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German Pages 189 [190] Year 2023
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SERAPHIM Studies in Education and Religion in Ancient and Pre-Modern History in the Mediterranean and Its Environs Editors Peter Gemeinhardt · Sebastian Günther Ilinca Tanaseanu-Döbler · Florian Wilk Editorial Board Wolfram Drews · Alfons Fürst · Therese Fuhrer Susanne Gödde · Marietta Horster · Angelika Neuwirth Karl Pinggéra · Claudia Rapp · Günter Stemberger George Van Kooten · Markus Witte
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Hedwig Röckelein
Medizin und Astronomie in der Karolingerzeit Bibliotheken als Speicher antiken Wissens
Mohr Siebeck
IV Hedwig Röckelein, geboren 1956; Studium der Geschichte, Germanistik, Politik und ur- und frühgeschichtlichen Archäologie; 1985 Promotion; 1998 Habilitation; 1999−2022 Professorin für Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen; 2015−2019 beteiligt am SFB 1136 „Bildung und Religion in Kulturen des Mittelmeerraums und seiner Umwelt von der Antike bis zum Mittelalter und zum klassischen Islam“.
Diese Publikation entstand im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion in Kulturen des Mittelmeerraums und seiner Umwelt von der Antike bis zum Mittelalter und zum Klassischen Islam“ an der Georg-August-Universität Göttingen. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 244798977 – SFB 1136, Teilprojekt A 04. ISBN 978-3-16-161085-1 / eISBN 978-3-16-162165-9 DOI 10.1628/978-3-16-162165-9 ISSN 2568-9584 / eISSN 2568-9606 (SERAPHIM) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Minion gesetzt, von der Druckerei Gulde in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und ge bunden. Printed in Germany.
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Vorwort Diese Studie fasst die Ergebnisse des Teilprojektes A 04 „Religiöse Rezeption und christliche Transformation nicht-religiösen Wissens in der Karolingerzeit“ aus dem Sonderforschungsbereich 1136 „Bildung und Religion in den Kulturen des Mittelmeerraumes und seiner Umgebung von der Antike bis zum Mittelalter und zum klassischen Islam“ an der Georg-August-Universität Göttingen zusammen. Der SFB wurde vom Oktober 2015 bis Juni 2019 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert. Eine Schärfung des Untersuchungsgegenstandes und der Fragestellung erfolgte zum einen durch die Tagung des Projektbereichs A „Wissensspeicher“ im Oktober 2018 in Rom, die unter dem Motto „Repositories of Learning and Religion? Religious and non-religious aspects of ancient and medieval material and virtual libraries“ stand, zum anderen durch die von Andreas Speer verantwortete 41. Mediävistentagung in Köln im September 2018, die dem Thema „Die Bibliothek – Denkräume und Wissensordnungen“ gewidmet war. Krankheitsbedingt musste ich meine angekündigten Vorträge für diese beiden Konferenzen kurzfristig zurückziehen. Dieses Defizit soll hier ausgeglichen werden. In das Buch sind neben meinen eigenen Überlegungen und Erkenntnissen die Forschungen meiner ProjektmitarbeiterInnen zur medizinischen Fachliteratur und zur Astronomie eingegangen. Zu den Bibliotheken war mir die 2017 eingereichte Masterarbeit meines Studenten Robin Volkmar „Die Bibliothekskultur in karolingischen Klöstern und Pfalzen: St. Gallen, Lorsch und Aachen / Library Culture in C arolingian Monasteries and Palaces: St. Gall, Lorsch and Aachen“ sehr hilfreich. Für kritische Kommentare und Anregungen in bezug auf die Medizin bin ich Klaus-Dietrich Fischer (Mainz) zu außerordentlichem Dank verpflichtet; dasselbe gilt hinsichtlich der Astronomie für Silviu Ghegoiu und Immo Warntjes (Trinity College Dublin). Wolfram Drews (Münster) und Carmen Cvetkovič (Göttingen) haben freundlicherweise den ganzen Text einer kritischen Prüfung unterzogen. Der Kollegin Balbina Bäbler aus dem Göttinger SFB 1136 danke ich für den inspirierenden Austausch und die Hinweise zu den Bibliotheken und zur Medizin in der Spätantike. Weiterführendes ergab sich aus den Gesprächen mit Karl Ubl (Köln), Peter Gemeinhardt (Göttingen), Patrick Geary (Los Angeles), Sita Stickel (Münster) und Bernhard Jussen (Frankfurt a.M.); ihnen danke ich herzlich für diese Anregungen. Redaktionelle Unterstützung leisteten die Hilfskräfte Marina Borrmann, Thomas Kayser und Daniel Richter, der auch das Register erstellte. Den Herausgebern, insbesondere der Göttinger Kollegin
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Vorwort
Ilinka Tanaseanu-Döbler, danke ich für die Aufnahme des Buches in die Reihe „ SERAPHIM“. Tobias Stäbler und Susanne Mang vom Verlag Mohr Siebeck (Tübingen) gilt mein Dank für die sorgfältige Betreuung von Satz und Druck sowie ihre Geduld. Göttingen, im Frühjahr 2023
Hedwig Röckelein
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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Buchbesitz und Bibliotheken in karolingischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Bücher und Bibliotheken am A achener Hof und in den Klöstern Lorsch und St. Gallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.1 Die (Aachener) Hofschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2 Das Kloster Lorsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3 Das Kloster St. Gallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
3 Bibliotheken oder Büchersammlungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.1 .Aachener Hofbibliothek(en)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.2 Verwahrorte der liturgischen Bücher: Kirche und Sakristei . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.3 Verwahrorte der allgemeinen Bibliothek: Torhalle? Bücherturm? Basilika? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.4 Private Büchersammlungen am Hof und in den Klöstern . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.5 Krankenhausbibliotheken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.6 Mobile Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
4 (Virtuelle) Bibliotheken und der Schulunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.1 Eine Schule am Aachener Hof? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.2 Die St. Galler Klosterschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.3 Der Schulbetrieb in Lorsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
5 Kosmos und Körper: die Rezeption antiken Wissens im christlichen Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 5.1 Die Berechnung der Planetenbahnen und des Kalenders: Astronomie und Komputistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5.2 Die Sorge um den gesunden und den kranken Körper: Medizin – Pharmakologie/Pharmazeutik – Diätetik – Deontologie – Aitiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5.3 Medizin in den Klöstern versus Klostermedizin: St. Gallen und Lorsch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
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Inhaltsverzeichnis
5.4 Medizin – Magie – Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 5.5 Medizin und Astronomie: zwei Disziplinen – zwei Aneignungsweisen antiken Wissens im christlichen Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
6 Konstellationen am königlichen Hof: Bibliotheksräume – Schwimmbäder – Gesundheitszentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 7 Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Handschriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Editionen und Facsimilia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
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Abkürzungen BAV BB BHL BLB BM BL BN BnF BR BSB
Biblioteca apostolica Vaticana Burgerbibliothek Bern Bibliotheca hagiographica latina Badische Landesbibliothek Karlsruhe Bibliothèque municipale British Library London Biblioteca nacional Bibliothèque nationale de France Bibliothèque royale Bayerische Staatsbibliothek München
c(c). CCCM CCSL CL CLA Csg CSLMA
capitulum / capitula Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis Corpus Christianorum, Series Latina Codex Laureshamensis Codices latini antiquiores Codex Sangallensis Clavis scriptorum latinorum medii aevi
DNP
Der Neue Pauly
Ed. Edition Epist. Epistola(e) HAB Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel HLLA Handbuch der lateinischen Literatur der Antike Hg(g). Herausgeber Hs Handschrift LdMA LT hK² LT hK³
Lexikon des Mittelalters Lexikon für T heologie und Kirche, 2. Auflage Lexikon für T heologie und Kirche, 3. Auflage
MGH
Monumenta Germaniae historica
ÖNB
Österreichische Nationalbibliothek Wien
X
Abkürzungen
p. pagina PL Patrologia latina RAC RGA²
Reallexikon für Antike und Christentum Reallexikon für Germanische Altertumskunde, 2. Auflage
SB Staatsbibliothek SPK Sammlung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin SS Scriptores SSCI Settimane di Studio della Fondazione Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo StB Stadtbibliothek StiftsB Stiftsbibliothek StuUB Stadt- und Universitätsbibliothek SuUB Staats- und Universitätsbibliothek TRE
T heologische Realenzyklopädie
UB Universitätsbibliothek ZB
Zentralbibliothek Zürich
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Einleitung Ein neuer archäologischer Fund aus Köln auf dem Gelände des römischen Forums lässt aufhorchen: Man vermutet, ein Bibliotheksgebäude aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert in unmittelbarer Nachbarschaft der ersten Kirchenbauten und des späteren Domes der Stadt gefunden zu haben.1 Dieser Fund beflügelt die Fantasie und gießt Wasser auf die Mühlen derer, die sich ein Kontinuum zwischen antiken römischen und frühmittelalterlichen Bibliotheken nördlich der Alpen vorstellen können. Es wäre sehr verlockend, sich die Aula regia in der fränkischen Pfalz Ingelheim am Rhein, deren Exedra sich an römischen Landvillen orientiert,2 als einen Ort zu imaginieren, dessen Wände mit den Taten Karls d. Gr. bemalt3 und an dessen Längsseiten Nischen für Bücher eingelassen waren. Zwar ist es inzwischen gelungen, die akustische Qualität dieses herrscherlichen Repräsentationsraumes zu rekonstruieren,4 für die Hypothese einer Büchersammlung an der
1 Kölner Stadtanzeiger vom 25.07.2018, https://www.ksta.de/kultur/bei-bauarbeitenarchaeologen-entdecken-in-koeln-aelteste-bibliothek-deutschlands-31008560. Das 20 x 9m große, mit einer Apsis versehene Gebäude aus der Zeit um 150–200 n. Chr. weist ca. 80 cm breite Nischen in den Wänden auf, ähnlich wie die antiken Bibliotheken in Ephesos, Pergamon und Rom. Daraus hat man geschlossen, dass es sich um einen Bibliotheksraum handeln müsse, in dem an den Wänden Schränke und Regale für Schriftrollen angebracht waren. 2 Mit dem Bau der Anlage auf dem Gelände eines Hofgutes (curia, auf dem Gelände einer römischen T hermenanlage?) König Pippins d. J., das seinerseits auf merowingischen Vorgängern beruht, wurde vermutlich um 800 begonnen. Zu den römischen Vorgängerbauten unter der karolingischen Pfalz vgl. Endemann 2016. Es sind nur wenige Besuche Karls (774, 787–788, 807) und Ludwigs des Frommen nachgewiesen. Das Loblied, das Ermoldus Nigellus in den Jahren 816 und 826 anlässlich eines Besuches des dänischen Königs Harald Klak auf die Pfalz Ingelheim singt (Ermoldus Nigellus, Poème, ed. Faral 1932, 74, Vv. 934 ff.; 166, Vv. 2165 ff.), dürfte wohl stark übertrieben sein; es ist der literarischen Gattung der Herrscherlaudes geschuldet. Zu den neueren Grabungen, zu römischen Vorbildern und zur Datierung der karolingischen Pfalz vgl. die Kurzberichte von Grewe 2016, 2014a, 2014b, 2014c. Eine abschließende monographische Darstellung der Grabungen steht noch aus. 3 Zu den von Ermoldus Nigellus imaginierten Motiven der Wandbemalung in der Pfalz, den Siegen der Karolinger über die Friesen, die Aquitanier und die Sachsen, vgl. Lammers 1972. Allerdings ist zu bedenken, dass Ermoldus wahrscheinlich nie in Ingelheim war. Die Untersuchung der Reste des Wandverputzes der Aula regia hat lediglich geometrische Muster ergeben (vgl. dazu Grewe, passim). Grewe hält es für möglich, dass der Saal mit Wandteppichen geschmückt war. Eine Einschätzung der Ausmalung und Ausstattung der Aula regia gibt Jacobsen 2017, 61–74. 4 Gübele 2020.
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Einleitung
königlichen Pfalz Ingelheim reichen aber bislang weder die ergrabenen Befunde noch die schriftlichen Nachrichten aus. Im Frühmittelalter wurde das antike Wissen auf den Gebieten der freien Künste und der Dichtung nicht nur in königlichen und adeligen Palästen gesichert; vielmehr trugen religiöse Institutionen und Einzelpersonen entscheidend dazu bei. Sie rezipierten dieses Wissen, passten es ihren eigenen Bedürfnissen an und vermittelten es weiter. Ohne die enorme Kopier- und Kompila tionstätigkeit von Mönchen und gelehrten Klerikern wäre das antike Wissen nicht im lateinischen Westen verbreitet worden und sogar weitgehend verloren. Aus den Diskussionen, die im SFB 1136 mit den Kolleginnen und Kollegen über griechische und römische Bibliotheken und deren bauliche Umgebung in der Spätantike geführt wurden, ergaben sich für die Bibliotheken der Karolingerzeit folgende Fragen: 1) Haben wir es im Frühmittelalter mit Bibliotheken oder mit Büchersammlungen zu tun? 2) Waren diese Bibliotheken respektive Büchersammlungen virtuelle oder reale Orte des Lernens und der Erziehung? 3) Wie verhielten sich im Frühmittelalter die christlichen Nutzer und Verwalter dieser Buchbestände zur antiken wissenschaftlichen Literatur? 4) Welche Folgen hatte der Umstand, dass die antiken Texte im Frühmittelalter in einer religiösen Umgebung verwahrt und konsumiert wurden? 5) Gibt es im Frühmittelalter ähnliche räumliche Konstellationen zwischen Bibliotheken, T hermen und Gesundheitseinrichtungen wie in der Antike? 6) Waren die Bücher und Bibliotheken in der Karolingerzeit wie in der Antike Gegenstand von Memorialstiftungen? Diesen Fragen wird hier an drei Fallbeispielen nachgegangen: an den Pfalzbibliothek(en) in A achen in den späteren Regierungsjahren Karls d. Gr. und unter Ludwig dem Frommen und in den Bibliotheken der Reichsklöster St. Gallen südlich des Bodensees und Lorsch im nördlichen Oberrheintal.5 Die Auswahl fiel auf diese drei Institutionen, weil sie historisch und archäologisch gut dokumentiert sind und weil ihre frühmittelalterlichen Bibliotheken gut erschlossen sind.6 An diesen drei Standorten sind u. a. auch medizinische und astronomische Texte erhalten oder bezeugt, mit denen sich das Teilprojekt A 04 des SFB 1136 befasste.7 5 Zweifelsohne wäre für eine solche Untersuchung aus dem westfränkischen Reichsteil auch das für seine zahlreichen wissenschaftlichen Codices berühmte Kloster Corbie geeignet. 6 Eine Übersicht über die drei Institutionen unter den hier verfolgten Fragestellungen stellte Robin Volkmar als Hilfskraft im Rahmen des SFB 1136 zusammen. Vgl. dazu auch die unpublizierte Masterarbeit Volkmar 2017. 7 Das TP A 04 des SFB 1136 befasste sich unter meiner Leitung mit der religiösen Rezeption und christlichen Transformation antiken nicht-religiösen Wissens in der Karolingerzeit. Siehe dazu auch den Beitrag von Silviu Ghegoiu „Religious and Non-Religious in Caro-
Einleitung
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Bernhard Bischoff schätzt, dass aus der Karolingerzeit ca. 7000 Handschriften erhalten sind.8 Davon befinden sich allein in St. Gallen ca. 400 noch heute vor Ort. Aus Lorsch sind derzeit 331 Handschriften nachweisbar, verstreut auf Bibliotheken in aller Welt. Am schwersten ist der Umfang der A achener Sammlungen einschätzen, da die meisten Bücher die Pfalz am Ende der Karolingerzeit bereits wieder verlassen hatten. Im ersten Teil der Untersuchung (Kap. 1–4) wird anhand der Bibliotheken und Schulen diskutiert, wie Mönche – bedingt auch Nonnen – und Kleriker in den Klöstern und am karolingischen Hof antikes Wissen rezipierten, wie sie dieses Wissen für ihre Zwecke neu organisierten und strukturierten, wie sie es verwahrten, und wie es zwischen diesen Institutionen und Individuen zirkulierte. Im zweiten Teil (Kap. 5) wird die Rezeption und Transformation des antiken Wissens in den Bereichen Astronomie, Komputistik und Medizin behandelt, besonders unter der Fragestellung, wie das antike Wissen über Kosmologie, Körper- und Gesundheitspflege in den christlichen Gesellschaften des Westens aufgenommen wurde. Konflikte zwischen antiker und christlicher Ethik, zwischen Wissen und Glauben sind an bestimmten Systemstellen erwartbar und waren unausweichlich. Wer die Planetenlaufbahnen und den Kalender berechnet, muss einen Ausgleich schaffen zwischen den Mythen und der Götterwelt, nach denen die Griechen die Sternbilder bezeichnet hatten, und dem christlichen Weltbild. Griechische Humoralpathologie und das christliche Konzept von Heil und Heilung ließen sich nicht ohne Weiteres miteinander in Einklang bringen. Magische Praktiken, die im Mittelmeerraum in hellenistischer Zeit weit verbreitet waren, gerieten schon in den ersten christlichen Konzilien des Westens unter Verdacht. Trotz wiederholt ausgesprochener Verbote, wurden sie in den frühmittelalter lichen Handschriften beschrieben und empfohlen. Abschließend (Kap. 6) wird die Frage aufgeworfen, ob in der Aachener Pfalz zur Zeit Karls d. Gr. und Ludwigs des Frommen Vorstellungen über die Einheit von geistiger und körperlicher Gesundheit existierten ähnlich denen, die wir aus der Antike kennen. Hier wird zum einen der Standort der Bibliotheken in unmittelbarer räumlicher Nähe zu den Einrichtungen der Körperertüchtigung und den T hermenanlagen in A achen diskutiert, zum anderen die Praxis, im Bad wissenschaftliche und philosophische Gespräche zu führen. Im Verlauf des Arbeitsprozesses tauchten epistemologische und terminologische Probleme auf: Haben wir es bei den Wissensgebieten der Medizin und Astronomie in der Antike tatsächlich mit rein pragmatischem, nicht-religiösem Wissen zu tun? Oder war dieses nicht vielmehr bereits in der Antike religiös konnotiert? Aus der Perspektive der griechischen Antike sind Medizin und Astrolingian Computistical Manuscripts. Prognostica among other Encyclopaedic Material“ und den Beitrag „Medicine and Religion in Carolingian Discourses and Libraries“, die beide in den Akten der Tagung „Repositories of Learning“ (Rom 2018) 2023 erscheinen werden. 8 Bischoff 1981a, 56.
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Einleitung
nomie als Wissensbereiche Teil der Mythologie und Kosmologie. Das führte zur Revision meiner früheren Ansicht, dass Astronomie und Medizin in der Antike rein pragmatische, nicht-religiöse Wissensfelder gewesen seien.9 Daraus folgte eine Neubewertung der Auseinandersetzung der Christen mit diesen Wissensgebieten in der Spätantike wie im Frühmittelalter. Und schließlich: Werden die Begriffe „pagan“ bzw. „heidnisch“, die in der Forschung bis heute als Kontrapunkt zu „christlich“ im Umlauf sind, dem antiken griechischen und römischen Wissensumfeld und Religionsverständnis gerecht? T heologie und Religionswissenschaft stellen sich dieser Frage schon länger;10 die aktuelle Debatte um die „Cancel-Culture“ lehrt auch die Mediävistik, ihre wissenschaftliche Terminologie zu hinterfragen und – im konkreten Fall – zu revidieren.11 Da Juden und Christen den Begriff „Heiden“ bzw. „Pagane“ zur Ab- und Ausgrenzung in diffamierender Absicht gegen diejenigen verwendeten, die nicht ihrer Religion anhingen, werde ich sie für die Beschreibung der antiken (hellenistischen) Kultur des mediterranen Raumes meiden. Gleiches gilt für die zahlreichen Synonyme, die die christlichen Autoren der Spätantike und des Frühmittelalters für „pagan“ benutzten: „gentilis“,12 „ethnicus“, „profanus“ und „fanaticus“ (von „fanum“, dem Heiligtum).13 „Pagani“, „gentiles“, „ethnici“ sind aus der Sicht christlicher Autoren diejenigen, die nicht getauft sind und nicht an den Christengott glauben.14 Ihre religiösen Vorstellungen beruhen nicht auf einer „lex“, einem schriftlich fixierten Gesetz (damit ist das Alte und das Neue Testament gemeint). Sie üben ihren Kultus in Hainen aus und sie verehren Götzen („idolatria“). Sie glauben an Dämonen, Magie, Amulette und andere „superstitiones“, sie bringen Schlachtopfer dar und vertrauen Losorakeln, Weissagungen, Prophezeiungen und Zauberern ihre Lebensentscheidungen an.15 Die 9 Den Titel „Religiöse Rezeption und christliche Transformation nicht-religiösen Wissens in der Karolingerzeit“, den ich für das TP A 04 des SFB 1136 gewählt hatte, würde ich auf der Grundlage dieser Einsicht heute anders formulieren. Ich danke den TeilnehmerInnen meines Masterseminars „Expertenwissen in der Karolingerzeit zur Astronomie und Medizin“ im Wintersemester 2021/22 für die Diskussion über diese Problematik. 10 Etwa Karl Rahner, Art. „Heidentum“, LT h K 2 V (1960), 73-76; Ciancarlo Collet, Art. „Heiden III. Missionstheologisch“, LT hK 3 IV (2006), 1255-1256; Hans-Werner Gen sichen, Art. „Heidentum“, TRE XIV (1985), 590–601; Jean-Claude Fredouille, Art. „Heiden“, RAC XIII (1986), 1113–1150. 11 Ich danke Bernhard Jussen und Sita Steckel für die diesbezügliche Diskussion im Oktober 2021 in Göttingen. 12 Augustinus, Isidor und Hrabanus Maurus verwenden bevorzugt den Begriff „gentilis“, wenn sie von der griechisch-ägyptischen Sternenkunde sprechen; vgl. dazu unten Kap. 5.1. 13 Das Wortfeld von „paganus“ bei frühmittelalterlichen Autoren hat Goetz 2013 untersucht; das von ihm ermittelte Corpus beruht auf dem Corpus Christianorum und der Patrologia Latina von Migne. 14 Augustinus, Sermones de vetere testamento, Sermo 17, ed. Cyrill Lambot, CCSL 41, 242: ethnicus gentilis est. Gentilis ille est qui in Christum non credit. 15 Zu den Abgrenzungskriterien- und strategien vgl. Goetz 2013; Palmer 2007, 425: „To
Einleitung
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christlichen Autoren unterschieden dabei nicht zwischen den Polytheisten im römischen Imperium, den germanischen Barbaren und christlichen Häretikern. Für die Gelehrten am fränkischen Hof stammten die Sternkunde und das Wissen um den Kalender ebenso wie die Kunst der Magie aus Ägypten. Alkuin bezeichnete die in der hellenistischen Weisheitstradition bewanderten Schüler in Aachen als „pueri aegyptiaci“.16 Daher böte es sich an, das Wissen aus dem Mediterraneum, das die christlichen Zentren der Gelehrsamkeit in der Karolingerzeit erreichte, als „ägyptisch“ zu bezeichnen. Da dies aber vermutlich zu Missverständnissen führen würde, bleibe ich bei den gängigen Hilfskonstruktionen „antik“, „römisch“, „griechisch“ oder „hellenistisch“.
define paganism in the Carolingian world was to define otherness, and by extension to promote ideal forms of Christendom.“ 16 Alkuin, Epistulae, MGH Epist. IV, 231, 232, 282, 285. „Ägypten“ steht hier für die hellenistisch-alexandrinische Weisheitstradition. Es ist unwahrscheinlich, dass die Gelehrten am Aachener Hof nähere Kenntnisse über die Schulen in Griechenland oder Ägypten besassen.
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1 Buchbesitz und Bibliotheken in karolingischer Zeit Die Herrscher und ihr Gefolge reisten im Frühmittelalter permanent durch das Reich und suchten ihre Paläste nur sporadisch auf. Daher dürfte es an den meisten Pfalzen keine dauerhaften Bibliotheken oder Schulen gegeben haben. Bücher waren vielmehr mobil und begleiteten den Herrscher und sein Gefolge. Eine Ausnahme stellte lediglich die königliche Pfalz in Aachen dar, in der sowohl Karl d. Gr. wie auch dessen Sohn Ludwig der Fromme über längere Zeiträume hin residierten. Nur hier hielten sich Gelehrte regelmäßig länger auf, nur hier wurden Bücher systematisch gesammelt und nur hier konnte sich eine Schule für die Höflinge etablieren. Der königliche Palast besteht im fränkischen Reich in der Regel aus mehreren Funktionsräumen, von denen nur die in den Palas integrierte Kapelle oder ein selbständiger Kirchenbau als Sakralräume anzusehen sind. Die liturgischen Bücher, die in der Sakristei verwahrt wurden, zählten selbstverständlich zum religiösen Gut.1 Doch waren weder die Pfalz selbst2 noch alle dort verwahrten Bücher religiös konnotiert. Dies gilt auch für die Bücher in den Haushalten des führenden fränkischen Adels. Pierre Riché3 konnte solche Sammlungen im Haus der provenzalischen Aristokratin Dhuoda, der Verfasserin eines ‚Liber manualis‘ für ihren Sohn Wilhelm nachweisen, des Weiteren im Chartular der Abtei Cysoing Bücher aus dem Besitz des Eberhard, Markgraf von Friaul (gest. 864) und Schwager Ludwigs des Frommen,4 und im Chartular der Abtei Saint-Benoît-sur-Loire solche aus dem Haushalt des Eccard (gest. um 876), Graf von Mâcon, aus der Familie der Nibelungen. Rosamond McKitterick gelang es, weitere Laien als Buchbesitzer zu ermitteln.5 Ungeachtet dieses beeindruckenden Interesses von Laien an Büchern sind Bibliotheken und Büchersammlungen in der Karolingerzeit am besten und häufigsten aus Klöstern belegt. Schriftlichkeit ereignete sich vorrangig in diesen Institutionen und aufgrund ihrer langen Dauer boten sie die besten Überlieferungsbedingungen. Das bedeutet, die meisten aus der Karolingerzeit erhaltenen Bücher befanden sich per se und permanent in religiös konnotierter Umgebung. 1
Zu den Evangeliaren: siehe unten 13 u. 20–22. Eine Sakralisierung der gesamten Pfalz, wie dies in der Forschung zeitweise angenommen wurde, ist auszuschließen. Vgl. dazu Röckelein 2021. 3 Riché 1963; Bricout 2006. 4 Kershaw 2007. 5 McKitterick 1989, 224–250. 2
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1 Buchbesitz und Bibliotheken in karolingischer Zeit
Ernst Tremp hat die normativen Vorgaben der Benediktsregel auf die Gebäude im St. Galler Klosterplan übertragen, deren Funktion durch Inschriften gesichert sind.6 Demnach befanden sich Bücher im Scriptorium, in der Bibliothek, der Sakristei, der Kirche (am Hauptaltar, an den Altären für die Privatmessen, im Mönchschor, am Ambo), im Kapitelsaal, im Dormitorium, im Refektorium, im Pilger- und Armenhaus, im Gästehaus, in der Schule, im Haus des Abtes, im Haus der Oblaten und Novizen, im Krankenhaus und im Ärztehaus. Cassiodor sah für das Vivarium in Squillace zur Ausbildung der Mönche eine große Bibliothek vor, in der das Wissen seiner Zeit versammelt werden und christliche einträchtig neben antiker Literatur stehen sollte.7 Auch die Büchersammlungen der Bischöfe befanden sich im Frühmittelalter per se in einer religiös bzw. semi-religiös geprägten Umgebung. Geistliche wie der Erzbischof Leidrad von Lyon8 stellten die Bücher nach ihren privaten Interessen zusammen. Viele gallische Bischöfe der Karolingerzeit stammten wie Leidrad aus gebildeten aristokratischen Familien und umgaben sich mit antiker Dichtung und pragmatischer Literatur. In ihren Bibliotheken sind daher nicht nur theologische Texte zu finden, sondern ein breites Spektrum an Wissensliteratur. Sofern diese Kirchenvorsteher ihre Sammlung an die Kathedrale oder Domschule schenkten, wie dies in Verona geschah,9 verblieben die Bücher am Ort und gelangten später in den Besitz der Domkapitel. Die meisten dieser bischöflichen Bibliotheken haben sich allerdings nicht physisch erhalten, sondern sind nur aus Inventaren bekannt.10 6
St. Galler Klosterplan ed. Tremp 2014; Vgl. die schematische Umzeichnung des Planes mit Eintrag der Buchorte nach Tremp 2014 und Dora 2017b, 48–49. 7 Damit beschäftigte sich Balbina Bäbler-Nesselrath im TP A 02 des SFB. 8 Leidrad lehrte vielleicht zeitweise als Lehrer am A achener Hof. Er trug als Erzbischof von Lyon zur Verbreitung und Durchsetzung von Karls Bildungsreform in Gallien bei. Vgl. dazu Lohrmann 2013, 425. 9 Zur Domschule und Kathedralbibliothek von Verona vgl. Bischoff 1984, 172, 178, und unten passim. Das Netzwerk der Österreichischen Akademie der Wissenschaften „T he Transformation of the Carolingian World (TCW) – Plurality and Its Limits in Europe, 9th to 12th Century“ kündigte für den International Medieval Congress in Leeds 2020 eine Sektion zur Kathedralbibliothek in Verona und deren Rolle bei der Perzeption antiken Wissens in der Karolingerzeit an. Sie fand jedoch nicht statt, da der IMC wegen der Pandemie abgesagt werden musste. In dieser Sektion waren folgende Vorträge geplant: Massimiliano Bassetti, Crossing borders between scripts: from scriptorium to writing school at the cathedral of Verona in the time of the Goths, Lombards and Franks (6th–9th centuries); Rosamond McKitterick, T he formation of perceptions of the past in late antique and early medieval Verona; Marco Stoffella, Perceptions of the past and calculations of the present and the future: computus and astronomy in early medieval Verona. Bischof Egino von Verona schenkte einen Teil seiner Bücher dem Inselkloster Reichenau in Alemannien, wohin er sich nach seiner Resignation zurückzog; vgl. dazu unten 61. 10 Zu frühmittelalterlichen Bischofsbibliotheken vgl. die Forschungen von Laura Pani, Udine, und Stephan Bruhn, London, vorgestellt auf der Tagung der Germania Sacra „Bischof und Diözese im Früh- und Hochmittelalter“, Göttingen, Februar 2020. Publiziert in Bihrer/Röckelein 2022.
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2 Bücher und Bibliotheken am A achener Hof und in den Klöstern Lorsch und St. Gallen Zunächst seien die drei hier zu diskutierenden Bücherstandorte kurz vorgestellt.
2.1 Die (Aachener) Hofschule Karl d. Gr. ließ A achen seit Mitte der 790er Jahre zum repräsentativen Zentrum seiner Herrschaft ausbauen. Seit Ende der 790er Jahre nahm er dort – zunächst noch auf der Baustelle – bis zu seinem Tod 814 dauerhaft Residenz. Auch sein Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme (814–840) und dessen Nachfolger hielten sich häufig in A achen auf. Der Stern A achens begann zu sinken, als Kaiser Lothar I. im Rahmen der Bruderkämpfe im März 842 die Schätze der Pfalz und der Marienkirche als Verfügungsmasse an sich riss.1 Durch den Teilungsvertrag von Meerssen 870 rückte Aachen aus dem Zentrum des Frankenreiches in die Peripherie des östlichen Teilreiches. Ludwig der Deutsche bevorzugte künftig Regensburg und Frankfurt am Main für seine längeren Aufenthalte, Karl der Kahle hielt sich am häufigsten in der Pfalz Compiègne auf.2 Der Überfall der Normannen auf Aachen im Herbst 881 mag von der zeitgenössischen Historiographie übertrieben und in chiliastischer Absicht dargestellt worden sein; der dortigen Pfalz dürfte er dennoch nicht förderlich gewesen sein.3 Die Rolle der Pfalz A achen ist anlässlich des 1200-jährigen Todesjubiläums Karls d. Gr. ausführlich beleuchtet und ihre Entstehungsgeschichte anhand der Revision der Altgrabungen und aufgrund erneuter archäologischer Untersuchungen neu bewertet worden.4 Manches Gebäude, das frühere Forschergenerationen dem Genie Karls d. Gr. zuschrieben, hat sich als Werk Pippins des Jün1
Annales Bertiniani, ad a. 842, ed. Grat et al. 1964, 41. Vgl. dazu Müller u. a. 2013, 356 f. den Nachfolgekämpfen und der erneuten Reichsteilung sowie den Folgen für Aachen vgl. Müller u. a. 2013, 379–383. 3 Vgl. Müller u. a. 2013, 375 f. mit Angabe der Quellen. 4 Siehe den Katalog zur Ausstellung Karl der Große / Charlemagne 2014. Zu dem Forschungsprojekt im Umfeld des Jubiläums vgl. Krücken 2016. Die Ausstellung in A achen besuchte ich im Rahmen meines mit dem Kunsthistoriker Prof. Manfred Luchterhandt abgehaltenen Masterseminars am 20./21. Juni 2014. Die neuen archäologischen Erkenntnisse diskutierte das Teilprojekt A „Bildungsspeicher“ des SFB 1136 „Bildung und Religion in Kulturen des Mittelmeerraums und seiner Umwelt von der Antike bis zum Mittelalter und zum Klassischen Islam“ im Rahmen einer Exkursion nach A achen am 19./20. Juli 2016 mit Fachkollegen aus verschiedenen Disziplinen vor Ort. 2 Zu
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2 Bücher und Bibliotheken
geren oder Ludwigs des Frommen herausgestellt.5 Nach derzeitigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass die Pfalzanlage in A achen nicht aus einem Guss entstanden, sondern über mehrere Generationen gewachsen ist. Diese Einsicht berührt auch die Bibliotheksstandorte.6 Einhard, der langjährige Wegbegleiter und Biograph Karls d. Gr., zeichnet in der Vita Karoli Magni das Bild eines an Bildung und antikem Wissen interessierten Herrschers, dem besonders die Grammatik, Rhetorik, Dialektik und Astronomie am Herzen gelegen habe.7 Wir wissen aus vielen Einzelnachrichten, dass sich Karl darum bemühte, ausgesuchte Gelehrte aus Italien, Gallien, Spanien, England und Irland an seinen Hof zu ziehen.8 Aufenthalte unterschiedlicher Dauer in A achen sind belegt für den angelsächsischen Universalgelehrten Alkuin († 804),9 für die Grammatiker Petrus von Pisa10 († um 799, am Hof vor 790) und Paulinus von Aquileja († 802, am Hof vor 787); für die Geschichtsschreiber und T heologen Paulus den Diakon (am Hof 782–786)11, den Westgoten T heodulf († 821, am Hof nach 780 bis vor 798) und Angilram von Metz; für die irischen Astronomen Dungal (von Saint-Denis)12 und Dicuil († nach 825)13 sowie für die Medizin ein gewisser Jacob, der auch als Notar in der Kanzlei tätig war (am Hof 787–792).14 Alkuin charakterisierte in einem Zirkulargedicht vom April 5 Vgl. dazu Müller u. a. 2013; Ristow 2014, 227 mit einem anschaulichen Plan; Ristow 2016; einen Gesamtüberblick der Grabungen gibt Jacobsen 2017, 74–164. Gegen Ristow halten Pieper / Schindler 2017 für die Marienkirche am Genieplan Karls des Großen fest. 6 Vgl. dazu unten Kap. 3.1. 7 Vgl. Einhard, Vita Karoli Magni, cc. 19, 24, 25; dazu Fried 2014. 8 Zu den Beratern am Hof Karls und Ludwigs vgl. Hartmann 2010, 195–202. 9 Bullough 2003a, 346, vertritt die Ansicht, Alkuin sei nicht 781 oder 782, sondern erst 786 an den Hof Karls gekommen. Lohrmann 2013, 419 geht davon aus, dass Alkuin sich in A achen in den Wintern 787/788, 790 und 794 bis 796 aufhielt und später – als Abt von Tours – nur noch sporadisch an den Hof in A achen zurückkehrte. 10 Vom Grammatikunterricht des Petrus von Pisa für Karl d. Gr. berichtet Einhard, Vita Karoli Magni, c. 25, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 30: In discenda grammatica Petrum Pisanum diaconem senem audivit. In der Grammatik, die Petrus Karl widmete, paraphrasiert er die ‚Ars minor‘ des Aelius Donatus. Die Grammatik des Petrus ist in drei Fassungen erhalten: 1. Fassung = ‚Ars Diezana‘, ed. Krotz / Gorman 2014, 287–333: Berlin, SPK, Diez. B Sant. 66, pp. 3–66 (8. Jh.; 2. Fassung: Bern, BB, 207, 113r–127r (CLA VII 568: datiert auf 779–797, wahrscheinlich in Fleury geschrieben); 3. Fassung = ‚Ars Petri‘, ed. Krotz / Gorman 2014, 226–286: Bern, BB, 207, 148r–168v; Bern, BB, 522, 4r–68r (9. Jh.); St. Gallen, StiftsB, 876, pp. 33–85 (Ende 8./Anf. 9. Jh.). 11 Paulus brachte die Carmina des Ennodius mit an den Hof und seinen Kommentar zu Donat, den er Karl dedizierte. Davon sind drei Handschriften erhalten: Paris, BnF, lat. 528; Leipzig, UB, Rep. I 4° 74; London, BL, Harley 3685. 12 Dungal beriet Karl d. Gr. in astronomischen Fragen; dazu und zu seinem persön lichen Eintrag in der Handschrift Mailand, Biblioteca Ambrosiana, C 74 sup. vgl. unten 47 A. 36. Zu Dungals astronomischen Berechnungen vgl. Ó Corráin 2017, 517 f. Nr. 406–407. 13 Zu seiner Kompetenz in der Astronomie vgl. unten 72–73. 14 Zu ihm vgl. unten 90 u. 119 A. 13: Quintus Serenus, Liber medicinalis, Codex Zürich, ZB, C 78 (Teil IV), foll. 59r–82v.
2.1 Die (Aachener) Hofschule
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796 eine Reihe dieser Gelehrten unter ihren am Hof gebräuchlichen Pseudonymen.15 T heodulf replizierte Ende Mai desselben Jahres mit einem Lobgedicht auf Karl d. Gr., in dem er die Schwächen der Gelehrten aufzeigte.16 Es wäre sehr verlockend, sich diese Gelehrtenrunde so vorzustellen wie die beratende Versammlung von neun Agrimensoren unter dem Vorsitz eines prae ses consilii17. Die Darstellung wurde wohl in Lotharingien am Hof Ludwigs des Frommen nach einer spätantiken Vorlage gezeichnet.18 Die mit Handgesten von Disputanten ausgestatteten Figuren sind in antiker Manier mit römischen Togen bekleidet und sitzen auf einfachen Hockern; in Händen halten sie Codices und Rotuli. In einer ähnlichen Runde sind im Wiener Dioscorides Ärzte versammelt.19 Das Motiv der disputierenden Gelehrten nimmt vermutlich seinen Ausgang von den sog. Sieben Weisen der Antike, Persönlichkeiten, die zwischen 650 und 540 v. Chr. belegt sind20 und virtuell zu einer synchronen Runde von Gesprächspartnern in der Schule Platons in Athen zusammengefügt wurden. Das Motiv, seit der 2. Hälfte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts literarisch entwickelt, wurde kanonisch auf die Siebenzahl fixiert und schließlich in der Bildhauerei (Porträtbüsten),21 in Wandbildern und Mosaiken (die Gesprächssitua15 Alkuin, Carmen 26 (April 796), MGH Poet. lat. I, 245–246. Vgl. dazu Schaller 1970, 24–29. 16 T heodulf, Carmen ad Carolum regem, Carm. 25 (Mai 796), MGH Poet. lat. I, 483– 489. Vgl. dazu Schaller 1970, 29–36. 17 BAV, Pal. lat. 1564, 2r und 3r. 18 Datierung und Provenienz von BAV, Pal. lat. 1564 insgesamt und der Folia 1–4 mit den Dedikations- und Autorenbildern sind kontrovers. Die Vorschläge reichen vom 2. Viertel des 9. bis ins 12. Jahrhundert, die Lokalisierungen von Fulda über Lothringen bis zum Niederrhein. Ich folge hier dem Katalogeintrag C 7.1, in: Bibliot heca Palatina 1986, 129– 130, der die Eingangsbilder als karolingische Kopie eines spätantiken Vorbilds aus dem 6. Jahrhundert interpretiert und vermutet, dass die Ärztebilder aus dem Wiener Dioscorides als Vorlage benutzt wurden. Der herrscherliche Kontext ergibt sich in BAV, Pal. lat. 1564 aus dem Kaiserporträt (fol. 1r) und aus dem Gespräch des Kaisers mit dem Iudex, der ihm Streitfälle vorträgt (fol. 4r). 1564 versah der Kölner Humanist Metellus Sequanus († 1597 in Augsburg) die Eingangsbilder mit Tituli. Zu den Illustrationen und zum Codex siehe https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_1564 (eingesehen: 18.8.2020). Zu weiteren teils reich illustrierten Agrimensorencodices des 5./6. (Wolfenbüttel, HAB, Guelf. Aug. 2° 36.23, Codex Arcerianus, aus einem italienischen Scriptorium, im Frühmittelalter in Bobbio, vgl. CLA IX 1374a) bis 9. Jahrhunderts in Wolfenbüttel (aus Corbie und der Sammlung Gude) vgl. Bibliot heca Palatina 1986, 130. Zur Rezeption der spätantiken römischen Agrimensorenliteratur (ca. 5. Jahrhundert) am Karolingerhof v. a. durch die ‚Propositiones ad acuendos iuvenes‘ Alkuins, vgl. Folkerts 2012, 144 f., und Folkerts / Gericke 1993. 19 Wien, ÖNB, med. graec. 1, sog. Cheiron-Gruppe 2v, Galenos-Gruppe 3v. 20 Zu den Gesprächspartnern gehörten der Philosoph T hales von Milet, der Gesetzgeber Solon von Athen, der Weise Chilon von Sparta, der Gesetzgeber Pittakos von Mytilene (Lesbos), der Rhetor Bias von Priene sowie die Tyrannen Kleobulos von Lindos (Rhodos) und Periander von Korinth. Diese Personen repräsentierten lt. Osada 2006, 337, geistige Unabhängigkeit und die Freiheit ihrer Städte. 21 Übersicht der Monumente dieses Motivs bei Heintze 1977.
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2 Bücher und Bibliotheken
tion selbst) verbreitet. Beispiele des Motivs haben sich aus Pompeji,22 Tivoli23 und Rom (Villa Albini)24 erhalten. Hatte sich Karl eine solche Runde von Gelehrten am Aachener Hof gewünscht? In der A achener Pfalz, deren Architektur auf vielfache Weise die (Spät-)Antike zitiert, soll Karl d. Gr. eine Schule und eine Bibliothek eingerichtet haben. Für die Zeit Karls d. Gr.25 und Ludwigs des Frommen26 hat Bernhard Bischoff anhand von Schreiberhänden, der Vita Karoli Magni Einhards (cc. 25, 29, 33), von Briefen, Widmungen in den Büchern, Auftraggeberangaben und Schenkungen eine Reihe von Büchern der Hofbibliothek zugewiesen. Er vermutet sogar, dass Karl um 780 ein Rundschreiben erlassen habe, um sich Abschriften bemerkenswerter seltener Bücher schicken zu lassen. Als eine solche Bestell- (oder Bestands-?)liste hat Bischoff jedenfalls ein Verzeichnis klassischer und spätantiker Werke für den Unterricht in einer um 790 entstandenen Sammelhandschrift interpretiert, die sich heute in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin befindet.27 Bischoff hält es für möglich, dass Karl Bücher auch im Krieg erbeutete.28 Der Begriff „karolingische Hofschule“ wird in der Forschung unterschiedlich verwendet. Das führt gelegentlich zu Missverständnissen. Die (kultur-)historische Forschung versteht darunter sowohl eine Schule am Herrscherhof, in der Kinder und Jugendliche in den Septem Artes unterrichtet wurden, wie auch den Kreis der Gelehrten, der sich am Aachener Hof versammelte. Einen solchen Zirkel unterschiedlicher Kapazitäten unterteilte Alkuin im Jahr 796 in drei geistliche ordines – Priester, Diakone, Subdiakone –, die secta der Ärzte, die scola der versifici (Dichter), die turba der Schreiber der königlichen Kanzlei und die ag mina der Lektoren und Kantoren.29 Jede Gruppe wird von einem Magister geleitet, einige Magistri lehren auch selbst. Die kunsthistorische Forschung dagegen verbindet mit dem Begriff „karolingische Hofschule“ seit Wilhelm Koehler30 eine Gruppe von Künstlern, Illumina22 Neapel, Archäologisches Nationalmuseum, Inv.nr. 124545: Platon im Kreis seiner Kollegen und Schüler in der parkartigen Akademie vor den Toren Athens, Mosaik aus Pompeji, 1. Jh. v. – 1. Jh. n. Chr. Hinter der disputierenden Philosophenrunde ist im Zentrum eine Säule mit einer Sonnenuhr aufgestellt; vgl. dazu unten Kap. 3.3 die Diskussion über die Lorscher Torhalle. 23 Die Wandbilder aus einer Villa bei Tivoli aus dem 2. Jh. n. Chr. (oder früher?) waren in einer Latrinenanlage angebracht, die später zu einer T herme umgebaut wurde. Vgl. dazu Heintze 1977, 438. 24 Vgl. dazu Andreae 2005. 25 Bischoff 1966a. 26 Bischoff 1981b. 27 Die Liste in Diez. B Sant. 66, p. 218–219, ediert bei McKitterick 2008, 315. Vgl. die Analyse ebd., 318–319, und Bischoff 1966d, 57–61. 28 Bischoff 1966d, 46. 29 Alkuin, Carmen 26 (April 796), MGH Poet. lat. I, 245–246. Vgl. dazu Schefers 1993, 185. 30 Koehler 1958. Zu den Codices der sog. Hofschule und dem Umkreis des Wiener Krö-
2.1 Die (Aachener) Hofschule
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toren und Schreibern, die zunächst ambulant mit dem Hof umherzog31 und seit ca. 790 stationär in A achen liturgische Codices auf höchstem Niveau herstellte. Dieser Hofschule werden in der Regel acht Handschriften zugeschrieben, gelegentlich auch einige mehr32: 1) das nach dem Schreiber benannte Godescalc-Evangelistar (Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1203);33 2) das vor 780 entstandene Evangeliar aus Saint-Martin-des Champs (Paris, Bibliothèque de l’Arsenal 599);34 3) das Ada-Evangeliar (Trier, StB, 22);35 4) der vor 795 vollendete Dagulf-Psalter (Wien, ÖNB, lat. 1861);36 5) das vor 800 fertiggestellte Harley-Evangeliar (London, BL, Harley 2788); 6) ein Purpur-Evangeliar aus Saint-Riquier (Abbeville, BM, 4 (1);37 7) das um 800 entstandene Evangeliar aus Soissons (Paris, BnF, lat. 8850); 8) das Lorscher Evangeliar38. Einer zweiten Künstlerwerkstatt, deren Wirken in A achen für die Zeit zwischen 795 und 810 angenommen wird, schreibt die Forschung das sog. Wiener Krönungsevangeliar (Wien, Hofburg, Weltliche Schatzkammer, Inv.Nr. XIII 18) und eine Reihe weiterer Codices zu.39
nungsevangeliars vgl. die Beiträge von Harald Wolter-von dem Knesebeck, Götz Denzinger und Stefanie Westphal 2014. 31 Reudenbach 1998, 9: „Zunächst arbeitete dieses Scriptorium offenbar im Gebiet zwischen Oberrhein und Mosel, dann, als Karl im letzten Jahrzehnt des achten Jahrhunderts die Pfalz in A achen zu seiner Dauerresidenz bestimmte, in der dort ausgebauten Pfalzanlage“. 32 Die große Leistung der Aachener Ausstellung 2014 bestand darin, alle acht Codices für kurze Zeit in Aachen wieder zu vereinen. Westphal 2014, 132, zählt das Fragment London, BL, Cotton Claudius B.V., und das sog. Evangeliar Karls d. Gr., München, UB, 2° 29 (Cim. 1) zur Hofschule in Aachen. Neun der Handschriften aus der sog. Hofschule wurden im Mai 2023 als Weltdokumentenerbe der UNESCO anerkannt. 33 CLA V 681; zwischen 781 und 783 entstanden und der dritten Gemahlin Karls d. Gr., Hildegard (*um 758, † 783), gewidmet. Reudenbach 1998, 10: „Godescalcs Werk markiert den Beginn der Handschriftenproduktion in der ‚Hofschule‘“. 34 CLA V 517. 35 CLA IX 1366: 8./9. Jh. 36 CLA X 1504: geschrieben hauptsächlich von Dagulf im Auftrag Karls d. Gr. als – nie ausgeliefertes – Geschenk für Papst Hadrian († 795). Der Codex gelangte stattdessen auf unbekanntem Weg nach Bremen. 37 CLA VI 704: 8./9. Jh. 38 Entstanden um 810, zu seinem Übergang an Lorsch vgl. unten 21 u. A. 20. Der heute zweigeteilte Codex und seine Elfenbeintafeln sind auf drei verschiedene Standorte verteilt: Teil 1: Bukarest, Biblioteca Naţională a României, Ms R II 1; Teil 2: BAV, Pal. lat. 50; Vorderer Elfenbeindeckel (Marientafel): London, Victoria & Albert Museum Inv.-Nr. 138–1866; hinterer Elfenbeindeckel (Christustafel): BAV, Museo Sacro, Pal. lat. 50. 39 Koehler 1960. Zu den Codices aus dem Umkreis des Wiener Krönungsevangeliars
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2 Bücher und Bibliotheken
Archäologisch konnte in A achen bislang weder eine Bibliothek noch eine Schule verortet werden. Es gibt keine Spuren von Einbauten für Bücherschränke und Regale, Pulte, Büsten von Philosophen oder Gelehrten, all den Einrichtungsgegenständen, die wir aus antiken Bibliotheksbauten kennen. In jüngerer Zeit wurde sogar bezweifelt, dass es in A achen ein dauerhaftes Scriptorium und eine etablierte Schule gegeben habe.40 Die Auffassung von Bernhard Bischoff, dass die Bücherliste aus der Handschrift Berlin, SPK, Diez. B Sant. 66 p. 218–21941 eine Bestell- oder Bestandsliste der Aachener Schulbibliothek gewesen sei, wird heute kaum noch vertreten. Es scheint eher fraglich, dass diese Liste etwas mit Aachen zu tun hatte.42
2.2 Das Kloster Lorsch Das Kloster Lorsch, 764 durch den Grafen Cancor († 771) und dessen Mutter Williswinth († nach 768) gegründet, entwickelte sich, nachdem es von Abt Gundeland (amt. 765–778) 771/72 an Karl d. Gr. übergeben worden war,43 zu einem festen Bezugspunkt der Bildungs- und Reichspolitik des Herrschers. Karl nahm 774 persönlich am Weiheakt der Klosterkirche teil. Die Lorscher Äbte und Mönche pflegten enge Beziehungen zum karolingischen Hof, vor allem bis 791, solange dieser regelmäßig die Pfalz Worms aufsuchte.44 Abt Richbod (amt. 784– 804) wurde von Alkuin am Hof Karls ausgebildet.45 Rado († 808), Karls Kanzler von 776 bis 795,46 korrigierte Lorscher Handschriften. Auch unter Karls Nachfolvgl. Crivello 2014. Zum Wiener Krönungsevangeliar (Wien, Hofburg, Weltliche Schatzkammer, Inv.Nr. XIII 18), vgl. CLA X 1469: datiert 8./9.Jh. 40 Vgl. dazu Bullough 2003a und 2003b; McKitterick 2008, 296–321, v. a. 297–300 und 312–318. McKitterick 2014, 288, geht davon aus, dass sich die Gelehrten nur temporär in Aachen aufhielten, vor allem in den Wintermonaten. Ihre Kritik richtet sich v. a. gegen Bischoff 1966d und Bischoff 1981b. 41 Vgl. dazu oben 12 u. A. 27. 42 Die Diskussion zusammengefasst bei McKitterick 2008, 314–317. McKitterick hält die Liste eher für einen Katalog von Büchern für den Unterricht als für das Verzeichnis einer existierenden Bibliothek. Statt A achen wurden Bibliotheken im westlichen Frankenreich (Saint-Riquier?) und in Italien (Verona?) mit der Liste in Verbindung gebracht. 43 Semmler 1973, 75–81. 44 Für Karl d. Gr. sind 18 Aufenthalte in Worms belegt. 45 Richbod firmierte in der Gelehrtengesellschaft am Hof unter dem Pseudonym „Macharius“. Er zählte unter den Hofgelehrten Karls d. Gr. zusammen mit Paulinus von Aquileja und T heodulf von Orléans zu den episcopi doctores et magistri, die damit beauftragt waren, die adoptianistische Lehre Bischof Felix’ von Urgell zu widerlegen. Seit ca. 791/92 übernahm er als Nachfolger Weomads den Erzstuhl von Trier. Zu seiner Biographie vgl. Haarländer, NDB 21, 2003, 502; zum Reichsdienst vgl. Fleckenstein 1959, Bd. 1, 106 f. 46 Vgl. Becker 2015, 78. Zu Rados Wirken in Lorsch, am Königshof und als Abt von Saint-Vaast vgl. Licht 2015, 151; zu seinem Dienst im Reich vgl. Fleckenstein 1959, Bd. 1, passim.
2.2 Das Kloster Lorsch
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gern hielten die hochgelehrten Äbte Adalung (amt. 804–837)47 und Samuel (amt. 837–856)48 noch Kontakt zum Aachener Hof. Bereits unter den ersten Lorscher Äbten entwickelte sich die Bibliothek zu einem der bedeutendsten Wissensspeicher des Karolingerreiches. Hier entstand in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts eine „patristische Zentralbibliothek“49 als machtvolles Instrument der Correctio-Politik Karls d. Gr.50 Hier wurden vor allem theologische Normtexte aus dem ganzen Reich gesammelt und kopiert, Kirchenväter genauso wie Grammatiken. Die antike astronomische und medizinische Literatur war in Lorsch durch einige prominente Handschriften vertreten.51 Der karolingerzeitlichen Bibliothek von Lorsch konnten bislang 331 vollständig oder fragmentarisch erhaltene Codices zugewiesen werden.52 Sie sind heute auf 73 Bibliotheken in der ganzen Welt verstreut und werden derzeit an der Universität Heidelberg virtuell zusammengeführt.53 Die Basis für die Rekonstruktion des ehemaligen Bücherbestandes stellen fünf Bücherverzeichnisse des 9. Jahrhunderts,54 von denen sich vier, die zwischen 830 und 860 angelegt bzw. kopiert wurden, auf die Hauptbibliothek beziehen.55 Am umfangreichsten ist das um 860 entstandene Breviarium librorum Sancti Nazarii (Katalog Ca nach 47 Adalung verhandelte im Auftrag Ludwigs des Frommen mit Papst Paschalis I. in Rom. 48 Samuel (*um 785; † 7. Februar 857) war dem Kloster Lorsch als Kind übergeben worden und amtierte seit 837 bis zu seinem Tod in Personalunion als Abt des Klosters und als Bischof von Worms. Zum ihm vgl. Deutinger, NDB 22, 2005, 411. 49 Der Terminus eingeführt von Becker 2015, 71. Laut Becker, ebd., 84, verfügte Lorsch über „ein nahezu lückenloses Verzeichnis an exegetischen Schriften der Kirchenväter“. Im Lorscher Hauptkatalog werden allein 84 Bände der Werke Augustins gelistet, deren Inhaltsbeschreibung dort 28 Seiten umfasst (Breviarium librorum Sancti Nazarii, BAV, Pal. lat. 1877, 4r–17v)! Auch Hieronymus, Gregor d. Gr., Ambrosius und Beda sind ansehnlich vertreten. 50 So Becker 2015; Schefers 2011. 51 Vgl. dazu unten 64–65 u. 93–103. 52 Grundlegend nach wie vor Bischoff 21989. Für einen früheren Ansatz der karolingischen Minuskel in den späten 770er Jahren plädieren Licht 2015 und Becker 2015. Aktueller Stand zur Bibliothek bei Kautz 2016. 53 Bibliot heca Laureshamensis digital. Virtuelle Klosterbibliothek Lorsch: https://www. bibliotheca-laureshamensis-digital.de. 54 Kritische Edition und Kommentar Häse 2002. Hagiographie und Historiographie von Lorsch liefern keine Informationen zur Bibliothek. 55 Die Verzeichnisse A, B und Ca/b nach Häse 2002 sind in BAV, Pal. lat. 1877, fol. 1r–33r (Ca), 33v–34r (Cb: Zuwachsverzeichnis aus der Bibliothek des Gerward), 44r–66v (B) und 67r–79v (A) überliefert (vgl. Kautz 2016, Bd. 2, 1083), das Verzeichnis D in BAV, Pal. lat. 57, 1r–7v (vgl. Kautz 2016, Bd. 1, 515). Zu diesen Katalogen vgl. auch Bischoff 21989, 18–28. Zum fünften Verzeichnis (H) die Privatbibliothek des Heilrad betreffend und zu Gerwards Bücherverzeichnis vgl. unten 26, 28, 33. Die Verzeichnisse A und B, angelegt zwischen 830 und 840, enthalten nur die älteren Bestände und wurden vollständig in Ca übernommen; D stellt eine Kurzversion von Ca dar. Daher wird im Folgenden nur auf das umfassendste Verzeichnis Ca rekurriert.
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2 Bücher und Bibliotheken
Häse). Es verzeichnet über 500 Bände, darunter auch die Liturgica, mit detaillierter Inhaltsangabe.56
2.3 Das Kloster St. Gallen Das 612 an der Steinach gegründete Kloster verbindet im 7. und 8. Jahrhundert irische Gelehrsamkeit mit antikem Wissen, das es aus norditalischen und gallischen Kloster- und Kathedralbibliotheken bezog. Im St. Galler Katalog des 9. Jahrhunderts sind 31 Libri scottice scripti separat ausgewiesen.57 Gemeint sind damit vermutlich die Bücher, die die erste Generation irischer (Wander-)Mönche nach St. Gallen brachte. Mehrere Bände aus den 760–80er Jahren lassen sich aufgrund von Schreibervermerken der Hand Winithars zuweisen, eines Irofranken aus der Gegend von Laon (?).58 Das Goldene Zeitalter der St. Galler Bibliothek brach im 9. Jahrhundert mit Abt Gozbert (amt. 816–837) an. Er bereicherte als Kopist im Sinne der karolingischen Correctio und als Büchersammler die Bibliothek59 und er initiierte eine Reihe von Baumaßnahmen, nicht zuletzt den Neubau der Klosterkirche in den Jahren 830 bis 837 und eines Turmes, der als möglicher Bibliotheksstandort diskutiert wird.60 Die Überlieferungslage der Handschriften und der Nachrichten über die Bücher in St. Gallen ist ausgezeichnet. Die meisten Codices, die sich in der Karolingerzeit im Kloster befanden, stehen heute noch oder wieder dort, seitdem 2006 die während des Toggenburgerkrieges 1712 von den Reformierten nach Zürich entführten Bücher als befristete Leihgabe wieder an die Steinach zurückkehren durften.61 Lediglich durch Ausleihen von Gelehrten in der frühen Neuzeit, die die Bücher behielten, wurde die Bibliothek geringfügig dezimiert.62 56 Bischoff 21989, zählt 375 Bände, zuzüglich der 27 Bände aus der Heilrad-Bibliothek. Häse 2002, 71, kommt auf über 500. 57 Csg 728, p. 4. 58 Winithar war unter Abt Johannes (759–782) im Jahr 759 in das Kloster St. Gallen eingetreten; spätestens seit 768 hatte er das Amt des Dekans inne. Er schrieb Csg 2 (CLA VII 893a+894), 70 (CLA VII 903), 238 (CLA VII 896), 907 (CLA VII 952), vielleicht auch Csg 194 (CLA VII 917), und wirkte an Csg 11 (CLA VII 896), 109 (CLA VII 906), 225 (CLA VII 928), Fragm. 1399a.2 (CLA VII 996) mit. Zudem stammen zwei Urkunden aus dem Stifts archiv von seiner Hand. Zu Winithars Schreibtätigkeit vgl. von Euw 2008, Bd. 1, 34–37, und Berschin / Zeller 2013. 59 Vgl. Tremp 2003, 13; von Euw 2008, Bd. 1, 41–61; Dora 2017a, 43; ebd., 42, das Porträt Hartmuts aus dem 12. Jahrhundert in Csg 7, p. 256 aus der Zeit um 870. 60 Zum sog. Hartmut-Turm vgl. unten 24. 61 Sie befinden sich nach wie vor im Eigentum der Züricher Zentralbibliothek und werden als deren Fond ausgewiesen. Zu den historischen Vorgängen und zur Rückführung vgl. Dora 1997. 62 Zu den aus St. Gallen entwendeten Handschriften Bremen, SuUB, Msc 0046, vgl. dazu Gamper 2003; zu Neapel, Biblioteca Nazionale, IV.G.68 vgl. unten 41 A. 6.
2.3 Das Kloster St. Gallen
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Aus dem 8. Jahrhundert sind 58, aus dem 9. Jahrhundert 293 Codices erhalten, die entweder in St. Gallen kopiert oder aus anderen Scriptorien dorthin gebracht worden sind.63 Die Hauptbibliothek wuchs im 9. Jahrhundert unter den Äbten Gozbert (amt. 816–837), Grimald (amt. 841–872), Hartmut (amt. 872–883) und Salomo (amt. 890–919/20) stark an.64 Kurz nach der Mitte des 9. Jahrhunderts führt der Katalog über 400 Bände auf.65 Abt Grimald setzte für die Ordnung und Beaufsichtigung der Bibliothek nun einen Mönch als Bibliothekar ein.66 Dieser verzeichnete den Hauptbestand, machte Anmerkungen zum Zustand sowie zu den Ausleihen und Rückläufen der Bücher.67 Aus dem 9. Jahrhundert hat sich ein umfassendes, in 25 thematische Fachgebiete gegliedertes Bücherverzeichnis erhalten, in das später Benutzer eingetragen wurden.68 Dieses Breviarium librorum de coenobio sancti Galli confessoris Christi führt 294 Titel in 426 Bänden auf.69 Er wurde später um 132 Titel in 158 Codices ergänzt: um die unter Abt Grimald durch den Dekan Hartmut erworbenen Bücher,70 um die nach Grimalds Tod durch Hartmut bis 883 geschriebenen Bücher71 sowie um die Privatbibliotheken Grimalds und Hartmuts72. 63 Die Handschriften 450–749 und 1726–1984 sind neu katalogisiert worden von Scarpatetti u. a. 2003–2014, 3 Bde. Für andere Codices muss nach wie vor auf Scherrer 1875 zurückgegriffen werden. Die meisten frühmittelalterlichen Handschriften aus St. Gallen sind digitalisiert und online frei verfügbar: E-codices. Virtuelle Handschriftenbibliothek der Schweiz: St. Gallen, Stiftsbibliothek: http://www.e-codices.unifr.ch. Die Zimelien aus St. Gallen mit ausgezeichneten Abbildungen vorgestellt bei von Euw 2008. 64 Siehe dazu unten A. 70–72 und für die liturgischen wie die theologischen Prachthandschriften von Euw 2008, Bd. 1, Kap. I–IX. Zu den Zuwächsen unter Grimald und Hartmut vgl. Steiner 2004. 65 Siehe dazu unten A. 69. 66 Vgl. Zur Nieden 2008, 286–290. Zu den St. Galler Bibliothekaren des 9. Jahrhunderts vgl. Dora 2017a. 67 Es ist unklar, ob die Systematik der Buchaufstellung, die sich in der Anlage des Hauptkataloges spiegelt, erst zu diesem Zeitpunkt festgelegt wurde oder bereits vorher bestand. 68 Von dem Katalog gibt es zwei inhaltlich weitgehend identische Exemplare: Csg 728, pp. 5–21 ist wohl der tatsächlich benutzte Katalog, angelegt zwischen 850 und 860 mit Nachträgen bis in die 880er Jahre. Csg 267 dürfte eine Sicherungskopie vom Ende des 9. Jahrhunderts sein; er zeigt keine nennenswerten Benutzungsspuren. Der Katalog beschrieben bei Lenz / Ortelli 2014, Bd. 3. Edition nach Csg 728 bei Lehmann 1918, Bd. 1, 66–71 Nr. 16. 69 Csg 728, p. 5–21. 70 Csg 267, p. 25 Z. 3–5: Hos libros patravit grimoldus abba in monasterio s(an)c(t)i galli in dieb(us) hludouui(ci) regis germanię cu(m) adiutorio hartmoti p(re)positi sui p(er) annos xxx et unum. Edition: Lehmann 1918, Bd. 1, 82–84; er datiert die Abschrift „vor 895“. Erwähnt bei Ratpert, Casus sancti Galli, c. 9, ed. Steiner 2002, 220–225. 71 Csg 267, pp. 28–30 unter der Überschrift p. 28, Z. 12–15: Hos vero libros idem hartmo tus post grimoldu(m) abba c(on)stitutus sub hludouuico sup(ra)dicto rege et filio eius karolo imperatore in diebus regiminis sui fecit conscribi. Edition: Lehmann 1918, Bd. 1, 82 f. Die Abschrift datiert in die 90er Jahre des 9. Jahrhunderts. Das Verzeichnis auch bei Ratpert Csg 614, pp. 124–126. 72 Zu den Privatbibliotheken vgl. unten 25–26.
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2 Bücher und Bibliotheken
Nachrichten zur Nutzung der Bücher finden sich auch in den älteren Viten des Klostergründers Gallus († um 650)73 und des Reformabtes Otmar (*um 690, † 759, amt. 719–759),74 in der zeitgenössischen Chronik des Lehrers und Notars Ratpert (*855, † 911)75 sowie – aus zeitlichem Abstand – in den ‚Casus s. Galli‘ Ekkehards IV. (*um 980–90, † nach 1056)76. Für die Rekonstruktion der Bücherstandorte stellt der sog. St. Galler Klosterplan (Csg 1092) eine unerlässliche Quelle dar,77 auch wenn archäologische Untersuchungen gezeigt haben, dass der Plan im Zuge der Baumaßnahmen Abt Gozberts nicht eins zu eins umgesetzt wurde. Nach aktuellem Forschungsstand wurde der Klosterplan um 820 im Kloster auf Anweisung Abt Haitos durch den Bibliothekar Reginbert angefertigt und mit Tituli versehen; der junge Mönch Walafrid Strabo hat diese nachträglich ergänzt.78 Die archäologischen Untersuchungen der Jahre 1963–1967 im Bereich der Klosterkirche wie des Monasteriums sind nach wie vor nicht publiziert. Die Ausgrabungen im Rahmen der „Neugestaltung der südlichen Altstadt“ von St. Gallen in den Jahren 2009–2013 erbrachten keine neuen Erkenntnisse über die Bibliotheken.79
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Vita s. Galli, ed. Krusch 1902. Es gibt zwei Viten über Otmar aus dem 9. Jahrhundert. Die Ältere, verfasst von Gozbert d. J. um 830, ist nicht erhalten. Auf ihr basiert die Jüngere, verfasst von Walafrid Strabo zwischen 834 und 838, ed. Duft 1959, 22–39. Zum Wirken des asketischen Abtes vgl. Vater 2019, darin 61–69 die Hypothesen von Andreas Nievergelt zu Buchimporten nach St. Gallen zur Zeit Otmars (Csg 188 = Burgund (?), Anf. 8. Jh., CLA VII 913; Fragm. 1394 pp. 51–88 = Italien, 5. Jh., CLA VII 978a; Csg 194, pp. 1–221 = Spanien / Südfrankreich / Alemannien, 700–750; CLA VII 918). 75 Csg 614: De origine et diversis casibus S. Galli editus a Ratperto, ed. Steiner 2002. 76 Ekkehard IV., Casus s. Galli, ed. Haefele 42002. 77 Siehe dazu oben 8 A. 6; St. Galler Klosterplan ed. Tremp 2014 und Dora 2017b, 48–49. 78 Zum Forschungsstand bezüglich Datierung, Provenienz und Intention vgl. Schedl 2014; die alemannische Hand des Reginbert ist gut von der eleganten karolingischen Hand des Walafrid zu unterscheiden. Am nordwestlichen Portal der Hauptkirche schrieb die Haupthand an den Durchgang, der den Gästen reserviert war: Exiet hic hospes uel templi tecta subibit; Walafrid ergänzte: discentis scolae pulchra iuuenta simul. Vgl. dazu Licht 2022, 71–75. 79 Schindler / Rigert 2012; Schindler 2015. 74
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3 Bibliotheken oder Büchersammlungen? Der Begriff bibliotheca benannte in der Spätantike und im frühen Mittelalter ein Archiv für Buchrollen und Codices. Isidor von Sevilla bezeichnet die Bibliothek als ein Bücherrepositorium.1 Doch Bibliotheken sind nicht nur Ansammlungen von Büchern, sondern zugleich Räume des Denkens und Institutionen geordneten Wissens.2 Die Termini armarium für die Aufbewahrung der Bücher in Schränken und libri lassen keine Rückschlüsse auf die strukturierte Organisation einer Büchersammlung zu. Diese lassen sich nur indirekt aus den Bibliothekskatalogen erschließen.3 Librarius bedeutet in der Karolingerzeit „Notar der Kanzlei“; erst seit dem 15. Jahrhundert wird der Verwalter von Büchern Bibliothekar genannt.4 In St. Gallen, Lorsch und A achen waren die Bücher auf mehrere Standorte verteilt.5 Sie waren temporär oder dauerhaft in verschiedenen Gebäuden und Räumlichkeiten untergebracht, sie gehörten verschiedenen Eigentümern und wurden von unterschiedlichen Gruppen benutzt. Man sollte daher besser von „Büchersammlungen“ als von „Bibliotheken“ sprechen.6
3.1 Aachener Hofbibliothek(en)? Obwohl Ludwig der Fromme mit Gerward von Gendt einen eigenen Bibliothekar anstellte,7 ist aus Aachen kein Bücherverzeichnis überliefert. Wir wissen also nicht, welche Bücher Karl und sein Nachfolger in der Aachener Pfalz 1 Isidor, Etymologiae, VI.iii (De bibliothecis), ed. Lindsay 1911: [1] Bibliotheca a Graeco nomen accepit, eo quod ibi recondantur libri. Nam βιβλίων librorum, θήκη repositio inter pretatur. 2 Der Erforschung der Wissensordnungen, nach denen mittelalterliche Bibliotheken strukturiert sind, war die 41. Kölner Mediaevistentagung 2018 gewidmet; vgl. dazu Speer / Rauke 2020, zur Definition der Bibliothek bes. Speer 2020, XX–XXII. 3 Zum Lorscher Katalog Pal. lat. 1877 vgl. Jebe 2020, 10–18, Becker 2015, Häse 2002; zum St. Galler Katalog Csg 728, vgl. Jebe 2020, 19–26. 4 Vgl. McKitterick 1980, 28. 5 Für St. Gallen lassen sich die Standorte aus Angaben in den Katalogen sowie aus der hagiographischen und der historiographischen Literatur ermitteln. Für Lorsch fehlen erzählende und archäologische Quellen, die Rückschlüsse auf die Bibliotheksstandorte zuließen. Häse 2002, 361, geht von „zumindest drei Standorte[n]“ aus. Verschiedene Standorte in den Klöstern vermutet auch Embach 2015, 59. 6 So der Vorschlag von Volkmar 2017, 29. 7 Einhard, Translatio s. Marcellini et Petri, IV 27, ed. Waitz, MGH SS XV/1, 258: Ger
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3 Bibliotheken oder Büchersammlungen?
versammelt hatten.8 Entsprechend kontrovers sind die Meinungen über die Aachener Büchersammlung(en). Bischoff nahm an, dass die Bücher dort in einem einzigen Bibliotheksraum verwahrt worden seien.9 Donald Bullough und Rosamond McKitterick vermuteten ganz im Gegenteil, dass es außer der privaten Büchersammlung Karls d. Gr. in A achen gar keine dauerhafte Bibliothek gegeben habe.10 Dietrich Lohrmann stattdessen stellt sich nicht nur eine, sondern mehrere, inhaltlich und funktional differenzierte private und öffentliche Bibliotheken mit unterschiedlichen Zugangs- und Verfügungsrechten vor.11 Die Aachener Bibliotheken dürften fluide gewesen sein, bestimmt von permanenten Zu- und Abgängen. Und sie dürften auf verschiedene Standorte12 verteilt gewesen sein: die Liturgica in der Sakristei der Marienkirche, geistliche Bücher in den Annexbauten der Marienkirche, die teilweise bereits unter Karls Vater Pippin errichtet worden waren und als Versammlungsort für die Synoden genutzt wurden. Für die Privatbibliothek Karls soll hier aufgrund seiner spezifischen Bautechnik der sog. Granusturm als möglicher Aufstellungsort ins Gespräch gebracht werden.
