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German Pages 495 [496] Year 2023
Euripides: Medea
Griechische Dramen herausgegeben von Jens Holzhausen, Peter von Möllendorff, Thomas A. Schmitz und Bernd Seidensticker
De Gruyter
Euripides Medea herausgegeben, übersetzt und kommentiert von
Bernd Manuwald
De Gruyter
ISBN 978-3-11-018823-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-025240-8
Library of Congress Control Number: 2023948217 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandentwurf: Martin Zech, Bremen Einbandabbildung: Sarkophag-Relief (2. Jh. n. Chr.) aus dem Museo Palazzo Altemps (Rom), Collezione Boncompagni Ludovisi, Inv.-Nr. 8648. Bildnachweis: https://commons. wikimedia.org/wiki/File:Jason_Medea_Altemps_Inv8647-8648.jpg?uselang=de Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort der Herausgeber Die Reihe Griechische Dramen möchte einen Wunsch all der Leser und Liebhaber der griechischen Tragödie und Komödie erfüllen, die über keine oder nur geringe Kenntnisse der griechischen Sprache verfügen: zu erfahren, was im griechischen Original steht. Deshalb sind die Übersetzungen anders als im Original nicht in Versmaßen gehalten, sondern – im Unterschied zu den gängigen deutschen Übersetzungen – in Prosa, um unabhängig von den Zwängen poetischer Rhythmisierung so genau wie möglich den Wortlaut wiedergeben zu können. Eine solche Übersetzung ist das Ergebnis einer gründlichen sprachlichen und inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Originaltext, die in den Bänden der Reihe auf mehreren Ebenen dokumentiert wird: Der Übersetzung ist der zugrunde gelegte griechische Text an die Seite gestellt, der von einem kritischen Apparat und sprachlichen Erläuterungen begleitet wird. Hier kann derjenige, der über Griechischkenntnisse verfügt, die sprachliche Basis der Übersetzung nachvollziehen. Der Kommentar, mit detaillierten Erläuterungen zu sprachlichen, sachlichen, dramaturgischen und interpretatorischen Problemen, setzt dagegen keine Kenntnisse der griechischen Sprache voraus. Das Druckbild ist so gestaltet, dass der Leser alle Informationen auf einen Blick erfassen kann: Die Doppelseiten präsentieren auf der linken Seite zunächst – als Ausgangspunkt der Lektüre und zugleich als Endpunkt der hermeneutischen Arbeit der Kommentatoren – den deutschen Text und darunter den griechischen Text mit textkritischen und sprachlichen Erläuterungen. Der Stellenkommentar begleitet den Text auf der rechten Seite. Dass die auf einer Doppelseite behandelten Textstücke dadurch in der Regel kurz sind, ist unvermeidlich; der Vorteil, alle Informationen zu einem Vers bzw. einer Textpassage unmittelbar nebeneinander zu finden, mag dafür entschädigen. In den umfangreichen Einführungen ziehen die Übersetzer in zusammenhängender Erörterung thematischer Schwerpunkte die Quintessenz ihrer Interpretation des Stücks und informieren über den Autor und sein Werk, über Datierung und historischen Hintergrund des Stücks, über die Geschichte des Stoffs und die vom Autor gewählte Akzentuierung, sowie über das Theater des 5. Jahrhunderts und die dramaturgische Realisierung des Stücks. Herausgeber und Autoren der Reihe Griechische Dramen hoffen, durch die Kombination von Einführung, Prosaübersetzung, Originaltext und Erläuterungen einem gräzistischen wie nicht-gräzistischen Leserkreis den Zugang zum Theater des klassischen Athen und seinen großen Dramen zu erleichtern. J. Holzhausen P. von Möllendorff T. A. Schmitz B. Seidensticker
– οὐ γὰρ γελᾶσθαι τλητὸν ἐξ ἐχθρῶν – – denn es ist nicht zu ertragen, von seinen Feinden verlacht zu werden – Euripides, Medea 797
Vorwort Eine Frau begeht Verrat an ihrem königlichen Vater und ihrem Heimatland – aus Liebe zu einem Mann, der in feindlicher Absicht zu ihnen gekommen ist. Er nimmt sie daraufhin als Ehefrau mit in sein eigenes, für sie fremdes Land; sie haben zwei Söhne. Der Mann verlässt sie, um eine andere Frau zu heiraten, weil er sich davon Vorteile verspricht. Sie kann die Entehrung nicht ertragen und rächt sich an ihm, indem sie die neue Braut und sogar die gemeinsamen Kinder tötet. Diese bewegende und erschreckende Geschichte mag – neben der faszinierenden dramatischen Gestaltung – ein Grund dafür sein, dass die Medea (bzw. griechisch: Medeia) des Euripides (431 v. Chr.) zu den am meisten rezipierten Tragödien gehört, die aus der Antike überliefert sind. Die Medea war als Theaterstück so beliebt, dass sie bereits ab dem 4. Jh. v. Chr. immer wieder aufgeführt wurde. Bis heute finden nicht nur zahlreiche Wiederaufführungen statt, sondern entstehen auch die verschiedensten Adaptionen an andere Zeitumstände und soziale Gegebenheiten. In der Reihe Griechische Dramen wird der griechische Text des Dramas mit deutscher Übersetzung sowie einem Kommentar vorgelegt; zwar gibt es bereits eine Reihe deutscher Übersetzungen, aber im deutschsprachigen Bereich erstaunlicherweise – anders als etwa im englischsprachigen – bisher keine zweisprachige, ausführlicher kommentierte Edition. Im Rahmen der Neubearbeitung wurden auch die im Text der Medea längst erkannten logischen Widersprüche und Ungereimtheiten markiert und von Neuem kritisch überprüft. Gerade aufgrund der zahlreichen Wiederaufführungen ist vermutlich der Text des Euripides durch einzelne Verse oder ganze Versgruppen erweitert worden. Sofern sich diese Verse begründet als nicht ursprünglich identifizieren lassen, kann man dem Text des Euripides vielleicht etwas näherkommen, dessen Rekonstruktion allerdings wohl immer umstritten bleiben wird. Wie in allen Ausgaben der Reihe Griechische Dramen ist die Edition so angelegt, dass auf der linken Seite Übersetzung und Text stehen und auf der rechten die entsprechende Kommentierung (z. T. ergänzt im Anhang). Die Übersetzung erfolgt möglichst versweise, was zuweilen gewisse sprachliche Kompromisse erfordert. Für Rezipienten, die an den philologischen Einzelheiten der
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Vorwort
Textkritik und der sprachlichen Gestaltung interessiert sind, werden unter dem griechischen Text und im Anhang zusätzliche Erläuterungen zu textkritischen, sprachlichen und metrischen Fragen aufgeführt. – Die in diesem Buch verwendeten generischen Maskulina sind als Bezeichnungen für alle Geschlechter zu verstehen. Der überlieferte Text von Euripides’ Medea bietet nicht nur eine Vielzahl von spezifisch philologischen Einzelproblemen, sondern er konfrontiert die Rezipienten auch mit zahlreichen und oft kontrovers diskutierten interpretatorischen Fragen. Sie reichen von der Einschätzung der Titelfigur (Barbarin, ‚normale Frau‘, Heroine?) bis zu verschiedenen Aspekten von Geschlechtergerechtigkeit oder der Berechtigung und den Grenzen eines Vergeltungsverlangens für erlittenes Unrecht. In der vorliegenden Ausgabe wird versucht, die jeweiligen Anknüpfungspunkte im Verlauf des Dramentextes zu analysieren und so zu einer Grundlage für weitere Überlegungen beizutragen. Bei der Arbeit an dieser Ausgabe habe ich wesentliche Unterstützung erfahren dürfen. Verschiedene Fassungen haben Sandra Zajonz und meine Tochter Gesine kritisch durchgesehen, sie haben zahlreiche Fehler aufgedeckt und anregende Hinweise gegeben. Eine Reihe schwieriger interpretatorischer und textkritischer Fragen konnte ich auch mit Stephan Schröder besprechen. Burkhardt Wesenberg half mir bei einem archäologischen Problem. Und wie immer hat meine Frau mit einer Fülle von konstruktiven Ideen mitgewirkt. Ihnen allen fühle ich mich zu großem Dank verpflichtet, auch Torben Behm vom Verlag De Gruyter möchte ich für die engagierte verlegerische Betreuung danken. Göttingen, im September 2023
B. M.
Inhalt Vorwort der Herausgeber ................................................................................. V Vorwort ......................................................................................................... VII Einführung ....................................................................................................... 1 Euripides: Der Dichter in seiner Zeit .................................................... 3 Medea als Gestalt des Mythos .............................................................. 6 Die Medea des Euripides .................................................................... 11 Übersicht über den Inhalt ........................................................... 11 Inhaltliche und formale Strukturierung ...................................... 18 Zeichnung der Figuren ............................................................... 24 Szenerie und Fragen der Inszenierung ....................................... 34 ‚Ur-Medea‘ und Neophron ......................................................... 38 Rezeption der Medea des Euripides ................................................... 49 Überlieferung des Textes .................................................................... 58 Zu dieser Ausgabe .............................................................................. 62 Anlage ........................................................................................ 62 Zitierweise .................................................................................. 64 Abkürzungen und Zeichen ......................................................... 66 Text, Übersetzung, Kommentar ..................................................................... 69 Anhang ......................................................................................................... Abweichungen vom Text der Edition von J. Diggle ........................ Ergänzende Kommmentarbemerkungen (EK) ................................. Ergänzende textkritische und sprachliche Erläuterungen (ETS) ...... Metrische Analysen .......................................................................... Hypotheseis zur Medea .................................................................... Neophron, Medea (TrGF I2 15) ........................................................
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Literaturverzeichnis ..................................................................................... 463
Einführung
Euripides: Der Dichter in seiner Zeit Euripides gehört als Jüngster zum ‚Kanon‘ der drei großen Tragiker, der sich trotz der großen Zahl von Dichter-Konkurrenten schon gegen Ende des 5. Jh.s v. Chr. herauszubilden begann: In seinen kurz nach dem Tod von Euripides und Sophokles aufgeführten Fröschen (an den Lenäen 405 v. Chr.) lässt Aristophanes den Gott Dionysos klagen, dass er, auf der Suche nach einem kreativen Tragiker, Euripides aus dem Hades zurückholen wolle, die lebenden Tragiker seien schlecht (72 f.).1 Sophokles wird von Dionysos ausgeschlossen, weil er sich gewiss auch im Hades wohlfühle (82), und schließlich nimmt Dionysos nach einem Wettstreit zwischen dem schon lange verstorbenen Aischylos und Euripides doch Aischylos mit ins Diesseits (1471). Zur Zeit des alexandrinischen Gelehrten Aristophanes von Byzanz (3./2. Jh. v. Chr.) hat sich die Dreizahl schon so verfestigt, dass er jeweils nur diese drei Tragiker in den Blick nimmt und zur Medea des Euripides trotz einer Reihe inzwischen entstandener Medea-Dramen sagen kann, das Sujet sei von keinem der beiden anderen (d. h. Aischylos und Sophokles) behandelt worden.2 Von Euripides’ Leben steht wenig sicher fest, da die antiken Quellen, die davon berichten, voll sind von Anekdoten und Klatschgeschichten.3 So ist noch nicht einmal das Geburtsdatum genau bestimmbar. Die Angabe der Vita (T1 IA c. 1), 480/479 v. Chr., könnte, da Euripides auf der Insel Salamis geboren wurde, ein Synchronismus mit der für die Griechen siegreichen Seeschlacht von Salamis sein; das Marmor Parium (T 10a) verknüpft die Angabe des Geburtsjahrs 485/484 mit dem ersten Sieg des Aischylos. Für Aristophanes gehört Euripides in den Fröschen zu den bereits verstorbenen Dichtern. Euripides starb 406 v. Chr., angeblich in Makedonien, wo er auch begraben sei, im Alter von über 70 bzw. mit 75 Jahren;4 also dürfte die Geburt in die späten 80er Jahre des 5. Jh.s fallen. Euripides erlebte somit den machtpolitischen Aufstieg Athens nach den Perserkriegen, die teilweise Entmachtung des Areopags und damit die Stärkung der Demokratie durch Ephialtes (462/461), die kulturelle Blüte des ––––––––––––
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Dionysos sucht einen Dichter, der dexios ist (~ ‚jemanden, der ebenso perzeptive wie kreative Intelligenz hat‘); zur Bedeutung vgl. Dover 1993, 13 f. Vgl. die Hypothesis des Aristophanes von Byzanz (Anhang, S. 452 f.). Die antiken Zeugnisse sind gesammelt in TrGF V 1 (2004) 45–145; auf diese Ausgabe beziehen sich im Folgenden die Angaben der Testimonien (T). Eine Auswahl mit englischer Übersetzung bietet Mastronarde 1994, 1–141. – Hier werden nur einige im Ganzen wohl unstrittige Stichpunkte zur Vita aufgeführt. Ausführlicher zu Euripides’ Biographie Scodel (2017, 27–41), die die Hintergründe der zu Euripides überlieferten ‚Nachrichten‘ analysiert, und zuletzt Tyrrell (2020, 11–28). Vgl. Vita T IA c. 10–11; T 13; 15a; 16; 17a.
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Einführung
‚Perikleischen Zeitalters‘, aber auch den Peloponnesischen Krieg (431–404) und die Anfänge des Niedergangs Athens, die Katastrophe der Sizilischen Expedition (415–413) und den oligarchischen Umsturz 411, jedoch nicht mehr die endgültige Niederlage Athens im Jahr 404. Unter dem Namen des Thukydides ist ein Nachruf in Distichen überliefert: „Ganz Hellas ist Erinnerungsmal des Euripides, seine Gebeine aber / hat die Erde Makedoniens, wo er das Ende seines Lebens empfing. / Seine Herkunft jedoch ist das Hellas von Hellas, Athen; vielfach brachte er mit seiner Dichtung / Freude, von vielen wird er entsprechend gepriesen.“5 Im Unterschied zu Aischylos, der in den Perserkriegen mitkämpfte (TrGF III2 T 14), und Sophokles, der mehrere hohe Ämter bekleidete (TrGF IV2 T 18– 25; 27), gibt es über Euripides keine sicheren Nachrichten, dass er sich entsprechend betätigt hätte. Man hat jedoch Zeugnisse dafür, dass er über sein DichterSein hinaus dem intellektuellen Leben zugewandt war. Dass er philosophische Kenntnisse hatte, zeigt sein Werk – was ihm die Bezeichnung ‚Philosoph auf der Bühne‘ (T 166a u. b) eintrug –, und es gibt zahlreiche Zeugnisse über Kontakte zu Philosophen, so u. a. zu Anaxagoras (T 35–38d) und Protagoras (T 40– 41), denen er in Athen begegnet sein kann, und natürlich zu Sokrates (T 42–48). Als in Aristophanes’ Fröschen die Entscheidung zugunsten von Aischylos gefallen ist, begrüßt dies der Chor und setzt ihn von Euripides ab: „Erfreulich ist es, nicht bei Sokrates zu sitzen und zu schwatzen, …“ (1491 f. ~ T 42). Dahinter mag eine reale Beobachtung stecken, denn es ist schwer vorstellbar, dass es zwischen diesen beiden in Athen lebenden prominenten Personen keine Bekanntschaft gegeben haben sollte.6 Ein weiteres Merkmal, das Euripides zugeschrieben wird, ist die Beziehung zu Büchern: In den Fröschen lässt Aristophanes ‚Euripides‘ sich selbst auf sein Buchwissen für das Dichten seiner Tragödien berufen (943 ~ T 50a) und ‚Aischylos‘ ihm dann Entsprechendes vorhalten (1409 ~ T 50b). In einer Zeit, als sich der Buchmarkt erst entwickelte, aber Buchbesitz nicht selbstverständlich war,7 fiel ein Buchbesitzer auf (vgl. T 49). Die erste Aufführung seiner Dramen hatte Euripides im Jahr 455 v. Chr. (im Alter zwischen 25 und 30 Jahren), als er beim Dichteragon u. a. mit den Peliaden den dritten Platz belegte (T 55), seinen ersten Sieg 441 (T 56), also mit mindestens 40 Jahren. Das erste erhaltene Stück ist die Alkestis aus dem Jahr 438 (zweiter Platz; T 63), das nächste erhaltene und sicher datierte bereits die Medea.8 Sie –––––––––––– 5 6
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Μνῆμα μὲν ῾Ελλὰς ἅπασ᾿ Εὐριπίδου, ὄστεα δ᾿ ἴσχει / γῆ Μακεδών, ᾗπερ δέξατο τέρμα βίου. / πατρὶς δ᾿ Ἑλλάδος Ἑλλάς, Ἀθῆναι· πλεῖστα δὲ Μούσαις / τέρψας ἐκ πολλῶν καὶ τὸν ἔπαινον ἔχει (Τ 232 = Anthologia Graeca 7,45). Vgl. Wildberg 2006, bes. 23–27. – Zum Verhältnis des Euripides zur Philosophie vgl. Kullmann 1986, bes. 45–49 (Euripides bringe philosophische Gedanken zur Sprache, lasse sich aber nicht selbst auf Philosopheme festlegen); Scodel 2020. Beispiele für philosophische Bezüge führt auch Tyrrell (2020, 14–18) auf. Vgl. Dover 1993, 34 f. Es wird allerdings vermutet, dass der erhaltene Hippolytos Stephanephoros vor der Medea entstanden sein könnte. Denn es ist nicht zweifelsfrei zu sichern, mit welchem seiner beiden Hippolytos-Dramen Euripides 428 v. Chr. (DID C 13 TrGF I2) gesiegt hat. Es gibt die These, dass es der nur fragmentarisch überlieferte Hippolytos Kalyptomenos
Euripides: Der Dichter in seiner Zeit
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wurde im Jahr 431 aufgeführt, als Euripides über 50 Jahre alt war.9 Mithin kennen wir das Werk des ‚frühen‘ Euripides nicht zureichend. Als Gesamtzahl seiner Dramen wird die Zahl 92 überliefert, 78 Dramen seien erhalten (sc. in der Bibliothek von Alexandria, 3. Jh. v. Chr.), darunter drei als unecht gekennzeichnete (T 1 IA c. 9). Heute liegen noch 19 Stücke unter seinem Namen vor, 18 Tragödien (darunter der unechte Rhesos) und ein Satyrspiel (Kyklops). Insgesamt soll Euripides 22mal an Agonen teilgenommen und fünfmal gesiegt haben.10 Den fünften Sieg errang er postum mit der Aufführung der drei Tragödien Iphigenie in Aulis, Alkmaion in Korinth und Bakchen durch einen seiner Söhne, der ebenfalls Euripides hieß.11 Mit vier Siegen in 21 Agonen zu Lebzeiten war Euripides bei weitem weniger erfolgreich als Aischylos und Sophokles. Aischylos hat offenbar jedes Mal gesiegt, wenn er an einem Agon teilnahm,12 für Sophokles sind 18 Siege überliefert (DID A 3a,15).13 Dafür übertraf Euripides seine Konkurrenten an Beliebtheit mit der Zahl der seit 387/386 v. Chr. inschriftlich belegten Wiederaufführungen seiner Tragödien,14 und für Aristoteles ist er, trotz einiger Kritikpunkte im Einzelnen, der ‚tragischste‘ Dichter, d. h. derjenige, der Aristoteles’ Vorstellung, dass die Handlung einer Tragödie vom Glück ins Unglück führen soll, am meisten entspricht.15 Anscheinend war Euripides in seiner Zeit dem Geschmack des Publikums oder jedenfalls der Richter, die bei den Theaterwettbewerben die Entscheidung trafen, voraus. Aber bei einem Kenner wie Aristophanes genoss er, wie dessen bereits erwähnte Feststellung nach dem Tod von Sophokles und Euripides zeigt, schon zu Lebzeiten eine hohe Wertschätzung. Aristophanes hatte keine Probleme damit, dieses grundsätzliche Urteil mit der in den Fröschen zutage tretenden Kritik und den zahlreichen Parodien in einigen seiner anderen Komödien (in den Thesmophoriazusen ist Euripides sogar die Hauptfigur) zu vereinbaren.16 ––––––––––––
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gewesen sein könnte und der Hippolytos Stephanephoros früher, d. h. vor 431 v. Chr., aufgeführt wurde. Vgl. Roth 2015, 5–7; 15–18 (mit Überblick zur Rekonstruktion des Kalyptomenos und weiterer Literatur zu dieser chronologischen Frage). Bei der von Aristophanes von Byzanz in seiner Hypothesis (Text: Diggle pp. 205 f.) zum erhaltenen Hippolytos Stephanephoros vertretenen Reihenfolge wäre dieser im J. 428 aufgeführt worden und der Kalyptomenos der frühere. Auch mit der Medea bzw. mit der Tetralogie, zu der dieses Drama gehörte, erreichte Euripides nur den dritten Platz. Vgl. Hypothesis II (Anhang, S. 452 f.); vgl. Müller (2002, 63 f.) zu Vermutungen über die Gründe dieser Platzierung. T 3, c. 5 (Suda ε 3695); T 1 IB, c. 5 (Vita; vgl. T 65a–b). Vgl. im Einzelnen Kannicht 1996 (dazu Scullion 2006, 197 f. Anm. 7 mit leichter Modifikation). Vgl. TrGF I2, DID C 22, p. 49 sowie I2 17, p. 94. Vgl. Müller 1984, 74. Vgl. dazu Müller 1985. Vgl. IG II2 2318 col. VIII 1009–1011 Millis-Olson (S. 15 f.); IG II2 2320 col. II 4, 21, 35 Millis-Olson (S. 65; 66 f.): Stücke von Euripides wurden in drei aufeinanderfolgenden Jahren aufgeführt (342/341, 341/340, 340/339 v. Chr.). Vgl. Finglass 2020, 31 f.; Hose 2020, 20–23. Aristoteles, Poetik c. 13, 1453a22–30; vgl. Lucas 1968, 147 f.; Hose 2023, 288–291. Die schwankende Einschätzung setzt sich in der Geschichte des Euripides-Verständnisses fort; vgl. dazu Büttner 2021; Hose 2021.
Medea als Gestalt des Mythos Medea ist eine Figur der Argonauten-Sage, der sie seit den frühesten Zeugnissen dafür angehört.17 Sie ist die Tochter von Aietes (Hesiod, Theogonie 958–962), Sohn des Sonnengottes Helios (Homer, Odyssee 10,135–139; Hesiod, Theogonie 956 f.); er ist als Herrscher im mythischen Land Aia bezeugt,18 aber bereits ‚Eumelos‘ benennt als Wohnort des Aietes Kolchis,19 das in historischer Zeit an der Ostküste des Schwarzen Meers lokalisiert wird, am Fluss Phasis (heute Rioni);20 in der Medea ist die Titelfigur Kolcherin (v. 132). Homers Odyssee kennt eine Argonauten-Erzählung, wonach Iasons Schiff Argo, das allen am Herzen liege, (auf der Fahrt zurück von Aietes) mit Hilfe der Göttin Hera die ‚Plankten‘ (‚Irrfelsen‘) bewältigte (12,59–72).21 Nach Hesiods Theogonie brachte Iason von der Fahrt zu Aietes, die er im Auftrag des frevlerischen22 Königs Pelias durchführte, die Tochter des Aietes mit nach Iolkos, heiratete sie und hatte mit ihr einen Sohn Medeios (992–1002), nach einer anderen Quelle eine Tochter Eriopis.23 Das Argonauten-Epos, auf das die Odyssee anspielt, ist verloren,24 das des Apollonios Rhodios stammt erst aus dem 3. Jh. v. Chr. Jedoch kann man sich aus anderen Quellen ein Bild davon machen, welche Vorstellungen vor Euripides’ Medea (431 v. Chr.) über die genannten Angaben hinaus vom Zug der Argonauten herrschten, wobei der ausführlichste Bericht in Pindars Pythien 4 vorliegt. Ziel der Argo-Fahrt ist die Gewinnung des aus Gold bestehenden Fells des Widders, auf dem Phrixos, Sohn von Athamas und Nephele, auf der Flucht vor seiner Stiefmutter Ino nach Kolchis geflohen war; nach seiner Ankunft opferte er den Widder und gab das Fell dem Aietes, der es im Hain des Ares aufhängte.25 Dieses Vlies soll Iason für König Pelias holen, der hofft, dass Iason dabei umkomme, denn Pelias war durch Götterspruch gewarnt worden, er werde durch –––––––––––– 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Die Angaben zur Stoffgeschichte werden selektiv auf das für das Verständnis der Medea Notwendige beschränkt. Vgl. ausführlicher Gantz 1993, I 340 ff.; Fowler 2013, 195–234; Martina I 19–71. Vgl. auch Mastronarde, S. 44–57. Vgl. Mimnermos frr. 11; 11a West; Pherekydes, FGrHist / BNJ 3 F 105. Vgl. FGrHist / BNJ2 451 F 2c; fr. 3 PEG = 17 West. Eumelos selbst ist ins 8. Jh. v. Chr. zu datieren (West 2003, 26), die ihm zugeschriebenen Werke sind später, die Korinthiaka gehören ins 6. Jh. v. Chr. (West, ebd. 39 f.). Vgl. auch West 2002, 131. Vgl. Pindar, Pythien 4,211–213; Herodot 1,2,2. Vgl. dazu Page zu Med. 2; Heubeck 1989, 121 sowie EK zu v. 2 (S. 411). So auch Mimnermos fr. 11,3 West. Kinaithon nennt Medeios und Eriopis (fr. 2 PEG = West [Pausanias 2,3,9]). Ebenso die Naupaktika; vgl. frr. 3–9 PEG ~ 3–9 West. Vgl. Hesiod fr. 68 M.-W.; Pindar, Pythien 4,159–162; 231 (goldenes Fell); Ps.Apollodor, Bibliotheke 1,80–83.
Medea als Gestalt des Mythos
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einen Nachkommen des Aiolos sterben, einen Mann mit nur einem Schuh. So erscheint Iason vor ihm, der als Sohn des Aison, eines Halbbruders des Pelias durch die gemeinsame Mutter Tyro,26 die Herrschaft in Iolkos fordert, die seinem Vater zu Unrecht vorenthalten worden sei. Pelias gesteht ihm die Herrschaft zu, wenn er zuvor das Fell des Widders aus Kolchis geholt habe (Pythien 4,70– 168).27 Pindar zählt dann die Helden auf, schildert die Fahrt der Argo28 durch die ‚Symplegaden‘, die Aufgaben, die Iason mit Hilfe Medeas besteht (einschließlich der Tötung der Schlange, die das Fell bewachte), nachdem er sie sich mit Unterstützung der Liebesgöttin Kypris geneigt gemacht hatte, Medea, die ‚der Tod des Pelias‘ genannt wird (Pythien 4,169–250). Pindar äußert sich nicht dazu, was nach der Rückkehr Iasons nach Iolkos im Einzelnen geschah, aber der von Pindar prognostizierte Tod des Pelias durch Medea impliziert, dass Iason sich für etwas an Pelias rächen wollte, sei es, dass er sein Versprechen, die Herrschaft abzugeben, nicht hielt, sei es, dass er es hielt, aber Iason für das, was er erlitten hatte, Vergeltung suchte.29 Nach der späten Quelle Ps.-Apollodor, Bibliotheke 1,143–145, hat Iason seinen Teil der Abmachung eingehalten und das Widderfell übergeben. Wie Pelias darauf reagierte, wird dort nicht ausgeführt; es wird nur gesagt, dass Iason eine Gelegenheit suchte, sich für erlittenes Unrecht zu rächen. Dies geschah dann, indem Medea Pelias’ Töchter zu einer ‚Verjüngungskur‘ ihres Vaters überredete, die zu seinem Tod führte,30 woraufhin Iason und Medea von Pelias’ Sohn Akastos aus Iolkos vertrieben wurden und nach Korinth gingen.31 Damit ist chronologisch der Zeitpunkt erreicht, an dem die Handlung der euripideischen Medea einsetzt; neben der in diesem Drama zu findenden Version sind noch andere über das Wirken und das Schicksal der Medea in Korinth überliefert: Nach einer schon früh bezeugten Version war Medea selbst einmal Königin in Korinth. Denn der Gott Helios habe seinem Sohn Aietes, ihrem Vater, Korinth als Herrschaftsgebiet zugewiesen. Der habe jedoch die Herrschaft einem Bounos überlassen, bis er oder einer seiner Nachkommen wieder zurückkehre, und sei nach Kolchis gegangen. Nach einer Reihe weiterer Herrscher hätten die Korinther schließlich Medea aus Iolkos herbeigerufen, die dann in Korinth
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Vgl. Pindar, Pythien 4,118; 136; Ps.-Apollodor, Bibliotheke 1,90 f.; 96. Eine abweichende Version findet sich bei Pherekydes FGrHist / BNJ 3 F 105. Danach fragt Pelias, vom Orakel gewarnt, Iason, was er täte, wenn ihm prophezeit würde, er werde durch einen der Bürger sterben, und Iason sagt (auf Heras Eingebung hin), er würde ihn aussenden, das Goldene Vlies von Aietes zu holen. Hera wolle damit erreichen, erklärt Pherekydes, dass Medea als ein Übel für Pelias komme. Vgl. zur Argo Komm. zu v. 1. Vgl. Mastronarde zu Med. 9. Dramen, die darüber nähere Auskunft hätten geben können (Sophokles’ Rhizotomoi; Euripides’ Peliades), sind verloren. Zu den Einzelheiten vgl. Komm. zu v. 9. Eine andere Version bieten die Naupaktika (fr. 9 PEG = West), wonach sich Iason nach Pelias’ Tod von Iolkos nach Korkyra begab.
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Einführung
Königin war,32 auch Iason soll durch sie zur Herrschaft gekommen sein.33 Diese Überlieferung ist in sich chronologisch problematisch, weil mehrere Herrscher zwischen Aietes und seiner Tochter Medea eingeschoben sind,34 und steht in völligem Gegensatz zu Euripides’ Version, wonach Medea aus Iolkos fliehen musste, als Exilantin in Korinth lebt und die Position des Königs durch Kreon besetzt ist. Überraschend unterschiedliche Versionen gibt es auch hinsichtlich Zahl und Namen der Kinder von Iason und Medea. Von einem Sohn Medeios und einer Tochter Eriopis wird berichtet.35 In der Medea sind es zwei Söhne, die namenlos bleiben. Das Scholion zu v. 117 kennt als ihre Namen Mermeros und Pheres, die auch in den Naupaktika (fr. 9 PEG = West) für die Söhne Iasons genannt werden (vgl. auch Pausanias 2,3,6). Nach dem Grammatiker Parmeniskos (2./1. Jh. v. Chr.) hatte das Paar sieben Söhne und sieben Töchter,36 während ihm Diodorus Siculus drei Söhne zuschreibt, die Zwillinge Alkimenes und Thessalos und einen viel jüngeren Bruder Tisandros (4,54,1). Man darf aus diesem Befund schließen, dass es zahlreiche Geschichten von Iason und Medea gegeben hat, von denen wir im Einzelnen nichts wissen. Für das Verständnis der Medea von besonderem Interesse sind die unterschiedlichen Angaben, wie die Kinder von Iason und Medea zu Tode kamen. Parmeniskos hat nach dem Scholion zu v. 264 Folgendes ausgeführt: „Da die Korintherinnen nicht von einer Frau, einer Fremden und Zauberin, beherrscht werden wollten, stellten sie ihr nach und töteten ihre Kinder, sieben Söhne und sieben Töchter.37 {Euripides aber sagt, sie habe nur zwei Kinder gehabt.} Die flohen verfolgt zum Heiligtum der Hera Akraia und setzten sich (als Schutzflehende) am Heiligtum nieder. Aber die Korinther hielten sich trotzdem nicht von ihnen fern, sondern schlachteten sie alle auf dem Altar ab. Als daraufhin eine Seuche mit vielen Toten in der Stadt ausbrach, weissagte der Gott, sie sollten die an den Kindern Medeas begangene Befleckung entsühnen. Daher verbringen bis heute jedes Jahr sieben Söhne und sieben Töchter der angesehensten Männer ein Jahr im Bezirk der Göttin und versöhnen mit Opfern den Groll der Ermordeten und den Zorn der Göttin, der derentwegen entstand“ (FGrHist / BNJ2 417 F 3,1 = Scholion zu Med. 264).38 –––––––––––– 32 33 34 35 36 37 38
Vgl. Eumelos FGrHist / BNJ2 451 F 2a–c; frr. 3–5 PEG ~ 17–20 West; Simonides fr. 545 PMG; 269 Poltera; Scholion Eur. Med. 9; 19. Vgl. Huxley 1969, 63–65; Toye 2016, Komm. zu BNJ2 451 F 2a. Vgl. Eumelos FGrHist / BNJ2 451 F 2a; fr. 5 PEG ~ 23 West. Vgl. Huxley 1969, 63–65. Möglicherweise sind unterschiedliche Sukzessionsfolgen vermengt worden. Vgl. auch Toye 2016, Kommentar zu BNJ2 451 F 2a. Vgl. o. S. 6. FGrHist / BNJ2 417 F 3,1 (= Scholion zu Med. 264). Im Scholion ist der Anfang des Parmeniskos-Textes verstümmelt überliefert („initium Parmenisci verborum mutilatum“, Schwartz im Apparat). Der Sinn dürfte der in der Übersetzung ausgedrückte sein. Vgl. dazu den Kommentar von Dowden 2018 sowie Mastronarde, S. 50 f.; zu den mit dem Tod der Kinder verbundenen Kult vgl. Pache 2004, 9–16. – Parmeniskos wird auch folgende Geschichte zugeschrieben (Scholion Med. 9): „Eine aufregende Geschichte der Philosophen wird überliefert, die auch Parmeniskos bekannt macht, dass also Euripides von den Korinthern fünf Talente erhalten und den Mord an den Söhnen auf Medea
Medea als Gestalt des Mythos
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Eine andere Version wird in demselben Scholion für den Lokalhistoriker Kreophylos aufgeführt (FGrHist / BNJ2 417 F 3,2):39 „Didymos widerspricht ihm (sc. Parmeniskos) und stellt die Version des Kreophylos daneben: ‚Denn es heißt, Medea habe bei ihrem Aufenthalt in Korinth den damaligen Herrscher der Stadt mit Gift getötet. Aus Furcht vor seinen Freunden und Verwandten sei sie nach Athen geflohen. Ihre Söhne aber, da sie noch zu jung waren und nicht mitgehen konnten, habe sie am Altar der Hera Akraia sich niedersetzen lassen im Glauben, ihr Vater werde für ihre Rettung sorgen. Aber die Angehörigen Kreons hätten sie getötet und die Geschichte verbreitet, dass Medea nicht nur Kreon, sondern auch die eigenen Kinder tötete.‘ “40 Eine weitere Variante wird Eumelos (FGrHist / BNJ2 451 F 2a; fr. 5 PEG ~ 20 u. 23 West) zugeschrieben. Sie bezieht sich auf die Zeit, in der Medea und Iason in Korinth geherrscht haben sollen: „Iason war König in Korinth durch sie (sc. Medea), und Medea bekam Kinder. Das jeweils geborene brachte sie in das Heiligtum der Hera und verbarg es, sie verbarg die Kinder in dem Glauben, sie würden unsterblich. Schließlich erkannte sie, dass sie sich in ihrer Hoffnung geirrt hatte und sie zugleich von Iason entdeckt wurde. Er verzieh ihr nicht, als sie darum bat, sondern fuhr weg nach Iolkos. Wegen dieser Vorkommnisse sei auch Medea weggegangen, nachdem sie die Herrschaft Sisyphos übergeben hatte.“41 Wie man aus der Reaktion Iasons schließen kann, waren die Kinder beim Aufenthalt im Heiligtum, also durch Medea, wenn auch ohne ihre Absicht, zu Tode gekommen.42 Von diesen Zeugnissen ist nur das Eumelos zugeschriebene älter als die Medea des Euripides. Eumelos, der ins 8. Jh. v. Chr. zu datieren ist,43 bietet einen frühen Beleg für eine Verwendung des Heiligtums der Hera als Begräbnisstätte der Kinder der Medea (vgl. Med. 1378–1381a). Ob Euripides das Werk des Eumelos kannte, wissen wir nicht, aber es mögen in Korinth mündliche Traditionen von einer Begräbnisstätte der Kinder Medeas existiert haben. Im Übrigen gibt es außer der Absichtserklärung Medeas (Med. 1378 f.) kein von Euripides unabhängiges Zeugnis, das von Gräbern der Kinder Medeas im ––––––––––––
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übertragen habe. Denn die Söhne der Medea seien von den Korinthern abgeschlachtet worden, weil sie darüber erzürnt waren, dass sie Königin sein wolle, da Korinth ihr väterliches Erbgut sei. Der übertrug es auf Medea.“ Diese kaum glaubhafte Geschichte passt nicht zu der anderen des Parmeniskos (Scholion Med. 264), weil nach dieser die Korinther weiterhin den Sühneritus ausübten und sich also auch nach der angeblichen Übertragung des Kindermords auf Medea zu ihrer Schuld bekannten. Vgl. außerdem Thompson 1944b, 11; Christmann 1962, 157 Anm. 42. Dowden 2018 hat in seinem Kommentar zu F 2 des Kreophylos zeigen können, dass als terminus post quem für dessen Lebenszeit das Jahr 299 v. Chr. anzusetzen ist. Er lebte also ebenso wie Parmeniskos deutlich später als Euripides. Vgl. auch Ps.-Apollodor, Bibliotheke 1,146. Vgl. zu den Problemen dieses Textes, die hier im Einzelnen nicht behandelt werden können, Toye 2016, Kommentar zu BNJ2 451 F 2a. Ein Musaios weiß von Festen für Hera Akraia, die er offenbar auf eine als unsterblich, d. h. als Göttin, angesehene Medea zurückführt (FGrHist / BNJ2 455 F 2 = Σ Med. 9). Vgl. Toye 2016, Biographical Essay zu Eumelos of Corinth (BNJ2 451): Mitte 8. Jh. Martina I 32 f. mit 33 Anm. 1 plädiert für das 7. Jh. Vgl. aber o. Anm. 19.
Einführung
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Heiligtum der Hera Akraia spricht,44 es sei denn, man versteht das ‚Verbergen‘ der Kinder, wovon bei Eumelos die Rede ist (F 2a), als ‚bestatten‘. Die Version des Parmeniskos ist als ganze völlig verschieden von Euripides’ Medea; wenn es jedoch richtig ist, dass ein Sühnekult noch in der Zeit des Parmeniskos bestand, kann ihn Euripides gekannt und sich davon haben anregen lassen (Med. 1379–1383), obwohl die Nachricht von der Missachtung des Asyls durch die Korinther nicht gerade eine Konzeption nahelegt, bei der es der Figur Medea um die Sicherheit der Gräber geht (1381 f.). Über eine etwaige Bezugnahme kann man daher nur spekulieren. Bleibt die Version des Kreophylos. Sie berührt sich zwar im Punkt des Giftmords an Kreon mit der Medea (wo der Tod Kreons allerdings ein ungeplantes Zufallsergebnis ist), widerspricht aber der Darstellung in diesem Drama,45 lässt sich daher nicht insgesamt daraus ableiten und mag also auf eine voreuripideische Variante zurückgehen. Sollte das der Fall sein, wäre der Gedanke, Medea habe ihre Kinder selbst getötet, jedenfalls als Unterstellung, älter als das Drama des Euripides.46 Beweisen kann man hier nichts. Es ist auch zu bedenken, dass wir nur die Versionen kennen, die überliefert sind, und mögliche weitere, die verlorengingen, nicht. Daher ist es nicht leicht festzustellen, ob das Motiv, dass Medea selbst ihre Kinder tötet, wirklich erst bei Euripides aufkommt (wie man zumeist annimmt) oder nicht. Die Frage ist auch verbunden mit dem Problem der sogenannten Ur-Medea des Euripides und des Verhältnisses der euripideischen Medea zu derjenigen des Neophron.47
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Vgl. Dunn 1994, 108–110. Bei Euripides will Medea die Kinder nicht zurücklassen und schon gar nicht Iason anvertrauen. Der Versuch von Johnston (1997, 44–70), bereits eine mythische Kindsmörderin Medea zu rekonstruieren, erscheint dagegen allzu spekulativ; vgl. March 1999, 362. Vgl. dazu u. S. 38–48.
Die Medea des Euripides Übersicht über den Inhalt Formal lassen sich in der Medea die in griechischen Tragödien üblichen Abschnitte differenzieren, die traditionellerweise nach den von Aristoteles in seiner Poetik (1452 b14–27) für die sogenannten quantitativen Teile der Tragödie eingeführten Bezeichnungen benannt werden: Prologos (Szene bzw. Szenen vor dem Einzug des Chores, also nicht nur eine etwaige Prologrede), Parodos (Einzugslied des Chores), Epeisodion (Schauspielerauftritt zwischen zwei Chorliedern), Stasimon (‚Standlied‘ des Chores zwischen zwei Epeisodien), Exodos (Schlussteil nach dem letzten Lied des Chores). Außer diesen obligatorischen Teilen gibt es in der Medea ein längeres Anapästisches Rezitativ der Chorführerin (1081–1115) zur Szenentrennung. 1–130
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Prologos Die Amme Medeas tritt vor deren Haus und berichtet, wie es dazu kam, dass Iason und die Kolcherin Medea (Tochter des Königs Aietes, Enkelin des Sonnengottes Helios) jetzt in Korinth wohnen, und wie nach anfänglicher Harmonie eine Entzweiung eingetreten sei, weil Iason durch die Heirat mit der Tochter von Korinths König Kreon seinen Medea gegebenen Treueid gebrochen habe. Medea sei verzweifelt; die Amme fürchtet eine unerhörte Tat, sieht auch Medeas Kinder gefährdet (1–48). Der Paidagogos der Kinder kommt mit ihnen zum Haus und eröffnet der Amme im Dialog mit ihr, dass Kreon Medea mit den Kindern aus Korinth verbannen wolle. Die Amme will, dass die Kinder vom Paidagogos unbemerkt von der wütenden Mutter ins Haus gebracht werden (49–95). Aus dem Inneren des Hauses sind Klagen und Verwünschungen Medeas gegen die Kinder und Iason zu hören, die von der Amme kommentiert werden (96–130). Parodos Korinthische Frauen haben die Klagen Medeas gehört und kommen mitfühlend herbei, um von der Amme nähere Auskunft zu erhalten. Es ergibt sich ein Dialog mit der Amme, während dessen weiterhin Schmerzensschreie Medeas zu hören sind, mit denen sie teils sich, teils Iason und seiner neuen Frau den Tod wünscht. Amme und Chor äußern sich dazu; die Amme soll dem Chor Gelegenheit geben, mit Medea zu sprechen. Die Amme holt Medea.
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410–445
446–626
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Erstes Epeisodion Medea spricht in einer langen Rede zu den Frauen von Korinth; sie schildert darin ihre nun eingetretene Lage, die schwierige Situation der Frauen allgemein und insbesondere einer ‚Fremden‘ in einer unvertrauten Umgebung. Sie endet mit einer Bitte an den Chor, sie bei einer möglichen Rache an Iason zu unterstützen (214–266), der der Chor, da er die Rache für berechtigt hält, uneingeschränkt zustimmt und Verschwiegenheit gelobt (267 f.). Da erscheint Kreon, dessen Auftritt der Chor ankündigt (269 f.). Kreon weist Medea und ihre Kinder mit sofortiger Wirkung aus Korinth aus. Medea kann ihn argumentativ nicht überzeugen, die Verbannung zurückzunehmen, und erreicht schließlich durch das Mittel der Hikesie, noch einen Tag bleiben zu dürfen, was Kreon, wohl wissend, dass er einen Fehler macht, zugesteht (271–356). Der Chor beurteilt die Lage Medeas bedauernd als ausweglos (357–363). Dem widerspricht Medea, die noch Möglichkeiten sieht, Iason, der neuen Frau und Kreon große Mühen zu bereiten (364–367). Denn bei ihrer Herrin Hekate kann sie ihre Feinde nicht ungestraft und sich zum Gespött werden lassen (395–406). – Die Verse 368–394, d. h. die Erklärung, die Hikesie sei Täuschung gewesen, die detaillierteren Pläne (Tod von Kreon, seiner Tochter und Iason) und die Überlegungen zum konkreten Vorgehen, sind in ihrer Echtheit ebenso zweifelhaft wie die Schlussverse der Szene (407–409). Erstes Stasimon Der Chor reagiert begeistert auf Medeas Ausführungen. Er sieht eine Umkehrung der Werte zugunsten der Frauen, die jetzt in Ehre und Ruhm stehen, während sich die Männer als eidbrüchig erweisen (410–431). Er äußert Bedauern mit der verratenen, verbannten und einer Zuflucht ermangelnden Medea, die die Herrschaft über ihr Haus einer anderen abtreten muss (432–445). Zweites Epeisodion Iason tritt unangekündigt auf. Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ihm und Medea. Während er ihr vorwirft, die Verbannung durch Äußerungen gegen das Königshaus selbst verschuldet zu haben, und beteuert, dass er trotzdem für sie und seine Kinder in der Verbannung sorgen wolle (446–464), hält sie ihm vor, dass er, obwohl er ihr durch ihre Hilfe in Kolchis (als er das Goldene Vlies nach Iolkos holen sollte) sein Leben verdanke und sie seinetwegen ihre Familie verraten und in Iolkos Pelias getötet habe, den ihr gegebenen Eid gebrochen und sie in eine beschämende Lage gebracht habe (465–519). Nach Zwischenversen der Chorführerin (520 f.) verteidigt sich Iason. Er relativiert Medeas Hilfe, nur die Liebesgöttin Kypris sei seine Retterin gewesen, und Medea habe dadurch, dass er sie nach Griechenland gebracht habe, mehr bekommen als gegeben. Außerdem habe er in seiner Lage als
Die Medea des Euripides
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Flüchtling für alle nichts Besseres tun können als die Königstochter zu heiraten und die bisherigen Kinder mit denen von der neuen Frau zu einer standesgemäßen Familie zu vereinen, damit er glücklich lebe; das würde selbst Medea gutheißen, wenn sie nicht Eifersucht quälte (522–575). Diese Rechtfertigung akzeptiert die Chorführerin nicht, die ihn bezichtigt, durch Verrat an seiner Gattin nicht recht gehandelt zu haben (576–578). Auch Medea selbst lässt sich durch Iasons Rhetorik nicht blenden: Wäre er nicht niederträchtig, hätte er sie überzeugen müssen und die Ehe nicht heimlich eingehen dürfen (579–587). Die Szene endet mit einem dialogischen Schlagabtausch. Dabei beharrt Iason auf seinen ‚vernünftigen‘ familiären Plänen, gibt Medea weiterhin wegen ihrer Flüche gegen das Königshaus die Schuld an ihrer Verbannung, will sie aber dennoch im Exil unterstützen; dagegen glaubt Medea nicht an die Vernunftheirat, unterstellt, er betrachte die Ehe mit einer fremdländischen Frau nicht mehr als standesgemäß, droht, seinem Haus sei sie ein Fluch, und weist jede Unterstützung zurück (588–626). Zweites Stasimon ‚Liebe‘ ist das Thema des ersten Strophenpaars: Der Chor möchte nicht von übermäßigem Liebesverlangen mit seinen negativen Folgen heimgesucht werden, sondern die maßvolle, glückbringende Liebe erleben (627–644). Im zweiten Strophenpaar geht es um Heimat und Verbannung: Die Chorfrauen möchten lieber sterben, als die Heimat zu verlieren, und bedauern entsprechend das Schicksal Medeas, nicht ohne einen Hinweis auf den daran Schuldigen (645–662). Drittes Epeisodion Überraschend erscheint Aigeus, König von Athen, und führt ein Gespräch mit Medea. Er hatte das Orakel in Delphi wegen seiner Kinderlosigkeit befragt, eine ihm unverständliche Auskunft bekommen und ist jetzt auf dem Weg zu Pittheus in Trozen, von dem er eine Deutung erhofft, wozu ihm Medea Glück wünscht (663–688). Der Abschied verzögert sich, als Aigeus bemerkt, dass Medea etwas bedrückt: Sie berichtet vom Unrecht Iasons, was Aigeus ebenso missbilligt wie den Umstand, dass Iason die Verbannung durch Kreon zulässt (689–708). Medea bittet Aigeus für sich um Asyl bei ihm in Athen, unterstützt durch das Versprechen, seine Kinderlosigkeit dort zu beenden. Aigeus willigt ein unter der Bedingung, dass Medea in eigener Verantwortung nach Athen komme (709–730). Sie besteht darauf, dass Aigeus sein Versprechen durch einen Eid bekräftigt. Auch diese Bitte erfüllt Aigeus. Es kommt zur Verabschiedung. Medea kündigt an, dass sie nach Athen nachkommen werde, sobald sie erreicht habe, was sie wolle (731–758). Der Chor wünscht Aigeus gutes Geleit nach Hause und Erfüllung seiner Wünsche (759–763).
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824–865
866–975
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Nachdem Medea eine rettende Zuflucht erhalten hat, glaubt sie jetzt, sich an ihren Feinden rächen zu können, und verkündet dem Chor ihren Racheplan: Sie will in einem Gespräch mit Iason Zustimmung zu dessen Heirat heucheln, bitten, dass die Kinder bleiben dürfen, und sie mit vergifteten Geschenken zu Iasons neuer Frau schicken, die daran elend zugrunde gehen soll (764–789). Unter Wehklagen erklärt Medea, was sie dann tun müsse: Sie wird unwiderruflich ihre Kinder töten, da es unerträglich sei, von den Feinden verlacht zu werden. Iason solle weder seine bisherigen Kinder haben noch nach deren Tod von der neuvermählten Frau weitere bekommen können (790–793; 797–806). Der Chor untersagt ihr diese Taten, sie werde die unglücklichste Frau werden. Doch Medea lässt sich nicht beirren; denn so, sagt sie, werde Iason am härtesten getroffen werden (811–823). – Die vv. 794–796; 798 f. und 807–810 sind vermutlich unecht. Drittes Stasimon Im ersten Strophenpaar preist der Chor das von den Göttern physisch wie kulturell begünstigte Athen (824–834), um zu Beginn des zweiten zu fragen, wie eine solche Stadt eine Kindsmörderin aufnehmen werde. Also fleht er Medea an, die Kinder nicht zu töten, und bezweifelt überdies, dass sie zu der Tat in der Lage sein werde, wenn sie auf die Kinder blicke, die ihr flehend zu Füßen fallen. Viertes Epeisodion Iason ist auf Medeas Wunsch hin gekommen. Sie gibt vor, jetzt Vernunft angenommen zu haben, tadelt ihr früheres Verhalten und behauptet, Iason habe alles richtig gemacht, wobei sie ihn hätte unterstützen sollen. Sie ruft die Kinder aus dem Haus zur Versöhnung mit Iason, doch die Überlegung, wie lange die Kinder noch leben werden, lässt bei ihr Tränen hervorströmen (866–905). Auch die Chorführerin zeigt Rührung (906 f.). Iason äußert Verständnis für die nun vernünftig gewordene Medea; er wiederholt seinen Zukunftsplan für seine jetzigen Kinder, die in Korinth den ersten Rang einnehmen würden, zusammen mit den künftigen. Da bricht Medea erneut in Tränen aus und versucht sie dem irritierten Iason mit der Sorge zu erklären, ob sein Wunsch, die Kinder möchten leben, in Erfüllung gehen werde (908–931). Medea kommt zu ihrem Anliegen: Sie halte es für richtig, in die Verbannung zu gehen, aber Iason solle bei Kreon erreichen, dass die Kinder bleiben dürfen. Als er bedenklich wirkt, rät sie ihm, es über die Königstochter zu tun; dem stimmt er zuversichtlich zu. Medea will ihn mit Geschenken (Diadem und Gewand) unterstützen, setzt sich über seine Einwände hinweg und schickt die Kinder mit den präparierten Geschenken zu Iasons neuer Frau (932–975).
Die Medea des Euripides
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976–1001 Viertes Stasimon Nun hat der Chor keine Hoffnung mehr für das Leben der Kinder; er stellt sich vor, wie Iasons neue Frau Diadem und Gewand anlegen und zugrunde gehen werde (976–989). Im zweiten Strophenpaar sinniert der Chor über Iason, wie er als Folge seiner Ehe mit der Königstochter, ohne es zu merken, seinen Kindern und ihr den Untergang bringen werde. Trotzdem hat der Chor auch Mitgefühl mit dem Schmerz Medeas, die wegen Iasons Unrecht ihre Kinder töten wird (990–1001). 1002–1250 Fünftes Epeisodion Der Paidagogos kommt mit den Kindern aus dem Königspalast zurück und überbringt die vermeintliche Freudennachricht, dass die Kinder bleiben dürfen, worauf Medea mit Klagen reagiert, was er nicht verstehen kann. Beide reden aneinander vorbei (1002–1020). Medea hält eine doppeldeutige Abschiedsrede an die Kinder; sie sollen die endgültige Trennung von der Mutter als durch das Exil bedingt verstehen, während Medea deren Existenz im Hades vor Augen hat (1021–1039). Wahrscheinlich gehen die Kinder nach diesem Abschied ins Haus; vgl. Komm. zu 1019–1020. Die vv. 1040–1080 sind in ihrer Echtheit umstritten und stammen wahrscheinlich nicht von Euripides. Beim Anblick der Kinder wird Medea schwach, will von ihrem Mordplan abrücken und die Kinder mit ins Exil nehmen, wird sich aber sofort wieder ihrer Racheverpflichtung gegenüber ihren Feinden bewusst, schickt die Kinder ins Haus und äußert sich so, als ob sie die Kinder jetzt gleich töten wolle (1040–1055). Es kommt aber zu einem neuerlichen Schwanken. Medea appelliert an ihr zornerfülltes Herz, die Kinder nicht zu töten, sie wolle sie mitnehmen, gleichzeitig geht sie aber davon aus, dass an ihrem Tod kein Weg vorbeiführe, und will sie lieber selbst töten, als sie der Rache ihrer Feinde zu überlassen; schon sei ja die Prinzessin dabei zu sterben. Es folgt noch einmal ein Abschied von den Kindern, den Medea nicht aushält, und sie schickt sie erneut ins Haus, da sie ihrem Leid erliege. Sie wisse, welch schlimme Tat sie begehen werde, aber der Rachezorn sei stärker als ihre ‚Überlegungen‘ (1056–1080). Wenn die vv. 1040–1080 unecht sind, schließt sich an die Abschiedsszene 1021–1039 unmittelbar ein Anapästisches Rezitativ der Chorführerin an, das diese Szene vom Botenbericht (1116 ff.) trennt. Die Sprecherin beansprucht jedenfalls für eine kleine Gruppe der Frauen intellektuelle Fähigkeiten, um die Gültigkeit des folgenden Räsonnements zu rechtfertigen: Menschen, die keine Kinder haben, seien glücklicher als diejenigen mit Kindern, weil sie Sorgen, ob aus den Kindern etwas wird, nicht hätten und vor allem nicht erleben müssten, dass gut geratene Kinder sterben. Wie könn-
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ten Götter den Menschen zu anderem Leid noch dieses hinzufügen (1081–1115)? Medea sieht den lang erwarteten Boten herankommen, sie vermutet eine Unheilsbotschaft (1116–1120). In einem Dialog fordert der Bote Medea zur Flucht auf, weil durch ihr Gift die Königstochter und Kreon gestorben seien. Medea nimmt die Nachricht zum Unverständnis des Boten freudig auf und will genüsslich hören, wie elend sie zu Tode gekommen seien (1122–1135). Der Bote berichtet, wie Iason mit den Kindern zu seiner neuen Frau gegangen sei, und von der Freude der Dienerschaft über den beigelegten Streit. Zwar habe die Königstochter die Augen von den Kindern abgewendet, aber Iason habe sie ermahnt, seine Angehörigen auch für die ihren zu halten, sich bei ihrem Vater für das Verbleiben der Kinder einzusetzen und die Geschenke anzunehmen (1136–1155). Beim Anblick der Geschenke habe sie allem zugestimmt und, als Iason und die Kinder sich entfernt hatten, habe sie sich an dem gleich angelegten Gewand und Kranz gefreut, doch sehr bald habe das Gewand seine schreckliche Wirkung entfaltet; Dienerinnen seien geeilt, um Kreon und Iason herbeizuholen (1156–1180). Die Königstochter habe sich kurz erholt, doch der goldene Kranz habe Feuer ausgesendet; sie sei brennend umhergelaufen, zu Boden gefallen und vom Gift zerfressen gestorben, sodass sie unkenntlich geworden sei (1181–1203). Kreon sei gekommen, habe in Unkenntnis der Wirkung des Gifts klagend seine Tochter umarmt, sich aber nicht mehr von ihr lösen können und sei ebenfalls gestorben (1204– 1221). Der Bote beschließt seinen Bericht mit der Überzeugung, dass Medea ihre Strafe schon selbst erkennen werde, und mit der allgemeinen Sentenz, dass kein Sterblicher ganz glücklich sei (1222–1230). Nach Trennversen der Chorführerin, die Iason von der Gottheit mit Recht bestraft sieht (1231 f.), wendet sich Medea an die Chorfrauen mit der Mitteilung, dass sie jetzt möglichst schnell die Kinder töten und aus dem Land weggehen müsse, um nicht durch Zögern die Kinder anderen auszuliefern. Da deren Tod unvermeidlich sei, wolle sie die Tat selbst vollbringen (1236–1241). Sie endet mit einem Appell an sich, die furchtbare, doch notwendige Tat zu tun, obwohl sie die Kinder liebt und weiß, dass sie unglücklich werden wird (1242–1250). 1251–1292 Fünftes Stasimon Der Chor appelliert an die als Gottheiten aufgefassten Erde und Sonne, die Mordtat an göttlichem Blut (die Kinder sind Urenkel des Gottes Helios) durch die Erinye Medea zu verhindern. Doch es ist ihm klar, dass der Tod der Kinder besiegelt ist, und er beklagt die Vergeblichkeit der Mühen Medeas um die Kinder, zeigt Unverständnis für ihre Mordtaten und erwartet göttliche Vergeltung
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(1251–1270). In die erste Strophe des zweiten Strophenpaars sind Schreie der Furcht von den Kindern aus dem Inneren des Hauses integriert, auf die der Chor dialogisch reagiert, er macht aber nicht seinen Entschluss wahr, ihnen zu Hilfe zu kommen, und stellt entsetzt fest, dass Medea ihre eigenen Kinder töten wird. In der Gegenstrophe sinniert der Chor über das einzige ihm bekannte Beispiel der Ermordung der Kinder durch ihre Mutter, die Wahnsinnstat Inos. Er fragt, ob nach deren Tat nicht auch noch Schlimmeres möglich werden sollte (1271a–1292). 1293–1419 Exodos Iason kommt erregt herbei und spricht zu den Chorfrauen. Er ist überzeugt, dass Medea nicht straflos entkommen werde, und glaubt, seine Kinder retten zu können, bevor ihnen Kreons Verwandte etwas antun. Die Chorführerin belehrt ihn, dass Medea seine Kinder getötet hat, er sie im Haus finden werde, woraufhin er gewaltsam ins Haus eindringen will (1293–1315 {1316}). Plötzlich erscheint Medea mit den Leichen der Kinder auf dem Dach des Hauses in einem von (ihrem Großvater) Helios gesandten Gefährt, das durch die Luft fliegen kann, unerreichbar für Iason (1317–1322). In einer langen Rede beschimpft Iason die Kindsmörderin, bedauert, Medea nach Griechenland mitgenommen zu haben, zählt ihre Taten auf, die er alle als Untaten stilisiert, muss aber am Ende seine völlige Niederlage und die Zerstörung seines Lebensplans eingestehen (1323–1350). Medea antwortet kurz: Sie sieht sich unter Berufung auf Zeus (den Schützer der Eide) in ihrer Vergeltung im Recht und stellt fest, dass sie Iason so getroffen hat, wie es sein sollte (1351– 1360). Es folgt eine dialogische Auseinandersetzung (Stichomythie) mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, die mit Iasons Bitte endet, die Kinder begraben und beweinen zu dürfen (1361–1377). Das lehnt Medea ab. Sie will sie vor Grabschändung sicher im Heiligtum der Hera Akraia bestatten und einen Sühneritus für den gottlosen Mord stiften. Sie selbst gehe nach Athen zu Aigeus, für Iason kündigt sie einen wenig ehrenhaften Tod an, er werde von einem Stück der Argo am Kopf getroffen sterben (1378–1388). Es folgt, diesmal in Anapästen, ein neuerlicher dialogischer Schlagabtausch, in dem sich die Mörderin und der Eidbrecher gegenüberstehen. Medea beansprucht die Liebe zu den Kindern für sich, spricht sie Iason ab, dem sie den Körperkontakt mit ihnen für eine Verabschiedung verweigert (1389–1404). Sie entfernt sich nun in ihrem Gefährt, und Iason klagt hilflos hinter ihr her, hätte er doch niemals die Kinder gezeugt, um sie von Medea vernichtet zu sehen (1405–1414). Die konventionellen Schlussverse des Chores über die Unberechenbarkeit des Geschehens sind wahrscheinlich unecht (1415– 1419).
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Inhaltliche und formale Strukturierung Die Medea weist keine Handlungsstruktur auf, wie sie Aristoteles empfohlen hätte.48 Medea führt ihr Unglück nicht wie z. B. Ödipus unwissentlich durch einen großen Fehler herbei, sondern sie begeht den sogar von ihr selbst als gottlos (1382) eingestuften Mord an den Kindern absichtlich, um der maximalen Effektivität ihrer Rache an Iason willen (817), obwohl sie sich über das Leid, das sie sich damit zufügen wird, im Klaren ist (1247–1250). Für Aristoteles ist ein solcher Handlungsablauf die zweitschlechteste Form der Tragödie; durch den Kontext wird klar, dass die euripideische Medea mitgemeint ist.49 Jedoch liegt damit bei Aristoteles letztlich auch eine moralische Wertung zugrunde, keine nur an der Struktur orientierte.50 Man kann die Tragödienstruktur analog zu Friedrich Schillers Tragik-Konzeption auch anders sehen.51 Medea ist bereit, in freier Entscheidung eine ‚Naturzweckmäßigkeit‘ einer ‚moralischen Zweckmäßigkeit‘ zu opfern, und daher kann das Bühnengeschehen, um mit Schiller zu sprechen, ein ‚Vergnügen an einem tragischen Gegenstand‘ hervorrufen.52 Gewiss hat Schiller mit ‚moralischer Zweckmäßigkeit‘ etwas anderes gemeint als die Tat, die Medea vollbringt. Aber nach den Maximen, denen Medea folgt, ist die auch vom Chor grundsätzlich gebilligte Rache (267) als solche nichts Unmoralisches, sondern etwas, das sie zur Erhaltung ihres Selbst glaubt tun zu müssen (791–793; 797).53 Insofern opfert Medea eine ‚Naturzweckmäßigkeit‘, die bei ihr in der Liebe zu ihren Kindern besteht (1246 f.), der von ihr so gesehenen Verpflichtung zur Rache. Eine (göttliche) Vergeltung für Medeas Tat wird zwar erwartet bzw. erhofft,54 aber sie tritt innerhalb des Dramas nicht ein –––––––––––– 48 49
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Vgl. Poetik c. 13, 1452b28 ff.; 14, 1453b27–31. Vgl. Poetik c. 14, 1453b28 f.; 1454a2; zu letzterer Stelle vgl. Lucas 1968, 154. Wegen des Pathos (zu erschließen e contrario aus 1453b37–39) hält Aristoteles diese Form des Dramas für eine Tragödie, denn Leid (pathos) ist ein vom ihm anerkanntes Element tragischer Dichtung (1452b10–13). Aristoteles bezeichnet das in der Medea vorliegende Handeln (1454a2) implizit als miaron (1453b39), da diese Qualifizierung nicht nur für die nicht ausgeführte Tat, sondern auch für die ausgeführte gilt (Lucas 1968, 154 zu 54a2); miaron ist „‘morally repulsive’ “, wie es Lucas (ebd. 153, zu 53b39) formuliert; anders Hose 2023, 281 f. zu 52b36, der nur eine ästhetische Einstufung erkennt. Je nachdem, wie man ‚Tragik‘ bestimmt oder was man jedenfalls als Elemente von Tragik ansieht, kann man zu unterschiedlichen Einstufungen kommen; vgl. Manuwald / Manuwald 2010–2011. Vgl. Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (Nationalausgabe, Bd. 20, S. 140). Den Feinden Schlimmes anzutun, galt als übliches Verhalten, vor allem, wenn man unprovoziert geschädigt wurde. Vgl. Komm. zu 90–95; zu 165 sowie Dover 1974, 184; Blundell 1989, 26–59; Burnett 1998, xvi. Allerdings geht den Chorfrauen die konkrete Form der Rache zu weit (811–813); sie sehen darin einen Verstoß gegen die unter Menschen gültigen Normen (vgl. Komm. zu 812). – Die von Platon Sokrates in den Mund gelegte Auffassung, Unrecht-Tun sei schlimmer als Unrecht-Erleiden (Gorgias 469b; 473a), kennzeichnet eine revolutionäre Wende in der Ethik, die für die Aufführungszeit der Medea vorauszusetzen unhistorisch wäre. Vom Chor (1268–1270); vom Boten (1222 f.); von Iason (1371; 1389 f.).
Die Medea des Euripides
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und wird auch nicht für später in Aussicht gestellt.55 Die Strafe ist nur immanent als Leid durch den Verlust der Kinder (1246–1250) gegeben.56 Aristoteles äußert noch einen weiteren Kritikpunkt gegenüber der Medea. Er tadelt das unwahrscheinliche Auftreten des Aigeus, da er es nicht durch eine Notwendigkeit begründet sieht (Poetik c. 25, 1461b19–21). Tatsächlich ergibt sich die Aigeus-Szene nicht folgerichtig aus dem vorherigen Handlungsablauf (was sich nicht dadurch rechtfertigen lässt, dass das Schicksal der Medea wahrscheinlich schon vor Euripides’ Drama mit Aigeus und Athen in Verbindung gebracht worden war).57 Zwar gibt es unangekündigte Auftritte mehrfach bei Euripides,58 jedoch sind sie nicht in gleicher Weise zufällig wie der des Aigeus. Dass Medea eine Zuflucht nötig hat (vgl. z. B. 359 f.; 512 f.; 604), mag man als situative Vorbereitung der Szene verstehen;59 sie lässt aber nicht den Auftritt des Aigeus erwarten. Tatsächlich erscheint er wie ein Deus ex machina mitten im Drama,60 der ein Problem Medeas lösen wird. Abgesehen von einer möglichen literarischen Übernahme der Aigeus-Szene61 lässt sich der zweimalige Überraschungseffekt – hier und am Ende des Dramas durch Helios’ Gefährt, das Medea die Flucht ermöglicht – als ein Strukturmerkmal verstehen, das über den dramatischen Effekt hinaus einen tieferen Sinn haben könnte: Sind die Götter „in some sense on Medea’s side“, wie Mastronarde meint?62 Jedenfalls vertraut der Chor darauf, dass Zeus, der Schützer der Eide (169 f.), Medea zu ihrem Recht verhelfen wird. Auch Medea ruft Zeus (332; vgl. auch 1352; 1372) und als Helios-Enkelin (406; 746 f.; 954 f.; 1321 f.) Helios (764) an, der für den Chor zeusentstammtes Licht ist (1258; vgl. Komm. zu 1258), und sie beruft sich für ihre Tat auch auf das Mitwirken der Götter (1013 f.), was nicht nur eine Selbstexkulpierung sein muss. Die Hilfe des Helios wird sowohl bei den Geschenken für die Tochter Kreons (954 f.) als auch am Ende wirksam (1321 f.). –––––––––––– 55
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Wenn Zeus (157; 169 f.; 332; 764 f.; 1352 f.; vgl. auch 1372) und sicher auch Helios (764; 1321 f.) aufseiten Medeas stehen, ist mit göttlicher Vergeltung nicht zu rechnen. Das Handeln griechischer Götter (in der Tragödie) ist nach heutigen Maßstäben nicht durchweg ethisch, wie Mastronarde (S. 34) bemerkt; ders. 2010, 201f. Vgl. auch Garvie 2007, 187: „That the gods did not reward Antigone did not prove that she was wrong; that they do reward Medea does not show that she was right to kill her children.“ Das Verhalten der Götter ist auch nicht nach den Kriterien platonischer Theologie zu bewerten. Götterkritik gibt es aber auch bei Euripides, vgl. z. B. die Bemerkung des Dieners im Hippolytos, Götter sollten weiser sein als Menschen (120); vgl. zum Götterbild bei Euripides Kullmann 1986, 38–45. – Allerdings will Medea für eine Entsühnung der Mordtat sorgen (vgl. 1381b–1383 mit Komm.). Vgl. Zwierlein (1978, 34f.), der die Motivationslage Medeas und ihre damit verbundene Tragik treffend analysiert hat; vgl. auch Alt (1998, 284) zum Schmerz, den sich Medea zufügt. Vgl. dazu Grethlein 2003, 331–334. Vgl. Alk. 476 f.; Hipp. 790 ff.; Hek. 484 f.; 658 ff. (Martina); Herakl. 474 ff. (Tedeschi). Vgl. Taplin 1977, 11 mit Anm. 1; Halleran 1985, 35 f. Vgl. – nach anderen – Grethlein 2003, 336. Vgl. u. S. 44–46. Vgl. Mastronarde (S. 32 f.; 282 f.; 2010, 200 f.) nach Kovacs (1993, 58 f.); Gondicas / Judet de La Combe (2012, XVIII); Martina (I 257); skeptisch Swift (2017, 89 f.).
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Das Drama entwickelt sich neben den Eingangs- und den Schlussteilen in fünf Epeisodien. An zentraler Stelle steht das dritte mit der Aigeus-Szene und Medeas Verkündung ihres Racheplans (663–823).63 Es führt in zweifacher Weise zu einem Umschwung: Aigeus sichert Medea eine sichere Zuflucht zu, ohne etwas von ihrer Rache zu ahnen, und Medea kann jetzt dem Chor einen konkreten Ablaufplan ihrer Rache eröffnen (die Frage, wie es Medea erreichen kann, ungefährdet nach Athen zu kommen, bleibt ausgespart).64 Der Chor, der bisher den Wunsch Medeas, sich an Iason zu rächen, rückhaltlos unterstützt hat (267 f.; 576–578), untersagt nun Medea vehement, ihren Plan auszuführen, die Königstochter zu ermorden und darüber hinaus ihre eigenen Kinder (811–813; vgl. auch 816; 818), eine Haltung, die der Chor auch im Folgenden beibehält (846–865; 1261–1270; 1279–1281), wenn er auch weiterhin ein gewisses Verständnis für Medeas Situation zeigt (996–1001). Allerdings bricht er trotz seiner generellen Missbilligung nicht das Schweigen, das er gelobt hatte (259–263; 267 f.), d. h., er wird Iason nicht vor Medeas Intrige warnen. In der zentralen Aigeus-Szene wird klar, wie wichtig Nachkommen für einen Herrscher sind und wie groß das Problem ist, wenn sie fehlen. Medea dürfte dadurch in ihrem bereits gefassten Beschluss, die Kinder zu töten (vgl. Komm. zu 607–608), bestärkt worden sein. Aigeus’ Auftreten ermöglicht es Medea ferner, mithilfe ihrer überlegenen, auch manipulativen Fähigkeiten, als unverzichtbaren Baustein für ihren Racheplan von ihm die Zusicherung zu erhalten, dass sie in Athen Zuflucht finden kann; das Fehlen einer solchen Zuflucht hatte der Chor kurz vorher noch beklagt (656–658). Aigeus fungiert auch als Gegenbild zu Iason: Während Iason sich den Vorwurf gefallen lassen muss, gegen Hikesie und Eidverpflichtung verstoßen zu haben, verspricht Aigeus Medea Schutz und leistet einen Eid, wobei kein Zweifel besteht, dass er sich daran halten wird.65 In der Forschung zur Aigeus-Szene wird verschiedentlich eine Beziehung zu der späteren Entwicklung des Medea-Stoffes gesehen. Danach heiratet Medea Aigeus in Athen, hat mit ihm einen Sohn Medos, versucht, ihren Stiefsohn Theseus zu vergiften, was Aigeus gerade noch, als er seinen Sohn an einem Merkmal erkennt, verhindert.66 Es ist aber fraglich, inwieweit man diese sagenchronologisch späteren Ereignisse zum Verständnis der Szene heranziehen soll-
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Zur zentralen Funktion dieses Epeisodions vgl. Buttrey 1958, ferner Dunkle 1969; zur Struktur des Dramas allgemein Bretzigheimer 1968; Petrides 2012; eine (im Ergebnis nicht immer überzeugende) kritische Sichtung zahlreicher Beiträge bisheriger Forschung bietet Rizzatti 2016, 11–57, bes. 51–57. Wenn die vv. 368–394 unecht sind, nach denen Medea vorhat, Kreon, seine Tochter und Iason zu töten (375), ändert sie nun ihre Pläne nicht, sondern formuliert jetzt erst (772ff.) einen ihr allgemeines Racheverlangen (259–266; 364–367; 395–406) konkretisierenden, im Detail durchdachten Plan. Zur wahrscheinlichen Unechtheit der vv. 368–394 vgl. EK zu 364–409, S. 414–417. Vgl. auch Grethlein 2003, 338 f. mit Verweis auf frühere Literatur. Zu weiterem innerdramaturgischen Gewinn der Szene vgl. Mastronarde, S. 283. Vgl. Ps.-Apollodor, Bibliotheke 1,147; Plutarch, Theseus 12,3–5; Herodot 7,62,1.
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te.67 Abgesehen davon, dass nicht sicher ist, ob Sophokles’ und Euripides’ Aigeus-Dramen68 vor der Medea anzusetzen sind und wie detailliert also der Wissensstand der Zuschauer aus diesen oder möglicherweise anderen Quellen sein konnte (aber „auch das Bekannte ist nur wenigen bekannt“, Aristoteles, Poetik c. 9, 1451b25 f.), ist es fraglich, ob Euripides die angeführte Mythentradition in der Medea überhaupt im Blick hatte bzw. sogar bewusst davon abwich. Denn in diesem Drama stellt er einen verheirateten Aigeus vor (672 f.), was den Gedanken an eine Ehe mit Medea und in der Folge einen Giftmord an Theseus nicht gerade evoziert. Das mittlere Epeisodion wird gerahmt von den beiden Iason-Szenen im zweiten (446–626) und im vierten (866–975) Epeisodion.69 Sie sind gegenläufig gestaltet. Kommt es in der ersten Iason-Szene zu heftigen gegenseitigen Vorwürfen und zu einer heillosen Entzweiung, wobei Iason seine Zukunftspläne verkündet und Medea ihren Plan fasst, Iason durch den Tod der gemeinsamen Kinder zu bestrafen, führt die zweite Szene zu einer scheinbaren Versöhnung, nachdem Medea vorgibt, ‚vernünftig‘ geworden zu sein. Kann Iason am Ende der ersten Szene meinen, Medea gegenüber überlegen gewesen zu sein, ist er am Ende der zweiten bereits der Unterlegene, ohne es zu ahnen (vgl. 990–995), indem er Medeas Vorhaben, durch die Kinder seiner neuen Frau Geschenke zu schicken – vergiftete, wie er nicht weiß –, nichts mehr entgegensetzen kann; damit ist auch das Schicksal der Kinder besiegelt. Diese Konkretisierung des Rachevorhabens hatte sich schon in der ersten Iason-Szene entwickelt: Während Medea zunächst (513) noch davon ausgeht, mit den Kindern in die Verbannung zu gehen, spricht sie in v. 604 nur noch von sich, bevor sie sich dann in v. 608 als Fluch für Iasons ‚Haus‘ bezeichnet, womit sie die Tötung der Kinder andeutet.70 In der Aigeus-Szene bittet sie entsprechend nur noch um Asyl für sich selbst.71 In mehreren Aspekten aufeinander bezogen sind auch die Anfangs- und die Schlussteile des Dramas, d. h. Prologos (1–130) mit Parodos (131–213) und erstem Epeisodion (214–409) einerseits und fünftes Epeisodion (1002–1250) sowie Exodos (1293–1419) andererseits. Der hasserfüllten Bedrohung und Verfluchung der Kinder durch Medea, die in Prologos und Parodos dramatisch thematisiert sind, entsprechen zwar ihre Tötung und ihre zur Schau gestellten toten –––––––––––– 67 68 69 70 71
Wie Sfyroeras 1994; Grethlein 2003, 348 f.; Mossman, S. 282 f.; vgl. auch Kelly 2020, 72; 81; 83. Es sind jeweils nur einige Fragmente überliefert: TrGF IV2 F 19–*25a; TrGF V T i–*iii, F 1–13. Für Euripides’ Aigeus wird eine Datierung vor der Medea als möglich erachtet; vgl. TrGF V, p. 152. Zum ringkompositorischen Aufbau vgl. auch Kelly 2020, 74 f. Vgl. Komm. zu 607–608; vgl. ferner 625 f. (und Komm. zu 623–626). Vgl. Manuwald 1983, 35–37 (zustimmend Grethlein 2003, 337 Anm. 25; anders Mastronarde, S. 20 f. mit Anm. 36, Roisman 2021, 220 f.); ohne Kenntnis dieses Beitrags und ohne genauere Fixierung im Text vertreten auch Gill (1996, 164; 167 f.) und Kelly (2020, 74 Anm. 25) die These, dass die Motivation zum Kindermord in diesem Agon entstehe. In diesem Sinne bereits Ebener 1961, 221; Christmann 1962, 81 (vgl. Manuwald 1983, 37 Anm. 26).
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Körper im fünften Epeisodion und in der Exodos; jedoch ist die Motivation, die Kinder zu töten, gegenüber dem Beginn des Dramas völlig verändert: Medea tötet sie, um Iason leiden zu lassen, trotz ihrer Liebe zu ihnen.72 Während Medea in Prologos und Parodos unter dem Verrat Iasons leidet, im ersten Epeisodion durch Kreons Verbannungsurteil noch tiefer ins Unglück gestürzt wird, ist sie im fünften Epeisodion und in der Exodos die souverän Handelnde, ist nun nicht mehr sie, sondern Iason völlig gedemütigt. War die Fahrt der Argo der Beginn des Leids für Medea (1), so wird am Ende prophezeit, dass durch dieses Schiff der Tod Iasons verursacht werden wird (1386–1388).73 Anfang und Ende weisen überdies in ihrer formalen Gestaltung bemerkenswerte Eigenheiten auf. Sprecher eines Eingangsmonologs ist sonst, wenn nicht ein Gott, so doch meist eine höhergestellte, weiterhin in die Handlung integrierte Person. Nach der Personenangabe in den Handschriften der Medea ist die Sprecherin eine Amme;74 aus dem Text selbst erfährt man nur, dass sie in Diensten Medeas steht (6 f.), als Sklavin, schon lange (49) und in hohem Alter (133), also sehr gut Medeas Amme sein kann.75 Damit ist zwar die nicht sehr realistische Vorstellung impliziert, Medea habe bei ihrer Flucht aus Kolchis auch Hauspersonal mitnehmen können, aber der Dichter kann durch die Wahl dieser Nebenfigur, die nach Prologos und Parodos aus der Handlung verschwindet (vgl. aber Komm. zu 820), verschiedene Darstellungsakzente setzen: (1) Sie kann als ihre langjährige Vertraute Medeas Schicksal von Anfang an aus eigener Kenntnis schildern; sie tut das, zwar emotional involviert, aus einer Außensicht und kann so auch bereits bestimmte Charakterzüge Medeas verbal vermitteln, einschließlich des Aspekts der Gefährdung der Kinder.76 (2) Indem Medea nicht sogleich selbst auftritt, kann in der anapästischen Szene (96–130) und Teilen der Parodos (144a–147; 160–167) dem Zuschauer die emotionale Grundlage ihres späteren Handelns nahegebracht werden, ohne dass Medea selbst in dieser Verfassung sichtbar wird; vielmehr erscheint sie auf der Bühne (abgesehen von 899–905; 922–925 sowie ggf. von 1040–1080, wenn man diese Verse für echt –––––––––––– 72
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Zwischenzeitlich waren die Kinder als mögliches Element der Rache ganz aus dem Blick geraten (365–367; 395–406); das gilt auch für die vermutlich unechten Verse 368–394. Es trifft daher nicht zu, wenn Conacher (1967, 192) sagt, „that Medea has from the start been determined on this course of action“. Im Hintergrund der Dramenhandlung steht die Argonauten-Unternehmung (vgl. auch 475–487; 526–533), aber es ist zweifelhaft, ob man mit Hopman (2008) Medea als „implied author“ (156) verstehen kann, die in Form einer Palinodie (ebd.) „a revised version of the Argo saga“ als „mythopoiesis“ (179) biete. Tatsächlich ist das ArgonautenAbenteuer abgeschlossen; in Euripides’ Darstellung destruiert Iason sich als ArgonautenHeld selbst, und Medea zieht die Konsequenzen aus Iasons lange nach der Argo-Fahrt begangenem Eidbruch. Vergleichbar ist der Landmann am Anfang der Elektra, der im Folgenden nur noch eine geringe Rolle hat. Vgl. Mossman, S. 212 f. Nach Yoon (2012, 18) gibt es keine definitiven Hinweise, dass es sich um Medeas Amme handelt; das lässt sich in der Tat nicht strikt beweisen, aber die Angaben im Text (bes. v. 133) sprechen dafür, dass es sich jedenfalls um eine schon sehr lange mit Medea vertraute Person handelt, die deren Geschicke von Anfang an kennt. Vgl. Hose 1990, 55.
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hält) gefasst und rational ihren Racheplan verfolgend. Ähnlich ist das Verfahren im Aias des Sophokles, wo Tekmessa das Verhalten des im Inneren weilenden Aias schildert (284–326).77 (3) Mit der Figur der Amme kann anders als durch einen göttlichen Sprecher, der bereits den Handlungsverlauf bis zum Ende kennt, die Atmosphäre einer unbestimmten Furcht, was geschehen könnte, vermittelt werden.78 (4) Zusammen mit dem Paidagogos der Kinder (und weiterem Hauspersonal) trägt die Einführung der Amme zu dem Bild eines Hausstands bei, wie er den athenischen Zuschauern vertraut gewesen sein dürfte und der Medea nicht als Helios-Enkelin (406; 746 f.; 954 f.; 1321 f.), sondern ganz an das Leben einer griechischen Frau in entsprechender sozialer Stellung angepasst erscheinen lässt. Wenn Euripides eine Tragödie mit einem Deus oder einer Dea ex machina beendet, kommt in der Regel, wie der Name schon sagt, ein Gott oder eine Göttin, vom Bühnenkran (der mēchanē) eingeschwenkt, auf das Dach des Bühnenhauses. Auch in der Medea ist ein Gott beteiligt, Medeas Großvater Helios, der ihr überraschend ein Fahrzeug bereitstellt, mit dem sie unerreichbar für ihre Gegner durch die Luft zu ihrem Asyl nach Athen fliehen kann (1321 f.).79 Aber der Gott tritt nicht selbst auf, sondern seine Enkelin erscheint in der Höhe. Die Hauptfigur des Dramas übernimmt dabei punktuell göttliche Funktionen (Stiftung eines Sühnekults, 1381–1383; Prophezeiung der Todesart Iasons, 1386– 1388), bleibt aber im Ganzen die von Iason verratene menschliche Gattin und setzt sich mit ihm nicht anders auseinander als in den früheren Begegnungen,80 avisiert auch für sich selbst ein ‚normales‘ Leben in Athen (1384 f.), tritt also nicht als Kindsmörderin, wie man gemeint hat,81 aus dem menschlichen (oder weiblichen) Dasein heraus.82 Auch ihre psychische Situation hat sich nicht grundlegend geändert. Wenn Iason ihr vorhält „Selbst auch leidest du Schmer–––––––––––– 77 78 79 80
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Vgl. Martina III 45 f. Vgl. Bretzigheimer 1968, 23. Zur Integration des ‚Wunders‘ in die Handlung vgl. Komm. zu 1317–1322. Zu einem Vergleich mit der ersten Iason-Szene s. Bretzigheimer 1968, 227–229. Vgl. auch die These Johnstons (2019), dass der Auftritt Medeas mit der mēchanē früher sei als die gesicherten Deus ex machina-Szenen in der griechischen Tragödie und für die Zuschauer zwar überraschend war, sie die Szene aber nicht mit dem typischen Verhalten eines Deus ex machina vergleichen konnten. Allerdings könnte der uns vorliegende Hippolytos mit seiner Dea ex machina-Szene (1283 ff.) früher sein als die Medea (vgl. o. Anm. 8), und ein Deus ex machina in einem nicht erhaltenen Drama ist nicht auszuschließen. Z. B. Schlesinger 1966, 51; Foley 2001, 267: „Medea’s final transformation into an amoral deity, something beyond the human female or male, expresses not only the death and betrayal of her maternal self but what she has become through her abuse of her masculine ethic“; ähnlich Stróżyński 2013, 74; Johnston 2019, 132: „a pseudo-divine figure“; Nooter möchte gar eine Entwicklung „from failed women to queer witch“ erkennen (2022,100). Vgl. auch Luschnig 2007, 66: „Her position in the theologeion, her command of the supernatural separates her from us. But her words, her feelings, and – as distasteful as it may be for us to admit it – her deeds make her one of us.“ Ebd. 77: „she is still human, still a woman.“ Vgl. auch Allan 2002, 98; Swift 2017, 89. Anders Friedrich 1993, 230 f.; Kelly 2020, 79 f.; Roisman 2021, 228.
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zen und hast Teil am Leid (1361)“, und sie antwortet „Gewiss, aber den Schmerz ist es wert, wenn du mich nicht verlachst“ (1362), so impliziert sie, dass auch für sie der Schmerz weiter besteht.83 Für Medea ist also nach wie vor die menschliche Wertung des Nicht-verlacht-werden-Wollens leitendes Prinzip, und das Leid, das sie dafür durch die Tötung der geliebten Kinder (1397) in Kauf genommen hat, wird durch den Sieg, den sie hier noch uneingeschränkt auslebt,84 nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen, besteht aber weiter, wie ihr schon vor der Tat bewusst war (1249 f.).85 Ihr Dilemma, nur durch schweres eigenes Leid ihrem Racheverlangen genügen zu können, wird am Ende nicht aufgehoben. Durch die besondere Deus ex machina-Konstellation der Medea wird der völlige Sieg Medeas über Iason in unmittelbarer Konfrontation und bühnentechnisch eindrucksvoll abgebildet.86 Die Parodos und die die Epeisodia trennenden Stasima des Chores, der aus Frauen von Korinth besteht, sind in der Medea ganz auf die Handlung bezogen.87 In den Chorliedern und im Anapästischen Rezitativ nimmt der Chor nicht nur zum Handlungsgeschehen Stellung; indem er Medea herausrufen lässt (180 f.), durch sein Schweigegelöbnis (267) und indem er auf die Hilferufe der Kinder aus dem Inneren des Hauses jedenfalls verbal reagiert (1273–1281), ist er auch teils direkt, teils indirekt an der Handlung beteiligt. Zugleich schafft der Chor dadurch, dass es sozusagen ‚normale‘ Frauen sind, die in Korinth wie Medea vor dem Eidbruch Iasons in geordneten Verhältnissen leben, mit seinen grundsätzlichen Äußerungen zur Ehe und zu den Lebensverhältnissen von Frauen einen kommentierenden Hintergrund, der die Situation und die Taten der Figuren Medeas und Iasons einordnet.
Zeichnung der Figuren MEDEA: Sie ist Tochter des Königs Aietes von Kolchis und Enkelin des Gottes Helios; sie hat ihre Familie verraten (31–35; 502 f.), indem sie aus Liebe dem Griechen Iason half, die ihm von Aietes auferlegten Prüfungen zur Gewinnung des Goldenen Vlieses zu bestehen (475–487). Zu seiner Rettung hat sie sogar –––––––––––– 83 84 85 86 87
Vgl. Komm. zu 1361–1362; auch Luschnig 2007, 67. Martina I 241: „Medea parla senza mostrare sofferenza.“ Martina (I 243) ist darüber hinaus mit Bezug auf Aristoteles (Poetik 6, 1449b24–28) der Ansicht, die Medea sei eine „tragedia senza esito catartico“. Vgl. auch Christmann 1962, 122. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn Medea nach vollbrachter Tat geflohen wäre, wie ihr der Bote bereits nach dem Mord an der Königstochter anriet (1122 f.) und wie sie es selbst nach der Tötung der Kinder vorhatte (1237); vgl. Schlesinger 1966, 34–36. Insofern entspricht Euripides hier der Forderung des Aristoteles (Poetik 18, 1456a25– 27), man solle den Chor einbeziehen wie einen Schauspieler und ihn an der Handlung beteiligen. Aristoteles’ generelle Kritik an der Chorbehandlung des Euripides (ebd.) trifft auf die Medea nicht zu. – Zum Handlungsbezug der Chorlieder vgl. auch Hose 1991, 76– 88, bes. 88.
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ihren Bruder getötet (167). Nach ihrer gemeinsamen Flucht lebten die beiden zusammen mit zwei Söhnen als Exilanten in Korinth (7–11), wobei Medea eine Ehe führte, wie sie nach dem Urteil ihrer Amme für eine Frau vorbildlich ist, und sich in die neue Gemeinschaft integrierte (11–15). Zur rächenden Medea, die das Drama beherrscht, wird sie erst durch den Eidbruch und den Verrat Iasons, der sie zugunsten einer Eheschließung mit der korinthischen Königstochter verlassen hat (16–23).88 Ihre eigene adlige Herkunft ist für Medea ein Grund, weswegen sie glaubt, angesichts von Iasons neuer Ehe nicht zum Gespött werden zu dürfen (404–406); von Helios hat sie außerdem die für ihre Intrige notwendigen Kostbarkeiten erhalten (954 f.), und er ermöglicht schließlich ihre ungefährdete Flucht aus Korinth (1321 f.). Die edle Abstammung trägt erkennbar zu Medeas Selbstwertgefühl (1028) bei, wenn das in ihrem bisherigen Leben in Korinth als Ehefrau Iasons auch nicht bestimmend gewesen ist (11–13). Das gilt auch für ihre von ihr selbst genannte enge Beziehung zu der geheimnisvollen Göttin Hekate (395–397); denn die bekannten Zauberkräfte Medeas treten ganz in den Hintergrund (vielleicht spielt Kreon darauf an; 285). Bei der Erwähnung der von Medea veranlassten Tötung des Pelias in Iolkos, der Iason nach Kolchis gesandt hatte (9 f.; 486 f.), erfährt man diesbezügliche Einzelheiten nicht, und das Gift, das der Königstochter (und Kreon) den Tod bringen wird, ist einfach da, als es gebraucht wird (947–958). Nur gegenüber Aigeus gibt Medea zu erkennen, dass sie über pharmaka verfügt, die seiner Kinderlosigkeit abhelfen könnten (717 f.).89 Dass Medea aus Kolchis kommt, weiß der Chor (132), ihre Heimatlosigkeit wird akzentuiert,90 aber die Chorfrauen sind ihr empathisch zugetan und behandeln sie nicht wie eine Fremde (vgl. z. B. die Parodos), obwohl sie wissen, dass Medea nach eigener Aussage Vater und Heimat schändlich verlassen und ihren Bruder getötet hat (166 f.); ebenso bemüht sich auch Medea, sie für sich zu gewinnen, mit ihnen als eine Frau wie sie zu verkehren (214 ff.), wenn auch letztlich mit der Absicht, von ihnen eine (passive) Unterstützung für eine mögliche Rache an Iason zu erhalten.91 Ihre ‚barbarische‘ Herkunft betont in durchsichtigem Interesse nur Iason (536 f.; 1330; 1339 f.) –––––––––––– 88
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Dass Iason einen Eid gebrochen hat, steht außer Zweifel (21 f.; 160–163; 488–498; 1392). Dabei handelt es sich nicht um eine Unterstellung Medeas, wie Allan (2007) meint, die eine Eidesleistung Iasons bezweifelt; das Faktische ergibt sich auch daraus, dass Iason die Anschuldigung nicht zurückweist – weil er es eben nicht kann (vgl. zu 555–558 u. 1393); vgl. auch Torrance 2014, 133 Anm. 7. Gegen die Auffassung von Medea als Zauberin oder Hexe vgl. Knox 1977, 211–216; Most 2011, 41–43 (vgl. aber Komm. zu 789). Vgl. 32–35; 166; 222 (xenos); 238–240; 252–258; 432–438; 442; vgl. auch 645–653. Das Fremdheitsmotiv hebt Roisman (2021, ch. 9) m. E. zu stark heraus. – Zum grundsätzlichen Verhältnis ‚Griechen – Nicht-Griechen‘ vgl. Allan 2002, 67–69 (mit weiterer Literatur). Vgl. die Kommentarbemerkungen zu 214–266; Most 2011, 38. Zur Konzeption von Medea als ‚normaler‘ Frau vgl. Rohdich 1968, 46–55; vgl. auch u. S. 27 zu Medea als Mutter. Allerdings bezieht sich diese ‚Normalität‘ im Wesentlichen auf die Lebensgestaltung, nicht auf das Medea eigene Wertesystem, etwa ihren Heroismus; vgl. dazu u. Anm. 101.
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bzw. Medea unterstellt ihm, sie als Barbarin abzuwerten (591 f.).92 Tatsächlich ist sie aber, unabhängig von Stand und Herkunft, eine von ihrem bisherigen Ehemann verratene Frau, eine Demütigung, wie sie auch einer Griechin geschehen kann, nur dass sich – im Unterschied zu den begeisterten Chorfrauen (410– 431) – die athenischen Männer im Theater vermutlich kaum haben vorstellen können, dass auch eine ihrer Frauen gegen eine erlittene Kränkung so aufbegehren würde, wie sie es bei Medea erleben.93 Sie dürfte sich von einer griechischen ‚Hausfrau‘ der Gegenwart der Zuschauer schon durch ihre edle Herkunft unterscheiden, aber auch durch ihre Selbstständigkeit und dadurch, dass sie in der Öffentlichkeit auftritt und mit Männern von gleich zu gleich diskutiert.94 Die für Medeas Charakterisierung aufschlussreichen Worte der Amme und die Choräußerungen in der Parodos bringen nicht nur die tiefe Verletztheit Medeas zutage, sondern auch, dass sich infolge dieser Situation ihre Stimmung als gefährlich für ihre Kinder wie für ihre Gegner entwickeln wird, also von einer Art ist, dass mit heftiger Gegenwehr gegen den Verrat Iasons zu rechnen ist.95 Auch der Chor erkennt Medeas Zorn und ihre leidenschaftliche Gemütsverfassung (176 f.). Medea selbst sieht es so, dass es, sooft eine Frau in ihrem Liebesleben verletzt sei, kein anderes Gemüt gebe, das mehr zum Morden neige –––––––––––– 92
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Die Ansicht Pages (xviii–xx) ist daher unbegründet, Euripides habe Medea nicht als Griechin, sondern als Barbarin dargestellt und die unmenschliche Grausamkeit der Kindsmörderin sei (für die Griechen) eine typisch ausländische Eigenschaft. Vgl. auch Friedrich 1993, 222: „In short, Medea is thoroughly Hellenized by being heroized.“ – Zu Medea als ähnlich den Athenerinnen vgl. Rehm 2002, 261 (in Absetzung von anderen Auffassungen, 392 Anm. 109); Most 2011, 38–41; vgl. auch Swift 2017, 80–82. – Diese Überlegungen wären hinfällig, wenn Euripides bei der Erstaufführung Medea mit einem exotischen Gewand, das sich von den üblichen griechischen Theatergewändern unterschieden hätte, ausgestattet und somit die Fremdartigkeit optisch betont hätte. Aber das ist vom gesamten Textbefund her unwahrscheinlich (vgl. Allan 2002, 123 Anm. 37; Mossman zu 214–5). Ein etwaiger Kostümwechsel in der Schluss-Szene (SourvinouInwood 1997, 289–292) lässt sich kaum mit der Darstellung Medeas auf süditalienischen Vasen im Helios-Gefährt ab ca. 400 v. Chr. in orientalischer Aufmachung begründen (S. 269 ff.), da damit für die Uraufführung nichts bewiesen wird. Diese Ungewöhnlichkeit („inversion of gender roles“) wird betont von McHardy (2008, 61–64; Zitat: 62), doch ist zu bedenken, dass sich Iason nicht einer ‚üblichen‘ ehelichen Untreue schuldig machte, sondern gegenüber der mit ihm gleichrangigen Medea eidbrüchig geworden ist und so ihre gesamte Lebensperspektive, die sie nach den Hilfeleistungen für ihn erwarten konnte, zerstört hat. Vgl. Mastronarde 2010, 252; zu einem instruktiven Überblick über die Frau in der Tragödie und der athenischen Gesellschaft vgl. Allan 2002, 45–50. – Wenn man Medea als ‚polysemous‘ (Luschnig 2007, 1 ff.) oder ‚Many-Sided‘ (Kelly 2020, 76 ff.; ähnlich Roisman 2021, 213) einstuft bzw. die Kategorien ‚normal woman‘, ‚good woman‘ und ‚bad woman‘ anwendet (Sourvinou-Inwood 1997, 254) oder gar die Ansicht vertritt, „as a character she [sc. Medea] loses her identity in the variety of roles she plays“ (Zerba 2002), ist auf die Gewichtung zu achten, mit der Euripides die einzelnen Züge hervortreten lässt. Vgl. 24–45; 96b f.; 106–110; 112–114; 119–121; 160–165; vgl. zu Medeas ‚Zornhaftigkeit‘ Bretzigheimer 1968, 251. Vgl. zur Charakterisierung Medeas auch Boedeker 1997, die sich allerdings u. a. (129–133) auf beschreibende Metaphern stützt (z. B. v. 28), ohne zu diskutieren, was sich auf ein temporäres Verhalten und was sich auf einen Charakterzug bezieht.
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(265 f.; vgl. auch 1368).96 Sie begegnet somit als eine Frau, die aufgrund ihrer Kränkung zutiefst aufgewühlt ist und der man eine fürchterliche Vergeltung zutrauen kann. Entsprechend genießt sie ihre Rache am Königshaus (1127 f.; 1134 f.). Aber ihre Emotionen sind nicht auf diese Sphäre beschränkt. Dass sie voller Liebe an den Kindern hängt, geht nicht nur aus der zweiten Begegnung mit Iason hervor, bei der Medea zweimal wegen der Kinder unfreiwillig in Tränen ausbricht und es nur mit Mühe vermeiden kann, dadurch ihre Intrige zu verraten (899–905; 922–931), sondern auch aus dem Dialog mit dem Paidagogos der Kinder, wo sie ein weiteres Mal die Tränen nicht zurückhalten kann (1002–1020), sowie aus ihrer Abschiedsrede an die Kinder (1021–1039) und – paradoxerweise – daraus, wie sie sich zureden muss, die Kinder jetzt zu töten (1242–1250).97 Der zu Beginn des Dramas von anderen Figuren festgestellte und auch von ihr selbst geäußerte Hass auf die Kinder (36; 113 f.) bleibt nicht bestimmend. Allerdings wird die Liebe zu den Kindern für die Zuschauer erst deutlich, als sich Medea bereits zum Kindermord entschlossen hat, d. h., als es in der dramatischen Entwicklung der Handlung zur Eröffnung des von Medea konzipierten Racheplans kommt. Als Medea nach den spontanen Aufwallungen in Prologos und Parodos ihre Vorstellungen von Rache gegenüber dem Chor äußert (260 f.; 365–367; 395–406), erwähnt sie die Kinder bezeichnenderweise nicht. Nachdem Euripides Medea in den ersten Szenen als ganz von ihren Emotionen bestimmt präsentiert hat, lässt er sie überraschend dem Chor gegenüber völlig beherrscht auftreten. Durch diese Szene wird erstmals ihre Fähigkeit erkennbar, sich durch ein vernünftiges Kalkül lenken zu lassen und sich nicht spontaner Emotionalität hinzugeben, wie es die Amme befürchtete (z. B. 92– 95);98 denn wenn sie für den Vollzug ihrer Rache den Chor zum Schweigen verpflichtet, bereitet sie bereits einen Racheplan vor, auch wenn er offenbar erst später eine konkrete Form annimmt. Die Antriebsfeder für ein geplantes Rachevorhaben ist offensichtlich, dass sie es nicht ertragen könnte, wenn die Feinde (triumphierend) über sie lachten (404; 797; 1355; 1362); sie folgt dabei ausdrücklich einer sozial-ethischen Norm, die mit ihrer adligen Herkunft (119; 406) und gewiss auch mit ihrem ausgeprägten Selbstwertgefühl (1028) zusammenhängt, das die Ehrkränkung nicht verwinden kann (20; 33; 696; 1354). Die Rache muss daher so geplant sein, dass sie auch wirklich das durch diese Norm –––––––––––– 96
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Sanders 2013 erkennt im Verhalten Medeas neben anderen Motiven (42) der Sache nach Eifersucht, wobei ihm die vv. 265 f. u. 1368 besonders wichtig sind (48 f.), allerdings gibt es in der Medea keinen spezifischen Ausdruck für diese Emotion; Sissa 2016, bes. 210– 214, deutet Medeas Zorn als Eifersucht (vgl. auch Cairns 2021, 25; 2022, 30 f.). Es ist zwar nicht unplausibel, auch Eifersucht als ein Motiv von Medeas Handeln anzunehmen, aber der Hauptgrund ihrer Kränkung liegt im Eidbruch Iasons; vgl. Komm. zu 263b–266. Zur Diskussion, ob und inwiefern es möglich ist, Erscheinungsformen von Emotionen aus fremden und / oder zeitlich zurückliegenden kulturellen Kontexten zu verstehen, vgl. Cairns 2022. Vgl. Ebener 1961, 217.
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bestimmte Ziel bewirken kann.99 Das wird Medea erreichen, indem sie den Entzug ihrer eigenen Lebensgrundlage durch Iason, für den sie ihre frühere Existenz aufgegeben hatte, mit der Zerstörung der seinigen vergilt, d. h. mit dem Mord an ihren Kindern als der effektivsten Form der Rache an ihm (817),100 eine Grenzüberschreitung, bei der sie sich durch den Einspruch des Chores nicht beirren lässt (811–819). Die Maxime, sich von den Feinden nicht verlachen zu lassen, die man besonders eindrücklich aus Sophokles’ Aias kennt, ist jedenfalls bei Euripides nicht auf Männer beschränkt (vgl. Megara, HF 284–286), vielmehr übergreifend heroisch.101 Indem sich Medea danach richtet, ergibt sich das Dilemma bzw. der tragische Konflikt, dass sie diese Form der Rache nur durchführen kann, wenn sie die starke Emotion der Mutterliebe niederzwingt. Die Motivation Medeas zu dem für sie bitteren Entschluss der von ihr geplanten Rache wird in der Forschung unterschiedlich eingeschätzt. So sieht z. B. Martina bei Medea einen Antagonismus zwischen Emotion und Vernunft (2018).102 Mossman erkennt einen Widerstreit der beiden Emotionen Racheverlangen und Mutterliebe (2011).103 Für Foley (2001) liegt ein Gegeneinander –––––––––––– 99
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Sie ist daher nicht unmittelbar affektgelenkt wie etwa Medeas Ausbrüche in Prologos und Parodos; anders Rohdich 1968, 62 f.; Friedrich 1993, 232; Schmitt 1994, 591 ff.; Stöppelkamp 2011, 145; 189. Der Tod der Kinder kann gleichzeitig als gerechte Strafe für den Eidbrecher angesehen werden (vgl. Komm. zu 755). – Schmidt stuft die Handlungsmaxime als „Ohnmacht der Vernunft“ ein, was für ihn bedeutet, dass Medea unfähig sei aufzuweisen, dass es für sie besser wäre, mit den Kindern im Exil zu leben als vollkommene Rache an Iason zu nehmen (1999, 268 f.). Es ist aber zu fragen, ob das, was ein Außenstehender als ‚vernünftig‘ ansehen mag (was in diesem Fall mit ‚vorteilhafter‘ gleichzusetzen ist), dasselbe ist, was Medea in ihrer Situation ‚vernünftig‘ (für sie ehrenhafter) erscheint. Das Kalkül des Racheplans schließt die Option, mit den Kindern ins Exil zu gehen, aus (vgl. EK zu 1040– 1055, S. 421–423). Vgl. Komm. zu 404; Alt 1998, 284; Mossman, S. 31–39; Cairns 2021, 13 f. Anders Harder (1993, 387 f.; 413), die eine rein männliche Ethik erkennt; ähnlich Most 2011, 36; Roisman 2021, 218f. Von „combination of feminine and heroic self-presentation“ spricht McClure (1999, 382). In der Diskussion über die Einschätzung der Ethik Medeas spielen auch Textpassagen eine Rolle, deren Echtheit nicht gesichert ist (etwa vv. 376–394), was jedoch in diesem Kontext in der Regel nicht diskutiert wird. Zu den Beziehungen zwischen den Tragödien Medea und Aias und zu Medea als „Sophoclean hero“ vgl. Knox 1977, 196–199; Bongie 1977. Vgl. allerdings Foley (2001, 267): Medea „destroys the heroic integrity of her ethic“, indem sie nicht (wie z. B. Aias) für ihre Rache mit dem Tod bezahle; vgl. auch Zerba 2002, 320. – Medeas heroische Haltung wird kaum als frauentypisch angesehen worden sein, insofern ist anzunehmen, dass Medea als „Ausnahmefrau“ (Friedrich 1960, 235) konzipiert wurde. Auch nach Seidensticker geht es in der Medea um „passion and reason“ (1990, 97). – Martina I 205: „La lotta tra θυμός e βουλεύματα, che se riconducono alla sfera dell’irrazionale e del razionale costituisce la materia e l’anima di tutta la tragedia.“ Dabei dient der sehr wahrscheinlich unechte Vers 1079 als Hauptbeleg (vgl. auch I 210; 222; 225; 236 oben) – anders I 214 unten zu den vv. 1019–1080 („violenta lotta tra l’amore materno e la ferma volontà di vendicarsi come moglie tradita uccidendo i figli avuti dal marito traditore“). Mossman, S. 46; vgl. auch Kametkar 2019, 116 f.; Cairns 2021, 22.
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zweier Ichs vor,104 das eine weiblich, das andere männlich.105 Das Spezifische der euripideischen Konzeption ist aber, dass, wie immer man auch das Verhältnis der seelischen Kräfte analysieren will, Medeas emotional ausgelöstes Racheverlangen zu ihrer Selbstbehauptung (404–406; 1028) rational aufgefangen und planmäßig ausgeführt wird. Das zeigt sich besonders, wenn Medea ihre ursprünglichen Zornesregungen bei der zweiten Begegnung mit Iason (866 ff.) vollkommen unter Kontrolle halten kann. Zwar macht sich die Mutterliebe kurzzeitig ‚störend‘ bemerkbar (899–905; 922–931), aber auch die dabei auftretenden emotionalen Äußerungen kann Medea schnell wieder beherrschen und in ihre Racheplanung einbinden. Zu ihrer ‚Klugheit‘ bekennt sich Medea selbst gegenüber Kreon (303), zwar ‚bescheiden‘ einschränkend (305) und – dem Kontext entsprechend – eher klagend als Grund für ihre Zurückweisung durch andere, aber ihre intellektuelle Überlegenheit und Selbstkontrolle werden nicht nur bei ihrem ersten Auftritt deutlich, als sie nach dem emotionalen Ausbrüchen während ihres Alleinseins den Chorfrauen ruhig gegenübertritt und sie argumentativ auf ihre Seite bringt (214–266), sondern ebenso gelingt es ihr auch mit klarer Konzeption, Kreon zu übertölpeln (292–353), Aigeus zu überreden, ihr Asyl zu gewähren (709–755), Iason zu täuschen (866–975)106 und ihren berechnenden Racheplan (772–819; vgl. auch schon 402) durchzuführen. Dass Frauen überhaupt zu geistigen Tätigkeiten in der Lage sind, beansprucht auch die Chorführerin (1081 ff.), sodass Medeas Rationalität zwar zu einer schrecklichen Konsequenz führt, aber als solche nicht als frauenuntypisch erscheint. Kann man also mit Allan (2002, 65) uneingeschränkt sagen „Amid the variety of possible responses to Medea’s actions, the sympathy created for her will have encouraged at least some spectators (both male and female) to reassess their preconceived notions of female autonomy and authority. The play thus stands as one of the most radical and powerful challenges to the dominant conceptions of gender in fifth-century Athens (and beyond)“? Als Herausforderung, sich der Genderproblematik zu stellen, wird man Medeas Position und die begleitenden Kommentare des Chores (s. u. zum Chor) verstehen können, aber es ist zu bedenken, dass der im ersten Stasimon jubilierende Chor erkennen muss, zu welcher von ihm strikt abgelehnten Gräueltat die zunächst so bewunderte Emanzipation in diesem konkreten Fall führt; in entsprechender Weise könnte sich auch die Zuschauerreaktion entwickelt haben. Was allerdings trotzdem bleibt, ist der grundsätzliche Anspruch der Frauen auf höhere Wertschätzung und intellektuelle Potenz. Ob die vorwiegend männlichen Zuschauer der ––––––––––––
104 Foley 2001, bes. 262. 105 Für eine psychoanalytische Beschreibung des Konflikts vgl. Stróżyński 2013: „… the necessity to kill the children can be understood as a way to avoid dependence along the painful conflict involved in it by restoring a defensive image of the omnipotent, destructive self, that is represented in the final image of Medea on the dragon-chariot“ (Zitat S. 39). 106 Zu dem u. a. in diesen Auseinandersetzungen zutage tretenden sprachlichen Verhalten Medeas (insbesondere ‚verbal autonomy vs. verbal self-restraint‘) vgl. Levett 2010.
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ersten Aufführung die Problematik so differenziert gesehen haben werden, darüber kann man nur spekulieren. IASON: Ein größerer Gegensatz als zwischen der einem traditionellen Heroentum verpflichteten Medea und dem ganz von Nützlichkeitsdenken beherrschten ‚Helden‘ Iason107 ist kaum denkbar. Von Anfang an wird er in einer negativen Sicht präsentiert, als eidbrüchiger Verräter an seiner Gattin, dem auch Vaterliebe fremd sei,108 allerdings von parteiischer Seite festgestellt (Amme; Paidagogos, Medea), jedoch stimmt auch der Chor zu (267 f.), sagt Iason seine Unrechtstat sogar ins Gesicht (576–578) und ist auch Aigeus über Iasons Verhalten befremdet (707), sodass die Zuschauer motiviert werden, diese Einschätzung zu übernehmen. Iason selbst agiert nicht so, dass das von ihm gezeichnete Bild revidiert würde: Er versteht nicht, wie sehr er Medea gekränkt und ihr die Lebensgrundlage entzogen hat nach allem, was sie für ihn aufgegeben und getan hat,109 sondern zeigt sich gegenüber ihrer Hilfe undankbar, relativiert sie (526–541) und wirft ihr eine frauentypische Überreaktion vor (569–573), ein Vorwurf, an dem er sogar bis zuletzt festhält (1369).110 Ehrkränkung kennt er nicht (451 f.), durch Beschimpfungen Medeas lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen, Medeas Hass führe bei ihm nicht zu Übelwollen ihr gegenüber, behauptet er (463 f.). Vielmehr sieht er sich als klug, beherrscht, wohlberaten und im Interesse seiner Familie handelnd an (548–550; 567b). Dieser Selbsteinschätzung entspricht der Plan, den er entworfen und teilweise schon verwirklicht hat: Er kennzeichnet ihn als kühlen Rechner, der nicht ausschließlich, aber doch vor allem auf seine eigene Karriere setzt. So hält er es für einen Glücksgewinn, als Exilant die Hand der Königstochter zu erhalten, und so die materiellen Probleme für alle zu lösen und mit den vorhandenen Söhnen und den von der neuen Frau zu erwartenden eine Dynastie zu gründen; allerdings verengt sich seine Argumentation am Schluss bezeichnenderweise auf ein rein ichbezogenes Denken (551–567; vgl. auch 595–597). Charakterisiert Euripides Iason als einen Phantasten, der nicht bedenkt, dass seinem schon vor der gegen Medea und ihre Kinder verfügten Verbannung gefassten Plan eben durch die Exilierung zumindest teilweise die Grundlage entzogen ist?111 Iason versteht das offenbar nicht so, denn einerseits schreibt er sich die Schuld an Kreons Verbannungsbefehl nicht zu (448–458; 605; vgl. auch 708), andererseits will er für Medea und die Kinder auch sorgen, ––––––––––––
107 Vgl. zu diesem zeitbezogenen Denken bes. Rohdich 1968, 56–59. 108 Vgl. 17; 21 f.; 26; 74–77; 84–86; 160–165: 1397b; 1401–1402a; zur mangelnden Vaterliebe Iasons vgl. Beck 1998, 7; Manuwald 2005, 523. Es ist schwer nachvollziehbar, wenn Roisman (2021, 224) meint, dass Medea Iason an seinem schwächsten Punkt treffen wolle, der Liebe zu seinen Söhnen. – Zur Figurenzeichnung Iasons vgl. u. a. auch Blaiklock 1952, 21–35 („The hero that was“); v. Fritz 1959, 48–58 (der gegen eine allzu negative Einschätzung Iasons argumentiert); Schlesinger 1966, 44 f.; Burnett 1973, 15– 17; Mastronarde 2010, 297 f.; Kelly 2020, 81 f. (weitere Literatur zu Iason bei Martina III 176). 109 Vgl. 166 f.; 225–229; 255–258; 476–487; 506–515. 110 Vgl. auch 600–602; 610–615; 619–622, 111 Lesky 1972, 307: „sinnlose[n] Utopie des Vaters“. Vgl. auch Allan 2002, 59 f.
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wenn sie im Exil leben (459–464; 620). Daher erkennt er, wie es scheint, keinen Grund, seine Pläne der neuen Realität anzupassen. Es ist ihm mit seinem Vorhaben ernst, und er hat erst recht ein Motiv, daran festzuhalten (914–921), als er (fälschlich) glauben muss, auch Medea billige seine Pläne (884–886; 911– 913). Die neue Frau und die Macht auf Dauer sichernden Kinder sind Bausteine in seinem Lebensplan (wie auch schon die Verbindung mit Medea seinem Vorteil diente),112 eine emotionale Involviertheit ist neben dem rationalen Kalkül nicht erkennbar; man glaubt ihm gern, dass die neue Ehe keine erotischen Gründe hatte (549; 593 f.),113 wenn Medea das auch anders sieht (623 f.). Emotionen zeigen sich bei ihm erst, als er besiegt ist, im nunmehr offen gezeigten Hass auf Medea (1323 ff.) und in dem allerdings erst nach deren Tod zutage tretenden affektiven Verhältnis zu den Kindern (1377; 1397a; 1399 f.; 1402b f.), was beim Publikum Empathie erregen kann. Im Ganzen ist es aber ein Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg, das den vom ehemaligen Argonauten-Helden zum Opportunisten Mutierten vor seiner Niederlage bewegte, und so kann ihn Medea mit ihrem Racheplan genau in der Eigenschaft treffen, die den Kern seines Wesens ausmacht, und den darauf beruhenden Lebensplan vernichten.114 CHOR: Der Chor besteht aus 15 korinthischen Frauen, die nach den Gegebenheiten des Stücks aus der Nachbarschaft Medeas spontan herbeikommen, weil sie deren Klagen gehört haben und sich offenbar schon länger um die mit ihnen freundschaftlich Verbundene sorgen (131–138).115 Sie bleiben bis zum Ende des Stücks präsent. Die Frauen haben gewissermaßen die Rolle einer Vertrauensperson, der Medea (nicht immer uneigennützig, vgl. 214 ff.) ihre Überlegungen und Pläne anvertraut116 und die sie zur Verschwiegenheit verpflichten kann. Dass sie Korintherinnen sind, kommt nur einmal zur Sprache (214), sonst sind sie ‚Frauen‘ oder ‚Freundinnen‘ (philai),117 und sie selbst betonen ihre Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht (417–431), d. h., sie fungieren allenfalls am Rande als Vertreterinnen der Polis. Der Chor hält die Rache an Iason für berechtigt (267), den er nicht als einen Angehörigen des eigenen Königshauses, sondern als Verräter an seiner Gattin betrachtet (578); der Chor wird dadurch aber nicht zum bloßen Komplizen, sondern hat ein klares moralisches Urteil und verurteilt die an Kreons Tochter und an den Kindern geplante –––––––––––– 112 Vgl. zu diesem Parallelismus auch Schein 1990, 64. 113 Vgl. Bretzigheimer 1968, 261. 114 Vgl. 803–806 mit 1347–1350. Beck (1998) meinte, die Medea sei im Unterschied zu späteren Behandlungen des Sujets, in denen Iason seine Kinder liebe und sie bei sich behalten wolle, eine misslungene Konzeption, weil nicht recht nachvollziehbar sei, wie Medea ihn durch den Tod der Kinder treffen könne, weil er seine Kinder schon aufgegeben habe, indem er sie ins Exil gehen lasse. Tatsächlich ist es überraschend, dass Iason trotz ihres Exils seinen Lebensplan mit den Kindern verwirklichen will. Mit dem Anerbieten, für die Kinder im Exil zu sorgen, lässt Euripides ihn aber zu erkennen geben, dass ihm durchaus ihr Wohlergehen ein Anliegen ist; vgl. im Einzelnen auch Manuwald 2005. 115 Vgl. Hose 1990, 296. Ein nicht zureichend begründetes negatives Bild des Chores zeichnet Kelly 2020, 86. 116 Vgl. Beck 2007, 11. 117 Vgl. ‚Frauen‘ {1043}; 1293; ‚Freundinnen‘ 227; {377}; 765; 797; 1116; 1236.
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Mordtat (811–813).118 So folgt der anfänglichen Begeisterung über die Veränderung der Wertvorstellungen zugunsten der Frauen (1. Stasimon, 410–431) nach Medeas Entschluss zum Kindermord die Ernüchterung (3. Stasimon, 846– 865); er hält zwar weiterhin Iason für den eigentlich Schuldigen, positioniert sich aber gegen Medeas Mordpläne, vor allem den Mord an den Kindern. Bei dieser Haltung bleibt der Chor, wenn er auch keine Schritte unternimmt, die Tat zu verhindern. Schon als die Kinder mit den Geschenken losgehen, erkennt der Chor, dass die Kinder nicht mehr zu retten sind (976 ff.), hält sich aber offenbar nicht für berechtigt oder fähig, aktiv in den Ablauf einzugreifen, und als Medea zur Mordtat ins Haus geht, bittet er die Götter, die Tat zu verhindern, und vertraut darauf, dass die Götter eine solche Mordtat bestrafen werden (1251 ff.).119 Der Eigenständigkeit in den Stellungnahmen des Chores gegenüber Medea entsprechen seine Reflexionen über die Stellung der Frauen und ihren mit denen der Männer vergleichbaren intellektuellen Fähigkeiten (410–431; 1081–1089), Überlegungen, die grundsätzlicher sind, als man sie von den Nachbarinnen Medeas erwarten möchte; auch überrascht ein Loblied auf Athen aus dem Munde von Korintherinnen (824–845). Man wird daraus schließen können, dass der Dichter den Chor über dessen unmittelbare Einbindung in die Handlung des Dramas hinaus einsetzt, um anachronistisch Themen zur Sprache zu bringen, die mehr ihn selbst bzw. die Zuschauer als die Sprecherinnen bewegt haben dürften. NEBENFIGUREN: Als Sklavin Medeas (49; 54) ist die als AMME anzusehende Figur eine Vertreterin der Anschauungen durchschnittlicher Menschen; sie zieht diesen Status der Gefährdung der Höhergestellten vor, die aufgrund ihrer Stellung zu einem Übermaß an Gemütsbewegungen neigten, wie sie in deutlichem Bezug auf Medea ausführt (119–130). Sie ist aber auch zu einer Reflexion über den Wert von Liedern und Musik in der Lage (190–204), mit der sie (wie auch beim Chor zu beobachten) intellektuell über das hinausgeht, was man bei ihrem – in der Handlung angelegten – Stand erwarten könnte. Die Amme gehört zu den seit langer Zeit (49) mit Medea Vertrauten (vgl. 29 mit Komm.), die deswegen auch vom Chor als Mittelsperson zwischen ihm und Medea betrachtet werden kann (180–186). Sie wird als tief besorgt um Medea (und ihre Kinder) dargestellt, deren gegenwärtig verzweifelte Situation sie demgemäß ausgiebig schildert, mit der Befürchtung, dass Medea in ihrem furchterregenden Zustand etwas Unerhörtes tun könnte, nicht ohne durchblicken zu lassen, dass sie –––––––––––– 118 Daher kann man auch nicht von einem Loyalitätskonflikt der Chorfrauen zwischen der Unterstützung Medeas als gendermäßig eine der Ihren einerseits und der Verpflichtung gegenüber Korinth und seinem König andererseits sprechen (so aber Swift 2013, 133– 144). Wenn die vv. 374 f. unecht sind, bekommt der Chor nicht zu hören, Medea wolle auch Kreon töten, und muss sich dann auch nicht dazu stellen. Vgl. im Einzelnen Komm. zu 364–409 (EK, S. 414–417). 119 Euripides’ Konzeption des Chores damit erklären zu wollen, dass er in der politisch brisanten Situation des Jahres 431 v. Chr. den Korinthern in Gestalt des nicht zum Schutz der Kinder eingreifenden Chores eine Mitschuld am Kindermord anlasten wollte (Beck 2007, 47 f.), erscheint wenig plausibel (vgl. auch Mossman, S. 11 f.; Kelly 2020, 70 f.; 83 Anm. 80).
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Medeas Verlassen der Heimat aus Liebe zu Iason für die Ursache allen Übels hält (1–45). Wenig Charakteristisches lässt sich über den alten (53; 1013) PAIDAGOGOS der Kinder sagen. Er weist im Dialog mit der Amme (49–95) keine besonderen Eigenschaften auf, außer vielleicht, dass er sich etwas wichtig machen will, wenn er die Nachricht von der Verbannung Medeas, die er in der Stadt aufgeschnappt hat, ihr zunächst vorenthalten möchte (vgl. auch Komm. zu 70–72a), und dass er sich trotz seiner Zugehörigkeit zur Dienerschaft Iasons (53) kritisch über seinen Herrn äußert (85–88). Im Unterschied zur Amme hat er einen zweiten Auftritt, als er Medea die vermeintliche Freudennachricht überbringt, die Kinder dürften in Korinth bleiben (1002–1020). Medeas klagende Reaktion kann er nicht verstehen, erweist sich ihr aber zugetan, wenn er sie über die Trennung von den Kindern trösten will, wobei er – wie schon im Gespräch mit der Amme (86) – auf eine allgemeine Lebensweisheit zurückgreift (1018). KREON sieht sich so, dass er kein tyrannisches Wesen besitze und deswegen aus Rücksicht schon Schaden angerichtet habe (348),120 und genau das passiert im Gespräch mit Medea. Zwar versucht er offenbar seine Schwäche durch große Forschheit auszugleichen, indem er, als er zu Medea hinzutritt, ihr ohne Präliminarien sofort seinen Verbannungsbefehl entgegenschleudert (271–276), in der durchaus berechtigten Furcht vor einer Rachetat Medeas (282–291); während er jedoch bei dem Überredungsversuch Medeas (292–315), die Verbannung zurückzunehmen, noch in der Lage ist, Widerstand zu leisten (316–323), zeigt sich seine Schwäche, als sie zur Hikesie übergeht (324 ff.), und er ihr den erbetenen einen Tag des Bleibens zugesteht (351b–354). Wenn er dabei selbstkritisch äußert, dass er sich bewusst ist, einen Fehler zu machen, so kann sich das nur auf eine vage Furcht beziehen, da er Medeas Rachepläne nicht kennt (350–351a). AIGEUS wird als Medea freundschaftlich verbunden (663–666) eingeführt, wobei offenbleibt, worauf die Beziehung beruht. Er erweist sich als einfühlsam gegenüber ihrer Situation, er billigt Iasons Verhalten nicht, nicht die neue Ehe und nicht, dass Iason es zulassen will, dass Medea verbannt wird (689–707). Es wird deutlich, dass er andere moralische Standards hat als Iason. Das Orakel, das man ihm gegeben hat, kann er nicht deuten, und er durchschaut nicht, dass Medea ihr Versprechen, seiner Kinderlosigkeit abzuhelfen, einsetzt, um von ihm Asyl in Athen zu erhalten (709 ff.); aber in der Zusage des Asyls wird seine Fähigkeit erkennbar, als umsichtiger Staatsmann zu handeln: Die Zusage gilt nur für das Asyl selbst; Athen müsse Medea in eigener Verantwortung erreichen, da er keine Probleme mit Gastfreunden haben wolle, deren Gebiet Medea durchqueren muss (723 f.; 729 f.). Der BOTE, der die Nachricht vom Tod der Königstochter und von Kreon überbringt, ein Diener Iasons (1118), ist als ein scharfer Beobachter konzipiert, dem weder wichtige Details noch Atmosphärisches entgehen. Er ist, wie seine Mitdiener, seiner Herrschaft zugetan (1138–1140) und rät vielleicht auch des–––––––––––– 120 Vgl. Kelly 2020, 82 mit Anm. 74.
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wegen Medea zu sofortiger Flucht (1122 f.), obwohl er der Ansicht ist, dass Medea ihrer Strafe teilhaftig werden wird (1222 f.), und so einen klaren moralischen Standpunkt vertritt. Was er gesehen hat, erschütterte ihn so, dass er angesichts der Schattenhaftigkeit menschlicher Existenz die Realisierbarkeit echten menschlichen Glücks leugnet (1224; 1228–1230). Wie bei der Amme und dem Paidagogos gibt es also auch bei ihm über die konkrete Situation hinausgehende Kommentare, die sich als Lebensweisheiten lesen lassen. Obwohl die KINDER als ‚Objekte‘ gewissermaßen eine Hauptrolle spielen, treten sie auf der Bühne nur als Statisten auf und sind insofern noch nicht einmal Nebenfiguren bis auf den singulären indirekten ‚Dialog‘, den sie mit ihren Hilfeschreien aus dem Inneren des Hauses mit dem Chor führen (1271a–1278).121
Szenerie und Fragen der Inszenierung Euripides’ Medea wurde an den Großen Dionysien 431 v. Chr. in Athen aufgeführt.122 Der Schauplatz der Handlung ist vor dem Haus zu denken, in dem bisher Iason und Medea gewohnt haben, jetzt nur noch Medea mit ihren Kindern (vgl. 89–91). Es hat eine verschließbare Eingangstür an der Vorderfront (1313– 1315) und einen Hintereingang, den das Publikum natürlich nicht sehen kann (vgl. 134/5 mit Komm.). Das in der Aufführungszeit im Dionysos-Theater in Athen temporär errichtete Gebäude muss so stabil gewesen sein, dass das von Helios geschickte Gefährt auf dem Dach landen konnte,123 denn Medea ist für Iason unerreichbar (1317–1320). Das Einschwenken des Gefährts, in dem man sich Medea mit den toten Kindern vorstellen muss,124 konnte mit Hilfe eines Bühnenkrans, der mēchanē, geschehen.125 Den Platz, auf dem der Chor sang und tanzte, die Orchestra, war zur Zeit der Medea-Aufführung wahrscheinlich noch trapezoid, nicht rund wie im steinernen Theater des 4. Jh.s. Die Schauspieler agierten auf einer leicht erhöhten hölzernen Bühne, von wo aus auf gleichem Niveau das Bühnenhaus betreten werden konnte. Für die Inszenierung lassen sich aus dem Text keine spezifischen Bühnendekorationsstücke erschließen, ––––––––––––
121 Vgl. Yoon 2012, 34. 122 Vgl. Hypothesis II (Anhang, S. 452 f.). Die Großen Dionysien fanden im Monat Elaphebolion (März / April) statt, d. h. in der noch kalten und regnerischen Jahreszeit. Man scheint sich mit einem Hut oder einem Umhang gegen Regenfälle geschützt zu haben; vgl. Tsiampokalos 2022. 123 Vgl. Gogos 2008, 56–62: „Die Holzbühne des Dionysostheaters in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. war sicherlich keine einfache Holzbaracke, sondern ein architektonisches Ensemble, …“ (S. 62). 124 Medea will, bevor sie nach Athen fliegt (1384 f.), die Kinder im Heiligtum der Hera Akraia bestatten (1378 f.), muss sie also bei sich haben und kann so den von Iason gewünschten Kontakt mit den Kindern verhindern (1402–1405). 125 Vgl. zum Bühnenkran und seiner Konstruktion Lendle 1995. Sofern im Folgenden die Aussagen zu den Baulichkeiten des Theaters nicht im Einzelnen belegt sind, vgl. man den plausiblen Überblick über den Forschungsstand bei Seidensticker 2010a, 22–32; vgl. ferner Moretti 1999/2000; Gogos 2008, 49–65.
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kurzfristig wird man die Geschenke für die Königstochter, die aus dem Haus gebracht werden (vielleicht in Körben oder auf Tabletts), gesehen haben. Figuren des Dramas, die nicht aus dem Haus auftreten können, betreten die Bühne durch einen der beiden Seiteneingänge (Parodoi) links und rechts des Bühnenhauses. Nach Angabe des antiken Gelehrten Pollux kommen durch die rechte Parodos (wohl aus der Perspektive der Zuschauer gesehen) die Leute vom Land oder vom Hafen oder von der Stadt, durch die andere diejenigen, die „zu Fuß anderswoher“ eintreten.126 Letztere Angabe ist wohl so zu verstehen, dass die Orte, von denen man durch diesen Eingang kommt, ganz in der Nähe liegen. Das könnte zu der von Kovacs (S. 283) nicht weiter begründeten Aufteilung führen, dass Auftritte und Abgänge von und zum Königspalast durch den von ihm so benannten Eingang B erfolgen (das wäre nach Pollux der linke), alle anderen durch A (also den rechten nach Pollux). Aber auch der Paidagogos mit den Kindern kommt „zu Fuß“, zwar aus der Stadt, aber sicher aus der Nähe, sodass man auch nicht ausschließen kann, dass alle Auftritte von außerhalb des Hauses durch den linken Eingang erfolgen und nur Aigeus durch den rechten erscheint.127 Die mehrfachen Auftritte von derselben Seite könnten regiemäßig vielleicht etwas eintönig wirken, würden aber den Überraschungseffekt von Aigeus’ Erscheinen erhöhen; denn bis zu seinem Auftreten müsste das Publikum den Eindruck gewinnen, dass in dem Stück nur Personen vorkommen, die in Korinth leben. Außer den im Einzelnen nicht sicher festzulegenden Seitenzugängen ergeben sich, was die Auftritte und Abgänge betrifft, aus dem Text drei Probleme: (1) Es ist unklar und strittig, ob die Amme nach v. 203 endgültig die Bühne verlässt128 oder bei v. 214 als Begleiterin Medeas wieder auftritt und auch den Auftrag in den vv. 820–823, Iason zu holen, entgegennimmt.129 Es wäre allerdings zur Figurenzeichnung der Amme nicht recht passend, wenn sie, die sich besonders um die Kinder gesorgt hat, zu den stummen Begleiterinnen Medeas gehören sollte, die den Plan, die Kinder zu töten, mitanhören müssen, ohne etwas dazu sagen zu können. Daher ist es wahrscheinlicher, dass in den vv. 820– 823 eine andere Dienerin beauftragt wird,130 die Amme also nicht mehr auf der Bühne ist. (2) Ein besonders Problem besteht darin festzulegen, (a) ob Medea von v. 214 bis v. 1250 ununterbrochen auf der Bühne ist, wie zumeist angenommen wird,131 oder (b) ob sie nach v. 823 ins Haus geht, um die für Iasons neue Frau bestimmten Geschenke mit Gift zu bestreichen, wie sie in v. 789 angekündigt hat, und spätestens nach dem Ende des Chorlieds (d. h. nach v. 865) wieder auf ––––––––––––
126 Onomastikon 4,126 f.; Pollux ist ein Autor des 2. Jh.s n. Chr., dessen Angaben jedoch auf frühere Quellen zurückgehen. 127 Vgl. Mastronarde, S. 38; Ewans 2022, 60 f. 128 Vgl. Mastronarde, S. 43. 129 Page zu 820–1; Martina III 108 u. 271 (zu 820–3). 130 Vgl. Mastronarde, S. 43 u. zu 820. 131 Vgl. Page zu 1250; Rehm 2002, 390 Anm. 79; Allan 2002, 114 Anm. 60; Mastronarde zu 823.
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der Bühne erscheint.132 Aus dem Text lässt sich keine Klarheit gewinnen. Bei (a) ergibt sich die Unstimmigkeit, dass eine für das Handlungsgeschehen wichtige Ankündigung, an die in v. 806 durch „mein Gift“ implizit erinnert wird, auch den Zuschauern bei der Aufführung erkennbar nicht wahrgemacht wird. Sollte das Euripides in Kauf genommen haben?133 Bei (b) müsste man annehmen, dass Medea den im zweiten Strophenpaar (846–855) an sie gerichteten Appell des Chores nicht hört. Zwar gibt es Beispiele, dass ein Chor eine abwesende Person anspricht,134 aber diese Fälle sind mit der Direktheit des hier vorliegenden Appells, insbesondere mit der Hikesie-Bitte (853 f.), nicht vergleichbar. Es kann daher als wesentlich wahrscheinlicher gelten, dass Medea während des zweiten Strophenpaars auf der Bühne ist. Das ist auch aus szenischen Gründen notwendig, weil sie da sein muss, wenn Iason kommt.135 Hat man sich also damit zufriedenzugeben, dass eine Unstimmigkeit vorliegt, die Euripides nicht beachtet hätte?136 Vielleicht hat Wilamowitz recht, der Medea nach v. 823 ins Haus gehen und nach v. 845 wieder auf die Bühne zurückkehren lässt;137 das gäbe Medea die Möglichkeit, die Geschenke der Ankündigung (789) entsprechend mit Gift zu bestreichen. Ein solches szenisches Vorgehen wird, weil es unüblich sei, in der Regel nicht in Betracht gezogen,138 aber es ist möglich, dass jemand während einer chorischen Darbietung aus dem Bühnenhaus kommt: Im König Ödipus des Sophokles hat Ödipus die vom Chor in der Parodos vorgebrachten Bitten zumindest z. T. noch gehört (216), muss also vor dem Ende der Parodos die Bühne wieder betreten haben und nicht erst nach deren Abschluss.139 Wenn man diese Lösung nicht akzeptieren will, ist wohl die Annahme vorzuziehen, dass Medea während des ganzen Chorliedes auf der ––––––––––––
132 Vgl. Mossman, S. 296 f., und Ewans 2022, 73. 133 Das Problem lässt sich jedenfalls nicht mit der Überlegung Mosts (2011, 43) lösen, Medea habe die Geschenke des Helios während der Handlung des Dramas nicht mit Gift bestreichen können, habe das aber auch nicht nötig gehabt, weil sie nur für gewöhnliche Menschen gefährlich seien, nicht aber für Helios-Abkömmlinge wie Medea und ihre Kinder, und man könne v. 789 ggf. athetieren. Denn Medea spricht in v. 806 ausdrücklich von ihrem Gift, es war also nicht mit den Gaben des Helios verbunden, und eine Dienerin, gewiss nicht aus dem Geschlecht des Helios, kann die Geschenke offenbar gefahrlos holen (950 f.). 134 Vgl. Aisch. Ag. 83–103; Soph. Ai. 134–200; Ant. 944–987; Eur. Hipp. 141–168; darauf verweisen Mossman und Ewans (o. Anm. 132). Vgl. außerdem Med. 990–995, wo der Chor den abwesenden Iason anspricht. Aber diese bedauernden Äußerungen sind etwas anderes als der dringliche Appell an Medea (851–855). 135 Vgl. Mastronarde zu 823. – Es ist auch kein Argument gegen die Anwesenheit Medeas während der vv. 846–865, dass sie auf die Vorhaltungen des Chores nicht reagiert (so aber Mossman, S. 297); denn Medea hat die Diskussion von ihrer Seite aus für beendet erklärt (819), und sie könnte in Gegenwart des nach v. 865 auftretenden Iason auch nicht geführt werden. 136 Vgl. Page zu 789; Mastronarde zu 823; Allan 2002, 114 Anm. 60; Martina III 277. 137 Vgl. Wilamowitz 1919, 229 (Regieanweisungen in der Übersetzung). 138 Vgl. Mastronarde zu 823; Martina III 276 f. 139 Zur grundsätzlichen Möglichkeit eines Auftritts „within a lyric structure“ vgl. Taplin 1977, 174 mit Anm. 3. Er verweist u. a. auf Soph. Ai. 895; El. 1423 [1424?]; OC 138; Eur. Hik. 798.
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Bühne anwesend ist, und die Unstimmigkeit, dass unerklärt bleibt, wann die Geschenke vergiftet werden, in Kauf zu nehmen. (3) Viel diskutiert ist die Frage, wann die Kinder nach v. 1020 die Bühne verlassen. Das Problem hängt eng damit zusammen, ob die vv. 1040–1080 teilweise oder ganz unecht sind. Nach dem Ende von Medeas Abschiedsrede (1039) gibt es kein ausdrückliches Textsignal; dann werden die Kinder zwar noch zweimal von ihr ins Haus geschickt, aber wann sie dann wirklich gehen, bleibt auch da unklar. Im Einzelnen werden diese Fragen im Kommentar zu den Versen 10191020 (mit Ergänzungen in EK, S. 420) behandelt mit dem Ergebnis, dass die Kinder wahrscheinlich nach v. 1039 ins Haus gehen, nachdem Medea ihre Abschiedsrede an sie beendet hat. Die Schauspieler waren Männer, auch in der so sehr auf die Probleme von Frauen ausgerichteten Medea. Füllten diese Schauspieler Frauenrollen aus, war dies durch Maske und Gewand kenntlich; Entsprechendes gilt für den aus 15 attischen Bürgern bestehenden Chor. Mit unterschiedlichen Gewändern konnten auch Standesunterschiede bezeichnet werden. Durch die Masken war es außerdem möglich, dass ein und derselbe Schauspieler verschiedene Rollen in einem Drama übernehmen konnte. Denn die Zahl der Schauspieler war auf drei begrenzt. Masken- und Gewandwechsel konnten in dem auch von hinten zugänglichen Bühnenhaus stattfinden, den Blicken der Zuschauer entzogen.140 Die Medea lässt sich zwar mit zwei Schauspielern aufführen, da niemals mehr als zwei Figuren des Stücks gleichzeitig auf der Bühne sind.141 Aber da z. Z. der Medea drei Schauspieler längst üblich waren, wird man die Rollen neben der Hauptfigur auf zwei Schauspieler aufgeteilt haben.142 – Höhergestellte Personen treten in der Regel in Begleitung von (stummen) Dienern oder Dienerinnen auf; in der Medea geht das für Kreon und die Hauptfigur aus dem Text hervor (335; 820–814; 950 f.), für Aigeus ist es angesichts seines Standes sicher zu erschließen. Bei Iason gibt es kein Textsignal, aus dem zu erkennen wäre, ob er allein oder in Begleitung von Dienern auftritt; da er aber keine offizielle Funktion hat, ist wohl eher Ersteres anzunehmen.143 Die Drei-Schauspieler-Regel hatte auf solches zusätzliche Personal keinen Einfluss; sie gilt auch nicht für kleine Rollen wie die der Kinder Medeas und Iasons, die im Übrigen – bis auf ihre hinterszenischen Hilferufe – stumm bleiben. –––––––––––– 140 Vgl. Blume 1991, 82–103. Die Theatergewänder unterschieden sich von dem im Alltag getragenen Chiton dadurch, dass sie den Körper ganz bedeckten (auch die Arme), was zusammen mit den Masken das Spielen von Frauenrollen durch Männer begünstigte. – Die Masken ließen die Mimik des Gesichts nicht erkennen, weswegen am Gesicht ablesbare Emotionen häufig verbal beschrieben werden. Ob durch das Bewirken unterschiedlicher Blickwinkel auf die Maske bis zu einem gewissen Grade dennoch Emotionen vermittelt werden können, untersucht Meineck 2011. 141 Erster Schauspieler: Paidagogos (49–91), Medea; zweiter Schauspieler: Amme, Kreon, Iason, Aigeus, Paidagogos (1002–1020), Bote; vgl. Pickard-Cambridge 1988, 145. 142 Erster Schauspieler: Medea; zweiter Schauspieler: Amme; dritter Schauspieler: Paidagogos; die restlichen Figuren können unterschiedlich auf den zweiten und dritten Schauspieler verteilt werden. Vgl. Pickard-Cambridge, ebd. 143 Vgl. zu diesem zusätzlichen Personal Mastronarde, S. 43 f.
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Die Zuschauer saßen auf dem Hang zur Akropolis hin auf hölzernen Bänken oder auf hölzernen Tribünen.144 Das Publikum war vorwiegend männlich, jedoch waren Frauen sehr wahrscheinlich nicht ausgeschlossen,145 aber nur Vollbürger (d. h. Männer) bekamen das ‚Schaugeld‘ (theōrika) in Höhe von zwei Obolen (z. Z. der Medea), das vor allem den Ärmeren den Besuch der Vorstellungen ermöglichen sollte.146 Auch Auswärtige und Metöken konnten gegen Bezahlung teilnehmen,147 Sklaven waren ebenfalls unter den Zuschauern.148
‚Ur-Medea‘ und Neophron In einem 2009 bekannt gewordenen und 2011 in Band LXXVI der Oxyrhynchus Papyri edierten Papyrus aus dem 1. Jh. n. Chr. zitiert ein Redner in einer rhetorischen Epideixis zwei Verse aus Euripides’ Medea, wie er sagt, die einige Leute erwähnt hätten: „Wohin denn fliehst du, aus Furcht vor der rechten Hand der Mutter, indem du mit feigem Schritt davongehst?“149 Der Autor führt diese Verse auf eine erste Version der Medea zurück, die beim Publikum Anstoß erregt habe. Daher habe Euripides diese Verse gestrichen, das Stück verändert, den Kindermord hinterszenisch begehen lassen, aber trotz der Umarbeitung mit der Zweitfassung keinen Sieg errungen, wohingegen Sophokles mit seiner Tragödie Tereus gesiegt habe, obwohl darin Prokne ihren Sohn Itys (aus Rache, weil ihr Mann Tereus ihre Schwester vergewaltigt hatte) nicht nur getötet, sondern ihn Tereus auch noch zum Mahl vorgesetzt habe.150 Euripides’ Umarbeitung der früheren Medea sieht der Autor als Parallele zu den Hippolytos–––––––––––– 144 Vgl. Aristophanes, Thesmophoriazusen 395 (ikria), aufgeführt 411 v. Chr.; Blume 1991, 48. 145 Vgl. Csapo / Slater 1994, 286 f.; Seidensticker 2010a, 32–34; Roselli 2011 (ch. 5, 158– 194). 146 Vgl. Roselli 2011, ch. 3, 88–90. 147 Vgl. Roselli 2011, ch. 4, 118–125. 148 Vgl. Roselli 2011, ch. 4, 148–151. 149 P. Oxy. 5093, col. iv, 4–6 (ed. D. Colomo) ποῖ δῆτα μητρὸς χεῖρα δεξ[ι]ὰν στυγῶν / φεύγεις ἀνάνδρου βήματος τιθεὶς ἴχνος; Zum euripideischen Kolorit der Verse vgl. Colomo 2011b, 117 f. 150 Vgl. Ps.-Apollodor, Bibliotheke 3,193–195. – Der Redner drückt sich so aus, als ob die umgearbeitete Fassung der Medea und der Tereus des Sophokles bei demselben tragischen Agon aufgeführt worden seien. Aber Sophokles wurde 431 v. Chr. Zweiter, der Sieger war Euphorion; vgl. die Hypothesis des Aristophanes zur Medea (Anhang, S. 452 f.). Es sei denn, man akzeptiert mit Luppe 2010b, dass Medea und Tereus an demselben Agon aufgeführt wurden, und versteht die Platzierung von Sophokles vor Euripides als ‚Sieg‘ oder man nähme gar an, die genannte Hypothesis beziehe sich auf die erste Medea und die überlieferte Medea sei zusammen mit dem Tereus später als 431 v. Chr. aufgeführt worden (Mehl 2011, 281; Luppe 2012). Wahrscheinlicher ist aber, dass der Redner einen unhistorischen Synchronismus hergestellt hat (Colomo 2011b, 121), wie er auch in einem anderen Fall eine historisch unzutreffende Angabe macht, indem er die Gründung des Museions in Alexandria Ptolemaios II. Philadelphos statt Ptolemaios I. Soter zuschreibt; vgl. Colomo 2011b, 132 zu Z. 12–14 (Text S. 127).
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Dramen des Euripides, wo es nachweislich zwei Fassungen gab, von denen nur eine vollständig erhalten ist.151 Die Forschungsmeinungen sind geteilt, ob man den Bericht hinsichtlich einer ersten Fassung der Medea für glaubhaft halten kann (so W. Luppe)152 oder ihn als fiktional ansehen soll (so D. Colomo).153 Vor allem, dass der Autor von einem Mord auf offener Bühne in der ersten Medea ausgeht, dient als Argument für die Unglaubwürdigkeit, da so etwas gemäß den Theaterkonventionen nicht üblich gewesen sei.154 Allerdings ist nicht ganz sicher, ob der Autor die zitierten Verse richtig interpretiert. Wie es scheint, hatte er nicht die ganze Tragödie vor sich, sondern bezieht sich auf zitierte Verse; was er sonst noch darüber wusste oder was er nur erschlossen hat, bleibt unklar. Die zitierten Verse belegen als solche nur eine Bedrohung eines Kindes. Ob das auf offener Bühne geschah oder aus dem Inneren des Hauses zu hören war,155 geht aus dem Text nicht hervor, sodass nicht gesichert ist, dass die Verse auf einen Mord auf der Bühne verweisen. Es ist denkbar, dass neben der uns in den Handschriften überlieferten Medea, die etliche (Schauspieler-)Interpolationen aufweist,156 trotz der intendierten Sicherung des Textes im ‚Staatsexemplar‘ auch noch Exemplare mit anderen oder weiteren Interpolationen existierten.157 So könnte man sich vorstellen, dass sich ein Interpolator am Schweigen der Medea in der Szene vv. 1271a ff. störte, wo nur die Kinder aus dem Inneren zu hören sind, und die vom –––––––––––– 151 P. Oxy. 5093, col. iv, 2–23 (pp. 103 f; 107 f.); vgl. auch o. Anm. 8. 152 Luppe 2010a, 15–16; 2011; 2013, 207; ihm schließen sich Mehl 2011, 275–279, Lucarini 2013, 185–188, und Pontani 2016, 129–131, an; Lucarini vertritt dabei die These, dass Med. 376–394 und 1056–1080 (bei Tilgung von v. 1058) aus dieser früheren Medea stammen (ebd. 188 f.; 193). Wright (2020, 227) hält die Möglichkeit einer früheren Medea des Euripides nicht für völlig ausgeschlossen, obwohl er sonst weitgehend Colomo (u. Anm. 153) folgt. 153 Colomo 2011b, bes. 112–116; die unterschiedlichen Positionen von Luppe und Colomo bespricht ausführlich Magnani 2014. Gewichtige Einwände gegen die Existenz von zwei Medea-Dramen des Euripides hat Meccariello 2019 erhoben. Sie weist insbesondere darauf hin, dass im Unterschied zu anerkannten Doppelfassungen (je zwei Dramen, in deren Titel Alkmaion, Iphigenie, Hippolytos, Melanippe bzw. Phrixos vorkommt) zwei Medea-Dramen in den Verzeichnissen der Werke des Euripides nicht auftauchen und ein weiteres Medea-Drama mit der überlieferten Zahl von 92 Dramen nicht vereinbar sei (202–204). Hose (2020, 26 f.) deutet den Befund so, dass, zwei Versionen der euripideischen Medea im Umlauf waren, möchte aber die Fassung mit dem Kindermord auf offener Bühne eher einem anderen Tragiker zuweisen (vgl. auch schon Colomo 2011b, 112 f.), dessen Stück (wie der Rhesos) fälschlich Euripides zugeschrieben wurde, oder eine weitreichende Schauspielerbearbeitung von Euripides’ Medea annehmen. 154 Dass ein Mord auf offener Bühne missbilligt wurde, ist keine Frage (vgl. die Belege bei Colomo 2011b, 117). Auch Luppe (2011, 50) hält den Mord auf offener Bühne für einen Irrtum des Autors (anders Mehl 2011). Allerdings wird im Scholion vet. zu Soph. Ai. 815a angenommen, dass der Selbstmord des Aias für die Zuschauer sichtbar war. Die Aussage des Scholions wird aber zumindest für die Zeit der Uraufführung des Aias als unglaubhaft zurückgewiesen von Scullion 1994, 89–128, bes. 116 ff. 155 So Colomo 2011b, 118. 156 Vgl. dazu u. S. 58; 62 sowie die Kommentierung der fraglichen Passagen. 157 In diese Richtung scheint Meccariello 2019, 211, zu denken, wenn ich sie recht verstehe. – Zum ‚Staatsexemplar‘ vgl. u. S. 59.
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Redner zitierten Verse hinzufügte oder, wenn er die Responsion der Strophen nicht beeinträchtigen wollte, die vv. 1277 f. ersetzte.158 Man würde die Nachricht von der Umarbeitung der Medea leichter zurückweisen, wenn nicht Euripides Iason in der erhaltenen Medea auf die Nachricht von der Ermordung der Kinder hin fragen ließe, ob Medea die Kinder innerhalb oder außerhalb des Hauses getötet habe (1312), also die Vorstellung suggeriert, dass Medea die Kinder auch außerhalb des Hauses getötet haben könnte.159 Der Vers wäre an sich überflüssig, wenn Gewissheit bestanden hätte, für den Mord käme nur das Innere des Hauses in Betracht; Iason hätte dann, ohne zu fragen, gleich versuchen können, in das Haus einzudringen. Aber vielleicht bedeutet die Äußerung Iasons nicht, dass sich Euripides von einer früheren eigenen oder der Gestaltung eines anderen absetzen wollte, sondern könnte der Charakterisierung Iasons dienen, der auf die Nachricht vom Tod der Kinder hin zunächst an sich denkt (1310) und sich erst nach einem weiteren Hinweis der Chorführerin mit seiner angesichts des Todes äußerlichen Frage nach der Örtlichkeit der Tat erkundigt. – Auch ein schon vor der Publikation des Papyrus bekanntes Versstück, das ein Scholion zu Aristophanes’ Acharnern (119) der Medea des Euripides zuweist, das in unserer Medea aber nicht steht: „O du … mit deinem in hitziger Erregung ratenden Herzen!“ zwingt nicht zu der Annahme, dass es eine ‚Ur-Medea‘ gab.160 –––––––––––– 158 Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Verse aus der Medea eines anderen Dichters stammen und sich der Redner oder seine Quelle in der Zuweisung geirrt hat. Zouganeli 2017 nimmt dafür die Medea des Neophron an. Aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass in seiner Tragödie die Kinder auf offener Bühne ermordet wurden. Das für seine Tragödie bezeugte Wegschicken der Kinder (F 3,10 f.) spricht eher dagegen. 159 Natürlich sieht Iason, dass die toten Kinder nicht vor dem Haus liegen, aber das Haus hat einen Hintereingang (vgl. 134/5 mit Komm.), und Iason kann es für möglich halten, dass die Kinder auf einer für ihn nicht sichtbaren Seite außerhalb des Hauses getötet worden sein könnten. Dann würde zwar für die vorliegende Medea nicht angenommen, dass die Tat für die Zuschauer sichtbar gewesen wäre, aber doch, dass sie in der Öffentlichkeit stattgefunden haben könnte. 160 ὧ θερμόβουλον σπλάγχνον ⟨‒ × ‒ ⏑ ‒⟩, Eur. F 858 TrGF V. Die gleich zu nennende Parodie des Aristophanes spricht dafür, dass das Herz nicht selbst als Vokativ zu verstehen ist, sondern als Akkusativ der Beziehung von einem Vokativ abhängig war, der im nicht erhaltenen Rest des Verses stand (vgl. Wolf 1812, 56). Aristophanes, Acharner 119, parodiert: ὦ θερμόβουλον πρωκτὸν ἐξυρημένε (~ „O du an deinem hitzig planenden [d. h. offenbar sehr aktiv um homosexuelle Kontakte bemühten] Arschloch Rasierter!“); vgl. auch Archilochos, fr. 187 West. Wilson hat in seiner Ausgabe der Scholien zu den Acharnern (1975) statt des überlieferten ἐν τῇ Μηδείᾳ Εὐριπίδου Rutherfords Konjektur ἐν Τημενίδαις Εὐριπίδου aufgenommen. Die Konjektur ist inzwischen obsolet, da die Temeniden als später als die Acharner gelten (vgl. Apparat zu F 858 TrGF V). Will man die Zuschreibung zu einer Medea des Euripides anzweifeln, kann man annehmen, dass der Autor aus anderen Stücken des Euripides zitiert, die den Medea-Mythos betreffen (Peliaden oder Aigeus, so grundsätzlich Elmsley 1818, 73 = 1828, 241; Wilamowitz [1875, 150] plädiert bei diesem Vers eher für den Aigeus), und das Zitat irrtümlich der Medea zuweist. Es kann aber auch sein, dass sich der Scholiast im Autor geirrt hat und das Zitat aus der Medea eines anderen Tragikers stammt; vgl. Meccariello 2019, 219 Anm. 45; Elmsley 1818, 74 = 1828, 242, der für eine solche Irrtumsmöglichkeit („Memoria lapsus videtur grammaticus.“) auf das Scholion zu Aristophanes’ Friede 1012 verweist, wo zu
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Die These, unsere Medea sei eine Zweitfassung, ist also nicht sicher zu belegen, sie darf eher als unwahrscheinlich gelten. Ein in neuerer Zeit in die Diskussion eingebrachtes Argument dafür, dass nicht Euripides den Kindermord in den Medea-Stoff eingeführt habe, hat, soweit ich sehe, bisher nur wenig Berücksichtigung gefunden.161 Im Jahr 2005 hat Fabio Caruso die Darstellung auf einem Bruchstück eines um 460 v. Chr., jedenfalls weit vor Euripides’ Medea, zu datierenden rotfigurigen Gefäßes, wohl eines Skyphos, so gedeutet, dass darauf eine Frau einen Jungen töten wolle, bei dem ein Mann, der einen Stab auf den Boden gesetzt hat, daneben steht (von Caruso als Paidagogos interpretiert), und diese Szene ikonographisch in die später kenntliche Bildtradition eingeordnet, in der Medeas Kindermord dargestellt wird.162 Das Bruchstück lässt allerdings nicht völlig sicher erkennen, ob tatsächlich eine Frau dargestellt wird. Die muskulöse Ausgestaltung des Jungen könnte auch auf einen Kinderathleten verweisen, und die männliche Figur mit einer naturbelassenen Rute ist typisch für einen Schiedsrichter;163 es könnte also ein aufgrund des fragmentarischen Bildausschnitts nicht mehr sicher bestimmbarer agonaler Zusammenhang vorliegen.164 Wenn aber die Scherbe trotz dieser Indizien mit der Ermordung eines Kindes in Beziehung zu setzen sein sollte, käme wohl eher der Prokne-Tereus-Mythos in Betracht. Der Mythos ist bereits um 600 v. Chr. bildlich nachgewiesen.165 Die Darstellungen des Prokne-TereusMythos belegen, dass das Motiv der Tötung eines Kindes durch die eigene ––––––––––––
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Aristophanes’ Zuweisung von Friede 1013 f. zur Medea erklärt wird, die Verse stammten nicht aus der Medea des Euripides, sondern aus der des Melanthios I (TrGF I2 23; vgl. T 4a, b, wozu vielleicht F [1] = Melanthios II TrGF I2 131 F 1 oder auch Morsimos TrGF I2 29 F 1 (vgl. Addendum p. 348 TrGF I2 zu p. 138) gehört. Vgl. auch Colomo 2011b, 113. Vgl. aber Tedeschi 2010, 7; Colomo 2011b, 119; Zouganeli 2017, 691. Caruso 2005. Abbildung auf S. 350 (Fig. 9 u. 10): Syrakus, Museo Archeologico Regionale «Paolo Orsi» 51114. Vgl. z. B. Bentz 1998, Abb. 5.068; 5.166; Kratzmüller 2001. Die von Caruso (2005, 352 Fig. 12) für die Scherbe aus Syrakus herangezogene Parallele (Neapel, Museo Archeologico Nazionale 8977, Wandbild aus Pompeji) zeigt zwar eine männliche Figur im Hintergrund; diese trägt jedoch nicht den charakteristischen Stab. Auffällig ist allerdings das dem Betrachter zugewandte Gesicht des Jungen, das für eine Kampfszene vielleicht ungewöhnlich wäre. Wenn eine Sportszene dargestellt sein sollte, könnte man an eine Züchtigung wegen sportlichen Fehlverhaltens denken. Vgl. Herodot 8,59, wo Auspeitschen wegen Frühstarts belegt ist; vgl. Miller 2004, 17 f.; Seitscheck 2007, 3. Zunächst unter den Namen Aedon (~ Prokne) und Chelidon (~ Philomela) auf einer Tonmetope aus Thermos in Ätolien (vgl. Kähler 1949, Tafel 17). Die Tötung des Itys ist bildlich schon um 500 v. Chr. belegt (vgl. Pfisterer-Haas 2010, 20–23, Tafel 8), d. h. weit vor dem Tereus des Sophokles, von dem nur sicher ist, dass er vor 414 v. Chr. aufgeführt wurde, weil sich in diesem Jahr Aristophanes in den Vögeln (100 f.) darauf bezieht. Zu weiteren frühen Zeugnissen zum Tereus-Mythos vgl. Fitzpatrick 2001, 90 f.; Räuchle 2012. Die erhaltene Statue des Alkamenes mit Prokne und Itys auf der Akropolis von Athen (Pausanias 1,24,3) ist vermutlich erst kurz nach der Medea zu datieren (vgl. DNO s. v. Alkamenes, Werk Nr. 12), belegt aber auch so die Bekanntheit des Mythos in Athen.
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Mutter lange vor der Medea des Euripides bekannt war. Die Verwendung dieses Motivs bei der Ausgestaltung des Medea-Stoffs bedeutet daher keinen allzu großen Schritt.166 Bleibt das vieldiskutierte und umstrittene Problem, wie sich die Medea des Neophron (TrGF I2 15) zur euripideischen zeitlich verhält.167 Dass die beiden Tragödien in engerer Beziehung zueinander zu sehen sind, ist sicher: Eine Begegnung des athenischen Königs Aigeus mit Medea in Korinth ist eine stoffliche Neuerung in diesen beiden Dramen, und es ist jeweils Medea, die ihre Kinder tötet. Neophron war ein tragischer Dichter aus Sikyon, dem 120 Tragödien zugeschrieben werden (Suda ν 218 = TrGF I2 15 T 1). Es muss sich um einen Tragiker des 5. Jh.s handeln; denn gehörte er ins 4. Jh. v. Chr., wäre er ein Zeitgenosse von Aristoteles und Dikaiarch, und es wäre nicht erklärlich, wie sie dann, auf welcher Basis auch immer, die Priorität Neophrons hätten behaupten können.168 Erhalten haben sich drei Fragmente aus seiner Medea; diese und das Zeugnis Dikaiarchs (FGrHist 1400 F 9) sind die Grundlage, auf der man versuchen kann, das Verhältnis der beiden Medea-Tragödien zu bestimmen. Das wichtigste Zeugnis, das die Priorität Neophrons impliziert, stammt nicht aus einer obskuren Quelle, sondern wird dem Aristoteles-Schüler Dikaiarch (370/350 – nach 320 v. Chr.)169 zugeschrieben.170 Es ist wohl so zu verstehen, dass sich Euripides stofflich an Neophron angelehnt, das Sujet aber in seiner Weise bearbeitet habe.171 Gegen die Zuverlässigkeit der Nachricht ist eine Reihe unterschiedlicher Einwände erhoben worden, deren Relevanz im Ganzen zweifelhaft ist:172 (1) Die Nachricht werde mit dokei (‚es scheint‘, ‚es wird angenommen‘) eingeleitet, sei also nicht als sicher gekennzeichnet.173 Aber der Verfasser der Notiz will offenbar nur sagen, dass diese Auffassung besteht, die er möglicherweise nicht selbst kontrollieren kann, für die er sich aber auf eine Quelle stützt. –––––––––––– 166 Wichtige Hinweise zur Deutung der Scherbe aus Syrakus und zur Bildtradition des Tereus-Prokne-Mythos verdanke ich Burkhardt Wesenberg. 167 Die zu Neophron einschlägigen Texte sind im Anhang, S. 458–461, aufgeführt. 168 Vgl. Verhasselt 2018, Komm. zu FGrHist 1400 F 9; Wright 2020, 229; 238. Dass Neophron auf das Ende des 5. Jh.s zu datieren sei (Martina I 284: „fine del IV secolo“), ist durch nichts gesichert. 169 Zur Datierung vgl. Verhasselt 2018, Introduction, 2. Dates. 170 Laut Diogenes Laertios 2,134 (= Neophron TrGF I215 T 3, nach Antigonos von Karystos) stammt die euripideische Medea nach Aussage einiger von Neophron; aber das ist durch Aristophanes, Frösche 1382, widerlegt, wo Med. 1 für Euripides zitiert wird. 171 Im Text steht διασκευάσας. Das Verb kann zur Bezeichnung der Überarbeitung eines Dramas verwendet werden, so Galen in seinem Kommentar zu Hippokrates, De diaita in morbis acutis 1,4 (CMG 5.9.1, p. 120,8–10), der als Beispiel die Zweitfassung von Eupolis’ Autolykos nennt (Nervegna 2013, 88). 172 Zu „Euripides as a plagiarist“ vgl. Verhasselt 2018, Kommentar zu FGrHist 1400 F 9. Die Literatur zu den unterschiedlichen Positionen in der Neophron-Frage ist dort in Anm. 568 aufgeführt; vgl. außerdem noch Ameduri 2009; Lucarini 2013, 189–193; Zouganeli 2017; Martina I 277–286; Wright 2020, 229–232; 237 f. 173 Martina I 283.
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(2) Dass die Notiz in den „codici più importanti“ der Medea fehle, wie Martina meint, und daher eine Interpolation vorliegen könne,174 trifft so nicht zu. Martina kann nur die Hs. B (Parisinus gr. 2713) des sonst in zahlreichen Handschriften (vgl. van Looy, S. 1) überlieferten Textes benennen, außerdem zwei Hss., in denen der Name Neophron nicht korrekt überliefert ist, aber solche Verschreibungen sind gerade bei Namen häufig. Und selbst wenn es eine Interpolation wäre, so könnte der Interpolator eine durchaus wichtige Information beigesteuert haben. (3) Die allgemeine und vage Berufung auf Dikaiarchs Werk Die Lebensbeschreibung Griechenlands wecke Zweifel.175 Aber der Bezug auf die Schrift Dikaiarchs steht nicht allein, sondern es werden auch die aristotelischen Hypomnemata genannt, und dass eine Buchzahl ausfällt, ist ein reines Überlieferungsproblem. (4) Dikaiarchs Priorisierung Neophrons gegenüber Euripides habe mit der Kritik des Aristoteles an Euripides zu tun, und die künstlerische Priorität sei zu einer chronologischen geworden.176 Dieser These vergleichbar ist eine von Verhasselt erwogene Möglichkeit, dass Dikaiarch die Ähnlichkeiten zwischen beiden Dramen bemerkt und aus irgendwelchen Gründen, vielleicht angeregt durch „anti-Euripidean gossip“, Neophron für den „original playwright“ gehalten habe.177 Bei solchen Überlegungen handelt es sich um Spekulationen, die nicht zu sichern sind. (5) Nach einer anderen These (von Librán Moreno) habe Dikaiarch in einer Komödie die Beschuldigung des Euripides gefunden, in seiner Medea plagiiert zu haben, und Aristoteles’ Didaskaliai entnommen, dass nur Neophron vor Euripides eine Medea-Tragödie verfasst habe. Dikaiarch sei dann auf eine nacheuripideische Medea eines anonymen Autors gestoßen178 und habe sie für diejenige des Neophron gehalten, den er in den Didaskaliai erfasst fand.179 Zwar kann man es für möglich halten, dass der Plagiatsvorwurf zunächst in einer Komödie erhoben wurde, aber Librán Morenos weitere Folgerungen sind eine reine Konstruktion und wurden bereits von Verhasselt zurückgewiesen.180 Letztlich handelt es sich um eine Wiederaufnahme der alten These von zwei Tragikern mit dem Namen Neophron,181 der eine voreuripideisch (vgl. Suda ν 218 = T 1 TrGF I2 15), der andere nacheuripideisch und Verfasser der unter dem Namen Neophron überlieferten Fragmente. Aber auch für diese Annahme gibt es keinen triftigen Grund.182 –––––––––––– 174 175 176 177 178 179 180 181 182
Martina ebd. mit Anm. 1. Martina ebd. mit Verweis auf Barone 1978, 30. Martina ebd., der diese Hypothese von Barone übernommen hat. Verhasselt 2018, Kommentar zu FGrHist 1400 F 9. PLitLond 77 (= Adespota fr. 667a TrGF II2 in Bd. V 2, pp. 1137–1142); vgl. dazu Martina I 268–282 (der Papyrus stammt aus dem 2./3. Jh. n. Chr. und gibt nicht Neophrons Medea wieder). Librán Moreno 2011, bes. 124. Verhasselt 2018, Kommentar zu FGrHist 1400 F 9. Vgl. Page xxxvi. Die These wurde wieder aufgenommen von Lucarini 2013, 192. In TrGF 15 T 1 wird συνῆν … αἰκισμοῖς zu Recht getilgt.
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(6) Page hat die These vertreten, sprachliche Eigenheiten der Neophron zugeschriebenen Fragmente wiesen in das 4. Jh. v. Chr., sie wären dann also nacheuripideisch.183 Die These wurde trotz der Gegenargumente von Thompson (1944b) vor allem von Barone (1978)184 und in Einzelheiten in jüngerer Zeit von Martina (2018) vertreten.185 Ein wirklicher Beweis, dass Neophrons Medea aus sprachlichen Gründen in das 4. Jh. gehört, ist jedoch bisher nicht gelungen (7) Martina wiederholt das schon von Page vorgebrachte Argument, dass in der Hypothesis des Aristophanes von Byzanz zwar stehe, dass der Medea-Stoff weder von Aischylos noch von Sophokles behandelt worden sei, Aristophanes aber nicht Neophron erwähne.186 Dazu hat schon Thompson treffend festgestellt, dass Aristophanes niemals andere als die drei großen Tragiker nenne.187 (8) Schließlich hat man versucht, durch Vergleich der Neophron-Fragmente mit dem Text der Medea des Euripides die Prioritätsfrage zu entscheiden. Für Martina, um die Diskussion stellvertretend mit einem Beitrag aus jüngerer Zeit zu führen, in dem die Priorität des Euripides vertreten wird, ist der Fall eindeutig: Die Motivierung von Aigeus’ Begegnung mit Medea in Korinth bei Neophron sieht er als Korrektur des Tadels von Aristoteles an, Euripides habe das Erscheinen des Königs nicht motiviert, und bei sprachlichen Berührungen ist für ihn fraglos immer Euripides der Gebende.188 Aber so einfach ist der Sachverhalt jeweils nicht: Neophrons F 1 und Euripides’ Drama (Med. 663 ff.) sind die frühesten Zeugnisse einer Begegnung von Aigeus und Medea in Korinth. Wenn nicht beide von einer nicht erhaltenen früheren Quelle abhängen, muss einer von ihnen dieses Zusammentreffen erfunden haben. Bei Neophron wird das Erscheinen des Aigeus ausdrücklich mit dessen Wunsch motiviert, von Medea eine Deutung des Orakels, das er in Delphi wegen seiner Kinderlosigkeit erhalten, aber nicht verstanden hat, zu bekommen. Für diese Motivation brauchte Neophron keinen Vorgänger, von dem er sich absetzen wollte oder den er korrigieren konnte; denn es ist naheliegend zu erklären, warum man kommt, wenn man jemanden aufsucht, vom dem man etwas will. Dagegen erscheint Euripides’ Aigeus-Szene als Umformung der entsprechenden bei Neophron, die er vari–––––––––––– 183 Vgl. Page xxx–xxxvi. 184 Vgl. dagegen Manuwald 1983, 52 f. 185 ἐξῇξας (Neophron F 2,3) soll erst in späteren Texten vorkommen. Martina nennt Menander, Epitrepontes 323 (I 279 mit Anm. 2), wo das Simplex belegt ist. Aber das Verb gebraucht bereits Aristophanes, Frösche 567. Die Anomalie in F 2,13 (φεῦ am Versende), auf die auch Martina I 280 verweist, wird allgemein zugestanden (bereits Thompson 1944b, 12), aber warum soll eine solche Anomalie nicht auch bei einem Tragiker des 5. Jh.s vorkommen können? Es sind viel zu wenige Tragödien überliefert, als dass man so etwas ausschließen könnte. Insgesamt misst Martina diesen sprachlichen Phänomenen kein entscheidendes Gewicht bei (280), ebenso bereits Ameduri, 2009, 190. Tatsächlich ergibt sich aus Martinas Liste der sprachlichen Berührungen (279 f.) ebenso wenig eine beweisende Abhängigkeitsrichtung wie aus derjenigen von Diggle 2008, 410 f. 186 Page xxxi; Martina I 284. Für den Text der Hypothesis s. Anhang, S. 452. 187 Thompson 1944b, 11. 188 Martina I 277–282.
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iert, aber die Gestaltung der Vorlage noch durchscheinen lässt, wie schon Christmann erkannt hat.189 Bei Euripides trifft Aigeus auf der Durchreise Medea in Korinth: Aus der Stichomythie im ersten Teil der Szene (663–688) ergibt sich, dass Aigeus aus Delphi kommt, wo er das Orakel wegen seiner Kinderlosigkeit befragt hat und zur Deutung der für ihn unverständlichen Spruches den Rat des Pittheus in Trozen einholen will. Dieses Faktum wird eingehend thematisiert (bis 673). Dann fragt Medea nach dem Orakelspruch in einer Weise, dass Aigeus (vgl. 677) und auch die Zuschauer annehmen müssen, Medea wolle selbst etwas zur Deutung des Orakels beitragen. Tatsächlich wird das Motiv aber nicht weiterverfolgt und spielt auch im zweiten Teil der Szene (689–758) keine Rolle mehr. Vielmehr lässt Euripides Medea in diesem Teil ihr Versprechen, dass sie in Athen Aigeus’ Kinderlosigkeit mit ihren Pharmaka beenden werde (717 f.), als Druckmittel einsetzen, um damit (als aus Korinth Verbannte) ein Asyl in Athen zu erwirken. Eine Orakeldeutung durch Medea hätte überdies Aigeus’ geplante Weiterreise zu Pittheus (vgl. Komm. zu 683–687) als avisiertem Deuter des Orakels sinnlos erscheinen lassen,190 aber auch Medeas Versprechen, Aigeus’ –––––––––––– 189 Christmann 1962, 105–113; vgl. auch v. Fritz 1959, 42; Rohdich 1968, 51 f. Gegen Christmann hat sich Dihle (1977, 23 f. Anm. 9) gewandt. Jedoch hat Christmann m. E. im Ergebnis auch dann recht, wenn man ihm nicht in allen Punkten folgen will (vgl. Manuwald 1983, 53–55). 190 Aigeus’ (uneheliche) Verbindung mit Pittheus’ Tochter Aithra in Trozen, der Theseus entstammte, gehörte für Euripides zu den Voraussetzungen seines Aigeus (vgl. Aigeus T *ii TrGF V), der möglicherweise vor der Medea entstand (vgl. TrGF V, p. 152), und war sicher auch den athenischen Zuschauern bekannt, zumal Theseus’ Heldentaten auf seinem Weg von Trozen nach Athen auf attischen Vasenbildern seit dem 6. Jh. v. Chr. belegt sind. Vgl. Brommer 1982, bes. 67. Allerdings ist die Verbindung der MedeaGeschichte mit der Aigeus-Aithra-Tradition für beide Autoren schwierig. Wenn Medea bei Neophron das Orakel gedeutet hat, gab es für Aigeus jedenfalls deswegen keinen Grund, zu Pittheus zu reisen. In Euripides’ Hiketiden (1–7; 55 f.) liegt eine Version vor, nach der Aithra die Gattin des Aigeus ist und in Attika lebt; nach Kovacs (2008, 302 mit Anm. 15) handelt es sich dabei nicht um eine Erfindung des Euripides, sondern um eine ältere Überlieferung, die er u. a. durch Diodorus Siculus 4,63 und Homer, Ilias 3,139–144 belegt sieht; v. 144 gilt allerdings als unecht, vgl. aber Ilias parva fr. 20 PEG = 17 West u. Iliupersis fr. 6 PEG = West. Kovacs (2008) meint, diese Version sei in der Medea vorausgesetzt. Aber dann fragt man sich, warum Aigeus in v. 673 den Namen Aithra nicht nennt und er Pittheus als den liebsten seiner Kameraden (687) und nicht als seinen Schwiegervater bezeichnet. Nach dem Scholion zu Med. 673 war Aigeus nie mit Aithra verheiratet, und Aigeus’ geplante Befragung des Pittheus (685) passt am besten zu der bei Ps.-Apollodor (Bibliotheke 3,207 f.) überlieferten Geschichte, wonach Pittheus gegen die Anweisung des Orakels, das sachlich mit dem in der Medea identisch ist, verstößt, indem er Aigeus, als er ihn aufsuchte, trunken machte und ihm seine Tochter Aithra zuführte, mit der er dann Theseus zeugte. Plutarch, der dieselbe Version kennt, rätselt allerdings, was Pittheus angesichts des Orakels zu seinem Verhalten bewogen habe (Theseus 3,5). Das bei Ps.Apollodor und Plutarch überlieferte Orakel gilt als älter als Euripides’ Medea (Parke / Wormell 1956 II 48 nr. 110; I 300 f.), aber selbst wenn Euripides der Erfinder sein sollte (so Gilula 1981–1982, 14–18) – was er aber nicht sein kann, wenn Neophrons Medea
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Kinderlosigkeit zu heilen, wenn sie in Athen sei, macht streng genommen die Reise nach Trozen überflüssig. Euripides überspielt jedoch das Problem, indem er, nachdem Pittheus als möglicher Orakeldeuter einmal eingeführt ist, Aigeus ohne ausdrückliche Zielangabe weiterreisen lässt. Wenn Medea bei Neophron das Orakel gedeutet haben sollte, gab es dort für Aigeus ebenfalls keinen Grund, zu Pittheus zu reisen; wir wissen allerdings nicht, wie die Szene bei Neophron weiterging, ob es überhaupt seine Absicht war, Aigeus auch Pittheus um eine Deutung bitten zu lassen. Bei Euripides wird jedenfalls mit dem Ziel, Pittheus in Trozen zu befragen, motiviert, warum Aigeus, von Delphi kommend, den Weg über Korinth nimmt (vgl. Komm. zu 683–687 sowie Kovacs 2008, 303). Die Szenen bei Neophron und Euripides sind, soweit man das noch erschließen kann, kontrastierend angelegt: In Neophrons Tragödie kommt Aigeus gezielt mit einer Bitte zu Medea, die sie ihm wahrscheinlich erfüllt (woraufhin Aigeus als Gegenleistung Asyl in Athen gewährt haben könnte). Bei Euripides ist das Zusammentreffen rein zufällig, das dabei zutage tretende Problem des Herbeigekommenen wird, obwohl Medea erkennen lässt, dazu in der Lage zu sein, nicht gelöst, stattdessen nutzt die unerwartet Besuchte die Gelegenheit, sich eine Vorleistung von dem Ratsuchenden zusichern zu lassen. Angesichts der komplexeren Anlage der Szene erscheint es eher plausibel, dass die ursprünglichere Gestaltung bei Neophron und nicht bei Euripides vorliegt. Was einen weiteren Vergleichspunkt zwischen den beiden Dramen angeht, die Beziehung zwischen Neophron F 2 und der Medea des Euripides, so ist am auffälligsten das jeweilige Vorkommen und die Funktion des thymos (F 2,1; 9; 12; Med. 1056; 1079). In den allerdings sehr wahrscheinlich unechten vv. 1056 und 1079 ist thymos am ehesten als ‚(Rache)zorn‘ zu verstehen,191 bei Neophron bezeichnet das Wort das umfassende Innenleben, der thymos kann sich beraten (v. 1), er ist überhaupt mehr oder weniger identisch mit dem ‚Ich‘ (v. 9; letztlich auch v. 12) und damit vergleichbar mit dem thymos, wie ihn Archilochos anspricht (fr. 128,1 West). Die Verengung des thymos-Begriffs in Med. 1056 und 1079 gegenüber dem eher ‚archaischen‘ Gebrauch bei Neophron lässt die in Euripides’ Medea überlieferten Verse als später erscheinen,192 doch besagt das nichts, wenn sie unecht sind: Sie könnten später sein als Neophron und der echte Euripides trotzdem früher. Entsprechendes gilt, wenn man ein szenisches Element vergleicht. Bei Neophron schickt Medea die Kinder weg, weil sich bereits Mordwahn in ihren thymos gesenkt habe (11 f.), sei es, dass sie sie sonst sofort tötete, sei es, dass sie sie jetzt gleich (hinterszenisch) töten will. Beim Autor der der vv. 1056 ff. sollen die Kinder gehen, weil Medea nicht mehr imstande ist, sie anzublicken, da sie ihrem Leid erliegt (1076 f.). Darf man die Gegensätzlichkeit der Gestaltung als Vergröberung durch Neophron oder als psychologische Verfeinerung durch diesen Autor verstehen? Auch wenn das Letztere wahr–––––––––––– voraufgehen sollte –, löst das nicht alle Probleme, denn es muss z. Z. des Euripides die o. g. Tradition gegeben haben, die Theseus als Sohn Aithras in Trozen verortete. 191 Vgl. jedoch Komm. zu v. 1058. 192 Snell (1971, 203 f.) plädiert für die Folge Archilochos 67a (= fr. 128 West), Neophron F 2,1, Euripides, Med. 1078 f.
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scheinlicher sein dürfte, besagt das wiederum wegen der mutmaßlichen Unechtheit der Verse für das Verhältnis des echten Euripides zu Neophron nichts.193 Aufschlussreicher ist ein Vergleich der Entwicklung der Rachevorstellungen Medeas bei Euripides mit Neophron F 2. Zu Beginn des Euripides-Dramas ist vom Hass Medeas auf ihre Kinder die Rede (Med. 36; 117). Die Amme hat sie voll Zorn auf die Kinder blicken sehen, als ob sie ihnen etwas antun wolle (92 f.; vgl. 118). Medea selbst wünscht, dass die verfluchten Kinder zusammen mit dem Vater zugrunde gehen (112–114). Das Motiv eines unkontrollierten Hasses, sodass das Leben der Kinder gefährdet sein könnte, ist zu Beginn der euripideischen Medea sehr prominent und ist vergleichbar mit dem mörderischen Wahn Medeas, von dem Neophron spricht (F 2,11 f.) und der darauf hindeutet, dass die neophrontische Medea die Kinder voll Hass töten wird. Dass es sich bei den Kindern um das Liebste handeln könnte (F 2,2 f.), war, soweit man den fragmentarischen Befund deuten kann, nur kurz in Betracht gezogen worden. Vom Hass Medeas auf ihre Kinder am Anfang von Euripides’ Drama zu ihrer Gefühlslage bei der tatsächlichen Tötung gibt es aber keine Verbindung. Medea entschließt sich am Ende dazu unter schweren inneren Qualen als wirksamstem Mittel, sich an Iason zu rächen.194 Sie tötet die Kinder nicht aus Hass, sondern ihrer Rachelogik entsprechend, obwohl sie sie liebt; sie muss sich geradezu zur Tat zwingen, ein Mordwahn ist nicht ersichtlich (1242–1250). Euripides kennt das Motiv der Tötung der Kinder aus Hass, lässt es anklingen, aber seine Medea sich davon zugunsten einer diffizileren psychologischen Konzeption absetzen.195 D. h., das Vorgehen ist parallel zur Behandlung der Aigeus-Szene: Es werden zunächst Erwartungen geweckt, die Handlung könne so verlaufen wie bei Neophron, aber Euripides führt sie dann in eine andere Richtung. Die Parallelität des Verfahrens kann man als starkes Indiz dafür interpretieren, dass Euripides das Drama des Neophron kannte, aber den Stoff in seiner Gestaltung weiterentwickelte. Bei Neophron und Euripides prophezeit Medea Iason die Art seines in beiden Fällen unheroischen Todes. Nach Neophron F 3 wird sich Iason erhängen. Das Motiv könnte der Schmerz über den Verlust der Kinder gewesen sein, Medea sieht seinen Tod als schicksalhaft an wegen seiner Übeltaten (vermutlich meint sie den Verrat an ihr). Nach Euripides (1386–1388) wird er von einem Teil der Argo am Kopf getroffen; einem Scholion zu Med. 1386 zufolge hatte er der Göttin Hera die Bugverzierung der Argo geweiht (sicher als Dank für die glückliche Heimkehr), und dieses Stück tötete ihn (sc. durch Herabfallen), als er das Heiligtum betrat. In diesem Punkt ist vermutlich Neophron der Neuerer (ein anderes Scholion zu Med. 1386 bezeichnet seine Version als ‚etwas fremdartig‘), während sich Euripides offenbar im Rahmen der Tradition des Argonau–––––––––––– 193 Für Lucarini (2013, 189–191) ist es sicher, dass Neophron F 2 von Med. 1056–1080 abhängt. Er beruft sich ohne eigene Argumente auf Diggle 2008; vgl. dazu oben Anm. 185. 194 Vgl. 791–793; 817; 902 f.; 922–925; 1005–1014; 1021–1039. 195 Vgl. Friedrich 1960, 205: „… Euripides [zeigt] zunächst …, wie er die Untat hätte motivieren können, wenn er nur gewollt hätte, daß er aber gerade nicht gewollt hat.“
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ten-Mythos bewegt. Anhand von Neophron F 3 lässt sich die Prioritätsfrage nicht entscheiden. Zwar könnte man meinen, Neophron wolle melodramatisch Euripides übertreffen, aber der Selbstmord passt gut zu der pathoshaltigeren Tragödie Neophrons, und in die Konzeption des Euripides, dessen Medea es darauf ankommt, dass Iason im Schmerz bis ins Alter weiterlebt (1396), fügt sich das Motiv des Selbstmords nicht ein. Außerdem erreicht Euripides so, dass die Argo am Anfang der Tragödie (v. 1) und an ihrem Schluss schicksalsbestimmend in Erscheinung tritt. Insgesamt sprechen das Zeugnis Dikaiarchs und die strukturellen Eigenheiten der euripideischen Medea (Aigeus-Szene; Veränderung der Motivation des Kindermords) für die Priorität Neophrons. Damit ist aber noch nicht erwiesen, dass Neophron auch der Erfinder des Motivs des Kindermords ist, weil nicht völlig sicher entschieden werden kann, ob es eine euripideische ‚Ur-Medea‘ gab und wie sich diese gegebenenfalls zur neophrontischen verhält. Allerdings wird die Bedeutung der Originalität in dieser Frage für das Verständnis der euripideischen Medea überschätzt.196 Euripides ist auf jeden Fall der Schöpfer der für seine Medea kennzeichnenden und in gewissem Sinne ‚tragischen‘ Konzeption, dass sich eine Mutter wegen der von ihr gesehenen Verpflichtung, sich nicht ‚verlachen‘ zu lassen und an ihrem Mann möglichst wirkungsvoll zu rächen, unter größtem eigenen Leid entschließt, die Kinder zu töten, nicht als stellvertretende Objekte des Hasses gegen ihren Mann, sondern obwohl sie sie liebt.
–––––––––––– 196 Vgl. auch Allan 2002, 23 mit Anm. 33; Wright 2020, 236 (der im Übrigen auch die Priorität Neophrons für möglich hält; 238).
Rezeption der Medea des Euripides Euripides’ Medea ist sowohl selbst bereits Teil eines Rezeptionsprozesses – das gilt auf jeden Fall für die Geschichte des Stoffs,197 und Euripides war wohl auch nicht der erste, der eine Medea-Tragödie verfasste, sondern zumindest Neophron vermutlich früher198 – als auch der Ausgangspunkt einer kaum zu überschauenden Wirkungsgeschichte.199 Das gilt insbesondere für weitere Dramen, aber die Thematik begegnet etwa auch in Romanen, musikalischen Werken und in der Malerei. Hier soll nur ein knapper und selektiver Überblick über die dramatischen Bearbeitungen gegeben werden. Sofern man den wenigen überlieferten Fragmenten oder Nachrichten glauben kann, beginnt die Nachwirkung vermutlich bereits kurz nach der Aufführung der euripideischen Medea, wenn die Verse, die Aristophanes in seinem Frieden (1009–1014; 421 v. Chr.) zitiert, wirklich aus der Medea eines Melanthios (TrGF I2 23 T 4a+b) stammen. Sie setzt sich fort mit Wiederaufführungen der Medea seit dem 4. Jh. v. Chr.200 und dramatischen Bearbeitungen.201 Selbst Komödiendichter haben sich der Thematik angenommen.202 Besonders bemerkenswert ist die Medea des Tragikers Karkinos, weil darin die Titelfigur schwört, die Kinder, die sie selbst geboren habe, nicht getötet zu haben.203 –––––––––––– 197 Vgl. o. S. 6–10. 198 Vgl. o. S. 42–48. Im Übrigen ist für einen Euripides (TrGF I2 17) eine Medea-Tragödie bezeugt, von der nur der Titel überliefert ist. Er ist Neffe eines Euripides, der älter sein soll als der große Tragiker des 5. Jh.s (TrGF I2 16), gehört also ebenfalls ins 5. Jh., sodass man noch nicht einmal ausschließen kann, dass auch seine Medea älter ist als die uns vorliegende euripideische (oder vielleicht auch die Neophrons). 199 Einen weitgespannten Überblick der Rezeptionsgeschichte in unterschiedlichen Gattungen bietet (mit weiterer Literatur) Lauriola 2015; vgl. ferner Friedrich 1960 (instruktive motivanalytische Vergleiche einiger Fassungen); Macintosh 2000; Hall 2000; Ziolkowski 2008, 192–237; Bing 2011; Foley 2012, 190–228, 335–341. 200 Vgl. o. S. 5 mit Anm. 14. 201 Man weiß von Medea-Tragödien des Dikaiogenes (TrGF I2 52 F 1a), des Karkinos (TrGF I2 70 F 1e) und des Theodorides (TrGF I2 78 A), im 3. Jh. v. Chr. des Diogenes von Sinope (TrGF I2 88 F 1e), falls seine Tragödien nicht Philiskos von Aigina zuzuschreiben sind (vgl. TrGF I2 89 T 1; T 2), und aus späterer Zeit von einem Biotos (TrGF I2 205 F 1), außerdem eine Medea (satyrikē?) in P. Lit. Lond. 77, frr. 1–4 = TrGF II2 F 667a (Text in TrGF V 2, pp. 1137–1142). Vgl. auch Morsimos TrGF I2 29 F 1? (adesp. 6), Melanthios II TrGF I2 31 F 1. 202 Vgl. Epicharm, test. 35 K.-A. (PCG I); Deinolochos, test. 3, frr. 4–5 K.-A. (PCG I); Kantharos, test. 1, frr. 1–4 K.-A. (PCG IV); Strattis, test 1, frr. 34–36 K.-A. (PCG VII); Antiphanes, fr. 151, vielleicht 239 K.-A. (PCG II); Eubulos, fr. 64 K.-A. (PCG V); dazu kommt der Phlyaken-Dichter Rhinthon, fr. 7 K.-A. (PCG I). 203 Außer auf F 1e (= Aristoteles, Rhetorik 1400b9–15 und ein anonymer Kommentar dazu) kann man sich jetzt auf einen zuerst 2004 publizierten Papyrusfund stützen. Zum Text vgl. West 2007, 1–5. Auf die problematische Rekonstruktion der Handlung im Einzelnen
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Karkinos hat also gegen Euripides das voreuripideische Motiv aufgegriffen, dass Medea ihre Kinder nicht getötet hat. Dagegen hat sich Ennius, um zur Rezeption in Rom überzugehen, in seiner Medea offenbar recht eng an das euripideische Vorbild gehalten (TrRF II2 F 89–100 = FRL II). Von der als berühmt geltenden Medea-Tragödie Ovids sind nur zwei Fragmente überliefert (vgl. TrRF I2 T 2 f.; F 1 f.). F 1 könnte auf die Tötung der Kinder anspielen,204 sodass Ovid möglicherweise denselben stofflichen Ausschnitt gewählt hat wie Euripides; jedenfalls geht Ovid in seinen Metamorphosen vom Mord an den Töchtern des Pelias, also der Vorgeschichte der Ereignisse in Korinth, unmittelbar zu Medeas Flucht auf dem Schlangenwagen über (7,350), setzt somit die Kenntnis des Geschehens in Korinth voraus, spart es aber aus, vermutlich auch, weil es Gegenstand seiner Tragödie war.205 Auch Lukan wird eine (unvollendete) Medea zugeschrieben (TrRF I2 T 1), von der aber nichts erhalten ist; ebenfalls wird für Curiatius Maternus eine Medea bezeugt (TrRF I2 T 1).206 Die erste vollständig überlieferte dramatische Neubearbeitung des MedeaStoffs stammt von dem Stoiker Seneca (gestorben 65 n. Chr.). Seine Medea unterscheidet sich in vielen Aspekten von der euripideischen, hat aber mit ihr (bzw. der vor Seneca liegenden Tradition) gemeinsam, dass die Dramenhandlung sich aus dem Treubruch Iasons gegenüber Medea entwickelt. Seine neue Ehe mit der Tochter des Königs von Korinth, Creo, die er zur Sicherung der Familie eingegangen sein will, verletzt Medea zutiefst. Anders als in Euripides’ Medea sieht sich Creo dem Verlangen des Königs von Iolkos ausgesetzt, der wegen der Ermordung seines Vaters Pelias Iason und Medea ausgeliefert haben will, sonst droht ein Krieg. Damit kommt eine politische Dimension in das Drama, die spätere Bearbeiter angeregt hat. Da Creo meint, nur Iason vor der Auslieferung bewahren zu können, sieht sich Iason in einer Zwangslage und glaubt, um sein Leben und das der Kinder, die er im Unterschied zum Iason in der euripideischen Medea wirklich liebt, retten zu können, die Treue zu Medea verletzen zu müssen. Als Iason Medeas Vorschlag, zusammen zu fliehen oder wenigstens ihr zu erlauben, die Kinder mitzunehmen, aus Fürsorge für die Kinder ablehnt, erkennt Medea den Ansatzpunkt für ihre Rache (549b–550). Die Präparierung des Gewandes für Creos Tochter wird in seiner Unheimlichkeit ausführlich geschildert (670–848). Das vergiftete Gewand tötet nicht nur Creos Tochter und ihn selbst, sondern löst ein Feuer aus, das den ganzen Palast vernichtet. Medea wird als Rasende (furor) charakterisiert (von der Amme und vom Chor) und sieht sich auch selbst so (406 f.). Sie ist ganz ihrem Affekt hingegeben, kann weder Zorn noch Liebe zügeln und wird bedrängt von den Furien des ermordeten Bruders. Am Ende tötet sie zuerst den einen Sohn, dann –––––––––––– kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu West (ebd. 5–7, mit berechtigter Kritik von Lucarini 2013, 193–196); Burkert 2009, 162–166; Wright 2020, 219–221. 204 servare potui: perdere an possim rogas? 205 Im Brief an Iason (Heroides 12) lässt Ovid Medea ihre Geschichte bis zum angedeuteten, aber noch nicht geschehenen Kindermord erzählen. 206 Ein Bassus schrieb eine Colchis (TrRF I2 T 1 = Martial 5,53,1), behandelte also den Medea-Stoff.
