutz immer „Angebot" bleiben muß, so Klein, in: Blumenwitz/von Mangoldt, S. 54, ist deshalb eine Selbstverständlichkeit.

2. Abschnitt: Minderheitenschutz

69

Im Ergebnis sollte deshalb ein effektiver Minderheitenschutz sowohl eine menschenrechtliche als auch eine gruppenrechtliche Komponente aufweisen. 241 Lehnt man trotz dieser Erwägungen eine gruppenrechtliche Komponente ab, so kann dies nur eins bedeuten: daß man die Wirkungen des faktischen Assimilationsdruckes in Kauf nimmt, vielleicht sogar begrüßt. Eine solche Haltung, die eine allmähliche Assimilation der Minderheit anstrebt und nur gezielte Übergriffe zu verhindern sucht, führt nicht zum Schutz der Minderheiten, sondern zu deren Auflösung und Zerstörung.

IL Normative Ausgestaltung 1. Die menschenrechtliche Komponente Der menschenrechtliche Ansatz sieht vor allem Diskriminierungsschutz, also die strikte Gleichbehandlung von Mehrheit und Minderheit vor. Das bedeutet zunächst einmal, daß eine indirekte Ausgestaltung der menschenrechtlichen Komponente, die sich nicht ausdrücklich auf die Minderheit bezieht, völlig ausreichend ist, etwa in Form eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Denkbar wäre es allerdings auch, die menschenrechtliche Komponente durch Normen zu verwirklichen, die den Minderheitsangehörigen direkt die Gleichbehandlung mit der Mehrheitsbevölkerung zusprechen. Weiterhin wird die menschenrechtliche Komponente am zweckmäßigsten als negatives Diskriminierungsverbot auszugestalten sein. Zwar kann zum menschenrechtlichen Ansatz auch die gleiche, gegebenfalls positive Gewährung von Rechten gehören. Zwingend ist dies indes nicht. Auch die positive Verbürgung von gleichen Rechten ist letztlich nur ein Ausdruck der strikten Gleichbehandlung. Es genügt deshalb, (negativ) zu sichern, daß im Falle der Gewährung von Rechten und Vergünstigungen jedenfalls die Minderheitsangehörigen nicht schlechter gestellt werden als die Mehrheitsangehörigen. Schließlich ist es naheliegend, die menschenrechtliche Komponente als subjektives Recht der Minderheitsangehörigen auszugestalten, also dem einzelnen ein ihn unmittelbar begünstigendes Abwehrrecht an die Hand zu geben. Die Möglichkeit, das entsprechende Recht selbst durchzusetzen, läßt diesen Schutz besonders effektiv werden, ohne daß eine Überforderung des Staates, der ja nur zu unterlassen braucht, zu befürchten wäre. Deshalb sollte dem einzelnen die-

241

In diesem Sinne bereits der Ständige Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten vom 6. 4. 1935, A/B 64, Minoritiy Schools in Albania, S. 18-21, Auszug abgedruckt bei Kimminich, Rechtsprobleme, S. 104; aus neuerer Zeit Capotorti, in: Wolfrum, S. 602.

70

1. Teil: Grundlegendes - Minderheiten und Minderheitenschutz

ser besonders effektive Schutz zugestanden werden. Die menschenrechtliche Komponente wird daher zweckmäßigerweise indirekt, negativ und subjektivrechtlich auszugestalten sein.

2. Die gruppenrechtliche Komponente Gruppenschutz muß zwangsläufig direkt ausgestaltet sein, da er ja, wie bereits dargelegt, die Gruppe gezielt begünstigen soll. Will eine solche Förderung die faktische Unterlegenheit der Gruppe ausgleichen, so muß gleichzeitig der Gruppenschutz positiv ausgestaltet werden. Zwar ist es prinzipiell denkbar, das Kollektiv durch negative Normen zu schützen, also zum Beispiel die Gruppe als solche davor zu schützen, schlechter als eine andere behandelt zu werden. Ein solcher kollektiver Diskriminierungs- und Assimilationsschutz begegnete aber nicht der Problematik des faktischen Assimilationsdruckes, die gerade erfordert, daß positive Maßnahmen ergriffen werden. Obwohl eine solche negative Regelung also prinzipiell denkbar ist, 242 taugt sie allenfalls als Ergänzung der positiven Förderung und des Schutzes der Gruppe, vermag diese aber nicht zu ersetzen. Zu klären bleibt die Frage, wie die Gruppe überhaupt diese positiven Ansprüche ausüben und durchsetzen soll. Die jeweiligen Minderheitenverbände repräsentieren keineswegs immer zweifelsfrei die Interessen der gesamten Minderheit. 243 Auch ist eine Ausgestaltung als Personalautonomie nicht immer möglich oder von den Betroffenen erwünscht. Diese Problematik ist einer der Gründe dafür, daß das geltende Minderheitenschutzrecht häufig nur „Individualrechte mit kollektivem Bezug" vorsieht. 244 Gleichzeitig stellt sich das Problem einer möglichen Überforderung des Staates. Stehen der Minderheit Ansprüche auf finanzielle Förderung zu, die sie auch durchsetzen kann, so verlieren diese Ansprüche an Wert, wenn der Staat etwa im Falle konkurrierender Ansprüche oder auch nur einer allgemein angespannten Haushaltslage nicht in der Lage sein sollte zu zahlen. Diesen Schwierigkeiten geht man aus dem Wege, wenn man die gruppenrechtlichen Regelungen so ausgestaltet, daß sie erst eine staatliche Umsetzung erfordern und so dem Staat einen Gestaltungsspiel-

242

Pernthaler, S. 12, bezieht den kollektiven Diskriminierungsschutz denn auch ausdrücklich in den Gruppenschutz mit ein. Vgl. bereits oben, 1. Teil, 2. Abschnitt, C, I., 2. 243 Vgl. etwa zu den konkurrierenden Organisationen bei den Friesen unten, 2. Teil, 1. Abschnitt, Α., II. 244 Brunner, S. 82; zur entsprechenden Ausgestaltung des Art. 27 IPBPR als vorwiegend individuelles Recht vgl. unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, Α., I., 1., a.

2. Abschnitt: Minderheitenschutz

71

räum einräumen. 245 Dann ist zwar der Staat verpflichtet, die Gruppe im notwendigen Umfang zu begünstigen, die Minderheit selbst hat aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Umsetzung und kann eine solche deshalb auch nicht ohne weiteres einklagen. Dadurch würde sich weder die Frage nach der Repräsentation der Minderheit noch nach einer Überforderung des Staates stellen. Gleichzeitig erhielte der Staat die Gelegenheit, den tatsächlichen Bedarf der Minderheit entsprechend der Zahl ihrer Angehörigen und deren eigener Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Zwar gibt die objektiv-rechtliche Ausgestaltung den Minderheiten ein weniger wirksames Mittel an die Hand. Ein politisch tragbarer Kompromiß nützt ihnen aber im Ergebnis mehr als nicht zu verwirklichende Forderungen. Die gruppenrechtliche Komponente sollte daher direkt, zumindest auch positiv und möglichst objektiv-rechtlich ausgestaltet sein.

E. Ergebnis Ziel des Minderheitenschutzes ist es, im Interesse des Friedens und der Achtung vor der Menschenwürde die typische Minderheitenproblematik abzugleichen. Als Mittel stehen dabei in verschiedenen Ausgestaltungen der menschenrechtliche und der gruppenrechtliche Ansatz zur Verfugung. Ein effektiver Schutz kann dabei nur durch Kombination sowie die zweckmäßige Ausgestaltung beider Ansätze erreicht werden.

245

S. 83.

Zur objektiv-rechtlichen Ausgestaltung des Gruppenschutzes vgl. auch Brunner,

Zweiter Teil

Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes 1. Abschnitt: Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland A. Von der deutschen Rechtsordnung ausdrücklich geschützte Minderheiten 1 I. Dänen Zu den von der deutschen Rechtsordnung ausdrücklich geschützten Minderheiten2 gehören zunächst die Dänen3 im Norden Schleswig-Holsteins. Die ca. 50.0004 Dänischgesinnten5 leben heute6 zwischen der dänischen Grenze und 1

Veiter, in: System I, S. 34 f., nennt die rechtlich anerkannten Minderheiten „echte" nationale Minderheiten, im Gegensatz zu den zwar politisch und gesellschaftlich, aber nicht rechtlich anerkannten „unechten". Diese Terminologie wird vorliegend nicht verwendet, da sie eine Wertung impliziert, etwa im Sinne von „berechtigt-unberechtigt". 2 Vgl. zu den Schutzvorschrifiten im einzelnen unten, 2. Teil, 2. Abschnitt. 3 Um Mißverständnissen vorzubeugen, soll an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die „Dänen" allesamt die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben. 4 Die Zahlenangaben schwanken zwischen 30.000 und 70.000, vgl. Die Präsidentin..., Bericht, S. 40 (50.000); Blumenwitz, S. 107 (60.000-70.000); anschaulich Tabelle 1 bei Boehm, AWR-Bulletin 1994, 35/40; ders., friscia nova 29, S. 8 (30.000); Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 64 (50.000); Messtorff, S. 13 (60.000-70.000); Murswiek, S. 5 (50.000). Diese Abweichungen sind weniger auf ungenaue Statistik als vielmehr darauf zurückzufuhren, daß das Bekenntnis zum Dänentum frei ist und nicht überprüft werden darf, so schon die Kieler Erklärung vom 26. 9. 1946, II. 1., GVB1. SchleswigHolstein 1949, 183; Bonner Erklärung vom 29. 3. 1955, II. 1., BT-Drs. 2/145, Art. 5 der schleswig-holsteinischen Verfassung. 5 „Dänen nach Volkszugehörigkeit und kultureller Identität", so Klüver in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 4. 6 Zur Geschichte der dänischen Minderheit vgl. Dansk Generalsekretariat, Südschleswig, S. 4 ff.

1. Abschnitt: Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland

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dem Fluß Eider, wobei Flensburg mit einem dänischen Bevölkerungsanteil von ca. 20% 7 sowie die Umgebung von Flensburg als Hochburgen des Dänentums angesehen werden können. Die Dänen verfugen als einzige anerkannte Minderheit über einen Heimatstaat, der sie unterstützt. 8 Insgesamt gelten sie als besonders begünstigte Minderheit. 9 Als Beweis hierfür wird häufig angeführt, daß sie bereits 1949 Gegenstand der Kieler Erklärung 10 waren, der 1955 die Bonner Erklärung 11 folgte. Diese sicherten den Dänen die Grundrechte des Grundgesetzes und deren Ausführung zu. Allein hiermit ist aber die positive Entwicklung der tatsächlichen Situation der Dänen kaum zu erklären, denn der Text der Erklärungen ist wenig konkret, der Inhalt großteils eine Wiederholung der Gewährleistungen des Grundgesetzes und der Gehalt damit begrenzt. Wichtiger als die Erklärungen selbst mag das „dänenfreundliche" politische Klima sein, das in ihnen zum Ausdruck kommt. Dieses hat bewirkt, daß die Dänen in zahlreichen Vereinen und Verbänden organisiert sind 12 und ein eigenständiges kulturelles Leben pflegen, das Theatergastspiele, Konzerte, Opern, Vorträge, Filme etc. und ein großes dänisches Jahrestreffen umfaßt, bei dem die Dänischgesinnten mit dänischen Staatsangehörigen zusammenkommen. Weiterhin verfügen die Dänen über eine eigene Zentralbibliothek in Flensburg (Dans Centraibibliothek for Sydslesvig) und geben eine eigene Tageszeitung (Flensborg Avis) heraus. Zum Radioprogramm in Schleswig-Holstein gehört eine tägliche dänischsprachige Nachrichtensendung. 13 Zudem existieren über 53 Schulen und 62 Kindergärten,

7

Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 64; Runge, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 142. 8 So bezuschußt etwa der dänische Staat den dänischen Schulverein für Südschleswig/ Dansk Skoleforening for Sydslesvig in beträchtlichem Maße; auch die Dansk Centraibibliothek wird zu 88 % vom dänischen Staat finanziert, so Hahn, in: Frowein/ Hofmann/Oeter, S. 89 ff.; allerdings läßt die Unterstützung allmählich nach, so Boehm, AWR-Bulletin 1994, 35/41 f. 9 Vgl. z. B. Messtorff, S. 12; Veiter, Europa Ethnica 1969, 65/73, ging sogar davon aus, daß die dänische Volksgruppe „...in jeder Hinsicht befriedet und befriedigt ohne weitere Wünsche an den Mehrheitsstaat..." lebe. 10 Erklärung des Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein, GVB1. Schleswig-Holstein 1949, 183. 11 Erklärung der Bundesregierung, BT-Drs. 2/145. 12 Vgl. etwa die Aufzählung bei Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 89 ff.; Dansk Generalsekretariat, Die dänische Volksgruppe, ohne Seitenzahlen; Schultz, in: ChristianAlbrechts-Universität/Schleswig-Holsteinischer Landtag, S. 109 f. 13 So Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 88.

74

2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

in denen Dänisch Unterrichts- bzw. Umgangssprache ist. 14 Diese Schulen werden vom Land Schleswig-Holstein großzügig finanziell unterstützt. 15 Als Folge dieses breiten Schulangebotes ist die Kenntnis der dänischen Sprache seit 1945 im Zunehmen begriffen, 16 was allerdings nicht zwangsläufig etwas über die Zahl der Dänischgesinnten aussagt: eine Deckung von Sprache und Gesinnung ist nicht zwangsläufig gegeben.17 1993 betreuten 24 dänische Pastoren in 44 Gemeinden18 die überwiegend evangelischen Dänen. 19 Ihre politische Vertretung obliegt dem 1948 gegründeten Südschleswigschen Wählerverband (SSW), der eine insgesamt linke, sozialdemokratische Politik betreibt. 20 Der SSW hat sich seit 1965 nicht mehr an Bundestagswahlen beteiligt, ist aber im Schleswig-Holsteinischen Landtag und im kommunalen Bereich vertreten. 21 Die Verbindung zum Bundestag gewährleistet ein Kontaktausschuß22. Insgesamt scheinen die Dänen mit ihrer Situation als Minderheit zufrieden zu sein23 und eher den „überwältigenden Einfluß" des Deutschen in ihrem Alltag als das als „leicht" eingeschätzte „freundliche Nebeneinander" mit den Deutschen als problematisch zu betrachten. 24

14

So Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 89 ff.; detaillierte Angaben zur Schulund Kindergartenarbeit finden sich in: Die Präsidentin..., Bericht, S. 50 f. 15 Zur Entwicklung der Landeszuschüsse seit 1950 vgl. Boehm, AWR-Bulletin 1994, 35/41, Tabelle 2. 16 Dansk Generalsekretariat, Die dänische Volksgruppe, ohne Seitenzahlen. 17 So schon Veiter, Europa Ethnica 1969, 65/70: „Volkszugehörigkeit ist nicht gleich Sprachzugehörigkeit". 18 Dansk Generalsekretariat, Die dänische Volksgruppe, ohne Seitenzahlen. 19 Messtorff, S. 65. 20 So der SSW über sich selbst, in: SSW - die regionale Alternative, ohne Seitenzahlen. 21 So für die 12. Legislaturperiode (1988-1992) vgl. Die Präsidentin..., Bericht, S. 41. 22 Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 100; Kimminich, Rechtsprobleme, S. 153. 23 Allerdings nicht kritiklos, vgl. etwa Kring, in: Sydslesvigsh Forening, S. 22, zur Langsamkeit der Umsetzung der Bonner Erklärung; sowie Runge, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 145, der beklagt, daß in Zeiten beschränkter Mittel bevorzugt an den Zuschüssen für die Minderheiten gespart würde. 24 Runge, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 142.

1. Abschnitt: Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland

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IL Friesen Die friesische Bevölkerungsgruppe verteilt sich in der Bundesrepublik auf zwei Siedlungsgebiete:25 Im Bundesland Niedersachsen mit Aurich und Leer als Zentren leben die Ostfriesen. 26 Zu diesen bekennen sich etwa 100.000 Personen,27 von denen allerdings nur 1.500-2.000 Personen tatsächlich die friesische Sprache sprechen. 28 Ungefähr 50.000 Einwohner des Nordens SchleswigHolsteins bezeichnen sich selbst als Nordfriesen, 29 von denen aber wiederum nur ca. 10.000 Personen tatsächlich des Friesischen mächtig sind. 30 Passive Sprachkenntnisse haben etwa doppelt so viele. 31 Die friesische Sprache als Hauptmerkmal der friesischen Minderheit zeichnet sich durch eine große Dialektvielfalt aus,32 sowie durch ihren Charakter als regional begrenzte Umgangssprache. 33 Die Friesisch Sprechenden beherrschen in der Regel zugleich das Hochdeutsche.34 Als kulturelle Besonderheit der Friesen ist auf den typisch friesischen Baustil zu verweisen, ebenso auf friesische Trachten und das Biikebrennen, eine Art nordfriesisches Nationalfest, das am 21. Februar gefeiert wird. Ansonsten sind die Friesen im Vergleich zu den Dänen weniger umfassend organisiert. So erscheinen etwa nur unregelmäßige Beilagen zum Nordfrieslandtageblatt in friesischer Sprache. 35 Friesische Schulen existieren nicht. Als Verbesserung werten die Friesen es allerdings schon, daß an öffentlichen Schulen für einige Jahrgangsstufen die Möglichkeit besteht, Friesisch als Unterrichtsfach zu wäh-

25

So Tholund in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 8. 26 Strenggenommen müßten die Ostfriesen aus der Darstellung der anerkannten Minderheiten ausgeklammert bleiben, da ihnen in ihrem Siedlungsgebiet in Niedersachsen kein rechtlicher Sonderstatus zukommt. Sie profitieren aber von der Anerkennung der Friesen in Schleswig-Holstein. 27 Murswiek, S. 6. 28 Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 65; Murswiek, S. 6; Nordfriisk Institut, S. 4; Steensen, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 168. 29 Nordfriisk Institut, S. 4 f.; die Präsidentin..., Informationen, ohne Seitenzahlen. 30 Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 65; Steensen, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 168. 31 Steensen, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 168. 32 Dazu Ar hammer, Nordfriesland 101, S. 6; Nordfriisk Institut, S. 6. 33 Steensen, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 171. 34 Steensen, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 168. 35 So Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 88.

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

len. 36 Ein Großteil friesischer kultureller Arbeit wird auf ehrenamtlicher Basis in örtlichen Vereinen geleistet.37 Eine zentrale Rolle für die Friesen in Nordfriesland spielt deren größter Heimatverein, der 1902 gegründete Nordfriesische Verein für Heimatliebe und Heimatkunde. Dieser steht in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zum 1923 gegründeten kleineren Foriining for nationale Friiske. 38 Den Anliegen der Friesen eher hinderlich mag es dabei sein, daß diese beiden Vereine den „zentralen Zankapfel" 39 der Nordfriesen aufgegriffen und zu ihrer Sache gemacht haben: Lange Zeit wurde ihr Verhältnis bestimmt von der Auseinandersetzung über den Status der deutschen Friesen. Während der Nordfriesische Verein für Heimatliebe und Heimatkunde den Status als nationale Minderheit ausdrücklich ablehnte, wollte der Foriining for nationale Friiske ihn für die Friesen in Anspruch nehmen.40 Dem entspricht es, daß nur die „nationalen Friesen" mit der dänischen Minderheit, die sich auch als solche versteht, zusammenarbeiten und sich vom SSW politisch vertreten lassen.41 Zwar hat man in der Gegenwart im Interesse gemeinsamer kultureller Ziele wie der Förderung der friesischen Sprache 42 den Streit zurückgestellt, indem man sich auf den neutralen Begriff „Volksgruppe" einigte, 43 inwieweit dies aber die Situation tatsächlich entspannt hat, ist fraglich. 44 Immerhin existiert mit dem Friesenrat ein grenzüberschreitendes Bindeglied für alle Friesen. 45 Als weniger politisch denn vielmehr wissenschaftlich orientierte Einrichtung ist schließlich noch das Nordfriisk Institut zu nennen.

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Vgl. Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 92; Steensen, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 180. 37 Nordfriisk Institut, S. 7. 38 Zur Zeit der Gründung „Friesisch-Schleswigscher Verein". 39 Steensen, in: Christian-Albrechts-Universität/Schleswig-Holsteinischer Landtag, S. 86. 40 Zu den geschichtlichen Hintergründen vgl. Steensen, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 174 ff. 41 So das Rahmenprogramm des SSW, vgl. etwa SSW - die regionale Alternative, ohne Seitenzahlen; SSW, Die friesische Volksgruppe, ohne Seitenzahlen. 42 Vgl. etwa den Foriining for nationale Friiske, Europa Ethnica 1992, 90. 43 Steensen, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 176. 44 So geht das Nordfriisk Institut, S. 9, davon aus, daß eine „enge Zusammenarbeit in freundschaftlicher Atmosphäre" bestehe, während Momme Nommsen als Vorsitzender des Foriining for nationale Friiske von „gewissen Berührungsängsten" ausgeht, vgl. Flensborg Avis vom 21. 5. 1993. 45 Der Friesenrat vertrat die Friesen in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993.

1. Abschnitt: Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland

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Die Friesen werden zum Teil als hochgradig gefährdet in ihrem kulturellen und sprachlichen Eigensein bezeichnet.46 Sie beklagen insbesondere den negativen Einfluß, den die Abwanderung junger Nordfriesen in stärker industrialisierte Gegenden bei gleichzeitiger Zuwanderung Auswärtiger in die landschaftlich reizvollen nordfriesischen Gebiete auf die friesische Sprache und Kultur hat. 47 Zudem fühlen sie sich gegenüber anderen Minderheiten benachteiligt. In jüngerer Vergangenheit streben sie insbesondere die finanzielle Gleichbehandlung mit den Sorben an, namentlich die Errichtung einer Stiftung, die der Stiftung für das sorbische Volk vergleichbar sein soll. 48 Insgesamt sollten diese Probleme aber nicht den Blick dafür verstellen, daß die Friesen zwar im Vergleich mit den Dänen und Sorben die am wenigsten geforderte Minderheit sind, trotzdem aber zu den ausdrücklich von der deutschen Rechtsordnung anerkannten und damit begünstigten Minderheiten gehören.

III; Sorben'

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Schließlich leben als dritte anerkannte Minderheit die Sorben in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg. Schätzungsweise 50.000-80.000 Personen bekennen sich zum Sorbentum. 50 Die Sorben leben nicht nur auf zwei Bundesländer, sondern auch auf zwei Siedlungsgebiete verteilt: die Oberlausitz zwischen Hoyerswerda, Kamenz und Bautzen und die Niederlausitz um Cottbus. Diese Aufspaltung spiegelt sich auch in den regionalen Sprachen wider: In der Oberlausitz wird Obersorbisch gesprochen, in der Niederlausitz Niedersorbisch, um Hoyerswerda und Weißwasser Übergangsdialekte. 51 Zusätzlich zur 46

Tholund, in: Die Präsidentin..., Minderheiten in Europa, S. 91. Steensen, in: Landeszentrale für politische Bildung, Minderheiten, S. 165. 48 Vgl. das Memorandum zur Errichtung einer Stiftung für das friesische Volk, Europa Ethnica 1992, S. 98 ff. 49 Auf die Bezeichnung „Wenden" wird an dieser Stelle bewußt verzichtet. Zwar handelt es sich historisch um gleichbedeutende Begriffe, gleichwohl wird die Bezeichnung „Wenden" von den Sorben nicht in gleicher Weise akzeptiert, so die Historiker der Abteilung Kultur- und Sozialgeschichte bzw. Niederlausitzer Forschungen am Sorbischen Institut e.V./Serbski Institut z.t., Bautzen. 50 Vgl. Dyrlich, FR vom 21. 12. 1994, S. 7; Hübner, DIE ZEIT vom 14. 10. 1994, S. 22; Bundesministerium des Inneren, Anlage 8 in der Domowina Information 1/1994, S. 39. Dabei sind auch bei den Sorben aufgrund des freien Bekenntnisses genaue statistische Angaben „etwas schwierig", so Dr. Elle vom Sorbischen Institut in seinem Brief vom 2. 12. 1994. 51 Marti, Europa Ethnica 1992, 13/15; ausführlich zur aktuellen Sprachsituation der Lausitzer Sorben Elle, Europa Ethnica 1992, 1 ff.; ders., Slavia Occidentalis, 1991/1992, 67 ff. 47

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

territiorialen und sprachlichen Gliederung ist auch eine konfessionelle zu verzeichnen, denn etwa ein Viertel der Sorben ist katholisch, über die Hälfte ist evangelisch.52 Stärker als bei den evangelischen Niedersorben ist die sorbische Tradition bei den katholischen Obersorben ausgeprägt; das kulturelle Zentrum der Sorben liegt rund um Bautzen.53 Dies hängt einerseits mit regionalen Problemen, insbesondere mit der massiven Zerstörung sorbischen Lebensraumes in der Niederlausitz zugunsten der Braunkohleindustrie, zusammen.54 Ebenso könnte es aber eine Rolle spielen, daß die katholischen Gottesdienste, die in Obersorbisch abgehalten werden, häufiger stattfinden als die evangelischen wobei dahinstehen mag, was Ursache und was Wirkung ist. Die Sorben pflegten ursprünglich ein ausgeprägtes Brauchtum, von dem auch heute noch einiges erhalten ist, zum Beispiel das Osterreiten oder traditionelle Feste wie die „Vogelhochzeit". Die Sorben stehen der Brauchtumspflege allerdings nicht mehr uneingeschränkt positiv gegenüber, besser gesagt: dem Bild der sorbischen Traditionen in der Öffentlichkeit. Wenn auch die gemeinsame Pflege von Traditionen unbestritten identitätsstiftend wirkt, wird demgegenüber von sorbischer Seite die „Folklorisierung" ihres Brauchtums beklagt,55 die bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung den Eindruck hervorgerufen habe, der Sorbe rolle hauptsächlich bemalte Ostereier von Hügeln und sammle ansonsten Beeren und Pilze. 56 Diese Problematik reicht zurück in die DDR-Zeit, in der die Sorben zwar vordergründig geschützt und gefördert, aber gleichzeitig auch vereinnahmt und zu ideologischen Zwecken benutzt wurden. 57

"Angaben des Bundesministeriums des Inneren, Domowina Information 1/1994, Anlage 8, S. 43. 53 Vgl. Oschlies, S. 51 f. 54 Diese begann bereits in der DDR, vgl. Oschlies, S. 66; findet aber auch in der Gegenwart noch statt, vgl. etwa die Auseinandersetzung um die Sorbengemeinde Horno, dokumentiert in der taz vom 1. und 3./4. 6. 1995, S. 3 und S. 4, sowie vom 28. 5. 1997, S. 7. 55 Vgl. Dyrlich, FR vom 21. 12. 1994, S. 7, zum Folklorisierungsproblem auch Marti, Europa Ethnica 1992, 13/23. 56 So Dyrlich, FR vom 21. 12. 1994, S. 7. Nicht unerwähnt bleiben sollte allerdings, daß mitunter auch von sorbischer Seite dieses Bild - vermutlich ungewollt - gefördert wird. So etwa, wenn das Haus für sorbische Volkskultur als Frucht ihrer Bemühungen um die sorbische Volkskunst „hervorragende Ergebnisse, ζ. Β " den „Wettbewerb um das schönste sorbische Osterei" anpreist, dass., Sorben/Wenden, S. 7. 57 Zu dieser Kehrseite des Gruppenschutzes im Sozialismus vgl. bereits oben, 1. Teil, 2. Abschnitt, C., I., 2.; im übrigen ist die Bewertung der SED-Minderheitenpolitik bis in die Gegenwart umstritten; vgl. dazu Oschlies, S. 44 ff.; zur Rechtsstellung der sorbischen Volksgruppe in der „DDR" Veiter, in: Meissner, S. 187 ff.

1. Abschnitt: Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland

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Die Sorben werden heutzutage vom Bund und den Ländern Sachsen und Brandenburg durch die „Stiftung für das sorbische Volk" weitgehend finanziell unterstützt. 58 Das sorbische kulturelle Angebot ist reichhaltig. 59 Die sorbische Sprache wird zur Zeit an 66 Schulen unterrichtet, davon an dreizehn in Form von Muttersprachunterricht. 60 Es existieren zahlreiche sorbische Vereinigungen, von denen hier beispielhaft die Domowina als Dachverband sorbischer Vereine genannt werden soll. 61 A u f politischer Ebene blicken die Sorben auf keine große Tradition von Wahlbewegungen zurück. 62 Im „Superwahljahr" 1994 hat kein Sorbe ein Bundestagsmandat errungen, ebensowenig ein Mandat im brandenburgischen Landtag. Lediglich im sächsischen Landtag sind die Sorben mit zwei Abgeordneten vertreten. A u f kommunaler Ebene nahmen Sorben in Brandenburg zweimal mit eigenen Listen teil, in Sachsen beteiligten sich sorbische Wählervereinigungen an Kommunalwahlen. 63 Dem Projekt einer eigenen „Sorbenpartei" sollen selbst sorbische Landespolitiker zurückhaltend gegenüberstehen. 64 Insgesamt sind die Sorben wohl die am meisten beachtete der anerkannten Minderheiten.

B. Von der deutschen Rechtsordnung nicht ausdrücklich geschützte Minderheiten 1. Sinti und Roma Die Sinti und Roma leben seit über 600 Jahren im deutschsprachigen Mitteleuropa. 65 Von den ca. 70.000 deutschen Sinti und Roma bezeichnet sich die

58 So stellten Bund und Länder 1993 40 Mio DM, 1994 36 Mio DM zur Verfügung, vgl. Hübner, DIE ZEIT vom 14. 10. 1994, S. 22. 59 Vgl. etwa das „Angebot zur sorbische Kultur", herausgegeben vom Haus für sorbische Volkskultur. 60 Angaben des Bundesministerium des Inneren, abgedruckt als Anlage 8 zur Domowina Information 1/1994, S. 41. 61 Die Domowina ist allerdings nicht unumstritten, denn ihr wird vorgeworfen, unter der SED als Instrument der Ideologie gedient zu haben, vgl. zum Beispiel Baumgärtel, Vortrag vom 5. 5. 1993, abgedruckt als Anlage 4 zur Domowina Information 3/1993. 62 So Elle, Domowina Information 1/1994, Anlage 3. 63 Informationen der Domowina in einem Brief an das Bundesinnenministerium vom 17. 11. 1994, mir in Kopie zugeschickt im Dezember 1994. 64 So Hübner, DIE ZEIT vom 14. 10. 1994, S. 22. 65 Die Präsidentin..., Informationen, ohne Seitenzahlen.

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

Mehrzahl als deutsche Sinti, von denen sich die deutschen Roma nur geringfügig kulturell unterscheiden. 66 Die Sinti und Roma haben ihre kulturelle Eigenart weitgehend bewahrt. 67 Anders als von der deutschen Mehrheitsbevölkerung im allgemeinen angenommen, zeichnet sich diese aber nicht mehr vorrangig durch den nichtseßhafien Lebenswandel aus. Dieser war ursprünglich notwendig, um ihre Lebensgrundlage zu erhalten: Besonders die Roma zeigten große Flexibilität in Bezug auf ihren Broterwerb und boten in einer Region solange verschiedene Dienstleistungen an, bis der Bedarf gedeckt war. Dann zogen sie weiter, um sich neue Absatzmöglichkeiten zu erschließen. 68 Gleichzeitig diente das Umherreisen dazu, die eigene Kultur und damit die Identität in der Begegnung mit ihren Sippen zu stärken. 69 Heute gehört das Bild vom „andersartigen Nomadenvolk" eher zu den verbreiteten Vorurteilen gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe. 70 Ein Bedarf an wechselnden Dienstleistungen und umherziehenden Unterhaltungskünstlern ist heute kaum noch gegeben, zudem haben die meisten Länder Europas inzwischen gezielte Programme initiiert, die „fahrende Völker" seßhaft machen sollen. 71 Statt des Umherziehens ist heute vor allem die eigenen Sprache „Romanes", die neben der deutschen in den Familien gesprochen wird, Kennzeichen der kulturellen Eigenart, ebenso die Pflege familiärer Bindungen, insbesondere die Achtung vor den Alten, sowie das traditionelle Kunsthandwerk und die eigene Musik. 72 Im übrigen soll die Lebenseinstellung der deutschen Sinti und Roma sich nicht wesentlich von der der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden. Die meisten Sinti und Roma gehören dem katholischen Glauben an, ein geringer Prozentsatz in Norddeutschland ist evangelisch.73 Obwohl man annehmen sollte, daß sich die deutsche Mehrheitsbevölkerung den Sinti und Roma wegen deren Verfolgung und Ermordung im Nationalsozialismus als Gipfelpunkt einer jahrhundertelangen Diskriminie-

66

Rose in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 6: „... ähnlich wie die Bayern von den Preußen". 67 Messtorff S. 13. Sie rechnet allerdings zur Minderheit der „Zigeuner" neben den Sinti und Roma auch die Cale. 68 Bott-Bodenhausen in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 92. 69 Bott-Bodenhausen in: Blumenwitz/Gornig, Theorie und Praxis, S. 91. 70 So zumindest Rose in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 6. 71 Vgl. die taz vom 12. 3. 1996, S. 14 f. 72 Rose in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 6 f. 73 Die Präsidentin..., Informationen, ohne Seitenzahlen.