3.2 Verwahrorte der liturgischen Bücher: Kirche und Sakristei Die liturgischen Handschriften, die für die Messe, das Offizium der Mönche und sakramentale Handlungen, an denen auch Laien partizipierten, benötigt wurden, standen in der Sakristei der Aachener Stiftskirche und in St. Gallen13 und Lorsch im Sacrarium der jeweiligen Klosterkirche. Tabu und von jeder Zerstörung ausgenommen waren unter den liturgischen Büchern nur die Evangeliare, da sie als Repräsentanten Christi galten. Alle anderen Liturgica, die Gradualien, Antiphonare, Sequentiare, Missalia, Sakramentare etc. wurden makuliert, sobald sie durch eine Liturgiereform außer Gebrauch kamen. Die Evangeliare und Evangelistare hingegen genossen aufgrund ihres sakralen Charakters Bewardus palatii bibliothecarius, cui tunc temporis etiam palatinorum operum ac structura rum a rege cura commissa erat, de Noviomago veniens, palatium Aquense petebat. 8 Zur Kritik an der Annahme, die Liste aus der Diez-Handschrift sei ein solches Verzeichnis siehe oben 12 u. 14. 9 Bischoff 1966d. 10 Bullough 2003a, 362: „T he notion of a steady, even planned, building-up of a ‚court library‘ over four decades, which is implicit in several recent accounts of the period, may be seriously misleading.“ 11 Lohrmann 2013, 415. 12 Zur Lage der im Folgenden genannten Gebäude vgl. Ristow 2014, 227 Plan. 13 Als Abt Gozbert 830 die neue Klosterkirche errichten ließ, sorgte er auch für einen geräumigen Sakristeibau. Vgl. dazu Anderes 21991, 21 f. und 128–132; Sennhauser 1988; Poeschel 1961, 6–9 und 29–35.
3.2 Verwahrorte der liturgischen Bücher
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standsschutz und wurden ergänzt um Einträge zur Geschichte der Institution, um Verzeichnisse des Besitzes und des Kirchen- und Reliquienschatzes sowie um relevante Rechtstexte beispielsweise Eidformeln, die gegenüber dem Abt oder Äbtissin abzulegen waren.14 Karl d. Gr. verfügte in seinem Testament, dass die wertvollen liturgischen Codices aus der A achener Marienkirche nach seinem Tod weder verkauft noch verschenkt werden dürften.15 Sie gehörten zum Ornatus der Stiftskirche. Es wird vermutet, dass die Sakristei in Aachen im südlichen Annex der Marienkirche untergebracht war.16 Dieses Gebäude wird – wie die Marienkirche selbst, die nach Aussage der dendrochronologisch erhobenen Daten zwischen 798±5 Jahre und 803±10 Jahre errichtet wurde17 – in die Zeit Karls d. Gr. datiert. In der Sakristei der Aachener Marienkirche könnten zeitweise einige der prachtvollen Evangeliare untergebracht gewesen sein, die die kunsthistorische Forschung der sog. „Hofschule“ Karls d. Gr. und der Werkstatt des sog. Wiener Krönungsevangeliars zurechnet.18 Es ist nicht anzunehmen, dass alle Evange liare dieser beiden Werkstattgruppen ausschließlich für die Aachener Stiftskirche bestimmt waren. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass Karl einige davon in Kirchen hinterlegte, die er häufiger besuchte, oder dass er sie als Geschenke für hochrangige Personen in Auftrag gegeben hatte, ähnlich dem sog. Dagulf-Psalter (Wien, ÖNB, lat. 1861).19 Anders als im Hauptkatalog von St. Gallen, wo die Liturgica nur sporadisch aufgeführt werden, sind die liturgischen Handschriften aus Lorsch systematisch im Breviarium librorum Sancti Nazarii (Ca) verzeichnet. Sie stehen ganz am Anfang, getrennt von den Büchern der Hauptbibliothek. An erster Stelle rangiert das in Gold geschriebene, in Elfenbeintafeln gebundene Lorscher Evangeliar, das dem Kloster wahrscheinlich als kaiserliches Geschenk überlassen worden war.20 Bischoff und Häse nehmen an, dass auch die Homilien, Antiphonare und Pas14
Vgl. dazu Beuckers 2018. Einhard, Vita Karoli Magni, c. 33, MGH SS rer. germ. 25, 40: Capellam, id est eccle siasticum ministerium, tam id quod ipse fecit atque congregavit, quam quod ad eum ex pa terna hereditate pervenit, ut integrum esset neque ulla divisione scinderetur, ordinavit. 16 So Müller u. a. 2013, 248. Zur Lage vgl. Ristow 2014, 227 Plan. 17 Vgl. dazu Ristow 2014, 230; Müller u. a. 2013, 145–152. 18 Zu diesen Codices vgl. oben 13. 19 Aus einer Inschrift im Codex geht hervor, dass Karl den Psalter Papst Hadrian I. (amt. 772–795) zu übergeben gedachte. Das Geschenk erreichte jedoch – aus unbekannten Gründen – seinen Bestimmungsort nicht. 20 BAV, Pal. lat. 1877, 1r: Evangelium pictum, cum auro scr[ipt]um habens tabulas ebur neas. Es wird vermutet, dass dieses Chrysograph um 810 entstand und unter Abt Adalung (amt. 804–837) vor 820 als Geschenk Ludwigs des Frommen nach Lorsch gelangte. Faksimile: Lorscher Evangeliar, Schefers 2000. Der heute zweigeteilte Codex und seine Elfenbeintafeln sind auf drei verschiedene Standorte verteilt: Teil 1: Bukarest, Biblioteca Naţională a României, Ms R II 1; Teil 2: BAV, Pal. lat. 50; Vorderer Elfenbeindeckel (Marientafel): 15
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3 Bibliotheken oder Büchersammlungen?
sionalia in der Sakristei verwahrt wurden.21 Am unteren Ende der ersten Seite (BAV, Pal. lat. 1877, 1r) sind die Namen der zeitweiligen Nutzer einer Reihe von Missalia – gemeint sind Sakramentare – erwähnt.22 Diese Bücher wurden offenbar den genannten Klerikern für einen längeren Zeitraum überlassen und lagen direkt bei den Altären in der Klosterkirche,23 an denen die Privatmessen gelesen wurden. Zur Kirchenbibliothek im weiteren Sinne gehörten auch die Psalterien, die in St. Gallen in großer Zahl vorhanden waren und in der Klosterkirche an den Sitzen bereitlagen, an denen sich die Mönche zum Stundengebet versammelten.24 In der St. Galler Sakristei lag zudem ein Exemplar von Bedas Martyrolo gium,25 das für die Lesung der Heiligenfeste im Stundengebet und in der Messe benötigt wurde. Abt Grimald26 besaß auch privat einige liturgische Bücher; möglicherweise studierte er sie zur Vorbereitung der Messen und Lesungen im Abtshaus. Wie wir aus einer Ausleihliste des Klosters Weißenburg im Elsass erfahren,27 verliehen die Klöster Psalterien und andere liturgische Bücher an Laien und Kleriker. Psalterien erhielten vermögende Frauen, die als Wohltäterinnen des Konvents in Erscheinung getreten waren. T heologische und liturgische Codices empfingen die Priester, die in den Kirchen der klösterlichen Grundherrschaft den Gottesdienst und die Seelsorge versahen.
London, Victoria & Albert Museum, Inv.-Nr. 138–1866; hinterer Elfenbeindeckel (Christustafel): BAV, Museo Sacro, Pal. lat. 50. 21 Bischoff 21989, 22 f.; Häse 2002, 361. 22 Ediert bei Häse 2002, 136, Z. 13–15: Item liber missalis decani T heotmari, Heimr ichi, Erkanfridi, Ruodhardi, Isangari, Runzolvi, Alarici, Otberti decani, Adalnoti, Selimanni. Item missales, qui fuerunt Samuelis, Baboni, Randulfi. Die Namen dieser Mönche und Dekane sind unter Abt Samuel (amt. 837–856) im Reichenauer Verbrüderungsbuch gelistet; vgl. dazu und zur Identität einzelner Personen Bischoff 21989, 24. 23 BAV, Pal. lat. 1877, 1r, Z. 13: Duo libri missales in altario iacentes. 24 Ekkehard IV., Casus s. Galli, c. 42, ed. Haefele 42002, 96 f.: tredecim sedilia cum psal teriis aut auro inpictis aut alias nobilibus habebat. 25 Csg 728, p. 10 Z. 12: martyr(o)logiu(m) des Beda Venerabilis ad sacrarium. 26 Aus der Privatbibliothek Abt Grimalds ist ein Liber hymnorum und ein Lektionar im Handschriftenkatalog nachgewiesen (vgl. Csg 267, pp. 30–32). 27 Wolfenbüttel, HAB, Guelf. Weissenb. 35, 114r (9. Jh.). Vollständige Transkription und Abbildung der Leihliste bei Carmassi 2004, 247 Abb. 108. Vgl. dazu auch McKitterick 1989, 264–266.
3.3 Verwahrorte der allgemeinen Bibliothek
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3.3 Verwahrorte der allgemeinen Bibliothek: Torhalle? Bücherturm? Basilika? Obwohl das Gelände des Klosters Lorsch umfassend archäologisch untersucht worden ist,28 ergaben sich bislang keine Anhaltspunkte für den Aufstellungsort der Hauptbibliothek, die im Bücherverzeichnis Ca erfasst sein dürfte. Kerstin Merkel schlug 1993 als Standort die sog. karolingische „Torhalle“ im Atrium vor der Klosterkirche vor.29 Sie sah in der „Innengestaltung der Lorscher Architektur … ein in die Fläche projeziertes [!] Dekorationsprogramm der antiken Bibliotheken“; die „profane Malerei [entspreche] der Nutzung des Raumes, in dem neben der christlichen auch die antike Literatur aufbewahrt“ worden sei.30 Die Forschung ist Merkel zwar nicht gefolgt,31 doch könnte man sich die Bücher durchaus in einer Umgebung vorstellen, die André Grabar 1957 als „Solarium“ ansprach, als Raum, in dem eine Sonnenuhr zur Berechnung der Stunden des Tages installiert war.32 Die Torhalle, die früher in die Zeit Karls d. Gr. und seines Nachfolgers Ludwig datiert wurde, entstand nach den jüngst ermittelten C14-Daten erst um 900.33 In St. Gallen wurde unter Abt Gozbert nicht nur die Klosterkirche neu errichtet, sondern vermutlich auch ein Gebäude für die Hauptbibliothek, die im 9. Jahrhundert stark angewachsen war. Hier dürften die Libri scottice scripti (Csg 728, p. 4), die Bücher aus dem Breviarium librorum de coenobio sancti Galli (ebd., pp. 5–21), die unter Abt Grimald (Csg 267, pp. 30–32) und die von Hartmut geschriebenen Bücher (Csg 267, pp. 28–30) untergebracht gewesen sein.34 Wo aber könnte sich diese Bibliothek befunden haben? Der St. Galler Klosterplan sieht sie über dem Scriptorium vor (supra bibliotheca).35 Allerdings ist fraglich, ob dieser Plan tatsächlich umgesetzt wurde.36 Wahrscheinlich lag das Scriptorium südlich der Klosterkirche in der Klausur; die Hauptbibliothek hingegen dürfte im 28 Zu den archäologischen Untersuchungen vom 19. Jahrhundert bis 2010 vgl. Platz 2011. 29 Merkel 1993, 35–37. 30 Merkel 1993, 40. 31 Ablehnend Häse 2002, 43 u. ebd., Anm. 199. Eine Übersicht der verschiedenen Vorschläge zur Funktion der Torhalle bei Untermann 2011; Historiker präferieren derzeit die Deutung als Gerichtssaal. 32 Grabar / Nordenfalk 1957, 76 f. Berschin 2020, 18 f., schließt sich der Deutung Grabars an. Man könnte sich das Solarium ähnlich der Sonnenuhr im Hintergrund der Philosophenrunde auf dem Mosaik aus Pompeji vorstellen (Neapel, Archäologisches Nationalmuseum, Inv. nr. 124545, vgl. dazu oben 12 u. A. 22). 33 Papajanni 2017. 34 Zu diesen Beständen vgl. oben 17. 35 Csg 1092. Vgl. St. Galler Klosterplan ed. Tremp 2014, Nr. 2. 36 Dies ist aus der Lagebeschreibung von Bibliothek und Scriptorium bei Ekkehard IV., Casus s. Galli, c. 112, ed. Haefele 42002, 220–223, zu entnehmen. Vgl. dazu Tremp 2013b, 362; Tremp 2004.
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3 Bibliotheken oder Büchersammlungen?
Nordosten der Kirche untergebracht gewesen sein. Ekkehard IV. von St. Gallen berichtet, dass Besucher in die Bibliothek (armarium) und das enge Schatzhaus (angustum thesaurarium) in der Krypta geführt worden seien; anlässlich der Feuersbrunst von 937 beschreibt er die Sicherungsmaßnahmen des Schatzes.37 Ernst Tremp vermutet, dass die Bibliothek in einem unter Abt Hartmut errichteten, rechteckigen Fluchtturm untergebracht war.38 Dieser dreistöckige, feuer sichere Befestigungsturm stand frei auf der Nordseite der Kirche und konnte von dieser wie von der Klausur aus erreicht werden. Der Humanist Vadian (Joachim von Watt, *1481–†1551) schreibt in seinem Tagebuch, dass in diesem „gwelb“ die Bücher „von 700 jaren har“ untergebracht worden seien.39 Auf einem Prospekt von 1596 wird der fragliche Turm als „Schulturm“ bezeichnet; er wurde 1666 abgerissen.40 Rosamond McKitterick hält es für erwiesen, dass es unter Karl d. Gr. in A achen eine „königliche Bibliothek“ gegeben hat, wenngleich man über deren Größe und Zusammensetzung keine genaueren Aussagen treffen könne.41 Die Bücher, die Karl d. Gr. von den Gelehrten zusammentragen ließ und für den Unterricht wie das gelehrte Studium bestimmte, hat Dietrich Lohrmann rekonstruiert.42 Obwohl Karl diese Bücher testamentarisch zugunsten der Armen zum Verkauf freigab,43 verblieben offenbar viele der Handbücher und Enzyklopädien über seinen Tod hinaus in Aachen. Einige lassen sich dort noch unter Ludwig dem Frommen nachweisen,44 andere in Corbie, dem Kloster, dem die Vettern Karls, Adalhard und Wala, als Äbte vorstanden,45 wieder andere in Saint-R iquier, das Karls Verwandter Angilbert († 814)46 seit 790 als Laienabt leitete. Und schließlich 37 Ekkehard IV., Casus Sancti Galli, c. 112, ed. Haefele 42002, 220–223: Itur in arma rium, sed et in angustum sancti Galli thesaurarium. Zum Brand von 937, ebd., c. 67, S. 142– 145. 38 Vgl. Tremp 2001; Dora 2017a, 43; Tremp 2020, 36. Es ist unklar, seit wann dieser Turm als Aufstellungsort für die Bibliothek genutzt wurde, jedenfalls war das bis Mitte des 16. Jahrhunderts der Fall, bevor zwischen 1551 und 1553 ein neuer Bibliothekssaal errichtet wurde, in den auch die mittelalterlichen Handschriften überführt wurden. 39 Joachim von Watt (Vadian), Diarium, ed. Götzinger 1879, 361. 40 Tremp 2003, 19. 41 McKitterick 2008, 312–319 (Kapitel ‚Die königliche Bibliothek‘). 42 Der A achener Buchbestand, vor allem die Codices naturwissenschaftlichen Inhalts, rekonstruiert von Lohrmann 2013. 43 Einhard, Vita Karoli Magni, c. 33, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 40: Si qua au tem invenirentur aut vasa aut libri aut alia ornamenta, quae liquido constaret eidem capel lae ab eo conlata non fuisse, haec qui habere vellet dato iustae aestimationis pretio emeret et haberet. 44 Bischoff 1981b. 45 So die Vermutung von Bischoff 1966d, 61, etwa für die ‚Naturalis Historia‘ Plinius’ des Älteren (BAV, Vat. lat. 3861, und Leiden, UB, Voss. lat. F. 61); zu den beiden Hss. vgl. CLA X 1580: 8./9. Jh, geschrieben in Nordfrankreich, vielleicht Corbie? 46 Angilbert, am Hof seit 792, wurde dort „Homerus“ genannt. Aus seiner Liebesbeziehung mit Karls Tochter Berta gingen die Zwillinge Nithard und Hartnit hervor.
3.4 Private Büchersammlungen am Hof und in den Klöstern
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versuchte Karls Enkel, Karl der Kahle, auf der westfränkischen Pfalz Compiègne nach dem Modell A achens eine Hofschule im doppelten Sinne, als Künstlerwerkstatt47 wie als Büchersammlung und Schule, zu errichten. Nach dem Vorbild seines Großvaters verfügte er in seinem Testament, dass seine Bücher nach seinem Ableben zwischen seinen Söhnen und dem Kloster Saint-Denis bei Paris sowie der Pfalzkapelle in Compiègne geteilt werden sollten.48 Einhard erwähnt beiläufig, dass Gerward von Gendt am A achener Hof nicht nur für die Bücher, sondern auch für die Bauten zuständig gewesen sei.49 War er auch für die Bibliotheksbauten zuständig? Und wo könnten die Bücher in Aachen verwahrt worden sein? Judith Ley und Andreas Schaub schlagen als Aufbewahrungsort für die Bibliothek in der Zeit Karls d. Gr. die sog. Nordbasilika auf dem Aachener Pfalzgelände vor,50 eine doppelstöckige basilikale Anlage, die bereits unter König Pippin d. J. errichtet worden war.51 Durch einen Gang gab es eine direkte Verbindung zur Marienkirche. Ley und Schaub halten es für denkbar, dass im Erdgeschoss dieses Gebäudes das Scriptorium und im Obergeschoss die Bibliothek untergebracht war.52 Die jeweils ca. 13 x 22 Meter großen Räume hätten jedenfalls genügend Platz dafür geboten. Eine solche Aufteilung ist – wie bereits diskutiert – auch im St. Galler Klosterplan vorgesehen gewesen.
3.4 Private Büchersammlungen am Hof und in den Klöstern Außer der allen Mönchen und den Lehrern zur Verfügung stehenden allgemeinen Bibliothek gab es in allen drei hier behandelten Standorten private Büchersammlungen: in Aachen die Bibliothek Karls d. Gr., in St. Gallen die Bücher47 McKitterick 21990 vermutet die Malerwerkstatt mit Nordenfalk auf der Pfalz Compiègne. 48 Capitulare von Quierzy, 877 Juni 14 (Capitulare Carisiancum, c. 12, MGH Capit. reg. Franc. II, 358–349). Vgl. dazu McKitterick 1980. 49 Einhard, Translatio s. Marcellini et Petri, IV 27, ed. Waitz, MGH SS XV/1, 258: Ger wardus palatii bibliothecarius, cui tunc temporis etiam palatinorum operum ac structura rum a rege cura commissa erat, de Noviomago veniens, palatium Aquense petebat. 50 Müller u. a. 2013, 249. Zur Lage der Gebäude vgl. Ristow 2014, 227 Plan. 51 Ristow 2014, 232, vermutet, dass dieser Basilikalbau Pippin d. J. als Pfalz diente, als er sich 765 zu Weihnachten und im Folgejahr zu Ostern in Aachen aufhielt. 52 Müller u. a. 2013, 249 Anm. 484 verweisen hier als Vorbilder auf die „Apollo-Bibliothek“ auf dem Palatin und die „Bibliot heca Ulpia“ auf dem Trajansforum. Dagegen ist einzuwenden, dass in der Bibliothek auf dem Palatin nach den Erkenntnisen von Balensiefen 2011, 136 f., aufgrund der Nischen eine auf zwei übereinanderliegenden Stockwerken verteilte Bibliothek angenommen werden kann, aber kein Scriptorium. Wegen der schlechten Lichtverhältnisse hält Menenghini 2002, 122, es für ausgeschlossen, dass sich das Scriptorium im Untergeschoß der Ulpia befand; er hält eher das Obergeschoß dafür geeignet.
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3 Bibliotheken oder Büchersammlungen?
sammlungen der Äbte Grimald (amt. 841–872)53 und Hartmut (amt. 872–883),54 und in Lorsch die des Priesters Heilrad55 (Anf. 9. Jh.) und des Mönchs Gerward56. Karl d. Gr. bestimmte in seinem Testament, die Bücher aus seiner privaten Bibliothek nach seinem Tod zugunsten der Armen zu verkaufen.57 Wo standen Karls private Bücher? Als Standort möchte ich hier in Analogie zum Hartmut-Turm in St. Gallen ein Gebäude in Aachen ins Gespräch bringen, das früher als Wohnturm Karls d. Gr. interpretiert wurde.58 Die Rede ist vom sog. Granusturm östlich der Aula regia,59 auf deren Grundmauern heute das Rathaus steht, und der mit dieser baulich verbunden war. Der Granusturm ist annähernd quadratisch und misst im Grundriss 8,75 x 8,70 m. Dieses Bauwerk war nach den Ergebnissen der dendrochronologischen Untersuchungen zu Lebzeiten Karls d. Gr. bis in die Höhe von 14 Metern fertiggestellt.60 Er konnte demnach die beiden ersten Stockwerke dieses Gebäudes nutzen, ebenso die Aula und den sog. „nördlichen Verbindungsgang“ an der Südfront desselben. Im Verlauf des 9. Jahrhunderts wurde der Turm auf 20 m hochgezogen. Er hat allen Bränden und dem Bombenhagel des 2. Weltkriegs, in dem das Rathaus unterging, standgehalten. Der Granusturm besteht aus einem doppelten Mauerwerk, zwischen dem eine 1,05 m breite, repräsentative Treppenanlage bis zum dritten Stockwerk entlangführt, die Vorbilder aus byzantinischen Palastanlagen aufzugreifen scheint.61 Diese wird von außen durch kleine Fensteröffnungen beleuchtet, die über Kopf53 Erhalten ist der Katalog dazu: Csg 267, pp. 30–32. Überschrift p. 30, Z. 10 f.: Istos au(tem) libros domnus grimoldus de suo dedit ad s(an)c(tu)m gallum. Edition: Lehmann 1918, Bd. 1, 87–89. Über Grimald schreibt Ratpert, Casus s. Galli, c. 9, ed. Steiner 2002, 226 f.: Alios quoque libros proprii causa videlicet usus iocunda patravit scriptura, quos si militer post finem dierum suorum sancti Galli servitio perpetualiter contradidit retinendos. Bischoff 1981c, 193 ff., hat die Bücher aus der Privatbibliothek Grimalds mit heute noch erhaltenen abgeglichen. 54 Das Verzeichnis der Privatbibliothek Abt Hartmuts von 883 ist nur sekundär in Ratperts Casus s. Galli überliefert (Csg 614, pp. 126–127). Edition: Lehmann 1918, Bd. 1, 86 f. Vgl. dazu Tremp 2003, 10–14. 55 BAV, Pal. lat. 175, 66 v (= Verzeichnis „H“ nach Häse): Breve de libris que heilradi fuer[unt]. Ed. und Handschriftenbeschreibung bei Häse 2002, 347–349, 350–358 Kommentar, und Kautz 2016, Bd. 1, 546. 56 Lorscher Nachtragskatalog Cb, BAV, Pal. lat. 1877, fol. 33v–34r; Edition bei Häse 2002, 168. 57 Einhard, Vita Karoli Magni, c. 33, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 40: Similiter et de libris, quorum magnam in bibliotheca sua copiam congregavit, statuit, ut ab his qui eos habere vellent iusto pretio fuissent redempti, pretiumque in pauperibus erogatum. 58 Müller u. a. 2013, 271–72, verwerfen diese Interpretation ausdrücklich. 59 Zur Lage vgl. Ristow 2014, 227 Plan. Der Granusturm wurde in den letzten Jahren detailliert untersucht. Bisher liegen dazu erste Arbeitsberichte von Ley 2011 sowie Ley / Wietheger 2014 vor. Die umfassende Publikation der Bauuntersuchungen steht noch aus. 60 Zu den Dendrodaten und ihrer Interpretation vgl. Ristow 2014, 230; Müller u. a. 2013, 122 und 152. 61 Zu den Gestaltungsprinzipien und Vorbildern vgl. Ley 2011, 284.
3.4 Private Büchersammlungen am Hof und in den Klöstern
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höhe liegen. In der inneren Mauer der drei oberen Stockwerke befindet sich jeweils ein annähernd quadratischer, gewölbter Raum mit je einem diagonal gegenüberliegenden Ein- und Ausgang; die Leibungen der ehemaligen Türen waren von kleinen Säulen geschmückt, wohl Spolien aus spätantiker Zeit.62 Faszinierend und zugleich rätselhaft an diesem Gebäude ist, dass sich die Laufrichtung der Treppe von Stockwerk zu Stockwerk ändert. Um in die nächsthöher gelegene Etage zu gelangen, muss man jeweils den inneren Raum diagonal durchqueren. Über diesen „transitorischen Treppenturm“63 konnte man den oberen Bereich, nicht jedoch das Erdgeschoss der Aula regia, und einen zweigeschossigen Vorbau südlich der Aula erreichen. Die einmalige Bautechnik dieses Gebäudes schützte vor Brand und Diebstahl. Folgerichtig wurde er Turm im späten Mittelalter als Archiv und in der frühen Neuzeit als Gefängnis der Stadt genutzt.64 Es ist also durchaus plausibel, dass der Turm von Karl d. Gr. als Archiv- und Bibliotheksraum konzipiert wurde, um darin wertvolle Codices und die Herrscherurkunden zu verwahren. Außerdem konnte man hochrangige Besucher auf repräsentativen Treppenstufen in das Schatzhaus führen,65 und zwar direkt von der Aula regia aus, in der Empfänge, Versammlungen und Gastmähler stattfanden. Die Unterbringung von Bibliotheken in Türmen ist nicht nur in St. Gallen mit dem Hartmut-Turm belegt, sondern auch in Köln, wo die Dombibliothek in einem befestigten Turm nahe dem Chor untergebracht war.66 Die privaten Büchersammlungen im Besitz von Mönchen und Äbten sind insofern überraschend, als die Benediktsregel (c. 33) den Mönchen eigenes Schreibgerät und Bücherbesitz untersagte. Die Äbte vermachten ihre eigenen Sammlungen, die zu ihren Lebzeiten vermutlich im Abtshaus untergebracht waren, der allgemeinen Bibliothek des Klosters. Eine solche testamentarische Verfügung zugunsten des Klosters trafen vermutlich nicht alle Privatsammler unter den Äbten und Mönchen, daher dürften bei weitem nicht alle in die Bibliotheksverzeichnisse der Klöster eingegangen sein. Die eine oder andere dieser Privatsammlungen dürften nach dem Tod der Mönche auch verschenkt oder verkauft worden sein. Die Sammlung des Priesters Heilrad ist vor allem auf die Liturgie zugeschnitten.67 Häse vermutet, dass es sich hier um die „Handbibliothek des Pfarrers einer 62
Ley 2011, 283. Ley 2011, 281. 64 Ley 2011, 284. 65 Diese Deutung wurde gemeinsam von mir und meinem Studenten Robin Volkmar im Rahmen der Forschungen des TP A 04 entwickelt (vgl. Volkmar 2017, 83). Sie ist bislang in der Forschung nicht eingeführt. 66 Vgl. den Hinweis bei Merkel 1993, 35. 67 BAV, Pal. lat. 175, 66 v: ein liber evangelioru(m) (Z. 2), ein Messbuch (missalis, Z. 4) und ein antefonarius (Z. 5); aber auch eine Grammatik (ebd.: de grammatico (Z. 14)). Die Leihgaben des Klosters Weißenburg an die Priester ihrer Grundherrschaft umfassen vergleichbare Bücher; vgl. dazu oben 22 u. A. 27. 63
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3 Bibliotheken oder Büchersammlungen?
Eigenkirche im Besitz der Reichsabtei Lorsch“ handelt.68 Die Privatsammlungen der St. Galler Äbte wie die des Priestermönchs Gerward umfassen dieselben Wissensgebiete wie die, die in den klösterlichen Hauptbibliotheken zu finden sind: Patristik, Exegetik, Hagiographie, Schul- und Artes-Literatur,69 zudem den einen oder anderen liturgischen Codex.70 Gerward hat seine Bibliothek nicht als Mönch in Lorsch angelegt, sondern auf seinem Landsitz in Gendt bei Nimwegen. Er bediente sich dabei wohl auch aus den Beständen der Aachener Palastbibliothek. Dies ist aus einem Lorscher Bücherverzeichnis (Cb) und der Karriere des Gerward, die Heinz Löwe rekonstruiert hat,71 zu schließen. Die Verbindung zwischen Lorsch und der um Nimwegen angesiedelten Familie Gerwards72 gründet auf dem umfangreichen Fernbesitz des Klosters in den Niederlanden.73 McKitterick vermutet, dass Gerward in Lorsch (zum Kleriker) ausgebildet wurde.74 Gerward war zudem unter Karl d. Gr. und mehr noch unter Ludwig dem Frommen dem A achener Hof eng verbunden.75 Er hielt sich dort wahrscheinlich bereits im Jahr 814 auf, als er dem Kloster Lorsch zahlreiche Güter aus seinem Familienbesitz in der Umgebung von Nimwegen, darunter auch in Gendt, überließ.76 Laut Einhard, mit dem er befreundet war, diente Gerward Kaiser Ludwig im Jahr 828 als Bibliothekar und als Baubeauftragter für die Pfalz.77 Um 838 scheint er sich auf die Güter seiner Familie und den Fernbesitz des Klosters Lorsch in Gendt zurückgezogen zu 68
Häse 2002, 357. Zu dem berühmten Lorscher Vergil aus Gerwards Bibliothek vgl. unten 33. 70 Aus Grimalds Bibliothek ein Liber hymnorum und ein Lektionar. 71 Zu Gerward von Gendt, dem gelehrten Kleriker, Pfalzbibliothekar Ludwigs des Frommen, späteren Lorscher Mönch und Verfasser des älteren Teils der Xantener Annalen, vgl. Löwe 1951, 83–2; Depreux 1997, 214–15; Goosmann 2018, 43–7. 72 Löwe 1951, 89, und Goosmann 2018 vermuten, dass weitere Verwandte Gerwards – ein Landward und ein Ansfried – Güter an das Kloster Lorsch schenkten und dort als Mönche lebten. Zur Genealogie Gerwards vgl. Goosmann 2018, 57, Fig. 3. 73 Traditionsurkunden mit Bezug zu Gannita: Glöckner, CL I, Nrr. 97, 101, 102, 103, 110, 111, 112. Vgl. dazu Goosmann 2018 und bes. 44, Karte 2. 74 McKitterick 1989, 189–190. 75 Bischoff 1966d, 61; Fleckenstein 1959, Bd. 1, 66–69, rechnet Gerward zu den Mitgliedern der Hofkapelle. Gerward schrieb ein Widmungsgedicht für die Vita Karoli Magni – es ist in zwei Abschriften des Werkes überliefert, vgl. MGH Poet. lat. II, 126, und Löwe 1951, 90 – und war wohl mit Einhard befreundet (zum Briefwechsel der beiden in den frühen 830er Jahren: Einhard, Epist. Nrr. 41 u. 52, MGH Epist. V; vgl. dazu Löwe 1951, 89). 76 Glöckner, CL I, 381–382 Nr. 101; Übersetzung: Minst 1966, Bd. 1, 158. Die Urkunde wurde 814 in Aachen ausgestellt (Glöckner, CL I, 381: Anno primo Ludouuici regis sub Ada lungo abbate; ebd., 382: Actum Aquisgrani palatio). Goosmann 2018, 45 Anm. 91, macht darauf aufmerksam, dass Gerward zu seinem eigenen Gedenken mehrere Güter an das Kloster Lorsch stiftete. 77 Einhard, Translatio s. Marcellini et Petri, IV 27, ed. Waitz, MGH SS XV/1, 258: Ger wardus palatii bibliothecarius, cui tunc temporis etiam palatinorum operum ac structura rum a rege cura commissa erat, de Noviomago veniens, palatium Aquense petebat. 69
3.5 Krankenhausbibliotheken?
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haben.78 Dort legte er sich – nun zum Priester geweiht79 – eine umfangreiche Büchersammlung zu. Dem Kloster Lorsch dürfte er gegen Ende der Amtszeit Abt Adalungs (amt. 804–837)80 als Mönch beigetreten sein.81 Er blieb aber weiterhin in der Nähe seiner Familie auf den Gütern bei Nimwegen.82 Nachdem er gestorben war, fanden Lorscher Mönche seine Bücher in Gendt und brachten sie – per Schiff zusammen mit den jährlich zu liefernden Abgaben des Meierhofs? – in ihr Kloster: Hos libros repperimus in Gannettias, quos Gervvard(us) ibidem reliquit, et ab inde huc illos transtulimus.83 Bischoff hat drei der 27 Bücher in diesem Verzeichnis konkreten Handschriften zuweisen können, Angelika Häse hat inzwischen weitere identifiziert.84
3.5 Krankenhausbibliotheken? Zumindest in den großen Klöstern könnte es zudem eine weitere kleine Spe zialbibliothek mit medizinischer Literatur in den Krankenhäusern (Infirmerien) gegeben haben.85 Wie man auf dem St. Galler Klosterplan (Csg 1092) sehen kann, war in den großen Reichsklöstern für die Kranken ein eigenes Kloster en minia ture innerhalb der Mauern angedacht, mit einer eigenen Kirche, den Räumen für die Kranken, das ärztliche Personal (domus medicorum) und den turnusmäßigen Aderlass der Mönche.86 Hier dürfte genügend Raum für eine medizinische 78
Goosmann 2018, 46. In der 814 ausgestellten Urkunde Glöckner, CL I 101 wird Gerward als clericus bezeichnet; Löwe 1951, 88–89, und Goosmann 2018, 46, deuteten dies so, dass er ein Kleriker niederer Weihen gewesen sei. Als Priester (presbyter) wird er erst als Zeuge in einer Urkunde vom 23. März 838 tituliert. 80 Eintrag eines Gerward in einer Liste Lorscher Mönche unter dem Abbatiat Adalungs: Verbrüderungsbuch Reichenau, ed. Autenrieth et al. 1979, 54. Vgl. dazu Löwe 1951, 89–90. 81 Einhard bezeichnet Gerward in einem undatierten Brief aus den 830er Jahren als monachus (Einhard, Epist. Nr. 52, MGH Epist. V). 82 Löwe 1951, 91. 83 Lorscher Bücherverzeichnis Cb nach Häse, BAV, Pal. lat. 1877, fol. 33v, Z. 1–3. „Gannettias“ (üblicherweise „Gannita“) ist die latinisierte Form von Gendt bei Nimwegen. 84 Bischoff 1966d, 167 Anm. 75; Bischoff 1981b, 172 f. Anm. 19: BAV, Pal. lat. 134 (Opera Augustini, mit Besitzeintrag 114v: Codex de monasterio sancti Nazarii. Liber Gerwardi quem ei scripsit Flotbertus clericus suus), BAV, Pal. lat. 210 (Italien, um 600: Opuscula Augustini, Nicetas von Remesiana, Ephraim der Syrer) und wahrscheinlich BAV, Pal. lat. 1631 (Vergilius Palatinus; vgl. dazu unten 33). Vgl. dazu auch McKitterick 1989, 186–191; Häse 2002, 331–339. 85 Embach 2015, 59 f. Die bei Jetter 1971, aus den Schriftquellen nachgewiesenen Hospitäler der Merowinger- und Karolingerzeit liegen fast alle in Gallien, Neustrien und Burgund. Das nördlichste und zugleich östlichste Hospital des 8. und 9. Jahrhunderts ist das von St. Gallen. 86 Zum archäologischen Nachweis eines solchen Krankenhausbezirkes auf der Augia felix im 9. Jahrhundert vgl. Zettler 1988, 48–60. 79
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3 Bibliotheken oder Büchersammlungen?
Handbibliothek gewesen sein.87 Auch in dem etwas außerhalb des Klosters gelegenen Leprosorium, das nach den Hagiographen des 9. Jahrhunderts bereits von Abt Otmar (*um 690, † 759) eingerichtet worden war,88 hätte man Verwendung für Spezialliteratur gehabt, wie sie in einem Rezept zur Behandlung der Elefantiasis im Lorscher Arzneibuch beschrieben wird.89 Dieses Werk wird im Lorscher Hauptkatalog Ca aus der Zeit um 860 nicht genannt; daher vermutete Häse, es könnte im Infirmarium oder in der Küche (!) verwahrt worden sein.90 Allerdings ist vor dem 12. Jahrhundert in Lorsch ein Hospital weder archäologisch noch historisch nachweisbar.91
3.6 Mobile Bücher In den Klöstern gab es zwar spätestens seit dem Ende des 8. Jahrhunderts eigene Scriptorien, aber man benötigte zum Kopieren der exegetischen und patristischen Klassiker, der Unterrichtsliteratur, der Dichtung und der Wissensliteratur zunächst geeignete Vorlagen. An sie kam man durch Ausleihen und Geschenke. Wie Sita Steckel und Philipp Depreux gezeigt haben, schenkten, tauschten und liehen sich Äbte, Mönche, Weltgeistliche und Herrscher untereinander Bücher.92 Klöster überließen Laien und Weltklerikern vorübergehend Psalterien und Liturgica.93 Herrscher brachten kostbare Bücher, v. a. liturgische Codices, als Gastgeschenke mit in die Klöster;94 sie erwarteten umgekehrt aus deren Scriptorien
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Das nimmt z. B. Zur Nieden 2008, 367–370, an. Walafrid, Vita s. Otmari, c. 2, ed. Duft 1959, 26: Nam ad suscipiendos leprosos, qui a caeteris hominibus seiuncti manere semotim consuerunt, hospitiolum haud longe a monas terio extra eas mansiones … constituit … Vgl. dazu Duft 1975, 15 f. 89 Bamberg, SB, Msc. med. 1, 21v–22r, ed. Stoll 1992, 128–131 Nr. 46: ‚Ad Elefantiosos‘. Vgl. dazu unten 86 A. 286. 90 Häse 2002, 330 Nr. 422. 91 Platz 2011, 158, Planzeichnungen 159: ein aus zwei Gebäudeteilen bestehendes Krankenhaus 2002/03 ergraben; die Funktion als Infirmarium ist erschlossen aufgrund diverser Kleinfunde, einer Löffelsonde aus Bein und einem Skalpell aus Eisen. Aus dem Lorscher Chronicon (Glöckner, CL I, 423 Nr. 143a; Minst 1966, Bd. 1, 204) geht hervor, dass Abt Diemo (amt. 1125–1139) die Einkünfte aus einem Hof in Rodau (Ruot) nördlich von Lorsch, der dem Kloster seit dem 9. Jahrhundert gehörte, dem Unterhalt der Infirmerie zuwies. 92 Steckel 2011, Kap. III, 3.3–3.5, 377–514, rekonstruiert den Büchertausch anhand der Briefe Hrabans, Lupus’ und Alkuins; auf die Handschriftenüberlieferung geht sie nicht ein. Nur mit Lupus von Ferrières befasst sich Depreux 1994. 93 Siehe oben 22 u. A. 27 am Beispiel der Weißenburger Ausleihliste. 94 Die Fragmente der altlateinischen, illustrierten Itala-Bibel (Vetus latina), um 420 in Mittelitalien (Rom?) entstanden, die Kaiser Ottos d. Gr. dem Stift Quedlinburg schenkte, hatte dieser von den Mönchen von St. Gallen erhalten. Zu dem Fragment Quedlinburg, Stiftsmuseum, s. n., vgl. Kötzschke 1993, 40; CLA VIII 1069. Die illuminierten Partien erhalten als Abklatsche: Berlin, SPK, theol. lat. fol. 485 (Faksimile: Degering / Boeckler 1932). 88
3.6 Mobile Bücher
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Abschriften,95 manchmal forderten sie diese regelrecht ein.96 Schenkten hochstehende Laien und Kleriker Bücher an die Klöster, so verbanden sie dies in der Regel mit dem Wunsch, für das Seelenheil des Schenkers und seiner Familie zu beten und sich seiner auf ewige Zeiten zu erinnern. Bücher waren als mobile Güter einem permanenten Zirkulationsprozess unterworfen. Auch solche, die innerhalb der Klostermauern einem festen Standort zugewiesen waren, befanden sich ständig in Bewegung: Sie wechselten zwischen der Hauptbibliothek in das Haus des Abtes und zurück, in die Schulen und die Infirmerie.97 Um den Überblick nicht zu verlieren, brachten die Bibliothekare entsprechende Vermerke an den Katalogen an. Abt Grimald untersagte, dass die Bücher, die er der Hauptbibliothek geschenkt hatte, aus dieser entfernt werden.98 Er selbst legte sich jedoch eine eigene, private Sammlung zu, die er vermutlich im Abtshaus aufstellte. Seine Privatbücher nahm er auf Reisen mit und arbeitete an ihnen während seiner Aufenthalte am Hof Ludwigs des Frommen in Aachen und Ludwigs des Deutschen in Regensburg. Als Kanzler und Kaplan der Karolinger war Grimald viel unterwegs; in St. Gallen hielt er sich nur selten auf.99 Für die Beschaffung von Kopiervorlagen waren in den Klöstern in erster Linie die Äbte zuständig. St. Gallen tauschte Bücher mit dem nahegelegenen Inselkloster Reichenau im Bodensee, aber auch mit weiter entfernten (Reichs-)Klöstern wie Murbach,100 Lorsch, Fulda und Tours.101 Die Äbte, die zugleich langfristige Aufgaben im Reichsdienst wahrnahmen oder den Herrscher temporär begleiteten, nutzten ihre Reisen zur Beschaffung von Büchern. Aus renommier 95
Büchergeschenke des Klosters Reichenau an Ludwig den Deutschen und weitere karolingische Herrscher erwähnt Bischoff 1981c, 188 ff. Abt Grimald von St. Gallen nahm während seiner Tätigkeit als Kanzler wohl auch Bücher mit an den Hof Ludwigs des Frommen nach A achen und an den Hof Ludwigs des Deutschen nach Regensburg, vgl. dazu Bischoff 1981c, 192 f. Ein Lektionar, das im St. Galler Breviarium librorum gelistet ist, trägt den Vermerk, es sei an Kaiser Karl III. (reg. 876–888) geschenkt worden (Csg 728 p. 6, Z. 2: datu(m) e(st) domno Karolo regi). Zu weiteren Buchgeschenken aus St. Gallen vgl. Duft 1983, 23. 96 So klagt Ekkehard IV. über Kaiser Otto II. (reg. 973–983), dieser habe die Bücherschätze des Klosters St. Gallen regelrecht geplündert (Ekkehard IV., Casus Sancti Galli, c. 147, ed. Haefele 42002, 284 f.: Abbate interea assumpto Otto filius armarium sibi aperiri rogat. Quod ille rennuere non ausus, condicto tamen risibili, ne tantus predo locum et fratres spoliaret, aperiri iubet. Ille autem libris optimis illectus, plures abstulit, quorum tamen ali quos Ekhardo rogante postea reddidit. 97 Volkmar 2017, 36, über die Situation in St. Gallen. 98 Ratpert, Casus s. Galli, c. 9. 99 Bischoff 1981c, bes. 192 f. Zu Grimalds Reichsdienst vgl. Fleckenstein 1959, Bd. 1, 168–177, und Geuenich 1988. 100 Das elsässische Murbach galt im 8. und 9. Jahrhundert als Vivarium peregrinorum in einer Anspielung auf das Kloster Vivarium des Cassiodor in Unteritalien! Zum frühmittelalterlichen Bibliotheksbestand von Murbach vgl. Milde 1968. 101 Die Alkuin-Bibel aus Tours (Csg 75) gelangte im 9. Jh. über die Reichenau nach St. Gallen. Sie ist das älteste erhaltene Bibel-Exemplar aus dem Skriptorium von Tours (CLA VII 904). Vgl. dazu Schmuki 2004, 12.
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3 Bibliotheken oder Büchersammlungen?
ten Bibliotheken wurden Bücher gezielt angefordert, so ließen sich die St. Galler Mönche einen griechischen Codex mit Briefen von Liutward von Vercelli (amt. 880–900/01) bringen.102 Die Dombibliothek von Vercelli war schon damals bestens bestückt und sortiert. Bücherumschlagplätze für Weltgeistliche wie Mönche waren zudem die Synoden.103 Weltgeistliche bedachten auch des Öfteren ihre Ausbildungsstätten mit großzügigen Buchgeschenken, etwa Landaloh, der Bischof von Treviso (amt. ca. 810–814), der der Peterskapelle auf dem Friedhof zu St. Gallen liturgische Bücher, Vasa sacra und Reliquien vermachte.104 Während der Büchertransfer auf dem Kontinent im 7. und 8. Jahrhundert von irischen und angelsächsischen Missionaren dominiert wurde,105 kamen im 8. und 9. Jahrhundert vermehrt Kopiervorlagen aus (Nord-)Italien. In Bobbio, der letzten Klostergründung des Iren Columban in Oberitalien(613 oder 614), begegnen sich beide Bewegungen. Italien106 lieferte in die nordalpinen Gebiete neben Patristik und T heologica vor allem antike Dichtung107 und medizinische Fachliteratur108. Die Artes-Literatur fand sowohl über Italien wie auch durch die Angelsachsen, allen voran Alkuin, ihren Weg in die nordalpinen Klöster und an den Hof. Für die Transmission astronomischen und prognostischen Wissens sorgten neben den Angelsachsen maßgeblich auch die Iren.109 Bernhard Bischoff ging davon aus, dass die Diez-Handschrift mit zahlreichen Schultexten von einem Schreiber in Italien angelegt und später nördlich der Alpen ergänzt wurde.110 Ekkehard IV., Casus s. Galli, c. 46, ed. Haefele 42002, 102 f. Hartmann 2015, 211. 104 Ekkehard IV., Casus s. Galli, c. 9, ed. Haefele 42002, 32 f.: Disposuit igitur adhuc vi vens ad titulum sancti Petri, cui iam ibat, […] capellam, qua itinerans utebatur, cum reliquiis et libris et omnibus utensilibus sacris. 105 Vgl. Bremmer 2007. 106 Zu den Dombibliotheken von Vercelli und Verona vgl. oben 14 A. 42 u. unten 46 A. 29 u. 33. 107 BAV, Pal. lat. 24 wurde im 7. Jh. in Italien aus Resten von zehn spätantiken Codices (3./4.-5./6. Jh.) in lateinischer und griechischer Sprache zusammengestellt, darunter Medizintexte (foll. 41 u. 42, Text 4: Fragmenta medicinalia lingua Graeca, palimpsestiert), unikale Livius- und Seneca-Fragmente, Reden Ciceros; einige Texte wurden später mit Auszügen aus dem Alten Testament überschrieben. Beschreibung der Handschrift bei Kautz 2016, Bd. 1, 491–497, vgl. auch CLA I 68b-77, keine Abb. der Medicinalia graeca. Das Konvolut gelangte – vielleicht durch Abt Adalung (amt. 804–837) (?), der im Auftrag Kaiser Ludwigs des Frommen nach Rom reiste – im 9. Jahrhundert nach Lorsch (CLA I 68b Aufenthalt in Lorsch seit 8. Jh.) und wurde dort um weitere Lagen ergänzt. Digitalisat: https:// bibliotheca-laureshamensis-digital.de/bav/bav_pal_lat_24,URN: urn:nbn:de:bsz:16diglit-44273, DOI: 10.11588/diglit.4427. 108 Vgl. dazu unten 46–47. 109 Siehe dazu Silviu Ghegoiu „Religious and Non-Religious in Carolingian Computistical Manuscripts. Prognostica among other Encyclopaedic Material“ im SFB-Tagungsband Rom. 110 Bischoff 1973, 23: „Die Entstehung der Handschrift läßt sich wohl in folgenden Sätzen zusammenfassen. Sie wurde von A im Frankenreiche angelegt, vielleicht im Kreise des am Hofe lehrenden Petrus Diaconus von Pisa. Sie gelangte in die Hände des Italieners, B, 102
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3.6 Mobile Bücher
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Wie man an einzelnen Codices, die im Verlauf des 9. Jahrhunderts in die Lorscher Bibliothek kamen, sehen kann, wurde manches Buch über viele Zwischenstationen weitergereicht, bevor es seinen Platz auf Dauer in der Klosterbibliothek fand. Sowohl der um 500 in Italien geschriebene sog. Lorscher Vergil (BAV, Pal. lat. 1631) wie auch die in Italien im 6.–7. Jahrhundert angelegte Sammlung von Texten Augustins (BAV, Pal. lat. 210) dürften über die Aachener Hofbibliothek und die Privatbibliothek des Gerward von Gendt um 860 nach Lorsch gelangt sein.111 Der sog. Wiener Livius (ÖNB, lat. 15), der im 5. Jahrhundert in Italien geschrieben wurde, gehörte Bf. T hiadbert von Utrecht / Duurstede (nachgewiesen um 784), bevor er nach Lorsch kam.112 Da Dorestad in der Karolingerzeit ein bedeutendes Handelsemporium war, in dem die angelsächsischen Missionare auf ihrem Weg zwischen der Insel und dem Kontinent anlandeten, könnte der Codex von einem Reisenden aus Rom mitgebracht worden sein.113 Die Hofbibliothek in Aachen war wohl die mobilste aller karolingerzeitlichen Bibliotheken. Sie nahm Bücher von Gelehrten aus ganz Europa auf und lieh solche zur Abschrift in weit entfernte Klöster aus. Nach dem Ende der Regierung Ludwigs des Frommen wurde sie in alle Winde verstreut. Viele Bücher dürften in A achen nur kurze Zeit Station gemacht haben, so lange nämlich, wie ihre Besitzer, die internationalen Gelehrten, sich dort aufhielten.114 Verließen diese den Hof, so nahmen sie den größten Teil ihrer Bücher wieder mit. Die Mobilität der Bücher hing von der Mobilität ihrer Besitzer ab. Bücher wurden bewegt, wenn Angelsachsen und Iren nach Rom pilgerten, wenn sich Gelehrte an den Aachener Hof begaben oder sich aus dem Kloster auf den Besitz ihrer Familie zurückzogen. Die Wege der Bücher zwischen Friesland und dem Reich waren im 8. und 9. Jahrhundert identisch mit den Wegen der Fernhändler. der vielleicht demselben Kreise um Petrus angehörte und sich jedenfalls zeitweilig am Hofe aufhielt. Hier bereicherte er die Handschrift um verschiedene Eintragungen, darunter ein Verzeichnis von Klassikerhandschriften der Hofbibliothek und Texte der Hofpoesie, spätestens wohl um 791. Wohl nicht lange danach wurde sie von B in seine Heimat mitgenommen … Was B von den didaktischen Texten in Frankreich schrieb, was in Italien, ist nicht genau festzustellen.“ Zur Provenienzfrage vgl. auch CLA VIII 1044. 111 Bischoff 21989, 72–73; Licht 2018, 25, 177–179, 190 f.; CLA I 84: fol. 1 eine Bücherliste von einer irischen Hand des 9. Jhs. und irische Majuskel fol. 147v. Während die Identität der Augustinus-Sammelhandschrift aufgrund der Zusammensetzung der Texte und der präzisen Angaben im Lorscher Katalog (Cb18, Häse 2002, 335–337 Nr. 443) eindeutig ist, gilt dies nicht für den als Liber Virgilii eingetragenen Codex (Cb27, Häse 2002, 339 Nr. 451; BAV, Pal. lat. 1877, 34r), denn der Lorscher Hauptkatalog Ca nennt weitere Vergil-Abschriften. Zur Karriere und zum Schicksal der Büchersammlung Gerwards vgl. oben 15, 26, 28. 112 BAV Pal. lat. 15: CLA X 1472. Sog. T heatbertus-Eintrag fol. 193v. Zur Rekonstruktion des Transferweges vgl. Bischoff 21989, 64. 113 Das vermutet Bischoff 21989, 73. 114 Bullough 2003a, 362: „Books and the texts they contained were given away or lost as well as acquired: and it is unwise to assume that those at the palace in 794 or 804 were still there in 814.“
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4 (Virtuelle) Bibliotheken und der Schulunterricht Gelehrte und Mönche, die in Klöstern unterrichteten, blieben oft lebenslang mit ihren Schülern durch Briefe in Kontakt. Aus dieser Korrespondenz lassen sich europaweite Netzwerke von Gelehrten, Büchertausch und Wissenstransfer rekonstruieren, wie Sita Steckel gezeigt hat.1 In Anbetracht der Schwierigkeiten, die Büchersammlungen für den Unterricht im Detail nachzuweisen, wurden in den vergangenen Jahrzehnten neben den realen Büchersammlungen auch virtuelle Bibliotheken, Scriptorien und Schulen in den Pfalzen, an den Bischofssitzen und in den Klöstern und Stiften des Reiches herangezogen.
4.1 Eine Schule am A achener Hof? Lohrmann geht davon aus, dass am Aachener Hof bereits eine Schule existierte, bevor sich Karl d. Gr. dort auf Dauer niederließ.2 Die Schule in A achen sei jedoch keine feste Institution gewesen, sondern habe im Wesentlichen aus individuellen Lehrer-Schüler-Beziehungen bestanden. Als Lehrer seien die gelehrten Berater Karls tätig gewesen, die Handschriften besorgten und herstellten und auf ihre eigenen Wissensspeicher zurückgriffen. Wie Bernhard Bischoff zeigen konnte, lehrten manche von ihnen nicht nur am Hof, sondern auch an Kathedral- und Klosterschulen.3 Alkuin redete seine Schüler in den Briefen als filii an und nannte sie pueri, palatini pueri, iuvenes in palatio oder docti aulae juvenes, catholicae eruditionis filii oder pueri aegyptiaci; die Palastschule bezeichnete er als aegyptiaca schola in palatio.4 Der vielseitig begabte Einhard hatte seine Elementarausbildung im Kloster Fulda erhalten und kam um 794 an den Hof. Er zählte zu den wichtigsten Beratern Karls und setzte sich selbst ein Denkmal mit der Biographie, die er über den Herrscher verfasste.5 Als Vitruv-Kenner und Hof-Baumeister firmierte er in A achen unter dem Pseudonym „Beseleel“, dem Namen des Kunsthandwerkers, der nach Ex 35,30–35 von Mose beauftragt wurde, das Zeltheiligtum auszuschmücken. 1 Steckel 2011, Kap. II.3, 148–220, hebt vor allem auf Alkuin und Hraban ab. Sie konzentriert sich in der Kommunikation auf die theologisch-exegetischen Fragen. 2 Lohrmann 2013, 418. 3 Bischoff 1972. 4 Alkuin, Epistulae, MGH Epist. IV, 231, 232, 282, 285. Vgl. dazu Schaller 1970, 32 f. u. 35; Lohrmann 2013, 420; Steckel 2011, 166–169. 5 Einhard, Vita Karoli Magni, ed. Holder-Egger, 1911. Vgl. dazu Patzold 2013.
4.1 Eine Schule am A achener Hof?
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Viele der A achener Schüler machten später Karriere in hohen Ämtern des Reiches: Angilbert wurde Laienabt in Saint-Riquier;6 Fridugis (Beiname „Na thanael“ = Gottesgabe, Name eines Jüngers Jesu) war zunächst Kanzler Karls und wurde später Abt von Saint-Martin in Tours; Ebo, Richulf, Richbod und Arn leiteten die Erzbistümer Reims, Mainz, Trier und Salzburg. Doch manche scheiterten an ihren Lastern wie der Angelsachse Osulfus, ein Lieblingsschüler Alkuins, der am Hof die Beinamen „Daphne“ und „Cuculus“ trug und später der Trunksucht verfiel.7 Der Alemanne Bodo, der bereits zum Diakon geweiht worden war, konvertierte 839 zum Judentum und zog jahrelang in Spanien und mit den Sarazenen umher, um weitere Anhänger für den mosaischen Glauben zu gewinnen.8 Aus der Zeit Karls und Ludwigs sind einige Lehrer am A achener Hof nament9 lich bekannt. Nachdem Alkuin, die dominierende Figur, Aachen verlassen und sich nach Tours zurückgezogen hatte, unterrichteten am Hof vermutlich dessen Schüler Wizo/Witto (Candidus) und Fridugis (Nathanael), vielleicht auch Leidrad, der spätere Erzbischof von Lyon.10 Hrabanus Maurus (*um 780; † 856), der später als Abt von Fulda und Erzbischof von Mainz Karriere machen sollte, lehrte seit etwa 800 am Hof, neben dem Iren Cadac (Andreas) und vielleicht auch neben dem Westgoten T heodulf von Orléans. Karls Nachfolger Ludwig wählte als Lehrer und Erzieher für seinen ältesten Sohn Lothar den Iren Clemens (Scottus);11 seinen jüngsten Sohn Karl (den Kahlen) aus der Ehe mit Judith ließ er wahrscheinlich zeitweise von Abt Markward von Prüm unterrichten,12 nicht von dem Reichenauer Mönch Walafrid Strabo wie die Forschung seit dem 19. Jahrhundert annahm,13 und auch nicht von Bernhard von Septimanien14. Als Erzieher der kleinen Kinder (magister parvulorum) Ludwigs des Frommen wird zudem ein gewisser Wirnit genannt.15 Mit dem Titel „Praeceptor palatii“ wer-
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Zu Angilberts Wirken in Saint-Riquier vgl. Hartmann 2010, 200. Alkuin, Carmen 57, MGH Poet. lat. I; Alkuin, Epist. Nrr. 65, 66, 226, 232–233, MGH Epist. IV. Vgl. dazu Lohrmann 2013, 421. 8 Annales Bertiniani, ad a. 839, ed. Grat et al. 1964, 27, und a. 847, 53 f. Vgl. dazu Lohrmann 2013, 422. 9 Zu den Lehrern vgl. Lohrmann 2013, 425–427. 10 Leidrad ließ Mitte/Ende der 790er Jahre für den Hof ein Handbuch der Logik zusammenstellen: Rom, Casa madre dei Padri Maristi, s. n., laut CLA IV 417 wahrscheinlich in Lyon geschrieben, abgebildet eigenhändiger Schenkungsvermerk Leidrads fol. 1v. 11 Zu Clemens als Verfasser eines Grammatiklehrbuchs für seinen Schüler (Clementis Ars grammatica, ed. Tolkiehn 1928) vgl. unten 45. 12 Fees 2000, 58–60, mit Angabe der zeitgenössischen Belege. 13 Die Annahme, Walafrid sei der Lehrer Karls des Kahlen gewesen, ist rein hypothetisch. Es gibt weder mittelalterliche noch frühneuzeitliche Quellen, die dies belegen würden. Zur Forschungsgeschichte dieses Mythos und seiner Dekonstruktion vgl. Fees 2000. 14 Zu dieser Hypothese vgl. Fees 2000, S. 58 Anm. 123. 15 Depreux 1997, 398, Nr. 276. 7
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4 (Virtuelle) Bibliotheken und der Schulunterricht
den Aldrich, der spätere Erzbischof von Sens († 836), und ein gewisser T homas16 versehen. Auch wenn Bullough mit seiner Vermutung recht hat, dass die Gelehrten, die Karl von Zeit zu Zeit in Aachen besuchten, bei der Abreise ihre Bücher in der Regel wieder mitnahmen, so verblieb vermutlich doch eine Reihe von Schulbüchern dauerhaft in Aachen.17 Von diesen wohl ungebundenen Libelli sind allerdings kaum welche erhalten,18 wie etwa die Sammlung von Grammatiken (Erfurt, Bib liotheca Amploniana, 2° 10) und Gedichte,19 die zwischen etwa 780 und 805 verfasst worden sind. Bullough geht davon aus, dass man in A achen schon vor der Ankunft Alkuins eine Schulbibliothek angelegt hatte.20 Aus dieser sollen die Grammatik des Dio medes, die wahrscheinlich Petrus von Pisa mitbrachte,21 die ‚Divisio orbis‘, ein antikes Schulbuch basierend auf der Karte des Agrippa (BAV, Pal. lat. 1357), die ‚Notitia dignitatum‘,22 die ‚Altercatio Hadriani Augusti et Epicteti philosophi‘, die Institutionen Cassiodors, und die ‚Carmina figurata‘ des Optatianus Porfyrius (4. Jh.) in einer Abschrift um 788/90 (Bern, BB, 212, Teil II), die Alkuin, dessen schottischer Schüler Josephus und T heodulf von Orléans rezipierten, stammen. Auch wenn unklar ist, ob die Diez-Handschrift tatsächlich in Aachen benutzt wurde,23 dürften dort vergleichbare Grammatiken sowie Traktate zur Rhetorik und Metrik vorhanden gewesen sein. Nach der Ankunft Alkuins in A achen wurde der Unterricht am Hof nach dem Bildungsprogramm Karls ausgerichtet, das dieser gemeinsam mit dem Angelsachsen seit 781 nach dem Vorbild der Schule von York entwickelt hatte.24 Die Lehrdialoge zur Grammatik, Rhetorik und Dialektik, die teilweise auf Ge16
Walafrid, Carmen V 35, MGH Poet. lat. I, 387. Bullough 2003a, 362: „T he one constant, I suggest, is the presence of handbooks, manuals, in the several modern senses of that word: compilations, abbreviated ‚standard‘ texts – with a not unexpected bias to grammatica – assemblages of extracts of variabel length, both inherited … and newly created, on secular and theological topics, summary introductions to complex subjects, with in some instances simple visual aids (schemata etc.).“. 18 Bullough 2003a, 362: „I am sure that many of the texts that we know as elements in corpora and compendia originally entered the ‚court library‘ as unbound libelli … By their nature, most of these disappeared early …“. 19 Die Sammlung gelangte später nach Saint-Denis (Paris, BnF, lat. 528, fols. 121–136). 20 Bullough 2003a, 34. 21 Vgl. dazu Gorman 2000. 22 Erhalten in einer Kopie (Wien, ÖNB, lat. 162, fols. 1–9), die in Fulda unter Alkuins Schüler Hraban hergestellt wurde. 23 McKitterick 2008, 317, ist sich unsicher, ob die Handschrift für den Hof Karls d. Gr. in A achen oder für den Hof Pippins von Italien bestimmt war. 24 Lohrmann 2013, 419–420. Die maßgeblichen Reformschriften zur Bildung sind die ‚Epistola de litteris colendis‘ von 784/85 (MGH Capit. reg. Franc. I, 79–80 Nr. 29), die ‚Epistola generalis‘ (MGH Capit. reg. Franc. I, 80–81 Nr. 30), entstanden zwischen 786 und 800, und die ‚Admonitio generalis‘ des Jahres 789, bes. c. 70 (Admonitio generalis, ed. Mordek et al. 2012). 17
4.1 Eine Schule am A achener Hof?
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spräche Alkuins mit dem Herrscher zurückgehen,25 wurden vielfach kopiert und im ganzen Reich verbreitet. Der Angelsachse Wizo (Pseudonym „Candidus“) benutzte Alkuins Schema zur Rhetorik.26 Die bei den Angelsachsen beliebten Rätselfragen setzte Alkuin auch im Reich im Arithmetik- und Geometrieunterricht ein. Er behandelte dabei abstrakte mathematische ebenso wie praxisrelevante Probleme.27 Im 18. und 19. Jahrhundert kam die Vorstellung auf, es habe in Aachen eine Akademie nach dem Vorbild der Aristotelischen und Platonischen Schule in Athen gegeben. Als Kronzeuge galt Alkuin, der die fränkische Palastschule mit den großen Schulen von Alexandrien und Athen verglichen hatte, als er die Aachener Schüler pueri Aegyptiaci, die Hofschule aegyptiaca schola in palatio28 nannte. Doch Alkuin war durchaus kritisch gegenüber den athenischen Schulen. In einem Brief an Karl d. Gr., in dem er die Frage nach dem Wert der menschlichen Erlösung (de pretio humanae salvationis) behandelt, setzt er den Antworten eines griechischen Weisen, der seine Philosophie wohl an der Sophisten-Schule in Athen erlernt hatte, die Lehren des Apostels Paulus und der griechischen Kirchenväter entgegen.29 Alkuin wollte in A achen keine Schule nach dem Vorbild Athens errichten. Vielmehr war sein Wunsch und Wille, dass die Schule in A achen als neues Athen (Athena nova) die alten Schulen überträfe, so wie die Lehre Christi die Weisheitslehren der Platoniker und Peripathetiker übertroffen habe.30 Die alte Platonische Schule, so Alkuin, habe nur durch die Sieben Künste geglänzt. Das neue Athen hingegen sei darüber hinaus begabt mit der Fülle des siebenförmigen Heiligen Geistes und überstrahle die Würde der weltlichen Weisheit. Trotz aller formalen Orientierung am Boethianischen System und an den Schulen des Hellenismus zielte die Aachener Schule nicht nur auf die Vermitt25 Die Disputation über die Rhetorik entstand frühestens 793/94, die anderen didaktischen Schriften erst seit 797 in Tours. Alkuins ‚Disputatio de rhetorica et de virtutibus‘ – überliefert in Csg 273 (2. Hälfte 9. Jh.), pp. 144–236, und Csg 64, pp. 231–389 (3. Viertel 9. Jh.) – verbindet die Lehre der Rhetorik mit einer Art Fürstenspiegel über die Herrschertugenden. Zu Alkuins ‚De dialectica‘ (erhalten in Csg 273, pp. 57–143, und Csg 64, pp. 231–389, pp. 270–312) vgl. Lohrmann 2013, 419–420, und Lohrmann 2014, 207 f. u. 304. Alkuins ‚Ars grammatica‘ (überliefert in Csg 268, pp. 3–165 (1. Hälfte 9. Jh.), Migne PL 101, coll. 849–902) ist ein Dialog zweier Schüler (D für Discipuli), einem Franken und einem Angelsachsen, über die Grammatik unter dem Vorsitz eines Lehrers (M für Magister), der als Schiedsrichter fungiert. 26 Vgl. die Schematafeln in Csg 273, pp. 224–236. Wiedergabe des Schemas zur Rhetorik bei Lohrmann 2013, 423. 27 Vgl. dazu Folkerts / Gericke 1993, und Butzer / Butzer 2003. 28 Zu den Belegen vgl. Lohrmann 2013, 420. Mit den pueri aegyptiaci meint Alkuin abschätzig diejenigen, die den Kalender und Ostern nach der alexandrinischen Methode berechnen, so wie u. a. die Iren. 29 Alkuin, Epist. Nr. 307 (801–804), MGH Epist. IV, 466–471, hier 470: Fortasse Athe niensis sophista ex academica schola huiusmodi proculit questionem. 30 Alkuin, Epist. Nr. 170 vom Ende März 799, MGH Epist. IV, 278–281, hier 279. Vgl. dazu Lohrmann 2013, 426.
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4 (Virtuelle) Bibliotheken und der Schulunterricht
lung von Wissen („scientia“), sondern von Weisheit („sapientia“), die Erkenntnis Gottes und die Vermittlung (christlicher) Moral und Tugenden („religio“, „virtus“).31 Aus dem Dialog zwischen Alkuin und Karl, der in eine Tugendlehre eingebettet ist, kann man ersehen, dass im Rhetorikunterricht künftigen Amtsträgern und Herrschergenerationen ethische Grundsätze mit auf den Weg gegeben werden sollten. Sie ruhten auf zwei Fundamenten: auf der antiken Herrscher ethik und auf der christlichen Morallehre. Kenntnisse der Dialektik benötigte man für die Klärung strittiger theologischer Fragen, etwa im sog. Bilderstreit um 790 oder in der Diskussion über das Nichts und die Finsternis vor der Schöpfung (nihilne aliquid sit an non)32.
4.2 Die St. Galler Klosterschulen Wie sah der Schulbetrieb an den Klöstern aus? In St. Gallen war er rege und vielfältig. Der St. Galler Klosterplan sowie die Beschreibungen Ekkehards IV. insinuieren zwei Schulen: eine äußere für künftige Kleriker und eine innere für die Novizen.33 Aus einem Eintrag des jungen Walafrid Strabo auf dem St. Galler Klosterplan geht hervor, dass die Schüler – wie die Gäste – die Klosterkirche durch das nordwestliche Portal verließen.34 Unterrichtsmaterial scheint zur Genüge vorhanden gewesen zu sein. Die Libri scottice scripti verzeichnen mehrere Titel aus den Septem Artes35 und der Hauptkatalog36 nennt am Ende (fol. 19–21) 22 Titel überwiegend zur Grammatik, Rhetorik und Arithmetik (z. B. Beda Venerabilis), einige wenige auch zur Orthographie und Metrik. Für den Schulunterricht wurden Bücher aus der Hauptbibliothek in die Schulräume ausgeliehen, wie aus entsprechenden Vermerken zu schließen ist.37 Im Unterricht der Fortgeschrittenen dürften zudem die Werke der Historiographen – etwa das ‚Bellum Judaicum‘ des Flavius Josephus – gelesen worden sein.38 Johannes Duft hat ver31
Vgl. dazu Dreyer 2006. Vgl. dazu Colish 1984. Diese Fragen sind theologischer, philosophischer und naturwissenschaftlicher Natur. Relevant ist v. a. der Traktat des Fridugis von Tours ‚De substantia nihili et tenebrarum‘ aus der Zeit vor 800, MGH Epist. IV, 552–554, vgl. dazu Lohrmann 2013, 438–442. 33 Vgl. Ochsenbein 1990; Zur Nieden 2008, 306–308. 34 Eintrag im St. Galler Klosterplan (Csg 1092) am nordwestlichen Portal der Hauptkirche von der Hand des Bibliothekars Reginbert: Exiet hic hospes uel templi tecta subibit; Walafrid fügte hinzu: discentis scolae pulchra iuuenta simul. Vgl. dazu Licht 2022, 73–74. 35 Libri scottice scripti: Csg 728, p. 4. 36 Breviarium librorum de coenobio sancti Galli confessoris Christi: Csg 728, pp. 5–21. 37 Ausleihvermerke im Breviarium librorum, Csg 728, p. 5, Z. 10 f.; p. 16, Z. 10 f.: ein Codex mit Büchern des Alten Testaments und einer kirchenrechtlichen Inhalts mit decre tales et ep(is)t(ola)e pontificiu(m) befänden sich ad scola(m). 38 Die Kirchengeschichten des Eusebius und des Hieronymus, das ‚Bellum Judaicum‘ 32
4.3 Der Schulbetrieb in Lorsch
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mutet, dass Unterrichtswerke auch in den Schulräumen und in den Wohnräumen der Lehrer verwahrt wurden.39 Einige St. Galler Lehrer des Frühmittelalters sind namentlich bekannt, wie der Dekan und Schulmeister Hartmut, der später zum Abt des Klosters aufstieg. Ekkehard berichtet von den Iren Moengal als Lehrer und Marcellus als Leiter der inneren Schule, die für die Ausbildung Notkers I. zuständig gewesen seien. Iso habe die äußere Schule geleitet, an der Salomo (*um 860, † 919 oder 920), der spätere Bischof Salomo (III.) von Konstanz (amt. 890 bis 919/920), ausgebildet worden sei.40 Mit Notker I., dem Stammler (*um 840, † 912), Ratpert (*um 855, † um 911) und Tuotilo (*um 850, † 913) brachte die St. Galler Klosterschule berühmte Musiktheoretiker hervor. Nicht von ungefähr ist das zeitgenössische Notierungssystem der Neumen nach St. Gallen benannt.
4.3 Der Schulbetrieb in Lorsch Der Schulbetrieb im Kloster Lorsch ist nicht so gut dokumentiert wie der in St. Gallen.41 Aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ist die Grabinschrift eines Schulmeisters bezeugt: HIC […] NVLLO STOMACHANTE VENENO // BIS BINOS ANNOS REX(E)RAT HIC PVEROS // MORIBVS ET MONITIS TRI BVENS PIA DOGMA(TA) CVNCTIS.42 Das Kloster war nach dem Zeugnis der Bibliothekskataloge im 9. Jahrhundert an Schulbüchern gut sortiert. Unter der Rubrik Grammatici bzw. De libris grammaticae artis finden sich neben zahlreichen Grammatiken,43 die Ciceronischen Schriften zur Rhetorik, Lehrbücher zur Arithmetik, medizinische und astronomische Fachliteratur sowie Hagiogra– des Flavius Josephus und die ‚Historiae adversus paganos‘ des Orosius sind in den Bücherkatalogen von St. Gallen und Lorsch nachgewiesen. 39 Duft 1983, 17 f.; weitere Überlegungen bei Volkmar 2017, 34 f. 40 Ekkehard IV., Casus Sancti Galli, c. 2, ed. Haefele 42002, 20 f.: Traduntur post tempus Marcello scolae claustri cum Nokero […] caeteris monachici habitus pueris; exteriores au tem, id est canonicae, Ysoni cum Salomone et eius comparibus. 41 Becker, 78, sieht die Lehrtätigkeit in Lorsch als nebenrangig an. 42 Fragment einer metrischen Grabinschrift eines unbekannten Lorscher Klosterlehrers, eingemeißelt auf einer hochrechteckigen Platte aus rotem Sandstein, die heute sekundär an der Ostwand der ehemaligen Lorscher Klosterkirche aufgestellt ist. Von dem Epitaph sind das erste Distichon und ein Hexameter erhalten: Edition: Strecker, MGH Poet. lat. 6,1, 154. Scholz 1994 Nr. 3 (DI 38, Bergstraße, Nr. 3 (Sebastian Scholz), www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di038mz04k0000305). Übersetzung Scholz: „[…] ohne sich über die Qual zu ärgern, hatte er zweimal zwei Jahre hier die Knaben geleitet und vermittelte allen durch seinen Lebenswandel und seine Ermahnungen die frommen Lehren […]“. Die Datierung der Inschrift in Littera continua erfolgt nach epigraphischen Kriterien. Zur Diskussion der Datierung und der Interpretation des Grabmals vgl. Berschin 2020, 17. 43 Der Lorscher Hauptkatalog BAV, Pal. lat. 1877, 30r sqq. verzeichnet allein 89 Grammatiken, darunter diverse Abschriften des Donat und des Priscian.