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auf dem Dach des Hauses vor den Augen des dazugekommenen Iason (d. h. auch vor denen des Publikums) den anderen, übergibt ihm die beiden Leichen und entschwindet mit dem von Schlangen gezogenen Wagen „in den Himmel“. Sie, die ganz zur ‚Medea‘ geworden ist, wie sie sich selbst gewünscht hatte (171),207 entschwindet aus der menschlichen Sphäre. Die dramatische Interpretation der Medea-Geschichte durch Seneca betont die negativen Seiten und Konsequenzen der psychischen Disposition Medeas, woraus ein Stoiker den Schluss ziehen kann, dass ein Übermaß an Emotionen schädlich ist.208 – Senecas Medea sollte neben der euripideischen die spätere Rezeption wesentlich mit beeinflussen. Im europäischen Mittelalter ist die Geschichte Medeas, vermittelt durch lateinische Autoren (bes. Ovid) in verschiedenen (nicht-dramatischen) literarischen Formen verbreitet, wobei Medeas Rolle im Argonauten-Mythos ausgestaltet ist, ohne dass ihr Leben in Griechenland bzw. das Motiv des Kindermords in Korinth immer aufgegriffen wird. Da sich dieser Überblick auf dramatische Bearbeitungen beschränkt, kann auf die aspektreiche mittelalterliche Rezeption nur verwiesen werden.209 In der frühen Neuzeit setzt die Rezeption mit der Editio princeps des Textes der Medea von 1494 ein.210 Es folgten Übersetzungen ins Lateinische, darunter eine von Erasmus von Rotterdam,211 der einzige, dessen Übersetzungsleistung von dem Schotten George Buchanan anerkannt wurde.212 Buchanan übersetzte seinerseits Euripides’ Medea (gedruckt Paris 1544) und die Alkestis. Diese lateinische Fassung der Medea wurde schon 1539, 1542 oder 1543 von seinen Studenten im Collège de Guyenne in Bordeaux aufgeführt.213 Sie ist damit die erste bekannte Aufführung der euripideischen Medea (in Übersetzung) in der frühen Neuzeit. Die erste volkssprachige Fassung ist die stark von Seneca beeinflusste Médée von Jean-Bastier de La Péruse 1553,214 etwas später folgte die italienische (nach Euripides) von Ludovico Dolce, aufgeführt in Venedig 1558.215 1598 wurde die Medea im Schultheater in Straßburg –––––––––––– 207 Die tradierte Vorstellung ist, dass eine Medea ferox invictaque (‚wild und unbeugsam‘) sein soll (Horaz, Ars poetica 123). 208 Für die lateinische Antike ist noch Hosidius Geta (um 200 n. Chr.) zu erwähnen, der eine Medea-‚Tragödie‘ in Form eines hexametrischen Vergil-Centos verfasste (Tertullian, De praescriptione haereticorum 39) in 461 Versen, überliefert im Cod. Parisinus 10318. Vgl. Rondholz 2012, 82–89. 209 Vgl. im Einzelnen Morse 1996 (bes. 185–236); Kern / Ebenbauer 2003 s. v. Medea (S. 380–384); Heavey 2015, 22–50. Dass es keine Zeugnisse für eine dramatische Umsetzung der Medea-Geschichte im europäischen Mittelalter gibt, hängt nicht mit dem Stoff zusammen, sondern mit dem Vorherrschen des geistlichen Spiels. Auch die weltlichen Spiele des Spätmittelalters hatten keine mythologische Grundlage. 210 Vgl. dazu u. S. 60. 211 Er übersetzte die Hekuba und die Aulische Iphigenie; die Hekuba erschien bereits 1506 (vgl. Baier 2017, 82 f.), d. h. schon bald, nachdem 1503 die erste Gesamtausgabe der euripideischen Tragödien publiziert worden war (vgl. u. S. 60 f.). 212 Buchanan in seiner Praefatio zur Medea. 213 APGRD, Productions database id. 4882. 214 APGRD, Productions database id. 13302. 215 APGRD, Productions database id. 14578; vgl. zu dieser Fassung Delli Priscoli 2014.
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in griechischer Sprache auf die Bühne gebracht.216 In England wurde der Medea-Stoff erstmals von Charles Gildon in sein Bühnenstück Phaeton, or The Fatal Divorce (1698) integriert.217 In Deutschland eroberte der Stoff zuerst die Oper; den Anfang machte Johann Christian Schieferdecker mit der von ihm komponierten Oper Medea (1700), die u. a. auf Seneca und Euripides basierte.218 Als Bühnenstück wurde die Medea-Thematik erst spät konzipiert, von Friedrich Maximilian Klinger in seiner Medea in Korinth von 1786, mit der er bei Wahrung der Grundstruktur des Stoffes gegenüber Euripides, Seneca und dem gleich zu besprechenden Corneille einen Originalitätsanspruch erhebt.219 Nach diesem knappen Überblick über die Anfänge der Rezeption auf der Theaterbühne in einigen europäischen Kulturen seien im Folgenden exemplarisch signifikante Beispiele aus der Fülle späterer dramatischer Bearbeitungen der Medea skizziert, die dann auch über Europa hinausreichen. Pierre Corneilles Médée von 1634 ist mehr von Seneca als von Euripides abhängig, weist aber auch deutliche eigene Akzente auf. Der Ausgangspunkt ist eine politische Verwicklung. Der thessalische König Akastos verlangt wegen der Ermordung des Pelias die Auslieferung von Jason und Medea, begnügt sich aber dann mit der Verbannung Medeas, die Jason, wie bei Seneca, um der Kinder willen akzeptiert; er ist in Kreons Tochter Kreusa heftig verliebt, die, weil sie die Kinder für Jason gerettet habe, von sich aus das von Medea aus der Heimat mitgebrachte Gewand verlangt. Wie bei Euripides tritt auch Aigeus auf, aber in völlig veränderter Funktion: Auch er möchte Kreusa heiraten, wird aber von ihr zugunsten Jasons zurückgewiesen und will sich rächen, indem er sie entführt. Das schlägt allerdings fehl, weil seine Leute vom Argonauten Pollux, der als Freund Jasons und Warner auftritt, überwältigt werden; Aigeus wird eingekerkert. Medea, deren Zauberkräfte in Corneilles Fassung stark hervortreten, vergiftet nicht nur das Gewand, durch das Kreusa und Kreon dann zu Tode kommen, sondern befreit auf wundersame Weise auch Aigeus und erhält als Belohnung Asyl in Athen. Jason will aus Rache für den Tod Kreons und Kreusas nun seinerseits die Kinder töten (!), aber Medea ist ihm bereits zuvorgekommen und entschwindet im Flügelwagen. In der Verzweiflung darüber, dass er sich letztlich nicht an Medea rächen kann, gibt sich Jason den Tod. Einen absichtlichen Kindermord wollte Richard Glover in seiner in England erfolgreichen Medea von 1761 (Erstaufführung 1767)220 dem Publikum nicht zumuten. Er lässt sie daher im Wahnsinn töten, was sie bei klarem Verstand nie –––––––––––– 216 APGRD, Productions database id. 912; vgl. dazu Flashar 2009, 34. 217 APGRD, Productions database id. 1072; vgl. dazu Hall 2000, 50–52; Heavey 2015, 84– 87. Weitere englische Bearbeitungen sind Charles Johnsons The Tragedy of Medæa (1730; APGRD, Productions database id. 13314; Hall, ebd. 52 f.) und Richard Glovers Medea: a Tragedy (1767; APGRD, Productions database id. 1247 u. 13316; Hall, ebd. 53–55). 218 APGRD, Productions database id. 13311. 219 Vgl. Hartmann et al. 2012, VII ff., bes. IX, X, XII Anm. 8. 220 APGRD, Productions database id. 1247 u. 13316.
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getan hätte. Bei dieser Medea ist weder ihre Liebe zu den Kindern noch die zu Jason tangiert.221 Franz Grillparzer bietet eine innovative Umgestaltung der bisherigen Tradition mit seiner Medea, die an dritter Stelle seiner Trilogie Das goldene Vließ steht, deren erste beiden Teile der Gastfreund und die Argonauten bilden. Die Trilogie wurde erstmals 1821 im Wiener Burgtheater aufgeführt.222 Grillparzer hat die Ausgangssituation gegenüber Euripides völlig verändert. Jason und Medea sind gerade als Verbannte nach Korinth gekommen. Medea ist weder schuld am Tod ihres Bruders noch an dem des Pelias. Kreon nimmt Jason mit den Kindern auf und zögernd und unter Bedingungen auch Medea, für die sich Kreons Tochter Kreusa, Jason aus früherem Aufenthalt in Korinth bekannt, eingesetzt hatte. Jason steht aus Pflichtbewusstsein zu Medea. Diese hatte bereits ihr Zaubergerät, ihren Schleier und das Vlies vergraben, will so ihrer Vergangenheit entsagen, versucht, sich anzupassen. Der Gegensatz Griechen – Barbaren, die Andersheit Medeas, wird mehrfach thematisiert, ein wichtiges Thema in der ganzen Tragödie (1. Akt). In Gesprächen Medeas (nun in griechischer Kleidung) und Jasons mit Kreusa, die mit mäßigem Erfolg Medea zu einer feineren, griechisch-musischen Lebensart hinführen will, erweist sich die Ehe der beiden schon lange als unglücklich. Die delphische Amphiktyonie will beide aus Korinth verbannen wegen der ihnen (zu Unrecht) vorgeworfenen Schuld am Tod des Pelias, doch Kreon nimmt Kreusas Jugendfreund Jason in Schutz, beschließt etwas unvermittelt, ihn mit seiner Tochter zu verheiraten, und verbannt die eine Schuld bestreitende Medea, der die Kinder genommen werden. Medea kündigt Rache an, ohne sie im Einzelnen zu benennen (2. Akt). Kreon dringt darauf, dass Medea sofort Korinth verlässt; Jason, kraftlos geworden, will nicht mit ihr fliehen, die Kinder sollen bleiben. Schließlich gewährt Jason ihr, einen Sohn mitzunehmen, beide wenden sich jedoch Kreusa zu, fliehen vor der Mutter; sie ist vernichtet und will sterben (3. Akt). Doch das von Kreons Leuten ausgegrabene Kästchen mit den Zaubersachen und dem Goldenen Vlies machen Medea wieder zu der Medea, die sie war; sie legt ihren Schleier wieder an, schickt ein ‚Geschenk‘ zur Vernichtung Kreusas und nutzt deren Güte, sich von den Kindern verabschieden zu dürfen, dazu, die ihr Entfremdeten und mittlerweile Verhassten zu töten (4. Akt). Am Ende ist Kreon wegen des Todes Kreusas gebrochen und zweifelt, ob er Medea recht getan hat; Jason ist ausgestoßen und ewiger Trauer ausgesetzt, Medea auf dem Weg nach Delphi, wo sie das Vlies zu seinem Ausgangspunkt zurückbringen und sich dem Urteil der Priester stellen wird (5. Akt). Grillparzer zeigt, wie Medea durch unberechtigte Schuldzuweisung und Ausgrenzung erst zu ihrer Rache getrieben wird, und gestaltet eine Medea, die sich am Ende wieder der ‚zivilisierten‘ Welt zuwendet und sich der Verantwortung für ihre Taten, anders als bei Euripides und Seneca, nicht entzieht.223 ––––––––––––
221 Vgl. Hall 2000, 53–55; Lauriola 2015, 389–391. 222 APGRD, Productions database id. 13267; 12372; 13336; Drews / Bachmaier 2020. 223 Vgl. auch Lauriola 2015, 391–393.
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Hans Henny Jahnn hat in seiner Medea, erstmals aufgeführt 1926,224 das schon von Grillparzer betonte Motiv der Andersheit weiter ausgebaut, insofern er Medea zu einer Frau mit dunkler Hautfarbe machte.225 Jason und Medea sind aus Furcht vor der Rache der Kolcher mit ihren Kindern nach Korinth geflohen. Die Söhne sind schon weiter herangewachsen (als bei Euripides), der ältere ist bereits durch den Vater in die (homoerotische) Welt der Erwachsenen initiiert, im Gegensatz dazu glaubt der jüngere, nicht aus dem Stadium der Kindheit herauszukommen. Jason ist der durch Medeas Künste ewig Junge und sexuell Überbordende (hetero- und homoerotisch), der sich zu der allein alternden Medea nicht mehr hingezogen fühlt. Das Stück ist in ganz anderer Weise als die Vorgängerdramen eine sexuell aufgeladene ‚Ehetragödie‘ zwischen der alternden, durch Geburten verbrauchten Frau („Das fette, schwärzlich graue Weib“) und dem immer noch attraktiven Mann, verschärft durch die ‚ewige Jugend‘ Jasons. Medea fühlt sich nicht nur um ihre Attraktivität betrogen, sondern ebenso um die Frucht des Geborenhabens, weil Jason sie auch mit der Hochzeit des älteren Sohns hintergangen hat, der sich in Kreusa verliebt hatte, die aber von Kreon dann doch Jason gegeben wird. Der Zauber Medeas vernichtet Kreusa (die Jason durch Küssen hätte retten können) und Kreon. Medea tötet in ihrer Enttäuschung in rasender Wut die Söhne, die sie, nachdem dem Älteren Kreusa genommen wurde, in homosexuellem Inzest vorfindet, weder um Jasons dynastische Pläne zu durchkreuzen noch um ihn in seiner Liebe zu den Kindern (die er eigentlich nicht hat) zu treffen, sondern als verlassene Ehefrau, die ihre Ehe mit Jason nicht geschehen machen will, auch in ihren Folgen. Jean Anouilh greift mit seiner 1946 entstandenen Médée, 1948 in Brüssel uraufgeführt, ebenfalls das Motiv der Ausgrenzung Medeas auf; sie lebt in einem Karren, wie ‚fahrendes Volk‘. Anouilh zeigt aber insbesondere, wie aus leidenschaftlicher Liebe Entfremdung und Hass wird. Medea kann sich trotzdem innerlich nicht von Jason lösen, während Jason durch die Trennung seine Freiheit wiedergewinnen will und mit Kreusa ein Leben in bürgerlicher Ordnung erstrebt. Die ganze Schuld der für Jason vollbrachten Taten wird Medea zugeschrieben, Jason hat erkennbar keinerlei Selbstzweifel. Auch als Medea sich zur Rache entschließt, Kreusa, Kreon und die Kinder, schließlich sich selbst, tötet, scheint Jason unberührt und will der Argonauten-Held seinem nunmehrigen Ideal des geordneten, bescheidenen Lebens folgen.226 Während die bisher skizzierten Stücke trotz aller neuen Aspekte (selbst bei Jahnns ‚schwarzer‘ Medea) letztlich das Setting des euripideischen bzw. senecanischen Modells weitgehend bewahren,227 treten im 20. Jh. auch viel weitergehende Transponierungen auf, indem die Handlung in andere kulturelle bzw. geo–––––––––––– 224 APGRD, Productions database id. 919; eine erweiterte Fassung entstand 1959 (aufgeführt 1964); vgl. Flashar 2009, 153 f. 225 Einen Vorgänger hatte er in Paul Heyses Novelle Medea (1898), in der Wally (~ Medea) eine Mulattin ist. Vgl. Bartel 2011. 226 Vgl. Botond 2020. 227 Eine Ausnahme bildet Heyses (nicht-dramatische) Medea (vgl. o. Anm. 225), die in München spielt, wo Wally als Hausschneiderin tätig ist.
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graphische Bereiche und andere gesellschaftliche und politische Verhältnisse verlegt wird. In Henri-René Lenormands Asie von 1931228 ist das Motiv der Andersheit mit der Thematik des Kolonialismus verbunden. Die indochinesische Prinzessin Katha (~ Medea) hat dem Franzosen De Mezzana (~ Jason) gegen ihren Vater bei der Unterdrückung ihres Volkes geholfen. Mit Katha nach Frankreich zurückgekehrt verstößt De Mezzana Katha zugunsten der weißen Tochter eines Kolonialbeamten. Katha tötet ihre Kinder, um ihnen die rassistische Diskriminierung, die sie erleiden musste, und Unterdrückung zu ersparen.229 Ein weiteres Beispiel ist Franz Theodor Csokors Medea Postbellica von 1946,230 deren Handlung in Griechenland gegen Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt, und ebenso Max Zweigs Medea in Prag (1949), dessen Fassung den Einfluss Grillparzers nicht verleugnen kann:231 Prokop (~ Jason) ist ein Widerstandskämpfer, der in Libyen von Beduinen vor den Deutschen gerettet und von der Senussi Leila (~ Medea), der Tochter eines Scheichs, gesund gepflegt wird. Er nimmt Leila mit nach Prag, wo sie von der Familie von Prokops Jugendfreundin Zdenka (~ Kreusa) als Fremde, trotz aller, von Zdenka geförderten, Assimilierungsbemühungen nicht akzeptiert, schließlich ausgewiesen wird. Die Kinder sind ihr entfremdet, keines will ihr folgen, obwohl sie eines mitnehmen dürfte, und sie tötet sie. „Ich habe sie davor bewahrt, zu werden, wie ihr seid. Jetzt macht mit mir, was ihr wollt! Bald bin ich dort, wo sie sind.“232 Der an diesen Beispielen gezeigte Modus der Transponierung hat sich zumeist auch bei den späteren dramatischen Arbeiten durchgesetzt. So behandelt der Kubaner José Triana in seiner Medea en el espejo (‚Medea im Spiegel‘) von 1960 die Ausgrenzung der Mulattin Maria im eigenen Land,233 der Südafrikaner Guy Butler in seinem Stück Demea, entstanden in den 1960er Jahren, aber aus politischen Gründen erst 1990 aufgeführt, das Problem kolonialer Mischehen in einer in die 1820er Jahre verlegten Handlung. Butlers Version gehört zu den Stücken, in denen ‚Medea‘ ihre Kinder aus Mitleid tötet.234 Einen starken politischen Einschlag hat Euripides’ Medea: A New Version des Iren Brendan Kennelly von 1988/1991, ein Stück, in dem es nicht nur um die Ausbeutung von Frauen durch Männer, sondern auch um die Irlands durch England geht und, ein Novum, die Kinder sterben, weil sie in den Kampf geschickt werden.235 Diese politische Linie setzt sich fort mit Leo Katunarićs Medea 1995, aufgeführt 1995 in Zagreb, wo die korrupten Verhältnisse am Ende des Balkankriegs thematisiert werden und die in diesem Stück signifikanterweise kinderlose Medea am Ende –––––––––––– 228 229 230 231 232 233 234 235
APGRD, Productions database id. 3356. Vgl. Macintosh 2000, 21; Lauriola 2015, 394. Vgl. dazu Ziolkowski 2008, 207 f. Vgl. zur Datierung und zum Einfluss Grillparzers Reichmann 1997, 213. Das Stück ist lt. Reichmann (ebd.) nicht aufgeführt worden. Vgl. für eine detailliertere Analyse des Stücks Ziolkowki 2008, 208–210. APGRD, Productions database id. 13815; vgl. Lauriola 2015, 396 f. APGRD, Productions database id. 3361; vgl. Lauriola 2015, 397 f. APGRD, Productions database id. 175; 4792; vgl. Lauriola 2015, 401 f.
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Selbstmord begeht,236 weiter mit Roger Kirbys Medea in Jerusalem von 2004, der eine palästinensische Medea mit einem israelischen Jason zusammentreffen und die Kinder als unfreiwillige Selbstmordattentäter zu Jasons Hochzeit schicken lässt.237 Auch bei deutschsprachigen Autoren hat die Medea-Thematik in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s weiteres Interesse gefunden.238 Heiner Müller hat sein Medeamaterial als mittleres Stück zwischen Verkommenes Ufer und Landschaft mit Argonauten verfasst (1981/1982).239 Das Medeamaterial besteht im Wesentlichen aus einem Monolog Medeas in Gegenwart ihrer Amme und Jasons (die ausdrücklich zum Personal gehören) und anscheinend auch ihrer Kinder, wenn das aus dem Faktum erschlossen werden darf, dass sie angesprochen werden. Außer mit Euripides sind Berührungen u. a. mit Seneca (Iason liebt die Kinder), Grillparzer (Entfremdung der Kinder von der Mutter) und Jahnn (‚verbrauchter Leib‘ Medeas) erkennbar.240 Die Trennung von Jason ist vollkommen, Medea ist die ausgestoßene Barbarin im Ausland, das Netz der Liebe ist zerrissen. Dramaturgisch bizarr ist, dass sie ihre Rachepläne vor Jason (und den Kindern?) ausbreitet, sich in seiner Gegenwart am Untergang von dessen neuer Frau weidet, woraufhin Jason nur ein Wort sagt: „Medea“. Christa Wolfs Medea. Stimmen von 1996 ist zwar ein Roman, aber es gibt auch Bühnenfassungen241 und ein chorisches Oratorium Medea in Korinth von Georg Katzer (2002), zu dem Christa Wolf das Libretto schrieb.242 Die ‚Stimmen‘ sind monologische Äußerungen von Figuren, teils aus dem tradierten Umfeld von Medea, teils von Wolf neu erfunden, die das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven darstellen. Stofflich hat Wolf auch vor- bzw. außereuripideische Quellen herangezogen und sich vom Drama des Euripides weit entfernt. Die Macht sowohl in Kolchis (trägt gewisse Züge der DDR) als auch in Korinth (in einigem der BRD vergleichbar) stützt sich auf dunkle Verbrechen, sodass beide Städte der emanzipierten Medea keine Heimat bieten können. Sie hat in Wolfs Fassung auch nicht den ihr vorgeworfenen Mord an ihrem Bruder begangen, ist weder für den Tod der Königstochter Glauke verantwortlich noch für den Tod ihrer Kinder, die von Korinthern gesteinigt werden; trotzdem wirft –––––––––––– 236 Vgl. Lauriola 2015, 404 f. 237 APGRD, Productions database id. 8812; vgl. Lauriola 2015, 405 f. 238 Einen vollständigeren Überblick bietet Ziolkowski 2008. Er bespricht neben Gedichten und Romanen im Bereich der Dramatik noch Mattias Brauns Medea von 1958 (S. 211– 213), George Taboris M von 1985 (S. 221) und Andreas Staudingers Medea Good Girl von 1997 (S. 233 f.). 239 Vgl. Hörnigk 2002, 322–326. Dort finden sich auch Angaben zur Entstehungsgeschichte des Textes und zu Aufführungen (Uraufführung 1983 im Schauspielhaus Bochum). 240 Vgl. auch Hörnigk 2002, 325. 241 APGRD, Productions database id. 14056 (1997/1998); 3575 (1998). In einer Fassung von Tilmann Köhler und Juliane Koepp wurden die Stimmen 2018 im Deutschen Theater Berlin auf die Bühne gebracht (https://www.deutschestheater.de/programm/a-z/medea_ stimmen/, abgerufen 14.07.2023). 242 Vgl. Flashar 2009, 342.
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man ihr auch Glaukes Tod vor.243 Medea bleibt nur, alle ihre Feinde zu verfluchen, und sie beendet ihren letzten Monolog mit den Worten: „Wohin mit mir. Ist eine Welt zu denken, eine Zeit, in die ich passen könnte. Niemand da, den ich fragen könnte. Das ist die Antwort.“244 Wieder recht nah an der Grundstruktur der antiken Vorbilder, aber mit Transponierung in eine neue gesellschaftliche Situation, ist Dea Lohers Manhattan Medea (1999).245 Medea und Jason sind Emigranten, die ohne Aufenthaltsgenehmigung in New York leben und sich nur mühsam durchschlagen; unterwegs haben sie Medeas Bruder umgebracht. Als Jason die Tochter eines reichen Unternehmers kennenlernt, verlässt er Medea. Zwar wäre er bereit, Medea mit Kind neben seiner neuen Frau aufzunehmen, aber der Schwiegervater weist Medea weg, will ihren und Jasons Sohn aber zurückbehalten. Medea rächt sich, indem sie den Sohn mit der Mülltüte erstickt, in der sie ein mit Schadstoffen verseuchtes Kleid erhalten hat. Das schickt sie zur Hochzeit der neuen Braut, die darin verbrennt. Den für die Medea-Dramatik üblichen Geschehensablauf gewissermaßen auf den Kopf gestellt hat Roland Schimmelpfennig mit Die Frau von früher (2004), ein Drama über Verrat in der Liebe. Frank ist seit vielen Jahren mit Claudia verheiratet, sie haben einen gemeinsamen Sohn, Andi. Die Familie ist dabei wegzuziehen. Plötzlich erscheint Romy (die Frau von früher) an der Tür, der Frank vor 24 Jahren ewige Treue geschworen hat, die sie jetzt einfordert. Eine solche Zusicherung, dass er sie immer lieben werde, hatte auch der Sohn Andi seiner Freundin Tina gegeben. Trotzdem verbringen Andi und Romy eine Nacht miteinander; als Andi gesteht, dass er Tina niemals wiedersehen werde, erstickt ihn Romy mit einer Plastiktüte und legt die Leiche in eine der Umzugskisten. Frank ist unschlüssig, ob er mit Romy weggehen soll oder nicht; sie geht schließlich allein, nachdem er sich nicht an ein Geschenk erinnern kann, dass er einst von Romy erhalten hatte. Romy hat ihrerseits ein Geschenk für Claudia hinterlassen. Als Claudia in die Tüte mit dem Geschenk greift, fängt sie an zu brennen, von Tina von außerhalb des Hauses beobachtet. Frank entdeckt die Leiche seines Sohnes, stürzt zum Schlafzimmer, wo er seine Frau verbrennen sieht, will entsetzt die Wohnung verlassen, kann aber die Tür nicht mehr öffnen. Schon diese knappe Auswahl an dramatischen Bearbeitungen des MedeaStoffs, die hier vorgestellt werden konnte, zeigt, wie fruchtbar diese Thematik bis heute geblieben ist, und vermutlich ist ein Ende noch lange nicht erreicht.
––––––––––––
243 Die Tendenz, Medea zu exkulpieren, die sich in der Rezeption des Stoffes mehrfach in mehr oder weniger großem Ausmaß finden lässt, ist in Wolfs Version sehr weit getrieben. Wolfs Deutung steht damit in deutlichem Gegensatz zur Konzeption der euripideischen Medea-Figur, die man mit Friedrich so beschreiben könnte: „die Tat bleibt ganz Medeas Eigentum, nichts und niemand nimmt sie ihr ganz oder teilweise ab“ (Friedrich 1960, 236). 244 Vgl. im Einzelnen Ziolkowski 2008, 228–233. 245 APGRD, Productions database id. 4019; dazu Ziolkowski 2008, 235 f.
Überlieferung des Textes Die kritischste Phase für die Authentizität des Textes auf dem Weg vom MedeaExemplar des Dichters, das in Majuskel-Schrift, ohne Worttrennung und ohne diakritische Zeichen auf eine Papyrus-Rolle geschrieben war,246 bis in unsere Ausgaben sind die rund 100 Jahre von der Erstaufführung bis zum sog. Staatsexemplar des Lykurg um 330 v. Chr. Er brachte ein Gesetz ein, dass im Dionysos-Theater in Athen Bronzestatuen von Aischylos, Sophokles und Euripides aufgestellt werden und die Texte ihrer Tragödien aufgeschrieben und im koinon247 aufbewahrt werden sollten und der Stadtschreiber sie bei Aufführungen mit den Schauspielern abgleichen solle; denn es solle nicht erlaubt sein, die Dramen von diesen Texten abweichend aufzuführen.248 Offenkundig wollte man der freien Benutzung der Texte durch Schauspieler (wobei wohl die für Aufführungen Verantwortlichen mitgemeint sind) Einhalt gebieten, da auch größere Veränderungen vorkamen. So weiß Aristoteles von dem TragödienSchauspieler Theodoros, dass er forderte, immer als erster aufzutreten, da die Zuschauer von dem eingenommen würden, was sie zuerst hörten.249 Daraus ist wohl zu schließen, dass, wo nötig, neue Prologe passend zur Rolle dieses Schauspielers hinzugefügt wurden.250 Man kann sich überhaupt vorstellen, dass die Rolle des Hauptdarstellers ausgeweitet wurde, sodass er mehr zur Geltung kam. Wie die Texte für das ‚Staatsexemplar‘ ermittelt wurden, weiß man nicht, aber die mit der Zusammenstellung Betrauten werden kaum philologische und textkritische Verfahren angewandt haben, sodass mit Sicherheit etliche Veränderungen und Erweiterungen (auch) in dieses Exemplar geraten sein und damit bis in unsere Zeit fortleben können;251 aber Abschriften neben dem ‚Staatsexemplar‘ können ebenfalls weiter im Umlauf gewesen sein. Daher ist es begründet und notwendig, wenn etwa auffällige Unstimmigkeiten im Text zu beobachten sind, den überlieferten Text auf eventuelle derartige Erweiterungen zu über–––––––––––– 246 Möglicherweise im alten Alphabet vor der Schriftreform des Eukleides (403/402 v. Chr.), d. h., O stand für O (ŏ), Ω (ō) und ΟΥ (ū), Ε für E (ĕ), Η (ē) und ΕΙ (ei). Vgl. auch Roth 2015, 36 f. 247 Der Ausdruck wird öfters mit ‚Staatsschatz‘ wiedergegeben, was koinon auch heißen kann, doch ist die Angabe für die Archivierung von Tragiker-Texten fragwürdig; vgl. Hanink 2014, 64, wonach der Text keine präzise Lokalisierung angibt. 248 Vgl. Ps.-Plutarch, Lebensbeschreibungen der zehn Redner 7, p. 841F; vgl. dazu Hanink 2014, 60–74. – Informationen zur Überlieferungsgeschichte allgemein bieten Pöhlmann 2003, Garland 2004; speziell zu Euripides vgl. Carrara 2009, Mastronarde 2017, Martina I 130–179, Hanink 2019, Finglass 2020 und Piccione 2020. 249 Aristoteles, Politik 1336b27–31. 250 Vgl. Finglass 2020, 32 mit Verweis auf Hall 2010a, 161. 251 Vgl. Finglass 2015, bes. 271–274 (zu relevanter früherer Literatur vgl. 266 Anm. 23); 2020, 32 f.; zu Schauspieler-Interpolationen vgl. auch Hose 2020, 23–29.
Überlieferung des Textes
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prüfen. Die Identifikation (und Elimination) unechter Einschübe beeinflusst nicht unerheblich das Verständnis eines Dramas. Bei der Medea ist diese Problematik, wie die Forschungsgeschichte zeigt, besonders relevant. Wenn man einer bei Galen überlieferten Geschichte glauben darf, gehörte das ‚Staatsexemplar‘ zu den Texten, welche die Philologen in Alexandria für ihre Arbeit herangezogen haben.252 Denn in der von Ptolemaios I. Anfang des 3. Jh.s v. Chr. gegründeten Bibliothek im Museion versuchte man die Literatur „aller Menschen“ umfassend zu sammeln,253 und darunter waren sicher von Anfang an auch die großen Tragiker, noch bevor sich Ptolemaios III. das ‚Staatsexemplar‘ ‚auslieh‘.254 In Alexandria soll Alexander Aitolos auf Anweisung von Ptolemaios II. eine Diorthōsis (~ ‚kritische Ausgabe‘) der Tragikertexte gemacht haben.255 Auch Aristophanes von Byzanz hat an den Texten der Tragiker gearbeitet,256 in den Euripides-Scholien finden sich einige wenige Verweise auf ihn,257 noch seltener ist die Tätigkeit von Aristarch für Euripides belegt, er hat sich aber offenbar ebenfalls mit den Texten beschäftigt.258 Didymos (ca. 65 v. – 10 n. Chr.) hat zumindest für einige Tragödien des Euripides Kommentare geschrieben, wie seine zahlreichen Erwähnungen in den Scholien zeigen, jedoch gibt es keinen Beleg für eine Ausgabe.259 Die Arbeit der Alexandriner hatte sicher nicht unerheblichen Einfluss auf die Euripides-Überlieferung, aber auch Texte, die nicht in Alexandria bearbeitet wurden, dürften weiter zirkuliert sein.260 Ein weiterer für die Überlieferung relevanter Schritt war die Umschrift der Texte von Papyrus-Rollen in (auch leichter zu handhabende) Pergament-Kodizes. Diese Entwicklung begann im 1. Jh. n. Chr. sehr allmählich und führte im 4. Jh. zur Verdrängung der Buchrolle. Der breiter angelegte Rand der Kodizes eignete sich für Randerklärungen (Scholien), in die frühere Kommentartätigkeit (z. B. des Didymos) einfließen konnte. Texte dieser Kodizes wurden in der sog. ‚Makedonischen Renaissance‘ des 9. und 10. Jh.s n. Chr. in Byzanz in Kodizes mit Minuskelschrift übertragen.261 ––––––––––––
252 Vgl. Galen, Kommentar zu Hippokrates Epidemien III 2,4 (CMG 5,10,2,1 p. 79,23 Wenkebach = Eur. TrGF V T 219; Text Soph. TrGF IV2 T 157 p. 84). 253 Vgl. Pfeiffer 1978, 125–134. 254 Ptolemaios (wohl Ptolemaios III., 246–221 v. Chr.) habe – so Galen – das Exemplar in Athen für 15 Silbertalente ausgeliehen, aber nicht wieder zurückgegeben, sondern den Athenern stattdessen eine prächtige Abschrift anfertigen lassen. – Zwar ist es umstritten, wie groß der Einfluss dieses Exemplars auf die nachfolgende Überlieferung ist (vgl. Hose 2020, 29 f.), aber durch die Theaterpraxis des 4. Jh.s vorgenommene Veränderungen an den Tragiker-Texten dürften nicht zuletzt über dieses Exemplar in den Strom der Tradition gekommen sein. 255 Alexander Aitolos, test. 7 Magnelli; Pfeiffer 1978, 136 f. (zu Diorthōsis). 256 Vgl. Pfeiffer 1978, 200; 237. 257 Schwartz II 380. Zu Aristophanes’ Hypothesis vgl. Anhang, S. 452 f. 258 Vgl. Pfeiffer 1978, 273. Aristarch wird in einem Scholion zu [Eur.] Rhesos 539 f. erwähnt. 259 Vgl. Pfeiffer 1978, 335; Schwartz II 382. 260 Vgl. Finglass 2020, 35. 261 Vgl. dazu Barrett 1964, 57 f.
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Einführung
Dieser Überlieferungsprozess ging einher mit zahlreichen Verlusten. Waren von den 92 Dramen, die Euripides verfasst haben soll, in Alexandria noch 78 Titel unter seinem Namen erhalten, so finden sich in der auf uns gekommenen handschriftlichen Überlieferung nur noch 19,262 immerhin mehr als die je sieben Tragödien, die für Aischylos und Sophokles überliefert sind. Mit diesen 19 Dramen hat es allerdings eine besondere Bewandtnis. Die Überlieferung teilt sich in zwei Gruppen. Die erste, die sog. Auswahl, besteht aus Alkestis, Andromache, Bakchen, Hekabe, Hippolytos, Medea, Orest, Phoinikerinnen und Troerinnen, dazu kommt der unechte Rhesos. Diese Gruppe ist in zahlreichen Handschriften erhalten, in noch größerer Zahl die in dieser Gruppe überlieferte ‚Byzantinische Trias‘, Hekabe, Orest und Phoinikerinnen. Die Stücke der ‚Auswahl‘ sind (die Bakchen ausgenommen) mit kommentierenden Scholien versehen. Anhand von Papyrusfunden lässt sich zeigen, dass die in der ‚Auswahl‘ enthaltenen Stücke, insbesondere die Trias, schon früh an Beliebtheit die meiten anderen übertrafen, und so sich allmählich diese Gruppe herauskristallisierte. Die ‚Auswahl‘ ist daher nicht die Entscheidung eines Einzelnen, sondern spiegelt eine Entwicklung wider.263 Die zweite Gruppe besteht aus Helena – Herakles, Herakliden, Elektra – Hiketiden, Iphigenie in Aulis, Iphigenie bei den Taurern, Ion – Kyklops. Offenbar hat sich ein Teil einer alphabetisch geordneten Ausgabe (Epsilon – Eta – Iota – Kappa) erhalten, der nur in einem Kodex und seinen Abschriften überliefert ist; diese Stücke haben keine Scholien.264 Es ist also einem Zufall der Überlieferung zu verdanken, dass eine relativ große Zahl von Euripides’ Stücken auf uns gekommen ist. Die in Byzanz noch vorhandenen Dramen des Euripides wurden wie die der anderen Tragiker in der Renaissance der Palaiologenzeit265 von Gelehrten bearbeitet. Zu nennen sind Maximos Planudes, Thomas Magister, Manuel Moschopoulos und Demetrios Triklinios, von dem die Notizen im Codex Laurentianus 32.2 (L) stammen, auch zur Medea, in deren modernen Ausgaben sich diese Notizen in den Apparaten berücksichtigt finden.266 Die Medea gehörte zwar nicht zur ‚Byzantinischen Trias‘, aber zu der ‚Auswahl‘ besonders beliebter Stücke. Die Editio princeps der Medea stammt von Ianus Lascaris (Florenz 1494), die Ausgabe enthielt außerdem Alkestis, Hippolytos und Andromache, die erste Gesamtausgabe der Tragödien des Euripides –––––––––––– 262 Vgl. o. S. 5. Dazu kommen Fragmente weiterer Dramen, die in Papyri und als Zitate überliefert sind. 263 Vgl. im Einzelnen Finglass 2020, 36–41 (auf der Grundlage vor allem von Carrara 2009 und Morgan 2003) sowie Piccione 2020, 47–53. 264 Der Codex ist der Laurentianus 32.2 (Sigle L), der auch die Stücke der ersten Gruppe enthält. Die Bakchen bilden einen Sonderfall; sie sind ebenfalls nur in L (und Abschriften) überliefert und haben keine Scholien, müssen aber ursprünglich zur ersten Gruppe gehört haben, u. a. weil sie sich alphabetisch nicht in die zweite Gruppe einordnen lassen; vgl. im Einzelnen Mastronarde 2017, 19 f. 265 Vgl. Wilson 1996, 229 ff. Die Epoche ist benannt nach dem Herrschergeschlecht der Palaiologen, die Blütezeit war unter Andronikos II. Palaiologos (1282–1328). 266 Vgl. Wilson 1996, 236; 238; 246; 248; 254 f.; Mastronarde 2017, 20 f. Zu den in Byzanz bekannten und zitierten Stücken vgl. auch Baldwin 2009.
Überlieferung des Textes
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(mit Ausnahme der Elektra) erschien 1503 bei Aldus Manutius in Venedig.267 Für moderne Ausgaben der Medea werden die mittelalterlichen Handschriften, die sich nicht in ein stemmatisches Verhältnis bringen lassen (es handelt sich um eine offene Überlieferung268), die Papyri und die Nebenüberlieferung269 zugrunde gelegt, wobei entsprechende Informationen dazu in den jeweiligen Praefationes der modernen Ausgaben zu finden sind.270
–––––––––––– 267 Vgl. Sicherl 1975, 205 ff.; 1997, 291–307; Piccione 2020, 43 mit Anm. 2. 268 Vgl. van Looy, XXIV; Mastronarde 2017, 17f.; Martina I 176. 269 Dazu gehört außer Zitaten bei anderen antiken Autoren und in Gnomologien auch der Text Christus Patiens (Sigle CP), eine byzantinische Beschreibung der Passion Jesu Christi, bei der zahlreiche Verse des Euripides (auch aus der Medea) verwendet wurden. 270 Vgl. Diggle (vol. I), xii f.; 86 f.; van Looy, V–XXV; LVIII f.; Martina II 9–21; 24 f.
Zu dieser Ausgabe Anlage Für diese Ausgabe ist der Medea-Text nicht noch einmal anhand der Handschriften neu konstituiert, sondern durchgängig auf der Basis der in den modernen Editionen verfügbaren Informationen durchgesehen worden. In der TEXTGESTALTUNG unterscheidet sie sich von den vorliegenden Editionen dadurch, dass an verschiedenen Stellen die überlieferten Varianten und die vorgeschlagenen Konjekturen neu bewertet und der Erörterung von Echtheitsfragen größere Beachtung geschenkt wurde. Die grundsätzliche Berechtigung dazu liegt in dem Sachverhalt, dass man wegen der zahlreichen Wiederaufführungen der Medea im 4. Jh. v. Chr. mit Texterweiterungen rechnen muss271 und man daher bei dieser Tragödie besonders zu prüfen hat, ob sich solche Stellen identifizieren lassen und womöglich zu athetieren sind.272 Seit Langem gibt es kritische Ansätze, eine Vielzahl von einzelnen Versen und auch von größeren Versgruppen als unecht anzusehen. Allerdings sind Entscheidungen zur Textgestaltung, ob bewusst oder unbewusst, mit Vorstellungen von der Qualität des jeweils vorliegenden Werks verbunden. Aber solange man nicht Widersprüche, unterbrochene Zusammenhänge, auffällige Doppelungen usw. plausibel für das Verständnis des Textes fruchtbar machen kann, ist zumindest die Frage berechtigt, ob solche Passagen zum ursprünglichen Textbestand gehören. Athetesen sind immer umstritten;273 die in dieser Ausgabe vorgeschlagenen und im Kommentar und seinen Anhängen im Einzelnen begründeten Tilgungen sollen die Diskussion um die Textgestalt der Medea neu anregen. Wer den vorgetragenen Überlegungen nicht folgen möchte, kann Text und Übersetzung auch in dieser Ausgabe in der überlieferten Vollständigkeit mit entsprechender Kommentierung lesen. Die PROSAÜBERSETZUNG versucht, den Text des Euripides in verständlichem Deutsch, möglichst Vers für Vers, wiederzugeben. Dieses Vorgehen führt an manchen Stellen zu einer etwas ungewöhnlicheren Wortstellung, die einer –––––––––––– 271 Vgl. o. S. 58. 272 Die im Laufe der Zeit als unecht verdächtigten Stellen, die van Looy in einer langen Liste aufführt (Ausgabe, S. 124–132), legen jedoch bei weitem nicht alle eine Tilgung nahe. 273 Vgl. Hose 2021, 317 über die Einstellung zu Athetesen im 20. im Vergleich zum 19. Jh., der aber zugleich auch bemerkt: „Allerdings kann man sich nicht einfach mit der Preisgabe des Instruments der ‚Athetese‘ beruhigen. Das factum brutum, dass die bislang vorliegenden Produkte der Athetese (…) hochproblematisch sind, kann nicht per se dazu führen, dass der überlieferte Textbestand methodisch berechtigt unangetastet bleibt.“ Vgl. auch Hose 2020, 23–29, bes. 27.
Zu dieser Ausgabe
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flüssigen Lektüre entgegenstehen kann. Wegen der z. T. unterschiedlichen sprachlichen Strukturen des Griechischen und des Deutschen, vor allem auch bei der sehr gewählten Sprache der Chorlieder, konnte auch nicht immer dieselbe Nähe zum Originaltext beibehalten werden, um das Ziel eines möglichst spontanen Sinnverständnisses nicht zu gefährden; deswegen wird an manchen Stellen im Kommentar zusätzlich die wörtliche Bedeutung einer Formulierung angegeben. Gelegentlich sind in die Übersetzung verdeutlichende Zusätze in runden Klammern eingefügt. Der interpretierende KOMMENTAR ist so gehalten, dass er zusammen mit der Übersetzung auch ohne Kenntnisse des Griechischen benutzt werden kann. Erläutert werden neben der Entwicklung der dramatischen Handlung Sachprobleme, in der Textüberlieferung strittige sowie sprachlich schwierige Stellen, bei denen die Formulierungen im Griechischen nicht ohne Weiteres ein eindeutiges Textverständnis zulassen. Dabei werden auch abweichende wissenschaftliche Meinungen diskutiert. – Um die Darstellung möglichst knapp zu halten, wird des Öfteren den Figuren des Dramas direkt zugeschrieben, dass sie agieren, reden oder auch, welche Motivationen für sie anzunehmen sind. Dabei ist immer mitzudenken, dass es sich nicht um reale Personen, sondern um Figuren handelt, die der Dichter geschaffen und mit bestimmten Zügen ausgestattet hat und bei denen er durch die von ihm gewählten Darstellungsmittel den Rezipienten Indizien an die Hand gibt, die Rückschlüsse darauf zulassen, wie ihr Agieren und Sprechen zu verstehen sein dürfte. – Mit früheren wissenschaftlichen Kommentaren übereinstimmende Informationen, die als allgemein anerkannt gelten können, werden nicht ausdrücklich belegt. Der Bezug auf bestimmte Kommentare erfolgt nur bei daraus entnommenen oder diskutierten Erläuterungen, die nicht allgemein gängig sind. Die TEXTKRITISCHEN ANGABEN UND SPRACHLICHEN ERLÄUTERUNGEN unter dem griechischen Text (TS) sind für Leser gedacht, die von diesem Text ausgehen oder ihn mit heranziehen und sich detaillierter informieren wollen, etwa Studierende des Griechischen und andere an Textgestalt und Sprache Interessierte. Bei den textkritischen Angaben sind alle in den Text aufgenommenen Abweichungen von den überlieferten Textzeugnissen vermerkt (nicht berücksichtigt wurden z. T. unterschiedliche Akzentsetzungen in den Handschriften, die ohnehin nicht auf Euripides zurückgehen) sowie wichtigere Textvarianten und bedenkenswerte Konjekturen, in der Regel mit Begründungen für die in den Text gesetzte Überlieferungsvariante oder ggf. Konjektur. Da der Apparat reihenbedingt in dieser Ausgabe nur sehr knapp sein kann und es in erster Linie darauf ankommt, welche Varianten überliefert sind, und – angesichts der kontaminierten Überlieferung274 – nicht so sehr, in welcher Handschrift, wurde auf die Angabe von Handschriftensiglen verzichtet. Für detailliertere und ausführlichere Informationen sei auf die Ausgaben von Diggle, van Looy und Martina (Letztere mit Testimonienapparaten) verwiesen (s. unten S. 64 f.). Wenn nicht –––––––––––– 274 Vgl. van Looy XXIV; Martina I 20.
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Einführung
im Einzelnen ausdrücklich vermerkt, sind die Angaben der Lesarten und der bestimmten Philologen zuzuweisenden Konjekturen oder Tilgungen diesen Ausgaben entnommen. Die sprachlichen Erklärungen zum Griechischen mussten ebenfalls knapp gehalten werden. Sie sind oft mit Hinweisen auf einschlägige Standardwerke verbunden, aus denen sich näherer Aufschluss ergibt, warum eine Stelle in bestimmter Weise aufgefasst wurde. – Einige ergänzende Kommentarbemerkungen, vor allem umfänglichere Erörterungen von Echtheitsfragen (EK), sowie textkritische und sprachliche Erläuterungen (ETS) wurden aus Platzgründen in den Anhang verlagert; vgl. unten S. 411–429 bzw. 430–433. In der VERSZÄHLUNG DER CHORPARTIEN folgen die modernen Ausgaben der Edition von Canter (Antwerpen 1571), teilen die Verse aber je nach metrischer Analyse des Öfteren anders ab. Auch in dieser Ausgabe unterscheidet sich die Abteilung der Verse aufgrund abweichender Analyse gelegentlich von derjenigen Canters. Soweit zur Verdeutlichung notwendig, sind diese Verschiebungen durch die Verszahlen kenntlich gemacht.
Zitierweise Die Namen der drei großen Tragiker und die Titel ihrer Werke werden abgekürzt zitiert, die des Euripides in der Regel nur mit Werktitel (ohne Autornamen),275 die Namen anderer antiker Autoren und die Titel ihrer Werke ausgeschrieben. Die Arbeiten moderner Autoren werden mit Verfassernamen und Jahreszahl zitiert, auch die Kommentare (zu den Werken des Sophokles, Aischylos und Euripides); für bibliographische Angaben dazu s. Literaturverzeichnis, S. 461– 483. Häufiger herangezogene Ausgaben und Kommentare zur Medea sowie einige Standardwerke werden nur mit den Namen der Verfasser oder Siglen und Seitenzahlen oder Stellenangaben zitiert (wenn der Bezug im Kontext eindeutig ist, mit bloßem Namen): Diggle GP
J. Diggle (ed.), Evripidis fabvlae. Τom. I, Oxford 1984. J. D. Denniston, The Greek Particles, Oxford 21954 (korr. Ndr. 1966).
–––––––––––– 275 Aischylos (Aisch.): Ag. = Agamemnon; Cho. = Choephoren; Eum. = Eumeniden; Hik. = Hiketiden; Pers. = Perser; PV = Der gefesselte Prometheus; Sept. = Sieben gegen Theben. Euripides (Eur.): Alk. = Alkestis; Andr. = Andromache; Ba. = Bakchen; El. = Elektra; Hek. = Hekuba; Hel. = Helena; Herakl. = Herakliden; HF = Herakles; Hik. = Hiketiden; Hipp. = Hippolytos; IA = Iphigenie in Aulis; Ion; IT = Iphigenie bei den Taurern; Kykl. = Kyklops; Med. = Medea; Or. = Orest; Phoin. = Phoinissen; Rh. = Rhesos; Tro. = Troerinnen. Sophokles (Soph.): Ai. = Aias; Ant. = Antigone; El. = Elektra; OC = Ödipus auf Kolonos; OT = König Ödipus; Phil. = Philoktet; Tr. = Trachinierinnen.
Zu dieser Ausgabe
K.-B. K.-G. Kovacs van Looy LSJ Martina Mastronarde Mossman MT Page Scholien
Schwyzer
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R. Kühner, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Teil I: Elementar- und Formenlehre, neu bearb. v. F. Blass, 2 Bde., Hannover 31890–1892 (Bd. I = K.-B. I; Bd. II = K.-B. II). R. Kühner, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Teil II: Satzlehre, neu bearb. v. B. Gerth, 2 Bde., Hannover / Leipzig 31898–1904 (Bd. I = K.-G. I; Bd. II = K.-G. II).276 D. Kovacs (ed.), Euripides, Cyclops, Alcestis, Medea. Edited and translated, Cambridge, Mass. / London 1994. Reprinted with changes and corrections 2001. H. van Looy (ed.), Euripides, Medea, Stuttgart / Leipzig 1992. A Greek-English Lexicon compiled by H. G. Liddell and R. Scott. A new edition by H. St. Jones, Oxford 91940. A Revised Supplement, ed. by P. G. W. Glare, Oxford 1996.277 A. Martina (ed.), Euripide, Medea. Vol. I: Prolegomena; Vol. II: Testo; Vol. III: Commento e traduzione, Roma / Pisa 2018. D. J. Mastronarde (ed.), Euripides, Medea, Cambridge 2002. J. Mossman (ed.), Euripides, Medea, Oxford 2011. W. W. Goodwin, Syntax of the Moods and Tenses of the Greek Verb, London 1897. D. L. Page (ed.), Euripides, Medea, Oxford 1938 (repr. with corrections 1961). Scholia in Euripidem, ed. Ed. Schwartz. Vol. II, Berlin 1891, Nachdruck Berlin / Boston 2021 (zur Medea S. 140–213). Abgedruckt auch in Martina II 87–115. St. G. Daitz, The Scholia in the Jerusalem Palimpsest of Euripides. A Critical Edition, Heidelberg 1979. Abgedruckt auch in Martina II 117–123. E. Schwyzer, Griechische Grammatik (HdA II.1): Bd. I: Allgemeiner Teil, Lautlehre, Wortbildung, Flexion, München 1939 (spätere Aufl. unveränd.); Bd. II: Syntax und syntaktische Stilistik, vervollst. u. hg. v. A. Debrunner, München 1950 (spätere Aufl. unveränd.); Bd. III: Register D. J. Georgacas, München 1953, 21960; Bd. IV: Stellenregister, hergest. v. Fr. Radt u. hg. v. St. Radt, München 1971, 21994.
–––––––––––– 276 The Cambridge Grammar of Classical Greek (ed. E. van Emde Boas, A. Rijksbaron, L. Huitink, M. de Bakker, Cambridge 2019) ist eine Grammatik auf heutigem Stand. Für spezielle sprachliche und interpretatorische Probleme, um die es hier bei den sprachlichen Erklärungen in der Regel geht, sind jedoch die Angaben bei Kühner-Gerth immer noch unverzichtbar. Daher wird für solche Erklärungen weiterhin diese Grammatik zugrunde gelegt (neben MT, Schwyzer und neueren Einzeluntersuchungen). 277 In der Regel wird auf dieses Lexikon verwiesen; The Cambridge Greek Lexicon (Vol. I– II, ed. J. Diggle et al., Cambridge 2021), das im Unterschied zu LSJ keine Belegstellen im Einzelnen bietet, wird gelegentlich zur Ergänzung herangezogen (mit der Sigle CGL).
Einführung
66 Tedeschi
G. Tedeschi (ed.), Commento alla Medea di Euripide, Trieste 2010 [digital zugänglich unter: https://www.openstarts.units.it/entities/publication/7476418c5910-4eb5-adde-306aeafe988c/details].
Abkürzungen und Zeichen Einf. EK ETS
Einführung (S. 3–67) Ergänzende Kommentarbemerkungen im Anhang (S. 411–429) Ergänzende textkritische und sprachliche Erläuterungen im Anhang (S. 430–433) Komm. Kommentar (S. 69–405) TS Textkritische Angaben und sprachliche Erläuterungen unter dem griechischen Text vgl. zu ‚vgl. zu + Verszahl‘ verweist im Kommentar auf eine Kommentarbemerkung zu diesem Vers, in den Angaben unter dem griechischen Text (TS) auf einen Eintrag dort.
Speziell in TS und ETS :
| ] CP Gn Hss. (Hss.) Ø +
Durch einen Doppelpunkt getrennte griechische Wörter bezeichnen unterschiedliche überlieferte Lesarten (oder ggf. Konjekturen). Die erste Angabe verweist auf die in den Text aufgenommene Lesart (z. B. 115 τλήμων (Hss.) : τλῆμον). Griechische Wörter mit nachfolgendem(n) modernem(n) Eigennamen bezeichnen Konjekturen dieses oder dieser Philologen (z. B. 5 ἀριστέων Wakefield), antike oder byzantinische Namen (nach griechischen Wörtern) eine Nebenüberlieferung (z. B. 58 μολόντι Philemon); entsprechend CP; Gn; Σ (s. u.). Durch ‚|‘ werden mehrere Angaben (Lesarten oder sprachliche Erläuterungen) zu demselben Vers getrennt. Nach ‚]‘ stehen sprachliche Erläuterungen bzw. einschlägige Fundstellen in Handbüchern. Christus Patiens (vgl. o. S. 61, Anm. 269) Gnomologium Vatopedianum od. Barberianum od. Escorialense alle Handschriften bieten die entsprechende Textversion fast alle oder die weit überwiegende Zahl der Handschriften bieten die angegebene Textversion (nur signifikante und relevante Abweichungen werden aufgeführt) in einer oder mehreren Handschriften fehlt etwas in anderen Handschriften Überliefertes vor Hss. od. (Hss.) od. Π od. vor einer bestimmten Lesart: außer in Handschriften auch in einem oder mehreren Papyri oder in der Neben-
Zu dieser Ausgabe
+ + Π Σ Trikl. 〈…〉 {…} †…†
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überlieferung tradiert (Scholien, Zitate bei antiken od. byzantinischen Autoren, Gnomologien) vor byzantinischem Namen oder Text: außer in Handschriften auch in den Texten dieser Autoren überliefert (nur notiert, wenn die Lesart lediglich in einer Minderzahl der Hss. vorkommt) vor modernem Eigennamen: handschriftlich überliefert (ggf. auch in der Nebenüberlieferung) und unabhängig davon in der Neuzeit von einem Philologen konjiziert Überlieferung in einem Papyrus Überlieferung in einem Scholion Emendationen des Demetrios Triklinios im Codex L (= Laurentianus 32.2); vgl. o. S. 60. vorgeschlagene Ergänzung (mit Nennung des Philologen) vorgeschlagene Tilgung (mit Nennung des Philologen) Textverderbnis, die bisher nicht überzeugend geheilt wurde
Text, Übersetzung, Kommentar
Ort der Handlung: Korinth Zeit der Handlung: Einige Jahre nach der Rückkehr der Argonauten von ihrer Fahrt nach Kolchis, der Ankunft von Iason und Medea in Iolkos und ihrer Flucht aus Iolkos nach Korinth Personen (in der Reihenfolge des Auftretens): Amme Medeas, Paidagogos (der Kinder), Medea (nur zu hören), Chor (aus korinthischen Frauen), Medea (auf der Bühne), Kreon (König von Korinth), Iason, Aigeus (König von Athen), Bote (Diener Iasons) Stumme Rollen: Kinder von Iason und Medea, Dienerinnen der Medea, Diener Kreons, Diener des Aigeus Mögliche Verteilung der Sprech-Rollen auf drei Schauspieler (vgl. Einf., S. 37 mit Anm. 141 u. 142): 1. Schauspieler: Medea 2. Schauspieler: Amme, Kreon, Iason 3. Schauspieler: Paidagogos, Aigeus, Bote Erste Aufführung: Athen, Dionysien 431 v. Chr. Szenerie:
Das Stück spielt vor dem Haus in Korinth, in dem Iason und Medea bis vor Kurzem gemeinsam lebten, jetzt nur noch Medea mit ihren Kindern und ihren Bediensteten wohnt. Vgl. auch Einf., S. 34. –––––––
Prologos (1–130) Parodos (131–213) Erstes Epeisodion (214–409) Erstes Stasimon (410–445) Zweites Epeisodion (446–626) Zweites Stasimon (627–662) Drittes Epeisodion (663–823)
S. 72 S. 106 S. 124 S. 174 S. 182 S. 222 S. 230
Drittes Stasimon (824–865) Viertes Epeisodion (866–975) Viertes Stasimon (976–1001) Fünftes Epeisodion (1002–1250) Fünftes Stasimon (1251–1292) Exodos (1293–1419)
Zu den Benennungen der einzelnen Teile der Tragödie vgl. Einf., S. 11.
S. 268 S. 276 S. 300 S. 306 S. 360 S. 372
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Prologos: 1–2
Die Amme Medeas ist aus dem Haus getreten und beginnt zu sprechen. Amme Hätte doch nicht das Schiff Argo durchflogen die finsteren Symplegaden zum Kolcherland hin, Τροφός Εἴθ’ ὤφελ’ Ἀργοῦς μὴ διαπτάσθαι σκάφος Κόλχων ἐς αἶαν κυανέας Συμπληγάδας,
1 Εἴθ’ ὤφελ’] Umschreibung des unerfüllbaren Wunsches der Vergangenheit mit ὤφελον (K.G. I 207 Anm. 3; MT § 734) | Ἀργοῦς … σκάφος] Genitiv statt Apposition, vgl. 1335 (K.-G. I 264) | 2 Κόλχων ἐς αἶαν] vgl. El. 1287 Φωκέων ἐς αἶαν, Hek. 1141 Φρυγῶν ἐς αἶαν
Kommentar
73
1–130 Prologos. Er besteht aus drei Teilen: (1) Monolog der Amme Medeas mit Überleitung zum nächsten Teil (1–48), (2) Dialog zwischen der Amme und dem Paidagogos der Kinder (49–95) – beide Teile in iambischen Sprechversen –, (3) anapästische Szene, in der Medea aus dem Haus zu hören ist und die Amme auf deren Klagen und Verwünschungen reagiert (96–130). 1–48 Am Anfang des Prologos steht der Monolog einer standesmäßig niederrangigen Figur, im Unterschied etwa zu einem Gott oder einer Hauptfigur als Prologsprecher; zu Funktion und Figur der Amme vgl. Einf., S. 22 f. u. 32 f. 1–15 Die Amme beginnt mit dem unerfüllbaren Wunsch, dass etwas, das geschehen ist, nicht hätte geschehen sollen (1–6a), sodass die dadurch bedingten Folgen nicht eingetreten wären (6b–13). Diese Folgen waren zwar nicht alle gleich negativ, sondern führten auch zu einem durchaus harmonischen Zustand (11–13, mit der Schluss-Sentenz 14 f.); der aber gehört insofern zu der Reihe der Negativa, als sich aus ihm das spätere Unglück entwickelt. Daher wird schon im ersten Satz eine Stimmung erzeugt, die ein Unglück erahnen lässt, noch bevor man davon erfährt. Vgl. auch EK zu 1–15, S. 411. Der Einsatzpunkt ist für die Amme durch das für Medeas Schicksal entscheidende Faktum bestimmt, dass es den Argonauten gelang, nach Kolchis zu kommen (1 f.). Danach geht der Gedanke zurück auf die Voraussetzungen, den Bau des Schiffes Argo (3–5a), und noch weiter auf die erste Ursache der Unternehmung, den Auftrag des Pelias, weist dann aber mit der Erwähnung der Gewinnung des Vlieses zeitlich über die Ankunft in Kolchis hinaus (5b–6a). Die weiteren Stationen und Ereignisse schließen sich chronologisch an und enden in einer Beschreibung des Lebens Medeas in Korinth vor der noch nicht genannten Schicksalswende (6b–13) – von der Amme sentenzhaft kommentiert (14 f.). Ennius (vgl. Einf., S. 50) hat in seiner Medea den Anfang umgestaltet und das Fällen der Bäume (bei ihm Fichten, abiegna … trabes) und die Fahrt der Argo in die ‚richtige‘ Reihenfolge gebracht (TrRF II2 F 89 = FRL II). 1 Die frühesten Belege für das Schiff Argo finden sich bei Homer (Odyssee 12,70) und Pindar (Pythien 4,25 f.), jeweils im Zusammenhang mit Ausführungen zum Argonauten-Mythos. Vgl. zur Argo auch EK zu 1, S. 411. ‚durchflogen‘: Die Ruder sind die Flügel der Schiffe (vgl. z. B. Homer, Odyssee 11,125). Hier geht es speziell um die Schnelligkeit, mit der die Symplegaden überwunden werden mussten (Mastronarde). 2 ‚finsteren‘: kyaneos ~ schwarzblau, dunkelfarbig, mit dem möglichen Nebensinn des Bedrohlichen, z. B. die ‚finsteren Keren (Todesgöttinnen)‘ ([Hesiod], Der Schild 249); vgl. 1263. ‚Symplegaden‘: Die ‚Zusammenschlagenden‘ (sc. Felsen, vgl. 1263 f.) sind zuerst bei Euripides mit dieser Bezeichnung belegt, im Mythos zwei aufeinanderzu- und wieder auseinandertreibende Felseninseln. Bei der Meerenge handelt es sich um ein Hindernis, das durch die Argonauten bei ihrer Fahrt zum Goldenen Vlies erstmals überwunden wurde (vgl. Eur. Andr. 863–865). Laut Pindar standen die Felsen nach der Durchfahrt der Argonauten fest (Pythien 4,207–211); vgl. des Weiteren EK zu 2, S. 411. ‚Kolcherland‘: Das Gebiet der Kolcher wird in historischer Zeit an der Ost-
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Prologos: 3–9
und wäre doch niemals in des Pelion waldigen Tälern die Pinie gefällt zu Boden gestürzt und hätte mit Rudern versehen die Arme von Helden, die das reingoldene Vlies 5 für Pelias zu holen kamen. Denn dann wäre meine Herrin, Medea, nicht in die turmbewehrte Stadt im iolkischen Land gefahren, in ihrem Herzen ganz ergriffen von Liebe zu Iason. Und sie hätte nicht die Töchter des Pelias überredet, zu töten μηδ’ ἐν νάπαισι Πηλίου πεσεῖν ποτε τμηθεῖσα πεύκη, μηδ’ ἐρετμῶσαι χέρας ἀνδρῶν ἀριστέων, οἳ τὸ πάγχρυσον δέρος Πελίᾳ μετῆλθον. οὐ γὰρ ἂν δέσποιν’ ἐμὴ Μήδεια πύργους γῆς ἔπλευσ’ Ἰωλκίας ἔρωτι θυμὸν ἐκπλαγεῖσ’ Ἰάσονος· οὐδ’ ἂν κτανεῖν πείσασα Πελιάδας κόρας
5
4 ἐρετμῶσαι] vielleicht eine Neubildung des Euripides 5 ἀριστέων Wakefield : ἀρίστων +Hss. – Vgl. z. B. Homer, Ilias 15,489 ἀνδρὸς ἀριστῆος und bei Apollonios Rhodios z. B. 1,70 ἀριστήεσσι … ἀνδράσιν zur Bezeichnung der Argonauten. ἀρίστων würde lediglich die Qualität der Männer betonen, sie aber nicht ihrem Stand nach als Helden bezeichnen (vgl. auch K.-G. I 271 f.); ἀριστ͜έων ist dreisilbig zu lesen. | δέρος eine Hs., Π, Eustathios Il. 600,12 (2,184,15 f. van der Valk) : δέρας +(Hss.) – die Papyrusüberlieferung und Eustathios’ ausdrückliche Unterscheidung von δέρας sprechen für δέρος (vgl. Page) 7 πύργους (ἔπλευσ’)] Akkusativ des Ziels bei Verben der Bewegung (K.-G. I 311, 4), ohne Artikel (K.-G. I 582) 8 ἔρωτι θυμὸν ἐκπλαγεῖσ’] zum Akk. bei pass. Verb vgl. K.-G. I 315 f., zum Ausdruck vgl. Hipp. 38 f. κἀκπεπληγμένη / κέντροις ἔρωτος
Kommentar
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küste des Schwarzen Meers lokalisiert, am Fluss Phasis (heute Rioni); im Mythos ist es das Land Aia des Königs Aietes (des Vaters der Medea), vgl. Mimnermos frr. 11 u. 11a West; Pherekydes FGrHist / BNJ 3 F 105; Pindar, Pythien 4,211–213; Herodot 1,2,2. Dass Euripides mit aia (= Land) auf Aia anspielen könnte (Mastronarde z. St.), ist angesichts der sprachlichen Parallelen (Land [aia] der Phoker, Phryger) unwahrscheinlich (Tedeschi z. St.). 3 ‚Pelion‘: Gebirge in der griechischen Landschaft Magnesia, das sich bis in die Höhe von über 1600 m erhebt und an dessen Fuß am Golf von Pagasai Iolkos (heute Volos) liegt (vgl. v. 484), wo die Fahrt der Argonauten ihren Ausgang nahm. Die Vorstellung, für den Bau der Argo sei Holz aus dem PelionGebirge verwendet worden, liegt daher nahe. 5 Iason versammelte für die Fahrt nach Kolchis die bedeutendsten Helden Griechenlands, nach Pindar die ‚Blüte der Seefahrer‘ (Pindar, Pythien 4,188; mit einer Liste von Teilnehmern: 169–183). Das Vlies aus reinem Gold, das Ziel der Argonauten-Fahrt, ist das Fell des Widders, auf dem Phrixos (vgl. Einf., S. 6) nach Kolchis geflohen war und das er nach Opferung des Widders Aietes gab, der es im Hain des Ares aufhängte, wo es von einer Schlange bewacht wurde. Vgl. Pindar, Pythien 4,159–162; 241– 246; Pherekydes FGrHist / BNJ 3 F 105; Herodot 7,193,2; Diodor 4,47,1; Valerius Flaccus 5,228–230. Vgl. auch Dräger 2000, 964. 6 Pelias herrschte in Iolkos, jedoch erhob Iason zu Recht Anspruch auf den Thron, den ihm Pelias auch versprach, wenn er zuvor das Vlies hole (gewiss in der Überzeugung, dass Iason niemals zurückkehren werde) – so die voreuripideische Version bei Pindar (Pythien 4,70–168). Bereits bei Hesiod (Theog. 996; vgl. West 1966 z. St.) und Mimnermos (fr. 11 West) wird Pelias im Zusammenhang mit seinem Auftrag an Iason Frevler genannt. – In anderen Versionen ist Pelias der rechtmäßige Herrscher; vgl. Diodor 4,40,1–3 (vgl. auch Ps.-Apollodor, Bibliotheke 1,107); Gantz 1993, I 366. 7 Zu Medea (griechisch Mēdeia) als einer Figur der Argonauten-Sage vgl. Einf., S. 6 f., zu ihrem Namen vgl. zu 402. ‚Stadt im iolkischen Land‘: Iolkos; vgl. zu 3. 8 Zu dem erotischen Motiv (subtil ausgeführt bei Apollonios Rhodios, Buch 3) vgl. (aus der Sicht Iasons) 530 f. 9 ‚Töchter des Pelias‘: Medea hat im Interesse Iasons die Töchter dazu gebracht, ihren Vater zu töten, wie sich aus dem Zusammenhang der vv. 486 f. ergibt. Die Details hat Euripides vielleicht in den Peliaden (455 v. Chr.) behandelt (TrGF V 2 T i–iiic, F 601–616, pp. 607–614). Pindar nennt Medea Todesbringerin des Pelias (Pythien 4,250). Pherekydes weiß von Medea als einem zukünftigen Übel für Pelias (FGrHist / BNJ 3 F 105). Nach Ps.-Apollodor, Bibliotheke 1,144 hat Medea, weil sich Iason an Pelias rächen wollte, die Töchter des Pelias überredet, ihren Vater zu zerstückeln und zu kochen mit dem Versprechen, ihn durch Zaubermittel wieder jung zu machen, nachdem sie das Verfahren an einem Widder, den sie verjüngte, demonstriert hatte. – Zum Grund der Rache vgl. Einf., S. 7.
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Prologos: 10–13
ihren Vater, und nicht das korinthische Land hier bewohnt mit Mann und Kindern, beliebt – obwohl eine Verbannte – bei den Bürgern, in deren Land sie gekommen war, und ihm, Iason, in allem zur Seite:
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πατέρα κατῴκει τήνδε γῆν Κορινθίαν ξὺν ἀνδρὶ καὶ τέκνοισιν, ἁνδάνουσα μὲν φυγὰς πολίταις, ὧν ἀφίκετο χθόνα, αὐτῷ τε πάντα ξυμφέρουσ’ Ἰάσονι·
10
10 κατῴκει] Imperfekt für den Irrealis der Vergangenheit, weil ein vergangener Zustand ausgedrückt wird, nämlich der des Einvernehmens mit Iason, dem die jetzige Realität (νῦν δ’, 16) gegenübersteht; vgl. Kovacs (1991, 31) mit Verweis auf Diggle, der ἁνδάνουσα (11) und ξυμφέρουσ’ (13) mit Hinweis auf Hec. 821 als „‘imperfect’ participles“ versteht; zu Kovacs’ eigener Deutung der Stelle vgl. ETS zu 11–15, S. 430 11 μὲν] aufgenommen durch δ’ (16): der Loyalität Medeas wird der Verrat Iasons gegenübergestellt; vgl. zu diesem Bezug Willink und Diggle bei Kovacs 1991, 32 11–15 {…} Wheeler, Hübner 1984a, 21–25 – vgl. ETS zu 11–15, S. 430 11–13 μὲν … τε] vgl. GP 374 f.: Anreihung, kein wirklicher Gegensatz 12 φυγὰς πολίταις Pierson : φυγῇ πολιτῶν +(Hss.) : φυγῇ πολίταις +Barnes – Vgl. Harrison 1986 zu φυγὰς (mit Verweis auf v. 222); liest man φυγὰς, lösen sich die Probleme, die Diggle 1994, 273–275, bei φυγῇ πολίταις oder πολιτῶν sieht. | (ἀφίκετο) χθόνα] vgl. zu 7 13 αὐτῷ Sakorraphos : αὐτή +Hss. – αὐτή gibt keinen Sinn, nachdem Medea schon Subjekt von ἁνδάνουσα (11) war; dagegen lässt die Aussage, dass Medea ihm (αὐτῷ), Iason, ganz zugetan war, den Verrat Iasons um so schlimmer erscheinen; vgl. auch Diggle 1994, 275 f. | τε Hss. : δὲ Stobaios – zu μὲν (11) … τε vgl. zu 11–13; δὲ würde einen zu starken Gegensatz bilden | ξυμφέρουσ’] LSJ s. v. A. III. 1. u. 2; vgl. auch B. II. 2
Kommentar
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10 Warum Medea und Iason gerade nach Korinth als Zufluchtsort gingen, nachdem sie wegen der Ermordung des Pelias Iolkos verlassen mussten, wird nicht erklärt. Es gab allerdings eine alte Sagenversion, die Medea mit Korinth verband, sie sei dort Königin gewesen (Iason ihr königlicher Gatte); vgl. Einf., S. 7 f. Bei Euripides stimmt nur die Lokalität mit dieser Überlieferung überein, Medea hat den Status einer ‚bürgerlichen‘ Exilantin, Iason (durch seine Heirat mit der Tochter Kreons) den eines Mitglieds der königlichen Familie. 11–15 Diese sehr komprimierte Darstellung der Amme hat in der Forschung zu Zweifeln am überlieferten Text geführt, weil die negativen Folgen aus dem, was nicht hätte geschehen sollen, aber geschah (6b–10, wobei v. 10 die Verbannung nach Korinth impliziert), nicht mit einem weiteren Element fortgesetzt werden, das eindeutig negativ ist, sondern mit der Beschreibung eines länger dauernden, anscheinend erfreulichen Zustands (vgl. Kovacs 1991). Aber nach Korinth kommen Iason und Medea als Verbannte, eine Lage, die Iason später als schwierig deklariert (551 f.); auch die Amme bezeichnet Medea als Exilantin, sodass schon insofern das Wohnen in Korinth eine ambivalente Note bekommt. Dass die Amme hervorhebt, dass Medea trotz ihrer prekären Situation bei den Bürgern beliebt wurde und dass sie gegenüber Iason immer loyal war, zeugt von ihrer Ergebenheit gegenüber Medea; durch die Einschätzung der Amme ist das Publikum auf die Solidarität der Chorfrauen mit Medea und deren ablehnende Haltung gegenüber dem ‚Verräter‘ Iason vorbereitet. 11–12 ‚beliebt … bei den Bürgern‘: Mit ‚Bürger‘ (politai) sind wohl eher allgemein Angehörige der Stadtgemeinschaft (polis) als spezifisch Vollbürger im politischen Sinn gemeint; das Stück spielt in der ferneren Vergangenheit mit einer Königsherrschaft in Korinth (vgl. zu 19). Jedenfalls ist von näheren Kontakten Medeas nur in Bezug auf Frauen die Rede (138; 227). Ihre Rolle bei den ‚Bürgern‘ dürfte daher kaum als Anpassung an männliche Normen zu verstehen sein (so aber Mastronarde zu v. 11; dagegen zu Recht Mossman z. St.). Das Scholion zu v. 11 erklärt die Beliebtheit Medeas u. a. damit, dass sie den Korinthern bei einer Hungersnot mit Zaubersprüchen geholfen habe (nach Scholion zu Pindar, Olympien 13,74g allerdings durch ein Opfer an Demeter und die lemnischen Nymphen). Was auch immer der Hintergrund der Nachricht im Scholion zu v. 11 sein mag, die Anspielung auf Medeas Zauberkünste wäre sehr verhalten und passt auch nicht zu der sonst im Stück zu beobachtenden Tendenz, ihre Vergangenheit als Zauberin in den Hintergrund treten zu lassen.
11 Im Scholion (zu v. 117) wird gesagt, dass die Kinder – es sind Söhne (vgl. zu 46–47) – Mermeros und Pheres heißen (vgl. Mastronarde S. 49 f. zu weiteren Namen). In der Medea bleiben die Kinder namenlos (Überlegungen zur Namenlosigkeit bei Griffiths 2020, 131 f.). 13 ‚zur Seite‘: Das griechische Wort (sympherein) hat sowohl den Sinn von ‚unterstützen‘, als auch von ‚sich fügen‘ bzw. in ‚Übereinstimmung sein‘ (vgl. Mastronarde). Ausgedrückt werden soll, dass sich Medea um völlige Eintracht mit Iason bemühte.
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Prologos: 14–19
Eben das erweist sich als das größte Glück, wenn eine Frau mit ihrem Mann nicht uneins ist. 15 Jetzt aber herrscht völlige Feindschaft: Es krankt der Liebesbund. Verrat nämlich hat geübt an seinen Kindern und meiner Herrin Iason: Er liegt im königlichen Ehebett, hat geehelicht die Tochter Kreons, der des Landes Herrscher ist. ἥπερ μεγίστη γίγνεται σωτηρία, ὅταν γυνὴ πρὸς ἄνδρα μὴ διχοστατῇ. νῦν δ’ ἐχθρὰ πάντα καὶ νοσεῖ τὰ φίλτατα. προδοὺς γὰρ αὑτοῦ τέκνα δεσπότιν τ’ ἐμὴν γάμοις Ἰάσων βασιλικοῖς εὐνάζεται, γήμας Κρέοντος παῖδ’, ὃς αἰσυμνᾷ χθονός.
15
14 ἥπερ] Attraktion an σωτηρία, vgl. K.-G. I 74 | γίγνεται] vgl. CGL s. v. γίγνομαι B 1 „proves to be“; Mastronarde 16 καὶ] statt Apposition (GP 291 [5]), die Feindschaft besteht in der Zerrüttung des Liebesverhältnisses | τὰ φίλτατα] hier anders als z. B. Soph. Phil. 434; Eur. Ion 521 nicht von einer Person (vgl. K.-G. I 63), sondern von einem Sachverhalt gebraucht 17 αὑτοῦ : αὐτοῦ (Hss.)
Kommentar
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14–15 Eine Sentenz mitten in einer Prologrede ist bei Euripides selten; vgl. noch Tro. 26 f.; TrGF V F 661,22–25 (Stheneboia). Zum Inhalt vgl. Homer, Odyssee 6,182–184: „Denn es gibt nichts Kräftigeres und Besseres als dieses: daß einträchtigen Sinns in den Gedanken haushalten Mann und Frau –“ (Übers. Schadewaldt). Die Amme formuliert allerdings aus ihrer Sicht die Sentenz einseitig von der Frau her; vgl. Martina z. St. 14 ‚Glück‘: Das griechische sōtēria bedeutet ‚Rettung‘, ‚Bewahrung‘, ‚Sicherheit‘, ‚Heil‘, hier ein auf gegenseitiger Harmonie beruhendes, Sicherheit gewährendes Leben, ein Zustand, der sich kurz als ‚Glück‘ bezeichnen lässt. 16–23 Dem, was nicht hätte geschehen sollen, wird die jetzt eingetretene Realität gegenübergestellt: der Verrat Iasons an Medea und den Kindern sowie Medeas Reaktion. 16 ‚Liebesbund‘, wörtl. ‚die liebsten [Dinge]‘ (Neutrum Plural), womit hier (nach 14 f.) zumindest in erster Linie die Beziehung zu Iason gemeint sein dürfte. 17–19 Es wird ausdrücklich gesagt, dass Iason die neue Ehe bereits geschlossen habe (vgl. 19), der Bote lässt ihn sich selbst als Gatten (posis) der neuen Frau bezeichnen (1153) und spricht seinerseits vom neuvermählten Gatten (1178). Gleichzeitig wird Iason aber auch Gatte (posis) Medeas genannt, sowohl in ihren Worten (163; 229; 261; 310; {375}; 511; 690; 817; 876) als auch in denen anderer (155; 267; 271; 1140; 1149); wenn man in v. 910 die Überlieferung hält, bezeichnet sich Iason selbst indirekt als Gatte Medeas; von ihrer Heirat mit ihm spricht er 1336 f. Wenn Iason als Gatte Medeas genannt wird, ist darin vielleicht nur ein Ausdruck für die zumindest bisher gültige Beziehung zwischen den beiden Partnern zu sehen (jedenfalls kann der Bote in derselben Rede Iason als Gatten sowohl Medeas [1140; 1149] als auch der Tochter Kreons [1178] benennen). Möglicherweise will Medea aber, wenn sie nach wie vor von Iason als ihrem Gatten spricht, nur diese Ehe anerkennen; als Gatten (posis) der Tochter Kreons nennt sie ihn nie, sondern gebraucht dafür ein anderes Wort (nymphios, 514), das eigtl. ‚Bräutigam‘ bedeutet. Dass Iason mit der neuen Eheschließung an Medea ein Unrecht begangen, ja Verrat geübt habe, ist nicht nur die Auffassung der Medea nahestehenden Amme (vgl. noch 33; 83 f.) und natürlich von Medea selbst (21–23; 26 [mit Komm.]; 111b f.; 160–165; 207; 255 f.; 489; [606]; 778; 1392), sondern auch des Chores (157; 267; 1000 f.; 1232), der Iason sogar von Angesicht zu Angesicht des Verrats bezichtigt (578); vgl. auch Aigeus (689–703). – Zur Frage, ob Iason in juristischem Sinn ein Unrecht begeht, vgl. EK zu 17–19, S. 411 f. 19 Die Tochter Kreons bleibt in der Medea namenlos. Das Scholion gibt als Namen Kreusa, die jedoch einen Xouthos geheiratet habe (nach Kleitodemos, BNJ2 323 F19), oder Glauke (nach Anaxikrates, BNJ 307 F 2) an. Letzterer Name wird auch sonst genannt, z. B. von Diodor 4,54,2. Den Namen Kreon (‚Herrscher‘) tragen mehrere Gestalten des griechischen Mythos, darunter der Bruder der Iokaste, der nach Ödipus’ Tod in Theben herrschte. – Die Herrscherrolle Kreons wird in der Medea mit unterschiedlichen
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Prologos: 20–25
Medea aber, die unglückselige, entehrt, schreit ‚Eide‘, ruft laut ‚mit rechter Hand gegebenes höchstes Treuepfand‘ und beschwört die Götter als Zeugen, was für eine Gegengabe von Iason sie nun erhält. Sie liegt da, ohne zu essen, hat sich den Schmerzen überlassen, die ganze Zeit lässt sie in Tränen vergehen,
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Μήδεια δ’ ἡ δύστηνος ἠτιμασμένη βοᾷ μὲν ὅρκους, ἀνακαλεῖ δὲ δεξιᾶς πίστιν μεγίστην καὶ θεοὺς μαρτύρεται, οἵας ἀμοιβῆς ἐξ Ἰάσονος κυρεῖ. κεῖται δ’ ἄσιτος, σῶμ’ ὑφεῖσ’ ἀλγηδόσιν, τὸν πάντα συντήκουσα δακρύοις χρόνον,
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21–22 δεξιᾶς πίστιν] zu dieser Junktur (und nicht δεξιάς, πίστιν) vgl. Soph. Phil. 813 (χειρὸς πίστιν); OC 1632 24 κεῖται δ’ ἄσιτος] vgl. Homer, Odyssee 4,788; Soph. Ai. 323 f. 25 συντήκουσα +Hss. : συντείνουσα Variante in Σ; Gn – συντείνουσα ist eine semantisch unpassende Emendation von jemandem, der die Verbindung τὸν πάντα συντήκουσα … χρόνον (Obj., συντήκουσα kann nicht intransitiv sein) problematisch fand. Der vorliegende Ausdruck ist gewissermaßen die Umkehrung der einfacheren Wendung ἐμὲ δὲ συντήξουσι νύκτες ἡμέραι τε δακρύοις (IA 398); vgl. Page
Kommentar
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Ausdrücken bezeichnet, hier mit dem Verb aisymnan (eigtl.: ‚das Amt eines Schiedsrichters ausüben‘), v. 71 mit dem poetischen Wort koiranos, vv. 455, 554, 594, 783 mit dem üblichen Wort für König, basileus; vgl. auch Mossman. 20 ‚entehrt‘: Die Amme meint hier und v. 33 die von ihr als unwürdig empfundene Missachtung Medeas als Ehefrau, wie es auch Medea selbst sieht (696; 1354); vgl. auch Martina III zu 20–23. Den Bruch des Treueversprechens gegenüber einer Frau als Entehrung für sie zu sehen, ist offenbar gesellschaftlicher Konsens (auch Aigeus beurteilt das so, 695), daher wird man das nicht auf männlich-heroische Ehrvorstellungen zurückführen können (vgl. auch Medea selbst, 263b–266; 1368); anders Mastronarde z. St. Dass das Racheverhalten dann Elemente aufweisen wird, wie sie auch für männliche Heroen beschrieben werden, ist davon zu unterscheiden. 21–22 Ein Ehegelöbnis zwischen Iason und Medea kennt bereits Pindar (Pythien 4,222 f.), jedoch ist dort von einem förmlichen Eid nicht die Rede. Der Handschlag als Zusicherung ist eine verbreitete Geste, die seit Homer (Ilias 2,341; 6,233; 21,286) literarisch belegt ist (vgl. Otten 2005 zu 21 f.); vgl. u. a. Soph. Phil. 813; Tr. 1181–1190 (an der letzteren Stelle ausdrücklich auf die rechte Hand bezogen und mit dem Verlangen eines Eides verbunden). Üblich war ein solcher Handschlag nach den literarischen Texten und den Zeugnissen für das reale Leben aber nur zwischen Männern; vgl. Flory 1978, 70 f. (auch insgesamt zur ‚rechten Hand‘ in der Medea). ‚Götter als Zeugen‘: Medea ruft sie als Zeugen dafür an, was ihr jetzt geschieht (23), weil sie es waren, bei denen seinerzeit der Eid geleistet wurde (492–495) und zu deren Aufgaben es gehört, die Gültigkeit der Eide zu bewahren (157; 160–163; 208). 23 Medea beklagt mit ironischem (Tedeschi z. St.) Ausdruck, was ihr vonseiten Iasons ‚vergolten‘ wird: Sie hat ihm mit ihrer Hilfe das Leben gerettet (476–498), er hat sie verlassen. 24–45 Nach einem ersten, spontanen Aufbäumen (20–23) ist Medea nun, so die Amme, ‚die ganze Zeit‘ ihrem Schmerz verfallen und in sich gekehrt, ein Zustand, aus dem aber für ihre Gegner Schlimmes hervorbrechen könne. 24–25 Medea hat sich ganz den Tränen und dem Schmerz hingegeben und lässt dabei untätig und ziellos ‚die ganze Zeit‘ (d. h., seit sie von ihrem Unglück erfahren hat, bis jetzt) verstreichen. Nicht zu essen bei seelischem Schmerz (und auch dazuliegen) ist ein verbreitetes Motiv; vgl. Penelope (Homer, Odyssee 4,787 f.); Orest (Eur. Or. 34–45); Aias (Soph. Ai. 324); Phaidra (Eur. Hipp. 135 ff.; 275); Iphis (Hik. 1105 f.). 24 ‚sich‘: Im Griechischen steht sōma, ‚Körper, Leib‘, das Wort kann aber auch den ganzen Menschen, die Person, bezeichnen (LSJ s. v. II. 2). Daran ist wohl gedacht, da Medea nicht physischen, sondern psychischen Schmerzen ausgesetzt ist. Alternativ wäre möglich, dass sōma ausdrücken soll, der psychische Schmerz werde geradezu körperlich erlitten (vgl. Archilochos, fr. 13,4 f. West).
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Prologos: 26–35
seit sie gewahr wurde, dass sie von ihrem Mann Unrecht erlitten hat; weder hebt sie das Auge, noch wendet sie von der Erde ihr Gesicht ab; wie ein Stein oder wie eine Meereswoge hört sie auf die ihr Nahestehenden, wenn sie ihr Ratschläge geben, außer wenn sie einmal ihren weißen Hals (von ihnen) wegdreht 30 und ganz für sich um ihren Vater klagt, um ihre Heimat und um das Haus, das sie verriet, als sie hierherkam mit einem Mann, der sie nun in eine entehrende Lage gebracht hat. Die Unglückliche erkannte durch ihre Not, was es bedeutet, von der Heimat nicht getrennt zu sein. 35 ἐπεὶ πρὸς ἀνδρὸς ᾔσθετ’ ἠδικημένη, οὔτ’ ὄμμ’ ἐπαίρουσ’ οὔτ’ ἀπαλλάσσουσα γῆς πρόσωπον· ὡς δὲ πέτρος ἢ θαλάσσιος κλύδων ἀκούει νουθετουμένη φίλων, ἢν μή ποτε στρέψασα πάλλευκον δέρην αὐτὴ πρὸς αὑτὴν πατέρ’ ἀποιμώξῃ φίλον καὶ γαῖαν οἴκους θ’, οὓς προδοῦσ’ ἀφίκετο μετ’ ἀνδρὸς, ὅς σφε νῦν ἀτιμάσας ἔχει. ἔγνωκε δ’ ἡ τάλαινα συμφορᾶς ὕπο, οἷον πατρῴας μὴ ἀπολείπεσθαι χθονός.
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26 ἐπεὶ] = ἀφ᾿ οὗ, vgl. Aisch. Ag. 40; Eur. Or. 78 | πρὸς] zur Bezeichnung des Urhebers beim Passiv (K.-G. I 127, 11 d) 30 ἢν μή ποτε] iterativ, nicht spekulative Vorstellung der Amme (so aber Willink 1988, 318), die Klage (ἀποιμώξῃ) ist zu hören; vgl. zur seltenen Verbindung ἢν μή ποτε Thukydides 8,46,3 31 αὐτὴ πρὸς αὑτὴν] vgl. Soph. El. 285 | φίλον] possessiv (vgl. LSJ s. v. I. 2. c, epischer Sprachgebrauch) 32 οὓς προδοῦσ’ ἀφίκετο] vgl. zur Übersetzung (Part. als Hauptverb) K.-G. II 98,2 | οὓς] richtet sich nach οἴκους, bezieht sich aber auf alle drei Substantive 33 ἀτιμάσας ἔχει] ἔχειν + Partizip zum Ausdruck des dauernden Zustands, der schon in der Vergangenheit eingetreten ist (K.-G. II 61 f.; MT § 47; Rijksbaron 2002, 130) 35 μὴ ἀπολείπεσθαι] μὴ͜ ἀπο- Krasis (Prodelision gibt es nur bei ε am Wortanfang), zur Semantik vgl. Soph. El. 1169 τοῦ σοῦ θανοῦσα μὴ ἀπολείπεσθαι τάφου, zum Infinitiv ohne Artikel vgl. Aisch. Ag. 180 f. παρ᾿ ἄκοντας ἦλθε σωφρονεῖν (Page)
Kommentar
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26 ‚Unrecht‘: Die Amme referiert hier die Sichtweise Medeas, die sie allerdings teilt; vgl. zu 17–19. 27–28 Der Ausdruck ist gleichbedeutend mit „she lifts not her eyes, but keeps them fixed on the ground“ (Page); ‚Auge‘ und ‚Gesicht‘ stellen eine Variation für dieselbe Vorstellung dar; vgl. Phoin. 454–458 (Martina III). Sachlich lässt sich das Verhalten Didos vergleichen, als ihr Aeneas in der Unterwelt begegnet (Vergil, Aeneis 6,469 f.). 28–29 Mit ‚Stein‘ (petros), häufiger allerdings mit ‚Fels‘ (petra), und ‚Meer‘ werden nicht selten Personen charakterisiert, die auf andere nicht reagieren, unsensibel, unbeweglich oder hartherzig (vgl. 1279) sind. Vgl. zu ‚Stein‘ und ‚Fels‘: Homer, Ilias 16,35; [Aisch.] PV 241; Soph. OT 334; Eur. Andr. 537; zu ‚Meer‘: Homer, Ilias 16,34; Eur. Hipp. 304 f.; Andr. 538. 29 Mit den Nahestehenden, den Freunden, meint die Amme wohl vor allem sich selbst, die als alte Vertraute am ehesten in der Lage ist, auf Medea einzuwirken. Vgl. die Amme Phaidras in Euripides’ Hippolytos. 30 ‚außer wenn‘: Nicht ganz logisch, weil die Ausnahme nicht darin besteht, dass Medea sich von anderen ansprechen lässt (ganz im Gegenteil, sie wendet sich ab), sondern dass sie überhaupt eine Regung zeigt, die über das in den vv. 24 f. beschriebene Verhalten hinausgeht. Sie ist so in sich gekehrt, dass sie zu ihrer eigenen Gesprächspartnerin wird. ‚weißen Hals … wegdreht‘: Wenn Medea ihren Hals dreht (vgl. 1152), um für sich zu klagen, heißt das, dass sie ihre Umgebung durchaus wahrnimmt, aber auf das Zureden nicht reagieren will. Einen weißen, nicht sonnengebräunten Teint, der als Schönheitsmerkmal galt (vgl. 923; 1148; 1164; 1189), konnten sich nur höhergestellte Frauen leisten, die zu Hause blieben und nicht z. B. auf dem Feld arbeiteten (vgl. Fantham et al. 1994, 106–109); Pindar hatte die Kolcher als ‚schwarzgesichtig‘ bezeichnet (Pythien 4,212); vgl. Otten 2005 z. St. Ob sich die Vorstellung von den Bewohnern am Ostrand des Schwarzen Meeres bis zur Zeit der Aufführung der Medea gewandelt hat oder nicht, jedenfalls wird Medea wie eine vornehme Griechin stilisiert. Der Chor der Frauen aus Korinth hat denn auch keine Schwierigkeiten, sie als eine der ihren zu akzeptieren. ‚Hals‘ statt ‚Gesicht‘ oder ‚Kopf‘, wie man im Deutschen sagen würde, weil die Drehbewegung am Hals stattfindet (vgl. Mossman). Zur Geste des SichWegwendens vgl. noch 1148. 31–33 Die Amme interpretiert die Klage Medeas um ihren Vater und ihre Heimat, nachdem Iason sie verlassen hat, wohl als Reue über das, was sie (aus Liebe für Iason, v. 8) getan hat (vgl. 503), vielleicht auch als Klage über den selbstverschuldeten Verlust an heimatlicher Sicherheit. 31 Zur Zurückgezogenheit auf sich selbst beim Klagen vgl. Soph. El. 282– 285. 34–35 Wieder eine für die Amme charakteristische sentenzhafte Zwischenbemerkung (vgl. 14 f.); vgl. Willink 1988, 316 f. Sie meint, Medea habe die Heimat nicht vermisst, solange ihr Leben in Korinth harmonisch war (vgl. 11–13).
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Prologos: 36–45
Sie hasst die Kinder und freut sich nicht an ihrem Anblick. Ich fürchte, dass sie etwas Unerhörtes plant, {denn hart (gegen andere) ist ihr Gemüt, und sie wird es nicht ertragen, dass man sie schlecht behandelt. Ich kenne sie und fürchte, dass sie ein scharfes Schwert durch die Leber stößt, 40 heimlich ins Haus gegangen, wo das (Ehe?)Bett bereitet ist, oder auch den König (?) und den Ehemann tötet und sich dann noch größeres Unglück zuzieht.} denn sie ist zu allem fähig; gewiss nicht leicht wird jemand, der in Feindschaft mit ihr gerät, siegreich jubilieren. 45 στυγεῖ δὲ παῖδας οὐδ’ ὁρῶσ’ εὐφραίνεται. δέδοικα δ’ αὐτὴν μή τι βουλεύσῃ νέον· {βαρεῖα γὰρ φρήν, οὐδ’ ἀνέξεται κακῶς πάσχουσ’· ἐγᾦδα τήνδε, δειμαίνω τέ νιν μὴ θηκτὸν ὤσῃ φάσγανον δι’ ἥπατος, σιγῇ δόμους ἐσβᾶσ’ ἵν’ ἔστρωται λέχος, ἢ καὶ τύραννον τόν τε γήμαντα κτάνῃ κἄπειτα μείζω συμφορὰν λάβῃ τινά.} δεινὴ γάρ· οὔτοι ῥᾳδίως γε συμβαλὼν ἔχθραν τις αὐτῇ καλλίνικον ᾄσεται.
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36–45 {…} Hübner 1984a, 22 Anm. 4 – vgl. EK zu 38–43, S. 412 f. 37 αὐτὴν] betonte, proleptische Voranstellung des Subjekts des Nebensatzes (K.-G. II 577 ff.) | +νέον : +κακόν – κακόν ist wohl als simplifizierende Verdeutlichung von νέον zu verstehen, vielleicht induziert von v. 317, zu νέον vgl. Aisch. Hik. 1016; Soph. Phil. 1229 38–43 {…} Dindorf, Christmann 1962, 32–37 (41 {…} Musgrave, 42 {…} Valckenaer, Pierson, 41–43 {…} Hermann, 40–43 {…} Nauck) – vgl. EK zu 38–43 38 βαρεῖα] vgl. 809 βαρεῖαν ἐχθροῖς 39 ἐγᾦδα] Krasis statt ἐγὼ οἶδα, kolloquial (Collard 2018, 126) | τέ (Hss.) : δέ : γε – eine Anreihung passt hier am ehesten 42 ἢ καὶ τύραννον Hss. : ἢ καὶ τυράννους Hermann : μὴ τὴν τύραννον Giesing – vgl. EK zu 38–43 | ἢ καὶ] καὶ ist wohl steigernd (GP 306 [iii]) 44 +οὔτοι : οὔτι – οὔτοι verstärkt die Negation (GP 543 [11]) 45 καλλίνικον Hss. : καλλίνικος Willink 1988, 322 | ᾄσεται Muretus : οἴσεται +Hss. – Als Objekt zu οἴσεται müsste der Siegespreis genannt werden, was καλλίνικος nicht bedeuten kann, daher ist ᾄσεται (von der kontrahierten Form ᾆδω statt ἀείδω) wahrscheinlich; zu καλλίνικον könnte z. B. ὕμνον zu ergänzen sein, oder es könnte heißen‚ „er wird nicht singen ‚καλλίνικος‘, d. h. ‚ich triumphiere‘ (so Stinton), doch erwartete man im ersten Fall eigentlich einen Artikel, im zweiten ein Substantiv (vgl. Willink); es wäre daher zu erwägen, ob intransitives ᾆδειν mit einem Adjektiv im Neutrum vorliegt (vgl. analog K.-G. I 309 f. Anm. 5), ‚in siegreicher Weise singen‘, womit Willinks Konjektur sich erübrigte (vgl. Stinton 1990, 291).
Kommentar
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36 Nachdem die Amme mit ihrem Bericht über die leidende und klagende Medea durch die sentenzhafte Äußerung zu einem Abschluss gekommen ist, äußert sie sich zu einem weiteren Verhalten Medeas: Trotz ihrer In-sichGekehrtheit zeigt Medea offenbar eine beobachtbare Reaktion, wenn sie die Kinder sieht, wie auch zuvor schon wahrnehmbare Regungen beschrieben wurden (30–35). Vermutlich schließt die Amme aus Medeas abweisender Haltung beim Anblick der Kinder – sie freut sich nicht, wie man eigentlich erwarten sollte (noch deutlicher 92 f.) – auf eine hasserfüllte Einstellung ihnen gegenüber. Hier liegt der erste Hinweis vor, dass sich Medeas Reaktion auf ihre Kränkung durch Iason in einem aggressiven, auf Hass beruhenden Vorgehen gegen die Kinder äußern könnte. Dadurch wird zusammen mit den späteren Äußerungen Medeas (112–114; vgl. auch 117) eine bestimmte Erwartung provoziert, die sich jedoch nicht dementsprechend erfüllen wird. Wilamowitz (1880, 522) hatte den Vers so verstanden, dass Medea die Kinder hasse, wenn sie sie sehe, da er glaubte, dass das Partizip horōs(a) (‚sehend‘) auch auf das erste Verb (‚sie hasst‘) zu beziehen sei; es läge also die sog. Figur der ‚Versparung‘ vor (Kiefner 1964, 14; 140). Aber dieses Verständnis schränkt den durch das Präsens ausgedrückten Zustand (Martina III zu 36–7) des Hasses ein. Schon Vahlen (1908, 265 f.) hat sich daher zu Recht gegen Wilamowitz’ Deutung der Stelle gewandt.
37–45 Angesichts der beobachteten aggressiven Stimmung Medeas befürchtet die Amme folgerichtig, dass sich daraus ein Handeln ergeben könnte, bei dem jemand, der ihr Feind ist, nicht leicht überlegen sein könnte (37; 44 f.). Die Amme spricht ganz allgemein, aber den ‚jemand‘ wird man im Denken der Amme am ehesten mit Iason konkretisieren können (vgl. 16–19). Das ist der Sinn, wenn man nur von den vv. 37 u. 44 f. ausgeht und die vv. 38–43 (in denen die Amme konkrete Mordpläne als die Medeas projiziert) für unecht hält, wofür vieles spricht; vgl. im Einzelnen EK zu 38–43, S. 412 f. 37 ‚Unerhörtes‘, wörtl. ‚Neues‘, eine nicht seltene euphemistische Umschreibung für etwas Unheilvolles; vgl. z. B. Hipp. 794. Ob Euripides allerdings durch die Worte der Amme mit dem ‚Neuen‘ auf die ihm von den meisten Interpreten zugeschriebene Neuerung des Kindermords anspielt (so McDermott 1987), ist nicht sicher, da die Zuschauer den Doppelsinn nur verstehen könnten, wenn ihnen „der Kindermord als Faktum oder mindestens als Möglichkeit des Mythos bekannt war“ (Steidle 1968, 154 Anm. 16). Sollte allerdings Neophrons Medea voreuripideisch sein oder es gar eine Medea des Euripides vor der uns erhaltenen gegeben haben (sog. Ur-Medea), wäre der Kindermord in der vorliegenden Medea ohnehin keine Neuerung (vgl. Einf., S. 38–48). 44–45 ‚zu allem fähig‘, das griechische Wort deinos hat ein weites Bedeutungsspektrum: (1) ‚furchtbar‘, ‚schrecklich‘, ‚furchterregend‘, ‚gefährlich‘, (2) ‚gewaltig‘, ‚stark‘, ‚mächtig‘, (3) ‚geschickt‘, ‚clever‘ (auch ohne Rücksicht auf die Moral). Hier wird in erster Linie gemeint sein, dass man Medea aufgrund ihrer Fähigkeiten als Gegnerin zu fürchten hat und sie daher ernst nehmen muss; die Übersetzung soll ein möglichst weites Spektrum wiedergeben. – Bildhaft wird ausgedrückt, dass der Gegner kaum Gelegenheit zum Triumph haben wird; vgl. zu ‚siegreich‘ v. 765.
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Prologos: 46–48
Der Paidagogos nähert sich mit den Kindern dem Haus Medeas. Doch da kommen die Kinder, nachdem sie sich im Laufen geübt 46 haben; sie machen sich keine Gedanken um das Leid der Mutter; denn ein kindliches Gemüt neigt nicht dazu, Kummer zu empfinden. ἀλλ’ οἵδε παῖδες ἐκ τρόχων πεπαυμένοι στείχουσι, μητρὸς οὐδὲν ἐννοούμενοι κακῶν· νέα γὰρ φροντὶς οὐκ ἀλγεῖν φιλεῖ.
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46–47 πεπαυμένοι … ἐννοούμενοι] ‚Endreim‘, vgl. 243 f.; 256 f.; 324 f.; 471 f.; Herakl. 541 f.; Soph. Ai. 807 f.; Denniston 1952, 10 46 ἀλλ’ οἵδε] vgl. Alk. 136 ἀλλ᾿ ἥδ᾿, Abbruch der bisherigen Ausführungen und Übergang zu etwas Neuem (vgl. Martina III) | ἐκ τρόχων] Präposition statt des bloßen Genitivs (K.-G. I 400 Anm. 2) | τρόχων Hss. : τροχῶν (zu erschließen für Tryphon [fr. 11 Velsen] bei Ammonios, de voc. diff. 478 Nickau) – Euripides hatte in seinem Text ΤΡΟΧΩΝ (oder vor der Schriftreform eher ΤΡΟΧΟΝ) ohne Akzent, was beide Auflösungen zulässt, also ‚Laufen‘ (τρόχος) oder (Spiel mit) ‚Reifen‘ (τροχός). Die Parallelen ἐκ τρόχων πεπαυμένον (Eur. TrGF V F 105,2 von einer Männergruppe, die ihr Training beendet hat) und ἐβάδιζέ μοι τὸ μειράκιον ἐξ ἀποτρόχων (Aristophanes, fr. 645 K.A. [PCG III 2]) sprechen eher für ‚Laufen‘ (Mastronarde) 48 φροντὶς] zur Bedeutung vgl. LSJ s. v. II | φιλεῖ] „to be accustomed, tend“ (CGL s. v. φιλέω 10)
Kommentar
87
46–48 Mit diesen Versen der Amme wird zum Auftritt des Paidagogos (mit den Kindern) übergeleitet. Sie kündigt allerdings nur die Kinder an (nicht den Paidagogos), wodurch die Aufmerksamkeit auf diese gelenkt wird (Halleran 1985, 7). Den Abschluss der Prologrede der Amme bildet wieder eine ihrer Sentenzen. Ein Paidagogos (paidagōgos, wörtl. ‚Knabenführer‘) ist für die athenischen Zuschauer nicht nur ein Sklave, dessen Aufgabe darin besteht, Schüler von zu Hause in die Schule und zurück zu bringen (vgl. z. B. Platon, Lysis 208c6 f.), sondern ein ständiger Begleiter und Betreuer von früher Kindheit an, der auch über den Umgang seiner Schützlinge zu wachen hat und ggf. zur Vertrauensperson einer Familie werden kann. Vgl. bes. Eur. Ion 725 ff.; Platon, Lysis 223a2 ff.; Symposion 183c4 ff.; [Platon], Axiochos 366d7–e2. Bezeichnenderweise konnte Achills Erzieher Phoinix sein paidagōgos genannt werden (Platon, Politeia 390e5); vgl. Schuppe 1942. – Auch in der Medea ist der paidagōgos nicht nur Begleiter (53), sondern hat vertrauten Umgang mit Medea (1005– 1018) und ist für alles zuständig, was die Kinder brauchen (1019 f.). Die griechische Bezeichnung wurde beibehalten, weil es im Deutschen kein passendes Äquivalent für die mit paidagōgos ausgedrückten Funktionen gibt. 46–47 Bei den Kindern handelt es sich um Söhne, wie das maskuline deiktische Pronomen klar macht; nur weil es Söhne sind, haben sie für Iasons dynastische Bestrebungen Bedeutung (565–567; 916 f.). Sie kommen mit ihrem Paidagogos anscheinend – wie im zeitgenössischen Athen – von einer Sportstätte (Gymnasion), wo sie sich im Laufen übten. Der griechische Text lässt auch die Bedeutung zu, dass die Kinder ihr Spiel mit Reifen beendet haben, doch ist aufgrund sprachlicher Parallelen (vgl. dazu TS) die erstgenannte Version wahrscheinlicher. 47–48 Die Feststellung der Amme über die Unbekümmertheit der Kinder, die sich keine Gedanken über das Unglück ihrer Mutter machen, betont den Kontrast zu der zuvor geschilderten Stimmung ihrer Mutter und lässt die Fragilität der Situation erahnen. – Medea wird später mit demselben Verb (‚sich Gedanken machen‘) ihre Sorge um die Kinder ausdrücken (925); vgl. Mossman.
88 Paidagogos Du altes, zum Haus gehöriges Besitztum meiner Herrin, warum stehst du so einsam an der Tür und klagst dir selbst für dich dein Leid? Warum will Medea von dir allein gelassen werden? Am. Du alter Begleiter von Iasons Kindern, für treue Sklaven ist ein Unglück, was der Herrschaft schlecht ausgeht, und berührt ihr Gemüt. Ich bin nämlich so weit in meinem Schmerz gekommen, Παιδαγωγός παλαιὸν οἴκων κτῆμα δεσποίνης ἐμῆς, τί πρὸς πύλαισι τήνδ’ ἄγουσ’ ἐρημίαν ἕστηκας, αὐτὴ θρεομένη σαυτῇ κακά; πῶς σοῦ μόνη Μήδεια λείπεσθαι θέλει; Τρ. τέκνων ὀπαδὲ πρέσβυ τῶν Ἰάσονος, χρηστοῖσι δούλοις ξυμφορὰ τὰ δεσποτῶν κακῶς πίτνοντα καὶ φρενῶν ἀνθάπτεται. ἐγὼ γὰρ ἐς τοῦτ’ ἐκβέβηκ’ ἀλγηδόνος,
Prologos: 49–56
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49 οἴκων κτῆμα] bildet einen Begriff („household possession“), von dem der possessive Genitiv δεσποίνης abhängt (Mastronarde); parodiert von Alexis, fr. 181,2 K.-A. (PCG II) 50 ἄγουσ’ ἐρημίαν] Wendung nach dem Muster ἡσυχίαν ἄγειν = ἡσυχάζειν (LSJ s. v. ἄγω A. IV. 3, Mastronarde), nur dass es ein entsprechendes Verb zu ἐρημία nicht gibt 51 θρεομένη] poetisches, nur in Bezug auf Frauen gebrauchtes Wort, sonst nur in lyrischen Passagen 53 ὀπαδὲ] ὀπᾱδός ist die in tragischer Dichtung gebrauchte dorische Form (statt ὀπηδός), vgl. Barrett 1964 zu Hipp. 108 52 σοῦ] separativ, abhängig von μόνη (Κ.-G. Ι 401), aber auch von λείπεσθαι 55 κακῶς πίτνοντα] poetische Form von πίπτω, zur Bedeutung vgl. LSJ s. v. V. 1 u. 2; Or. 603 οἷς δὲ μὴ πίπτουσιν εὖ (aus einem anderen Stück interpoliert)
Kommentar
89
49–95 Dialog zwischen Paidagogos und Amme. Die Szene weist durch eine Information, die der Paidagogos gehört hat, auf ein weiteres Unglück Medeas voraus, ihre Verbannung zusammen mit den Kindern, und trägt zur Charakterisierung Medeas und Iasons aus der Sicht des Paidagogos und der Amme bei. Die Ermöglichung dieser Außensicht ist wohl ein Grund dafür, dass Euripides eine Dialogszene zwischen zwei ‚Nebenfiguren‘ gewählt hat, was in den überlieferten Tragödien ungewöhnlich ist; vgl. noch Soph. OT 1132–1146 (Mossman). Ein anderer dürfte sein, dass Euripides mit der ‚zufälligen‘ Information des Paidagogos (67–73) und der Verpflichtung der Amme, darüber zu schweigen (66; 80 f.), den Zuschauern beim ersten Auftritt Medeas auf der Bühne (214 ff.) einen Wissensvorsprung vor ihr und dem Chor verschafft (vgl. Otten 2005, 82; Martina III 48); sie müssen daher Medeas Plan, sich an Iason zu rächen (259–266), sogleich als durch die bevorstehende Verbannung gefährdet betrachten und werden gespannt erwarten, wie Medea unvorbereitet auf die Anordnung Kreons reagieren wird. 49–52 Wie der Paidagogos erkennen lässt, hat er offenbar beim Näherkommen noch etwas von den Worten der Amme gehört und wundert sich über das Allein-Sein der Amme und das dazu korrespondierende Allein-sein-Wollen Medeas. Ersteres erklärt die Amme gleich (56–58), auf Letzteres geht sie nicht ein; den Zuschauern ist es durch die vv. 24–29 klar. – Dass der Paidagogos mit v. 52 subtil auf eine mögliche Selbstmordabsicht Medeas anspiele (vgl. 96b f.; 144b–147; 227) – so Mossman z. St. – ist nicht zu sichern. 49 ‚Du … Herrin‘: Eine neckend-vertraute Anrede (vgl. 53). Die Amme ist als Sklavin (54) Eigentum der Medea, ein Sklave kann als belebtes Besitztum bezeichnet werden (Aristoteles, Politik 1253b32; Lacey 1983, 128–130; Schütrumpf 1991, 242 f.). Ein solcher rechtlicher Status steht einem etwa bestehenden engen Vertrauensverhältnis nicht entgegen; vgl. 54–58 und zu 29. 53–58 Die Amme identifiziert die aufgetretene Person als Paidagogos der Kinder und nimmt den Ton seiner Anrede auf. Als treue Sklavin macht sie sich das Leid der Herrin zu eigen und kann es (da sie keine Möglichkeit hat, es mit ihr zu teilen, vgl. 28 f.) nur gegenüber Erde und Himmel beklagen. 53 Dass die Kinder ausdrücklich und (im Griechischen mit betonendem Hyperbaton) als diejenigen Iasons bezeichnet werden, akzentuiert ihren Status und ihre Bedeutung für Iason, steht aber in einem Kontrast zu seiner Beziehung zu ihnen, wie sie die Amme und der Paidagogos sehen. Denn beide sind der Ansicht, dass Iason der Verantwortung auch gegenüber den Kindern nicht gerecht wird (17; 74–77; 82–86). 54–55 Die Figur eines / einer ‚guten Sklaven / Sklavin‘ ist von Homer an bekannt (z. B. Eumaios oder Eurykleia in der Odyssee) und kommt auch bei Euripides vor. Bezeichnend sind die Worte des alten Sklaven des Menelaos: „Schlecht ist, wer seine Herrschaft nicht verehrt, sich nicht mit ihr freut und bei ihrem Unglück nicht mit leidet“ (Hel. 726 f.). – Weiteres bei Mastronarde und Martina z. St. Zum Mitleid der Amme vgl. auch Pucci 1980, 21–24. ‚schlecht ausgeht‘, wörtl. ‚schlecht fällt‘, eine Metapher aus dem Würfelspiel, vgl. ΤS.
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Prologos: 57–66
dass mich ein Verlangen überkam, hierher zu gehen und Erde und Himmel das Unglück meiner Herrin zu verkünden. Paid. Lässt denn die Arme noch nicht von ihrem Klagen? Am. Ich beneide dich (um deine Einfalt)! Am Anfang (noch) steht das Leid und hat noch nicht die Mitte erreicht. Paid. Oh, die Törin! Wenn man so die Herrschaft nennen darf; sie weiß ja nichts von der neuerlichen Not! Am. Was ist es, Alter? Enthalte mir die Auskunft nicht vor! Paid. Nichts. Es reut mich auch schon das, was ich bereits gesagt habe. Am. Bei deinem Bart, verheimliche es nicht vor deiner Mitsklavin! Denn Schweigen, wenn es nötig ist, werde ich darüber bewahren. ὥσθ’ ἵμερός μ’ ὑπῆλθε γῇ τε κοὐρανῷ λέξαι μολούσῃ δεῦρο δεσποίνης τύχας. Παιδ. οὔπω γὰρ ἡ τάλαινα παύεται γόων; Τρ. ζηλῶ σ’· ἐν ἀρχῇ πῆμα κοὐδέπω μεσοῖ. Παιδ. ὦ μῶρος, εἰ χρὴ δεσπότας εἰπεῖν τόδε· ὡς οὐδὲν οἶδε τῶν νεωτέρων κακῶν. Τρ. τί δ’ ἔστιν, ὦ γεραιέ; μὴ φθόνει φράσαι. Παιδ. οὐδέν· μετέγνων καὶ τὰ πρόσθ’ εἰρημένα. Τρ. μή, πρὸς γενείου, κρύπτε σύνδουλον σέθεν· σιγὴν γάρ, εἰ χρή, τῶνδε θήσομαι πέρι.
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57–58 vgl. IT 43 λέξω πρὸς αἰθέρ᾿, εἴ τι δὴ τόδ᾿ ἔστ᾿ ἄκος, Philemon (Stratiotes), fr. 82,1 f. K.-A. (PCG VII) Ὡς ἵμερός μοὐπῆλθε γῇ τε κοὐρανῷ / λέξαι μολόντι τοὔψον ὡς ἐσκεύασα. 58 μολούσῃ +(Hss.) : +μολοῦσαν : μολόντι Philemon – Dativ trotz μ(ε), v. 57 – μοι wird bei den Tragikern nicht elidiert –, als ob die Amme mit einer Wendung wie ἵμερος … μοι ἐπῆλθε (Herodot 1,30,2) begonnen hätte; vgl. zur Konstruktion IA 491 f. ἄλλως τέ μ᾿ ἔλεος τῆς ταλαιπώρου κόρης / ἐσῆλθε, συγγένειαν ἐννοουμένῳ sowie Κ.-G. ΙΙ 113 | +δεσποίνης : μηδείας +Π, cf. Ennius TrRF II2 F 91 = FRL II – Nachdem der Name gerade genannt wurde (52) und das Verhältnis ‚Sklave – Herrschaft‘ zur Sprache kam (54 f.), ist δεσποίνης wahrscheinlicher, aber nicht sicher (vgl. Page) 59 γὰρ] zum Ausdruck einer überraschten Frage (GP 77 [anders GP 80]; Page; Martina III), gegen die Auffassung als Schlussfolgerung (Mastronarde) spricht v. 60 60 ζηλῶ σ’] vgl. IA 16; Soph. El. 1027 61 ὦ μῶρος] Ausruf, daher Nominativ, μῶρος (attisch statt μωρός), hier als Femininum, d. h. als Adj. zweier Endungen, gebraucht wie z. B. auch δῆλος (1197) | δεσπότας] Plural und Singular sind in gleicher Weise möglich; vgl. z. B. 17; 83; 823; Hipp. 287; Ion 751 (Martina III) | τόδε (sc. μῶρος), doppelter Akkusativ der Person (δεσπότας) und der Sache, vgl. K.-G. I 321 f. Anm. 4 62 ὡς] Ausruf, der zugleich begründet 63 τί δ’ ἔστιν] formelhaft zum Ausdruck der Überraschung (GP 175 [iv]) 64 μετέγνων] „In drama, when a speaker reacts to somebody else’s words, the first person aorist indicative of a number of so-called performative or speech act verbs … presents the speech act involved as completely realized even as the speaker is performing it“ Rijksbaron 2002, 29 f. mit Verweis auf Lloyd 1999; ein vor allem in der Tragödie gebrauchter Aorist, im Deutschen am besten mit Präsens wiederzugeben. 65 πρὸς γενείου] vgl. LSJ s. v. πρός Α. Ι. 4, mit üblicher Ellipse eines Verbs des Bittens | σύνδουλον] fem. wie Herodot 2,134,3 66 σιγὴν … θήσομαι] Umschreibung des bloßen Verbalausdrucks (hier statt σιγήσομαι); vgl. 915 u. LSJ s. v. τίθημι C. 4
Kommentar
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57–58 Sein Leid bei physischer oder sozialer Einsamkeit der unbelebten Welt, auch kosmischen Gebilden, zu eröffnen ist in der tragischen Dichtung mehrfach belegt. Vgl. [Aisch.] PV 88 ff.; Soph. Ai. 418 ff.; El. 86–91 (sachlich am nächsten); Phil. 936 ff.; Eur. Andr. 91–93; IT 43; vgl. auch Barrett 1964, 171. – Hier begründet das Motiv zugleich nachträglich, warum die Amme für ihren klagenden Bericht aus dem Haus gekommen ist (Mastronarde). Die Verse wurden vom Komiker Philemon parodiert. Ein Koch spricht: „Wie mich das Verlangen überkam, herauszukommen und Erde und Himmel zu verkünden, wie ich die Mahlzeit zubereitet habe“ (fr. 82,1 f. K.-A. [PCG VII], Text in TS). Die Junktur ‚Erde und Himmel‘ muss selten, markant und daher zur Parodie geeignet gewesen sein, denn sie ist außer bei Euripides nur bei Philemon und einem weiteren Komiker (Theognetos, fr. 1,9 K.-A. [PCG VII]) überliefert. Vgl. auch Ennius, Medea, TrRF II2 F 91 = FRL II.
59–60 Wie die ironische Antwort der Amme zeigt, drückt der Paidagogos durch seine Frage Überraschung aus, dass Medea immer noch in ihrer Klage verharrt. Dass das Leid am Anfang stehe und noch nicht die Mitte erreicht habe (also noch zunimmt), ist eine Übertragung aus dem medizinischen Bereich, wonach der Arzt darauf achten muss, ob der Krankheitsverlauf sich am Anfang, in der Mitte oder am Ende befindet ([Hippokrates], 18. Brief; Hippokrates, Epidemien 7,50 u.51); vgl. Mastronarde. 61–73 Der Paidagogos hat etwas gehört, das nicht für ihn bestimmt war, und ist zögerlich, die Nachricht an die Amme weiterzugeben. Wenn er eine Andeutung macht, aber nicht gleich mit der Sprache herausrückt, wird man das so verstehen können, dass er sich mit der Bedeutung der Nachricht wichtigtun will, aber möglicherweise auch gehemmt ist, weil er nicht zu neuem Leid beitragen möchte (vgl. 80 f.), nachdem er eben erfahren hat, wie unbewältigt das schon bestehende noch ist. 61–62 Medea erscheint dem Paidagogos als ‚töricht‘, insofern sie sich noch mit dem bisherigen Leid abhärmt, wo doch schon das nächste (die Verbannung, 70–72) bereitsteht, von dem sie allerdings noch nichts weiß. In seinem Erstaunen über ihr Verhalten macht der Paidagogos eine beunruhigende Andeutung, die er sogleich bereut (64). 65–66 ‚Bart‘: geneion ist das mit Bart bedeckte Kinn (Homer, Ilias 22,74) oder auch nur das Kinn, bei einem alten Sklaven wahrscheinlich das erstere. Bei der Geste des Bittflehens (Hikesie) berührte man das Kinn. Hier ist der Vorgang wohl (wie auch Soph. El. 1208) auf die Redensart, die eine nachdrückliche Bitte ausdrückt, reduziert. Vgl. Kaimio 1988, 55 f. Ob diese Bitte der Amme oder ihre Zusicherung der Verschwiegenheit den Paidagogos zum Reden veranlassen, ist nicht eindeutig festzulegen. Zur dramaturgischen Funktion des Verschweigens (vgl. auch 80 f.) vgl. zu 49–95.
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Prologos: 67–75
Paid. Ich habe jemanden sagen hören – ich tat so, als achtete ich nicht darauf –, als ich dahin kam, wo man Brettspiele spielt, eben da, wo die Ältesten sitzen, bei der heiligen Peirene-Quelle, dass diese Kinder aus dem korinthischen Land vertreiben 70 wolle zusammen mit ihrer Mutter der Herrscher dieses Landes, Kreon. Ob jedoch diese Nachricht zutrifft, das weiß ich nicht. Ich wünschte mir nicht, dass dies der Fall sei. Am. Und das wird Iason sich gefallen lassen, dass es den Kindern geschieht, selbst wenn er mit der Mutter entzweit ist? 75 Παιδ. ἤκουσά του λέγοντος, οὐ δοκῶν κλύειν, πεσσοὺς προσελθών, ἔνθα δὴ παλαίτατοι θάσσουσι, σεμνὸν ἀμφὶ Πειρήνης ὕδωρ, ὡς τούσδε παῖδας γῆς ἐλᾶν Κορινθίας σὺν μητρὶ μέλλοι τῆσδε κοίρανος χθονὸς Κρέων. ὁ μέντοι μῦθος, εἰ σαφὴς ὅδε, οὐκ οἶδα· βουλοίμην δ’ ἂν οὐκ εἶναι τόδε. Τρ. καὶ ταῦτ’ Ἰάσων παῖδας ἐξανέξεται πάσχοντας, εἰ καὶ μητρὶ διαφορὰν ἔχει;
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67 ἤκουσά … κλύειν] ἀκούειν kann als bloßes ‚hören‘ von κλύειν als ‚achtgeben auf ‘ unterschieden sein (vgl. Sappho, fr. 1,6 f. Voigt = Neri τὰς ἔμας αὔδας ἀίοισα πήλοι / ἔκλυες) | οὐ δοκῶν κλύειν] aufgrund von Hipp. 119 μὴ δόκει … κλύειν, wobei die Negation sinngemäß jeweils zum Infinitiv gehört, ist die Bedeutung ‚so tun als ob‘ wahrscheinlich (vgl. Barrett 1964 z. St.; Martina III) 68 πεσσοὺς] πεσσός ist eigentlich ein Spielstein, aber wie aus ἔνθα … θάσσουσι (68 f.) hervorgeht, muss der Ort gemeint sein, an dem man spielt; vgl. Kratinos, fr. 7 K.-A. (PCG IV) und K.-G. I 12, wo sich analoge Ausdrücke wie z. B. αἱ χύτραι (‚Töpfe‘ = ‚Töpfermarkt‘) finden. | προσελθών] zum abh. Akkusativ vgl. 1205 | ἔνθα δὴ] δὴ betont das Relativadverb, ‚genau da, wo‘ (GP 218 f.) | παλαίτατοι Hss. : παλαίτεροι Pierson nach CP 1181 – Es besteht kein Grund, wegen des Textes in CP die eindeutige Überlieferung zu ändern; vgl. Komm. z. St. 70 γῆς ἐλᾶν] bloßer Genitiv in der Dichtersprache (K.G. I 394 f.) 71 μέλλοι : μέλλει – optativus obliquus (K.-G. II 361, 4): es handelt sich um ein Referat, für das der Paidagogos keine Gewähr übernimmt (Page). 72 σαφὴς] ~ ἀληθής, vgl. Eur. Or. 1155 οὐκ ἔστιν οὐδὲν κρεῖσσον ἢ φίλος σαφής 73 ἂν] Potentialis als vorsichtiger Ausdruck des Wunsches (weil der Paidagogos an dessen Erfüllung trotz der vorausgehenden Einschränkung nicht recht glaubt) | οὐκ] nach βουλοίμην wäre eigtl. μή zu erwarten (K.-G. II 195 b), das hier metrisch nicht möglich ist; οὐκ gehört zu βουλοίμην, ist aber nachgestellt, um einen Satzanfang mit οὐ δέ zu vermeiden; vgl. Moorhouse 1959, 114. Vgl. Aristophanes, Frösche 866 ἐβουλόμην μὲν οὐκ ἐρίζειν ἐνθάδε 74–75 παῖδας ἐξανέξεται πάσχοντας] zur Konstruktion vgl. K.-G. II 55, 5; MT § 879; Eur. Andr. 201 f. τοὺς ἐμούς τις παῖδας ἐξανέξεται / Φθίας τυράννους ὄντας; 75 εἰ καὶ] vgl. GP 299 (6) | μητρὶ διαφορὰν ἔχει] Dativ wie bei διαφέρεθαι τινί (Heraklit VS 22 B 72); K.-G. I 432, 3
Kommentar
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69 ‚heiligen Peirene-Quelle‘: Zur Zeit des Euripides kann nur die (untere) Quelle gemeint sein, um die herum die Korinther wohnen, wie es in einem bei Herodot überlieferten Orakel heißt (5,92,β 3), und die als so bedeutend galt, dass Korinth die „Stadt Peirenes“ (Pindar, Olympien 13,61) genannt werden konnte; dort soll Bellerophon das geflügelte Ross Pegasos gebändigt haben (ebd. 63– 87). – ‚Heilig‘ ist die Quelle, weil Quellen göttliche Nymphen sind, und wegen ihrer Göttlichkeit können sie – wie entsprechend auch Flüsse – als heilig bezeichnet werden (vgl. 410; 846); vgl. Burkert 2011, 269; Martina III z. St. Eine obere Peirene, auf Akrokorinth hinter dem Aphrodite-Tempel gelegen (Pausanias 2,5,1), von der das Wasser für die Peirene in der Stadt komme, wird erstmals bei Strabon (8,6,21, p. 379,13–15 C.) erwähnt. Vgl. zur Peirene-Quelle und ihrem archäologischen Befund Hill 1964, 1–109. Die (untere) Peirene-Quelle befand sich „östlich der Marktpropyläen und der Endstrecke der Lechaionstraße“ (de Waele 1937, 108; ders. 1935, 190 [Karte]; vgl. auch die Beschreibung bei Pausanias 2,3,2 f.), also in einem zentralen Gebiet, wo man sich das Zusammentreffen von Bürgern und die Verbreitung von Nachrichten vorstellen kann. 70–72a Die Zuschauer wissen bereits, dass Kreon Herrscher in Korinth ist (19). Wenn Euripides also den Paidagogos Kreon als Urheber des Verbannungsbefehls noch einmal als Herrscher benennen und den Namen durch Enjambement hervorheben lässt, wird der Paidagogos als jemand charakterisiert, der sich mit seinem aufgeschnappten Wissen wichtigtun will, da er von einer Entscheidung auf höchster Ebene gehört hat. 72b–73 Nach den vv. 61 f. war sich der Paidagogos noch ganz sicher, über eine zutreffende Information zu verfügen. Jetzt, nachdem er sich so weit vorgewagt hat, sie wiederzugeben (70–72a), ist ihm die referierte Mitteilung anscheinend unheimlich geworden, und er will keine Gewähr dafür übernehmen. 74–75 Die Amme reagiert nicht auf den Rückzieher des Paidagogos, sondern nimmt nur auf die Nachricht selbst Bezug und geht bei ihrer Frage wohl selbstverständlich davon aus, dass ein Vater aus Gründen der Familientradition nicht einfach auf seine Söhne verzichten könne. Tatsächlich sind sie für Iason, wie sich später herausstellt, aus dynastischen Gründen wichtig (914–921).
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Prologos: 76–81
Paid. Alter Ehebund ist neuem unterlegen, und jener ist diesem Haus hier nicht freundlich gesonnen. Am. Dann sind wir verloren, wenn wir zu altem Leid neues hinzufügen müssen, bevor dies hier durchlitten ist. Paid. Aber du – denn es ist nicht der rechte Zeitpunkt, dass die Herrin das weiß – verhalte dich ruhig und verschweige die Nachricht. Παιδ. παλαιὰ καινῶν λείπεται κηδευμάτων, κοὐκ ἔστ’ ἐκεῖνος τοῖσδε δώμασιν φίλος. Τρ. ἀπωλόμεσθ’ ἄρ’, εἰ κακὸν προσοίσομεν νέον παλαιῷ, πρὶν τόδ’ ἐξηντληκέναι. Παιδ. ἀτὰρ σύ γ’, οὐ γὰρ καιρὸς εἰδέναι τόδε δέσποιναν, ἡσύχαζε καὶ σίγα λόγον.
80
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76 παλαιὰ] sc. κηδεύματα | λείπεται] der abh. Genitiv ist am ehesten als gen. comparationis in Analogie zu ἡττᾶσθαί τινος zu verstehen (Page mit Verweis auf K.-G. I 391 ff.) | κηδευμάτων +(Hss.) : +βουλευμάτων – Da die neue Verbindung auf neuen Plänen / Beschlüssen beruht (551–567; 886; 911–921), ist auch βουλευμάτων nicht sinnlos, aber κηδευμάτων kennzeichnet die eingetretene Lage in Bezug auf Medea sehr viel plastischer. 78 ἀπωλόμεσθ’ ἄρ’] durch den Aorist wird ein zukünftiges Ereignis nachdrücklich als bereits geschehen dargestellt (K.-G. I 166, 11; vgl. auch MT § 61); zu ἄρ’ „expressing the surprise attendant upon disillusionment“ vgl. GP 36 (2) | προσοίσομεν] Wecklein 1909 z. St. hatte προσοίσομεν wie προσδεξόμεθα verstehen wollen (vgl. Hesych π 3847 προσοίσεσθε· προσδέξησθε), was den hier zu erwartenden Sinn genau träfe. Page wandte dagegen ein, dass es dann προσοισόμεθα heißen sollte [vgl. auch Thukydides 6,44,4], wenngleich er einräumt, dass φέρειν statt φέρεσθαι nicht ungewöhnlich sei (vgl. Κ.-G. Ι 110, 2). Sicherer ist es wohl, das Verb prägnant aufzufassen: ‚hinzufügen müssen‘. 79 ἐξηντληκέναι] zum Inf. Perf. vgl. K.-G. II 457, zur Semantik das Scholion zu Med. 78 ἡ μεταφορὰ ἀπὸ τῶν ἐν τοῖς πλοίοις ἀντλούντων sowie Eur. Ion 927 f. κακῶν γὰρ ἄρτι κῦμ᾿ ὑπεξαντλῶν φρενί, / πρύμνηθεν αἴρει μ᾿ ἄλλο σῶν λόγων ὕπο 80 ἀτὰρ σύ γ’] ἀτάρ wird im Attischen meist adversativ gebraucht (GP 51 f.), zur Funktion hier s. Komm.; γε betont nicht so sehr das Pronomen, sondern die gesamte Anweisung an die Amme (GP 122 f.) | γὰρ] antizipatorisch, begründet die folgende Anweisung (GP 68 IV [1]) 81 ἡσύχαζε καὶ σίγα] Das erste Verb ist hier intransitiv, das zweite transitiv.
Kommentar
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76–77 Der Paidagogos stellt realistisch fest, dass die alte Verbindung (mit Medea) hinter der neuen (mit der Königstochter) zurückstehe und Iason (‚jener‘) ‚diesem Haus‘ gegenüber ‚nicht freundlich‘ eingestellt sei, was hier ein vorsichtiger Ausdruck für ‚feindlich‘ sein dürfte. Das ‚Haus‘ ist nicht nur, und nicht in erster Linie, das Gebäude, in dem Medea mit ihren Kindern wohnt, sondern auch die aus diesen Personen bestehende Hausgemeinschaft, wobei der Paidagogos hier vermutlich vor allem an Medea denkt. Der Begriff ‚Haus‘ (im Griechischen gleichermaßen dōma und domos) kann in der Medea auch die gesamte Familie umfassen, insbesondere in Bezug auf Iason und seine Nachkommen (114). In diesem Sinn kann man auch im Deutschen z. B. vom ‚Haus Habsburg‘ sprechen. 77 ‚freundlich‘: Iason ist kein ‚Freund‘ (philos) seiner Familie, wie er sein müsste. Zum Konzept der philia in der Medea vgl. Schein 1990. 78–79 Der Text wird gemeinhin so verstanden, dass die Amme sagt: „wenn wir zu dem alten Leid [sc. dem Verrat Iasons an Medea] neues [sc. die Verbannung Medeas mit ihren Kindern] hinzufügen“. Aber als Subjekt von „sind wir verloren“ müssen Medea selbst und alle, die zu ihrem Haus gehören, gemeint sein, und die fügen nicht neues Leid hinzu. Es ist daher wahrscheinlich, dass man das Verb prägnant auffassen muss im Sinn von ‚hinzufügen müssen‘; vgl. zum Sprachlichen TS zu v. 78. ‚durchlitten ist‘: Die Amme gebraucht ein Bild aus der Seefahrt, das griechische Wort bezeichnet eigentlich das Ausschöpfen des Bilgewassers aus dem Kiel des Schiffes und wird dann übertragen vom Erdulden bis zum Ende verwandt. 80–95 War der Dialog bisher ein echtes Wechselgespräch zwischen Paidagogos und Amme, findet er jetzt nur noch formal statt: Die Amme hat zwar Schweigen zugesichert (66), geht aber auf die diesbezügliche Aufforderung des Paidagogos (80 f.) nicht ein, sondern setzt ihre Gedanken (78 f.) fort (82–84). Ebenso wenig antwortet die Amme in v. 89 direkt dem Paidagogos, sondern knüpft an v. 84 an. Die Amme ist in ihren Gedanken ganz beim Schicksal Medeas und der Kinder (vgl. auch 118); was der Paidagogos konkret (80 f.) oder allgemein (85 f.) zu sagen hat, dringt nicht in sie ein. Ihre Anweisung an den Paidagogos, die Kinder von der Mutter fernzuhalten (90–95), wäre auch ohne den vorausgehenden Dialog möglich; der Hintergrund ist die in v. 36 geäußerte Beobachtung. 80 Der Gegensatz, auf den sich ‚Aber‘ bezieht, ist nicht ausgedrückt; der Paidagogos will vermutlich damit sagen: Obwohl du mit deiner Einschätzung (78 f.) recht hast, verschweige die Nachricht trotzdem zum jetzigen Zeitpunkt.
96
Prologos: 82–89
Am.
Ihr Kinder, hört ihr, wie der Vater zu euch steht? Zwar wünsche ich ihm nicht den Tod, denn er ist mein Herr, doch seine Schuld steht fest: Er verhält sich zu den Seinen schlecht. Paid. Welcher Mensch tut das nicht? Erkennst du das jetzt erst, 85 dass ein jeder sich mehr liebt als seinen Nächsten, {die einen zu Recht, die anderen auch um des Gewinns willen,} da ja diese (Kinder) wegen des (neuen) Ehebetts ihr Vater nicht liebt? Am. Geht – es wird schon gut werden – ins Haus, Kinder. Τρ.
ὦ τέκν’, ἀκούεθ’ οἷος εἰς ὑμᾶς πατήρ; ὄλοιτο μὲν μή· δεσπότης γάρ ἐστ’ ἐμός· ἀτὰρ κακός γ’ ὢν ἐς φίλους ἁλίσκεται. Παιδ. τίς δ’ οὐχὶ θνητῶν; ἄρτι γιγνώσκεις τόδε, ὡς πᾶς τις αὑτὸν τοῦ πέλας μᾶλλον φιλεῖ, {οἱ μὲν δικαίως, οἱ δὲ καὶ κέρδους χάριν,} εἰ τούσδε γ’ εὐνῆς οὕνεκ’ οὐ στέργει πατήρ; Τρ. ἴτ’, εὖ γὰρ ἔσται, δωμάτων ἔσω, τέκνα.
85
82 ὑμᾶς : ἡμᾶς (Hss.) – nur Ersteres ist hier sinnvoll 83 μή] Die Nachstellung der Negation betont das negierte Wort (K.-G. II 179 Anm. 1). 84 ἀτὰρ] (korrespondierend zu μὲν) drückt eine starke Entgegensetzung aus (GP 54 [3][i]) | κακός γ’ : κακός (Hss.) : κακῶς – γε passt zur Vehemenz der Aussage der Amme | κακός γ’ ὢν … ἁλίσκεται] zum Partizip vgl. K.-G. II 50–52; zum Präsens K.-G. I 136 c, Iason wurde als schuldig befunden und ist jetzt seiner Schuld überführt 85 γι(γ)νώσκεις +(Hss.) : +γινώσκει – vgl. Page zu 85–8 86 τοῦ πέλας] substantiviertes Adverb (K.-G. I 594, 6), gen. comparationis zu μᾶλλον (K.-G. I 391, 2a) 87 {…} Brunck – vgl. Komm. 88 εἰ … γ’] εἰ + γε ergibt einen kausalen Sinn (~ si quidem, quippe cum), vgl. GP 142 (ii); K.-G. II 178 | οὐ] Obwohl in εἰ-Sätzen sonst μή steht, findet sich οὐ, wenn εἰ (wie hier) „der Bedeutung eines ὅτι, d a s s oder ἐπεί, w e i l nahe kommt“ (K.-G. II 190 γ). 89 ἔσω : εἴσω (Hss.) – ἔσω ist die gewöhnliche Form bei Euripides, wenn nicht εἴσω metrisch erforderlich ist.
Kommentar
97
82 / 89 In ihrem Kummer wendet sich die Amme spontan an die Kinder, obwohl sie meinte, dass sie nicht begriffen haben bzw. es sie nicht wirklich berührt hat, wie es um ihre Mutter (und sie selbst) steht (vgl. 47 f.). Andererseits gibt die Frage nur einen Sinn, wenn die Amme glaubt, die Kinder hätten das in den vv. 70 ff. Gesagte irgendwie mitbekommen; dazu gibt es zwar keinen verbalen Hinweis im Text, jedoch könnte man aus den beruhigenden Worten der Amme (89) schließen, dass die Kinder (nun) gestisch verängstigt oder irritiert reagiert hatten. Wir wissen nicht, wie der Dichter-Regisseur hier 431 v. Chr. inszeniert hat. – Die Kinder wird man sich als so alt vorstellen müssen, dass sie verstehen könnten, was um sie herum geschieht; vgl. auch zu 1021–1039. 82–84 Ob die Amme bei v. 82 tatsächlich damit rechnet, dass die Kinder ihre Worte in sich aufnehmen, oder nur ihrem Gefühl Luft macht (v. Arnim 1886 zu v. 82), auf jeden Fall wird ihr offenbar erst nachträglich klar, dass sie sich vor den Kindern nicht so hätte äußern sollen (vgl. 89). Die vv. 83 f. sind, wenn nicht zu sich selbst gesagt, an den Paidagogos gerichtet, jedenfalls fühlt er sich angesprochen. Eine ausdrückliche Verfluchung Iasons will sie wegen ihrer Loyalitätsverpflichtung nicht aussprechen, um dann allerdings nur um so deutlicher sein Verschulden festzustellen. 85 Der Paidagogos spielt seine realistische Lebenserfahrung gegen die Naivität der Amme aus. Er zahlt so auch der Amme deren Bemerkung in v. 60 heim; vgl. Otten 2005, 81 f. 86 Dass jeder sich selbst liebt, wird in der antiken Literatur vielfach als Sachverhalt oder Einstellung beschrieben; vgl. z. B. Soph. OC 309; Eur. TrGF V F 452 (Kresphontes); Menander, Sententiae 560 Jäkel; Platon, Nomoi 731e1– 3 (mit anschließender Kritik); Aristoteles, Eudemische Ethik 1240a9–11; Terenz, Andria 426 f. Weiteres bei Martina III zu 85–8. 87 Der hier sicher interpolierte Vers (zur Verstärkung vom Iasons Motivation) wurde schon in der Antike angezweifelt (Scholion). Er unterbricht den Zusammenhang zwischen allgemeiner Aussage (86) und individuellem Beleg (88), dessen Begründungsfunktion danach nicht passt, und er stört die Symmetrie des Dialogteils 82–88 (für beide Sprecher jeweils drei Verse). 88 ‚Ehebetts‘, im Text steht eunē, das ebenso wie lechos Lager bzw. Bett bedeutet, jedoch verweist eunē mehr auf das Hochzeitslager, also die sexuelle Beziehung, während lechos häufig übertragen für den Ehebund verwendet wird (vgl. El. 936). Der Paidagogos in seiner Illusionslosigkeit impliziert eine sexuelle Komponente in Iasons Verhalten und drückt sie entsprechend deutlich aus. Vgl. auch zu 568 u. 1338. 89 Die Amme schickt die Kinder mit beruhigenden Worten ins Haus, doch deren Eintreten verzögert sich, denn sie fordert sie noch zwei weitere Male dazu auf (100; 105), mit jeweils sich steigernden Angaben, wie schnell sie das tun sollen; vgl. Bain 1981, 15. Die Verzögerung hat zunächst mit den Anweisungen an den Paidagogos zu tun (90–93a), dann mit der auch vor dem Haus zu hörenden Klage Medeas (96 f.), die zu neuerlichen Anreden der Amme an die Kinder führt (98–105); vgl. Mastronarde und dens. 1979, 109. Spätestens bei den vv. 112 f. sind die Kinder im Haus, da ihr Anblick den Zorn Medeas erregt.
98
Prologos: 90–97
Du aber halte sie möglichst entfernt 90 und bringe sie nicht in die Nähe der Mutter in ihrem Missmut. Denn schon hatte ich sie voll Zorn auf diese blicken sehen, als ob sie ihnen etwas antun wolle. Und sie wird nicht ablassen von ihrem Groll, das weiß ich sicher, bevor er gegen jemanden losbricht. Möge sie doch den Feinden, nicht den Ihren, etwas antun! 95 Der Paidagogos bewegt sich mit den Kindern auf das Haus zu. Aus dem Inneren ist Medea zu hören (ebenso: vv. 111a–114; 144a–147; 160–167). Medea Weh! Ich Unglückliche und Elende wegen meines Leids, weh mir, mir, könnte ich doch sterben! σὺ δ’ ὡς μάλιστα τούσδ’ ἐρημώσας ἔχε καὶ μὴ πέλαζε μητρὶ δυσθυμουμένῃ. ἤδη γὰρ εἶδον ὄμμα νιν ταυρουμένην τοῖσδ᾿, ὥς τι δρασείουσαν· οὐδὲ παύσεται χόλου, σάφ’ οἶδα, πρὶν κατασκῆψαί τινα. ἐχθρούς γε μέντοι, μὴ φίλους, δράσειέ τι. Μήδεια ἰώ, δύστανος ἐγὼ μελέα τε πόνων, ἰώ μοί μοι, πῶς ἂν ὀλοίμαν;
96a 96b
90
95 96a 96b
90 δ’ (Hss.) : θ᾿ | ἐρημώσας ἔχε] vgl. zu 33, zu ἐρημόω vgl. LSJ s. v. IV 92 ταυρουμένην] Wie Parallelen nahelegen (Aisch. Cho. 275; Eur. Ba. 922), eher Passiv als Medium; ὄμμα ist dann als Akkusativ der Beziehung aufzufassen. 93 τοῖσδ᾿] dativus incommodi 94 χόλου] separativer Genitiv abh. von παύσεται (93), K.-G. I 397 | πρὶν κατασκῆψαί] Als ‚Subjekt‘ ist χόλον zu ergänzen (Mastronarde), nicht Medea selbst (Mossman, Martina III), da das Verb anscheinend nur mit sächlichem Subjekt vorkommt; Infinitiv statt πρὶν ἄν mit Konj. (K.-G. II 458 β). | τινα Hss. : τινι Blomfield – Gewöhnlich wäre εἰς + Akkusativ oder (erst relativ spät belegt) bloßer Dativ; es ist daher kaum ein ursprüngliches τινι durch τινα ersetzt worden; analog zu überlieferten Akkusativen bei ἐμπίπτειν (IA 808 f.; Soph. OC 942 [Teil der Hss.]) und angesichts des Passivs κατασκηφθέντα χωρία (Hesych ε 3010, LSJ s. v. I. 2) dürfte τινα zu halten sein (Page; vgl. auch van Looy; Martina III). 95 γε μέντοι] adversativ (GP 412 [1]) | δράσειέ] Desiderativum zu δράω (vgl. Soph. Ai. 326; 585), mit doppeltem Akkusativ 96a ἰώ (Hss.) : Ø ({…} Trikl.) : ὦ Σ Aristophanes, Pax 1012 : ἰὼ ἰώ Diggle – Die Analyse Diggles (1974, 23 f.) spricht für die Beibehaltung des überlieferten ἰώ (wie auch er selbst in seiner Ausgabe); auch der Ausruf extra metrum in 144a ergibt kein anapästisches Metrum (111a ist der Text unsicher) 96b δύστανος : +δύστηνος – dorische Form (α statt η), wie auch in einigen folgenden Fällen; vgl. Komm. zu 96a–130 | πόνων] Genitiv bei Ausdrücken des Schmerzes zur Bezeichnung des Ausgangspunkts (K.-G. I 388, 1a; Schwyzer II 133 f., 4b); dagegen Biraud et al. (2021, 232): möglicherweise (selbstständiger) gen. exclamativus. 97 πῶς ἂν ὀλοίμαν;] Frage im Optativ mit ἄν zum Ausdruck eines Wunsches (K.-G. I 235, 6)
Kommentar
99
90–95 Nun dem Paidagogos zugewandt schärft ihm die Amme aufgrund früherer Beobachtung, dass Medea die Kinder hasst (vgl. auch 36), ein, beim Gang ins Haus die Kinder von der Mutter fernzuhalten (90–93a); die Befürchtung der Amme wird sich dann gleich bestätigen (113). Die folgenden Verse (93b–95) begründen die Anweisung an den Paidagogos, vermitteln aber zugleich den Eindruck, dass auf jeden Fall etwas Entsetzliches geschehen wird, möglicherweise sogar gegen die ‚Ihren‘, d. h. auch die Kinder. – Den Feinden Schlimmes anzutun galt als übliches Verhalten; vgl. Tedeschi zu v. 95 und z. B. Theognidea 871 f.; Pindar, Pythien 2,83–85; Soph. Ant. 643 f. sowie Blundell 1989, 26–59. 90–91 ‚halte sie … entfernt / und bringe sie nicht in die Nähe‘: Die zweite Aussage besagt in anderer (hier negativer) Formulierung in der Substanz dasselbe wie die erste und verstärkt damit diese (stilistisch wohl der Figur der Epimone zuzurechnen); vgl. 190; 339; 413 f.; 1129. 92 ‚voll Zorn auf diese blicken sehen‘, wörtl. ‚wütend werdend wie ein Stier hinsichtlich ihres Auges, diesen (den Kindern) zum Nachteil‘.. 96a–130 Anapästische Szene. Medea ist nun erstmals aus dem Inneren des Hauses mit ihren Klagen und Verwünschungen gegen ihre Familie zu hören, während die Amme auf der Bühne darauf mit großer Besorgnis besonders um das Schicksal der Kinder reagiert. Es ist angesichts der hohen Emotionalität von Medeas Äußerungen anzunehmen, dass sie ihre Verse singt (lyrische Anapäste), sodass auch von dorischer Dialektfärbung auszugehen ist und man sich bei Überlieferungsvarianten für die dorische Alternative entscheiden wird. Für die Amme, die auf die Äußerungen Medeas Bezug nimmt, sind dagegen eher sogenannte Marschanapäste wahrscheinlich, die im Sprechgesang (Rezitativ) vorgetragen werden; bei Überlieferungsvarianten wird man daher die ionisch-attische Alternative wählen. Einzelne Schreie (die auch die Form von ganzen Versen annehmen können) aus dem Inneren des Bühnenhauses gibt es in der griechischen Tragödie auch sonst, vor allem von Mordopfern (vgl. 1271a ff.; Aisch. Ag. 1343; 1345; Cho. 869; aber nicht nur, vgl. Soph. Ai. 333–343; Eur. Ba. 576–595; weiteres bei Hamilton 1987). Ungewöhnlich sind Zahl und Länge der Äußerungen Medeas, auch über diese Szene hinaus (96a–97; 111a–114; 144a–147; 160– 167); dass sie das Publikum gut hören konnte, dürfte der ‚Leichtbauweise‘ des im 5. Jh. v. Chr. jeweils temporär errichteten Bühnenhauses geschuldet sein; vgl. Mastronarde. Da Medeas hinterszenisches unkontrolliertes Aufschreien deutlich zu hören ist, dürfte ihr gefasstes Auftreten auf der Bühne (214 ff.) umso überraschender wirken.
96a Ausruf extra metrum. 96b–97 Diese Klage Medeas lässt die Möglichkeit offen, dass sie sich nicht gegen andere wenden wird, sondern sich einfach nur wünscht, nicht mehr da sein zu müssen (wie auch 144b–147): In dieser Klage ist eher ein Ausdruck ihrer Verzweiflung zu sehen, nicht die Erwägung eines Selbstmords (vgl. Martina III 65; anders Mossman zu 49–52; 97; 144–5; Mastronarde zu 113).
100 Am.
Τρ.
Prologos: 98–108
Das ist es, was ich meinte, liebe Kinder; die Mutter bringt ihr Gemüt, bringt ihren Zorn in Aufruhr. Eilt nur schnell ins Haus hinein und lasst euch nicht in ihrer Nähe blicken und geht nicht zu ihr hin, sondern hütet euch vor der wilden Art und dem abstoßenden Wesen ihres stolzen Sinns. Geht denn, eilt so schnell wie möglich hinein. Denn es ist klar, dass sie die gerade erst aufsteigende Wolke der Klage bald entflammen wird mit größerer Leidenschaft. Was denn wird tun τόδ’ ἐκεῖνο, φίλοι παῖδες· μήτηρ κινεῖ κραδίαν, κινεῖ δὲ χόλον. σπεύδετε θᾶσσον δώματος εἴσω καὶ μὴ πελάσητ’ ὄμματος ἐγγὺς μηδὲ προσέλθητ’, ἀλλὰ φυλάσσεσθ’ ἄγριον ἦθος στυγεράν τε φύσιν φρενὸς αὐθαδοῦς. ἴτε νυν, χωρεῖθ’ ὡς τάχος εἴσω. δῆλον δ’, ἀρχῆς ἐξαιρόμενον νέφος οἰμωγῆς ὡς τάχ’ ἀνάψει μείζονι θυμῷ· τί ποτ’ ἐργάσεται
100
105
100
105
98 τόδ’ ἐκεῖνο] umgangssprachlicher Ausdruck, ~ „da haben wir’s“ (K.-G. I 650, 13) oder „Just as I feared“ (Collard 2018, 76); zu den Bezügen von ἐκεῖνο und τόδ’ vgl. Komm. | μήτηρ (Hss.) : μάτηρ 99 κινεῖ …, κινεῖ δὲ] δέ bei Anaphern (GP 163 [2]), vgl. 131 | κρᾰδίαν] κρᾰδία aus metrischen Gründen statt des in der Tragödie sonst üblichen καρδία (vgl. LSJ s. v.) 100 σπεύδετε (Hss.) : σπεύσατε – σπεύσατε ist eine Anpassung an die folgenden aoristischen Imperative (101 f.); während diese als effektiv aufzufassen sind, nachdem die Kinder das Haus betreten haben, bezeichnet σπεύδετε den augenblicklichen Vorgang des Eilens (wie 105) | θᾶσσον] Komparativ bei ungeduldiger Aufforderung (K.-G. II 306), nach Collard (2018, 47) kolloquial 105 νυν Porson : νῦν Hss. – Die Akzentsetzung in den Hss. ist nicht maßgeblich, nach Imperativen ist νῠν üblich (das hier durch Position lang ist); vgl. LSJ s. v. II. 3 (mit Bemerkung am Ende des Eintrags). 106–107 δῆλον] (sc. ἐστιν), … ὡς … ἀνάψει 106 +δ’ : +δ’ ἐξ : ἀπ᾿ Diggle – Diggle (1994, 276 f.) zieht ἀπ᾿ ἀρχῆς zu δῆλον („it is clear from the beginning, …“); abgesehen davon, dass der Satz auch ohne die Konjektur gut verständlich ist, müsste man, damit die Aussage sinnvoll wird, angesichts von τάχ’ (107) zu δῆλον die seltene Ergänzung der Kopula im Imperfekt (K.-G. I 41 Anm. 2a) annehmen (~ ‚es war von Anfang an klar, …‘). δ’ ἐξ ist unmetrisch, ἐξ soll offenbar die Abhängigkeit von ἀρχῆς von ἐξαιρόμενον erklären, ist dafür aber nicht notwendig (K.-G. I 396 ff.), ebenso wenig wie ἀπ᾿, das Kovacs mit ἐξαιρόμενον verbindet. | δ᾿] δέ in der Funktion von γάρ (GP 169 [1][i]) 107 νέφος οἰμωγῆς] vgl. HF 1140 στεναγμῶν … νέφος | ἀνάψει (Hss.) : +ἀνάξει : ἀνᾴξει Hermann – vgl. Komm. zu 106–108
Kommentar
101
98–110 Aus ihrer Reaktion auf Medeas Äußerung ergibt sich, dass die Amme sich in ihrer bisherigen Einschätzung bestätigt sieht. Sie möchte auf alle Fälle die Kinder vor dem Zorn der Mutter bewahren, da sie sich sicher ist, dass Medea etwas Schlimmes tun wird. Offen ist nur, was es sein wird. 98 ‚Das ist es, was ich meinte‘: Die Amme bezieht sich auf ihre Worte in den vv. 90–93a zurück; denn die Klage Medeas (96b f.) beweist ihr, dass Medea – mit ungewissem Ausgang – noch sehr aufgewühlt ist. Bei ihrer Anrede an die Kinder setzt die Amme offenbar voraus, dass die Kinder in der Lage sind zu verstehen, was sie meint. 100–105 Die Amme fürchtet (zu Recht, 113 f.), dass sich die Emotionen Medeas auch gegen die Kinder richten könnten, und fordert sie daher gleich zweimal (100; 105) auf, schnell und ohne in das Blickfeld der Mutter zu geraten, ins Haus zu gehen. 103 ‚wilden‘: Das Adjektiv agrios kann etwas Unkultiviert-Unmenschliches bezeichnen; vgl. Manuwald 2018 zu Soph. Phil. 9. ‚abstoßenden‘: Das griechische Wort (stygeros) kommt von einem Wortstamm, der ‚hassen‘, ‚verabscheuen‘ bedeutet: Medea hat ein Wesen (jedenfalls, wie es gegenwärtig der Amme erscheint), das Abscheu erregen kann. 104 ‚stolzen‘: Das nicht leicht zu übersetzende griechische Adjektiv (authadēs) und das Substantiv (authadia) sind signifikante Bezeichnungen für die Art Medeas; vgl. noch 621 (Iason über Medea); 1028 (Medea über sich selbst); 223 (dort stuft sie diese Eigenschaft im Sinn von ‚eigensinnig‘ als bei einem Bürger nicht zu loben ein). Gemeint ist ein selbstbezogenes Verhalten, das keine Rücksicht auf Bedürfnisse anderer nimmt. 106–108 Die Amme will sagen, dass sich die Emotionen Medeas noch verstärken werden, und gebraucht dafür (‚entflammen‘) die Vorstellung einer sich bildenden (Gewitter-)Wolke, durch die bald der Blitz brechen wird. Vgl. bes. Page z. St. 106 ‚gerade erst‘, wörtl. ‚vom Ursprung, Anfang her‘: die Wolke steigt noch von ihrem Ausgangspunkt auf; ausgedrückt werden soll „her grief now is less than it will be soon“ (Page); vgl. v. 60.
102
Me.
Am.
Μη.
Τρ.
Prologos: 109–116
eine hochfahrende, schwer zu beruhigende Seele, von Leid verletzt? Ach, ach! Ich erlitt, ich Unglückliche, ich erlitt, was heftige Klage verlangt. – Ihr verfluchten Kinder einer hassenswerten Mutter, geht zugrunde zusammen mit dem Vater, und das ganze Haus fahre dahin! Weh mir, mir, weh, ich Unglückliche! Warum gibst du den Kindern Anteil an der Verfehlung μεγαλόσπλαγχνος δυσκατάπαυστος ψυχὴ δηχθεῖσα κακοῖσιν; αἰαῖ, ἔπαθον τλάμων ἔπαθον μεγάλων ἄξι’ ὀδυρμῶν. ὦ κατάρατοι παῖδες ὄλοισθε στυγερᾶς ματρὸς σὺν πατρί, καὶ πᾶς δόμος ἔρροι. ἰώ μοί μοι, ἰὼ τλήμων. τί δέ σοι παῖδες πατρὸς ἀμπλακίας
110 111a 111b
115
110 111a 111b
115
109 μεγαλόσπλαγχνος Hss. : μελανόσπλαγχνος Herwerden (von Diggle 1994 [ursprünglich 1969], 10 f. empfohlen, aber nicht übernommen) 110 +κακοῖσι(ν): κακοῖς ἡ τῆς μηδείας +(Hss.) – ἡ τῆς μηδείας ist eine eingedrungene Randnotiz zur Erklärung von ψυχὴ (Tedeschi) 111a αἰαῖ : ἔ ἔ : αἶ αἶ ἔ ἔ : ἔ ἔ αἶ αἶ : ἔ ἔ ἔ ἔ : „fort. αἰαῖ αἰαῖ praeferendum (uide ad 96[a])“ Diggle – Ausruf extra metrum; Sicherheit ist hier nicht zu gewinnen, aber es besteht keine Notwendigkeit, einen anapästischen Dimeter herzustellen (vgl. zu 96a) 111b τλάμων : τλήμων (Hss.) 113 ματρὸς : μητρὸς (Hss.) 115 τλήμων (Hss.) : τλῆμον – vgl. Komm. zu 115 116 τί δέ] anreihendes δέ in einer Frage nach einem Ausruf (GP 174 [ii]) | σοι] Die Funktion von σοι gibt Kovacs (Übers.) treffend wieder: „Why do you make the children sharers in their father’s sin?“ σοι drückt die innere Beteiligung Medeas aus, eine Art ethischer Dativ. So Mossman, allerdings mit der dazu nicht passenden Übersetzung „in your eyes“; auch Mastronarde übersetzt so, jedoch mit entsprechender Klassifizierung des Dativs „‘in your eyes’, ‘in your judgment’, dat. of reference“; es geht hier jedoch nicht um die Einschätzung eines distanzierten Beobachters.
Kommentar
103
109 ‚hochfahrende‘: Das griechische Wort (megalosplanchnos) ist ein medizinischer Fachausdruck, mit dem innere Organe als (krankhaft) groß bzw. geschwollen bezeichnet werden (vgl. z. B. Hippokrates, De diaeta in morbis acutis 50,1; 53,1 u. 2 Joly). Außerhalb medizinischen Schrifttums ist das Wort nur hier belegt. Da der zweite Wortbestandteil (splanchnos; v. 220) übertragen auch für den Sitz von Emotionen gebraucht werden kann, ergibt sich als mögliche Bedeutung ‚hochfahrend, zu heftigem Gemütsausbruch / Zorn neigend‘. ‚schwer zu beruhigende‘, wörtl. ‚die man schwer zum Aufhören bringen kann‘; vgl. noch Aisch. Cho. 470 (von schwer zu beendendem Leid). 110 ‚verletzt‘, wörtl. ‚gebissen‘. Das Wort wird öfter metaphorisch von seelischem Schmerz gebraucht. Medea bezeichnet später damit den maximalen Schmerz, den sie Iason durch die Tötung der Kinder zufügen will (817). 111a–114 Medea bricht im Inneren des Hauses erneut in eine expressive Klage über das ihr zugefügte Leid aus, spricht dann aber die Kinder an, woraus zu schließen ist, dass sie das Haus betreten haben und Medea sie bemerkt (die Ermahnungen der Amme waren also nicht erfolgreich). Sie verflucht sie mitsamt dem Vater (insoweit bestätigt sie die Befürchtungen der Amme). Ob sich das ganze ‚Haus‘ bzw. die ganze Familie (zur Bedeutung vgl. zu 76–77) nur auf Iason und die Kinder bezieht (wie 608; vgl. auch {794}) oder Medea auch sich selbst miteinschließt, ist nicht klar. – Zu Medeas „Blame Language“ in diesem Drama vgl. McClure 1999, bes. 379 ff. 111b Das doppelte, durch das dazwischengetretene Wort besonders hervorgehobene ‚erlitt‘ verstärkt das Pathos. Vgl. zur Stilfigur Fehling 1969, 177 (5). 113 Medea bezeichnet sich als ‚hassenswert‘ (stygeros; vgl. zu 103), vielleicht auch weil sie als Mutter ihre Kinder verflucht. Es kennzeichnet Medea, dass sie ihre Haltungen oder Taten auch im Negativen ungeschönt benennt (791–793; {794–796}; 1013b f.; 1243 [?]; 1383). 115–130 Die Amme reagiert voll Furcht um die schuldlosen Kinder auf die Verfluchung durch Medea (115–118), sieht eine Ursache von Medeas emotionalem Zustand in der Wesensart der Hochgestellten (119–121), woran sie eine Reflexion über das vorzuziehende Leben in maßvollen Verhältnissen anschließt, weil Übermaß sich rächen könne (122–130). – Euripides lässt auch Figuren niederen Standes grundsätzlichere Reflexionen vortragen, z. B. die Amme in der Phaidra (252–266). Vgl. Mastronarde zu 119–30; Mossman zu 115–30. 115 Die Amme klagt, als sei sie vom Los der Kinder unmittelbar betroffen. Die Hss. sind in der Frage gespalten, ob die Personenangabe für die Amme vor v. 115 oder vor v. 116 gehört. Aber die Tatsache, dass Medea sonst ihre Äußerungen mit einem Klageruf beginnt, aber nicht abschließt (96a; 111a; 144a) und dass es sich bei v. 115 um einen vollständigen anapästischen Dimeter handelt und nicht, wie bei Medea, um einen Ausruf extra metrum, spricht eindeutig für die Zuweisung des Verses an die Amme.
116–118 In Reaktion auf die Flüche Medeas spricht die Amme den Kindern hinterher; sie sind nicht mehr auf der Bühne (vgl. zu 89). Die Amme möchte den Hass Medeas auf den Schuldigen begrenzt sehen. Aber die vv. 117 f. zusammen mit den vv. 112–114 lassen die Vorstellung aufkommen, Medea könne den Kindern aus Hass gegen sie etwas antun.
104
Prologos: 117–124
des Vaters? Warum hasst du sie? Oh weh, Kinder, dass euch etwas geschieht, wie sehr schmerzt mich die Furcht! Gefährlich ist die Gemütsart derer von hohem Stand, und es ist wohl so, dass sie, da sie selten sich unterordnen, oft die Macht haben, 120 nur mit Mühe von ihren Gemütswallungen ablassen. Gewohnt zu sein, unter gleichen Bedingungen (wie andere) zu leben, ist besser; mir jedenfalls sei es vergönnt, in bescheidenen Verhältnissen, doch in Sicherheit, alt zu werden. μετέχουσι; τί τούσδ’ ἔχθεις; οἴμοι, τέκνα, μή τι πάθηθ’ ὡς ὑπεραλγῶ. δεινὰ τυράννων λήματα καί πως ὀλίγ’ ἀρχόμενοι, πολλὰ κρατοῦντες χαλεπῶς ὀργὰς μεταβάλλουσιν. τὸ γὰρ εἰθίσθαι ζῆν ἐπ’ ἴσοισιν κρεῖσσον· ἐμοὶ γοῦν ἐπὶ μὴ μεγάλοις ὀχυρῶς γ’ εἴη καταγηράσκειν.
120
117 τούσδ’] Die für die Amme nicht mehr sichtbaren Kinder erscheinen vor ihrem inneren Auge. 118 μή … ὑπεραλγῶ] Konstruktion wie bei Verben der Befürchtung (K.-G. II 390 f.) 119–130 {…} Müller 1951, 80 – vgl. Komm. zu 115–130 119–121 δεινὰ … μεταβάλλουσιν] begründendes Asyndeton (K.-G. II 344 δ); vgl. inhaltlich Homer, Ilias 2,196 θυμὸς δὲ μέγας ἐστὶ διοτρεφέος βασιλῆος 120 ὀλίγ’ … πολλὰ] ‚selten … oft‘, vgl. Page „‘rarely obedient’ “; eine Auffassung als innere Akkusative (Mastronarde) ist aber auch möglich: ‚in wenigen Fällen … in vielen‘ 122 γὰρ] „The connexion of thought is sometimes lacking in logical precision.“ Hier ist hinzuzudenken „‘for they [sc. τύραννοι] lack the salutary effects of an equal status’ “, daher … (GP 61 [2]) | ἐπ’ ἴσοισιν] ἐπί mit Dativ zur Angabe der äußeren Umstände (LSJ s. v. B. I. 1 i) 123–124 Vgl. Eur. TrGF V F 893: ἀρκεῖ μετρία βιοτά μοι / σώφρονος τραπέζης, / τὸ δ᾿ ἄκαιρον ἅπαν ὑπερβάλ- / λον τε μὴ προσείμαν. 123 γοῦν] ‚part proof‘ (GP 451 [ii]) | ἐπὶ μὴ μεγάλοις Barthold : εἰ μὴ μεγάλως +Hss. : ἐν μὴ μεγάλοις Mikkelsen – εἰ μὴ μεγάλως passt nicht zu der von der Amme ausgedrückten Lebensauffassung, daher ἐπὶ oder ἐν μεγάλοις. ἐπὶ (Isokrates 10,18; 12,8) und ἐν (ebd. 6,89) sind gleichermaßen möglich, ἐπ’ ἴσοισιν (122) spricht für ἐπὶ, woraus εἰ durch Lipographie entstanden sein kann. | μὴ] nicht οὐ ~ unter der Bedingung nicht großer Verhältnisse (K.-G. II 197, 4), vielleicht auch durch den Wunschmodus bedingt 124 γ’ Reiske : τ᾿ +Hss. : {…} Musgrave – bescheidene Verhältnisse und Sicherheit bezeichnen unterschiedliche Kategorien, was durch ein emphatisches, determinatives γ’ besser ausgedrückt wird als durch eine Anreihung (vgl. GP 116 [1]; 501 [d]); eine Verschreibung von γ’ zu τ᾿ ist wahrscheinlicher, als dass hier (so Musgrave) ursprünglich gar nichts stand.
Kommentar
105
119 ‚Gemütsart‘ (lēma): Vgl. ähnlich Agamemnons thymos (‚Leidenschaftlichkeit‘), Homer, Ilias 2,196; Page; BK II 2 (2003) 65 f. ‚von hohem Stand‘: Im Text ist von tyrannos die Rede, was einen Alleinherrscher bezeichnet, aber nicht den pejorativen Sinn von ‚Tyrann‘ haben muss (wie 348 das Adjektiv tyrannikos), sondern auch als Äquivalent für ‚König‘ gebraucht wird (308; 458). Medea, auf die die allgemeine Aussage hauptsächlich zielt, ist zwar königlicher Abstammung (406), hat jedoch in Korinth keine königliche Stellung, sodass die Amme hier den Begriff in einem weiteren Sinn verwenden dürfte: ‚von hohem Stand‘, ‚dem Adel zugehörig‘. 120 Gemeint ist das typische, schon bei Homer (Ilias 2,190–197) erwähnte Statusdenken des Personenkreises, von dem die Amme spricht (119), und nicht der Status von Bürgern in der Polis, für die es als Auszeichnung angesehen werden kann, wenn sie gleichermaßen die Fähigkeit haben, sich den Amtsträgern zu fügen wie ein Amt zu bekleiden (‚herrschen‘); vgl. Aristoteles, Politik 1277a25–27. 121 ‚von ihren Gemütswallungen ablassen‘, wörtl. ‚die Gemütswallungen verändern‘, sc. so, dass sie aufhören. 122–127a Zu dem Wunsch der Amme nach einem maßvollen, ungefährdeten Leben und zum Lob der Mitte vgl. Kleobulos von Lindos, einen der Sieben Weisen, VS 10 A 3 p. 63,2 (das Maß ist das Beste); Archilochos, fr. 19 West (der Sprecher strebt nicht nach Reichtum und Macht); Pindar, Pythien 11,52 f. (nur die Mitte ist förderlich für die Polis, gegen die Tyrannis); Aischylos, Eum. 530 (Gott gibt jeglicher Mitte den Vorrang), Ag. 471–474 (der Chor zieht ein neidloses Glück vor, will weder Städtezerstörer noch Gefangener sein); das Lob der Gleichheit in Euripides’ Phoinissen (535–545) sowie die Solon zugeschriebenen Bemerkungen über das glückliche Leben bei Herodot (1,30–32). Vgl. auch Mastronarde (zu 119–130) über die Amme als Vertreterin der Lebensauffassung der durchschnittlichen Leute im Vergleich zur heroischen Welt. – Dass sich dieser Teil der Überlegungen der Amme am deutlichsten auf Iason beziehe (Mossman zu vv. 115–130; 122), leuchtet nicht ein; der Ausgangspunkt für die Überlegungen der Amme sind die bedrohlichen Gemütswallungen Medeas. 123–124 Vgl. das Fragment aus einem Chorlied einer nicht identifizierten Tragödie des Euripides (TrGF V F 893, Text in TS): „Mir genügt ein maßvolles Leben / an einem bescheidenen Tisch; / alles Unzeitige und Übertriebene will ich nicht dulden“ (Übers. Seeck). Vgl. Martina III zu 122–23a. Für die Amme bedeutet das Gleichsein mit anderen und das bescheidene Dasein eine Garantie der Sicherheit in ihrem Leben.
106
Prologos: 125–130 • Parodos: 131–132
Denn vom Maßvollen erstens (schon) den Namen auszusprechen hat den Vorzug, und es anzuwenden ist bei weitem am besten für die Menschen; das Übermaß aber bewirkt für die Menschen keinen Gewinn, sondern größeres Unheil, sooft (des Übermaßes wegen) in Zorn gerät die Gottheit, bringt es dem Haus ein.
125
130
Der Chor korinthischer Frauen zieht ein. Chor Ich hörte die Stimme, hörte das Wehklagen der unglücklichen Kolcherin; hat sie sich noch nicht wieder τῶν γὰρ μετρίων πρῶτα μὲν εἰπεῖν τοὔνομα νικᾷ, χρῆσθαί τε μακρῷ λῷστα βροτοῖσιν· τὰ δ’ ὑπερβάλλοντ’ οὐδένα καιρὸν δύναται θνητοῖς, μείζους δ’ ἄτας, ὅταν ὀργισθῇ δαίμων, οἴκοις ἀπέδωκεν.
125
130
Χορός ἔκλυον φωνάν, ἔκλυον δὲ βοὰν τᾶς δυστάνου Κολχίδος· οὐδέπω
125–127 τῶν γὰρ μετρίων … βροτοῖσιν] Subjekte sind die Infinitive (K.-G. II 3 f.) εἰπεῖν und χρῆσθαι, als Objekt zu Letzterem ist τοῖς μετρίοις aus τῶν μετρίων zu ergänzen, zum Prädikat im Ntr. Pl. λῷστα (sc. ἐστιν) vgl. K.-G. I 66–68. Diese Auffassung liegt vom Satzduktus her näher, als die Infinitive als epexegetisch zu verstehen (Subjekte τοὔνομα und ein zu λῷστα zu ergänzendes τὰ μέτρια), was von Mastronarde präferiert wird. Den beiden Infinitiven eine unterschiedliche Funktion zuzuteilen (εἰπεῖν epexegetisch, χρῆσθαι Subjekt, Mossman zu 125–7) besteht kein Grund. 125 πρῶτα] vgl. Herodot 3,80,6 πλῆθος δὲ ἄρχον πρῶτα μὲν οὔνομα πάντων κάλλιστον ἔχει … | μὲν] hier gefolgt von τε (126), da kein Gegensatz vorliegt (GP 375); vgl. zu 11–13 128 δύναται] regiert καιρὸν als direktes Objekt und hat den Sinn ‚bedeuten‘ (Thukydides 1,141,1) oder eher ‚bewirken‘ (ebd. 6,36,2; Platon, Philebos 23d10); vgl. Page; LSJ s. v. II. 3 130 ἀπέδωκεν] gnomischer Aorist nach ὅταν ὀργισθῇ (129); vgl. K.-G. I 160 131–138 Zu den Problemen der Stelle vgl. Diggle 1994, 278–283 (danach das Folgende); eine alternative Position bietet Kovacs 1996, 152–154. 131 δὲ] vgl. zu 99 132 τᾶς δυστάνου (Hss.) : τῆς δυστήνου
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127b–128 Bei der Begründung der Amme für ihre Position ist an die traditionellen Vorstellungen zu denken, dass ein Übermaß das Einschreiten der Götter veranlasst (vgl. bes. Herodot 7,10ε) bzw. im Unglück endet (Aisch. Ag. 750–756) und ein Zuviel (koros) Hybris hervorbringt, wenn großer Reichtum Menschen zukommt, die nicht die rechte Einstellung haben (Solon, fr. 6,3 f. West; vgl. auch Aisch. Ag. 757–762). Den Sieben Weisen wird der Ausspruch, zugeschrieben (2,9,1 f. Mullach), dass koros aus Reichtum entstehe und Hybris aus koros. In dieser Gedankenwelt bewegen sich die Überlegungen der Amme. 128 ‚Gewinn‘: Das griechische kairos hat die Grundbedeutung ‚what is proper, appropriate, just right‘ (Barrett 1964, 231), die sich oft in der Bedeutung des ‚rechten Zeitpunkts‘ realisiert; hier, als Gegensatz zu Schaden, ist das ‚Angemessene‘ am ehesten der Gewinn (vgl. z. B. Andr. 131); vgl. Race 1981, 207. 129 ‚größeres Unheil‘: im Verhältnis zu dem durch Übermaß vermeintlich errungenen Gewinn. 130 Zu den alternativen Verständnismöglichkeiten des griechischen Textes je nach Interpunktion vgl. EK, S. 413 f. 131–213 Parodos. Die Parodos (Einzugslied) des Chores, bestehend aus korinthischen Frauen (214), gliedert sich in (1) Auftrittsverse des Chores (131– 138), denen anapästische Verse der Amme (139–143) und der Medea (144a– 147) folgen; (2) das Strophenpaar (Strophe und Gegenstrophe; 148–159; 173– 183) mit einer Epode (abschließendem ‚Zugesang‘; 204–213) des Chores, wobei die Chorpartien durch Anapäste Medeas (160–167) und der Amme (168–172; 184–203) unterbrochen sind. – Zu diesem epirrhematischen Aufbau, d. h., gesungenen Chorpartien folgen ‚dazugesprochene‘ bzw. rezitierte Verse, vgl. Hose 1990, 53–58. 131–138 Die korinthischen Frauen (214) kommen, weil sie Medeas Klagen gehört haben und Anteil nehmen wollen. Sie wissen offenbar, dass Medea ein Leid widerfahren ist (oder erschließen es wenigstens), sonst könnten sie die Frage, ob sie sich noch nicht wieder beruhigt habe (132b–133a), nicht stellen (vgl. auch 136 f.), kennen aber vielleicht noch nicht die Ursache, die ihnen die Amme dann nennt (139 f.). 131 ‚Ich‘: Die Chöre der griechischen Tragödie können gleichermaßen im (kollektiven) Singular wie im Plural von sich und zueinander sprechen, es ist jeweils die ganze Chorgemeinschaft gemeint; vgl. den Wechsel von ‚unser‘ (173) zu ‚meine‘ (177) innerhalb einer Chorstrophe. Entsprechendes gilt für die Anrede an den Chor. Vgl. Kaimio 1970 passim (Zusammenfassung 239–248). 132 ‚Kolcherin‘: Die Chorfrauen sind sich bewusst, dass Medea eine ‚Ausländerin‘ ist, aber diese Benennung ist nicht als Distanzierung zu verstehen, denn sie sind voller Empathie, mit Medea befreundet (136–138) und gehen auch im weiteren Verlauf des Stückes mit ihr wie mit einer der Ihren um. Für das Motiv des Zusammenhalts der Frauen bei Euripides verweist Martina (III 85) auf TrGF V F 108; IT 1061 f.; Hel. 329. – Dass mit ‚Kolcherin‘ auf ihr ‚exotisches‘ Klagen angespielt werde (Mastronarde; Martina), überzeugt nicht, da heftige und laute Äußerungen bei seelischem Schmerz insbesondere für Frauen
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Parodos: 133–143
beruhigt? Nun, du ehrwürdige Greisin, sage es (uns). Denn das Klagen in ihrem Haus mit den Türen auf beiden Seiten 134/5 hörte ich, und ich teile den Schmerz, Frau, über das Leid der Familie, da sie mir in Freundschaft verbunden ist. Am.
Die Familie gibt es nicht mehr; das alles ist bereits dahin. Denn ihn vereinnahmt ganz die Heirat ins Königshaus, sie lässt im Schlafgemach ihr Leben dahinschwinden, die Herrin, durch keines Freundes Zureden, gar nicht wird sie getröstet in ihrem Gemüt. ἤπιος; ἀλλ’, ὦ γεραιά, λέξον. {ἐπ᾿} ἀμφιπύλου γὰρ ἔσω μελάθρου γόον ἔκλυον, οὐδὲ συνήδομαι, ὦ γύναι, ἄλγεσι δώματος, ἐπεί μοι φιλία κέκραται.
Τρ.
οὐκ εἰσὶ δόμοι· φροῦδα τάδ’ ἤδη. τὸν μὲν γὰρ ἔχει λέκτρα τυράννων, ἡ δ’ ἐν θαλάμοις τήκει βιοτὴν, δέσποινα, φίλων οὐδενὸς οὐδὲν παραθαλπομένη φρένα μύθοις.
140
134/5
140
133 ἤπιος] fem., hier Adj. zweier Endungen (vgl. LSJ s. v.); zur Semantik vgl. Thukydides 2,59,3 πρὸς τὸ ἠπιώτερον … καταστῆσαι 134 {ἐπ᾿} ἀμφιπύλου Weil : ἐπ᾿ ἀμφιπύλου +Hss. : ἐτ᾿ ἀμφιπύλου Badham, Kovacs – vgl. ETS zu 134, S. 430 f. | γόον Elmsley : βοὰν od. βοὴν Hss. – γόον stellt den wahrscheinlich anzunehmenden daktylischen Rhythmus her 138 φιλία κέκραται Porson : φίλον κέκρα(ν)ται +Hss. : φίλα κέκραται Trikl. – φίλον κέκρανται (von κραίνω) hieße nach der Erklärung des Scholions etwa ‚(Das Haus / die Familie) ist als Freund ins Werk gesetzt / vollendet worden, d. h., ist mir befreundet.‘ Doch scheint κραίνω mit Prädikativum nicht belegt zu sein. Daher ist κέκραται (von κεράννυμι) vorzuziehen, das (bzw. die poet. Form κίρνημι) in Wendungen, die ‚Freundschaft schließen‘ bedeuten, belegt ist, was allerdings die Änderung von φίλον zu φιλία erfordert. Vgl. Hipp. 253 f. χρῆν γὰρ μετρίας εἰς ἀλλήλους / φιλίας θνητοὺς ἀνακίρνασθαι, Herodot 7,151 τὴν πρὸς Ξέρξην φιλίην συνεκεράσαντο. Vgl. Diggle 1994, 282 f. 139 τάδ’] Das Neutrum bezeichnet den ganzen mit δόμοι zusammenhängenden Bereich (K.-G. I 61 Anm. 1). 140 τὸν +Musgrave : ὁ (Hss.) : ος Π – ὁ ist metrisch nicht möglich, ος nur ein Versuch, die Metrik in Ordnung zu bringen | λέκτρα (Hss.) : δῶμα – Die Heirat ist der entscheidende Grund. 141 τήκει : τάκει (Hss.) | βιοτὴν Dindorf : βιοτὰν +Hss. 143 παραθαλπομένη : παραθαλπομένα +(Hss.) | παραθαλπομένη] Das Wort ist für die klass. Zeit nur hier belegt.
Kommentar
109
auch im griechischen Bereich als generell akzeptiert anzusehen sind. Sogar die Göttin Thetis (in der Ilias) schreit so laut auf, dass sich die Nereiden um sie versammeln (Homer, Ilias 18,35–38); vgl. auch Manuwald 2019, 13. 133 ‚beruhigt‘: Das griechische Wort bezeichnet zumeist eine Eigenschaft von Personen, ‚mild‘, ‚sanft‘. Bei Thukydides (2,59,3, Text in TS) wird es jedoch einmal für ‚(in einen) ruhigeren (Zustand versetzen)‘ gebraucht, was der hier anzunehmenden Bedeutung nahekommt, vielleicht aus dem medizinischen Bereich übertragen; vgl. Mastronarde. ‚ehrwürdige Greisin‘: Im griechischen Text liegt ein substantiviertes Adjektiv vor (wörtl. ‚du Alte‘), das aber die Konnotation der Ehrwürdigkeit durch das Alter hat. 134/5 Es ist das Klagen Medeas in ihrem Haus gemeint, nicht, dass die Chorfrauen die Klagen schon in ihren Häusern gehört haben (bzw. es wird nicht ausgeführt, von wo aus genau die Frauen die Klagen gehört haben); die Türen auf beiden Seiten verweisen darauf, dass das Haus Medeas einen Vorder- und einen Hintereingang hat (Soph. Phil. 159; Lysias 12,15). Man fragt sich, warum dieses Detail erwähnt wird. Vermutlich sollen die Klagen auch hinter dem Haus zu hören sein und soll so erklärt werden, wie sich die Chorfrauen spontan aus der Umgebung des Hauses einstellen können. Vgl. Elmsley 1822 z. St.; Diggle 1994, 280 f.; Mastronarde zu 135–6. 136 ‚ich teile den Schmerz‘, wörtl. ‚ich freue mich nicht mit‘, was positiv den in der Übersetzung ausgedrückten Sinn ergibt; vgl. Barrett 1964, 397 (zu Hipp. 1286–7). Die Anteilnahme wird mit Freundschaft zu Medeas Familie be– gründet (137 f.). 137 ‚Familie‘: Im griechischen Text steht ‚Haus‘ (wie auch in v. 139), womit aber, wie oft, die darin lebenden Personen gemeint sind, d. h. die Familie (vgl. zu 76–77). 138 ‚sie‘: die Kolcherin, also Medea. 139–143 Die Amme nimmt in ihrer Antwort auf das Stichwort ‚Familie‘ (137) Bezug und klärt die Frauen über den aktuellen Stand der Dinge auf. 139 ‚Familie‘: vgl. zu 137. Zum ausdrucksstarken Plural (im Griechischen) vgl. Bers 1984, 43 f. 140 Vgl. 18. Alternativ könnte der Vers auch lauten: „Ihn (sc. Iason) hält das Bett der Königstochter (tyrannōn dann als poetischer Plural verstanden) fest“, doch liegt wegen des Plurals (von ‚Herrscher‘) die in der Übersetzung gebotene Version näher; vgl. Mastronarde. 141–143 Vgl. 24–29.
110
Parodos: 144–150
Me.
Ach, ach! Durch mein Haupt möge die himmlische Flamme dringen! Welchen Gewinn bringt es mir denn noch zu leben? Weh, weh! Könnte ich doch durch den Tod Ruhe finden, das verhasste Leben verlassend!
Ch.
Hörtest du, O Zeus und Erde und Himmelslicht, was für einen Klageruf die unglückliche Frau ertönen lässt?
144a 144b 145
Strophe 150
Μη.
αἰαῖ, διά μου κεφαλᾶς φλὸξ οὐρανία βαίη· τί δέ μοι ζῆν ἔτι κέρδος; φεῦ φεῦ· θανάτῳ καταλυσαίμαν βιοτὰν στυγερὰν προλιποῦσα.
144a 144b 145
Χο.