1. Abschnitt: Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland

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rung 74 besonders verpflichtet fühlen müßte, wird gerade diese Minderheit ebenso wie in anderen europäischen Staaten75 dämonisiert und diskriminiert. So lehnten bei einer Umfrage des Emnid-Instituts Anfang 1994 68% der deutschen Bevölkerung Sinti und Roma als Nachbarn grundsätzlich ab. 76 Vertreter der Sinti und Roma gehen insgesamt von der Zunahme eines gezielten „Antiziganismus" aus.77 Die Sinti und Roma bewegen sich in einer Art Grauzone zwischen der Anerkennung und Nichtanerkennung als Minderheit: Spezielle Rechtsnormen zu ihrem Schutz und damit eine offizielle Anerkennung existieren zwar nicht, trotzdem werden sie zuweilen von staatlicher Seite ähnlich wie die anerkannten Minderheiten behandelt: So wurde ein Vertreter der Sinti und Roma zur 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission zum Thema „Rechte ethnischer Minderheiten" geladen. Außerdem hat die Bundesrepublik bei der Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten am 11.5. 1995 erklärt, daß als nationale Minderheiten im Sinne des Übereinkommens auch die Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit anzusehen seien.78 Die Sinti und Roma scheinen diesen unklaren Status ohne gesonderte Rechte nicht länger hinnehmen zu wollen und fordern ihre ausdrückliche Anerkennung als nationale Minderheit. 79 Die Berechtigung dieses Ansinnens kann kaum ernsthaft bezweifelt werden. Die Sinti und Roma weisen alle Merkmale der ethnischen Minderheit auf. Allerdings leben sie nicht in einem geschlossenen Siedlungsgebiet. Gerade aber für diese Minderheit sollte von einem Kriterium abgesehen werden, das lediglich Gewähr für den stabilen Zusammenhalt der Gruppe und damit die Gruppenidentität bieten soll. 80 Im Falle der Sinti und Roma diente die Mobilität der Gruppe, die noch heute Ursache der verstreuten Siedlungsweise ist, neben dem bloßen 74

Vgl. zur Geschichte der Sinti und Roma den Überblick bei Hehemann, in: Bade, Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland, S. 271 ff. 75 Vgl. zu den Ressentiments gegenüber den im Umkreis von Rom angesiedelten Roma die taz vom 12. 3. 1996, S. 14. 76 So Eberhardt, FR vom 19. 12. 1994, S. 4. 77 So D. Strauß, Referatsleiter des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma, zitiert nach Johanna Eberhardt, FR vom 19. 12. 1994, S. 4. 78 Nachweis bei Klebes, EuGRZ 1995, 262/263 Fn. 12. 79 So ihre Anzeige in der ZEIT vom 16. 12. 1994; ähnlich bereits im Juni 1990 das Memorandum des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma zur Aufnahme von Minderheiten· und Volksgruppenrechten in die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und zur Anerkennung von Sinti und Roma als deutsche Volksgruppe durch die Bundesregierung, in: Die Präsidentin..., Minderheiten in Europa, S. 113 ff. 80 Zu einer Ausnahme vom Erfordernis der Seßhaftigkeit für „Zigeuner" vgl. auch Oxenknecht, S. 128 und oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., II., 5. 6 Siegelt

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

Überleben auch dem Erhalt der gemeinsamen Kultur und stellte gerade nicht den Gruppenzusammenhalt und die Gruppenidentität in Frage. Ist dieser Zusammenhalt aber zweifelsfrei gegeben, hat die geschlossene Siedlungsweise keinen eigenständigen Wert. Die Sinti und Roma sind daher eine ethnische Minderheit wie die Dänen, Friesen und Sorben und sollten auch als solche anerkannt und behandelt werden. 81

II. Juden Ebenfalls für einen Minderheitenstatus in Betracht gezogen wird die jüdische Bevölkerungsgruppe. 82 Sie umfaßt nach der Ermordung von 6 Millionen Juden im nationalsozialistischen Deutschland heute nur noch ca. 27.500 Personen, die großteils seit vielen Generationen in der Bundesrepublik leben oder nach dem Zweiten Weltkrieg hierher zurückgekehrt sind. 83 Die jüdische Bevölkerungsgruppe lebte bis zum Beginn des nationalsozialistischen Terrors überwiegend in geschlossenen Vierteln, waren aber noch im Kaiserreich gut integriert bei einer gleichzeitigen intensiven häuslichen Kulturpflege. 84 Auch in der Weimarer Republik war die Identität sowohl als Deutscher als auch als Jude eine Selbstverständlichkeit. 85 Inwiefern die heutigen Überlebenden des Nazi-Regimes in Deutschland noch ihr vorwiegend religiöses Brauchtum pflegen, läßt sich kaum einheitlich beurteilen. Sie selbst bezeichnen sich als „sehr plurale Gesellschaft", 86 für die pauschale Aussagen nicht möglich seien. Strenge Religiosität dürfte dabei aber, entsprechend der allgemeinen Verweltlichungstendenz, eher die Ausnahme sein. Allein aber die Tatsache, daß die Juden Anhänger einer Religion sind, die nicht diejenige der Mehrheitsbevölkerung ist, erfüllt zumindest die objektiven Merkmale einer religiösen Minderheit. Darüberhinaus blicken die Juden aber auch auf eine gemeinsame kulturelle Geschichte zurück, die buchstäblich bis in biblische Zeiten zurückreicht. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob für sie ein Status als ethnische oder als religiöse Minderheit angemessen wäre. Gegen einen Status als ethnische Minderheit spricht dabei zunächst, daß sie zumindest bis zur Judenverfolgung

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Ebenso die Verfassungskommission des Bundesrates, BR-Drs. 360/92, Rn. 130. Etwa von Messtorff, S. 14; Murswiek, S. 6, Fn. 16. 83 Angaben nach Messtorff, S. 14. 84 Vgl. dazu Vulkov, in: ders., S. 131 ff. 85 Vgl. zur Situation der Juden in der Weimarer Republik Elbogen/Sterling, S. 284 ff. 86 Für den Zentralrat der Juden Michael Fürst, Vorsitzender und Mitglied des Präsidiums des Zentralrats der Juden in Deutschland, in seinem Schreiben an die Verfasserin vom 5. 12. 1994. 82

1. Abschnitt: Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland

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im Dritten Reich sich selbst nicht als solche einstuften. 87 Vielmehr betrachteten sich die Juden in Westeuropa, wenn überhaupt, dann als religiöse Minderheit. 88 Als ethnische wurden sie denn auch wegen ihrer weitgehenden Assimilation 1919 nicht mehr anerkannt. 89 Nur die Juden in Osteuropa hatten ein entsprechendes Bewußtsein als nationale Minderheit und wurden daher als solche anerkannt, 90 zumal sie entscheidende Impulse zur Entwicklung des Minderheitenschutzsystems der Völkerbund-Ära gaben.91 Hinzu kommt, daß bei aller historischer Verwurzelung letztlich die Religionszugehörigkeit über die Zugehörigkeit zur jüdischen Bevölkerungsgruppe entscheidet, nicht etwa die Herkunft. Insofern erscheint es konsequent, für sie unabhängig vom Vorliegen kultureller und historischer Identitätsmerkmale den Status als religiöse, nicht als ethnische Minderheit in Betracht zu ziehen. Aber auch das Selbstverständnis als religiöse Minderheit ist zweifelhaft. Dagegen spricht etwa, daß ein Konsens zu grundsätzlichen Fragen des Minderheitenschutzes offensichtlich nicht gegeben ist. 92 Deshalb sind die Juden aktuell nicht zweifelsfrei als religiöse Minderheit einzustufen. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Festzuhalten bleibt daher nur, daß die Juden bei Vorhandensein eines entsprechenden Selbstverständnisses als religiöse Minderheit anzuerkennen wären. 93

III. Polen Von den Bevölkerungsgruppen, die für einen Minderheitenstatus in Betracht zu ziehen sind, ist die Stellung der „Ruhrpolen" besonders umstritten und schwierig zu bestimmen.94 Es handelt sich dabei um die ca. 75.000-200.000 Nachfahren polnischer Arbeiter, die Ende des letzten Jahrhunderts, von Agen87

So Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, 401/402 f. So Veiter, 20. Jahrhundert, S. 27. 89 Stopp, S. 108. 90 So zumindest die zur Völkerbundzeit herrschende Meinung, vgl. Junghann, S. 30. 91 So Veiter, 20. Jahrhundert, S. 27. 92 Für den Zentralrat der Juden Michael Fürst, Vorsitzender und Mitglied des Präsidiums des Zentralrats der Juden in Deutschland, in seinem Schreiben an die Verfasserin vom 5. 12. 1994. 93 Ebenso Verfassungskommission des Bundesrates, BR-Drs. 360/92, Rn. 130; Murswiek, S. 6, Fn. 16. 94 So ordnet z. B. Messtorff, S. 14, die Polen unproblematisch als Minderheit ein; Veiter vertrat dabei bereits 1969 die Ansicht, die Ruhrpolen seien keine „Volksgruppe im modernen Sinn", Europa Ethnica 1969, 65; kritisch auch Blumenwitz, S. 113 f.; offengelassen bei Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, 401/402; ablehnend Europa Ethnica 1992, 214. 88

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

ten eigens angeworben, ins rheinisch-westfälische Industriegebiet zogen.95 Vor dem ersten Weltkrieg sollen mehr als eine halbe Millionen Polenstämmige im Ruhrgebiet gelebt haben.96 Diese waren zwar Schikanen und Diskriminierungen ausgesetzt, verfugten aber als preußische Staatsbürger über eine relativ gute Rechtsstellung; etwa waren sie gegen Abschiebungen weitgehend geschützt.97 Ende der 20er Jahre ging man noch von etwa 500.000 Angehörigen der polnischen Bevölkerungsgruppe aus.98 Die eher abgeschlossen lebenden „Ruhrpolen" organisierten sich in einer eigenen Gewerkschaft 99 und pflegten in zahllosen Vereinen ein reges kulturelles Leben. 100 Das Problem, ob die „Ruhrpolen" heute als Minderheit einzuordnen sind oder nicht, beruht zunächst einmal darauf, daß wiederum unklar ist, inwiefern sie die subjektiven Voraussetzungen erfüllen; also ob ein entsprechendes Gruppenbewußtsein vorhanden ist. Hinzu kommt auf der objektiven Seite die Widersprüchlichkeit der Angaben über die historische Entwicklung der „Ruhrpolen": So genossen sie einerseits in der Weimarer Republik besondere Minderheitenrechte im Schulbereich, 101 andererseits sollen sie zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg weder als nationale Minderheit angesehen worden noch als solche in Erscheinung getreten sein. 102 Auch nach dem Zweiten Weltkrieg sollen sie nicht mehr als Minderheit bemerkbar 103 und ihre nur vereinzelt gepflegte ethnische Andersartigkeit nur undeutlich erhalten gewesen sein. 104 Gleichwohl ist die Zahl der polnischen Organisationen im Deutschland der Gegenwart beträchtlich. 105 Auch der völkerrechtliche Schutz von „Personen deutscher Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, die polnischer Abstammung sind oder die sich zur polnischen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen" durch den deutsch-polnischen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. 6. 1991 sagt eher etwas

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Kleßmann, in: Bade, Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland, S. 303. Forycki, Europa Ethnica 1984, 193. 97 Kleßmann, in: Bade, Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland, S. 305. 98 So Dachselt, Deutsche Juristen-Zeitung 1929, 891/893. 99 Kleßmann, in: Bade, Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland, S. 306 ff. 100 Forycki, Europa Ethnica 1984, 193; ein zeitgenössischer Hinweis auf polnische Organisationen findet sich für das Jahr 1930 bei Wintgens, S. 194. 101 Vgl. Erler, S. 200 ff. 102 So Veiter, Europa Ethnica 1969, 65/78; dagegen werden sie in der zeitgenössischen Literatur zum Teil unproblematisch als Minderheit behandelt, vgl. etwa Junghann, S. 43. 103 So Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, 401/402. 104 Blumenwitz, S. 114. los 1992 waren es 70, vgl. dazu im einzelnen Europa Ethnica 1992, 214. 96

1. Abschnitt: Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland

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über eine Politik der Gegenseitigkeit als über die reale Existenz oder Nichtexistenz einer Minderheit aus. Einer Bewertung zugänglich ist hingegen die Frage, ob es der Anerkennunng der Polen als Minderheit entgegensteht, daß diese erst Ende des letzten Jahrhunderts zugewandert sind. 106 Legt man die Erforderlichkeit einer Zeitspanne von drei Generationen zugrunde, so steht allein von der Aufenthaltsdauer her dem Minderheitenstatus der Polen nichts im Wege. Was aber das subjektive Gruppenbewußtsein anbelangt, ist eine abschließende Beurteilung an dieser Stelle wiederum schwierig. Entsprechend können sie aktuell nicht zweifelsfrei als ethnische Minderheit eingestuft werden. Allerdings muß hierbei festgehalten werden, daß ein sich in der Zukunft möglicherweise entwickelndes Gruppenbewußtsein für ihren Minderheitenstatus ausreichen würde.

IV. Ausländer und „ neue " Minderheiten Die politisch wohl brisanteste Frage ist, ob bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ausländer und Zuwanderergruppen in der Bundesrepublik als Minderheiten einzuordnen sind, oder ob eine solche Entwicklung allenfalls in der Zukunft stattfinden wird. Gerade die türkischen Zuwanderer werden häufig als Anwärter auf den Minderheitenstatus betrachtet. Entgegen dem, was die emotionalen Debatten zum Thema „neue" Minderheiten vermuten lassen, fuhrt eine konsequente Anwendung des fortentwickelten Minderheitenbegriffes keineswegs dazu, daß nunmehr sämtliche ausländischen Mitbürger bzw. Zuwanderer den Minderheitenstatus für sich in Anspruch nehmen könnten. Selbst wenn nämlich ζ. B. die türkischen Zuwanderer die drei im Lande verbrachten Generationen aufzuweisen haben, so sagt dies noch nichts über das Vorliegen oder Fehlen desjenigen Minderheitenmerkmales aus, das sich auch bei den bereits längere Zeit als Minderheit in Betracht gezogenen Gruppen häufig als problematisch erwiesen hat: das subjektive Gruppenbewußtsein. Aktuell kann wohl für keine Ausländer- und Zuwanderergruppe mit Sicherheit festgestellt werden, daß sie bereits über ein entsprechendes Minderheitenbewußtsein verfugen. 107 Zu bedenken ist dabei auch, daß es ihnen besonders schwer fallen dürfte, ein solches Bewußtsein zu entwickeln. Immerhin blicken sie nicht auf eine lange Minderheitentradition zurück, sondern wollen eine solche erst unter den Bedingungen des modernen Lebens, das einen Großteil der persönlichen Kräfte für

106

In diesem Sinne Blumenwitz, S. 113: „Zuwanderungsminderheit". Ebenso Heise, S. 204, die allerdings ohnehin davon ausgeht, daß den Ausländern wegen der fehlenden Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates die Anerkennung als Minderheit nicht zustehe. 107

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

Broterwerb und Freizeit verschlingt, erstmals entwickeln. 108 Richtigerweise ist also davon auszugehen, daß der fortentwickelte Minderheitenbegriff die Möglichkeit für Ausländer und Zuwanderer offenhält, bei Entwicklung eines entsprechenden Minderheitenbewußtseins den Minderheitenstatus zu erlangen. Das dies bereits gelungen wäre, ist aber nicht ersichtlich.

C. Ergebnis In der Bundesrepublik leben verschiedene Minderheiten, von denen aber nur die Dänen, Friesen und Sorben ausdrücklich anerkannt sind. Demgegenüber fehlt es für die Sinti und Roma an einer solchen Anerkennung. Weitere Minderheiten werden sich womöglich in der Zukunft entwickeln.

2. Abschnitt: Rechtslage A. Völkerrechtliche Minderheitenschutzbestimmungen /. Multilaterale

Abkommen

1. Vereinte Nationen a) Art. 27 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) vom 19. 12. 1966 Art. 27 IPBPR gilt als derzeit wichtigste völkervertragliche Minderheitenschutzbestimmung.109 Er bezieht sich direkt auf ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten und erkennt damit deren Existenz an. Darüberhinaus erlegt er dem Staat die Verpflichtung auf, den Minderheiten nicht das Recht vorzuenthalten, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, sich zu ihrer eigenen Religion zu bekennen oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.110 Dabei ist die Auslegung der Vorschrift

108

Kimminich, Rechtsprobleme, S. 119 f. So zumindest Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, 401/403, Kimminich, Rechtsprobleme, S. 68, bezeichnet sie als „Meilenstein" für die Minderheitenschutzarbeit der Vereinten Nationen; Wollenschläger, AWR-Bulletin 1994, 6, als „vorläufigen Höhepunkt der Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes"; Münch, in: System II, S. 65, rügt dagegen die „Dürftigkeit seines Inhalts". 110 Die Bestimmung lautet: „In those states in which ethnic, religious or linguistic minorities exist, persons belonging to such minorities shall not be denied the right, in 109

2. Abschnitt: Rechtslage

87

auch heute noch umstritten. 111 Ungeklärt ist nach wie vor die Frage, wer Minderheit im Sinne der Vorschrift ist, 112 insbesondere die Erforderlichkeit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates wird bis in die Gegenwart diskutiert. 113 Entgegen der lange vorherrschenden Auffassung ist inzwischen die Ansicht im Vordringen begriffen, daß auch Ausländer von Art. 27 IPBPR geschützt sind, sofern es sich um eine bereits längere Zeit ansässige, stabile Gruppe handelt. 114 Begründet wird dies damit, daß weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte oder eine systematische Auslegung der Vorschrift eine Beschränkung auf Staatsangehörige gebiete, da Art. 27 den Begriff „persons", nicht dagegen „citizens" verwende, was ursprünglich in Betracht gezogen worden sei. 115 Vielmehr entspreche es der generellen Zielrichtung des IPBPR, die übliche Unterscheidung zwischen Staatsangehörigen und Fremden aufzuheben. 116 Kontrovers diskutiert wird ebenfalls, ob Art. 27 IPBPR Gruppen- oder Individualschutz gewährt. Der Wortlaut der Vorschrift ist insofern mehrdeutig, als er zunächst von der Existenz verschiedener Minderheiten ausgeht, sich dann ausdrücklich auf die Angehörigen dieser Minderheiten bezieht, um diesen Minderheitsangehörigen schließlich gemeinsame Rechte zuzugestehen. Diese Mehrdeutigkeit hat dazu geführt, daß Art. 27 IPBPR in der Regel beide Aspekte zugesprochen werden. 117 Der Schwerpunkt der Vorschrift dürfte aber auf den individualrechtlichen Gewährleistungen liegen, 118 da sie ausdrücklich die Rechtsträgerschaft der Minderheitsangehörigen und damit des Individuums

community with other members of their group, to enjoy their own culture, to profess and practice their own religion, or to use their own language"; deutsche Übersetzung im BGBl. 1973 II, S. 1534/1545; vgl. oben 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., I., 3. 111 Zur Geschichte und zur Auslegung der Vorschrift ausfuhrlich Pircher, S. 216 ff. und Oxenknecht, S. 89 ff. 112 Ger des, VN 1980, 126, bezeichnet deshalb Art. 27 als „eine internationale Rechtsnorm auf der Suche nach ihrem Gegenstand". 113 Vgl. bereits oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, C. 114 So Nowak, Art. 27, Rn. 16 f.; Tomuschat, in: FS für Mosler, S. 960 f. 115 Nowak, Art. 27, Rn. 16. 116 Tomuschat, in: FS für Mosler, S. 960. 117 Vgl. Capotorti, § 100; Ermacora, Der Minderheitenschutz im Rahmen der VN, S. 57, 60; Hailbronner, in: FS für Schindler, S. 80. 118 So auch Ermacora, Nationalitätenkonflikt, S. 35; Franke/ Hofmann, EuGRZ 1992, 401/403; Hilpold, SZIER 1/2, 1994, 31/41 f.; Hofmann, ZaöRV 1992, 1/8; a.A. Kimminich, BayVBl. 1993, 321/323, der die in Art. 27 verbürgten Rechte (nur) für „kollektive Menschenrechte" hält; offengelassen von Wollenschläger, in: FS fur Eggers, S. 41.

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

festlegt. 119 Zumindest erkennt sie aber auch an, daß diese Rechte nur in einer bestehenden Gemeinschaft sinnvoll ausgeübt werden können. 120 Auf diese Weise wird neben dem Individuum auch die Gruppe als schützenwert anerkannt. Am ehesten läßt sich diese insgesamt wenig klare Verbürgung als Individualrecht mit kollektivem Bezug umschreiben. 121 Weiterhin ist die Rechtsnatur dieses Schutzes zu klären: Handelt es sich um eine negative Bestimmung oder sind auch positive Leistungen verbürgt? Dem Wortlaut des Art. 27 IPBPR, der die gemeinsame Pflege der Kultur, Religion oder Sprache garantiert, ohne zu konkretisieren, in welcher Weise diese Rechte geschützt werden sollen, ist keine Verpflichtung der Staaten zu bestimmten Maßnahmen zu entnehmen. Selbst an einer allgemeinen Verpflichtung der Staaten zu Schutz- und Fördermaßnahmen fehlt es. Daraus muß gefolgert werden, daß die Vorschrift negativ ausgestaltet ist, also nur die Abwehr von gezielten Assimilationsmaßnahmen ermöglicht, die der Pflege der jeweiligen Eigenart im Wege stehen könnten. Eine Verpflichtung zu einer positiven Diskriminierung ist der Vorschrift nicht zu entnehmen.122 Diese rein negative Interpretation ist verschiedentlich als zu restriktiv kritisiert worden. 123 Dieser Kritik ist zugute zu halten, daß es nach dem hier vertretenen Ansatz wünschenswert erscheint, daß Art. 27 IPBPR positive Gewährleistungen enthielte. Ein entsprechender Inhalt ist der Vorschrift aber auch bei großzügiger Auslegung nicht zu entnehmen. Er sollte schon deshalb nicht in sie „hineingelesen" werden, weil die Beschränkung auf negative Gewährleistungen widerspiegelt, daß ein weltweiter Konsens der Staaten über die Notwendigkeit positiver Verbürgungen gerade nicht besteht. Interpretierte man sie in Art. 27 IPBPR hinein, würde man praktisch kaum deren Durchsetzung erreichen. 124 119

Diesen Aspekt betont Capotorti, Encyclopedia of public international law 1985, 385/389. 120 Ähnlich Hilpold, SZIER 1/2, 1994, 31/41 f.; Oxenknecht, S. 137. 121 So Brunner, S. 82. 122 Franke/Hofmann, EuGRZ 1992, 401/403; Hofmann, ZaöRV 1992, 1/9; Nowak, Art. 27, Rn. 38-46; offengelassen von Wollenschläger, in: FS für Eggers, S. 41. 123 So von Capotorti, § 588, der darüberhinaus in einer späteren Veröffentlichung aus dieser Kritik folgert, man solle entgegen dem Wortlaut den Art. 27 IPBPR dahingehend interpretieren, „daß den Staaten auferlegt ist, spezielle Maßnahmen zu ergreifen, die den Fortschritt der Angehörigen von Minderheiten in den genannten Bereichen sichern", ders., Minderheiten, in: Wolfrum, S. 604, Rn. 23; für die grundsätzliche Gewährleistung positiver Rechte durch Art. 27 auch Hailbronner, in: FS für Schindler, S. 83; sowie Oxenknecht, S. 139. 124 So auch Brems, S. 54. Wegen dieses fehlenden Konsenses erscheint es angebracht, das Problem, einen effektiven Minderheitenschutz zu schaffen, auf die innerstaatliche Ebene zu verlagern, auf der ein solcher Konsens eher zu erreichen sein wird.

2. Abschnitt: Rechtslage

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Sinnvoller erscheint es deshalb, den Gehalt des Art. 27 IPBPR nicht überzuinterpretieren. Allenfalls kann sich eine mittelbare staatliche Verpflichtung zu positiven Maßnahmen ergeben, wenn der Staat eine Gruppe der Mehrheitsbevölkerung in einem aus der Sicht des Art. 27 IPBPR relevanten Bereich fordert: Dann kann er aus Gleichheitsgründen eine solche Förderung auch der Minderheit nicht vorenthalten. 125 Aus Art. 27 IPBPR selbst ergeben sich solche positiven Verbürgungen indes nicht. Den Minderheiten in der Bundesrepublik kommt der Art. 27 IPBPR allerdings nur dann ohne weitere Umsetzung zugute, wenn er unmittelbar geltendes Recht geworden ist. Der gesamte Bürgerrechtspakt wurde durch Vertragsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in die innerstaatliche Rechtsordnung einbezogen. 126 Umstritten ist dabei die Frage, ob die Bestimmungen des Bürgerrechtspaktes „self-executing" sind und damit unmittelbar, ohne gesetzliche Umsetzung, innerstaatliche Ansprüche begründen können. 127 Dies setzt einmal voraus, daß es für innerstaatliche Behörden und Gerichte möglich ist, die Vertragsbestimmungen ohne weiteres anzuwenden. Außerdem müssen sie für den einzelnen subjektive Rechte begründen und dieser sich vor Gericht unmittelbar auf die Bestimmungen berufen können; es müssen alle Eigenschaften vorhanden sein, die ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht aufzuweisen hat, um berechtigen und verpflichten zu können. 128 Für die Möglichkeit, daß die Bestimmung diese Voraussetzungen erfüllt, spricht dabei, daß die einzelnen Vertragsbestimmungen subjektive Rechte für den einzelnen formulieren und das Fakultativprotokoll die Möglichkeit einer Individualbeschwerde bei Verletzung dieser Vertragsbestimmungen vorsieht. 129 Dagegen könnte aber sprechen, daß Art. 2 Ziff. 2 IPBPR die Staaten dazu verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Umsetzung der Verpflichtungen überhaupt erst möglich zu machen. Hieraus ist allerdings nicht etwa zu schließen, daß der gesamte Bürgerrechtspakt erst der Umsetzung bedürfte. Er verlangt nur, die notwendigen Voraussetzungen zur Umsetzung zu schaffen, sofern diese noch nicht gegeben sind. Soweit er konkrete Rechte gewährleistet, sind diese auch unmittelbar anwendbar. In diesem Rahmen ist der IPBPR als „self-executing" einzustufen. 130 Zu klären bleibt noch, ob auch Art. 27 des Paktes unmittelbar anwendbares Recht enthält. Geht man davon aus, daß die Bestimmung normalerweise nur 125

Tomuschat, in: FS für Mosler, S. 970. BGBl. 1973 II, S. 1569. 127 Vgl. zur Auseinandersetzung Oxenknecht, S. 172 ff. 128 So schon BVerfGE 29, 348/360; vgl. auch Seidl-Hohenveldern, Rn. 556 ff. 129 Einen Überblick über die vor dem Menschenrechtsausschuß erhobenen Beschwerden bietet Rensmann, AWR-Bulletin 1992, 99/101 ff. 130 So auch Oxenknecht, S. 173. 126

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

eine negative Regelung enthält, ist auch dies anzunehmen: Die Verpflichtung, Angehörigen ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten nicht die ungestörte Pflege ihrer Eigenart zu verwehren, bedarf keiner weiteren Umsetzung. A u f dieses Verbot kann sich der Minderheitsangehörige unmittelbar berufen. Damit kommt Art. 27 den Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland direkt zugute. Jedoch ist es dem einzelnen nicht möglich, die mangelnde Erfüllung der Norm vor dem gem. Art. 28 IPBPR gebildeten Menschenrechtsausschuß geltend zu machen, da die Bundesrepublik dem entsprechenden Fakultativprotokoll nicht beigetreten ist. Insgesamt stellt sich bei einer derart umstrittenen und zugleich so wenig präzise gefaßten Vorschrift wie dem Art 27 IPBPR die Frage, ob diese nicht mehr Probleme aufwirft, als sie löst. 131 Diese Frage muß bejaht werden. Angesichts der Einstufung des Art. 27 IPBPR als „wichtigste völkervertragliche Minderheitenschutzbestimmung" liegt bereits an dieser Stelle der Schluß nahe, daß es zumindest auf völkerrechtlicher Ebene derzeit an präzisen und wirkungsvollen Schutzbestimmungen fehlt.

b) Die Deklaration über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehören, von 1992 Diese Deklaration 132 basiert auf einem jugoslawischen Deklarationsentwurf von 1978. 133 Die Deklaration war als Ergänzung und Klarstellung zu Art. 27 IPBPR gedacht. 134 Die endgültige Fassung unterscheidet sich vom Entwurf vor allem dadurch, daß sie im wesentlichen Individualrechte gewährt, 135 während der Deklarationsentwurf gruppenrechtlich ausgestaltet war. Insofern geht sie über den IPBPR nicht hinaus und bleibt hinter der Vorgabe, diesen zu ergänzen, zurück. Allerdings erlegt sie den Staaten im Gegensatz zum Bürgerrechtspakt positive Fördermaßnahmen zugunsten der Minderheiten auf und verlangt, daß konkrete Rechte wie etwa ein Mitspracherecht in allen die Minderheit betreffenden Fragen eingerichtet werden. 136 Zumindest in diesen Punkten wird also der Ansatz des Art. 27 IPBPR fortentwickelt. Diese politischen Beteiligungsrechte 131

So das Urteil von Tomuschat, in: FS für Mosler, S. 950. E/CN.4/1992/48. 133 Zur Entstehungsgeschichte der Deklaration vgl. Dicke, Europa-Archiv 1993, 107 und Hofmann, in: Blumenwitz/Murswiek, S. 10 f. 134 Blumenwitz, S. 51. 135 Darauf weist auch Hofmann, in: Blumenwitz/Murswiek, S. 12, hin. 136 Zum Inhalt der Deklaration im einzelnen Dicke, Europa-Archi ν 1993, 107/110 f. 132

2. Abschnitt: Rechtslage

91

dürfen jedoch nicht unvereinbar mit den innerstaatlichen Rechtsnormen sein, 137 was die Gewährleistung wiederum relativiert und den Staaten ermöglicht, sich ihr zu entziehen.138 Zusätzliche Beschränkungen auf das Mögliche und Angemessene139 bedingen, daß die Deklaration sich eher als „genereller Rahmen" für die bereits vorhandenen Minderheitenschutzbestimmungen denn als neues Instrument des Minderheitenschutzes eignet. 140 Vor allem aber handelt es sich der Rechtsnatur nach um eine unverbindliche Erklärung, nicht etwa um einen verbindlichen Vertrag. 141 Wenn auch die zunehmende Bedeutung, die international dem Thema Minderheitenschutz geschenkt wird, erwarten läßt, daß die Vorgaben der Deklaration trotz mangelnder Verbindlichkeit Beachtung finden werden, entfaltet diese doch keine direkten Auswirkungen auf die Situation der Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland.

2. Europarat a) Die Europäische Menschenrechtskonvention

von 1950 (EMRK)

Trotz entsprechender Anstrengungen wurden keine ausdrücklichen Schutzbestimmungen zugunsten nationaler Minderheiten in die EMRK aufgenommen. 142 Einzig Art. 14 EMRK benennt diese überhaupt namentlich, 143 stellt aber nur im Rahmen eines Diskriminierungsverbotes klar, daß die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit kein legitimes Unterscheidungskriterium ist. Zwar kommt dieses subjektive Recht auf die diskriminierungsfreie Gewährung der Rechte der Konvention auch den Minderheitsangehörigen zugute. Es handelt sich dabei aber um einen rein individualrechtlichen Diskriminierungsschutz im Sinne des menschenrechtlichen Ansatzes.

137

Sogenannte „escape-clause", Brems, Fn. 216. Rensmann, AWR-Bulletin 1992, 99/105. 139 Art. 4 Abs. 3, 4 der Deklaration. 140 Hilpold, SZIER 1/2, 1994, 31/47. 141 Was besondere Enttäuschung über die Zurückhaltung bei der Formulierung der Schutzbestimmungen hervorgerufen hat, ζ. B. bei Hofmann, in: Blumenwitz/Murswiek, S. 18. 142 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Ermacora, Nationalitätenkonflikt, S. 27 f.; sowie Hillgruber/Jestaedt, S. 13 ff. 143 Der Text lautet: „Der Genuß der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten muß ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politische oder sonstige Anschauungen, nationaler oder sozialer Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status gewährleistet werden." 138

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

Ebenso haben auch die übrigen Bestimmungen der EMRK zwar zum Teil positive Auswirkungen auf die Belange der Minderheiten, etwa indem sie die Achtung des Familienlebens, die Religions-, sowie die Versammlungsfreiheit gewährleisten. 144 Aber auch hierbei handelt es sich um allgemein gültige Menschenrechte und also eine typische Ausprägung des menschenrechtlichen Ansatzes; Gruppenrechte sieht die EMRK dagegen nicht vor.

b) Das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten von 1995 145 Seit Anfang der 90er Jahre hat sich der Europarat intensiv mit Fragen des Minderheitenschutzes beschäftigt. 146 Er erarbeitete verschiedene Entwürfe für Minderheitenschutzbestimmungen. 147 Davon trat zunächst am 5. 11. 1992 die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen in Kraft. 148 Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung dürfte das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten sein. Dieses wurde am 10. 11. 1994 vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedet und am 1. Februar 1995 zur Unterzeichnung aufgelegt. 149 Die Bundesrepublik unterzeichnete das Abkommen am 11.5. 1995. 150 Es muß betont werden, daß der Europarat mit diesem Dokument erstmals den Schutz „nationaler" Minderheiten völkerrechtlich verbindlich festgelegt hat. An diesem Punkt setzt die Kritik, die bereits von der Parlamentarischen Versammlung in der Dringlichkeitsdebatte im Januar 1995 geäußert wurde, 151 allerdings auch schon an: Zwar handelt es sich bei dem Übereinkommen um einen ver144

Dazu ausführlich Hillgruber/Jestaedt, S. 42 ff. Abgedruckt in EuGRZ 1995, 268 ff. 146 Dazu ausführlich Hillgruber/Jestaedt, S. 91 ff; ein Überblick findet sich bei Kimminich, BayVBl. 1993, 321/324 sowie bei Oeter, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 34 ff.; kritisch zur Entwicklung Klebes, Integration 1994, 176 ff. 147 Vgl. etwa das Zusatzprotokoll zur EMRK, abgedruckt in EuGRZ 1993, 152 ff., mit Einführung von Klebes, 148 ff.; dazu ausführlich Steiner, AWR-Bulletin 1993, 189 ff.; vgl. auch den Vorschlag der Kommission Demokratie durch Recht (Venice Kommission), dazu Malinverni, Human Rights Law Journal 1991, 265 ff. 148 Abgedruckt in EuGRZ 1993, 154 ff. Allerdings bleibt den Staaten in so weitgehendem Maße selbst überlassen, welche Minderheitensprachen sie in welcher Weise schützen wollen, daß der praktische Nutzen gering sein dürfte, vgl. Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 der Charta. 149 Vgl. dazu Klebes, EuGRZ 1995, 262. 150 Vgl. dazu die taz vom 10. 5. 1995, S. 2. 151 Vgl. die Empfehlung 1255, abgedruckt in EuGRZ 1995, 284 f. 145

2. Abschnitt: Rechtslage

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bindlichen völkerrechtlichen Vertrag. Als Rahmenübereinkommen legt es aber nur Grundsätze fest und überläßt die Art der Umsetzung den Staaten. Ein echter Kontrollmechanismus für die Umsetzung fehlt. 152 Allenfalls ist auf die Entfaltung einer „moralischen Autorität" 153 des Übereinkommens zu hoffen. Individuell einklagbare Rechte, wie sie etwa die EMRK festlegt, werden von vornherein nicht geschaffen. 154 Darüberhinaus enthält der Text eine Vielzahl von Einschränkungen und dehnbaren Klauseln, die seinen Wert für die Minderheiten weiter relativieren. 155 Ähnlich verhält es sich mit der fehlenden Minderheitendefinition: Einmal mehr bleibt es den Vertragsstaaten überlassen, wen sie in der ausgehandelten Weise zu schützen gedenken und wen nicht. 156 Hintergrund dieses fehlenden Konsenses waren die divergierenden politischen Interessen der Vertragspartner. So war der Türkei daran gelegen, die Kurden nicht als Minderheit schützen zu müssen, die eigenen Landsleute in der Bundesrepublik aber als Minderheit geschützt zu sehen. Deutschland dagegen wollte gerade diese neueingewanderten Türken vom Minderheitenschutz ausschließen. Frankreich wiederum war daran interessiert, Minderheiten überhaupt nicht gesondert schützen zu müssen, was in Verbindung mit der Tatsache zu sehen ist, daß aus den früheren Kolonien Einwanderer in großer Zahl ins Land kommen. 157 Eher erstaunlich ist, daß überhaupt ein umfangreicher Katalog von Rechten erarbeitet wurde. Das Übereinkommen schreibt in Art. 4-9 zu schützende Rechte und zu befolgende Grundsätze fest, wie etwa ein Diskriminierungsverbot (Art. 4), das Gebot zur Förderung der kulturellen Identität (Art. 5) oder das Recht, die Minderheitensprache zu erlernen (Art. 14). Diese „Rechte" werden aber in den jeweiligen Vorschriften eingeleitet mit der Formulierung „Die Vertragsparteien verpflichten sich,...", was den Rückschluß zuläßt, daß nur die Staaten verpflichtet, den Betroffenen aber keine entsprechenden Rechte zugesprochen werden. 158 Im übrigen wiederholt das Übereinkommen diverse Gewährleistungen der EMRK, so zum Beispiel das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und die Freiheit der Religion und Weltanschauung (Art. 8). Es ist zu betonen, daß alle diese Rechte nur den Individuen gewährt

152

Vgl. dazu Goßmann, in: Blumenwitz/Gornig, Rechtliche und politische Perspektiven, S. 64; Klebes, EuGRZ 1995, 262/264. 153 Klebes, EuGRZ 1995, 262/268. 154 Dazu Klebes, EuGRZ 1995, 262/264, 267. 155 Vgl. beispielhaft Art. 11 Abs. 3 des Übereinkommens. 156 So auch Nink in der taz vom 10. 5. 1995, S. 2. 157 Vgl. Das Parlament vom 24. 2. 1995, S. 16 und oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, A. 158 Im Ergebnis ebenso Klebes, EuGRZ 1995, 262/267.

