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German Pages 1190 [1192] Year 1998
Albrecht · Maximilian I. von Bayern
Dieter Albrecht
Maximilian I. von Bayern 1573-1651
R. Oldenbourg Verlag München 1998
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Albrecht, Dieter: Maximilian I. von Bayern 1573-1651 / Dieter Albrecht. - München ; Wien : Oldenbourg, 1998 ISBN 3-486-56334-3
© 1998 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D - 81671 München Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
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ISBN 3-486-56334-3
Vorwort
Kurfürst Maximilian I. von Bayern zählt zu den herausragenden Reichsfürsten in der deutschen Geschichte der Frühen Neuzeit, zugleich gilt er als der bedeutendste Wittelsbacher neben Kaiser Ludwig dem Bayern und König Ludwig I. Seine historische Leistung liegt zunächst in der Entschiedenheit, mit der er sich im Laufe einer mehr als fünfzigjährigen Regierung großen Tendenzen seines Zeitalters - Konfessionalisierung, Gegenreformation und Grundlegung des frühmodernen Staates — hingegeben hat. Gleichzeitig hat er in den säkularen Gegensätzen zwischen Katholizismus und Protestantismus und zwischen den Häusern Habsburg und Bourbon sowie in der Diskussion um die weitere Ausgestaltung der Reichsverfassung deutliche Stellung bezogen und zum Ergebnis dieser Auseinandersetzungen, wie es in politischer, konfessionspolitischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht im Westfälischen Frieden 1648 fixiert worden ist, nicht unerheblich beigetragen. Indem er durch Konfessionspolitik und Kulturförderung Land und Volk in Bayern mehr als bisher mit der romanischen Welt verband, ist er schließlich auch zu einem der Väter der bayerischen Barockkultur geworden. Mein Dank gilt den benützten Archiven und Bibliotheken, insbesondere dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv München und der Universitätsbibliothek Regensburg. Ich danke der Verwertungsgesellschaft Wort für die Gewährung eines erheblichen Druckkostenzuschusses, dem Verlag Oldenbourg und seinen Mitarbeitern Herrn Christian Kreuzer M. A. und Herrn Johannes F. Woll M. A. für die angenehme Zusammenarbeit bei der Drucklegung, ferner Frau Dr. Kathrin Bierther und Herrn Dr. Michael Kaiser für die Überlassung von Fotokopien. Den Freunden Andreas Kraus, Konrad Repgen und Wilhelm Volkert danke ich für Rat und Hilfen über manches Jahr. Ich widme das Buch meiner Frau im Gedenken an Jahrzehnte der Liebe und Treue.
Inhalt
1. Land und Leute
1
Das Land 1 - Bevölkerung 3 - Landwirtschaft 5 - Sal2- und Erzbergbau 7 - Gewerbe und Handel 9 - die Ständegesellschaft: Adel 12 - Klerus 16 - Bürger und Städte 18 — Bauern 22 - Unterschichten 29.
2. Der Territorialstaat
35
Der Landesfurst 35 - der Hof 37 - Herzogtum und Reich 41 - die Landstände 44— Mittel- und Zentralbehörden 5 0 - die Beamten 5 3 - Staatsfinanzierung: Kammergefälle und Steuern 58 - Rechtsetzung 61 - Territorialstaat und Kirche 63.
3. Die Vorfahren
67
Die Dynastie 67 - Hauptprobleme 70 - Verhältnis zur kaiserlichen Politik 72 zur Reformation 73 - Konfessionalisierung 74 - Gegenreformation und Katholische Reform unter Albrecht V. (1550-1579) 7 6 - unter Wilhelm V. (15791598) 81.
4. Jugend und Erziehung
87
Die Mutter 87 - Kindheit in Landshut 89 - Jugend in München 90 - Erzieher und Erziehungsinstruktionen 9 2 - Religiöse Erziehung 9 4 - Humanistische Bildung 9 8 - Studium in Ingolstadt 101 - die Lehrer: Gregor von Valencia 1 0 4 - Joh. Bapt. Fickler 1 0 4 - Tageslauf 1 0 6 - der Vetter Ferdinand von Steiermark 108 — Übergang zum Mannesalter 110.
5. Jahre des Übergangs 1591-1598
113
Einfuhrung in die Verwaltung 113 - beim Kaiser in Prag 115 - Reise nach Rom 115 - Brautschau in Pisa und Nancy 118 - Landtag von 1593/94 120 - Reichstag von 1594 1 2 5 - Heirat mit Elisabeth von Lothringen 1 2 8 - Herzogin Elisabeth 1 3 0 - erste Regierungsakte 1 3 2 - Haager Bauernversammlung 1596 1 3 4 Passauer Bistumsstreit 136 — Abdankung Wilhelms V. und Regierungsübernahme 138 - Familiendeputate 142 - der alte Wilhelm V. 144 - die Geschwister: Philipp Wilhelm 145 - Ferdinand 146 - Albrecht und das Nachfolgeproblem 149 - Maria Anna 153 - Magdalena 155 - das Generalmandat vom 13. März 1598 156.
6. Mitarbeiter und Regierungsstil Hofdienst und Staatsdienst 1 5 9 - Obersthofmeister 1 5 9 - Oberstkanzler 1 6 3 Geheimräte 1 6 5 - Geheimsekretäre 1 6 9 - Geheimer Rat und Geheime Kanzlei 170 - Regierung mit den Räten 172 - Anforderungen und Besoldung 174 - Her-
159
Inhalt
Vili
kunft der Räte 1 7 6 - Hofkammetpräsidenten 1 7 8 - der Hofratspräsident J. Chr. von Preysing 180 - „Politiker" und „Zelanten" 182.
7. Behörden-, Finanz-und Wirtschaftsreformen
185
Grundsätze 1 8 5 - Behördenreform 1 8 9 - Kontrolle 1 8 9 - Hofratsordnung 1598 191 - Rentmeisterumritte 193 - Berichtspflicht 194 - Belohnungen 195 - Regalien und Monopolien: Salzwesen, Brauerei, Zölle 197 - das Kammergut 202 - die Aufschläge 203 - Schuldforderungen 204 - der Geheime Vorrat 205 - Staatshaushalt 206 - Landwirtschaft 207 - Handel und Gewerbe 212 - Münzpolitik 217.
8. Die Landtage von 1605 und 1612
219
Landtag von 1605 219 - Landtag von 1612 223 - Maximilian und die Landstände 226.
9. Recht und Rechtsprechung
229
Der Codex Maximilianeus 1616 229 - Privilegium de non appellando 231 - Zentralisierung 232— Verschriftlichung 2 3 2 - Kriminalstatistik 233 - Strafen 2 3 4 Hexenverfolgung 236 - Befürworter und Gegner 239 - Höhepunkt und Ausgang der Hexenprozesse 242 - Polizeirecht und Kommunen, insbes. München 244.
10. Kunst und Wissenschaft
249
Der Sammler 249 - die Kammergalerie 251 - die Dürersammlung 253 - Italiener, Manieristen und andere 256 - Interesse und Kennerschaft 257 - Kunsthandwerkliches 258 - der Hausschatz 260 - Bautätigkeit: Um- und Ausbauten 261 - die neue Residenz 263 - v. d. Biest, Candid, Krumper 265 - Ausstattung der Residenz 266 - Grabmal für Kaiser Ludwig IV. 268 - weitere Künstler 270 - Hofmusik 2 7 1 - Hofbibliothek 2 7 2 - Geschichtsschreibung in politischer Absicht 2 7 7 Balde und Vervaux 279 - Historische Apologetik 281.
11. Pietas Maximilianea
285
Persönliche Frömmigkeit 285 - Theologische Bildung 286 - religiöse Praxis 287 Reliquiensammlung 290 — Marienverehrung 292 — Patrona Bavariae 293 - Konfessionalisierung 2 9 7 - Gegenreformation 2 9 8 - Religionsüberwachung 3 0 0 Zensur 301 - das „Güldene Almosen" 304 - Schulwesen 305 - Religions- und Sittenpolizei 3 0 6 - ökonomische Gesichtspunkte 311 - Klerusreform 3 1 2 - der Geistliche Rat 313 - Kirchenregiment 315 - Religionskontrolle 317 - Reformorden: Englische Fräulein 319 - Jesuiten 321 - jesuitische Beichtväter: Buslidius 324 - Contzen 325 - Vervaux 329 - Kapuziner 331 - Franziskaner 332 - alte Orden 334 - Stiftungen und Bruderschaften 335 - Bavaria Sancta 336.
12. Die Testamente Testamente, Fürstenspiegel, Erziehungsinstruktionen 3 3 9 - Bestimmungen zum Geheimen Vorrat 342 - zum Hausschatz 345 - Mónita Paterna 346 - Testament von 1641 351 - Testamentskodizill von 1650 355 - Treuherzige väterliche Lehrstücke 358 - Information für die Gemahlin 359 - Eigenhändige geheime Instruktion 361 - Landstände und hohes Beamtentum 362.
339
Inhalt
13. Konstellationen und Probleme um 1600
IX
365
Der Geistliche Vorbehalt 365 - Pfalz und Bayern 366 - Ziele Maximilians 367.
14. Türkenkrieg, Landesdefension, Zurückhaitang in der Reichspolitik
371
Reichstage, Kreistage und Türkengefahr 371 - das Landesdefensionswerk 379 Badischer Vormundschaftsstreit und Oberbadischer Gebietsstreit 385 — Auflösung des Landsberger Bundes 386.
15. Der Fall Donauwörth und die Gründung der Liga
391
Kirchenpolitische Position Maximilians 391 - Kaufbeuren 393 - Donauwörth: Das Problem 394 - die Frage der Reichsacht 397 - die Achtexekution 399 - Situation im Reich 403 - Reichstag von 1608 405 - Gründung der Protestantischen Union 407 - Gründung und Anfänge der Katholischen Liga 408 - Ligatag von Würzburg 1610 413 - Liga und Jülicher Erbfolgefrage 416 - Annexion und Rekathoüsierung Donauwörths 417.
16. UgapoHtik 1610-1617
419
Liga und Spanien 419 - Liga und Römische Kurie 424 - Liga und Union 1610 426 - Entkonfessionalisierung der Liga: Joh. Schweikard von Mainz 430 - Melchior Klesl 433 - Bistumsadministratoren 437 - Reichstag von 1613 439 - Neuorganisation der Liga 1613 4 4 0 - der Oberdeutsche Partikularverein 1614 4 4 3 Rücktritt Maximilians 1616 445 - Nachbarliche Vereinigung 1617 447 - Scheitern der Ligapolitik? 449.
17. Unternehmungen und Versuchungen 1612-1618
451
Wolf Dietrich von Raitenau 451 - Maximilian und der Salzburger Erzstuhl 453 - Salzburgerkrieg und Absetzung Wolf Dietrichs 457 - Neubesetzung des Erzstuhls 461 - Konversion Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg 465 kirchliche Restauration in Pfalz-Neuburg 470 - Komposition und Sukzession im Reich 472 - Heeresplan Erzhg. Maximilians 474 - Bemühungen der Union um die Kaiserkandidatur Maximilians 476 - Maximilian und Erzhg. Ferdinand 481 - Friedrich V. v. d. Pfalz in München 484 - die deutsche Iibertät 486.
18. Der Krieg in Böhmen Maximilian und der Böhmische Aufstand 489 - Interposition? 492 - Neugründung der Liga 495 - Kaiserkandidatur Maximilians? 498 - Kaiserwahl Ferdinands II. 501 - Wahl Friedrichs V. zum König von Böhmen 502 - der Münchner Vertrag vom 8. Oktober 1619 5 0 3 - Würzburger Ligatag 1619 5 0 9 Spanien und die Liga 511 - die Römische Kurie und die Liga 514 - Kursachsen und der Konvent von Mühlhausen 1620 515 - die Achtfrage 517 - Union und Ulmer Vertrag 1620 519 - Kriegsvorbereitungen 523 - Maximilian als Feldherr 523 - Kriegstagebücher 524 - Besetzung Oberösterreichs 525 - Krieg in Böhmen 527 - Schlacht am Weißen Berge 530 - Behandlung Böhmens 532 - Motive Maximilians 534 - Ächtung Friedrichs V. 535.
489
Inhalt
19. Der Kampf um die Kur
539
Fortsetzung des Krieges 539 - Stellungnahmen zur Pfalzischen Frage: PfalzNeuburg 540 - Kursachsen 540 — England 541 - Spanien 542 - Frankreich 5 4 4 - Papst Gregor XV. 5 4 5 - P. Hyazinth 5 4 5 - Augsburger Ligatag 1621 547 - Ferdinand II. und die Pfälzische Frage 548 - Digby in Wien 551 - die Geheimbelehnung 551 - Schicksal der pfälzischen Lande 554 - Friedensmöglichkeiten? 558 - die Mächte und die Kurfrage 562 - Regensburger Fürstentag 1623 567 - die Kurübertragung 569 - Investitur Maximilians 571 - Kriegskostenregelung 572 - Münzreform 573 - die Heidelberger Bibliothek 575 - die Kurübertragung im bayerischen Geschichtsbewußtsein 577 - Maximilian und die Kurwürde 578.
20. Besatzungsherrschaft
581
Das Land ob der Enns 582 - Schwierigkeiten 584 - die Religions frage 585 - der Bauernaufstand 1626 und seine Motive 587 - die Oberpfalz 590 - die Beamtenschaft 591 - Rekatholisierung und Missionierung 592 - die Landstände 595 die Unterpfalz 596 - Rekatholisierung 598 - die Universität Heidelberg 599 Unterschiede in der Besatzungspolitik 601 - Rückgabe des Landes ob der Enns gegen erbliche Kur, Oberpfalz und rechtsrheinische Unterpfalz 1628 603 - eine „verpaßte Gelegenheit der bayerischen Geschichte"? 608 - ein ungelöstes Problem 609.
21. Liga, Heeresfinanzierung und Ligaheer
611
Maximilian und die Liga 611 — Organisadon und Mitglieder 612 — die Ligatage 614— Finanzfragen 617— Landstände und Heeresfinanzierung 619— Beiträge Maximilians 624 - Maximilian und das Ligaheer 626 - Maximilian und Tilly 627 - der Hofkriegsrat 630 - die Kriegskommissare 631 - H. Chr. v. Ruepp 634 - das Ligaheer 635 - Heeresunterhalt und Quartierfrage 637.
22. Zwischen Spanien und Frankreich
641
Ausgangslage 641 - Politik Spaniens 642 - Politik Englands 643 - Ziele Richelieus 643 - Papst Urban VIII. 645 - Affinitäten mit Spanien 646 - erste Annäherung an Frankreich 647 - Pfalzfrage und bayerische Außenpolitik 648 - Verhandlungen Rotas in England 649 — die Habsburgerliga 650 - die Brüsseler Konferenzen 1626 654 - emotionale Faktoren 656 - neue Bemühtingen Richelieus 657 - Zurückhaltung Maximilians 660 - „Mysteria Politica" 660.
23. Maximilian und Wallenstein 1625-1629 Fortsetzung des Krieges 663 - Konferenz von Schleusingen 1624 665 - Kriegsausweitung nach Norden 666 - Berufung Wallensteins 668 - der Niedersächsisch-Dänische Krieg 670 - Tilly und Wallenstein 672 - Differenzen mit Wallenstein 673 - Beschwerden in Wien? 675 - Liga und Wallenstein 677 Kurfurstentag von Mühlhausen 1627 679 - Rückzieher Maximilians 681 - die Kapuzinerrelationen 684 - weitere Zurückhaltung Maximilians 687 - Lübecker Friedensverhandlungen 1629 689 - der Friede von Lübeck 22. Mai 1629 691.
663
Inhalt
24. Das Restitutionsedikt
XI
693
Der Geistliche Vorbehalt 693 - Einfluß P. Contzens 694 - Einzelrestitutionen oder authentische Interpretation des Religionsfriedens? 695 — Miihlhausener Kurfiürstentag 1627 6 9 7 - Anteil Maximilians am Edikt 6 9 8 - Kalvinismusverbot 6 9 8 Beratungen in München 700 - das Restitutionsedikt vom 6. März 1629 703 - Auseinandersetzungen mit Kursachsen 704 - Verschärfungen P. Contzens 707 - Streit um die Stifter 708 - F. W. v. Wartenberg 708 - das landsässige Kirchengut 710.
25. Europäische Zuspitzungen
713
Die Mantuanische Erbfolgefrage 713 - reichsfiirstliche Opposition gegen Wallenstein 715 - Wandel der Konstellationen 716.
26. Das Bündnis mit Frankreich
719
Vermittlung der Kurie 719 - Charnacé in München 720 - Vertragsentwürfe 721 bayerische Erwägungen und Verzögerungen 1629/30 722 - Verhandlungen mit P. Joseph beim Regensburger Kurfürstentag 7 2 5 - Vertrag von Fontainebleau 31. Mai 1631 728 - Kritik des Kaiserhofs 729.
27. Der Regensburger Kurfurstentag 1630
733
Rolle Maximilians 733 - die Proposition des Kaisers 734 - die Absetzung Wallensteins 734 - Verhandlungen um den Nachfolger und die Auflösung der Liga 738 Rückzieher Maximilians 7 4 2 - die Militärverhandlungen 7 4 3 - Berufung Tillys 745 - Mantuanische Friedensverhandlungen 746 - Differenzen mit Spanien 750 keine Römische Königswahl 752 — Unterstützung des Kaisers gegen die Schweden 756.
28. Ausgleichsverhandlungen über das Restitutionsedikt
761
Die Opportunität von Verhandlungen 761 — erste Gespräche beim Kurfürstentag 762 - Verhandlungsbereitschaft Maximilians 766 - Ligatag von Dinkelsbühl 1631 7 6 7 - Frankfurter Kompositionstag 1631 7 6 8 - weitere Ausgleichsbereitschaft Maximilians 770 - Maximilian als Taktierer 771.
29. Maximilian und Gustav Adolf Militärische Situation 1631 775 - KreistagsbewiHigungen 7 7 6 - Ligatag von Dinkelsbühl 1631 777 - Motive Gustav Adolfs 778 - französische Neutralisierungsbemühungen 780 - Eroberung Magdeburgs 783 - Maximilian und Kursachsen 7 8 4 - Schlacht bei Breitenfeld 17. September 1631 7 8 7 - weitere Bemühungen um Kursachsen 788 - Konvent von Mühlhausen 790 - Ligatag in Ingolstadt 1631/32 791 - Römische Königswahl? 792 - Wiederberufung Wallensteins 793 - Position Papst Urbans VIII. 795 - Position Spaniens 798 - erneute Neutralitätsbemühungen Richelieus 800 - Zustand der Tillyschen Truppen 803 - Neutralitätsverhandlungen in München und Mainz 805 - Kritik aus Rom 8 1 0 - Friedensinitiative Maximilians 811 - Rechtfertigung in Wien, weiteres Zusammenwirken mit dem Kaiser 812 - Wendung Gustav Adolfs nach Süden 816 — Maximilian bei der Armee 817 - schwedischer Lechübergang 819 Rückzug nach Ingolstadt, Tod Tillys 819 - Strategie Maximilians, mangelnde
775
XII
Inhait Hilfe Wallensteins 822 - erste Besetzung und Verwüstung Bayerns durch die Schweden 824 - Gustav Adolf in München 828 - Brandschatzung, Geiselnahme und Kunstraub 830 - Verhalten Wallensteins 833 - Ligaheer und kaiserliches Heer vor Nürnberg 834 — Auseinandersetzungen mit Wallenstein 836 Trennung der Heere, Schlacht bei Lützen 838 - der „Diseurs iber des Fridlandts actiones" 840 - Kritik am Verhalten der Kurie 840 - Maximilian und Frankreich 842 - Bayerns Rolle in der französischen Politik 843.
30. Von Lützen bis Prag 1632-1635
847
Heilbronner Bund 847 - Maximilian in Braunau 848 - militärische Entwicklungen 848 - erneute Differenzen mit Wallenstein 849 - Annäherung an Spanien 854 - der Zug des Herzogs von Feria 855 - Saavedra 855 - erneute Besetzung Bayerns durch die Schweden und Fall Regensburgs 1633 858 - der Bauernaufstand des Winters 1633/34 859 - zweite Absetzung Wallensteins 865 - Anteil Maximilians 870 - Wallensteins Tod 870 - Kriegskostenersatz 873 - Wiener Militärkonferenzen und Rezeß April/Mai 1634 876 - Belagerung und Übergabe Regensburgs 879 - Differenzen mit dem König von Ungarn 880 - Streit um päpstliche Subsidien 882 - Zusammenwirken der Heere 883 — Karl IV. von Lothringen 8 8 5 - Schlacht bei Nördlingen 6. September 1634 8 8 6 - Spannungen mit den Kaiserlichen 887 - Stuttgarter Militärkonferenzen und Rezeß November 1634 889 - Trennung der Heere 892 - Belagerung und Übergabe Augsburgs 8 9 2 - der Leonberger Akkord vom 13. März 1635 8 9 4 - die Pest in Bayern 1634/35 896 - Tod der Kurfürstin Elisabeth 898 - weitere Beziehungen zu Spanien und Frankreich 899 - Kriegseintritt Frankreichs 903.
31. Der Prager Frieden 1635
907
Ausgleichsbemühungen seit 1631 907 - Kaiserlich-sächsische Friedensverhandlungen 9 0 9 - die Pirnaer Notein 9 1 1 - Stellungnahmen Kurkölns und Kurmainz' 912 - Stellungnahme Maximilians 913 - F. W. v. Wartenberg 916 Appell Kurkölns 9 1 8 - weitere bayerische Wünsche 9 1 8 - der Prager Frieden vom 30. Mai 1635 921 - Pfalzfrage, Aufhebung der Liga, Neuordnung des Kriegswesens 921 - das bayerische Kontingent der Reichsarmada 923 - der Wiener Rezeß vom 2. Juni 1635 9 2 6 - Auseinandersetzungen mit dem König von Ungarn 927 - weitere Verhandlungen um die Kommandogewalt 928 - Heirat mit Maria Anna von Österreich 934 - Geburt Ferdinand Marias 937 - Maria Anna 937.
32. Zur Kriegsfinanzierung 1635-1648
939
Kontributionen des Bayerischen Reichskreises 939 - bayerische Leistungen 941 - Haltung der Landschaftsverordnung 944 - Erschöpfung des Landes 946.
33. Vom Prager Frieden zum Regensburger Reichstag von 1640/41 . Hauptgegner Frankreich 949 - militärische Operationen 950 - Regensburger Kurfürstentag 1636 952 - Friedensfrage 955 - Amnestiefrage 956 - Römische Königswahl und Wahlkapitulation 957 - Pfalzfrage 958 - Thronbesteigung Fer-
949
Inhalt
XIII
dinands III. 960 - militärische Wende 1638 961 - Kölner Kongreß 963 - bayerisch· französische Verhandlungen in Einsiedeln 1640 965 - Kurfiirstentag von Nürnberg 1640 966 - Amnestie und Restitution 966 - Erweiterung des Kurfurstentags? 968 - Regensburger Reichstag 1640/41 969 - Amnestie und Restitution 970 - Beziehungen zur Kurie 971 - Separatfrieden mit Frankreich? 973 kaiserliche Gegenwirkungen 974 - Separatfrieden mit Schweden? 975 - Kölner Kongreß: Zulassung der Reichsstände 976 - Hamburger Präliminarvertrag vom 25. Dezember 1641 978.
34. Auf dem Weg zum Friedenskongreß
979
Wiener Verhandlungen über die Pfalzfrage 1641/42 9 7 9 - Separatfrieden mit Frankreich? 981 - Mainzer Konferenz 1642 982 - Erkundung der französischen Friedensbereitschaft 984 - Gegenaktion des Kaiserhofs 984 - Waffenstillstand mit Frankreich? 987 - militärische Entwicklungen 1640/45 988 - Gesandtschaft Vervaux' nach Paris 1645 991 - Maximilians Friedensstrategie 996 - bayerische Gesandte zum Friedenskongreß 997 - separater Waffenstillstand mit Frankreich? 998 Verhandlungen Maximilian Kurz 1 in München 1000 - Entsendung Trauttmansdorffs nach Münster 1002 - Zulassung aller Reichsstände zum Friedenskongreß 1003 — Verhandlungsmodus 1006.
35. Maximilian und die Westfälischen Friedensverhandlungen I: Satisfaktion Frankreichs, Pfälzische Frage, Gravamina, schwedische Armeesatisfaktion, Ausschluß Spaniens
1009
Maximilian und die französische Satisfaktion 1010 - Druck auf den Kaiser 1011 Information der Franzosen 1 0 1 4 - Kritik an Maximilian 1016 - Form der Elsaßabtretung 1017 - Probleme um die französische Satisfaktion 1018 - die Pfälzische Frage 1 0 2 0 - Haltung des Kaisers 1021 - Haltung Frankreichs 1 0 2 2 - Haltung Schwedens 1025 — Haltung der Reichsstände 1027- Lösung der Pfälzischen Frage 1029 - Satisfaktion Schwedens 1031 - die Gravaminafrage 1031 - die Frage der Stifter 1032 - Schwenkung Maximilians 1035 - Gegensatz zu den Intransigenten 1037 - Ansprüche Wartenbergs 1038 - weitere Gravaminaverhandlungen 1040 Maximilian und das „Instrumentum Trauttmansdorffianum" 1042 - publizistische Kontroversen 1 0 4 4 - Maximilian und der kaiserliche „Vorgriff' 1 0 4 5 - weitere schwedische Forderungen 1048 — Finanzierung der Abdankungen 1049 — Ausschluß Spaniens aus dem Frieden 1050 - Friedensschluß 1054.
36. Maximilian und die Westfälischen Friedensverhandlungen II: Kriegslage, Waffenstillstand, Friedensvertrag Dritte Besetzung Bayerns 1646 1056 - Abfall vom Kaiser? 1057 - Reaktion des Kaiserhofs 1059 - der Ulmer Waffenstillstand mit Frankreich und Schweden vom 14. März 1647 1061 - Separatfriedensverhandlungen mit Frankreich 1065 - die Meuterei J. v. Werths 1067 - Rechtsstatus der bayerischen Armada 1071 - Rückkehr zum Kaiser 1 0 7 3 - der Pilsen-Münchener Vertrag vom 12./17. Oktober 1647 1074 - der Prager Rezeß vom 24. Februar/28. März 1648 1075 - die Frage
1055
XIV
Inhalt
der Militärhoheit 1075 - Verhältnis zu J. v. Werth 1076 - Kündigung des Waffenstillstandes mit Schweden 1077 - Kündigung des Waffenstillstandes mit Frankreich 1078- Einschätzung der bayerischen Politik 1079 - vierte Besetzung Bayerns Sommer 1648 1079 - Ende des Krieges 1082 - Friedensbestimmungen 1082.
37. Die letzten Jahre
1087
Demobilisierung der Armeen 1087 - Restitution der Pfalzer 1090 - Religionsverhältnisse in der Oberpfalz 1091 - Bevölkerungsverluste 1093 - materielle Kriegsschäden 1095 - rascher Wiederaufbau 1096 - Entschuldungspolitik, Gewerbepolitik 1098 — Hindernisse und Begrenzungen 1100 — Verheiratung Ferdinand Marias mit Adelaide von Savoyen 1100 - Huldigung durch die Landstände 1 1 0 2 - letzte testamentarische Verfügungen 1 1 0 3 - Krankheit, Tod und Begräbnis Maximilians 1104.
38. Maximilian I. von Bayern
1109
Erscheinungsbild 1109 - Charakterzüge 1110 - Kritik von Zeitgenossen 1 1 1 0 Argwohn und Ängstlichkeit 1111 - Bedeutung der Religion 1 1 1 3 - Konfessionspolitik nach innen und außen 1113 - Bedeutung eines katholischen Kaisertums 1116— Einschätzung des Reiches 1117— innere Staatsarbeit 1118 — Kunstförderung 1119 - Bedeutung 1120.
Anhang Abkürzungen Ungedruckte Quellen Wiederholt zitierte Werke Personenregister
1121 1123 1125 1153
1. Land und Leute Das Herzogtum Bayern erstreckte sich am Ende des 16. Jahrhunderts vom Nordrand der Alpen bis zur Donau, die bei Ingolstadt um ein gutes Stück und zwischen Straubing und Vilshofen bis an den Kamm des Böhmerwaldes überschritten wurde. Die Grenze im Westen wurde vom Lechrain gebildet, im Osten folgte sie in etwa dem Lauf der Alz, der unteren Salzach und des unteren Inn, überschritt diesen aber mit dem Innviertel um Schärding ziemlich weit gegen Österreich.1 Manche der reichsunmittelbaren Nachbarn des Herzogtums hatten schon einmal ganz oder teilweise zum bayerischen Territorium gehört, die Grenzen zu ihnen waren politischer Natur, kaum solche von Stammesart und historischer Tradition. Angrenzer im Süden waren die Gefürstete Grafschaft Tirol, die furstbischöflich-freisingische Grafschaft Werdenfels und die Fürstpropstei Berchtesgaden, im Osten das Erzstift Salzburg, das Erzherzogtum Österreich und das Hochstift Passau, im Norden das Fürstentum Oberpfalz, das kleine Hochstift Regensburg, das Herzogtum Pfalz-Neuburg und das Hochstift Eichstätt, im Westen das Hochstift Augsburg und die Reichsstadt Augsburg. Inmitten des Herzogtums lagen ebenfalls mehrere reichsunmittelbare Territorien, nämlich das Hochstift Freising (Grafschaft Ismaning und Herrschaft Burgrain), die lutherische Reichsgrafschaft Ottenburg, die Herrschaft (seit 1635 Reichsgrafschaft) Hohenwaldeck,2 die salzburgische Stadt Mühldorf und nicht zuletzt die Reichsstadt Regensburg, die zumal wegen ihres evangelischen Charakters als ein Stachel im Herzogtum empfunden wurde.3 Das Herzogtum Bayern bestand seit 1505 aus den nach jahrhundertelanger Teilung wiedervereinigten Herzogtümern Ober- und Niederbayern. Die PriMax Spindler (Hg.), Bayer. Geschichtsatlas. Redaktion Gertrud Diepolder, München 1969, Karte 30/31. Literatur über Landesbeschreibungen in Max Spindler-Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, 2. Aufl., Band 2, München 1988, 904 f.; vgl. auch Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern, Abt. I: Altbayern vom Frühmittelalter bis 1800, Band 3: Altbayern von 1550-1651, bearb. von Walter Ziegler, München 1992, Nr. 43 (Apian, Fend). 2 Zu Ottenburg und Hohenwaldeck vgl. Wilhelm Volkert in Spindler-Kraus, Handbuch 111,3 §39. 3 Zu Regensburg vgl. Alois Schmid in Spindler-Kraus, Handbuch 111,3 §§ 35-37. 1
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mogeniturordnung Herzog Albrechts IV. von 1506 hatte anschließend bestimmt, daß Bayern für alle Zukunft eins und unteilbar sein solle, vererbt nach dem Recht der Erstgeburt in männlicher Linie: Es solle „kain tailung noch zertrennung mer geschehen, auch in solhen unsern herzogthumben nit mer dann ain regirender herzog landsfürst und herr sein soll und mög."4 Diese Fesdegung bildete einen fundamentalen Einschnitt in der Geschichte des Landes. Im Spätmittelalter hatte die Aufteilung des wittelsbachischen Gesamtbesitzes in mehrere Linien die Bedeutung des Hauses Bayern im Reichsganzen nachhaltig geschwächt. Jetzt gewannen die Münchner Wittelsbacher, nach einer kurzen Phase des Übergangs, durch den Rückhalt eines großen, geschlossenen Staatsgebietes die territoriale Grundlage für eine neue Position im Reich, während andere große deutsche Dynastien — die Hohenzollern, Wettiner und pfälzischen Wittelsbacher — ihre Lande zur gleichen Zeit durch Teilungen zersplitterten. Ob der Einigungspolitik Albrechts IV. in erster Linie mittelalterliche Haus- und Herrschaftsvorstellungen und ein ausgeprägtes Hausbewußtsein zugrundelagen oder mehr modern-staatliche und römischrechtliche Gesichtspunkte,5 kann unentschieden bleiben. Jedenfalls wurde öffentliche Herrschaft durch die Anerkennung der Prinzipien Unteilbarkeit und Primogenitur versachlicht; die Unteilbarkeit des Territoriums und das alleinige Thronfolgerecht des ältesten Sohnes brachten das bisher vorwiegend privatrechtlich aufgefaßte Erbrecht der Dynastie in Übereinstimmung mit der Staatsraison.6 Wie schwierig es war, diese neue „Lex fundaméntalas" des Fürstenstaates zu akzeptieren, zeigt sich darin, daß in der Folge zwar nicht das Prinzip der Unteilbarkeit, aber doch die Primogeniturregelung verletzt wurde, insoferne die Söhne Albrechts IV., die Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X., von 1514 bis 1545 gemeinsam regierten; allerdings spielte auch das Motiv einer gemeinschaftlichen Zurückdrängung der Landstände eine Rolle. Erst die Primogeniturregelung in dem Testament Herzog Albrechts V. von 15787 wurde dann von allen Nachfolgern im Herzogtum strikt eingehalten. Das
Text: Dokumente 1,2 Nr. 139. Stefan Wsinfurter, Die Einheit Bayerns. Zur Primogeniturordnung des Herzogs Albrecht IV. von 1506, in: Festgabe H. Hürten zum 60. Geburtstag, hg. von H. Dickerhoff, Frankfurt a.M. 1988, 225-242; Rie^lerV1,11. 6 Vgl. Johannes Klinisch (Hg.), Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, Berlin 1982; Michael S folléis, Condere leges et interpretati. Gesetzgebungsmacht und Staatsbildung in der frühen Neuzeit, in: Ders., Staat und Staatsraison in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1990, 167-196, hier 180 f. 7 Text: Walter Ziegler; Das Testament Herzog Albrechts V. von Bayern (1578), in: E.J. Greipl u.a. (Hg.), Aus Bayerns Geschichte. Forschungen als Festgabe zum 70. Geburtstag von A. Kraus, St. Ottilien 1992, 259-309, hier 283 f. 4
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Testament befestigte somit, und darin liegt seine Bedeutung, endgültig das Erstgeburtsrecht am Herzogtum, welches hier erstmalig als Fideikommiß bezeichnet wurde. Wilhelm V. und Maximilian I. haben denn auch in allen Urkunden, in denen sie auf die Primogenitur Bezug nahmen, nicht die Regelung von 1506, sondern das Testament von 1578 angeführt. Das nun definitiv geltende Primogeniturprinzip hatte als weitere Folge, daß die nachgeborenen Prinzen anderweitig versorgt werden mußten; die vielfältigen Bemühungen Albrechts V. und Wilhelms V. um Kanonikate und Bischofsstühle für ihre Söhne waren hierin begründet. Seit der Wiedervereinigung war das Herzogtum gerichts- und verwaltungsmäßig unterteilt in die Rentämter München, Landshut, Straubing und Burghausen, die sich ihrerseits wieder in Land- und Pfleggerichte gliederten. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts, das durch ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum gekennzeichnet war,8 umfaßte das Land eine Fläche von etwa 500 Quadratmeilen oder 27 500 Quadratkilometern mit mindestens einer Million Einwohnern, die in 34 Städten, 93 Märkten, 4 700 Dörfern und Weilern und 4 130 Einzelhöfen mit insgesamt 120 000 Feuerstätten lebten.9 Wie überall im Reich warf auch in Bayern das überdurchschnittliche, sich erst seit den sechziger Jahren verlangsamende Bevölkerungswachstum angesichts der begrenzten Ressourcen eine Reihe von wirtschaftlichen und sozialen Problemen auf.10 Da der verfügbare Boden zur Fundierung selbständiger Existenzen begrenzt war (oder jedenfalls schien), versuchte die Landesherrschaft bereits seit dem frühen 16. Jahrhundert durch Mandate und Ordnungen das Bevölkerungswachstum zu dämpfen. Man befürchtete die Verarmung und Proletarisierung breiterer Schichten mit entsprechend negativen Auswirkungen auf das bestehende wirtschaftliche und soziale und vielleicht auch politische Gefüge. Die Maßnahmen zielten vor allem auf die Dienstboten, denen Heirat und Familiengründung erschwert oder ganz verboten wurde, wodurch allerdings die Zahl der unehelichen Geburten wuchs. Ebenso wurde versucht, die von den adeligen und geistlichen Grundherren betriebene GüterzertrümChristian Pßster, Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500-1800, München 1993, 8 ff.; Horst Rabe, Deutsche Geschichte 1500-1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung, München 1991, 42 ff.; Volker Preß, Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1615, München 1991, 30 ff.; Manfred Raub, Die bayer. Bevölkerungsentwicklung vor 1800. Ausnahme oder Regelfall?, in: ZBLG 51 (1988), 471-601. 9 BA V, 1 ff.; Riskier, Geschichte VI, 22. Zahl der Einwohner und Herdstätten aufgrund der Untersuchung von Helmut Rankl, Das Ringen um den Armen Mann. Landvolk, Fürst und Stände in Altbayern 1400-1800, Habilitationsschrift Masch. München 1995, hier Kap. III.2.3. 10 Eckart Schremmer, Die Wirtschaft Bayerns. Vom hohen Mittelalter bis zum Beginn der Industrialisierung. Bergbau, Gewerbe, Handel, München 1970, 104 ff. 8
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merung zur Bildung von Kleinstellen, sog. Sölden, zu erschweren, weil diese nicht als ausreichende wirtschaftliche Existenzgrundlage eingeschätzt wurden und das Absinken der Söldner und Tagwerker in völlige Armut, Bettelei und Kriminalität befürchtet wurde. Nach den Ländern der Wenzelskrone (Böhmen, Mähren, Schlesien) mit etwa 3,8 Millionen Einwohnern und den österreichischen Erblanden mit einer Bevölkerung von etwa zwei Millionen war das Herzogtum Bayern mit rund einer Million Einwohnern das bevölkerungsreichste Territorium im Reich. Die großen protestantischen Territorien, die in der Zeit Maximilians zu Konkurrenten der bayerischen Politik werden sollten, zählten wesentlich weniger Einwohner, das Kurfürstentum Sachsen etwa 750 000, das Kurfürstentum Brandenburg rund 450 000, das Herzogtum Württemberg 450 000, die Landgrafschaft Hessen etwa 250 000. Insgesamt hat man für das Reich am Ende des 16. Jahrhunderts rund 16 Millionen Einwohner berechnet. Die Städte und Märkte im Herzogtum Bayern waren nicht sehr zahlreich, auch waren die Grenzen zwischen beiden fließend. Die Bevölkerung der Städte, von der Residenzstadt München abgesehen, war nicht bedeutend. München hatte um 1500 etwa 13 500, um 1580 etwa 20 000 Einwohner; die nächstgrößten Städte Landshut, Ingolstadt und Straubing zählten um die Jahrhundertmitte etwa 8 600, 4 500 und 4 000 Einwohner; alle anderen Städte und Märkte lagen unter 2 000 Einwohnern.11 Etwa neun Zehntel der bayerischen Bevölkerung lebten auf dem Lande in Dörfern, Weilern und Einöden sowie in Märkten, die vielfach noch agrarischen Charakter trugen. Bayern war am Ende des 16. Jahrhunderts in der Hauptsache ein Land von Bauern, ländlichen Handwerkern und ländlichen Unterschichten. Das Land wurde zu allen Zeiten, beginnend mit Bischof Arbeo von Freising im 8. Jahrhundert, wegen seiner Fruchtbarkeit gerühmt, wenngleich bei solchem Lob manche Topoi miteinfließen mochten. Es wird im Bayerlande, schrieb der Kosmograph Sebastian Münster 1544, an keinem Ding Mangel gespürt, das dem Menschen zu seinem Unterhalt nötig ist. Auch der Geschichtsschreiber Johannes Turmair genannt Aventin pries die Fruchtbarkeit des Landes, seinen Reichtum an Salz, Getreide, Vieh, Fischen, Holz, Weide und Wildpret.12 Die Statue der Bavaria des Hubert Gerhard auf dem Münchener Hofgartentempel suchte in ihrer ursprünglichen Fassung mit den
11 Erich Kejser-Heinζ Stoob (Hg.), Bayer. Städtebuch, 2 Bände, Stuttgart u.a. 1971-1974, hier II, 394 ff. (München), 317 ff. (Landshut), 271 ff. (Ingolstadt), 647 ff. (Straubing). 12 Johannes Turmair's genannt Avenhnus Bayerische Chronik, hg. von Matthias Lexer, Erster Band, Erste Hälfte, München 1882, 41.
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Attributen Ährenkranz, Eichenlaub, Salzfaß, Wasserurne und Hirschfell den Reichtum der Tellus Bavarica sinnfällig vor Augen zu fuhren.13 Die überwiegenden Erwerbszweige der bayerischen Bevölkerung waren Landwirtschaft und Gewerbe. Was die Landwirtschaft betraf, 14 so war der Ertragswert der landwirtschaftlich genutzten Böden zwischen Alpen und Donau im allgemeinen mitderer Art, das Umland um Erding und der niederbayerische Gäuboden waren jedoch überaus fruchtbar und ertragreich. Akkerböden und Wiesen waren ungleichmäßig verteilt, es überwog der Ackerbau, die Getreidewirtschaft, mit den Hauptfrüchten Korn (Roggen) und Dinkel. Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung waren Roggenbrot, Breie und Kraut, Fleisch gab es nur an hohen kirchlichen Feiertagen.15 An zweiter Stelle folgte der Hafer, der zur Breibereitung und für die vielen Pferde gebraucht wurde; mitdere Bauern hielten zwei bis drei Pferde, größere Höfe bis zu sechs Pferde, gelegentlich auch darüber. Weizen wurde wohl erst seit dem 16. Jahrhundert infolge neuer grundherrlicher Abgabeforderungen angebaut. Getreidebau, Getreidepreise und Getreideexport waren von großer Bedeutung für das wirtschaftliche Florieren des Landes und seiner Bewohner. Die Felder wurden im System der Dreifelderwirtschaft mit leerer Brache, Winterund Sommerfrucht bestellt. Das Verhältnis zwischen Aussaat und Ernte war mit der Relation von etwa 1:4 meist sehr knapp, schon zwei Mißernten hintereinander konnten zu Hungersnot führen, zumal mangels Verkehrsverbindungen ein Ausgleich mit anderen Produktionsstätten nicht rasch genug herzustellen war. Die Viehwirtschaft war durch die begrenzten Weideflächen eingeschränkt und konnte durch die Beweidung der Brache und des lichten Laubwaldes nicht wesentlich erweitert werden. Da der Heuertrag gering war, setzten die langen Winter vor allem den Kleinbauern eine kaum zu durchbrechende Grenze, den Viehbestand zu vermehren, der jedes Jahr „durch das Nadelöhr der Winterfütterung" 16 zu bringen war. Kleinstellenbesitzer hatten
13 Georg Habisch, Das Bild der Bavaria im 16. Jh., in: Münchner Jahrbuch für bildende Kunst NF. 5 (1928), 252-266. 14 Überblick und Literatur: Walter Achilles, Landwirtschaft in der frühen Neuzeit, München 1991; Spindler-Kraus, Handbuch II, 640 ff. und 736 ff.; Friedrich Lütge, Die bayer. Grundherrschaft, Stuttgart 1949; Rudolf Schlögl, Bauern, Krieg und Staat. Oberbayer. Bauernwirtschaft und frühmoderner Staat im 17. Jh., Göttingen 1988; Rainer Beck, Unterfinning. Ländliche Welt vor Anbruch der Moderne, München 1993; Martin Hille, Ländliche Gesellschaft in Kriegszeiten [...], München 1997. Vgl. auch die Literaturhinweise unten Anm. 63. 15 Beck, Unterfinning 181 ff.; Paul Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1992, 314 ff. 16 Schlögl; Bauern 130.
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daher nur ein bis zwei Kühe, Viertelbauern bis zu vier, und auch Halb- und Ganzhöfe stellten kaum mehr als acht Kühe auf. Mit solchen Beständen konnte praktisch nur der Eigenbedarf gedeckt werden. Viehwirtschaft in konzentrierter Form fand jedoch in den Schwaigen statt, die seit dem hohen Mittelalter in der Nähe größerer Orte zur Käseproduktion errichtet wurden sowie in waldfreien Gebirgsregionen auf den Almen, die im 16. und 17. Jahrhundert ihre größte Ausdehnung erreichten. Was aufs Ganze die ökonomische Situation der landwirtschaftlichen Bevölkerung betraf, so bewirkte das kräftige Bevölkerungswachstum des Jahrhunderts eine steigende Nachfrage nach Agrarprodukten. Und da die landwirtschaftliche Produktivität trotz Intensivierung und Landesausbau hinter der Nachfrage zurückblieb, stiegen die Agrarpreise, vom Anfang bis zum Ende des Jahrhunderts bis zum Sechsund Achtfachen. Nutznießer des Preisanstieges, der in Bayern bis kurz vor den Dreißigjährigen Krieg reichte, waren alle für den Markt produzierenden Landwirte, von den Bauern über den grundbesitzenden Adel und Klerus bis zu den Fürsten mit ihrem großen Domanialbesitz. Die langjährige Agrarkonjunktur mußte die Landesfürsten reizen, jedenfalls einen Teil der Gewinne durch staatliche Besteuerung abzuschöpfen, um den steigenden staatlichen Finanzbedarf zu decken. Gleichzeitig wuchs aber auch die Zahl derjenigen, deren Realeinkommen aus Lohneinkommen infolge der hohen Lebensmittelpreise stetig an Kaufkraft verlor; man hat festgestellt, daß mindestens ein Fünftel der Bevölkerung sich unterhalb der Armutsgrenze befand. Neben Ackerland und Wiesen erstreckten sich die großen Waldflächen, überwiegend als Laubwald oder jedenfalls als Mischwald.17 Sie waren im Besitz der Stifter und Klöster, des Landesherrn und des Adels, in kleineren Teilen auch der Städte und mancher Märkte. Der Wald bildete eine Landreserve, die neben Ödflächen immer noch zur Erweiterung der Siedlungsfläche und des landwirtschaftlich genutzten Bodens herangezogen wurde, gerade auch angesichts des Bevölkerungswachstums. Wichtiger war er zur Gewinnung von Bau- und Brennmaterial, als zusätzliche Weide, als Erwerbsquelle der Holzarbeiter. Auch zur Beschickung der Sudpfannen in Reichenhall mußten laufend große Mengen Brennholz eingeschlagen werden. Um das Abschwenden der bayerischen Bergwälder zu verhindern, sicherte man sich durch entsprechende Verträge Lieferungen aus dem waldreichen Berchtesgadner Land und dem Erzstift Salzburg. Die Jagd war dem Landesherrn und den privilegierten Ständen vorbehalten. Den Bauern war im Interesse dieses herrschaft17 ]osef Kostkr, Geschichte des Waldes in Altbayern, München 1934; Beck, Unterfinning 61 ff.; Forstordnung von 1568 (Inhaltsverzeichnis): Dokumente 1,3 Nr. 68.
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lichen Zeitvertreibs nicht gestattet, ihre Felder gegen das überhandnehmende Wild nachhaltig zu schützen. Jedoch war die Wilderei weit verbreitet, und da diese mit dem herrschaftlichen Jagdprivileg auch „ein Herrenrecht von hervorragender Symbolkraft" zu tangieren schien, wurde sie wiederholt durch die Lande s Ordnungen und Einzelmandate untersagt, allerdings mit wenig Erfolg.18 Wein wurde in begrenztem Umfang im Lande selbst gebaut, vornehmlich an der Donau von Kelheim bis Straubing.19 Uberwiegend wurde er aber von auswärts bezogen, teils aus Südtirol, wo sich manche Weinberge seit alters im Besitz bayerischer Klöster befanden, vor allem aber aus den Weinbaugebieten am Neckar. Da eine Klimaverschlechterung seit der Jahrhundertmitte, 20 welche die gesamte Agrarproduktion in Mideidenschaft zog, auch die Qualität des Weins betraf, begann allmählich der Bierkonsum zu überwiegen.21 Da durch die Verpflegung zahlreicher Bediensteter am Münchner Hof dort großer Bedarf an Getränken bestand, gründete Wilhelm V. im Jahre 1583 das herzogliche Hofbräuhaus, das zunächst nur für den herzoglichen Hof produzierte.22 Adel und Klöstern wurde die Einrichtung eigener Braustätten in ihren Hofmarken erschwert, wenngleich mit geringem Erfolg. Von den Bodenschätzen und natürlichen Rohstoffen des Landes ist neben dem Holz der unermeßlichen Bergwälder in erster Linie das Salz23 zu nennen, das aus der Reichenhaller Sole gewonnen und in größeren Mengen vor allem als Konservierungsmittel gebraucht wurde. Neben Getreide und Vieh bildete es den wichtigsten Exportartikel des Landes und war seit dem Ende des 16. Jahrhunderts eine der ergiebigsten regelmäßigen Einnahmequellen des Staatshaushalts. Die Herzöge hatten es verstanden, seit dem späten Mittelal18 Karl-l^udung Aj, Land und Fürst im alten Bayern. 16.-18. Jh., Regensburg 1988, 25; Kiefer, Geschichte VI, 203 f. Einen Überblick über die bayerische Wildschützengesetzgebung in der Frühen Neuzeit gibt Reinhard Heydenreuter, Kreittmayr und die Strafrechtsreform, in: R. BauerH. Schlosser (Hg.), W. X. Frhr. v. Kreittmayr 1705-1790, München 1991, 51 ff. 19 Riesder, Geschichte VI, 195 f. 20 Zur sog. „Kleinen Eiszeit" vgl. Münch, Lebensformen 128 ff. 21 Riesser, Geschichte VI, 192 ff.; Volkmar WittmüP.ζ, Die Gravamina der bayer. Stände im 16. und 17. Jh. als Quelle für die wirtschaftliche Situation und Entwicklung Bayerns, München 1970, 83 ff.; Dokumente 1,3 Nr. 321 (Braumatrikel von 1640). 22 Am Münchner Hof wurden zu dieser Zeit rund 700 Personen mit einem Jahresaufwand von ca. 120 000 fl. gespeist. Vgl. Heinrich LeP¡jng, Die Geschichte des Brauwesens der Wittelsbacher. Die Gründung des Hofbräuhauses München und die Entstehung des herzoglichen Weißbiermonopols, Augsburg 1995,131 ff. und 169 ff. 23 G. Stalla (Bearb.), Salz in Bayern. Eine Bibliographie, Augsburg 1995; Manfred Tremi u.a. (Hg.), Salz macht Geschichte. Aufsätze und Katalog, 2 Bände, Augsburg 1995; Schremmer, Wirtschaft 39 ff.; Frit% Kaller, Bayern - Salzburg - Berchtesgaden. Der Streit um den Salzhandel 1587-1611, in: ZBLG 50 (1987), 767-821; Wittmüt.^ Gravamina 53 ff. und 72 ff.