ἄιες, ὦ Ζεῦ καὶ Γᾶ καὶ φῶς, ἀχὰν οἵαν ἁ δύστανος μέλπει νύμφα;
στρ. 150
145 τί δέ μοι ζῆν ἔτι κέρδος;] vgl. [Aisch.] PV 747 τί δῆτ᾿ ἐμοὶ ζῆν κέρδος 148 ὦ Ζεῦ … φῶς] Σ verweist auf Apollodoros von Tarsos, nach dem diese Worte von Medea gesprochen werden (übernommen von Tedeschi), vgl. Komm. zu 168–169 | καὶ Γᾶ καὶ φῶς (Hss.) : καὶ φῶς καὶ Γᾶ 149 ἀχὰν Elmsley : ἰαχὰν +Hss. – Damit es metrisch zur Gegenstrophe korrespondiert (ἔλθοι, 174), müsste ἰαχὰν als ῐᾰχὰν skandiert (statt ῐᾱχὰν) werden können, was unsicher ist (vgl. Page). | δύστανος : δύστηνος
Kommentar
111
144b–147 Medea wiederholt jetzt eindringlicher ihren bereits geäußerten Todeswunsch (97), der nicht mit einem Entschluss zur Selbsttötung identisch ist; der Tod soll sie überkommen (vgl. auch zu 96b–97). Sie schwankt zwischen Verzweiflung (wie hier) und dem Wunsch nach Rache (113f.). 144b ‚himmlische Flamme‘: poetische Umschreibung für ‚Blitz‘; vgl. zu Formulierung und Todeswunsch Hik. 831. 146 ‚Ruhe finden‘: katalyein kann (intransitiv) heißen ‚Halt machen‘, ‚rasten‘, ‚ein Quartier beziehen‘; die hier vorliegende mediale Form dürfte eine entsprechende Bedeutung haben und letztlich die ‚Einkehr‘ in ein Grab als Ruhestätte meinen. 148–159 (Strophe) Der Chor schließt durch seinen Anruf an die Götter metrisch mit Anapästen an die Äußerung Medeas (144a–147) an (148–150) und wendet sich dann in lyrischen Versmaßen unmittelbar Medea zu: Er will sie ebenso von ihrem Todeswunsch abbringen (151–154) wie in ihrem Zorn mäßigen, da ihr Zeus beistehen werde (155–159). Die beiden Abschnitte sind, wenn man die textkritische Entscheidung zu v. 153 akzeptiert, insofern parallel aufgebaut, als Medea jeweils die eigene Initiative zurücknehmen solle: Der Tod wird von selbst (allzu) frühzeitig kommen, Zeus wird behilflich sein, ihr Genugtuung zu verschaffen. Die Chorfrauen vertreten den ‚vernünftigen‘ Standpunkt des durchschnittlichen Menschen, der sich mit der gegebenen Situation arrangiert und für die Rache auf eine göttliche Macht vertraut. 148 ‚Hörtest du‘: Eher Anrede an die Chorfrauen untereinander (zum Singular vgl. zu 131) als an Zeus, wie schon im 1. Jh. v. Chr. Didymos (von Alexandreia) laut dem Zeugnis des Scholions feststellte. ‚O Zeus …‘: Der Ausruf markiert die Betroffenheit der Chorfrauen angesichts der Klagen Medeas. Vgl. zum Ausruf Or. 1496, wo die hier genannten Zeus, Erde und (Himmels-)Licht noch um die Nacht ergänzt sind, sowie Med. 752; 764 (wo Medea das Licht als Licht des Helios benennt, d. h. ihres Großvaters, 406); 1251 f. Weiteres bei Martina III 87. 150 ‚Frau‘: Das griechische nymphā (bzw. nymphē) wird gewöhnlich in der Bedeutung ‚Braut‘, ‚junge (heiratsfähige) Frau‘ (wie durchweg für die Tochter Kreons) gebraucht und nur hier auf Medea angewandt, die sich selbst als ‚Frau‘ (gynē, 1250) bezeichnet (wie sie auch der Chor sonst anredet bzw. benennt: 357; 816; 818; 1253; 1274; vgl. z. B. auch die Amme, 15, wo Medea impliziert ist). Eine Frau wie Medea nymphā zu nennen ist bei Euripides kein Einzelfall, vgl. bes. Andromache, die in vergleichbarer Weise bedauernd vom Chor als nymphā (Andr. 140) und gleich danach (141) mit dem üblichen Ausdruck für ‚Frau‘ (gynai, Vokativ) angesprochen wird. Im Übrigen wäre in v. 150 gynā (⏑‒, dorische Form) metrisch nicht möglich (nymphā: ‒‒). Wenn sonst verheirateten Frauen (und Müttern) die Bezeichnung nymphā bzw. nymphē zugeordnet ist, kann auch auf deren sexuelles Verhalten bzw. deren sexuelle Attraktivität angespielt sein: Klytaimestra (Tro. 250; El. 1033 [Klytaimestra ist mitgemeint]), Helena (Or. 1147) oder ggf. auf einen brautartigen Status (Gillespie 2014, 206–208). Ein etwaiger tieferer Sinn des Wortgebrauchs in v. 150 dürfte kaum darin liegen, dass Medea als Rivalin der Tochter Kreons gekennzeichnet werde oder es sich ergebe, dass sie durch ihre Erfahrung im Drama von der nymphā zur gynē altere (so aber Mossman). Hätte Euripides mit dem Ausdruck
112
Parodos: 151–159
Was für ein Verlangen hast du denn nach dem entsetzlichen Totenbett, du Törichte? Allzu bald wird der Tod herbeikommen; erflehe das doch bloß nicht! Wenn aber dein Gatte einer neuen Ehe zugetan ist, 155 sei über ihn nicht so erbittert: Zeus wird dir in dieser Angelegenheit zu deinem Recht verhelfen. Verzehre dich nicht zu sehr in Klagen wegen deines Bettgenos- 158/9 sen! τίς σοί ποτε τᾶς ἀπλάτου κοίτας ἔρος, ὦ ματαία; σπεύσει θανάτου τελευτά· μηδὲν τόδε λίσσου. εἰ δὲ σὸς πόσις καινὰ λέχη σεβίζει, κείνῳ τόδε μὴ χαράσσου· Ζεύς σοι τάδε συνδικήσει. μὴ λίαν τάκου δυρομένα σὸν εὐνάταν.
155 158/9
151 +τίς : τί +(Hss.) : καὶ – τίς bezogen auf ἔρος (152) | ἀπλάτου Elmsley : ἀπλάστου oder ἀπλήστου +Hss. – ἀπλάστου ‚unersättlich‘ ist eine Vorstellung, die sich im Zusammenhang mit ‚Lager‘ und ‚(Liebes)verlangen‘ leicht einstellen kann, die aber hier irrelevant ist, da Medea keine Sehnsucht nach Iason hat (anders Gentili 1972, 60–63; Tedeschi), daher ἀπλάτου, und ‚Bett‘ im Sinn von ‚Totenbett‘. 152 ἔρος +Trikl. : ἔρως (Hss.) – ἔρος ist metrisch erforderlich. 153 σπεύσει … τελευτά Weil (als Aussage interpungiert) : σπεύσει … τελευτάν (+Hss.) : +σπεύδει … τελευτάν : σπεύσεις od. σπεύδεις … τελευτάν Blaydes (jeweils als Frage interpungiert) – vgl. ETS zu 153, S. 431 | θανάτου τελευτά] ‚Verwirklichung / Eintritt des Todes‘, vgl. K.-G. I 265; es liegt eine Personifizierung vor (vgl. 1111 mit Komm.), sodass gegen Weils Konjektur nicht spricht, dass intransitives σπεύδειν üblicherweise ein personales Subjekt hat; die Korruptel (τελευτά → τελευτάν) erklärt sich leicht, wenn σπεύσει als transitiv missverstanden wird. 154 μηδὲν] emphatische Verneinung statt bloßem μή, vgl. z. B. Andr. 463 μηδὲν τόδ᾿ αὔχει (Page) 155 σεβίζει] Zur herabgestimmten Semantik des Wortes im menschlichen Bereich vgl. Dale 1954, 74. 156 κείνῳ Hss. : κοινὸν (mit Interpunktion nach τόδε) Verrall (Page, Martina III) – vgl. ETS zu 156, S. 431. | τόδε] innerer Akkusativ (‚empfinde nicht diese, eine solche Erbitterung‘), adverbiell wiederzugeben (K.-G. I 309 f. Anm. 5) | χαράσσου] zur metaphorischen Bedeutung der passiven Form (aktiv eigtl.: ‚schärfen‘, ‚zuspitzen‘) vgl. LSJ s. v. I. 3; Herodot 7,1,1 Δαρεῖον … κεχαραγμένον τοῖσι Ἀθηναίοισι 157 Ζεύς …] begründendes Asyndeton (K.-G. II 344 δ) | τάδε : τόδε (Hss.) – τάδε ist wegen τόδε in v. 156 gewissermaßen die lectio difficilior, und vielleicht sollte sich der Chor hinsichtlich der Hilfe des Zeus auch allgemeiner ausdrücken: ~ ‚in der gesamten Problematik‘. 158 μὴ λῐ́ᾱν] Ein Creticus ist vor dem Glykoneus wahrscheinlicher als ein Molossus, vgl. 155/180; daher ist das ι in λίαν kurz zu messen (vgl. LSJ s. v. am Ende). 159 δυρομένα Musgrave : ὀδυρομένα Hss. – Die Form δυρομένα (vgl. LSJ s. v. ὀδύρομαι) ist metrisch notwendig. | εὐνάταν +Tyrwhitt : εὐνάτην : εὐνέταν (Hss.) – εὐνάταν korrespondiert besser mit ὁρμᾶται (183), jedenfalls bilden drei Längen am Ende des Kolons die übliche Form (vgl. Itsumi 1984, 78 f.); zur Problematik vgl. auch Diggle 1994, 258–260; Finglass 2007 zu Soph. El. 139.
Kommentar
113
nymphā auf einen Zwischenstatus Medeas verweisen lassen wollen (nicht mehr Frau Iasons, am Ende nicht wieder verheiratet; vgl. Gillespie 2014), hätte er den Chor später nicht ständig gynē für sie gebrauchen lassen; vielleicht wird Medea auch in Anspielung auf den Hochzeitsritus hier als Braut des Todes (151–153) stilisiert (Seaford 1987, 122f.; Rehm 1994, 98).
151 ‚entsetzlichen‘: wörtl. ‚unnahbaren‘, ‚dem man sich nicht nähern kann bzw. soll‘. 152 ‚du Törichte‘: Die Chorfrauen meinen, Medea überlege nicht vernünftig, was sie wünsche. Für den Wortgebrauch verweist Mastronarde treffend auf Gow 1950 zu Theokrit, Eidyllion 15,4 „combines pity and reproach in varied proportions“. Vgl. 333; 959. 153 Hinter dieser Aussage steht der Gedanke, dass das Leben ohnehin kurz sei; in der Antike, als die allgemeine Lebenserwartung deutlich geringer war als heutzutage, hatte man zu einer solchen Feststellung noch mehr Grund. Bei alternativer Textgestaltung (vgl. ETS zu 153, S. 431) unterstellte der Chor, dass Medea von sich aus den Eintritt ihres Todes beschleunigen wolle. 157 Wenn die Chorfrauen darauf vertrauen, dass Zeus selbst für Medea als Rechtsbeistand eintreten werde (wie z. B. Apollon für Orest, Aisch. Eum. 579), geben sie ihre Haltung als Parteinahme für Medea und gegen Iason deutlich zu erkennen; vgl. zu 17–19. Gleichzeitig wird auch klar, dass sie nicht selbst die Initiative ergreifen würden (Allan 2002, 52). 158/9 ‚in Klagen wegen deines Bettgenossen‘, wörtl. ‚den Bettgenossen beklagend‘. Iason bildet durch sein Verhalten die Ursache für Medeas Klagen, sie klagt nicht um Iason, wie man z. B. um die ungerecht behandelte Antigone klagt (Soph. Ant. 693). Das Akkusativobjekt zu dem Verb ‚klagen‘ ist hier in einem prägnanten Sinn gebraucht. Vgl. Mossman (Übers.): „in weeping for your husband“.
114 Me.
Μη.
Parodos: 160–167
Mächtige Themis und erhabene Artemis, seht ihr, was ich erleide, obwohl ich ihn mit starken Eiden an mich gebunden hatte, den verfluchten Gatten? Den und seine Frau möchte ich eines Tages mitsamt ihrem Palast vernichtet sehen, weil sie es wagen, mit solchem Unrecht gegen mich anzufangen! O, mein Vater, o, meine Heimatstadt, die ich verließ – schändlich – meinen Bruder tötend! ὦ μεγάλα Θέμι καὶ πότνι’ Ἄρτεμι, λεύσσεθ’ ἃ πάσχω, μεγάλοις ὅρκοις ἐνδησαμένα τὸν κατάρατον πόσιν; ὅν ποτ’ ἐγὼ νύμφαν τ’ ἐσίδοιμ’ αὐτοῖς μελάθροις διακναιομένους, οἷ’ ἐμὲ πρόσθεν τολμῶσ’ ἀδικεῖν. ὦ πάτερ, ὦ πόλις, ὧν ἀπενάσθην αἰσχρῶς τὸν ἐμὸν κτείνασα κάσιν.
160
165
160
165
161–162 μεγάλοις ὅρκοις ἐνδησαμένα] vgl. Herodot 3,19,2 ὁρκίοισί τε γὰρ μεγάλοισι ἐνδεδέσθαι 162 ἐνδησαμένα : ἐνδησαμένη 163 ὅν … νύμφαν τ’ ἐσίδοιμ’] Das Verb regiert das Relativpronomen und das nominale Objekt; vgl. zu dieser Konstruktion Kovacs 1994, 169 f. zu Med. 496–7. 164 αὐτοῖς] ‚mitsamt‘, vgl. K.-G. I 433; Collard 2018, 115 165 οἷ’ ἐμὲ Kaibel : οἵ γέ με Hss. : οἵ γ᾿ ἐμὲ Brunck – Der Akzent liegt nicht mehr (wie 163 f.) auf den Übeltätern, sondern auf der Ungeheuerlichkeit ihres Tuns; οἷ(α) ist innerer Akkusativ zu ἀδικεῖν, zu οἷα statt ὅτι τοιαῦτα vgl. K.-G. II 370 f. 166–167 ὧν … κάσιν : ὧν κάσιν αἰσχρῶς / τὸν ἐμὸν κτείνασ᾿ ἀπενάσθην Heimsoeth, Kovacs (um einen Abschluss mit einem Paroimiakos zu erhalten) – Medeas Ausführungen enden (anders als 114 u. 147; vgl. auch 110 u. 130) mit einem vollständigen anapästischen Dimeter und nicht klauselhaft mit einem unvollständigen (Paroimiakos). Aber es handelt sich um einen Ausruf wie 96a–97, und Murray (zitiert bei Page zu 166–7) hat vermutlich recht mit der Erklärung: festinat Nutrix sermonem periculosum interrumpere. Was Medea hier sagt, ist kaum geeignet, die Sympathien der Chorfrauen zu gewinnen, und die Amme fällt Medea deswegen gewissermaßen ins Wort (vgl. Martina III z. St.). Daher sollte man nicht durch eine Wortumstellung die Metrik normalisieren wollen oder nach v. 167 den Ausfall eines Paroimiakos annehmen. 166 ὧν] abh. von ἀπενάσθην (LSJ s. v. ἀποναίω II, K.-G. I 394 f.), vgl. IT 175 167 κτείνασα] Das Partizip Aorist zeigt einen mit dem Hauptverb (ἀπενάσθην, 166) gleichzeitigen Vorgang an; vgl. Κ.-G. I 199 Anm. 8; MT § 150; 845; Mastronarde S. 88 Nr. 14.
Kommentar
115
160–167 Medea klagt über den Eidbruch Iasons und möchte angesichts des ihr angetanen Unrechts ihn und seine Frau mitsamt deren Palast vernichtet sehen. Sie bereut, dass sie für Iason Vater und Heimat verlassen, ihren Bruder getötet hat. 160 Themis, Tochter des Uranos und der Gaia (Hesiod, Theogonie 135) und (als Zeus’ Frau vor Hera) Mutter der Dike (Theogonie 901 f.), ist „das sakrale Recht in Person“ (Burkert 2011, 332) und damit die einschlägige Adressatin bei Medeas Klage über das ihr angetane Unrecht; ‚mächtig‘ (bzw. wörtl. ‚groß‘) wird sie nur hier genannt. Artemis (zu ihrem Epitheton vgl. Homer, Ilias 21,470 f.; Eur. Phoin. 190–192) wird wohl als eine Gottheit der Frauen angerufen, die u. a., obgleich eine jungfräuliche Göttin, als (Artemis) Hekate (Aisch. Hik. 676 f.; Eur. Phoin. 109 f.; Burkert 2011, 263) bei der Geburt Beistand leisten soll (Burkert 2011, 234); zu Hekate hat Medea eine besondere Beziehung (395–397; vgl. Komm.) und darf von ihr daher Unterstützung erwarten. – Für Euripides’ Peliaden ist bezeugt, dass Medea in Gestalt einer Artemis-Priesterin auftrat (Peliaden TrGF V T *iiic = Hyginus, Fabulae 24: pro sacerdote Dianae). 161–163 Zu den Eiden, mit denen Medea den Ehebund mit Iason gesichert hatte, vgl. zu 21–22. Sie nennt Iason hier verflucht wie zuvor die Kinder (112 f.). – Nach dieser Stelle ist es Medea, die die Bedingungen diktiert hat, als Iason in Kolchis um Schutz flehte (497). 163–164 Es geht nicht nur um die Vernichtung, sondern es gehört zum Genuss der Rache dazu, dass man sie auch wahrnimmt; vgl. Aisch. Cho. 267 f.; Soph. Tr. 1036 f.; Phil. 1113–1115; Eur. HF 731–733 (Page). Vgl. zu 1134 f. 164 ‚Palast‘: Es ist das königliche Haus gemeint. Das griechische melathron bezeichnet nur das Bauwerk, anders als domos und dōma, womit auch ‚Haus‘ als Personenverband bezeichnet werden kann; vgl. zu 76–77. 165 ‚anzufangen‘: Das ist der Sinn des griechischen Texts, wo es wörtlich heißt, dass sie (s. u.) ‚zuvor‘ (prosthen) Unrecht tun, d. h. unprovoziert, ohne dass Medea ihnen zuerst etwas getan hat (vgl. auch 692). Wer anfängt, setzt sich ins Unrecht und damit der berechtigten Vergeltung des Geschädigten aus (vgl. Homer, Ilias 3,351; Aisch. Cho. 306–314; Dover 1974, 184; Burnett 1998, xvi). Er wird zum Feind, und es greift die Maxime, den Freunden zu nutzen und den Feinden zu schaden (vgl. 809 [sachlich einschlägig, auch wenn der Vers unecht ist] und zu 90–95). ‚sie‘: Der Plural bezieht sich auf Iason und die Tochter Kreons, vgl. 163 f. 166–167 Da Iason sie verraten hat, wird Medea schmerzlich bewusst (wie schon 31 f.), welche Untaten sie – vergeblich – um seinetwillen verübte. Sie hat für Iason ihren Vater verraten (483; vgl. auch 1332), ihre Heimat aufgegeben und den Tod ihres Bruders (der in der Medea namenlos bleibt) zu verantworten. Sprachlich kann man ‚schändlich‘ auf die Ermordung des Bruders, auf das Verlassen von Vater und Heimat, wobei dann die Schändlichkeit durch den Mord begründet wird, oder auf beides beziehen (vgl. Mastronarde; Martina III). Zu dem Brudermord lässt Euripides Medea keine Einzelheiten nennen. Nach Pherekydes (BNJ / FGrHist 3 F 32 a u. b) hat Medea den noch kleinen Apsyrtos auf die Flucht mitgenommen und ihn auf Anweisung Iasons den Argonauten übergeben, die ihn getötet und zerstückelt
116
Parodos: 168–181
Am.
Hört ihr, was für Dinge sie sagt und wie sie ruft ‚Themis‘, die man (in solcher Not) anfleht, und ‚Zeus‘, der als der Eide Bewahrer den Menschen gilt? 170 Unmöglich, dass meine Herrin durch eine (nur) unbedeutende Tat ihrem Groll ein Ende machen wird.
Ch.
Wenn sie doch vor unser Auge Gegenstrophe träte und den Klang der (von uns) gesprochenen Worte in sich aufnähme, 175 vielleicht, dass sie dann ihren heftigen Zorn und ihre leidenschaftliche Gemütsverfassung sein ließe. Gewiss nicht soll meine Bereitwilligkeit den Freunden fehlen. Drum gehe und bringe sie hierher aus dem Haus 180 nach draußen. Sag ihr, dass auch wir als Freunde da sind,
Τρ.
κλύεθ’ οἷα λέγει κἀπιβοᾶται Θέμιν εὐκταίαν Ζῆνά θ’, ὃς ὅρκων θνητοῖς ταμίας νενόμισται; οὐκ ἔστιν ὅπως ἔν τινι μικρῷ δέσποινα χόλον καταπαύσει.
Χο.
πῶς ἂν ἐς ὄψιν τὰν ἁμετέραν ἔλθοι μύθων τ’ αὐδαθέντων δέξαιτ’ ὀμφάν, εἴ πως βαρύθυμον ὀργὰν καὶ λῆμα φρενῶν μεθείη; μήτοι τό γ’ ἐμὸν πρόθυμον φίλοισιν ἀπέστω. ἀλλὰ βᾶσά νιν δεῦρο πόρευσον οἴκων ἔξω· φίλα καὶ τάδ’ αὔδα,
170
ἀντ. 175
180
169 Ζῆνά θ’ Hss. : Ζηνὸς Nauck (vgl. 208/9) – vgl. Komm. zu 168–169 170 θνητοῖς (Hss.) : θνατοῖς | ταμίας] gängiges Epitheton von Zeus, LSJ s. v. I. 2 171 οὐκ +(Hss.) : κοὐκ – Eine Verbindung mit καί würde die Absolutheit der Aussage mindern. | οὐκ ἔστιν ὅπως] vgl. K.-G. II 375 Anm. 3 | ἐν] instrumental, LSJ s. v. A. III 173–175 πῶς ἂν … ἔλθοι … δέξαιτ’] vgl. zu 97 173 ἁμετέραν (Hss.) : ἡμετέραν 176–177 εἴ πως … μεθείη] ~ ‚(um zu versuchen,) ob …‘, indirekte Frage mit εἰ + Optativ (K.-G. II 534 Anm. 16) 176 ὀργὰν (Hss.) : ὀργὴν 177 μεθείη] intransitiv, LSJ s. v. μεθίημι II 178 μήτοι : μή μοι +Trikl. : μὴ τι – μὴ τι ist unmetrisch und μή μοι neben ἐμὸν eine unnötige Doppelung | τό … ἐμὸν πρόθυμον] ~ ἡ ἐμὴ προθυμία (Page) | τό γ’ ἐμὸν] limitativ, betont ist ἐμὸν, zur Stellung von γε vgl. GP 146 IV. (I) 181 φίλα καὶ τάδ’] ‚auch das hier‘ = wir; vgl. Soph. OC 67 ἐκ τοῦ κατ᾿ ἄστυ βασιλέως τάδ᾿ ἄρχεται ~ ἡμείς ἀρχόμεθα (Page); vgl. Kaimio 1970, 46
Kommentar
117
ins Meer geworfen haben, um die Verfolger aufzuhalten. Nach einer anderen Version, die in v. 1334 vorausgesetzt ist, hat sie ihn, bevor sie die Argo bestieg, am häuslichen Herd getötet (Soph. TrGF IV2 F 343; Kallimachos, fr. 8 Pf.). Bremmer (1997, bes. 100) deutet diese Version als definitive Trennung von allen bisherigen Familienbanden. Es gibt noch weitere Varianten, vgl. das Scholion zu v. 167.
168–172 Die Amme rechnet angesichts von Medeas Wunsch, Iason und seine Frau vernichtet zu sehen, mit einer Rachetat ihrer Herrin von erheblichem Ausmaß. Auf deren reuevollen Ausruf geht sie hier vor den Chorfrauen nicht ein; vgl. aber 31–35. 168–169 Medea hatte Themis und Artemis angerufen (160), die Amme nennt aber als Inhalt ihres Ausrufs Themis und Zeus, ein bereits für den Scholiasten zu v. 169 vielberufenes Problem. Deswegen den Ausruf in v. 148 Medea als Sprecherin zu geben (wie im Scholion zu 148 für Apollodoros von Tarsos bezeugt), wo Zeus genannt wird, ist keine Lösung, da die Amme das unmittelbar zuvor Gehörte meinen dürfte. Naucks Vorschlag, ‚Zeus‘ in einen von Themis abhängigen Genitiv zu verwandeln (wie in v. 208), ihn also nicht direkt zum Inhalt des referierten Ausrufs zu machen, wird nur scheinbar von den vv. 208/9 gestützt; denn dort bezieht sich der folgende Relativsatz auf Themis selbst, hier aber auf Zeus, wozu ‚Zeus‘ als nicht abhängiger, sondern selbstständiger Ausdruck sinnvoller ist. Vermutlich ergänzt die Amme zu Themis den sachlich zugehörigen Schützer der Eide (was sie explizit ausführt), wie beide auch in den vv. 208/9 zusammengehören; vgl. Page (zu v. 148); Mastronarde. Zur Verbindung von Themis und Zeus vgl. noch Pindar, Olympien 8,21 f.; Aisch. Hik. 360; Soph. El. 1063 f. 169 ‚die man (in solcher Not) anfleht‘, wörtl. ‚die angeflehte‘; das Attribut steht parallel zum Relativsatz, der die Funktion von Zeus erklärt. Die Amme will sagen, dass man sich in Fällen von Rechtsverletzung an Themis wendet. 170 ‚Bewahrer‘: Das griechische tamias, das wohl mit temnein (‚schneiden‘, auch ‚teilen‘) zusammenhängt, kann u. a. die Bedeutung ‚Zuteiler‘, aber auch ‚Bewahrer‘ haben (vgl. Kovacs 1993, 66 f.: „dispenser“, „guardian“). 171–172 Die ganze Wendung stellt eine Art Litotes dar, mit dem Sinn, dass – entsprechend den früheren Befürchtungen der Amme – von Medea eine Aktion gewaltigen Ausmaßes zu erwarten ist. Vgl. auch 93 f.; 108–110; 119–121. ‚durch eine (nur) unbedeutende Tat‘, wörtl. ‚durch etwas Kleines / eine kleine Sache‘. 173–183 (Gegenstrophe) Die Chorfrauen glauben, dass sie Medea mit einer unmittelbaren Ansprache besänftigen könnten; sie betonen ihre freundschaftliche Absicht und drängen die Amme, Medea aus dem Haus zu holen, bevor sie den im Haus befindlichen Menschen, gemeint sind sicher die Kinder, etwas Schlimmes antun könne. 174 ‚der (von uns) gesprochenen Worte‘: ‚gesprochenen‘ ist nur scheinbar überflüssig; die Chorfrauen wollen damit ausdrücken, dass sie eine unmittelbare Begegnung wünschen. 179 ‚den Freunden‘: generisches Maskulinum, Frauen sind mitgemeint. 181 ‚auch wir‘: sc. ‚ebenso wie du als ihre Amme‘. Zum Sprachlichen vgl. TS.
118
Parodos: 182–191
geh eilends, bevor sie etwas Schlimmes antun kann denen drinnen; denn ihr Kummer geht mit Macht diesen Weg. Am.
Ich werde das tun; aber ich habe Bedenken, ob ich meine Herrin werde überreden können. Dennoch werde ich (euch) diese Liebesmühe gewähren. Allerdings, mit dem Blick einer Löwin, die Junge geworfen hat, stiert sie zornig die Diener an, wenn jemand ihr zuredend sich nähert. Wenn du unklug und gar nicht weise die früheren Menschen nennst, dürftest du nicht fehlgehen,
185
190
σπεύσασά τι πρὶν κακῶσαι τοὺς ἔσω· πένθος γὰρ μεγάλως τόδ’ ὁρμᾶται. Τρ.
δράσω τάδ’· ἀτὰρ φόβος, εἰ πείσω δέσποιναν ἐμήν· μόχθου δὲ χάριν τήνδ’ ἐπιδώσω. καίτοι τοκάδος δέργμα λεαίνης ἀποταυροῦται δμωσίν, ὅταν τις μῦθον προφέρων πέλας ὁρμηθῇ. σκαιοὺς δὲ λέγων κοὐδέν τι σοφοὺς τοὺς πρόσθε βροτοὺς οὐκ ἂν ἁμάρτοις,
185
190
182 σπεύσασά Schöne : σπεῦσαι : σπεῦσον : σπεῦδε : σπεῦσον δὲ Hermann – Εrforderlich sind drei Silben (‒‒⏑), ursprüngliches σπεύσασα ist wahrscheinlich durch Haplographie zu σπεύσα geworden, das dann zu σπεῦσαι (nicht erklärt durch Hermanns Konjektur) korrigiert wurde; vgl. Page zu 183; Diggle 1994, 260. | τι πρὶν : πρίν τι (Hss.) – Die ‚normale‘ Wortfolge πρίν τι korrespondiert metrisch nicht; vgl. auch K.-B. I 343 Anm. 7; 348 Anm. 3; Diggle, ebd. 183 ἔσω Brunck : εἴσω Hss. – vgl. zu 158 | τόδ’] τόδ(ε) ist innerer Akkusativ zu ὁρμᾶται; vgl. τόδ᾿ ἱκάνει (Homer, Odyssee 1,409; Tedeschi), K.-G. I 309 Anm. 5, 310 Anm. 6 184 εἰ] zu εἰ nach einem Ausdruck des Fürchtens vgl. K.-G. ΙΙ 396, 9b 185 ἐμήν (Hss.) : ἐμὰν 186 μόχθου … χάριν] genetivus definitivus | ἐπιδώσω] vgl. LSJ s. v. I. 3 „give freely, bestow“ 187–188 δέργμα … ἀποταυροῦται δμωσίν] ἀποταυροῦται ist, wie die Verwendung des Wortes, um die Verwandlung Ios in eine Kuh zu bezeichnen, zeigt (περὶ τῆς ἀποταυρουμένης … Ἰοῦς, Erotian, p. 81,16 Klein), eher Passiv als Medium (Medea wird zu einem Stier), vgl. auch 92; dann ist δέργμα am ehesten als Akkusativ der Beziehung aufzufassen (anders K.-G. I 309 c, wo offenbar mediale Auffassung zugrunde liegt); δμωσίν kann als dativus incommodi verstanden werden. 189 μῦθον προφέρων] Der Ausdruck heißt trotz LSJ s. v. προφέρω I. 3 nicht einfach nur „utter“ (vgl. Page), sondern hat die Konnotation des Vorhaltungen-Machens (LSJ s. v. I. 2); vgl. 29 νουθετουμένη. | ὁρμηθῇ +Brunck : ὁρμαθῇ +(Hss.) 190 σκαιοὺς] zu σκαιός als Gegenbegriff von σοφός vgl. Eur. El. 972 ὅπου δ᾿ Ἀπόλλων σκαιὸς ᾖ, τίνες σοφοί; | λέγων] generalisierendes Maskulinum (K.-G. I 83)
Kommentar
119
183 ‚denen drinnen‘: Diejenigen, denen Medea etwas Schlimmes antun kann, können der Sache nach nur die Kinder sein. Aber als Medea die vv. 112 f. spricht, die insbesondere eine solche Befürchtung auslösen können, waren die Chorfrauen noch nicht zugegen (vgl. Mossman zu 182–3). Sucht man eine realistische Erklärung, könnte man annehmen, dass Medeas Ausruf zu dem zu rechnen ist, was die Chorfrauen schon vor ihrem Auftritt gehört haben und was sie motivierte zu kommen (131; so Martina III zu 182–3). Wahrscheinlicher aber nutzt Euripides ein Phänomen aus, das man auch sonst beobachten kann: Einem Zuschauer, der nicht wie ein Philologe nachrechnet, wird es kaum auffallen, wenn eine Figur des Stückes ebenfalls über ein Wissen verfügt, das er selbst bereits hat; vgl. Manuwald 2012 zu Soph. OT 350–353; 2018 zu Soph. Phil. 421–423. 184–203 Die Amme geht auf die Bitte des Chores ein, trotz der großen Schwierigkeiten, die sie damit verbunden sieht (184–189). Diese Schwierigkeiten veranlassen sie zu einer Reflexion darüber, dass die Vorfahren Lieder für festliche Gelegenheiten, wo sie eigentlich überflüssig sind, geschaffen haben, aber keine, die das Leid der Menschen beenden können (190–203). 186 Wörtl.: Diese Gunst, die in einer Mühe besteht, werde ich (dir) noch dazu geben (zu dem, was ich bisher schon getan habe) oder werde ich freimütig geben (vgl. Page). 187–188 Das kühne Bild, das mit der Verbindung von Eigenschaften zweier in bestimmten Situationen als besonders aggressiv geltender Tiere arbeitet, um die zornige Gereiztheit Medeas zu illustrieren, lautet wörtlich etwa: ‚sie wird zum Stier (~ wütend wie ein Stier) hinsichtlich des Blicks einer Löwin, die Junge geworfen hat (die sie wütend verteidigt), gerichtet gegen die Diener (die sich ihr zuwenden wollen)‘. – Das dazu entsprechende Bild ist das der Löwin, als die Iason Medea bezeichnen wird (1342; 1407; vgl. 1358), nachdem sie die Kinder getötet hat (1346). Vgl. die „zweifüßige Löwin“ Klytaimestra (Aisch. Ag. 1258). 189 Die Chorfrauen wollen, dass die Amme Medea zu einem anderen Verhalten bewegt, damit sie auf sie einwirken können (vgl. zur Semantik des Ausdrucks auch TS). Aber gerade das löst nach den Erfahrungen der Amme Zorn aus. Vgl. 28 f., wo es allerdings nur hieß, dass Medea Zureden nicht zugänglich sei. 190–203 Murray (1912, 13 f.; 83) teilte diese allgemeine Reflexion dem Chor zu, dagegen gibt man sie heute mit Recht Medeas Amme; vgl. Page und Martina III mit Verweis auf die philosophierende Amme im Hippolytos (186– 197). Die Reflexion wertet die Sklavin als Person auf, und möglicherweise lässt Euripides durch sie Gedanken zur Sprache kommen, die zu seiner Zeit diskutiert wurden; vgl. Crane 1990. – In ihrer Skepsis, Medea zureden zu können (184– 189), räsoniert die Amme darüber, dass es auch keine musikalischen Mittel gibt, dem Leid abzuhelfen. 190 ‚unklug und gar nicht weise‘: Vgl. zu 90–91.
120
Parodos: 192–201
da sie Lieder zwar (gesungen) bei Festlichkeiten, bei Festgelagen und bei Gastmählern erfanden zu unserem Lebensgenuss, erfreulich zu hören. Dem verhassten Leid aber hat keiner der Menschen 195 herausgefunden, mit Musik und tonreichen Gesängen ein Ende zu machen; infolge (des Leids) bringen Morde und schreckliche Geschehnisse Geschlechter zu Fall. Es wäre ein Gewinn, wenn die Menschen diese Übel heilen könnten mit Gesängen; wo es aber Mähler gibt, bei denen 200 man gut speist, warum lässt man noch lange lauten Gesang unnütz ertönen? οἵτινες ὕμνους ἐπὶ μὲν θαλίαις ἐπί τ’ εἰλαπίναις καὶ παρὰ δείπνοις ηὕροντο βίῳ τερπνὰς ἀκοάς· στυγίους δὲ βροτῶν οὐδεὶς λύπας ηὕρετο μούσῃ καὶ πολυχόρδοις ᾠδαῖς παύειν, ἐξ ὧν θάνατοι δειναί τε τύχαι σφάλλουσι δόμους. καίτοι τάδε μὲν κέρδος ἀκεῖσθαι μολπαῖσι βροτούς· ἵνα δ’ εὔδειπνοι δαῖτες, τί μάτην τείνουσι βοήν;
195
200
192 οἵτινες] Relativsatz mit kausalem Nebensinn (K.-G. II 421,2) | ἐπὶ μὲν θαλίαις +(Hss.); Trikl. : Ø | ἐπὶ] „of the occasion or cause“ (LSJ s. v. B. III. 1) 193 παρὰ] „before, in presence of“ (LSJ s. v. B. II. 3), δεῖπνον als eine Versammlung von Personen verstanden 194 βίῳ Page : βίου +Hss. – ΒΙΟΙΤΕΡΠΝΑΣ (wenn der Text des Euripides vor der Schriftreform so lautete) kann leicht durch Lipo- oder Haplographie zu ΒΙΟΤΕΡΠΝΑΣ = βίου τερπνὰς geworden sein, nicht unmöglich (~ ‚erfreulich zu hören im Bereich des Lebens‘), aber ein dativus commodi ist wahrscheinlicher als ein genetivus pertinentiae | τερπνὰς ἀκοάς] Apposition zu ὕμνους (192; K.-G. I 62; 284, 5), die den Effekt der Erfindung bezeichnet (K.G. I 309,5), wobei ἀκοή gegenständlich als das Gehörte / zu Hörende zu verstehen ist (LSJ s. v. I. 2). 196–197 ηὕρετο … παύειν] zum Infinitiv vgl. MT § 915,6 197 ἐξ ὧν] zu beziehen auf λύπας (195) 199 κέρδος] sc. ἦν, vgl. K.-G. I 41 Anm. 2; 204, 5 (analog zu δίκαιον ἦν usw., im Deutschen Konjunktiv) 200 βροτούς (Hss.) : βροτοῖς 201 τείνουσι βοήν] vgl. Aisch. Cho. 510 ἐτείνατον λόγον. Anders Page (ähnlich Mastronarde): „not ‘prolong’, which has no special point, but ‘strain’ in the sense of ‘lift high’, i. e. simply ‘sing loudly’ “, mit Verweis auf Aisch. Pers. 574, wo aber ‚prolong‘ wahrscheinlich ist; vgl. Komm. | βοήν : βοάν +(Hss.)
Kommentar
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192–193 Während thalia allgemeiner für Festlichkeiten steht, überschneiden sich die Bedeutungen von eilapinē (‚Festgelage‘) und deipnon (‚Gastmahl‘); angesichts der begleitenden Musik kann es nicht um gewöhnliche Mahlzeiten gehen, sondern es muss jeweils ein besonderer Anlass gegeben sein. Zur musikalischen Unterhaltung beim bzw. nach dem Mahl vgl. Homer, Odyssee 1,150–152; Hesiod, Melampodie, fr. 274 M.-W. = 209 Most (Martina III). Bei Hesiod ist zwar von ‚Geschichten‘ (mythoi) die Rede, diese können aber durchaus den Inhalt epischen oder lyrischen Singens gebildet haben. 195–200 Die Amme bezweifelt in ihrer düsteren Stimmung, dass Gesänge psychisches Leid heilen können (vgl. Alk. 962–972), wobei für ‚heilen‘ ein Wort verwendet wird (akeisthai), das für physisches Heilen von Wunden gebraucht werden kann (zur Metapher vgl. Aisch. Ag. 17), und hielte es für einen Gewinn, wenn das doch möglich wäre. Sie weist damit eine traditionelle Auffassung zurück: Bei Hesiod werden die Musen „Vergessen der Übel und Ruhe vor den Sorgen“ genannt (Theogonie 55 [Übers. Marg] und bes. 98–103; vgl. Homer, Odyssee 1,337). Gorgias schreibt bereits der bloßen Sprache (logoi) negative wie positive psychische Wirkungen zu, parallel zu Giften oder Heilmitteln für den Körper (Enkomion auf Helena 14); vgl. Eur. F 962; 1079 TrGF V. Vgl. Pucci 1980, 24–26 mit Anm. 195–196 ‚keiner der Menschen‘: Sprachlich könnte ‚Menschen‘ auch von ‚Leid‘ abhängig sein (vgl. Mastronarde), aber durch den hier vertretenen Bezug ergibt sich eine Entgegensetzung zu den ‚früheren Menschen‘ (191). 196 ‚tonreichen‘, wörtl. ‚vielsaitigen‘: Der außer im unechten Rhesos (548) bei Euripides nur hier belegte Ausdruck könnte eine Anspielung auf die zeitgenössische ‚Neue Musik‘ sein (Page; Mossman). Im Zusammenhang mit den in konservativen Kreisen kritisierten Neuerungen ist von zwölf statt der üblichen sieben Saiten die Rede (vgl. bes. Pherekrates, fr. 155 K.-A. [PCG VII]; Platon, Politeia 399c7 f.: Vielsaitigkeit), also von einem größeren Tonreichtum des Saiteninstruments, zu dessen Begleitung man singt; vgl. zu ‚New Music‘ West 1992, 356–372. Wie Euripides selbst zu dieser tonreicheren Musik stand, geht aus dieser Stelle nicht hervor. 197–198 Mossman verweist auf v. 114. Zwar ist der Untergang von Iasons ‚Haus‘ noch nicht erfolgt, und die Amme wünscht gerade Derartiges nicht (95) und spricht ganz allgemein. Aber Medea ist zweifellos Leid geschehen, und die Amme befürchtet mit Recht, dass Medea etwas Schlimmes tun könnte (z. B. 171 f.). Sucht man ein Beispiel in tragischer Dichtung, kann man an das Schicksal des Atriden-Geschlechts denken. 197 ‚Morde‘, wörtl. ‚Todesfälle‘ (thanatoi), aber es müssen Todesfälle in Reaktion auf das zugefügte Leid gemeint sein, die gewaltsam zustande kommen; vgl. Aisch. Ag. 1573 (Tedeschi). 200–203 Für die Amme ist ein gutes Mahl als solches schon Freude genug, da brauche es nicht noch lautstarke musikalische Begleitung dazu, wie sie despektierlich ausführt. 201 ‚warum … ertönen?‘: Die Wendung bedeutet wörtl. ‚eine laute Lautäußerung (boē) ausdehnen‘ (vgl. Belege in TS). Da hier von Liedern gesprochen
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Parodos: 202–213
Denn die zu Gebote stehende Fülle des Mahls schließt (schon) aus sich heraus Freude ein für die Menschen. Die Amme geht ins Haus, um Medea die Bitte der Chorfrauen auszurichten. Ch.
Den Laut seufzerreicher Klagen hörte ich, schrill schreit sie ihren leidvollen Schmerz heraus gegen den treulosen Gatten, Verräter ihres Ehebetts. Weil sie Unrecht erlitt, ruft sie um göttlichen Beistand Zeus’ Themis an, die Eide beschützende, die sie gehen ließ nach Griechenland, zur anderen Seite der Meerenge, durch nächtliches Meer zur salzigen Ausfahrt des unermesslichen Pontos.
Epode 205 208/9 210 211/12
τὸ παρὸν γὰρ ἔχει τέρψιν ἀφ’ αὑτοῦ δαιτὸς πλήρωμα βροτοῖσιν. Χο.
ἀχὰν ἄιον πολύστονον γόων, λιγυρὰ δ’ ἄχεα μογερὰ βοᾷ τὸν ἐν λέχει προδόταν κακόνυμφον· θεοκλυτεῖ δ’ ἄδικα παθοῦσα τὰν Ζηνὸς ὁρκίαν Θέμιν, ἅ νιν ἔβασεν Ἑλλάδ’ ἐς ἀντίπορον δι’ ἅλα νύχιον ἐφ’ ἁλμυρὰν Πόντου κλῇδ’ ἀπεράντου.
ἐπ. 205 208/9 210 211/12
203 δαιτὸς πλήρωμα] vgl. Kykl. 209 πλήρωμα τυρῶν („abundance of cheeses“, Page), d. h. die Fülle / Sättigung, die das Mahl bereitet 204 ἀχὰν Dindorf : ἰαχὰν Hss., CP 809 : ἰὰν Weil (vgl. Eur. Hipp. 585) – vgl. zu 149 | πολύστονον (Hss.) : πολυστόνων +CP 809 – Die Überlieferung sagt hier nichts aus, da bei Euripides wahrscheinlich ΠΟΛΥΣΤΟΝΟΝ stand (vgl. zu 194), das sich in beide Formen auflösen lässt, aber πολύστονον als Enallage (vgl. Komm.) kann als lectio difficilior betrachtet werden. 205 λιγυρὰ] Neutrum Plural in der Funktion eines Adverbs (vgl. LSJ) 205–206 ἄχεα μογερὰ βοᾷ τὸν ἐν λέχει προδόταν κακόνυμφον] ἄχεα μογερὰ ist innerer Akkusativ zu βοᾷ, das gleichzeitig τὸν … κακόνυμφον als Akkusativobjekt regiert (~ ‚beschreit leidvoll schmerzlich den üblen Gatten‘, K.-G. I 320 f.). Die Wortstellung legt nahe, dass der Artikel κακόνυμφον substantiviert, ergänzt durch adjektivisches oder als Apposition gebrauchtes προδόταν, wobei ἐν λέχει als ‚hinsichtlich ihres Ehebetts‘ zu verstehen ist (LSJ s. v. ἐν I. 7); vgl. Mastronarde. 208 Ζηνὸς … Θέμιν] vgl. Aisch. Hik. 360 Θέμις Διὸς, Pindar, Olympien 8,21 f. Διὸς … παρέδρος … Θέμις 210 ἐς : εἰς – Metrisch ist eine Kürze erforderlich. 213 ἀπεράντου Milton : ἀπέραντον Hss. : ἀπέρᾱτον Blaydes, Kovacs (vgl. Aisch. Hik. 1049) – ἀπέραντον wurde wohl fälschlich an κλῇδ’ angepasst, das in ἁλμυρὰν (212) schon ein Epitheton hat; vgl. auch Komm.
Kommentar
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wird (192–197), ist eher an Gesang als an den Klang des Instruments (was boē auch bedeuten kann) zu denken. Mit ‚ausdehnen‘ wird die lange Dauer musikalischer Unterhaltung bei oder nach dem Mahl kritisiert. 203 Nach diesem Vers geht die Amme ins Haus und tritt wahrscheinlich nicht wieder auf; denn es ist kaum plausibel, dass sie als stumme Begleiterin Medeas auf die Bühne zurückkehrte (214) und später den Plan, die Kinder zu töten (792 f.), unwidersprochen anhören müsste. Vgl. auch Mastronarde (S. 43). Martina (III 108) dagegen meint, dass die Amme bei v. 214 wieder auftritt; vgl. auch zu 820. 204–213 Die Epode (‚Zugesang‘) überbrückt szenisch die Zeit, in der die Amme zu Medea geht und sie bittet, sich zu den korinthischen Frauen zu begeben. Inhaltlich greifen die Verse über den Dialog mit der Amme (168–203) zurück und beziehen sich vor allem auf Medeas Anruf an Themis, ihre Klage über den treulosen Gatten und den Verlust der Heimat (vv. 160–167). 204 ‚seufzerreicher‘ gehört grammatisch zu ‚Laut‘, sachlich zu ‚Klagen‘ (Enallage). ‚hörte ich‘: vgl. 131. Der Chor nimmt ringkompositorisch seine Aussage zu Beginn seines Auftritts wieder auf (Mossman). Vgl. außerdem 148 f., wo am Anfang des Chorlieds dieselbe Wendung wie hier vorliegt. 208 ‚Zeus’ Themis‘: Vgl. zu 160. Nach dem Homerischen Hymnos 23,2 f. und Pindar, Olympien 8,21 f. ist sie Beisitzerin des Zeus. Der Genitiv hier (und Aisch. Hik. 360) bezeichnet die Zusammengehörigkeit beider gerade im Bereich des Rechts, bedeutet aber nicht, dass Themis entgegen den sonstigen Zeugnissen als Tochter des Zeus eingeführt werde. Der Beiname des Eidesschützers Zeus (Horkios) ist nur hier auf Themis übertragen, die Medea angerufen hat (160). 209–213 Der Chor bezieht sich auf die seinerzeitige Fahrt Medeas (vgl. auch 211 mit Komm.). Daher wird man im Heraustreten Medeas auf die Bühne (214) kaum eine szenische Repräsentation von Medeas Fahrt nach Griechenland erkennen können; so aber Wiles (1997, 121) und Hopman (2008, 159). 209–210 Durch den von Iason geleisteten Eid (vgl. 21 f.; 160–163; 492– 498; 1392) glaubte sich Medea sicher, mit ihm nach Griechenland gehen zu können. Dieser Sachverhalt wird hier als eine Aktivität der Themis formuliert. 210 ‚Meerenge‘: Gemeint ist sicher der Bosporus, wo Asien und Europa bzw. Griechenland aneinander grenzen. 211 ‚nächtliches‘: Die Chorfrauen sprechen von einer nächtlichen Fahrt. Dass die Flucht von Iason und Medea bei Nacht stattfand, ist ein überkommenes Motiv (vgl. Naupaktika frr. 6–7 PEG = West [Schol. Apollonios Rhodios 4,66a; 86, pp. 266 f. Wendel; 427; 429 Lachenaud]), das dann bei Apollonios Rhodios (4,86; 101 f.; 206 ff.) wiederkehrt und möglicherweise bereits aus dem archaischen Argonauten-Epos stammt. 213 ‚Ausfahrt‘: Das griechische kleis bedeutet eigtl. ‚Riegel‘ (mit dem man eine Tür verschließt) bzw. Verschluss überhaupt (vgl. Mastronarde), hier metaphorisch (je nach Perspektive) für den Eingang ins Schwarze Meer (den Bosporus) bzw. den Ausgang daraus gebraucht. Vgl. auch EK zu 2, S. 411. Zum ‚unermesslichen Pontos‘ vgl. EK zu 213, S. 414.
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Erstes Epeisodion: 214–216
Medea kommt mit Dienerinnen aus dem Haus und spricht zu den Frauen. Me.
Μη.
Frauen von Korinth, ich bin aus dem Haus gekommen, damit ihr mir keine Vorwürfe macht. Denn ich weiß, dass viele Menschen eine überhebliche Art haben, teils (zu Hause) den Blicken entzogen, Κορίνθιαι γυναῖκες, ἐξῆλθον δόμων μή μοί τι μέμψησθ’· οἶδα γὰρ πολλοὺς βροτῶν σεμνοὺς γεγῶτας, τοὺς μὲν ὀμμάτων ἄπο,
215
215
215 +μέμψησθ’ : μέμφησθ’ +(Hss.) : +μέμφοισθ᾿– Konjunktiv nach Aorist ἐξῆλθον entweder, weil ἐξῆλθον = „I am here“ (Page) oder weil die mit dem Herauskommen verfolgte Absicht fortbesteht (K.-G. II 380, 3a u. b); es geht nicht um ein ständiges Tadeln, daher Aoristform μέμψησθ’. 216 σεμνοὺς] Hier liegt wahrscheinlich die pejorative Bedeutung vor (LSJ s. v. σεμνός III. 1). | ὀμμάτων ἄπο] vgl. Tro. 1092 f. μ᾿ … κομίζουσι σέθεν ἀπ᾿ ὀμμάτων (Mastronarde)
Kommentar
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214–409 Erstes Epeisodion. Es besteht aus der großen Auftrittsrede Medeas, in der sie letztlich die korinthischen Frauen auf der Basis der Frauensolidarität um Verschwiegenheit bittet für ihr Rachevorhaben (214–266), Zwischenversen des Chores, der Medea Hilfe zusagt und das Erscheinen Kreons ankündigt (267–270), der Kreon-Szene, in der Medea des Landes verwiesen wird, aber einen Tag Aufschub erreichen kann (271–356), das Schicksal Medeas beklagenden Zwischenversen des Chores (358–363) und einem Räsonnement Medeas, wie sie ihre Rachepläne angesichts der neuen Lage verfolgen kann (364–409). Durch die Kreon-Szene wird für die anschließende Handlung die dramatische Spannung gesteigert (vgl. zu 49–95), ob Medea in der Lage sein wird, ihren Plan zu verwirklichen, sich an Iason zu rächen. 214–266 Rede Medeas. Medea tritt ihrem Stand entsprechend mit Dienerinnen (vermutlich zwei) auf (vgl. 774; 820; 950 f.; vgl. auch zu 203) und bleibt (wahrscheinlich mit Ausnahme der vv. 824–845) bis v. 1250 auf der Bühne; vgl. Einf., S. 35–37. – Statt, wie man nach ihren Klagen erwarten könnte, vom Schmerz gebrochen und sich dem Trost der Chorfrauen hingebend, ist Medea gefasst und rational argumentierend, ohne allerdings ihr Leid und ihre Verletztheit zu verbergen. Sie reagiert zunächst auf die Bitte der Frauen herauszukommen und rechtfertigt ihre Separierung, indem sie sie mit ihrem besonderen Schicksalsschlag erklärt, was sie zu einer Klage über das gemeinsame Frauenschicksal führt, von dem sie ihre Sonderrolle als Fremde wieder abhebt. Ihre Rede ist emotional und rhetorisch äußerst geschickt, sie bringt dabei aber auch Themen zur Sprache, die unabhängig von ihrem Argumentationsziel grundsätzlichere Bedeutung besitzen. Den Chor gewinnt sie für ihre Rache an Iason so weit, dass er ihr Verschwiegenheit zusichert. Vgl. Mossman zu 214–66; Swift 2017, 83–86. – Situativ, in der Anrede an die Chorfrauen (vgl. zu 214a) und in der Mischung von Allgemeinem und Persönlichem ist Phaidras Rede im Hippolytos (373–430) vergleichbar. 214–224 Medea beginnt ihre Rede mit allgemeinen Ausführungen über Menschen, die sich zurückziehen und die ungerecht vorschnellen Urteilen anderer ausgesetzt sind (214b–221). Indem sie sich gleichermaßen auf die von einem Fremden zu erwartende Anpassung an die übliche Lebensart wie auf die von Einheimischen bezieht, nimmt sie sich indirekt ihren Sonderstatus und integriert sich ganz in das, was generell gelten soll (222–224); vgl. aber zu 219–224. 214a ‚Frauen von Korinth‘: Die Anrede ist förmlich, wie die Phaidras an die ‚Frauen von Trozen‘ (Hipp. 373); beide sprechen nicht als Einheimische. 214b–218 Medea will etwaige Vorwürfe der Korintherinnen von vornherein entkräften. Dazu unterscheidet sie die wirklich Arroganten von denen, die aufgrund ihrer zurückgezogenen Lebensweise fälschlich in den Ruf geraten sind, gleichgültig gegenüber den Mitmenschen zu sein. Sie will so begründen, dass es nichts mit etwa überheblicher Abweisung ihrer Mitmenschen zu tun habe, wenn sie bisher ganz für sich geklagt und alle Versuche des Trostes zurückgewiesen hat. 216–217 ‚den Blicken entzogen‘, wörtl. ‚fern von den Augen‘ (sc. anderer), sodass man diese Leute nicht sehen kann, im Unterschied zu denen in der Öf-
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Erstes Epeisodion: 217–223
teils in der Öffentlichkeit; diejenigen, die zurückgezogen leben, ziehen sich davon den schlechten Ruf der Gleichgültigkeit (gegen ihre Mitmenschen) zu. Gerechtigkeit wohnt nämlich nicht in den Augen der Menschen: So mancher, bevor er noch das Innere eines Menschen genau hat 220 kennenlernen können, verabscheut ihn, wenn er ihn sieht, ohne von ihm ein Unrecht erlitten zu haben. Und ein Fremder muss sich sehr der Lebensart der Stadt anpassen; aber auch einen Bürger lobe ich nicht, der sich eigensinnig zeigt τοὺς δ’ ἐν θυραίοις· οἱ δ’ ἀφ’ ἡσύχου ποδὸς δύσκλειαν ἐκτήσαντο καὶ ῥᾳθυμίαν. δίκη γὰρ οὐκ ἔνεστ’ ἐν ὀφθαλμοῖς βροτῶν, ὅστις πρὶν ἀνδρὸς σπλάγχνον ἐκμαθεῖν σαφῶς στυγεῖ δεδορκώς, οὐδὲν ἠδικημένος. χρὴ δὲ ξένον μὲν κάρτα προσχωρεῖν πόλει· οὐδ’ ἀστὸν ᾔνεσ’, ὅστις αὐθαδὴς γεγὼς
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217 ἀφ’ ἡσύχου ποδὸς] vgl. Eur. Telephos, TrGF V F 727c,37 τί μέλλετ’; οὐ χρῆν ἥσυχο⸥ν κεῖσθαι π⸤ό̣δα, Ba. 647 στῆσον πόδ’, ὀργῇ δ’ ὑπόθες ἥσυχον πόδα 218 δύσκλειαν … καὶ ῥᾳθυμίαν] Hendiadyoin, δύσκλεια, die in ῥᾳθυμία besteht (vgl. Sansone 1984, 25); zu δύσκλειαν ἐκτήσαντο vgl. Hel. 1506–1509 | ἐκτήσαντο] gnomischer Aorist, vgl. Christmann 1962, 38 219–224 {…} Hübner 1985, 20–22 – vgl. Komm. zur Echtheit der Versgruppe. Problematisch könnte die Belehrung in den vv. 222–224 sein, welche die Thematik der vorhergehenden Verse nicht unmittelbar fortsetzen, und man fragt sich auch, ob es diplomatisch klug ist, einen hypothetischen Tadel für ein bestimmtes Verhalten der Bürger auszusprechen (Hübner, ebd. 21). Wenn die vv. 222–224 fehlten, bliebe ein sinnvoller Gedankengang bestehen, ihre Echtheit könnte also zweifelhaft sein. 219 ἔνεστ’ ἐν (Hss.) : +ἔνεστιν 220 ὅστις] als kollektiver Singular auf βροτῶν bezogen (K.-G. I 56 β) | ἐκμαθεῖν +(Hss.) : ἐκμάθοι : ἐκμάθῃ Eustathios, Il. 415,12 (1,652,24 van der Valk) – Die Aussage ist allgemein und nicht auf einen konkreten Fall bezogen (K.-G. II 457 ff.). 221 δεδορκώς] präsentische Bedeutung (vgl. LSJ s. v. δέρκομαι Ι. 1 u. v. 1118) 222–223 ξένον μὲν] „answered by οὐδ’ ἀστὸν [223], a little incoherently“ (Page), ξένον μὲν (222) wird mit veränderter Konstruktion aufgenommen (GP 191). 223 ᾔνεσ’] Der Aorist unterstreicht die Nachdrücklichkeit der Aussage (~ ‚das will ich gesagt haben‘), K.-G. I 164 c; Lloyd 1999, 41.
Kommentar
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fentlichkeit, wörtl. zu denen, die sich ‚an oder außerhalb der Tür‘ aufhalten (anders Schindel 1963). 217 ‚zurückgezogen leben‘, wörtl. ‚ausgehend von (ihrem) ruhigen Fuß‘, ein Ausdruck für ‚sich ruhig verhalten‘ (vgl. die Belege in TS), hier im Sinn von ‚nicht in der Öffentlichkeit / außer Haus agieren‘. Es wird hier nicht eine dritte Gruppe eingeführt, sondern auf die in v. 216b Genannten zurückgegriffen (vgl. Christmann 1962, 37–39). – Versteht man ‚Ruhe‘ (hēsychia) wie zu 214b–218 interpretiert, erscheint es zweifelhaft, ob hier an den Gegensatz hēsychia – polypragmosynē (‚Vielgeschäftigkeit‘) und die damit verbundenen unterschiedlichen politischen Konnotationen zu denken ist (so aber Mastronarde mit Verweis u. a. auf Bond 1981 zu HF 266). – Anders ist das zu hēsychia gehörige Adjektiv in v. 808 gebraucht (‚tatenlos‘; die vv. 807–810 sind vermutlich unecht). 218 ‚Gleichgültigkeit‘: Das griechische Wort rhathymia bedeutet im guten Sinn ‚Erholung‘, ‚Zerstreuung‘, im schlechten ‚Die-Dinge-leicht-Nehmen‘, ‚Sorglosigkeit‘, ‚leichtfertiges Verhalten‘, hier im Umgang mit den Mitmenschen. 219–224 Nach Hübner (1985, 20–22) stören die Verse den Übergang von v. 218 zu v. 225 und bringen keinen Mehrwert an Gehalt. Der Übergang in v. 225 zu Medea selbst (‚Mich aber …‘) wirkt in jedem Fall etwas abrupt. In den vv. 219–221 wird mit einer allgemeinen Sentenz einleuchtend begründet, wie es zu dem in den vv. 217b–218 implizierten Fehlurteil kommen kann, dass der Rückzug auf sich selbst Gleichgültigkeit gegenüber anderen bedeute; die Verse erscheinen somit fest verankert. Hatten die vv. 214–221 einen Bezug auf Medea, da in den Formulierungen impliziert war, wie ihr Verhalten zu Unrecht missverstanden werden könnte, wechselt in den vv. 222–224 die Perspektive, insofern auch ein Fremder (wie Medea) sich so benehmen muss, wie es dem Gemeinwesen entspricht, in dem er lebt. Aber es gibt keine Sonderverpflichtung für die Fremden, auch ein Bürger muss sich sozialkonform verhalten. Versteht man den Text so, gibt es keinen zwingenden Grund, die vv. 219–224 für unecht zu halten, allenfalls könnte man sich die vv. 222–224 herausgelöst denken (vgl. dazu TS). 220 Zur Schwierigkeit, das innere Wesen eines Menschen zu erkennen, vgl. z. B. 516–519; Hipp. 925–931; weitere Belege bei Tedeschi zu 219–221. ‚Menschen‘: wörtl. ‚Mannes‘ (anēr), aber anēr kann (als Gegenbegriff zu ‚Gott‘) auch generell ‚Mensch‘ bedeuten und wird hier überdies neben dem generalisierenden Maskulinum ‚mancher‘ (hostis) gebraucht; vgl. Mossman. 221 ‚ohne von ihm ein Unrecht erlitten zu haben‘, vgl. zu 165 und bes. v. 692. 222–224 Was Medea sagt, kommt einem Rat nahe, der bei Diogenes Laertios (1,85) Bias, einem der Sieben Weisen, zugeschrieben wird (Tedeschi). 222 ‚der Lebensart der Stadt anpassen‘: Im griechischen Text heißt es wörtl. ‚sich der Stadt fügen, mit ihr übereinstimmen‘. Gemeint sind die dortigen Sitten. Zum Gedanken vgl. z. B. Hik. 891–895; Aisch. Hik. 202 f.; Soph. OC 171 f. Weiteres bei Martina III zu 222–4. 223 ‚eigensinnig‘: vgl. zu 104.
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Erstes Epeisodion: 224–231
und den Mitbürgern lästig ist durch seine Unbelehrbarkeit. Mich aber hat dieser Schlag unerwartet getroffen und hat mein Leben vernichtet; ich bin verloren, des Lebens Reiz gebe ich preis und wünsche mir zu sterben, ihr Lieben: Der, auf dem mein ganzes Leben beruhte, ich sehe es klar, hat sich als der schlechteste Mann herausgestellt, mein Gatte. Von allem, was beseelt ist und Verstand hat, sind wir Frauen die elendesten Geschöpfe. πικρὸς πολίταις ἐστὶν ἀμαθίας ὕπο. ἐμοὶ δ’ ἄελπτον πρᾶγμα προσπεσὸν τόδε ψυχὴν διέφθαρκ’· οἴχομαι δὲ καὶ βίου χάριν μεθεῖσα κατθανεῖν χρῄζω, φίλαι. ἐν ᾦ γὰρ ἦν μοι πάντα, γιγνώσκω καλῶς, κάκιστος ἀνδρῶν ἐκβέβηχ’, οὑμὸς πόσις. πάντων δ’, ὅσ’ ἔστ’ ἔμψυχα καὶ γνώμην ἔχει, γυναῖκές ἐσμεν ἀθλιώτατον φυτόν·
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224 +πολίταις : +πολίτης – Es geht um das Verhalten gegenüber anderen. 228 ἐν ᾦ] ᾦ ist sicher Maskulinum (= Iason), nicht Neutrum (‚in a matter in which for me everything was at stake‘, als alternatives Verständnis erwogen von Page), vgl. Soph. OT 314 ἐν σοὶ γὰρ ἐσμέν (Martina III). | γιγνώσκω Canter : γι(γ)νώσκειν +Hss. : γινώσκεις +Musgrave : γιγνώσκει Page : παντ᾿ ἐγίγνωσκον Meurig Davies 1948, 350 (vgl. Hipp. 406) – Das überlieferte γι(γ)νώσκειν, das keinen akzeptablen Sinn ergibt, ist nach dem Scholion eine Lesung der Schauspieler und danach also nicht original. Page’s γιγνώσκει ist zwar die geringste Änderung, aber dass Iason in vollem Wissen gehandelt haben soll, ist hier kaum relevant und stört den Gedankenfluss. γιγνώσκεις καλῶς (übernommen von Martina) ist unidiomatisch, und warum sollte sich Medea hier auf Kenntnisse / Einsichten der Korintherinnen berufen? Einen guten Sinn ergibt Canters idiomatisches (vgl. 935; Herakl. 982) γιγνώσκω καλῶς (vgl. Christmann 1962, 41–45), ein Imperfekt (Meurig Davies) wäre hier weniger passend: Medea erkennt jetzt erst, wer Iason wirklich ist. 229 ἐκβέβηχ’] „come out, turn out“ LSJ s. v. ἐκβαίνω II. 1 (eher als II. 2) 230 ὅσ’ … ἔχει] vgl. [Epicharm], fr. 278,2 K.-A. (PCG I) ἀλλ᾿ ὅσσα περ ζῆι, πάντα καὶ γνώμαν ἔχει 231 γυναῖκές … φυτόν] vgl. zur Kongruenz z. B. Or. 772 δεινὸν οἱ πολλοί (K.-G. I 58 f.), zum Gedanken Theodektes, TrGF I2 72 F 1a,2 f. ὡς οὐδέν ἐστιν ἀθλιώτερον φυτόν / γυναικός | φυτόν +Hss. : +γένος (Variante in zwei Hss.; Gn) – γένος ist als Normalisierung des ungewöhnlicheren φυτόν zu verstehen.
Kommentar
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225–229 Medea geht zu ihrer persönlichen Lage über, die nicht nur unerwartet eingetreten sei, sondern ihr vor allem auch die Lebensgrundlage entzogen habe, da sie sich (als sie mit Iason nach Griechenland ging) auf ihn verlassen habe und nun erkennen müsse, wie er sie behandelt. Zwar wiederholt Medea den Wunsch zu sterben (226 f.), den sie im Haus geäußert hatte (144–147), fährt dann aber fort mit einer klaren Verurteilung ihres Gatten (228 f.). So kann sie einerseits das Mitgefühl der Korintherinnen ansprechen (wie 252–258 noch einmal), aber sie zugleich auch gegen Iason einnehmen, worauf dann am Ende der Appell an eine Komplizenschaft gründet (259–266). 225 ‚dieser Schlag‘: Medea setzt bei den Korintherinnen als bekannt voraus, was ihr angetan wurde (sie kann eigentlich nicht wissen, dass diese informiert sind; vgl. zu 183), und bezeichnet ihre Situation unspezifisch mit ‚Sache‘, ‚Angelegenheit‘ (pragma), was hier eine negative Konnotation hat (Kovacs: „blow“). 227 Zum Todeswunsch vgl. zu 96b–97; 144b–147. Mit ‚ihr Lieben‘ oder ‚meine Freundinnen‘ (Formen von philos) redet Medea wie eine Vertraute mehrfach die Korintherinnen an (765; 797; 1116; 1236), die ihrerseits von einer solchen Beziehung ausgehen (179; 181); vgl. Mossman. 228 ‚mein ganzes Leben‘, wörtl. ‚alles‘. 229 ‚schlechteste‘: vgl. 84 (Amme); 206 (Chor); 452 (Iason ‚zitiert‘ Medea); 465; 488; 690 (jeweils Medea). Hier ist die Beschimpfung ein Zeichen für die (von anderen als berechtigt angesehene, vgl. 84; 206 f.) Empörung Medeas darüber, was sie erlitt. 230–251 An die Darlegung ihres eigenen Ehedramas schließt Medea eine Reflexion über die von ihr als generell benachteiligt angesehene gesellschaftliche Situation der Frau an; vgl. auch die Klagen der Prokne in Sophokles’ Tereus (TrGF IV2 F 583) und (vermutlich) der Melanippe in Euripides’ Die gefesselte Melanippe (TrGF V F 494). Der Anknüpfungspunkt ist für Medea die Tatsache, dass Frauen einem Ehemann, zumal einem ‚schlechten‘ (235), ausgeliefert sind. Indem sie ihre Situation und die der Korintherinnen als gemeinsames Frauenschicksal darstellt (231; 241; 247), erreicht sie eine vertrauensvolle Solidarität. Allerdings ist die Grundlage ihrer Verbindung zu Iason eine andere als die der Ehen der Korintherinnen; vgl. zu 17–19 sowie Page zu 231. Medeas Äußerungen sind das Pendant zu solchen aus männlicher Sicht, wonach die Frau ein Übel für den Mann sein kann bzw. vom Risiko aufseiten des Mannes bei der Eheschließung die Rede ist (Hesiod, Theogonie 570–612; Erga 695–705; Semonides, fr. 7 West; Antiphon VS 87 B 49); vgl. Tedeschi; Reckford 1968, bes. 336 f. 231 ‚Geschöpfe‘: Das griechische Wort phyton bedeutet eigtl. ‚Pflanze‘, dann allgemein ‚Kreatur‘ in meist abschätzigem Sinn (z. B. Hipp. 630), was auch hier mitschwingt.
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Erstes Epeisodion: 232–240
Es fängt schon damit an, dass wir für ein Übermaß an Geld uns einen Gatten kaufen und einen Herrn über unseren Körper annehmen müssen; denn dies (beides zusammen) ist das Allerschmerzlichste. Und darauf kommt es am meisten an, ob man einen schlechten 235 Gatten erhält oder einen guten. Denn dem Ruf abträglich sind Scheidungen für Frauen, und sie können sich ihrem Gatten nicht verweigern. Wenn aber eine Frau zu (für sie) neuen Sitten und Bräuchen gekommen ist, muss sie Seherin sein, da sie es nicht zu Hause gelernt hat, wie sie am ehesten mit ihrem Ehemann umgehen soll. 240 ἃς πρῶτα μὲν δεῖ χρημάτων ὑπερβολῇ πόσιν πρίασθαι δεσπότην τε σώματος λαβεῖν· κακοῦ γὰρ τοῦτ’ ἔτ’ ἄλγιον κακόν. κἀν τῷδ’ ἀγὼν μέγιστος, ἢ κακὸν λαβεῖν ἢ χρηστόν· οὐ γὰρ εὐκλεεῖς ἀπαλλαγαὶ γυναιξὶν οὐδ’ οἷόν τ’ ἀνήνασθαι πόσιν. ἐς καινὰ δ’ ἤθη καὶ νόμους ἀφιγμένην δεῖ μάντιν εἶναι, μὴ μαθοῦσαν οἴκοθεν, ὅπως μάλιστα χρήσεται ξυνευνέτῃ.
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232 πρῶτα μὲν] Dem μέν folgt kein δέ: μέν solitarium, das hier πρῶτα hervorhebt (vgl. GP 382 [iv]). 234 γὰρ] begründet, warum die Aussage davor gemacht wurde („I say this because …“, GP 60). | τοῦτ’ ἔτ’ Brunck : +τοῦτ᾿ : τοῦδ᾿ ἐτ᾿ : τοῦτό γ᾿ +Stobaios : † τοῦδ᾿ ἐτ᾿ † Kovacs (Loeb 2001) : τῷδ᾿ ἐτ᾿ (oder τῷδέ γ᾿) Kovacs 1994, 167 f., der nach κακόν einfügt ⟨ἢν ζημίαν φέρῃ τις ὑβρισθῇ ἅμα⟩ (Loeb 2001) : ἐκείνου γὰρ τόδ᾿ Prinz-Wecklein – vgl. ETS zu 234, S. 431 f. 235 ἀγὼν μέγιστος] vgl. Herodot 7,209,2 ἐμοὶ γὰρ τὴν ἀληθείην ἀσκέειν … ἀγὼν μέγιστός ἐστι, Eur. Hipp. 496 (Martina III) | +λαβεῖν : λάβει : λάβη(ι) (Hss.) – λαβεῖν ist epexegetischer Infinitiv zu τῷδ’ (K.-G. II 4). 237 ἀνήνασθαι πόσιν] vgl. Hipp. 14 ἀναίνεται δὲ λέκτρα 239 μάντιν εἶναι] Als Subjekt ist τινά (oder γυναῖκα) zu ergänzen, wonach sich ἀφιγμένην (238) richtet. | μὴ μαθοῦσαν] zu μή beim kausalen Partizip (wie 815) vgl. K.-G. II 201 Anm. 3; Braunlich 1956 | οἴκοθεν] wörtl. ‚von zu Hause her‘ (es mag der Abstand des Sprechers von seiner Heimat eine Rolle spielen), aber das Wort wird häufig auch „without any sense of motion“ gebraucht (LSJ s. v. 1) = ‚zu Hause‘ 240 ὅπως Meineke, Page, Kovacs, Susanetti 1999, 163–170 : ὅτω(ι) (Hss.) : οὕτω : οἵῳ Musgrave – ὅτῳ ist korrupt (es kann weder ὅτῳ τρόπῳ noch ὁποίῳ τινι bedeuten; Page); Musgrave’s οἵῳ wäre zu verstehen als „with what manner of man … she will have to deal as a husband“, so Mastronarde, der Medeas Äußerung auf „the initial stage of adjustment of married life“ bezieht. Aber Medea spricht vom dauernden Zusammenleben (241–243), und dazu passt Meinekes ὅπως besser; vgl. auch Page. | μάλιστα Hss. : ἄριστα Barthold, Page, Kovacs (Loeb u. 1994, 168) – Es ist wohl nicht gleich an Perfektion zu denken, sondern eher daran, wie man sich im besonderen Fall überhaupt verhalten muss; außerdem ist nicht leicht zu sehen, wie ἄριστα zu μάλιστα geworden sein soll. | χρήσεται] Futur zum Ausdruck einer sich aus der Sache ergebenden Verpflichtung, vgl. K.-G. I 175c
Kommentar
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232–233a Medea spricht von der Mitgift, die der Vater gibt (vgl. Hipp. 628 f.), als ob es sich um den Kauf des Mannes durch die Frau handle. Vorausgesetzt sind die zeitgenössischen Verhältnisse der Zuschauer in Athen (vgl. zur Mitgift Reinsberg 1989, 39–41; Foley 2001, 64–67). Aber diese werden auch gewusst haben, dass bei Scheidung die Mitgift der Familie der Frau zurückgegeben werden muss, dass die Mitgiftregelung also auch dem Schutz der Frau diente, was Medea nicht erwähnt (vgl. MacDowell 1978, 88; Allan 2002, 53 mit Anm. 22). In der fernen Vergangenheit, in der die Medea spielt, musste (nach griechischer Sitte) umgekehrt der Bräutigam dem Vater der Braut ein Unterpfand für die das Vaterhaus verlassende Braut geben (Reinsberg 1989, 17 f.). Den Anachronismus haben die Zuschauer vermutlich nicht bemerkt, weil er auf einer ihnen vertrauten Vorstellung beruht. Für die besondere Verbindung, die zwischen Medea und Iason besteht, treffen ohnehin beide Modelle nicht zu. Zur Situation der Frauen in Athen in klassischer Zeit vgl. Gould 1980; Allan 2002, 45–50. 233b–234 Man müsse den Mann kaufen, mit zu viel Geld, wie sie meint, und handele sich trotzdem damit einen Herrn über den eigenen Körper ein (vgl. 237 mit Komm. zu 236–237): Diese Kombination hält Medea für das Allerschmerzlichste. Wenn man Bruncks überzeugender Textherstellung folgt (vgl. TS), heißt es wörtl. ‚das ist nämlich ein noch schmerzlicheres Übel als ein Übel‘, was zu dem in der Übersetzung ausgedrückten Sinn führt. 235 ‚kommt es am meisten an‘: Im Griechischen ist das Bild eines (sehr großen / bedeutenden) agōn gebraucht, d. h. eines Wettkampfes, bei dem man gewinnen, aber auch verlieren kann. 236–237 Den richtigen Gatten zu bekommen ist deswegen so lebensentscheidend für Frauen, weil eine Scheidung (auch von der Frau aus) zwar möglich (vgl. zu Ehescheidungen Erdmann 1934, 391 ff.; Cohn-Haft 1995), aber nach Ansicht Medeas mit dem Verlust des guten Rufes verbunden ist (vgl. auch Anaxandrides, fr. 57 K.-A. [PCG II]). Plutarch berichtet, Alkibiades habe seine Frau Hipparete, als sie persönlich beim Archon die Scheidung wegen der Eskapaden ihres Mannes einreichte, über die Agora (sodass es alle sahen) wieder nach Hause gebracht, ohne dass ihn jemand daran hinderte (Alkibiades 8,4 f.). Will eine Frau ihren guten Ruf wahren, muss sie sich damit abfinden, auch einem ‚schlechten‘ Mann sexuell verfügbar zu sein. Das ist wahrscheinlich gemeint und nicht, dass sie das Eingehen einer Ehe mit einem für sie bestimmten Mann nicht vermeiden könne. Denn Medea denkt offenbar an die Situation in der Ehe. Vgl. Mastronarde. 238–240 Mit ‚Frau‘ (im Griechischen nur durch das feminine Partizip ausgedrückt) spielt Medea auf ihre Situation als Fremde an, die sich mit ihr nicht vertrauten (griechischen) Sitten konfrontiert sieht. Sie wendet sich danach aber gleich wieder dem alle Frauen verbindenden Problem der ehelichen Treue zu.
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Erstes Epeisodion: 241–251
Und wenn wir uns darum gut bemühen und der Ehemann mit uns, sich willig in den Ehebund fügend, zusammenlebt, ist das ein beneidenswertes Los; sonst ist es besser zu sterben. Ein Mann, sooft ihn das Zusammensein mit denen im Haus bedrückt, geht nach draußen und befreit sein Gemüt von seinem Überdruss {wendet sich einem Freund oder einem Altersgenossen zu}; wir aber sind gezwungen, auf nur eine Menschenseele zu blicken. Die Männer sagen, dass wir ein gefahrloses Leben führen zu Hause, sie dagegen kämpfen mit dem Speer, wie dumm sie sind! Denn lieber würde ich mich dreimal Schild neben Schild aufstellen als einmal gebären. κἂν μὲν τάδ’ ἡμῖν ἐκπονουμέναισιν εὖ πόσις ξυνοικῇ μὴ βίᾳ φέρων ζυγόν, ζηλωτὸς αἰών· εἰ δὲ μή, θανεῖν χρεών. ἀνὴρ δ’, ὅταν τοῖς ἔνδον ἄχθηται ξυνών, ἔξω μολὼν ἔπαυσε καρδίαν ἄσης {ἢ πρὸς φίλον τιν’ ἢ πρὸς ἥλικα τραπείς}· ἡμῖν δ’ ἀνάγκη πρὸς μίαν ψυχὴν βλέπειν. λέγουσι δ’ ἡμᾶς ὡς ἀκίνδυνον βίον ζῶμεν κατ’ οἴκους, οἱ δὲ μάρνανται δορί, κακῶς φρονοῦντες· ὡς τρὶς ἂν παρ’ ἀσπίδα στῆναι θέλοιμ’ ἂν μᾶλλον ἢ τεκεῖν ἅπαξ.
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242 μὴ βίᾳ] ‚ohne dass man ihn zwingen muss‘ (vgl. 335) = ‚freiwillig‘ (Mastronarde), μὴ wegen des Konditionalsatzes (241) 243 ζηλωτὸς αἰών] Or. 602 f. (dort zwar interpoliert, aber sachlich einschlägig) γάμοι δ᾿ ὅσοις μὲν εὖ καθεστᾶσιν βροτῶν, / μακάριος αἰών | εἰ δὲ μή] üblich auch nach ἐὰν μέν (241), MT § 478 | χρεών] „that which is expedient or right“ (LSJ s. v. III) 244 ξυνών] Partizip als Ergänzung bei den Verben der Gemütsstimmung (K.G. II 53 f.) 245 ἔπαυσε] gnomischer Aorist (K.-G. I 160) | καρδίαν ἄσης +(Hss.) : καρδίαν ἄσην : καρδίας ἄσην +Olympiodor in Plat. Alc. p. 119 Westerink, Gn – καρδίαν ἄσης ist die übliche Konstruktion (LSJ s. v. παύω I. 2), ἄσης ist genetivus separativus. 246 {…} Wilamowitz 1875, 206 f. – vgl. Komm. und den folgenden Eintrag zu ἥλικα | φίλον +(Hss.) : φίλων | ἥλικα (Hss.) : ἥλικας Porson (auch in einer späten Hs.) – ἥλικᾱ, d. h. Längung vor τρ-, ist z. Z. des Euripides metrisch nicht gebräuchlich (West 1982, 17), aber durchaus später (ebd. 160), sodass man den Text nicht ändern, sondern darin ein Indiz für die Unechtheit sehen sollte; anders Christmann 1962, 47–53, der den Vers mit Porsons Konjektur halten will. 248–249 vgl. Aisch. Cho. 919 (Orest zu Klytaimestra) μὴ͜ ἔλεγχε τὸν πονοῦντ᾿ ἔσω καθημένη, vgl. 921 248 λέγουσι] das Subjekt ist aus οἱ δὲ (249) zu ergänzen, Figur der Versparung (Kiefner 1964, 140) | ἡμᾶς] Subjekt des Nebensatzes proleptisch als Objekt in den Hauptsatz genommen, wodurch es betont wird (K.-G. II 577 f.) 250–251 ἂν … ἂν] zur Wiederholung der Partikel vgl. K.-G. I 247, 8 (rhetorisch nachdrückliche Hervorhebung) 250 κακῶς φρονοῦντες] zur Bedeutung vgl. 892 | παρ’ ἀσπίδα] vgl. Hel. 734; Phoin. 1001 στάντες παρ᾿ 2 ἀσπίδ᾿, 1073 οὗ παρ’ ἀσπίδα | vgl. Ennius, TrRF II F 93 = FRL II nam ter sub armis malim vitam cernere / quam semel modo parere
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242 ‚in den Ehebund fügend‘, wörtl. ‚das Joch tragend‘. Zu Joch (zygon) als Bild für die eheliche Verbindung vgl. 673, wo Aigeus wörtl. sagt: „Wir sind nicht ‚unzusammengejocht‘ (= unverbunden) hinsichtlich des Ehebettes.“ Vgl. auch Aisch. Pers. 542; Soph. OT 826 (Otten 2005). 243 Dass Medea als Alternative zu einem harmonischen Eheleben den Tod in Betracht zieht, ist bezeichnend für den Stellenwert, den sie ehelichem Einvernehmen und Treue beimisst. 244 ‚denen im Haus‘, wörtl. ‚denen drinnen‘, ist ein maskuliner generalisierender Plural, mit dem der Sache nach insbesondere die Frau gemeint sein muss (die umgekehrt nur auf ‚e i n e Menschenseele‘ blicken kann, 247). An Kinder oder Hauspersonal wird dabei weniger gedacht sein. Medea vermeidet es zu sagen: ‚wenn er genug hat von uns Frauen.‘ In der Elektra beklagt Klytaimestra, dass man den Frauen die entsprechende Freiheit übelnehme (1035–1040). 245 Wörtl. ‚lässt sein Herz zur Ruhe kommen von dem Verdruss‘ (am Zusammensein mit der Ehefrau). Das griechische Wort asē bedeutet ‚Übersättigung‘, sowohl medizinisch (‚Übelkeit‘) wie auch psychisch (‚Überdruss‘). 246 Der Vers ist sicher unecht (zum Sprachlichen vgl. TS). Die vv. 244 f. bilden mit dem Gegensatz ‚drinnen – draußen‘ einerseits und den Möglichkeiten des Mannes im Gegensatz zu denen der Frauen andererseits (247) einen abgeschlossenen Gedankengang. Medea meint wohl, dass sich ein Mann außer Haus mit einem Liebesabenteuer ablenken kann (etwa mit einer Geliebten; Wilamowitz 1875, 247), was durch diesen Vers vermutlich verharmlost werden sollte. Allerdings drückt sich Medea sehr vage aus (Mastronarde). 247 Den Freiheiten des Mannes setzt Medea die häusliche Abgeschiedenheit (mit Beschränkung auf Haushalt und Kinder) von ‚uns Frauen‘ gegenüber (vgl. Andromache, Tro. 647–650; Weiteres bei Martina III z. St.). – Zu einem differenzierteren Bild der Möglichkeiten athenischer Frauen vgl. Cohen 1989. 248–249 Im Text heißt es nur ‚sie sagen‘, was ein allgemeines ‚man sagt‘, ‚es heißt‘ bedeuten kann. Aber der Zusammenhang legt nahe, darunter konkret die Männer zu verstehen (maskulines Partizip in v. 250), die der Klage über die häusliche Abgeschiedenheit der Frauen das Argument der Gefahrlosigkeit dieses Lebens entgegensetzen, während sie ihr Leben im Kampf riskieren. 250–251 Das Argument der Männer ist für Medea deswegen so unqualifiziert, weil sie nicht berücksichtigen, was eine Frau bei der Geburt aushalten muss (1030), schlimmer als dreimal an einer Schlacht teilzunehmen! Bei Homer (Ilias 11,267–272) wird der Schmerz einer Verwundung im Kampf mit dem Geburtsschmerz verglichen. Vielleicht denkt Medea auch an das Risiko, bei der Geburt oder im Kindbett zu sterben (Xenophon, Memorabilien 2,2,5). Sie trägt ein Gedankenexperiment vor, mit dem sie die männliche Einschätzung des Lebens der Frauen konterkarieren will (vgl. auch Mossman). Ob Medea mit ihrem Argument die Frauen als den Männern überlegen einstufen will (so Roisman 2021, 215), erscheint zweifelhaft, aber man kann die Aussage als ‚subversiv‘ einschätzen (Barlow 1995, 38 f.). ‚Schild neben Schild‘, wörtl. ‚neben dem Schild‘, sc. des Nebenmannes (vgl. Phoin. 1073), d. h. sich (mit dem eigenen Schild) einreihen in die Phalanx, die
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Erstes Epeisodion: 252–258
Indes, nicht gleichermaßen gilt, was ich sage, für dich und für mich: Du hast hier die Gemeinschaft deiner Stadt, dein Vaterhaus, kannst dein Leben genießen und mit Angehörigen zusammen sein, ich bin einsam, ohne Stadtgemeinschaft, werde schändlich behan- 255 delt von meinem Mann, aus fremdem Land entführt, habe keine Mutter, keinen Bruder, keinen Verwandten, bei denen ich Zuflucht finden könnte aus dieser Not. ἀλλ’ οὐ γὰρ αὑτὸς πρὸς σὲ κἄμ’ ἥκει λόγος· σοὶ μὲν πόλις θ’ ἥδ’ ἐστὶ καὶ πατρὸς δόμοι βίου τ’ ὄνησις καὶ φίλων συνουσία, ἐγὼ δ’ ἔρημος ἄπολις οὖσ’ ὑβρίζομαι πρὸς ἀνδρός, ἐκ γῆς βαρβάρου λελῃσμένη, οὐ μητέρ’, οὐκ ἀδελφόν, οὐχὶ συγγενῆ μεθορμίσασθαι τῆσδ’ ἔχουσα συμφορᾶς.
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252 ἀλλ’ οὐ γὰρ] ~ ‚aber darauf (sc. was ich zuvor gesagt habe) kommt es jetzt nicht an, sondern …‘; vgl. GP 101 f. | αὑτὸς (Korrekturen in drei Hss.) : αὐτὸς Hss.; CP 1024, Gn | ἥκει] LSJ s. v. II. 2 „concern, relate to“ 253 πόλις θ’ : +πόλις : πόλις δ᾿ : γὰρ πόλις 254 συνουσία (Hss.) : +κοινωνία – συνουσία trifft besser den gemeinten gesellschaftlichen Umgang. 256 λελῃσμένη] vgl. Pindar, Pythien 250 κλέψεν τε Μήδειαν σὺν αὐτᾷ 257 οὐχὶ +(Hss.) : οὐδὲ (beides in den Hss. zu CP 757) – Reihe von Asyndeta 258 μεθορμίσασθαι … συμφορᾶς] epexegetischer Infinitiv; genetivus separativus, weil die Grundbedeutung ist, von einem Ankerplatz weg zu einem anderen zu fahren, vgl. 443 f., dort allerdings mit παρά + Genitiv
Kommentar
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Kampfformation, der nebeneinander aufgestellten Kämpfer, ein Bild für die Teilnahme an der Schlacht. Im Epheben-Eid heißt es „und ich werde meinen Nebenmann nicht im Stich lassen“ (Lykurgos, Gegen Leokrates 77). Euripides lässt sich Medea anachronistisch auf einen Sachverhalt aus der gegenwärtigen Erfahrungswelt insbesondere der männlichen Zuschauer beziehen. 252–258 Nachdem Medea schon kurz die Sondersituation einer außerhalb ihrer Heimat verheirateten Frau berührt hatte (238–240), geht sie jetzt spezifischer auf den Unterschied zwischen ihrer Situation und derjenigen der Korintherinnen ein, wobei sie ihre Lage als besonders bedauernswert darstellt, was für die Gewährung der anschließenden Bitte an die Frauen (259–263a) förderlich sein dürfte. 252 ‚dich‘: Zum Singular vgl. zu 131. 253 Mit dem Wort ‚Stadt‘ (polis), das ohne Zusatz im Text steht, ist hier die soziale Eingebundenheit in den Ort gemeint, in dem man wohnt. 254 ‚Leben genießen‘: Das gilt für die angesprochenen Korintherinnen, dagegen sieht Medea keinen Reiz mehr im Leben (226 f., griech. Text: 227). 255–258 Medea stellt sich als bloßes Opfer dar, ohne zu erwähnen, dass – mit Ausnahme ihrer Behandlung durch Iason – alles, was sie nennt, Folgen ihres Entschlusses sind (vgl. 166 f.), mit Iason nach Griechenland zu gehen. Die Zuschauer wissen, dass sie Iason nicht gegen ihren Willen folgte (7 f.); und dass sie ihren Bruder getötet hat (167; vgl. zu 166–167), hatten die Adressatinnen ihrer Rede selbst hören können. Dass sie möglicherweise nicht richtig gehört hätten, was Medea sagte (Mossman), ist angesichts des ausdrücklichen Verweises der Amme darauf (168) nicht sehr plausibel. Die Korintherinnen erheben vielleicht deswegen keine Einwände, weil Medea standardmäßig die Personen aufzählt, an die auch diese Frauen sich in einer Notlage wenden würden, und es ihnen deshalb nicht auffällt, dass für den speziellen Fall Medeas eine Erwähnung des Bruders geradezu provokant sein könnte. 254 ‚Angehörigen‘: Im Griechischen steht philōn (Gen. Pl.), was hier wohl nicht ‚Freundinnen‘, sondern die ‚Angehörigen‘, die ‚Familie‘ (Mossman zu 253-4), bezeichnet. 255 ‚einsam‘: vgl. 513; 604; 712. 256 ,aus fremdem Land‘: In den vv. 536 u. 1330 ist barbaros im Munde Iasons sicher abwertend gemeint. Wenn Medea nicht die Perspektive des ‚Entführers‘ oder vielleicht die der Korintherinnen einnimmt, hat das Wort hier die neutrale Bedeutung ‚fremd‘, ‚nicht-griechisch‘, ‚ausländisch‘. ‚entführt‘: Das griechische Wort (lēïzesthai) reicht in seinen Bedeutungen von ‚sich erwerben‘ (z. B. Hesiod, Erga 702) bis ‚als Beute wegtragen‘ (z. B. Homer, Ilias 18,28), und wird auch für den ‚Raub‘ der Helena verwendet (Tro. 373; 866). Für das Verständnis hier ist entscheidend, dass Medea ihre Rolle als rein passiv darstellt (anders 7 f.; Pindar, Pythien 4,250). – Ob eine Beziehung zu Herodots Version (1,2,2) bestehen kann, wonach Medea (gegen ihren Willen) geraubt wurde, ist nicht zu sichern.
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Erstes Epeisodion: 259–263
So viel möchte ich daher von dir erlangen, dass du, wenn ich einen Weg und ein Mittel gefunden habe, meinen Gatten für diese Untaten büßen zu lassen {und den, der ihm die Tochter gab, und die, die er heiratete}, schweigst. Denn eine Frau ist sonst zwar voller Furcht τοσοῦτον οὖν σου τυγχάνειν βουλήσομαι, ἤν μοι πόρος τις μηχανή τ’ ἐξευρεθῇ πόσιν δίκην τῶνδ’ ἀντιτείσασθαι κακῶν {τὸν δόντα τ’ αὐτῷ θυγατέρ’ ἥν τ’ ἐγήματο}, σιγᾶν. γυνὴ γὰρ τἄλλα μὲν φόβου πλέα
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259 τοσοῦτον] Akkusativ des Neutrums zu τυγχάνω (K.-G. I 350 Anm. 9) | οὖν : δὲ (Hss.) : ἐκ : δ᾿ ἐκ – Das folgernd-erklärende οὖν ergibt einen hier einen plausiblen Sinn. | βουλήσομαι] zum Futur statt des Präsens als höflichere Form des Bittens vgl. K.-G. 172, 4 (wo für diese Stelle allerdings ein Zukunftsbezug gesehen wird); vgl. auch Mastronarde 261 δίκην +Elmsley : δίκη(ι) 262 {…} Lenting, vgl. 288 – vgl. Komm. Außerdem kann das Medium ἐγήματο nicht, wie hier, vom Mann gebraucht werden, sondern nur von der Frau (von Sonderfällen abgesehen: Anakreon, fr. 424 PMG; Antiphanes, fr. 48 K.-A., PCG II [Mossman]), und müsste es dazu den Dativ regieren (Page). | ἥν Hss. : ἥ Porson – ἥ würde den auch aus anderen Gründen als unecht zu betrachtenden Vers sprachlich idiomatisch machen.
Kommentar
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259–266 Medea beschließt ihre Rede mit einer Bitte um Unterstützung. Wenn sie dazu generell ausführt, dass die an sich furchtsame Frau, in ihrer Ehe verletzt, blutrünstiger ist als jedes andere Wesen, insinuiert sie, dass ihr eigenes Racheverlangen etwas für jede Frau Selbstverständliches sei. 259–263a Aus Medeas Vereinsamung (255–258) ergibt sich, dass sie nur die angeredeten Frauen als Vertrauenspersonen hat und lediglich diese um Hilfe bitten kann. Die Bitte selbst ist in weiter, Spannung aufbauender Sperrung formuliert: Zunächst wird nicht klar, was ‚so viel‘ (259) bedeutet (etwa auch aktive Unterstützung?), bis, noch zusätzlich durch Enjambement hervorgehoben, als Inhalt der Bitte erscheint, dass der Chor schweigen (263a), Medea also nicht verraten soll, ‚so viel‘ damit zu ‚nur so viel‘, zu einer bescheidenen Bitte wird. 262 Der Vers ist aus sprachlichen (vgl. TS) und inhaltlichen Gründen sicher unecht. Medeas Plan ist noch offen (260), und sie hat in ihrer Rede bisher nur das Frauenlos und das schuldhafte Verhalten ihres Mannes beklagt, den sie büßen lassen will; eine Erweiterung ihres Racheverlangens würde ihrer Bitte um Verschwiegenheit eine andere Dimension geben. In der Antwort des Chores ist jedenfalls nur von der Rache am Gatten die Rede (267). Später sagt Kreon, dass er von Drohungen auch gegen sich und seine Tochter gehört habe (288), und v. 262 wurde wahrscheinlich als Vorwegnahme dieses Verses eingeschoben wie analog die vv. 38–43. Vgl. auch Mastronarde. 263a Das Verlangen nach Schweigen des Chores als Unterstützung (von dem auch Horaz, Ars poetica 200 als einer Aufgabe des Chores spricht) ist öfter zu beobachten: Hipp. 712; Ion 666 f.; El. 272f.; IT 1056 ff.; IA 542; Hel. 1387– 1389; Aisch. Cho. 555; 581 f.; Soph. El. 468 f.; in den meisten Fällen folgt der Chor der Aufforderung (anders im Ion). Hier und im Hippolytos entspricht der Chor der Bitte, obwohl er die Dinge, die dann geschehen, missbilligt und er sie durch rechtzeitiges Brechen des Schweigens verhindern könnte. Aber als er zustimmt, kann er noch nicht wissen, worauf er sich einlässt. Vgl. Barrett 1964, 294; Mastronarde. 263b–266 Medea begründet ihre Bitte um die Verschwiegenheit des Chores nicht mit der möglichen Gefährdung ihres noch zu entwickelnden Rachevorhabens, sondern mit dem Hinweis auf einen allen Frauen innewohnenden Impuls sich zu rächen, wenn sie als Ehefrauen ‚verletzt‘ werden, womit sie die Rache als solche legitimiert. Wenn Medea die Überzeugung, das Selbstwertgefühl der Frauen hänge ganz davon ab, wie es in der Ehe stehe (so auch Iasons Einschätzung der Frauen, 569–573; zur Sichtweise der Chorfrauen vgl. 998– 1001), so absolut äußert, trifft das für sie nicht ganz zu und dürfte wesentlich auf die Meinungsbildung des Chores zielen. Iasons Ehebruch spielt zwar auch für Medea eine wichtige Rolle (1368) – stark betont von Cairns 2021, 23–25 –, aber sie leidet (nach eigener Aussage) vor allem unter dem Eidbruch Iasons nach allem, was sie für ihn aufgegeben und getan hat (476–515); vgl. auch 21 f.; 26; 160–163; 692; 1352 f. und z. B. auch Levett 2009, 159. 263b Später heuchelt Medea gegenüber Iason, um ihre unfreiwilligen Tränen zu erklären, sie sei voll Furcht (903). Hier spricht sie (mit demselben Wort) generell von der Furchtsamkeit der Frauen, wohl um vor den Korintherinnen das
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Erstes Epeisodion: 264–270
{aber wagt sich nicht in die Schlacht und kann kein Schwert ansehen}, sooft sie aber in ihrem Eheleben tief verletzt ist, 265 gibt es kein anderes Gemüt, das mehr zum Morden neigt. Chf. Ich werde das tun; denn zu Recht willst du dich an deinem Gatten rächen, Medea. Und es erstaunt mich nicht, dass du dein Unglück beklagst. Kreon kommt mit Dienern. Aber da sehe ich Kreon, den Herrscher dieses Landes, herankommen, als Verkünder neuer Beschlüsse.
Χο.
{κακή δ’ ἐς ἀλκὴν καὶ σίδηρον εἰσορᾶν}, ὅταν δ’ ἐς εὐνὴν ἠδικημένη κυρῇ, οὐκ ἔστιν ἄλλη φρὴν μιαιφονωτέρα. δράσω τάδ’· ἐνδίκως γὰρ ἐκτείσῃ πόσιν, Μήδεια. πενθεῖν δ’ οὔ σε θαυμάζω τύχας. ὁρῶ δὲ καὶ Κρέοντα, τῆσδ’ ἄνακτα γῆς, στείχοντα, καινῶν ἄγγελον βουλευμάτων.
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264 {…} Nauck, vgl. Komm. | δ᾿ +Hss. : τ᾿ Tyrwhitt – τ᾿ beruht auf einem Versuch, den ohnehin nicht passenden Vers einigermaßen in den Kontext zu integrieren. | ἐς ἀλκὴν καὶ σίδηρον εἰσορᾶν] Zu σίδηρον εἰσορᾶν muss noch einmal κακή ergänzt werden, da εἰσορᾶν zumindest in tragischer Dichtung nicht mit einer Präposition verbunden wird (vgl. Mastronarde). 265 ἠδικημένη κυρῇ] emphatische Umschreibung (Tedeschi) 267 δράσω : δράσων : δράσον : δρᾶσον – als Antwort auf Medeas Bitte gibt nur δράσω einen guten Sinn und hat τάδ’ einen klaren Bezug; vgl. 184; 927; 1019. 268 πενθεῖν] zum Infinitiv nach θαυμάζω vgl. Alk. 1130; K.-G. II 73 Anm. 3 269 καὶ] entweder Ausdruck der Überraschung (GP 316 [iv]) oder Lenkung der Aufmerksamkeit auf ein neues Ereignis, statt καὶ μήν wie Alk. 611 (Wecklein 1909 z. St.) 270 ἄγγελον] hier nicht ‚Bote‘, sondern „generally, one who annouces or tells“ (LSJ s. v. I. 2)
Kommentar
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damals offenbar erwartete Frauenbild zu evozieren. Vgl. Xenophon, Oikonomikos 7,25 (Mossman). 264 Der Vers ist wahrscheinlich von Nauck zu Recht getilgt worden. An ‚sonst‘ (263, wörtl. ‚in Bezug auf das Übrige‘), also den Regelfall, schließen sich nicht sinnvoll mit ‚aber‘ (vgl. zur Textkritik TS) zwei konkrete Beispiele für die Furcht von Frauen an, sondern geht es plausibler mit der Ausnahme (265 f.) weiter. Außerdem ist nicht anzunehmen, dass Euripides Medea nach ihrer Aussage in den vv. 250 f. gerade diese Fälle nennen lässt. Der Vers kann aus einer anderen Tragödie stammen, in der eine Frau (oder die Frauen, genereller Singular) in dieser Weise abträglich charakterisiert wurden, und entweder als Randnotiz eingedrungen oder von einem Schauspieler eingefügt worden sein. 265 ‚Eheleben‘: Im Griechischen steht eunē, was auf die sexuelle Beziehung weist; vgl. zu 88. 266 ‚mehr zum Morden neigt‘: In der Grundform ist miaiphonos (wörtl. ‚Blut vergießend, das befleckt‘, ‚mörderisch‘) ursprünglich ein Epitheton des Kriegsgottes Ares (z. B. Homer, Ilias 5,31); vgl. auch 1346. 267–270 Die Zwischenverse der Chorführerin leiten von der Rede Medeas zum Auftritt Kreons über. 267–268 Die Chorführerin akzeptiert Medeas Bitte zu schweigen, erklärt deren Absicht, sich an Iason zu rächen, uneingeschränkt für berechtigt (vgl. 157), und zeigt empathisch Verständnis für Medeas Leid. Der Chor sieht aufgrund von Medeas Rede in Iason nur den Ehebrecher, nicht den künftigen Herrscher von Korinth (Bretzigheimer 1968, 54). Nach Medeas Schlussbemerkung (266) muss die Chorführerin bei ihrer Zustimmung zur Vergeltung auch mit einem gewaltsamen Vorgehen Medeas rechnen. Dass auch Frauen blutige Taten vollbringen können, wenn sie ein erlittenes Unrecht ahnden wollen, konnten die Zuschauer aus dem Mythos kennen; vgl. Proknes Rache an Tereus, Klytaimestras an Agamemnon, Hekabes an Polymestor. 267 ‚zu Recht‘ (endikōs): Mit demselben Wort wird die Chorführerin auch nach dem Tod der Königstochter und ihres Vaters die Bestrafung Iasons für richtig halten. 269–270 Die Chorführerin sieht Kreon herankommen, der noch einmal vorgestellt wird (vgl. 19), begleitet von (wenigstens) zwei Dienern (vgl. 335; Stanley-Porter 1973, 72). Die Zuschauer wissen schon, worum es gehen wird (vgl. 67 ff.), die Chorführerin, die aus der Umgebung von Medeas Haus kommt (131 ff.), kann nicht informiert sein, schließt aber aus dem offiziellen Auftreten auf eine wichtige Mitteilung (wie Tro. 708, identisch mit Med. 270). Für Medea (wie für die Chorfrauen) kommt Kreon unerwartet.
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Erstes Epeisodion: 271–276
Kreon Du, die du finster blickst und deinem Gatten zürnst, Medea, musst, so verkünde ich, aus diesem Land gehen als Verbannte; nimm deine beiden Kinder mit dir und sei in keiner Weise säumig. Denn ich überwache diesen Befehl persönlich und gehe nicht wieder in den Palast zurück, bis ich dich aus den Grenzen des Landes vertrieben habe. Κρέων σὲ τὴν σκυθρωπὸν καὶ πόσει θυμουμένην, Μήδει’, ἀνεῖπον τῆσδε γῆς ἔξω περᾶν φυγάδα, λαβοῦσαν δισσὰ σὺν σαυτῇ τέκνα, καὶ μή τι μέλλειν· ὡς ἐγὼ βραβεὺς λόγου τοῦδ’ εἰμί, κοὐκ ἄπειμι πρὸς δόμους πάλιν πρὶν ἄν σε γαίας τερμόνων ἔξω βάλω.
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275
272 Μήδει’, ἀνεῖπον E. Harrison : μηδείαν εἶπον Hss. – Μήδειαν εἶπον ist nicht nach dem Muster ‚Eigenname im Akkusativ + λέγω‘ (so K.-G. I 283 f. Anm. 4; vgl. Or. 1568 Μενέλαον εἶπον) zu erklären, da die Infinitive περᾶν und μέλλειν (274) dann kein Verb hätten, von dem sie abhängig wären (bzw. εἶπον müsste zugleich als Bestandteil der Anredeformel und als Anweisung verstanden werden, was Harrison, zitiert bei Page, mit Recht zurückweist). Nachdem τὴν … θυμουμένην bereits Apposition zu σὲ ist, wäre eine weitere Apposition (Μήδειαν, mit Komma danach, um anzuzeigen, dass εἶπον auf die Infinitive bezogen ist) merkwürdig. Alles spricht dafür, dass Medea im Vokativ stehen sollte. Das wird durch Harrisons Auflösung der ursprünglichen scriptura continua erreicht, was zugleich zu dem für eine offizielle Proklamation besser passenden ἀνεῖπον führt (vgl. insgesamt Page). – ἀνεῖπον ist ein ‚tragischer‘ Aorist (K.-G. I 164 f. c und zu 64; s. Komm.); anders Lloyd 1999, 35, der im Aorist eine Milderung der „rudeness“ Kreons in v. 271 erkennen will. 276 πρὶν ἄν … βάλω] πρὶν ἄν mit Konjunktiv bei zukünftiger Handlung (K.-G. II 484 b), mit ‚vorzeitiger‘ Bedeutung (K.G. I 186 B)
Kommentar
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271–356 Kreon-Szene. Inhaltlich lassen sich zwei Teile unterscheiden: Kreons Ausweisungsbefehl sowie Medeas vergeblicher Versuch, Kreon durch bloßes Bereden davon abzubringen (271–323), und ihre den Aufschub von einem Tag erzielende Hikesie (324–356). Der zweite Teil besteht aus einer Stichomythie (324–339), der zwei kürzere Redestücke folgen (340–356). 271–276 Ohne freundliche Grußformel verkündet Kreon die sofortige Ausweisung Medeas und ihrer Kinder mit geradezu übertriebener Entschiedenheit, sodass ein merklicher Kontrast zum tatsächlichen Ergebnis zu beobachten sein wird (348–354). Möglicherweise ist diese besondere Forschheit als Zeichen für innere Unsicherheit zu verstehen. Vgl. auch Page zu v. 271. 271 Eine Anrede mit Personalpronomen und nachfolgender Apposition (hier als Relativsatz wiedergegeben) ist an sich nicht ungewöhnlich (Barrett 1964 zu Hipp. 1283–4), aber diese ist durch den Inhalt der Apposition äußerst barsch; vgl. dagegen die Begrüßung durch Aigeus (663 f.). Emotionen (‚finster blickst‘), die sich im Gesicht zeigen, muss sich der Zuschauer anhand der Verbalisierung vorstellen, da sich die Maske des Schauspielers nicht verändern kann. Vgl. Einf., S. 37, Anm. 140. – Kreon charakterisiert die Haltung Medeas sogleich als bedrohlich, von ihren Drohungen hat er gehört (287–289). ‚Gatten‘: Vgl. zu 17–19. 272 Kreon trägt die Ausweisung in einer förmlichen Proklamation vor, im Griechischen in einer Vergangenheitsform, die besagt, dass der Beschluss unabänderlich feststeht und es daran nichts zu deuteln gibt. Es wurde auch versucht, die Vergangenheitsform als Abschwächung zu verstehen (Beleg in TS), die aber nicht der Entschiedenheit Kreons entspräche. 273 Auffällig ist, dass Kreon auch die Kinder in die Verbannung schicken will. Kreon dürfte damit beabsichtigen, die frühere Familie seines neuen Schwiegersohnes ‚loszuwerden‘. Dass Iason die Verbannung seiner eigenen Kinder nicht verhindert, haben bereits die Amme und der Paidagogos kritisch kommentiert (74–77); Iason selbst behauptet, dass er mit dem König über die Verbannung gesprochen habe (455 f.), aber er hat sich zumindest nicht durchgesetzt. 274–276 Wenn Kreon nicht wieder in den Palast zurückkehren will, bis Medea außer Landes ist, muss sie mit ihren Kindern Korinth sofort verlassen. Diese überaus harte Anordnung erklärt ihre verzweifelte Reaktion (277–279), zumal ihr auch die Möglichkeit für eine Rachehandlung genommen würde. 274 ‚ich überwache‘: Kreon betont die Rolle seiner Person (es steht da ein grammatisch im Griechischen nicht notwendiges Personalpronomen, in der Übersetzung durch ‚persönlich‘ ausgedrückt) und benutzt dazu das Wort brabeus, das einen offiziellen Richter oder Schiedsrichter bezeichnen kann, der darauf sieht, dass die Regeln eingehalten werden.
142 Me.
Kr.
Μη.
Κρ.
Erstes Epeisodion: 277–285
Ach, ach! Völlig vernichtet gehe ich Unglückliche zugrunde! Denn meine Feinde hissen das Segel ganz, und es gibt aus dem Unheil kein leichtes Entkommen. Aber dennoch will ich fragen, trotz des Leids, das ich erfahre: Weswegen weist du mich aus dem Land, Kreon? Ich fürchte – ich muss nicht verschleiern, was ich meine –, dass du meiner Tochter ein unheilbares Leid antun willst. Denn vieles trägt zu dieser Furcht bei: Klug bist du und kennst vieles, womit du schaden kannst, αἰαῖ· πανώλης ἡ τάλαιν’ ἀπόλλυμαι· ἐχθροὶ γὰρ ἐξιᾶσι πάντα δὴ κάλων, κοὐκ ἔστιν ἄτης εὐπρόσοιστος ἔκβασις. ἐρήσομαι δὲ καὶ κακῶς πάσχουσ’ ὅμως· τίνος μ’ ἕκατι γῆς ἀποστέλλεις, Κρέον; δέδοικά σ’, οὐδὲν δεῖ παραμπίσχειν λόγους, μή μοί τι δράσῃς παῖδ’ ἀνήκεστον κακόν. συμβάλλεται δὲ πολλὰ τῷδε δείματι· σοφὴ πέφυκας καὶ κακῶν πολλῶν ἴδρις,
280
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280
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278 δὴ] emphatisch nach Quantitätsangabe (GP 205 [iii]) | κάλων] „brailing-rope, brail“ CGL s. v. κάλως1 2 280 ἐρήσομαι : εἰρήσομαι (Hss.) – ἐρήσομαι ist die attische Form | καὶ … ὅμως] ὅμως gehört trotz der Stellung zu ἐρήσομαι, verstärkt den Gegensatz zum konzessiven Partizip (καὶ ~ καίπερ), vgl. K.-G. II 85 Anm. 8 281 ἕκατι] bei den Tragikern benutzte dorische Form von ἕκητι 282 σ’] betont proleptische Stellung = Subjekt von μή … δράσῃς (283) | παραμπίσχειν : παραμπέχειν +(Hss.) – -ισχειν ist die bei Euripides auch in anderen Komposita gebräuchliche Form; „deceptively (παρ-) cloak my meaning“ (Mastronarde, der für den Täuschungsaspekt des Verbs auf Bildungen wie παράγω verweist) 284 τῷδε δείματι Schöne : τοῦδε δείματος Hss. : τοῦδε δείγματα Wieseler – Es ist unwahrscheinlich, dass Euripides statt der üblichen und hier metrisch identischen Dativkonstruktion (τῷδε δείματι) τοῦδε δείματος geschrieben hätte: „vieles trägt (einen Teil) zu dieser Furcht bei“ (K.-G. I 345 Anm. 2). Dabei ist die Kombination von ‚vieles‘ mit einem genetivus partitivus befremdlich, in der bei K.-G. aufgeführten ‚Parallele‘ Lysias 30,16 τοῦ μὲν γὰρ ὑμᾶς φυγεῖν μέρος τι καὶ οὗτος συνεβάλετο besteht durch μέρος τι eine andere Konstellation; auch der Hinweis von Page auf Herodot 8,90,4 πρὸς δ᾿ ἔτι (codd. : δέ τι Schaefer) προσεβάλετο … Ἀριαράμνης ἀνὴρ Πέρσης παρεὼν τούτου τοῦ Φοινικηίου πάθεος erklärt die vorliegende Stelle nicht zureichend, weil hier ein πολλά fehlt. Zwei Erklärungen der Korruptel bieten sich für die vorgeschlagenen Konjekturen an, aus denen jeweils τοῦδε δείματος entstehen könnte, wenn man die Schreibweise vor der Schriftreform annimmt: (1) ΤΟΔΕΔΕΙΓΜΑΤΑ → ΤΟΔΕΔΕΙΜΑΤΑ → ΤΟΔΕΔΕΙΜΑΤΟΣ, (2) ΤΟΙΔΕΔΕΙΜΑΤΙ → ΤΟΔΕΔΕΙΜΑΤΙ → ΤΟΔΕΔΕΙΜΑΤΟΣ. Sachlich passt τῷδε δείματι besser, denn in den vv. 285 f. werden Sachverhalte angeführt, die die Furcht begründen.
Kommentar
143
277–281 Medea ist völlig überrascht, lässt sich sogar gegenüber einem ‚Feind‘ zu einem Wehruf hinreißen, sieht sich vernichtet und ohne gangbaren Ausweg. Charakteristisch ist für die Konzeption der Medea-Figur, dass sie sich dennoch sofort fängt und Kreon in eine Diskussion verwickelt. 277–279 Medeas Eingeständnis ihrer Lage und die implizite Bezeichnung von Kreon als ‚Feind‘ könnten zu der Vermutung führen, die Verse seien a parte gesprochen (so Bain 1977, 21–23; Martina III 128 f). Eine a parte-Reaktion Medeas ist aber in der durch Kreon eingeleiteten Gesprächssituation schwer vorstellbar, und außerdem ist der Wehruf syntaktisch mit der nachfolgenden Frage an Kreon verknüpft (280–281; vgl. auch Bain, ebd. 23; Martina, ebd. 129). Medea muss nach dem Schlag, den ihr Kreon versetzt hat, erst die Kontrolle über das, was sie sagt, wiederfinden, aber es kann ihn nicht überraschen, dass sie die Aktion als feindlich gegen sich gerichtet empfindet (wie sie auch beabsichtigt ist), im Gegenteil, er kann seine Überrumpelung als erfolgreich betrachten. Insofern besteht kein Widerspruch zu der späteren Behauptung Medeas, dass sie ihrerseits Kreon gegenüber nicht feindlich gesinnt sei (306–310). 278 ‚Feinde‘: Der Plural kann ein echter sein (Iason und Kreon) oder ein poetischer (nur Kreon). Es ist kaum nur Iason gemeint (von Martina III 129 als Möglichkeit erwogen). Auf jeden Fall wird Kreon den Ausdruck der Situation gemäß (auch) auf sich beziehen. ‚hissen das Segel ganz‘, nehmen also volle Fahrt auf und wirken so mit aller Macht auf Medea ein. Die maritime Metapher hat zur Grundlage, dass man alle Taue (Geitaue), mit denen das Segel an der Rahe hochgezogen werden kann, freigibt, sodass sich das Segel ganz entfalten und den Wind voll aufnehmen kann; vgl. Casson 1971, 70 (mit Verweis auf Abbildungen); 259. 279–280 ‚Entkommen‘: Die Metaphorik setzt sich fort, denn ekbasis bedeutet eigentlich ‚Landeplatz‘ oder ‚An-Land-Gehen‘ (vom Schiff aus). – Einen, wenn auch kleinen, Ausweg aus ihrer Situation sieht Medea offenbar darin, Kreon in ein Gespräch zu verwickeln. Den Grund für seine Entscheidung dürfte sie sich denken können. 282–291 Die Furcht Kreons vor Medea hat ihren spezifischen Grund in der neuen Ehe seiner Tochter und bezieht sich auf die Gefährdung der daran unmittelbar Beteiligten (288); denn für Kreon besitzt Medea dazu die Fähigkeiten (285) sowie ein Motiv (286), und er hat von konkreten Drohungen gehört (287– 289). Daher hält er es für besser, präventiv zu handeln (289). Jedenfalls ist seine Furcht nicht als typische Tyrannenfurcht zu klassifizieren (so aber Martina III 127) – er selbst sieht sich sogar als allzu nachgiebig an (348; vgl. zu 308). 285 Kreon dürfte sich in beiden Punkten auf Geschehnisse und Fähigkeiten (einschließlich der magischen) beziehen, die relevant waren, bevor Medea nach Korinth kam (vgl. 10 f.), d. h. die Hilfe für Iason in Kolchis (476–482) und die Tötung des Pelias in Iolkos (486 f.; vgl. zu 9). ‚Klug‘: ‚Geschickt‘, ‚klug‘, ‚wissend‘, ‚schlau‘, ‚listig‘, alle diese Eigenschaften können mit dem Adjektiv sophos bezeichnet werden, und das Wort kommt in diesem Drama in vielfacher Verwendung vor (vgl. auch zu 292–305);
144
Me.
Μη.
Erstes Epeisodion: 286–295
und es kränkt dich, dass dir die Ehe mit deinem Mann genommen wurde. Ich höre, dass du drohst, wie man mir berichtet, dem Brautvater, dem Ehemann und seiner Frau etwas anzutun. Davor werde ich auf der Hut sein, bevor uns etwas geschieht. Es ist besser für mich, jetzt deinen Hass auf mich zu ziehen, Frau, als mich erweichen zu lassen und hinterher reuig zu klagen. Weh, weh! Nicht jetzt zum ersten Mal, sondern schon oft, Kreon, hat mir mein Ruf geschadet und mir großes Leid zugefügt. Es sollte niemals, wer ein verständiger Mann ist, seinen Kindern außergewöhnliche Kenntnisse vermitteln lassen. λυπῇ δὲ λέκτρων ἀνδρὸς ἐστερημένη. κλύω δ’ ἀπειλεῖν σ’, ὡς ἀπαγγέλλουσί μοι, τὸν δόντα καὶ γήμαντα καὶ γαμουμένην δράσειν τι. ταῦτ’ οὖν πρὶν παθεῖν φυλάξομαι. κρεῖσσον δέ μοι νῦν πρὸς σ’ ἀπεχθέσθαι, γύναι, ἢ μαλθακισθένθ’ ὕστερον μεταστένειν. φεῦ φεῦ. οὐ νῦν με πρῶτον, ἀλλὰ πολλάκις, Κρέον, ἔβλαψε δόξα μεγάλα τ’ εἴργασται κακά. χρὴ δ’ οὔποθ’, ὅστις ἀρτίφρων πέφυκ’ ἀνὴρ, παῖδας περισσῶς ἐκδιδάσκεσθαι σοφούς·
290 292a 292b 295
290 292a 292b 295
287 ἀπειλεῖν σ’ +Trikl. : ἀπειλεῖν od. ἀπειλεῖς od. ἀπειλεῖ σ᾿ od. ἀπειλῆς (Hss.) – Das ‚Subjekt‘ des Infinitivs muss ausgedrückt werden; zum Infinitiv Futur vgl. MT § 136. 288 {…} Nauck; vgl. Komm. 289 πρὶν παθεῖν] Infinitiv bei noch nicht eingetretenem Ereignis (K.-G. II 457 d; 459 ζ) 290 πρὸς σ’] statt des üblichen σοί | ἀπεχθέσθαι Elmsley (Σ) : ἀπέχθεσθαι od. ἀπέχεσθαι od. ἀπεχέσθαι +Hss. – Aorist von ἀπεχθάνομαι, nicht Infinitiv Präsens des späteren Verbs ἀπέχθομαι (Page) 291 μεταστένειν Nauck; Gn : μέγα στένειν +Hss. – vgl. Andr. 814 μεταλγεῖ, Renehan 1976, 61; Diggle 1994, 210 f. 292b οὐ νῦν … πρῶτον] vgl. zu dieser rhetorischen Formel 446; 1224; Hel. 957; IT 933; Soph. Phil. 966 293 μεγάλα τ’ εἴργασται κακά] ~ Hel. 110 294 δ’] δέ in der Funktion von οὖν (GP 170 [ii]) | οὔποθ’] οὐ, als ob χρὴ verneint wäre und nicht der eigtl. μή erfordernde Infinitiv ἐκδιδάσκεσθαι (295), vgl. Andr. 100 (Tedeschi) 295 παῖδας … σοφούς] doppelter Akkusativ, das Prädikativum im Deutschen (wörtl.) mit ‚zu‘ zu übersetzen (K.-G. I 318 f.) | ἐκδιδάσκεσθαι] kausatives Medium (K.-G. I 108, 7)
Kommentar
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dass Medea sophē sei, gesteht ihr auch Iason zu (539), anders als Kreon in durchaus positivem Sinn. 286 Wörtl. heißt es: ‚dass du deines Mannes Bett beraubt bist‘. 287–289 Wenn man Kreons Äußerung ‚realistisch‘ auffassen will, muss er sich auf Drohungen beziehen, die vor Beginn des Stückes gefallen sind. Denn Medeas Verwünschung des Brautpaares samt dem Palast in den vv. 163–165 erfolgt erst, als Kreons Beschluss, Medea zu verbannen, längst gefallen ist (vgl. 67–72). Die Zuschauer werden nicht irritiert sein, weil sie den Sachverhalt kennen (163–165); vgl. auch zu 183. 287–288 Kreon beruft sich auf konkrete Berichte (Page), wobei er sich als gefährdet an erster Stelle nennt. – Medea wird später tatsächlich sagen, dass sie den drei in v. 288 genannten Personen Schwierigkeiten bereiten will (366 f.). 288 Wörtl. ‚dem, der (sc. die Braut) gegeben hat, dem, der geheiratet hat, und der, die geheiratet hat‘. Nauck tilgte diesen Vers; aber die Konkretisierung entspricht Medeas späterer Aussage (366 f.). 290–291 Kreon erkennt ganz klar, dass er Medea daran hindern muss, ihre Drohungen auszuführen, indem er sie ausweist und dabei in Kauf nimmt, ihren Hass auf sich zu ziehen; entsprechend definiert er selbst seine letztendliche Nachgiebigkeit ihr gegenüber als Fehler (350 f.). 292–315 Medeas Antwort ist zweigeteilt. Im ersten Teil befasst sie sich mit dem Vorwurf, sophē zu sein (292b–305; vgl. 285), im zweiten mit den aktuellen Befürchtungen Kreons (306–315; vgl. 287–289). 292a Ausruf extra metrum. 292b–305 Medea geht nicht auf den besonders heiklen zweiten Vorwurf Kreons ein, sie kenne vieles, womit sie schaden könne (285 mit Komm.), sondern bezieht sich nur auf den ersten: Da sie nicht leugnen kann, sophē zu sein (303), ordnet sie den ihr leidvoll bekannten Vorwurf in allgemeine Überlegungen ein und ist bemüht, sich als jemand, der nicht über die Maßen sophē sei (305), von einem Verdacht erregenden Sonderstatus zu befreien, indem sie darlegt, dass jeder, der über den Durchschnitt herausragt, (zu Unrecht) Anfeindungen ausgesetzt sei. Damit versucht sie, die Befürchtung zu entkräften, es könne von ihren intellektuellen Fähigkeiten eine Gefahr ausgehen; zur Gefährlichkeit übergroßen Wissens vgl. El. 294–296 (Allan 2002, 56). – Entsprechend seinen Bedeutungsvarianten (vgl. zu 285) wird das Wort sophos (verschieden flektiert) in dieser Versgruppe folgendermaßen übersetzt: ‚außergewöhnliche‘ (295) bzw. ‚kluge Erkenntnisse‘ (298), ‚mit Wissen (begabt)‘ (299), ‚klug‘ (303; 305). Von der Funktion im Kontext gelöst, ergibt sich aus der Versgruppe das zeitlose Bild des Schicksals eines Intellektuellen. Carter (1986, 141–147) verweist auf Parallelen dieses Texts mit der Einschätzung des Philosophen Anaxagoras in Athen, Stöppelkamp (2011, 142) auf Sokrates (Platon, Apologie 20d– 23a). 292b Medea nutzt eine Formel zur Einleitung einer schon lange gewonnenen Erkenntnis oder Erfahrung; vgl. 446; 1224; Hel. 957; Isokrates, or. 7,253. 295 ‚seinen Kindern … vermitteln lassen‘, wörtl. ‚seine Kinder über das übliche Maß hinaus zu klugen (Leuten) ausbilden lassen‘.
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Erstes Epeisodion: 296–305
Denn außer dem Vorwurf des Müßiggangs, dem sie ausgesetzt sind, ernten sie vonseiten der Bürger feindseligen Hass. Denn wenn du Einfältigen neuartige kluge Erkenntnisse eröffnest, wird man dich für unbrauchbar halten und nicht mit Wissen begabt. Wenn du dagegen Leuten, die glauben, besondere Kenntnisse zu 300 haben, im Urteil der Stadt als überlegen giltst, wirst du denen als ärgerlich erscheinen. Auch ich selbst teile dieses Los: Denn da ich klug bin, bin ich den ein Gegenstand des Neids, {für die anderen bin ich untätig, noch anderen das Gegenteil davon,} den anderen bin ich unbequem; ich bin aber nicht allzu klug. 305 χωρὶς γὰρ ἄλλης ἧς ἔχουσιν ἀργίας φθόνον πρὸς ἀστῶν ἀλφάνουσι δυσμενῆ. σκαιοῖσι μὲν γὰρ καινὰ προσφέρων σοφὰ δόξεις ἀχρεῖος κοὐ σοφὸς πεφυκέναι· τῶν δ’ αὖ δοκούντων εἰδέναι τι ποικίλον κρείσσων νομισθεὶς ἐν πόλει λυπρὸς φανῇ. ἐγὼ δὲ καὐτὴ τῆσδε κοινωνῶ τύχης· σοφὴ γὰρ οὖσα, τοῖς μέν εἰμ’ ἐπίφθονος, {τοῖς δ’ ἡσυχαία, τοῖς δὲ θατέρου τρόπου,} τοῖς δ’ αὖ προσάντης· εἰμὶ δ’ οὐκ ἄγαν σοφή.
300
305
296 ἄλλης] zur Bedeutung ‚außerdem‘ usw. vgl. K.-G. I 275 Anm. 1 b | ἧς] Attraktion, statt ἧν | ἀργίας] prägnant (ἀργίαν ἔχειν ~ αἰτίαν ἀργίας ἔχειν), Κ.-G. Ι 13, 6; vgl. Eur. TrGF V F 187,4 ἀργὸς μὲν οἴκοις καὶ πόλει γενήσεται 299 ἀχρεῖος … σοφὸς] generalisierende Maskulina; vgl. auch zu 190; 314–315 301 / 303 λυπρὸς / ἐπίφθονος] vgl. Hik. 893 λυπηρὸς οὐκ ἦν οὐδ᾿ ἐπίφθονος πόλει (Tedeschi); zu λυπρὸς ist aus dem genetivus comparationis τῶν … δοκούντων (300) ein Dativ zu ergänzen 301 ἐν] vgl. LSJ s. v. I. 6 am Ende, K.-G. I 466 1 c 304 {…} Pierson (vgl. 808) – vgl. Komm. zu 303–305 | θατέρου τρόπου] Genitiv wie bei Verben des Seins, so auch bei Verben des Scheinens, Meinens und Nennens (K.-G. I 374 f., 2); vgl. 808 305 {…} Kovacs (Loeb u. 1994, 168 f.) – τοῖς μέν (303) erfordert die Fortsetzung durch τοῖς δ’ (305), nicht durch σὺ δ’ (306) | αὖ (Hss.) : ἂν : οὖν – αὖ verstärkt den Gegensatz zu τοῖς μέν (303)
Kommentar
147
296 Medea referiert offenbar ein gängiges Vorurteil gegenüber Intellektuellen, das zu ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung führt, dass sie in ihrem Bildungsstreben nichts ‚Nützliches‘ und Praktisches leisteten. Vgl. auch Euripides’ Antiope (TrGF V F 187 f.), wo Amphion vorgehalten wird, wegen seiner musischen Interessen untätig für Haus und Stadt zu sein; ähnlich vertritt der platonische Kallikles die Ansicht, Philosophie sei in der Jugend ganz schön, darüber hinaus betrieben mache sie für die Betätigung in der Gesellschaft unbrauchbar (Platon, Gorgias 484c–485e; vgl. auch Politeia 487cd). Vgl. in der römischen Tragödie auch Ennius TrRF II2 F 147 = FRL II; Pacuvius TrRF III T 9; 11. 298–299 Dem Wissenden, der nicht verstanden wird, ergeht es wie demjenigen in Platons Höhlengleichnis, der die Wirklichkeit außerhalb der Höhle gesehen hat und die uneinsichtigen Höhlenbewohner zur Sicht der Dinge draußen bewegen will (Platon, Politeia 516e–517a). 298 ‚Einfältigen‘: skaios bedeutet ‚links‘, übertragen ‚linkisch‘, ‚einfältig‘, ‚dumm‘. 300–301 ‚besondere Kenntnisse zu haben‘, wörtl. ‚etwas Verwickeltes, Subtiles (poikilon) zu wissen‘, aber auch mit der möglichen Bedeutung des Trickreichen; es geht u. a. um Leute, die später Platon ‚Schein-Weise‘ (doxosophoi) nennen wird (Phaidros 275b2). Leute, die sich selbst für klug halten, können wirklich Kluge nicht ertragen. 302–305 Mit dieser Aussage bezieht Medea in betonter Anordnung am Ende (303) und am Anfang (305) eines Verses die grundsätzliche Differenzierung in einem Chiasmus auf sich selbst, nämlich dass sie von den einen (sc. die sich selbst für klug halten, 301) wegen ihrer Klugheit beneidet wird, den anderen (sc. die Medeas Klugheit nicht verstehen, 298) unbequem ist (303– 305); vgl. Mastronarde. Indem Medea die Voraussetzung der Alternative jedenfalls teilweise zurücknimmt – sie sei nicht allzu klug –, vermeidet sie es, dass sich Kreon einer der beiden Gruppen zurechnen muss. Anders Mossman zu 302: „her argument invites Creon to decide whether she is calling him stupid or envious“. 303–305 Medea beansprucht Klugheit (im positiven Sinn), wehrt sich aber gegen den Vorwurf einer ‚Überklugheit‘, die mit intriganter Gerissenheit verbunden sein könnte. Die beiden Formen der Klugheit (sophē) stehen antithetisch am Anfang von v. 303 und am Ende von v. 305 (Stilfigur: Epanadiplosis oder Kyklos). Diese klare Struktur wird durch v. 304 gestört. Der Vers ist sicher unecht; der Text sollte wohl unter Verwendung von Elementen aus dem (vermutlich seinerseits unechten) v. 808 um ein weiteres Gegensatzpaar ergänzt werden, das den in v. 296 genannten Vorwurf des Müßiggangs aufnimmt. 304 ‚das Gegenteil davon‘, wörtl. ‚von der anderen Art‘.
148
Erstes Epeisodion: 306–315
Du hast also Furcht vor mir; dass welche Untat du erleidest? Ich bin nicht so geartet – du musst mich nicht fürchten, Kreon –, dass ich mich gegen einen Herrscher vergehen würde. Denn welches Unrecht hast du mir getan? Du gabst doch nur dem deine Tochter in die Ehe, der deinem Wunsch entsprach. Nein, es ist mein Gatte, den ich 310 hasse; du, kein Zweifel, hast dabei vernünftig gehandelt. Auch jetzt bin ich nicht neidisch, dass es um deine Sache gut steht: Habt eure Heirat, möge es euch gut gehen, doch in diesem Land lasst mich wohnen. Denn obwohl ich Unrecht erlitten habe, werde ich still sein, mich Mächtigeren fügen. 315 σὺ δ’ οὖν φοβῇ με· μὴ τί πλημμελὲς πάθῃς; οὐχ ὧδ’ ἔχει μοι, μὴ τρέσῃς ἡμᾶς, Κρέον, ὥστ’ ἐς τυράννους ἄνδρας ἐξαμαρτάνειν. σὺ γὰρ τί μ’ ἠδίκηκας; ἐξέδου κόρην ὅτῳ σε θυμὸς ἦγεν. ἀλλ’ ἐμὸν πόσιν μισῶ· σὺ δ’, οἶμαι, σωφρονῶν ἔδρας τάδε. καὶ νῦν τὸ μὲν σὸν οὐ φθονῶ καλῶς ἔχειν· νυμφεύετ’, εὖ πράσσοιτε· τήνδε δὲ χθόνα ἐᾶτέ μ’ οἰκεῖν. καὶ γὰρ ἠδικημένοι σιγησόμεσθα, κρεισσόνων νικώμενοι.
310
315
306 οὖν : αὖ – Es wird durch δ᾿ οὖν nicht nur ein wichtiger Punkt hervorgehoben, sondern auch Kreons δέδοικά σ’ (282) wieder aufgenommen (GP 462); αὖ könnte aus v. 305 eingedrungen sein. | (μὴ) τί +Murray : (μή) τι (Hss.) – μὴ leitet wegen des Konjunktivs πάθῃς nicht eine Frage, sondern einen vom Begriff des Fürchtens abhängigen Satz ein, bei dem sich die Frage allein aus τί ergibt. 307 ἔχει μοι : +ἔχοιμι – Fehler wie in v. 723; nur eine Feststellung ist hier sinnvoll, nicht ein Wunsch. 308 τυράννους ἄνδρας] Die Wendung ist vermutlich nach dem Muster ἀνὴρ τύραννος, ἀνὴρ στρατηγός usw. zu verstehen (K.-G. I 272), wenngleich ἀνήρ normalerweise voransteht, vgl. aber Theognidea 1204 τύραννος ἀνήρ. 309 σὺ γὰρ τί : τὶ γὰρ σύ (Hss.) – τὶ γὰρ σύ ist eine Normalisierung der emphatischeren Wortstellung σὺ γὰρ τί. | ἠδίκηκας (Hss.) : ἠδίκησας – Das Perfekt signalisiert, dass kein Unrechtszustand vonseiten Kreons gegenüber Medea bestehe. | ἐξέδου] Gewöhnlich steht in dieser Bedeutung das Aktiv (LSJ s. v. I. 2. a); das Medium betont vielleicht das Interesse Kreons (Mastronarde). 310 ἀλλ’] (GP 3 [iii]) hier nach rhetorischer Frage (σὺ … ἠδίκηκας; 309) statt nach einem verneinten Satz (GP 5 [e]) 311 οἶμαι] Damit kann eine gewisse Wahrscheinlichkeit (wie z. B. 331), aber auch wie hier eine zwar vorgespiegelte, jedoch gegenüber dem Adressaten als unzweifelhaft ausgewiesene Gewissheit ausgedrückt werden; vgl. Collard 2018, 61 zum parenthetischen Gebrauch von οἶμαι: „by characteristic Attic understatement, it generally means ‘no doubt’ or ‘of course’ “. 313 πράσσοιτε Hss. : πράσσοντε Hermann – vgl. Komm. zu 309–313a 314 καὶ γὰρ] καί in der Bedeutung ‚even‘ (GP 108 [I. (i)]), vgl. 463; 1249 314–315 ἠδικημένοι … νικώμενοι] obwohl Medea nur von sich spricht (poetischer Plural), steht bei den Tragikern die „Maskulinform, als die allgemeinere Bezeichnung der Persönlichkeit überhaupt“ (K.-G. I 83, 2) 315] ‚Dreiwort-Trimeter‘ an betonter Stelle (Marcovich 1984, 76 f.)
Kommentar
149
306–315 Nachdem Medea dargelegt hat, dass der Besitz von Klugheit eher eine Last für die Betroffenen sei (292–305), geht es ihr nun um die Entkräftung der durch ihre angebliche Klugheit ausgelösten konkreten Befürchtungen Kreons. 306 ‚Untat‘: das griechische plēmmelēs bedeutet eigtl. ‚außerhalb der Melodie (melos)‘, dann überhaupt ‚fehlerhaft‘, ‚sich vergehend‘, ‚schlimm‘, hier substantiviert. 307–308 ‚Ich bin nicht so geartet‘, wörtl. ‚Nicht so verhält es sich für mich‘. – Isoliert betrachtet könnte der Satz auch bedeuten: ‚Ich bin nicht in der Lage, gegen einen Herrscher vorgehen zu können (d. h. aus temporärer Schwäche, aber grundsätzlich mit dem Willen, es zu tun)‘; aber durch die folgende Begründung (309–311) wird klar, dass sie Kreon vermitteln will, sie habe kein Motiv (vgl. Mastronarde zu 307). Der bleibt allerdings misstrauisch (316 f.), und Medea hat tatsächlich Gründe, auch gegen Kreon vorzugehen (367; 400). Dass sie bereits einem anderen Herrscher, Pelias, den Tod bereitet hat, wissen die Zuschauer (9 f.; vgl. Roisman 2021, 217). Euripides lässt Kreon jedoch nicht mit diesem Sachverhalt argumentieren, sondern nur mit allgemeiner Furcht, vielleicht weil Kreons teilweises Nachgeben so noch eher nachvollziehbar ist, als wenn er Kreon ausdrücklich auf den Mord an Pelias hätte verweisen lassen. 308 ‚einen Herrscher‘, im Griechischen poetischer Plural, wobei tyrannos zweifellos in neutralem Sinn verwendet ist (vgl. auch zu 119). 309–313a Kreon solle sich nicht fürchten, weil sie, wie Medea vorgibt, ihm gegenüber kein Motiv habe, sich zu rächen, da ihm die Verheiratung seiner Tochter nicht vorzuwerfen sei, sie schmeichelt ihm sogar wegen seiner Vernünftigkeit. Es sei nur ihr Gatte, den sie hasse (310 f.). Früher hatte Medea auch die neue Frau verflucht (163–165), wie die Zuschauer wissen; das wird nun unterdrückt. Jetzt lässt Euripides sie so tun, als finde sie sich mit den eingetretenen Verhältnissen ab und wünsche allen Beteiligten alles Gute. 310 ‚der deinem Wunsch entsprach‘, wörtl.: ‚zu dem dein thymos (dein Inneres / dein Herz) dich führte‘. 313a ‚Habt eure Heirat‘ (d. h.: ‚Ich will mich mit eurer Heirat zufrieden geben‘), eigtl. ‚Heiratet‘, aber die Fakten sind schon geschaffen. 313b–314a Zwischen die Akzeptanz der neuen Ehe (309–313a) und die Versicherung, sich trotz des erlittenen Unrechts fügen zu wollen (314b–315), schiebt Medea das Ansinnen ein, um das es ihr geht: In Korinth bleiben zu können; nur so ergibt sich für sie eine Möglichkeit zur Rache (364–367). 314b–315 Der Chor und die Zuschauer müssen nicht bis zu den vv. 364– 367; 395–406 (368–375 sind vermutlich unecht) warten, um zu erkennen, dass sich Medea in ihrer Antwort an Kreon verstellt hat; denn sich Mächtigeren zu fügen (wie es Medea in ihrer späteren Trugrede [873–893, bes. 875] impliziert), schlösse auch eine Aktion gegen Iason aus, die sie jedoch – unter Billigung des Chores – entschieden vorhat (259–266). Was Medea nur vorgibt, entspricht der Haltung der Ismene in Sophokles’ Antigone, wonach Frauen gegen Männer nicht aufbegehren können, zumal sie von Stärkeren beherrscht sind (61–64); vgl. Tedeschi.
150
Erstes Epeisodion: 316–323
Kr.
Deine Worte sind – zum Anhören – beruhigend, aber dass du im Herzen gegen mich etwas Böses planst, davor habe ich Furcht. Und umso weniger als zuvor habe ich Vertrauen zu dir! Denn vor einer jähzornigen Frau – und ebenso vor einem Mann – kann man sich leichter vorsehen als vor einer verschwiegenen 320 schlauen. Los, geh so schnell wie möglich weg, lass das Reden! Denn mein Entschluss steht fest, und du kannst durch nichts bewirken, dass du bei uns bleiben wirst, da du mir feindlich gesinnt bist.
Κρ.
λέγεις ἀκοῦσαι μαλθάκ’, ἀλλ’ ἔσω φρενῶν ὀρρωδία μοι μή τι βουλεύσῃς κακόν. τοσῷδε δ’ ἧσσον ἢ πάρος πέποιθά σοι· γυνὴ γὰρ ὀξύθυμος, ὡς δ’ αὔτως ἀνήρ, ῥᾴων φυλάσσειν ἢ σιωπηλὸς σοφή. ἀλλ’ ἔξιθ’ ὡς τάχιστα, μὴ λόγους λέγε· ὡς ταῦτ’ ἄραρε κοὐκ ἔχεις τέχνην, ὅπως μενεῖς παρ’ ἡμῖν οὖσα δυσμενὴς ἐμοί.
320
316 ἀκοῦσαι] Infinitiv Aktiv, wo man im Deutschen Passiv wählen würde (K.-G. II 15 Anm. 13) | μαλθάκ᾿] „having the quality of gentleness or mildness; (of a voice, words, utterances) soft, gentle mild, soothing“ (CGL s. v. μαλθακός 5) | ἔσω φρενῶν] als Gegensatz zu den nach außen gesprochenen Worten zu βουλεύσῃς (317) zu ziehen, nicht zu ὀρρωδία μοι (sc. ἐστί) | ἔσω Brunck : εἴσω +Hss. – vgl. zu 89 317 ὀρρωδία] vgl. TrGF V F 908,6; Ion 403; Phoin. 1389 (vielleicht unecht). Dass das bei den Tragikern lediglich bei Euripides vorkommende Wort nur „ e x t r e m e fear“ (meine Hervorhebung) bedeute (Mastronarde), ergibt sich aus den Belegen nicht generell. | βουλεύση(ι)ς +Hss. : βουλεύῃς Elmsley – Kreon fürchtet einen konkreten Plan (282 f. δράσῃς; vgl. auch 37), nicht allgemeine Überlegungen; daher spricht nichts gegen die Überlieferung. 318 δ’ +(Hss.) : γ᾿ – Ein Anschluss mit δέ liegt hier näher als ein Asyndeton. 319–320 {…} F. W. Schmidt, Müller 1951, 80 – Die recht subjektive und z. T. unzutreffende (σιωπηλός gebe es erst seit Kallimachos, vgl. aber zu 320) Begründung Müllers kann eine Athetese nicht zureichend plausibel machen; vgl. auch Christmann 1962, 53–57, u. Komm. 319 ὡς δ’ αὔτως] statt ὡσαύτως bei Eur. nur noch Andr. 673 mit denselben Worten (ὡς δ’ αὔτως ἀνήρ), sonst nicht bei den Tragikern, sondern vor allem in ionischer Dichtung und Prosa, aber auch bei Xenophon und Platon 320 σιωπηλὸς] Das Wort ist im klassischen Griechisch noch für Aristonymos belegt (fr. 6 K.A. [PCG II]). | σοφή Diggle : σοφός +Hss. – σοφός ist nach σιωπηλὸς leicht als Verschreibung zu erklären, und der Fokus der Aussage liegt klar auf der Frau (nicht auf dem parenthetisch eingeführten Mann); vgl. Diggle 1994, 260–262, der auch den Gebrauch von σιωπηλός als Adj. zweier Endungen rechtfertigt. Alternativ müsste man σοφός als generalisierendes Maskulinum erklären; vgl. zu 190 u. Mastronarde. | σιωπηλὸς σοφή] Das σοφή-Sein ist es, das Kreon fürchtet (285) und das durch die augenblickliche Zurückhaltung (σιωπηλὸς) Medeas für ihn nur kaschiert wird. 322 ὡς ταῦτ’ ἄραρε] vgl. Andr. 255 ὡς τοῦτ’ ἄραρε 323 μενεῖς : μένη(ι)ς (Hss.) – Kreon benennt, was sich aus dem übergeordneten Verbum faktisch ergibt, daher der Indikativ μενεῖς; die Aussage ist nicht aus „dem Geiste des Subjekts“ gesprochen, was den Optativ erforderte (K.-G. II 372).
Kommentar
151
316–323 Kreon bleibt gegenüber der plötzlichen Friedfertigkeit Medeas skeptisch, lässt sich durch ihre rhetorischen Künste nicht umstimmen, ist im Gegenteil umso misstrauischer und bleibt bei seiner bedingungslosen Ausweisung. 316 ‚beruhigend‘: Mit malthakos (‚weich‘, ‚sanft‘) wird Medea später die Worte charakterisieren, mit denen sie Iason umgarnen will (776); vgl. Martina III. 319–320 Mit einer allgemein gültigen Erfahrung begründet Kreon seine Furcht vor der so sanft auftretenden Medea: Die von einem jähzornigen Menschen ausgehende Gefahr ist erkennbar, nicht aber die von einem, der ‚schlau‘ genug ist, seine Absichten zu verschweigen. Er verwendet das für Medea kennzeichnende Wort sophē im negativen Sinn. Zwar redet Medea friedfertig, jedoch ist für Kreon seine Befürchtung entscheidend, dass sie in ihrem Inneren etwas Schlimmes gegen ihn plant (316 f.), also ihre wahren Absichten nicht kundtut. 322 ‚mein Entschluss‘, im Griechischen steht nur ‚diese (Dinge)‘, nämlich, dass Medea auf jeden Fall das Land verlassen muss (321). ‚steht fest‘, wörtl. ‚ist fest gefügt‘, dann übertragen von Sachverhalten, die sicher feststehen. Vgl. 414; 745. ‚du kannst durch nichts bewirken‘: ‚du verfügst nicht über eine / hast keine technē‘. LSJ s. v. I. 3 geben diese Bedeutung von technē wieder als „way, manner, or means whereby a thing is gained, without any definite sense of art or craft“. Denkbar ist nach v. 321b auch, dass speziell das Mittel / die Kunst der Rede gemeint ist (Mossman).
152
Erstes Epeisodion: 324–327
Medea kniet vor Kreon nieder, umfasst seine Knie und ergreift seine Hand. Me. Kr. Me. Kr.
Tu’s nicht, bei deinen Knien und der neuvermählten Tochter! Du redest umsonst; denn niemals würdest du mich überzeugen. Was? Du willst mich verbannen und meine Bitten nicht achten? Ja, denn ich liebe dich nicht mehr als meine Familie.
Μη. Κρ. Μη. Κρ.
μή, πρός σε γονάτων τῆς τε νεογάμου κόρης. λόγους ἀναλοῖς· οὐ γὰρ ἂν πείσαις ποτέ. ἀλλ’ ἐξελᾷς με κοὐδὲν αἰδέσῃ λιτάς; φιλῶ γὰρ οὐ σὲ μᾶλλον ἢ δόμους ἐμούς.
325
325
324 μή, πρός σε γονάτων] vgl. Tro. 1042; zu μή ist z. B. τοῦτο (336) δράσῃς, zu πρός σε γονάτων z. B. ἱκετεύω zu ergänzen (K.-G. I 330); zur Stellung des enklitischen σε nach dem ersten Wort des Satzes vgl. Schwyzer I 388. | γονά(των), νεο(γάμου)] Zwei aufgelöste Längen in einem Vers (Medeas Erregtheit anzeigend, Mastronarde) sind in den früheren Tragödien des Euripides selten; vgl. noch 710; 1322 (Page). 326 ἀλλ’] Einleitung eines unwilligen Einwandes in Form einer Frage (GP 8 [ii]; K.-G. II 528, 9) 327 οὐ] zur Stellung der Negation vgl. zu 83
Kommentar
153
324–356 Nachdem Medea Kreon nicht bereden konnte, bleiben zu dürfen, greift sie zum Ritual der Hikesie, um, wie sie zu ihm sagt, einen Aufschub zur Vorbereitung des Gangs in das Exil zu erreichen; später lässt sie erkennen, dass sie den Aufschub für ihre Rache benötigt (364–367; 395–406 [368–394 sind vermutlich unecht]). Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Hikesie zunächst (324–335) nur ‚figurativ‘ ist (vgl. Gould 1973, 77), d. h. Medea sich nur der Terminologie einer Hikesie bedient, aber noch nicht in physischen Kontakt mit Kreon tritt, sondern das erst ab v. 336 tut, oder ob die echte Hikesie (mit physischem Umfassen der Knie des Angeflehten [324] und Ergreifen seiner Hand [vgl. 339]) bereits v. 324 beginnt. Die erste Möglichkeit wird vor allem damit begründet, dass Kreon in v. 325 nur zurückweise, Medea könne bei ihm etwas mit Worten erreichen wollen (Gould, ebd. 85, dem Kaimio 1988, 51, Mastronarde, 255 f., und Mossman, 247 f., folgen). Andererseits fühlt sich Kreon spätestens ab v. 333 bedrängt; denn sein Wunsch, dass Medea weggehen und ihn von der Qual befreien solle, gleich verstärkt durch die Androhung, die Diener würden Medea wegstoßen, nachdem Medea nicht reagiert hat, ergibt sonst wenig Sinn (333–335). Würde sie nicht seine Knie umfassen, könnte er selbst weggehen und es beim sofortigen Ausweisungsbefehl belassen. Offenbar beginnt die physische Hikesie vor v. 336 (vgl. Luschnig 2007, 125 f.), wahrscheinlich also gleich bei v. 324 (vgl. Martina III zu 324; van Looy; Kovacs). 324–339 Der für Medeas Anliegen entscheidende Abschnitt der Szene ist als erregte Stichomythie gestaltet. Vgl. auch Schwinge 1968, 68–70. 324 ‚bei deinen Knien‘ sc. flehe ich dich an. So umfasst Thetis in Homers Ilias mit ihrer linken Hand Zeus’ Knie und greift ihm mit ihrer rechten ans Kinn, um Genugtuung für die Entehrung ihres Sohns Achill durch Agamemnon zu erbitten (1,500–510; vgl. Gould 1973, 75–77). – Bei figurativer Hikesie wäre die Nennung der Knie ein bloßer verbaler Rest einer echten. ‚der neuvermählten Tochter‘: Die Nennung von etwas, das dem Angeflehten besonders lieb ist, kann die Hikesie ergänzen; so fleht Hektor Achill bei dessen Leben, seinen Knien und seinen Eltern an (Homer, Ilias 22,338). Da der von Achills Lanze getroffene, sterbende Hektor Achill nicht physisch berühren kann, ist die Stelle ein Beleg dafür, dass die Kombination von Knien und Anflehen einer genannten Person ‚figurativ‘ möglich ist (vgl. Gould 1973, 81 Anm. 42; 85 Anm. 57), was nicht heißt, dass das auch hier der Fall sein muss. 326 ‚meine Bitten nicht achten‘: Medea wirft Kreon vor, dass er den Respekt, die Scheu (aidōs), die der Bittflehende vom Angeflehten erwartet, nicht hat. Vgl. z. B. Phaidra, die gegenüber der Hikesie ihrer Amme schließlich nachgibt, was sie mit der Scheu gegenüber der sie berührenden Hand der Amme begründet (Hipp. 325; 335). Vgl. Gould 1973, 85–90. 327 Dem Vorwurf der Nichtachtung der Hikesie begegnet Kreon mit dem Verweis darauf, dass ihm seine Familie (wörtl. ‚meine Häuser‘ [poetischer Plural], vgl. zu 76–77), d. h. deren Unversehrtheit, wichtiger sei als Medeas Anliegen. Zur Herkunft Kreons vgl. zu 405.
154 Me. Kr. Me.
Erstes Epeisodion: 328–333
Kr.
Mein Vaterland, wie sehr denke ich jetzt an dich! Ja, mir außer den Kindern bei weitem das Liebste. Weh, weh, die Liebesleidenschaft, welch großes Unglück ist sie für die Menschen! Das hängt, glaube ich, jeweils von den Umständen ab. Zeus, möge dir der an meinem Leid Schuldige nicht verborgen bleiben! Geh weg, du Törichte, und befreie mich von dieser Quälerei!
Μη. Κρ. Μη. Κρ. Μη. Κρ.
ὦ πατρίς, ὥς σου κάρτα νῦν μνείαν ἔχω. πλὴν γὰρ τέκνων ἔμοιγε φίλτατον πολύ. φεῦ φεῦ, βροτοῖς ἔρωτες ὡς κακὸν μέγα. ὅπως ἄν, οἶμαι, καὶ παραστῶσιν τύχαι. Ζεῦ, μὴ λάθοι σε τῶνδ’ ὃς αἴτιος κακῶν. ἕρπ’, ὦ ματαία, καί μ’ ἀπάλλαξον πόνων.
Kr. Me.
330
330
329 γὰρ] begründet die Zustimmung zur vorausgehenden Aussage (GP 73 f.) | ἔμοιγε Hss. : κἄμοιγε Bothe – Medea hat nicht gesagt, dass ihr die Heimat das Liebste sei, sodass Bothes Änderung zwar möglich, aber nicht zwingend ist | φίλτατον] Neutrum, weil πατρίς (328) als etwas Allgemeines aufgefasst wird (K.-G. I 58 f.) 330 βροτοῖς … ὡς … μέγα] Vgl. zu diesem Typus des Ausrufs mit nachgestellter Partikel Biraud et al. 2021, 41 f. 331 vgl. Tro. 1052 ὅπως ἂν ἐκβῇ τῶν ἐρωμένων ὁ νοῦς | ἄν] Der Aorist und die Betonung des Faktischen (καὶ) weisen auf einen Eventualis. 332 λάθοι +(Hss.) : +λάθη – Gebet (λάθοι) ist hier passender als ein Befehl (λάθῃ), vgl. Page. | ὃς] kann hier einen indirekten Fragesatz einleiten und wäre dann als οἷος zu verstehen (K.-G. II 438, 4) oder einen Relativsatz mit zu substituierendem Bezugswort; vgl. Komm. 333 ἕρπ’ +Hss. : ἔρρ᾿ Valckenaer – Anders als Iason in v. 1346 flucht Kreon hier nicht (Page), sondern will Medea nur wegschicken.
Kommentar
155
328–333 Nach Kreons Zurückweisung beginnt Medea zu klagen und spricht (laut) zu sich selbst (328; 330) bzw. ruft Zeus an (332); die Aussagen wirken resignativ. Obwohl nicht an ihn gerichtet, kommentiert sie Kreon trotzdem (329; 331), sodass äußerlich der Dialog aufrechterhalten scheint, der sich nach der direkten Anrede Kreons an Medea (333) als unmittelbarer Dialog fortsetzt. Vgl. auch Mastronarde. 328 Das Stichwort ‚Familie‘ löst bei Medea das Bedauern darüber aus, welchen Rückhalt sie durch das – von ihr zu verantwortende – Verlassen ihrer Heimat verloren hat; vgl. 34 f.; 255. 329 Zur Wertschätzung von Kindern, Eltern und Vaterland (in dieser Reihenfolge) vgl. Hik. 506 f. – Dass Medea aufgrund von Kreons Hochschätzung von Kindern die erste Anregung zum Kindermord erfahre (so Schlesinger 1966, 42), ist wenig wahrscheinlich. In ihren Rachevorstellungen in den vv. 365–367 und 399 f. spielen die Kinder keine Rolle, und noch in v. 513 setzt Medea voraus, dass sie zusammen mit den Kindern in die Verbannung gehen werde; vielmehr liegt hier ein Ausgangspunkt für Medeas Taktik, bei Kreon Mitleid für ihre Kinder zu erregen (340 ff.); vgl. auch Mossman. 330 Medea dürfte (nach v. 328) vor allem ihre Liebe zu Iason meinen (vgl. 8), die sie von der Heimat fortgetrieben und ihr am Ende nur Leid gebracht hat. Vielleicht denkt sie auch an die von ihr angenommene Liebesleidenschaft Iasons zur Tochter Kreons (623 f.); vgl. Page. – Vgl. zur Aussage Medeas die Ansichten des Chores in den vv. 638–644. Gemeint sind Liebesverhältnisse, die zur Katastrophe führen können. Es geht hier nicht um die grundsätzliche Ambivalenz des Eros als z. B. ‚bittersüß‘ (Sappho, fr. 130,2 Voigt = Neri) oder ‚zugleich sehr angenehm und schmerzlich‘ (Hipp. 347 f.). 331 Kreon stimmt dieser Einschätzung nicht uneingeschränkt zu, sondern setzt Glück oder Unglück in Relation zu den Gegebenheiten (vgl. Tro. 1052). Gewiss erwartet er für seine Tochter einen guten Ausgang. 332 Medea geht es nicht um zufällige Umstände, sondern für sie ist eine Schuldzuweisung möglich (vgl. Mossman). – Der Vers kann so verstanden werden, wie er in der Übersetzung aufgefasst ist (im Griechischen Relativsatz) oder so: ‚Zeus, möge es dir nicht verborgen bleiben, wer (im Sinn von ‚was für einer‘) an meinem Leid schuld ist‘ (indirekter Fragesatz). Im ersteren Fall wirkt der Rachewunsch direkter und drohender, und so scheint ihn auch Kreon in seiner Reaktion zu verstehen, wenn er Medea barsch von sich weist (333). – Medea wird bei dem Rachewunsch an Iason gedacht haben (vgl. 261), doch auch Kreon muss sich zumindest mitgemeint fühlen, da er durch ihre Drohungen gegen sich weiß, dass sie ihn für schuldig hält, und sie durch die Verbannung ins Unglück stürzt. 333 Kreon sieht sich durch Medeas Äußerung angegriffen und spricht sie nun wieder unmittelbar an, um sie ‚loszuwerden‘ (vgl. auch zu 324–356). ‚du Törichte‘: weil Medea glaubt, Kreon erweichen zu können. Vgl. auch zu 152.
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Erstes Epeisodion: 334–339
Me. Kr.
Ich bin es, die Qualen leidet, und brauche nicht (noch mehr) davon! Gleich wirst du von Diener-Armen weggestoßen werden mit Ge- 335 walt! Tu das doch nicht, vielmehr flehe ich dich an, Kreon! Du willst mir Ärger machen, wie es scheint, Frau. In die Verbannung werde ich gehen; nicht das will ich durch mein Flehen von dir erlangen. Warum denn bedrängst du mich noch und lässt nicht von meiner Hand?
Me. Kr. Me. Kr.
Μη. Κρ. Μη. Κρ. Μη. Κρ.
πονοῦμεν ἡμεῖς κοὐ πόνων κεχρήμεθα. τάχ’ ἐξ ὀπαδῶν χειρὸς ὠσθήσῃ βίᾳ. μὴ δῆτα τοῦτό γ’, ἀλλά σ’ ἄντομαι, Κρέον. ὄχλον παρέξεις, ὡς ἔοικας, ὦ γύναι. φευξούμεθ’· οὐ τοῦθ’ ἱκέτευσά σου τυχεῖν. τί δ’ αὖ βιάζῃ κοὐκ ἀπαλλάσσῃ χερός;
335
334 πονοῦμεν ἡμεῖς κοὐ πόνων κεχρήμεθα Hss : † … † Diggle im Text : πονεῖς μέν, ἠμεῖς δ᾿ οὐ πόνοις κεχρήμεθα; Diggle im Apparat, weitere Vorschläge im Apparat von van Looy – vgl. Komm. 335 τάχ’] kann eine nicht ausgeführte Drohung einleiten, vgl. z. B. Hel. 452; IA 311 | ὀπαδῶν] vgl. zu 53 336 μὴ δῆτα] kann in „Passionate negative commands and wishes“ gebraucht werden (GP 276 [2]) | ἀλλά Hss. : ἄλλα Wieseler | ἄντομαι Wecklein 1909, 131 (vgl. 709; 942 [bei Konjektur ἄντεσθαι]; Alk. 1098) : αἰτοῦμαι Hss. – αἰτοῦμαι hat hier kein Objekt. Man könnte es herstellen, indem man mit Wieseler ἄλλα schreibt (so z. B. Tedeschi), oder man könnte mit van Looy nach Κρέον drei Punkte setzen und damit andeuten, Medea sei unterbrochen worden und der Satz nicht zu Ende. Aber es passt in den Kontext viel besser, wenn Medea zunächst als Reaktion auf die Gewaltandrohung nur ihre physische Hikesie (338 f.) bezeichnet, zumal sie zuerst lediglich sagt, was sie nicht mehr verlangt (338), und erst ab v. 340 ihre neue Bitte vorträgt. ἄντομαι ist, wie die Parallelen zeigen, der treffende terminus technicus, vgl. Diggle 1994, 283 f. 337 ὄχλον παρέξεις] Zu dieser Bedeutung von ὄχλος („annoyance, trouble“) vgl. LSJ s. v. II, die Wendung ist wohl kolloquial (Collard 2018, 122). | ἔοικας] Unpersönliche Ausdrücke (wie ὡς ἔοικε) können persönlich, auf das Subjekt des Hauptsatzes bezogen, gebraucht werden (K.-G. II 494, 6). 338 τοῦθ’ … σου τυχεῖν] τυγχάνω hier mit Akkusativ der Sache und (separativem) Genitiv der Person wie Soph. OC 1168; vgl. Page und LSJ s. v. Β. ΙΙ. 2. b-c | ἱκέτευσά] zum Aorist vgl. zu 64 u. 223 339 δ’ αὖ (Hss.) : δ᾿ οὖν : δὴ Elmsley : δαὶ Housman – δ’ αὖ dient zum Ausdruck des Unwillens über die Wiederholung, wenn auch nicht derselben, so doch einer ähnlichen Sache (K.-G. II 278, 1), d. h., Kreon stört sich daran, dass die Hikesie immer weitergeht, obwohl er den Grund für entfallen hält. | χερός Wilamowitz 1875, 247 f. : χθονός Hss. – vgl. Komm. und Hipp. 325 (τί δρᾷς; βιάζῃ, χειρός ἐξαρτωμένη;); Gould 1973, 85 Anm. 5; Mastronarde; anders van Looy, Martina (χθονός)
Kommentar
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334 ‚Ich‘: Im Griechischen poetischer Plural (‚wir‘), aber auch ein echter Plural (‚ich und die Kinder‘) ist nicht auszuschließen. – Der Satz (wörtl.: ‚wir werden gequält und brauchen keine Qualen‘) bedeutet, dass die Qualen auf Medeas, nicht Kreons Seite seien; daher habe sie keinen Bedarf an weiteren Qualen, wie die eben durch den erneuten Ausweisungsbefehl zugefügten. So verstanden hat die Aussage nichts Tautologisches, und es gibt daher keinen Grund, den Text für korrupt zu halten (Diggle) oder ihn zu ändern; vgl. auch Page und Mastronarde. 335 Kreon wird durch den Widerspruch gereizt, er will dem Gespräch und vermutlich dem Bedrängt-Sein vom Hikesie-Gestus durch Anwendung von Gewalt ein Ende machen. Das führt bei Medea zu einer Intensivierung ihres Flehens (336) und letztlich zu einer Änderung ihrer Taktik: Sie will nicht mehr die Aufhebung der Verbannung verlangen (338), sondern ‚nur‘ Aufschub um einen Tag (340 ff.). 337 ‚Ärger machen‘: wohl ein umgangssprachlicher Ausdruck. 338 ‚das‘: nicht in die Verbannung zu gehen. – Medea erreicht mit ihrer neuen Taktik, dass Kreon die angedrohte Gewaltanwendung nicht konsequent in die Tat umsetzt. 339 Kreon äußert unwillige Ungeduld und hat offenbar Medeas Aussage (338) so missverstanden, dass sie in die Verbannung einwilligt und überhaupt nichts mehr von ihm erbitten wolle. ‚bedrängst‘: Der körperliche Kontakt mit dem Bittflehenden wird geradezu als Gewaltanwendung empfunden. So fühlt auch Phaidra im Hippolytos (325; Text in TS). Medea hält offenbar eine Hand Kreons fest (vermutlich die rechte; vgl. 496). ‚lässt nicht von meiner Hand‘: ‚Hand‘ ist eine Konjektur von Wilamowitz, überliefert ist ‚Land‘, was bedeuten würde, dass Kreon sich verwunderte, warum Medea nach ihrer Einwilligung (338) mit der Hikesie fortfährt und nicht zur Tat schreitet. Sie hatte aber deren Zielsetzung verändert (‚nicht d a s will ich … von dir erlangen‘), was er nicht in sich aufgenommen hat. Sein Unverständnis wird mit der Konjektur von Wilamowitz besonders deutlich, indem ‚nicht d a s will ich … von dir erlangen‘ als negatives Pendant (vgl. zu 90–91) die Frage ‚Warum denn bedrängst du mich’ verstärkt.
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Erstes Epeisodion: 340–347
Me.
Diesen einen Tag lang lass mich hier bleiben 340 und mit meinen Überlegungen zu Ende kommen, wie wir in die Verbannung gehen, und meinen Kindern Unterhalt verschaffen, da der Vater es völlig vernachlässigt, etwas für die Kinder zu tun. Hab Erbarmen mit ihnen. Auch du bist doch ein Vater von Kindern, und es ist natürlich, wenn du ihnen zugetan bist. 345 Um meine Lage sorge ich mich nicht, wenn ich in die Verbannung gehe, sie aber beklage ich, dass sie Not leiden.
Μη.
μίαν με μεῖναι τήνδ’ ἔασον ἡμέραν καὶ ξυμπερᾶναι φροντίδ’, ᾗ φευξούμεθα, παισίν τ’ ἀφορμὴν τοῖς ἐμοῖς, ἐπεὶ πατὴρ οὐδὲν προτιμᾷ μηχανήσασθαι τέκνοις. οἴκτιρε δ’ αὐτούς· καὶ σύ τοι παίδων πατὴρ πέφυκας· εἰκὸς δέ σφιν εὔνοιάν σ’ ἔχειν. τοὐμοῦ γὰρ οὔ μοι φροντίς, εἰ φευξούμεθα, κείνους δὲ κλαίω συμφορᾷ κεχρημένους.
340
345
340–342 μίαν με … ἀφορμὴν τοῖς ἐμοῖς] Von ἔασον sind die Infinitive μεῖναι und ξυμπερᾶναι abhängig, von ξυμπερᾶναι die Objekte φροντίδ’ und ἀφορμὴν. ξυμπεραίνειν ~ ‚ausführen‘ (vgl. 887), d. h., sowohl die Überlegungen zu Ende führen als auch für die Kinder organisieren, wovon sie leben können („‘start in life’ “, Page). 341 ᾗ Hss. : οἷ Elmsley – vgl. Komm. 343 προτιμᾷ μηχανήσασθαι τέκνοις Hss. : προτιμᾷ, μηχανήσασθαί τινα Earle, Kovacs – Der Text ist auch ohne eine Interpunktion nach προτιμᾷ sinnvoll, und τινα stünde ungewöhnlich weit weg von ἀφορμὴν (342); vgl. Mastronarde. 344 τοι] GP 540 f. (4): „Hortatory, deprecatory, persuasive, soothing, or remonstrating“ (hier vielleicht ‚remonstrating‘, Page; ‚soothing and persuasive‘, Mastronarde) 345 δέ σφιν Vitelli : δ᾿ ἐστὶν Hss. – εἰκός bei Euripides sonst immer ohne ἐστί (das gedanklich ergänzt werden muss), aber εὔνοιάν σ’ ἔχειν braucht ein Objekt. | Der Vers wurde von Nauck getilgt; vgl. Komm. 346 τοὐμοῦ] vgl. 312 τὸ … σὸν | φευξούμεθα] nach τοὐμοῦ und μοι als poetischer Plural aufzufassen, zum Futur im Konditionalsatz (auch 352) vgl. MT 447
Kommentar
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340–347 Mit der Bitte um den auf einen Tag begrenzten Aufschub der Verbannung konkretisiert Medea das, was sie von Kreon erflehen will (338). Dass sie diesen Aufschub aus Sorge um die Kinder erbittet, ist offenkundig als ein Mittel zu verstehen, über das mögliche Mitleid Kreons die Gewährung der Bitte zu erreichen. 341 ‚wie‘: Man würde erwarten ‚wohin‘, was Elmsley konjiziert hat, aber die Korruptel wäre nicht leicht erklärbar. Die Aussage hier ist allgemeiner: Medea begründet ihre Bitte damit, Zeit für die Überlegung zu benötigen, wie, d. h. auf welche Weise, unter welchen Umständen, sie den Gang ins Exil mit den Kindern organisieren kann, was das Finden eines Ortes mit einschließt. Dass sie den Aufschub für ihre Racheabsicht nutzen möchte, ist auch unabhängig davon, ob die vv. 364–375 echt sind oder nicht (vgl. zu 364–409; EK, S. 414–417), wahrscheinlich. Ob ihre Formulierung als solche schon zweideutig ist (Martina III zu 340–3), scheint weniger sicher. – Von den weiteren Bedeutungen, die Mastronarde für möglich hält (‚by what road we shall go into exile‘ und ‚in what manner we shall live in exile‘), setzt die erste ein Ziel voraus, dann könnte Medea gleich ‚wohin‘ sagen, die zweite wäre für Kreon angesichts der Bitte um nur einen Tag Aufschub nicht glaubhaft. 342b–343 Dass sich Iason nicht um die Kinder kümmere, behauptet Medea (einen entsprechenden Eindruck von Iason hatten auch die Amme und der Paidagogos gewonnen, 74–77), und Kreon widerspricht nicht. Tatsächlich hat Iason ihre Verbannung nicht verhindert (vgl. zu 273), er wird aber seine Hilfe anbieten (459–463; 610–613), die Medea allerdings zurückweist (616–618). 343 ‚es völlig vernachlässigt‘, wörtl. ‚es in keiner Weise als vorrangig betrachtet‘. 344 ‚Vater von Kindern‘: Der Plural dürfte generalisierend sein; es kommt Medea nur darauf an, dass auch Kreon ein Vater ist (vgl. auch 329). Eine Anspielung auf einen Sohn Hippotes, von dem Diodor 4,55,5 und das Scholion zu Med. 19 wissen (vgl. auch Pacuvius TrRF III F 146; Hygin, Fabulae 27,2–5), ist kaum anzunehmen. In der Medea liegt wohl eine andere Tradition vor, da ein Sohn von Kreon in diesem Drama keine Rolle spielt. 345 Die Echtheit des Verses ist angezweifelt worden (Nauck), und man könnte ihn als nicht notwendigen Zusatz verstehen, aber mit dem Hinweis auf die natürliche Fürsorge für Kinder wird Medeas Fürsorge um so glaubwürdiger. 346 Medeas Behauptung, dass sie sich um ihre eigene Lage als Exilantin keine Sorgen mache, müsste angesichts ihrer früheren dringenden Bitte (313 f.), im Land bleiben zu dürfen, bei Kreon Skepsis hervorrufen; die Aussage ist der Fokussierung auf die Kinder geschuldet.
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Erstes Epeisodion: 348–359
Kr.
Bestimmt habe ich kein herrisches Wesen, aber aus Rücksicht habe ich gewiss schon oft Schaden angerichtet. Auch jetzt sehe ich, dass ich einen Fehler mache, Frau, 350 dennoch bekommst du deine Bitte erfüllt. 351
Medea lässt Kreons Hand los und erhebt sich wieder. Aber ich verkünde dir: 351 Wenn dich das kommende Licht des (Sonnen)gottes erblicken wird und deine Kinder innerhalb der Grenzen dieses Landes, wirst du des Todes sein. Dieses Wort steht untrüglich fest. {Jetzt aber, wenn es nötig ist zu bleiben, bleibe für einen Tag; 355 denn du wirst nichts Schlimmes tun können von dem, was ich fürchte.} Kreon geht mit seinen Dienern ab. Chf. Weh, weh, du Elende in deinem Schmerz, 358 du unglückliche Frau, 357 wohin denn willst du dich wenden? Zu welcher gastlichen Aufnahme, Κρ.
Χο.
ἥκιστα τοὐμὸν λῆμ’ ἔφυ τυραννικόν, αἰδούμενος δὲ πολλὰ δὴ διέφθορα· καὶ νῦν ὁρῶ μὲν ἐξαμαρτάνων, γύναι, ὅμως δὲ τεύξῃ τοῦδε. προυννέπω δέ σοι· εἴ σ’ ἡ ’πιοῦσα λαμπὰς ὄψεται θεοῦ καὶ παῖδας ἐντὸς τῆσδε τερμόνων χθονός, θανῇ· λέλεκται μῦθος ἀψευδὴς ὅδε. {νῦν δ’, εἰ μένειν δεῖ, μίμν’ ἐφ’ ἡμέραν μίαν· οὐ γάρ τι δράσεις δεινὸν ὧν φόβος μ’ ἔχει.} φεῦ φεῦ, μελέα τῶν σῶν ἀχέων, δύστηνε γύναι, ποῖ ποτε τρέψῃ; τίνα πρὸς ξενίαν,
350
355 358 357
352 λαμπὰς … θεοῦ] = ἥλιος, vgl. Hik. 469 εἰ δ᾿ ἔστιν ἐν γῇ, πρὶν θεοῦ δῦναι σέλας … (Page) 355–356 {…} Nauck – vgl. dazu Komm. 355 ἐφ’ Hss. : ἐθ᾿ Porson 356 +δράσεις : δράσαις (Hss.) 358–357 Umstellung von v. 357 nach v. 358 Barthold, Diggle : 357 {…} Matthiae u. a., Kovacs – Vgl. die ausführliche Darlegung von Diggle 1994, 266–268. Das anpästische Kolon fehlt in einigen Hss. und wurde an falscher Stelle nachgetragen, φεῦ φεῦ passt besser als Eröffnung. Die Umstellung von v. 357 ist plausibler als die Tilgung des Verses. 358 τῶν σῶν ἀχέων] vgl. zu 96b 357 δύστηνε γύναι Diggle : δύστανε γύναι (Ηss.) : Ø – Im Kontext der rezitierten Anapäste ist δύστηνε zu lesen. 359 ποῖ ποτε τρέψῃ;] vgl. Eur. Hypsipyle TrGF V F 754b,10 ποῖ δῆτα τρέψη̣ι;̣ (Tedeschi) | πρὸς ξενίαν (Hss.) : +προξενίαν – vgl. zu 361
Kommentar
161
348–354 Medeas Taktik, bei dem ‚Vater‘ Kreon Mitleid für ihre Kinder zu erregen, zeigt Wirkung, und so gesteht Kreon, obwohl er seine Schwäche kennt, wider bessere Einsicht ihr den einen Tag zu, versucht aber seinen Fehler sogleich durch eine feierlich-emphatische und unumstößliche Drohung, was ihr geschehe, würden sie und ihre Kinder am nächsten Tag noch in Korinth angetroffen, auszugleichen, als ob das möglich wäre. – Kreon wird so als jemand charakterisiert, der sich nur aus Schwäche hart gibt, in Wirklichkeit nicht unbarmherzig ist und gerade durch eine Eigenschaft (aidōs), die ihn den Zuschauern nahebringen dürfte, zum Opfer Medeas wird (vgl. Cairns 1993, 277 f.). Dass man Kreons Nachgeben als einen Fall von akrasia (‚Unbeherrschtheit‘) einstufen sollte (so Rickert 1987, 99 Anm. 20), liegt weniger nahe. 348 ‚herrisches‘: tyrannikos, das zu tyrannos gehörige Adjektiv, ist hier in pejorativem Sinn (‚despotisch‘) verwendet. Sonst bezeichnet tyrannos in tragischer Dichtung üblicherweise neutral einen Alleinherrscher wie z. B. einen König (vgl. zu 119). 349 ‚Rücksicht‘: Kreon zeigt nun das Verhalten (aidōs), das man gegenüber Bittflehenden erwartet und dessen Fehlen ihm Medea vorwarf. Vgl. zu 326. 351 Die Erfüllung von Medeas Bitte durch Kreon ist der wahrscheinliche Zeitpunkt, an dem sie den körperlichen Kontakt beendet und wieder aufsteht. Vgl. Mastronarde S. 225 f. 352 Wenn Kreon bei seiner apodiktischen Androhung der Konsequenzen, falls Medea länger als einen Tag lang noch in Korinth bleibe, ausgerechnet den Sonnengott (Helios) nennt, wissen weder er noch die Zuschauer, dass von ihrem Großvater Helios die Mittel stammen, mit denen Medea ihre Rache ausführen und danach unbehelligt entkommen kann (954 f.; 1321 f.); vgl. auch Mossman. 355–356 Nach dem definitiven Schlusswort Kreons klappen diese Verse nach: In v. 355 wird nur ausgeführt, was in v. 351 schon gesagt ist, und v. 356, mit dem wohl tragische Ironie erzeugt werden sollte, konterkariert die in v. 350 ausgedrückte Einsicht. Nauck hat diese Verse sicherlich zu Recht getilgt, aber soweit ich sehe, übernahm in neuerer Zeit nur Mossman Naucks Athetese. 356 ‚von dem, was ich fürchte‘, wörtl. ‚von den Dingen, hinsichtlich derer mich Furcht umfängt‘. 358–363 Diese Zwischenverse des Chores in sogenannten Marschanapästen treten hier an die Stelle der sonst üblichen Verse in iambischem Versmaß (entsprechend auch 759–763). Für das Vorliegen von lyrischen Anapästen gibt es keinen Anhalt. Da iambische Zwischenverse von der Chorführerin gesprochen werden, ist es wahrscheinlich, dass sie (und nicht der Gesamtchor) auch diese Anapäste rezitiert, die gewissermaßen den Abgang Kreons begleiten. Die Chorführerin hat die Absichten Medeas offenbar nicht durchschaut und versteht deren Hikesie-Bitten als echtes Anliegen. Daher bedauert sie die Ausweglosigkeit von Medeas Lage, vor allem, dass ihr ein rettender Zufluchtsort fehle. 358–357 Die Voranstellung des Verses 358 (v. 357 wurde in den Handschriften vermutlich an falscher Stelle nachgetragen) ergibt einen sinnvolleren Beginn der Reaktion des Chores bzw. der Chorführerin; vgl. entsprechend die Versfolge 96ab. Zur Versumstellung vgl. auch TS.
162
Me.
Μη.
Erstes Epeisodion: 360–365
Haus oder Land, die in deinem Unglück Schutz bietet? 360 {wirst du finden?} Wie dich in einen ausweglosen Wogenschwall von Leid ein Gott, Medea, hat gehen lassen! Schlecht ist die Lage in jeder Hinsicht: Wer wird da widersprechen? Aber keineswegs steht es so (wie ihr meint), glaubt das nicht! 365 ἢ δόμον ἢ χθόνα, σωτῆρα κακῶν; {ἐξευρήσεις} ὡς εἰς ἄπορόν σε κλύδωνα θεός, Μήδεια, κακῶν ἐπόρευσεν. κακῶς πέπρακται πανταχῇ· τίς ἀντερεῖ; ἀλλ’ οὔτι ταύτῃ ταῦτα, μὴ δοκεῖτέ πω.
360
365
360 σωτῆρα κακῶν] σωτήρ (statt σώτειρα) auch auf Feminina bezogen (K.-G. I 273). Es gibt keinen Grund, den Ausdruck nur auf χθόνα zu beziehen (so aber Mastronarde), selbst wenn man ξενίαν ἢ δόμον ἢ χθόνα als gleichgeordnete Ausdrücke auffassen sollte (vgl. zu 361); der Genitiv kann als gen. separativus (‚rettend vor‘) oder als gen. pertinentiae (‚Schutz bietend im Bereich von‘) verstanden werden. 361 {…} Elmsley – ἐξευρήσεις verträgt sich nicht mit der Lesart πρὸς ξενίαν (359). Wollte man es halten, müsste man in v. 359 mit Kovacs (Loeb u. 1987, 267 f.) προξενίαν lesen. Dagegen spricht weniger der technische Ausdruck, der sonst in tragischer Dichtung nicht vorkommt (Mastronarde), denn προξενεῖν (z. B. 724) und πρόξενος gibt es durchaus in den Tragödien, als der Sachverhalt, dass προξενίαν semantisch mit ἢ δόμον ἢ χθόνα (360) – was man am leichtesten als alternative Apposition zu ξενίαν versteht – nicht auf einer Ebene liegt. 362 ὡς] exklamatorisch (LSJ s. v. D. I. 2; K.-G. II 439) 362–363 κλύδωνα … κακῶν] vgl. Aisch. Pers. 599 f. κλύδων κακῶν, Eur. Hipp. 822 κακῶν … πέλαγος 364 κακῶς πέπρακται] sowohl diese Wendung (vgl. noch [Eur.] Rhesos 756; Aisch. Ag. 551 hat εὖ … πέπρακται) als auch das unpersönliche Passiv (K.-G. I 125 Anm. 2; Schwyzer II 239 f.) sind selten; vgl. Mastronarde. 365 οὔτι ταύτῃ ταῦτα] vgl. [Aisch.] PV 511 οὐ ταῦτα ταύτῃ, zu ergänzen z. B. ἐστί (vgl. Aristophanes, Ritter 843) | μὴ … πω] Zur möglichen Bedeutung von οὔπω / μήπω als verstärktes ‚nicht‘ (statt ‚noch nicht‘) vgl. Dawe 1964, 123.
Kommentar
163
361 ‚wirst du finden‘: Das anapästische Kolon wird von den Editoren zu Recht getilgt, da es sich grammatisch nicht problemlos einfügt und außerdem für den Sinn der vv. 359b–360 nicht notwendig ist; vgl. im Einzelnen TS. 362–363 ‚ausweglosen … hat gehen lassen‘: Im Griechischen sind beide Ausdrücke von demselben Grundwort (poros ‚Weg‘, ‚Furt‘) abgeleitet, sodass ein Oxymoron (~ ‚einen ausweglosen [Weg] gehen lassen‘) und eine etymologische Figur entstehen (Tedeschi). Ein Meer oder eine Woge von Leid ist in der tragischen Dichtung eine mehrfach vorkommende Metapher für großes Leid bzw. ein Leid, gegen das man nichts tun kann; vgl. z. B. Hipp. 822; Ion 927; Aisch. Pers. 599 f. Mit dem namenlosen ‚Gott‘ als Ursache will die Chorführerin wohl ausdrücken, dass Medea einem Leid ausgesetzt ist, das über menschliches Maß hinausgeht. 364–409 Medea reagiert auf die mitleidigen Worte der Chorführerin anders als zu erwarten; sie gibt zwar zu, das die Lage schlecht ist, stimmt aber nicht in die Klagen ein, sondern ist zuversichtlich, dass es noch eine Möglichkeit zur Rache geben werde (364–367), deren unbedingte Ausführung sie – gegen Ende ihrer Rede – unter Berufung auf ‚ihre‘ Göttin Hekate im Appell an sich bekräftigt, zumal sie angesichts ihrer edlen Herkunft nicht zum Gespött werden dürfe (395–406). In einer langen Zwischenpassage hatte sie über Kreon gespottet sowie verschiedene konkrete Vorgehensweisen zum Vollzug ihrer Rache und deren Risiken erwogen (368–394), und sie behauptet in einer allgemeineren Schlusssentenz, Frauen seien zu edlen Taten unfähig, zu bösen aber überaus erfinderisch (407–409). Die Reaktion des Chores (410 ff.) auf diese Rede legt nahe, dass die Schlusssentenz kaum echt sein kann, denn er stellt triumphierend die Umkehrung bisher gültiger Einschätzungen fest und verkündet: Hinterlistig und treulos sind die Männer, die Frauen werden jetzt – angesichts von Medeas Rache – in Ehre stehen und einen guten Ruf haben. Auch die Echtheit der langen Passage ist zweifelhaft, u. a. weil die Selbstaufforderung zu planen (401 f.) sich nicht gut mit den bereits vorgesehenen Handlungsalternativen mit der abschließenden Bevorzugung des Einsatzes von Gift (376–394) vereinbaren lässt und die billigende Reaktion des Chores auf die eindeutige Ankündigung der Ermordung der Braut und des Königs sehr auffällig wäre. Vgl. zur Frage der Echtheit bzw. Unechtheit der Verse im Einzelnen EK zu 364–409, S. 414–417. 364–367 Medea stimmt der defätistischen Äußerung der Chorführerin nur teilweise zu. Sie ist zuversichtlich, dass sie Iason, die Tochter Kreons und Kreon selbst noch in Bedrängnis bringen kann, und nennt dabei die drei Personen, gegenüber denen es, wie Kreon gehört hatte, Drohungen Medeas gegeben haben soll (287–289).
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Erstes Epeisodion: 366–375
Noch gibt es Kämpfe für die Neuvermählten und für den, der die Ehe gestiftet hat, nicht geringe Beschwernisse. {Glaubst du nämlich, ich hätte den je umschmeichelt, wenn ich nicht auf einen Vorteil oder eine List aus wäre? Ich hätte ihn nicht einmal angesprochen noch gar berührt mit meinen Händen. Der aber ging so weit in seiner Torheit, dass er, obwohl er meine Pläne hätte vereiteln können durch Verweisen aus dem Land, mir diesen Tag gewährte zu bleiben, an dem ich drei von meinen Feinden zu Leichen machen werde, den Vater, seine Tochter und meinen Gatten. ἔτ’ εἴσ’ ἀγῶνες τοῖς νεωστὶ νυμφίοις καὶ τοῖσι κηδεύσασιν οὐ σμικροὶ πόνοι. {δοκεῖς γὰρ ἄν με τόνδε θωπεῦσαί ποτε, εἰ μή τι κερδαίνουσαν ἢ τεχνωμένην; οὐδ’ ἂν προσεῖπον οὐδ’ ἂν ἡψάμην χεροῖν. ὁ δ’ ἐς τοσοῦτον μωρίας ἀφίκετο, ὥστ’, ἐξὸν αὐτῷ τἄμ’ ἑλεῖν βουλεύματα γῆς ἐκβαλόντι, τήνδ’ ἐφῆκεν ἡμέραν μεῖναί μ’, ἐν ᾗ τρεῖς τῶν ἐμῶν ἐχθρῶν νεκροὺς θήσω, πατέρα τε καὶ κόρην πόσιν τ’ ἐμόν.
370
375
370
375
367 σμικροὶ] σμικρός ist die in den Tragödien gebräuchliche Form für μικρός, es sei denn, Letzteres ist aus metrischen Gründen notwendig (LSJ s. v. μικρός). 368–394 {…} Hübner 1985, 22–32 (386–394 {…} bereits Müller 1951, 67 f.; 376–394 {…} Lucarini 2013, 182– 185) – vgl. Komm. zu 364–409 sowie EK zu 364–409, S. 415 f. 368 ποτε +(Hss.) : ποτ᾿ ἄν – ποτ᾿ ἄν ist möglich (vgl. zu 250–251), und die Wiederholung des ἄν würde den rhetorischen Nachdruck der Aussage verstärken (vgl. auch 370). Es könnte sich allerdings um eine byzantinische Korrektur handeln, um den Hiat zu εἰ (369) zu vermeiden. 369 εἰ μή] Zu formelhaft erstarrtem εἰ μή auch beim Partizip vgl. K.-G. II 487, 8. 370 οὐδ’ … οὐδ’] zur Bedeutung siehe die Übersetzung und K.-G. II 295, 5a 372 ἐξὸν] accusativus absolutus, vgl. K.-G. II 87–89 | ἑλεῖν] vgl. LSJ s. v. αἱρέω Α. ΙΙ. 1 „get into one’s power“ 373 ἐκβαλόντι] sc. με | ἐφῆκεν Nauck : ἀφῆκεν Hss. – Für die (allgemeine) Bedeutung ‚erlauben, etwas zu tun‘ (z. B. Soph. El. 631 ἐπειδὴ σοί γ᾿ ἐφῆκα πᾶν λέγειν) ist ἐφίημι der einschlägigere Ausdruck, während ἀφίημι in entsprechender Konstruktion (vgl. LSJ s. v. IV. 1) „the sense of dismissal and sending away from oneself“ hat (Mastronarde). Dagegen spricht auch nicht Herodot 6,62,2 (ἀπίει ἀπάγεσθαι), wo der Sinn wohl nicht ist, ‚musste dulden, dass …‘ (vgl. Page), was hier eigtl. passen würde, da Kreon nur widerwillig zustimmt, sondern ‚release, let go‘; vgl. Diggle 1994, 284 f.; Hornblower / Pelling 2017 zu Herodot 6,62,2 „lets her go“. 374–375 νεκροὺς / θήσω] vgl. Aisch. Cho. 575 f. νεκρόν / θήσω
Kommentar
165
366 ‚Kämpfe‘: Das griechische Wort (agōn) kann außer ‚Wettkampf‘ (vgl. zu 235) auch generell reale kämpferische Auseinandersetzung (auf Leben und Tod) bedeuten. Medeas konkrete Vorstellung ist hier noch nicht präzise, aber es steht für sie fest, dass sie nicht kampflos Iason und seiner neuen Frau das ‚Feld‘ überlassen wird. 367 ‚der die Ehe gestiftet hat‘: Im Griechischen poetischer Plural, gemeint ist nur Kreon, ohne dessen Zustimmung und Mithilfe die Ehe seiner Tochter mit Iason nicht hätte zustande kommen können. 368–375 Medea erklärt den Korintherinnen, dass sie sich zu der Geste der Hikesie nur herabgewürdigt hat, um durch den einen Tag eine Chance für ihre Rache zu gewinnen, die Kreon aus Dummheit nicht verhindert habe, sodass sie jetzt die Ermordung Kreons, seiner Tochter und Iasons planen könne. Diese Verse sind wahrscheinlich unecht, u. a. weil Medea hier von einer Gewissheit ausgeht, die zu ihren sonstigen Überlegungen nicht passt. Vgl. zu den Argumenten im Einzelnen EK zu 364–409 (dort zu 368–375), S. 415 f. 370 ‚mit meinen Händen‘: Bei der griechischen Dual-Form steht kein Possessivpronomen, und sie kann Genitiv (‚seine beiden Hände‘) oder Dativ (‚mit meinen beiden Händen‘) sein. Wenn der Text in v. 339 richtig hergestellt ist (vgl. zu 339), ist dort nur von einer Hand Kreons (vermutlich der rechten; vgl. 496) die Rede, was dafür spricht, hier Dativ anzunehmen (wie es auch bei der homerischen Hikesie-Szene, Ilias 20,468, der Fall ist). Vgl. auch Mastronarde. 372 ‚meine Pläne‘: Hier spricht Medea im überlieferten Text zum ersten Mal von ihren Plänen (bouleumata) im Sinn von Racheplänen, als ob sie sie schon fertig gefasst hätte (dem steht die Selbstaufforderung [401 f.] entgegen); der Vers ist Bestandteil einer vermutlich unechten Passage (vgl. oben). Der Begriff bouleumata dürfte dem in den vv. 769 u. 772 entsprechen; die vv. 1044; 1048 u. 1079, wo ebenfalls von bouleumata die Rede ist, sind ihrerseits in ihrer Echtheit fraglich (vgl. EK zu 1040–1055, S. 421–423; EK zu 1056–1080, S. 426–428, zu 1078–1080). ‚vereiteln‘, eigtl. ‚greifen‘, ‚unter Kontrolle bringen‘ (Page). 374–375 ‚drei von meinen Feinden‘: Die auffällige Formulierung soll wohl gleichbedeutend sein mit ‚meine drei Feinde‘; Medea nennt hier noch einmal die drei Personen als Ziel ihrer Rache, die sie kurz vorher bereits aufgeführt hatte (vgl. 366 f.). Wenn man die Formulierung hier wörtlich nehmen möchte, könnte man allenfalls an die Medea feindlich gesinnten Verwandten des Pelias denken (504 f.; 734), aber an denen will sie sich nicht rächen.