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

werden sollen. Kollektiv-rechtliche Verbürgungen fehlen. 159 Auch fehlen Bestimmungen über Selbstverwaltungsrechte von Minderheiten. 160 Insgesamt bleibt das Rahmenübereinkommen inhaltlich hinter den Erwartungen der Minderheiten zurück. 161 Trotz seiner Schwächen wurde es aber von Vertretern der Dänen, Friesen und Sorben sowie der Sinti und Roma als Fortschritt im völkerrechtlichen Minderheitenschutz begrüßt. 162

3. KSZE/OSZE-Prozeß 163 Die KSZE ist verschiedentlich als „Vorreiter" in Sachen Minderheitenschutz bezeichnet worden. 164 Tatsächlich wurde im Rahmen des KSZE/OSZE-Prozesses ein relativ weitreichender Katalog von Minderheitenrechten geschaffen. Bereits 1975 wurde der Minderheitenschutz erstmals in der Schlußakte von Helsinki festgeschrieben. 165 Allerdings beschränkte sich der Text damals noch darauf, die Teilnehmerstaaten zur Achtung des Rechtes auf Gleichheit und zur Gewährung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gegenüber den Angehörigen von Minderheiten zu verpflichten. 166 Eine weitere Ausdifferenzierung erfuhr der Minderheitenschutz erst im Abschlußdokument des Wiener Treffens 1989. 167 Erstmals wurde den Minderheiten als Gruppe ein förderndes Handeln zugunsten der Erhaltung ihrer Identität zugesagt.168 Zudem wurde den Staaten auferlegt, alle „notwendigen gesetzlichen, administrativen, gerichtlichen und sonstigen Maßnahmen" zu ergreifen, um Menschenrechte und Grundfreiheiten der Minderheitsangehörigen zu schüt-

159

So klarstellend in Nr. 13 des Erläuternden Berichtes, abgedruckt in EuGRZ 1995, 271/272; ebenso Goßmann, in: Blumenwitz/Gornig, Rechtliche und politische Perspektiven, S. 65. 160 Zu den Hintergründen vgl. Klebes, EuGRZ 1995, 262/266. 161 Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma, zitiert nach Ν ink, die taz vom 10. 5. 1995, S. 2. 162 Zitiert nach Nink, die taz vom 10. 5. 1995, S. 2. 163 Seit dem 1. Januar 1995 trägt die ehemalige KSZE den Namen OSZE („Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa"), vgl. dazu Tretter, EuGRZ 1995, 296 ff. 164 Blumenwitz, S. 52. 165 Abgedruckt in: Auswärtiges Amt, S. 18 ff. 166 Vgl. Prinzipien VII, Abs. 4 der Schlußakte. 167 Abgedruckt in: Auswärtiges Amt, S. 106 ff. 168 Vgl. Prinzipien (19) der Schlußakte.

2. Abschnitt: Rechtslage

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zen. 169 Welcher Art diese Maßnahmen zu sein hatten und wie überprüft werden sollte, ob die „notwendigen" Maßnahmen ergriffen worden waren, blieb jedoch offen. Insofern waren die Schutzbestimmungen noch recht vage gehalten. Das Kopenhagener Abschlußdokument über die menschliche Dimension der KSZE vom 29. 6. 1990 170 gewährt den Angehörigen von Minderheiten das Recht, ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten in voller Gleichheit vor dem Gesetz auszuüben,171 und verpflichtet gleichzeitig den Staat zu fördernden Maßnahmen.172 Auch legt das Dokument individuelle Rechte bezüglich des Sprachgebrauchs, der Religionsausübung und kultureller sowie politischer Betätigungen fest. Ebenso erkennt es an, daß die Zugehörigkeit zu einer Minderheit Sache der persönlichen Entscheidung des einzelnen ist und keine Nachteile mit sich bringen darf. 173 Kollektive Rechte wurden jedoch trotz zäher Verhandlungen 174 nicht festgeschrieben. 175 Insgesamt ist das Kopenhagener Abschlußdokument zum Thema Minderheitenschutz eindeutiger formuliert als das Wiener Abschlußdokument. Die Ausführlichkeit, in der das Dokument Minderheitenrechte festhält, unterscheidet dieses grundsätzlich von anderen Minderheitenschutzbestimmungen auf völkerrechtlicher Ebene. Es als einen „Meilenstein" auf dem Weg zur völkerrechtlichen Verankerung des Minderheitenschutzes zu beschreiben, 176 erscheint allerdings angesichts des rein individualrechtlichen Charakters der Vorschriften allzu euphorisch. Die folgenden Aktivitäten der KSZE, wie das KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten in Genf vom 19.7. 1991 177 und das Moskauer Abschlußdokument über die menschliche Dimension der KSZE vom 3. 10. 1991, 178 brachten demgegenüber keine Neuerungen mehr. Der einmal erreichte Standard wurde seither nicht mehr verbessert. 179 Abgesehen von dieser Stagnation muß für alle Dokumente der KSZE darauf hingewiesen werden, daß sie keine völkerrechtlich verbindlichen Dokumente 169

Prinzipien (18) der Schlußakte. Abgedruckt in EuGRZ 1991, 239 ff. 171 IV (31) Abs. 1 des Dokuments. 172 IV (31) Abs. 2 des Dokuments. 173 IV (32) Abs. 1 des Dokuments. 174 So Tretter, EuGRZ 1990, 235/237. 175 A.A. ohne Begründung Hahn, Criticón 1994, 105/107. 176 So Hofmann, AWR-Bulletin 1994, 12/17; ders., ZaöRV 1992, 1/14. 177 Bericht über das Expertentreffen abgedruckt in EuGRZ 1991, 492 ff. 178 Abgedruckt in EuGRZ 1991, S. 495 ff. 179 Sie führten nur zu „erneuter vager und lahmer Bekräftigungen der in den bisherigen KSZE-Dokumenten enthaltenen Aussagen", Kimminich, BayVBl. 1993, 321/326. 170

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

sind, sondern die Mitgliedstaaten der KSZE nur dazu verpflichten, die Dokumente zur Richtschnur ihres politischen Handelns zu machen. 180 Auch fehlt es insgesamt an wirksamen Durchsetzungsinstrumenten. 181 Die mangelnde Verbindlichkeit mag ein Grund dafür sein, daß überhaupt ein so relativ weitgehender Konsens gefunden werden konnte. 182 Wenn dieser Konsens auch faktische Auswirkungen auf die tatsächlich Situation von Minderheiten erhoffen läßt, bestehen doch keine direkten Auswirkungen auf die innerstaatliche Rechtslage der Bundesrepublik Deutschland.

II. Bilaterale Verträge der Bundesrepublik 1. Deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit von 1991 183 Der sogenannte Nachbarschaftsvertrag hat als Vorbild für die übrigen Verträge mit den östlichen Nachbarstaaten gedient, obwohl er nur in Art. 20-22 Minderheitenschutzbestimmungen enthält. Eine „polnische Minderheit" auf bundesdeutschem Gebiet wird jedenfalls nicht wörtlich erwähnt und damit auch nicht anerkannt, während dies für die deutsche Minderheit auf polnischem Gebiet der Fall ist. 184 Art. 20 Abs. 1 Satz 1 gewährt den Individuen das Recht, die eigene Identität einzeln oder in Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln, frei von staatlichem Assimilationsdruck, sofern sie polnischer Abstammung sind oder sich zur entsprechenden Identität bekennen. Der Nachbarschaftsvertrag erkennt damit das subjektive Bekenntnis ausdrücklich als ausreichend für die Minderheiteneigenschaft des einzelnen an. 185 Inhaltlich entspricht dies dem Art. 32 Abs. 2 des Kopenhagener Abschlußdokuments. Der Satz 2 des Art. 20 Abs. 1 formuliert zudem das Recht auf diskriminierungsfreie Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Art. 20 des Nachbarschaftsvertrages begünstigt damit die einzelnen Polenstämmigen im Sinne des menschenrechtlichen Ansatzes, indem er ihnen einen direkten, negativen Schutz vor assimilierenden Eingriffen und Diskriminierungen garantiert.

180 181 182 183 184 185

Hofmann, ZaöRV 1992, 1/14. Dazu Brunner, S. 76 f. So Blumenwitz, S. 52. BGBl. 1991 II, S. 1315 ff. Vgl. Art. 20 Abs. 1. Die besondere Bedeutung dieses Zugeständnisses betont Blumenwitz, S. 82.

2. Abschnitt: Rechtslage

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Bemerkenswert ist aber vor allem die Regelung des Art. 20 Abs. 2. Dieser verweist die Vertragsstaaten ausdrücklich auf die Rechte und Verpflichtungen des internationalen Standards für Minderheiten und fordert sie auf, diese zu verwirklichen. Dieser generelle Hinweis wird konkretisiert durch die Bezugnahme auf sieben verschiedene internationale Dokumente und Verträge, wie zum Beispiel den IPBPR und die Dokumente der KSZE. Schwierigkeiten bereitet dabei allein schon die Frage, welche konkreten Rechtswirkungen dieser Verweis auf einen internationalen Standard des Minderheitenschutzes und auf konkrete völkerrechtliche Instrumente zwischen den beiden Vertragspartner hat. Wie soll ein solcher „internationaler Standard" überhaupt bestimmt werden? 186 Fraglich ist ebenfalls, ob die im übrigen unverbindlichen Minderheitenschutzbestimmungen der KSZE-Dokumente durch den Verweis auf die völkerrechtlichen Instrumente zu verbindlichen Regelungen zwischen den Vertragspartnern werden. In Betracht käme auch, daß der Hinweis auf die „Rechte und Verpflichtungen" völkerrechtlicher Dokumente nur einen deklaratorischen Verweis auf bereits bestehende Verpflichtungen beinhaltet. Vergleicht man den entsprechenden Passus des Nachbarschaftsvertrages mit der parallelen Formulierung in Art. 20 Abs. 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 27. 2. 1992, so fällt auf, daß letzterer ausdrücklich die politischen Verpflichtungen der KSZE-Dokumente zu rechtlichen Verpflichtungen zwischen den Vertragsparteien erklärt. Eine solche Klarstellung fehlt im Nachbarschaftsvertrag. Deshalb ist davon auszugehen, daß dieser keine neuen rechtlichen Verpflichtungen schafft, sondern nur auf bereits bestehende verweist. Der rechtliche Gehalt der Vorschrift ist demzufolge gering. Art. 21 Abs. 1 gebietet allgemein Schutz und Förderung der Minderheiten als Gruppen und verpflichtet also mit einer positiven, kollektiven Begünstigung den Staat im Sinne des gruppenrechtlichen Ansatzes. Der Abs. 2 der Vorschrift hält dafür auch Konkretisierungen bereit. Diese sind allerdings mehr als unbestimmt gefaßt. 187 Darüberhinaus enthalten sie zahlreiche Beschränkungen. Sie können damit mühelos in die Kategorie „soft-law" 188 eingeordnet werden und bewirken daher wenig zugunsten der Polenstämmigen. Art. 22 schließlich verpflichtet die Gruppenangehörigen zur Loyalität gegenüber ihrem Aufenthaltsstaat.

186

Zu dieser Problematik Blumenwitz, in: ders./Murswiek, S. 65 f. Zu den Gewährleistungen im einzelnen vgl. Blumenwitz, in: ders./Murswiek, S. 70 ff. 188 Blumenwitz, S. 87. 187

7 Siegert

98

2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

Insgesamt stellt sich die Frage, ob der Nachbarschaftsvertrag unmittelbar den Polenstämmigen in der Bundesrepublik zugute kommt. Der Vertrag wurde durch Vertragsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG am 22. 12. 1991 in innerdeutsches Recht transformiert. Unmittelbar berechtigend kann dieses aber nur wirken, wenn der Vertrag „self-executing" ist, dem Wortlaut also ohne weitere Ausfuhrungsgesetze Rechte der betroffenen Personen entnommen werden können. 189 An dieser Stelle bietet sich der Vergleich mit dem IPBPR an. Wie dieser sichert der Nachbarschaftsvertrag den betroffenen Minderheitenangehörigen die Ausübung ihrer Menschenrechte und Grundfreiheiten zu und verpflichtet die Staaten, sich jeglichen Assimilationsdruckes zu enthalten. Zudem werden die Staaten aber auch noch zu Schutz- und Fördermaßnahmen verpflichtet. Die diesbezüglichen Konkretisierungen sind, wie bereits erwähnt, äußerst unbestimmt gefaßt; so besteht zum Beispiel eine Verpflichtung, die „notwendigen" Maßnahmen zu Schutz und Förderung der Minderheitenidentität zu ergreifen 190 und „in Einklang mit den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften" Möglichkeiten für muttersprachlichen Unterricht zu schaffen, „wo immer dies möglich und notwendig ist". 191 Deshalb kann insoweit nicht davon ausgegangen werden, daß der Vertrag ohne weitere Umsetzung Wirkungen entfaltet und also „self-executing" ist. Bezüglich der kollektiven Fördermaßnahmen im Sinne des gruppenrechtlichen Ansatzes werden die Staaten nur verpflichtet, überhaupt in der genannten Richtung Anstrengungen zu unternehmen. 192 In welcher Weise der Staat dieser Verpflichtung nachkommen und was für Ausführungsgesetze er konkret erlassen will, bleibt ihm überlassen. Der Vertrag ist damit nur bezüglich der menschenrechtlichen Gewährleistungen „self-executing". 193 Die Polenstämmigen in der Bundesrepublik können sich mangels einer weitergehenden Umsetzung damit zur Zeit nur in sehr begrenztem Maße auf die im Vertrag gewährleisteten Rechte berufen.

189

Vgl. oben, 2. Teil, 2. Abschnitt, Α., I., 1., a. Art. 21 Abs. 2, 5. Halbsatz. 191 Art. 21 Abs. 2, 2. Halbsatz. 192 Barcz, in: van der Meulen, S. 90, geht ebenfalls davon aus, daß nur ein Teil der Vertragsbestimmungen unmittelbare Rechte und Pflichten einzelner Personen begründet und daß diese „self-executing" sind, während alle übrigen sich nur an den Staat richten, konkretisiert aber nicht, welche Vorschriften er jeweils in Betracht zieht. 193 A.A. Blumenwitz, S. 92 f., der davon ausgeht, daß der Vertrag insgesamt „nonself-executing" ist. 190

2. Abschnitt: Rechtslage

99

2. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slovakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit 194 Auch dieser Vertrag enthält nach dem Vorbild des Nachbarschaftsvertrages in Art. 20 und 21 Minderheitenschutzbestimmungen. Er weicht allerdings insoweit von diesem ab, als er ausdrücklich in Art. 20 Abs. 1 die nur politischen Verpflichtungen der KSZE-Dokumente zu rechtlichen Verpflichtungen zwischen den Vertragsparteien erklärt. Auch in diesem Vertrag ist nur von „Personen tschechischer oder slovakischer Abstammung in der Bundesrepublik Deutschland" die Rede, nicht etwa von einer Minderheit. Diese Zurückhaltung hat einen guten Grund: Eine entsprechende Minderheitengruppe existiert in der Bundesrepublik nicht. Dieser Befund relativiert wiederum die bundesdeutschen Verpflichtungen, die eher aus Gründen der Gegenseitigkeit eingegangen worden sein dürften, als um eine schutzbedürftige Minderheit abzusichern. Der Vertrag gilt im übrigen auch zwischen der Bundesrepublik und den Nachfolgestaaten der Tschechischen und Slovakischen Föderativen Republik fort, da diese in die Rechte und Pflichten des Vertrages eingetreten sind. 195

3. Sonstige Verträge mit osteuropäischen Staaten Die übrigen Verträge mit osteuropäischen Staaten, wie der deutsch-ungarische Freundschaftsvertrag und der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa, 196 enthalten zwar Minderheitenschutzbestimmungen, begünstigen jedoch nur die deutsche Minderheit im jeweiligen Vertragsstaat, nicht aber Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland.

194

BGBl. 1992 II, S. 462 ff. Diese Vereinbarung gilt laut der Bekanntmachung vom 24. 3. 1993, BGBl. 1993 II, S. 762, bis zum Abschluß abweichender Vereinbarungen fort. 196 Beide in Auszügen abgedruckt bei Blumenwitz, S. 186 f.; vgl. zum Inhalt Brümmer, in: Blumenwitz/Murswiek, S. 75 ff. 195

100

2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

B. Schutzbestimmungen auf Bundesebene I. Verfassungsrecht 1. Exkurs: „Verfassungstradition" Der Minderheitenschutz ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt; selbst die Existenz von Minderheiten wird nicht angesprochen. Dies ist insofern erstaunlich, als deutsche Verfassungen in der Vergangenheit Minderheitenschutzbestimmungen enthielten; dies, so liest man gelegentlich, entspräche deutscher „Verfassungstradition". 197 Tatsächlich enthielt die Paulskirchenverfassung vom März 1848 mit dem Art. 188 folgende Minderheitenschutzbestimmung: „Den nicht deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands ist ihre volkstümliche Entwicklung gewährleistet, namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprachen, soweit deren Gebiete reichen, in dem Kirchenwesen, dem Unterrichte, der inneren Verwaltung und der Rechtspflege." Gewisse Parallelen 198 zum Wortlaut dieses Artikels wies dessen „Nachfolger" 199 in der Weimarer Reichsverfassung, Art. 113 WRV, auf: „Die fremdsprachigen Volksteile des Reiches dürfen durch die Gesetzgebung und Verwaltung nicht in ihrer freien, volkstümlichen Entwicklung, besonders nicht im Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht, sowie bei der inneren Verwaltung und der Rechtspflege beeinträchtigt werden." Die bloße Tatsache, daß diese Regelungen in der Vergangenheit für wert befunden worden sind, in die jeweiligen Verfassungen aufgenommen zu werden, verstellt leicht den Blick dafür, daß der rechtliche Gehalt und die tatsächlichen Begünstigungen, die den Minderheiten auf Grundlage dieser Bestimmungen zugute kamen, begrenzt waren. 200 Entsprechend dem Verfassungsverständnis in der Weimarer Republik schrieb man dem Art. 113 allgemein keine unmittelba-

197

Vgl. etwa Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 66 f.; auch die Befürworter einer Grundgesetzergänzung um einen Minderheitenschutzartikel in der Gemeinsamen Verfassungskommission verwiesen auf die Verfassungstradition, vgl. den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 72. 198 Gerber, in: Nipperdey, Art. 113, S. 269, ging sogar davon aus, daß sich der Art. „eng an den Wortlaut" anlehne. 199 Stopp, S. 30 f. 200 Speziell für die Sorben geht Elle, Letopis 1994, 81/83, davon aus, daß sie „so gut wie keine praktische Bedeutung" gehabt hätten.

2. Abschnitt: Rechtslage

101

ren Auswirkungen zu. 201 Dieser sei zu „unbestimmt", als daß ein „Vollzug ohne Ausführungsgesetze möglich wäre". 202 Er könne dem Gesetzgeber nur als „Richtschnur" dienen; vollends abwegig sei es, aus Art. 113 subjektive Rechte herleiten zu wollen: Abgesehen davon, daß Individualrechte gegenüber dem Gesetzgeber „überhaupt undenkbar" seien, könnten solche von „Volksteilen" auch nicht ausgeübt werden. 203 Bei genauerer Betrachtung entspricht es also tatsächlich deutscher „Verfassungstradition", den Minderheitenschutz ausdrücklich zu verankern. Ebensogut ist es aber auch Tradition, diese Verfassungsvorschriften so auszugestalten, daß sie nicht allzuviel zugunsten der Minderheiten bewirken.

2. Freiheitsrechte Auch wenn der Minderheitenschutz im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt ist, sind diese doch auf Verfassungsebene nicht ohne jeden Schutz. Den einzelnen Angehörigen der Minderheiten und damit mittelbar auch der Minderheit als Gruppe kommt der umfassende Schutz der Freiheitsrechte entsprechend dem menschenrechtlichen Ansatz zugute. So werden alle Minderheitsangehörigen von den Gewährleistungen des Art. 2 Abs. 1 GG, der die allgemeine Handlungsfreiheit schützt, erfaßt. Aber auch die speziellen Freiheitsrechte schützen die Interessen der Minderheitsangehörigen. So können sich etwa Angehörige religiöser Minderheiten auf die Religionsfreiheit berufen, wenn sie zum Beispiel in ihrer Religionsausübung beeinträchtigt werden. Minderheitsangehörigen, die sich organisieren wollen, um gemeinsam ihre kulturelle Eigenart zu pflegen und zu sichern, werden von der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit vor ungerechtfertigten Eingriffen bewahrt. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um Menschen-, sondern um Deutschenrechte, die Angehörige etwaiger neuer Minderheiten ausländischer Staatsangehörigkeit nicht einbeziehen werden. Auch ist zu betonen, daß die Minderheitsangehörigen, mögen sie auch von dem umfassenden Schutz, den die Freiheitsrechte des Grundgesetzes bieten, profitieren, damit nicht mehr als den Schutz genießen, der allen Personen in der Bundesrepublik zusteht.

201

In Abweichung von der herrschenden Meinung gestand Gerber, in: Nipperdey, Art. 113, S. 269 ff., der Bestimmung größere Bedeutung zu. Von einer direkten Anwendbarkeit ging aber auch er nicht aus. 202 Anschütz, Art. 113, S. 542, 1. 203 Anschütz, Art. 113, S. 542, 1.

102

2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

3. Diskriminierungsverbote a) Verbot der Diskriminierung aufgrund der Abstammung, Rasse, Sprache, Religion - Art. 3 Abs. 3 GG Diese Bestimmung ist als Grundrecht subjektiv-rechtlich ausgestaltet und wurde speziell wegen der Verfolgung von Minderheiten im Nationalsozialismus in das Grundgesetz aufgenommen. 204 Sie bewirkt, daß die genannten Kriterien nicht als Begründung für eine Ungleichbehandlung herangezogen werden dürfen, sofern eine solche Ungleichbehandlung für die betreffende Person einen Nachteil darstellt. 205 So wäre es etwa unzulässig, die Ausübung des Wahlrechts nicht von der Staatsangehörigkeit und dem Erreichen der Volljährigkeit, sondern stattdessen von der Abstammung, Rasse, der Sprache oder der Religionszugehörigkeit abhängig zu machen. Eine fordernde Sonderbehandlung, die an die Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG anknüpft, verbietet die Vorschrift dagegen nicht. 206 Das Merkmal Abstammung meint dabei die natürliche biologische Beziehung eines Menschen zu seinen Vorfahren. 207 Das Merkmal Rasse stellt dagegen auf vererbbare Eigenschaften ab, 208 wobei es ausreicht, wenn der Staat vom Vorhandensein solcher Merkmale ausgeht und danach handelt. 209 Beide Merkmale sind nicht immer eindeutig voneinander abgrenzbar. In der Regel wird auch gar nicht der Versuch einer Abgrenzung gemacht, sondern lediglich für Angehörige bestimmter Gruppierungen darauf hingewiesen, daß sie zumindest unter eines der beiden fallen. 210 Das Verbot, Personen aufgrund ihrer Sprache zu benachteiligen, zielt darauf ab, Gruppen mit eigener Minderheitssprache zu schützen. Hierfür kommen

204

Starck, in: von Mangoldt/Klein, Art. 3, Rn. 254. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 75; Pieroth/Schlink, Rn. 491. 206 Ygj Pernthaler, S. 49: „... eine anders (als rechtliche oder faktische Diskriminierung) geartete Sonderbehandlung (bleibt) zulässig." 207 BVerfGE 9, 124/128; Gubelt, in: von Münch/Kunig, Bd. 1, Art. 3, Rn. 96,Starck, in: von Mangoldt/Klein, Art. 3, Rn. 268. 208 Gubelt, in: von Münch/Kunig, Bd. 1, Art. 3, Rn. 91;Dürig, in: Maunz/Dürig, Bd. 1, Art. 3, Rn. 58. 209 Sachs, in: Isensee/Kirchhof, Bd. V, S. 1037, § 126, Rn. 44. Das wohl frappierenste Beispiel hierfür ist die Diskriminierung der Jüdischen Rasse" im Nationalsozialismus, der den Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft bestimmte erbliche Eigenheiten zuschrieb. Eine solche Diskriminierung würde von Art. 3 Abs. 3 GG erfaßt, unabhängig davon, daß solche erblichen Merkmale tatsächlich nicht vorhanden sind. 210 So ζ. B. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 70 für die Sinti und Roma. 205

2. Abschnitt: Rechtslage

103

zum Beispiel die Dänen in Schleswig-Holstein in Betracht, 211 ebenso aber auch die Friesen und Sorben. An dieser Stelle wird bereits deutlich, daß Art. 3 Abs. 3 GG Minderheitsangehörige betreffend verschiedener Aspekte ihrer Identität vor Diskriminierungen schützen kann: Auch die Sinti und Roma, die ζ. B. bereits vor einer Diskriminierung geschützt sind, die an ihre Abstammung anknüpft, sprechen ihre eigene Sprache Romanes212 und dürfen deretwegen nicht diskriminiert werden. Das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Glaubens und der religiösen Anschauungen verpflichtet den Staat, sich in den genannten Fragen neutral zu verhalten. 213 Geschützt werden dabei jegliche Glaubensrichtungen, ebenso aber auch areligiöse und antireligiöse Einstellungen.214 Zu denken wäre hier insbesondere an einen Diskriminierungsschutz der jüdischen Mitbürger: Eine Schlechterbehandlung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ist mit dem GG unvereinbar. Entsprechend dem menschenrechtlichen Ansatz des Grundgesetzes kommen die Gewährleistungen des Art. 3 Abs. 3 GG in erster Linie dem Individuum zugute, also auch dem einzelnen Angehörigen einer Minderheit. Zudem soll er aber auch grundsätzlich Personenvereinigungen Diskriminierungsschutz bieten können. 215 Dementsprechend würde auch eine Schlechterstellung von Minderheiten als Gruppen gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, sofern diese an eine der genannten Kriterien anknüpft. 216 Ein Gebot zur Förderung des geschützten Personenkreises oder zur Aufhebung tatsächlicher Unterschiede enthält Art. 3 Abs. 3 GG dagegen nicht. 217 Deshalb ist der Gruppenschutz, den Art. 3 Abs. 3 GG zu bieten hat, nur von geringer Bedeutung.

b) Verbot der herabwürdigenden

Ungleichbehandlung - Art. 1 Abs. 1 GG

Knüpft eine gezielte Schlechterbehandlung nicht nur an die Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG an, sondern läßt sie zusätzlich noch eine verachtende Tendenz erkennen, so steht dem nicht nur der spezielle Gleichheitssatz des Art. 3 211

Starch , in: von Mangoldt/Klein, Art. 3, Rn. 272. Vgl. oben, 2. Teil, 1. Abschnitt, Β., I. 213 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 72. 214 Gubelt, in: von Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 101; Stein, in: Alternativ-Kommentar, Art. 3, Rn. 95. 215 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 73. 216 Messtorff, S. 31; Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 69, verlangt, daß sich der Staat gegenüber der Gruppe „zumindest neutral" verhält. 217 BVerfGE 64, 135/156; Starck, in: von Mangoldt/Klein, Art. 3, Rn. 257 f. 212

104

2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

Abs. 3 GG entgegen. Eine solche herabwürdigende Ungleichbehandlung, also eine Diskriminierung, die eine Erniedrigung, Ächtung oder Geringschätzung des Diskriminierten erkennen läßt, stellt zugleich einen Angriff auf die in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde dar. 218 Anzunehmen wäre dies etwa bei Diskriminierungen mit Stigmatisierungseffekt, 219 wie sie gezielt im Nationalsozialismus eingesetzt wurden. So bekräftigte man, daß die Juden minderwertige Menschen seien, indem man von ihnen verlangte, sich mittels eines „Judensterns" kenntlich zu machen. Obwohl Art. 1 Abs. 1 GG den Menschen nicht nur als Individuum, sondern auch als Mitglied einer Gruppe schützt, ist nur der einzelne Mensch Grundrechtsträger, 220 so daß Art. 1 Abs. 1 GG nicht von der Minderheit als Gruppe in Anspruch genommen werden kann. Auch muß auf den mehr symbolischen Wert des Art. 1 Abs. 1 GG hingewiesen werden: Immerhin bewegen sich trotz aller Fremdenfeindlichkeit die Probleme, die die Minderheiten heute mit der Bundesrepublik haben, in der Regel nicht in diesem Extrembereich.

c) Verbot der staatlichen Beteiligung an „ ethnischer Kastenbildung " Art 3 Abs. 3 i. V.m. Art 3 Abs. 1 GG? In neuerer Zeit wurde zudem die These geäußert, Art. 3 Abs. 3 GG i.V.m. dem allgemeinen Gleichheitssatz biete den Minderheiten noch über das spezielle Verbot der Diskriminierung und einer herabwürdigenden Ungleichbehandlung hinaus einen davon zu unterscheidenden Schutz. Art. 3 Abs. 3 i.V.m. dem allgemeinen Gleichheitssatz sei zugunsten der Minderheiten ein an den Staat gerichtetes Verbot zu entnehmen, eine „ethnische Kastenbildung,, zu begünstigen, sich überhaupt am damit einhergehenden Verteilungskampf um Lebenschancen, der „ethnischen Mobilisierung", zu beteiligen und anknüpfend an ethnische Kriterien Ressourcen ungleich zu verteilen. 221 Zumindest aber treffe ihn eine intensive Rechtfertigungspflicht, wenn er zugunsten der Mehrheit in diesen Prozeß eingreife. 222

218

BVerfGE 1, 97/104, wo allerdings nicht ausdrücklich auf Minderheiten Bezug genommen wird; in diesem Sinne auch Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 68; Messtorff, S. 34; Stopp, S. 128. 219 Stopp, S. 123 ff., betont die „Funktion der Diskriminierungsverbote als Stigmatisierungsschutz". 220 Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 1, Rn. 17. 221 So Stopp, S. 129 ff. 222 Stopp, S. 142. Zu Stopps Vorschlag einer abgestuften Gleichheitsbindung des Gesetzgebers vgl. ders., S. 141 f.

2. Abschnitt: Rechtslage

105

Diese These wird nur verständlich, wenn man sich den dahinterstehenden Minderheitenbegriff ins Gedächtnis ruft: Stopp geht davon aus, daß und die damit einhergehenden Probleme sich in der modernen Industriegesellschaft verändert haben. Der Schwerpunkt der Problematik soll nunmehr auf dem Wettlauf um die günstigsten Integrationsbedingungen, den kürzesten Weg zum gesellschaftlichen Erfolg liegen. 223 Genau an diesem aber soll der Staat sich nicht zum Nachteil der Minderheit beteiligen dürfen, ohne einer besonders sorgfältigen Überprüfung unterzogen zu werden. Wenn es auch wünschenswert erscheint, daß der Staat nicht denen ungerechtfertigt Integrationschancen vorenthalten kann, die eine erfolgreiche Integration anstreben, läßt die dogmatische Herleitung dieser besonderen Rechtfertigungspflicht doch noch manche Frage offen. 224 Darüberhinaus macht diese Konstruktion als Instrument des Minderheitenschutzes nur Sinn, wenn man dem von Stopp vertretenen weiten Minderheitenbegriff sowie seinem dem entsprechenden Verständnis der Minderheitenproblematik folgt. Angesichts des hier vertretenen fortentwickelten Minderheitenbegriffes kann vorliegend dem Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG kein Minderheitenschutz entnommen werden, der über die dargestellten Wirkungen der jeweiligen Einzelbestimmung hinausgeht.