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4 (Virtuelle) Bibliotheken und der Schulunterricht
phica. Aufgrund der Randbemerkungen und Zeichnungen in den Katalogen vermuten Bischoff und Häse, dass alle in der Rubrik „Grammatiken“ verzeichneten Bücher im Unterricht benutzt wurden;44 das gilt auch für die an anderer Stelle verzeichneten christlichen Dichter Iuvencus, Caelius Sedulius und Prudentius.45
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Bischoff 21989, 65 f., bes. Anm. 43–44. Häse 2002, 38 u. 381. Belege bei Berschin 2020, 17.
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5 Kosmos und Körper: die Rezeption antiken Wissens im christlichen Westen Was Dietrich Lohrmann für die Büchersammlung am A achener Hof konstatierte, trifft auch auf die Büchersammlungen der Reichsklöster zu: Das antike Wissen wurde von den karolingischen Gelehrten kommentiert, neuinterpretiert, transformiert, ergänzt und – gelegentlich – dem christlichen Weltbild angepasst.1 Bekanntermaßen bestand die Hauptleistung der karolingischen Gelehrten darin, vorhandenes Wissen durch Abschriften zu sichern und nach ihren Bedürfnissen zu konfigurieren. Dies gilt vor allem für die antike Dichtung und die Wissensliteratur betreffend die Artes liberales und mechanicae sowie die Ars medicina. Selbst „patristische Spezialbibliotheken“ wie Lorsch besaßen das eine oder andere Werk antiker Dichter und des pragmatischen Wissens.2 Die Schulbücher, die die Lehrer in der Karolingerzeit zusammenstellten, beruhten auf antiken Autoren und auf christlichen Autoren der Spätantike.3 Die für den Rhetorikunterricht konzipierten Dialoge zwischen Alkuin und seinem Schüler (Karl) beispielsweise bestehen fast nur aus Zitaten aus Ciceros ‚De inventione‘ und der ‚Ars rhetorica‘ des Julius Victor.4 Für die Morallehre in ‚De rhetorica‘ bediente sich Alkuin bei Augustins Schrift über die Musik, den Grammatiken des Donat und beim Trost der Philosophie des Boethius. Seine Schrift zur Dialektik basiert auf der ‚Isagoge‘ des Boethius und dem Kommentar zu Aristoteles’ ‚De interpretatione‘.5 Im Schulunterricht wurden elementare Kenntnisse durch die ‚Institutio arithmetica‘ des Boethius6 und die Boethius zugeschriebene lateinische Über1 Lohrmann 2013, 455. Mit dem pragmatischen Wissen und den Septem Artes im Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter befassen sich zahlreiche Beiträge in den Akten zweier großer Konferenzen: Butzer / Lohrmann 1993; La conoscenza scientifica 2020. 2 Becker 2015, 71. Ähnliches lässt sich in St. Gallen beobachten, vgl. Embach 2015, 60. 3 Vgl. dazu Fried 1996. 4 Nach Lohrmann 2013, 419, und Lohrmann 2014, 207 f. u. 304 machen diese beiden Autoren 80 % des Textes aus. 5 Zu den Vorlagen Alkuins vgl. Bullough 2003a. 6 Tours, vor 845 (Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1614, fols. 1r–81r, vgl. Mütherich 2004, 153, 158, 162–163, 166, 173, 175 + ill.). Die ‚Institutio arithmetica‘ im Überlieferungsverbund mit astronomischen und kosmologischen Texten bringen Lorsch (Budapest, Széchenyi Nationalmuseum, lat. med. aevi 3), 9. Jh. (vgl. Bischoff 1998, Bd. 1 Nr. 758); St. Gallen (Neapel, Biblioteca Nazionale, IV.G.68), 4. Viertel 9. Jh. (vgl. Bischoff 2004, Bd. 2 Nr. 3574); Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, 186, 1r–69v, 2. Hälfte 9. Jh. (vgl. Bischoff, 1998, Bd. 1 Nr. 1942).
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setzung einer Reihe von Sätzen des Euklid zur Geometrie (sog. Geometria I des Ps.-Boethius)7 vermittelt. Auf die fünfzehn Bücher der Geometrie des Euklid dürfte kaum je ein frühmittelalterlicher Mönch oder Kleriker für den Unterricht zurückgegriffen haben. Geometrie und Arithmetik waren nicht nur für die T heorie, sondern auch für die Praxis von Relevanz: für die Vermessung der Felder, die Konzeption größerer architektonischer Projekte wie Herrscherpaläste und Kirchen. Die beste Spezialbibliothek zur Geometrie, Arithmetik und Astronomie dürfte im Kloster Corbie in der Picardie gestanden haben,8 das seit frühkarolingischer Zeit eng mit dem Herrscherhaus verbunden war. Alkuin wie Einhard kannten wahrscheinlich das Architekturhandbuch des Vitruv; möglicherweise befand sich die älteste bekannte Handschrift dieses Werkes (London, BL, Harley 2767) zeitweise in Aachen. Die Hypothese, dass das Raumkonzept der Aachener Rotunde auf antiken Schriften basiere, wird seit langem kontrovers diskutiert und findet nach wie vor Verteidiger.9 An dieser Stelle wird unter den antiken pragmatischen Wissensgebieten nur die Astronomie und die Medizin näher beleuchtet, denn diese beiden Wissensfelder waren Gegenstand des TP A 04 im SFB 1136.10 Die Mönche von St. Gallen trugen dazu wahre Schätze zusammen, die sie in den Katalogen des 9. Jahrhunderts 7 Die ‚Geometrie I‘ des Pseudo-Boethius ist ebenso wenig erhalten wie ‚De institutione geometrica‘ des Boethius, die in den ‚Institutiones‘ Cassiodors erwähnt wird. Lateinische Auszüge aus Euklids Elementen, die vermutlich aus einem verlorenen Werk des Boethius stammen, hat Folkerts 1970 unter dem Titel ‚Geometrie II‘ ediert. 8 In Corbie wurde speziell Literatur zur Geometrie, zu Euklid und zu den Agrimensoren gesammelt, vgl. Folkerts 2012, 143 f.; Ganz 1990 weist in Corbie 13 Codices astronomischen Inhalts nach. Ihre Zahl liegt nach den Recherchen von Silviu Ghegoiu jedoch deutlich höher. Hier entstanden zudem im 8. Jahrhundert zwei maßgebliche lateinische Fassungen der ‚Phainomena‘ des Arat, zum einen in Gestalt einer lateinischen Glossierung des griechischen Gedichts (‚Aratus latinus‘), zum anderen in einer mit Auszügen anderer Autoren versetzten lateinischen Version (Recensio interpolata); zur Arat-Tradition in Corbie vgl. Blume 2012, 1.1, 75–76. Vor allem die letztgenannte Fassung kursierte in den gelehrten Zentren des fränkischen Reiches. 9 Dazu kürzlich erneut Pieper / Schindler 2017. 10 Im TP A 04 des SFB 1136 beschäftigten sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter mit der Rezeption des antiken medizinischen und astronomischen Wissens, hier speziell der Prognostik. Vgl. dazu Silviu Ghegoiu „Religious and Non-Religious in Carolingian Computistical Manuscripts. Prognostica among other Encyclopaedic Material“ sowie Hedwig Röckelein „Medicine and Religion in Carolingian Discourses and Libraries“ in den Akten der Tagung „Repositories of Learning“ (Rom 2018) (im Druck). Ausgewählte Handschriften zur Astronomie und Medizin in der Stiftsbibliothek St. Gallen untersuchten wir im Rahmen einer Exkursion meines Master-Seminars „Medizin und Astronomie in der Karolingerzeit“ im Sommer 2016. Die Exkursion wurde durch den SFB 1136 und den Universitätsbund Göttingen e.V. teilfinanziert. Ich danke der damaligen Hilfskraft Mai-Britt Wiechmann, M. A., für die redaktionelle Bearbeitung des Berichts unserer Untersuchungen an den St. Galler Handschriften.
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unter den Septem Artes verzeichneten.11 Karl d. Gr. forderte im Capitulare (I) von Diedenhofen (805), dass künftige Kleriker im Komputus und in der Medizin unterrichtet werden sollten (Infra ecclesiam: […] 6. De compoto, 7. de medi cinalia arte).12 Adriaan Verhulst zählt das Diedenhofener Doppelkapitular zu den Reformkapitularien für die Missi zur Beseitigung der Missstände im Bereich der geistlichen Institutionen.13 Michael Glatthaar macht darauf aufmerksam, dass Karl das Capitulare an der Grabstätte seiner annähernd 23 Jahre zuvor verstorbenen geliebten Gemahlin Hildegard in Diedenhofen in Anwesenheit ihrer Söhne Karl d. J., Pippin und Ludwig erlassen und diese auf das selige Angedenken ihrer Mutter eingeschworen habe.14 Hrabanus Maurus betont in seiner 819 verfassten Unterweisung der Kleriker (‚De institutione clericorum‘), dass diejenigen, die Leitungsaufgaben in der Kirche übernehmen wollten, nicht nur auf theologischem und philosophischem Gebiet gut ausgebildet sein müssten, sondern auch die Unterschiede der Arzneimittel und die Verschiedenartigkeit der Krankheiten kennen sollten, wobei in seiner Formulierung unklar ist, ob er körperliche oder seelische Krankheiten meinte.15 Die Kenntnis der Astronomie und des Komputus 11 Libri scottice scripti: Csg 728, p. 4; Breviarium librorum de coenobio sancti Galli con fessoris Christi: Csg 728, pp. 5–21. 12 Capitulare missorum in T heodonis villa datum primum, mere ecclesiasticum (805), MGH Capit. reg. Franc. I, Nr. 43, 121 Z. 17–18. Glatthaar, 2013, 469, der die Genese des Capitulare von Diedenhofen I & II rekonstruiert hat, bietet Varianten der Textstelle aus drei Handschriftengruppen: 1) Collectio Senonica: IIII. De diversis disciplinis discendis. V. De compoto et de arte medicina (BnF lat. 9654, 17r, Prov. Metz, Saint-Vincent, 10./11. Jh., entstanden vermutlich in Sens kurz vor Weihnachten 805 [Glatthaar, 2013, 473; Mordek, 1995, 562–578, hier 567]; 2) Versio Vulgata: V. De diversis disciplinis VI. De compoto. VII. De medicinali arte (überarbeitete Fassung von 1: BnF lat. 4629, entstanden Ende Dezember 805 / Anfang Januar 806 [Glatthaar, 2013, 473]); 3) Versio Blankenburgensis et Benedicti Levitae: IIII. De ceteris disciplinis ecclesiae ut secundum canones vel regulam fiant. De com poto ut veraciter discant. V. De medicinali arte ut infantes ad hanc discere mittantur. (Wolfenbüttel, HAB, Guelf. Blankenburg 130, wohl in Corbie entstanden Anfang Februar 806 [Glatthaar, 2013, 473]). In den 14 von Patzold 2020 als Priesterhandbücher identifizierten Handschriften (vgl. die Liste ebd., 349) sind lediglich in Albi, BM, 38bis, fol. 58r–65r und in St. Petersburg, RNB, Q.V.I.56, Materialien zum Computus enthalten (vgl. Patzold 2020, 351 A. 237). 13 Verhulst, Adriaan, Art. „Diedenhofener Kapitular“, LdMA III (1986), 998–999. 14 Glatthaar, 2013, 434–435 und 476–477. 15 Hrabanus Maurus, De institutione clericorum III/1, ed. Zimpel, 2006, 454: Quid eos scire et habere conveniat, qui ad sacrum ordinem accedere volunt. … differentiam medi caminum contra varietatem aegritudinum. übersetzt Freundgen, 1890, 80: „… den Unterschied der Arzneimittel, die Verschiedenartigkeit der Krankheiten.“ Zimpel, 455 hingegen mit: „die Verschiedenheit der Heilmittel gegen die Vielfalt des Kummers.“ (dazu 454, Anm. 674: „Vielfalt der Krankheiten“). Es muss offen bleiben, ob Hrabanus hier die physischen oder die psychischen Krankheiten im Auge hatte. An anderer Stelle dieses Kapitels hebt er nur auf den Geistlichen als Seelenarzt ab, nicht auf seine Fähigkeiten als Physicus. Daher dürfte Zimpels Übersetzungsvorschlag die Absicht des Hrabans eher treffen. Zum Wissenskanon der Priester vgl. Patzold 2020, Kap. VII.2: „Normvorstellungen: Was ein Priester
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erwähnt er dagegen nicht, obwohl die Priester und Bischöfe diese zweifelsohne beherrschen mussten. Die Astronomie hatte als theoretische Wissenschaft ihren festen Platz im Quadrivium. Sie war darüber hinaus von praktischem Nutzen für die Kalenderberechnung (Komputistik) und für die (medizinische) Prognostik. Weniger eindeutig war hingegen die Position der Medizin im Wissenssystem der Spätantike und des Frühmittelalters. Das breite Fächerspektrum der antiken Artes verengte sich im 5. und 6. Jahrhundert auf sechs oder sieben Disziplinen.16 Vereinheit lichend wirkten dabei das zweite Buch der Institutionen Cassiodors, die ‚Nuptiae‘ des Martianus Capella und die Etymologien Isidors von Sevilla (II.24). Sie beriefen sich auf Platon und Aristoteles als Urheber des hierarchisch gegliederten Triviums der Logik (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und des Quadriviums der Physik (Musik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie). Isidor begründete den Ausschluss der Medizin damit, dass die liberales disciplinas jeweils nur einen einzelnen Gegenstand behandelten, die Medizin als „zweite Philosophie“ hingegen alle Gegenstände.17 Doch nicht alle frühmittelalterlichen Autoren teilten diese Auffassung. In anderen Systematiken, deren Verfasser sich ebenfalls auf griechische Autoritäten beriefen, hat die Medizin sehr wohl ihren Platz unter den ‚artes liberales‘. Der einflussreiche Angelsachse Aldhelm von Malmesbury beispielsweise fasste unter die sieben species philosophiae, die sich in den Dienst der Erkenntnis der Evangelien stellen sollten, neben der Arithmetik, der Geometrie, der Musik, der Astronomie und der Astrologie auch die Mechanik und die Medizin.18 Rudolf Ehwald, der Editor der Werke Aldhelms, identifizierte als Vorlage dieser Aussage den Ps.-Isidorischen ‚Liber numerorum, qui in sanctis scripturis occurunt‘ (§ 44). Ermenrich von Ellwangen19 und Alkuin20 nehmen in die sieben Fächer der Physik ebenfalls die Medizin auf; Hrabanus Maurus ist hierin wissen sollte“, der in seinem Sample von 14 Priesterhandbüchern (Liste ebd., 349) jedoch keine medizinischen Texte nachweisen kann. 16 Ein kurzer Überblick zur Entwicklung des Fächerkanons in der Spätantike und im Frühmittelalter bei Bernt, Guido, Art. „Artes liberales“, LdMA I (1980), 1058–1060. Die Stellungnahmen zur Position der Medizin bis Capella diskutiert Schulze 2005, 175–179 (Kap. 4.3.2.2). Zum weniger verbreiteten „irischen“ System vgl. Bischoff 1966c (Erstveröffentlichung 1958). Auf ihn stützt sich weitgehend Baader 1972, 679–681; vgl. auch die Kontroverse zu Baader 1972, 741. 17 Isidor, Etymologiae, IV.xiii (De initio medicinae), ed. Lindsay 1911: [1] Quaeritur a quibus quare inter ceteras liberales disciplinas Medicinae ars non contineatur. Propeterea quia illae singulares continent causas, ista vero omnium. … [5] Hinc est quod Medicina se cunda philosophia dicitur. 18 Aldhelm, De virginitate, ed. Ehwald, MGH Auct. Ant. XV, 277 Z. 3–6. 19 Ermenrich von Ellwangen in einem Brief an Abt Grimald von St. Gallen, ed. Dümmler, MGH Epist. Carol. aevi III, 541 Z. 14–40. 20 Alkuin, Didascalica II seu De rhetorica et virtutibus, Migne PL 101, coll. 947–948: Arithmetica, astronomia, astrologia, mechanica, medicina, geometria, musica.
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nicht konsequent.21 Ein – wie so viele – im Frankenreich als Exilant lebender anonymer Ire (Hibernicus Exul) fordert in einem Gedicht (um 790–800) seine Leser auf, die (Schul- oder Lehr-)Gebäude der Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie und der Medizin zu betreten.22 Selbst in der sechs Fächer umfassenden Physik des Iren Clemens findet die Medizin neben Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie und Astrologie noch einen Platz.23 Dessen Unterteilung beruht nach Bernhard Bischoff 24 auf dem Kommentar des Anonymus ad Cuimnanum zur Grammatik des Donatus maior.25 Cuimnanus, dem der Text gewidmet ist, war vermutlich der Mönchsbischof Cumianus, der in vorgerücktem Alter aus Irland nach Bobbio gezogen und dort mit 94 Jahren während der Regierungszeit König Liudprands (712–744) gestorben war.26 Allerdings weicht der Anonymus insofern von Clemens ab, als er die Physik in sieben Disziplinen unterteilt.27 Deren Inhalt und Aufgabe erläutert er ausführlich im Prolog, den er mit einem Gebet einleitet, und in dem er die antiken Wissenschaften ausführlich christlich interpretiert. Die Aufteilung des Anonymus entspricht der der ‚Differentiae‘ Isidors (II.39). In der Karolingerzeit ist sie zu finden in der ‚Defensio‘ des sog. Lorscher Arz-
21 In ‚De universo‘ nimmt Hraban die Medizin in den Kanon auf (Hrabanus Maurus, De universo, Lib. XV/1, Migne PL 111, col. 413D; in der ‚De institutione clericorum‘ lässt er sie weg (Hrabanus Maurus, De institutione clericorum, III 18–25, ed. Zimpel 2006, 528– 565. 22 Hibernicus Exul, Carmen XX (I–VIII), MGH Poet. lat. I, 408–410, das Gedicht auf das Haus der Medizin = No. VIII, 410. Zu den Epigrammen des Anonymus hibernicus sowie zu Vorschlägen für die Identität des Autors (Dungal?, Dicuil? oder ein anderer) vgl. Bernt 1968, 228–237, CSLMA III 2010, 456–457; zum Schulgedicht (Carmen 20: „Quisque venit studios“) vgl. Bernt 1968, 236, und CSLMA III 2010, 473–474 (HIB 1.20.1). Im Gebäude der Medizin ruft der Autor nur griechische Autoritäten auf: Apollo, Scolapius [= Aesculapius] und Hypocrates. Unklar ist, ob es sich um Vorschläge für Tituli an Schulgebäuden handelt, oder ob nicht eher im metaphorischen Sinn das Lehrgebäude der jeweiligen Fächer gemeint ist. Dümmler weist MGH Poet. lat. I, 408 Anm. 1 darauf hin, dass Abt Fardulf von Saint-Denis den Titulus zur Grammatik an einem Schulpavillon in seinem Kloster für Karl d. Gr. hat anbringen lassen. 23 So ausgeführt in der Vorrede zum Grammatiklehrbuch für Lothar, den Sohn Kaiser Ludwigs des Frommen: Clementis Ars grammatica, ed. Tolkiehn 1928, 6–9, zur Medizin c. 13, ebd., 8–9. Zu Clemens und seiner Lehrtätigkeit am Hof Lothars vgl. oben 35 u. A. 11. 24 Bischoff 1966c, 282. 25 Expossitio latinitatis, ed. Bischoff / Löfstedt 1992 nach der Handschrift St. Paul im Lavantal, StiftsB, 2/1, 2. Hälfte 8. Jahrhundert. Der Codex befand sich um 800 im Besitz des elsässischen Klosters Murbach. Vgl. CLA VII 1451–1452: angelsächsische Minuskel und Kursive, 8. Jh., gefaltete Handschrift, daher vermutlich Vademecum. 26 Einleitung von Bischoff zur Edition der Expossitio latinitatis, ed. Bischoff / Löfstedt 1992, xxi–xxii. Das Lobgedicht auf Cuimnan ebd., 155. 27 Vgl. Bischoff 1966c, 284. Expossitio latinitatis, ed. Bischoff / Löfstedt 1992, 3–10: I Arithimetica, II Geometria, III Myssica, IIII Astronomica, V Astrologia, VI Michanichia, VII Medicina est scientia curationum …
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neibuchs (Bamberg, SB, Msc. med. 1, 2r),28 in einer Handschrift, die Alkuins Schüler Wizo an den Hof König Pippins von Italien nach Verona brachte und die von dort an die Freisinger Domschule gelangte,29 und in einem medizinischen Kompendium des Martin von Laon aus der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts (Laon, BM, 468, 9r).30 Woher die Lorscher und die St. Galler Mönche sowie der Aachener Hof die antiken Schriften zur Astronomie und Medizin bezogen, ist noch nicht umfassend geklärt. Nach aktuellem Kenntnisstand scheinen dafür jedoch zum Teil andere Kanäle benutzt worden zu sein als für die theologischen Schriften. Während Bibeln, Patristica und T heologica an jeder Domschule und in jedem Kloster vorhanden waren, gab es nur wenige auf die Astronomie und die Medizin spezialisierte Standorte. Das medizinische und pharmazeutische Wissen, das sich in der Karolingerzeit im Wesentlichen aus der antiken griechischen Literatur speiste, erreichte die ostfränkischen Klöster auf mehreren Wegen. In Ravenna wurden vom 5. bis 7. Jahrhundert viele methodisch-theoretische und praxisrelevante Handbücher aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt.31 Diese Übersetzungen gelangten vom 7. bis 9. Jahrhundert über die Drehscheibe der lombardischen Bischofssitze Lucca,32 Verona,33 Mailand und Modena34 in den Norden. Nach der Eroberung des Langobardenreiches im Jahr 774 stützten sich die Karolinger dort vor allem auf die Bischöfe; an einigen Orten setzten sie ihre Favoriten ein. Dieses 28 Ed. Stoll 1992, 49–50. Zur Identifizierung der Stelle vgl. Fischer 2009, Anm. 26, und unten 98. 29 Zur Handschrift Clm 6407 vgl. Löwe 1943; CLA IX 1282: geschrieben in Verona zur Zeit des Archidiakons Pacificus, bereits kurz nach der Entstehung nach Freising gelangt. 30 Contreni 1990, 278 Anm. 50. Glaze 1999, 89 f. reklamiert die Siebenteilung generell für die Iren mit Verweis auf Johannes Scottus Eriugena, Martinus Hibernensis von Laon und Dungal. 31 Vgl. Beccaria 1971 (zur ravennatischen Kommentierung von Galens ‚De sectis‘, ‚Ars medica‘, ‚De pulsibus‘ und zur ‚Terapeutica a Glaucone‘), und Baader 1972, 685 f. u. 688. Baader 1972, 676 stellt den ungebildeten Ärzten, die sich als Übersetzer betätigen, schlechte Noten aus. Zur Rolle Ravennas für die Medizinüberlieferung vgl. auch Fischer 2020, 456 f.; Pilsworth 2018; Mazzini / Palmieri 1991; MacKinney 1952, 7. In Ravenna soll um 600 eine der Leithandschriften des Hauptwerkes des Oribasios ins Lateinische übersetzt worden sein, vgl. dazu Pilsworth 2018, 458. Zur Bedeutung Ravennas für die Übermittlung patris tischer Literatur, für die Entwicklung der Unzialschrift und als Verwahrort zahlreicher Papyri vgl. Licht 2018, 192–221. 32 Pilsworth 2018 konnte die meisten Ärzte im 6.–9. Jahrhundert in Lucca nachweisen. 33 Zur Kathedralbibliothek von Verona, die nicht nur über medizinische, sondern auch über astronomische Spezialliteratur verfügte, vgl. oben 14 A. 42 u. unten 61, 70. Die Provenienz der Reichenauer medizinischen Handschrift Karlsruhe, BLB, Aug. perg. 120 aus dem 9. Jahrhundert wird unterschiedlich gesehen. Baader 1972, 687 f., 696 f., 698, 712 siedelt sie in Mailand an, Bischoff 1984, 178, im Umfeld von Verona. Beide Standorte diskutiert Fischer 2020, 457. 34 Modena, Archivio Capitolare O.I.11 (CLA III 368, datiert 801); vgl. dazu Baader 1972, 688 u. 713.
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aus dem nordalpinen Raum stammende Personal war hoch gebildet, legte sich Bibliotheken an und beteiligte sich rege am Transfer des griechisch-lateinischen Wissens in den Norden. Die einzige monastische Institution in Oberitalien, die in nennenswertem Umfang astronomische und medizinische Texte in den Norden vermittelte, war das irofränkische Kloster Bobbio im Apennin.35 Von dort wurden Handschriften im 7. und 8. Jahrhundert in die columbanischen Klöster in Alemannien und Nordgallien vermittelt, umgekehrt nahmen irische Wandermönche wie Dungal Manuskripte aus Gallien nach Bobbio mit.36 Rom und Montecassino spielten zwar für die Transmission theologischer und monastischer Texte in das frän kische Reich und auf die Inseln seit dem 8. Jahrhundert eine bedeutende Rolle,37 nicht aber für die Vermittlung astronomischen und medizinischen Wissens.38 Sehr speziell ist die Übersetzungslage der medizinischen Fachliteratur. Die ärztliche Kunst galt in der Spätantike als Handwerk und stellte für die römischen Eliten keine attraktive Berufsperspektive dar.39 Christen war es indes nicht verboten, den Beruf des Arztes zu ergreifen;40 unter den von Schulze ermittelten Ärzten des 3. bis 7. Jahrhunderts aus dem Imperium Romanum finden sich sogar geweihte Kleriker, Bischöfe und Mönche.41 Die berühmten Ärzte der Spätantike in Rom und Ravenna waren in der Regel Griechen. Die Übersetzer – neben Griechen auch Juden – lebten in den griechischen Kolonien Ravenna, auf Sizilien und in Unteritalien42 sowie Südgallien.43 Ein weiteres Zentrum der Übersetzertätigkeit befand sich in Nordafrika. Von dort kamen Caelius Aurelianus, der 35
Vgl. dazu unten 91–92, 97, 99 die Überlegungen zu den Transferwegen der medizinischen Handschriften und Fragmente sowie Palimpseste aus St. Gallen. Zu Patristica und Liturgica vgl. Licht 2018, 253–269. 36 In die in Saint-Denis entstandene Handschrift Mailand, Biblioteca Ambrosiana, C 74 sup., 28r trug sich Dungal in seiner charakteristischen insularen Schrift ein. Er nahm die Handschrift um 830 mit nach Bobbio; vgl. dazu Jordan / Wool 1986, Part II, 102–105. Sie spielt für die Versus Isidori eine Rolle, vgl. dazu unten 101 A. 395–396. 37 Zu Rom unter Gregor d. Gr. vgl. Licht 2018, 224–228, zu Montecassino passim. 38 Fischer 2020, 457, vermutet sogar, dass die nach Rom und Montecassino gelangten Medizintexte ebenfalls aus den norditalischen Distributionszentren kamen. MacKinney 1952, 7, dagegen hält Montecassino und das Vivarium des Cassiodor für eine der bedeutenden Übersetzer- und Verbreitungszentren. 39 Vgl. dazu Wiemer 2018, 246 f. Zur sozialen Stellung der Ärzte in römischer Zeit vgl. Kudlien 1986. 40 Zu Berufen, die Christen verboten waren, vgl. Schulze 2005, Kap. 2.2. 41 Vgl. die Liste christlicher Ärzte bei Schulze 2005, 116–134, und die Herausarbeitung der Geistlichen und Mönche unter ihnen ebd., 143–144. Schulze wertete epigraphische und literarische Zeugnisse sowie pragmatisches Schrifttum auf Papyri aus. 42 Vázquez Bujàn 1984 schreibt Süditalien sogar eine bedeutendere Rolle zu als Nord italien. 43 Den Hinweis auf jüdische Ärzte verdanke ich Prof. Günter Stemberger, Wien, im Rahmen der Evaluation des SFB 1136 im Jahr 2018. Zu Süditalien und speziell Salerno vgl. auch Baader 1972, 705; zur Übersetzertätigkeit jüdischer Ärzte und zum Nachweis von Hofärzten in Südgallien vgl. Baader 1972, 677.
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für die Vermittlung des Soranischen Wissens sorgte, und Vindicianus, vielleicht auch T heodorus Priscianus.44 Die Übersetzungen des Corpus Hippocraticum ins S yrische, die von nestorianischen Christen in Edessa und Nisibi zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert angefertigt wurden,45 gelangten in der Karolingerzeit noch nicht in den Westen. Sie wurden zunächst intensiv in der arabischen Welt rezipiert und gelangten erst auf diesem Umweg seit dem 11./12. Jahrhundert in das christliche Spanien und Frankreich. Im westfränkischen Karolingerreich entstanden naturwissenschaftliche und medizinische Zentren in Aquitanien (Bordeaux, Poitiers), in der Handelsmetropole Lyon an der Rhône, in der Bischofsstadt Tours, im irofränkischen Kloster Corbie in der Picardie sowie im burgundischen Kloster Fleury (Lupus von Ferrières).46 Zudem lassen sich in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts einige wenige medizinische und astronomische Handschriften in Reims, Laon und St. Amand nachweisen.47 Wie das Beispiel Lorsch zeigt, führten Doppelabbatiate karolingischer Klostervorsteher zu einem regen Austausch von Büchern. Dank der Verbindungen des Mönchs Rado, der im Dienst des Königs wie der Abtei Lorsch als Schreiber tätig und seit 790 Abt von Saint-Vaast in Arras war, und dank des Lorscher Abtes Adalung (amt. 804–837), der von Karl d. Gr. 808 als Leiter der Abtei SaintVaast eingesetzt wurde und dort 30 Jahre lang agierte,48 kamen die Lorscher Mönche an Kopien medizinischer, naturwissenschaftlicher und theologischer Schriften.49 44 Zu
weiteren nordafrikanischen Medizinautoren vgl. Glaze 1999, 27–31. Zu Caelius Aurelianus, Vindicianus und T heodorus Priscianus vgl. unten 76, 78–80, 86, 92, 95, 97–98, 102. 45 Mit diesen Transferwegen befasst sich Schulze 2005 in seiner Habilitationsschrift. 46 Zu den Medizinhandschriften in französischen Bibliotheken vgl. Wickersheimer 1966, ergänzend zu Beccaria 1956. 47 Contreni 1990, der außer den Medizinkompendien auch Einzelnachweise von Rezepten, Briefe und Urkunden auf Medicinalia durchgesehen hat, weist für die Regierung Karls des Kahlen (840–877) in Reims einen Iohannes medicus sowie das Interesse Hincmars an medizinischen Fragen nach. Aus Saint-Remi in Reims stammt die Abschrift des Medizingedichts des Quintus Serenus aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts (Paris, BnF, lat. 9347), vgl. dazu Baader 1972, 702; Beschreibung: Wickersheimer 1966, 93, Nr. 72. In Laon macht Contreni, 1990, 277 ff., als Medizinkapazitäten Martinus Hibernensis (819–875) und den Bischof Pardulus (amt. 848–845) aus. „Pardulus’s library at Laon had one of the most important collections of medical textbook and manuals, works by Greek or late antique Roman authors …“ (Contreni 1990, 272). In Saint-Amand scheint Hucbald (geb. um 840, gest. 930), der eher als Musiktheoretiker bekannt ist, über gute Kenntnisse der Medizin verfügt zu haben, wie Glaze 1999, 100–101, nachweist. 48 Zu Rado und Adalung vgl. oben 14–15, 21, 29, 32. 49 Vgl. dazu Bischoff 21989, 41–44; 44 verteidigt er diese erstmals von Friedrich Kurze vorgetragene Hypothese gegen dessen Kritiker und weist zumindest den Caelius Aurelianus dem Scriptorium von Saint-Vaast zu, während sechs weitere Handschriften von Lorscher wie von im Saint-Vaast-Stil trainierter Hände gemeinsam in Lorsch entstanden sein dürften.
5.1 Die Berechnung der Planetenbahnen und des Kalenders
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5.1 Die Berechnung der Planetenbahnen und des Kalenders: Astronomie und Komputistik50 Das astronomische Wissen über den Lauf der Gestirne, der Sonne, des Mondes und der Planeten hatte sich im mediterranen Raum über Jahrhunderte ent wickelt.51 Maßstäbe setzten hier hebräische, griechische und ägyptische Gelehrte, die den Sternenhimmel beobachtet hatten, um die Voraussetzungen für die Berechnung des Kalenders und der Termine für die Aussaat und Ernte der Feldfrüchte zu schaffen. Ein weiteres Anwendungsgebiet der Astronomie war die Prognostik und Prophetie, die Berechnung guter und schlechter Tage für Reisen und politische Handlungen sowie die Vorhersage des Schicksals. Christliche Autoritäten nahmen vor allem Anstoß an der Prognostik52 und der Magie. Seit dem 4. Jahrhundert äußerten einflussreiche Kirchenväter wie Hieronymus und Augustinus Vorbehalte gegen die von ihnen geschmähte „gentile“ Sternenkunde.53 Sie fanden die Bezeichnungen für die Sternbilder nach Tieren und Heroen sowie die Geschichten, die zu diesen Figuren erzählt wurden, verwerflich und lächerlich. Auf diese Skepsis trifft man im 6./7. Jahrhundert bei Isidor von Sevilla54 und Gregor von Tours und im 9. Jahrhundert bei Hrabanus Maurus55 und in einer Aachener Handschrift56. Trotz dieser Vorbehalte konnten die Christen nicht 50 Ich danke Immo Warntjes, Trinity College Dublin, für vielfältige Anregungen und Kritik zu dem Abschnitt über die Astronomie und Komputistik. 51 Zu den wichtigsten ägyptischen, jüdischen, griechischen und römischen Quellen vgl. Färber / Gautschy 2020. Zu den indischen, persischen und arabischen Quellen vgl. van der Waerden, Bartel L. / Greive, Hermann, Art. „Astronomie“, LdMA I (1980), 1145–1153. 52 Martin von Braga (6. Jh.), Canones ex Orientalium Patrum Synodis, can. LXXII: Non liceat Christianis tenere traditiones gentilium et observare vel colere elementa aut lunae aut stellarum cursu aut inanem signorum fallaciam pro domo facienda vel ad segetes vel arbores plantandas vel coniugia socianda. … Can. LXXIII: Non liceat iniquias observationes agere Kalendarum et otiis vacare gentilibus neque lauro aut viriditate arborum cingere domos. Omnis haec observatio paganismi est. Can. LXXXIV: Non liceat in collectiones herbarum quae medicinales sunt aliquas observationes aut incantationes attendere, nisi tantum cum symbolo divino aut oratione dominica, ut tantum deus creator omnium et Dominus hono retur. Martini episc. Bracariensis Opera omnia, ed. Barlow 1950, 141. Vgl. dazu Flint 1990. 53 Vgl. dazu Blume 2012, 1.1 39–40. Hieronymus, Commentarium in Amos Prophetam, Lib. II, 7/9, 274: Quando autem audimus Arcturum et Oriona, non debemus sequi fabulas poetarum, et riducula ac portentosa mendacia, quibus etiam caelum infamare conantur …, sed scire Hebraea nomina, quae apud eos aliter appellantur, vocabulis fabularum gentilium in linguam nostram esse translata … 54 Isidor, Etymologiae, III.lxxi, ed. Lindsay 1911: [32] Et miranda dementia gentilium, qui non solum pisces, sed etiam arietes et hircos et tauros, ursas et canes et cancros et scor piones in celum transtulerunt. 55 Hrabanus Maurus, De computo, c. 51, ed. Stevens 1979, 301: Et mira gentilium stulti tia, quod sidera, quae Deus ad honorem nominis sui creavit et in caelestibus constituit, ea ipsi sceleratis hominibus et brutis animalibus in terra creatis adscripserunt. 56 London, Harley, 647, fol. 1r, ed. Vogels 1884, 11: His et huiusmodi rationibus quasi verisimilibus terrigenae priores XII annuas partes zodiaci id est signiferi circuli vocaverunt,
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auf das antike astronomische Wissen verzichten, wollten sie den Kalender, die Jahreszeiten, die unterschiedliche Länge von Tag und Nacht berechnen.57 Ohne dieses Wissen hätten sie weder das monastische und klerikale Stundengebet entsprechend der im Jahresverlauf wechselnden Tag- und Nachtstunden errechnen können noch den Ostertermin, den Grundpfeiler für die beweglichen Festtage des Kirchenjahres. Sie mussten einen Weg finden, um das römische Sonnenjahr, den hebräischen Mondmonat und die ägyptische Planetenwoche in Einklang zu bringen.58 Und schließlich waren auch in den christlichen Gesellschaften Ärzte, Mönche und Kleriker auf das astronomische Wissen angewiesen, wenn sie die günstigen und ungünstigen Tage für die Anwendung bestimmter T herapien, v. a. den Aderlass, sowie die Herstellung und Verabreichung bestimmter Medikamente berechnen wollten.59 Gregor von Tours, der ebenso wie Hieronymus und Isidor zu den Kritikern der hellenistischen Astronomie gehörte, begnügte sich nicht mit der Ablehnung dieser Standards, sondern schlug ein alternatives, auf christlichen Symbolen und alternativen Sternenkonstellationen basierendes Modell vor. So deutete er beispielsweise das Sternbild Schwan („Cygnus“) als christliches Kreuz.60 Seine Idee, die antiken Sternbildkonfigurationen und deren Namen zu ersetzen, stieß aber nicht auf nennenswerte Resonanz. Die antiken Bezeichnungen, die Furius Dionysius Filocalus für die Monate in seinem confingentes quasi congrua nomina in quae posteriores, maxime in Creta mendacissimi, ita fabulis mendacissimis foedissimisque deformarunt, ut etiam gentiles philosophi, Plato et Aristoteles aliique, cuiusmodi sacrilegis superstitionibus commoti, concordi sententia dam narent eorum fallacissima commenta, dicentes, confusione, rerum de huiusmodi nugis ge nerari. Die Hs. entstand um 830 in A achen, kam bald nach Fleury und wurde von dort im 10. Jh. nach England gebracht. 57 Diese Ambivalenz bringt Isidor, Etymologiae, III.xxvii (De differentia astronomiae et astrologiae), zum Ausdruck (ed. Lindsay 1911, 1–2): Astrologia vero partim naturalis, partim superstitiosa est. Naturalis, dum exequitur solis et lunae cursus, vel stellarum certas temporum stationes. Superstitiosa vero est illa quam mathematici sequuntur, qui in stellis auguriantur, quique etiam duodecim caeli signa per singula animae vel corporis membra disponunt, siderumque cursu nativitates hominum et mores praedicare conantur. 58 Zu den divergierenden Wertesystemen vgl. McCluskey 1998. 59 Zahlreiche Beispiele für die Nutzung astronomischen Wissens in der Krankentherapie bei T horndike 51958, 672–691. Die Prognostik war im SFB 1136 Gegenstand meines Mitarbeiters Silviu Ghegoiu. Ich werde hier nicht näher darauf eingehen, sondern verweise auf seinen Aufsatz „Religious and Non-Religious in Carolingian Computistical Manuscripts. Prognostica among other Encyclopaedic Material“ im SFB-Tagungsband Rom. Des Weiteren forscht an der Universität Utrecht eine kleine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Carine van Rhijn seit längerem zu den Prognostiken; sie plant, eine Liste dieser schwer auffindbaren Texte zu publizieren. 60 Gregor von Tours, De cursu stellarum ratio, zwischen 575 und 582 verfasst, wurde im Frühmittelalter nur selten kopiert, vgl. dazu McCluskey 1990. Der wichtigste Textzeuge mit Illustrationen der Sternbilder ist Bamberg, Msc. Patr. 61 aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts (Provenienz: Süditalien, Montecassino?), vgl. dazu Blume 2012, 1.1 199–201, Kat. nr. 5, und Blume 2012, 1.2 86–87, Abb. 48–49; CLA VIII 1029: Beneventanisches Scriptorium. Zur Beschäftigung Gregors mit der Astronomie vgl. auch Bergmann / Schlosser, 1987.
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sog. Chronographen von 354 niederlegte, wurden im 9. Jahrhundert mehrheitlich akzeptiert,61 auch wenn – laut Einhard – Karl d. Gr. den Vorschlag gemacht haben soll, sie – wie die Namen der Winde – durch germanische Namen zu substituieren.62 Im Frühmittelalter spielten weniger die kosmologischen Aspekte der Astro nomie eine Rolle als vielmehr die pragmatischen Bereiche der Komputistik. „Komputistik“ ist ein moderner Begriff, der unterschiedlich verstanden wird. In engerem Sinn bezeichnet er die Berechnung des Kalenders und des Ostertermins, in weiterem Sinn die mathematischen Artes des Quadriviums, nämlich die Arithmetik und die Geometrie. Faith Wallis versteht darunter „a body of knowledge devoted to time-reckoning with a wide encyclopaedic framework“ 63. Grundkenntnisse der Komputistik waren in den Klöstern und an den Bischofssitzen des Reiches zur Berechnung des Stundengebets und der beweglichen Festtage des Kirchenjahres unabdingbar. In diese Techniken führten individuell zusammengestellte komputistische Manualia für den Schulgebrauch ein, bestehend aus Ostertafeln und Kalendern zur Berechnung des liturgischen Jahres. An Fortgeschrittene richteten sich die sog. ‚Lectiones‘, ‚Figurae‘ und ‚Argumenta‘, die in Kurzform mathematische Probleme erläuterten.64 Vertiefte Kenntnisse musste besitzen, wer die entsprechenden Kapitel in Isidors Etymologien, ‚Differentiae‘ und der Enzyklopädie ‚De natura rerum‘65 verstehen wollte oder die Traktate des Beda Venerabilis zur Zeitrechnung und Kosmologie (‚De natura rerum‘, ‚De temporibus‘, ‚De temporum ratione‘)66. Wer sich mit der Astronomie als einer der philosophischen Künste, wer sich mit der Physik und dem Lauf der Sterne und 61 Die vollständigste Fassung davon in Csg 878, pp. 302–303: Disticha de mensibus / Mo nosticha de mensibus = Chronograph von 354, Teil VI (‚Imagines mensium XII cum fastis mentruis‘), Vers 1–24, erhalten. Vgl. dazu Berschin / Licht 2016, 133–138, mit kritischer Edition und deutscher Übersetzung. 62 Einhard, Vita Karoli magni, c. 29, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 33: Mensibus etiam iuxta propriam linguam vocabula inposuit, cum ante id temporis apud Francos partim Latinis, partim barbaris nominibus pronuntiarentur. 63 Wallis 1999, xx. 64 Dobcheva 2013, 221: „addressees were not novices in school but scholars who had already acquired elementary education … and could now engage in more advanced in struction and problem solving.“ 65 Csg 238, geschrieben von Winithar und weiteren St. Galler Händen zwischen 760 und 780 (CLA VII 934), enthält pp. 312–385 den Brief Isidors an König Sisibot sowie Auszüge aus Isidors Sententiae (I.8 u. 10), ‚De natura rerum‘ und Exzerpte aus den Etymologien (IX.ii). Zu den Diagrammen und Figuren in dieser Handschrift vgl. von Euw 2008, Bd. 1, 301–303 Nr. 6. Zur Bedeutung des Codex für die Verbreitung Isidors nördlich der Alpen vgl. Bischoff 1966b, 185; zur Bedeutung Isidors für die Astronomie im Frühmittelalter vgl. Eastwood 1993; zur Rezeption der Etymologien in der frühmittelalterlichen Computistik vgl. Warntjes 2020; zu Isidors ‚De natura rerum‘ vgl. Fear 2016. Eine englische Übersetzung und eine detaillierte Handschriftenliste des Textes bietet die Edition von Kendall / Wallis 2016. 66 Die Trias vertreten in Csg 250, einzelne Texte in weiteren St. Galler Handschriften, vgl. dazu unten 57–61.
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Planeten zu befassen gedachte, kam nicht umhin, die antiken und spätantiken Traditionstexte zu lesen.67 Zum Kanon gehörte die ‚Naturalis Historia‘ Plinius’ d. Ä., das Lehrbuch des Martianus Capella zu den Septem Artes (‚De nuptiis Philologiae et Mercurii‘), der Kommentar des Macrobius zum ‚Somnium Scipionis‘,68 die ‚Phainomena‘ des Aratos von Soloi in der lateinischen Übersetzung des Germanicus69 und der Kommentar des Calcidius zu Platons ‚Timaeus‘.70 Dieses Corpus war offen gegenüber der Musik, der Prosodie, der Prognostik und der Medizin.71 Die Krönung des Genres stellten die Streitschriften über die Methoden der Zeitrechnung, die astronomischen Erklärungen über Sternen- und Planetenkonstellationen sowie deren Einbettung in eine philosophisch und theologisch begründete Kosmologie dar. Dafür steht etwa „der Arat“. Nur die besten Gelehrten am A achener Hof und die führenden Köpfe der Reichsklöster waren in der Lage, einen qualifizierten Beitrag zu diesen Debatten zu leisten. In der ‚Admonitio generalis‘ des Jahres 789 ordnete Karl d. Gr. an, dass in den „Klöstern und Bischofshäusern“ die christliche Zeitrechnung (compotum) gelernt und zu diesem Zweck die Bücher ‚ordentlich‘ berichtigt werden sollen.72 Später – in Kapitularien der Jahre 803 und 805 – erneuerte er die Forderung nach reichsweitem Unterricht im Compotus.73 Zwar gab es wohl in jedem Kloster ein oder zwei Mönche, die die Grundkenntnisse der Astronomie und Komputistik beherrschten, ausgewiesene Experten waren am Ende des 8. und in den ersten Jahrzehnten des 9. Jahrhunderts jedoch nur an wenigen Orten zu finden: am A achener Hof, am Bischofssitz von Verona, an den Metropolitansitzen von Salzburg unter Erzbischof Arn und von Köln unter Erzbischof Hildebald74 so67 Zur Rezeption antiker Schriftsteller zur Astronomie vgl. Englisch 1994; Dobcheva 2013. 68 Vgl. dazu Eastwood 1994 und 2007. 69 Vgl. Hurka 2010. 70 Zur Rezeption des Plinius, des Martianus Capella und des Calcidius im Mittelalter vgl. Eastwood 2007. Borst 1998, 503, ist der Ansicht, dass die in der Schule vermittelten komputistischen Elementarkenntnisse nicht ausreichten, um die Texte von Plinius, Mar tianus Capella und Macrobius zu verstehen. 71 Drei Kategorien komputistischer bzw. astronomischer Texte unterscheidet D obcheva 2013, 213 f.; Borst 1998, 500–518 unterscheidet nur zwischen kurzen (Manualia von maximal 12 Blättern) und langen Rahmentexten (komputistische und astronomische Traktate). 72 Admonitio generalis, ed. Mordek et al. 2012, c. 70, Z. 320–322: Psalmos, notas, can tus, compotum, grammaticam per singula monasteria vel episcopia et libros catholicos bene emendate. 73 Capitula in dioecesana quadam synodo tractata (803), c. 5, MGH Capit. reg. Franc. I, 236–237 Nr. 119, hier 237, Z. 2: Ut cantum et compotum sciat. Capitulare missorum in T heodonis villa datum primum, mere ecclesiasticum (805), MGH Capit. reg. Franc. I, 121–122 Nr. 43, c. 6, hier 121, Z. 17: De compoto ut veraciter discant omnes. Zu den verschiedenen Fassungen dieses Doppelkapitulare vgl. Glatthaar, 2013, und oben 43 u. A. 12. 74 Die komputistisch-astronomische Sammelhandschrift Köln, Dombibliothek, 832, geschrieben zwischen 798 und 805, illustriert gegen 820 (?), vgl. Blume 2012, 1.1, 72–73,
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wie in den Klöstern Corbie,75 Fulda, St. Emmeram (Regensburg), St. Gallen und Bobbio. In St. Gallen war die gesamte Traditionsliteratur zur Astronomie und Komputistik (Plinius, Martianus Capella, Isidor, Beda) vorhanden, ja sogar die griechische Version der Tabellen des Ptolemaeus (BAV, Vat. graec. 1291). An den sechzehn erhaltenen komputistischen Handschriften aus St. Gallen76 lässt sich exemplarisch der Erkenntnisfortschritt nachvollziehen, der auf dem Gebiet der Astronomie und Komputistik im späten 8. und im 9. Jahrhundert erreicht w urde.77 Das Kloster verfügte über das das gesamte Spektrum der von Arno Borst sogenannten kurzen und langen Rahmentexte der Computistik, die auf je unterschiedliche Rezipientenkreise zugeschnitten waren, wie Ivana Dobcheva gezeigt hat.78 Geht man die St. Galler Handschriften chronologisch durch, so kann man den Fortschritt der Erkenntnisse auf dem Gebiet der Komputistik und Astronomie nachverfolgen; sie setzen mit Sammlungen zum Elementarwissen in den 770er Jahren ein und erreichen den Höhepunkt mit hochkomplexen Kompendien seit den 830er Jahren bis um 900. Mit Abt Grimald sowie den Mönchen Winithar, Notker Balbulus und Wichram lassen sich die bedeutendsten Spezialisten auf diesen Wissensgebieten in St. Gallen namhaft machen. Der älteste St. Galler Komputus ist Csg 225. Er wurde wahrscheinlich um 773 im hauseigenen Scriptorium in alemannischer Minuskel geschrieben.79 Auf 21 Seiten bringt er Tafeln zur Berechnung des Ostertermins und des Mondalters, zwei Schemata (ein Horologium80 und einen Julianischen Kalender mit Multi266–273 Kat.nr. 12, und 1.2, Taf. 6–8 und Abb. 253–261; CLA VIII 1154. Köln ist als bedeutendes Zentrum der Computistik im späten 8. und 9. Jahrhundert bislang kaum zur Kenntnis genommen worden, vgl. dazu Warntjes 2012. 75 Vgl. dazu Ganz 1990. 76 Cordoliani 1955a und 1955b weist 25 komputistische Handschriften aus dem 8. bis 12. Jahrhundert in St. Gallen nach; dreizehn davon datiert er in das 8. und 9. Jahrhundert (Csg 110, 174, 184, 225, 248, 250, 251, 397, 682, 732, 878, 902, 913). Cordolianis Liste ist um drei Handschriften zu ergänzen: Csg 728, Csg 459 (von Cordoliani fälschlich in das 10. Jahrhundert datiert), und Bremen, SuUB, Msc 0046 (siehe dazu unten 59–60). Die illuminierten komputistischen Handschriften inkl. des Arat, soweit sie sich heute noch in St. Gallen befinden, beschrieben bei von Euw 2008, Bd. 1, 178–186. Cordoliani zitiert die St. Galler Handschriften nach Folien, nicht nach Pagina, wie dies üblich ist. Ich gebe im Folgenden stets die Paginierung an. 77 Anhand einzelner Texte und Gattungen weist dies für St. Gallen Cordoliani 1955b nach. 78 Borst 1998, 500–518; Dobcheva 2013, 216: „one has to consider whether it was teachers, professional computistae or clerics who selected and shaped the material for their personal use or for that of a classroom.“. 79 Zum komputistischen Teil in Csg 225, pp. 114–134, vgl. Cordoliani 1955a, 164–168, und Springsfeld 2010, mit Faksimilia der Tafeln und einer Inhaltsangabe des gesamten Codex (235–237). Die St. Galler Kataloge datieren „um 760–797“; Springsfeld gelang es, auf „um 773“ einzugrenzen. 80 Incipit: Januarius et December hora I et XI pedes XXVIIII, hora II et X pedes XVIIII. Weitere Horologien in Csg 248, pp. 70–71; Csg 225, p. 120; Csg 251, pp. 11–12; Csg 397,
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plikationstafeln), acht komputistische argumenta zur Tages- und Jahresberechnung sowie ein Kapitel zu den kirchlichen Feiertagen. Berechnungsgrundlage sind irische wie angelsächsisch-römische Methoden.81 Auf die komputistischen Teil (pp. 114–134) folgt ein medizinische Regimen zur Diätetik und zum Aderlass (pp. 135–137). Da der Codex neben dem Computus auch theologische und exegetische Texte enthält,82 vermutet Dobcheva, dass er nicht für den schulischen Elementarunterricht konzipiert wurde, sondern als Manuale für einen Kleriker.83 Um 790 dürfte nach Schrift und Inhalt der kleinformatige Csg 913 entstanden sein.84 Er repräsentiert einen ‚Scarapsus‘ alltagsrelevanter Wissensbestände aus T heologie und Naturwissenschaften sowie ein Glossar und wurde vermutlich von einem Wandermönch zusammengestellt.85 Die St. Gallen Abschrift dieses Diariums wurde wahrscheinlich von einem Lehrer für den schulischen Elementarunterricht genutzt. Die Forschung über diese Handschrift konzentrierte sich bislang vor allem auf den sog. ‚Vocabularius sancti Galli‘ (pp. 181–206), ein lateinisch-althochdeutsches Wörterbuch. Die komputistischen Kurztexte (pp. 80–89, 102–104, 118–126 und 146), die zwischen die Exzerpte aus Hieronymus (pp. 5–71, 93–98, 115–117), Augustin (pp. 77–80, 90–93) und anderen Kirchenvätern, die Etymologien Isidors (pp. 98–99, 99–102, 104, 105–115, 118–124, 145–146) und die sog. ‚Ioca monachorum‘ (pp. 149–161) eingeschoben sind, blieben lange Zeit unerkannt und unbeachtet.86 Dies verwundert nicht, denn sie sind weder durch einen Absatz noch durch Rubriken oder Initialen aus den Umgebungstexten hepp. 24–25 u. 146; Csg 878, p. 184. Vgl. dazu Cordoliani 1955a, 166 Anm. 4 mit Korrekturen und Ergänzungen von mir. 81 Zu diesem Ergebnis kommt Springsfeld 2010, 225 f. u. 234. Sie verweist auf ähnliche Diagramme und Tafeln im Kölner Lehrbuch von 798–805 (Köln, Erzbischöfliche Diözesanund Dombibliothek, 832, 45r–58v), ed. Borst 2006, 891–950, und in den Aachener Enzy klopädien von 809 und 815 (sog. 7–Bücher Computus = ‚Libri computi‘ I 10 und 11 sowie 3-Bücher Computus = ‚Liber calculationis‘ 11), ed. Borst 2006, 1132–1145, 1394. 82 In dem Codex sind u. a. Erläuterungen zu den Festtagen, zu griechischen liturgischen Terminologien, Isidors ‚Differentiae‘ und eine diätetische Schrift (pp. 135–137) enthalten, ein weiterer Beleg für die Nähe von Astronomie und Medizin! 83 Dobcheva 2013, 219–221. 84 Format: quadratisch, ca. 8,5 cm; 13 Lagen à 8 Blätter, am Anfang und Ende sowie im Codex weitere Einzelblätter eingebunden. Der Codex ist weder unter den Libri scot tice scripti noch im Hauptkatalog von St. Gallen verzeichnet. Die ausführlichste und beste Analyse des Inhalts, teilweise mit Transkription der komputistischen Einschübe, bietet Baesecke 1933, 1–10; auf ihn geht auch der Datierungsvorschlag „um 790“ zurück (Baesecke 1933, 31); die Handschriftenbeschreibung von Scherrer 1875 ist rudimentär und fehlerhaft. Zur Datierung und Lokalisierung vgl. auch CLA VII 976. 85 Es ist ein typischer ‚Scarapsus‘ ähnlich dem sog. Klerikerhandbuch aus Lorsch (BAV, Pal. lat. 485; vgl. dazu unten 65) oder dem Pirmin zugeschriebenen katechetischen Handbuch in Gestalt einer langen Predigt, das vermutlich zwischen 724/25 und um 750 zusammengestellt wurde (vgl. Pirmin, Scarapsus, ed. Hauswald 2010, zur Entstehungzeit des Textes ebd., XXII). Weitere Beispiele für solche Handbücher von Missionaren erwähnt Dobcheva 2013, 216. Zur Entstehungsgeschichte und Provenienz von Csg 913 vgl. unten 60. 86 Ich danke Immo Warntjes für die Unterstützung bei der Identifizierung der Textstel-
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rausgehoben.87 Einige der hier enthaltenen Compustica sind in St. Gallen auch in anderen Handschriften überliefert.88 Das bedeutet nicht, dass die Kopien des 9. Jahrhunderts auf Csg 913 beruhen; vielmehr handelt es sich um Texte, die insbesondere für den Schulunterricht häufiger benötigt und daher mehrfach ausgefertigt wurden. Die astronomischen Daten aus dem Csg 913 eigneten sich zudem für die Berechnung der Aderlasstermine (p. 147: Quando vena adaperienda sit), ein Beispiel unter vielen für den pragmatischen Nutzen des Computus für die Medizin.89 Fortgeschrittene Kenntnisse waren für die Lektüre des Komputus Csg 251 erforderlich. Er stammt aus der Feder Winithars, des ersten namentlich bekannten Schreibers aus dem St. Galler Scriptorium, und wurde um 830 zusammengestellt.90 Die Kompilation enthält neben dem ‚Computus Graecorum sive Latinorum‘ (pp. 2–22)91 die Ostertafeln für die Jahre 810 bis 911 (p. 22), den Cursus lunae per duodecim signa (pp. 26–31) inklusive einer Buchstabentabelle (p. 33)92, den ‚Codex annalis‘ zur Berechnung des Mondalters (p. 182) sowie Bedas grundlegende Schriften ‚De natura rerum‘ (pp. 33–44) und ‚De temporum ratione‘ (pp. 45–181).93 Die beiden Bedanischen Schriften sind in vier St. Galler Handschriften des 9. Jahrhunderts erhalten,94 ein Beleg dafür, dass man sich hier intensiv mit den Grundlagen der Zeitrechnung befasste. Ein weiteres Diarium mit komputistischen Anteilen ist der erste Teil von Csg 397 (pp. 54–144). Abt Grimald ließ es seit den 830er Jahren für seinen Gebrauch am Aachener und Regensburger Hof, wo er sich als Kanzler regelmäßig aufhielt,
len. Eine erste Analyse des Computus bei Cordoliani 1955a, 162–164. Zu den Auszügen aus Isidor, vgl. Warntjes 2020, 470; zu den ‚Ioca monachorum‘ vgl. Baesecke 1933, 12–14, 25–31. 87 Baesecke 1933, 17, weist ausdrücklich darauf hin – und dies muss bei der Diskussion um den Codex unbedingt bedacht werden –, dass das sukzessive Zusammentragen der Texte in diesem ‚Diarium‘ oder ‚Vademecum‘ nur anhand der ursprünglichen Vorlage nachvollziehbar wäre, nicht jedoch an der in Csg 913 erhaltenen Abschrift, in der die Bruchstellen nicht mehr erkennbar sind. Manche unverständliche Stelle dürfte durch Fehllesungen und falsch aufgelöste Abkürzungen seitens des Kopisten zustande gekommen sein. 88 ‚De saltu lunae‘ (Csg 913, p. 81), auch unter dem Titel ‚Ratio qualiter Latinos vel Grecos argumenta recto paschalia tramite invenire debeas‘ bekannt, ist in Csg 251, pp. 2–22, und Csg 902, pp. 153–175, enthalten, der ‚Ordo annorum mundi breviter collectum (sic)‘ (Csg 913, pp. 120sq.) in Csg 251, p. 22, und Csg 902, pp. 165–167. 89 Vgl. dazu Wallis 1995; weitere Beispiele aus St. Galler und Lorscher Handschriften unten im Abschnitt „Medizin“. 90 Cordoliani 1955a, 177 nennt fälschlicherweise einen „Cunzo“ als Schreiber. 91 Csg 251, p. 15: (Ps.-T heophilus), sog. Epistula Philippi de pascha, vgl. dazu Ó Corráin 2017, 686–688, Nr. 538. Parallelüberlieferung: Csg 459, pp. 134–177; Csg 902. 92 Vgl. auch Csg 248, p. 71; Csg 250 p. 109, Csg 397 p. 52; Csg 259, pp. 28 u. 63 (CLA VII 935: wahrscheinlich St. Gallen, 8./9. Jh.); Csg 184, pp. 214–216; Csg 380, p. 44. 93 Zum komputistischen Teil der Handschrift vgl. Cordoliani 1955a, 177–179, und Cordoliani 1955b, passim. 94 Vgl. dazu Cordoliani 1955b, 292–292 und 300.
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von über 40 Schreibern zusammenstellen.95 Dieses und ein weiteres astronomisches Werk aus Grimalds Privatbibliothek, das sich nicht erhalten hat und von dem wir nur aus dem Katalogeintrag wissen,96 gingen in den Gemeinschaftsbesitz der Mönche über. Csg 878, ein Gemeinschaftswerk von mindestens 15 Schreibern, enthält erhebliche komputistische Anteile (pp. 178–240). Bernhard Bischoff hat vier Hände dieses Kompendiums dem Reichenauer Mönch und Abt Walafrid Strabo zugeschrieben (W I–IV)97 und die Forschung ist ihm bis vor kurzem darin gefolgt. Nun hat aber Tino Licht mit überzeugenden philologischen und paläographischen Argumenten dieser Auffassung den Boden entzogen.98 Damit stellt sich die Frage, ob der Csg 878 überhaupt auf der Reichenau entstanden ist; es könnte sich genauso gut um eine rein Sangallensische Kompilation handeln. An fortgeschrittene Leser wendet sich auch das Kompendium Csg 902 aus der Mitte des 9. Jahrhunderts,99 das pp. 106–152 den ‚Liber de computo‘ des 95 So
die Hypothese von Grupp 2014, 446. Ausführliche Inhaltsangabe und Identifizierung der einzelnen Stücke ebd., 453–463. Csg 397, p. 52, enthält eine Kopie von Grimalds Epitaph. Gegen die Annahme, es handle sich bei dem Codex um eine persönliche Sammlung Grimalds (so Bischoff 1981c, 201–212) oder gar um ein von diesem geschriebenes ‚Vademecum‘ argumentiert Grupp 2014. Nach Grupp sind nur die Lagen A–F (astronomisch-komputistischen Inhalts) am Hof von Aachen (Ludwig der Fromme) und Regensburg (Ludwig der Deutsche) entstanden und nur diese lassen sich mit der Person Grimalds biographisch in Verbindung bringen. Grupp betont, dass es bislang nicht gelungen sei, die Schreiberhand Grimalds zu identifizieren, zudem seien mehrere Schreiber am Werk gewesen. Die restlichen Lagen I–III, G seien erst in St. Gallen nach dem Tod Grimalds 872 mit dem ersten Teil verbunden worden. Zur Handschrift vgl. auch von Euw 2008, Bd. 1, 93–95, 181 Nr. 1; zum astronomisch-komputistischen Teil Cordoliani 1955a, 183–184. Borst 2006, 289, betont den engen Zusammenhang mit den Aachener Enzyklopädien. Zu den annalistischen Einträgen und den Nekrolognotizen vgl. Zingg 2019, 244–255 (mit Edition und deutscher Übersetzung). 96 Der Katalog Csg 267, p. 32, Z. 15 verzeichnet Astroligiam aus der Bibliothek Grimalds. Dies dürfte eine Kompilation zur Astronomie gewesen sein, denn die Begriffe Astrologie und Astronomie wurden in der Karolingerzeit synonym verwendet. Außer den Sternenkatalogen gehörten zur Astrologie die Berechnungstabellen für bestimmte Pläne, Losorakel u.ä. 97 Bischoff 1967a; die Varianz des Schreibers Walafrid erklärte er mit dem langen Zeitraum der Entstehung des Kompendiums und der Veränderung von Walafrids Duktus im Laufe der Jahre. 98 Berschin / Licht 2016, 138–144, und Licht 2022. Damit ist die Annahme von Corradini 2016 hinfällig, dass die komputistischen Teile von Csg 878 als Indikatoren der politischen Verunsicherung Walafrids in den 820–830er Jahren am A achener Hof interpretiert werden könnten. Der Aufenthalt Walafrids am Hof in den Jahren 829–838 ist zwar zeitgenössisch gut belegt (vgl. Fees 2000, 48), aber die Mitwirkung an Csg 878 ist nachdrücklich in Frage zu stellen (Fees 2000, 49 und ebd. Anm. 64 folgt hierin noch Bischoff). 99 Zur Zusammensetzung des Codex und insbesondere zum Arat vgl. von Euw 2008, Bd. 1, 181–183, 446–449 Nr. 119, sowie die Abbildungen Bd. 2, 541–549. Zu den komputistischen Teilen vgl. Cordoliani 1955a, 188–190. Laut von Euw ist der Computus Graecorum Csg 902, pp. 153–175 (Teil IV), der älteste Teil der Handschrift, entstanden um 820–830. Nach seiner Ansicht ist dieser Codex identisch mit dem im Breviarium librorum (Csg 728,
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Hrabanus Maurus100 enthält. Der Codex enthält zum Teil identische Texte wie der Csg 251.101 Im Csg 902 steht der Text Hrabans zwischen einem illustrierten ‚Aratus latinus‘ (pp. 69–104)102 und dem um 820–830 kopierten griechisch-lateinischen Computus (pp. 153–175).103 In Csg 184, geschrieben in St. Gallen nach 855,104 sind der ‚Computus Graecorum sive Latinorum‘ (pp. 213–245) mit annalistischen Notizen,105 Berechnungen des Ostertermins für die Jahre 532 bis 1063 und der Frühjahrsaequinoktien, einem Kalendar (pp. 217–222),106 Auszügen aus Bedas ‚De temporum ratione‘ und den Tabulae aus den Etymologien Isidors (p. 255) mit theologischen und exegetischen Traktaten (Prosper, Augustin) sowie Versatzstücken aus lateinisch-(althoch)deutschen Wörterbüchern zusammengebunden. Der komputistische Teil bringt manche Dublette zum Grimald-Komputus Csg 397.107 Ein herausragendes astronomisch-komputistisches Kompendium für Kenner der Zeitrechnung und der Astronomie bietet der Csg 250 aus dem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts (nach 888).108 Man vermutet, dass hier entweder Notker Balbulus (*um 840, † 912, als Bibliothekar tätig um 880–890) oder der Mönch p. 18, Z. 19; vgl. Lehmann 1918, Bd. 1, 80) genannten LIBER AStrologiae et compotus Rabani et alius compotus in volumine I. 100 Edition Stevens 1979. Zum Gebrauch des Werkes im Unterricht vgl. Rissel 1980. 101 Vgl. dazu oben Csg 913 und unten Csg 250 sowie Cordoliani 1955b, 288 und 313–316. 102 Arat, Recensio interpolata. Vgl. Blume 1.1, 515–521, Kat.nr. 59, und 1.2 Abb. 864– 883. 103 Zu weiteren Graeca in Buch IV des Csg 902 vgl. oben 56 A. 99. 104 Zu Inhalt und Datierung von Csg 184 vgl. von Euw 2008, Bd. 1, 180 Nr. 5 mit Angabe älterer Literatur. Zum Computus pp. 213–256 vgl. Cordoliani 1955a, 181–184; Borst 2006, 287. In der St. Galler Literatur (vgl. https://www.e-codices.ch/en/csg/0184) wird der Codex Scherrer 1875, 64 folgend auf das 10. und 11. Jahrhundert datiert. Paläographisch ist der gesamte Codex aber eindeutig dem 9. Jahrhundert zuzuweisen. Cordoliani 1955a, 182, macht aufgrund einer Randnotiz zur Ostertafel des Jahres 856 (!) p. 231 (Hlotarius imp. obiit) als terminus post den Tod Kaiser Lothars I. († 29. Sept. 855) plausibel. Dies hatte bereits Munding 1948, Bd. 1, 7 f., erkannt. Zingg 2019, 231 datiert Teil 1 „um 856“, Teil 2–4 in das 3.–4. Viertel des 9. Jahrhunderts. 105 Csg 184, pp. 227–231, Incipit: 690. Primus Pipinus regnare coepit; vgl. Repertorium Fontium 1967, Bd. 2, 331. Die ‚Annales Sangallenses brevissimi I‘ für die Jahre 690–856 im 9. Jh. an den Rand eingetragen. Sie bringen nur knappe Nachrichten zu den Karolingerherrschern von Pippin dem Mittleren († 714) bis Kaiser Lothar I. und werden deshalb auch als ‚Annales regum Sangallenses‘ bezeichnet. Im ältesten Teil (bis 746) stimmen sie mit den ‚Annales Augienses brevissimi‘ überein. Vgl. dazu Zingg 2019, 230–235 (mit Edition und deutscher Übersetzung), zu Csg 184 ebd., 231. Auf einzelne Heiligenfeste und Nekrologeinträge geht Munding 1948, Bd. 1, 21 f., näher ein. 106 Munding 1948, Bd. 1, 7–8, hält dieses für das älteste eigene St. Galler Kalendar (Eintrag der Depositio s. Galli zum 16. Oktober). Er datierte die Hs. zutreffend „um 856“. Die Forschung folgte hingegen weitgehend der unzutreffenden Datierung von Scherrer 1875, 64, in das 10. und 11. Jh. 107 Borst 2006, 287. 108 Handschriftenbeschreibung und detaillierte Inhaltsangabe bei von Euw 2008, Bd. 1, 183–184, und 449–454 Nr. 120; Cordoliani 1955a, 184–186; Borst 2006, 288 f. Der komputis-
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Wichram als Kompilator am Werk war. Die Handschrift enthält komputistische Tabellen und Diagramme, die Columban zugeschriebene Schrift ‚De saltu lunae‘ (pp. 112–114),109 die Traktate Bedas zur Zeitrechnung (pp. 121–145: ‚De natura rerum‘, pp. 146–163: ‚De temporibus‘, pp. 164–425: ‚De temporum ratione‘), den lateinischen Arat (pp. 447–522), das Ps.-Priscianische Gedicht über die Sternzeichen (pp. 526–538), die vier Bücher der ‚Astronomica‘ des Julius Hyginus (pp. 540–642) und astronomische Exzerpte (pp. 523–526). In die ‚Cycli decemnovennales‘ (pp. 1–22) sind pp. 11–16 die sog. ‚Annales Sangallenses brevissimi II‘ eingetragen.110 Das Martyrologium des Wandalbert von Prüm (pp. 28–65) und ein Kalendar (pp. 83–103)111 leiten ebenso wie der modifizierte Auszug aus Aldhelms ‚Carmen de virginitate‘ (pp. 26–27) zur Liturgie der Messe und des Stundengebets über. Aldhelms Exzerpt ist hier als Lesung der Passio Babilae episcopi cum tribus pueris (Babylas von Antiochien mit den Kindern Urban, Prilidan und Eppolonius) für deren Festtag an den VIIII. Kl. des Februar (24. Januar) vorgesehen, wie aus einer Rubrik in margine hervorgeht.112 Ähnliche Qualität besitzt der Computus Csg 459, der in St. Gallen im letzten Viertel des 9. Jahrhunderts begonnen und im 10. Jahrhundert von mehreren Mönchen, darunter Ekkehard IV., fortgeschrieben wurde.113 Er bietet die Cycli decemnovennales (pp. 1–26) versehen mit annalistischen Glossen,114 den tisch-astronomische Inhalt von Csg 250 entspricht in etwa dem von Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, 832 (vgl. dazu Dobcheva 2013, 223 f.) 109 Zur Überlieferung unter Nennung des Codex vgl. Ó Corráin 2017, 707 f. Nr. 557 mit Angabe der Editionen und Literatur. Parallelüberlieferung: Csg 459, pp. 125–126, siehe dazu unten 59. 110 Incipit 768. Pipinus obiit, vgl. Repertorium Fontium 1967, Bd. 2, 332: ‚Annales Sangallenses brevissimi II‘ für die Jahre 768–889 mit knappen Nachrichten zu karolingischen Königen und zum Kloster. P. 16 unter dem Jahr 889 der Tod Kaiser Karls III., des Dicken, († 13. Jan. 888) gemeldet: karolus obiit. Zu 850, 862, 868, 873 und 885 hat der Mönch A lbrich († 894/95) Daten zu seinem geistlichen Werdegang eingetragen. Die Ostertafeln sind bis 1019 ausgeschrieben, aber dann nicht mehr mit Nachrichten gefüllt. Edition mit deutscher Übersetzung und Kommentar bei vgl. Zingg 2019, 236–239, zu Csg 250, ebd., 236 f. 111 Munding 1948, Bd. 1, 8 f., geht von einer angelsächsisch-irischen Vorlage des Kalendars aus, da der gregorianisch-gelasianische Grundstock um eine Reihe einschlägiger Heiliger ergänzt ist: Brigida, Athala aus Bobbio, Bonifatius und seine Gefährten, Columba, Alban, Cainnich, Augustinus von Canterbury, Columban. 112 Csg 250, p. 26: ›Passio Babilae episcopi cum tribus pueris. VIIII kl. Feb.‹ p. 27: ›Alt helmi episcopi in liber de laude virginum‹: Die Handschrift weicht stark von der Edition Ehwalds, MGH Auct. Ant. XV, 381–383, Vv. 675–709, ab. Aldhelms Quelle für die Passio war Eusebius von Caesarea, Historia ecclesiastica, VI 39. 113 Zur Datierung und Provenienz vgl. Scarpatetti u. a. 2008, Bd. 2, 30–36 mit ausführlicher Inhaltsangabe; von Euw 2008, Bd. 1, 180 Nr. 6 mit Angabe älterer Literatur. Vgl. auch Cordoliani 1955a, 190–192, der den Codex ebd., 190, fälschlicherweise ins 10. Jahrhundert datiert. Zum komputistischen Teil vgl. auch Borst 2006, 290. 114 Csg 459, pp. 13–21, Incipit: 768. Pippinus obiit, vgl. Repertorium Fontium 1967, Bd. 2, 332: ‚Annales Sangallenses brevissimi III‘ für die Jahre 768–961 von sieben Schreibern ein-
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Computus Graecorum (pp. 27–28, 351–366) und den ‚Cursus lunae et solis‘ (pp. 57–64). Der Traktat über den Mondsprung (pp. 125–126: ‚De saltu lunae‘) ist hier Columban zugeschrieben,115 die sonst häufig Beda zugeschriebene Ad breviatio de pluribus compoti (pp. 67–110) hingegen anonym überliefert. Der Codex enthält des Weiteren diverse Exzerpte aus Beda und Isidor über den Osterzyklus (pp. 112–114, 127–142) und vollständig Bedas ‚De tempore ratione‘ (pp. 143–346). Zum komputistischen Allgemeingut gehören auch diverse Diagramme zum Lauf der Sonne und der Planeten, eine Sonnenuhr, eine Windkarte (pp. 137–142). St. Galler Eigengut dagegen sind der liturgische Kalender mit Patrozinien- und Sterbeeinträgen (sog. St. Galler Totenbuch) (pp. 32–56)116 und die ‚Interrogationes et responsiones de compoto Bedae‘ (pp. 347–366), die der St. Galler Mönch und „doctor eruditissimus“ Wichram 882 auf der Grundlage von Bedas ‚De temporibus‘ und ‚De ratione computi‘ für den Schulunterricht verfasste (sog. Wichram-Computus117). Um 900 wurde in St. Gallen ein fünf Lagen umfassender Kopertband mit spätantiken und frühmittelalterlichen Texten zur Berechnung des Ostertermins zusammengestellt (Bremen, SuUB, Msc 0046).118 Er enthält einen für die Debatte um die Berechnung des Ostertermins interessanten Prolog zur Ostertafel des Victorius von Aquitanien zum Jahr 699 (fol. 38r–v), der wohl in den südlichen getragen. Bis zum Jahr 830 sind sie aus den ‚Annales Sangallenses brevissimi II‘ (oder einer gemeinsamen Vorlage) abgeschrieben und dann kontinuierlich bis 888 geführt (Textverlust zwischen 836 und 873). Danach folgen nur noch drei Nachträge zu den Jahren 958–961. Die Ostertafeln sind bis 1063 vorausgeschrieben, aber dann nicht mehr mit Nachrichten gefüllt worden. Edition mit deutscher Übersetzung und Kommentar bei Zingg 2019, 240–243, zu Csg 459 ebd., 241. 115 Zur Überlieferung, jedoch ohne Nennung von Csg 459, vgl. Ó Corráin 2017, 435 Nr. 336 Angabe der Editionen und Literatur. Parallelüberlieferung: Csg 250, pp. 112–114. 116 Munding 1948, Bd. 1, 4, 10, 24 f.; Munding 1951, Bd. 2, 2 Nr. 8. Munding datiert die Hs. um 960/961. Dieses Datum ist aber nur für einen Teil der Nachträge im Kalendar einschlägig, nicht für die anlegende Hand! Munding 1948, Bd. 1, 10, weist eine Reihe von St. Galler Eigenfesten nach, u. a. für Otmar, Felix und Regula, sowie Feste für Äbte aus Bobbio (Columbanus, Athala, Bertolfus) und den irischen Abt Cainnachus. Einige der Feste sind in griechischen Lettern eingetragen. Munding 1948, Bd. 1, 24 f., identifiziert unter den Nekrologeinträgen eine Reihe von Personen aus dem Umfeld von St. Gallen. 117 Braunmüller 1883, 358–361, edierte den Wichram-Computus aus dem Clm 14221 fols. 20b–22a (Regensburg, St. Emmeram, 874 mit späteren annalistischen Nachträgen im Ostercyclus); dort ist der Verfasser im Incipit fol. 20b genannt: Interrogationes et respon siones Wichramni cenobiote sancti Galli de compoto Bede. Die Abschrift im Csg 459 pp. 347– 366 kannte Braunmüller noch nicht. Er bemühte sich ebd., 357 f., um die Rekonstruktion biographischer Daten zur Person und setzt ihn zutreffend ins 9. Jahrhundert. Zum Wich ram-Computus vgl. auch von Euw 2008, Bd. 1, 178; Borst 1989, 323; Borst 2006, 290. Cordoliani 1955a, 192, und Scarpatetti u. a. 2008, Bd. 2, 30–36 erkannten den Wichram-Computus nicht. 118 Zur Handschrift und zur Identifizierung der Texte unter Angabe der Editionen vgl. Stahl 2004, 257–258, und Warntjes 2010, 258–259.