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Erstes Epeisodion: 376–385
Da ich viele Wege kenne, die ihnen den Tod bringen können, weiß ich (noch) nicht, welchen ich vor allem versuche, ihr Lieben: Soll ich das Brauthaus mit Feuer in Brand setzen oder das scharfe Schwert durch die Leber stoßen, heimlich ins Haus gegangen, wo das Ehebett bereitet ist? 380 Aber eins steht mir im Weg: Wenn ich dabei ergriffen werde, wie ich in das Haus eindringe und meinen Anschlag verübe, werde ich sterben und bei meinen Feinden Gelächter erregen. Das Beste ist, auf geradem Weg (vorzugehen), sie, worin ich mich am meisten auskenne, mit Gift zu vernichten. 385 πολλὰς δ’ ἔχουσα θανασίμους αὐτοῖς ὁδούς, οὐκ οἶδ’ ὁποίᾳ πρῶτον ἐγχειρῶ, φίλαι· πότερον ὑφάψω δῶμα νυμφικὸν πυρί, ἢ θηκτὸν ὤσω φάσγανον δι’ ἥπατος, σιγῇ δόμους ἐσβᾶσ’, ἵν’ ἔστρωται λέχος; ἀλλ’ ἕν τί μοι πρόσαντες· εἰ ληφθήσομαι δόμους ὑπερβαίνουσα καὶ τεχνωμένη, θανοῦσα θήσω τοῖς ἐμοῖς ἐχθροῖς γέλων. κράτιστα τὴν εὐθεῖαν, ᾗ πεφύκαμεν σοφοὶ μάλιστα, φαρμάκοις αὐτοὺς ἑλεῖν.
380
385
377 πρῶτον] von Martina III 154 ohne Beleg mit lat. potissimum gleichgesetzt; vgl. als mögliche Belege Matthäus-Evangelium 6,33 ζητεῖτε δὲ πρῶτον τὴν βασιλείαν καὶ τὴν δικαιοσύνην αὐτοῦ, καὶ ταῦτα πάντα προστεθήσεται ὑμῖν, Flavius Iosephus, Antiquitates Iudaicae 10,213 (vgl. Bauer / Aland 1988 s. v. πρῶτον) 379–380 {…} Valkenaer; Seaford; vgl. 40 f. und zu 38–43 379 {…} Willink – Der Vers ist nach 376 f. als weitere Alternative notwendig und kann daher nicht gesondert athetiert werden, sondern nur zusammen mit den vv. 368–375; vgl. auch EK zu 38–43, S. 412 f. 381 ἕν τί] ist zwar oft unbestimmt (vgl. LSJ s. v. εἷς 4), aber hier geht es um etwas Bestimmtes; vgl. Mastronarde mit Verweis u. a. auf Lysias 31,1 ἐπειδὴ δὲ οὐχ ἕν τι μόνον ἀλλὰ πολλὰ τολμηρός ἐστιν | πρόσαντες] vgl. Or. 790 κεῖνό μοι μόνον πρόσαντες 382 ὑπερβαίνουσα Hss. : ὑπεσβαίνουσα Housman : ὑπεμβαίνουσα Bothe – vgl. Barrett 1964 zu Hipp. 782–3 (sc. ‚die Schwelle überschreiten‘) 383 θήσω … γέλων] Akkusativform statt γέλωτα, vgl. Ion 1172 γέλων δ᾿ ἔθηκε συνδείπνοις (LSJ s. v. τίθημι B. I. 1), anders Herodot 3,29,2 οὐ χαίροντες γέλωτα ἐμὲ θήσεσθε, jedoch ist in v. 383 angesichts von Ion 1172 wohl nicht ein Personalpronomen zu ergänzen 384 κράτιστα] sc. ἐστί, zum Plural vgl. K.-G. I 66–68 (vgl. auch zu 125–127). Das Asyndeton drückt das Ergebnis der Überlegungen aus (K.-G. II 343 β) | τὴν εὐθεῖαν] sc. ὁδόν oder als substantiviert aufzufassen, adverbieller Akkusativ, vgl. Aisch. TrGF III2 F 195,1 εὐθεῖαν ἕρπε τήνδε | ᾗ] antizipiert eher φαρμάκοις (385), als dass es τὴν εὐθεῖαν näher bestimmt (Mastronarde) 385 σοφοὶ Tate : σοφαὶ +Hss. – vgl. 314 f., wo Medea im Nominativ Plural von sich selbst spricht. Sie meint ihre Fähigkeiten, nicht die der Frauen überhaupt; wenn man allerdings den Vers als unecht betrachtet (vgl. Komm. zu 364–409), macht man den Text durch die Konjektur vielleicht euripideischer, als er ist (vgl. 407–409). | ἑλεῖν +(Hss.) :+κτανεῖν – κτανεῖν ist als Verdeutlichung von ἑλεῖν zu verstehen
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376–385 Es ergibt sich, dass die in v. 372 genannten Pläne zur Ermordung von Kreon, seiner Tochter und Iason noch nicht konkret bestanden, sondern erst in Alternativen entwickelt werden. Methoden, die sie in Todesgefahr bringen und den Feinden einen Triumph über sie ermöglichen könnten, scheidet Medea aus und entschließt sich zum Giftmord, den sie offenbar glaubt ohne größeres Risiko ausüben zu können. 377 ‚welchen ich vor allem versuche‘ (prōton): „in particolare“ (Martina III 153). Das dürfte der Autor des Verses gemeint haben, allerdings mit einer Bedeutung des adverbiellen prōton, die erst im nachklassischen Griechisch gebräuchlich geworden zu sein scheint (Belege in TS). Verstünde man das Wort als ‚zuerst‘, ergäbe sich die merkwürdige Vorstellung, als ob Medea die Möglichkeit hätte, mehrere Wege nacheinander zu versuchen; vgl. Hübner 1985, 29. 378–380 Im Gegensatz zu v. 375 verengt sich durch die ausgeführten konkreten Überlegungen der Racheplan auf Iason und seine neue Frau. Das mag man einerseits psychologisch erklären, weil Medea zunächst daran denkt, wie sie gegen das von ihr gehasste neue Paar vorgehen kann, andererseits handelt es sich um ein Zwischenstadium, denn die Absicht, alle drei Personen zu bestrafen, hält sich durch (366 f.; 399 f.; vielleicht sind auch in v. 385 alle drei gemeint), jedoch nicht ausdrücklich im Abschnitt über die konkrete Planung. Allerdings wird Kreon allein schon durch den Tod seiner Tochter gestraft (1209 f.). 378 ‚in Brand setzen‘: Vielleicht angeregt durch den Wunsch, den Palast vernichtet zu sehen (164), oder auch (wenn der Text interpoliert ist) durch die Medea des Karkinos (TrGF I2 70), in der Kreons Tochter (Glauke) von Medea durch Feuer umgebracht wird (Text bei West 2007, 4 f., nicht in TrGF). Als Akme des Karkinos wird 380/79–377/6 angegeben, sein erster Sieg war kurz vor 372 v. Chr. (TrGF I2 70 T 1; 2). 383 ‚Gelächter‘: Dass die anderen in ein für Medea entehrendes Lachen (gelōs) ausbrechen könnten, ist hier auf den Fall des Scheiterns ihrer Rachetat, wenn sie dabei getötet würde, eingeengt, also auf einen Zeitpunkt, an dem sie den Triumph der Gegner nicht mehr erleben müsste. Im Gegensatz dazu geht es Medea an den übrigen Stellen, an denen sie davon spricht, nicht ‚verlacht‘ werden zu wollen, darum, dass sie die Entehrung durch Iason glaubt nicht ertragen zu können, ohne ihm (und anderen Beteiligten) Leid zuzufügen; vgl. zu 404. 384 Den geraden Weg, den Medea einschlagen will, mit Gift in Verbindung zu bringen, wirkt an moderner Vorstellung gemessen wie ein Widerspruch. Medea meint aber damit einen Weg, der mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln unmittelbar effektiv ist, d. h. den kürzesten Weg zum Ziel. 384–385 Mit Giften (vgl. 789; 806) und Zaubermitteln (718; beides sind pharmaka), behauptet Medea, kenne sie sich aus: eine Anspielung auch auf ihr Wirken in der Vorgeschichte; vgl. zu 9 und ihren Anspruch, Iason gerettet zu haben (476–487), wenngleich dort die Mittel, die sie angewandt hat, nicht beschrieben werden. Vgl. auch Medeas Beziehung zu Hekate (395–397) sowie Mossman zu 384–5.
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Erstes Epeisodion: 386–394
So weit, so gut. 386a Angenommen, sie sind tot; welche Stadt wird mich aufnehmen? 386b Wer wird mir ein Land, vor Verfolgung schützend, und ein sicheres Haus gastlich gewähren und mir Rettung bieten? Es gibt niemanden. Also warte ich noch kurze Zeit und, wenn sich mir ein sicherer Schutz auftut, 390 werde ich mit List und Heimlichkeit diesen Mordplan verfolgen, wenn mich aber eine unüberwindliche Notlage aus dem Land treibt, nehme ich selber ein Schwert, auch wenn ich sterben soll, und werde sie töten, zu einer tollkühnen Gewalttat schreiten.} εἶἑν· καὶ δὴ τεθνᾶσι· τίς με δέξεται πόλις; τίς γῆν ἄσυλον καὶ δόμους ἐχεγγύους ξένος παρασχὼν ῥύσεται τοὐμὸν δέμας; οὐκ ἔστι. μείνασ’ οὖν ἔτι σμικρὸν χρόνον, ἢν μέν τις ἡμῖν πύργος ἀσφαλὴς φανῇ, δόλῳ μέτειμι τόνδε καὶ σιγῇ φόνον· ἢν δ’ ἐξελαύνῃ ξυμφορά μ’ ἀμήχανος, αὐτὴ ξίφος λαβοῦσα, κεἰ μέλλω θανεῖν, κτενῶ σφε, τόλμης δ’ εἶμι πρὸς τὸ καρτερόν.}
386a 386b
390
386a–394 {…} Patin, Müller 1951, 67 f. – vgl. EK zu 364–409, S. 416, zu dieser Versgruppe 386b καὶ δὴ] zur Bezeichnung von „imaginary realization“ vgl. GP 253; K.-G. I 202 387 δόμους ἐχεγγύους] vgl. Phoin. 759 δόσιν δ᾿ ἐχέγγυον. 388 τοὐμὸν δέμας] vgl. 531 τοὐμὸν … δέμας, Umschreibung für die Person ~ ἐμέ 389 μείνασ’] Die zugehörigen verba finita sind μέτειμι (391) und κτενῶ (394). 391 μέτειμι τόνδε … φόνον] LSJ s. v. μέτειμι (ibo) II. 2. d führt diese Stelle als einzigen Beleg für die Bedeutung „pursue, go about“ auf; normalerweise hat in solchen Kontexten μέτειμι ein personales Objekt, und ein innerer Akkusativ (z. B. δίκας oder δίκην) kann noch hinzutreten (LSJ II. 2. c); vgl. Ba. 346. Das ist theoretisch auch hier möglich, wenn man τόνδε als personales Objekt und φόνον als inneren Akkusativ auffasste, aber wer wäre dann mit τόνδε bezeichnet? Also ist τόνδε auf φόνον zu beziehen. | τόνδε Hss. : τῶνδε übergeschrieben in einer Hs. – Der Korrektor nahm nachvollziehbar Anstoß an ‚diesem Mord da‘ und wollte wenigstens die Mehrzahl der Personen einfügen, was aber nicht das Problem behebt, dass es kein direktes personales Objekt gibt. 392 ξυμφορά … ἀμήχανος] vgl. zum Ausdruck z. B. Simonides, fr. 542,16 PMG; 260 Poltera 393 κεἰ (Hss.) : κἂν – Medea schließt die Möglichkeit des Todes nicht aus (καὶ εἰ, Indefinitus), erwartet sie aber nicht (κἂν, Eventualis); zum „sense of climax“ vgl. GP 391 (ii). | μέλλω] mit Infinitiv Aorist, vgl. LSJ s. v. II 394 τόλμης δ’ εἶμι πρὸς τὸ καρτερόν] vgl. Herakl. 562 σφαγῆς γε πρὸς τὸ δεινὸν εἶμ’ (Page)
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386a–394 In einem weiteren Schritt ihrer Überlegungen stellt sich Medea die Frage, wohin sie nach vollzogener Rache fliehen könnte. Dieser Problematik versucht sie mit alternativen Planungen zu begegnen, erwägt sogar offenen Mord, wenn sie keinen Schutz finden sollte. Vgl. EK zu 364–409, S. 416, zu dieser Versgruppe. 386a Bemerkung extra metrum; vgl. Collard (2018, 80) zur Bedeutung „So far so good, (and now …)“. 387 ‚vor Verfolgung schützend‘, griech. asylos, ‚vor Gewalt sicher‘, ‚unberührt‘, hier auf das Schutz gewährende Land bezogen. Vgl. auch Grethlein 2003, 7–9. Die Verbindung von asylos mit einem Land ist singulär, zum Bezug auf Personen vgl. bei Euripides Med. 728; Hel. 61; 1587. Die Junktur ‚ein sicheres Haus‘ ist ebenfalls singulär. 389 ‚kurze Zeit‘: Angesichts des Faktums, dass Kreon ihr nur einen Tag Aufschub gewährt hat, wirkt es merkwürdig, dass Medea erwägt abzuwarten, bis sich für sie ein Zufluchtsort ergibt. 390 ‚Schutz‘, wörtl. ‚Turm‘, hier metaphorisch gebraucht wie z. B. Alk. 311; Soph. OT 1200 f. 391 ‚diesen Mordplan verfolgen‘: So ist der Text wohl zu verstehen; zur sprachlichen Ungewöhnlichkeit vgl. TS. 394 ‚zu einer tollkühnen Gewalttat schreiten‘, wörtl. ‚zu einer gewalttätigen (Form) des Wagemuts (über)gehen‘: ein offenbar singulärer Ausdruck. Medeas zu ihrem Entschluss zum Giftmord (384 f.) alternative Vorstellung, sie könnte allein drei Personen (wenn sie hier alle drei meint; vgl. aber 380) mit einem Schwert überwältigen, ist bei ihrer sonstigen rationalen Klarsichtigkeit zumindest überraschend. So hatte sie diese Methode wegen des Risikos für sich selbst bereits verworfen (381–385), jetzt aber will sie sogar ihr Leben riskieren, was sie dann aber auch dem befürchteten Gelächter aussetzen würde (381–383).
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Erstes Epeisodion: 395–400
Denn nicht, bei meiner Herrin, die ich verehre am meisten von allen und mir als Helferin gewählt habe, die in den Winkeln meines Herdes wohnt, wird ungestraft einer von ihnen mein Herz kränken. Bitter und schmerzlich werde ich ihnen die Hochzeit machen, bitter auch die Ehestiftung und meine Verbannung aus dem Land.
395
οὐ γὰρ μὰ τὴν δέσποιναν, ἣν ἐγὼ σέβω μάλιστα πάντων καὶ ξυνεργὸν εἱλόμην, Ἑκάτην, μυχοῖς ναίουσαν ἑστίας ἐμῆς, χαίρων τις αὐτῶν τοὐμὸν ἀλγυνεῖ κέαρ. πικροὺς δ’ ἐγώ σφιν καὶ λυγροὺς θήσω γάμους, πικρὸν δὲ κῆδος καὶ φυγὰς ἐμὰς χθονός.
395
400
400
395 οὐ] in weiter, emphatischer Sperrung zu χαίρων (398) 397 Ἑκάτην, μυχοῖς] ⏑͡͡⏑‒⏑‒, vgl. zu dieser Lizenz im ersten Metrum West 1982, 81 f. | μυχοῖς] Dativ in lokativischer Funktion (ohne Präposition), dichterisch, vgl. z. B. Soph. OT 1291 μενῶν δόμοις und Komm. zu 397 398 χαίρων] οὐ (395) ̣ … χαίρων mit folgendem Futur (ἀλγυνεῖ) hat die Konnotation einer Drohung (LSJ s. v. II: „thou wilt or shalt not rejoice, i. e. thou shalt not go unpunished, shalt repent it“)
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171
395–406 Medea begründet, warum der Konflikt für ihre Gegner noch nicht vorbei ist. Denn sie sollen nicht ungestraft davonkommen, wobei sie wie bei einem Schwur ‚ihre‘ Göttin Hekate anruft. Dazu muss sie alle ihre Fähigkeiten aktivieren und sich – als Adlige – durch die Überlegung motivieren, dass sie nicht zum Gespött (gelōs) werden darf. Diese Begründung schließt sich nicht logisch an die detaillierten Methodenüberlegungen an, gibt aber im Anschluss an die vv. 365–367 eine konsequente Fortsetzung der Überlegungen Medeas (was man als Argument für die Unechtheit der vv. 368–394 ansehen kann). 395 ‚Denn nicht … wird ungestraft‘ (398): Die weite Sperrung, die die Berufung auf Hekate einschließt, zeigt die Vehemenz des emotionalen Impulses Medeas. Durch die Negation, die über drei Verse hin ohne Bezugswort bleibt, wird eine Spannung aufgebaut, die mit dem griechischen Wort chairō, das in der Grundbedeutung ‚sich freuen‘ heißt, aber hier eben von vornherein negiert ist, ihren betonten Zielpunkt erreicht. 395–397 Medea beruft sich auf ihre besondere Beziehung zu Hekate, der von ihr erwählten Helferin. Sie ist eigentlich die Göttin der Wege und der dort niedergelegten Opfer, aber auch die Göttin des Mondes und der thessalischen Hexen (Burkert 2011, 263 f.; 306 f.). Auf ihrer Funktion als Göttin der Magie beruht ihre Verbindung mit der zauberkundigen Medea, bei der sie, wie sonst Hestia (der Göttin des Herdes), ganz ungewöhnlich in den Winkeln des Herdes wirkt (vgl. auch Mossman zu 395–398). Hekate wird in der Medea nur hier erwähnt, sonst lässt Euripides die okkulte Seite der mythischen Figur Medeas weitgehend im Hintergrund. Allerdings ist Hekates Zuständigkeit, wie den Zuschauern bewusst gewesen sein dürfte, nicht auf den Bereich der Magie beschränkt. Statuen von ihr konnten vor dem Haus stehen (Aisch. TrGF III2 F 388; Aristophanes, Wespen 804); als Artemis Hekate wurde sie von den Frauen als Geburtshelferin angerufen (Aisch. Hik. 676 f.); vgl. zu 160 u. Knox 1977, 204 Anm. 37. 398 ‚ihnen‘: sc. den in den vv. 366 f. Genannten, wenn die vv. 368–394 unecht sind. Hält man die Verse für echt, könnte der Bezug v. 394 sein. 399–400 Die Verse nehmen die Aufzählung der drei Personen, an denen sich Medea rächen will (366 f.), wieder auf: Iason und Kreons Tochter (399), Kreons Arrangement der Ehe und seinen Verbannungsbefehl (400).
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Erstes Epeisodion: 401–409
Auf denn, halte nichts von dem zurück, worauf du dich verstehst, Medea, im Planen und (Mittel und Wege) Ersinnen. Stelle dich der Gefahr! Jetzt gilt es, tapfer zu sein! Siehst du, was dir widerfährt? Du darfst nicht zum Gespött werden wegen dieser Heirat Iasons ins Geschlecht des Sisyphos, 405 wo du doch von einem edlen Vater stammst und von Helios. {Und du verstehst dich darauf! Außerdem sind wir unserer Art nach Frauen, zu edlen Taten völlig unfähig, alles Böse aber ins Werk zu setzen überaus erfinderisch.} ἀλλ’ εἶα φείδου μηδὲν ὧν ἐπίστασαι, Μήδεια, βουλεύουσα καὶ τεχνωμένη· ἕρπ’ ἐς τὸ δεινόν· νῦν ἀγὼν εὐψυχίας. ὁρᾷς, ἃ πάσχεις; οὐ γέλωτα δεῖ σ’ ὀφλεῖν τοῖς Σισυφείοις τοῖσδ’ Ἰάσονος γάμοις, γεγῶσαν ἐσθλοῦ πατρὸς Ἡλίου τ’ ἄπο. {ἐπίστασαι δέ· πρὸς δὲ καὶ πεφύκαμεν γυναῖκες, ἐς μὲν ἔσθλ’ ἀμηχανώταται, κακῶν δὲ πάντων τέκτονες σοφώταται.}
405
401 ἀλλ’ εἶα] zu ἀλλά in Aufforderungen vgl. GP 14 f.; εἶα (mit folgendem Imperativ) ist kolloquial (Collard 2018, 79) | φείδου μηδὲν ὧν ἐπίστασαι] vgl. Soph. Ai. 115 φείδου μηδὲν ὧνπερ ἐννοεῖς 403 ἕρπ’ ἐς τὸ δεινόν] vgl. 1245 | ἀγὼν εὐψυχίας] vgl. z. B. Or. 1291 οὐχ ἕδρας ἀγών (‚jetzt gilt es, nicht still zu sitzen‘), LSJ. s. v. ἀγών III. 5 404 γέλωτα … ὀφλεῖν] vgl. LSJ s. v. ὀφλισκάνω ΙΙ. 1 „generally, of anything which one deserves or brings on oneself“ 405 τοῖσδ’ … γάμοις] Dativ zur Angabe des Grundes (K.-G. I 438, 11) | τοῖσδ’ Herwerden : τοῖς τ᾿ +Hss. – Es handelt sich um die Einheirat Iasons in das Geschlecht der Sisyphiden (vgl. auch Page). 407–409 {…} Hartung; Müller 1951, 68 – vgl. Komm. | 407–408 πεφύκαμεν / γυναῖκες] Die Hinzufügung von γυναῖκες spricht dafür, dass Frauen allgemein bezeichnet werden, also ein echer Plural vorliegt.
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173
401–406 Diese Aufforderung zum Planen und zur Tat wäre auffällig, wenn die früheren detaillierten Planungen (376–394), die bereits zu einem Entschluss (mit Alternativen) geführt hatten, als ursprünglicher Teil des Textes anzusehen wären. Vgl. zu diesem Appell an sich selbst die vv. 1242–1250. 402 ‚Medea‘: Die griechische Form des Namens ist Mēdeia; er klingt an mēdesthai (~ ‚ersinnen‘) oder mēdos (‚Rat‘, aber auch ‚listig Erdachtes‘) an, sodass eine Beziehung zu ‚Planen und (Mittel und Wege) Ersinnen‘ intendiert erscheint. – Zum (erstmaligen) Auftreten einer (namentlichen) Selbstanrede in der griechischen Tragödie vgl. Schadewaldt 1926, 192 f.; 201; 1991, 397. – Zum Appell an sich (ohne Namensnennung) vgl. bereits Homer, Odyssee 20,18–21. 403 ‚Stelle dich der Gefahr‘, wörtl. ‚gehe auf die Gefahr zu‘. – „the latter half of the line certainly evokes military action and the bravery to which men are exhorted before battle (e. g. Tyrtaeus, fr. 10.13–18, 11.3–6 West) and the first half too perhaps alludes to advancing toward dreadful battle …“ (Mastronarde). – Mit demselben Wort (‚gehe‘) gibt sich Medea den Befehl, zum Kindermord ‚aufzubrechen‘ (1245). 404 Medea will auf jeden Fall vermeiden, dass die anderen über sie lachen (im Sinne von ‚triumphieren‘), wenn sie die Entehrung (insbesondere einer Adligen gegenüber, 119; 406), die ihr Iason durch die neue Ehe bereitet, einfach hinnehmen sollte, ohne sich zur Wehr zu setzen; der Gedanke, dass man nicht über sie lachen dürfe, kehrt mehrfach wieder (797; {1049}; 1355; 1362). Die nächste Parallele zu dieser Haltung findet sich in Sophokles’ Aias, wo Athene Odysseus fragt, ob nicht das Lachen über die Feinde das süßeste Lachen sei (79), und Aias die Schmach, dass man über ihn lacht, nicht ertragen kann (367; 382; 454; vgl. 957 f.; 1043). Es handelt sich aber nicht um eine rein männliche Einstellung. So hält es auch Megara im Herakles für ein größeres Übel, den Feinden eine Gelegenheit zum Lachen (Triumphieren) über sie zu geben als zu sterben (284–286); vgl. Dover 1974, 182. 405 ‚Sisyphos‘: Es ist herabwürdigend gemeint, wenn Medea die neue Ehe Iasons als ‚sisypheisch‘ (so wörtl.) bezeichnet und damit suggeriert, die Familie Kreons hänge mit Sisyphos zusammen. Der mythische Betrüger und Unterweltsbüßer (aus Korinth) war vielleicht genealogisch Vorfahr Kreons und dessen Tochter (vgl. Holland 2003, 266 f.; Stammbaum S. 276; daraus ist aber kaum abzuleiten, dass die Handlung der Medea durch einen ererbten Fluch, der auf dem Haus des Sisyphos liege, bestimmt sei; so Holland 2003). Nach einer anderen Mythenversion, nach der Medea selbst in Korinth geherrscht hatte, soll sie die Herrschaft in Korinth Sisyphos übertragen haben (Pausanias 2,3,10 f.). 406 Medeas Vater Aietes war König in Kolchis und Sohn des Gottes Helios; vgl. 746 f.; Hesiod, Theogonie 956–962. 407–409 Diese wahrscheinlich unechte misogyne Selbstbezichtigung passt weder zum vorausgehenden Appell Medeas an sich selbst, noch ist daraufhin die folgende Reaktion des Chores verständlich, der gerade umgekehrt die Männer negativ beurteilt. Und es erscheint auch aus der Sicht Medeas merkwürdig, wenn sie ihre von ihr als notwendig erachtete Rache als böse qualifizierte. Vgl. zur Unechtheit dieser Verse EK zu 364–409, S. 416 f., u. 410–420, S. 417 f.
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Erstes Stasimon: 410–414
Ch.
Bergauf fließt der heiligen Flüsse Wasser, Strophe 1 410/1 und die Ordnung von allem kehrt sich um: Den Männern sind hinterlistige Pläne eigen, und ihr bei den Göttern gegebenes Versprechen besteht nicht mehr sicher.
Χο.
ἄνω ποταμῶν ἱερῶν χωροῦσι παγαί, καὶ δίκα καὶ πάντα πάλιν στρέφεται· ἀνδράσι μὲν δόλιαι βουλαί, θεῶν τ’ οὐκέτι πίστις ἄραρεν.
στρ. α´ 410/1
410 ποταμῶν ἱερῶν] vgl. Homer, Odyssee 10,351 ἔκ θ᾿ ἱερῶν ποταμῶν 411 +παγαί : +πηγαί – Das Chorlied hat dorische Dialektfärbung, vgl. δίκα (412) usw. | παγαί] zur Bedeutung ‚Wasser‘ vgl. z. B. El. 56 φέρουσα πηγὰς ποταμίας 412 καὶ δίκα καὶ πάντα] Hendiadyoin, vgl. Kovacs (Loeb) „the order of all things“; Martina III zu 410–11 413– 414 θεῶν … πίστις] genetivus obiectivus oder pertinentiae (nicht: subiectivus), vgl. Hipp. 1037 ὅρκους … θεῶν, Soph. OT 647 ὅρκον … θεῶν 413 τ᾿ Elmsley, Martina : δ’ Hss. – Zu μὲν korrespondiert δ᾿ (415), nicht das nach θεῶν überlieferte δ᾿, das die Struktur verunklärt. 414 ἄραρεν +(Hss.) : ἄρηρεν +Trikl.
Kommentar
175
410–445 Erstes Stasimon. In den ‚Standliedern‘ singt und tanzt der Chor in der Orchestra an Ort in Stelle. Das erste Stasimon besteht aus zwei Strophenpaaren. Während der Chor im ersten Strophenpaar allgemeine Überlegungen anstellt, die ihren Ausgangspunkt in dem haben, was er am Verhalten Iasons und Medeas beobachten konnte, wendet er sich im zweiten Strophenpaar vorwiegend der konkreten Situation Medeas zu. – Das erste Strophenpaar (410– 431) gehörte vermutlich zu den Liedern, die englische Suffragetten vor dem Ersten Weltkrieg aus der Medea außer Medeas Rede (214 ff.) rezitierten; vgl. Hall 1999, 44 f. 410–420 In Strophe 1 stellt der Chor mit einem Adynaton eine Umkehr der Wertungen fest, die der bisherigen Wertordnung widerspricht: Die Männer sind hinterlistig, ihr Eid bei den Göttern gilt nicht mehr, dagegen wird man von den Frauen nur Ruhmvolles sagen, sie werden geehrt werden, nicht mehr übler Rede ausgesetzt sein. Der Chor verallgemeinert den Treubruch Iasons (207) und die Wehrhaftigkeit Medeas (260 f.; 267 f.) zu einer neuen Einschätzung der Geschlechter. In dem Verlangen Medeas, u. a. Iason zu bestrafen (366 f.; 399 f.), ist dieser Sachverhalt noch präsent, als das Chorlied beginnt, wenn der Chor auch nicht unmittelbar zu Medeas Plänen Stellung nimmt. – Zum Anschluss dieser Verse nach oben vgl. EK zu 410–420, S. 417 f. 410/1 Der Anfang des Adynatons (anō potamōn ~ ‚bergauf [fließt] der Flüsse [Wasser]‘) wird von Hesych (α 5602 Latte) als sprichwörtlicher Ausdruck für etwas bezeichnet, das im Gegensatz (zum Üblichen) geschieht, und der bei Aischylos (TrGF III2 F 335, dazu Radt) und Euripides vorkomme; zum Sprichwortcharakter von Adynata vgl. Rowe 1965, zu Adynata allgemein Canter 1930 (zu dieser Stelle 36); Dutoit 1936, 16–18 (zu dieser Stelle). Hier dient das Unmögliche als Bild für eine bisher nicht für möglich gehaltene Umwertung der Einschätzung von Männern und Frauen. Zur ‚Heiligkeit‘ der Flüsse vgl. zu 69. Auch die Flüsse in Athen werden als heilig bezeichnet (vgl. 846–847a mit Komm.). 412 ‚die Ordnung‘: dikē (bzw. dorisch dikā) muss hier, da auch auf die Natur angewandt, allgemeiner ‚die übliche Ordnung‘ bedeuten (vgl. Page; Kovacs [Übers.]; Martina III; z. B. Homer, Odyssee 11,218). Dass das Wort impliziere, „that the Chorus’ understanding of moral terminology is flawed“ (so Swift 2013, 139), ist nicht sehr wahrscheinlich. 413–414 Vgl. 21 f.; 160–163. Versprechen, die bei den Göttern gegeben werden, gelten als besonders gesichert; vgl. auch Medeas Verweis auf Hekate (395). Zur Stilistik vgl. 90–91; 190 u. Mastronarde S. 93 f. 413 Bei Hesiod wird die Urfrau Pandora selbst, von der die anderen Frauen abstammen, als ‚List‘ bezeichnet (Theogonie 585–591; Werke und Tage 80–83). Eine solche Eigenschaft sehen die Chorfrauen dadurch, dass Iason Medea hintergangen hat, nun auf die Männer übertragen. Es ist ihnen aber möglicherweise nicht klar, dass Medea Kreon überlistet hat (vgl. zu 358–363 u. zur Unechtheit der vv. 368–375 EK, S. 415 f.), und sie können nicht wissen, wie Medea Iason mit List in ihre Pläne einspannen wird (bes. 946 ff.). Vgl. auch Mossman zu 412. 414 ‚besteht nicht mehr sicher‘ (vgl. zu 322), sc. wie der Treueid Iasons.
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Erstes Stasimon: 415–423
Einen guten Ruf dagegen hat nun meine Lebensweise, so ändert 415/6 sich, was man (von mir) sagt: Ehre kommt für das weibliche Geschlecht, 417/8 nicht mehr werden Frauen übler Nachrede ausgesetzt sein. 419/20 Die Musen der alten Dichter werden aufhören, Gegenstrophe 1 421/2 davon zu singen, man könne mir nicht trauen. τὰν δ’ ἐμὰν εὔκλειαν ἔχειν βιοτὰν στρέφουσι φᾶμαι· ἔρχεται τιμὰ γυναικείῳ γένει· οὐκέτι δυσκέλαδος φάμα γυναῖκας ἕξει. Μοῦσαι δὲ παλαιγενέων λήξουσ’ ἀοιδῶν τὰν ἐμὰν ὑμνεῦσαι ἀπιστοσύναν.
415/6 417/8 419/20 ἀντ. α´ 421/2
415/6 Artifizielle Wortstellung; τὰν δ’ ἐμὰν εὔκλειαν … βιοτὰν steht in Sperrung und schließt den epexegetischen, von στρέφουσι φᾶμαι abhängigen Infinitiv ἔχειν ein; vgl. auch Mastronarde. 416 στρέφουσι +Hss. : στρέψουσι Elmsley – Zwar respondiert στρέψουσι genauer mit (ἀντ)άχησ’ ἂν (427), aber auch eine Kürze ist zulässig, und es folgt ein Präsens (ἔρχεται, 417), sodass eine Anpassung an ἕξει (420) und λήξουσ’ (422) nicht notwendig erscheint (die futurischen Ausdrücke bezeichnen die zukünftigen Folgen der bereits jetzt stattfindenden Entwicklung); vgl. Mossman, anders Mastronarde. | φᾶμαι (Hss.) : φῆμαι 417/8–419/20 ἔρχεται … ἕξει] Asyndetisch werden die Folgen des in den vv. 415/6 dargelegten Sachverhalts ausgeführt (K.-G. II 343 β). 417 τιμὰ (Hss.) : +τιμὴ – s. zu 411 419/20 δυσκέλαδος φάμα] vgl. Ion 1090 f. δυσκελάδοισιν … ὕμνοις 420 ἕξει] vgl. Homer, Ilias 17,143 ἦ σ᾿ αὔτως κλέος ἐσθλὸν ἔχει 422–423 λήξουσ’ … ὑμνεῦσαι] λήγειν mit Partizip (K.-G. II 56,6) 422 λήξουσ’ Heath : λήξουσι(ν) +Hss. – nur λήξουσ’ ἀοιδῶν respondiert mit χωροῦσι παγαί (411) | ἀοιδῶν übergeschrieben in zwei Hss.; Gn : ἀοιδᾶν (Hss.) : ἀοιδὰν +Trikl. – Es sind Sänger gemeint, nicht Lieder. 423 ὑμνεῦσαι +(Hss.) : +ὑμνέουσαι : ὑμνεῦσ᾿ Trikl. : ὑμνοῦσαι Eustathios, Il. 634,13 (2,279,5 van der Valk) – epischionische Kontraktion von -εου- zu -ευ- statt zu -ου-, vgl. z. B. Hesiod, Theogonie 11; Eur. IA 790 μυθεῦσαι | ἀπιστοσύναν +(Hss.) : εὐπιστοσύναν – Nur ἀπιστοσύναν (das lediglich hier vorkommt, statt ἀπιστίαν) gibt einen Sinn; εὐπιστοσύνη ist sonst nicht belegt.
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415–418 Den Frauen werden also Ruhm und Ehre zukommen, was bisher die Domäne der Männer war. Das gilt aus der figuralen Sicht der Chorfrauen, könnte aber wohl auch allgemeiner aus der Zeit der Aufführung heraus gesprochen sein. 415/6 Der Übersetzung liegt eine mögliche Auffassung des Prädikats als intransitives Verb zugrunde (vgl. Kovacs: „The common talk will [Kovacs nimmt eine futurische Form an] so alter that women’s ways will enjoy good repute.“), wobei die grammatische Konstruktion durchsichtiger erscheint. Die meist vertretene Auffassung des Prädikats als transitives Verb würde lauten: ‚Die Erzählungen [über mich] wenden meine Lebensweise [sc. was sie davon berichten] um, sodass sie einen guten Ruf hat‘. – Die Sprecherin spricht von sich im Singular, meint die Aussage aber in kollektivem Sinn als für alle Frauen gültig. 419/20 Wörtl. heißt der Vers: ‚nicht mehr wird üble Nachrede Frauen innehaben / in ihrem Besitz haben‘. Die ‚üble Nachrede‘ hier und, was in den vv. 421–423 dazu gesagt wird, bezieht sich auf Darstellungen in griechischer Dichtung, die für einzelne Frauen oder Frauen überhaupt abträglich sind, z. B. die ‚listensinnende‘ Klytaimestra (Homer, Odyssee 11,422; 436–439), Helena (ebd.; Alkaios, fr. 42,1–4 Voigt; Aisch. Ag. 681 ff.), verschiedene Beispiele aus dem Mythos (Aisch. Cho. 602 ff.) bzw. für Frauen allgemein (z. B. Homer, Odyssee 11,456; Hesiod, Theogonie 590–612; Werke und Tage 373–375; Semonides, fr. 7 West); vgl. Mastronarde. 421–431 In der Gegenstrophe 1 setzt sich in den vv. 421–423 der Gedankengang der Strophe 1 unmittelbar fort: Über Unzuverlässigkeit von Frauen werden die Dichter nicht mehr berichten. Als Ursache ergibt sich aus dem Kontext, dass durch das neuerliche negative Beispiel Iasons und das positive Medeas der Kritik an den Frauen die Grundlage entzogen ist. Denn hätte Apollon ihnen dichterische Fähigkeiten vermittelt, hätten sie sich (schon früher) mit eigener Dichtung gegen die üble Nachrede der Männer zur Wehr gesetzt. An Stoff über das Los der Männer und Frauen hätte es in der langen Geschichte des Verhältnisses zwischen ihnen nicht gemangelt. – Zu einer positiveren Sicht der Fähigkeiten der Frauen vgl. 1081–1089 mit Komm. und zu 1085–1089; 1085. 421–423 Die Musen, die die ‚alten Dichter‘ inspirierten, d. h. die Dichter früherer Zeit, die sich abträglich über die Frauen äußerten, werden das angesichts der neuen Situation (bei den Dichtern der Gegenwart) nicht mehr tun. Euripides lässt die Chorfrauen damit die Erwartung ausdrücken, dass künftige Dichtung frauenfreundlicher sein werde, wobei das vermutlich auch aus der Perspektive der Zeit des Euripides gelten soll (vgl. Martina III 171). Wie nicht selten, greift der Chor in seinen Liedern über den mythischen Kontext hinaus. Euripides schrieb MOUSAI in Majuskeln, ununterscheidbar (auch beim Vortrag), ob damit Musen (Mousai), wie auch immer personifiziert, oder die Dichtkunst, die dichterischen Werke der Dichter (mousai) gemeint sind. Allgemein wird an dieser Stelle mousai im Sinn von Werken der Dichtung verstanden; aber der Wortlaut (421–423) spricht für eine Personifikation; denn die Werke der alten Dichter liegen vor und können streng genommen nicht aufhören, für die
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Erstes Stasimon: 424–434
Denn nicht hat in unsere Geisteskraft der Leier göttlichen Gesang gegeben 425 Phoibos, der Herr der Lieder. Sonst hätte ich nämlich ein Lied 426/7 dem Männergeschlecht entgegentönen lassen. Die lange Zeit hat 428/9 viel zu unserem und der Männer Los zu sagen. 430/1 Du aber bist vom väterlichen Haus hierher gefahren Strophe 2 432 mit einem Herzen voll Liebeswahn, hast durchquert des Pontos 433/4 οὐ γὰρ ἐν ἁμετέρᾳ γνώμᾳ λύρας ὤπασε θέσπιν ἀοιδὰν Φοῖβος ἁγήτωρ μελέων· ἐπεὶ ἀντάχησ’ ἂν ὕμνον ἀρσένων γέννᾳ. μακρὸς δ’ αἰὼν ἔχει πολλὰ μὲν ἁμετέραν ἀνδρῶν τε μοῖραν εἰπεῖν. σὺ δ’ ἐκ μὲν οἴκων πατρίων ἔπλευσας μαινομένᾳ κραδίᾳ, διδύμους ὁρίσασα Πόντου
425 426/7 428/9 430/1 στρ. β´ 432 433/4
424–425 ἐν … γνώμᾳ … ὤπασε] ὀπάζειν regiert normalerweise den bloßen Dativ, vgl. aber IA 584 f. ἐν ἀντωποῖς βλεφάροις / ἔρωτά τ᾿ ἔδωκας (K.-G. I 406 Anm. 1: räumliche Auffassung nach Analogie von τιθέναι τι ἔν τινι); in beiden Fällen liegt die über den bloßen Dativ hinausgehende Nuance vor, dass sich die Gabe schließlich i n dem Objekt befindet. 424 γὰρ] „Anticipatory γάρ“ (GP 68 IV) 425–426 ὤπασε θέσπιν ἀοιδὰν / Φοῖβος] vgl. Homer, Odyssee 8,498 τοι … θεὸς ὤπασε θέσπιν ἀοιδήν 426–428] vgl. Ion 1096 f. παλίμφαμος ἀοιδὰ / καὶ μοῦσ᾿ εἰς ἄνδρας ἴτω 426 ἐπεὶ] elliptisch: ‚Denn ⟨wenn ich dichterisch begabt wäre⟩ hätte ich … ~ Sonst / andernfalls hätte ich …‘; vgl. Kovacs: „Else I could have sounded …“ 427 ἀντάχησ’ ἂν Scaliger : ἀντάχησαν +(Hss.) – Scaligers Worttrennung ergibt die 1. Person und einen Irrealis, was beides gedanklich erforderlich ist. 428 γέννᾳ : γένναι : γέννα 430/1 μὲν … τε] vgl. zu 11–13 u. zu 125; zur Stellung von μὲν vgl. GP 371 f. 430 ἁμετέραν] vertritt den Genitiv eines Personalpronomens, das parallel zu ἀνδρῶν wäre 431 μοῖραν] Akkusativ der Beziehung 432 πατρίων Aldina : πατρώ(ι)ων Hss. – Mit πατρίων wird die Responsion zu χάρις, οὐδ’ (439) hergestellt. 433 μαινομένᾳ κραδίᾳ] dieselbe Wendung Hipp. 1274; vgl. Sappho, fr. 1,18 Voigt = Neri μαινόλᾳ θύμῳ 433/4 διδύμους : διδύμου : διδύμας (Hss.) – δίδυμος ist ein Adjektiv zweier und dreier Endungen, διδύμους kann daher als lectio difficilior betrachtet werden 434 ὁρίσασα] zur Funktion des Partizips Aorist vgl. zu 167
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Frauen Abträgliches zu singen, wohl aber können die ‚Musen‘ aufhören, die neueren Dichter so zu inspirieren, wie sie es bei den alten getan haben; vgl. bereits das Scholion zu v. 422. 424–426 Sofern man die Perspektive der Aufführungszeit der Medea einnehmen kann, hat der Chor allenfalls teilweise recht; denn es gab davor Dichterinnen (Sappho, Telesilla, Praxilla, wohl auch Korinna), allerdings ist nichts überliefert, was man als Pendant zu den abträglichen Frauenbildern etwa bei Hesiod oder Semonides betrachten könnte (vgl. zu 419/20), und der Chor erklärt dieses Faktum mit mangelnder dichterischer Begabung der Frauen; vgl. auch Mastronarde u. zu 421–431 am Ende. 424 ‚Denn‘ gibt antizipatorisch den Grund dafür an, warum sich die Frauen nicht mit eigener Dichtung gegen die Männer gewehrt haben (426–428). 426 ‚Phoibos, der Herr der Lieder‘: Apollon wird in der Medea ausschließlich als ‚Phoibos‘ bezeichnet (667; 674). Bei Homer (z. B. Ilias 1,43) und auch später wird der Gott häufig ‚Phoibos Apollon‘ genannt, was darauf schließen lassen könnte, dass Apollon der Beiname ist, möglicherweise als Gott der Versammlungen zu deuten (vgl. Burkert 1975). Zur Dichtkunst als göttlicher Gabe vgl. Homer, Odyssee 8,498 (Text in TS zu 425–426). Das singuläre ‚Herr (genauer: Anführer) der Lieder‘ (hāgētōr oder attisch hēgētōr) erinnert an die Funktion des Gottes als Moushāgetās bzw. Moushēgetēs, ‚Anführer der Musen‘ (vgl. Pindar, Parthenien 94c,1 f. Maehler), beschrieben im homerischen Apollon-Hymnos (h. 3) 182–206; vgl. Mastronarde. 427–428 Die Thematik eines solchen Gegenliedes wird benannt in einem Chorlied im Ion (1090–1105, bes. 1096 f.). 432–438 In Strophe 2 beschreibt der Chor teils sachlich, teils mit Empathie Medeas gegenwärtige Situation: Sie hat von Sinnen vor Liebe ihre Heimat verlassen, eine gefährliche Fahrt auf sich genommen, lebt jetzt in der Fremde, wurde von ihrem Mann verlassen und muss ehrlos ins Exil gehen. Nachdem der Chor in Strophe 1 indirekt die Haltung Medeas gepriesen hat, sieht er nun hier, wie auch in Gegenstrophe 2, realistisch ihre wirkliche Lage. Ob er damit an Medeas Erfolg zweifeln will (Bongie 1977, 41 f.), ist nicht eindeutig. 432 ‚Du aber‘: Der Chor wendet sich nun direkt Medea zu, deren gegenwärtige Situation den positiven Zukunftserwartungen für das Frauenbild entgegengesetzt ist. 433 ‚mit einem Herzen voll Liebeswahn‘, wörtl. ‚mit rasendem (sc. vor Liebe) Herzen‘; vgl. die Aussage der Amme (8). 433–435 Zu den ‚doppelten Felsen‘, den Symplegaden, vgl. zu 2 mit EK zu 2, S. 411. – Gemeint ist wahrscheinlich nicht ein unbestimmtes Meer (pontos), sondern der Pontos (Pontos), das Schwarze Meer, weswegen man Pontos (im Griechischen) als Eigennamen groß schreiben sollte (vgl. Kovacs und Mastronarde). 434 ‚durchquert‘: Das griechische horizein heißt eigentlich ‚teilen‘, ‚trennen‘. Medea hat die Felsen beim Durchfahren mit den Argonauten gewissermaßen auseinandergehalten (vgl. Page).
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Erstes Stasimon: 435–445
doppelte Felsen. Auf fremder Erde wohnst du, dein Bett, das nun männerlose Lager, ist kein Ehebett mehr, Unglückliche, und als Verbannte wirst du ehrlos aus dem Land vertrieben.
435 438 438
Dahin ist, was Eide gewähren, und nicht mehr bleibt Gegenstrophe 2 die Ehrfurcht im weiten Griechenland, sie flog in die Lüfte. 440/1 Du hast kein Vaterhaus, Unselige, wo du Zuflucht finden könntest von deiner Not, und mächtiger als dein Ehebund, hat eine andere von königlicher Herkunft 445 die Herrschaft über dein Haus angetreten. 445 πέτρας· ἐπὶ δὲ ξένᾳ ναίεις χθονί, τᾶς ἀνάνδρου κοίτας ὀλέσασα λέκτρον, τάλαινα, φυγὰς δὲ χώρας ἄτιμος ἐλαύνῃ. βέβακε δ’ ὅρκων χάρις, οὐδ’ ἔτ’ αἰδὼς Ἑλλάδι τᾷ μεγάλᾳ μένει, αἰθερία δ’ ἀνέπτα. σοὶ δ’ οὔτε πατρὸς δόμοι, δύστανε, μεθορμίσασθαι μόχθων πάρα, τῶν τε λέκτρων ἄλλα βασίλεια κρείσσων δόμοισιν ἐπέστα.
435 438 438 ἀντ. β´ 440/1
445 445
435 ξένᾳ Aldina : ξείνα(ι) (Hss.) : ξείνῳ – ξένᾳ respondiert mit δόμοι (442). 436– 437 ἀνάνδρου] proleptisch, vgl. Page 437–438 κοίτας … λέκτρον] genetivus definitivus, vgl. (umgekehrt) Alk. 925 λέκτρων κοίτας 439 βέβακε δ’ ὅρκων (Hss.) : βέβακεν ὅρκων – Beide Lesarten sind möglich, für die Verbindung mit δέ spricht, dass auch die vorhergehenden Strophen so eingeleitet sind. | ὅρκων χάρις] vgl. Hesiod, Werke und Tage 190 εὐόρκου χάρις 440 μένει : μίμνει (Hss.) – Nur μένει respondiert. 441 αἰθερία] prädikatives Adjektiv in adverbieller Funktion (K.-G. I 273 f., a) | ἀνέπτα] aktiver Aorist (mit dorischem Auslaut statt -η) von ἀναπέτομαι 442–444 οὔτε … τε] bei positivem zweiten Element (K.G. II 288, 2a) 443–444 μεθορμίσασθαι μόχθων πάρα] πάρα kann als πάρεισι und damit als zu σοὶ δ’ οὔτε πατρὸς δόμοι gehörig verstanden werden (μεθορμίσασθαι, epexegetischer Infinitiv, würde dann einen reinen genetivus separativus regieren wie 258) oder als nachgestellte Präposition zu μόχθων, wobei εἰσί zu δόμοι zu ergänzen wäre (vgl. Mastronarde). 444 τῶν τε Elmsley : τῶνδε Hss. : σῶν τε Porson – οὔτε (442) braucht eine Fortsetzung, τῶν liegt näher an der Überlieferung und kann auch im Sinn von σῶν verstanden werden (vgl. auch Martina III). 445 ἄλλα Heath : ἀλλὰ Hss. – Nur ἄλλᾱ ergibt einen Sinn. | ἄλλα βασίλεια] vgl. zu den möglichen Bedeutungen K.-G. I 275 Anm. 1 sowie Komm. | δόμοισιν ἐπέστα] vgl. LSJ s. v. ἐφίστημι B. II „to be set over“ | ἐπέστα : ἐπέστη – vgl. zu 411 u. 441
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435–438 Der Chor resümiert noch einmal Medeas Situation: fremd im Land (222, 255), verraten von Iason (229, 255 f., 265), ehrlos verbannt (271 ff.). 436–437 Wörtl. ‚du hast dein Ehebett (sc. in seiner Funktion als Ehebett), das im (nun) männerlosen Lager besteht (definitiver Genitiv), verloren‘. Es wurde versucht, der Bildhaftigkeit der griechischen Wendung in der Übersetzung sinngemäß nahezukommen. 438 ‚ehrlos‘: Wie die Amme Medea durch das Verhalten Iasons als entehrt ansieht (20; 33; vgl. Medea selbst: 696), so der Chor durch das Verbannungsurteil Kreons, weil eine Verbannung eigentlich eine Verfehlung voraussetzt. Einen Verlust bürgerlicher Rechte (vgl. Soph. OT 670) dürften die Zuschauer bei einer Frau weniger assoziiert haben. Vgl. Mastronarde. 439–445 Die Gegenstrophe 2 beginnt mit einer Verallgemeinerung der Auswirkungen von Iasons Treubruch, korrespondierend zum allgemeinen Charakter der Strophe 1, und wendet sich dann wieder Medea zu, die einerseits nicht mehr in ihr Vaterhaus zurückgehen kann, andererseits die Herrschaft über ihr Haus der neuen Frau abtreten muss. 439–441 Die Verse spielen auf Hesiods Schilderung der Weltalter (Werke und Tage 106–201) an (vgl. auch Theognidea 647; 1135–1142), und zwar speziell auf den Abschnitt über die Eiserne Zeit (174–201), in der der Dichter selbst leben muss. Irgendwann wird Zeus auch dieses Geschlecht austilgen, wenn die Verhältnisse schlimmer werden und weder Eidestreue noch Gerechtes noch Gutes gilt (190). Aidōs (‚Ehrfurcht; Respekt vor den Ansprüchen des anderen‘) und Nemesis (‚Vergeltung‘, sc. des Unrechts, das andere zufügen) werden dann zu den Göttern auf dem Olymp gehen und die Menschen verlassen (197–200). Offenbar empfindet der Chor den Treubruch Iasons als so gravierenden Einschnitt, dass er so etwas wie das Ende der Eisernen Zeit jetzt schon für ganz Griechenland gekommen sieht. – Dass die Anspielung auf Hesiods Eiserne Zeit ironisch sein könne, da die Handlung der Medea in einer mythischen Vergangenheit davor spiele (so Mossman zu 440), scheint fraglich; denn die Zuschauer müssten auf die Zeitdifferenz geachtet und nicht die Handlungsweise Iasons als typisches Beispiel eines Werteverfalls (wie von Hesiod beklagt) gesehen haben. 439 ‚was Eide gewähren‘, wörtl. ‚der Eide charis‘. charis ist die erfreuliche Ausstrahlung, die jemand oder etwas hat, auch die Gunst, die gewährt wird. Die charis der Eide besteht darin, dass Verlässlichkeit und Vertrauen gewährt werden und man sich daher sicher fühlen kann. 443 ‚Zuflucht finden‘, im Griechischen eine nautische Metapher: ‚ankern‘; vgl. 258. 445 Da sowohl die Tochter des Königs Kreon als auch Medea (406) von königlicher Herkunft ist, muss ‚andere‘ in der üblichen Bedeutung aufgefasst werden (Mossman); sprachlich auch möglich, aber wegen der Gegebenheiten nicht naheliegend ist die Bedeutung ‚eine andere, eine von königlicher Herkunft‘ (so Mastronarde). Der Chor hat die Vorstellung, dass die neue Frau Medea aus ihrem Haus verdrängt bzw. die Herrschaft über die bisher Medea zustehende Hausgemeinschaft übernommen hat.
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Zweites Epeisodion: 446–447
Iason kommt herbei und spricht zu Medea. Iason Nicht jetzt erst erkannte ich zum ersten Mal, sondern schon oft, ein wie heilloses Übel eine schroffe Gemütsart ist:
446
οὐ νῦν κατεῖδον πρῶτον, ἀλλὰ πολλάκις, τραχεῖαν ὀργὴν ὡς ἀμήχανον κακόν.
446
Ἰάσων
447 τραχεῖαν ὀργὴν] Prolepse des Subjekts des ὡς-Satzes (vgl. zu 37); zum Ausdruck vgl. [Aisch.] PV 80 ὀργῆς … τραχυτῆτα
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446–626 Zweites Epeisodion. Das gesamte Epeisodion besteht in einem Agon, einem ‚Wettstreit der Reden‘ (hamilla logōn, 546), zwischen Iason und Medea, wobei gegensätzliche Standpunkte ausgefochten werden. Der Agon gliedert sich in eine Auftrittsrede Iasons (446–464), die Rede Medeas (465–519) und, durch Verse der Chorführerin getrennt (520 f.), die ebenso lange Gegenrede Iasons (522–575) sowie nach weiteren Versen der Chorführerin (576–578) einen abschließenden Dialog zwischen Medea und Iason (579–626). Zur insbesondere von der im 5. Jh. aufstrebenden Rhetorik beeinflussten Form einer solchen agonalen Auseinandersetzung vgl. Lloyd 1992, bes. 1–36; 41–43 (zur Medea), sowie Dubischar 2001, 44–65 (Definition 53–56); 308–321 (Analyse des Agons). – Dieser Agon, die erste Begegnung von Iason und Medea in diesem Drama, ist außer durch die divergierenden Positionen der beiden wegen der Figurenzeichnungen bemerkenswert: Auf der einen Seite der ganz auf ‚vernünftigen‘ standesgemäßen und ökonomischen Vorteil bedachte Iason (nicht vergleichbar mit dem mutigen Anführer der Argonauten), auf der anderen die durch den hinterhältigen Verrat Iasons tief verletzte und daher ‚Vernunftargumenten‘ unzugängliche Medea. Der Agon steht für die Zuschauer, ohne dass Iason das ahnt, unter dem Vorzeichen einer bereits gegen ihn geplanten Rache (Bretzigheimer 1968, 87), und Medea erkennt in seinem Verlauf eine Schwachstelle bei Iason, an der sie ihr Rachevorhaben ansetzen kann; vgl. Einf., S. 21. Zur Figurenzeichnung Iasons vgl. Einf., S. 30 f.; zur argumentativen Interaktion Iasons und Medeas vgl. auch Gill 1996, ch. 2.9. 446–464 Auftrittsrede Iasons. Iason tritt unangekündigt auf, ohne Hinweis des Chores und ohne, dass sich Iason und Medea gegenseitig begrüßten und beim Namen nennten. Wenn die Zuschauer nicht gleich vermuten, um wen es sich handelt, erfahren sie es in v. 452 durch seine Selbstnennung (vgl. zu 452). Vgl. dagegen die Namensnennungen und Begrüßungen bei dem ebenfalls unangekündigt auftretenden Aigeus (663–666). Im ganzen Agon reden sich Iason und Medea nicht mit Namen an, ein Zeichen der Entfremdung; erst die sich ‚vernünftig‘ gebende Medea nennt Iason mit Namen (869). Vgl. Page zu 452; Dickey 1996, 224 f. – Nach unvermittelt vorgebrachten Vorwürfen, dass Medea an ihrer Verbannung selbst schuld sei (446–458), motiviert Iason sein Kommen damit, dass er dennoch für Medea und die Kinder sorgen wolle (459–464). 446–458 Iason sieht den Grund für Medeas Verbannung ausschließlich in deren Wesensart und Verhalten, brüstet sich damit, Schlimmeres verhindert und sich für sie eingesetzt zu haben, geht aber nicht auf seinen Treubruch, gegen den Medea aufbegehrt, ein. Dass seine Kinder für das Verhalten der Mutter nichts können und trotzdem mit ihr verbannt werden, ist ihm keine Bemerkung wert. 446 Iason beginnt seine Rede mit derselben Formel wie Medea ihre Antwort an Kreon (vgl. 292b mit Komm.). Allerdings ist seine Bemerkung nicht durch eine vorgängige Aussage provoziert, sondern er nimmt auf ein Verhalten Medeas Bezug, von dem er offenbar gehört hat und das er erst im Folgenden darlegt. 447 ‚schroffe Gemütsart‘: Vgl. die Äußerungen der Amme (103 f.) und des Chores (176 f.). – Für die allgemeine Aussage dient dann Medeas Verhalten als Beispiel. Zu diesem rhetorischen Verfahren vgl. Mastronarde zu 446–7.
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Zweites Epeisodion: 448–458
Obwohl du Land und Haus hier bewohnen könntest, wenn du nur die Beschlüsse des Herrschers leichten Herzens ertrügest, wirst du unbesonnener Äußerungen wegen aus dem Land ver450 trieben. Mich trifft das nicht; sag immer nur weiter von Iason, dass er der gemeinste Mann sei. Was aber deine Äußerungen gegen das Königshaus angeht: Halte es rundum für einen Gewinn, dass du (nur) mit Verbannung bestraft wirst. Wirklich habe ich ständig, wenn der König zornig war, 455 versucht, ihm den Zorn zu nehmen, und wollte, dass du bleibst. Du aber ließest nicht ab von deiner Torheit, schmähtest ständig das Königshaus; daher wirst du aus dem Land vertrieben. σοὶ γὰρ παρὸν γῆν τήνδε καὶ δόμους ἔχειν κούφως φερούσῃ κρεισσόνων βουλεύματα, λόγων ματαίων οὕνεκ’ ἐκπεσῇ χθονός. κἀμοὶ μὲν οὐδὲν πρᾶγμα· μὴ παύσῃ ποτὲ λέγουσ’ Ἰάσον’ ὡς κάκιστός ἐστ’ ἀνήρ. ἃ δ’ ἐς τυράννους ἐστί σοι λελεγμένα, πᾶν κέρδος ἡγοῦ ζημιουμένη φυγῇ. κἀγὼ μὲν αἰεὶ βασιλέων θυμουμένων ὀργὰς ἀφῄρουν καί σ’ ἐβουλόμην μένειν· σὺ δ’ οὐκ ἀνίεις μωρίας, λέγουσ’ ἀεὶ κακῶς τυράννους· τοιγὰρ ἐκπεσῇ χθονός.
450
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448 γὰρ] „After an expression denoting the giving or receiving of information, or conveying a summons to attention.“ (GP 59 [2]). Im Deutschen am besten mit einem Doppelpunkt nach der vorausgehenden Aussage wiederzugeben. | παρὸν] accusativus absolutus, vgl. zu 372 450 ἐκπεσῇ] vgl. LSJ s. v. ἐκπίπτω 3 „to be banished“ (vgl. 458); ἐκπίπτειν fungiert als Passiv zu ἐκβάλλειν 451 οὐδὲν πρᾶγμα] kolloquialer Ausdruck, in der tragischen Dichtung nur hier; vgl. Aristophanes, Frösche 1215; Platon, Euthyphron 3c7; Gorgias 447b1 (vgl. Dodds 1959 z. St.); Collard 2018, 120 452 Ἰάσον’ Elmsley : ἰάσων +Hss. – Iason ist das vorangestellte Subjekt des folgenden Nebensatzes, die Prolepse erfordert den Akkusativ (vgl. zu 37). 453 ἃ … λελεγμένα] Der vorangestellte Relativsatz fungiert als ein Akkusativ der Beziehung. 454 ζημιουμένη φυγῇ] Partizip statt eines Satzes mit εἰ oder ὅτι ζημιοῖ φυγῇ 455 αἰεὶ] in betonter Sperrung zu ἀφῄρουν (456), womit in entsprechend betonter Endstellung ἀεὶ (457) korrespondiert 456 ἀφῄρουν] Imperfectum de conatu (K.-G. I 141 b) 457 ἀνίεις +(Hss.) : ἀνίης – Imperfekt, weil Iason sich auf Medeas Verhalten in der Vergangenheit bezieht 458 τοιγὰρ] „bears a strong logical force, ‘therefore’, ‘in consequence’, even ‘that is why’ …“ (GP 565 f.)
Kommentar
185
449 Iason stuft die Königstochter Medea, die mit ihm von gleich zu gleich verkehrte, distanzierend zu einer Befehlsempfängerin herab, was sie besonders hart treffen muss. Die Beschlüsse müssen sich auf das Arrangement der neuen Ehe durch Kreon beziehen (Otten 2005, 155), die Medea leichten Herzens hätte ertragen sollen; die Ausweisung aus Korinth ist erst die Folge der Reaktion Medeas. ‚des Herrschers‘: Im Griechischen Plural, aber Iason kann nur Kreon meinen, wenn er behauptet, er selbst habe die Verbannung verhindern wollen (455 f.). In den vv. 453 und 458 dürfte allerdings die Tochter mitgemeint sein, daher ‚Königshaus‘. Anders Mossman, die den Plural in v. 449 auf Kreon und Iason bezieht, was generell Iasons neuer Einschätzung seines Status entsprechen mag, den er aber für die spezielle Anordnung nicht beansprucht. ‚ertrügest‘: Wie man ein Joch trägt; vgl. zu 242 und Mastronarde z. St.; derselbe Ausdruck auch 1018. 450 Iason kommt – in tragischer Ironie – noch öfter auf die ‚Dummheit‘ Medeas zu sprechen; vgl. 457; 600 (indirekt); 614. Eine ‚vernünftige‘ Medea (als welche sie sich – sich verstellend – in der zweiten Begegnung mit Iason geben wird) hätte sich in seiner Sicht mit den eingetretenen Verhältnissen arrangiert. 451a ‚Mich trifft das nicht‘: Iason meint, dass ihm die Beschimpfungen gegen ihn gleichgültig und für ihn unerheblich seien im Unterschied zu denen gegen das Königshaus; vgl. v. Fritz 1959, 44. 451b–452 Aus dieser Aussage Iasons ist zu erschließen, dass ihm jegliches Ehrgefühl einer epischen Heldenfigur abhanden gekommen ist, wie man sie etwa aus dem archaischen Argonauten-Epos kennen konnte (vgl. auch Mossman zu 446–64, S. 262), und für Medea wird dadurch deutlich, dass sämtliche Vorwürfe an ihm abprallen werden. 452 Die Selbstnennung Iasons (als Objekt der Beschimpfung!) ist weit entfernt von der stolzen Selbstvorstellung eines epischen Heros wie Odysseus (Homer, Odyssee 9,19 f.); vgl. Mossman, ebd. 453 ‚Königshaus‘: Zu tyrannos für ‚König‘ vgl. zu 119. 454–458 Kreon hätte in der Auseinandersetzung mit Medea das Argument gut gebrauchen können, dass er eigentlich eine härtere Strafe als die Verbannung vorgesehen hatte, und sie sich also mit bloßer Verbannung zufrieden geben solle. Er droht jedoch den Tod nur für den Fall an, dass sie nicht r e c h t z e i t i g in die Verbannung geht (351–354). Die Zuschauer können also zweifeln, ob Iason die Wahrheit sagt, wenn er andeutet, Schlimmeres verhindert zu haben (vgl. auch Mastronarde zu 456). Aber mit der Behauptung, sich für Medea eingesetzt zu haben (Kreon sagt nichts davon), kann er es so darstellen, als habe Medea die Verbannung ganz allein zu verantworten. ‚aus dem Land vertrieben‘: Iason betont noch einmal (vgl. 450), dass die Verbannung die selbstverschuldete Konsequenz von Medeas Verhalten sei. Dass ihr Verhalten eine Konsequenz seiner Untreue ist, blendet er aus.
186
Zweites Epeisodion: 459–464
Aber trotzdem bin ich gekommen, weil ich auch unter diesen Umständen mich meinen Lieben nicht versage, sondern für dich sorgen will, Frau, 460 damit du weder mittellos mit den Kindern vertrieben wirst noch an etwas Mangel hast; denn viele Beschwernisse bringt die Verbannung mit sich. Denn sogar wenn du mich hasst, könnte ich dir doch niemals übelwollen. ὅμως δὲ κἀκ τῶνδ’ οὐκ ἀπειρηκὼς φίλοις ἥκω, τὸ σὸν δὲ προσκοπούμενος, γύναι, ὡς μήτ’ ἀχρήμων σὺν τέκνοισιν ἐκπέσῃς μήτ’ ἐνδεής του· πόλλ’ ἐφέλκεται φυγὴ κακὰ ξὺν αὑτῇ. καὶ γὰρ εἰ σύ με στυγεῖς, οὐκ ἂν δυναίμην σοὶ κακῶς φρονεῖν ποτε.
460
459 ἀπειρηκὼς φίλοις] vgl. LSJ s. v. ἀπεῖπον IV. 3. b (intransitiv, mit Dativ der Person) 460 τὸ σὸν δὲ : τὸ σόν γε +CP 247; 1976 (Teil der Hss.) : τοσόνδε +CP (Teil der Hss.) : τὸ σόνδε : τοσόν γε – δὲ προσκοπούμενος kontrastiert mit οὐκ ἀπειρηκὼς (459); vgl. Page 461 ὡς … ἐκπέσῃς] zum Konjunktiv vgl. MT § 347 462 πόλλ’ ἐφέλκεται] begründendes Asyndeton (K.-G. II 344 δ) 463 καὶ γὰρ] vgl. zu 314 | με] statt ἐμέ, vgl. K.G. I 557 Anm. 4
Kommentar
187
459–464 Obwohl für Iason Medea selbst schuld an der Verbannung ist und sie seine Pläne durchkreuzt hat (er wollte angeblich, dass sie bleibe), bietet er jetzt großzügig seine Hilfe an, weil er wisse, welche Beschwernisse die Verbannung mit sich bringe, und er Medeas Hass nicht mit gleicher Gesinnung vergelten wolle; sein Angebot ist kaum als ein verstecktes Schuldeingeständnis zu werten, indem er jetzt seine Trennung von Medea wenigstens materiell ausgleichen will, vielmehr versucht er, ein positives Bild von sich zu vermitteln, als besorgter und versöhnlicher Familienvater. Die Amme hatte dagegen festgestellt, dass er sich gegenüber den Seinen schlecht verhalte (84). Jedenfalls dürfte das Hilfsangebot nicht auf einer emotionalen Hinwendung zu seiner alten Familie beruhen, sondern auf einem rationalen Kalkül, dessen sich Iason danach gegenüber Medea brüstet (547–568). 460 ‚für dich sorgen will ‘, wörtl. ‚in vorausschauendem Kümmern um das Deine / deine Interessen‘. Zur Anrede ‚Frau‘ (gynai) vgl. Dickey 1996, 86–88; es handelt sich um einen neutralen Ausdruck. 464 ‚übelwollen‘: Dieselbe Wendung (kakōs phronein) wird Medea – nicht negiert – zur Charakterisierung ihres Racheplans gebrauchen (1014). kakōs (bzw. eu) phronein hat hier (und 823; 1014) eine ethische, nicht wie in vv. 250 und 892 eine intellektuelle Bedeutung (anders Mastronarde zu v. 250, der v. 1014 unter die intellektuelle Bedeutung einordnet). Die selbstgefällige Behauptung Iasons, dass er Medea trotz ihres Hasses auf ihn nicht übelwolle, ist womöglich nicht als geheuchelt zu interpretieren, glaubt er doch, sein neues Arrangement könnte eigentlich auch vor ihrem Urteil bestehen (568).
188 Me.
Μη.
Zweites Epeisodion: 465–470
Du übelster Schuft – denn das ist die schlimmste Beschimpfung, die ich mit meiner Stimme gegen dein unmännliches Verhalten äußern kann – kamst zu mir, kamst, obwohl mein größter Feind? {den Göttern und mir und dem ganzen Menschengeschlecht} Keine Beherztheit ist das und kein lobenswerter Mut, seinen Lieben, denen man Böses angetan hat, ins Angesicht zu blicken,
465
ὦ παγκάκιστε, τοῦτο γάρ σ’ εἰπεῖν ἔχω γλώσσῃ μέγιστον εἰς ἀνανδρίαν κακόν, ἦλθες πρὸς ἡμᾶς, ἦλθες, ἔχθιστος γεγώς; {θεοῖς τε κἀμοὶ παντί τ’ ἀνθρώπων γένει} οὔτοι θράσος τόδ’ ἐστὶν οὐδ’ εὐτολμία, φίλους κακῶς δράσαντ’ ἐναντίον βλέπειν,
465
470
470
465–466 τοῦτο … μέγιστον … κακόν] τοῦτο ist innerer Akkusativ (worauf sich μέγιστον … κακόν prädikativ bezieht) zu εἰπεῖν, das σ’ als direktes Objekt regiert. 465 γάρ] vgl. zu 234 467 ἔχθιστος γεγώς] ‚du bist zu meinem größten Feind geworden und bist das jetzt beständig‘ (K.-G. I 147, 2); vgl. Soph. Phil. 1284 (Tedeschi) 466–468 {…} Hübner 1984a, 25–27 – vgl. Komm. zu 465–466; 466; 467 (die Verse fügen sich problemlos in den Kontext ein) 468 {…} Brunck (vgl. 1324) – vgl. Komm. 469 θράσος] hier in der selteneren positiven Bedeutung (LSJ s. v. I) 470 Der Vers hat Mittelzäsur nach elidiertem Wort; vgl. West 1982, 82f . | δράσαντ’] δράσαντ(α) schließt sich an den unausgedrückten Subjektsakkusativ von βλέπειν an.
Kommentar
189
465–519 Rede Medeas. Sie besteht aus 53 Versen (468 ist unecht), wie die folgende Gegenrede Iasons, und ist rhetorisch durchsichtig gegliedert. Auf die einleitende Reaktion auf Iasons Erscheinen (465–474) folgt eine ‚Narratio‘, d. h. die Darlegung all dessen, was Medea für Iason getan hat (475–487). Daran schließen sich eine Verurteilung des vor diesem Hintergrund unverzeihlichen Verrats Iasons (488–498) und in der Form einer hypothetischen Befragung Iasons eine Schilderung der Folgen dieses Verrats für das weitere Leben Medeas und der Kinder an (499–515), bevor Medea mit einer Klage, dass man zwar unechtes Gold, aber nicht schlechte Männer an einem äußeren Merkmal erkennen könne, ihre Rede beendet (516–519). – Delgado (2021, 332–335) möchte in der Struktur der Rede Regeln späterer Progymnasmata vorweggenommen sehen, was dann bei ihm zu der rein formalen Gliederung Gegenwart (465–474), Vergangenheit (475–495), Zukunft (496–519) führt, womit die Spezifika der Rede aber nicht erfasst sind. 465–474 Medeas Reaktion auf Iasons Erscheinen, das er selbst als großzügig verzeihende Geste gesehen haben wollte, ist der heftige Vorwurf der Schamlosigkeit, dass er sich als Verursacher des Konflikts traut, zu der von ihm treulos verlassenen Familie zu kommen. Aber trotzdem will sie reden, zu ihrer Erleichterung und um ihn zu betrüben. Auf den von Iason genannten Zweck seines Kommens (Fürsorge für sie und die Kinder) geht sie nicht ein. – Zur ungewöhnlichen Beschimpfung eines Mannes aus dem Munde einer Frau in der euripideischen Tragödie vgl. McClure 1999, 384. 465–466 ‚Du übelster Schuft‘, wörtl. ‚Du in jeder Hinsicht Schlechtester (der Menschen)‘: Die Beschimpfung soll sich auf Iasons ‚Unmännlichkeit‘ (anandria) beziehen (466), womit generell negiert wird, was den Charakter eines Mannes ausmachen soll. So ist hier das Wort kaum auf die übliche Bedeutung ‚Feigheit‘ eingeengt (die auch mitschwingt: Iason war zu feige, seine Heiratspläne offen zu gestehen), sondern als „conduct unworthy of a man“ (Page) zu verstehen. Medea dürfte das Eingehen der neuen Verbindung hinter ihrem Rücken meinen, d. h. den Verrat an ihr und der Familie (vgl. 470). – Zu diesem Ausdruck der Beschimpfung am Versanfang vgl. Soph. Tr. 1124; Ant. 742; Eur. Kykl. 689; Hik. 513. 466 ‚mit meiner Stimme‘, wörtl. ‚mit der Zunge‘, d. h. mit dem Organ, mit dem man Worte äußern kann. Diese Beschimpfung ist das Äußerste, womit Medea Iason verbal zuzusetzen vermag; die Alternative (bzw. die nächste Stufe) bestünde darin, zur Tat zu schreiten. 467 ‚kamst … kamst‘: Vgl. zu 111b. 468 Der Vers ist identisch mit v. 1324, den Iason zu Medea spricht und der dort gut verankert ist. Die Wiederholung hier ist entweder eine Schauspielerinterpolation zur Erhöhung des Pathos oder eine eingedrungene Randnotiz, anknüpfend an echthistos (467, verhasstest‘, ‚größter Feind‘), wie 1324 auf echthistē (1323) folgt (vgl. auch Martina III 184). 469 Medea negiert ausdrücklich, dass Iasons Auftreten vor seiner Familie als mutig zu deuten wäre, was Iason selbst vielleicht so sehen würde.
190
Zweites Epeisodion: 471–478
sondern das größte aller Übel bei den Menschen, Schamlosigkeit. Trotzdem hast du gut daran getan zu kommen: Denn meine Seele wird es erleichtern, wenn ich dich beschimpft habe, und dich wird es kränken, wenn du’s gehört hast. Mit dem Wichtigsten werde ich an erster Stelle meine Rede beginnen: Ich habe dich gerettet – das wissen alle Griechen, die mit dir an Bord desselben Schiffes Argo gingen –, als du ausgesandt warst, die feuerspeienden Stiere unters Joch ἀλλ’ ἡ μεγίστη τῶν ἐν ἀνθρώποις νόσων πασῶν, ἀναίδει’. εὖ δ’ ἐποίησας μολών· ἐγώ τε γὰρ λέξασα κουφισθήσομαι ψυχὴν κακῶς σὲ καὶ σὺ λυπήσῃ κλυών. ἐκ τῶν δὲ πρώτων πρῶτον ἄρξομαι λέγειν· ἔσωσά σ’, ὡς ἴσασιν Ἑλλήνων ὅσοι ταὐτὸν συνεισέβησαν Ἀργῷον σκάφος, πεμφθέντα ταύρων πυρπνόων ἐπιστάτην
475
475
471–472 ἡ μεγίστη τῶν ἐν ἀνθρώποις νόσων / πασῶν] vgl. TrGF V F 403,7 πασῶν μεγίστην τῶν ἐν ἀνθρώποις νόσων, dort allerdings vom Neid (v. 2) gesagt 472 εὖ δ’ ἐποίησας μολών] ‚But thank you für coming‘ (Collard 2018, 118 f.); kolloquialer Ausdruck neben poetischem μολών (Bers 1984, 6) 474 ψυχὴν] Akkusativ der Beziehung | κακῶς σὲ] Die Wendung gehört in weiter Sperrung zu λέξασα (473), von K.-G. II 601 Anm. 2 als dunkel getadelt, aber so stehen das Reden und die Erleichterung für die Seele im Text beieinander, und die Art des Redens wird in betonter Nachstellung mit dem erwarteten Effekt auf Iason verbunden; vgl. auch Mastronarde. | λυπήσῃ] mediales Futur in passiver Bedeutung | κλυών West 1984, 174 : κλύων (Hss.) : πλέον – κλυών, und zwar im Aorist, korrespondiert mit λέξασα, es kommt jeweils auf den Effekt des Redens und Hörens an (anders Mastronarde; Martina III). 475 +τῶν δὲ : τῶνδε (Hss.) – Das deiktische Pronomen gibt hier keinen Sinn, jedoch das verbindende δὲ (in dichterischer Stellung, in Prosa würde man sagen ἐκ δὲ τῶν, K.-G. I 611). | πρώτων πρῶτον] Polyptoton (wobei πρῶτον allerdings Adverb und im strengen Sinne keine andere Kasusform ist). Zur Semantik vgl. LSJ s. v. πρότερος B. I. 4; II. 3. a. 476 Die Häufung von Sigmas in diesem Vers war Gegenstand der Komödie; vgl. den Komödiendichter Platon, fr. 29 Κ.-A. (PCG VII) ἔσωσας ἐκ τῶν σῖγμα τῶν Εὐριπίδου, Eubulos, fr. 26 K.-A. (PCG V); s. auch Martina III 186; vgl. zum Sigmatismus in der griechischen Dichtung Clayman 1987 mit dem Ergebnis: „Euripides is the most sigmatic dramatist“ (72). 477 Ἀργῷον σκάφος] statt Ἀργοῦς σκάφος wie 1 u. 1335; vgl. zu 1 478 ἐπιστάτην] ist wohl nicht parallel zu σπεροῦντα (479) als ἐπιστατήσοντα zu verstehen, das ζεύγλαισι (479) regiert (Page, bevorzugt von Mastronarde), da (1) ἐπιστάτης sonst immer mit dem Genitiv gebraucht wird und (2) die Verbindung ταύρων … ἐπιστάτην (so Tedeschi; Martina III) auch den plausibleren Sinn ergibt: Iason soll Herr der Stiere werden, und zwar mit Hilfe des Jochs, d. h., dass er sie unter das Joch bringt. ζεύγλαισι ist also ein ἐπιστάτην ergänzender instrumentaler Dativ (K.-G. I 428, 4).
Kommentar
191
471–474 Der Unverschämtheit von Iasons Kommen gewinnt Medea den Vorteil ab, dass sie durch eine Invektive gegen Iason ihre Seele erleichtern und ihn kränken kann. Iason hatte allerdings bereits vorweg erklärt, dass ihm ihre Beschimpfungen nichts ausmachten (451 f.). 472 ‚Schamlosigkeit‘: Was das größte (krankhafte) Übel (im Griechischen nosos, ‚Krankheit‘,) sei, dazu gibt es in der griechischen Literatur unterschiedliche Auffassungen. An anderer Stelle bei Euripides wird der Neid genannt (TrGF V F 403,7; Text in TS zu 471–472), für Platon gehören übermäßige Lust- und Schmerzgefühle zu den schwersten Krankheiten der Seele (Timaios 86b5–7). ‚hast du gut daran getan‘: Eine kolloquiale Form des Dankens, vgl. z. B. IA 642. 473 (griech. Text: 473 f.) ‚meine Seele wird es erleichtern‘, wörtl. ‚ich werde erleichtert werden in Bezug auf meine Seele‘. 475–487 Medea fasst in einer eindrucksvollen Aufzählung zusammen, was sie alles für Iason unter eigenen Opfern getan hat, worin implizit ein Anspruch auf Gegenleistung begründet ist. 475 Medea disponiert ihre Rede rhetorisch (wörtl. ‚mit den ersten Dingen werde ich zuerst beginnen‘), wobei das Erste hier nicht das zeitlich Erste ist, sondern das dem Rang nach Wichtigste (die Rettung Iasons, 476), das daher an ranghöchster erster Stelle der Rede steht (vgl. Mossman). Vgl. zu dispositorischen Bemerkungen bei einer Rede Hipp. 991 f. 476 ‚Ich habe dich gerettet‘: In dieser Aussage am Beginn des Hauptteils von Medeas Rede ist alles zusammengefasst, was im Folgenden (478–487) in einzelne Taten aufgegliedert wird. Mit derselben entscheidenden Aussage wird sie auch den Hauptteil beschließen (515). – Für Pindar ist die Rettung der Argonauten durch Medea ein Faktum (Olympien 13,54). 476–477 Medea beruft sich für ihre Darstellung der Fakten (gewissermaßen die Narratio der Rede) auf Zeugen wie in einer Gerichtsrede. Vgl. auch zu 465– 519. 478–479 Ausgesandt wurde Iason, das Goldene Vlies aus Kolchis zu holen (5 f.); Medea nennt stattdessen die Bedingungen, die ihr Vater für die Gewinnung des Vlieses gestellt hatte. Wie ihre Hilfe bei der komplexen Aufgabe aussah, sagt sie nicht; offenbar konnte Euripides die ‚Sachverhalte‘ als bekannt voraussetzen, oder die Einzelheiten schienen ihm nicht wichtig. Nach Pindar (Pythien 4,220–237) erhielt Iason von Medea ein Zauberöl, mit dem er sich einsalbte und das ihn gegen die feuerspeienden Stiere schützte. Wie Iason mit den durch eine Aussaat von Schlangenzähnen aus dem Boden wachsenden Kämpfern fertig werden soll, ist für uns erst durch Apollonios’ Argonautika (3,1026–1062; 1278–1407) überliefert. Danach musste sich Iason auf Rat Medeas u. a. einem Opferritual an die Göttin Hekate unterziehen, wurde durch ein Pharmakon (‚Zaubermittel‘) stark gemacht, sodass er die Kämpfe bestehen würde, und sollte einen Stein unter die aus der Erde wachsenden Männer werfen, sodass sie sich untereinander bekämpften.
‚die feuerspeienden Stiere unters Joch zu bringen‘, wörtl. ‚(ausgesandt) als Beherrscher / Lenker der feuerspeienden Stiere mit Hilfe des Jochs‘; zur sprachlichen Problematik vgl. TS zu 478.
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Zweites Epeisodion: 479–490
zu bringen und das todbringende Feld zu besäen. Und die Schlange, die das goldene Vlies beschützte, es mit 480 vielfachen Windungen umfassend, schlaflos, habe ich getötet und dir das Licht der Rettung hochgehalten. Ich war es, die ich meinen Vater und meine Familie verriet und in das am Pelion gelegene Iolkos gekommen bin mit dir, mehr dir hingegeben als klug; 485 und den Pelias tötete ich, wie es am schmerzlichsten ist zu sterben, durch seine eigenen Töchter, und beseitigte (dir) jeglichen Grund zur Furcht. Und obwohl du diese Hilfe von mir, du schlechtester der Männer, erfuhrst, hast du mich verraten und bist eine neue Ehe eingegangen, wo wir doch Kinder haben. Denn wärst du noch kinderlos, 490 ζεύγλαισι καὶ σπεροῦντα θανάσιμον γύην· δράκοντά θ’, ὃς πάγχρυσον ἀμπέχων δέρος σπείραις ἔσῳζε πολυπλόκοις ἄυπνος ὤν, κτείνασ’ ἀνέσχον σοι φάος σωτήριον. αὐτὴ δὲ πατέρα καὶ δόμους προδοῦσ’ ἐμοὺς τὴν Πηλιῶτιν εἰς Ἰωλκὸν ἱκόμην σὺν σοί, πρόθυμος μᾶλλον ἢ σοφωτέρα· Πελίαν τ’ ἀπέκτειν’, ὥσπερ ἄλγιστον θανεῖν, παίδων ὕπ’ αὐτοῦ, πάντα τ’ ἐξεῖλον φόβον. καὶ ταῦθ’ ὑφ’ ἡμῶν, ὦ κάκιστ’ ἀνδρῶν, παθὼν προύδωκας ἡμᾶς, καινὰ δ’ ἐκτήσω λέχη, παίδων γεγώτων· εἰ γὰρ ἦσθ’ ἄπαις ἔτι,
480
485
490
479 ζεύγλαισι (Hss.) : ζεύγλῃσι(ν) – Es handelt sich nur um ein orthographisches Problem; da aber im 5. Jh. ζεύγλῃσι die übliche Schreibweise darstellt, ist das mehrheitlich überlieferte ζεύγλαισι als lectio difficilior anzusehen. | σπεροῦντα … γύην] vgl. Herakl. 839 f. (Tedeschi) | θανάσιμον] zur aktiven Bedeutung vgl. Ion 616 φαρμάκων … θανασίμων 480 θ᾿ : δ᾿ – bloße Fortsetzung wie τ᾿ in v. 486 | δέρος : δέρας (Hss.); vgl. zu 5 483 αὐτὴ] vgl. LSJ s. v. I. 2. „of onself, of one’s own accord“ 485 πρόθυμος μᾶλλον ἢ σοφωτέρα] Beim Vergleich zweier Eigenschaften an demselben Objekt, wobei diesem die eine mehr als die andere zukommt, werden beide in den Komparativ gesetzt, z. B. Herodot 3,65,3 ἐποίησα ταχύτερα ἢ σωφώτερα. Statt des Komparativs kann auch μᾶλλον mit Positiv stehen (vgl. Aisch. Ag. 1591 προθύμως μᾶλλον ἢ φίλως); hier liegt eine Verbindung beider Möglichkeiten vor: μᾶλλον mit Positiv + Komparativ an zweiter Stelle (vgl. K.-G. II 312, 5). | πρόθυμος] LSJ s. v. II „bearing good will, wishing well, devoted“, vgl. 1146 486 Πε– λίαν τ’ ἀπέκτ-] ⏑͡͡⏑‒⏑‒, vgl. zu 397 487 τ᾿ : δ᾿ (Hss.) – vgl. zu 480 | φόβον (Hss.) : +δόμον – vgl. ETS zu 487, S. 432 | φόβον] konkret ‚Grund zur Furcht‘ (LSJ s. v. II. 2) 490– 515 {…} Hübner 1985, 32–38 – Die Versgruppe ist aus der Situation Medeas heraus zu verstehen; vgl. jeweils Komm. u. TS im Folgenden.
Kommentar
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480–487 Für die weiteren Taten für Iason gibt Medea an, sie selbst ausgeführt zu haben (wobei sie die Tötung ihres Bruders Apsyrtos [vgl. zu 166–167] nicht nennt). Medeas Anspruch ist beim Verrat am Vater (31 f.), ihrer Begleitung Iasons nach Iolkos (7) und der Ermordung des Pelias (vgl. zu 9) auch nach der sonstigen mythographischen Überlieferung unstrittig. Für die Schlange überliefert Pindar (Pythien 4,249), Iason habe sie ‚mit List‘ (technais) getötet, wobei in der ‚List‘ die Hilfe Medeas angedeutet sein könnte. Auch nach Pherekydes (FGrHist / BNJ 3 F 31) hat Iason die Schlange getötet. Nach Apollonios Rhodios (4,87; 145– 166) wird die Schlange nicht getötet, sondern von Medea eingeschläfert, sodass Iason das Goldene Vlies entwenden kann. Euripides folgt hier entweder einer sonst nicht überlieferten Version oder schafft eine neue. Jedenfalls kann er Medea nicht in Gegenwart Iasons behaupten lassen, sie habe die Schlange getötet, wenn das nicht als mythologische Wahrheit akzeptiert werden sollte; er lässt seine Figur Iason nicht widersprechen, sondern Medeas Hilfe relativieren (526–533).
482 ‚das Licht der Rettung hochgehalten‘: wie eine Fackel, wobei ‚Licht‘ allein schon ein Symbol für Rettung aus Gefahr darstellt; vgl. Homer, Ilias 6,6; 18,102; Eur. HF 531 (Mastronarde). 483 ‚verriet‘: Medea beschuldigt sich selbst mit demselben Wort (vgl. 503), mit dem sie auch Iasons Verrat an ihr bezeichnet (489); vgl. auch zu 17–19. 484–487 Zum Pelion-Gebirge, zu Iolkos und zu Pelias vgl. zu 3, 6 u. 9. 487 Medea setzt als Schlusspunkt, dass sie Iason von weiteren Nachstellungen des Pelias bewahrt, ihn also in eine Lage versetzt habe, in der er ungefährdet leben könne. Ihre eigene Motivation für ihre Hilfe sieht sie im Nachhinein als von Liebe bestimmt und nicht als klug an (485). Überliefert ist an dieser Stelle neben ‚Grund zur Furcht‘ auch ‚Haus‘, d. h. Medea würde sagen, dass sie Pelias’ ganzes ‚Haus‘ vernichtet habe. Jedoch hat sie nur Pelias und nicht etwaigen männlichen Nachkommen den Tod gebracht. Jedenfalls hat der Tod des Pelias nicht zu einer Thronfolge Iasons in Iolkos, sondern zur Flucht von dort (6 ff.) geführt. Vgl. zur textkritischen und sachlichen Problematik im Einzelnen ETS zu 487, S. 432. 488–498 Angesichts ihrer Hilfeleistung beklagt Medea Iasons Verrat an ihr, seinen Eidbruch und seinen Missbrauch der Hikesie. 488–491 In krassem Missverhältnis zu ihren Leistungen sieht Medea den in der neuen Ehe Iasons bestehenden Verrat an ihr (vgl. auch zu 17–19), und das, obwohl sie zwei Söhne geboren hatte, genug, wie sogar Iason dann zugesteht (558). D. h., Medea hatte nicht nur Iasons Leben gerettet, sondern auch geleistet, was von einer Frau in der Ehe erwartet wurde. Dementsprechend schließt Medea Kinderlosigkeit als Grund für ihn, eine neue Ehe einzugehen, aus, ein Grund, den sie verzeihlich nennt (Medea macht dieses mögliche Argument durch einen ‚hypothetischen Syllogismus‘ schon vorweg zunichte; Lloyd 1992, 32). Wie wichtig Söhne für ein dynastisches Denken sind, wird Iason gleich selbst zu erkennen geben (562–567) und erhellt auch aus der Aigeus-Szene. 490–491 Kinderlosigkeit (wegen Unfruchtbarkeit der Frau) wird auch im realen Leben der Zeit als Scheidungsgrund für den Mann angegeben. Vgl. Herodot 5,39 f. (Sparta); dazu Erdmann (1934, 388; 390), der allgemein bemerkt, Sterilität sei im Altertum ein stark beachteter Grund für Scheidungen gewesen.
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Zweites Epeisodion: 491–498
wäre es verzeihlich für dich, diese Ehe begehrt zu haben. Dein eidliches Versprechen ist dahin, und ich kann nicht erkennen, ob du glaubst, dass die damaligen Götter nicht mehr herrschen oder dass jetzt neue Satzungen für die Menschen bestehen, wo du dir doch bewusst bist, dass du mir gegenüber den Eid gebro- 495 chen hast. Weh meine rechte Hand, die du oft anfasstest und auch meine Knie, ganz umsonst habe ich mich berühren lassen von dem treulosen Mann, denn in meinen Erwartungen wurde ich enttäuscht. συγγνώστ’ ἂν ἦν σοι τοῦδ’ ἐρασθῆναι λέχους. ὅρκων δὲ φρούδη πίστις, οὐδ’ ἔχω μαθεῖν, εἰ θεοὺς νομίζεις τοὺς τότ’ οὐκ ἄρχειν ἔτι ἢ καινὰ κεῖσθαι θέσμι’ ἀνθρώποις τὰ νῦν, ἐπεὶ σύνοισθά γ’ εἰς ἔμ’ οὐκ εὔορκος ὤν. φεῦ δεξιὰ χείρ, ἧς σὺ πόλλ’ ἐλαμβάνου καὶ τῶνδε γονάτων, ὡς μάτην κεχρῴσμεθα κακοῦ πρὸς ἀνδρός, ἐλπίδων δ’ ἡμάρτομεν.
495
491 σύγγνωστ’ ἂν : συγγνωστὸν (Hss.) – Es liegt eine irreale Periode vor (vgl. aber MT § 422,1); zum Plural vgl. zu 384. 492 ὅρκων … πίστις] vgl. Hipp. 1309 ὅρκων … πίστιν | φρούδη] sc. ἐστίν (fehlt wie oft in der Dichtersprache, K.-G. I 41) 493 εἰ Reiske : ἢ (Hss.) : ἦ – ἢ zur Einleitung einer indirekten Frage ist homerischer Sprachgebrauch, im Attischen ist εἰ die Regel, es ist aber nicht ausgeschlossen, dass ein Epizismus vorliegen könnte (vgl. im Einzelnen Page, der sich zögernd für εἰ entscheidet; Garvie 1986 zu Aisch. Cho. 756–757 plädiert in diesem parallelen Fall für εἰ). | θεοὺς] θε͜οὺς einsilbig zu lesen 495 ἐπεὶ … γ᾿] ‚wo … doch‘. ἐπεί wird oft gebraucht, „wenn der Satz mit ἐπεί einen Gegensatz zu dem vorhergehenden ausdrückt, wo man es durch wiewohl, quamquam zu übersetzen pflegt.“ (K.-G. II 461, Anm. 1); vgl. auch Manuwald 1999, 274. Zu γε bei ἐπεί vgl. GP 142 (ii). | σύνοισθα : +(Hss.) : +συνῆ(ι)σθα – Iason hat seinerzeit keinen Meineid geleistet, sondern íst sich nach Medeas Überzeugung bewusst, den Eid inzwischen gebrochen zu haben. | οὐκ εὔορκος] Litotes 497 γονάτων] abhängig von ἐλαμβάνου wie ἧς (496), nicht von φεῦ (496), da ein Konstruktionswechsel vom Vokativ / Nominativ (χείρ, 496) zum Genitiv unbelegt wäre (Mastronarde); vgl. zu dieser Konstruktion zu 163. 498 ἐλπίδων (Hss.) : ἐλπίδος – zum Plural vgl. [Eur.] Rh. 581 | δ’] vgl. zu 294 | πρὸς] vgl. zu 26
Kommentar
195
491 ‚begehrt‘: Die Wortwahl lässt vermuten, dass Medea bei der hypothetischen Motivation wegen Kinderlosigkeit auch ein erotisches Motiv für die neue Ehe unterstellt (vgl. Mossman). 492–495 Als weitere Unerklärlichkeit für Iasons Eidbruch ihr gegenüber erwägt Medea zwei absurde Vorstellungen als seine mögliche Überzeugung, entweder dass er glaube, dass die Götter, bei denen er den Eid geschworen habe, nicht mehr herrschten, oder dass er glaube, dass es unter den Menschen neue Satzungen gebe. Da beide Alternativen evident falsche Annahmen wären, ist klar, dass Medea damit Iason vorhält, dass er sich mit seinem Eidbruch gegenüber Göttern und Menschen rechtswidrig verhält. 492 ‚Dein eidliches Versprechen‘, wörtl. ‚die in Eiden bestehende Zusicherung‘: Im Griechischen steht kein Personalpronomen, aber es ist sicher trotz des Plurals ‚Eide‘ die konkrete eidliche Zusicherung Iasons gemeint – wie entsprechend Hipp. 1309 – und nicht, dass die Vertrauenswürdigkeit von Eiden nun allgemein aufgehoben wäre (verallgemeinernd dagegen der Chor, 412–414; 439). 495–498 Mit diesen Versen verweist Medea darauf, dass sich Iason auch als Bittflehender an Medea gewandt habe. Nach dem gebrochenen Eid sieht sich Medea in dieser Hinsicht ebenfalls missbraucht. Zur ‚rechten Hand‘ vgl. 21 f.
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Zweites Epeisodion: 499–512
Komm, als wärst du ein Freund, will ich mich mit dir beraten – zwar, was glaube ich ausgerechnet von dir Gutes zu erfahren? 500 Aber dennoch tue ich es, denn befragt wirst du dich als noch schändlicher erweisen –: Wohin soll ich mich jetzt wenden? Zum Haus meines Vaters, das ich für dich, wie auch meine Heimat, verriet, als ich hierher kam? Oder zu den unglücklichen Töchtern des Pelias? Gewiss freundlich würden sie mich im Hause aufnehmen, deren Vater ich tötete! 505 Denn so steht es: Den Angehörigen zu Hause bin ich verhasst, diejenigen, denen ich nichts Schlimmes hätte antun dürfen, habe ich zu Feinden, weil ich dir einen Gefallen tat. So hast du mich denn in den Augen vieler Griechinnen zum Ausgleich dafür glücklich gemacht! Einen bewundernswerten 510 Gatten habe ich in dir und einen treuen, ich Unglückliche, da ich aus dem Lande fliehen muss, hinausgeworfen, ἄγ’, ὡς φίλῳ γὰρ ὄντι σοι κοινώσομαι (δοκοῦσα μὲν τί πρός γε σοῦ πράξειν καλῶς; ὅμως δ’, ἐρωτηθεὶς γὰρ αἰσχίων φανῇ)· νῦν ποῖ τράπωμαι; πότερα πρὸς πατρὸς δόμους, οὓς σοὶ προδοῦσα καὶ πάτραν ἀφικόμην; ἢ πρὸς ταλαίνας Πελιάδας; καλῶς γ’ ἂν οὖν δέξαιντό μ’ οἴκοις, ὦν πατέρα κατέκτανον. ἔχει γὰρ οὕτω· τοῖς μὲν οἴκοθεν φίλοις ἐχθρὰ καθέστηχ’, οὓς δέ μ’ οὐκ ἐχρῆν κακῶς δρᾶν, σοὶ χάριν φέρουσα, πολεμίους ἔχω. τοιγάρ με πολλαῖς μακαρίαν Ἑλληνίδων ἔθηκας ἀντὶ τῶνδε· θαυμαστὸν δέ σε ἔχω πόσιν καὶ πιστὸν ἡ τάλαιν’ ἐγώ, εἰ φεύξομαί γε γαῖαν ἐκβεβλημένη,
500
505
510
500–501 {…} Usener – vgl. Komm. zu 499–501 500 +μὲν τί : μέν τι : μέντοι : μή τι (Variante in Σ) – Nach Page sind μέν τι, μή τι ‚Verbesserungen‘, weil man nicht verstanden habe, dass der Satz eine Frage sei (zur Stellung des Frageworts vgl. Thomson 1939, 149). | γε] determinativ-emphatisch, zur Hervorhebung des Pronomens vgl. GP 121–123 (4); zur Stellung nach πρός vgl. GP 146 (1) 503 ἀφικόμην Hss. : ἅμ᾿ ἑσπόμην Naber 504 γ’ ἂν οὖν : τ’ ἂν οὖν : τὰ νῦν – Das sarkastisch-ironische γε … οὖν (GP 128; 449) trifft genau den hier anzunehmenden Sinn. 505 δέξαιντό μ’ οἴκοις] vgl. Soph. OT 818 δόμοις δέχεσθαι und zu 397 506 οἴκοθεν] vgl. zu 239 509 τοιγάρ] bezeichnet die (zunächst) eingetretene Folge von Medeas Hilfe für Iason; vgl. GP 566 | πολλαῖς] dativus iudicantis (Schwyzer II 151 f.; K.-G. I 421 b) | +ἑλληνίδων : καθ᾿ ἑλλάδα : ἀν᾿ ἑλλάδα – Ἑλληνίδων ist die passende Ergänzung zu πολλαῖς. 512 εἰ … γε] vgl. zu 88 | φεύξομαί … γαῖαν] zur Konstruktion mit Akkusativ vgl. K.-G. I 295, 3; LSJ s. v. φεύγω ΙΙΙ. 1 | γε +Herodian (eine Hs.), Zonaios (VIII 679 Walz) : τε (Hss) : δὲ – τε oder δὲ ergeben hier keinen Sinn (Diggle 1994, 270).
Kommentar
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499–515 In einer ‚Beratung‘ mit Iason, den sie sarkastisch als Freund betrachten will (vgl. 467!), stellt Medea ihm Fragen nach dem zukünftigen Aufenthalt für sich und ihre Kinder und legt in den selbst gegebenen Antworten dar, in welch eine aussichtslose Lage er sie durch den Verrat gebracht hat. 499–501 Auch wenn sich Medea nur aufgrund einer hypothetischen Annahme mit Iason berät, als ob er ein Freund sei, mit dem man über die eigene Zukunft beraten könnte, bedarf sie einer inneren Rechtfertigung für die Sinnhaftigkeit ihres Vorgehens, ist sie doch überzeugt, dass sie von Iason nichts Positives zu erwarten hat (das ist in der Frage in v. 500 impliziert bzw. gedanklich zu ergänzen). Die Rechtfertigung besteht darin, dass die zu postulierenden Antworten Iasons auf Medeas Fragen seine Schändlichkeit noch deutlicher hervortreten ließen. 502–508 Auf die Frage, wohin sich Medea als Verbannte jetzt wenden solle, nennt sie zwei alternative Möglichkeiten, die ihr wegen ihrer Hilfe für Iason verbaut sind und die gewiss auch Iason, wenn er unmittelbar antwortete, nicht nennen würde. Insofern stellt Medea keine wirklich offene Frage. Aber auch auf eine solche hätte Iason keine Antwort. Denn er wird Medea nur materielle Hilfe und Erkennungszeichen für Gastfreunde anbieten (610–613), aber keinen dauernden Zufluchtsort angeben. – Auf die vv. 502–505 bezieht sich Gaius Gracchus in einer Rede (FRL III 48 F 61 = Cicero, De oratore 3,214), vielleicht in direkter Kenntnis des Euripides und nicht durch Ennius’ Medea (fr. CIV Jocelyn = TrRF I2 adesp. 25) vermittelt; vgl. Bing 2011, 6 mit Anm. 19); vgl. auch Ennius, Andromacha TrRF II2 F 23,4–9 = FRL II. 503 ‚verriet‘: vgl. zu 483. 504 Zu den Töchtern des Pelias vgl. zu 9. 508 Der ‚Gefallen‘ für Iason bestand darin, dass er für Unrecht, das er von Pelias erfahren hatte, Genugtuung erhalten sollte. Zu der Frage, um welches Unrecht es sich handelte, vgl. Einf., S. 7. 510a ‚dafür‘: Für das, was Medea für Iason in Kolchis und Iolkos getan hat. ‚glücklich‘(griech. Text: 509): Das griechische Wort makarios könnte eine Anspielung auf die Glücklichpreisung (makarismos) der Braut bei der Hochzeit sein; vgl. 957 sowie Mastronarde mit Verweis auf Garland 1990, 221. – Mit bitterem Sarkasmus bezieht sich Medea auf einen (vermuteten) Eindruck ihrer Geschlechtsgenossinnen, die sie um ihren Ehemann beneidet haben. 510b–515 Die Realität für Medea ist, dass der ‚bewundernswerte Gatte‘ nicht nur zulässt, dass seine Frau verbannt wird, sondern auch die Kinder diesem Schicksal überantwortet.
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Zweites Epeisodion: 513–523
ohne Freunde, allein mit den alleingelassenen Kindern. Eine wirklich schöne Schande für den Neuvermählten, dass seine Kinder als Bettler umherirren und ich, die ich dich gerettet 515 habe! O Zeus, warum gabst du beim Gold, das verfälscht ist, den Menschen ein deutliches Erkennungszeichen, aber ist bei Menschen kein Merkmal, mit dem man den schlechten erkennen kann, ihrem Körper eingeprägt? Chf. Ganz furchtbar und schwer heilbar ist die zornige Erregung, 520 sooft eng verbundene Menschen miteinander in Streit geraten. Ia. Ich darf, wie es scheint, kein schlechter Redner sein, sondern muss wie der tüchtige Steuermann eines Schiffs
Χο. Ια.
φίλων ἔρημος, σὺν τέκνοις μόνη μόνοις· καλόν γ’ ὄνειδος τῷ νεωστὶ νυμφίῳ, πτωχοὺς ἀλᾶσθαι παῖδας ἥ τ’ ἔσωσά σε. ὦ Ζεῦ, τί δὴ χρυσοῦ μὲν, ὃς κίβδηλος ᾖ, τεκμήρι’ ἀνθρώποισιν ὤπασας σαφῆ, ἀνδρῶν δ’, ὅτῳ χρὴ τὸν κακὸν διειδέναι, οὐδεὶς χαρακτὴρ ἐμπέφυκε σώματι; δεινή τις ὀργὴ καὶ δυσίατος πέλει, ὅταν φίλοι φίλοισι συμβάλωσ’ ἔριν. δεῖ μ’, ὡς ἔοικε, μὴ κακὸν φῦναι λέγειν, ἀλλ’ ὥστε ναὸς κεδνὸν οἰακοστρόφον
515
520
513 μόνη μόνοις] Das Polyptoton betont die Vereinsamung Medeas und ihrer Kinder in der Verbannung. 514 γ’] sarkastische Betonung des ironischen Ausrufs καλόν … ὄνειδος (GP 128); vgl. 504 | τῶ(ι) … νυμφίω(ι) : τῶν … νυμφίων : Π hat ω am Ende – Der Singular (dativus incommodi) ist dem Plural (genetivus obiectivus) vorzuziehen; vgl. auch Π. 515 πτωχοὺς ἀλᾶσθαι] vgl. Homer, Odyssee 19,74; 21,327 516 ὃς κίβδηλος ᾖ] ἄν kann in der Dichtersprache fehlen (K.-G. II 426 Anm. 1) 518 ἀνδρῶν] trotz des weiten Abstandes eher von σώματι (519) abhängig (es geht um ein am Körper der Menschen äußerlich erkennbares Merkmal) als partitiv von κακὸν (Martina III, alternativ erwogen von Mastronarde) | χρὴ] vgl. LSJ s. v. II „sts. in a less strong sense“; vgl. Kovacs’ Übersetzung: „by which one could identify base men“ | τὸν κακὸν +(Hss.) : +τῶν κακῶν – Letzteres ist offenbar eine fehlerhafte Angleichung an ἀνδρῶν. 520 τις] steigert das Adjektiv (K.-G. I 663) 521 φίλοι φίλοισι] Polyptoton zur Betonung der engen Beziehung der Streitenden | συμβάλωσ’ ἔριν] vgl. 44 f. συμβαλὼν / ἔχθραν 522 φῦναι] vgl. LSJ. s. v. φύω B. II. 1 „to be so and so“ (λέγειν ist epexegetischer Infinitiv zu κακὸν) 523 ναὸς κεδνὸν οἰακοστρόφον] dieselbe Wendung wie Aisch. Sept. 62 (wobei es dort allerdings um die Abwehr feindlicher Gefahr geht; Otten 2005, 160) | ναὸς +(Hss.) : νηὸς – Die dorische Form νᾱός wird im iambischen Trimeter der Tragödie als Alternative gebraucht, wo die attische Form νεώς metrisch nicht möglich ist, vgl. z. B. Hek. 1263; IT 1385; Tro. 686 etc. (Page); νηός ist die ionische Form.
Kommentar
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513–515 Hier geht Medea davon aus, dass sie mit den Kindern verbannt sein wird; vgl. dagegen 604. 516–519 Medea beschließt ihre Rede mit einer bitteren Klage, dass im Unterschied zu verfälschtem Gold die Schlechtigkeit von Menschen nicht durch ein äußeres Merkmal erkennbar sei, d. h., dass sie sich von Iason hat täuschen lassen. Vgl. zu dem Gedanken insgesamt Theognidea 119–124; Eur. Hipp. 925– 931. Vgl. auch Kurke 1999, 53–58. 516–517 An einem Prüfstein (basanos) konnte man Gold auf seine Echtheit hin prüfen, indem man es daran rieb und die Spur, die es hinterließ, zur Grundlage der Beurteilung machte; vgl. Theognidea 449 f.; 1105 f.; Lord 1937; Bogaert 1976, bes. 8–12. Mit verfälschtem Gold muss Gold gemeint sein, das nicht rein, sondern mit anderem Metall vermischt ist, nicht, wie es bei Münzen vorkam (Kurke 1999, 54), außen eine Goldschicht, innen minderwertiges Metall (so aber Mastronarde), weil diese Verfälschung ebenso wenig von außen erkennbar bzw. überprüfbar ist wie die Schlechtigkeit eines Menschen. 518 ‚Menschen‘: Wahrscheinlich meint Medea Menschen allgemein und nicht nur Männer, wenn es auch in ihrem Fall um einen Mann geht. Vgl. zu griechisch anēr in der Bedeutung ‚Mensch‘ zu 220. 520–521 Verse des Chorführers oder der Chorführerin zwischen den Reden zweier Kontrahenten sind üblich. Der Kommentar der Chorführerin zu dem eben Gehörten lässt erkennen, dass sie den Streit zwischen zwei sich (ursprünglich) Nahestehenden für besonders brisant hält. 521 ‚eng verbundene Menschen‘, wörtl. ‚Freunde mit Freunden‘ (jeweils philoi), jedoch wird durch eine wörtliche Übersetzung das (früher) gegebene enge Verhältnis nicht zureichend ausgedrückt. philos hat ein weiteres Bedeutungsspektrum als ‚Freund‘ im modernen Sinn. 522–575 Gegenrede Iasons. Sie ist so aufgebaut, dass auf eine Einleitung zu seiner Redesituation (522–525) eine Relativierung der Hilfe Medeas (526–546, gegen Medeas Argumentation in den vv. 476–487) und eine Rechtfertigung seines Verhaltens (547–567a, gegen Medeas Ausführungen in den vv. 488–515) folgen sowie ein Schlussabschnitt (567b–575), in dem er beklagt, dass Medea aus Eifersucht seine Pläne nicht würdige. Seine Äußerungen gehören, wie gesagt wurde, zu „the most unpleasant and insensitive speeches in world theatre“ (Hall 2010b, 21). 522–525 Offenbar beeindruckt von der Redegewalt Medeas, der er sich als fähiger Redner gewachsen zeigen muss, leitet Iason seine Rede mit einer maritimen Metapher ein, wonach Medeas Rede einen heftigen Sturm repräsentiert, dem Iason nur mit gerefften Segeln entkommen zu können glaubt. Gleichzeitig diffamiert er ihre Redeweise als geschwätzig und lästig anzuhören, hält es aber offenbar doch für nötig, sich mit ihren Anschuldigungen auseinanderzusetzen.
200
Zweites Epeisodion: 524–529
mit gerefften Segeln entkommen deinem geschwätzig-lästigen Redeschwall, Frau. 525 Ich meinerseits – da du zu sehr übertreibst, was du für mich getan hast – glaube, dass Kypris für meine Fahrt die Retterin war, von Göttern und Menschen sie allein! Und du hast ja einen erregbaren Sinn – doch wäre es anstößig, ἄκροισι λαίφους κρασπέδοις ὑπεκδραμεῖν τὴν σὴν στόμαργον, ὦ γύναι, γλωσσαλγίαν. ἐγὼ δ’, ἐπειδὴ καὶ λίαν πυργοῖς χάριν, Κύπριν νομίζω τῆς ἐμῆς ναυκληρίας σώτειραν εἶναι θεῶν τε κἀνθρώπων μόνην. σοὶ δ’ ἔστι μὲν νοῦς λεπτός – ἀλλ’ ἐπίφθονος
525
526 ἐπειδὴ καὶ] καὶ kann λίαν steigern, aber es kann auch eine sogenannte Inversion vorliegen (GP 296 f.), d. h., dass καὶ eigentlich in den Hauptsatz gehört (‚ich meinerseits‘, im Gegensatz zu der von Medea vertretenen Position). | ἐπειδὴ Hss. : ἐπεὶ σὴν Nauck – Der Bezug ist auch ohne σὴν klar. 529 νοῦς λεπτός] vgl. Sappho, fr. 96,17 Voigt = Neri λέπταν … φρένα, wo λεπτός so etwas wie ‚zart‘, d. h. für Einflüsse empfänglich, bedeutet; vgl. CGL s. v. λεπτός 18 | ἀλλ’] nach μέν: vgl. GP 5 (2) „The strong adversative particle disturbs the equipoise between the clauses, and the second clause states a consideration which goes someway towards invalidating the first: ‘Aye, but’.“
Kommentar
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524 ‚mit gerefften Segeln‘, wörtl. ‚mit dem äußersten Rand / Saum des Segeltuchs‘, d. h. mit bis zu der Rahe emporgezogenen Segeln, um dem Sturm möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten und so ein Kentern des Schiffs zu vermeiden. Vgl. Casson 1971, 70; zu laiphos, ‚Segel‘, 234 Anm. 43. 525 Die Redeweise Medeas wird von Iason als stomargos glōssalgia bezeichnet. stomargos wird in einem Scholion (g) zu Aisch. Sept. 447 als ‚geschwätzig‘ (polylogos) erklärt, in glōssalgia stecken glōssa (‚Zunge / Sprache‘) und algos (‚Schmerz‘), es ist also ein Sprechen gemeint, das das Gegenüber ‚schmerzt‘, ihm lästig wird. 526–546 Im ersten Hauptabschnitt seiner Rede relativiert Iason die Hilfe Medeas in doppelter Weise, einmal mit der Behauptung, es liege keine eigenständige Leistung Medeas vor, sie habe, von Aphrodite (Kypris) bezwungen, nicht anders handeln können (526–533), dann, indem er das, was Medea dadurch bekommen habe, dass sie nun in Griechenland leben könne, als wertvoller einschätzt als Medeas ‚Hilfe‘ (534–546). 526–533 Iason greift für Medeas Hilfe eine Motivation auf, die nach der Amme (8) vonseiten Medeas tatsächlich gegeben war und die auch Medea selbst sieht (485), und setzt sie absolut, sodass Medea als bloßes Instrument göttlichen Willens erscheint. 526–528 Die Hilfe Aphrodites (Kypris) für Iasons Erfolg in Kolchis ist ein sicher voreuripidisches Motiv; nach Pindar (Pythien 4,213–219) wird Iason von ihr angeleitet, Medea zu betören. Indem Iason die Unterstützung durch Medea als von Aphrodite geradezu erzwungen einstuft (530), schließt er auch jede eigenständige Hilfe Medeas aus. Vgl. auch EK zu 526–528, S. 418. 526 ‚übertreibst‘, wörtl. ‚auftürmst‘. ‚was du für mich getan hast‘, wörtl. ‚deine Gunst / deinen Gunsterweis‘ (charis); Iason bezieht sich auf die Hilfeleistungen, die Medea für sich beansprucht (475–487). 527 ‚Kypris‘: Ein alternativer Name für die bei Zypern schaumgeborene Aphrodite (Hesiod, Theogonie 188–200), da sich die Silbenfolge ‚Aphrodite‘ (⏑⏑‒‒) nicht für den iambischen Trimeter eignet. ‚Fahrt‘: Iason bezeichnet hier das Argonauten-Abenteuer als nauklēria, als ‚Seereise‘, ‚Unternehmen zur See (mit einem Schiff)‘, hebt also auf die Fahrt selbst ab und relativiert schon damit Medeas Hilfeleistung in Kolchis. 529–531 Iason erklärt Medeas Hilfe für ihn als die eines willigen Hilfsinstruments Aphrodites (vgl. ‚erregbarer [leptos] Sinn‘): Auf die Einzelheiten, wie die Liebesleidenschaft Medea zwang, ihn zu retten, will er nicht eingehen, weil der Bericht darüber Anstoß erregen würde; d. h., er will entweder großzügig Medea die Details ersparen, oder er glaubt, es könne seinem Ruf abträglich sein, wenn er im Einzelnen berichtete (Letzteres präferiert Mossman). Vgl. zum Grundsätzlichen dieser Deutung Christmann 1962, 87–92: Iason gibt dann nicht schon in v. 529a eine (intellektuelle) Hilfeleistung Medeas zu seiner Rettung zu (wie die Stelle meist – mit anderer Auffassung von leptos [~ ‚scharfsinnig‘] – verstanden wird), sondern er erwähnt diese erst in v. 533, um sie gleich danach wieder zu relativieren.
202
Zweites Epeisodion: 530–537
im Einzelnen aufzuführen, wie Eros dich zwang mit unentrinnbaren Geschossen, mich zu retten. Aber ich will das nicht allzu genau aufrechnen: Denn so, wie du mir halfst, ist es nicht schlecht. Allerdings hast du mehr für meine Rettung bekommen, als du gegeben hast, wie ich zeigen werde: Erstens bewohnst du statt Barbarenland griechische Erde und verstehst dich darauf, unter Recht
530
λόγος διελθεῖν, ὡς Ἔρως σ’ ἠνάγκασεν τόξοις ἀφύκτοις τοὐμὸν ἐκσῶσαι δέμας. ἀλλ’ οὐκ ἀκριβῶς αὐτὸ θήσομαι λίαν· ὅπῃ γὰρ οὖν ὤνησας, οὐ κακῶς ἔχει. μείζω γε μέντοι τῆς ἐμῆς σωτηρίας εἴληφας ἢ δέδωκας, ὡς ἐγὼ φράσω. πρῶτον μὲν Ἑλλάδ’ ἀντὶ βαρβάρου χθονὸς γαῖαν κατοικεῖς καὶ δίκην ἐπίστασαι
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535
531 τόξοις ἀφύκτοις +(Hss.) : +πόνων ἀφύκτων – πόνων ἀφύκτων lässt sich zwar mit ἐκσῶσαι konstruieren, aber das Adjektiv passt ungleich besser zu τόξοις und damit zur Wirkungsweise des Eros; vgl. auch Komm. zu 530–531. | τοὐμὸν … δέμας] vgl. zu 388 532 θήσομαι] vgl. LSJ s. v. τίθημι Α. II. 9. b „place to account, reckon“ 533 γὰρ οὖν] vgl. GP 446 „In post-Homeric Greek οὖν adds to γάρ the idea of importance or essentiality.“ 534 γε μέντοι] vgl. zu 95 | σωτηρίας] genetivus pretii wie bei den Verben des Tauschens (K.-G. I 377, 7b) 537–538 δίκην und νόμοις … χρῆσθαι sind in unterschiedlicher Konstruktion von ἐπίστασαι abhängig.
Kommentar
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530–531 Zu den ‚unentrinnbaren Geschossen‘, die Aphrodites Sohn Eros verschießt und die unwiderstehlich Liebe erregen, vgl. u. a. Hipp. 530–532 sowie Med. 633–635. 532–533 Bei genauer Aufrechnung würde Iason im Einzelnen darlegen, wie Medea jeweils von Aphrodite gelenkt wurde (vgl. Mastronarde). Mit der Art, wie Medea geholfen hat, d. h. dem Wirken Medeas (als Marionette Aphrodites), ist er ganz zufrieden, wie er süffisant erklärt, brachte es ihm doch den vollen Nutzen (vgl. auch Martina III 200). Diese ‚Anerkennung‘ ist aber wohl nicht so zu verstehen, dass Iason, wie Mossman (zu 529–32) meint, einen teilweisen Rückzieher (von seiner 527f. geäußerten Position) mache. Vor dem Hintergrund der im griechischen Denken wirksamen Konzeption der doppelten Motivation, d. h. des Zusammenwirkens von göttlichem Antrieb u n d menschlichem Handeln, ist Iasons Darstellung für Medea abträglich einseitig. Mastronarde verweist beispielshalber auf El. 890–892 (Orest spricht): „Zuerst, Elektra, halte die Götter für Urheber dieses Erfolgs, dann lobe auch mich, den Gehilfen der Götter und (Mitbewirker) des Erfolgs.“ 534–546 Der weitere Versuch Iasons, Medeas Hilfe dadurch zu relativieren, dass Medea von ihm mehr empfangen (die Vorzüge des Lebens in Griechenland, 536 ff.), als sie ihm gegeben habe, ist argumentativ teils unlogisch, teils spitzfindig. Iason impliziert einerseits, dass Medea doch etwas (selbst) gegeben hat, andererseits bewertet er die neuen Lebensumstände Medeas höher als die Rettung seines eigenen Lebens (534 f.). Er wäre allerdings ohne die Hilfe Medeas zu einer ‚Gegengabe‘ gar nicht in der Lage gewesen, weil er ohne sie die Argonautenfahrt nicht lebend überstanden hätte. 536–538 Iason disponiert seine Ausführungen mit ‚erstens‘. Das nicht ausdrücklich als ‚zweitens‘ benannte Argument folgt ab v. 539. Die von Iason propagierte Vorstellung einer generellen Überlegenheit der Griechen über die ‚Barbaren‘, speziell in rechtlich-moralischer Hinsicht (vgl. dazu Theophilos, fr. 1 K.-A. [PCG VII]), wird jedenfalls für den Griechen Iason dadurch widerlegt, dass gerade er nach allgemeiner Auffassung (vgl. zu 17–19) an Medea Unrecht begangen hat; vgl. auch Scholion zu v. 538. – Zur Vorstellung der Überlegenheit der Griechen über die ‚Barbaren‘ vgl. auch Aristoteles, Politik 1252b5–9 mit Zitat von Eur. IA 1400 (Aretz 2022, 53). Dass Medea die Rolle einer Königstochter am Hof in Kolchis aufgab und in Korinth gewissermaßen das Leben einer bürgerlichen Frau führen muss (10b– 12), kommt Iason anscheinend nicht in den Sinn oder unterschlägt er absichtlich zugunsten seines Beweisziels. Iason gebraucht den Begriff ‚Barbaren‘ nicht neutral (= Nicht-Griechen, d. h. alle, die nicht Griechisch sprechen), sondern negativ konnotiert, wie es häufiger in der griechischen Literatur vorkommt einschließlich weiterer Tragödien des Euripides (Andr. 173–177 [abstoßende Sitten]; Hel. 273–276; IA 1400 f. [‚Sklavendasein‘ statt demokratischer Freiheit]). Hier arbeitet er mit der Vorstellung, dass es Recht und Gesetz nur bei den Griechen gebe (vgl. Hall 1989, 198). Es existierte aber im 5. Jh. v. Chr. auch das Konzept von der Gleichheit aller Men-
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Zweites Epeisodion: 538–546
und Gesetz zu leben, nicht so, dass Gewalt begünstigt wird. Und alle Griechen nahmen wahr, dass du klug bist, und du hast dir Ansehen erworben; wenn du aber an den äußersten 540 Grenzen der Erde wohntest, würde niemand von dir sprechen. Ich möchte weder Gold im Hause haben noch ein schöneres Lied als Orpheus singen können, wenn sich mein Lebenslos nicht als ruhmvoll erweisen sollte. Soviel hatte ich dir zu sagen über meine (mühevollen) Taten – 545 denn den Redestreit hast du angezettelt. νόμοις τε χρῆσθαι μὴ πρὸς ἰσχύος χάριν· πάντες δέ σ’ ᾔσθοντ’ οὖσαν Ἕλληνες σοφὴν καὶ δόξαν ἔσχες· εἰ δὲ γῆς ἐπ’ ἐσχάτοις ὅροισιν ᾤκεις, οὐκ ἂν ἦν λόγος σέθεν. εἴη δ’ ἔμοιγε μήτε χρυσὸς ἐν δόμοις μήτ’ Ὀρφέως κάλλιον ὑμνῆσαι μέλος, εἰ μὴ ’πίσημος ἡ τύχη γένοιτό μοι. τοσαῦτα μέν σοι τῶν ἐμῶν πόνων πέρι ἔλεξ’· ἅμιλλαν γὰρ σὺ προύθηκας λόγων.
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542–544 {…} Hartung, Müller 1951, 80 – Die Verse sind nicht unpassend; vgl. Komm. sowie Christmann 1962, 84–87. 542 εἴη] Wunsch wie 124 543 κάλλιον +(Hss.) : +βέλτιον : βέλτιστον – κάλλιον ist spezifischer als βέλτιον | κάλλιον] ist entweder als Adjektiv zu μέλος aufzufassen, d. h. ‚ein schöneres Lied als (das Lied [μέλος] des) Orpheus‘ (comparatio compendiaria, K.-G. II 310 f.) oder als Adverb zu ὑμνῆσαι (‚schöner singen als Orpheus‘); vgl. Mastronarde. 545 μέν σοι : μέντοι +(Hss.) – μέν korrespondiert mit δ’ (547) und σοι mit ἐμῶν 546 {…} Hartung – Iason war gekommen, um Medea seine Hilfe anzubieten (460–463a); daher hat er Grund zu erklären, warum er sich gegen die Vorwürfe Medeas rechtfertigen muss. | ἅμιλλαν γὰρ σὺ προύθηκας λόγων] dieselbe Wendung Hik. 428; Medea hat gewissermaßen Iason den Streit ‚vorgesetzt‘.
Kommentar
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schen: Antiphon (der ‚Sophist‘) leugnet ausdrücklich einen Unterschied zwischen Griechen und ‚Barbaren‘ (VS 87 B 44, fr. B, col. 2,7–35, pp. 352 f.). 538 ‚nicht so, dass Gewalt begünstigt wird‘, wörtl. ‚nicht im Hinblick auf Begünstigung von Gewalt‘. 539–541 Dass man bzw. speziell Medea nur in der griechischen Welt zu Ansehen kommen könne, lässt eine gräkozentrische Perspektive erkennen, wobei ausgeblendet wird, dass Medea auch in ihrer Heimat hochgeachtet gewesen sein kann, wo man umgekehrt möglicherweise von bedeutenden Griechen nichts weiß. Außerdem hatte Medea ausgeführt, wie schwierig für sie als ‚kluge Frau‘ die Situation (in der neuen Umgebung) ist (292b–305). Zum Ruhmesdenken in Bezug auf ein Gebiet außerhalb Griechenlands (Troia) vgl. Tro. 386–399. Von Medeas ‚Klugheit‘ weiß auch Kreon. Vgl. zu 285. 542–544 Nur äußerlich lehnt sich Iason hier an eine Art archaischen Ehrenkodex an, wenn ihm ein ruhmvolles Leben der höchste Wert ist, wie Achill Ruhm (kleos), verbunden mit einem Tod vor Troia, einer (ruhmlosen) Heimkehr in die Heimat vorzieht (Homer, Ilias 9,413); doch Iason versteht, wie er gleich erklären wird, ein ruhmvolles Leben als eines mit standesgemäßem Ansehen (vgl. 551–567a); vgl. auch Mossman zu 542–3. Für Hesiod (Werke und Tage 313) wird Reichtum von Ansehen begleitet, aber auch die Abwertung des Reichtums gegenüber anderen Werten begegnet bereits in der archaischen Dichtung (Archilochos, fr. 19 West; Tyrtaios, fr. 12,1–12 West); vgl. auch HF 643–648. Der Sänger Orpheus war einer der Argonauten (Pindar, Pythien 4,176 f.). Als Grund für seine Teilnahme wird die Weissagung des Kentauren Cheiron angegeben, die Argonauten könnten mit Hilfe des Orpheus (d. h. mit seinem die Sirenen überbietenden Gesang; zur Schönheit des Gesangs vgl. auch Simonides, fr. 567 PMG; 274 Poltera) die Sirenen, die sonst die Vorbeifahrenden unwiderstehlich in ihren Bann ziehen, passieren (vgl. auch Ps.-Apollodor, Bibliotheke 1,135); vgl. Scholion zu Apollonios Rhodios 1,23–25a (pp. 8 f. Wendel; p. 17 Lachenaud). Orpheus trug so nicht nur zu seinem eigenen Ruhm bei, sondern verhalf damit auch Iason zum (außerkünstlerischen) Erfolg der Argonautenfahrt und dessen Ruhm. In der Medea zeichnet sich Orpheus für Iason nur durch seine Sangeskunst aus, wenn er selbst dagegen die von ihm offenbar erstrebte gesellschaftliche Anerkennung setzt; vgl. 551–567a. Dass Euripides mit der Erwähnung des Orpheus ironisch auf den Gegensatz zwischen dem seiner Eurydike treuen Orpheus und dem gegenüber Medea untreuen Iason anspielen sollte (Mezzabotta 1994), dürfte sich nicht erweisen lassen.
545–546 Iason sieht seine Ausführungen (526–544) als Gegendarstellung zu den von Medea beanspruchten Leistungen (476–487), wozu er provoziert worden sei, weil sie mit der Auseinandersetzung angefangen habe. Mit dieser disponierenden Bemerkung spricht Iason zusammenfassend von ‚s e i n e n (mühevollen) Taten‘. Was er in eigener Person getan hat, kann er, streng genommen, nur für seine ‚Gegengabe‘ (536–541) in Anspruch nehmen. Es entsteht aber der Eindruck (und soll wohl auch entstehen), als sei der Erfolg insgesamt sein Verdienst, obwohl er das von Medea beanspruchte Wirken zunächst auf Aphrodite zurückgeführt hatte, dann jedoch auch eine Leistung Medeas implizierte (535; vgl. zu 534–546); vgl. auch zu 532–533.
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Zweites Epeisodion: 547–558
Was du mir aber wegen der Hochzeit mit der Tochter des Königs vorgeworfen hast: dazu werde ich dir erstens zeigen, dass ich klug bin, zweitens selbstbeherrscht, drittens, dass ich dir und meinen Kindern höchst zugetan bin.
550
Medea zeigt Zeichen der Empörung. Bleib nur ruhig! 550 Als ich aus Iolkos’ Land hierher gekommen war, mit vielen unüberwindlichen Schwierigkeiten im Schlepptau, welch glücklicheren Glücksfund hätte ich finden können als diesen, dass ich – als Flüchtling! – die Tochter des Königs heiraten kann? Nicht – worüber du erbittert bist – aus Überdruss an dir im Bett 555 und von Verlangen nach einer neuen Frau ergriffen, auch nicht darauf versessen, mehr Kinder als andere zu haben; denn genug sind die, die da sind, und ich habe keinen Grund zur Klage; ἃ δ’ ἐς γάμους μοι βασιλικοὺς ὠνείδισας, ἐν τῷδε δείξω πρῶτα μὲν σοφὸς γεγώς, ἔπειτα σώφρων, εἶτα σοὶ μέγας φίλος καὶ παισὶ τοῖς ἐμοῖσιν· ἀλλ’ ἔχ’ ἥσυχος. ἐπεὶ μετέστην δεῦρ’ Ἰωλκίας χθονὸς πολλὰς ἐφέλκων συμφορὰς ἀμηχάνους, τί τοῦδ’ ἂν εὕρημ’ ηὗρον εὐτυχέστερον ἢ παῖδα γῆμαι βασιλέως φυγὰς γεγώς; οὐχ, ᾗ σὺ κνίζῃ, σὸν μὲν ἐχθαίρων λέχος καινῆς δὲ νύμφης ἱμέρῳ πεπληγμένος οὐδ’ εἰς ἅμιλλαν πολύτεκνον σπουδὴν ἔχων· ἅλις γὰρ οἱ γεγῶτες οὐδὲ μέμφομαι·
550
555
547 ἃ δ’ … ὠνείδισας] Konstruktion wie 453 548 δείξω … γεγώς] Partizip nach verba declarandi (K.-G. II 52 f.) 548–549 πρῶτα μὲν … ἔπειτα] In dieser und ähnlichen Kombinationen fehlt regelmäßig δέ (GP 376 f. [3]). 549 εἶτα σοὶ] Diggle akzentuiert anders als andere Editoren εἶτά σοι, jedoch passt das betonte Pronomen besser zu Iasons Anspruch und zu παισὶ τοῖς ἐμοῖσιν (550). 550 ἥσυχος (Hss.) : ἡσύχως – ἡσύχως ist eine Normalisierung, ἔχειν wird auch mit Adjektiven konstruiert; vgl. z. B. Hipp. 1313; Or. 1273 ἄφοβος ἔχε (K.G. I 92). 551 Ἰωλκίας χθονὸς] bloßer Genitiv ohne Präposition (K.-G. I 394 f. mit Anm. 1) 553 τοῦδ’] ist von εὐτυχέστερον als komparativer Genitiv abhängig und wird durch ἢ … γῆμαι (554) expliziert (vgl. zu dieser Möglichkeit K.-G. II 311 f. Anm. 3); alternativ kann man τοῦδ’ auf den Inhalt von v. 552 beziehen und als objektiven Genitiv von εὕρημ’ abhängig sein lassen, doch würde man da eher ein Pronomen im Plural erwarten, zudem sind Formen von ὅδε auch öfter vorausweisend; vgl. auch Mastronarde. | εὕρημ’ ηὗρον] figura etymologica, vgl. 716 554 ἢ] statt ἢ ὥστε (Κ.-G. ΙΙ 503 Anm. 1) 556 ἱμέρῳ πεπληγμένος] Wendung wie Aisch. Ag. 544; 1204 557 ἅμιλλαν πολύτεκνον] poetischer Ausdruck statt ἅμιλλαν πολλῶν τέκνων (K.-G. I 263 Anm. 1)
Kommentar
207
547–567a Iason rechtfertigt in diesem Abschnitt seiner Rede sein gegenwärtiges Verhalten als vernünftige Planung für sich selbst und für seine bisherige und zukünftige Familie. 547–550a Iason geht zu dem Vorwurf der Treulosigkeit durch die Heirat mit der Königstochter über und disponiert rhetorisch seine Argumente. (1) ~ 551–554, (2) ~ 555–558, (3) ~ 559–567a. 549 ‚selbstbeherrscht‘: Iason beansprucht sōphrōn zu sein; das Wort bedeutet hier neben sophos (548) nicht nur ‚vernünftig‘, ‚klug‘, sondern betont die Nuance ‚maßvoll‘, ‚selbstbeherrscht‘, und zwar in sexueller Hinsicht, wie aus den vv. 555–558 klar wird. 550 Aus der Textgestaltung des Verses lässt sich schließen, dass Medea, als sich Iason seiner Fürsorge für Medea und seine Kinder rühmt (die in die Verbannung gehen sollen!), nicht an sich halten kann und gestisch ihre Empörung erkennen lässt, weswegen Iason sich bemüßigt fühlt, sie zu beruhigen. 551–554 Punkt 1. Iason äußert sich so, als ob er allein aus Iolkos nach Korinth gekommen sei und nur er mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, sodass aus dieser Perspektive die Heirat mit der Königstochter als ideale Lösung erscheinen muss. – Die Ironie seines Vorgehens liegt darin, dass Iason jetzt die Lösung wiederholt, die er bereits für seine Probleme in Kolchis durch die Verbindung mit der Königstochter Medea gefunden hatte; vgl. Page. 552 ‚im Schlepptau‘, wörtl. ‚hinter mir herziehend‘. 555–558 Punkt 2. Medea hatte Iason den durch die neue Ehe begangenen Eidbruch vorgeworfen (488–498). Darauf geht Iason nicht ein, sondern unterstellt Medea als Grund ihrer Erbitterung eine sexuelle Motivation, weil er ihrer überdrüssig geworden sei. Es ist ihm auch bewusst, dass er einen anderen möglichen Grund, nämlich dass die bisherige Ehe kinderlos geblieben wäre, nicht nennen kann. Vielmehr bestätigt er ausdrücklich, dass aus seiner bisherigen Ehe genug Söhne hervorgegangen seien (vgl. 490). 555 ‚erbittert bist‘: Dasselbe Wort (knizein) verwendet Iason noch einmal in v. 568 (dort mit ‚kränkte‘ übersetzt). – Iason nimmt Bezug auf Medeas Äußerung in den vv. 489 ff., wird aber Medeas Vorwurf nicht gerecht. ‚aus Überdruss an dir im Bett‘, wörtl. ‚dein Bett (die Liebesbeziehung mit dir) hassend / verabscheuend‘. 557 Wörtl.: ‚auch nicht mit eifriger Bemühung um einen vielkindrigen Wettstreit‘, d. h. um einen Wettstreit um die Zahl der Kinder; zu dem Ausdruck ‚vielkindrig‘ vgl. TS. 558 ‚genug sind die, die da sind‘: Bei dieser Einstellung bleibt Iason aber nicht; vgl. vv. 563, 596 f. und Ebener 1961, 219–221.
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Zweites Epeisodion: 559–565
sondern, was das Wichtigste ist, damit wir in guten Verhältnissen hier wohnen und keinen Mangel haben, weil ich weiß, dass ein jeder einen Armen als Freund meidet und ihm aus dem Weg geht, und damit ich die Kinder erziehe, meinem Haus angemessen, den Kindern von dir Brüder zeuge, ihnen dieselbe Stellung gebe wie denen von dir und, wenn ich sie zu einer Familie verbunden habe, ich glücklich lebe. Denn wozu hast du Kinder nötig? ἀλλ’ ὡς, τὸ μὲν μέγιστον, οἰκοῖμεν καλῶς καὶ μὴ σπανιζοίμεσθα, γιγνώσκων ὅτι πένητα φεύγει πᾶς τις ἐκποδὼν φίλον, παῖδας δὲ θρέψαιμ’ ἀξίως δόμων ἐμῶν σπείρας τ’ ἀδελφοὺς τοῖσιν ἐκ σέθεν τέκνοις ἐς ταὐτὸ θείην καὶ ξυναρτήσας γένος εὐδαιμονοίην· σοί τε γὰρ παίδων τί δεῖ;
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561 φίλον Driver : φίλος +Hss. – Dass ein jeder Freund (φίλος) einen Armen meidet, gibt keinen Sinn, wohl aber, dass ein jeder einen Armen als Freund meidet; vgl. Driver 1921, 144 sοwie Eur. El. 1131 πένητας οὐδεὶς βούλεται κτᾶσθαι φίλους, Menander, Sententiae 34 Jäkel Ἀνδρὸς κακῶς πράττοντος ἐκποδὼν φίλοι. 562 δὲ (Hss.) : τε 563 τέκνοις] kann dativus commodi zu σπείρας oder abh. von ταὐτὸ (564; vgl. K.-G. I 411 f., 9) sein; wahrscheinlich ist es zunächst zu σπείρας zu beziehen, weil ein absolutes σπείρας … ἀδελφοὺς nach einer Erklärung ‚für wen‘ verlangt, und zu ταὐτὸ wieder zu ergänzen. 565 εὐδαιμονοίην Hss. : εὐδαιμονοῖμεν Elmsley – Elmsleys verschiedentlich übernommene Konjektur (zuletzt Martina 2018) wurde bereits von Thompson (1944a, 88 f.) mit Recht zurückgewiesen. Iason ist schon ab v. 560b in den Singular übergegangen, und die Ich-Bezogenheit passt zu seiner ganzen Haltung; vgl. auch Gill 1996, 163 f. | τί] Die späte Stellung erklärt sich daraus, dass σοί τε und ἐμοί τε (566) parallel sein sollen (Mastronarde).
Kommentar
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559–567a Punkt 3. Dieser Punkt ist eine Fortführung der Argumentation von Punkt 1, aber jetzt mit Einbeziehung von Medea und den Kindern. Iason spricht plötzlich, als ob die Familie noch beisammenbleiben könnte, von einem gemeinsamen komfortablen Leben (1. Person Plural). Neben dem finanziellen Vorteil durch die Ehe mit der Königstochter soll auch die Erziehung der Kinder gesichert werden. Bei dem Bekenntnis aber, die (gemeinsamen) Kinder angemessen erziehen zu wollen, wird deutlich, dass er dieses Ziel nur in der neuen Ehe glaubt verwirklichen zu können: Mit Söhnen aus beiden Ehen will er eine Dynastie gründen, damit es i h m wohl ergehe (565, 1. Person Singular). Er denkt nur noch an seinen Vorteil, was durch nichts deutlicher wird als durch die Frage, wozu sie (Medea) denn Kinder nötig habe (vgl. zu 565); für i h n sei es vorteilhaft, mit den zu erwartenden Kindern die vorhandenen zu fördern und zu einer Familie zu vereinen. Damit ist Iason ganz zu der Ich-zentrierten, auf den eigenen Vorteil bedachten Argumentation von Punkt 1 zurückgekehrt. Vielleicht sieht er die veränderte Situation dadurch ausgeglichen, dass er seine bisherige Familie auch im Exil unterstützen will (459–463a; 620). Jedenfalls ist es sicher, dass es ihm mit seiner Zukunftsplanung ernst ist, da er in der Auseinandersetzung mit Medea weiterhin darauf insistiert (593–597) und sie später, auch nachdem Medea scheinbar eingelenkt hat, im Kern wiederholt (914–921); vgl. auch Einf., S. 30 f. – Zur Problematik einer zweiten Ehe im antiken Griechenland vgl. Garland 1990, 259–261. Vgl. auch Eur. Aigeus TrGF V F 4, wonach eine Frau den Kindern aus der ersten Ehe ihres Mannes feindlich gesinnt ist. Anders als Mossman (zu 563–5) glaubt, wird die Stiefmutter-Problematik in der Medea nicht eigentlich relevant, sondern nur angedeutet, als die neue Frau die Kinder sieht und sich abwendet (1147–1153). 561–562 Dass Armut und freundschaftliche Beziehungen schwer zu vereinbaren sind, geht z. B. aus El. 1131 hervor: „Arme will niemand als Freunde gewinnen“ (griech. Text in TS). 562 ‚Haus‘ ist im Sinne eines Adelshauses zu verstehen. Iason möchte eine Dynastie gründen, die er, wie durch das am Versende stehende ‚meines‘ betont ist, als die ihm allein eigene versteht. – Ob man die Aussage dieses Verses als dramatische Ironie verstehen kann (so Mossman), hängt davon ab, ob die Zuschauer hier schon mit Sicherheit die Ermordung der Kinder durch Medea erwarten können. 564 ‚dieselbe Stellung‘: Worin ‚dasselbe‘ (so wörtl.) bestehen soll, wird nicht ausdrücklich gesagt, gemeint ist wohl, dass die neuen Söhne denselben Status als legitime Nachkommen Iasons haben sollen wie die bisherigen. 565 Mit ‚Kinder‘ meint Iason, wie aus den vv. 566 f. rückwirkend zu erschließen ist, weitere Kinder, konkret Söhne (563), die er nicht mit Medea, sondern mit der neuen Frau zeugen will (anders Pucci 1980, 103). Die Absolutheit der Formulierung führt aber (jedenfalls bevor man die nächsten Verse zur Kenntnis nimmt) zu dem spontanen (und Medea kränkenden) Verständnis, wozu sie (überhaupt) Kinder brauche; denn auch die vorhandenen dienen für Iason s e i n e r dynastischen Planung (vgl. auch Mastronarde); er rechnet nicht damit,
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Zweites Epeisodion: 566–575
Für mich ist es vorteilhaft, mit den zu erwartenden Kindern den schon lebenden zu nützen. Habe ich etwa einen schlechten Plan entworfen? Nicht einmal du würdest das sagen, wenn dich nicht (der Verlust) der Ehe kränkte. Aber so weit ist es mit euch Frauen gekommen, dass ihr, wenn das Eheleben in Ordnung ist, glaubt, dann wäre alles gut, wenn sich aber in der Ehe eine Schwierigkeit ergeben hat, dann haltet ihr das Beste und Schönste für das Feindseligste. Die Menschen sollten daher irgendwo anders her Kinder bekommen, ohne dass es das weibliche Geschlecht gäbe; und so gäbe es überhaupt kein Übel für die Menschen. ἐμοί τε λύει τοῖσι μέλλουσιν τέκνοις τὰ ζῶντ’ ὀνῆσαι. μῶν βεβούλευμαι κακῶς; οὐδ’ ἂν σὺ φαίης, εἴ σε μὴ κνίζοι λέχος. ἀλλ’ ἐς τοσοῦτον ἥκεθ’, ὥστ’ ὀρθουμένης εὐνῆς γυναῖκες πάντ’ ἔχειν νομίζετε, ἢν δ’ αὖ γένηται ξυμφορά τις ἐς λέχος, τὰ λῷστα καὶ κάλλιστα πολεμιώτατα τίθεσθε. χρῆν τἄρ᾿ ἄλλοθέν ποθεν βροτοὺς παῖδας τεκνοῦσθαι, θῆλυ δ’ οὐκ εἶναι γένος· χοὔτως ἂν οὐκ ἦν οὐδὲν ἀνθρώποις κακόν.
567 567
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567 567 570
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566 λύει] = τέλη λύει = λυσιτελεῖ (LSJ s. v. λύω IV. 2) | τοῖσι μέλλουσιν τέκνοις] instrumentaler Dativ: die Kinder sind als bloßes Mittel aufgefasst 567b μῶν] lässt eine negative Antwort erwarten (K.-G. II 525, 5; vgl. aber Barrett 1964 zu Hipp. 795), d. h., die Antwort sollte lauten, dass Iason nicht schlecht (also gut) geplant habe. 568–575 {…} Hübner 1984a, 27–29 – vgl. Komm. zu 567b–575 568 κνίζοι +(Hss.) : κνίζει – Eigentlich würde man εὶ μὴ ἔκνιζεν erwarten, vgl. MT § 443 (b). 573 +χρῆν : χρὴ – ἂν … ἦν (575) spricht für χρῆν (unerfüllte Forderung, K.-G. I 204, 5) | τἄρ᾿ erwägt Denniston, GP 61 (2), ἄρ᾿ bereits Porson mit Verweis auf Or. 755, wo Hs. M γάρ statt ἄρ᾿ hat : γὰρ Hss. – Das überlieferte γάρ stellt selbst für Denniston (GP 61 [2]) ein Problem dar. Mastronarde rekonstruiert folgenden Gedankengang: „I criticize women so vehemently because I can imagine a better arrangement without them, but as things are they make life miserable.“ Aber sachlich gesehen begründen die vv. 573b–575 nicht die vv. 569–573a, sondern ziehen eine Folgerung aus dem in diesen Versen beschriebenen Sachverhalt: Die Frauen verhalten sich irrational, also müsste man Verhältnisse ohne Frauen haben. τἄρ᾿ (τοι ἄρα) kann paläographisch leicht mit γάρ verwechselt werden. 574 τεκνοῦσθαι] Das Medium wird für die Frau gebraucht, im Sinne von ‚Kinder gebären‘; diese Funktion soll nun anderweitig erfüllt werden. 575 χοὔτως +(Hss.) : οὔτως δ᾿ – Es handelt sich um eine den Gedanken geradlinig fortsetzende Folgerung.
Kommentar
211
dass Medea für diese Kinder eigene Pläne haben könnte. Liebe zu den Kindern ist keine Kategorie für ihn. 567b–575 Iason beschließt seine Rede, indem er sich geradezu stolz auf seine Überlegungen zeigt und sich vorstellt, dass sogar Medea zustimmte, wenn sie nicht, wie alle Frauen, alles nach dem Zustand ihrer Liebesbeziehung bemäße, mit dem Effekt, dass Frauen bei einer Ehekrise (die Iason immerhin implizit zugesteht), das Beste und Schönste (d. h. im konkreten Fall die Pläne Iasons) für feindselig gegen sie gerichtet halten (567b–573a). Dabei ordnet Iason Medeas Reaktion in das allgemeine Verhalten von Frauen ein, deren Partner sich einer anderen Frau zugewandt haben, und blendet aus, dass Medea vor allem durch seinen Eidbruch verletzt ist, was ihm die Chorführerin auch sogleich vorhält (576–578). Angesichts dieser von Iason konstatierten Unvernunft der Frauen sieht er sich zu der unerfüllbaren und die Frauen herabsetzenden Forderung veranlasst, es sollte eine Möglichkeit geben, ohne Frauen Kinder zu bekommen. Dann gäbe es überhaupt kein Übel für die Menschen (573b–575). Medea hatte ihre Rede mit einer Beschimpfung Iasons begonnen (465–474), Iason beendet die seine mit einem indirekten Tadel Medeas. Die allgemeine Überlegung korrespondiert mit den Schlussversen der Rede Medeas (516–519); vgl. Martina III 210. – Hübner (1984a, 27–29) hält die vv. 568–575 für unecht, sie erweisen sich aber durchaus als stimmig. 568 Iason beantwortet seine Frage gleich selbst, da er von Medea keine Zustimmung erwarten kann. ‚(Verlust) der Ehe kränkte‘: wörtl. ‚das Bett / Hochzeitsbett (lechos) kränkte‘; zur Bedeutung von lechos und eunē vgl. zu 88. In v. 1338 verwendet Iason beide Ausdrücke nebeneinander, scheint sie also zu differenzieren. Daher ist es zweifelhaft, ob Iason hier ausschließlich auf die sexuelle Komponente fixiert ist (Kovacs: „the matter of sex“; Mossman: „the issue of sex“) und nicht grundsätzlicher sagen will, es kränke sie, dass er die eheliche Bindung zu ihr aufgegeben hat. Er unterstellt ihr, dass sie seinen Plan nicht würdigen könne, da er glaubt, dass Frauen überhaupt überbewerten, wie es um ihre Ehe steht (569–573a). 573–575 Der irreale Gedanke, Kinder ohne Frauen bekommen zu können, ist detaillierter ausgeführt in dem misogynen Kontext in Hipp. 616–624. – Es ist Iason natürlich klar, dass Frauen notwendig sind, da er eben noch mit einer Frau zu zeugende Kinder in seinen Lebensplan eingebaut hatte (555–567a). Aber in seinem männlich-dynastisch geprägten Vorstellungen sind Frauen nur ein notwendiges Mittel zum Zweck (es geht ihm ja auch nicht um eine neue Liebesheirat, vgl. 555 f.), die wegen ihrer Emotionen nur Ärger verursachen können. Dass die Figur Iason mit ihrem abwertenden Frauenbild auf der athenischen Bühne nicht alleinsteht, zeigt eine Gestalt in der Semele des Tragikers Karkinos II (TrGF I2 70 F 3), nach der man die Bezeichnung ‚Übel‘ für eine Frau gar nicht erst aussprechen müsse: „O Zeus, warum ist es nötig, Frauen als ein Übel zu bezeichnen? Auch wenn man sie nur ‚Frau‘ nennt, dürfte das genügen“ (vgl. Tedeschi zu 889–890).
212
Zweites Epeisodion: 576–587
Chf. Iason, zwar hast du deine Gründe wohlgeordnet vorgebracht, ich aber glaube dennoch – auch wenn ich (dir) widersprechen muss –, dass du durch den Verrat an deiner Gattin nicht recht handelst. Me. Vielfach, gewiss, unterscheide ich mich von vielen Menschen: Nach meinem Urteil verdient, wer das Recht nicht achtet und 580 zugleich ein fähiger Redner ist, die größte Strafe; denn im Vertrauen darauf, mit Worten sein Unrecht gut vertuschen zu können, wagt er jede Schandtat, aber er ist nicht allzu klug. So auch du: Trete also mir gegenüber nicht als glänzender und geschickter Redner auf! Denn e i n Wort wird dich niederstrecken: 585 Du hättest, wärst du nicht niederträchtig, mich überzeugen und dann diese Ehe eingehen müssen, aber sie nicht vor den Deinen verschweigen dürfen. Χο. Μη.
Ἰᾶσον, εὖ μὲν τούσδ’ ἐκόσμησας λόγους· ὅμως δ’ ἔμοιγε, κεἰ παρὰ γνώμην ἐρῶ, δοκεῖς προδοὺς σὴν ἄλοχον οὐ δίκαια δρᾶν. ἦ πολλὰ πολλοῖς εἰμι διάφορος βροτῶν· ἐμοὶ γὰρ, ὅστις ἄδικος ὢν σοφὸς λέγειν πέφυκε, πλείστην ζημίαν ὀφλισκάνει· γλώσσῃ γὰρ αὐχῶν τἄδικ’ εὖ περιστελεῖν τολμᾷ πανουργεῖν· ἔστι δ’ οὐκ ἄγαν σοφός. ὡς καὶ σύ· μή νυν εἰς ἔμ’ εὐσχήμων γένῃ λέγειν τε δεινός· ἓν γὰρ ἐκτενεῖ σ’ ἔπος. χρῆν σ’, εἴπερ ἦσθα μὴ κακός, πείσαντά με γαμεῖν γάμον τόνδ’, ἀλλὰ μὴ σιγῇ φίλων.
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576–578 vgl. Phoin. 526 f. οὐκ εὖ λέγειν χρὴ μὴ ᾿πὶ τοῖς ἔργοις καλοῖς· / οὐ γὰρ καλὸν τοῦτ᾿ ἀλλὰ τῇ δίκῃ πικρόν, ähnlich Eur. TrGF V F 583 577 παρὰ γνώμην] sc. Iasons, nicht der Chorführerin; vgl. Aisch. Ag. 931 καὶ μὴν τόδ᾿ εἰπὲ μὴ παρὰ γνώμην ἐμοί (Mastronarde) | ἐρῶ +(Hss.) : λέγω – Der Widerspruch steht erst noch bevor. 579 ἦ] verstärkt πολλὰ (GP 280 I. [1]) | πολλὰ] adverbieller Akkusativ, ~ πολλάκις (K.-G. I 315 Anm. 15) 580 ἐμοὶ] Dativ der urteilenden Person (K.-G. I 421 b) | γὰρ] vgl. zu 448 | σοφὸς λέγειν] ~ δεινὸς λέγειν 582 αὐχῶν] zur Grundbedeutung ‚feel confident‘ vgl. Barrett 1964 zu Hipp. 952–5 (S. 343 f.); vgl. z. B. Tro. 770 (Mastronarde) 584 ὡς Hss. : ὣς Brunck (ohne Interpunktion nach σύ) – vgl. K.-G. II 436 Anm. 5 (ὡς ~ οὕτως) | σύ· +Witzschel : σὺ (Hss.) – Da μή νυν regelmäßig am Satzanfang steht, muss nach σύ interpungiert werden. | νυν +Elmsley : νῦν Hss. – μή νυν vor Imperativen 584–585 εὐσχήμων γένῃ / λέγειν τε δεινός] zu εὐσχήμων ist λέγειν zu ergänzen (Versparung, Kiefner 1964, 39) 585 ἐκτενεῖ] entspricht nach dem Scholion καταβαλεῖ, vgl. Protagoras VS 80 B 1 Καταβάλλοντες (sc. λόγοι) 586 χρῆν] vgl. zu 573 | πείσαντά με Hss. : πείσαντ᾿ ἐμὲ Porson – Der Akzent liegt auf πείσαντα als Gegensatz zu σιγῇ φίλων (587). 587 γαμεῖν γάμον] figura etymologica (K.-G. I 304 a) | σιγῇ φίλων] zu σιγῇ mit Genitiv vgl. Herodot 2,140,1 σιγῇ τοῦ Αἰθίοπος
Kommentar
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576–578 Wie nach der Rede Medeas (520 f.) reagiert die Chorführerin mit einer kommentierenden Stellungnahme. Euripides lässt die Korintherin den Gegensatz zwischen den rhetorisch sehr ausgeprägt disponierten Ausführungen Iasons und dem entscheidenden Schwachpunkt hervorheben, dem Verrat an Medea (ein Punkt, den Iason wohlweislich ausgespart hatte); die Chorführerin ergreift ausdrücklich für Medea Partei (vgl. auch zu 17–19), was man auch als Zuschauerlenkung verstehen darf. Mastronarde vergleicht zur Sache Phoin. 526 f. „Man darf nicht wohlgesetzt über nicht lobenswerte Taten reden; das ist nicht ehrenhaft, sondern bitter für das Recht“ (griech. Text in TS). – Die Chorführerin nimmt im Kern die folgende Argumentationsstruktur Medeas vorweg (579–587). 576 Das Verb kosmein in diesem Vers kann ‚ordnen‘ oder ‚(aus)schmücken‘ (sc. mit Stilfiguren) bedeuten. Ob der Chor sich in der Bedeutung festlegen will, ist unklar. Faktisch fällt die Rede mehr durch ihre fast schon übertriebene Strukturierung auf als durch ‚Redeschmuck‘ im engeren Sinn. Vgl. Kovacs: „you have marshalled your arguments very skilfully“. 579–626 Der Agon wird mit einer dialogischen Auseinandersetzung zwischen Medea und Iason beschlossen. 579–587 Medea prangert zunächst allgemein die zu verurteilende Verbindung von vertuschendem Redegeschick und moralischer Verworfenheit an, die sie zudem nicht für rundum klug hält (weil man eben die schwache Stelle in der Argumentation erkennen kann). So stehe es auch mit Iason, dem sein rhetorisches Blendwerk nichts nütze, da es sich nämlich mit e i n e m Argument aushebeln lasse: Hätte er es wirklich gut gemeint, hätte er sich vor seiner Heirat mit Medea einigen müssen. – Allerdings wird später auch Medea ihre Redekunst für die Erreichung ihres verwerflichen Ziels einsetzen (vgl. Pucci 1980, 155), jedoch mit dem Unterschied, dass Iason das Unrecht, das er zu vertuschen sucht, schon begangen hat und sie eine Vergeltung (als solche) nicht für verwerflich hält. 579 Medea reklamiert für sich eine Sonderstellung, was die kritische Beurteilung des Verhältnisses von Redegeschick und Moral betrifft. Doch finden sich vergleichbare Einstellungen mehrfach bei euripideischen Figuren: Hipp. 503; Hek. 1187–1191; Tro. 966–968; Phoin. 526 f. (Übersetzung im Komm. zu 576–578); IA 1115 f.; TrGF V F 583 (vgl. Tedeschi). D. h., die mit dem Aufkommen kunstvoller Rede im 5. Jh. verbundene ethische Problematik spiegelt sich auch in tragischer Dichtung. Es konnte bedenklich erscheinen, sich als allzu geschickter Redner zu erweisen; vgl. Hesk 1999. 583 ‚nicht allzu klug‘, dieselbe Wendung wie in v. 305, dort von Medea über sich selbst gesagt, um sich vor dem Verdacht allzu großer Cleverness zu schützen. Hier bezeichnet sie denjenigen, der sein Unrecht rhetorisch vertuschen will, als nicht clever genug, was sie sogleich auf Iason anwendet (584). 585 ‚niederstrecken‘: Das Scholion erklärt den Ausdruck als Metapher vom Zu-Boden-Werfen durch den Gegner beim Ringen. Vgl. Protagoras’ ‚Niederwerfende Reden / Argumente‘ (VS 80 B 1); griechische Wendung in TS.
214
Ia.
Me. Ia.
Ια. Μη. Ια.
Zweites Epeisodion: 588–595
Da hättest du, glaube ich, meinem Plan einen guten Dienst erwiesen, wenn ich dir von der Hochzeit erzählt hätte, da du es noch nicht einmal jetzt fertigbringst, den heftigen Zorn aus deinem Herzen zu verbannen. Nicht das bestimmte dich, sondern die Ehe mit einer fremdländischen Frau stellte sich dir aufs Alter hin nicht als gut für deinen Ruf heraus. Sei dessen völlig gewiss, dass ich nicht einer Frau wegen die Ehe mit der Königstochter auf mich nahm, die ich jetzt führe, sondern, wie ich auch zuvor schon sagte, weil ich d i c h retten καλῶς γ’ ἄν, οἶμαι, τῷδ’ ὑπηρέτεις λόγῳ, εἴ σοι γάμον κατεῖπον, ἥτις οὐδὲ νῦν τολμᾷς μεθεῖναι καρδίας μέγαν χόλον. οὐ τοῦτό σ’ εἶχεν, ἀλλὰ βάρβαρον λέχος πρὸς γῆρας οὐκ εὔδοξον ἐξέβαινέ σοι. εὖ νυν τόδ’ ἴσθι, μὴ γυναικὸς οὕνεκα τλῆναί με λέκτρα βασιλέων, ἃ νῦν ἔχω, ἀλλ’, ὥσπερ εἶπον καὶ πάρος, σῶσαι θέλων
590
595
590
595
588 καλῶς γ’] sarkastisch (GP 128) | οἶμαι Nauck : οὖν μοι : οὖν σὺ : οὖν σοι : οὖν – „perhaps a compendium was misread as οὖν, and the resulting gap filled with μοι (LP), σύ (AV), ἐξ- (B)“ Page; damit erledigen sich auch die Varianten zu ὑπηρέτεις | ὑπηρέτεις (Hss.) : ὑπερέτησας : ἐξυπηρέτεις | ὑπηρέτεις] Imperfekt beim Irrealis der Vergangenheit, weil Iason nach seiner punktuellen Information (κατεῖπον, 589) eine dauernde Abwehrhaltung unterstellt. 589 ἥτις] Relativsatz mit kausalem Nebensinn, vgl. Xenophon, Memorabilien 2,1,30 τί ἡδὺ οἶσθα …; ἥτις οὐδὲ τὴν τῶν ἡδέων ἐπιθυμίαν ἀναμένεις; (Κ.-G. II 421, 2) 590 καρδίας] abh. von μεθεῖναι 591 εἶχεν] ‚hielt dich inne‘, nicht ‚hielt dich zurück‘, wofür man ἔσχεν erwartete (Mastronarde) 592 πρὸς γῆρας] vgl. Pindar, Nemeen 9,44; Eur. Hik. 917: ‚zum Alter hin‘, ‚für das Alter‘, ~ ‚im Alter‘ (Mastronarde); Page vergleicht πρὸς ἑσπέραν | ἐξέβαινέ] vgl. zu 229 593 νυν Wecklein 1909 : νῦν Hss. – νυν bei Imperativen (LSJ s. v. II. 3) | ἴσθι, μὴ] mit a. c. i. in der Bedeutung „sicher, fest glauben, eine Überzeugung haben“ (K.-G. II 69, 7); durch diese Bedeutung erklärt sich auch die Negation μή (K.-G. II 193 f., 2) 594 τληναι Π : γῆμαι Hss. – γαμεῖν λέκτρα (statt z. B. γήμας Κρέοντος παῖδ’, 18; παῖδα γῆμαι βασιλέως, 554) ist eine sonst nach TLG nicht belegte Verbindung; wollte man sie halten, müsste man sie nach dem Muster der allerdings gut belegten Wendung γαμεῖν γάμον (z. B. 587) verstehen, aber λέκτρον / λέκτρα ist nicht gleich γάμος. Zu τλῆναι vgl. Homer, Ilias 18,433 ἔτλην ἀνέρος εὐνήν. Die Lesart des Papyrus, der auch das folgende βασιλέων richtig überliefert, passt zu der Behauptung Iasons, er sei die Verbindung mit der Königstochter um Medeas und der Kinder willen eingegangen, nicht aus Liebe zu der neuen Frau; vgl. Seider 1982, 33 f.; Tedeschi, S. 42 zu 593–597; Martina III 215. | βασιλέων Π; Elmsley : βασιλέως Hss. – λέκτρα βασιλέως bezöge sich auf die Königin, nicht auf die Königstochter (Elmsley, Page); vgl. auch vv. 18; 140; 547 (Tedeschi, S. 42) 595 θέλων] statt Akkusativ, der Nominativ erklärt sich durch Anschluss an εἶπον (K.-G. II 106 f.)
Kommentar
215
588–590 Die sarkastische Antwort Iasons geht am Vorwurf Medeas (586 f.) in zweifacher Hinsicht vorbei: (1) Die Vermutung Iasons, Medea hätte (auch) bei vorheriger Information nicht im Sinne Iasons hilfreich reagiert, mag in der Sache zutreffen, ist aber ganz von dem her gedacht, was er erreichen will, und ändert nichts an der Tatsache, dass er sie hintergangen hat. (2) Der Schluss von Medeas jetzigem Verhalten, nachdem sie durch das Hintergehen tief gekränkt ist, auf jenes vor der Kränkung, ist unzulässig, da dieser Schluss von einem Zustand ausgeht, der vor der Kränkung noch nicht bestand. 588 ‚Plan‘ (logos): Der Heiratsplan, der Inhalt dessen gewesen wäre, was Iason gesagt hätte (589). 591–592 Was Medeas mit dem unspezifischen ‚das‘ meint, ist nicht ohne Weiteres zu erkenne. Wahrscheinlich will sie sagen, dass sie nicht glaube, dass er aus Furcht vor ihrer Reaktion den von ihm verfolgten Plan, der mit der Heirat der neuen Frau verwirklicht werden soll, verheimlicht habe (vgl. Mastronarde), sondern, wie sie dagegensetzt, weil er nicht zugeben wollte, dass er für seine Reputation sich von ihr als ‚Ausländerin‘ habe trennen wollen (vgl. Scholion zu 591). Dass sie auch ein erotisches Verlangen Iasons unterstellt, wird erst später deutlich (623 f.). Mit ihrer Einschätzung der Motivation Iasons trifft sie in der Tat einen Punkt, auf den Iason viel Wert legt (542–544); vgl. Mossman zu v. 591. ‚aufs Alter hin‘: Medea meint wohl, dass der junge Held in der fremdländischen Frau kein Hindernis sah, zumal ihm auch nichts anderes übrigblieb, aber älter geworden, in etablierter ‚Bürgerlichkeit‘, für ihn eine neue Lage entstand. Das athenische Publikum mag an die perikleische Regelung gedacht haben, dass nur Kinder zweier attischer Eltern Bürger werden konnten, ‚Mischehen‘ also mit Nachteilen verbunden waren. Vgl. Athenaion Politeia 26,4; Hall 1989, 175 f. 593–597 Iason leugnet auch jetzt, wobei er sich auf die vv. 555–565a zurückbezieht, dass der Grund für seine Eheschließung in dem Wunsch nach einer neuen Frau liege. Liebesverlangen hatte er schon v. 556 ausgeschlossen, jetzt implizit, dass es ihm um eine Griechin gehe. Er bleibt bei seiner bereits genannten Begründung, dass er sich zur Rettung der alten Familie neu verheiratet habe, wobei er seinen eigenen Gewinn, seine Lebensplanung, noch einmal wiederholt. 59 5 ‚d i c h retten‘, im griech. Text dadurch betont, dass ‚dich‘ am Anfang des nächsten Verses steht (Enjambement). Mit dieser Wortwahl übertreibt Iason stark, denn, als der Heiratsplan entstand, war von einer Gefährdung nichts bekannt (vgl. 11–15); vgl. Mastronarde; Mossman. Möglicherweise meint er das von ihm durch die Heirat geplante komfortable Leben (559 ff.). Vielleicht will er auch seiner, von Medea beanspruchten (476; 515), aber von ihm relativierten (526–546) Rettung, nun die ‚Rettung‘ Medeas als seine Leistung entgegensetzen.
216
Me. Ia.
Me. Ia. Me.
Μη. Ια. Μη. Ια. Μη.
Zweites Epeisodion: 596–606
und meinen Kindern als Geschwister Königskinder zeugen will, eine Schutzwehr für das Haus. Möge mir nicht ein glückliches Leben zuteilwerden, das schmerzt, und auch nicht Reichtum, der mein Herz quält. Weißt du, wie du deinen Wunsch ändern und dich als klüger zei- 600 gen kannst? (Wünsche,) dass dir das Nützliche nie schmerzlich erscheine und dass du im Glück nicht glaubst, unglücklich zu sein. Höhne nur, du hast ja eine Zuflucht, ich aber werde einsam und verlassen aus diesem Land verbannt. Selbst hast du das gewählt, gib keinem anderen die Schuld! 605 Durch welche Tat? Etwa durch Heirat (einer anderen Frau) und durch Verrat an dir? σέ, καὶ τέκνοισι τοῖς ἐμοῖς ὁμοσπόρους φῦσαι τυράννους παῖδας, ἔρυμα δώμασιν. μή μοι γένοιτο λυπρὸς εὐδαίμων βίος μηδ’ ὄλβος, ὅστις τὴν ἐμὴν κνίζοι φρένα. οἶσθ’ ὡς μετεύξῃ καὶ σοφωτέρα φανῇ; τὰ χρηστὰ μή σοι λυπρὰ φαίνεσθαί ποτε, μηδ’ εὐτυχοῦσα δυστυχὴς εἶναι δοκεῖν. ὕβριζ’, ἐπειδὴ σοὶ μὲν ἔστ’ ἀποστροφή, ἐγὼ δ’ ἔρημος τήνδε φευξοῦμαι χθόνα. αὐτὴ τάδ’ εἵλου· μηδέν’ ἄλλον αἰτιῶ. τί δρῶσα; μῶν γαμοῦσα καὶ προδοῦσά σε;
600
605
597 ἔρυμα δώμασιν] Apposition zur Bezeichnung einer Wirkung (K.-G. I 284, 5) 598 λυπρὸς] zu ergänzen ὤν: ‚Möge mir nicht ein glückliches Leben (zuteil)werden, wenn es (oder: das) schmerzlich ist.‘ Zur Ergänzung von ὤν vgl. Mastronarde 1994 zu Phoin. 442 πένης γὰρ οὐδὲν εὐγενὴς ἀνήρ. 599 +κνίζοι : +κνίζει – Modusassimilation (K.-G. I 255, 6 A) 600 μετεύξη(ι) Hss. : μέτευξαι Elmsley – Das Idiom οἶσθ’ ὡς … kommt nicht nur mit Imperativ vor (vgl. K.-G. I 239 Anm. 3); zum Futur vgl. Kykl. 131 (δράσεις [δρᾶσον Canter], dazu Seidensticker 2020); Platon, Phaidros 237a2. Diggles Kombination μέτευξαι καὶ … φανῇ (von Mossman übernommen) ist inkonsequent; Elmsley hatte immerhin „(καὶ … φανεῖ)“ in Parenthese. | μετεύξῃ] μετεύχομαι, ‚umwünschen‘, ist nur hier und in den Scholien zu dieser Stelle belegt. 601 φαίνεσθαί Reiske (anscheinend auch Σ) : φαινέσθω Hss. : γενέσθω Gn – Die Verben in den vv. 601 u. 602 müssen sich entsprechende Formen haben; in v. 602 kommt metrisch kein Imperativ und nach der Negation μή kein Indikativ in Frage, also an beiden Stellen Infinitiv (mit Reiske), abh. von einem zu ergänzenden ‚wünsche‘. 602 δοκεῖν Reiske; Σ : δοκεῖ Hss.; Gn – vgl. zu 601 604 φευξοῦμαι] das dorische Futur (statt φεύξομαι) hier ohne metrische Notwendigkeit (vgl. Barrett 1964 zu Hipp. 1093–4) 606– 607 Die beiden Verse haben Partizipien im Nominativ, aber keine finiten Verben (vgl. dazu K.-G. II 109 Anm. 3); die Partizipien schließen sich an εἵλου (605) an (Mastronarde).
Kommentar
217
597 ‚Königskinder‘, weil sie von der Tochter des Königs stammen und so aus königlichem Hause sein werden (Martina III). ‚Haus‘: vgl. zu 76–77; 137; 562. 598–599 Die angeblich guten Absichten Iasons (593–597) können für Medea die erlittene Kränkung nicht rückgängig machen, sodass das verheißene Wohlergehen immer mit erfahrenem Leid verbunden wäre, was es für sie nicht wünschenswert macht. 598 ‚glückliches Leben‘: Vermutlich sarkastische Anspielung auf v. 565. 600–602 Iason empfiehlt in Reaktion auf Medeas Wunsch (598 f.), sie solle ihre Einstellung ändern und das ‚Nützliche‘ nicht als belastend oder unglücklich machend empfinden, wobei er wahrscheinlich an das von ihm als nützlich erklärte Handeln denkt; er hat also kein Verständnis dafür, dass Medea seine Pläne als kränkend empfindet. 603–604 Iason hat bisher nicht berücksichtigt, dass Medea nicht mehr in Korinth weiterleben kann, sondern verbannt ist, also seine glückverheißenden Pläne für Medea, die er als Motivation für seine neue Ehe angegeben hat, gegenstandslos sind und sie diese daher nur als Hohn empfinden kann. 604 ‚einsam und verlassen‘: Das sind die beiden Aspekte, die im griech. Wort erēmos (vgl. Eremit) stecken. Im Unterschied zu v. 513 spricht Medea in Bezug auf die Verbannung nur noch von sich selbst. Auch in der Aigeus-Szene bezieht sie die Kinder nicht in die Verabredung für den Zufluchtsort mit ein (709 ff.; vgl. auch Bretzigheimer 1968, 113 f.). 605–606 Für die Zuspitzung der Situation, in der Iasons angeblich nützliche Rettungspläne für Medea wegen der Verbannung keine Grundlage mehr haben, gibt Iason Medea die Schuld (605), was Medea sarkastisch damit kontert, ob sie etwa (sc. eine andere Frau) geheiratet und ihn hintergangen habe; dabei verwendet sie die sprachliche Form, die Männer und speziell Iason (554) für ‚heiraten‘ gebrauchen (606). Sie gibt ihm seinen Ausdruck zurück, was nicht heißt, dass Medea ‚vermännlicht‘ ist (so mit Recht Mossman gegen Foley 2001, 259).
218
Zweites Epeisodion: 607–618
Ia. Me. Ia.
Gottlose Flüche hast du gegen das Königshaus ausgestoßen. Auch deinem Haus bin ich ein Fluch! Genug, ich will mit dir darüber nicht weiter streiten. Vielmehr, wenn du etwas für die Kinder oder für dich als Unter610 stützung in der Verbannung aus meinen Mitteln erhalten willst, sag es; denn ich bin bereit, mit großzügiger Hand zu geben und Gastfreunden Erkennungszeichen zu senden, dass sie dich gut behandeln. Und wenn du das nicht willst, bist du töricht, Frau. Lässt du aber ab von deinem Zorn, wird das für dich vorteilhafter 615 sein. Weder würde ich mich der Hilfe deiner Gastfreunde bedienen noch von dir etwas annehmen wollen, so biete mir auch nichts an! Denn Gaben eines niederträchtigen Mannes bringen keinen Nutzen.
Me.
Ια. Μη. Ια.
Μη.
ἀρὰς τυράννοις ἀνοσίους ἀρωμένη. καὶ σοῖς ἀραία γ’ οὖσα τυγχάνω δόμοις. ὡς οὐ κρινοῦμαι τῶνδέ σοι τὰ πλείονα. ἀλλ’, εἴ τι βούλῃ παισὶν ἢ σαυτῇ φυγῆς προσωφέλημα χρημάτων ἐμῶν λαβεῖν, λέγ’· ὡς ἕτοιμος ἀφθόνῳ δοῦναι χερὶ ξένοις τε πέμπειν σύμβολ’, οἳ δράσουσί σ’ εὖ. καὶ ταῦτα μὴ θέλουσα μωρανεῖς, γύναι· λήξασα δ’ ὀργῆς κερδανεῖς ἀμείνονα. οὔτ’ ἂν ξένοισι τοῖσι σοῖς χρησαίμεθ’ ἂν οὔτ’ ἄν τι δεξαίμεσθα, μηδ’ ἡμῖν δίδου· κακοῦ γὰρ ἀνδρὸς δῶρ’ ὄνησιν οὐκ ἔχει.
610
615
607 ἀρὰς … ἀρωμένη] figura etymologica (vgl. K.-G. I 304 a) 608 καὶ … γ’] Hier liegt der in dieser Verbindung seltenere Fall des adverbialen καί (‚auch‘) vor; vgl. GP 158 (2) i; 582. | σοῖς ἀραία … δόμοις] vgl. IT 778 σοῖς ἀραία δώμασιν | οὖσα τυγχάνω] ist nicht einfach eine Umschreibung für εἰμί, sondern durch τυγχάνειν wird oft die Faktizität des im Partizip Ausgedrückten betont; vgl. Manuwald 1999, 121; 122; 150 f. 609 ὡς] ~ ἴσθι ὡς (K.-G. II 372 Anm. 4); Diggle 1981, 88; Iason will mit einem emphatischen Ausruf die Auseinandersetzung beenden. | κρινοῦμαι] ‚dispute‘, LSJ s. v. κρίνω II. 2. b | τῶνδέ … τὰ πλείονα] genauer: ‚über das Weitere in diesem (eben genannten) Bereich‘; vgl. Page „…‘the sequel of this’ “; Martina III. Zu τὰ πλείονα vgl. K.-G. I 636 f. 610 τι : τε (Hss.) | σαυτῇ φυγῆς : σαυτῆ φυγῆ : σαυτῆς φυγῆ(ι) – Nach παισὶν ἢ ist σαυτῇ am sinnvollsten, φυγῆς ist als objektiver Genitiv abhängig von προσωφέλημα (611), nur hier im klassischen Griechisch belegt. 611 χρημάτων] ist wohl am ehesten als von λαβεῖν abhängig zu denken (K.-G. I 345 Anm. 2) 613 δράσουσί] Futur im Relativsatz dürfte auf finalen Sinn weisen (K.-G. II 422, 4); vgl. Mastronarde. 616 ἂν … ἂν] vgl. zu 250–251 617 μηδ’ : μήθ᾿ (Hss.) – μηδ’ ist nach dem zweimaligen οὔτ’ die lectio difficilior, und ‚auch nicht‘ ergibt den passenderen Sinn.
Kommentar
219
607–608 Iason wiederholt seinen schon eingangs vorgebrachten Vorwurf (448–450; 453 f.), dass Medea ihre Verbannung durch Äußerungen gegen das Königshaus selbst zu verantworten habe. Er nennt diese jetzt ‚Flüche‘, was Medea Gelegenheit zu der Replik gibt, sie sei auch seinem Haus ein Fluch, wobei die Gültigkeit dieser Aussage noch sprachlich betont ist (vgl. TS zu 608). Ihre Antwort kann nichts anderes bedeuten, als dass sie jetzt ihre Kinder in ihr Rachevorhaben einbezieht; denn das ‚Haus‘ besteht bislang nur aus Iason und den gemeinsamen Kindern. Wie der Fortgang des Agons zeigt, versteht Iason Medeas Drohung aber nur als eine an das Wort ‚Fluch‘ (607) anknüpfende agontypische Replik, die ihm eine weitere Auseinandersetzung als sinnlos erscheinen lässt – und es ist denkbar, dass auch die Zuschauer die Relevanz der kurzen Aussage nicht gleich erfassen konnten. 607 Iasons Aussage erhält durch die Stellung der Wörter besonderes Gewicht: Die Wörter ‚Flüche‘ und ‚fluchend‘ stehen am Anfang und am Ende des Verses und bilden eine ‚etymologische Figur‘. 608 Der Vers ist so formuliert, dass Medea nicht dem Haus Iasons flucht, sondern sich selbst als Fluch für das Haus bezeichnet. – Iason wird später klagen, die Götter hätten den Medea bestimmten Rachegeist auf ihn niederfahren lassen (1333); vgl. Mossman. 609–615 Iason beendet abrupt die Auseinandersetzung, da er sie offenbar für fruchtlos hält, und geht, wie es seiner Charakterisierung in diesem Drama entspricht, zu vernünftig-praktischen Regelungen über, indem er den Kindern und Medea reichliche materielle Hilfe für das Exil sowie Kontakte zu Gastfreunden anbietet. Eine etwaige Ablehnung dieses Angebots kann er sich nur aus Medeas Unvernunft und Affektbeherrschtheit erklären (wie schon 568– 573a). 613 ‚Erkennungszeichen‘: Ein solches besteht aus zwei Teilen eines ursprünglich Ganzen (z. B. eines Knochens); ihre Besitzer können am Zusammenpassen der Teile erkennen, dass sie die füreinander Bestimmten sind. Vgl. das Scholion zu v. 613; Eubulos, fr. 70 Κ.-Α. (PCG V); Herodot 6,86,α5. 614–615 In seinem materiell bestimmten Denken hätte Iason kein Verständnis dafür, dass man sich eher seiner zornigen Gekränktheit hingibt, als profitable Vorteile wahrzunehmen. 616–618 Medea weist Iasons Angebot nicht im Indikativ zurück, sondern im Potentialis, d. h., sie lehnt nicht nur das konkrete Angebot ab, sondern möchte noch nicht einmal die bloße Möglichkeit erwägen. Zu Medeas Begründung vgl. die sprichwörtliche Redensart: „Der Feinde Gaben sind Ungaben und nützen nichts“ (Soph. Ai. 665); Menander, Sententiae 239 Jäkel.
220 Ia.
Zweites Epeisodion: 619–626
Wie dem auch sei, i c h jedenfalls rufe die Götter als Zeugen an, dass ich bereit bin, dir und den Kindern jegliche Hilfe zu leisten; d i r aber missfallen meine guten Absichten, und aus Eigensinn stößt du Freunde von dir; so wird dein Leid nur größer!
620
Iason ist dabei wegzugehen. Me.
Ια.
Μη.
Geh nur! Denn Verlangen nach der neuvermählten Frau überkommt dich, da du schon lange vom Hause weg verweilst. Genieße deine Ehe! Denn vielleicht – mit Gott (als Zeugen) wird es gesagt sein – hast du eine solche Ehe, dass du ein Wehgeschrei erheben wirst. ἀλλ’ οὖν ἐγὼ μὲν δαίμονας μαρτύρομαι ὡς πάνθ’ ὑπουργεῖν σοί τε καὶ τέκνοις θέλω· σοὶ δ’ οὐκ ἀρέσκει τἀγάθ’, ἀλλ’ αὐθαδίᾳ φίλους ἀπωθῇ· τοιγὰρ ἀλγυνῇ πλέον. χώρει· πόθῳ γὰρ τῆς νεοδμήτου κόρης αἱρῇ χρονίζων δωμάτων ἐξώπιος. νύμφευ’· ἴσως γάρ, σὺν θεῷ δ’ εἰρήσεται, γαμεῖς τοιοῦτον ὥστε θρηνεῖσθαι γάμον.
625
620
625
619 ἀλλ’ οὖν] „Approaching δ᾿ οὖν or ἀλλὰ γάρ in sense, signifying an elimination of the secondary or irrelevant, a break-off in thought, a resumption of the main issue: ‘Well, anyhow, however that may be.’ “ (GP 443 [4]) 621 αὐθαδίᾳ] αὐθαδ͜ίᾳ dreisilbig zu lesen (‒⏑‒) 625 σὺν θεῷ δ’ εἰρήσεται] zur möglichen prophetischen Bedeutung der Wendung vgl. Herodot 1,86,3 626 θρηνεῖσθαι Dodds 1952, 13 f. (Diggle, Kovacs, Mastronarde, Mossman) : σ᾿ ἀρνεῖσθαι +Hss. : (ὥστ᾿) ἀναίνεσθαι Prinz – vgl. 1396 οὔπω θρηνεῖς, 1409 θρηνῶ (jeweils auf Iason bezogen); ‚die Ehe verleugnen‘ ergibt keinen akzeptablen, ‚leugnen, dass es eine Ehe ist‘ nur einen schwachen Sinn (vgl. Mastronarde), dagegen setzt θρηνεῖσθαι einen ausdrucksstarken Schlusspunkt; die Überlieferung halten van Looy, Tedeschi, Martina; Letzterer versteht ἀρνεῖσθαι wie das Scholion als ‚bereuen‘, was es jedoch nicht heißen kann; immerhin belegt das Scholion, dass eine übliche Bedeutung von ἀρνεῖσθαι hier nicht passt. | θρηνεῖσθαι] Medium wie Soph. Ai. 852; [Aisch.] PV 43
Kommentar
221
619–622 Iason muss erkennen, dass er Medeas Zorn auch nicht auf pragmatischem Weg abmildern kann, weswegen er sich abwendet, nicht ohne die Götter als Zeugen dafür anzurufen, dass es nicht an ihm liege, wenn er seine Absicht zu helfen nicht verwirklichen könne. Seine Denkweise lässt ihm etwaige seelische Folgen seines Handelns nicht in den Sinn kommen, und er kann daher bei Medea nur eigensinnige Unvernunft erkennen. – Dass Iason die Götter als Zeugen für sein gutgemeintes Handeln anruft, kann man als ironische Brechung verstehen, da er den vor den Göttern geschworenen Eid gegenüber Medea ohne Bedenken gebrochen hat. 621 ‚meine guten Absichten‘, wörtl. ‚die guten (Dinge)‘, sc. die ich gewähren will. ‚Eigensinn‘: vgl. zu 104. 623–626 Iason entfernt sich nach seinen abschließenden Worten (619–622), und Medea spricht die vv. 623–626 hinter ihm her. Das lässt sich aus dem durativen Präsens ‚Geh‘ (623) erschließen. Ob Iason die in den vv. 625 f. ausgesprochene Drohung noch hat in sich aufnehmen können, lässt sich nicht klären (nach Mossman hat er sie nicht mehr gehört). Die Drohung besagt, dass Iasons neue Ehe in einer Katastrophe für ihn enden könnte, und das können auch die Zuschauer so verstehen, ohne zu wissen, was Medea im Einzelnen meint. Medea unterstellt Iason für sein Weggehen ein erotisches Motiv, das er mehrfach geleugnet hatte (549; 555 f.; 593 f.), bei seinem in diesem Drama zu erkennenden ökonomisch-standesmäßigen Denken noch nicht einmal unglaubhaft. Eher wird er angesichts der ‚Uneinsichtigkeit‘ Medeas die Vergeblichkeit seiner Bemühungen erkannt haben. – Ob Medea von dem von ihr genannten Motiv überzeugt ist (das sie später auch gegenüber Aigeus äußert, 698) oder Iason damit verhöhnen will, ist nicht klar. Jedenfalls sind ihr auch Iasons standesmäßige Beweggründe bewusst (700); vgl. Mossman. 623 ‚neuvermählt‘ (neodmētos), wörtl. ‚neuerlich gezähmt‘, wird wie neodmēs für jung verheiratete Frauen verwendet. Vielleicht soll auch ausgedrückt werden, dass Medea sich als die Ältere über die Attraktivität der jungen Braut mokiert (vgl. Mastronarde). Vgl. auch 1366. 624 ‚vom … weg‘: Das griechische Wort bedeutet genau ‚außerhalb der Sicht von‘ (exōpios). 625a ‚Genieße deine Ehe!‘, wörtl. ‚Heirate‘, jedoch im durativen Präsens. Die Heirat ist bereits geschehen (vgl. z. B. 18 f.), und die Aussage kann sich also nur auf die schon bestehende Situation als Ehemann beziehen; entsprechend kann die Wendung in v. 626 auch nicht bedeuten ‚eine Ehe schließen‘ (was rein semantisch möglich wäre). – Sich jetzt seiner Ehe hinzugeben ist angesichts der folgenden Drohung eine besonders sarkastische Aufforderung an Iason. 625b ‚mit Gott (als Zeugen) wird es gesagt sein‘, eine prophetische Voraussage, die sich nach Medeas Überzeugung bestätigen wird. Die Beschwörung der göttlichen Zeugenschaft korrespondiert mit der Anrufung der Götter durch Iason (619), nur dass sie nicht wie bei Iason einen Schlusspunkt setzt.
222
Zweites Stasimon: 627–635
Iason ist weggegangen. Medea bleibt während des Chorlieds auf der Bühne. Ch.
Liebesleidenschaft, wenn sie allzu übermäßig kommt, Strophe 1 627/8 bringt kein gutes Ansehen und kein lobenswertes Verhalten den Menschen; sollte aber 629/30 mit Maßen kommen Kypris, ist keine andere Göttin so beglückend. 631/2 Niemals, Herrin, mögest du auf mich vom goldenen Bogen sen- 633/4 den einen unentrinnbaren Pfeil, wenn du ihn bestrichen hast mit 635 Liebesverlangen.
Χο.
ἔρωτες ὑπὲρ μὲν ἄγαν ἐλθόντες οὐκ εὐδοξίαν οὐδ’ ἀρετὰν παρέδωκαν ἀνδράσιν· εἰ δ’ ἅλις ἔλθοι Κύπρις, οὐκ ἄλλα θεὸς εὔχαρις οὕτω. μήποτ’, ὦ δέσποιν’, ἐπ’ ἐμοὶ χρυσέων τόξων ἐφείης ἱμέρῳ χρίσασ’ ἄφυκτον οἰστόν.
στρ. α´ 627/8 629/30 631/2 633/4 635
627 ὑπὲρ] steht in Tmesis zu ἐλθόντες, ἄγαν verstärkt ὑπερελθόντες (Mastronarde mit Belegen), nach Hutchinson 2001, 457 wird ἄγαν durch ὑπὲρ verstärkt. 629 παρέδωκαν] gnomischer Aorist 630 ἅλις] „sts. just enough, in moderation“ LSJ s. v. 1; vgl. Alk. 907 631 ἄλλα : ἄλλη : ἀλλὰ – ἄλλᾱ wegen dorischer Färbung des Chorlieds 632 εὔχαρις] vgl. Herakl. 894 f. εὔχαρις Ἀφροδίτα | οὕτω : οὕτως (Hss.) – οὕτω ist die Regel, wenn ein Konsonant folgt. 634 χρυσέων τόξων] vgl. Pindar, Pythien 3,9 f. χρυσέοις / τόξοισιν | ἐφείης +(Hss.) : +ἐφίης : ἀφείης Naber – ἀφείης verbindet sich zwar leichter mit dem separativen Genitiv χρυσέων τόξων, aber die Chorfrauen mögen mit ἐφ- sich als Ziel (ἐπ’ ἐμοὶ) betonen wollen; es besteht jedenfalls kein Zwang zur Konjektur (vgl. Page).