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ter die bürgerlichen Siederechte in Reichenhall aufzukaufen, bis im Jahre 1528 praktisch alle Sudanteile sich in ihrer Hand befanden und damit das landesherrliche Salzproduktionsmonopol errichtet war. Der Monopolisierung der Produktion folgte im Laufe des Jahrhunderts diejenige des Salzhandels, zunächst für das Reichenhaller Salz. Nachdem die Herzöge die Salzniederlags- und Salzhandelsrechte bayerischer Städte (u.a. in München, Rosenheim, Traunstein, Wasserburg) aufgekauft oder bestritten hatten, wurde im Jahre 1587 das landesherrliche Handelsmonopol für Reichenhaller Salz proklamiert.24 Damit war die nahezu vierhundertjährige Periode eines bürgerlichstädtischen Salzhandels zu Ende, auch ein Hinweis auf die fortschreitende Ausbildung des fürstlichen Absolutismus. Nahezu gleichzeitig, 1594, überließ das Erzstift Salzburg den Bayern das Salzhandelsmonopol für alles Salzburger (Halleiner) Salz, das auf der Salzach transportiert wurde.25 Der dritte Salzproduzent des Raumes, die Fürstpropstei Berchtesgaden, hatte schon 1555 bzw. 1566 an Herzog Albrecht V. den Alleinvertrieb der Produktion der ergiebigen Saline Fronreith überlassen.26 Am Ende des Jahrhunderts waren die bayerischen Herzöge zu den größten Salzproduzenten und wichtigsten Salzhändlern Süddeutschlands geworden und der Salzverschleiß, wie Maximilian formulieren ließ, „unserer landen höchstes und bestes cleinod." Der Erzbergbau27 im Lande war lange Zeit weder intensiv noch produktiv. Da 1505 im Gefolge des Landshuter Erb folgekriege s die ergiebigen Gruben um Rattenberg und Kitzbühel an Österreich abgetreten werden mußten, waren nur noch wenige Fundstätten in der Traunstein/Reichenhaller Gegend und im Bayerischen Wald verblieben. Blei und Zink wurde am Rauschenberg bei Reichenhall gefunden, Eisenerz in Aschau und am Kressenberg bei Siegsdorf. In Aschau errichtete der interessante und vielgeschäftige Pankraz von Freyberg in der Jahrhundertmitte das bis ins 19. Jahrhundert größte Hochofenwerk Altbayerns, das sich allerdings mit den Hütten der noch außerhalb des Herzogtums liegenden Oberpfalz nicht vergleichen konnte. 1608 wurde es zur Hälfte in herzogliche Regie überführt. Ein zweites Bergbaugebiet war der Raum um den Großen Arber und Hohen Bogen. 1522 wurden die BergDokumente 1,3 Nr. 107 (Zurückweisung der Beschwerden der Stadt München durch Wilhelm V. 1587); Franz X- Eberle, Die Organisadon des Reichenhaller Salzwesens unter dem herzogl. und landesfiirsd. Produktions- und Handelsmonopol, München 1910. 25 Dokumente 1,3 Nr. 120 und 175 (Salzverträge von 1594 und 1611). 26 Dokumente 1,3 Nr. 18 (Salzvertrag von 1555). 27 Schremmer, Wirtschaft 63 ff.; Johann Georg Lori, Sammlung des Baierischen Bergrechts mit einer Einleitung in die baierische Bergrechtsgeschichte, o.O. 1764; Dirk Götschmann, Das mittelalterliche und frühneuzeitliche Eisengewerbe der Oberpfalz als Forschungsgegenstand und -problem, in: V H V O R 125 (1985), 327-348. 24
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bau2entren Bodenmais und Lam zu Gefreiten Bergstädten mit ansehnlichen Privilegien erhoben, jedoch erreichten die dortigen Gruben nicht die Erträge der oberbayerischen Werke und wurden noch im Laufe des 16. Jahrhunderts mehr oder weniger bedeutungslos. Für die Situation des Gewerbes28 war zunächst charakteristisch, daß es im Herzogtum keinen großen gewerblichen und kaufmännischen Schwerpunkt gab, wie in Franken und Schwaben die Reichsstädte Nürnberg und Augsburg. Vielmehr war das bayerische Gewerbe dezentralisiert durch die herzoglichen Residenzstädte München, Landshut, Ingolstadt und Straubing, durch die Residenzstädte der geistlichen Fürsten innerhalb des Territoriums und an seinen Grenzen, vor allem aber durch die zahlreichen Klöster und die Dörfer der geistlichen und weltlichen Grundherrschaften, in denen ein weitgehend eigenständiges ländliches Gewerbe existierte. Seit dem späten Mittelalter förderten geistliche und weltliche Hofmarksherren zur Steigerung ihrer Einnahmen und zur Abrundung des Angebots in ihren Herrschaften die Niederlassung von Handwerkern, die in den Städten aufgrund der Abschließung der Zünfte keine beruflichen Möglichkeiten sahen.29 Es handelte sich neben Häuslern und Taglöhnern vielfach um nachgeborene, nicht erbende Bauernsöhne und deren Nachkommen, die durch Landzuteilung in die Lage versetzt wurden, in den Dörfern Kleinanwesen zu errichten, die sog. Sölden, auf dieser Grundlage zu heiraten und eine Existenz als Handwerker zu begründen, der nicht für den Markt produzierte, sondern für den Bedarf des Dorfes und der Herrschaft. Das hierdurch anwachsende außerzünftische Landhandwerk wurde auch für größere Bauvorhaben und kunsthandwerkliche Produktion des Schloß-, Kloster- und Kirchenbaus der Epoche gebraucht. Die Folge war eine starke Ubersetzung des Gewerbes im Herzogtum, die sowohl von der Landesherrschaft wie den Städten bekämpft worden ist. Die durch Söldenansiedlung bewirkte „Territorialisierung des Gewerbes" (Schremmer), welche die gewerbliche Produktion abweichend vom Üblichen auf Stadt und Land gleichermaßen verteilte, stellte durchaus eine bayerische Sonderentwicklung dar. Sie ergab eine Breitenwirkung des gewerblichen Lebens, die in deutlichem Gegensatz zu seiner Tiefenspezialisation in den benachbarten Reichsstädten stand. Im Zusammenhang damit beschränkte sich die gewerbliche Produktion im Herzogtum überwiegend auf die Grundgewerbe und auf den
Wilfried 'Reininghaus, Gewerbe in der frühen Neuzeit, München 1990; Schremmer, Wirtschaft 78 ff.; Beck, Unterfinning 254 ff. und Hille, Ländliche Geseüschaft 49 ff. (Gewerbe im Dorf). 29 Schremmer, Wirtschaft 345 ff. 28
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einheimischen Bedarf, exportiert wurden in der Hauptsache (neben Getreide, Vieh und Salz) nur Textilien und Glaswaren. Bei den Textilien,30 die in die benachbarten Reichsstädte, nach Österreich und Italien gelangten, handelte es sich weniger um Leinen-, als um Schafwollgewebe. Wollmärkte befanden sich in Ingolstadt, Straubing, Mühldorf, Schrobenhausen, Neumarkt und Eggenfelden. Von den beiden Zweigen der Wollweberei stand die Lodenherstellung vom 15. Jahrhundert bis zum Dreißigjährigen Krieg in Blüte, da Loden im ganzen Alpenraum besonders beliebt war; 1620 gab es in München 114 Lodermeister. Was die Tuchherstellung betraf, so wurden zu Beginn des 16. Jahrhunderts, bei günstigster Konjunktur, rund 900 Tuchmacher im Lande gezählt, davon allein hundert in und um Ingolstadt, dem Zentrum der bayerischen Tucherer neben München. Jedoch stagnierte das Tuchgewerbe seit der Jahrhundertmitte, da es mit besseren ausländischen Tuchen zu konkurrieren hatte. Das Glasgewerbe31 fand seine Zentren in den Glashütten des Bayerischen Waldes um Zwiesel, Lüsen und Dreisesselberg, während verschiedentliche Gründungen im bayerischen Oberland wohl wegen Holzknappheit nur eine kurze Lebensdauer hatten. Die Nachfrage des In- und Auslandes nach zwar nicht erstklassigem, aber billigem bayerischen Gebrauchsglas hielt ungebrochen bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges an, zumal durch die Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts und den dadurch wachsenden Wohlstand das Fenster- und Hohlglas auch auf dem Lande zu einem weitverbreiteten Gebrauchsartikel geworden war. Die bayerische Kaufmannschaft32 war bereits im späten Mittelalter weit weniger entwickelt gewesen als diejenige der Reichsstädte Regensburg, Nürnberg und Augsburg. „Achten nit der kaufmannschaft, kumen auch die kaufleut nit vast zu ihnen", heißt es bei Aventin vom bayerischen Bürgertum.33 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts besaß das Land überhaupt keine Großkaufmannschaft mehr, die diese anspruchsvolle Bezeichnung verdient hätte. Die Verstaatlichung des Salzhandels, die strikte Religionspolitik der Herzöge, welche dem Luthertum zuneigende Kaufleute zur Auswanderung in die benachbarten Reichsstädte veranlaßte, und manche andere Momente beförderten diese Entwicklung. Es war auch bezeichnend, daß reich gewordene Münchner Handelsgeschlechter wie die Ligsalz oder Püttrich zunehmend Gefallen daran fanden, Edelsitze und Hofmarken in der Umgebung Schremmer, Wirtschaft 90 ff. Schremmer, Wirtschaft 99 ff. 32 Schremmer, Wirtschaft 147 ff. 33 Aventin, Bayerische Chronik 1,1, 43. 30 31
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der Stadt zu erwerben, um das Dasein kaufmännischer Patrizier mit demjenigen von Landadeligen zu vertauschen. Auswärtige Kaufleute, nicht zuletzt aus den benachbarten Reichsstädten, traten im Transithandel, Importhandel und selbst beim Export bayerischer Waren (außer dem Salz) an die Stelle bayerischer Kaufmannschaft. Dies bedeutete allerdings nicht, daß sich das Import- und Exportgeschäft des Landes als solches reduziert hätte, nur seine Träger wechselten. Jedoch erlitt der Transithandel, nach einer Steigerung im 15. Jahrhundert, erhebliche Einbußen, als sich der Umschlag des großen Orienthandels weiter nach Westen, von Venedig nach Lissabon und Antwerpen verlagerte. Durch alle diese Gegebenheiten hat sich auch ein Wechsel-, Kredit· und Bankwesen im Herzogtum nur in Ansätzen entwickelt, man bediente sich der Bankiers der benachbarten Reichsstädte, vor allem Augsburgs. Der Warenverkehr im Lande wurde von unterschiedlich strukturierten Transportunternehmungen bewältigt.34 Einen beachtlichen Anteil an den regelmäßig verkehrenden Transporten hatten die bei den Salzämtern immatrikulierten Salzfuhrwerke, welche Salz „von der Saline weg" und Agrarprodukte „zur Saline hin" transportierten und dabei weite Teile des Oberlandes mit Getreide versorgten. Der Verkehr über das Gebirge lag vornehmlich in den Händen der Transportorganisation der Rottleute, die in einem Staffettenverkehr die Ware von Rottlege zu Rottlege führten. Der Waren- und Perr sonenverkehr wurde allerdings behindert durch die vielen Zollstätten im Lande und durch den schlechten Zustand der Straßen, der auch auf die Benutzung der Wasserwege verwies. Von großer Bedeutung für den Verkehr nach Osten war daher die Donau. Seit dem 15. Jahrhundert existierte auch eine Wasserrott, welche die Süd-Nordrichtung der großen bayerischen Flüsse nützte, den Lech von Füssen oder Reutte aus, die Isar ab Mittenwald, dann Inn und Salzach, alle bis zur Donau und von dort z.T. bis Linz und Wien. Gewerbe und Handel standen im 16. Jahrhundert im ganzen Reich vor der bedrückenden Tatsache, daß es nicht gelang, den vom säkularen Wachstum der Bevölkerung und dem Anstieg der Agrarpreise ausgehenden Druck auf den Lebensstandard auszugleichen. Im Laufe des Jahrhunderts fielen die Reallöhne im Durchschnitt um rund 30 Prozent. In Oberdeutschland war schließlich mindestens ein Fünftel der Bevölkerung, überwiegend der städtischen Bevölkerung, ohne regelmäßiges Einkommen und qualitativ wie quantitativ unzureichend ernährt. „Wenn das beginnende 16. Jahrhundert für die lohnabhängige Bevölkerung ein goldenes Zeitalter gewesen war, so trug der
Scbremmer, Wirtschaft 178 ff.
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Ausgang des Jahrhunderts f ü r sie alle Zeichen eines w a h r h a f t eisernen Zeitalters." 35 Die Bevölkerung des Herzogtums w a r gegliedert nach den N o r m e n der ständischen Gesellschaft mit den Hauptgruppierungen Adel, Bürgertum und Bauern, w o z u noch die Sondergruppe des Klerus trat. 36 Die Unterschiede waren begründet durch G e b u r t und gesellschaftliche Funktion und festgeschrieben durch je verschiedene Rechtsverhältnisse, welche wiederum unterschiedliche „Ehre", unterschiedliches gesellschaftliches A n s e h e n nach sich zogen. In Einzelfallen konnten aufgrund bestimmter Voraussetzungen die Standesschranken durchbrochen werden und war in diesem Sinne soziale Mobilität gegeben. Prinzipiell und aufs G a n z e gesehen w a r jedoch die ständische Ordnung unveränderlich und festgefügt. Die führende soziale Schicht im Herzogtum w a r der Adel, 3 7 der h o h e A d e l der G r a f e n und Freiherrn sowie der niedere A d e l der Herren (Ritter), am E n d e des 16. Jahrhunderts etwa fünfzig Familien hoher und f ü n f h u n d e r t Familien niederer Adel, die je einen eigenen Heiratskreis bildeten. D a s w a r insgesamt weniger als ein halbes Prozent der bayerischen Bevölkerung. Dieser A d e l lebte zumeist in seinen Burgen, Schlössern und Sitzen auf dem flachen Land, inmitten der Bauern, deren G r u n d h e r r er war. S o heißt es 1 5 3 3 in
Rabe, Geschichte 628. Winfried Schulsg (Hg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität, München 1988; Georg Schmidt (Hg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich, Stuttgart 1989; Paul Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit. 1500 bis 1800, Berlin 1992, 65 ff.; Rabe, Geschichte 68 ff.; Preß, Kriege 51 ff. - Spindler-Kraus, Handbuch II, 631 ff.; Gertrud Diepolder, Das Volk in Kurbayern z.Zt. des Kf. Max Emanuel. Beobachtungen zur Demographie, in: H. Glaser (Hg.), Kf. Max Emanuel. Bayern und Europa um 1700, Band 1, München 1976, 387-405; Walter Hartinger, Zur Bevölkerungs- und Sozialstruktur von Oberpfalz und Niederbayern in vorindustrieller Zeit, in: ZBLG 39 (1976), 785-822; Karl-Ludwig Ay, Land und Fürst 13 ff. 37 Rudolf Endres, Adel in der Frühen Neuzeit, München 1992; Preß, Kriege 56 ff.; Münch, Lebensformen 78 ff. - Spindler-Kraus, Handbuch II, § 90 mit weiterer Literatur, insbes. Hein^ Ueberich, Landherren und Landleute. Zur politischen Führungsschicht Bayerns im Spätmittelalter, München 1964; Josef Sturm, Johann Christoph von Preysing. Ein Kulturbild aus dem Anfang des 30-jährigen Krieges, München 1923; Maximilian Lan^inner, Fürst, Räte und Landstände in Bayern 1511-1598, Göttingen 1980; Margit Ksoll, Die wirtschaftlichen Verhältnisse des bayer. Adels 1600-1679, dargestellt an den Familien Törring-Jettenbach, Törring zum Stein sowie Haslang zu Haslangkreit und Haslang zu Hohenkammer, München 1986; Stephan Kellner, Die Hofmarken Jettenbach und Aschau in der frühen Neuzeit, München 1986. Weiterhin: Wilhelm Stürmer, Zur adeligen Grundherrschaft im neuzeitlichen Herzogtum/Kurfürstentum Bayern, in: W. Becker u.a. (Hg.) Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus, Kallmünz 1992, 33-48; Rudolf Schlögl, Absolutismus im 17. Jh. Bayer. Adel zwischen Disziplinierung und Integration, in: ZHF 15 (1988), 151-186; Ay, Land und Fürst 13 ff.; Heydenreuther, Hofrat 260 ff. 35 36
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der „Bayerischen Chronik" Aventins: „Der adi wont auf dem land, ausserhalb der stet, vertreibt sein zeit mit hetzen, paissen, jagen; reiten nit zu hof, dan wer dienst und sold hat."38 Das Kennzeichen des Adels war Herrschaft über Land und Leute, seine hauptsächlichen Einkünfte kamen aus der Grundrente. Der bayerische Adel hatte ausgedehnten Grundbesitz, der insgesamt etwa ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche des Herzogtums umfaßte. Nur einen sehr kleinen Teil davon bewirtschaftete er selbst als sogenannten Hofbau, der größere war an Bauern — die Grunduntertanen, Grundholden oder Hintersassen — ausgegeben, die dem Grundherrn dafür Abgaben und Dienste leisteten. Einzelne Adelsfamilien wie die Toerring,39 Preysing40 oder Tattenbach besaßen mehr als tausend solcher Bauernhöfe, die teils über das Land verstreut, teils in Hofmarken zusammengefaßt waren. Diese Familien waren angesichts des materiellen Hintergrundes auch in der Lage, an der Kultur des Zeitalters fördernd Anteil zu nehmen, Studium und Kavaliersreise der Söhne im Ausland zu finanzieren, in der Residenzstadt ein großes Haus zu führen und sich in aufwendiger Daseinsgestaltung gelegentlich selbst mit dem Landesfürsten zu messen. Möglichkeiten und Lebensstil dieses alteingesessenen vermögenden Adels waren dazu angetan, Sicherheit und Selbstbewußtsein zu entwikkeln. Die finanzielle Situation des bayerischen Adels war jedoch nicht einheitlich, neben den sehr vermögenden Familien existierten die vielen Familien mitderen und auch geringen Einkommens, die vom Wandel der wirtschaftlichen Konjunkturen jeweils unmittelbar betroffen wurden. Die ökonomische Vielfalt und das wirtschaftliche Gefálle innerhalb des bayerischen Adels wird aus den Abbildungen seiner Schlösser und Edelsitze ersichtlich, wie sie sich in den zeitgenössischen Landesbeschreibungen des Philipp Apian und Jost Amman, später des Michael Wening finden.41 Große finanzielle Einbrüche für manche Adelsfamilien brachte der Dreißigjährige Krieg, nachdem sich die Konjunktur bereits seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts abgeschwächt hatte. Neben seinem materiellen Rückhalt besaß der bayerische Adel mancherlei Privilegien, die mittels der „Erklärten Landesfreiheit" von 150842 in einer Aventin, Bayer. Chronik 1,1, 43. Ksoll, Wirtschaftliche Verhältnisse; Kellner., Hofmarken. 40 Sturm, Preysing. 41 Otto Hartig (Hg.), Das alte Bayern. 30 Zeichnungen und 38 Holzschnitte aus der Werkstätte Philipp Apians und Jost Ammans, München 1927; Enno Burmeister,, Die Schlösser des altbayer. Landadels. Typologie nach den Kupferstichen Michael Wenings Anfang des 18.Jh.s, Phil. Diss. München 1977. Vgl. auch Stürmer, Grundherrschaft 46 Anm. 63. 42 Gustav v. Lerchenfeld-Ludmg Reckinger (Hg.), Die altbaierischen landständischen Freibriefe mit den Landesfreiheitserklärungen, München 1853, 205-265; Auszug in Dokumente 1,2, 584 ff. 38 39
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förmlichen Verfassungsurkunde gesichert waren und von den Herzögen beim Regierungsantritt, von den Beamten beim Dienstantritt beschworen werden mußten. Zusammen mit Prälaten- und Bürgerstand bildete der (landständische) Adel die Landschaft des Herzogtums Bayern mit entsprechenden korporativen Rechten, an erster Stelle dem Recht der Steuerbewilligung und Steuerverwaltung. Daneben stand eine Reihe persönlicher, in den „Landständischen Freibriefen"43 niedergelegter Vorrechte des Adels, die zumeist aus mittelalterlicher Wurzel stammten. Das wichtigste und lukrativste dieser Vorrechte war das Recht der niederen Gerichtsbarkeit im Bereich der Hofmarken, d.h. Bezirken im Umfang von einem oder mehreren Dörfern, die dem betreffenden Adeligen in grundherrschaftlicher Hinsicht ganz oder überwiegend unterworfen waren. Um 1600 existierten ca. 620 Hofmarken des Adels. Durch Verleihung der sog. Edelmannsfreiheit seit dem Jahre 155744 konnte die niedere Gerichtsbarkeit auch auf verstreutem adeligen (später auch kirchlichen) Grundbesitz außerhalb der Hofmarken ausgeübt werden. Mit der Hofmarksgerichtsbarkeit war die Polizeigewalt, das Recht der Steuereinziehung und der Musterung, der Anspruch auf Scharwerksdienste (oder entsprechende Geldleistungen) der Bauern und die freiwillige Gerichtsbarkeit (Notariat) verbunden. Durch die Verbindung von Grundherrschaft und Niedergerichtsbarkeit stellten die zahlreichen Adelshofmarken kleine autonome Inseln im Lande dar, die dem direkten Zugriff des landesherrlichen Landrichters und Pflegers weithin entzogen waren. Mit Grund- und Gerichtsherrschaft verband sich weiterhin das adelige Recht auf die Ausübung der niederen Jagd, das Recht auf eigene Siegelführung, auf einen privilegierten Gerichtstand vor dem landesherrlichen Hofgericht und auf Bevorzugung bei der Besetzung von Staats- und Hofstellen. Nicht zuletzt trug der landsässige Adel nur einen Bruchteil der öffentlichen Lasten; von der Landsteuer war er ganz befreit, ebenso von Maut- und Zollgebühren, von der Ständesteuer zahlte er nur ein Zehntel. In korporativer und individueller Privilegierung und nach seinem Selbstverständnis bildete der Adel tatsächlich einen Herrschaftsstand. Aus seinen Herrschaftsrechten unterschiedlicher Provenienz wußte er mannigfachen Gewinn zu ziehen, sie bildeten auch die Grundlage seiner materiellen Existenz.
Besprechung bei Spindler-Kraus, Handbuch II, 325 f. Neudruck der Fassung von 1553 in Dokumente 1,3 Nr. 13. 43 Gesammelt bei Lerchenfeld-Rockinger, Landständische Freibriefe. 44 Lerchenfeld-Kockinger, Landständische Freibriefe 157 f. Neudruck: Dokumente 1,3 Nr. 29; Einschränkung durch Maximilian 1641: Ebenda Nr. 323.
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Jedoch hat der bayerische Adel des 16. Jahrhunderts in mehrfacher Hinsicht eine Transformation erlebt. In seinen korporativen, landständischen Rechten wurde er vom frühabsolutistischen Fürstentum zunehmend entmachtet. Gleichzeitig war er veranlaßt, sich veränderten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gegebenheiten durch Wandlungsfähigkeit anzupassen. Ausgangspunkte waren die langfristige Agrarkrise des späten Mittelalters, welche die grundherrschaftlichen Einnnahmen erheblich vermindert hatte, deren Folgen freilich durch die Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts wieder aufgehoben wurde; die Abdrängung des Adels vom Kriegsdienst durch das Aufkommen der Söldnerheere; der fortschreitende Ausbau des modernen Territorialstaats, der auch den Adel in ein festeres System rechtlicher, politischer und moralischer Verpflichtungen zwängte und finanzielle Forderungen stellte. Diesen Schwierigkeiten suchte er auf mehreren Wegen zu begegnen. Die zahlreichen Versorgungsmöglichkeiten der Adelskirche, insbesondere die Domherrnstellen der (durch die Reformation reduzierten) Hochstifter, wurden intensiver als bisher wahrgenommen. Weiterhin öffnete sich der Adel in zweifacher Richtung, durch das Konnubium mit dem höheren Bürgertum und durch den häufigeren Eintritt in den Staats- und Hofdienst. Durch Heiratsverbindungen mit den städtischen Oberschichten, den Ratsgeschlechtern und dem Patriziat, wuchsen dem Adel z.T. erhebliche Vermögen zu, und dieser Gesichtspunkt finanzieller Sanierung stand auch weitgehend im Vordergrund; in Frankreich nannte man diese Praxis: „Den Adelsbrief vergolden." Die führenden Positionen bei Hof sowie in den (zunächst noch wenig ausgebildeten) Zentralbehörden und den Viztumämtern hatte bisher der hohe Adel eingenommen und die obersten Hofämter blieben auch weiterhin dessen Domäne. Der niedere Adel hatte sich überwiegend abseits gehalten, wie auch Aventin berichtet. Jetzt suchte er im Laufe des Jahrhunderts intensiver als bisher die Nähe des Fürsten. Er wurde angezogen durch den Ausbau des bürokratischen Apparats seit der Jahrhundertmitte, der neue Betätigungsfelder eröffnete, sowie durch die Tatsache, daß der hohe Adel sich spreizte, dem niederen Adel Positionen in den wichtigeren Landschaftsämtern einzuräumen. Durch den Eintritt in den Staatsdienst, zunächst in den Außenbehörden, dann zunehmend auch im herzoglichen Rat, gewann der Adel bei entsprechender Vorbildung eine neue Existenzgrundlage und eröffnete sich ihm ein neues Betätigungsfeld.45 Darüber hinaus erhielt er als hoher Beamter Einflußmöglichkeiten in Staat und Politik, die ihm als Landsasse zur selben Zeit entzogen wurden. Voraussetzung für die Besetzung der hohen Staatsstellen 45
Grundlegend: Lamjnner,
Fürst 180 ff. und öfter.
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war das Universitätsstudium, zu dem sich nun auch zunehmend der Adel veranlaßt sah; auch spezielle Ritterakademien bereiteten auf Beamtenkarriere und Hofleben vor. Gleichzeitig bildete sich auch eine Schicht neuen Adels, insofern neben den verbeamteten Adeligen der geadelte bürgerliche Beamte trat.46 Für den Ausbau des frühmodernen Staates wurde zunehmend der graduierte Jurist mit seinen speziellen Fähigkeiten gebraucht. Durch Bildung und Kenntnisse gelang es ihm, bis zu sehr hohen Staatsstellen vorzudringen, dem Adel an Ansehen und Lebensstil gleich oder jedenfalls ähnlich zu werden und in besonderen, aber durchaus nicht seltenen Fällen die Nobilitierung auf Lebenszeit oder sogar erblich zu erlangen. „Dat Justinianus honores!" So entstand im Schmelztiegel von Staats- und Hofdienst aus altem Kleinadel, Patriziat und nobilitierten Beamten ein relativ einheitlicher Staatsdieneradel. Wenn in dieser Weise soziale Mobilität im bayerischen Adel des 16. und noch mehr des 17. Jahrhunderts gegeben war, so gab doch der alte Adel die feste Rückbindung an seine Grund- und Gerichtsherrschaften auf dem Lande nicht preis, und bemühte sich der neue Amtsadel, zur Festigung seiner Position auch eine derartige territoriale Verankerung zu gewinnen. Bei allem sozialen Wandel blieb also die charakteristische agrarische Prägung des bayerischen Adels und seiner Lebenswelt nahezu unverändert bestehen. Ebenso wie der Adel stellte auch der bayerische Klerus47 nur eine kleine Bevölkerungsgruppe dar. In einem von religiösen Überzeugungen und konfessionellen Auseinandersetzungen erfüllten Zeitalter und angesichts seiner ökonomischen Position besaß er jedoch sein eigenes Gewicht. „Prelaten haben große, mechtige, reiche gotsheuser, solten tag und nacht zu bestirnter zeit des gotsdienst mitsambt iren geistlichen brüedern auswarten, got und seine heiligen loben, danken und für die fürsten (so solche clöster, pfrüend und stiften gestift haben) pitten. Man wil sprechen, si sein reicher und vermügen mehr dan die andern zwen stend, man gibt ihn mehr gelts und guets, dan den andern zwaien Stenden mitsambt den fürsten und helts für mechtiger".48 Die
für die kirchliche Organisation des Herzogtums zuständigen Erzbischöfe und Bischöfe von Salzburg, Chiemsee, Passau, Regensburg, Eichstätt, Freising und Augsburg waren ebenso Reichsfürsten wie die bayerischen Herzöge und diesen prinzipiell gleichgestellt. Sie standen also außerhalb des Herzogtums. Ebenda 220 ff. und öfter. Walter Brandmüller (Hg.), Handbuch der bayer. Kirchengeschichte, Band 2, St. Ottilien 1993; Spindler-Kraus, Handbuch II, 702 ff. und 111,3, 236 ff. 48 Aventin, Bayer. Chronik 1,1, 42 f.
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Der Weltklerus und die Orden auf bayerischem Territorium waren dagegen, wenn auch mit Einschränkungen, der Landeshoheit der Herzöge unterworfen. Dabei waren die Weltpriester an den vielen kleinen und kleinsten Pfarrund Nebenkirchen der Städte, Märkte und des flachen Landes mangels Bildung meist weniger im Ansehen als der Ordensklerus, der die zahlreichen Konvente bevölkerte. Am Ende des 16. Jahrhunderts zählte man 104 Klöster und Stifter im Land, vor allem solche der Benediktiner, Zisterzienser, Augustinerchorherren und Prämonstratenser, daneben solche der Dominikaner und Franziskaner sowie entsprechende Frauenkonvente.49 Manche dieser Klöster führten ihre Geschichte bis auf die Zeiten der Agilolfinger und Karls des Großen zurück, andere waren im Zusammenhang mit Reformbewegungen des hohen Mittelalters entstanden. Im Spätmittelalter und den Jahrzehnten der Reformationszeit hatten manche Konvente religiöse, personelle und finanzielle Gebrechen gezeigt, wenngleich zumeist weniger, als lange Zeit angenommen worden ist. Seit der Jahrhundertmitte wiesen Kräfte und Zielsetzungen der Katholischen Reform neue Wege und neue Möglichkeiten monastischen Lebens. Eine Reihe von Jesuitenkollegien in Ingolstadt, München, Dillingen, Landsberg und Altötting, Gründungen von Reform und Gegenreformation mit dem finanziellen Rückhalt der bayerischen Herzöge, brachten den neuen Geist besonders konturiert zum Ausdruck. Zahlreiche Konvente hatten großen, nicht wenige sogar sehr großen Grundbesitz, etwa im sog. Pfaffenwinkel die Benediktinerabteien Benediktbeuern und Ettal oder die Augustinerchorhermstifte Polling und Rottenbuch.50 Dieser Grundbesitz war teils in geistlichen Hofmarken (mit Niedergerichtsbarkeit der Prälaten) konzentriert, teils weit über das Land verstreut und beruhte überwiegend auf Schenkung, Rodung und Landesausbau, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte ergeben hatte. Wohl etwa die Hälfte des landwirtschaftlich genutzten Grund und Bodens und der grunduntertänigen Familien im Herzogtum waren auf diese Weise der geistlichen Grundherrschaft unterworfen, den Klöstern, Pfarrkirchenstiftungen und Spitälern, ebenso auch Hochstiftern und Domkapiteln. Auf dem Wege über Grundherrschaft und Gerichtsherrschaft übten die geistlichen Institutionen starken Einfluß auf die wirtschaftlichen und sozialen Gestaltungen im Lande aus. Ebenso intensiv und nachhaltig wirkten sie durch ihre Bildungsanstalten und religiösen Impulse auf die geistig-kulturelle Situation. Ihre künstlerischen Hervorbringungen Liste sämtlicher in Bayern bestehender Klöster und Stifte 1000-1800 im Ausstellungskatalog Bayer. Frömmigkeit, München 1960, 83 ff. Literatur zum 16./17. Jh. bei Spindler-Kraus, Handbuch II, 721 ff.; Brandmüller, Handbuch II, 641 ff. 50 Aufgelistet in den Bänden des Hist. Adas von Bayern. 49
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in Architektur, bildender Kunst und Musik, die großenteils durch die Erträge der Grund- und Gerichtsherrschaft finanziert wurden, dezentralisierten die kulturellen Aktivitäten im Herzogtum und verhinderten eine Provinzialisierung des flachen Landes.51 Die Verbindung der Klöster mit Land und Leuten war auch dadurch gegeben, daß die Konvente ihre personelle Ergänzung aus dem bürgerlichen und bäuerlichen Umland fanden und daß zahlreiche Äbte und Pröpste — die Prälaten — aus Handwerker- und Bauernfamilien stammten.52 Die Vorsteher einer Reihe von Klöstern und Stiftern, darunter auch von Frauenklöstern, um die Jahrhundertmitte insgesamt von 83 geistlichen Korporationen, bildeten den Prälatenstand der bayerischen Landschaft, mit den korporativen Befugnissen, die den Landständen zukamen. Die Prälaten stellten also durch Grundherrschaft, Gerichtsherrschaft und Landstandschaft einen Herrschaftsstand wie der Adel dar, beruhten aber auf Wahl, nicht auf Geburt, und waren angesichts ihrer Herkunft weit weniger als der Adel durch eine soziale Kluft von ihren Untertanen getrennt, so daß auch in dieser Hinsicht unter dem Krummstab zumeist gut — oder jedenfalls besser — wohnen war.53 „Die burger" schreibt Aventin „regieren ir stet und märkt selbs, sein handwerchsleut, wirt, paurn, etlich kramer, fragner oder furkeufl, die armen tagwerker und taglöner. Ganz wenig haben ain auskommen von iren gälten und Zinsen und jerlichem einkommen oder aufheben und werden 'die von dem geschlecht' genannt. Es sein auch wenig kaufleut, die grossen handl fueren."54 Das Kennzeichen der 34 Städte und 93 gefreiten, d.h. den Städten rechtlich gleichgestellten Märkte im Herzogtum war die Begabung mit dem Stadtrecht für einen abgegrenzten, zumeist von einer Stadtmauer umgebenen Bezirk.55 Hierdurch kam der Unterschied zwischen Stadt und Land, der beHierzu sehr schön Hans Pörnbacher.; Barockliteratur in den Prälatenklöstern Altbayerns, in: ZBLG47 (1984), 181-195. 52 Vgl. die Untersuchungen von Edgar Krausen, zitiert bei Spindkr-Kraus, Handbuch II, 733 Anm. 13. 53 Allerdings mit Ausnahmen, wie etwa die Untersuchung von R. blickte (unten Anm. 64) bezeugt. 54 Aventin, Bayer. Chronik I., 1,43. 55 Hein% Schilling, Die Stadt in der Frühen Neuzeit, München 1993 (Lit.); Rabe, Geschichte 86 ff.; Münch, Lebensformen 99 ff. - Spindler-Kraus, Handbuch II, § 90 b mit weiterer Literatur; Eduard Rosenthal, Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltungsorganisation Bayerns, 2 Bände, Würzburg 1899/1906, Neudruck Aalen 1968; Schremmer, Wirtschaft; Wilhelm Stürmer, Wittelsbachische Städte Altbayerns in der Frühen Neuzeit, in: ZBLG, Reihe B, Beiheft 9 (1977), 39-63; Oers., Wirtschaft und Bürgertum in den altbayer. Städten unter dem zunehmenden absolutistischen Einfluß des Landesfürsten, in: W. Rausch (Hg.), Die Städte Mitteleuropas 51
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sondere Charakter der Stadt gegenüber dem Umland vor allem zum Ausdruck, selbst bei den Märkten. Das Stadtrecht verlieh der Bürgerschaft bzw. ihrer Vertretung Befugnisse der Selbstverwaltung und autonomen Gestaltung des städtischen Lebens innerhalb des Burgfriedens. Diese Befugnisse waren im wesentlichen die niedere Gerichtsbarkeit über Bürger, Beisassen und Fremde, die im Jahre 1557 den landesherrlichen Städten unter Beseitigung unterschiedlicher lokaler Privilegierung generell verliehen wurde, das Recht der Steuererhebung und -Verwaltung sowie ein Satzungsrecht insbesondere auf dem Gebiet der Gewerbe- und Wirtschaftsaufsicht, der Bau- und Gesundheitspolizei, des Armen- und Wohlfahrtswesens. In Ausübung dieser Kompetenzen hatte sich im Laufe der Jahre überall, wenn auch ungleichmäßig ausgebildet, ein kommunales Ämterwesen entwickelt. In nahezu allen Städten bestand die Stadtobrigkeit, das Stadtregiment, aus den Institutionen des Bürgermeisters sowie des Inneren und Äußeren Rates. Dabei spielte der vom erblich ratsfähigen Patriziat beherrschte Innere Rat, der auch den Bürgermeister stellte, die entscheidende Rolle, die großen Geschlechter, zumeist Kaufmannsfamilien, regierten die Kommunen. Jedoch machte sich der gesellschaftliche Aufstieg der Juristen auch in der Stadt bemerkbar, insoferne manche von ihnen in die bürgerliche Oberschicht und in den Rat gelangten, sofern sie nicht ohnehin schon dem Patriziat entstammten. Eine kaum geringere Rolle im städtischen Leben als das Patriziat spielten die Korporationen der Zünfte, durch die Gewerbe und Handwerk ihre ökonomischen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten zu regeln suchten. Nur der zünftige, in die Zunftordnung eingebundene Handwerker erhielt das Bürgerrecht, das erst vollen Anteil am städtischen Leben gestattete. Die Sozialstruktur der bayerischen Städte wird ansatzweise aus den staatlichen Kleiderordnungen der Zeit ersichtlich,56 so derjenigen von 1578, welche für die städtische Bevölkerung drei Rangklassen aufführt. An erster Stelle rangieren die Patrizier der fünf „Hauptstädte" München, Landshut, Straubing, Ingolstadt und Burghausen; seit der Landesordnung von 1553, durch die ihnen die Jagdausübung gestattet wurde, waren sie dem niederen Adel gleich geachtet. Es folgen die bürgerlichen Kauf- und Gewerbeleute und im 17. und 18. Jh., Linz 1981, 237-266; Ders., Die oberbayer. Residenzen der Herzöge von Bayern unter bes. Berücksichtigung von München, in: BlldLG 123 (1987), 1-24; Carl A. Hoffmann, Der Markt Trostberg in der frühen Neuzeit, in: OA 114 (1990), 7-140; Heydenreuther, Hofrat 257 ff. Vgl. auch unten Anm. 59. 56 Veronika Baur, Kleiderordnungen in Bayern vom 14.-19. Jh., München 1975; Martin Dinges, Der „feine Unterschied". Die soziale Funktion der Kleidung in der höfischen Gesellschaft, in: ZHF 19 (1992), 49-76; Münch, Lebensformen 102 ff. Vgl. auch Dokumente 1,3 Nr. 264/265 (Kleiderordnung von 1626 und deren mangelnde Akzeptanz).
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Bürger mit Sitz im Rat oder bei Gericht, schließlich bürgerliche Handwerker und Krämer. Diese Einteilung erfaßte ersichtlich nur die mit dem Bürgerrecht begabten Stadtbewohner, also nur einen kleinen Teil der Stadtbevölkerung. Eine Stufe unter diesen rangierten die Beisassen oder Beisitzer mit partiellem Bürgerrecht, dann folgten die städtischen Schutzverwandten (Stadtschützler, Toleranzler), die lediglich eine befristete Aufenthaltsgenehmigung besaßen. In der Residenzstadt München rekrutierte sich diese Schicht zumeist aus nachgeborenen Söhnen aus den umliegenden Dörfern und bestand aus Lohnarbeitern, d.h. Taglöhnern, Maurern, Zimmerleuten, Wäschern, Floßknechten, Kalkbrennern u.a. Die eigentlichen städtischen Unterschichten waren die Dienstboten, die Stadtarmen, die Unehrlichen. Je nach Größe und Wirtschafsstruktur der Städte fanden sich alle diese Kategorien verschieden ausgeprägt. So fehlten in der Universitäts- und Festungsstadt Ingolstadt die angesehenen Handelshäuser und vornehmen Bürgergeschlechter, während Bierbrauer, Wirte, Metzger und ähnliche Handwerke überdurchschnittlich vertreten waren. Im einzelnen ist die Sozialstruktur der bayerischen Städte in der frühen Neuzeit noch relativ wenig erforscht. Aufs Ganze gesehen war die städtische Gesellschaft gekennzeichnet durch ausgeprägte Gegensätze, es finden sich sowohl beachtlicher Wohlstand,57 wie überaus kümmerliche Lebensverhältnisse, die durch die Preisentwicklung im Laufe des Jahrhunderts sich verfestigten. Aus der Zahl der Städte hoben sich die sog. Hauptstädte München, Landshut, Straubing, Burghausen und Ingolstadt heraus. Sie waren im Mittelalter (Landshut auch noch im 16. Jahrhundert) Sitz einer fürstlichen Hofhaltung gewesen, hatten Residenzcharakter besessen; jetzt waren sie, außer Ingolstadt, Sitz einer Regierung. Sie waren dem „Rentmeisterumritt" nicht unterworfen, jener umfassenden periodischen Kontrolle von Justiz, Finanzen und Verwaltung, aber auch von Religionsverhältnissen und Lebensführung, wie sie von den herzoglichen Rentmeistern über die anderen Städte ausgeübt wurde.58 Vielmehr unterstanden die Hauptstädte den Regierungen bzw. die Stadt München dem herzoglichen Hofrat unmittelbar. Sie besaßen auch seit dem 16. Jahrhundert gegen jährliche Geldzahlung und herzogliche Bestätigung des städtischen Oberrichters die Blutgerichtsbarkeit. München, Landshut und Straubing waren darüber hinaus privilegiert, Mitglieder in die Landschaftsverordnung zu entsenden. Im übrigen unterschieden sich die Hauptstädte von den Landstädten durch Erscheinungsbild und EinwohnerVgl. Bernd Roeck, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der frühen Neuzeit, München 1991, wo aber nur bürgerliche Ober- und Mittelschichten behandelt werden. 58 Vgl. hierzu die aufschlußreichen Quellen in Dokumente 1,3 Nrr. 124, 136, 148 und 179. 57
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zahl, durch größeren Gewerbereichtum, reichere Steuerzahler, durch die Stadthäuser des Landadels und die Stadtklöster der Orden, nicht zuletzt durch die vielen Beamten eines Regierungssitzes. Jedoch hatten auch die Landstädte ihre spezielle Funktion, sie waren in der Regel herzogliche Amtsstadt, Sitz eines Land- oder Pfleggerichts, also administratives Zentrum für ein breites Hinterland. Gewerbe und Handel der Landstädte waren weitgehend auf dieses agrarische Hinterland hin orientiert, während umgekehrt die bäuerliche Bevölkerung den städtischen Markt besuchte und infolge des Marktzwanges auch besuchen mußte. In der meist erstaunlich großen Zahl der Bierbrauer, Wirte, Metzger und Viehhändler kam das Florieren der Landstädte und ihrer Umlandbeziehungen zum Ausdruck. Eine starke und von den Städten viel beklagte Konkurrenz erwuchs ihnen allerdings durch die geschilderte Söldenansiedlung und die damit verbundene Territorialisierung des Gewerbes. Darüber hinaus waren manche Maßnahmen des Landesfürstentums durchaus nicht im städtischen Interesse. Die Konfessionspolitik der Herzöge vertrieb manche steuerkräftige Handelsfamilien in die Reichsstädte, die Verstaatlichung des Salzhandels entwand den bayerischen Städten einen wichtigen Wirtschaftszweig, ebenso auch die landesherrliche Brauereipolitik, die den Wechsel von Wein zu Bier als Volksnahrungsmittel durch Monopolisierung des Weißbierbrauens für sich zu nutzen suchte. Die ökonomische Konkurrenz zwischen Herzog und Städten war jedoch nur ein Teilaspekt eines allgemeineren Vorganges, nämlich der zunehmenden Aushöhlung der städtischen Autonomie durch das frühabsolutistische Landesfürstentum. Symptomatisch hierfür war die Entwicklung in der Stadt München,59 die sowohl in den Machtverhältnissen wie im äußeren Erscheinungsbild aus einer bürgerlich-autonomen Stadt allmählich eine herzogliche Stadt, eine Residenzstadt wurde, seit sie zum bevorzugten Aufenthalt der Herzöge und zum politisch-kulturellen Mittelpunkt der vereinigten Landesteile geworden war. Seit je waren Hof und Hofstaat, Adel und Geistlichkeit innerhalb der Stadt ihren eigenen Gewalten unterworfen gewesen. Dieser Personenkreis vergrößerte sich beträchtlich durch die Erweiterung des Hofes
59 Spindler-Kraus, Handbuch II, 637 ff. mit weiterer Literatur. Vgl. insbes. Michael Schattenhofen Beiträge zur Geschichte der Stadt München, in: OA 109 (1984), 9-223; Richard Bauer, Geschichte der Stadt München, München 1992 (Lit.); Stürmer, Residenzen; Alois Schmid, Stadt und Humanismus. Die bayer. Haupt- und Residenzstadt München, in: K. Malettke-J. Voss (Hg.), Humanismus und höfisch-städtische Eliten im 16. Jh., Bonn 1989, 239-278; Wolfgang Braunfels, Cuius Regio Eius Ars, in: GRU, 133-140. Neudruck des Albertinischen Rezesses von 1561: Dokumente 1,3 Nr. 47; Heydenreuther, Hofrat 247 ff.
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seit Albrecht V., die Errichtung und den Ausbau zentraler Staatsbehörden, die Neugründung geistlicher Institutionen im Zuge von Katholischer Reform und Gegenreformation, die Niederlassung von Bürgern und Handwerkern, die sich dem Hofschutz unterstellten, um der Zwangsjacke der Zünfte zu entgehen. Eine zunehmend größere Zahl von Stadtbewohnern wurde also der städtischen Gerichtsbarkeit entzogen, gleichzeitig wurde das Stadtrecht von nicht wenigen herzoglichen Mandaten durchlöchert und die Kontrolle der städtischen Behörden durch staatliche Organe verschärft. Dieser Vorgang fand seine Parallele in den Veränderungen des Münchner Stadtbildes. Die großen Leistungen städtischer Baukunst und bürgerlicher Repräsentation im 15. Jahrhundert, Frauenkirche und Rathaus, wurden im 16. Jahrhundert nicht mehr von den Bürgern, sondern von den Herzögen fortgesetzt: Antiquarium, Münzhof, Grottenhof, Maxburg, St. Michaelskirche und Jesuitenkolleg entstanden im Auftrag Albrechts V. und Wilhelms V., zahlreiche Bürgerhäuser wurden abgerissen, um den herzoglichen Bauten Raum zu schaffen. Dieser Entwicklung Münchens sind die übrigen vier Hauptstädte nicht gefolgt und konnten es nicht, da sie seit der Vereinigung der Teilherzogtümer 1505 keine Residenzstädte mehr waren, die von einer dauernden Hofhaltung ausgehenden stadtgestaltenden Impulse fehlten ihnen. Nur Landshut erhielt als zeitweilige Residenz Herzog Ludwigs X. einen Renaissancebau inmitten der gotischen Altstadt, Ingolstadt war Universitätsstadt und wurde zur Festungsstadt. Im Kern aber behielten sämtliche Hauptstädte außer München ihr spätmittelalterlich-gotisches Stadtbild. In den Stadtmodellen des Straubinger Drechslermeisters Jakob Sandner aus den Jahren 1568-1574 tritt diese spätgotisch geprägte bayerische Stadt auch heute noch eindrucksvoll vor Augen.60 Für München zeigt das Sandnermodell von 1572, noch ohne die Bauten Wilhelms V., einen Zustand des Übergangs. Maximilians imperialer Residenzbau hat dann endgültig die Bürgerstadt zur Residenzstadt gewandelt. Den bayerischen Bauern des 16. Jahrhunderts hat Aventin in klassischen Worten beschrieben: „Der gemain man, so auf dem gä und land sitzt, gibt sich auf den ackerpau und das viech, ligt demselbigen allein ob, darf sich nichts on geschaft der öbrikait understen, wird auch in kainen rat genomen oder landschaft ervodert; doch ist er sunst frei, mag auch frei ledig eigen guet haben, dient seinem herren, der sunst kain gewalt über in hat, jerliche güld, zins und scharwerk; tuet sunst was er wil, sitzt tag und nacht bei dem wein, 60 Alexander Frhr.v. Wittenstein, Die alte baier. Stadt in den Modellen des Drechslermeisters Jakob Sandner, gefertigt in den Jahren 1568-1574 im Auftrag Hg. Albrechts V. von Bayern, München 1967.