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Regionen der irischen Scoti entstanden ist.119 Der Codex wurde im 16. Jahrhundert aus St. Gallen entwendet.120 Nicht alle astronomisch-komputistischen Handschriften in der Bibliothek zu St. Gallen entstanden im eigenen Scriptorium. Csg 913 wurde wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts von einer angelsächsischen Hand auf dem Festland geschrieben.121 Das kleinformatige Taschenbuch könnte von einem Missionar (aus Fulda? aus Murbach?) oder einem Pilger nach St. Gallen gebracht worden sein.122 Warntjes und Baesecke verorten die Leviticus-Glossen in der Schule von Canterbury des 7. Jahrhunderts; Warntjes hält es aber für möglich, dass das ursprüngliche lateinisch-altenglische Glossar auf einer irischen Vorlage beruht.123 Auch die komputistischen Texte in Bremen, SuUB, Msc 0046 (um 900) dürften eher von Iren als von Angelsachsen verfasst worden sein.124 Der Csg 240 (1. Hälfte des 9. Jahrhunderts) mit Isidors ‚De natura rerum‘ (pp. 116–189) und Auszügen aus dessen theologischen Schriften wurde im Frauenk loster Chelles geschrieben. Aus der Gegend von Laon kam der um 850 entstandene Csg 248125 mit echten und Pseudoschriften Bedas (pp. 83–92a: ‚De natura rerum‘, pp. 92–98: ‚De temporibus‘, pp. 99–212: ‚De temporum ratione‘, 119 Vgl. dazu Warntjes 2010: 271–273 Edition, 283–284 Faksimile, 267 f. zur Provenienz des Textes. 120 Aus dem Exlibris und einem Stempel der St. Galler Bibliothek (1r) ist zu schließen, dass sich die Handschrift bis kurz nach der Mitte des 16. Jahrhunderts dort befand. Stahl 2004, 257 und XVII–XIX vermutet, dass sie durch den Bremer Juristen und Polyhistor Melchior Goldast von Haiminsfeld (1578–1635) nach Bremen gebracht wurde, der sich 1599 bis 1606 in der Schweiz aufhielt und sich dort mit dem St. Galler Ratsherrn und Humanisten Bartholomäus Schobinger befreundete, der ihm eine Reihe von Bänden aus der Klosterbibliothek auslieh. Nicht alle Codices hat Goldast zurückgegeben (vgl. dazu Gamper 2003). 121 Zur Herkunft der Handschrift vgl. CLA VII 976; die Zusammenfassung der Hypothesen bei Cordoliani 1955a, 162; Warntjes 2013, 164–166. Baesecke 1933, 1 und 17, spricht von einer insularen Halbunziale. Klein 2012, 11–26, konnte plausibel machen, dass die alt hochdeutschen Glossen aus dem Altenglischen übersetzt sind. 122 Die Hypothesen zur Provenienz Fulda und zur Migration durch einen angelsächsischen Missionar oder Pilger gehen auf Baesecke 1933, 14 f., 21, 31, 83, 99 zurück. Er hält ebd., 31 aufgrund der spanisch-provenzalischen Indikatoren in den ‚Ioca monachorum‘ auch die elsässische Pirmin-Gründung Murbach für möglich. Dagegen ist einzuwenden, dass die Annahme, Pirmin sei im wisigotischen Spanien aufgewachsen, inzwischen verworfen wurde, vgl. dazu Pirmin, Scarapsus, ed. Hauswald 2010, IX–XIX. 123 Warntjes 2013, 166: „Da zumindest die Leviticusglossen in dieser St. Galler Handschrift wohl dem Schülerkreis um T heodor zuzuordnen sind, so mag das ursprünglich lateinisch-altenglische Sachglossar von einem Iren nach Canterbury gebracht worden sein.“. Vgl. auch Warntjes 2020, 470. Schon Baesecke 1933, 10–11, betonte die inhaltliche Nähe der Vorlage zu den beiden Migranten, Erzbischof T heodor von Canterbury (668–690) und Abt Hadrian von St. Peter in Canterbury († 709). 124 Zur Provenienz nach paläographischen Kriterien vgl. Warntjes 2010, 266. 125 Beschreibung der Handschrift bei Kleist 2008. Die Datierung des Codex und seine Abhängigkeit von der Reichenauer Handschrift Karlsruhe, BLB, Aug. perg. 167, ist kontrovers, vgl. dazu Kleist 2008.
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pp. 59–82: Compotum Bedae presbiteri librorum quattuor126) und der Arithmetik des Boethius.127 An der Handschrift arbeiteten zahlreiche Schreiber. Während Bruckner den Codex noch dem St. Galler Scriptorium zugewiesen hatte, lokalisierte Arno Borst ihn nach Nordfrankreich und vermutete, dass er unter Abt Grimald (amt. 841–872) nach St. Gallen gebracht wurde.128 Seine Hypothese ist, dass die westfränkischen Schreiber als Vorlage eine Handschrift benutzten, die ein irofränkischer Kopist zwischen 834 und 848 in der Gegend von Soissons und Laon angefertigt hatte und die später auf die Reichenau gelangte (Karlsruhe, BLB, Aug. perg. 167). Meyvaert hingegen meint, dass der St. Galler wie der Reichenauer Codex auf demselben irischen Exemplar basiere.129 Die Sammelhandschrift Csg 878 enthält die Enzyklopädie von 809 (Excerptum de libro Albini magistri), komputistische Schriften Bedas sowie den ‚Computus‘ Hrabans.130 Munding wies auf den Eintrag eines Erdbebens zum Jahr 849 im Kalender hin (p. 305: 849 terrae motus maximus. XII kl mais (!) die Saturnis).131 Von der Reichenau dürfte der sog. Egino-Codex (Csg 110, Teil II) nach St. Gallen überstellt worden sein, der um 800 von Veroneser Schreibern, die mit ihrem vormaligen Bischof Egino nach dessen Resignation auf die Reichenau gezogen waren, kopiert worden sein soll.132 Eine irisch beeinflusste Hand hat den T heo-
126 Dieser Pseudo-Bedanische Computus enthält pp. 59–62 mehrere komputistische Tafeln, darunter eine Tafel mit griechischen Buchstaben, die den Ort der Sonne in den Sternkreiszeichen in jedem Monat des Jahres angeben, p. 64a–65a ein Bissextus (angeblich nach Augustin), diverse komputistische Versus, die Priscian und Hieronymus zugeschrieben sind, Tafeln zur Berechnung des Ostertermins und des Mondsprungs, Horologien, ein Mondkalender und ein Heptametron über den Ursprung der Welt, das Eugenius von Toledo zugeschrieben ist. Die Capitulationes zu den Bedanischen Schriften stehen auf pp. 227ab und 227b. Dazwischen geschoben sind pp. 213–226 weitere komputistische Tafeln. Detaillierte Beschreibung des Computus bei Cordoliani 1955a, 169–177. 127 Zum komputistischen Teil vgl. Cordoliani 1955, 168–177; Borst 2006, 288. 128 Borst 2001, Teil 1, 228–231. Borsts Argumentation beruht vor allem auf dem Mondkalender in Csg 248, pp. 72–76a, der identisch ist mit Karlsruhe, BLB, Aug. perg. 167, 16v–17v. 129 Meyvaert 2002. Zu weiteren Hypothesen bezüglich der Abhängigkeit zwischen Csg 248 und Karlsruhe, BLB, Aug. Perg. 167 vgl. Kleist 2008. CLA VIII 1085 weist die Schrift einem Iren zu. 130 Zur Neubewertung von Csg 878 – nicht Vademecum Walafrid Strabos – vgl. Licht 2022, zu den komputistischen Passagen vgl. Cordoliani 1955a, 179–181 u. 188–190; Borst 2006, 291 f.; von Euw 2008, Bd. 1, 181 Nr. 2 mit Angabe älterer Literatur (alle diese Autoren gehen noch davon aus, des es sich bei Csg 878 um ein Teilautograph Walafrids handelt!). 131 Munding 1948, Bd. 1, 20. Dass der gesamte Codex 878 daher in das Jahr 848/50 zu datieren sei, wie Munding annahm, ist jedoch unzutreffend. 132 So die Lokalisierung von Schmuki im digitalen Katalog (https://www.e-codices.ch/ en/description/csg/0110). CLA VII 907 hält Verona als Schreibort für gesichert. Csg 100, Teil I (Hieronymus, Kommentar zum Alten Testament, Buch Ecclesiasten) ist wahrscheinlich in St. Gallen geschrieben.
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logica auf den letzten Seiten (pp. 511–516) komputistische und astronomische Exzerpte aus Isidors Etymologien beigefügt.133 Ähnlich wurde in Csg 174, der vor allem den Briefen Augustins gewidmet ist, pp. 190–194 Mathematisches und Astronomisches beigefügt, u. a. eine ‚Concordia solis et lunae‘ und ein Fragment, das als Anhang zur ‚Calculatio Albini‘ geläufig ist (pp. 192a-193a). Die Handschrift wurde von einer kalligraphischen Hand in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts wahrscheinlich in Mainz geschrieben und im 11. Jahrhundert durch Ekkehart IV. um St. Galler Hagiographica, das althochdeutsche Galluslied und eine Antiphon zum Fest der hl. Wiborada, ergänzt.134 In dieser Handschrift bildet das Komputistische nur eine ergänzende Zutat zu T heologica und Hagiographica. Dass man zur Berechnung des christlichen Kirchenjahres und der Heiligenfeste komputistisches Wissen benötigte, lässt sich anhand des Csg 184 zeigen. Der Codex enthält pp. 217–222 ein Kalendar mit Heiligenfesten, das um Nek ro lognotizen zu verstorbenen Herrschern und lokalen Persönlichkeiten ergänzt wurde. Den Computistica in Csg 225 ist pp. 473–478 die älteste erhaltene Abschrift der Passio der Züricher Stadtheiligen Felix und Regula mit dem Hinweis auf ihren Festtag am 11. September (den III. Iden des September) angehängt.135 Kanonisch-rechtlich bestimmt ist das Umfeld des Bedanischen Osterzyklus in Csg 682 (pp. 1–7) aus dem ersten Viertel des 9. Jahrhunderts.136 Der Codex vereint päpstliche Dekrete, die Capitula-Sammlung des Martin von Braga, Predigten Augustins und anonymer Autoren sowie Beda und Egbert zugeschriebene Bußbücher. Er wurde vermutlich nicht in St. Gallen geschrieben, hat sich aber dort bereits nach 850 befunden. Im Zentrum von Csg 732, angelegt in einem bairischen Scriptorium (wohl Kathedrale von Freising) um 815–817, steht mit der ‚Lex Alamannorum‘ (pp. 1–98) ein weltlicher Rechtstext.137 Er wird umrahmt von diversen kompu133 Vgl. dazu Cordoliani 1955a, 186–187. Scherrer 1875, 42, gibt an, es handle sich um Exzerpte aus Isidor, Etymologiae, VI.16; Warntjes 2020, 470, korrigiert dies zu recht in Isidor, Etymologiae, VI.xvii (De cyclo paschali). Der Codex hat noch seinen originalen karolingischen Einband. 134 Cordoliani 1955a, 187. Die Datierung Mundings in die Jahre 993–1000, auf die sich Cordoliani bezieht, ist wohl zu spät (vgl. die Datierung nach Schmuki https://www.ecodices.unifr.ch/en/list/one/csg/0174). 135 Die Abschrift in fehlerhaftem Latein beruht wahrscheinlich auf einer unkorrigierten vorkarolingischen Vorlage. Explizit: Explicit sanctorum passio qui in sancta agones sancto florencio monacho per spiritu sancto est revelata, celebratur autem festa eorum III id. Septb. Vgl. dazu Müller 1971. Eine weitere Version enthält Csg 550 aus der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts. Der Festtag weicht ab vom Kalendarium Carthaginense (6. Jh.), in das Felix und Regiola (!) zu den III Kalendas Septembris (30. August) eingetragen sind. 136 Zur Provenienz und Datierung vgl. Schmuki, https://www.e-codices.unifr.ch/en/ list/one/csg/0682. Zur Analyse des Inhalts vgl. Scherrer 1875, 223–234. Zur Bestimmung der Osterzyklen vgl. Cordoliani 1955a, 187 f. 137 Die Beschreibung der Handschrift Scherrer 1875, 240–241, ist lücken- und fehler-
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tistischen Exzerpten. Die sog. ‚Abbreviatio chronicae Bedae‘ (‚De sex aetatibus mundi‘ bis zum Jahr 810) (pp. 142–154) ist auch in Csg 878 (pp. 277–283) und in Csg 397 (pp. 141–144) enthalten. In den 19-jährigen Osterzyklus des Csg 732 (pp. 168–188) sind zu den Jahren 703 bis 869 (pp. 168–178) die früher sog. ‚Annales Sancti Galli breves‘ eingetragen.138 Deren Zuweisung nach St. Gallen beruht auf der Tatsache, dass der Codex im Verlauf des 9. oder 10. Jahrhunderts nach St. Gallen kam.139 Tatsächlich handelt sich aber, wie Rudolf Pokorny jüngst nachweisen konnte, nicht um St. Galler Annalen, sondern um eine – zudem schlechte – Kopie der Kurzfassung der sog. ‚Annales Alamannici‘,140 die von Freisinger Klerikern in den Codex eingetragen worden sind.141 Als ‚Annales Alamannici‘ verstanden, ergeben sie einen Sinnzusammenhang mit der ‚Lex Alamannorum‘ im Csg 732. Dieser Codex stellt mit den Serien der merowingischen und ostfränkischen Könige (pp. 154–155)142 und der römischen Bischöfe (Päpste) bis 844 (pp. 184–193) weitere Hilfsmittel zur Berechnung der diesseitigen Zeit, nämlich zur Jahresdatierung, bereit. Auf die jenseitige Zeit verweisen die beiden fragmentarischen Jerusalem-Beschreibungen, der Bericht des Pilgers von Bordeaux (‚Itinerarium Burdigalense‘) aus dem Jahr 333 (pp. 104–114: De virtutibus Hierusalem) und die Heilig-Land-Beschreibung des Archidiakons T heodosius (zwischen 518 und 530) (pp. 98–104, 114a-114b). Die St. Galler Codices zeigen sehr anschaulich, dass Astronomie und Komputistik in den frühmittelalterlichen Klöstern nicht nur als abstrakte Wissenschaften tradiert, sondern unter pragmatischen Gesichtspunkten konfektioniert wurden. Die aus hellenistischer Zeit stammenden astronomisch-komputistischen T heorien über die Bewegung von Mond, Sonne und Sternen wurden nach und nach mit dem Kalender und der Liturgie der Christen in Einklang gebracht. Für die Berechnung des Kirchenjahres, insbesondere der beweglichen Haupthaft; die komputistischen Teile bei Borst 2006, 290 f., beschrieben. Zur Provenienz vgl. Schmuki, https://www.e-codices.unifr.ch/en/list/one/csg/0732. 138 Vgl. Cordoliani 1955a, 188. Der zweite Teil (pp. 179–188), ab dem sechsten Zyklus von 817 bis 999, ist im Bedanischen Stil notiert (darauf stützt sich unzutreffenderweise die Datierung von Cordoliani). Die ‚Annales breves s. Galli‘ werden heute nach den Verwahrorten der Handschriften als ‚Annales Weingartenses sive Constantienses‘ bezeichnet. Vgl. dazu Zingg 2019, 106–133, zu Csg 732 (S1) ebd., 111 f., Edition ebd., 114–133. 139 Es ist unklar, wie die alamannischen Texte nach Freising gelangten. Pokorny 2018, 534 f., hält es für möglich, dass der Codex durch Bischof Waldo von Freising (amt. 884– 906), einen alamannischen Adeligen und Verwandten der Bischöfe Salomo I. und II. von Konstanz, der in St. Gallen ausgebildet worden war, von Freising nach St. Gallen gebracht wurde. 140 Zu den ‚Annales Alamannici‘ vgl. Zingg 2019, 72–105 (mit Edition und deutscher Übersetzung), zur Reichenauer Version mit Fortsetzung in St. Gallen in der Hs. St. Gallen, Stiftsarchiv, Zürcher Abteilung X Nr. 1, ebd., 51. 141 Pokorny 2018, 538–539 Anm. 41–42. 142 Nach Zingg 2019, 111, handelt es sich hierbei um einen Auszug aus der A achener Enzyklopädie in der Fassung von 809, vgl. dazu Borst 2006, 290 f.
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feste Ostern und Pfingsten, war die Kenntnis der Mondzyklen und der Schaltjahre unverzichtbar; es erstaunt daher nicht, dass diese elementaren Materien in fast allen komputistischen Handschriften behandelt werden. Liturgisch relevante Angaben wie die Feste der Heiligen in den Kalendern, Martyrologien und Heiligenviten (Passiones) zur Lesung in den monastischen Offizien und Messen sind des Öfteren mit den komputistischen Basistexten Bedas und Hrabans vergesellschaftet.143 Wo an den 19-jährigen Mondzyklen erste annalistische Notizen über politische Ereignisse, den Tod eines Regenten oder eines Abtes des eigenen Klosters angehängt wurden, war der erste Schritt zur Annalistik getan, einer neuen historiograpischen Textgattung. Beispielhaft dafür stehen die ‚Annales Sangallenses breves et brevissimi I–III‘ in Csg 184, 250, 459 und 732. Noch enger mit der Geschichte der eigenen Institution waren die Gedenktage in den Nekrologien verknüpft, die ebenfalls an das kalendarische Material angedockt wurden. Der Komputus war zudem anschlussfähig an das kirchliche Recht, an Konzils akten und Canones. Die St. Galler Überlieferung zeigt, dass sich Erkenntnisse der antiken Zeitrechnung problemlos in profane und religiös-kultische Wissensbereiche der Karolingerzeit integrieren ließen, sowohl bei der Berechnung des Jahres wie auch des Laufes der Gestirne. Neben der neu aufkommenden Datierung des Jahres nach dem Inkarnationsjahr Christi, um dessen Berechnung bis ins 7. Jahrhundert gerungen worden war, blieb die römische Tradition der Jahresdatierung nach den Amtszeiten der Herrscher und Päpste in römischer Tradition im Gebrauch. Werfen wir noch einen Blick auf die astronomisch-komputistische Überlieferung des Reichsklosters Lorsch. Der Vergleich wird die Sonderstellung von St. Gallen noch unterstreichen. Arno Borst betonte, dass die Lorscher Annalen für den Königshof eine bedeutende Rolle spielten. Er vermutete den oder die Verfasser des sog. karolingischen Reichskalenders und des ‚Chronicon Laures hamense‘ unter den Mönchen während der Abbatiate des Richbod und des Adalung.144 Man würde an einem Standort, der für die Reichshistoriographie und die Kalendernormierung eine herausragende Rolle gespielt haben soll, eine umfangreiche Sammlung an Handschriften zur Astronomie und Komputistik erwarten. Doch davon kann im Nazariuskloster keine Rede sein. Nur zwei der Codices aus dem Lorscher Scriptorium widmen sich diesen Wissensfeldern und noch dazu basiert der Jüngere auf dem Älteren im komputistischen Teil. Nur eine der Handschriften – und zwar der Palatinus latinus 1449145 – kann den 143
Dobcheva 2013, 215. Borst 2006, 954–956. Vgl. dazu Berschin 2020, 6. 145 Komplette Beschreibung bei Kautz 2016, Bd. 2, 975–985; für den komputistischen Teil: Springsfeld 2002, 83–89. Bischoff 21989, 51–53, 129, beurteilt den Palatinus als einen der besten Vertreter des jüngeren Lorscher Stils. Borst 2006, 300, weist mehrere Schreiber nach und datiert den Codex aufgrund des Inhalts auf „um 812“. 144
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großen St. Galler Kompendien 184, 250, 251, 459 und 902 das Wasser reichen. Pal. lat. 1449 enthält das ‚Kalendarium Laureshamense‘ mit Zusätzen (IVv–11r) in der rheinfränkischen Fassung (A) des sog. karolingischen Reichskalenders, u. a. mit drei Festterminen für den Lorscher Hausheiligen Nazarius sowie nekrologischen, historischen und meteorologischen Nachrichten, das unter dem Titel ‚Lunationes Danielis‘ geläufige Krankheitslunar (9r) und einige Tafeln zur Berechnung des Kalenders (9r–11r).146 Der Codex rezipiert vor allem Bedanisches Schriftgut: die ‚Epistola ad Wicthedum de paschae celebratione‘ (12r–14v, Nachtragshand), den Osterzyklen nach den Berechnungen des Dionysius Exiguus von 532 bis 1063 (17r–23v) sowie die für die Computistik grundlegenden Schriften ‚De temporum ratione‘ cc. 1–65 (27v/28r-104r, 118v) und cc. 61–71 (121r–145v), ‚De natura rerum‘ (105r–112v) und ‚De temporibus Liber‘ cum additamentis ex computo (112v–118r). Nachgetragen sind die ‚Epistola ad Bonifatium … de ra tione paschae‘ des Dionysius Exiguus (14v–16r), das Ps.-Priscianische Gedicht ‚De sideribus‘ (16v), die ‚Nota de saltu lunae‘ (145v) und die ‚Sphaera Pythagorae philosophi quam Apologius descripsit‘ (146v). Der Schwerpunkt des Pal. lat. 485147 dagegen liegt auf liturgischem, katechetischem und kanonistischem Basiswissen; der Computus spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Paxton und Patzold vermuten, dass es sich um ein Klerikerhandbuch handelt.148 Von wenigen Ergänzungen abgesehen ist der einleitende Computus (4r–14r) identisch mit dem Beginn des Pal. lat. 1449, IVv–11r.149 Er dürfte die Vorlage für den Computus in Pal. lat. 485 geliefert haben. Eigenständige Ergänzungen sind lediglich die für medizinische T herapien erforderlichen Terminangaben (13v–14r: Dies egyptiaci, Krankheitslunar, tempora sanitatum etc.), etwa zum Aderlass. Die Lorscher Bibliothekskataloge erwähnen zwei weitere komputistische Handschriften, die jedoch nicht erhalten sind. Im Hauptverzeichnis des Brevia rium librorum Sancti Nazarii findet sich unter den Nachträgen ein ‚Liber computandi‘.150 Er ist nicht identisch mit dem ‚Liber computi‘, der aus der Privatsammlung des gelehrten Mönchsklerikers Gerward von Gendt in die Konventsbibliothek gelangte.151 Dieser stammte vielleicht aus der Aachener Pfalz bzw. war von einem Aachener Exemplar abgeschrieben worden. 146 Dieser kalendarisch-komputistische Teil der Handschrift diente vermutlich dem Lorscher BAV, Pal. lat. 485, 4r–15v als Vorlage. 147 Lokalisierung und Datierung auf ca. 860 bis spätestens 875 bei Bischoff 21989, 53–55 u. 124. Beschreibung der gesamten Handschrift bei Kautz 2016, Bd. 2, 759–777. 148 Vgl. dazu Paxton 1990 und ihm folgend Patzold 2015. 149 Identisch sind das ‚Kalendarium Laureshamense‘ mit Nachträgen (4r–14r), die Additamenta zum Mondstand, die Epakten- und Konkurrententafeln (12r–13r) sowie das ‚Lunare Danielis‘ (15v). 150 Verzeichnis Ca (BAV, Pal. lat. 1877, 2v, Z. 5): Lib(er) computandi. Vgl. Häse 2002, 72. 151 Verzeichnis Cb (BAV, Pal. lat. 1877, fol. 33v, Z. 19): Compotu(m).
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Während der Computus in den Klöstern und Kathedralen ganz pragmatischen Zwecken, nämlich der Berechnung beweglicher Feste des Kirchenjahres, der Schaltjahre, des Mondsprungs und der Tag- und Nachtlänge diente, verfolgte man damit am königlichen Hof höhere Ziele. Wie schon im antiken römischen Reich, so war es auch im fränkischen Reich des Frühmittelalters die Aufgabe des Herrschers als Lenker des christlichen Staatswesens, eine einheitliche Zeitrechnung vorzugeben, auf Fehlentwicklungen zu achten und diese gegebenenfalls zu korrigieren.152 In der Karolingerzeit gehörten daher Astronomie und Komputistik neben Rhetorik, Grammatik und Dialektik zu den staatstragenden Wissenschaften.153 Die Bedeutung des orbis stellarum et planetarum zeigt sich auch an einem silbernen Tisch, den Karl d. Gr. für die repräsentativen Räume in der Aachener Pfalz anfertigen ließ. Auf dessen runder Platte waren der Erdkreis sowie die Laufbahnen der Sterne und der Planeten nach dem Vorbild des Ptolemaeus eingraviert.154 Karl d. Gr. ließ sich persönlich von Alkuin in der ‚ars computandi‘155 unterweisen. Dieser teilte ihm 798 seine Beobachtungen zum roten Mars mit, die 152 Karl d. Gr. setzt mit seiner Kalenderreform daher die Reihe der römischen Imperatoren Julius Caesar und Augustus fort. Zur Kalenderreform Caesars nach Sueton vgl. Färber / Gautschy 2020 Q46, zur Kalenderkorrektur des Augustus nach Macrobius, ebd., Q49. Sowohl Sueton wie auch Macrobius machen die Priester für den fehlerhaften Umgang mit dem Kalender verantwortlich. 153 Dies betonen vor allem Borst 1998 und 2001 sowie Fried 2014, 284. Zur Rolle der Astronomie, Astrologie und Komputistik am Aachener Hof unter Karl d. Gr. und Ludwig dem Frommen vgl. Oberschelp 2014. Der Annahme Borsts, der Computus sei dirigistisch von A achen aus im Reich verteilt worden, wurde jüngst von verschiedener Seite widersprochen, vgl. dazu unten 71. 154 Einhard, Vita Karoli Magni, c. 33, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 40: Tertiam [mensam], quae ceteris et operis pulchritudine et ponderis gravitate multum excellit, quae ex tribus orbibus conexa totius mundi descriptionem subtili ac minuta figuratione conplectitur. Für diese Gravuren dürften wohl Darstellungen aus dem ‚Almagest‘ des Ptolemaeus Pate gestanden haben, die Cassiodor nachweislich gut kannte. Die drei Welten dürften demnach das Centrum mundi, das Centrum deferentis und das Centrum aequantis gewesen sein. Andere Vorschläge zum Aussehen bei Blume 2012, 1.1, 45 f. Karl hat in seinem Testament verfügt, dass dieser Tisch nach seinem Tod verkauft und der Erlös unter seinen Erben und den Almosen für die Armen geteilt werde. Das geschah aber offenbar nicht. Vielmehr blieb er in A achen, bis ihn Karls Enkel Lothar, der Sohn Ludwigs des Frommen, im Zuge der Bruderkriege im Jahr 842 an sich nahm, zerteilen ließ und die Stücke unter seinen Anhängern als Lohn verteilte. In diesem Zusammenhang werden die Darstellungen auf dem Tisch etwas näher beschrieben: Annales Bertiniani, ad a. 842, ed. Grat et al. 1964, 41: Sublatisque cunctis ab Aquisgranii palatio tam Sanctae Mariae quam regalibus thesauris, disco etiam mirae magnitudinis ac pulchritudinis argenteo, in quo et orbis totius discriptio et astrorum consideratio et varius planetarum discursus, divisis ab invicem spatiis, signis eminentioribus sculpta radiabant, … per contubernia turmatim deserebatur). 155 Einhard, Vita Karoli Magni, c. 25, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 30: […] in cete ris disciplinis, Albinum cognomento Alcoinum, item diaconem, de Brittania Saxonici generis hominem, […], rhetorica et dialecticae, praecipue tamen astronomiae ediscendae plurimus et temporis et laboris inpertivit. Discebat artem computandi et intentione sagaci siderum cur
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Karls militärische Entscheidungen auf dem Feldzug gegen die Sachsen beeinflussten.156 Laut Alkuin war auch eine der Töchter Karls in der Sternenkunde und Himmelsbeobachtung bewandert.157 Karl holte nicht nur Angelsachsen, sondern auch Iren an den Hof, um sich aktuelle Sonnen- und Mondfinsternisse erklären zu lassen.158 Unter den neun Schreiben zu astronomischen und komputistischen T hemen, die Karl und Alkuin zwischen 797 und 799 wechselten,159 ist ein Brief aus dem Jahr 798 (Nr. 155) besonders aufschlussreich. Darin bittet Alkuin aus Tours um eine Abschrift der ersten Bücher der ‚Naturalis historia‘ des Plinius, um Karls Fragen zum Lauf der Planeten beantworten zu können.160 Einzelne der 37 Bücher umfassenden ‚Naturalis historia‘ des Plinius Secundus d. Ä. waren bereits im 8. Jahrhundert in Italien, Northumbrien und im Frankenreich bekannt, etwa in Lorsch und St. Gallen.161 Alkuin ging wohl davon aus, dass es auch in der Aachener Hofbibliothek eine Kopie davon gebe. Für komputistische Fragen ist vor allem das zweite Buch der ‚Naturalis Historia‘ zur Kosmologie und Astronomie einschlägig. Es enthält die astronomischen Grundlagen und maßgeblichen T heorien zur Komputistik u. a. über die Bewegung des Mondes und den Lauf der Sonne sowie die Berechnung der Tage.162 Im März 799 hatte Alkuin den angeforderten Plinius offenbar noch immer nicht erhalten, denn er bat Karl, dort nachlesen zu lassen und ihm die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu senden.163 sum curiosissime rimabatur. Zum Anteil Alkuins an der Entwicklung und Verbreitung der karolingischen Komputistik vgl. Springsfeld 2002 und Lohrmann 1993. 156 Alkuin, Epist. Nr. 149, MGH Epist. IV. Vgl. dazu Springsfeld 2002, 49–51. 157 Alkuin, Carmen 26 (April 796), MGH Poet. lat. I, 246: Noctibus inspiciat caeli mea filia stellas, / Adsuescatque deum semper laudare potentem, / Qui caelum stellis ornavit, gra mine terras, Omnia qui verbo mundi miracula fecit. 158 Zur Rolle irischer Gelehrter am Aachener Hof und zur Konkurrenz zwischen Iren und Angelsachsen vgl. unten 72–73. 159 Es handelt sich um die Briefe Alkuins Nrr. 126, 143, 145, 148, 149, 155, 170 und 171, MGH Epist. IV, sowie ein Antwortschreiben Karls (Nr. 144) auf das Schreiben Alkuins Nr. 143. Vgl. dazu Springsfeld 2002, 38–59, 261–290 u. 320–321; Lohrmann 1993. 160 Alkuin, Epist. 155, MGH Epist. IV, 249–253, hier 250 Z. 17–21: Sed nobis iter agenti bus illorum, in quibus haec leguntur, librorum deest praesentia. Nihil de vestrae sapientiae profundissimis quaestionibus temere audemus respondere; postolantes clementiam vestram, ut iubeatis nobis dirigere primos praefati doctoris Plinii Secundi libellos, in quibus multiplices et obscuras argumentationes de vario siderum cursu explanare nititur … Zum Inhalt des Schreibens vgl. Springsfeld 2002, 51–55; Lohrmann 2013, 418 u. 444. 161 Vgl. dazu Borst 1994, 142–144; Berno, Francesca Romana, Art. „Plinius d. Ä. (Gaius Plinius Secundus maior). Naturalis historia“, DNP, Supplemente, Bd. 7 (2010), 697–726, hier 697 u. 703–704. 162 Plinius, Historia naturalis, ed. Winkler / König 21997, cc. 6–9, 58, 81, 188. 163 Alkuin, Epist. 170, MGH Epist. IV, 278–281, hier 280 Z. 33–36: Si quae vero huius diminutionis ratio verior in Plinio possit repperiri, sive propter saltum nuper transactum sive propter bissextum prope inminentem, deprecor, ut vestra iubeat prudentia inquirere nobis que solita benivolentiae pietate intimare studeat. Zum Inhalt des Schreibens vgl. Springsfeld 2002,55–57; Lohrmann 2013, 444.
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Aus den Bitten Alkuins ist zu schließen, dass es am Aachener Hof Bücher zur Astronomie und Komputistik gab,164 darunter wahrscheinlich nicht nur die antiken Klassiker, sondern auch die einschlägigen Werke der christlichen Autoren Isidor und Beda. Alkuin hatte seine eigene komputistische Lehrsammlung aus England nach Aachen mitgebracht.165 Um 789 erteilte ihm Karl den Auftrag, ein komputistisches Lehrbuch zu verfassen; von diesem ‚Libellus annalis‘ hat sich jedoch nur das Widmungsgedicht erhalten.166 Darin erklärt der Gelehrte in der üblichen Bescheidenheitsrhetorik, er könne seinen Auftraggebern keine neuen Erkenntnisse liefern, denn alles Wesentliche sei bereits von Beda Venerabilis und anderen Autoritäten gesagt worden.167 Um 800 hatte man sich darauf verständigt, den Ostertermin nach der Methode des Dionysius Exiguus zu berechnen. Angelsächsische und irische Gelehrte waren sich jedoch uneins über Details des Mondkalenders und den Lauf der Planeten.168 Karl d. Gr. und Ludwig der Fromme ließen diese Streitfragen von Experten am Hof diskutieren. Eine konsensuelle Lösung kam allerdings nicht zustande. Vielmehr nutzten die beiden unversöhnlichen Parteien diese Disputationen als Bühne, um sich vor den Herrschern in Szene zu setzen und sich zu profilieren. Zur Klärung der offenen Fragen hielt Karl d. Gr. im November 809 während der Synode in Aachen169 eine Inquisition über den Komputus ab.170 In diesem von Arno Borst sogenannten „Aachener Verhör“ wurden 23 Quaestiones zur 164
Borst 1994, 149. BAV, Pal. lat. 1448; vgl. dazu Bullough 2003a, 346. 166 Abschrift des Widmungsgedichtes in BAV, Pal. lat. 1448, 71r. Vgl. dazu Springsfeld 2002, 12 und 91 mit Anm. 6; Bischoff 1966d, 45 und ebd. Anm. 22. 167 Alkuin, Carmen 72, MGH Poet. lat. I, 294–295: Ut praecepta mihi dederas, dulcis sime domne, / Sic celeri currens calamo dictare libellum / Annalem, veterum simul argumenta sophorum, / Quae quondam mirus perscripsit Beda magister / Notus in orbe procul, nostrae cathegita terrae, / Quae vos coepistis mirandis sensibus olim, / Nec ego quid noviter possum nunc pandere vobis; / Sed vetera, ammoneo, vestrae commendite menti. / Augeat omnipotens vobis pia dona sophiae, / Et vos deducat per magna palatia caeli, / Qua Christum laeti cerna tis perpete visu, / Posco ; tuum memorans Flaccum, sine fine valeto! 168 Borst 2004; Niederkorn-Bruck 2005. 169 Edition: Willjung 1998, MGH Concilia 2, Suppl. 2. 170 ‚Capitula, de quibus convocati compotiste interrogati fuerint‘, ed. Borst 2006, 1034– 1053. Vgl. auch Lohrmann 2013, 446 f. Das Protokoll ist weder beglaubigt noch datiert. Das Datum lässt sich nur indirekt aus der Antwort zur ersten Frage erschließen: I. Quot annos ab incarnatione Domini usque in presentem tenere velint? Responsio: Octingentos novem. (Borst 2006, 1040 Z. 6 f.). Die Namen der am Verhör Beteiligten werden ebenso wenig genannt wie die Zeugen und Schreiber, aber man vermutet, dass es während der A achener Synode im November 809 in Anwesenheit Karls stattfand (vgl. dazu Borst 2006, 1034; Lohrmann 2013, 446; Springsfeld 2002, 105). Die Hypothese von Jones 1963, 19–24, dass es sich bei diesem Fragenkatalog um eine Prüfung für Schüler handele, und die von Stevens 2003, 23, vertretene T hese, dass hier eine Fortbildung für Lehrer der Komputistik in Dialogform vorliege, weist Borst 2006, 1038, zurück. 165
5.1 Die Berechnung der Planetenbahnen und des Kalenders
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Berechnung der Geburt und des Todesdatums Jesu, der Äquinoktien, des Ostertermins, der Mond- und Sonnenjahre sowie der Mondmonate gestellt. In ihren Antworten beriefen sich die von Karl geladenen Fachleute zum einen auf die ratio, die gelehrte Vernunft, zum anderen auf die Autorität der Alexandriner (auctoritas Aegyptiorum) und die Kirchenväter (Auctoritates patrum: Augustin, Hieronymus, Dionysius Exiguus, Beda), die Bibel und das 1. Konzil von Nicaea (325). Das komputistische Wissen der Geladenen scheint nicht sehr fundiert gewesen zu sein. Auf die Frage nach dem frühesten Termin für das Frühjahrsäquinoktium (c. 5–6), das für die Berechnung des Ostertermins entscheidend ist, gaben sie den 22. März171 anstelle des 25. März (nach römischer Tradition) bzw. des 21. März (nach der Berechnung des Dionysius Exiguus und des Konzil von Nicaea) an.172 Auch die Berechnung des Inkarnationsjahres (c. 2) und des Indiktionszyklus (c. 22) konnten sie nicht darlegen. Karl scheint mit dem Verlauf der Befragung nicht zufrieden gewesen zu sein, denn kurze Zeit später erörterte er dieselben Fragen mit einem Magister Agnardus (Pseudonym für Einhard?).173 Wahrscheinlich im Auftrag Karls entstand in der Zeit zwischen 809 und 812 in Gemeinschaftsarbeit eine Enzyklopädie, der sog. ‚7-Bücher-Computus‘ in 150 Kapiteln,174 der das gesamte damals verfügbare Wissen zur Komputistik und Astronomie zusammenfasste.175 Borst nahm an, dass Karl mit der Enzyklopädie die Absicht verfolgt habe, ein Lehrbuch zu schaffen, das eine kohärente und harmonische Erzählung des Kosmos liefert, illustriert mit Diagrammen und Tabellen.176 Dieses Kompendium sollte im ganzen Reich verbreitet werden, damit alle 171 Borst 2006, 1043 Z. 2 f.: V. Ubi equinoctium habere velint? Responsio: XI. Kalendas Aprilis. Vgl. dazu Borst 1994, 155. 172 Vgl. dazu Borst 1994, 155; Springsfeld 2002, 105. 173 Edition: Borst 2006, 1021–1033. Vgl. dazu auch Lohrmann 2013, 447. 174 Editio princeps: Borst 2006, 1054–1334; Borst 2006, 1057, bezeichnet das anonym und ohne Titel überlieferte Werk als ‚Libri computi‘. Das Originalmanuskript ist nicht erhalten. Zur Datierung der ältesten Schicht auf das Jahr 809 vgl. Borst 2006, 1034–1053. Borst 1994, 127, vermutet, dass an der Enzyklopädie mindestens bis 810, wenn nicht sogar bis 812 gearbeitet worden ist. Dass Adalhard, der Vetter Karls d. Gr., als Koordinator und Redaktor des Großunternehmens wirkte, vermutet Borst 2006, 1055. Zur bedeutenden mathematischen und astronomischen Bibliothek in Corbie vgl. oben 42 u. A. 8. 175 Zum Inhalt vgl. die Übersichten bei Borst 2006, 1058–1065, und Springsfeld 2002, 107–113. Buch fünf handelt von den Himmelskörpern und fußt v. a. auf der Naturgeschichte des Plinius, ganze Kapitel sind aus der Recensio interpolata des ‚Aratus latinus‘ aus Corbie übernommen, vgl. dazu Blume 2012, 1.1, 44. Die Bücher sechs und sieben der Enzyklopädie befassen sich mit der Metrologie und der Naturlehre Bedas. Lohrmann 2013, 447, vermutet, dass es sich dabei um eine spätere Zutat aus der Zeit um vor 850 handelt. 176 Zu den Fortschritten, die am karolingischen Hof zwischen 807 und 820 in der Astronomie erzielt wurden, vgl. Blume 2012, 1.1, 46. Die Diagramme in Kreis- und Quadratform, die in Buch V der ‚Libri computi‘ als didaktische Hilfsmittel eingesetzt werden, nehmen lt. Blume 2012, 1.1, 45, Anleihen bei Plinius und Martianus Capella.
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Geistlichen Kenntnisse des Compotus erwerben und sie an ihre Schüler vermitteln konnten.177 Eine bebilderte Fassung entstand unter Karls Nachfolger Ludwig am Aachener Hof um 820.178 Das erste Buch enthält einen Jahres- und Monatskalender sowie Ostertafeln, das zweite lehrt die mathematischen Formeln zur Berechnung der Zeit, das dritte beschreibt den Lauf der Sonne, das vierte den Lauf des Mondes und Methoden der Berechnung des Osterfestes. Das fünfte Buch behandelt die Astronomie als Grundlage der Zeitrechnung.179 Die Enzyklopädie stützt sich auf zahlreiche antike, spätantike und zeitgenössische Werke zur Komputistik und Astronomie. Der praktischen Zeitrechnung liegt ein ‚Annalis libellus‘ zugrunde,180 ein komputistisches Werk in 70 Kapiteln aus dem Jahr 793, dessen Entstehung Borst in der Domschule Bischof Eginos von Verona vermutet,181 da von dort die älteste erhaltene Handschrift aus der Zeit um kurz nach 800 stammt. Lohrmann hingegen lokalisiert den Text nach Regensburg.182 Dieser Computus könnte am ehesten das repräsentieren, was Karl d. Gr. sich in der ‚Admonitio generalis‘ von 789 als Einheitsmanuale für den Klerus und die Mönche im Reich vorgestellt hatte. Der ‚Libellus annalis‘ enthält – basierend auf dem 532-jährigen Osterzyklus – die Bedanischen Ostertafeln der Jahre 532 bis 1063.183 Die Berechnung der Nativitätsjahre nach der Geburt und Kreuzigung Christi sowie die Berechnung des Ostertermins folgt dem ‚Computus Graecorum sive Latinorum‘.184 Der Heiligenkalender in Buch V basiert auf dem sog. Reichskalender, der nach Auffassung von Arno Borst 789 im Kloster Lorsch entstand.185 Die astronomischen Grundlagen der Zeitrechnung geben die Kosmologie nach Plinius wieder.186 Der Sternbildkatalog (‚De ordine ac positione stellarum in signis‘, Madrid, BN, 3307, 54v–62v)187 geht auf das ‚Excerptum de astrologia‘ Adalhards von Corbie, eines Vetters Karls d. Gr., zurück. Bei diesem Katalog von 42 Sternenkonstellationen 177
So die Einschätzung von Borst 2006, 1054 u. 1057, und Dobcheva 2013, 225 f. u. 228. Madrid, BN, 3307. Vgl. dazu Blume 2012, 1.1, 67, 354–359 Kat.nr. 33, 1.2 Taf. 42–45 und Abb. 500–522. 179 Dazu detailliert Lohrmann 2013, 445. 180 Edition mit deutscher Übersetzung bei Springsfeld 2002, 329–375. Zum Entstehungskontext vgl. Lohrmann 2013, 444. 181 Borst 2006, 1058. 182 Lohrmann 2013, 444 ohne nähere Begründung. 183 Borst 2006, 1059. 184 Borst 2006, 1119, 1122 u. 1127. 185 Vgl. Borst 1998, 245–289, und Borst 2001. 186 D.i. Buch II der ‚Naturalis Historia‘, nach Borst 2006, 1058, und Berno, Francesca Romana, Art. „Plinius d. Ä. (Gaius Plinius Caecilius Secundus maior). Naturalis historia“, DNP, Supplemente, Bd. 7 (2010), 704. 187 Vgl. dazu Ramírez-Weaver 2008; Blume 2012, 1.1 354–359 Kat.nr. 33, und 1.2 65–66, Taf. 42–45 sowie 229–235, Abb. 497–522. 178
5.1 Die Berechnung der Planetenbahnen und des Kalenders
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handelt es sich um die lateinische Recensio interpolata der ‚Phainomena‘ des Arat, die im 8. Jahrhundert im Kloster Corbie entstanden war.188 Die immense Arbeit an der Enzyklopädie dürfte wohl eher von einem Kollektiv als von einem einzelnen Autor geleistet worden sein.189 Borst nimmt an, alle Vorlagen hätten in einer „umfangreichen Bibliothek“190 an einem Ort zur Verfügung gestanden und dies sei der A achener Hof gewesen.191 Lohrmann hält auch die Mitwirkung von Mönchen aus den Reichsklöstern für denkbar.192 Bis heute lassen sich von der Enzyklopädie 205 Kopien nachweisen, darunter fünf komplette Handschriften193 sowie zahlreiche Exzerpte und Fragmente aus der Karolingerzeit.194 Die Enzyklopädie wurde in der Sammelhandschrift Csg 878 umfänglich rezipiert, allerdings nicht von Walafrid Strabo wie von Borst und anderen vermutet.195 Auch ist die Annahme Borsts, die Kalenderreform und die Verbreitung der Abschriften der Enzyklopädie sei zentralistisch von A achen aus gesteuert worden, kritisch hinterfragt worden.196 Unabhängig von A achener Anstrengungen stellten Experten in einzelnen Klöstern des Reiches, die über gut ausgestattete Spezialbibliotheken verfügten, auch weiterhin ihre eigenen astronomisch-komputistischen Manualia zusammen. Beispiele dafür sind die Kom188 Leithandschrift der ‚Recensio interpolata‘ ist Paris, BnF, Lat. 12957 aus dem 9. Jh.; vgl. dazu Blume 2012, 1.1 442–448, Kat.nr. 47, und 1.2 293–299, Abb. 704–723. 189 Vgl. Borst 2006, 1054; dazu kritische Anmerkungen von Lohrmann 2013, 445 Anm. 110. 190 Borst 2006, 1055. 191 Borst 2006, 1067 f.: „Allein der A achener Kaiserhof konnte die benötigten Bücher in zuverlässigen Fassungen besorgen und kompetente Bearbeiter, Schreiber und Buchmaler in hinreichender Anzahl für längere Zeit verpflichten.“ Eine Entstehung des Textes in Corbie hält Borst für unwahrscheinlich. Die A achen-Hypothese Borsts akzeptiert Springsfeld 2002, 105–106; vgl. auch McKitterick 2014, 286; Oberschelp 2014, 308. Für die Diskussion über das Problem der Aachener Hofbibliothek unter Karl d. Gr. anhand der komputistischen Spezialliteratur danke ich den Teilnehmerinnen meines Vertiefungsseminars „Die Hofbibliothek Karls des Großen“ im Wintersemester 2014/15, inbesondere Lisa Schneider und ihrer Ausarbeitung der Frage „Hat es eine Hofbibliothek Karls des Großen gegeben? Ein Beitrag der Komputistik“. 192 Lohrmann 2013, 445 Anm. 110. 193 Als ältester Textzeuge gilt Madrid, BN, 3307 (Mb), um 820. Borst 2006, 248 f., lokalisiert ihn in das Kloster des hl. Leodegar in Murbach (Elsaß). Lohrmann 2013, 445 Anm. 111 u. 446, und Ramírez-Weaver 2008, geben mit der älteren Forschung Metz den Vorzug. Die Handschrift gelangte noch im 9. Jahrhundert nach Prüm, von dort später nach Lüttich und Madrid. Zur älteren Forschung über die Handschrift vgl. Springsfeld 2002, 113–115. Weitere Vollhandschriften sind: Wien, ÖNB, lat. 387 (Wi) (Salzburg um 830); München, BSB, Clm 210 (Mu) (Salzburg um 818); Berlin, SPK, Phillipps 1832 (Bh) (Laon um 873); BAV, Vat. lat. 645 (Vy) (wohl Saint-Quentin um 845), und BAV, Reg. lat. 309 (Vp) (Saint-Denis 859/60). 194 Borst 2006, 1067. 195 Csg 878: Excerptum de libro Albini magistri; vgl. Borst 2006, 291; zur Revision der Walafrid-These vgl. oben 56 u. A. 98. 196 Zur Kritik an Borst 2006, vgl. Faith Wallis, Rezension zu Borst, Komputistik: Specu lum 83/3 (2008), 668–670, und Dobcheva, bes. 226–229.
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pendien Laon, BM, 422, entstanden in einem unbekannten nordfranzösischen Scriptorium zwischen 810 und 830,197 Csg 248 aus Laon oder Soissons sowie die in St. Gallen kompilierten Csg 184, 250, 251, 459 und 902.198 Unbestritten trägt die A achener Enzyklopädie die Handschrift der Angelsachsen.199 Kritisch mit dem 9. Kapitel des vierten Buches der Enzyklopädie und der darin enthaltenen Berechnung des Ostertermins nach den Mondmonaten setzte sich 816 ein astronomisch sehr bewanderter Gelehrter Bedanischer Tradition auseinander, dessen Namen wir nicht kennen. Fünf Handschriften seines ‚Argumentum ad lunae cursum turbatum‘200 tragen den Vermerk Aquis palatio repertum est. Karl konsultierte zu astronomischen und komputistischen Fragen nicht nur Alkuin, sondern auch irische Gelehrte.201 811 fragte er bei Dungal an, der sich damals im Kloster Saint-Denis aufhielt, ob er die Sonnenfinsternisse des 7. Juni und 30. November 810 erklären könne.202 Dungal beschäftigte sich damals mit der Abfolge der Planeten Merkur und Venus hinsichtlich ihrer Position zur Sonne. Er stützte sich auf Macrobius, der epizyklische Planetenumlaufbahnen angenommen und deren Schwankungen ins Gespräch gebracht hatte, um die unterschiedlichen Distanzen der Planeten von der Sonne und von der Erde zu erklären.203 Der Ire Dicuil wurde nach dem Regierungsantritt Ludwigs des Frommen am Hof vorstellig und versuchte, die Deutungshoheit der angelsächsischen Schule am Hof zu brechen. Zwischen 814 und 818 verfasste er den fünf Bücher umfassenden prosimetrischen ‚Liber de astronomia et computo‘ und widmete diesen dem Kaiser.204 Obwohl Dicuil gegen die angelsächsische Schule Stellung bezog, 197 Vgl. dazu Contreni 1978, 47–48; Obrist 2002, 343; Blume 2012, 1.1, 78, 274–279 Kat. nr. 20, und 1.2, Abb. 262–272; Dobcheva 2013, 226 f. 198 Zum Inhalt und der Entstehungszeit der St. Galler Codices vgl. oben 55–58, 62. 199 Zum Anteil Alkuins vgl. Borst 1993; Springsfeld 2002, 20. Auch Beda ist stark rezipiert. 200 Edition unter dem Titel ‚Aachener Vorbehalt‘ oder ‚Argumentum Aquense‘ bei Borst 2006, 1350–1366. Vgl. dazu auch Lohrmann 2013, 448. 201 Zum Folgenden vgl. auch Lohrmann 2013, 447–449. 202 Vgl. Eastwood 1994. Das Datum 7. Juni war von einem Bischof von Konstantinopel berechnet worden. Die Sonnenfinsternis am 5. Juni war nur im Südpazifik sichtbar (vgl. Eastwood, 46–47, Anm. 35), davon wusste man im Frankenreich nichts. 203 Vgl. dazu Eastwood 2007, 43–52. 204 Dicuils Text ist nur in wenigen Handschriften überliefert (vgl. dazu Ó Corráin 2017, 520 f. Nr. 410, zwei davon noch aus dem 9. Jahrhundert. Die Edition von Esposito 1906/07 basiert auf der Handschrift aus dem Amanduskloster in Elno (Saint-Amand-lesEaux: Valenciennes, BM, 404, fol. 66r–118r; Digitalisat: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ btv1b8452582n. Vgl. Bischoff 2014, Bd. 3 Nr. 6392); die gereimten Passagen auch in MGH Poet. lat. IV/3, 917. Die Handschrift aus Saint-Amand überliefert fols. 27r–57r zudem die ‚Disputatio de rhetorica et de virtutibus‘ Alkuins. Die zweite, vollständigere Abschrift von Dicuils Text aus dem Martinskloster in Tours ist heute getrennt in Tours, BM, 803, 58v-103v, und Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1645, 1r–7v. Diese bislang unedierte Version hatte
5.1 Die Berechnung der Planetenbahnen und des Kalenders
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schrieb er den Plinius wohl aus der Enzyklopädie von 809 ab, nannte allerdings irreführend Pythagoras als Autor des Werkes. Hucbald von Saint-Amand, der Vorbesitzer der Handschrift Valenciennes, BM, 404, hatte dagegen die Namen der antiken Autoren inklusive des Pythagoras getilgt.205 Philippe Depreux schlug vor, den Iren Dicuil mit dem unter dem Pseudonym „Astronomus“ geläufigen Autor der zweiten Biographie Kaiser Ludwigs zu identifizieren.206 Diese Hypothese hat sich in der Forschung jedoch nicht durchgesetzt.207 Ernst Tremp, der Editor der Biographie, vermutet aufgrund der umfassenden Kenntnisse des „Astronomus“ in der Astronomie, Medizin und Jurisprudenz sowie aus seinem ausgeprägten Wir-Gefühl, dass es sich um einen gelehrten Kanoniker aristokratischer Herkunft handelte, einen gebürtigen Franken, der sich längere Zeit in Aquitanien und Septimanien aufgehalten hatte und evtl. dort – im Umkreis T heodulfs von Orléans? – ausgebildet worden war.208 Mit diesem Gelehrten hatte Karls Nachfolger Ludwig einen Astronomen zum Berater genommen. Im Frühjahr 837 ließ er sich von diesem und von Einhard die Erscheinung des sog. Halleyschen Kometen erklären.209 Tremp vermutet, dass der Astronomus auch an der Konzeption des Leidener Arat (Leiden, UB, Voss. lat. Q. 79), der 816/18 im Auftrag Ludwigs und/oder seiner Gemahlin Judith am Hof angefertigt wurde,210 und weiterer astronomischer Handschriften, die unter Bischof Drogo in Metz entstanden, beteiligt war.211 Tremp meint, Kaiser Ludwigs Interesse an astrologischen Fragen und an der Berechnung der Planetenlaufbahnen habe im Laufe der Zeit zugenommen.212 Dies mag durch die zunehmend prekäre politische Situation des Herrschers befördert worden sein. Unter seiner Regierung begann man am Hof und andern orts, sich über die Vorbehalte hinwegzusetzen, die Hieronymus, Augustinus, Gregor von Tours, teilweise auch Beda und zuletzt noch Hrabanus Maurus gegen Dicuil gegenüber der Erstfassung (Valenciennes) im vierten Buch um zwei Kapitel und um ein aus zwei Kapiteln bestehendes fünftes Buch erweitert. Vgl. dazu van de Vyver 1935; Cordoliani 1960; Bergmann 2011. 205 Ich danke Immo Warntjes für diesen Hinweis und die Vorschau auf die Ergebnisse seines Doktoranden Christian Schweizer, Dublin, der eine kritische Edition des ‚Liber de astronomia‘ auf der Basis der Handschriften aus Saint-Amand und Tours vorbereitet. 206 Depreux 1997, 113–114 u. 159–160. Die ‚Vita Hludowici imperatoris des Astronomus‘ entstand um 840/41, unmittelbar nach dem Tod Ludwigs. Vgl. dazu Astronomus, ed. Tremp 1995. 207 Zu den verschiedenen Vorschlägen zur Identifizierung des Autors vgl. Astronomus, ed. Tremp 1995, 57–55. 208 Vgl. dazu Astronomus, ed. Tremp 1995, 60–66. 209 Astronomus, Vita Hludowici imperatoris, c. 58, ed. Tremp 1995, 518–525; vgl. dazu Ashley 2013. Die Antwort Einhards in der Epistula (nach 17. Juni 837), ed. Hampe, MGH Epist. Carol. aevi III, 129–130 Nr. 40; mit Kommentar und deutscher Übersetzung: Einhards Briefe, ed. Grabowsky (2018), 230–233 Nr. 61. 210 Vgl. Astronomus, ed. Tremp 1995, 57. 211 Vgl. Astronomus, ed. Tremp 1995, 57 f. 212 Vgl. Astronomus, ed. Tremp 1995, 54–55.
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die Beschäftigung mit den griechischen Mythen und mit der griechischen und römischen Götterwelt vorgebracht hatten, da diese in der antiken Tradition fest mit der Darstellung und Erklärung der Sternenbilder und der Planeten verbunden waren.213 Unter Rückgriff auf antike Vorlagen konnten unter diesen Prämissen am Herrscherhof, in den Klöstern und in bischöflichen Scriptorien spektakulär bebilderte Ausgaben der ‚Arateae‘ entstehen, deren Bildaussagen teilweise weit über den Text hinausgehen.214
5.2 Die Sorge um den gesunden und den kranken Körper: Medizin – Pharmakologie/Pharmazeutik – Diätetik – Deontologie – Aitiologie215 Die frühmittelalterliche Medizin basiert auf unterschiedlichen, teils konkurrierenden und sich widersprechenden Wissenssystemen: auf der gelehrten und der praktischen Medizin (medicina) sowie der Magie (magica, hermetica) der griechischen Antike, seit dem 4. Jahrhundert zudem aus dem Heilsversprechen Christi und seiner Heiligen.216 Bereits in hellenistischer Zeit gab es in der Me-
213 Vgl. dazu Blume 2012, 1.1 39–40, 44, und oben 49–50. Die Vorbehalte des Hrabanus Maurus finden sich in seinem Werk „De computo“, c. 51, ed. Stevens 1979, S. 301: Et mira gentilium stultitia, quod sidera, quae Deus ad honorem nominis sui creavit et in caelestibus constituit, ea ipsi sceleratis hominibus et brutis animalibus in terra creatis adscripserunt. Blume 2012, 44 f. und 47–50, erklärt die Bilderlosigkeit der frühen karolingischen Arat-Kopien mit den Vorbehalten, die noch zu Beginn des 9. Jahrhunderts gegen die antiken Sternbilddeutungen vorgebracht worden seien. 214 Besonders hervorzuheben sind die beiden am A achener Hof entstandenen Handschriften, Leiden, UB, Voss. Lat. Q 79 (816–818), vgl. Blume 2012, 1.1, 52–66, und 292–298 Kat.nr. 23, 1.2 Taf. 9–14 und Abb. 294–334, und London, Harley, 647 (nach 830), vgl. dazu Blume 2012, 1.1, S. 68–69, 321–326 Kat.nr. 28, und 2.1, Taf. 21–27 u. Abb. 399–418. Zur Gesamtheit der Abschriften vgl. den Katalog bei Blume 2012 1.1, und Dobcheva, aratea-digital. Corradini 2016, 44: „Walafrids Kompendium ist … keinesfalls Zeugnis einer weltabgewandten elitären Wissensakkumulation, sondern stellte der Gesellschaft intellektuelle Ressourcen zur Verfügung, auf die sie jederzeit zurückgreifen konnte.“ Dass die Astronomie in dem bis dato als Vademecum Walafrid Strabos interpretierten Csg 878 ein Beispiel für Orientierungswissen in einer politisch unsicheren Zeit sei, insbesondere in den 820–830er Jahren, wo der Kosmos aus dem Gleichgewicht zu geraten drohte, kann nun nicht mehr auf Walafrid Strabo und seinen Aufenthalt am Aachener Hof bezogen werden; siehe dazu Licht 2022. 215 Ich danke Klaus-Dietrich Fischer für die aufmerksame und kritische Lektüre dieses Kapitels. 216 Einen Überblick zur westlichen und byzantinischen Medizin geben Schipperges, Heinrich / Kislinger, E. / Volk, R.: Art. „Medizin“, LdMA VI (1993), 452–464. Nordfrankreich steht im Fokus der Untersuchung von MacKinney 1937. A achen, Lorsch, St. Gallen, die nordfranzösischen Scriptorien und Burgund (Fleury) behandelt Leja 2016 und 2022.
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dizin Spezialisten für die Diätetik, die Pharmakotherapie und die Chirurgie.217 Im Frühmittelalter interessierte man sich vor allem für die beiden erstgenannten Disziplinen. Gelesen wurden aber nicht die griechischen Originaltexte, sondern deren lateinische Übersetzungen in Auszügen und Lehrbriefen, die im 3. bis 7. Jahrhundert entstanden waren.218 Viele dieser Schriften sind anonym überliefert oder wurden den berühmten Ärzten Hippokrates von Kos (5./4. Jh. v. Chr.)219 und Galen (2. Jh. n. Chr.)220 zugeschrieben, um ihnen Autorität zu verleihen. Neben den Schriften dieser beiden Ärzte wurden die aus der Schule von Ephesos (2. Jh. n. Chr.) zur Kenntnis genommen, insbesondere die Werke des Soranos und des Rufus. Griechische Mediziner wie Oribasios (4. Jh.),221 Alexander von Tralleis (6. Jh.) und Paulos von Aigina (1.H.7. Jh.) stellten anonym überliefertes medizinisches Wissen in praxisnahen Handbüchern und Lehrbriefen zur Verfügung.222 Die medizinischen Bücher 20–32 der ‚Naturalis Historia‘ Plinius’ d. Ä. wurden überwiegend in der kompilierten Version der ‚Medicina Plinii‘ (4. Jh.) und der auf ihr fußenden sog. ‚Physica Plinii‘ rezipiert, einem für Reisezwecke nach dem Prinzip a capite ad calcem zusammengestelltem Brevier, das seit dem 5./6. Jahrhundert in verschiedenen Fassungen in Umlauf kam.223 Weniger bekannt waren die Rezeptbücher und Anthologien der lateinischen Medi-
217 Vgl. die Vorrede zum ersten Buch der Medizin des Aulus Cornelius Celsus (ca. 25 v. Chr. bis ca. 50 n. Chr.), ed. Marx 1915, 18: Isdemque temporibus in tres partes medicina diducta est, ut una esset quae victu, altera quae medicamentis, tertia quae manu mederetur. Primam διαιτητικὴν secundam ϕαρμακευτικὴν tertiam χειρουργίταν Graeci nominarunt. Vgl. auch die lateinisch-deutsche Ausgabe von Lederer 2016, Bd. 1, 10–11. In der Vorrede stellt Celsus des Weiteren die wichtigsten griechischen Ärzte vor und erläutert die Beziehung zwischen Medizin und Philosophie. 218 Zur Transmission des griechischen medizinischen Wissens in den Westen in der Spätantike und im frühen Mittelalter vgl. Glaze 1999, chap. 1–2. Editionen der im folgenden genannten Werke werden nur sporadisch ausgewiesen. Zu den Textausgaben vgl. Sabbah et al. 1987; Fischer 2000; Opsomer 1989, Bd. 1, X–LXIX. 219 Temkin 1991. 220 Vgl. dazu die Beiträge von Petros Bouras-Vallianatos (Galen in Late Antique Medical Handbooks, 38–61) und Iolanda Ventura (Galenic Pharmacology … between the Sixth and Fourteenth Century, 393–433) in: Bouras-Vallianatos / Zipser 2019. 221 Zum Corpus Oribasianum vgl. Fischer 2020, 452–473; zu den Oribasiana in St. Gallen vgl. unten 86. 222 Zur Rolle dieser Autoren im Übersetzungsprozess vgl. Glaze 1999, 32–36. Zur Textgattung der Lehrbriefe und der Briefbücher vgl. Fischer 2020, 442, und Wiedemann 1976, Kap. IV, 46–81: Frühmittelalterliche lateinische medizinische Briefe und ihre Überlieferung unter besonderer Berücksichtigung von Briefbüchern. In den medizinischen Kompendien der Stiftsbibliothek St. Gallen finden sich einschlägige Beispiele, vgl. dazu unten 85–91. 223 Zur Medicina Plinii vgl. den Artikel von M. E. v. Mathschka, in: LdMA, Bd. 6 (1993), Sp. 446 f., und Klaus-Dietrich Fischer und Fridolf Kudlien, in: HLLA 5, 1989, § 512, 75–77. Zur ‚Physica Plinii‘ vgl. den Artikel von Klaus-Dietrich Fischer, ebd., Sp. 2111. Zur Ge nealogie der Texte vgl. Fischer 1987, 54. Zur ‚Physica Plinii Sangallensis‘ vgl. mehrfach unten 86 f. A. 288, 110 u. A. 450.
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zinschriftsteller – nicht alle waren ausgebildete Ärzte! – Marcellus, Vindicianus, Caelius Aurelianus und T heodorus Priscianus aus dem späten 4. und frühen 5. Jahrhundert.224 Das medizinische Wissen fand im lateinisch-römischen Westen Eingang in die großen Enzyklopädien und von dort in die frühmittelal terlichen Kompendien. Das trifft v. a. auf das vierte Buch über die Medizin in den Etymologien Isidors von Sevilla zu. Das elfte Buch über die menschlichen Organe und das 17. Buch über die landwirtschaftlich genutzten Pflanzen wurden hingegen nur selten kopiert. Medizinische, botanische und zoologische Termini wurden eher aus Isidors ‚De differentiis verborum‘ übernommen. Großer Beliebtheit erfreute sich zudem das erste Buch (‚De medicis‘) der ‚Institutionen‘ Cassiodors (6. Jh.), gelegentlich auch das zweite Buch. Cassiodor und Isidor verbanden die Wissensbestände der griechischen Antike mit christlicher Ethik. Allerdings schöpfte nur Cassiodor aus den griechischen Originalen, Isidor hingegen rezipierte die griechischen Autoritäten bereits aus lateinischen Übersetzungen.225 Ausgehend von der Handschriftenüberlieferung darf man das späte 8. und das 9. Jahrhundert mit Fug und Recht als eine Blütezeit der Rezeption antiker und spätantiker gelehrter Medizin in den frühmittelalterlichen Klöstern und Kathedralen bezeichnen.226 Die meisten der ca. 200 erhaltenen Medizinhandschriften aus dieser Zeit227 enthalten Kompilationen spätantiker Werke in lateinischer Übersetzung, Rezeptsammlungen und diätetische Literatur in Epistelform. Dafür stehen die St. Galler Codices 44 (Teil II: pp. 185–368), 217 (Teil II: pp. 251–274, 335–342), 759, 762, Fragmenta 1396 (pp. 9–13, 15–16, 19, 20–22) und der ‚Liber passionalis Galieni‘ (um 900) (Csg 752, Teil II, pp. 178–326).228 An ihnen lässt sich der Prozess der Entstehung und Autorisierung medizinischer und phar224 Zur human- und tiermedizinischen Literatur vgl. den Überblick von Klaus-Dietrich Fischer, in: HLLA 6/1, 2020, §606, 91–94, und die anschließenden Artikel zu einzelnen Autoren, und unten 79–80. Zu T heodorus Priscianus vgl. Klaus-Dietrich Fischer, HLLA 6/1 § 607.3, 101–103. 225 Zur Isidor-Rezeption vgl. Cardelle de Hartmann 2017. Zu den Vorlagen, die Isidor für das IV. Buch der Etymologien über die Medizin verwendete, vgl. Fischer 2005b. 226 Schefers 1993, 177, kommt zu diesem Ergebnis nach der Auswertung von CLA, Beccaria 1956, und Baader 1972, 709–718. 227 Im Rahmen des SFB 1136 konnten ca. 200 medizinische Handschriften aus dem 8. und 9. Jahrhundert anhand der Indices von Beccaria 1956, 439–491, Wickersheimer 1966 und Kibre 1985 sowie der Datenbank „galenolatino.com“ ermittelt werden. Leja 2016, 4, beziffert die Medizinhandschriften aus dem 9. Jahrhundert auf 70, die aus dem 10. Jahrhundert auf 30. Eine Gruppe von Nachwuchswissenschaftler:innen an angelsächsischen Universitäten hat die Datenbank „Beyond Beccaria“ eingerichtet, in der die von Beccaria und Wickersheimer übersehenen medizinischen Handschriften des 8. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts erfasst werden. Ich danke Claire Burridge für den Abgleich dieser Datenbank mit den von uns identifizierten medizinischen Handschriften und Einzeltexten aus St. Gallen. 228 Siehe dazu unten Kap. V.3.