IL Einfache Gesetze 1. Einigungsvertrag 225 a) Protokollnotiz

14 zu Art. 35 Einigungsvertrag

226

Die Protokollnotiz, deren Rechtsnatur der des Einigungsvertrages entspricht, 227 gewährleistet die Freiheit des Bekenntnisses zum sorbischen Volks-

223

Vgl. oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, C., II, 2., c. So soll sie unter anderem darauf beruhen, daß ansonsten eine "gefährdende Wirkung im Vorfeld des Menschenwürdeschutzes" gegeben sei, ohne daß die dogmatische Relevanz einer solche Gefährdung klargestellt würde; vgl. Stopp, S. 131. 225 Zur Rechtsnatur des Einigungsvertrages nach dem Beitritt vgl. Wagner, S. 30 ff.; insbesondere zur Wirkungsweise des Art. 45 Abs. 2 EV, der die Fortgeltung als Bundesrechte anordnet, Hoch, S. 39 ff. 226 Abgedruckt etwa bei Stern/Schmidt-Bleibtreu, S. 116. Dort heißt es im einzelnen: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik erklären im Zusammenhang mit Art. 35 des Vertrags: 1. Das Bekenntnis zum sorbischen Volkstum und zur sorbischen Kultur sind frei. 2. Die Bewahrung und Fortentwicklung der sorbischen Kultur und der sorbischen Traditionen werden gewährleistet. 224

106

2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

tum und zur sorbischen Kultur im Sinne eines individuellen Abwehrrechtes sowie die Freiheit zur Pflege und zur Bewahrung der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben sowohl für das Individuum als auch für die Organisationen der Sorben. Außerdem schreibt die Protokollnotiz eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zur Bewahrung und Fortentwicklung der sorbischen Kultur und der sorbischen Traditionen fest. Auf dieser Grundlage erfolgte die kulturelle Förderung des Sorbentums durch den Bund und die Länder Sachsen und Brandenburg über die „Stiftung für das sorbische Volk". 2 2 8 Darüberhinaus haben die Länder Sachsen und Brandenburg in ihren Landesverfassungen Schutzbestimmungen zugunsten der Sorben erlassen und so der Bestimmung in Ziffer 14 des Protokolles zum Einigungsvertrag Rechnung getragen. 229 Insgesamt sollte die Regelung als Ersatz für die aufgehobenen Minderheitenschutzbestimmungen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gelten. 230 Die Umsetzung der Protokollnotiz wird von den Betroffenen insgesamt positiv beurteilt. 231

b) Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III 1. r) Diese Vorschrift, deren Rechtsnatur ebenfalls der des Einigungsvertrages entspricht, 232 bestimmt ausdrücklich für den Sprachgebrauch vor Gericht, daß das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, durch § 184 GVG nicht berührt wird, demgemäß die Gerichtssprache deutsch ist. Es handelt sich also um eine Sonderregelung bezüglich der Minderheitensprache. Laut der „Unterrichtung der Bundesregierung vom 10. September 1990" 233 wird mit dieser Vorschrift „das traditionelle Recht 3. Angehörige des sorbischen Volkes und ihre Organisationen haben die Freiheit zur Pflege und zur Bewahrung der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben. 4. Die grundgesetzliche Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern bleibt unberührt." 227 Vgl. zur Rechtsnatur des Protokolls Wagner, S. 30 ff. 228 Vgl. dazu 2. Teil, 1. Abschnitt, Α., III. 229 Ebenso Franke, in: Stern, S. 21; vgl. zu den Minderheitenschutzbestimmungen in den Landesverfassungen im einzelnen unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, C., II. 230 In der „Denkschrift zum Einigungsvertrag" heißt es dazu, daß mit der Protokollnotiz die Rechte der Sorben im vereinten Deutschland unter der Wahrung der Kompetenzen von Bund und Ländern gesichert werden, vgl. BT-Drs. 11/7760, S. 378. 231 So Ziesch für die Domowina in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 10. 232 Vgl. zur Rechtsnatur der Anlagen Wagner, S. 30 ff. 233 Abgedruckt etwa in: Erläuterungen zum Einigungsvertrag, S. 31.

2. Abschnitt: Rechtslage

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der sorbischen Minderheit aufrechterhalten", in ihren angestammten Siedlungsgebieten sich auch vor Gericht ihrer Sprache zu bedienen. Auf den ersten Blick mag diese Regelung nur von geringer Bedeutung sein, da § 185 GVG ohnehin anordnet, daß ein Dolmetscher zuzuziehen ist, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Tatsächlich aber geht das Recht der Sorben darüber hinaus. Denn diese dürfen sich laut der Anlage grundsätzlich vor Gericht der sorbischen Sprache bedienen, nicht nur dann, wenn sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Berücksichtigt man, daß die Sorben wie auch die übrigen anerkannten Minderheiten, die ja deutsche Staatsangehörige sind, in der Regel des Deutschen mächtig sind, wird erst der Ausnahmecharakter der Regelung und die besondere Begünstigung deutlich.

2. § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG nimmt die Parteien nationaler Minderheiten von der 5%-Sperrklausel aus. 234 Er privilegiert damit diese Minderheiten als Gruppe und stellt auf Bundesebene eine Ausnahmeregelung dar. Als Adressat dieser Sonderregelung wird allerdings bisher nur der Südschleswigsche Wählerverband als Partei der dänischen Minderheit anerkannt. Diese Beschränkung beruht darauf, daß „nationale Minderheit" in dem Sinne interpretiert wird, daß die Norm nur solche Minderheiten erfasse, die in einem anderen Staat die Mehrheitsbevölkerung darstellen. 235 Entgegen dieser gängigen Definition wird neuerdings diskutiert, ob die Privilegierung des § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG nicht auch den Friesen und Sorben zugestanden werden sollte. 236 Eine solche weitere Auslegung wäre zu begrüßen, da die Situation der Friesen und Sorben- bis auf das Fehlen einer Schutzmacht - mit der der Dänen vergleichbar ist. Gerade aber das Fehlen einer Schutzmacht begründet eher die Schutzbedürftigkeit dieser Minderheiten, als sie in Frage zu stellen. Darüberhinaus ist konsequenterweise auch zu fordern, daß der § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG ebenso auf alle übrigen bestehenden oder zukünftig entstehenden Minderheiten Anwendung finden sollte. Sinnvoll kann dies natürlich nur sein, wenn die Minderheiten sich nach Vorbild der Dänen von einer Partei politisch vertreten lassen. Anzumerken bleibt allerdings, daß diese Auseinan-

234

Ausführlich zur Geschichte dieser Vorschrift und zu deren verfassungsrechtlicher Beurteilung Kühn, S. 290 ff.; 309 ff. 235 Zu dieser Definition des Begriffs „nationale Minderheit" siehe bereits oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., II., 2. 236 Dafür plädieren: Blumenwitz, S. 113; Murswiek, S. 8, Fn. 19.

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

dersetzung um den Kreis der von § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG Begünstigten eher politische Bedeutung als praktische Relevanz hat: § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG garantiert den Minderheiten keine parlamentarische Vertretung auf Bundesebene, sondern erleichtert es nur, eine solche zu erreichen. Tatsächlich ist die dänische Minderheit ebenso wie alle übrigen momentan existenten Minderheiten zahlenmäßig zu gering, um auch nur ein Bundestagsmandat erringen zu können. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist damit gering. 237

C. Schutzbestimmungen auf Landesebene I Bedeutung Der Minderheitenschutz in der Bundesrepublik ist hauptsächlich auf Landesebene geregelt. Landesverfassungen, -gesetze und -Verordnungen enthalten ausdrückliche Bestimmungen zum Schutz von Minderheiten. Allerdings handelt es sich dabei nicht um einen „flächendeckenden" Schutz. So sind Minderheitenschutzbestimmungen hauptsächlich in den traditionellen Siedlungsgebieten der Minderheiten, darüberhinaus aber auch in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg·^Vorpommern Bestandteil der Landesverfassungen. Dies kann als Ausdruck einer vergleichsweise minderheitenfreundlichen Haltung in diesen neuen Bundesländern gedeutet werden und läßt außerdem den Rückschluß zu, daß es Bestrebungen gab, besonders „moderne" Verfassungen zu schaffen. In den Ländern, die ausdrückliche Minderheitenschutzbestimmungen in die Verfassungen aufgenommen haben, existieren auch auf einfach-gesetzlicher Ebene zahlreiche Normen, die diese landesverfassungsrechtlichen Gebote umsetzen. Für die Situation der Minderheiten in der Bundesrepublik sind damit der Umfang und die Qualitität dieser landesrechtlichen Bestimmungen von besonderer Bedeutung.

II Landesverfassungen

238

1. Art. 5 der schleswig-holsteinischen Verfassung Der Artikel hat folgenden Wortlaut: „(1) Das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit ist frei; es entbindet nicht von den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten. 237

So auch Blumenwitz, S. 109; Murswiek, Minderheitenschutz, S. 8, Fn. 19. Für die Bremer Landesverfassung wird derzeit die Verankerung eines speziellen Minderheitenschutzartikels speziell für Sinti und Roma diskutiert. Ein entsprechender 238

2. Abschnitt: Rechtslage

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(2) Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung." Art. 5 befaßt sich sowohl mit nicht näher spezifizierten nationalen Minderheiten und Volksgruppen als auch mit der namentlich genannten dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe. Dabei bezieht sich die Vorschrift in Abs. 1 nur auf nationale Minderheiten, während Abs. 2 Satz 1 neben diesen noch zusätzlich auf die Volksgruppen eingeht. Deshalb könnte man auf den ersten Blick vermuten, daß Absatz 2 Satz 1 zusätzlich Gruppen mit einbezieht, die vom Absatz 1 nicht erfaßt werden. Dies würde jedoch zu einem seltsamen Ergebnis führen. Abs. 1 erklärt das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit als frei, während Abs. 2 darüberhinaus den Schutz und die Förderung der nationalen Minderheiten und Volksgruppen, insbesondere der Dänen und Friesen gebietet. Es ist kaum anzunehmen, daß der Landesverfassungsgeber damit ausdrücken wollte, daß nur das Bekenntnis zur nationalen dänischen Minderheit, nicht aber zur friesischen Volksgruppe frei ist. Vielmehr ist zu vermuten, daß diese Begriffe vor allem den Befindlichkeiten und der Selbsteinschätzung der Dänen und Friesen 239 entweder als Minderheit oder aber als Volksgruppe Rechnung tragen sollen und im übrigen synonym als Oberbegriffe für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten verwendet werden. Die Bezugnahme auf nationale Minderheiten, nicht aber auf Volksgruppen im ersten Absatz der Vorschrift dürfte daher schlicht verunglückt sein. 240 Dies könnte damit zu tun haben, daß der Absatz 2 des Art. 5 wesentlich jünger ist als der Abs. 1, der schon vor der Verfassungsreform in Schleswig-Holstein denselben Wortlaut hatte. 241

Antrag wurde von den Grünen im Ausschuß zur Verfassungsreform gestellt. Die Erfolgsaussichten dieser Bestimmung, die einmalig in der Bundesrepublik wäre, sind aber noch völlig ungewiß. Vgl. dazu die taz vom 17. 9. 1996, S. 21. 239 Dazu vgl. oben, Einleitung, C. und 2. Teil, 1. Abschnitt, Α., II. 240 A.A. Stopp, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 8/1995, 9/16, der aus der fehlenden Übereinstimmung zwischen Absatz 1 und Absatz 2 vielmehr folgert, daß die schleswig-holsteinische Verfassung mit dem Begriff Volksgruppe eher durch objektive Kriterien bestimmte Gruppen bezeichnen wolle, während mit nationale Minderheit solche Minderheiten gemeint seien, deren Zugehörigkeit vom subjektiven Bekenntnis abhänge. Diese Ansicht läßt aber außer acht, daß eine subjektive Komponente unbestritten zum Minderheitenbegriff gehört; zudem ist ein entsprechender Unterschied zwischen den Dänen und den Friesen nicht zu erkennen. 241 Zur Verfassungsreform in Schleswig-Holstein vgl. Landeszentrale für politische Bildung, Verfassung.

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

Die Verknüpfung des Begriffes „nationale Minderheit" im ersten Teil des' Absatz 1 mit dem Hinweis auf die „staatsbürgerlichen Pflichten" im zweiten Halbsatz läßt darüberhinaus den Rückschluß zu, daß die schleswig-holsteinische Landesverfassung von dem traditionellen Minderheitenbegriff ausgeht, der als Minderheitsangehörige nur solche Personen anerkennt, die die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben. Der Abs. 1 des Art. 5 wurde bereits in den 70er Jahren, als dieser Teil der Vorschrift noch nicht durch den Abs. 2 ergänzt wurde, als „individuelles Grundrecht" gedeutet.242 Diese individuelle Interpretation der Vorschrift legt auch schon allein deren Sinn nahe: Sich zu einer Minderheit bekennen und staatsbürgerliche Pflichten erfüllen kann nur der einzelne, nicht das Kollektiv. Ebenso unterstreicht die Formulierung, die das Bekenntnis für frei erklärt, daß es sich hierbei um ein subjektives Recht handeln muß, das dem einzelnen unmittelbar, ohne staatliche Umsetzung, zugute kommt. Eine auf die Verletzung dieses Rechts gestützte Landesverfassungsbeschwerde ist allerdings von vornherein nicht möglich. Schleswig-Holstein hat keine eigene Landesverfassungsgerichtsbarkeit eingerichtet, sondern von der Möglichkeit des Art. 99 GG Gebrauch gemacht. Dieser sieht vor, daß dem Bundesverfassungsgericht durch Landesgesetz die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb des Landes zugewiesen werden kann. Eine solche Zuweisung enthält Art. 44 der Landesverfassung: Dieser begründet die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts im Wege der Organleihe, 243 etwa wenn eine abstrakte Normenkontrolle in Betracht kommt. Gerade aber die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde sieht die Vorschrift nicht vor, so daß es dem einzelnen insofern verwehrt ist, die Verletzung subjektiver Rechte einzuklagen. Weitaus weniger klar sind Rechtsnatur und Umfang der Gewährleistungen des Abs. 2. Die Formulierung des ersten Satzes „stehen unter dem Schutz" deutet zunächst einmal auf eine Verpflichtung des Adressaten, nämlich des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände hin, zugunsten der Minderheiten schützend einzugreifen, wenn Angriffe durch Dritte drohen. Würde sich dieses Schutzgebot nur auf die „kulturelle Eigenständigkeit" der Minderheiten beziehen, so dürfte man davon ausgehen, daß der Gehalt des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 nur so zu verstehen wäre. Die Vorschrift bezieht sich aber darüberhinaus auch auf die „politische Mitwirkung" der Minderheiten. Diese gewährt oder verweigert aber in erster Linie der Staat. Deshalb ist davon auszugehen, daß das Schutzgebot hier in einem weiteren Sinne zu verstehen ist, nämlich dahingehend, daß auch eine entsprechende Förderpflicht des Landes gegeben ist.

242 243

Barschel/Gebel, Art. 5, S. 105, Nr. 3. Vgl. dazu Heyde, in: Starck/Stern, S. 8 f.

2. Abschnitt: Rechtslage

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Fraglich ist zudem, ob es sich dabei um eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände handelt oder ob die Betroffenen einen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf Schutz und Förderung haben. Dabei läßt bereits die Formulierung eines Schutzgebotes eine objektivrechtliche Ausgestaltung vermuten. Gestützt wird diese Auslegung noch durch den Gegensatz zum Wortlaut des Satzes 2 des Art. 5 Abs. 2: Während dieser ausdrücklich einen „Anspruch" auf Schutz und Förderung verbürgt, beschränkt der Satz 1 sich auf das Schutzgebot. Deshalb ist davon auszugehen, daß Art. 5 Abs.2 Satz 1 keine subjektiv-rechtlichen Ansprüche zu entnehmen sind, sondern dieser objektiv-rechtlich ausgestaltet ist. 244 Die Bezugnahme auf „nationale Minderheiten und Volksgruppen", nicht aber auf Minderheitsangehörige, läßt im übrigen den kollektiven Charakter der Norm erkennen. Zur Einklagbarkeit dieser objektiv-rechtlichen Gewährleistung des Art. 5 der schleswig-holsteinischen Verfassung ist darauf hinzuweisen, daß die richtige Klageart für objektives Verfassungsrecht in der Regel die abstrakte Normenkontrolle ist. 245 Art. 44 der Landesverfassung begründet dabei prinzipiell die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für diese Klageart, so daß die in Art. 5 Abs. 2 Satz 1 verbürgte Schutz- und Förderpflicht zumindest prinzipiell einklagbar ist. 246 Im Satz 2 des Abs. 2 werden der nationalen dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe „Anspruch auf Schutz und Förderung" gewährt. Damit ist zunächst einmal klar, daß diese beiden in Schleswig-Holstein traditionell ansässigen Gruppen gegenüber sonstigen Minderheiten bevorzugt behandelt werden sollen. Dabei garantiert das Schutz- und Fördergebot den Friesen und Dänen als Kollektiv, in ihrem Anderssein durch positives Handeln unterstützt und vor Benachteiligungen durch Dritte geschützt zu werden. Fraglich ist dabei, ob dieser „Anspruch" als subjektives Recht des Kollektivs oder als objektiv-rechtliche Norm zu verstehen ist. Allein der Wortsinn des Terminus „Anspruch" deutet auf ersteres hin. Hinzu kommt der Gegensatz zum Wortlaut des objektiv-rechtlich ausgestalteten Art. 5 Abs.2 Satz 1. Deshalb ist von einer subjektiv-rechtlichen Verbürgung auszugehen. Ungelöst läßt die Landesverfassung dabei das Problem, wie ein solcher Anspruch vom Kollektiv geltend gemacht werden soll. Da aber ohnehin, wie dargestellt, die Möglichkeit einer Landesverfassungsbeschwerde nicht gegeben ist, hat die Frage kaum praktische Relevanz.

244

Von einer Staatszielbestimmung geht Hübner, in: Landeszentrale für politische Bildung, Verfassung, S. 51, aus. 245 Vgl. dazu ausführlich unten zu Art. 20 b, 3. Teil, 2. Abschnitt, C., III., 1. 246 Zum »judical self-restraint" vgl. aber unten, 3. Teil, 2. Abschnitt, C., III.

112 2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes 2. Art. 25 der brandenburgischen Verfassung Die Vorschrift lautet: „(1) Das Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebietes wird gewährleistet. Das Land, die Gemeinden und Gemeindeverbände fördern die Verwirklichung dieses Rechts, insbesondere die kulturelle Eigenständigkeit und die wirksame politische Mitgestaltung des sorbischen Volkes. (2) Das Land wirkt auf die Sicherung einer Landesgrenzen übergreifenden kulturellen Autonomie der Sorben hin. (3) Die Sorben haben das Recht auf Bewahrung und Förderung der sorbischen Sprache und Kultur im öffentlichen Leben und ihre Vermittlung in Schulen und Kindertagesstätten. (4) Im Siedlungsgebiet der Sorben ist die sorbische Sprache in die öffentliche Beschriftung einzubeziehen. Die sorbische Fahne hat die Farben Blau, Rot, Weiß. (5) Die Ausgestaltung der Rechte der Sorben regelt ein Gesetz. Dies hat sicherzustellen, daß in Angelegenheiten der Sorben, insbesondere bei der Gesetzgebung, sorbische Vertreter mitwirken." Auffällig an der brandenburgischen Verfassung ist zunächst, daß sie nur die Sorben beachtet und sonstigen Minderheiten keinerlei Schutz zukommen läßt. Der Schutz der Sorben ist allerdings besonders ausführlich geregelt, auch waren sie an der Ausarbeitung dieses Artikels maßgeblich beteiligt. 247 Abs. 1 der Vorschrift läßt dabei Parallelen zu Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der schleswig-holsteinischen Verfassung erkennen. Weitgehend im Unklaren läßt die Verfassungsbestimmung, ob sie die in Abs. 1 der Vorschrift gewährten Begünstigungen als subjektives Recht oder als Staatszielbestimmung verstanden wissen will. Diese Unklarheit ist insofern nicht verwunderlich, als die brandenburgische Verfassung insgesamt nicht eindeutig zwischen Staatszielen und Grundrechten unterscheidet. 248 Dementsprechend umstritten ist der Rechtscharakter des Art. 25. 2 4 9 Einen Hinweis auf die richtige Auslegung könnte zunächst der

247

Vgl. Franke/Kier in: Simon/Franke/Sachs, § 10, Rn. 5; ausführlich zur Entstehung der brandenburgischen Verfassung Franke, in: Stern, S. 1 ff. 248 Vgl. nur die Überschrift des 2. Hauptteils: Grundrechte und Staatsziele. Von Mangoldt nennt diese Vermischung sogar die „wichtigste Eigenheit" dieser Landesverfassung, ders., S. 33. 249 Unklar in diesem Punkt Franke/Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10, Rn. 5: Abs. 1 Satz 1 soll zwar „korporative Staatszielbestimmung" sein, die Annahme einer „subjektiv rechtlichen Komponente" aber naheliegen. Dagegen ordnet Simon, in: ders./Franke/ Sachs, § 4, Rn. 9, den Art. 25 insgesamt bei den objektiv-rechtlichen Staatszielbestimmungen ein. Stopp, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, 8/1995, 9/25,

2. Abschnitt: Rechtslage

113

Wortlaut der Norm geben, der auf das „Recht" des sorbischen Volkes verweist. Insofern könnte es sich um ein subjektives Recht handeln. Der Satz 2 des Absatz 1 der Vorschrift gebietet aber dem Land, den Gemeinden und Gemeindeverbänden als Adressaten der Bestimmung positive Maßnahmen zur Förderung dieses Ziels. Ein solcher allgemeiner Förderauftrag läßt zunächst vermuten, daß der Satz 2 als objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung gefaßt ist. 250 Darüberhinaus offenbart dieser Förderauftrag zugleich den objektivrechtlichen Charakter des Satzes 1 : Bedarf es eines zusätzlichen Auftrages an Land, Gemeinden und Gemeindeverbände, die Verwirklichung des Gebotes des Satz 1 zu fördern, so impliziert dies bereits, daß die Umsetzung von den Minderheiten nicht unmittelbar gefordert werden kann. Eine Verpflichtung zur Förderung einer Zielvorgabe ist nicht dasselbe wie ein Anspruch auf bestimmte Maßnahmen. Insofern ist vom objektiv-rechtlichen Charakter der Vorschrift auszugehen. Die Bezugnahme auf das „sorbische Volk" spricht weiterhin dafür, daß in beiden Sätzen die Gruppe, nicht die Individuen, angesprochen sind. Der Abs. 2 der Vorschrift verpflichtet das Land dazu, die kulturelle Selbstverwaltung der Sorben auch über die Landesgrenzen hinaus zu sichern. Allerdings genügt es dieser Verpflichtung, wenn es auf diese Sicherung im Rahmen seiner Hoheitsmacht hinwirkt, nicht erst dann, wenn er sie erreicht: Die Sorben können wiederum ihre kulturelle Autonomie nicht unmittelbar einfordern. Es handelt sich also um eine objektiv-rechtliche Verpflichtung. Um dieser Verpflichtung gerecht zu werden, kommt insbesondere ein Staatsvertrag mit Sachsen in Betracht. 251 Begünstigt werden die Sorben als Gruppe, wie sich allein schon aus dem Wortlaut ergibt. Abs. 3 der Norm gesteht den Sorben ausdrücklich ein „Recht" bezüglich Sprache und Kultur zu, die vom Land bewahrt und gefördert werden sollen. Dabei kann von einem subjektiven Recht darauf, daß Eingriffe unterbleiben (Abwehrrecht) und Förderung erfolgt (Leistungsrecht) ausgegangen werden. 252 Ob es sich aber um ein individuelles oder kollektives Recht „der Sorben" handelt, ist dem Wortlaut allein nicht zu entnehmen. Sinn und Zweck der Vorschrift legen aber nahe, daß neben dem Kollektiv auch der einzelne verlangen kann, daß ζ. B. für seine Kinder die Möglichkeit besteht, in der Minderheiten-

geht von einem „kollektiven Grundrecht des sorbischen Volkes" aus. Zur Debatte um den Rechtscharakter des Art. 25 vgl. auch die taz vom 1. 6. 1995, S. 3. 250 So auch Fischer, S. 82. 251 Franke/Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10, Rn. 5, die diese Verpflichtung als „speziellen Verfassungsauftrag" einordnen. 252 Für ein subjektives Recht auch Fischer, S. 82; Franke/Kier, in: Simon/Franke/ Sachs, § 10, Rn. 5. 8 Siegert

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

spräche unterrichtet zu werden. Insofern steht dieses Recht zumindest auch dem Individuum zu. 253 Abs. 4 Satz 1 des Art. 25 regelt für einen Teilbereich des öffentlichen Lebens die positive Verpflichtung zur Einbeziehung der sorbischen Sprache. Die strikte Formulierung läßt eine zumindest kollektive subjektiv-rechtliche Absicherung erkennen. 254 Satz 2 gibt der sorbischen Fahne den Rang eines Verfassungsgutes.255 Abs. 5 schließlich enthält einen Gesetzgebungsauftrag, der inzwischen umgesetzt wurde. 256 Für die allgemeinen und speziellen Schutzaufträge und -versprechen des Art. 25 wird zum Teil vertreten, daß ihre Nichterfüllung ein verfassungswidriges Unterlassen darstelle, das unter „Zugrundelegung eines weiten Grundrechtsverständnisses" die Anrufung des Landesverfassungsgerichts im Wege der Verfassungsbeschwerde zulasse. Dies soll sowohl für die kollektivrechtlichen als auch für die individualrechtlichen Aspekte der Vorschrift möglich sein. 257 Im einzelnen sind aber noch manche Fragen der Einklagbarkeit des Art. 25 der brandenburgischen Verfassung offen: Zunächst einmal ist es in Brandenburg grundsätzlich nicht möglich, die Verletzung von Staatszielbestimmungen mit der Verfassungsbeschwerde zu rügen. 258 Dies kann auch nicht durch ein „weites Grundrechtsverständnis" korrigiert werden, zumal es bereits ein Manko der brandenburgischen Verfassung ist, daß die Grenzziehung zwischen Staatszielen und Grundrechten nicht immer eindeutig ist. Dieses Problem sollte nicht noch durch eine besonders „großzügige", ergebnisorientierte Auslegung verstärkt werden. Hinzu kommt, daß die brandenburgische Verfassung einer Außerachtlassung von Staatszielbestimmungen bereits vielfach durch „flankierende Maßnahmen" vorbeugt. 259 Für den Schutz der Sorben ist dabei besonders auf die in Art. 25 Abs. 5 vorgesehene

253 A.A. Stopp, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 8/1995, 9/25, der zumindest fur die Vermittlung der sorbischen Sprache vom rein kollektiven Charakter der Vorschrift ausgeht. 254 So auch Franke/Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10, Rn. 5. 255 Franke/Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10, Rn. 5. 256 Vgl. dazu unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, C., III., 1. 257 So Franke/Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10, Rn. 6. 258 Vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 ; 113 Nr. 4 der Landesverfassung und § 45 Abs. 1 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes sowie Franke, in: Simon/Franke/Sachs, § 10, Rn. 20. Zur entsprechenden Problematik auf Bundesebene vgl. unten, 3. Teil, 2. Abschnitt, C., III. 259 Simon, in: FS für Mahrenholz, S. 452.

2. Abschnitt: Rechtslage

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Umsetzung auf einfachgesetzlicher Ebene durch das „Sorbengesetz" zu verweisen. 260 Weiterhin ist ungeklärt, wie das Kollektiv seine Rechte ausüben soll. In Betracht käme zwar eine Ausübung der Rechte der Sorben durch die Domowina als Dachverband sorbischer Vereine. 261 Allerdings vertritt die Domowina nicht zweifelsfrei die Interessen aller Sorben, denn sie ist wegen der Rolle, die sie in der ehemaligen DDR spielte, durchaus umstritten. 262 Deshalb sollte von einer Ausübung der Rechte der Sorben durch diesen Dachverband besser abgesehen werden. Insgesamt muß daraufhingewiesen werden, daß Probleme der Einklagbarkeit ohnehin von eher theoretischem Interesse sind: Angesichts der insgesamt positiven Situation der Sorben ist kaum damit zu rechnen, daß sie praktische Relevanz erlangen werden.

3. Art. 5, 6 der sächsischen Verfassung Die Vorschriften haben folgenden Wortlaut: Art. 5 „(1) Dem Volk des Freistaates Sachsen gehören Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an. Das Land erkennt das Recht auf die Heimat an. (2) Das Land gewährleistet und schützt das Recht nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung. (3) Das Land achtet die Interessen ausländischer Minderheiten, deren Angehörige sich rechtmäßig im Land aufhalten." Art. 6 „(1) Die im Land lebenden Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit sind gleichberechtigter Teil des Staatsvolkes. Das Land gewährleistet und schützt das Recht auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege und Entwicklung ihrer angestammten Sprache, Kultur und Überlieferung, insbesondere durch Schulen, vorschulische und kulturelle Einrichtungen. (2) In der Landes- und Kommunalplanung sind die Lebensbedürfnisse des sorbischen Volkes zu berücksichtigen. Der deutsch-sorbische Charakter des Siedlungsgebietes der sorbischen Volksgruppe ist zu erhalten.

260 261 262

Vgl. unten, 2. Teil, 2. Abschnitt, C., III., 1. Vgl. oben, 2. Teil, 1. Abschnitt, Α., III. Vgl. oben, 2. Teil, 1. Abschnitt, Α., III.

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

(3) Die landesübergreifende Zusammenarbeit der Sorben, insbesondere in der Oberund Niederlausitz, liegt im Interesse des Landes." Im Gegensatz zur Verfassung des zweiten traditionellen Siedlungsgebietes der Sorben, dem Land Brandenburg, widmet sich die sächsische Landesverfassung nicht nur den Sorben, sondern auch sonstigen Minderheiten ausführlich. Dabei ist bemerkenswert, daß ausdrücklich auch Minderheiten, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben, als solche anerkannt werden. Fraglich ist allerdings, ob mit „ausländische Minderheiten" Ausländer im Sinne des vorliegend vertretenen Minderheitenbegriffes gemeint sind, oder ob die sächsische Verfassung allen rechtmäßig im Lande lebenden Ausländern die Achtung des Landes zusichert, unabhängig davon, ob sie die typischen Merkmale einer Minderheit aufweisen. Da Abs. 3 der Vorschrift nicht von „Ausländern", sondern von „ausländischen Minderheiten" spricht, ist davon auszugehen, daß der Minderheitenschutz der sächsischen Verfassung offengehalten werden soll für etwaige neu entstehende Minderheiten, nicht aber, daß sie unterschiedslos alle Ausländer in den Schutz einbeziehen will. Auffällig am Minderheitenbegriff der sächsischen Verfassung ist außerdem, daß die Sorben offensichtlich nicht als ethnische Minderheit oder als sorbische Volksgruppe, sondern als „sorbisches Volk", dessen Mitglieder gleichberechtigte Teile des Staatsvolkes sind, betrachtet werden. 263 Für ihren Schutz spielt dies indes keine entscheidende Rolle: Die Gewährung von speziellen Minderheitenrechten läßt erkennen, daß ihr Status als Minderheit durch diese Begrifflichkeit nicht in Frage gestellt werden soll. Auch bringt die Betonung der Zugehörigkeit zum Staatsvolk insofern nichts Neues, als die Sorben in ihrer Eigenschaft als deutsche Staatsangehörige ohnehin unproblematisch zum Staatsvolk gehören. Vielmehr ist davon auszugehen, daß diese Begriffswahl die Notwendigkeit der Gleichbehandlung von Minderheit und Mehrheit unterstreichen soll. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 stellt zunächst eine bloße Beschreibung der Zusammensetzung des Volkes des Freistaates Sachsen dar. Satz 2 gewährt den in Satz 1 Genannten das „Recht auf die Heimat" als das Recht, in der angestammten Heimat zu leben. 264 Abs. 2 schützt die Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit in besonderem Maße, indem er ihnen ein Recht auf die diversen Aspekte ihrer Identität

263

Zur Motivation dieser Neueinstufung vgl. Kunzmann/Haas/Bartlitz/BaumannHasske, Art. 6, Rn. 3. 264 Kunzmann/Haas/Bartlitz/Baumann-Hasske, Art. 5, Rn. 6; ausführlich zum Recht auf die Heimat Kimminich, Heimat; vgl. auch Blumenwitz, in: Blumenwitz/Gornig, Rechtliche und politische Perspektiven, S. 13 ff.