Kommentar
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627–662 Zweites Stasimon. Der Chor bezieht sich unmittelbar auf die Handlung, indem er aus seiner Sicht zu den eingetretenen Verhältnissen Stellung nimmt, ganz auf der Seite Medeas. Das Lied gliedert sich in zwei Strophenpaare, bei denen es im ersten um die teils zerstörerische, teils förderliche Macht des Eros geht (627–644), im zweiten um den Wert der Heimat und die mit deren Verlust verbundenen Leiden (645–662). – Das Stasimon ist ausführlich interpretiert worden von Hutchinson 2001, 454–467. 627–635 Strophe 1. Anders als im Ersten Stasimon reflektiert der Chor hier nicht speziell über Männer (413), sondern generell über Menschen (630; was das griechische anēr auch bedeuten kann, z. B. 220; 518 jeweils mit Komm.; vgl. auch Meridor 1986, 96 f.), da sich die Chorfrauen einbeziehen (633 ff.) und in den Ausführungen sowohl die vom Eros ‚geschlagene‘ Medea (8) als auch Iason gemeint ist, der zwar leugnet, von Liebe zur Tochter Kreons ‚geschlagen‘ worden zu sein (555 f.), dem man aber eine andere Liebesbeziehung (vgl. zu 641) vorhalten kann (vgl. zu 638–642). Gegen den Bezug der Strophe 1 auf Iason allein (so Rademaker 2005, 112–115) vgl. auch Stöppelkamp 2011, 179 f. Eine Liebesleidenschaft (vgl. 330), die übermäßig ist, sieht der Chor insofern als verderblich an, als sie sich negativ auf den Status der Betroffenen in der Gemeinschaft auswirkt, und bittet entsprechend, dass ein mit Liebesverlangen versehener Pfeil der Liebesgöttin, dem man nicht entgehen kann, ihn verschone. Die vom Chor präferierte Alternative ist die sanft sich entwickelnde, mehr als andere Göttinnen beglückende, als Kypris (vgl. Komm. zu 527) benannte Liebesbeziehung (630–632). Ähnliche Gedanken finden sich bei Euripides in den Chorstrophen Hipp. 525–534 und IA 543–557. 629 ‚kein lobenswertes Verhalten‘ (aretā): Zu einer alternativen Einschätzung des Eros vgl. 843–845 mit Komm. 635 ‚unentrinnbaren Pfeil‘: Vgl. 531. Entweder wird hier das Geschoss von Aphrodites (Kypris’) Sohn Eros (vgl. zu 530–531) ihr selbst zugeschrieben (vgl. Pindar, Pythien 4,213, wo Aphrodite die Herrin schärfster Geschosse genannt wird), oder das Aussenden des Pfeils ist kausativ zu verstehen, dass also als Schütze Eros zu ergänzen ist (vgl. Mastronarde). Die Geschosse der Götter sind golden, wie auch die der Artemis (Pindar, Pythien 3,9 f.). Der Pfeil ist mit Liebesverlangen ‚bestrichen‘, wie man etwas auch mit Gift bestreichen kann; vgl. Homer, Odyssee 1,261 f. (einen Pfeil); Eur. Med. 789 (ein Gewand).
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Zweites Stasimon: 636–644
Zugeneigt sei mir Besonnenheit, schönste Ga- Gegenstrophe 1 be der Götter. Möge niemals hadernden Zorn und unersättlichen Streit – nachdem sie mein Herz in Aufruhr versetzt hat wegen einer anderen Liebesbeziehung (meines Ehegatten) – auf mich werfen die schreckliche Kypris; sondern, sie möge, friedvolle Ehen achtend, mit großem Bedacht auswählen Ehen von Frauen. στέργοι δέ με Σωφροσύνα, δώρημα κάλλιστον θεῶν· ἀντ. α´ μηδέ ποτ’ ἀμφιλόγους ὀργὰς ἀκόρεστά τε νείκη θυμὸν ἐκπλήξασ’ ἑτέροις ἐπὶ λέκτροις προσβάλοι δεινὰ Κύπρις, ἀπτολέμους δ’ εὐνὰς σεβίζουσ’ ὀξύφρων κρίνοι λέχη γυναικῶν.
636/7 638/9 640/1 642/3
636/7 638/9 640/1 642/3
636–637 Σωφροσύνα, δώρημα κάλλιστον θεῶν] vgl. Aisch. Ag. 927 f. καὶ τὸ μὴ κακῶς φρονεῖν / θεοῦ μέγιστον δῶρον 640 θυμὸν ἐκπλήξασ’] vgl. 8 θυμὸν ἐκπλαγεῖσ’ 641 ἐπὶ] Die Präposition gibt hier eher den Grund an, wie besonders bei Verben der Affekte (K.-G. I 502 d; „because of another bed“, Mastronarde; Rademaker 2005, 115 mit Verweis auf Hipp. 903), als die Absicht (K.-G. I 502 f; „with love for a stranger’s bed“, Kovacs). 642 δεινὰ] vgl. Hipp. 563, wo das Adjektiv prädikativ auf Κύπρις (557) bezogen ist 643 ἀπτολέμους] diese Form von ἀπόλεμος nur hier in tragischer Dichtung 644 ὀξύφρων] „The word occurs nowhere else in archaic or classical literature. It is set at the front of its clause, and presents a forceful image of the skilled judgement wanted from the goddess of passion“ (Hutchinson 2001, 460). | κρίνοι] Da es um bestehende Ehen geht, kann der Vers nicht heißen „wisely determine whom we are to wed“ (so Kovacs), ganz abgesehen von der Semantik des Verbs (krinein), das wohl nicht die Bedeutung „distribute, assort men, etc.“ haben kann. Die Bedeutung ist hier am ehesten ‚auswählen‘ sc. als Opfer ihres Zuschlagens, vgl. LSJ s. v. κρίνω II. 1; Homer, Ilias 1,309 ἐν δ᾿ ἐρέτας ἔκρινεν ἐείκοσιν. Zur hier vorliegenden semantischen Problematik vgl. besonders Page zu 641.
Kommentar
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636–644 Gegenstrophe 1. Im Kontrast zur Liebesleidenschaft und der pfeilschießenden Kypris wird jetzt als deren Gegenbild, ‚Besonnenheit‘, ‚Maßvolles Verhalten‘ (Sōphrosynā), personifiziert und wie in einem Gebet eingeführt (vgl. Mastronarde). Die Chorfrauen erbitten von ihr, dass sie ihnen zugetan sei (636 f.). Dagegen solle die ‚schreckliche‘ Kypris niemals Zorn und Streit, ausgelöst durch Begehren nach einer anderen Liebesbeziehung, (auf jemanden) werfen (638–642) – ebendas, was sie am Verhältnis von Medea und Iason beobachten konnten –, sondern, harmonische Ehen respektierend, sich genau überlegen, welche Ehen sie zur Zerrüttung auswähle. 638–642 Mit der ‚anderen Liebesbeziehung‘ (vgl. zu 641), die den Grund bildet für zornigen Streit, ist vor dem Hintergrund der vorausgehenden Szene sicher auf den Streit Bezug genommen, den Medea mit Iason ausficht, so dass auf Iasons neue Verbindung mit der Tochter Kreons angespielt wird. Die Chorfrauen wünschen also, sollten sie selbst betroffen sein, mit einer solchen Situation maßvoll umgehen zu können, wie sie es Medea angeraten hatten (155 f.) und wie Andromache von sich sagt, die Seitensprünge Hektors ertragen zu haben (Andr. 222–227); sie wollen (und können) sich nicht wie Medea in einen Kampf einlassen. Das personifizierte ‚Maßvolle Verhalten‘ (Sōphrosynā; 636) bedeutet also ein Sich-Fügen nach dem Modell der Andromache; vgl. Meridor 1986, 99; Rademaker 2005, 115. Hutchinson hält einen Bezug auf die Sprecherinnen für vorherrschend, also ein Begehren nach einer anderen Liebesbeziehung vonseiten der Frau aus, ohne einen Bezug auf Iason auszuschließen („but Jason’s passion is very much in view“, 2001, 459 f.). Da den Ausgangspunkt des Chorlieds das vom Chor beobachtete Geschehen zwischen Iason und Medea bildet, ist es unwahrscheinlich, dass die Chorfrauen an möglicherweise von Frauen bzw. ihnen selbst zu begehenden Ehebruch denken. 640 ‚mein Herz in Aufruhr versetzt hat‘, vgl. v. 8 ‚in ihrem Herzen ganz ergriffen‘. Im Griechischen wird jeweils dasselbe Verb verwendet, vgl. TS. 641 ‚wegen einer anderen Liebesbeziehung‘, wörtl. ‚wegen anderer Betten‘. Der Plural oszilliert zwischen einem poetischen und einem echten Plural. Der Chor spricht im Singular von sich, als ob er eine Person wäre, die sich die Untreue ihres Mannes vorstellt, spricht aber gleichzeitig im kollektiven Singular für alle (Chormitglieder und auch Frauen) und denkt offenbar an unterschiedliche Fälle von Untreue. 643–644 Durch die Partizipialkonstruktion ‚friedvolle Ehen achtend‘ (so auch im Griechischen) wird deutlich, dass es um bereits bestehende Ehen geht. Die Chorfrauen sind sich bewusst, dass ihr abwehrender Wunsch an Kypris (638–642) nicht vollständig in Erfüllung gehen könnte, sondern sie immer wieder einmal in Eheverhältnisse zerstörerisch eingreifen wird, und bitten deswegen darum, dass sie friedvolle Ehen verschonen und sich genau überlegen soll, welche Ehen sie gegebenenfalls (als Opfer) auswählt; vgl. auch Hutchinson 2001, 460 f. 644 ‚Ehen von Frauen‘: Weil Frauen die Leidtragenden sind (wie Medea), wenn der Mann ein ‚Begehren nach einer anderen Liebesbeziehung‘ hat.
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Zweites Stasimon: 645–655
Meine Heimat, mein Haus! Nie Strophe 2 645 möge ich doch die Gemeinschaft meiner Stadt entbehren müssen, mit einem Leben in Hilflosigkeit, kaum durchzustehen, 647/8 die bejammernswerteste der Qualen. Vom Tod, vom Tod möchte ich zuvor bezwungen werden, 650 mein Leben beendend; denn von den Leiden ist kein anderes größer, als der heimatlichen Erde beraubt zu werden. Wir haben es selbst wahrgenommen, nicht auf Kunde von anderen hin kann ich es darlegen: ὦ πατρίς, ὦ δώματα, μὴ δῆτ’ ἄπολις γενοίμαν τὸν ἀμηχανίας ἔχουσα δυσπέρατον αἰῶν’, οἰκτρότατον ἀχέων. θανάτῳ, θανάτῳ πάρος δαμείην ἁμέραν τάνδ’ ἐξανύσασα· μόχθων δ’ οὐκ ἄλλος ὕπερθεν ἢ γᾶς πατρίας στέρεσθαι. εἴδομεν, οὐκ ἐξ ἑτέρων μῦθον ἔχω φράσασθαι·
Gegenstrophe 2 655 στρ. β´ 645 647/8 650
ἀντ.β´ 655
645 δώματα Nauck : δῶμα Hss. – Die Konjektur stellt die Responsion mit v. 654 her. 645– 646 μὴ δῆτ’] vgl. zu 336 648 αἰῶν’ Hss. : αἰῶ Wilamowitz – Die alternative Form αἰῶ würde ein Periodenende ermöglichen, das aber nicht gesichert ist. 649 οἰκτρότατον Musgrave : οἰκτροτάτων Hss. – οἰκτρότατον stellt die Responsion mit v. 658 her, wo dann nicht geändert werden muss; außerdem entsteht so eine klar konstruierbare Apposition zu τὸν … αἰῶν’ (647/8); vgl. Page, anders Hutchinson 2001, 462 f. 651–652 ἁμέραν … ἐξανύσασα (Hss.) : πρὶν ἁμέραν … ἐξανύσαι – metrisch ist ἁμέραν … ἐξανύσασα erforderlich | ἁμέραν τάνδ᾿] prägnant zu verstehen als ‚Lebtag‘ (~ ‚Leben‘), vgl. bes. Hek. 364 λυπράν ἄγουσαν ἡμέραν, wo ἡμέρα der Bedeutung ‚Leben‘ entspricht, sowie Soph. Tr. 654 ἐξέλυσ᾿ ἐπιπόνων (Seidler, -ον, -αν codd.) ἡμέραν, wo ebenfalls nicht ein bestimmter Tag, sondern die Tage des Lebens (~ Leben) gemeint sind (vgl. Page). | ἐξανύσασα] zur Funktion des Partizips Aorist vgl. 434 und zu 167 652 δ᾿] vgl. zu 106 (~ γάρ) 652–653 ὕπερθεν] Das Adverb ist wie ein Adjektiv gebraucht (~ ὑπέρτερος), vgl. K.-G. I 38 Anm. 2; zu ἤ nach ὕπερθεν vgl. K.-G. II 301, 1. 653 στέρεσθαι] Infinitiv ohne Artikel als grammatisches Subjekt (K.-G. II 3) 655 μῦθον Nauck : μύθων Hss. – Metrik und Sinn erfordern μῦθον. | μῦθον] Es ist, wie das Folgende zeigt, eher der Sachverhalt als eine ‚Erzählung‘ gemeint; vgl. LSJ s. v. μῦθος I. 4. | φράσασθαι] Das Medium ist hier, wie das Objekt μῦθον nahelegt, ausnahmsweise wie das Aktiv (φράσαι) gebraucht, „for metrical convenience“ (Mastronarde).
Kommentar
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645–653 Strophe 2. Der Chor geht abrupt von der Liebesthematik zur Problematik des Exils über (Hutchinson 2001, 463), sich den schlimmen Folgen einer nicht durch Anpassung geprägten Reaktion der Frau zuwendend. Die durch das Exil gegebene soziale Isolation (der Medea ausgesetzt sein wird) hält der Chor für das schlimmste Leid, dem er den Tod vorzöge. 646 ‚die Gemeinschaft meiner Stadt entbehren‘, wörtl. ‚stadtlos sein‘, gemeint ist die soziale Gemeinschaft, welche die Stadt bietet. – Vgl. Medeas Äußerungen in den vv. 255 u. 328. 647–648 ‚einem Leben in Hilflosigkeit‘: das Exil ohne Unterstützung und soziale Einbettung. Vgl. die Einschätzung der Lage Medeas durch den Chor vv. 358–360. 650–651 ‚Vom Tod, vom Tod‘: Die emotionale wörtliche Doppelung korrespondiert am Beginn der zweiten Hälfte der Strophe mit der ebenso emotionalen sachlichen Doppelung (‚Meine Heimat, mein Haus‘) am Beginn der Strophe. Die Chorfrauen möchten sterben, bevor ein Schicksal eintritt, das sie aus der Heimat vertreibt. ‚mein Leben beendend‘, wörtl. ‚diesen Tag beendend‘. ‚Tag‘ kann geradezu die Bedeutung ‚Tag, an dem man lebt‘, d. h. schließlich ‚Leben‘, annehmen (vgl. im Deutschen das außer Gebrauch gekommene Wort ‚Lebtag‘). So heißt es Hek. 364 wörtl.: ‚traurig (als Traurige) den Tag verbringend‘, gemeint ist aber vom Kontext her eindeutig „living a life of misery“ (Übers. Kovacs; Text in TS zu 651–652). Mit dieser Wendung betonen die Chorfrauen ihren ohnehin schon durch die Doppelung von ‚Tod‘ expressiv ausgedrückten Todeswunsch noch weiter. Alternativ könnte man erwägen, dass ‚dieser Tag‘ den Tag des Heimatverlusts bezeichne; aber es ist zu fragen, wie die Chorfrauen in der Lage sein sollen, diesen ‚Tag‘ zu beenden. Bestimmt ist auch nicht ‚heute‘ gemeint (so aber Hutchinson 2001, 463 f.); denn die Chorfrauen wollen vor einem Verlust der Heimat sterben, um den es aber für sie ‚heute‘ nicht geht. 652–653 Die abschließenden Verse greifen die Aussage der ersten Hälfte der Strophe, dass der Verlust der Heimat das schlimmste Leid sei, wieder auf. 654–662 Gegenstrophe 2. Der Chor äußert sich nun direkt zum konkreten Fall Medeas: Er bezeugt in der ersten Hälfte Mitleid mit ihr, die er mit ‚du‘ anspricht (654–658), in der zweiten verdammt er jeden, der undankbar ist, und seine Freunde, obwohl er deren reine Gesinnung erkannt hat, nicht ehrt (659– 662). 654–655 ‚wahrgenommen‘, wörtl. ‚gesehen‘, was im strengen Sinne nicht zutrifft, sondern der Chor hat den Sachverhalt unmittelbar mitbekommen (358– 360; 512–515; 603 f.) und verfügt damit über eigenständiges Wissen. ‚Autopsie‘, d. h. in diesem Fall direkte Wahrnehmung, galt als dem Hörensagen überlegen; vgl. z. B. Aisch. Pers. 266 f.; Soph. OT 6 f.; Herodot 2,99,1.
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Zweites Stasimon: 656–662
Mit dir wird nicht eine Stadt, nicht ein Freund Mitleid haben, 656/7 obwohl du erleidest die schlimmsten der Leiden. In seiner Undankbarkeit möge zugrunde gehen, wer so geartet ist, dass er seinen Nächsten keine Ehre erweist, 660 wenn er die Tür zu deren reinem Herzen geöffnet hat. M i r wird er niemals Freund sein. σὲ γὰρ οὐ πόλις, οὐ φίλων τις οἰκτερεῖ παθοῦσαν δεινότατα παθέων. ἀχάριστος ὄλοιθ’, ὅτῳ πάρεστιν μὴ φίλους τιμᾶν καθαρᾶν ἀνοίξαντα κλῇδα φρενῶν· ἐμοὶ μὲν φίλος οὔποτ’ ἔσται.
656/7 660
656 γὰρ] vgl. zu 448 657 οἰκτερεῖ Wieseler : ὤ(ι)κτειρε(ν) Hss. : οἰκτιρεῖ Herwerden : ᾤκτισεν Musgrave – Vgl. Komm. dazu, dass eine Futurform zu erwarten ist. Die Hss. bieten einen metrisch nicht möglichen Text, da Formen von οἰκτίρω ein langes ι haben (vgl. Schwyzer I 352), etwaiges ᾤκτῑρεν (abgesehen vom Vergangenheitstempus) also nicht passt. Laut LSJ s. v. οἰκτίρω ist Aisch. TrGF III2 F 199,6 οἰκτῐρῶ zu lesen, wo aber οἰκτερεῖ überliefert ist (vgl. zu dieser Form Schwyzer I 785), was auch Radt übernommen hat, sodass eine Form οἰκτῐ́ρω nicht wirklich gesichert ist; die neueren Editoren entscheiden sich trotzdem für οἰκτιρεῖ. Da οἰκτερεῖ mehrfach bei griechischen Autoren überliefert ist und die metrisch notwendige kurze Silbe aufweist, sollte man hier οἰκτερεῖ lesen. 658 δεινότατα Hss. : δεινότατον Trikl. – vgl. zu 649 659 ἀχάριστος] sc. ὤν | πάρεστιν] „sometimes denotes the possession of a habit or characteristic“, Page, der auf Soph. Ai. 1010 f. verweist: ὅτῳ πάρα / μηδ᾿ εὐτυχοῦντι μηδὲν ἥδιον γελᾶν 660 καθαρᾶν Badham : καθαρὰν +Hss. – Euripides’ ursprünglicher Text hatte keine Akzente, und sachlich bezieht sich das Wort auf jeden Fall auf φρενῶν (661); wer καθαρὰν akzentuiert hat (Bezug κλῇδα, 661), wollte wohl eine sehr künstliche Enallage herstellen. 661 ἀνοίξαντα +(Hss.) : ἀνοίξαντι – ἀνοίξαντα (trotz ὅτῳ, 659), als ob πάρεστιν ohne Dativ gebraucht wäre, wobei sich dann an den Infinitiv ein Akkusativ anschließt; vgl. grundsätzlich K.-G. II 111 f. | κλῇδα] von der altattischen Form κλῄς, allgemeine Bedeutung ‚Verschluss‘, dann soviel wie ‚Tür‘, eine Bedeutung, die auch ἀνοίξαντα nahelegt; vgl. Barrett 1964 zu Hipp. 577–81 über die vergleichbare Bedeutung von κλῇθρον. 662 μὲν] μέν solitarium, „With personal and demonstrative pronouns, implicitly contrasted with other persons and things.“ (GP 381 f. [ii])
Kommentar
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656–658 Es ist strittig, ob sich der konkrete Fall (Medea), von dem die Chorfrauen Kenntnis haben, auf die Vergangenheit (so Musgraves Konjektur, gefolgt von älteren Editoren; Hutchinson 2001, 465) oder auf die Zukunft bezieht (so die neueren Editoren). Unabhängig von diesem textkritischen Problem (Einzelheiten dazu in TS) spricht der Kontext dafür, dass das zukünftige Schicksal Medeas gemeint ist. Die Chorfrauen möchten lieber sterben, als der Polisgemeinschaft verlustig zu gehen (645–653). Sie wissen und beklagen, dass dieses Schicksal Medea bevorstehen wird, die keine Stadt als Zufluchtsort hat und niemanden, der sie aufnimmt. 659–662 Der Chor denkt bei seiner Verwünschung hier offenbar an nahestehende Personen, die durch ihre Beziehung eigentlich verpflichtet sein sollten, die ihnen Nahestehenden zu ‚ehren‘, wenn sie deren lautere Gesinnung erkannt haben. Wenn sie es nicht tun, erscheinen sie dem Chor undankbar (wie im konkreten Fall Iason), und der Chor will mit solchen Leuten nichts zu tun haben. Die Formulierung des Chores ist zwar allgemein, aber er setzt wohl voraus, dass Medea, die im Exil der Hilfe bedarf, ein ‚reines Herz‘ hat, dem Iason nicht gerecht wird. In einem Fragment wird das Bild, die verschlossene Tür zur Seele zu öffnen, ohne klärenden Zusammenhang für Sophokles (TrGF IV2 F 393) überliefert; und in einem Skolion (einem bei einem Symposion gesungenen Lied) wird der Wunsch geäußert, Einblick in das Innere eines Menschen zu gewinnen, und wenn man den Zugang wieder verschlossen hat, den Menschen als Freund aufgrund seiner als aufrichtig erkannten Gesinnung betrachten zu können (fr. 889 PMG). In der Medea ist der Gedanke verkürzt; ‚rein‘ ist wohl proleptisch zu verstehen in dem Sinne: ‚wenn er das Innere geöffnet und es als rein erkannt hat‘. Überraschend wird sich König Aigeus von Athen als dankbar für die von Medea angekündigte Hilfe erweisen und Medea einen Zufluchtsort bieten (vgl. auch Mossman). Insofern liegt eine kontrastierende Vorbereitung auf das dritte Epeisodion vor (663–823).
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Drittes Epeisodion: 663–666
König Aigeus von Athen tritt mit Gefolge auf. Aigeus Medea, Freude wünsch’ ich dir; denn mit einem schöneren Beginn als diesem kann niemand seine Freunde anreden. Me. Freude wünsch’ ich auch dir, Sohn des weisen Pandion, 665 Aigeus. Von woher kommst du zu Besuch in dieses Land? Αἰγεύς Μήδεια, χαῖρε· τοῦδε γὰρ προοίμιον κάλλιον οὐδεὶς οἶδε προσφωνεῖν φίλους. Μη. ὦ χαῖρε καὶ σύ, παῖ σοφοῦ Πανδίονος, Αἰγεῦ. πόθεν γῆς τῆσδ’ ἐπιστρωφᾷ πέδον;
665
663 γὰρ] vgl. zu 234 | προοίμιον] ist innerer Akkusativ zu προσφωνεῖν (664), das zugleich φίλους als Akkusativ der Person regiert (K.-G. I 320 f.); προοίμιον bedeutet nicht nur ‚Proömium‘ u. ä., sondern kann von jedem Beginn gebraucht werden (LSJ s. v. I. 2). 664 οἶδε προσφωνεῖν] Infinitiv bei der Bedeutung ‚sich verstehen auf etwas‘ (MT § 915,2 [a]) | φίλους] generalisierendes Maskulinum 665 ὦ χαῖρε] ὦ mit imperativischem χαῖρε ist eine häufiger gebrauchte, wohl kolloquiale Begrüßungsformel (Collard 2018, 173)
Kommentar
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663–823 Drittes Epeisodion. Es besteht aus der Aigeus-Szene (663–758), Anapästen des Chores (759–763) und Medeas Eröffnung ihres Racheplans (764–823). 663–758 Aigeus-Szene. Das von Medea planvoll gelenkte Gespräch entwickelt sich in zwei thematischen Bereichen, einem Abschnitt, in dem sie Grund und Ziel von Aigeus’ Reise erfragt (663–688), und einem weiteren, in dem die Notlage Medeas zur Sprache kommt und sie schließlich Zuflucht in Athen erhält (689–758). – Aigeus tritt unangekündigt und unerwartet auf, als eine Art Deus ex machina mitten im Drama. Wie es seinem Stand entspricht, dürfte er ein Gefolge haben, vielleicht zwei Diener; einen Hinweis im Text gibt es nicht. Zu Funktion und Problemen der Aigeus-Szene vgl. Einf., S. 20 f. Zum Verhältnis von Neophron und Euripides bei dieser Szene vgl. Einf., S. 44–46. 663–688 Nach gegenseitiger Begrüßung fragt Medea in einer Stichomythie nach Grund und Ziel der Reise des Aigeus, geht aber auf das Orakel nicht ein, das er nicht verstanden hat, und bietet ihm auch nicht gleich Hilfe gegen seine Kinderlosigkeit an, obwohl sie später sagt, dass sie Mittel dafür kenne (717 f.). 663–666 Aigeus und Medea verhalten sich wie zwei alte Bekannte, die sich zufällig treffen. Aus ihren mythischen Biographien ergibt sich eine Bekanntschaft vor ihrem Treffen in Korinth nicht, aber die Anlage des Dramas motiviert die Zuschauer nicht zu der Überlegung, ob sich die beiden kennen konnten (vgl. auch Mossman 2003, 19 f.), und Euripides’ Vorgehen hat dramaturgische Vorteile: (1) Durch die namentliche Anrede wird sofort klar, dass sich beide kennen und um wen es sich bei dem Aufgetretenen handelt. (2) Die vorausgesetzte Vertrautheit erleichtert es Medea, bei einem ‚Freund‘ (664) um Asyl zu bitten. – Möglich ist, dass eine Begegnung von Aigeus und Medea in Korinth aus der Tragödie des Neophron bekannt war, wenn man akzeptiert, dass dessen Medea älter ist als die euripideische; vgl. dazu Einf., S. 42–48. 663/665 ‚Freude wünsch’ ich dir‘: Im Griechischen steht das zu einer konventionellen Grußformel gewordene chaire (‚sei gegrüßt‘), das wörtl. ‚freue dich‘ heißt und hier in seinem ursprünglichen Sinne gemeint ist, wie Aigeus’ Erklärung nahelegt. – Die freundliche Begrüßung steht in deutlichem Kontrast zur Begegnung von Kreon (271 ff.) bzw. Iason (446 ff.; 465 f.) mit Medea. 665–666 Dass Aigeus König von Athen ist, muss dem athenischen Publikum nicht erklärt werden, zumal er durch die Nennung des Vaters identifiziert wird. Nach Aigeus war eine Phyle benannt: Aigeis, ebenso eine nach einem Pandion (Pausanias 1,5,2 f.), Pandionis, gemeint war damit aber wohl nicht der Vater des Aigeus, sondern der Sohn des Erichthonios (Scherf 2000, 235). Aigeus werden die Zuschauer sicherlich auch als Vater (oder ‚Mitvater‘, wenn sich Pittheus’ Tochter Aithra in derselben Nacht auch mit Poseidon vereinigte; Ps.-Apollodor, Bibliotheke 3,208) des athenischen Heros Theseus kennen. – Zu Aigeus und Pandion als Phylen-Heroen vgl. auch Kron 1976, 139 u. 115–118. 665 Das Attribut ‚weise‘ ist nur hier für Pandion überliefert, vielleicht eine Schmeichelei gegenüber Aigeus (und den Athenern). 666 ‚in dieses Land‘, im Griechischen genauer ‚zum Boden dieses Landes‘. Die Verbindung ‚Boden der Erde / des Landes‘ (gē oder chthōn) – erster sicherer
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Drittes Epeisodion: 667–678
Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me.
Ich komme von Phoibos’ altehrwürdigem Orakelort. Warum reistest du zum weissagenden Nabel der Erde? Weil ich erkunden wollte, wie ich Kinder bekommen könnte. Bei den Göttern, lebst du denn bis jetzt noch immer ohne Kinder? Kinderlos bin ich, ein Gott hat es so gefügt. Obwohl du eine Gattin hast, oder bist du ehelos? Nein, ich teile das Bett mit einer Ehefrau. Was also sagte dir Phoibos wegen der Kinder? Worte zu weise, als dass ein Mensch sie deuten könnte. Ist es erlaubt für mich, die Weissagung des Gottes zu erfahren? Gewiss doch, zumal es ja wirklich eines klugen Geistes bedarf. Was nun verkündete er? Sag es, da es erlaubt ist zu hören.
Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη.
Φοίβου παλαιὸν ἐκλιπὼν χρηστήριον. τί δ’ ὀμφαλὸν γῆς θεσπιῳδὸν ἐστάλης; παίδων ἐρευνῶν σπέρμ’ ὅπως γένοιτό μοι. πρὸς θεῶν, ἄπαις γὰρ δεῦρ’ ἀεὶ τείνεις βίον; ἄπαιδές ἐσμεν δαίμονός τινος τύχῃ. δάμαρτος οὔσης ἢ λέχους ἄπειρος ὤν; οὐκ ἐσμὲν εὐνῆς ἄζυγες γαμηλίου. τί δῆτα Φοῖβος εἶπέ σοι παίδων πέρι; σοφώτερ’ ἢ κατ’ ἄνδρα συμβαλεῖν ἔπη. θέμις μὲν ἡμᾶς χρησμὸν εἰδέναι θεοῦ; μάλιστ’, ἐπεί τοι καὶ σοφῆς δεῖται φρενός. τί δῆτ’ ἔχρησε; λέξον, εἰ θέμις κλυεῖν.
670
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668 ὀμφαλὸν γῆς] vgl. Ion 461 f. (Delphi) Φοβήιος ἔνθα γᾶς / μεσόμφαλος ἑστία | θεσπιῳδὸν] das Adjektiv ist hier von der Person, die ein Orakel singt, auf den Ort übertragen | ἐστάλης +(Hss.) : ἱκάνεις – ἱ̆κᾱ́νεις ist unmetrisch (zur Merkwürdigkeit dieser Variante vgl. Page) | ἐστάλης] LSJ s. v. στέλλω II. 1 „Med. and Pass., set out, or (esp. in aor. 2 Pass.) journey“ 669 παίδων … σπέρμ’] vgl. Hipp. 622 παίδων … σπέρμα 670 θεῶν] einsilbig zu lesen (θ͜͜εῶν) | γὰρ] leitet eine überrascht-ungläubige Frage als Antwort ein (GP 77 [ii]), hier nach einem dazwischengeschobenen Ausruf (GP 80 [8]) 673 εὐνῆς ἄζυγες] Genitiv bei Adjektiven mit Alpha privativum, nach K.-G. I 402 Anm. 7 und Mastronarde ein separativer Genitiv, es wäre aber vielleicht auch an einen genetivus pertinentiae bzw. echten Genitiv (des Sachbetreffs; Schwyzer II 96, 3) zu denken 674 δῆτα] „in questions always has a logical connective force“ (GP 269 I) 675 σοφώτερ’ ἢ κατ’] Ein Komparativ mit ἢ κατ’ tritt dann ein, wenn der höhere Grad einer Eigenschaft in einem Missverhältnis zu einem anderen Gegenstand steht (K.-G. II 315 f., 8). | συμβαλεῖν] epexegetischer Infinitiv, zur Bedeutung vgl. LSJ s. v. συμβάλλω III. 3 676 μὲν] charakterisiert die Frage als vorläufig, d. h., sie würde nicht weiter verfolgt, wenn das Gegenüber Nein sagte (GP 366 f. [2]); vgl. Collard 2018, 106 677 ἐπεί τοι καὶ] nach ἐπεί folgt auf τοι regelmäßig καί (GP 545 f. [1]) 678 δῆτ’] vgl. zu 674 | εἰ] „‘since’ “ (Page); vgl. K.-G. II 577, 1, LSJ s. v. B. VI. Die Erlaubnis ist bereits erteilt (677), darauf beruft sich Medea. | κλυεῖν West 1984, 174 : κλύειν Hss. – κλυεῖν ~ μαθεῖν, daher ist die Akzentuierung als Aorist vorzuziehen (Mastronarde)
Kommentar
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Beleg bei Aisch. Pers. 488 – verwendet Euripides mehrfach (z. B. 746; Hipp. 1025; HF 620; Ba. 585; TrGF V F 558,1). Wenn man darin nicht einen Pleonasmus sehen will, könnte dabei die Erde als die feste Grundlage verstanden sein, auf der alles stehen kann. 667 Zu Phoibos als Bezeichnung für Apollon vgl. zu 426. Sein Orakelort ist Delphi in der Landschaft Phokis. 668 Delphi galt als Mittelpunkt der Welt (Ion 461 f.), weil zwei von Zeus losgesandte Adler, der eine vom Untergang der Sonne, der andere vom Aufgang, in Delphi zusammengestoßen sein sollen (Strabon 9,3,6, pp. 419,29–420,1 C. [mit Berufung auf Pindar]; vgl. auch Pindar, Nemeen 7,33 f.). Dieser Mittelpunkt wurde als omphalos, ‚Nabel‘, bezeichnet. – Im Heiligtum Apollons in Delphi sind zwei eiförmige Steine, omphaloi, erhalten, der eine aus Kalkstein, der andere aus Marmor mit einer Struktur, die ein darüber gespanntes Netz aus unbearbeiteter Wolle darstellt. Über Omphalos-Steinen wurden rituelle Handlungen ausgeführt; vgl. Auffahrt 2000. 670 ‚lebst du … noch immer‘, wörtl. ‚dehnst du dein Leben noch immer aus‘. 671 ‚ein Gott hat es so gefügt‘: Das den Menschen Unerklärliche wird mit einer schicksalhaften Fügung begründet. Nach Pausanias 1,14,7 führte Aigeus seine Kinderlosigkeit konkret auf den Zorn der Aphrodite Urania, also der ‚Himmlischen Aphrodite‘, zurück. 673 Wörtl.: ‚Ich (im Griechischen ‚wir‘, poetischer Plural) bin nicht unverbunden [sc. Litotes] durch ein Ehebett.‘ Nach Ps.-Apollodor (Bibliotheke 3,207) hat Aigeus zuerst Meta (nach dem Scholion zu Med. 673: Melite), Tochter des Hoples, dann Chalkiope, Tochter des Rhexenor, geheiratet, aber von beiden keine Kinder bekommen. Der Name der Gattin, deren Existenz sich aus v. 673 ergibt, wird nicht genannt. Nach diesen Quellen war Aigeus nie mit Aithra, der Tochter des Pittheus aus Trozen und Mutter des Theseus, verheiratet, konnte aber als Vater oder ‚Mitvater‘ des Theseus gelten (vgl. zu 665–666). – Zu einer Version, nach der Aigeus mit Aithra verheiratet war, vgl. Einf., S. 45, Anm. 190. 675 Aigeus meint, dass die Aussage des göttlichen Orakels menschliches Fassungsvermögen übersteigt. 676 ‚erlaubt‘ in dem Sinne, dass kein göttliches Recht (themis) entgegensteht. 677–681 Aigeus gibt den Inhalt des Orakels preis, offenbar, weil er sich von der als ‚klug / weise‘ anerkannten (vgl. bes. 539) Medea Hilfe bei der Deutung erhofft. Aber obwohl sie das Orakel unbedingt kennenlernen wollte, äußert sich Medea nicht dazu, sondern fragt weiter, wie (in diesem Kontext) Aigeus’ Erscheinen in Korinth zu erklären sei. Diese Gesprächsentwicklung gibt ihr die Möglichkeit, Aigeus später ihre Hilfe bei der Erfüllung seines Kinderwunsches anbieten können (714–718), was nach Auflösung des Orakels keine Funktion mehr gehabt hätte, und ihn dadurch zusätzlich zu motivieren (vgl. 721), ihr das erbetene Asyl zu gewähren.
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Drittes Epeisodion: 679–688
Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me.
Dass ich das vorstehende untere Ende des Weinschlauchs nicht soll lösen … Bevor du was getan hast oder in welches Land gekommen bist? 680 … bevor ich wieder zum väterlichen Herd gekommen bin. Und was ist dein Wunsch, dass du zu Schiff in dieses Land reist? Es gibt einen gewissen Pittheus, Herrscher über das Land Trozen. Ein Sohn des Pelops, ein höchst gottesfürchtiger Mann, sagt man. Dem will ich die Weissagung des Gottes mitteilen. 685 Ja, der Mann ist weise und in solchen Dingen erfahren. Und mir auch von allen Bundesgenossen der liebste. Mögest du Glück haben und alles erlangen, was du begehrst.
Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη.
ἀσκοῦ με τὸν προύχοντα μὴ λῦσαι πόδα … πρὶν ἂν τί δράσῃς ἢ τίν’ ἐξίκῃ χθόνα; … πρὶν ἂν πατρῴαν αὖθις ἑστίαν μόλω. σὺ δ’ ὡς τί χρῄζων τήνδε ναυστολεῖς χθόνα; Πιτθεύς τις ἔστι, γῆς ἄναξ Τροζηνίας. παῖς, ὡς λέγουσι, Πέλοπος, εὐσεβέστατος. τούτῳ θεοῦ μάντευμα κοινῶσαι θέλω. σοφὸς γὰρ ἁνὴρ καὶ τρίβων τὰ τοιάδε. κἀμοί γε πάντων φίλτατος δορυξένων. ἀλλ’ εὐτυχοίης καὶ τύχοις ὅσων ἐρᾷς.
680
685
679 ἀσκοῦ] Zu ἀσκός ‚Bauch‘ vgl. Archilochos, fr. 119 W. (überliefert im Scholion zu dieser Stelle); Antiphanes, fr. 20,3 K.-A. (PCG II) | πόδα] πούς in der Bedeutung ‚unterstes Teil‘ (LSJ s. v. II. 1 ~ ποδεών ΙΙ. 1, das Wort kann auch die Bedeutung membrum virile haben, vgl. Scholion zu v. 679) 680–681 χθόνα … ἑστίαν] vgl. zu 7 682 δ’] verbindet diese Frage mit der vorausgehenden (680), GP 171 (2) | τί] zur Stellung vgl. 309 und Thomson 1939, 149 683 Τροζηνίας von Arnim : τροιζηνίας Hss. – Τροζήν ist die Schreibweise z. Z. des Euripides, Τροιζήν erst spät, vgl. Barrett 1964 zu Eur. Hipp. 12 684 ὡς λέγουσι] dürfte sich trotz der Stellung im Satz vornehmlich auf den Ruf des Pittheus als εὐσεβέστατος beziehen (Hipp. 11 ist er ἁγνός), „a man most pious, they say“ (Kovacs), vgl. Page; denn in Bezug auf die feststehende Abkunft von Pelops gibt ‚Hörensagen‘ keinen Sinn. 686 ἁνὴρ Porson : ἀνὴρ +Hss. – ἁνὴρ ist als artikuliertes Subjekt notwendig | τρίβων τὰ τοιάδε] Der Akkusativ beim Verbaladjektiv τρίβων [ῐ] (LSJ s. v. τρίβων [B]) erklärt sich entweder als Analogie zu transitiven Verben (K.-G. I 196 Anm. 4) oder als accusativus Graecus (K.-G. I 316 c), der Ausdruck selbst gilt als kolloquial (Collard 2018, 112 f.). 687 γε (Hss.) : δὲ – emphatisches γε nach Pronomen (GP 121 [4]), δὲ kann hier nichts verbinden 688 ἀλλ’ εὐτυχοίης] GP 15 (5) (i) „An answer takes the form of a wish or prayer … Ἀλλ᾿ εὐτυχοίης is a stereotyped phrase, perhaps ‘a familiar form of parting blessing’ (Tucker)“
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679/681 Aigeus’ syntaktisch zusammenhängende Aussage wird durch Medeas Zwischenfrage unterbrochen. Dies steigert die Lebendigkeit der Stichomythie. Vgl. zu diesem Typus Mastronarde 1979, 56 f.; Diggle 1994, 501 Anm. 37. 679 Da das griechische Wort für ‚Weinschlauch‘ (askos) auch ‚Bauch‘ bedeuten kann, ist das vorstehende Ende als Penis zu verstehen, d. h., Aigeus bekommt die Anweisung, keinen Geschlechtsverkehr zu haben, bevor er nicht nach Hause gekommen ist (681). Das Orakel ist eigentlich durchsichtig, Aigeus versteht es aber nicht (vgl. zu den Charakteristika von Orakeln Fontenrose 1978, ch. I, hier bes. 13; zur Überlieferung dieses Orakels ebd. [L4] 356). 680–682 Medea versucht mit ihren drängenden Fragen, den Inhalt des Orakels zu erfahren und zugleich den Grund, warum Aigeus, wenn er doch nach der Anweisung des Orakels nach Athen (‚zum väterlichen Herd‘) zurückkehren soll, von Delphi (Hafen Itea) zu Schiff unterwegs ist und in Korinth (‚dieses Land‘) ankam (im Hafen Lechaion), statt auf dem üblichen Landweg von Delphi über Böotien nach Athen zu reisen. 683–687 Aigeus’ Reiseweg – der kürzeste von Delphi nach der östlichen Peloponnes – erklärt sich jetzt, weil er Pittheus in Trozen (an der Spitze des östlichen ‚Fingers‘ der Peloponnes gelegen) zu dem unverstandenen Orakel befragen will, jemanden, der auch im Urteil Medeas dafür geeignet ist. Vgl. zu Aigeus und Trozen bzw. Aithra auch Einf., S. 45, Anm. 190. 683 Pittheus, Sohn des Pelops, Bruder u. a. von Atreus und Thyestes (Ps.Apollodor, Epitome 2,10), war wegen seiner Weisheit berühmt, vgl. neben v. 686 bes. Plutarch, Theseus 3,2–4. Aigeus führt ihn mit einer gewissen Unbestimmtheit ein, weil er offenbar (fälschlich) glaubt, Medea erst erklären zu müssen, um wen es sich handelt (‚Herrscher über das Land Trozen‘), aber sie zeigt sich über ihn bereits informiert (684; 686). 684 Pelops, Sohn des Tantalos, Herrscher in Pisa (Elis), wurde nach Erweiterung seines Herrschaftsgebiets Namensgeber der Peloponnes, der ‚Pelops-Insel‘ (Ps.-Apollodor, Epitome 2,9). 687 ‚Bundesgenossen‘: Das griechische doryxenos, ‚Speerfreund‘, weist auf eine Kampf- oder Bundesgenossenschaft hin (vgl. Scholion zu v. 687, Aisch. Ag. 880, Soph. El. 46, Martina III z. St.). Von einer solchen ist zwischen diesen beiden Männern sonst nichts bekannt. 688 Der Wunsch Medeas ist zwar keine ausdrückliche Verabschiedung des Aigeus, hat aber einen gewissen abschließenden Charakter (vgl. TS), und tatsächlich ist ein thematischer Einschnitt erreicht. Medea dürfte diese Worte durch Stimmlage und / oder Gestik in einer Weise vorgebracht haben, dass Aigeus an ihr etwas auffällt, oder die Zuschauer sollen sich aufgrund des nächsten Verses vorstellen, dass Aigeus etwas bemerken konnte. Denn bei dem völlig bekleideten und mit Gesichtsmaske versehenen Schauspieler der Medea konnten weder Aigeus noch das Publikum etwa Tränen oder etwas Ungewöhnliches am Aussehen erkennen. Vgl. Einf., S. 37, Anm. 140.
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Drittes Epeisodion: 689–697
Aigeus merkt, dass Medea etwas bedrückt. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai.
Warum denn wird dein Gesicht von Tränen überströmt? Aigeus, mein Gatte ist der niederträchtigste von allen (Menschen). 690 Was sagst du? Erzähle mir genau die Gründe deiner Traurigkeit. Iason tut mir Unrecht, ohne von mir eines erfahren zu haben. Was hat er getan? Sag es mir genauer! Eine Frau hat er über mich als Herrin des Hauses gesetzt. Er hat sich doch wohl nicht zu dieser schändlichsten Tat erkühnt? 695 Doch wirklich! Entehrt bin ich, die ich zuvor ihm lieb war. Hat er sich verliebt, oder ist er der Ehe mit dir überdrüssig?
Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι.
τί γὰρ σὸν ὄμμα χρώς τε συντέτηχ’ ὅδε; Αἰγεῦ, κάκιστός ἐστί μοι πάντων πόσις. τί φῄς; σαφῶς μοι σὰς φράσον δυσθυμίας. ἀδικεῖ μ’ Ἰάσων οὐδὲν ἐξ ἐμοῦ παθών. τί χρῆμα δράσας; φράζε μοι σαφέστερον. γυναῖκ’ ἐφ’ ἡμῖν δεσπότιν δόμων ἔχει. οὔ που τετόλμηκ’ ἔργον αἴσχιστον τόδε; σάφ’ ἴσθ’· ἄτιμοι δ’ ἐσμὲν οἱ πρὸ τοῦ φίλοι. πότερον ἐρασθεὶς ἢ σὸν ἐχθαίρων λέχος;
690
695
689 τί γὰρ] Aigeus fordert eine Erklärung für seine Beobachtung (GP 78 [iii]); „you talk in that way because you’re unhappy: and why are you?” (Page) | συντέτηχ’] zum Perfekt als intensivem Präsens vgl. Soph. El. 283 (τέτηκα neben κλαίω, vgl. Jebb 1894 zu El. 283 f.) | ὅδε] deiktisch 690 κάκιστός ἐστί μοι πάντων πόσις] Die Wortstellung spricht dafür, dass κάκιστός prädikativ auf πόσις zu beziehen (vgl. auch 699) und ἐστί μοι nicht als ‚ich habe‘ zu verstehen ist; μοι ist dann als dativus incommodi (zu κάκιστός) aufzufassen (vgl. Tedeschi). 691/693 φράσον … φράζε] Der Aspektwechsel kontrastiert die einfache Aufforderung, etwas zu erklären, mit der Bitte, die Erklärung fortzusetzen bzw. bei ihr zu bleiben (vgl. Mastronarde). 691 δυσθυμίας] Abstrakta in Pluralform, wenn es um irgendwelche Einzelheiten geht (K.-G. I 16, 3) 692 ἀδικεῖ] ⏑⏑‒ ‚Anapäst‘ im ersten Metrum; vgl. West 1982, 81 f. 693 τί χρῆμα δράσας] pleonastisch für τί, kolloquial (Collard 2018, 60) 695 οὔ που Witzschel : ἦ που Hss.; CP 138 – οὔ που „in incredulous … questions“ (GP 492 [2]), während ἦ που eher auf eine erwartete Antwort weist (GP 282 f.; 286 [ii]) und in v. 1308 eher sarkastisch zu verstehen ist 696 οἱ … φίλοι] generalisierendes Maskulinum (vgl. zu 190), Medea meint natürlich sich 697–702 {…} Hübner 1984a, 29– 34; 698–699 {…} Müller 1951, 79 – vgl. die Kommentarbemerkungen zur Versgruppe 697– 702 und zu 697 sowie Christmann 1962, 92–96 697 ἐρασθεὶς] schließt sich an τετόλμηκ’ (695) an
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689–708 Nachdem Aigeus bemerkt hat, dass Medea etwas bedrückt, fragt er nach der Ursache; im Dialog von Frage und Antwort erfährt er von Iasons Verrat und Medeas Verbannung durch Kreon. Ihrer moralischen Verurteilung Iasons pflichtet er uneingeschränkt bei. 689 Im Griechischen hat das Verb zwei Subjekte, omma (‚Auge‘, ‚Gesicht‘) und chrōs (‚Haut‘, ‚Fleisch‘, ‚äußere Erscheinung der Haut‘), das Verb (tēkein) kann ‚schmelzen‘, ‚zergehen‘, dann auch ‚sich abhärmen‘ bedeuten. Hier ist wohl zusammenfassend zu verstehen „But why is your face dissolved in tears?“ (Kovacs). Von Penelope heißt es nach der Erzählung des von ihr unerkannten Odysseus: „Ihr aber, als sie es hörte, flossen Tränen, und ihre Haut schmolz hin“ (Homer, Odyssee 19,204, Übers. Schadewaldt); vgl. dazu Russo 1992, der an dieser Stelle ‚schmelzen‘ im Sinne von ‚von Tränen überströmt‘ versteht. – Zu Aigeus’ Frage vgl. auch zu v. 688. 690 ‚Aigeus‘: Außer bei der Begrüßung (663; 666) ist dies die einzige namentliche Anrede in der Szene; sie demonstriert eine gewisse Vertraulichkeit, bevor Medea ihren Kummer darlegt. – Zur Verurteilung Iasons vgl. 229. 691 ‚Gründe deiner Traurigkeit‘: Im Griechischen steht Traurigkeit (dysthymia) im Plural, ‚Traurigkeiten‘. Medea soll also im Einzelnen berichten, was zu ihrer Traurigkeit führte. 692 Vgl. zu 165. 694–703 Es ist bezeichnend, dass Aigeus im Zusammenhang mit der neuen Ehe Iasons nicht nach Kindern aus der bisherigen Ehe fragt, obwohl Kinderlosigkeit als Trennungsgrund relevant wäre (vgl. 490 f.). Aber auch von Medea werden die Kinder nicht thematisiert, allenfalls könnte man aus dem Plural ‚seinen Lieben‘ (698) schließen, dass sie mitgemeint sind. Sie spricht jedoch nur davon, dass sie verbannt wurde, und bittet nur für sich um Asyl (709–713). Daraus lässt sich eine Bestätigung ableiten, dass sie im Agon mit Iason bereits beschlossen hat, die Kinder in ihre Rache einzubeziehen (vgl. zu 607–608). 694 Medea beklagt sich über ihre ‚Entmachtung‘ bzw. Degradierung, die der Chor schon festgestellt hatte (444 f.). 696 Vgl. 33; 314. 697–702 Diese Verse werden von Hübner (1984a, 29–34) als unecht betrachtet. Die von ihm angenommene Abfolge von v. 703 unmittelbar nach v. 696 ergibt einen sinnvollen Gedankengang, aber bei Fehlen der vv. 697–702 würde gegenüber Aigeus die auch für seine spätere Asylgewährung relevante ‚politische‘ Dimension von Iasons Untreue nicht klar, und auch die Verbannung Medeas (706) wird für Aigeus nur verständlich im Zusammenhang der für ihn aufgrund der gegebenen Information zu erschließenden Verwicklungen mit dem Königshof. Insofern sind diese Verse trotz gewisser Probleme im Einzelnen nicht ohne Weiteres entbehrlich. 697 Es ist richtig, dass eine neue Liebesleidenschaft oder Überdruss an der bisherigen Beziehung (vgl. 555) keine sich ausschließenden Alternativen sind (Hübner 1984a, 31), aber Aigeus möchte wissen, ob allein Iasons Emotionen für die Situation verantwortlich sind oder auch der Zustand der Ehe eine Rolle gespielt haben könnte.
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Drittes Epeisodion: 698–708
Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me. Ai. Me.
Er hat sich leidenschaftlich verliebt, seinen Lieben nicht mehr treu. Dann lass ihn fahren, da er, wie du sagst, niederträchtig ist. Eine eheliche Verbindung mit dem Herrscherhaus begehrte er zu 700 bekommen. Wer hat sie ihm gewährt? Bringe mir den Bericht zu Ende! Kreon, der über das korinthische Land hier herrscht. Dann ist es ja verzeihlich, dass du dich grämst, Frau. Ich bin vernichtet; und dazu noch werde ich des Landes verwiesen. Vom wem? Da nennst du wieder ein weiteres neues Ungemach. 705 Kreon vertreibt mich als Verbannte aus korinthischem Land. Und Iason lässt das zu? Auch das kann ich nicht billigen. Angeblich nicht, aber er ist bereit, sich damit abzufinden.
Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη. Αι. Μη.
μέγαν γ’ ἔρωτα· πιστὸς οὐκ ἔφυ φίλοις. ἴτω νυν, εἴπερ, ὡς λέγεις, ἐστὶν κακός. ἀνδρῶν τυράννων κῆδος ἠράσθη λαβεῖν. δίδωσι δ’ αὐτῷ τίς; πέραινέ μοι λόγον. Κρέων, ὃς ἄρχει τῆσδε γῆς Κορινθίας. συγγνωστὰ μέντἄρ’ ἦν σε λυπεῖσθαι, γύναι. ὄλωλα· καὶ πρός γ’ ἐξελαύνομαι χθονός. πρὸς τοῦ; τόδ’ ἄλλο καινὸν αὖ λέγεις κακόν. Κρέων μ’ ἐλαύνει φυγάδα γῆς Κορινθίας. ἐᾷ δ’ Ἰάσων; οὐδὲ ταῦτ’ ἐπῄνεσα. λόγῳ μὲν οὐχί, καρτερεῖν δὲ βούλεται.
700
705
698 μέγαν γ’ ἔρωτα] innerer Akkusativ zu dem aus 697 zu ergänzenden ἐρασθείς, γ’ bei bejahenden Antworten, bei Euripides besonders in Fällen wie diesem (GP 133 f.) | πιστὸς κτλ.] erklärendes Asyndeton (K.-G. II 344 δ) 701 δίδωσι] Präsens von Handlungen, die der Vergangenheit angehören, aber in der Gegenwart fortdauern (K.-G. I 135–137); der Sinn wird im Deutschen (wie im Englischen) durch ein Vergangenheitstempus deutlicher („Who has given …“, Kovacs); anders Nijk 2022, 155, der im Präsens „the speaker’s increased engagement“ sieht. 703 συγγνωστὰ] Plural statt Singular ist u. a. bei Infinitivkonstruktion als Subjekt möglich (K.-G. I 66 f.) | μέντἄρ’ Hermann 1828, 206 : μὲν γὰρ : γὰρ (Hss.) – μὲν γὰρ ist eine Verkennung der seltenen (GP 410), hier zu μέντἄρ’ zusammengezogenen Kombination μέντοι ἄρα, γάρ hat hier keine sinnvolle Funktion, während συγγνωστὰ durch μέντοι betont wird und mit ἄρα die Berechtigung von Medeas Gram aus der erhaltenen Information gefolgert wird. | ἦν (ἄρα)] Imperfekt zum Ausdruck der Erkenntnis, dass der Sachverhalt, den man erwähnt, schon länger bestand; im Deutschen Präsens, weil der Sachverhalt jetzt erkannt wird (vgl. GP 36 f. [ii]; K.-G. I 145 f., 5); vgl. 1279 704 πρός γ’] πρός ist hier adverbiell gebraucht (LSJ s. v. D), γ’ betont das Adverb exklamatorisch (GP 127 [ii]), vgl. Hipp. 893; καὶ πρός γ’ ist eine häufige Kombination (Collard 2018, 123) 705 αὖ λέγεις (Hss.) : ἀγγέλλεις : ἀγγελεῖς CP 138 – Die pleonastische Betonung (ἄλλο … αὖ; vgl. Phoin. 417), dass schon wieder eine schlimme Nachricht kommt, ist den anderen Varianten überlegen. 707 ἐπῄνεσα] zum Aorist vgl. zu 223 708 καρτερεῖν Hss. : καρδία (Variante in ein od. zwei Hss. und in einem Σ) – Wer καρδία schrieb, wollte dem äußeren λόγῳ die innere Haltung entgegensetzen, weil er das schwierigere καρτερεῖν nicht verstand.
Kommentar
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698 Liebesleidenschaft hatte Iason zwar als Motiv bestritten (555–565; 593–597), aber Medea hatte ihm das nicht geglaubt oder vorgegeben, ihm nicht zu glauben (623 f.), sodass sie ihm jetzt dieses Motiv unterstellen kann. 699–700 Für Aigeus ist damit klar, dass die moralische Schuld bei Iason liegt und Medea ihn wegen seiner Minderwertigkeit verlassen solle, und er nimmt an, dass das Problem damit zu lösen sei, jedoch ist sein Interesse neu geweckt (701 ff.), als Medea das Thema weiterführt (vgl. Mastronarde) und berichtet, dass es sich um die Königstochter handelt (vgl. Page); vgl. Iasons Aussagen in den vv. 551–567. 702 Dass Medea Aigeus auf die Herrscherfunktion Kreons hinweist, dient nicht seiner Information, sondern soll ihm verdeutlichen, dass das Eheproblem kein rein persönliches ist. 703 Aigeus ist jetzt die Dimension von Iasons Untreue klargeworden. 706 Vgl. bes. 272–274; außerdem 70–72; 438. Es ist auffällig, dass Medea hier nicht erwähnt, dass die Ausweisung auch ihre Kinder betrifft (vgl. 513– 515). Gerade gegenüber Aigeus, den seine Kinderlosigkeit bedrückt, hätte Medea mit dem Hinweis auf die Verbannung der Kinder ein starkes Argument für die Gewährung von Asyl gewinnen können. 708 ‚Angeblich nicht‘, wörtl. ‚dem Worte nach nicht‘, d. h., nach dem, was er sagt, war er gegen die Vertreibung: Medea bezieht sich offenbar auf Iasons Worte in den vv. 455 f. Dass Iason bereit ist, sich damit abzufinden, wörtl. ‚es zu erdulden‘, was vielleicht ironisch gemeint ist, kann Medea daraus schließen, dass Iason offenbar seinen von ihm behaupteten Widerstand aufgegeben hat und gegenüber Medea die Verantwortung für die Vertreibung ausschließlich ihrem Verhalten anlastet (457 f.; 605; 607).
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Drittes Epeisodion: 709–713
Ich bitte dich bei deinem Kinn (Medea deutet darauf) {und bei deinen Knien und werde zur Bittflehenden}: 710 Habe Mitleid, habe Mitleid mit mir Unglücklichen und lass nicht zu, dass ich einsam und verlassen vertrieben werde, sondern gib mir in deinem Land und deinem Haus einen Platz an deinem Herd. ἀλλ’ ἄντομαί σε τῆσδε πρὸς γενειάδος, {γονάτων τε τῶν σῶν ἱκεσία τε γίνομαι} οἴκτιρον, οἴκτιρόν με τὴν δυσδαίμονα καὶ μή μ’ ἔρημον ἐκπεσοῦσαν εἰσίδῃς, δέξαι δὲ χώρᾳ καὶ δόμοις ἐφέστιον.
710
709 ἀλλ’ ἄντομαί] ebenso Andr. 921; Herakl. 226 (Tedeschi); vgl. Med. 336; ἀλλ’ ist wohl zum Imperativ οἴκτιρον (711) zu ziehen, vgl. Soph. Phil. 1040 f. ἀλλ’ … / τείσασθε, τείσασθ᾿ (GP 13–16, bes 16 [ii]) | πρὸς γενειάδος] vgl. 65 πρὸς γενείου 710 {…} Usener 1889, 371; Hübner 1987, 204 f. – Der Vers weist metrische Besonderheiten auf, die in ihrer Kombination gegen die Autorschaft des Euripides sprechen: (1) γονάτων: ⏑⏑‒; (2) σῶν ἱκεσία: ‒⏑⏑⏑‒, die erste Länge im zweiten Metrum ist aufgelöst. Zwei Auflösungen gleichzeitig in der Senkung (γονάτων) und in der Hebung (ἱκεσία) sind singulär und verdächtig; vgl. Usener; Hübner 1987, 204 Anm. 2, der als einzige Parallele auf Andr. 333 verweist (in Diggles Ausgabe sind die vv. 330–333 athetiert). Grundsätzlich wäre γονάτων möglich (vgl. zu 692), ebenso zwei Auflösungen in einem Vers (vgl. zu 324). 712 ἐκπεσοῦσαν] vgl. zu 450 713 χώρᾳ καὶ δόμοις] vgl. zu 397
Kommentar
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709–730 Nachdem Medea Aigeus ihre verzweifelte Situation dargelegt hat, beendet sie den Dialog und erbittet unvermittelt Schutz im Haus des Aigeus in Athen. Zum zweiten Mal (vgl. 324 ff.) fleht sie einen Herrscher an, diesmal, um sich nach der Ermordung ihrer Kinder vor Verfolgung zu schützen, wie sie später gegenüber dem Chor erklärt (vgl. 764–771). 709–710 Umstritten ist, ob hier eine wirkliche Hikesie vorliegt, wie in v. 710 ausdrücklich gesagt ist, oder eine an die Diktion der Hikesie angelehnte dringliche Bitte (vgl. 65 und zu 65–66, sowie 853–854) bzw. eine ‚figurative Hikesie‘ (vgl. zu 324–356). Hält man v. 710 für echt, müsste Medea bei einer wirklichen Hikesie vor Aigeus niederknien und mit der einen Hand sein Kinn berühren, mit der anderen seine Knie umfassen. Wieder aufstehen könnte sie nach Gewährung der Bitte durch Aigeus (nach v. 730). Die Tatsache, dass Aigeus weder ein Niederknien Medeas abwehrt noch sie zum Wiederaufstehen auffordert, ihr vertrauter Umgang mit Aigeus und ihr sehr selbstbewusstes und insistierendes Auftreten, als sie von Aigeus einen Eid verlangt (734–755), sprechen eher für eine ‚figurative Hikesie‘, die nur verbal erfolgt. Vgl. IT 1068– 1070, wo Iphigenie die Hikesie nicht real bei der angesprochenen Gruppe der Choreutinnen vollziehen kann (Kaimio 1988, 55 f.: „Figurative Supplication“) und zu Med. 853–854; Medea hat es bei dem freundschaftlichen Verhältnis, das jedenfalls Aigeus voraussetzt (664), nicht nötig (anders als bei Kreon), vor ihm niederzuknien und ihn körperlich zu bedrängen (vgl. auch Mastronarde; anders Mossman, Rizzatti [2016, 81 f.] und Martina III [zu 709–13], die fraglos eine reale Hikesie annehmen). Kaimio (ebd. 56) zählt die Stellen zu den „Uncertain Cases“, neigt aber zur Einstufung als echte Hikesie. 710 Der Vers weist eine metrische Anomalie auf (erläutert in TS) und eine überflüssige Erklärung (der Status einer Bittflehenden ist durch die Bitte „bei deinem Kinn“ schon klar). Er unterbricht den Anschluss der emphatischen Bitte in v. 711 an v. 709 (vgl. Hübner 1987, 205). Das Motiv für die Interpolation könnte der Wunsch nach einer bühnenwirksamen zweiten Hikesie-Szene gewesen sein ohne Rücksicht darauf, dass das Verhältnis Medeas zu Aigeus ein anderes ist als das zu Kreon. 711 ‚Habe Mitleid, habe Mitleid‘: Emphatische Verdoppelung, um der Bitte Nachdruck zu verleihen. 712 ‚einsam und verlassen‘: Medea spricht weiterhin nur von sich, erwähnt die (von Kreon ebenfalls exilierten) Kinder nicht, wie schon seit der Auseinandersetzung mit Iason zu beobachten ist; d. h., sie hat über das Schicksal der Kinder schon eine Entscheidung getroffen. Dagegen Mossman (S. 283): „… there are no grounds for saying that Medea has secretly decided to kill the children before this scene, and indeed there is no obvious moment in the play at which she conceives the idea“. Vgl. aber zu 607–608 u. Einf., S. 21. 713 ‚einen Platz an deinem Herd‘: Der Herd ist der Ort, an dem Schutzflehende Zuflucht suchen (vgl. Aisch. Hik. 365). Der Vers soll also bedeuten: ‚Akzeptiere mich in deinem Land, in deinem Haus als Schutzflehende!‘ Damit möchte Medea eine dauerhafte Schutzgewährung erreichen.
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Ai.
Αι.
Drittes Epeisodion: 714–723
So möge dir auch dein Verlangen nach Kindern von den Göttern erfüllt werden und mögest du selbst glücklich sein bis an dein 715 Lebensende. Du weißt nicht, welchen Glücksfund du in mir gemacht hast: Ich werde deine Kinderlosigkeit beenden und bewirken, dass du Kinder zeugen kannst; die Mittel dafür kenne ich. Aus vielen Gründen bin ich willens, dir diese Gunst zu gewähren, Frau, zuerst der Götter wegen, 720 dann wegen der Kinder, die ich zeugen werde, wie du versprichst; denn darin stehe ich ganz vor dem Nichts. Aber so halte ich es: Wenn du in mein Land gekommen bist, οὕτως ἔρως σοι πρὸς θεῶν τελεσφόρος γένοιτο παίδων καὐτὸς ὄλβιος θάνοις. εὕρημα δ’ οὐκ οἶσθ’ οἷον ηὕρηκας τόδε· παύσω γέ σ’ ὄντ’ ἄπαιδα καὶ παίδων γονὰς σπεῖραί σε θήσω· τοιάδ’ οἶδα φάρμακα. πολλῶν ἕκατι τήνδε σοι δοῦναι χάριν, γύναι, πρόθυμός εἰμι, πρῶτα μὲν θεῶν, ἔπειτα παίδων, ὧν ἐπαγγέλλῃ γονάς· ἐς τοῦτο γὰρ δὴ φροῦδός εἰμι πᾶς ἐγώ. οὕτω δ’ ἔχει μοι· σοῦ μὲν ἐλθούσης χθόνα,
715
720
714–715 {…} Dindorf; Müller 1951, 80; Hübner 1987, 205 f. (jedoch auch in Π überliefert) – vgl. Komm. zu 714–718 sowie Christmann 1962, 96 ff. 714 οὕτως] bei Wünschen und Beteuerungen (K.-G. II 404 f., 7) 715 παίδων] abh. von ἔρως (714) | θάνοις : θάνεις : θάνη(ι)ς (Hss.) : σθένοις Schneidewin : θάλοις Nauck – ὄλβιος θάνοις ist eine unanstößige Wendung, vgl. Komm. 716 εὕρημα … ηὕρηκας] figura etymologica, vgl. 553 717 {…} Müller 1951, 80 – vgl. Komm. zu 714–718 sowie Christmann 1962, 113–117 | γέ F. W. Schmidt : δέ Hss. – Für ein begründendes Asyndeton (vgl. zu 119–121) mit Hervorhebung von παύσω durch γέ spricht das weitere begründende Asyndeton in v. 718 (zu γε vgl. GP 144 f.), jedoch ist ein begründendes δέ (~ γάρ) nicht unmöglich (GP 169); vgl. auch Mastronarde. 718 σπεῖραί σε θήσω] τίθημι mit Infinitiv ‚bewirken, dass …‘, LSJ s. v. B I. 4 721 ὧν : ὧν μ᾿ (Hss.) – μ᾿ gäbe nur einen Sinn, wenn es zu μοι ergänzt werden könnte, Elision von μοι wird aber für die Tragödie nicht angenommen (K.-B. I 239 F; Schwyzer I 403) | ἐπαγγέλλῃ] Die Medialform bedeutet „promise unasked … or offer of one’s free will“ (LSJ s. v. ἐπαγγέλλω 4). 722 γὰρ δὴ] δὴ betont γὰρ (GP 243), der Grund ist also für Aigeus sehr wichtig. 723–730 zu Tilgungen und Versumstellungen in dieser Versgruppe vgl. EK zu 723–730, S. 418 f. 723 ἔχει μοι : ἔχοιμι – vgl. Soph. OC 599 οὕτως ἔχει μοι (Tedeschi), Aigeus äußert ein Faktum, eine Wunschform ist hier nicht angebracht. 723–724 {…} Hirzel 1862, 56
Kommentar
243
714–718 Medea belässt es nicht bei ihrer Bitte, sondern versucht, Aigeus zur Asylgewährung zu motivieren, indem sie erklärt, seine Zustimmung wirke sich positiv auf die Erfüllung seines Kinderwunsches aus. Das Argument ist zweigeteilt. Der erste Teil beruht auf der Vorstellung, dass ein Schutzflehender unter dem Schutz des Zeus steht (Burkert 2011, 205, 283) und die Schutzgewährung damit auch eine religiöse Verpflichtung erfüllt, die von den Göttern belohnt wird (714 f.; vgl. auch 720). Im zweiten Teil verspricht Medea, die sich als Glücksfund für Aigeus bezeichnet, eigene Mittel (pharmaka), die seine Kinderlosigkeit beenden werden (716–718). Beide Teile liegen auf verschiedenen Ebenen und ergänzen sich, zumal Medea quasi als Instrument göttlichen Willens betrachtet werden kann, sodass kein Grund besteht, die vv. 714 f. mit Dindorf und anderen zu tilgen. 714 ‚So‘: sc., wie du mir meine Bitte erfüllst. 715 Wörtl. ‚Mögest du als ein Glücklicher sterben‘, d. h. nach einem erfüllten Leben einen Tod finden, bei dem die Mitwelt sagen kann, der Betroffene war glücklich, wie es Solon bei Herodot vom Athener Tellos erzählt, der vortreffliche Kinder und Enkel hatte, die am Leben blieben, und einen ehrenvollen Tod für sein Vaterland starb (1,30,3–5). Vgl. noch Andr. 100–102; Tro. 509 f.; Aisch. Ag. 928 f.; Soph. Tr. 1–3. 716 ‚Glücksfund‘: im Sinne einer für Aigeus glücklichen Lösung, wie sie Iason (mit Verwendung desselben Wortes) durch Einheirat ins Könighaus zu finden glaubte (553 f.); vgl. Mossman. 719–730 Aigeus gewährt Medea Asyl unter der Bedingung, dass sie ohne seine Hilfe nach Athen komme. 719–722 An welche weiteren Gründe Aigeus denkt, ist unklar. Er nennt jedenfalls nur die religiöse Scheu, die man Bittflehenden gegenüber beachten muss (vgl. zu 714–718), und Medeas Versprechen, ihm zu Kindern zu verhelfen, das ihn besonders motiviert. 721 ‚versprichst‘: Die griechische Verbalform hat die Nuance ‚aus freiem Willen‘. 722 ‚darin‘: sc. in Bezug auf die Frage, wie ich Kinder bekommen kann. ‚stehe ich ganz vor dem Nichts‘, wörtl. ‚bin ich ganz dahin (vgl. 492) / ruiniert‘. 723–724 / 729–730 Die Asylgewährung erfolgt nicht gerade enthusiastisch und wird gleich mit der Bedingung versehen, dass Aigeus Schutz nur ab dem Zeitpunkt gewähren wolle, wenn Medea in sein Land gekommen sei. Für den Weg zu ihm bietet er keine Hilfe an; den muss Medea von sich aus bewältigen. So achtet er einerseits das Recht gegenüber der Bittflehenden, vermeidet andererseits Konflikte mit Gastfreunden außerhalb seines Landes, in deren Gebiet er nicht zugunsten Medeas eingreifen will, weil es sein könnte, dass er sich dann gegen Leute wenden müsste, die mit Medea verfeindet sind, etwa gegen Kreon. 723 ‚Aber so halte ich es‘, wörtl. ‚Aber so steht es mit mir‘. Aigeus will sagen, welche Regeln bei ihm gelten, d. h. konkret, unter welchen Bedingungen er Medea Schutz gewähren will. „That is my position“ (Mossman).
244
Me.
Μη.
Drittes Epeisodion: 724–732
werde ich mich bemühen, dir Schutz zu bieten, da ich das Recht achte. {Soviel jedoch kündige ich dir vorweg an, Frau: Aus diesem Land will ich dich nicht wegführen; wenn du aber selbstständig in mein Haus gekommen bist, wirst du in Sicherheit bleiben, und ich werde dich gewiss nicht jemandem ausliefern.} Doch geh aus diesem Land selbstständig weg; denn auch an meinen Gastfreunden will ich mich nicht schuldig machen. Das wird so geschehen. Aber wenn ich eine eidliche Zusicherung bekäme … {dafür, hätte ich von dir alles, und alles ist gut.} πειράσομαί σου προξενεῖν δίκαιος ὤν. {τοσόν γε μέντοι σοι προσημαίνω, γύναι· ἐκ τῆσδε μὲν γῆς οὔ σ’ ἄγειν βουλήσομαι. αὐτὴ δ’ ἐάνπερ εἰς ἐμοὺς ἔλθῃς δόμους, μενεῖς ἄσυλος κοὔ σε μὴ μεθῶ τινι·} ἐκ τῆσδε δ’ αὐτὴ γῆς ἀπαλλάσσου πόδα· ἀναίτιος γὰρ καὶ ξένοις εἶναι θέλω. ἔσται τάδ’· ἀλλὰ πίστις εἰ γένοιτό μοι … {τούτων, ἔχοιμ’ ἂν πάντα πρὸς σέθεν καλῶς.}
725
730
725
730
724 σου Hss. : ᾿γὼ Porson (mit Tilgung des Kommas nach χθόνα [723]) – Der Genitiv als solcher ist kein Problem (vgl. Aristophanes, Thesmophoriazusen 576), die Wiederholung von σου (vgl. 723, hervorgehoben durch μὲν; vgl. GP 380 f., γε wäre hier metrisch nicht möglich) rührt daher, dass sich Aigeus darauf konzentriert, wie er sich gegenüber Medea verhalten will, im Unterschied zu seinem Verhalten gegenüber den Gastfreunden (729 f.). 725–728 {…} Kirchhoff; Hübner 1987, 206–208 – vgl. EK zu 723–730, S. 418 f. 725–726 {…} Diggle (Verse fehlen in Π) 725 τοσόνγε : τοσόνδε : τὸ σόν γε – Wenn man den Vers hält, ist eine deutliche adversative Markierung vorzuziehen: τοσόν γε μέντοι (zu γε μέντοι vgl. GP 412). 727–729 727/728/729 Hss. : 729/727/728 Π (Diggle) : 725/{726}/729/730/727/728 erwägt van Looy 728 μεθῶ τινι Hss. : προ]δ̣ω πὸτ̣[ε Π – Der Papyrus bietet wohl nur eine Verdeutlichung der Überlieferung der Hss. 729 αὐτὴ] „by yourself, of your own accord“ (Page); K.-G. I 652 Anm. 2 | γῆς ἀπαλλάσσου πόδα] Eigentlich ist der Gedanke durch γῆς ἀπαλλάσσου allein schon ausgedrückt, aber Euripides benutzt auch Wendungen wie βαίνειν πόδα (El. 94; 1172), sodass die singuläre Verbindung unproblematisch ist (πόδα ist innerer Akkusativ bei einem intransitiven Verb, K.-G. I 305 b). 732 {…} Nauck 1859, 124, Hübner 1987, 208 f. – ἔχοιμ’ ἂν πάντα … καλῶς ist eine ungewöhnliche Vermischung von πάντα ἔχω und πάντα ἔχει καλῶς (Page), ebenso auffällig ist das über τάδ’ (731) auf die vv. 719–730 zurückgreifende τούτων. Der Vers sollte wohl den unvollständigen v. 731 ergänzen; vgl. außerdem Komm. zu 731–732.
Kommentar
245
725–728 Diese Verse, die eine teilweise inhaltliche Überschneidung mit den vv. 723 f und 729 aufweisen, sind wahrscheinlich unecht. Vgl. im Einzelnen zu den vorgeschlagenen Tilgungen bzw. Versumstellungen EK zu 723–730, S. 418 f. 729 ‚selbstständig weg‘: Das Weggehen ist im Text zweifach bestimmt: (1) Medea soll es ‚selbst‘ tun, d. h. selbstverantwortet, nicht mit fremder Hilfe; (2) durch den inneren Akkusativ ‚Fuß‘, den die Übersetzer, da kaum übersetzbar, wegzulassen pflegen und was hier bedeuten könnte ‚auf eigenem Fuß‘, womit vermutlich die Selbstständigkeit betont werden soll: Medea soll selbst ihren Fuß über die Landesgrenze setzen. 730 ‚auch‘: Aigeus meint: Wie ich mich an dir nicht schuldig machen, sondern gerechterweise Asyl gewähren will, so will ich gegenüber den Gastfreunden das Recht wahren. 731–745 Medea erklärt sich sofort bereit, sich an die von Aigeus vorgegebene Bedingung zu halten, möchte aber größere Sicherheit durch eine eidliche Verpflichtung, nicht, weil sie Aigeus misstraute, sondern weil sie die Macht ihrer Feinde fürchtet. Aigeus willigt überraschend schnell ein, da er auch für sich einen Vorteil sieht, obwohl Medeas Begründung nach dem Aigeus bekannten Stand der Dinge nicht sehr überzeugend ist. Denn Kreon will im Augenblick nicht mehr, als Medea aus dem Land verweisen, aber dass er ihr grundsätzlich feindlich gesinnt ist, kann auch Aigeus einleuchten. Wirklich schlüssig wird Medeas Ansinnen allerdings erst vor dem Hintergrund ihres Racheplans, von dem Aigeus nichts ahnt; nach der Ermordung von Kreons Tochter sind er (Medea kann nicht wissen, ob auch er zu Tode kommt; vgl. zu 788) bzw. seine Angehörigen eine echte Gefahr für Medea. Insofern ist sie Aigeus gegenüber nicht aufrichtig (vgl. auch Mossman zu 734). 731 ‚eidliche Zusicherung‘: Im Griechischen steht nur ‚Zusicherung / Versprechen‘. Aber Medea meint ein Versprechen, das in einem Eid besteht (vgl. 492), wie sie gleich selbst sagt (735). 732 Der Vers ist schon aufgrund sprachlicher Bedenken (vgl. TS) wohl unecht. Wer den Vers einfügte, hat offenbar nicht verstanden, dass Aigeus, als Medea mit dem Verlangen nach einer eidlichen Zusicherung ansetzt, ihr erregt ins Wort fällt (733), weil er meint, sie vertraue ihm nicht; der Verfasser des Verses glaubte offenbar, den angefangenen Satz vervollständigen zu sollen, was für den Zusammenhang nicht notwendig ist und die Lebendigkeit des Dialogs beeinträchtigt.
246 Ai. Me.
Αι. Μη.
Drittes Epeisodion: 733–740
Vertraust du mir etwa nicht? Oder worin besteht für dich die Schwierigkeit? Doch, ich vertraue dir. Aber Pelias’ Familie ist mir feindlich, und Kreon. Wenn sie mich wegführen wollen aus deinem Land, wirst du mich ihnen, durch Eid gebunden, nicht ausliefern. Aber wenn du dich nur mit Worten verpflichtet und keinen Eid bei den Göttern geleistet hast, könntest du dich als ihr Freund erweisen und ihren vom Herold überbrachten Forderungen vielleicht Folge leisten. Denn meine Stellung ist schwach, die aber haben Reichtum und königliche Macht. μῶν οὐ πέποιθας; ἢ τί σοι τὸ δυσχερές; πέποιθα· Πελίου δ’ ἐχθρός ἐστί μοι δόμος Κρέων τε. τούτοις δ’, ὁρκίοισι μὲν ζυγείς, ἄγουσιν οὐ μεθεῖ’ ἂν ἐκ γαίας ἐμέ· λόγοις δὲ συμβὰς καὶ θεῶν ἀνώμοτος φίλος γένοι’ ἂν κἀπικηρυκεύμασιν τάχ’ ἂν πίθοιο· τἀμὰ μὲν γὰρ ἀσθενῆ, τοῖς δ’ ὄλβος ἐστὶ καὶ δόμος τυραννικός.
735
740
735
740
733 μῶν οὐ] bei erwarteter Bejahung (πέποιθα, 734), K.-G. II 525, 5 734–745 {…} Hübner 1987, 210–215 u. a. mit Berufung auf die Versfolge IT 734 f. Ὀρ.: τί δῆτα βούλῃ; τίνος ἀμηχανεῖς πέρι; / Ἰφ.: ὅρκον δότω μοι τάσδε πορθμεύσειν γραφάς. Die Parallele spricht jedoch nur scheinbar für einen Anschluss von Med. 746 an 733, da Iphigenie ihre Probleme bereits in den vv. IT 727–733 genannt hatte, was in der Medea erst in den vv. 734 ff. erfolgt. Es ist daher ausgeschlossen, dass v. 746 unmittelbar auf v. 733 folgen kann, ohne dass Medea inhaltlich auf Aigeus’ Frage in v. 733b eingeht. Die Athetese ist also nicht plausibel; vgl. noch die jeweiligen Bemerkungen (Komm. u. TS) zu den Versen 731–745. 735 τούτοις δ’ : τούτοις : τούτοισι {δ’} Wecklein 1909 – τούτοις ohne δ’ könnte dem Missverständnis Vorschub leisten, dass sich τούτοις auf ὁρκίοισι bezöge. 736 +μεθεῖ’ : μεθεῖς : μεθεὶς : μεθῆς – Nur die Optativform μεθεῖ(ο) ist hier sinnvoll, zu ergänzen ist ἐμοῦ (aus ἐμέ), LSJ s. v. μεθίημι III. 737 λόγοις … συμβὰς] vgl. Andr. 233 συμβῆναι λόγοις | +ἀνώμοτος : ἐνώμοτος +(Hss.) – Als Alternative zu ὁρκίοισι μὲν ζυγείς (735) kommt nur (θεῶν) ἀνώμοτος in Frage (Genitiv analog zu Adjektiven mit Alpha privativum, K.-G. I 401 Anm. 5), zumal ἐνώμοτος den Dativ regiert (Soph. Ai. 1113). | ἀνώμοτος] ohne ὤν, weil es mit einem Partizip (συμβὰς) verbunden ist (MT § 875,4) 738 φίλος] sc. τούτοις (735) | κἀπικηρυκεύμασι(ν) Hss. : κἀπικηρυκεύματα Σ – „πείθεσθαι c. accus. valet ‘fidem nuntio habere’ non ‘parere nuntio’ “ (Diggle; ders. 1994, 285); bei der gewählten Lesart erübrigt sich auch Kirchhoffs Annahme einer Lücke nach v. 738, ebenso Lentings Konjektur zu v. 739. 739 τάχ’ Wyttenbach (vgl. Σ zu 735: ἴσως) : οὐκ +Hss. : ὦκ᾿ Zimmermann – Wyttenbachs Konjektur wird durch das Σ zu 735 gestützt, vgl. Page zu 735 sqq.; ὦκ(α) ‚schnell‘ wäre gegenüber Aigeus taktlos. | πίθοιο Hss. : (κἀπικηρυκεύματα) … πίθοι σε Lenting – vgl. zu 738
Kommentar
247
734 ‚Pelias’ Familie‘, wörtl. ‚Pelias’ Haus‘, im Sinne des Personenverbands (vgl. zu 76–77). Vgl. zum Grund der Feindschaft 9 f.; 486 f. mit Komm. zu 487. Klar ist, dass Pelias’ Angehörige Medea feindlich gesinnt sind, aber dass sie sie verfolgen könnten, spielte bisher keine Rolle in ihren Selbstdarstellungen. Offenbar setzt Medea voraus, dass Aigeus ihre Vorgeschichte kennt, die ihre Flucht nach Korinth erst erforderlich machte. 735 ‚Kreon‘: Vgl. zu 731–745. 738 ‚Herold‘: Vgl. z. B. die Herakliden des Euripides, wo ein Herold (49) entsprechende Forderungen überbringt (134–178). 740 ‚Macht‘: Im griechischen Text steht wieder ‚Haus‘, aber diesmal muss dem Kontext nach das ‚Haus‘ als Machtbasis gemeint sein (Kovacs: „royal power“). Wenn Medea bereits konkrete Mordpläne hat, muss sie die Macht ihrer Verfolger um so mehr fürchten.
248 Ai.
Me. {Ai. Me.
Αι.
Μη. {Αι. Μη.
Drittes Epeisodion: 741–751
Du hast mit deinen Worten sehr kluge Voraussicht gezeigt. Nun, wenn du meinst, weigere ich mich nicht, das zu tun. Denn auch für mich ist es sicherer, wenn ich deinen Feinden eine Rechtfertigung vorweisen kann, und deine Sache steht auf festerem Grund. Benenne mir die Schwurgötter! Schwöre beim Boden der Erde und bei Helios, dem Vater meines Vaters, und nimm das ganze Göttergeschlecht hinzu, Was zu tun oder was nicht zu tun? Sag es!} weder dass du selbst mich jemals aus deinem Land stoßen noch, wenn ein anderer, einer von meinen Feinden, mich wegzuführen verlangt, dies freiwillig zulassen wirst, solange du lebst. πολλὴν ἔδειξας ἐν λόγοις προμηθίαν· ἀλλ’, εἰ δοκεῖ σοι, δρᾶν τάδ’ οὐκ ἀφίσταμαι. ἐμοί τε γὰρ τάδ’ ἐστὶν ἀσφαλέστερα, σκῆψίν τιν’ ἐχθροῖς σοῖς ἔχοντα δεικνύναι, τὸ σόν τ’ ἄραρε μᾶλλον. ἐξηγοῦ θεούς. ὄμνυ πέδον Γῆς πατέρα θ’ Ἥλιον πατρὸς τοὐμοῦ θεῶν τε συντιθεὶς ἅπαν γένος, τί χρῆμα δράσειν ἢ τί μὴ δράσειν; λέγε.} μήτ’ αὐτὸς ἐκ γῆς σῆς ἔμ’ ἐκβαλεῖν ποτε, μήτ’ ἄλλος ἤν τις τῶν ἐμῶν ἐχθρῶν ἄγειν χρῄζῃ μεθήσειν ζῶν ἑκουσίῳ τρόπῳ.
745
750
745
750
741 ἔδειξας Sigonius (lt. Elmsley) u. Valckenaer : ἔλεξας Hss. – ἔλεξας προμηθίαν ist inakzeptabel, zur Korruptel vgl. Soph. Phil. 426, wo als Variante zu ἔλεξας auch ἐξέδειξας überliefert ist (Page) | ἐν λόγοις : ὦ γύναι (Hss.); Variante bei Trikl. – ὦ γύναι ist die Folge der Korruptel ἔλεξας, wonach ἐν λόγοις nicht mehr gesagt werden konnte (Page). 742 δρᾶν τάδ’ οὐκ ἀφίσταμαι] zur Konstruktion mit Infinitiv „in the sense ‘shrink from’, ‘refuse’ “ vgl. noch Hel. 536 (Mastronarde) 743 τε γὰρ] In dieser seltenen Kombination scheint τε trotz der in GP 535 f. III aufgeführten Bedenken ‚auch‘ zu bedeuten. | ἀσφαλέστερα : ἀσφαλέστατα (Hss.) – vgl. Komm. | ἀσφαλέστερα] zum Plural vgl. zu 703 744 ἔχοντα] trotz ἐμοί (743), angepasst an den Infinitiv δεικνύναι, vgl. zu 661 745 τ’ (Hss.) : δ᾿ +CP 762 – τ’ korrespondiert mit τε 743 | ἐξηγοῦ] zur Bedeutung vgl. LSJ s. v. ἐξηγέομαι ΙΙ. 1 746 πατέρα θ’ Ἥλιον πατρὸς Hss. : ἡλίου θ᾿ ἁγνὸν σέβας Variante bei Trikl. u. Σ – Die Variante bezieht sich nach Musgrave auf v. 752 und kommt wegen der Fortsetzung in v. 747 hier nicht in Betracht. 748 {…} Nauck 1859, 124; Hübner 1987, 214 f.; derselbe Vers IT 738 – vgl. Komm. 751 ζῶν (Hss.) : γῆς +Trikl. – γῆς wäre eine funktionslose Wiederholung (vgl. 749) | ἑκουσίῳ τρόπῳ] emphatisch für ἑκουσίως
Kommentar
249
741 Aigeus lobt die Art, wie Medea in der Lage ist, mögliche Ereignisse in der Zukunft vorauszubedenken, ihre promēthia. Sie überzeugt ihn. 743 ‚sicherer‘: Es ist auch überliefert ‚am sichersten‘, was nicht unmöglich ist, aber der Komparativ passt besser zum Abwägen der geeigneten Lösung. Für sich selbst und für Medea (745) glaubt Aigeus durch einen Eid einen Zustand größerer Sicherheit erreichen zu können. 745 ‚Schwurgötter‘: Schwören konnte man bei einer Vielzahl von Göttern (vgl. Burkert 2011, 376–381). Jede Eidesleistung bedeutete eine Verpflichtung gegenüber diesen Göttern. 746–755 Schwurszene. Medea nennt die Schwurgötter und den Inhalt des Schwurs, nämlich dass Aigeus, solange er lebe, sie niemals aus dem Land stoßen noch von sich aus es zulassen werde, dass sie auf Verlangen eines ihrer Feinde ausgeliefert werde. Aigeus soll also vollkommenen Schutz zusichern, was er auch ohne zu zögern und uneingeschränkt tut, einschließlich der in v. 755 angedeuteten Selbstverfluchung im Fall des Eidbruchs. Damit gibt er sich ganz in die Hand Medeas, die sich in der gesamten Aigeus-Szene als die Überlegene erweist. 746–747 Die Kombination der (göttlichen) Erde und des Sonnengottes in einem Schwur findet sich bereits bei Homer (Ilias 19,259). Medea stellt hier allerdings einen persönlichen Bezug zu ihrem Großvater Helios her. Zur Verbindung ‚Boden der Erde‘ (gē oder chthōn) vgl. zu 666; zum Schwur bei allen Göttern vgl. z. B. Aristophanes, Thesmophoriazusen 274; Xenophon, Symposion 4,11; so wird ausgeschlossen, dass irgendein Gott Aigeus im Falle eines Eidbruchs als beim Eid nicht angerufener helfen könnte (vgl. Page). Zum Ausdruck ‚Göttergeschlecht‘ vgl. z. B. Pindar, Nemeen 6,1; Soph. Αi. 397; Eur. Hipp. 7. 748 Der mit IT 738 identische Vers ist wahrscheinlich unecht, und es ist folglich keine Unterbrechung der Rede Medeas anzunehmen. In der Taurischen Iphigenie ist der Vers fest verankert, weil Iphigenie nicht wissen kann, wozu Orest von ihr einen Eid haben will, und daher mit Recht fragt. Hier unterbricht er Medeas Vorsprechen der Eidesformel, und mit Aigeus ist bereits geklärt, wozu er einen Eid schwören soll. Vermutlich wurde der Vers, vielleicht mit der Absicht, den Dialog zu dramatisieren, aus IT 738 hierhergesetzt. 751 ‚freiwillig‘: Medea ist sich immerhin bewusst, dass gegen höhere Gewalt (z. B. bei einem feindlichen Angriff) auch ein Schwur nicht eingehalten werden kann.
250
Drittes Epeisodion: 752–758
Ai.
Ich schwöre bei der Erde und Helios’ strahlendem Licht und allen Göttern, dass ich dem treu bleiben werde, was ich von dir gehört habe. Das genügt mir. Aber was soll dir geschehen, wenn du dem Schwur nicht treu bleibst? Was den gottlosen Menschen geschieht. 755 Viel Glück auf der Reise! Denn alles ist jetzt gut. Auch ich werde möglichst bald in deine Stadt kommen, wenn ich getan habe, was ich vorhabe, und erreicht, was ich will.
Me. Ai. Me.
Αι. Μη. Αι. Μη.
ὄμνυμι Γαῖαν φῶς τε λαμπρὸν Ἡλίου θεούς τε πάντας ἐμμενεῖν, ἅ σου κλύω. ἀρκεῖ· τί δ’ ὅρκῳ τῷδε μὴ ’μμένων πάθοις; ἃ τοῖσι δυσσεβοῦσι γίγνεται βροτῶν. χαίρων πορεύου· πάντα γὰρ καλῶς ἔχει. κἀγὼ πόλιν σὴν ὡς τάχιστ’ ἀφίξομαι, πράξασ’, ἃ μέλλω, καὶ τυχοῦσ’, ἃ βούλομαι.
755
752 φῶς τε λαμπρὸν Ἡλίου Page : λαμπρὸν Ἡλίου τε φῶς : λαμπρὸν θ᾿ Ἡλίου τε φάος : λαμπρὸν θ᾿ Ἡλίου φῶς Martina : Ἡλίου θ᾿ ἁγνὸν σέβας Porson (nach einem Σ zu 746) : ἡλίου θ᾿ ἁγνὸν σέλας +Musgrave (Hs Nv, 15. Jh.), Kovacs (vgl. dens. 1994, 170 f.; 2003, 156 f.) – Korrektur der Wortstellung, da τε im überlieferten Text zu spät steht, Martinas λαμπρὸν θ᾿ Ἡλίου φῶς ist unmetrisch; Porsons Ἡλίου θ᾿ ἁγνὸν σέβας „could be right“, wobei ἁγνὸν eher für σέβας als für σέλας spricht (Diggle 1994, 270 f.), jedoch dürfte das Wortmaterial der Hss. Pages Lösung begünstigen. 753 ἐμμενεῖν Lenting : ἐμμένειν Hss. – Diese Akzentuierung des Verbs als Infinitiv Futur ist nach ὄμνυμι (752) erforderlich. | ἅ] statt der üblichen Attraktion οἷς (K.-G. II 409 Anm. 3), vielleicht aus metrischen Gründen: Zwar ist Porsons Gesetz nicht betroffen, weil es nur die Folge ‒͡ ‒|‒ ⏑ ‒ am Ende des Trimeters verbietet (vgl. West 1982, 84 f.), aber ein Wortende nach einer Länge im ersten Element des letzten TrimeterMetrums hat einen vergleichbaren Effekt wie eine Verletzung der Regel, die Porson ursprünglich beobachtet hatte. | κλύω] zur Übersetzung mit einem Vergangenheitstempus vgl. zu 703 u. K.-G. I 135 f. 754 ’μμένων] Prodelision (ἐ)μμένων | πάθοις] in die Frage eingefügter Wunschmodus (direkt πάθοιμι), vgl. Mastronarde 755 βροτῶν (Hss.) : βροτοῖς +CP 789 – Die Strafe droht nicht allen Menschen, sondern nur den gottlosen von ihnen. 756 χαίρων πορεύου] vgl. Homer, Odyssee 15,128 f. χαίρων ἀφίκοιο / … ἐς πατρίδα γαῖαν (Tedeschi), anders El. 1340; Alk. 813 χαίρων ἴθ᾿, was sich nur auf den Weggang bezieht. 757 πόλιν] vgl. zu 7 758 τυχοῦσ’ ἃ +(Hss.) : τυχοῦσ’ ὧν – Grammatisch wäre beides möglich, aber ὧν wäre metrisch irregulär, vgl. zu 753; es kann aber auch sein, dass τυγχάνω hier den Akkusativ regiert (K.-G. I 350 Anm. 9).
Kommentar
251
755 Generell galt, dass einen Eidbrecher samt seinem ganzen Geschlecht, d. h. auch den Nachkommen, völlige Vernichtung treffen solle (Rickert 1987, 110–113; Burkert 2011, 378); vgl. Andokides 1,98 (am Ende), Lysias 12,10; Weiteres bei Scharff 2016, 46–58. Dass Aigeus Nachkommen nicht explizit erwähnt, hängt mit der Situation des noch Kinderlosen zusammen (Konstantinidou 2014, 25). – Der an seinen Eid gebundene Aigeus ist die Kontrastfigur zum eidbrüchigen Iason (vgl. Boedeker 1991, 98). Was Eidbrüchigen geschieht, gilt, ohne dass es hier gesagt würde, auch für ihn; vgl. Martina III 253 f. Insofern kann die Tötung der Kinder auch als durch seinen Eidbruch bedingte Strafe für Iason betrachtet werden. 756–758 Ob Aigeus Anzeichen macht, dass er gehen will, und ihm Medea daraufhin eine gute Reise wünscht, oder ob sie ihn von sich aus verabschiedet, nachdem sie erreicht hat, was sie von ihm wollte, ist dem Text nicht zu entnehmen, war allerdings für das Publikum der Uraufführung durch die Inszenierung des Dichter-Regisseurs kenntlich. Im Vergleich zur Begrüßung am Beginn der Szene ist es auffällig, dass es keinen Abschiedsgruß vonseiten des Aigeus gibt (vgl. Page nach Nauck). Ob man diesem Verhalten eine besondere Bedeutung zumessen kann, ist fraglich. Vielleicht sollen die Worte des Chores (759–763) eine Art Gegengewicht zum Eingang bilden. 756 ‚Viel Glück auf der Reise!‘, wörtl. ‚Führe deine Reise mit Freude durch‘. Der Abschiedsgruß schließt hier den ganzen Verlauf der Reise ein (wie Homer, Odyssee 15,128 f., anders z. B. El. 1340 ~ ‚Geh hin in Freuden‘: vgl. auch ΤS). 757 Medeas mehrdeutige Schlussworte kann Aigeus nicht verstanden haben (wenn er sie noch hört), da er von Medeas Racheabsicht nichts weiß, der Chor nicht in ihrer ganzen Tragweite, da er sich nur eine Rache vorstellt, die Iason direkt betrifft, die Zuschauer allenfalls, wenn sie die Andeutung Medeas realisiert haben sollten (vgl. zu 607–608).
252
Drittes Epeisodion: 759–763
Aigeus geht ab, mit Gefolge; die Chorführerin spricht Abschiedsworte. Chf. Dich möge der Sohn Maias, der Schutzherr der Reisenden, nach Hause geleiten, und, wonach du so eifrig trachtest, mögest du vollenden, da du als edel gesinnter Mann, Aigeus, bei mir in gutem Ruf stehst. Χο.
ἀλλά σ’ ὁ Μαίας πομπαῖος ἄναξ πελάσειε δόμοις ὧν τ’ ἐπίνοιαν σπεύδεις κατέχων πράξειας, ἐπεὶ γενναῖος ἀνήρ, Αἰγεῦ, παρ’ ἐμοὶ δεδόκησαι.
760
760
760 δόμοις] Dativ bei Verben der Annäherung usw. (K.-G. I 408 f., 4) 760–761 ὧν τ’ … πράξειας] ~ ἐκεῖνα πράξειας, ὦν ἐπίνοιαν κατέχων σπεύδεις, vgl. Phoin. 330 πόθον … κατέχων (Page) 762 γενναῖος] „ ‘noble-minded’, not ‘nobly born’ “, Page mit Verweis auf Denniston 1939 zu El. 253 763 παρ’] zur Bedeutung vgl. LSJ s. v. παρά B. II. 3
Kommentar
253
759–763 Anapäste der Chorführerin, mit der sie den Abgang des Aigeus begleitet. Statt sonst üblicher iambischer Zwischenverse sind es Marschanapäste wie 358–363 nach dem Abgang Kreons, wenn es sich dort auch nicht um eine Verabschiedung handelte (für das Vorliegen von lyrischen Anapästen gibt es hier ebenso wenig einen Anhalt wie in den vv. 358–363). Daraus ist zu schließen, dass hier nicht der gesamte Chor singt, sondern dass die Verse von der Chorführerin rezitiert werden (vgl. Kovacs: „CHORUS LEADER“). Die Chorführerin wünscht Aigeus nicht nur ein glückliches Nach-Hause-Kommen unter dem Schutz des Hermes, sondern auch das Erreichen seiner Ziele, weil er dem Chor offenbar den Eindruck eines edlen Mannes gemacht hat, der mit ihm in der moralischen Verurteilung Iasons übereinstimmt und der unglücklichen Medea in ihrer Not hilft. Rezipienten, die den Ausgang der Tragödie kennen (oder vielleicht vermuten), wird die Ahnungslosigkeit der Chorführerin ebenso wie die des Aigeus als tragische Ironie erscheinen. Die Chorführerin kann sich nicht vorstellen, worauf sich Aigeus in seiner Gutartigkeit eingelassen hat. Der Wunsch der Chorführerin, Aigeus möge gut nach Hause kommen, wird von manchen Interpreten so verstanden, dass Aigeus nicht mehr nach Trozen reisen wolle, sondern direkt nach Athen (Schlesinger 1966, 47; Kovacs 2008, 302; vgl. auch Martina III 233). Athen ist zwar auf jeden Fall das Endziel seiner Reise (681), man kann aus den Worten der Chorführerin aber nicht schließen, dass der ‚Umweg‘ über Trozen aufgegeben sei; schließlich ist für Aigeus das Orakel noch nicht gedeutet; vgl. auch Knox 1977, 194 Anm. 7. 759 ‚der Sohn Maias‘: Hermes, Sohn des Zeus und der Maia, Tochter des Iapetos-Sohnes und Prometheus-Bruders Atlas (Hesiod, Theogonie 507–510; 938). Hermes war Herold der Götter (ebd. 939), Geleiter der Seelen der Toten in den Hades (Homer, Odyssee 24,1–14), aber auch Beschützer der Reisenden; so führt er bei Homer Priamos zu Achill (Ilias 24,182; 334–469; 679–694).
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Drittes Epeisodion: 764–771
Me.
O Zeus, Zeus-Tochter Dike und Licht des Helios, jetzt werde ich mich als siegreich über meine Feinde, ihr Lieben, 765 erweisen, und ich habe schon den Weg (des Sieges) beschritten, jetzt besteht Hoffnung, dass meine Feinde büßen werden. Denn dieser Mann ist mir, wo ich am meisten Schwierigkeiten hatte, als rettender Hafen für meine Pläne erschienen. An ihm werde ich das Hecktau festmachen, 770 wenn ich in Pallas’ Stadt und Burg gekommen bin.
Μη.
ὦ Ζεῦ Δίκη τε Ζηνὸς Ἡλίου τε φῶς, νῦν καλλίνικοι τῶν ἐμῶν ἐχθρῶν, φίλαι, γενησόμεσθα κἀς ὁδὸν βεβήκαμεν, νῦν ἐλπὶς ἐχθροὺς τοὺς ἐμοὺς τείσειν δίκην. οὗτος γὰρ ἁνὴρ, ᾗ μάλιστ’ ἐκάμνομεν, λιμὴν πέφανται τῶν ἐμῶν βουλευμάτων· ἐκ τοῦδ’ ἀναψόμεσθα πρυμνήτην κάλων, μολόντες ἄστυ καὶ πόλισμα Παλλάδος.
765
770
766 κἀς ὁδὸν βεβήκαμεν] κἀς = καὶ ε(ἰ)ς, vgl. K.-B. I 221 b; zur Wendung im Ganzen vgl. Page; Plautus, Pseudolus 668 redduxit me … in viam (Davies 2005, 152) 767 νῦν Lenting : νῦν δ᾿ Hss. – δ᾿ ist sicher möglich (GP 163 [2]), aber rhetorisch wirksamer ist die asyndetische Anapher, vgl. 1401; Phoin. 1252 f. Die Parallelen sprechen auch gegen eine Athetese des Verses als „lästige Wiederholung“ (Müller 1951, 81). 768 ἁνὴρ Porson : ἀνὴρ +Hss. – Der Artikel ist zwar nach dem Demonstrativum üblich, könnte in der Dichtersprache aber auch fehlen (K.-G. I 630 f).
Kommentar
255
764–810 Medea spricht zu den Frauen von Korinth. Nach Aigeus’ Weggang verkündet sie triumphierend die Lösung des Problems, wo sie Zuflucht finden kann, und ist nun zuversichtlich, dass sie sich erfolgreich rächen können werde (764–771). Den Racheplan, der sogleich fertig vorliegt (Steidle 1968, 154), verkündet sie in zwei Teilen (772–789; 790–793 {794–796} 797 {798–799}), wobei der zweite in der vermutlich Chor wie Zuschauer überraschenden und erschreckenden Ankündigung des Medea selbst emotional bedrückenden Kindermordes besteht (Ebener 1961, 213 f.; vgl. auch zu 607–608 u. 757). Medea endet mit einer Reflexion darüber, wie sie in die jetzige Situation gekommen sei, und einer Erklärung der Ratio ihres Plans (800–806 {807–810}). Im Einzelnen ist das Verständnis der vv. 764–810 durch schwierige Echtheitsfragen belastet. 764–771 Nachdem das Problem gelöst ist, wo Medea nach ihrer Rachetat Zuflucht finden könnte, ist sie unter Anrufung der Götter, deren Hilfe sie erwartet, voller Zuversicht, dass ihre ‚Feinde‘ werden büßen müssen. 764 Medea hatte früher schon Zeus (als Schützer der Gerechtigkeit) angerufen (332; vgl. auch 1352), ebenfalls Themis (vgl. zu 160 u. 208), nun nennt sie Dike, die Tochter von Zeus und Themis (Hesiod, Theogonie 901 f.), die auch über die Gerechtigkeit wacht; zu Helios hat sie eine verwandtschaftliche Beziehung (406; 746). Offenbar sieht sie sich durch diese Gottheiten in ihrem Racheplan unterstützt. 765 ‚siegreich‘: Dasselbe Wort hatte die Amme gebraucht (45) für ihre Einschätzung, dass ein Gegner Medeas über sie nicht siegreich sein werde. 766 Im Griechischen steht nur ‚ich habe … den Weg beschritten‘ (im Sinne von ‚ich bin … auf dem Weg‘), gemeint ist vom Kontext her ‚der Weg, der zum Sieg führen wird‘ (Martina III z. St.). 768 ‚dieser Mann‘: sc. Aigeus. Die Schwierigkeit, wie sie außer Landes bis nach Athen kommen soll, lässt Euripides Medea nicht bedenken, wohl aus dramaturgischen Gründen; jedenfalls erscheint die Lösung des Problems später ganz überraschend. Vgl. 1321 f. 770 ‚An ihm‘: An Aigeus, der den rettenden Hafen verkörpert, in dem ein Schiff sicher sein kann. ‚das Hecktau festmachen‘, genauer, das Tau, das vom Heck weggeht, an der Hafenküste festmachen. Die Schiffe waren im Hafen mit dem Heck zum Land hin ausgerichtet, auf das man das Schiff durch Rudern auflaufen ließ; vgl. Kurt 1979, 192 f., z. B. Homer, Ilias 1,432 ff. Die Hafen-Metapher steht hier für eine sichere Ankunft in Athen und eine sichere Zuflucht; vgl. das ähnliche Bild in HF 478 f. 771 ‚Pallas’ Stadt und Burg‘, sc. Athen, die Stadt der Pallas Athene. ‚Stadt und Burg‘ ist ein Versuch, den Doppelausdruck ‚Stadt und Stadt‘, der im Griechischen aus zwei unterschiedlichen Wörtern (asty, polisma) mit sich entsprechender Bedeutung besteht, im Deutschen wiederzugeben. Die Bedeutung des Beinamens Pallas für Athene ist nicht gesichert: ‚Mädchen‘ oder ‚die Waffen Schwingende‘ oder aus einem nicht-griechischen Wort entstanden? Vgl. Burkert 2011, 217.
256
Drittes Epeisodion: 772–777
Und nunmehr werde ich dir alle meine Pläne darlegen. Vernimm Worte, die dich nicht erfreuen werden: Ich werde jemanden aus meiner Dienerschaft schicken und Iason bitten, mich hier aufzusuchen. Ist er gekommen, werde ich ihm besänftigende Worte sagen, ich sei derselben Meinung (wie er) und es sei gut, dass er die Ehe ἤδη δὲ πάντα τἀμά σοι βουλεύματα λέξω· δέχου δὲ μὴ πρὸς ἡδονὴν λόγους· πέμψασ’ ἐμῶν τιν’ οἰκετῶν Ἰάσονα ἐς ὄψιν ἐλθεῖν τὴν ἐμὴν αἰτήσομαι. μολόντι δ’ αὐτῷ μαλθακοὺς λέξω λόγους, ὡς καὶ δοκεῖ μοι ταὐτὰ καὶ καλῶς γαμεῖ
775
775
773 δέχου … λόγους] vgl. Soph. El. 921 οὐ πρὸς ἡδονὴν λέγω τάδε; 775 ἐς ὄψιν ἐλθεῖν] vgl. 173 777–779 {…} Dindorf, Müller 1951, 81; 778 {…} Reiske; 778–779 {…} Porson – Ein direkter Anschluss von v. 780 an v. 776 wäre allerdings recht hart und wegen des zweifachen δέ und der Wiederholung von αἰτήσομαι am Versende nach v. 775 stilistisch nicht unproblematisch. Diese Probleme würden bei den Tilgungen Porsons und Reiskes zwar wegfallen bzw. gemildert, aber es gibt auch keine unüberwindlichen sprachlichen Anstöße in diesen Versen. 777 ταὐτὰ Barnes : ταῦτα Hss. – ‚dasselbe (sc. wie Iason)‘ ergibt einen deutlich passenderen Sinn als ‚dieses‘, zumal Akzente ohnehin nicht als überliefert gelten können | γαμεῖ Bolkestein : ἔχει Hss. : φέρω Dihle : ὣς καὶ δοκεῖν μοι ταῦτα … ἔχειν Page – γαμεῖ kann angesichts der üblichen Wendung καλῶς ἔχει und ἔχει am Ende des nächsten Verses leicht verdrängt worden sein; das direkte Lob, Iason habe es mit der Heirat richtig gemacht, ist gegenüber ihm wohl wirksamer, als Dihles φέρω (‚ich ertrage es gut‘); Pages Vorschlag vermeidet den Konstruktionswechsel von ὡς mit Verbum finitum zur Infinitivkonstruktion in v. 779, dabei muss man aber ein ungewöhliches ὥς = οὕτως in Kauf nehmen (vgl. Mastronarde).
Kommentar
257
772–789 Waren als Ziel der Rache zuletzt in allgemeiner Formulierung Iason, die Königstochter und Kreon angegeben (366 f.; 399 f.), konkretisiert Medea jetzt ihr Vorgehen: Kreon wird nicht mehr als Ziel der Racheplanung genannt (wenn es auch gegenteilige Meinungen dazu gibt, z. B. Easterling 1977/2003, 194; allerdings wird er trotzdem betroffen sein, vgl. zu 788), auch über eine Rache an Iason spricht sie zunächst nicht; Iasons neue Frau bleibt weiterhin direktes Ziel der Rache. Nur wenn auch die vv. 368–394 echt sein sollten, was sie wahrscheinlich nicht sind, hätte es zuvor schon eine konkrete Racheplanung gegeben, die jetzt durch eine andere konkrete ersetzt würde. Vgl. auch Einf., S. 20, Anm. 64. Die Ausführungen über das geplante Gespräch mit Iason bewirken einen Wissensvorsprung des Chores und des Publikums ihm gegenüber, sodass das Verhalten Medeas in diesem Gespräch von vornherein als Verstellung zu erkennen ist. Die darin angekündigte listige Tötung der Königstochter wird nicht begründet und mag vorerst als bloße Eifersuchtshandlung erscheinen, bis Medea in den vv. 803–806 den beabsichtigten Zweck dieser Aktion erklären wird. 772 ‚alle meine Pläne‘: Die Rache soll sich in mehreren Einzelaktionen vollziehen: (1) Bitte um ein Gespräch mit Iason, (2) scheinbares Einlenken gegenüber Iason mit dem angeblichen Ziel, dass die Kinder nicht verbannt werden, (3) Aussenden der Kinder mit den vergifteten Geschenken, um die Königstochter zu töten, (4) Tod der Königstochter, (5) – in einem deutlich abgesetzten Schritt (790–810) – Ermordung der Kinder. 773 Die Korintherinnen halten zwar eine Rache an Iason für berechtigt (267), aber sie denken wahrscheinlich an eine Aktion, die sich gegen ihn persönlich als den eigentlichen Übeltäter richtet (vgl. 163 f.). Wenn Medea an dieser Stelle (und nicht erst vor der Ankündigung des Kindermords) sagt, dass ihre Pläne die Korintherinnen nicht erfreuen werden, dann nimmt sie vielleicht an, dass diese nicht nur den Mord an den Kindern (wenn Medea ihn auch besonders hervorhebt, 790 ff.), sondern auch den an der Königstochter nicht billigen werden (vgl. 811–813 mit Komm. zu 811–819); möglicherweise hält sie also die Ermordung der nicht schuldigen Königstochter auch für problematisch (anders Mastronarde zu 812–13). Die früher gewünschte physische Vernichtung Iasons (114; 163 f.) ist nicht Bestandteil der Pläne. 774 ‚jemanden aus meiner Dienerschaft‘, wörtl. ‚einen von meinen Dienern‘, generalisierendes Maskulinum. Tatsächlich wird es sich um eine Frau handeln (vgl. zu 821–823); daher wurde in der Übersetzung ein neutraler Ausdruck gewählt. 775 ‚mich hier aufzusuchen‘, wörtl. ‚in mein Blickfeld zu kommen‘, d. h., sie will ihn sehen, um ihn persönlich zu sprechen. 776 ‚besänftigende Worte‘: malthakos wie 316; vgl. Komm. dazu. 777–779 Medea kündigt die Taktik an, die sie im Gespräch mit Iason verfolgen will, die sie dann im Prinzip (ohne den Hinweis 778b!) auch anwenden wird. Wegen dieser ‚Doppelung‘ sind die Verse angezweifelt worden (vgl. TS), aber ihr Sinn liegt wahrscheinlich gerade darin, dass der Chor und das Publikum das dann stattfindende Gespräch richtig einschätzen können.
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Drittes Epeisodion: 778–787
mit der Königstochter geschlossen habe – die er unter Verrat an mir führt –, und das sei nutzbringend und gut entschieden. Und dass meine Kinder bleiben dürfen, werde ich erbitten, 780 nicht, als ob ich sie etwa in feindlichem Land zurücklassen wollte {für die Feinde, dass sie meine Kinder misshandeln können}, sondern damit ich mit List die Tochter des Königs töte. Denn ich werde sie mit Geschenken in den Händen hinschicken, {sie der jungen Frau bringend, nicht aus dem Land verbannt zu 785 werden,} einem feingewebten Gewand und einem aus Gold gearbeiteten Diadem. Und wenn sie die Kostbarkeiten genommen und sich angelegt hat, γάμους τυράννων, οὓς προδοὺς ἡμᾶς ἔχει, καὶ ξύμφορ’ εἶναι καὶ καλῶς ἐγνωσμένα. παῖδας δὲ μεῖναι τοὺς ἐμοὺς αἰτήσομαι, οὐχ ὡς λιποῦσ’ ἂ⟨ν⟩ πολεμίας ἐπὶ χθονὸς {ἐχθροῖσι παῖδας τοὺς ἐμοὺς καθυβρίσαι}, ἀλλ’ ὡς δόλοισι παῖδα βασιλέως κτάνω. πέμψω γὰρ αὐτοὺς δῶρ’ ἔχοντας ἐν χεροῖν, {νύμφῃ φέροντας, τήνδε μὴ φεύγειν χθόνα,} λεπτόν τε πέπλον καὶ πλόκον χρυσήλατον· κἄνπερ λαβοῦσα κόσμον ἀμφιθῇ χροΐ,
780
785
778 γάμους τυράννων] vgl. 140 λέκτρα τυράννων 779 ξύμφορ’(α) εἶναι] zum Neutrum Plural vgl. K.-G. I 66 f., zum Konstruktionswechsel (ὡς 777 / Inf. 779) vgl. K.-G. II 357 Anm. 3 | ἐγνωσμένα (Hss.) : εἰργασμένα – Das Faktum hatte Medea bereits in den vv. 777 f. gutgeheißen; jetzt wird die kluge Entscheidung gelobt. 781 λιποῦσ’ ἂ⟨ν⟩ Elmsley : λιποῦσα Hss. : λίπω σφε Burges – vgl. ETS zu 781, S. 432 782 {…} Brunck (vgl. 1060 f.) u. a. – vgl. Komm. 785 {…} Valckenaer (vgl. 940; 943; 950) – vgl. Komm. Außerdem sind das asyndetisch angehängte Partizip φέροντας und der epexegetische Infinitiv φεύγειν statt einer finalen Konstruktion auffällig; vgl. Mastronarde. | τήνδε Hss. : δῆθεν Variante in Σ : δῆθε Elmsley 786 {…} Elmsley (= 949) – Der Vers ist an dieser Stelle echt, weil ohne ihn v. 787 weniger gut verständlich wäre. 787 ἀμφιθῇ] Aktiv statt des hier eher zu erwartenden Mediums (K.-G. I 110, 2) | χροΐ] epische und ionische Form für χρωτί
Kommentar
259
778 ‚Königstochter‘: Im Text ist im Plural von ‚Ehen‘ bzw. ‚Heiraten mit Herrschern‘ die Rede. Gemeint ist die Einheirat ins Königshaus (wie entsprechend 140), konkret die Ehe mit der Königstochter. ‚die er unter Verrat an mir führt‘: Fürchtet Medea, die Korintherinnen könnten nicht erkennen, dass ihr Einlenken nur Verstellung ist? Jedenfalls macht sie sicherheitshalber durch die Parenthese ihre wirkliche Haltung noch einmal klar, wie sie auch 781 und 783 auf ihre wahre Absicht verweist. 780 Ein Adressat der Bitte wird nicht genannt, nur ihr Ziel (783). 782 Der Vers ist unecht (~ 1060 f.), der Gedanke hat in der (allerdings unechten) Passage 1056 ff. seinen Platz. Er unterbricht mit seinen zusätzlichen Erläuterungen die Entgegensetzung von der fälschlich zu vermutenden Motivation Medeas und ihren eindeutigen Absichten in den vv. 781 u. 783, außerdem setzt ‚misshandeln‘ (sc. als Rachehandlung der Feinde) eine Tat Medeas voraus, die eine Misshandlung von Iasons Kindern rechtfertigen könnte. Von einer die Kinder gefährdenden Tat Medeas ist aber erst in v. 784 die Rede, sodass (abgesehen von der Dublette) eine unlogische Gedankenfolge entsteht. – Zur Verteidigung des Verses vgl. Susanetti 1999, 170–173. 785 Der Vers ist sicherlich ebenfalls unecht; er steht zwischen der Ankündigung der Übergabe der Geschenke (784) und den näheren Ausführungen zu deren Art und Wirkungsweise (786–789). Wem die Geschenke gegeben werden sollen, ist durch den Kontext auch so klar. Der Vers hat überdies verdächtige Ähnlichkeiten mit den vv. 940; 943; 950. Zu sprachlichen Anstößen vgl. auch TS. 786 ‚Gewand‘: Das griechische Wort peplos bezeichnet eigentlich ein meist wollenes Tuch jedweder Art, wird aber häufig als Ausdruck für Kleidung gebraucht, nicht nur weiblicher, sondern auch männlicher, hier für das Gewand, das Medea der Königstochter schickt. Zur Bedeutung von peplos vgl. jetzt grundlegend Wesenberg 2020, 13–76 (Zusammenfassung 73–76). ‚aus Gold gearbeiteten‘: Gemeint ist massives Gold, nicht bloße Vergoldung; vgl. Barrett 1964 zu Hipp. 862–3 (S. 328). Es geht also um einen hohen Wert (vgl. im Einzelnen Mossman). Ein Brautkranz aus Gold war etwas ganz Besonderes, vgl. Hesiod, Theogonie 573; 578–580, wo Athena Pandora mit einem von Hephaistos gefertigten goldenen Kranz schmückt; zum Brautkranz vgl. Oakley / Sinos 1993, 16; 18 f., Abb. 28–30; vgl. auch das Bild auf der sog. ‚Medea-Vase‘, Apulischer rotfiguriger Volutenkrater 330 v. Chr., München, Antikensammlung 3296, LIMC VI/1 (1992) 123 f. s. v. Kreousa II 17, Abb. VI/2, S. 54 (= s. v. Medea 29, S. 391; Abb. VI/2, S. 197). 787 ‚Kostbarkeiten‘: Im Griechischen kosmos, ‚Schmuck‘, womit aber auch alles, was besonders Frauen ziert, bezeichnet werden kann, hier also zusammenfassend ein Gewand und ein Diadem (786). Iason wird darunter ebenfalls ‚Gewänder‘ (960) und ‚Gold‘ (961), sicher im Sinne von ‚Goldschmuck‘, verstehen. – Als kosmos kann auch der Schmuck benannt werden, mit dem man Tote schmückt (Alk. 613; Hek. 577 f.), und vielleicht spielt hier diese Bedeutung mit (Tedeschi). ‚sich angelegt hat‘, wörtl. ‚ihre Haut damit umhüllt hat‘.
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Drittes Epeisodion: 788–796
wird sie elend zugrunde gehen und jeder, der die junge Frau berührt; denn mit solchem Gift werde ich die Geschenke bestreichen. Jetzt jedoch will ich mich zu diesem Plan nicht weiter äußern; 790 ein Wehklagen hat mich erfasst, welche Tat ich dann tun muss: Ich werde die Kinder töten, meine eigenen! Es gibt niemanden, der sie retten wird; {und wenn ich das ganze Geschlecht Iasons vernichtet habe, werde ich aus dem Lande gehen, wegen des Mordes an den liebsten 795 Kindern auf der Flucht, und nachdem ich es über mich gebracht habe, eine ganz gottlose Tat zu begehen;} κακῶς ὀλεῖται πᾶς θ’ ὃς ἂν θίγῃ κόρης· τοιοῖσδε χρίσω φαρμάκοις δωρήματα. ἐνταῦθα μέντοι τόνδ’ ἀπαλλάσσω λόγον· ᾤμωξα δ’ οἷον ἔργον ἔστ’ ἐργαστέον τοὐντεῦθεν ἡμῖν· τέκνα γὰρ κατακτενῶ τἄμ’· οὔτις ἔστιν ὅστις ἐξαιρήσεται· {δόμον τε πάντα συγχέασ’ Ἰάσονος ἔξειμι γαίας, φιλτάτων παίδων φόνον φεύγουσα καὶ τλᾶσ’ ἔργον ἀνοσιώτατον·}
790
795
791 ᾤμωξα] vgl. auch zu 64; nach Lloyd 1999, 28 gilt „… ᾤμωξα allows the speaker to express recognition that something is lamentable in a less direct manner than by actually groaning [sc. οἴμοι, vgl. 899].“ Aber wie Mossman (u. a.) zu Recht feststellt, hätte Euripides nicht οἴμοι δέ (oder Hipp. 1405 ᾥμωξα τοίνυν statt οἴμοι τοίνυν) schreiben können, οἴμοι konnte also nicht verwendet werden. Es kommt hier auf den ingressiven Aspekt an, Medea kann zu der anderen Sache nicht weiter sprechen, weil sie der Jammer eben erfasst hat im Gedanken an die eigentliche Rachetat. Daher ist es nicht sicher, ob es sich um „a less direct manner“ handelt. | δ’] vgl. zu 106 (~ γάρ) 792 τοὐντεῦθεν] ἐντεῦθεν kann neben der hier nicht in Betracht kommenden lokalen temporale oder kausale Bedeutung haben; hier liegt eine Mischung von beiden vor. Pucci (1980, 215 Anm. 35) sieht die temporale Bedeutung als vorherrschend an, weil er die kausale („as a consequence“) mit der später sich ergebenden äußeren Notwendigkeit verbindet (er verweist auf die vv. 1056 ff.), an die hier aber sicher nicht gedacht ist. | κατακτενῶ : κατακτανῶ (Hss.) – Das entschiedenere Futur passt besser zu Medeas Entschlossenheit als die bloße Willensäußerung im Konjunktiv Aorist. | γὰρ] vgl. zu 448 793 οὔτις ἔστιν ὅστις] statt οὐκ ἔστιν ὅστις (K.-G. II 403 Anm. 7) | ἐξαιρήσεται] Bedeutung am ehesten LSJ s. v. ἐξαιρέω IV. 1 „set free“, im Sinne von ‚ausnehmen‘ (aus einem Vorgang oder einer Gefahr), d. h. letztlich ‚retten‘; vgl. Aisch. Hik. 924 ἄγοιμ᾿ ἄν, εἴ τις τάσδε μὴ ᾿ξαιρήσεται.; Eur. Alk. 848; Herakl. 977 | Der Vers ist durch Sigmatismus geprägt (Martina III 261), vgl. zu 476. 794–796 {…} Müller 1951, 81 – vgl. Komm. 794– 810 {…} Hübner 1984a, 34–40, {798–810} bereits Hirzel 1862, 73–75 – vgl. hierzu die einzelnen Kommentarbemerkungen zu dem Textstück 794–810 794 δόμον … συγχέασ’] vgl. Hipp. 813 συγχέαι δόμους 796 τλᾶσ’ ἔργον ἀνοσιώτατον] vgl. 1328 ἔργον τλᾶσα δυσσεβέστατον
Kommentar
261
788 Eine Andeutung, dass nicht nur die Königstochter umkommen wird. Weder die Zuschauer noch Medea können allerdings wissen, wer die Königstochter berühren wird. Tatsächlich wird es Kreon sein, aber es könnte ebenso gut auch Iason sein, was allerdings den Sinn des Racheplans (vgl. 803–806 mit Komm.) zunichtemachen würde. Hier werden solche Konsequenzen nicht konkretisiert, sondern es wird Spannung erzeugt, ob die Königstochter vielleicht noch jemanden mit in den Tod reißen könnte. – Nach Hygin (Fabulae 25,3) verbrennen Kreon und Iason. 789 Medea kündigt das Bestreichen der Geschenke mit Gift als eine in der Zukunft liegende Maßnahme an. Mit Recht dürften die Zuschauer eine Gelegenheit erwarten, bei der sie das tun kann. Diese ergibt sich allenfalls während der beiden Chorstrophen 824–845; vgl. zur Problematik im Einzelnen Einf., S. 35–37. 790 Der Vers heißt wörtl.: ‚Jetzt jedoch will ich diese Rede (d. h. Inhalt der vv. 776–789, Page) verlassen‘. 791–792 ‚welche Tat ich dann tun muss‘: Unter Klagen, weil sie weiß, wie schwer es ihr fallen wird, diesen Teil des Racheplans durchzuführen (1236– 1250), verkündet Medea als zwingenden Entschluss, dass sie ihre Kinder töten wird. Die ‚Notwendigkeit‘ ergibt sich aus der Ratio des Racheplans, wie er in den vv. 803–806 dargelegt wird. – Im Unterschied zu dieser Notwendigkeit erscheint es später ebenfalls als notwendig, die Kinder mit eigener Hand zu töten, um sie nicht der Rache der Korinther auszuliefern (1239 f.; vgl. zu 1240– 1241). Das mit ‚dann‘ übersetzte griechische Wort bezeichnet sowohl die Reihenfolge der Taten als auch die Konsequenz, die sich aus der ersten Tat ergibt. 793 ‚meine eigenen!‘: Durch Enjambement und die seltene Interpunktion nach der ersten Silbe des Trimeters stark hervorgehoben (Denniston 1936, bes. 74, Table I; Mastronarde). 794–810 Die gesamte Versgruppe wird von Hübner (1984a, 34–38) getilgt; vgl. dazu die folgenden Kommentarbemerkungen. 794–796 Diese Verse erscheinen in der Tat sehr merkwürdig, da Medea von der Vernichtung des ganzen Geschlechts Iasons spricht, was sie erst in den vv. 803–806 verständlich machen wird, und zudem das bereits beschlossene (768– 771) und nach der Tötung der Königstochter ohnehin unvermeidbare AußerLandes-Gehen nun mit dem Mord an den Kindern neu motiviert wird. Auffällig ist insbesondere, dass v. 796 bei der überlieferten Versfolge die nach der Tat notwendige Flucht begründet, das Motiv, nicht verlacht werden zu wollen (797), jedoch dem gesamten Rachevorhaben mit dem in vv. 792b–793 angekündigten Kindermord zugrunde liegt, weshalb sich v. 797 also eher an v. 793 anschließt. Es ergeben sich daher zu Recht Zweifel an der Echtheit dieser Verse; vgl. Hübner 1984a, 34 f. Vermutlich handelt es sich um einen Zusatz, der den Handlungsverlauf des Stückes verdeutlichen soll. 795–796 ‚wegen … auf der Flucht‘, wörtl. ‚(die Folgen) des Mordes an den Kindern vermeidend‘.
Drittes Epeisodion: 797–804
262
denn es ist nicht zu ertragen, von seinen Feinden verlacht zu werden, ihr Lieben. {Dann sei’s eben so! Was nützt es mir zu leben? Weder habe ich eine Heimat noch ein Haus, noch kann ich mein Unglück abwenden.} Einen Fehler habe ich damals gemacht, als ich das väterliche Haus verließ, den Worten eines griechischen Mannes vertrauend; der wird mir mit Gottes Hilfe Buße leisten: Weder die Kinder, die er von mir hat, wird er jemals lebend sehen in Zukunft, noch wird er von der neuvermählten οὐ γὰρ γελᾶσθαι τλητὸν ἐξ ἐχθρῶν, φίλαι. {ἴτω· τί μοι ζῆν κέρδος; οὔτε μοι πατρὶς οὔτ’ οἶκος ἔστιν οὔτ’ ἀποστροφὴ κακῶν.} ἡμάρτανον τόθ’ ἡνίκ’ ἐξελίμπανον δόμους πατρῴους, ἀνδρὸς Ἕλληνος λόγοις πεισθεῖσ’· ὃς ἡμῖν σὺν θεῷ τείσει δίκην· οὔτ’ ἐξ ἐμοῦ γὰρ παῖδας ὄψεταί ποτε ζῶντας τὸ λοιπὸν οὔτε τῆς νεοζύγου
800
800
798–799 {…} Hirzel 1862, 73; Leo 1880, 320; Reeve 1973, 146 f. – vgl. Komm. 798 ἴτω] ἴτω kann sowohl eine trotzige Reaktion bezeichnen (wie 819) oder herablassend bzw. nachgebend / zustimmend sein im Sinn von ‚macht nichts‘ (z. B. Or. 792); hier ohne den Zusammenhang, dem die Verse möglicherweise entnommen sind, nicht zu entscheiden; vgl. Mastronarde. 800 ἐξελίμπανον] Das Wort kommt bei Euripides noch El. 909 vor, dort intransitiv. 802 ὃς] ~ οὗτος (K.-G. II 435 f. e). Die entscheidende Aussage wird duch einen Hauptsatz besser ausgedrückt als durch einen angehängten Relativsatz. | τείσει (Korrektur in einer Hs.) : τίσει : δώσει – τείσει ist gegenüber τίσει die z. Z. des Euripides übliche Form; δώσει wäre auch möglich, aber vgl. 767 803 γὰρ] zur Position erst an dritter Stelle (wenn man ἐξ ἐμοῦ als ein Wortbild rechnet) vgl. GP 96 (3) 804 τὸ λοιπὸν] statt τὸν λοιπὸν χρόνον (LSJ s. v. λοιπός 3), vgl. 1128; 1383 | νεοζύγου Hss. : νεόζυγος od. νεοζυγοῦς Elmsley – Das überlieferte νεοζύγου (Nom. νεόζυγος) kommt nur hier vor; es ließe sich mit Elmsley leicht beseitigen durch νεόζυγος (Nom. νεόζυξ) oder νεοζυγοῦς (Nom. νεοζυγής), aber ein einmaliges Vorkommen einer möglichen Wortbildung (vgl. Mossman) ist an sich noch kein Grund, eine Korruptel anzunehmen. 804–805 νεοζύγου / νύμφης] dichterischer bloßer Genitiv der Abstammung (K.-G. I 376, 5), oder es ist ἐξ (803) zu ergänzen
Kommentar
263
797 Der Vers legt erneut Medeas hinter dem Racheplan stehende grundsätzliche Einstellung offen (vgl. 404) und gibt (neben 817) die entscheidende Begründung für ihre Tat, weswegen sie die erlittene Schmach nicht auf sich beruhen lassen kann; Medea beruft sich später gegenüber Iason auf diesen Grundsatz (1355; 1362). Vgl. im Einzelnen zu 404. – Hübner (1984a, 35 f.) will auch diesen Vers (den er für gedankenlose Übertragung aus v. 404 hält) tilgen, u. a. wegen des Plurals ‚Feinde‘, wo es doch nur um Iason gehe. Aber nicht nur ein die Allgemeinheit des Gedankens ausdrückender Plural, auch ein echter ist passend, da sich die Tat Medeas auf das gesamte Arrangement der neuen Ehe bezieht, an dem nicht zuletzt auch Kreon beteiligt ist. 798–799 Diese Verse sind mit Sicherheit unecht. Hier spricht jemand, der verzweifelt ist, was Medea einmal war (96b f.; 144b–147), wozu sie aber nach den geradezu triumphierenden Versen am Eingang ihrer Rede (764–767) keinen Grund mehr hat, schon gar nicht, die Frage zu stellen ‚Was nützt es mir zu leben?‘ (vgl. 145). Zwar hat sie keine Heimat, aber einen Zufluchtsort in Athen und dort einen Platz in einem Haus (713), und es gibt kein Unglück oder Übel, für das sie nicht glaubt, schon eine Lösung gefunden zu haben (Zuflucht nach dem Kindermord, 764–771; Rache an ihren Feinden, 772 ff.); vgl. Reeve 1973, 146f. – Die Verse könnten als Randnotiz zu 800b–801a eingedrungen sein. 800–806 Medea sinniert darüber, wie es zur jetzigen Situation gekommen ist (800–802) und legt den Sinn ihres Planes dar, den sie bisher noch nicht erklärt hatte (803–806). Zur Frage der Echtheit dieser Verse vgl. EK, S. 419. 800–802 Für Medea bedeutet ihr Vergehen, das Verlassen des Vaterhauses, einen Verrat an ihm, begangen im Interesse Iasons (32 f.; 483; 502 f.), der ihr Treue geschworen, aber seinen Eid gebrochen hat, also Unrecht tat, ohne von ihr Unrecht erfahren zu haben (21 f.; 161–163; 493–495; 692), sodass sie grundsätzlich zur Rache berechtigt (267) und nach den Moralvorstellungen, denen sie anhängt, auch dazu verpflichtet ist (wie weit die Rache nach diesen Vorstellungen gehen darf, ist eine andere Frage). – Medea spricht von einem ‚griechischen Mann‘, eben jenem eidbrüchigen, der sich damit gebrüstet hatte, sie vom Barbarenland in griechische Erde gebracht zu haben, wodurch sie sich darauf verstehe, „unter Recht und Gesetz zu leben“ (536–538). Betont wird von Medea wohl eher diese speziell für sie relevante Diskrepanz, als dass es um die grundsätzliche Einschätzung von Griechen aus nichtgriechischer Sicht ginge (anders Mastronarde). 802 ‚mit Gottes Hilfe‘: Im Griechischen dieselbe Wendung wie in v. 625, jedoch mit anderer Bedeutung. Ging es dort um eine prophetische Aussage (vgl. zu 625b), so geht es jetzt um eine erwartete göttliche Unterstützung; vgl. 764. 803–806 Nur an dieser Stelle wird die Ratio des Racheplans ausdrücklich dargelegt und der Sinn der Ermordung der gleichermaßen unschuldigen Königstochter und der Kinder erläutert: Wenn Iason die bisherigen Kinder verliert und nach dem Tod der neuen Frau von ihr keine weiteren bekommen kann, ist seine Zukunftsplanung (555–565; 593–597) zerstört.
264
Drittes Epeisodion: 805–816
Frau ein Kind bekommen, da sie – eine Elende – elend 805 sterben muss durch mein Gift. {Niemand soll mich für gering und schwach halten und nicht für tatenlos, sondern für jemanden von der entgegengesetzten Art, hart gegenüber den Feinden und den Freunden gegenüber wohlgesinnt; denn solcher Leute Lebensweise hat das höchste Ansehen.} 810 Chf. Nachdem du uns diesen Plan mitgeteilt hast: Da ich dein Bestes will und für das, was unter Menschen gelten soll, eintrete, untersage ich dir, diese Taten zu begehen. Me. Es geht nicht anders; aber es ist verzeihlich, dass du das sagst, da es dir nicht so schlimm ergeht wie mir. 815 Chf. Aber wirst du es über dich bringen, dein eigen Fleisch und Blut zu töten, Frau?
Χο. Μη. Χο.
νύμφης τεκνώσει παῖδ’, ἐπεὶ κακὴν κακῶς θανεῖν σφ’ ἀνάγκη τοῖς ἐμοῖσι φαρμάκοις. {μηδείς με φαύλην κἀσθενῆ νομιζέτω μηδ’ ἡσυχαίαν ἀλλὰ θατέρου τρόπου, βαρεῖαν ἐχθροῖς καὶ φίλοισιν εὐμενῆ· τῶν γὰρ τοιούτων εὐκλεέστατος βίος.} ἐπείπερ ἡμῖν τόνδ’ ἐκοίνωσας λόγον, σέ τ’ ὠφελεῖν θέλουσα καὶ νόμοις βροτῶν ξυλλαμβάνουσα δρᾶν σ’ ἀπεννέπω τάδε. οὐκ ἔστιν ἄλλως· σοὶ δὲ συγγνώμη λέγειν τάδ’ ἐστί, μὴ πάσχουσαν, ὡς ἐγώ, κακῶς. ἀλλὰ κτανεῖν σὸν σπέρμα τολμήσεις, γύναι;
805
810
815
805 κακὴν κακῶς : κακῶς κακὴν – κακῶς gehört zu θανεῖν (806), κακὴν bezieht sich auf νύμφης, sodass die Wortstellung κακὴν κακῶς wahrscheinlicher ist (vgl. auch Page [nach Elmsley]: „when κακῶς κακός are separated, the adverb normally comes first; when they stand together, the adverb normally comes second“); vgl. 1386 807–810 {…} Dindorf 1825 – vgl. EK zu 807–810, S. 419 f. 808 θατέρου τρόπου] vgl. zu 304 811 ἐκοίνωσας (Hss.) : ἐκοινώσω – Die Bedeutung des Mediums passt nicht („κοινόομαί τινος = rei particeps fio“, Page). 813 ξυλλαμβάνουσα] Zur Bedeutung vgl. LSJ s. v. συλλαμβάνω VI „c. dat. pers. take part with another, assist him“; die νόμοι werden personifiziert. 815 πάσχουσαν] trotz σοὶ (814), vgl. zu 58 u. 661 | ὡς ἐγώ] sc. πάσχω 816 σὸν σπέρμα : σὼ παῖδε : σὸν παῖδα : σοὺς παῖδας – Metrisch und vom Sinne her möglich sind nur σὸν σπέρμα und σὼ παῖδε, wobei Letzteres wohl eine Verdeutlichung des stilistisch anspruchsvollen Ersteren darstellt.
Kommentar
265
805b–806 Die Verse sind nach Hübner (1984a, 37) eine oberflächliche Variante der vv. 788 f., für ihn ein Argument dafür, dass die vv. 800–806 unecht seien. Aus diesem Textabschnitt sind sie nicht herauslösbar, und die vv. 800– 806 gehören sehr wahrscheinlich zum ursprünglichen Textbestand der Medea. Vgl. zu 803–806 sowie EK, S. 419 zu diesen Versen. ‚Elende – elend‘: Die Formel kommt auch bei Verfluchungen vor (Geissen 1984, 300; Watson 1991, 35 Anm. 152), aber hier (und in v. 1386) handelt es sich um bloße Aussagen darüber, was geschehen wird. – Mossman nennt das Polyptoton „venomous“, weil sie in der Fokussierung auf die Rivalin auch so etwas wie Eifersucht zutage treten sieht. 807–810 Medea beruft sich hier, nachdem sie ihren Plan vollständig dargelegt und ihre Motivationen bereits genannt hat (797; 803–806), auf generelle Handlungsnormen, die ihrem Verhalten, wie sie sagt, zugrunde liegen. Vgl. zu Inhalt und Problematik dieser Verse, deren Echtheit zweifelhaft ist, EK zu 807– 810, S. 419 f. 811–819 Abschließender Dialog Medeas mit der Chorführerin. Mit großer Entschiedenheit untersagt die Chorführerin – in Medeas Interesse und um der Rechtlichkeit willen – Medea, die von ihr beschriebenen Taten auszuführen (811–813). Im Griechischen steht ein Pronomen im Neutrum Plural (813), das mit ‚diese Taten‘ übersetzt wurde. Der Plural ist belastbar: Er entspricht der (zu vermutenden) Einschätzung Medeas, dass die Korintherinnen beide Taten nicht billigen werden (vgl. zu 773), auch mit der Königstochter werden sie mitfühlen (978–989). Gegen den Bezug der vv. 811–813 auf beide Taten spricht nicht, dass die Chorführerin, nachdem Medea das Verbot, durchaus mit Verständnis für ihr Gegenüber, uneingeschränkt zurückgewiesen hat, nur auf den Kindermord eingeht; denn das ist der besonders problematische Teil des Plans, bei dem die Chorführerin meint hoffen zu können, bei Medea etwas zu bewirken (812; 816; 818). Aber Medea sieht nur noch die Effizienz ihres Plans (817) und lehnt jede weitere Diskussion ab (819). 812 ‚was unter Menschen gelten soll‘: Genannt sind die nomoi (‚Sitten‘, ‚Bräuche‘, ‚Gesetze‘) der Menschen, die jedenfalls innerhalb eines bestimmten Kulturbereichs allgemein gültigen Normen. Zwar ist Rache auch für den Chor erlaubt (267), sie sollte sich aber gegen Feinde richten (vgl. zu 90–95). Medeas Rache nimmt jedoch die Tötung der Kinder, also von ‚Freunden‘, in Kauf und überschreitet insofern für den Chor die geltenden nomoi (vgl. Rehm 1994, 148). 814–815 ‚Es geht nicht anders‘, genauer: ‚Es ist (für mich) nicht möglich, anders (zu handeln)‘. – Medea ist durch die harsche Stellungnahme der Korintherinnen nicht gekränkt, erklärt deren Position vielmehr damit, dass sie sich nicht in derselben leidvollen Lage befinden. 816 ‚dein eigen Fleisch und Blut‘, wörtl. ‚deinen Samen‘ (sperma), d. h. Medeas leibliche Nachkommen.
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Drittes Epeisodion: 817–823
Me. Ja, denn so dürfte mein Gatte am meisten getroffen werden. Chf. Aber du dürftest die unglücklichste Frau werden. Me. Sei’s drum! Überflüssig sind alle (weiteren) Worte zwischen uns. (zu einer Dienerin) Auf, geh und bringe Iason her; denn zu allen vertraulichen Dingen bedienen wir uns deiner. Sag aber nichts von dem, was ich beschlossen habe, wenn du deiner Herrin wohlgesinnt und eine Frau bist.
820
Die Dienerin geht ab; Medea geht (wahrscheinlich) ins Haus. Μη. Χο. Μη.
οὕτω γὰρ ἂν μάλιστα δηχθείη πόσις. σὺ δ’ ἂν γένοιό γ’ ἀθλιωτάτη γυνή. ἴτω· περισσοὶ πάντες οὑν μέσῳ λόγοι. ἀλλ’ εἶα χώρει καὶ κόμιζ’ Ἰάσονα· ἐς πάντα γὰρ δὴ σοὶ τὰ πιστὰ χρώμεθα. λέξῃς δὲ μηδὲν τῶν ἐμοὶ δεδογμένων, εἴπερ φρονεῖς εὖ δεσπόταις γυνή τ’ ἔφυς.
820
817 γὰρ] in Antworten ‚ja (denn)‘, ‚nein (denn)‘ (GP 23 V. [1]) 818 δ’ … γ’] die Kombination verleiht der Antwort Lebendigkeit (GP 153 [1]) 819 ἴτω] vgl. Soph. Phil. 120 ἴτω· ποιήσω, πᾶσαν αἰσχύνην ἀφείς, vgl. auch zu 798 | οὑν μέσῳ λόγοι] οὑν = οἱ ἐν, ἐν μέσῳ kann ‚zwischenzeitlich‘ heißen (Aisch. Hik. 735; Eur. Or. 16), aber auch ‚zwischen uns‘, ~ ‚Worte, die in unserer Mitte geäußert werden‘ (Hel. 630; 944) 820 ἀλλ’ εἶα] vgl. zu 401 822 λέξῃς Elmsley : λέξεις Hss. – Das Verbot erfordert den Konjunktiv. 823 δεσπόταις] Dativ bei Ausdrücken des Freundlich-gesinnt-Seins (K.-G. I 414, 12); poetischer Plural, gemeint ist nur Medea
Kommentar
267
817 Für die vollkommene Zerstörung von Iasons Lebensplan, die maximale Rache, ist Medea bereit, jeden Preis zu bezahlen. ‚getroffen‘: Das Verb bedeutet wörtl. ‚beißen‘, ‚stechen‘; dasselbe Verb steht in v. 110 (‚verletzt‘) u. v. 1370 (‚wehtun‘). 818 Die Einschätzung der Chorführerin wird sich für Medea bewahrheiten; vgl. 1250. 819 Medea will die Worte der Chorführerin nicht an sich heranlassen, indem sie sich gleichgültig gegenüber den Folgen ihrer Entscheidung gibt. Sie erklärt jede weitere Diskussion für überflüssig und damit wirkungslos. Nichts wird sie von ihrem Plan noch abbringen. Der zweite Teil des Verses kann auch verstanden werden als ‚alle Worte in der Zwischenzeit, d. h. bis zur Tat‘ (vgl. Mastronarde), aber das einfachere Verständnis scheint zu sein, dass Medea die jetzige Diskussion abbrechen möchte. 820 Medea hat sich in Konsequenz ihrer Aussage in v. 819 von den Korintherinnen ab- und einer Dienerin zugewandt, die Iason holen soll (vgl. 774 f.). Es handelt sich vermutlich nicht um die Amme (in dann stummer Rolle; vgl. zu 203), sondern um eine der Dienerinnen, die mit Medea vor v. 214 aus dem Haus getreten sind. 821–823 Medea begründet die Wahl dieser Dienerin mit einem besonderen Vertrauensverhältnis, das ihr auch ermöglicht, sie als ihr, der Herrin, wohlgesinnt und in ihrer Solidarität als Frau zum Schweigen über das Gehörte zu verpflichten, selbst wenn es in diesem Fall konspirativen Charakter hat. Von der Solidarität der Frauen untereinander ist bei Euripides mehrfach die Rede (IT 1061 „Frauen sind wir, ein einander freundlich zugetanes Geschlecht“; Hel. 329 „denn eine Frau muss sich für Frauen mitbemühen“; Alope TrGF V F 108 „eine Frau ist einer Frau von Natur aus irgendwie verbündet“). Vielleicht spiegelt sich in solchen Bemerkungen ein Bemühen, der dominierenden Männerwelt z. Z. dieser Dramen etwas entgegenzusetzen. Es ist anzunehmen, dass Medea nach v. 823 ins Haus geht (vermutlich mit der noch auf der Bühne verbliebenen Dienerin), und Chor und Zuschauer können sich vorstellen, dass Medea dann ihr in v. 789 angekündigtes Vorhaben ausführt. Ein Textsignal gibt es nicht. Nach v. 845 ist Medea wieder auf der Bühne (mit der Dienerin), da der Chor sie direkt anspricht; vgl. im Einzelnen Einf., S. 35–37. Die Zeit darf man nicht nachrechnen; so beanspruchen die Chorverse 204–213 sicher eine wesentlich kürzere Zeit, als die Amme realiter braucht, um Medea zum Herauskommen zu bewegen. – Sind diese Überlegungen richtig, geschieht das Vergiften der Geschenke unauffällig im Hintergrund. Völlig anders ist die Situation in Senecas Medea, wo die ‚Gift-Szene‘ als Bericht der Amme ausführlich zur Sprache gebracht wird (670–739).
268
Drittes Stasimon: 824–831
Ch.
Die Nachkommen des Erechtheus sind von alters her vom Strophe 1 Glück begünstigt und Kinder seliger Götter, (sie stammen) aus heiligem 825/6 und nie (von Feinden) zerstörtem Land; sie ernähren sich 826/7 von hochberühmter Weisheit, und stets durch die strahlend-reine 828/9 Luft schreiten sie in Anmut, wo einst die heiligen 830/1
Χο.
Ἐρεχθεΐδαι τὸ παλαιὸν ὄλβιοι καὶ θεῶν παῖδες μακάρων, ἱερᾶς χώρας ἀπορθήτου τ’ ἄπο, φερβόμενοι κλεινοτάταν σοφίαν, αἰεὶ διὰ λαμπροτάτου βαίνοντες ἁβρῶς αἰθέρος, ἔνθα ποθ’ ἁγνὰς
στρ. α´ 825/6 826/7 828/9 830/1
824 Ἐρεχθεΐδαι : ἐρεχθεῖδαι Hss. – hier der Responsion wegen fünfsilbig (vgl. 835) wie Ion 1056 (sonst viersilbig) 827 τ’ ἄπο, φερβόμενοι Korrektur in einer Hs., Σ : (τ’) ἀποφερβόμενοι Hss. – Bei ersterem Text ergibt sich eine plausiblere Syntax. 827–828 φερβόμενοι … σοφίαν] vgl. zur Metapher Lukrez 3,12 omnia nos itidem depascimur aurea dicta; σοφίαν ist als innerer Akkusativ zu verstehen 830 ἁβρῶς] vgl. Thukydides 2,41,1 μετὰ χαρίτων
Kommentar
269
824–865 Drittes Stasimon. Das Chorlied überdeckt szenisch die Zeit, in der (wahrscheinlich) Medea das Gift appliziert und Iason herbeigerufen wird und zu Medea kommt. Es besteht aus zwei Strophenpaaren, deren erstes einen Preis Athens enthält; das Thema ‚Athen‘ ist evoziert durch Aigeus’ Asylgewährung in dieser Stadt. Im zweiten Strophenpaar ist die Unvereinbarkeit einer Kindsmörderin Medea mit dem so hymnisch charakterisierten Zufluchtsort der Gegenstand, weswegen Medea von der Tat Abstand nehmen solle. Das erste Strophenpaar mit seinen detaillierten Kenntnissen der (mythischen) Vergangenheit Athens und dem idealisierten und idyllischen Bild (locus amoenus) dieser Stadt erwartet man nicht aus dem Munde der Korintherinnen (Wilamowitz 1880, 498: „in korinthischem Munde seltsam“). Der Dichter tritt damit aus dem fiktionalen Rahmen heraus und benutzt den Chor als Mittel, seine eigene oder die in der Substanz in Athen gängige Sicht der Stadt auszudrücken. Das zweite Strophenpaar mit dem direkten Handlungsbezug liegt dagegen wieder auf der Ebene der korinthischen Frauen. Vgl. zu diesem Chorlied auch Rutherford 2012, 237–241. – Eine in wesentlichen Punkten im Vergleich zur hier und im Folgenden gegebenen Interpretation des Chorlieds alternative Deutung („escape fantasy“) bietet Swift 2009, 371–375. 824–834 Strophe 1. Die Athener werden wegen ihrer göttlichen Abstammung, ihrer Weisheit, ihrer Eleganz und ihres Heimatortes Athen als der Wirkungsstätte der Pierischen Musen gepriesen. 824–827 ‚Die Nachkommen des Erechtheus‘, wörtl. ‚Erechthiden‘, d. h. die Athener als Abkömmlinge des mythischen Königs Erechtheus, der nach einer Tradition aus der Erde geboren war (Soph. Ai. 202; Herodot 8,55); insofern sind die Athener Autochthonen. Es wurde ihnen zugleich aber auch göttliche Abstammung zugeschrieben, da Erechtheus mit Erichthonios gleichgesetzt wurde, der als Sohn der Götter Hephaistos und Athena galt und in Athen herrschte (Aisch. Eum. 13 „Kinder des Hephaistos“; Ps.-Apollodor, Bibliotheke 3,188 ff.; Kron 1976, 32–39). Erechtheus war Phylen-Heros der Phyle Erechtheïs (Kron, ebd. 82). Wegen des göttlichen Ursprungs des Gründers konnte man das Land ‚heilig‘ nennen (Pindar, Dithyrambos, fr. 75,4 Maehler; Soph. Ai. 1221 f.), und als unzerstört (sc. durch feindliche Eroberung) konnte Attika gelten, weil es immer von denselben Menschen bewohnt wurde (Thukydides 1,2,5; 2,36,1; Strabon 8,1,2, p. 333,13–16 C.). Die Stadt Athen hat das Epitheton ‚glücklich‘, ‚gesegnet‘ (olbios, Bakchylides, Dithyrambos 19,10; Eur. Alk. 452; eudaimōn, Herodot 8,111,2; Eur. IT 1088; Soph. OC 282 f.); vgl. Tedeschi. 827–828 Nach dem Scholion zu 826 ist den Athenern Bildung so notwendig wie anderen Nahrung. Verkörpert ist hier (anachronistisch, Mastronarde) der zeitgenössische Bildungsstolz Athens, wie er sich etwa in Thukydides’ Totenrede des Perikles findet (2,40,1; 2,41,1); Weiteres bei Martina III 279. 829–830 ‚strahlend-reine Luft‘: In Eur. TrGF V F 981,2 f. wird das ausgeglichene Klima in Athen gepriesen; vgl. auch Platon, Timaios 24c. 830 ‚in Anmut‘: Das Adverb habrōs ist nicht negativ gemeint (‚weichlich‘), sondern drückt im Sinne von Grazie die Lebensweise der Athener aus (vgl. auch hier Thukydides 2,41,1).
270
Drittes Stasimon: 832–842
neun Pierischen Musen, wie man erzählt, die blonde Harmonia hervorbrachten.
832/3
Und am Strom des schönfließenden Kephisos Gegenstrophe1 835 schöpfe, so sagt man, Kypris (Wasser) aus ihm und lasse auf das Land herabwehen milden, 837/8 angenehm wehenden Windhauch; und stets bekröne sie 839/40 ihr Haar mit einem wohlriechenden Kranz von Rosenblüten, 841/2 ἐννέα Πιερίδας Μούσας λέγουσι ξανθὰν Ἁρμονίαν φυτεῦσαι· τοῦ καλλινάου τ’ ἐπὶ Κηφισοῦ ῥοαῖς τὰν Κύπριν κλῄζουσιν ἀφυσσαμέναν χώραν καταπνεῦσαι μετρίους ἀνέμων ἡδυπνόους αὔρας· αἰεὶ δ’ ἐπιβαλλομέναν χαίταισιν εὐώδη ῥοδέων πλόκον ἀνθέων
832/3 ἀντ. α ´ 835 837/8 839/40 841/2
835 ἐπὶ : ἀπὸ (Hss.) – Nach ἀπό steht an sich das Gefäß, aus dem man schöpft, nicht die Flüssigkeit selbst. | ῥοαῖς (Hss.) : ῥοᾶς : ῥοῶν : ῥοὰς – Die Varianten zu ῥοαῖς sind das Ergebnis von Versuchen, mit dem irrtümlichen ἀπὸ zurechtzukommen; vgl. zu beiden Fällen Page. 837 χώραν Hss. : χώρας Reiske – Die Entscheidung ist schwierig. Ein ohne Präposition abhängiger Genitiv ist nicht sicher belegt. In Aristophanes, Lysistrate 551 f. (Ἔρως … / ἵμερον ἡμῶν κατὰ τῶν κόλπων καὶ τῶν μηρῶν καταπνεύσῃ) ist entweder mit Bentley ἡμῖν zu lesen (so auch Landfester 2019 z. St.), oder ἡμῶν ist von κόλπων und μηρῶν abhängig. Der Bereich, auf den etwas weht, kann im Akkusativ ([Eur.] Rh. 387 καταπνεῖ σε, Heliodor 3,2 αἱ δὲ κανᾶ πεμμάτων τε καὶ θυμιαμάτων κανηφοροῦσαι τὸν τόπον εὐωδίᾳ κατέπνεον) und, was geweht wird, im inneren Akkusativ stehen (Homerischer Hymnus 2,238 ἡδὺ καταπνείουσα), beides zusammen ist zwar nicht belegt, aber warum sollte das nicht möglich sein? Angesichts dieses Befundes kann Reiskes Konjektur nicht als zwingend betrachtet werden; vgl. auch Page. 838 μετρι]ους Π : μετρίας Hss. – μέτριος gibt es auch als Adjektiv zweier Endungen, μετρίους dürfte daher als lectio difficilior anzusehen sein. 839 ἡδυπνόους αὔρας +Π, {…} Paley : αὔρας (Hss.) : αὔρας ἡδυπνόους : ἀέρας ἡδυπνόους Page – In seinem Kommentar spricht sich Page zu Recht dafür aus, die durch αὔρας bedingte ungewöhnliche Responsionsfreiheit (s. Metrische Analysen) zu akzeptieren, zumal αὔρας das hier passende Wort ist; zur Auffassung als innerer Akkusativ vgl. zu 837. 840 αἰεὶ +Trikl. : ἀεὶ (Hss.) – αἰεὶ ist metrisch notwendig | ἐπιβαλλομέναν] Das Medium spricht dafür, dass Aphrodite die Kränze sich selbst aufsetzt (nicht den Eroten).
Kommentar
271
832–834 Die Pierischen Musen sind die Olympischen Musen, die nach Hesiod (Theogonie 50–55) Mnemosyne Zeus in der makedonischen Landschaft Pieria geboren hat. Sie sind auch bei Sophokles mit Athen verbunden (OC 691 f.). Der sprachlichen Struktur des griechischen Texts nach kann Harmonia die Musen oder können die Musen Harmonia hervorgebracht haben, aber sachlich ist es nicht plausibel, dass Harmonia die P i e r i s c h e n Musen in A t h e n zur Welt gebracht haben soll, ganz abgesehen von der traditionellen Genealogie der Musen (anders Most 1999, 20 Anm. 1). Vielmehr ist Athen der Ort, wo die Neun Musen wirken und in gemeinsamer Leistung gewissermaßen als Zehntes die höchste Vollendung ihrer Kunst, personifiziert als ‚blonde Harmonia‘, als Ausdruck ihrer ‚Verbindung‘ (so die Grundbedeutung des Nomens harmonia), geschaffen haben sollen (vgl. bes. Page). Die ‚reale‘ Göttin Harmonia galt als Tochter des Ares und der Aphrodite (Hesiod, Theogonie 933–937). 835–845 Gegenstrophe 1. Athen erscheint als von der lieblichen Aphrodite physisch wie intellektuell begünstigt; die Göttin sendet zur Förderung der Weisheit Eroten, die Athen zur Höchstleistung führen. – Stieber (2011, 142) sieht Euripides’ Darstellung der Aphrodite durch die zeitgenössische Skulptur des Alkamenes (‚Aphrodite in den Gärten‘) angeregt (DNO s. v. Alkamenes, Werk Nr. 1). 835–836 Der Kephis(s)os ist der Hauptfluss der attischen Ebene und damit für Athen / Attika charakteristisch und wird von Sophokles als fruchtbringend und reich mit reinem Wasser strömend gepriesen (Soph. OC 685–691). Es ist also passend, wenn die Athen gewogene Kypris / Aphrodite (ebd. 692 f.) aus diesem Fluss schöpft; überdies kann ihre Nennung dadurch angeregt sein, dass sie als Mutter der Harmonia galt (vgl. zu 831–834 sowie Mossman z. St.). Kephis(s)os war als Flussgott auch ein Stammvater der Athener, denn Erechtheus soll Praxithea, die Tochter von Phrasimos und Diogeneia, ihrerseits Tochter des Kephis(s)os, geheiratet haben. Vgl. Ps.-Apollodor, Bibliotheke 3,196 (vgl. Page); Ion 1261 (dazu Gibert 2019). 837–839 Milde (‚mäßige‘) Lüfte über das Land wehen zu lassen kann als Zeichen der Begünstigung von Fruchtbarkeit des Landes verstanden werden, wie es auch von Athene den Eumeniden empfohlen wird (Aisch. Eum. 905 f.; Martina III); von milden Lüften spricht im Zusammenhang mit Aphrodite auch Sappho (fr. 2,10 f. Voigt = Neri). Bei Aphrodites Geburt sprießt unter ihren Füßen eine Wiese (Hesiod, Theogonie 194 f.). Sophokles nannte Aphrodite eukarpos, ‚fruchtbar machend‘ (TrGF IV2 F 847), was der den Textausschnitt zitierende Autor Plutarch (Coniugalia praecepta 42 [Moralia, p. 144B]) auf das Gebären von Kindern zu beziehen scheint, aber Fruchtbarkeit des Landes und Fruchtbarkeit der Frauen gehören zusammen (Aisch. Eum. 905–909). 839 (griech. Text: 838–839): ‚Windhauch‘, wörtl. ‚Lüfte der Winde‘. 840–842 Von Blumen (einschließlich Rosen) und Kränzen als Schmuck Aphrodites ist bereits in dem Epos Die Kyprien die Rede (frr. 4 f. PEG = 5 f. West); vgl. auch Sappho, fr. 2,6 f. Voigt = Neri. Hier sieht der Chor in der liebreizend geschmückten Aphrodite eine Förderin der Weisheit in Athen, d. h. die das Streben induziert, sich durch Leistungen aller Art auszuzeichnen (843–845).
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Drittes Stasimon: 843–853
und sende sie Eroten, die bei der Weisheit sitzen, Mitwirker in jeder Art des Sich-Auszeichnens.
843/4 845
Medea kommt (wahrscheinlich) aus dem Haus. Wie wird die Stadt heiliger Ströme oder das Land, das Freunden Geleit gibt, dich, die Kindsmörderin, aufnehmen, die frevelhafte unter den anderen? Bedenke den (tödlichen) Schlag gegen die Kinder, bedenke, was für eine Mordtat du auf dich nimmst! Nein, bei deinen Knien flehen wir dich τᾷ Σοφίᾳ παρέδρους πέμπειν Ἔρωτας, παντοίας ἀρετᾶς ξυνεργούς. πῶς οὖν ἱερῶν ποταμῶν ἢ πόλις ἢ φίλων πόμπιμός σε χώρα τὰν παιδολέτειραν ἕξει, τὰν οὐχ ὁσίαν μέτ᾿ ἄλλων; σκέψαι τεκέων πλαγάν, σκέψαι φόνον οἷον αἴρῃ. μή, πρὸς γονάτων σε πάντᾳ
Strophe 2
850
843/4 845 στρ. β´
850
844 vgl. TrGF V F 897,1 f. παίδευμα δ᾿ Ἔρως σοφίας ἐρατῆς (Housman, ἀρετῆς Hss.) / πλεῖστον ὑπάρχει 846 ἱερῶν ποταμῶν] deskriptiver Genitiv zu πόλις (847); Diggle 1994, 418 f. 847 ἢ πόλις] ἢ ist nach hinten verschoben, gehört vom Sinne her vor ἱερῶν ποταμῶν (846) | +ἢ πόλις ἢ φίλων : ἢ φίλων ἢ πόλις (Hss.) – Nur ἢ πόλις ἢ φίλων ergibt einen Sinn. | φίλων Hss. : θεῶν Kovacs (Loeb u. 1994, 171) – Es kommt auf den Gegensatz von φίλων und παιδολέτειραν (849) an, nur so ergibt die Eingangsfrage (846 ff.) einen Sinn; die παιδολέτειρα verstößt gleichzeitig gegen die Heiligkeit und den Schutz für F r e u n d e. 849 παιδολέτειραν] Das Wort ist vor Euripides nicht belegt. 850 τὰν οὐχ ὁσίαν] Litotes | μέτ᾿ ἄλλων +Hss. : μέταυλον Lueck : μέτ᾿ ἀστῶν Jacobs, Kovacs – Für μέταυλος müsste man eine spezielle Bedeutung für diese Stelle annnehmen (~ μέτοικος), da es für Personen nicht belegt ist; zu μέτ᾿ ἄλλων vgl. Komm. 852 αἴρῃ Elmsley : αἱρῇ Hss. – Die Akzente sind nicht überliefert, αἱρῇ „take to oneself, choose, … prefer“ (LSJ s. v. αἱρέω B. II. 1) gibt keinen Sinn; αἴρῃ (von αἴρω = ἀείρω) kann nach Analogie von ἀείρομαι πόλεμον (LSJ s. v. IV. 4), aber auch analog zu ἀείρομαι ἄχθος (Οr. 3) oder πένθος (Soph. OT 1225) verstanden werden (LSJ s. v. IV. 5 „take upon onself, undergo“), vgl. Mastronarde. 853– 854 πάντᾳ πάντως Diggle (πάντῃ bereits Herwerden) : πάντες πάντως : πάντως πάντες (Hss.); Trikl. – πάντες müsste sich direkt auf die Korintherinnen beziehen und wird sich daher kaum als generalisierendes Maskulinum erklären lassen (λέγων, v. 190, ist anders gelagert); πάντᾳ (πάντῃ) πάντως nur hier in der Dichtung, aber häufiger ab den späteren Werken Platons.
Kommentar
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843–845 Der Text suggeriert die Vorstellung, dass Sophia (‚Weisheit‘) mit den Eroten neben sich thront, ein Bild für: Kenntnis verbunden mit Leidenschaft beim Tun führt zu herausragender Leistung. Vgl. Eur. TrGF V F 661,24 f. „Der andere Eros [sc. die gute Form] führt zu Besonnenheit und Tugend und ist beneidenswert unter den Menschen“; F 897,1 f. „Als Erziehung zur lieblichen Weisheit ist Eros die beste Grundlage“ (Text in TS zu 844); Platon, Symposion 212b3 f. „Für diesen Besitz (u. a. wahre Ausgezeichnetheit, aretē) dürfte man keinen besseren Mitwirker bekommen als Eros.“ Im Unterschied zu den vv. 627–629 im zweiten Stasimon, die sich auf sexuellen und exzessiven Eros beziehen, ist hier vom geistigen Eros und von seinen positiven Wirkungen die Rede. Vgl. zu diesem Kontrast auch Grethlein 2003, 340 f. Wie die Strophe mit einer Höchstleistung der Musen, so schließt die Gegenstrophe mit einer entsprechenden des Eros. 844 ‚Eroten‘: Wie Eros (bei unterschiedlichen Vätern) als Sohn der Aphrodite galt (z. B. Sappho, test. 198 a–c Voigt = fr. 198 a–c Neri; Simonides, fr. 575 PMG; 263 Poltera), so wurde Aphrodite auch als Mutter der Eroten genannt (Pindar, Enkomien, fr. *122,4 f. Maehler), einer pluralisierten Form des Eros. Es wird ihnen hier die gleiche Wirkung wie Eros zugeschrieben; vgl. zu 843–845. 846–855 Strophe 2. In scharfem Kontrast zu der Stimmung des ersten Strophenpaares steht der Zweifel des Chores, wie Medea als Kindsmörderin in dieses Athen passe. Daher folgt am Ende der Appell, die Kinder nicht zu töten. Eine Reaktion Medeas auf diesen Appell gibt es nicht, da unmittelbar nach dem Chorlied Iason erscheint. Vgl. auch Einf., S. 36, Anm. 135. 846–847a (griech. Text: 846) Die Hauptflüsse Athens sind der Kephis(s)os (vgl. zu 835–836) und der Ilis(s)os. Zur Heiligkeit vgl. zu 69; vgl. auch 410. 847b–848 Mit dem Geleit für Freunde bezieht sich der Chor auf ein Verhalten Athens, auf das man dort sehr stolz war, nämlich Freunden Schutz zu bieten. Vgl. u. a. Aischylos’ Hiketiden sowie Euripides’ Hiketiden und Herakliden (bes. 329–332). 850 ‚unter den anderen‘: Der Ausdruck gehört wahrscheinlich eng zu ‚die frevelhafte‘ und bedeutet dann ‚unter den anderen, sc. den Unbefleckten‘ (die in Athen leben). Möglich ist auch, nach ‚die frevelhafte‘ ein Komma zu setzen und den Ausdruck zu ‚aufnehmen‘ (849) zu beziehen, dann sind mit den ‚anderen‘ allgemein die in der Stadt Wohnenden gemeint; Jacobs’ Konjektur ‚unter den Bürgern‘ ist letztlich eine Verdeutlichung der so verstandenen Überlieferung. Weniger wahrscheinlich ist die Deutung ‚unter den anderen Schutzsuchenden‘ (Most 1999, 21–27, bes. 26 f.), da es im Chorlied insbesondere um die Unvereinbarkeit zwischen einer Kindsmörderin und den Vorzügen Athens und seiner Bewohner geht. 851–854 Durch eine anaphorische Aufforderung betonen die Korintherinnen ihren Appell, Medea solle, was sie vorhat, bedenken, um sie dann gleich anzuflehen, den Kindermord nicht zu begehen. 853–854 Ein Beispiel für eine ‚figurative Hikesie‘ (vgl. zu 324–356; 324; 709–710). Der Chor in der Orchestra kann nicht die Knie der auf der Bühne befindlichen Medea umfassen.
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Drittes Stasimon: 854–865
auf jede nur mögliche Weise an, töte deine Kinder nicht!
855
Woher wirst du die Verwegenheit deines Sinnes oder Gegenstrophe 2 die Kraft für deine Hand und dein Herz nehmen, wenn du ihnen die furchtbare Wahnsinnstat zufügst? Und wie willst du, wenn du die Augen auf die Kinder 860 gerichtet hast, ohne in Tränen auszubrechen, ihr Todesschicksal bewirken? Du wirst nicht in der Lage sein, wenn die Kinder flehend dir zu Füßen fallen, deine Hand mit ihrem Blut zu benetzen, dabei standhaft in deinem Herzen. 865 πάντως ἱκετεύομεν, τέκνα {μὴ}φονεύσῃς. πόθεν θράσος ἢ φρενὸς ἢ χειρὶ † τέκνων † σέθεν καρδίᾳ τε λήψῃ δεινὰν προσάγουσα τόλμαν; πῶς δ’ ὄμματα προσβαλοῦσα τέκνοις ἄδακρυν μοῖραν σχήσεις φόνου; οὐ δυνάσῃ παίδων ἱκετᾶν πιτνόντων τέγξαι χέρα φοινίαν τλάμονι θυμῷ.
855 ἀντ. β ´
860
865
855 {μὴ} Brunck – μὴ ist nach μή (853) überflüssig und stört die Responsion mit v. 865. 856–857 † τέκνων † Kovacs : † ἢ φρενὸς … σέθεν † Diggle : † τέκνων σέθεν † van Looy 856 πόθεν Hss. : πῶς δὲ Trikl. – πῶς δὲ wäre metrisch möglich (West 1982, 17 mit Anm. 32 mit Verweis auf Barrett 1964 zu Hipp. 760), der einheitlich überlieferte asyndetisch begründende Anschluss ist vorzuziehen. | θράσος ἢ] ἤ ist nach hinten verschoben wie bei v. 847, statt ἢ θράσος | φρενὸς Hss. : φρεσὶν Beck 857 τέκνων Hss. : τέκνοις Elmsley : vielleicht μένος Kovacs (Loeb) | τέκνων σέθεν Hss. : τεκνοτόνον erwägt Page 858 καρδίᾳ Hss. : καρδίαν Elmsley 860 ὄμματα : ὄμμα (Hss.) – Nur ὄμματα passt metrisch. 862 σχήσεις] ist vermutlich punktuell, wie üblich, nicht durativ. An der (im Aspekt) parallelen Stelle Soph. Ai. 684 wird σχήσει entsprechend auch als ‚turn out‘ verstanden (vgl. auch Stanford 1963 z. St.), also nicht ‚hold‘ (Page), sondern ‚get‘ (vgl. CGL s. v. ἔχω Nr. 6), wörtl. ‚wie wirst du bekommen / erhalten‘; es geht um den Augenblick der Mordtat, die Medea nach Ansicht des Chores nicht über sich bringen wird. | φόνου : φόνον (Hss.) – Vgl. 987 μοῖραν θανάτου u. El. 1290 μοῖραν … φόνου, ein doppelter Akkusativ wäre schwer verständlich (~ ‚wirst du den Mord als tränenloses Teil bekommen‘), vgl. Page, der sich auch zu Recht gegen Hermanns (bei Lesart φόνον) ἄδακρυν μοῖραν σχήσεις = οὐ δακρύσεις ausspricht. | φόνου] φόν͝ου, die zweite Silbe ist kurz (Hiatkürzung), vgl. Hek. 449 ἀφίξομαι; ἢ (Page) 864 χέρα φοινίαν Trikl. : χεῖρα φονίαν od. φοίνιον od. φόνιον Hss. – Triklinios’ Korrektur stellt die Responsion her.
Kommentar
275
856–865 Gegenstrophe 2. Der Chor hat zwar an Medea appelliert, die Kinder nicht zu töten (Strophe 2), nimmt aber darüber hinaus an, dass Medea als Mutter zu dieser Tat gar nicht in der Lage sein wird. 856–859 Das Textverständnis ist durch die Unsicherheit des Wortlauts in den vv. 856 f. belastet; zumeist wird eine Korruptel (unterschiedlichen Umfangs) angenommen, wenngleich der Sinn der Verse im Ganzen trotzdem erkennbar ist. Lediglich Most (1999, 27–35) will den Text halten mit folgendem Verständnis: „Whence, either from your mind or from your children, will you take courage for your hand and heart, supplying a terrible daring [scil. to your hand and heart]?“ (30). Aber die Alternative „from your mind or from your children“ ist kaum plausibel (vgl. auch Mastronarde). Von den zahlreichen Konjekturvorschlägen hat sich bisher keiner durchsetzen können. Für die Übersetzung wurde, damit ein übersetzungsfähiger Text entstand, Kovacs’ Vorschlag zu v. 857 zugrunde gelegt, der mit nur einer, allerdings eingreifenden Änderung einen plausiblen Sinn herstellt. 861–862a ‚ohne in Tränen auszubrechen, ihr Todesschicksal bewirken‘, wörtl.: ‚ohne Tränen das Todes-/Mord-Los bekommen / erhalten‘ (sprachliche Begründung des Textverständnisses in TS zu 862). Es wird diskutiert, ob sich moira (‚Teil‘, ‚Los‘, ‚Geschick‘) auf die Kinder (deren Todesschicksal) oder auf Medea (ihr durch den Mord bedingtes Los) bezieht (vgl. Mastronarde). Jedoch geht es um beides: Die Kinder sind die Opfer, Medea zwar die Täterin, die aber durch den Verlust der Kinder auch selbst leidet. Das ‚Los‘ wird von Medea zugleich den Kindern ‚zugeteilt‘ (wie 1281) und von ihr erlitten. In der Wendung moiran … phonou oszilliert moira zwischen passiv und aktiv, phonos zwischen ‚Tod‘ und ‚Mord‘, wohl aber mit einem Akzent auf ‚Mord‘ (wie 852), weil es in dieser Strophe um die Täterin geht. Ähnlich wird das (wörtl.) ‚Todesgeschick‘ (moiran thanatou, 987) von Medea verhängt, von Kreons Tochter erlitten. 862b–865 Bei der Tötung der Kinder wird sich Medea allerdings nicht beirren lassen (vgl. zu 1271a–1281), und eine Hikesie-Szene, in der die Kinder Medea bittend zu Füßen fallen, gibt es nicht („In a stroke of theatrical genius, the playwright has deliberately avoided a situation where the children fall as suppliants before their mother“, Griffiths 2020, 225 f.). Euripides lässt die Kinder unter der Bedrohung erschreckt und verängstigt, nicht rational reagieren (1271a–1278), aber die Zuschauer werden nicht auch noch mit einer Medea konfrontiert, die eine Supplikation zurückweist.
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Viertes Epeisodion: 866–872
Iason kommt herbei und spricht Medea an. Ia.
Me.
Ια. Μη.
Ich bin da, von dir aufgefordert; denn auch wenn du feindselig gesinnt bist, so würdest du das doch nicht vergeblich verlangen, sondern ich will hören: Was willst du neuerlich von mir, Frau? Iason, ich bitte dich, dass du mir, was ich gesagt habe, nachsiehst. Dass du meinen Zorn erträgst, ist angemessen, da unsere Beziehung viele Liebeserweise als Grundlage hat. Ich habe mit mir selbst ein Gespräch geführt ἥκω κελευσθείς· καὶ γὰρ οὖσα δυσμενὴς οὔ τἂν ἁμάρτοις τοῦδέ γ’, ἀλλ’ ἀκούσομαι· τί χρῆμα βούλῃ καινὸν ἐξ ἐμοῦ, γύναι; Ἰᾶσον, αἰτοῦμαί σε τῶν εἰρημένων συγγνώμον’ εἶναι· τὰς δ’ ἐμὰς ὀργὰς φέρειν εἰκός σ’, ἐπεὶ νῷν πόλλ’ ὑπείργασται φίλα. ἐγὼ δ’ ἐμαυτῇ διὰ λόγων ἀφικόμην
870
870
867 οὔ τἂν Porson : οὐκ ἂν Hss. – οὐκ ἂν … γε ist sprachlich möglich (Homerische Hymnen 19,16 f. οὐκ ἂν τόν γε παραδράμοι ἐν μελέεσσιν / ὄρνις), aber für die Tragiker nicht belegt, und Porsons οὔ τἂν passt besser zu der zur Schau gestellten Großzügigkeit Iasons. | τἂν] In negativen Aussagen „the particle [τοι] loses some of its peculiar flavour, and does little more than add force to the negation“ (GP 543 [11]; vgl. auch 544 [12]). | ἁμάρτοις +(Hss.) : ἁμάρτης – ἁμάρτης (wenn man darin die Konjunktivform ἁμάρτῃς erkennen möchte) wäre homerischer Sprachgebrauch (K.-G. I 218, 3). | τοῦδέ γ’ : τοῦδέ τ᾿ : τοῦδ᾿ ἔτ᾿ – Limitatives γε ergibt hier den besten Sinn. 868 καινὸν] ist der Stellung nach prädikativ zu χρῆμα (‚als Neues‘) und am besten mit einem Adverb zu übersetzen 870 συγγνώμον’] zum abhängigen Genitiv (τῶν εἰρημένων, 869) vgl. K.-G. I 369 f. 871 σ’(Hss.) : γ᾿ – σ’ stellt den notwendigen Bezug zu Iason her | νῷν] dativus auctoris zum Passiv ὑπείργασται 872 ἐμαυτῇ διὰ λόγων ἀφικόμην] zu ἀφικνέομαι mit Dativ und Wendungen wie διὰ λόγων oder ἐς λόγους vgl. LSJ s. v. 3 „of intercourse with others“
Kommentar
277
866–975 Viertes Epeisodion. In diesem Epeisodion kommt die Rachehandlung konkret in Gang, indem Medea genau nach dem von ihr zuvor entworfenen Plan (776–789) vorgeht und Iason sich darauf einlässt. 866–868 Auftritt Iasons. Verhältnismäßig barsch (vgl. die unpersönliche Anrede) fragt er nach dem neuerlichen Begehren Medeas, nicht ohne auf seine Großzügigkeit hinzuweisen, trotz ihrer Feindseligkeit gekommen zu sein; vgl. auch 463 f. – Iason bezeichnet Medea mit derselben Wendung als ‚feindselig‘ die auch Kreon benutzte (323). 867 ‚würdest du das doch nicht vergeblich verlangen‘, wörtl. ‚würdest du das [sc. dass ich komme] doch nicht verfehlen‘. 869–905 Trugrede Medeas. Da Chor und Publikum vorinformiert sind (774 ff.), können die Ausführungen Medeas sogleich als Täuschung Iasons verstanden werden, wenn auch die Raffinesse des Plans jetzt erst offensichtlich wird. Medea gestaltet ihre Rede so, dass sie Iason argumentativ vereinnahmt. Sie verpflichtet ihn schon eingangs zur Nachsicht ihr gegenüber (869–871), trägt dann einen inneren Dialog vor, den sie mit sich geführt habe und der glaubhaft machen soll, wie sie zur ‚Vernunft‘ gekommen sei (872–883), um auf dieser Grundlage dem zuzustimmen, was Iason getan hat, und sich sogar zu entschuldigen, ihn dabei nicht unterstützt zu haben (884–893). Im zweiten Teil der Rede benutzt sie schließlich die Kinder, um auf Iason einzuwirken, indem sie sie dessen rechte Hand anfassen lässt (vgl. zu 899a); dabei setzt sie voraus, der Zwist mit ihm sei bereits beigelegt, bevor er auch nur ein Wort dazu sagen konnte (894–899a). Doch der Auftritt der Kinder hat eine ungeplante Auswirkung, die das Ziel der Rede gefährden könnte, weil Medea wegen des von ihr beschlossenen Todes der Kinder vom Leid überwältigt wird, gelänge es ihr nicht, am Ende ihre Rührung als durch die Versöhnung mit Iason bedingt unverfänglich zu erklären und so noch geistesgegenwärtig zu einem weiteren Baustein ihrer Taktik umzufunktionieren (899b–905). 869 Erst jetzt spricht Medea Iason mit der vermutlich unter den beiden vertrauten Anrede an; vgl. zu 446–464 u. v. 465. 871 Durch ihr früheres Leben in gutem Einvernehmen (13–15) sieht Medea den Boden dafür bereitet, dass sie jetzt Iasons Nachsicht beanspruchen darf. Das griechische Verb bezeichnet in nicht übertragener Bedeutung die Vorbereitung des Ackerlandes für die Einsaat. Dass hier auch eine sexuelle Konnotation vorläge (Mossman mit Verweis auf Hipp. 504 f.), scheint nicht gesichert; vgl. auch Barrett 1964 zu Hipp. 504–5. 872–881 Medea gibt einen inneren Dialog wieder, den sie in der Vergangenheit mit sich geführt haben will, und redet dabei inhaltlich so, als habe sie sich im Sinne Iasons Vorhaltungen gemacht, d. h., sie nutzt Iasons Denkweise als Mittel der Intrige gegen ihn. Mossman stuft diese Form des inneren Dialogs zu Recht als in der griechischen Tragödie singulär ein. – Zur Selbstanrede vgl. auch 402 mit Komm.
278
Viertes Epeisodion: 873–885
und mich gescholten: „Unselige, was bin ich denn nicht bei Verstand und bin denen feindselig gesinnt, die mir Gutes raten, mache mich zur Feindin den Herrschern dieses Landes 875 und meinem Gatten, der für mich tut, was am meisten nützt, indem er eine Königstochter geheiratet hat und Brüder meinen Kindern zeugt? Werde ich da nicht ablassen von meinem Zorn – was ist nur mit mir? –, wo mir doch die Götter Gutes tun? Habe ich nicht Kinder, weiß ich nicht, dass wir aus dem Land 880 verbannt sind und keine Freunde haben?“ Das habe ich bedacht und eingesehen, dass ich ganz unbesonnen und grundlos zornig war. Jetzt also stimme ich dir zu und glaube, dass du vernünftig warst, als du für uns diese Verbindung eingegangen bist, ich aber war un- 885 vernünftig, κἀλοιδόρησα· Σχετλία, τί μαίνομαι καὶ δυσμεναίνω τοῖσι βουλεύουσιν εὖ, ἐχθρὰ δὲ γαίας κοιράνοις καθίσταμαι πόσει θ’, ὃς ἡμῖν δρᾷ τὰ συμφορώτατα, γήμας τύραννον καὶ κασιγνήτους τέκνοις ἐμοῖς φυτεύων; οὐκ ἀπαλλαχθήσομαι θυμοῦ – τί πάσχω; – θεῶν ποριζόντων καλῶς; οὐκ εἰσὶ μέν μοι παῖδες, οἶδα δὲ χθόνα φεύγοντας ἡμᾶς καὶ σπανίζοντας φίλων; ταῦτ’ ἐννοήσασ᾿ ᾐσθόμην ἀβουλίαν πολλὴν ἔχουσα καὶ μάτην θυμουμένη. νῦν οὖν ἐπαινῶ, σωφρονεῖν τέ μοι δοκεῖς κῆδος τόδ’ ἡμῖν προσλαβών, ἐγὼ δ’ ἄφρων,
875
880
885
873 μαίνομαι] ~ ‚nicht bei Verstand‘, „(freq. w. connot. of being stupid)“ CGL s. v. 4 874 βουλεύουσιν +(Hss.) : βουλεύσασιν – Die durative Form verstärkt die schmeichlerische Wirkung. 877 τύραννον] hier (vgl. auch 1356) feminines Substantiv (Königstochter) 878–879 οὐκ … θυμοῦ – τί πάσχω; – θεῶν … καλῶς; Diese Interpunktion von Kovacs ist der traditionellen (οὐκ … θυμοῦ; τί πάσχω, θεῶν … καλῶς;) vorzuziehen, da so θεῶν … καλῶς als unmittelbare Begründung für das Ablassen vom Zorn fungiert. 879 τί πάσχω;] ‚What’s the matter with me?‘ ‚Why do I talk (act) like this?‘ (Collard 2018, 93 f.); vgl. 1049 | θεῶν] einsilbig zu lesen (θ͜͜εῶν) 882 ἐννοήσας +(Hss) : ἐννοηθεῖσ’ +CP 806 – Euripides bevorzugt die mediale Form, die er Medea in den vv. 900 u. 925 gebrauchen lässt; aber auch die aktive Form ist bei ihm belegt (El. 639), sodass kein Grund besteht, diese ‚lectio difficilior‘ hier zu verwerfen. 884 τέ μοι +Lascaris : τ᾿ ἐμοὶ (Hss.) – Beides ist möglich, aber der Akzent liegt eher auf dem jetzt zugestandenen σωφρονεῖν als auf ἐμοὶ. 885 ἡμῖν προσλαβών] vgl. Hipp. 1011; Soph. OC 378, „the verb here means not ‘take in addition’ (v. Hipp. 1011) but ‘take to oneself’ “ (Page)
Kommentar
279
873–874 ‚nicht bei Verstand‘: Iason hatte Medea nur für töricht erklärt (457), Medea übertreibt jetzt, indem sie sich geradezu als verrückt bezeichnet (vgl. Mossman), ironischer- und zugleich raffinierterweise in dieser streng rational kontrollierten Trugrede. 874–878 Medea übernimmt hier uneingeschränkt die Position Iasons, seine Vorwürfe (448–458; 589b–590; 615; 866), sein auf Nutzen gerichtetes Denken (567; 572; 601 f.), seine Begründung der neuen Ehe (559–567; 595–597). 876 ‚Gatten‘: Ob die Bezeichnung hier ironisch belastbar ist (Mossman), ist fraglich, da Medea Iason z. B. auch in den vv. 229; 310; 690 so nennt. 877–878 Medea referiert gegenüber Iason den von ihm entwickelten Zukunftsplan, was dem informierten Chor und dem Publikum angesichts von Medeas Mordplänen in Bezug auf die Königstochter und die eigenen Kinder als besonders hinterhältig erscheinen muss. 879 Zum Zorn Medeas vgl. in der Sache Iason in den vv. 590 u. 615; die Taten Iasons stilisiert Medea ironisch zu einer Gunst der Götter hoch; vgl. auch das ‚Glück‘ Medeas, v. 602 (Mossman). 880–881 Die Verse nehmen Bezug auf Iasons Angebot in den vv. 610–613. 880 Medeas Frage, ob sie nicht Kinder habe (sc. für die sie sorgen müsse), lässt das vorinformierte Publikum an den bevorstehenden Tod der Kinder denken. Während in der Vereinbarung mit Aigeus die Verbannung der Kinder keine Rolle für Medea spielte, steigert Medea hier damit die Plausibilität ihres angeblichen Umdenkens. ‚Land‘: Wahrscheinlich bezieht sich Medea auf Iasons Klage über ‚seinen‘ Flüchtlingsstatus zurück (551–554), mit ‚wir‘ sind also Iason und Medea gemeint, und das Land ist dasjenige, aus dem beide geflohen sind, in dem Iolkos liegt (vgl. 6–11; 551), d. h. Thessalien; so auch das Scholion zu v. 880 u. Tedeschi zu 880; Martina III zu 880–1. 884–885 Zu Iasons Argumenten zur ‚Vernünftigkeit‘ der Eheschließung zugunsten auch Medeas vgl. vv. 549; 559 f.
280
Viertes Epeisodion: 886–893
die ich an deinen Plänen hätte Anteil nehmen sollen, sie mit vollenden, am Hochzeitslager stehen und mich am Umsorgen deiner Braut erfreuen. Aber wir sind, was wir sind – ich will nicht sagen, ein Übel – eben Frauen. Nicht sollst du also boshaften Menschen gleich werden und nicht Unkluges mit Unklugem vergelten. Ich bitte um Verzeihung und gebe zu, dass ich damals töricht war, aber mir diese Sache jetzt besser überlegt habe. ᾗ χρῆν μετεῖναι τῶνδε τῶν βουλευμάτων καὶ ξυμπεραίνειν καὶ παρεστάναι λέχει νύμφην τε κηδεύουσαν ἥδεσθαι σέθεν. ἀλλ’ ἐσμὲν οἷόν ἐσμεν, οὐκ ἐρῶ κακόν, γυναῖκες· οὔκουν χρή σ’ ὁμοιοῦσθαι κακοῖς, οὐδ’ ἀντιτείνειν νήπι’ ἀντὶ νηπίων. παριέμεσθα καί φαμεν κακῶς φρονεῖν τότ’, ἀλλ’ ἄμεινον νῦν βεβούλευμαι τάδε.