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schreit, singt, tan2t, kart, spilt; mag wehr tragen, schweinspieß und lange messer; große und überflüssige hochzeit, totenmal und kirchtag haben ist erlich und unsträflich, raicht kainem zu nachtail, kumpt kainem zu übel."61 Etwa vier Fünftel der bayerischen Bevölkerung fanden ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft,62 als Bauern, Gütler, Söldner, Taglöhner, Dienstboten und halbbäuerliche Landhandwerker. Von den selbständig wirtschaftenden Bauern und Kleinbauern unter ihnen besaß jedoch nur ein geringer Teil den Grund und Boden, den er bebaute, zu freiem Eigen. Über neun Zehntel waren vielmehr eingebunden in das System der Grundherrschaft, sie waren einem Grundherrn unterworfen, der ihnen Haus und Hof im Rahmen unterschiedlicher Leiheformen zur Nutzung überließ: Auf Erbrecht, auf Leibrecht, bei dem das Leiheverhältnis mit dem Tod des Inhabers, auf Neustift, wo es mit dem Tod des Grundherrn endete, schließlich auf Freistift oder Herrengunst, bei dem es jährlich vierzehn Tage nach Lichtmeß zur Disposition stand (mit der Sonderform der veranleiten Freistift).63. Während der Laufzeit der Stiftbriefe konnte der Grundherr seine Forderungen nicht erhöhen. Nicht selten war die Praxis günstiger als die Norm und nach den Menschenverlusten durch den Krieg setzte sich der Erbgang weitgehend durch. Jedoch existierten immer wieder auch Grundherrn, die eine Verschlechterung der Besitzrechte im Auge hatten.64 Im übrigen war der Grundherr an der sachgemäßen Bewirtschaftung des ausgeliehenen Hofes interessiert; kam der Grundholde seinen Verpflichtungen nicht nach, konnte ihn der Herr ganz unabhängig von der gewährten Leiheform abstiften. Für die Hof- und Landleihe hatte der Grundherr Abgaben (Natural- und Geldabgaben) zu fordern, in seltenen Fällen auch Dienste (Giltscharwerk). An Naturalabgaben wurde hauptsächlich Getreide gefordert, dazu Obst und
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Aventin, Bayer. Chronik 1,1, 42. Allgemein: André Holenstein, Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreißigjährigem Krieg, München 1996 (Lit.); Peter Blickte, Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, Stuttgart 1989; Münch, Lebensformen 87 ff. - Bayern: Spindler-Kraus, Handbuch II, 640 ff. und 736 ff.; Lütge, Grundherrschaft (mit Korrekturen durch die unten genannten Untersuchungen von R. Blickle); Schlögl, Bauern; Beck, Unterfinning; Adolf Sandbetger, Altbayer. Studien zur Geschichte von Siedlung, Recht und Landwirtschaft, München 1985; Hein% Haushofer, Aus der bayer. Agrargeschichte 1525-1978. Festschrift zum 80. Geburtstag, hg. von P. Fried und W. Zorn, München 1986; Hille, Ländliche Gesellschaft. 63 Heinz Lieberich, Rechtsformen des bäuerlichen Besitzes in Altbayern, in: Mitt. für die Archivpflege 6 (1941), 159-176; Schlögl, Bauern 165 ff.; Hille, Ländliche Gesellschaft 78 ff. Formular einer Erbrechtsverleihung Albrechts V. in Dokumente 1,3 Nr. 7. 64 Vgl. etwa Renate Blickle, „Spenn" und „Irrung" im „Eigen" Rottenbuch. Die Auseinandersetzungen zwischen Bauernschaft und Herrschaft des Augustiner-Chorherrnstifts, in: P. Blickle u.a. (Hg.), Aufruhr und Empörung, München 1980, 69-145. 62
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Eicheln, ferner unter der Bezeichnung „Küchendienst" Gänse, Hühner, Eier, Schmalz, auch Käse und Bienenwachs. Eine besondere Form der Abgaben waren die Laudemialabgaben, Besitzwechselgebühren bei Verkauf, Übergabe und Vererbung des Hofes.65 Die Laudemialforderungen wurden im 16. Jahrhundert von den Grundherren systematisch ausgebaut, weil sich hier die Möglichkeit bot, an den im Laufe des 16. Jahrhunderts nominal steigenden Erträgen bäuerlicher Arbeit zu partizipieren, ohne sich mit den Bauern jeweils auf eine Auseinandersetzung um die überkommene Abgabenhöhe einlassen zu müssen. Die Forderung auf Scharwerke (Fronden, Hand- und Spanndienste)66 konnte in der Regel nur von den Gerichtsherrn gestellt werden, also von dem Landesherrn als der hohen Obrigkeit sowie von den Inhabern der niederen Gerichtsbarkeit, den Hofmarksherren. Die Scharwerke galten als ungemessene freiwillige Leistungen. Die größeren Bauern leisteten Roßscharwerk, das war Pflugarbeit am Hofbau des Gerichtsherrn, Einholen des Zehnts, Holzund Baumfuhren, der Transport des herrschaftlichen Getreides zu den großen städtischen Schrannen. Zur Handscharwerk gehörten sämtliche Heuarbeiten, das Düngen der Felder des Hofbaus, Dreschen, Flachsbearbeitung, Hacken großer Holzmengen, Reinigungsarbeiten, Treiberdienste bei der Jagd. In der Regel wurde den Scharwerkern Brot und eine warme Mahlzeit gereicht, das zusätzliche Entgelt blieb stets deutlich unter dem Tagelohn. Den Hofmarksbesitzern diente das bäuerliche Scharwerk in der Hauptsache zur Bewirtschaftung ihrer Eigenbetriebe, des Hofbaus, wobei die bäuerlichen Leistungen streng auf die Sicherung der „Hausnotdurft" des Herrn begrenzt waren, den zum Unterhalt einer Hausgemeinschaft notwendigen Bedarf. Umgekehrt durfte durch die geforderten Scharwerke die „Hausnotdurft" des Scharwerkers, sein Auskommen, nicht beeinträchtigt werden.67 Als Leistungsmaximum, das nicht überschritten werden durfte, spielten sich 40-50 Scharwerkstage im Jahr ein, maximal ein Tag pro Woche, doch wurde je nach
Friedrich Lütge, Untersuchungen über die Laudemialabgabe der bayer. Agrarverfassung des 17. und 18. Jh.s, in: Oers., Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Stuttgart 1963, 145173; Hille, Ländliche Gesellschaft 74 ff. 66 Rinate Blickte, Scharwerk in Bayern. Fronarbeit und Untertänigkeit in der Frühen Neuzeit, in: GG 17 (1991), 407-433; Rank/, Ringen Kap. III.3; Hille, Ländliche Gesellschaft 85 ff. 67 Renate Blickle, Hausnotdurft. Ein Fundamentalrecht in der altständischen Ordnung Bayerns, in: G. Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1987; Dies., Nahrung und Eigentum als Kategorien der ständischen Gesellschaft, in: W. Schulze (Hg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität, München 1988, 73-93. 65
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Gerichtsherr, Örtlichkeit und Umständen zumeist weniger gefordert.68 Das Scharwerk für den Landesherrn, das zunächst als außerordentliche Hilfe bei gemeiner Landesnot verstanden wurde und zu dem grundsätzlich alle Landesbewohner gleich welchen Standes verpflichtet waren, das aber praktisch allein den Bauern oblag, wurde für militärische Zwecke (Einquartierungen, Versorgung von Soldaten und Pferden) in Anspruch genommen, daneben für landesherrliche Eigenbetriebe und Getreidetransporte, schließlich auch als Jagdscharwerk. Im Interesse das Jagdrechts der Gerichtsherren wurden die Bauern immer wieder gehindert, sich gegen Wildschäden entschiedener zur Wehr zu setzen, sodaß die Wilderei ebensosehr der Reduzierung der Wildschäden wie dem Jagdvergnügen und der Fleischbeschaffung diente. Die größten Grundherren im Lande waren, wie erwähnt, die Kirche, der etwa die Hälfte aller grundhörigen Höfe gehörten, der Adel und der Landesherr. Die Herrschaften und Hofmarken des Adels waren vornehmlich in Niederbayern zu finden, während Oberbayern charakteristisch — wenngleich längst nicht ausschließlich, vor allem nicht im Umkreis von München — geprägt war von den Hofmarken und verstreuten Besitzungen der vielen Klöster, die von den wittelsbachischen Herzögen seit dem frühen Mittelalter gestiftet oder gefördert worden waren. Im Unterschied zu ostelbischen gutswirtschaftlichen Verhältnissen betrieben die adeligen und geistlichen Herren im 16. Jahrhundert relativ wenig Eigenwirtschaft (Hofbau) und hatten daher auch nur begrenzten Bedarf an Scharwerksleistungen ihrer Gerichtsuntertanen. Seit dem Auslaufen der Agrarkonjunktur um die Jahrhundertwende und besonders seit dem Dreißigjährigen Krieg wurde der Hofbau aber durchgehend ausgeweitet und betrug schließlich im 18. Jahrhundert pro größerem Grundherrn im Durchschnitt rund 800 Tagwerk ohne Wald. Jedoch wurde er nunmehr weniger durch Scharwerker bestellt, von denen unter dem Gesichtspunkt der „Hausnotdurft" nur begrenzte Leistungen zu erwarten waren, als durch Tagelöhner und Ehehalten, so daß sich die bäuerlichen Scharwerksverpflichtungen allmählich zugunsten von Naturalabgaben und vor allem von Geldabgaben (Zinsen, Gülten) reduzierten, welche die Herren für Investitionen benötigten. Die landesfürstlichen gerichtsherrlichen Scharwerke waren bereits 1665/66 in Geldabgaben umgewandelt worden. Ungeachtet dieser Entwicklung haben die Scharwerke in den Beziehungen zwischen Bauern und Gerichtsherren vom 16. bis ins 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle gespielt,
68 Um 1650 waren im Klostergericht Benediktbeuern durchschnittlich 5-7 Scharwerkstage pro Anwesen und Jahr zu leisten, in der Klosterhofmark Polling 9 Tage, in der Adelsherrschaft Seefeld 25-30 Tage (letztere ohne Entgelt); vgl. Hille (Anm. 66).
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wobei es auch zu langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen gekommen ist. Die allmähliche Kapitalisierung von Dienstleistungen galt auch für diejenigen Bauern, die in Fortsetzung mittelalterlicher Bindungen als Leibeigene zugleich einem Leibherrn unterworfen waren.69 Das Leibeigenschaftsverhältnis wurde hierdurch praktisch auf Geldzahlungen, den Leibzins, reduziert. Nur der Gesindezwangsdienst für Kinder, der von einigen Klöstern in Form der Vormiete noch verlangt wurde, erinnerte an die frühere umfassende Dienstpflicht der Leibeigenen des Spätmittelalters. Im übrigen war der bayerische Leibeigene wirtschaftlich ungehindert. Uberhaupt lag die Bedeutung der Leibeigenschaft im Herzogtum weniger im wirtschaftlichen und rechtlichen als im sozialen Bereich. Der Leibeigene galt in seinem persönlichen Status als beschränkt mündig und daher verpflichtet, wesentliche Änderungen im Zivilstand — Geburt, Eheschließung, Tod und Abzug vom Gut — dem Leibherrn anzuzeigen; Eheschließung und Abzug sollten jedenfalls mit dessen Wissen (gelegentlich wohl auch mit desssen Willen) vorsichgehen. Jedoch wurden entsprechende Forderungen kaum je verweigert, als Gebühren wurden Heiratsgeld, Todfall und Abzugsgeld erhoben. In diesem Sinne war der bayerische Leibeigene nicht scholienpflichtig wie der ostelbische Gutsuntertan. Der Eintritt in die Leibeigenschaft geschah durch Geburt (Personalleibeigenschaft) oder durch Niederlassung auf einem Anwesen, mit dem Leibeigenschaft verbunden war (Realleibeigenschaft). Wenn um 1600 noch etwa ein Fünftel der (männlichen) Bevölkerung dem Landesherrn, dem Adel und kirchlichen Institutionen leibeigen war, so reduzierte sich diese Zahl vom frühen 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts durch Loskauf oder Freilassung auf etwa zwei Prozent. Neben den Diensten und Abgaben für Grund- und Niedergerichtsherrn und gegebenenfalls auch für den Leibherrn hatten die Bauern die Landsteuer für den Landesherrn zu erbringen. Je nach den Forderungen der Herzöge und nach den Bewilligungen der Landstände waren dies im Abstand weniger Jahre jeweils 5 Prozent „vom Vermögen", d.h. von einem bestimmten Teilvermögen, sodaß sich die Forderung auf 1,5-2 Prozent des Gesamtvermögens reduzierte. Die landesherrlichen Forderungen traten (zunehmend) in Adolf Sandberger, Entwicklungsstufen der Leibeigenschaft in Altbayern, in: ZBLG 25 (1962), 712-92; Werner Troßbach, „Süddeutsche Leibeigenschaft" in der frühen Neuzeit - eine Bagatelle?, in: G G 7 (1981), 69-90; Blickte, Scharwerk 418 ff.; Beck, Unterfinning 386 ff.; Renate Blickte, Leibeigenschaft. Versuch über Zeitgenossenschaft in Wissenschaft und Wirklichkeit, durchgeführt am Beispiel Altbayerns, in: J. Peters (Hg.), Gutsherrschaft als soziales Modell, München 1995, 53-79. 69
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Konkurrenz zu den Forderungen der Grund- und Niedergerichtsherren, um das aus der landwirtschaftlichen Konjunktur gewonnene Mehrprodukt abzuschöpfen. Im Laufe des Krieges begannen die Erträge der direkten Steuer der Landsteuer diejenigen der indirekten Steuern (Aufschläge), durch welche die Bauern natürlich ebenfalls belastet wurden, zu übertreffen. Schließlich waren auch beachtliche Zehntleistungen an die Kirche bzw. die Besitzer von Zehntrechten zu entrichten.70 Für einen begrenzten Untersuchungsraum im westlichen Oberbayern der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hat man folgende Zusammensetzung der bäuerlichen Lasten ermittelt: Die Abgaben an den Grundherrn betrugen 31-48 Prozent aller Lasten, die Zehntabgaben 2840 Prozent, die Scharwerke 7-12 Prozent, die direkten Steuern 13-19 Prozent.71 Welches objektive Gewicht alle diese Belastungen und überhaupt das ganze Grundherrschaftssystem, dem stets auch eine gewisse Hilfs- und Schutzfunktion für die Grundholden in Notlagen beiwohnte, für Wirtschaftsund Lebensführung der Betroffenen besaßen und wie belastend sie von den Bauern selbst empfunden worden sind, wird unterschiedlich beurteilt und unterschied sich auch nach Zeit, Ort und Umständen. In dem erwähnten Untersuchungsbereich entfielen bei größeren Höfen 21-24 Prozent des Rohertrages auf die Abgaben und Dienste, bei Kleinbauern auf 15-18 Prozent, was als noch akzeptabel bezeichnet wird. Andererseits finden sich immer wieder Klagen über die insgesamt schwierige soziale Situation der kleineren Bauern. Inwieweit das Ergebnis der bisher eingehendsten Untersuchung des Problems zutrifft, daß der bayerische Bauer bis ins 18. Jahrhundert hinein seine Lage subjektiv nicht als „ungerecht" empfunden habe,72 müßte überprüft werden. Deutlich ist, daß die bäuerlichen Verpflichtungen im Laufe des 16. Jahrhunderts allgemein gesteigert wurden, hauptsächlich durch Erhöhung der Besitzwechselabgaben. In welchem Umfang diese Belastung der bäuerlichen Wirtschafts- und Lebensverhältnisse wieder ausgeglichen werden konnte durch die Steigerung der Getreidepreise in der sog. Preisrevolution dieser Jahrzehnte, muß ebenfalls am Einzelfall und differenziert nach Betriebsgrößen untersucht werden.
Schlögl, Bauern 164 f. Die ungewöhnliche Höhe der geforderten Zehntabgaben (bis zu 1/3 der Abgaben bei Großbauern, 2/5 bei Kleinstellen) betont auch Oers., Zwischen Krieg und Krise. Situation und Entwicklung der bayer. Bauernwirtschaft im 17. Jh., in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 40 (1992), 133-167. 71 Tabelle 12 bei Schlögl\ Bauern 381. Hille, Ländliche Gesellschaft 71 ff. kommt für seinen Untersuchungsbereich für die Zeitabschnitte 1551/1560 und 1611/1620 gleichbleibend auf ca. 10 Prozent an direkten Steuern. 72 Lütge, Grundherrschaft 183. 70
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Beim allgemeinen Charakter der Beziehungen zwischen Grund- und Gerichtsherrn und Grunduntertanen konnten Konflikte nicht ausbleiben.73 Sie haben sich in der Hauptsache an steigenden ökonomischen Forderungen der Grund- und Gerichtsherren entzündet, durch welche die Befriedigung der bäuerlichen Hausnotdurft gefährdet schien.74 Auch der Einengung traditioneller Gemeinderechte widersetzte man sich. Jedoch zeigt sich, daß das latent immer vorhandene Konfliktpotential im Herzogtum und Kurfürstentum Bayern nur zweimal, 1633/34 und 1705/6, und zwar unter ganz besonderen Umständen, sich zu offenem Aufruhr entwickelt hat, während der bayerische „Normalkonflikt" (R. Blickle) ein anderes Bild zeigt. Es ist der Verzicht auf Selbsthilfe, die Abkehr von Gewaltanwendung, stattdessen Auseinandersetzung um Leistungen und Rechte auf dem Verhandlungsweg mit der Landesherrschaft und ihren Organen, unter Verwendung gewisser bäuerlicher Druckmittel wie Einung und Abgabenverweigerung. Dieses Konfliktverhalten war wohl in den positiven Erfahrungen der Bauern beim Austrag von Konflikten auf gerichtlichem Wege begründet, wobei sie vom Landesfürstentum unterstützt wurden. Tatsächlich war die Möglichkeit, Konflikte zwischen Herrschaft und Hintersassen auf rechtlichem Wege beizulegen, die Verrechtlichung sozialer Konflikte,75 im Herzogtum schon seit dem Spätmittelalter gegeben und im 16. Jahrhundert gefördert worden. Entsprechend wurden zahlreiche Prozesse zwischen Dorfgemeinden (weniger einzelnen Bauern) und Grundherrn, überwiegend in Adelsherrschaften und überwiegend in Scharwerks fragen, geführt, wobei die Advokaten der Bauern auch naturrechtlich — „in favorem libertatis naturalis" — argumentierten. Tatsächlich fanden die prozessierenden Bauern zumeist ihr Recht, soweit sie gegen ungerechte Bedrückung klagten und nicht neues Recht zu erlangen suchten. Die Prozesse wurden von Zusammenrottungen, von der Bildung bäuerlicher Einungen und auch von Fronverweigerungen eingeleitet und begleitet, doch eben kaum von Gewalttätigkeiten. Insgesamt war es von großer Bedeutung für die Situation im Lande, daß Institutionen und Mittel existierten, die imstande waren, den Bauern im Eventualfall Schutz zu gewähren, auch wenn 73 Peter Blickle, Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-1800, München 1988; Renate Blickle, Agrarische Konflikte und Eigentumsordnung in Altbayern, 1400-1800, in: W. Schulze (Hg.), Aufstände, Revolten, Prozesse, Stuttgart 1983, 166-187; Stephan Kellner, H o f m a r k e n 115 ff. (mit Liste bäuerlich-herrschaftlicher Konflikte in Altbayern v o m späten Mittelalter bis ins 19. Jh.); Winfried Helm, Konflikt in der ländlichen Gesellschaft. Eine Auswertung frühneuzeitlicher Gerichtsprotokolle, Passau 1993. 74 Renate Blickle, N a h r u n g und Eigentum. 75 Winfried Schulde, Die veränderte Bedeutung sozialer Konflikte im 16. und 17. Jh., in: H.U. Wehler (Hg.), Deutscher Bauernkrieg 1524-1526, Göttingen 1975, 277-302.
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dadurch deren Gesamdage im sozialen System kaum verändert worden ist. Hierdurch wurde die Schiedsrichterrolle der Landesherrschaft von den Bauern überwiegend posiüv eingeschätzt, was schließlich auch der allgemeinen Befestigung des Fürstenstaates zugutekam. Im übrigen war der bayerische Bauer der „arme (d.h. von politischen Rechten ausgeschlossene) Mann"; es gelang ihm nicht, wie in Tirol oder Salzburg, neben Prälaten, Adel und Bürgern Landstandschaft zu erwerben oder sich sonst rechtlich fixierte Mitwirkung im öffentlichen Bereich zu sichern. Nur im nächsten Umkreis der bäuerlichen Wirtschaftsgemeinden konnte er durch frei gewählte, aber durch die Obrigkeit zu bestätigende Obleute (Vierer, Hauptmänner) begrenzte gemeindliche Angelegenheiten selbständig regeln.76 Hier ging es zumeist um Alltags fragen, Nutzung der Allmende und Einhaltung des Flurzwanges, aber auch um die Beziehungen zwischen Gemeinde und Herrschaft. Die entsprechenden Normen waren in den Weistümern oder Ehaftordnungen niedergelegt. Bei aller Mitsprache war aber die Dorfgemeinde nie autonom, ihre Rechte entwickelten sich nur im Zusammenwirken von Herrschaft und Genossenschaft, wobei der herrschaftliche Einfluß nach Zeit und Ort sehr weit gehen konnte. Innerhalb des Dorfes bestanden durch die unterschiedlichen Besitzgrößen erhebliche sozial-ökonomische Unterschiede.77 Die Anwesen wurden zum Zweck der steuerlichen Bewertung seit dem 15. Jahrhundert nach dem sog. Hoffußsystem klassifiziert.78 Ausgehend vom ganzen Hof, dessen Inhaber im dörflichen Sprachgebrauch allein der Bauer war, klassifizierte man in 1/2 Höfe (Huber), 1/4 Höfe (Lechner), 1/8 Höfe (Bausöldner, d.h. Söldner, die etwas anzubauen hatten), 1/16 Höfe (Leersöldner) bis zu 1/64 Höfen. Die großen ökonomischen und sozialen Unterschiede in den Dörfern ließen kaum ein gemeinsames bäuerliches Standesbewußtsein aufkommmen. Es existierte eine kleine Minderheit von Großbauern, ein untereinander versipptes „Bauernpatriziat", das auch in Beziehung zu unteren bürgerlichen Kreisen, Wirten und Metzgern, trat. Darunter stand eine wohl nicht zu breite mittelbäuerliche Schicht, und unter dieser wiederum eine breite Schicht von 76
Pankra£ Fried, Die Bedeutung der ländlichen Rechtsquellen für die bayer. Verfassungsgeschichte, in: P. Blickle (Hg.), Deutsche ländliche Rechtsquellen. Probleme und Wege der Weistumsforschung, Stuttgart 1977,197-204. 77 Hanns Platter, Geschichte der ländlichen Arbeitsverhältnisse in Bayern, München 1904; Diepolder, Volk; Fried, Herrschaftsgeschichte; Hermann Hörger, Kirche, Dorfreligion und bäuerliche Gesellschaft [..], aufgezeigt an bayer. Beispielen, München 1978; Schremmer, Wirtschaft 130 ff.; Beck, Unterfinning 220 ff. 78 Vgl. die Diskussion in ZBLG 53 (1990), 697-741 und 55 (1992), 389-399; Schlögl, Bauern 41 f.; Beck, Unterfinning 228 ff.; Hille, Ländliche Gesellschaft 42 ff.
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besitzarmen bzw. besitzlosen Gütlern, Söldnern, Häuslern, Tagwerkern und Dienstboten (Ehehalten). Diese Armen und Besitzlosen hatten gemäß den Dorfordnungen nur begrenzten oder gar keinen Anteil an den Gemeindenutzungen und -rechten, etwa der Allmende. Auch suchte die Gruppe der Berechtigten zu verhindern, daß durch Zuzug besitzloser Schichten das soziale Gleichgewicht des Dorfes aus den Fugen geriet. Jedoch hat sich die Lage der unteren Schicht im 16./17. Jahrhundert insofern verbessert, als die Söldenansiedlung für Tagewerker und Ehehalten kleinste bäuerliche Existenzen geschaffen hat. Hierdurch wurde auf die Dauer das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Voll- und Mittelbauern und den kleinbäuerlichen Schichten im Dorf erheblich verändert, wie wir aus späteren Quellen erfahren. 1691 setzten sich die 85 847 ländlichen Anwesen im Kurfürstentum aus 41 636 Bauernhöfen (1/1 bis 1/4 Hoffuß) und 44 211 Sölden zusammen; mehr als die Hälfte der Landbevölkerung (ohne Dienstboten) waren also keine Bauern, sondern Nebenerwerbslandwirte, Landhandwerker, Tagelöhner.79 Innerhalb der unterbäuerlichen Dorfbevölkerung bildeten die Dienstboten80 oder Ehehalten weniger eine beständige soziale Schicht, wie früher angenommen wurde, als vielmehr eine Altersgruppe zwischen zwölf und dreißig Jahren, der meistens, vor allem durch Heirat, die Möglichkeit einer späteren Guts- oder Hausübernahme, also einer selbständigen Existenz, offenstand. Dem entspricht, daß Dienstboten in der Mehrzahl nicht Söhne oder Töchter armer Söldner waren, sondern Bauernkinder, die später ein Erbteil in barem Geld als Voraussetzung für eine Einheirat zu erwarten hatten. Man war also Knecht oder Magd auf Zeit, den alten Knecht und die alte Magd gab es nur in seltenen Fällen. Die seit dem 16. Jahrhundert existierenden staatlichen Regelungen der Dienstbotenverhältnisse, etwa in der Landesordnung von 1553, vertraten allerdings einseitig die Interessen der Bauern und suchten diesen die benötigten Arbeitskräfte zu sichern, da trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums fortgesetzter Gesindemangel herrschte. Sie wandten sich gegen die Abwanderung von Dienstboten, die schwierigen Lebensverhältnissen zu entfliehen suchten, in die Taglöhnerei, erschwerten den Ehehalten das Heiraten und suchten die Güterzertrümmerung zur Ansiedlung von Söldnern zu verhindern. Gerade heiratswillige Dienstboten suchten sich auf kleinen Sölden selbständig zu machen oder von dort aus Taglöhnerei zu betreiben. Dabei zielten die staatlichen Verbote nicht nur darauf, einen Be79
Diepolder, Volk 396; Beck, Unterfinning 224 ff. Walter Hartinger, Bayer. Dienstbotenleben auf dem Land v o m 16. bis 18. Jh., in: Z B L G 38 (1975), 598-638; Oiepolder, Volk; Wittmü% Gravamina 88 ff.; Ay, Land und Fürst 52 ff.; Beck, Unterfinning 324 ff.; Hille, Ländliche Gesellschaft 57 ff. 80
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stand an Dienstboten zu erhalten, sondern auch, eine Schicht von Taglöhnern und Söldnern zu reduzieren, von der man befürchtete, daß sie in völlige Armut, Bettelei, Landstreicherei und Kjiminalität absank.81 Das Dasein der Dienstboten selbst war infolge der hohen Arbeitsanforderungen, der wenig entwickelten Gerätschaften, der häufig primitiven Unterbringung und dem geringen Lohn vielfach gedrückt und deprimierend. Zwar boten die vielen kirchlichen Feiertage einen gewissen Urlaub s ersatz, aber die unumgänglichen bäuerlichen Arbeiten waren jeden Tag zu verrichten. Noch weniger beneidenswert war die Situation der untersten Schicht im Dorf, der Dorfarmen,82 die wegen Alter oder Krankheit oder mangels Arbeitsgelegenheit nicht in der Lage waren, sich selbst zu ernähren. Aufgrund des Heimatrechts konnten sie zwar eine gewisse Gemeindehilfe in Anspruch nehmen, fristeten aber doch nur ein kümmerliches Dasein. Die Armenordnung von 162783 unterschied scharf zwischen inländischen ehrlichen Hausarmen, deren Versorgung sicherzustellen sei, und Bettlern und Vaganten, die aus dem Lande zu schaffen waren. Außerhalb der dörflichen und überhaupt der ständischen Ordnung standen die Betder, Landfahrer und „gartenden Knechte" (endassene Soldaten),84 die ohne jede soziale Sicherung in großer Zahl die Landstraßen bevölkerten und teils mit rigorosen Mitteln von den Dörfern ferngehalten oder aus ihnen entfernt wurden.85 Da die geschlossene Gesellschaft des 17. Jahrhunderts mehrheitlich nur eine geringe geographische Mobilität kannte, wurde jeder So auch die Argumentation Maximilians schon im Generalmandat vom 13.3.1598: Dokumente 1,3 Nr. 130, hier 624 f. 82 Diepolder, Volk; Dietmar Stutzer, Unterbäuerliche gemischte Sozialgruppen Bayerns und ihre Arbeits- und Sozialverhältnisse, in: GR II, 264-268; Beck, Unterfinning 374 ff. 83 Dokumente 1,3 Nr. 271. Deutliche Kritik an der staatlichen Armenpolitik unter Maximilian wagte der Hofratssekretär und Schriftsteller Ägidius Albertinus; vgl. Italo Michele Battafarano, Armenfiirsorge bei Albertinus und Drexel. Ein sozialpolitisches Thema im erbaulichen Traktat zweier Schriftsteller des Münchner Hofes, in: ZBLG 47 (1984), 141-180. 84 Zu den Lebensbedingungen der endassenen oder versprengten Soldaten („Marodeuren") vgl. Bernhard Kroener, Soldat oder Soldateska? Programmatischer Aufriß einer Sozialgeschichte militärischer Unterschichten in der ersten Hälfte des 17. Jh.s, in: Militärgeschichte. Probleme Thesen - Wege, Stuttgart 1982, 100-123 hier 117 f. Zu Maßnahmen gegen gartende Knechte s. auch Frauenhofy Landesdefension 210 ff. 85 Münch, Lebensformen 107 ff.; Bernd Reeck, Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der frühen Neuzeit, Göttingen 1993; Wolfgang von Hippel, Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Frühen Neuzeit, München 1995; Wolfgang Behringer, Mörder, Diebe, Ehebrecher. Verbrechen und Strafen in Kurbayern vom 16.-18. Jh., in: R. v. Dülmen (Hg.), Studien zur hist. Kulturforschung, Band 3, Frankfurt a.M. 1990, 85-132; Aj, Land und Fürst 66 ff. Uber die Lebenssituation von Landfahrern und Angehörigen ähnlicher Unterschichten handelt bes. eindrucksvoll Michael Kun^e, Der Prozeß Pappenheimer, Ebelsbach 1981. 81
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Landfremde automatisch als Bedrohung empfunden. So veranlaßte die Angst vor fremden und besitzlosen Leuten und die Bemühung um deren Reduzierung auch zu häufig wiederholten Polizeimandaten, die aber wenig fruchteten, da das Instrumentarium fehlte, ihre Einhaltung zu erzwingen. Kirchliche, kommunale und private Stiftungen vermochten Armut und Krankheit nur in begrenztem Umfang zu steuern. Eine besondere Position nahm die Randgruppe der „unehrlichen Leute" ein, die aufgrund ihrer Berufszugehörigkeit bestimmten rechtlichen und sozialen Beschränkungen unterlag. Sie war sehr heterogen und reichte von den Badern über die Spielleute bis zu den Totengräbern und Zöllnern. Die Lebenswelt der dieser Gruppe angehörenden Scharfrichter und Abdecker ist jüngst am bayerischen Beispiel erstmals eingehender untersucht und beschrieben worden, und es hat sich gezeigt, daß insbesondere die Scharfrichter in sozialer Hinsicht weit weniger deklassiert waren, als bisher angenommen wurde.86 Scharfrichter und Abdecker waren im Nebenberuf auch in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung tätig, ihre Klientel erstreckte sich auf sämtliche Gruppen der Ständegesellschaft. Außerhalb der ständischen Ordnung standen aus religiösen Gründen, denen ökonomische beigemischt waren, auch die Juden.87 Sie waren bereits 1422 bzw. 1450 aus den Teilherzogtümern Bayern-München bzw. BayernLandshut vertrieben worden, manche waren zurückgekehrt oder bei der Vertreibung aus der Reichsstadt Regensburg 1519 ins bayerische Stadtamhof ausgewichen. Daher verfügte Albrecht V. im Jahre 1551 auf Drängen der Landstände mit kaiserlicher Erlaubnis erneut die Ausweisung aller im Herzogtum befindlichen Juden. Die Landesordnung von 1553 führte die Juden unter den „schädlichen Leuten" auf und wiederholte das Verbot, sich im Herzogtum niederzulassen und dort ein Gewerbe oder Handel zu betreiben. Durchziehende Juden benötigten einen Geleitsbrief und durften an keinem Ort mehr als einmal nächtigen. Die Maximilianeische Landes- und Polizeiordnung von 1616 bekräftigte das Aufenthaltsverbot,88 das bis weit ins 18. Jahrhundert Geltung hatte. Das reichsrechtliche Aufenthaltsverbot für
Jutta Nowosadtko, Scharfrichter und Abdecker. Der Alltag zweier „unehrlicher Berufe" in der Frühen Neuzeit, Paderborn usw. 1994. 87 Rteller, Geschichte VI, 178; Stefan Schwang Die Juden in Bayern im Wandel der Zeiten, München 1963; Manfred Tremi u.a. (Hg.), Geschichte und Kultur der Juden in Bayern, 2 Bände, München 1988. Vgl. auch Dokumente 1,3 Nr.8. 88 VI. Buch Titel 1 der Landesordnung von 1553; V.Buch Titel 1 der Polizeiordnung von 86
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Zigeuner wurde 1553 in die Landesordnung aufgenommen und von der Landes- und Polizeiordnung von 1616 wiederholt.89
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VI. Buch Titel 3 der Landesordnung von 1553; V . B u c h Titel 1 der Polizeiordnung von 1616 („Von den Zigeunern und unbekannten, argwöhnigen Leuten, auch den Widertauffern").
2. Der Territorialstaat
Auf älteren Fundamenten aufruhend, ist der frühmodeme Territorialstaat auch in Bayern im wesentlichen im Laufe des 16. Jahrhunderts ausgebildet worden, und zwar in der Form des Fürstenstaates.1 In einem nicht einheitlichen, nicht selten schwierigen, aber insgesamt ergebnisreichen Prozeß gelang es den Herzögen, fürstliche Herrschaftsrechte unterschiedlicher Herkunft und Reichweite zu akkumulieren und zu intensivieren, konkurrierende Positionen der Kirche, des Adels und der Städte zurückzudrängen oder einzubinden und den von fürstlichen Beamten und von einer Regierungszentrale aus nach gleichem Recht verwalteten Flächenstaat in den Grundzügen zu verwirklichen. Dessen allgemeines Kennzeichen war, daß öffentliche Gewalt, die sich als fürstliche Gewalt in Ausübung eines fürstlichen Gewaltmonopols äußerte, sich in zunehmender Intensität über ein umgrenztes Herrschaftsgebiet und dessen Bevölkerung erstreckte. Das seit der Jahrhundertmitte geltende Territorialprinzip in Religionssachen und das fürstliche Reformationsrecht des Augsburger Religionsfriedens haben diesen Prozeß noch befördert. In dieser Weise vollzog sich unter den unmittelbaren Vorfahren Maximilians ein Übergang zu moderneren Formen der Staatsorganisation und Herrschaftsausübung, die es auch ermöglichten, neuen Anforderungen gewachsen zu sein. Hierdurch wurde die Existenz des Territorialstaates gegenüber dem Reich, dem diese Modernisierung nicht gelang oder das sie nicht anstrebte, erneut befestigt und gerechtfertigt. Die Herzöge von Bayern übten bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts alle wesentlichen Hoheitsrechte aus, die sich im Begriff der Landeshoheit summierten.2 Diese Rechte beruhten in der Hauptsache auf den Befugnissen, die 1
Dietmar Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt. Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit, Köln/Wien 1975; Rabe, Geschichte 127 ff.; Schulde, Geschichte 204 ff.; Lan^inner, Fürst. 2 Spindler-Kraus, Handbuch II, §§ 81 und 89 mit weiterer Literatur; Rabe, Geschichte 127 ff.; Dietmar Willoweit, Die Entwicklung und Verwaltung der spätmittelalterlichen Landesherrschaft, in: K.G^4. Jeserich u.a. (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 1, Stuttgart 1983, 66-143; Ders., Allgemeine Merkmale der Verwaltungsorganisadon in den Territorien, ebenda 289-346; Maximilian hanyinner, Herrschaftsausübung im frühmodernen Staat. Zur Regierungsweise Herzog Wilhelms V. von Bayern, in: ZBLG 51 (1988), 77-99; Winfried Helm, Obrigkeit und
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mit der Herzogswürde verbunden waren, also der hohen Gerichtsbarkeit, den Regalien, den Kirchenhoheitsrechten, aber auch auf dem reichen Grundbesitz der Wittelsbacher und den damit verbundenen Grundherrschaftsrechten. Einen zentralen Bestandteil bildete die allgemeine Kompetenz des Herzogs, verbindliche Normen zu setzen, Gesetze zu geben und zu interpretieren, Gehorsam zu fordern.3 In einem Prozeß der Herrschaftsverdichtung waren diese und weitere Befugnisse im Spätmittelalter zur allgemeinen Landeshoheit zusammengefugt worden, deren Besitz und Ausübung den Herzögen jedenfalls prinzipiell von niemandem mehr bestritten wurde. Allein das Ausmaß der Mitwirkung autogener Gewalten, vor allem der Landstände, an den öffentlichen Aufgaben stand noch zur Diskussion. Daß die Herzöge deren Mitsprache im Laufe des Jahrhunderts erheblich zu reduzieren vermochten, lag nicht zuletzt in der Tatsache begründet, daß sie ihrerseits, wie etwa das Primogeniturgesetz erwies, die privatrechtliche Auffassung vom Fürstenamt überwanden und gleichzeitig ein neues geschärftes Bewußtsein von den fürstlichen Pflichten entwickelten, das sich in entsprechender Betätigung äußerte. Hierdurch gelang es den Herzögen jedenfalls in einem bestimmten Umfang, ihren Anspruch und ihre Funktion mit erhöhter Legitimation zu versehen und den konkurrierenden Kräften im Lande plausibel zu machen. Die Herausgehobenheit des Fürsten wurde gefördert durch die zu schildernde Bürokratisierung und Rationalisierung seiner Herrschaft im Rahmen der Aufgliederung des bisherigen Regierungsapparates in mehrere nach Sachzuständigkeit organisierte Zentralbehörden seit der Mitte des 16. Jahrhunderts. Hatte der Herzog bisher die wichtigsten Fragen zusammen mit den vornehmeren Landleuten beraten und entschieden, so stand er künftig allein an der Spitze einer Reihe von Behörden. Jedoch wurde nunmehr vom Fürsten, wollte er die Zügel in der Hand behalten, auch mehr Kompetenz und Arbeitsaufwand verlangt, die Herzöge der zweiten Jahrhunderthälfte waren weit intensiver als bisher in die Verwaltungs- und Regierungsarbeit eingebunden. Dadurch wurde auch die überlieferte traditionale Legitimierung fürstlicher Herrschaft durch die Legitimierung von der Funktion her ergänzt, der Amtscharakter des Herrschertums gewann an Gewicht, die fürstliche Position rechtfertigte sich mehr als zuvor durch persönliche Leistung. Dieser Wandel spiegelt sich auch in den bayerischen Regierungsakten, in denen sich die Volk. Herrschaft im frühneuzeitlichen Alltag Niederbayerns, Passau 1993; Wilhelm Volkert, Die Definition der landesfurstlichen Rechte des Herzogs und Kurfürsten von Bayern in Theorie und Praxis, in: E. Riedenauer (Hg.), Landeshoheit, München 1995, 39-60. 3 Stolleis, Condere leges 168 ff.; Hans Schlosser, Rechtsetzung und Gesetzgebungskompetenz im Territorialstaat Bayern im 16. Jh., in: ZBLG 50 (1987), 41-61.
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Hand Wilhelms IV. und auch noch diejenige Albrechts V. nur selten findet, während ungezählte Korrekturen und Randbemerkungen sowie zahlreiche eigenhändige Schreiben aus der Feder Wilhelms V. stammen. Maximilian I. sollte diese intensive Aktenarbeit, Ausdruck fortwährender Befassung des Herzogs mit den Materien, auf einen Höhepunkt führen. Was aber als eigentliche Aufgabe des Fürsten angesehen wurde, formulierten die bayerischen Räte im Jahre 1557 in einer an den Herzog gerichteten Denkschrift in klassischer Kürze: Gott habe ihn seinem Herzogtum vorgesetzt, damit er Land und Leute „1. in dem rechten catholischen glauben, christlicher zucht und wesen, 2. in guetter justitia, 3. in frid und rue" regiere. Wie schon seit Jahrhunderten ging es um Pax et Justitia im Lande und zugleich um das Seelenheil der Untertanen. Die zunehmende Konzentration öffentlicher Herrschaftsausübung beim Fürsten und seinen Mitarbeitern veränderte das Bild und die Funktion des fürstlichen Hofes. Bereits durch die Vereinigung der beiden Herzogtümer Ober- und Niederbayern wurde die Münchner Hofhaltung der Wittelsbacher zum eindeutigen politischen und gesellschaftlichen Mittelpunkt des Herzogtums. Die Ausweitung des Hofes in den folgenden Jahrzehnten und seine Gliederung in einer differenzierten hierarchischen Ordnung ist oft geschildert und auch schon von den Zeitgenossen aufmerksam beobachtet worden.4 Zwischen 1508 und 1571 wuchs der Hofstaat von 162 auf 866 Mitglieder und pendelte sich in den folgenden Jahren auf etwa 700 Personen ein. Der Zuwachs ergab sich aus der personellen Ausweitung bereits bestehender Ämter und Dienste, aber auch durch die Einrichtung neuer Dienstbereiche. So hat Albrecht V. nicht nur das Personal für Jagd-, Küchen- und Kellerdienst erheblich vermehrt, sondern auch die Kapelle Orlando di Lassos auf den Höchststand von 79 Mitgliedern gebracht und manche weitere kunstfertige Leute an den Hof gezogen. Da zwischen Hof- und Staatsdienst noch nicht unterschieden wurde, schlug auch die Gründung und personelle Besetzung der Zentralbehörden für die Ausweitung des Hofes zu Buche. Die Relation zwischen den eigentlichen Hofbediensteten und den bei Hof angesiedelten Verwaltungsbeamten betrug aber immer noch etwa 3:1. Jedoch ist zu berücksichtigen, daß eine Reihe hoher Verwaltungsbeamter zugleich als Hofbeamte Kiefer, Geschichte VI, 69 ff.; Spindler-Kraus, Handbuch II § 89 mit weiterer Lit.; Lawçnner, Fürst 22 ff.; Heydenreuter, Hofrat 43 ff. und öfter; Rauh, Verwaltung 138 ff. - Allgemein: Dietmar Willomit, Der Hof, in: K.G.A. Jeserich u.a. (Hg.), Verwaltungsgeschichte I, 300-345; Kainer A. Müller., Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit, München 1995, mit weiterer Literatur und Hinweisen auf Forschungsprobleme. 4
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(und umgekehrt) figurierten und daß die Zahlenrelation nur wenig über die tatsächliche Gewichtsverteilung aussagt. Man wird sagen können, daß der Charakter des Hofes als eines Arbeitsinstruments für die Staatsgeschäfte und seine repräsentative Funktion sich einigermaßen die Waage hielten. Aber auch die Repräsentation stand im Dienst von Fürst und Staat. Nach dem Kriegsruhm, sagt ein spätmittelalterlicher Geschichtsschreiber, ist der Hofstaat die erste Angelegenheit, auf die man sein Augenmerk richtet und dessen Regelung und gute Instandhaltung von höchster Notwendigkeit sind.5 Der erweiterte Hof besaß auch die Funkdon, den Zeitgenossen das neue Selbstverständnis des Fürsten, seine herausgehobene Position in Staat und Gesellschaft und auch die ihm verfügbaren materiellen Ressourcen ad oculos 2u präsentieren und hierdurch politische Wirkungen zu erzielen. Wenn die bayerischen Räte des Jahres 1557 Herzog Albrecht V. Prachtentfaltung und Verschwendung vorwarfen, so übersahen sie über dem berechtigten fiskalischen Gesichtspunkt, daß das Ganze auch eine politische Seite hatte. Die traditionelle Legitimierung fürstlicher Macht sollte durch die im Hof und seinem Zeremoniell zum Ausdruck kommenden charismatischen Züge fürstlicher Herrschaft gestützt werden. Deren Bedeutung für den Münchner Hof und die bayerischen Herzöge dürfen freilich nicht voreilig überschätzt werden, man war noch längst nicht bei den Ansprüchen und Aus drucks formen des späten 17. Jahrhunderts angelangt, wie sie Norbert Elias geschildert hat.6 Einen dem 16. Jahrhundert möglichen Höhepunkt bildete die glanzvolle Hochzeit der Eltern Maximilians im Jahre 1568. Freude an Feiern und Genuß und Auftrumpfen mit den eigenen materiellen Möglichkeiten vereinigten sich mit der Absicht, durch großes Auftreten, auch durch den Aufzug zahlreicher Fürstlichkeiten aus halb Europa, die Herausgehobenheit der Herrscherfamilie und ihren Zusammenhang mit anderen großen Dynastien vor Augen zu stellen. Hier sollte wohl auch demonstriert werden, was dem Herzog an Aufwand möglich war, dem bayerischen Adel aber nicht. Ob der Ausbau des Hofes auch veranlaßt war durch die Krisensituation des Adels im 16. Jahrhundert, dem der Landesfürst in patriarchalischer Fürsorge auf dem Wege über die Hofstellen neue ökonomische und soziale Lebenschancen zu eröffnen suchte, sei dahingestellt. Offensichtlich ist jedoch, daß der fürstliche 5 Johan
Huisinga, Herbst des Mittelalters, Leipzig 1930, 52 f. Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft, 5. Aufl. Darmstadt 1981; Oers., Über den Prozeß der Zivilisation, Bern 1969. Das begrenzte politische und kulturelle Gewicht der deutschen Fürstenhöfe noch in der ersten Hälfte des 17. Jh.s betont auch Peter Baumgart, Der deutsche Hof der Barockzeit als politische Institution, in: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jh., Band 1, 1979, 25-43, hier 25. 6
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Hof zunehmend einen Ort gesellschaftlichen Aufstiegs bildete und unter dem Gesichtspunkt der Chanceneröffnung aufgesucht worden ist, zunächst eher vom studierten Bürgertum als vom Adel, der dem Hofdienst längere Zeit reserviert gegenüberstand. Neben dem politischen Gewicht des Münchner Hofes und seiner repräsentativen Funktion wuchs gleichzeitig auch seine kulturelle Bedeutung gegenüber den bisherigen Kulturzentren des Landes, insoferne die Herzöge ihrer Residenz durch aufwendige Bauten, die Pflege der bildenden Künste und der Musik, die Begründung von Kunst- und Büchersammlungen und manche andere kulturelle Aktivitäten einen anspruchsvollen Rahmen zu geben suchten. Dabei folgten sie ganz einer europäischen Tendenz, in zahlreichen europäischen Staaten wandelte sich in diesen Jahrzehnten Gesicht und Funktion der Höfe, „und dies unter der Ägide von Fürsten, deren Väter und Großväter noch ihr Vergnügen ausschließlich in Banketten, Turnieren und Jagdveranstaltungen gesucht hatten" (Lanzinner). Bereits unter Albrecht V. und Wilhelm V. war durch die Anwesenheit zahlreicher auswärtiger Künstler von Orlando di Lasso bis Hubert Gerhard eine gewisse Internationalität des Münchner Hofes gegeben. In den Zeiten Maximilians wurde sie unter Ausstrahlung auf die ganze Stadt durch den Zuzug mancher weiterer Künstler, englischer Jesuitinnen, französischer Jesuiten, italienischer Franziskaner und Kapuziner sowie von Militärs aus halb Europa weiter vorangetrieben. Der Kreis der Hofchargen vom Obersthofmeister bis zum Lakaien und der Zentralbehörden vom Oberstkanzler bis zum letzten Schreiber bildete in der Landeshauptstadt eine Welt für sich, da die Hofangehörigen mit ihren Familien durch Vertrag Albrechts V. mit der Stadt seit 1561 von der städtischen Jurisdiktion ausgenommen waren.7 Der rechtlichen und auch sozialen Abgrenzung des Hofstaates nach außen korrespondierte die Differenzierung in seinem Innern durch die Hofordnungen, die eine bestimmte Rangordnung unter den Mitgliedern festschrieben. Die Gesamtordnung des bayerischen Hofes wurde unter Wilhelm V. gültig ausgebildet.8 Sie orientierte sich am burgundischen Modell, dessen strenge Bestimmungen bezüglich Etikette, Rangordnungen und Titel zuvor schon von den habsburgischen Höfen übernommen worden waren.9 Das Modell setzte sich über Vermittlung des Gra7
Albertinischer Rezeß vom 31.10.1561: Dokumente 1,3 Nr. 47. Lansjnner, Fürst 144 f. 5 Hubert Ehalt, Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft. Der Wiener Hof im 17. und 18. Jh., München 1980; Christina Hofmann, Das Spanische Hofzeremoniell von 1500-1700, Frankfurt a.M. 1985. Lt. Carafa, Relazione 336 „tiene Sua Altezza [Maximilian] punto Spagnuolo nel tratto più di qualsivoglia Prencipe di Germania." 8
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zer Hofes, insbesondere aufgrund der engen Beziehungen zwischen Maria von Steiermark und ihrem Bruder Wilhelm V., gegen Ende der achtziger Jahre auch in München durch. Die wenigen bayerischen Abweichungen gegenüber dem burgundisch-habsburgischen Vorbild zeigten die Tendenz, Ämter der Staatsverwaltung vor Hofámtern zu bevorzugen, also dem Amt als Funktion in der Präzedenz (dem Vorrang) einen höheren Stellenwert einzuräumen als dies an den habsburgischen Höfen der Fall war, Leistung höher als Herkunft zu bewerten.10 Ungeachtet dieser Tendenz erweisen die Hofstaats-Ordnungen aus den letzten Jahren Wilhelms V., daß aufs Ganze die Differenzierung nach Geburt nicht übersprungen wurde. Bezeichnenderweise rangierten die Geheimen Räte aus dem Grafen- und Freiherrnstand in der Hofrangordnung einige Stufen vor denjenigen aus dem niederen Adel und diese wiederum weit vor den gelehrten bürgerlichen Geheimräten. Entscheidend für die gesellschaftliche Position im Herzogtum war der Rang in der Hofordnung, womit nicht nur soziale Privilegierung gegeben war, sondern auch politischer Einfluß verbunden sein konnte. Größeres politisches Gewicht besaßen jedoch, aufs Ganze gesehen, die führenden Positionen der Staatsverwaltung, der zentralen Ratskollegien und Ratskanzleien. Wo Spitzenpositionen in beiden Bereichen eingenommen wurden — so vom Obersthofmeister als Direktor des Geheimen Rates — kumulierten natürlicherweise Einfluß und politisches Gewicht. Entsprechend der gewachsenen Bedeutung des Hofes machten in der zweiten Jahrhunderthälfte die Ausgaben für den Hofstaat den größten Etatposten im bayerischen Staatshaushalt aus.11 Der Löwenanteil des Hofetats selbst entfiel auf die Hofküche, die Kellerei, die Schneiderei und den Marstall, da ein großer Teil der Hofbediensteten und der Beamten der Zentralbehörden bis in die ersten Jahre des 17. Jahrhunderts bei Hof verköstigt und seither durch einen Essenszuschuß (Liefergeld) entschädigt sowie in regelmäßigen Abständen auch mit Hofkleidung ausstaffiert wurde. Von den Ausgaben für die Besoldungen entfielen charakteristischerweise nicht weniger als zwanzig Prozent auf die Hofkapelle, wogegen die dreißig Prozent für die Zentralbehörden — Ratskollegien und Kanzleien — vergleichsweise bescheiden ausfielen. Oft genug wurden Albrecht V. und Wilhelm V. von ihren Räten zu sparsamem Haushalten gemahnt, und die Herzöge versicherten wiederholt, zu hausväterlicher Eingezogenheit zurückzukehren. Solche Vorsätze waren aber kaum ernst zu nehmen. Sie widersprachen dem neuen fürstlichen Selbstver10
l^art^nner, Fürst 148 f., auch zum Folgenden.