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makologischer Corpora im Verlauf der Spätantike und des frühen Mittelalters exemplarisch studieren.229 Die meisten dieser Sammlungen enthalten pragmatische Literatur zur Medizin inklusive der Pharmazie und Diätetik. In der karolingischen Überlieferung sind sie gelegentlich mit antiker Dichtung verbunden, nur selten mit theologischen Schriften – wie etwa im Csg 877, einem Codex den möglicherweise Notker I. von St. Gallen benutzte –,230 es sei denn, der Überlieferungsverbund wurde erst in späteren Jahrhunderten hergestellt, wie beim Csg 44. Selten findet sich Medizinisches im Verbund mit Schultexten zum Trivium, wie etwa im Csg 878231 und im Csg 877232. Mit der Medizin konnten sich nur Experten befassen. Denn die medizinische Sondersprache mit ihrem eigenen Vokabular und vielen Gräzismen ließ sich ohne Vorkenntnisse nicht verstehen; zahlreiche Kopierfehler bildeten zusätzliche Hürden.233 Man erstellte daher Hilfsmittel zum besseren Verständnis des Griechischen.234 So folgt im Csg 877 auf die ‚Ars medicinae‘ das griechische Alphabet mit den Zahlenwerten der Buchstaben in lateinischer Umschrift (pp. 63a–b), mit der Aussprache der Buchstaben in lateinischer Umschrift und den römischen Zahlenwerten (p. 63b–64a), eine Liste der lateinischen Buchstaben mit lateinischen Zahlenwerten (p. 64a–b) und ein griechisch-lateinisches Glossar (pp. 65–66). Die meisten in St. Gallen aus dem 9. Jahrhundert überlieferten griechisch-lateinischen Alphabete stehen in medizinischen und 229 Zur Medizin: Beccaria 1959/1961/1971; Baader 1972,679–702 zum 8. und 9. Jahrhundert. Zur Pharmazie: Opsomer 1989, Bd. 1, X–LXIX; Ventura 2020. 230 Csg 877 enthält das ‚Carmen paschale‘ des Caelius Sedulius und Gedichte des Pros per von Aquitanien. Zum Eintrag eines Notkerus vgl. unten 89 A. 309. T heologica in Csg 877: Confessio (pp. 30–32), und Kommentar zu den Paulusbriefen (pp. 357–368). Karlsruhe, BLB, Aug. perg. 172 von der Reichenau (1. Drittel 9. Jh.) versammelt Schulliteratur, Komputistisches, Medizinisches und T heologisches. 231 Zu den Wissensgebieten in Csg 878 vgl. Corradini 2014 und 2016, zu den astronomisch-komputistischen Stücken vgl. oben 56, 61–62, zu den medizinischen Texte vgl. unten 90 u. A. 315. 232 Csg 877, pp. 204–225: Donat, Ars minor, De partibus orationis; pp. 226–287: Donat, Ars maior, De partibus orationis. 233 Glaze 1999, 146, resümiert für die Karolingerzeit: „medical learning of а theoretical nature, chiefly in the mastery of Greek anatomical and pathological terms, remained very much the preserve of the isolated scholar.“ Zu den großen Herausforderungen, vor die die Kopisten dieser Texte gestellt waren, vgl. Glaze 1999, chap. 3, und Fischer 1994. 234 Zur medizinischen Didaxe vgl. Fischer 1998. Zur astronomischen Didaxe: Csg 902, eine überwiegend astronomisch-komputistische Handschrift (siehe dazu oben 56 f.), enthält eingangs pp. 8–68 die griechisch-lateinische Grammatik des Dositheos mit Namensund Deklinationslisten, die für Griechen gedacht war, die Latein lernen wollten; vgl. dazu Berschin 2005, 184 u. 187. Csg 902 p. 7 geht der Grammatik der Beginn eines griechischen Briefes eines Gesandten (?) Lazaros voraus, möglicherweise identisch mit dem griechischen Bischof Lazarus, der 896 mit König Arnulf in Regensburg zusammentraf (Annales Fuldenses, Continuatio Ratisbonensis, ad a. 896, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 7, 130); vgl. dazu Berschin 2005, 188 u. Anm. 34.
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komputistisch-annalistischen Sammelhandschriften oder sind als Alphabettafeln für den Unterricht angelegt.235 Im insularen Unterricht war es üblich, griechisch-lateinische Übungen in spielerischer Form als Rätsel aufzugeben.236 Medizinisches und pharmakologisches Wissen wurde nicht nur aus Büchern erworben, sondern vor allem in der Praxis. Wie im antiken Griechenland so dürften auch in der Karolingerzeit Ärzte ihre Erfahrungen an Söhne und Schüler weitergegeben haben.237 Die Kompendien enthalten neben der medizinischen Fachliteratur im engeren Sinn häufig auch Herbare238 – das bekannteste ist ‚De medicaminibus herbarum‘ des Ps.-Apulaeius (4. Jh.)239 –, Rezeptare, Antidotarien240 und Diätetiken. Denn die griechischen Autoritäten und Isidor maßen den Diätvorschriften sowohl für den Erhalt der Gesundheit wie für die Heilung der Kranken einen hohen Stellenwert bei. In der fränkischen Gesellschaft gab es neben der gelehrten antiken griechischen Medizin ein zweites System der Kranken- und Gesundheitsfürsorge, die Aitiologie. Sie basierte auf dem christlichen Heilsgedanken, dem Glauben an die Wunder Christi und seiner Heiligen.241 Diese beiden Systeme begannen schon in der Spätantike, sich zu durchdringen. So wurden griechische Ärzte zu christlichen Heiligen umgedeutet.242 Das Heiligtum am Fuße der Akropolis in Athen, in dem der griechische Gott Asklepios Kranke durch die Inkubation geheilt haben soll, wurde im 6. Jahrhundert um eine Basilika zu Ehren der Ärzteheiligen 235 Kaczynski
1988, 117–120, Appendix I „Alphabets and Numerals“. Berschin 2005, 180. Ähnliche Konkordanzen in Csg 459, p. 111, und auf dem letzten Blatt von BnF, lat. 12156 aus Corbie (vgl. dazu Glaze 1999, 130, und Ganz 1990, 148). Griechische Majuskel- Alphabete auch in der komputistisch-astronomischen Sammlung Csg 397, p. 25 u. 79; Csg 902, p. 153 (im Computus Graecorum) u. p. 112 (im Computus des Hrabanus Maurus); als Alphabettafel für den Unterricht in sog. Vademecum Grimalds Csg 397 p. 25 nach dem Horologium. 236 Zu den angelsächsischen Rätseln vgl. Glaze 1999, 114, und oben 37. 237 Ein Verhältnis zwischen einem Arzt und seinem Schüler könnte dargestellt sein im Csg 217, p. 252, vgl. dazu unten 108. Zur medizinischen Lehrpraxis in Griechenland vgl. Baader 1972, 672, in Rom vgl. Kudlien 1986. 238 Zum Herbariencorpus vgl. Paul Lebrecht Schmidt, HLLA 6/1, 2020, § 608.4, 124– 135. 239 Vgl. dazu Paul Lebrecht Schmidt, HLLA 6/1, 2020, § 608.4,3, 131–133. 240 Fischer 2020, 444 f., weist darauf hin, dass im Frühmittelalter die aus verschiedenen Substanzen zusammengesetzten Heilmittel als Composita bezeichnet wurden, einfache, leicht zu beschaffende und kostengünstige Medikamente dagegen als Euporista. Vgl. dazu das Werk des T heodorus Priscianus aus dem 5. Jh., ed. Rose 1894. 241 Das Motiv ‚Christus medicus‘ entstand im 4. nachchristlichen Jahrhundert, vgl. dazu Fichtner 1982, und Schipperges 1965. Umstritten ist, ob es sich dabei um eine christliche Umdeutung des Asklepioskultes handelt. Zur hagiographischen Sinnfigur des Seelenund Leibarztes vgl. Büttner 2015, 121–133. 242 Laut Büttner 2015, 139, lassen sich 17 Paare solcher Anargyroi im spätantiken Schriftgut ausmachen.
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Cosmas und Damian erweitert243 und der Hippokratische Eid um christliche Wertvorstellungen ergänzt.244 Die Amalgamierung irdischer und göttlicher Medizin setzte bereits in der Antike ein.245 Im ersten Buch (‚De medicis‘) der ‚Institutiones‘ vertraut Cassiodor die kranken Mönche der Fürsorge ihrer Brüder an. Dort empfiehlt er das Studium der Heilpflanzen und Arzneien, zugleich warnt er davor, die Heilung allein menschlichem Wissen anzuvertrauen, denn allein Gott schenke Heilung. Sodann rät er zur Lektüre der Schriften des Hippokrates über die Kräuter und Heilmittel sowie der Werke Galens und der ‚Medicina‘ des Caelius Aurelius.246 Da nicht alle Mönche des Griechischen mächtig seien, rät er, deren Werke in lateinischer Übersetzung zu lesen. Ganz im Sinne Cassiodors und weitgehend in wörtlicher Übernahme argumentiert der anonyme Autor der ersten Vorrede zum sog. Lorscher Arzneibuch.247 Er empfiehlt den Mönchen, die ihre kranken Brüder und 243
Zur Geschichte und Transformation des Heiligtums vgl. Bäbler 2020. Versionen des Hippokratischen Eides sind in griechischen Prosa- und Versfassungen erst seit dem 10. Jh. n. Chr. überliefert, vgl. dazu Jouanna 2018, Kap. II–III. 245 Vgl. Fridolf Kudlien, Art. „Heilkunde“, RAC XIV (1988), 224–225. 246 Cassiodor, Institutiones, Lib. I,31,1–2. Übersetzung nach Bürsgens 2003, Teilbd. 1, 227 f. (mit kleineren Korrekturen von Röckelein): „Über die Ärzte: 1. Doch auch zu euch spreche ich, erwählte Brüder, die ihr euch mit steter Sorgfalt um die Gesundheit des menschlichen Körpers kümmert und die ihr die Dienste eurer segensreichen Frömmigkeit denen zuteil werden laßt, die an den Stätten der Heiligen Zuflucht suchen; […]. Daß ihr den Siechen mit lauterem Bemühen dient, wie es die Erfahrung eurer Kunst lehrt, und daß ihr einmal von dem Lohn empfangt, der zeitliche Güter mit ewigen vergilt. Studiert daher die Eigenart der Kräuter und legt nicht das Heil in menschliche Ratschlüsse. Denn darf auch die Heilkunst als vom Herrn gewollt gelten – dennoch erwirkt nur einer die Genesung: jener, der einzig und allein auch das Leben spendet. […] 2. Wenn ihr jedoch des Griechischen nicht mächtig seid, habt ihr zunächst das Herbarium des Dioscorides, der die Feldkräuter mit staunenswerter Sorgfalt behandelt und abgebildet hat. Hierauf lest den Hippokrates sowie den Galenus, die ins Lateinische übertragen worden sind (das heißt, die an den Philosophen Glaukon adressierte T herapeutica), ferner einen Anonymus, der vermutlich eine Kompilation aus verschiedenen Autoren darstellt. Sodann lest das Werk ‚Von der Heilkunst‘ des Caelius Aurelius und des Hippokrates ‚Von Kräutern und Kuren‘ sowie verschiedene andere über die Heilkunst, die ich euch, aufbewahrt im Schoße unserer Bibliothek, mit Gottes Hilfe zurückgelassen habe.“ Von den bei Cassiodor genannten Werken ist nur Galen, Ad Glauconem de medendi methodo, eindeutig identifizierbar, vgl. dazu Glaze 1999, 62–64. 247 Sog. ‚Defensio artis medicinae‘, Lorscher Arzneibuch, Bamberg, SB, Msc. med. 1, 5r, ed. Stoll 1992, 62: Quod si uobis non fuerit Grecarum litterarum nota facundia: Est liber her barum Dioscoridis, qui herbas agrorum mirabili proprietate disseruit atque depinxit. Post haec legite Yppocratem atque Galienum Latina lingua conuersos, idest tharapeutica Galieni ad philosophum Glauconem distinatam et anonimum quendam, qui ex diuersis auctoribus probatur esse collectus. Deinde Caeli Aureli [m1; Caeli Aureli, m2: Caelii Aurelii] de medi cina et Hyppocratis de herbis et curis diuersosque alios medendi arte compositos. Hos ergo legite … Der Lektürekanon in der Lorscher Vorrede ist fast wörtlich aus den Institutionen Cassiodors abgeschrieben. Bei der Überschrift der Capitulationes Bamberg, SB, Msc. med. 1, 9r, ed. Stoll 1992, 79, stand vermutlich Cassiodor, Institutiones, I 32,2 (anonimum quendam, qui ex diuersis auctoribus probatur esse collectus) Pate. 244 Christliche
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evtl. auch Pilger heilen wollen, sich in der Tugend der Barmherzigkeit zu üben, die Kenntnis der Kräuter zu erwerben und das Drogenbuch des Dioscorides,248 Hippokrates und Galen in lateinischer Übersetzung, insbesondere die an Glaukon gerichtete ‚T herapeutica‘ und die Hippokratische Diätetik, sowie die Heilkunst des Caelius Aurelius zu lesen. Das Corpus der erhaltenen medizinischen Handschriften zeigt, dass die von Cassiodor empfohlenen Bücher tatsächlich in manchen frühmittelalterlichen Klosterbibliotheken vorhanden waren. Die Grundkenntnisse der Medizin waren laut Augustinus auch vonnöten, um die Rhetorik des Heils in der hl. Schrift erkennen zu können.249 Zwar finden sich in der hagiographischen Literatur ab und an Fälle, bei denen Ärzte und Heilige in der Sorge um das leibliche und seelische Wohl der Gläubigen miteinander konkurrieren.250 Doch im Allgemeinen sahen die frühmittelalterlichen Gelehrten, Äbte und Mönche kein Problem darin, sich sowohl von der antiken Medizinliteratur beraten zu lassen als auch die Heilkraft Christi und seiner Heiligen in Anspruch zu nehmen. In ihren Bibliotheken standen medizinische Traktate und Rezeptarien neben hagiographischen Texten, die im Stundengebet, in der Messe und bei den Lesungen im Refektorium an den Festtagen der Heiligen verlesen wurden. Biblischen Personen wurden medizinische Fähigkeiten zugeschrieben und antike Ärzte zu christlichen Heiligen uminterpretiert. So stand der Evangelist Lukas im Ruf eines Arztes,251 die Prostituierte und Büßerin Maria Magdalena galt als heilkundige Pharmazeutin252 und die beiden griechischen Ärzte Cosmas und Damian wandelten sich im Mittelalter zu heiligen Wundertätern.253 Meg Leja sieht bei den der karolingischen Correctio verpflichteten Auto248 Zu den verschiedenen lateinischen Übersetzungen des Pflanzenbuchs von Dioscorides vgl. Paul Lebrecht Schmidt, HLLA 6/1, § 608.5, 135–140. 249 Augustinus, De doctrina christiana II, CSEL 80, 115–116. 250 Zum Beispiel aus der Vita Sturmi vgl. unten 118 A. 1. Weitere Beispiele bei Leja 2016, 11 Anm. 47. 251 Sog. ‚Defensio artis medicinae‘, Lorscher Arzneibuch, Bamberg, SB, Msc. med. 1, 4r, ed. Stoll 1992, 58, vgl. dazu unten 83, 98 A. 372. So auch der sog. Lukasbrief Paris, BnF, lat. 4883, 3r–5v (9. Jh.): Epistola Luce aeuangeliste incipit hoc modo. Lucas Christi seruus et medi cus omnibus christianis et medicis haec epistola. Constat Hypocratem medicum, ed. Rose 1894, 463. Zur Handschrift vgl. Wickersheimer 1966, 63, Nr. 53/1 mit dem aufschlussreichen Kommentar: „Traité de la formation du corps humain, de ses organes, des opérations de l’âme, des âges de la vie. L’introduction comprend d’abord une lettre attribuée à saint Luc qui marque en quoi il se sépare d’Hippocrate, celui-ci prétendant expliquer la formation de l’homme par l’action exclusive des sept planètes. … les auteurs, qui s’affirment médecins et chrétiens, déclarent avoir mis à contribution saint Isidore, saint Augustin, saint Grégoire et saint Luc pour interpréter les dire d’Hippocrate, les compléter et les réfuter au besoin.“ Zur irrtüm lichen Identifizierung des Evangelisten mit dem Arzt Lukas vgl. Büttner 2015, 27–30. Ebd., 29 Abb. 4: Darstellung des Lukas mit Ärztetasche in der Commodilla-Katakombe zu Rom. 252 Sog. ‚Defensio artis medicinae‘, Lorscher Arzneibuch, Bamberg, SB, Msc. med. 1, 2v, ed. Stoll 1992, 52. Zur Darstellung der Maria Magdalena im Csg 217 p. 251 vgl. unten 108. 253 Sog. ‚Defensio artis medicinae‘, Lorscher Arzneibuch, Bamberg, SB, Msc. med. 1, 4r, ed. Stoll 1992, 58: Nec non et martyres incliti extant, qui medicinam in usu habere et eius
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ren das Bemühen, die Ärzte wie die Heiligen der Autorität des christlichen Gottes zu unterwerfen und dem Heil des Körpers wie der Seele nutzbar zu machen.254 Die Entscheidung zwischen gelehrter und christlicher Medizin war nicht nur eine Frage des Glaubens, sondern auch eine Frage der Ökonomie.255 Die Ärzte standen schon in der Antike in dem Ruf, hohe Gebühren für ihre Leistungen zu berechnen und ineffizient zu sein.256 In den Abschriften der spätantiken Textcorpora werden die Klagen über gierige Vertreter der Disziplin kolportiert, beispielsweise im Prolog der ‚Medicina Plinii‘ über die Geschäftstüchtigkeit und andere Verfehlungen der Ärzte: „Oft geschah es mir auf Reisen, dass ich … Bekanntschaft machen musste mit verschiedenen Betrügereien durch Ärzte, wobei einige von ihnen billige Medikamente zu horrenden Preisen verkauften, andere sich bestimmter Fälle annahmen, von denen sie keine Ahnung hatten, weil sie auf das Geld aus waren. Mir ist sogar zu Ohren gekommen, dass einige so auf Beutefang gehen, dass sie Leiden, welche innerhalb … weniger Stunden kuriert werden könnten, in die Länge ziehen, um von ihren Patienten lange profitieren und um selbst noch schlimmer wüten zu können als die Krankheiten.“257 Alkuin polemisiert gelegentlich gegen gelehrte Ärzte.258 Boten sie ihren Dienst jedoch kostenlos feil und verbanden sie ihn mit dem Segen Gottes, so akzeptierte er sie am Aachener Hof: Attamen, o medici, cunctis impendite gratis, / ut manibus vestris adsit benedictio Christi: / Haec mihi cuncta placent, iste est laudabilis ordo („Oh Ärzte, leistet es für alle gratis, / dass der Segen Christi euren Händen beistehe: / Das alles gefällt mir, es ist ein löblicher Stand.“).259 studiis intentos fuisse dicuntur, id est Cosmas et Damianus. Mit der Transformation dieser beiden Ärzte in christliche Heilige im Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter befasst sich mein Forschungsprojekt im SFB 1136. 254 Leja 2016, 33: „medicine earned the respect and careful consideration of the Carolingian elite because of the perceived connection between physical and spiritual salubrity. To engage with the medical tradition was to encapsulate the broader aims of the Carolingian correctio precisely because of the analogies between the doctor’s work and God’s.“ Allerdings würde ich nicht so weit gehen wie Leja 2016, 28 f. und Titel, dass die Medizin in der Karolingerzeit zur „ars sacra“ aufgewertet worden sei. Der Terminus basiert auf einer paläographischen Fehlentscheidung Lejas zum Incipit von Csg 217 (ebd., 17), vgl. dazu unten 107 u. A. 436. Zum Zusammenhang „healthy body“ – „healthy soul“ siehe auch Leja 2022, 203. 255 Zur Debatte um die ökonomischen Aspekte vgl. Wiedemann 1976, 82–92. 256 Die ärztefeindlichen Äußerungen Plinius d. Ä., Catos und Martials wurden auch im Mittelalter zur Kenntnis genommen. Vgl. dazu Bergdoldt 1991. 257 Csg 751, p. 184: Frequenter mici in peregrinationibus accidit ut propter meam aut me orum infirmitatem uarias fraudes medicorum experirer … stammt aus der ersten Vorrede zur ‚Medicina Plinii‘, vgl. ed. Önnerfors 2006, Vol. I, 102. In der letzten Zeile von p. 184 mihi statt mici. Nina Otto, in: Heilkräuter 2010, 28, liest mihi; vgl. auch Dora u. a. 2016, 55 u. Abb. p. 184 ebd. 54. Derselbe Text auch in Csg 752 p. 7, dort statt mici medici (ich danke Klaus-Dietrich Fischer für diesen Hinweis). Ein ähnlicher Tenor im Vorwort zum Herbar des Ps.-Apulaeius. 258 Alkuin, Epist. Nrr. 8, 65, 171, 213. Vgl. dazu Lohrmann 2013, 450 f. 259 Alkuin, Carmen 26, Vv. 15–17 (April 796), MGH Poet. lat. I, 245. Deutsche Überset-
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Das Modell der kostenlos praktizierenden Ärzte, der Anargyroi, kam bereits in der Spätantike auf. Allerdings muss man hinzufügen, dass die hohen Gebühren der Ärzte nicht zwingend ihrer Habgier geschuldet waren, sondern den teuren, aus dem Mittelmeerraum stammenden Zutaten für die Medikamente. Sie ließen sich nördlich der Alpen nur über den Fernhandel und zu exorbitanten Preisen beschaffen. Da die meisten Kranken im Frühmittelalter – anders als die A achener Hofgesellschaft – weder Zugang zu gelehrten Ärzten noch zu deren Medikamenten hatten, blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als sich auf die Kräutermedizin zu verlassen und die Heiligen um Hilfe zu bitten. Mit zunehmender Christianisierung und bei fortschreitender Etablierung von Kultorten wurden die Wunderheiler für alle erreichbar und zugänglich. Die Heiligen erwarteten geringe Gaben für ihre Leistung, oft nur ein Gebet, d. h., das Bekenntnis zum christlichen Glauben.260 Im Frühmittelalter wurde nicht nur die antike Forderung nach der Armenmedizin aufgegriffen; auch die Grundsätze der medizinischen Ethik, der „Deontologie“ (ärztliche Pflichtenlehre), wurden tradiert.261 Alle diese Aspekte finden sich in den beiden Vorreden zum sog. Lorscher Arzneibuch (Bamberg, SB, Msc. med. 1)262 und in dem anschließenden Fragment eines Hippokratischen Eides263 (6r) wieder. Die zweite Vorrede (5r) gibt Verse über Ärzte und Medizindrogen wieder, die an den Schränken in der Bibliothek Isidors von Sevilla angebracht gewesen sein sollen.264 Darin erscheinen Cosmas und Damian sowie Hippokrates und Galen als vorbildliche Ärzte und Lehrer in der Medizin: COSMAS DAMIANVS zung nach Lohrmann 2013, 450. Zu dem Gedicht und den darin genannten Wissenschaften am Hof vgl. oben 12 u. A. 29. 260 Es fällt auf, dass die hagiographischen Schriften, insbesondere die Mirakelerzählungen, im 9. Jahrhundert auf materielle Gaben für die Heiligen verzichten und stattdessen den spirituellen und symbolischen Lohn in Form eines Gebetes einfordern. 261 Zu einigen deontologischen Handschriften des frühen Mittelalters vgl. Wiedemann 1976, 93–131; Hirschfeld 1965. Zu Verbindung tradierter und christlicher Aspekte in der frühmittelalterlichen Deontologie vgl. MacKinney 1952. Aus dem 9. Jahrhundert nennt sie drei Manuskripte, in denen die hippokratische Ethik mit christlicher Moral verbunden wird: Bamberg, SB, Msc. med. 1 (olim L III 8); Paris, BnF, lat. 11219; Csg 751. 262 Zu den Editionen, zur Forschungslage hinsichtlich der Datierung der Handschrift, des Alters und der Provenienz dieser Texte sowie der ersten Vorrede vgl. unten 93–94, 96–100. 263 Der Eid, entstanden im 4. Jh. v. Chr., wurde erst seit dem Frühmittelalter Hippokrates zugesprochen, vgl. dazu Wiedemann 1976, 85–90; Galvão-Sobrinho 1996. Das Fragment in Bamberg, SB, Msc. med. 1, 6r, enthält einen Auszug aus dem Hippokratischen Eid, der – von grammatikalischen Abweichungen und einigen wenigen Wortauslassungen abgesehen – der Fassung in einer frühmittelalterlichen ‚Ars medicinae‘ entspricht, vgl. Anastassiou / Irmer 2012, 269 f.; Laux 1930. 264 Edition: Lorscher Arzneibuch, ed. Stoll 1992, 64; Übersetzung: ebd., 65. Die Identifizierung des Textes war bereits Sudhoff 1916b gelungen. Vgl. dazu Lorscher Arzneibuch, ed. Stoll 1992, 25, und Fischer 2010, 173 f., bes. Anm. 25–26. Edition der vollständigen Versus Isidori bei Sánchez Martín 2000.
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IPPOCRATIS GALENVS / Quos claros orbis celebrat medicina magistros … Pig menta gerimus, pocula nulla damus. In den Versen265 werden die Ärzte aufgefordert, nicht nur reiche, sondern auch arme Patienten zu versorgen. Die Versus zur Medizin und zu den Drogen stammen vermutlich nicht von Isidor, sondern aus der älteren deontologischen Literatur. Christliche bzw. religiöse Anspielungen fehlen darin: Cosmas und Damian sind als Ärzte, nicht als Märtyrer oder Heilige angesprochen. Am Ende mag es allenfalls einen Seitenhieb gegen magische Praktiken der Antike geben.266 Anders als der Eid und die Tituli Isidors ist die erste der beiden Vorreden des Lorscher Arzneibuchs (1r–5r) – seit Sudhoff geläufig unter dem Namen ‚Verteidigung der Heilkunst‘ (‚Defensio artis medicinae‘)267 – von religiösen Aussagen vollständig durchdrungen.268 In einer Art Predigt reflektiert der unbekannte Autor unter großem Einsatz von Bibelzitaten über die Heilkraft Christi und des Hl. Geistes und über die Heilkünste der Apostel Paulus, Lukas und Maria Magdalena sowie der Märtyrer Cosmas und Damian. In die Homilie sind einzelne Sätze und ganze Absätze zum richtigen Gebrauch der ärztlichen Kunst, zur Einordnung der Medizin in die Disziplinen der Wissenschaften269 und schließlich die Lektüreempfehlungen zur Medizin und zu den Heilpflanzen aus Cassiodors ‚Institutiones‘ übernommen270. 265 Nach der Edition von Sánchez Martín 2000 sind in Bamberg, SB, Msc. med. 1, wiedergegeben: Titulus XVI „Cosmas, Damianus, Hippocrates, Gal[i]enus“ (227), XVII–XVIII „De medicis aegrotisque“ (227) sowie der „Titulus pigmentarii“ XIX–XXIV, wobei von Tit. XXII nur die Verse 1–2 wiedergegeben sind, ed. Sánchez Martín 2000, 229, 231, 233). In der Handschrift nur die Überschrift zu Titulus XVI, der Text ohne Zeilensprung am Versende. 266 Tit. XXIV: Uascula congregata [recte: concreta] fragili de puluere creta(e) / Pigmenta gerimus, pocula nulla damus. „Wir Gefäße, geformt aus feinem Pulver von Kreide, bewahren Drogen, aber Gifte geben wir nicht.“ Ich folge hier nicht der fehlerhaften Übersetzung von Stoll 1992, 65. Dieser vermutete ebd., 28, Bischof Isidor habe die magische Volksmedizin des paganen Schriftstellers Marcellus (4. Jh.) kritisieren wollen. Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht, da Marcellus Christ war. Zur Biographie vgl. Klaus-Dietrich Fischer, HLLA 6/1, 2020, 113, und unten den Mandelspruch in Bern, BB, 224, 74ra. 267 Edition und Übersetzung: Lorscher Arzneibuch, ed. Stoll 1992, 48–63. Musitelli / Bossi 2014, 5, halten die von Sudhoff eingeführte Bezeichnung ‚Verteidigung der Medizin‘ für irreführend. Sie vermuten als Autor eher einen Benediktiner, der gegen die Säkularisierung der Medizin durch „entlaufene“ Mönche polemisierte, die ihre Kenntnisse gegen Bezahlung anboten anstatt kostenfrei, wie es die christliche Karitas verlangte. 268 In dieser Hinsicht stellt der Text eine Ausnahme in der frühmittelalterlichen deontologischen Literatur dar. Vgl. dazu MacKinney 1952, 5–6. Ebenfalls stark christlich geprägt ist das medizinische Handbuch Paris, BnF, lat. 11219 aus Saint-Denis. Vgl. dazu MacKinney 1952, 9, und Leja 2016, 20. 269 Zum hier verwendeten Schema, das für die Frage der Quellen und der Herkunft des Textes wichtig ist, vgl. unten 44–46. 270 Zu den Übereinstimmungen zwischen der ersten Vorrede des Lorscher Arzneibuchs und den Institutionen Cassiodors vgl. oben 79 A. 246 f. Zu den weiteren in der Vorrede verwendeten Vorlagen und den Rückschlüssen, die sie auf den Autor zulassen, vgl. unten 98–99.
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5 Kosmos und Körper
5.3 Medizin in den Klöstern versus Klostermedizin: St. Gallen und Lorsch In der Karolingerzeit interessierten sich eher die Mönche und die Priester für die antike Medizin als das Herrscherhaus. Jedenfalls gewinnt man diesen Eindruck aus der medizinisch-pharmazeutischen Überlieferung der Klöster und der Hofbibliothek. Nur in wenigen Klöstern gab es ausgesprochene Medizinexperten. Sie sind vor allem im Bodenseeraum und am Oberrhein – in St. Gallen, auf der Reichenau und in Murbach271 – zu finden, einige auch in Lorsch und Fulda.272 Der St. Galler Hauptkatalog führt mehrere Kompendien unterschiedlichen Formats und Umfangs zur medizinischen Literatur an273 und Abt Grimald soll in seiner Privatbibliothek einen Medicinalis liber geführt haben;274 aus Abschriften seiner Bücher haben sich zwei Rezepte erhalten.275 Doch das Corpus medicinale von St. Gallen war im 9. Jahrhundert weit umfangreicher276 als es die zeit271 Zu den medizinischen Handschriften aus St. Gallen vgl. unten 85–93. Zu den archäologischen Befunden der Infirmerie auf der Reichenau vgl. Zettler 1988, 48–60, zum Nachweis von Ärzten und Heilkundigen vgl. Zettler 1998. Im Reichenauer Katalog von 821/22 waren die Medizincodices unter der Rubrik De libris medicinae artis eigens ausgewiesen; sie standen zwischen den historiographischen Werken und den Liturgica (vgl. Lehmann 1918, Bd. 1, 248, Nr. 49). Das Kloster Murbach im Elsaß verzeichnet in seinem Katalog aus dem 9. Jahrhundert fünf Codices unter der Rubrik DE ARTE Medicine (vgl. dazu Milde 1968, 48 Nrr. 331–335 (Edition) u. 61 (Kommentar)), darunter von Oribasios die ‚Synopsis‘ (Nr. 331: Libri octo vruasij) und die ‚Eporista‘ (Nr. 333: Liber herbarius vrua sij) und des Sextus Placitus ‚De medicamentis ex animalibus liber‘ (Nr. 332: Libri placiti). 272 Zu Lorsch vgl. unten 93–103. Fischer 2018, ermittelte aus Fulda für die Zeit bis 850 drei erhaltene Codices zur Medizin: 1) Cologny, Bodmer-Stiftung, 84 (Hippokrates, De diaeta); 2) Csg 761 (zum Inhalt vgl. unten 85–86 A. 281, 282 u. 284), 3) Paris, BnF, lat. 6880 (Rezeptbuch des Marcellus Empiricus). 273 Csg 728, p. 21, Z. 22–23: libri medicina(lis) artis volumina ii et I parvus; libri iii medi cinalis artis in quaternionibus. 274 Csg 267, p. 32, Z. 4; der Codex lässt sich in der Bibliothek später nicht mehr identifizieren. 275 Ein Fieberrezept und ein Mittel gegen Feigenwarzen (De fico emendando) mit alt hochdeutschen Wörtern in Csg 899, p. 131, und Csg 397, p. 22. Csg 899, p. 131, endet mit dem Vermerk: De lib(ro) Grim[aldi] tuli. Dieser Codex, Ende des 9. Jahrhunderts von zahlreichen Händen in St. Gallen geschrieben, enthält auch Komputistisches, vgl. Borst, 2006, 292. Zum Csg 397, der mit Grimald in Verbindung gebracht wird vgl. oben 55–57, 63, 78 A. 235, u. unten 90 A. 312. Ob Grimald in der Medizin tatsächlich so gut ausgewiesen war, wie Glaze 1999, 92–98, annimmt, die in Walafrid Strabo und Ermenrich zwei seiner Schüler sieht, sei dahingestellt. 276 Zu den medizinischen Handschriften der St. Galler Stiftsbibliothek aus dem frühen Mittelalter vgl. Beccaria 1956, 364–394, Nrr. 129–140; Duft 1975, 30–32; Dora u. a. 2016. Eine vollständige Zusammenstellung und Analyse der karolingerzeitlichen Medizinhandschriften sowie der in anderen Codices verstreuten medizinischen Exzerpte aus St. Gallen steht noch aus. Weitere Belege für die Medizin und Krankenpflege in St. Gallen bei Schmuki 2011 und Tremp 2013a.
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genössischen Kataloge erkennen lassen; es stand dem der Reichenau in nichts nach.277 Die griechischen Autoritäten sind in St. Gallen in lateinischer Übersetzung in bis zu 500 Seiten (Csg 751) starken Kompendien278 zusammen mit medizinischen und pharmazeutischen Texten, lateinischen Übersetzungen griechischer Klassiker, wie der Prognostik des Hippokrates, mit Rezeptarien, Antidotarien, Aderlasstraktaten (Flebotomia), Lunaren und Tafeln der sog. ägyptischen Tage, die man zur Berechnung der Aderlasstermine benötigt, überliefert.279 Die Kompendien gewähren Einblick in die Art und Weise, wie antike gelehrte Medizin und Magie im Frühmittelalter rezipiert wurden, und sie lassen erkennen, wie eng diese Wissensfelder mit der Prognostik und der Komputistik verknüpft waren.280 Aus dem Corpus Hippocraticum281 und von den echten bzw. zugeschriebenen Werken Galens282 waren in St. Gallen im 9. Jahrhundert verschiedene la277 Die bei Autenrieth 1980, 2 Anm. 8 angekündigte Dissertation von Rainer Amberg über medizinische Texte in den frühmittelalterlichen Bibliotheken des Bodenseeraums wurde nach meinen Recherchen offenbar nicht abgeschlossen. 278 Csg 44 (Teil II: pp. 185–368), 217 (Teil II: pp. 251–274, 335–342), 751, 752, 759, 761, 762, sowie die – bislang nicht digitalisierten – Fragmenta 1396, pp. 9–13 (vgl. die Abb. in CLA VII 992), 15–16, 19, 20–22. 279 Csg 44, pp. 220–223: Hippokrates, Prognosticon, c. 1–5 (Incipit prenostica Ypocratis tertio medico) = Lat2 nach Fischer, 2008, 189; diese Version der lateinischen Übersetzung in einer anderen Variante ohne Titel auch in Csg 751, pp. 308–311; vgl. dazu Fischer, 2008, 191 sowie die Edition auf der Grundlage dieser beiden Handschriften ebd., 193–195 mit Apparatus criticus (195–198) und ausführlichem Kommentar (198–219). Beide Handschriften sind unabhängig voneinander in (Ober-)Italien in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts entstanden. Csg 44, pp. 224–226: Demokrit, Prognostica (Incipit pronostica Democrito sumo philossopo), ein Text, der sonst eher Hippokrates zugeschrieben wird (vgl. Sudhoff 1916a); ebd., pp. 337–354 und 354–368: zwei Rezeptarien, das erste hier Aristoteles zugeschrieben, das zweite unvollständig (beide ed. bei Jörismann, Rezeptarien, 1925, II.A und B). Csg 751, pp. 165–167 u. 374–376. Lunare Danielis (Lunaris sancti Daniheli): Csg 751, p. 376 u. pp. 428c-429. Csg 124 (exegetisch-liturgische Sammelhandschrift aus Saint-Amand, um 810–20), p. 309, unten 88, und Csg 751, pp. 376–377 u. 401: Dies egyptiacis. 280 Gut zu sehen in Csg 225, um 773: auf den komputistischen Teil (pp. 114–134) folgt ein medizinisches Regimen aus dem Corpus Hippocraticum zur Diätetik und zum Aderlass (pp. 135–137; p. 135: Incipit tempora per sanitatem corporum Ypp qualem observationem debent hominibus). 281 Aus dem Corpus Hippocraticum: Csg 751, pp. 368–369: Liber medicinalis Ypocratis. Csg 877, pp. 33–49: Medicinalis ars Ypogratis (Beccaria 1956, 390–391, Nr. 138); Hippokrates, De diaeta, Lib. II ‚De cibis vel de potum‘ in Csg 751, pp. 372–373, vgl. Kibre 1985, 126; in Csg 762, pp. 187–216, ed. nach der Hs. bei Rose, Heft 2, 1870, 151–156 Nr. V. Die Hippokrates zugeschriebenen Briefe (vgl. dazu Fischer, Karl-Dietrich, Art. „Pseudo-Hippokrates, Epistulae“, HLLA 6/1 § 608.2, 121–124): Epistula ad Antiochum regem (Csg 44, p. 197; Csg 751, pp. 163–165; Csg 752, pp. 80–81; Csg 265, pp. 93–97), Epistula ad Maecenatem (Csg 751, pp. 157–165; Csg 761, pp. 3–10), Epistula Ippocratis de pectus in zwei Versionen (Csg 751, pp. 163–165, pp. 317–318). Zu Csg 761, von einer insularen Hand in Fulda geschrieben, vgl. Fischer 2018, 407–412. Zum hippokratischen Prognostikon in Csg 44 und Csg 751 vgl. oben A. 279 und unten 104 u. A. 417. 282 Galen: ‚Liber ad Glauconem de medendi methodo‘: Csg 761, pp. 11–18 und 32–50
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teinische Übersetzungen vorhanden, aus der spätantiken christlichen Literatur das vierte Buch der Etymologien Isidors über die Medizin.283 Exzerpte der (Ps.-) hippokratischen Schriften boten die Kurzfassung des Oribasios (4. Jh.) für seinen Sohn, den Arzt Eustathius, und die Synopsis-Euporista an Eunapius,284 die Epistula ad Pentadium, ein Lehrschreiben des römischen Arztes Vindicianus (Ende 4. Jh.), sowie dessen Einführung in die Anatomie und Embryologie.285 Über die Wirkung medizinischer Substanzen und Behandlungen unterrichtet die Gattung der „Dynamidia“ vertreten durch den römischen Agrar- und Medizinschriftsteller Quintus Gargilius Martialis (3. Jh.) sowie anonyme oder Hippokrates, Galen und Aeskulapius zugeschriebene Texte.286 Auszüge aus der ‚Medicina Plinii‘287 und zwei Varianten der ‚Physica Plinii‘ standen ebenfalls zur Verfügung.288 (Lib. I, Exz.). (Ps.-)Galen: ‚Liber de urinis‘: Csg 751, pp. 324–333, ‚Epistula de flebotomia‘: Csg 751, pp. 359–361, ‚Epistula de febribus‘: Csg 751, pp. 370–372; Csg 759, pp. 41–45. ‚De simplicium medicamentorum temperamentis et facultatibus‘ (unter dem Titel Liber virtutes pigmentorum vel herbarum aromaticas), Exz.: Csg 762, pp. 138–184, ed. Rose 1894, 401–423. 283 Isidor, Etymologie, IV (De medicina): Csg 752, pp. 161–178. 284 Oribasios, Conspectus ad Eusthatium filium: Csg 759, pp. 13–41 (Lib. II.); Csg 761, pp. 29–31 (Lib. VI, Exz.), 67–159 und 175–288 (Lib. VI, V, IV, VIII, Exz.); Csg 762, pp. 266– 267 (Exzerpt). Oribasios, Liber ad Eunapium de parabilibus medicamentis (Synopsis-Eupo rista): Csg 761, pp. 159–175. 285 Vindicianus, Epistula ad Pentadium: Csg 44, p. 194 (ed. Rose 1894, 485–492); Csg 751, pp. 340–341 und pp. 357–358 (Exzerpte). Vindicianus, Gynaecia: Csg 751, pp. 311– 317, pp. 356–357, ed. Rose 1894, 426–462. Zu Autor und Werk vgl. Fischer, Karl-Dietrich: Art. “Vindicianus“, HLLA 6/1, 2020, §607.1, 94–100. 286 Anonym: Csg 762, pp. 25–72, Lib. I–III, = Exzerpte aus Hippokrates, De diaeta, Lib. II (vgl. Kibre 1985, 133), und Quintus Gargilius Martialis, Liber de virtutibus herbarum (nach der St. Galler Handschrift ed. bei Rose, Heft 2 1870, 131–150 Nr. V). Zum Werk und seiner Überlieferung vgl. Klaus-Dietrich Fischer, Art. „Quintus Gargilius Martialis“, HLLA 4, 1997, § 452.1, 271–272. Zu dieser Gattung gehört auch der Liber virtutes pigmen torum vel herbarum aromaticas in Csg 762 pp. 138–184, der dort Galen zugeschrieben wird, aber aus dem ‚Euporiston‘ des T heodorus Priscianus stammt (Ed. nach der Hs. bei Rose 1894, 401–423). Diese Werke gehörten nach mittelalterlichem Verständnis zu den „Dynamidia“, den Handbüchern, in denen die Wirkung der Nahrungsmittel und Medikamente beschrieben wird. Laut MacKinney 1936, 400–402, war der Begriff „Dynamidia“ der griechischen Medizin nicht geläufig; er kam erst in der Spätantike auf. Der früheste Beleg findet sich bei Isidor, Etymologiae, IV.x (De libris medicinalibus), ed. Lindsay 1911: [3] Dinamidia, potestas herbarum, id est vis et possibilitas. Nam in herbarum cura vis ipsa δὐναμις dicitur; unde et dinamidia nuncupatur, ubi eorum medicinae scribuntur. Nach MacKinney wurde der Begriff im Mittelalter weiter gefasst als bei Isidor. Zur frühmittelalterlichen Gattungsbezeichnung vgl. auch Fischer 2011, 180 f. Im ‚Lorscher Arzneibuch‘ (Bamberg, SB, Msc. med. 1, 21v-22r, ed. Stoll 1992, 128–131 Nr. 46) befindet sich am Ende von Buch I des Antidotars eine längere Erläuterung Ad Elefantiosos, in der auf die ‚Dynamidia‘ mit Bezug auf den ‚Liber Esculapii‘ (c. 38, ed. Manzanero Cano 1997) verwiesen wird. Auch der ‚Liber passionalis‘ aus St. Gallen, Csg 752 p. 271, enthält einen Verweis auf dinamidiis. 287 Medicina Plinii (Plinius Secundus), Lib. I–III: Csg 752, pp. 6–80. 288 Physica Plinii Sangallensis, Lib. I–III in der Variante Csg 751, pp. 184–185, 182–184, 185–210, 215–218, 218–280 (die Seitenzählung resultiert aus den falsch zusammengesetz-
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Unter dem Namen des griechischen Gottes der Heilkunst Asklepios (lat. Aeskulapius) kursierte ein 45 Kapitel umfassendes Verzeichnis chronischer Krankheiten.289 Zu den Raritäten der Stiftsbibliothek gehören der Traktat über die akuten und chronischen Leiden nach Hippokrates, Galen und Soranos, der sog. ‚Liber passionalis Galieni‘290 (um 900), und die Schrift des Quintus Gargilius Martialis über Heilmittel aus Gemüse und Obst291. Nicht der Medizinliteratur im engeren Sinn, sondern eher der Unterhaltungsliteratur zuzurechnen sind die beiden besten erhaltenen Abschriften des ‚Liber medicinalis‘ des Quintus Serenus (zwischen 2. u. 4. Jh.) aus St. Gallen.292 Dieses über 1.000 Hexameter umfassende medizinische Lehrgedicht enthält u. a. die magische Formel „Abracadabra“ gegen das Wechselfieber bei Malaria.293 Pharmazeutisches Wissen konnten sich die St. Galler Mönche aus einer aus Norditalien stammenden Abschrift des Herbarius des Ps.-Apulaeius (4./5. Jh.) holen,294 aus einem als ‚Botanicus‘ titulierten Heft,295 dessen Material sich weitgehend aus derselben Schrift speist, und aus einer weiteren, Galen, Apulaeius und Chiron zugeschriebenen Schrift 296. Diätregeln für Speisen und Getränke, die auf die im Frankenreich verbreiteten Nahrungsmittel eingehen, stellte der griechische Arzt Anthimus für den Merowingerkönig T heuderich I. – er regierte in Austrasien von 511 bis 533 – in einem Brief zusammen (‚De observatione ciborum‘);297 nur über Getränke lässt sich die Hippokratische Schrift ‚de ten Lagen!). Ed.: Önnerfors 2006. Die Physica Plinii aus Csg 217 und Fragm. 1396 ist laut Fischer 1987 eine Kopie der ‚Physica Plinii Bambergensis‘, nicht die ‚Physica Sangallensis‘, wie Beccaria 1956, 370, Nr. 131/3, und Köpp 1980 annahmen. 289 Liber Esculapii: Csg 751, pp. 40–162. Zum Werk vgl. die kommentierte kritische Edition von Manzanero Cano 1997. 290 Oxea et Chronia passiones Yppocratis, Gallieni et Urani [= Sorani]: Csg 752, Teil II, pp. 178–326. Vgl. dazu Fischer 2013, und Fischer 2007. 291 Medicinae ex oleribus et pomis: Csg 752, pp. 83–133 (Quintus Gargilius Martialias, ed. Rose 1875); Exzerpte davon in Csg 762, p. 135, ed. bei Rose, Heft 2, 1870, 129 Nr. V. Zu Autor und Werk vgl. Klaus-Dietrich Fischer, Art. „Quintus Gargilius Martialis“, in: HLLA 4, 1997, § 452.1, 269–273, zu den ‚Medicinae ex oleribus et pomis‘ bes. 271–273. 292 Hs. A = Zürich, ZB, C 78 (Teil IV), foll. 59r–82v (Beccaria 1956, 395–396, Nr. 141); Hs. B = Csg 44 (Teil II), pp. 304–324b (Beccaria 1956, 364–368, Nr. 129). Edition Vollmer 1916, 3–52, die Hs. A ebd., XXIV, fälschlicherweise als „W 78“ (statt „C 78“) bezeichnet. Ergänzungen Vollmer 1918. Die lateinisch-französische Ausgabe von Pépin 1950 ist der lateinisch-deutschen von Brodersen 2017 vorzuziehen. Zu Person, Werk und Rezeption vgl. Klaus-Dietrich Fischer und Kurt Smolak, HLLA 5, 1989, § 556, 315–320. 293 Das „Abracadabra“ im ‚Liber medicinalis‘, c. 51 (Zürich, ZB, C 78, fol. 79r), und Csg 44, p. 321, abgebildet bei Dora u. a. 2016, 41 u. 43. Zu den beiden Handschriften vgl. unten 90–91, 111 u. 113. 294 Csg 751, pp. 176–182. 295 Csg 217, pp. 309a–322b, 293a–308b, 275a–288a. Zum Codex vgl. Niederer 2005. 296 Csg 762, pp. 72–132: De erbas galieni et apollei et ciceronis [= Chironis, vgl. auch Csg 751 p. 417] in 112 Kapiteln, darunter Auszüge aus Quintus Gargilius Martialis, ed. bei Rose, Heft 2, 1870, 129 Nr. V. 297 Unter dem Titel ‚Anthimus ad regem T heodericum‘ in Csg 762, pp. 217–260; ed.
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cibis vel de potum‘298 aus. Ein Liber dietarum Diversorum Medicorum in Csg 752, pp. 133–159 beginnt mit Mitteln gegen Haarausfall; in Csg 44, pp. 268–276 verbergen sich hinter einem identischen Titel Exzerpte aus dem ‚Liber diaetarum Alexandri‘.299 Csg 124 kombiniert p. 309 die ägyptischen Tage mit Getränke empfehlungen nach Monaten geordnet (Ratio per singulas mensis quales potiones usitare debemus).300 Im Scriptorium zu St. Gallen kopiert worden waren die Institutionen Cassiodors (Csg 199, 3. Viertel 9. Jahrhundert),301 der pseudohippokratische Brief an König Antiochus (Csg 265, pp. 93–97) sowie das Kompendium Csg 752, pp. 5–160, das sechs medizinische Texte und eine magische Sphäre (p. 82) bietet302. Wohl aus Norditalien gelangte das um 800 oder kurz danach geschriebene, gefaltete Libell Csg 217 inkl. der Fragmenta 1396 an die Steinach. Bei der darin enthaltenen Sapientia artis medicinae handelt es sich um Auszüge aus der ‚Physica Plinii Bambergensis‘.303 Erst um 1461 wurde das Libell – das Vademecum eines Wanderarztes? – mit einem Botanicus304 und einem Bestiarius,305 einem Verzeichnis tierischer Organe und Produkte zu Heilzwecken, aus dem 9. Jahrhundert zusammengebunden und bei der Gelegenheit die Reihenfolge der Lagen vertauscht.306 Rose, Heft 2, 65–98 Nr. IV, ebd. 57 f. mit Verweis auf den Csg 762 (Sigle G). Vgl. dazu auch Dora u. a. 2016, 56 f.; weitere Belege und Interpretation des Anthimus-Briefes aus der Karolingerzeit bei Leja 2022, 199–102. 298 Csg 762, pp. 187–216, ed. nach der Hs. bei Rose, Heft 2, 1870, 151–156 Nr. V. 299 Vgl. dazu Fischer 2017. 300 Die im Wesentlichen exegetisch-liturgische Texte enthaltende Hs. wurde nicht in St. Gallen geschrieben, sondern in Saint-Amand um 810–20. 301 Csg 199, pp. 3–113, vgl. Dora u. a. 2016, 58 f. 302 Beccaria 1956, 381–383, Nr. 134. 303 Csg 217, Teil II, pp. 251–274, 335–342 sowie Fragmenta 1396, pp. 9–13, 15–16, 19, 20–22: Sapientia artis medicinae. Ed. mit Kommentar: Köpp 1980. Zu Teil II von Csg 217 vgl. Beccaria 1956, 369–371, Nr. 131, zum Antidotar (Liber fisicum medicinalis) Csg 217 pp. 254, 259–260, 257 vgl. Jörimann 1925, 5 u. 61–77 (Abweichungen von Bamberg, SB, Msc. med. 2). Dass es sich bei der ‚Ars medicinae‘ um Auszüge aus der ‚Physica Plinii Bambergensis‘ handelt, hat Fischer 1987, festgestellt (vgl. dazu oben 86 f. A. 288). Köpp 1980, 12, vermutet eine Entstehung der Handschrift in Oberitalien, vielleicht Bobbio. Provenienz Norditalien vermutet auch Bischoff 1984, 178 Anm. 22, 190; er datiert das Libell auf Anfang 9. Jahrhundert. Zur Besonderheit der gefalteten Handschrift vgl. unten 107 A. 434. 304 Csg 217, pp. 309a–322b, 293a–308b, 275a–288a. Vgl. dazu Niederer 2005. 305 Csg 217, pp. 288a–292b, 323a–332a. Die ‚Ars medicinalis de animalibus‘, ed. Ferraces Rodríguez 2016. Die Bezeichnung ‚Bestiarius‘ ist mehrdeutig. Unter einem ‚Bestiarium‘ versteht man normalerweise den ‚Physiologus‘, ein Gedicht, in dem Tiere anhand ihrer Charaktereigenschaften allegorisch nach christlicher Ethik gedeutet werden. Mit dem St. Galler ‚Bestiarius‘ ist dagegen eine Sammlung von Rezepten gemeint, in denen Heilmittel aus Tierkörpern und -organen für die Behandlung von Menschen hergestellt werden. 306 Eine Rekonstruktion der ursprünglichen Reihenfolge des medizinischen Vademecums aus Csg 217 und Fragmenta 1396 bei Köpp 1980, 15, mit Auflistung aller Einzeltexte ebd, 19–22. Die Annahme von Bischoff 1966a, 99, dass auch die Fragmente 1395, p. 468 u. 468b, zu diesem medizinischen Kompendium gehört hätten, hat Köpp 2018, 12, mit Ver-
5.3 Medizin in den Klöstern versus Klostermedizin
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Noch im 9. Jahrhundert gelangten weitere medizinische Kompendien an die Steinach. Aus norditalischen Scriptorien307 kamen Csg 751, wahrscheinlich auch Csg 762 (entstanden kurz nach 800) und der zweite Teil von Csg 44; das pseudohippokratische Prognosticon in der lateinischen Übersetzung der Spätantike (Lat2) ist im Csg 44 und im Csg 751 enthalten.308 Unbestimmt ist die Provenienz der Sammelhandschrift Csg 877, die ein ungewöhnlich breites Spektrum an Wissensfeldern repräsentiert,309 und die der beiden medizinische Exzerpte und pharmazeutische Rezepte enthaltenden Libelli, die im 9. Jahrhundert geschrieben – das erste von einer kontinentalen, das zweite von einer insularen Hand – und zu einem unbestimmten Zeitpunkt im Csg 759 zusammengebunden wurden.310 Die kleinformatige medizinische Sammelhandschrift Csg 761 – wohl ebenfalls ein Vademecum –, um 800 von einer insularen Hand geschrieben, hat Bischoff dem Scriptorium von Fulda zugewiesen.311 Es könnte über den in Fulda ausgebildeten späteren Reichenauer Abt Walafrid Strabo nach St. Gallen gelangt sein. Walafrid widmete sein Gedicht ‚De cultura hortorum‘, in dem er 23 Gartenpflanzen in 444 Hexametern vorstellt, seinem Lehrer Grimald, der später Abt von St. Gallen wurde.312 Zwar sind heute unzählige sog. Klostergärten nach der weis auf den Inhalt widerlegt. Im Zuge der Bursfelder Reform wurde die St. Galler Stifts bibliothek um 1461 revidiert und eine Reihe von Manuskripten neu gebunden, darunter auch Csg 217. Damals wurde der Botanicus zwischen die Blätter der medizinischen Handschrift gebunden. Erst Ildefons von Arx (*1755, † 1833), von 1823 bis 1833 Stiftsbibliothekar in St. Gallen, löste die Fragmenta 1395 und 1396 aus diesem Verbund. 307 Bischoff 1984, 190, vermutet (ober-)italische Provenienz für Csg 44 (Teil II), 217 und 751. Zur Präzisierung möglicher Scriptorien und Orte der Vermittlung nach St. Gallen vgl. oben 46–47. 308 Csg 44, pp. 220–223, vgl. Kibre 1985, 202; Beccaria 1959, 10. Autenrieth 1980, 5, weist auf die Besonderheit der Sangaller Textüberlieferung hin; Transkription des ersten Kapitels (pp. 220–221) des korrumpierten Textes, ebd., 9–13. Nach der Schrift dürfte der zweite Teil inkl. des Prognosticons laut Autenrieth 1980, 2 Anm. 7 in einem italischen Scriptorium entstanden sein. Der zweite Teil von Csg 44 wurde mit dem ersten Teil, der Auszüge aus dem Alten Testament enthält und im Auftrag des Konstanzer Bischofs Johannes II. (amt. 760–781), der zugleich Abt von Reichenau und St. Gallen war (CLA VII 899), geschrieben wurde, zu einem späteren Zeitpunkt zusammengebunden. Beccaria wie Autenrieth haben übersehen, dass auch Csg 751, pp. 308–311 das Prognosticon in der lateinischen Version 2 enthält, allerdings von Csg 44 unabhängig ist; vgl. dazu Fischer 2008, 191. 309 Csg 877 ist nach Scarpatetti 1999, 38, 233 Anm. 34 nicht in St. Gallen geschrieben. Er enthält hauptsächlich Schultexte und christliche Dichtungen der Spätantike, vgl. dazu oben 77 u. A. 230. Zu den Schüler-Lehrer-Dialogen vgl. unten 107. Die Handschrift wurde im 9. Jahrhundert (in St. Gallen) von einem Notker benutzt (vgl. den Eintrag p. 74). 310 Csg 759, pp. 1–94. Beccaria 1956, 384–386, Nr. 135. 311 Bischoff 2014, Bd. 3 Nr. 5847. Der St. Galler Stiftsbibliothekar Dora u. a. 2016, 52 f., lässt die Provenienz offen: England, Irland oder ein insular beeinflusstes Scriptorium auf dem Kontinent. 312 Walafrid Strabo, De cultura hortorum, ed. Berschin 2007. Die älteste Handschrift wurde um 850 im Kloster Fulda angefertigt. Das Widmungsexemplar an Grimald befand sich bis 1600 in St. Gallen. Es wurde von dem Gelehrten Melchior Goldast (1576–1635) entwendet und kam auf abenteuerlichem Weg 1690 in den Besitz der Vatikanischen Bibliothek
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Anleitung dieser Schrift gestaltet, im Mittelalter war es aber kaum bekannt.313 Über die Provenienz und den Kollektor der Sammelhandschrift Csg 878 muss, nachdem Walafrid den Erkenntnissen Tino Lichts zufolge als Schreiber und Vorbesitzer ausscheidet,314 neu nachgedacht werden. Der Codex enthält – und nur das macht ihn für unseren Zusammenhang interessant – zahlreiche Exzerpte aus der Artes-Literatur, aus der astronomisch-komputistischen Fachliteratur sowie Rezepte und medizinische Traktate.315 Kompliziert ist die Entstehungsgeschichte und der Weg der ältesten Abschrift des ‚Liber medicinalis‘ des Quintus Serenus. Sie bildet den vierten Teil der St. Galler Sammelhandschrift Zürich, ZB, C 78.316 Nur in dieser Handschrift sind dem Medizingedicht die Versus herbarum vorangestellt aus denen hervorgeht, dass ein famulus Jakob den Text im Auftrag König Karls kopiert und mit Stift und Verstand gelesen habe.317 Lohrmann vermutet, dass dieser Jakob am Aachener Hof der Aufseher und Korrektor der Abschrift gewesen sei. Dümmler sah in ihm den Notar Jakob, der in den Urkunden Karls d. Gr. zwischen 787 und 792 belegt ist.318 Das Aachener Exemplar des Medizingedichts von Quintus Serenus hat sich ebensowenig erhalten319 wie eine Abschrift desselben, die ein Bruder Colduinus dem Reichenauer Bibliothekar Reginbert übergeben haben soll.320 Die Zeiten überdauert haben nur zwei Kopien des (BAV, Reg. lat. 469). Die enge Verbindung zwischen Grimald und Walafrid belegt auch der Memorialeintrag Walafrids in Grimalds Handschrift Csg 397, p. 63. 313 Die Schrift erreichte erst durch den Druck des St. Galler Humanisten Joachim Vadian von 1510 einen größeren Leserkreis, vgl. dazu Schmuki 2011, 15. 314 Vgl. dazu oben 56 u. A. 98. 315 Den Inhalt des Csg 878 erläutert und transkribiert minutiös Corradini 2014. Medizinische Texte: Csg 878, pp. 327–331: Epistola Ipogratis ad Antiochum (vgl. Csg 751); pp. 352–378: Inc. epistola Antimi medici inlustr. ad Titum imperat. et ad Teodericum regem Francorum (vgl. Csg 762); Rezepte: pp. 331–334, 392–393. Bis auf die Rezepte sind alle medizinischen Texte auch in anderen St. Galler Handschriften belegt. 316 Zürich, ZB, C 78, foll. 59r–82v. Vgl. Beccaria 1956, 395–396, Nr. 141, und die Beschreibung der Hs. bei Mohlberg 1951, 42–44, sowie die Addenda et Corrigenda, ebd., 358. Zur Transfergeschichte und zum Inhalt des Medizingedichts vgl. Lohrmann 2013, 451 f. ohne Angabe der Handschriftensignatur. Zu Quintus vgl. Klaus-Dietrich Fischer und Kurt Smolak, HLLA 5, 1989, 315–320. 317 Das Gedicht endet in der Edition von Dümmler, MGH Poet. lat. I, 97–98 nach der Handschrift A des Quintus aus St. Gallen (Zürich, ZB, C 78, 57v) mit Qui regit, haec fieri Karlus rex namque modestus / Mandat, ut in saeclis rutilet sophisma futuris: / Legit enim fa mulus stilo animoque Iacobus. Diese Verse sind nur hier, nicht in der Schwesterhandschrift Csg 44 enthalten. 318 MGH Poet. lat. I, 98 Anm. 1. 319 Es wird noch im Katalog von Saint-Riquier von 831 genannt, vgl. dazu HLLA 5, 319; Lohrmann 2013, 451; Glaze 1999, 74 f. 320 So niedergelegt im Verzeichnis der von und für Reginbert geschriebenen bzw. von ihm erworbenen Bücher, zwischen 835 und 840: In XXXI. libello de arte medicinae metris versibus Jacobus nomine ad Karolum regem scribebat, comprehendens capitula LXII, quem mihi frater Coldvinus detulit et donavit. (Lehmann 1918, Bd. 1, 261, Nr. 53).
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9. Jahrhunderts in St. Gallen, nämlich Zürich, ZB, C 78, foll. 59r–82v, der auf dem verlorenen Reichenauer Exemplar mit dem Schreibereintrag Jacobus beruht,321 und Csg 44, pp. 304–324b. Medizinische Texte hatten in spätantiken und frühmittelalterlichen Handschriften oft keine große Überlebenschance. Das lässt sich an den von Johannes Duft sog. „Pergamentreliquien“ aus der Stiftsbibliothek gut beobachten.322 Diese Fragmente in einem prekären Zustand wurden zwischen dem fünften und achten Jahrhundert teilweise mehrfach palimpsestiert. Die Medizintexte waren in Norditalien eingetragen worden; manche wurden bereits dort überschrieben, andere erst in St. Gallen. Csg 908 enthält acht dreifach beschriftete Blätter: Die mittlere Textschicht in einer Unziale des späten 6. Jahrhunderts mit Auszügen aus der Veterinärmedizin (‚Mulomedicina‘) des Vegetius (um 400)323 überdeckt einen römischen Rechtstext des 5. Jahrhunderts. Die ‚Mulomedicina‘ wiederum wurde von einer karolingischen Hand in St. Gallen um 800 mit einem lateinischen ‚Vocabularius‘ überschrieben.324 Nur noch in Bruchstücken lesbar ist die erste Schicht von fünf Pergamentblättern aus dem Csg 912, die im 7. Jahrhundert in Norditalien – vielleicht im Kloster Bobbio, mit dem St. Gallen durch den irischen Wandermönch Columban verbunden war –, in der Unziale mit medizinischen Rezepten beschrieben worden war.325 Ende des 7. Jahrhunderts wurden diese in einer Unziale mit der Grammatik des Donat überschrieben; die Grammatik ihrerseits musste noch in Norditalien im 7./8. Jahrhundert dem sog. ‚Abba-Abavus‘-Glossar weichen, das seit-
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Quintus Serenus, Liber medicinalis, ed. Pépin 1950, XXIII–XXIV und XXXIII. 1975, 31. Diese Fragmente hat der Stiftbibliothekar Ildefons von Arx in den 1820er Jahren mit zahlreichen anderen spätantiken und frühmittelalterlichen Fragmenten zum Csg 908 zusammenbinden lassen. 323 Csg 908 II, Text 8, pp. 277–292. Transkription der verschiedenen Textschichten durch Ildefons von Arx auf Papier zwischen die Pergamentblätter geheftet. Identifizierung der Texte und Datierung nach CLA VII 963 (Mulomedicina, Ende 6. Jh.) und 964 (Ius Romanum Anteiustinianum, 5. Jh.). Ein Exemplar der ‚Mulomedicina‘ des Vegetius verzeichnet auch der Reichenauer Bibliothekskatalog von 821/22 (Lehmann 1918, Bd. 1, 248, Nr. 49: Vegetii Renati mulomedicinae libri IV in codice I). Aus Murbach hat sich ein Fragment davon erhalten (Colmar, Archives départementales, Fr. 7). 324 Csg 908 I, pp. 75–412, obere Schrift (CLA VII 953–965). 325 Csg 912, pp. 13–20 u. 47/48. In der digitalen Edition (http://www.e-codices.unifr.ch/ en/csg/0912) datiert Schmuki die erste Schicht ins 5. Jahrhundert und weist die Handschrift dem Kloster Bobbio in Oberitalien zu. Wenn dem so wäre, müsste sie andernorts entstanden sein, denn das Kloster Bobbio wurde erst 613 oder 614 von Columban gegründet. In der Datierung und Lokalisierung folge ich Duft 1975, 31, und CLA VII 967a und 969. Für Csg 912 wurden zahlreiche Pergamente verwendet, die im 5.–7. Jahrhundert in Italien mit Psalmen, T heologica, antiker Dichtung und den Medizintexten beschrieben worden waren. CLA VII 969, vermutet, dass sie aus einem norditalischen Scriptorium stammen, in dem zahlreiche antike Texte vorhanden waren. Im 19. Jahrhundert hat man die unteren Schichten durch chemische Substanzen wieder sichtbar gemacht. 322 Duft
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her die gesamte Handschrift füllt.326 Ebenfalls aus Norditalien stammen weitere 14 Blätter in derselben Handschrift, die bereits im 5./6. Jahrhundert mit einem gynäkologischen Rezept in einer kursiven Minuskel beschrieben worden waren;327 sie wurden noch in Italien im 7./8. Jahrhundert mit einem Glossar überschrieben. Die medizinischen Fragmente sind auf verschiedene Lagen von Csg 912 verteilt. Diese Palimpseste belegen, dass antikes medizinisches Schriftgut im Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter von anderem pragmatischen Wissen verdrängt wurde – offenbar waren Glossare den frühkarolingischen Klöstern und Kathedralkirchen wichtiger als medizinisches Wissen. Und sie bestätigen die Klagen Winithars, des ersten namentlich bekannten Schreibers aus St. Gallen, aus den 760er bis 80er Jahren über den Mangel an Pergament.328 Der Lorscher Hauptkatalog, das Breviarium librorum Sancti Nazarii (Verzeichnis Ca), verzeichnet mit dem fünf Bücher umfassenden Werk über die chronischen Krankheiten des nordafrikanischen Arztes und Methodikers Caelius Aurelianus Siccensis (5. Jh.)329 eine absolute Rarität. Es beruht weitgehend auf einer Arbeit des griechischen Arztes Soranos von Ephesos aus dem 2. Jahrhundert, die sich nicht erhalten hat. Die Editio princeps der ‚Tardae vel chronicae passiones‘ des Caelius von 1529 basiert auf der Abschrift, die sich seit der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Lorsch befand.330 Von der Handschrift, deren Schreiber Bernhard Bischoff dem Benediktinerklosters Saint-Vaast in Arras zugewiesen hat,331 sind nur vier Blätter erhalten geblieben.332 Die ‚Responsiones‘ desselben 326
CLA VII 967a, und Duft 1975, 31, datieren das Glossar ins 7./8. Jahrhundert, Lowe lokalisiert es nach Norditalien; hier wäre tatsächlich an das Scriptorium von Bobbio zu denken. Diese Pergamente gelangten laut Lowe im 8./9. Jahrhundert in ein Schreibzentrum in der Schweiz. Wir nehmen an, dass es sich um St. Gallen handelt. 327 Csg 912, pp. 43/44, 283–298, 301/302, 305–308, 311/312, 315–318 (CLA VII 973). 328 Winithar erhebt diese Klage 1) in den Versus Winitharii, Csg 70, pp. 250–258 (Incipit I(n nomine Dni. Ihu. Xpi. salvatoris nri. Incipit versus Winitharis presbiteri qui hunc librum scripsit), p. 251: Si autem vobis utile uidetur ut aliquid scribam vobis, ex mea paruitate, date pergamina uestra (Übersetzung nach Berschin / Zeller 2013, 171: „Wenn es euch aber nützlich erscheint, dass ich euch etwas schreibe aus meiner Wenigkeit heraus, dann gebt mir euer Pergament.“), und 2) in einer Subskription in Csg 238, p. 493 (Do. et Xpo. gloria quia explicet liber quem UUinitharius peccator et inmerito ordinatus prb. scripsit. ex suo pro prio labore Deo auxiliante perfecit et non est hic nec unus folius quem ille de suo labore non adquississet aut conparando aut mendicando. et non est in hoc libro unus apex aut iota una quem manus eius non pinxisset. (Übersetzung nach Ochsenbein 2000, 148: „… Es ist kein einziges Blatt, welches dieser nicht mit eigener Mühsal durch Kauf oder Bettelei erworben hatte …“). 329 BAV, Pal. lat. 1877, 29v, Z. 24: Caeli areliani methodici siccensis medicina. Vgl. dazu Häse 2002, Nr. 309 (A 117, B–, Ca 369, D 254). Zum Autor und Werk vgl. Fischer, Klaus- Dietrich, Art. „Caelius Aurelianus“, HLLA 6/1, 2020, § 607.5, 105–112. 330 Zur weiteren Besitzgeschichte vgl. Platte 1989b, 217 f. 331 Bischoff 21989, 42. 332 Zwickau, Ratsschulbibliothek, Fragm. CL a, 129r–130v, [136]r/v: ‚Tardae vel chronicae passiones‘, lib. V, c. 4/7–10. Katalogisat: https://www.ub.uni-heidelberg.de/digi-pdf-
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Autors, ein medizinisches Lehrbuch in Dialogform, die in mehreren Lorscher Katalogen erwähnt werden,333 sind hingegen gänzlich verloren gegangen. Der Lorscher Katalog spricht von drei weiteren medizinischen Codices.334 Allerdings sind deren Titel so allgemein formuliert, dass man keine Rückschlüsse auf konkrete Werke oder Autoren ziehen kann.335 Bischoff weist dem Lorscher Scriptorium zwei Doppelblätter mit Auszügen aus den Lehrbriefen des Oribasios an Eunapios (‚Euporista‘) und an Eustathius (‚Conspectus vel Synopsis‘) zu, die in der Kartause zu Basel sekundär als Bucheinband überlebt haben.336 Er datiert sie paläographisch in die Zeit um 800 und sieht Ähnlichkeiten mit den Händen des sog. ‚Lorscher Arzneibuchs‘.337 Ob sich der Pal. lat. 187, in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts in Norditalien oder Ostfrankreich entstanden, bereits in der Karolingerzeit in Lorsch befand, ist unklar.338 Er enthält foll. 8r–66v den ältesten erhaltenen Textzeugen des Ps.-Galenischen ‚Alphabetum ad Paternum‘, einer Beschreibung von Pflanzen, Mineralien und Tieren und ihrer medizinischen Anwendung in alphabetischer Anordnung.339 Diesem Verzeichnis sind fol. 7r zwei medizinische Rezepte vorangestellt. Das von Gundolf Keil so genannte ‚Lorscher Arzneibuch‘ ist das älteste aus dem Ostfrankenreich erhaltene medizinisch-pharmazeutische Kompendium. Seit Juni 2013 gehört es zum Weltdokumentenerbe der UNESCO. Der Codex liegt heute in der Staatsbibliothek Bamberg (Msc. med. 1, olim L.III.8). Vollständig digitalisiert, faksimiliert, ediert und kommentiert340 ist dieser Codex katalogisate/sammlung50/werk/pdf/rsbzw_fragmCLab.pdf. Vgl. Beccaria 1956, 234–236, Nr. 69; Kautz 2016, Bd. 1, 1264–1266. 333 Vgl. Platte 1989b, 217. 334 BAV, Pal. lat. 1877, 2v, Z. 14: Tria volumina de medicina. Vgl. Häse 2002, 72. 335 Mit den beiden anderen der tria volumina de medicina können weder die aus Lorsch stammenden Abschriften der ‚Naturalis Historia‘ lib. 1–17 des Plinius (New York, Pierpont Morgan Library, M. 871 (olim Phillipps 8297), hat Bischoff 21989, 44, Saint-Vaast in Arras als Schriftheimat zugewiesen; Handschriftenbeschreibung bei Kautz 2016, Bd. 1, 307–311, zur Besitzgeschichte ebd. 309); zu dieser Gruppe vgl. Bischoff 21989, 41 f.) gemeint sein noch der Auszug aus ‚De natura rerum‘ Isidors (BAV, Pal. lat. 834, Teil II = foll. 47–92, von Bischoff Ostfrankreich (?) vermutet), da sie deren Bücher zur Medizin nicht enthalten. Dennoch zählt Platte 1989b, 215 f., sie zu den medizinischen Handschriften in Lorsch. 336 Basel, UB, N I 3, Nr. 13 + 15, vgl. Bischoff 21989, 33 u. 102; Kautz 2016, Bd. 1, 52–54; Platte 1989b, 216 mit fehlerhaften Angaben. Zu umfangreichen Exzerpten aus diesen Werken des Oribasios in Murbach und Csg 759, 761, 762 vgl. oben 84 A. 271, 86 A. 284. 337 Bischoff 21989, 260 f. 338 Beschreibung und Digitalisat des Codex: https://bibliotheca-laureshamensisdigital.de/bav/bav_pal_lat_187. Zu Datierung und Provenienz: CLA I 80a, b und 81; Bischoff 21989, 60 u. 118. Der Besitzvermerk des Nazarius-Klosters (1r) datiert aus dem 13. Jh. Der Codex bei Platte 1989b, 216, unter den karolingischen Medizinhandschriften von Lorsch aufgeführt; bei Kautz 2016 nicht genannt. 339 BAV, Pal. lat. 187, 8r, Incipit: ›Incipit alfabetum Galieni ad Paternum‹. Edition des Alphabets: Everett 2012, 140–346 unter Benutzung dieser Handschrift (Sigle V). 340 Digitalisat: https://bibliotheca-laureshamensis-digital.de/view/sbbam_mscmed1,
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die wissenschaftlich am besten aufbereitete Medizinhandschrift der Karolingerzeit. Als die Handschrift im 16. Jahrhundert neu gebunden wurde, hat man die Blätter an den Rändern beschnitten und das Inhaltsverzeichnis (9r) nachträglich eingebunden. Möglicherweise wurden dabei auch Lagen entfernt oder solche aus anderen Codices hinzugebunden. Jedenfalls ist im jetzigen Zustand der Handschrift etwa ein Drittel des Antidotars verloren gegangen, auch andere Texte sind fragmentiert und die leerstehenden Seiten teilweise später aufgefüllt worden.341 Wie bereits erwähnt, wird das Antidotar eingeleitet von zwei Vorreden (1r– 5r), einer möglicherweise dem Zustand der Handschrift geschuldeten unvollständigen Abschrift des Hippokratischen Eides (6r),342 einem Verzeichnis antiker Ärzte und der Genealogie des Asklepiadengeschlechts. Darauf folgt eine Einführung in die Grundkenntnisse der Medizin (6r).343 Der anschließende Auszug aus den Aristoteles zugeschriebenen ‚Problemata physica‘ (6v–7v) diskutiert in einem Lehrer-Schüler-Dialog Fragen der Physiologie.344 Für die Anwendung der Rezepte im Hauptteil relevant sind die nun folgenden Angaben zur Kalenderberechnung (8r): die Monatsregeln, die ‚Dies aegyptiaci‘, die ‚Dies incerti‘.345 Es schließt eine Hippokrates zugeschriebene Liste von Getränken, die nach Monaten geordnet eingenommen werden sollen, an (8ra–8rb).346 Der Vorspann schließt mit einer unvollständigen und schwer verständlichen Liste an Ersatzdrogen (Antemballomena) (8va–vb). URN: urn:nbn:de:bsz:16-diglit-61629, DOI: 10.11588/diglit.6162. Faksimile: Keil 1989; Ed.: Stoll 1992; Übersetzung: Stoll / Keil / Ohlmeyer 1989. Handschriftenbeschreibungen: Beccaria 1956, 193–197, Nr. 48; Kautz 2016, Bd. 1, 31–40. 341 Trotz intensiver Forschung gibt es noch eine Reihe von offenen Fragen zum codicologischen Befund. Die aktuelle Abfolge der Lagen verunklart die Abfolge der Texte. Im Weiteren folge ich zu diesen Problemen nicht Keil 1989 und Stoll 1992, sondern Fischer 2010. 342 Bamberg, SB, Msc. med. 1, 5v ist unbeschrieben, 6r beginnt mit einem Wortende; demnach muss hier ursprünglich eine andere Lage vorgebunden gewesen sein. Der Hippokratische Eid in Bamberg, SB, Msc. med. 1, 6r ähnlich Csg 751, p. 356. Vgl. dazu Hirschfeld 1965, 369. 343 Nach Klaus-Dietrich Fischer (briefliche Mitteilung vom September 2020) ist dieser Abschnitt am ehesten im Umfeld der Kleintexte zum medizinischen Elementarunterricht des Vindizian zu suchen. 344 Zur Autorfrage und Identifizierung der Pseudo-aristotelischen Problemata vgl. Stoll 1992, 28–31. Die Ps.-Aristotelischen ‚Problemata physica‘ sind eine Sammlung von rund 890 Problemen aus zahlreichen Wissensgebieten, die im Mittelalter zur Gänze oder auszugsweise häufig kopiert wurden, vgl. dazu Filius 2003 mit Forschungsbericht und Bibliographie. 345 Zu diesen komputistischen Texten vgl. oben 85 u. A. 279. 346 Ps.-Hippokrates, De cibis = De Diaeta, lib. II; vgl. Kibre 1985, 125. Zur Gattung vgl. Groenke 1986. Die Version in Bamberg, SB, Msc. med. 1, 8r, entspricht Groenke Typ IIb; der bei Groenke 1986, 156–159 edierte Text weicht jedoch stark von der Version des Lorscher Arzneibuchs ab. Eine weitere Monatsdiätetik in Bamberg, Msc. med. 1, 41v, entspricht Groenke 1986 Typ IIa. Diese Listen gehören zum Corpus Prognostikon, das der Arzt zur Berechnung der Termine für medizinische Behandlungen und für die Zubereitung von Heilmitteln benötigt.