890
890
887–888 {…} Camozzi; vgl. Komm. 887 {…} Nauck; Müller 1951, 81; vgl. Komm. | ξυμπεραίνειν +(Hss.) : ξυγγαμεῖν σοι – ξυμπεραίνειν sc. τὰ βουλεύματα (vgl. 886), die in der Durchführung der Hochzeit bestehen; ξυγγαμεῖν σοι ist ein untauglicher Versuch, ξυμπεραίνειν zu verdeutlichen, das Wort kommt in klassischer Zeit nicht vor und müsste im Übrigen bedeuten ‚Mit-Ehemann (bzw. ‚Mit-Ehefrau) sein‘, was aus der Perspektive Medeas absurd wäre (vgl. Page). 888 κηδεύουσαν] trotz ᾗ (886) angepasst an den Infinitv ἥδεσθαι (vgl. zu 661) 889 οἷόν ἐσμεν] „Tautologischer Vergleichssatz mit der Bedeutung: ‚wie es tatsächlich der Fall ist‘ “ (Fehling 1969, 293) 890 οὔκουν] Der Akzent liegt (anders als bei οὐκοῦν) auf der Negation; GP 430; 439 (4) „Οὔκουν (negative) in statements.“; 440 f. | χρή : χρῆν (Hss.) – χρῆν (vielleicht induziert durch χρῆν, 886) implizierte, dass sich Iason bereits in dieser Weise verhalten hätte, was für die Taktik Medeas kontraproduktiv wäre; vgl. Mastronarde. | κακοῖς +Hss. : φύσιν Stadtmüller, Kovacs (vgl. Eur. Andr. 354) – Der überlieferte Text ergibt einen guten Sinn (vgl. Komm. zu 890b), sodass trotz der Parallele die Übernahme der Konjektur nicht notwendig ist. 891 ἀντιτείνειν] ist transitiv mit νήπι(α) als Objekt (vgl. Mastronarde, anders Page) 892 παριέμεσθα] zur Bedeutung vgl. LSJ s. v. παρίημι VI. 2 893 τάδε : τόδε +(Hss.) – Die vorausgehenden Plurale sprechen eher für τάδε (innerer Akkusativ).
Kommentar
281
886–888 Bei ihrer angeblichen Selbstkorrektur steigert sich Medea bis zu der irrealen Vorstellung, wie sie an Iasons so großartiger Konzeption hätte mitwirken sollen. Insbesondere eine Teilhabe an Iasons Plänen (547–567) wäre jedoch gar nicht möglich gewesen (vgl. 585–590). Aber das ist wohl kein zureichender Grund, die vv. 887 f. (Camozzi) oder 887 (Nauck; Müller 1951, 81) zu tilgen; wenn doch, scheint am ehesten v. 887 (ausgerechnet Medea in der Rolle einer Person, die sich um die Braut kümmert) suspekt, aber ohne ‚mitvollenden‘ (887) wirkt v. 886 etwas dürftig, und das Hyperbolische ist wohl intendiert. 887–888 Medea spricht hier, als stelle sie sich vor, sie hätte als Brautführerin (nympheutria) agieren können, welche die Braut zum Hochzeitslager führt (vgl. Reinsberg 1989, 58; 62), vielleicht auch wie eine Mutter des Bräutigams (wie es sich Medea für ihre Söhne vorstellt: 1026 f.) oder auch als Mutter der Braut, die die Hochzeit zu arrangieren hilft (vgl. Page). – In dieser Konstruktion ist sie gleichzeitig Ehefrau Iasons (vgl. ‚für uns‘, 885) und gibt sie diese Stellung auf, wenn sie sich vorstellt, sie hätte für Iason die neue Ehe mit arrangieren sollen. 889–890a Um ihren ursprünglichen ‚Irrtum‘ verständlich zu machen, erklärt Medea selbstbezichtigend ihr ‚unvernünftiges‘ Verhalten mit der Wesensart der Frauen, wie diese Art zuvor – wegen deren Fixierung auf die Ehe – im Grundsatz Iason eingeschätzt hatte (569–575), wenn Medea auch Iasons Einstufung der Frauen als Übel (575) abmildert (889). Vgl. auch zu 573–575. 890b Da in den vv. 889–890a Frauen personal als problematische Wesen apostrophiert sind, sind die ‚Schlechten‘ oder besser in moralischem Sinn ‚Boshaften‘ in v. 890b wohl sprachlich als generalisierendes Maskulinum zu verstehen. Iason soll sich also nicht schlechte Menschen (Männer, und vom Kontext her insbesondere Frauen wie Medea) zum Vorbild nehmen, sich in seinem Handeln an sie anpassen. – Bei der nicht auszuschließenden Auffassung des Ausdrucks als Neutrum müsste man übersetzen: ‚Nicht musst du es also (uns) im Schlechten gleichtun‘. 892–893 Die Verse schließen den Ring zum Beginn der Rede (869–871) und markieren so einen Einschnitt. Dass Medea sich jetzt die Sache besser überlegt habe, wie sie sagt, soll Iason natürlich als Umschwenken auf seine Position verstehen, kann aber auch den Nebensinn haben, dass diese Täuschung der bessere Plan sei (Mossman).
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Viertes Epeisodion: 894–903
Kinder, Kinder, hierher, verlasst das Haus, kommt heraus,
895
Die Kinder kommen mit dem Paidagogos aus dem Haus. begrüßt den Vater und sprecht ihn zusammen mit mir an und versöhnt euch zugleich (mit ihm), gebt die frühere Feindschaft gegen einen, der uns wohlwill, auf, zusammen mit der Mutter. Denn wir haben Frieden geschlossen, und der Groll ist weg. Fasst die rechte Hand an! (Medea beginnt zu weinen) Weh mir, wie muss ich an Leid denken, das (noch) verborgen ist. Werdet ihr, meine Kinder, auch noch lange Zeit leben und so euren Arm entgegenstrecken? Ich Unglückliche, wie bin ich zum Weinen geneigt und voller Furcht. ὦ τέκνα τέκνα, δεῦρο, λείπετε στέγας, ἐξέλθετ’, ἀσπάσασθε καὶ προσείπατε πατέρα μεθ’ ἡμῶν καὶ διαλλάχθηθ’ ἅμα τῆς πρόσθεν ἔχθρας ἐς φίλους μητρὸς μέτα· σπονδαὶ γὰρ ἡμῖν καὶ μεθέστηκεν χόλος. λάβεσθε χειρὸς δεξιᾶς· οἴμοι, κακῶν ὡς ἐννοοῦμαι δή τι τῶν κεκρυμμένων. ἆρ’, ὦ τέκν’, οὕτω καὶ πολὺν ζῶντες χρόνον φίλην ὀρέξετ’ ὠλένην; τάλαιν’ ἐγώ, ὡς ἀρτίδακρύς εἰμι καὶ φόβου πλέα.
895
899 899 900
895
900
894 δεῦρο Elmsley : δεῦτε Hss.; CP 467; 688 – δεῦτε ist in tragischer Dichtung sonst nicht belegt (vgl. aber Dodds 1952, 15 mit Verweis auf Aisch. TrGF III2 F **46a, 18 [Satyrspiel]; Renehan 1976, 34 f.) 896–897 διαλλάχθηθ’ ἅμα / τῆς πρόσθεν ἔχθρας ἐς φίλους] διαλλάττομαι (Passiv, LSJ s. v. διαλλάττω III „to be reconciled“) kann nicht den Genitiv ἔχθρας direkt regieren, der ein separativer Genitiv ist, eigtl. ‚versöhnt euch – weg von der früheren Feindschaft gegen einen, der uns wohlwill‘, sc. Iason (φίλους ist poetischer Plural); vgl. Mastronarde. 898 μεθέστηκεν χόλος] Der χόλος hat seinen Platz verändert, d. h., er ist weg (vgl. Mastronarde). 899 λάβεσθε Hss. : λάζυσθε Elmsley (vgl. CP 469 λάζεσθε, Med. 956) – Für das in den Hss. überlieferte λάβεσθε spricht auch der Bezug zu v. 496. 901 οὕτω] bezieht sich auf den ganzen Gedanken, aber wohl insbesondere auf die konkret wahrnehmbare Handlung (vgl. Mossman, Übers.) 902 φίλην] vgl. zu 31 903 ἀρτίδακρύς] „ready to shed tears“; der Bestandteil ἄρτι bedeutet hier nicht „recently“ (wie meist in Wörtern, die mit ἄρτι zusammengesetzt sind), vgl. Page.
Kommentar
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894–895 Ohne Iason Gelegenheit für eine Antwort zu geben und ohne den Übergang zu einem neuen Punkt zu bezeichnen, ruft Medea die Kinder heraus, von denen Chor und Publikum wissen, dass Medea sie als Boten in die Racheplanung eingebaut hat (784) und sie schließlich töten will. Dass die Kinder nicht allein, sondern mit dem Paidagogos aus dem Haus kommen, ergibt sich daraus, dass sie mit ihm von der Königstochter zurückkehren (1002–1004; der Paidagogos verweist mit deiktischem Pronomen auf die Kinder, und sie werden von Medea in den vv. 1021 ff. angesprochen), er also da gewesen sein muss, als Medea die Kinder fortschickt (974 f.). Es ist wohl anzunehmen, dass nach der ersten Vershälfte von v. 895 eine gewisse Zeit vergeht, bis die Kinder herausgekommen sind und die einzelnen Aufforderungen ihrer Mutter hören können. Jedenfalls müssen die Kinder spätestens bei v. 899 bei Mutter und Vater angekommen sein. 896b–897 Dass auch die Kinder von sich aus ihrem Vater feindlich gesinnt sind, war bisher nicht deutlich geworden; jetzt geht Medea davon aus und weist den Kindern die Funktion zu, die familiäre Versöhnung zu intensivieren. 898 ‚Frieden geschlossen‘: spondai sind Trankopfer, die Vertragsabschlüsse begleiten; dasselbe Bild gebraucht der Bote (1140), was dafür spricht, dass das Wort für den gemeinten Sachverhalt nicht „overblown“ ist (so Mossman), sondern auch für die Beilegung privaten Zwists gebraucht werden kann. 899a Das Anfassen der rechten Hand Iasons durch die Kinder wird (faktisch) ebenso zu einem nicht eingehaltenen Versprechen führen, wie es das Anfassen der rechten Hand Medeas durch Iason tat (21 f.; 496). Möglicherweise lässt diese Geste Medea an ihren Racheplan denken und verursacht ihren folgenden Ausbruch (Page): Sie bricht in Tränen aus (vgl. 905). 899b–905 Bei aller raffinierten Taktik, die Medea in ihrer Rede anwendet, um ihren Racheplan zum Erfolg zu führen und Iason maximal zu treffen (817), kann sie die emotionale Bewegung, die angesichts des von ihr beschlossenen Schicksals der Kinder (791–793) und ihres eigenen Leids über sie kommt, nicht unterdrücken. Sie wird die Kinder nicht aus Hass (36) töten, sondern obwohl sie sie liebt (1249 f.). Vgl. auch den Medea-Monolog, vv. 1021–1039. 899b–902a Medea denkt daran, was sie mit den Kindern vorhat, das ihr selbst Leid bereiten wird. Medeas Worte sind für Iason so zu verstehen, dass sie sich Sorgen über die ungewisse Zukunft der Kinder im Exil macht (880 f.). Daher kann Medea die Verse auch für Iason hörbar sprechen und muss es nicht a parte tun; vgl. Bain 1977, 23 f. 901–902a Die Kinder folgen offenbar der Aufforderung ihrer Mutter, und die Geste der Kinder macht ihr bewusst, was sie vorhat zu zerstören. 902b–905 In diesen Versen erscheint Medea zunächst noch vom Leid wegen der Kinder beherrscht (902b–903), fängt sich dann aber und erklärt ihre Tränen als Rührung über die Beilegung des Streits mit Iason (904 f.). 903 ‚Furcht‘: Medea meint hier nicht die ‚frauentypische‘ Furcht (263), wie es Iason vielleicht versteht, sondern sie hat Furcht vor der Tat, zu der sie sich gezwungen sieht; vgl. Mastronarde. – ‚voller Furcht‘ sagt man im Deutschen, im Griechischen heißt es ‚voll von Furcht‘.
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Viertes Epeisodion: 904–910
Nachdem ich endlich den Streit mit eurem Vater ausgeräumt habe, ist mein zartes Gesicht voll von Tränen. 905 Chf. Auch mir quellen aus den Augen helle Tränen; möge doch das Unglück nicht größer werden als das jetzige! Ia. Ich heiße das gut, Frau, und deine frühere Haltung tadle ich nicht; denn es ist verständlich, dass das Frauengeschlecht zornig ist, wenn man noch andere Ehen heimlich eingeht. 910
Χο. Ια.
χρόνῳ δὲ νεῖκος πατρὸς ἐξαιρουμένη ὄψιν τέρειναν τήνδ’ ἔπλησα δακρύων. κἀμοὶ κατ’ ὄσσων χλωρὸν ὡρμήθη δάκρυ· καὶ μὴ προβαίη μεῖζον ἢ τὸ νῦν κακόν. αἰνῶ, γύναι, τάδ’, οὐδ’ ἐκεῖνα μέμφομαι· εἰκὸς γὰρ ὀργὰς θῆλυ ποιεῖσθαι γένος † γάμους παρεμπολῶντος ἀλλοίους πόσει †.
905
910
904 πατρὸς] genetivus obiectivus, vgl. K.-G. I 335 f. | ἐξαιρουμένη Hss. : ἐξαιτουμένη J. U. Powell (CR 22, 1908, 216; vgl. Med. 869; 971) – Die Überlieferung drückt besser den bereits beanspruchten Erfolg aus; vgl. zum Sprachgebrauch Platon, Apologie 19a1; 24a3 (Page). 905 τέρειναν Barnes : τερείνην od. τερεινὴν Hss. – τέρειναν ist die korrekte Form | τήνδ’] zur Beziehung auf die erste Person vgl. Soph. Ant. 43 εἰ τὸν νεκρὸν ξὺν τῇδε κουφιεῖς χερί (K.-G. I 643, 3) 906 ὡρμήθη] ‚tragischer‘ Aorist, vgl. zu 64 907 τὸ +Hss. : τὰ Elmsley – Die Konjektur ist nötig, wenn man μεῖζον adverbial auffassen will (wie z. B. Mossman), wozu nur τὰ νῦν korrespondierte (vgl. K.-G. I 314 f. Anm. 15), nicht τὸ νῦν, wozu κακόν gehört. Hält man die Überlieferung, wogegen nichts spricht, ist μεῖζον prädikativ (vgl. Martina III z. St.), und es liegt die Figur der ‚Versparung‘ (vgl. Kiefner 1964, 14) vor: μὴ (τὸ κακὸν) προβαίη μεῖζον ἢ τὸ νῦν κακόν. 909 ὀργὰς … ποιεῖσθαι] Umschreibung für ὀργίζεσθαι; zu ὀργὴν / -ὰς ποιεῖσθαι ohne ausgedrücktes Objekt vgl. Herodot 7,105; Thukydides 4,122,5. 910 † γάμους … πόσει † Diggle (Text) | γάμους … ἀλλοίους +(Hss.) : γάμου … ἀλλοίου | παρεμπολῶντος Hss. : παρεμπεσόντος (zusammen mit γάμου … ἀλλοίου) Kovacs 1994, 171 f. | ἀλλοίους] ἀλλοῖος ist bei Euripides nur hier belegt, zu einer möglichen negativen Bedeutung vgl. Herodot 5,40,1; Polybios 2,50,8. | πόσει Hss. : ἐμοῦ Schauspieler lt. Σ : λέχει (vgl. Eur. El. 1033) od. δόμοις Diggle (im Apparat seiner Ausgabe) – vgl. ETS zu 910, S. 432 f.
Kommentar
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905 Der Singular des griech. Wortes (opsis) spricht dafür, dass Medea das Gesicht bezeichnet und nicht die Augen (wie z. B. Soph. Ant. 51 f. [Plural]), und zwar ihr eigenes, nicht das der Kinder (so aber Page; Martina III z. St.), denn sie selbst weint (903; vgl. auch 922). 906–907 Zwischenverse der Chorführerin. Sie spricht für die Korintherinnen, für die es unverfänglich ist, die Emotion Medeas zu teilen, gleichgültig, ob sie die in den vv. 902b–905 gegebene Erklärung Medeas durchschauen oder nicht. Mit v. 907 will sie wohl die Hoffnung äußern, dass Medea ihren Plan nicht weiterverfolgt, drückt sich aber, zu Medea loyal, so aus, dass Iason nicht gewarnt wird. Er kann die Aussage auf die Sorge um die Kinder im Exil beziehen. 906 ‚helle Tränen‘: Das griechische Adjektiv chlōros wird u. a. für das Aussehen von Tautropfen verwendet; vgl. Soph. Trach. 847 f. u. Irwin 1974, 52 f. 908–975 Dialog Iason – Medea. Er entwickelt sich in zwei thematisch verschiedenen Schritten: (1) Iason genießt seinen ‚Sieg‘ über die scheinbar vernünftig gewordene Medea, legt erneut seine dynastischen Pläne dar, wobei Medea zum zweiten Mal unfreiwillig in Tränen ausbricht (wissend, dass es diese Zukunft für die Kinder nicht geben wird) und daher ihr Verhalten auf unverdächtige Weise erklären muss (908–931). (2) Medea bringt ihr ‚Anliegen‘ vor, die Kinder vor dem Exil zu bewahren; dazu schlägt sie eine Einbeziehung der Königstochter vor und setzt gegen Iasons Willen durch, dass die Kinder die (vergifteten) Geschenke überbringen (932–975). In beiden Dialogteilen erweist sich Medea als Iason überlegen, der die Intrige trotz Medeas neuerlicher emotionaler Krise nicht durchschaut. Sie selbst leidet dabei unter dem Gegensatz zwischen rationaler Racheplanung, die die Simulation einer einsichtsvollen Zustimmung zu Iasons Plan erfordert, und der aufbrechenden Mutterliebe. 908–913 Iason redet Medea wiederum nicht mit Namen an (vgl. 868), aber er geht großzügig über ihre frühere Haltung (447; 870) hinweg, für die er jetzt Verständnis zeigt; dabei verharmlost er unwissentlich, was Medea über eine in ihrer Ehe gekränkte Frau gesagt hatte (265 f.), benennt den Ausgangspunkt der Entzweiung allgemein und vermeidet so das konkrete Geständnis ‚I c h habe dich mit einer neuen Ehe hintergangen‘ (ähnlich schon die Verallgemeinerung 569–573). Wie sehr Medeas Täuschung gelungen ist, zeigt sich daran, dass er mit Stolz und von oben herab ihren ‚Sinneswandel‘ zur Vernunft taxiert und ihre Anerkennung seines nun, wie er glaubt, als siegreich erwiesenen Plans genießt, nicht ohne den Seitenhieb, dass sie dazu doch einige Zeit gebraucht habe. – Es ist für die Einschätzung der Figur Medea wichtig zu sehen, wie sie gegenüber solchen herablassenden Äußerungen Iasons die Fassung bewahren kann, aber nicht, als sie an den bevorstehenden Tod der Kinder denken muss (922–931). 908 Euripides lässt Iason seine Antwort auf Medeas Trugrede mit bewusst gestalteten Worten beginnen (mit einem Chiasmus; vgl. Tedeschi), womit schon formal sein Überlegenheitsgefühl zum Ausdruck kommt. 909–910 Der Text in v. 910 ist offenbar korrupt und noch nicht sicher hergestellt (vgl. im Einzelnen ETS zu 910, S. 432 f.); jedoch dürfte der Sinn dessen, was Euripides Iason sagen lassen will, mit der Übersetzung getroffen sein. ‚andere Ehen‘: poetischer Plural, wodurch zugleich die konkrete Schuld ver-
286
Viertes Epeisodion: 911–917
Aber dein Sinn hat sich zum Besseren gewandelt, und du hast, wenn auch spät, erkannt, welcher der überlegene Plan ist; so handelt eine vernünftige Frau. Und euch, meine Söhne, hat der Vater sehr umsichtig mit der Götter Hilfe ein großes Maß an Sicherheit geschaffen: 915 Denn ich glaube, dass ihr in diesem korinthischen Land künftig den ersten Rang einnehmen werdet zusammen mit euren Brüdern. ἀλλ’ ἐς τὸ λῷον σὸν μεθέστηκεν κέαρ, ἔγνως δὲ τὴν νικῶσαν, ἀλλὰ τῷ χρόνῳ, βουλήν· γυναικὸς ἔργα ταῦτα σώφρονος. ὑμῖν δέ, παῖδες, οὐκ ἀφροντίστως πατὴρ πολλὴν ἔθηκε σὺν θεοῖς σωτηρίαν· οἶμαι γὰρ ὑμᾶς τῆσδε γῆς Κορινθίας τὰ πρῶτ’ ἔσεσθαι σὺν κασιγνήτοις ἔτι.
915
911 λῷον] wird in tragischer Dichtung als Komparativ von ἀγαθόν benutzt (LSJ s. v. λωΐων I) | μεθέστηκεν (Hss.) : καθέστηκεν – Sprachlich ist beides möglich, doch kommt es Iason sicher eher auf die Meinungsänderung als auf den bloß eingetretenen Zustand an; vgl. 898. 912 ἀλλὰ τῷ χρόνῳ] zu diesem Gebrauch von ἀλλά („ ‘At least.’ ‘At any rate.’ “) vgl. GP 13 (3) | τῷ +(Hss.) : νῦν : σὺν Porson – zu τῷ χρόνῳ statt bloßem χρόνῳ oder σὺν χρόνῳ vgl. z. B. Soph. El. 1013 913 {…} Lenting, Müller 1951, 81 – Es gibt zwar ἡ νικῶσα (sc. γνώμη) ohne ausgedrücktes oder aus dem Vorausgehenden zu ergänzendes Bezugswort (Xenophon, Anabasis 6,1,18; 6,2,12 ἐκ τῆς νικώσης, aber Herodot 7,175,1 ἡ νικῶσα … γνώμη), sodass so gesehen βούλην entbehrlich wäre, jedoch passt v. 913b sehr gut zum paternalistischen Ton Iasons; vgl. Page. 915 ἔθηκε … σωτηρίαν] vgl. zu 66 | σωτηρίαν : προμηθίαν +(Hss.) – προμηθίαν harmoniert nicht mit ἔθηκε, es müsste ἔθετο heißen, außerdem entstünde mit οὐκ ἀφροντίστως (914) eine Tautologie (vgl. v. Arnim 1886 z. St.). 917 τὰ πρῶτ’] ist prädikativ (K.-G. I 63) zu ὑμᾶς (916); zum Gebrauch bei Personen vgl. Herodot 6,100,3 (LSJ s. v. πρότερος B. II. 3); Collard 2018, 168
Kommentar
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schleiert wird. Für ‚andere‘ ist hier nicht allos, sondern alloios gebraucht, das auch eine pejorative bis sinistre Bedeutungsnuance haben kann. Das meint Iason in seiner verharmlosenden Art sicher nicht, lediglich das Publikum in Kenntnis der Folgen von Iasons neuer Ehe könnte den Ausdruck in negativer Bedeutung verstehen. ‚heimlich eingeht‘: das griechische Wort (parempōlaō) bedeutet eigtl. ‚einen unkorrekten Handel betreiben‘, ‚einschmuggeln‘. Mit der Metapher will Iason eher die Heimlichkeit des Vorgehens bezeichnen, als dass er die neue Ehe hier als „a business deal“ (so Mossman) charakterisieren wollte (allenfalls als dramatische Ironie könnte man seine Aussage so verstehen; 551–565). 911–913 Iasons Plan: 551–567; Medeas Einlenken: 882–893. 911 ‚Sinn‘, wörtl. ‚Herz‘, das hier als Sitz sowohl der emotionalen als auch der mentalen Fähigkeiten zu verstehen ist. 913b Wenn Iason sich zufrieden zeigt, dass Medea die Überlegenheit seines Plans endlich eingesehen habe, geht er vielleicht auch von der Vorstellung aus, dass eine Frau der Planung des Mannes vernünftigerweise folgt. So hat Andromache in Euripides’ Tragödie die Maxime, sich dem Mann zu fügen, verinnerlicht: „Denn eine Frau muss, auch wenn sie einem Gatten niedriger Herkunft gegeben wurde, / ihn respektieren und darf nicht mit ihm in ihrem Stolz streiten wollen“ (Andr. 213 f.; vgl. Mastronarde). ‚vernünftige‘: Iason billigt jetzt diese Eigenschaft Medea zu, die sie ihm (in täuschender Absicht) zugestanden hatte im Gegensatz zu ihrer früheren Unvernunft (884 f.). Mit demselben Wort (sōphrōn) hatte er sich bei ihrer ersten Begegnung charakterisiert, dort mit der Nuance des Maßvollen (vgl. zu 549). 914–921 Iason spricht auch seine Kinder an, die aufgrund der Taktik Medeas vermutlich noch nahe beim Vater stehen (vgl. auch zu 924). Seine zukunftsgerichtete Projektion ergibt vor dem Hintergrund, dass Chor und Zuschauer wissen, dass die Kinder bald sterben werden, eine durchgehende dramatische Ironie. – Wenn Iason behauptet, für die Kinder ein großes Maß an Sicherheit geschaffen zu haben, so besteht sie in nichts anderem als in seinem Glauben, dass sie nach seinen dynastischen Plänen einmal in Korinth eine führende Rolle spielen werden (vgl. zu 559–567a), und in seinem Wunsch, sie möchten gut ins Erwachsenenalter kommen. Es besteht kein Grund anzunehmen, es sei ihm mit diesem Plan nicht ernst; aber auch hier gibt er keinen Hinweis, wie dieser Plan mit den Kindern im Exil realisiert werden soll. Iason sieht nur die möglichen Vorteile für sich, ohne die Schwierigkeiten der Kinder im Exil (von dem er noch ausgeht) zu bedenken. Anscheinend glaubt er, mit etwas Geld sei es getan (610–613). 914 ‚sehr umsichtig‘, Litotes, wörtl. ‚nicht gedankenlos‘. Iason pocht auf seine Klugheit (548; 567). 915 ‚großes Maß an Sicherheit‘: Iason glaubt sich dabei von den Göttern unterstützt. Hier ist die dramatische Ironie auf die Spitze getrieben. Auf die Götter beruft sich für ihren Plan auch Medea (802; 1013), nur sie hat aber ‚Erfolg‘.
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Viertes Epeisodion: 918–924
Nun, wachst heran! Das Übrige besorgt der Vater und von den Göttern, wer uns wohlgesinnt ist. Mein Wunsch ist zu sehen, wie ihr gut geraten erwachsen werdet, meinen Feinden überlegen.
920
Medea hat sich weinend abgewandt. Du da! Warum benetzt du deine Augen mit hellen Tränen, hast deine weiße Wange weggedreht und nimmst meine Worte nicht freudig auf? ἀλλ’ αὐξάνεσθε· τἄλλα δ’ ἐξεργάζεται πατήρ τε καὶ θεῶν ὅστις ἐστὶν εὐμενής. ἴδοιμι δ’ ὑμᾶς εὐτραφεῖς ἥβης τέλος μολόντας, ἐχθρῶν τῶν ἐμῶν ὑπερτέρους. αὕτη, τί χλωροῖς δακρύοις τέγγεις κόρας, στρέψασα λευκὴν ἔμπαλιν παρηίδα, κοὐκ ἀσμένη τόνδ’ ἐξ ἐμοῦ δέχῃ λόγον;
920
918 ἐξεργάζεται] Präsens, das die Zukunft einschließt wie in der Orakelsprache (K.-G. I 138 a) 920 τέλος] zum bloßen Akkusativ vgl. zu 7 922 αὕτη : αὐτὴ +(Hss.) – Der Sinn erfordert die Akzentuierung αὕτη. | αὕτη] Ausruf (K.-G. I 46, 4), der aber zugleich vokative Funktion hat (kolloquial, Collard 2018, 86) 923 {…} Hartung (vgl. {1006}, 1148) – vgl. Komm.; zu v. 1006 vgl. zu 1006–1007 (TS u. Komm.)
Kommentar
289
918 ‚Das Übrige‘: Vielleicht ist damit die von Iason intendierte dynastische Verbindung mit den noch zu zeugenden Brüdern gemeint (917); er nimmt es als selbstverständlich an, dass er Söhne bekommen wird. – Die vorhandenen Söhne sollen nach Iasons Vorstellungen offenbar in der Ferne ohne Betreuung durch den Vater erwachsen werden. 920–921a ‚erwachsen werdet‘, wörtl. ‚die Vollendung des Jugendalters erreicht‘, die Söhne also zu selbstständig handelnden Männern werden. 921b Iason vertritt (für seine Söhne) im Grunde dieselbe Maxime wie Medea, die von ihren Feinden nicht verlacht werden, also ihnen nicht unterlegen sein will (404; 797; vgl. auch 1355; 1362). 922–931 Mit Iasons Feststellung, dass Medea weint, obwohl er doch gerade eine so positive Zukunftsperspektive für die Kinder entwickelt, wird das Gespräch der beiden zunächst in eine andere Richtung gelenkt. Offenbar hat Iasons Zukunftsvision bei Medea einen Reflex der Trauer ausgelöst, da sie weiß, dass sie die Kinder töten wird, und sie ist gezwungen, zur Durchführung ihres Plans ihre Tränen gegenüber Iason unverfänglich zu erklären. 922–924 Die unfreiwilligen Tränen Medeas sind, wie sie selbst sagen wird (930 f.), durch den eben geäußerten Wunsch Iasons (920 f.) ausgelöst, könnten sich aber schon, seit sich Iason den Kindern zugewandt hat (914 ff.), angebahnt haben (Martina III zu 922–4). Denkbar ist, dass der Schauspieler der Medea durch eine Körperdrehung ihre emotionale Bewegung angedeutet hat. 922 ‚Du da!‘: Iason hat bemerkt, dass sich Medea von ihm abgewendet hat, und fordert recht brüsk ihre Aufmerksamkeit ein. – Da die Maske des Schauspielers verhindert, dass Tränen oder auch nur ein trauriger Gesichtsausdruck der Figur zu sehen sein können, wird die Gefühlsregung benannt und die Zuschauer sind aufgefordert, sich Medea als weinend vorzustellen. Vgl. auch 905. ‚mit hellen Tränen‘: vgl. zu 906. 923 Der von Hartung getilgte Vers entspricht v. 1148, ist aber nicht mit ihm völlig identisch. V. 1148 ist fest im Kontext verankert (wird allerdings von Müller 1951, 81, angezweifelt), aber auch v. 923 ist motiviert, weil Medea ihre unfreiwilligen Tränen vor Iason verbergen will. Zum Verhalten des Sich-Abwendens bzw. Nicht-Zuwendens vgl. (außer v. 1148) die vv. 30; 1152. ‚weiße‘: Zu diesem Schönheitsmerkmal vgl. Komm. zu 30. 924 Iason hat zwar zuletzt zu den Kindern gesprochen, betrachtet aber offenbar Medea als eigentliche Adressatin seiner Worte.
290 Me. Ia. Me. Ia. Me.
Μη. Ια. Μη. Ια. Μη.
Viertes Epeisodion: 925–931
Es ist nichts; ich machte mir Gedanken über diese Kinder. Sei zuversichtlich! Ich werde es ja für sie gut einrichten. Das will ich sein; deinen Worten vertraue ich völlig. Aber die Frau ist ein weiches Wesen und neigt zu Tränen. Warum klagst du dann so sehr um diese Kinder? Ich gebar sie; und als du wünschtest, sie möchten leben, überkam mich Mitleid mit ihnen, ob das geschehen werde.
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οὐδέν· τέκνων τῶνδ’ ἐννοουμένη πέρι. θάρσει νυν· εὖ γὰρ τῶνδ’ ἐγὼ θήσω πέρι. δράσω τάδ’· οὔτοι σοῖς ἀπιστήσω λόγοις. γυνὴ δὲ θῆλυ κἀπὶ δακρύοις ἔφυ. τί δῆτα λίαν τοῖσδ’ ἐπιστένεις τέκνοις; ἔτικτον αὐτούς· ζῆν δ’ ὅτ’ ἐξηύχου τέκνα, ἐσῆλθέ μ’ οἶκτος, εἰ γενήσεται τάδε.
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930
930
925–931 Zu Ladewigs Versetzung der vv. 929–931 nach v. 925 (so u. a. auch Dyson 1988 u. Kovacs) vgl. die Einzelinterpretation der vv. 925–931, außerdem wäre τοῖσδ’ … τέκνοις (929) unmittelbar nach τέκνων τῶνδ’ (925) ungewöhnlich (es müsste, analog zur Folge 925, 926, τέκνοις fehlen). Vgl. auch die überzeugenden Ausführungen Mastronardes zu 925–31. 925 οὐδέν] vgl. zu diesem Ausdruck für eine ausweichende Antwort v. 64 (Tedeschi) 926 τῶνδ’ ἐγὼ θήσω +CP 761 : τῶνδε θήσομαι : τῶνδε νῦν θήσομαι : τῶνδε νῦν θήσω : τῶνδε θήσομεν Diggle – Die Reaktion Medeas spricht für eine Verbform in der 1. Person Sg., die Haltung Iasons im Kontext für ἐγὼ; vgl. auch Page; Mastronarde sowie Diggles Diskussion der Überlieferungsproblematik (1994, 262–265). | πέρι Hss. : βίον Leo – Dass ein Objekt fehlt, ist zwar ungewöhnlich, doch wird das Verständnis dadurch nicht gestört (vgl. Mastronarde); πέρι (926) könnte allerdings durch πέρι (925) induziert worden sein und ein sachliches Objekt verdrängt haben, es könnte aber auch eine absichtliche Aufnahme von πέρι (925) sein; zu Leos Konjektur vgl. Komm. 927 οὔτοι (Hss.) : οὔτι +CP 767 – vgl. zu 44 928 θῆλυ] Das Subjekt wird als etwas Allgemeines gefasst, daher Neutrum (K.-G. I 58 f.); zur Bedeutung vgl. LSJ s. v. θῆλυς II. 2. 929 δῆτα λίαν : δὴ τάλαινα (Hss.) – Iason reagiert auf Medeas völlige Zustimmung in v. 927 und hat dann Anlass, überrascht zu folgern (zu τί δῆτα vgl. GP 270 [1]), warum sie dann trotzdem über die Kinder klage, wo doch alles in Ordnung sei; das passt zum Kontext besser als die andere Lesart. | τοῖσδ’ : τοῖς : σοῖς – τοῖσδ’ nimmt das deiktische τῶνδ’ (925) auf, σοῖς wäre in diesem Kontext für Iason kontraproduktiv. 930 ἐξηύχου Scaliger : ἐξηύχουν +(Hss.) : ἐπηυχόμην – ἐξηύχουν kommt von ἐξαυχέω, ‚prahlen‘, aber auch ‚mit Zuversicht sprechen‘ (Soph. Ant. 390; Phil. 869), doch fügt sich die 1. Person nicht in den Kontext, da nicht Medea, sondern Iason sich zuversichtlich geäußert hat (920 f.); Scaligers Konjektur (ἐξηύχου von ἐξεύχομαι) ergibt den erforderlichen Sinn; ἐπηυχόμην ist metrisch und sachlich unpassend. 931 ἐσῆλθέ μ’] Akkusativ wie Herodot 6,125,5
Kommentar
291
925–931 Die überlieferte Versfolge, die einen sinnvollen Text ergibt, ist verschiedentlich angezweifelt worden. Ladewig hat nach v. 925 die vv. 929– 931 und danach vv. 926–928 platziert und dafür einige Nachfolger gefunden. Zwar ergibt sich dadurch ein nachvollziehbarer Gesprächsverlauf zwischen den vv. 930 f. und dem anschließenden v. 926, aber bei der überlieferten Folge erhält Iasons Nachfrage in v. 929 ein ganz anderes Gewicht, weil er sich verwundern kann, warum sich Medea trotz ihres ihm gegenüber bekundeten Vertrauens so verhält; vgl. auch die folgenden Einzelbemerkungen. 925–926 Medea, ertappt bei einer Regung, die sie nicht zeigen wollte, tut erst so, als sei nichts (vgl. v. 64), und schiebt dann als Erklärung ihrer Tränen Gedanken an die Kinder nach. Die kann Iason als Medeas Sorge um deren Zukunft im Exil verstehen, die er mit seiner Aufmunterung und einem erneuten Versprechen zu zerstreuen sucht. 926 Der Text zwingt nicht zu einer Änderung, doch gäbe Leos Vorschlag, am Ende des Verses statt ‚es … für sie‘ (das in der Übersetzung für ein nicht ausgedrücktes Objekt steht) ‚Leben‘ zu konjizieren, einen Sinn voll makabrer dramatischer Ironie (vgl. Diggle 1994, 265): ‚Ich werde ja ihr Leben gut einrichten‘. 927–928 Auf Iasons Ermunterung und Zusicherung lässt sich Medea sofort ein, bestreitet ein Misstrauen gegenüber Iason und schiebt zur Bekräftigung noch einen weiteren Grund für ihre Tränen an, nämlich die seinerzeit gängige und daher Iason vermutlich einleuchtende Meinung, dass Frauen überhaupt zu Tränen neigen; vgl. dazu Andr. 91–95; HF 534–537; Soph. Ai. 579 f.; Aristoteles, Historia animalium 608b8 f. 927 ‚Das will ich sein‘, sc. zuversichtlich (926). Wörtl.: ‚Das werde ich tun‘ (drasō), aber das verträgt sich im Deutschen schlecht mit ‚zuversichtlich‘. ‚vertraue ich völlig‘, wörtl. ‚misstraue ich gewiss nicht‘ (Litotes). 929–931 Iason geht über den Topos in v. 928 hinweg und fragt noch einmal – vermutlich irritiert – nach dem Motiv für Medeas Emotion, da sie versichert hat, dass sie ihm vertraut. Sie reagiert auf zweifache Weise. Einerseits führt sie ihre Tränen auf Iasons Wunsch zurück (920 f.), der sie als Mutter mit Sorge erfüllt. Sie nennt also als Grund die für Iason nicht durchschaubare Wahrheit; der kann weiterhin Medeas Befürchtungen auf das Ergehen der Kinder im Exil beziehen. Andererseits bricht sie die für sie gewiss unangenehme Diskussion über ihre Tränen ab, indem sie zu ihrem eigentlichen Anliegen übergeht (932 ff.).
292
Ia. Me. Ia.
Ια. Μη. Ια.
Viertes Epeisodion: 932–944
Aber weswegen du zum Gespräch mit mir gekommen bist, davon ist das eine gesagt, das andere werde ich zur Sprache bringen: Da der König des Landes beschlossen hat, mich auszuweisen – auch für mich ist es das Beste, ich weiß es wohl, weder 935 dir noch dem Herrscher des Landes im Weg zu stehen und hier zu wohnen; denn ich gelte als Feindin des Herrscherhauses –, gehe ich weg aus diesem Land, weil ich verbannt wurde; damit aber die Kinder von dir erzogen werden können, bitte Kreon, dass sie aus diesem Land nicht verbannt werden. 940 Ich weiß nicht, ob ich ihn dafür gewinnen kann, aber man muss es versuchen. Dann sag du doch deiner Frau, sie solle ihren Vater anflehen, dass die Kinder nicht aus diesem Land verbannt werden. Ja, das tue ich; und ich glaube, dass ich sie gewinnen werde. ἀλλ’ ὧνπερ οὕνεκ’ εἰς ἐμοὺς ἥκεις λόγους, τὰ μὲν λέλεκται, τῶν δ’ ἐγὼ μνησθήσομαι· ἐπεὶ τυράννοις γῆς μ’ ἀποστεῖλαι δοκεῖ – κἀμοὶ τάδ’ ἐστὶ λῷστα, γιγνώσκω καλῶς, μήτ’ ἐμποδών σοι μήτε κοιράνοις χθονὸς ναίειν· δοκῶ γὰρ δυσμενὴς εἶναι δόμοις –, ἡμεῖς μὲν ἐκ γῆς τῆσδ’ ἀπαίρομεν φυγῇ, παῖδες δ’ ὅπως ἂν ἐκτραφῶσι σῇ χερί, αἰτοῦ Κρέοντα τήνδε μὴ φεύγειν χθόνα. οὐκ οἶδ’ ἂν εἰ πείσαιμι, πειρᾶσθαι δὲ χρή. σὺ δ’ ἀλλὰ σὴν κέλευσον ἄντεσθαι πατρὸς γυναῖκα παῖδας τήνδε μὴ φεύγειν χθόνα. μάλιστα· καὶ πείσειν γε δοξάζω σφ’ ἐγώ.
935
940
934 ἀποστεῖλαι (Hss.), Trikl. : ἀποστέλλειν – Der effektive Aspekt ist hier angemessener. 938 ἀπαίρομεν Hss. : ἀπαροῦμεν Elmsley – Das Präsens kann bei Verben der Bewegung futurischen Charakter haben (K.-G. I 139, 6); zur Bedeutung ‚depart‘ vgl. LSJ s. v. ἀπαίρω II. 2. | φυγῇ] Der Dativ gibt den Grund an (K.-G. I 438, 11). 939 παῖδες : παῖδας Brunck – παῖδες ist das vorangestellte Subjekt des Nebensatzes, dadurch wird akzentuiert, dass die Kinder von Iason erzogen werden sollen (was seinen Plänen entgegenkommen sollte), zu φεύγειν ist dann παῖδας zu ergänzen. 941 οὐκ οἶδ’ ἂν εἰ πείσαιμι] ἂν gehört zu πείσαιμι (ind. Fragesatz); vgl. Alk. 48; K.-G. I 246 Anm. 4; MT § 220,2. 942 σὺ δ’ ἀλλὰ] vgl. zu diesem Gebrauch von ἀλλά GP 10 (iii) | ἄντεσθαι Weidner : αἰτεῖσθαι Hss. – Beide Verben sind mit Genitivobjekt nicht belegt, aber gegen αἰτεῖσθαι spricht, dass es kurz zuvor mit Akkusativobjekt gebraucht ist (940, αἰτοῦ Κρέοντα); dagegen dürfte ein Genitiv bei ἄντεσθαι durch die Analogie zu ἀντάω (K.-G. I 352 f.) zu rechtfertigen sein; vgl. Diggle 1994, 284. 943 {…} Brunck; Müller 1951, 81 – σὴν (942) kann ohne Artikel kaum als σὴν γυναῖκα verstanden werden (vgl. Page), weswegen v. 943 nicht verzichtbar ist.
Kommentar
293
932–940 In der Darstellung Medeas erscheint es als Konsequenz aus ihrer neuen ‚Vernünftigkeit‘, dass sie bereitwillig in die Verbannung gehen will als die für alle Beteiligten beste Lösung, ebenso wirkt der Wunsch ‚vernünftig‘, dass die Kinder bleiben sollen, damit sie von Iason (sc. im Sinne seines Zukunftsplans) erzogen werden. Dass diese Bitte dem Zweck dient, eine Möglichkeit zu schaffen, dass die Kinder tödliche Geschenke ins Königshaus bringen können (780–789), kann Iason nicht durchschauen. 932–933 Nach ihrem emotionalen Ausbruch ist Medea sofort wieder zu klarer Disposition ihrer Wünsche in der Lage. Sie behauptet nun, dass zwei Anliegen sie bewogen hätten, Iason rufen zu lassen. Das erste, das sie bereits vorgebracht habe, war offensichtlich der (angebliche) Versöhnungswunsch, und das zweite will sie ihm nun unterbreiten: Es wird der Wunsch sein, die Kinder im Land zu belassen (939 f.). 934 Entgegen dem Ausweisungsbefehl Kreons, der sich auf sie selbst und die Kinder bezog (272 f.), spricht Medea hier nur von ihrer Ausweisung. Natürlich weiß sie, dass auch die Kinder betroffen sind, sonst könnte sie nicht die Bitte äußern, dass die Kinder bleiben sollen. Aber es wird so gleich insinuiert, dass ein Unterschied zwischen ihr und den Kindern gemacht werden könnte. 937 Diesen Vorwurf hatte ihr Kreon gemacht (vgl. 282–291). 939 ‚von dir‘, wörtl. ‚von deiner Hand‘, wodurch Iasons aktives Handeln akzentuiert wird. 941–944 Iason ist zwar skeptisch in Bezug auf eine Realisierung des Bleibewunsches, aber im Prinzip zustimmend. Die Bedenken, die Iason bei einer unmittelbaren Bitte an Kreon hat, überwindet Medea, indem sie dessen Tochter als Mittlerin empfiehlt; sie zu gewinnen ist Iason zuversichtlich. – Medea wäre in Schwierigkeiten geraten, wenn Iason der Bitte Medeas zugestimmt und vollkommen darauf vertraut hätte, Kreon zur Erfüllung der Bitte bewegen zu können (vgl. auch Martina III 309 zu 946). Aber Medea hat Grund zu der Annahme, dass Iason bei einer Bitte an Kreon sich eines vollen Erfolgs nicht sicher sein werde. Zumindest nach Iasons eigener Aussage hat er die Verbannung nicht verhindern können, gibt allerdings Medea dafür die Schuld (453–458), und selbst Medea wirft ihm nur vor, sich mit Kreons Verbannungsbeschluss abgefunden zu haben (708). Ob man sich Medeas Überlegungen so vorstellen soll, dafür gibt es kein Indiz im Text. Entscheidender ist, dass die Zuschauer kein Motiv gehabt haben dürften, an der Abfolge des Dialogs Anstoß zu nehmen: Iason verhält sich auch jetzt so, wie sie ihn bisher erlebten und wie Medea seine Reaktion eingeplant hatte.
294
Viertes Epeisodion: 945–955
Me.
Wenn sie denn eine Frau ist wie die anderen Frauen; 945 und helfen werde dir bei dieser Aufgabe auch ich: Ich werde ihr Geschenke schicken, die an Schönheit, was es jetzt gibt unter den Menschen, weit übertreffen, das weiß ich, {ein feingewebtes Gewand und ein aus Gold gearbeitetes Diadem,} durch die Kinder als Überbringer. (zu den Dienerinnen) Ganz 950 schnell soll eine der Dienerinnen die Kostbarkeiten zu mir bringen. (zu Iason) Glücklich wird sie sein, nicht einmal, unzählige Male, da sie dich, den besten Mann, als Ehemann erlangte und im Besitz der Kostbarkeiten ist, die einst Helios, der Vater meines Vaters, seinen Nachkommen gegeben hat. 955
Μη.
εἴπερ γυναικῶν ἐστι τῶν ἄλλων μία· συλλήψομαι δὲ τοῦδέ σοι κἀγὼ πόνου· πέμψω γὰρ αὐτῇ δῶρ’, ἃ καλλιστεύεται τῶν νῦν ἐν ἀνθρώποισιν, οἶδ’ ἐγώ, πολύ, {λεπτόν τε πέπλον καὶ πλόκον χρυσήλατον} παῖδας φέροντας. ἀλλ’ ὅσον τάχος χρεὼν κόσμον κομίζειν δεῦρο προσπόλων τινά. εὐδαιμονήσει δ’ οὐχ ἓν, ἀλλὰ μυρία, ἀνδρός τ’ ἀρίστου σοῦ τυχοῦσ’ ὁμευνέτου κεκτημένη τε κόσμον, ὅν ποθ’ Ἥλιος πατρὸς πατὴρ δίδωσιν ἐκγόνοισιν οἷς.
945
950
955
945 Die Hss. weisen den Vers teils Iason (so viele Editoren, z. B. Diggle; van Looy; Mastronarde), teils Medea zu (so Wecklein; Kovacs Loeb u. 1994, 172; Tedeschi; Martina), und auch das Scholion zu v. 945 impliziert diese Zuweisung; vgl. Komm. sowie δὲ in v. 946: es gibt nur selten Eröffnungen mit δέ (vgl. z. B. Aisch. Ag. 717 [dazu GP 173]) | εἴπερ] LSJ s. v. II „in Att. and Trag. to imply that the supposition agrees with the fact, if as is the fact, since“ | γυναικῶν Hss. : γυναικῶν 〈γ᾿〉 Herwerden – γε (von Kovacs übernommen) verstärkt idiomatisch εἴπερ (K.-G. II 177 f.), ist aber nicht notwendig, und der Ausfall wäre nicht leicht zu erklären. 946 συλλήψομαι] als Ausdruck des Teilnehmens mit Genitiv (K.-G. I 343, 1; LSJ s. v. συλλαμβάνω VI) 947–950 πέμψω … φέροντας] πέμψω regiert παῖδας φέροντας, davon ist αὐτῇ δῶρ’ abhängig; in der Übersetzung wurde diese Struktur, die sich nur sehr umständlich darstellen ließe, nicht bewahrt. 947 καλλιστεύεται] Medium wie Hipp. 1009 (Mastronarde: Passiv) statt Aktiv wie Herodot 6,61,5; Genitiv bei Verben des Übertreffens (K.-G. I 393 b) 949 {…} Bothe (vgl. 786) – vgl. Komm. | πλόκον (Hss.) : στέφος 950 ἀλλ’] beim Imperativ, hier in der ‚3. Person‘ mit χρεών (GP 15) 953 τ’ : γ᾿ : Ø – τ’ … τε (954) ergibt den treffendsten Sinn 955 πατρὸς πατὴρ +(Hss.) : πατὴρ πατρὸς | δίδωσιν] Präsens von einem vergangenen Ereignis (ποθ’, 954), der Sprecher versetzt sich in die Vergangenheit zurück (K.-G. I 137 d), im Deutschen Perfekt; nach Nijk betont das Präsens („gives“) den mythischen Status der Geschenkübergabe (2022, 245), doch spricht ποθ’ eher für die erstere Erklärung. | οἷς] Possessivpronomen (LSJ s. v. ὅς, ἥ, ὅν I)
Kommentar
295
945 ‚Wenn sie denn eine Frau ist wie die anderen Frauen‘. Der Vers wird in den Handschriften teils Iason, teils Medea zugewiesen. Die Formulierung ist so, dass sich in beiden Fällen eine sinnvolle Aussage ergibt. Iason könnte den Erfolg bei seiner neuen Frau daran knüpfen, dass sie wie andere Frauen dem Willen des Mannes nachgeben wird, was er vermutlich nicht in Zweifel zieht, sodass seine Bemerkung eine Bestätigung seiner in v. 944 emphatisch ausgedrückten Siegesgewissheit wäre. Gibt man v. 945 Medea, gewinnt er einen ironischen, distanzierenden Nebensinn. Möglicherweise denkt Medea da auch schon an die für Frauen als typisch geltende Schwäche gegenüber schönen Kleidern und Schmuck (vgl. 1156 ff.). Vgl. auch Mastronarde (der den Vers Iason zurechnet). Die Zuweisung des Verses ist nicht leicht zu entscheiden, und letztlich dürfte ein sprachliches Argument den Ausschlag geben: Die verbindende Partikel de (hier mit ‚und‘ übersetzt) in v. 946 steht normalerweise nicht am Anfang einer Aussage, sondern setzt eine begonnene fort. 946–958 Medea gibt vor, Iasons Bitte an seine neue Frau unterstützen zu wollen, und überrumpelt ihn geradezu, indem sie gleich Geschenke von höchstem Wert holen lässt und sie den Kindern mit dem Auftrag, sie der Königstochter zu überbringen, in die Hand gibt; mit ‚emotionaler Intelligenz‘ (Cairns 2021, 14; 17 f.) durchschaut sie, wie sie Iasons neue Frau manipulieren und so zur Erfüllung ihres Rachevorhabens kommen kann. Dabei spart sie nicht mit Schmeicheleien in Bezug auf die Königstochter und Iason, um ihn für diesen Plan einzunehmen; Chor und Zuschauer, die von dem Mordplan wissen, erkennen die Doppelbödigkeit der Worte Medeas, die Iason nicht bemerken kann. 949 Der Vers erläutert die als ‚Geschenke‘ (947) benannten Kostbarkeiten, eine Wiederholung von v. 786. Da von daher bereits klar ist, was Medea meint, wirkt der Vers hier unnötig vervollständigend, zumal der Akzent für Iason darauf liegen soll, dass die Kinder die Überbringer sein sollen. 950–951 Medea drängt darauf, die Kostbarkeiten, die man sich nun als vergiftet zu denken hat, herbeibringen zu lassen. Zwischen dem Auftrag an die Dienerin und dem Herausbringen der Geschenke muss eine gewisse Zeit vergehen (auch wenn sich die Dienerin beeilt), die – kaum realistisch – durch die wenigen vv. 952–955 gefüllt wird. Danach spricht Medea sofort weiter (956– 958). Diese Textgestaltung lässt den Schluss zu, dass Medea Iason keine Gelegenheit geben will zu protestieren, bevor die Bereitstellung der Geschenke nicht abgeschlossen ist. – Zu den Kostbarkeiten vgl. zu 787; zu dem Problem, wann die Gegenstände vergiftet werden konnten, vgl. Einf., S. 35–37. 953 Vgl. den Kontrast zu Medeas Urteil in v. 690! 954–955 Mit den kostbaren Gegenständen, die direkt von Helios stammen, wird die göttliche Abstammung Medeas und die Beteiligung des Gottes für die gegenwärtige Handlung unmittelbar bedeutsam und gewissermaßen materiell greifbar. Die Vorstellung, Medea habe bei der Flucht aus Kolchis diese Dinge mitgenommen, ist unrealistisch, sonst nicht belegt und vielleicht eine Erfindung des Euripides, um Helios als Helfer schon einmal in die Handlung zu integrieren. Das mindert den Überraschungseffekt (Helios-Gefährt) am Schluss (1321 f.) nicht, lässt sein Eingreifen dort aber nicht isoliert erscheinen.
296
Viertes Epeisodion: 956–965
Eine Dienerin bringt die Sachen heraus, Medea wendet sich an die Kinder.
Ia.
Me.
Ια.
Μη.
Nehmt diese Hochzeitsgaben, Kinder, in die Hand, bringt sie zu der königlichen, glückseligen jungen Frau und gebt sie ihr; sie wird gewiss keine verächtlichen Geschenke bekommen. Warum denn, du Törichte, gibst du diese Dinge aus den Händen? Glaubst du, das Königshaus leide Mangel an Gewändern, 960 glaubst du, an Gold? Bewahre diese Sachen, gib sie nicht her! Wenn denn mir meine Frau auch nur etwas an Wertschätzung entgegenbringt, wird sie mein Anliegen dem Reichtum vorziehen, ich weiß das genau. Rate mir das nicht! Geschenke überreden auch Götter, heißt es; und Gold vermag bei den Menschen mehr als tausend Worte. 965 λάζυσθε φερνὰς τάσδε, παῖδες, ἐς χέρας καὶ τῇ τυράννῳ μακαρίᾳ νύμφῃ δότε φέροντες· οὔτοι δῶρα μεμπτὰ δέξεται. τί δ’, ὦ ματαία, τῶνδε σὰς κενοῖς χέρας; δοκεῖς σπανίζειν δῶμα βασίλειον πέπλων, δοκεῖς δὲ χρυσοῦ; σῷζε, μὴ δίδου τάδε. εἴπερ γὰρ ἡμᾶς ἀξιοῖ λόγου τινὸς γυνή, προθήσει χρημάτων, σάφ’ οἶδ’ ἐγώ. μή μοι σύ· πείθειν δῶρα καὶ θεοὺς λόγος· χρυσὸς δὲ κρείσσων μυρίων λόγων βροτοῖς.
960
965
956 λάζυσθε] poetisch für λάβεσθε | χέρας : χέρα – Der Plural ist die üblichere Ausdrucksweise. 958 οὔτοι (Hss.) : οὔτι 959 τῶνδε … κενοῖς] genetivus separativus bei κενόω (K.-G. I 396) 960 βασίλειον (Hss.) : βασιλείων – Nur βασίλειον gibt hier einen Sinn; ursprüngliches ΒΑΣΙΛΕΙΟΝ konnte als βασίλειον oder als βασιλείων umgeschrieben werden. 962 εἴπερ] vgl. zu 945 | λόγου τινὸς (Hss.) : +τινὸς λόγου | ἀξιοῖ λόγου] ~ ἀξιόλογον νομίζει (Page) 963 ἐγώ +(Hss.) : ὅτι (vgl. Eur. Phoin. 1617) – Beides ist möglich, aber zum Selbstbewusstsein Iasons passt ἐγώ besser. 964 μή μοι σύ] Diese elliptische Wendung ist nur hier belegt, im 3. Jh. n. Chr. kommt sie einmal vor, ergänzt durch τοιαῦτα ἀποφθέγγου (Passio sanctae Paulae, c. 3, l. 16 ed. Halkin 1963); σύ betont die Wendung an das Gegenüber, bedeutet nicht ‚ausgerechnet du‘, vgl. Hek. 408; Ion 439. | λόγος] Platon, Politeia 390e4 δῶρα θεοὺς πείθει, δῶρ᾿ (καὶ Suda) αἰδοίους βασιλῆας, vgl. auch Fragmenta iambica adespota 11 Diehl3 δῶρα καὶ θεοὺς παρήπαφεν
Kommentar
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956 Medeas Aufforderung an die Kinder, die Geschenke in die Hand zu nehmen, kann man sich szenisch so vorstellen, dass sie sie selbst tragen sollen. – Da später die Königstochter das Gewand anzieht, sich mit dem Diadem schmückt und damit herumgeht, bevor das Gift zu wirken beginnt (1159–1166), kann man vermuten, dass die vergifteten Gegenstände jedenfalls bei nicht allzu langer Berührung ungefährlich bleiben. Mastronarde (S. 39 f.) nimmt für den Transport Tabletts oder flache Körbe an. Das kann sein; auch so können Iason und die Zuschauer die Geschenke sehen, und es würde die Gefahr eines etwa unabsichtlichen Wirkens des Gifts sicher vermieden. 957 ‚glückseligen‘: Vielleicht liegt hier eine Anspielung auf die Glückseligpreisung (makarismos) der Braut bei der Hochzeit vor; es wird das Adjektiv makarios gebraucht. Vgl. zu 510a. 959–963 Entsprechend seiner als von einer ökonomischen Denkweise bestimmten Charakterisierung kann Iason nicht verstehen, dass sich Medea von diesen Wertgegenständen trennen will, zumal er selbstbewusst die Wirkung seines Wortes auf seine Frau höher einschätzt als reiche Geschenke. 962 Iason stellt hier zwar seinen Erfolg unter eine Bedingung, aber diese ist so formuliert, dass sie eher als begründende Gewissheit zu verstehen ist (vgl. 945), wie Iason dann auch selbst sagt (963). 964–968 Nachdem Iason sich zuversichtlich gezeigt hat, die Kinder auch ohne die wertvollen Geschenke vor dem Exil bewahren zu können, argumentiert Medea nachdrücklich für ihr Vorgehen. Sie tut das zunächst mit allgemeinen Formeln zur Wirksamkeit von Geschenken (964 f.), dann mit Gründen, warum gerade die neue Frau gewonnen (sc. jedes Mittel dafür angewendet) werden muss (966–967a), und schließlich mit dem Argument, dass sie für ihr (angebliches) Ziel sogar ihr Leben gäbe, sodass selbst Helios’ kostbare Gaben als bescheidener Beitrag erscheinen (967b–968). 964 ‚Rate mir das nicht!‘: Im Griechischen steht der elliptische Ausdruck ‚Du mir nicht‘, wohl zu ergänzen zu ‚Sag du mir das nicht‘, d. h., ‚versuche nicht, mich von meinem Vorhaben abzubringen, Geschenke zu schicken‘. Das lässt sich sinngemäß mit der gewählten Übersetzung wiedergeben. Das Sprichwort („Geschenke überreden Götter und ehrwürdige Könige.“) ist als Hexameter bei Platon überliefert (Politeia 390e4). Nach dem Suda-Lexikon (δ 1451) gab es Leute, die den Vers Hesiod (fr. 361 M.-W. = 300 Most) zuschrieben. Eine ähnliche Wendung findet sich in den Fragmenta iambica adespota 11 Diehl3; Texte in TS (vgl. Martina III z. St. mit weiteren Parallelen). Vgl. außerdem Yunis 1988, 50–58. 965 Wie sich später zeigt, hat Medea die Wirkung richtig berechnet: Die Geschenke sind ausschlaggebend dafür, dass Kreons Tochter dem Anliegen Iasons (962f.) zustimmt (1151–1157). ‚tausend‘. im Griechischen ‚zehntausend‘, aber der Sprachgebrauch im Deutschen ist anders.
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Viertes Epeisodion: 966–975
Auf ihrer Seite ist göttliche Gunst, ihre Sache fördert jetzt die Gottheit, sie ist jung und hat Macht: Dafür, dass meine Kinder nicht verbannt werden, würde ich mein Leben geben, nicht nur Gold. Nun, Kinder, geht in den reichen Palast, Vaters junge Frau, und meine Herrin, 970 fleht an, bittet sie, dass ihr nicht aus dem Land verbannt werdet, während ihr die Kostbarkeiten übergebt; denn darauf kommt es vor allem an, dass sie diese Gaben in ihre Hände nimmt. Geht möglichst schnell; und der Mutter mögt ihr von dem, was sie zu erlangen begehrt, Freudenboten werden, wenn ihr erfolgreich 975 wart. κείνης ὁ δαίμων, κεῖνα νῦν αὔξει θεός, νέα τυραννεῖ· τῶν δ’ ἐμῶν παίδων φυγὰς ψυχῆς ἂν ἀλλαξαίμεθ’, οὐ χρυσοῦ μόνον. ἀλλ’, ὦ τέκν’, εἰσελθόντε πλουσίους δόμους πατρὸς νέαν γυναῖκα, δεσπότιν δ’ ἐμήν, ἱκετεύετ’, ἐξαιτεῖσθε μὴ φεύγειν χθόνα, κόσμον διδόντες· τοῦδε γὰρ μάλιστα δεῖ ἐς χεῖρ’ ἐκείνην δῶρα δέξασθαι τάδε. ἴθ’ ὡς τάχιστα· μητρὶ δ’ ὧν ἐρᾷ τυχεῖν εὐάγγελοι γένοισθε πράξαντες καλῶς.
970
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966–967 κεῖνα … τυραννεῖ Hss. : {…} Nauck, Kovacs – Die Worte unterstützen, warum gerade Kreons Tochter mit Geschenken gewonnen werden muss, vgl. Komm. zu 966–967a; zur Athetese besteht kein Grund. 966 κεῖνα] ~ τὰ ἐκείνης 968 ἀλλαξαίμεθ’] Genitiv (ψυχῆς, χρυσοῦ) bei Verben des Kaufs, Verkaufs usw. (K.-G. I 377 f., 7, hier: 378 β) 969 εἰσελθόντε] Dual (aus metrischen Gründen) korrespondierend mit dem Plural διδόντες (972) | πλουσίους +(Hss.) : +πλησίους – πλουσίους nimmt die vv. 960 f. auf 970 δ’ Elmsley : τ᾿ Hss. – δέ und τε werden oft verwechselt; da die beiden verbundenen Ausdrücke nicht auf gleicher Ebene liegen, ist Elmsleys δ’ vorzuziehen. 971 φεύγειν (Hss.) : φυγεῖν – Es geht nicht um das In-die-Verbannung-Gehen, sondern darum, überhaupt nicht verbannt zu sein. 972 διδόντες (Hss.) : φέροντες – Medea hat die Kinder angewiesen, was sie beim Ü b e r g e b e n der Geschenke sagen sollen. 973 χεῖρ’] = Dual χεῖρε, vgl. 982 u. 1003 f. χεροῖν / ἐδέξατ᾿ (Page) | ἐκείνην (Hss.) : ἐκείνης – v. 973 ist am ehesten als Explikation von τοῦδε (972) aufzufassen, was für ἐκείνην spricht; die Kinder halten bei ihrer Bitte die Geschenke hin (duratives Partizip) und provozieren so die Königstochter dazu, dass sie die Geschenke in ihre Hände nimmt. Bei ἐκείνης wäre die Konstruktion etwas verwickelt: κόσμον διδόντες·(τοῦδε γὰρ μάλιστα δεῖ) ἐς χεῖρ’ ἐκείνης δῶρα δέξασθαι τάδε (δέξασθαι epexegetischer Infinitiv, der δῶρα regiert, oder δῶρα Apposition zu κόσμον mit δέξασθαι als epexegetischem Infinitiv, womit aber jeweils nur noch einmal ausgedrückt würde, was mit διδόντες … ἐς χεῖρ’ schon gesagt war); Page und Tedeschi entscheiden sich dennoch für ἐκείνης. 975 πράξαντες] intransitiv wie z. B. εὐ πράττειν
Kommentar
299
966–967a Als gegenüber Iason wirksames Argument dafür, Geschenke seien nötig, sollen die Verse wohl bedeuten, dass es jetzt auf die aufstrebende, von den Göttern begünstigte neue Frau ankommt, deren Einfluss man sich sichern muss. ‚Sie herrscht als junge (Frau)‘, wie der Anfang von v. 967 wörtl. lautet, d. h., ihr gehört die Zukunft, und ihren Einfluss (sc. auf ihren Vater) muss man sich sichern. Die vorinformierten Zuschauer ebenso wie der Chor, die den Tod der Königstochter erwarten, werden diese Worte anders verstehen. Die kurzen Phrasen werden als Zeichen der Erregtheit Medeas aufgefasst (Page), sollen vielleicht aber auch zugleich eine Steigerung der Überredungskunst signalisieren. Das Scholion zu v. 967 sieht im Hinweis auf die Jugend der Königstochter eine Anspielung auf die von Medea unterstellte (623), aber von ihm bestrittene (555 f.) erotische Motivation Iasons (so auch Mossman), aber der Fokus ist hier ein anderer. 966 Als Teil ihrer Überredungsstrategie drückt Medea es doppelt aus, dass es die Königstochter ist, die nun göttliche Gunst genießt‚ womit deren Einfluss garantiert zu sein scheint. ‚göttliche Gunst‘ (daimōn), wörtl. ‚Gottheit‘ oder ‚Schicksal‘. ‚ihre Sache‘, wörtl. ‚dasjenige‘, im Sinne von ‚das, was sie betrifft‘. 967–968 ‚dass meine Kinder nicht verbannt werden‘: Im Griechischen steht nur ‚Verbannungen der Kinder‘ (‚Verbannungen‘ poetischer Plural), für die Medea ihr Leben geben würde; der Ausdruck ist prägnant zu verstehen, ‚für die Verhinderung der Verbannung‘. Vgl. Mastronarde, der auf Hek. 227 verweist, wo ‚Stärke‘ als ‚(Mangel) an Stärke‘ zu verstehen sein dürfte. 969–975 Medea wartet eine Reaktion Iasons nicht ab, sondern handelt sofort, indem sie den Kindern den Auftrag gibt; von Iason kommt kein Widerstand mehr. Ihre Worte geben sich zwar als bloßer Auftrag an die Kinder, aber die Formulierungen lassen ihre Emotionen und eigentlichen Absichten erkennen. 969 ‚reichen Palast‘: Medea spielt möglicherweise auf Iasons Aussage in den vv. 960 f. an, vielleicht auch auf die ökonomischen Gründe, die Iason zur neuen Ehe bewogen haben (559–561), wie sie überhaupt seinen neuen Status ironisch aufnimmt (‚reicher Palast‘, ‚junge Frau‘, ‚Herrin‘, 969 f.); vgl. auch Mastronarde. 970 ‚meine Herrin‘: vgl. v. 694. 972b–973 Medea will mit der Anweisung an die Kinder, dass die Königstochter (selbst) die Geschenke in ihre Hände nehmen solle, vermutlich sicherstellen, dass das Gift bei ihr seine Wirkung entfalten kann (vgl. auch 978 f.; 1003 f.). 974–975 Medea sagt nicht inhaltlich, was die Kinder ihr berichten sollen, sodass Iason darin die Befreiung vom Exil sehen muss, Chor und Zuschauer aber den Erfolg der Mordintrige, wobei Medea die zu erwartende Nachricht darüber hasserfüllt als gute, als Freudenbotschaft bezeichnet. Vgl. auch 1127 f.; 1134 f.
300
Viertes Stasimon: 976–982
Iason, der Paidagogos und die Kinder mit den Geschenken gehen ab zum Königspalast. Medea bleibt auf der Bühne. Ch.
Jetzt habe ich keine Hoffnung mehr für das Leben der Kinder, Strophe 1 keine mehr; denn sie beschreiten bereits den Weg zum Mord: Empfangen wird die junge Frau das goldene Diadem, empfangen wird die Unglückliche dessen vernichtendes Werk. Um ihr blondes Haar wird sie legen den Todes980/1 schmuck, sie selbst mit ihren beiden Händen. {wenn sie (ihn) genommen hat}
Χο.
νῦν ἐλπίδες οὐκέτι μοι παίδων ζόας, οὐκέτι· στείχουσι γὰρ ἐς φόνον ἤδη· δέξεται νύμφα χρυσέων ἀναδεσμᾶν δέξεται δύστανος ἄταν· ξανθᾷ δ’ ἀμφὶ κόμᾳ θήσει τὸν Ἅιδα κόσμον αὐτὰ χεροῖν. {λαβοῦσα}
στρ. α´
980/1
976 ζόας Porson : ζωᾶς Hss. – ζόας (von der ionischen Form ζόη mit dorisierender Endung) ist hier metrisch notwendig (Korrespondenz zu πέπλον, 983). 977 ἐς (Hss.) : εἰς – Wo es metrisch möglich ist, benutzt Euripides in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ἐς. 978– 979 χρυσέων ἀναδεσμᾶν … ἄταν] genetivus definitivus, das Verderben besteht im goldenen Diadem (vgl. πλόκον, 786; στέφανον, 984). 978 ἀναδεσμᾶν Elmsley : ἀναδεσμῶν +Hss. – Das Chorlied hat dorische Dialektfärbung, daher dorischer Genitiv Plural. 979 δύστανος +Aldina : ἁ δύστανος : δύστηνος (Hss.) – s. zu 978 980/1 ἀμφὶ κόμᾳ θήσει] ἀμφὶ ist vielleicht nicht Präposition, sondern steht in Tmesis zu θήσει, vgl. (auch zum Aktiv) zu 787 κόσμον ἀμφιθῇ χροΐ (Mastronarde). 981 Ἅιδα Brunck : ἀίδα +Hss. – Bruncks Auflösung der Überlieferung ist durch Sinn und Metrik erfordert; dorische Genitiv-Endung. Zum Typ der Verbindung Ἅιδα κόσμον vgl. Aisch. Ag. 1235 Ἅιδου μητέρ᾿. 982 αὐτὰ : αὐτὴ +Hss. – s. zu 978 | {λαβοῦσα} Nauck – Um die Responsion zu wahren, muss entweder hier λαβοῦσα getilgt oder am Ende von v. 989 mit Kranz τάλαινα ergänzt werden; die Tilgung des syntaktisch nicht notwendigen λαβοῦσα ist die einfachere Lösung (Page).
Kommentar
301
976–1001 Viertes Stasimon. Das Chorlied überbrückt szenisch die Zeit, in der der Paidagogos mit den Kindern in den Königspalast geht und wieder zurückkehrt. Es besteht aus zwei kurzen Strophenpaaren, in denen der Chor erschüttert das von Medea angekündigte (772–806), nun nicht mehr aufzuhaltende Verhängnis kommen sieht: Im ersten Strophenpaar (976–989) geht es um den Tod der Kinder und der Königstochter, während sich der Chor im zweiten (990– 1001) mit der Situation von Iason (Strophe) und Medea (Gegenstrophe) befasst. Was im Königspalast geschehen ist, erfährt das Publikum, obwohl es das vielleicht erwartet, nicht gleich nach dem Chorlied, sondern erst im Botenbericht in den vv. 1156 ff. 976–982 Strophe 1. Der Chor äußert sich sehr erregt (vgl. die Wortwiederholungen): Er sieht das Schicksal der Kinder besiegelt (vgl. zu 976–977) – die Hoffnungen, die sich der Chor im 3. Stasimon noch machte (846–865), sind dahin – und malt sich aus, wie die Königstochter durch das Aufsetzen des Diadems ins Verderben geraten wird. Dass in dieser Strophe nur vom Diadem die Rede ist, obwohl der Chor anzunehmen scheint, dass sich die Königstochter zuerst das Gewand anlegt und dann das Diadem aufsetzt (983 f.), wie es später beschrieben wird (1159 f.), hat wohl den Grund, dass der Fokus besonders auf die symbolträchtige Brautkrone gerichtet werden soll, die hier als ‚Todesschmuck‘ fungiert; vgl. auch zu 786 u. 787 sowie Mossman zu 978. 976–977 Betrachtet man die beiden Verse isoliert, scheint es nahezuliegen, dass der Chor, da er keine Hoffnung mehr für das Leben der Kinder hat, unmittelbar deren bevorstehenden Tod meint, nachdem der Racheplan Medeas einmal in Gang gesetzt ist (Mossman: „they are already going to their deaths“). Tatsächlich kann phonos (das vorletzte Wort in v. 977) auch in passivem Sinne verwendet werden (~ ‚Tod‘). So wird z. B. Iason den Tod seiner Kinder, d. h. seine ermordeten Kinder, sehen, nicht deren Ermordung (1313). Da aber die folgenden Verse (978–982), in denen es um den bevorstehenden Tod der Königstochter geht, sich als begründendes Asyndeton anschließen, ist die häufigere aktive Bedeutung ‚Mord‘, an dem die Kinder als Überbringer der vergifteten Geschenke unwissentlich mitwirken, wohl wahrscheinlicher (Kovacs: „they are walking the road to murder“). Auch so sieht der Chor keine Hoffnung für die Kinder, weil er annehmen muss, dass Medea ihren Racheplan (772 ff.) in seiner Gesamtheit durchführen wird. Grundsätzlich könnte man bei den Kindern als ‚Mördern‘ daran denken, dass sie daraufhin der Vergeltung der Korinther zum Opfer fallen (vgl. Mossman, S. 310). Aber nicht nur die Zuschauer sind auf eine Tat Medeas eingestellt (791–793), auch der Chor ist fest davon überzeugt, dass Medea die Tat begehen wird (998 f.). Andere mögliche Täter geraten so nicht in den Blick. 978–979 Im Griechischen steht ‚das goldene Diadem‘ im Genitiv und ist von ‚vernichtendes Werk‘ abhängig, was im Deutschen nicht gut möglich ist; daher wurde der Sinn in freier Übersetzung wiedergegeben. 981–982 ‚Todesschmuck‘, wörtl. ‚der Schmuck des Hades (der Welt der Toten)‘, d. h., mit diesem Schmuck ist die junge Frau bereits dem Tod verfallen, mit der besonderen Pointe, dass sie sich unwissentlich den Tod selbst zufügt.
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Viertes Stasimon: 983–989
Verführen wird sie verlockendes Aussehen und Gegenstrophe 1 göttlicher Glanz, das Gewand und den goldgewirkten Kranz anzulegen; doch schon der Unterwelt geweiht wird sie das Brautgewand tragen. 985 Denn in eine solche Falle wird sie geraten und in solches Todesverhängnis, die Unglückliche: Dem Verderben 987/8 wird sie (daraus) nicht entkommen. πείσει χάρις ἀμβρόσιός τ’ αὐγὰ πέπλον χρυσότευκτόν ⟨τε⟩ στέφανον περιθέσθαι· νερτέροις δ’ ἤδη πάρα νυμφοκομήσει. τοῖον εἰς ἕρκος πεσεῖται καὶ μοῖραν θανάτου δύστανος· ἄταν δ’ οὐχ ὑπερφεύξεται.
ἀντ. α ´ 985 987/8
983 ἀμβρόσιός] hier Adjektiv zweier Endungen | +τ’ : +Ø – Sinn und Metrik erfordern τ’. | πέπλον Elmsley : πέπλων +(Hss.) : πέπλου – Es geht nicht um den Glanz des Kleides, sondern um den Glanz beider Geschenke, der Kreons Tochter dazu bewegt, sich beide anzulegen. ο und ω (aus ursprünglichem O) werden leicht falsch umgeschrieben. 984 +χρυσότευκτόν : χρυσεότευκτόν +(Hss.) – Nur χρυσότευκτον passt metrisch; χρυσεότευκτος ist erst spät belegt. | ⟨τε⟩ Reiske : πέπλων / χρυσοτέυκτου ⟨τε⟩ στεφάνου Klotz : πέπλων / χρυσέων τευκτὸν Murray – Reiskes metrisch und sinngemäß notwendiges ⟨τε⟩ ergibt zusammen mit πέπλον (983) den besten Sinn; vgl. auch Page. 985 δ’ +(Hss.) : +Ø – δ’ drückt den Gegensatz wischen der Freude über die Geschenke und der todbringenden Realität aus. | πάρα νυμφοκομήσει +Trikl. : παρανυμφοκομήσει +(Hss.) – πάρα (zu νερτέροις) νυμφοκομήσει ist die sinnvolle Worttrennung, das Verb ist hier intransitiv (anders Anthologia Graeca 16,147,6). 986 τοῖον …] schließt als begründendes Asyndeton an, vgl. zu 119–121 989 ὑπερφεύξεται +(Hss.) : ὑπεκφεύξεται – ὑπεκφεύξεται (nur in einer Hs.) ist wahrscheinlich eine Anpassung an den üblichen Sprachgebrauch (vgl. z. B. Homer, Ilias 5,22 ὑπέκφυγε κῆρα μέλαιναν). ὑπερφεύξεται ist lectio difficilior, eine Verderbnis von ὑπεκφεύξεται zu ὑπερφεύξεται ist kaum erklärlich. Vgl. Aisch. Pers. 98–100 (παράγει / βροτὸν εἰς ἀρκύστ⟨ατ⟩᾿ Ἄτα· / τὸθεν οὐκ ἔστιν ὑπὲρ θνατὸν ἀλύξαντα φυγεῖν), wenn auch dort zu ὑπὲρ … φυγεῖν aus v. 99 ἀρκύστατα zu ergänzen ist, Ἄτα zu ἀλύξαντα, während in Med. 989 ἄταν, nicht ἕρκος, als direktes Objekt fungiert. Aber man kann ἕρκος in ἄταν repräsentiert sehen: Die Königstochter wird über das Verderben, das in der Fallgrube besteht, nicht hinwegfliehen können. | ὑπερφεύξεται ⟨τάλαινα⟩ Kranz – vgl. zu 982
Kommentar
303
983–989 Gegenstrophe 1. Die Strophe wird inhaltlich mit der Vorstellung fortgesetzt, wie die Königstochter, verführt durch deren Anziehungskraft, die geschenkten Kleidungsstücke anlegen wird und dadurch ihrem Verhängnis nicht mehr entkommen kann. 983 ‚Verführen‘: Es ist dasselbe Wort (peithein), das Iason gebrauchte (944, dort als ‚gewinnen‘ verstanden), als er zuversichtlich seinen Einfluss auf seine neue Frau beschreibt. Der Chor betont die verführerische Wirkung der Geschenke und damit des peithein (vgl. Buxton 1982, 167). 985 ‚der Unterwelt geweiht‘, wörtl. ‚bei den Unteren, den zur Unterwelt Gehörigen‘, das Motiv der vv. 981 f. wird wieder aufgenommen. Kreons Tochter ist zwar schon verheiratet (19; 288), es kann aber sein, dass angesichts der erst sehr kurz bestehenden Ehe auch auf den Fall angespielt wird, dass der Tod die Eheschließung verhindert (in diesem Fall die Fortdauer der Ehe), also eine ‚Hades-Hochzeit‘ (vgl. Soph. Ant. 654) stattfindet; vgl. Seaford 1987, 110; Rehm 1994, 103. 986 ‚Falle‘: Eigtl. ein Netz (herkos), mit dem man Vögel fängt, aber auch allgemein ‚Falle‘. Die Hinterhältigkeit des Vorgehens wird so ausgedrückt. 987 ‚Todesverhängnis‘: moira (‚Teil‘, ‚Los‘, ‚Geschick‘) thanatou (‚des Todes‘) ist wohl nicht eine bloße Umschreibung für ‚Tod‘, sondern bezeichnet das Todeslos, das die Königstochter treffen wird, nur dass die ‚Schicksalsmacht‘, die das Los verhängt, in diesem Fall als Medea benennbar ist. Vgl. auch zu 861–862a u. 1281.
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Viertes Stasimon: 990–1001
Und du, du Elender, du Unglücksbräutigam, verStrophe 2 990/1 schwägert mit dem Königshaus, merkst nicht, wie du deinen Kindern, ihrem Leben, den Untergang bringst und deiner Gattin einen entsetzlichen Tod. Unglücklicher, wie sehr täuschst du dich über dein Geschick! 995 Und mit dir stöhne ich über deinen Schmerz, Gegenstrophe 2 996/7 du unglückliche Mutter der Kinder: Du wirst deine Kinder töten wegen des ehelichen Lagers, das, dich verletzend, dein Gatte wider Recht und Brauch verließ 1000 und mit einer anderen, die sein Bett teilt, zusammenwohnt. σὺ δ’, ὦ τάλαν, ὦ κακόνυμφε κηδεμὼν τυράννων, παισὶν οὐ κατειδὼς ὄλεθρον βιοτᾷ προσάγεις ἀλόχῳ τε σᾷ στυγερὸν θάνατον. δύστανε, μοίρας ὅσον παροίχῃ.
στρ. β´ 990/1
μεταστένομαι δὲ σὸν ἄλγος, ὦ τάλαινα παίδων μᾶτερ, ἃ φονεύσεις τέκνα νυμφιδίων ἕνεκεν λεχέων, ἅ σοι προλιπὼν ἀνόμως ἄλλᾳ ξυνοικεῖ πόσις συνεύνῳ.
ἀντ. β ´ 996/7
995
1000
991 κηδεμὼν] prädikativ zu κακόνυμφε, vgl. LSJ s. v. II = κηδεστής, eine Verbindung durch Eheschließung, Verschwägerung 993 +ὄλεθρον : ὀλέθριον +(Hss.) – nur ὄλεθρον respondiert metrisch | βιοτᾷ : βιοτὰν (Hss.) – βιοτὰν ist eine Anpassung an das unmetrische ὀλέθριον, in παισὶν (992) … βιοτᾷ liegt das σχῆμα καθ᾿ ὅλον καὶ μέρος vor (K.-G. I 289, 9; oder man versteht βιοτᾷ als erklärende Apposition, K.-G. I 430 Anm. 2) 998 φονεύσεις (Hss.) : φονεύεις – Das Futur ist sachangemessener. 1001 ἄλλᾳ Musgrave : ἄλλη(ι) Hss. – s. zu 978
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305
990–995 Strophe 2. Der Chor sinniert mit einer gewissen Empathie darüber, wie Iason durch die Verbindung mit dem Königshaus unbewusst und sich über seine Lage täuschend Verderben über seine Kinder und seine neue Frau bringt. Warnen tut der Chor ihn nicht, er hat sich zur Verschwiegenheit verpflichtet (263; 267). 990–991 Gemeint ist, dass Iason eine unglückliche Ehe geschlossen hat (auf der Basis des Unrechts an Medea), insofern er ins Königshaus eingeheiratet, sich mit ihm verschwägert hat, was zu der von ihm nicht erwarteten Rache Medeas führt. Das Wort, das hier mit ‚Unglücksbräutigam‘ übersetzt ist (wörtl. ‚schlechter Bräutigam‘), hatte der Chor schon in v. 206 für Iason gebraucht, dort vom Kontext her im Sinne von ‚treuloser Gatte‘. 995 ‚wie sehr täuschst du dich über dein Geschick!‘, wörtl.: ‚wie weit kommst du ab von deiner Bestimmung‘, d. h., ‚wie sehr realisierst du nicht deine Lage‘. Der Ausdruck nimmt bei diesem Verständnis ‚merkst nicht‘ (992) auf; vgl. Mastronarde. – Denkbar ist ebenfalls die Bedeutung: ‚wie weit entfernst du dich von deinem (sc. bisher erwarteten) Schicksal‘, so Elmsley. 996–1001 Gegenstrophe 2. Der Chor fühlt mit Medea, obwohl er weiß, dass sie die Kinder gegen seinen Einspruch (811–813) töten wird (998 f.), denn er sieht die Schuld bei Iason (vgl. 577 f.; 1232), der Medea zu Unrecht zugunsten einer anderen Frau verlassen habe. 996 ‚mit dir stöhne ich‘: Die Lexika nennen als Bedeutung für metastenomai ‚danach, als nächstes bestöhnen‘, aber das gibt im Anschluss an Strophe 2 keinen guten Sinn, da der Chor die Situation Iasons nicht in der Weise beklagt hat, wie er das bei Medea tut. Daher ist Elmsleys „simul gemo, in partem doloris sumo“, dem die Übersetzung folgt, attraktiv; vgl. Page, Mastronarde. 999 ‚wegen des ehelichen Lagers‘: So sieht der Chor hier die Motivation Medeas. Jedoch betont sie mehrfach, dass sie vor allem wegen Iasons Eidbruch verletzt ist (21 f.;^ 160–163; 168–170; 207 f; 489; 492–498; 778; 1392). 1000 ‚dich verletzend‘ gibt den griechischen Dativ ‚dir‘ wieder, der ausdrückt, zu wessen Nachteil etwas geschieht (dativus incommodi). ‚wider Recht und Brauch‘, wörtl.: ‚gesetzlos‘ (anomōs). Ob der Chor eher den rein rechtlichen Aspekt meint (etwa den Eidbruch) oder den Verstoß gegen das übliche Zusammenleben eines Ehepaares, bleibt offen. Auf jeden Fall sieht er das Fehlverhalten Iasons.
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Fünftes Epeisodion: 1002–1005
Der Paidagagos kommt mit den Kindern zurück. Paid. Herrin, deine Kinder sind dir von der Verbannung befreit, und die Prinzessin hat die Geschenke gern mit ihren Händen angenommen; Frieden herrscht von dieser Seite für die Kinder! Ach! Warum stehst du bestürzt da, jetzt, wo du Glück hast?
1005a 1005b
Παιδ. δέσποιν’, ἀφεῖνται παῖδες οἵδε σοι φυγῆς, καὶ δῶρα νύμφη βασιλὶς ἀσμένη χεροῖν ἐδέξατ’· εἰρήνη δὲ τἀκεῖθεν τέκνοις. ἔα· τί συγχυθεῖσ’ ἕστηκας, ἡνίκ’ εὐτυχεῖς;
1005a 1005b
1002 ἀφεῖνται … φυγῆς] zu ἀφίημι τινά τινος vgl. Hek. 1292, LSJ s. v. II. 1. b 1005a ἔα Zuweisung zum Paidagogos +Kirchhoff : zu Medea (Hss.) – vgl. Komm. zu 1005a
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307
1002–1250 Fünftes Epeisodion. Betrachtet man die Anapäste 1081–1115 als Ersatz für ein Chorlied, das zwei Epeisodien trennt (so Mastronarde), wäre das fünfte Epeisodion extrem kurz und umfasste nur die vv. 1002–1080 (wenn die vv. 1040–1080 unecht sind, sogar nur die vv. 1002–1039). Die Anapäste werden aber nicht gesungen, sondern, vermutlich nur von der Chorführerin, rezitiert (vgl. EK zu 1081–1115, S. 428 f.). Inhaltlich geht es um eine Reflexion über die Problematik des Kinder-Habens, die zwei Teilszenen trennt, die sachlich zusammengehören, nämlich das Ergebnis der Geschenkübergabe, dass die Kinder bleiben dürfen (1002–1020), mit den dann unausweichlichen Abschiedsversen Medeas (1021–1039), und den Botenbericht über die Wirkung der vergifteten Geschenke (1116–1120; {1121} 1122–1230), woran sich nach Trennversen der Chorführerin (1231 f.) die Entscheidung Medeas anschließt, den Kindermord jetzt zu vollziehen (1236–1250). So spricht doch mehr dafür, die vv. 1002– 1250 als e i n Epeisodion zu betrachten (so Tedeschi, S. 187; Martina III 318). – Zu den hier in die Übersicht nicht einbezogenen Versen vgl. zu 1040–1080 und 1233–1235. 1002–1020 Der Paidagogos hat mit den Kindern die Königstochter gleich, nachdem sie zugestimmt hat, dass sie bleiben dürfen (vgl. zu 1002), verlassen, kennt daher die Folgen der Geschenkübergabe nicht und kann so in seiner Sicht nur Erfreuliches berichten. Da er auch von den Mordplänen Medeas nichts weiß (er war bei deren Verkündung nicht zugegen), muss er erstaunt feststellen, dass Medea auf die vermeintliche Freudennachricht nicht freudig reagiert; denn ihr ist leidvoll klar, dass nun der nächste Teil ihres Plans bevorsteht (1002–1005). Der folgende Dialog ist durch doppeldeutige Aussagen Medeas gekennzeichnet, die der Paidagogos so versteht, dass Medea wegen der Trennung von den Kindern, die nun in Korinth bleiben dürfen, traurig sei, während sie den Schmerz meint, den sie angesichts der bevorstehenden Ermordung der geliebten Kinder empfindet (1006–1020). – Dieser Schmerz bewirkt, dass Medea nun zum dritten Mal in diesem Drama weinen muss (1012); vgl. 899–905; 922–931. Zu Parallelen mit der emotionalen Bewegung Medeas in der zweiten Iason-Szene vgl. Bretzigheimer 1968, 176–178. 1002 Die Zustimmung der Tochter Kreons gilt offenbar als ausreichend; von ihrer erbetenen Vermittlung bei Kreon (942–944) ist weder hier noch in den vv. 1156 f. die Rede. Im Griechischen steht bei den Kindern ein deiktisches ‚diese hier‘ (der Paidagogos deutet auf sie, während er spricht) und ein ‚dir‘, wodurch ausgedrückt wird, dass die Befreiung zugunsten von Medea erfolgt (dativus commodi). 1003 ‚mit ihren Händen‘: vgl. 973 und zu 972b–973. 1005a ‚Ach!‘(ea) ist ein Ausruf außerhalb der regulären Verse (extra metrum), ebenso ‚O weh!‘ (aiai) in v. 1008a. ea, das in fast allen Handschriften Medea zugewiesen ist, drückt ein Erstaunen aus, oft vor einer Frage, und passt daher hier nur zum Paidagogos; vgl. ausführlich Page. 1005b Vgl. Iasons Äußerung in v. 602. – Das ‚Glück‘ haben primär die Kinder, aber Medea kann sich als erfolgreich betrachten.
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Fünftes Epeisodion: 1006–1014
{Warum wendest du deine Wange ab und nimmst nicht freudig auf, was ich gesagt habe?} Me. O weh! 1008a Paid. Das ist nicht im Einklang mit dem, was ich berichtet habe. 1008b Me. O weh, noch einmal. Paid. Verkünde ich etwa ein Unglück, unwissentlich, und habe fälschlich geglaubt, die Botschaft sei gut? 1010 Me. Du hast berichtet, was du berichtet hast; ich werfe dir nichts vor. Medea ist in Tränen ausgebrochen. Paid. Warum blickst du dann niedergeschlagen? Warum weinst du? Me. Ich kann nicht anders, Alter; denn das haben die Götter und ich, mit verwerflicher Gesinnung, zustande gebracht. {τί σὴν ἔτρεψας ἔμπαλιν παρηίδα κοὐκ ἀσμένη τόνδ’ ἐξ ἐμοῦ δέχῃ λόγον;} Μη. αἰαῖ. Παιδ. τάδ’ οὐ ξυνῳδὰ τοῖσιν ἐξηγγελμένοις. Μη. αἰαῖ μάλ’ αὖθις. Παιδ. μῶν τιν’ ἀγγέλλων τύχην οὐκ οἶδα, δόξης δ’ ἐσφάλην εὐαγγέλου; Μη. ἤγγειλας οἷ’ ἤγγειλας· οὐ σὲ μέμφομαι. Παιδ. τί δαὶ κατηφεῖς ὄμμα καὶ δακρυρροεῖς; Μη. πολλή μ’ ἀνάγκη, πρέσβυ· ταῦτα γὰρ θεοὶ κἀγὼ κακῶς φρονοῦσ’ ἐμηχανησάμην.
1008a 1008b 1010
1006–1007 {…} Valckenaer u. a. (vgl. 923 f.) – Vgl. Komm. und außerdem, dass στρέφω aus metrischen Gründen durch das unidiomatische τρέπω ersetzt ist; vgl. Page zu 923–4. 1010 ἐσφάλην] mit Genitiv (δόξης), vgl. K.-G. I 396, 2; LSJ s. v. σφάλλω III.2 1011 οἷ’ ἤγγειλας] vgl. zu 889 1012 δαὶ : δὲ : δὴ : δ᾿ αὖ CP 731 – Das kolloquiale (GP 262) δαί (statt δή) passt zum Paidagogos; vgl. auch Collard 2018, 101 f. | κατηφεῖς +(Hss.) : +κατηφὴς : κατηφὲς Cobet (vgl. Herakl. 633); Diggle – κατηφέω ist meist intransitiv, mit Objekt erscheint es bei Kallimachos, Epigramm 20,5 Pf. (‚niedergeschlagen etwas anblicken‘), was hier nicht passt. Aber ὄμμα lässt sich als Akkusativ der Beziehung verstehen: ‚Warum bist du niedergeschlagen in Bezug auf dein Auge?‘ d. h., ‚Warum blickst du niedergeschlagen?‘ Vgl. zum Text auch Mastronarde. 1013 πολλή μ’ ἀνάγκη] zu ergänzen etwa δακρυρροεῖν (Mastronarde), zur gängigen Wendung selbst vgl. Collard 2018, 41 1014 ἐμηχανησάμην] Durch den Singular wird vermutlich der Anteil Medeas hervorgehoben (K.-G. I 82, Anm. 4 u. 5).
Kommentar
309
1006–1007 Die Verse sind nach dem Vorbild der vv. 923 f. adaptiert und werden an dieser Stelle zu Recht für unecht gehalten, da sie lediglich eine Erweiterung der Frage bringen und auch unidiomatisch angepasst wurden (vgl. TS). 1008b Der Paidagogos beginnt zu begreifen, dass Medeas Gemütsstimmung mit seiner Botschaft zusammenhängt, und reagiert verunsichert (1009b– 1010). 1009 Sprecherwechsel im Vers, sog. Antilabe, ist selten in den früheren der erhaltenen Dramen des Euripides und Zeichen erregten Dialogs. 1010 Die eigentlich gute Botschaft, die Medea erwartet, ist der Erfolg der Intrige (vgl. zu 974–975), den sie dann vom Boten zu dessen Erstaunen erfreut zur Kenntnis nehmen wird (1127 f.). Da wird ihr der Tod der Königstochter und ihres Vaters gemeldet, hier überwiegt die Einsicht in die schmerzlichen Folgen ihres Plans, weil sie ihre Kinder betreffen. 1013a ‚Ich kann nicht anders‘, sc. als niedergeschlagen zu sein und zu weinen (1012). Wörtl. ‚Es besteht eine starke Notwendigkeit, dass ich …‘. Diese Notwendigkeit ergibt sich allerdings aus dem selbstgewählten Racheplan. 1013b–1014 Medea erklärt ihre Situation teils durch höhere Mächte bedingt (Götter), teils als selbstverantwortet. Medea hatte für ihren Racheplan Zeus (764; vgl. noch 332; 1352 f.) und als Helios-Enkelin (406; 746) Helios angerufen (764), der nach Aussage des Chores von Zeus abstammt (1258). Und auch der Chor nimmt an, dass Zeus (der Schützer der Eide, 169 f.) Medea zu ihrem Recht verhelfen werde (157). Aber göttliche Hilfe bei der Durchführung der Rache ist etwas anderes als deren göttliche Verursachung. So will Medea mit dem Hinweis auf die Götter vielleicht die Rache (die für sie durch den Kindermord schmerzlich ist) vor sich selbst rechtfertigen (Mastronarde 2010, 202), ohne allerdings ihre eigene Verantwortung zu leugnen (1014). Die Eigenverantwortung besteht für Medea in ihrem Racheplan, dem die Kinder zum Opfer fallen werden, weswegen sie unter diesem Aspekt ihre Gesinnung als verwerflich (wörtl. ‚schlecht‘) bezeichnet. Der Paidagogos dagegen kann verstehen, dass ein göttlich bedingtes Schicksal und / oder Medeas unkluge Äußerungen gegen das Königshaus gemeint seien, die zu ihrer Verbannung und nach dem ihm möglichen Verständnis jetzt zur Trennung von den Kindern führen. 1013b ‚das‘: Der Bezug ist nicht ganz klar, vermutlich meint Medea die jetzt bestehende Situation mit ihrem nun zwangsläufigen Ablauf. 1014 Medea weiß, dass der Kindermord ungeheuerlich (791–793) und gottlos (1383) ist. Unter diesem Gesichtspunkt und weil er ihr persönlich Leid bereiten wird (1036 f.), kann sie ihre Gesinnung verurteilen, jedoch kann sie es nicht ertragen, dass die Feinde über sie triumphieren (404; 797; 1355; 1362), weswegen sie trotz der Einsicht in die Verworfenheit ihrer Tat daran festhält. – Nach ihren Äußerungen spricht nichts dafür, dass Medea „on behalf of the gods“ handele, indem sie die Bestrafung des Eidbrechers als Helferin des Zeus übernähme (so aber Wildberg 1999–2000, 241), vielmehr handelt sie eigenverantwortlich, allerdings hofft sie auf göttliche Hilfe und erhält sie. ‚mit verwerflicher Gesinnung‘: es ist derselbe Ausdruck wie in v. 464 (kakōs phronein, wörtl. ‚übelwollen‘).
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Fünftes Epeisodion: 1015–1020
Paid. Nur Mut! Gewiss wirst auch du noch heimkehren durch deine Kinder. Me. Andere werde ich zuvor heimführen, ich Unglückselige. Paid. Du bist nicht die Einzige, die von ihren Kindern getrennt wird; leichten Herzens muss man als Sterblicher Notlagen ertragen. Me. Das werde ich tun; nun geh ins Haus und bereite für die Kinder, was sie täglich brauchen. Παιδ. θάρσει· κάτει τοι καὶ σὺ πρὸς τέκνων ἔτι. Μη. ἄλλους κατάξω πρόσθεν ἡ τάλαιν’ ἐγώ. Παιδ. οὔτοι μόνη σὺ σῶν ἀπεζύγης τέκνων· κούφως φέρειν χρὴ θνητὸν ὄντα συμφοράς. Μη. δράσω τάδ’· ἀλλὰ βαῖνε δωμάτων ἔσω καὶ παισὶ πόρσυν’ οἶα χρὴ καθ’ ἡμέραν.
1015
1020 1015
1020
1015 κάτει Porson : κρατεῖς +Hss. – Die Antwort κατάξω (1016) erfordert einen entsprechenden Ausdruck hier, der durch Porsons treffende Konjektur geboten wird: ‚du wirst heimkommen (nach Korinth) durch den Einfluss deiner Söhne‘. 1017 οὔτοι] vgl. zu 44 | ἀπεζύγης] zum Aorist vgl. zu 78 1018 θνητὸν] generalisierendes Maskulinum, vgl. auch zu 314–315 sowie MT § 827 (b) 1020 καθ’ ἡμέραν] „day by day“ (LSJ s. v. ἡμέρα III)
Kommentar
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1016 Medeas Antwort auf die Trostworte des Paidagogos, dass Medea mit Hilfe ihrer Kinder auch noch wieder in die Heimat zurückkehren werde, muss er so verstehen, dass Medea eher andere aus dem Exil zurückbringen wird, bevor sie heimkehren kann, dass ihre Rückkehr also illusorisch sei; sie meint, dass sie zuvor andere, ihre Kinder, ‚hinabführen‘ werde (was das griechische Verb katagein ebenfalls bedeuten kann) in das Reich der Toten (vgl. Mastronarde). Das Wortspiel ist in seiner Doppeldeutigkeit nicht zu übersetzen. 1017–1018 Die gut gemeinten Trostworte des Paidagogos, dass man nicht der einzige sei, den ein Unglück treffe, sind ebenso ein Gemeinplatz (vgl. z. B. Hipp. 834 f.) wie, dass man das von den Göttern Auferlegte ertragen müsse (vgl. z. B. Phoin. 1763). Weiteres bei Martina III 324 zu 1017–8. 1019–1020 Medea gibt vor, sich auf die konventionellen Tröstungsversuche des Paidagogos einzulassen, offensichtlich, weil sie ihn loswerden will, und weist ihn an, im Haus seinen täglichen Verpflichtungen nachzugehen, als ob es sich um eine Daueraufgabe handle. Für diejenigen, die den Racheplan kennen, muss diese Aufgabenstellung anrührend wirken, da die Kinder weder an diesem Tag noch jemals wieder brauchen werden, was der Paidagogos für sie besorgen soll. „This is very pathetic“ (Page). Zur Szenerie: Medeas Aufforderung, ins Haus zu gehen, richtet sich an den Paidagogos. Gleich danach spricht sie die Kinder an, weswegen es wahrscheinlich ist, dass sie noch auf der Bühne bleiben. Bisher traten allerdings der Paidagogos und die Kinder immer gemeinsam auf und entfernten sich gemeinsam von der Bühne. Eindeutig ergibt sich das aus den vv. 46–91; für die vv. 894–975 kann man es erschließen, weil die Kinder 1002 ff. zusammen mit dem Paidagogos vom Königspalast zurückkommen. Daher könnte man auch hier annehmen, dass die Aufforderung an den Paidagogos impliziert, dass er die Kinder mitnehmen solle; vgl. Hübner 1984b, 402 f. Angesichts des Charakters von Medeas Rede liegt es näher, dass sie die Kinder direkt anspricht und diese erst nach v. 1039 – ohne ausdrückliche Aufforderung – selbstständig ins Haus treten, indem die vv. 1038 f. als Ende der Verabschiedung verstanden werden und sich vielleicht Medea von ihnen ab- und den Chorfrauen zuwendet (v. 1043 bzw. v. 1081, wenn die vv. 1040–1080 unecht sind). Zu weiteren Einzelheiten vgl. EK zu 1019–1020, S. 420. Zur Frage der Unechtheit der vv. 1040–1080 vgl. Komm. und EK (S. 421–423) zu diesen Versen.
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Fünftes Epeisodion: 1021–1026
Der Paidagogos geht ins Haus, die Kinder bleiben wahrscheinlich auf der Bühne. Meine Kinder, ihr Kinder, ihr beide habt ja eine Stadt und ein Haus, in dem ihr, wenn ihr mich Elende verlassen habt, immer wohnen werdet, der Mutter beraubt. Ich aber werde in ein anderes Land gehen als Verbannte, bevor ich eure Hilfe genießen und euch glücklich sehen konnte, bevor ich (euch) Hochzeitsbad, Frau und Hochzeitslager ὦ τέκνα τέκνα, σφῷν μὲν ἔστι δὴ πόλις καὶ δῶμ’, ἐν ᾧ λιπόντες ἀθλίαν ἐμὲ οἰκήσετ’ αἰεὶ μητρὸς ἐστερημένοι· ἐγὼ δ’ ἐς ἄλλην γαῖαν εἶμι δὴ φυγάς, πρὶν σφῷν ὄνασθαι κἀπιδεῖν εὐδαίμονας, πρὶν λουτρὰ καὶ γυναῖκα καὶ γαμηλίους
1025
1025
1021 δὴ] bei Verben, „At moments of strong emotions“ (GP 214 f.) 1024 δὴ] vgl. zu 1021 1025 σφῷν ὄνασθαι] ὀνίνασθαι mit der üblichen Genitivkonstruktion (LSJ s. v. ὀνίνημι II. 1) 1026 λουτρὰ Burges : λέκτρα Hss. – λέκτρα ist neben γαμηλίους εὐνὰς (1026 f.) unwahrscheinlich, während λουτρὰ gut zum Hochzeitsritus passt; alternativ könnte man λέκτρα (λέκτρ᾿) halten und eine Binneninterpolation annehmen, indem man mit Bothe (vgl. Müller 1951, 69 Anm. 2) καὶ γυναῖκα καὶ γαμηλίους εὐνὰς tilgt; der Text würde dann lediglich lauten: ‚bevor ich das Hochzeitslager prächtig ausstatten und die Hochzeitsfackeln hochhalten konnte‘.
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1021–1080 Die Rede Medeas gliedert sich in drei Teile: (1) Abschiedsworte an die Kinder (1021–1039); (2) einen Abschnitt, in dem Medea in ihrem Entschluss wankend wird, sich aber am Ende dazu entschließt, die Kinder zu töten (1040–1055); (3) eine weitere Anfechtungsszene, wiederum mit Abschied von den Kindern und abermaliger Entscheidung, die Kinder zu töten (1056–1080). Das Verständnis des Textes ist durch vieldiskutierte Echtheitsfragen erschwert, die, je nachdem, wie man sich entscheidet, die Deutung erheblich beeinflussen. So gibt es, wenn man die vv. 1040–1080 für unecht hält, keinen Entscheidungsmonolog Medeas, sondern lediglich die Abschiedsrede an die Kinder (1021– 1039), an die sich, in entsprechender Stimmung, die pessimistischen Ausführungen der Chorführerin über das größere Glück der Kinderlosen anschließen (1081–1115). – Vgl. im Einzelnen EK zu 1021–1080, S. 420 f. 1021–1039 Medea wendet sich direkt an ihre Kinder. Sie ist offensichtlich innerlich sehr bewegt, aber äußerlich gefasst, wie sich auch an der stilistischen Ausgestaltung zeigt (Anaphern: 1021; 1025 f.; 1029 f.; Partikelgebrauch: 1021; 1024; 1032; 1035). Medea kontrastiert das künftige ‚Leben‘ der Kinder mit ihrem eigenen in der Verbannung und den früheren Erwartungen an ein gemeinsames Leben. Während die Kinder ihre von Medea beschriebene Zukunft auf das Leben in Korinth beziehen können, wenn die Mutter ins Exil geht, meint Medea in doppelsinniger Rede deren Existenz im Totenreich. Medea spricht zu den Kindern entsprechend doppeldeutig wie zu dem Paidagogos (vgl. zu 1002– 1020), als die Kinder ebenfalls dabeistanden, d. h., es ist anzunehmen, dass die Kinder alt genug sind, um eine eindeutige Redeweise zu verstehen, und sich Medea deshalb zweideutig ausdrückt. Man darf sich die Kinder nicht als ganz klein und unverständig vorstellen, wie aus ihren Worten in den vv. 1271a–1278 hervorgeht; sie sind auch in der Lage, Anweisungen der Mutter entgegenzunehmen (969–973). 1022–1023 Für die Seelenlage Medeas ist es bezeichnend, dass sie sich von den Kindern verlassen fühlt, aber gleichzeitig sind die Kinder auch der Mutter beraubt, es wird eine gegenseitige Verlassenheit ausgedrückt. Die Aussage bekäme allerdings eine besondere Pointe, wenn Medea die Kinder mit dem Paidagogos weggehen sähe (Hübner 1984b, 403), was aber vermutlich nicht der Fall ist; vgl. zu 1019–1020. 1023 ‚immer‘ steht im griechischen Text so, dass es sowohl mit ‚wohnen‘ als auch mit ‚beraubt‘ verbunden werden kann, und vielleicht gehört es auch zu beidem, da beide Bezüge einen Sinn ergeben. In erster Linie dürfte es auf ‚wohnen‘ bezogen sein, indem auf die Ewigkeit des Todes angespielt ist; vgl. auch Mastronarde. 1025–1027 In dem schmerzlichen Bewusstsein, dass es ihr versagt sein wird, reflektiert Medea über das, was sie als Mutter von Kindern erwartet und was sie getan hätte, um für sie zu einem erfüllten Erwachsenenleben beizutragen. Dabei nennt sie die üblichen Hochzeitsriten, die für die Braut, aber auch für den Bräutigam gelten. Vgl. Reinsberg 1989, 49–70; Oakley / Sinos 1993, 15 f. (Bad); 26 (Fackeln); 35–37 (Lager). – Vergleichbare Klagen äußern Megara in HF 476–484 und Hekabe in Tro. 1167–1169; 1218–1220.
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Fünftes Epeisodion: 1027–1039
prächtig ausstatten und Hochzeitsfackeln hochhalten konnte. Ich Unglückselige wegen meines stolzen Ichs! Umsonst also zog ich euch, Kinder, auf, umsonst mühte ich mich ab und erschöpfte mich durch Qualen, 1030 als ich harte Schmerzen bei der Geburt ertrug. Wirklich setzte ich Unglückliche einst große Hoffnungen auf euch, dass ihr für mich im Alter sorgen und, bin ich gestorben, mich mit euren Händen aufbahren würdet, ein beneidenswertes Los unter den Menschen. Jetzt aber ist dahin 1035 dieser süße Gedanke. Denn euer beider beraubt werde ich mein Leben in Trauer und Schmerz führen. Und ihr werdet die Mutter nicht mehr mit euren lieben Augen anblicken, wenn ihr zu einer anderen Art des Lebens weggegangen seid. εὐνὰς ἀγῆλαι λαμπάδας τ’ ἀνασχεθεῖν. ὦ δυστάλαινα τῆς ἐμῆς αὐθαδίας. ἄλλως ἄρ’ ὑμᾶς, ὦ τέκν’, ἐξεθρεψάμην, ἄλλως δ’ ἐμόχθουν καὶ κατεξάνθην πόνοις, στερρὰς ἐνεγκοῦσ’ ἐν τόκοις ἀλγηδόνας. ἦ μήν ποθ’ ἡ δύστηνος εἶχον ἐλπίδας πολλὰς ἐν ὑμῖν, γηροβοσκήσειν τ’ ἐμὲ καὶ κατθανοῦσαν χερσὶν εὖ περιστελεῖν, ζηλωτὸν ἀνθρώποισι· νῦν δ’ ὄλωλε δὴ γλυκεῖα φροντίς. σφῷν γὰρ ἐστερημένη λυπρὸν διάξω βίοτον ἀλγεινόν τ’ ἐμόν. ὑμεῖς δὲ μητέρ’ οὐκέτ’ ὄμμασιν φίλοις ὄψεσθ’, ἐς ἄλλο σχῆμ’ ἀποστάντες βίου.
1030
1035
1028 αὐθαδίας] Bei Ausdrücken des Schmerzes, bes. bei Ausrufen, steht in der Dichtung häufig der bloße Genitiv (des Grundes); vgl. K.-G. I 388 f. 1029 ἄρ’ +(Hss.) : +τ᾿ ἄρ᾿ – Medea erklärt, was sich aus ihrer αὐθαδία ergibt, dabei ist eine verbindende Partikel eher störend. 1032 ἦ μήν] „introduces a strong and confident asseveration“ (GP 350) 1035 ζηλωτὸν ἀνθρώποισι] Apposition zum ganzen vorausgehenden Satz (K.-G. I 285 Anm. 6); in TrGF V F 661,25 ist ζηλωτὸς ἀνθρωποῖσιν Prädikat. | δὴ] vgl. zu 1021 1036 γλυκεῖα φροντίς] vgl. Eur. TrGF V F 34 γλυκεῖα γάρ μοι φροντὶς οὐδαμῇ βίου 1037 ἐμόν Platnauer : ἐμοί Hss. : ἀεί F. W. Schmidt – ἐμοί „seems aimlessly emphatic“; auch wenn eine Änderung nicht zwingend nötig ist, ergibt ἐμόν mit λυπρὸν und ἀλγεινόν als Prädikativa einen überzeugenden Sinn (vgl. Page). 1038 δὲ : τε – Da Gegensätze verbunden werden (ἐμόν [1037] – ὑμεῖς), ist δὲ vorzuziehen.
Kommentar
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1027 ‚prächtig ausstatten‘: Das griechische Verb (agallein) bedeutet ‚verherrlichen‘, aber hier geht es nicht um etwas Verbales, sondern Medea stellt sich eine festliche Ausgestaltung der Hochzeit vor. 1028 ‚meines stolzen Ichs!‘: Der Gedanke daran, worauf sie durch die Verbannung bzw. den Tod der Kinder verzichten muss, ruft bei Medea diese Klage hervor. Das schwer zu übersetzende Wort authadia (vgl. zu 104), wörtl. ‚Selbstgefälligkeit‘, bezeichnet hier wohl Medeas Einstellung, dass ihr ‚Ich‘ die Entehrung (20; 696) und den Triumph anderer über sie (vgl. zu 1014) nicht aushalten kann, d. h. ihr Selbstwertgefühl, dass sie sich selbst behaupten muss (Hübner 1984b, 401 Anm. 2); man kann diese Haltung auch Unbeugsamkeit nennen; vgl. zur Rolle der authadia Friedrich 1993, 228. Medea beklagt diese Haltung wegen der Folgen, stellt sie aber nicht in Frage. Es ist ihr klar, dass sie das Leid selbst zu verantworten hat, das sie den Kindern und sich zufügt; der göttliche Anteil, auf den sie sich in den vv. 1013 f. berufen hatte, wird hier nicht genannt. 1029–1039 Der Gedanke aus v. 1025, dass die Kinder der Mutter nichts mehr werden zurückgeben können, wird hier unter dem Gesichtspunkt des ‚Umsonst‘ in einer Art vorweggenommener Totenklage (vgl. Gill 1996, 166 f.) im Einzelnen entwickelt. Vgl. zu deren traditionellen Formen Lattimore 1962, ch. 6; Alexiou 1974, 161–184. 1029–1031 Zu dem Gedanken, umsonst Kinder aufgezogen zu haben, vgl. Tro. 758–760, zu den Geburtswehen Med. 248–251. 1030 ‚erschöpfte mich‘: Das griechische kataxainein bedeutet wörtl. ‚zerkratzen‘ bzw. ‚kardieren‘ oder ‚krempeln‘ (der Wolle, als Vorbereitung für das Spinnen), dann übertragen ‚aufreiben‘, ‚erschöpfen‘, ‚entkräften‘. Der Vers ist fast wörtl. wiederholt in den Troerinnen (760), als sich Andromache von ihrem dem Tod geweihten Sohn Astyanax verabschiedet. 1032–1035a Hier liegt die (nicht nur im antiken Griechenland) allgemeine Vorstellung zugrunde, dass sich Kinder um ihre alternden Eltern kümmern und deren Begräbnis besorgen; vgl. Alk. 662–664. Dabei ist vorausgesetzt, dass die natürliche Ordnung bewahrt wird, die Kinder also nicht vor den Eltern sterben; vgl. Herodot 1,87,4. Vgl. zur Sache Lacey 1983, 118 mit Anm. 113–117 (S. 277); Golden 2015, 79–81 mit Anm. 75–83 (S. 180). 1034 Gemeint ist die Prothesis als Teil des Totenrituals, die Aufbahrung des Toten, der in ein Leichentuch oder weißes Gewand gehüllt wurde. Dieses Umhüllen bezeichnet das griechische Verb (peristellein); vgl. Kierdorf 1997, 589. 1036 ‚beraubt‘: nun Medea der Kinder, wie zuvor die Kinder (1023) der Mutter. Dasselbe Wort steht jeweils in betonter Endstellung im Vers. 1038–1039 ‚Augen / anblicken‘: Die Erwähnung des Blickkontaktes ist ebenso wie die direkte Anrede (1021) am sinnvollsten, wenn die Kinder Medea noch gegenüberstehen. Vgl. zu 1019–1020. 1039 ‚Art des Lebens‘: Für die Kinder ist es ‚Leben in Korinth‘ (ohne ihre Mutter), Medea meint eine Existenz im Jenseits. Vgl. Ion 1067 (vom potenziellen Selbstmord Kreusas): „in eine andere Gestalt des Lebens wird sie hinabgehen“; IA 1507 f. (Martina III 334 f. zu 1038–9). Es liegt jeweils die Vorstellung zugrunde, dass es ein wie auch immer geartetes ‚Leben‘ nach dem Tode gibt.
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Fünftes Epeisodion: 1040–1046
{Weh, weh! Warum blickt ihr mich mit euren Augen an, Kin- 1040 der? Warum lacht ihr mich an mit eurem allerletzten Lachen? Ach, ach! Was soll ich tun? Denn mein Mut ist dahin, ihr Frauen, seit ich das strahlende Auge der Kinder sah. Ich vermag es nicht zu tun. Fort mit den Plänen, den bisherigen! Ich werde meine Kinder aus diesem Land führen. 1045 Warum soll ich, um den Vater von diesen durch deren Leid {φεῦ φεῦ· τί προσδέρκεσθέ μ’ ὄμμασιν, τέκνα; τί προσγελᾶτε τὸν πανύστατον γέλων; αἰαῖ· τί δράσω; καρδία γὰρ οἴχεται, γυναῖκες, ὄμμα φαιδρὸν ὡς εἶδον τέκνων. οὐκ ἂν δυναίμην· χαιρέτω βουλεύματα τὰ πρόσθεν· ἄξω παῖδας ἐκ γαίας ἐμούς. τί δεῖ με πατέρα τῶνδε τοῖς τούτων κακοῖς
1040
1045
1040–1080 {…} Hübner 1984, 405–418 1040–1055 1044–1048, 1053–1055 {…} Diggle 2008, 407 f.; vgl. Komm. u. EK zu 1040–1055, S. 421–423. 1040 τέκνα +(Hss) : φίλοις +Trikl. – φίλοις ist wahrscheinlich von v. 1038 übernommen 1041 προσγελᾶτε … γέλων] vgl. zu 587 1042 οἴχεται] Das Präsens bezeichnet den aus der Handlung hervorgegangenen Zustand (K.-G. I 136 b). 1043 +φαιδρὸν : +τερπνὸν – τερπνὸν ὄμμα ist als (metaphorische) Anrede an Orest belegt (Aisch. Cho. 238), ὄμμα φαιδρὸν ist wohl sachlich passender, die Verbindung kommt bei Aisch. Ag. 520 (φαιδροῖσι … ὄμμασιν) vor, weitere vergleichbare Wendungen bietet Page. 1044 οὐκ ἂν δυναίμην] Zum Optativ mit ἄν als entschiedenem Ausdruck des Willens vgl. K.-G. I 233, 4 | χαιρέτω (Hss.) : +ἐρρέτω – v. 1048 spricht für χαιρέτω 1045 {…} Nauck u. a. | ἐμούς Hss. : ὁμοῦ F. W. Schmidt
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1040–1080 Diese in der Forschung vielfach besprochenen Verse bieten in verschiedener Hinsicht Anlass, sie für nachträglich eingefügt zu halten, vgl. die Kommentarbemerkungen im Einzelnen und EK zu 1040–1055, S. 421–423, und zu 1056–1080, S. 423–428. 1040–1055 Die Haltung Medeas war bisher durch den unabänderlichen Entschluss gekennzeichnet, als wirksamste Rache an Iason die Kinder zu töten, immer verbunden mit dem Bewusstsein, welches Leid sie dabei auch selbst auf sich nehmen muss (791–793; 814f.; 817–819; 899b–905; 922–931; 1005– 1016). Entsprechend ist ihre Einstellung kurz vor und bei der Tat (1236–1250; 1271a–1278). In den vv. 1040–1055 wird eine Medea gezeigt, die in ihrem Entschluss temporär schwankend wird. Angesichts der sie anblickenden Kinder glaubt sie, ihre Tat nicht ausführen zu können, will vielmehr die Kinder mit ins Exil nehmen, doch besinnt sie sich wieder auf ihre Selbstachtung und will unmittelbar zur Tötung der Kinder schreiten. Euripides könnte eine Medea konzipiert haben, die ihre Entschlusskraft und Standhaftigkeit überschätzt und sie vielleicht nicht durchhalten kann, wie der Chor glaubte voraussehen zu können (856–865). Auffällig ist aber, dass jetzt Medea nicht mehr doppelsinnig spricht (wie 1013 f.; 1016; 1021–1039), sondern trotz der Gegenwart der Kinder geradeheraus sagt, was sie meint. Diese veränderte Sprecherhaltung ist durch einen Wechsel der Situation nicht begründet und kann als Zeichen verstanden werden, dass hier nicht mehr derselbe Autor am Werk ist. Zu weiteren Argumenten für die Unechtheit der Versgruppe vgl. EK zu 1040–1055, S. 421–423. 1040–1043 Der Text setzt voraus, dass die Kinder noch dastehen, knüpft offenkundig an die vv. 1038–1039a an. Vielleicht wird eine Bemerkung des Chores (860–865) aufgegriffen, der allerdings eine Situation annahm, wie sie sich in den vv. 1271a–1281 abspielt (wo Medea nicht wankend wird), aber nicht eine Abschiedssituation wie hier. – Da die Kinder (1040 f.; 1053) und die Chorfrauen (1043) angesprochen werden, leuchtet die These Papadopoulous (1997, 647–653) nicht ein, die Euripides aufgrund der vv. 1040–1055 für den Erfinder des ‚inneren Monologs‘ hält. 1041 ‚allerletzten‘: Das griechische Wort (panhystatos) kann bei Euripides (Alk. 164; Hek. 411; 611; HF 457; 513; Or. 367) und Sophokles (Tr. 874) die Konnotation des Todes haben; vgl. Mastronarde. 1043 ‚ihr Frauen‘: Außer in der förmlichen Anrede v. 214 spricht Medea die Choreutinnen nicht mit ‚Frauen‘ an, sondern mit philai (‚ihr Lieben, Freundinnen‘): 227; 765; 797; 1116; 1236 (v. 408 ist ebenfalls unecht). 1044 / 1048 ‚Fort mit den Plänen …!‘: Die früheren Pläne sind in vv. 769 u. 772 genannt, sie schließen dort die Intrige gegen die Königstochter und den Kindermord ein (774–797), während hier nur noch Letzteres in Frage kommt, da der Mord an der Tochter Kreons schon eingeleitet ist. 1045 Die Mitnahme der Kinder ins Exil könnte als vernünftiger Ausweg erscheinen, ist aber ein Fremdkörper in der Handlung. Eine Mitnahme war schon in der Aigeus-Szene nicht vorgesehen, wo Medea nur um ein Exil für sich selbst
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Fünftes Epeisodion: 1047–1055
zu quälen, mir selbst zweimal so viel Leid zuziehen? Das mache i c h ganz gewiss nicht! Fort mit den Plänen! Doch was ist mit mir? Will ich mich zum Gespött machen, indem ich meine Feinde ungestraft davonkommen lasse? Ich muss das wagen! Nein, was bin ich feige, mir solch weichliche Gedanken auch nur in den Sinn kommen zu lassen! Geht, Kinder, ins Haus. – Alle, denen es gegen heiliges Recht verstößt, bei meinem Opfer dabei zu sein, sollen sich selbst darum kümmern. Denn ich werde meine Hand nicht erlahmen lassen. λυποῦσαν αὐτὴν δὶς τόσα κτᾶσθαι κακά; οὐ δῆτ’ ἔγωγε· χαιρέτω βουλεύματα. καίτοι τί πάσχω; βούλομαι γέλωτ’ ὀφλεῖν ἐχθροὺς μεθεῖσα τοὺς ἐμοὺς ἀζημίους; τολμητέον τάδ’· ἀλλὰ τῆς ἐμῆς κάκης, τὸ καὶ προσέσθαι μαλθακοὺς λόγους φρενί. χωρεῖτε, παῖδες, ἐς δόμους. – ὅτῳ δὲ μὴ θέμις παρεῖναι τοῖς ἐμοῖσι θύμασιν, αὐτῷ μελήσει· χεῖρα δ’ οὐ διαφθερῶ.
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1047 λυποῦσαν] finaler Sinn (K.-G. II 86, 5) 1048 δῆτ’] „Answering a rhetorical question“, GP 275 (viii) (a) | ἔγωγε] zur Ellipse vgl. Collard 2018, 143 1049 καίτοι] „Used by a speaker in pulling himself up“ (GP 557 [ii]) 1051 ἀλλὰ τῆς ἐμῆς κάκης] Genitiv nach Interjektionen und Beteuerungen (die hier allerdings nicht vorliegen, Collard 2018, 129); vgl. Schwyzer II 134; K.-G. I 389; zu ἀλλὰ vgl. GP 7 f. „Usually … the objection is to the speaker’s own words.“ 1052 προσέσθαι Badham (ἐνδοῦναι Σ) : προέσθαι +Hss. – Dem Scholiasten muss προσέσθαι vorgelegen haben, wie seine Erklärung zeigt; die Überlieferung ergibt hier keinen Sinn. | τὸ καὶ προσέσθαι] Infinitiv mit Artikel zum Ausdruck affektvoller Ausrufe (K.-G. II 46, 3; Collard 2018, 128; Biraud et al. 2021, 270 f.); zu καὶ vgl. GP 293 f. II. A. (2) „Marking a minimum (descending climax)“. | +φρενί : φρενός +(Hss.) – Es geht nicht um weichliche Reden / Gedanken des Sinnes, sondern darum, dass man sie sich nicht in den Sinn kommen lässt. 1054 +θύμασιν : δώμασιν +(Hss.) – Es muss dem Kontext nach (vgl. bes. 1055, zweite Vershälfte) der Akt der Tötung gemeint sein.
Kommentar
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bat (709 ff.), und bildet auch in den vv. 1236 ff. keine Alternative, als Medea die Tötung der Kinder, aber Exil für sich als endgültige Lösung beschließt. 1047 ‚zweimal so viel Leid‘: Es soll wohl ausgedrückt werden, dass der Tod der Kinder Medea mehr träfe als Iason (vielleicht, weil nur sie beansprucht, die Kinder zu lieben, 1397). 1048 ‚Fort mit den Plänen!‘ wirkt als wörtliche Wiederholung von v. 1044 wie eine endgültige Entscheidung. Vgl. auch zu 1044 / 1048. 1049–1052 Der neuerliche Umschwung wird ausgelöst durch die Rückbesinnung auf Medeas in v. 797 genannte Maxime (hier in der Formulierung von v. 404 aufgenommen), die dort zu dem Kerngedanken der Rache (817) geführt hatte. Mit dem unspezifischen ‚das‘ (1051), im Griechischen Plural, muss der Kindermord gemeint sein. 1049 ‚was ist mit mir?‘ Vgl. 879, dort von Medea zur Täuschung Iasons gesagt, hier als ernsthafter Selbstzweifel (Mossman). 1050 ‚ungestraft‘: Mossman erklärt den Ausdruck als Übertreibung, und Medea meine, eine unvollständige Bestrafung sei keine Bestrafung. Aber da mit der Überbringung der vergifteten Geschenke eine ‚Bestrafung‘ irreversibel bereits eingeleitet ist, kann sich Medea diese grundsätzliche Frage eigentlich nicht mehr stellen. Sie passte eher in einen früheren Entscheidungsprozess, etwa nach der Kreon-Szene (364–367; 395–406). 1051 Als Reaktion auf v. 1050 versteht sich die erste Hälfte von v. 1051 besser als Aufforderung denn als Frage (Kovacs: „Must I put up with that?“); vgl. Mastronarde. 1052 ‚weichliche Gedanken‘, eigtl. ‚sanfte / schmeichlerische Worte / Reden‘ (wie 316 u. bes. 776), mit denen Medea diesmal nicht andere betrügen, sondern sich selbst um ihre Rache bringen würde. 1053–1055 Medea schickt die Kinder ins Haus, offenbar um nun unmittelbar zur Tat zu schreiten, was impliziert, dass sie mit ihnen hineingeht, zumal sie Verständnis dafür äußert, wenn andere aus religiösen Gründen glauben, nicht dabei sein zu können, ihr also nicht zu folgen; daher wird Mastronardes Erklärung (S. 346, zu 1080: „… as long as she has not yet gone inside there is still room for suspense and the possibility that she will waver again“) dem Text nicht gerecht; denn das Problem besteht gerade darin, dass Medea trotz ihrer Ankündigung nicht ins Haus geht. Wie sie selbst sagen wird (vv. 1116 f.), wartet sie noch auf den Boten, der ihr das Geschehen im Königspalast berichten soll, und die Tötung der Kinder findet erst nach v. 1250 statt. – Vgl. im Einzelnen EK zu 1040–1055, S. 421–423. Vgl. zur Abweisung von Unreinen, wenn sich ein Gott (Apollon) nähert, Kallimachos, Hymnos 2,2; zur Vermeidung des Kontakts mit Unreinen Soph. OT 239 f.; Eur. TrGF V F 852,3–5; zur Abweisung von Menschen, die unrein werden könnten, Eur. IT 1226–1229. – Burkert (1966, 118) stuft das Opfer als „a secret sacrifice“ ein. 1055 ‚sollen sich selbst darum kümmern‘, d. h., sie sollen selbst dafür Sorge tragen, dass sie nicht dabei sind. „… Medea herself will not forestall her deed to save anybody from distress“ (Mastronarde).
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Fünftes Epeisodion: 1056–1058
Ah, ah! Nicht, mein zornerfülltes Gemüt, tu das nicht! Lass sie, du unseliges (Gemüt), verschone die Kinder! Wenn sie dort mit mir leben, werden sie dich erfreuen.
1056a 1056b
ἆ ἆ· μὴ δῆτα, θυμέ, μὴ σύ γ’ ἐργάσῃ τάδε· ἔασον αὐτούς, ὦ τάλαν, φεῖσαι τέκνων· ἐκεῖ μεθ’ ἡμῶν ζῶντες εὐφρανοῦσί σε.
1056a 1056b
1056–1080 Doppelfassung lt. Bergk 1884, 512 Anm. 140, von Späteren für unecht erklärt. {…} Müller 1951, Reeve 1972, Zwierlein 1978, 35 f. (wo statt 1056 irrtümlich 1054 angegeben ist), Diggle, ed. 1984, Lucarini 2013, 163–175 (kein Bestandteil der überlieferten Medea); 1056–1066 {…} Diggle 2008, 407 f. (vgl. auch zu 1040–1055); 1056–1064 {…} Kovacs 1986; 1056–1063 u. 1078–1080 {…} Mossman; vgl. Komm. u. EK zu 1056–1080, S. 423–428 1056a–b ἆ ἆ· … τάδε] vgl. Or. 1598 ἆ ἆ, μηδαμῶς δράσῃς τάδε 1056a ἆ ἆ Hss. : ø Π 1056b μὴ δῆτα] „Passionate negative commands or wishes“ (GP 276 [2]) | μὴ σύ γ’ : μή ποτ᾿ +(Hss.) – Die durch γε betonte (GP 122, „μὴ σὺ γε is common“), auf den Moment bezogene Verneinung ist dem ‚niemals‘ vorzuziehen. | τάδε +(Hss.) : τόδε 1057 ὦ τάλαν] Der Vokativ kann maskulin sein (wie hier auf θυμέ, 1056, bezogen) oder feminin (vgl. LSJ s. v. τάλας). 1058 ἐκεῖ Hss. : κεἰ μὴ Hermann (zus. mit Naucks Athetese von v. 1045 wäre der Exilgedanke eliminiert) | σε (Hss.) : με – angesprochen ist der θυμός (1056)
Kommentar
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1056–1080 Der Fortgang des Textes macht deutlich, dass für seinen Autor die Kinder wahrscheinlich nicht ins Haus gegangen sind, wie ihnen gesagt wurde (vgl. auch zu 1076), auch Medea nicht, um sie zu töten. Der Abschnitt ist durch ein erneutes Schwanken Medeas und eine weitere Abschiedsszene gekenneichnet und endet wiederum mit dem Entschluss, die Kinder zu töten. Abgesehen davon, dass diese Doppelungen als solche merkwürdig erscheinen, bietet der Text zahlreiche Anstöße, die dafür sprechen, dass nicht nur einzelne Teile (etwa 1056–1064 u. 1078–1080), sondern der gesamte Abschnitt nicht von Euripides stammt. Die Verse schließen an die vv. 1053b–1055 und nicht an die vv. 1021–1039 an, weil der Appell in v. 1056b, die Tat nicht zu tun, eine entsprechende Absicht davor voraussetzt, die am Ende der Versgruppe 1021–1039 nicht ausgedrückt wird. Die vv. 1056–1080 bieten eine neuerliche Abkehr vom Entschluss zum Kindermord, die wieder zurückgenommen wird, da es im Handlungsablauf beim Kindermord bleiben muss, der dann wie auch nach den vv. 1040–1055 nicht gleich stattfindet (nach v. 1080), sondern erst nach v. 1270. Der Verfasser der vv. 1056–1080 ließ sich vielleicht durch ein Monologfragment aus der Medea des Neophron (TrGF I2 15 F 2) anregen, in dem ebenfalls das emotionale Innere Medeas, ihr thymos, angesprochen wird. Diese mögliche Beziehung zu Neophron ist unabhängig von der Frage, ob dessen Medea älter ist als die uninterpolierte des Euripides oder nicht; vgl. dazu Einf., S. 46 f. Dass die Verse 1056–1080 in einem Papyrus aus dem 3. Jh. v. Chr. überliefert sind, ist kein Argument für die Echtheit, wie Luppe (1995, 37) meint. Die Interpolation ist wahrscheinlich im Zusammenhang mit Wiederaufführungen der Medea im 4. Jh. v. Chr. geschehen; wie auch Luppe sieht, sind Annahmen von Einschüben aus dieser Zeit durch Papyri nicht widerlegbar. – Weitere Argumente zur Echtheitsdiskussion in EK zu 1056–1080, S. 423–428. 1056–1058 Während Medea in den vv. 1040–1048 glaubt, nicht mutig genug zu sein und sich zur Tat auffordern muss (1049–1053), begegnet nunmehr eine gewissermaßen gespaltene Medea, deren Ich an ihr emotionales Inneres, ihren thymos, appelliert, die Kinder zu schonen. 1056a ‚Ah, Ah!‘: Ein Ausruf außerhalb des Verses. Er steht in den Handschriften, aber nicht in einem frühen Papyrus (3. Jh. v. Chr.), sodass unklar ist, ob er in den Handschriften als Parallele zu ‚Weh, Weh!‘ (1040) nachgetragen oder im Papyrus ausgefallen ist. 1056b ‚zornerfülltes Gemüt‘: Vgl. Kovacs: „angry heart“. Gemeint ist Medeas Inneres, soweit es zornbeherrscht ist (thymos), denn nur in dieser Funktion kann es um Schonung der Kinder angefleht werden. Dieselbe Bedeutung liegt v. 1079 vor. 1058 ‚dort‘: Dem Kontext nach muss das Exil gemeint sein. ‚dich‘: Angeredet ist immer noch der thymos, aber nun in geänderter Funktion als weitgefasstes emotionales Inneres, wie man im Deutschen sagen würde ‚werden dein Herz erfreuen‘; hier ist am ehesten vergleichbar, wie die Amme vom ‚Herzen‘ (thymos) Medeas spricht, das von Liebe ergriffen sei (8); vgl. auch zu 310. Nach Tedeschi redet sich Medea mit ‚dich‘ (se) selbst an; aber als Rückbezug zu sich selbst würde man eher ‚mich‘ (me) erwarten.
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Fünftes Epeisodion: 1059–1070
Bei den unterirdischen Rachegeistern im Hades, gewiss niemals werde ich den Feinden meine Kinder überlassen, sie zu misshandeln. Auf jeden Fall müssen sie sterben; und da sie es müssen, werde ich sie töten, die sie gebar; auf jeden Fall ist das so gut wie getan, und sie wird nicht entkommen (oder: und es wird nicht zu vermeiden sein). Schon ist ja der Kranz auf ihrem Haupt, und im Gewand geht die Prinzessin zugrunde, ich weiß es genau. Doch – denn ich werde einen ganz leidvollen Weg beschreiten und diese hier auf einen noch leidvolleren Weg schicken – ich will zu den Kindern sprechen: Gebt, ihr Kinder, gebt der Mutter die rechte Hand zum Küssen. μὰ τοὺς παρ’ Ἅιδῃ νερτέρους ἀλάστορας, οὔτοι ποτ’ ἔσται τοῦθ’ ὅπως ἐχθροῖς ἐγὼ παῖδας παρήσω τοὺς ἐμοὺς καθυβρίσαι. πάντως σφ’ ἀνάγκη κατθανεῖν· ἐπεὶ δὲ χρή, ἡμεῖς κτενοῦμεν οἵπερ ἐξεφύσαμεν· πάντως πέπρακται ταῦτα κοὐκ ἐκφεύξεται. καὶ δὴ ’πὶ κρατὶ στέφανος, ἐν πέπλοισι δὲ νύμφη τύραννος ὄλλυται, σάφ’ οἶδ’ ἐγώ. ἀλλ’, εἶμι γὰρ δὴ τλημονεστάτην ὁδὸν καὶ τούσδε πέμψω τλημονεστέραν ἔτι, παῖδας προσειπεῖν βούλομαι· δότ’, ὦ τέκνα, δότ’ ἀσπάσασθαι μητρὶ δεξιὰν χέρα.
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1059–1063 {…} Lloyd-Jones 1980, bes. 56 (vgl. dazu Manuwald 1983, 58); 1060–1063 {…} Seeck 1968 1060–1061 οὔτοι … παρήσω] vgl. Soph. ΟΤ 1058 f. οὐκ ἂν γένοιτο τοῦθ᾿, ὅπως … / … οὐ φανῶ τοὐμὸν γένος (Page) | οὔτοι] mit Futur, bei eidlichen Versicherungen, verbunden mit der Beteuerung μά (1059); GP 544 1062–1063 Hss. : Ø Π, {…} Pierson (= 1240 f.) – vgl. EK zu 1056–1080, S. 425 (1062–1063) 1064 πέπρακται (Hss.) : πέπρωται : δέδοκται Π (übergeschrieben; wohl aus v. 1236 übernommen) : κέκρανται Dawe (vgl. Eur. Hec. 740) – Das prospektive πέπρακται (vgl. K.-G. I 150, 5) ist als lectio difficilior vorzuziehen (Mastronarde). 1065 καὶ δὴ Hss. : ἤδη Π (übergeschrieben) – καὶ δή nähert sich in der Bedeutung ἤδη, ist aber lebendiger und dramatischer (GP 252 [iv]) und daher hier passender (vgl. auch Mastronarde). | δὲ (Hss.) : τε – δὲ drückt den Unterschied zwischen στέφανος und πέπλοισι aus 1067 ἀλλ’ … γὰρ] „complex“ (GP 98 f.), Medea wendet sich vom Gedanken an die neue Frau ab und den Kindern zu (ἀλλά), was sie in der Parenthese begründet (γάρ). | εἶμι … ὁδὸν] Akkusativ zur Bezeichnung des Wegs, über den sich eine Bewegung erstreckt (K.-G. I 512 f., 5) | δὴ] „Reinforcing progressive γάρ“ (GP 244 [5]) 1069 δότ’ (Hss.) : δεῦτ᾿ Dodds 1962, 14 f., Dyson 1987, 29–31 – vgl. zu 894; außerdem kann ein ‚hierher‘ ohne die weiteren Befehle wie in 894 f. kaum ein Herausrufen aus dem Haus bedeuten.
Kommentar
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1059–1063 Es ist nicht klar, ob die vv. 1059–1061 als Begründung für v. 1058 zu verstehen sind (die Kinder im Exil wären der Rache der Korinther nicht ausgesetzt), wobei sich dann die Aussage, die Kinder müssten ohnehin sterben und sie wolle sie lieber selbst töten (1062 f.), unvermittelt anschlösse, oder ob Medea plötzlich, ohne das verbal kenntlich zu machen, die Vorstellung der Kinder im Exil (1058) nicht weiterverfolgt, also die vv. 1059–1063 gedanklich zusammengehören. Auf jeden Fall ist ein nicht artikuliertes gedankliches Umschwenken entweder nach v. 1061 oder nach v. 1058 zu beobachten. 1059 Mit dem Schwur bei den Rachegeistern, denen sie selbst anheimfallen würde, verpflichtet sich Medea, dass sie niemals ihre Kinder den Korinthern überlassen werde, die Betonung liegt auf der Unausweichlichkeit des ‚niemals‘. Dieser Schwur, der für den folgenden Eid nicht notwendig ist und zum Schwurgegenstand nicht recht passen will, erzeugt ein besonderes Pathos; vgl. zu den Problemen im Einzelnen Mossmann, die zu dem Schluss kommt: „an actor wanted an impressive-sounding line to get his teeth into“. 1060–1061 Zur Problematik dieser Verse vgl. zu 1059–1063. Als Vorbereitung der vv. 1236–1239 (so einer der Erklärungsversuche Mastronardes; vgl. auch Seidensticker 1990, 96) nähmen sie etwas vorweg, was dramaturgisch erst dort seinen Sinn erhält; vgl. Mossman. 1062–1063 Diese Verse sind identisch mit den vv. 1240 f., vgl. EK zu 1056– 1080, S. 425. Als die Mordtat unmittelbar bevorsteht, kommt die Überlegung, dass die Kinder sonst der Rache der Korinther zum Opfer fielen, als Entscheidungshilfe hinzu. Hier spricht Medea sie wahrscheinlich direkt vor den Kindern. 1064 Der Vers wird entweder so aufgefasst, dass man ‚das‘ in einem allgemeineren Sinne versteht (Mastronarde: ‘the elements of my scheme’) und in hartem Wechsel als Subjekt der zweiten Vershälfte die Königstochter annimmt, bei der Medea dann in Gedanken schon wäre (1065 f.), oder ‚das‘ als das Subjekt beider Verben, z. B. „These things are in any case (as good as) done and will not be avoided“ (Kovacs 1986, 347, der den Vers für unecht hält). Die Entscheidung ist schwierig; vgl. EK zu 1056–1080, S. 425 f., zu diesem Vers. 1065–1077 Medea gibt jetzt ausdrücklich zu erkennen, dass ihr bewusst ist, dass die Rachehandlung schon begonnen hat und welche Konsequenzen sich daraus für sie ergeben. Sie will sich noch einmal von den Kindern verabschieden, diesmal mit körperlichem Kontakt, den sie offenbar nicht aushält; daher schickt sie die Kinder weg. Vgl. zu diesen Versen auch EK, S. 426. 1065–1066 Die Verse können als Kurzfassung der Boten-Szene 1156 ff. verstanden werden und sind damit eine den Effekt dieser Szene beeinträchtigende Vorwegnahme. Weniger konkret war die Vorahnung des Chores (983–989). 1067–1068 Die Gewissheit über das tödliche Geschehen, das sie selbst eingeleitet hat, lässt Medea ein Fazit für sich selbst ziehen: Sie kann ihrem Leidensweg nicht mehr ausweichen, und ihre Kinder (‚diese‘) können es auch nicht. 1069–1070 Die rechte Hand ist für eidlich verpflichtende oder emotionale Gesten von besonderer Bedeutung (vgl. zu 21–22 u. vv. 496, 899a). ‚Küssen‘: Das (wörtl.) ‚Freundlich-willkommen-Heißen, Begrüßen‘ (aspasasthai) realisiert sich hier wahrscheinlich durch Küssen, wie die Erwähnung
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Fünftes Epeisodion: 1071–1080
Liebste Hand, mir liebster Mund, (edle) Gestalt und edles Antlitz der Kinder! Mögt ihr beide glücklich sein, doch dort; das (Leben) hier hat der Vater weggenommen. O süße Umarmung, weiche Haut und lieblichster Atem der Kinder! Geht, geht! Nicht mehr bin ich imstande, sie anzublicken, sondern erliege meinem Leid. Und ich begreife, welch schlimme Tat ich zu tun vorhabe, aber das zornerfüllte Gemüt ist stärker als meine Überlegungen, das die Ursache größten Leids für die Menschen ist.} ὦ φιλτάτη χείρ, φίλτατον δέ μοι στόμα καὶ σχῆμα καὶ πρόσωπον εὐγενὲς τέκνων. εὐδαιμονοῖτον, ἀλλ’ ἐκεῖ· τὰ δ’ ἐνθάδε πατὴρ ἀφείλετ’· ὦ γλυκεῖα προσβολή, ὦ μαλθακὸς χρὼς πνεῦμά θ’ ἥδιστον τέκνων. χωρεῖτε χωρεῖτ’· οὐκέτ’ εἰμὶ προσβλέπειν οἵα τε πρὸς σφᾶς, ἀλλὰ νικῶμαι κακοῖς. καὶ μανθάνω μὲν οἷα δρᾶν μέλλω κακά, θυμὸς δὲ κρείσσων τῶν ἐμῶν βουλευμάτων, ὅσπερ μεγίστων αἴτιος κακῶν βροτοῖς.}
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1071 δέ] vgl. zu 99 | στόμα +CP 1322 : κάρα +(Hss.) – Da es in v. 1072 eher um etwas Ganzheitliches geht, ist in v. 1071 ein zu χείρ analoger Ausdruck wahrscheinlicher; vgl. Andr. 1181; Tro. 1178–1180 (Tedeschi). 1074 προσβολή] vgl. Hik. 1137 φίλιαι προσβολαὶ προσώπων, Hek. 409 f. ἡδίστην χέρα / δὸς καὶ παρείαν προσβαλεῖν παρηίδι, zur Sache vgl. auch Tro. 762 f. 1075 πνεῦμά θ’ ἥδιστον] vgl. Tro. 758 ὦ χρωτὸς ἡδὺ πνεῦμα 1077 τε πρὸς σφᾶς Page : τε πρὸς ὑμᾶς : τε προσμᾶς : τε πρὸς ἡμᾶς : τ᾿ ἐς ὑμᾶς : τ᾿ ἐναντί᾿ Kovacs 1988, 120 f. – πρὸς ὑμᾶς ist unmetrisch und προσβλέπειν wird bei Soph. und Eur. sonst mit direktem Akkusativobjekt konstruiert, aber πρός ist nicht unmöglich (vgl. LSJ, Mastronarde), und der Autor ist wahrscheinlich nicht Euripides; ὑμᾶς ist vermutlich als Erklärung für σφᾶς eingedrungen, um anzugeben, dass für σφᾶς die seltene Verwendung als 2. Person vorliege. Pages Lösung ist gegenüber Kovacs’ Konjektur, die inhaltlich denselben Sinn ergibt, die wohl einfachere Textherstellung, wenn man eine Anrede an die Kinder erzielen will; vgl. aber Komm. 1078 +δρᾶν μέλλω : τολμήσω +(Hss.) – Das weniger forsche δρᾶν μέλλω schließt sich besser an v. 1077 an als τολμήσω. Jedenfalls wird vom Zusammenhang eine aktive Bedeutung gefordert und nicht ein passives Verständnis von τολμᾶν (Kovacs: „what pain I am about to undergo“); vgl. Mastronarde; Mossman, S. 329.
Kommentar
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des Mundes (1071) deutlich macht; vgl. den Abschiedskuss von Andromache und dem kleinen Astyanax (Tro. 763). Zum Kuss auf Hand, Kopf und Mund (bes. bei Kindern, die man dabei an den Ohren angefasst haben soll) vgl. Kroll 1931, 511–516 (mit Verweis auf Theokrit, Eidyllion 5,132 f.; Plutarch, De recta ratione audiendi p. 38C). 1072 Das Epitheton ‚edel‘ ist erst zum zweiten Element gesetzt, bezieht sich aber auch auf das erste (Figur der Versparung; Kiefner 1964, 14). 1073–1074 Auch bei der sie bewegenden körperlichen Nähe ihrer Kinder sieht Medea die Schuld für deren Tod ausschließlich bei Iason. 1073 ‚dort‘: sc. ‚im Jenseits‘ (vgl. EK zu 1056–1080, S. 426 zur Versgruppe 1065–1077); anders v. 1058 (‚dort‘ = Athen). 1075 ‚weiche Haut‘: vgl. 1403 mit Komm. 1076 Die Kinder sind also wahrscheinlich der Aufforderung in v. 1053 nicht gefolgt oder bei v. 1069 wieder herausgerufen worden, ohne deutliche Signale im Text (vgl. EK zu 1019–1020, S. 420), und gehen jetzt, wenn alle Verse beibehalten werden, ohne den Paidagogos ab. 1077 ‚sie‘: Das griechische sphas (Konjektur für eine Korruptel) kann (selten) die 2. Person bezeichnen (‚euch‘), wie meist übersetzt wird. Gewöhnlich drückt die Form aber die 3. Person aus. Es ist daher sehr wohl möglich, dass der Autor des Verses Medea sich nach ‚Geht, geht!‘ (1076) von den Kindern abwenden und zu sich selbst über die Kinder in der 3. Person sprechen lässt, wie auch die vv. 1078–1080 nicht mehr an die Kinder gerichtet sind; vgl. Page. 1078–1080 Diese Verse gehören zu den umstrittensten des ganzen Dramas, und die Frage, ob man sie für echt hält oder nicht, ist keine bloße ‚PhilologenKontroverse‘, sondern beeinflusst erheblich die Einschätzung der Figur Medea. Einen ausführlichen Überblick über die Vielfalt der Deutungen bietet Martina III 348–353. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind diese Verse unecht; zu den Hauptproblemen vgl. EK zu 1056–1080, S. 426–428 (1078–1080). 1079 ‚das zornerfüllte Gemüt‘: Es wird für thymos auch ein weiteres Bedeutungsspektrum angenommen, etwa ‚leidenschaftliches Innere‘ (vgl. Seidensticker 1990, 98; Foley 2001, 253 f.); warum sollte der Autor der vv. 1056–1080 hier aber eine andere Bedeutung gebrauchen als in v. 1056? Im Übrigen bedingt v. 1080 einen eindeutig negativ konnotierten Begriff von thymos. ‚meine Überlegungen‘: Dasselbe Wort (bouleumata) bezeichnet in den vv. 769 u. 772 jeweils Medeas Racheplanungen, und so wird die Wendung noch kurz vorher auch in den (vermutlich ebenfalls unechten) vv. 1044 u.1047 aufgenommen. Diese Bedeutung kann aber hier nicht vorliegen, die Pläne werden nicht aufgegeben. Etwas wie ‚(vernünftige) Überlegungen‘ (sc. die Kinder zu retten) könnte der Autor, der die vv. 1078–1080 schuf oder verwendete, gemeint haben. Aber solche (ernst gemeinten) Überlegungen kommen in diesem Drama jedenfalls in unzweifelhaft echten Passagen nicht vor. Vgl. im Einzelnen EK zu 1056–1080, S. 427 f. (1078–1080). 1080 Die Schädlichkeit des Zorns ist ein Topos seit Homer. Vgl. Ilias 18,107–110; dann Theognidea 1223 f.; Eur. TrGF V F 31. Weiteres bei Mastronarde.
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Fünftes Epeisodion: 1081–1084
Chf. Oft schon habe ich mich in feinsinnigeren Gedanken ergangen und bin in Auseinandersetzungen eingetreten, bedeutender, als das weibliche Geschlecht sie suchen muss.
1081
Χο.
1081
πολλάκις ἤδη διὰ λεπτοτέρων μύθων ἔμολον καὶ πρὸς ἁμίλλας ἦλθον μείζους ἢ χρὴ γενεὰν θῆλυν ἐρευνᾶν.
1081–1082 διὰ … ἔμολον] Konstruktion ähnlich wie bei ἀφικνέομαι, vgl. zu 872 θων] vgl. LSJ s. v. μῦθος: I. 5 „thing thought … matter“
1082 μύ-
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1081–1115 Anapäste. Sie überbrücken (auf jeden Fall zusammen mit den vv. 1021–1039) die Zeit, in der sich die Wirkung der vergifteten Geschenke im Königspalast entfaltet, worüber der Bote berichten wird (1122 ff.). Insofern sind sie mit der Funktion eines Chorlieds vergleichbar; hier werden jedoch nicht Epeisodien, sondern zusammengehörige Teilszenen getrennt (vgl. zu 1002– 1250). Vermutlich spricht die Chorführerin (wie 358–363 u. 759–763) stellvertretend für den Chor; vgl. auch Kovacs, S. 383; Tedeschi zu 1081–1115. Inhaltlich wird nach einer Vorklärung, dass auch Frauen kluge Ansichten äußern können, die These vertreten, dass Kinderlosigkeit ein besseres Los sei, als Kinder zu haben, bei denen man nicht wisse, ob die Erziehung erfolgreich sein werde, und man auch im Falle des Erfolgs riskiere, sie durch den Tod zu verlieren. – Die Verse sind in vier gedanklich unterschiedene Abschnitte zu untergliedern (1081–1089; 1090–1097; 1098–1104; 1105–1115), metrisch jeweils dadurch markiert, dass sie von einem Paroimiakos beschlossen werden. Zu weiteren Einzelheiten vgl. EK zu 1081–1115, S. 428 f. 1081–1089 Die Sprecherin spricht von eigener geistiger Betätigung, die über das hinausgehe, was Frauen nach ihrer Einschätzung leisten müssen, vertritt aber auch grundsätzlich die These einer Musenbegabung der Frauen, wenn auch nicht von allen, so doch von einer kleinen Anzahl; das richtet sich nicht gegen die übrigen Frauen, sondern ist ein damals wohl revolutionärer Anspruch gegen die Vorstellung, dass Weisheit / Klugheit eine Domäne der Männer sei. Vgl. auch Aristophanes, Lysistrata 1124–1127 (v. 1124 = Eur. TrGF V F 482), wo die Sprecherin ihre geistige Fähigkeit teils auf ihren eigenen Verstand zurückführt, teils auf das, was sie vom Vater und Älteren gehört hat. – Die Bescheidenheit ist vielleicht vor dem Hintergrund der Choräußerung im 1. Stasimon (424–426) zu sehen, wonach Apollon die Geisteskraft der Frauen nicht mit göttlichem Gesang der Leier erfüllt hat. Allerdings geht es dort um die Fähigkeit zur Dichtung, hier steht der Aspekt der intellektuellen Potenz im Fokus. Die vv. 1081–1089 dienen der Rechtfertigung, dass die Sprecherin sich zu den folgenden grundsätzlichen Ausführungen berechtigt und in der Lage sieht. 1081 ‚feinsinnigeren‘: Das Adjektiv (leptos) qualifiziert hier die intellektuelle Fähigkeit, anders in v. 529 (vgl. zu 529–531). 1082 ‚Auseinandersetzungen‘: Mit demselben Wort (hamilla) bezeichnet Iason den nach seiner Ansicht von Medea angezettelten Streit mit ihm (546). Es könnte hier also um gedanklich anspruchsvolle Diskussionen zur Berechtigung bestimmter Positionen gehen, vielleicht mit nicht frauentypischen Inhalten. 1084 (griech Text: 1083) ‚muss‘ (chrē): Das griechische Verb legt den Sinn nicht eindeutig fest. Es kann gemeint sein, dass sich eine Frau auf solche Diskussionen nicht einlassen ‚sollte‘, wie Andromache bei Euripides sagt, dass eine Frau, auch wenn sie einem schlechten Gatten gegeben wurde, sich damit zufriedengeben müsse und nicht eine stolze Auseinandersetzung (hamilla) mit ihm haben dürfe (Andr. 213 f.; vgl. zu 913b; Mossman zu 1082). Es kann aber auch gesagt sein, und das ist wahrscheinlicher, dass eine Frau zu solchen Auseinandersetzungen nicht verpflichtet, aber doch berechtigt ist, wie der folgende Hinweis auf die geistigen Befähigungen jedenfalls einzelner Frauen zeigt.
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Fünftes Epeisodion: 1085–1093
Jedoch, auch wir haben eine Muse, die mit uns Umgang hat, um Weisheit zu bringen, zwar nicht mit allen; in geringer Zahl jedoch sind (⟨eine⟩ unter vielen, dürftest du wohl finden) Frauen geistiger Bildung nicht fern. So behaupte ich, dass von den Menschen jene, die ganz ohne Erfahrung mit Kindern sind und keine zeugten, übertreffen im Glück diejenigen, die Kinder bekommen haben.
1085
ἀλλὰ γὰρ ἔστιν Μοῦσα καὶ ἡμῖν, ἣ προσομιλεῖ σοφίας ἕνεκεν, πάσαισι μὲν οὔ, παῦρον δὲ γένος (⟨μίαν⟩ ἐν πολλαῖς εὕροις ἂν ἴσως) οὐκ ἀπόμουσον τὸ γυναικῶν. καί φημι, βροτῶν οἵτινές εἰσιν πάμπαν ἄπειροι μηδ’ ἐφύτευσαν παῖδας, προφέρειν εἰς εὐτυχίαν τῶν γειναμένων.
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1090
1090
1085 vgl. zum Anspruch Eur. TrGF V F 482 ἐγὼ γυνὴ μέν εἰμι, νοῦς δ᾿ ἔνεστί μοι· | ἀλλὰ γὰρ] GP 101 f. (I) „In general, marking the contrast between what is irrelevant or subsidiary and what is vital, primary, or decisive.“ 1086 σοφίας ἕνεκεν] „for the sake of wisdom (i. e. so that we may obtain wisdom …)“, Page mit Verweis auf K.-G. I 462 1087–1088 παῦρον δὲ γένος / ⟨μίαν⟩ Elmsley (vgl. Herakl. 327 f.), παῦρον δὲ γένος bereits Reiske : παῦρον δέ τι δὴ γένος Π (P. Berol. 21257; Martina II 15), Snell : παῦρον δὲ δὴ γένος +Π (P. Stras. W. G. 304–307; Martina II 15) : παῦρον δέ τι γένος : παῦρον δὴ γένος – Der Text des Berliner Papyrus stellt gegenüber der Überlieferung in den Hss. und P. Stras. zwar die Metrik her, doch auf Kosten einer ungewöhnlichen Partikelverbindung (δέ τι δὴ) und Junktur (παῦρον … γένος ἐν πολλαῖς), dieser Text wird jedoch akzeptiert von Page, van Looy, Tedeschi, Martina. Die Konjekturen von Reiske und Elmsley (übernommen von Diggle, Kovacs, Mastronarde und Mossman) ergeben einen sprachlich einwandfreien und sinnvollen (vgl. Komm. zu 1085– 1089) Text, der durch Herakl. 327 f. gestützt wird (παύρων μετ᾿ ἄλλων· ἕνα γὰρ ἐν πολλοῖς ἴσως / εὕροις ἄν); die Auffassung von ⟨μίαν⟩ … ἴσως als Parenthese geht auf Elmsley zurück (übernommen von Diggle und Mossman; anders Kovacs, vgl. zu 1089). 1087 παῦρον] prädikativ zu γένος 1089 οὐκ Π (P. Univ. Coll. London. LDAB 981, Martina II 18), Reiske : κοὐκ Hss. | ἀπόμουσον] sc. ἐστι, Kovacs interpungiert nach γένος (1087) und nach πολλαῖς (1088), sodass ἀπόμουσον (sc. ὄν) von εὕροις ἂν (1088) abhängig und der Gedanke kontextwidrig zurückhaltender als durch die Aussage γένος … ἀπόμουσον (sc. ἐστι) ausgedrückt wird. | τὸ γυναικῶν] bestimmt γένος (1087); vgl. z. B. 1324 ἀνθρώπων γένει 1090 καί φημι] vgl. Soph. Ant. 443; die Formel drückt aus, dass das Folgende die feste Überzeugung der Sprecherin darstellt (vgl. Tedeschi), die zu äußern sie sich nach der Vorbemerkung (1081– 1089) für berechtigt hält; vgl. zu καί auch GP 322 f. 1091 / 1093 ἐφύτευσαν / γειναμένων] Die Verben sind gewissermaßen neutral, sie können jeweils von beiden Elternteilen gebraucht werden. 1092 προφέρειν] intransitiv, regiert den komparativen Genitiv (LSJ s. v. προφέρω II. 2)
Kommentar
329
1085–1089 Wenn der Text richtig hergestellt ist, wird ausgesagt, dass (auch) Frauen geistige Bildung besitzen, wenn auch nicht alle, aber doch so, dass sich jeweils in einer größeren Anzahl von ihnen (‚unter vielen‘) eine findet, die geistig begabt ist. Mit der Beschränkung der Zahl (1087–1089) will die Sprecherin ihre Aussage nicht abwerten, sondern vermutlich ihren Anspruch nicht unglaubwürdig erscheinen lassen. 1085 ‚Jedoch‘: Die logische Funktion der Verbindung der Konjunktionen im Griechischen (alla gar) besteht darin, die vv. 1085–1089 als die entscheidende Aussage gegenüber derjenigen in den vv. 1081–1084 hervorzuheben. ‚Muse‘: Wie v. 1086 zeigt, liegt eine Personifikation vor, sodass man nach moderner Konvention das Wort im Griechischen großschreiben sollte. 1086 ‚Umgang hat‘: Das griechische Verb (proshomilein) kann für den Umgang einer jedenfalls im verbalen Sinn außermenschlichen Entität mit Menschen verwendet werden, wie es von dem als göttlich (daimōn) bezeichneten Eros in Eur. TrGF V F 897,3 gesagt wird. Wie wörtlich die vorliegende Stelle zu nehmen ist, ist nicht ganz klar. 1088 ‚dürftest du wohl finden‘: Wie häufig im Attischen handelt es sich um eine vorsichtige Ausdrucksweise. Die Sprecherin ist sich sicher, wie der Tenor ihrer Ausführungen zeigt, dass es solche Frauen wirklich gibt. 1089 ‚Frauen‘, wörtl. ‚das Geschlecht der Frauen‘, womit der Anteil der Frauen unter den Menschen insgesamt bezeichnet wird. Im Griechischen wird Geschlecht (genos, 1087) erst in weiter Sperrung durch den Zusatz ‚das der Frauen‘ (1089) näher bestimmt. Das hat den Effekt, dass ‚geistiger Bildung nicht fern‘ und ‚Frauen‘ am Abschluss des Gedankens betont nebeneinanderstehen. ‚geistiger Bildung nicht fern‘, wörtl. ,nicht musenfern‘. 1090–1097 Die Sprecherin beginnt mit einer Wendung, die das Folgende als ihre feste Überzeugung zu erkennen gibt, nämlich dass die Kinderlosen glücklicher seien als diejenigen, die Kinder haben, weil sie sich, da sie nicht erfahren müssen, ob Kinder etwas Angenehmes oder etwas Schmerzliches sind, viele Mühen ersparen. Es ist die These impliziert, dass man Kinder nicht haben kann, ohne Anstrengungen auf sich zu nehmen. – Die Überzeugung der Sprecherin ist nicht ohne Parallelen (Alk. 882–888; TrGF V F 571; 908; Demokrit, VS 68 bes. B 275 f.; Antiphon, VS 87 B 49, pp. 359,13–360,3); in der Handlung der Medea werden dagegen unterschiedliche Positionen zur Frage des KinderHabens thematisiert: Für die Männer Aigeus und Iason ist es wichtig, Kinder zu haben, wobei Iason ausdrücklich den dynastischen Wert sieht, für die Mutter Medea sind sie ein Faktor der Alterssicherung und von emotionaler Bedeutung (1024–1036); vgl. zur grundsätzlich positiven Einstellung im antiken Griechenand, Kinder zu haben, Ion 488–491, Andr. 418–420 (Otten 2005, 262); Golden 1990, 90–94; ~ 2015, 78–81 mit Anm. 63–83 (S. 179 f.).
330
Fünftes Epeisodion: 1094–1104
Die Kinderlosen, da sie mangels Erfahrung nicht herausfinden, ob etwas Freudvolles für die Menschen oder etwas Schmerzliches Kinder sind, halten sich von vielen Mühen fern. Die aber, die in ihrem Haus Kinder haben, süßen Nachwuchs, sehe ich sich in Sorge aufreiben die ganze Lebenszeit, erstens, wie sie sie gut aufziehen und woher sie den Kindern etwas zum Leben lassen können; und weiter, danach, ob für solche, die nichts taugen, oder für solche, die gut geraten, sie sich mühen, das bleibt im Ungewissen. οἱ μὲν ἄτεκνοι, δι’ ἀπειροσύνην εἴθ’ ἡδὺ βροτοῖς εἴτ’ ἀνιαρὸν παῖδες τελέθουσ’ οὐχὶ τυχόντες, πολλῶν μόχθων ἀπέχονται· οἷσι δὲ τέκνων ἔστιν ἐν οἴκοις γλυκερὸν βλάστημ’, ἐσορῶ μελέτῃ κατατρυχομένους τὸν ἅπαντα χρόνον, πρῶτον μὲν ὅπως θρέψουσι καλῶς βίοτόν θ’ ὁπόθεν λείψουσι τέκνοις· ἔτι δ’ ἐκ τούτων εἴτ’ ἐπὶ φλαύροις εἴτ’ ἐπὶ χρηστοῖς μοχθοῦσι, τόδ’ ἐστὶν ἄδηλον.
1095
1100 1103 1103a
1095
1100 1103 1103a
1094 μὲν +Porson : μέν γ᾿ Π, Reiske : μέν τ᾿ Hss. – μέν γ᾿ u. μέν τ᾿ sind vielleicht Versuche zu vermeiden, dass ἄτεκˈνοι gelesen, also die zweite Silbe unüblich lang gemessen werden muss; vgl. aber z. B. vv. 1108, 1111 τέκˈνων, Soph. Phil. 914 ὦ τέκˈνον. „μέν γε is probably entirely absent in serious poetry“ (GP 159); vgl. auch Diggle 1994, 271 | ἀπειροσύνην Π : ἀπειροσύναν +Hss. – Nur hier bieten die Hss. eine dorische Dialektfärbung in den sonst rein attischen Anapästen, sodass dem Papyrus zu folgen ist. 1094–1096 δι’ ἀπειροσύνην … οὐχὶ τυχόντες] umschließt den indirekten Fragesatz εἴθ’ … τελέθουσ’, der von diesem Ausdruck abhängig ist, wobei τυχόντες eine Ergänzung zu δι’ ἀπειροσύνην bildet, im Sinne von ‚nicht zum Erfolg kommend‘ (vgl. Mastronarde); παίδων zu οὐχὶ τυχόντες zu ergänzen, wie es meist geschieht, ergäbe eine bloße Tautologie zu οἱ … ἄτεκνοι. 1101 θρέψουσι Π, Brunck : θρέψωσι – vgl. λείψουσι (1102) 1103–1103a ἐπὶ … ἐπὶ] wahrscheinlich liegt ἐπί in der Funktion zur Angabe des Preises vor (K.-G. I 502 e): „whether good children or bad will be the wages of their toil“ (Page). Denn es ist das Ergebnis, das unklar bleibt, solange man sich abmüht und noch nicht zum Ziel gekommen ist. 1103 φλαύροις (Hss.) : +φαύλοις, Π : χρηστοῖς Trikl. – φλαῦρος ist die bei Euripides seltenere Form und kann daher als lectio difficilior betrachtet werden; Triklinios hat nicht ganz zu Unrecht den Eindruck, dass es natürlicher wäre, den positiven Fall zuerst zu nennen, aber der Text steuert auf die χρηστοί (1109) und deren Schicksal zu. 1103a χρηστοῖς +(Hss.) : φλαύροις : φαύλοις Trikl. – vgl. zu 1103
Kommentar
331
1098–1104 Die Verse schließen an den voraufgehenden Vers an und entfalten das Thema der Mühen, nicht ohne einzuräumen, dass Nachwuchs auch etwas ‚Süßes‘ ist (vgl. auch 1036; TrGF V F 316 [Martina III]). Im Zentrum steht das auch in materieller Hinsicht mühsame Großziehen der Kinder, stets mit der Gefahr verbunden, dass das Ergebnis nicht den aufgewandten Anstrengungen entspricht. Die Chorführerin nimmt nur die Mühen der Eltern in den Blick; dass die Kinder den alten Eltern etwas zurückgeben könnten (vgl. 1025; 1032–1036), bleibt ausgeblendet. 1101 Die Übersetzung ‚gut‘ steht hier als Wiedergabe des griech. kalōs, womit sowohl körperliche als auch charakterliche ‚Schönheit‘ ausgedrückt werden kann. 1102 Es geht um die Sorge, wie der Unterhalt der Kinder gewährleistet werden kann; vgl. 562 (Mossman zu 1101–2).
332
Fünftes Epeisodion: 1105–1115
Eines aber, von allen das letzte Unglück für alle Menschen, will ich nunmehr nennen: Nimm an, sie fanden ausreichend Lebensunterhalt und ihre Kinder kamen bis zum Erwachsenwerden und erwiesen sich als gut geraten; aber wenn sich ihr Schicksal so ergibt, fort in den Hades nimmt der Tod die Leiber der Kinder. Wie kann es denn nützlich sein, dass zu allem anderen noch dieses schmerzlichste Leid um der Kinder willen die Götter den Menschen auferlegen?
1105
ἓν δὲ τὸ πάντων λοίσθιον ἤδη πᾶσιν κατερῶ θνητοῖσι κακόν· καὶ δὴ γὰρ ἅλις βιοτὴν ηὗρον σῶμά τ’ ἐς ἥβην ἤλυθε τέκνων χρηστοί τ’ ἐγένοντ’· εἰ δὲ κυρήσαι δαίμων οὕτω, φροῦδος ἐς Ἅιδου Θάνατος προφέρων σώματα τέκνων. πῶς οὖν λύει πρὸς τοῖς ἄλλοις τήνδ’ ἔτι λύπην ἀνιαροτάτην παίδων ἕνεκεν θνητοῖσι θεοὺς ἐπιβάλλειν;
1105
1110
1115
1110
1115
1105 πάντων] sc. κακῶν 1106 κακόν : +κακῶν (Σ zu 1081) – vgl. zu 1105 1107 καὶ δὴ] „denoting imaginary realization, ‘suppose that so-and-so happens’ “ (GP 253) | γὰρ] vgl. zu 448 | βιοτὴν Lenting (vgl. 141) : βίοτον (Hss.) : βίοτόν θ’ – βίοτον ist unmetrisch; es kann sehr gut sein, dass θ’ nur aus metrischen Gründen eingeführt wurde, denn θ’ … τ᾿ (1108) verbinden Elemente, die nicht ganz auf derselben Ebene liegen, und, da ἅλις zu ηὗρον gehört, müsste man auch noch eine späte Stellung von θ’ annehmen; da liegt die Annahme näher, dass das seltene βιοτὴν durch das geläufigere βίοτον verdrängt wurde. 1108 σῶμά … τέκνων] Umschreibung mit der Besonderheit, dass σῶμα hier im (kollektiven) Singular steht (LSJ s. v. II. 1) | ἤλυθε (Hss.), Trikl. : ηλθεν Π, Dindorf : ἦλθε – Nur ἤλυθε und ἦλθεν sind metrisch; gegen ἤλυθε spricht nichts, Euripides benutzt die epische Form mehrfach (Mastronarde). 1109 κυρήσαι (Korrekturen in Hss., Σ) : κυρῆσαι (Hss.) : κυρήσει : κυρήσας – Die potentiale Optativform ist dem Kontext angemessen. 1110 οὕτω Π, eine Hs. : οὗτος (Hss.) – κυρήσαι (1109) … οὕτω ist eine vorwegnehmende Umschreibung dessen, was in 1110b–1111 ausgeführt wird. | φροῦδος] (mit zu ergänzender Kopula) fungiert als Verb | Ἅιδου (αιδου) Π, Earle : ἀίδην (Hss.) : ἀίδαν : Ἅιδην Elmsley – ἐς Ἅιδου sc. δόμους, die übliche Wendung 1111 σώματα τέκνων] Umschreibung, vgl. zu 1108 1112 λύει] vgl. zu 566 | πρὸς τοῖς ἄλλοις] vgl. Thukydides 2,61,3; LSJ s. v. πρός B. III 1113 +ἔτι : ἐπὶ (Hss.) – Nur ἔτι ist sinnvoll.
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333
1105–1115 Endete der voraufgehende Abschnitt schon skeptisch, erfolgt jetzt eine Steigerung durch die Fokussierung auf den Fall, dass das Aufwachsen der Kinder bis zum Eintritt in das Erwachsenenalter gut gelingt und sie ausreichend versorgt sind, dann aber alle Mühen durch einen frühzeitigen Tod zunichtegemacht werden. Das ist ein letztes Argument dafür, dass die Kinderlosen glücklicher seien, verbunden mit einer kritischen Frage nach dem Sinn göttlichen Handelns, wenn die Sprecherin nicht akzeptieren kann, dass sie den Menschen ein solches Leid auferlegen. Zur Artikulation von Kritik an den Göttern vgl. 516–519; Theognidea 731 ff.; zur Sache auch Einf., S. 19, Anm. 55. 1105 ‚ das letzte Unglück‘: Der alle Menschen (1106) betreffende Tod. 1108 ‚Erwachsenwerden‘, eigtl. ‚Jugend‘ (hēbē). Bei Homer (Odyssee 10,278 f.) sagt Odysseus von Hermes, der ihm entgegenkommt: „einem jugendlichen Manne gleichend, einem, der im ersten Barte steht, bei dem am anmutigsten die Jugend (hēbē) ist“ (Übers. Schadewaldt). 1110–1111 ‚so‘, wie in v. 1111 ausgeführt, nämlich dass die Kinder sterben. Entgegengesetzt wird dem positiven, unter Mühen der Eltern erzielten Ergebnis das grausame Wirken des Schicksals. ‚fort in den Hades nimmt der Tod die Leiber der Kinder ‘, wörtl. ‚geht der Tod weg in den Hades, wobei er die Leiber der Kinder dort hinbringt‘. 1111 Der Tod ist hier personifiziert wie z. B. Alk. 871, wo der Tod Alkestis dem Hades übergeben hat. Vgl. auch LIMC VII 1, S. 906, s. v. Thanatos 33, wo möglicherweise Alkestis gemeint ist; Abb. in VII 2, S. 618 (Mastronarde). 1113 ‚schmerzlichste‘, vgl. 1096 (griech. Text 1095). 1115 Der letzte Vers der Überlegungen der Sprecherin verweist auf den unerklärlichen, Leid bringenden Willen der Götter, womit implizit das menschliche Handeln der Medea kontrastiert wird. Medea reagiert nicht auf die Rede der Chorführerin, sie erscheint fixiert auf den Ablauf ihres Racheplans, wie ihre folgenden Worte zeigen.
334 Me.
Fünftes Epeisodion: 1116–1120
Ihr Lieben, gar lange schon warte ich darauf, was sich ereignet hat, und bin gespannt, worauf es dort hinauslaufen wird.
Ein Diener Iasons (Bote) nähert sich.
Μη.
Da! Ich sehe hier einen von Iasons Dienern herankommen. Sein erregtes Atmen zeigt an, dass er ein neues Unheil verkünden wird.
1120
φίλαι, πάλαι τοι προσμένουσα τὴν τύχην καραδοκῶ τἀκεῖθεν οἷ προβήσεται. καὶ δὴ δέδορκα τόνδε τῶν Ἰάσονος στείχοντ’ ὀπαδῶν· πνεῦμα δ’ ἠρεθισμένον δείκνυσιν, ὥς τι καινὸν ἀγγελεῖ κακόν.
1120
1116 τοι : δὴ – τοι „Revealing the speaker’s emotional or intellectual state (present or past)“ (GP 541 [6]) | τύχην] zur (neutralen) Bezeichnung des Ergebnisses, LSJ s. v. τύχη ΙΙΙ. 3 1117 τἀκεῖθεν] ‚das Dortige‘ ist das in den Hauptsatz gezogene Subjekt des mit οἷ beginnenden Nebensatzes. | προβήσεται Hss. : ἀποβήσεται Lenting – zu οἷ / ποῖ προβήσεται vgl. Alk. 785; Hipp. 342; 936; Or. 511 1118 καὶ δὴ +(Hss.) : καίτοι +CP 124 : καὶ νῦν – καὶ δὴ „Sometimes used (…) to mark the entrance of a character on the stage“ (GP 251 [ii]) | τῶν +CP : τὸν +(Hss.) – Der Diener war noch nicht aufgetreten, Medea kann nur einen von Iasons Dienern kommen sehen. 1119 ὀπαδῶν CP 125 (u. Korr. in einer Hs.) : ὀπαδὸν +Hss. – vgl. zu 1118 und zur Form ὀπαδῶν zu 53 | δ’ Hermann : τ᾿ +Hss. – δέ, weil die angeschlossene Aussage nicht auf gleicher Ebene wie die vorausgehende liegt 1120 δείκνυσιν : δείκνυσι δ᾿ : φ̣αί̣ ν̣ει σα̣φ̣ῶ̣ς̣ Π (möglicherweise keine Alternative zu δείκνυσιν ὥς, sondern in der Redaktion des Papyrus ein nach 1119 eingeschobener Vers, der in den Hss. fehlt; vgl. Luppe 1995, 39)
Kommentar
335
1116–1120 Die Kinder sind ins Haus gegangen (nach Medeas Abschiedsrede v. 1039 oder endgültig nach v. 1076, wenn die vv. 1040–1080 echt sein sollten), sie selbst ist aber während der Anapäste der Chorführerin (1081–1115) auf der Bühne geblieben, da sie offenbar ihren Plan, die Kinder zu töten, noch nicht unmittelbar durchführen will. Als eine Art Erklärung für ihr Verhalten behauptet sie, dass sie darauf warte, etwas über die Ereignisse (im Königspalast) zu erfahren. Die Aufklärung ist von einem Diener Iasons zu erwarten, dessen Kommen Medea ankündigt. 1117 ‚dort‘, wörtl. ‚das Dortige‘. Gemeint sind die Geschehnisse im Königspalast. Das Futur (‚hinauslaufen wird‘) erklärt sich aus der bisherigen Erwartung. Nach v. 1117 ist eine kleine Pause anzunehmen, in der Medea das Eintreffen der Nachricht erwartet. 1118–1120 Medeas Aussage erzeugt eine Spannung beim Chor und den Zuschauern und ist zugleich eine implizite Regieanweisung. Medea informiert, wer auftritt, und behauptet, dass der ankommende Bote erregt atme, was aufgrund der Maske nicht eigentlich erkennbar ist. Wenn Medea aus der von ihr diagnostizierten Erregtheit des Boten schließt, dass er ein Unheil verkünden wird, nimmt sie dabei die zu erwartende Perspektive des Boten ein (1125 f.; 1129–1131); ihre eigene Einschätzung wird sich als eine ganz andere herausstellen (1127 f.).
336
Fünftes Epeisodion: 1121–1126
Bote
Me. Bo.
{Die du eine furchtbare Tat frevelhaft begangen hast,} Medea, fliehe, fliehe, verschmähe weder ein Wasserfahrzeug noch ein Gefährt, das sich auf dem Land bewegt. Was ist denn geschehen, dass ich fliehen muss? Gestorben sind eben die Königstochter und ihr Vater Kreon durch dein Gift.
Ἄγγελος {ὦ δεινὸν ἔργον παρανόμως εἰργασμένη,} Μήδεια, φεῦγε φεῦγε, μήτε ναΐαν λιποῦσ’ ἀπήνην μήτ’ ὄχον πεδοστιβῆ. Μη. τί δ’ ἄξιόν μοι τῆσδε τυγχάνει φυγῆς; Αγ. ὄλωλεν ἡ τύραννος ἀρτίως κόρη Κρέων θ’ ὁ φύσας φαρμάκων τῶν σῶν ὕπο.
1125
1125
1121 {…} Lenting; Reeve 1973, 147; Haslam 1979, 100 (Vers fehlt in einigen Hss.); vgl. 1294 u. Aristophanes, Vögel 1175 ὦ δεινὸν ἔργον καὶ σχέτλιον εἰργασμένος. – vgl. Komm. 1122–1123 ναΐαν … ἀπήνην] vgl. zu dieser Umschreibung für ‚Schiff‘ IT 410 νάιον ὄχημα 1123 λιποῦσ’] ~ παραλιποῦσ᾿, vgl. IT 631 οὐδ᾿ ἐγὼ ᾿λλείψω χάριν 1124 τί δ’ … φυγῆς;] vgl. Or. 1326 τί δ᾿; ἄξι᾿ ἡμῖν τυγχάνει στεναγμάτων | τυγχάνει] zum Präsens vgl. zu 701
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337
1121–1230 Botenszene. Die Szene besteht aus einem Dialog zwischen dem Boten (einem Diener Iasons) und Medea ({1121} 1122–1135), wobei das Resultat der Geschehnisse im Königspalast gleich vorweg genannt wird (1125 f.), und der zusammenhängenden Rede des Boten (1136–1230), dem die Hintergründe des Geschehens erst allmählich durch Beobachtung klar geworden sind (vgl. De Jong 1991, 35 f.). Die Rede bietet eine ausnehmend dramatische und aspektreiche Darstellung des hinterszenischen Geschehens mit eingelegten wörtlichen Reden (1151–1155; 1207–1210), Beobachtung optischer (z. B. 1167 ff.) und akustischer (1171 ff.; 1179 f.; 1184) Phänomene sowie Beschreibung der Reaktionen der Umstehenden (1138 ff.; 1177 f.). Abgesehen von dem dialogischen Teil, aus dem die Haltung Medeas zu dem Geschehen schon vorweg deutlich wird, nimmt sie zu dem Bericht weder durch Zwischenbemerkungen noch am Ende Stellung, sondern wird unbeirrt die Konsequenz für die zweite Phase der Rache, den Kindermord, ziehen (1236 ff.); vgl. Mossman, S. 335 (zu 1116– 1250). Zu Überlegungen, warum u. a. einer der „grausigsten Botenberichte der griechischen Tragödie“ trotzdem bei den Zuschauern Gefallen finden kann, vgl. Seidensticker 2010b, 88–90 (Zitat S. 83). 1121–1135 Der Dialog zwischen dem Boten und Medea ist einerseits gekennzeichnet durch das Entsetzen des Boten über das, was geschehen ist, und vor allem über die Reaktion Medeas, andererseits durch die Genugtuung Medeas angesichts ihres Erfolgs und ihre rachsüchtige Freude, wenn die Tochter Kreons und ihr Vaters besonders leidvoll gestorben sein sollten. – Dass die Hoffnung, seinen Zorn durch Rache befriedigen zu können, mit Lust verbunden ist, sagt Aristoteles, Rhetorik 1378b1–10 (vgl. Battistella 2021, 102 f.); hier genießt Medea die bereits erfolgte Rache. 1121 Hier liegt wahrscheinlich eine Schauspielerinterpolation vor (z. T. nach den vv. 1294 f.) mit dem Ziel, Medeas Tat gleich als ungeheuerlich zu charakterisieren; der Vers zerstört aber die Dramatik der Aufforderung zur Flucht (vgl. Haslam 1979, 100), und Medeas Frage in v. 1124 erhält mehr Gewicht, wenn v. 1121 nicht vorhanden ist (vgl. auch Mastronarde; Mossman). 1122–1123 Der Bote gebraucht sehr gehobene Umschreibungen für ‚Schiff‘ bzw. Landfahrzeug. Das ‚Wasserfahrzeug‘ ist wörtl. ein ‚Schiff(artiger)-Wagen‘, das ‚Gefährt, das sich auf dem Land bewegt‘ ist ein ‚Wagen, der auf dem Boden seine Schritte setzt‘. – Mit dieser umschreibenden Ausdrucksweise legt er sich nicht auf ein bestimmtes Fahrzeug fest, weil er (wie auch die Zuschauer) sich vermutlich nicht konkret vorstellen kann, wie sie entkommen könnte. 1122 (griech. Text: 1123) ‚verschmähe‘, wörtl. ‚lasse … (aus)‘. 1124 Diese Frage Medeas wird man als hinterhältig verstehen müssen, da sie genau weiß, was geschehen sein könnte, und sie fungiert zugleich dramentechnisch als Auslöser für den Bericht. ‚dass ich fliehen muss‘, wörtl.: ‚das für mich diese Flucht (die du eben genannt hast) erfordert‘. 1126 Der Tod Kreons war nicht Bestandteil von Medeas Plan (772 ff.), ist also unerwartet, aber sie hatte angedeutet, dass die vergifteten Geschenke außer der Königstochter noch andere in den Tod reißen könnten (788), wer, blieb offen.
338
Fünftes Epeisodion: 1127–1138
Me.
Großartig ist die Nachricht, die du gabst, und zu meinen Wohltätern und Freunden wirst du nun künftig gehören. Was sagst du? Bist du noch recht bei Verstand und nicht wahnsinnig, Frau, da du dich nach diesem Verbrechen gegen die Königsfamilie 1130 freust, so etwas zu hören, und dich dabei nicht fürchtest? Auch ich hätte etwas zu sagen, in Entgegnung auf deine Worte. Indes, hab es nicht eilig, Freund, und berichte mir: Wie gingen sie zugrunde? Denn doppelte Freude würdest du mir bereiten, wenn sie ganz elend gestorben sind. 1135 Als deine beiden Sprösslinge, deine Kinder, gekommen waren mit dem Vater und sie die Brautgemächer betreten hatten, freuten wir uns, da wir an deinem Unglück litten,
Bo.
Me.
Bo.
Μη. Αγ. Μη.
Αγ.
κάλλιστον εἶπας μῦθον, ἐν δ’ εὐεργέταις τὸ λοιπὸν ἤδη καὶ φίλοις ἐμοῖς ἔσῃ. τί φῄς; φρονεῖς μὲν ὀρθὰ κοὐ μαίνῃ, γύναι, ἥτις, τυράννων ἑστίαν ᾐκισμένη, χαίρεις κλύουσα κοὐ φοβῇ τὰ τοιάδε; ἔχω τι κἀγὼ τοῖσι σοῖς ἐναντίον λόγοισιν εἰπεῖν. ἀλλὰ μὴ σπέρχου, φίλος, λέξον δέ· πῶς ὤλοντο; δὶς τόσον γὰρ ἂν τέρψειας ἡμᾶς, εἰ τεθνᾶσι παγκάκως. ἐπεὶ τέκνων σῶν ἦλθε δίπτυχος γονὴ σὺν πατρὶ καὶ παρῆλθε νυμφικοὺς δόμους, ἥσθημεν οἵπερ σοῖς ἐκάμνομεν κακοῖς
1130
1135
1129 μὲν] „μέν in an interrogative sentence as elsewhere marks the proposition as preliminary and points to a sequel.“ (GP 366 f. [2]; 586); Collard 2018, 106, vgl. auch 676 1130 ἥτις] vgl. zu 589 | τυράννων (Hss.) : τύραννον – Beides ist möglich (vgl. zur adjektivischen Form v. 957; 1125), im ursprünglichen Text stand vermutlich ΤΥΡΑΝΝΟΝ (ohne Unterscheidung zwischen ο und ω). | ἑστίαν : οἰκίαν +(Hss.) – οἰκίαν ist wahrscheinlich eine Randbemerkung, die den Sinn von ἑστίαν erklären soll; οἰκία ist in tragischer Dichtung nicht belegt. | ἑστίαν] für die Bedeutung ‚Haus‘ oder ‚Familie‘ LSJ s. v. ἑστία I. 2. u. I. 3 | ᾐκισμένη : +ᾐκισμένην – Letzteres ist versehentlich an ἑστίαν angeglichen. 1131 κλύουσα … τὰ τοιάδε] zu κλύουσα ist τὰ τοιάδε und zu τὰ τοιάδε ist κλύουσα zu ergänzen (sog. verschränkte Versparung, vgl. Kiefner 1964, 46) 1132 τοῖσι : τοῖς γε (Hss.) : τοῖσδε Lascaris – vgl. HF 204 f. τοῖσι σοῖς ἐναντίαν / γνώμην ἔχουσι (Diggle 1994, 271) 1133 φίλος] Nominativ statt Vokativ (K.-G. I 47 f.) 1134–1135 ἂν / τέρψειας] Optativ mit ἄν, weil die Folge noch ungewiss ist (da τεθνᾶσι παγκάκως noch nicht feststeht), K.-G. II 467 b 1134 δέ πῶς : δ᾿ ὅπως (Hss.) – Der direkte Fragesatz ist lebendiger und damit dem Interesse Medeas gemäßer. 1137 παρῆλθε … δόμους] vgl. zu 7 1138 οἵπερ] vgl. zu 589 | ἐκάμνομεν] vgl. Alk. 614 (Tedeschi) | κακοῖς] vgl. zu 405
Kommentar
339
1127–1128 Medeas freudige Belohnung für einen Boten, der eine (an sich) schlechte Nachricht überbringt, ist ganz ungewöhnlich. Vgl. die Furcht des Wächters vor Bestrafung in Sophokles’ Antigone, als er dem thebanischen Herrscher eine für diesen ungünstige Nachricht überbringen muss (274–277; 329–331). 1129–1131 Medeas Freude ist so außerhalb einer ‚normalen‘ Reaktion, dass der Bote sie nur als Zeichen von Verrücktheit erklären kann. – Zur Stilfigur in v. 1129 vgl. zu 90–91. 1130 ‚Königsfamilie‘, wörtl. ‚Herd der Herrscher‘. Das Wort ‚Herd‘ (hestia) kann auch ‚Haus‘ oder ‚Familie‘ bedeuten. 1131 ‚fürchtest‘, sc. vor der Rache der Angehörigen Kreons. 1132–1133a Medea könnte entgegnen, dass sie von Kreon ebenfalls Unrecht erfahren habe und daher mit Recht an seiner Familie Rache nähme. 1133b ‚hab es nicht eilig‘, als ob die Zeit nicht drängte, wie sie es dann unmittelbar nach dem Botenbericht doch tut (1236–1239). „… time stands still during a messenger rhesis and any pressure to act quickly is suspended or ignored until the narrative is over“ (Mastronarde). ‚Freund‘: Damit wird vermutlich nur ausgedrückt, dass Medea ihn als einen Diener Iasons näher kennt, wohl nicht ironisch gemeint (vgl. Page); im Deutschen kaum neutral wiederzugeben. 1134–1135 Der Wunsch zu hören, dass die Opfer qualvoll gestorben seien, demonstriert die Stärke des Racheverlangens und den entsprechenden Genuss am Vollzug der Rache. 1136–1155 Der Bote fängt mit Ereignissen an, die ihm erfreulich erscheinen, der angeblichen Aussöhnung zwischen Medea und Iason, die von der Dienerschaft mitfühlend und freudig zur Kenntnis genommen wird. Die junge Frau wird so charakterisiert, dass sie nur Augen für Iason hat, verstimmt auf das Eintreten der Kinder reagiert (erinnern sie doch an die frühere Frau) und erst von Iason zurechtgewiesen werden muss, der sie, wie der Bote in wörtlicher Rede wiedergibt, veranlasst, sich bei ihrem Vater dafür zu verwenden, dass die Kinder in Korinth bleiben dürfen. 1137 ‚Brautgemächer‘: Der Ausdruck kann auch verstanden werden als ‚Haus der Braut‘, ist aber als der Teil des Palasts aufzufassen, in dem sich die Frauengemächer (1143) befinden. Es ist anzunehmen, dass die junge Frau und jedenfalls Iason im selben Haus wohnen, und wahrscheinlich sind mit den (wörtl.) ‚Häusern des Vaters‘ (1177) dessen Räume ebenfalls im selben Haus gemeint; dafür spricht auch das Hin-und-her-Laufen im ‚g a n z e n Haus‘ (1179 f.), man soll sich also nur ein einziges Gebäude, den Königspalast, vorstellen, wie es auch Medea bei ihrer Anweisung an die Kinder tut (969); vgl. auch zu 1205. Vgl. auch Mastronarde zu 1177–8; Martina III zu 1177–80 (anders Page; Mossman; jeweils zu 1137). 1138 Vgl. zur Anteilnahme der Bediensteten 54 f. mit Komm. zu 54–55.