2. Abschnitt: Rechtslage

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zugesteht und dem Land auferlegt, dieses Recht zu schützen und zu gewährleisten. Ist von einem solchen Recht die Rede, so liegt die Annahme nahe, daß es sich hierbei um ein subjektives Recht handelt, 265 und zwar um ein Abwehrrecht, sofern es das Land zum Schützen verpflichtet und um ein Leistungsrecht, sofern es das Land verpflichtet, die Identität zu gewährleisten. 266 Gegen eine Qualifizierung als subjektives Recht spricht dagegen die systematische Stellung des Art. 5 Absatz 2 in der sächsischen Verfassung: Diese unterscheidet zwischen den „Grundlagen des Staates" im 1. Abschnitt, Art. 1-13, und den Grundrechten im 2. Abschnitt. Dabei strebte man schon im Verlauf der Entstehungsgeschichte der Vorschrift eine klare Trennung zwischen objektiv-rechtlichen Staatszielen und subjektiv-rechtlichen Grundrechten an. 267 Diese grundlegende Trennung zwischen Staatszielen und Grundrechten kommt auch in den Art. 13 und 36 der Landesverfassung zum Ausdruck. 268 Art. 13 legt für das Land Sachsen die normativen Wirkungen von Staatszielbestimmungen gesondert fest. Diese sollen den Staat dazu verpflichten, die in der Verfassung niedergelegten Staatsziele nach seinen Kräften anzustreben und sein Handeln danach auszurichten. Es ist daher davon auszugehen, daß Art. 5 Abs. 2 keine konkreten Rechtsansprüche, sondern nur die Verpflichtung des Landes verbürgt, die kulturelle Identität der Minderheiten nach Kräften zu unterstützen. 269 Fraglich ist wiederum, ob das Kollektiv oder der einzelne Minderheitsangehörige begünstigt wird. Im Wortlaut der Vorschrift tauchen nur die Minderheiten auf, nicht die Minderheitsangehörigen. Deshalb ist von deren kollektiven Charakter auszugehen.270 Abs. 3 schließlich befaßt sich mit den Interessen der ausländischen Minderheiten, schützt diese aber in weitaus schwächerem Maße, als der vorige Absatz dies für die Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit vorsah. Ihnen gegen-

265

Von Mangoldt, S. 41, erklärt nur allgemein, die sächsische Verfassung gewähre Minderheitenschutz als Staatszielbestimmung, ohne auf die einzelnen Absätze der Normen einzugehen. 266 Kunzmann/Haas/Bartlitz/Baumann-Hasske, Art. 5, Rn. 7. 267 Vgl. den 10. Bericht des Verfassungs- und Rechtsausschusses zum Ausschußentwurf der Verfassung des Freistaates Sachsen vom 18. 5. 1992, abgedruckt in: Stober, S. 397. 268 So auch Kunzmann/Haas/Bartlitz/Baumann-Hasske, Die Grundlagen des Staates, Rn. 2. 269 Ebenso Müller, Verfassung des Freistaates Sachsen, Art. 5, S. 80. 270 So auch Stopp, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, 8/1995, 9/31; von Mangoldt, S. 41, geht zumindest betreffend der Sorben davon aus, daß die sächsische Verfassung sowohl individualrechtliche als auch „volksgruppenrechtliche" Vorgaben mache.

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

über ist das Land lediglich verpflichtet, ihre Interessen zu „achten". Eine solche Achtensklausel verpflichtet zunächst einmal dazu, alles zu unterlassen, was den genannten Interessen entgegenstehen könnte, oder solch entgegenstehendes Handeln zumindest einer verstärkten Rechtfertigungspflicht zu unterwerfen. 271 Insgesamt soll das Land sich so verhalten, daß Konflikten mit den Interessen der ausländischen Minderheiten aus dem Wege gegangen wird. 2 7 2 Für diesen Absatz der Vorschrift ist klar, daß die Norm das Kollektiv im Auge hat und nicht die einzelnen Minderheitsangehörigen. Dies geht eindeutig aus der Formulierung hervor, daß das Land die Interessen der Minderheit achte - nicht etwa die ihrer Angehörigen - soweit die betreffenden Minderheitsangehörigen sich rechtmäßig im Lande aufhalten. Ein subjektives Recht des Kollektivs besteht dabei nicht. Art. 6 Abs. 1 ähnelt Art. 5 Abs. 2, der keine konkreten Ansprüche verbürgt. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 stellt klar, daß die sorbischen Bürger dieselben Rechte haben wie die Bürger deutscher und anderer Volkszugehörigkeit. Dies wiederholt noch einmal in anderer Form, was Art. 3 Abs. 3 GG bereits klarstellt: daß eine Diskriminierung aufgrund der Volkszugehörigkeit unzulässig ist. Satz 2, 1. Halbsatz entspricht großteils dem, was Art. 5 Abs. 2 den Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit gewährt. Lediglich die Religion wird nicht gesondert geschützt. Dies ist aber auch nicht nötig: Die Religion der Sorben weicht von der der Mehrheitsbevölkerung nicht ab. 273 Zusätzlich wird auch die Entwicklung der Identität abgesichert. Die ähnliche Ausgestaltung läßt dabei vermuten, daß auch Art. 6 Abs. 1 Satz 2 keine konkreten subjektiven Rechte verbürgt. 274 Der 2. Halbsatz konkretisiert außerdem, welche Einrichtungen fur die Bewahrung der sorbischen Identität von besonderer Bedeutung sind. 275 Abs. 2 verweist auf die sorbischen Lebensbedürfnisse. In Zusammenhang mit dem in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 anerkannten Recht auf die Heimat dürfte diese Staatszielbestimmung die Reaktion auf die Zerstörung sorbischen Lebensraumes zugunsten der Braunkohleförderung sein, die zu DDR-Zeiten besonders

271

Zum Gehalt eines Achtensgebotes vgl. auch unten die Ausführungen zu Art. 20 b, 3. Teil, 2. Abschnitt, C., II. 272 Kunzmann/Haas/Bartlitz/Baumann-Hasske, Art. 5, Rn. 8. 273 Vgl. oben, 2. Teil, 1. Abschnitt, Α., III. 274 Müller, Verfassung des Freistaates Sachsen, Art. 6, S. 81 f., geht dagegen davon aus, daß ein „subjektiv-öffentlicher Anspruch auf Schutz und Gewährleistung" bestehe, der dem Kollektiv zustehe und durch die „gewählten Führer" gegebenfalls gerichtlich geltend gemacht werden könne, wobei aber die „Organe" des Landes bei der Ausgestaltung des Schutzes einen weiten „Ermessensspielraum" haben sollen. 275 Kunzmann/Haas/Bartlitz/Baumann-Hasske, Art. 6, Rn. 6.

2. Abschnitt: Rechtslage

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rücksichtslos betrieben wurde, aber auch heute noch andauert. 276 Laut Satz 2 ist es dem Land zudem auferlegt, im Lebensraum der Sorben den bikulturellen Charakter zu erhalten. 277 Abs. 3 formuliert als Staatsziel die landesübergreifende Zusammenarbeit vor allem mit dem Land Brandenburg. 278 Einklagbar sind die Gewährleistungen der Art. 5 und 6 vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Sachsen (Art. 81 der sächsischen Verfassung), vor dem sowohl die abstrakte Normenkontrolle (Art. 81 Abs. 1 Nr. 2) als auch die Verfassungsbeschwerde (Art. 81 Abs. 1 Nr. 4) vorgesehen ist. 279

4. Art. 37 der Verfassung von Sachsen-Anhalt Der Artikel lautet: „(1) Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten stehen unter dem Schutz des Landes und der Kommunen. (2) Das Bekenntnis zu einer kulturellen oder ethnischen Minderheit ist frei; es entbindet nicht von den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten." Art. 37 der Verfassung von Sachsen-Anhalt nimmt keinen Bezug auf eine bestimmte Minderheit. Allerdings beschränkt er seine Gewährleistungen auf „ethnische" und „kulturelle" Minderheiten. Dabei bleibt unklar, ob religiöse Minderheiten ausgeschlossen werden sollen oder vom Oberbegriff „ethnische Minderheit" miterfaßt werden sollen. Zugunsten der religiösen Minderheiten soll hier von der letzteren Interpretation ausgegangen werden. Auch stellt der Art. 37 nicht ausdrücklich klar, ob die Staatsangehörigkeit für die Anerkennung als Minderheit von Bedeutung sein soll. 280 Lediglich die Anknüpfung an die allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten läßt erkennen, daß Minderheiten, deren Angehörige eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche innehaben, nicht von der Norm erfaßt werden. Deshalb ist anzunehmen, 276

Vgl. oben, 2. Teil, 1. Abschnitt, Α., III. Kunzmann/Haas/Bartlitz/Baumann-Hasske, Art. 6, Rn. 9. 278 Kunzmann/Haas/Bartlitz/Baumann-Hasske, Art. 6, Rn. 11. 279 Zur Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde, die sich auf die allgemeine Handlungsfreiheit, die Art. 15 der Landesverfassung ebenso wie Art. 2 Abs. 1 GG schützt, und eine Staatszielbestimmung stützt, soll an dieser Stelle auf die Ausführungen zur Justitiabilität des Art. 20 b verwiesen werden, vgl. unten, 3. Teil, 2. Abschnitt, C., III., 2. 280 Von Mangoldt, S. 41, geht deshalb davon aus, daß es an einer deutlichen Unterscheidung zwischen Ausländern und Inländern fehle. 277

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2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

daß die Verfassung von Sachsen-Anhalt am Kriterium der Staatsangehörigkeit entgegen der hier vertretenen Auffassung festhält. Abs. 1 der Vorschrift weist Parallelen zu Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung von Schleswig-Holstein auf. Insofern gilt das dort Festgestellte: Es handelt sich um eine Regelung mit objektiv-rechtlichem Charakter, nämlich eine Staatszielbestimmung, 281 die Land und Kommunen verpflichtet, dem Kollektiv schützend beizustehen, sofern es um dessen kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung geht. Dabei definiert die Verfassung von Sachsen-Anhalt in Art. 3 Abs. 3 ausdrücklich, welche Wirkungen diese entfalten sollen: Die Staatsziele sollen das Land verpflichten, diese nach Kräften anzustreben und sein Handeln nach ihnen auszurichten. Dementsprechend sind Land und Kommunen in Sachsen-Anhalt nur dazu verpflichtet, die kulturelle Eigenständigkeit und politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten abzusichern. Ein entsprechender Anspruch steht den Minderheiten nicht zu. Abs. 2 wiederum entspricht weitgehend Art. 5 Abs. 1 der schleswigholsteinischen Verfassung; allerdings ist von kulturellen und ethnischen statt von nationalen Minderheiten die Rede. Im Ergebnis macht dies jedoch keinen Unterschied, da sich auch ethnische bzw. nationale Minderheiten durch kulturelle Besonderheiten auszeichnen können. Auch wenn Art. 37 nicht unter den Grundrechten der Landesverfassung auftaucht, erscheint es doch naheliegend, vom subjektiv-rechtlichen und individuellen Charakter des freien Bekenntnisses im Sinne eines Abwehrrechtes auszugehen.282 Insofern gilt das bezüglich Art. 5 Abs. 1 der schleswig-holsteinischen Verfassung Gesagte. Art. 81 der Landesverfassung sieht für objektives Verfassungsrecht prinzipiell die Möglichkeit der abstrakten Normenkontrolle vor, Art. 75 der Landesverfassung die Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht bei Verletzung von Grundrechten. Damit sind die Gewährleistungen des Art. 37 prinzipiell einklagbar.

5. Art. 18 der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern Die Vorschrift lautet:

281

Zumindest für die „grundsätzliche" Einordnung als Staatszielbestimmung auch Fischer, S. 122; ohne Einschränkung Stopp, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, 8/1995, 9/36: „...kollektiv-rechtliche objektive Schutznorm..."; von Mangoldt, S. 41. 282 A.A. Reich, Art. 37, Rn. 2 („objektive Norm").

2. Abschnitt: Rechtslage

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„Die kulturelle Eigenständigkeit ethnischer und nationaler Minderheiten und Volksgruppen von Bürgern deutscher Staatsangehörigkeit steht unter dem besonderen Schutz des Landes." Art. 18 bezieht sich sowohl auf ethnische als auch auf nationale Minderheiten sowie auf Volksgruppen. Er stellt damit die am häufigsten verwendeten Oberbegriffe für ethnische, sprachliche und religiöse Minderheiten nebeneinander, ohne sich auf einen bestimmten festzulegen. Eine namentliche Benennung bestimmter Minderheiten fehlt. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, daß Mecklenburg-Vorpommern kein traditionelles Siedlungsgebiet einer bestimmten Minderheit ist. Insofern dürfen sich alle Minderheiten angesprochen fühlen, sofern sie nur die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben. Art. 18 stellt die kulturelle Eigenständigkeit dieser Minderheiten unter besonderen Schutz und erlegt damit also dem Land auf, Eingriffen Dritter entgegenzuwirken. Eindeutig ist dabei die Bezugnahme auf das Kollektiv, nicht auf das einzelne Individuum; 283 die Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern läßt also mit diesem Gebot zum Schutz des Kollektivs einen gruppenrechtlichen Ansatz erkennen. Fraglich ist aber, ob diese positiven Gruppenrechte subjektiv- oder objektivrechtlich ausgestaltet sind. Der Wortlaut ist insofern nicht eindeutig. Weiterhelfen kann hier die Systematik der Landesverfassung: Diese trennt Staatsziele klar von Grundrechten, wobei auch Art. 18 zu ersteren gehört. 284 Deshalb ist davon auszugehen, daß konkrete subjektiv-rechtliche Ansprüche nicht verbürgt sind. Allerdings fehlt es in der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern an einer gesonderten Festlegung der normativen Wirkungen von Staatszielbestimmungen, so daß insofern auf die allgemeine Definition der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge" zurückgegriffen werden muß. 285 Diese Sachverständigenkommission bestimmte in den 80er Jahren, daß Staatszielbestimmungen „Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben (...) vorschreiben", seien.286 Demgemäß ist das Land also nur dazu verpflichtet, die kulturelle Eigenständigkeit der betreffen-

283

So auch Stopp, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 8/1995, 9/38: „...kollektivrechtliche Schutzregelung...". 284 Stopp, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 8/1995, 9/38, geht nur von einem „...primär objektiven Schutz..." aus. 285 Vgl. zu den Wirkungen von Staatszielbestimmungen im einzelnen unten, 3. Teil, 2. Abschnitt, C., II. 286 Bericht der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen / Gesetzgebungsaufträge", Bonn 1993, Rn. 7; vgl. auch unten, 3. Teil, 2. Abschnitt, C., II., 1.

122

2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

den Minderheiten als Zielvorgabe anzustreben, ohne daß diese unmittelbar Begünstigungen einfordern könnten. Die Landesverfassung sieht dabei prinzipiell die Möglichkeit der abstrakten Normenkontrolle vor, 2 8 7 die im Regelfall die richtige Klageart für objektives Verfassungsrecht ist. 288 Deshalb sind die Gewährleistungen des Art. 18 zumindest prinzipiell einklagbar.

III. Einfache Gesetze 1. „Sorbengesetz" Die landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutzbestimmungen werden durch zahlreiche einfachgesetzliche Normen umgesetzt, die hier nicht alle im einzelnen aufgeführt werden können. 289 Exemplarisch soll deshalb auf das Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden) im Land Brandenburg vom 7. 7. 1994 verwiesen werden, das den Gesetzgebungsauftrag des Art. 25 Abs. 5 der brandenburgischen Verfassung umsetzt. Dieses gesteht den Sorben in drei Artikeln und vierzehn Paragraphen besondere Rechte zu, die die Gewährleistungen des Art. 25 der brandenburgischen Verfassung wiederholen, ausführen und ergänzen. So garantiert zum Beispiel § 1 das Recht auf nationale Identität, das in knapperer Form bereits Art. 25 Abs. 1 der brandenburgischen Verfassung gewährleistet. § 3 führt das in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 festgelegte Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege des angestammten Siedlungsgebietes aus, § 4 wiederholt nicht nur die Farben der sorbischen Fahne, sondern ergänzt dies durch die Möglichkeit, sie gleichberechtigt mit staatlichen Symbolen zu verwenden, Die politische Mitwirkung sichern die beiden folgenden Paragraphen: § 5 stellt die rechtliche Grundlage für einen Rat für sorbische Angelegenheiten dar, den der Landtag für jede Wahlperiode neu wählt und der den Landtag in den Angelegenheiten der Sorben berät. Dies entspricht der im Gesetzgebungsauftrag des Art. 25 Abs. 5 der brandenburgischen Verfassung formulierten Verpflichtung, Vertreter der Sorben an der Gesetzgebung zu beteiligen. § 6 sieht eine Interessenvertretung auch auf kommunaler Ebene vor. Die §§ 7-9 behandeln Kultur und Sprache. § 10 gewährleistet, daß Kinder und Jugendliche die Möglichkeit erhalten, die sorbische Sprache zu erlernen, wie Art. 25 Abs. 3 der brandenburgischen Verfassung bereits festlegt. § 11 gesteht

287

Vgl. die Art. 52 ff. der Landesverfassung. Vgl. dazu ausführlich 3. Teil, 2. Abschnitt, C., III. 289 Vgl. nur etwa die Zusammenstellung für den Freistaat Sachsen bei Murswiek, S. 9, Fn. 29. 288

2. Abschnitt: Rechtslage

123

den Sorben eine zweisprachige Beschriftung im Siedlungsgebiet zu, vergleichbar Art. 25 Abs. 4 Satz 1. § 13 schließlich stellt fest, daß Brandenburg in den die Sorben betreffenden Fragen eng mit Sachsen zusammenarbeitet, im Sinne einer „Landesgrenzen übergreifenden" (Art. 25 Abs. 2 der brandenburgischen Verfassung) Kulturarbeit.

2. § 4 Abs. 1 Satz 2 Landeswahlgesetz von Schleswig-Holstein Weiterhin soll an dieser Stelle kurz auf § 4 Abs. 1 Satz 2 des Landeswahlgesetzes von Schleswig-Holstein hingewiesen werden. Dieser gewährt der dänischen Minderheit eine Sonderstellung bezüglich ihrer politischen Repräsentanz, ähnlich wie § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG dies für die Bundesebene festlegt. Anders als auf Grundlage der bundesrechtlichen Regelung im Bundestag ist aber auf Grundlage der landesrechtlichen Begünstigung tatsächlich diese Minderheit durch den Südschleswigschen Wählerverband im Landtag vertreten.

D. Bewertung - Effektivität des bestehenden Schutzsystems? I. Standard für die von der deutschen Rechtsordnung ausdrücklich geschützten Minderheiten Der Minderheitenschutz in der Bundesrepublik wird zum Teil als vorbildlich bezeichnet.290 Dies ist indes nur für die ausdrücklich von der deutschen Rechtsordnung anerkannten unter ihnen zutreffend: Den Dänen, Friesen und Sorben stehen zunächst die Gewährleistungen des Grundgesetzes zu. Art. 3 Abs. 3 GG garantiert in erster Linie dem Individuum einen subjektiven, indirekten Abwehranspruch gegen staatliche Diskriminierungen, die an die Minderheiteneigenschaft anknüpfen. Art. 1 Abs. 1 GG schützt vor einer herabwürdigenden Ungleichbehandlung. Darüberhinaus können die anerkannten Minderheiten sich auf die Freiheitsrechte des GG berufen, was sie allerdings nicht besser stellt als die Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung. Jedenfalls sind die Dänen, Friesen, Sorben im Grundgesetz durch indirekte, negative und subjektivrechtliche Gewährleistungen im Sinne des menschenrechtlichen Ansatzes abgesichert. Diese individualschützenden Normen werden durch individuelle Abwehr- und Leistungsrechte auf Landesebene ergänzt, etwa durch Art. 25 Abs. 3 der brandenburgischen Verfassung betreffend Sprache und Kultur. Auch das Völkerrecht gewährt den Dänen, Friesen und Sorben einen vorwiegend

290

Murswiek, S. 7, bezeichnet ihn gar als „...eine Idylle."

124

2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

menschenrechtlich ausgerichteten Schutz des Individuums und geht insofern nicht über die Gewährleistungen des Grundgesetzes hinaus. Aber auch das Kollektiv genießt bezüglich der anerkannten Minderheiten umfangreichen Schutz. Zunächst einmal sieht Art. 3 Abs. 3 GG neben dem Schutz des Individuums auch ein kollektives Diskriminierungsverbot vor. Auch könnten Minderheiten, die sich auf Vereinsbasis organisieren, einen kollektiven Abwehranspruch aus Art. 9 Abs. 1 GG 2 9 1 geltend machen. Neben diesen gruppenrechtlichen Abwehransprüchen, die nur als Ergänzung einer positiven Förderung und des Schutzes der Gruppe dienen können, 292 halten die Landesverfassungen 293 der jeweiligen Siedlungsgebiete gruppenrechtliche positive, direkte Begünstigungen bereit. So genießen die Dänen und Friesen in SchleswigHolstein das durch Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Landesverfassung gewährte kollektive, direkte, positive Schutz- und Fördergebot, das subjektiv-rechtlich ausgestaltet ist. Die Sorben sind in vergleichbarer Weise, wenn auch in vorwiegend objektiv-rechtlicher Ausgestaltung, durch den besonders ausfuhrlichen Art. 25 der brandenburgischen Verfassung geschützt. Im zweiten Siedlungsgebiet der Sorben, dem Land Sachsen, sieht Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung ein direktes, positives, objektives „Recht" auf Unterstützung bei Bewahrung und Pflege seiner Kultur vor. Diese landesverfassungsrechtlichen Schutzbestimmungen zugunsten der Dänen, Friesen und Sorben als Gruppe werden auf einfachgesetzlicher Ebene und in Rechtsverordnungen in zahlreichen Bestimmungen ausgeführt. Das Völkerrecht enthält demgegenüber nur schwache kollektivrechtliche Ansätze. Lediglich Art. 27 IPBPR erkennt zumindest den „kollektiven Bezug" des Individuums an; enthält aber keine positiven Gewährleistungen. Zudem liegt der Schwerpunkt der Vorschrift auf dem Schutz des Individuums. Insofern bietet das Völkerrecht diesen besonders gut geschützten Minderheiten auch bezüglich des Gruppenschutzes keine Gewährleistungen, die über die innerstaatlich verbürgten hinausgingen. Die Dänen, Friesen und Sorben profitieren damit vor allem von einem innerstaatlichen, vorwiegend auf Landesebene geregelten Schutzsystem, das sowohl eine menschen- als auch eine gruppenrechtliche Komponente aufweist und insgesamt zweckmäßig ausgestaltet ist. Die vorwiegend als positiv zu bezeichnende Situation der Dänen und Sorben, aber auch die etwas angespanntere 291

Zur Herleitung der kollektiven Vereinigungsfreiheit aus dieser Vorschrift vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 8; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 24. 292 Vgl. oben, 1. Teil, 2. Abschnitt, D., II., 2. 293 Die gruppenrechtliche Begünstigung der Dänen in § 6 Abs. 6 Satz 2 BWahlG, die diese eher in symbolischer als praktisch relevanter Weise bevorzugt, kann an dieser Stelle vernachlässigt werden.

2. Abschnitt: Rechtslage

125

Lage der Friesen bestätigt die Effektivität dieses Schutzsystems. Damit besteht betreffend dieser anerkannten Minderheiten kein erkennbarer Handlungsbedarf in Sachen Minderheitenschutz.

II. Standard für nicht ausdrücklich anerkannte Minderheiten Ganz anders stellt sich die Situation für die nicht ausdrücklich anerkannten Minderheiten dar. Hier ist in erster Linie an die Sinti und Roma zu denken, die als einzige bereits heute als Minderheit anzuerkennen sind. Zusätzlich ist aber auch danach zu fragen, wie es um den Schutzstandard für diejenigen bestellt sein wird, die zwar momentan noch nicht den Minderheitenstatus für sich reklamieren können, denen er aber möglicherweise in der Zukunft zustehen könnte. Dies betrifft vor allem die Ausländer und „neuen" Minderheiten, aber auch die Polen und die jüdische Bevölkerungsgruppe. Für die Sinti und Roma läßt sich zunächst feststellen, daß auch diese von den Gewährleistungen des Grundgesetzes in gleicher Weise profitieren wie die anerkannten Minderheiten und also die Individuen in Sachen Diskriminierungsschutz entsprechend der menschenrechtlichen Komponente nicht schlechter gestellt sind als jene. Insofern sind sie ausreichend geschützt. Anders verhält es sich mit dem ebenso notwendigen Schutz durch positive Förderung der Gruppe. Zwar ist über Art. 3 Abs. 3 GG wiederum die Gruppe an sich zumindest vor Diskriminierungen geschützt. Die wichtigere positive Förderung der Gruppe aber fehlt weitgehend. Lediglich Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der schleswig-holsteinischen Verfassung, Art. 5 Abs. 2 der sächsischen Verfassung, Art. 18 der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern und Art. 37 Abs. 1 der Verfassung von Sachsen-Anhalt enthalten positive Begünstigungen des Kollektivs. Damit besteht für die Sinti und Roma, die traditionell nicht in einem geschlossenen Siedlungsgebiet leben, nur in vier Bundesländern ein gruppenrechtlicher Schutz durch landesrechtliche Regelungen. Auch der völkerrechtliche Minderheitenschutz vermag diese Lücke nicht zu schließen: Allein der Art. 27 IPBPR gesteht den Sinti und Roma in verbindlicher Form zumindest einen „kollektiven Bezug" zu. Dieser verbürgt aber grundsätzlich keine Schutz- und Förderpflichten und damit auch keinen wirksamen Gruppenschutz. Der Großteil der Sinti und Roma muß also ohne jede positive Förderung ihrer Gruppenidentität auskommen. Ein Schutz aber, der sich großteils auf die menschenrechtliche Komponente beschränkt, vermag diese Minderheit nicht effektiv zu schützen. Dieses Defizit spiegelt sich auch in der besonders schwierigen tatsächlichen Situation der Sinti und Roma wider. Nicht wesentlich anders wird sich voraussichtlich die Situation für neu entstehende Minderheiten darstellen. Auch diesen kommen die Gewährleistungen

126

2. Teil: Analyse des in der Bundesrepublik geltenden Minderheitenschutzes

des Grundgesetzes zugute, so daß im menschenrechtlichen Bereich für den Schutz der Individuen gesorgt ist. Im gruppenrechtlichen Bereich fehlt es aber allenthalben an Regelungen mit der notwendigen Offenheit. Nur die Verfassungen der Länder Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg·^Vorpommern sehen überhaupt die kollektive Förderung von nicht namentlich benannten Minderheiten vor. „Neue" Minderheiten können zumindest in diesen Bundesländern Schutz und Förderung als Gruppe erwarten. Ähnlich verhält es sich für die Juden. Sollten sie das erforderliche Gruppenbewußtsein entwickeln, so entspräche ihre minderheitenrechtliche Situation der der Sinti und Roma. Auch sie wären nur in vier Bundesländern als Gruppe geschützt und ansonsten auf den Individualschutz im Sinne des menschenrechtlichen Ansatzes beschränkt, obwohl sie nicht in einem traditionellen Siedlungsgebiet leben und also auch nicht ausschließlich in diesen vier Bundesländern. Noch schlechter sieht es für die möglicherweise entstehende polnische Minderheit aus, die in keinem der Bundesländer lebt, die einen Gruppenschutz für neu entstehende Minderheiten zulassen. Die Polen werden zwar zusätzlich im „Nachbarschaftsvertrag" begünstigt, können sich aber mangels Umsetzung auf den kollektivrechtlichen Teil des Vertrages, der nicht „self-executing" ist, auch dann nicht direkt berufen, wenn sie das erforderliche Gruppenbewußtsein entwickeln sollten. Besonders wenig Möglichkeiten bietet das geltende Minderheitenschutzsystem für die gruppenrechtliche Förderung neu entstehender Minderheiten, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben. Allein der Art. 5 Abs. 3 der sächsischen Verfassung spricht ausdrücklich auch ausländische Minderheiten, deren Angehörige sich rechtmäßig im Lande aufhalten, als Gruppe an. Sowohl Schleswig-Holstein als auch Sachsen-Anhalt halten am überholten Kriterium der Staatsangehörigkeit fest und schließen damit Ausländer von der kollektiven Förderung aus. Damit stehen sowohl der positive, objektiv-rechtlich ausgestaltete Gruppenschutz des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Landesverfassung von Schleswig-Holstein als auch der vergleichbare Art. 37 der Verfassung von Sachsen-Anhalt nur solchen Minderheiten zu, die die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben. Aber auch die sächsische Verfassung gebietet lediglich die „Achtung" der Interessen ausländischer Minderheiten, also keine positive Förderung dieser Gruppen. Insofern fehlt also selbst in diesem einzigen Bundesland, das Ausländern prinzipiell Gruppenschutz bietet, diese zentrale Komponente eines effektiven gruppenrechtlichen Ansatzes. Für alle neu entstehenden Minderheiten aber wird es sich negativ auswirken, daß die Mehrzahl der Bundesländer überhaupt keinen kollektiven Minderheitenschutz geregelt haben. Auch das Völkerrecht bietet solchen neu entstehen-

2. Abschnitt: Rechtslage

127

den Minderheiten, gleich welcher Staatsangehörigkeit, nur denselben vagen „kollektiven Bezug" ohne spezielle Förderung wie den Sinti und Roma. Allerdings wird auch dieser Schutz nur dann für neu entstehende Minderheiten aller Art offen sein, wenn sich künftig die Auffassung durchsetzen wird, daß Art. 27 IPBPR auch Ausländer erfaßt. Diese Personengruppen haben daher nach der geltenden Rechtslage, auch wenn sie in den Minderheitenstatus hineinwachsen sollten, nur einen äußerst lückenhaften Schutz im Sinne des gruppenrechtlichen Ansatzes zu erwarten.

E. Ergebnis Insgesamt besteht damit in der Bundesrepublik nur zugunsten der ausdrücklich anerkannten Dänen, Friesen und Sorben ein effektives Schutzsystem, das hauptsächlich auf Landesebene geregelt ist. Die Situation der nicht ausdrücklich anerkannten Minderheiten in der Bundesrepublik sowie die Situation für neu entstehende Minderheiten ist dagegen keinesfalls als vorbildlich zu bezeichnen. Sie läßt vielmehr ein erhebliches Defizit erkennen, was die positive Förderung der Gruppe anbelangt. Ein effektives Minderheitenschutzsystem ist für diese Personengruppe nicht existent. Insofern läßt der Minderheitenschutz in der Bundesrepublik also einen Regelungsbedarf erkennen.

Dritter Teil

Verfassungsänderung als Lösungsweg 1. Abschnitt: Notwendigkeit einer Regelung auf Verfassungsebene A. Bedenken I. Das Föderalismusargument Auch wenn man davon ausgeht, daß der geltende Minderheitenschutz zumindest für die nicht ausdrücklich anerkannten Minderheiten ein Defizit im gruppenrechtlichen Bereich aufweist, sagt dies noch nichts darüber aus, ob das Grundgesetz die geeignete Regelungsebene ist, um diesem Defizit zu begegnen. Gegen einen Minderheitenschutzartikel in der Verfassung wird vor allem eingewendet, daß die Unterschiede zwischen den Angehörigen der Minderheiten und der Mehrheitsbevölkerung sich allein aus ihrer kulturellen Identität ergäben, die Förderung der Gruppe deshalb an diesem kulturellen Aspekt ansetzen müsse und daher zur Kulturhoheit der Länder gehöre.1 Deshalb sei der systematisch richtige Ort für Minderheitenschutzbestimmungen in den einschlägigen Landesverfassungen zu suchen.2 Gegen dieses Föderalismusargument kann man zunächst einwenden, daß die verschiedenen Aspekte der Minderheitenproblematik nicht ausschließlich kulturbezogen sind.3 Als Beispiel für einen nicht kulturbezogenen Aspekt ist etwa die politische Mitwirkung zu nennen. Entscheidend ist aber die Frage, ob es tatsächlich einer Normierung im Grundgesetz entgegensteht, wenn eine Regelungsmaterie, wie der Minderheitenschutz, zumindest teilweise in den Kompetenzbereich der Länder fällt. Dabei muß berücksichtigt werden, daß ein Minderheitenschutzartikel im Grundgesetz kaum so konkret ausgestaltet werden könnte, daß er bereits alle Rechtsfragen detailliert und abschließend regeln würde. Vielmehr müßte er, um alle möglichen Fälle zu erfassen und sich zu1

So die ablehnende Minderheit in der Gemeinsamen Verfassungskommission, vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 75. 2 CDU/CSU im Rechtsausschuß, BT-Drs. 12/8165, S. 61. 3 So die SPD im Rechtsausschuß, BT-Drs. 12/8165, S. 64, ohne nähere Erläuterung.

1. Abschnitt: Notwendigkeit einer Regelung auf Verfassungsebene

129

dem in die Struktur des Grundgesetzes einzupassen, relativ weit gefaßt werden. Die konkrete Umsetzung käme dann dem einfachen Gesetzgeber zu - ob dem Bundes- oder Landesgesetzgeber, würde sich nach den Art. 70 ff GG richten, so daß alle kulturbezogenen Materien zwangsläufig Ländersache blieben. Ein Minderheitenschutzartikel wäre also föderalismusneutral, sofern er Raum ließe für eine gesetzgeberische Umsetzung. Eine landesverfassungsrechtliche Regelung ist zwar unter diesem Gesichtspunkt nicht als verfehlt anzusehen, aber auch keinesfalls systematisch zwingend. Insofern bestehen also keine Bedenken gegenüber einer Regelung im Grundgesetz.

II Förderung nationalistischen Denkens Außerdem wird gegen einen Minderheitenschutzartikel im Grundgesetz eingewendet, die bloße Unterscheidung zwischen Minderheit und Mehrheit auf Verfassungsebene könne zu einer „Renaissance des ethnischen Denkens"4 führen und, statt einer Benachteiligung der Minderheiten entgegenzuwirken, ein nationalistisches Denken noch fordern. Die Frage ist allgemeiner Natur: Unterstützt man eine mißliebige politische Tendenz dadurch, daß man sie offiziell im Rahmen von Gegenmaßnahmen zur Kenntnis nimmt? Betreffend eines Minderheitenschutzartikels in der Verfassung muß dabei berücksichtigt werden, daß dieser bereits bestehende Minderheitenschutzvorschriften ergänzen soll und also nicht die erste und einzige Vorschrift wäre, die sich diesem Thema widmet. Allerdings würde es sich um die erste Vorschrift handeln, die sich im Grundgesetz und damit an besonders exponierter Stelle ausdrücklich der Belange der Minderheiten annimmt. Eine Aussage darüber, ob eine solche Vorschrift auch negative Auswirkungen auf die Belange der Minderheiten haben könnte, kann nicht mehr als eine Prognose sein. Letzlich können nur die Vorteile, die eine Vorschrift auf Verfassungsebene zu bieten hat, gegenüber der Gefahr einer Aufwertung nationalistischen Denkens abgewogen werden. Im Rahmen einer solchen Abwägung muß vor allem berücksichtigt werden, daß selbst eine etwaige Verstärkung der Tendenz zu einem nationalistischen Denken sich nicht zu einer existentiellen Bedrohung der Minderheiten auswachsen wird. Deshalb müssen entsprechende Bedenken zurücktreten.

4

Alexy, FR vom 14. 3. 1994, S. 5; dagegen Bräutigam, FR vom 10. 5. 1994, S. 20.