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Lan^n/ier, Fürst 44 f.
2. Der Territorialstaat
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ständnis, das einen entsprechenden Rahmen suchte, von der Notwendigkeit der neuen Verwaltungsinstitutionen ganz abgesehen. Darüber hinaus entwikkelte der Hof als eine ökonomische und soziale Institution eine Eigendynamik, die radikale fürstliche Eingriffe kaum mehr gestattete. Man hat darauf hingewiesen,12 daß die Rolle des Hofes als Versorgungsinstitut und Aufstiegsmöglichkeit für Angehörige aller Gesellschaftsschichten bereits zu selbstverständlich geworden war, als daß radikalere Einschränkungen noch möglich gewesen wären. Der zum Hof- und Staatsdienst strebende niedere Adel, die in den Gelehrtenbänken der Ratskollegien Aufstieg suchenden bürgerlichen Juristen, die Hofhandwerker und Hofkünstler, darüber hinaus die von Aufträgen des Hofes abhängigen Gewerbetreibenden der Stadt - sie alle waren an der Konstanz der Verhältnisse interessiert. Jede weitergehende Reduzierung des Hofstaates und der Ausgaben für den Hof mußte eine Flut von Klagen nach sich ziehen, denen sich der Fürst in seinem Selbstverständnis als patriarchalischer Schirmherr seiner Untertanen nur schwer entziehen konnte. Es war Maximilian I., der dann erkannte, daß die Lösung des Finanzproblems anderswo zu suchen war, daß es nicht in erster Linie um Reduzierung, sondern um höhere Effizienz des Hofstaates sowie der mit den Hofämtem verbundenen Verwaltungsstellen ging. Er hat dann beides, Reduzierung und Effizienzsteigerung, in Angriff genommen. Der politische Spielraum der bayerischen Herzöge war grundsätzlich durch zwei Gegebenheiten beschränkt, nach außen durch die Verpflichtungen gegenüber Kaiser und Reich,13 nach innen durch die Existenz der Landstände. Der Herzog von Bayern war bis zum Ende des Alten Reiches für seine reichsunmittelbaren Besitzungen, insbesondere für das Herzogtum selbst, Lehensmann des deutschen Königs. Erst die königliche Belehnung verlieh ihm den Rechtstitel zur Wahrnehmung seiner herzoglichen Befugnisse. Sowohl beim Tode des Herzogs wie bei demjenigen des Königs war ein Akt der Neubelehnung fällig. Es war die dramatische Situation des Jahres 1180 gewesen, die Absetzung Heinrichs des Löwen als Herzogs von Bayern durch Kaiser Friedrich Barbarossa, wodurch die bayerische Herzogswürde an die Pfalzgrafen von Wittelsbach gelangt und die erste Belehnung der Vorfahren Maximilians erfolgt war. Die Belehnungen waren ursprünglich in den Formen des reichen und farbigen Zeremoniells vor sich gegangen, das dem Reich bei solchen Gelegenheiten zu Gebote stand.14 Nach der Leistung des Treueids Lan^inner, Fürst 97. Spindler-Kraus, Handbuch II § 88 mit weiterer Literatur. 14 Friedrich Mer^bacher, Der Lehnsempfang der Baiernherzöge, in: ZBLG 41 (1978), 387-399. 12 13
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durch den Herzog hatte der König diesem die Lehnsfahnen überreicht, darunter die rote Blutfahne als Zeichen der hohen Gerichtsbarkeit, anschließend ein Schwert. Bereits im 16. Jahrhundert reduzierte sich dieses Schauspiel in der Mehrzahl der Fälle auf einfachere Formen, ja auf die Abwicklung des Verfahrens über Gesandte. Die wichtigste Verpflichtung des Herzogs gegenüber Kaiser und Reich bestand in der Treuepflicht des Lehensmannes gegenüber dem königlichen Lehensherrn. Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte angesichts divergierender Interessen zwar verschiedentlich verletzt, war jedoch beiden Teilen stets bewußt, wurde von beiden Seiten niemals gering eingeschätzt und bewies daher in entscheidenden Situationen wiederholt ihre Kraft — und sei es auch, wie 1631 bei den bayerisch-französischen Vertragsverhandlungen, um eine politische Entscheidung des Herzogs zugunsten des Kaisers mit rechtlicher Argumentation zu unterbauen und damit gegenüber Dritten, hier den Franzosen, zu rechtfertigen. Gelegentlich bestand allerdings die Kunst der bayerischen Politik darin, einen eigenständigen politischen Weg gegenüber dem Reichsoberhaupt mit der Treueverpflichtung in Übereinstimmung zu bringen oder jedenfalls die Diskrepanz zwischen beiden Momenten nicht zu deutlich werden zu lassen. Die materiellen Verpflichtungen des bayerischen Herzogs gegenüber dem Reich15 bestanden zunächst in der Bezahlung der ordentlichen Reichssteuer, des Kammerzielers, zur Unterhaltung des Reichskammergerichts. Ebenso war das Herzogtum bei Reichskriegen und Kreisexekutionen zu Hilfen verpflichtet. Gemäß der Reichsmatrikel von 1521 waren hierfür als bayerisches Normalkontingent - als Simplum, das aber meist vervielfacht wurde - entweder 60 Mann Fußvolk und 277 Reiter zu stellen oder eine entsprechende finanzielle Ablösung, die als Geldsimplum oder Römermonat bezeichnet wurde, da sie ursprünglich den Beitrag für die erste Romfahrt des neugewählten Königs bildete. Der Römermonat hat dann auch als praktische Recheneinheit bei finanziellen Verpflichtungen ähnlicher Art figuriert, etwa bei den Beiträgen zur Finanzierung des Heeres der Katholischen Liga. Die Landesgesetzgebung wurde durch die Gesetzgebung des Reiches in unterschiedlicher Weise beeinflußt, am stärksten durch die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 und die Reichspolizeiordnungen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. Gegenüber den beiden Reichsgerichten, dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat, besaß der bayerische Herzog das ins Jahr 1362 zurückreichende Privilegium de non evocando; Prozesse aus dem Herzogtum konnten also nicht an eines dieser Gerichte gezogen werden, außer 15
Hierzu vgl. Dokumente 1,2 Nr. 53 sowie 1,3 Nr. 26.
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bei Rechtsverweigerung des zuständigen einheimischen Gerichts. Das Privilegium de non appellando illimitatum erhielt erst Maximilian I. im Jahre 1620, 1628 wurde es auch auf die nunmehr bayerische Oberpfalz ausgedehnt.16 Jedoch war das Appellationsrecht der Untertanen bereits seit 1480 stark eingeschränkt gewesen, vor allem durch die Erhöhung der Appellationssumme auf schließlich (1559) 500 Gulden. 17 Bei den Reichstagen hatte der bayerische Herzog Sitz und Stimme auf der weltlichen Bank des Reichsfurstenrats. Und zwar nahm er dort den ersten Platz ein und räumte ihn auch nicht dem Anspruch der Erzherzöge von Osterreich, so daß sich diese schließlich veranlaßt sahen, auf der geistlichen Bank Platz zu nehmen. Dagegen zählte der bayerische Herzog im 16. Jahrhundert noch nicht zum kleinen Kreis der Königswähler, zu den Kurfürsten. Allerdings hatten die Wittelsbacher im 13. Jahrhundert als Pfalzgrafen bei Rhein als Königswähler figuriert und bei der Teilung der wittelsbachischen Lande in einen altbayerischen und einen pfälzischen Teil war 1329 im Hausvertrag von Pavia festgelegt worden, daß die Kurwürde künftig zwischen den beiden Linien alternieren sollte. Aber wenig später hatte Kaiser Karl IV. in der Goldenen Bulle von 1356 diese interne Abmachung nicht anerkannt und die Kurstimme ausschließlich den Pfalzem zugesprochen — „durch unzimbliche gewalttettige anmaßung" hätten diese sie erhalten, schreibt Maximilian im Testament von 1641. Die Zurückstufung war von der altbayerischen Linie stark empfunden worden, die Gewinnung der Kurwürde war seither, mehr stillschweigend angestrebt als offen ausgesprochen, eines der zentralen politischen Ziele der Münchner Wittelsbacher, wobei nicht an Alternation mit den Pfälzern, sondern an definitiven Besitz gedacht war. In der Goldenen Bulle von 1356 wurde von den Kurfürsten Kenntnis des Böhmischen gefordert. Vielleicht war es diese Vorschrift, die in Verbindung mit den bayerischen Ansprüchen dazu veranlaßte, daß der junge Maximilian unter anderem auch Unterricht in der böhmischen Sprache erhielt. Seit der Reichsreform des frühen 16. Jahrhunderts war das Reich in zehn Reichskreise eingeteilt.18 Den dort ansässigen Reichsständen war die Wahrung des Landfriedens, die Regelung von Münzfragen und die Gestellung des
Ulrich Eisenhardt (Hg.), Die kaiserlichen privilegia de non appellando, Köln/Wien 1980, Urkunde vom 16.5.1620 (163-166) und vom 4.5.1628 (166-169). 17 Urkunde Ferdinands I. vom 4.6.1559: Dokumente 1,3 Nr. 37. « Adolf Laufs, Reichskreise, in: HRG IV, Sp. 681-686; Winfried Dotspuer, Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des Alten Reiches und ihr Eigenleben (1500-1806), Darmstadt 1989. 16
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2. Der
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Militäraufgebots in ihrem Bereich übertragen. Der Bayerische Reichskreis19 erstreckte sich von den Alpen bis über die Donau und in etwa vom Lech bis zu Salzach und Inn und umfaßte katholische und evangelische Reichsstände. Die größten der zwölf weltlichen Territorien im Kreis waren das Herzogtum Bayern und das Herzogtum Ρ falz-Neuburg, die größten der acht geistlichen Territorien das Erzstift Salzburg und die Hochstifter Passau, Regensburg und Freising. Der Herzog von Bayern und der Fürsterzbischof von Salzburg luden als kreisausschreibende Stände gemeinsam zu den Kreistagen ein, die bei Veranlassung stattfanden, und führten dort abwechselnd das Direktorium,20 standen sich aber in Kreisangelegenheiten vielfach als Rivalen gegenüber. Zweifellos spielte der Herzog von Bayern im Bayerischen Reichskreis die führende Rolle. Als mächtigster weltlicher Kreisstand versah er auch regelmäßig das Amt des Kreisobersten oder Kreishauptmanns zur Führung des militärischen Kreisaufgebotes, er hatte auch stets das Münzdirektorium inne. In der Regierungszeit Maximilians fanden die bayerischen Kreistage fast ausschließlich in Landshut statt. Auch im Schwäbischen Reichskreis21 war Bayern als Besitzer einiger dortiger reichsunmittelbarer Herrschaften vertreten. Das Kreissystem war gewiß dazu angetan, den kleineren Kreisständen zusätzliche Sicherung ihrer Existenz zu bieten und hierdurch den friedewahrenden Charakter des Reiches zu aktualisieren. Andererseits bot es einem geschickten Kreisobersten auch die Möglichkeit, Mittel und Kräfte des Kreises jedenfalls in einem gewissen Umfang territorialpolitischen Zielen nutzbar zu machen, so Maximilian bei der Besetzung der Reichsstadt Donauwörth im Jahre 1607. Der Spielraum der bayerischen Herzöge war nach innen beschränkt durch die Existenz und die Kompetenzen der Landstände,22 einer Landesrepräsen19 Spindler-Kraus, Handbuch II, 627 f.; Dot^auer, Reichskreise 177-205 (Lit.); Peter Claus Hartmann, Die Kreistage des Hl. Römischen Reiches - eine Vorform des Parlamentarismus? Das Beispiel des bayer. Reichskreises (1521-1793), in: ZHF 19 (1992), 29-47; Wilhelm Volkert, Der Bayerische Reichskreis. Rechtsform und Aufgaben, in: Spindler-Kraus (Hg.), Handbuch 111,3, 225 ff.; Dokumente 1,3 Nr. 26. Die Kreisabschiede seit 1531 bietet Johann Georg Lori, Sammlung des baier. Kreisrechts, 1764; Abschied von 1598: Dokumente 1,3 Nr. 131 (gegenüber Lori verbessert). 2 0 Bayer.-salzburgischer Vertrag über das Ausschreibeamt 1555: Dokumente 1,3 Nr. 20. 21 Adolf Laufs, Der Schwäbische Kreis, Aalen 1971; Dot^auer, Reichskreise 205-236. 22 Spindkr-Kraus, Handbuch II §§ 82 und 91 mit der älteren Literatur; weiterhin: Hein^Ueberich, Die bayer. Landstände 1313/40-1807, München 1990 (detaillierte Übersicht über die landständischen Geschlechter und ihre Besitzungen); Gabriele Greindl.\ Die Ämterverteilung in der bayer. Landschaft von 1508 bis 1593, in: ZBLG 51 (1988), 101-196; Dies., Der alte Adel in der bayer. Landschaft des 16. Jh.s, in: E. J. Greipl u. a. (Hg.), Aus Bayerns Geschichte. Forschungen als
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tation, die sich aus den Vertretern landbesitzender geistlicher Korporationen (dem Prälatenstand), aus der landständischen Ritterschaft sowie den Vertretern der Städte und gefreiten Märkte zusammensetzte. Den Sachverhalt hat Aventin für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts folgendermaßen gekennzeichnet: „Die fürsten haben vollen gewalt, von allen andern dingen, so land und leut antrift, zu handeln, und alle treffenlich sachen werden dergleichen zu hof vor den fürsten ausgericht, es sei dan sach, das man kriegen müeß oder Steuer und dergleichen anlegen sol, oder zwitracht und Uneinigkeit zwischen den herrn erwachsen und erstanden ist. Wo dergleichen groß seltsam ungewöhnlich sachen fürfallen, werden die stend alle drei an ein bestimbt ort auf ain ausgeschribnen tag in ein landschaft zam gevodert [...]".23 Die landständische Verfassung war in Bayern zu Beginn des 16. Jahrhunderts nahezu vollständig ausgebildet, die Versammlung der Landstände, der Landtag, war in der klassischen Form der drei Kurien gegliedert. Das Hauptkontingent der Prälaten stellten die Klöster und Stifter der Benediktiner, Zisterzienser, Augustinerchorherren und Prämonstratenser, dazu einige Kollegiatstifte und Frauenklöster, die Universität Ingolstadt und schließlich seit 1589 die aus ehemaligen Benediktinerabteien errichteten Jesuitenkollegien Ebersberg, Biburg und Münchsmünster. Zur landständischen Ritterschaft zählte nicht der Adel schlechthin, sondern seit Anfang des 16. Jahrhunderts nur derjenige Adelige, der ein festes Haus besaß, das mit Niedergerichtsbarkeit begabt und in die Landtafel eingetragen war. Auch hohe Beamte und Patrizier, die in den Besitz von landtafelmäßigen Gütern gelangten und die Kaufmannschaft (außer Bergwerken und Brauereien) aufgaben, konnten zu Landsassen aufsteigen. Den dritten Stand bildeten sämtliche Städte sowie die gefreiten Märkte. Unter Albrecht V. verzeichnete die Landtafel 88 geistliche Korporationen, 554 Angehörige des Ritterstandes, 34 Städte und 90 Märkte.24 Die Landstände in ihrer Gesamtheit bezeichneten sich als „die gemeine Landschaft des Herzogtums Bayern". Sie betrachteten sich nicht nur als Repräsentanten ihrer eigenen Hintersassen und Bürger, sondern als Vertreter und Interessenwahrer des ganzen Landes und wurden von Landesfürsten und Landesuntertanen mehr oder weniger stillschweigend als solche anerkannt. Festgabe zum 70. Geburtstag von A. Kraus, St. Ottilien 1992, 217-243; Dies., Die landständische Steuerverwaltung im 16. Jh., in: ZBLG 54 (1991), 667-729; Maximilian Lawgnner, Bayer. Landstände und der Aufbau des frühmodernen Staates im 16. Jh., in: W. Ziegler (Hg.), Der Bayer. Landtag vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, München 1995, 81-95 (Lit.); Wilhelm Volkert, Entstehung der Landstände in Bayern, ebenda 59-80. 23 Avenün, Bayer. Chronik 1,1, 43. 24 Vgl. auch Einleitung und instruktive Statistik einer Landtafel nach 1585: Dokumente 1,3 Nr. 42 b.
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2. Der
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Dabei war der Adel, begründet durch Zahl und Interesse, der Wortführer der Stände, er hat die Ständegeschichte des 16. Jahrhunderts vor allem geprägt. Die Landstände besaßen zunächst eine Reihe persönlicher Vorrechte, vor allem die Niedergerichtsbarkeit in ihren Hofmarksbezirken über eigene und fremde Grunduntertanen, mit einer Reihe damit verbundener Rechte, wie bereits erzählt wurde, Polizeigewalt, Musterung, freiwillige Gerichtsbarkeit (Notariat), Bannrechte (Monopolien). 1557 erhielt der landständische Adel (später auch manche Prälaten) als sog. Edelmannsfreiheit zusätzlich die Niedergerichtsbarkeit über sog. einschichtige, d.h. außerhalb der Hofmarken liegende eigene Güter verliehen.25 Alle Privilegien waren niedergelegt in den 64 landständischen Freibriefen, die von 1311 bis 1565 von den Herzögen zugestanden wurden, sowie in zusammenfassenden Landesfreiheitserklärungen von 1508, 1514, 1516 und 1553 aus den Hochzeiten landständischen Einflusses.26 Als Korporation besaßen die Landstände eine Reihe korporativer Aufgaben und Rechte, durch die sie in bestimmter Weise auf die öffentlichen Angelegenheiten im Herzogtum einzuwirken vermochten. Es ging prinzipiell um „auxiüum et consilium", Mitsprache, Rat und Hilfe in den Angelegenheiten des Landes und des Landesfürsten, wobei Rechte und Pflichten untrennbar gemischt waren. Es handelte sich wohl eher um ein Miteinander, als um ein Gegeneinander von Landesfürst und Landständen, der Landtag bildete eher eine Stätte des Interessenausgleichs als der Interessengegensätze, so entschieden sich häufig die Fronten gegenüberstanden. Im einzelnen handelte es sich um Mitwirkung und Zustimmung der Landschaft bei den großen Rechtskodifikationen, bei Landesveräußerungen und Landesteilungen, um einen gewissen Einfluß auf die auswärtige Politik, die Überwachung von Landesverteidigung, Münzwesen und Beamtenbestallung, bei der auf die Bevorzugung von Einheimischen geachtet wurde, um den Anteil an der Regentschaft bei Minderjährigkeit des Fürsten, nicht zuletzt um Kritik bei Mißständen im Lande, die auf den Landtagen in der Form der landständischen Gravamina vorgebracht wurde.27 Das wichtigste und dauerndste Recht der Landstände war dasjenige der Steuerbewilligung, Steuererhebung und Steuerverwaltung, denn Steuern galten als außerordentliche Abgaben, die des Konsenses der Betroffenen oder ihrer Vertreter bedurften.
Neudruck in Dokumente 1,3 Nr. 29; vgl. auch Grandi, Alter Adel (Anm. 22) 232 ff. Gedruckt bei Lxrchenfeld-Rcckinger, Landständische Freibriefe. Vgl. auch Dokumente 1,2 Nr. 404 ff. Die Landesfreiheitserklärung von 1553 jetzt auch in Dokumente 1,3 Nr. 13. 27 WittmütZj Gravamina; zahlreiche Beispiele auch bei Lansjnner, Fürst; Frands L· Carsten, Princes and Parliaments in Germany from the Fifteenth to the Eighteenth Century, Oxford 1959. 25 26
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Hierzu wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine eigene landständische Finanz- und Steuerorganisation ausgebildet.28 Die Landstände übten ihre korporativen Rechte überwiegend auf den Landtagen aus, die allerdings nicht periodisch stattfanden, sondern von den Herzögen nach deren Bedürfnissen einberufen wurden. Die laufenden Geschäfte zwischen den Landtagen erledigte seit 1514 ein Ausschuß von 16 Mitgliedern, die zeitweise einflußreiche Landschaftsverordnung. Die auf den Landtagen bewilligten Landsteuern wurden von allen Bürgern und Hintersassen im Lande, auch den herzoglichen, erhoben, in die Landschaftskasse aufgenommen und von dort fallweise dem Herzog zugeführt. Die Stände, vor allem der Adel, versäumten in der Regel nicht, auf den Landtagen für die Steuerbewilligung Gegenforderungen zu stellen, die meisten landständischen Freiheitsbriefe sind auf diese Weise zustandegekommen. Der Theorie nach sollten die Hof-, Verwaltungs- und Kriegsausgaben der Herzöge aus den Erträgnissen des herzoglichen Kammergutes und der herzoglichen Regalien bestritten werden. Da diese aber regelmäßig nicht ausreichten, um die steigenden Staats- und Hofbedürfnisse zu bestreiten, waren die Herzöge auf ständische Beisteuern angewiesen, notwendigerweise war der Weg vom Domänen· zum Steuerstaat zu beschreiten. Die Frage war, ob es den Herzögen gelang, aus dem Steuerbewilligungsrecht der Landstände prakdsch eine Pflicht im Interesse des Landes zu machen, d.h. die Stände zu regelmäßiger Bewilligung der Landsteuer und darüber hinaus zu Sondersteuern zu veranlassen, ohne sich diese durch besondere Zugeständnisse erkaufen zu müssen. Auf der anderen Seite war die Frage, ob die Landstände ihre Interessen eher in der Sicherung korporativer Rechte oder dem Ausbau persönlicher Vorrechte sehen würden. Die landständische Verfassung war im Spätmittelalter ausgebildet worden, weil die Herzöge in der juridischen Fixierung traditioneller Mitsprache der potenten gesellschaftlichen Gruppen im Lande und in deren geregelter Einfügung in das bestehende Herrschaftssystem einen Vorteil für Funktionieren und Ausbau des Staates und der Staatsgewalt erblicken konnten. In dieser Situation hatten sich die Stände mit Selbstbewußtsein und dem Anspruch erfüllt, einen dem Landesfürsten gleichgeordneten Faktor im Herzogtum zu bilden, entsprechend dem Prinzip des Kanonischen Rechts und der konziliaren Bewegung: „Quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet". Auf dem Landtag von 1514 hatte der Führer des landständischen Adels, Dietrich von Rosenthal, Geschichte I, 398 ff. und II, 208 ff. Gabriele Greindl, Steuerverwaltung; Schlögl.\ Bauern 241 ff. Vgl. die landständische Steuerinstruktion von 1554: Dokumente 1,3 Nr. 16. 28
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Plieningen, den Herzögen Wilhelm und Ludwig in klassischen Formulierungen des Widerstandsrechts vorgehalten: „Item so sei kain fürst oder herr auf erden gefreit, daß er macht hab, nach seinem willen wider recht und die billichait die Untertanen zu beschweren [...]. Der bapst und kaiser mögen den Untertanen Jus naturale und Jus gentium, das natürlich recht und das menschlich recht, das aus der natur genommen, nit benehmen. Ob sie es aber unterstünden, so seind die Untertanen solches zu gedulden nit schuldig. Defensio ist den Untertanen von natur zugelassen, und mögen sich dagegen setzen." Die Fürsten seien nur „administratores oder verweser, als sich der babst schreibt einen knecht aller knecht."29 Jedoch ließ sich der hohe Anspruch der Stände in dieser Weise nicht durchhalten. Seit dem frühen 16. Jahrhundert arbeiteten die Herzöge daran, das System zwar zu belassen, weil ihnen durch die Stände die Steuerkraft des Landes erschlossen wurde, ihm jedoch jene Momente zu nehmen, welche die Ausbildung fürstlicher Souveränität zu hemmen schienen. Sie suchten die Betätigung der Stände auf den Bereich der Finanzen zu beschränken, dann die Einführung von Steuerperioden — statt den bisherigen Bewilligungen von Fall zu Fall — und schließlich auch die Bewilligung von Sondersteuern durchzusetzen. Diese steuerpolitischen Ziele wurden im Laufe des 16. Jahrhunderts weitgehend erreicht. Neben der Landsteuer, die von allen Untertanen außer den Ständen erhoben wurde, bewilligte die Landschaft seit 1526 eine eigene Ständesteuer, beide Steuern zunächst noch von Fall zu Fall. Seit 1542 trat der sog. Aufschlag hinzu, eine Verbrauchssteuer zunächst auf Wein und Bier, die später auf Nahrungsmittel ausgedehnt wurde und deren bedeutende jährliche Erträge vorzüglich zur Tilgung oder Verzinsung der Staatsschulden verwendet werden sollten. Damit wurde die Landschaftskasse, der die Erträge des Aufschlags zuflössen, praktisch zur Staatsschuldentilgungskasse.30 1568 neutralisierte Herzog Albrecht V. den Widerstand der Landstände gegen eine Fortsetzung des Aufschlags mit der Eröffnung, daß er bereits seit 1546 (zuletzt 1566) kaiserliche Privilegien besitze, die der Landschaft eine Aufhebung des Aufschlags untersagten.31 Damit war der Aufschlag auf Dauer etabliert. Erstmals 1577, dann wieder 1594 wurden die Landsteuern für einen längeren Zeitraum, nämlich auf zwölf Jahre im voraus bewilligt. Damit entwanden sich die Herzöge der Notwendigkeit, in kurzen Abständen den Landtag zu berufen und mit Gegenforderungen der Stände konfrontiert zu werden. So wurFranziska v. Adelmann, Dt. Dietrich von Plieningen. Humanist und Staatsmann, München 1981, 105 f. 30 Dollinger.; Finanzreform 184 ff.; Letting, Brauwesen 29 ff. und 72 ff. 31 Text des Privilegs von 1566: Dokumente 1,3 Nr. 62. 29
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den zwischen 1509 und 1579 dreiunddreißig, zwischen 1579 und 1598 aber nur mehr vier Landtage abgehalten. Es war einer der großen innenpolitischen Vorgänge und kennzeichnete den Frühabsolutismus in Bayern, daß es den Herzögen Albrecht V. und Wilhelm V. gelang, den politischen Einfluß der Landstände Schritt für Schritt zurückzudrängen und sich dennoch deren Steuerbewilligungen zu sichern. Bei dieser Schwächung landständischen Einflusses wirkten mehrere Momente zusammen. Jeder der drei Stände verfolgte auch Sonderinteressen, zu deren Realisierung die Unterstützung des Fürsten notwendig war: Die herzogliche Religionspolitik bewahrte die Prälaten davor, wie ihre Standesgenossen in anderen deutschen Territorien säkularisiert zu werden. Der Adel konnte in seiner sozialen und wirtschaftlichen Krisensituation in erster Linie vom Herzog Hilfe erwarten; die Tätigkeit bei Hof und in den Ämtern der Landesverwaltung verschaffte ihm eine neue Legitimation seiner privilegierten Stellung und bot darüber hinaus materielle Chancen. Den Städten und Märkten verbürgte der Fürst die für Handel und Verkehr notwendige Rechtssicherheit im Lande, ihre rechtliche und wirtschaftliche Position festigte er durch die Gewährung von Privilegien. Die Handlungsfähigkeit der Stände wurde auch geschwächt durch die Interessenkonflikte zwischen ihnen, die sich aus ihrer sozialen Heterogenität ergaben, vor allem zwischen Adel und Landstädten. Nicht zuletzt konnten die Herzöge die konfessionelle Aufspaltung des landsässigen Adels für ihre Zwecke nützen. Mit der Unterdrückung seines evangelischen Flügels in den sechziger Jahren wurden zugleich Wortführer der politischen Adelsopposition entmachtet, ohne Widerspruch des altgläubig gebüebenen Adels, geschweige der Prälaten, hervorzurufen. Eine Rolle im Bedeutungsverlust der Stände spielte wohl auch, daß die Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts, welche die landständischen Kassen gefüllt hatte, sich gegen Ende des Jahrhunderts abzuschwächen begann, womit sich auch Leistungsfähigkeit und Einflußmöglichkeiten insbesondere der Adelskurie reduzierten. Eine dauerhafte ständische Opposition wurde schließlich auch erschwert durch die Ämterverflechtung zwischen Landschaftsdienst und Fürstendienst.32 Zahlreiche führende Mitglieder der Landschaft waren zugleich fürstliche Beamte und wurden hierdurch, bewußt oder unbewußt, durch Interessenkollision in ihrer politischen Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Man hat den frühmodernen Staat in einem schönen Bild mit einer Ellipse mit zwei Brennpunkten, Fürst und Stände, verglichen, wobei es das Bestre32
Hierzu Greindl, Ämterverteilung.
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ben der Landesherren gewesen sei, die Ellipse in einen Kreis mit nur einem Mittelpunkt, dem Fürsten, zu verwandeln.33 Tatsächlich ist letzteres auch in Bayern nie gelungen, die Stände als Institution blieben bestehen und haben prinzipiell auch ihr Steuerbewilligungsrecht behalten, schon weil sie die reichsten Leute im Lande waren. Sie wurden von den Herzögen auch nach ihrem politischen Niedergang als eine legitime, in der Landesverfassung begründete und aus Gründen der Herrschaftsklugheit zu berücksichtigende Korporation eingeschätzt. Aber einen wirklichen Dualismus der Staatsgewalt, eine tatsächliche Teilung der Regierungsbefugnisse zwischen Fürst und Ständen hat es in Bayern nicht gegeben, je länger umso weniger. Allerdings hätte das landständische Steuerbewilligungsrecht, die „bürokratische Verfestigung" (Lanzinner) des Ständewesens durch eine eigene ständische Steuerorganisation und seine das Land überspannenden Niedergerichtsrechte mit anhangenden Privilegien den Ansatzpunkt für mancherlei politische Mitsprache geboten. Aber die Stände haben diese Möglichkeiten seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert nur in geringem Umfang genützt, sodaß zwar vielleicht von einer Funktionsteilung, aber nicht von einer tatsächlichen Herrschaftsteilung zwischen Fürst und Ständen34 gesprochen werden kann. Der Zurückdrängung der Landstände korrespondierte vielmehr im Laufe des 16. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Ausweitung und Intensivierung der Staatstätigkeit unter fürstlicher Leitung. Diese Dynamik war eine Folge des Willens zu intensiverer Gestaltung des öffentlichen Lebens durch die Herzöge und ihre Mitarbeiter, wie bereits angedeutet, aber auch eine notwendige Antwort auf politische, wirtschaftliche, soziale und religiöse Herausforderungen der Epoche, die nach Bewältigung riefen. Sie war ebenfalls geeignet, die Bedeutung nichtfürstlicher Gewalten in Staat und Politik einzuschränken und darüber hinaus frühabsolutistische Herrschaft der Herzöge gegenüber bisherigen anderen Herrschaftsträgern mit neuen Argumenten zu begründen und zu festigen. Das Herzogtum Bayern war im 16. Jahrhundert, vor dem Anfall der Oberpfalz, in etwa 85 Gerichts- und Verwaltungsbezirke, die Land- und Pfleggerichte, gegliedert, in denen Gericht und Verwaltung nicht getrennt waren.35 Der Landrichter bzw. Pfleger übte mit Gerichts-, Polizei-, Finanz-, Militärund Kirchenhoheit sämtliche staatlichen Hoheitsrechte innerhalb des Amtsbezirks, der Kastner verwaltete die dortigen herzoglichen Urbars- oder Kammergüter. Jedoch waren die Land- und Pfleggerichte durchbrochen WernerNäf, Die Epochen der neueren Geschichte, 2 Bände, Aarau 1945/46, hier I, 412. So ~Lan%inner, Bayer. Landstände 89. " Rosenthal, Geschichte II, 4 ff. und 87 ff.
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durch etwa 620 Herrschaften und Hofmarken des Adels und etwa 200 Hofmarken der Klöster36 sowie durch die Städte und Märkte, deren Inhaber bzw. Funktionäre im Umkreis von Herrschaft, Hofmark, Stadt oder Markt die niedere Gerichtsbarkeit mit einer Reihe weiterer öffentlich-rechtlicher Befugnisse ausübten. Etwa die Hälfte der bayerischen Bevölkerung war auf diese Weise in wesentlichen Lebensbereichen dem unmittelbaren Zugriff der staatlichen Behörden entzogen, zumal wenn Grundherr und Niedergerichtsherr identisch waren. Auf der Ebene der Mittelbehörden war das Herzogtum seit der Wiedervereinigung von 1505 in die vier Rentmeisterämter München, Landshut, Burghausen und Straubing unterteilt. Der Rentmeister37 als leitender Beamter übte seine ausgedehnten Befugnisse in der Kontrolle der Verwaltungs- und Justizbehörden im Bereich des Rentamts bei jährlichen Visitationen, den Rentmeisterumritten, aus. Seit 1505 war er in ein kollegiales Gremium eingebunden, welches als Regierung bezeichnet wurde und sich sowohl aus dem lokalen Adel wie der neuen Beamtenschaft rekrutierte. Die entscheidende Ausdifferenzierung der Behördenorganisation im 16. Jahrhundert bezog sich jedoch weit weniger auf die Außen- und Mittelbehörden, als auf den Bereich der Zentralbehörden.38 Als einzige Zentralbehörde existierte zunächst, seit dem späten 15. Jahrhundert, nur der Hofrat in München,39 der nach dem Muster des Reichskammergerichts in eine Gelehrten· und eine Ritterbank gegliedert und unter einem Hofkanzler mit allen Regierungsangelegenheiten befaßt war. Die Ausweitung und Intensivierung der staatlichen Tätigkeit erzwang jedoch seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Differenzierung, ein System von Zentralbehörden war einzurichten, das einigermaßen nach Sachzuständigkeiten gegliedert war. Die Reorganisation zielte auf eine Rationalisierung des politischen und des Verwaltungshandelns, sie ergab sich aus allgemeinen Anforderungen der Epoche und spezifischen Zielsetzungen der Landesfürsten und fand gleichzeitig in einer Reihe europäi36 Weiterhin durch 62 landesherrliche Hofmarken. Vgl. Rankl, Ringen Kap. III.3.2.3., der in genauer Untersuchung die bisher viel zu hoch gegriffene Zahl von 1 400 Hofmarken korrigiert hat. 37 Rosenthal, Geschichte I, 288 ff. und II, 144 ff. Vgl. auch unten Kapitel 7 Anm. 28, insbes. Rankl, Rentmeister sowie Dokumente 1,3 Nr. 179. 38 Allgemein: Willoweit, Merkmale. Bayern: Lamçinner, Fürst, mit der älteren Literatur (vor allem Rosenthal, Geschichte I, 409 ff. und II, 274 ff.); Manfred Mayer, Quellen zur Behördengeschichte Bayerns. Die Neuorganisation Herzog Albrechts V., Bamberg 1890; Volker Preß, Die wittelsbachischen Territorien: Die pfälzischen Lande und Bayern, in: Jeserich (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte I, 552-599; Walter Ziegler in Dokumente 1,3, 91 ff. 39 Rosenthal, Geschichte I, 409 ff. und II, 274 ff.; Lanignner, Fürst 76 ff.; umfassend: Reinhard Heydenreuter, Der landesherrliche Hofrat unter Hg. und Kf. Maximilian I. von Bayern (15981651), München 1981.
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scher Staaten und deutscher Territorien statt. Es ging um die Bewältigung der vielen neuen dem Staat zufallenden bzw. von diesem ergriffenen Aufgaben, deren normative Regelung und deren Finanzierung. In Bayern wurden vom Hofrat eine Reihe von Geschwisterbehörden ausgegliedert, anfangs nur als sog. Hofratsdeputationen, bald aber als selbständige Institutionen mit besonderen Ratsgremien und besonderen Kanzleien. Bereits 1550 wurde zur Reorganisation der Staatsfinanzen die Hofkammer40 mit dem Hofzahlamt geschaffen, interessanterweise unter starkem Druck der Landstände. Die Hofkammer bildete seither die oberste Finanzstelle des Landes und beaufsichtigte alle Einnahmen und Ausgaben von Hof und Staat, insbesondere die fürstlichen Kammergefálle und deren Quellen, Kammergut und Regalien, war also auch für die Erschließung neuer Einnahmequellen zuständig. Wegen ihrer Bedeutung ist sie in der Folgezeit mehr als andere Gremien ausgebaut worden, gerade von einem Rechner wie Maximilian. Im Zusammenhang mit dem Ausbau des Systems der ausschließlichen Katholizität in Staat und Gesellschaft wurde 1570 die weitere Zentralbehörde des Geistlichen Rates41 gegründet. Der Geistliche Rat bestand aus weltlichen und geistlichen Mitgliedern und stieß als Exekutor der staatlichen Kirchenhoheitsrechte zunächst auf kirchlichen Widerstand. Er überwachte alle herzoglichen Anordnungen in Bezug auf Kultus, Bücherwesen und Unterricht, kontrollierte den Klerus in Sachen des Glaubens, der Disziplin und der Amtsführung, ebenso auch die kirchliche Vermögensverwaltung. Er war also oberste Kirchen- und Schulbehörde und ein hervorragendes Instrument im Vorgang der Konfessionalisierung von Staat und Gesellschaft. Im Zusammenhang mit dem Kölner Krieg entstand 1583 das Kollegium des Kriegsrats42 wohl nach dem Vorbild des österreichischen Hofkriegsrates. Er wurde schon 1587 wieder aufgegeben, setzte sich aber seit dem Regierungsantritt Maximilians im Zusammenhang mit der Erneuerung der Landesdefension und später der Gründung der Katholischen Liga in wechselnden Formen fort und fand seine endgültige Gestalt im Jahre 1623.
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Rosenthal, Geschichte I, 461 ff. und II, 349 ff.; Lantqnner, Fürst 32 ff. und 93 ff.; Heydenreuter, Hofrat 156 ff.; Preß, Wittelsbachische Territorien 580 ff.; Letting, Bierbrauereien 81 ff.; Dokumente 1,3 Nr. 116 (Konkordanz der Hofkammerinstruktionen von 1591, 1608 und 1640). 41 Gerhard Hey/, Der Geistliche Rat in Bayern 1598-1651, Phil. Diss. Masch. München 1957; Rosenthal, Geschichte I, 506 ff. und II, 402 ff.; Lawçnner, Fürst 81 ff. 42 Rosenthal, Geschichte I, 529 ff. und II, 415 ff.; Hyänreuter, Hofrat 176 ff.; Dokumente 1,3 Nr. 98 (Instruktion von 1583).
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In den ersten Jahren Herzog Wilhelms V., 1581, trat schließlich durch eine Institutionalisierung vertrauter Räte auch das Kollegium des Geheimen Rats43 ins Leben. Der Geheime Rat figurierte künftig als Zentralorgan der herzoglichen Regierung, das mit den wichtigsten Regierungsfragen befaßt war, vor allem auch solchen der Außenpolitik, und bildete gleichzeitig die Oberbehörde fur die übrigen Zentralstellen. Er war in der Regel mit fünf bis sieben besonders ausgewiesenen und dem Herzog vertrauten Räten besetzt und tagte unter dem Vorsitz des Herzogs, bei dessen Abwesenheit unter dem Vorsitz des Obersthofmeisters, der als Direktor des Kollegiums figurierte. Weitere Chargen waren der Geheimratskanzler (Oberstkanzler) und der Geheimratsvizekanzler, denen die dem Geheimen Rat angeschlossene Geheime Kanzlei unterstand. Alle anderen Mitglieder waren nicht kraft Amtes, sondern aufgrund bestimmter Qualifikation im Amt. Wie in der ersten Jahrhunderthälfte die Hofkanzler, nahmen nunmehr Obersthofmeister, Oberstkanzler und Vizekanzler als nächste und wichtigste Berater der Herzöge die zentralen Positionen im politischen Entscheidungsprozeß ein. Im Unterschied zu den Hofkanzlern waren sie aber in ein Kollegium eingebunden und fehlte ihnen daher die einstige Selbständigkeit. Darüber hinaus war das gesamte Kollegium in allen seinen Entscheidungen an die Zustimmung des Herzogs gebunden, weswegen auch seine Zuständigkeiten und seine Organisation nie in einer verbindlichen Instruktion geregelt worden sind. Es bestand eine offene Organisationsform, die er mit vergleichbaren Gremien in und außerhalb des Reiches gemein hatte. Der Hofrat, der so viele Kompetenzen an die neuen Zentralbehörden abgegeben hatte, blieb weiterhin wichtigstes Justizorgan im Herzogtum. Er war Oberstes Hofgericht, fungierte bis zur Errichtung des Revisoriums 1625 als Appellationsinstanz und war besonderer Gerichtsstand für die privilegierten Stände. Gleichzeitig nahm er aber auch umfangreiche Verwaltungsaufgaben wahr, vor allem die Handhabung guter Polizei, da alle Verwaltungs- und Regierungsaufgaben, die nicht ausdrücklich einer anderen Behörde zugeteilt waren, in seine Zuständigkeit fielen.44 Die Organisationsstrukturen der neuen Behörden und die Aufgabenbereiche der Amtsträger wurden durch generelle Normen geregelt, durch Verwal43
Lan^nner, Fürst 108 ff., mit der älteren Literatur und Diskussion der älteren Thesen über die Entstehung des Geheimen Rates; Rosenthal, Geschichte II, 233 ff.; Heydenreuter, Hofrat 23 ff. und 180 mit Hinweisen zu den Verfahren; Dokumente 1,3 Nr. 91 (erstes Geheimratsprotokoll von 1581). 44 Umfassende Darstellung der Justiz- und Verwaltungsaufgaben des Hofrats für die Zeit Maximilians, mit Rückgriffen, durch tìeydenreuter, Hofrat 184 ff. und 231 ff.
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tungsOrdnungen, die sich in Ordnungen für den Hof, für die zentralen Verwaltungsbehörden (Rat, Kammer, Kanzleien, nicht aber für den Geheimen Rat!)45 und für die regionalen Verwaltungsbehörden gliederten. Der Erlaß der Ordnungen entsprang „einem breiten und allgemein überzeugenden Trend zur Normativität herrschaftlichen Handelns" (Willoweit). Die Vielzahl der Ordnungen seit dem frühen 16. Jahrhundert belegt die Ausweitung und Intensivierung der Staatstätigkeit unter fürstlicher Leitung in dieser Epoche. Das Ziel war, Stetigkeit, Einheitlichkeit und Überschaubarkeit des Verwaltungshandelns zu größerer Effizienz der Institutionen und der Amtsträger herzustellen und zu gewährleisten. Diese Zielsetzung erforderte die allmähliche Realisierung einer Reihe neuer Prinzipien: Die Professionalisierung der Verwaltung, die nun zum alleinigen Beruf der mit ihr Betrauten wurde; die Ausbildung zu größerer Sachkompetenz, möglichst durch ein juristisches Studium; die ausschließliche Verpflichtung der Beamten auf ihren fürstlichen Dienstherrn; die Einführung eines geregelten Besoldungswesens; nicht zuletzt ging es um die Verpflichtung der Beamten auf gewisse ethische Prinzipien.46 Denn indem die Aufgaben, die Geschäfte und die Institutionen sich mehrten und differenzierten, schwieriger wurden, wuchs auch der Bedarf an qualifizierten Beamten, die in den nunmehr regelmäßig tagenden, kollegial organisierten Ratsgremien tätig waren. Während der hohe Adel sich hauptsächlich für die Hofämter interessierte, war dies nun, wie erwähnt, die Stunde desjenigen niederen Adels, der auf Neubegründung oder Erweiterung seiner bisherigen Existenz zielte und als Voraussetzung hierzu sich auch zunehmend einem Universitätsstudium mit oder ohne Graduierung unterzog. Sowohl durch materielle Anreize als auch durch die Schaffung eines Wirkungskreises und durch Aufgabenstellung gelang es den Herzögen im Laufe der Jahrzehnte, dem Adel das System des neuen Fürstenstaates plausibel und attraktiv zu machen, so daß dieser im Konfliktfall bereit war, das staatlich-fürstliche vor das adelig-landständische Interesse zu stellen. Mehr noch boten sich für den Ausbau der Zentralbehörden in steigendem Ausmaß bürgerliche Juristen an, die neben beruflicher Qualifikation und Aufstiegsorientierung den Vorzug besaßen, mit den Landständen in keinem Zusammenhang zu stehen. „JuriMayer, Quellen. Eine Reihe von Ordnungen auch in Dokumente 1,3 Nrr. 6, 11, 73, 90, 98, 116. Vgl. auch die Oberstkanzlerinstruktion von 1599, ebenda Nr. 134. 46 Michael Stolleis, Grundzüge der Beamtenethik (1550-1650), in: Oers., Staat und Staatsraison in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1990, 197-231; Dietmar Willoweit, Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes, in: Jeserich (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte I, 346 ff.; Rosenthal, Geschichte I, 552 ff. und II, 457 ff.; Lawjnner, Fürst 129 ff.; Heydenreuter, Hofrat 66 ff. Oers., Probleme des Ämterkaufs in Bayern, in: I. Mieck (Hg.), Ämterhandel im Spätmittelalter und im 16. Jh., Berlin 1984, 231-251. 45
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sten wußten eine Antwort auf die sich komplizierenden Erfordernisse von Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung ihrer Zeit, eine Antwort, die den fürstlichen Machthabern einleuchtete und der sich diese nicht mehr entziehen konnten." 47 Die Verbürgerlichung hoher Staatsstellen ist eines der Kennzeichen der Epoche, in starkem Maße mit einer neuen sozialen Schicht haben die Herzöge seit der Jahrhundertmitte die Grundlagen des neuen Territorialstaates gelegt, der betont ein Fürstenstaat gewesen ist. Gleichzeitig sind diese Beamten neben den Amtsträgern der Kirche die wichtigsten Träger der territorialen Konfessionalisierung geworden. Hinsichtlich der formalen Voraussetzungen, die an die Beamten der Zentralbehörden gestellt wurden,48 gab es für die Mitglieder der Gelehrtenbank des Hofrats eine feste Norm, die Graduierung als Doktor oder Lizentiat der Rechte und die Ablegung einer Prüfung, der Proberelation. Bei den Räten der Ritterbank spielten neben der adeligen Herkunft die Bewährung in einer Rentamtsregierung, auf Reisen erworbene Sprachkenntnisse und Erfahrung an fremden Höfen sowie ebenfalls Universitätsstudien eine Rolle. Gute Lateinkenntnisse galten allgemein als Selbstverständlichkeit. Der Obersthofmeister sollte nach einem Gutachten von 159449 sowohl qualifiziert sein, um den Sitzungen des Geheimen Rates zu präsidieren, als auch vertraut mit den Problemen des Hofhalts, um dort auf sparsames Wirtschaften sehen zu können. Bezüglich der landsmannschaftlichen Herkunft der Räte zogen sich durch das ganze 16. Jahrhundert die Klagen der Landstände, daß zu wenig Einheimische und zu wenig Adelige in die Ratskollegien berufen würden;50 die Fürsten sollten „geschickte landleut vom Adi, so Bairn sind", verwenden. Jedoch nahmen die Herzöge, abgesehen von Repräsentationsgesichtspunkten bei der Besetzung hoher Hofämter, auf solche Klagen zunehmend weniger Rücksicht. Der Anteil des einheimischen Adels am Gesamtrat (bürgerliche und adelige Stellen zusammengenommen) sank von 49 Prozent unter Wilhelm IV. über 38 Prozent unter Albrecht V. auf 22 Prozent unter Wilhelm V. Dieser empfahl dem Adel, seine Nachkommenschaft von Jugend an besser auszubilden, dann werde es der Fürst nicht fehlen lassen. Der Bedarf an qualifizierten Juristen und das Interesse an solchen erforderte attraktive Angebote von selten der Herzöge.51 Tatsächlich waren die 47
Hein% Gollwitsgr, Karl von Abel, Göttingen 1993, 14; "Roman Schnur (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986. 48 Heydenreuter; H o f r a t 61 ff.; Rosenthal, Geschichte II, 462 ff.; Lamgnner, Fürst 127 ff. 49 Rasenthal,\ Geschichte I, 244 Anm. 1. 50 Rosenthal, Geschichte I, 555 ff. 51 Lawgnner, Fürst 134 ff.