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Fünftes Epeisodion: 1139–1151
wir Diener. Sogleich waren unsere Ohren voll von der Kunde, dass du und dein Gatte euren früheren Streit beigelegt hättet. Und einer küsste die Hand, ein anderer das blonde Haupt der Kinder; und auch ich selbst folgte vor Freude ins Frauengemach zugleich mit den Kindern. Und die Herrin, die wir jetzt an deiner Stelle verehren, bevor sie das Paar deiner Kinder erblickte, hatte ihre Augen verlangend auf Iason gerichtet; dann jedoch verhüllte sie ihre Augen und wandte ihre weiße Wange ab, abgestoßen vom Eintreten der Kinder. Aber dein Gatte nahm den Unwillen und den Groll von der jungen Frau durch diese Worte: „Sei nicht feindlich zu uns Nahestehenden, δμῶες· δι’ ὤτων δ’ εὐθὺς ἦν πολὺς λόγος σὲ καὶ πόσιν σὸν νεῖκος ἐσπεῖσθαι τὸ πρίν. κύνει δ’ ὁ μέν τις χεῖρ’, ὁ δὲ ξανθὸν κάρα παίδων· ἐγὼ δὲ καὐτὸς ἡδονῆς ὕπο στέγας γυναικῶν σὺν τέκνοις ἅμ’ ἑσπόμην. δέσποινα δ’, ἣν νῦν ἀντὶ σοῦ θαυμάζομεν, πρὶν μὲν τέκνων σῶν εἰσιδεῖν ξυνωρίδα, πρόθυμον εἶχ’ ὀφθαλμὸν εἰς Ἰάσονα· ἔπειτα μέντοι προυκαλύψατ’ ὄμματα λευκήν τ’ ἀπέστρεψ’ ἔμπαλιν παρηίδα, παίδων μυσαχθεῖσ’ εἰσόδους. πόσις δὲ σὸς ὀργάς τ’ ἀφῄρει καὶ νεάνιδος χόλον, λέγων τάδ’· Οὐ μὴ δυσμενὴς ἔσῃ φίλοις,
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1139 δι’ ὤτων Hss. : δι᾿ οἴκων Weil (vgl. Σ κατὰ τὴν οἰκίαν) – vgl. z. B. Soph. Ant. 1187 f. φθόγγος … βάλλει δι᾿ ὤτων. ὤτων ist als Korruptel von οἴκων unwahrscheinlich. 1140 νεῖκος ἐσπεῖσθαι] Als Objekt zu σπένδομαι fungiert sonst eher das, was bei einem Vertragsschluss vereinbart wird (z. B. Friede: Herodot 7,148,4), hier was beigelegt werden soll, was sonst erst spät belegt ist (vgl. z. B. Krieg: Dionys von Halikarnass 9,36,3); vgl. Mastronarde. 1141 κύνει Hss. : κυνεῖ Brunck – Im Kontext der Präterita lässt sich bei einem erzählenden, ‚epischen‘ Text ein augmentloses Imperfekt rechtfertigen; vgl. bes. Page; auch Bers 1984, 149 Anm. 51; Nijk 2022, 88 mit Anm. 47 1143 στέγας … ἑσπόμην] vgl. zu 7 1144 θαυμάζομεν] „‘regard with wonder’, i. e. respect and honour, cf. El. 84“ (Page) 1145 τέκνων … ξυνωρίδα] vgl. Phoin. 1085 ξυνωρὶς … τέκνων (Tedeschi) 1146 πρόθυμον] prädikativ zu ὀφθαλμὸν, die Augen als ‚zugeneigte, verlangende‘ aufgefasst | ὀφθαλμὸν] zum Singular vgl. K.-G. I 14 f., 4 1150 ὀργάς τ’ : ὀργὰς +(Hss.) – τ’ … καὶ schließen ὀργάς und χόλον zu einer Einheit zusammen | ἀφῄρει] Das Imperfekt ist wohl eher beschreibend (vgl. λέγων, 1151) als konativ (so Kovacs; Tedeschi; Martina III). | +νεάνιδος χόλον : χόλον νεάνιδος : Metrisch ist beides möglich, aber νεάνιδος χόλον ist „paullo exquisitius“ (Elmsley), ὀργάς und χόλον kommen in betonte Endstellungen (dazu u. zur Versparung Kiefner 1964, 94). 1151– 1152 Οὐ μὴ … ἔσῃ … παύσῃ] Frage mit οὐ μὴ und Ind. Futur zum Ausdruck eines strengen Verbots (1151) bzw. Befehls (1152), wo nur οὐ noch weiterwirkt (K.-G. I 176 f., 7).
Kommentar
341
1140 ‚dein Gatte‘: vgl. zu 17–19. In einem Bericht über Vorgänge in den Gemächern der neuen Frau ist diese Bezeichnung in der Anrede an Medea besonders pikant (vgl. 1144); sie findet sich allerdings an einer Stelle, an der von Versöhnung zwischen den beiden die Rede ist, und könnte dadurch beeinflusst sein, vgl. auch zu 1149 / 1153. ‚Streit beigelegt hättet‘: Vgl. 898. 1141–1142 Gemeint sind Leute aus der Dienerschaft, deren Berührung der Kinder die intensive Anteilnahme am Geschehen, aber auch den vertrauten Umgang mit der Familie dokumentiert. – Zum Küssen von Kindern, zu deren Eltern man eine Beziehung hat, vgl. Kroll 1931, 514 sowie zu 1069–1070. 1142–1143 Durch diese Bemerkung des Boten wird klar, wie er Augenzeuge sein konnte. Offenbar wurde es nicht als problematisch empfunden, wenn er die Frauengemächer betrat, was außer ihm zumindest noch der Paidagogos der Kinder tat, sowie Dienerinnen (1171–1180). Vgl. auch Nevett 1999, 18 f.; 154 f. 1144 Zur ‚neuen‘ Herrin vgl. 694; 970. 1146 Die Königstochter hat offenbar eine emotionale Beziehung zu Iason, während er die Verbindung aus rein taktischen Gründen eingegangen sein will. 1148 Vgl. Komm. zu 923. 1149 / 1153 Im Abstand weniger Verse erscheint Iason sowohl als Gatte Medeas als auch seiner neuen Frau, wegen der im Rahmen der Anrede an Medea zitierten wörtlichen Rede Iasons (1151–1155) sogar jeweils als ‚dein Gatte‘. 1151–1155 Der Bote gibt in seinem Bericht eine kurze Rede Iasons wörtlich wieder (vgl. Bers 1997, 74), mit der Iason der Bitte Medeas nachgekommen ist (vgl. 942 f.), sich bei Kreons Tochter als Vermittlerin für das Verbleiben der Kinder in Korinth zu verwenden. Iason spricht in einem deutlichen Verbotsbzw. Befehlston (zum Sprachlichen vgl. TS zu 1151–1152), nicht in einem „wheedling tone“ (so Mastronarde). Offenbar will Iason, nachdem er die Abneigung seiner Frau gegen die Kinder bemerkt hat (1147–1149), die Situation mit Forschheit hinter sich bringen. Ausschlaggebend werden, wie sich gleich herausstellt, jedoch die Geschenke sein. D. h., Iasons Zuversicht, dass er verbal seine neue Frau beeinflussen könne (944; 962 f.), erweist sich als Illusion; Medeas Taktik stellt sich als überlegen heraus.
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Fünftes Epeisodion: 1152–1164
sondern hör auf zu zürnen und wende uns dein Gesicht wieder zu, halte die für uns nahestehend, die dein Gatte dafür hält, nimm die Geschenke und erbitte von deinem Vater, den Kindern hier die Verbannung zu erlassen, mir zuliebe.“ 1155 Und als sie die schönen Dinge erblickt hatte, leistete sie keinen Widerstand mehr, sondern sagte ihrem Mann alles zu, und bevor sich vom Haus noch weit der Vater und deine Kinder entfernt hatten, nahm sie das bunte Gewand, legte es sich an, setzte den goldenen Kranz auf ihre Locken, 1160 ordnet mit Hilfe eines glänzenden Spiegels ihr Haar und lacht das leblose Spiegelbild von sich an. Und dann steht sie auf von ihrem Stuhl und geht durchs Zimmer, zart mit weißem Fuß dahinschreitend, παύσῃ δὲ θυμοῦ καὶ πάλιν στρέψεις κάρα, φίλους νομίζουσ’ οὕσπερ ἂν πόσις σέθεν, δέξῃ δὲ δῶρα καὶ παραιτήσῃ πατρὸς φυγὰς ἀφεῖναι παισὶ τοῖσδ’ ἐμὴν χάριν; ἡ δ’, ὡς ἐσεῖδε κόσμον, οὐκ ἠνέσχετο, ἀλλ’ ᾔνεσ’ ἀνδρὶ πάντα, καὶ πρὶν ἐκ δόμων μακρὰν ἀπεῖναι πατέρα καὶ παῖδας σέθεν λαβοῦσα πέπλους ποικίλους ἠμπέσχετο, χρυσοῦν τε θεῖσα στέφανον ἀμφὶ βοστρύχοις λαμπρῷ κατόπτρῳ σχηματίζεται κόμην, ἄψυχον εἰκὼ προσγελῶσα σώματος. κἄπειτ’ ἀναστᾶσ’ ἐκ θρόνων διέρχεται στέγας, ἁβρὸν βαίνουσα παλλεύκῳ ποδί,
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1153 οὕσπερ ἂν] ἄν ohne Verbum, zu ergänzen νομίζῃ (aus νομίζουσ᾿, das nur einmal gesetzt wird), vgl. K.-G. I 243, 4; II 572, 2 1154 παραιτήσῃ πατρὸς] vgl. αἰτεῖν παρά τινος (LSJ s. v. αἰτέω Ι. 3) 1158 μακρὰν] adverbialer Ausdruck (aus μακρὰν ὁδόν), vgl. K.-G. I 313 Anm. 12 | πατέρα καὶ παῖδας (Hss.), Π : πατέρα καὶ τέκνα : τέκνα καὶ πόσιν Elmsley : τόνδε καὶ παῖδας (od. τέκνω) Page – πατέρα καὶ τέκνα ist unmetrisch und vielleicht die Korruptel einer Variante mit der Dualform τέκνω. Etwas auffällig ist die Bezeichnung πατέρα, nicht nur, weil man rein sprachlich denken könnte, es sei der Vater Medeas gemeint (πατέρα … σέθεν), sondern auch, weil Vater und Kinder jetzt nicht mehr eine Einheit bilden (wie 1136 f.), vgl. Komm. zu 1157b–1158. Pages Konjektur τόνδε (verdrängt durch eine ‚Präzisierung‘ nach dem Muster von 1136 f.) bleibt daher erwägenswert. 1159 ἠμπέσχετο (Hss.) : ἠμπίσχετο +Portus – vgl. Page zu 1156 u. 1159, der die doppelt augmentierten Formen (auch im Aorist) für gesichert hält 1160 βοστρύχοις (Hss.) : βοστρύχους – zum Dativ vgl. 980 1162 εἰκὼ] ~ εἰκόνα, ionische Form, vgl. Herodot 7,69,2 | προσγελῶσα +Hss. : προσβλέπουσα Variante in Σ – Es ist unwahrscheinlich, dass das banale προσβλέπουσα durch προσγελῶσα ersetzt wurde, eher umgekehrt.
Kommentar
343
1152 ‚Gesicht‘, wörtl. ‚Kopf ‘, ‚Haupt‘; gemeint ist, dass Kreons Tochter die Hereingekommenen wieder anblicken soll. 1156–1180 Die Reaktion der Königstochter (1156–1157a) zeigt, wie richtig Medea sie eingeschätzt hatte (vgl. 945; 964–967). Die Freude und der Stolz der Tochter Kreons über das (sofort angelegte) Gewand und das (sogleich aufgesetzte) Diadem stehen in dramatischem Gegensatz zum Einsetzen der Wirkung des Gifts, zunächst von einer alten Dienerin als enthusiastische Erregtheit missverstanden, dann von den anderen in seiner entsetzlichen Wirkung erkannt, was hektische Reaktionen auslöst. 1156–1157a Vgl. zu 1002. Die Einwilligung der Königstochter bedeutet eigentlich noch nicht die Befreiung der Kinder von der Verbannung, da Kreon nicht gefragt wurde, aber im Dramenkontext spielt Letzteres keine Rolle mehr. 1157b–1158 Die Kinder gehen mit dem Paidagogos zu Medea (1002– 1004); wohin Iason geht, wird nicht gesagt. Einerseits kann er, da seine neue Frau die Geschenke sofort nach seinem Weggang anlegen wird (1157 ff.), noch nicht weit weg sein, andererseits trotzdem nicht so rechtzeitig herbeigeholt werden (vgl. 1178), dass er die Katastrophe miterlebt – und selbst gefährdet wird. 1159–1166 Zur sinistren Bedeutung dieser ‚Brautgeschenke‘ vgl. 985; Rehm 1994, 105. 1161–1170 Der Bericht geht in das vergegenwärtigende Präsens über. 1162 ‚das leblose Spiegelbild‘: Der Spiegel gibt nur ein scheinbar lebendiges Bild wieder, das in Wirklichkeit nicht selbst lebt. Ob das leblose Spiegelbild als Vorzeichen für den bevorstehenden Tod der Königstochter verstanden werden soll (Mastronarde; Tedeschi), sei dahingestellt. – Antike griechische (Hand-)Spiegel hatten eine spiegelnde Fläche aus Bronze; vgl. Hurschmann 2001b, 821. ‚von sich‘, wörtl. ‚(ihres) Körpers‘; vgl. zu 24. 1163 ‚Stuhl‘: Das griechische Wort thronos (im Text poetischer Plural, ebenso 1170 u. 1190) bezeichnet eine Sitzgelegenheit mit Rücken- und Armlehnen, wie sie auch Götter und Herrscher hatten und die in reinen Privaträumen seltener anzutreffen war (Blanck 1996, 29). 1164 ‚mit weißem Fuß‘: Zu ‚weiß‘ als Schönheitsmerkmal vgl. zu 30.
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Fünftes Epeisodion: 1163–1173
in übergroßer Freude über die Geschenke, wobei sie ganz oft 1165 mit den Augen prüfend auf die ausgestreckte Ferse blickt. Danach jedoch war ein schrecklicher Anblick zu sehen: Sie wechselte die Farbe, hin und her wankend geht sie wieder zurück mit zitternden Gliedern und kann sich gerade noch auf den Stuhl fallen lassen, so dass sie nicht zu Boden stürzt. 1170 Und eine alte Frau, eine von den Dienerinnen, wohl im Glauben, von Pan oder einem anderen Gott sei ein Außer-sich-Sein über sie gekommen, schrie freudig auf, bis sie sieht, wie aus ihrem Mund δώροις ὑπερχαίρουσα, πολλὰ πολλάκις τένοντ’ ἐς ὀρθὸν ὄμμασι σκοπουμένη. τοὐνθένδε μέντοι δεινὸν ἦν θέαμ’ ἰδεῖν· χροιὰν γὰρ ἀλλάξασα λεχρία πάλιν χωρεῖ τρέμουσα κῶλα καὶ μόλις φθάνει θρόνοισιν ἐμπεσοῦσα μὴ χαμαὶ πεσεῖν. καί τις γεραιὰ προσπόλων, δόξασά που ἢ Πανὸς ὀργὰς ἤ τινος θεῶν μολεῖν, ἀνωλόλυξε, πρίν γ’ ὁρᾷ διὰ στόμα
1165
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1165 δώροις ὑπερχαίρουσα] vgl. Herakles’ Reaktion auf das vergiftete Gewand Deianeiras (Soph. Tr. 763 f. πρῶτα μὲν … / κόσμῳ τε χαίρων καὶ στολῇ) | πολλὰ] vgl. zu 579 1166 vgl. Ba. 938 τἀνθένδε δ᾿ ὀρθῶς παρὰ τένοντ᾿ ἔχει πέπλος (dazu Dodds 1960) 1167 τοὐνθένδε] τὸ ἐνθένδε „thereafter“ (LSJ s. v. ἐνθένδε 2) 1168 γὰρ] vgl. zu 448 1169 τρέμουσα (Hss.) : τρέχουσα – τρέχουσα lässt sich nicht sinnvoll mit κῶλα (Akkusativ der Beziehung) verbinden. 1169–1170 φθάνει … μὴ … πεσεῖν] φθάνειν hier mit epexegetischem Infinitiv (~ ὥστε μὴ πεσεῖν), vgl. K.-G. ΙΙ 76, 32 1172 Πανὸς … ἤ τινος θεῶν] = Πανὸς … ἤ τινος ἄλλου θεῶν (Page) | τινος θεῶν (Hss.) : θεῶν τινος 1173 πρίν γ’ ὁρᾷ] historisches Präsens bei faktisch eingetretenem Ereignis (K.-G. II 453 f., 1 a); zu πρίν nach affirmativem Verb vgl. MT § 633 | διὰ (Hss.) : κατὰ +Π, Σ – διὰ ist wohl sachangemessener, aber κατὰ nicht auszuschließen (vgl. Page; Martina III)
Kommentar
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1166 ‚ausgestreckte Ferse‘, wörtl.: ‚gerade (d. h. gestreckte) Sehne‘, sc. die Achillessehne, die sich bei der anzunehmenden Bewegung spannt. Die Königstochter will sehen, wie das Kleid von hinten betrachtet über ihr Bein fällt; vgl. Page. 1167–1180 Der Umschlag von der Schilderung eitler Freude der Königstochter zu der ihrer Reaktion auf die erste Wirkungsphase des Gifts in den detailliert aufgeführten medizinischen Erscheinungsformen erfolgt in v. 1167 mit der vorweg charakterisierenden Beurteilung des sich verändernden Anblicks: ‚schrecklich‘. Bemerkenswert anschaulich ist die Schilderung der Bewegungsabläufe: Aufstehen vom Stuhl (1163a), Umhergehen (1163b–1166), gerade noch wieder Sich-Fallenlassen auf den Stuhl, ohne zu Boden zu stürzen (1169 f.). Dem wird in der nächsten Phase ein fluchtartiges Aufstehen entsprechen (1190), aber ohne Rückkehr, vielmehr wird Kreons Tochter zu Boden fallen (1195) und sterben. 1167 / 1202 Die Erwähnungen der Schrecklichkeit des Anblicks rahmen das Leiden und Sterben der Königstochter. 1168 ‚wechselte die Farbe‘: Offenbar wurde sie blass, vgl. 1175. ‚wankend‘: Das griechische Wort (lechrios) bedeutet eigtl. ‚schräg‘. Es soll wohl gesagt werden, dass Kreons Tochter nicht mehr in der Lage war, beim Gehen die Richtung zu halten, und also hin- und herwankte. 1172 ‚Pan‘: Der bocksgestaltige Hirtengott Pan ist Urheber des ‚panischen Schreckens‘, eine Erfahrung aus dem Hirtenleben, wenn die Herden plötzlich in heftigste Unruhe geraten (vgl. Holzhausen 2000, 222). Die Dienerin deutet den Erregungszustand der Königstochter als göttlich bewirkt, wie der Chor im Hippolytos von Phaidra annimmt (141 f.), sie sei in ihrem Krankheitswahn ‚gotterfüllt‘ (entheos), wo Pan ebenfalls als mögliche Ursache genannt wird. Die früheste Erwähnung ‚panischen Schreckens‘ (panikon deima, wenn auch nicht in dieser Formulierung) findet sich im pseudo-euripideischen Rhesos (36 f.), dessen Datierung vom frühen bis zum späten 4. Jh. v. Chr. schwankt (vgl. Fries 2014, bes. 26–28; Fantucci 2021, 24–40). Jedoch belegen die Stellen in der Medea und im Hippolytos, dass die Vorstellung, Pan könne einen plötzlichen, auf natürliche Weise unerklärlichen Erregungszustand hervorrufen, schon vorher vertraut war.
1173a ‚schrie freudig auf‘: Der Ausdruck ololȳgē und die damit zusammenhängenden Substantive und Verben (vgl. die Einträge in LSJ) bezeichnen ein frauentypisches Rufen, das Schmerz und Freude ausdrücken kann (Deubner 1941, 3–12). Es kann ein an Gottheiten gerichtetes, freudiges Rufen sein (so auch 1176), oft erhoben in rituellem Zusammenhang, wenn das Opfertier getötet zu Boden fällt (vgl. Diggle 1994, 477–479; Burkert 2011, 94). Die Dienerin denkt sicher nicht an einen solchen Vorgang, sondern glaubt an eine Auszeichnung der Prinzessin durch Gotterfülltheit. Ob Medea, wenn sie den Bericht hört, in dem Aufschrei eine Beziehung zur erfolgreichen Durchführung eines Opfers sieht (Mossman), darüber kann man nur spekulieren, da sie keine Reaktion zeigt. 1173b–1175 Der Bote nennt zwei Erscheinungen, die auch in medizinischer Literatur beschrieben werden. Zum Schaum, der aus dem Mund austritt, und zum Verdrehen der Augen vgl. Hippokrates, Über die Heilige Krankheit 7,1, p 72,76–79 Grensemann. Zur Blässe der Haut bei ‚Verwässerung‘ des Blutes infolge einer Entzündung vgl. Hippokrates, De affectionibus 19,9–12 Littré.
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Fünftes Epeisodion: 1174–1183
weißer Schaum kommt, sie aus den Augenhöhlen heraus die Augäpfel dreht und die Haut ganz blutleer ist; da ließ sie statt ihres Freudengeschreis lautes Klagen ertönen. Sogleich brach eine (Dienerin) zu den Räumen ihres Vaters auf, eine andere zu dem neuvermählten Gatten, um das Unglück der jungen Frau zu melden. Und das ganze Haus dröhnte von dem vielen Hin-und-her-Laufen. Und schon hätte, den Hinweg von sechs Plethren des Laufs durcheilend, ein schneller Läufer den Wendepunkt erreicht; und sie, eben noch stimmlos und mit geschlossenen Augen, χωροῦντα λευκὸν ἀφρόν, ὀμμάτων τ’ ἄπο κόρας στρέφουσαν, αἷμά τ’ οὐκ ἐνὸν χροΐ· εἶτ’ ἀντίμολπον ἧκεν ὀλολυγῆς μέγαν κωκυτόν. εὐθὺς δ’ ἡ μὲν ἐς πατρὸς δόμους ὥρμησεν, ἡ δὲ πρὸς τὸν ἀρτίως πόσιν, φράσουσα νύμφης συμφοράν· ἅπασα δὲ στέγη πυκνοῖσιν ἐκτύπει δραμήμασιν. ἤδη δ’ ἀνελθὼν κῶλον ἕκπλεθρον δρόμου ταχὺς βαδιστὴς τερμόνων ἂν ἥπτετο· ἡ δ’ ἐξ ἀναύδου καὶ μύσαντος ὄμματος
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1174 τ’ +Π : δ᾿ (Hss.) – Es geht um gleichrangige Phänomene. 1175 αἷμά τ’ οὐκ ἐνὸν χροΐ] Kykl. 408 αἷμά δ’ οὐκ ἐνῆν χροΐ | τ’ Hss. : δ̣᾿ Π – vgl. zu 1174 | χροΐ] vgl. zu 787 1176 ἀντίμολπον … ὀλολυγῆς] vgl. zum Genitiv Aisch. Ag. 17 ὕπνου … ἀντίμολπον. Es ist zwar richtig, dass diese Stelle für die Bedeutung ‚sounding against … not instead of it‘ (Page) spricht, vgl. aber Komm. | μέγαν Hss. : μέλος Π (Martina ΙΙΙ) – κωκυτός (1177) scheint adjektivisch nicht belegt zu sein; vgl. auch Soph. Ai. 851 μέγαν κωκυτὸν. 1178 τὸν ἀρτίως πόσιν] zum adjektivischen Gebrauch von Adverbien vgl. K.-G. I 594, 6 1179 συμφοράν : συμφοράς (Hss.) – Der kollektive Singular ist sachangemessener. 1179–1180 ἅπασα … στέγη … ἐκτύπει] vgl. El. 802 πᾶσα δ᾿ ἐκτύπει στέγη (Martina ΙΙΙ) 1180 δρα[μή]μασιν Π, Cobet : δρομήμασιν +Hss. – δράμημα ist die frühere und bei den Tragikern gebräuchliche Form. 1181–1182 {…} Dindorf, Müller 1951, 81 f. – Die Angabe, wie lange die Königstochter bewusstlos war, ist vielleicht nicht unverzichtbar, erfüllt im Botenbericht aber einen sinnvollen Zweck. 1181 ἀνελθὼν Lenting : ἀνέλκων +Hss. : ἂν ἕλκων Schaefer | ἕκπλεθρον : ἔκπλεθρον +(Hss.) : ἑκπλέθρου Reiske; Kovacs 1996, 154 f. – vgl. ETS zu 1181, S. 433 1182 βαδιστὴς] nur hier im klassischen Griechisch belegt | ἂν ἥπτετο Musgrave : ἀνθήπτετο +Hss. – Der Sinn erfordert ein Gedankenexperiment und nicht eine Faktenaussage. 1183 ἡ δ’ ἐξ Hss. : οτ εξ Π – ὅτ᾿ ἐξ würde die parataktische Konstruktion glätten (von Kovacs übernommen; vgl. 1996, 155 f.), aber das spricht gerade gegen diese Lesung, aus ὅτ᾿ ἐξ wäre kaum ἡ δ’ ἐξ entstanden. | καὶ +Hss. : κἀκ Munro – Munros Konjektur ist eine Verdeutlichung, aber nach καὶ lässt sich leicht ein ἐκ (aus ἐξ) ergänzen. | ὄμματος (Hss.) : ὄμματα +CP 906 – μύω kann erst im späten Griechisch einen Akkusativ regieren (Page).
Kommentar
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1174b–1175a ‚sie aus den Augenhöhlen heraus die Augäpfel dreht‘, wörtl. ‚sie dreht die Pupillen weg von den Augen‘, d. h., die Augen treten so hervor, dass sie aus den Augenhöhlen kommen. Vgl. hierzu bes. Page. 1176–1177 ‚statt ihres Freudengeschreis lautes / Klagen‘, wörtl. ‚dem Freudengeschrei lautes Klagen entgegentönend‘, im Sinne von ‚ein Klagen, das ihrem Freudengeschrei (1173) entgegengesetzt ist‘. 1177–1178 ‚eine (Dienerin) / eine andere‘, wörtl.: ‚die eine / die andere‘; dem Kontext nach muss es sich um eine Dienerin handeln. Weiteres Personal bleibt bei der Königstochter, so auch der Bote. 1177 ‚Räumen‘, wörtl. ‚Häuser‘ bzw. ‚Haus‘, vgl. zu 1137. 1180 ‚dröhnte‘: Das akustische Phänomen demonstriert die Hektik, die ausgebrochen ist. 1181–1203 Dass das Gift zunächst zu einer kurz dauernden Bewusstlosigkeit führt, erfährt man erst jetzt, wo es um die nächste Stufe seiner Wirkung geht, nämlich Feuer, vom Diadem ausgesandt, und Zerfressen des Fleisches durch das Gewand. Die Abwehrversuche von Kreons Tochter sind zum Scheitern verurteilt, sodass sie zu Boden fällt und qualvoll stirbt. Mit dem Hinweis, dass die Umstehenden, durch das Geschehen belehrt, den Leichnam nicht berührten, wird die nächste Szene vorbereitet: Der herbeigeeilte Vater verfügt über diese Belehrung nicht. 1181–1182 Das – dem Erzählstil des Boten entsprechende – etwas hochgestochen formulierte Bild (vgl. zu 1122–1123) dient als Zeitangabe, wie lang es dauerte bzw. wie schnell es ging, bis die Königstochter wieder zu Bewusstsein kam. Es ist die Zeit, die man beim Doppellauf (Diaulos; einmal die Stadionlänge hin und zurück) braucht, eine Teilstrecke (= einfache Länge des Stadions, ca. 180–200 m) zurückzulegen, d. h. ca. 20–30 Sekunden. Ob mit der Teilstrecke (kōlon) der Hin- oder der Rückweg gemeint ist, spielt für die Zeitangabe keine Rolle, aber das Verb bedeutet eher den Weg hinauf, zum Wendepunkt. D. h., die Zeit war so kurz, dass der schnelle Läufer nicht die ganze Strecke (hin und zurück) zurücklegen konnte; vielleicht soll mit dem Hinweis, dass der Läufer nur ein kōlon zurücklegen konnte, auch angedeutet werden, dass der Tochter Kreons die zweite Hälfte ihres Leidens noch bevorsteht (vgl. Mossman). Dass die halbe Länge eines Stadionlaufs (d. h. ca. 90–100 m) gemeint sein könnte (Powell 1933), ist unwahrscheinlich, da man sich unter kōlon wohl eher eine natürlich abgegrenzte Einheit vorstellen muss. 1181 ‚Plethren‘: Ein Plethron sind 100 Fuß, sechs Plethren ergeben die Länge eines Stadions. 1183 ‚eben … geschlossenen‘, wörtl. ‚(sie erwachte) aus einem Zustand der Stimmlosigkeit und der geschlossenen Augen‘.
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Fünftes Epeisodion: 1184–1196
erwachte, die Elende, mit einem schrecklichen Stöhnen. Denn eine zweifache Qual griff sie an: 1185 Der goldene Kranz, der ihr Haupt umgab, sandte einen unerklärlichen Strom allverzehrenden Feuers aus, und das feingewebte Gewand, Geschenk deiner Kinder, zerfraß das weiße Fleisch der Unglücklichen. Sie steht auf vom Stuhl und läuft brennend weg, 1190 dabei schüttelt sie Haar und Haupt hierhin und dorthin, weil sie den Kranz abwerfen will. Aber der goldene Kranz haftete fest an den Bändern, und das Feuer flammte, als sie ihr Haar schüttelte, eher zweimal so stark auf. Sie fällt zu Boden, erliegt dem unheilvollen Geschick, 1195 war außer für ihren Vater in ihrem Aussehen kaum mehr kenntlich: δεινὸν στενάξασ’ ἡ τάλαιν’ ἠγείρετο. διπλοῦν γὰρ αὐτῇ πῆμ’ ἐπεστρατεύετο· χρυσοῦς μὲν ἀμφὶ κρατὶ κείμενος πλόκος θαυμαστὸν ἵει νᾶμα παμφάγου πυρός, πέπλοι δὲ λεπτοί, σῶν τέκνων δωρήματα, λευκὴν ἔδαπτον σάρκα τῆς δυσδαίμονος. φεύγει δ’ ἀναστᾶσ’ ἐκ θρόνων πυρουμένη, σείουσα χαίτην κρᾶτά τ’ ἄλλοτ’ ἄλλοσε, ῥῖψαι θέλουσα στέφανον· ἀλλ’ ἀραρότως σύνδεσμα χρυσὸς εἶχε, πῦρ δ’, ἐπεὶ κόμην ἔσεισε, μᾶλλον δὶς τόσως ἐλάμπετο. πίτνει δ’ ἐς οὖδας συμφορᾷ νικωμένη, πλὴν τῷ τεκόντι κάρτα δυσμαθὴς ἰδεῖν·
1185
1190
1195
1184 ἠγείρετο (Hss.), Π, Trikl. : ἀπώλλυτο – Αngesichts der Zeitangabe in den vv. 1181 f. kommt nur ἠγείρετο in Frage; Kreons Tochter stirbt nicht unmittelbar. 1188 δὲ in einigen Hss. u. Π : τε (Hss.) – Es besteht ein Unterschied zwischen der Wirkung des Diadems und derjenigen des Gewands. 1189 λευκὴν in einigen Hss. u. Π : λεπτὴν (Hss.) – λευκὴν ist die naheliegendere Lesart (vgl. Komm.), λεπτὴν ist möglicherweise durch λεπτοί (1188) beeinflusst. 1190 ἀναστᾶσ’ ἐκ θρόνων] vgl. 1163 | θρόνων +(Hss.) : δόμων – Nur θρόνων gibt hier einen Sinn. 1193 σύνδεσμα] heteroklitischer Plural Neutrum zu σύνδεσμος 1194 μᾶλλον] zur Korrektur des an sich erwarteten Ergebnisses; vgl. Page; LSJ s. v. μάλα II. 3 | ἐλάμπετο] Medialform des intransitiven Verbs (K.-G. I 102, 3) 1195 πίτνει : πιτνεῖ +(Hss.) : πίπτει +CP 1089 – πίτνει ist die bei Euripides gebräuchliche Form (poet. für πίπτει) | ἐς +(Hss.) : ἐπ᾿ +CP – (πίτνει) ἐς ist die bei Euripides üblichere Verbindung (ἐπὶ δόμοις, 1270, ist anders gelagert)
Kommentar
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1185 Während für den Zustand der Bewusstlosigkeit nicht klar ist, welches der Geschenke die Ursache ist, ist mit zweifacher Qual die separate Wirkung jedes der beiden Geschenke gemeint. – Heute kennt man Stoffe, die sich selbst entzünden können, und Säuren, die eine stark ätzende Wirkung haben; inwieweit bei Euripides und dem Publikum reales Erfahrungswissen vorauszusetzen ist, wird man nicht klären können, es kommt auf die grausige Vorstellung an. 1188 ‚Geschenk deiner Kinder‘: Der Sprecher bezieht wieder einmal (wie schon mehrfach 1136–1158) die Adressatin in seinen Bericht ein, hier um anzudeuten, wer das Unglück zu verantworten hat; vielleicht ist auch impliziert, dass die Kinder jetzt gefährdet sind. Vgl. Mastronarde. 1189 ‚das weiße Fleisch‘: Der Bote will hier wahrscheinlich die Zerstörung der Schönheit der Königstochter andeuten: vgl. zu 30. 1193 Das von Medea präparierte Gold, d. h. der Feuer aussendende Goldkranz (1186 f.), war so fest mit dem das Haupt umgebenden Band verbunden, dass das Diadem nicht abgeschüttelt werden konnte; vgl. Page. 1194 ‚eher‘: Gemeint ist ‚anstatt zu erlöschen‘. Durch das Schütteln des Kopfes werden die Flammen angefacht. 1195 ‚erliegt dem … Geschick‘: Die Königstochter stirbt. 1196 Der Leichnam von Kreons Tochter ist so entstellt, dass nur ihr Vater sie wiedererkennen kann, was er dann auch tun wird (1207 ff.). Der Vers bereitet das Erscheinen des Vaters vor (De Jong 1991, 46 f.).
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Fünftes Epeisodion: 1197–1208
Denn weder waren ihre Augen zu erkennen, noch ihr (ehemals) wohlgeformtes Gesicht; von oben aus dem Haupt tropfte Blut vermischt mit Feuer, Fleisch rann von den Knochen wie Fichtenharz 1200 aufgrund der unsichtbaren Bisse des Gifts, ein furchtbarer Anblick. Alle fürchteten sich, ihren Leichnam zu berühren; denn wir hatten das Geschehene als Lehrmeister. Aber ihr armer Vater, ohne von dem Unglück zu ahnen, kam unerwartet in den Raum und warf sich zu der Toten nieder. 1205 Sogleich schrie er auf, und, seine Arme um sie schlingend, küsste er sie und sprach so zu ihr: „Meine unglückliche Tochter, welcher der Götter hat dich so schändlich zugrunde gehen lassen, οὔτ’ ὀμμάτων γὰρ δῆλος ἦν κατάστασις οὔτ’ εὐφυὲς πρόσωπον, αἷμα δ’ ἐξ ἄκρου ἔσταζε κρατὸς συμπεφυρμένον πυρί, σάρκες δ’ ἀπ’ ὀστέων ὥστε πεύκινον δάκρυ γνάθοις ἀδήλοις φαρμάκων ἀπέρρεον, δεινὸν θέαμα. πᾶσι δ’ ἦν φόβος θιγεῖν νεκροῦ· τύχην γὰρ εἴχομεν διδάσκαλον. πατὴρ δ’ ὁ τλήμων συμφορᾶς ἀγνωσίᾳ ἄφνω παρελθὼν δῶμα προσπίτνει νεκρῷ. ᾤμωξε δ’ εὐθὺς καὶ περιπτύξας χέρας κύνει προσαυδῶν τοιάδ’· Ὦ δύστηνε παῖ, τίς σ’ ὧδ’ ἀτίμως δαιμόνων ἀπώλεσεν;
1200
1205
1197 δῆλος] hier als Adjektiv zweier Endungen gebraucht | κατάστασις] zur Bedeutung ‚(gewohnte) Verfassung)‘ vgl. LSJ s. v. II. 2, möglicherweise ist ὀμμάτων … κατάστασις lediglich eine Umschreibung für ὄμματα, vgl. Cyrillus Hierosolymitanus, Catecheses ad illumitandos 6,5 Ἆρα ἐπειδὴ πάντα τὸν ἥλιον τῇ τῶν ὀμμάτων καταστάσει χωρῆσαι οὐ δύναμαι, μηδὲ πρὸς τὴν ἐμαυτοῦ χρείαν αὔταρκες ἐμβλέψω; 1198 οὔτ’ εὐφυὲς πρόσωπον] zu ergänzen δῆλον ἦν aus v. 1197 1200 ὀστέων] zweisilbig zu lesen (ὀστ͜έων) 1201 γνάθοις Blaydes : γναθοῖς : γναθμοῖς (Hss.) – γνάθοις ist die gewöhnliche tragische Form gegenüber dem epischen γναθμοῖς; vgl. Diggle 1994, 265 | ἀδήλοις +(Hss.) : +ἀδήλων – Das Gift ist zwar auch unsichtbar, aber es geht hier eher um dessen unsichtbaren Wirkungsmechanismus. 1204 ἀγνωσίᾳ] Der Dativ bezeichnet eher den begleitenden Umstand (K.-G. I 435, 6) als den Grund (ebd. 438, 11). 1205 παρελθὼν Nauck : προσελθὼν Hss. – παρελθὼν vom Betreten eines Raums, vgl. 1137; 1275; Hipp. 108 (gleichartige Korruptel HF 599); προσελθὼν ‚hinzutretend‘ (vgl. 68) | προσπίτνει : προσπίπτει (Hss.) – vgl. zu 1195 | προσπίτνει] praesens historicum, vgl. zur Bedeutung El. 576 ἔπειτα μέλλεις προσπίτνειν τοῖς φιλτάτοις; Da wird allerdings nicht ein Hinfallen, sondern ein Sich-an-den-Hals-Werfen bezeichnet. 1206 χέρας : δέμας (Hss.) – vgl. Alk. 350, Andr. 417 περιπτύσσων χέρας, aber Hek. 735 δέμας περιπτύσσοντες, ΙΑ 992 περιπτύξαι γόνυ (vgl. Page); beides ist möglich, aber χέρας betont neben κυνεῖ (1207) mehr das Agieren des Vaters. 1207 κύνει (Hss.) : +κυνεῖ – vgl. zu 1141, außerdem ᾤμωξε, 1206
Kommentar
351
1197–1198 Die Verse lauten wörtl.: ‚Denn weder war der gewohnte Zustand ihrer Augen klar erkenntlich noch das wohlgeformte Gesicht.‘ 1198b–1199 Nach der Blutleere (1175) jetzt heraustretendes Blut; vgl. Mossman. ‚Blut vermischt mit Feuer‘: Offenbar soll man sich vorstellen, dass brennende Blutstropfen herunterfielen. 1200 ‚Fichtenharz‘, wörtl. ‚zur Fichte gehörige Träne‘. Das Harz, das Fichten von ihrer Rinde herabrinnen lassen, wird als Träne bezeichnet, und damit wird das von den Knochen herabfließende Fleisch verglichen. 1201 ‚Bisse des Gifts‘: Dieselbe Metapher verwendet Aischylos in Bezug auf Feuer (Cho. 325) oder Krankheiten (Cho. 280). 1204–1221 Nachdem Kreon, den eine Dienerin von den Vorgängen informieren wollte (1177 f.), ins Zimmer geeilt ist, wendet er sich, ungewarnt (vgl. 1203 f.), mit körperlichem Kontakt und liebevoller Ansprache seiner toten Tochter zu, und es wiederholt sich analog das Geschehen, das schon bei ihr zum Tod führte. – Dass Iason in der Todesszene nicht anwesend ist, dürfte dramaturgisch damit zu erklären sein, dass Medeas Plan (vgl. 803–806) aufgehen soll, der Iasons Weiterleben erfordert. Daher gibt es für ihn keine entsprechende Szene, aber er wird auch später nicht das Schicksal seiner neuen Frau beklagen. 1204–1205 ‚ohne von dem Unglück zu ahnen, / kam unversehens‘: Die Information der Dienerin (1177 f.) konnte sich nur auf die Erscheinungen beziehen, die bis zu ihrem Weggang zu beobachten waren, nicht auf die zerstörerische Wirkung von Feuer und Gift (1185 ff.). Als der von ihr herbeigerufene Kreon zu der Tochter kommt, ist sein Erscheinen für die Anwesenden so unerwartet (nicht zufällig, wie Page meint), dass man ihn nicht mehr warnen und von der Berührung der Tochter zurückhalten konnte; vgl. auch Mossman. 1205 ‚Raum‘, eigtl. ‚Haus‘, aber es kann nur das in v. 1143 genannte Frauengemach gemeint sein; vgl. zu 1177. 1207a Zum Küssen von Toten als Zeichen besonderer Zärtlichkeit vgl. Kroll 1931, 518. 1207b–1210 Der Bote gibt auch diese Rede wörtlich wieder. 1208 ‚Götter‘: Kreon kann sich das ihm unbegreifliche Unheil nur durch das Wirken einer höheren Macht erklären. ‚so schändlich zugrunde gehen lassen‘: Wörtl. heißt es: ‚hat dich auf entehrende Weise vernichtet‘, gemeint ist, dass die Art des Todes der Königstochter die Ehre eines würdigen Sterbens genommen hat, nicht dass die Gottheit schändlich gehandelt hat; vgl. Mossman.
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Fünftes Epeisodion: 1209–1221
welcher den alten, dem Grabe nahen Mann, deiner beraubt? Weh mir, ich möchte mit dir sterben, Kind!“ 1210 Und nachdem er mit Klagen und Jammern aufgehört hatte, wollte er seinen alten Körper wieder aufrichten, wurde aber wie Efeu an Zweigen des Lorbeers durch das feingewebte Gewand festgehalten, und es gab ein furchtbares Ringen. Denn er wollte sein Knie wieder aufrichten, 1215 sie aber hielt ihn fest; und sooft er sich mit Gewalt wegziehen wollte, riss er sich das alte Fleisch von den Knochen. Allmählich aber erloschen seine Kräfte, und der Unglückselige hauchte sein Leben aus; denn er konnte das Unheil nicht mehr bezwingen. Tot liegen da die Tochter und der greise Vater, 1220 ein Unglück, das ein Verlangen nach Tränen erregt. τίς τὸν γέροντα τύμβον ὀρφανὸν σέθεν τίθησιν; οἴμοι, συνθάνοιμί σοι, τέκνον. ἐπεὶ δὲ θρήνων καὶ γόων ἐπαύσατο, χρῄζων γεραιὸν ἐξαναστῆσαι δέμας προσείχεθ’ ὥστε κισσὸς ἔρνεσιν δάφνης λεπτοῖσι πέπλοις, δεινὰ δ’ ἦν παλαίσματα. ὁ μὲν γὰρ ἤθελ’ ἐξαναστῆσαι γόνυ, ἡ δ’ ἀντελάζυτ’· εἰ δὲ πρὸς βίαν ἄγοι, σάρκας γεραιὰς ἐσπάρασσ’ ἀπ’ ὀστέων. χρόνῳ δ’ ἀπέσβη καὶ μεθῆχ’ ὁ δύσμορος ψυχήν· κακοῦ γὰρ οὐκέτ’ ἦν ὑπέρτερος. κεῖνται δὲ νεκροὶ παῖς τε καὶ γέρων πατήρ † πέλας, ποθεινὴ δακρύοισι συμφορά †.
1210
1215
1220
1209 τὸν γέροντα τύμβον] Bezug eines konkreten Sachnamens auf eine Person, vgl. K.-G. I 11, 4; Collard 2018, 44; Herakl. 166 f. γέροντος … τύμβου 1216 ἀντελάζυτ’ : ἀντελάζετ’ +(Hss.) – ἀντιλάζυμαι (poet. für ἀντιλαμβάνομαι) ist die bei Euripides gebräuchliche Form | εἰ … ἄγοι] Iterativ der Vergangenheit (K.-G. II 478) | πρὸς βίαν ἄγοι] bedeutet eigtl. ‚gewaltsam wegführen‘, muss hier aber eine allgemeinere Bedeutung haben (vgl. Page) 1218 ἀπέσβη Scaliger (vgl. Bekker, Anecdota 422) : ἀπέστη +Hss. – vgl. Eur. TrGF V F 971 ὁ δ᾿ ἄρτι θάλλων σάρκα διοπετὴς ὅπως / ἀστὴρ ἀπέσβη, πνεῦμ᾿ ἀφεὶς ἐς αἰθέρα. ἀφίσταμαι heißt eigentlich ‚sich fernhalten von‘, was Kreon gerade nicht kann. Eine Bedeutung ‚aufgeben‘ (vgl. Thukydides 2,47,4 αὐτῶν ἀπέστησαν) ergibt sich nur indirekt als Umsetzung von ‚sie zogen sich davon zurück‘. So spricht doch mehr für Scaligers Konjektur (vgl. Tedeschi, S. 48; Mossman; anders Martina III zu 1218–9). 1220–1221 {…} West (1980, 9); 1221 {…} Reeve (1973, 147) – vgl. Komm. 1221 † ποθεινὴ δακρύοισι συμφορά † Mastronarde, † ποθεινὴ δακρύοισι † van Looy (vgl. Eur. Phoin. 1737 ποθεινὰ δάκρυα) – vgl. Komm. zu 1220–1221 | +δακρύοισι : +δακρύουσι – δακρῡ́ουσι (so die Messung in klassischer Zeit, vgl. Page) ist metrisch nicht passend
Kommentar
353
1209 Dass Kreon sich selbst als alt sieht (wörtl. bezeichnet er sich in seinem Alter als Grab), ist möglicherweise als Verstärkung seines Schmerzes zu verstehen, da er wenig Hoffnung haben kann, weitere Kinder zu bekommen. 1210 Zusammen mit einem anderen sterben zu wollen kann Zeichen engster Verbundenheit oder der Verzweiflung sein (Hek. 396; Hik. 769; 1007; Soph. OC 1689–1692; TrGF IV2 F 953,1). Kreons Wunsch wird schneller in Erfüllung gehen, als er erwartet. Vgl. Mastronarde. 1213 Der Vergleichspunkt ist hier, dass die Efeupflanze, die sich an anderen Pflanzen als Gerüst festklammert, nur sehr schwer wieder davon abzulösen ist. 1215 Das Aufrichten der Knie könnte ein anderer Ausdruck für das Aufrichten des Körpers sein (1212) oder darauf hinweisen, dass Kreon in der Körpermitte bereits festgehalten wurde. 1216 ‚sie aber hielt ihn fest‘: eine makabre Formulierung, als ob die Königstochter noch lebte. Der Dichter hätte auch das vergiftete Gewand zum Subjekt machen können (Mossman). 1218 ‚erloschen seine Kräfte‘, wörtl. ‚verlosch er‘, aber die direkte Anwendung dieser Metapher ist im Deutschen nicht gut möglich. 1220–1221 Vers 1221 ergibt so, wie er überliefert ist, keinen sinnvollen Text. Er ist also entweder auf eine ungeschickte Interpolation zurückzuführen oder ist zumindest teilweise korrupt. Eine Korruptel ist wahrscheinlicher, weil die bloße Aussage des Tot-Daliegens, wie Parallelen nahelegen, ergänzt zu werden pflegt (vgl. Mastronarde). Da nichts gegen den v. 1220 als solchen spricht, überzeugt Wests Athetese der vv. 1220 u. 1221 nicht. West hat allerdings recht, dass schon das erste Wort von v. 1221 (‚nahe beieinander‘) angesichts der vv. 1211–1217 verdächtig ist, denn „Creon in the Medea … lay not just close to his daughter but glued to her“ (1980, 9). Daher sollte man nicht nur Teile von v. 1221, sondern den ganzen Vers als korrupt betrachten. Als darin ursprünglich intendierten Sinn könnte man mit Mastronarde vermuten „a disaster arousing longing ⟨to mourn⟩ with tears“. Davon geht tentativ die ‚Übersetzung‘ aus, damit behelfsweise ein lesbarer Text geboten wird.
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Fünftes Epeisodion: 1222–1230
Und was dich betrifft, davon will ich nicht reden; denn du wirst die Strafe, die auf dich zukommt, selbst erkennen. Und nicht jetzt zum ersten Mal halte ich das menschliche Leben für einen Schatten. {Und ohne Furcht würde ich sagen, dass diejenigen Menschen, die 1225 glauben, weise zu sein und geschickte Redner, dass diese sich der größten Dummheit schuldig machen.} Von den Sterblichen ist nämlich niemand glücklich; wenn einem aber Reichtum zuströmt, könnte er mehr vom Schicksal begünstigt sein als ein anderer, glücklich jedoch nicht. 1230 Der Bote entfernt sich. καί μοι τὸ μὲν σὸν ἐκποδὼν ἔστω λόγου· γνώσῃ γὰρ αὐτὴ ζημίας ἐπιστροφήν. τὰ θνητὰ δ’ οὐ νῦν πρῶτον ἡγοῦμαι σκιάν, {οὐδ’ ἂν τρέσας εἴποιμι τοὺς σοφοὺς βροτῶν δοκοῦντας εἶναι καὶ μεριμνητὰς λόγων τούτους μεγίστην μωρίαν ὀφλισκάνειν.} θνητῶν γὰρ οὐδείς ἐστιν εὐδαίμων ἀνήρ· ὄλβου δ’ ἐπιρρυέντος εὐτυχέστερος ἄλλου γένοιτ’ ἂν ἄλλος, εὐδαίμων δ’ ἂν οὔ.
1225
1230
1222 ἐκποδὼν ἔστω] mit Genitiv wie Phoin. 978 ἐκποδὼν … ἔσῃ (K.-G. I 395 b) 1223 γνώσῃ] Die Formel kann eine Drohung ausdrücken, vgl. Collard 2018, 140. | ἐπιστροφήν Lenting (Diggle 1994, 288–291) : ἀποστροφήν Hss. : ἀντιστροφήν Kirchhoff (vgl. CP 800 αὐτή τε γνοίης ζημίας ἀντιστροφήν) – Gegen das überlieferte ἀποστροφήν spricht, dass sowohl der Scholiast (trotz des Lemmas ἀποστροφήν) als auch der Autor des Christus Patiens den Text offenbar so verstanden haben, dass die Strafe auf Medea zurückfallen wird; auch passt die folgende Gnome besser, wenn der Bote eine Bestrafung Medeas annimmt. ἐπιστροφήν ist gegenüber ἀντιστροφήν vorzuziehen, da es zweifelhaft ist, ob letzteres Wort z. Z. des Euripides schon existierte (Page). Das Zustandekommen von ἀποστροφήν müsste man dann so erklären, dass ein Rückbezug zum anfänglichen Rat des Boten zu fliehen (1122 f.) hergestellt und / oder vorwegnehmend berücksichtigt werden sollte, dass Medea tatsächlich entkommen wird. 1225–1227 {…} Prinz (vgl. 580 f.); Müller 1951, 79 – vgl. Komm. zu 1222–1230 1227 +τούτους : + τούτοις – τούτους (= τοὺς σοφοὺς, 1225) ist Subjektsakkusativ zu ὀφλισκάνειν | μωρίαν Aldina (vgl. Eur. TrGF V F 86,7; Soph. Ant. 470) : ζημίαν +Hss. (vgl. 581) – Zu denen, die sich weise dünken, ist μωρίαν der treffende Gegensatz, der hier nicht angibt, was man sich zuzieht, sondern den Grund des Vorwurfs (wie Hek. 327 ἀμαθίαν, Soph. Ant. 1028 σκαιότητ᾿), vgl. Mastronarde. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass der Interpolator ζημίαν gedankenlos aus v. 581 übernommen hat.
Kommentar
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1222–1230 Der Bote beschließt seinen Bericht mit einer Anrede an Medea, der er im Unterschied zu Beginn seines Berichtes keinen Ratschlag erteilen will, und – resignierend – mit einer gnomischen Bemerkung zur Nichtigkeit menschlichen Lebens. Kein Sterblicher sei glücklich, aufgrund von Reichtum allenfalls der eine begünstigter als der andere, aber auch so nicht wirklich uneingeschränkt glücklich (vgl. zu 1228–1230). Die Bemerkung schließt einerseits an die vom Boten erwartete Bestrafung Medeas an, andererseits an das eben berichtete Unglück im Königshaus, dessen Reichtum es nicht davor bewahren konnte. Die vv. 1228–1230 begründen die Aussage in v. 1224. Dazwischen eingeschoben sind drei Verse gegen Leute, die sich weise dünken, sich in Reden großtun und sich so der größten Dummheit schuldig machten (bzw., wenn man die entsprechende Konjektur nicht aufnimmt, die größte Strafe auf sich zögen). Diese Verse unterbrechen inhaltlich und in der Tonlage den Zusammenhang und sind daher seit R. Prinz (1878) von einer Reihe von Interpreten m. E. zu Recht als Interpolation (vielleicht in Anlehnung an 580 f.) betrachtet worden. Der Verfasser der Verse wollte möglicherweise den Boten eine unmittelbare Kritik an Leuten wie Iason und Medea anbringen lassen, durch deren Verhalten es zum jetzigen Ergebnis gekommen ist. Dabei hat er nicht bedacht, dass der Bote längst Medeas Schuld für erwiesen hält und seine Schlussgedanken umfassender allen Menschen gelten. 1222 ‚was dich betrifft‘: Im griech. Text ist unbestimmt von ‚das Deine‘ die Rede. 1223 Die Formulierung des Boten, dass Medea selbst ihre Strafe erkennen werde, ist zweideutig zu verstehen: Er meint sicherlich die irdische Gerechtigkeit, für Medeas Verständnis kann sich ergeben, dass sie das Leid, das sie sich durch den Mord an den Kindern zufügt, als Bestrafung erkennen muss. 1224 Das Menschenleben als nur schattenhaft zu betrachten ist ein traditionelles Motiv. Für Pindar ist der Mensch sogar nur der Traum von einem Schatten (Pythien 8,95 f.); vgl. Aisch. TrGF III2 F 399,2; Soph. Ai. 126; TrGF IV2 F 13. ‚nicht jetzt zum ersten Mal‘: vgl. zu dieser Redewendung 292b (auch TS); 446. 1225–1227 Zur Tilgung vgl. zu 1222–1230. 1226 ‚geschickte Redner‘, wörtl. ‚bemüht / die sich Mühe geben im Bereich der Reden (oder auch des Argumentierens)‘. Der Ausdruck ist sicher nicht positiv gemeint, und die ‚Bemühtdenker‘ (merimnophrontistai) in Aristophanes’ Wolken (101) stellen sich als Leute heraus, die Aristophanes für Sophisten hält. 1228–1230 Der Bote gebraucht für ‚glücklich‘ zwei Ausdrücke, eudaimōn (1228 u. 1230) und eutychēs (1229). Letzteres bezeichnet eher die Begünstigung durch äußere Umstände, durch das Schicksal (tychē, z. B. ein reiches Erbe), mit Ersterem ist eher wahres, inneres Glück gemeint, das für den Sprecher nie vollkommen ist, während man mehr oder weniger eutychēs sein kann; vgl. Page. Zu dem Gedanken, dass niemand vollständig glücklich ist, vgl. bei Euripides noch TrGF V F 44 u. F 661,1.
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Fünftes Epeisodion: 1231–1241
Chf. Es scheint, die Gottheit hat an diesem Tag viel Schlimmes Iason zugefügt, mit Recht. {Du Arme, wie beklagen wir dein Unglück. Tochter Kreons, da du in das Haus des Hades fortgehst wegen der Hochzeit mit Iason.} Me.
Χο.
Μη.
Ihr Lieben, die Tat steht für mich fest, möglichst schnell die Kinder zu töten, aus diesem Land wegzugehen und nicht durch Säumen die Kinder zum Ermorden einer anderen, feindseligeren Hand auszuliefern. Denn auf jeden Fall müssen sie sterben; und da es sein muss, werde ich sie töten, die ich sie geboren habe. ἔοιχ’ ὁ δαίμων πολλὰ τῇδ’ ἐν ἡμέρᾳ κακὰ ξυνάπτειν ἐνδίκως Ἰάσονι. {ὦ τλῆμον, ὥς σου συμφορὰς οἰκτίρομεν, κόρη Κρέοντος, ἥτις εἰς Ἅιδου δόμους οἴχῃ γάμων ἕκατι τῶν Ἰάσονος.} φίλαι, δέδοκται τοὔργον ὡς τάχιστά μοι παῖδας κτανούσῃ τῆσδ’ ἀφορμᾶσθαι χθονός, καὶ μὴ σχολὴν ἄγουσαν ἐκδοῦναι τέκνα ἄλλῃ φονεῦσαι δυσμενεστέρᾳ χερί. πάντως σφ’ ἀνάγκη κατθανεῖν· ἐπεὶ δὲ χρή, ἡμεῖς κτενοῦμεν, οἵπερ ἐξεφύσαμεν.
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1233–1235 {…} Weil – vgl. Komm. 1233 σου συμφορὰς od. συμφορᾶς Hss. : σε συμφορᾶς Βrunck – σε συμφορᾶς wäre die übliche Ausdrucksweise, vgl. aber Hipp. 1405 ᾤμοξα τοίνυν καὶ πατρὸς δυσπραξίας (Page) 1234 ἥτις] vgl. zu 589 | δόμους +CP 878 : πύλας (Hss.) – Beim Gang i n den Hades heißt es δόμους, aber das mag eine Korrektur von πύλας des Interpolators sein (vgl. Page). 1236 μοι] „The interlaced word order (μοι placed after ὡς τάχιστά) seems to reflect the fact that the ‘deed’ is primarily the killing rather than the departure“ (Mastronarde). 1238 ἄγουσαν] nach μοι … κτανούσῃ (1236 f.), vgl. K.-G. II 26 Anm. 1 zur Kombination von Dativ und Akkusativ 1240–1241 {…} Valckenaer (vgl. 1062 f.); Hübner 1984b, 405 Anm. 15: „Nachdem für Medea feststeht (1236 δέδοκται), daß sie die für ihren Willen nach Rache indiskutable Möglichkeit, daß die Kinder von anderer Hand ermordet werden, vereiteln wird (1238), indem sie ihr zuvorkommt, kann sie nicht nachträglich mit der zwingenden Notwendigkeit argumentieren.“ – vgl. aber Komm. 1240 πάντως …] begründendes Asyndeton, vgl. zu 119–121 | ἀνάγκη] vgl. 1013 1241 κτενοῦμεν : κτανοῦμεν (Hss.) – die Futurbildung κτανῶ, κτανεῖς usw. ist erst spät belegt | οἵπερ] zum Maskulinum in Bezug auf Medea vgl. zu 314–315
Kommentar
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1231–1232 Nach Abschluss der Botenberichts und vor dem Monolog Medeas (1236–1250) spricht die Chorführerin die üblichen Trennverse. Sie kommentiert nicht die gehörten Geschehnisse insgesamt, sondern zieht ein Fazit in Bezug auf Iason. Der Chor hatte schon früher darauf vertraut, dass Zeus, der Schützer der Eide (169 f.), Medea zu ihrem Recht verhelfen werde (157); diese Einschätzung besteht jetzt weiter, wenn auch vorsichtig ausgedrückt (‚Es scheint‘). Die Chorführerin hatte die Rache an Iason, mit demselben Wort wie hier (endikōs), für berechtigt erklärt (267). Dass sie durch die Ermordung einer Unschuldigen zustande kommt und dass jetzt die Kinder nicht mehr zu retten sind, thematisiert sie nicht. 1233–1235 Abgesehen davon, dass eine Zwischenbemerkung der Chorführerin bzw. des Chorführers sich in der Regel auf zwei Verse beschränkt (1231 f.), folgen diese Verse ohne argumentative Verbindung (etwa: ‚Trotzdem bedauern wir …‘) auf die vorausgehenden und unterscheiden sich in der emotionalen Haltung; auffällig ist die direkte Ansprache an die nicht nur nicht anwesende, sondern auch als Figur nicht im Bühnengeschehen präsente Tochter Kreons. Die Verse sind wahrscheinlich interpoliert (zuerst getilgt von Weil, der viele Nachfolger gefunden hat), vermutlich von jemandem, der Empathie mit der Königstochter vermisste; vgl. auch Mastronarde; Mossman. Tedeschi und Martina III 386 f. halten die Verse für echt. 1236–1250 Medea äußert sich nicht zu dem, was der Bote berichtet hat. Sie reagiert auf den Bericht des Boten mit einer kurzen, aber für ihren Seelenzustand ungemein aufschlussreichen Rede, die sich anfänglich an die korinthischen Frauen richtet (1236–1241), der dann ein Appell an sich selbst folgt, verbunden mit einer Reflexion über die Folgen der geplanten Tat für sie (1242–1250). 1236–1241 Der Entschluss, den zweiten Teil des Racheplans auszuführen, die Tötung der Kinder, steht für Medea seit ihrer Ansprache an die Frauen des Chores (790–819) unverändert fest. Jetzt drängt auch die Zeit wegen der von ihr befürchteten Vergeltung durch andere, wodurch sich ein weiteres Motiv ergibt, die Kinder selbst zu töten. Vom Verlassen des Landes spricht sie ganz selbstverständlich, als ob das unproblematisch wäre. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass sie von der Rettung durch Helios schon weiß, vielmehr dürfte die Knappheit der Aussage signalisieren, dass Medea ganz auf ihre Tat fixiert erscheint. 1236 ‚möglichst schnell‘: Diese Qualifizierung bezieht sich nicht nur auf das möglichst schnelle Weggehen (‚wegzugehen‘), sondern auf die gesamte Aussage, also auch auf das zuvor zu vollbringende Töten der Kinder (das dem Infinitiv im Griechischen sprachlich untergeordnet ist). 1240–1241 ‚auf jeden Fall‘ heißt, dass die Kinder sterben müssen (1) wegen der Rache an Iason (vgl. bes. 817) – Medea gäbe sonst ihren Racheplan auf –, (2) wegen der jetzt durch den Tod Kreons und seiner Tochter eingetretenen Situation. Die hypothetische Möglichkeit, die Kinder auf der geplanten Flucht mitzunehmen und sie so der Rache der Korinther zu entziehen, ist von Medea offenbar nie erwogen worden (gegenüber Aigeus hatte Medea nur um Asyl für sich gebeten). – Der Gedanke, dass die Kinder durch die Rache der Korinther gefährdet sind, ergibt sich aus der Sache (vgl. auch 1303–1305), da sie als Über-
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Fünftes Epeisodion: 1242–1245
Auf, wappne dich, mein Herz! Was zögere ich, die furchtbare, doch notwendige Untat zu verüben? Handle, meine unselige Hand, nimm das Schwert, nimm es, gehe zur Startlinie deines schmerzlichen Lebens,
1245
ἀλλ’ εἶ’ ὁπλίζου, καρδία· τί μέλλομεν τὰ δεινὰ κἀναγκαῖα μὴ ⟨οὐ⟩ πράσσειν κακά; ἄγ’, ὦ τάλαινα χεὶρ ἐμή, λαβὲ ξίφος, λάβ’, ἕρπε πρὸς βαλβῖδα λυπηρὰν βίου,
1245
1242–1244 καρδία … χεὶρ] vgl. zu dieser Verbindung Alk. 837 1242 ἀλλ’ εἶ’] vgl. zu 401 u. v. 820 1243 {…} Nauck (mit Fragezeichen nach μέλλομεν, 1242) – vgl. Komm. | κἀναγκαῖα] καί „Sometimes used where the context implies an adversative sense, ‘and yet’ “ (GP 292 [9]) | μὴ ⟨οὐ⟩ Elmsley : μὴ +Hss. – τί μέλλομεν (1242) hat negativen Sinn und erfordert daher μὴ οὐ (K.-G. II 210 f., 4), vgl. [Aisch.] PV 627 τί δῆτα μέλλεις μὴ οὐ γεγώνισκειν τὸ πᾶν; Soph. Ai. 540; zum Ausfall von oὐ in Hss. vgl. Tro. 982; Phoin. 1176 (Page) | μὴ ⟨οὐ⟩] als eine Silbe zu lesen: μὴ͜ οὐ
Kommentar
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bringer der Geschenke, wie sie auch der Bote in seinem Bericht benennt (vgl. zu 1188), als Mitverursacher für den Tod im Königshaus gelten können. Die vv. 1240 f. sind identisch mit den vv. 1062 f., die dort zu einer umfänglicheren Interpolation gehören und eine Situation vorwegnehmen, die vom Verlauf des Dramas her noch nicht akut ist. Sie sind hier ursprünglich, weil sie mit der Überlegung, dass die Kinder sonst durch andere sterben würden, Medea den letzten Anstoß geben, die ihr an sich widerstrebende Tat (1242–1250) auszuführen. Zu einer anderen Auffassung vgl. TS. 1242–1250 Auf knappstem Raum lässt der Dichter Medea in diesem Appell an sich selbst, repräsentiert durch ihr Herz als Sitz der Entschlusskraft und ihre Hand als Ausführende der Tat, ihren inneren Widerstreit ausdrücken, in der der Entschluss zum Kindermord als Rache an Iason und ihre Liebe zu den Kindern in einem unauflösbaren Gegensatz stehen, den sie nur mit Mühe zugunsten ihres Racheplans, an dem sie festhält (1236–1241), entscheiden kann, allerdings in der Einsicht, nach der Tat ein Leben in größtem Leid führen zu müssen. Der letzte Halbvers ihrer Rede drückt im Kern die für ihre zukünftige Befindlichkeit ausschlaggebende Quintessenz aus, wie sie der Chor vorausgesagt hatte (818). Der Widerstreit kommt hier in der Dichte der Aussagen und im Hinblick auf die jetzt bevorstehende Tat intensiver zum Ausdruck, war aber im Grunde schon bei der Ankündigung des Kindermords (vgl. bes. 791) und in der Abschiedsrede an die Kinder (vgl. bes. 1024–1037) zu beobachten. 1242 ‚wappne dich‘: Das griechische Verb (hoplizesthai) kann ‚sich rüsten mit Waffen‘ bedeuten, aber auch allgemeiner ‚sich zu etwas bereitmachen‘ Letzteres dürfte mit dem bildlichen Ausdruck gemeint sein im Sinne von ‚sich innerlich bereitmachen‘ Das Schwert, muss mit der Hand geführt werden (1244), der grundsätzliche Entschluss vom Herzen ausgehen (1242). 1243 Der Vers weist eine sprachliche Anomalie auf (es fehlt eine Negationspartikel). Möglicherweise handelt es sich nur um einen leicht zu beseitigenden Überlieferungsfehler und nicht um ein Indiz für die Unechtheit dieses Verses. Nauck hat allerdings nach ‚Was zögere ich‘ (1242) ein Fragezeichen gesetzt und v. 1243 getilgt, sodass sich drei aufeinanderfolgende Verse mit Aufforderungen ergeben, was deren Intensität erheblich steigert. Insofern könnte dieser Vers fehlen, der durch die reflektierte Qualifikation Medeas Selbstermunterung zu der Tat, die ihr ohnehin schwerfällt, unterbricht. Aber es bleiben Zweifel, ob solche Überlegungen für eine Athetese ausreichen. ‚notwendige‘: sc. für die Rache an Iason und jetzt auch zum ‚Schutz‘ der Kinder vor den Korinthern. 1244–1246 Vier Imperative in zwei Versen, dazu zwei prohibitive Konjunktive in v. 1246 lassen erkennen, wie sehr sich Medea zur Tat motivieren muss. Wenn v. 1243 unecht sein sollte und die vv. 1244 f. unmittelbar an v. 1242 anschlössen, folgten (mit einer Frage dazwischen) sogar fünf Imperative aufeinander. – Medea appelliert an ihre (rechte, vgl. 1365) Hand, ebendie, der Iason nicht treu geblieben ist (21 f.; 496); vgl. zum Motiv der Hand Flory 1978. 1245 ‚Startlinie‘: Medea bedient sich des Bildes des im Boden durch einen Stein mit Rillen markierten Startpunktes, vom dem bei Sportwettkämpfen die
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Fünftes Epeisodion: 1246–1250 • Fünftes Stasimon: 1251–1255
werde nicht schwach und gedenke auch nicht der Kinder, dass sie das Liebste sind, dass du sie gebarst, sondern diesen kurzen Tag vergiss deine Kinder und dann trauere! Denn auch wenn du sie tötest, sind sie dir doch lieb – ich aber bin eine unglückliche Frau.
1250
Medea geht mit ihren Dienerinnen ins Haus. Ch.
Ioh! Erde und hellleuchtender Strahl des Helios, blickt herab, blickt auf die todbringende Frau, bevor sie die mörderische Hand an die Kinder legt, das eigene Blut tötend. Denn von deinem goldenen Geschlecht καὶ μὴ κακισθῇς μηδ’ ἀναμνησθῇς τέκνων, ὡς φίλταθ’, ὡς ἔτικτες, ἀλλὰ τήνδε γε λαθοῦ βραχεῖαν ἡμέραν παίδων σέθεν κἄπειτα θρήνει· καὶ γὰρ εἰ κτενεῖς σφ’, ὅμως φίλοι γ’ ἔφυσαν· δυστυχὴς δ’ ἐγὼ γυνή.
Χο.
ἰὼ Γᾶ τε καὶ παμφαὴς ἀκτὶς Ἁλίου, κατίδετ’ ἴδετε τὰν ὀλομέναν γυναῖκα, πρὶν φοινίαν τέκνοις προσβαλεῖν χέρ’ αὐτοκτόνον· σᾶς γὰρ χρυσέας ἀπὸ γονᾶς
Strophe 1
1255
1250 στρ. α´
1255
1247 γε (Hss.) : σε – nur γε ist hier sinnvoll 1249 καὶ γὰρ] vgl. zu 314 | κτενεῖς (Hss.) : κτείνεις – Das Präsens ist wohl eine Banalisierung, „The future, as an emphatic form, is especially common when the condition contains a strong appeal to the feelings or a threat or warning“ (MT § 447; 448). 1250 γ’ (eine Hs., auf radierter Stelle, wie es scheint) : τ᾿ (Hss.) : δ᾿ – γ’ betont die Antithese zu καὶ γὰρ εἰ (1249), vgl. Headlam 1901, 106 | ἔφυσαν] zur präsentischen Bedeutung des Aorists vgl. LSJ s. v. φύω II. 1 1251 ἰὼ … παμφαὴς Hss. : ιω γα τε και ωρανε και παμφαης Π – Nur die Version der Hss. respondiert mit v. 1261. 1252 Ἁλίου Hermann : ἀελίου Hss. – Das α in dieser Form des Wortes wird lang gemessen, zur scheinbaren Ausnahme in Soph. Tr. 835 vgl. Davies 1991; vgl. zur Wendung Soph. Ant. 100 ἀκτὶς ἀελίου. | κατίδετ’ ἴδετε +CP 1080 : κατίδετε +Trikl. : κατείδετε – Nur κατίδετ’ ἴδετε respondiert mit φίλιον ἔτεκες (1262). 1253 ὀλομέναν (Hss.) : οὐλομέναν +Trikl. – οὐλο- wäre metrisch möglich, aber ὀλο- ist die bei Euripides übliche Form | φοινίαν Aldina : φονίαν Hss. – Nur φοινίαν respondiert mit -ηγάδων (1263). 1254 αὐτοκτόνον] ist wahrscheinlich nicht als weiteres, asyndetisch angeschlossenes Epitheton auf χέρ’ zu beziehen, sondern prädikativ auf (γυναῖκα) … προσβαλεῖν, vgl. auch Mastronarde zu 1253–4. 1255 χρυσέας ἀπὸ Musgrave : ἀπὸ χρυσέας Hss. – Musgraves Umstellung ergibt zusammen mit Seidlers φρενοβαρὴς (1265) eine exakte Responsion.
Kommentar
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Läufer den Lauf begannen. Das Wort (balbis) kann auch das Ziel bedeuten, aber hier ist sicher an den Beginn gedacht, das schmerzliche Leben wird nach dem ‚Start‘ (der Tötung der Kinder) beginnen, sodass sich Medea bei der Tat, die ihr widerstrebt, dazu auffordern muss, den Startplatz überhaupt einzunehmen; vgl. Page; Mastronarde. ‚schmerzlichen‘ ist sprachlich in der Stilfigur der ‚Vertauschung‘ (Enallage) auf die Startlinie bezogen, sachlich gehört das Adjektiv zum schmerzvollen Leben, das nach dem Verlust der Kinder beginnen wird (was für die Deutung von balbis als Startlinie spricht). Vgl. auch v. 1244, wo die unselige Hand eigentlich die Hand einer Unseligen ist. 1247–1248 Zum Motiv des einen Tages bei einer Ausnahmesituation vgl. Soph. Phil. 83–85. 1250 Medea verlässt die Bühne, die sie seit v. 214 (mit Ausnahme wahrscheinlich der vv. 824–845) durchgehend beherrscht hatte. Vgl. zu 821–823 u. Einf., S. 35–37. 1251–1292 Fünftes Stasimon. Der Chor reagiert auf die Ankündigung Medeas, die Kinder jetzt töten zu wollen; der vorherrschend dochmische Rhythmus weist auf emotionale Erregtheit. Das Stasimon besteht aus zwei Strophenpaaren (1251–1270; 1273–1292). In Strophe 1 appelliert der Chor an Helios, die Tat zu verhindern, in der Gegenstrophe 1 folgt die resignative Einsicht, dass Medea ihre Tat ausführen wird. In die Strophe 2 sind die Hilfeschreie der Kinder aus dem Inneren des Hauses integriert, die dem Chor eine Entscheidung abverlangen. In der Gegenstrophe 2 setzt er die Tat Medeas mit dem Beispiel Inos in Beziehung. 1251–1260 Strophe 1. Der Chor richtet einen letzten verzweifelten Appell, bezeichnenderweise nicht mehr an Medea, sondern an die Erde und den Gott Helios, den Mord an den Kindern zu verhindern. Doch ist es ihr Großvater Helios, auf dessen Hilfe Medea bei ihrer Rache vertraut (764); vgl. auch zu 1268– 1270. 1251–1252 Der kombinierte Anruf an die Gottheiten Erde und Sonne (Helios) ist nicht ungewöhnlich (vgl. zu 148), aber hier ist Helios auch persönlich betroffen und sollte besonders motiviert sein, da er der Urgroßvater der Kinder Medeas ist (vgl. 1255–1257) und diese somit mit Helios blutsverwandt sind. 1252 ‚blickt herab, blickt‘: Die Doppelung verstärkt die Intensität des Appells. Bei der Bitte herabzublicken ist der Gedanke an den zuletzt genannten Helios dominant. 1253 ‚todbringende‘: Das griechische olomenos ist hier wohl in aktiver Bedeutung gebraucht; es kann auch ‚verflucht‘ heißen. 1254 ‚das eigene Blut tötend‘: Das griechische autoktonos bezieht sich auf das Töten von Blutsverwandten; vgl. Aisch. Sept. 805 u. Mastronarde. 1255 ‚goldenen‘, weil es göttlich ist; vgl. auch zu 635.
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Fünftes Stasimon: 1256–1264
stammten sie her, und dass göttliches Blut zu Boden fällt, verursacht durch Menschen, erregt Furcht. Auf, zeusentstammtes Sonnenlicht, halte sie zurück, gebiete ihr Einhalt, treibe sie aus dem Haus, die unselige, mörderische Erinys, beherrscht von Rachegeistern.
1256/7 1257 1260
Umsonst die Mühe um die Kinder, sie ist verloren, Gegenstrophe 1 umsonst also hast du liebe Nachkommen geboren, du, die du hinter dir gelassen hast der blauschwarzen SymplegadenFelsen ungastlichste Einfahrt. ἔβλαστεν, θεοῦ δ’ αἷμα ⟨χαμαὶ⟩ πίτνειν φόβος ὑπ’ ἀνέρων. ἀλλά νιν, ὦ φάος διογενές, κάτειργε κατάπαυσον ἔξελ’ οἴκων τάλαιναν φονίαν τ’ Ἐρινὺν † ὑπ’ ἀλαστόρων †.
1256/7 1257
μάταν μόχθος ἔρρει τέκνων, μάταν ἄρα γένος φίλιον ἔτεκες, ὦ κυανεᾶν λιποῦσα Συμπληγάδων πετρᾶν ἀξενωτάταν ἐσβολάν.
ἀντ. α´
1260
1256 θεοῦ (Hss.) : θεῶν – Es geht hier nur um e i n e n Gott (Helios). 1257 αἷμα : αἷματι : αἷμα τι | ⟨χαμαὶ⟩ πίτνειν Diggle nach Hermann, der ⟨χαμαὶ⟩ nach πίτνειν anordnete, ⟨μάταν⟩ Dodds 1952, 17, ⟨πέδοι⟩ Wecklein 1909 – Die Konjektur von Hermann / Diggle ist eine sinnvolle Möglichkeit, Metrum und Sinn herzustellen; vgl. im Einzelnen Diggle 1994, 291– 293. | φόβος] sc. ἐστίν, hier ‚Gegenstand, Ursache von Furcht‘; vgl. LSJ s. v. II. 2 1258 ἀλλά] auffordernd (GP 13–15) 1259–1260 τάλαιναν φονίαν τ’ Ἐρινὺν Seidler : φονίαν τάλαιναν τ’ ἐρινὺν +Hss. : Ἐρινὺν φονίαν τάλαιναν Headlam – Seidlers Umstellung ist der einfachste Weg, Responsion zu erreichen. 1260 ὑπ’ ἀλ(λ)αστόρων Hss. : ὑπαλάστορον Page : ὑπαλαστόρων Eden 1988, 560 – vgl. Komm. 1261 μάταν μόχθος ἔρρει τέκνων] Nach v. Arnim 1886 tautologisch; die Wortfolge lässt sich logisch nicht problemlos mit nur einer Wendung wiedergeben; Hel. 1220 ἔρρεις μάτην (Tedeschi) ist dagegen logisch unproblematisch. | μάταν Hss. : ματην αρα Π – Nur μάταν respondiert mit v. 1251. | μόχθος … τέκνων] zum genetivus obiectivus vgl. Hik. 1134 πόνος … τέκνων u. K.-G. I 335 (Page) 1262 μάταν ἄρα Musgrave (vgl. Π, 1261) : ἄρα μάταν (Hss.) : μάταν – μάταν ἄρα respondiert mit ἀκτὶς Ἀλ- (1252); bei ἄρα handelt es sich um eine aufgelöste Länge; vgl. auch zu 1252. | ἄρα] gehört wohl auch zu μάταν (1261), Figur der Versparung (Kiefner 1964, 94 f., der allerdings ἆρα liest) | φίλιον] hier mit passiver Bedeutung, ‚beloved, dear‘, LSJ s. v. φίλιος II 1263 κυανεᾶν … Συμπληγάδων Hss. (mit leichten Abweichungen) : κυνεας … συμπληγαδας Π – Συμπληγάδων ist auf πετρᾶν (1264) zu beziehen, das von ἐσβολάν abhängt; in Π ist κυνεας … συμπληγαδας direkt von λιποῦσα abhängig, aber es ist unklar, wie es dann weitergehen sollte.
Kommentar
363
1257 Angesichts der Ungeheuerlichkeit, dass göttliches Blut von Menschen vergossen wird, erfasst den Chor Furcht, vermutlich weil damit auch die göttliche Ordnung verletzt wird. Medea wird in diesem Kontext vom Chor ganz der menschlichen Sphäre zugerechnet. 1258–1259 Drei unverbundene Imperative hintereinander zeigen das verzweifelte Drängen der Korintherinnen (Mossman). 1258 ‚zeusentstammtes‘: Helios ist nach Hesiods Theogonie der Sohn von Theia und Hyperion (371–374), also ein Abkömmling von Titanen. Trotzdem wird er hier als ‚zeusentstammtes Licht‘ angerufen. Der Grund könnte sein, dass Apollon (Sohn des Zeus und der Leto) und Helios miteinander identifiziert werden konnten; Klymene in Eur. Phaethon 224 f. (ed. Diggle) sagt, dass Helios von den Menschen zu Recht Apollon genannt werde. Vgl. Mastronarde. 1260 Erinys: Gemeint ist wahrscheinlich nicht eine der Rachegöttinnen, sondern Medea selbst. Zur Bezeichnung von menschlichen Personen als Erinyen vgl. Aisch. Ag. 749 (Helena); Soph. El. 1080 (Aigisth und Klytaimestra). Dass dämonische Rachegeister Erinyen antreiben (wie das Schattenbild der Klytaimestra in den Eumeniden des Aischylos die Erinyen anstachelt), ist sachlich nachvollziehbar, vor allem, wenn man die Erinys, wie es hier der Fall ist, mit Medea identifizieren kann; es ist wohl ein Bild für das ungeheure Racheverlangen Medeas. Aber wie Page (S. 169 zu 1259–60) mit Recht festgestellt hat, ist die griechische Wendung nicht konstruierbar (anders Tedeschi, Martina III), jedenfalls nicht sinnvoll, und als korrupt anzusehen. Um im Deutschen einen lesbaren Text zu erzielen, wurde eine Konjektur von Page (vgl. TS) übersetzt, bei der allerdings die Existenz eines Wortes angenommen wird, das zwar nach griechischer Wortbildung möglich wäre, aber nicht belegt ist. Der Text bleibt damit unsicher. 1261–1270 Gegenstrophe 1. Offensichtlich vertraut der Chor nicht auf die Wirkung seines in der Strophe vorgetragenen Appells, sondern stellt nun resigniert fest, dass sich Medea vergeblich um ihre Kinder gemüht habe, zeigt Unverständnis für die Mordlust Medeas und erwartet göttliche Vergeltung dafür. 1261–1262 ‚Umsonst … umsonst‘ (wie Medea selbst sagt, 1029 f.). – Wörtl.: ‚Umsonst ist dahin die Mühe um die Kinder‘, eine Vermischung von ‚umsonst war die Mühe‘ und ‚die Mühe ist dahin / verloren‘; vgl. auch TS (1261). 1263–1264 Der Chor vergegenwärtigt sich, dass Medea, deren Mühe um die Kinder umsonst bleiben wird, unter gefahrvollen Umständen aus der Fremde gekommen ist, was man so verstehen kann, dass er den Gegensatz zwischen den damaligen Erwartungen und Mühen und dem jetzigen Ergebnis (1261 f.) feststellt. Dass der Dichter mit den Worten der Korintherinnen auf „the fatal mixing of ethnicities and realms“ (Mastronarde) anspielen lassen oder Medeas Gang ins Haus mit der Durchquerung der Symplegaden in Beziehung bringen wollte (Wiles 1997, 122; Hopman 2008, 159), scheint dagegen weniger plausibel. Zu den Symplegaden vgl. zu 2 u. 433–435. Die ‚ungastlichste Einfahrt‘ ist offenbar aus der Perspektive der Korintherinnen so benannt, als Einfahrt in den Pontos Euxeinos, das euphemistisch als ‚Gastliches Meer‘ bezeichnete Schwarze Meer (von Pindar, Pythien 4,203 Axeinos, ‚das Ungastliche‘, genannt).
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Fünftes Stasimon: 1265–1271
Elende, warum befällt dich schwer auf der Seele lastender Zorn und folgt rasende Mordtat auf Mordtat? Denn schlimm ist für Sterbliche Befleckung durch Mord am eigenen Blut; sie führt solchen Mördern Leid zu, ihren Taten entsprechend, das durch göttliches Wirken ihr Haus befällt.
1265 1266/7 1267 1270
Aus dem Inneren des Hauses sind Rufe der Kinder zu hören. ⟨Kinder⟩ Weh mir!
δειλαία, τί σοι φρενοβαρὴς χόλος προσπίτνει καὶ ζαμενὴς ⟨φόνου⟩ φόνος ἀμείβεται; χαλεπὰ γὰρ βροτοῖς ὁμογενῆ μιάσματ’· ἐπάγει δ᾿ ἅμ᾿ αὐτοφόνταις ξυνῳδὰ θεόθεν πίτνοντ’ ἐπὶ δόμοις ἄχη. ⟨Παῖδες⟩ ἰώ μοι.
1271a 1265 1266/7 1267 1270 1271a
1265 φρενοβαρὴς Seidler : φρενῶν βαρὺς Hss. : φρενοδαλὴς Martina (vgl. Aisch. Eum. 330) – φρενῶν βαρὺς χόλος wäre sprachlich möglich, bietet aber metrische Probleme; φρενοβαρὴς ist nahe an der Überlieferung, stellt die Responsion her, ist eine denkbare Bildung (vgl. θυμοβαρής, Anthologia Graeca 7,146,2), aber nicht belegt; alternativ wäre daher an φρενοδαλὴς zu denken. 1267 ζαμενὴς Porson : δυσμενὴς Hss. – ζαμενὴς stellt das dochmische Metrum her. | ⟨φόνου⟩ Wecklein 1909 – Die vv. 1257 u. 1267 sind vom Sinn her defektiv; ⟨φόνου⟩ bietet den zu ἀμείβεται erforderlichen weiteren Genitiv; vgl. Diggle 1994, 293 f. mit Verweis u. a. auf Or. 1007 f. ἀμείβει θανάτους θανάτων (dazu Willink 1986, 257). 1268–1269 ὁμογενῆ μιάσματ᾿] vgl. z. B. Aisch. Eum. 212 ὅμαιμος αὐθέντης φόνος 1269 ἐπάγει δ᾿ ἅμ᾿ Diggle : ἐπὶ γαῖαν Hss. : ἕπεται δ᾿ ἅμ᾿ Leo, Kovacs : ἐπάγει γὰρ Barthold – Die korrupte Überlieferung ist nur tentativ herzustellen, Diggles Konjektur ist nahe am überlieferten Buchstabenbestand und ergibt einen plausiblen Sinn. vor 1271a ⟨Παῖδες⟩ Eine Personenangabe fehlt in den Handschriften und ist daher zu ergänzen; der folgende Ausruf ist durch v. 1273 für beide Kinder gesichert, daher Plural (vgl. Kovacs; Martina I); die meisten Editoren ergänzen seit Seidler und Murray (vgl. den Apparat bei van Looy) ⟨Παῖς⟩; vgl. Page, S. 171 Anm. 1; Mossman zu 1270a; Martina III 403. Sie nehmen an, dass nur die Stimme eines Kindes zu hören sei. 1271a ἰώ μοι] ιωι μ[οι Π : ø Hss.
Kommentar
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1265–1266 ‚schwer auf der Seele lastender‘: Wenn die Konjektur (phrenobarēs) richtig ist (der überlieferte Text ist metrisch nicht möglich, vgl. TS), erklärt sich der Chor in seiner Sicht das Verhalten Medeas damit, dass sie von einem Zorn erfasst ist, der ihr Handeln bestimmt. 1267 ‚Mordtat auf Mordtat‘: Erst die Königstochter (und Kreon), dann die Kinder. Nur hier wird der Tod der Königstochter vom Chor als Mord beklagt (wenn die vv. 1233–1235 unecht sind). 1268–1270 Der Chor nimmt an, dass eine Gottheit die Befleckung durch Mord am eigenen Blut am Täter rächen wird, glaubt also an eine göttliche Gerechtigkeit. Sie wird in diesem Drama jedoch nicht eintreten. Helios wird der Bitte in Strophe 1 nicht nur nicht entsprechen, sondern Medea sogar nach der Tat der Verfolgung durch Menschen entziehen (1321 f.). 1269 Der überlieferte Text weist eine unverständliche Wendung auf. Für die Übersetzung wurde eine Konjektur Diggles zugrunde gelegt (vgl. TS). ‚solchen Mördern‘: Mördern an der eigenen Verwandtschaft, am eigenen Blut, wie den eben genannten, was das griechische autophontēs bedeutet. 1271a–1281 Strophe 2 (zur Reihenfolge der Verse vgl. zu 1271b–1274). Sie wird eingeleitet durch einen Klageruf der Kinder. Der Chor reagiert darauf und auf ihre weiteren hinterszenisch zu hörenden Ausrufe, die in sein Lied integriert sind; seine Worte stehen in iambischen Trimetern (1271b f.; 1277 f.), die wohl gesprochen (Pontani 2016, 124 f.) oder vielleicht rezitiert werden. Die Eigenart der Darstellung wird deutlich, wenn man die entsprechende des Mordes an Agamemnon bei Aischylos (Ag. 1343–1371) vergleicht. Dort hört der Chor die Todesschreie Agamemnons und entschließt sich nach längerer Diskussion, ins Haus zu gehen, um sich selbst ein Bild zu machen (wozu es dann nicht mehr kommt, weil die Leiche Agamemnons auf dem Ekkyklema, einem Rollbrett, auf der Bühne sichtbar gemacht wird). Hier wird die Bedrohung der Kinder ausgespielt, der Chor entschließt sich, zu Hilfe zu kommen (1275 f.), worum die Kinder auch bitten (1277 f.), tut aber nichts (anders Hose 1990, 260 f.; vgl. auch zu 1293), und spricht am Ende der Strophe vom Mordgeschehen als zukünftiger Tat einer wie Stein oder Eisen empfindungslosen Frau. Die letzten Worte des einen Kindes (1278) lassen darauf schließen, dass es gleich zur Tat kommt. Offenbar soll die Situation unmittelbar vor dem Mord dargestellt werden, weil so die Mordproblematik auch von der Seite der Opfer beleuchtet wird; Euripides deutet das eigentliche Mordgeschehen nur an und vermeidet es, dem Publikum die Todesschreie von Kindern zuzumuten. – Dennoch könnte man mit Griffiths (2020, 105) sagen: „This is the only case in extant tragedy where the audience ‘witnesses’ the death of a child, …“. Lardinois (2020, 23–25) möchte (wie schon Seidensticker 2010b, 85) aus dem Schweigen der Kinder in Gegenstrophe 2 schließen: „the children have in the meantime been silenced forever“. 1271a Ein Ausruf extra metrum. Er kommt von beiden Kindern aus dem Haus und ist draußen zu hören (vgl. 1273). Die Kinder äußern ihre Furcht über die Bedrohung, anders Klytaimestra in El. 1167, wo derselbe Ausruf ihr letztes Wort vor dem Tod bzw. ihr Todesschrei ist.
366 Ch. Ki.1 Ki.2 Ch.
Χο. Πα.α Πα.β Χο.
Fünftes Stasimon: 1273–1276
Hörst du den Schrei, hörst du, der Kinder? Strophe 2 Weh, du unbarmherzige, du unselige Frau! Weh mir! Was soll ich tun? Wohin soll ich fliehen vor der Mutter Hände? Ich weiß nicht, liebster Bruder; denn wir sind verloren. Soll ich ins Haus gehen? Ich bin entschlossen, die Kinder vor dem Mord zu beschützen! ἀκούεις βοὰν ἀκούεις τέκνων; ἰὼ τλᾶμον, ὦ κακοτυχὲς γύναι. οἴμοι, τί δράσω; ποῖ φύγω μητρὸς χέρας; οὐκ οἶδ’, ἀδελφὲ φίλτατ’· ὀλλύμεσθα γάρ. παρέλθω δόμους; ἀρῆξαι φόνον δοκεῖ μοι τέκνοις.
1273 1274 1271b 1272 1275
στρ. β´ 1273 1274 1271b 1272 1275
1271b–1274 1273–1274 vor 1271–1272 Seidler : davor und dahinter Π (P. Stras. W.G. 304– 307, ed. Fassino 1999, vgl. S. 12; 20) : dahinter Hss. – vgl. Komm. 1271b τί δράσω; ποῖ φύγω] Konjunktiv der 1. Person bei zweifelnder Frage (K.-G. I 221, 6); vgl. auch παρέλθω (1275) 1275 δόμους] vgl. zu 7 1275–1276 ἀρῆξαι … τέκνοις] zum Dativ vgl. K.-G. I 415, 13; Herakl. 840 οὐκ ἀρήξετ᾿ αἰσχύνην πόλει; 1276 φόνον Hss. : φόνους Π – Der Plural ist eine Angleichung an τέκνοις, 1276 (Fassino 1999, 23 f.), vielleicht auch an δόμους.
Kommentar
367
1271b–1274 Die Versumstellung ist durch die Platzierung der iambischen Trimeter in der Gegenstrophe 2 (1284 f.), die dort durch den Sinnzusammenhang feststeht, gesichert. Außerdem ergibt sich nur so eine plausible Gedankenfolge. 1273 Die Doppelung ‚Hörst … hörst‘ zeigt die Erregtheit des Chores (die Gegenstrophe weist eine formale Entsprechung auf, 1282); vgl. zu 111b. ‚du‘: Mit der Anrede könnten die Chorfrauen sich gegenseitig ansprechen (so auch das Scholion; vgl. zu 131); es könnte aber auch (wie in v. 1274) Medea gemeint sein, die die Chorfrauen mit dem Hinweis auf das Wehgeschrei der Kinder aufzuhalten versuchen. Offenbar ist vorauszusetzen, dass der Chor im Haus zu hören ist (vgl. 1277). 1274 Der an Medea gerichtete Vers wird meist so übersetzt, als ob der Chor hier eine Art Mitgefühl ihr gegenüber ausdrücken wollte (z. B. Mossman: „O wretched, o unfortunate woman.“). Gegen eine solche Haltung spricht nicht nur, dass sie als Reaktion auf die Schreie der Kinder unangemessen wäre, sondern vor allem die vv. 1253 u. 1279. Vielmehr sind die Korintherinnen entsetzt, was Medea im Begriff ist zu ‚wagen‘ (tlēmōn [bzw. hier tlāmōn], „in bad sense“, LSJ s. v. I.2; CGL s. v. 4: „reckless, relentless“). Und das zweite Epitheton, kakotychēs, verbindet die Ausdrücke ‚schlecht‘ und ‚Schicksal‘ / ‚Unglück‘. Das kann ‚unglücklich‘ bedeuten, geht aber hier wahrscheinlich eher in Richtung ‚ill-fated‘ (CGL s. v.), in dem Sinne, dass Medea (durch ihre Schuld) ein schlimmes Schicksal auf sich nimmt. 1271b–1272 Die Äußerungen der beiden Kinder sind wie ein Dialog in einer Stichomythie gestaltet (ähnlich 1277 f.). Sie konkretisieren die Bedrohung und zugleich die Hilflosigkeit der beiden. – Von Medea ist nichts zu hören, die Darstellung ist auf die Opfer konzentriert. 1275–1281 Der Chor, der die Not und Hilflosigkeit der Kinder mitbekommt, entschließt sich, ihnen zu helfen, führt den Entschluss aber ohne weitere Begründung oder Diskussion nicht aus, sondern beschränkt sich auf einen Appell an Medea (1279–1281). Ein solch widersprüchliches Chorverhalten ist allerdings nicht singulär: In der Sache liegt eine extreme Verkürzung eines Chorverhaltens vor, wie es im Hippolytos (776–789) zu beobachten ist, wo sich die Chorfrauen trotz Aufforderung nicht entschließen können, sich um die erhängte Phaidra zu kümmern. Von der Theaterarchitektur her wäre ein anderes Verhalten auch kaum zu realisieren: Da es undenkbar ist, dass ein Chor, der in der Orchestra agiert, sich ins Innere des Bühnenhauses begibt, dessen Türen hier ohnehin verriegelt sein sollen (1314 f.), und auch nicht anzunehmen ist, dass die Chorfrauen die Bühne betreten (und in der Gegenstrophe wieder in der Orchestra tanzen), können solche Aktionen nur erwogen werden; vgl. auch (mit anderer Begründung) Pöhlmann 1995, 67. – Es ist jedoch singulär, dass aus dem Inneren auf eine Äußerung des Chores geantwortet wird (1277 f.). Vgl. Arnott 1982, 39; Mastronarde. Ausgeblendet bleibt, dass Medea eigentlich nicht allein mit den Kindern im Haus ist, sondern sich nach dem Bühnengeschehen der Paidagogos, die Amme und weiteres Personal darin befinden müssen (Friedrich 1960, 183) und den
368 Ki.1 Ki.2 Ch.
Fünftes Stasimon: 1277–1283
Ja, bei den Göttern, beschützt uns! Jetzt ist es höchste Zeit! Wie nahe sind wir schon dem Zustoßen des Schwerts! Elende, wirklich bist du ein Stein oder ein Stück Eisen, da du deine Kinder, die du geboren hast, deine Leibesfrucht, durch ein Todeslos aus eigener Mörderhand töten wirst! Eine einzige, höre ich, eine einzige Frau von den früheren habe an ihre eigenen Kinder Hand angelegt,
Πα.α ναί, πρὸς θεῶν, ἀρήξατ’· ἐν δέοντι γάρ. Πα.β ὡς ἐγγὺς ἤδη γ’ ἐσμὲν ἀρκύων ξίφους. Χο. τάλαιν’, ὡς ἄρ’ ἦσθα πέτρος ἢ σίδαρος, ἅτις τέκνων ὃν ἔτεκες ἄροτον αὐτόχειρι μοίρᾳ κτενεῖς. μίαν δὴ κλύω μίαν τῶν πάρος γυναῖκ’ ἐν φίλοις χέρα βαλεῖν τέκνοις,
1280 1280/1 1281
Gegenstrophe 2
1280 1280/1 1281 ἀντ. β´
1277 ἀρήξατ’ (Hss.) : ἀρήξετ’ – Die Futurform ist wohl eine bloße Verschreibung. | ἐν δέοντι] sc. καιρῷ (LSJ s. v. δέον) 1279 ὡς] vgl. zu 362 | ἄρ’ ἦσθα] vgl. zu 703 u. Hipp. 1169 f. ὡς ἄρ᾿ ἦσθ᾿ ἐμὸς πατὴρ / ὀρθῶς 1280–1281 τέκνων ὃν ἔτεκες ἄροτον] ~ τέκνων ἄροτον, ὃν ἔτεκες, das Objekt des übergeordneten Satzes ist in den Relativsatz versetzt (K.-G. II 417 b), vgl. Or. 1184 οἶδ᾿ ἣν ⟨γ᾿⟩ ἔθρεψεν Ἑρμιόνην μήτηρ ἐμή. τέκνων ist genetivus definitivus, der ἄροτος besteht in den Kindern. 1280 ἅτις] vgl. zu 589 | ὃν Π, Seidler : ὧν +Hss. – ὧν ist als an τέκνων angeglichene Verschreibung zu erklären oder als falsche Auflösung von ΟΝ, wie im ursprünglichen Text vermutlich stand (ohne Unterscheidung von ο und ω). 1281 μοίρᾳ Hss. : τ̣ολ̣ ̣μαι Π, Nauck – τόλμᾳ bietet sich an, aber μοίρᾳ ist sicher die lectio difficilior, vgl. Komm. 1282 μίαν (an zweiter Stelle) (Hss.) : Ø : μ̣[ιαν μιαν δ]η̣ κλυω τ̣ω[̣ ν oder μ̣[ιαν δη μ̣ια]ν̣ τ̣ω̣[ν Π (vgl. dazu Diggle 1994, 294–297); ein Papyrus (P.Harris) scheint die Variante μόναν zu bieten (vgl. CLGP I 2.5.1, p. 43 f.), was im Ganzen denselben Sinn ergibt. | δὴ] emphatisch bei Zahlwörtern (GP 206 [iv]) 1283 γυναῖκ᾿ ἐν +Π, Trikl. : γυναικῶν ἐν (Hss.) – Nur γυναῖκ᾿ ἐν respondiert mit v. 1274, zu τῶν πάρος (1282) ist γυναικῶν zu ergänzen. | ἐν φίλοις χέρα βαλεῖν τέκνοις] vgl. 1325 τέκνοισι σοῖσιν ἐμβαλεῖν ξίφος
Kommentar
369
Kindern zu Hilfe kommen könnten; sie tun es aber nicht. Vgl. auch v. 1314 mit Komm. zu 1314–1315. 1277–1278 In den Handschriften erscheinen beide Verse als zusammenhängende Äußerung beider Kinder; die Editoren verteilen die Verse wohl zu Recht nach dem Muster von 1271 f. auf je ein Kind. 1278 ‚Zustoßen‘: Das griechische arkys bedeutet ‚Netz‘, auch das ‚Netz des Jägers‘, aus dem es für das Wild kein Entkommen gibt. Hier soll gesagt werden, dass die Situation so ist, dass die Kinder kurz davor sind, im ‚Netz des Schwertes‘ gefangen zu werden, dass sein Stoß also unabwendbar bevorsteht. 1279 ‚ein Stein oder ein Stück Eisen‘: Medea ist nicht zu ‚erweichen‘. Zur Bildhaftigkeit vgl. 28 f., wo Medeas Verhalten (sie ist nicht ansprechbar) mit einem Stein bzw. einer Meereswoge verglichen wird. 1281 ‚Leibesfrucht‘: Eigtl. die Frucht, die der Acker hervorbringt (Soph. OT 270), hier übertragen auf die von der Frau geborenen Kinder. An sich ist ‚Leibesfrucht, die du geboren hast‘ tautologisch; die Wendung spiegelt das Entsetzen der Chorfrauen wider. ‚Todeslos‘: moira ist eigentlich das ‚Schicksal‘, das ‚Los‘, das man unabhängig von menschlichem Einfluss erfährt. Daher ist es eine Umkehrung der üblichen Ordnung, wenn Medea das Todeslos ihrer eigenen Kinder bestimmt. Vgl. auch zu 861–862a u. 987. 1282–1292 Gegenstrophe 2. Der Chor kennt nur e i n Beispiel einer Frau, die ihre beiden Kinder getötet hat, freilich von den Göttern in Wahn versetzt, Ino, deren Geschichte er erzählt; vgl. im Einzelnen zu 1282–1283 u. zu 1284. Aus dem Beispiel Inos zieht der Chor den Schluss, dass nun sogar eine noch ungeheuerlichere Tat nicht mehr unmöglich ist, sc. der Mord Medeas an ihren Kindern, dessen Ursprung er in der Kränkung Medeas durch Iasons neue Ehe sieht. Zur mutmaßlichen Vortragsweise der iambischen Trimeter (1284 f.; 1288 f.) vgl. zu 1271a–1281. 1282–1283 Dass es nur das eine Beispiel einer Frau gebe, die ihre eigenen Kinder getötet habe (Ino, 1284), wird durch weitere mythische Beispiele in der Sache widerlegt. So konnte etwa gerade das athenische Publikum die Geschichte der Athenerin Prokne kennen, die ihren Sohn Itys aus Rache dafür tötete, dass ihr Mann Tereus ihre Schwester Philomela vergewaltigt und ihr die Zunge herausgeschnitten hatte, damit sie ihn nicht verriete, ein Fall also, der mit Medeas Rache durchaus vergleichbar ist. Das gilt unabhängig davon, ob der Tereus des Sophokles früher oder später als Euripides’ Medea aufgeführt wurde, denn der Mythos ist bereits um 600 v. Chr. bildlich belegt (vgl. Einf., S. 41 mit Anm. 165). Aber es geht um die Sicht der Korintherinnen, und diese hat den Effekt, dass neben der von Ino nicht selbst zu verantwortenden Tat Medeas von langer Hand geplanter Mord in singulärer Ungeheuerlichkeit erscheint (1290); vgl. auch Newton 1985, 501 f. 1282 ‚Eine einzige, …, eine einzige‘: Vgl. zu 111b.
370
Fünftes Stasimon: 1284–1292
Ino, in Wahnsinn versetzt von den Göttern, als des Zeus Gattin sie aus ihrem Haus hinausschickte, umherirrend. 1285 Die Unglückliche stürzte ins Meer, tötete dabei gottvergessen die Kinder, sie setzte den Fuß über die Steilküste des Meeres und ging mit ihren beiden Kindern zusammen sterbend zugrunde. Welche weitere furchtbare Tat sollte da nicht möglich wer1290/1 den? O Ehe der Frauen, 1291 voll von Leid, wie viel Unglück hast du schon 1291/2 den Menschen gebracht! 1292 Ἰνὼ μανεῖσαν ἐκ θεῶν, ὅθ’ ἡ Διὸς δάμαρ νιν ἐξέπεμψε δωμάτων ἄλαις· πίτνει δ’ ἁ τάλαιν’ ἐς ἅλμαν φόνῳ τέκνων δυσσεβεῖ, ἀκτῆς ὑπερτείνασα ποντίας πόδα, δυοῖν τε παίδοιν ξυνθανοῦσ’ ἀπόλλυται. τί δῆτ’ οὐ γένοιτ’ ἂν ἔτι δεινόν; ὦ γυναικῶν λέχος πολύπονον, ὅσα {δὴ} βροτοῖς ἔρεξας ἤδη κακά.
1285
1290/1 1291 1291/2 1292
1285 ἐξέπεμψε (auch Π) : ἐξέπεμπε – Es handelt sich um einen einmaligen Vorgang; anders Fassino 1999, 24 („imperfetto descrittivo“). | άλα̣ιϲ̣ Π, Blaydes : αλαι Π : ἄλα : ἄλη(ι) (Hss.), Π (anscheinend von zweiter Hand) – Die Überlieferung der beiden Papyri spricht für ἄλαις. | ἄλαις] Der Dativ gibt den begleitenden Umstand an, das Hinausschicken fand unter Umherirren der Betroffenen statt; vgl. Willink 1986 zu Or. 39–40 u. 56. 1286–1287 φόνῳ … δυσσεβεῖ] Dativ wie bei ἄλαις, vgl. zu 1285 1286 πίτνει] zum Präsens vgl. zu 1173 | ἁ : ἡ : ὦ – Nur der dorische Artikel passt in den Kontext. 1288 ἀκτῆς] Genitiv abhängig von ὑπερ- in ὑπερτείνασα, vgl. Eur. TrGF V F 676,2 | ὑπερτείνασα Hss. : ὑπερτείνουσα Π (übergeschrieben) – zum Aorist vgl. ξυνθανοῦσ’ (1289) 1289 τε (Hss.) : δὲ : δὴ – τε verbindet die beiden Partizipien | ἀπόλλυται] Präsens wie 1286 1290 δῆτ’ Π, Hermann : δή ποτ᾿ Hss. – nur δῆτ’ respondiert (1279) | οὐ Π : οὖν Hss. – Der sich mit οὐ ergebende Sinn ist dem Kontext angemessener; die Folge δῆτ’ οὖν wäre ungewöhnlich (GP 272 [6] (i)); vgl. im Einzelnen Mastronarde sowie Fassino 1999, 24–26. 1292 ὅσα {δὴ} Seidler : ὅσ(σ)α δὴ (Hss.) : ὅσ(σ)α δὲ – δὴ muss wegen der Responsion mit v. 1281a getilgt werden.
Kommentar
371
1284 Ino ist eine Tochter von Kadmos und Harmonia, ist also in Theben verortet. Sie heiratete Athamas, aus dessen erster Ehe mit Nephele die Kinder Phrixos und Helle stammten. Mit Athamas hatte Ino die Söhne Learchos und Melikertes. Dem eifersüchtigen Zorn von Zeus’ Gattin Hera war Ino ausgesetzt, weil sie Dionysos, Sohn des Zeus und ihrer Schwester Semele, nach deren Tod aufgenommen hatte. Nach sonstiger Überlieferung ging Ino nur mit ihrem Sohn Melikertes in den Tod, auf der Flucht vor Athamas, nachdem dieser durch Hera in den Wahnsinn getrieben Learchos getötet hatte. Die Version bei Euripides, wonach Ino dem Wahnsinn verfällt und beide Söhne mit ihr den Tod gerissen werden, ist singulär und möglicherweise seine Erfindung, um eine größere Parallelität zur Tat der Medea herzustellen (vgl. Newton 1985, 501). Die Vergöttlichung Inos als Leukothea erwähnt Euripides verständlicherweise nicht; das hätte das Negativ-Beispiel beeinträchtigt. Die Leiche des Melikertes soll nach Korinth angeschwemmt bzw. von einem Delphin dort hingebracht worden sein, und dem vergöttlichten Melikertes zu Ehren wurden die Spiele am Isthmos eingerichtet (vgl. Pausanias 1,44,8; Hygin, Fabulae 2,5; Scholion zu Med. 1284). Diese Ursprungslegende verbindet den Ino-Mythos mit Korinth und könnte erklären, warum Euripides dem Chor der Korintherinnen gerade und nur Ino als Kindstöterin einfallen lässt. Vgl. im Einzelnen zu den verschiedenen Versionen des Athamas-Ino-Mythos Gantz 1993 I 176–180 mit Verweis u. a. auf Hygin, Fabulae 1–3, Ps.-Apollodor, Bibliotheke 1,80–84.
‚von den Göttern‘: Der Plural beschreibt generell den göttlichen Einfluss, konkret war die Verursacherin Zeus’ Gattin Hera (1284 f.). 1286–1287 ‚gottvergessen‘, dyssebēs, wörtl. ‚unfromm‘, ‚gottlos‘. Das scheint mit der Angabe, dass Ino durch die Götter in Wahnsinn versetzt wurde (1284), sie also zumindest nicht voll verantwortlich ist, nicht zu harmonieren; gemeint ist wohl, dass jede Tötung, zumal eigener Kinder, objektiv einen Verstoß gegen göttliche Ordnung darstellt. 1288–1289 ‚Steilküste des Meeres‘: Nach einer Geschichte, die Pausanias gehört hat, soll das an dem Felsen Moluris gewesen sein (1,44,7 f.), ein Felsen am Ostende der Skironischen Klippen (Meyer 1933, 29) am Saronischen Meerbusen. 1290 Zu verstehen als: ‚Wenn geschehen kann, was wir von Ino wissen, welche noch schlimmere Tat (sc. diejenige Medeas) ist dann noch unmöglich?‘ 1291–1292 Der Chor betrachtet Medeas Rache hier offenbar im Rahmen einer üblichen Ehe- bzw. Eifersuchtsgeschichte (vgl. auch 999). Das ist sie für Medea zwar auch (591 f.; 623 f.; 1368; Mills 1980, 293), aber ihre Situation ist völlig anders als bei einer ‚üblichen‘ Trennung einer Ehe, weil Iason einen Eid geschworen, sich nun des Eidbruchs schuldig gemacht und Medea im fremden Land die Lebensgrundlage entzogen hatte; vgl. 21 f.; 165; 207 f; 255 f.; 489; 492–498; 778; 1392; ferner 578 (Chor) sowie 1351–1353 mit Komm. Und sie würde sich offenbar vollends vernichtet fühlen, wenn sie fürchten müsste, gegenüber dem Verräter als Verliererin dazustehen (404; 797; 1355; 1362).
372
Exodos: 1293–1298
Iason kommt erregt herbei. Ia.
Ihr Frauen, die ihr nahe an diesem Haus steht, ist sie noch in diesem Haus, die das Furchtbare getan hat, Medea, oder ist sie weg, auf der Flucht? 1295 Denn sie muss sich wirklich unter der Erde verbergen oder ihren Körper mit Flügeln in die Höhe des Himmels erheben, wenn sie nicht dem Königshaus Genugtuung leisten will.
Ια.
γυναῖκες, αἳ τῆσδ’ ἐγγὺς ἕστατε στέγης, ἆρ’ ἐν δόμοισιν ἡ τὰ δείν’ εἰργασμένη, Μήδεια, τοῖσδ’ ἔτ᾿ ἢ μεθέστηκεν φυγῇ; δεῖ γάρ νιν ἤτοι γῆς γε κρυφθῆναι κάτω ἢ πτηνὸν ἆραι σῶμ’ ἐς αἰθέρος βάθος, εἰ μὴ τυράννων δώμασιν δώσει δίκην.
1295
1295 τοῖσδ᾿ ἔτ᾿ Lenting, Martina : τοῖσδέ γ᾿ (Hss.) : τοῖσιν +Π : τοισίδ’ Canter – ΤΟΙΣΔΕΓ der meisten Hss. lässt sich als Verschreibung von ΤΟΙΣΔΕΤ erklären; außerdem ergibt ἔτι einen plausiblen Sinn. 1296–1300 1296–1298 {…} Wilamowitz; Müller 1951, 79; 1298– 1299 {…} Heimsoeth; 1299–1300 {…} Dindorf; Nauck; v. Arnim 1886, 104; Camozzi – Nach Müller können die vv. 1296–1298 und 1299–1300 nicht nebeneinander bestehen; er tilgt die vv. 1296–1298, weil der Helioswagen kommen werde. Aber das stützt gerade diese Verse, vgl. Komm. zu 1294–1298. Heimsoeths Athetese beseitigt zwar die auffällige Doppelung (1298; 1300), belässt aber eine Doppelung des Fluchtgedankens, so dass v. 1300 nicht gut an v. 1297 anschließt. Zu den vv. 1299–1300 vgl. Komm. 1296 +δεῖ : +δεῖν – Nur δεῖ ist sprachlich sinnvoll. | γάρ] vgl. zu 122 (Ergänzung eines Zwischengedankens) | γῆς γε Π, Elmsley : γῆ(ς) σφε Hss. – σφε hat nach νιν in so kurzem Abstand (vgl. Page) keine Funktion, jedoch das determinative γε (GP 119; 553 [7]). 1297 βάθος Hss. : πτύχαις (übergeschrieben in einer Hs.) : πτύχας Elmsley (zweifelnd) – zu βάθος für die ‚Tiefe‘ (~ Höhe) des Himmels vgl. Aristophanes, Vögel 1715
Kommentar
373
1293–1419 Exodos. Der Schlussteil der Medea besteht aus einem kurzen Dialog zwischen Iason und der Chorführerin (1293–1315 {1316}) sowie einer mehrstufigen Auseinandersetzung zwischen Medea, die überraschend auf dem Dach des Bühnenhauses erscheint, und Iason: Nach einem Wechsel von Reden (1317–1360) kommt es zu einem Schlagabtausch in Form einer Stichomythie (1361–1377), gefolgt von einer Rede Medeas (1378–1388), an die sich eine letzte Auseinandersetzung in Anapästen anschließt (1389–1414). Es folgen Schlussverse des Chores (1415–1419), die wahrscheinlich unecht sind. Obwohl Medea in der Exodos Züge einer Dea ex machina aufweist, bleibt sie in Verhaltensweise und Einstellungen die menschliche Figur, die sie im Agon mit Iason war (446–626) und wie sie sich in der Ankündigung ihres Racheplans darstellte (764–823): verletzt, hassend, liebend, leidend. „Her tragedy is that she is not outside the human moral game“ (Buxton 1982, 169). Im Unterschied zum Agon ist Medea jetzt nicht mehr in einer äußerlich schwierigen Lage, sondern die Verhältnisse haben sich umgekehrt: Iason ist vernichtet, Medea in jeder Hinsicht überlegen. Vgl. zu diesem Schluss auch Otten 2005, 286–291, und zum Verhältnis des Agons zur Auseinandersetzung am Schluss Schlesinger 1966, 35 f. 1293–1305 Iason kommt unangekündigt und erregt herbei, wohl allein; die Aufforderung an Diener (1314) ist vermutlich an diejenigen im Haus gerichtet, da die Türen von innen verschlossen sind (vgl. Mossman zu 1314 mit Verweis u. a. auf IT 1304). Iason ist schon über das Geschehen im Königspalast informiert, beginnt aber nicht zu klagen. Vielmehr ist er voll Zuversicht, dass Medea sich der Strafe für den Mord an seiner neuen Frau und an Kreon nicht werde entziehen können, und er will seine Kinder vor der Rache der Verwandten retten. Vom Chor möchte er eine Auskunft darüber, wo sich Medea aufhält, offenbar glaubt er noch an seine Handlungsfreiheit. 1293 Auch wenn sie sich in der Orchestra befinden, können die Chorfrauen aus der Perspektive des Ankömmlings als nahe am Haus stehend beschrieben werden. Und sie haben ja auch mitbekommen, was im Haus geschehen ist. Aus der Wendung ist nicht zu schließen, dass die Chorfrauen die Bühne betreten hätten, um zur Tür des Hauses zu gehen und den bedrohten Kindern zu helfen (vgl. zu 1271a–1281 u. 1275–1281). 1294–1298 Nach seiner Frage, ob Medea noch im Hause sei oder auf der Flucht, fährt Iason fort, indem er einen zu ergänzenden Zwischengedanken (~ ‚sie kann ja nicht entkommen‘) begründet. Die Begründung besteht in einem Adynaton (1296–1298), das vorbereitend einen Kontrast zu der gleich eintretenden ‚Realität‘, dem Luftgefährt, bildet (1321 f.) 1296–1297 Die Alternative, die Iason für Medea nicht gegeben sieht, ein Verbergen unter der Erde oder ein Entkommen durch die Luft, wird sonst zumeist als Wunsch von Personen in auswegloser Situation geäußert; vgl. die Belege bei Barrett 1964 zu Hipp. 1290–93. – Das Adynaton müssen der Chor und die Zuschauer auch als solches verstehen, da sie ebenso wenig wie Iason wissen können, dass das Unmögliche tatsächlich eintreten und Medea sich mit dem von Helios geschickten Gefährt in die Lüfte erheben wird. Daher ist es auch
374
Exodos: 1299–1309
{Vertraut sie darauf, sie werde, nachdem sie die Herrscherfamilie des Landes getötet hat, selbst straflos aus diesem Haus entkommen können?} 1300 Jedoch mache ich mir nicht so sehr um sie Gedanken wie um die Kinder: Jener werden diejenigen Übles antun, denen sie Übles antat, aber um das Leben der Kinder zu retten, bin ich gekommen, damit nicht mir zuleide die Verwandten ihnen etwas antun, um den von ihrer Mutter verursachten Frevelmord zu rächen. 1305 Chf. Du Armer, du weißt nicht, wie tief ins Unglück du geraten bist, Iason; denn sonst hättest du nicht diese Worte gesprochen. Ia. Was ist? Will sie vielleicht auch mich töten!? Chf. Deine Kinder sind tot, durch die Hand der Mutter.
Χο. Ια. Χο.
{πέποιθ’ ἀποκτείνασα κοιράνους χθονὸς ἀθῷος αὐτὴ τῶνδε φεύξεσθαι δόμων;} ἀλλ’ οὐ γὰρ αὐτῆς φροντίδ’ ὡς τέκνων ἔχω· κείνην μὲν οὓς ἔδρασεν ἔρξουσιν κακῶς, ἐμῶν δὲ παίδων ἦλθον ἐκσώσων βίον, μή μοί τι δράσωσ’ οἱ προσήκοντες γένει, μητρῷον ἐκπράσσοντες ἀνόσιον φόνον. ὦ τλῆμον, οὐκ οἶσθ’ οἷ κακῶν ἐλήλυθας, Ἰᾶσον· οὐ γὰρ τούσδ’ ἂν ἐφθέγξω λόγους. τί δ’ ἔστιν; ἦ που κἄμ’ ἀποκτεῖναι θέλει; παῖδες τεθνᾶσι χειρὶ μητρῴᾳ σέθεν.
1300
1305
1299 κοιράνους : τυράννους – κοιράνους ist das gewähltere poetische Wort 1300 δόμων] in Dichtertexten bloßer Genitiv (separativ) bei Verben der Bewegung (K.-G. I 394, 1) 1301 ἀλλ’ οὐ γὰρ] vgl. zu 252 1302 κακῶς] ist nur zum zweiten Verb gesetzt und zu ἔδρασεν zu ergänzen (vgl. zu 907) 1303 ἐκσώσων (Hss.) : ἐκσῶσαι – Zu ἔρχομαι mit Part. Futur vgl. Hek. 216 f. Ὀδυσσεὺς ἔρχεται … νέον τι πρὸς σὲ σημανῶν ἔπος (K.-G. II 61), jedoch ist auch der Infinitiv möglich, z. B. Soph. OC 12 (Page; Diggle 1994, 253). 1304 οἱ προσήκοντες γένει] γένει gibt an, dass die Genannten mit dem Königshaus abstammungsmäßig verbunden sind; vgl. Xenophon, Anabasis 1,6,1 γένει … προσήκων βασιλεῖ. 1305 μητρῷον … ἀνόσιον φόνον] ἀνόσιον φόνον bildet e i n e n Begriff, der durch μητρῷον näher bestimmt wird. | ἐκπράσσοντες] Die Bedeutung ist eigtl. ‚eintreiben‘, ‚ausführen‘, nämlich die Bestrafung für den Mord (αἵματος δίκην, HF 43); hier ist durch φόνον als Objekt der Ausdruck so verkürzt, dass sich ‚den Mord rächen‘ ergibt; vgl. Herodot 7,158,2 τὸν Δωριέος … πρὸς Ἐγεσταίων φόνον ἐκπρήξασθαι. 1306 οἷ κακῶν] Genitiv bei Ortsadverbien (K.-G. I 340 c) 1308 ἦ που Hss., Π (übergeschrieben), (ἤ / ἦ που) CP 107 : ου που Π, Barthold – Das wohl sarkastische (vgl. Page) ἦ που wird dem Kontext eher gerecht als das eine Befürchtung (oder Ungläubigkeit) ausdrückende οὔ που, vgl. auch 695.
Kommentar
375
unangemessen, von Ironie zu sprechen; sie kann hier nicht erkannt werden, da die objektive Fehleinschätzung allen Beteiligten erst im Nachhinein klar wird. 1299–1300 Diese Verse beziehen sich auf die Möglichkeit, dass Medea noch im Hause ist. Sie folgen unverbunden (ohne z. B. ein ‚oder‘; vgl. v. Arnim), wiederholen den gerade ausgeführten Gedanken, Medea könne sich der Strafe entziehen wollen, und formulieren letztlich eine Selbstverständlichkeit. Denn wenn die Flucht als unmöglich erscheint, muss Medea noch im Hause sein. Vermutlich sind die Verse, wie verschiedentlich angenommen, das Werk von jemandem, der pedantisch noch die erste Hälfte der Alternative (1294 f.) zur Sprache bringen wollte. Der Anschluss von v. 1301 an v. 1298 ist problemlos. 1300 ‚straflos‘: Ein Ausdruck aus dem Rechtsbereich. Nachdem Iason selbst in einer Opferrolle ist, beruft er sich auf das Recht, das er nicht berücksichtigte, als er seinen Eid gegenüber Medea brach; vgl. auch Mastronarde. 1301–1305 Iason fürchtet um die Kinder, an denen als Überbringer der vergifteten Geschenke sich die Verwandten des Königshauses rächen könnten (vgl. zu 1188 u. 1240–1241). Nicht erkennbar ist, ob er dabei an seine (jetzt notwendig veränderten) dynastischen Pläne denkt oder ob es ihm um die Kinder selbst geht; eine emotionale Beziehung Iasons zu den Kindern zeigt sich erst, als er ihren Tod erkennen muss. – Die Wahrscheinlichkeit einer Rache durch die Verwandten (1304) ergibt sich schon aus der Sache selbst und setzt nicht notwendig das Vorhandensein einer diesbezüglichen Überlieferung voraus, d. h. eine Kenntnis der Versionen des Parmeniskos und Kreophylos; vgl. dazu Einf., S. 8 f. 1302 ‚Jener‘: eine distanzierte Bezeichnung für Medea. Iason drückt sich so aus, als ob ihn die Rache für den Tod seiner neuen Frau nichts anginge; mit Recht als auffällig vermerkt von Mossman. 1304 ‚mir zuleide‘: Im Griechischen steht nur ‚mir‘, was ein sog. ethischer Dativ sein kann oder hier eher ein Dativ, der ausdrückt, dass das Geschehen zum Nachteil des Sprechenden ist (dativus incommodi). ‚Verwandten‘, sc. Kreons Angehörige, die den Tod Kreons und den Mord an seiner Tochter rächen wollen. 1306–1313 In dem kurzen Dialog mit der Chorführerin wird Iason mit der Realität konfrontiert. 1306–1307 Die Chorführerin stellt mitleidig fest, dass Iason seine Situation völlig verkennt, weil ihm die nötige Information fehlt. 1308 Die wohl sarkastisch gemeinte Frage Iasons zeigt, dass die Äußerung der Chorführerin für ihn nicht Hinweis genug ist, die Gegebenheiten zu erfassen; er versteht nicht, dass sie von einem neuen, bereits eingetretenen Unglück spricht. Bezeichnenderweise kann er sich allenfalls eine Bedrohung für sich selbst vorstellen (die er offenbar nicht recht ernst nimmt), aber nicht, dass die Kinder gefährdet sein könnten. 1309 ‚Deine Kinder‘: Im Griechischen ist die Angabe, dass es die ‚deinen‘ sind, betont ans Ende des Verses gestellt, in weiter Sperrung zu ‚Kinder‘ am Anfang des Verses.
376 Ia. Chf. Ia. Chf.
Exodos: 1310–1316
Weh mir, was sagst du da? Wie hast du mich vernichtet, Frau! Dass deine Kinder nicht mehr leben, darum mach dir Gedanken! Wo hat sie sie getötet, inner- oder außerhalb des Hauses? Öffne die Tür, und du wirst deine ermordeten Kinder erblicken.
1310
Iason geht zur Tür, die er verschlossen findet. Ia.
Ια. Χο. Ια. Χο. Ια.
Löst den Riegel so schnell wie möglich, Diener, entfernt die Zapfen, damit ich das zweifache Unglück sehe {die einen tot, die andere, dass ich mir von ihr Buße leisten lasse}! οἴμοι, τί λέξεις; ὥς μ’ ἀπώλεσας, γύναι. ὡς οὐκέτ’ ὄντων σῶν τέκνων φρόντιζε δή. ποῦ γάρ νιν ἔκτειν’; ἐντὸς ἢ ’ξωθεν δόμων; πύλας ἀνοίξας σῶν τέκνων ὄψῃ φόνον. χαλᾶτε κλῇδας ὡς τάχιστα, πρόσπολοι, ἐκλύεθ’ ἁρμούς, ὡς ἴδω διπλοῦν κακόν {τοὺς μὲν θανόντας, τὴν δὲ τείσωμαι δίκην}.
1315
1310
1315
1310 τί λέξεις] Zu diesem euripideischen Idiom (Barrett 1964 zu Hipp. 353) vgl. K.-G. I 174: „ ‚was werde ich zu hören bekommen?‘ womit der Redende, nachdem die ihn aufregende Äusserung schon gefallen ist, andeutet, er traue seinen Ohren nicht und fürchte noch Schlimmeres zu hören.“ 1311 ὡς … φρόντιζε] ~ ‚betrachte deine Kinder als solche, die nicht mehr leben‘ (K.-G. II 92; MT § 918) | δή] den Imperativ betonend und gleichzeitig folgernd (GP 216 [iii]) 1312 γάρ] in der Antwort zum Einfordern einer weiteren Information, GP 82 (2) (ii) | νιν] hier in der selteneren pluralischen Bedeutung (LSJ s. v. 1) 1314–1315 vgl. Hipp. 809 f. χαλᾶτε κλῇθρα … / ἐκλύεθ’ ἁρμούς 1314 κλῇδας (Hss.) : κλεῖδας – zur ionischen Form κλῇδας vgl. 213 | κλῇδας] zur Bedeutung „bar, bolt“ vgl. LSJ s. v. κλείς 1, poetischer Plural 1315 ἁρμούς] zur Bedeutung ‚Pflock‘ vgl. Eur. ΤrGF V F 360,12 ἁρμὸς … ἐν ξύλῳ παγείς. Im Zusammenhang mit einem Schloss wird man von ‚Zapfen‘ sprechen. | ἴδω διπλοῦν κακόν (Hss.) : ἴδω διπλὼ κακώ : ἴδω διπλᾶ κακά : διπλοῦν κακόν ἴδω – die Junktur διπλοῦν κακόν nur hier in tragischer Dichtung, aber es spricht nichts gegen die vorherrschende Überlieferung (διπλᾶ κακά ist ebenfalls nur einmal überliefert, Soph. OT 1320) 1316 {…} Schenkl; Müller 1951, 79: τοὺς μὲν θανόντας, τὴν δὲ – τείσωμαι δίκην Mastronarde, Martina : τοὺς μὲν θανόντας, τὴν δὲ τείσωμαι δίκην Kovacs 1988, 121 f. – vgl. Komm. | τείσωμαι δίκην : τίσομαι φόνῳ (Hss.) – Bei einem unechten Vers ist die Entscheidung schwierig: τείσωμαι δίκην, anknüpfend an ὡς ἴδω (1315), kann auch ein Versuch sein, das inkonzinne τίσομαι φόνῳ (das vielleicht auf den Interpolator zurückgeht) neben ἴδω zu vermeiden.
Kommentar
377
1310 ‚Frau‘: Angesprochen ist die Chorführerin; sie habe Iason als Vermittlerin der schlechten Nachricht vernichtet; vgl. Hipp. 353. Ob Iason damit den Verlust der Kinder als solchen meint oder die Zerstörung seiner Zukunftsplanung (1348–1350), wird nicht klar. Zur Anrede ‚Frau‘ vgl. zu 460. 1311 Die Chorführerin versteht offenbar, dass Iason nur die Konsequenzen des Geschehenen für sich beklagt. Wenn sie ihn auffordert, sich Gedanken um die getöteten Kinder zu machen, so nimmt sie zwar seine Worte aus v. 1301 auf, aber jetzt in der Bedeutung, dass die Kinder zu beklagen wären. 1312 Iasons Frage impliziert die Möglichkeit, dass die Kinder auch außerhalb des Hauses getötet worden sein könnten. In der Tat gibt es die antike Nachricht, dass sich der Mord in einer früheren Fassung der Medea (allen Bühnenkonventionen zum Trotz) auf offener Bühne ereignete. Es ist allerdings umstritten, ob es eine solche Fassung überhaupt gab (vgl. Einf., S. 38–41). Wenn es sie gab, ist dennoch nicht eindeutig zu entscheiden, ob Euripides auf den Unterschied zu dieser Fassung implizit hinweisen wollte oder ob Iason charakterisiert werden soll, der auf die Todesnachricht hin zuerst sich selbst bedauert (1310) und nach der Ermahnung der Chorführerin (1311) aktionistisch mit der angesichts der Todesnachricht relativ unwichtigen Frage nach dem Wo reagiert. 1313 Die Antwort der Chorführerin kann bei den Zuschauern die Erwartung wecken, dass jetzt gleich der ‚Innenraum‘ zu sehen sein werde, d. h., dass die Leichen auf dem aus dem Haus gefahrenen Ekkyklema erscheinen (wie die Leiche Agamemnons in Aisch. Ag. nach v. 1371; vgl. zu 1271a–1281). 1314 Der Befehl an die Diener ist nur sinnvoll, wenn es sich um Diener im Inneren des Hauses handelt. Iason kann offenbar die Tür nicht ohne Weiteres von außen öffnen, sie ist von innen verriegelt. 1314–1315 Flügeltüren waren innen mit einem Querriegel verschlossen, der nach Lösen von Zapfen (harmoi bzw. balanoi) zurückgeschoben werden konnte; die Zapfen wurden von außen mit einem Schlüssel oder von innen durch Anheben gelöst. Zur Bauart eines solchen Schlosses vgl. Hurschmann 2001a, 186 f. – Die Diener im Inneren des Hauses kommen offenbar Iasons Befehl für seine Erwartungen nicht schnell genug nach, sodass er versucht, die Tür von außen mit Gewalt zu öffnen, wie aus v. 1317 hervorgeht. 1316 Nachdem die Chorführerin gesagt hat, Iason werde nach Öffnen der Türen die toten Kinder sehen (1313), kann er mit dem zweifachen Unglück (1315) nur die beiden ermordeten Kinder meinen, nicht auch Medea, wie in v. 1316 angegeben. Außerdem ist die zweite Vershälfte mit einem harten Konstruktionswechsel angeschlossen, der sich allenfalls erklären ließe, wenn der Vers ausdrücken soll, dass Iason sich von Rachegedanken hinreißen lässt (Mastronarde); aber Rache an Medea ist nicht sein primäres Anliegen (vgl. 1301 f.). Der Vers ist sicher unecht, möglicherweise sollte ein Übergang zu v. 1318 geschaffen werden, wo Medea die beiden Toten und sich selbst zusammen nennt; vgl. Mossman. Die Tilgung ist die einfachere Lösung gegenüber Kovacs’ starker Textänderung (vgl. TS).
378
Exodos: 1317–1322
Medea erscheint in einem Gefährt (mit Hilfe des Bühnenkrans, der mēchanē) über dem Dach des Bühnenhauses. Me.
Warum rüttelst du an diesen Türflügeln und willst den Riegel brechen, auf der Suche nach den Leichen und nach mir, die es getan hat? Hör auf, dich abzumühen! Aber wenn du etwas von mir wünschst, sprich, wenn du willst, aber mit deiner Hand wirst du mich nie1320 mals berühren können: Ein solches Gefährt nämlich hat mir Helios, der Vater meines Vaters, gegeben, als Schutzwehr gegen eine feindliche Hand.
Μη.
τί τάσδε κινεῖς κἀναμοχλεύεις πύλας, νεκροὺς ἐρευνῶν κἀμὲ τὴν εἰργασμένην; παῦσαι πόνου τοῦδ’. εἰ δ’ ἐμοῦ χρείαν ἔχεις, λέγ’, εἴ τι βούλῃ, χειρὶ δ’ οὐ ψαύσεις ποτέ· τοιόνδ’ ὄχημα πατρὸς Ἥλιος πατὴρ δίδωσιν ἡμῖν, ἔρυμα πολεμίας χερός.
1320
1317 τάσδε … πύλας] Zu τάσδε ist πύλας und zu πύλας ist τάσδε zu ergänzen (verschränkte Versparung, vgl. zu 1131). | κἀναμοχλεύεις] ἀναμοχλεύω ist hier erstmals belegt, es bedeutet eher ‚die Tür aufhebeln‘ als ‚die Riegel lösen‘; vgl. z. B. Antiphanes, fr. 193,6 K.-A. (PCG II) θύρας μοχλεύειν (Mastronarde). 1318 κἀμὲ : καί με – Die betonte Form (καὶ ἐμέ) ist dem Kontext angemessener. 1320 εἴ τι βούλῃ] vgl. Herakl. 572, Hik. 567, ‚wenn du etwas (sagen) willst‘ 1320/1322 χειρὶ / χερός] zu ‚Hand‘ für ‚Gewaltanwendung‘ vgl. LSJ s. v. χείρ IV am Ende 1321–1322 τοιόνδ’ … χερός] zum Asyndeton vgl. zu 119–121 1322 δίδωσιν] vgl. zu 955 | ἔρυμα πολεμίας χερός] vgl. zu 597 | -ρυμα πολε-] ⏖ ⏖, vgl. zu 324
Kommentar
379
1317–1322 Rede Medeas. Statt dass sich die Tür des Bühnenhauses öffnet, erscheint überraschend Medea triumphierend hoch oben, vielleicht hell beleuchtet von der Sonne (Petrides 2012, 68) in einem Gefährt, das durch die Luft fliegen kann (zusammen mit den Leichen der Kinder oder Puppen, die sie darstellen; vgl. Mastronarde 1990, 265). Sie wird also wider alles Erwarten durch die Luft entkommen können (vgl. zu 1296–1297). Das Gefährt, das Medea von ihrem Großvater Helios bekommen hat, dürfte von der mēchanē, dem Bühnenkran (vgl. dazu Lendle 1995), eingeschwenkt worden sein, wobei es entweder schwebt oder wohl eher auf dem Dach des Bühnenhauses landet. Dadurch, dass Medea wie eine Dea ex machina über der menschlichen Ebene erscheint, ergibt sich nicht nur ein dramatischer Überraschungseffekt, sondern es kann auf diese Weise Aigeus’ Forderung, Medea müsse selbstständig nach Athen kommen (723–730), so erfüllt werden, dass Iason sie nicht verfolgen kann (vgl. Worthington 1990, 503 f.) und sie auch andere Gebiete nicht betritt, was zu ihrem vollständigen Triumph beiträgt. Durch die Positionierung in der Höhe nimmt Medea schon äußerlich gegenüber dem auf Bühnenniveau stehenden Iason eine überlegene Position ein, die sie in ihrer Anrede an Iason auch sofort ausspielt, indem sie seine Aktion ins Leere laufen und ihm keine Chance für einen Racheakt lässt. Aristoteles hat die in der Medea angewandte Lösung getadelt, weil sich für ihn eine Lösung der Handlung aus dieser selbst ergeben müsse, was er in diesem Drama nicht erfüllt sieht, und weil er die mēchanē nur für Lösungen zulassen möchte, die von außerhalb der Handlung bzw. des Wissens der Menschen (also am ehesten von Göttern) kämen (Poetik 1454a37–b6). Aber es ist der Gott Helios, der, wenn auch nicht selbst sichtbar, eingreift, und seine (indirekte) Gegenwart in der Handlung des Dramas hatte sich schon in den vv. 954 f. gezeigt; insofern gibt es durch das Helios-Gefährt stofflich keinen Bruch gegenüber dem bisherigen Handlungsverlauf (vgl. Collinge 1962, 172; Bretzigheimer 1968, 238). Medeas Großvater Helios hat sich trotz des Mordes an seinen Nachkommen (1255 f.) auf die Seite Medeas gestellt, und sie durch sein Eingreifen für feindlichen Zugriff unerreichbar gemacht. Versteht man den Text so, ist es auch unwahrscheinlich, dass Aristoteles mit seiner Kritik eine frühere Medea des Euripides gemeint haben könnte, weil in der überlieferten kein Gott auftrete (so aber Lucarini 2013, 187 Anm. 60).
Zu weiteren Einzelheiten vgl. EK zu 1317–1322, S. 429 u. Komm. zu 1378– 1388. 1317–1318 Medeas Anfangsworte belegen, dass die Diener der Aufforderung Iasons, die Türen zu öffnen (1314 f.), (noch) nicht gefolgt sind. 1317 ‚Riegel brechen‘, wörtl. ‚(die Tür) aufhebeln‘ (anamochleuein, vgl. mochlos, ‚Hebel‘, auch ‚Riegelbalken‘). Da Iason sicher keinen Hebel mit sich führt, kann der Ausdruck nur bildlich für ‚gewaltsames Öffnen‘ gemeint sein, konkret für das Zerbrechen des Riegels durch Eindrücken der Türflügel. 1319 Auch die Wortwahl erinnert an eine Dea ex machina. ‚Hör auf‘ sagt Athena in IT 1437 und sagt Apollon in Or. 1625 (vgl. Mossman). 1320/1322 Die ‚Hand‘ steht hier für ‚Gewaltanwendung‘. 1321 ‚Gefährt‘: Das griechische Wort ochēma bedeutet ‚Wagen‘. Auf antiken Vasenbildern ist er als von geflügelten Schlangen gezogener Wagen realisiert. Vgl. zu bildlichen Darstellungen EK zu 1317–1322, S. 429. ‚Helios‘: Vgl. zu 406. Helios hilft wieder ‚materiell‘, wie schon 954 f.
380
Exodos: 1323–1331
Ia.
Du Scheusal, du am meisten verhassteste Frau den Göttern und mir und dem ganzen Menschengeschlecht, da du, in deine Kinder das Schwert zu stoßen 1325 wagtest, du, die sie gebar, und mich, (nun) kinderlos, vernichtetest. Und obwohl du das getan hast, blickst du (noch) auf Sonne und Erde, die du das gottloseste Verbrechen gewagt hast? Tod und Verderben über dich! Ich aber bin jetzt bei Sinnen, damals war ich es nicht, als ich dich aus deinem Haus und aus Barbaren-Land 1330 in ein griechisches Haus mitnahm, ein großes Übel,
Ια.
ὦ μῖσος, ὦ μέγιστον ἐχθίστη γύναι θεοῖς τε κἀμοὶ παντί τ’ ἀνθρώπων γένει, ἥτις τέκνοισι σοῖσιν ἐμβαλεῖν ξίφος ἔτλης τεκοῦσα κἄμ’ ἄπαιδ’ ἀπώλεσας. καὶ ταῦτα δράσασ’ ἥλιόν τε προσβλέπεις καὶ γαῖαν, ἔργον τλᾶσα δυσσεβέστατον; ὄλοι’. ἐγὼ δὲ νῦν φρονῶ, τότ’ οὐ φρονῶν, ὅτ’ ἐκ δόμων σε βαρβάρου τ’ ἀπὸ χθονὸς Ἕλλην’ ἐς οἶκον ἠγόμην, κακὸν μέγα,
1325
1330
1323 ὦ μῖσος] vgl. z. B. Soph. Phil. 991 | μέγιστον ἐχθίστη] Superlativ durch Adverb im Superlativ verstärkt (K.-G. I 27, 7c), vgl. z. B. Hipp. 1421 μάλιστα φίλτατος 1324 κἀμοὶ Hss. : και μοι Π – vgl. zu 1318 1325 ἥτις] vgl. zu 589 | τέκνοισι … ἐμβαλεῖν ξίφος] vgl. Phoin. 594 f. εἰς ἡμᾶς ξίφος / φόνιον ἐμβαλὼν 1326 κἄμ’ (Hss.) : καί μ᾿ – vgl. zu 1318 1328 τλᾶσα +(Hss.) : δρῶσα – τλᾶσα ist ausdrucksstärker als das blassere δρῶσα und könnte überdies als Vorlage für den vermutlich unechten v. 796 gedient haben. 1329 φρονῶν] vgl. K.-G. I 200 Anm. 9 zum Part. Präsens als Ausdruck vergangener Zeitstufen 1330 ἐκ δόμων σε βαρβάρου τ’ ἀπὸ χθονὸς] βαρβάρου ist sinngemäß möglicherweise auch zu δόμων zu ziehen (Figur der Versparung, Kiefner 1964, 37) | δόμων +(Hss.) : δόμου – δόμου dürfte eine fälschliche Anpassung an βαρβάρου sein.
Kommentar
381
1323–1350 Rede Iasons. Er ergeht sich in einer Beschimpfung Medeas (wie Medea ihm gegenüber, 465 ff.; vgl. McClure 1999, 392), wobei er am Schluss selbst einsieht, dass die Beschimpfung wirkungslos ist (1344 f.) und er damit nur seine völlige Niederlage kaschieren kann, die er sowohl zu Beginn (1326) als auch am Ende (1347–1350) eingestehen muss. Medea hat ihn genau so getroffen, wie sie es geplant hatte (803–806): Er wird weder seine bisherigen Kinder haben noch künftig welche von seiner neuen Frau bekommen können, womit seine dynastischen Pläne bzw. sein Lebensentwurf (562–565; 595–597; 914– 917) zerstört ist. – In seiner Wut wirft Iason Medea auch negativ zu bewertende Taten (Verrat, Brudermord) vor, die sie für seinen Erfolg und seine Rettung in Kolchis vollbracht hatte, und geht darüber hinweg, dass der Ausgangspunkt des Geschehens sein Eidbruch war; vgl. auch Mossman zu 1324. 1323 ‚am meisten verhassteste‘: Der doppelt ausgedrückte Superlativ verdeutlicht die Stärke der (ohnmächtigen) Wut Iasons. 1324 ‚den Göttern‘: Iason realisiert nicht, dass der Gott Helios aufseiten Medeas steht; vgl. Mossman. Der Vers diente als Vorlage für den unechten v. 468. ‚dem ganzen Menschengeschlecht‘: Umschreibung für ‚allen Menschen‘. 1325 Vom Handlungsablauf her kann Iason eigentlich nicht wissen, dass die Mutter die Kinder mit dem Schwert tötete (1278). 1327–1328 Iason hält es für ungeheuerlich, dass Medea nach einer solchen Tat noch Sonne und Erde anblickt, d. h. noch am Leben sein darf, weswegen er ihr auch sogleich den Tod wünscht (1329). Diese Erklärung erscheint naheliegender als Vorstellungen heranzuziehen, nach denen es umgekehrt darum geht, einen oder etwas, das durch eine schlimme Tat befleckt ist, nicht dem Sonnenlicht, also dem Anblick durch die Sonne, auszusetzen, wobei die Erde aber jeweils nicht erwähnt wird (Soph. OT 1425–1427 [sachlich einschlägig, aber wohl unecht; vgl. March 2020 zu 1424–31]; Eur. Or. 819–822, HF 1231); so Page, Tedeschi, Martina. Zur Verbindung von Erde und Sonne vgl. auch 752; 1251 f. In dramatischer Ironie entsetzt sich Iason, dass Medea noch die Sonne (hēlios) anblickt, die in Gestalt des Sonnengottes Helios ihr das Fluggerät zur Verfügung gestellt hat. 1328 ‚gottloseste Verbrechen‘: Dass die Tat gottlos sei, der göttlichen Ordnung widerspricht, wird nicht einmal Medea leugnen (1383); auch der Mord an den Kindern der Ino wird mit diesem Attribut charakterisiert (1287). 1329 Iason beklagt seine damalige Unvernunft (d. h. seine Entscheidung, sie als seine Frau von Kolchis mitzunehmen) wie Medea an früherer Stelle die ihre (485); vgl. Mossman. 1330–1331 Medea nach Griechenland zu bringen, hatte Iason an früherer Stelle als Wohltat ihr gegenüber bezeichnet (536–540). Zu Griechen und Barbaren vgl. zu 536–538 und Hall 1989 (speziell zur griechischen Tragödie).
382
Exodos: 1332–1341
eine Verräterin des Vaters und des Landes, das dich aufgezogen hatte. Den dir bestimmten Rachegeist haben die Götter auf mich niederfahren lassen; denn du hast deinen Bruder am häuslichen Herd getötet, und gingst dann an Bord des Schiffes Argo mit dem schönen Bug. 1335 So fingst du schon an. Aber als du verheiratet warst mit diesem Mann hier und Kinder mir geboren hattest, brachtest du sie wegen Ehebett und Ehebund um. Es gibt keine griechische Frau, die dies zu tun je gewagt hätte, vor denen ich es vorzog, 1340 dich zu heiraten, eine verhasste und mir verderbliche Verbindung, πατρός τε καὶ γῆς προδότιν, ἥ σ’ ἐθρέψατο. τὸν σὸν δ’ ἀλάστορ’ εἰς ἔμ’ ἔσκηψαν θεοί· κτανοῦσα γὰρ δὴ σὸν κάσιν παρέστιον τὸ καλλίπρῳρον εἰσέβης Ἀργοῦς σκάφος. ἤρξω μὲν ἐκ τοιῶνδε· νυμφευθεῖσα δὲ παρ’ ἀνδρὶ τῷδε καὶ τεκοῦσά μοι τέκνα, εὐνῆς ἕκατι καὶ λέχους σφ’ ἀπώλεσας. οὐκ ἔστιν ἥτις τοῦτ’ ἂν Ἑλληνὶς γυνὴ ἔτλη ποθ’, ὧν γε πρόσθεν ἠξίουν ἐγὼ γῆμαι σέ, κῆδος ἐχθρὸν ὀλέθριόν τ’ ἐμοί,
1335
1340
1333 δ’ : Ø +(Hss.) – δ’ ist schon aus metrischen Gründen notwendig. 1334 γὰρ δὴ] vgl. zu 722 1336–1337 νυμφευθεῖσα … παρ’] Die Verbindung ist anscheinend nur hier belegt, sonst bloßer Dativ; παρά steht vermutlich für ξυνεύδουσα, vgl. El. 62 τεκοῦσα … παῖδας Αἰγίσθῳ πάρα mit Kommentar von Denniston 1939; vgl. Martina III. 1339 οὐκ … γυνὴ] statt οὐκ ἔστιν Ἑλληνὶς γυνὴ, ἥτις τοῦτ’ ἂν, vgl. K.-G. II 417, 2 a; gleichzeitig ist οὐκ ἔστιν eine stärkere Negation, als es οὐδεμία γυνή wäre (Mastronarde), vgl. auch zu 171 | τοῦτ’ ἂν Ἑλληνὶς (Hss.) : Ἑλληνὶς τοῦτ’ ἂν – Nur das Erstere passt metrisch. 1340 ὧν] bezieht sich auf den in οὐκ ἔστιν … Ἑλληνὶς γυνὴ (1339) dem Sinne nach implizierten Plural. | γε] epexegetisch, „gives force and urgency to an addition or supplement“, GP 138 (12); hier: „those Greek women whom I rejected for you“, GP 139 f. (iii) | πρόσθεν] metaphorisch, vom Vorzug-Geben (LSJ s. v. A. I. 3)
Kommentar
383
1332–1338 Iason konstruiert eine durchgehende Verbrecherlaufbahn Medeas vom Verlassen der Heimat bis zum Kindermord, ‚vergisst‘ dabei, dass (außer dem Kindermord) alle von ihm genannten Taten seiner Rettung dienten bzw. in seinem Interesse waren und er den Anlass für den jetzt erfolgten Kindermord geboten hat. Fixiert auf den Verlust der Kinder erscheint ihm die Ermordung der Königstochter (und der Tod Kreons) offenbar nicht erwähnenswert. 1333–1335 Iason nimmt einen Rachegeist an, der jetzt ihn treffe, der aber eigentlich Medea wegen der Ermordung ihres Bruders (Apsyrtos) hätte gelten müssen. So meint Antigone, dass der Rachegeist des Ödipus auf seine Söhne übergegangen sei (Phoin. 1556–1559; Page). Über die Ermordung des Apsyrtos gibt es unterschiedliche Versionen (vgl. zu 166–167). Euripides folgt hier derjenigen, nach der Apsyrtos am häuslichen Herd ermordet wurde. So entsteht durch Iasons Formulierung der Eindruck, Medea habe nicht nur einen Brudermord begangen, sondern dabei auch noch sakrale Gesetze verletzt. Iason nennt kein Motiv für Medeas Tat, sonst müsste er vielleicht zugeben, dass auch diese zu denen gehört, von denen Medea sagt, sie habe sie in seinem Interesse vollbracht (483–485; 502 f.). Euripides gibt keinen Hinweis zu Medeas Motivation (auch nicht bei v. 167 bzw. 257); ob die Zuschauer Euripides’ Version mit einer Erklärung für Medeas Tat verbinden konnten, wissen wir nicht. Vgl. auch zu 166–167. 1335 ‚mit dem schönen Bug‘: Nicht bloß ein schmückendes Epitheton für die Argo, sondern es wird der Kontrast zwischen der verbrecherischen Medea und dem ruhmvollen Schiff betont (Mastronarde); vgl. auch zu 1386–1388. 1336b–1337a ‚verheiratet … mit diesem Mann hier‘: Iason weist mit einem deiktischen Pronomen ausdrücklich auf sich. Außerdem ist ‚verheiratet … mit‘ sprachlich ungewöhnlich formuliert; vgl. TS. Iason scheint, um die Schwere von Medeas Tat zu steigern, sagen zu wollen: ‚Du hast die Kinder dessen getötet, der hier vor dir steht und mit dem du das Lager teiltest‘. 1337b Die Kinder betrachtet Iason nicht als gemeinsam, sondern als für sich geboren. So hatte er auch früher schon gefragt, wozu Medea Kinder nötig habe (vgl. 565 mit Komm.). 1338 ‚Ehebett und Ehebund‘: Im Griechischen stehen zwei Wörter (eunē und lechos); zu den Bedeutungen vgl. zu 88. Iason wirft Medea also vor, weil sie die sexuelle Beziehung und das eheliche Verhältnis zu ihm nicht mehr habe (bzw. die neue Beziehung neide), habe sie die Kinder getötet, was er offenbar als unzureichenden Grund ansieht und mit ihrem ‚Barbarentum‘ erklären möchte (1339–1343). – Zur Motivation Medeas vgl. zu 999; 1291–1292. 1339–1340a Der Chor ging allerdings davon aus, dass es durchaus schon so eine Tat gab, wenn auch unter anderen Umständen; vgl. zu 1282–1283. Die Zuschauer wissen also, dass Iason irrt. 1340b–1341 Iason tut so, als habe er eine Wahl gehabt und sei es seine freie Entscheidung gewesen, Medea zu heiraten. Aber ohne seinen (dann gebrochenen) Treueid hätte er ihre Hilfe nicht bekommen. Die Verbindung war ihm also nicht von vornherein verhasst und verderblich, im Gegenteil.
384
Exodos: 1342–1350
eine Löwin, nicht eine Frau, mit einem wilderen Wesen als die tyrrhenische Skylla. Indes, nicht mit tausend Schmähungen könnte ich dich verletzen; eine solche Unverschämtheit ist dir eigen. 1345 Fort mit dir, Täterin schändlicher Taten und Mörderin der Kinder! Für mich bleibt nur, mein Schicksal zu beweinen: Weder werde ich etwas von der neu geschlossenen Ehe haben, nicht werde ich die Kinder, die ich zeugte und aufzog, als Lebende ansprechen können, sondern verloren habe ich sie. 1350 λέαιναν, οὐ γυναῖκα, τῆς Τυρσηνίδος Σκύλλης ἔχουσαν ἀγριωτέραν φύσιν. ἀλλ’ οὐ γὰρ ἄν σε μυρίοις ὀνείδεσιν δάκοιμι· τοιόνδ’ ἐμπέφυκέ σοι θράσος· ἔρρ’, αἰσχροποιὲ καὶ τέκνων μιαιφόνε. ἐμοὶ δὲ τὸν ἐμὸν δαίμον’ αἰάζειν πάρα, ὃς οὔτε λέκτρων νεογάμων ὀνήσομαι, οὐ παῖδας, οὓς ἔφυσα κἀξεθρεψάμην, ἕξω προσειπεῖν ζῶντας, ἀλλ’ ἀπώλεσα.
1345
1350
1342–1343 τῆς Τυρσηνίδος / Σκύλλης] verkürzt statt τῆς φύσεως τῆς … Σκύλλης. Comparatio compendiaria (K.-G. II 310, 3). 1344 ἀλλ’ οὐ γὰρ] vgl. zu 252 1346 ἔρρ’] kolloquial, Collard 2018, 45 f. | αἰσχροποιὲ … μιαιφόνε] jeweils substantivisch gebraucht 1347 πάρα] ~ πάρεστι 1348–1350 οὔτε … οὐ] „Here … the writer intends to express the addition formally, but, for emotional effect, breaks off with an asyndeton.“ (GP 510 [iv]) | ἀλλ’] setzt den mit οὐ begonnenen Satz fort 1348 ὃς] vgl. zu 589 | λέκτρων … ὀνήσομαι] zum partitiven Genitiv vgl. K.-G. I 355, 2
Kommentar
385
1342 ‚Löwin‘: Vgl. 187–188 mit Komm. 1343 (griech. Text 1342 f.) ‚tyrrhenische Skylla‘: Iason setzt Medea mit Skylla in Beziehung, wie bei Aischylos Klytaimestra als Skylla bezeichnet wird (Ag. 1233 f.). Skylla ist ein gefräßiges Meeresungeheuer (mit dem Oberkörper einer jungen Frau und einem Unterleib mit sechs Hunden), dem man zusammen mit dem Meeresungeheuer Charybdis die Gefahren zuschrieb, die den Schiffern bei der Durchfahrt durch die Straße von Messina entstehen konnten. Die Bezeichnung tyrrhenische (= etruskische) Skylla geht auf eine Zeit zurück, als die Etrusker als Herren Italiens galten. Vgl. zu Skylla Homer, Odyssee 12,116– 126; 222–259. Nach Odyssee 12,119 f. ist Skylla so wild und unbekämpfbar, dass man vor ihr nur noch fliehen kann. Ein wilderes Wesen als Skylla zu haben stellt daher eine hyperbolische Steigerung dar. – Weitere Überlegungen zu Skylla bei Mossman, S. 359.
1344–1346 Iason muss zwar resigniert feststellen, dass er Medea mit Schmähungen nichts anhaben kann, das hindert ihn aber nicht, mit einer erneuten Schmähung seine Beschimpfung Medeas zu enden (1346). Während er früher stolz erklärt hatte, dass er gegen Medeas Schmähungen immun sei (451 f.), wirft er ihr jetzt ihre ‚Immunität‘ vor. 1344 ‚tausend‘, wörtl. ‚zehntausend‘, vgl. zu 965. 1345 ‚verletzen‘: Iason gebraucht dasselbe Wort (eigtl. ‚beißen‘) wie Medea in v. 817, als sie den Kindermord als die wirksamste Verletzung Iasons bezeichnete; vgl. auch 1370. 1346 ‚Täterin schändlicher Taten‘: aischropoios kommt hier zum ersten Mal im Griechischen vor und hat sicher nicht die obszöne Bedeutung, die dem Wort später der Komiker und Chriendichter Machon (3. Jh. v. Chr.) in Bezug auf diesen Vers unterlegt (fr. 18,402–410 Gow [Athenaios 13,45, p. 582cd]); das Scholion zu v. 1346 behauptet sogar, Euripides sei wegen dieses Verses von der Bühne vertrieben worden. ‚Mörderin der Kinder‘: wörtl. ‚mit dem Mord an den Kindern Befleckte‘. miaiphonos ist hier Substantiv, anders als in v. 266, wo Medea das Wort verwendet hatte in der Sentenz, dass kein Gemüt mehr zum Morden neigt als das einer Frau, die in ihrem Liebesleben gekränkt ist. 1347–1350 Mit Iasons Einsicht in seine völlige Niederlage, d. h. die Zerstörung seiner Zukunftspläne (562–565; 595–597; 914–917), schließt sich der Ring zu v. 1326. Ob er diese Worte nur zu sich spricht, wie v. Arnim 1886 (zu v. 1346) meint, scheint fraglich. Iason setzt seine Rede mit einer verbindenden Partikel fort, und Medea muss das Eingeständnis der Niederlage für ihren Triumph gehört haben, denn sie antwortet ihm entsprechend (1360). – Mit seinem letzten Wort (apōlesa), das sowohl ‚ich habe sie verloren‘ als auch ‚ich habe sie vernichtet‘ bedeutet, kann Iason nach seinen Vorwürfen gegen Medea nur ersteres meinen, die Zuschauer könnten aber einen ihm, dem letztlich Schuldigen, unbewussten Doppelsinn erkennen; vgl. Allan 2002, 43. Zur sprachlichen Struktur vgl. TS zu 1348–1350.
386 Me.
Μη.
Exodos: 1351–1360
Lang hätte ich meine Antwort ausgedehnt gegen diese Worte, wenn nicht Vater Zeus wüsste, was (Gutes) du von mir erfahren hast und was du (dafür) getan hast. Du solltest nicht meine Ehe entehren und künftig ein freudvolles Leben führen, mich verlachend, noch die Königstochter, noch sollte der, der dir die Ehe mit ihr anbot, Kreon, mich ungestraft aus diesem Land verbannen. Dann nenne mich doch, wenn du willst, sogar Löwin {und Skylla, die die tyrrhenische Ebene bewohnte}; denn ich habe dein Herz getroffen, wie es sein sollte. μακρὰν ἂν ἐξέτεινα τοῖσδ’ ἐναντίον λόγοισιν, εἰ μὴ Ζεὺς πατὴρ ἠπίστατο, οἷ’ ἐξ ἐμοῦ πέπονθας οἷά τ’ εἰργάσω. σὺ δ’ οὐκ ἔμελλες τἄμ’ ἀτιμάσας λέχη τερπνὸν διάξειν βίοτον ἐγγελῶν ἐμοὶ οὐδ’ ἡ τύραννος, οὐδ’ ὅ σοι προσθεὶς γάμους Κρέων ἀνατεὶ τῆσδέ μ’ ἐκβαλεῖν χθονός. πρὸς ταῦτα καὶ λέαιναν, εἰ βούλῃ, κάλει {καὶ Σκύλλαν ἣ Τυρσηνὸν ᾤκησεν πέδον}· τῆς σῆς γὰρ, ὡς χρῆν, καρδίας ἀνθηψάμην.
1355
1360
1355
1360
1351 +μακρὰν ἂν : μακρὰν δ᾿ ἂν : ἢ (od.) ἦ μάκρ᾿ ἂν – δέ am Anfang einer Rede ist ungewöhnlich; vgl. zu 945. | μακρὰν] Die feminine Form kann eine Ergänzung erfordern (z. B. ὁδόν), ist aber auch zu einem feststehenden Ausdruck geworden, der keiner sprachlichen Ergänzung bedarf; vgl. LSJ s. v. μακράν I. 2 sowie Aisch. Ag. 916 μακρὰν γὰρ ἐξέτεινας. „The feminine gender to denote indefinite abstractions is not rare“ (Collard 2005, 372); zum kolloquialen Charakter vgl. Collard 2018, 137. | ἐναντίον (Hss.) : ἐναντίοις : +ἐναντία – ἐναντίοις ist fälschlich an τοῖσδ’ … λόγοισιν (1351 f.) angeglichen, ἐναντία entsprechend an die Lesart μάκρ᾿. 1355 διάξειν βίοτον] vgl. 1037 | ἐγγελῶν ἐμοὶ] vgl. Soph. El. 277 ἐγγελῶσα τοῖς ποιουμένοις 1356 οὐδ’ … οὐδ’ Elmsley : οὐθ’ … οὐθ’ +Hss. – Elmsleys Konjektur ist vom Sinne her gefordert (vgl. aber GP 509 [iii]). | προσθεὶς : +προθεὶς – προστίθημι ist das hier passende Verb (LSJ s. v. I. 2; Page). | γάμους +(Hss.) : γάμον – Der poetische Plural ist in der Medea für die Ehe Iasons die übliche Bezeichnung. 1357 ἀνατεὶ : ἄτιμον od. ἀτίμως (Hss.) – ἄτιμον od. ἀτίμως sind wohl als Glossen des selteneren ἀνατεί (bzw. ἀνατί) zu betrachten. | τῆσδέ μ’ (Hss.) : τῆσδ᾿ ἔμ᾿ – Der Akzent liegt auf τῆσδέ … χθονός. 1358 πρὸς ταῦτα … κάλει] πρὸς ταῦτα od. τάδε mit Imperativ drückt eine verachtende Trotzigkeit aus, es kommt nicht darauf an, was der andere macht; vgl. Hipp. 304 f. mit Barrett 1964 z. St. 1359 {…} Verrall; Müller 1951, 80 | πέδον Hss. : σπέος od. πόρον Musgrave : πέτραν Elmsley – vgl. Komm. 1360 γὰρ] vgl. zu 122, hier ist zu ergänzen: ‚Deine Beschimpfungen (1358) machen mir nichts aus, denn …‘ | χρῆν Reiske : χρὴ +Hss. – Medea bezieht sich auf das vergangene Geschehen (ἀνθηψάμην), dazu passt χρῆν besser als eine allgemeine Aussage ‚was nötig ist‘. | ἀνθηψάμην] vgl. 55 u. bes. Hel. 960 καὶ σῆς μάλιστα καρδίας ἀνθάψεται
Kommentar
387
1351–1360 Antwort Medeas. Für sie ist nach ihrer Ansicht keine lange Antwort nötig. Zur Entgegnung auf Iasons einseitige Darstellung ihres früheren gemeinsamen Lebens reichen ihr drei Verse (1351–1353); dann erläutert sie kurz Motivation und Ziel ihrer Rache und konstatiert erfreut den Erfolg (1354– 1360). Dass sie dazu ihre Kinder ermordet hat, erwähnt sie nicht ausdrücklich (vgl. zu 1358 / 1360). In diesem Punkt entspricht die Antwort der Invektive Iasons, der ebenfalls für ihn Negatives übergangen hatte. 1351–1353 Statt einer langen Gegendarstellung begnügt sich Medea mit dem Hinweis, dass Zeus wisse, was sie für Iason tat und wie er es ihr vergolten hat. Für diese Taten, die Iason bei seinen Vorwürfen unterschlagen hatte, und seine ‚Gegenleistung‘ müsste sie sich eigentlich nicht auf Zeus berufen, die Fakten sind beiden bekannt. Aber Zeus ist der Gott, der ihr als Schützer der Eide (169 f.) zu ihrem Recht verhelfen wird (157), worauf auch die Amme und der Chor vertrauen; vgl. auch 332; 764 (mit Komm.). Mit der Berufung auf Zeus deutet Medea an, dass es um Iasons Eidbruch geht. 1352 ‚Vater Zeus‘: Eine formelhafte Wendung seit Homer, Ilias 1,503. Medea mag hier überdies ein Vertrauensverhältnis zu Zeus ausdrücken, auf dessen Unterstützung bei ihrer Rache sie baut; vgl. Mossman. 1354–1357 Medeas Erklärung ihres Handelns könnte man als von Eifersucht geprägt verstehen (vgl. Pucci 1980, 162); jedoch geht es ihr in der Sache immer noch um dasselbe Ziel: sich zu rächen für die Entehrung (vgl. zu 20), die Iason ihr nicht hätte antun sollen, und zu verhindern, verlacht zu werden; er sollte nicht über sie triumphieren, indem er sein Leben mit Freuden gestalten kann (1355; vgl. 404; 797 jeweils mit Komm.); vgl. auch Otten 2005 zu 1354 f.; Mastronarde zu 1367. Die Verhinderung eines freudvollen Lebens gilt hier auch als Motivation für die Rache an der Tochter Kreons; die eigentliche Absicht, dass Iason mit ihr keine Kinder bekommen könne (804 f.), wird nicht genannt. – Der Tod Kreons erscheint jetzt als Ziel einer geplanten Handlung, obwohl er nur zufällig starb, in einer Weise, die auch Iason hätte treffen können. Allerdings wäre Kreon auch schon durch den Tod seiner Tochter bestraft worden; vgl. Mossman. 1358 / 1360 Angesichts ihres Erfolges bekümmern Medea die Herabsetzungen Iasons nicht, denn sie hat Iason so getroffen, wie es ihrer Ansicht nach hat sein müssen, gemäß ihrer Aussage in v. 817: So dürfte er am meisten verletzt werden. Den Erfolg ihres Racheplans hatte Iason eben noch bestätigt (1348– 1350). 1359 Wenn Medea nur von Löwin und Skylla spräche, böte dieser Vers kein Problem; aber ‚die die tyrrhenische Ebene bewohnte‘ erscheint nach ‚die tyrrhenische Skylla‘ (1342 f.) als funktionsloses Versfüllsel. Verdächtig ist auch das Vergangenheitstempus, als ob Skylla nicht mehr aktuell wäre, und die für sie völlig unpassende ‚Ebene‘ statt ‚Höhle‘ oder ‚Fels‘. Letztere Schwierigkeit ließe sich zwar durch Konjektur beseitigen, aber es ist bedenklich, einen mit Recht der Interpolation verdächtigen Vers durch Konjektur passender machen zu wollen. Möglicherweise wurde das adverbiale ‚auch‘ bzw. ‚sogar‘ (kai) vor
388 Ia. Me.
Exodos: 1361–1366
Ia. Me.
Selbst auch leidest du Schmerzen und hast teil am Leid. Gewiss, aber den Schmerz ist es wert, wenn du mich nicht verlachst. Ihr Kinder, was für eine schlechte Mutter habt ihr bekommen! Ihr Kinder, wie gingt ihr zugrunde durch den Liebeswahn des Vaters! Es war gewiss nicht m e i n e rechte Hand, die sie getötet hat. Aber deine Anmaßung, die neuvermählte Ehefrau.
Ια. Μη. Ια. Μη. Ια. Μη.
καὐτή γε λυπῇ καὶ κακῶν κοινωνὸς εἶ. σάφ’ ἴσθι· λύει δ’ ἄλγος, ἢν σὺ μὴ ’γγελᾷς. ὦ τέκνα, μητρὸς ὡς κακῆς ἐκύρσατε. ὦ παῖδες, ὡς ὤλεσθε πατρῴᾳ νόσῳ. οὔτοι νιν ἡμὴ δεξιά γ’ ἀπώλεσεν. ἀλλ’ ὕβρις οἵ τε σοὶ νεόδμητοι γάμοι.
Ia. Me.
1365
1365
1361 γε] emphatisches γε in Antworten (GP 130 ff.) 1362 σάφ’ ἴσθι· … δ’] zu σάφ᾿ ἴσθι als Bestätigung einer voraufgegangenen Äußerung und der Fortsetzung mit δέ vgl. Ba. 816 (zum überlieferten δέ vgl. Dodds 1960; Roux 1972 zu Ba. 815–816) | λύει δ’ ἄλγος] Σ λυσιτελεῖ δέ μοι τὸ ἄλγος, vgl. 566 (wo ἐμοί ausgedrückt ist); in diesem Fall ist ἄλγος Subjekt, „the pain is worthwhile“ (Kovacs), ‚der Schmerz nützt, lohnt sich‘ (LSJ s. v. λύω V. 2). Weniger wahrscheinlich ist angesichts der Parallele ‚ja, a b e r‘ (Ba. 816) die Bedeutung „undo, bring to naught, destroy“ (LSJ s. v. λύω II. 4), vgl. Soph. El. 939 πημονῆς λύσεις βάρος (‚does away with‘, ‚removes‘, Page, mit weiteren Belegen). | +’γγελᾶ(ι)ς : +γελᾶ(ι)ς – vgl. 1355 1365 οὔτοι νιν : οὐ τοίνυν : οὔτοι νυν | σφ᾿ Hss. : γ’ Hermann – Es ist möglich, dass νιν (nur in einer Hs. und der Korrektur einer Hs.) ursprünglich ist und, als es zu νυν wurde, γ’ durch σφ᾿ ersetzt wurde. Das betonte ἡμὴ δεξιά γ’ ist eine treffende Replik auf πατρῴᾳ νόσῳ (1364) und wird gestützt durch Alk. 718 οὔτοι πρὸς ἡμῶν γ᾿ ὤλετ᾿ (vgl. Dale 1954 z. St.; Martina III). Allerdings ist fast einhellig ein ursprüngliches ΟΥΤΟΙΝΥΝ überliefert, das sich in οὐ τοίνυν oder οὔτοι νυν auflösen lässt; zwar sind weder οὐ τοίνυν noch οὔτοι νυν in tragischer Dichtung belegt, aber „A rejoinder introduced by τοίνυν sometimes conveys a comment on, or criticism of, the previous speaker’s words.“ (GP 572 [4]), vgl. Soph. OT 1067 und zu οὐ τοίνυν z. B. Platon, Politeia 358a4; vgl. Page, der freilich auch νιν … γ’ für diskutabel hält, sowie Martina III. 1366 οἵ τε] Der mit τε angeschlossene Ausdruck hat die Funktion einer Apposition, die ὕβρις (vgl. 255) besteht in der neuen Ehe bzw. Frau; vgl. GP 502 (e) „Greek sometimes employs connection by τε where English prefers an appositional construction.“ σοὶ steht nur beim zweiten Element, bezieht sich aber auch auf das erste (K.-G. II 601 f. Anm. 4; Kiefner 1964, 95 [Figur der Versparung]). | νεόδμητοι : νεοδμῆτες (Hss.) – Beides ist möglich, νεοδμής ist seltener belegt, was für νεοδμῆτες sprechen könnte; andererseits gebraucht Euripides in v. 623 νεόδμητος, wo auch νεοδμής möglich wäre, und das dreimalige -οι verleiht der Aussage Nachdruck. | γάμοι] νεοδμής bzw. νεόδμητος sind nur mit personalem Bezugswort (wie 623) überliefert, eine Verbindung mit γάμος ist sonst nicht belegt. Vermutlich ist γάμος metonymisch für eine Person zu verstehen (= Ehefrau), wie Soph. Tr. 1139 (auch dort Plural).
Kommentar
389
‚Löwin‘ als verbindendes ‚und‘ bzw. ‚sowohl‘ missverstanden und deswegen, entsprechend den vv. 1342 f., ‚Vollständigkeit‘ hergestellt. 1361–1377 Dialog (Stichomythie) zwischen Iason und Medea. In diesem Schlagabtausch kommt es zu einer Zuspitzung der Auseinandersetzung zwischen den beiden früheren Eheleuten, zu gegenseitigen Verunglimpfungen und Schuldzuweisungen. Beide versuchen die jeweiligen Äußerungen des anderen mit einer Replik zu entkräften oder zu überbieten; dabei werden mehrfach Eingangsformulierungen fast wörtlich übernommen (1363 f.; 1370 f.; 1372 f.), wobei Euripides erkennen lässt, dass man denselben Sachverhalt je nach Perspektive unterschiedlich beurteilen kann. – Ob man diese Auseinandersetzung als verhinderten Threnos (Trauergesang) verstehen kann (Battezzato 1995, 172– 176), ist fraglich. Von Trauer ist jedenfalls erst die Rede, als Iason bittet, die Kinder begraben zu dürfen, nachdem beide bemerkt haben, dass ihr Streit zu nichts führt und sie sich trennen wollen. 1361–1362 Dem Triumph Medeas (1360), hält Iason entgegen, dass auch Medea getroffen sein muss von dem, was sie tat (vgl. 1037; 1246b–1250). Wie ihre Antwort zu deuten ist, hängt von der sprachlichen Auffassung des Griechischen ab. Versteht man das griechische Verb lyei als ‚beseitigt‘, schiebt Medea (wider besseres Wissen) Iasons Einwand einfach weg. Fasst man den Text als ‚lohnt den Schmerz‘ o. ä. auf, gibt Medea zu, dass sie Schmerz empfindet, betrachtet ihn aber durch ihren Sieg über Iason als aufgewogen. Letzteres lässt sich sprachlich besser rechtfertigen (vgl. TS zu 1362) und passt eher zu Medeas weiterhin für sich in Anspruch genommener Liebe zu den Kindern (1397); sie bleibt sich in diesem Punkt treu (vgl. 1247; 1250). – Anders Griffiths (2020, 152), die annimmt, dass Medea ihren Status (als Trauernde) aufgegeben hat, sobald sie in das Helios-Gefährt gestiegen ist. 1363–1366 In diesen Versen wird die Verantwortung für die Tat zum Thema: Ist es die Schlechtigkeit und die konkrete Mordtat der Mutter oder der Liebeswahn und das Unrecht des Vaters durch die neue Ehe? 1364 Medea unterstellt Iason, er sei der Königstochter erotisch verfallen (vgl. auch schon 623 f.), und nennt dieses Verhalten wörtl. ‚Krankheit‘ (nosos), womit eine unheilvolle Liebesverfallenheit bezeichnet werden kann, z. B. Hipp. 40; 766 (Weiteres bei Mossman z. St.). Iason selbst hatte geleugnet, dass er von Liebesleidenschaft zur Königstochter ergriffen sei (555 f.), stellte vielmehr diese Ehe als eine für alle Beteiligten sinnvolle Vernunftentscheidung dar (547–565). 1366 ‚neuvermählte Ehefrau‘: dasselbe Adjektiv wie in v. 623 (vgl. Komm. dazu); ‚Ehefrau‘ ist hier durch gamoi (‚Hochzeiten‘, poetischer Plural) ausgedrückt. Die Übersetzung ‚Ehefrau‘ entspricht der üblichen Verwendung des Adjektivs und lässt sich durch eine Parallele belegen (vgl. TS).
390 Ia.
Exodos: 1367–1373
Me. Ia. Me. Ia. Me. Ia.
Hieltest du es wirklich für gerechtfertigt, die Kinder einer (neuen) Frau wegen zu töten? Eine geringe Kränkung sei das für eine Frau, glaubst du? Ja, für eine, die vernünftig ist; aber für dich ist das ganz von Übel. Die Kinder gibt es nicht mehr; ja, d a s wird dir wehtun! 1370 Die Kinder gibt es, gewiss, als Rachegeister über deinem Haupt! Es wissen, wer zuerst Leid zufügte, die Götter. Sie wissen gewiss um deine abscheuliche Gesinnung.
Ια. Μη. Ια. Μη. Ια. Μη. Ια.
λέχους σφε κἠξίωσας οὕνεκα κτανεῖν; σμικρὸν γυναικὶ πῆμα τοῦτ’ εἶναι δοκεῖς; ἥτις γε σώφρων· σοὶ δὲ πάντ’ ἐστὶν κακά. οἵδ’ οὐκέτ’ εἰσί· τοῦτο γάρ σε δήξεται. οἵδ’ εἰσίν, οἶμαι, σῷ κάρᾳ μιάστορες. ἴσασιν, ὅστις ἦρξε πημονῆς, θεοί. ἴσασι δῆτα σήν γ’ ἀπόπτυστον φρένα.
1370
1367 κἠξίωσας : γ᾿ ἠξίωσας (Hss.) – Das adverbiale καί in κἠξίωσας „conveys surprise and indignation“ (GP 316 [iv]), γ᾿ ist nur eine Behelfslösung, den Hiat zu vermeiden; vgl. auch Page. 1369 ἥτις γε] limitatives γε nach Relativpronomen, GP 141 f. (2) (i) | σοὶ δὲ πάντ’ ἐστὶν κακά] ἐστὶν ist nicht gleich ἔνεστι, als Subjekt ist λέχος zu verstehen (Page); im Übrigen bildet v. 1369b die äquivalente Formulierung zu den vv. 572 f.: τὰ λῷστα καὶ κάλλιστα πολεμιώτατα / τίθεσθε. 1370 γάρ] vgl. zu 234 1371 οἷμαι Tyrwhitt 1822, 30 : οἴμοι : ὤ(ι)μοι : ὠμοὶ +Burges – zu einer anderen Verschreibung von οἷμαι vgl. v. 588; zur Sache vgl. Komm. | μιάστορες] prädikativ, da εἰσί (1370) bzw. εἰσίν (1371) jeweils Vollverben sind (vgl. Page) 1373 δῆτα … γ’] Beide Partikeln werden bei Zustimmung im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Wortes des Sprechers davor (ἴσασιν, ἴσασι) verwendet; GP 276 (3); 136 (iv).
Kommentar
391
1367–1369 Als Antwort auf den Vorwurf des von ihm begangenen Unrechts erklärt Iason den Kindermord als unangemessene Reaktion auf seine neue Ehe. Er hatte zuvor schon die Überzeugung geäußert, dass die Frauen die eheliche Beziehung überbewerten (569–573), und kann daher sagen, dass eine vernünftige Frau seine neue Ehe nicht so schwergenommen hätte; Medea sehe aber darin den Inbegriff des Übels. So dürfte die zweite Hälfte von v. 1369 zu verstehen sein (vgl. Page); die alternative Deutung der Aussage Iasons, in Medea sei alles Schlechte versammelt (Mastronarde), ist sprachlich ungesichert. Vgl. auch TS sowie zu 1370–1371. 1367 ‚Frau‘: Im Griechischen steht lechos (eigtl. ‚Lager‘), das jedoch auch eine personale Bedeutung annehmen kann; vgl. Hipp. 835; El. 481. 1370–1371 Die Antwort Medeas ist keine inhaltliche Entgegnung mehr, sondern eine Wiederaufnahme des Erfolgsgedankens von v. 1360; offenbar getroffen von Iasons Analyse, dass für sie – selbstverschuldet – die neue Ehe die Quelle allen Übels sei, jedenfalls dass er keinerlei Schuldbewusstsein erkennen lässt, kommt es ihr nun darauf an, Iason mit dem Hinweis auf den Verlust der Kinder zu verletzen, während er diesen Verlust als Bedrohung Medeas umzumünzen versucht. 1370 ‚wird dir wehtun‘: Dasselbe Wort wie in v. 817, dort mit ‚getroffen werden‘ übersetzt. 1371 ‚gewiss‘ (oimai, wörtl. ‚glaube ich‘) ist eine Konjektur von Tyrwhitt; überliefert ist ‚weh mir‘ (oimoi oder ōmoi). Aber dass die getöteten Kinder nun Rachewesen sind, die Medea zusetzen sollen, ist für Iason an sich kein Grund für einen Ausruf von schmerzlicher Betroffenheit oder Indignation, er wünscht ja und droht damit, dass die Erinys der Kinder Medea vernichtet (1389). Will man die Überlieferung halten, müsste man zu der etwas schwierigen Annahme kommen, dass der Wehruf als Ausdruck der Klage zu verstehen ist, dass die Kinder jetzt n u r noch Rachewesen sind, jedoch nicht mehr leben. Als Replik auf v. 1370 passt allerdings eine Klage nicht, sondern der Akzent liegt darauf, dass der Tod der Kinder nicht nur Iason trifft, sondern auch auf die Täterin Medea zurückschlägt. Im Übrigen schließt sich bei Übernahme der Konjektur v. 1372 besser an, indem Medea Iasons subjektive Gewissheit mit einem Wissen der Götter überbietet, die sie im Vers in betonter Endstellung nennt. Nach Page ist oimai ‚dull‘, nach Martina banalisierend; vgl. aber Collard 2018, 61 zum parenthetischen Gebrauch: „by characteristic Attic understatement, it generally means ‘no doubt’ or ‘of course’ “. Vgl. auch v. 311. 1372–1373 Medea konterkariert die für sie von Iason erwartete Bedrohung durch höhere Mächte, indem sie die im menschlichen Bereich gültige Regel, dass sich ins Unrecht setzt, wer anfängt (vgl. zu 165), als Kriterium für die Beurteilung durch die Götter in Anspruch nimmt. Im Vergleich dazu wirkt die Replik Iasons eher hilflos, wenn er unterstellt, dass die Götter nicht nach dem von Medea genannten Prinzip handelten, sondern sich an ihrem Wissen von Medeas angeblich schlechter Gesinnung orientierten.
392
Exodos: 1374–1376
Me. Ia. Me.
Hasse nur! Aber dein feindseliges Reden ist mir widerwärtig. Und mir das deine; ein leichtes Mittel (dagegen) ist die Trennung. 1375 Was nun? Was soll ich tun? Denn auch ich bin ganz dazu bereit.
Μη. Ια. Μη.
στύγει· πικρὰν δὲ βάξιν ἐχθαίρω σέθεν. καὶ μὴν ἐγὼ σήν· ῥᾴδιοι δ’ ἀπαλλαγαί. πῶς οὖν; τί δράσω; κάρτα γὰρ κἀγὼ θέλω.
1375
1374 στύγει Weil : στυγῆ(ι) Hss. – Vermutlich schrieb Euripides ΣΤΥΓΕ (vgl. Schwyzer I 181, 2), das sich als στύγει oder στυγῇ auflösen lässt; στύγει passt als Replik zu ἀπόπτυστον (1373) besser (vgl. Page). | πικρὰν … βάξιν] vgl. Hel. 481 f. πικροὺς / λόγους, Σ βάξιν νῦν εἴρηκε τὴν ὁμιλίαν, vgl. auch Komm. 1375 μὴν] gibt der Antwort Emphase; zu καὶ μὴν vgl. GP 351 f. | ῥᾴδιοι (Hss.) : ῤᾴδιον – ῤᾴδιον „is more idiomatic, but probably no more than an individual slip“ [in einer Hs.], Page. Und der seltene Gebrauch von ῤᾴδιος als Adj. zweier Endungen (vgl. LSJ Suppl. s. v.) ist wohl als lectio difficilior zu betrachten. 1376 πῶς οὖν;] eine Übergangsformel zu etwas Neuem, vgl. z. B. Hipp. 598 πῶς οὖν; τί δράσεις …;
Kommentar
393
1374–1377 Medea sieht in Iasons Antwort denn auch bloßen Hass, und sie erkennt offenbar, dass die Hassreden zu keinem Ergebnis führen, wie man aus ihrer Aussage, dass ihr sein feindseliges Reden unerträglich geworden sei, wohl schließen kann. Iason kontert wiederum mit einer ‚Retourkutsche‘ und sieht eine Lösung in der Beendigung des Streits, was auch im Sinne Medeas ist (1376b). Sie fragt daher, wie es vonstatten gehen, was sie tun soll (1376a), um die Trennung herbeizuführen, wie die nachfolgende Begründung nahelegt. Vielleicht drückt sie auch einen gewissen Unwillen gegenüber Iason aus, denn für die von ihm zur Sprache gebrachte Trennung müsste er nur weggehen, wenn er dadurch die feindselige Auseinandersetzung beenden will. Iason antwortet nicht direkt auf Medeas Frage, sondern sie dient ihm als Ansatzpunkt für die Bitte (1377), die Kinder bestatten zu dürfen (Luschnig 2007, 78). Offenbar stellt er sich die Trennung so vor, dass er mit den toten Kindern weggehen kann. 1374 ‚feindseliges Reden‘: Das griechische Wort baxis (von bazō, ‚reden‘) wird üblicherweise für zwei Formen sprachlicher Äußerung gebraucht, für Orakelsprüche und Gerüchte, als Grundbedeutung lässt sich (bei Ableitung des Wortes von bazō, ‚reden‘) jedoch ‚Rede‘ erschließen. Da es sich hier weder um einen Orakelspruch noch um ein Gerücht handelt, hat sich seit Verrall (1882 z. St.), der das hier vorliegende baxis von einem postulierten anderen bazō (= baÿzō, ‚bark‘) ableitete, ein auf die Art der Sprechweise bezogenes Verständnis durchgesetzt (‚harsh snarling‘), was bei Page zu ‚snarling voice‘ wurde, bei Kovacs zu ‚hateful sound of your voice‘, bei Tedeschi zu ‚aspro parlare‘, bei Mossmann zu ‚bitter voice‘ und bei Martina zu ‚aspra voce‘. Die ganze Konstruktion hat offenbar keine gesicherte Grundlage, und einen Beleg, dass baxis ‚Stimme‘ im Sinne einer bestimmten Artikulationsweise bedeuten könne, gibt es anscheinend nicht; daher dürfte es sich nicht empfehlen, von dem abzuweichen, was durch die Grundbedeutung gedeckt ist und einen plausiblen Sinn ergibt. 1375b Vgl. zur Bedeutung Page: „… we have an easy remedy – to part company.“ 1376 ‚dazu‘: sc. sich zu trennen.
394
Exodos: 1377–1379
Ia. Me.
Überlass’ es mir, diese Toten zu begraben und zu beweinen! Bestimmt nicht, da ich sie mit eigener Hand bestatten werde; ich bringe sie in das Heiligtum der Göttin Hera Akraia,
1377
Ια. Μη.
θάψαι νεκρούς μοι τούσδε καὶ κλαῦσαι πάρες. οὐ δῆτ’, ἐπεί σφας τῇδ’ ἐγὼ θάψω χερί, φέρουσ’ ἐς Ἥρας τέμενος Ἀκραίας θεοῦ,
1377
1378 οὐ δῆτ’] „Refusing to obey a command or follow a suggestion.“ (GP 275 [v])
Kommentar
395
1377 Iason zeigt mit seiner Bitte erstmals eine emotionale Reaktion auf den Tod seiner Kinder. 1378–1388 Die Antwort Medeas ist ein zweiteiliger Ausblick in die Zukunft, (1) eine Erklärung, dass nicht Iason, sondern sie selbst die Kinder bestatten und einen Sühnekult für die Tötung der Kinder einrichten werde (1378– 1383), (2) eine Ankündigung ihres und Iasons zukünftigen Schicksals (1384– 1388). Zwar handelt es sich bei der Stiftung eines Kults und der Iason betreffenden Prophezeiung um Elemente, die eigentlich einer Dea ex machina eignen, aber daraus ist nicht zu schließen, dass Medea aufgrund ihrer ungeheuerlichen Tat am Ende des Dramas gewissermaßen aus der menschlichen Gemeinschaft ausscheide, denn sie kündigt für sich selbst ein ‚normales‘ menschliches Leben in Athen an. Insgesamt dienen die Verse der weiteren Vernichtung Iasons: Ihm wird das Begräbnis seiner Kinder verweigert, Medea erweckt den Eindruck, durch die stellvertretende Sühnung habe sie die von Iason genannten Rachegeister (1371) nicht zu fürchten, sie erwartet ein sicheres Asyl in Athen, und schließlich wird dem Argonauten-Heros ein unheroischer Tod prophezeit. Euripides lässt in seinen Tragödien am Ende des Öfteren einen Deus oder eine Dea ex machina Anweisungen geben, Kulte stiften oder die Zukunft weissagen (vgl. u. a. Hipp. 1423–1430; Andr. 1239–1242; IT 1435–1474; Or. 1625– 1665). Auch eine sterbliche Person kann für die Zukunft etwas ankündigen (Eurystheus, Herakl. 1026–1042). Dass aber eine Dea ex machina-artige Funktion recht umfänglich von der menschlichen Hauptfigur eines Dramas ausgeführt wird wie hier in der Medea (vgl. bes. 1378–1388), ist in den erhaltenen Dramen singulär. Vgl. auch Einf., S. 23, Anm. 80. 1378–1381a Iason die Bestattung zu verwehren ist ein weiterer Stich gegen ihn. Das Begräbnis der Kinder in einem heiligen Bezirk soll die Gräber vor feindlichem Zugriff schützen. Ein Heiligtum der Hera Akraia (Hera, die ‚auf den Höhen wohnt‘, Gattin des Zeus und auch Schutzgöttin der Ehe), das Medea als Schutzzone für die Gräber der Kinder vorsieht, gab es tatsächlich in klassischer Zeit auf der Landspitze Perachora im Golf von Korinth (vgl. Sinn 1990, 53–116). Zu weiteren Einzelheiten (Versionen des Parmeniskos, Kreophylos und Eumelos) vgl. Einf., S. 8–10. 1378 ‚Hand‘: Es ist Medeas Hand, mit der einst das Ehegelöbnis besiegelt wurde (21 f.), das Iason dann brach, und die die Kinder getötet hat. Aber vielleicht zielt die Betonung, dass sie mit eigener Hand für das Grab der Kinder sorgen will, noch auf etwas anderes. Euripides lässt in der gleichnamigen Tragödie Herakles, der seine Kinder unfreiwillig getötet hat, auf einen nomos verweisen, der nicht zulasse, dass er, der Mörder, die Kinder bestatte (HF 1358–1364). Will Medea, wenn sie Iason verweigert, die Kinder zu begraben, damit ihn als den wahren Mörder (vgl. 1366) bezeichnen, wie Tedeschi meint? Leider ist nicht klar, wie allgemeingültig dieser nomos ist. Jedenfalls will Klytaimestra Agamemnon begraben (Aisch. Ag. 1553; Holland 2008, 409), hat Orest seine von ihm ermordete Mutter bestattet (Or. 402), aber das war auch der Zeitpunkt, als sein Wahn anfing (401). Vgl. Bond 1981 zu HF 1361. Wahrscheinlich betrachtet
396
Exodos: 1380–1385
damit sich nicht einer meiner Feinde an ihnen vergeht, das Grab zerstörend; und dem hiesigen Land des Sisyphos will ich ein heiliges Fest und Opferriten stiften für die künftige Zeit als Sühne für diesen gottlosen Mord. Ich selbst werde in das Land des Erechtheus gehen und bei Aigeus, dem Sohn Pandions, wohnen. ὡς μή τις αὐτοὺς πολεμίων καθυβρίσῃ τυμβοὺς ἀνασπῶν· γῇ δὲ τῇδε Σισύφου σεμνὴν ἑορτὴν καὶ τέλη προσάψομεν τὸ λοιπὸν ἀντὶ τοῦδε δυσσεβοῦς φόνου. αὐτὴ δὲ γαῖαν εἶμι τὴν Ἐρεχθέως, Αἰγεῖ συνοικήσουσα τῷ Πανδίονος.