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Den Hauptteil des Codex bildet das in fünf Bücher unterteilte Antidotarium (17v–71v). Es beginnt mit der Capitulatio (9ra–14va)347 und einer alphabetisch geordneten Liste von Erklärungen – oft griechischer – Drogen- und Kräuternamen (Hermeneumata sive Glossarium pigmentorum vel herbarum) (15ra–17rc).348 Das 17rc, Z. 11–26 eingeschobene Exzerpt aus dem Brief des Vindicianus an Pentadius über die vier Körpersäfte dürfte nachgetragen sein. T hematisch gehört es zum Brief des Anthimus an König T heuderich I., der auf das Antidotar folgt (72r–75r).349 Ein Nachtrag ist das Antidotarium aus den Früchten und Samen des Elefantenlausbaumes (75v: Antidotum anacardium). Die Vorlagen der Rezepte des Antidotars lassen sich nur bedingt erschließen: manche stammen aus dem (Ps.-)Galenischen Schrifttum, manche aus der Drogenkunde des Dioscorides. Die in der Capitulatio II Genannten sind im Wesentlichen der ‚Physica Plinii Bambergensis‘ entnommen. Manche sind redundant. Anders als die erste Vorrede, die sich an Mönche (fratres) wendet, adressiert die Rezeptsammlung Laien, etwa wenn sie Empfehlungen für Frauenleiden, potenzfördernde Mittel und Abortiva gibt.350 An mehreren Stellen wird auf die göttliche Hilfe bei der Heilung hingewiesen351 bzw. die Arznei als Gabe bzw. Geschenk Gottes (donum Dei) bezeichnet. Im erstgenannten Fall wird der Christengott gegen die durch Dämonen verursachten Würmer in Stellung gebracht. Die Auffassung, dass Arzneien wie eine göttliche Berührung wirken, ist bereits in der Antike verbreitet, wie aus dem Vorwort des Scribonius Largus (1. Hälfte des 1. n. Chr.) zu seiner Rezeptsammlung (‚Compositiones‘) hervorgeht.352 347 Mit einer Textlücke zwischen Ende Capitulatio III und Anfang Capitulatio IV. Der Abgleich zwischen den Capitulationes und dem Antidotar lässt Rückschlüsse auf die Fehlstellen im Manuskript zu. 348 Parallelhandschriften Paris, BnF, lat. 11218 (Anf. 9. Jh.), 39v: Incipit hermeguma, id est interpretacio pimentorum vel herbarum diversarum. Arsicon, auripimentum … (Wickers heimer 1966, 103, Nr. 76/17); Paris, BnF, lat. 11219 (Mitte 9. Jh.), 171r–190v (Wickersheimer 1966, 119 f., Nr. 77/32–33). 349 Der Brief des Anthimus wird in den Capitulationes nicht erwähnt. Er gehört nicht zu dem Antidotar-Rezeptar. Die Briefe des Vindicianus und des Anthimus sind auch in St. Galler Handschriften überliefert, vgl. dazu oben 86 A. 284, 87 f. A. 297. 350 Ähnliches beobachtet Jörimann 1925, 80 auch für die Rezeptsammlungen in Csg 44 und Bamberg, SB, Msc. med. 2. Er schließt daraus, dass sie nicht ursprünglich von Mönchen angelegt worden sein können, sondern dass es sich um ältere Rezeptare handeln muss, die erst sekundär in monastischen Scriptorien kopiert wurden. 351 Bamberg, SB, Msc. med. 1, 21v, Ende Nr. 45 (Medizin gegen Würmer), ed. Stoll 1992, 126: Ipse dominus, qui haec ad suffragium nobis contulit, mire adiuuat, quando uoluerit. Zur Anrufung Christi bei Wurmsegen vgl. unten 110–111. 352 Scribonius Largus, Compositiones, Epistula dedicatoria, ed. Sconocchia 1983, 1: In ter maximos quondam habitus medicos Herophilus, Cai Iuli Calliste, fertur dixisse medica menta divum manus esse, et non sine ratione, ut mea fert opinio: prorsus enim quod tactus divinus efficere potest, id praestant medicamenta usu experientiaque probata. Ich danke K.-D. Fischer für diesen Hinweis. Deutsche Übersetzung: Scribonius, ed. Brodersen 2016,
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Das Antidotar wird in den Lorscher Handschriftenkatalogen des 9. Jahrhunderts nicht genannt.353 Bernhard Bischoff hat die Hände paläographisch nach Lorsch lokalisiert354 und die Forschung ist ihm gefolgt. Kontrovers diskutiert wird hingegen die Datierung der Abschrift (zwischen 781/83 und 800),355 der Verfasser der ersten Vorrede (sog. ‚Defensio artis medicinae‘) sowie Provenienz und Alter der Vorlage der Lorscher Handschrift. Der Codex befand sich nicht sehr lange in Lorsch. Vermutlich wurde er dem damals neunjährigen König Otto III. im September 989 während eines Aufenthaltes in Lorsch geschenkt. Dieser nahm ihn mit nach Piacenza.356 Dort trug Bischof Leo von Vercelli (?)357 die Bücherliste Ottos, in der der Medicinalis liber (Medici nalem unum) genannt wird, ein. Ottos Nachfolger Heinrich II. brachte das Buch ins Reich nördlich der Alpen zurück und übergab es dem Bamberger Domkapitel. Damit gelangte es in die Bibliothek der Domschule, einer der führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Septem Artes und insbesondere des Quadriviums.358 Im Gegensatz zur T hese der älteren Forschung, wonach zumindest Teile des Codex in Italien entstanden seien, hat sich in neuerer Zeit die von Keil vertretene Auffassung durchgesetzt, dass die erste Vorrede, die sog. ‚Verteidigung der Kunst der Medizin“ (‚Defensio artis medicinae‘), in Lorsch verfasst worden sei.359 Keil stützt seine T hese auf die Erwähnung eines Caeli Aureli in der ersten Vor27: „Herophilus, der einstmals zu den bedeutendsten Ärzten gezählt wurde, o Gaius Iulius Callistus, soll gesagt haben, die Medikamente seien die Hände der Götter – und zwar meiner Meinung nach nicht ohne Grund; das nämlich, was die göttliche Berührung zu bewirken vermag, das leisten geradezu die Medikamente, die durch Gebrauch und Erfahrung erprobt worden sind.“ 353 Häse 2002, 330 Nr. 422, Katalog A Nr. 116, Herbar: „Vielleicht handelt es sich um einen der tria volumina de medicina, die unter den Nachträgen in Katalog Ca 12–14 stehen. Dies würde jedoch bedeuten, daß sich die Handschrift […] zum Zeitpunkt der Erstellung des Verzeichnisses nicht im Kloster befand oder aufgrund ihres Aufbewahrungsorts (etwa in der Krankenstube oder Küche) zunächst übersehen wurde.“ 354 Bischoff 21989, 36. 355 Licht 2015 lässt unter Verweis auf die Entstehung der karolingischen Minuskel in Corbie das Lorscher Scriptorium um 770 beginnen. Er datiert das Arzneibuch früher als Bischoff 21989, 36, der seine erste Einschätzung „um 800“ später auf „Anfang des 9. Jahrhunderts“ revidierte. 356 Zur nach-lorschischen Geschichte des Codex vgl. Platte 1989a; Hoffmann 1995, 6–12. Otto III. als Besitzer ist gesichert durch eine Bücherliste im Codex Bamberg, SB, Msc. med. 1, 42v: Isti sunt libri tercii imperatoris Ottonis, quos Iohan Piacentiæ inuenit sibi se ruatos (korrigiert zu seruati?). Hypothese zum Zeitpunkt und Anlass der Buchübergabe bei Häse 2002, 35 f. Der durchgestrichene Johannes dürfte Johannes Philagathos, Abt von Nonantola und Bischof von Piacenza (989–997) sein. Vgl. dazu Bischoff 1984, 175; Musitelli / Bossi 2014, 8. 357 Hoffmann 1995, 150, vermutet, dass Bischof Leo von Vercelli diese Liste geschrieben hat. 358 Märtl 1991. 359 So Stoll / Keil / Ohlmeyer 1989, und Stoll 1992. Auch Glaze 1999, 86 vermutet eine Person, die im Kontakt mit dem A achener Hof und Alkuin stand, als Autor.
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rede,360 die er mit dem Caelius Aurelianus gleichsetzt, von dessen ‚Liber medicinalis‘ sich Fragmente in Lorsch erhalten haben.361 Keil brachte Abt Richbod von Lorsch (amt. 784–804; Erzbischof von Trier ca. 791/92–804)362 als Autor ins Spiel, da dieser enge Kontakte zu Alkuin und zum A achener Hof gehabt und an einem Kommentar zur Regula Benedicti, der in der Vorrede ebenfalls erwähnt wird, gearbeitet habe. Da von Richbod nur einige Urkundennotate, aber keine literarischen Zeugnisse erhalten sind, lässt sich dessen Autorschaft linguistisch-statistisch nicht überprüfen.363 Es fällt überhaupt auf, dass die Lorscher Mönche sich nicht literarisch betätigten.364 Fischer lehnt den vermeintlich sicheren Autorvorschlag Keils für die erste Vorrede des Arzneibuchs mit inhaltlichen und sprachlichen Argumenten ab: „Wir können weder mit Sicherheit sagen, dass der Verfasser der ‚Verteidigung‘ in Lorsch wirkte, noch wer er war, noch, ob die Verteidigung selbst in Lorsch abgefasst worden ist.“365 Er hält es für wahrscheinlich, dass die Lorscher Handschrift inklusive der ‚Defensio‘ eine Kopie einer zwischen 650 und 750366 in Italien (vielleicht Bobbio?) angefertigten Kompilation darstellt.367 Musitelli / Bossi vermuten den benediktinisch geprägten Autor im Umfeld der Abtei Nonantola und datieren die Lorscher Abschrift – abweichend von Bischoff und Licht – in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts.368 Keils Beweisführung hinsichtlich des Aureli Caeli im Lorscher Arzneibuch fällt hinter die bereits von Sudhoff gewonnene Erkenntnis zurück, dass es sich hier nicht um die in Lorsch vorhandene Abschrift des Medizinbuchs des Caelius Aurelianus Siccensis handelt, sondern um ein wörtliches Zitat aus dem Ärzte360 Bamberg,
[m2].
361
SB, Msc. med. 1, 5r, ed. Stoll 1992, 62: Caeli Aureli [m1], Caelii Aurelii
Zu den Zwickauer Fragmenten dieser Handschrift vgl. oben 92 A. 332. Zu Richbod vgl. oben 14 u. A. 45. 363 Die Vermutung Fichtenaus, dass Richbod an der Abfassung der Lorscher Annalen beteiligt gewesen sei, gilt inzwischen als widerlegt, vgl. Berschin 2020, 3. Der Kommentar zur Regula Benedicti, der Richbod zugeschrieben wird, ist nicht erhalten, sondern nur durch den Eintrag in einem der Lorscher Bibliothekskataloge bezeugt: Häse 2002, 98 Nr. 91: regula sancti Benedicti et adunatio Rigbodonis episcopi et hymni et annalis in uno codice; vgl. dazu Berschin 2020, 6. 364 Darauf hat nachdrücklich Walter Berschin hingewiesen. Die diesbezügliche Debatte zwischen Berschin und Keil wiedergegeben bei Fischer 2010, 182. So auch Licht 2020, 139–140. 365 Fischer 2010, 184. Berschin 2020, 3–5, konzediert inzwischen, dass die ‚Defensio‘ nicht aus der Feder Richbods stamme, sondern nur in Lorsch kopiert und korrigiert worden sei. 366 So die Vermutung von Fischer 2018, 392. 367 Fischer 2009, 2. 368 Musitelli / Bossi 2014, 7–8. Diesen beiden Autoren ist die gesamte Debatte um Lorsch nicht bekannt, ebenso wenig die Edition von Stoll und die Kommentare von Keil zum Faksimile. Sie versuchen nachzuweisen, dass Hrabanus Maurus den Text für ‚De universo‘ 17,2 und 18,5 verwendet hat. 362
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5 Kosmos und Körper
kapitel der Institutionen Cassiodors.369 Daraus ist die gesamte Schlusspassage inklusive der medizinisch-pharmazeutischen Lektüreempfehlungen wörtlich übernommen, ebenso die Anrede an die kranken Brüder (fratres egregios).370 Das Lorscher Exemplar des Caelius Aurelianus hingegen spielte bei der Abfassung der Vorrede gar keine Rolle. Die erste Vorrede des Arzneibuchs stellt eine Montage aus Versatzstücken zweier verschiedener Wissensfelder und verschiedener Textgattungen dar. Das Grundgerüst besteht aus einer Homilie – der Text endet mit der katholischen doxologischen Formel in quo [regno Christus] cum patre et spiritu sancto uiuit et regnat in saecula saeculorum. AMEN –, in der die Heilkraft Christi und des Hl. Geistes, des Seelenarztes Paulus371 und des heilkundigen Evangelisten Lukas372 sowie der christlichen Märtyrer Cosmas und Damian betont und ausgelegt wird. Der Prediger argumentiert mit einer dichten Reihe von Zitaten aus dem Alten Testament (Genesis, Exodus, Könige, Hiob, Psalmen, Proverbien, Jesaia, Jeremia, Tobias, Sirach), dem Neuen Testament (Evangelien des Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, Apostelgeschichte, Briefe des Paulus an die Römer, die Korinther, die Epheser, an Timotheus, Briefe des Petrus, Brief an die Hebräer),373 den Werken Gregors des Großen (Homilien 11,4, 38,2 und 40,2; Moralia in Iob; Dialogi II 35, III, IV 40, 55; Regula pastoralis III, 46) und des Hieronymus (Kommentar zu Habakuk und Ezechiel). Die Bibelzitate beruhen nicht auf der Vulgata, sondern auf Veteres latinae-Übersetzungen der Septuaginta, wie sie in Italien und Nordafrika in der Spätantike und im Frühmittelalter verbreitet waren.374 Möglicherweise zitierte der Autor die Bibel sekundär aus den Werken Gregors d. Gr. Die Homilie paraphrasiert zudem längere Passagen aus den Werken spätantiker christlicher Autoren: aus den Institutionen Cassiodors (c. 31), aus verschiedenen Werken Isidors (Sententiae I 1, II 5, III 1/1,3,5,10,11, 2/6, 4/1,2, 3/3,4,7; Etymologiae I.ii, II.xxiv, IV.ix, VII.v, X.193; Differentiae II 39, 150, 152) und aus der Regula Benedicti (c. 34,1–3,6 und c. 53).375 Die Erzählungen über die Heilung des Bischofs 369 Cassiodor, Institutiones, I 32,2, vgl. dazu oben 79 A. 246–247. Vgl. Sudhoff 1914, 235; Fischer 2018, 183. 370 Bamberg, SB, Msc. med. 1, 4v, ed. Stoll 1992, 60. 371 Zur Heilkunst des Paulus und der Frage, ob diese als physische oder nur als psychische zu verstehen sei vgl. Büttner 2015, 8. 372 Sog. ‚Defensio artis medicinae‘, Lorscher Arzneibuch, Bamberg, SB, Msc. med. 1, 4r, ed. Stoll 1992, 58. Dass der Apostel und Evangelist Lukas über medizinische Kenntnisse verfügt habe (Lucas … medicinae artis peritiam habuisse ostenditur), führt der Autor auf eine Aussage des Apostels Paulus in einem Brief an die Kolosser zurück (Kol 4,14, hier zitiert nach der ‚Defensio‘: Salutat vos Lucas medicus carissimus meus). Zur irrtümlichen Identifizierung des Evangelisten mit dem Arzt Lukas vgl. Büttner 2015, 27–30. 373 Zu den biblischen Allusionen vgl. Leja 2016, 9–16. 374 Vgl. dazu Musitelli / Bossi 2014, 5. 375 Zu den Vorlagen der ‚Defensio‘ vgl. Ed. Stoll 1992, den Kommentar von Keil 1989 zum Faksimile; Fischer 2010, 177–178; Musitelli / Bossi 2014. Ich danke Klaus-Dietrich Fischer für die Überlassung seines ungedruckten Manuskriptes inklusive seiner Transkrip-
5.3 Medizin in den Klöstern versus Klostermedizin
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Germanus von Capua und des Diakons Paschasius in den römischen T hermen stammen ebenso wie die Nachricht über die Heilkunst des Mönchs Justus aus den Dialogen Gregors d. Gr.376 An manchen Stellen nennt der Verfasser zwar seine Vorlagen, aber teilweise erweisen sie sich als Fehlzuweisungen. So gibt er etwa an, die Einteilung der Wissenschaften, in der die Medizin ihren Platz unter den sieben Disziplinen der Physica finde, in den Etymologien des hl. Bischofs Isidor von Sevilla gefunden zu haben.377 Fischer hat jedoch gezeigt, dass diese Stelle nicht mit Isidor übereinstimmt, denn er gibt den Boethianischen Fächerkanon wieder. Der Autor der ‚Defensio‘ dürfte die Fächereinteilung und die Aufgabenbestimmung der Medizin aus Isidors ‚Differentiae‘ (II, 150 und 152) übernommen haben.378 Eine seiner Vorlagen, die er mehrfach benutzt, verschweigt er gänzlich: Es ist die ‚Expossitio Latinitatis‘ des Anonymus ad Cuimnanum, der selten überlieferte Text eines Iren, wie Bernhard Bischoff vermutet, der im 7. Jahrhundert in Bobbio lebte.379 Auch dieser Autor übernahm das Wissenschaftsschema aus den ‚Differentiae‘ Isidors.380 Eine statistische Auswertung des Sprachschatzes der ‚Defensio‘ hat ergeben, dass der Autor über ein ausgesprochen vielfältiges Vokabular verfügte.381 Sein Text zeichnet sich durch eine ungewöhnlich hohe Quote unikaler Wortformen aus, die weit über der Alkuins und Hrabans liegt. Im medizinisch-pharmazeutischen Hauptteil des ‚Lorscher Arzneibuchs‘ hat sich der Redaktor bemüht, die Romanismen des spätantik-merowingischen Lateins zu bereinigen und durch das karolingische, „reformierte“ Latein zu ersetzen. Dabei hat er es aber übertrieben und manche Formen falsch korrigiert, so dass der Text dadurch unverständlicher wurde.382 tion mit umfangreichen Stellennachweisen (Fischer 2009). Mein Dank geht zudem an das T hyssen-Projekt „Latin Text Archive“ an der Goethe Universität Frankfurt am Main unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Jussen, hier besonders an Dr. Tim Geelhaar für die maschinelle Überprüfung der Similien mit der Funktion „Sentence Similarity“ des „Historical Semantics Corpus Management“ (HSCM). 376 Bamberg, SB, Msc. med. 1, 2v, Absatz 3, ed. Stoll 1992, 54. Fischer identifiziert: Gregorius Magnus, Dialogi, II, 35,2–4, ebd. IV,42,3 und Homilie 22 Nr. 1 nach Migne PL 76, col. 1174C. 377 Bamberg, SB, Msc. med. 1, 2r, ed. Stoll 1992, 49–50. 378 Fischer 2009, Anm. 26. 379 Expossitio latinitatis, ed. Bischoff / Löfstedt 1992, Einleitung. Vgl. dazu oben 45. 380 Expossitio latinitatis, Prolog, ed. Bischoff / Löfstedt 1992, 9. Vgl. dazu Fischer 2009, Anm. 26. 381 Die maschinelle Auszählung erfolgte im T hyssen-Projekt „Latin Text Archive“. Schriftliche Mitteilung von Tim Geelhaar, 16.07.2020: „Der Text hat 3212 Wörter mit 1591 unikalen Wortformen. Daraus ergibt sich eine lexikale Diversität (ld), also ein Verhältnis der Gesamtzahl der Wörter zur Anzahl der verschiedenen eindeutigen Wortstämme, von 0.322. Zum Vergleich: Alcuins ‚de ratione animae‘ mit seinen 4359 Wörtern hat nur eine ld von 0.254, seine ‚Vita S. Martini‘ mit 6560 Wörtern eine ld von 0.256. Hrabanus Maurus’ ‚De consanguineorum nuptiis‘ enthält 3149 Wörter und eine ld von 0,267.“ 382 So die Beobachtung von Musitelli / Bossi 2014, 8.
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Die Reflexion über den Hl. Geist sowie die Ausdeutung der Gabe der Heilkunst nach dem Sensus mysticus spricht m.E. für einen neuplatonischen Hintergrund des Autors der ‚Defensio‘, ähnlich wie man ihn von dem wortgewaltigen und schulbildenden Angelsachsen Aldhelm kennt. Den Hl. Geist als Urgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnis macht in dieser Zeit auch Alkuin geltend.383 Er wird als Quelle medizinischer Erkenntnis in der lateinischen Legende der Ärzteheiligen Cosmas und Damian genannt, deren älteste erhaltene Abschrift aus dem 9. Jahrhundert auf merowingischen Vorlagen beruht.384 Die Idee, dass medizinisches Wissen durch den Hl. Geist vermittelt wird, vertrat bereits Augustin. Er sah in der karitas eine Gabe des Hl. Geistes.385 Da der Autor der ‚Defensio‘ die gelehrten Texte und die Bibel nicht aus dem Gedächtnis zitiert hat, müssen wir davon ausgehen, dass er Zugriff auf eine gut sortierte Bibliothek hatte. Es ist unwahrscheinlich, dass in der Lorscher Bibliothek in den 770er Jahren bereits alle Titel vorhanden waren, die hier aufscheinen. Zwei Schlüsseltexte der ‚Defensio‘, die ‚Differentiae‘ Isidors und die ‚Expossitio‘ fehlten dort zumindest.386 Ohne diese beiden Texte kann die ‚Defensio‘ nicht entstanden sein. Am Ende des 8. Jahrhunderts dürften sie nur in wenigen Klöstern und Dombibliotheken Norditaliens vorhanden gewesen sein. Daher ist es äußerst unwahrscheinlich, dass – wie vielfach behauptet – die ‚Defensio‘ von Abt Richbod von Lorsch verfasst worden ist. Der Autor muss vielmehr in Norditalien gesucht werden, sei es in Bobbio, sei es in Nonantola oder in einem anderen Kloster mit einer einschlägigen Bibliothek. Seit Sudhoff ist klar, dass es sich bei der zweiten Vorrede des Lorscher Arzneibuchs, dem sog. ‚Carmen‘,387 nicht um eine originäre Schrift handelt, sondern um einen Auszug aus den sog. ‚Versus Isidori‘, den Überschriften zu den Regalen im Bücherschrank des Isidor von Sevilla.388 Diese Tituli sind im Lorscher Katalog Ca unter den Werken Isidors (Nrr. 289–300) verzeichnet (versus, qui scripti 383
Vgl. dazu oben 37. BnF, lat. 11218, 2r: Concepit [T heodota] autem et peperit duus filius · cuius uocabulo · Cosme · et Damiano · Quos enutriuit in omni studio uitae recte ·¸· docuit eos sacra tissimas litteras · docti autem sunt famuli dei ad reuelacione spiritus sancti ·¸· In multa scien cia artis medicinae · et curabant secundum scriptura diuina ·¸· Omnis infirmitatis et omnem languorem in populo et mercedis non requirebant. Paris, BnF, lat. 11218 (Provenienz: Dijon, Saint-Bénigne?) repräsentiert die älteste Handschrift der sog. arabischen Fassung; eine Edition des Textes bereite ich mit dem Kollegen Heinz-Günther Nesselrath vor. Diese Fassung ist – wie die ‚Defensio‘ – sprachlich stark vom gesprochenen romanischen Latein geprägt. 385 Augustinus, Sermones de Scripturis, Sermo 71 c. 12; Sermones de tempore, Sermo 270; Sermones in die Pentecostes V. Ich danke Tim Geelhaar für diesen Hinweis. 386 Die ‚Differentiae‘, aus denen der Autor mehrfach zitiert, sind in den Lorscher Bibliothekskatalogen des 9. Jahrhunderts nicht nachgewiesen (vgl. die Übersicht der Schriften Isidors bei Häse 2002, 272 f. Nrr. 232–240), ebenso wenig die ‚Expossitio‘. 387 Bamberg, SB, Msc. med. 1, 5r. Ed.: Stoll 1992, 64. Vgl. dazu oben 82–83. 388 Ed. Sánchez Martín 2000. 384 Paris,
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sunt in armaria sua, ab ipso compositi).389 Daher nahm Stoll – hier ebenfalls Sudhoff folgend – an,390 dass in der Lorscher Bibliothek eine Abschrift der betreffenden Verse vorhanden gewesen sei. Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht zwingend, denn der Blick auf die Handschriftenüberlieferung der Tituli zeigt, dass diese in karolingischer Zeit in der Regel nur in Auszügen kopiert worden sind und zwar meistens die Verse zur T heologie, die zur Medizin (Vv. XVI–XVIII) und zur Pharmazie (Vv. XIX–XXIV) hingegen selten.391 Das ‚Lorscher Arzneibuch‘ repräsentiert den ältesten Textzeugen der Verse zur Medizin und Pharmazie.392 Sie sind hier fortlaufend, ohne Zeilensprung wiedergegeben. Brüssel, BR, 3701–15, 5v–6r, aus dem zweiten Drittel des 9. Jahrhunderts bringt die Drogen-Verse (Tit. XIX, XXIII, XII) und die Medizinverse (Tit. XVI) in Auszügen und in anderer Reihenfolge. Sie stehen dort – was bislang übersehen wurde393 – in einer Epistel neben anderen Isidoriana. Die Handschrift wird nach Nordfrankreich lokalisiert. Fischer weist auf einen weiteren Medizin-Codex hin, in dem die fraglichen Verse mit der Überschrift Cosmas Damianus Ypocras Galienus eingeleitet werden, dieser entstand jedoch erst im 12./13. Jahrhundert.394 Von den frühen Codices bringt Mailand, Biblioteca Ambrosiana, C 74 sup. vom Beginn des 9. Jahrhunderts einen fast vollständigen Zyk lus der Tituli Isidors inklusive der Medizin- und Pharmazieverse,395 hier eingebettet in eine Anthologie christlicher Dichter aus Aquitanien. Ein späterer Besitzeintrag weist Bobbio als Herkunftsort der Handschrift aus.396
389 Ca Nr. 298, Häse 2002, 161 Z. 26–27. Häse, ebd., 275 Nr. 238, verweist zurecht auf den falsch gebildeten Casus: „Die Worte armaria sua stehen wohl für armario suo.). 390 Stoll 1992, 25. 391 Vgl. dazu Martín 2000, 103–147 und 151–152 (Tabelle). 392 Beschreibung Bamberg, SB, Msc. med. 1, bei Sánchez Martín 2000, 137 f. (Sigle B). In den beiden älteren Codices der Versus Isidori – Florenz, Bibliot heca Medicea Laurenziana, Amiatinus I (Am) und Cambridge, Corpus Christi College, 304 (C) nach dem Stemma codicum bei Sánchez Martín 2000, 164 – fehlen die Medizin- und Pharmazieverse. 393 Wiedemann 1976 und Sánchez Martín 2000 haben dies übersehen. Erstmals mitgeteilt von Fischer 2010, 177 Anm. 39; dazu jetzt Fischer 2005a mit Edition des Textes und den Parallelstellen zur Isidor, Etymologien, IV.iii. 394 Fischer 2010, 177 Anm. 39: Prag, Národni Knihovna České Republiky, VII.G.25, 72v–83r. 395 Mailand, Biblioteca Ambrosiana, C 74 sup., 139v–140r. Tituli I–XXIII; die Kopie beginnt mit Tit. II, Tit. I ist zwischen XV und XVI geschoben. Vgl. Jordan / Wool 1986, Part II, 104 f. Die Handschrift bei Sánchez Martín 2000, 132–133 (Sigle A), fälschlich ins 10. Jahrhundert datiert (ohne den Verweis auf Dungal und die Provenienzangabe Saint-Denis) und daher ebd., 164, im Stemma zu spät eingeordnet. Die Fehldatierung ins 10. Jahrhundert geht auf Sudhoff 1916b, 201 Anm. 2, zurück. 396 Mailand, Biblioteca Ambrosiana, C 74 sup., 3r. Eine vergleichende Untersuchung der sprachlichen Besonderheiten des Ambrosianus mit dem Codex Bambergensis würde lohnen.
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5 Kosmos und Körper
Der Lorscher Katalog Ca verzeichnet die ‚Versus sancti Isidori‘ zusammen mit den Quaestionen Isidors und zwei Sermones Augustins.397 Häse schloss daraus, dass die in Lorsch kopierten Verse diejenigen seien, die manche Handschriften und auch Migne dem aus Spanien stammenden Papst Damasus zuschreiben (Sancti Damasi papae carmina inedita).398 Für eine „patristische Zentralbibliothek“ wie Lorsch dürfte man in erster Linie die Verse Isidors zur Kirchenväter literatur kopiert haben – d. i. Origenes (Tit. IV), Hilarius (Tit. V), Ambrosius (Tit. VI), Augustinus (Tit. VII), Hieronymus (Tit. VIII), Johannes Chrysostomus (Tit. IX), Cyprianus (Tit. X) und Gregorius Magnus (Tit. XIII) – und nicht die Medizin- und Pharmazie-Tituli. Cosmas und Damian werden in den ‚Versus Isidori‘ in einem Atemzug mit Galen und Hippokrates als bedeutende Ärzte genannt. Als Heilige genossen sie im Kloster Lorsch zusammen mit ihrer Mutter T heodota neben zahlreichen anderen Heiligen eine gewisse Verehrung. Die drei sind in der langen Liste der Heiligen vertreten, die im 8. Jahrhundert in der Liturgie um Hilfe angefleht wurden.399 Die Mutter der Ärztebrüder soll nach der Legende auf die Heilung von Augenleiden spezialisiert gewesen sein und beide Söhne in der hl. Schrift unterrichtet haben.400 Mit dem Caelius Aurelianus, dem Ps.-Galenischen ‚Alphabet‘ und dem Arzneibuch sind in Lorsch im Frühmittelalter drei medizinische Handschriften bzw. Texte nachweisbar, die zu den absoluten Raritäten der Medizinüberlieferung gehören. Dies ist nur so zu erklären, dass es in Lorsch zumindest im 8. und 9. Jahrhundert medizinisch interessierte und versierte Mönche bzw. Äbte gegeben hat 397 Häse 2002, 275 Nr. 238; weitere Werke Isidors, darunter die 21 Bücher der Etymologien und ‚De natura rerum‘ unter den Nummern 236–240. 398 Häse 2002 folgt hier Migne PL 13, coll. 415–418. Die Zuweisung an Damasus bezieht sich auf die Verse II–III (Sunt hic plura sacra … noua cum ueteri), vgl. dazu Sánchez Martín 2000, 54 f. Wie Sánchez Martín 2000, 35–74 (Kap. II. Estudio literario) gezeigt hat, basieren die Tituli Isidors alle auf älteren Vorlagen. Isidors Leistung, so Sánchez Martín 2000, 73–74, habe darin bestanden, diese Dichtungen gekürzt und in eine einheitliche Form gebracht zu haben. Diese seien im Frühmittelalter zum Ausgangspunkt einer neuen Tradition geworden, die sich nur noch auf Isidor bezogen und die ursprünglichen Autoren vergessen habe. 399 Lorscher Rotulus, Frankfurt am Main, StuUB, Barth. 179, mittlere und rechte Spalte: Sce Cosma or[a pro nobis] … Sce Damiane or[a pro nobis] (ed. Krüger 2004, 41 Z. 12) und unter den Nomina sanctarum virginum, mittlere Spalte: sca T heodota or[a pro nobis] (ed. Krüger 2004, 46 Z. 162). Zur Verehrung von Cosmas und Damian in Lorsch vgl. Wittmann 1967, 63 f. Ausführliche Beschreibung des Lorscher Rotulus bei Kautz 2016, Bd. 1, 95–100. Auf der Rückseite des Rotulus hat ein Schreiber im späten 10. Jh. eine Missa pro egroto febricitante de sancto Sigismundo nachgetragen. Zur Sigismunds-Messe gegen Fieber vgl. Paxton 1994. Zur Verbreitung dieser Anrufung an den merowingischen König Sigismund von Burgund gegen Fieber vgl. Schulz 2003, 102. 400 BHL 8093–8096: T heodota cum tribus filiis m. Niceae, sub Diocletiano. Fest: 2. August. Mit dieser Ärtzedynastie, zu der ein weiterer Bruder, Anthimus, gehörte, beschäftigte ich mich im Rahmen eines eigenen Projektes im SFB 1163. Zu T heodota als Lehrerin ihrer beiden Söhne vgl. oben 100 A. 384, 102 A. 399.
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und diese Zugang zu Schreibzentren medizinischer Fachliteratur in Norditalien und im westlichen Frankenreich hatten. Zu ihnen gehörte Sedulius Scottus, der sich um die Mitte des 9. Jahrhunderts in Lorsch aufhielt, um den Horaz-Kommentar des Pomponius Porphyrius zu studieren.401 Sein wunderbares Gedicht auf ein Hospital (‚De quadam medicinali domo‘)402 und seine Ekloge auf die nach-griechischen Heilkünste der Ärzte bezieht sich jedoch vermutlich nicht auf Lorsch, sondern auf die Situation in seinem Heimatkloster Lüttich.403 Bereits im 10. Jahrhundert scheint das Interesse an der Medizin in Lorsch abgeflaut zu sein, bevor im 12. Jahrhundert dann ein Hospital errichtet wurde.404 Noch dichter als in Lorsch sind die Hinweise auf medizinische Interessen und Aktivitäten in den Bodenseeklöstern St. Gallen und Reichenau. Dazu gehören neben den Medizinarealen auf dem St. Galler Klosterplan (Krankenhaus, Aderlasshaus, Ärztehaus, Kräutergarten) und dem in der Otmarvita genannten Leprosorium zahlreiche Rezeptsammlungen und medizinische Traktate bzw. Lehrbriefe. Äbte und Mönche betätigten sich hier als Wunderheiler und studierten medizinische Schriften, Laien praktizierten als Ärzte. In das Reichenauer Verbrüderungsbuch wurden um die Mitte des 9. Jahrhunderts ein Sigibertus medicus und ein G/Heilo medicus eingetragen.405 Wie Alfons Zettler gezeigt hat,406 waren die beiden Medici Laien, die enge Beziehungen zum Kloster hatten. Sigibert schenkte dem Kloster ein Buch. Möglicherweise waren die beiden in der äußeren Schule der Reichenau unterrichtet worden, in der der regionale Adel seine Kinder ausbilden ließ. Zettler meint, dass die im Kloster tätigen Ärzte im 9. Jahrhundert eher keine Mönche gewesen sein dürften. Möglicherweise sei hier das Bluttabu für Geistliche zum Tragen gekommen, denen nach kanonischem Recht aktiver Kriegsdienst und Waffentragen verboten waren. In den Statuten des Abtes Adalhard von Corbie von vor 826 werden die me dici – wie die Handwerker – in den Gruppen der servi, liberti, matricularii, famuli und peregrini des Klosters aufgeführt.407 Zettler schließt daraus, dass die fränkischen Reichsklöster im 9. Jahrhundert Ärzte von außen anheuerten. Er schlägt 401
Licht 2020, 136–139. Zur Biographie des Exulanten Sedulius ebd., 131–132. Sedulius Scottus, Carmen 31, MGH Poet. lat. III/1, 197–198 No. 31; ed. Meyers 1991, 58. Kommentar: Düchting 1968, 113–115. Engl. Übers.: Doyle 1983, 132. 403 Das vermutet Doyle 1983, 186 Anm. 1–2. 404 Die um 1000 entstandene unvollständige Abschrift von Walafrids ‚De cultura hortorum‘ (vgl. dazu unten 104–105) kann hier nicht als medizinische Handschrift durchgehen. Zum Hospital vgl. oben 30 u. A. 91. 405 Verbrüderungsbuch Reichenau 1979, 4 u. 5. 406 Zettler 1998, 266–269. 407 Adalhard von Corbie, Statuta seu Brevia, ed. Semmler (1963), 367 Z. 8 und 368 Z. 7. Zum Status dieser Personengruppen vgl. auch Dubar 1951, 27–31, zu den Medici bes. 30 Anm. 17. Zur Lage und zum Personal der beiden in Adalhards Statuten genannten domus infirmorum vgl. Mérindol 1999, 186–190, 199–200, zu den medizinischen Handschriften der Karolingerzeit in Corbie (BnF, lat. 12958, 13403, 13955) ebd., 200–201, und Ganz 1990, 79, 94, 152–153, 159–160. 402
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vor, für diese Zeit besser von „im Kloster tätigen Ärzten“ als von „Mönchsärzten“ zu sprechen.408 Erst im 10. Jahrhundert seien Mönche und Priester als Ärzte nachweisbar.409 In St. Gallen heilten die Äbte Gallus410 und Otmar411 sowie die Inklusin Wiborada412 († 926) Kranke durch Wunder. Die Vita s. Galli erwähnt in der Zeit vor 833 zudem einen heilkundigen Mönch.413 Der Mönch und Lehrer Iso († 871) soll Aussätzige und Blinde geheilt haben, wie Ekkehard IV. berichtet.414 Erst im 10. Jahrhundert verzeichnet das St. Galler Nekrolog mit Kerolt, Wolfhari und Notker mehrere medici 415 unter den (Priester-)Mönchen des Klosters. Einen herausragenden Ruf als scriptor, pictor, medicus et physicus genoss Notker II. (*um 905, † 975), genannt piperisgranum (Pfefferkorn).416 Ekkehard IV. schreibt, dieser habe in der Heilkunst Hervorragendes geleistet und sei in den medizinischen Aphorismen und den hippokratischen Prognosen sowie den Arzneien und Antidoten ungewöhnlich beschlagen gewesen.417 Trotz solcher Spezialisten wie Notker II., meint Baader, dass das theoretische Wissen über Medizin nicht im Zentrum, sondern nur am Rande der Klöster vermittelt worden sei.418 Das methodisch-systematische Bücherwissen der Griechen dürfte für die medizinische Praxis in den Klöstern nur sekundär von Bedeutung gewesen sein.419 Die überlieferten Rezepte hält Claire Burridge grundsätzlich für wirksam und praktikabel, obgleich deren Einsatz in archäologisch-osteologischen Befunden kaum nachweisbar sei.420 Die Vorstellung von Susanne Zur Nieden, dass Walafrids ‚De cultura hortorum‘ und die St. Galler Rezeptarien unmittelbare Anwendung in 408
Zettler 1998, 278. Zettler 1998, 270–272. 410 Vita s. Galli I c. 5, 10; Wetti, Vita s. Galli, c. 33, 35; Walafrid Strabo, Vita s. Galli, Lib. I, c. 15sq., Lib. II cc. 1, 3, 12, 13, 17, 23, 36, 27, 29, 31, 32, 36–39, 41–44. Vgl. dazu Duft 1975, 17 f. 411 Walafrid Strabo, Vita s. Otmari, cc. 2, 10, 12, 13, 15; Iso, Relatio de miraculis s. Otmari, c. 10–13, 15, 17–19. Vgl. dazu Duft 1975, 18 f. 412 Vita s. Wiboradae, c. 8, 31, 33, 43; Miracula s. Wiboradae c. 6, 7, 9–14. Vgl. dazu Duft 1975, 19 f. 413 Walafrid Strabo, Vita s. Galli, Lib. II, c. 36, ed. Krusch 1902, MGH SS rer. mer. IV, 333. 414 Ekkehard IV., Casus s. Galli, c. 31. Zu ihm vgl. auch Duft 1975, 23 f. 415 Csg 915, pp. 317, 346, 347. Vgl. dazu Duft 1975, 22 f.; Zettler 1998, 270–272. 416 Zu ihm vgl. Ekkehard IV., Casus s. Galli, cc. 77, 78, 91, 92, 97, 123; Duft 1975, 39–51, zu seiner ärztlichen Tätigkeit bes. 45–49; Schmuki 2011, 10. 417 Ekkehard IV., Casus s. Galli, c. 123: Medendo autem mira et stupenda frequenter fecerat opera, quoniam et in afforismis medicinalibus, speciebus quoque et antidotis et pro gnosticis Ypocraticis singulariter erat instructus. Notker dürfte das ‚Prognosticon Hippo kratis‘ aus einer der beiden St. Galler Handschriften gekannt haben (Csg 44, pp. 220–223; Csg 751, pp. 308–311, cf. Fischer 2008, und oben 85 A. 279). 418 Baader 1972; diese Diskussion bestimmte auch die Kontroversen im Anschluss an seinen Vortrag. 419 So die Auffassung von Glaze 1999, 105–112. 420 Burridge 2019 untersuchte ca. 4.000 Rezepte aus Handschriften des 8. und 9. Jahr409
5.4 Medizin – Magie – Religion
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der Praxis gefunden hätten, ist mit Sicherheit falsch.421 Das Gartengedicht ist in erster Linie ein Ausweis der hohen Dichtkunst in Vergilischer Tradition und der Marienverehrung des Autors sowie eine Hommage an dessen Lehrer Grimald.422 Im Mittelalter wurde es kaum rezipiert. Erhalten haben sich nur zwei vollständige und wenige fragmentarische Abschriften.423 Auch bei den Rezeptsammlungen kann man sich fragen, ob sie nicht eher aus Interesse an der Tradierung gelehrten Wissens als zur praktischen Anwendung kopiert wurden.424 Die Benediktinermönche konzentrierten sich mehr auf die Nosokokie, die Betreuung und Pflege der kranken Mönche, als auf die medizinische T herapie. Für die kostenlose Krankenpflege und die Werke der Barmherzigkeit loben die Hagiographen den St. Galler Abt Otmar.425
5.4 Medizin – Magie – Religion Wie wir gesehen haben, drangen im Verlauf des 8. und 9. Jahrhunderts christliche Moralvorstellungen in die Deontologie ein. In begrenztem Maß war dies auch bei der medizinischen Traditionsliteratur, den Antidotarien und Rezeptarien der Fall. An einigen St. Galler Handschriften lässt sich dieser subtile Prozess nachvollziehen.426 Magische Vorstellungen und Praktiken der Antike waren von Konzilien, Päpsten, Bischöfen und Missionaren seit dem 4. Jahrhundert verdammt worden.427 Anhand der Handschriften ist allerdings zu erkennen, dass die Mönche hunderts in St. Gallen, BAV und BnF sowie die Ergebnisse archäologisch-naturwissenschaftlicher Analysen an Skeletten aus der Zeit. 421 Zur Nieden 2008. Zur Rezeptionsgeschichte des Werkes vgl. oben 89 u. A. 312. 422 Vgl. Strebel 2017, die Forschung zusammenfassend. 423 Ältester Textzeuge: BAV, Reg. lat. 469 (Fulda, um 850); zu seiner Besitzgeschichte vgl. oben 89 A. 312. BAV Pal. lat. 1519, 85va–88vb, aus dem Kloster Lorsch enthält eine um 1000 angefertigte unvollständige Fassung; ed. Berschin 2007 unter Benutzung dieser Handschrift (Sigle K). Die Verbreitung des Werkes setzte erst mit der Druckausgabe ein, vgl. dazu oben 90 A. 313. 424 Stuart / Walla 1987 sehen den Hauptzweck in der Tradierung gelehrten Wissens. 425 Walafrid Strabo, Vita s. Otmari, c. 2, ed. Duft 1959, 26–28. Die Beschreibung der Aussätzigenpflege durch Otmar bei Walafrid hat Parallelen in der Vita der thüringischen Königstochter Radegund bei Venantius Fortunatus und Baudonivia. Zum Ruf Otmars als pater pauperum vgl. Vater 2019. 426 Weitere Beispiele aus anderen karolingischen Klöstern behandelt Leja 2022, 112– 120. 427 Die apotropäische (= weiße) wie die verwünschende (= schwarze) Magie sowie das Umbinden von Amuletten mit Figuren und benefizierenden bzw. malefizierenden Worten („defixiones“) wurde seit der Spätantike und im frühen Mittelalter auf Konzilien verboten: Konzil von Laodicea (4. Jh.), can. 36; 2. Trullamische Synode (692), can. 6; Bischofssynode von Rom (721). Päpstliche Dekrete: Ps.-Gelasianisches Dekret, c. 8.6 (6. Jh.); Papst Gregor II.; Papst Gregor III.; Predigten des Bischofs Caesarius von Arles sowie den Briefen des
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und Kleriker der Karolingerzeit diese nicht strikt ablehnten, sondern eher dazu neigten, diese christlich umzudeuten und zwar mit Hilfe verschiedener Methoden. Eine davon ist das „Framing“-Verfahren. In den angelsächsischen Literaturwissenschaften und in den Kunstwissenschaften ist der Begriff „Framing“ im Sinne „historischer Kontextualisierung“ eingeführt. Für unseren Zusammenhang soll er jedoch im ursprünglichen Sinn des englischen Wortes als „Rahmung“ verstanden werden. Gemeint ist damit ein Verfahren, in dem Traditionstexte unverändert aus den Vorlagen kopiert und christlich gerahmt wurden. Der antike Text blieb dabei weitgehend unberührt. Für den Rahmen wurden sowohl Text- als auch Bildformeln verwendet.428 Wie dieses Framing funktionierte, soll an einigen Beispielen gezeigt werden. In Csg 877, p. 33, wurde der Hippokrates zugeschriebenen ‚Ars medicinae‘ die Anrufungsformel In Christi nomine vorangestellt.429 Die Rahmung des Traditionstextes mit der christlichen Anrufung erinnerte den Leser bzw. Nutzer der ‚Ars medicinae‘ daran, dass er seine ärztliche Kunst nicht allein an der hippokratischen, sondern auch an der christlichen Ethik auszurichten habe, dass er neben der griechischen Heilkunst auch dem Salvator und seinen Heiligen die Reverenz erweisen solle.430 In Csg 44 wurden die Pseudo-Aristotelischen Dicta (p. 337: ›In Christi nomine. Incipiunt dicta, quem Aristotelis archeter dictauit.‹ Radicis apii, radicis asparagi) und die zweite Rezeptsammlung (p. 357: ›In dei nomine. Incipit excarpsum de libris medicinalibus. [I.] Ad capitis dolorem.) durch christologische Anrufungsformeln eingeleitet.431 In der Echternacher Abschrift der ‚T herapeutica‘ (Paris, BnF, lat. 11219) wird – ganz im Sinne Cassiodors und der ersten Vorrede zum ‚Lorscher Arzneibuch‘ – mit Nachdruck darauf verwiesen, dass sich mit den an-
Bonifatius. Hrabanus Maurus diffamiert sie in seinem Klerikerhandbuch als „superstitio“ und „magica ars“. Hrabanus Maurus, De institutione clericorum, III 16 (‚De duobus generibus doctrinarum gentilium et quae sunt illa, quae instituerunt homines’ / ‚Über die zwei Arten heidnischer Lehren und welche jene sind, die die Menschen bildeten‘), ed. Zimpel, 2006, 516–520. Zimpel übersetzt hier im Sinne der karolingerzeitlichen Polemik „gentilis“ mit „heidnisch“. 428 In diesem Sinn spricht auch Leja 2022, 115–116 von „framing“ (vgl. auch die dazugehörigen Illustrationen ebd., 117–118), ohne dies indes als Methode zu thematisieren. 429 Csg 877, pp. 33–49: ›In Christi nomine. Incipit medicinalis ars Ypogratis magistri.‹ Ad dolorem capitis erba bettonica, ruta, plantagine minore; pp. 58–59: Angaben zu Maßen und Gewichten für die Herstellung von Medikamenten (De mensura Quinque grana ordei faciunt polium I). Vgl. dazu Beccaria 1956, 390–391, Nr. 138. 430 Zur Verbindung antiker Deontologie mit christlicher Ethik vgl. oben 78–79. 431 Csg 44, p. 337 = Receptarium Sangallense I, ed. Jörimann 1925, 10; Csg 44, p. 357 = Initium des Receptarium Sangallense II, ebd., 40 (vollständiger in BAV, Pal. lat. 1088, 31r–50r, vgl. Schuba 1981, 19). Die Parallelhandschrift Bamberg, SB, Msc. med. 2 kommt ohne die Aristoteles-Zuschreibung und ohne die christlichen Anrufungen aus (vgl. dazu Jörimann 1925, 78 f.).
5.4 Medizin – Magie – Religion
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tiken Rezepturen allein keine Heilung herbeiführen lasse, sondern dass es dazu der Hilfe des Christengottes bedürfe.432 Nicht durch eine Textformel, sondern durch ein Bild wird in Csg 877 p. 455 ein antiker Lehrer-Schüler-Dialog christlich umgedeutet. Am Ende des Dialoges über die Grammatik des Donat ist eine seitenfüllende Christusdarstellung unter dem Signum EGO SVM VIA VERITAS (Io 14,6) eingefügt.433 Beide Wissenstexte, der Medizintext wie der Grammatik-Dialog, werden durch diese Wortund Bildchiffren erkenntnisleitend nicht nur für die Scientia, sondern auch für die Sapientia. Mit einem aufwändigen Framingverfahren wurde im Csg 217 (pp. 252–274 und 335–342)434 eine ‚Ars medicinae‘ – es handelt sich um einen anonym überlieferten Auszug aus der ‚Physica Plinii Bambergensis‘435 – verchristlicht. Zum einen ist dem INCIPIT SC[IENTI]AM ARS MEDICINE auf pagina 252436 die christliche Segensformel IN NOMINE D(OMI)NI N(OST)RI IH(ES)U XPI vorangestellt. Die I-Initiale von IN NOMINE läuft als Flechtband über die ganze Seite am linken Rand und mündet am oberen Ende in das Porträt eines langhaarigen, bartlosen Mannes mit Kreuznimbus; hier dürfte das Antlitz Christi oder eines Heiligen gemeint sein.437 Die „Q“-Initiale (Quid) des folgenden Flebotomia-Traktats ist mit zwei Porträts gefüllt. Die heraldisch gesehen rechte Per432 Paris, BnF, lat. 11219, 42r: Incipit tereoperica, hoc est liber medicinalis … Ex tunc et nunc et usque in aeternum confitebimur cum Dei auxilio esse manifestum certantis studium, fructuosum opus ad omnes aegritudines mitigandas et cum Dei gratia curandas corporum vexatas. Hoc est initium ad capillorum curas. Ebd., 43r/v: Epistola de pererision, hoc est de monstratio quantis annis latuit medicina. Cum deo adiuuante, et de ipso certamen antiqui auctores et peritissimi medici sagaciter dixerunt …. Ebd., 104r: Incipit liber medicinalis de omni corpore hominis teraupeutica … Adhibenda sint enim Dei medicamenta quia divina potentia dignata est revivificare corpora mortificata. Nunc incipiam dicere de morbis et me dicinis diversis capitis.). Vgl. Wickersheimer 1966, 118, Nr. 77/27 und 29. Ich danke Klaus- Dietrich Fischer für den Hinweis auf diese Stellen. 433 Vgl. dazu ausführlich von Euw 2008, Bd. 1, 357 Nr. 59. Die Abbildung im Digitalisat http://www.e-codices.unifr.ch/de/description/csg/0877. 434 Vgl. das Digitalisat http://www.e-codices.unifr.ch/de/description/csg/0217. Bei dem Medizinteil handelt es sich um ein vormals gefaltetes Libell, das wahrscheinlich erst 1461 zum Codex 217 verbunden wurde. Zu dem gefalteten Csg 217 vgl. Bischoff 1966a, 99. Ungewöhnlich an dem St. Galler Libell ist, dass es einen medizinischen Text enthält, während sonst meist hagiographische Texte in solche transportfreundlichen Libelli geschrieben wurden. Zur Zusammensetzung der Handschrift und der Identifizierung der einzelnen Stücke vgl. oben 88 u. A. 303. 435 Vgl. dazu Fischer 1987, und oben 86 f. A. 288. 436 Leja 2016, 18 Anm. 99 liest „incipit sanctam ars medicine“ statt „incipit scientiam ars medicine“ und zieht daraus weitreichende Schlüsse für die Interpretation der Medizintexte in den karolingischen Handschriften. Sie löst auch das Incipit in BnF lat. 11219, 13v falsch auf. Diese Lesung, die MacKinney 1952, 14, aufgebracht hat, lehnt Köpp in Bezug auf den Csg 217 zu Recht ab. Ich schließe mich der Lesung Köpps an. 437 Von Euw 2008 behandelt die Zeichnungen in Csg 217 nicht. Die Deutungen beruhen auf meinen eigenen Beobachtungen am Original. P. 252 abgebildet auf dem Bookcover.
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son zeigt einen älteren Mann mit schütterem Haupthaar und Bart, der ein Buch in Händen hält. Links von diesem ist ein jüngerer, bartloser Mann mit längeren Haaren ohne Attribut zu sehen. Da der Traktat als Lehrdialog aufgebaut ist (QVID aest phlebotomia?), dürfte es sich hier um die Darstellung eines Arztes und seines Schülers handeln.438 Mit weiteren Zeichnungen ist die unbeschriftete pagina 251 des Csg 217, ursprünglich der stark abgegriffene und vergilbte Einband des gefalteten Libells, versehen. Eine zusammengehörige Gruppe von Figuren ist auf der oberen Blatt hälfte auszumachen.439 Am linken Rand steht eine männliche Figur mit Kreuznimbus, ähnlich geformt wie auf der pagina 252, hier aber als Vollfigur. Zu ihrer – heraldisch gesehen – Linken steht eine zweite nimbierte Person mit langen roten Haaren. Neben dieser erkennt man schwach im Zentrum der Seite am oberen Rand, der im Spätmittelalter leicht beschnitten wurde, ein geflügeltes Wesen auf einem kastenähnlichen Gegenstand sitzend. Meine Vermutung ist, dass es sich um eine Darstellung der Begegnung Maria Magdalenas mit Jesus am Grab handelt; ein Engel wies der Sünderin den Weg. In der mittelalterlichen Ikonographie trägt diese Maria von Bethanien häufig ein Salbgefäß, da sie nach der neutestamentlichen Überlieferung Jesus vor dem Passahfest zum Zeichen der Gastfreundschaft die Füße bzw. das Haupt gesalbt haben soll. Die Figuren des ‚Christus medicus‘ (?) und der arzneikundigen Maria Magdalena würden, sofern diese Deutung stimmt, der antiken ‚Ars medicinae‘ einen christlichen Rahmen verleihen. Unter der von mir als Jesus gedeuteten Person hat der Zeichner einen tonsurierten Bartträger mit Nimbus eingefügt. Angespielt wird hier wohl auf einen heiligmäßigen Mönch – den hl. Benedikt (?) –, dem Heilkräfte nachgesagt wurden. Eine zweite inhaltlich zusammengehörige Gruppe auf der pagina 251 von Csg 217 bilden Tiere, die um 90 Grad gedreht parallel zur ursprünglichen Faltrichtung dargestellt sind. Es ist nicht eindeutig zu klären, welche Tiere die drei Vierfüßler mit langen Schwänzen darstellen sollen; es könnte sich um Wölfe, Füchse, Lämmer oder Hunde handeln.440 Das Tier in der Mitte steht auf einem Säulenkapitell: vielleicht soll es das Opferlamm als Repräsentation Christi darstellen. Augusto Beccaria hat – Albert Bruckner folgend – den Medizinteil dieser Handschrift in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts datiert und dem Scriptorium von St. Gallen zugewiesen.441 Ich halte dies für unwahrscheinlich, denn das gefaltete Format spricht für ein Reiseexemplar und die Romanismen im Text deu438
So sehen dies auch Niederer 2005, 56, und Leja 2016, 17. Leja 2016, 17, deutet die Figuren als „Christ, Mary, and monks“. Das ist zu unpräzise. 440 Die Tiere auf Csg 217, p. 251, stehen nicht im Zusammenhang mit dem ‚Bestiarium‘ pp. 288a–292b, da die Zeichnungen auf p. 251 bereits im 8./9. Jahrhundert angebracht wurden, die ‚Ars medicinae‘ jedoch erst im 15. Jahrhundert mit dem ‚Bestiarium‘ zusammengebunden wurde (vgl. dazu oben 88 u. A. 306). Zu Beginn des Bestiariums (p. 288) ist vertikal ein Tier dargestellt, wohl ein Löwe, wenn man das Incipit als Interpretationshilfe versteht: Incipit Liber Bestiarum. Nomen Leonis qui alias bestias potit interficere …. 441 Beccaria 1956, 369 f. Nr. 131. 439
5.4 Medizin – Magie – Religion
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ten auf eine Vorlage aus dem romanischen Raum hin. Ich vermute, dass die Kopie der ‚Ars medicinae‘ in Norditalien hergestellt worden ist. Mit Bruckner datiere ich die Abschrift wegen der Verwendung der Halbunziale und des 2–ca in das Ende des 8. Jahrhunderts oder um 800.442 Tendenzen zur Verchristlichung zeichnen sich auch in der Rezeption antiker Magie ab.443 Die christlichen Kleriker und Mönche steckten hier in einem Dilemma. Auf der einen Seite hatten sie die Verbote, die kirchlicherseits gegen magische Praktiken ausgesprochen worden waren, zu befolgen, auf der anderen Seite hielten sie offenbar die Beschwörungen (incantationes) für effektiv bei der Heilung von Mensch und Tier, sonst hätten sie sie nicht in ihre Exorzismen mit Weihwassergabe, Gebeten, Handauflegungen und Anrufungen Christi und der Heiligen übernommen.444 Die magischen Formeln werden hier als coniura tio / obsecratio (Beschwörung) oder benedictio (Segen) bezeichnet: Erstere sollte ein bereits bestehendes Übel abstellen, Letztere einem künftigen Übel vorbeugen.445 Antike Medizin und christliche Beschwörungsformeln stehen dabei nebeneinander in Csg 550 aus der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts.446 Eine antike Vorlage schlägt vor, zur Heilung vom morbus nesse447 einen Verband anzulegen. Die anschließende formula obsecrationis empfiehlt auf die vom Wurm befallene
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Bruckner 1936, 70–71: „sec. VIII–IX“. Zu magischen Praktiken in unterschiedlichen religiösen Kontexten der Spätantike vgl. Engemann 1975; Marco Frenschkowski, Art. „Magie“, RAC XXIII (2010), hier bes. 931– 942. Über Beschwörungsformeln und Exorzismen des 8. bis 11. Jahrhunderts vgl. Hedwig Röckelein, Aneignung spätantiker Medizin und Magie in der Karolingezeit: Incantationes, benedictiones und Amulette, erscheint in den Akten der Tagung „Unheil bannen – Ordnung stiften. Frühmittelalterliche Segen, Beschwörungen und Zaubersprüche zwischen Religiosität, Magie und Medizin“ (Lorsch 2022). 444 Isidor referiert in ‚De ordine creaturam‘ die T heorie der Verursachung von Krankheiten durch Dämonen. Auch manche Päpste des Frühmittelalters tolerierten die magischen Praktiken, die in Rom v. a. unter den Diasporagemeinden der Syrer, Ägypter, Perser und Griechen verbreitet waren. Vgl. dazu Smith 2018. Zu magischen Praktiken in der Karolingerzeit vgl. Riché 1973. 445 Vgl. dazu Franz 1909, Bd. 2, Abschnitt 13 § 3, II. Zur Funktionsweise und Typologie der magischen Formeln vgl. auch Holzmann 2001. 446 Zu dieser komputistischen Sammelhandschrift, in die einzelne medizinische Beschwörungsformeln eingefügt sind, vgl. Scarpatetti (2003), Bd. 1, 11–16. 447 Csg 550, p. 54: Jstam causam facias contra morbum qui dicitur nesse. Tollat unum modium de amar bene uersum et faciat eium in bracium duas ebdomadas. Es ist nicht ganz klar, was mit dem „morbus nesse“ gemeint ist, entweder Hüft- und Gesäßschmerzen, eine Art Ischias, oder ein Befall mit dem sog. „Nesso-Wurm“, der sowohl bei Menschen wie bei Pferden beobachtet wurde. Hier dürfte eher Ersteres gemeint sein. Ich danke Klaus-Dietrich Fischer für die Abklärung dieser Frage. Zum Nesso-Wurm vgl. Reiche 1977, 21. Weitere Sprüche zur Vertreibung des Nesso-Wurms: Wien, ÖNB, lat. 751, 188v, aus dem 9./10. Jahrhundert (vgl. Steinmeyer 1916, 374; Holzmann 2001, 133, Spruch 1); Clm 18524,2, letztes Blatt aus dem 9. Jh. (vgl. Steinmeyer 1916, 374; Holzmann 2001, 133, Spruch 2). Tegernsee, 155 M 51, 53r, 10. Jh. (vgl. Steinmeyer 1877, 209; Holzmann 2001, 216 f., Spruch 183). 443
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Stelle eines Pferdes nach Sonnenuntergang einen Stein zu legen und gegen das Fieber eines gewissen Leotolt Christus anzurufen.448 Ein exorzistisches Formular, das antiken Dämonenglauben fortschreibt, ist in einem Sakramentar vom Ende des 8. Jahrhunderts festgehalten. Der Csg 350 wurde in Rätien (Chur?) geschrieben und gelangte schon früh nach St. Gallen.449 Darin steht p. 95 zwischen Gebeten (orationes) und Segnungen (benedictiones) für Kranke der Exorzismus, der mit Weihwasser das Heer der Dämonen und Phantasmata (exercitus diaboli, fantasmata) vertreiben soll. In St. Gallen hatten die Kopisten mit den sog. ‚Incantamenta Physicae Plinii‘ (Csg 751)450 reichlich Anschauungsmaterial an antiken magischen Formeln zur Verfügung. Zwar enthält bereits der Vorgänger der ‚Physica‘, die ‚Medicina‘, einige solcher Beschwörungsformeln und Anweisungen zur Amulettmagie,451 in der ‚Physica Plinii Sangallensis‘ sind sie jedoch auf die beachtliche Zahl von 44 angewachsen. Inmitten einer Sammlung von Antidoten weiter hinten im Csg 751 (p. 452) steht in einer unter dem Titel ›Epistula prima Ypogratis.‹ firmierenden ‚Ars medicinae‘ ein christlicher Spruch zur Vertreibung von Würmern.452 Er 448 Csg 550, p. 55: Bei der Formula obsecrationis Christus in ponte [!, i.e. monte] stabat tristis supervenit christus christus quid stas tristis pro illo kauallo qui habet illam colorem … nec carnem perforare scheint der Wurmbefall eines Menschen und eines Tieres zusammengezogen worden zu sein (vgl. die Wurmsegen in Paris, BnF, Nouv. acq. lat. 356, 69r (13. Jh.): Ad uermen, qui in caballo est. … aut qualem colorem habet …, ed. Holzmann 2001, 185, Spruch 110; und Zürich, ZB, Ms. Rh. 67, Bl. 47, 12. Jh.: … tres angeli ambulauerunt super montem synay et obuiauerunt illis. Nessia, nagido, …, ed. Holzmann 2001, 217 f. nr. 185) [Contra febres.] In nomine patris et filii … adiuro te […] frigore … et inmortalis qui tollis peccata mundi miserere isto homini leotolte amen. Vgl. Holzmann 2001, 160, Spruch 62 (mit falscher Seitenangabe zum Codex); Franz 1909, Bd. 2, 481, Nr. VII. 449 Csg 350 ist ein Fragment des Sacramentarium Gelasianum (CLA VII 939) aus einem rätischen Skriptorium (Chur?), in dem auch das um 800–820 geschriebene sog. RemediusSakramentar Csg 348 (CLA VII 936) entstanden ist. Das Remedius-Sakramentar enthält zwar p. 374 einen Krankensegen, darin wird aber nicht auf den antiken Dämonenglauben abgehoben. 450 Physica Plinii Sangallensis, Lib. I–III: Csg 751, pp. 184–185, 182–184, 185–210, 215– 218, 218–280, ed. Önnerfors 2006. Edition der Incantamenta bei Heim 1893, 501–502 u. 555–561. Önnerfors 1985, 237–252 bringt den nicht normalisierten Text der Incantamenta, der für die sprachliche Einordnung wichtig ist. Einige Sprüche in deutscher Übersetzung bei Önnerfors 1991, Nrr. 3, 22, 28, 29. Zur Datierung und Lokalisierung der Handschrift sowie den medizinischen Inhalten vgl. oben 85 A. 281, 86 A. 288, 87 u. A. 294, 89 A. 307–308. In diesem Codex wird p. 184 im Prolog zur ‚Physica Plinii Sangallensis‘ die Klage über die Ärzte geführt, vgl. dazu oben 81 u. A. 257. 451 Plinius d. Ä. selbst stand der Magie indes skeptisch gegenüber; allerdings war er nicht konsequent in seiner Ablehnung. Vgl. dazu Marco Frenschkowski, Art. „Magie“, RAC XXIII (2010), 864–866. 452 Csg 751, p. 452 Z. 11 ff.: Adiuua me deus saluator meus in adiutorio | tuo adiuua nos cantare et precantare. una cum sancto zenonę. abraham. | et sanctum rafahel et sanctum oriel cor‹us’ angelorum et sanctum damianum purga ma|num sua hic moua uerme de ossa. si agaro uerme. si uerme farcumcello | moue de ossa si uerme rimo moue de ossa. si uerme graneo hic mouat | de ossa in pulpa de pulpa in pelle de pelle in pilo de pilo in terra susci|pe
5.4 Medizin – Magie – Religion
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verbindet die magische Beschwörung mit der Anrufung Gottes und der Heiligen sowie einer medizinischen Anleitung. Die Anweisung cantare et precantare zielt entweder darauf ab, den Segen zu singen, oder sie verweist auf die incantatio, den antiken Terminus für Zauberbeschwörungen. Als heilende Helfer werden in diesem Fall die Erzengel Raphael und Uriel,453 der biblische Vater Abraham sowie die Heiligen Zeno und Damian angerufen. Anschließend werden die verschiedenen Würmer, deren Namen sich schon in antiken Zaubersprüchen finden, mit Hilfe imperativer Beschwörungsformeln durch die Knochen, das Blut, das Fleisch, die Haut und das Haar von innen nach außen aus dem Körper getrieben und in die Erde verbannt. Diese Wurmbeschwörung kursierte auch in althochdeutscher Übersetzung.454 Dasselbe Verfahren der Austreibung wird in der Beschwörung von Nierenschmerzen aus der ‚Physica Plinii‘ in Csg 751 p. 227 empfohlen.455 Eine andere Methode der Austreibung von Krankheiten war das Schwundschema von Buchstaben. In dieser Form der sympathetischen Magie wird das Übel durch Wiederholung und gleichzeitiges Weglassen von Wörtern oder Buchstaben eliminiert.456 Sie liegt dem Abracadabra gegen das Wechselfieber bei einer Malariaerkrankung im Medizingedicht des Quintus Serenus zugrunde,457 ebenso dem sog. Mandelspruch im Codex Bernensis 224458 und der Inschrift auf einem Grabkreuz aus der Kathedrale von Lausanne. Der Mandelspruch im Berner Codex basiert auf dem ‚Liber de medicamentis empiricis, physicis ac quia carnes portare non potest nec die nec in nocte. Tolle seligine | farina et melle mitte melle in frisuria fac corpus unum et mitte in | pelle et pone in malanno et prende terra qui dicitur milo si quadrupe|dia est pane in bucca et sic homo ossa materba sane fiet. frisuria = frixoria, farcumcello (abgeleitet von farcimen?); graneo = ‹hemi›graneo, vgl. Isidor, Etym., XII.v.13. Zur Deutung dieses Wurmsegens vgl. Reiche 1977, 12–15, und Schwab 1995, 287. 453 Zur Mitwirkung der Erzengel bei der Übermittlung göttlicher Heilungsanweisungen vgl. unten 113–114. 454 Eine althochdeutsche Kurzfassung in Wien, ÖNB, lat. 751, 188v, aus dem 9./10. Jahrhundert; Steinmeyer 1916, 374; Holzmann 2001, 133 No. 5.1.1, Spruch 1. Ähnlich der Nesso- Spruch in Clm 18524,2, letztes Blatt aus dem 9. Jh., vgl. Steinmeyer 1916, 374; Holzmann 2001, 133, 5.1.1, Spruch 2. 455 Vgl. dazu Reiche 1977, 15–16, und Schwab 1995, 283. 456 Zahlreiche Varianten des Abracadabra–Schwundprinzips bei Deonna 1944. 457 Quintus Serenus, Liber medicinalis, c. 51, ed. Pépin 1950, 48 f. und 89 f. Kommentar; Önnerfors 1991, 25 f. Nr. 1 und 62 Kommentar. Zu den beiden St. Galler Handschriften Zürich, ZB, C 78, fol. 79r, und Csg 44, p. 321, vgl. oben 90–91. 458 Bern, BB, 224, 74ra: AD CLANDvLAS DICES: Albula glandula adiuro te … VI fiant, V fiant … Digitalisat: https://www.e-codices.unifr.ch/en/description/bbb/0224//75r. Der Spruch über die Rachenmandel (glandula) ist im 10. Jahrhundert in Straßburg auf dem freien Platz neben dem ‚Arbor consanguinitatis‘ nach Isidor, Etym., IX, nachgetragen worden. Der Bernensis 224 ist ein Schlüsselwerk der Überlieferung Isidors (enthält: Etymologiae; In libros veteris ac novi Testamenti prooemia; De ortu et obitu patrum; Allegoriae quaedam Sanctae Scripturae; De natura rerum; Differentiae, Synonyma); er enthält außerdem Pseudo-Cicero, De proprietate sermonum vel rerum, und ein lateinisches Glossar. Vgl. die Beschreibung bei Homburger 1962, 65–69.