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bayerischen Räte unter Albrecht V. und Wilhelm V. materiell besser gestellt als etwa diejenigen in Württemberg und der Pfalz und konnten sich in Spitzenstellungen mit den Assessoren am Reichskammergericht und den Reichshofräten durchaus vergleichen. Zum ordentlichen Gehalt zählten neben der Geldbesoldung die Verköstigung bei Hof, der tägliche Schlaftrunk und das jährliche Hofkleid. Darüber hinaus gab es bei Bewährung außerordentliche Zuwendungen in Form von einmaligen Gnadengeldern, Vergabe von Pflegeämtern, Schenkungen von Wohnhäusern oder Bezahlung des Mietzinses im teuren München, Beiträgen zum Studium der Söhne und ähnliches. So erhielt der Hofkammerpräsident Christoph Neuburger für seine Verdienste um die Verstaatlichung des Salzhandels von Wilhelm V. jährlich 500 Scheiben Salz aus den Reichenhaller Salinen für sich und seine Nachkommen verschrieben. Auch waren die Dienstgelder nicht zu versteuern und unterlagen die Räte, ebenso wie das Hofgesinde, nicht der städtischen Gerichtsbarkeit, hatten also ihren eigenen Gerichtsstand.52 Die Pensionsversorgung der Räte der Zentralverwaltung war bereits unter Wilhelm V. mehr oder weniger gesichert, entweder wurde das Gehalt weitergezahlt oder man erhielt Pflegeämter und deren Einkünfte verliehen. Dies waren jedoch Gnadenerweise aufgrund von Gesuchen, ein Rechtsanspruch bestand nicht; die Hofkammerordnung von 1617 sprach aber dann bezüglich der Pensionen bereits von einem „rühmlichen Herkommen", das zu einer festen Einrichtung gemacht wird. In den staatlichen Kleiderordnungen53 waren nichtadelige Räte und Sekretäre den patrizischen Bürgergeschlechtern gleichgestellt. Bei kirchlichen Festen und Prozessionen, etwa beim großen Münchner Fronleichnamsumgang, folgten auf den Fürsten die hohen Hofbeamten und Geheimen Räte, dann erst kam der nicht bedienstete hohe Adel von Grafen und Freiherren. Da der Kreis der Beamten überschaubar war, war deren Bindung an die Person des Fürsten eng und hatten sich Arbeitsengagement und Loyalität des Beamten fortgesetzt unter dessen Augen zu bewähren. Da der Fürst das alleinige Besetzungs- und Endassungsrecht für die Ratskollegien besaß, waren die Räte dem vom Fürsten gesteuerten Besoldungs- und Begnadungssystem durchaus unterworfen. Dies konnte auch nicht ohne Auswirkungen bleiben auf die Einstellung der Beamtenschaft zur akuten Religions frage und auf das Verhältnis von Beamtenschaft und Landschaft. Um die Jahrhundertmitte bekannte sich etwa ein Fünftel der Räte der Zentralbehörden, ausnahmslos Adelige, zur Communio sub utraque specie, also zum Laienkelch, an dem Lawgnner, Fürst 143 ff. Baur, Kleiderordnungen; Dokumente 1,3 Nrr. 264 (Kleiderordnung von 1626) und 265 (Beschwerden der Stadt München).
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man die Neugläubigen erkannte.54 Auch unter den katholisch gebliebenen Räten waren die adeligen zu Zugeständnissen bereit, während die gelehrten Räte dem Protestantismus eindeutig ablehnend gegenüberstanden. Da die adeligen Räte offensichtlich besonders anfallig für die religiöse Neuerung waren, waren sie auch besonders betroffen von den Säuberungen Albrechts V. nach der Religionsvisitation von 1558 und von den seitherigen strengen Einstellungsvorschriften. Dies begünstigte wohl auch die Karrieren bürgerlicher Räte. Jedenfalls war schon seit der Mitte der sechziger Jahre keiner der Räte mehr dem Umkreis der Neugläubigen zuzurechnen, nur das ausdrückliche Bekenntnis zum alten Glauben öffnete nunmehr den Weg in herzogliche Dienste und zu den damit verbundenen materiellen und sozialen Möglichkeiten. 1591 wurden alle Beamten zum Eid auf das Tridentinische Glaubensbekenntnis verpflichtet. Was das Verhältnis von Beamtenschaft und Landschaft betraf,55 so waren herzogliche Beamte in den landständischen Führungspositionen zahlreich vertreten. Im Landschaftskommissariat, dem Führungsgremium der Landschaft zwischen den Landtagen, waren praktisch sämtliche adeligen Kommissare zugleich herzogliche Beamte, im Großen Ausschuß war es die Hälfte der adeligen Mitglieder. Von den beiden Geschäftsführern der Landschaft wurde der Erbmarschall vom Herzog ernannt, der über ihn auf die Landtagsverhandlungen einzuwirken verstand. Der Landschaftskanzler wurde zwar von den Ständen gewählt, aber sämtliche Kanzler hatten vorher in herzoglichen Diensten gestanden, ja zeitweise wurden Kanzlerdienst und herzoglicher Dienst sogar als kompatibel angesehen. Der Herzog und seine Bürokratie besaßen also manche Möglichkeiten, auf die Entscheidungen der Landstände einzuwirken. Natürlich waren dadurch umgekehrt auch Brücken für landständische Interessen in die Bürokratie hinein gegeben, jedoch wirkte die durch den Fürstendienst gegebene Abhängigkeit der Beamten offensichtlich mehr zu Gunsten des Fürsten als der Stände. Immerhin scheuten sich die herzoglichen Spitzenbeamten nicht, im gegebenen Fall das Landesinteresse auch dann gegenüber den Herzögen zu vertreten, wenn sie sich dabei in Ubereinstimmung mit der Kritik der Landstände befanden. Berühmt ist das Gutachten, das neun Räte einer Reformkommission, die „Über den Staat verordneten Räte", im Jahre 1557 erstellten, in dem mit scharfer Kritik an der Verschwendungssucht und der dem Land schädlichen Verschuldungspolitik Herzog Albrechts V. nicht ge54 Lan^inner, 55
Fürst 150 ff. Greindl, Ämterverteilung; Lan^inner, Fürst 249 ff.
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spart wurde.56 Die Gutachter forderten zweckgerichtetes Haushalten des Herzogs, darüber hinaus ein gewandeltes Herrscherbewußtsein, das positive Rückwirkungen auf die gesamte Staatsverwaltung nach sich ziehen werde. Denn die fürstliche Reputation bestehe nicht „in überflüssigen klaideren, klainaten, zierlichait oder gepew, essen, drincken und anderm wollust, sonder nach christlichem leben und fürstlichen tugenten furnemlich in guetter hauswirtschafft, ainem dapferen vorrath an gelt und anderm zur not gehörig." Wenn Albrecht V. in seiner Antwort57 versicherte, von sich aus alles zu tun, um der Schuldenlast ledig zu werden, so hatte er damit, wie die Zukunft erwies, allerdings nicht eine Änderung seiner Lebensführung, Hofhaltung und Kunsdeidenschaft im Auge, sondern den Weg zu den Steuerbewilligungen der Landstände. In diesem Sinne war es den Räten nicht gelungen, sich mit ihren Vorstellungen dem Herzog gegenüber durchzusetzen, sodaß als Resultat des ganzen Vorganges dessen unabhängige Position gegenüber der Bürokratie nur bekräftigt wurde. Man hat den Territorialstaat des 16./17. Jahrhunderts als den Übergang vom Domanialstaat zum Steuerstaat bezeichnet, insofern sich zunehmend erwies, daß die vielfältigen neuen Staatsaufgaben nicht mehr allein durch die fürstlichen Kammergefálle, sondern nur unter Eröffnung weiterer Finanzquellen auf dem Wege der Steuererhebung finanzierbar waren und die Durchsetzung entsprechender Steuern einen zentralen Punkt der Staatstätigkeit bezeichnen mußte.58 Wo diese Besteuerung gegen widerstrebende Landstände und Untertanen durchgesetzt werden konnte, war zugleich der fürstliche Herrschaftsanspruch in einem zentralen Bereich verwirklicht. Die Mittel zur Finanzierung von Hof und Staat wurden eingehoben und verwaltet von zwei durchaus getrennten, aber dennoch eng aufeinander bezogenen Institutionen, der landesherrlichen und der ständischen Finanzverwaltung. Es gab eine landesherrliche und eine landständische Kasse, landesherrliche und landständische Steuerbeamte, landesherrliche und landständische Schulden. Die 56 Text des umfangreichen Gutachtens in Dokumente 1,3 Nr. 27. D a ß sich nichts änderte, zeigen die beiden großen Reformgutachten des Kanzlers Eck und des Landhofmeisters Schwarzenberg von 1571: Dokumente 1,3 Nrr. 75 und 76. 57 Dokumente 1,3, 256 ff. 58 Michael Stolleis, Pecunia nervus rerum. Zur Staatsfinanzierung in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1983; Hermann Kellenben^-Paolo Prodi (Hg.), Fiskus, Kirche und Staat im konfessionellen Zeitalter, Berlin 1994. - Spindler-Kraus, Handbuch II § 87 und § 94; Hein^Dollinger, Studien zur Finanzreform Maximilians I. von Bayern in den Jahren 1598-1618, Göttingen 1968; LÖ»sjnner, Fürst 29 ff. und 93 ff. Nützlich ist auch die Systematik von Hans Schmerle, D e r Staatshaushalt des Herzogtums Bayern im 18. Jh., Stuttgart 1900, 251 ff.
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landesherrliche Finanz- und Steuerorganisation, die ihre Spitze in Hofkammer und Hofzahlamt hatte, war befaßt mit den unmittelbaren herzoglichen Einnahmen, den Kammergefallen. Diese summierten sich in der Hauptsache aus den Leistungen der landesherrlichen Bauern, also dem fürstlichen Kammer- oder Urbarsgut, und den Domänen, die in den herzoglichen Kastenämtern organisiert waren. Dazu kamen die Einnahmen aus den sog. nutzbaren Rechten oder Regalien, also dem Bergregal, Münzregal, Zollregal sowie den Strafgeldern und fiskalischen Gefallen. Besonders ergiebig zeigten sich, je länger desto mehr, die herzoglichen Monopolien, insbesondere die Erträgnisse aus Salzgewinnung und Salzhandel, die, wie erwähnt, seit dem Ende des 16. Jahrhunderts vollständig in landesherrlicher Verfügung standen. Der patrimonialen Staatsauffassung entsprechend, wie sie von Staatstheoretikern bis ins 17. Jahrhundert festgehalten wurde,59 sollte der Herzog aus den Kammergefällen, Regalien und Monopolien die gesamten Bedürfnisse des Hofes und des Staates finanzieren. Jedoch reichten diese Einnahmen in der Regel bei weitem nicht aus, teils weil durch unbedenkliches Gebahren der Herzöge vermeidbare Ausgaben entstanden, vor allem aber, weil Umfang und Zuwachs der Kammergefälle in keinem Verhältnis zu den rasch wachsenden staatlichen Ausgaben standen, die durch den Ausbau der Bürokratie und des Hofes oder durch außenpolitische Aktionen notwendig wurden. Die Herzöge waren daher auf Beisteuern der Untertanen angewiesen, die jedoch, wie erwähnt, auf den Landtagen von den Landständen bewilligt werden mußten.. Die wichtigste der von den Landständen bewilligten direkten Steuern war die Landsteuer.60 Sie wurde praktisch von der gesamten Bevölkerung entrichtet, ausgenommen der landständische Adel, die Prälaten und die Beamten. Sie wurde zunächst als ein Dreißigstel, dann ein Zwanzigstel des „Vermögens" gefordert61 und zunächst alle drei Jahre, seit Wilhelm V. aber sehr viel häufiger erhoben, als die herzoglichen Schulden enorme Höhen erreichten. Für die sechzehn Jahre zwischen 1577 und 1593 bewilligten die Stände zwölf Landsteuern, beim Landtag von 1594 wurden für die folgenden zwölf Jahre acht Landsteuern im voraus genehmigt. Die Landsteuer stellte damit eine erhebliche, freilich nicht mit modernen Steuerleistungen vergleichbare Belastung der Untertanen dar und war wohl nur infolge der günstigen AgrarkonHermann Schuld Das System und die Prinzipien der Einkünfte im werdenden Staat der Neuzeit (1600-1835), Berlin 1982; Stolleis, Pecunia 77 f., 107 ff. und öfter. 60 Vgl. als Beispiel die landständische Steuerinstruktion von 1554: Dokumente 1,3 Nr. 16. Einzelheiten zum System der direkten Steuern bei Schlögl\ Bauern 235 ff. 61 Wobei aber dieses Zwanzigstel angesichts der besonderen Modalitäten der Vermögenseinschätzung tatsächlich nur etwa ein Fünfzigstel des Gesamtvermögens ausmachte. 59
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junktur zu leisten, die sich aber gerade um die Jahrhundertwende abzuschwächen begann. Im übrigen ergaben sich die finanziellen Anforderungen nicht nur aus den Bedürfnissen des Territorialstaates, sondern auch aus denjenigen des Reiches; vor allem zur Türkenabwehr waren durch Bewilligungen der Reichstage und Kreistage nicht unerhebliche Summen aufzubringen. Erstmals 1526 gelang es den Herzögen, die Stände zu einer zweiten Steuer, einer eigenen Ständesteuer zu gewinnen (im Simplum 100 000 Gulden), zu der die Prälaten fünfzig Prozent, die Städte und Märkte vierzig Prozent, die Ritter aber nur zehn Prozent beitrugen, so daß der Adel praktisch doch als steuerfrei angesehen werden mußte, während die Städte als einzige sowohl Landwie Ständesteuer zu leisten hatten. Die Ständesteuer wurde wie die Landsteuer in bestimmten Abständen, aber doch weit weniger oft als diese bewilligt. Schließlich wurden von Zeit zu Zeit Ehehaltensteuern, von der römischen Kurie zu genehmigende Dezimationen des Klerus und des Kirchenguts, Kriegssteuern und anderes erhoben. Neben den direkten existierten mehrere indirekte Steuern, Verbrauchssteuern und Zölle, deren Geschichte bereits eingehend untersucht worden ist.62 Im Jahre 1542 (bzw. 1543) bewilligten die Stände erstmals den sog. Aufschlag,63 eine indirekte Steuer auf Wein und Bier, die später auf Nahrungsmittel ausgedehnt wurde. Der Aufschlag war ursprünglich nur zur Finanzierung eines begrenzten Projekts gedacht, jedoch konnten die Herzöge in der Folge seine Verlängerung und Erhöhung erreichen, wobei sie sich auch kaiserlicher Unterstützung bedienten. Die Erträge waren nunmehr explizit für die Schuldentilgung bestimmt. Eine weitere indirekte, nur in den Städten erhobene Steuer bildete das sog. Ungeld, eine Verbrauchssteuer auf Getränke, deren Erträge sich die Städte mit dem Herzog zu teilen hatten. Direkte und indirekte Steuern (außer dem Ungeld) flössen in die Landschaftskasse, die dadurch erhebliche regelmäßige Einnahmen erhielt. Aus der gut gefüllten Kasse wurden die Herzöge zunächst nur von Fall zu Fall bedient, wenn sie auf den Landtagen die Stände um Zuschüsse zu den unzureichenden Kammergutsgefällen oder um die Übernahme herzoglicher Schulden baten. Dabei hatten sie den Bedarf ausdrücklich als notwendig nachzuweisen. Um solchen lästigen und zeitraubenden Verhandlungen zu entgehen, bei denen die Stände Gegenforderungen zu stellen pflegten, bemühte sich Albrecht V., aus den Erträgen des Aufschlags eine regelmäßige Beihilfe, eine sog. ständige Kammergutsaufbesserung zu erhalten. Tatsächlich Dollinger, Finanzreform 179 ff. « Ebenda 184 ff. 62
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gelang es ihm beim Landtag von 1557, die Stände zu einem regelmäßigen jährlichen Zuschuß aus dem Aufschlag zu bewegen, der zunächst 40 000 fl., in den letzten Jahren Albrechts aber 150 000 fl. betrug. Als Gegenleistung wurde dem Adel die bereits erwähnte Edelmannsfreiheit zugestanden. Der Aufschlag bildete damit auch ein Instrument der Herzöge, sich der Abhängigkeit von den Landständen zu entwinden, die ihrerseits bereit waren, wie das Tauschobjekt Edelmannsfreiheit erwies, korporative Rechte zugunsten von Sonderinteressen preiszugeben. Ungeachtet der Kammergutsaufbesserung überstiegen jedoch die herzoglichen Ausgaben weiterhin regelmäßig die Einnahmen, weshalb die Stände in Abständen um die Übernahme der angesammelten Schulden angegangen werden mußten. Unter Albrecht V. übernahmen die Landstände auf diese Weise im Laufe von drei Jahrzehnten zu Verzinsung und Tilgung rund 3,3 Millionen Gulden, unter Wilhelm V. im Laufe von fünfzehn Jahren (bis 1593) rund 3,9 Millionen Gulden.64 Dies ergibt, auf die Jahre 1550-1593 verteilt, einen jährlichen Durchschnitt von 170 000 Gulden, zusammen mit der Kammergutsaufbesserung einen durchschnittlichen jährlichen Zuschuß der Landstände von 250 000-300 000 Gulden. Er war angesichts des Charakters der zugrundeliegenden Steuern vornehmlich von den breiten Bevölkerungsschichten, nicht von den Landständen selbst, aufzubringen. Der allmähliche Übergang von mittelalterlichen Verhältnissen zum zentralisierten Fürstenstaat verlangte auch eine Vereinheitlichung des Rechts, zumindest übersichtliche Texte, die numehr in gedruckter Form allen Beamten und Gerichten im Territorium an die Hand gegeben werden konnten. In den 1505 vereinigten Landesteilen galt unterschiedliches Recht.65 Im größten Teil Oberbayerns waren noch das Stadtrecht und das Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern in Kraft. In Niederbayern galt dagegen die Rechts-, Gerichts- und Landespolizeiordnung von 1501, welche ebenso wie die Gesetzbücher Kaiser Ludwigs Zivil-, Straf- und Prozeßrecht beinhaltete, ebenso auch verwaltungsund polizeirechtliche Normen. Durch die Landesvereinigung von 1505 wurde eine Rechtsvereinheitlichung notwendig, die im Zusammenwirken von fürstlichen Räten und Vertretern der Landstände erarbeitet worden ist. 1516 wurl^an^inner, Fürst 43. Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Band 11,2, München 1976, 406 ff. (Quellen und Literatur); Spindler-Kraus, Handbuch II §§ 84 und 93 mit weiterer Literatur; Reinhard Heydenreuter, Rechtspflege im Her20gtum Bayern in der Mitte des 16. Jh.s, in: Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988-1990), Frankfurt a. M. 1991, 262-286; vgl. auch unten Kap. 9. 64 65
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de eine Neuredaktion der „Erklärung der Landesfreiheiten" herausgebracht, welche überwiegend die Sonderrechte des Adels und der Stände insgesamt fixierte und die starke Position der Landstände in den Anfängen Wilhelms IV. widerspiegelte. Im Jahre 1518 erschien die „Reformation der baierischen Landrechte ,66 die das Landrecht Kaiser Ludwigs revidierte und erweiterte, wobei römisch-rechtliche Einflüsse hervortraten. Diese Landrechtsreformation beinhaltete ganz überwiegend Zivil- und Strafrecht. Das Prozeßrecht erfuhr eine Neubearbeitung im Jahre 1520 in der Gerichtsordnung für Oberund Niederbayern, einem der frühesten und bedeutendsten Denkmäler der Übernahme römisch-kanonischer Rechtsformen in das deutsche Recht. Die Gerichtsordnung galt für das ganze wiedervereinigte Herzogtum, während es trotz mancher Bemühungen nicht gelungen ist, das Landrecht von 1518 wesentlich über Oberbayern auszudehnen. Von großer Bedeutung war, daß aus beiden Kodifikationen verwaltungsund polizeirechtliche Materien überwiegend ausgeschieden und in einem eigenen Gesetzbuch zusammengefaßt wurden, der „Landes- oder Polizeiordnung" von 1516;67 von mehreren Neuredaktionen der Folgezeit war diejenige von 1553 am wichtigsten,68 die nach mehrfachen Verhandlungen mit den Landständen unter Berücksichtigung der beiden Reichspolizeiordnungen von 1530 und 1548 aufgelegt wurde. Der Erlaß der Landes- und Polizeiordnung von 1516 war Ausdruck einer allgemeineren Entwicklung seit dem späten Mittelalter, nämlich der schon besprochenen Ausbildung der fürstlichen Landesherrschaft durch Bündelung und Konzentration von Herrschaftsrechten und deren konsequenter Anwendung. Das Monopol legitimer Gewaltanwendung, das der Fürst für sich in Anspruch nahm, beinhaltete auch eine fürstliche Rechtsetzungskompetenz, die von den Landständen kaum bestritten wurde. Sie äußerte sich in wachsender Gesetzgebungstätigkeit der Herzöge seit der Mitte des 15. Jahrhunderts,69 zu der die Landstände oder auch nur der Landschaftsausschuß zunehmend weniger beigezogen wurden. Sie realisierte sich in Landgeboten, Polizeiordnungen, Landesordnungen, in denen, unter Ausscheidung anderer Materien, charakteristisch Rechtsmaterien behandelt wurden, die in moderner Sicht zum Bereich des Polizeirechts zählen. Diese Gesetzgebung zielte auf „gute Polizey" im Sinne des 16. Jahrhunderts, d.h. Kritische Ausgabe von Wolfgang Kunkel (Hg.), Landrechte des 16. Jh.s (Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands, Band I, 2. Halbband), Weimar 1938. 67 Kritische Ausgabe von Gustav Κ Schmel^eisen (Hg.), Polizei- und Landesordnungen (Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands, Band II, 1. Halbband), Weimar 1968. 68 Dokumente 1,3 Nr. 12 (Einleitung und Inhaltsverzeichnis). 69 Willoweit, Entwicklung 76 f.; Schlosser, Rechtsetzung.
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auf Herstellung und Erhaltung eines Zustandes guter Ordnung des Gemeinwesens zu Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt.70 Solche Zielsetzungen waren in den Städten bereits in mancherlei Ordnungen und Normensetzungen anvisiert worden. Durch die herzoglichen Polizeimandate und -Ordnungen wurden sie in erweiterter und differenzierter Form auf den sich ausbildenden Territorialstaat erstreckt, besonders detailliert in der Landesordnung von 1553. Der Fürstenstaat begann die Lebenswelt der Untertanen in einem ständig sich weitenden Umfang mit Vorschriften zu normieren. Die ursprüngliche staatliche Zielsetzung der Rechts- und Friedenswahrung im Territorium wurde ausgeweitet auf die Normierung von Verhalten und Betätigung der Untertanen überhaupt, im Interesse des vom Fürsten definierten „bonum commune", des Gemeinwohls, des „gemeinen Nutzens". Beruf, Zucht und Sitte, Lektüre, Kleidung, wirtschaftliche Betätigung und vieles mehr unterlagen zunehmend der obrigkeitlichen Vorschrift, die zu bevormunden und zu nivellieren suchte. Insbesondere wandte sich die Aufmerksamkeit der Obrigkeit der religiösen Praxis der Untertanen zu. Allerdings stand sie prinzipiell vor dem Problem der Akzeptanz ihrer Vorschriften, weshalb charakteristischerweise immer neue Mandate und Einschärfungen früherer Mandate erlassen werden mußten. Aufs Ganze veränderte die Politik guter Polizei das Verhältnis von Fürst und Land in mehrfacher Hinsicht. Sie verstärkte die fürstliche Position gegenüber bisher autonomen Bereichen im Lande, kirchlichen Institutionen, genossenschaftlichen Gebilden, deren Autonomie in Frage gestellt und deren Einfluß beschnitten wurde. Gleichzeitig erfüllte sich das Fürstentum selbst mit einem neuen Ethos, das in patriarchalischen Formen auf das leibliche Wohl der Untertanen gerichtet war und hierdurch auch veranlaßt war, die bescheidenen Fundamente einer staatlichen Sozialpolitik zu legen. Auch die kirchlichen Institutionen suchten die Herzöge in den werdenden Territorialstaat unter fürstlicher Leitung einzubinden.71 Die Kirche im Herzogtum Bayern institutionalisierte sich in vielen hundert Pfarreien, Filial- und Nebenkirchen, rund hundert Klöstern und Stiften unterschiedlicher Ordensgemeinschaften und zahlreichen geistlichen Stiftungen. Sie war für Land und Landesfürsten sowohl kraft ihrer geistlichen wie ihrer ökonomischen Potenz von Bedeutung. In organisatorischer Hinsicht gehörte sie großenteils dem Erzbistum Salzburg sowie den Bistümern Freising, Regensburg, Passau und 70
Willoweit, Entwicklung 121 ff.; Georg-Christoph v. Unruh, Polizei, Polizeiwissenschaft und Kameralistik, in: Jeserich (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte I, 388-427. 71 Spindler-Kraus, Handbuch II § 100 mit weiterer Literatur; Brandmiiller, Handbuch II §§ 4 und 5.
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Chiemsee der Kirchenprovinz Salzburg an, zu einem kleineren Teil den Bistümern Augsburg und Eichstätt der Kirchenprovinz Mainz.72 Die zuständigen Bischöfe waren der herzoglichen Gewalt nicht unterworfen, sondern selbst zu Reichsfürsten aufgestiegen. Sie wirkten aber kraft ihrer geistlichen Vollmachten über die kirchlichen Institutionen ihrer Bistümer in das bayerische Territorium hinein, und auch diese Institutionen selbst, vor allem die Klöster, waren auf möglichste Unabhängigkeit gegenüber den weltlichen Amtsträgern bedacht. Deren Ziel aber war es gerade, die bischöfliche Einwirkung von außen abzuschneiden und die geistlichen Einrichtungen im Lande staatlicher Kuratel zu unterwerfen: „Princeps papa in terris suis." In Verfolg dieser Zielsetzung hatten die bayerischen Herzöge schon im 15. Jahrhundert fast die ganze Zivilgerichtsbarkeit und einen guten Teil der Strafgerichtsbarkeit über Kleriker an sich gezogen, die ältere Steuerfreiheit des Klerus beseitigt, zur Besetzung kirchlicher Pfründen den landesherrlichen Konsens gefordert und die Oberaufsicht über die Ortskirchenvermögen beansprucht.73 Es war dann die Ausnahmesituation der Kirche im Zeitalter der Glaubensspaltung, welche diesen und anderen Rechten noch sehr viel weiter gehende Befugnisse hinzugefügt hat.74 Die Herzöge zögerten nicht, im Interesse der von den Bischöfen nur mit Vorbehalten angegangenen Katholischen Reform in bischöfliche Kompetenzen einzugreifen. Sie nützten es aus, daß die revolutionären Zeiten gestatteten, neben aller Parteinahme und Hilfe für die alte Kirche die staatlichen Kirchenhoheitsrechte zu erweitern, bischöfliche Interventionen aus dem Territorium möglichst auszuschließen, den modernen Untertanenbegriff auch auf den Klerus anzuwenden und also auch auf diesem Gebiete die Staatseinheit voranzubringen. Als Vorbild dienten auch die protestantischen Reichsstände, die als Summepiskopi ein unumschränktes Kirchenregiment übten und im Zusammenhang damit ebenfalls mancherlei territorialpolitischen Interessen nachgingen. Den Ausgangspunkt für die bayerischen Herzöge bildeten drei Privilegien Papst Hadrians VI. von 1523, die zu Klostervisitationen, zu einer Sondersteuer auf den Klerus (Türkenquint), zur Ausübung der Strafgerichtsbarkeit über diie Kleriker ermächtigten sowie herzogliche Nominationsrechte auf eine große Zahl von Pfründen gewährten. Solche und weitere kirchliche Zugeständnisse waren nur möglich, 72
Spindler-Diepolder, Geschichtsatlas Karte 26/27; Spindler-Kraus, Handbuch 111,1 §§ 29-33. Helmut Kankl, Das vorreformatorische landesherrliche Kirchenregiment in Bayern (13781526), München 1971; Brandmüller; Handbuch II § 1. 74 Georg Pfeilschifter, Acta reformationis catholicae ecclesiam Germaniae concernantia saeculi sexti decimi. Die Reformverhandlungen des deutschen Episkopats von 1520-1570, 6 Bände, Regensburg 1959-1974, auch fur das Folgende; Brandmüller, Handbuch II § 3. 73
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weil sich Rom der Unentbehrlichkeit des weltlichen Armes in dem Existenzkampf der deutschen Kirche bewußt war. Die nicht selten schroff gehandhabte staatskirchliche Praxis der Herzöge rief naturgemäß den Protest und den Widerstand der Bischöfe hervor. Angesichts dessen steuerte die Römische Kurie lange Jahre eine vertragliche Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche im Herzogtum Bayern an. Das Ergebnis entsprechender Verhandlungen war das Konkordat vom 5. September 1583 zwischen Herzog Wilhelm V., dem Erzbischof von Salzburg und den Bischöfen von Freising, Regensburg, Passau und Chiemsee.75 Wenn dabei der fromme Wilhelm V. wohl zu größeren Zugeständnissen an die Kirche bereit gewesen wäre, so war es das hohe Beamtentum, das an den traditionellen Grundsätzen der bayerischen Kirchenpolitik nicht rütteln ließ und seine Forderungen auch begründete: Wenn die Bistümer noch nicht verschlungen, die Klöster noch nicht verschwunden, die Altäre noch nicht zerstört seien, Bayern fast allein in Deutschland noch ein katholisches Land sei, so sei dies nächst Gott den Herzögen Wilhelm IV. und Albrecht V. zu verdanken. Das Konkordat war ein Kompromiß mit mancherlei Vorteilen fur die staatliche Seite. Die Strafgerichtsbarkeit über Kleriker wurde zwar wieder eindeutig den geistlichen Gerichten zugesprochen. Aber fast alle jene staatskirchenrechtlichen Befugnisse der Herzöge, die bisher nur auf einseitiger Gesetzgebung bzw. Praxis beruht hatten, wurden jetzt legalisiert, insbesondere bezüglich der Besteuerung des Klerus, der Aufsicht über die kirchliche Vermögensverwaltung, der Pfründenzuweisung, der Beaufsichtigung und Bestätigung der Prälatenwählen. Auf dem Konkordat und einigen Ergänzungsrezessen späterer Jahrzehnte beruhte das gesamte bayerische Staatskirchenrecht des 17. und 18. Jahrhunderts. Maximilian I. sollte sich seine mannigfachen Möglichkeiten in teilweise rigorosen Formen zunutze machen.
Brandmüller, Handbuch II § 5 c; Dokumente 1,3 Nr. 95 (Gravamina der Geistlichen), Nr. 96 (Gutachten über die bayer. Staatskirchenhoheitsrechte), Nr. 97 (Zusammenstellung über Verfehlungen der Priester) und Nr. 100 (Konkordatstext). 75
3. Die Vorfahren1 Als am 5. Juli 1597 die Jesuitenkirche St. Michael in München die kirchliche Weihe erhielt, erblickten die Teilnehmer des feierlichen Aktes auf der weitflächigen Kirchenfassade über der monumentalen Erzgestalt des Hl. Michael nicht etwa Figuren christlicher Heiliger, sondern ein Standbild des Erbauers, Herzog Wilhelms V., das von den Figuren von fünf Kaisern umgeben war, Karl dem Großen, Ludwig dem Bayern, Maximilian I., Karl V. und Ferdinand I.2 In dieser Plazierung manifestierte sich zunächst das Selbstbewußtsein Wilhelms, einen gesicherten Platz in der Geschichte der römischen Kirche einzunehmen, weil seine konfessionspolitische Maxime gewesen war (wie später im Umkreis seines Sohnes Maximilian formuliert werden sollte): „Dasselbe tuen, was Carolus Magnus getan, wie er eben die selbe Land a paganismo ad ödem catholicam gebracht."3 Im Bildprogramm spiegelte sich aber auch das Selbstverständnis der Wittelsbacher vom Zusammenhang ihres Hauses mit den großen Dynastien Europas bis zurück zu Karl dem Großen. Die Anschauung von einer Ahnherrschaft Karls des Großen wurde von den bayerischen Herzögen und ihren Hofhistoriographen entschieden und bewußt vertreten, weil „uraltes kaiserliches, königliches und fürstliches Herkommen" (wie es im Testament Maximilians von 1641 heißt), Alter des Geschlechts und hohe Verwandtschaft in den Augen der Zeitgenossen ebenso politisches Gewicht besaßen wie ökonomische oder militärische Ressourcen. Tatsächlich war die Dynastie Wittelsbach,4 wenn sie auch nicht bis zu den 1 Rie^ler, Geschichte IV; Doeberl, Entwicklungsgeschichte I; Spindler-Kraus, Handbuch II; Brandmüller, Handbuch II; Schwaiger., Monachium Sacrum I; Dokumente 1,2 (Ay) und 3 (Ziegler); sämtliche mit weiterführender Literatur. 2 Karl Wagner - Albert Keller (Hg.), St. Michael in München. Festschrift zum 400. Jahrestag der Grundsteinlegung und des Wiederaufbaus, München und Zürich 1983; Heins^Jürgen Sauermost., Zur Rolle St. Michaels im Rahmen der wilhelminisch-maximilianeischen Kunst, in: GR 1,167-174. 3 Äußerung Leukers, BA NF 11,3 Nr. 334. Die von den Jesuiten Rader und Gretser verfaßte Festschrift zur Weihe der Michaelskirche rühmte Wilhelm V. als zweiten Kaiser Konstantin: Sabine M. Schneider; Bayerisch-römisches Siegeszeichen. Das Programm der Münchener Michaelskirche und seine zeitgenössische Rezeption aus der Perspektive der Einweihungsfestschrift, in: Baumstark (Hg.), Rom in Bayern 171-198. Vgl. auch unten Anm. 44. 4 Preß, Kriege 18 ff.; Hermann Weber., Die Bedeutung der Dynastien für die europ. Geschichte in der frühen Neuzeit, in: ZBLG 44 (1981), 5-32; Andreas Kraus, Das Haus Wittelsbach und
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Karolingern zurückreichte, bereits im 16. Jahrhundert mit den großen Dynastien Europas durch Konnubium vielfach verknüpft und damit eingebunden in jenes verzweigte familiale System, das über Jahrhunderte eine Konstante und zugleich einen Machtfaktor in der monarchisch bestimmten Staatenwelt Europas gebildet hat. Mit dem Instrument der Heiratsverbindung suchten die Dynastien auf eine im Grund archaische Weise konkrete politische Ziele zu verwirklichen, Festigung und Erweiterung von Hausmacht, Begründung von Bündnissen, Gebietserwerb, wiederholt auch Besiegelung von Friedensschlüssen. „Die Dynastie selbst wirft sich in die Waagschale der Geschichte" (H. Weber). Der große Aufwand, der zur Ausgestaltung der fürstlichen Hochzeiten eingesetzt wurde, etwa 1568 bei der Vermählung der Eltern Maximilians, hatte in starkem Maße eine politische Funktion und signalisierte Bedeutung und Gewicht der dynastischen Verbindung. Allerdings garantierten dynastische Beziehungen nicht dauernde Konfliktlosigkeit zwischen den betreffenden Staaten und oft genug überspielten unmittelbare politische Interessen die dynastischen Gemeinsamkeiten. Dennoch bildeten die Dynastien bemerkenswerte Klammern und Stabilitätsfaktoren in der auseinanderstrebenden Staatenwelt der Frühen Neuzeit und trugen dazu bei, freilich mit abnehmendem Erfolg, daß es zu einem Äußersten in den Auseinandersetzungen der Staaten nicht kommen konnte. Daß die Dynastie Wittelsbach in besonders vielen Familienverbindungen stand,5 lag vor allem an den mannigfachen Verzweigungen des Hauses seit der Teilung des frühen 14. Jahrhunderts in die zwei großen Linien Ludwigs des Bayern und seines Bruders Rudolf. Allerdings verengte sich die Linie Kaiser Ludwigs seit der Vereinigung der Teilherzogtümer 1505 auf nur einen Hauptast, die Münchener Wittelsbacher, und für diesen war seit der Reformation aus konfessionellen Gründen der deutsche Heiratsmarkt sehr eingeengt. Notwendigerweise verstärkte sich dadurch die Verbindung mit der ebenfalls katholisch gebliebenen Dynastie Habsburg, die ohnehin nach Alter und Tradition und als Träger der Kaiserkrone für die bayerische Politik von hohem Interesse war. Den deutschen Habsburgern ihrerseits galten nur die Wittelsbacher als ebenbürtige Heiratspartner im Kreis der deutschen Fürsten und damit als zweite Dynastie des Reiches. Natürlich spielte auch die räumliche Nachbarschaft zwischen den beiden Häusern eine Rolle, sie erleichterte Europa: Ergebnisse und Ausblick, ebenda 425-452; Eberhard Weis, Das Haus Wittelsbach in der europ. Politik in der frühen Neuzeit, ebenda 211-232; LudivigHiittl, Das Haus Wittelsbach. Die Geschichte einer europ. Dynastie, München 1980. 5 Vgl. die genealogischen Tafeln 1-3 in Spindler-Kraus, Handbuch II sowie bei Dottenveich, Maximilian 188 ff.
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das Kennenlernen, so daß bei den wittelsbachisch-habsburgischen Hochzeiten neben allem politischen Kalkül immer wieder auch persönliche Zuneigung die Bindung verfestigt hat.6 Schon Ludwig der Bayer war der Sohn einer Habsburgerin gewesen; Albrecht IV. hatte 1485 Kunigunde, eine Tochter Kaiser Friedrichs III., geheiratet. Die Vermählung Albrechts V. im Jahre 1546 mit Anna von Österreich, der Tochter König Ferdinands I. und Nichte Kaiser Karls V., war angesichts der Situation unmittelbar vor dem Schmalkaldischen Krieg von besonderem politischen Gewicht; durch eine Klausel des Heiratskontrakts (auf die auch Maximilian bei seiner Heirat mit der Erzherzogin Maria Anna 1635 zurückgriff) schien sie auch eine leise Aussicht auf die Erbfolge in Österreich zu eröffnen. Albrechts und Annas Tochter Maria heiratete 1571 Erzherzog Karl II. von Steiermark,7 damals noch aus einer habsburgischen Seitenlinie, die aber mit Karls und Marias Sohn Ferdinand zur Hauptlinie der deutschen Habsburger wurde und im Jahre 1619 zur Kaiserkrone gelangte. In dieser Generation wurde überhaupt die engste Verbindung der beiden Linien erreicht,8 denn Maximilian war nicht nur ein leiblicher Vetter Ferdinands, er wurde auch durch die Heirat seiner Schwester Maria Anna mit Ferdinand dessen Schwager und schließlich durch seine eigene Heirat mit deren beider Tochter Maria Anna dessen Schwiegersohn. Durch die Heirat Wilhelms V. mit Renata von Lothringen und diejenige Maximilians in erster Ehe mit seiner Cousine Elisabeth von Lothringen verschwägerten sich die Wittelsbacher auch mit den Königen von Frankreich, Dänemark Schottland und Spanien. Maximilians Schwiegermutter Claudia von Lothringen war eine Tochter Heinrichs II. von Frankreich, dessen Bruder Franz mit Maria Stuart und dessen Schwester Elisabeth mit Philipp II. von Spanien verheiratet war. Die sich überkreuzenden Verbindungen vor allem mit den Habsburgern hatten für die späteren Generationen zahlreiche gemeinsame Ahnen zur Folge und führten daher auch zu einem bemerkenswerten Ahnenschwund. So erscheinen in der Ahnenreihe Maximilians jeweils mehrfach Rudolf von Habsburg, Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, Karl der Kühne und Maria von Burgund, Kaiser Friedrich III. und Eleonore von Portugal, auch Barnabas Visconti von Mailand. In den Fürstenporträts der Gemäldesammlungen des Hauses Wittelsbach treten manche dieser Verzweigungen und das Bewußtsein ihres hohen Ranges und ihrer politischen Bedeutung auch heute noch eindrucksvoll vor Augen. Karl Vocelka, Habsburgische Hochzeiten 1550-1600, Graz 1976,17. Ebenda 47 ff. 8 Günther Cenvinka, Die polit. Beziehungen der Fürstenhöfe zu Graz und München im Zeitalter des konfessionellen Absolutismus 1564-1619, Phil. Diss. Graz 1966; Wittelsbacherbriefe I-VIII. 6
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So weit freilich durch diese Heiraten sich das Netz verwandtschaftlicher Beziehungen der Wittelsbacher über Europa spannte, so eng fühlten sich doch die Frauen, durch deren persönliches Opfer die politischen Verbindungen zustandekamen, durch ihre Heirat der neuen Familie zugehörig und einverleibt. Maximilians Tante Maria von Steiermark, die sich fortwährend politischen Rat bei ihrem Bruder Wilhelm V. in München zu holen pflegte, betrieb doch nur so lange eine bayernfreundliche Politik, bis in der Frage der Besetzung süddeutscher Hochstifter die Interessen ihrer eigenen Söhne mit denen ihrer bayerischen Neffen zusammenstießen. 1645 sah sich Maximilians zweite Gemahlin Maria Anna, eine Schwester Kaiser Ferdinands III., aus politischen Erwägungen veranlaßt, die Bedeutung ihrer habsburgischen Herkunft gegenüber Königin Anne von Frankreich abzuschwächen; man wisse doch, daß man, ohne die Dynastie zu hassen, aus der man komme, sich alsbald völlig mit den Interessen der Dynastie identifiziere, in die man eingeheiratet habe, und daß die Liebe zu den eigenen Kindern jede andere Bindung verdränge.9 Maria Anna rechnete mit Verständnis, da die französische Königin ihrerseits eine Schwester König Philipps IV. von Spanien war. Die Raison der neuen Familie bildete die Richtschnur für die eingeheirateten Frauen. Umsomehr galt für die Fürsten selbst, daß die dynastische Verbindung zwar gesucht und gepflegt und auch geschätzt wurde, daß sie aber ohne größere Bedenken auch vernachlässigt werden konnte, falls stärkere Interessen hierzu rieten. So wußte Maximilian in seiner langen Regierungszeit sehr wohl zu unterscheiden zwischen Ferdinand II. als kaiserlichem Lehensherrn, auf den er reichsrechtlich begründete Rücksicht zu nehmen hatte, Ferdinand als Haupt des Hauses Österreich, dessen machtpolitisches Gewicht zu kalkulieren war, und Ferdinand als nahem Verwandten, dem im Eventualfall die Interessen der bayerischen Politik nicht geopfert zu werden brauchten. Während des ganzen 16. Jahrhunderts10 standen die Vorgänger Maximilians im Herzogtum - die Herzöge Wilhelm IV. (1508-1550), Albrecht V. (1550-1579) und Wilhelm V. (1579-1598) - gleichen oder ähnlichen Hauptproblemen gegenüber, wie sie sich aus den großen Tendenzen und Bewegungen des Zeitalters ergaben. Verfassungs- und machtpolitisch ging es um die Behauptung und den Ausbau der landesfürstlichen Unabhängigkeit nach außen gegenüber dem habsburgischen Kaisertum und nach innen gegenüber dem landständischen Erwähnt in Königin Anne an Longueville etc., 31.8.1645: APW II Β 2, 642 f. Neueste Literatur und zusammenfassende Darstellung für die deutsche Geschichte durch Rabe, Geschichte.
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Adel. Die Auseinandersetzungen des Stammes- und Territorialfürstentums mit der Kaisergewalt waren durch die Jahrhunderte ein zentrales Thema auch der bayerischen Geschichte gewesen, von Tassilo III. über Heinrich den Löwen bis zu Herzog Albrecht IV. Im Spätmittelalter hatten sie sich mit der Konkurrenzsituation gegenüber dem Haus Habsburg und dem benachbarten Österreich verbunden, das einst auf Boden des bayerischen Herzogtums gegründet worden war. Gerade unter Kaiser Maximilian I. hatten die Gegensätze einen neuen Höhepunkt erreicht, zu erneuten Landabtretungen gezwungen und schließlich, nach dem Tode Albrechts IV., zu weitgehender Abhängigkeit vom Haus Habsburg geführt. Der Politik möglichster Unabhängigkeit nach außen, die allerdings niemals auf vollständige Souveränität und Trennung vom Reich zielte, korrespondierte das Streben nach Emanzipation der fürstlichen Gewalt innerhalb des Herzogtums, gegenüber den Landständen, insbesondere dem landständischen Adel. Es ging um die Durchsetzung des herzoglichen Gewaltmonopols, gerade aufgrund der Erfahrungen, die in den Jahren der Minderjährigkeit Wilhelms IV. mit den Autonomiebestrebungen der Landstände und ihrem Anspruch auf Mitregierung gemacht worden waren. Von diesen Auseinandersetzungen war bereits die Rede. Zu diesen allgemeinpolitischen Fragen trat seit 1521 das zentrale kirchenpolitische Problem der Stellungnahme gegenüber Luthertum und Täufertum im Herzogtum selbst und im weiteren Rahmen der Reichspolitik. Die allgemeinen geistesgeschichtlichen und sozialgeschichtlichen Voraussetzungen, welche die Akzeptanz der lutherischen Bewegung begünstigten, lagen im Herzogtum Bayern nicht anders als in anderen großen deutschen Territorien, von einer stammesmäßig begründeten Aversion der bayerischen Bevölkerung gegenüber dem Luthertum konnte nicht die Rede sein. Entsprechend hat die Reformationsbewegung auch Bayern ergriffen, in Ansätzen in den zwanziger Jahren, in breiterem Umfang um die Jahrhundertmitte. Sie erfaßte vor allem Teile des Adels und der städtischen Bevölkerung, in der Form des Luthertums und des Täufertums, aber auch in unbestimmteren Forderungen nach Änderung und Reform der alten Kirche, wie sie einem seit dem Spätmittelalter verbreiteten allgemeinen Reformverlangen entsprachen. Die Frage war, wie sich die staatliche Gewalt gegenüber der anschwellenden Strömung verhalten würde. Die Frage komplizierte sich, insoferne sie sich mit dem Problem der religiösen Haltung des politisch opponierenden landständischen Adels verband und zugleich mit dem Problem der konfessionellen Ausrichtung der reichsfürstlichen Opposition gegen das habsburgische Kaisertum unter Karl V.
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Was das Verhältnis zu den Habsburgern betraf, so verband zwar die eindeutige Haltung Wilhelms IV. und seines Hauptberaters Leonhard von Eck gegenüber der lutherischen Reformation Bayern und Österreich zu gemeinsamer Kirchenpolitik und zu gemeinsamer Frontstellung gegenüber den neugläubigen Reichsfürsten. Aber durch die Reichspolitik Kaiser Karls V., welche in den Augen Wilhelms IV. und Ecks die Gefahr eines „spanischen Dominats" zu beinhalten schien, und durch die zeitweilige Bereitschaft der Habsburger zu kirchenpolitischen Zugeständnissen wurde diese Übereinstimmung immer wieder Belastungen ausgesetzt. Den Plan Karls V., seinen Bruder Ferdinand „vivente imperatore" zum Römischen König wählen zu lassen, suchte Wilhelm IV. seit 1524 zu konterkarieren, indem er mithilfe der reichsfürstlichen antihabsburgischen Opposition seine eigene Kandidatur ins Spiel brachte. Die Differenzen mit den Habsburgern verstärkten sich, als Ferdinand 1526 wiederum gegen wittelsbachische Ansprüche zum König von Böhmen und schließlich 1531 zum Römischen König gewählt wurde. So führte der antihabsburgische Affekt die bayerische Politik im Bündnis von Saalfeld an die Seite der Führer des deutschen Protestantismus, Kursachsen und Hessen, und 1532 in den ebenfalls antikaiserlich akzentuierten Allianzvertrag von Scheyern mit Franz I. von Frankreich. Wenn Wilhelm IV. und Leonhard von Eck dann als Ergebnis einer überaus doppeldeutigen Politik im Linzer Vertrag von 1534 mit Karl und Ferdinand die erste Periode einer bayerischen Fronde gegen die Habsburger beendeten, so wurden damit ihre Beziehungen zur innerdeutschen und europäischen Opposition nicht abgebrochen. „Der strukturelle Gegensatz des bayerischen Territorialstaates zu den Positionen und Zielen Habsburgs war zu tief, als daß er, solange Karl V. herrschte, durch die Solidarität der kirchlichen Ziele hätte ganz überwunden werden können."11 Aber selbst die Übereinstimmung in den kirchlichen Zielsetzungen war nicht mehr gegeben, als Karl V. zu Beginn der vierziger Jahre in einer Serie von Religionsgesprächen zu religionspolitischen Zugeständnissen bereit schien, wogegen die bayerische Politik mit einer sich verschärfenden Oppositionshaltung reagierte. Erst der Entschluß des Kaisers zu militärischem Vorgehen gegen den deutschen Protestantismus, verbunden mit erheblichen politischen Zugeständnissen und Versprechungen für Bayern im Regensburger Vertrag von 1546, näherte die beiden Partner wieder einander an. Daß aber das Verhältnis immer noch labil und von den wechselnden Situationen abhängig blieb, bezeugte der Widerstand Wilhelms IV. und Ecks nach dem Schmalkaldischen Krieg gegen den Plan Karls V. eines „Reichs11
Spindkr-Kraus, Handbuch II, 360.