1380
1385 1380
1385
1380 αὐτοὺς : αὐτῶν (Hss.) – αὐτῶν ist fälschlich an πολεμίων angepasst. | καθυβρίσῃ +CP 1280 : καθυβρίσαι (Hss.) : καθυβρίσει (übergeschrieben in einer Hs.) – Die Konstruktion erfordert καθυβρίσῃ. 1382 τέλη Hss. : τέλος Σ Ilias 10,56; Choerob. Epim. p. 112; Etym. Magnum 750,44 – Der Plural ergibt die erforderliche Bedeutung. | +προσάψομεν : προσάψομαι : προσάξομεν Choerob.; Etym. Magnum : μυστηρίων – Nur προσάψομεν hat eine hier passende Bedeutung, vgl. LSJ s. v. προσάπτω Ι. 2 „attach to, bestow upon, grant“, μυστηρίων ist eine Vervollständigung von τέλη (vgl. Hipp. 25), die das Verb verdrängt hat. 1384 γαῖαν … Ἐρεχθέως] vgl. Hipp. 1095 γαῖ᾿ Ἐρεχθέως
Kommentar
397
Medea nach Iasons Verrat die Kinder als ausschließlich zu ihr gehörig und will ihm daher sogar nach deren Tod keinen Anteil an ihnen gewähren. 1380–1381a Mastronarde erwähnt einige wenige Fälle von Grabschändungen (oder der Vorstellung davon) in der Literatur: Homer, Ilias 4,176 f.; Eur. El. 323–331; Tro. 95 f.; Herodot 3,37,1; keine davon passt aber genau auf die Befürchtung Medeas (vgl. Holland 2008, 416–419); dass Medea eine Verstümmelung (maschalismos) der Leichen befürchten könnte (so Holland, ebd. 426 f.), ist durch den Text nicht gedeckt, wo ausdrücklich von Grabschändung die Rede ist. – Der Gedanke an die Bestattung in einem Heiligtum ist wohl mit den anschließend genannten kultischen Riten zusammen zu sehen. Denn es ist historisch belegt, dass die Apollon heilige Insel Delos von (sc. nicht-kultischen) Gräbern gereinigt werden musste (Thukydides 1,8,1; 3,104,1 f.). Das war allerdings 426 v. Chr., also einige Jahre nach der ersten Aufführung der Medea. 1381b–1383 Medea stiftet dem Land des Sisyphos (vgl. zu 405), d. h. den Korinthern, ein Fest zur Sühnung des von ihr begangenen Mordes, den sie selbst als ‚gottlos‘ bezeichnet und der entsprechende Rachegeister wecken könnte, die besänftigt werden müssen (vgl. Holland 2008, 420 f.). Sie ist sich also darüber im Klaren, dass es sich um eine zu sühnende Tat handelt, überträgt die Pflicht zur Sühnung jedoch auf andere, gewissermaßen als eine objektive Sühnung durch Dritte. Vielleicht möchte Euripides auch mit der rituellen Sühnung die vom Chor artikulierte Problematik der Aufnahme einer Kindsmörderin in Athen (846–850) lösen und dem athenischen Publikum die unpassende Vorstellung ersparen, dass ihr König Aigeus eine mordbefleckte, nicht entsühnte Medea aufgenommen hätte. – Parmeniskos erwähnt ein bis in seine Zeit (2. Jh. v. Chr.) bestehendes Sühnefest, bei dem die Korinther allerdings ihre eigene durch die Tötung von Kindern Medeas begangene Verletzung des Asyls gesühnt haben sollen (FGrHist / BNJ2 417 F 3,1 [= Scholion zu v. 264]). Möglicherweise gab es in Korinth einen derartigen Kult, den man mit einer mythischen Ätiologie versehen hat. Es sieht so aus, als habe Euripides diesen Ritus oder eine Geschichte von einem solchen oder ähnlichen Ritus gekannt und zur Sühnung der Tat Medeas umgestaltet. Vgl. auch die Analyse von Dunn 1994; ferner Dunn 1996, 94 f.; Scullion 1999–2000, 224 (die eine Erfindung des Euripides annehmen). 1383 ‚gottlosen Mord‘: vgl. {796}; 1014; 1243. 1384–1385 Ob mit dieser Ausdrucksweise mehr gemeint ist, als dass Aigeus Medea in seinem Haus aufnehmen wird (727 f.), ist fraglich. Zwar kann das griechische Verb das eheliche Zusammenleben von Mann und Frau bedeuten (so versteht es etwa Sfyroeras [1994, 129] und somit als Anspielung auf eine spätere Ehe mit Aigeus), aber Euripides geht in der Medea von einer Mythenversion aus, nach der Aigeus verheiratet in Athen lebt; vgl. 672 f. und zu 673. ‚Land des Erechtheus‘: Athen, wo Erechtheus in mythischer Vorzeit König war. ‚Aigeus, dem Sohn Pandions‘: vgl. zu 665–666. Zur Asyl-Gewährung vgl. 719 ff.
398
Ia.
Ια.
Exodos: 1386–1390
Du aber, wie es passend ist, wirst sterben, ehrlos, einen ehrlosen Tod, von einem Stück der Argo an deinem Kopf getroffen, nachdem du das bittere Ende deiner Heirat mit mir erlebt hast. Aber dich möge die Erinys der Kinder vernichten und die mordrächende Dike.
1390
σὺ δ’, ὥσπερ εἰκός, κατθανῇ κακὸς κακῶς, Ἀργοῦς κάρα σὸν λειψάνῳ πεπληγμένος, πικρὰς τελευτὰς τῶν ἐμῶν γάμων ἰδών. ἀλλά σ’ Ἐρινὺς ὀλέσειε τέκνων φονία τε Δίκη.
1390
1386–1388 {…} Boettiger; Müller 1952, 82: „Neben der allein wesentlichen Ankündigung eines langen kummervollen Lebens, an dem sie sich weiden will, ist die hier prophezeite Todesart unwesentlich.“ – Warum sollte Medea nicht darauf eingehen, zumal sich ein bedeutungsvoller Rückbezug zur Erwähnung der Argo am Anfang ergibt (v. 1)? vgl. auch Einf., S. 22; 48 1386 κακὸς κακῶς] vgl. 805 1387 κάρα … πεπληγμένος] Akkusativ der Beziehung, vgl. Aristophanes, Acharner 1218 κάρα λίθῳ πεπληγμένος (Tedeschi) | κάρα σὸν] vgl. Ba. 921 σῷ … κρατὶ (Page) 1388 πικρὰς τελευτὰς … γάμων] vgl. Aisch. Ag. 745 γάμου πικρὰς τελευτάς (Tedeschi)
Kommentar
399
1386–1388 Woher Medea das Wissen um das Ende Iasons hat, wird nicht gesagt, auch nicht, ab wann sie es gehabt hat. Nach einer Version des Scholions hat Iason die Bugspitze der Argo der Hera geweiht und wurde davon erschlagen, als er das Heiligtum betrat; auf diese Version scheint Euripides anzuspielen (vgl. Page). So bleibt die Fahrt mit dem Schiff Argo bis zum Ende für Iason schicksalsbestimmend, zuvor aber, so die Prophezeiung Medeas, steht ihm noch eine Leidenszeit bis ins Alter bevor (1396); vgl. Martina zu 1378–88 und zu vergleichbar symbolträchtigen Todesarten Mastronarde, S. 55. Vgl. auch zu 1394–1396 am Ende. Nach Neophron (TrGF I2, 15 F 3) hat Medea ihm einen anderen unheroischen Tod prophezeit, nämlich dass er sich erhängen werde. S. den Text im Anhang, S. 460 f. 1386 ‚ehrlos, einen ehrlosen Tod‘, wörtl.: (wenn man von der Grundbedeutung von kakos ausgeht) du wirst ‚als ein Schlechter (kakos) auf schlechte Weise (kakōs)‘ sterben. Die ‚schlechte Weise‘ bezieht sich wahrscheinlich auf den unheroischen Tod (vgl. 1387) des ehemaligen Argonauten-Helden. Um dem Wortspiel im Griechischen (kakos kakōs) nahezukommen, wurde das prädikativ auf Iason bezogene ‚schlecht‘ mit ‚ehrlos‘ übersetzt, denn Iason hat durch seinen Verrat an Medea auch seine Ehre verloren. 1388 Medea hatte geplant, Iason seine neue Ehe ‚bitter‘ werden zu lassen (vgl. 399 f.), aber auch die Ehe mit ihr hat sie für ihn ‚bitter‘ enden lassen, weil sie ihm die gemeinsamen Kinder genommen hat (1370). 1389–1404 Die emotionale Schlussauseinandersetzung zwischen Iason und Medea besteht aus rezitierten Anapästen (sog. Marschanapästen), wie sie als Signal des Auszugs von der Bühne öfter in Tragödien vorkommen. Es ist aber kein ruhiger oder in Klage bestehender Ausklang, sondern die gegenseitigen Anwürfe setzen sich unvermindert fort; vgl. Mossman. Die Szene offenbart eine durchgehende Hilflosigkeit Iasons, der sich weder mit seinem Wunsch, Erinys und Dike möchten Medea vernichten, argumentativ durchsetzen kann (1389–1393) noch mit seinem Verlangen, Kontakt zu seinen Kindern zu bekommen (1395–1404). 1389–1392 Die Todesprophezeiung Medeas kontert Iason mit einem Vernichtungswunsch (vgl. 1371), gerichtet an die durch den Mord an den Kindern zur Aktion aufgerufene Rachegöttin (Erinys) und an die Zeus-Tochter Dike (764), die Göttin des Rechts, die hier als zuständig für Mord (phoniā) bezeichnet wird (vgl. zu 1390). Medea erklärt Iasons Wunsch gleich als wirkungslos, da kein Gott auf einen Meineidigen oder einen, der Fremde (vgl. zu 1392) betrügt, höre (vgl. 1372); vgl. zu solch wirkungslosen Verfluchungen Watson 1991, 25. Mit ‚Gott‘ (1391) dürfte insbesondere Zeus gemeint sein, der als Horkios (vgl. zu 208) die Eide, als Xenios die Gastfreunde (bzw. die Fremden) schützt; vgl. Burkert 2011, 204 f.; 283; 377. 1390 Tedeschi verweist auf Aischylos’ Choephoren (311–313), wo die personifizierte Dike ruft: „Für einen blutigen / mörderischen Schlag soll die Buße ein blutiger / mörderischer (phoniā) Schlag sein.“
400
Exodos: 1391–1403
Me.
Welcher Gott oder welche göttliche Macht hört auf dich, den Eidbrecher und Fremdenbetrüger? Weh, weh, du Ekel und Kindsmörderin! Geh nach Hause und begrabe deine Frau! Ich gehe, beraubt meiner beiden Kinder. 1395 Das Trauern steht dir noch bevor; erwarte erst das Alter! O liebste Kinder! Me. Nur der Mutter, dir aber nicht! Und trotzdem hast du sie getötet? Me. Eben dir Leid zufügend. Weh mir, ich sehne mich nach dem lieben Mund der Kinder, ich Unglücklicher, ihn zu liebkosen! 1400 Jetzt sprichst du sie an, jetzt willst du sie herzen, damals stießest du sie weg. Ia. Lass mich, bei den Göttern, die zarte Haut der Kinder berühren!
Ia. Me. Ia. Me. Ia. Ia. Ia. Me.
Μη. Ια. Μη. Ια. Μη. Ια. Ια. Ια. Μη.
τίς δὲ κλύει σοῦ θεὸς ἢ δαίμων, τοῦ ψευδόρκου καὶ ξειναπάτου; φεῦ φεῦ, μυσαρὰ καὶ παιδολέτορ. στεῖχε πρὸς οἴκους καὶ θάπτ’ ἄλοχον. στείχω, δισσῶν γ’ ἄμορος τέκνων. οὔπω θρηνεῖς· μένε καὶ γῆρας. ὦ τέκνα φίλτατα. Μη. μητρί γε, σοὶ δ’ οὔ. κἄπειτ’ ἔκανες ; Μη. σέ γε πημαίνουσ’. ὤμοι, φιλίου χρῄζω στόματος παίδων ὁ τάλας προσπτύξασθαι. νῦν σφε προσαυδᾷς, νῦν ἀσπάζῃ, τότ’ ἀπωσάμενος. Ια. δός μοι πρὸς θεῶν μαλακοῦ χρωτὸς ψαῦσαι τέκνων.
1395
1400
1392 ξειναπάτου +Trikl. : ξειναπάτα (Hss.) – ξειναπάτης ist die hier metrisch notwendige ionische Form für ξεναπάτης; nur hier ist in der Mehrzahl der Hss. ein dorischer Genitiv überliefert. Da aber sonst keine dorischen Dialektmerkmale vorkommen und am Tragödienende Marschanapäste üblich sind, ist ξειναπάτου zu lesen. 1393 παιδολέτορ] Vokativ vom Adjektiv παιδολέτωρ (vgl. Aisch. Sept. 726), das maskulin und feminin gebraucht werden kann. Es wird hier (wie auch μυσαρὰ) substantivisch verwendet, oder es ist etwa γύναι zu ergänzen. 1395 τέκνων (Hss.) : παίδων – Beides ist möglich. 1396 καὶ] vgl. GP 320 (4) „(‘Wait until you are old’: that is when you will have real cause for lamentation)“ | In der ganzen Folge der Anapäste ist nur hier ein Periodenende nachweisbar. 1397 / 1398 γε / γε] Das erste γε ist limitativ, das zweite emphatisch determinativ. 1398 κἄπειτ’] εἶτα und ἔπειτα werden auch gebraucht, „um eine nicht erwartete, widersprechende Folge: doch, und da (= und trotzdem) zu bezeichnen“ (K.-G. II 281, 6) | ἔκανες Elmsley : ἔκτανες Hss. – Die Form ἔκανες ist metrisch erforderlich. 1400 προσπτύξασθαι] epexegetischer Infinitiv, στόματος ist von χρῄζω (1399) abhängig (vgl. K.-G. II 576 β)
Kommentar
401
1392 ‚Fremdenbetrüger‘: Mit ihrer Beschimpfung verweist Medea nicht nur auf den Eidbruch, sondern wendet zugleich die Beschimpfung als Barbarin (1330) in einen Vorwurf gegen Iason, der ihre Fremdheit nicht geachtet hat. 1393 Iason kann nur mit einer Beschimpfung antworten; gegen Medeas als Frage formulierte Aussage hat er kein Gegenargument. Sie geht aber auf die Beschimpfung nicht wieder ein (wie etwa in v. 1374). 1394–1396 Wenn Medea Iason brüsk auffordert, seine Gattin zu begraben, ist das innerhalb des Handlungsgeschehens ein Pendant zu den vv. 623 f., als sie ihn zur lebenden Gattin fortschickte, gleichzeitig jedoch ist es eine boshafte Entgegnung zu seinem Wunsch, die Kinder begraben zu können (1377), indem sie ihn auf seine neue Familie verweist. Iason reagiert mit demselben Wort (‚Geh‘ / ‚Ich gehe‘), er will gehen, aber nennt nicht das von ihr angegebene Ziel, sondern beklagt sein kinderloses Dasein, das Medea verschuldet habe (für die Tochter Kreons äußert er nie ein Wort der Trauer). Den Verlust der Kinder macht Medea im Gegenzug mit Verweis auf sein kinderloses Alter Iason noch bitterer; vgl. 1033 f. und zu 1032–1035a. – Ein Widerspruch zwischen den vv. 1387 u. 1396 besteht nicht (vgl. Martina zu 1396); Medea hatte nicht gesagt, wann der unheroische Tod eintreten werde. 1397–1403 Iason, für den die Kinder bisher nur Größen in seinen dynastischen Plänen waren (547–567; 914–921), scheint – zu spät – nun eine affektive Beziehung zu ihnen zu empfinden. 1397–1398 In diesen Antilabai (vgl. zu 1009) wird das Paradox des Kindermords zugespitzt: Die Mutter ermordet die Kinder, die sie liebt (vgl. 1247– 1250), um den Vater, der sie verlassen hat, zu verletzen (817), was angesichts der nun geäußerten emotionalen Hinwendung des Vaters zu den Kindern besonders effizient wirkt. Formal zeigen sich Dichte und Erregtheit des Gesprächs darin, dass in den Halbversen Medeas die Syntax der Halbverse Iasons fortgeführt wird und v. 1398 zwar metrisch vollständig ist, aber mit einer Elision endet, d. h., es wird der Eindruck erweckt, Medea könne ‚Leid zufügend‘ nicht vollständig aussprechen, da Iason ihr mit ‚Weh mir‘ (1399) ins Wort fällt; so sehr ist er getroffen. 1397 ‚O liebste Kinder!‘: Vgl. Medea in v. 1247. 1399–1400 ‚nach dem lieben Mund / der Kinder‘: Der Kuss auf den Mund signalisiert eine besondere Nähe zwischen Eltern und Kindern und ist hier ein früher kulturhistorischer Beleg für diesen Umgang miteinander (die vergleichbare Stelle v. 1070 ist später, wenn dieser Teil des Medea-Monologs unecht ist). Vgl. zu 1069–1070; 1141–1142; 1207a und insgesamt zum Kuss in der Antike das Material bei Kroll 1931. 1402a Mit ‚damals stießest du sie weg‘ bezieht sich Medea darauf, dass Iason trotz seines angeblichen Widerstands jedenfalls zunächst zugelassen hat, dass die Kinder mit in die Verbannung gehen müssen (455–462; 510–513). 1403 ‚zarte Haut‘: Die Junktur findet sich im sicher echten Text der Medea und überhaupt in der griechischen Tragödie nur hier; sie soll vermutlich die Stärke der Emotionalität zum Ausdruck bringen. Vgl. noch die entsprechende Wendung im wahrscheinlich unechten v. 1075.
402 Me.
Exodos: 1404–1410
Es kann nicht sein; vergeblich sind deine Worte gesprochen.
Medea entfernt sich langsam auf ihrem Gefährt, bleibt aber für Iason und das Publikum noch eine Zeitlang sichtbar. Ia.
Zeus, hörst du das, wie ich (von den Kindern) ferngehalten werde, 1405 was ich erleide von dieser abscheulichen und kindsmörderischen Löwin? Aber soviel nur es mir möglich ist und ich es vermag, beklage ich das und beschwöre die Götter, rufe die göttlichen Mächte als Zeugen an, dass du mir 1410
Μη. Ια.
οὐκ ἔστι· μάτην ἔπος ἔρριπται. Ζεῦ, τάδ’ ἀκούεις, ὡς ἀπελαυνόμεθ’ οἷά τε πάσχομεν ἐκ τῆς μυσαρᾶς καὶ παιδοφόνου τῆσδε λεαίνης; ἀλλ’ ὁπόσον γοῦν πάρα καὶ δύναμαι τάδε καὶ θρηνῶ κἀπιθεάζω, μαρτυρόμενος δαίμονας, ὥς μοι
1405
1410
1404 +ἔπος : δ᾿ ἔπος : λόγος – λόγος wäre ebenfalls möglich, vgl. Hipp. 214 ῥίπτουσα λόγον, 232 ἔρριψας ἔπος (Page), das brüske Asyndeton ist hier angemessener als die Verbindung mit δ᾿. 1405 Ζεῦ Hss. : ἰὼ Ζεῦ Variante in Σ | ἀκούεις (Hss.) : ὁρᾷς : ὧ Ζεῦ, τάδ᾿ ὁρᾷς Kirchhoff – ἰώ ist als Ausruf extra metrum erwägenswert; abgesehen davon, dass die Lesart ὁρᾷς weitere Änderungen nach sich zöge, beruht sie auf dem Missverständnis, dass ἀπελαυνόμεθ’ bedeute, ‚ich werde vertrieben‘ (so z. B. Kovacs, Mossman), was man nicht hören, sondern nur sehen kann. Es heißt aber ‚ich werde ausgeschlossen‘ (LSJ s. v. ἀπελαύνω II) im Sinne von ‚sie lässt mich nicht zu den Kindern‘ und bezieht sich auf Medeas Aussage in v. 1404. 1406 οἷά τε] vgl. zu 1366; was Iason erleidet, besteht in seinem Ausgeschlossensein von den Kindern (vgl. 1411 f.) 1408 γοῦν] ~ verstärktes limitatives γε (GP 450) | πάρα] vgl. zu 1347 1409 κἀπιθεάζω Blomfield : κἀπιθοάζω Hss. – ἐπιθεάζω ergibt angesichts von θρηνῶ und μαρτυρόμενος δαίμονας (1410) den passenden Sinn (ἐπιθοάζω = ‚als Schutzflehender am Altar sitzen‘) 1410 μοι (Hss.) : μου – Der dativus incommodi bietet den treffenden Sinn; μου müsste nachgestellt sein.
Kommentar
403
1404 ‚vergeblich sind deine Worte gesprochen‘, wörtl. ‚vergeblich ist das Wort hingeworfen‘. Mit ihren letzten Worten hält Medea ihre unbeugsame Härte gegenüber Iason aufrecht. Sie hat nicht nur seinen Lebensplan zerstört, sondern verweigert ihm auch noch, sich mit liebenden Gesten von den Kindern zu verabschieden. Szenerie: Wie Euripides den Schluss bei der Uraufführung inszeniert hat, wissen wir nicht. Es ist aber dramaturgisch nicht bedeutungslos, wann sich Medea auf ihrem Gefährt aus der Sicht Iasons und des Publikums entfernt. Geschieht das unmittelbar nach ihrem letzten Vers (so Mastronarde), würde Iasons Niederlage durch seine Verlassenheit bildhaft stark betont; er würde der nicht mehr sichtbaren Medea hinterherreden. Jedoch spricht er Medea bis zuletzt noch unmittelbar an (1406 [griech. Text 1407] gebraucht er sogar ein deiktisches Pronomen), was darauf hinweisen könnte, dass sie für ihn und das Publikum noch sichtbar war und erst nach v. 1414 auf ihrem Gefährt entschwindet (so Levett 2009). Jedoch lässt sich eine dramaturgisch effektive dritte Möglichkeit denken, nämlich dass Medea sich während Iasons Schlussworten langsam entfernt, sodass die Anreden noch nachvollziehbar sind, aber in ihrer Wirkungslosigkeit deutlich werden; vgl. Mossman. – Technisch gesehen wird das Fahrzeug vom Bühnenkran (vgl. zu 1317–1322) emporgehoben und hinter dem Bühnenhaus abgesenkt, sodass es schließlich dem Blick des Publikums entzogen ist. Die Zuschauer können sich vorstellen, wie Medea nach dem Begräbnis ihrer Kinder im Heiligtum der Hera Akraia nach Athen weiterreist. 1405–1414 Nach einem hilflosen Anruf ausgerechnet an Zeus (1405–1407), gegen den sich der Eidbrüchige vergangen hat (1351–1353; vgl. auch Levett, 2009, 163 f.) und der – seiner Funktion entsprechend – auf Seiten Medeas steht (157; vgl. auch 1391 f.), wendet sich Iason ein letztes Mal anklagend und klagend an Medea (1408–1414). Das Publikum erlebt einen Vater, dem es verwehrt wird, von den schließlich betrauerten Kindern Abschied zu nehmen, wie es sich eigentlich gehörte, und der nur noch bedauern kann, sie gezeugt zu haben. Ob dieser Sachverhalt Iason Mitgefühl beim Publikum einträgt (Mastronarde) oder eher nicht (Mossman), ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Mossman hat sicher recht, dass die Verabscheuungswürdigkeit von Medeas Tat nicht notwendig zu Sympathie mit Iason führen muss. Es bleibt vielleicht der Eindruck, dass der Eidbruch des undankbaren Ehemanns gegenüber einer Frau, die ein ausgeprägtes Ehrgefühl hat und sich wehrt, im Ergebnis nur Verlierer zurücklässt, einen Vater ohne Kinder, eine Mutter, die die Kinder tötet und die sich selbst Trauer prophezeit, auch wenn im Drama die Kindsmörderin triumphiert. 1406–1407 ‚abscheulichen und kindsmörderischen Löwin‘: Iason wiederholt sein Bild als Vorwurf der Wildheit, Unmenschlichkeit; vgl. 1393; 1342 (zur Löwin vgl. noch 1358). 1410 Zu Iasons Anrufung von Göttern als Zeugen vgl. 619. Dort hatte er sie als Zeugen dafür angerufen, dass er den Kindern Hilfe leisten wolle, hier ruft er sie dafür an, dass Medea ihm den letzten Liebesdienst (das Begräbnis) an den Kindern verwehrt – eine Demonstration der Hilflosigkeit.
404
Exodos: 1411–1419
die Kinder ermordet hast und mich hinderst, sie mit meinen Händen zu berühren und die Toten zu bestatten; hätte ich sie doch niemals gezeugt, sie niemals von dir vernichtet gesehen! Iason geht ab zum Königspalast. Der Chor zieht aus (schweigend oder ggf. Schlussverse rezitierend). {Ch. Vieler Dinge Wahrer ist Zeus auf dem Olymp, und vieles vollbringen unvorhergesehen die Götter. Und das Erwartete erfüllt sich nicht, doch für das Unerwartete findet einen Weg der Gott. Derart ist der Ausgang dieser Handlung.}
1415
τέκνα κτείνασ’ ἀποκωλύεις ψαῦσαί τε χεροῖν θάψαι τε νεκρούς· οὓς μήποτ’ ἐγὼ φύσας ὄφελον πρὸς σοῦ φθιμένους ἐπιδέσθαι. {Χο. πολλῶν ταμίας Ζεὺς ἐν Ὀλύμπῳ, πολλὰ δ’ ἀέλπτως κραίνουσι θεοί· καὶ τὰ δοκηθέντ’ οὐκ ἐτελέσθη, τῶν δ’ ἀδοκήτων πόρον ηὗρε θεός. τοιόνδ’ ἀπέβη τόδε πρᾶγμα.}
1415
1411 τέκνα κτείνασ’ : τέκν᾿ ἀποκτείνασ’ (Hss.) – „… τέκν᾿ ἀποκτείνασ’ makes a harsh rhythm, and the double ἀπό is unpleasant“ (Page) 1413 οὓς] vgl. zu 802 | ὄφελον : ὤφελον – Nur das augmentlose ὄφελον passt metrisch (zur Seltenheit der Erscheinung vgl. Page). 1415–1419 {…} Hartung – vgl. Komm. 1415 πολλῶν ταμίας] vgl. 169 f. ὅρκων … ταμίας.
Kommentar
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1412 Vgl. 1377; 1403. 1413–1414 Iasons irrealer Wunsch am Schluss korrespondiert mit dem entsprechenden der Amme am Anfang (1 ff.). Aber er geht auch jetzt nicht bis zum Grund der Katastrophe zurück, zu seinem Eidbruch, um ihn als ungeschehen zu wünschen. 1415–1419 Diese Schlussverse sind mit Ausnahme des abweichenden v. 1415 identisch mit den Schlussversen der Tragödien Alkestis, Andromache, Helena und Bakchen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Euripides seine Tragödien mehrfach mit denselben oder fast denselben Versen beschlossen haben sollte. Vielleicht sind sie in der Alkestis ursprünglich, wo sie inhaltlich am ehesten geeignet sind, und wurden von dort auf andere Stücke übertragen, um dem Chor Schlussverse zu geben, die aber für eine Tragödie nicht obligatorisch sind (vgl. den chorlosen Schluss von Aischylos’ Agamemnon). Die Verse passen hier inhaltlich nicht richtig, Zeus hat in der Medea als Schützer der Eide (169 f.) eine sehr spezielle Funktion, und es ist die Frage, was man als das Erwartete bzw. Unerwartete anzusehen hätte. Unerwartet ist allenfalls die von Iason für unmöglich gehaltene Flucht Medeas durch die Luft (1296–1298). Wahrscheinlich handelt es sich um einen Zusatz, der bei späteren Aufführungen gemacht wurde. Vgl. Mastronarde, Mossman und bes. die grundsätzlichen Ausführungen Barretts 1964 zu Hipp. 1462–6; anders Kovacs 1987, 267–269; 1993; 65–67; Kelly 2020, 74 Anm. 27. – Zur generellen Verteidigung solcher Schlüsse vgl. Roberts 1987. 1415 Wenn die vv. 1415–1419 echt sein sollten oder bei späteren Aufführungen als Zusätze angehängt wurden, ist anzunehmen, dass der Chor mit diesen ‚Marschanapästen‘ auszog. ‚Wahrer‘: Zeus wird hier – wie in v. 170 – als tamias bezeichnet. Ob er entsprechend als ‚Wahrer‘ oder auch als ‚Verteiler‘ von vielen Dingen anzusehen ist, ist schwer zu entscheiden. 1417 In der Medea hofft zwar der Chor auf eine Rettung der Kinder, aber letztlich kommt für ihn der Gang der Ereignisse nicht unerwartet. 1418 ‚der Gott‘ dürfte hier im allgemeinen Sinne von ‚die Götter‘ wie in v. 1416 zu verstehen sein. Wenn der Schluss auf die Handlung in der Medea zu beziehen ist, wäre daran zu denken, dass die Fluchthilfe des Gottes Helios „unerwartet“ ist. 1419 ‚Handlung‘ : Das griechische Wort pragma bedeutet die ‚Sache‘, der ‚Gegenstand‘, hier gleichbedeutend mit ‚Handlungsgeschehen‘, ‚Drama‘.
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Abweichungen vom Text der Edition von J. Diggle, Evripidis fabvlae. Tom. I, Oxford 1984
12 68 94 106 130 153 159 240 {264} 284 317 334
Diese Ausgabe
Diggle
φυγὰς πολίταις παλαίτατοι τινα δ᾿ δαίμων, οἴκοις σπεύσει … τελευτά· εὐνάταν ὅπως
† φυγῇ πολιτῶν † παλαίτεροι τινι ἀπ᾿ δαίμων οἴκοις, σπεύσεις … τελευτάν; εὐνέταν οἵωι 264 τοῦδε δείγματα βουλεύηις † πονοῦμεν ἡμεῖς κοὐ πόνων κεχρήμεθα. † 368–394 407–409 δ᾿ στρέψουσι μοῦσαι πόντου κλύων δόμον εἶτά σοι γὰρ γῆμαί μέτευξαι ἀφείης οἰκτιρεῖ κλύειν 710 {725–726} τοσόνδε 729, 727, 728
τῷδε δείματι βουλεύσῃς πονοῦμεν ἡμεῖς κοὐ πόνων κεχρήμεθα.
{368–394} {407–409} 413 τ᾿ 416 στρέφουσι 421 Μοῦσαι 434 Πόντου 474 κλυών 487 φόβον 549 εἶτα σοὶ 573 τἄρ᾿ 594 τλῆναί 600 μετεύξῃ 634 ἐφείης 657 οἰκτερεῖ 678 κλυεῖν {710} {725–728} 725 τοσόν γε 727, 728, 729
410 {732} {748} 777 ὡς … ταὐτὰ … γαμεῖ {794–796} {807–810} 850 μέτ᾿ ἄλλων 856–857 ἢ φρενὸς ἢ / χειρὶ † τέκνων † σέθεν 878–879 οὐκ … / θυμοῦ – τί πάσχω; – θεῶν … καλῶς; 882 ἐννοήσασ᾿ 890 χρή 938 ἀπαίρομεν 945 Medeia zugewiesen 989 ὑπερφεύξεται 1037 ἐμόν 1077 πρὸς σφᾶς 1085 Μοῦσα 1107 βιοτὴν 1111 Θάνατος 1141 κύνει 1150 νεάνιδος χόλον 1207 κύνει 1221 †… † 1243 μὴ ⟨οὐ⟩ 1269 ἐπάγει δ᾿ ἅμ᾿ nach 1270 ⟨Παῖδες⟩ 1285 ἐξέπεμψε 1295 τοῖσδ᾿ ἔτ᾿ {1299–1300} 1366 νεόδμητοι 1371 οἶμαι
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732 748 † ὡς … ταῦτα … ἔχει † 794–796 807–810 μέταυλον † ἢ φρενὸς ἢ χειρὶ τέκνων σέθεν † οὐκ … / θυμοῦ; τί πάσχω, θεῶν … καλῶς; ἐννοηθεῖσ’ χρῆν ἀπαροῦμεν Iason zugewiesen ὑπεκφεύξεται ἐμοί † πρὸς ὑμᾶς † μοῦσα βίοτόν θ᾿ θάνατος κυνεῖ χόλον νεάνιδος κυνεῖ {…} μὴ † ἐπὶ γαίαν † ⟨Παῖς⟩ ἐξέπεμπε τοισίδ’ 1299–1300 νεοδμῆτες οἴμοι
Ergänzende Kommentarbemerkungen (EK) Zur besseren Übersichtlichkeit des fortlaufenden Kommentars sind einige der umfänglicheren Erörterungen von sachlichen Details und von Echtheitsfragen hier im Anhang zusammengestellt. 1–15 Die ganz auf die Situation Medeas bezogenen Worte der Amme legen es nicht nahe, darin eine allgemeine Zivilisationskritik (so Bär 2012) zu erkennen. – Vielleicht lässt die Amme in den vv. 1 ff. auch eine gewisse Missbilligung der Entscheidung Medeas mitschwingen (vgl. 34 f. ~ ‚Jetzt merkt sie, was sie getan hat‘); man kann aus dem Text aber wohl kaum schließen, dass sie Medea abgeraten habe, mit Iason aus Kolchis wegzugehen (wie Willink 1988, 318, meint). 1 Die Argo soll nach Argos, Sohn des Phrixos (so Pherekydes FGrHist / BNJ 3 F 106) oder des Arestor (Apollonios Rhodios 1,111 f.), benannt worden sein, der das Schiff nach Anweisung Athenas ausführte (Apollonios Rhodios 1,18 f.); das Schiff galt als schnell (Pindar, Pythien 4,25 f.) und mit Sprechfähigkeit begabt (Pherekydes ebd. F 111a; Aischylos TrGF III2 F *20), weil in seinen Kielbalken ein Stück von der (weissagenden) Eiche aus Dodona (in Epirus) eingefügt gewesen sei (Apollonios Rhodios 1,526 f.). 2 Apollonios Rhodios (2,604 f.) hat die Felsen (wie schon Herodot 4,85,1) an der Einfahrt in das Schwarze Meer lokalisiert (2,345 f.), meint also den Bosporus. – Zu den von Odysseus auf der Rückfahrt zu passierenden ‚Plankten‘ (Odyssee 12,59–72) vgl. Heubeck 1989, 121, wobei in Homers Darstellung möglicherweise eine Verwechslung mit den ‚Symplegaden‘ vorliegt; vgl. zur Problematik auch Page zu v. 2. Apollonios Rhodios (4,858–860; 924–963) verortet die Plankten im Westen bei Skylla und Charybdis. Euripides nimmt an, dass Medea durch die Symplegaden nach Griechenland kam (433–435; 1263 f.), also auf demselben Weg wie auf der Hinfahrt die Argonauten (die in der Medea allerdings nicht erwähnt wird); so auch Herodoros (5. Jh. v. Chr.) FGrHist / BNJ 31 F 10; Soph. TrGF IV2 F 547; vgl. Tedeschi zu v. 432; Fowler 2013, 227. 17–19 Die Vorstellung, Iason begehe im juristischen Sinne kein Unrecht, weil Medea keine griechische Bürgerin sei (Otten 2005, 72), trifft den Sachverhalt nicht (vgl. auch Luschnig 2007, 19). Gewiss liegt keine Ehe etwa nach attischer Rechtsauffassung vor, wofür es über die Herkunft der Braut hinaus u. a. konstitutiv gewesen wäre, dass der Brautvater die Braut dem Bräutigam übergibt (ekdosis, vgl. z. B. Reinsberg 1989, 36 ff.; Oakley / Sinos 1993, 9). Aber solche Überlegungen sind hier nicht einschlägig, weil das Stück nicht in der Gegenwart der seinerzeitigen Zuschauer spielt und die Verbindung mit Iason ihre Grund-
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lage in Medeas eigenständiger und selbstverantworteter Beziehung zu Iason hat (Pindar, Olympien 13,53; vgl. auch Mastronarde zu vv. 21–2), die ganz auf dem von Iason gegebenen Eid und Handschlag beruht (21 f.; vgl. 160–163; 492–498). Diese Beziehung wird auch von den griechischen Chorfrauen als fraglos gültig angesehen. – Zur Eidesleistung zwischen Männern und Frauen in der tragischen Dichtung vgl. Hipp. 611 f.; 1060–1063 (Hippolytos fühlt sich durch den der Amme Phaidras gegebenen Eid gebunden); IT 735–790 (dazu Mossman zu 20–23). 38–43 Der Schlussteil der Prologrede der Amme, d. h. die vv. 36–45, bevor die Amme in den vv. 46–48 das Zurückkommen der Kinder erwähnt und damit zur nächsten Szene überleitet, bietet schwierige Probleme, die die meisten Editoren und Interpreten mit mehr oder weniger weitgehenden Athetesen zu lösen versucht haben. Dass alle diese Verse für echt gehalten werden (wie wohl zuletzt Tedeschi 2010, 38 f.; Gondicas / Judet de La Combe 2012, 131), ist eher die Ausnahme. Die Probleme sind vor allem folgende: (1) Die vv. 40 f. sind fast völlig identisch mit den vv. 379 f., ohne dass in den vv. 40 f. eine plausible darstellerische Absicht erkennbar wäre. Vielmehr, wenn die Amme nach der allgemeinen Befürchtung, dass Medea etwas Schlimmes tun könnte, überhaupt weiter spekulieren sollte, dann doch in diesem Stadium kaum über das technische Vorgehen (41) statt über die Gefährdungslage, etwa auch der Kinder (36); da ist die Situation in v. 380 ganz anders, wenn dieser Vers auch zu der wahrscheinlich unechten Versgruppe 368–394 gehört (vgl. Komm. zu 364–409 und u. zu 364–409, S. 414–417); möglicherweise ist angesichts wiederholter Aufführungen an mehrstufige Interpolationen zu denken. (2) In v. 40 ist unklar, um wessen Leber es sich handelt. In v. 380 ist eindeutig das Ehebett von Iason und der neuen Frau gemeint, und in v. 379 wird bei dem Plan, ins Haus einzudringen, an die neue Frau oder an Iason oder an beide gedacht sein (vgl. 375); anders Willink 1988, 315. In v. 40 sehen dagegen manche (vgl. z. B. Willink, ebd. 320 f. und die Übersetzungen von Otten und Kovacs) einen befürchteten Selbstmord Medeas ausgedrückt. Aber abgesehen davon, dass Medea dazu nicht heimlich in ihr Haus gehen müsste – Willink (ebd. 321) und Kovacs tilgen denn auch v. 41 mit Musgrave und anderen, womit diese Absurdität vermieden wäre –, entsteht auch ein Widerspruch zum näheren Kontext, besonders zu den vv. 44 f., wonach sich Medeas Aggression nach außen richtet, wie es die Amme auch später noch einschätzt (89–95). Es löst die Probleme auch nicht, nur v. 41 zu tilgen und mit Willink v. 40 für echt zu halten, v. 379 aber zu tilgen (ebd. 315 f.). (3) Sollte das in v. 41 genannte Bett (wie in v. 380) das Ehebett bezeichnen, dann könnte hier (anders als möglicherweise in v. 380) als Opfer nur die neue Frau gemeint sein, denn Iason wird am Ende von v. 42 ausdrücklich genannt, und tyrannos (42) müsste auf Kreon verweisen (wie Martina auch übersetzt, ohne damit die Echtheitsfrage entscheiden zu wollen). Die Situation ändert sich, wenn man bei v. 40 an Selbstmord denkt und v. 41 tilgt (s. aber zu (2)). Dann wäre die Alternative einerseits Selbstmord, andererseits Ermordung einer tyrannos genannten Person und Iasons. Dabei müsste man wohl annehmen, dass mit tyrannos die neue Frau bezeichnet wird, und tatsächlich kann das Wort auch
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Femininum sein. Aber bei dieser Annahme kann die Wendung kaum Euripides zugeschrieben werden (vgl. Page); denn sonst wird in der Medea das Femininum durch einen femininen Artikel oder durch den unmittelbaren Kontext (wie 877) oder durch einen pluralischen Ausdruck klar, wobei die neue Frau im Begriff ‚Königshaus‘ mit eingeschlossen wäre. So hat man denn auch den passenden Artikel (Giesing) oder den Plural (Hermann, gefolgt von Willink [ebd. 321]; Kovacs) konjiziert (vgl. TS), womit Kreon dann auf diese Weise noch eingeführt und die in v. 375 ausgedrückte Dreizahl erreicht würde. Wenn aber der Verfasser der vv. 38 ff. bei v. 40 nicht an einen Selbstmord Medeas gedacht hat und die neue Frau gemeint sein sollte, würden die zu v. 42 genannten Konjekturen nicht helfen, da dann zweimal von der neuen Frau die Rede wäre; es könnte dann mit tyrannos also nur Kreon gemeint sein, was wahrscheinlicher ist, wenn der Verfasser die vv. 379 f. nicht völlig uminterpretieren wollte. (4) Auffällig sind auch zwei sinngemäße Wiederholungen auf engem Raum: Die zweimal zum Ausdruck gebrachte Befürchtung (vv. 37 und 39) und die zweimalige Einschätzung von Medeas Wesen (vv. 38 und 44). Hinzu kommt ein wenig aussagekräftiges „Ich kenne sie“ (39), auch wenn man die Wendung als Parenthese versteht (vgl. Mastronarde). Im Zusammenhang mit den anderen Beobachtungen, die für das Wirken eines Interpolators sprechen, dürfte es wenig wahrscheinlich sein, dass die Doppelungen ursprünglich sind. Der überlieferte Text erklärt sich am ehesten so, dass (vermutlich im Rahmen einer Wiederaufführung im 4. Jh.) die dunklen Ahnungen der Amme (37; 44 f.) z. T. mit Hilfe später in der Medea vorkommender oder bereits interpolierter Verse (379 f.) im Handlungsverlauf unpassend früh zu konkretisieren versucht wurden. Wahrscheinlich sind nur die andeutenden Aussagen, und diese ohne Doppelungen, als echt anzusehen. Dieses Kriterium ließe es zu, auch v. 43 für echt zu halten (so Mastronarde), doch schließt sich v. 44 gedanklich sinnvoller unmittelbar an v. 37 an (vgl. Mossman). Hübner (1984a, 22 Anm. 5) möchte über die Athetese der vv. 38–43 hinaus die ganze Versgruppe 36–45 tilgen. Das Motiv der Furcht werde ökonomischer in den vv. 89 ff. eingeführt, wo es durch Medeas Schreien bestätigt werde, und dorthin gehöre auch der Hass auf die Kinder. Aber – um nur kurz auf diese beiden Punkte einzugehen – die Amme bezieht sich auf eine zurückliegende Beobachtung (92), die auch in v. 36 zur Sprache kommt und die sie 89 ff. steigernd aufnimmt, indem sie nun befürchtet, Medea könne den Kindern sogar etwas antun (93). Außerdem schätzt es die Amme richtig ein, dass Medea die Kinder hasst (vgl. v. 36 mit vv. 113 f.); v. 36 führt zu dem Effekt, dass das scheinbar harmlose Zurückkommen der Kinder (46 ff.) für die Zuschauer ein anderes Gewicht bekommt als ohne diese Bemerkung. 130 Man kann den griechischen Text so verstehen und entsprechend interpungieren (nach daimōn [‚Gottheit‘]), dass ‚Haus‘ indirektes Objekt zu ‚einbringen‘ ist, oder so (nach oikois [‚Haus‘]), dass sich der Zorn der Gottheit auf das Haus bezieht. Diese letztere Auffassung ist nach Page „slightly preferable“ und wird von den neueren Herausgebern ohne Diskussion übernommen. Dann ergibt
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sich die wenig plausible Akzentuierung, es komme darauf an, dass die Gottheit (aus welchem Grund auch immer) einem bestimmten ‚Haus‘ zürne. Dagegen liegt bei der hier vertretenen Interpunktion, die man in älteren Ausgaben findet (z. B. Elmsley; Nauck; Wecklein), der generelle Akzent darauf, dass das Übermaß sich an diejenigen (ihr ‚Haus‘, die Personen samt ihrem Besitz) rächt, die dafür verantwortlich sind, indem als Grund für den göttlichen Zorn das zu ergänzende frevelhafte Verhalten der Menschen stärker hervortritt. 213 ‚des unermesslichen Pontos‘: Das griechische aperantos kann sowohl ‚grenzenlos‘ als auch ‚undurchdringlich‘ (bzw. ‚woraus es kein Entkommen gibt‘, [Aisch.] PV 1078) heißen. Beides trifft für die Argonauten sachlich nicht zu, wie ihre Fahrt nach Kolchis beweist. Aber es könnte ausgedrückt sein, dass aus der Sicht der Korintherinnen nach dem Bosporus sich ein Meer von unermesslicher Weite erstreckt, womit zugleich betont würde, aus einer wie weit entfernten Weltgegend Medea gekommen ist. Alternativ könnte die Vorstellung vom ‚Ungastlichen Meer‘ (das euphemistisch das ‚gastliche‘, Pontos Euxeinos, hieß) zugrunde liegen, in das einzudringen man vermeidet (vgl. auch Komm. zu 1263–1264). Allerdings dürfte letzteres Verständnis dem athenischen Publikum, dem die zahlreichen griechischen Kolonien am Schwarzen Meer bekannt waren, nicht leicht zu vermitteln gewesen sein, ebenso wenig wie Blaydes’, von Kovacs übernommene Konjektur, wonach die Meerenge „a gateway few traverse“ ist. Vgl. zu den Problemen auch Mastronarde. 364–409 Auf die lange Rede der Medea, in der sie einen dreifachen Mord ankündigt (374 f.), darunter den des Königs, und am Ende dezidiert Frauen die Unfähigkeit zu edlen Taten, aber die Fähigkeit zu allem Bösen zuschreibt (407– 409), äußert sich der Chor begeistert über die ‚Rehabilitierung‘ des Ansehens von Frauen. Für diesen irritierenden Sachverhalt sind unterschiedliche Erklärungen versucht worden: Man stellt ein paradoxes Verhältnis zwischen dem ersten Stasimon und der vorausgehenden Szene fest (Williamson 1990, 28), spricht von „blindness“ des Chores bzw. nimmt an, dass er ignoriere, was Medea gesagt hat (Mastronarde 2010, 117; vgl. auch 119; 137), oder geht von „disloyalty to their community“ aus (Kelly 2020, 84), um einige neuere Stellungnahmen zu nennen. Angesichts dieses Problems und weiterer Ungereimtheiten, die die Versgruppe 364–409 aufweist, ist es eine Alternative zu prüfen, ob die Annahme plausibel ist, dass wirklich alle Verse des Passus auf Euripides zurückgehen. Vgl. unten zu 368–375; 386a–394; 407–409 sowie TS zu 391. In der Rede Medeas stehen sich zwei Rachekonzeptionen gegenüber: (a) Die nicht weiter konkretisierte Vorstellung, dass es noch Kämpfe und Beschwernisse für Iason, seine neue Frau und Kreon geben werde (366 f.), und das Vorhaben, ihnen die Hochzeit ‚bitter‘ zu machen (395–406), auch hier ohne Angaben, ob dabei jemand getötet werden soll, und wenn, wer. (b) Der dezidierte Plan, drei ihrer Feinde, Kreon, seine Tochter und Iason, heute ‚zu Leichen zu machen‘ (374 f.), wobei verschiedene Möglichkeiten des technischen Vorgehens erwogen werden (376–385). Es fällt auf, dass die drei Opfer aufgeführt werden, obwohl sie gerade genannt waren (366 f.). Beide Konzeptionen zugleich passen nicht recht zueinander; entweder ist Medea noch auf der Suche, wie sie sich
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rächen kann (tatsächlich fordert sie sich später zum Planen auf [402], obwohl detaillierte Planungsalternativen schon genannt sind), oder sie weiß es (mit technischen Alternativen) schon genau. Es empfiehlt sich daher, nicht nur mit Müller (1951, 67 f.) die vv. 386a–394 für unecht zu halten, oder mit Lucarini (2013, 182–185; 193; „un plot diverso“ [188 f.]) anzunehmen, dass die vv. 376–394 aus einer früheren Fassung einer Medea des Euripides stammen (vgl. dazu Einf., S. 38–41), sondern (im Ergebnis) mit Hübner (1985, 22–32) die Versgruppe 368–394 als eine Erweiterung bei Wiederaufführungen zu betrachten, entstanden aus dem Bedürfnis zu einer frühzeitigen Konkretisierung. Der verbleibende, unproblematische Gedankengang wäre dann: ‚Die Lage ist schlecht, aber noch nicht so hoffnungslos, wie ihr Frauen glaubt, noch haben Kreons Tochter, Iason und Kreon mit Schwierigkeiten zu rechnen (364–367). Denn sie werden, bei meiner Herrin und Helferin Hekate, nicht ungestraft davonkommen. Du, Medea, darfst nämlich nicht zum Gespött werden, das bist du deiner edlen Abkunft schuldig (395–406).‘ Auf dieses im Einzelnen nicht festgelegte Racheverlangen können die Chorfrauen, nachdem sie die Rache an Iason grundsätzlich für berechtigt erklärt hatten (267 f.), mit dem folgenden Chorlied passend reagieren. Wichtig ist, dass die Kinder nicht erwähnt werden (das ist belastbar, denn aus einer späteren Äußerung Medeas [513] lässt sich erschließen, dass sie noch nicht an deren Einbeziehung denkt). Ein solches allgemeines Racheverlangen Medeas, bei dem sie auf die Hilfe Hekates rechnet, entspräche der eingetretenen schwierigen Situation (364) eher als die uneingeschränkte Selbstgewissheit, sie werde heute drei ihrer Feinde töten (374 f.), ohne zu wissen, wie sie es machen will. – Zu einer alternativen Betrachtungsweise vgl. Steidle 1968, 152 f.; Mossman, S. 251–256; außerdem die ‚unitarische‘ Deutung von Schadewaldt 1926, 189–193, sowie Christmann 1962, 61–80, jedoch wird dabei u. a. das Verhältnis zum folgenden Chorlied nicht bedacht. Zu einzelnen Partien: 368–375 „These are shocking lines“ (Mossman, gemeint ist die Offenlegung des Missbrauchs der Hikesie) – für wen? Den Chor, die attischen Zuschauer, die heutigen Leser? In der Tat ist Medeas Hikesie ‚hinterlistig‘, eine Vorgehensweise, die für den Chor doch den Männern eigen ist (413). Die Chorführerin hatte das Taktieren Medeas anscheinend nicht durchschaut, wie ihre Reaktion auf das Gespräch mit Kreon zeigt, in der sie nur einen Misserfolg konstatiert (358–363; vgl. Komm.), und daher stellt sich die Frage, warum Medea sie auf die Hinterlist hinweist und der Chor dann Hinterlistigkeit den Männern zuspricht. Es geht in diesen Versen aber auch um die Ankündigung des dreifachen Mords. Der Chor übt nicht nur keine Kritik, sondern äußert sich in seinem Lied (410 ff.) begeistert. Als Medea ihren endgültigen Plan eröffnet hat (772–810), wobei sie sich bewusst ist, dass die Korintherinnen nicht nur den Mord an den Kindern, sondern auch den an der Königstochter nicht billigen werden (vgl. Komm. zu 773), reagieren sie zwar besonders über den Kindermord entsetzt (816), aber zuvor verbieten sie Medea in feierlicher Form ihren Gesamtplan
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(811–813), also die Ermordung der Königstochter und der Kinder. Außerdem plant Medea hier, den König zu ermorden, wozu der Chor erstaunlicherweise nichts sagt. Wenn Medea an dieser Stelle (374 f.) ihren (derzeitigen) Plan enthüllt, der sich gegen drei ihrer Feinde richtet, Kreon, dessen Tochter und Iason, wird es Kenner des Argonauten-Mythos irritiert haben, dass auch Iason getötet werden soll, da darin sein Tod durch Medea nicht vorkommt (nur der späte Hygin überliefert, Iason und Kreon seien zusammen mit dessen Tochter verbrannt; Fabulae 25,3). Im Drama wird Medea ihn am Ende nicht töten, sodass die Handlung wieder in den traditionellen Mythos einbiegt. Andererseits ist von der Tötung Iasons durch Medea nur hier die Rede, sodass man fragen kann, ob es sich um ein echtes Element der Planentwicklung handelt (im Sinn einer suggestio falsi durch den Dichter) oder ob hier ein präziserer Plan eingeschoben wurde, als er an diesem Punkt bei Medea besteht. Ausgangspunkt könnten die vv. 163 f. gewesen sein, wo aber nur ein ungezielter Vernichtungswunsch, jedoch kein konkreter Mordplan vorliegt. Dass Medea auch Kreon gezielt töten will, stimmt mit einer Version des Kreophylos (3. Jh. v. Chr., FGrHist / BNJ 417 F 3) überein, wonach sie ihn mit pharmaka, also mit Gift, getötet hat (vgl. Gantz 1993, I 370). Euripides lässt Medea bei ihrem endgültigen Racheplan (772–789) Kreon nicht als Opfer nennen; sein Tod ereignet sich im Verlauf der Handlung ungeplant (1204–1221). Vgl. auch Komm. zu 1354–1357. 386a–394 Dass Medea nach einer abschließenden bzw. überleitenden Zwischenbemerkung die Überlegung anstellt, wie es nach erfolgter Tat weitergehen soll, wo sie Schutz finden wird, leuchtet zunächst ein. Warum aber die Wahl der Rachemethode vom Finden eines Zufluchtsorts abhängig sein soll, ist schwer verständlich, nachdem Medea andere Mittel ausgeschlossen und sich definitiv für den Giftmord als effektivsten Weg entschieden hat (384 f.). Auch dafür könnte sie noch etwas zuwarten und notfalls den Tod riskieren, falls sie nicht schnell genug in Sicherheit käme. Gar nicht verständlich ist, wie sich die Frage innerhalb eines Tages klären soll und welche unüberwindliche Notlage, die sie aus dem Lande treiben soll (392), noch eintreten könnte. Denn die Frist, die sie bleiben darf, ist ohnehin schon auf wenige Stunden beschränkt, und insofern ist die Notlage bereits da. Auffällig ist auch, dass Medea nur von i h r e r Rettung spricht (388), als ob sie jetzt schon wüsste, dass sie die Kinder nicht mit ins Exil nehmen werde (vgl. aber 513). Hinzu kommt, dass die Verse, in denen sich Medea auf die zauberkundige Hekate beruft (395–397), nicht gut zu der in den vv. 393 f. genannten Gewalttat mit dem Schwert passen; diese Verse schließen sich nur an v. 367 oder ggf., wenn man die vv. 368–385 für echt hält, an diese an. Angesichts der genannten Probleme und Ungereimtheiten spricht viel dafür, die Versgruppe 386a–394 mit G. Müller als unecht einzustufen. Jedenfalls wäre man wohl kaum motiviert, eine Lücke zu postulieren, wenn die vv. 386a–394 nicht überliefert wären. 407–409 Nach Medeas Appell an sich selbst, sie dürfe bei ihrer vornehmen Herkunft nicht zum Gespött der Feinde werden, der einen wirkungsvollen Schluss bildet, klappen diese Verse nach. ‚Du verstehst dich darauf‘ wiederholt
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das Ende von v. 401, und es ist in sich widersprüchlich, wenn Medea ein misogynes Klischee aufgreifen sollte, um die Gegenwehr gegen das, was man ihr angetan hat, implizit als nicht edel zu klassifizieren, zumal sie sich eben erst zu tapferem Kampf und Widerstand ermahnt hat (403–406), wie es auch ein Mann tun kann (vgl. Archilochos fr. 128 West); im Hinblick darauf ist es nicht plausibel, wenn Mastronarde sagt: „With ἐσθλά [‚edle Taten‘] Medea refers bitterly to the displays of valour on which men pride themselves (248–52), from which women are excluded by the restrictive conditions of their lives …“; aber vgl. Mastronarde zu 403 (zitiert im Komm. z. St.). Nachdem sich Medea auf ihre adlige Herkunft berufen hat – es ist zu bedenken, dass sie eine vom Chor als berechtigt eingestufte Vergeltung plant (267 f.) und die Kinder darin noch nicht einbezogen sind –, die sie zur Rache als einer nach diesen Maximen legitimen Tat verpflichtet, ist es schwer nachvollziehbar, wenn sie sagt, dass Frauen zu edlen Taten ganz unfähig, zu üblen aber überaus erfinderisch seien. Ebenso wenig ist es plausibel, wenn der Chor nach dieser für Frauen abträglichen und defätistischen Äußerung triumphal eine Umkehr der Wertungen verkündet, mit der Folge, dass nun die Männer in schlechtem Ruf stehen, aber nicht mehr die Frauen. Es wird ein generelles Naturell der Frauen behauptet, das nicht dem entspricht, was Medea früher sagte, dass Frauen ein elendes, dem Mann ausgeliefertes Leben haben und furchtsam sind (230 ff.; 263). Die Verse sind daher mit Hartung sehr wahrscheinlich als unecht zu betrachten. Anders v. Fritz 1959, 60–62; Mossman: „She [sc. Medea] includes the chorus in her closing general reflection, which leads in neatly to the choral ode“; Battezzato 2020, 562: „provoking the extremely favourable reaction of the Chorus“. 410–420 Dass der Dichter den Chor mit seiner Aussage bewusst einen Kontrast zu Medeas Ausführungen über die Unfähigkeit der Frauen zu edlen Taten hätte bieten lassen wollen, ist auszuschließen, da er ihn im Strophenpaar 2 mit Empathie auf Medeas Schicksal eingehen und sie nach wie vor in der Rolle des Opfers sehen lässt. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass der Chor die „gender-identity“ mit Medea über die Loyalität zu seiner Polis stellt (so aber Swift 2013, 133, generell zur Haltung des Chores); den endgültigen Racheplan Medeas wird er verurteilen (811–813). Zur Erklärung des Verhaltens des Chores (410–420) bleiben die alternativen Annahmen, dass der Chor als völlig verständnislos gegenüber dem, was Medea gesagt hat, erscheinen sollte oder dass Medea ursprünglich nicht alles gesagt hat, was als ihre Worte in den Handschriften überliefert ist (vgl. die obigen Ausführungen zu 364–409, S. 414–417), sodass Medeas Äußerungen und die des Chores sich harmonisieren lassen. Letzterem Modell könnten auch die Zuschauer leichter folgen, denn was sollten sie aus einem Aneinander-Vorbeireden zwischen Medea und Chor an dieser Stelle folgern? Ein Gegensatz ergibt sich nachvollziehbar erst, als Medea ihren endgültigen Plan enthüllt hat (811–813). Jedoch enthält der Triumph des Chores hier ein Element der Verblendung: Er kann sich (noch) nicht vorstellen, dass die Maxime Medeas, sich als Frau nicht dem Gelächter der Gegner auszusetzen
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(404), an der sie festhält (797), bis zur Konsequenz des Kindermords führen wird. Falls in den vv. 415–420 die Erwartung auf eine rühmende (epische) Dichtung impliziert sein sollte, wird daraus angesichts des Kindermords nichts werden; vgl. auch Hopman 2008, 169–175; Gondicas / Judet de La Combe 2012, XIX. 526–528 Iason behauptet, für seine ‚Fahrt‘, also nicht nur in Kolchis, sei von den Göttern nur Aphrodite (Kypris) die Retterin gewesen; aber bereits Homers Odyssee nennt Hera (12,72), und spätere Zeugnisse (Apollonios Rhodios; Scholion zu Med. 527) kennen die Hilfe Athenas und Heras. So soll Athena beim Bau der Argo (Apollonios Rhodios 1,18 f.) und bei der Fahrt durch die Symplegaden geholfen haben (2,537–606). Athena und Hera zusammen wollen Aphrodite zur Hilfe gewinnen (3,7 ff.). Hera habe Ankaios die Lethargie der Argonauten beenden lassen (2,865 f.; 894 f.), und in den Büchern 3 und 4 des Apollonios ist von zahlreichen Eingriffen Heras in die Handlung die Rede. Iasons würdigt also nicht nur die Hilfe Medeas herab, sondern blendet auch die Hilfe anderer Götter aus, von denen die mit der Odyssee vertrauten athenischen Zuschauer zumindest Hera haben vermissen können. 723–730 Manche Editoren und Interpreten halten die vv. 723–730 in der in den Handschriften überlieferten Reihenfolge für echt (zuletzt Kovacs; Maravela-Solbakk 2008 [mit umfassender Übersicht über die vorgebrachten Lösungsvorschläge]; Tedeschi; Martina). Jedoch überschneiden sich die vv. 725–728 inhaltlich teilweise mit den vv. 723 f. (getilgt von Hirzel) und 729. Überdies sind die vv. 725 f. in einem Papyrus des 3. Jh.s n. Chr. ausgelassen; Diggle, Mastronarde und Mossman folgen der Papyrus-Überlieferung. Derselbe Papyrus überliefert die Verse in der Reihenfolge 724 (725, 726 fehlen im Papyrus), 729, 727 (dies wird von Diggle, Mastronarde und Mossman ebenfalls übernommen). Das ergibt zwar eine plausiblere Gedankenfolge als die Anordnung der Verse in den Handschriften, aber auch so bleiben noch gedankliche Wiederholungen: v. 727 entspricht sachlich v. 723b, v. 728 nicht nur inhaltlich v. 724, sondern steht in seiner markigen Diktion in einem gewissen Widerspruch zu der vorsichtigen Formulierung in v. 724. Außerdem geht bei der Versfolge 728, 730 die Begründung in v. 730 ins Leere, weil nicht klar wird, dass die Gastfreunde (xenoi) Leute sind, mit denen es sich Aigeus nicht verderben will, z. B. Kreon (vgl. Maravela-Solbakk 2008, 456 f.). Wenn man die Wiederholungen nicht als rhetorische Strategie des Aigeus erklären will oder als Signale des Dichters, um das Problem zu akzentuieren, wie Medea aus Korinth ohne Hilfe des Aigeus wegkommen soll (Maravela-Solbakk 2008, 457–460), bietet sich die Lösung Kirchhoffs (aufgenommen von Hübner 1987, 206–208) an, die vv. 725–728 zu tilgen; dann braucht kein Vers umgestellt zu werden, das Problem, wie Medea nach Athen kommen wird, ist auch so zur Sprache gebracht, und die vv. 729 f. schließen sich gedanklich gut an v. 724 an: Aigeus will sowohl gegenüber Medea Gerechtigkeit walten lassen als auch an seinen Gastfreunden (außerhalb seines Territoriums) nicht schuldig werden, indem er auf deren Gebiet Medea Hilfe leistet. Im Übrigen wirkt Medeas Bestehen auf einer eidlichen Zusicherung durch Aigeus (731 ff.) motivierter, wenn er nur eine vorsichtige Zusage
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gegeben hat (724), als wenn er auch v. 728 gesprochen hätte (vgl. Hübner 1987, 207). van Looy erwägt, die Verse folgendermaßen anzuordnen: 725 {726} 729 730 727 728. Dabei wird eine kaum plausible Verwirrung in der Überlieferung angenommen, und die oben ausgeführten Probleme bleiben bestehen. 800–806 Da die vv. 800 ff. sich inhaltlich unmittelbar an die sicher unechten vv. 798f. anzuschließen scheinen, stellt sich die Frage, ob sie eventuell auch unecht sind (daher von Hirzel 1862, 74, einschließlich der vv. 807–810, athetiert, dem Hübner 1984a, 36–38, folgt). Der ‚Anschluss‘ ist aber nur äußerlich (vgl. ‚Haus‘ [oikos] 799 und ‚Haus‘ [domous] 801) ohne inhaltlichen Bezug zwischen den genannten ‚Häusern‘. Dagegen fügen die Verse als Erklärung, wie Medea zu ihrer Entscheidung, die Kinder zu töten, gekommen ist, etwas Substanzielles hinzu: D. h., nach dem Entschluss zum Kindermord vergegenwärtigt sich Medea, dass ihre ‚Ursünde‘ der Verrat an ihrer Familie war, als sie Iason vertraute (vgl. Leo 1880, 320 [‘zwar sündige ich, aber nicht erst jetzt: damals sündigte ich u. s. w.’]; Reeve 1973, 147; anders Hübner 1984a, 36). Und da sie sich, ihrerseits von Iason verraten, nach ihrem Ehrenkodex an ihm rächen muss, ergeben sich für sie die in den vv. 772–797 (unter Ausschluss der vermutlich späteren Zusätze vv. 794–796, vgl. Komm.) genannten Pläne. Die vv. 800 ff. folgen also sinnvoll auf v. 797, und es ist daher wohl so, dass die vv. 798 f. sekundär gegenüber den vv. 800b–801a sind (vgl. Komm. zu 798–799). 807–810 Man könnte die Verse in folgender Weise verstehen: Sie schließen sich als begründendes Asyndeton an v. 806 an. Medea bekennt sich nun selbst zu der Wehrhaftigkeit, welche die Amme bereits von ihr angenommen bzw. befürchtet hatte (37; 44 f.; 119–121; 171 f.), womit sie gleichzeitig ihre Haltung gegenüber den korinthischen Frauen rechtfertigt. Sie fühlt sich einer Ethik verpflichtet, die man als vorsokratisch bzw. vorplatonisch einordnen könnte. Vgl. Komm. zu 90–95 sowie z. B. Archilochos, fr. 23,14 f. West: „Ich verstehe mich darauf, den Freund als Freund zu behandeln, den Feind aber zu hassen …“; Solon, fr. 13,4–6 West: Der Sprecher möchte bei allen Menschen in gutem Ruf stehen, d. h. „den Freunden angenehm zu sein, den Feinden aber bitter, ehrwürdig anzusehen den einen, furchteinflößend den anderen“. Bei Solon ist diese Einstellung ausdrücklich mit gutem Ruf verbunden (v. 4), wie es auch Medea hier formuliert (810), dem genauen Gegensatz des zu meidenden VerlachtWerdens (797). Außerdem könnte man damit argumentieren, dass v. 808 die Grundlage für den unechten v. 304 bilde. – Vgl. zu diesen Grundsätzen griechischer Adelsmoral Knox 1977, 202. Doch gibt es gegen eine solche Deutung erhebliche Bedenken. Dass sich Medea faktisch so verhält wie in den vv. 807–809a beschrieben, steht zwar außer Frage. Ob es in ihrer emotional aufgewühlten Situation (vgl. bes. 791) allerdings wahrscheinlich ist, dass sie sich mit solch grundsätzlichen Maximen befasst, kann bezweifelt werden. Außerdem hat sie nach v. 793 keinen Grund, ihre Tatkraft zu betonen, und ihre Einstellung zu den Feinden wurde bereits in den vv. 764–767 sehr deutlich, so dass die vv. 807–809a nichts substanziell Neues
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bringen. Ein besonderes Problem bietet v. 810 (zusammen mit 809b). Medea hat sich unter Qualen entschlossen, die Kinder zu töten (791–793), weil sie es nicht ertragen kann, von den Feinden verlacht zu werden (797; vgl. 404; 1355; 1362). Gegenüber diesem sich durchhaltenden Motiv wirkt der Ruhmesgedanke isoliert und verträgt sich schlecht mit v. 791; nichts spricht dafür, dass Medea mit dem Kindermord Ruhm erwerben will (vgl. 1383). – Mit den ‚Freunden‘ (‚Lieben‘), 809b, könnten Leute wie Aigeus oder die korinthischen Frauen gemeint sein, die mit ‚ihr Lieben‘ (z. B. 765) angeredet werden; doch sind die ‚Lieben‘ auch die Kinder (1250), denen gegenüber Medea bei ihrer geplanten Mordtat gerade nicht als ‚wohlgesinnt‘ bezeichnet werden kann. Bereits L. Dindorf soll 1825 diese Verse getilgt haben, jedoch ist in seiner Euripides-Ausgabe dieses Jahres dazu nichts zu finden. Wenn man sich für diese plausible Tilgung entscheidet, bietet v. 806 einen dramatisch wirkungsvolleren Abschluss, an den sich das Verdikt des Chores unmittelbar anschließen kann. Vgl. auch Hübner 1984a, 37 f. 1019–1020 Wenn Medeas Anordnung an den Paidagogos auch seine Gemeinschaft mit den Kindern betreffen sollte, muss man annehmen, dass die Kinder mit ihm ins Haus gehen, ohne dass es verbal signalisiert würde. Danach werden sie von Medea aber noch über viele Verse hinweg angesprochen (1021– 1039), weswegen sie wahrscheinlich auf der Bühne bleiben und vermutlich (ebenfalls ohne Verbalisierung) nach v. 1039 abtreten. Wer die vv. 1040–1055 für echt hält, die vv. 1056–1080 aber für unecht, wird davon ausgehen, dass die Kinder erst nach v. 1053 von der Bühne gehen, diesmal dann sehr wahrscheinlich ohne den Paidagogos, von dem nicht mehr die Rede ist (vgl. auch Griffiths 2020, 76). Nach ihrem Entschluss, zur Tat zu schreiten, müsste Medea eigentlich mit hineingehen, aber offensichtlich ist sie in den vv. 1116 ff. auf der Bühne, die Ankündigung zur Tat geht ins Leere (vgl. auch. Komm. zu 1053–1055). Betrachtet man die vv. 1056–1080 als von wem auch immer verfasste Fortsetzung der vv. 1040–1055, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Kinder die Anweisung in v. 1053 ignorieren (vgl. dazu Battezzato 1991, 126 ff.) und erst nach v. 1076 ins Haus gehen; um diese Anomalie zu vermeiden, wird alternativ angenommen, dass die Kinder bei v. 1053 die Bühne verlassen und sie bei v. 1069 wieder herausgerufen werden (so Martina III zu 1069; Griffiths 2020, 75– 77; für Mossman [zu 1069] nicht akzetabel), obwohl der Autor der vv. 1056– 1080 bereits in v. 1068 durch das deiktische Pronomen (‚diese hier‘) zu erkennen gibt, dass er die Kinder für anwesend hält. Vgl. zu den dramaturgischen Problemen auch Bain 1977, 26–27; 1981, 33 und Lucarini 2013, 168–172 (die die vv. 1056–1080 für unecht bzw. jedenfalls nicht hierher gehörig halten). Diese dramaturgischen Inkonsistenzen stützen eher die Annahme, dass die vv. 1040–1080 unecht sind (vgl. dazu u. zu 1040–1055, S. 421–423, und zu 1056– 1080, S. 423–428) und es die geringsten Probleme gäbe, wenn die Kinder nach dem als sicher echt erachteten Text (1021–1039) ohne ausdrückliche Aufforderung von der Bühne gehen. 1021–1080 Von den drei Teilen der langen Rede Medeas (1) 1021–1039, (2) 1040–1055 und (3) 1056–1080 ist nur Teil (1) unumstritten. Den meisten Interpreten gilt auch Teil (2) als echt (anders Hübner 1984b; nach Diggle 2008
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teilweise unecht). Hoch umstritten ist dagegen Teil (3). Er wird einerseits uneingeschränkt für echt gehalten; vgl. unter den Neueren u. a. Seidensticker 1990; Allan 2002, 90; Tedeschi 2010; Gondicas / Judet de La Combe 2012, bes. 145–164; Rutherford 2012, 318 (mit Vorbehalt); ähnlich van Looy 1992; Harder 1993, 382 Anm. 22; Mastronarde 2002 und Martina 2018, die nur die vv. 1062 f. als Dublette von 1240 f. tilgen. Andererseits wird er insgesamt für unecht erklärt, seit ihn Th. Bergk (1884, 512 Anm. 140) als euripideische Dublette (zu den vv. 1040–1055) deklariert hatte (nach Lucarini 2013, 188 f., 193, stammen die vv. 1056–1080 aus einer früheren, euripideischen Fassung der Medea). Der grundlegende Beitrag für die Unechtheit stammt von M. D. Reeve (1972) nach dem Vorgang von G. Jachmann (1936, 193 Anm. 1; 214 Anm.1) und G. Müller (1951); dazu neben anderen jetzt auch Lucarini, ebd. 163–175, nach dem die vv. 1056–1080 kein Bestandteil der vorliegenden Medea sein können. Zwischen diese Positionen einzuordnen sind zahlreiche Versuche, die Probleme des Textes durch Tilgung einzelner Versgruppen zu lösen (vgl. die Angaben in TS). Wie schwer eine Entscheidung fallen kann, zeigt sich daran, dass Diggle in seiner Ausgabe von 1984 Teil (3) insgesamt ausschied, in einem Beitrag von 2008 aber aus dem bisher zumeist für echt gehaltenen Teil (2) nun die vv. 1044–1048 und 1053–1055 tilgte, aus Teil (3) nur noch die vv. 1056–1066. Auch was den literarischen Rang angeht, liegen die Urteile weit auseinander; sie reichen für die vv. 1056–1080 von der Einstufung als „Spottgeburt“ (Jachmann 1936, 193 Anm. 1) bis zu der Einschätzung Martinas (III, S. 340, aus dem J. 2018): „Persistere oggi a ritenere non genuine parti di questo monologo significa precludersi la possibilità di comprendere Euripide.“ Vgl. auch Hose 2008, 54: „Medeas Monolog ist der Höhepunkt des Stückes“ (anders jedoch 2020, 27, wo „die Verstärkung der Medea-Rolle“ in den vv. 1056–1080 als „denkbare Maßnahme“ eingestuft wird). Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass die Echtheitsdiskussion, die hier nur selektiv besprochen werden kann, nie zu einem allgemein anerkannten Ergebnis kommen und es immer Verfechter einer zumindest weitgehenden Echtheit der vv. 1040–1080 geben wird, aber auch Interpreten, die diesen Passus (oder wenigstens die vv. 1056–1080) nicht als originalen Bestandteil der Medea anerkennen können. 1040–1055 Vgl. zu den Problemen des Textes die detaillierte Analyse von Hübner 1984b, der die folgenden Ausführungen mit z. T. anderen Argumenten verpflichtet sind. Medea ist schmerzlich berührt (1042) vom ‚allerletzten Lachen‘ der Kinder (1041). Dazu v. Arnim (1886): „Dieser Vers und ὄμμα φαιδρόν 1043 setzen voraus, daß die Kinder, ganz verständnislos für Wort und Stimmung der Mutter, dieselbe fröhlich anlachen.“ Der Text ist durch v. Arnim insoweit richtig beschrieben, als eigentlich nur ein fröhliches Lachen der Mutter Schmerz bereiten könnte. Aber die Kinder sind nicht so kindlich (Hübner, ebd. 411, verweist auf v. 1278) bzw. verständnislos (vgl. Komm. zu 82 / 89; 82–84; 98; 1021–1039; 1278), dass sie den Ernst der Situation nicht erfassen könnten. Allenfalls könnte
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man sich vorstellen, dass sie auf die vorherige Abschiedssituation mit einem verlegenen Lächeln reagieren, das Medea in ihrem Sinne interpretierte. Auffällig ist die veränderte Sprechhaltung der Medea: Während sie sich bisher in Gegenwart der Kinder gegenüber dem Paidagogos (1002–1020) und bei der Abschiedsszene doppelsinnig ausdrückte, äußert sie sich nun direkt. Auch wenn sie sich den Chorfrauen zuwendet (‚ihr Frauen‘, 1043), müssen die Kinder, die erst in v. 1053 weggeschickt werden, mitbekommen haben, dass ihre Mutter nun plötzlich erwägt, sie ins Exil mitzunehmen, wo sich doch gerade durch ihren Bittgang die Möglichkeit des Bleibens eröffnet hatte, und dass die Mutter davon spricht, dass sie etwas erleiden sollen (1046), und sie ins Haus schickt. Die Interpreten, die den Text für euripideisch halten, nehmen an, dass die Kinder wegen ihrer Kindlichkeit womöglich nicht verstehen können, was vorgeht (Mastronarde, Martina), aber diese Annahme entspricht nicht den sonstigen Angaben über sie (vgl. o. S. 421). Über die Irritation der Kinder kann man nur spekulieren, aber dass Medea überhaupt erwägt, sie mit ins Exil zu nehmen, hat im bisherigen Stück keinen Anhalt. Gegenüber Aigeus hatte Medea nur um Asyl für sich selbst gebeten, die Kinder nicht einmal erwähnt, obwohl Nachkommenschaft für Aigeus von großer Bedeutung ist (709–713). Lucarini (2013, 167 f.) hält es für gegeben, dass Medea die Kinder in dem von Helios bereitgestellten Gefährt hätte mitnehmen können, aber das setzt voraus, dass sie schon lange davon gewusst hätte; als sie dieses Gefährt bekommt, hat sie jedenfalls die Kinder bereits getötet. In den vv. 1044–1048 verwirft Medea ihre früheren Pläne (bouleumata), dem Kontext nach müssen es die in den vv. 769 u. 772 genannten sein. Jedoch haben die ‚Pläne‘ jetzt einen anderen Inhalt. Bezogen sie sich dort auf die Intrige gegen die Königstochter (die zu deren Tod führt) u n d die Ermordung der Kinder, kann jetzt, nachdem der Anschlag gegen die Tochter Kreons bereits im Gange ist, nur noch der Kindermord gemeint sei; die früheren Pläne können nicht mehr insgesamt revidiert werden. Der neuerliche Umschwung (1049–1052) wird ausgelöst durch die Rückbesinnung auf Medeas in v. 797 genannte Maxime (in der Wendung von v. 404 aufgenommen). Unklar bleibt hier, wer mit den Feinden gemeint sein kann, die Medea nicht ungestraft sein lassen will (1050). Die ‚Bestrafung‘ der Königstochter ist bereits eingeleitet, daher kann eigentlich (da Kreon kein ausdrückliches Ziel der Racheplanung war) nur Iason gemeint sein. Aber Medea gebraucht sonst nie eine pluralische Wendung in Bezug auf Iason allein (zu ἐχθρῶν, 797, vgl. Komm. zu 797). Uneindeutig ist auch (wörtl.) ‚Ich muss diese (Dinge) wagen‘ (1051), womit nach dem Stand der Handlung nur der Kindermord gemeint sein kann. Es ließe sich einwenden, Medea könne sich nicht deutlicher ausdrücken, weil die Kinder dabeistünden. Zuvor hatte sie aber deutlich von der Bestrafung ihrer Feinde gesprochen (1050), während die Kinder doch annehmen mussten, dass man sich einvernehmlich geeinigt habe (895–898; 1001–1003). In den vv. 1053–1055 schickt Medea die Kinder ins Haus, vermutlich weil sie, so wie sie sich ausdrückt, unmittelbar im Inneren zur Tat schreiten will, wozu sie mit ihnen hineingehen müsste. – Medeas Bemerkung, dass es jeder-
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manns eigene Angelegenheit sei, wenn es ihm gegen göttliches Recht verstoße, bei ihrem Opfer dabeizusein, und ihre Willensbekundung legen die Erwartung nahe, dass der Kindermord nun unverzüglich bevorsteht (vgl. auch Luschnig 2007, 98 f.). Der Hinweis Medeas ist wohl als eine Art Umkehrung der Abweisung von Unreinen bei einem rituellen Opfer zu verstehen (vgl. Mastronarde). Allerdings ist das ‚Opfer‘ ein Racheakt, ein gottloser Mord (1383), wie die euripideische Medea weiß; in HF 451 u. 453 wird ‚Opfer‘ von einer Mordtat im Sinn von ‚Schlachten‘ gebraucht (vgl. auch Andr. 506; Or. 562, jeweils mit negativer Konnotation; Martina III 339 zu 1053–5). Angesichts dessen wird es fraglich, ob Euripides ‚seine‘ Medea, die unter der Tötung der Kinder leidet, ihre Tat mit einem solchen Nebensinn hätte befrachten lassen. Ebenso wenig ist es angesichts der klaren Aussage in den vv. 803–806 wahrscheinlich, es liege ein Opferritual in dem Sinn vor, dass Unschuldige (die Kinder) für einen Schuldigen (Iason) wie „sacrificial victims“ geopfert würden (so Pucci 1980, 132– 134). Wie dem auch sei, da die Ermordung der Kinder erst viel später stattfindet, handelt es sich bei den vv. 1053a–1055 jedenfalls um eine vorgezogene sachliche Dublette zu den vv. 1236–1250. Es passt auch nicht zusammen, wenn Medea jetzt unmittelbar zur Tat schreiten will, woran sie niemand hindern würde, später aber sagt, dass sie auf den Boten warte (1116). Man hat versucht, einen Teil der Anstöße durch kleinräumigere Tilgungen zu beseitigen. So hat Nauck v. 1045 athetiert, sodass vom Exil nicht mehr die Rede ist, und Diggle (2008, 407 f.) die vv. 1044–1048 und 1053–1055. Aber auch wenn sich einzelne Anstöße vielleicht eliminieren ließen, bleibt zu fragen, welchen Sinn es hat, in Ausgestaltung des Augenmotivs ein Schwanken und (so wie der Text überliefert ist) einen nicht in die Tat umgesetzten Mordentschluss in den Text einzufügen. Wahrscheinlicher ist es, dass man im Zusammenhang mit Wiederaufführungen hier eine zusammenhängende Passage hinzugefügt hat, etwa um die Rolle der Hauptfigur (und ihres Schauspielers!) zu stärken. 1056–1080 Die (über die Einzelkommentierung hinausgehenden) Ausführungen zur Frage der Echtheit dieses Abschnitts sind nach Versgruppen gegliedert. 1056–1064 Für diese Verse haben Kovacs (1986, bes. 346–348) und Mossman (S. 324 f., die allerdings v. 1064 halten will) gezeigt, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von Euripides, stammen, wie aus den im Folgenden genannten Anstößen hervorgeht (mit Ergänzungen gegenüber Kovacs und Mossman und Berücksichtigung weiterer Beiträge). Die Verse weisen (wie auch schon die vv. 1040–1055) ein gegenüber den vv. 1021–1039 (bzw. bereits 1002–1020) auffällig verändertes Sprecherverhalten auf. Während dort durchgehend auf einen Doppelsinn geachtet wurde, der für die Kinder jeweils ein harmloses Verständnis ermöglicht, wird diese Sorgfalt nun deutlich missachtet. Angesichts dieses Sachverhalts ist es nicht hilfreich, darüber zu spekulieren, was die Kinder vielleicht verstehen können und was man sich etwa so gesprochen vorstellen soll, dass die Kinder es nicht mitbekommen oder welche Parallelen man aus anderen Tragödien anführen könnte (so aber
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Battezzato 1991, 421–426, dem sich Lucarini 2013, 164, anschließt). Denn damit lässt sich nicht erklären, warum dieselbe Figur Medea sich in dieser Hinsicht jetzt anders verhält. – Diese Überlegungen greifen allerdings nur, wenn die Kinder trotz der Anweisung in v. 1053 auf der Bühne bleiben. Der Autor der vv. 1056–1080 nimmt das offenbar an, denn das deiktische Pronomen in v. 1068 (‚diese hier‘) legt die Anwesenheit der Kinder nahe. Nimmt man trotzdem an, dass die Kinder nach v. 1053 ins Haus gehen und nach v. 1069 wieder herausgerufen werden, gelten diese Überlegungen auf jeden Fall für die vv. 1073b– 1074a; vgl. unten zu 1065–1077. 1056–1058 Eine Anrede an den eigenen thymos ist zwar nicht ungewöhnlich (z. B. Archilochos, fr. 128,1 West), aber Medea selbst hatte von ihrem thymos bisher nur in ihrer Trugrede gesprochen (879, Bedeutung ‚Zorn‘, nicht das gesamte emotionale Innere, ebenso 1152; vgl. auch 883). Sofern er die Kinder schonen soll, kann mit thymos hier eigentlich nur der (personifizierte) Rachezorn gemeint sein; der ist zwar die emotionale Grundlage für Medeas Vorgehen (vgl. 93 f., wo allerdings von cholos die Rede ist, und zur Sache 111–114), aber in ihrer rationalen Racheplanung völlig unter Kontrolle, sodass kein Grund besteht, ihn anzuflehen, zumal sie eben erst eine andere Ursache für ihr Verhalten (und ihr Unglück) genannt hatte (1028, authadia). Jedoch dürfte in der fortgeführten Anrede an den thymos in v. 1058 ein weiterer Umfang an Emotionen vorausgesetzt sein, wenn die Kinder ‚dort‘ (gemeint ist bei einem mit Medea gemeinsamen Exil in Athen) den thymos erfreuen würden (vgl. Komm. zu 310; vgl. auch 8; 640). Sollte daher in v. 1056 mit thymos mehr impliziert sein als bloßer Zorn, läge eine Umkehrung alles Bisherigen vor, denn Medeas (positive) Emotionen haben sich bei der Verfolgung des rationalen Racheplanes, der eine Ermordung der Kinder miteinschließt, eher als hinderlich erwiesen (vgl. 791 f.; 901–905; 922–931). Zur Möglichkeit, die Kinder mit ins Exil zu nehmen, vgl. o. zu 1040–1055, S. 422. 1059–1063 Setzt man den im Komm. zu diesen Versen erläuterten gedanklichen Umbruch zwischen den vv. 1058 u. 1059 an, müsste man annehmen, dass Medea es sich inzwischen wieder anders überlegt hat und nur noch an die mögliche Rache der Korinther denkt, die aber lediglich zu fürchten wäre, wenn die Kinder in Korinth blieben, die ins Exil mitgenommenen Kinder aber nicht träfe. Trotzdem führt sie diesen Gedanken mit einer ungewöhnlich starken Beteuerung (1059) aus, gefolgt von einem Eid (1060), die Kinder nicht den Feinden zu überlassen, damit diese sich nicht an ihnen rächen können (1061), wiederum gefolgt von der plötzlichen Einsicht, dass die Kinder ohnehin getötet würden und dass sie das lieber selbst besorge (1062 f.). Das ist eine für die Zuschauer nicht einfach nachvollziehbare Gedankenfolge, und es ist allenfalls eine Notlösung, mit Most (2011, 43–47) den logischen Bruch zwischen den vv. 1058 u. 1059 als Zeichen der „humanité“ Medeas zu erklären. – Wenn man die vv. 1059–1061 als Begründung dafür verstehen wollte, die Kinder mit ins Exil zu nehmen, damit sie nicht der Rache der Feinde ausgesetzt seien, wäre der gedankliche Umbruch zwischen den vv. 1061 u. 1062, und die vv. 1062 f. schlössen sich unvermittelt an (vgl. auch unten zu 1062 f.). Besonders irritierend ist
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dabei, dass es jetzt nur noch die Alternative zu geben scheint ‚Mitnahme ins Exil oder Ausliefern an die Rache der Korinther‘ (Medea hatte allerdings die Möglichkeit, die Kinder in Korinth zu lassen, bereits ausgeschlossen, 781) mit dem Ausweg, die Kinder lieber selbst zu töten, und der Gedanke, dass die Kinder wegen der Rache an Iason sterben müssen, aus dem Blick geraten ist. Vgl. auch die Analyse der Stelle bei Reeve 1972, 52. 1062–1063 Die Verse sind eine Dublette zu den vv. 1240 f. und fügen sich dort in den Gedankengang. Trotzdem ist es fraglich, ob man sie hier (isoliert) tilgen kann, wie es zumeist geschieht; denn im Textverlauf scheinen sie notwendig, um von der Alternative ‚Mitnahme ins Exil oder Ausliefern an die Rache der Korinther‘ (vgl. o. zu 1059–1063, S. 424 f.) wieder zu einer Medea zurückzukommen, die ihre Kinder selbst tötet. Auch schließt v. 1064 eher an v. 1063 an als an v. 1061. – Die Verse sind nur in den Handschriften überliefert und fehlen im Papyrus aus dem 3. Jh. v. Chr. Das muss nicht heißen, dass die Papyrusüberlieferung die ‚richtige‘ ist. Der Schreiber oder Redaktor des Papyrus kann sie als Dublette zu den vv. 1240 f. weggelassen haben. 1064 ‚Das‘ (tauta) lässt sich am ehesten auf die vv. 1062 f. beziehen, d. h., der erste Teil des Verses wäre eine Bekräftigung, der Notwendigkeit entsprechen zu wollen, die Kinder mit eigener Hand zu töten. Dass dieser an sich naheliegende Bezug zumeist nicht angenommen wird, liegt teils daran, dass man die Versgruppe 1056–1064 im Ganzen für echt hält, aber die vv. 1062 f. tilgt, teils daran, dass in der zweiten Hälfte des Verses als Subjekt die Königstochter angenommen wird, um die es in den vv. 1065 f. geht. Wenn man ‚das‘ dann in einem allgemeineren Sinn auffasst (Mastronarde: ‘the elements of my scheme’), liegt bei dieser Deutung innerhalb des Verses ein unerträglich harter und, wenn man linear hört oder liest, eigentlich unverständlicher Wechsel des Subjekts vor. Wenn der Schreiber dieses Verses es so gemeint haben sollte, dann handelt es sich um den Versuch, einen Übergang zu den Versen 1065–1077 herzustellen. Am ehesten würde man bei gleichem Subjekt ‚und das kann nicht vermieden werden‘ verstehen wollen, aber die Form als Passiv aufzufassen, ist kein Sprachgebrauch, den man für einen Dramatiker des 5. Jh.s voraussetzen kann (vgl. Kovacs 1986, 348; Mastronarde S. 390 Anm. 6). Jedoch ist auch die Annahme einer aktiven Bedeutung („In any case this has been done and will not get away“, Dyson 1987, 27 f.) keine Lösung; denn bei sachlichem Subjekt kommt in der Regel bei dem Verb ekpheugein eine Person als Objekt hinzu, deren Kontrolle man sich entzieht (Hel. 1622; Demosthenes 3,3; 5,2; 14,15; 18,33; 19,123). Dyson, der mit den Stellen aus Demosthenes argumentiert, geht von einem absoluten Gebrauch aus, der aus seinen Belegstellen allerdings nicht hervorgeht. Die von ihm angenommene Bedeutung „will not fail“ (ebd. 28) ist auch nicht durch den absoluten Gebrauch in Soph. OT 111 (‚entkommen‘) gedeckt. Angesichts der so problematisch gestalteten Übergangsfunktion von v. 1064 spricht vieles für die Unechtheit auch dieses Verses. Mossman geht (wie Mastronarde) von einem Wechsel des Subjekts aus, sie hält den Vers im Unterschied zu Kovacs für echt. Sie will ihn nach Tilgung der vv. 1056–1063 an v. 1055
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anschließen, aber dann folgt auf eine Beteuerung eine weitere Beteuerung, jedenfalls kein gedanklicher Fortschritt. 1065–1077 Kovacs (1986, 348 f.) hat gezeigt, dass die vv. 1065 ff. (er lässt diesen Passus allerdings bis v. 1080 reichen) stilistisch ausgearbeiteter sind als die vv. 1056–1064 und sprachlich in der Tradition der Tragödie des 5. Jh.s stehen (vgl. einzelne Parallelen in TS). Jedoch sind mit dem Nachweis der besseren Qualität („better poetry“, Kovacs, ebd. 348) dieser Verse die Probleme des Textes nicht erledigt: Kovacs’ Anschluss der vv. 1065 ff. an v. 1055 ist nicht überzeugend. Nach dem Entschluss, die Kinder zu töten (1053b–1055), ist eine Bekräftigung dadurch, dass die Rachehandlung schon im Gange ist, wenig plausibel. Da schließen die (wahrscheinlich unechten) vv. 1056 ff. als erneute Umkehr deutlich sinnvoller an v. 1055 an (vgl. Komm. zu 1056–1080). Betrachtet man auch die vv. 1040–1055 als unecht, wäre an einen Anschluss der vv. 1065 ff. an v. 1039 zu denken: Medea hat sich eben klar gemacht, dass die Trennung von den Kindern endgültig sein wird (1021–1039), da wird sie sich bewusst, wie sie in einem Selbstgespräch ausführt, wie drängend die Situation bereits ist, da sich die Rachehandlung schon vollzieht (1065 f.; vgl. aber Komm. zu 1065–1066) und so die von ihr selbst zu begehende Tat näher rückt (1067 f.). Das ist zunächst nicht unplausibel, löst aber auch nicht alle Schwierigkeiten. Zwar böte die Anwesenheit der Kinder kein Problem, da sie nach Elimination der vv. 1040–1055 in v. 1053 nicht ins Haus geschickt wären und nach der Tilgung der vv. 1056–1064 auch nicht zu hören bekämen, was dort über sie gesagt wird. Aber sie hören die vv. 1067 f. (vgl. das deiktische ‚diese hier‘, was für die unmittelbare Nähe der Kinder spricht; vgl. auch o. zu 1019–1020, S. 420) und unbestreitbar die vv. 1073b–1074a. Erstere haben keinen Doppelsinn, letztere nur, wenn man als mögliches Verständnis der Kinder zu der Ausflucht („forced“, wie Mastronarde meint) greift, mit ‚dort‘ (1073) sei der Königspalast gemeint, ‚das (Leben) hier‘ das mit Medea (wie bisher) statt des Verständnisses ‚dort im Jenseits‘, im Gegensatz zu ‚hier in Korinth‘. In v. 1058 bedeutete ‚dort‘ eindeutig (Exil in) Athen, die Doppeldeutigkeit von ‚dort‘, jeweils ohne unmissverständliche Bezugnahme, ist ein weiteres Indiz für die Unechtheit der gesamten Versgruppe 1056–1080; vgl. auch Reeve 1972, 59 f. Zur veränderten Sprecherhaltung vgl. o. zu 1056–1064, S. 423 f. Man kann die Abschiedsszene in den vv. 1069–1075 als sentimental ansehen, jedenfalls emotional bewegter als die in den vv. 1021–1039. Das kann jedoch nicht als Echtheitskriterium gelten; sicher aber ist, dass ein Abschied nach dem Abschied (1021–1039) gestaltet wird und insofern eine Doppelung vorliegt, womit der erste Abschied wohl noch übertroffen werden sollte. Auffällig ist auch der für Medea uncharakteristische völlige, nicht wieder aufgefangene Zusammenbruch (1077), dem nicht einmal die psychische Situation vor der Tat (1236–1250) nahekommt. 1078–1080 Die Hauptprobleme dieser Verse sind folgende: (1) Formen des Worts kaka (Plural) kommen in den vv. 1077–1080 dreimal vor. In v. 1077 bedeutet es das Leid, dem Medea erliegt, in v. 1078 die schlimme Tat, die sie im Begriff zu tun ist, in v. 1080 kann allgemein Leid / Unglück
Ergänzende Kommentarbemerkungen (EK)
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gemeint sein. Der harte Bedeutungswechsel lässt sich in zweifacher Weise als Argument verwenden: (a) Wenn man, wie Mossman, nur die vv. 1078–1080 für unecht erklären will, die davorstehenden Verse (ab 1064) aber für echt hält, kann der Bedeutungswechsel für einen missratenenen Anschluss durch denjenigen sprechen, der die vv. 1078–1080 eingefügt hat. (b) Hält man die vv. 1056 ff. insgesamt für den Text eines Interpolators, charakterisiert dieser Wechsel seinen Stil, da auch schon in den vv. 1056–1064 harte Übergänge zu beobachten sind. (2) In v. 1079 würde Medea, wenn der Text mit ihren früheren Aussagen konsistent sein soll, sagen, ihr zornerfülltes Gemüt (thymos), sei stärker als ihre Pläne (bouleumata), wobei in entsprechender Formulierung ‚meine Pläne‘ aus deren Bekanntgabe in den vv. 769 u. 772 wiederkehrt, also mit großer Sicherheit diese Pläne gemeint sein müssten (wie auch in den vv. 1044 u. 1048; vgl. aber o. zu 1040–1055, S. 421–423; vgl. zum Sprachgebrauch auch 886: ‚Pläne‘, 270 u. 449: ‚Beschlüsse‘). Aber was sie tun will (1078), gehört exakt zum Inhalt dieser Pläne. Wenn der thymos stärker ist, müsste er also diese Mordpläne verhindern und so etwas wie ‚Mutterliebe‘ bedeuten können (so Dihle 1977, 27). Dann wäre Medea hier entschlossen, die Kinder nicht zu töten; aber weder ist die Bedeutung ‚Mutterliebe‘ für thymos zu belegen (v. 1079 schlösse sich überdies schlecht an v. 1078 an) noch gibt es für einen solchen Sinneswandel einen Anhalt; in den vv. 1236–1250 steht Medea unbeirrt zu ihrem alten Entschluss, und von einer Emotion wie ‚Mutterliebe‘ wird kaum jemand sagen, sie sei die Ursache größten Leids für die Menschen (1080); zu Dihles These insgesamt vgl. Zwierlein 1978, 35 Anm. 24c; Manuwald 1983, 56–58. Eine Art Umkehrung von Dihles These ergibt sich aus Rickerts Ansatz, wenn ich diesen recht verstehe: Sie sieht in den vv. 1078–1080 einen Wertekonflikt, integriert in Medeas thymos auch deren heroische Grundsätze und hält als Inhalt der Pläne auch ‚motherly feelings‘ für möglich (1987, 99; 116; ebenso versteht die Pläne Stöppelkamp 2011, 149). Aber für beides gibt es keinen zureichenden Anhalt im Text der Medea. Versucht man (trotz 769 u. 772; vgl. auch 270; 886) die Pläne neutral als ‚Überlegungen‘ zu verstehen, würde Medea sagen, dass ihr thymos stärker ist als ihre (vernünftigen) Überlegungen (so etwa Hall 2010b, 20: „her emotion has overwhelmed her reason“); aber Medeas Racheplanung ist absolut rational (vgl. bes. 817; McHardy 2005, 135 f.) und muss gegen emotionalen Widerstand durchgesetzt werden (z. B. 790–793). Die Lösung von Diller (1966, 274) und anderen (z. B. Rohdich 1968, 64; Stanton 1987; Schmitt 1994, 591– 593; Alt 1998, 283 mit Anm. 35; Allan 2002, 92; 2021, 40 f.; Gill 2005, 162 Anm. 26; Stróżyński 2013, 69 Anm. 193; Cairns 2021, 22), ‚der thymos ist Herr über meine Pläne‘, ist nicht nur aus sprachlichen Gründen abzulehnen (vgl. bereits Kassel 1973, 102 mit Anm. 21, der auf Med. 965 verweist), sondern die Pläne sind auch nicht rein affektgesteuert; sie folgen vielmehr Medeas reflektierter Maxime, dass andere nicht über sie lachen dürfen (vgl. Komm. zu 797), was unmittelbar mit ihrem ‚stolzen Ich‘ (authadia), ihrem Selbstwertgefühl, zusammenhängt, das sie an textkritisch unstrittiger Stelle (1028) als Ursache für ihr Unglück nennt (vgl. o. zu 1056–1058, S. 424). Es ergibt sich also kein mit
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Anhang
den sicher echten Teilen des Dramas zu vereinbarendes plausibles Verständnis der vv. 1078–1080. Vgl. auch die Ausführungen Mossmans (S. 317 f.; 329–332), die in umfassender Auseinandersetzung mit Gegenpositionen insgesamt überzeugend die Unechtheit dieser Verse in der Medea von Neuem begründet hat; vgl. ebenfalls Lucarini 2013, 172–174. Der Widerstreit zwischen Vernunft und irrationalen Strebungen hat Euripides allerdings beschäftigt, vgl. TrGF V F 841 u. 220, auch 718, und so ist es nicht ausgeschlossen, dass die vv. 1078–1080 aus einer seiner verlorenen Tragödien stammen, wo sie in einem anderen Handlungszusammenhang einen Sinn ergaben. Ebenso gut ist es möglich, dass sie von einem anderen Tragiker übernommen oder vom Interpolator geschaffen wurden. In einem allgemeineren Verständnis, als Widerstreit zwischen besserem Wissen und Leidenschaft, unabhängig vom Kontext in der Medea, haben auf diese Verse spätere Denker Bezug genommen, vor allem Platoniker vor dem Hintergrund der platonischen Seelenlehre (vgl. Pietsch 2016). Der erste Philosoph, vom dem wir wissen, dass er die Verse herangezogen hat, ist allerdings der Stoiker Chrysipp (fr. 473, vol. III p. 124,15–19 SVF = Galen, De placitis Hippocratis et Platonis 4,6,19, Z. 6–11 De Lacy; vgl. ebd. 4,2,27), der nach dem zitierenden Galen damit jedoch im Widerspruch zu seiner eigenen Lehre steht; vgl. aber v. Arnim (SVF III p. 124, 20 f.) der feststellt, dass aus dem Zitat Galens nicht hervorgehe, wofür Chrysipp diese Verse als Beispiel angeführt habe. Vgl. zur Problematik Gill 1983, bes. 140 f.; 2005, 162 f.; Dillon 1997, 211–218; Riedl 2021, 110–123. Platon lässt seinen Sokrates in dem viel später als die Medea und nach Sokrates’ Tod entstandenen Dialog Protagoras sagen, es sei eine Auffassung der ‚Vielen‘, der großen Masse also, dass sie das Beste zwar kennten, es aber nicht tun wollten, u. a. teils der Lust unterlegen, teils der Unlust (356d4–e2). Wenn Platon damit recht hat, dann kann man in den vv. 1078–1080, wenn man sie isoliert und als Ausdruck eines Gegensatzes zwischen besserem Wissen und Leidenschaft betrachtet, die Vorstellung einer im Prinzip verbreiteten Verhaltensweise sehen, die sicher nicht erst z. Z. Platons aufgekommen (vgl. Irwin 1983, 184), sondern in der Struktur allgemein menschlich ist. Die vv. 1078–1080 spielen (neben Hipp. 373–390) in der verschiedentlich behandelten Frage eine Rolle, ob und wie es zwischen dem historischen Sokrates und Euripides eine Diskussion über das Verhältnis von Wissen und irrationalen Antrieben gegeben habe. Vgl. u .a. Snell 1971, 55–64; Moline 1975; Manuwald 1979; Irwin 1983; Scodel 2020, 971. Inwieweit diese Verse dabei berücksichtigt werden können, hängt auch davon ab, ob man sie für echt oder unecht hält. 1081–1115 Formal handelt es sich nicht um lyrische, gesungene Anapäste. Denn dafür fehlen die Merkmale (dorische Dialektfärbung, Vernachlässigung der Mittelzäsur). Alles spricht daher für rezitierte Anapäste (so auch Hose 1991, 79). Interpreten, die die vv. 1040–1080 für echt halten, stellen einen starken Kontrast zu diesen Versen fest, und es herrscht Verwunderung, warum es keine Reaktion auf den mehrfach bekräftigten Entschluss Medeas zum Kindermord
Ergänzende Kommentarbemerkungen (EK)
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gibt (z. B. Mastronarde, S. 346 f.). Folgen die Anapäste aber auf die vv. 1021– 1039, kann man sie als eine Art Kommentar zu der von Medea mit ihrem ‚umsonst‘-Gedanken zur Sprache gebrachten Thematik betrachten, der sie sich passend anschließen. Insoweit es im letzten Abschnitt der Anapäste (1105– 1115) um den unerträglichen Tod bis zum Erwachsenenalter gekommener Kinder geht, ergibt sich ein starkes Spannungsverhältnis zwischen dem schicksalhaften Tod solcher Kinder und dem Tod der noch jungen Kinder Medeas, der absichtlich, wenn auch mit starkem Motiv, herbeigeführt werden wird. Ob damit der Chor einen letzten Versuch unternehmen wollte, Medea zur Einsicht zu bringen (vgl. Hose 1991, 87), ist angesichts der Überzeugung des Chores, dass es für die Kinder keine Rettung mehr geben werde (976 f.), nicht wahrscheinlich. Vielmehr könnte es auf die Diskrepanz zwischen schicksalhaftem Tod von Kindern, der als solcher schon unerträglich ist, und der bevorstehenden Ermordung der Kinder ankommen, die durch die Entgegensetzung um so unbegreiflicher erscheint. 1317–1322 Wie das Gefährt bei der Uraufführung aussah, wird sich nicht mehr ermitteln lassen. Nach der Hypothesis I, Z. 7–9 (s. u. S. 445), dem Scholion zu 1320 und in Vasenbildern aus dem 4. Jh. v. Chr. erscheint das Gefährt von geflügelten Schlangen gezogen, ebenso in der römischen Tragödie, TrRF I2 Adesp. F 11 (die Vorstellung von Schlangen mit Flügeln kennt bereits Herodot [2,75]); zu den Vasenbildern vgl. Taplin 2007, 117–123 (Abb. Nr. 34 u. 35), der auch auf die Diskrepanzen zwischen Vasenbild Nr. 35 und dem Text der Medea eingeht. Besonders auffällig ist, dass sich auf diesem Vasenbild die toten Kinder nicht im Wagen befinden, sondern auf einer Art Altar lagern: Nachwirkung von v. 1054? (vgl. Burkert 1966, 118); vgl. auch LIMC VI 1 s. v. Medea 36; 37; 39 (Abb. VI 2, S. 199). Diese und weitere Diskrepanzen gegenüber dem Text des Euripides (z. B., dass Amme und Paidagogos sichtbar sind, die in der Schlussszene nicht vorkommen), die der Lukanische Krater von ca. 400 v. Chr. (Cleveland Museum of Art 1991.1 = Taplin Nr. 35 = LIMC Nr. 36) aufweist, erklärt Revermann (2010, bes. 76–82) einleuchtend als eigenständige Interpretation des Vasenmalers oder seines Auftraggebers.
Ergänzende textkritische und sprachliche Erläuterungen (ETS) Damit auf einigen Seiten die textkritischen und sprachlichen Erklärungen unter dem Text nicht einen allzu großen Raum einnehmen, stehen die Ausführungen zu eingehender zu diskutierenden Fragen hier im Anhang. 11–15 Kovacs (1991, 34; 2003, 155 f.) setzt nach v. 10 eine Lücke von zwei Versen an, für die er (z. T. nach Willink) einen griechischen Text vorschlägt ⟨φίλων τε τῶν πρὶν ἀμπλακοῦσα καὶ πάτρας. καὶ πρὶν μὲν εἶχε κἀνθάδ᾿ οὐ μεμπτὸν βίον⟩ und in seiner Loeb-Ausgabe so übersetzt: ⟨separated from her loved ones and country. At first, to be sure, she had, even in Corinth, a good life⟩ Der erste ergänzte Vers drückt zwar einen objektiv bestehenden Sachverhalt aus, ist aber als Beschreibung von Medeas Situation an dieser Stelle vorwegnehmend, weil der Sachverhalt in den vv. 34 f. noch zur Sprache kommt und vor allem, weil Medea den Verlust der Heimat laut der Amme erst nach der Entzweiung mit Iason schmerzlich empfunden hat (ebd.). Dass Medea ein gutes Leben hatte, geht aus dem Kontext ebenfalls nicht hervor, nur dass sie alles tat, damit angesichts der Exil-Situation keine Schwierigkeiten entstehen. Die Annahme einer Lücke und die Ergänzungen schaffen erst Probleme, die im überlieferten Text nicht bestehen. – Gegen den Versuch Hübners (1984a, 21–25), das im Kommentar zu 11–15 erwähnte Verständnisproblem durch Athetese der vv. 11–15 zu lösen, hat sich Kovacs (ebd. 33) zu Recht gewandt. 134 ἀμφίπυλος (nur hier belegt) dürfte semantisch ἀμφίθυρος entsprechen, das adjektivisch einer Räumlichkeit die Eigenschaft, Türen auf beiden Seiten zu haben, zuweist. Bei Theokrit (Eidyllion 14,42) kommt ἀμφιθύρω (Genitiv; Nominativ vermutlich τὸ ἀμφίθυρον) als Substantiv vor und scheint wie θυρωρεῖον bei Vitruv 6,7 einen Raum zwischen zwei Türen zu bezeichnen (vgl. Gow 1950 z. St.). Hält man ἐπ᾿ im Text, müsste ἀμφιπύλου als Substantiv verstanden und ein ‚sich befindend‘ o. ä. ergänzt werden; aber welchen Sinn sollte es haben, dass sich die einzelnen Chorfrauen jeweils in oder bei (LSJ s. v. ἐπί A. I. 1) einer solchen Räumlichkeit aufhalten, wobei nur Räumlichkeiten der Chorfrauen selbst in Betracht kämen, da die Zuschauer sehen können, dass sich die Chorfrauen nicht beim Haus Medeas befanden. Selbst wenn man (wie z. B. Martina III) aufgrund des Scholions ἀμφίπυλον als ‚Tor‘ oder ‚Torweg‘ verstehen sollte (wofür es keinen sonstigen Beleg gibt), ergäbe sich derselbe Einwand. Es liegt
Ergänzende textkritische und sprachliche Erläuterungen (ETS)
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daher näher, ἐπ᾿ zu tilgen und ἀμφιπύλου als Adjektiv auf μελάθρου zu beziehen; vgl. Diggle 1994, 279–281. Kovacs (1996, 152–154) liest mit Badham ἔτ᾿ ἀμφιπύλου. Dadurch könnte zwar ἐπ᾿ als Verschreibung erklärt werden, aber in diesem Fall hätten die Chorfrauen in ihren eigenen Häusern Medeas Klagen gehört. Das ist nicht undenkbar, aber es ist nicht erkennbar, warum die Häuser der Frauen als doppeltürig bezeichnet werden; der Hinweis auf die Doppeltürigkeit erklärt sich besser, wenn das Ηaus Medeas gemeint ist, vgl. Komm. zu 134/5. 153 σπεύσει … τελευτά Weil (als Aussage interpungiert) : σπεύσει … τελευτάν (+Hss.) : +σπεύδει … τελευτάν : σπεύσεις od. σπεύδεις … τελευτάν Blaydes (jeweils als Frage interpungiert) – Versteht man σπεύσει od. σπεύδει als 3. P. Sing., müsste (hält man τελευτάν) ἔρος Subjekt sein, aber es erscheint merkwürdig, dass Medeas Verlangen den Tod beschleunigen sollte (so aber Gentili 1972, 61). Ob man σπεύσει (als σπεύσῃ verstanden, das dann wohl in den Hss. gegenüber dem im 5. Jh. gebräuchlichen σπεύσηι modernisiert wäre; zum möglichen Medium vgl. Aisch. Ag. 150 σπευδομένα θυσίαν) oder σπεύσεις bzw. σπεύδεις liest, der Text ginge in dieselbe Richtung wie bereits die vv. 151 f. (τίς … ἔρος), abgesehen davon, dass man bei der Frage eher ein Präsens (wie in Blaydes’ Alternative) erwartete. Dagegen ergibt sich durch die Konjektur Weils ein zusätzlicher Aspekt durch ein begründendes Asyndeton ‚der Tod wird allzu schnell herbeikommen‘, d. h., ‚du Törichte musst ihn nicht auch noch durch deinen Wunsch von dir aus beschleunigen wollen‘. Aus v. 154 geht hervor, dass der Chor keine Handlung Medeas meint, die sie selbst physisch gegen sich richtete. Außerdem ergibt sich eine gedankliche Parallelität zwischen den vv. 151–154 u. 155–159 (vgl. Komm. zu 148–159). 156 κείνῳ Hss. : κοινὸν (mit Interpunktion nach τόδε) Verrall (Page, Martina III) – Mit κοινὸν τόδε· würde der Chor das Verhalten Iasons als etwas allgemein Verbreitetes klassifizieren, worüber sich Medea nicht zu ereifern brauche; aber dann widerspräche er sich, wenn er annimmt, dass Zeus Medea zu ihrem Recht verhelfen werde (157), und Medeas Rache an Iason für berechtigt hält (267). κείνῳ bezieht sich auf den abwesenden Iason (K.-G. I 649 f.), und der Chor sagt nicht, dass Medea Iasons Unrecht sich überhaupt nicht zu Herzen nehmen, sondern dass sie (im Vertrauen auf Zeus) ihre Erbitterung mäßigen solle (vgl. den Eintrag zu τόδε in TS). Ganz unwahrscheinlich ist auch die Satzgliederung κείνῳ τόδε· (Murray nach dem Scholion zu 154), mit der schwierigen Ergänzung γενέσθαι (abh. von λίσσου und τόδε als Blitzschlag [144b f.] verstanden). 234 τοῦτ’ ἔτ’ Brunck : +τοῦτ᾿ : τοῦδ᾿ ἐτ᾿ : τοῦτό γ᾿ +Stobaios : † τοῦδ᾿ ἐτ᾿ † Kovacs (Loeb 2001) : τῷδ᾿ ἔτ᾿ (oder τῷδέ γ᾿) Kovacs 1994, 167 f., der nach κακόν einfügt ⟨ἢν ζημίαν φέρῃ τις ὑβρισθῇ ἅμα⟩ (Loeb 2001) : ἐκείνου γὰρ τόδ᾿ Prinz-Wecklein – Es soll wahrscheinlich nicht gesagt werden, dass das eine schlimmer ist als das andere, sondern dass die Verbindung, den Gatten kaufen zu müssen und trotzdem sein Sklave zu sein, das Schlimmste ist, was man sich vorstellen kann. Genau das trifft Bruncks Konjektur (Kombination der Überlieferungen von τοῦτ᾿ und ἐτ᾿, wobei sich τοῦτ᾿ auf beide Elemente in 232–234a
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Anhang
bezieht) nach dem Muster πρεσβύτερον κακοῦ κακόν (Soph. OT 1364 f.); vgl. Christmann 1962, 45–47. Zur Athetese des Verses (Müller 1951, 80) besteht jedenfalls kein ausreichender Grund. Kovacs nimmt mit seiner Konjektur zwar einen Vergleich der beiden Übel an, kommt aber mit dem zusätzlichen Vers auf das Gleiche hinaus, was mit Bruncks Konjektur sehr viel einfacher zu erzielen ist („For this is what makes one misfortune even more galling than another, ⟨to suffer loss and be insulted to boot⟩“ (Loeb 2001). Die Lösung von PrinzWecklein ist ebenfalls ein unnötig starker Eingriff in den Text, der von der Prämisse des Vergleichs zweier Übel ausgeht; diese Deutung findet sich auch bei Mastronarde, obwohl er Bruncks Text übernimmt. 487 φόβον (Hss.) : +δόμον – Die meisten Editoren bevorzugen δόμον (‚Haus‘). Medea hat aber nur den Tod von Pelias veranlasst; dass sie damit den gesamten δόμος vernichtet habe (wenn man eine Tradition annimmt, nach der Pelias keine männlichen Nachkommen hatte [vgl. Moses Chorenensis, Inhaltsangabe zu den Peliaden: et quia mascula proles … ei deesset, Peliaden TrGF (V 2, p. 608) T iiib]), ist im Vergleich zu sonstigen Formulierungen, die die Vernichtung des Hauses bezeichnen, bei denen es um die Nachkommen geht (114; 608; {794}), eine sachlich unangemessene und banale Aussage. Sollte Euripides von der mythischen Tradition ausgegangen sein, dass Pelias einen Sohn Akastos hatte (Ps.-Apollodor 1,95; 1,144), ist die Aussage unzutreffend. Dagegen ergibt φόβον (‚Furcht‘, u. a. van Looy) einen guten Sinn: Pelias hatte Iason mit der Argonautenfahrt aus dem Wege räumen wollen; nachdem er damit gescheitert war, konnte mit einem weiteren Versuch gerechnet werden. Diese Furcht hat Medea mit dem Tod des Pelias beseitigt, was einen wirkungsvollen Abschluss ihrer Leistungen für Iason bildet. Dass φόβον ohne ein σοῦ nicht möglich sei (Page u. andere), überzeugt nicht. ἐξαιρέω kann absolut gebraucht werden (LSJ s. v. III. 1. c; Demosthenes 23,36, ‚etwas zunichte machen‘), und zu wessen Gunsten das geschah, ist aus dem Zusammenhang eindeutig. 781 λιποῦσ’ ἂν Elmsley : λιποῦσα Hss. : λίπω σφε Burges – λιπουσα⟨ν⟩ → λιποῦσ’ ἂν ist gegenüber λίπω σφε die paläographisch einfachere Konjektur; der Schreiber mag einen Buchstaben ausgelassen oder auch gedacht haben, der ‚Akkusativ‘ λιποῦσαν gebe keinen Sinn. Zur Struktur οὐκ (mit Partizip) – ἀλλά (mit Verbum finitum) vgl. Plutarch, Solon 28,4 τῶν παρ’ Ἕλλησι σοφῶν εἷς οὗτος ἦν ὁ ἀνήρ, ὃν ἐγὼ μετεπεμψάμην, οὐκ ἀκοῦσαι τι βουλόμενος οὐδὲ μαθεῖν ὧν ἐνδεὴς ἤμην, ἀλλ’ ὡς δή μοι θεατὴς γένοιτο … . Med. 781/783 besteht allerdings das Problem, dass ὡς (781) … ὡς (783) eine parallele Struktur nahezulegen scheint (die sich bei Burges’ λίπω σφε auch ergibt), bei der Lesart λιποῦσ’ ἂν das erste ὡς aber ‚als ob‘ bedeutet und das zweite final aufzufassen ist. Jedoch drückt diese Lesart Medeas Distanziertheit gegenüber der Vorstellung, die Kinder in Korinth zu lassen, deutlicher aus (sie erwägt diese Möglichkeit noch nicht einmal). 910 † γάμους … πόσει † Diggle (Text) | γάμους … ἀλλοίους +(Hss.) : γάμου … ἀλλοίου | παρεμπολῶντος Hss. : παρεμπεσόντος (zusammen mit γάμου … ἀλλοίου) Kovacs 1994, 171 f. | ἀλλοίους] ἀλλοῖος ist bei Euripides nur hier belegt, zu einer möglichen negativen Bedeutung vgl. Herodot 5,40,1;
Ergänzende textkritische und sprachliche Erläuterungen (ETS)
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Polybios 2,50,8. | πόσει Hss. : ἐμοῦ Schauspieler lt. Σ : λέχει (vgl. Eur. El. 1033) od. δόμοις Diggle (im Apparat seiner Ausgabe) – Kovacs lehnt die Überlieferung ab, weil am Vorgehen Iasons nichts heimlich sei; tatsächlich hat Iason aber seine Entscheidung nicht vorweg mit Medea besprochen (585–587). Gegen die von Page und Martina III z. St. gehaltene Überlieferung lassen sich zwei Einwände erheben: (1) die ungewöhnliche Sperrung, in der πόσει (910) zu ὀργὰς … ποιεῖσθαι (909) steht; (2) die Nachstellung des sachlichen Bezugsworts πόσει zum genetivus absolutus παρεμπολῶντος, wofür es keine Parallele zu geben scheint. Zwar kann sich ein genetivus absolutus auch ohne eigenes ‚Subjekt‘ sachlich auf einen Dativ beziehen (vgl. K.-G. II 111 c), aber ein Fall wie Hel. 57–59 τὸ κλεινὸν ἔτι κατοικήσειν πέδον / Σπάρτης σὺν ἀνδρί, γνόντος ὡς ἐς Ἴλιον / οὐκ ἦλθον ist durch das vorangestellte Bezugswort doch anders gelagert (ebenso Herodot 9,58,3). So bleiben starke Zweifel an der Überlieferung. Diggles Konjekturvorschläge beseitigen zwar die Sperrung, lassen aber den Genitiv ohne Bezugswort; allerdings könnte πόσει als Randnotiz zu v. 909, um das dort fehlende Objekt zu ergänzen, an falscher Stelle eingedrungen sein. Aber es hat sicher nicht ἐμοῦ ersetzt; denn ein Bezug Iasons auf sich selbst verträgt sich nicht mit dem allgemeinen Beginn seiner Aussage (‚das Frauengeschlecht‘, 909), dann hätte dort ein ‚du‘ stehen müssen. Eher könnte man an τινός denken, das dem Tenor der Stelle entspräche und wodurch wenigstens die Syntax unproblematisch würde. Das Problem ist noch nicht überzeugend gelöst, und so wird man sich mit der Anzeige einer Korruptel begnügen müssen. 1181 ἀνελθὼν Lenting : ἀνέλκων +Hss. : ἂν ἕλκων Schaefer – Für ἀνέλκων (oder ἕλκων) lässt sich keine hier passende Bedeutung finden (Martina III 378 belegt ‚affretando‘ nicht), es sei denn, man verstünde κῶλον als Bein des Läufers (dagegen überzeugend Diggle 1994, 286 f.; anders Kovacs 1996, 155 mit Herwerdens Konjektur ἑλίσσων für ἀνέλκων und der Lesart ἑκπλέθρου), ἀνελθὼν kann das ‚Emporlaufen‘ zum Wendepunkt bezeichnen, zum Durchqueren einer Erstreckung vgl. νειὸν ἀνερχομένῳ (Kallimachos, Aitia fr. 24,4 Pfeiffer = Harder); vgl. Diggle 1994, 287 f. („going over“ Clayman 2022 [Loeb], „moved through“ Harder 2012, die z. St. allerdings einen Akkusativ des Ziels annimmt). | ἕκπλεθρον : ἔκπλεθρον +(Hss.) : ἑκπλέθρου Reiske; Kovacs 1996, 154 f. – zur Akzentuierung ἕκ- vgl. Powell 1933, 210 f.; der Läufer legt ein κῶλον von sechs Plethren, also die Länge eines Stadions (ca. 180–200 m) zurück, im Unterschied zum Doppellauf (δίαυλος), bei dem der Läufer wieder zurückkehrt (vgl. zu dieser Bedeutung von κῶλον Aisch. Ag. 343 f. δεῖ γὰρ πρὸς οἴκους νοστίμου σωτηρίας, / κάμψαι διαύλου θάτερον κῶλον πάλιν). Ein κῶλον eines Laufs von sechs Plethren (Reiske; Kovacs) gibt nur einen Sinn, wenn man den Genitiv als genitivus definitivus verstünde (eine Teilstrecke, die in einem Lauf von sechs Plethren besteht), was aber keinen Vorteil gegenüber der Lesung ἕκπλεθρον bringt, oder man mit Powell ein κῶλον eines Laufs von sechs Plethren (m. E. willkürlich) als die halbe Länge eines Stadions definiert. Vgl. auch hier Diggle 1994, 286.
Metrische Analysen Zu grundsätzlichen Fragen der Metrik und zu detaillierteren Erläuterungen der einzelnen Versmaße vgl. West 1982. Im Folgenden wird eine Übersicht über die im Text vorkommenden Metren und Versmaße gegeben sowie eine Analyse der chorischen Partien.
Zeichen lange Silbe (kann in vielen Fällen durch ⏑⏑ ersetzt werden) kurze Silbe syllaba anceps, lange oder kurze Silbe brevis in longo, kurze Silbe am Ende einer Periode, wo das Metrum an 𝄑 sich eine Länge erfordert Aeolische Basis: ‒ ‒ oder ⏑ ‒ oder ‒ ⏑, aber nicht ⏑ ⏑ fehlendes Element am Anfang (Akephalie) oder Ende (Katalexe) einer Periode sync synkopiert: ein Element im Inneren fehlt ÷ Anaklasis (Austausch von langen und kurzen Elementen in einem Metrum oder Kolon) ¨ bezeichnet bei Anaklasis die frühere oder spätere Stellung der Doppelkürze 2, 3 … Dimeter, Trimeter … ⁝,: übliche Zäsurstellen, d. h. Stellen, an denen Wortende erstrebt ist (nach dem Grad der Häufigkeit differenziert) ͡ Brücke (zwischen zwei so bezeichneten Elementen normalerweise kein Wortende) | gefordertes Wortende ‖ Periodenende (Angaben nur nach metrisch-prosodischen Kriterien, wie brevis in longo oder Hiat) Strophenende ‒ ⏑ ×
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Metrische Analysen
Sprechverse Iambischer Trimeter mit den üblichen (nach Häufigkeit unterschiedenen) Zäsurstellen. Gelegentlich kommt Mittelzäsur vor. Das Versmaß der Sprechverse in der Medea ist durchweg der Iambische Trimeter. In diesem Versmaß können mit bestimmten Einschränkungen Längen durch zwei Kürzen ersetzt werden und kann im letzten langen Element eine kurze Silbe stehen (brevis in longo). Vgl. im Einzelnen West 1982, 81–88. 3 ia × ‒ ⏑ ‒ × ⁝ ‒ ⏑ : ‒ ⏒͡ ‒ ⏑ ‒ ‖
Bauelemente der Chorpartien Metren an ba cho cr da ia ion mol sp tr
⏔⏕⏔⏕ ⏑‒‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒⏑‒ ‒⏔ ×‒⏑‒ ⏑⏑‒‒ ‒‒‒ ‒‒ ‒⏑‒×
Anapäst Baccheus Choriambus Creticus Dactylus Iambus Ionicus Molossus Spondeus Trochäus
‚Äolische‘ Maße1 gl ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‖ Glyconeus2 ¨gl ‒ ⏑⏑ ‒ × ‒⏑ ‒ ‖ anaklastischer Glyconeus3 gl¨ ‒ × ‒ ⏑⏑ ‒ ‖ anaklastischer Glyconeus (Wilamowitzianus)4 c ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‖ Asclepiadeus minor (= gl erw. durch cho) gl
1 2 3
Hier sind nur die Maße aufgeführt, die den charakteristischen Chroriambus enthalten; sie kommen aber auch in Kombination mit iambischen und ionischen Elementen vor. Vgl. West 1982, 30 f. Am Ende des Kolons kann statt ‒ ⏑ ‒ auch ‒ ‒ ‒ vorkommen. Vgl. West 1982, 19; 116 („drag“). Vgl. vv. 1138 / 1152. Das gilt auch für Asklepiadeen (vgl. vv. 706 ff. / 718 ff.) und Dodrans (vgl. vv. 713 / 725); vgl. auch v. 1192. Choriamben mit vier weiteren Elementen danach (¨gl) oder davor (gl¨) werden vielfach als ‚choriambische Dimeter‘ bezeichnet. Der Ausdruck ist unglücklich, da es sich nicht um Dimeter handelt; vgl. Snell 1982, 37. Charakteristisch für diese Kola ist eher die für den Glyconeus kennzeichnende Asymmetrie. Sie werden daher hier als anaklastische Glykoneen notiert; vgl. West 1982, 193 (s. v. Choriamb); 195 (s. v. Glyconic). Der Einfachheit halber wird unter ¨gl auch die Form ‒ ⏑ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ (1181) subsumiert.
436
Anhang
gl2c
‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‖ Asclepiadeus maior (= gl erw. durch 2 cho) ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‖ Hipponacteus (= gl ‒) × ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‖ Hagesichoreus (=hipp), vgl. West 1982, 30 ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ‖ Pherecrateus (= gl) × ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‖ Tellesileus (= gl) × ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ‖ Reizianum (= gl) ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‖ Dodrans (= gl), auch ‒ ⏑‒ ⏑⏑ ‒ dod¨ (= gl¨), vgl. 649/658 ‒ ⏑⏑ ‒ × Adoneus ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‖ Aristophaneus (=hipp), kann durch da (‒ ⏑⏑) erweitert werden
hipp hag pher tl reiz dod ad ar
Daktyloepitriten D ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ e E d1 ie
= ‚Hemiepes‘: daktylischer Hexameter bis zur Zäsur Penthemimeres (kann um einen Daktylus erweitert sein: D2) ‒⏑‒ = Creticus ‒⏑‒×‒⏑‒ = e×e ‒ ⏑⏑ ‒ Choriambus, gilt bei Daktyloepitriten aber als Kurzform von D × ‒⏑‒ × ‒⏖‒⏖‒ Iambelegus = × e × D
Anapäste 2 an ⏔ ⏕ ⏔ ⏕ | ⏔ ⏕ ⏔ ⏕ ‖ ‚Marschanapäste‘ werden rezitiert und sind im attischen Dialekt gehalten. 2 an ⏔ ⏕ ⏔ ⏕ ⏔ ⏕ ⏔ ⏕ ‖ ‚Lyrische Anapäste‘ werden gesungen, haben dorische Dialektfärbung und oft keine Mitteldihärese. Aus Iamben, Ionikern und Anapästen abgeleitete Maße lek ‒ ⏑ ‒ × ‒ ⏑ ‒ Lekythion (= Teil eines Iamb. Trimeters [ab der zweiten Zäsurstelle]) ith ⏕ ⏑ ⏕ ⏑ ‒ × Ithyphallicus (kann als katalektische zweite Hälfte eines Iamb. Trimeters verstanden werden; zu Auflösungen vgl. West 1982, 97) pe × ‒ ⏑ ‒ ‒ Penthemimer anac ⏑ ⏑ ‒ ⏒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‖ Anacreonteus (= 2 io÷) par ⏒⏑⏒ ‒ ⏔ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ‖ Paroemiacus (~ 2 an)
437
Metrische Analysen
Dochmien δ ⏑‒‒⏑‒ hδ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ kδ × ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒
Dochmius (Grundform, jedoch kann ‚⏑‘ durch ‚‒‘ und ‚‒‘ durch ‚⏑⏑‘ ersetzt werden) Hypodochmius Dochmius kaibelianus
Enhoplios diom ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ×
‚diomedean‘ 4
Für die Chorlieder gilt, dass jeweils Strophe (στρ.) und Gegenstrophe (ἀντ.) zwar einen unterschiedlichen Text, aber dieselbe Melodie und Metrik haben. Dabei gibt es sogenannte Responsionsfreiheiten, d. h. da, wo es die jeweiligen Versmaße zulassen, kann z. B. in der Strophe eine Länge stehen, in der Gegenstrophe dafür zwei Kürzen (z. B. 148/173) oder in der Strophe eine Kürze, in der Gegenstrophe eine Länge (z. B. 438a/445a).
Analysen PROLOGOS, nicht-iambischer Teil (96a–130) 96a 96b–97 98–103 104 105–109 110 111a 111b–113 114 115–129 130
4
extra metrum 2 an (lyrische Anapäste) 2 an (Marschanapäste, bis 109) an 2 an par (2 an) extra metrum 2 an (lyrische Anapäste) par (2 an) 2 an (Marschanapäste) par (2 an)
In seiner Arbeit „Tragic Enoplian“ (1991–1993) rechnet Itsumi diesen Vers zu den Grundformen des Enhoplios (244). Er nennt diese Form ‚diomedean‘ nach Pindar (Nemeen 10,7) Διομήδεα δ᾿ ἄμβροτον ξαν-(θά ποτε …), 248.
438
Anhang
PARODOS (131–213) 131 132 133 134–5 136 137 138 139–142 143 144a 144b–146 147
⏑⏑‒‒‒|⏑⏑‒⏑⏑‒ ‒‒‒‒|‒⏑⏑‒⏑⏑ ‒⏑⏑‒‒|⏑⏑‒‒𝄑‖ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ⏑ ‒ ‒⏑⏑‒ ⏑ ‒ ‒ 2 an (Marschanapäste) 5 par (2 an) extra metrum 2 an (lyrische Anapäste) par (2 an)
2 an 2 an 2 an 4 da 4 da 2 da hipp
131–138 Zur Kolongliederung vgl. Diggle 1994, 278f.; anders Martina III 78 f.; Kovacs 1996, 152–154 132 οὐδέπω mit kurz gemessenem ω wegen des folgenden ἤπιος (‒ ⏑ ⏑) ‚Hiatkürzung‘; vgl. El. 1331 f. (Martina III) 133 γεραιά mit innerer Kürzung vor Vokal (αι ~ ⏑): ⏑ ⏑ ‒ 148/173 149/174 150/175 151/176 152/177 153/178 154/179 155/180 156/181 157/182 158-9/183
‒⏑⏑‒‒|‒‒⏕‒ ‒‒‒‒|‒‒‒‒ ‒‒‒‒ ‒ ‒⏑⏑‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒⏑⏑‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒⏑⏑‒ ⏑ ‒ ‒ ⏓ ‒⏑⏑‒ ‒ ‖ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒⏑⏑‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒⏑⏑‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒⏑⏑‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒⏑⏑‒ ⏑ ‒ ‒ ‒
160–167 168–169 170 171 172 184
2 an (lyrische Anapäste) 2 an (Marschanapäste, bis 172) par (2 an) 2 an par (2 an) 2 an (Marschanapäste, bis 203)
5
στρ.+ ἀντ. 2 an 2 an an hag (hipp) hag (hipp) hag (hipp) reiz (gl) cr + hipp hag (hipp) hag (hipp) cr + gl + sp
West (1982, 122) nimmt für die vv. 139–143 lyrische Anapäste an („at least Doric, if manuscripts can be trusted“), aber in den vv. 168–172 gibt es keinen Hinweis auf dorischen Dialekt (θνητοῖς, 170, ist einhellig überliefert), und es ist nicht wahrscheinlich, dass die Amme nur in den vv. 139–143 lyrische Anapaeste gehabt haben sollte, sonst aber durchgehend Marschanapäste.
Metrische Analysen
185 186–202 203
an 2 an par (2 an)
204 205 206 207 208–9 210 211–2 213
‒‒⏖‒⏑‒ ⏑‒⏑‒ ⏑ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ‒ ⏑‒⏑‒⏖‒⏖‒‒ ⏑͡⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒⏑‒ ⏑ ‒ ⏖ ‒ ⏖ ‒ ⏑ ‒⏖‒⏖‒ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒⏖‒ ‒
439
ἐπ. tl (= gl) + ia 2 ia e⏑D‒ 2 tr ie⏑ (‒ e ⏑ D⏑) D 2 ia pher (= gl)
1. STASIMON (410–445) 410-1/421-2 412/423 413/424 414/425 415-6/426-7 417-8/428-9 419-20/430-1
⏒‒⏖‒⏖‒ ‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏖‒⏖‒‖ ‒⏖‒⏖‒ ‒ ‒⏑‒ ‒⏖‒⏖‒ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏖ ‒ ⏖ ‒ ⏒ ‒ ⏑ ‒ 𝄑̲ ‖ ‒⏑‒‒‒⏑‒ ‒ ‒⏑‒‖ ‒⏖‒⏖‒ ‒ ‒⏑‒ ⏑‒‒
στρ. αʹ + ἀντ. αʹ ×D‒e‒ e‒D D‒e D‒ e‒D×e‒ E‒e D ‒ e + ba (od.: D ‒ ith)
410–420; 421–431 Der teils daktylische Charakter der Daktyloepitriten des ersten Strophenpaars wird als Anspielung auf die daktylische frauenkritische Dichtung der alten Dichter verstanden (Mastronarde, S. 240), doch haben nur Homer und Hesiod das epische Versmaß, nicht die anderen, die gemeint sind (vgl. Komm. zu 419 / 20). 423 ὑμνεῦσαι ἀπιστοσύναν: -σαι kurz gemessen wegen Hiatkürzung, bei Euripides gewöhnlich nur vor langem anlautendem Vokal, diese Stelle (ᾰ) zählt zu den Ausnahmen (vgl. Page) 419-20; 430-1 Zu einer alternativen Analyse (D ‒ ith) vgl. Dale 1968, 180. 432/439 433-4/440-1 435/442 436/443 437/444 438a/445a 438b/445b
⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒‒⏖‒⏑‒ ‒‒⏖‒⏑‒ ‒‒‒⏖‒⏑‒ ‒⏒‒⏖‒⏑‒ ‒⏑‒⏖‒‒
στρ. βʹ + ἀντ. βʹ ia +ar (= ia + hipp) ar3da tl (= gl) tl (= gl) gl gl pher (= gl)
440
Anhang
2. STASIMON (627–662) 627-8/636-7 629-30/638-9 631-2/640-1 633-4/642-3 635/644
⏒ ‒⏑⏑‒⏑⏑‒ ‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏑‒ ‒⏑⏑‒⏑⏑‒ ⏒ ‒⏑⏑‒⏑⏑‒ ‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏑⏑‒⏑⏑‒ ‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏑⏑‒⏑⏑‒ ‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏑‒ ⏑‒‒
στρ. αʹ + ἀντ. αʹ ×D‒E D×D– e–D– e–D–e– E + ba
627 ἄγᾱν, zu dieser Messung vgl. LSJ s. v. am Ende 634 χρῠσέων: ῠ nicht bei Homer und Aischylos, aber bei Sophokles und Euripides (Page). 633-4/ 642-3 + 635/644 Beide Kola zusammen können auch analysiert werden als e – D – E – ith (Dale 1968, 185).
645/654 646/655 647-8/656-7 649/658 650/659 651/660 652/661 653/662
‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑⏑‒⏑⏑‒⏑‒⏑ ‒⏑‒⏑‒‒ ‒ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑‒⏑⏑‒⏑‒⏑‒‒ ‒⏑‒‒ ‒⏑⏑‒ ⏑‒‒⏓ ‒⏑⏑‒ ⏑‒‒⏑⏑‒⏑‒‒
στρ. βʹ + ἀντ. βʹ 2 cho ar (= ¨gl) diom +ith dod¨ (= gl¨) diom +sp gl¨ gl¨ hipp (gl ‒)
649/658 Diese Verse können als anaklastischer Dodrans analysiert werden, wenn man die zweite Länge als aufgelöst betrachtet. Alternativ wäre an einen Fünffüßler (‒ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ‒) zu denken, wenn man ἀχ͜͜έων und παθ͜͜έων jeweils zweisilbig liest (vgl. Martina ΙΙΙ, S. 228). ANAPÄSTE DES CHORS (759–763) 759–761 762 763
2 an an par (2 an)
3. STASIMON (824–865) 824/835 825-6/836 826-7/837-8 828-9/839-40 830-1/841-2
⏒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏔ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒
στρ. αʹ + ἀντ. αʹ ×D×e e‒D ‒ e ‒ D (ie) D‒D ‒ e ‒ D ‒ (ie ‒)
Metrische Analysen
832-3/ 843-4 834/845
‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒
441 D‒e‒ hipp (gl ‒)
828/839 Die Responsion von αὔρας (839, ‒ ‒) mit σοφίαν (828, ⏑⏑ ‒) ist ungewöhnlich. 832-3 λέγουσῑ wegen ξανθὰν (834) 837-8 κατᾱπνεῦσαι: normalerweise wird in dieser Position kurz gemessen, vgl. aber z. B. Soph. Ant. 612 τṑ πρὶν, OC 180 ἔτῑ προβίβαζε (Martina III 284) 846/856 847/857 848/858 849/859 850/860 851/861 852/862 853/863 854/864 855/865
⏓ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒⏑‒⏑‒‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ 𝄑̲ ‖ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑⏑ ‒ ‒
στρ. βʹ + ἀντ. βʹ ×D dod ith hag (=hipp) hag (=hipp) tl (vgl. o. Anm. 3) hag (=hipp) hag (=hipp) tl ad
862 φόν͝ου; οὐ Hiatkürzung der zweiten Silbe von φόνου, vgl. Page zu 861–2. 4. STASIMON (976–1001) 976/983 977/984 978/985 979/986 980-1/987-8 982/989
‒ ‒⏖‒⏖‒ ‒ ‒⏑‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏖‒⏖‒‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏖‒⏖‒‒ ‒⏑‒‒ ‒⏑‒‒ ‒‒‒⏖‒ ‒ ‒⏑‒ ‒ ‒⏑‒ ‒⏑‒
στρ. αʹ + ἀντ. αʹ ‒D‒e e‒D‒ e‒D‒ E ‒ (2 tr) D‒e‒ 2 cr
978 χρῠσέων, vgl. oben zu 634. 990-1/996-7 992/998 993/999 994/1000 995/1001
⏑ ‒⏖‒⏖‒ ⏑ ‒⏑‒⏑‒‒ ‒⏑‒⏑‒‒ ⏖‒⏖‒ ⏖‒⏖‒ ⏑ ‒⏖‒⏖‒ ‒‒⏑‒ ‒⏑‒⏑‒‒
στρ. βʹ + ἀντ. βʹ ⏑ D ⏑ + ith ith 2 an ⏑D ia + ith
442
Anhang
ANAPÄSTE DES CHORES (1081–1115) 1081–1083 1084 1085–1088 1089 1090–1092 1093 1094–1096 1097 1098–1103 1103 1103a 1104 1105–1113 1114 1115
2 an an 2 an par (2 an) 2 an an 2an par (2 an) 2 an 2 an an par (2 an) 2an an par (2 an)
5. STASIMON (1251–1292) 1251/1261 1252/1262 1253/1263 1254/1264 1255/1265 1256/1266 1257/1267 1258/1268 1259/1269 1260/1270
⏑‒‒ ⏑‒‒⏑‒ ⏓ ‒ ⏕ ⏑ ‒ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑‒‒⏑‒ ⏑‒‒⏑‒ ‒ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑͡⏑ ⏑ ‒ ⏓ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏓ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏓ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏓ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒
στρ. αʹ + ἀντ. αʹ ba + δ 2δ 2δ 2δ mol +δ 2δ δ 2δ 2δ
1255/1265 entsprechend 1251/1261 (ba + δ) eher als mol + δ zu analysieren denn als δ + cr 1257 ἀνέρων (‒⏑‒), epische Form (mit ᾱ), die auch in Singversen der Tragödien vorkommt. 1273/1282 1274/1283 1271b/1284 1272/1285 1275/1286 1276/1287 1277/1288 1278/1289
⏑‒‒⏑‒ ⏑‒‒⏑‒ ⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒ ‖ ‒‒⏑ ⏓⁝‒⏑‒ ⏓‒⏑‒ ⏓‒⏑‒ ⏑‒⏑⁝‒ ⏑‒⏑‒ ⏑‒‒⏑‒ ⏑‒‒⏑‒ ⏑‒‒⏑‒‖ ‒‒⏑‒ ⏒‒⏑⁝‒ ⏑‒⏑‒ ⏓‒⏑‒ ‒⁝‒⏑‒ ⏑‒⏑‒
στρ. βʹ + ἀντ. βʹ 2δ 2δ 3 ia 3 ia 2δ δ 3 ia 3 ia
Metrische Analysen
443
1279/1290 1280/1291 1281a/1292a 1281b/1292b
2δ δ 2 ia δ
⏑ ‒ ‒ ⏑ ‒ ⏑ ⏑͡⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑‒‒⏑‒ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ⏑͡⏑ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ⏑‒‒⏑‒
ANAPÄSTE (1389–1419) 1389 1390 1391–1413 1414 1415–1418 1419
2 an an 2 an par (2 an) 2 an par (2 an)
Hypotheseis zur Medea Zur Medea sind drei sogenannte Hypotheseis (‚Inhaltsangaben‘ / ‚Einleitungen‘) vollständig bzw. in größerem Umfang überliefert (dazu kommt ein kurzes Bruchstück einer vierten). I und II finden sich in Handschriften der Medea, III und IV in Papyri. Sie repräsentieren zugleich die drei bekannten Formen von Hypotheseis (vgl. zu diesen Formen Zuntz 1955, 129–146). Zu den Bedeutungen des Begriffs hypothesis im Einzelnen vgl. Meccariello 2014, 31–37. Die älteste Form (Nr. II) geht auf den alexandrinischen Gelehrten Aristophanes von Byzanz (3./2. Jh. v. Chr.) zurück. Idealtypisch behandelten seine Einleitungen „den Hauptgegenstand des Stückes (…) sehr kurz und streiften die Behandlung desselben Stoffes durch andere Dramatiker; dann benannten sie die Szene, die Identität des Chores und des Prologsprechers, endlich gaben sie die Zeit der ersten Aufführung an, die Titel der anderen Stücke, die vom selben Autor gleichzeitig zur Aufführung gebracht wurden, die Namen der Mitbewerber samt dem Ergebnis des Wettbewerbs, … und eine kritische Beurteilung“ (Pfeiffer 1978, 239). Beim zweiten Typus (Nr. III) handelt es sich um Inhaltsbeschreibungen ohne gelehrte Details, die jeweils mit dem Zitat des ersten Verses des Dramas beginnen (Pfeiffer 1978, 240 f.). Nr. IV ist vermutlich ein Rest einer solchen Hypothesis. Diese Hypotheseis dürften als eine Art Kompendium, als Kurzfassung der Dramentexte, gedacht sein, nicht als Einleitung zu ihnen (vgl. Rusten 1982, 357 f.; Bing 2011, 11 f.). Nach Sextus Empiricus (Adversus mathematicos 3,3) gab es von Dikaiarch „einige hypotheseis der mythoi des Euripides und Sophokles“. Mit mythoi sind die Inhalte, die stofflichen Erzählungen der Tragödien gemeint. Es ist auch überliefert, dass Dikaiarch eine Hypothesis zum ps.-euripideischen Rhesos herausgegeben hat (TrGF II2 p. 19, F 8 l; Kassel 1985, 53). Insbesondere Haslam (1975, 150–155) hat mit Verweis darauf und auf weitere Zeugnisse die These vertreten, die Hypothesen-Sammlung des zweiten Typs gehe auf den Aristoteles-Schüler Dikaiarch von Messene zurück; dagegen hat Rusten 1982 gute Gründe geltend gemacht, dass sie fälschlich diesem Dikaiarch zugeschrieben wurde und wohl ins 1. oder 2. Jh. n. Chr. zu datieren ist; vgl. auch Kassel 1985, 53; Diggle (2005, 65–67) plädiert für die Zeit zwischen dem 2. Jh. v. und dem 1. Jh. n. Chr. Aus Kassels Ausführungen geht auch hervor, dass bei Anatolios (Text bei Kassel 1985, 55), der auf derselben Quelle wie Sextus beruht, Dikaiarch nicht erwähnt wird. Dagegen tritt Luppe (1985, 610–612) gegen Rusten weiterhin mit m. E. nicht durchschlagenden Argumenten für die Zuschreibung an Dikaiarch von Messene ein. Vgl. jetzt aber Meccariello (2014, 80–82) und Verhasselt (2015), die den Aristarch-Schüler Dikaiarch von Sparta
Metrische Analysen
445
(Suda δ 1063), der im 2. Jh. v. Chr. lebte, für den möglichen Verfasser halten; skeptisch gegen diese Zuschreibung Magnani 2016. Auf der Basis von Hypotheseis des zweiten Typs entstanden in byzantinischer Zeit die Einleitungen zu den jeweiligen Dramen in den mittelalterlichen Handschriften (Zimmermann 1998, 819); diese dritte Form liegt typologisch in Hypothesis I vor. Ob im konkreten Fall die Hypothesis I zur Medea eine verkürzte Version der überlieferten Hypothesis III darstellt, ist allerdings strittig; vgl. Komm. zu Hypothesis I, 1–9. Im Folgenden werden die vier Hypotheseis in Übersetzung (soweit möglich) und mit griechischem Text wiedergegeben. Die Kommentierung beschränkt sich auf das für das sachliche Verständnis Wesentliche (z. T. detailliertere Erläuterungen, auch im Sprachlichen, bietet Martina III 7–14).
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Anhang
I. INHALTSANGABE ZUR MEDEA Nachdem Iason nach Korinth gekommen war, wobei er auch Medea mit sich gebracht hatte, verlobt er sich auch mit Glauke, der Tochter des korinthischen Königs Kreon, um sie zu heiraten. Als aber Medea von Kreon aus Korinth verbannt werden soll und erfolgreich erbeten hatte, einen Tag bleiben zu dürfen, (5) schickt sie Glauke als Belohnung für die gewährte Gunst durch ihre Kinder Geschenke, ein Gewand und einen goldenen Kranz; als sie diese Dinge anlegt, geht sie zugrunde und auch Kreon kommt um, als er seine Tochter umarmt hat. Medea tötet ihre Kinder und entkommt auf einem Gefährt mit geflügelten Schlangen, das sie von Helios erhalten hat, nachdem sie darauf aufgestiegen war, nach Athen und heiratet dort Aigeus, den Sohn Pandions. (10) Pherekydes und Simonides sagen, dass Medea Iason gekocht und so jung gemacht habe. Über seinen Vater Aison sagt der Dichter der Nostoi, Folgendes: I. ΥΠΟΘΕΣΙΣ ΜΗΔΕΙΑΣ Ἰάσων εἰς Κόρινθον ἐλθών, ἐπαγόμενος καὶ Μηδείαν, ἐνγυᾶται καὶ τὴν Κρέοντος τοῦ Κορινθίων βασιλέως θυγατέρα Γλαύκην πρὸς γάμον. μέλλουσα δὲ ἡ Μηδεία φυγαδεύεσθαι ὑπὸ τοῦ Κρέοντος ἐκ τῆς Κορίνθου, παραιτησαμένη πρὸς μίαν ἡμέραν μεῖναι καὶ τυχοῦσα, μισθὸν τῆς χάριτος δῶρα διὰ τῶν παίδων πέμπει τῇ Γλαύκῃ ἐσθῆτα καὶ χρυσοῦν στέφανον, οἷς ἐκείνη χρησαμένη διαφθείρεται· καὶ ὁ Κρέων δὲ περιπλακεὶς τῇ θυγατρὶ ἀπόλλυται. Μήδεια δὲ τούς ἑαυτοὺς παῖδας ἀποκτείνασα ἐπὶ ἅρματος δρακόντων πτεροτῶν, ὃ παρ᾿ Ἡλίου ἔλαβεν, ἔποχος γενομένη ἀποδιδράσκει εἰς Ἀθήνας κἀκεῖσε Αἰγεῖ τῷ Πανδίονος γαμεῖται. Φερεκύδης (FGrHist 3 F 113 a+b / BNJ 3 F 113) δὲ καὶ Σιμωνίδης (548 PMG; 270 Poltera) φασὶν ὡς ἡ Μήδεια ἀνεψήσασα τὸν Ἰάσονα νέον ποιήσειεν. περὶ δὲ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ Αἴσονος ὁ τοὺς Νόστους ποιήσας (F 6 Davies, F 6 West) φησὶν οὕτως·
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Text und Apparat nach Diggle 1984, pp. 88 f. Ediert auch von Martina (I 29) mit detaillierter Kommentierung (III 7–11). – Die Hypothesis ist nur in einer Hs. des Euripides-Textes (D, Laurentianus 31.15) ganz überliefert, in den anderen finden sich jeweils einzelne Abschnitte in wechselnder Repräsentation. Im Folgenden werden nur größere Abweichungen zwischen den Hss. vermerkt (vollständigere Angaben bei Diggle). Überschrift ὑπόθεσις μηδείας : ὑπόθεσις εὐριπίδου μηδείας 4 πρὸς μίαν : ὡς μίαν : εἰς μίαν Nauck 6 χρησαμένη : διαχρησαμένη 7 ἀπόλλυται : συναπόλλυται Tr. : ἀπώλετο (Hss.) 11 ἀνεψήσασα : ἐφψήσασα : ἀφεψήσασα Elmsley (vgl. Σ Aristophanes, Ritter 1321) 12 ποιήσειεν : ἐποίησεν Tr
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1–9 Diese Zeilen weisen eine im Vergleich zu Hypothesis III sehr viel kürzere Inhaltsangabe der Medea auf, nach Luppe (1986, 52) eine verkürzte Version der Hypothesis III, wohingegen für Meccariello (2014, 242 f.) die Beziehungen eine Abhängigkeit nicht beweisen. Eine wirkliche Vorstellung vom Geschehen zu gewinnen, fällt auf der Grundlage von Hypothesis I schwer. Die Heirat Iasons mit der Königstochter steht anders als in der Medea (z. B. 18) noch bevor. Man erfährt nicht, warum Medea verbannt werden soll. Die Geschenke für Kreons Tochter dienen in der Medea nicht als Belohnung, sondern sollen (vordergründig) bewirken, dass die Kinder nicht verbannt werden (Med. 946 ff.). Warum Medea ihre Kinder tötet, bleibt unklar, weil überhaupt der Rachegedanke nicht erwähnt wird. Von geflügelten Schlangen und einer Heirat mit Aigeus ist im Text nicht bzw. nicht ausdrücklich die Rede. 10–33 Hier findet sich weiteres Material, das mehr oder weniger eng mit dem Drama Medea zusammenhängt. 10–19 Es werden drei Verjüngungswunder aufgeführt, wovon die Iason und Aison betreffenden immerhin mit dem Argonauten-Stoff zu tun haben, während die Verjüngung der Ammen des Dionysos und ihrer Männer außerhalb dieses Stoffes liegt, aber ebenfalls von Medea bewirkt wurde (vgl. auch Scholion zu Aristophanes, Ritter 1321a u. b [Jones / Wilson], wo allerdings nur von den Ammen die Rede ist), so dass alle drei Fälle die Zauberkraft Medeas belegen. 10–12 Pherekydes von Athen (5. Jh. v. Chr.) ist der Verfasser eines genealogischen Werks, Simonides (6./5. Jh. v. Chr.) ein lyrischer Dichter. Die Verjüngung Iasons wird außer von diesen beiden Autoren noch im Scholion zu Lykophron, Alexandra 1315 (p. 240,13 f. Leone) erwähnt. 12–16 Für den Vater Aison dient das zum Troischen Sagenkreis gehörige archaische Epos Nostoi als Quelle. Die von einem unbekannten Dichter stammenden ‚Heimkehrsagen‘ behandelten die Schicksale der vom Trojanischen Krieg heimkehrenden Helden (vgl. die Homerische Odyssee). Im Fall Aisons wird nicht die zu verjüngende Person selbst gekocht (vgl. auch Komm. zu Med. 9, Pelias), sondern Kräuter, mit deren Saft (wenn man Ovid, Metamorphosen 7,285–293 glauben darf) Medea Aisons Blut ersetzte.
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Sogleich machte sie Aison zu einem gefälligen jungen Mann, (15) nachdem sie sein Alter abgestreift hatte mit ihren Kenntnissen und viele Zaubermittel in ihren goldenen Kesseln gekocht hatte. Aischylos berichtet in den Trophoi, dass sie auch die Ammen des Dionysos zusammen mit ihren Männern gekocht und verjüngt hat. Staphylos (20) sagt, dass Iason auf eine bestimmte Art von Medea getötet worden sei; sie habe ihn nämlich aufgefordert, sich dann unter dem Heck der Argo schlafen zu legen, als es Zeit war, dass das Schiff auseinanderfallen sollte; als nun das Heck auf Iason gefallen sei, habe er sein Leben beendet. Man glaubt, dass er das Drama sich von Neophron angeeignet habe, (25) nachdem er es umgearbeitet hatte, wie Dikaiarch ⟨in (sc. Buch) …⟩ Über das Leben Griechenlands und Aristoteles in den Hypomnemata (berichten). Man wirft ihm vor, dass Medea ihre Verstellung nicht bewahrt habe, sondern in Tränen ausgebrochen sei, als sie auf Iason und die Frau einen Anschlag plante. Gelobt wird aber der (30) Anfang wegen seines starken Pathos und die Gestaltung ‚und nicht in den waldigen Tälern‘ und das Folgende. αὐτίκα δ᾿ Αἴσονα θῆκε φίλον κόρον ἡβώωντα, γῆρας ἀποξύσασ᾿ εἰδυίῃσι πραπίδεσιν, φάρμακα πόλλ᾿ ἕψουσ᾿ ἐπὶ χρυσείοισι λέβησιν. Αἰσχύλος (TrGF III2 F 246a) δὲ ἐν {ταῖς Διονύσου} Τροφοῖς ἱστορεῖ ὅτι καὶ τὰς Διονύσου τροφοὺς μετὰ τῶν ἀνδρῶν αὐτῶν ἀνεψήσασα ἐνεοποίησεν. Στάφυλος (FGrHist / BNJ 269 F 11) δέ φησι τὸν Ἰάσονα τρόπον τινὰ ὑπὸ τῆς Μηδείας ἀναιρεθῆναι· ἐγκελεύσασθαι γὰρ αὐτὴν οὕτως ὑπὸ τῇ πρύμνῃ τῆς Ἀργοῦς κατακοιμηθῆναι, μελλούσης τῆς νεὼς διαλύεσθαι ὑπὸ τοῦ χρόνου· ἐπιπεσούσης γοῦν τῆς πρύμνης τῷ Ἰάσονι τελευτῆσαι αὐτόν. τὸ δρᾶμα δοκεῖ ὑποβαλέσθαι παρὰ Νεόφρονος (TrGF I2 15) διακευάσας, ὡς Δικαίαρχος (FGrHist 1400 F 9) ⟨ἐν ⟩ τοῦ τῆς Ἑλλάδος βίου καὶ Ἀριστοτέλης (F 635 Rose3 = F 774 Gigon) ἐν ὑπομνήμασι. μέμφονται δὲ αὐτῷ τὸ μὴ πεφυλαχέναι τὴν ὑπόκρισιν τὴν Μήδειαν ἀλλὰ προπεσεῖν εἰς δάκρυα, ὅτε ἐπεβούλευσε τῷ Ἰάσονι καὶ τῇ γυναικί. ἐπαινεῖται δὲ ἡ εἰσβολὴ διὰ τὸ παθητικῶς ἄγαν ἔχειν ἡ ἐπεξεργασία ῾μηδ᾿ ἐν νάπαισι᾿ (Med. 3) καὶ τὰ ἑξῆς.
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14 ἡβώωντα (Davies, West) : ἡβόωντα : ἠβώοντα +Lascaris 15 ἀπυξύσασ᾿ εἰδυίῃσι : ἀπυξύσασ᾿ ἰδυίησι : ἀπυξύσασα ἰδυίῃσι Elmsley, West 16 ἕψουσ᾿ ἐπὶ Hss. : ἕψουσα ἐνὶ West | χρυσείοισι Tr : χρυσέοισι (Hss.), West 17 {ταῖς Διονύσου} Morison in BNJ 3 F 113, {Διονύσου} bereits Elmsley 19 ἀνεψήσασα Hss. : ἀφεψήσασα Σ Aristophanes, Ritter 1321, Elmsley (vgl. 12) | ἐνεοποίησεν (Hss.) : ἐζωοποιήσε(ν) +Tr 20–21 ἐγκελεύσαθαι Lascaris : ἐκκελεύσαθαι Hss. 23 γοῦν : γὰρ 24–33 Dieser Abschnitτ ist in einer Hs. (P) in die Hypothesis des Aristophanes eingeordnet, nach Z. 6). 25 τοῦ τῆς Wecklein : τοῦ τε : περὶ τοῦ τε 27 τὸ +Brunck : τῶ : Ø | πεφυλαχέναι Nauck : πεφυλακέναι Hss. 28 τὴν Μήδειαν Beck : τῆ(ι) μηδεία(ι) Hss. | προπεσεῖν Kirchhoff : προσπεσεῖν : πεσεῖν
Hypotheseis
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17–19 Die dritte Quelle ist Aischylos mit seinem nicht erhaltenen Stück ‚Die Ammen‘ (sc. des Dionysos), vermutlich ein Satyrspiel (TrGF III2, p. 350). 19–23 Staphylos von Naukratis gilt als Ethnograph; er lebte vor der Mitte des 2. Jh.s v. Chr. (vgl. Pitcher, BNJ 269, Biographical Essay). Während in der Medea die Titelfigur lediglich voraussagt, wie Iason umkommen wird (1386– 1388), bietet Staphylos eine Version, nach der Medea aktiv zu Iasons Tod beigetragen hat. Eine entsprechende Version weist auch das Scholion zu Med. 1386 auf. 24–33 Den Abschluss der Hypothesis bilden literarkritische Bemerkungen zur Medea. 24–27 Nach dieser Angabe ist Euripides mit seiner Medea von einem Neophron abhängig, von dessen Medea-Drama einige Fragmente erhalten sind (vgl. u. S. 458–461). Danach wäre Euripides nicht der erste, der Medea zur Mörderin ihrer eigenen Kinder gemacht hat. Als Quellen werden der AristotelesSchüler Dikaiarch von Messene (4. Jh. v. Chr.) und die Hypomnemata (historica) des Aristoteles genannt. Aus diesem Werk des Aristoteles sind einige wenige Fragmente überliefert, die teilweise aber alternativ oder auch nur dem Aristoteles-Schüler Theophrast von Eresos (4. Jh. v. Chr.) zugeschrieben werden. An sich sind diese Quellen unverdächtig, trotzdem wird die Nachricht weithin nicht für zuverlässig gehalten. Vgl. dazu Einf., S. 42–44. 27–29 Dieses ästhetische Urteil eines unbekannten Urhebers lässt ein groteskes Missverständnis der euripideischen Figurenzeichnung erkennen. Der Kritiker hat den von Euripides gestalteten inneren Widerstreit Medeas zwischen Mutterliebe und Racheverpflichtung nicht verstanden. 29–30 Das Lob der Eingangsszene bezieht sich auf die emotionsgeladenen Äußerungen, die von Medea aus dem Inneren des Hauses zu hören sind, und auf die Gestaltung der ersten Verse des Dramas.
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Das hat Timachidas nicht verstanden und sagt, er habe ein Hysteron proteron gebraucht wie Homer: ‚nachdem sie ihm duftende Kleider angetan und ihn gebadet‘ (Übers. Schadewaldt). ὅπερ ἀγνοήσας Τιμαχίδας (F 31a Matijašić) τῷ ὑστέρῳ φησὶ πρώτῳ κεχρῆσθαι ὡς Ὅμηρος (Od. 5,264)· εἵματα τ᾿ ἀμφιέσασα θυώδεα καὶ λούσασα.
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33 τ᾿ Brunck (vgl. Od. 5,264) : δ᾿ Hss. Nach Scholion zu Med. 1 lautet der Text der Zeilen 31–33 (= F 31a Matijašić): ὁ δὲ Τιμαχίδας τὸν τρόπον τῆς ποιήσεως ἀγνοήσας ποητικὸν ὄντα τῷ ὑστέρῳ πρώτῳ φησὶ χρῆσθαι ὡς Ὅμηρος (Od. 5,264)· ‘εἵματα δ᾿ ἀμφιὲσσα θυώδεα καὶ λούσασα᾿. πρότερον γάρ φησι φῦναι τὰ δένδρα, εἶθ᾿ οὕτως κατασκευασθῆναι τὴν Ἀργώ.
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31–33 Timachidas ist ein Grammatiker des 2./1. Jh.s v. Chr. Nach der Wiedergabe seiner These im Scholion zu Med. 1 stützte er seine Auffassung, Euripides verwende am Anfang der Medea (1–4) ein Hysteron proteron, mit dem Argument, dass zuerst die Bäume entstehen müssten und dann erst die Argo hätte gebaut werden können. Tatsächlich ist die Kritik aber nicht berechtigt: „ ‘would that Argo had not sailed … would indeed that she had never been built’ is not an hysteron-proteron, but a logical sequence of thoughts“ (Page, S. 61). Vgl. auch Matijašić 2020, 160. – Zur Umgestaltung bei Ennius vgl. Komm. zu 1–15.
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II. DES PHILOLOGEN ARISTOPHANES INHALTSANGABE Medea tötete aus Feindschaft gegen Iason, weil jener Glauke, die Tochter Kreons, geheiratet hatte, diese und Kreon und die eigenen Söhne; sie schied sich von Iason, um mit Aigeus zusammenzuleben. Die Dramatisierung dieses Stoffs findet sich bei keinem der beiden anderen Tragiker. Der Schauplatz des Dramas befindet sich in Korinth, (5) der Chor besteht aus Bürgerinnen. Den Prolog spricht die Amme Medeas. Aufgeführt wurde (das Drama) unter dem Archontat des Pythodoros im ersten Jahr der 87. Olympiade. Der erste war Euphorion, der zweite Sophokles, der dritte Euripides mit der Medea, dem Philoktet, dem Diktys und dem Satyrspiel Die Schnitter. Es (sc. das Satyrspiel) ist nicht erhalten. (10) Die Personen des Dramas: Amme, Paidagogos, Medea, Chor der Frauen, Kreon, Iason, Aigeus, Bote, Kinder der Medea. II. ΑΡΙΣΤΟΦΑΝΟΥΣ ΓΡΑΜΜΑΤΙΚΟΥ ΥΠΟΘΕΣΙΣ Μήδεια διὰ τὴν πρὸς Ἰάσονα ἔχθραν τῷ ἐκεῖνον γεγαμηκέναι τὴν Κρέοντος θυγατέρα Γλαύκην ἀπέκτεινε μὲν ταύτην καὶ Κρέοντα καὶ τοὺς ἰδίους υἱούς, ἐχωρίσθη δ᾿ Ἰάσονος Αἰγεῖ συνοικήσουσα. παρ᾿ οὐδετέρῳ κεῖται ἡ μυθοποιία. ἡ μὲν σκηνὴ τοῦ δράματος ὑπόκειται ἐν Κορίνθῳ, ὁ δὲ χορὸς συνέστηκεν ἐκ γυναικῶν πολιτίδων. προλογίζει δὲ τροφὸς Μηδείας. ἐδιδάχθη ἐπὶ Πυθοδώρου ἄρχοντος ὀλθμπιάδι ̅π̅ζ̅ ἔτει ᾱ. πρῶτος Εὐφορίων, δεύτερος Σοφοκλῆς, τρίτος Εὐριπίδης Μηδείᾳ, Φιλοκτήτῃ, Δίκτυι, Θερισταῖς σατύροις. οὐ σῴζεται. τὰ τοῦ δράματος πρόσωπα· τροφός, παιδαγωγός, Μήδεια, χορὸς γυναικῶν, Κρέων, Ἰάσων, Αἰγεύς, ἄγγελος, παῖδες Μηδείας.
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Text und Apparat nach Diggle 1984, p. 90. Ediert auch von Martina (I 29 f.) mit detaillierter Kommentierung (III 11–14). Überschrift ἀριστοφάνους γραμματικοῦ ὑπόθεσις : ἄλλως ἀριστοφάνους γραμματικοῦ ὑπόθεσις : ἀριστοφάνους γραμματικοῦ ὑπόθεσις μηδείας : Ø 1–2 τὴν … θυγατέρα Γλαύκην Diggle : τὴν γλαύκην … θυγατέρα : τὴν … θυγατέρα 2 ταύτην καὶ Κρέοντα Schwartz : γλαύκην καὶ κρέοντα : γλαύκην κρέοντα: κρέοντα : γλαύκην 3 συνοικήσουσα Lascaris : συνοικήσασα Hss. 4–6 ἡ … Μηδείας teils an dieser Stelle : teils nach Z. 11 angeordnet : teils Ø 7 Πυθοδώρου Brunck : Πυθιοδώρου | ἔτει ᾱ Matthiae : ἔτει +´: ε̑τ : ι̑δ ε̗ῑ: δε̗ : Ø 9 Δίκτυι Kirchhoff : δίκτι : δίκτης | Θερισταῖς σατύροις Kirchhoff : θερισταὶ σάτυρος Hss. 10–11 Das Personenverzeichnis bieten die Hss. in unterschiedlicher Anordnung.
Hypotheseis
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Hypothesis II. Diese sehr technischen Angaben, die auf den Gelehrten und Vorsteher der Bibliothek in Alexandria Aristophanes von Byzanz (3./2. Jh. v. Chr.) zurückgehen, haben ihre Funktion als Einleitung zum Dramentext. Sie bestehen aus einer sehr kurzen Inhaltsangabe (1–3), weiteren Informationen zum Drama (3–6), didaskalischen Angaben (7–9) und dem Personenverzeichnis (10–11). 1–3 Die Inhaltsangabe des Dramas ist teilweise bis zur Missverständlichkeit verkürzt. Medea hat zwar den Tod Kreons verschuldet, aber der hat sich ungeplant ergeben. Außerdem hat sich Medea nicht von Iason getrennt, um mit Aigeus zusammenzuleben, sondern sie wurde verbannt und erhielt von Aigeus Asyl. 3–4 Die Angabe bedeutet, dass das Medea-Thema weder von Aischylos noch von Sophokles behandelt wurde. Aristophanes beschränkt sich bei diesen Informationen auf die drei großen Tragiker; vgl. Einf., S. 44. 7–9 Die Information geht sehr wahrscheinlich zumindest teilweise auf die Aristoteles im Schriftenverzeichnis des Diogenes Laertios (5,26, p. 361 l. 391 Dorandi) zugeschriebenen Didaskalien (‚Aufführungsurkunden‘) zurück. Sie liefern die wichtigen Angaben über das Aufführungsjahr (431 v. Chr.) nach der athenischen Archontendatierung und nach der Datierung nach Olympiaden, über die Teilnehmer am Wettbewerb der Tragiker, deren Erfolg und die übrigen zusammen mit dem in Rede stehenden Stück aufgeführten Dramen. Pythodoros war Archon Eponymos 432/431 v. Chr. Da die Amtszeit im Sommer begann, die Großen Dionysien, an denen die Medea aufgeführt wurde, aber im Frühjahr stattfanden, ergibt sich nach unserer Zeitrechnung das Jahr 431 v. Chr. Euphorion (TrGF I2 12) war ein Sohn des Tragikers Aischylos (T 1 u. 3). Er siegte zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach dem Tode seines Vaters (456 v. Chr.) mit vier (vgl. TrGF I2, Zusatz auf S. 346 zu Anm. zu T 1 u. 3) Tragödien, die dieser hinterlassen hatte, und im Wettbewerb mit Sophokles und Euripides mit einer eigenen Tetralogie (T 2, vgl. TrGF I2 DID C 12), deren Dramentitel nicht überliefert sind. Von Philoktet und Diktys sind Fragmente überliefert: TrGF V F 787–803; **330b–348. Zu Überlegungen, wie es zum dritten Platz des Euripides kam, vgl. Müller 2002.
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III. 2. MEDEA, DEREN ANFANG IST: ‚Hätte doch nicht das Schiff Argo durchflogen’. Und die Inhaltsangabe: Iason wegen des Mordes an Pelias verließ Iolkos und Flüchtling geworden kam er nach Korinth, wobei er Medea mitnahm. (5) Als jener Glauke, die Tochter Kreons des dortigen Königs, sich zur Frau erbat, zeigte Medea eine barbarische Art und ein sehr zorniges Gemüt und wollte die gebührende Buße für das Geschehene erhalten. Kreon aber, aus Furcht vor ihrer zornigen Art, befahl, dass sie mit (10) den Kindern aus dem Land verbannt werde. Als sie als Aufschub für die Vorbereitung darum bat, einen Tag bleiben zu dürfen, gestand er das zu. Sie aber wurde dadurch ihren Feinden durch List überlegen. Denn den Sohn des Königs Pandion, (15) Aigeus, der zufällig auftauchte, ließ sie schwören, sie in Athen aufzunehmen; und Großherzigkeit heuchelte sie gegenAlle Ergänzungen des bruchstückhaften Papyrus-Textes sind durch kursive Schrift markiert; sie können allerdings nicht in gleicher Weise präzise gekennzeichnet werden wie im griechischen Text. Vgl. auch unten zum griechischen Text.
III. B̅ Μήδεια, ἧϲ ἀρχ[ή· ε]ἴθ᾿ ὤφελ᾿ Ἀργοῦϲ μὴ δ[ιαπτάϲθαι ϲκὰφοϲ. ἡ δ᾿ ὑπόθεσις· Ἰάσων δι-· α̣ τὸν Πελίου φόνον κ̣[αταλιπὼν τὴν Ἰωλκὸν καὶ φυγὰϲ γενόμενοϲ ἦλθεν ε[ἰϲ Κόρινθον ἐπαγόμενοϲ] Μήδεια̣ν. παραιτ̣ηϲαμένο̣[υ δ᾿ ἐκείνου γυναῖκα τὴν] Κρέοντ̣οϲ τοῦ βασιλεύοντοϲ [ἐκεῖ θυγατέρα Γλαύκην] Μήδεια βάρβαρον τρόπον̣ [ἔχουσα καὶ ἀκραχολουν-] τ̣α θυμὸν ἐβούλετο τη̣[ν πρέπουϲαν δίκην τῶν πεπραγ-] μέν]ω̣ν λαβεῖν· ὁ δὲ Κρέ[ων φοβούμενοϲ τὴν ὀργὴν] αὐ]τ̣η[ϲ] ἐκέλευϲε μετὰ [τῶν παίδων αὐτὴν τῆϲ χώραϲ] φ̣υ[γάδ]α γ̣ε̣ν̣έϲθαι.̣ τῆϲ̣ [δ᾿ ἀναβολὴν εἰϲ προκατασκευ-] ην αἰτηϲαμένηϲ μ̣[ίαν ἡμέραν μεῖναι αὐτῆι] ϲυνεχώρησεν· ἡ δ᾿ ἐνταῦθα τ̣[ῶν ἐαυτῆϲ ἐναντίων δόλωι] περ̣ι̣ε̣γενήθη· τὸν γὰρ Π̣[ανδίονοϲ τοῦ βασιλέωϲ υἱὸν] Αἰγέα κατὰ τύχην ἐπ[ιφανέντα ἐξορκώϲαϲα] ἑαυτην ὑποδέξαϲθαι [εἰϲ Ἀθήναϲ καὶ μεγαλοψυχίαν]
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Pap. IFAO inv. PSP 248 (2. Jh. n. Chr.). Erste Publikation von Papathomopoulos 1964; danach Austin 1968, 90 f.; Diggle 1984, 91 f.; Luppe 1986, bes. 53–55; Meccariello 2014, 239–243; Martina I 30 f. Der Text wird wiedergegeben nach Meccariello und Luppe; Luppes sehr weitgehende Ergänzungen (in kursiver Schrift), die teils Ergänzungen früherer Bearbeiter aufgreifen, geben beispielhaft einen Eindruck, wie diese Hypothesis einmal ausgesehen haben könnte. Ergänzungen, die bereits frühere Herausgeber gemacht haben, werden in Normalschrift wiedergegeben.
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Hypothesis III. Diese in einem Pypyrus erhaltene Hypothesis ist nach der Nummerierung im Text die zweite in einer Sammlung, die anscheinend nicht alphabetisch, sondern nach einem inhaltlich-chronologischen Prinzip geordnet war; vermutlich ging also die Hypothesis der Peliaden (TrGF V T i–iii; F 601– 616) voraus (worin es um die Geschehnisse in Iolkos ging); vgl. dazu Colomo 2011a, 45–48 und Meccariello 2014, 240 f. gegen Luppe 2010a, der in der Nummerierung einen Beleg für eine Zweitfassung der Medea, also einen Hinweis für eine vorgängige erste Medea des Euripides sieht, was er gegen Colomo aufrechterhält (Luppe 2011); vgl. aber Meccariello (2019, 202–204), die berechtigte Zweifel an der Existenz von zwei Medea-Dramen des Euripides äußert. Es handelt sich, soweit der Text reicht, um eine im Ganzen sachgemäße Inhaltsangabe der Medea. Aber es fällt auf, dass hier wie in den Hypotheseis I und II die Königstochter den Namen Glauke bekommen hat und nicht klar wird, dass Iason bereits geheiratet hat.
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über Iason und schickte die Kinder Geschenke zu bringen zu Glauke, ein feines Gewand und einen goldenen Kranz, wodurch jene, als sie die Dinge anlegte, ihr Leben (20) unter Schmerzen verließ; denn das Gewand riss das Fleisch ab. Der Vater kam sogleich zu ihr. Er wollte seiner Tochter helfen und versuchte von ihr das, was sie umschlungen hatte, abzuziehen, aber als er die Leiche anfasste, gab er sein Leben auf. Als Iason hörte, was (25) geschehen war, kam er herbei … ὑποκριθεῖϲα⟦ν⟧ π̣ρὸ̣[ϲ Ἰάϲονα τοὺϲ παίδαϲ ἔπεμψε] κομίζονταϲ δῶρα τῆι [Γλαύκηι λεπτὴν ἐϲθῆτα καὶ] χρυϲοῦν ϲτέφανον, οἷ[ϲ ἐκείνη (δια)χρηϲαμένη τὸν βίον] μετ᾿ ἀν̣ίαϲ ἀπέλιπ̣[εν· ἡ γὰρ ἐσθὴϲ αὐτῆι τὴν ϲάρκα] ἀπέ̣δρ̣ υ̣ ψ ̣ εν· ὁ δὲ π[ατὴρ αὐτῆϲ αὐτίκα παρεγένετο.] βοηθεῖν δὲ τῆι θυγατρὶ [βουλόμενοϲ ἐπειρ(άϲ)ατο αὐτῆϲ ἀποϲ̣π̣ά̣ϲα ̣ ι τ̤α π̣ε̣[ριπλακέντα, ἐφαπτόμενοϲ δὲ] τοῦ ν̣εκρ̣οῦ̣ τ̣[ὸν βί]ο̣ν μ̣[ετήλλαξεν. Ἰάσων δὲ ἀκούϲαϲ τὸ] π̣επ ̣ ρ̣ ̣αγ̣ μ ̣ έ̣ ν̣[ον] ἐπ̣ῆ[λθεν
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IV. INHALTSANGABE ZUR MEDEA (?) In den in P. Oxy. 2455 überlieferten Resten ist erkennbar, dass von einem geflügelten (Gefährt) die Rede ist; das bezieht sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Fluchtmöglichkeit der Medea. IV. ΥΠΟΘΕΣΙΣ ΜΗΔΕΙΑΣ (?) .]α̣μένη δ[(ὲ) ἐπ]ή̣ρειαν· τ[ὸν μὲν Ἰάϲσονα ϲ̣εν· αὐτὴ [δὲ π̲τερωτὸν [ἅρμα Με[ P. Oxy. 2455, fr. 1 col. i (Erstherausgeber Turner). Die Reste bilden den Schluss einer Hypothesis, vermutlich der Medea, welcher diejenige der Me[lanippe] folgt; vgl. Turner 1962, 54 f.; Luppe 1986, 51 f. Die Ergänzungen (außer ἐπ]ή̣ρειαν, Turner) stammen von Luppe 1986, 52.
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Hypothesis IV. Die Reste des Schlusses einer Hypothesis zur Medea in P. Oxy. 2455 stammen aus einer alphabetisch geordneten Sammlung, da als nächstes die Hypothesis vermutlich der Melanippe folgt.
Neophron, Medea (TrGF I2 15) Dikaiarch FGrHist 1400 F 9 (~ TrGF I2 15 T 2) Man glaubt, dass er (sc. Euripides) das Drama (sc. die Medea) sich von Neophron angeeignet habe, nachdem er es umgearbeitet hatte, wie Dikaiarch ⟨in (sc. Buch) …⟩ Über das Leben Griechenlands und Aristoteles in den Hypomnemata (berichten). (F 62 Mirhady; F 63 Wehrli2; FHG II, 240 F 16) arg. A Eur. Med. 2 Van Looy: τὸ δρᾶμα (sc. Μήδειαν) δοκεῖ (sc. Εὐριπίδης; T 85 Kannicht) ὑποβαλέσθαι παρὰ Νεόφρωνος (TrGF I 15 T 2) διασκευάσας, ὡς Δικαίαρχος ⟨ἐν …⟩ Περὶ τοῦ τῆς Ἑλλάδος βίου καὶ Ἀριστοτέλης (F 635 Rose3 = F 774 Gigon) ἐν Ὑπομνήμασι. Z. 4 ⟨ἐν …⟩ Περὶ τοῦ τῆς Ἑλλάδος βίου : τοῦ τῆς ἑλλάδος βίου : τοῦ τε ἑλλάδος βίου : περὶ τοῦ τε ἑλλάδος βίου : ø
TrGF I2 15 F 1 Scholion zu Eur. Med. 666: Man meint, dass Aigeus nach Trozen gekommen sei aus Furcht, die Reise (sc. nach Athen) auf dem Landweg zu machen, da Sinis in jenen Gebieten die Oberhand hatte. Neophron aber sagt, Aigeus sei nach Korinth zu Medea gekommen, um sich von ihr das Orakel erklären zu lassen; er schreibt folgendermaßen: Aigeus: Denn tatsächlich bin ich selbst gekommen, um eine Lösung zu erfahren von dir. Das pythische Orakel nämlich, das mir weissagte Phoibos’ Priesterin, kann ich nicht verstehen. Aber gekommen, um mit dir zu sprechen, hoffte ich, dass ich erfahren könnte … Σ Eur. Med. 666: λέγουσι τὸν Αἰγέα εἰς Τροζῆνα ἐληλυθέναι διὰ τὸ δεδοικέναι πεζῇ ποιεῖσθαι τὴν πορείαν, Σίνιδος κατ᾿ ἐκείνους τοὺς χώρους ἐπιπολάζοντος.
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Neophron
Νεόφρων δὲ εἰς Κόρινθον τὸν Αἰγέα φησὶ παραγενέσθαι πρὸς Μήδειαν ἕνεκα τοῦ σαφηνισθῆναι αὐτῷ τὸν χρησμὸν ὑπ᾿ αὐτῆς {τῆς Μηδείας}*, γράφων οὕτω· ΑΙΓΕΥΣ· καὶ γάρ τιν’ αὐτὸς ἤλυθον λύσιν μαθεῖν σοῦ· Πυθίαν γὰρ ὄσσαν, ἣν ἔχρησέ μοι Φοίβου πρόμαντις, συμβαλεῖν ἀμηχανῶ· σοὶ δ’ εἰς λόγους μολὼν ἂν ἤλπιζον μαθεῖν … * τῆς Μηδείας {…} Nauck 2 Πυθίαν Valckenaer : πρὶν θείαν Hs. B 3–4 ἀμηχανῶ· σοὶ δ’ Valckenaer : ἀμηχάνωσ οἰδ᾿ Hs. B 4 μολὼν Valckenaer : μολεῖν Hs. B | ἂν Dindorf : γ᾿ ἂν Porson : γὰρ Hs. B
TrGF I2 15 F 2 Stobaios, Anthologie 3,20,33 (3,545,12 W.-H.), Abschnitt ‚Über den Zorn‘. In Neophrons Medea (steht): ⟨Medea⟩: Nun gut; was willst du tun, mein Herz? Überlege gut, bevor du einen Fehler begehst und das Liebste zum Verhasstesten machst. Wohin denn stürzt du, elendes Herz? Zügle deinen Zorn und die gottverhasste Gewalt! Und wozu beklage ich das, wo ich doch meine Seele verlassen und vernachlässigt sehe von denen, die es am wenigsten hätten tun sollen? Werden wir denn feige, obwohl wir derartige Übeltaten erleiden? Verrate dich nicht, mein Herz, in diesen Leiden! Weh mir! Es ist beschlossen, Kinder, geht mir aus den Augen! Denn schon hat sich mir mörderischer Wahn in mein großes Herz gesenkt. Ihr Hände, ihr Hände, zu was für einer Tat rüsten wir uns! Weh, ich Unselige in meiner Verwegenheit, da ich meine lange Mühe mich anschicke in kurzer Zeit zu zerstören.
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Stobaios, Anthologie 3,20,33 (3,545,12 W.-H.), περὶ ὀργῆς. Νεόφρονος ἐν Μηδείᾳ· ⟨ΜΗΔΕΙΑ⟩ εἶἑν· τί δράσεις, θυμέ; βούλευσαι καλῶς πρὶν ἐξαμαρτεῖν καὶ τὰ προσφιλέστατα ἔχθιστα θέσθαι. ποῖ ποτ’ ἐξῇξας τάλας; κάτισχε λῆμα καὶ σθένος θεοστυγές.
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Anhang
καὶ πρὸς τί ταῦτα δύρομαι, ψυχὴν ἐμήν ὁρῶσ’ ἔρημον καὶ παρημελημένην πρὸς ὧν ἐχρῆν ἥκιστα; μαλθακοὶ δὲ δή τοιαῦτα γιγνόμεσθα πάσχοντες κακά; οὐ μὴ προδώσεις, θυμέ, σαυτὸν ἐν κακοῖς; οἴμοι, δέδοκται· παῖδες, ἐκτὸς ὀμμάτων ἀπέλθετ’· ἤδη γάρ με φοινία μέγαν δέδυκε λύσσα θυμόν. ὦ χέρες χέρες, πρὸς οἷον ἔργον ἐξοπλιζόμεσθα· φεῦ, τάλαινα τόλμης, ἣ πολὺν πόνον βραχεῖ διαφθεροῦσα τὸν ἐμὸν ἔρχομαι χρόνῳ.
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(Apparat nach der Ausgabe von Wachsmuth-Hense) 2 πρὶν ἐξαμαρτεῖν Porson, Thompson : πρὶν ἢ ᾿ξαμαρτεῖν Hss. 3 ἐξῇξας cod. Paris. 1985 (Korrektur von zweiter Hand lt. Gaisford) : ἐξηξαι S : ἐξῆξαι Trinc. 4 λῆμα Trinc. : λῆμμα S 5 ταῦτα δύρομαι Porson : ταῦτα ὀδύρομαι S 8 γιγνόμεσθα Gesner : γιγνόμεθα S 9 προδώσεις cod. Voss. : πῥροδώσης S 11 μέγαν] vgl. Eur. TrGF V F 257,1 πολλοὺς δ᾿ ὁ θυμὸς ὁ μέγας ὤλεσεν βροτῶν
TrGF I2 15 F 3 Scholion zu Eur. Med. 1386: Die einen sagen, Iason habe sich auf Geheiß Medeas unter dem Heck der Argo schlafen gelegt und sei so zu Tode gekommen, als ein Holzstück auf ihn fiel. Aber Neophron sagt, Iason habe sein Ende auf eine recht befremdliche Weise durch Erhängen1 gefunden. Denn er lässt Medea auftreten mit folgenden an ihn gerichteten Worten: Medea: Denn am Ende wirst du dich selbst mit dem schändlichsten Tod vernichten, nachdem du eine Schlinge aus einem Strick um den Hals zugezogen hast. Ein solches Schicksal erwartet dich wegen deiner schlimmen Taten, eine Lehre für die anderen für alle Ewigkeit, dass sich niemals Sterbliche über die Götter erheben sollen.
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Σ Eur. Med. 1386: οἱ μὲν λέγουσι κατὰ Μηδείας {χόλον ἤ, Schwartz} κέλευσιν ὑπὸ τῇ πρύμνῃ τῆς Ἀργοῦς καταδαρθέντα τὸν Ἰάσονα τελευτῆσαι, ἐμπέσοντος αὐτῷ ξύλου. Νεόφρων δὲ ξενικώτερον ἀγχόνῃ φησὶ τελευτῆσαι· τὴν γὰρ Μήδειαν παράγει πρὸς αὐτὸν εἰποῦσαν· 1 Selbsttötung durch Erhängen (anders als etwa mit einem Schwert) konnte als schimpflich angesehen werden; vgl. Eur. Hel. 298–303 (wohl interpoliert, aber sachlich einschlägig). Diese Todesform ist besonders für Frauen überliefert, sie galt in der griechischen Welt als Tod der Verzweifelten; vgl. van Hooff 1990, 64–72.
Neophron
ΜΗΔΕΙΑ τέλος φ⟨θ⟩ερεῖς γὰρ αὑτὸν αἰσχίστῳ μόρῳ δέρῃ βροχωτὸν ἀγχόνην ἐπισπάσας. τοία σε μοῖρα σῶν κακῶν ἔργων μένει, δίδαξις ἄλλοις μυρίας ἐφ’ ἡμέρας θεῶν ὕπερθε μήποτ’ αἴρεσθαι βροτούς. 1 φ⟨θ⟩ερεῖς Elmsley : φέρεισ (nach μόρῳ platziert) Hs. B | αἰσχίστῳ Elmsley : ἐχθίστῳ Hs. B 2 δέρῃ hier platziert von Nauck : am Ende des Verses Hs. B | ἀγχόνην Hermann : ἀγχόνησ Hs. B 4 δίδαξις ἄλλοις Elmsley : διδάξεισ τ᾿ ἄλλουσ Hs. B | μυρίας ἐφ’ ἡμέρας Wilamowitz : μυρίους ἐφημέρουσ Hs. B 5 αἴρεσθαι Barnes : αἱρεῖσθαι Hs. B | βροτούς Barnes (Angabe nach Dindorf, Euripides-Scholien IV, Oxford 1863) : βροτοῖσ Hs. B
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