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5 Kosmos und Körper
rationalibus‘ des Marcellus (um 400).459 In der im Bernensis 224 vorliegenden Straßburger Fassung aus dem 10. Jahrhundert460 ist er um christliche Elemente ergänzt,461 nämlich um die Anrufung der Trinität: Albula glandula Adiuro te per patrem omnipotentem et per iesum filium eius. Et spiritum sanctum ut non noceas famulo d(e)i:N. Sed ut liqueas sicut splendet solis in aqua. Die Abschrift ist allerdings stark verderbt und der Sinn bis zur Unkenntlichkeit entstellt: aus Sed liquescas tamquam salis in aqua bei Marcellus wurde im Bernensis 224 sicut splendet solis in aqua. Christlich überformt ist im Codex Bernensis des Weiteren die Beschwörung der erkrankten Blase.462 Erneut wird die Anrufung der Trinität und diverser Heiliger empfohlen. Das Übel soll durch die mehrfach wiederholte lateinische (sanctus) und griechische (AYOC = hagios) Formel für das Heilige ausgetrieben werden. Dem Griechischen scheint man eine besondere magische Kraft zugeschrieben zu haben. Zu den Straßburger Nachträgen des Codex Bernensis 224 gehört zudem ein Rezept zur Beseitigung eines Abszesses in der Lunge, geschrieben von einer Hand des 9. Jahrhunderts. Es wurde nachträglich ergänzt um die Anrufung der Trinität sowie eine Reihe von Namen von Heiligen und ominösen Personen, hinter denen sich möglicherweise antike Dämonennamen verbergen. Zwischen die Namen setzte der Schreiber jeweils ein Kreuz.463 Das ist wohl als Anweisung zu verstehen, nach der Anrufung eines Namens ein Kreuz über den Kranken zu schlagen. Nicht nur die magischen Formeln, sondern auch der antike Amulettzauber fand Eingang in die christliche Heilpraxis des Frühmittelalters. Quintus Serenus 459 Marcellus Empiricus, De medicamentis liber, XV 101 und XV 102, ed. Niedermann 1968, 264–267. Vgl. Klaus-Dietrich Fischer, Art. „Marcellus“, HLLA 6/1, 2020, §608.1, 112– 121. Schon die Rezeptsammlung des Marcellus enthält Besprechungsformeln, Hinweise auf Amulette und anderes magisches Gut, allerdings ohne christliche Allusionen. Zu den Amuletten (ligaturae) aus Papyrus, Silber, Blei bei Marcellus vgl. Schwab 1995, 274–276. 460 Der Bernensis 224 wurde im ersten Drittel des 9. Jahrhunderts im Scriptorium Bischof T heodulfs von Orléans geschrieben, wahrscheinlich in Saint-Mesmin-de-Micy, und gelangte schon bald nach Straßburg, wo die Glossen, Rezepte und Beschwörungen nachgetragen wurden. Aus dem Besitz des Jacques Bongars kam der Codex 1632 nach Bern. 461 Der Text des Marcellus wurde im Mittelalter häufig exzerpiert und mit christlichen Anrufungen und Argumenten angereichert, vgl. dazu Schwab 1995, 267–281 und 293–295. 462 Bern, BB, 224, 74rb, rechts oberhalb des ‚Arbor consanguinitatis‘: Ad malam vesicam. In nomine sancte trinitatis. hiala. hiala. dulda. mala filana. Sanctus Cristopharus, sanctus Abraham. Si clum sina. divin divin. In clina. clina. clina. Sanctus Saturninus. AYOC. AYOC. AYOC. sanctus sanctus sanctus dominus deus omnipotens qui erat et qui est et qui venturus est. Adiuro te trahi colarius per deum patrem et filium eius et spiritum sanctum ut mox evanescas in isto homine .N. nec amplius crescas. 463 Bern, BB, 224, 74v: (Hand 1) Potio ad apostema quae in pulmone fit. Recipit haec de suco marrubii … (Hand 2): Contra febrem portandum | + In nomine patris + et filii + et spi ritus sancti + amen. Ŏtonem + Eugenius + Stephanus + Probatius + Sanbucius + Dionisius + Cessulius + Quiriacus + Ŏtonem. In nomine sancte trinitatis. In nomine Domini. Amen +.
5.4 Medizin – Magie – Religion
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empfahl in seinem Medizingedicht, das Abracadabra gegen das Wechselfieber der Malaria auf ein Stück Leinen zu schreiben und dieses um den Hals zu hängen.464 In einem Grab in der Kathedrale von Lausanne wurde ein kreuzförmiger Anhänger aus Silberblech gefunden, auf dem die Abracadabra–Formel teils in lateinischen, teils in griechischen Lettern in verschiedenen Schwundstufen geschrieben stand.465 Weder stratigraphisch noch paläographisch lassen sich Grab und Amulett genauer als zwischen dem 5. und 11. Jahrhundert datieren. In Csg 759 p. 91 empfiehlt ein insular geschulter Schreiber, ein Schutzschreiben gegen die Versuchungen des Teufels und gegen Fieber zu tragen.466 In wörtlicher Rede gibt er die abwehrenden Sprüche wieder. Außer dem Kreuz Christi und dem Hl. Geist sollen die Erzengel Michael, Gabriel, Raphael, Uriel, Raguel und Tubel angerufen werden. Kanonisch sind von diesen nur Michael, Gabriel und Raphael; die anderen sind apokryph überliefert und galten seit dem hohen Mittelalter als heterodox.467 Den einzelnen Erzengeln, die nach der christlichen Angelologie als höchstrangige Boten Gottes (summi nuntii) angesehen wurden, schrieb man verschiedene Spezialaufgaben zu. Nach Ansicht Isidors sei Raphael der göttliche Bote der Heilung und der Medizin, denn er habe den blinden Tobias sehend gemacht.468 Laut einer aus Köln überlieferten Liste aus dem 9. Jahr464 Quintus Serenus, Liber medicinalis, c. 51, ed. Pépin 1950, 47–49: Inscribes chartae quod dicitur abracadabra … his lino nexis collum redimire memento. Vgl. dazu auch Önnerfors 1991, 25 Nr. 1. Zu den St. Galler Abschriften vgl. oben 87 A. 292. 465 Der Anhänger wurde 1910 bei Ausgrabungen in der Kathedrale von Lausanne in Grab 128 gefunden. Zu den Fundumständen vgl. Deonna 1944; Abb. der Vorder- und Rückseite des Amulettkreuzes ebd., 116 Pl. IX; Transkription der Inschrift ebd., 120. Das Grab wurde möglicherweise nicht in der Kirche, sondern auf einem (Laien-)Friedhof außerhalb einer älteren Kirche angelegt, der erst später von der Kathedrale überbaut wurde. Daher ist unklar, ob der Bestattete ein Laie oder ein Kleriker war. 466 Csg 759 p. 91: cccxlii [Rand]: Breue quod facit pro temtamenta diaboli uel frigoras portit super se hec scriptura; Per crucem domini nostri Ihesu Christi parce, per sanguinem domini nostri Ihesu Christi parce … Crux domini est signum mihi contra insidias tuas + crux quam ego semper adoro + … Obsecro uobis fortisimi et beatisimi harcahenli [= archangeli] dei michael Gabriel rapahel oriel Raguel Tubel et cum uirtutijs dei et potentia spiritus sancti iubeatis illo saluare noctibus ac diebus horis atque momentis De gladio maligno et de pustula et de omne contagione morborum deus forsimi adiuua illi. Zum Kreuzsegen vgl. Bischoff 1967b, 281–282, und Schwab 1995, 277 mit Verweis auf Csg 251, p. 232 (christliche Überarbeitung eines Rezepts gegen Halsschmerzen aus der ‚Physica Plinii‘). Zur Methode siehe auch Dora u. a. 2016, 46–47. 467 Sieben Erzengel nennt das apokryphe Buch 1 Henoch 40: Suru’el (= Uriel), Raphael, Raguel, Michael, Saraqua’el (= Sarakiel), Gabriel, Remiel. Jedem der Erzengel ist dort eine spezifische Aufgabe zugeschrieben. Den Erzengel „Tubel“ aus dem Csg 759 p. 91 konnte ich sonst nirgends nachweisen. Möglicherweise ist die Schreibung des Namens verderbt. 468 Isidor von Sevilla, Etym. VII.v (De angelis), ed. Lindsay [13–14]: Raphael interpre tatur curatio vel medicina Dei. Vbicumque enim curandi et medendi opus necessarium est, hic archangelus a Deo mittitur; et inde medicina Dei vocatur. Vnde et ad Tobiam idem ar changelus missus oculis eius curationem adhibuit, et caecitate detersa visum ei restituit. Zur Anrufung Raphaels vgl. auch oben 111 den Wurmsegen in Csg 751, p. 452.
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5 Kosmos und Körper
hundert 469 sorgt Raphael dagegen für ausreichende Nahrung und Getränke; in dieser Liste fehlt ein für die Krankenheilung zuständiger Erzengel. Im 9. Jahrhundert sind solche Anzeichen für die christliche Modifikation antiker Amulettinschriften und magischer Beschwörungen selten. Sie häufen sich seit dem 10. und mehr noch seit dem 11. Jahrhundert. Man findet sie als Nachträge auf den Rändern und in den unbeschriebenen Seiten karolingischer Handschriften sowohl in lateinischer wie auch in der Volkssprache.470 Einer Rezeptsammlung, die in einer Handschrift der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts erhalten ist – der Text selbst dürfte älter sein –, wurde die Anweisung für die Anfertigung eines Bleiamuletts in Kreuzform beigefügt, das dem Kranken um den Hals gehängt werden soll.471 Aus dem 11. und 12. Jahrhundert haben sich solche Amuletttäfelchen aus Blei mit entsprechenden Beschwörungen auch materiell erhalten.472
469 Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, 174, fol. 45v (http://www.ceec. uni-koeln.de/): Nomina archangelorum. Gabrihel archangelus cum tonat habe in mente. et non nocebit tibi. Michahel cum te mane leuas in mente habe et letum diem habebis. Orihel contra aduersarium tuum in mente habe et omnia uincis. Raphahel cum panem tuum et potum intaminas in mente habe et omnia habundabit tibi. Raguhel cum in itinere exieris in mente habe prospera agebis. Barachahel cum iudicem alicum potentem salutare uolueris in mente habe et omnia explicabis. Pantasaron cum in conuiuio ueneris in mente habe et omnes congaudebunt tibi. 470 In den Handschriften, die die Stadtbibliothek Trier aus stadt- und landtrierischen Klöstern übernommen hat, finden sich zahlreiche solcher Dokumente (vgl. Embach 2013, 28–32, Kat.nr. 10–12 mit Abbildungen): Pferdesegen mit lateinischer Einleitung in Form einer ‚Incantatio‘ als Randnotiz zu einem lateinischen Sachwörterbuch (Trier, StB, Hs 40/1018, 36v, 10./11. Jh., aus dem Zisterzienserkloster Himmerod), Blutsegen in lateinisch-mittelfränkischer Mischform in einer Rezeptsammlung (ebd., 19v) neben einem Jordan- und einem Veronikasegen (ebd., 13v, 18v). Vgl. dazu Ferckel 1913; Embach 2004, 31–47. Christusanrufung gegen den Teufel und andere Feinde in einer Geheimschrift in mittelfränkischer Sprache um 900, nachgetragen in einem Codex des 8./9. Jahrhunderts aus St. Eucharius / St. Matthias in Trier am unteren Rand einer Abschrift von Isidors Evange lienauslegung (Trier, StB, Hs 564/806 8°, 65v); vgl. dazu Embach 2004, 65–67. 471 Bonn, UB, S 218, Bl. 82b1 (zitiert nach Reiche 1976, 187): Ad dusiaticum. In nomine domini accipe plumbum et fac inde crucem paruulam et scribe in ea ant. totam Ecce crucem d. in fine. pax tibi all. et liga super infirmum in collo eius. et sint custodes qui custodiant eum ut non dormiat ullo modo tribus noctibus et tribus merid. quia si hoc fecerit. potest fieri ut inimicus dei crucem illi auferat. in alia hora dormiat. Et fac benedictam aquam et sparge su per infirmum. et in domum et in ipsa aqua bibat tres noctes et in merid. et sic deo adiuuante recuperabitur infirmus. Zur Deutung von dusiaticus als „Dämon“ bzw. „Alp“ siehe Niederer 2005, 187 f. 472 Die hochmittelalterlichen Amulette wurden nicht von Laien angefertigt bzw. beschriftet, sondern von lateinkundigen Geistlichen. Zu den Inschriften und zur Verbreitung der Amulette vgl. Muhl / Gutjahr 2013.
5.5 Medizin und Astronomie
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5.5 Medizin und Astronomie: zwei Disziplinen – zwei Aneignungsweisen antiken Wissens im christlichen Westen Die astronomisch-prognostische und die medizinische Literatur der Antike und der Spätantike wurde im Frühmittelalter nicht überall, aber in einigen spezialisierten Zentren intensiv rezipiert. Das antike Wissen der griechisch-hellenistischen Welt über den Körper und den Kosmos wurde den Erkenntnismöglichkeiten und Bedarfen im lateinischen Westen angepasst. Ausgewählte und auf das Wesentliche reduzierte Schriften wurden vom Griechischen ins Lateinische übersetzt. Die Christen sahen sich bei der Adaption der Kenntnisse über die Heilung physischer Gebrechen und der Berechnung ihres Kalenders jedoch mit der Tatsache konfrontiert, dass beide Wissensfelder in der Antike keineswegs rein pragmatische Wissenschaften, sondern eng mit der griechischen Götterwelt verbunden waren: Über Gesundheit und Krankheit bestimmte Apollo. Dessen Sohn, der Heros Aesculap, stand im Ruf eines erfolgreichen Arztes. Von ihm leitete sich das Geschlecht der Asklepiaden-Ärzte ab, dem Hippokrates entsprang.473 Vor allem Tertullian polemisierte gegen den antiken Tempelkult im Asklepieion von Pergamon und dessen Wiederbelebung im 2. nachchristlichen Jahrhundert, in dem neben Priestern auch Ärzte praktizierten.474 Doch langfristig setzte sich dessen radikale Position nicht durch. Vielmehr war der Umgang mit der antiken Medizin im Frühmittelalter ganz pragmatisch vom „usus iustus“ geprägt.475 Der Sternenhimmel wurde vom Göttervater Zeus gelenkt, die Sternbilder und der Zodiakus waren nach Göttern benannt und die Beschäftigung mit ihm trug zur Verbreitung ihrer Mythen bei. An der griechischen und römischen Götterwelt nahmen die christlichen Autoritäten zwar Anstoß, auf das damit verbundene medizinische und astronomische Wissen wollten sie indes nicht verzichten. Allerdings waren die beiden Wissensfelder für die Christen von unterschiedlicher Relevanz: Auf die gelehrte Medizin hätte man durchaus verzichten können, nicht jedoch auf die Astronomie. Selbst in der medizinischen Praxis war ein Mindestmaß an astronomischen Kenntnissen unverzichtbar, etwa für die Berechnung der Termine für den Aderlass oder die Herstellung von Medikamenten. Die Astronomie hingegen war auf die Medizin nicht angewiesen. In der Medizin bildete sich zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert ein Kanon maßgeblicher Autoren bzw. Pseudo-Autoren und Schriften heraus; dieser blieb über die Karolingerzeit hinaus relativ stabil. Die Tradierung des medizinischen 473 So das Narrativ bei Isidor, Etym., IV.3, und in der ‚Epistola peri hereseon‘ überliefert in BnF lat. 11219 und Brüssel, BR, 3701–15 (vgl. dazu Leja 2016, 19–21). 474 Vgl. dazu Schulze 2005, 30–32. 475 Zur biblischen Begründung und Anwendung des Begriffs „usus iustus“ auf die Medizin vgl. Schulze 2005, 179–185.
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5 Kosmos und Körper
Wissens war hermetisch. Nur selten sind in Kompendien der Medizin Texte aus anderen Wissensgebieten zu finden, am ehesten noch Hilfsmittel zur Astronomie oder antike und spätantike christliche Dichtung. Ohnehin ist der Übergang von der medizinischen Fachliteratur zur Poesie fließend wie man am ‚Liber medicinalis‘ des Quintus Serenus und am ‚Hortulus‘ des Walafrid Strabo sehen kann. Die medizinische Fachliteratur richtete sich an Experten. Ohne Vorkenntnisse konnte man diese Texte zur Pharmakologie, Diätetik und Pathologie nicht verstehen. Die Lehrbriefe führten zwar in die Systematik und Terminologie der Medizin ein. Aber das Erfahrungswissen dürfte im Frühmittelalter wie schon in der Antike weitgehend mündlich vom Arzt an den Schüler, vom Vater an den Sohn weitergegeben worden sein. Die Einführung in den Computus und die Astronomie war fest im schulischen Kanon verankert. Die Kompendien sind didaktisch und mit Rücksicht auf das Vorwissen der Adressaten angelegt. Sie bauten aufeinander auf, beginnend mit den Schulbüchern für den Elementarunterricht, gefolgt von Lehrer- und Klerikerhandbüchern bis hin zu Kollektionen für gelehrte Experten, in denen die gesamte Kosmologie dargelegt war. Auch hinsichtlich der Rezeption und Integration christlicher Vorstellungen unterscheiden sich die beiden Wissensfelder erheblich. Da die Komputistik für die Definition und Berechnung der christlichen Zeitrechnung elementar war, wurde in diesem Wissensfeld schon sehr früh und sehr schnell antikes Wissen mit christlichen Vorstellungen von Zeit und Kosmos korreliert und für die praktische Anwendung konfektioniert. Zwar gab es zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert grundlegende Debatten über die Widersprüche zwischen den Systemen, die teilweise die Grundfesten der religiösen Vorstellungen erschütterten. Doch diese Widersprüche wurden entweder ausgeräumt oder man einigte sich auf pragmatischem Weg, selbst um den Preis der Reduktion komplexer Sachverhalte. Normen zur Zeitrechnung ließen sich im fränkischen Großreich nur durchsetzen, wenn unter den Experten ein breiter Konsens über sie bestand. Nachdem sich die Berechnungsmethoden des Dionysius Exiguus und Bedas durchgesetzt hatten, gab es keinen religiösen Konflikt mehr, denn die Autoritäten, auf die man sich berief, waren alle Christen, keine Griechen, Römer oder Ägypter. In der Medizin hingegen wurden die antiken Vorstellungen über den Erhalt der Gesundheit und die Heilung von Krankheiten unverändert unter Berufung auf die antiken Autoritäten Hippokrates und Galen tradiert. Damit hätte das Religionsparadigma tatsächlich zum Problem werden können, wenn nicht parallel dazu christliche Vorstellungen über das Heil und die Heilung des Körpers entwickelt worden wären, in deren Zentrum Christus als Heiler stand. Sobald die antiken medizinischen Lehrtexte aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt worden waren, schrieb man sie meist unverändert ab. Lohrmanns Befund für den A achener Hof gilt auch für die Klöster und Domschulen: „Auch Texte, die in das christliche Weltbild nicht passten, wurden kopiert, gelesen, diskutiert,
5.5 Medizin und Astronomie
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kritisch geprüft und immer wieder mit anderen Abschriften verglichen, um ihren Text zu verbessern.“476 In den Kompendien spätantiker medizinischer Schriften, den Herbarien, Rezeptarien und Antidotarien aus den Klöstern St. Gallen und Lorsch finden sich christlich konnotierte Einschübe oder Umdeutungen nur selten. Lediglich die Deontologie bot einen Schauplatz für Kontroversen über antike Ethik und christliche Heilkunst, wie man an der ersten Vorrede zum sog. ‚Lorscher Arzneibuch‘ sehen kann. Laut Meg Leja hätten sich die der karolingischen Correctio verpflichteten Autoren jedoch darum bemüht, den christlichen als den wirksameren Gott über Gesundheit und Krankheit zu plausibilisieren, unabhängig davon, ob es um Ärzte oder Heilige als heilenden Instanzen ging.477 In der Karolingerzeit wurde das aus der Antike tradierte Wissen zur Medizin nur selten religiös überformt; dies änderte sich jedoch im 11. Jahrhundert, wie an den Nachträgen aus dieser Zeit in eine Reihe karolingischer Handschriften und an der Amulettpraxis zu sehen ist. Während in der Astronomie und der Komputistik bereits in der Karolingerzeit eine Balance zwischen antiken Göttermythen und christlichen Methoden der Zeitrechnung gefunden worden war, dauerte es in der Medizin zwei Jahrhunderte länger, bis christliche Vorstellungen mit antiken magischen Praktiken und Körperkonzepten eine enge Verbindung eingingen.
476 477
Lohrmann 2013, 455. Leja 2016 und 2022.
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6 Konstellationen am königlichen Hof: Bibliotheksräume – Schwimmbäder – Gesundheitszentren Am A achener Hof und in der Entourage der karolingischen Herrscher waren gelehrte Ärzte wohlgelitten und sie wurden im Krankheitsfall konsultiert.1 Zwar behauptet Einhard, Karl habe sich im Alter über die Diätregeln der Ärzte hinweggesetzt, weil sie ihm den geliebten Braten verboten hätten,2 dennoch scheint er deren Diätvorschriften im Allgemeinen befolgt zu haben.3 Als er kurz vor seinem Tod an einem mehrtätigen Fieber litt, fastete er, da er glaubte, durch Enthaltsamkeit die Krankheit besiegen oder doch mildern zu können,4 eine Empfehlung, die bereits die Fiebertraktate der Spätantike in einem solchen Falle geben. Ludwig der Fromme hielt sich mit dem sog. „Astronomus“ jahrelang einen Berater am Hof, der in der Astronomie und Astrologie wie in der theoretischen 1 Alkuin, Carmen 26 (April 796), MGH Poet. lat. I, 245 Z. 12–14: Accurrunt medici mox, Hippocratica secta: / Hic venas fundit, herbas hic miscet in olla, / Ille coquit pultes, alter sed pocula praefert. Diese Stelle ausführlich diskutiert bei Schefers 1993, 183. Alkuin, Epist. Nr. 8, MGH Epist. IV, S. 34 u. ebd. Anm. 1. Astronomus, Vita Hludowici, c. 28, ed. Tremp 1995, 372–374. Nach Angaben der Vita Sturmi Eigils, c. 25, ed. Engelbert 1968, 161, schickte Karl d. Gr. 779 seinen Leibarzt Wintar (medico domini regis Karoli cui nomen Wintar) an das Krankenlager des hochbetagten Abtes Sturmi nach Fulda. Dieser habe dem Sterbenskranken einen Trank eingeflösst (potionem infuderat), der dessen Leiden jedoch verstärkte anstatt es zu lindern. Den Tod des Abtes konnte er nicht verhindern. Wintar wird nicht in allen Handschriftengruppen der Vita Sturmi erwähnt. 2 Einhard, Vita Karoli Magni, c. 22, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 27: Et tunc qui dem plura suo arbitratu quam medicorum consilio faciebat, quos poene exosos habebat, quod ei in cibis assa, quibus assuetus erat, dimittere et elixis adsuescere suadebant. 3 Es ist gut möglich, dass den Hofärzten und eventuell auch Karl selbst das Schreiben des Anthimus an den Merowingerkönig T heuderich I. bekannt war, in dem der griechische Arzt dem Herrscher im 6. Jahrhundert Diätempfehlungen zu Getränken und Speisen gab, die bei den Franken besonders beliebt waren (Bier, Met, Speck etc.). Anthimus rät generell vom Verzehr von Rindfleisch ab, da dieses schwer verdaulich sei; allenfalls das Fleisch von Kälbern sei gut verträglich, auch dieses aber besser gesotten als gebraten. Der Traktat des Anthimus in Briefform ist sowohl im Lorscher Arzneibuch (Bamberg, SB, Msc. Med. 1, 72r–75r, ed. u. übers. bei Stoll, 1992, 392–407) als auch in einer St. Galler Handschrift überliefert (Csg 762, pp. 217–260, siehe dazu oben 87 A. 297). 4 Einhard, Vita Karoli Magni, c. 30, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 35: Cumque ibi hiemaret, mense Ianuario febre valida correptus decubuit. Qui statim, ut in febribus sole bat, cibi sibi abstitentiam indixit, arbitratus hac continentia morbum posse depelli vel certe mitigari.
6 Konstellationen am königlichen Hof
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Medizin gleichermaßen bewandert war.5 Wir wissen nicht, ob er als Arzt praktizierte, aber er war immerhin in der Lage, die Krankheiten des Herrschers in dessen letzten Lebensjahren präzise zu beschreiben.6 Auch die späteren Karolinger hielten sich gelehrte Ärzte.7 Gab es über die Inanspruchnahme gelehrter Ärzte im Krankheitsfall hinaus ein besonderes Interesse der Karolinger an der Medizin als Wissenschaft? Darüber sind die Meinungen geteilt. Klaus-Dietrich Fischer sieht Anzeichen, dass Karl d. Gr. am Ende des 8. Jahrhunderts „erhebliche Anstrengungen“ unternommen habe, „um medizinischer Handschriften habhaft zu werden“.8 Nach Auffassung von Schefers und Leja habe der Aachener Hof den entscheidenden Anstoß gegeben, die Mönche und Kathedralkleriker vom Nutzen der Medizin zu überzeugen.9 Ohne Zweifel war die „gelehrte Medizin am Hof vertreten“,10 ohne Zweifel besaß Karls enger Berater Einhard medizinische Grundkenntnisse.11 Doch weder Schefers noch Leja konnten in den Aachener Bibliotheken Handschriften medizinischen Inhalts im engeren Sinne ausfindig machen. Sie argumentieren mit dem Zirkulargedicht Alkuins vom April 796, mit dem Traktat ‚De eruditione clericorum‘ (III,1) des Hrabanus Maurus von 819, mit dem Capitulare von Diedenhofen von 805, mit den beiden Vorreden des ‚Lorscher Arzneibuchs‘, mit c. 70 des ‚Capitulare de villis‘ von 792/93 und mit dem Medizingedicht des Quintus Serenus.12 Auch wenn Letzteres nachweislich im Auftrag Karls in Aachen kopiert worden ist,13 sagt es nichts über dessen Interesse an der Medizin aus, handelt es sich doch um eine metrische Stilübung, nicht um ein medizinisches Handbuch.14 Auch Schefers’ Verweise auf das Medizinvokabu 5 Vgl. Astronomus, ed. Tremp 1995, 58 f. mit Quellenbelegen; vgl. auch Hack 2009, 97–101. 6 Astronomus, Vita Hludowici, cc. 62–63, ed. Tremp 1995, 542–550. Cf. Hack 2009, 97–101. 7 Vgl. die Nachweise bei Hack 2009, 348–353 und Tabelle S. 358. 8 Fischer 2020, 448. 9 Schefers 1993, 178. Leja 2016, 2, geht davon aus, dass der königliche Hof daran interessiert gewesen sei, die Medizin als nützliche Wissenschaft zu propagieren und in das christliche System zu integrieren. 10 Schefers 1993, 186 und 200. 11 Zumindest beherrschte er einige griechische Fachbegriffe: Einhard, Vita Karoli Magni, c. 30, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 35: Sed accedente ad febrem lateris dolore, quem Greci pleurensin dicunt … Einhard dürfte diese Kenntnisse schon während seiner Schulzeit in Fulda erworben haben, nicht erst am Aachener Hof. Zu den erhaltenen Fuldaer Medizinhandschriften vgl. oben 84 A. 272, 85 A. 281. 12 Schefers 1993; Leja 2016, 6–9. 13 Zum Nachweis des Kopierauftrags vgl. die Abschrift der Vorrede in Zürich, ZB, C 78 (Teil IV), foll. 59r–82v. Näheres dazu oben 90. Die vom Notar Jakob angefertigte Aachener (Reichenauer?) Kopie ist nicht erhalten. Leja 2016, 7 f. Anm. 34 versucht den Auftrag an Jakob als Beleg für Karls Interesse an der Medizin stark zu machen. Das überzeugt aber nicht. 14 Fischer 2018, 391, und Baader 1972, 702, betonen, dass der Text in der medizinischen
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6 Konstellationen am königlichen Hof
lar im ‚Liber Glossarum‘15 und die Pflanzenliste im ‚Capitulare de villis‘16 reichen nicht aus, um in Aachen einen Medizinschwerpunkt zu konstruieren. Ich teile Baaders Auffassung, dass Karl an der Medizin kein großes Interesse gehabt habe,17 jedenfalls war es deutlich geringer als das an der Astronomie. Die Heilkunst (ars medica oder ars medicinae) gehörte – im Unterschied zur Rhetorik und Grammatik – nicht zu den staatstragenden Wissenschaften, auch wenn Leja sie als Instrument des karlischen Correctio-Konzeptes und der Propaganda für das Maßhalten und einen gemäßigten Monastizismus interpretiert.18 Karl richtete eine Disputation zur Kalenderberechnung aus, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, ein Gespräch zu medizinischen Streitfragen anzusetzen. Neben der Inanspruchnahme gelehrter Ärzte holten sich die Angehörigen der königlichen Familie im Krankheitsfall Unterstützung bei Gott und seinen Heiligen.19 Als Karls Vater Pippin im Jahr 768 nach längerer Krankheit mit dem Tode Praxis keine Rolle spielte. Glaze 1999, 74, macht plausibel, dass er im Kloster Saint-Riquier im Metrikunterricht verwendet wurde. 15 Die medizinischen Glossen ediert bei Heiberg 1924; digitale Edition des ‚Liber glossarum‘: Grondeux / Cinato 2016 nach der Handschrift Paris, BnF, lat. 11530 aus Corbie, Ende 8. Jh. (CLA V 611). 16 Capitulare de villis, c. 70, MGH Capitularia regum Francorum I, ed. Boretius 1883, 90; dazu ausführlich Wies 1992, 21–41. Auch wenn die Überschrift Volumus quod in horto omnes herbas habeant suggeriert, dass diese Pflanzen in den königlichen Pfalzen angebaut werden sollten, sind darin Pflanzen enthalten, die für das nordalpine Klima völlig ungeeignet sind. Daher wurden Zweifel an der Praxisrelevanz des Textes bzw. an seiner Geltung für das Gesamtreich geäußert. Verhulst, Adriaan, Art. „Capitulare de villis“, LdMA II (1983), 1483, sieht darin in erster Linie eine gelehrte Zusammenstellung aus antiken Werken. Schon Steinmeyer 1895, 470 u. 473, hatte erkannt, dass die Liste auf einem spätantiken griechisch-lateinischen Wörterbuch der ‚Hermeneumata medicobotanica‘ basiert. Wies 1992, 23, macht geltend, dass die exotischen Pflanzen der im AT dem Garten König Davids zugeschriebene Botanik entlehnt seien und erinnert daran, dass Karl im Kreis der höfischen Intellektuellen den Namen David trug. Manche Pflanzen wie der Mandelbaum, so Wies, ebd., 23 f., seien nur wegen ihrer allegorischen christologischen Bedeutung aufgenommen. Lohrmann 2013, 453, geht mit Gundolf Keil davon aus, dass die Pflanzenliste eine Rolle bei der Abfassung des Lorscher Arzneibuchs gespielt habe; das kann aber aufgrund der chronologischen Abfolge der Entstehungszeit der beiden Texte nicht zutreffen (vgl. dazu oben 96 A. 355, 119). Wies 1992, der das c. 70 des Capitulare als unmittelbare Konsequenz Karls aus der Hungersnot von 792/93 sieht (22), kommt (20) aus inhaltlichen Gründen zu dem Schluß, „daß es sich [beim Capitulare de villis] nicht nur um eine Bewirtschaftungsordnung königlicher Güter handelt, sondern … durchaus um eine Sozialordnung für die auf den Krongütern tätigen Menschen“. Regnath / Schmuki 2017, 51 u. 56, u. a. vermuten einen Konnex zwischen der Pflanzenliste in c. 70 und dem wohl in den 830er Jahren am Hof Ludwigs des Frommen verfassten Schrift ‚De cultura hortorum‘ des Walafrid Strabo. 17 Baader 1972, 680. 18 Leja 2022, 230–232. 19 Die Besuche karolingischer Herrscher und ihrer Familienangehörigen an den Gräbern der Heiligen von 755 bis 898 zusammengestellt aus den Quellen bei Swinarski 1991, 366–406 No. 32–106. Allerdings sind diese Besuche nur in wenigen Fällen durch Krankheit motiviert. Hauptmotive der Herrscher selbst waren die ‚pietas‘ und das Gebet um den Schutz der Dynastie sowie die Unterstützung im Kampf gegen Feinde.
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rang, suchte er Hilfe beim hl. Martin in Tours. Karls Ehefrau Fastrada (790) und sein Sohn Ludwig der Fromme (836) wurden vom hl. Goar von Zahnschmerzen bzw. von der Gicht befreit.20 Bei schweren Krankheiten und in hoffnungsloser Situation verhielten sich die Karolinger nicht anders als die normale Bevölkerung: Sie suchten die Unterstützung der helfenden Heiligen und der göttlichen Kraft und vertrauten nicht allein auf die gelehrten Ärzte. In c. 22, wo Einhard über Karls Ablehnung der ärztlichen Diätempfehlungen schreibt, betont er die Vorliebe des Herrschers für die Bäder zu Aachen und das Schwimmen zur Körperertüchtigung.21 Er behauptet, Karl habe A achen der T hermen wegen als Sitz seiner Hauptstadt gewählt und dort bis zum Ende seines Lebens gewohnt. Dorthin habe er nicht nur seine Söhne zum Baden geladen, sondern auch die Großen und Freunde, manchmal auch das Gefolge und die Leibwächter. Zuweilen hätten hundert oder mehr Personen / Männer zusammen mit ihm gebadet. Die Vorliebe Karls für das gemeinschaftsstiftende Schwimmen mit seinen Söhnen und Höflingen hat der Kunsthistoriker Horst Bredekamp als Medium der Selbstrepräsentation des Herrschers, als Zeichen imperialer Macht und als Demonstration physischer Stärke des Heerführers interpretiert.22 So wie Augustus seinen Enkeln das Schwimmen (natare) beigebracht habe,23 so habe Karl seine Söhne zum Baden (ad balneum) eingeladen. Der gemeinsame Aufenthalt in den A achener Bädern sei ein Akt öffentlicher Kommunikation und Repräsentation, ein Gemeinschaftserlebnis im Kreis der Männer des Hofes gewesen, das die überragende Leistungsfähigkeit des Herrschers noch im hohen Alter habe beweisen sollen. Die T hese Bredekamps vom „schwimmenden Souverän“ wurde unter Historikern verhalten aufgenommen.24 Johannes Fried meint, dass der König seine 20 Wandalbert von Prüm, Vita et Miracula s. Goaris, c. 12 und 31, ed. Stiene, 1981, 58 f. u. 78 f. Vgl. dazu Hack 2009, 365, und Swinarski 1991, 382. Die Zelle des hl. Goar am Mittelrhein schlug Karl d. Gr. 782 dem Kloster Prüm in der Eifel zu, mit dem die Karolinger seit den Zeiten Pippins d. J. eng verbunden waren. Karl d. Gr. besuchte sie mit seinen Söhnen per Schiff von der Pfalz Ingelheim aus (vgl. das „Strafwunder“ bei Wandalbert c. 11). 21 Einhard, Vita Karoli Magni, c. 22, MGH SS rer. germ. in us. schol. 25, 27: Delectaba tur etiam vaporibus aquarum naturaliter calentium, frequenti natatu corpus exercens; cuius adeo peritus fuit, ut nullus ei iuste valeat anteferri. Ob hoc etiam Aquisgrani regiam exstruxit ibique extremis vitae annis usque ad obitum perpetim habitavit. Et non solum filius ad bal neum, verum optimates et amicos, aliquando etiam satellitum et custodum corporis turbam invitavit, ita ut nonnumquam centum vel eo amplius homines una laverentur. 22 Bredekamp 2013, 27–32, 40 f. Im Titel des fraglichen Kapitels bezeichnet er das Schwimmen als „augusteische Kunst“! 23 Sueton, De vita Caesarum, Lib. II (Vita divi Augusti), c. 64,3, ed. Martinet 2006, 249 f.: nepotes et litteras et natare aliaque rudimenta per se plerumque docuit. 24 Kritisch zu Bredekamp Müller u. a. 2013, 64 („Ein solches Szenario [vgl. Einhard, c. 22] erinnert eher an dekadente Königshöfe der Neuzeit … als dass es zum Bild des staatsmännisch verklärten pater Europae Karl passte.“) und Hack 2015, 66–68 (67: „Solche im
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Entourage vor allem zum Vergnügen ins Bad geladen habe.25 Und in der Tat lässt sich gegen Bredekamp einwenden, dass Augustus – zumindest nach der Darstellung Suetons – gar kein guter Schwimmer war. Ganz im Gegenteil beschreibt der Dichter ihn als einen hypochondrischen, dem Sport und der Bewegung abgeneigten Mann. In c. 82 sagt er ausdrücklich, Augustus habe wegen seiner schwachen körperlichen Konstitution nur selten ein Bad genommen: verum tantam infirmitatem magna cura tuebatur, in primis lavandi raritate. Seine intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten habe er bis ins hohe Alter bewahrt, seine physischen Kräfte indes hätten ihn verlassen.26 Einhard stellt Karl in c. 22 mithin als das genaue Gegenteil des Augustus dar, nämlich als einen bis ins hohe Alter sportlichen und agilen Herrscher. Gegen Bredekamp ist zudem vorzubringen, dass Sueton das gemeinsame Bad mit den Höflingen nicht von Kaiser Augustus berichtet, sondern von Kaiser Titus, einem vergleichsweise schwachen Herrscher, der die Einladung an die Plebs in die Thermen als populistische Maßnahme ergriffen habe.27 Martin Clauss und Achim Hack zeigten, dass die Technik des Schwimmens im Mittelalter weit verbreitet war.28 Baden und Schwimmen habe der militärischen Ertüchtigung, der Reinigung, der Entspannung und der Heilung gedient. Je nach Zielsetzung habe man fließende Gewässer oder Heilbäder aufgesucht. Auf der Grundlage des Vergleichs dreier mittelalterlicher „schwimmender Souveräne“ – Karls d. Gr., Ottos II. und Friedrichs I. Barbarossa29 – kommt Clauss zu dem Schluss, dass in der Darstellung Einhards der militärische Aspekt gar keine Rolle gespielt habe. Vielmehr habe Einhard das höfische Verhalten, das gemeinschaftliche Schwimmen mit den Verwandten und Freunden sowie den Gesundheits- und Heilaspekt herausarbeiten wollen.30 Während Bredekamp das Schwimmen als Akt der Vergemeinschaftung, der vordergründigen Aufhebung der Hierarchien interpretiert, die dem Herrscher die Kontrolle über das Geschehen erlaubt habe,31 bewertet Hack Karls Schwimmkünste vor allem als notwendige militärische Fähigkeit, die bei den Karolingern von Kindesbeinen an Wesentlichen durch Assoziationen gewonnenen Aussagen sind in hohem Maße beliebig und haben daher für den Historiker einen denkbar geringen Wert.“). 25 Fried 2013, 375 f. 26 Sueton, De vita Caesarum, Lib. II (Vita divi Augusti), cc. 80–82, 84–86, ed. Martinet 2006, 276–284; das Zitat aus c. 82 ebd., 278/279. 27 Sueton, De vita Caesarum, c. 8,2, ed. Martinet 2006, 876: ne quid popularitatis prae termitteret, nonnumquam in thermis suis admissa plebe lavit. Das gemeinsame Bad mit der Plebs ist eine der Maßnahmen, mit denen Titus die Zustimmung zu seiner Politik zu erheischen sucht. 28 Clauss 2020, 654: „Schwimmen ist im Mittelalter keine königliche Tugend oder ein königliches Privileg, sondern eine selbstverständliche und alltägliche Kulturtechnik“. Hack 2015, 72–79. 29 Clauss 2020, 645–653. 30 Clauss 2020, 647; er untersuchte nur die Vita Karoli Einhards, nicht das Karlsepos. 31 Bredekamp 2013, 35–39, 42 f.
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trainiert worden seien ebenso wie das Reiten, Jagen und Kriegsspiele.32 In Anbetracht von Walafrid Strabos Ende – er ertrank am 18. August 849 während einer Gesandtschaftsreise im Auftrag Karls des Kahlen bei dem Versuch, die Loire zu überqueren33 – taten wohl alle mobilen Eliten des Karolingerreiches gut daran, ihren Kindern das Schwimmen beizubringen. Unbesehen aller Einwände gegen Bredekamps T hese provoziert diese doch zwei Fragen: Ist Einhards Behauptung, Karl habe A achen wegen der Bäder als seinen Aufenthaltsort gewählt,34 völlig aus der Luft gegriffen? Weshalb ließ Karl mit Ingelheim einen weiteren spätantiken T hermenstandort zur Pfalz ausbauen? Verschiedene zeitgenössische Nachrichten lassen erkennen, dass die weiträumigen Außenanlagen der Aachener Pfalz der körperlichen Ertüchtigung, der Pflege der Gesundheit und der Heilung von Krankheiten dienten. Außer dem großen Schwimmbecken und den T hermalbädern waren dies der Zoo und das Jagd gehege.35 Im sog. Karlsepos36 wird der Bau der T hermenanlage (Vv. 105–111) weit ausführlicher geschildert als der Bau des T heaters (Vv. 104–105) und des Tempels (Vv. 112–114), d. h. der Rotunde der Marienkirche.37 Die einzige erhaltene Abschrift dieses Lobgedichts auf Karl und seine Kenntnis der Septem artes (Vv. 53–90) sowie auf die Stadt Aachen, die secunda urbs Romae, ist in dem St. Galler Codex erhalten (Zürich, ZB, C 78, 104r–114v), der die älteste Kopie 32
Hack 2015, Exkurs 2, 66–82. Vgl. dazu Fees 2000, 50; Rappmann / Zettler 1998, 297 Anm. 70. 34 Müller u. a. 2013, 60–65 und 175–177, setzen sich ausführlich mit Einhards Kapitel 22 auseinander. 35 Zu den Aachener Bädern vgl. Cüppers 1982, 32–37 u. 59–67. Die Jagd Karls, seiner Familie – insbesondere seiner amazonengleichen Töchter – und seiner Getreuen in den Wäldern um A achen wird im Karlsepos ausführlich beschrieben, vgl. Hauck 1963, 42–43. Die Jagdleidenschaft Karls heben auch andere Quellen hervor, vgl. Hartmann 2010, 74–76. 36 De Karolo rege et Leone papa, ed. Ernst Dümmler, MGH Poet. lat. I, 366–379. In der älteren Forschung wurde dieses Epos unter dem historisch nicht belegten Titel ‚De Karolo rege et Leone papa‘ geführt und fälschlicherweise mit dem Zusammentreffen Karls d. Gr. mit Papst Leo in Paderborn im Jahr 799 am Vorabend der Kaiserkrönung in Verbindung gebracht. Heute wird es – einem Vorschlag Schallers folgend – als ‚Karlsepos‘ bezeichnet. 37 De Karolo rege et Leone papa, Vv. 104–112, MGH Poet. lat. I, 368–269: Effodiunt por tus, statuuntque profunda theatri / Fundamenta, tholis inclaudunt atria celsis. / Hic alii ther mes calidos reperire laborant, / Balnea sponte sua ferventia mole recludunt, / Marmoreis gra dibus speciosa sedilia pangunt. / Fons nimio bullentis aquae fervere calore / Non cessat; partes rivos deducit in omnes / Urbis. Et aeterni hic alii bene regis amoenum / Construere ingenti templum molimine certant …. De Karolo rege et Leone papa, übers. von Brunhölzl 1999, 17: „Dort gräbt man den Hafen, gründet tief die Fundamente des T heaters und wölbt mit hoher Kuppel die Halle. Hier bemühen sich andere, warme Heilquellen zu erschließen, fassen das von Natur kochende Wasser des Bades in Mauerwerk ein und hauen aus marmornen Stufen schöne Sitzbänke. / Unablässig sprudelt aus heißer Quelle siedendes Wasser, und es verteilt sich in Bächen nach allen Richtungen über die Stadt. Dort bauen wieder andere dem ewigen König mit gewaltiger Anstrengung einen herrlichen Tempel …“. 33
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des Medizingedichts von Quintus Serenus inklusive der auf Aachen verweisenden Vorrede konserviert.38 Das Werk wurde von einem anonymen Gelehrten am Aachener Hof verfasst, der mit der antiken wie der spätantiken christlichen Dichtung bestens vertraut war. Die loci similes stammen aus der ‚Aeneis‘ und der ‚Georgica‘ Vergils, aus den Metamorphosen und der ‚Ars amatoria‘ Ovids, aus der ‚Vita s. Martini‘ des Venantius Fortunatus, aus dem ‚Carmen paschale‘ des Caelius Sedulius, aus der Evangelienharmonie des Iuvencus und aus dem panegyrischen Epos des Corippus auf Kaiser Justinos II. (567/68).39 Dort, wo die Bautätigkeiten in Aachen geschildert werden, nicht zuletzt bei dem Vergleich der Arbeiter mit den Bienen,40 und in den Jagdszenen sind die Analogien zu Vergil, Ovid und Corippus offensichtlich. Otto Zwierlein hat gezeigt, wie der Autor durch eine Imitatio virgiliana Karl als zweiten Aeneas konturiert.41 Christine Ratkowitsch ist der Ansicht, dass der Autor beweisen wollte, dass Karl „als einziger die Funktion des byzantinischen Kaisers auszuüben berechtigt sei“42. Diese Deutung geht konform mit der derzeit vorgeschlagenen Datierung des Epos zwischen der Kaiserkrönung Karls an Weihnachten des Jahres 800 und seinem Tod im Jahr 814.43 Über den Verfasser des ‚Karlsepos‘ wird seit langem gestritten. Als Autoren wurden Alkuin, Einhard, T heodulf, Angilbert, Grimald und der Hibernicus Exul erwogen.44 Laut der stilistisch-linguistischen Analyse von Francesco Stella stimmt das Werk jedoch am ehesten mit der Ekloge45 des Franken Modoin (*um 770; † 840 bis 843, seit ca. 817 Bischof von Autun) überein.46 Modoin verfasste diesen Lehrdialog zwischen Lehrer (senex) und Schüler (puer) über die Dichtkunst zwischen 804 und 810 und signierte ihn mit dem Namen „Naso“. Unter 38
Vgl. dazu oben 90 u. A. 316. den Similienapparat von Johannes Schwind, in: Karlsepos 1999, 145–155. Zur Rezeption des Panegyricus ‚In laudem Iustini Augusti Minoris‘ des afrikanischen Grammatikers Flavius Cresconius Corippus vgl. Schaller 1992, 179–187. 40 Schaller 1992, 182, weist ausdrücklich darauf hin, dass der Autor des Karlsepos beim Bienenvergleich nicht nur Vergil (Aeneis 1, 430–436, und 6,707–709) folgt, sondern auch Corippus’ ‚In laudem Iustini Augusti minoris‘ 4,31. 41 Zwierlein 1973. 42 Ratkowitsch 1997, 11. In Richtung einer ‚secunda Roma‘-Intention für A achen plädiert auch Schaller 1992, 186. 43 De Karolo rege 1999, 72, Datierung nach Dieter Schaller. Die früher vertretene Spätdatierung nach dem Tod Karls ist obsolet. 44 Schaller 1992, 179, vermutet Einhard als Autor. 45 Nasonis (Muadwini) Ecloga, ed. E. Dümmler, MGH Poet. lat. I, 382–391. Die älteste Handschrift aus dem 9. Jahrhundert (von der Reichenau?) ist nur als Fragment erhalten (Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek 3301; vgl. dazu Staub / Knaus 1979, 281–282, Nr. 179). 46 Stella 2002, 33: „Ma fra le ipotesi che possono godere del conforto di compatibilità cronologica, concordanze di contenuto e prove testuali, quella di Modoino mi pare a questo punto la più forte.“ Schaller 1992, 182–183, hatte Modoin als Autor des Karlsepos trotz textueller Überschneidungen noch negiert. 39 Vgl.
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diesem Namen Ovids wurde Modoin in den gelehrten Zirkeln am A achener Hof angesprochen. Modoin preist den Aachener Hof in der Ekloge als neues Rom; dieser Tenor stimmt mit der politischen Aussage im sog. ‚Karlsepos‘ überein. Angesichts der imperialen Ausrichtung der Karlsvita Einhards und des Karls epos Modoins, die beide die Badekultur in Aachen und die Bildung Karls ansprechen, soll in Analogie zu den antiken Bibliotheken abschließend die Frage gestellt werden, ob in A achen zu Zeiten Karls körperliche und geistige Ertüchtigung ebenso eng miteinander verknüpft wurden wie in den römischen T hermenanlagen Caracallas. Aus den Untersuchungen Richard Neudeckers47 geht hervor, dass Griechen und Römer Bibliotheken und Schulen in Einrichtungen der körperlichen Ertüchtigung (Gymnasien), der Gesundheit und Medizin (T hermen) sowie des Kultus (Asklepieion) integrierten. Manche Stifter verehrten dort ihre persönlichen Götter (Apollo), andere ließen sich in ihrer Bibliothek bestatten oder ein Grabmal errichten. Ahmte Karl dieses Konzept in A achen nach? Wie verhielten sich Schule und Bibliothek in Aachen räumlich zum politischen Machtzentrum im Palas und in der Aula, zum liturgischen Zentrum und der präsumtiven Grablege Karls in der Marienkirche, zu den Bereichen der körperlichen Ertüchtigung und T herapie, der Erholung und des Vergnügens in den Außenanlagen, den Bädern, dem Zoo und dem Tiergehege? Gehörten die Büchersammlungen der Karolinger wie die der Antike zu den Medien der herrscherlichen Repräsentation und Inszenierung, waren sie integriert in die Einrichtungen zur Pflege des Körpers und der Gesundheit, in den religiösen Kultus und in die Memoria des Stifters? 48 Ist es völlig abwegig, sich Dichtung, Artesund Medizinliteratur wie in der Antike in Wandregalen innerhalb der T hermenanlage vorzustellen, in der Karl die Heilkraft des Wassers suchte und mit seinen Kindern und engen Vertrauten um die Wette schwamm? Und wurde im christlichen Kontext bei der reinigenden Kraft des Wassers nicht unwillkürlich die reinigende Kraft der Taufe mitgedacht? 49 Alkuin berichtet in einem Brief an seinen Schüler Nathanael – dahinter verbirgt sich Fridugis, der spätere Kanzler Karls –, dass er einst beim Baden in den Aachener T hermen mit Karl über die Auslegung des Johannes-Evangeliums (Joh. 21,11) diskutiert habe: „Ich erinnere mich, über die wunderbare Teilung und Bedeutung dieser Zahl [= 153] geschrieben und mit meinem Herrn David [= Karl d. Gr.] gesprochen zu haben, mit einem vor Freundschaft heißen Her47
Neudecker 2013. Mit den religiösen Konnotationen des Aachener Palastes im Vergleich mit mediterranen, römischen und byzantinischen Palästen befassen sich diverse Beiträge in Luchterhandt / Röckelein 2021. 49 Bredekamp 2013, 43: „Im Schwimmen und Baden lag ebenso ein religionspolitisches Element wie auch ein performatives Vergnügen, in dem eine effektive soziale Komponente mitschwang.“ Zu den drei Komponenten der christlichen Taufe, der Seele, dem Wissen und dem Wasser vgl. Bredekamp 2013, 38. Die Assoziation zwischen Reinigungsakt des Wassers und christlicher Taufe hatte bereits Nelson 2001, 235 f. 48
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zen, in den siedenden Naturquellen des Bades.“50 Wie Bredekamp erläutert, bezieht sich die bei Alkuin angesprochene Frage „auf die Zahl von 153 großen Fischen, welche die Jünger auf Geheiß des wiederauferstandenen Christus aus dem See von Tiberias fischten (Joh. 21,11). Für die Geometrisierung von Buchstaben und Zahlen in den von Alkuin propagierten Figurengedichten war diese Zahl von besonderer Bedeutung, denn wird auf siebzehn Linien, beginnend mit 1, in jeder Zahl von oben nach unten jeweils ein zusätzlicher Punkt eingetragen, entsteht bei der Zahl 17 ein gleichseitiges Dreieck, dessen Gesamtsumme die Zahl 153 ergibt. In diesem Zusammenspiel von numerischer wie geometrischer Vollendung war die Zahl 153 prädestiniert, als Zeichen idealer Gesamtgebilde zu dienen, und so auch als Metapher des fränkischen Reiches.“ 51 Alkuin diskutiert seine Auslegung mit Karl in den anregenden T hermalbädern von Aachen und er untermauert seine theologische Exegese des Johannes-Evangeliums mit arithmetischen Berechnungen und geometrischen Figuren; dafür ruft er zwei Wissensgebiete des Quadriviums ab. Aus dieser Beschreibung Alkuins lässt sich ableiten, dass Schule, Unterricht, Didaxe und Badekultur in Aachen eng miteinander verzahnt waren. Auch wenn die Bibliotheken am Aachener Hof nicht so unmittelbar in die Bäder integriert waren wie dies in den antiken T hermen und Palästen der Fall war, so lagen in A achen der königliche Palast, der Audienzsaal der Aula, die Stiftskirche als künftiger Ort der Grablege Karls, die Schule, die Bibliotheken, die T hermen, das Schwimmbecken und das Jagdgehege doch so nah beieinander, dass diese Räume ihre Benutzer beim Nachdenken über Politik, Philosophie und T heologie inspirierten. Ich gebe zu, dass diese Überlegungen in Anbetracht der spärlichen schriftlichen und archäologischen Nachrichten über die Bibliotheken in Aachen hypothetischer Natur sind. Doch mögen die antiken Vorbilder uns dazu anregen, die karolingischen Pfalzanlagen in A achen, Ingelheim und Compiègne in neuem Licht zu sehen.52
50 Alkuin, Epist. Nr. 262, MGH Epist. IV, 420 Z. 9–11: De cuius numeri mira divisione et significatione olim me scripsisse memoro, dominoque meo David dixisse, calido caritatis corde, in fervente naturalis aquae balneo. Der Brief Alkuins an Nathanael wird in die Jahre 798–803 datiert. Zum Inhalt vgl. Nelson 2001, 217; Bredekamp 2013, 37. Zur Relevanz dieser Stelle für das Verständnis der Ecclesia, der Aufgaben des Bischofs und der Bedeutung der Taufe vgl. Nelson 2001, 236 mit Hinweisen auf weitere Autoren der Karolingerzeit und deren Exegese dieser Bibelstelle. 51 Bredekamp 2013, 38 f. u. 38 Abb. 22. 52 In den letzten drei Jahrzehnten ist viel Bewegung in die internationale Erforschung der Pfalzen gekommen, seitdem man sie als „places of power“ begreift; vgl. Barbier 1990; Zotz 1990; Nelson 2001; Ehlers 2002.
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7 Conclusio Bildung, Wissen und Religion waren im frühmittelalterlichen Reich der Karolinger eng miteinander verbunden. In Klöstern und Kathedralen wurde nicht nur der geistliche Nachwuchs ausgebildet; dort wurden auch die Kinder des Adels unterrichtet, die eine weltliche Karriere einschlagen sollten. Die Schüler am königlichen Hof und in den Familien des Adels wurden ebenfalls von Klerikern und Mönchen unterrichtet. Der emsigen Kopier- und Kompilationstätigkeit gebildeter Kleriker, Mönche und Nonnen ist es zu verdanken, dass bis heute trotz aller Verluste so viel von der wissenschaftlichen Literatur und der Dichtung der Antike erhalten geblieben ist. Die Bibliotheken und Büchersammlungen der Klöster, der Kathedralschulen, bibliophiler Bischöfe, Äbte und mancher Laien trugen wesentlich dazu bei, dass das Wissen aus der griechischen und römischen Antike nicht verloren ging, sondern abgeschrieben, in sozialen, politischen und kulturellen Netzwerken getauscht, verschenkt und ausgeliehen wurde. Dies ist insofern erstaunlich, als die antike Literatur ethische und religiöse Prinzipien impliziert, die mit christlichen Anschauungen und Glaubensvorstellungen nicht ohne Weiteres vereinbar sind. Dieses Problems waren sich die frühmittelalterlichen Kopisten und Büchersammler durchaus bewusst. Doch wie gingen sie damit um? Das ist die zentrale Frage des Buches. Ich habe versucht, sie exemplarisch anhand des Schulwesens und der Bibliotheken der Klöster St. Gallen und Lorsch sowie des königlichen Hofes in der Pfalz Aachen zur Zeit Karls d. Gr. und Ludwigs des Frommen zu beantworten (Kap. 1–4). Zur Klärung der Problemlage wurde zudem eine Probebohrung in den Wissensfeldern der Astronomie und der Medizin vorgenommen (Kap. 5). Die Bücher aus dem Bereich dieser beiden naturwissenschaftlichen Disziplinen machen nur einen ganz geringen Bruchteil des frühmittelalterlichen Bibliotheksbestandes aus im Vergleich zur Masse der religiösen Literatur zur Bibel, Liturgie, T heologie und Patristik. Aber an der Medizin und der Astronomie lässt sich die Auseinandersetzung der Christen mit den antiken religiösen und ethischen Vorstellungen sowie deren Transformation und Modifikation gut beobachten. Das war jedenfalls die Ausgangsthese bei der Anlage der Versuchsanordnung im Teilprojekt A 04 des SFB 1136. Zu welchen Resultaten führte die Untersuchung? In Bezug auf die Kloster- und Kathedralbibliotheken sowie die Bibliotheken am königlichen Hof ist zunächst festzuhalten, dass es sich hierbei nicht um monolithische, an einem einzigen Standort zusammengeführte Buchbestände handelt. Vielmehr gab es
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neben der vor allem für die Erwachsenen und die Gelehrten allgemein zugänglichen Bibliothek eine Reihe von Büchersammlungen einzelner Gruppen oder Persönlichkeiten sowie spezifischer Funktionen, die jeweils an verschiedenen Standorten aufgestellt waren: für die Liturgie, für die Schüler, im Besitz einzelner Mönche, Äbte und Bischöfe, die als Privatbesitz geschlossen aufgestellt und vererbt wurden. In diesen Sammlungen spiegeln sich thematische Interessen und Zielsetzungen der Gemeinschaften und Individuen wider. Generell wurden die liturgischen Handschriften dort verwahrt, wo sie gebraucht wurden: in unmittelbarer Nähe des religiösen Kultortes, in der Sakristei. Sie gehörten zum unveränderbaren Besitz der zelebrierenden Klerikergemeinschaft. Individueller und spezieller waren dagegen die Räumlichkeiten für die Aufstellung der allgemeinen Bibliotheken und ebenso ihre thematische Zusammensetzung konfiguriert. Die allgemeine Bibliothek in Lorsch hatte eindeutig einen patristischen Schwerpunkt; diese Feststellung stützt die T hese, dass der Hof zu Zeiten Karls d. Gr. auf die Lorscher Bibliothek zurückgriff, um die Correctio zu entwickeln und die Uniformierung der Bildungsstandards im Reich voranzutreiben. Aus den Katalogen und den erhaltenen Büchern lässt sich schließen, dass in Lorsch eher ein Interesse an der Medizin als an der Astronomie bestand. Am königlichen Hof in A achen lässt sich trotz der regelmäßigen Anwesenheit gelehrter Ärzte kein Medizinschwerpunkt ausmachen. In St. Gallen hingegen wurde ein breit gefächertes Spektrum medizinischer Texte und Sammlungen kopiert und neu konfiguriert. Eine vergleichbar intensive Beschäftigung mit der Medizin ist im Reich nördlich der Alpen sonst nur auf der Reichenau, an den Kathedralen von Laon und Reims, in der irischen Gründung Corbie und mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung im burgundischen Kloster Fleury nachweisbar. St. Gallen bildete zusammen mit der Reichenau die wichtigste Drehscheibe für den Transfer medizinischer und astronomischer Handschriften aus Italien in die Regionen nördlich der Alpen. An den St. Galler Handschriften kann exemplarisch die enge Verflechtung zwischen Medizin und Astronomie aufgezeigt werden, die Verwendung astronomischer Daten bei der Herstellung von Medikamenten, der Terminierung von T herapien wie des Aderlasses. Während sich die Karolinger für medizinische Probleme wenig interessierten, setzten sie sich intensiv mit der Astronomie in allen ihren Facetten auseinander. An der A achener Überlieferung zeigt sich, dass und wie wichtig den Herrschern die Zeitrechnung für die Uniformierung des Reiches und die Durchsetzung der christlichen Herrschaft im ganzen Großreich war. Die Astronomie hatte den Status einer staatstragenden und staatserhaltenden Wissenschaft. Karl d. Gr. ließ kontroverse T hemen zur Astronomie und Komputistik mehrfach von seinen Gelehrten einzeln und in Gruppen erörtern, er befragte die besten Experten, unter ihnen Angelsachsen und Iren, er ließ Handbücher für die Klöster und Kathedralen erstellen, in denen die Grundlagen zur Berechnung des Jahres, der kirchlichen Feste und des monastischen Stundengebets niedergelegt waren. An-
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ders als Arno Borst sich das vorgestellt hat, dürfte der Prozess der Adaption des antiken Wissens hier allerdings nicht autokratisch von der Zentrale Aachen ausgegangen sein. Realistischer ist wohl die Annahme, dass sich die Gelehrten am Hof mit den Spezialisten in den Klöstern darüber austauschten. Denn in einem Kloster wie St. Gallen waren alle die astronomischen Kompendien vorhanden, die man zur Erstellung solcher reichsweit verbindlicher Handbücher benötigte. Die T hese von Meg Leja, dass die Modifikation der antiken Diätvorschriften und Rezepte in den Klöstern der Karolingerzeit dem Ziel der von Karl d. Gr. ausgegebenen Correctio verpflichtet gewesen sei, und dass sich an ihnen erkennen lasse, dass der Herrscher seinen geistlichen und weltlichen Eliten das mittlere Maß und ein moderates Leben anstelle einer strengen Askese empfohlen habe,1 überzeugt mich nicht. Denn – wie dargelegt – interessierte sich der Herrscher wenig für die Medizintexte und den antiken Diätregeln begegnete er reserviert. Für die Wissensfelder der Astronomie und der Medizin war zu klären, wie das Wissen aus der griechischen und römischen Antike im Frühmittelalter in den christlichen Institutionen und am kaiserlichen Hof aufgenommen und transformiert wurde. Dabei stand insbesondere die Frage im Raum, ob bestimmte T heo rien und ideologische Prämissen der Antike von den christlichen Eliten abgelehnt, verworfen oder modifiziert wurden, weil sie sich nicht mit ihrem Weltbild und ihrer Ethik vereinbaren ließen. Das Problem, das sich bei der Übernahme astronomischen und medizinischen Wissens aus der Antike im Frühmittelalter stellte, war aber nicht, dass nicht-religiöse Gegenstände in ein religiöses System implementiert werden mussten, wie wir zu Beginn der Arbeit im SFB angenommen hatten. Das Problem war vielmehr, dass diese Gegenstände bereits in der Antike religiös besetzt und mit Mythen und Praktiken verbunden waren, die von den Kirchenvätern und Konzilien seit dem 4. Jahrhundert als „gentil“ und „pagan“ abgelehnt und dämonisiert wurden. Seither war die Astronomie einer regelrechten Diffamierungskampagne seitens kirchlicher Autoritäten und Institutionen ausgesetzt, die die Sternenkunde und Magie der Hellenen als superstitio diskredierten. Während die Christen durchaus ohne die gelehrte, philosophisch begründete Medizin in der Tradition des Hippokrates auskommen konnten, da sie ein eigenes religiöses Heilskonzept zur Verfügung hatten und ihnen die Kräutermedizin im Alltag gute Dienste leistete, war der Wissensvorsprung der „Ägypter“ in der Astronomie für sie kaum einzuholen. Konflikte zwischen der christlichen Kosmologie und der antiken Mythologie, die in den Sternbildern und den Tierkreiszeichen fest verankert war, konnten daher nicht ausbleiben. Zu sehr waren die westlichen Christen auf die astronomischen Kenntnisse der Hellenen für die Berechnung ihres Kalenders, des kirchlichen Festjahres, der monastischen Gebetszeiten, die Termine der Feldbestellung und die Durchsetzung einer einheitlichen 1
Leja 2022, 230–232.
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Zeitrechnung angewiesen, als dass sie wegen religiöser Bedenken darauf hätten verzichten können. Sie kamen nicht umhin, Kompromisse und Lösungen zu finden, die es erlaubten, antikes Wissen und christliche Weltsicht zu vereinbaren. Die komputistischen Methoden des östlichen Mittelmeerraums waren offenbar so überzeugend, dass es einfacher war, die mit der Sternen- und Planetenkunde verbundene Terminologie und Mythologie zu übernehmen, als eine ganz neue, christliche Kosmologie zu entwerfen. Die Alternativen, die Gregor von Tours u. a. für die Konzeption der Sternbilder und der Namen vorschlugen, fanden in ihrer Zeit keine Resonanz. Kleriker und Mönche hielten mehrheitlich an den aus der griechischen Mythologie bekannten Namen und Himmelszeichen fest. Auch die Medizin war in der griechischen Antike philosophisch und religiös konzipiert. Humoralpathologie und die Begründung der Medizin durch den Gott Apollo, den Heros Asclepios sowie die von ihm abgeleiteten Ärzte-Dynastien waren nicht ohne Weiteres kompatibel mit der christlichen Auffassung vom göttlichen Ursprung von Gesundheit und Krankheit sowie Christus und den Heiligen als Helfern für die in Not geratenen Menschen. Ein Problem für kirchliche Autoritäten stellten zudem die magischen Praktiken dar, die in hellenistischer Zeit vor allem in Ägypten großen Anklang fanden und sich auch bei den frühen Christen im Mittelmeerraum großer Beliebtheit erfreuten. Obwohl sie bereits von den frühen westlichen Konzilien sanktioniert worden waren, schrieben die Mönche in den frühmittelalterlichen Klöstern sie unverdrossen weiter ab.2 Anstatt sie aus der Überlieferung zu verbannen wurden sie durch christliche Symbole und Texte eingehegt. Die Götter Apollo und Asclepios ließen sich leicht durch Christus Soter und die Heiligen ersetzen. Das Verhalten der politischen Eliten am Aachener Hof zeigt, dass Kranke im Frühmittelalter Rat und Hilfe sowohl von gelehrten Ärzten wie auch von christlichen Heiligen annahmen. Auf dem Gesundheitsmarkt, in den Heil- und Pflegeberufen boten verschiedene Akteure ihre Dienste an: Unfreie, Juden, gelehrte Kleriker und Mönche. Sie lieferten sich mit unterschiedlichen Angeboten diätetischer, diagnostischer und therapeutischer Methoden wie an Pflege einen harten Wettbewerb um die Kranken. Die Polemik der aus christlicher Nächstenliebe handelnden Geistlichen gegen Quacksalber und Geldschneider, die in der ersten und zweiten Vorrede des Lorscher Arzneibuchs vorgetragen wird, steht in einer langen Tradition. Schon in der Antike klagten philosophisch gebildete Ärzte über Schmalspurmediziner und Magier. Die christlichen Hagiographen des Frühmittelalters sparen in den Wundererzählungen nicht mit Angriffen auf die gelehrte Medizin. 2 Manchmal vergaßen sie sogar, die griechischen göttlichen Ärzte durch christliche Helfer zu ersetzen. So blieb beispielsweise in der Reimser Handschrift Paris BnF, lat. 6862, 15r die Anrufung Contra pustella: Apollo medicus, adiuro te […] versus ut extollas […] tumores […] maledica pustella für die Beseitigung der Tumoren und Blattern aus der antiken Vorlage stehen (vgl. dazu Leja 2022, 115).
7 Conclusio
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Das frühe Mittelalter als der Beginn einer neuen Ära steht ganz im Zeichen der christlichen Religion. Die Polemik der christlichen Eliten gegen die nichtoder vorchristlichen polytheistischen Religionen im Römischen Reich und unter den germanischen Gentes wird überall greifbar, nicht zuletzt bedingt durch die von den Geistlichen dominierte Schriftüberlieferung. Diese Periode ist stark vom Missionsgedanken und der Abgrenzung der Christen von den Nicht-Christen (im Sinne Augustins) geprägt. Fasst man das frühe Mittelalter hingegen als die letzte Phase des pluri-religiösen spätantiken Hellenismus auf – und das war die Perspektive im SFB 1136 – dann ist die Stimme der Christen nur eine unter vielen. Aus der Sicht der Spätantike waren Astronomie und Medizin nicht nur pragmatische Wissenschaften. Wie alle Wissensgebiete waren auch sie eingebunden in die Kosmologie und Mythologie der Griechen, die die Römer adaptierten und weiterentwickelten. Aus dieser Perspektive betrachtet bestand die Herausforderung der christlichen Gelehrten in der Spätantike und im frühen Mittelalter nicht darin, a-religiöses Wissen in das christliche Weltbild zu integrieren, sondern darin, die philosophischen und religiösen Begründungen der antiken Wissensfelder durch christliche zu ersetzen oder mit diesen kompatibel zu gestalten. Die pragmatische Einsicht, dass man mit der Adaption des antiken astronomischen und medizinischen Wissens größeren Gewinn erzielt als mit dessen Ablehnung, setzt sich – soweit wir das aus der Handschriftenüberlieferung schließen können – gegen die warnenden, abwehrenden und ablehnenden Stimmen durch. Im abschließenden Kap. 6, einer Art Epilog, wird die Frage aufgeworfen, ob außer dem antiken Wissen selbst auch die Orte der Wissensspeicher und der Rezeption des Wissens ähnlich konfiguriert waren wie in der Antike. Gab es in den imperialen Bibliotheken von A achen architekturale und physische Verbindungen zwischen geistiger und körperlicher Gesundheit, gab es räumliche Konstellationen aus Bibliothek(en), religiösem Zentrum, Memorialort, Einrichtungen der Gesundheit und körperlicher Betätigung, wie wir sie aus antiken Bibliotheken kennen? In Aachen lagen auf dem Gelände der kaiserlichen Pfalz mehrere Bibliotheken in unmittelbarer Nähe zur Marienkirche als dem religiösen Zentrum und von Karl gewählten Bestattungsplatz, zur Schule, zum Schwimmbad und zu den T hermalbädern sowie zum angrenzenden Jagdrevier. Alle diese Einrichtungen dienten der Herrschaftsrepräsentation und der Machtdemonstration der Karolinger. Dort verbanden Karl d. Gr. und Ludwig der Fromme geistige und geistliche Übungen mit körperlicher Entspannung und Ertüchtigung. Die Frage, ob Karl und Ludwig wussten, dass sie in dieser Konfiguration geistlicher, geistiger und körperlicher Aktivitäten eine antike Tradition fortsetzten und die Voraussetzungen in ihren Pfalzen gezielt herstellten, oder ob diese Analogie in A achen und Ingelheim zufällig ist, muss vorerst offen bleiben.