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bundes" zur Stärkung der kaiserlichen Zentralgewalt, und ebenso auch gegen seinen Versuch, mit dem Augsburger Interim eine Übergangslösung in der Religions frage auch ohne Konzil zu finden. Auch Herzog Albrecht V. widersetzte sich zwischen 1550 und 1555 der Kriegspolitik Karls V. und dessen erneuten Versuchen zur Gründung eines Reichsbundes. Er fand sich aber nach der Abdankung Karls zur Zusammenarbeit mit der gemäßigteren Reichs- und Religionspolitik Kaiser Ferdinands I. bereit, die sich zunächst im Augsburger Religionsfrieden und seit 1556 in der Mitwirkung an dem gemischtkonfessionellen Landsberger Bund äußerte. Dem sog. Kompromißkatholizismus Kaiser Maximilians II. und der nicht eindeutigen Religionspolitik Kaiser Rudolfs II. konnten allerdings weder Albrecht V. noch sein Nachfolger Wilhelm V. etwas abgewinnen. Vielmehr fühlten sich beide veranlaßt, angesichts der engen Verknüpfung der kirchlichen Verhältnisse in Bayern und Österreich und des Vorbildcharakters der kaiserlichen Politik für das Reichsganze gegen alle Aufweichungstendenzen der Habsburger Widerstand zu leisten und durch entsprechende Einflußnahmen ihre strikten religionspolitischen Vorstellungen auch in den österreichischen Erblanden und im Reich zu behaupten. 1571 gingen die ersten Jesuiten von München nach Graz und im gleichen Jahr kam die religionspolitisch folgenreiche Vermählung von Albrechts Tochter Maria mit Erzherzog Karl von Steiermark zustande. Tatsächlich waren die Münchner Wittelsbacher um diese Zeit bereits zu den wichtigsten und entschiedensten Vertretern von Gegenreformation und Katholischer Reform im Reich geworden und hatte ihre Residenzstadt München bereits den Rang und das Ansehen eines deutschen Rom erlangt. Die bayerische Politik gegenüber der lutherischen Bewegung12 war seit dem Wormser Edikt gegen Luther vom Mai 1521 eindeutig und wie selbstverständlich gewesen. Sie entsprach auch der Haltung der meisten anderen Reichsfürsten um diese Zeit. Die sofortige Publikation des Edikts im Herzogtum war eine logische Konsequenz des kirchlichen Selbstverständnisses Herzog Wilhelms IV., das auf Einheit der Kirche abgestellt war, und zahlreicher Traditionslinien des Herzogtums. In diesem Sinne bedurfte es keiner „Entscheidung" für die alte Kirche, vielmehr ergab sich aus diesen Prämissen zwanglos das kirchenpolitische Aktionsprogramm, das von Wilhelm und Spindler-Kraus, Handbuch II §48; Brandmüller, Handbuch II, 11 ff.; Anton Scbindling-Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650, Band 1: Der Südosten, Münster 1989; Schwaiger, Monachium Sacrum I, 72 ff. Neue Gesichtspunkte bei Walter Ziegler, Territorium und Reformation. Überlegungen und Fragen, in: Hist. Jahrbuch 110 (1990), 52-75. 12
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seinem Mitregenten Herzog Ludwig bei der Grünwalder Konferenz vom Februar 1522 beschlossen wurde. Es beinhaltete, sich jeder Ausbreitung des Luthertums und Täufertums im Herzogtum zu widersetzen, eine gleiche Politik nach Möglichkeit auch im Reich zu verfolgen sowie in Zusammenarbeit mit den süddeutschen Bischöfen die innerkirchliche Reform voranzubringen. Die enge Verbindung von Religionszwang und Kirchenreform wurde zum Charakteristikum der bayerischen Religionspolitik des ganzen 16. Jahrhunderts und später auch Maximilians. So wurde mit dem ersten Religionsmandat vom März 1522 eine „Politik der ausschließlichen Katholizität" (Doeberl) in Angriff genommen und in der Folge gegenüber allen lutherischen und wiedertäuferischen Regungen im Lande bis hin zu radikaler Verfolgung festgehalten, zumal durch sie seit dem Bauernkrieg auch eine soziale Revolution befürchtet wurde. „Bavari sunt omnium potentissimi, nunquam deficient et resistent omnibus haereticis", charakterisierte 1538 der päpstliche Legat Morone die bayerische Politik. Diese gegenreformatorische Zielsetzung wurde ergänzt durch die parallele Bemühung, Bischöfe und Ordensobere der Salzburger Kirchenprovinz zu positiver innerkirchlicher Reform zu veranlassen.13 Die begrenzten Ergebnisse dieser Bemühungen, die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit mit den Bischöfen, die sich gegen staatliche Übergriffe zur Wehr setzten, und die Defizite in Teilen des bayerischen Klerus, u.a. das völlige Erliegen der Theologischen Fakultät der Landesuniversität Ingolstadt, bewogen Wilhelm IV., schließlich auch auf außerdeutsche Kräfte zu setzen. Dies waren das Reformpapsttum, von dem man die Genehmigung zur Kirchenreform durch staatliche Initiativen auch gegen den Einspruch der Bischöfe erbat und erhielt, und der eben gegründete Jesuitenorden, von dem erstmals 1549 drei Mitglieder nach Bayern berufen wurden, die Patres Canisius, Salmerón und Le Jay.14 Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts war im Reich der Vorgang der Konfessionsbildung zu beobachten, d.h. der Konsolidierung und schärferen Abgrenzung der drei christlichen Konfessionen nach Dogma, Verfassung, kirchlicher Praxis und religiös-sittlichen Lebensformen.15 Dies war jedoch ein Prozeß, der „nicht nur das Kirchliche berührte, sondern auch die Lebensbereiche des Einzelheiten bei Pfeilschifter, Acta; Georg Schwaiger, Die Religionspolitik der bayer. Herzöge im 16. Jh., in: Oers. (Hg.), Das Bistum Freising in der Neuzeit, München 1989, 29-53; Brandmülkr (Hg.), Handbuch II, 32 ff. 14 Vgl. Dokumente 1,3 Nrr. 1 und 2. 15 Emst Walter Zeeden, Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform, Stuttgart 1985. 13
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Politischen und Kulturellen, überhaupt alles Öffentliche und Private in Mitleidenschaft riß" (Zeeden). Es ging um die Durchdringung des öffentlichen und privaten Lebens im Territorium durch jeweils eine der Konfessionen unter Ausschaltung der anderen und um die Behauptung der hierdurch erreichten konfessionellen Einheit des Landes. Aus der bloßen Konfessionsbildung in Bezug auf die Kirchen wurde der tiefgreifende Vorgang der Konfessionalisierung in Bezug auf Staat und Gesellschaft,16 die Herausbildung konfessionell normierter Teilkulturen. In diesem Sinne wird Konfessionaüsierung nicht verstanden als bloßer Vorgang der Kirchengeschichte, sondern als ein „sozialgeschichtlicher Fundamentalprozeß der Frühneuzeit."17 Das Instrumentarium dieser Konfessionalisierung war differenziert und reichte von sorglicher Ansprache an Innerlichkeit und Gewissen bis zum unbedenklichen Gebrauch von Zwangsmitteln. Es wurde in den Territorien aller drei Konfessionen gleicherweise angewendet, in der allgemeinen Zielsetzung und Methode bestand weitgehende Gleichförmigkeit und überraschende Uniformität, während es sich inhaltlich eben um die Durchsetzung des eigenen Konfessionsprinzips in der Gesamtheit der Lebensbereiche handelte. In der Ausweitung der Konfessionsbildung zu einem gesamtgesellschaftlichen Prozeß spielten die jeweiligen staatlichen Gewalten, die deutschen Territorialfürsten und ihre Bürokratien, durch die Handhabung des fürstlichen Reformationsrechts des Augsburger Religionsfriedens eine zentrale Rolle. Die Motive des Landesfürstentums zur Förderung und Durchsetzung ihrer Konfession waren weit gestreut. Es ging um die Sorge der Obrigkeit für das Seelenheil der Untertanen, andererseits um die Fortführung der im Spätmittelalter ausgebildeten staatlichen Kirchenhoheit. In bestimmter Weise ging es auch um die Handhabung von Kirche und Konfession als Mittel zum Ausbau des frühmodernen Staates und zur Durchsetzung des fürstlichen Vorranges im Territorium: Religio vinculum societatis - Einheit des Glaubens und des Staates gingen Hand in Hand. Da der Konfession fundamentale Bedeutung nicht nur für das religiöse Verhalten der Untertanen, sondern für eine Vielzahl weiterer Lebensbereiche zugeschrieben wurde, trug die Konfessionsdiszipünierung in bestimmten Ausmaß auch zu einer Normierung des gesamtgesellschaftlichen Verhaltens der Untertanen bei. Auch diese Koppelung galt für die Territorien aller drei Konfessionen in gleicher Weise.
16 Heinrich "Richard Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jh., München 1992; Wolfgang Reinhard Hein^Schilling (Hg.), Die Katholische Konfessionalisierung, Münster 1995. 17 Wolfgang Reinhard, Was ist katholische Konfessionalisierung?, in Reinhard-Schilling (Hg.), Kathol. Konfessionalisierung 420.
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Zum Ablauf der Vorgänge hat man für den Bereich der katholischen Territorien drei Phasen postuliert: Zunächst eine Vorbereitungsphase etwa zwischen 1545 und 1570, die gekennzeichnet war durch die ersten Aktivitäten der Jesuiten auf deutschem Boden und die wachsende Besorgnis vor dem kurpfalzischen Kalvinismus. Eine zweite Phase wird gesehen für die siebziger Jahre, in denen in den katholischen Territorien die Umsetzung der tridentdnischen Beschlüsse beginnt, das päpstliche Nuntiaturenwesen für das Reich ausgebaut wird und sich ein reichsweiter Generationenwechsel vollzieht, der entschlossenere Agenten der Konfessionaüsierung als bisher in die Führungspositionen bringt, so in Würzburg Bischof Julius Echter,18 in der Steiermark Erzherzog Karl II., in Bayern Herzog Wilhelm V., im Kaisertum Rudolf II. anstelle des schwankenden Maximilian II. Als dritte Phase werden schließlich die Jahre zwischen 1580 und 1620 gesehen, in denen die konfessionelle Ausrichtung des öffentlichen Lebens innerhalb aller Territorien kulminiert, konfessionspolitische Positionen in Verbindung mit allgemeinpolitischen Zielsetzungen auch in der Reichspolitik an Ausschließlichkeit gewinnen und endlich konfessionspolitische Konflikte wie der Kölner Krieg und konfessionelle Bündnisse wie die Protestantische Union und die Katholische Liga den Beginn militanter Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionsparteien signalisieren. Überblickt man diese drei Phasen, so ist deutlich, daß durch ihre Charakteristika prinzipiell auch die bayerische Politik seit der Mitte des 16. Jahrhunderts gekennzeichnet wird, diese ist aufs Ganze nicht singulär, sondern zeittypisch. Darüber hinaus ergibt jede nähere Betrachtung des Phänomens eine Vorreiterrolle der bayerischen Herzöge unter den katholischen Territorialfürsten ihrer Zeit. Indem sie den Prozeß der Konfessionalisierung sowohl zeitlich mit Vorsprung wie inhaltlich mit besonderer Intensität, ja Rigorosität betrieben, führten sie ihr Herzogtum zu einer besonders profilierten Position in den Entwicklungen und Auseinandersetzungen des konfessionellen Zeitalters.19 Entsprechend dem politischen Testament Wilhelms IV., daß sein Sohn und Erbe „unsern heiligen cristlichen glauben, wie ich, hanthaben, und von der cristlichen gemainen kirchen nit abweichen noch sollichs in meinem furstenthum gestatten welle", hat Albrecht V. die vorgegebene kirchenpolitische
Dietmar Willomit, Katholische Reform und Disziplinierung als Element der Staats- und Gesellschaftsorganisation, in: P. Prodi (Hg.), Glaube und Eid, München 1993, 113-132. 19 Vgl. IValter Ziegler, Typen der Konfessionalisierung in kathol. Territorien Deutschlands, in: Reinhard-Schilling (Hg.), Kathol. Konfessionalisierung 405-418. 18
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Linie fortgesetzt, ja innerhalb des Herzogtums noch verstärkt.20 Jedoch war, bei eindeutig altgläubiger Haltung Albrechts, zunächst eine kompromißbereite Phase in seiner Kirchenpolitik festzustellen, die erst im Laufe der fünfziger Jahre sich zu einer entschlossenen Konfessionalisierungspolitik wandelte. Anlaß zu dem Wandel war wohl die Tatsache, daß in diesen Jahren erneut breitere Kreise und insbesondere Teile des bayerischen Adels Zugeständnisse in der Religionsfrage forderten, Laienkelch, Priesterehe und Milderung der Fastengebote. Diese sog. Kelchbewegung hatte nicht unbedingt evangelischlutherischen Charakter, sondern entsprach allgemeineren Anliegen der Zeit; Albrecht selbst setzte sich zeitweise dafür ein, durch die Gewährung des Laienkelchs weitergehende Forderungen zu unterlaufen.21 Aber die Führer der Bewegung zielten darüber hinaus auf die Zulassung der Augsburgischen Konfession, und es waren konturierte Persönlichkeiten, die diese Forderung vertraten, unter ihnen einige Inhaber kleiner reichsunmittelbarer Herschaften innerhalb des Herzogtums, Graf Joachim von Ottenburg, Wolf Dietrich von Maxlrain, Pankraz von Freyberg und andere. Es waren die gleichen Kreise, die auf den Landtagen den Steuerforderungen des Herzogs opponierten. In einem Schauprozeß des Jahres 1564 wurden ihre Führer wegen Verschwörung abgeurteilt22 und dadurch mit der religiösen auch die politische Opposition nachhaltig geschwächt. Seither existierte keine religiös argumentierende öffentliche Adelsopposition mehr im Herzogtum, und die Kraft der adligen Landstände, sich herzoglichen Geldforderungen zu entziehen, war ebenfalls unterminiert, eine wichtige Stufe in der Entwicklung des konfessionellen Absolutismus war erreicht. Man darf sich freilich die Fronten nicht zu verhärtet vorstellen. Drei Jahre später, 1567, wurde im Münchner Ständehaus ein Sohn Pankraz von Freybergs mit einer sächsischen Adeligen durch einen sächsischen Hofprediger nach lutherischem Ritus getraut. Dieser protestantischen Hochzeit in der bayerischen Residenzstadt wohnten nicht nur der lutherische Kurfürst von Sachsen und die lutherischen Herzöge von Holstein, Liegnitz und Pommern bei, sondern auch Herzog Albrecht V. mit Herzogin und Kindern und sogar der Erzbischof von Salzburg!23 Die Konfessionalisierung hatte auch ihre 20 Spindler-Kraus, Handbuch II §§ 52 und 53; Brandmüller, Handbuch II, 47 ff. Eine Biographie Albrechts V. fehlt; zahlreiche wertvolle Hinweise bei han^inner, Fürst, sowie bei Dietmar Heil, Die Reichspolitik Bayerns unter der Regierung Hg. Albrechts V. (1550-1579), Phil. Diss. Masch. Passau 1996. 21 Hierzu vgl. Dokumente 1,3 Nrr. 24 und 49. 22 Walter Goet^-heonhard Theobald, Beiträge zur Geschichte Hg. Albrechts V. und der sog. Adelsverschwörung von 1563, Leipzig 1913; Dokumente 1,3 Nrr. 52-58. 23 hamgnner, Fürst 178 f.
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Grenzen, der konfessionelle Gegensatz konnte überlagert und entschärft werden durch die Solidarität einer Führungsschicht, der Herzog und hoher Adel gleichermaßen angehörten. Überhaupt richtete sich Konfessionalisierung weniger auf den Einzelfall, sondern galt primär der Verwirklichung eines Prinzips. Nach der Neutralisierung der Adelsopposition begann Albrecht V. mit der von ihm neuorganisierten und unter konfessionellen Gesichtspunkten gesäuberten Bürokratie24 die Verwirklichung der Reformdekrete des eben beendeten Konzils von Trient in Angriff zu nehmen. Bereits 1566 wurden die Konzilsbeschlüsse im Herzogtum publiziert und damit für verbindlich erklärt. Eine besondere Rolle spielte in der Folge der Eid auf das Tridentinische Glaubensbekenntnis als neues Beweismittel der Rechtgläubigkeit.25 Da die dogmatischen Maßstäbe für eine eindeutige Katholizität erst im Laufe der Katholischen Reform wieder klarere Konturen gewannen, bildete der Konfessionseid neben der Teilhabe am katholischen Kultus das sicherste Indiz für die eindeutige Zuordnung und Kontrollierbarkeit konfessionellen Verhaltens. Seit 1569 wurde den Professoren der Universität Ingolstadt die Professio fidei abverlangt, 1591 wurde die Forderung auf alle Schulmeister, Beamte und Dienstleute ausgedehnt.26 1566 wurde ein bereits im Vorjahr erlassenes Zensurmandat erneut eingeschärft und durch eine positive Literaturliste erweitert.27 Im Jahr der wichtigen Salzburger Provinzialsynode 1569 erließ Albrecht V. ein Religions- und Erziehungsmandat28, das u.a. die für bayerische Studenten zugelassenen Universitäten benannte, gleichzeitig erschien eine neue Schulordnung mit detaillierten Vorschriften zur konfessionellen Jugenderziehung.29 Schließlich errichtete Albrecht 1570 mit dem Religions- und Lehenrat (seit 1573 Geistlicher Rat) eine oberste staatliche Kirchen- und Schulbehörde,30 die sowohl für die Wahrung staatlicher Kirchenhoheitsrechte wie für die Überwachung der Konfessionsdisziplin zuständig wurde. Die angestrebte Konfessions- und Sittendisziplinierung konnte zugleich der Ein-
Lanynner, Fürst 150 ff. Klaus Schreiner, Juramentum Religionis. Entstehung, Geschichte und Funktion des Konfessionseides der Staats- und Kirchendiener im Territorialstaat der frühen Neuzeit, in: Der Staat 24 (1985), 211-246. 26 14.12.1591: Dokumente 1,3 Nr. 117; Lanynner, Fürst 162. 27 Dokumente 1,3 Nr. 61. 28 Dokumente 1,3 Nr. 71. 2 ' Dokumente 1,3 Nr. 72. 30 Instruktionen von 1570 und 1629: Dokumente 1,3 Nr. 73. Umfassende Darstellung: Hey/, Geistlicher Rat. 24 25
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Ordnung des Untertanen in den Fürstenstaat dienlich sein.31 Die damit verbundene oder daraus erwachsene „Sozialdisziplinierung" darf jedoch bei allen Einengungen, die sie mit sich führte, nicht allein negativ verstanden werden. Es ging auch um eine vernünftige Ordnung menschlichen Zusammenlebens im Interesse der Gesamtheit wie des Einzelnen. Neuen Anforderungen an Staat und Gesellschaft, wie sie sich aus dem Wandel der Verhältnisse ergaben, konnte offensichtlich nur mit einer Neustrukturierung der politisch-sozialen Gegebenheiten begegnet werden. Die wiederholte Erneuerung der einschlägigen Mandate erweist im übrigen, daß den staatlichen Vorgaben doch nur zögernd gefolgt worden ist und die vielberufene Disziplinierung der Untertanen angesichts der begrenzten oder noch relativ wenig entwickelten Instrumente staatlichen Zugriffes immer nur partiell oder zeitweise realisiert werden konnte. Die Verschärfung des kirchenpolitischen Kurses durch Albrecht V. wurde begleitet und abgestützt mit Maßnahmen der positiven Kirchenreform, die sich in einer charakteristischen engen Verbindung mit dem Jesuitenorden32 sowie in zunehmender Zusammenarbeit mit dem Reformpapsttum vollzog. Dabei war die herzogliche Seite bestrebt, das Gute mit dem Nützlichen, das heißt die Reform der bayerischen Kirche mit der Ausdehnung der staatlichen Kirchenhoheitsrechte zu verbinden. 1556 wurde ein Jesuitenkolleg in Ingolstadt eingerichtet, im Jahr darauf übernahmen sechs Patres die Theologische Fakultät der Universität mit breiter Wirkung auf die gesamte Hochschule. Die Jesuiten dienten auch dazu, die landesherrliche Kontrolle über die Universität zu installieren, also deren Autonomie zu beschränken. 1559 erhielten die Jesuiten ein Kollegium und ein Gymnasium in München, weitere Kollegien folgten in Landsberg und Altötting, zur hervorragendsten Gestalt der Katho-
Hein^ Schilling (Hg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Berlin 1994. 32 Bernhard Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, 4 Bände, Freiburg/Br. 1907-1928; Spindler-Kraus, Handbuch II 721 f. und 943 ff.; Brandmüller, Handbuch II §§ 4 und 36; Rjinhold Baumstark (Hg.), Rom in Bayern. Kunst und Spiritualität der ersten Jesuiten, München 1997 (Ausstellungskatalog mit Aufsätzen); Hubert Glaser, Die bayer. Herzöge und die Jesuiten im 16. Jh., in: Ebenda 55-82; Arno Seifert, Weltlicher Staat und Kirchenreform. Die Seminarpolitik Bayerns im 16. Jh., Münster 1978; Die Jesuiten in Bayern 1549-1773. Ausstellungskatalog, Weißenhorn 1991; Die Jesuiten in Ingolstadt 1549 bis 1773. Ausstellungskatalog, Ingolstadt 1991; Manfred Weittlauff, Die Gründung der Gesellschaft Jesu und ihre Anfänge in Süddeutschland, in: Jahrb. des Hist. Vereins Dillingen 94 (1992), 15-66; Rainer A. Müller, Jesuitenstudium und Stadt - Fallbeispiele München und Ingolstadt, in: Schwaiger, Monachium Sacrum I, 96 ff.; Dokumente 1,3 Nrr. 1, 2, 21, 30, 78, 79, 104, 115, 127. 31
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lischen Reform in Süddeutschland wurde der Jesuit Petrus Canisius.33 Das Endziel war, durch intensive Schulung eines fähigen Nachwuchses für Kirche und Staat in Gymnasium, Seminar und Universität eine Generation von Führungskräften heranzubilden, die imstande war, mit neuem Geist und neuer Uberzeugung die dogmatischen und reformerischen Dekrete des Konzils von Trient zu verwirklichen. Entsprechend orientierte sich auch die große Schulordnung von 1569, die dem Lateinunterricht breiten Raum zubilligte, an der humanistischen Jesuitenschule. Dem Ziel der Realisierung der tridentinischen Dekrete diente weiterhin die sich verengende Beziehung zum Reformpapsttum,34 insbesondere zu den Päpsten Pius V. (1566-1572) und Gregor XIII. (1572-1585). Die Zusammenarbeit zwischen München und Rom unter der verbindenden Klammer von Kirchenreform und Gegenreformation hat die bayerische Politik dieser Periode unverwechselbar geprägt und ihr in bestimmten Momenten europäische Dimension verliehen. Besondere Legaten, vor allem die Kardinäle Giovanni Morone und Gianfrancesco Commendone, die Wiener Nuntien und die Jesuiten hielten die Verbindung, 1573-1583 existierte eine eigene süddeutsche Nuntiatur mit den Nuntien Bartolomeo Portia und Felician Ninguarda. Insbesondere Ninguarda hat den bayerischen Bistümern wichtige reformerische Impulse vermittelt, seine interessante Persönlichkeit und seine ausgreifende Wirksamkeit im süddeutschen Raum harren noch einer zusammenfassenden Würdigung. Die päpstliche Kalenderreform von 1582 wurde in Bayern bereits im Februar 1583 übernommen.35 Die Verbindung mit Rom kam nicht zuletzt der Bistumspolitik Albrechts V. zugute36, die darauf abzielte, den nachgeborenen Herzog Ernst bereits in jugendlichem Alter durch geistliche Pfründen standesgemäß zu versorgen und dadurch auch den politischen Einfluß Bayerns im Reich zu erweitern. Durch den Verzicht auf weitere Landesteilungen seit 1506 war es notwendig geworden, nachgeborene Prinzen anderweitig zu versorgen und dadurch auch etwaige Konkurrenzen zwischen 33 Julius Oswald — Peter Rummel (Hg.), Petrus Canisius - Reformer der Kirche. Festschr. zum 400. Todestag, Augsburg 1996; Herbert Immenkötter, Petrus Canisius in Ingolstadt, München, Augsburg und DiHingen, in: Baumstark (Hg.), Rom in Bayern 49-54; vgl. auch ebenda 499-563. 34 Spindler-Kraus, Handbuch II, 719 ff.; Brandmüller, Handbuch II, 42 ff. 35 Dokumente 1,3 Nr. 94. 36 Manfred Weitlauf, Die Reichskirchenpolitik des Hauses Bayern im Zeichen gegenreformat. Engagements und österreichisch-bayer. Gegensatzes, in: GR I, 48-76; Oers., Die bayer. Wittelsbacher in der Reichskirche, in: RQ 87 (1992), 306-326; Brandmäller, Handbuch II, 347 ff.; Spindler-Kraus, Handbuch 111,3 §§ 29-32; Helmut Flachenecker, Wittelsbachische Kirchenpolitik in der frühen Neuzeit. Beobachtungen zur Funktion bayer. Wahlkommissare bei Bischofswahlen, in: ZBLG 56 (1993), 299-316.
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ihnen und dem Thronfolger zu unterbinden. Ernst hatte für den geistlichen Stand weder Eignung noch Neigung, dennoch verletzte die Kurie seinetwegen das Pfründenhäufungsverbot des Konzils, da, wie Kardinal Commendone formulierte, „die unschätzbare Freundschaft Bayerns nur durch außerordentliche Opfer erkauft werden" konnte. Auch Albrecht V. begrüßte die Möglichkeit, mit der Gewinnung von Bischofsstühlen die Sache von Kirche und Kirchenreform zu fördern. Dennoch ist deutlich, daß der Ausgangspunkt seiner Bistumspolitik das dynastische und territorialstaatliche Interesse gewesen ist. Der „Fürstentyp der Gegenreformation", als der Albrecht V. bezeichnet worden ist, ist also nicht im reinen Dienst an der Kirche aufgegangen, sondern gerade durch das Nebeneinander von konfessionell-kirchlichem und staatlich-dynastischem Interesse gekennzeichnet, in dieser Mischung hat er historische Wirkungen gezeitigt. Darüber hinaus war Albrecht eine genießende, kunstliebende und die Künste fördernde Natur.37 Neben dem Vergnügen an Jagd und Bankettieren stand von Jugend an die Freude an Musik und Architektur und humanistisch-gelehrtem Sammeln. Auf allen diesen Gebieten hat er Bleibendes geschaffen oder in Angriff genommen. Er hat durch Orlando di Lasso eine Münchner Musikpflege von europäischem Rang eingeleitet38 und durch umfangreiche Bücher- und Handschriftenkäufe die heutige Staatsbibliothek begründet. Daneben standen Münz-, Schatz- und Antikensammlungen, denen im Antiquarium und in der Kunstkammer prächtige Heimstätten errichtet wurden, der Bau des Renaissanceschlosses in Dachau oder auch die Förderung des Kunsthandwerks und der Porträt- und Miniaturmalerei eines Hans Mielich. Der Sohn und seit 1579 Nachfolger Albrechts, Herzog Wilhelm V.,39 der Vater Maximilians, war deutlich von ernsterer, prinzipiellerer Natur, ein Un-
37 Vgl. oben Anm. 20 sowie Spindler-Kraus, Handbuch II § 149. Zahlreiche Hinweise in GR I und II. 38 Horst Leuchtmann, Orlando di Lasso. Sein Leben. Versuch einer Bestandsaufnahme der biographischen Einzelheiten, Wiesbaden 1976; Orlando di Lasso. Musik der Renaissance am Münchner Fürstenhof, hg. Bayer. Staatsbibliothek, Wiesbaden 1982 (Ausstellungskatalog mit Aufsätzen). 39 Spindler-Kraus, Handbuch II § 55 ff.; Brandmüller, Handbuch II, 47 ff.; GR I und II; Bernt Philipp Baader, Der bayer. Renaissancehof Herzog Wilhelms V. (1568-79), Leipzig-Straßburg 1943; Hubert Glaser (Hg.), Quellen und Studien zur Kunstpolitik der Wittelsbacher, München 1980; Lan^inner, Fürst; Ders., Herrschaftsausübung. Von der älteren Forschung zu Wilhelm V. sind die zahlreichen Arbeiten Stieves (BA IV; Wittelsbacherbriefe I-VIII; ADB 42) unentbehrlich, wenngleich in der Wertung verschiedentlich zeitgebunden.- Wilhelm Schreiber, Geschichte
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terschied, der auch in der Physiognomie der beiden sichtbar wird: Dem behäbigen, Bonhomie ausstrahlenden Albrecht V. des Wittelsbacher Familienalbums steht im Porträt des Hans von Aachen von 1589 ein asketischer, grüblerischer Wilhelm V. gegenüber.40 Jedoch darf dieser offensichtliche Unterschied nicht überbetont werden. Wilhelm V. ist 2eitlebens, nicht nur in seinen lebenslustigen Erbprinzenjahren auf der Trausnitz in Landshut (15681579), ein Freund und wahrhaft mäzenatischer Förderer von Kunst und Künstlern gewesen, der bayerische Hof blieb auch unter seiner Regierung, was er unter Albrecht V. gewesen war, eine Heimstätte der bildenden Künste und der Musik. Der dazu notwendige finanzielle Aufwand hat denn auch zur Finanzmisere Wilhelms, zu seinem Rücktritt und zum frühzeitigen Regierungsantritt Maximilians beigetragen. Einen „sonderlich freigebigen patron und liebhaber aller sinnreichen leut" nennt der Kunstagent Hainhofer aber noch 1611 den alten Herzog. Die streng-asketischen Porträts Wilhelms lassen auch nicht seine Wärme und Freundlichkeit im Umgang mit seiner Familie erkennen, seinen Familiensinn, wie er im Briefwechsel mit Geschwistern, Kindern und Grazer Verwandten in den von Felix Stieve herausgegebenen „Wittelsbacherbriefen" sichtbar wird. Jedoch kam mit dem Regierungsantritt Wilhelms ein noch entschiedenerer Zug in die bayerische Kirchen- und Konfessionspolitik, wenn auch auf vorgegebenen Fundamenten und Entscheidungen bauend und vorhandene Instrumente aufgreifend. Wenn Wilhelm V. schon in Lebensführung und Lebenswelt den Eindruck spezifisch konfessioneller Frömmigkeit und strengster Kirchlichkeit vermittelt, so wurde nun auch die kirchliche Praxis im Herzogtum nachdrücklicher reglementiert und rigoroser gehandhabt als zuvor. Das Ziel war „die Durchtränkung der gesamten Gesellschaft mit dem religiösen Bekenntnis" (Ziegler), die weltanschauliche Gleichschaltung der Untertanen. Dieser Rigorismus war aber nicht nur in der Persönlichkeit des Herzogs begründet, sondern eben in weitem Umfange zeittypisch: Auf dem Höhepunkt des Vorgangs der Konfessionsbildung intensiviert sich folgerichtig die konfessionalistische Durchdringung von Staat und Gesellschaft. Darüber hinaus ist charakteristisch, daß in der Konfessionspolitik deutscher Territorialfürsten nun auch über die Grenzen des Territoriums hinausgegriffen wird. Die Generation des Augsburger Religionsfriedens, die nach den Auseinandersetzungen der ersten Jahrhunderthälfte in ruhigere Bahnen gelenkt hatte und der auch Albrecht V. angehört hatte, wird abgelöst von Fürsten, die in der konfessionspolitischen Auseinandes bayer. Herzogs Wilhelms des Frommen, 1860, ist materialreich, aber fehlerhaft und unzuverlässig. Eine neuere Biographie fehlt. 4° Abb. in G R I, Tafel 16 (Albrecht V.) und GR II Nr. 85 (Wilhelm V.).
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dersetzung auch den militärischen Konflikt nicht scheuen, so neben Wilhelm V. der fast gleichaltrige Pfalzgraf Johann Casimir. Zur Verschärfung des Kurses hat gewiß beigetragen, daß in den Anfängen Wilhelms V. die lutherische Bewegung im Herzogtum Bayern ganz unvermutet noch einmal an die Öffentlichkeit getreten ist. Auf dem ersten Landtag Wilhelms 1580 stellten einige adelige Landsassen erneut den Antrag auf Freistellung, d.h. Zulassung des lutherischen Bekenntnisses. Sie wurden zwar abgewiesen, aber die beunruhigten staatlichen Gewalten sahen sich in der Folge doch veranlaßt, das fürstliche Reformationsrecht strenger zu handhaben. In der Herrschaft Hohenwaldeck, deren Reichsunmittelbarkeit bereits unter Albrecht V. praktisch beseitigt worden war, wurde erst jetzt die entschiedene Gegenreformation vorgenommen,41 das von Albrecht V. eingeführte System der Bücherzensur42 wurde verschärft, selbst Aventins Werke kamen auf den Index, die religiöse Praxis der Untertanen wurde nachdrücklicher kontrolliert. Es ist wohl auch bezeichnend, daß erst jetzt die Hexenverfolgung durch staatliche Institutionen in breiterem Ausmaß Eingang im Herzogtum gefunden hat, mit dem grausigen ersten Höhepunkt des Schongauer Hexenprozesses von 1589. Hinsichtlich der positiven innerkirchlichen Reform bediente sich auch Wilhelm V. in starkem Maße, ja in ganz ungewöhnlicher Förderung und Identifizierung des Jesuitenordens.43 Das palastähnliche Jesuitenkolleg in München, daneben die weiträumige triumphalistische Michaelskirche,44 das großartigste Denkmal der Gegenreformation in Deutschland, die er den Jesuiten erbaute, stellten seine Verbundenheit mit dem Orden, mit dessen religiös-geistigem Habitus, dessen Zielsetzungen und Methoden besonders eindrucksvoll vor Augen. Auch jetzt ging es, wie schon unter Albrecht V., um die Erziehung eines neuen, frommen, gebildeten, einsatzfreudigen Klerus und die Heranbildung einer gleichgerichteten Führungsschicht von Laien. Hierzu erfuhren die jesuitischen Lehranstalten und die jesuitische Seelsorge, die sich neuer pastoraler Methoden bedienten, alle denkbare Förderung. Die berühmtesten Wallfahrten im Lande, namentlich die Gnadenkapelle in AltötVgl. auch Gabriele Greindl, Religionsauseinandersetzungen im Gebiet Waldeck, in: ZBLG 59 (1996), 39-65. 42 Helmut Neumann, Staad. Bücherzensur und -aufsieht in Bayern von der Reformation bis zum Ausgang des 17.Jh.s, Heidelberg/Karlsruhe 1977. 43 Vgl. die oben Anm. 32 genannte Literatur. 44 hothar Altmann, St. Michael in München. Mausoleum - Monumentum - Castellum, in: Beiträge zur altbayer. Kirchengeschichte 30 (1976), 1-114; Brich Hubala, Vom europ. Rang der Münchner Architektur um 1600, in: GR I, 141-151; Sauermost, Rolle; Schade, Berufung; Schneider, Bayer.-röm. Siegeszeichen (oben Anm. 3). 41
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ting, wurden Jesuiten anvertraut, die verlassenen Benediktinerkonvente Biburg, Ebersberg und Münchsmünster wurden samt ihren Ländereien dem Orden überlassen, der hierdurch auch Sitz und Stimme in der bayerischen Landschaft erhielt. Jetzt begann die Übung, die herzoglichen Beichtväter aus dem Jesuitenorden zu nehmen, denen immer wieder auch Gutachten zu politischen Fragen abgefordert wurden. Die Jesuiten ihrerseits haben in mancherlei staatstheoretischen Deduktionen dem sich ausbildenden fürstlichen Absolutismus in Bayern theoretische Unterbauung und Legitimierung, aber auch ethische Verhaltensnormen geliefert, ihre Geschichtsschreibung hat Wilhelm „den Frommen" gefeiert. Wilhelm V. hat sein gegenreformatorisches Engagement mit beachtlichen Wirkungen auch außerhalb seines Herrschaftsgebietes bezeugt. Bereits Albrecht V. hatte durch die Verheiratung seiner Tochter Maria mit Erzherzog Karl II. von Steiermark 1571 der katholischen Sache in der von der Religionsneuerung gefährdeten Steiermark manche Impulse verliehen;45 den für die Verwandtenehe notwendigen päpstlichen Dispens hatte er mit dem Hinweis erbeten, daß diese Heirat „principaliter zu Erhaltung der Religion und Familie angesehen." Tatsächlich wurden mit dieser Verbindung Münchener konfessionelle Anschauungen und konfessionspolitische Zielsetzungen nach Graz verpflanzt.46 Die fromme, musikalische und energische Maria, die ihrem Mann in neunzehn Jahren fünfzehn Kinder gebar, sollte alsbald starken Einfluß im Sinne von Katholischer Reform und Gegenreformation auf die Grazer Politik ausüben. Bereits im Jahr der Hochzeit gingen die ersten Jesuiten von München nach Graz, 1573 wurde ihnen dort ein Kolleg gebaut, 1585 die neugegründete Universität übergeben, 1580 war die Grazer Nuntiatur errichtet worden. Einen zentralen Vorgang bedeutete im Oktober 1579 die Münchner Konferenz zwischen den Erzherzögen Karl von Steiermark und Ferdinand von Tirol mit dem jungen, seinen kranken Vater vertretenden Herzog Wilhelm, bei der detaillierte Beschlüsse zur Rekatholisierung der Steiermark unter Rückendeckung Bayerns gefaßt wurden.47 Im Zusammenhang dieser Politik wurde dann im Februar 1590 der junge Erzherzog Ferdinand, der spätere Kaiser, dem noch unsicheren steirischen Milieu entrissen Vocelka, Habsburgische Hochzeiten. Cermnka, Graz und München; Johann Rainer, Kathol. Reform in Innerösterreich, in: RQ 84 (1989), 258-270; Johanna Wehner, Maria von Bayern, Erzherzogin von Österreich, Phil. Diss. Graz 1965; Schindling-Ziegler, Territorien I, 102-118 (Lit)·, Alfred Kohler, Bayern als Vorbild fur die innerösterr. Gegenreformation, in: F. M. Dolinar u. a. (Hg.), Kathol. Reform und Gegenreformation in Innerösterreich 1564-1628, Graz-Wien-Köln 1994, 387-403; 47 Cerwinka, Graz und München 70 ff. Zusammenstellung der Beschlüsse vom 14.10.1579 in Dokumente 1,3 Nr. 88; ein Faksimile der Beschlüsse bei Kohler ( A m 46) 391-400. 45 46
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und zur weiteren Ausbildung unter die Obhut Wilhelms V. und an die Universität Ingolstadt gegeben, wie noch zu schildern ist. Als Karl von Steiermark wenig später starb, übernahm Wilhelm V. die Mitvormundschaft über Ferdinand. Der langjährige lebhafte Briefwechsel zwischen Wilhelm, seiner Schwester und seinem Neffen in Graz verdeutlicht, mit welcher Intensität die Familienverbindung in den Dienst konfessionspolidscher Ziele gestellt worden ist. Bedenkt man die Labilität der Konfessionsverhältnisse in Innerösterreich in den Anfängen Erzherzog Karls, die anschließende Konsolidierung der Situation und schließlich die Rolle Kaiser Ferdinands II. im System von Katholischer Reform und Gegenreformation zunächst in Innerösterreich, dann in den habsburgischen Erblanden und schließlich im Reich, so wird die historische Reichweite dieser bayerisch-habsburgischen Verbindung ersichtlich. Ähnlich weitreichende Wirkungen hat die bayerische Politik im Zusammenhang mit dem Kölnischen Krieg von 1582/83 erzielt.48 Der „Geistliche Vorbehalt" von 1555 hatte zur Sicherung des katholischen Besitz- und Bekenntnisstandes bestimmt, daß ein geistlicher Reichsfürst im Falle des Übertritts zum Protestantismus neben seinen geistlichen auch seine weltlichen Würden und Ämter verliere. Diese Bestimmung war von protestantischer Seite nicht anerkannt und durch die seitherige Säkularisierung einer Reihe von Hochstiftern in Norddeutschland auch mehrfach verletzt worden. Das Problem wurde an einem zentralen Punkt akut, als 1582 der Kurfürst und Erzbischof von Köln Gebhard Truchseß zum Protestantismus übertreten und heiraten wollte, ohne auf seine Ämter zu verzichten. Wenn hierdurch das gegenreformatorische Interesse Wilhelms V. geweckt wurde, so gleichzeitig sein dynastisch-politisches, insofern sich die Möglichkeit zu eröffnen schien, nach Absetzung des Truchseß Herzog Ernst von Bayern auf den Kölner Erzstuhl zu befördern. Tatsächlich gelang es der bayerischen Politik, im Zusammenwirken mit Papst Gregor XIII. und König Philipp II. von Spanien den vom deutschen Kalvinismus unterstützten Truchseß in militärischer Aktion zu besiegen und Ernst im Jahre 1583 die Kölner Kurwürde zu verschaffen. Der ganze Vorgang hatte hohe Bedeutung, insofern die entschiedensten Vertreter der Gegenreformation in Europa, der Papst, der König von Spanien und der Herzog von Bayern, sich erstmals zu gemeinsamem Handeln zusammengefunden hatten. Darüber hinaus war eine protestantische MehrGünter v. Lojewski, Bayerns Weg nach Köln. Geschichte der bayer. Bistumspolitik in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s, Bonn 1962; Walter Ziegler, Bayern, das Erzstift Köln und die großen Mächte im Jahr 1583, in: Godesberger Heimatblätter 21 (1984), 93-104; Dokumente 1,3 Nr. 99. 48
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heit im Kurkolleg verhindert worden, welche ein protestantisches Kaisertum ermöglicht hätte. Unter bayerisch-dynastischem Aspekt aber war von Gewicht, daß Herzog Ernst, der im Zuge der Bistumspolitik Albrechts V. bereits 1566 Administrator des Bistums Freising, 1573 Bischof von Hildesheim und 1581 Bischof von Lüttich geworden war, nun auch das große Erzbistum und Hochstift Köln mit dem Kurhut erhielt, dazu 1585 noch das Bistum Münster.49 Es bedeutete eine erhebliche Verstärkung der bayerischen politischen Position im Reich, daß sich der Kölner Erzstuhl samt der Kurwürde von 1583 bis 1761 wie eine Sekundogenitur in der Hand der bayerischen Wittelsbacher befunden hat und im Zusammenhang damit zeitweise auch eine Reihe weiterer Bistümer dieses Raumes. Die spätere Ligapolitik Maximilians hat aus dieser politischen und konfessionspolitischen Situation manche Vorteile gezogen, freilich auch manche Belastungen auf sich nehmen müssen. Für Kirche und Kultur am Niederrhein ist die wittelsbachische Herrschaft von anhaltender Bedeutung geworden, die kirchlichen Reformbestrebungen haben hierdurch starke Impulse erhalten, die künstlerischen Hervorbringungen süddeutscher Barockkultur ihren Niederschlag auch im Rheinland gefunden. Wenige Monate nach dem Kölner Krieg wurde in München das schon erwähnte Konkordat vom 5. September 1583 zwischen dem Herzog von Bayern, dem Erzbischof von Salzburg und den Bischöfen von Freising, Passau, Regensburg und Chiemsee abgeschlossen. Neben dem Kölner Krieg bildete es den Höhepunkt in Wilhelms Kirchenpolitik, insofern die meisten der staatlichen Kirchenhoheitsrechte, die in den letzten Jahrzehnten von den bayerischen Herzögen angesammelt und praktiziert worden waren, nunmehr, wenn auch widerwillig, definitive kirchliche Billigung erfuhren. Konfessionspolitische und staatspolitische Zielsetzungen Wilhelms V. wurden gleicherweise befriedigt.50 In diese Welt des Frühabsolutismus, der Gegenreformation, der Katholischen Reform und der Konfessionalisierung von Politik und Gesellschaft wurde Herzog Maximilian am 17. April 1573 in München geboren.
Weitlauff, Reichskirchenpolitik; ders., Wittelsbacher. Der Erschließung der Münchner Archivbestände für die bayer.-kölnischen Beziehungen 1583-1761 dient die Edition von Franziska Jäger-v. Hoeßliti (Bearb.), Materialien zur rheinischen Geschichte, 1. Band: Die Korrespondenz der Kurfürsten von Köln aus dem Hause Wittelsbach (1583-1761) mit ihren bayer. Verwandten, Düsseldorf 1978. 50 Zur weiteren Entwicklung s. Brandmüller, Handbuch II, 318 ff. 49
4. Jugend und Erziehung Die schöne mittelalterliche Veste der Trausnitz oberhalb der Stadt Landshut diente den Eltern des jungen Maximilian, dem Erbprinzen Wilhelm und seiner Gemahlin Renata von Lothringen, seit ihrer Hochzeit im Jahre 1568 als ständige Residenz.2 Bereits Albrecht V. hatte dort die Erbprinzenjahre verbracht. Im Jahre 1567 hatte sich der neunzehnjährige Wilhelm in Nancy mit der dreiundzwanzigjährigen Tochter Renata des Herzogs Franz I. von Lothringen verlobt, Kaiser Maximilian II., ein Onkel Wilhelms, hatte zwischen den beiden Höfen und Dynastien vermittelt.3 Die Herzöge von Lothringen hatten in den konfessionellen Entwicklungen des Jahrhunderts ebenso wie die bayerischen Herzöge eine Politik der strikten Katholizität verfolgt und waren daher fur eine Heiratsverbindung mit dem Haus Wittelsbach in Frage gekommen. Renatas Vater war bereits 1545 gestorben, die Vormundschaft über die minderjährigen Kinder führte seine Witwe Christine. Diese hätte ihre Tochter Renata gerne mit dem Kaiserhaus verbunden und hatte daher zunächst ihre körperbehinderte jüngere Tochter Dorothea für Wilhelm vorgesehen. Albrecht V. hatte jedoch auf Renata bestanden, obwohl sie viereinhalb Jahre älter als Wilhelm war und um hunderttausend Gulden weniger Heiratsgut als ihre Schwester erhielt. Mit dem Glanz und Aufwand des kulturell nach Paris orientierten Lothringer Hofes waren die Münchner Verhältnisse nicht zu vergleichen, doch zählte die enge Verwandtschaft der Münchner Wittelsbacher mit dem Kaiserhaus. Nach der prunkvollen Hochzeit in München am 22. Februar 1568,4 zu der Orlando di Lasso eine Festmotette beisteuerte, 1 Adlyniter- Vervaux, Annales III, 2 ff.; Friedrich Schmidt, Geschichte der Erziehung der bayer. Wittelsbacher von den frühesten Zeiten bis 1750. Urkunden nebst geschichtlichem Überblick und Register, Berlin 1892; GR II, 94-107; Helmut Dotterweich, Der junge Maximilian. Biographie eines bayer. Prinzen, 2. Aufl. München 1980; MaxUedtke, Höfische Erziehung und höfischer Unterricht. Die bayer. Wittelsbacher, in: Handbuch der Geschichte des bayer. Bildungswesens, Band 1, Bad Heilbrunn 1991, 581-595, hier 585 ff. 2 Baader, Renaissancehof; Dotterweich, Maximilian. 3 Arietin, Maximilian 329 ff. 4 Baader, Renaissancehof 23 ff.; Voce/ka, Habsburgische Hochzeiten 55 ff. mit Quellen und Literatur; Straub, Repraesentatio majestatis 149 ff.; Horst Leuchtmann (Hg.), Die Münchner Fürstenhochzeit von 1568. Massimo Troiano: Dialoge, München 1980. Heiratsvertrag bei Freyberg, Pragmatische Geschichte IV, 188 Anm. 130.
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wurde von Wilhelm und Renata in Landshut die Residenz über der Stadt bezogen, und im Zusammenklang zweier lebensvoller und kunstbegeisterter junger Leute entfaltete sich dort in den folgenden Jahren eine heitere, unbeschwerte Welt der bildenden Künste eines Friedrich Sustris, der Musik eines Orlando di Lasso, der Commedia dell'Arte, der Kunstsammlung, von Spiel, Turnier und Jagd, der Erneuerung, Erweiterung und Schmückung des weitläufigen Schlosses durch deutsche, italienische und französische Künsder — der „Renaissancehof auf der Trausnitz". Renata von Lothringen wird als anmutige und temperamentvolle, auch energische Frau geschildert,5 Orlando di Lasso preist sie als „la belle et sage princesse Renée", ihre Briefe an Wilhelm verraten Wärme und Liebe. Da sie des Deutschen erst allmählich mächtig wurde, war Wilhelm veranlaßt, Französisch zu lernen, um sich zu verständigen; auch Maximilian hat mit seiner Mutter längere Zeit französisch gesprochen und französisch korrespondiert. Schon in den siebziger Jahren berichten die Quellen von „melancoley und schwermietigkait" Renatas. In späteren Jahren hat sie sich immer mehr auf ein Leben des Gebetes und der Wohltätigkeit zurückgezogen, das große Porträt des Hans von Aachen von 1590/95 spiegelt Ernst und Nachdenklichkeit.6 Man darf als Hintergrund dieses Wandels Renatas zahlreiche Schwangerschaften, darunter Fehlgeburten, vermuten, auch die zunehmenden finanziellen Schwierigkeiten ihres Mannes bereits in den Landshuter Jahren, wohl auch dessen häufige Abwesenheit. Tatsächlich wurde Wilhelm bereits seit Anfang der siebziger Jahre zunehmend enger in die Regierungsgeschäfte eingebunden, da sein Vater kränkelte, und führte ein Wanderleben zwischen Landshut und München.7 Häufige, wenig erquickliche Abstecher führten auch nach Friedberg, wo seine Schwiegermutter einige Jahre residierte, schließlich längere Reisen nach Prag, Wien, Preßburg, Graz, Innsbruck und Nancy. Jedoch hat Wilhelm über diesen Anspannungen sein ungebundenes Leben mit Freunden und Künsdern auf der Trausnitz nicht aufgegeben, auch fand die eigentliche Erweiterung und Ausschmückung des Schlosses erst seit 1575 statt.
Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 11 f.; Anna de Crignis-Mentelberg, Herzogin Renata, die Mutter Maximilians des Großen von Bayern, Freiburg i.Br. 1912, 34 ff. (unter Benützung zahlreicher Briefe Renatas); Baader, Renaissancehof; Dotterweich, Maximilian 35 ff.; Peter RoeckJ, Das Musikleben am Hofe des Thronfolgers Wilhelm auf der Burg Trausnitz von 1568 bis 1579, in: Verhandlungen des Hist. Vereins für Niederbayern 99 (1973), 88-127. 6 Abb. in GR II Nr. 67. 7 Baader, Renaissancehof 330 ff. 5
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Das erste Kind Wilhelms und Renatas, ein Sohn Christoph, wurde 1571 in Friedberg geboren, starb aber schon nach wenigen Stunden, wohl eine Frühgeburt, da alle weiteren neun Kinder in der Residenzstadt München zur Welt kamen, worauf offensichtlich Wert gelegt wurde. 1572 wurde als zweites Kind die Tochter Christine (auch Christierna genannt) in München geboren. Sie starb bereits 1580 und wurde wie Christoph auf dem Hl. Berg Andechs begraben. Zur Geburt des nächsten Kindes begab sich das Erbprinzenpaar schon im Februar 1573 nach München.8 Dort erblickte Maximilian am 17. April in der Neuen Veste das Licht der Welt9 und wurde wenig später vom Salzburger Fürsterzbischof Johann Jakob Khuen von Belasy getauft. Seinen Taufnamen erhielt er nach dem regierenden Kaiser Maximilian II., seinem Großonkel. Bei den Wittelsbachern war der Name bisher nicht üblich gewesen, wenngleich eine Schwester Wilhelms V. Maximiiiana hieß. Daß der Kaiser in seinem religiösen Bekenntnis eher zwischen den Fronten stand, hat am Münchner Hof in dieser Familiensache offensichtlich nicht gestört. Einen ersten liebevollen Bericht über den Säugling besitzen wir von seinem Vater, der vier Wochen nach der Geburt dem Großvater meldete, daß das Kind wohlauf sei, „allain daß ihm das Mueß nit recht schmeckchen will, hat die Prust vili lieber."10 Seine ersten Jahre verbrachte der kleine Maximilian zusammen mit seinen jüngeren Brüdern Philipp (geb. 1576) und Ferdinand (geb. 1577) teils auf der Trausnitz unter der Obhut der Mutter, teils in der Neuen Veste in München unter der ziemlich strengen Aufsicht der Großmutter Anna von Österreich. Sein jüngster Bruder Albrecht wurde erst 1584 geboren. Die Schwestern Christine, Maria Anna (geb. 1574) und Magdalena (geb. 1587) werden wohl getrennt von den Buben, aber unter ähnlichen Verhältnissen aufgezogen worden sein.11 Wir dürfen annehmen, daß Renata eine gute und besorgte Mutter ihrer vielen Kinder war, in zahlreichen ihrer Briefe berichtet sie liebevoll über deren Befinden und Erziehung. Über die Genesung des fünfjährigen Maximilian nach schwerer Krankheit schreibt sie ihrem Mann: Nun sei er so bleich und schwach, daß man Furcht bekomme, wenn man ihn ansehe, er könne sich kaum auf den Beinen halten, doch habe er schon wieder begonnen, sein ABC zu lernen.12 Ein andermal erzählt sie, daß Maximilian ungern mit Puppen spiele, weshalb sie ihm zwei kämpfende Ritter
Itinerar bei Baader, Renaissancehof 333. Auf Maximilians Sarkophag in der Münchner Michaelskirche ist irrigerweise Landshut als Geburtsort genannt. 10 Wilhelm an Albrecht V., 11.5.1573: GR II Nr. 139. 11 Geschwister Maximilians: GR Π, 132 ff., 141 ff.; Schmidt, Geschichte; Wittelsbacherbriefe I-VIII. 12 Baader, Renaissancehof 146. 8
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zum Spielzeug gebracht habe, „a quoy il prand grand plesirs de les voir tomber."13 Das Bayerische Nationalmuseum bewahrt zwei kostbare Miniaturporträts der vierjährigen Christine und des zweijährigen Maximilian auf, die aus bunter Seide mit Gold- und Silberfaden gewebt und in einer zusammenklappbaren Elfenbeindose mit reicher Verzierung montiert sind.14 In feierlicher Haltung, eingezwängt in spanische Hoftracht, dürfen beide Kinder doch die Attribute ihrer Kindlichkeit zeigen: Christine hält eine Puppe, der Bruder einen Vogel und eine Rassel. Dieses früheste Porträt Maximilians wurde wohl von Friedrich Sustris entworfen und von dem Tapissier Jan de la Groze ausgeführt, der aus Brüssel nach Landshut berufen worden war. Maximilian hat dem liebenswerten Bildnispaar später einen Platz in der Kammergalerie neben seinem Schlafgemach gewährt, in der er besonders geliebte Schätze versammelte. Mit dem Tode Albrechts V. am 24. Oktober 1579 wurde Wilhelm zum regierenden Herzog von Bayern und Maximilian zum bayerischen Erbprinzen. Damit gingen auch die Landshuter Jahre Wilhelms und seiner Familie zu Ende. Die Stadt München15 war seit der Landesteilung von 1255 zur bevorzugten Residenz der Herzöge des Teilherzogtums Oberbayern geworden. Ludwig der Strenge (1253-1294) hatte Wohnung im Alten Hof an der Nordostecke der damaligen Stadtmauer genommen und ihn zur Burg ausgebaut.16 Seit der Stadterweiterung Kaiser Ludwigs des Bayern war der Alte Hof jedoch zunehmend von neuerbauten Bürgerhäusern eingeengt worden. Diese Tatsache und die Bürgerunruhen von 1385 veranlaßten die Herzöge, sich schließlich erneut an den Rand der Stadt zu verlagern und an der Nordostecke der erweiterten Stadtmauer die Neue Veste zu errichten, zunächst in bescheidenem Umfang, seit dem Ende des 15. Jahrhunderts als umfangreiche vierflügelige Wasserburg. Fünfzig Jahre später war es dann Albrecht V., der in einer veränderten politischen Situation, die bürgerliche Aufstände nicht mehr befürchten ließ und in der die Burg durch das Schloß ersetzt werden konnte,
13 Zitiert bei de Cngnis-Mentelberg, Renata 56. ι* Abb. in GR II, Tafel 4.; hierzu vgl. ebenda Nr. 140. 15 Schattenhofen Beiträge, insbes. 39 ff. (Die Wittelsbacher als Stadtherren von München) und 53 ff. (Die Bauentwicklung Münchens); Stürmer, Residenzen; Bauer, München; Schwaiger, Monachium Sacrum I. 16 Häuserbuch der Stadt München, hg. vom Stadtarchiv München, Band 1: Graggenauer Viertel, München 1958, hier zwischen den Seiten 104 und 105 (nach dem Sandnermodell).
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mit dem Bau des Marstall- und Kunstkammergebäudes (später Münzhof) und des Antiquariums den Schritt aus der Neuveste in die Bürgerstadt wagte.17 Hieran knüpfte Wilhelm V. an, indem er 1581-1586 durch Friedrich Sustris westlich des Antiquariums die sog. Grottenhoftrakte errichten ließ, die mit ihren schönen Gartenhallen und ihrem idyllischen Renaissancegarten mit dem eleganten Perseusbrunnen des Hubert Gerhard gleichsam den Geist der Trausnitz nach München verpflanzten. Wilhelm V. ist mit seiner Familie alsbald nach dem Regierungsantritt von der Neuen Veste in das Obergeschoß des Antiquariums gezogen, seit 1586 hat er die Grottenhoftrakte bewohnt.18 Der erst siebenjährige Maximilian aber hatte nun den Schritt von der Kindheit ins Knabenalter zu tun, er wurde von der Familie getrennt und im nahegelegenen Alten Hof untergebracht. Das Sandnersche Stadtmodell von 1572 zeigt die dortige Situation, ein weitläufiges, aus unterschiedlichen spätmittelalterlichen Baukörpern zusammengesetztes, daher etwas verwinkeltes Geviert, das im Norden durch die St. Lorenz-Hofkirche abgeschlossen wird. In den Gebäuden des Alten Hofes waren das Hofgesinde und die Zentralbehörden samt deren Kanzleien einquartiert. Maximilians Räumlichkeiten befanden sich in der Nordostecke, nahe dem Schwibbogen, der auch heute noch als „Münzbogen" zum Münzhof führt; im 16. Jahrhundert war er Teil eines gedeckten Ganges, der über die Gassen hinweg den Alten Hof mit der Neuveste verbunden hat. Gewiß blieb der junge Maximilian nicht unbeeindruckt von dem Treiben, das mit Bediensteten und Behörden im Alten Hof nun einmal verbunden war, und vielleicht war er es auch von der guten Architektur, die seinen Weg säumte, wenn er in freien Stunden Eltern und Geschwister besuchen durfte, von den wuchtigen Arkaden des Münzhofs, dem imposanten Tonnengewölbe des Antiquariums, dem Grottenhoftrakt in seiner südländischen Leichtigkeit. Seit Sommer 1580 in der neuen Umgebung, war Maximilian nunmehr der Aufsicht der Obersten Kindsfrau entzogen und einem adeligen Hofmeister sowie einem gelehrten Praeceptor übergeben.19 Der Übung der Zeit entsprechend wurde für den Erbprinzen ein eigener, gar nicht so kleiner Hofstaat gebildet. Er umfaßte neben dem Hofmeister, und dem Praeceptor mehrere Diener, einen Stallmeister, zur Ergötzung zwei Zwerge, weiterhin einen Medicus, einen Kaplan, Torwart und - Einheizet, schließlich vier Edelknaben, insgesamt etwa zwanzig Personen. Die jungen Adeligen, die gemeinsam mit 17 Häuserbuch München I, zwischen den Seiten 280 und 281 (nach dem Sandnermodell); Otto Meitinger, Die baugeschichtliche Entwicklung der Neuveste, in: OA 92 (1970), 1-295. 18 Spindler-Kraus, Handbuch II § 149 (Lit.). 19 Schmidt, Erziehung XLV ff.; Dotterweich, Maximilian 44 ff.
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dem gleichaltrigen Erbprinzen erzogen wurden und also in dessen Bubenjahren und während der Studentenzeit seinen engeren Umgang bildeten, entstammten alteingesessenem bayerischen Adel, aber auch — aus dem Umkreis katholisch gebliebener Gebiete - tiroler, steirischen, rheinischen, lothringischen und polnischen Familien. Die Buben sollten dem Erbprinzen und den seit 1584 gemeinsam mit ihm erzogenen Brüdern Philipp und Ferdinand freundschaftlichen Rückhalt bieten, hatten aber auch die Aufgabe, „daß die jungen herren [Prinzen] durch der edlen knaben gleichmeßige studierung und also per emulationem dester mehr angraizt, auch zu Zeiten durch repetierung und ander conversation zu mehrerm vleis und lernung gebracht werden."20 Auch drei Kinder des badischen Markgrafen Christoph II., die nach dem frühen Tod ihres Vaters 1575 in München erzogen wurden, gehörten zum engeren Verkehr des jungen Maximilian. Aus diesen Jahren, wohl aus dem Jahre 1582, sind Bleistiftskizzen des Hofmalers Friedrich Sustris überliefert, Vorstudien zu einem repräsentativen Gruppenbild der herzoglichen Familie mit Ehepaar und fünf Kindern, desgleichen ganzfigurige Skizzen der einzelnen Kinder, unter ihnen auch des neunjährigen Maximilian.21 Der Erbprinz präsentiert sich elegant in spanischer Tracht mit Halskrause und kurzem Mäntelchen in der Pose des Kavaliers, die Hand am Degen, über sein Alter hinaus selbstbewußt. Das Gruppenbild ist wohl nicht zur Ausführung gelangt, aber bereits aus dem Ensemble der Skizzen wird die familiäre Atmosphäre deutlich, in der Maximilian vom Kind zum Jugendlichen heranwuchs. Die Aufsicht über den Hofstaat des Erbprinzen führte der Hofmeister, im ersten Jahr Ulrich von Preysing aus ältestem bayerischen Adel, von 15811587 der rheinische Adelige Wilhelm Schlüderer von Lachen, bisher Administrator des Hochstifts Regensburg und von dem Nuntius Ninguarda für sein neues Amt empfohlen, schließlich von 1587-1589 der aus Schwaben stammende Philipp von Laubenberg. Neben organisatorischen Aufgaben oblag dem Hofmeister vor allem die höfische, ritterliche und körperliche Erziehung seines Schützlings. Die religiöse und geistige Ausbildung lag in den Händen des Praeceptors. Das war von 1580-1585 der Jurist Wenzel Peträus und, nach raschem Wechsel verschiedener Erzieher, von 1588-1593 der Jurist Johann Baptist Fickler, der Maximilian an der Universität Ingolstadt betreut hat. Peträus22 stammte aus Budweis in Böhmen, hatte in Ingolstadt studiert, war Zitiert bei Dotterweich, Maximilian 49. Abb. der Skizzen der Gesamtfamilie in GR II Nr. 142, der Skizzen der Kinder ebenda. Eine bessere Reproduktion der Skizze Maximilians in GR I Tafel 19. Vgl. auch Dotterweich, Maximilian 42 f. 22 Dotterweich, Maximilian 45 ff.; Hüttl, Haus Wittelsbach 154 ff. 20 21
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dort zum Doktor beider Rechte promoviert worden und stand zunächst in Diensten des Prager Erzbischofs. Wir kennen die Beweggründe Wilhelms V. nicht, gerade ihm die Erziehung des Erbprinzen anzuvertrauen, der sich eben in den bildsamsten Jahren befand. Jedenfalls erweisen die erhaltenen Briefe des Peträus und seine Erziehungsvorschriften für Maximilian einen gütigen und frommen Mann mit Verständnis für junge Seelen. Im übrigen hatte er sich für die religiöse und geistige Ausbildung seines Zöglings an detaillierte Instruktionen des Herzogs zu halten. Es sind die Prinzipien eines christlichen Humanismus, die mittels dieser Instruktionen vermittelt werden sollen, und es war die humanistische Bewegung seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert, die solche Maximen als Richtschnur gerade auch für die Fürstenerziehung bereitgestellt hatte. Auch die Erziehung der Wittelsbacher war lange Zeit ausschließlich ritterlichhöfischen, den geistigen Bestrebungen der Zeit ziemlich fernen Grundsätzen gefolgt. Albrecht IV. „der Weise" hatte eine gelehrte Erziehung nur erhalten, weil er zunächst für den geistlichen Stand bestimmt gewesen war. Er hat aber dann im Hause die Tradition begründet, den Prinzen eine humanistisch orientierte Ausbildung zukommen zu lassen. Von Albrecht V. besitzen wir mehrere Instruktionen für die Erziehung der Prinzen Wilhelm und Ferdinand, die in der Betonung des Studiums der klassischen Sprachen sich an der bayerischen Schulordnung von 1548 orientierten.23 Wilhelm V. seinerseits hat erstmals im Jahre 1581 je eine Instruktion für den Praeceptor Peträus und den Hofmeister Schlüderer von Lachen und eine allgemeine Instruktion für beide zusammen verfaßt oder verfassen lassen.24 Sie galten der Erziehung Maximilians und, nach einer gewissen Überarbeitung, seit 1584 auch derjenigen seiner Brüder Philipp und Ferdinand, die für den geistlichen Stand bestimmt waren. Wilhelm V. konnte bei der Abfassung der Instruktionen auf die Erziehungsinstruktionen seines Vaters zurückgreifen, jedoch hat er, wie ein Vergleich ergibt, etwas durchaus Neues geschaffen. Auch hier kommt der Wandel der Zeit und der Anschauungen zum Ausdruck. Nicht mehr Vorschriften über den äußeren Tagesablauf (der auch geregelt wird) stehen im Vordergrund, sondern Bestimmungen über eine vertiefte religiöse und geistige Erziehung der Prinzen. Dabei ist deutlich, daß auch manche Forderungen 23
Schmidt, Erziehung 7-27.
Schmidt, Erziehung 27-38 (Peträus und Schlüderer), 39-47 (Schlüderer), 47-52 (Peträus); zur Datierung vgl. Dotterweich, Maximilian 154 Anm. 55. Daß in evangelischen Fürstenhäusern die Erziehung der Prinzen weithin ähnlichen Prinzipien wie in München folgte, ergibt sich aus den Darlegungen von Notker Hammerstein, Prinzenerziehung im landgräflichen Hessen-Darmstadt, in: Hessisches Jahrb. für Landesgeschichte 33 (1983), 193-238. 24
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der älteren humanistischen Literatur zur Ausbildung des idealen Fürsten in die Instruktionen eingegangen sind, wenn nicht wörtlich, so doch als allgemeine Maxime, so auch die klassische „Institutio principis christiani" des Erasmus von Rotterdam von 1516. Im Vordergrund standen zunächst Frömmigkeit, Kenntnisse und Selbstbeherrschung, die durch die Beschäftigung mit christlichen und in bestimmtem Ausmaß auch mit antiken Autoren entwickelt werden sollten. Auf dieser Grundlage waren dann die hohen und schweren Aufgaben eines christlichen Herrschers zu vergegenwärtigen, als Stellvertreter Gottes die wahre Religion zu schützen und zu fördern, die Untertanen nach Recht und Billigkeit zu regieren, gemeinen Frieden und Ruhe zu erhalten, mit einem Wort: Dem Gemeinwohl zu dienen. Was den Tageslauf des siebenjährigen Maximilian betraf, so entsprach es dem ebenso fordernden wie liebevoll-fürsorgenden Charakter der Erziehungsinstruktionen, daß ein Gleichmaß von Studium und Freizeit abgezirkelt wurde. Nach dem Wecken gegen 6 Uhr und dem Morgengebet folgte von 7-8 Uhr das Studium der lateinischen Grammatik, anschließend gab es die Morgensuppe. Der folgenden täglichen Messe schlossen sich Übungen zur Schulung des Gedächtnisses an. Eine halbe Stunde vor dem Mittagessen war Zeit zur Rekreation; das Essen selbst, eingeleitet und abgeschlossen durch Gebet, wurde von Lesungen deutscher und lateinischer Schriftsteller begleitet. Die zwei Stunden danach galten der „Ergetzlichkeit" des Prinzen, dem Besuch der Eltern und Geschwister in der Neuen Veste oder sonstiger Kurzweil. Von 2-4 Uhr folgten Schreibübungen in deutscher oder lateinischer Sprache, anschließend der tägliche Musikunterricht. Nach dem Abendessen um 6 Uhr war wieder Zeit zur Rekreation, bis der Tag um 8 Uhr mit Dankgebeten für die erlangten Gnaden und Wohltaten beschlossen -wurde. „Damit der jugend das studieren nit gar zu Sauer werde", wurde jede Woche, sofern kein Feiertag einfiel, ein ganzer oder halber Rasttag eingeschoben, der kindlichen Spielen und ritterlichen Übungen gewidmet werden konnte. Erstes und vornehmstes Erziehungsziel ist die Hinführung des jungen Menschen zu Gott, „damit Unsere söhne vor allem das reich Gottes embsig und über alles suechen lernen und ihnen lassen angelegen sein." Entsprechend der betonten Abgrenzung der Konfessionen seit der Jahrhundertmitte kann die religiöse Erziehung nur nach den Dogmen und in den Formen der katholischen Kirche geschehen, „weil ausser der heiligen catholischen apostolischen römischen religion kain seligkait oder hail, kain rechter tauf noch wahre sacrament". Wilhelm V. mochte sich bei der Formulierung dieser Passage daran erinnert haben, daß wenige Jahre zuvor Herzog Albrecht V. in seinem Testament von 1578 seine Söhne mit besonderem Nachdruck zu
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striktem Festhalten an der „alt, wahr catholisch religion und leer" verpflichtet und ihnen fur den negativen Fall alle Höllenstrafen angedroht hatte.25 Im Einzelnen geht es bei Maximilian um persönliche Heiligung, wie sie die großen Gestalten der Kirchengeschichte gesucht und gelebt haben, um die Früchte, die auf solchem Fundament - und nur auf ihm - zu wachsen vermögen, und um den Dienst, den der Fromme und Geheiligte der Kirche und den Menschen zu leisten imstande ist. Im Anfang steht die Weckung der Gottesfurcht, und es ist das Gebet nach den heiligen Texten der Kirche oder auch das vom Erzieher frei formulierte Gebet, das Mensch und Gott ständig verbindet und den Tag vom Ave-Läuten am Morgen bis zum Angelus-Läuten am Abend fromm durchtränkt. Jeder Station des Arbeitstages ist ein besonderes Gebet zugewiesen, jeder Wochentag hat gemäß dem „Hortulus animae", mit dessen Lesung das tägliche Studium beginnt, ein besonderes Gebetsziel. Daß sich der Christ stets in Gottes Hand weiß, bezeugen seine Stoßgebete. „In Gotts nam" oder „Das wait Gott" spricht der junge Maximilian und bekreuzigt sich, wenn er sich am Morgen vom Schlaf erhebt, eine Kirche betritt, einen Friedhof passiert, sein Pferd besteigt. Jeder Stundenschlag wird begleitet von einem Memento mori: „Verleihe uns o Gott eine selige stunde zum leben und zum sterben." Das persönliche Gebet wird ergänzt und vertieft durch die regelmäßige Lesung des Neuen Testaments, die nicht nur eine Sache der Lutheraner und Reformierten ist, und der drei Katechismen des Petrus Canisius. Da sich Canisius seit 1580 in der Schweiz befand, hat ihn Maximilian wohl nicht mehr persönlich kennengelernt. Jedoch hatten sein Großvater und sein Vater eng mit dieser großen Gestalt der Katholischen Reform und Gegenreformation zusammengearbeitet.26 So schrieb Wilhelm V. nun vor, daß für den Unterricht Maximilians zunächst der kleine deutsche, dann der kleine lateinische Katechismus und schließlich die „Summa doctrinae christianae" des Canisius „gleich mit und neben dem täglichen brot als die geistliche speiß stets in handen sein" sollten. In dieser Weise hat Maximilian wie viele Tausende vor und nach ihm die Grundlagen der katholischen Glaubenslehre aus dem „Canisi", wie er in Süddeutschland genannt wurde, empfangen.27 Die Hauptfragen des Katechismus wurden regelmäßig abgehört und ebenso wurde bei Tisch der
Ziegler.; Testament 285 f. Herbert Immenkotter; Petrus Canisius in Ingolstadt [...], in: Baumstark (Hg.); Rom in Bayern 49 ff.; vgl. auch ebenda 499 ff. 27 Die Verwendung der Katechismen des Canisius war bereits in der bayer. Schulordnung von 1569 vorgeschrieben worden; Dokumente 1,3, 385. 25
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Inhalt der gehörten Predigten abgefragt, was dem Achtjährigen nicht so leicht gefallen sein mag. Wenn in den Jahrzehnten der Konfessionsbildung von den Konfessionen auf die Betonung des Eigenen, Unterscheidenden besonderer Nachdruck gelegt worden ist, so waren dies auf katholischer Seite neben den dogmatischen Unterscheidungen vor allem die Feier der Messe, Verehrung und Gebrauch der Sakramente, Verehrung der Heiligen, Teilnahme an den Zeremonien und Hochschätzung der Kirchengebräuche, in denen diese Tendenz zum Ausdruck kam. Ganz in diesen Anschauungen und Übungen ist Maximilian erzogen worden. Die tägliche Messe ist selbstverständlich, ihr Aufbau und das Verständnis der Meßtexte wird sorgsam eingeübt, der Gang des Kirchenjahres soll bewußt werden: „Mit dem können sie [die Prinzen] nit allein lernen, Gott den allmächtigen mit gebet zu loben, sondern auch in ein wissen und verstand kommen alles dessen, was ein ganzes jähr in der kirchen geschieht und furgeht; also auch, was sie recht verstehn, alle die tag ihres lebens desto mehr lieben, gebrauchen und verteidigen."28 Schon früh werden die Prinzen zu den kirchlichen Zeremonien und der Liturgie der hohen Kirchenfeste, den Spezialandachten und Prozessionen zugezogen, denn nicht nur durch Texte, sondern auch durch Anschauung und Übung soll der Christ geprägt und in seiner Frömmigkeit bestärkt werden. Im Jahre 1580 hören wir erstmals von einer Beichte Maximilians; nach der Instruktion von 1581 sollte sechs Mal im Jahre, zu den Hochfesten, gebeichtet werden. Die erste heilige Kommunion hat er wohl im Alter von zehn Jahren empfangen. Halb geistliche Übung, halb erholsamer Ausflug waren die Wallfahrten, die Maximilian seit früher Jugend unternommen hat — hierin unterschieden sie sich nicht von den „Kirchfahrten", die Aventin als eine Lieblingsbeschäftigung des bayerischen Volkes bezeichnet hat. Die Wallfahrten führten zunächst zu den Gnadenstätten vor den Toren der Stadt, St. Salvator, Maria Ramersdorf, Maria Thalkirchen. So heißt es in einem häufig zitierten Bericht des Peträus: „Der H. Maximilian ist auf seinem rapple geritten bis zur wiesen bei Thalkirchen; alsdann ist er über die wiesen dahin mit uns gangen und die lateinische litaniam singen helffen. Bei der meß hat er den rosenkranz und für alle und jede, deren er in seinem täglichen gebet generaliter eingedenk, ein speziai Paternoster sambt dem Ave Maria gesprochen".29 Später folgten Kirchfahrten zu den großen, entfernter gelegenen altbayerischen Gnadenstätten mit ihren Reliquien und Gnadenschätzen, auf den Heiligen Berg nach Schmidt, Erziehung 29. 25 Schmidt, Erziehung 325 (27.9.1580). 28
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Andechs, nach Tuntenhausen und zum Gnadenbild von Altötting. Als Ingolstädter Student wallfahrtete Maximilian regelmäßig zum vier Wegstunden entfernten St. Salvator nach Bettbrunn, 30 und dorthin sollte im Jahre 1651 auch die letzte Wallfahrt des alten Mannes fuhren, bei der ihn die Krankheit zum Tode ergriff. In der Frömmigkeitsgeschichte Bayerns wird Maximilian stets einen festumrissenen Platz behalten durch seine betonte Marienverehrung, die er auf vielfältige Weise auch Land und Leuten mitzuteilen suchte.31 Seine marianische Erziehung konnte an alte Frömmigkeitstraditionen anknüpfen, die aber durch neue Auffassungen eine charakteristische Umformung erfuhren. Es war der gegenreformatorische Impuls, der in bewußter Reaktion auf die Heiligenabstinenz des Protestantismus die Marienverehrung nicht nur intensivierte, sondern gleichzeitig das spätmittelalterliche Marienbild der milden und lieben Frau, wie es dem Volke in tausenden Bildwerken nahe war, durch eine ins Heroische gesteigerte, machtvolle Persönlichkeit als ein Leitbild der gegenreformatorischen Kirche zu ersetzen suchte: „Victrix diaboli, de daemonibus ac haeriticis triumphans." Und es war der Jesuitenorden, der diese Transformation vor allem betrieb, am nachdrücklichsten mit dem Opus Marianum des Petrus Canisius von 1577.32 Einer der Praeceptoren Maximilians, der Jesuit Antonius Guisanus, war Mitarbeiter des Canisius an dem Werk gewesen. Es sind die gleichen Jahre und Zeitumstände, in denen in zahlreichen Orten der Oberdeutschen Jesuitenprovinz nach römischem Vorbild Marianische Kongregationen 33 ins Leben treten, von Jesuiten geleitet und ausgestaltet mit dem Zweck der Selbstheiligung und des Apostolats der Mitglieder. Nach Dillingen und Ingolstadt wird 1578 die Münchner Kongregation gegründet, der alsbald Herzog Albrecht V. und der Erbprinz Wilhelm beitreten, dazu manche Angehörige des bayerischen Adels, herzogliche Räte, Mitglieder des Stadtmagistrats. 1581 weiht Wilhelm V. die Stadt München der Gottesmutter von Altötting. In dieser Atmosphäre einer gesteigerten und gewandelten Marienverehrung ist Maximilian aufgewachsen. Jeden Samstag betet er mit seinen Geschwistern die Lauretanische Litanei; der Rosenkranz, in dessen Zeichen wenige Jahre zuvor die Türken bei Lepanto besiegt worden waren, wird ihm eine vertraute und oft wiederholte Form des Gebets. Schon
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Alois Döring, St. Salvator in Bettbrunn. Hist.-volkskundliche Untersuchung zur eucharistischen Wallfahrt, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 13 (1979), 35-234. 31 Vgl. unten Kapitel 11. 32
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Dottenveich, Maximilian 72 f. Spindkr-Kraus, Handbuch II § 102 Anm. 29 (Lit.); Die Jesuiten in Bayern 143-159; Dotterweich,
Maximilian 72.
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in frühester Jugend wird Maximilian Sodale der Münchner Marianischen Kongregation für Schüler, 1584 wird er zu deren Präfekt ernannt und bald darauf zum Generalpräfekt aller dieser Vereinigungen im Reich. Im Zusammenhang dieser Mitgliedschaft hat Maximilian auch erstmals das Jesuitentheater kennengelernt, aufwendige Aufführungen mit religiösen Themen, wie sie auch an den Jesuitenschulen zu besonderen Gelegenheiten veranstaltet wurden.34 Auch in diesen Dramen ging es um Selbstheiligung und Apostolat, um Umkehr des Sünders durch seelische Erschütterung und um den Entschluß zu Befestigung und Verbreitung des Glaubens nach heroischen Vorbildern. Wenn in dieser Weise die religiös-sittliche Erziehung der Prinzen im Mittelpunkt der pädagogischen Bemühung stand, so wurde an diesem zentralen Gesichtspunkt auch deren intellektuelle Erziehung orientiert. Kein Autor sollte zugrundegelegt werden, „der in religione und moribus das wenigest in verdacht seye." Diesen Grundsatz wollte Wilhelm V. auch auf die antiken Klassiker, „die haydnischen schwäzer und fabel hannsen", erstrecken, denen die christlichen Humanisten sprachlich jedenfalls gleichwertig, inhaltlich aber kraft christlicher Thematik überlegen seien.35 Bereits die bayerische Schulordnung von 1569 hatte vor gewissen antiken Autoren gewarnt, die Lektüre anderer nur in gereinigter Textgestalt gestattet.36 Wilhelm V. war der Auffassung, daß die lateinischen Texte in erster Linie nicht des Inhalts, sondern der Sprachfertigkeit willen gelesen werden sollten, man also auf die Antike nicht zurückzugreifen brauche. Ziel war Geläufigkeit im Lesen, Schreiben und Sprechen des Lateinischen. Peträus hat dieser Auffassung offensichtlich das mannhafte Urteil eines gebildeten Humanisten entgegengesetzt und er hat damit auch Erfolg gehabt; Wilhelm blieb zwar dabei, daß es primär „nur umb lateinische sprach zethuen", wollte aber denen, die „ex professo damit umbgeen", ein eigenes Urteil zugestehen.37 So hat Maximilian künftig antike Klassiker und christliche Humanisten nebeneinander gelesen, wie es auch an den Jesuitenschulen üblich war, auf deren Vorbild Peträus auch immer wieder hingewiesen hat. Über die Lateinkenntnisse des jungen Maximilian sind wir durch seine bis heute erhaltenen Schulhefte38 sowie aus den regelmäßigen 34 Jean-Marie Valentin, Le théâtre des Jésuites dans les pays de langue allemande (1554-1680), Band 1-3, Bern u.a. 1978; Oie Jesuiten in Bayern 168-189; Spindkr-Kraus, Handbuch II § 137 c. 35 Schmidt, Erziehung 37 f. 36 Dokumente 1,3, 388 f. 37 Schmidt, Erziehung 52 Anm. 1. 38 Zusammengestellt bei Schmidt, Erziehung 401 ff.; vgl. auch Dotterweich, Maximilian 82. Die Berichte der Erzieher über Tageslauf und Fortschritte der Zöglinge bei Schmidt, Erziehung 324 ff.
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Berichten des Peträus über die Studienerfolge seines Schützlings ziemlich gut unterrichtet. Grammatikalische und rhetorische Fähigkeiten wurden Hand in Hand ausgebildet. Im Vordergrund standen elegante Formulierung und überzeugende Argumentation. Spätestens im Alter von zwölf Jahren wurden Horaz und Ciceros „De officiis" gelesen, dann Plutarch, Livius und Tacitus. Xenophon wird in lateinischer Übersetzung aufgenommen. Wenn die Beschäftigung mit den antiken Autoren auch primär der formalen Schulung diente, so konnte es doch gar nicht anders sein, als daß auch deren Inhalte, ihre Maßstäbe und Normen, aufgenommen und für den Schüler verbindlich gemacht wurden — soweit sie christlichen Normen nicht widersprachen. Es war das humanistische Bildungsziel, die umfassend gebildete, sittlich orientierte, Triebe und Gefühle durch die Vernunft bändigende Persönlichkeit, die angestrebt wurde. Diese sollte sich allerdings nicht als autonom verstehen, sondern als Geschöpf, das zur Selbsterlösung unfähig blieb, das aber doch mit Anlagen und Kräften ausgestattet war, die durch Entwicklung und Selbstdisziplinierung weite Möglichkeiten eröffneten. Diese Kräfte müssen gefördert, entgegenstehende unterdrückt werden. Die Erziehungsinstruktionen für Maximilian und seinen Bruder Philipp bezeichnen es näher: Stolz, Übermut, Neid, Zorn, Müßiggang, Verschwendung sind zu überwinden; Demut, Wahrhaftigkeit, Bescheidenheit, Gehorsam, Nüchternheit und Disziplin machen den Christen aus und sind schon seit früher Jugend einzuüben. Den Prinzen ist bewußt zu machen, daß ihr künftiger Beruf darüber hinaus besondere Qualitäten verlangt: Die Justitia, über die Gott am Jüngsten Tag Rechenschaft fordern wird, muß mit Barmherzigkeit ausgeübt werden; den Armen gegenüber ist Müdigkeit angebracht; den Untertanen gegenüber aber sollen sich die Fürsten erinnern, „daß sie ja nit etwa alten haidnischen leibaigen knechten, sonder Christenleuten, ihren mitbruedern und erben des himmlischen reichs zue herren, zue Vorstehern, zue Schützern und versorgern gegeben und fürgestellt seyen." Und in einem kühnen Wortspiel hieß es: „Als auch der titl 'Sonderlich durchleuchtig' die fürsten dessen erinnert, daß sie mit allen guten fügenden überhauffet sein und auf andern menschen gleichsam herausleuchten und scheinen sollen".39 Es ist der Geist patriarchalischer Fürsorge, Kennzeichen eines neuen Fürstentyps, der aus den Worten spricht, in der Hand der Fürsten liegt es, die ewige und zeitliche Wohlfahrt der Untertanen zu mehren oder zu verhindern.40 Dem Erbprinzen Maximilian, „der von natur etwas erschrocken und vorchtsam erscheint", gilt die besondere Schmidt, Erziehung 42 f. Hierzu vgl. Paul Münch, Die „Obrigkeit im Vaterstand." Zu Definition und Kritik des „Landesvaters" während der Frühen Neuzeit, in: Daphnis 11 (1982), 15-40. 39
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Mahnung, daß zum Herrscherberuf Tapferkeit und ein männliches Gemüt gehören. Die Bewältigung täglicher kleiner Aufträge soll ihn herzhafter machen, „damit kain verzagte weis an Ime gespürt werde, als die bei konfftigem seinem stände offtmalen übel steen mechte."41 Daß der Ausbildung der geistigen Fähigkeiten die Übung der körperlichen Kräfte entsprechen solle, war Weisheit der Antike und brauchte dem Adel nicht besonders gesagt zu werden, der jahrhundertelang weit mehr der körperlichen Ertüchtigung Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Auch Wilhelm V. schrieb seinen Söhnen Leibesübungen vor oder gestattete sie ihnen vielmehr: Ballspiel, Kegeln, Tafelschießen, Fischen, Reiten und mäßiges Laufen. Untersagt waren Ringen, Schwimmen und um die Wette laufen; Rossetummeln, Ritterspiele, Hetzen und Jagen sollten erst in späteren Jahren, wohl erst dem Vierzehnjährigen, erlaubt sein. Natürlich dienten solche Übungen und Fähigkeiten nicht nur der Unterhaltung und der Gesundheit der Kinder, sondern gehörten zum traditionellen Kanon höfisch-adeligen Lebensstils. Nicht ganz so selbstverständlich, trotz aller Internationalität der europäischen Fürstenhäuser, waren die Sprachkenntnisse des jungen Maximilian, auf deren Fortbildung großer Wert gelegt wurde: „Nota. Daß er stets oder doch die meiste zeit lateinisch, welsch und franzesisch rede, wie der hofmeister und die andern auch solchs vor Ime tun und Ime ursach geben sollen."42 In Wort und Schrift beherrschte Maximilian schließlich Latein, Französisch (die Sprache seiner Mutter) und Italienisch, in späteren Jahren (nach 1620) lernte er noch etwas Spanisch - „expedite loquebatur Gallice, Italice; intelligebat Hispanice, nec imperite dicebat", heißt es bei seinem ersten Biographen Vervaux,43 der das Lateinische als selbstverständlich voraussetzt. Daß Maximilian von dem Böhmen Peträus auch im Böhmischen unterrichtet wurde, dessen Kenntnis Kurfürsten des Reiches durch die Goldene Bulle vorgeschrieben war, wurde erwähnt. Bei den musischen Fächern hat Wilhelm V., seinen eigenen Neigungen folgend, vor allem Wert auf die Musik gelegt. Täglich fand eine Musikstunde mit Instrument oder Gesang statt,44 Orgelunterricht erteilte der Organist der Münchener Frauenkirche Hans Wisreiter. Ob die von Orlando di Lasso und seiner Hofkapelle geprägte lebendige Musikszene von europäischem Rang am Münchner Hof der achtziger Jahre 45 auf die musikalische Erziehung MaximiSchmidt, Erziehung 49, vgl. 33 und 44. Schmidt, Erziehung 57. 43 Adl^reiter-Vervaux, Annales 111,4. 44 Schmidt, Erziehung 36 und 328. 45 ljeuchtmann, Orlando di Lasso. 41 42
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lians anregend und beflügelnd gewirkt hat, ist allerdings die Frage. Lasso hat zwar 1583 dem zehnjährigen Maximilian seine „Newen teutschen Lieder geistlich und weltlich" gewidmet, doch mit einer ganz formelhaften, später anderweitig nochmals verwendeten Vorrede. Auf der anderen Seite hatte Maximilian, bei aller Kennerschaft und Anteilnahme an den bildenden Künsten, zur Musik doch wohl nur ein sachliches Verhältnis.46 Im Oktober 1587 übersiedelte der vierzehnjährige Erbprinz mit einem Hofstaat von vierzig Personen zum Studium nach Ingolstadt, wo er bis zum April 1591 verblieb. Daß sich seine jüngeren Brüder Philipp und Ferdinand zeitweilig ebenfalls in Ingolstadt befanden, mochte ihm die Trennung von der vertrauten Münchner Welt erleichtern, wenngleich seine Erziehung auch schon bisher die Absonderung vom familiären Umkreis in Kauf genommen hatte. Peter Philipp Wolf zitiert in seiner Biographie Maximilians ein merkwürdiges, heute verlorenes Schriftstück, als dessen Verfasser er den von Wilhelm V. geschätzten päpstlichen Diplomaten, langjährigen bayerischen Agenten in Rom und schließlichen Erzbischof von Zara Minuccio Minucci vermutet.47 Das undatierte Gutachten übt deutliche Kritik an den Erziehungsmaximen Wilhelms, die eher einem Gelehrten, als einem auf praktische Politik vorzubereitenden Staatsmann dienlich sein könnten. Für den künftigen Staatsmann und Fürsten fordert Minucci — außer der Religion, für die schon vorzüglich gesorgt sei — vor allem drei Gegenstände des Unterrichts: Erstens das Rechtswesen, aber nicht im Sinne theoretischer Gelehrsamkeit, als vielmehr der Einpflanzung von Gerechtigkeitsliebe und der genauen Kenntnis des bayerischen Landesrechts; zweitens die Bekanntschaft mit den inneren Kräften des Landes, durch Kenntnis der Bedürfnisse der Untertanen, der Verhältnisse der Landsassen, der Staatseinkünfte, des Hofes, der Nachbarstaaten, der dynastischen Verbindungen; drittens Kenntnis des Kriegswesens, der Organisation der Miliz und Werbung einer ordentlichen Armee sowie der festen Plätze in Bayern. Füge man diesen vorzüglichen GegenstänHorst l^uchtmann, Die Maximilianeische Hofkapelle, in: GR I, 364-375. Peter Philipp Wolf, Geschichte Maximilians und seiner Zeit. Pragmatisch aus den Hauptquellen bearbeitet, Band 1-4, München 1807-1811 (Band 4 bearb. v. KFW. Breyer), hier I, 77 ff. Hierzu vgl. Dotterweich, Maximilian 159 Anm. 56. Zu Minucci siehe Klaus Jaitner'va NDB XVII, 547 ff. sowie BA IV, 126 Anm. 1 und öfter; Wittelsbacherbriefe VI, 395 ff. Zum Problem vgl. auch Arno Seifert, Der jesuitische Bildungskanon im lichte zeitgenössischer Kritik, in: ZBLG 47 (1981), 43-75. Maximilians späterer Beichtvater Contzen forderte in seinem „Methodus doctrinae civilis" (1628) für die Universität eine eigene Disziplin Politische Wissenschaft, da die gängige Vorbereitung der Beamten für den Staatsdienst unzureichend sei. 46 47
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den, sagt Minucci, auch noch die Kenntnis der Geschichte hinzu, werde man Maximilian zum vollkommenen Regenten bilden. Was hier der gebürtige Venezianer Minucci als Gegenstände zur Ausbildung eines künftigen Staatsmannes bezeichnet, glich in manchem den Materien, welchen die venezianischen Gesandten in ihren Depeschen und Relationen besondere Aufmerksamkeit zu widmen hatten, den Strukturen und Potenzen eines Staates als Bedingungen seiner auswärtigen Politik. Darüber hinaus lag den Forderungen Minuccis ein bestimmtes, ein modernes Fürstenbild zugrunde, der Fürst, der seine herausgehobene Position durch Kenntnisse und Tätigkeit zu rechtfertigen weiß. Da Minuccis Gutachten undatiert ist, wissen wir nicht, ob es Auswirkungen auf die Erziehung Maximilians in Ingolstadt hatte, oder ob entsprechende Unterrichtsgegenstände nicht ohnedies ins Programm aufgenommen worden wären, wie wahrscheinlich ist. Die 1472 gegründete Universität Ingolstadt48 war die einzige Universität des Landes, sie war gegliedert in eine propädeutische Artistenfakultät und die drei oberen Fakultäten der Theologen, Juristen und Mediziner. Infolge der führenden Rolle des Theologen Johannes Eck in der Auseinandersetzung mit Luther und Luthertum war Ingolstadt seit den zwanziger Jahren zu einem „katholischen Wittenberg" geworden, aber seit dem Tode Ecks 1543 in seiner Bedeutung rasch zurückgegangen und die Theologische Fakultät nahezu verödet. Die, Berufung der ersten Jesuiten nach Ingolstadt, zunächst vorübergehend 1549-1552, dann definitiv seit 1556, sollte aber die Universität mit rund 600 Studenten rasch zu neuer großer Bedeutung im System von Katholischer Reform und Gegenreformation in Süddeutschland führen und hat dieses Ziel auch erreicht. Seit 1556 war die Theologische Fakultät,49 seit 1585 nach langen Auseinandersetzungen auch die Artistenfakultät50 in der Hand der Jesuiten, deren Aktivismus freilich nicht von allen Ingolstädter Professoren begrüßt worden ist. Indem die Jesuiten das Studium der Humaniora aus der Artistenfakultät ausgliederten und einem eigenen Gymnasium zuwiesen, traf Maximilian in Ingolstadt auf ein dreistufiges Studiensystem wie es den Vorstellungen des Ignatius und der späteren Ratio studiorum (1599) der Jesuiten entsprach.51 Wenn Ingolstadt auch nicht eine reine Jesuitenuniversität wie das Spindler-Kraus, Handbuch II §§ 130 und 131 mit weiterer lit.; Karl Hengst, Jesuiten an Universitäten und Jesuitenuniversitäten, Paderborn 1981, 86 ff. 49 Georg Schwaiger, Die Theologische Fakultät der Universität Ingolstadt, in: L. Boehm-J. Spörl (Hg.), Die Ludwig-Maximilians-Universität in ihren Fakultäten, Band 2, Berlin 1980, 13-126; Baumstark (Hg.), Rom in Bayern, passim. 50 Albrecht Ließ, Die artistische Fakultät der Universität Ingolstadt 1472-1588, in: Boehm-Spörl (Anm. 49) Band 1, Berlin 1972, 9-36; Dokumente 1,3 Nr. 104, vgl. Nr. 78. 51 Hengst, Jesuiten 55 ff.; Seifert, Bildungskanon. 48
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bischöflich-augsburgische Dillingen darstellte, so war doch der Einfluß der Patres im Studium und in den angeschlossenen Konvikten und Seminarien so stark und ihre Unterstützung durch den Landesherrn so eindeutig, daß Denken und Lebenswelt der Studierenden aller Fakultäten von jesuitischen Auffassungen nachhaltig bestimmt werden mußten. Es war die Generation Maximilians, Theologen und Juristen, die diese Einflüsse in der einen und anderen Weise in Ingolstadt aufgenommen hat, und auf manche ehemalige Ingolstädter Studenten, vor allem Juristen, sollte sich Maximilian stützen, als er daran ging, entsprechende Prinzipien als regierender Fürst zu verwirklichen. Während der dreieinhalb Jahre in Ingolstadt, damals einem Städtchen von knapp 5 000 Einwohnern,52 war Maximilian zwar in mancherlei Weise mit der Universität und ihren Professoren verbunden, unterschied sich aber in seinen Studien doch sehr von seinen Kommilitonen, wie es bei Studenten fürstlichen Standes zumeist der Fall war.53 Er war zwar ordentlich inskribiert, nahm an den Festveranstaltungen der Rektoratseinfiihrungen und Promotionen teil, beteiligte sich an Disputationen und besuchte auch einige Vorlesungen. In der Hauptsache wurde er aber in seiner Wohnstube von seinem Praeceptor unterrichtet. Die Zeit in Ingolstadt hatte eben auch den allgemeinen Charakter der Einführung des jungen Mannes ins öffentliche Leben und ebenso auch einer Ehrung der Universität durch die Anwesenheit des künftigen Landesherrn. Zunächst besuchte Maximilian allerdings einen Philosophiekurs der Artistenfakultät, Grundzüge der Logik, Physik, Metaphysik und Ethik auf der Grundlage des Aristoteles in der Perspektive der Summa Theologica des Thomas von Aquin, Lehrer war Christoph Marianus, der spätere Rektor des Münchner Jesuitenkollegs. Die entscheidenden Gestalten in Maximilians Studentenjahren waren jedoch andere, der Jesuit Gregor von Valencia und der Jurist Johann Baptist Fickler. Der jahrelange Umgang eines bildungsfähigen Jünglings mit Persönlichkeiten von geistigem Rang und entschiedenen Anschauungen konnte offensichtlich nicht ohne Wirkungen bleiben. Jedoch wurden konfessionalistische Positionen Maximilian gewiß nicht erst durch diese beiden nahegebracht,54, sie waren bereits in seinen Münchner Jahren grundgelegt worden. 52 Theodor Müller - Wilhelm Reißmüller (Hg.), Ingolstadt. Die Herzogstadt - die Universitätsstadt - die Festung, 3 Bände, Ingolstadt 1974; Ebenda III, 37 ff. die Beschreibung der Stadtgestalt nach dem Sandner-Modell (Abb.). Zum Studium Maximilians in Ingolstadt vgl. auch Siegfried Hofmann, Ingolstadt in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: Ebenda II, 179-216, hier 179 ff. 53 Aretin, Maximilian 364 ff.; Dotterweich, Maximilian 92 ff. 54 So Hofmann, Ingolstadt 182.