9 Siegert

130

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

III. „Bloßes Vollzugsdefizit" Verschiedentlich wurde von Gegnern einer Minderheitenschutzbestimmung im Grundgesetz eingewendet, daß den Defiziten im geltenden Minderheitenschutz als bloßen Vollzugsdefiziten problemlos auf einfach-gesetzlicher und administrativer Ebene begegnet werden könne.5 Dieses Argument kann vergleichsweise einfach entkräftet werden, da die vorangegangenen Überlegungen bereits gezeigt haben, daß das minderheitenrechtliche Defizit keineswegs nur auf einem ungenügenden Vollzug bestehender Regelungen beruht, sondern auf einer grundsätzlich lückenhaften Normierung. Auch insofern stehen also einer Regelung auf Verfassungsebene keine durchgreifenden Bedenken entgegen. Es bleibt zu untersuchen, ob entscheidende Vorteile für eine Regelung auf Verfassungsebene sprechen und damit die Notwendigkeit einer Regelung gerade im Grundgesetz begründen.

B. Vorteile I. „ Einheit und Vollständigkeit

der Verfassung "

Für die Normierung des Minderheitenschutzes auf Verfassungsebene sprechen einmal verfassungstheoretische Überlegungen wie die „Einheit und Vollständigkeit der Verfassung", was bedeutet, daß das, was richtig und wichtig ist, auch in der Verfassung stehen sollte. Nur auf diese Weise kann sich der Gesamtstaat in seinen wesentlichen Bestimmungen und Legitimationen darstellen.6 Allerdings muß auch nach diesem Ansatz eine Auswahl von Materien stattfinden, die tatsächlich von besonderer Relevanz für das Selbstverständnis des Staates sind. Nur solche Entscheidungen, die das Gemeinwesen für elementar hält, werden von der Verfassung als richtungsweisend festgeschrieben. 7 Andernfalls droht die Verfassung, als überfrachtete Lyrik 8 an Wert zu verlieren. Für die Beurteilung der Wertigkeit des Minderheitenschutzes für das Selbstverständnis des Staates muß dabei entscheidend sein, daß man den Schutz ethni5

So die ablehnende Minderheit in der Gemeinsamen Verfassungskommission, vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 74. 6 So schon die Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", vgl. deren Bericht, Bonn 1983, Rn. 213. 7 Simon, in: ders./Franke/Sachs, § 4, Rn. 14. 8 Lübbe Wolff prägte in der Debatte um Art. 20 b den Begriff „Verfassungslyrik", vgl. die Arbeitsunterlage Nr. 56 der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, S. 6.

1. Abschnitt: Notwendigkeit einer Regelung auf Verfassungsebene

131

scher Minderheiten letztlich auf die Anerkennung der Würde des Menschen als wichtigsten Grundsatz der Verfassung Zurückfuhren kann.9 Vor diesem Hintergrund kann man ihm eine fundamentale Bedeutung für das Selbstverständnis der Bundesrepublik kaum absprechen. Deshalb führen bereits die genannten verfassungstheoretischen Überlegungen zu dem Ergebnis, daß die Verfassung die richtige Ebene für die Vervollständigung des Minderheitenschutzes ist.

II. „GemeinsamerStandard" Es sprechen aber auch funktionale Gründe zumindest für eine bundesweit geltende Regelung. So führte die Analyse der geltenden Minderheitenschutzbestimmungen zu dem Ergebnis, daß im Bundesgebiet nur für bestimmte Minderheiten und selbst für diese nur in einigen Bundesländern ein effektives Schutzsystem besteht. Ein „flächendeckender" Schutz, der unterschiedslos allen Minderheiten zugute kommt, unabhängig davon, ob sie geschlossen in einem bestimmten Siedlungsgebiet leben oder nicht, existiert gerade nicht. Will man für alle Minderheiten im Lande einen „gemeinsamen Standard" 10 schaffen, so kann man dies nur schwerlich durch Regelungen auf Landesebene erreichen. Die „länderübergreifende Bedeutung,,11 spricht also zumindest für eine bundesweit geltende Regelung. Warum nun aber auf Verfassungsebene?

III. Internationale Dimension und politisches Zeichen Um den Bedarf an einer Regelung in der Verfassung zu begründen, muß zunächst die internationale Dimension des Themas in die innerstaatliche Diskussion einbezogen werden. Zwar wäre, wie die Praxis vielfach gezeigt hat, bei einer völkerrechtlichen Lösung, die das Problem Minderheiten und Minderheitenschutz auf der internationalen Ebenen angehen könnte, im Ergebnis ein von Kompromissen geprägter und wenig effektiver Schutz zu erwarten. Trotzdem ist es sinnvoll, bei einer innerstaatlichen Regelung die internationale Dimension

9

So ging auch die Gemeinsame Verfassungskommission davon aus, daß Art. 20 b „im Grunde nichts anderes" sei, „als eine besondere Ausprägung des Gebots der Achtung der Menschenwürde mit Bezug auf Minderheiten", vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 74. 10 So die Gemeinsame Verfassungskommission, vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 73. 11 So die Gemeinsame Verfassungskommission, vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 73.

132

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

des Themas zu berücksichtigen. Die Gemeinsame Verfassungskommission etwa ging davon aus, daß eine Minderheitenschutzbestimmung im Grundgesetz sich gut in die Entwicklung einpassen würde, 12 der Minderheitenproblematik staatenübergreifend eine vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken. Dies gilt vor allem deshalb, weil in Staaten, in denen eine deutsche Minderheit lebt, verfassungsrechtliche Minderheitenschutzbestimmungen existieren: so zum Beispiel in Ungarn und den Tschechischen Republiken. Dies verpflichtet zwar die Bundesrepublik nicht dazu, im Gegenzug solche auch im Grundgesetz zu etablieren. 13 Trotzdem würde ein solches Verhalten die Bereitschaft zu einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Politik erkennen lassen und so die Glaubwürdigkeit der bundesdeutschen Minderheitenpolitik erhöhen. 14 Wäre die Bundesrepublik in der Lage, bei ihren Bemühungen um eine Verbesserung der Lage der deutschen Minderheiten in Osteuropa auf ihre eigene Verfassung zu verweisen, so würde dies nicht ohne Wirkung bleiben.15 Die erkennbare Bereitschaft zu einer Politik der Gegenseitigkeit kommt erfahrungsgemäß den betroffenen Minderheiten zumindest mittelbar zugute.16 Aber auch die Minderheiten in denjenigen Staaten, die selbst keine verfassungsrechtlichen Minderheitenschutzbestimmungen normiert haben, würden von einem bundesdeutschen Minderheitenschutzartikel im Grundgesetz profitieren. Solche Staaten würden dann ihrerseits unter „Zugzwang" gesetzt, die in ihrem Lande lebenden Minderheiten nicht schlechter zu stellen. Dabei sollte

12

So deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 73. Dies betonte die ablehnende Minderheit in der Gemeinsamen Verfassungskommission, vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 75; sowie die CDU/CSU im Rechtsausschuß, BT-Drs. 12/8165, S. 63. 14 So auch die Gemeinsame Verfassungskommission, vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 73; ähnlich Heise, S. 189; Murswiek, S. 10 und das Positionspapier des Landes Brandenburg, Arbeitsunterlage Nr. 77 der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 5; auch die fraktionslose sorbische Abgeordnete Angela Stachowa verwies in ihrer Presseerklärung vom 8. September 1994 ausdrücklich darauf, daß die Bundesregierung vehement für die Rechte deutscher Minderheiten im Ausland kämpfe und die ethnischen Minderheiten in Deutschland nichts anderes seien: Deshalb kritisierte sie in scharfer Form das Scheitern des Art. 20 b. 15 Hierauf verwies Bräutigam in der 12. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission am 12. November 1992, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 21. 16 So hat sich zum Beispiel auch die Lage der deutschen Minderheit in Polen, insbesondere in Oberschlesien, deutlich verbessert, seit der Nachbarschaftsvertrag abgeschlossen und damit die Bereitschaft zur Gegenseitigkeit demonstriert wurde. Dies ist allerdings nicht ausschließlich auf den Nachbarschaftsvertrag, sondern auch auf die zunehmende Demokratisierung des Landes zurückzuführen. Vgl. zur Lage der deutschen Minderheit in Polen Mohlek, in: van der Meulen, S. 99 ff 13

1. Abschnitt: Notwendigkeit einer Regelung auf Verfassungsebene

133

auch der besondere Symbolcharakter der Verfassungsebene nicht unterschätzt werden: Gerade an dieser Stelle läßt sich die Ernsthaftigkeit der bundesdeutschen Bemühungen um einen effektiven Minderheitenschutz besonders eindrucksvoll demonstrieren. Deshalb ist insgesamt von einer besonders positiven Wirkung einer verfassungsrechtlichen Minderheitenschutzbestimmung auf internationaler Ebene auszugehen. Gleichzeitig hätte ein Minderheitenschutzartikel in der Verfassung auch innenpolitisch besonderes Gewicht. Eine derartige verfassungsrechtliche Norm hätte den Charakter eines Bekenntnisses zu einer minderheitenfreundlichen Grundhaltung des Staates. Eine solche Wertentscheidung könnte nicht mit derselben Gewichtigkeit durch Normierungen auf anderen Regelungsebenen dokumentiert werden. Sie bietet die Chance zu einer Konsensbildung, die dann auf das innenpolitische Klima insgesamt ausstrahlen würde. Dies scheint auch den eher minderheitenfeindlich eingestellten Parteien, namentlich der CDU/ CSU, bei der Debatte um Art. 20 b klar gewesen zu sein: Nicht zufallig leisteten sie vehementen Widerstand gegen die Einführung der Vorschrift. 17 Offensichtlich befürchtete man, mit einem solchen Zugeständnis der Politik insgesamt einen Impuls zu einem minderheitenfreundlicheren Verhalten zu geben. Das zeigt sich besonders deutlich an den oft abenteuerlich anmutenden Interpretationen 18 der zu erwartenden Wirkungen des Art. 20 b. Statt aber vor dieser Wirkung auf innenpolitischer Ebene zurückzuschrecken, sollte man sie begrüßen und nutzen. Zwar kann ein minderheitenfreundliches politisches Klima einen lückenlosen Minderheitenschutz nicht ersetzen, wohl aber die Schaffung eines solchen Schutzes begünstigen und die Umsetzung derartiger Normen optimieren. Auch insofern spricht also alles für eine Regelung auf Verfassungsebene.

C. Ergebnis Einer Ergänzung des defizitären Minderheitenschutzes im Grundgesetz stehen keine durchgreifenden Bedenken entgegen. Vielmehr weist eine solche Regelung Vorteile auf, die auf keiner anderen Regelungsebene zu erreichen sind. Deshalb ist die Verfassung der geeignete Ort, um dem Defizit im bundesdeutschen Minderheitenschutz abzuhelfen.

17

Zu Entstehungsgeschichte und Scheitern des Art. 20 b vgl. unten, 3. Teil, 2. Abschnitt, B. 18 Dazu vgl. unten, 3. Teil, 2. Abschnitt, C., II.

134

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art.'20 b A. Wortlaut Die GVK empfahl, folgende Minderheitenschutzbestimmung ins Grundgesetz aufzunehmen: 19 „Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten."

B. Entstehungsgeschichte und Scheitern des Vorschlages I. Die Kommission Verfassungsreform

des Bundesrates

1. Aufgaben Art. 5 des Einigungsvertrages beauftragte die gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich mit den Fragen zu befassen, die im Zusammenhang mit der deutschen Einigung zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes auftraten. Diese Aufgabe wurde zunächst der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates durch den Einsetzungsbeschluß vom 1.3. 1991 20 übertragen. Diese sollte sich mit den genannten Fragestellungen auseinandersetzen und anschließend dem Bundesrat Bericht erstatten. Die Kommission konstituierte sich am 19. 4. 1991 und setzte zwei Arbeitsausschüsse ein. Arbeitsausschuß 2 befaßte sich dabei unter anderem mit der Problematik, ob eine Ergänzung des Grundgesetzes um einen Minderheitenschutzartikel notwendig sei.

2. Anträge und Beratungsverlauf Der Arbeitsausschuß 2 erarbeitete seine Beschlußempfehlungen in neun Sitzungen.21 Nachdem die Vorschläge der Länder Niedersachsen und SchleswigHolstein für die Formulierung eines Minderheitenschutzartikels kein besonderes Interesse gefunden hatten, diente der Vorschlag des Landes Brandenburg

19

Vgl. den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 71. 20 BR-Drs. 103/91. 21 Vgl. den Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92, Rn. 2.

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

135

als erste ernsthafte Diskussionsgrundlage. Dieser hatte in seiner zweiten Fassung folgenden Wortlaut: 22 „(1) Der Staat achtet die Rechte der ethnischen, kulturellen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten auf Wahrung und Entwicklung ihrer Identität. (2) Die in der Bundesrepublik bestehenden nationalen Minderheiten und Volksgruppen, deren Angehörige die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, haben Anspruch auf Schutz und Förderung." Der Absatz 1 der Vorschrift sollte dabei als Verbot des Assimilationsdruckes gegenüber allen Minderheiten verstanden werden; Absatz 2 sah subjektivrechtliche Schutz- und Förderansprüche für traditionelle Minderheiten als Gruppe vor. 23 Das Land Sachsen stellte dem einen weiteren Vorschlag gegenüber, der wie folgt lautete:24 „Die Bundesrepublik Deutschland schützt und fördert nationale und ethnische Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit." Der Absatz 2 des brandenburgischen Vorschlages fand im Arbeitsausschuß nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Als Beschlußempfehlung einigte man sich auf einen Kompromiß zwischen den beiden Vorschlägen, der als Satz 1 eine „Achtensklausel" und als Satz 2 eine objektiv-rechtliche 25 Schutzund Förderklausel nach Vorbild des sächsischen Vorschlages enthielt. Die Beschlußempfehlung lautete:26 „Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und religiösen und sprachlichen Minderheiten. Er schützt undfördert nationale und ethnische Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit." Aber auch dieser Vorschlag fand in der Schlußabstimmung nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Lediglich die Achtensklausel, beschränkt auf ethnische, kulturelle und sprachliche Minderheiten, erhielt die erforderliche

22

Zitiert nach dem Positionspapier des Landes Brandenburg, Arbeitsunterlage Nr. 77 der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 2. 23 So das Land Brandenburg in seinem Positionspapier, Arbeitsunterlage Nr. 77 der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 3. 24 Zitiert nach dem Positionspapier des Landes Brandenburg, Arbeitsunterlage Nr. 77 der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 3. 25 So das Land Brandenburg in seinem Positionspapier, Arbeitsunterlage Nr. 77 der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 4. 26 Vgl. den Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92, Rn. 130.

136

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

Stimmenzahl, so daß der Vorschlag der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates nunmehr lautete:27 „Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten."

II. Die Gemeinsame Verfassungskommission 1. Aufgaben Am 16. 1. 1992 wurde die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eingesetzt. Diese sollte die Beratungen und Beschlußfassungen der gesetzgebenden Körperschaften vorbereiten. 28 Dem Auftrag des Art. 5 des Einigungsvertrages folgend, setzte sie sich mit der Frage auseinander, ob die Aufnahme weiterer Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz zu empfehlen sei. Zu den Regelungsmaterien, die hierfür in Betracht gezogen wurden, gehörte auch der Schutz ethnischer Minderheiten.

2. Das Positionspapier des Landes Brandenburg Um eine erste Diskussionsgrundlage zur Verfügung zu haben, erstellte das berichterstattende Land Brandenburg bis September 1992 ein Positionspapier, 29 das der Gemeinsamen Verfassungskommission als Arbeitsunterlage zugänglich gemacht wurde. Dieses ausführliche, zum Teil hochgelobte30 Positionspapier kritisierte in scharfer Form den Vorschlag der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates. Insbesondere wurde bemängelt, daß die Streichung des Satzes 2, also der Schutz- und Förderklausel, zu logischen Unstimmigkeiten führe, da der entsprechende Abschnitt im Kommissionsbericht als „Schutz und Förderung von nationalen und kulturellen Minderheiten" betitelt sei.31 Außerdem

27

Vgl. den Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92, Rn. 125. 28 Vgl. den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 7. 29 Arbeitsunterlage Nr. 77 der Gemeinsamen Verfassungskommission. 30 So von Holtschneider, Informationsdienst zur Ausländerarbeit 1995, 3/4, 44/45: „...hervorragendes Positionspapier, „das für eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Thema nur zur Lektüre empfohlen werden kann". 31 Positionspapier des Landes Brandenburg, Arbeitsunterlage Nr. 77 der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 4.

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

137

falle der verbleibende Minderheitenschutzartikel, seines Kernstückes beraubt, hinter den auf europäischer Ebene bereits erreichten Standard zurück. 32 Brandenburg schlug demgegenüber vor, an einer verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderpflicht grundsätzlich festzuhalten und möglichst eine Zweiteilung vorzunehmen: Empfehlenswert sei eine Achtensklausel für alle Minderheiten in Kombination mit einer Schutz- und Förderklausel für Minderheiten, deren Angehörige die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben, wobei die Vorschrift für künftige Entwicklungen offen sein sollte.33 Der konkrete Vorschlag lautete: „Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten. Er schützt und fördert Volksgruppen und nationale Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit."

3. Die Anträge und der Beratungsverlauf 34 In der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde die Aufnahme eines Minderheitenschutzartikels in die Verfassung erstmals in der 12. Sitzung am 12. 11. 1992 diskutiert. Während die meisten Redner dieses Thema eher am Rande berührten, widmete sich H.-O. Bräutigam in seiner Eigenschaft als Minister des Landes Brandenburg diesem ausführlich. Im wesentlichen bekräftigte er die Positionen seines Landes, wie sie aus dem Positionspapier hervorgingen. 35 Insbesondere hielt er an der Auffassung fest, daß sowohl die Achtens- als auch die Schutz- und Förderklausel unverzichtbar seien. Darüberhinaus betonte er, daß eine verfassungsrechtliche Verankerung einer Staatszielbestimmung zum Thema Minderheitenschutz vor allem als Signal gegen Ausländerfeindlichkeit zu verstehen sei. Am 16. 6. 1992 fand die 2. Öffentliche Anhörung zum Thema „Staatsziele und Grundrechte" statt. Verschiedene Sachverständige äußerten sich zu diesen Themen, wobei ein Schwerpunkt der Debatte auf Fragen der Normativität von Staatszielbestimmungen lag. Darüberhinaus machten die Sachverständigen der Gemeinsamen Verfassungskommission umfangreiche Positionspapiere als

32

Positionspapier des Landes Brandenburg, Arbeitsunterlage Nr. 77 der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 4 f. 33 Positionspapier des Landes Brandenburg, Arbeitsunterlage Nr. 77 der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 5 f. 34 Vgl. dazu den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 72. 35 Vgl. den Stenographischen Bericht der 12. Sitzung vom 12. 11. 1992, S. 20 ff.

138

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

Arbeitsunterlagen zugänglich. Speziell auf eine Staatszielbestimmung Minderheitenschutz wurde dabei nicht eingegangen. Die Belange der Minderheiten standen dagegen in der 9. Öffentlichen Anhörung „Rechte ethnischer Minderheiten" am 6. 5. 1993 im Mittelpunkt der Diskussion. 36 Zu dieser Anhörung waren Vertreter der Dänen, Friesen, Sorben und der Sinti und Roma geladen worden. Auch diese verliehen der Forderung nach einem zumindest als Staatszielbestimmung ausgestalteten Minderheitenschutzartikel Nachdruck, der Achtung, vor allem aber Schutz und Förderung garantieren sollte, wobei die Forderungen nur in Einzelheiten voneinander abwichen.37 Einen ersten konkreten Antrag im Rahmen der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission formulierte die SPD.38 Er hatte folgenden Wortlaut: „Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten. Er schützt und fördert nationale und ethnische Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit." Auch dieser Antrag sah also sowohl eine „Achtensklausel" als auch die Verpflichtung zu Schutz und Förderung vor, wobei die Verpflichtung zu Schutzund Fördermaßnahmen sich ausdrücklich auf Minderheiten mit deutscher Staatsangehörigkeit bezog. Weiterhin stellte der Abgeordnete Dr. Hirsch mit Zustimmung der FDP-Fraktion einen Antrag, der mit dem Satz 1 des SPDAntrages übereinstimmte. In der abschließenden Abstimmung in der 25. Sitzung am 1. 7. 1993 erhielt zumindest der Satz 1 des SPD-Antrages, also auch der entsprechende Antrag des Abgeordneten Dr. Hirsch, die erforderliche Zweidrittelmehrheit, was angesichts der negativen Vordiskussion bei der CDU/CSU eher überraschend war. 39 Er wurde damit in den Katalog der Änderungsvorschläge als neuer Art. 20 b aufgenommen, nicht dagegen der Satz 2. Dieser scheiterte damit bereits innerhalb der Gemeinsamen Verfassungskommission. Der Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission umfaßte damit nur die Achtensklausel.

36

Vgl. den Stenographischen Bericht der 9. Öffentlichen Anhörung. So forderte Klüver in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission als Vertreter des SSW Schutz und Förderung der Minderheiten, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 4; ebenso Rose für den Zentralrat der Sinti und Roma, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 4; ähnlich Tholund für den Friesenrat, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 9; Ziesch als Vertreter der Domowina forderte Achtung und Anerkennung als Minderheit, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 10, und betonte die besondere Bedeutung des Gruppenschutzes, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 11. 38 Kommissionsdrs. Nr. 27. 39 So auch Holischneider, Informationsdienst zur Ausländerarbeit 1995, 3/4, 44/45. 37

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

139

III. Das Gesetzgebungsverfahren Die namentliche Abstimmung im Bundestag über Art. 20 b fand am 30. 6. 1994 statt.40 630 Stimmen wurden abgegeben, 239 Abgeordnete stimmten mit „Ja", 371 mit „Nein", 18 enthielten sich; zwei Stimmen waren ungültig. Der größte Teil der ablehnenden Stimmen kam aus den Reihen der CDU/CSU, der größte Teil der befürwortenden von der SPD. Insgesamt war damit der Art. 20 b noch nicht einmal in die Nähe einer Zweidrittelmehrheit gelangt. Der Bundesrat rief daraufhin am 26. 8. 1994 den Vermittlungsausschuß an. Dieser spaltete den Minderheitenschutz von den übrigen Reformvorschlägen mit besseren Erfolgsaussichten ab, woraufhin dieser erwartungsgemäß nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhielt. Damit war die Verfassungsreform zum Thema Minderheitenschutz gescheitert.

C. Regelungsgehalt I. Der Minderheitenbegriff

des Art. 20 b

1. Streitstand Der Streit um die Notwendigkeit einer Fortentwicklung des traditionellen Minderheitenbegriffes ging auch an der Gemeinsamen Verfassungskommission nicht spurlos vorüber. Auch in diesem Gremium kam es zu keiner Einigung darüber, wie der Begriff zü definieren sei: im traditionellen oder einem erweiterten Sinne. Entsprechend war vor allem die Frage umstritten, ob nur solche Minderheiten in den verfassungsrechtlichen Minderheitenschutz einzubezogen werden sollten, deren Angehörige deutsche Staatsangehörige und traditionell im Lande ansässig sind. So ging die ablehnende Minderheit in der Gemeinsamen Verfassungskommission davon aus, daß nur die Dänen, Friesen und Sorben als nationale Minderheiten anzuerkennen seien,41 während die Gemeinsame Verfassungskommission im übrigen zu den geschützten Minderheiten auch Ausländer und Staatenlose zählen wollte. 42 Diese Frage konnte bis zum Abschluß der Diskussion um Art. 20 b nicht abschließend geklärt werden.

40

Vgl. den Stenographischen Bericht der 238. Sitzung am 30. 6. 1994, S. 21045 f. Bericht der der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 74; ebenso die CDU/CSU im Rechtsausschuß, BT-Drs. 12/8165, S. 61 f. 42 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 74; ebenso die SPD im Rechtsausschuß, BT-Drs. 12/8165, S. 64, unter Hinweis auf die Schwierigkeit der Einbürgerung. 41

140

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

2. Auslegung a) Wörtliche Auslegung Der Art. 20 b bezieht sich auf ethnische, kulturelle und sprachliche Minderheiten, ohne etwa durch eine namentliche Nennung zu präzisieren, um welche konkreten Gruppen es sich dabei handeln könnte. Immerhin könnte die Bezugnahme auf „ethnische, kulturelle und sprachliche" Minderheiten Aufschluß darüber geben, welche Merkmale eine Gruppe zwingend aufweisen muß, um als Minderheit im Sinne des Art. 20 b zu gelten. Die Anknüpfung an „ethnische Minderheiten" weist zunächst daraufhin, daß Art. 20 b Gruppen erfaßt, die von gemeinsamen biologischen, kulturellen oder historischen Eigenschaften geprägt werden, was neben physischen Besonderheiten vor allem Sitten und Gebräuche, Sprache, Religion, Siedlungsgewohnheiten und die allgemeine Lebensart sein können.43 Die zusätzliche ausdrückliche Einbeziehung sprachlicher Minderheiten kann daneben nur klarstellende Funktion haben, da der Begriff der ethnischen Minderheit ja bereits von sprachlichen Besonderheiten geprägte Gruppen erfaßt. Ebenfalls ist fraglich, ob die Bezugnahme auf kulturelle Minderheiten neben der auf ethnische noch eigenständige Bedeutung haben kann. Die Definition der ethnischen Minderheit hat gezeigt, daß eine solche von kulturellen Besonderheiten zumindest geprägt sein kann. Eine kulturelle Minderheit ist deshalb gleichzeitig auch immer eine ethnische Minderheit. Deshalb hat die gesonderte Erwähnung der kulturellen Minderheiten in Art. 20 b ebenfalls nur klarstellende Funktion. Von Art. 20 b werden demnach Minderheiten geschützt, die als Gruppe durch Übereinstimmungen in der Physis, der Kultur und Geschichte zusammengehalten werden. Hingegen gibt der Wortlaut des Art. 20 b keinen Hinweis darauf, ob es für die Anerkennung als Minderheit im Sinne der Vorschrift darauf ankommt, daß die Minderheitsangehörigen die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben. Ebensowenig ist dem Wortlaut zu entnehmen, ob die Vorschrift nur die traditionell im Lande ansässigen Minderheiten im Auge hat oder allen „neuen" und neu entstehenden Minderheiten offensteht, sofern sie nur die Definitionsmerkmale der ethnischen Minderheit aufweisen. Gerade also bei diesen besonders umstrittenen Merkmalen bezieht Art. 20 b seinem Wortlaut nach keine klare Position und läßt der einen wie der anderen Interpretation Raum.

43

Vgl. oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., II., 2.

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

141

b) Genetische Auslegung Wie bereits dargestellt, wies der SPD-Antrag ursprünglich einen Satz 2 auf, der Schutz- und Förderpflichten für Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit vorsah. Dies entsprach auch der letztlich gescheiterten Beschlußempfehlung in der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, die ebenfalls zwischen einer Achtensklausel für alle Minderheiten und einer Schutz- und Förderklausel für Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit unterschied. Damit entsprach der SPD-Antrag in seiner ursprünglichen Fassung der im Positionspapier des Landes Brandenburg vertretenen Auffassung, daß sowohl Achtung als auch Schutz und Förderung unverzichtbar seien für einen effektiven verfassungsrechtlichen Minderheitenschutz. Ebenso folgte er dem Vorschlag, bezüglich der Intensität der Gewährleistung zwischen Minderheiten, deren Angehörige deutsche Staatsangehörige sind, und solchen, bei denen das nicht der Fall ist, zu unterscheiden. Die entsprechende Begrenzung der Schutzund Förderpflichten in Satz 2 des SPD-Antrages auf deutsche Staatsangehörige läßt nämlich den Umkehrschluß zu, daß die Achtensklausel das Satzes 1 alle ethnischen Minderheiten unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit begünstigen sollte. Allerdings sah der entsprechende Antrag des Abgeordneten Dr. Hirsch einen solchen Satz 2 von Anfang an nicht vor. Im übrigen aber entsprach er wörtlich dem Satz 1 des SPD-Antrages, so daß davon ausgegangen werden kann, daß der Abgeordnete insoweit auch einen inhaltlich übereinstimmenden Antrag stellen wollte. Eine Begrenzung auch der Achtensklausel auf die traditionell ansässigen Dänen, Friesen und Sorben war also offensichtlich nicht intendiert. Allerdings ging die Gemeinsame Verfassungskommission ausdrücklich davon aus, daß zu den geschützten Minderheiten nur diejenigen Ausländer und Staatenlosen zu rechnen seien, die „bereits seit längerer Zeit in diesem Staat ansässig sind", 44 was allerdings nur klarstellt, daß nicht alle Ausländer in den Minderheitenbegriff des Art. 20 b einbezogen werden sollten: Vom Merkmal der Ansässigkeit sollte nicht prinzipiell Abstand genommen werden. In der Gemeinsamen Verfassungskommission betonte man auch nach Scheitern des Satzes 2 des Antrages zu Art. 20 b, daß sich an der grundsätzlichen Einbeziehung ansässiger Gruppen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben, auch durch den Wegfall des Satze 2 nichts geändert haben sollte.45 Zwar vertraten die Gegner der Bestimmung, wie bereits eingangs dargestellt, die Ansicht, daß der Minderheitenbegriff grundsätzlich in einem anderen Sinne zu verstehen sei. Dies veranlaßte sie jedoch nicht dazu, die Richtigkeit der Auslegung speziell von Art. 20 b in Frage zu stellen und etwa die Aufnahme 44 45

Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 74. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 74.

142

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

eines klärenden Halbsatzes in die Bestimmung zu verlangen, sondern dazu, die Vorschrift abzulehnen.46 Die für die Ansässigkeit erforderliche Zeitspanne wurde allerdings in der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission nicht weiter präzisiert. Immerhin ist eine „längere Zeitspanne" nicht mit einer Ansässigkeit seit „eh und jeh", wie der traditionelle Minderheitenbegriff sie vorsieht, gleichzusetzen. Welche Dauer dafür im einzelnen erforderlich ist, kann allerdings im Rahmen der genetischen Auslegung nicht ermittelt werden. Festzuhalten bleibt daher nur, daß die genetische Auslegung des Art. 20 b den Schluß zuläßt, daß dieser auch Minderheiten einbeziehen sollte, deren Angehörige Ausländer und Staatenlose sind, sofern sie nur eine gewisse Zeitspanne im Inland verbracht haben.

c) Historische Auslegung Wie bereits dargestellt, sahen sowohl die Paulskirchenverfassung als auch die Weimarer Reichsverfassung Minderheitenrechte vor. 47 Bezüglich Art. 188 der Paulskirchenverfassung hatten dabei die Schöpfer der Norm keine Zweifel daran gehabt, auf wen die Bestimmung zugeschnitten war: Begünstigt werden sollten „die Slaven, die dänisch redenden Nordschleswiger und die italienisch redenden Bewohner Süddeutschlands".48 Auffällig an dieser frühen verfassungsrechtlichen Minderheitenschutzbestimmung ist, daß die Minderheiteneigenschaft offensichtlich anhand der abweichenden Sprache von „nicht deutsch redenden Stämmen Deutschlands" bestimmt wurde. Zudem läßt die Bezeichnung des entsprechenden Abschnittes in der Paulskirchenverfassung als „Grundrechte des deutschen Volkes" zumindest den Schluß zu, daß die Einbeziehung solcher Minderheiten, deren Angehörige nicht als zum „deutschen Volk" zugehörig betrachtet wurden, nicht beabsichtigt war. Anhand welcher Kriterien diese Zugehörigkeit aber bestimmt werden sollte, bleibt unklar. Zudem war die Vorschrift praktisch von geringer Relevanz, so daß sie von entsprechend geringer Aussagekraft bezüglich der Frage ist, wer in der Rechtswirklichkeit durch sie geschützt wurde.

46

Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 74. Vgl. oben, 2. Teil, 2. Abschnitt, Β., I., 1. 48 So die sogenannte Nationalitäten-Erklärung der Frankfurter Nationalversammlung, Wigard (Hrsg.), Berichte über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a.M., 1848, Bd. I, S. 183, zitiert nach Stopp, S. 30, Fn. 98. 47

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

143

Ähnlich verhält es sich mit dem entsprechenden Artikel der Weimarer Reichsverfassung. Auch dieser knüpfte die Minderheiteneigenschaft an die Fremdsprachigkeit der betroffenen Minderheitsangehörigen an. Immerhin diente dieser Minderheitenschutzartikel als Grundlage fur die eher zynisch anmutende Argumentation, mit der den Juden der Minderheitenstatus nicht zuerkannt wurde: Diese, so hieß es, sprächen mehrheitlich nur die deutsche Sprache. Daß diese Tatsache darauf zurückzufuhren war, daß ihnen drei Generationen zuvor im Rahmen der „Judenemanzipation" staatlicherseits die eigene Sprache verboten worden war und deren Verlust also auf staatlichen Assimilationsdruck zurückzufuhren war, blieb außer Betracht. 49 Abgesehen aber von diesem Negativbeispiel für die Wirkungen einer Minderheitendefinition blieb der Minderheitenschutzartikel der Weimarer Reichsverfassung ebenfalls ohne Wirkung in der Rechtswirklichkeit. 50 Damit sind die beiden historischen Vorläufer des Art. 20 b wenig aussagekräftig. Zur Erhellung des Minderheitenbegriffes des Art. 20 b tragen dessen historische Vorläufer nichts Entscheidendes bei.

d) Systematisch-teleologische

Auslegung

Nahezu aussichtslos ist der Versuch, dem Art. 20 b mittels einer systematisch-teleologischen Auslegung entnehmen zu wollen, welche Minderheiten er erfaßt. Zwar läßt die Entwicklung der tatsächlichen Situation in der Bundesrepublik keinen Zweifel daran, daß auch Minderheiten ausländischer Staatsangehörigkeit und „neue" Minderheiten eines effektiven Minderheitenschutzes bedürfen. 51 Hinzu kommt, daß gerade für diese Minderheiten der geltende Minderheitenschutz in der Bundesrepublik ein Defizit erkennen läßt und also ein Handlungsbedarf besteht.52 Gleichzeitig aber zeigt sich bei der systematischen Einordnung des Art. 20 b in den Kontext der bestehenden Minderheitenschutzbestimmungen, daß zwar sowohl im Völkerrecht als auch im innerstaatlichen Recht der Minderheitenbegriff für fast alle Normen umstritten ist, aber nach wie vor überwiegend die Auffassung vertreten wird, daß zumindest Ausländern kein spezieller Minderheitenschutz zustehe.53 Wollte man das Verständnis des Minderheitenbegriffes des Art. 20 b an der noch überwiegend praktizierten Auslegung anderer Min49 50 51 52 53

Vgl. zur Debatte um die Anerkennung der Juden als Minderheit Stopp, S. 31 f. Vgl. oben, 2. Teil, 2. Abschnitt, Β., I., 1. Vgl. dazu ausfuhrlich oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, C., I. Vgl. dazu ausfuhrlich oben, 2. Teil. Vgl. oben, 1. Teil, 1. Abschnitt, Β., II., 3. und C., II., 2., a.