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Handschriftenverzeichnis Abbeville, BM, 4 (1): 13
Vat. lat. 3861: 24 A. 45
Albi, BM, 38bis: 43 A. 12
Berlin, SPK Diez. B Sant. 66: 10 A. 10, 12 A. 27 Phillipps 1832: 71 A. 193 theol. lat. fol. 485: 30 A. 94
Bamberg, SB Msc. Patr. 61: 50 Msc. med. 1: 30 A. 89, 46, 79–83, 93–101, 118 A. 3 Msc. med. 2: 88 A. 303, 95 A. 350, 106 A. 431 Basel, UB N I 3, Nr. 13: 93 A. 336 N I 3, Nr. 15: 93 A. 336 BAV Pal. lat. 15: 33 Pal. lat. 24: 32 Pal. lat. 50: 13 A. 38, 21 A. 20 Pal. lat. 57: 15 A. 55 Pal. lat. 134: 29 A. 84 Pal. lat. 175: 26–27 Pal. lat. 187: 93 u. A. 339 Pal. lat. 210: 29 A. 84, 33 Pal. lat. 485: 54 A. 85, 65 u. A. 146 Pal. lat. 834: 93 A. 335 Pal. lat. 1088: 106 A. 431 Pal. lat. 1357: 36 Pal. lat. 1448: 68 Pal. lat. 1449: 64–65 Pal. lat. 1519: 105 A. 423 Pal. lat. 1564: 11 A. 17–18 Pal. lat. 1631: 29 A. 84, 33 Pal. lat. 1877: 15 A. 49 u. 55, 19 A. 3, 21– 22, 26 A. 56, 29 A. 83, 33 A. 111, 39 A. 43, 65 A. 150–151, 92–93 Reg. lat. 309: 71 A. 193 Reg. lat. 469: 89 A. 312, 105 A. 423 Vat. graec. 1291: 53 Vat. lat. 645: 71 A. 193
Bern, BB 207: 10 A. 10 224: 111–112 212: 36 522: 10 A. 10 Bonn, UB, S 218: 114 A. 471 Bremen, SuUB, Msc 0046: 16 A. 62, 53 A. 76, 59–60 Brüssel, BR, 3701–15: 101, 115 A. 473 Budapest, Széchenyi Nationalmuseum, lat. med. aevi 3: 41 A. 6 Bukarest, Biblioteca Naţională a României, Ms R II 1: 13 A. 38, 21 A. 20 Cambridge, Corpus Christi College, 304 (C): 101 A. 392 Colmar, Archives départementales, Fr. 7: 91 A. 323 Cologny, Bodmer-Stiftung, 84: 84 A. 272 Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek 3301: 124 A. 45 Erfurt, Bibliotheca Amploniana, 2° 10: 36
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Handschriftenverzeichnis
Florenz, Bibliotheca Medicea Laurenziana, Amiatinus I (Am): 101 A. 392 Frankfurt am Main, StuUB, Barth. 179: 102 A. 399 Karlsruhe, BLB Aug. perg. 120: 46 A. 33 Aug. perg. 167: 60–61 Aug. perg. 172: 77 A. 230 Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek 832: 52 A. 74, 54 A. 81, 57 A. 108 174: 114 A. 469 186: 41 A. 6 Laon, BM 422: 72 468: 46 Leiden, UB Voss. lat. F. 61: 24 A. 45 Voss. lat. Q. 79: 73–74 Leipzig, UB, Rep. I 4° 74: 10 London, BL Cotton Claudius B.V.: 13 A. 11 Harley, 647: 49 A. 56, 74 A. 214 Harley 2767: 42 Harley 2788: 13 Harley 3685: 10 A. 11 London, Victoria & Albert Museum, Inv.-Nr. 138-1866: 13 A. 38, 21 A. 20 Madrid, BN, 3307: 70–71 Mailand, Biblioteca Ambrosiana, C 74 sup.: 10 A. 12, 47 A. 36, 101 A. 395–396 Modena, Archivio Capitolare O.I.11: 46 A. 34
München, BSB Clm 210: 71 A. 193 Clm 6407: 46 A. 29 Clm 14221: 59 A. 117 Clm 18524,2: 109, 111 München, UB, 2° 29 (Cim. 1): 13 A. 32 Neapel, Biblioteca Nazionale, IV.G.68: 16 A. 62, 41 A. 6 New York, Pierpont Morgan Library, M. 871 (olim Phillipps 8297): 93 A. 335 Paris, BnF lat. 528: 10 A. 11, 36 A. 19 lat. 4629: 43 A. 12 lat. 4883: 80 A. 251 lat. 6862: 130 A. 2 lat. 6880: 84 A. 272 lat. 8850: 13 lat. 9654: 43 A. 12 lat. 11218: 95 A. 348, 100 A. 384 lat. 11219: 82–83, 95 A. 348, 106–107, 115 A. 473 lat. 11530: 120 A. 15 lat. 12156: 78 A. 235 lat. 12957: 71 A. 188 lat. 12958: 103 A. 407 lat. 13403: 103 A. 407 lat. 13955: 103 A. 407 nouv. acq. lat. 356: 110 A. 448 nouv. acq. lat. 1203: 13 nouv. acq. lat. 1614: 41 A. 6 nouv. acq. lat. 1645: 72 A. 204 Paris, Bibliothèque de l’Arsenal 599: 13 Prag, Národni Knihovna České Republiky, VII.G.25: 101 A. 394 Rom, Casa madre dei Padri Maristi, s.n.: 35 A. 10 St. Gallen, Stiftsarchiv, Zürcher Abteilung X Nr. 1: 63 A. 140
Handschriftenverzeichnis
St. Gallen, StiftsB Csg 2: 16 A. 58 Csg 7: 16 A. 59 Csg 11: 16 A. 58 Csg 44 : 76–77, 85–91, 95 A. 350, 104 A. 417, 106 u. A. 431, 111 A. 457 Csg 64: 37 A. 25 Csg 70: 16 A. 58, 92 A. 328 Csg 75: 31 A. 101 Csg 100: 61 A. 132 Csg 109: 16 A. 58 Csg 110: 53 A. 76, 61 Csg 124: 85 A. 279, 88 Csg 174: 53 A. 76, 62 Csg 184: 53 A. 76, 55 A. 92, 57 A. 104– 105, 62, 64–65, 72 Csg 188: 18 A. 74 Csg 194: 16 A. 58, 18 A. 74 Csg 199: 88 u. A. 301 Csg 217 : 76, 78 A. 237, 80–81, 85–89, 107–108 Csg 225: 16 A. 58, 53 u. A. 76 u. 79–80, 62, 85 A. 280 Csg 238: 16 A. 58, 51 A. 65, 92 A. 328 Csg 240: 60 Csg 248: 53 A. 76 u. 80, 55 A. 92, 60–61, 72 Csg 250: 51 A. 66, 53 A. 76, 55 A. 92, 57–59, 64–65, 72 Csg 251: 53 A. 76 u. 80, 55 u. A. 88 u. 91, 57, 65, 72, 113 A. 466 Csg 259: 55 A. 92 Csg 265: 85 A. 281, 88 Csg 267: 17 A. 68 u. 70–71, 22–23, 26 A. 53, 56 A. 96, 84 A. 274 Csg 268: 37 A. 25 Csg 273: 37 A. 25–26 Csg 348: 110 A. 449 Csg 350: 110 u. A. 449 Csg 380: 55 A. 92 Csg 397: 53 A. 76 u. 80, 55 u. A. 92 u. 95, 57, 63, 78 A. 235, 84 A. 275, 89 A. 312 Csg 459: 53 A. 76, 58–59, 64–65, 72, 78 A. 235 Csg 550: 62 A. 135, 109–110 Csg 614: 17–18, 26 A. 54 Csg 682: 53 A. 76, 62
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Csg 728: 16–17, 19 A. 3, 22–23, 31 A. 95, 38 A. 35–37, 43 A. 11, 53 A. 76, 56 A. 99, 84 A. 273 Csg 732: 53 A. 76, 62–64 Csg 751: 81 A. 257, 85–87, 89 u. A. 307– 308, 90 A. 315, 94 A. 342, 104 A. 417, 110–111, 113 A. 468 Csg 752: 76, 81 A. 257, 85–88 Csg 759: 76, 85–86, 89 u. A. 310, 93 A. 336, 113 u. A. 466–467 Csg 761: 84–86, 89, 93 A. 336 Csg 762: 76, 85–90, 93 A. 336, 118 A. 3 Csg 876: 10 A. 10 Csg 877: 77 u. A. 230, 85 A. 281, 89 u. A. 309, 106–107 Csg 878: 51 A. 61, 53 A. 76 u. 80, 56 u. A. 98, 61 u. A. 130–131, 63, 71 u. A. 195, 74 A. 214, 77 A. 232, 90 u. A. 315, 107 Csg 899: 84 A. 275 Csg 902: 53 A. 76, 55–57, 65, 72, 77–78 Csg 907: 16 A. 58 Csg 908: 91 u. A. 322–324 Csg 912: 91–92 Csg 913: 53–55, 57 A. 101, 60 Csg 915: 104 A. 415 Csg 1092: 18, 23 A. 35, 31, 38 A. 34 Fragm. 1394: 18 A. 74 Fragm. 1395: 88 A. 306 Fragm. 1396: 76, 85–86, 88 A. 303 u. 306 Fragm. 1399a.2: 16 A. 58 Sankt Paul im Lavantal, StiftsB, 2/1: 45 A. 25 St. Petersburg, RNB, Q.V.I.56: 43 A. 12 Tegernsee, 155 M 51: 109 A. 447 Tours, BM, 803: 72 A. 204 Trier, StB 22: 13 40/1018: 114 A. 470 564/806 8°: 114 A. 470 Valenciennes, BM, 404 : 72–73
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Handschriftenverzeichnis
Wien, ÖNB med. graec. 1: 11 A. 19 lat. 15: 33 lat. 162: 36 A. 22 lat. 387: 71 A. 193 lat. 751: 109 A. 447, 111 A. 454 lat. 1861: 13, 21 Wien, Hofburg, Weltliche Schatzkammer, Inv.Nr. XIII 18: 13 u. A. 39 Wolfenbüttel, HAB
Guelf. Aug. 2° 36.23: 11 A. 18 Guelf. Blankenburg 130 : 43 A. 12 Guelf. Weissenburg 35: 22 A. 27 Zürich, ZB C 78: 10 A. 14, 87 A. 292–293, 90–91, 111 A. 457, 119 A. 13, 123 Rh. 67: 110 A. 448 Zwickau, Ratsschulbibliothek, Fragm. CL a: 92 A. 332
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Editionen und Facsimilia Adalhard von Corbie, Statuta seu Brevia (822), hg. v. Josef Semmler: Initia consuetudinis Benedictinae. Consuetudines saeculi octavi et noni, ed. Kassius Hallinger (Corpus consuetudinum monasticarum 1; Siegburg: Schmitt, 1963) 365–408. Die Admonitio generalis Karls des Großen, hg. v. Hubert Mordek / Klaus Zechiel-Eckes / Michael Glatthaar (MGH Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum separatim editi 16; Wiesbaden: Harrassowitz, 2012). Aldhelmi Opera, hg. v. Rudolf Ehwald (MGH Auctores antiquissimi 15; Berlin: Weidmann, 1919). Alkuin, Ars grammatica, Migne PL 101, coll. 849–902. – Carmina, hg. v. Ernst Dümmler (MGH Antiquitates 1, Poetae latini I; Berlin: Weidmann, 1881) 113–114, 169–351, 631–633. – Didascalica II seu De rhetorica et virtutibus, Migne PL 101, coll. 919–949. – Epistolae, hg. v. Ernst Dümmler (MGH Epist. IV [Epistolae Carolini aevi II]; Berlin: Weidmann, 1895) 1–481 u. Add. 614–616. Anastassiou, Anargyros / Irmer, Dieter (2012, Hgg.), Testimonien zum Corpus Hippo craticum. Teil III: Nachleben der hippokratischen Schriften in der Zeit vom 4. bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht). Annales de Saint-Bertin, hg. v. Félix Grat / Jeanne Vielliard / Suzanne Clémencet (Société de l’Histoire de France; Paris: Klincksieck, 1964). Annales Fuldenses, hg. v. Friedrich Kurze (MGH SS rer. germ. in us. schol. 7; Hannover: Hahn, 1891). Ars medicinalis de animalibus. Estudio introductorio, edición crítica y traducción, hg. v. Arsenio Ferraces Rodríguez (Médica Graecolatina 2; Santiago de Compostela: Andavira Editora, 2016). Astronomus, Vita Hludowici imperatoris (Das Leben Kaiser Ludwigs des Frommen), hg. v. Ernst Tremp (MGH SS rer. germ. in us. schol. 64; Hannover: Hahn, 1995) 53–153 (Einleitung und Kommentar) 279–558 (Edition mit Übersetzung). Augustinus, De doctrina christiana libri quattuor (CSEL 80; Wien: Hoelder-PichlerTempsky, 1963). A[uli] Cornelii Celsi Quae supersunt, hg. v. Friedrich Marx (Corpus medicorum latino rum 1; Leipzig: Teubner, 1915). Aulus Cornelius Celsus, De medicina (Die medizinische Wissenschaft), eingel., übers. u. kommentiert von T homas Lederer, 3 Bde. (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2016). Bischoff, Bernhard (1973, Hg.), Grammatici latini et catalogus librorum: Sammelhand schrift Diez. B Sant. 66. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat der Handschrift aus der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz (Codices selecti 42; Graz: Akademische Druck- und Verlags-Anstalt). Borst, Arno (2006, Hg.), Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818. 3 Teile (MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 21; Hannover: Hahn).
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Editionen und Facsimilia
– (2001, Hg.), Der karolingische Reichskalender und seine Überlieferung bis ins 12. Jahr hundert. 3 Teile (MGH Antiquitates 3 / Libri memoriales 2; Hannover: Hahn). Capitularia Regum Francorum. Bd. 1, hg. v. Alfred Boretius (MGH Leges 3,1; Hannover: Hahn, 1883). – Bd. 2, hg. v. Alfred Boretius / Victor Krause (MGH Leges 3,2; Hannover: Hahn, 1897). Cassiodor, Institutiones divinarum et saecularium litterarum (Einführung in die geist lichen und weltlichen Wissenschaften), lateinisch und deutsch, übers. u. eingel. von Wolfgang Bürsgens. 2 Bde. (Freiburg im Breisgau u. a.: Herder, 2003). Clementis Ars grammatica primum, hg. v. Joannes Tolkiehn (Philologus, Suppl., 22,3; Leipzig: Dieterich, 1928). Degering, Hermann / Boeckler, Albert (1932, Hgg.), Die Quedlinburger Italafragmente. 2 Bde. (Berlin: Cassiodor-Gesellschaft). Dobcheva, Ivana, aratea-digital. A collection of digital editions and manuscript descrip tions of medieval transmissions of Aratus’ (ca. 315/310–240 BC) didactic poem the Phae nomena: https://aratea-digital.acdh.oeaw.ac.at/pages/index.html (Abruf: 6.12.2020). Duft, Johannes (1959, Hg.), Sankt Otmar. Die Quellen zu seinem Leben, lateinisch und deutsch (Bibliotheca Sangallensis 4; Zürich: Carta). Einharti Epistolae, hg. v. Karl Hampe (MGH Epist. Carol. aevi III; Berlin: Weidmann, 1898–1899) 104–144. Einhards Briefe. Kommunikation und Mobilität im Frühmittelalter, hg. v. Annette Grabowsky u. a. (Acta Einhardi 3; Seligenstadt: Einhard-Gesellschaft, 2018). Einhardi Translatio et miracula ss. Marcellini et Petri, hg. v. Georg Waitz. (MGH SS XV/1; Hannover: Hahn, 1887) 238–264. Einhardi Vita Karoli Magni, hg. v. Oswald Holder-Egger (MGH SS rer. germ. in us. schol. 25; Hannover: Hahn, 1911). Ekkehard IV., Casus Sancti Galli. St. Galler Klostergeschichten, hg. u. übers. von Hans Haefele. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 10; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 42002). Epistolae Karolini aevi. Bd. 2, hg. v. Ernst Dümmler (MGH Epistolae IV; Berlin: Weidmann, 1895 ). – Bd. 3, hg. v. Ernst Dümmler (MGH Epistolae V; Berlin: Weidmann, 1899). Ermoldus Nigellus, Poème sur Louis le pieux, hg. v. Edmond Faral (Les Classiques de l’histoire de France au moyen âge 14; Paris: Champion, 1932). Esposito, Mario (1906/07): An Unpublished Astronomical Treatise by the Irish Monk Dicuil: Proceedings of the Royal Irish Academy, Section C 26, 379–446. Everett, Nicholas (2012, Hg.), T he Alphabet of Galen. Pharmacy from Antiquity to the Middle Ages. A critical Edition of the Latin Text with English Translation and Commentary (Toronto, Buffalo, London: University of Toronto Press). Expossitio latinitatis, hg. v. Bernhard Bischoff / Bengt Löfstedt (CCSL 133D; Turnhout: Brepols, 1992). Folkerts, Menso (1970, Hg.), „Boethius“, Geometrie II. Ein mathematisches Lehrbuch des Mittelalters (Wiesbaden: Steiner) 69–82, 173–217. Glöckner, Karl (1929, Hg.), Codex Laureshamensis. Bd. 1 (Arbeiten der Historischen Kommission für den Volksstaat Hessen; Darmstadt: Verlag des Historischen Vereins für Hessen). Grondeux, Anne / Cinato, Franck (2016, Hgg.), Liber Glossarum Digital, Paris: http:// liber-glossarum.huma-num.fr.
Editionen und Facsimilia
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Editionen und Facsimilia
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Register Das Register enthält Orts– und Personennamen sowie – kursiviert – (anonyme) Werktitel. Personen aus der Antike und der (frühen) Neuzeit sind unter dem Familiennamen angesetzt, Personen aus dem Mittelalter unter dem Vornamen. Die Zahlen beziehen sich auf die Seiten und u.U. auf die Anmerkungen (A.). Abkürzungen: amt. = amtierte; Anf. = Anfang; Bf. = Bischof; dt. = deutsch; Ebf. = Erzbischof; H. = Hälfte; Jh. = Jahrhundert; n. Chr. = nach Christi Geburt; u. = und; v. = von; v. Chr. = vor Christi Geburt; zw. = zwischen. 7-Bücher-Computus 69 u. A. 174 u. 176 Aachen 9, 10 A. 9, 14, 49 A. 56, 124 u. A. 42 – Pfalz 3, 7–10, 12, 15, 25, 28, 31 u. A. 95, 34, 36 u. A. 23, 46, 52, 55–56, 65–67, 69–71, 74 A. u. 216, 81–82, 96–97, 116, 118–119, 123, 125–130 – Aula regia 26–27 – Bibliothek(en) 2–3, 10, 14 u. A. 42, 19–20, 24–25, 28, 33, 36, 41–42, 68, 119, 125–126, 131 – Granusturm 20, 26 u. A. 59 – Jagdgehege 123 u. A. 35, 126, 131 – Kollegiatstift St. Maria 21, 25, 125–126, 131 – Annexbauten 20–21 – Rotunde 42, 123 – Sakristei 20–21 – Nordbasilika 25 u. A. 51 – Schule 7, 13 A. 32, 34, 36 A. 24, 52, 70, 131 – T heater 123 – T hermen 3, 121, 123, 125–126, 131 – Zoo 123, 125 – Synode 68 Aachener Enzyklopädie 54 A. 81, 63 A. 142, 72 Aachener Vorbehalt, siehe: Argumentum ad lunae cursum turbatum Abba-Abavus-Glossar 91 Abbreviatio de pluribus compoti 59 Abraham, biblischer Stammvater 111 Ada-Evangeliar 13
Adalhard (* um 750, † 826), Abt v. Corbie (amt. 780–826) 24, 69 A. 174, 103 – Excerptum de astrologia 70 – Statuta seu Brevia 103 A. 407 Adalung, Abt v. Lorsch (amt. 804–837) und Saint-Vaast in Arras 15 u. A. 47, 21 A. 20, 29 u. A. 80, 32 A. 107, 48 u. A. 48, 64 Aeneas, mythischer Stammvater der Römer 124 Aesculap 45 A. 22, 86, 115 – siehe auch: Liber Esculapii Agnardus (9. Jh.), Gelehrter 69 Agrippa (1. Jh. n. Chr.), Astronom 36 Alban (3. Jh.), Heiliger 58 A. 111 Albrich († 894/895), Mönch in St. Gallen 58 A. 110 Aldhelm (* um 640, † 709), Abt v. Malmesbury (amt. 675/680–709), Bf. v. Sherborne (amt. 705–709) 44, 58 u. A. 112, 100 – Carmen de virginitate 44 A. 18, 58 u. A. 112 Aldrich (Audri) († 836), Ebf. v. Sens, Praeceptor palatii 36 Alexander von Tralleis (* 525, † 605), gelehrter Arzt 75 Alexandria, Schulen 37 Alkuin (* um 730, † 804), Gelehrter 5, 10 u. A. 9, 12, 14, 30 A. 92, 32–33, 35–38, 41–42, 44, 66–68, 72 u. A. 199, 81, 97, 99–100, 125–126 – Ars grammatica 37 A. 25
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– Calculatio 62 – Carmina 11–12, 35 A. 7, 67–68, 81 A. 259, 118–119 – De dialectica 37 A. 25 – De ratione animae 99 A. 381 – De rhetorica et de virtutibus 37 A. 25, 41, 44 A. 20, 72 A. 204 – Epistulae 5 A. 16, 34–35, 37 A. 29–30, 67 A. 156 u. A. 159–160 u. 163, 81 A. 258, 118 A. 1 – Libellus annalis 68 – Propositiones ad acuendos iuvenes 11 A. 18 – Vita S. Martini 99 A. 381 – siehe auch: Aachener Enzyklopädie Altercatio Hadriani Augusti et Epicteti philosophi 36 Ambrosius (* vermutlich 339, † 397), Heiliger, Bf. v. Mailand (amt. 374–397) 15 A. 49, 102 Angilbert (* um 750, † 814), Laienabt v. Saint-Riquier (amt. 789/790–814) 24 u. A. 46, 35 u. A. 6, 124 Angilram († 791), Bf. v. Metz (amt. 768– 791) 10 Annales Alamannici 63 u. A. 140 Annales Augienses brevissimi 57 A. 105 Annales Bertiniani 35 A. 8, 66 A. 154 Annales Fuldenses 77 A. 234 Annales regum Sangallenses, siehe: Annales Sangallenses brevissimi I Annales Sancti Galli breves, siehe: Annales Weingartenses sive Constantienses Annales Sangallenses brevissimi I 57 A. 105, 64 Annales Sangallenses brevissimi II 58 u. A. 110 u. 114, 64 Annales Sangallenses brevissimi III 58 A. 114, 64 Annales Weingartenses sive Constantienses 63 u. A. 138 Annalis libellus 55, 70 u. A. 180 Ansfried (9. Jh.), Verwandter des Mönchs Gerward 28 A. 72 Anthimus (spätes 3./frühes 4. Jh.), Bruder der Heiligen Kosmas und Damian 87, 95 u. A. 349, 102 A. 400, 118 A. 3
– ad regem T heodericum, siehe: Anthimus, De observatione ciborum – De observatione ciborum 87 u. A. 297, 118 A. 3 Apollo, griechischer Gott der Heilkunst 45 A. 22, 115, 130 Apulaeius (2. Jh. n. Chr.) 87 – siehe auch: Ps.-Apulaeius Aratea 52, 74 – siehe auch: Aratos von Soloi; Germanicus Aratos von Soloi (* um 310, † 245 v. Chr.), Aratus latinus 42 A. 8 – Phainomena 52, 42 A. 8, 71 – Recensio interpolata 42 A. 8, 57 u. A. 102, 71 u. A. 188 Argumentum ad lunae cursum turbatum 72 Argumentum Aquense, siehe: Argumentum ad lunae cursum turbatum Aristoteles (* 384, † 322 v. Chr.) 44, 85 A. 279, 94 – De interpretatione 41 – siehe auch: Problemata physica; Ps.-Aristoteles Arn (* kurz nach 740, † 821), Abt v. SaintAmand (amt. 782–821), Ebf. v. Salzburg (amt. 785–821) 35, 52 Arnulf (* um 850, † 899), ostfränkischer König (amt. 887–899) 77 A. 234 Arras (Dép. Pas-de-Calais), Kloster SaintVaast 48 u. A. 49, 92–93 Ars medicinae 77, 82 A. 263, 88 A. 303, 106–110 – Sapientia artis medicinae 88 A. 303 Ars medicinalis de animalibus 88 A. 305 Asklepios 78 u. A. 241, 87, 130 Astronomus (1. H. 9. Jh.), Dichter 118 – Vita Hludowici imperatoris 73 u. A. 206 u. A. 209, 118–119 Athala (Attala) († 627), Abt v. Bobbio (amt. 615–627) 58–59 Athen 11–12 – Akropolis 78 – Schule des Aristoteles 37 – Schule des Platon 37
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Audomarus, siehe: Otmar Augustinus († 605), Heiliger, Ebf. v. Canterbury (amt. 597–605) 58 A. 111 Augustinus, Aurelius (* 354, † 430), Heiliger, Bf. v. Hippo Regius (amt. 396–430) 4 A. 12, 15 A. 49, 29 A. 84, 33 u. A. 111, 41, 49, 54, 57, 61–62, 69, 73, 80, 100, 102, 131 – De doctrina christiana II 80 A. 249 – Sermones de Scripturis 100 A. 385 – Sermones de tempore 100 A. 385 – Sermones de vetere testamento 4 A. 14 Augustus, Gaius Octavius (* 63 v. Chr., † 14 n. Chr.), Kaiser (amt. 27 v. Chr.–14 n. Chr.) 66 A. 152, 121–122 Bamberg – Domstift 96 – Schule 96 Baudonivia (6. Jh.), Nonne in Ste. Croix in Poitiers 105 A. 425 Beda Venerabilis (* 673/674, † 735), Kirchenvater und Gelehrter 15 A. 49, 53, 58–65, 68–70, 72–73, 116 – Abbreviatio chronicae 63 – Computum librorum quattuor 61 u. A. 126 – De natura rerum 51, 55, 58, 60, 65 – De ratione computi 59 – De temporum ratione 51, 55, 57–60, 65 – Epistola ad Wicthedum de paschae celebratione 65 – Interrogationes et responsiones de compoto, siehe: Wichram – Martyrologium 22 u. A. 25 Benedikt von Nursia (* um 480, † wohl um 560), Heiliger, Gründer des Klosters Montecassino 108 Benediktsregel 27, 97 u. A. 363, 98 Benevent, Skriptorium 50 A. 60 Bernhard († 844), Markgraf von Septimanien 35 Berta (* 779/780, † nach 829), Tochter Karls des Großen 24 A. 46 Bertolfus († 640), Abt v. Bobbio 59 A. 116 Bias von Priene (* um 590, † um 530 v. Chr.), Rhetor 11 A. 18
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Bibel 98 – Alkuin 31 A. 101 – Itala 30 A. 94 – Leviticus-Glossen 60 – Tours 31 A. 101 Bobbio (Prov. Piacenza), Kloster 11 A. 18, 32, 45, 47 u. A. 36, 53, 91–92, 97, 99–101 Bodo (9. Jh.), Schüler am Aachener Hof 35 Boethius, Anicius Manlius Severinus (* um 480, † 524), Philosoph 42 A. 7, 60, 99 – De institutione geometrica 42 A. 7 – De institutio arithmetica 41 – Isagoge 41 – De consolatione philosophiae 41 – siehe auch: Ps.-Boethius Bonifatius (Wynfrith) (* 672/675, † 754), Heiliger 58 A. 111 – Briefe 105 A. 427 Bordeaux 48 Brigida (* um 455, † um 525), irische Heilige 58 A. 111 Cadac (genannt Andreas) (8./9. Jh.), Lehrer am Aachener Hof 35 Caelius Aurelianus Siccensis (5. Jh. n. Chr.), Arzt aus Numidien 47–48, 76, 79–80, 92, 97–98, 102 – Liber medicinalis 79, 97 – Tardae vel chronicae passiones 92 Caesar, Caius Julius (* 100, † 44 v. Chr.) 66 A. 152 Caesarius (* 469/470, † 542), Bf. v. Arles (amt. 502–542) 105 A. 427 Cainnich (Cainnech) (* 521, † um 605), irischer Heiliger 58 A. 111 Calcidius (Ende 4./Anf. 5. Jh. n. Chr.) 52 – Kommentar zu Platons Timaeus 52 Calendarium Laureshamense 65 u. A. 149 Cancor († 771), Graf, Sohn der Williswinth, Gründer des Klosters Lorsch 14 Candidus (Wizo, Witto, [H]witto) († um 805), Gelehrter 35, 37, 46
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Canterbury 60 Capitula, de quibus convocati compotiste interrogati fuerint 68 A. 170 Capitulare de villis 119–120 Capitulare von Diedenhofen 43 u. A. 12, 52 A. 73, 119 Caracalla, eigentlich M. Aurelius Antoninus Caesar (* 188, † 217), Kaiser (amt. 211–217) 125 Casus s. Galli, siehe: Ekkehard IV.; Ratpert Cassiodorus Senator, Flavius Magnus Aurelius (1. H. 6. Jh. n. Chr.), Abt v. Squillace (Vivarium) 8, 31 A. 100, 66 A. 154, 76, 80, 106 – Institutiones 36, 42 A. 7, 44, 76, 79 u. A. 246–247, 83 u. A. 270, 88, 98 u. A. 369 Cato, Marcus Porcius, d. Ä. (* 234, † 149 v. Chr.) 81 A. 256 Celsus, Aulus Cornelius (* um 25, † um 50 n. Chr.), Enzyklopädist 75 A. 217 Centula, siehe: Saint-Riquier Chelles (Dép. Seine-et-Marne), Frauenkloster, Skriptorium 60 Chilon, Ephoros von Sparta (amt. um 556 v. Chr.) 11 A. 18 Chronicon Laureshamense 64 Chur 108 Cicero, Marcus Tullius (* 106, † 43 v. Chr.) 32 A. 107, 39 – De inventione 41 – siehe auch: Ps-Cicero Clemens (genannt Scottus) (9. Jh.), Erzieher Karls des Kahlen 35 u. A. 11, 45 – Ars grammatica 35 A. 11, 45 A. 23 Codex annalis, siehe: Annalis libellus Columba (* um 520/522, † 597), Heiliger 58 A. 111 Columban (* um 543, † 615), Heiliger, Abt v. Bobbio (amt. 613/614–615) 32, 58–59, 91 u. A. 325 Compiègne (Dép. Oise), Pfalz 9, 25 u. A. 47, 126 – Hofschule 25 – Kapelle 25
Computus Graecorum sive Latinorum 55–57, 59, 70, 78 A. 235 Concordia solis et lunae 62 Corbie (Dép. Somme), Kloster 2 A. 5, 11 A. 18, 24, 42 u. A. 8, 48, 53, 71 u. A. 191, 128 – Bibliothek 69 A. 174–175 – Skriptorium 78 A. 235, 96 A. 355 Corippus, Flavius Cresconius (* um 500, † um 570), In laudem Iustini Augusti Minoris 124 u. A. 39–40 Corpus Hippocraticum 48, 85 A. 279–281 Cosmas, siehe: Kosmas Cumianus (Cuimnanus) (7./8.Jh.), irischer Bf. 45 Cursus lunae et solis 59 Cursus lunae per duodecim signa 55 Cycli decemnovennales 58 Cyprian (* um 200/210, † 258), Kirchenlehrer 102 Cysoing, Abtei, Chartular 7 Dagulf (8./9. Jh.), Schreiber 13 A. 36 Damasus (* um 305, † 384), Papst (amt. 366–384) 102 u. A. 398 – Carmina 102 Damian (spätes 3./frühes 4. Jahrhundert), Arzt, Heiliger 78, 80 u. A. 253, 82–83, 98, 100, 102 u. A. 399, 111 David, biblischer König 120 A. 16 De Karolo rege et Leone papa 122–124 De ordine ac positione stellarum in signis 70 De saltu lunae 55 A. 88, 58–59, 65 De sideribus 65 Defensio artis medicinae, siehe: Lorsch, Arzneibuch Demokrit (* 460/459, † um 370 v. Chr.), Philosoph u. Mathematiker, Prognostica 85 A. 279 Dhuoda (* um 802, † nach 843), fränkische Adelige 7 – Liber manualis 7 Dicuil (belegt um 814 – um 825), irischer Gelehrter und Astronom 10, 72–73 – Liber de astronomia et computo 72–73
Register
Diedenhofen (T hionville) (Dép. Moselle) – Capitulare 43 u. A. 12, 119 – Grab der Hildegard, Gemahlin Karls des Großen 43 Diemo, Abt v. Lorsch (amt. 1125–1139) 30 A. 91 Dies aegyptiaci 94 Dies incerti 94 Diomedes (4. Jh. n. Chr.), Grammatiker 36 Dionysius Exiguus (* um 470, † um 540) 65, 68–69 – Epistola ad Bonifatium ... de ratione paschae 65 Dioskurides, Pedianus (1. Jh. n. Chr.), Arzt u. Pharmakologe 80, 95 Divisio orbis 36 Donatus, Aelius (4. Jh. n. Chr.), Grammatiker 10 A. 11, 39 A. 43, 41, 45 – Ars maior 77 A. 232 – Ars minor 10 A. 10, 77 A. 232 – Grammatik 91, 107 Dorestadt (Duurstede) bei Utrecht 33 Dosithos magister (4. Jh. n. Chr.), griechisch-lateinische Grammatik 77 A. 234 Drogo (* 801, † 855), Sohn Karls des Großen, Bf. v. Metz (amt. 823–855) 73 Dungal (8./9. Jahrhundert) = Hibernicus Exul?, Mönch in Saint-Denis und Bobbio (811–828) 10 u. A. 12, 46–47, 72, 101 A. 395 Eberhard († 864/866), Markgraf von Friaul (amt. vor 836–864/866) 7 Ebo (* 778 [?], † 851), Ebf. v. Reims (amt. 816–835 u. 840–841), Bf. v. Hildesheim (amt. 845–851) 35 Eccard († 876/877), Graf von Mâcon 7 Echternach (Luxemburg) 106 Egbert († 766), Ebf. v. York (amt. 735– 766) 62 Egino (* um 720, † 802), Bf. v. Verona (amt. nach 780–799) 8 A. 9, 61, 70 Eigil (* um 750, † 822), Abt v. Fulda (amt. 818–822), Vita Sturmi 80 A. 250, 118 A. 1
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Einhard (* um 770, † 840), Gelehrter, Berater Karls des Großen 10, 25, 28– 29, 33, 42, 51, 69, 73 u. A. 209, 118–119, 122–124 – Epistulae 28–29, 73 A. 209 – Translatio s. Marcellini et Petri 19 A. 7, 25 A. 49, 28 A. 77 – Vita Karoli Magni 10 u. A. 7 u. 10, 12, 21 A. 15, 24 A. 43, 26 A. 57, 28 A. 75, 34 A. 5, 51 A. 62, 66 A. 154–155, 118–119, 121–122, 125 Ekkehard IV. (* 980/990, † nach 1056), Mönch im Kloster St. Gallen 24, 31 A. 96, 38–39, 58, 62, 104 – Casus s. Galli 18 u. A. 76, 22–24, 31– 32, 39 A. 40, 62 A. 102, 104 A. 414 u. 416–417 Elno, Kloster Saint-Amand-les-Eaux 48 u. A. 47, 72–73, 85 A. 279 – Skriptorium 88 A. 300 Ennodius, Magnus Felix (* 473/474, † 521), Bf. v. Pavia (amt. 513/514–521), Carmina 10 A. 11 Enzyklopädie von 809 61 Ephesos (Izmir, Türkei), Bibliothek 1 A. 1, 75 Ephraim der Syrer (* um 306, † 373), Kirchenlehrer, Heiliger 29 A. 84 Epistola peri hereseon 115 A. 473 Ermenrich (* um 814, † 874), Mönch im Kloster Ellwangen 44 u. A. 19, 84 A. 275 Ermoldus Nigellus († um 838?), Dichter 1 A. 2–3 Expossitio latinitatis ad Cuimnanum 45 u. A. 25–27, 99 u. A. 379–380, 100 Eugenius († 657), Ebf. v. Toledo (amt. 646–657) 61 A. 126 Euklid (3. Jh. v. Chr.), Mathematiker 42 u. A. 7–8 Eunapios von Sardes (* um 345, † 414 n. Chr.), Philosoph u. Geschichtsschreiber 86, 93 Eusebius von Caesarea (* um 260, † 339 n. Chr.), Kirchenvater 38 A. 38, – Historia ecclesiastica 58 A. 112 Eustathius, Sohn des Arztes Oribasios (4./5. Jh. n. Chr.) 86, 93
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Excerptum de libro Albini magistri, siehe: Enzyklopädie von 809 Fardulf († 806), Abt v. Saint–Denis (amt. 792–806) 45 A. 22 Fastrada (* um 765, † 794), (vierte) Gemahlin Karls des Großen 121 Felix († 818), Bf. v. Urgell (amt. vor 792– 799) 14 A. 45 Felix († angeblich zw. 284 und 305), Heiliger 59 A. 116, 62 u. A. 135 Filocalus, Furius Dionysius (4. Jahrhundert n. Chr.), Kalligraph 50 Fleury = Saint-Benoît-sur-Loire (Dép. Loiret), Kloster 48–49, 74 A. 216, 128 – Skriptorium 10 A. 10 Frankfurt am Main 9 Freising 63 u. A. 139 – Dom 62 – Domschule 46 u. A. 29 Fridugis (Beiname ‚Nathanael‘) († 834), Abt v. St. Martin in Tours (amt. 804– 834), Abt v. Saint–Omer (amt. 820– 834) 35, 125 – De substantia nihili et tenebrarum 38 A. 32 Friedrich I. (Barbarossa) (* wohl nach 1122, † 1190), dt. König (amt 1152– 1190), Kaiser (amt. 1155–1190) 122 Fulda, Kloster 11 A. 18, 31, 33, 35, 53, 60, 84 u. A. 272, 118–119 – Skriptorium 85 A. 281, 89 u. A. 312 Gabriel, Erzengel 113 u. A. 467 Galenos von Pergamon (* um 130, † 199 n. Chr.), Arzt 75, 79–80, 82–83, 85–87, 102, 116 – Ad Glauconem de medendi methodo 46 A. 31, 79 A. 246, 85 A. 282 – Ars medica 46 A. 31 – De pulsibus 46 A. 31 – De sectis 46 A. 31 – Terapeutica 79–80, 106 – siehe auch: Ps.-Galen Gallus († um 650), Gründer des Klosters St. Gallen, Heiliger 18, 104 – siehe auch: Vita s. Galli prima; Walafrid Strabo; Wetti
Gallus-Lied 62 Gendt (Gannetia), Niederlande 28 Germanicus, Julius Caesar (* 15 v. Chr., † 19 n. Chr.), römischer Feldherr u. Übersetzer 52 – Aratus latinus 53 A. 76, 56 A. 99, 58, 69 A. 175, 74 A. 213 Germanus, Bf v. Capua (amt. 516–540) 99 Gerold, siehe: Kerolt Gerward von Gendt (Gannetia) (9. Jh.), Kleriker u. Mönch im Kloster Lorsch 25, 28–29, 65 – Bibliothek 15 A. 55, 26, 28, 33 u. A. 111 – Bücherverzeichnis 15 A. 55 – Lorscher Vergil 28 A. 69, 33 Glaukon (2. Jh. n. Chr.), Philosoph 79–80 Goar (wahrscheinlich 5./6. Jh.), Heiliger 121 u. A. 20 Godescalc (8./9. Jh.), Schreiber 13 A. 33 Goldast, Melchior (* 1578, † 1635), Humanist 89 A. 312 Gozbert († nach 837), Abt v. St. Gallen (amt. 816–837) 16–18, 20 A. 13, 23 – Vita s. Otmari 18 A. 74 Gregor (* 538/539, † vermutlich 594), Bf. v. Tours (amt. 573 – vermutlich 594) 49–50, 73, 130 – De cursu stellarum ratio 50 A. 60 Gregor I., genannt der Große (* um 540, † 604), Papst (amt. 590–604) 15 A. 49, 47 A. 37, 98, 102 – Dialogi 98–99 – Homilie 98 – Moralia in Iob 98 – Regula pastoralis 98 Gregor II. († 731), Papst (amt. 715–731) 105 A. 427 Gregor III. († 741), Papst (amt. 731–741) 105 A. 427 Grimald († 872), Abt v. Weißenburg (amt. vor 833–839 sowie 847–862/870) und St. Gallen (amt. 841–872), Erzkaplan Ludwigs des Deutschen 17 u. A. 64, 23, 26 A. 53, 31 u. A. 95 u. 99, 44 A. 19, 53, 55–56, 61, 84 A. 275, 89 u. A. 312, 105, 124
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– Bibliothek 17, 22 u. A. 26, 26 u. A. 53, 28, 56 u. A. 95, 84 – Liber hymnorum 28 A. 70 – Komputus 57, 78 A. 235 Gundeland, Abt v. Lorsch (amt. 765–778) 14 Hadrian I. († 795), Papst (amt. 772–795) 13 A. 36, 21 A. 19 Haito (Hatto) I. (* 763, † 836), Bf. v. Basel (amt. 805–823), Abt der Reichenau (amt. 806–823) 18 Harald Klak, König von Dänemark (amt. 812–826/841) 1 A. 2 Hartmut († nach 895), Abt v. St. Gallen (amt. 872–883) 17 u. A. 64, 24, 39 – Bibliothek 17, 26 u. A. 54, 28 Hartnit (9. Jh.), Sohn des Angilbert und der Berta, Tochter Karls des Großen 24 A. 46 Heidelberg, Universität 15 Heilrad (Anf. 9. Jh.), Priester in Lorsch, Bibliothek 15 A. 55, 26–27 Heinrich II. (* 673/678, † 1024), dt. König (amt. 1002–1024), König von Italien (amt. 1004–1024), Kaiser (amt. 1014– 1024) 96 Hermeneumata medicobotanica 120 A. 16 Hibernicus Exul = Dungal von Bobbio? (2. H. 8. Jh.) 45, 124 – Carmen 45 A. 22 Hieronymus (* um 350, † 420), Kirchenvater 15 A. 49, 49–50, 54, 61 A. 126 u. 132, 69, 73, 98, 102 – Kommentar zu Amos 49 A. 53 – Kommentar zu Habakuk und Ezechiel 98 Hilarius (* um 315, † 367), Bf. v. Poitiers (amt. vor 356) 102 Hildebold († 818), Ebf. v. Köln (amt. 787– 818) 52 Hildegard (* ca. 758, † 783), (dritte) Gemahlin Karls des Großen 13 A. 33, 43 – Grab in Diedenhofen 43
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Hincmar (Hinkmar) (* um 800/810, † 882), Ebf. v. Reims (amt. 845–882) 48 A. 47 Hippokrates (* um 460, † um 370 v. Chr.), Arzt und Philosoph 45 A. 22, 75, 79– 80, 82–83, 85–87, 94, 102, 104, 106, 115–116 – De diaeta 84–86 – Eid 78–79, 82 u. A. 263, 94 u. A. 342 – Prognosticon 85 A. 279, 104 u. A. 417 – siehe auch: Corpus Hippocraticum; Ps.-Hippokrates Horaz (Horatius Flaccus) (* 65, † 8 v. Chr.), Dichter 103 Hrabanus Maurus (* um 780, † 856), Abt v. Fulda (amt. 822–841/842), Ebf. v. Mainz (amt. 847–856) 4 A. 12, 30 A. 92, 33 A. 1, 35–36, 43 A. 15, 45, 49, 64, 73–74, 99, 105 A. 427 – De computo 49 A. 55, 56, 61, 74 A. 213, 78 A. 235 – De consanguineorum nuptiis 99 A. 381 – De institutione clericorum 43–45, 105 A. 427, 119 – De universo 45 A. 21, 97 A. 368 Hucbald von Saint-Amand (* um 840, † 930), Musiktheoretiker 48 A. 47, 73 Hyginus, Gaius Julius (* um 60 v. Chr., † nach 4 n. Chr.), Astronomica 58 Ingelheim (Rheinland-Pfalz), Pfalz 1–2, 121 A. 20, 123, 126, 131 – Aula regia 1 u. A. 3 – T hermen 123 u. A. 35 Ioca monachorum 54 Isidorus (* um 570, † 636), Bf. v. Sevilla (amt. 600–636) 4 A. 12, 19, 49–51, 53, 59, 68, 76, 78, 82–83, 86 A. 286, 98, 100, 102, 108 A. 444, 113–114 – Allegoriae quaedam Sanctae Scripturae 111 A. 458 – De natura rerum 51 u. A. 65, 93 A. 335, 102 A. 397, 111 A. 458 – De ordine creaturam 109 A. 444 – De ortu et obitu patrum 111 A. 458
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– Differentiae 45, 51, 54 A. 82, 76, 98– 100, 111 A. 458 – Etymologiae 19 A. 1, 44 u. A. 17, 49– 51, 54, 57, 62 u. A. 133, 76 u. A. 225, 86 u. A. 283 u. 286, 98–99, 101–102, 110– 111, 113 A. 468, 115 A. 473 – In libros veteris ac novi Testamenti proemia 111 A. 458 – Sententiae 51 A. 65, 98 – Synonyma 111 A. 458 – Versus 47 A. 36, 82 A. 264, 100–102 – siehe auch: Ps.-Isidor Iso († 871), Mönch in St. Gallen, Leiter der Klosterschule 39, 104 Itinerarium Burdigalense 63 Iuvencus, siehe: Juvencus Jakob (8./9. Jh.), Schreiber Karls des Großen 10, 90, 119 A. 13 Jesus Christus 98, 108–109, 116, 126, 130 Johannes († 782), Bf. v. Konstanz (amt. 760–782), Abt v. St. Gallen (amt. 759– 782) und der Reichenau (amt. 760–782) 16 A. 58, 89 A. 308 Johannes Chrysostomos (* 349/344, † 407), Ebf. v. Konstantinopel (amt. 398–404) 102 Johannes Philagathos, Abt v. Nonantola (amt. 982–989) und Bf. v. Piacenza (amt. 989–997) 96 A. 356 Johannes Scot(t)us (Eriugena) (9. Jh.), Gelehrter 46 A. 30 Josephus (9. Jh.), Schüler Alkuins 36 Josephus, Flavius (* 37, † 95 n. Chr.), Bellum Judaicum 38 u. A. 38 Judith († 843), (zweite) Gemahlin Ludwigs des Frommen 35, 73 Justinos II. (* 520, † 578), oströmischer Kaiser (amt. 565–578) 124 Justus (6. Jh.), heilkundiger Mönch 99 Juvencus, Gaius Vettius Aquilinus (4. Jh. n. Chr.) 40 – Evangelienharmonie 124 Karl (I.) der Große (* wohl 747, † 814), König der Franken (amt. 768–814) und Langobarden (amt. 774–781), Kaiser (amt. 800–814) 1–3, 7, 9–15, 20–21,
24–26, 28, 34–38, 41, 43, 45 A. 22, 48, 51–52, 66–68, 71–72, 90, 118–129, 131 – Admonitio generalis 36 A. 24, 52, 70 – Capitula in dioecesana quadam synodo tractata 52 u. A. 73 – Capitulare missorum in T heodonis villa datum primum, mere ecclesiasticum 52 u. A. 73 Karl d.J. (* 772/773, † 811), Sohn Karls des Großen, fränkischer König 43 Karl (II.) der Kahle (* 823, † 877), westfränkischer König (amt. 843–877), Kaiser (amt. 875–877) 9, 25, 35 u. A. 13, 48 A. 47, 123 Karl III. (* 839, † 888), König der West– und Ostfranken (amt. 876–888), Kaiser (amt. 881–888) 31 A. 95, 58 A. 110 Karlsepos, siehe: De Karolo rege et Leone papa Kerolt (9. Jh. n. Chr.), Arzt 104 Kleobulos (6. Jh. v. Chr.), Tyrann von Lindos 11 A. 18 Köln 1, 11 A. 18, 52 A. 74 – Bischofssitz 52 – Dom 1 – Domstift 27 – Bibliothek 1, 27, 41 A. 6 – römisches Forum 1 Konstantinopel – Bischof 72 A. 202 – 2. Trullanische Synode (692) 105 A. 427 Kosmas (spätes 3./frühes 4. Jh.), Arzt, Heiliger 78, 80 u. A. 253, 82–83, 98, 100, 102 u. A. 399 Landaloh (Landolo), Bf. v. Treviso (amt. um 810–814) 32 Landward (9. Jh.), Verwandter des Mönchs Gerward 28 A. 72 Laodicea (im Lykostal, West–Türkei), Konzil (4. Jh.) 105 A. 427 Laon (Dép. Aisne) 16, 48 u. A. 47, 60–61, 71–72, 128 Lausanne, Kathedrale 111, 113 u. A. 465 Lazaros (9. Jh.), griechischer Gesandter (?) 77 A. 234
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Lazarus (9. Jh.), griechischer Bf. 77 A. 234 Leidrad (* um 745, † um 821), Ebf. v. Lyon (amt. ca. 798–814) 8 u. A. 8, 35 u. A. 10 Leo († 1026), Bf. v. Vercelli (amt. 998– 1026) 96 u. A. 357 Leo III. († 816), Papst (amt. 795–816) 123 A. 36 Lex Alamannorum 62–63 Liber diaetarum Alexandri 88 Liber Esculapii 86–87 Liber glossarum 120 u. A. 15 Liber hymnorum 22 A. 26 Liber passionalis Galieni 76, 86–87 Libri computi, siehe: 7-BücherComputus Liudprand († 744), König der Langobarden (amt. 712–744) 45 Liutward († 900/901), Bf. v. Vercelli (amt. 880–900/901) 32 Livius, Titus (* wohl 59 v. Chr., † 17 n. Chr.), Historiograph 32–33 Lorsch (Hessen), Kloster 3, 13–15, 21 A. 20, 23, 28–29, 31–32, 46, 48 u. A. 49, 64, 67, 70, 74 A. 216, 84, 96–97, 103, 127 – Arzneibuch 30, 45, 79–80, 82–83, 86 A. 286, 93–103, 106, 117–120, 130 – Atrium 23 – Bibliothek 2, 15, 19 u. A. 5, 21, 23, 33, 41 u. A. 6, 54–55, 92, 97–98, 100, 105 A. 423, 128 – Bibliothekskataloge 15 u. A. 49, 19 A. 3, 21, 23, 29 A. 83, 33 A. 111, 38–39, 65, 92–93, 100, 102 – Chronicon 30 A. 91 – Hospital 30 A. 91, 103 – Klosterkirche 22–23 – Sakristei 20, 22 – Schule 39 – Skriptorium 64, 96 u. A. 355, 105 A. 423, 117 Lothar I. (* 795, † 855), fränkischer König (amt. 817/840–855), Kaiser (amt. 840– 855) 9, 35, 45 A. 23, 57 A. 104–105, 66 A. 154
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Lucca 46 u. A. 32 Ludwig (I.) (* 778, † 840), genannt der Fromme, Kaiser (amt. 813–840) 1–3, 7, 9–12, 15 A. 47, 21 A. 20, 24, 28, 31–33, 35, 43, 56 A. 95, 66 A. 153–154, 68, 70, 72–73, 118, 120–121, 127, 131 Ludwig II. (* um 805, † 876), genannt der Deutsche, ostfränkischer König (amt. 843–876) 9, 31 u. A. 95, 56 A. 95 Lukas, Apostel und Evangelist 80, 83, 98 u. A. 372 – Lukasbrief 80 A. 251 Lunationes Danielis 65 u. A. 149, 85 A. 279 Lupus (Servatus Lupus) (* um 805, † nicht vor 862), Abt v. Ferrières (amt. ab etwa 840) 30 A. 92, 48 Lüttich 71 A. 193 – Kloster 103 Lyon 35 A. 10, 48 Macrobius, T heodosius Ambrosius (* um 385/390, † 430 n. Chr.) 72, 66 A. 152 – Kommentar zum Somnium Scipionis 52 Madrid 71 A. 193 Mailand 46 u. A. 33 Mainz 62 Marcellus (9. Jh.), Ire, Lehrer an der Klosterschule in St. Gallen 39 Marcellus Empiricus (Burdigalensis) (um 400 n. Chr.), Medizinschriftsteller 76, 83 A. 266, 112 u. A. 461 – De medicamentis liber 84 A. 272, 111– 112 Maria Magdalena (Maria von Bethanien) 80, 83, 108 Markward († 853), Abt v. Prüm und Saint–Hubert 35 Maro, Publius Vergilius (* 70, † 19 v. Chr.) 29 A. 84, 105, 124 u. A. 40 – Aeneis 124 – Georgica 124 Martialis, Marcus Valerius (* 40, † 102 n. Chr.), Epigrammatiker 81 A. 256
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Martialis, Quintus Gargilius (2./3. Jh. n. Chr.), Medizinschriftsteller 86–87 – Liber de virtutibus herbarum 86 A. 286 – Medicinae ex oleribus et pomis 87 A. 290 Martianus Capella (Anf. 5. Jh. n. Chr.), Dichter u. Enzyklopädist 53, 69 A. 176 – De nuptiis Philologiae et Mercurii 44, 52 Martin (* um 316/317, † 397), Bf. v. Tours (amt. 371–397), Heiliger 121 Martin (* um 515, † um 580), Bf. v. Braga (amt. seit 562), Canones ex Orientalium Patrum Synodis 49 A. 52, 62 Martin von Laon (* 819, † 875), irischer Gelehrter 46 u. A. 30, 48 A. 47 Medicina Plinii 75 A. 223, 81 u. A. 257, 86 A. 287, 110 Metz 71 A. 193, 73 Michael, Erzengel 113 u. A. 467 Miracula s. Wiboradae 104 A. 412 Modena 46 Modoin (Muadwin) (* um 770, † 840/843), Bf. v. Autun (amt. 815–um 840) 124–125 – Ecloga 124 A. 45 Moengal (9. Jh.), Ire, Lehrer an der Klosterschule in St. Gallen 39 Montecassino, Kloster 47 u. A. 37–38, 50 A. 60 Murbach (Dép. Haut–Rhin), Kloster 31 u. A. 100, 45 A. 25, 60, 71 A. 193, 84 u. A. 271 – Bibliothek 31 A. 100, 91 A. 323 – Vivarium peregrinorum 31 A. 100 Naso, Publius Ovidius (* 43 v. Chr., † 17 n. Chr.) 124–125 – Ars amatoria 124 – Metamorphosen 124 Nazarius (4. Jh.), Heiliger 65 Nicaea, Konzil (325) 69 Nicetas († nach 414), Bf. v. Remesiana, Heiliger 29 A. 84 Nimwegen 29
Nithard (9. Jh.), Sohn des Angilbert und der Berta, Geschichtsschreiber 24 A. 46 Nonantola (Prov. Modena), Kloster 97, 100 Notitia dignitatum 36 Notker I. (Balbulus, der ‚Stammler‘) (* um 840, † 912), Mönch in St. Gallen 39, 53, 57, 77 u. A. 230 Notker II. (Beiname ‚Medicus‘ u. ‚Piperisgranum‘) († 975), Mönch in St. Gallen 104 Ordo annorum mundi breviter collectum 55 A. 88 Oribasios (* um 325, † 403), Arzt und Medizinschriftsteller 46 A. 31, 75, 86, 93 u. A. 336 – Conspectus vel Synopsis ad Eusthatium filium 84 A. 271, 86 A. 284, 93 – Corpus Oribasianum 75 A. 221 – Euporista 84 A. 271, 93 – Liber ad Eunapium de parabilibus medicamentis 86 A. 284 Origenes (* 185, † 253/254), Kirchenlehrer 102 Orosius, Paulus (* um 385, † 418), Historiae adversus paganos 38 A. 38 Osulfus (Beiname ‚Daphne‘ u. ‚Cuculus‘) (9. Jh.), Schüler Alkuins 35 Otmar (Audomarus) (* um 689, † 759), Abt v. St. Gallen (amt. 719–759), Heiliger 18 u. A. 74, 30, 59 A. 116, 104–105 – Vita 18 u. A. 74; siehe auch: Gozbert Otto I. der Große (* 912, † 973), dt. König (amt. 936–973), Kaiser (amt. 962–973) 30 A. 94 Otto II. (* 955, † 983), dt. König u. Kaiser (amt. 973–983) 31 A. 96, 122 Otto III. (* 980, † 1002), dt. König (amt. 983–1002), Kaiser (amt. 996–1002) 96 u. A. 356 Ovid, siehe: Naso, Publius Ovidius Pacificus (* 776, † 844), Archidiakon v. Verona 46 A. 29
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Paderborn 123 A. 36 Pardulus, Bf. v. Laon (amt. 848–856) 48 A. 47 Paschalis I. († 824), Papst (amt. 817–824) 15 A. 47 Paschasius (6. Jh.), Diakon 99 Paulinus II., Patriarch von Aquileja (amt. 776–802) 10, 14 A. 45 Paulos von Aigina (7. Jh. n. Chr.), Arzt 75 Paulus, Apostel 37, 83, 98 u. A. 371–372 – Paulusbriefe 77 A. 230 Paulus Diaconus (* zw. 725 und 730, † vor 800), langobardischer Geschichtsschreiber 10 u. A. 11 Pergamon (Izmir, Türkei), Bibliothek 1 A. 1 Periander (7. Jh. v. Chr.), Tyrann von Korinth 11 A. 18 Petrus von Pisa († spätestens 799), Grammatiker 10 u. A. 10, 32 A. 110, 36 – Ars Diezana 10 A. 10 – Ars Petri 10 A. 10 Physica Plinii 75 A. 223, 86 A. 288, 111, 113 A. 466 – Incantamenta Physicae Plinii 110 – Physica Plinii Bambergensis 88 u. A. 303, 95, 107 – Physica Plinii Sangallensis 75 A. 223, 86 A. 288, 110 u. A. 450 Piacenza 96 Pilger von Bordeaux, Itinerarium Burdigalense 63 Pippin der Mittlere (* um 640/650, † 714), fränkischer Hausmeier 57 A. 105 Pippin d.J. (* 714/715, † 768), Vater Karls des Großen, Hausmeier von Neustrien und Burgund (amt. 741–751), König der Franken (amt. 751/752–768) 1 A. 2, 9, 20, 25 u. A. 51, 120–121 Pippin (Karlmann) (* 777, † 810), Sohn Karls des Großen, König von Italien (amt. 781–810) 36 A. 23, 43, 46 Pirmin (* um 670, † 753), Abt der Reichenau (amt. 724–727) 54 A. 85, 60 A. 122
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Pittakos (Anf. 6. Jh. v. Chr.), Tyrann von Mytilene 11 A. 18 Platon (* 427, † 347 v. Chr.) 11–12, 44 – Timaeus 52 Plinius Secundus, Gaius, d. Ä. (* 23, † 79 n. Chr.) 53, 69–70, 73, 81 A. 256, 110 A. 451 – Naturalis historia 24 A. 45, 52, 67 u. A. 162, 69 A. 175, 75, 93 A. 335 – siehe auch: Physica Plinii; Medicina Plinii Poitiers 48 Pompeji 12, 23 A. 32 Porfyrius, Publilus Optatianus (* möglicherweise zw. 260 und 270 n. Chr., † wohl vor 335), Carmina figurata 36 Porphyrio, Pomponius (frühes 3. Jh. n. Chr.), Grammatiker 103 – De quadam medicinali domo 103 Priscianus, T heodorus (um 400 n. Chr.), Medizinschriftsteller 39 A. 43, 61 A. 126 Problemata physica 94 u. A. 344 Prosper von Aquitanien (Tiro Prosper) (* um 390, † nach 455), Schriftsteller 57, 77 A. 230 Prudentius Clemens, Aurelius (* 348, † nach 405 n. Chr.), Dichter 40 Prüm (Rheinland–Pfalz), Kloster 71 A. 193, 121 A. 20 Ps.-Apulaeius 87 – De medicaminibus herbarum 78, 81 A. 257 Ps.-Aristoteles – Dicta 106 – siehe auch: Problemata physica Ps.-Boethius, Geometrie I 42 A. 7 Ps.-Chiron 87 Ps.-Cicero, De proprietate sermonum vel rerum 111 A. 458 Ps.-Galen – Alphabetum ad Paternum 93, 102 – De simplicium medicamentorum temperamentis et facultatibus 85 A. 282 – Epistula de febribus 85 A. 282 – Epistula de flebotomia 85 A. 282 – Liber de urinis 85 A. 282
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Register
Ps.-Hippokrates – De Diaeta 94 A. 346 – Epistula ad Antiochum regem 85 A. 281, 88 – Epistula ad Maecenatem 85 A. 281 – Epistula Ippocratis de pectus 85 A. 281 Ps.-Isidor, Liber numerorum, qui in sanctis scripturis occurunt 44 Ps.-Priscian 58, 65 – Gedicht über die Sternzeichen 58 Ps.-T heophilus, Epistula Philippi de pascha 55 A. 91 Ptolemaeus, Claudius (2. Jh. n. Chr.), Mathematiker, Philosoph, Astronom 66 – Almagest 66 A. 154 – astronomische Tabellen 53 Pythagoras (2. H. 6. Jh. v. Chr.) 73 – siehe auch: Sphaera Pythagorae philosophi Quedlinburg, Stift St. Servatius 30 A. 94 Quintus Serenus (2.–4. Jh. n. Chr.), Dichter 48 A. 47, 87, 90 u. A. 316, 111– 112, 124 – Liber medicinalis 10 A. 14, 87 u. A. 293, 90–91, 111 A. 457, 113 A. 464, 116, 119 Radegund (* um 520, † 587), Tochter des T hüringerkönigs Bertachar, Gemahlin des Merowingerkönigs Chlothar I., Heilige 105 A. 425 Rado († 808), Schreiber, Kanzler Karls d. Gr. (amt. 776–795), Mönch im Kloster Lorsch und Abt v. Saint–Vaast in Arras (amt. ab 790) 14 u. A. 45, 48 u. A. 48 Raguel, apokrypher Erzengel 113 u. A. 467 Raphael, Erzengel 111, 113–114 Ratio qualiter Latinos vel Grecos argumenta recto paschalia tramite invenire debeas, siehe: De saltu lunae Ratpert (* zw. 840 und 850, † um 900 [vor 912]), Mönch in St. Gallen 17–18, 39 – De origine et diversis casibus s. Galli 17–18, 26 A. 53–54, 31 A. 98
Ravenna 46–47 Receptarium Sangallense I u. II 106 A. 431 Regensburg 9, 70, 77 A. 234 – Pfalz 31 u. A. 95, 55–56 – Kloster St. Emmeram 53 Reginbert (9. Jh.), Bibliothekar auf der Reichenau 18 u. A. 78, 38 A. 34, 90 u. A. 320 Regula († angeblich zw. 284 und 305), Heilige 59 A. 116, 62 u. A. 135 Reichenau (Baden–Württemberg), Kloster 8 A. 9, 29 A. 86, 31 u. A. 95, 61, 84–85, 103, 128 – Bibliothek 46 A. 33, 91 A. 323 – Skriptorium 56 Reims, Kloster Saint-Remi 48 u. A. 47, 128 Remiel, apokrypher Erzengel 113 A. 467 Richbod (Beiname ‚Macharius‘) († 804), Abt v. Lorsch (amt. 784–804), Ebf. v. Trier (amt. 791/792–804) 14 u. A. 45, 35, 64, 97 u. A. 363 u. 365, 100 Richulf († 813), Ebf. v. Mainz (amt. 787– 813) 35 Rom 30 A. 94, 32–33, 47 A. 37–38, 108 A. 444 – Bibliotheken 1 A. 1 – Bibliotheca Ulpia 25 A. 52 – Palatin 25 A. 52 – Bischofssynode (721) 105 A. 427 – T hermen 99, 125 – Villa Albini 12 Rufus von Ephesos (* um 80, † um 150 n. Chr.), gelehrter Arzt 75 Sacramentarium Gelasianum 110 A. 449 Saint-Amand-les-Eaux (Dép. Nord), siehe: Elno Saint-Benoît-sur-Loire (Dép. Loiret), siehe: Fleury Saint-Denis (Dép. Île-de-France), Kloster 25, 36 A. 19, 45 A. 22, 47 A. 36, 71–72, 83 A. 268, 101 A. 395 Saint-Martin-des-Champs (Paris), Evangelistar 13 Saint-Mesmin-de-Micy (Dép. Loiret), Kloster 112 A. 460
Register
Saint-Riquier (Dép. Somme), Kloster 35 u. A. 6 – Bibliothek 14 A. 42, 90 A. 319 – Evangeliar 13 Salerno 47 A. 43 Salomo I. († 871), Bf. v. Konstanz (amt. 838/839–871) 63 A. 139 Salomo II. (* vor 876; † 889), Bf. v. Konstanz (amt. 875/76?–889) 63 A. 139 Salomo III. (* um 860, † 919/920), Bf. v. Konstanz u. Abt v. St. Gallen (amt. 890–919/920) 17, 39 Salzburg, Bischofssitz 52, 71 A. 193 Samuel (* um 785, † 857), Abt des Klosters Lorsch (amt. 837–856) 15 u. A. 48, 22 A. 22 Sarakiel, apokrypher Erzengel 113 A. 467 Scribonius Largus (1. Jh. n. Chr.), Arzt 95 – Compositiones 95 u. A. 352 Sedulius Scottus (9. Jh.), irischer Gelehrter 103 – Carmen 103 A. 402 Sedulius, Caelius (1. H. 5. Jh. n. Chr.), christlicher Dichter 40 – Carmen paschale 77 A. 230, 124 Seneca, Lucius Annaeus, d. J. (* etwa 4 n. Chr., † 65 n. Chr.) 32 A. 107 Sequanus, Metellus (* um 1517, † 1597), Humanist 11 A. 18 Servatus Lupus, siehe: Lupus von Ferrières Sextus Placitus Papyrensis, spätantiker Kompilator, De medicamentis ex animalibus liber 84 A. 271 Sigibert (9. Jh.), Arzt im Umfeld der Reichenau 103 Sigismund († 523/524), König von Burgund (amt. 516–523/524) 102 A. 399 Sisebut (Sisibot) († 621), westgotischer König (amt. 612–621) 51 A. 65 Soissons (Dép. Aisne) 61, 72 – Evangeliar 13 Solon von Athen (* um 640, † um 560 v. Chr.) 11 A. 18 Somnium Scipionis 52 – siehe auch: Macrobius
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Soranos von Ephesos (A. 2. Jh. n. Chr.), gelehrter Arzt 75, 87, 92 Sphaera Pythagorae philosophi 65 Squillace (Prov. Catanzaro) 8 – siehe auch: Vivarium; Cassiodorus St. Gallen, Kloster 3, 16, 18, 23, 30–32, 42, 46–47, 53–54, 59 A. 116, 67, 72, 74 A. 216, 84, 87, 103–104, 127, 129 – Abtshaus 8, 31 – Alkuin-Bibel 31 A. 101 – Ärztehaus 8 – Bibliothek(en) 2, 8, 16–17, 19 u. A. 5, 23–24, 41 A. 2 u. 6, 51 A. 66, 53, 55 A. 89, 57 A. 106, 60, 62–64, 76–77, 84 A. 276, 88–90, 103, 107, 110–111, 118 A. 3, 128 – Bibliothekar 17 – Bibliotheksverzeichnisse 16–17, 21, 23, 31 A. 95, 38 u. A. 35–37, 45 A. 84, 56 A. 99 – Dormitorium 8 – Gästehaus 8 – Hartmut-Turm 16 u. A. 60, 24 u. A. 38, 26–27 – Haus der Oblaten und Novizen 8 – Hospital 8, 29 u. A. 85–86 – Kapitelsaal 8 – Klosterkirche 8, 16, 18, 23 – Krypta 24 – Sakristei 8, 20 – Klosterplan 8 u. A. 6, 18 u. A. 77–78, 23 A. 35, 29, 38 u. A. 34, 103 – Leprosorium 30 – Peterskapelle auf dem Friedhof 32 – Pilger- und Armenhaus 8 – Refektorium 8 – Schule 8, 38 – Skriptorium 8, 23, 51 A. 65, 53, 55–56, 60–62, 84 A. 275, 86 A. 286, 88 u. A. 300, 105, 108, 117 – siehe auch: Receptarium Sangallense Straßburg 111–112 Sturmi († 779), Abt v. Fulda (amt. 744– 779) 118 A. 1 – siehe auch: Eigil, Vita Sturmi Suetonius Tranquillus, Gaius (* etwa 75, † um 150 n. Chr.) 66 A. 152, 122 – De vita Caesarum 121–122
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Tertullianus, Quintus Septimius Florens (* etwa 150, † 230 n. Chr.) 115 T hales von Milet (* um 624/623, † zw. 548 u. 544 v. Chr.), Philosoph u. Astronom 11 A. 18 T heodorus Priscianus (4./5. Jh. n. Chr.), Medizinschriftsteller 48 u. A. 44, 76 u. A. 224, 78 A. 240 – Euporiston 86 A. 286 T heodosius (genannt der Archidiakon) (Anf. 6. Jh. n. Chr.), Heilig-LandBeschreibung 63 T heodota (spätes 3./frühes 4. Jh.), Mutter des Anthimus und der Heiligen Kosmas und Damian 100 A. 384, 102 u. A. 399–400 T heodulf (* um 760, † 821), Bf. v. Orléans (amt. 798–813), Abt v. Fleury (amt. 798–818) 10–11, 14 A. 45, 35–36, 73, 112 A. 460, 124 – Carmen ad Carolum regem 11 A. 16 T heuderich I. (* vor 484, † 533), merowingischer König (amt. 511–533) 87, 95, 118 A. 3 T hiadbert (T headbert, T heodard), Bf. v. Utrecht / Duurstede (amt. 784–790) 33 T hionville, siehe: Diedenhofen T homas (8./9. Jh.), Praeceptor palatii am Aachener Hof 36 Titus, Flavius Vespasianus (* 39, † 81 n. Chr.), Kaiser (amt. 79–81 n. Chr.) 122 u. A. 27 Tivoli 12 u. A. 23 Tours 10 A. 9, 35, 37 A. 25, 41 A. 6, 48, 67 – Kloster St. Martin 31, 72–73 – Skriptorium 31 A. 101 Trier, Benediktinerkloster St. Eucharius und St. Matthias 114 A. 470 Tubel, apokrypher Erzengel 113 Tuotilo (* um 850, † 913), Mönch in St. Gallen 39 Uriel, apokrypher Erzengel 111, 113 u. A. 467 Vegetius Renatus, Publius Flavius (um 400 n. Chr.), Mulomedicina 91 u. A. 323
Venantius Honorius Clementianus Fortunatus (* um 540, † zw. 600 u. 610), Bf. v. Poitiers (amt. um 600) 105 A. 425 – Vita s. Martini 124 Vercelli, Domstift, Bibliothek 32 u. A. 106 Vergil, siehe: Maro, Publius Vergilius Verona 46 u. A. 29 u. 33, 61 u. A. 132 – Bischofssitz 52 – Dom(-stift) 8 u. A. 9 – Schule 8 u. A. 9, 70 – Bibliothek 14 A. 42, 46 A. 33 – königliche Pfalz 46 Victor, Julius Gaius (Ende 4. Jh. n. Chr.), Ars rhetorica 41 Victorius von Aquitanien (5. Jh. n. Chr.), Cursus paschalis 59 Vindicianus (4./5. Jh.), Arzt und Medizinschriftsteller 48 u. A. 44, 76, 86 u. A. 285, 95 A. 349 – Epistula ad Pentadium 86 A. 285 – Gynaecia 86 A. 285 Vita s. Galli prima 18 u. A. 73, 104 A. 410 Vita s. Wiboradae 104 A. 412 Vivarium, Kloster 31 A. 100, 47 A. 38 – siehe auch: Murbach; Squillace Wala (* um 755, † 836), Vetter Karls des Großen, Abt v. Corbie (amt. 826–830) und Bobbio (amt. nach 830) 24 Walafrid Strabo (* 808/809, † 849) Abt der Reichenau (amt. 838, 842–849) 18 u. A. 78, 35 u. A. 13, 38 u. A. 34, 56 u. A. 98, 61 A. 130, 71, 74 A. 214, 84 A. 275, 89–90, 105 A. 425, 123 – Carmen 36 A. 16 – De cultura hortorum 89 u. A. 312, 90 u. A. 313, 104–105, 116, 120 A. 16 – Vita s. Galli 104 A. 410–411 u. 413 – Vita s. Otmari 18 A. 74, 30 A. 88, 105 A. 425 Waldo (* um 852/853, † 906), Bf. v. Freising (amt. 884–906) 63 A. 139 Wandalbert (* 813, † nach 848), Mönch im Kloster Prüm
Register
– Martyrologium 58 – Vita et Miracula s. Goaris 121 A. 20 Watt, Joachim von, genannt Vadian (* 1481, † 1551) 24 u. A. 39, 90 A. 313 Weißenburg (Wissembourg) (Dép. Bas-Rhin), Kloster, Ausleihliste von Büchern 22 u. A. 27, 27 A. 67, 30 A. 93 Weomad († 791), Abt v. St. Maximin bei Trier (amt. ab 761), Ebf. v. Trier (amt. 762–791) 14 A. 45 Wetti (Wettinus Augiensis) (* um 780, † 824), Mönch auf der Reichenau, Vita s. Galli 104 A. 410 Wiborada († 926), Heilige, Inklusin beim Kloster St. Gallen 104 – siehe auch: Vita s. Wiboradae; Miracula s. Wiboradae Wichram (2. H. 9. Jh.), Mönch in St. Gallen 53, 58–59 – Computus = Interrogationes et responsiones de compoto Bedae 59 u. A. 117
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Wiener Dioscorides 11 u. A. 18 Wilhelm (9. Jh.), Sohn der fränkischen Adeligen Dhuoda 7 Williswinth († nach 768), Mutter des Cancor, Gründerin des Klosters Lorsch 14 Winithar (8. Jh.), Mönch und Schreiber im Kloster St. Gallen 16, 51 A. 65, 55, 92 u. A. 328 – Versus Winitharii 92 A. 328 Wintar (9. Jh.), Leibarzt Karls des Großen 118 A. 1 Wirnit (9. Jh.), Erzieher der Kinder Ludwigs des Frommen 35 Witto (Wizo), siehe: Candidus Wolfhar (9. Jh. n. Chr.), Arzt 104 Worms, Pfalz 14 York, Schule 36 Zeno († um 370/371), Heiliger, Bf. v. Verona 111 Zeus 115