144

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

derheitenschutzbestimmungen ausrichten, so müßte man die Einbeziehung von Ausländern und Staatenlosen in den Kreis der von Art. 20 b Begünstigten ablehnen. Sinn und Zweck der Vorschrift dagegen gebieten gerade eine solche Einbeziehung.

e) Auslegungsergebnis Die verschiedenen Auslegungsmethoden führen bezüglich der Frage, welche Minderheiten als solche im Sinne des Art. 20 b anzukennen sind, zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zwar steht unzweifelhaft fest, wie die Befürworter der Vorschrift in der Gemeinsamen Verfassungskommission diese verstanden wissen wollten. Diesbezüglich fanden auch nicht die aus den Verhandlungen im Vorfeld von völkerrechtlichen Verträgen hinreichend bekannten Auseinandersetzungen statt, die dazu führen, daß eine inhaltliche Einigung nur um den Preis des Verzichts auf eine Minderheitendefinition möglich ist. Eine Auslegung entsprechend der Intention der Befürworter der Vorschrift würde auch Ziel und Zweck einer Minderheitenschutzbestimmung im Grundgesetz gerecht. Die systematische Auslegung steht dazu jedoch in Widerspruch, der auch nicht mit Hilfe der historischen Auslegung beseitigt werden kann. Da die verschiedenen Auslegungsmethoden also nicht zu einem einheitlichen Ergebnis führen, ist fraglich, wie sie zu gewichten sind. Das Bundesverfassungsgericht geht im Rahmen der „objektiven Verfassungsinterpretation" grundsätzlich davon aus, daß es bei der Auslegung einer Norm weniger auf den subjektiven Willen des Normgebers, wie er über die genetische Auslegung ermittelt wird, sondern vielmehr auf den „objektivierten Willen" des Gesetzgebers ankomme, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang der Norm ergibt. Der Entstehungsgeschichte komme für die Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie eine Auslegung bestätige oder gegebenenfalls Zweifel behebe.54 Das Bundesverfassungsgericht geht also davon aus, daß in Zweifelsfällen vermehrt auf die wörtliche sowie eine systematisch-teleologische Auslegung abzustellen sei.55 Auch in der Literatur wird für den Fall eines Konfliktes zwischen dem Ergebnis der genetischen und der systematischen (sowie der historischen) Auslegung vertreten, daß letzterer der Vorzug zu geben sei, sofern sich das durch sie gewonnene Ergebnis nur im Rahmen legitimer Verständnismöglichkeiten des Wortlauts halte.56 Insofern ist

54

BVerfGE 1, 299/312; 35, 263/278; 62, 1/45. Zur Kritik an dieser „objektiven Verfassungsinterpretation" vgl. etwa Depenheuer, DVB1. 1987, 809 ff. 56 Müller, Juristische Methodik, S. 207. 55

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

145

es nicht entscheidend, wie die Gemeinsame Verfassungskomission Art. 20 b verstanden wissen wollte. Allerdings läßt sich auch mit Hilfe der Grundsätze dieser „objektiven Verfassungsinterpretation" nicht der Widerspruch zwischen dem Ergebnis der teleologischen und der systematischen Auslegung lösen. Weiterhelfen kann hier nur die Überlegung, daß Art. 20 b gerade den Minderheiten, die seines Schutzes besonders bedurft hätten, nur dann hätte nützen können, wenn er dem Sinn und Zweck eines effektiven Minderheitenschutzes entsprechend ausgelegt worden und also das Kriterium der Staatsangehörigkeit vernachlässigt worden wäre. Demgegenüber müßte die systematische Einordnung in das bestehende Minderheitenschutzsystem zurückstehen. Nur eine solche Gewichtung von systematischen und teleologischen Gesichtspunkten ermöglicht es vorliegend, sich von der aktuellen Situation nicht mehr angemessenen Ansichten und Interpretationen zu lösen, um zweckmäßigere zu finden und sich damit neuen Entwicklungen anzupassen. Nicht übersehen werden sollte dabei aber, daß das Bundesverfassungsgericht womöglich einen anderen Weg gegangen wäre und der systematischen Einordnung in das bestehende Minderheitenschutzsystem den Vorzug eingeräumt hätte. An dieser Stelle wird bereits ein erster Kritikpunkt an Art. 20 b deutlich: Die vorliegenden Auslegungsschwierigkeiten können überhaupt nur deshalb auftreten, weil der Wortlaut des Art. 20 b mehrdeutig ist. Wäre Art. 20 b eindeutig formuliert, könnten Schwierigkeiten betreffend der Frage, wer Minderheit im Sinne der Vorschrift ist, gar nicht erst entstehen, denn der Wortlaut der Norm zieht jeder Auslegung die Grenze. Ist aber ein Begriff so vehement umstritten wie der der Minderheit und will der verfassungsändernde Gesetzgeber eine entsprechende Norm in einer bestimmten Weise verstanden wissen, so hindert ihn nichts daran, den Wortlaut so weit zu präzisieren, daß einem Interpretationswettbewerb von vornherein der Weg abgeschnitten wird. Ist der Wortlaut aber mehrdeutig, so muß davon ausgegangen werden, daß die Norm für die Entwicklungen der Gegenwart und der Zukunft sowie die daran orientierte Auslegung durch die Gerichte offengehalten werden sollte. Folge davon kann eine Situation wie die vorliegende sein, die mit wissenschaftlichen Methoden kaum befriedigend gelöst werden kann. Wenn auch Art. 20 b im dargestellten weiten Sinne hätte ausgelegt werden müssen, so muß doch deutlich das Versäumnis der Gemeinsamen Verfassungskommission kritisiert werden, eindeutig niederzulegen, was sie unter dem Begriff Minderheit verstanden wissen wollte.

10 Siegert

146

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

IL Umfang der Gewährleistungen 1. Streitstand Über den normativen Gehalt des Art. 20 b ist mindestens so viel Spekulatives geäußert worden, wie über den entsprechenden Minderheitenbegriff. Vielfach wurde der Regelungsgehalt als unklar, 57 als „dilatorischer Formelkompromiß" kritisiert. 58 Sollte Art 20 b die Gruppe oder das Individuum schützen? Welche Verpflichtungen erlegt ein Achtensgebot dem Staat auf? Der Hinweis der Gemeinsamen Verfassungskommission, sie habe in erster Linie ein „Zeichen kultureller Toleranz" setzen wollen, 59 schaffte nicht nur keine Klarheit, sondern führte sogar dazu, daß sich die Mutmaßungen förmlich überschlugen: So vermutete man, Art. 20 b sei eine strukturelle Entscheidung für die mulitkulturelle Gesellschaft zu entnehmen;60 er normiere die Pflicht zur Einrichtung zweisprachigen Unterrichts, enthalte einen Auftrag zur voraussetzungslosen Einbürgerung und zur generellen Gestattung doppelter Staatsangehörigkeit 61 oder gar eine Pflicht zur Hinnahme der Vollstreckung des Todesurteiles gegen Salman Rushdie.62 Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Ganz im Gegensatz63 zu diesen abenteuerlich anmutenden Deutungen stand die Kritik, Art. 20 b falle hinter den bereits auf völkerrechtlicher Ebene erreichten Standard zurück 64 und stelle einen Rückschritt in die „minderheitenpolitische Steinzeit" 65 dar; also der Vorwurf, Art. 20 b habe einen mehr als geringen Regelungsgehalt.

57

Vgl. etwa Alexy, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 51. Isensee, NJW 1993, 2583/2585. 59 So deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 74. 60 Jahn, DVB1. 1994, 184/185; ähnlich Murswiek, S. 23 ff, ihm folgend Heise, S. 205; Berlit, Arbeit und Recht 1/1995, 19/23, kritisierte diese Interpretation als bloßes „Schreckgespenst"; ähnlich ders., Recht und Politik, 4/1994, 194/203. 61 Jahn, Das Parlament vom 11.2. 1994, S. 7. 62 Vgl. Kriele, FAΖ vom 21. 2. 1993, S. 7. 63 Auf diesen Widerspruch weist auch Incesu, Recht und Politik, 1995/4, 199/202, hin. 64 Insofern entsprach die Kritik derjenigen, die das Land Brandenburg in seinem Positionspapier bereits an der Achtensklausel geübt hatte, die die Kommission Verfassungsreform des Bundesrates vorgeschlagen hatte, vgl. dazu oben, 3. Teil, 2. Abschnitt, Β , I I , 2. und Positionspapier, Arbeitsunterlage der Gemeinsamen Verfassungskommissin Nr. 77, S. 4 f. 65 Boehm, AWR-Bulletin 1994, 35. 58

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

147

Diese extremen Positionen werden verständlich, wenn man sich die Rechtsnatur des Art. 20 b vor Augen fuhrt. Dieser war nicht als subjektives Recht, sondern als objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung konzipiert. 66 Deren normativer Gehalt wurde in der Gemeinsamen Verfassungskommission ausfuhrlich thematisiert. Zwar Schloß man sich grundsätzlich der Begriffsbestimmung an, die die Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge" bereits in den 80er Jahren gefunden hatte. Dementsprechend sind Staatszielbestimmungen definiert als „Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben (...) vorschreiben". 67 Diese Definition war nicht nur in der Gemeinsamen Verfassungskommission, sondern ist auch in der Literatur weitgehend anerkannt. 68 Die diesbezügliche Einmütigkeit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Einzelheiten der Normativität von Staatszielbestimmungen sowohl in der Gemeinsamen Verfassungskommission als auch m der entsprechenden Literatur umstritten waren und sind. 69 Das Spektrum der Verfassungsreformdebatte reichte von der Annahme eines hohen Verbindlichkeitsgrades für alle drei Gewalten,70 über die Anerkennung einer Verpflichtung des Staates, sich in beliebiger Form aktiv mit der formulierten Fragestellung auseinanderzusetzen,71 bis hin zu der Feststellung, Staatszielbestimmungen hätten überhaupt keine große Steuerungskraft. 72 Diese Unklarheit der Begriffsbestimmung be-

66

Dies geht schon allein aus der Einordnung ins 4. Kapitel des Berichts der Gemeinsamen Verfassungskommission mit Titel „Staatsziele" hervor. 67 Bericht der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", Bonn 1983, Rn. 7; vgl. auch oben, 2. Teil, 2. Abschnitt, C., II., 5. 68 Aus der neueren Literatur: Badura, D 43; Klein, DVB1. 1991, 729/733; Ossenbühl, DVB1. 1992, 468/475; Sterzel, ZRP 1993, 13/14. 69 Vgl. für kulturelle Staatszielbestimmungen auch Pieroth/Siegert, RdJB 1994, 438/440 f. 70 Schmidt-Jortzig in der 2. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und Grundrechte, am 16. 6. 1992, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 31. 71 Sterzel nannte das in der 2. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und Grundrechte, am 16. 6. 1992, „Zwang zur politischen Kreativität", vgl. den Stenographischen Bericht, S. 19. 72 Müller in der 2. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und Grundrechte, am 16. 6. 1992, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 13.

148

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

ruht zum Teil auf Problemen bei der Abgrenzung, 73 namentlich zu Gesetzgebungsaufträgen, mag aber ebenso daran liegen, daß mit dem Begriff sowohl formal 74 als auch inhaltlich 75 recht Unterschiedliches bezeichnet wird. Zudem fehlt dem Grundgesetz eine gesonderte legale Festlegung der Wirkungen von Staatszielbestimmungen,76 etwa vergleichbar Art. 1 Abs. 3 GG oder den Bestimmungen einiger Landesverfassungen. 77 Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht besonders verwunderlich, daß auch die Wirkungen einer minderheitenrechtlichen Staatszielbestimmung so unterschiedlich beurteilt wurden und so vehement umstritten waren. Einen Hinweis darauf, wie am besten mit dieser Situation umzugehen sei, gaben die Sachverständigen selbst: Bei der Bestimmung der normativen Wirkungen einer Staatszielbestimmung solle man sich nicht auf eine abstrakte Auseinandersetzung mit dem Staatszielbestimmungsbegriff stützen, sondern besonderes Augenmerk auf Inhalt und Formulierung der konkreten Norm richten. 78 Die Theorie zum „schillernden Begriff' 7 9 der Staatszielbestimmung sei nur als eine Art „Richtschnur" 80 zu betrachten. Im folgenden soll in dieser Weise verfahren und von einer abstrakten Diskussion abgesehen werden.

73

Die Abgrenzungsproblematik betonten Isensee und Paech in der 2. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und Grundrechte, am 16. 6. 1992, vgl. den Stenographischen Bericht S. 8, 9 und 15. 74 Schon die Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge" ging davon aus, daß es prinzipiell drei formale Typen der Staatszielbestimmung gebe: die kurze Grundsatzklausel, die mittlere Bereichs- und Schutzgüterklausel und die konkrete, langgefaßte Mittel-Zweck-Klausel, vgl. deren Bericht, Bonn 1983, Rn. 42 ff. 75 Man denke an so unterschiedliche Materien wie das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht und das - inzwischen erfüllte - Wiedervereinigungsgebot. 76 Denninger in der Arbeitsunterlage Nr. 47 der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, S. 1. 77 Vgl. dazu oben, 2. Teil, 2. Abschnitt, C, II. 78 In diesem Sinne Badura in der Arbeitsunterlage Nr. 45 der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, S. 3 V,Isensee in der 2. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, am 16. 6. 1992, S. 8 un à Müller in der Arbeitsunterlage Nr. 54 der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, S. 2. 79 Fromme, Das Parlament vom 14. 1. 1994, S. 8. 80 Badura in der Arbeitsunterlage Nr. 45 der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, S. 3 f.

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

149

2. Auslegung a) Wörtliche Auslegung aa) „Der Staat..." In Art. 20 b heißt es, „der Staat" sei zur Achtung der Minderheitenidentität verpflichtet. Klargestellt wird damit, daß eine Bindung von Privaten im Sinne einer unmittelbaren Drittwirkung, zum Beispiel im Falle eines Angriffes auf die Minderheitenidentität durch einen privaten Arbeitgeber, von vornherein ausscheidet. Gleichzeitig scheint die neutrale Formulierung „der Staat" auf ein an alle drei Gewalten gerichtetes Ge- oder Verbot hinzudeuten. Eine Schwerpunktbildung könnte sich aber aus der Struktur der Norm im übrigen ergeben: Die Achtensklausel ist äußerst vage gefaßt und läßt es offen, welche Art von Achtung sie im einzelnen verlangt und welche Aspekte der Minderheitenidentität geschützt sind. Eine solche Norm bedarf der Konkretisierung durch den Gesetzgeber. Eine solche Auslegung stimmt auch mit der Theorie zum Staatszielbestimmungsbegriff überein. Staatszielbestimmungen sollen grundsätzlich alles staatliche Handeln binden, also nicht nur die Legislative, wie dies bei Gesetzgebungsaufträgen der Fall ist, 81 sondern auch Exekutive und Judikative, insbesondere bei der Auslegung von ihnen anzuwendender Vorschriften. 82 Der Schwerpunkt der Bindung soll aber im Regelfall beim Gesetzgeber liegen.83 Adressat des Art. 20 b wären damit zwar grundsätzlich alle drei staatlichen Gewalten, in erster Linie aber der Gesetzgeber gewesen.

bb) „...achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten." Diese Formulierung läßt zunächst einmal erkennen, daß gerade die Besonderheit, die Andersartigkeit der Minderheiten, die ihre Identität ausmacht, von Art. 20 b geschützt werden sollte. Um welche Merkmale es sich dabei im ein-

81

Lücke, AöR 1982, 16/23. Vgl. statt vieler Badura, D 43; Bericht der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", Bonn 1983, Rn. 7. 83 Badura in der 2. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, am 16.12.1992, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 3; Bericht der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", Bonn 1983, Rn. 7; a.A. Schmidt-Jortzig in der 2. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, am 16.6. 1992, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 17, 18, 31, der den Schwerpunkt bei der Verwaltung sieht. 82

150

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

zelnen gehandelt hätte, wäre von der jeweiligen ethnischen, kulturellen oder sprachlichen Minderheit abhängig und damit nicht pauschal feststellbar gewesen. Beispielsweise hätte es sich um kulturelle Besonderheiten wie das Tragen einer traditionellen Tracht oder das Sprechen eines bestimmten Dialektes handeln können. Art. 20 b hätte den Staat verpflichtet, diese identitätssstiftenden Merkmale zu „achten". Die Formulierung als Achtensgebot deutet darauf hin, daß der Staat zwar dem Respekt vor der Gruppenidentität verpflichtet werden sollte, nicht aber zum positiven, schützenden Eingreifen zu ihren Gunsten oder gar zu einer aktiven Förderung der Minderheitenkultur. Der Wortlaut des Art. 20 b läßt also zunächst einmal erkennen, daß es sich hierbei um ein negativ ausgestaltetes Gebot zur Zurückhaltung, also um ein Verbot von Maßnahmen handelt, die die Identität der Minderheiten in Frage stellen könnten. Gleichzeitig verdeutlicht die ausdrückliche Bezugnahme auf die Identität der Minderheiten, nicht deren Angehöriger, daß Art. 20 b das Kollektiv, die Minderheit als Gruppe begünstigen wollte, nicht das einzelne Individuum. 84 Im Ergebnis ist festzuhalten, daß Art. 20 b mittels der wörtlichen Auslegung ein gruppenrechtliches und negativ ausgestaltetes Verbot von Maßnahmen zu entnehmen ist, mittels derer die Staatsgewalt, in erster Linie der Gesetzgeber, der Identität der Minderheiten Schaden zufügen könnte.

b) Genetische Auslegung aa) „Verbot des Assimilationsdruckes" Die Gemeinsame Verfassungskommission gab in der Begründung zu Art. 20 b an, daß dieser ein Verbot des Assimilationsdruckes gegenüber Minderheiten als Gruppe beinhalte und gerade keinen individualrechtlichen Charakter habe.85 Damit unterstrich sie nochmals, was bereits der Wortlaut der Norm zum Ausdruck bringt, daß nämlich Art. 20 b kollektive Gewährleistungen enthielt und nicht den einzelnen Minderheitsangehörigen im Auge hatte. Etwas weniger eindeutig ist die Aussage, daß Art. 20 b gegenüber diesen Gruppen den Assimilationsdruck verbiete. Klargestellt ist damit immerhin, daß Art. 20 b in negativer Form dem Staat geboten hätte, auf die Minderheiten im Sinne einer Zwangsassimilation einzuwirken. Damit wäre es dem Staat etwa verwehrt gewesen, gezielt gegen die jeweiligen kulturellen Besonderheiten vorzugehen oder diese gar unter Strafandrohung zu verbieten. An diesem Punkt 84 85

So auch Stopp, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, 8/1995, 9/43. Vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 74.

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

151

beginnen allerdings bereits die Unklarheiten in der Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission: Diese wollte nämlich unter Art. 20 b nur denjenigen Einfluß auf die Minderheitenkultur als verboten ansehen, der nicht „ohnehin und unvermeidlich" gegeben sei.86 Dies ist bei einer gezielten Zwangsassimilation wohl kaum der Fall, im übrigen aber bleibt die Grenze zwischen vermeidbaren und „unvermeidlichen" negativen Einflußnahmen unklar. Darüberhinaus läßt die Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission aber noch weitere Fragen offen. Zwar steht fest, daß Art. 20 b staatliche Zwangsmaßnahmen gegenüber der Minderheitenidentität ausschließen sollte. Weiterhin hieß es aber auch in der Gemeinsamen Verfassungskommission, Art. 20 b solle den „Ausschluß jeglichen Assimilationsdruckes" gewährleisten, und zwar auch denjenigen, der normalerweise von der „Kultur des Mehrheitsvolkes" ausgehe.87 Diese Begründung müßte strenggenommen in dem Sinne verstanden werden, daß Art. 20 b auch dem faktischen Assimilationsdruck, der zwangsläufig von der Mehrheitsbevölkerung ausgeht, entgegenwirken sollte. Gleichzeitig fehlt es der Norm aber an einem Instrumentarium, um diesem Anspruch gerecht werden zu können. Verpflichtet wird von Art. 20 b nur der Staat. Der Mehrheitsbevölkerung könnte auch kaum mittels einer Verfassungsnorm verboten werden, unbeabsichtigt und unbewußt einen faktischen Druck auf die Minderheiten auszuüben. Ein solcher Druck kann nur durch staatliche Schutz- und Fördermaßnahmen ausgeglichen werden. Diese aber sind laut der Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission dem Art. 20 b gerade nicht zu entnehmen.88 Insofern bleibt die Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission unklar. Eindeutig ist ihr nur ein Verbot staatlicher Zwangsassimilation zu entnehmen. Ebensowenig äußerte sich die Gemeinsame Verfassungskommission in ihrer Begründung dazu, ob diesem Verbot ein entsprechender Anspruch der Minderheiten korrespondieren soll. Daß dies nicht der Fall sein sollte, ist aber der Einordnung in den Katalog der Staatszielbestimmungen zu entnehmen.

bb) „Zeichen kultureller Toleranz" Nicht wesentlich aussagekräftiger ist die Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission, sie habe mit Art. 20 b ein „Zeichen kultureller Toleranz" setzen wollen „angesichts von über 5 Millionen" Ausländern im Lande.89 Ein 86 87 88 89

Vgl. deren Bericht, BT-Drs. Vgl. deren Bericht, BT-Drs. Vgl. deren Bericht, BT-Drs. Vgl. deren Bericht, BT-Drs.

12/6000, S. 12/6000, S. 12/6000, S. 12/6000, S.

74. 74. 74. 74.

152

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

solches politisches Zeichen muß nicht unbedingt mit eindeutig definierten normativen Wirkungen einhergehen. Insofern sind die eingangs dargestellten abenteuerlichen Auslegungen der Vorschrift etwas weniger verwunderlich: Räumt man ein, mit einer Norm vor allem eine Signalwirkung zu bezwecken, muß man sich Spekulationen darüber, welcher politischen Zielsetzung denn nun der Weg geebnet werden soll, gefallen lassen: Die Etablierung der vielzitierten „multikulturellen Gesellschaft"? Die Abkehr von einer integrationsbezogenen Ausländerpolitik? An dieser Stelle ist es allerdings entscheidend, scharf zwischen dem tatsächlichen Regelungsgehalt des Art. 20 b und einer potentiellen politischen Entwicklung zu unterscheiden, der er allenfalls den Weg hätte ebnen können: 90 Eine vage formulierte Staatszielbestimmung wie Art. 20 b enthält keinerlei Verpflichtungen zu ganz bestimmten Maßnahmen. Art. 20 b, der als Verbot formuliert ist, hätte der Staatstätigkeit noch nicht einmal eine bestimmte politische Richtung gebieten können. Er hätte vielmehr nur die Mißachtung der Minderheitenidentität verboten. Wie weit dabei die Verpflichtung gegangen wäre, kulturelle Besonderheiten zu dulden, hätte im einzelnen in der Hand der Legislative gelegen. Jedenfalls ist es verfehlt, anzunehmen, daß ein vages Eingriffsverbot bewirken sollte, daß unter dem Grundgesetz nunmehr die Vollstreckung eines Mordaufrufes hingenommen werden müßte. Eine andere Frage ist, ob es langfristig auf die Politik im Lande von Einfluß hätte sein können, wenn bezüglich der besonderen Schutzbedürftigkeit von Minderheiten auch auf Verfassungsebene ein Konsens zustande gekommen wäre. 91 Der Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission kann daher nur entnommen werden, daß Art. 20 b insbesondere edukatorische und appellative Wirkungen haben sollte. Dies aber unterstreicht nur, daß die normativen Wirkungen über ein Verbot der Zwangsassimilation hinaus vage bleiben und auch mit Hilfe der genetischen Auslegung kaum konkretisiert werden können.

c) Systematisch-teleologische

Auslegung

Die Verpflichtung zur „Achtung" erlaubt eine systematische Anknüpfung an Art. 1 Abs. 1 GG, der die Achtung vor der Würde des Menschen gebietet. Das Achtensgebot des Art. 1 Abs. 1 GG wird dahingehend ausgelegt, daß dem Staat Handlungen verboten sind, die die Menschenwürde verletzen. 92 Ob Art. 1

90

Murswiek,

91

Vgl. dazu oben, 3. Teil, 1. Abschnitt, B , III. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1, Rn. 6; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1, Rn. 2.

92

S. 25: „(...) nichtjuristisch notwendige, aber mögliche Konsequenzen

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

153

Abs. 1 GG ein Grundrecht enthält, ist dabei strittig. 93 Die Parallele zu Art. 1 Abs. 1 GG stellt deshalb vor allem noch einmal klar, daß Art. 20 b negativ ausgestaltet ist, verrät aber nichts Neues über seine Rechtsnatur, so daß insofern der Charakter der Vorschrift als objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung nicht in Frage gestellt wird. Auch eine teleologische Herangehensweise führt nicht zu einem anderen Verständnis der Achtensklausel. Zwar würde ein sinnvoller Minderheitenschutz positive Maßnahmen zugunsten der Minderheiten verlangen. Intention des Art. 20 b in seiner endgültigen, auf die Achtensklausel beschränkten Form kann dies aber nicht mehr sein: Insofern setzt hier der Wortlaut jeder Auslegung die Grenze.

d) Auslegungsergebnis Art. 20 b ist mittels der verschiedenen Auslegungsmethoden zunächst ein an den Staat gerichtetes Verbot zu entnehmen, mit Zwangsmaßnahmen gegen die Minderheitencharakteristika vorzugehen. Dieses Verbot ist als objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung ausgestaltet und begünstigt die Gruppe, nicht das Individuum. Konkrete Maßnahmen wären von Art. 20 b aber nicht normiert gewesen. Darüberhinaus sollte er appellative und edukatorische Wirkungen in einer Zeit wachsender Vorbehalte gegenüber „Fremden" aller Art entwickeln. Ob er darüber hinaus noch weitere Wirkungen entfaltet hätte, kann dagegen nicht eindeutig festgestellt werden. Insofern bleibt festzuhalten, daß weitergehende Wirkungen des Art. 20 b mehr als vage bleiben und sein Inkrafittreten vermutlich bezüglich seiner normativen Wirkungen beträchtliche Verwirrung ausgelöst hätte.

III. Justitiabilität

94

1. Abstrakte Normenkontrolle Für die gerichtliche Durchsetzung von objektivem Verfassungsrecht, zu dem auch die Staatszielbestimmungen zu zählen sind, 95 ist die richtige Klageart im 93

Vgl. dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1, Rn. 2 a. Vgl. für kulturelle Staatszielbestimmungen auch Pieroth/Siegert, RdJB 1994, 438/ 446 ff. 95 Badura in der 2. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, am 16. 6. 1992, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 3. 94

154

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

Regelfall die abstrakte Normenkontrolle. Das Bundesverfassungsgericht hat denn auch kein grundsätzliches Problem darin gesehen, Staatszielbestimmungen zum Prüfungsmaßstab für die Verfassungsmäßigkeit von staatlichen Handlungen zu machen, denn die Staatszielbestimmungen haben nicht nur politische Bedeutung, sondern auch rechtlichen Gehalt.96 Also liegt die Annahme nahe, daß über die abstrakte Normenkontrolle die Möglichkeit besteht, doch noch eine bestimmte gesetzliche Umsetzung der Achtung vor der Minderheitenidentität zu erzwingen und so schließlich etwa die Errichtung zweisprachiger Schulen oder die prinzipielle Akzeptanz der doppelten Staatsangehörigkeit zu erreichen. Dies wäre jedoch ein voreiliger Schluß: Das Bundesverfassungsgericht geht nämlich davon aus, daß dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum des Gesetzes zukommen müsse, weil durch eine so und nicht anders einzulösende Verpflichtung der Prozeß der polititischen Willensbildung in undemokratischer Weise eingeschränkt werde. 97 Deshalb wird das Bundesverfassungsgericht gegenüber der Legislative erst einschreiten, wenn eine Maßnahme der Umsetzung einer Staatszielbestimmung evident entgegensteht,98 in diesem Fall also, wenn der Gesetzgeber das Gebot, die Minderheitenidentität zu achten, „willkürlich und manifest" 99 verletzt. Es hätte also nur geprüft werden können, ob der Staat die Grenzen, die Art. 20 b ihm steckt, eindeutig überschritten hätte. Der Rahmen, innerhalb dessen die Achtung der Minderheitenidentität über die abstrakte Normenkontrolle hätte überprüft werden können, wäre damit beschränkt gewesen. Eine Erzwingung ganz bestimmter gesetzlicher Umsetzungsmaßnahmen wäre ausgeschlossen gewesen.

2. Verfassungsbeschwerde Art. 20 b hätte keine individuellen Rechte begründet, sondern das Kollektiv begünstigt. Daher kann man davon ausgehen, daß es dem einzelnen Jedermann" im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG allein schon deshalb nicht möglich gewesen wäre, eine Mißachtung der Minderheitenidentität direkt über die Verfassungsbeschwerde zu rügen, weil er nicht selbst von der Norm begünstigt gewesen wäre. Auch eine Verfassungsbeschwerde des Minderheitenkollektivs

96

BVerfGE 36, 1/17. BVerfGE 59, 231/263 für die Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips. 98 BVerfGE 36, 1/17; 56, 54/81. 99 Graf Vitzthum in der Arbeitsunterlage Nr. 52 der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, S. 4 und ders., in: Gedächtnisschrift für Grabitz, S. 832 für die sozialen Staatziele. 97

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

155

wäre wenig erfolgversprechend gewesen, weil unklar gewesen wäre, wie und von wem das Kollektiv hätte vertreten werden sollen. Eine (Teil-)Rechtsfähigkeit der Gruppe wäre jedenfalls nicht ohne weiteres zu konstruieren gewesen. Ein wichtigeres Hindernis für die Durchsetzbarkeit des Art. 20 b mittels der Verfassungsbeschwerde aber wäre gewesen, daß dieser als objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung keine subjektiven und damit direkt einklagbaren Ansprüche des Kollektivs begründet hätte. Allerdings scheidet eine Verfassungsbeschwerde einer Einzelperson trotz dieser Hindernisse nicht in jedem Fall aus. Zwar eröffnet Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG prinzipiell für den einzelnen nur dann die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde, wenn die Möglichkeit einer Verletzung in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten vorliegt. Trotzdem besteht die Möglichkeit, auch die Verletzung sonstigen Verfassungsrechts geltend zu machen: Art. 2 Abs. 1 GG öffnet diese verfassungsrechtliche „Hintertür", indem er Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit unter den Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung stellt, worunter die gesamte der Verfassung gemäße Rechtsordnung zu verstehen ist. 100 Deshalb ist die Verfassungsbeschwerde auch bei Verstößen gegen Normen eröffnet, die gar keine Grundrechte enthalten.101 Ist es aber möglich, daß der einzelne über Art. 2 Abs. 1 GG Verstöße gegen objektives Verfassungsrecht rügt, so müßte auch einem Minderheitsangehörigen die Verfassungsbeschwerde offenstehen, wenn er sich etwa selbst durch eine Norm eingeschränkt sähe, die dem Verbot des staatlichen Assimilationsdruckes gegenüber der Gruppe entgegenstehen würde. Eine solche Einschränkung der Einzelperson durch Maßnahmen gegenüber dem Kollektiv sind bei der engen Verzahnung von Minderheitenkollektiv und Individuum geradezu zwangsläufig. 1 0 2 Damit wäre die Aussage, daß Art. 20 b weder individuelle noch subjektive Rechte verbürgt hätte, als Ergebnis der Rechtsprechung zu Art. 2 Abs. 1 GG weitgehend gegenstandslos gewesen. Jedoch hätte das Bundesverfassungsgericht auch im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde die bei der abstrakten Normenkontrolle dargestellte Zurückhaltung geübt und wäre nur einer evidenten Mißachtung der Minderheitenidentität entgegengetreten. Eine auf Art. 20 b und Art. 2 Abs. 1 GG gestützte Verfassungsbeschwerde wäre damit zwar prinzipiell möglich, aber wenig erfolgversprechend gewesen.

100

Seit BVerfGE 6, 32/38 („Elfes"); aus neuerer Zeit E 72, 200/245. Pieroth/Schlink, Rn. 407. 102 Vgl. zum engen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Reaktionen der Gruppe und der Einzelpersonen oben, 1. Teil, 2. Abschnitt, B. 101

156

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

3. Sonstige Verfahren Im übrigen hätte die Achtensklausel als Staatszielbestimmung jedem Gericht als Auslegungs- und Anwendungsmaßstab für das einfache Recht gedient 103 und auf diesem Weg Eingang in die Rechtsprechung gefunden. Der Einfluß des Art. 20 b wäre aber wegen seines unklaren und letztlich geringen Regelungsgehaltes voraussichtlich gering gewesen und hätte in der Rechtswirklichkeit kaum etwas Spürbares bewirkt.

IV. Politische Aspekte 1. Die internationale Entwicklung Wie bereits dargestellt, 104 hatte die Gemeinsame Verfassungskommission als Begründung für den Art. 20 b unter anderem angegeben, daß dieser in Zeiten eines wiedererwachten internationalen Interesses am Minderheitenschutz gut in diese aktuelle Entwicklung passe. Dadurch sollte die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik in Sachen Minderheitenschutz erhöht werden. 105 Eine solche außenpolitische Wirkung, nicht zuletzt auch zugunsten der deutschen Minderheiten im Ausland, wäre tatsächlich wünschenswert und in dieser Form nur durch eine Regelung auf Verfassungsebene zu erreichen. 106 Speziell für Art. 20 b stellt sich dabei aber die Frage, ob dieser einer solchen Zielsetzung überhaupt hätte gerecht werden können. Der schwache Schutz des Art. 20 b, dessen Gehalt in jeder Hinsicht umstritten gewesen wäre, kann für eine solche politische Zeichensetzung nur als denkbar ungeeignet angesehen werden, selbst wenn man das Verständnis in ausländischen Staaten für die Feinheiten des innerdeutschen Rechts voraussetzt. Jedenfalls wäre eine Norm, die mehr Schutz, etwa in Form eines Fördergebotes, bei größerer Klarheit bietet, für diese Aufgabe besser geeignet gewesen.

103

So schon die Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", vgl. deren Bericht, Bonn 1983, Rn. 7. 104 Vgl. oben, 3. Teil, 1. Abschnitt, B., III. 105 Vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 73. 106 Vgl. oben, 3. Teil, 1. Abschnitt, B., III.

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

157

2. Macht- und Autoritätsverlust des Parlaments 107 Staatszielbestimmungen wird grundsätzlich nachgesagt, daß sie zu einem Macht- und Autoritätsverlust des Parlaments zugunsten der Gerichte fuhren würden, 108 was in der parlamentarischen Demokratie deshalb bedenklich sei, weil es in dieser Staatsform grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers sei, die politische Zielrichtung staatlichen Handelns festzulegen. 109 Die durch die Normierung von Staatszielbestimmungen entstehende Selbstbindung des Parlaments 110 führe zu einer Verrechtlichung der Politik 111 und einer Instrumentalisierung des Verfassungsrechts. 112 Tatsächlich erzeugen neue Verfassungsgesetze auch neue Bindungen und erweitern damit grundsätzlich die Möglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts, das Parlament zu kontrollieren. 113 Damit läßt sich also eine „Verrechtlichung" nicht vollends von der Hand weisen. Allerdings handelt es sich hierbei keineswegs um ein spezielles Problem einer Minderheitenschutzbestimmung in der Verfassung, sondern vor allem um das verfassungsstrukturelle Problem der Stellung des Bundesverfassungsgerichts insgesamt. Speziell für Art. 20 b werden diese Bedenken zusätzlich noch dadurch relativiert, daß die Achtensklausel nur eine äußerst schwache Form staatlicher Verpflichtung festlegt, die sich großteils in einem Verbot der Zwangsassimilation erschöpft und damit noch hinter dem Minderheitenschutzstandard einiger Landesverfassungen zurückbleibt. Eine tatsächliche Machtverschiebung wäre daher nicht zu erwarten gewesen.

107

Vgl. für die kulturellen Staatszielbestimmungen auch Pieroth/Siegert, RdJB 1994, 438/451. 108 So zum Beispiel die Gemeinsame Verfassungskommission, vgl. deren Bericht, BT-Drs. 12/6000, S. 80 f , für die sozialen Staatsziele. 109 So Graf Vitzthum, in: Gedächtnisschrift fur Grabitz, S. 829. 110 Graf Vitzthum in der 9. Öffentlichen Anhörung der Gemeinsamen Verfassungskommission, Rechte ethnischer Minderheiten, am 6. 5. 1993, vgl. den Stenographischen Bericht, S. 21. 111 Schmidt- J or tzig in der Arbeitsunterlage Nr. 50 der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, S. 8, 31. 112 Graf Vitzthum in der Arbeitsunterlage Nr. 52 der Gemeinsamen Verfassungskommission, Staatsziele und soziale Grundrechte, S. 14 f. 113 Im einzelnen zur Justitiabilität von Staatszielbestimmungen vgl. unten, 3. Teil, 2. Abschnitt, C, III.

158

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

3. Desintegrative Wirkung Verschiedentlich wurde auch der Einwand laut, gerade ein Minderheitenschutzartikel, der die Minderheitenidentität schütze, führe zur Desintegration dieser Minderheiten. 114 Diese Auffassung setzt stillschweigend voraus, daß ein friedliches, integratives Miteinander von Mehrheit und Minderheit die Assimilation, zumindest aber irgendeine Form von „Unterwerfungsakt" 115 der letzteren verlange. Integration und Assimilation dürfen aber keinesfalls in dieser Weise gleichgesetzt werden. Erst der gegenseitige Respekt vor den jeweiligen kulturellen Eigenarten läßt ein Miteinander zu, bei dem nicht die Mehrheit die Minderheit kraft ihrer überlegenen Position „einebnet", sondern in Kenntnis und Akzeptanz der Verschiedenheit eine gemeinsame, freiwillige Basis fur das Zusammenleben gefunden werden kann. 116 Demgegenüber kann eine gegen den Willen der Minderheit eintretende Angleichung keine zufriedenstellende Basis für eine gemeinsame Zukunft sein. Nur eine solche erzwungene Assimilation aber hätte Art. 20 b ausgeschlossen. Eine desintegrative Wirkung hätte daher nicht von ihm ausgehen können.

V. Bewertung Um Art. 20 b bewerten zu können, gilt es zunächst, zu berücksichtigen, welcher Art die Lücke im geltenden Minderheitenschutzsystem ist: Es fehlt an einer gruppenrechtlichen, positiven Norm, die für alle Minderheiten den Ausgleich des faktischen Assimilationsdruckes gewährleistet. Geeigneter Regelungsort dafür ist das Grundgesetz. Eine objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung wäre hierfür prinzipiell ausreichend. Art. 20 b hätte den Anforderungen, die an eine effektive Ergänzung des Minderheitenschutzes in der Bundesrepublik zu stellen sind, insofern genügt, als er auf Verfassungsebene objektiv-rechtlich das Kollektiv begünstigt hätte. Zu kritisieren ist dagegen, daß der Vorschrift nicht eindeutig zu entnehmen ist, auf welche Minderheiten sie sich bezogen hätte. Erfreulich ist zwar, daß die befürwortende Mehrheit in der Gemeinsamen Verfassungskommission bereit war, der aktuellen Entwicklung Rechnung zu tragen und entgegen traditionellen Vorstellungen auf das Erfordernis der Staatsangehörigkeit zu verzichten. Dabei wurde aber versäumt, diese Absicht so eindeutig im Wortlaut der Vorschrift

114

Zum Beispiel Kanther in der Bundesratsdebatte vom 26. 8. 1994. Incesu, Recht und Politik 1995/4, 199/203. 116 Ähnlich die SPD im Rechtsausschuß, BT-Drs. 12/8165, S. 65. 115

2. Abschnitt: Der Vorschlag der GVK: Art. 20 b

159

zum Ausdruck zu bringen, daß einem „Interpretationswettbewerb" der Weg abgeschnitten worden wäre. Weiterhin lassen auch die Gewährleistungen der Norm an Klarheit und Umfang zu wünschen übrig. Mit Sicherheit läßt sich über die normativen Wirkungen des Art. 20 b nur aussagen, daß es dem Staat, vor allem aber dem Gesetzgeber unter dieser Vorschrift verwehrt gewesen wäre, mittels Zwangsmaßnahmen die Minderheitenidentität zu beeinträchtigen. Ein solcher negativer Schutz vor Zwangsassimilation ist zwar nicht gänzlich ohne Wert für die betroffenen Gruppen, taugt aber allenfalls als Ergänzung der wichtigeren positiven Begünstigung des Kollektivs. An dieser aber fehlt es im geltenden Minderheitenschutzsystem. Art. 20 b hätte diesem Defizit also gerade nicht abhelfen können. Darüberhinaus hat die Unbestimmtheit seiner Formulierung und nicht zuletzt auch die inkonsequente und widersprüchliche Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission zu ihrem Vorschlag eine geradezu phantastisch anmutende Debatte über die zu erwartenden Konsequenzen des Art. 20 b provoziert, bei der zudem nicht mehr klar zwischen dem Regelungsgehalt der Norm und möglichen politischen Wirkungen unterschieden wurde. Den Anliegen der Minderheiten mögen diese allgemeine Verwirrung und die emotionsgeladenen Debatten eher geschadet als genützt haben: Einmal mehr bestätigte sich der Verdacht, daß zum Thema Minderheitenschutz ein Konsens selbst auf nationaler Ebene mehr als schwierig zu erzielen ist. Um verstehen zu können, wie die Norm mit all diesen Schwächen zustande gekommen ist, muß man sie vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte sehen. Der ursprünglich aus zwei Sätzen bestehende Antrag hatte klar zwischen Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit und sonstigen differenziert. Dabei bemühte man sich, der im Völkerrecht üblichen Unterscheidung zwischen Ausländern und Inländern Rechnung zu tragen. Letzteren sollten dabei die für einen effektiven Minderheitenschutz so zentralen Schutz- und Förderpflichten zugestanden werden, während ersteren nur die Achtung ihrer Identität zuteil werden sollte. Wenn auch durch eine solche Kombination von Absatz 1 und 2 des ursprünglichen Vorschlages nicht allen möglicherweise neu entstehenden Minderheiten in der Bundesrepublik die erforderliche positive Begünstigung gewährleistet worden wäre, so wäre dies doch immerhin für die Sinti und Roma der Fall gewesen. Der Satz 1 der Vorschrift aber war in dieser Konstellation gar nicht als Minderheitenschutzbestimmung im herkömmlichen Sinne gedacht,117 sondern hatte vornehmlich die mehr politische Zielsetzung, zugunsten von Ausländern für ein toleranteres Klima zu sorgen. Der Minderheitenschutz war also hauptsächlich

117

Murswiek, S. 23: „(...) fundamental anderer Charakter (...)".

160

3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

im Satz 2 der Vorschrift geregelt. Durch die Streichung von Satz 2 ist zunächst die klare Unterscheidung zwischen In- und Ausländern verlorengegangen. Damit verschwimmt gleichzeitig die angestrebte Parallelität zu völkerrechtlichen Bestimmungen. 118 Was bleibt, ist Satz 1 der Vorschrift, der eigentlich nur eine Ergänzung des Satzes 2 sein sollte. War die ursprüngliche Intention eines politischen Zeichens unproblematisch, da diese Signalwirkung neben dem notwendigen positiven Schutz zumindest für Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit verankert wurde, so ist dieses „Zeichen" ohne die eigentliche Minderheitenschutzbestimmung nur noch ein Fragment, das für sich alleine mehr Verwirrung als Nutzen stiftet, jedenfalls aber nicht geeignet ist, den geltenden Minderheitenschutz zu vervollständigen. Betont werden soll aber bei aller Kritik, daß Art. 20 b nicht deshalb verfehlt ist, weil kein Bedarf an einer verfassungsrechtlichen Minderheitenschutzbestimmung bestünde, sondern weil er, als Produkt eines politischen Kompromisses, seines Kernstückes beraubt, den Anforderungen, die an eine solche Norm zu stellen sind, nicht gerecht wird.

D. Ergebnis Art. 20 b wäre wegen seines unklaren und geringen Regelungsgehaltes nicht geeignet gewesen, die Lücke im geltenden Minderheitenschutz zu schließen.

3. Abschnitt: Alternatiworschlag zu Art. 20 b A. Inhaltliche Vorgaben I. Klärung des Minderheitenbegriffes 1. Namentliche Aufzählung Ein Minderheitenschutzartikel im Grundgesetz sollte angesichts der Streitigkeiten um die richtige Definition des Minderheitenbegriffs eindeutig festlegen, auf welche Minderheiten er sich bezieht: Größtmögliche Klarheit würde eine namentliche Aufzählung der geschützten Minderheiten bringen. Nachteil einer solchen Vorgehensweise wäre allerdings, daß die Klarheit auf Kosten der Of-

118

Die allerdings auch vorher schon insofern zweifelhaft war, als die einschlägigen Bestimmungen ausdrücklich religiöse Minderheiten statt kultureller schützen, vgl. etwa Art. 27 IPBPR.

. Abschnitt:

erorschlag

Art. 20 b

161

fenheit für zukünftige Entwicklungen ginge. Eine Möglichkeit, beide Aspekte zu berücksichtigen, wäre es, wenn man zunächst allgemein die geschützten Gruppen festlegen würde. Dabei könnte man an den im Völkerrecht üblichen Sprachgebrauch anknüpfen, etwa indem man ethnische, sprachliche und religiöse Minderheiten ausdrücklich in den Schutz der Vorschrift einbezöge. Dieser allgemeinen Bestimmung des geschützten Personenkreises könnte eine namentliche Aufzählung folgen, etwa der Dänen, Friesen, Sorben sowie der Sinti und Roma, die - und darauf käme es an - beispielhaften Charakter haben müßte.

2. Definition Wichtiger noch als eine solche beispielhafte Aufzählung der in Frage kommenden Minderheiten wäre eine Definition des Minderheitenbegriffes. Diese müßte insbesondere klarstellen, daß die Staatsangehörigkeit der Minderheitsangehörigen nicht länger von Interesse ist und es für die Ansässigkeit der Gruppe ausreicht, wenn drei Generationen ihr Leben im Inland verbracht haben. Allerdings wäre eine Begriffsbestimmung direkt durch den Minderheitenschutzartikel mit dem Nachteil verbunden, daß die Vorschrift an Kürze und Prägnanz verlieren würde. Dafür würden aber die typischen Zweifelsfragen wie die, ob „neue" Minderheiten und Ausländer Minderheiten im Sinne der Vorschrift sind, abschließend geklärt. Einem Interpretationswettbewerb wäre von vornherein der Weg abgeschnitten. Als Minderheit wäre dann anzuerkennen, wer die Voraussetzungen der Definition erfüllt. Angesichts der anscheinend unüberwindlichen Streitigkeiten um die richtige Begriffsbestimmung müßte der Nachteil, daß die Vorschrift dadurch etwas langatmiger geriete, in Kauf genommen werden.

3. „Volksgruppe"? An dieser Stelle erscheint es auch sinnvoll, nochmals die Verwendung des Begriffes „Volksgruppe" in Betracht zu ziehen. Auch wenn dieser im rein juristischen Zusammenhang weder größere Klarheit noch sonstige entscheidende Vorteile bringt, könnte er doch in einem Minderheitenschutzartikel eine wichtige Funktion erfüllen. Die Minderheiten selbst ziehen zum Teil den Begriff der Volksgruppe demjenigen der Minderheit vor, weil sie letzteren als herabsetzend empfinden. 119 Ein Minderheitenschutzartikel, der die Lage der Betroffenen verbessern soll und dadurch womöglich auch die Identifikation mit dem 119

Vgl. dazu oben, Einleitung, C. und für die Friesen 2. Teil, 1. Abschnitt, IL

U Siegert

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3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

Aufenthaltsstaat stärken kann, könnte auf diese Befindlichkeiten Rücksicht nehmen, ohne dadurch an Klarheit einzubüßen, etwa wenn er den Begriff „Volksgruppe" ergänzend neben dem der Minderheit verwenden würde. Ein vernünftiger Grund, warum den Betroffenen, um deren Belange es schließlich gehen soll, ein solches Entgegenkommen vorenthalten werden sollte, ist nicht ersichtlich.

II Regelungsgehalt 1. Schutz und Förderung Um das Defizit im geltenden Minderheitenschutzsystem und den faktischen Assimilationsdruck der Mehrheitsbevölkerung ausgleichen zu können, müßte ein Minderheitenschutzartikel positive Schutz- und Fördermaßnahmen verbürgen. Ein solcher positiver Schutz wird von allen Minderheiten gleichermaßen benötigt, besonders von denjenigen, die jetzt noch nicht ausdrücklich anerkannt sind, wie die Sinti und Roma, aber auch von sich möglicherweise in der Zukunft entwickelnden „neuen" Minderheiten und Minderheiten ausländischer Staatsangehörigkeit. Insofern ist eine Unterscheidung in dem Sinne, daß eine positive Förderung nur Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit zukommt, während sich sonstige Minderheiten mit dem geringeren Schutz einer negativen Achtensklausel zufriedengeben müssen, nicht sinnvoll. Vielmehr sollten positive Schutz- und Fördermaßnahmen allen Minderheiten garantiert werden, die die Minderheitendefinition erfüllen und damit als schutzbedürftig anzuerkennen sind. A u f die Formulierung einer „Achtensklausel" sollte ganz verzichtet werden. Die Funktion eines politischen Zeichens von mehr Toleranz gegenüber allen ethnisch Andersartigen wird besser durch einen effektiven Schutz als durch inhaltsleere Formeln erreicht. Zudem wird eine Differenzierung in Minderheiten „erster" und „zweiter" Klasse, die entweder Anspruch auf Schutz und Förderung oder aber nur auf Achtung haben, der aktuellen Situation der Minderheiten nicht mehr gerecht und ist deshalb abzulehnen.

2. Konkrete Maßnahmen Darüberhinaus sollte ein neu zu schaffender Minderheitenschutzartikel auch die wichtigsten Aspekte des positiven Gruppenschutzes in Form von konkreten Maßnahmen vorschreiben. Zu denken wäre etwa an die Sicherung einer angemessenen politischen Mitwirkung, die Berücksichtigung der Minderheitensprache im Schulunterricht und ganz allgemein die finanzielle Unterstützung kultu-

. Abschnitt:

erorschlag

Art. 20 b

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relier Aktivitäten. Vorteil einer solchen Vorgehensweise wäre, daß zentrale Punkte des positiven Minderheitenschutzes verfassungsrechtlich abgesichert und damit der Disposition des einfachen Gesetzgebers entzogen würden. Nachteil wäre die damit korrespondierende stärkere Einschränkung des Parlaments, das nicht mehr frei über das „Wie" der Umsetzung entscheiden könnte und damit an Einfluß zugunsten der Gerichte verlieren würde. Auch hier könnte eine beispielhafte Aufzählung einiger weniger zentraler Punkte einen tragbaren Kompromiß darstellen.

III Rechtsnatur und Justitiabilität Als ausreichend und politisch noch am ehesten durchsetzbar ist die Ausgestaltung als Staatszielbestimmung anzusehen, die allerdings nur begrenzt einklagbar ist. Von stärkerer Wirkung wäre eine subjektiv-rechtliche Verbürgung. Wollte man eine solche subjektiv-rechtliche Bestimmung einfuhren, so müßte man sich allerdings der Frage stellen, wie das Kollektiv einen solche Anspruch durchsetzen soll. Zur Zeit mangelt es dafür noch an dogmatisch befriedigenden und praktikablen Lösungen. Dies besagt indes nicht, daß solche nicht denkbar wären. So wäre es etwa möglich, daß ein Minderheitenverband dann und nur dann im Namen der Minderheit Klage erheben kann, wenn er nachweist, daß eine bestimmte Anzahl von Minderheitsangehörigen diese Vertretung befürwortet. Dafür könnte eine Unterschriftenliste ausreichend sein. Die notwendige Unterschriftenzahl wiederum könnte von der geschätzten Zahl der Minderheitsangehörigen abhängig sein und die Zustimmung eines bestimmten Prozentsatzes von Minderheitsangehörigen voraussetzen. Ungelöst wäre aber nach wie vor das Problem der begrenzten staatlichen Leistungsfähigkeit: Klagten alle Minderheiten eine umfassende staatliche Förderung ein, so könnte, selbst wenn jede einzelne Klage an sich begründet ist, der Haushalt erheblich belastet werden. Eine Alternative könnte ein im Sinne einer Staatszielbestimmung nur begrenzt einklagbarer, objektiv-rechtlicher Förderanspruch entsprechend dem tatsächlichen Bedarf der Gruppe in Kombination mit einem einklagbaren Anspruch auf die Anerkennung als Minderheit sein. Damit behielte zwar der Staat die Freiheit zu entscheiden, in welcher Weise er seiner Förderverpflichtung nachkommen kann, könnte aber nicht einer Minderheit die Förderung mit dem Hinweis darauf verweigern, daß sie keine Minderheit im Sinne des Grundgesetzes sei, ohne diese Entscheidung gerichtlich überprüfen lassen zu müssen. Damit wäre zumindest gewährleistet, daß alle Minderheiten in den Genuß des „Ob", wenn schon nicht des „Wie" der Gruppenförderung kommen.

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3. Teil: Verfassungsänderung als Lösungsweg

IV. Stellung im Grundgesetz Die Stellung eines Minderheitenschutzartikels im Grundgesetz ergibt sich nicht zwingend aus der Struktur der Verfassung, die zwar zwischen Grundrechten und Staatsorganisationsnormen unterscheidet, aber bei der Trennung von Grundrechten und Staatszielbestimmungen bereits Inkonsequenzen aufweist. 120 Trotzdem würde es der Klarheit und Übersichtlichkeit des Grundgesetzes dienen, wenn der neue Artikel mit der grundsätzlich bestehenden Struktur der Verfassung übereinstimmen und bereits etwas über den Charakter der Norm als subjektives Recht oder Staatszielbestimmung aussagen würde. Eine Staatszielbestimmung würde dabei zu den Strukturprinzipien des Art. 20 GG passen, ein subjektives Recht prinzipiell besser zu den Grundrechten. Kombiniert man einen objektiv-rechtlichen Förderanspruch mit einem subjektiven Recht auf Anerkennung als Minderheit, so sollte man nach dem Schwerpunkt des Inhaltes entscheiden. Dieser liegt dabei auf dem Förderanspruch, also der objektivrechtlichen Komponente. Deshalb sollte auch der neu zu schaffende Minderheitenschutzartikel bei den Strukturprinzipien eingeordnet werden.

B. Wortlaut (1) Der Staat gewährt den ethnischen, sprachlichen und religiösen Minderheiten und Volksgruppen, wie den Dänen, Friesen, Sorben sowie den Sinti und Roma, Schutz und Förderung; insbesondere unterstützt er kulturelle Einrichtungen, den muttersprachlichen Unterricht in Schulen und Kindergärten und sichert die Möglichkeit der politischen Mitwirkung. (2) Minderheit im Sinne der Vorschrift ist eine Gruppe von Personen, deren Mitglieder seit mindestens drei Generationen im Bundesgebiet ansässig sind, wenn diese zahlenmäßig und an Einfluß der Mehrheitsbevölkerung unterlegen ist und ein Zusammengehörigkeitsgefühl auf der Grundlage ihrer jeweiligen Besonderheit pflegt. Die Staatsangehörigkeit der Minderheitsangehörigen ist ohne Belang. (3) Die Minderheiten und Volksgruppen haben einen Anspruch auf Anerkennung ihrer Gruppe.

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Vgl. z. B. Art. 6 GG.

Fazit 1. Der traditionelle Minderheitenbegriff hat in der jüngeren Vergangenheit eine Fortentwicklung erfahren. Angesichts der Migrationswelle der letzten Jahrzehnte erscheint es angemessen, Ausländer und Zuwanderer nicht länger vom Minderheitenstatus auszuschließen, sofern sie bereits seit drei Generationen im Lande leben. Das Kriterium der Staatsangehörigkeit hat demgegenüber keine eigenständige Bedeutung mehr. 2. Ein effektiver Schutz dieser Minderheiten ist nur dann gewährleistet, wenn ein Instrumentarium zur Verfügung steht, das die Betroffenen sowohl vor gezielter Benachteiligung bewahrt als auch den faktischen Assimilationsdruck ausgleicht, der von der Mehrheitsbevölkerung zwangsläufig ausgeht. Am sichersten erreicht man dies mittels eines Schutzsystems, das sowohl individuell als auch kollektiv ausgestaltet ist, also sowohl den einzelnen vor Diskriminierungen schützt als gleichzeitig auch die Gruppe als solches begünstigt. Entscheidend ist dabei, daß der Gruppe nicht nur Schutz vor Diskriminierung, sondern auch positive Förderung zukommt, um so den Assimilationsdruck der Mehrheitsbevölkerung abzugleichen. 3. Die Analyse des Minderheitenschutzes in der Bundesrepublik hat ergeben, daß zwar zugunsten der ausdrücklich anerkannten Minderheiten bereits heute ein umfassendes Schutzsystem besteht, die nicht ausdrücklich anerkannten aber bislang einer kollektiven Förderung entbehren. Zudem fehlt es an Regelungen, die offen für etwaige neu entstehende Minderheiten sind. Insofern kann von einem Defizit im bundesdeutschen Minderheitenschutz gesprochen werden. 4. Diesem Defizit könnte mit einer Verfassungsänderung wirksam begegnet werden. Allerdings hätte der Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission, Art. 20 b, als Folge eines politischen Kompromisses mehr Verwirrung als Nutzen gestiftet. Ein Minderheitenschutzartikel, der klar definiert, wer als Minderheit im Sinne der Vorschrift anzuerkennen ist und allen solcherart als schutzbedürftig Anerkannten positive Gewährleistungen als Ausgleich des faktischen Assimilationsdruckes zuspricht, würde dieser Aufgabe besser gerecht. Die Ausgestaltung als objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung, möglichst in Kombination mit einem subjektiven Recht auf Anerkennung als Minderheit, stellt dabei einen tragfähigen politischen Kompromiß dar.

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averzeichnis Abstammung 102 Abstrakte Normenkontrolle 153 f. Achtensgebot 146; 150; 152 Achtensklausel 135; 138; 141; 149; 153; 156; 162 allgemeine Handlungsfreiheit 101; 155 allgemeine Menschenrechte 60 Ansässigkeit 37; 49 Antiziganismus 81 Art. 20 b 134 f f - Adressat des Art. 20 b 149 - Alternativvorschlag zu Art. 20 b 160 ff. - Auslegung des Art. 20 b 140 ff.; 149 ff. - desintegrative Wirkung des Art. 20 b 158 - edukatorische und appellative Wirkungen des Art. 20 b 152 - Minderheitenbegriff des Art. 20 b 139 ff. - normativer Gehalt des Art. 20 b 146 - politische Aspekte des Art. 20 b 156 Assimilation 56 - Assimilationszwang 56 - faktischer Assimilationsdruck 57 Asylbewerber 39 Augsburger Religionsfrieden 26 Ausländer 42; 85 autochthone Gruppen 29 begrenzte staatliche Leistungsfähigkeit 163 bilaterale Verträge der Bundesrepublik 96 ff.

- Deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundliche Zusammenarbeit 96 - Deutsch-ungarischer Freundschaftsvertrag 99 - Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slovakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundliche Zusammenarbeit 99 - Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa 99 Bonner Erklärung 73 Dänen 72 Deklaration über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehören 90 Demokratie 55 Deutschenrechte 101 Deutsch-polnische Oberschlesienkonvention 30 Deutsch-polnischer Vertrag über gute Nachbarschaft und freundliche Zusammenarbeit 96 Deutsch-ungarischer Freundschaftsvertrag 99 desintegrative Wirkung des Art. 20 b 158 Diskriminierung 56 - Diskriminierungsschutz 60 - Diskriminierungsverbote 102 - positive Diskriminierung 62; 88 Domowina 79

Sachverzeichnis

edukatorische und appellative Wirkungen des Art. 20 b 152 Effektivität des bestehenden Minderheitenschutzsystems 124 Einbürgerung 43; 50 Einheit und Vollständigkeit der Verfassung 130 Einigungsvertrag 106 Einwanderungsland 40 Ermessensspielraum des Gesetzgebers 154 Erster Weltkrieg 27 ethnische Kastenbildung 104 ethnische Minderheit 34 ethnische Mobilisierung 52 Europarat 91 ff. - Europäische Menschenrechtskonvention 21; 22; 32; 91 ff. - Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten 92 faktischer Assimilationsdruck 57 finanzielle Förderung 63 Föderalismusargument 128 Folklorisierung 78 Foriining for nationale Friiske 76 Francesco Capotorti 23; 33 Freiheitsrechte 101 Fremde 45; 48 Fremdenfeindlichkeit 40 Friesen 75 Gastarbeiter 39 Gegenseitigkeit 132 Gemeinsame Verfassungskommission 136 Gerichtssprache 107 geschichtliche Entwicklung des Minderheitenbegriffs 26 Gruppenbewußtsein 36 Gruppenidentität 37 gruppenrechtlicher Ansatz 62 Heimat 49 - Begriff 49 - Recht auf die Heimat 117

181

indirekter Minderheitenschutz 64 Instrumentalisierung des Verfassungsrechts 157 Integration 57; 158 internationale Dimension 131 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 32; 86 Interpretationswettbewerb 145 Juden 82; 104 Jules Dêschenes 33 Justitiabilität 153; 163 Kieler Erklärung 73 Kollektiv 62 Kommission Verfassungsreform des Bundesrates 134 KSZE/OSZE 94 ff. - Kopenhagener Abschlußdokument über die menschliche Dimension der KSZE 95 - KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten in Genf 95 - Moskauer Abschlußdokument über die menschliche Dimension der KSZE 95 - Schlußakte von Helsinki 94 - Wiener Treffen, Abschlußdokument 94; 95 kulturelle Minderheiten 140 Kurden 93 länderübergreifende Bedeutung des Minderheitenschutzes 131 Landesverfassungen 108 ff. - Brandenburg 112 - Mecklenburg-Vorpommern 121 - Sachsen 115 - Sachsen-Anhalt 119 - Schleswig-Holstein 108 Landesverfassungsbeschwerde 110; 115 Landeswahlgesetz von SchleswigHolstein 123 Loyalität 38; 61

182

averzeichnis

Macht- und Autoritätsverlust des Parlaments 156 menschenrechtlicher Ansatz 59 Menschenwürde 55; 104 Migrationswelle 39 Minderheit 21; 23 ff. - Minderheit im engeren Sinne 29 - Minderheit im weiteren Sinne 29 - Minderheitenbegriff 23; 160; 161 - Minderheitenbegriff des Art. 20 b 139 - Minderheitenproblematik 55 - Minderheitenschulwesen 63 - ethnische Minderheiten 34 - kulturelle Minderheiten 140 - „nationale" Minderheiten 35 - „neue" Minderheiten 43; 85 - religiöse Minderheiten 35 - sprachliche Minderheiten 36 - völkerrechtlicher Minderheitenbegriff 24; 26 ff. Minderheitenschutz 21; 54 ff. - als Angebot 59 - Bundesebene 100; 107; 123 - direkter Minderheitenschutz 65 - Effektivität des bestehenden Schutzsystems 125 - Gestaltungsvorschlag 66 - Gruppenschutz 63; 66 - indirekter Minderheitenschutz 65 - Individualschutz 66 - länderübergreifende Bedeutung 131 - Landesebene 108 ff; 124; 127 - menschenrechtlicher Ansatz 59 - Minderheitenschutzmodelle 54 - negative Minderheitenschutzbestimmungen 65 multilaterale Abkommen 86 ff. - Deklaration über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehören 90 - Europäische Menschenrechtskonvention 21; 23; 32; 91 ff. - Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 32; 86

- Moskauer Abschlußdokument über die menschliche Dimension der KSZE 95 - Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten 92 Nation 46 „nationale" Minderheiten 35 nationalistisches Denken 129 Nationalstaatsidee 26; 44; 46 negative Minderheitenschutzbestimmungen 65 „neue" Minderheiten 43; 85 Nordfriesischer Verein für Heimatliebe und Heimatkunde 76 normativer Gehalt des Art. 20 b 146 oberschlesischer Schulstreit 30 objektive Verfassungsinterpretation 144 Opfer ethnischer Konflikte 44 OSZE 94 - s. auch KSZE Paulskirchenverfassung 100 Personalautonomie 63 Polen 83 politische Aspekte des Art. 20 b 156 politische Vertretung der Minderheit 63 Positionspapier des Landes Brandenburg 136 positive Diskriminierung 62; 88 positive Förderung 162 positive Minderheitenschutzbestimmungen 65 Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten 92 Rasse 28; 102 Recht auf die Heimat 117 Rechtsfähigkeit der Gruppe 155 reine Wanderungsminderheit 43 Religionsfreiheit 101 religiöse Minderheiten 35

Sachverzeichnis

Romanes 80 Ruhrpolen 83 Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge" 147 Satzung der Vereinten Nationen 31 Schutz und Förderung 162 Schlußakte von Helsinki 94 Selbstbindung des Parlaments 157 self-executing 66; 126 Separationsbestrebungen 57 Sinti und Roma 79 soft-law 97 Sorben 77 - Sorbengesetz 122 - Stiftung für das sorbische Volk 79 soziologische Randgruppen 34 Sperrklausel 107 sprachliche Minderheiten 36 Staat 47 Staatsangehörigkeit 36; 44 Staatsvolk 46 Staatszielbestimmung 147 Ständiger Internationaler Gerichtshof 31 Stiftung für das sorbische Volk 79 Stigmatisierungseffekt 104 subjektives Bekenntnis 26; 37 Südschleswigscher Wählerverband 74 Territorialautonomie 63 typische Minderheitensituation 55 Ungleichbehandlung, herabwürdigende 103 unmittelbare Drittwirkung 149 unterlegene Stellung der Minderheit 34 Vereinte Nationen 31 ff. - Deklaration über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehören 90 - Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 32; 86

183

- Satzung der Vereinten Nationen 31 Verfassungsrecht 100 ff. - abstrakte Normenkontrolle 153 - allgemeine Handlungsfreiheit 101; 155 - Deutschenrechte 101 - Einheit und Vollständigkeit der Verfassung 130 - Freiheitsrechte 101 - Instrumentalisierung des Verfassungsrechts 157 - Menschenwürde 55; 71; 104 - objektive Verfassungsinterpretation 144 - Religionsfreiheit 101 - unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte 149 - Verfassungsänderung 128; 129 - Verfassungsbeschwerde 154 - verfassungstheoretische Überlegungen 130 - Verfassungstradition 100 - Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit 92;101 Verfolgung 56 Verrechtlichung der Politik 157 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit 92; 101 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slovakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundliche Zusammenarbeit 99 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa 99 Verwurzelungszeitspanne 51 Volk 47 Völkerbund 24 ff. - Völkerbund-Ära 27 - Völkerbundsatzung 27 völkerrechtliche Minderheitenschutzbestimmungen 86 ff. völkerrechtlicher Minderheitenbegriff 24; 26 ff. völkerrechtliches Fremdenrecht 36; 45

184

Volksgruppe 21; 161 Vollzugsdefizit 130 Weimarer Reichsverfassung 100

averzeichnis

Westfälischer Friede 26 Wiener Kongreß 27 Wiener Treffen, Abschlußdokument 94; 95