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Gregor von Valencia,55 der von 1575 bis 1597 als Professor an der Theologischen Fakultät wirkte, gilt als der bedeutendste katholische Theologe seiner Zeit in Deutschland. Vom Studium in Salamanca geformt, hat er maßgeblich zur Erneuerung der scholastischen Theologie beigetragen, in diesem Sinne eine Generation von Theologen geprägt und weit über Ingolstadt hinaus Wirkungen gezeitigt. Sein Hauptwerk, die „Commentarli theologici", die 1591-1597 in vier Bänden in Ingolstadt erschienen, erweisen einen Theologen von großer systematisierender Kraft im Anschluß an Thomas von Aquin. Man darf aber annehmen, daß weniger die Dogmatik Gregors, als vielmehr dessen Kontroverstheologie auf Maximilian eingewirkt hat, so seine „Analysis fidei catholicae" von 1585, welche bestrebt war, die Trennungslinien zu den reformatorischen Bekenntnissen herauszuarbeiten, die eigenen Positionen zu untermauern und den Seelsorgern überzeugende Argumente zur Bekämpfung des Konfessionsgegners an die Hand zu geben. Dies alles mußte einem Geist wie Maximilian entgegenkommen, der selbst, obgleich noch jung, Nüchternheit des Denkens mit Knappheit des Ausdrucks vereinigte, dem die Alleinverbindlichkeit seiner Religion selbstverständlich war und der aus der Politik der Vorfahren die Defensio fidei et ecclesiae als seine künftige Aufgabe ableitete. Maximilian studierte nicht eigentlich Theologie bei Gregor, hatte ihn aber, was mehr war, während seiner ganzen Studienzeit als Mentor und vielfach als Begleiter und nicht zuletzt als seinen Beichtvater. Man muß sich das Verhältnis der beiden eng und vertraut vorstellen sowohl in geistig-geistlicher Gemeinschaft wie auch im Zusammensein bei bescheidenen Vergnügungen, Wallfahrten und Ausflügen.56 1593 begleitete Gregor seinen Schützling auf den Reisen nach Prag und Rom. Auf langjährige Praxis in öffentlichen Angelegenheiten konnte der Praeceptor Maximilians in Ingolstadt, der Jurist Johann Baptist Fickler (15331610),57 zurückblicken. Er entstammte einer katholischen Bürgerfamilie im schwäbischen Backnang, hatte in Ingolstadt die Rechte studiert, in Bologna promoviert, war 1560 in erzbischöflich-salzburgische Dienste getreten und dort als Hofrat und Protonotar mit zentralen Problemen der weltlichen und geistlichen Verwaltung des Erzstifts und ihrer Vertretung bei Reichs- und Kreisversammlungen befaßt — einer jener bürgerlichen Juristen, die für die Ausbildung des neueren Territorialstaates so wichtig gewesen sind. Von 55 Kennzeichnung seines Werkes und neuere Lit. bei Philipp Schäfer; Barockscholastik, in: Brandmüller, Handbuch II, § 33; NDB VII, 21 f. 56 Dotterweich, Maximilian 113. 57 Josef Steinruck, Johann Bapt. Fickler. Ein Laie im Dienst der Gegenreformation, Münster 1965,141 ff.; NDB V, 136 f.; Heydenreuter, Hofrat 325 f.
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1562-1564 hatte er der salzburgischen Delegation beim Konzil in Trient angehört, sein dort geführtes Tagebuch hat Aufnahme in die große moderne Edition der Trienter Konzilsakten gefunden. 1588 wurde er zum Praeceptor Maximilians ernannt. Wir wissen heute, daß Fielder keineswegs „ein Mann ohne Geist und Geschmack" war, wie Felix Stieve glaubte aburteilen zu können,58 vielmehr eine Persönlichkeit weiter geistiger Interessen und fundierter Bildung mit besonderer Neigung zur Geschichte, zur Kultur der Antike und zum Münzwesen. Seine große Bibliothek umfaßte neben juristischen Schriftstellern nicht wenige Klassiker, Historiker und Theologen, darunter auch Reformatoren. Fickler hat zahlreiche Schriften veröffentlicht, ebensoviele ungedruckte Manuskripte enthält sein Nachlaß in der Bayerischen Staatsbibliothek. Das Schwergewicht liegt auf theologischen Themen, kanonistisch und kontroverstheologisch, wenngleich stark kompilatorisch. Als Kontroverstheologe führte Fickler zeitgemäß eine sehr scharfe, eindeutig abgrenzende Klinge und stand in manchen Auseinandersetzungen mit protestantischen Theologen. Die Häretiker gefährden ihm nicht nur die religiöse, sondern auch die staatliche Ordnung, Häresie ist ein politisches Faktum, schafft man das Sacerdotium ab, fällt auch das Imperium. Daher gilt: „Tollite malum ex vobis!" Am Augsburger Religionsfrieden hält Fickler durchaus fest, aber das dort verbürgte Reformationsrecht ist von den katholischen Landesfürsten auch strikt zu realisieren. Wie im einzelnen die Maximen Ficklers auf die Meinungsbildung Maximilians eingewirkt haben, kann nicht nachgewiesen werden, zumal beide in den Grundanscheinuungen von vornherein übereinstimmten. Man darf jedenfalls annehmen, daß Fickler seinem Zögling auch Auffassungen vorgetragen hat, die er in seiner Schrift „De iure magistratum in subditos et officio subditorum erga magistratus" (1578) über Rechte und Pflichten der Obrigkeiten niedergelegt hatte. Hier wurde die Verantwortung des Fürsten gleichermaßen vor Gott wie gegenüber den Untertanen betont, denn „non populus propter magistratum, sed contra: magistratus propter populum fuisse creatos." Entsprechend ruft Fickler den Fürsten auf, sich des Allgemeinwohls anzunehmen. So war es auch schon in den Erziehungsinstruktionen Wilhelms V. gesagt worden und wird es Fickler auch seinem Zögling beigebracht haben. Maximilian hat sich später in mehreren testamentarischen Verfügungen zu diesen Prinzipien bekannt, am einprägsamsten kurz vor seinem Tode in den „Treuherzigen väterlichen Lehrstücken" von 1650: „Aliis lucendo consumor."
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Felix Stieve, Der Kampf um Donauwörth im Zusammenhange der Reichsgeschichte dargestellt, München 1875, 61.
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Eine Spezialität Ficklers, die er gleichwohl mit vielen seiner Zeitgenossen, darunter bedeutenden Juristen, teilte, war seine Position in Hexensachen; in einem ungedruckten „Judicium generale de poenis maleficorum" (1582) plädierte er für härteste Strafen in Hexenprozessen. Inwieweit er solche Anschauungen in seiner Salzburger Zeit praktiziert hat, ist nicht ersichtlich, doch muß angenommen werden, daß er sie in Ingolstadt seinem Schüler Maximilian mitgeteilt hat, ebenso wie Gregor von Valencia, der in der Formulierung der offiziellen bayerischen Hexenpolitik dieser Jahre eine bedeutende Rolle spielte. Bereits im Mai 1589 berichtet Maximilian seinem Vater ungerührt über die Folterung einer Ingolstädter Hexe, „wie ich dann selbst gesechen, das man sy zwymal rädlich aufgezogen und ainmal wol gebrent hat."59 Eben in diesem Jahr begann die eigentliche Epoche der Hexenprozesse in Bayern, die bis zum Ende von Maximilians Regierungszeit reichte. Von der Einschätzung des Phänomens durch Maximilian und seinem Anteil an der Hexenverfolgung wird also noch die Rede sein. In einer Instruktion für den neuen Hofmeister Laubenberg äußerte Wilhelm V. die Erwartung, daß der Erbprinz in Ingolstadt „nit allein obiter hin studiere, sunder auch gelehret werde." Maximilian begann sein Jurastudium mit dem Studium der „Institutionen" des Justinian, also des Römischen Rechts. Vom April 1589 bis zum September 1590 diktierte ihm Fickler heute noch erhaltene „Annotationes in imperatoris Justiniani institutiones legum civilium", die den Inhalt der Institutionen in Frage und Antwort aufbereiteten. Daneben stand die Unterweisung im bayerischen Landrecht sowie im Zivilprozeß und gab es praktische Übungen durch Teilnahme an Ratssitzungen der Stadt. Fickler las mit Maximilian auch klassische Literatur, Xenophon, Cicero und Tacitus, und schließlich hatte er auch die neueren Geschichtskenntnisse seines Zöglings zu vertiefen. Offensichtlich hatten Lehrer und Schüler von Anfang an ein gutes Verhältnis, und man darf annehmen, daß Fickler dem Prinzen nicht nur solide juristische Kenntnisse vermittelte, sondern auch dessen Interesse an klassischer Literatur und Kunst, von dem er selbst durchdrungen war, gefördert hat. Da Fickler auch als anerkannter Numismatiker und Münzsammler galt, beauftragte Maximilian später seinen alten Lehrer, der seit 1593 dem Hofrat angehörte, mit der Inventarisierung der Schätze der herzoglichen Kammergalerie und des Münzkabinetts, die ihm sehr am Herzen lagen. Ficklers Inventare sind auch noch der heutigen Forschung nützlich. Zitiert bei Ootterwetch, Maximilian 123 (14.5.1589); vgl. auch die Zitate bei Sigmund Rie^/er, Geschichte der Hexenprozesse in Bayern, Stuttgart 1896, Neudruck Aalen 1968, 194 ff. 59
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Wohl gefördert durch Fickler, sicher aber auch unabhängig von ihm, wurden in Ingolstadt auch Maximilians künstlerische Neigungen fortentwickelt.60 Die Haushaltsrechnungen der Ingolstädter Jahre verzeichnen laufende Ausgaben für Porträtmaler, Wappenmaler, Rahmenmacher und Vergolder. Maximilian bittet die Eltern um Überlassung einiger Gemälde, da er sich in seiner Stube „ein museum gern zurichten wollt, darinnen meinen studiis besser auszuwarten"; später lobt der Bruder Philipp, daß Maximilians Studierstube „gepuzt ist mit statuen und schenen pildern". Auch mit den Künsdern des Münchner Hofes wird Verbindung gehalten. In der Werkstätte des Friedrich Sustris läßt sich Maximilian zwölf Tonplastiken von römischen Kaisern modellieren und brennen, die in seinem Ingolstädter Garten aufgestellt werden; auch bei dem Augsburger Kunstschreiner Wendel Dietrich wird bestellt. Dies und anderes erweist bereits für frühe Jahre Neigungen und Interessen, die auf ein durch Kenntnisse gestütztes Mäzenatentum vorausdeuten. Als Praeceptor war Fickler gehalten, die Fortbildung Maximilians auch in weiteren Fächern zu organisieren. Dies geschah in Kriegskunde und Artilleriewesen durch den Ingenieur Carlo Detti, in Französisch und Italienisch durch den Italiener Astor Leoncelli, den späteren Oberststallmeister Maximilians, weiterhin mit Vorlesungen in Mathematik und ähnlichem. Schließlich ging es auch um die Organisation und Beaufsichtigung des weiteren Tageslaufs des Prinzen, über den wir aus Maximilians Briefen an die Eltern und den Berichten der Erzieher gut unterrichtet sind. Hier wechseln jugendlicher Zeitvertrieb im Kreise der Brüder und Gleichaltriger mit ersten gesellschaftlichen Verpflichtungen, private Vergnügungen mit Anforderungen der Öffentlichkeit, welche für künftige Aufgaben schulen. Maximilian ist gehalten, Besucher zu empfangen, Festivitäten durch seine Anwesenheit zu schmücken, bei Reisen die herzoglichen Beamten der besuchten Orte zu Tisch zu bitten, Einladungen zu kirchlichen Zeremonien zu folgen. Eng sind die Beziehungen zu den Klöstern der Stadt, insbesondere zu den Jesuiten, bei denen er häufig speist. Man besucht den benachbarten Bischof von Eichstätt, ebenso auch den protestantischen Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg, der — wie Maximilian dem Vater ausdrücklich berichtet — taktvollerweise „von religionssachen nichts sich merken ließ", sondern über Jagd und neue Zeitungen spricht.61 Einer Einladung zur Predigt des neuburgischen Hofprädikanten wird allerdings nicht gefolgt — „wollten uns lieber zerhacken lassen, als ihre blasphemias anhören", schrieb Prinz Philipp den Eltern. Häufig geht Maxi60
Dotterweich, Maximilian 104 ff.
« Schmidt, Erziehung 254 f. (14.7.1589).
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4. Jugend und
Ersjehung
milian zur Jagd, seiner großen Leidenschaft auch in späteren Jahren, insbesondere zur Falkenbeize, und Fickler hat die Eltern zu beruhigen, daß hierdurch am Studium nichts versäumt werde.62 Kleine Reisen fuhren zu benachbarten Klöstern, deren Reliquienschätze verehrt werden und denen es eine Ehre ist, den künftigen Landesherrn in ihren Mauern zu bewirten; in den Ferien fahrt man mit großem Troß nach München oder Landshut. Und immer wieder wird von Wallfahrten, Andachten und anderen Frömmigkeitsübungen berichtet, deren Anforderungen sich der junge Mann offensichtlich mit Neigung und Bereicherung gewidmet hat. Vom Februar 1590 bis in das Frühjahr 1595, also ein Jahr lang zeitgleich mit Maximilian, befand sich auch der junge Erzherzog Ferdinand von Steiermark, Maximilians Vetter und spätere Kaiser, am Gymnasium in Ingolstadt.63 Wenige Monate vor dem Tode seines Vaters war der Zwölfjährige vorsichtigerweise in die Obhut der Münchner Wittelsbacher gegeben worden, da die konfessionspolitische Situation in der Steiermark noch nicht geklärt schien. Unter den Fittichen seines Onkels Wilhelm V. sollten die Ingolstädter Jesuiten dem Knaben jene religiöse Festigung, Charakterbildung und Willensschulung vermitteln, die der Mutter, Maria von Steiermark, für den künftigen Landesherrn von Innerösterreich unerläßlich schienen, zumal sich Ferdinand bisher als eine eher zaghafte Natur erwiesen hatte. Wilhelm V. war über die Jahre hinweg am engen Kontakt mit dem Grazer Hof in familiären und konfessionspolitischen Angelegenheiten interessiert und hat sich daher Ferdinands fürsorglich angenommen, wie seine Korrespondenz mit Maria und Ferdinand verdeutlicht. Ferdinand ist sich der Fürsorge Wilhelms stets bewußt geblieben, „dieweil ich E.L. allezeit wie meinen leiblichen vatter geliebet und Sie, seider mein herr vatter seliger gestorben, allezeit davor erkennet".64 Das Ingolstädter Nebeneinander Ferdinands und Maximilians hat schon stets die Beachtung der Geschichtsschreiber gefunden, haben sich doch die Lebenswege der beiden in den folgenden Jahrzehnten immer wieder gekreuzt aAretin,
Maximilian 370. Er habe „ein sonderbaren lust zum waidwerkh und darmit mein maiste ergezlichkheit", schrieb Maximilian 1598 an Erzhg. Albrecht in Brüssel und bat um einige indische Falken und spanische Berberfalken, die anderswo nicht zu bekommen seien (Wittelsbacherbriefe IV Nr. 154). 63 Friedrich v. Hurter, Geschichte Kaiser Ferdinands II. und seiner Eltern, Band 2, 231 ff. und 3, 201 ñ.;Aretin, Maximilian 477 ff.; Dotterweich, Maximilian 95 ff.; Cerwinka, Beziehungen 128 ff.; Johann Franzi, Ferdinand II. Kaiser im Zwiespalt der Zeit, Graz/Wien/Köln 1978, 25 ff.; Dokumente 1,3 Nr. 114; Briefwechsel Wilhelm V. - Maria von Steiermark in Wittelsbacherbriefe I-II. Die in den dortigen Einleitungen geübte Kritik Stieves an Ferdinand und Maria ist sehr zeitgebunden. m Ferdinand an Wilhelm V., 11.10.1617: BA XII, 207 Anm. 89.
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und verknüpft, familiär als Vettern und Schwäger und später als Schwiegervater und Schwiegersohn, vor allem aber im politischen Kontext als Kaiser und Kurfürst. Waren vielleicht die Beziehungen der beiden, die zwar durch Lebenswelt und konfessionspolitische Ziele verbunden, aber durch Charakter und territorialpolitisches Interesse vielfach geschieden waren, bereits durch Jugenderlebnisse belastet? Wir wissen, daß sich eines Tages zwischen Ferdinand und Maximilian ein Streit um den Vortritt im Kirchenstuhl ereignete, weil Ferdinand als Erzherzog den Vorrang vor Maximilian als Herzog beanspruchte. Maximilian gab nach, obwohl er der Ältere war, beschwerte sich aber sofort bei seinem Vater und es entspann sich ein Briefwechsel zwischen München und Graz, als dessen Ergebnis beide Prinzen ermahnt wurden, sich als Brüder zu betrachten und nicht bereits als regierende Herren. Man hat darauf hingewiesen, daß um diese Zeit zwischen Bayern und Österreich eine langwierige Auseinandersetzung um den ersten Platz auf der weltlichen Reichsfürstenbank geführt wurde und Wilhelm V. um die Wende 1590/91 für sich und seine Familie den Titel „Durchlaucht" angenommen hat, um in diesem Zusammenhang die Ranggleichheit mit den Erzherzögen zu demonstrieren, die diesen Titel bereits seit langem führten.65 Waren diese Differenzen den beiden Prinzen nicht unbekannt geblieben? Stieve hat jedenfalls den Kirchenstuhlvorfall als eine Kränkung Maximilians gedeutet, die dessen lebenslange Animosität gegen Ferdinand zur Folge gehabt habe.66 Diesem Urteil wird man nicht folgen. Allerdings war Maximilian eine nachtragende Natur und die Konkurrenz zwischen den Häusern Bayern und Österreich war ihm, über alle dynastischen und politischen Gemeinsamkeiten hinweg, stets gegenwärtig. Andererseits besitzen wir eine Reihe von Zeugnissen, die ein weiteres freundschaftliches Nebeneinander der beiden Prinzen in Ingolstadt belegen; bei einer Erkrankung Ferdinands etwa erwies sich Maximilian rührend und fürsorglich um dessen Gesundung bemüht. Man wird daher aus dem Vorkommnis keine weiterreichenden Folgerungen ziehen wollen. In den folgenden Jahren sah sich Wilhelm V. der wiederholten Forderung Kaiser Rudolfs und des Erzherzogs Ferdinand von Tirol gegenüber, seinen Schützling Ferdinand wieder nach Graz zurückzubringen, eine Forderung, die auch von den steirischen Landständen erhoben wurde, „damit er oben in Bayrn nit zu katholisch oder jesuiterisch werde".67 Jedoch hielten Wilhelm V. und Maria von Steiermark weder den Knaben bereits gefestigt genug, noch Ootterweich, Maximilian 97. Stieve, Maximilian 645. 67 Ausfuhrlich Cerwinka, Beziehungen 138 ff. und 190 ff.; Briefwechsel Wilhelms V. mit Maria von Steiermark in Wittelsbacherbriefe I und II. 65
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die konfessionelle Situation Innerösterreichs bereits genügend konsolidiert, um dieses Risiko auf sich zu nehmen. Auch in der Frage der Administration der innerösterreichischen Länder in der Zeit der Minderjährigkeit Ferdinands kam es zu Auseinandersetzungen Wilhelms und seiner Schwester mit dem Kaiser und den Erzherzogen. Erst im Februar 1595 kehrte Ferdinand nach Graz zurück, nicht ohne von seinem Onkel mit einer Art Regentenspiegel versehen zu sein, der ihm die Rückführung seiner protestantischen Untertanen in den rechten Schafstall ans Herz legte.68 An der dann folgenden rigorosen Restaurationspolitik Ferdinands in der Steiermark hatten Wilhelm V. und Maximilian jedoch keinen Anteil, ja sie leugneten jede nähere Kenntnis davon.69 Die Ingolstädter Jahre bedeuteten Maximilians Übergang vom Jüngling zum Mann, jedoch sind wir über seine psychische und charakterliche Entwicklung in dieser Periode nur punktuell unterrichtet. Die von den Erziehern monierte und von ihnen bekämpfte Ängstlichkeit ihres Zöglings ist diesem ein Leben lang erhalten geblieben und hat sich wiederholt als Unschlüssigkeit und Zögern vor großen Entscheidungen geäußert und seinen Mitarbeitern manche Geduldsprobe abverlangt. Doch stand Maximilian in der Spannung, gleichzeitig mit einem hochentwickelten Selbstbewußtsein ausgestattet zu sein, dem seine Mitarbeiter der späteren Jahre nicht weniger ausgesetzt waren. Ein Porträt des hochgeschossenen und blassen Sechzehnjährigen aus diesen Jahren blickt dem Betrachter mit Selbstgefühl und Skepsis entgegen.70 Dem korrespondiert eine gleichzeitige Mahnung Wilhelms V., daß sein ältester Sohn „seine sachen mit mehr gedult handle, nit so gech zornig noch furioso sey, wenn er etwas haben wolle, daß es gleich alsbalt geschehen mieße, den dienern und andern nit schmehwort noch was ungebürlichs zumesse".71 Schließlich bemerken wir, daß sich Maximilian schon in seiner Ingolstädter Zeit von seinen lebenslustigen Brüdern durch das Bestreben unterscheidet, sich auf Kernfragen zu konzentrieren und dadurch bewußt von seiner Umgebung abzusetzen. In einer merkwürdigen Selbstreflexion hat sich der Siebzehnjährige diese Tatsache bewußt gemacht: „Ich waiß nit, wie es kumbt, daß ich so ungern schreib, wan ich kain wirdige sach hab; dan ich durchaus nit also beschaffen, wie ihr vil, daß ich kinde oder mege das papier mit iberflissigen unnizen vergeblichen Worten einfillen, und also nit allain mir die zeit unnuzlich verzehren, sunder auch ursach sein, daß ein anderer mit Text bei Hurter, Geschichte III, 556, Beilage CXLII. « BA V, 554 Anm. 1 (8.12.1600). 70 Abb. in GR II Nr. 145. 71 Schmidt, Erziehung 57. 68
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lesung eitler und unachtsamer brief verhindert werde."72 Diese Zielgerichtetheit mag Fickler auch im Auge gehabt haben, als er etwa zur selben Zeit bei seinem Zögling Gehorsam, Selbstzucht und Gottesfurcht rühmte, „tum etiam capacitatem ingenii, quae omnia spem optima prineipis faciunt".73 Im Frühjahr 1591 ging Maximilians Studienaufenthalt in Ingolstadt nach dreieinhalb Jahren etwas abrupt zu Ende. Der Erbprinz legte keine Schlußprüfung ab und erwarb auch keinen akademischen Grad. Dennoch erweisen sich die Ingolstädter Jahre Maximilians als wichtiger Abschnitt seiner Entwicklung, sie bildeten das Scharnier von der Jugend zum Mannesalter, in das der nunmehr Achtzehnjährige eintrat. Er hatte mancherlei Kenntnisse und Erfahrungen für sein künftiges Herrschertum und seine Lebenspraxis hinzugewonnen, vor allem juridische Kenntnisse, dann nähere Berührung mit geistlichen und weltlichen Fürstlichkeiten, mit Beamten der bayerischen Staatsverwaltung, mit Ordens- und Weltklerus, nicht zuletzt mit dem Ingolstädter Bürgertum und wohl auch mit dem gemeinen Mann. In der Hauptsache aber bedeutete Ingolstadt für den weiteren Lebensgang Maximilians die Befestigung seiner Persönlichkeit, seines überlieferten Weltverständnisses, seiner inneren Formung im Sinne persönlicher Frömmigkeit und intensiver Kirchlichkeit, aber auch fürstlichen Selbstbewußtseins, seiner entsprechenden Einschätzung der bewegenden Kräfte der Zeit, seiner Einschätzung der Aufgaben, die auf ihn warteten. Kurz vor dem Weggang von Ingolstadt schrieb der Siebzehnjährige: „Dan wan Du ein rechter catholischer first, so bist Du schuldig, daß Du Deine Untertanen zue dem rechten catholischen glauben bringest, sovil Dir miglich..."74
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Zitiert bei Dotterweich, Maximilian 134. Schmidt, Erziehung 349. Zitiert bei Dotterweich, Maximilian 63 f.
5. Jahre des Übergangs (1591-1598) Am selben 24. März 1591, an dem Wilhelm V. seinen Sohn anwies, den Aufenthalt in Ingolstadt vorzeitig abzubrechen, wurde in München, ebenfalls auf Befehl Wilhelms, der Italiener Marco Bragadino gefangengesetzt, der einige Zeit für den Herzog erfolglos als Goldmacher tätig gewesen war und schließlich hingerichtet wurde.1 Wilhelm V. hatte sich nicht gescheut, wegen fortgesetzter Geldverlegenheit Zuflucht zu einem Scharlatan zu nehmen. Der zeitliche Zusammenhang beider Vorgänge verweist darauf, daß der Erbprinz nicht nur abgerufen wurde, um nunmehr in die Praxis der Staatsverwaltung eingeführt zu werden, sondern eher noch, weil der Vater seinen Beistand in Staatsangelegenheiten gewünscht hat. Offensichtlich brannte Maximilian auch darauf, diesen Beistand zu leisten, weil er die Situation realistisch einschätzte und dem finanziellen Gebahren des Vaters kritisch gegenüberstand; wir wissen, daß er bereits im Sommer 1590 die Bragadino-Geschichte mit Sorge betrachtet hatte.2 Tatsächlich war der bayerische Staatshaushalt in ruinösem Zustand, da vor allem für den Bau des Jesuitenkollegs, der Michaelskirche und der Maxburg in München, für Musiker und bildende Künstler, für weitläufige Korrespondenzen und Gesandtschaften, aber auch für überraschend großzügige „Verehrungen" und Gnadengelder seit Jahren beträchtliche Summen ausgegeben wurden und eine strenge Rechnungskontrolle kaum gegeben war bzw. von Wilhelm immer wieder unterlaufen wurde.3 Gelegentliche Reformansätze blieben Stückwerk, denn so sehr Wilhelm mit Eifer und Hingabe den Regierungsgeschäften sich widmete, so fehlte es ihm doch an Systematik und Konsequenz, als richtig Erkanntes auch durchzusetzen oder weiterzuverfolgen. 1 Ivo Striedinger, Der Goldmacher Marco Bragadino, München 1929; Hatto Kallfei.Der zypriotische Goldmacher Marco Bragadin und eine florentiner Gesandtschaft in Bayern Ì.J. 1590, in: ZBLG 31 (1968), 475-500; GR II Nr. 177. 2 Vgl. Minucci bei Dollinger, Finanzreform 17. 3 Zur Finanzsituation grundlegend die weidäufigen und materialreichen, wenngleich schwierig zu systematisierenden Erörterungen bei Dollinger; Finanzreform. Beispiele für unbekümmertes Wirtschaften Wilhelms V. in den Jahren 1591 ff. bereits bei Felix Stieve, Zur Geschichte des Finanzwesens und der Staatswirtschaft in Baiern unter den Herzögen Wilhelm V. und Maximilian I., in: SB München 1881,19-94, hier Nrr. 4, 6-8,16-19.
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Maximilians Aufgabe bestand zunächst darin, zu lernen und sich über die Verhältnisse zu informieren, da er noch keine Entscheidungskompetenzen besaß und im übrigen, wie mehrfach bezeugt ist, dem Vater mit absoluter Loyalität gegenüberstand. Offensichtlich ging es darum, sich mit den Spitzenbeamten vertraut zu machen, welche die Ursachen der Finanzmisere erkannten, deren Situationsanalysen zu hören, die organisatorischen und personellen Defizite in der Staatsverwaltung zu erkunden. Unmittelbar nach seiner Rückkehr erhielt Maximilian einen erweiterten Hofstaat, der seiner neuen Stellung entsprach. Er nahm an den Sitzungen des Hofrats teil und versammelte auch, wie Fickler berichtet, die einflußreicheren Räte gelegentlich bei sich in seiner Wohnung im Erbprinzenhaus an der Schwabingergasse, das 1590/91 von Sustris erbaut worden war. Bereits im Juni vertrat er den zur Kur abwesenden Vater im Geheimen Rat, dessen Berichte an Wilhelm in Maximilians Namen gestellt und von ihm unterzeichnet wurden, der erste am 7. Juli 1591.4 Neben der Tätigkeit in der Staatsverwaltung setzte er, soweit es seine Zeit erlaubte, seine juristischen Studien fort, Fickler hielt ihm Vorlesungen in Geschichte und über bayerisches Landrecht in fortwährendem Vergleich mit dem Gemeinen Recht. Maximilian ist bereits in diesen Jahren in der einen und anderen Weise mit allen wichtigeren Problemen der bayerischen Politik befaßt worden, jedoch sind die hierzu vorliegenden Quellen zumeist zu punktuell, als daß sein Anteil an der Formulierung der damaligen bayerischen Positionen genauer umschrieben werden könnte. Nur in einigen Vorgängen, die allerdings für ihn bedeutsam waren, tritt seine Person deutlicher hervor, bei seinen Reisen nach Prag, Rom und Nancy 1593, dann beim Landtag von 1593/94, beim Reichstag von 1594, seiner Hochzeit 1595, anläßüch der Haager Bauernversammlung 1596, beim Passauer Bistumsstreit und schließlich im Zuge der allmählichen Regierungsübernahme zwischen 1595 und 1598. Die Bildungsreise nach Italien war im bayerischen Adel und dem emporstrebenden Beamten- und Bürgertum seit langem in Gebrauch.5 An den nord- und mittelitalienischen Universitäten, vornehmlich in Padua, Bologna, Pisa und Siena, suchte man sich in mehrjährigem Aufenthalt die Kenntnis des Römischen Rechts, der italienischen Sprache, fortgeschrittener Wirtschaftsmethoden, südländischer Kultur- und Lebensformen zu verschaffen. Die Kavaliersreisen fürstlicher Personen in Begleitung von Präzeptoren und
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BA IV, l . Vgl. etwa die Zusammenstellung fur die Familie Preysing seit dem 14. Jh. bei Sturm, Preysing 8 f.
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Hofmeistern hatten zumeist einen anderen Charakter, da sie allgemeinere Zwecke verfolgten. Es ging um die Vorsprache an italienischen Fürstenhöfen, je nach Rang und Konfession selbst beim Papst, Weitung des Blicks, Erprobung von Umgangs formen, Kenntnis von Menschen, Kultur und Sitten, sicher auch um Vervollkommnung im Italienischen.6 Bereits Wilhelm IV. und Albrecht V., nicht aber Wilhelm V., hatten eine solche Tour hinter sich gebracht. Für Maximilian war eine Kavalierstour, die zugleich diplomatischen Zwecken diente, mit Vollendung seines zwanzigsten Lebensjahres, also 1593, geplant, doch sollte vor dem geistlichen das weltliche Haupt der Christenheit besucht werden, Kaiser Rudolf II. in Prag.7 Angesichts der schwierigen Psyche des menschenscheuen Kaisers wurde diese Antrittsvisite am Münchner Hof genau vorbereitet; der Kaiser wünschte, wie man erfuhr, daß der bayerische Erbprinz nur mit kleinem Gefolge erscheine und weder Jesuiten mitbringe noch auch von solchen spreche. Maximilians Reise war offensichtlich erfolgreich. Der Kaiser nahm ihn am 27. Februar auf dem Hradschin ungemein huldvoll auf, empfing ihn mehrmals und zeigte ihm als große Auszeichnung persönlich seine Sammlungen, in denen Meisterwerke mit Skurriütäten sich eigentümlich mischten. Die Qualifikation des jungen Maximilian wurde von der kaiserlichen Umgebung sehr wohl bemerkt, sie gewann ihm auch den Kaiser, der ihn wiederholt in ausfuhrliche Gespräche verwickelte und sich ebenso anerkennend wie wohlwollend über ihn äußerte. So verließ Maximilian am 4. März Prag in dem Bewußtsein, einen politischen Erfolg errungen zu haben, von dem sich vielleicht noch zehren ließ. Nach kurzer Rast in München trat er am 15. März die italienische Reise an.8 Sein Gefolge bestand aus dem Statthalter zu Ingolstadt, Rudolf von Polweiler, einer Reihe weiterer hoher Hofbeamter, dem Beichtvater Gregor von Valencia, dem Leibarzt Dr. Meermann und anderen, insgesamt dreiundfünfzig Personen. Die Reise sollte in erster Linie der Weitung des Gesichtskreises Maximilians und seiner Vorstellung bei italienischen Dynasten, darunter auch Papst Clemens VIII., dienen, ebenso dem Besuch mancher Gnadenstätten. 6 Einschlägige Literatur verzeichnet Hammerstein, Prinzenerziehung; Justin Stagi, Bildungsreisen, in: X. v. Ertzdorff u.a. (Hg.), Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Amsterdam 1992, 141-189. 1 BA IV, 128 ff. 8 BA IV, 125 ff.; Wolf, Maximilian I, 100 ff.; Aretin, Geschichte 381 ff.; Dotterweich, Maximilian 127 ff. Ein offizielles Reisetagebuch eines ungenannten Verfassers für die Zeit vom 15. März bis 3. Juli befindet sich in Cgm 1972; es interessiert sich insbes. für das Zeremoniell, mit dem Maximilian auf den verschiedenen Stationen der Reise empfangen und geehrt wurde. Vgl. auch GR II Nr. 153. Über den Aufenthalt der Brüder Philipp und Ferdinand in Rom vgl. Wittelsbacherbriefe I, 19-34 und Nrr. 18, 40, 44.
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Jedoch ging es auch darum, die beiden jüngeren, für den geistlichen Stand bestimmten Brüder Maximilians, Philipp und Ferdinand, die sich seit einiger Zeit in Rom befanden, um sich für spätere Pfründenbewerbungen die Gunst der Kurie zu sichern, nach Hause zurückzugeleiten. Weiterhin sollte eine päpstliche Entscheidung zugunsten Bayerns im Streit mit Salzburg um die Koadjutorie der Fürstpropstei Berchtesgaden erwirkt werden. Schließlich erhoffte sich Wilhelm V. die päpstliche Erlaubnis zu einer Dezimadon des bayerischen Klerus, um seinen maroden Finanzen aufzuhelfen. Hierfür nahm man in Kauf, daß die Reise erhebliche Summen erforderte, nicht zuletzt für kostbare Geschenke, die nur mit Mühe aufgebracht werden konnten. Bereits in Innsbruck ließ Clemens VIII. ein geweihtes Schwert und einen geweihten Hut an Maximilian überreichen.9 Der Akt wurde deklariert als Ehrung und Ausrüstung eines Kämpfers für Glauben und Kirche. Schon früh war von hoher kirchlicher Seite Interesse an dem bayerischen Erbprinzen bezeugt worden. Der päpstliche Nuntius Felician Ninguarda hatte zehn Jahre zuvor nicht nur das bayerische Konkordat ausgehandelt, sondern auch dazu beigetragen, daß das berühmte, aus dem 9. Jahrhundert stammende Gebetbuch Kaiser Karls des Kahlen in den Besitz Wilhelms V. gelangt war. 1583, im Jahr des Konkordats, hatte er einen Druck dieses Buches veranstaltet und es mit einer Vorrede dem zehnjährigen Maximilian gewidmet: Der Prinz möge sich seiner täglich bedienen, denn aus dem Gebet schöpfe der christliche Fürst Kraft und Inspiration für sein Regentenamt, das der Kirche von Nutzen sein möge.10 Nichts anderes bezweckte jetzt auch Clemens VIII., nämlich die weitere Inanspruchnahme eines der wenigen altgläubig verbliebenen deutschen Fürstenhäuser für die Interessen der Kirche. Über Trient und Venedig, wo Maximilian einige Tage die üblichen Sehenswürdigkeiten besichtigte, sowie über die Höfe von Mantua, Ferrara und Florenz (wo u.a. die Werkstatt des Giovanni da Bologna aufgesucht wurde),11 gelangte man am 10. April durch die Porta Pia in die Ewige Stadt. Noch gestiefelt und gespornt verrichtete Maximilian die erste Andacht in der im Bau befindlichen neuen Peterskirche und küßte dem Papst, der mit Gicht zu Bette lag, demütig die Füße. Die folgenden Wochen vergingen mit der Besichtigung der einzigartigen Stadt, mit Ausflügen, auch nach Neapel zum Blutwunder des Hl. Januarius, Besuchen bei Kardinälen; hier ist Maximilian wohl auch dem Dichter Torquato Tasso begegnet, der ihm ein panegyrisches Sonett gewidmet hat: GR II Nrr. 154 und 155 (mit Abb.). 10 Vgl. GR II Nr. 144 (mit Abb.). 11 Hierzu vgl. GR II Nr. 122.
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„Alto signor di cui più saggio ò degno Non è quanto d'intorno il mare inonda L'honor che segui il merto, e vi circonda Già d'inchinarsi à Voi non prende à sdegno ..."12 Ein Besuch galt auch, wie selbstverständlich, dem Jesuitengeneral Claudio Aquaviva. Nicht zuletzt galten Maximilians Aktivitäten den Aufträgen, die ihn eigentlich nach Rom gefuhrt hatten, mit diesen sei er sehr okkupiert, berichtete er am 9. Mai dem Vater. So wurde er wiederholt vom Papst empfangen, der ihm manche Aufmerksamkeiten erwies und Reliquien schenkte, da man sich an der Kurie der Verdienste Bayerns um die deutsche Kirche bewußt war. Erfolgreich war Maximilian in der Angelegenheit der Fürstpropstei Berchtesgaden.13 Sein Bruder Ferdinand war 1591 von einem Teil des Berchtesgadener Stiftskapitels zum Koadjutor des regierenden Fürstpropsts Piitrich gewählt worden, zum Mißvergnügen des Salzburger Erzbischofs Wolf Dietrich von Raitenau, der sowohl in München wie am Kaiserhof und in Rom gegen die Wahl protestierte. Für beide Seiten war Berchtesgaden angesichts seiner Lage und seines Salz- und Holzreichtums von großem politischen und ökonomischen Interesse. Jetzt siegte die bayerische Seite, als der Papst die Wahl Ferdinands bestätigte, und zwar hauptsächlich als Ergebnis der Intervention Maximilians, wenn man einem Bericht Ulrich Speers aus Rom glauben darf. Als daher Propst Pütrich im Dezember 1594 starb, konnte Ferdinand problemlos dessen Nachfolge antreten, es begann die wittelsbachische Epoche der Fürstpropstei, die bis 1723 dauern sollte. Eine Dezimation des bayerischen Klerus wurde von Maximilian allerdings nicht erreicht und nur ungern stimmte der Papst der Abreise der bayerischen Prinzen zu, zu denen er offensichtlich Zuneigung gefaßt hatte. Am 11. Mai traten Maximilian, Philipp und Ferdinand mit ihren Hofmeistern und sonstigem Gefolge die Heimreise an. Gemeinsam besuchten sie das Heilige Haus in Loreto, nachdem Maximilian in franziskanischer Gesinnung allein einen Umweg zu den Gräbern des Hl. Franziskus und der Hl. Clara in Assisi gemacht hatte. In Rimini trennten sich die Brüder. Während sich Philipp und Ferdinand über Ravenna nach Hause wandten, reiste Maximilian über Mantua und Parma nach Mailand und ziemlich mühselig über den Großen Sankt Bernhard nach Einsiedeln, dann weiter über Zürich und Basel nach Nancy, wo er am 16. Juni anlangte. Er war an sich von seinem Vater GR II Nr. 156 mit Hinweisen zu Inhalt und Überlieferung. BA IV, 314-323; W. Brugger u.a. (Hg.), Geschichte von Berchtesgaden, Bd. 1, Berchtesgaden 1991, 602 ff.; Stellungnahmen Papst Clemens VIII. bei ]aitner{Hg.), Instructiones I, 20ff.
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angewiesen worden, sich nach Erledigung der römischen Aufträge nach Reims zu begeben, da dort die Häupter der französischen katholischen Liga, Herzog Karl III. von Lothringen (Maximilians Onkel) und Abgesandte Spaniens und des Papstes zu Beratungen über die französische Thronfrage zusammenkämen - es war kurz vor dem Konfessionswechsel Heinrichs von Navarra. Wir wissen nicht, welche speziellen Aufträge Maximilian in Reims erledigen sollte; er selbst hat den ganzen Vorgang als „ein hoch wichtig sach" bezeichnet. Er befand sich aber noch in Rom, als die Reimser Zusammenkunft sich auflöste. Dennoch reiste er jetzt über die Schweiz nach Lothringen, und man darf annehmen, daß ihn hauptsächlich die Absicht der Brautschau an den verwandten lothringischen Hof geführt hat, auch wenn der Zwanzigjährige auf eine Frage des Papstes, ob er nicht bald heiraten wolle, ausweichend geantwortet hatte, „es seie noch alle zeit und ich begere zuvor noch mehr zu sehen und lernen und hab meine gedanken auf dergleichen sachen nit gemacht".14 Bereits seit Maximilians Volljährigkeit 1591 war von möglichen Kandidatinnen für den Erbprinzen die Rede gewesen, wenngleich der Gesichtspunkt noch keine Rolle spielte, daß Maximilian offensichtlich erst dann anstelle seines Vaters die Regierung übernehmen konnte, wenn er auch durch Verheiratung seine Selbständigkeit nachgewiesen hatte. Im Grunde kamen nur drei katholische Dynastien mit mannbaren Töchtern in Frage, die deutschen Habsburger, die Mediceer in Florenz und die Lothringer. Wilhelm V. hatte zunächst an eine seiner Grazer Nichten, Maria Christierna, gedacht, die als Kind wiederholt am Münchner Hof geweilt hatte, die aber wegen eines körperlichen Fehlers dann doch nicht in Frage kam; Maximilian äußerte rundweg, daß die Grazerinnen mit ihm zu nahe verwandt und „vast all krump" seien.15 In Florenz empfahl sich die Tochter des verstorbenen Großherzogs Franz I. von Toskana, Maria von Medici. Sie war gleichaltrig mit Maximilian und eine Nichte Kaiser Maximilians II., der mit den Münchner Wittelsbachern verwandtschaftlich und freundschaftlich verbunden gewesen war; ihr Schwager, der Herzog von Mantua, nahm mehrmals Veranlassung, sie und ihre ungewöhnlich reiche Aussteuer in München zu empfehlen. Der junge Maximilian war jedenfalls so weit interessiert, daß er auf der italienischen Reise Anfang April 1593 einen Aufenthalt in Pisa einlegte, um sich mit den dort weilenden Medici bekannt zu machen. Die Begegnung verlief allerdings unbefriedigend, wie Maximilian selbst beschrieben hat: „Jedermann lobt sie " Maximilian an Wilhelm V., Rom 9.5.1593: Wittelsbacherbriefe I, Nr. 41. 15 Cerwinka, Beziehungen 208, nach einem Schreiben der Regina Delcassin an Maria von Steiermark, 27.4.1594.
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und rühmt sie hoch, a pietate singulari und andern vielen tagenden. Wenn nur der halbe theil wahr wäre! Selbst habe ich sie nicht ausnehmen können, da mir die Großherzogin nicht die weile gelassen, viel mit ihr zu reden. So habe ich sie auch nicht recht gesehen, weil es ziemlich finster war; aber mich dünkt nicht, daß sie so gar schön sei, wie man gesagt hat."16 Daß die florentinische Handlung „ziemlich erloschen" sei, wie Polweiler bald danach mitteilte, war ganz im Sinne Wilhelms V., der sich bei Maximilian ausdrücklich bedankte, daß er sich habe „von keinerlei eignen affectionen oder Zuneigungen zu weit einnehmen lassen", vielmehr dem Rat und Willen seiner Eltern gefolgt sei.17 Wilhelms Zurückhaltung war sicher auch bestimmt durch seinen Ehrgeiz, kirchliche Pfründen für Wittelsbacher Prinzen zu gewinnen. Die Medici konnten jedoch nicht jene lange Kette hochadeliger Vorfahren aufweisen, wie sie von den exklusiveren deutschen Domkapiteln als Aufnahmebedingung gefordert wurde, also auch für etwaige nachgeborene Söhne Maximilians erforderlich sein mußte. Maria von Medici war aber dann doch exklusiv genug, um die Gemahlin Heinrichs IV. von Frankreich werden zu können und durch Rubens auch in die Kunstgeschichte einzugehen. Im übrigen sollte Maximilian in seinen Beziehungen zu Frankreich noch wiederholt, wenngleich indirekt, auf die einst Verschmähte stoßen. Eine Verbindung Maximilians mit einer Tochter Herzog Karls III. von Lothringen, also einer seiner Cousinen, war schon seit längerem im Gespräch und wohl besonders von der Herzogin Renata und deren Schwester, der Herzogin Dorothea von Braunschweig, betrieben worden, welche nicht nur die Tugenden der lothringischen Prinzessinnen rühmte — „die wären in Gottes forcht, zucht und allen fürstlichen thugenden aufferzogen" —, sondern auch deren Mitgift von 300 000 Kronen herausstrich.18 Gegen eine lothringische Heirat sprachen allerdings die nahe Verwandtschaft, die Differenzen der Lothringer mit deutschen protestantischen Fürsten im Straßburger Kapitelstreit, aber auch die zunehmenden Spannungen zwischen Lothringen und Spanien, die sich vielleicht auch auf die bayerisch-österreichischen Beziehungen auswirken konnten. Maximilian befand sich vom 16. bis zum 25. Juni in Nancy. Der freiere Stil des dortigen Hofes, der ihm eigentlich von seiner Mutter her nicht ungeläufig sein sollte, war ihm zunächst ganz fremd. Von Beobachtern wurde bemerkt, daß „die französische libertet Ihrer Durchlaucht manier gar entgegen, sich auch nit so leicht zu derselben werden schik-
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Zitiert bei Aretin, Maximilian 385 f., von diesem sprachlich modernisiert. Zitiert ebenda 386. Zitiert ebenda 443 Anm. 1.
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ken könden",19 und Maximilian zeigte sich beunruhigt, als er bei der ersten Begrüßung seine Tante und Cousinen, ja sogar die Hofdamen nach französischer Art auf den Mund küssen mußte, auch waren ihm die französischen Tänze nicht geläufig. Doch erwiesen seine (heute verlorenen) Briefe, daß er sich im Kreise seiner Verwandten alsbald akkomodiert und wohl gefühlt hat. Uberhaupt muß er in Nancy gute Figur gemacht haben, wenn er den Lothringern mit jener Eleganz und Selbstsicherheit entgegengetreten ist, die er auf einem bekannten Porträt von 1594/95 erkennen läßt.20 Er lernte seine vier Cousinen näher kennen und faßte Zuneigung zur jüngsten, der 1574 geborenen Elisabeth Renata, ohne daß schon Fesdegungen getroffen wurden. Über Breisach, Freiburg, Ulm und Augsburg kehrte Maximilian am 3. Juli nach München zurück, am Tag darauf suchte er seine Eltern in Landshut auf, um ihnen über die lange Reise zu berichten.21 Wenige Monate nach Maximilians Rückkehr aus Lothringen wurde am 11. November in Landshut in Anwesenheit Wilhelms V. und Maximilians der bayerische Landtag von 1593/94 eröffnet.22 Hier wurde der künftige Herrscher erstmals unmittelbar mit einem Hauptproblem seines Vaters und der Epoche überhaupt konfrontiert, dem Verhältnis von Fürst und Landständen unter der Signatur der Finanzprobleme des sich modernisierenden Staates, in Bayern unter dem besonderen Vorzeichen der schlechten Finanzwirtschaft Wilhelms V. Von Religionsbeschwerden wie um die Jahrhundertmitte war bei den Ständen nicht mehr die Rede, seit die religiöse Opposition in den Anfängen Wilhelms V. zurückgewiesen und eine entsprechende Konfessionalisierungspolitik verfolgt worden war. Aber die Stände erhoben schwere Klagen über die desolaten finanziellen und ökonomischen Verhältnisse im Lande, insbesondere über die schweren Belastungen durch direkte Steuern. Seit 1577 hätten die Untertanen zwölfmal ein Zwanzigstel ihres Vermögens zur Landsteuer leisten müssen,23 Aufstände der Landbevölkerung seien zu befürchten. Die Stände hatten Ursache, mit dem Verständnis der Herzöge zu rechnen, da sie bereits Schulden Wilhelms V. in Höhe von 3,2 Millionen Gulden mit einer Bericht Polweilers, 23.6.1593: BA IV, 137 Anm. 4. Abb. in GR II Nr. 159*. 21 Der alte Maximilian riet übrigens in dem Testamentskodizill von 1650 von Kavalierstouren seiner Söhne ab (Dokumente 1,3 Nr. 356). 22 Altbayer. Landschaft Lit. 448 f.; Wolf, Maximilian I, 110 ff.; Freyberg, Pragmatische Geschichte I, 1 ff. (exakteste Darstellung); Schreiber, Wilhelm V. 237 ff.; Do/linger, passim. 23 Der Steuersatz von 5 Prozent galt jedoch nur fur einen Teil des Vermögens, so daß sich für das Gesamtvermögen nur ein Satz von durchschnittlich 1,5-2 Prozent ergab; vgl. 'Rankl, Ringen Kap. IV.2. 19
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jährlichen Zinsbelastung von 160 000 Gulden übernommen hatten. Aber in einer Kommission aus hohen Beamten und Landschaftsverordneten machte ihnen der Hofkammerpräsident Neuburger die Rechnung auf, daß angesichts eines Staatshaushalts von knapp 300 000 Gulden Einnahmen und 635 000 Gulden Ausgaben bereits wieder eine Neuverschuldung von 1,5 Millionen aufgelaufen sei. Nach intensiven Kommissionsverhandlungen, bei denen von beiden Seiten mit Vorwürfen nicht gespart wurde, 2eigten sich die Stände bereit, auch die neuen Schulden zu übernehmen sowie als Kammergutsaufbesserung einen jährlichen Zuschuß von 50 000 Gulden und einen Salzaufschlag im Wert von jährlich 100 000 Gulden zu bewilligen. Hierzu stellten sie aber zwei Bedingungen: Die vorliegenden ständischen Gravamina müßten erledigt sowie eine neu eingeführte Abgabe auf exportiertes Getreide wieder aufgehoben werden. In diesem Moment der Verhandlung wallfahrtete Wilhelm V. nach Altötting und bevollmächtigte seinen Sohn mit der weiteren Verhandlungsführung. Es war ohne Zweifel ein wichtiger Augenblick in Maximilians politischer Laufbahn, in dem die Weichen für sein künftiges Verhältnis zu den Landständen gestellt wurden, weshalb er ihnen seine Prinzipien bereits in seiner ersten Erklärung deutlich werden ließ. Er verwies es den Ständen, ihre Bewilligung an Bedingungen zu knüpfen, welche in fürstliche Gerechtsame griffen. Jedoch sei er bereit, die Forderung nach einer Getreideabgabe zurückzunehmen, wenn der Landtag noch weitere 50 000 Gulden bewillige. Als sich die Stände hierauf verwahrten, daß nun ihnen Bedingungen gestellt würden, wurde der Ton Maximilians drohender: Die Landschaft müsse wissen, daß es dem Herzog nicht an Mitteln fehle, sich bei Fug und Recht zu handhaben. Dann aber baute er goldene Brücken: Trotz allem sei er entschlossen, „die freiheiten der stände ebensowenig als seine regalien kränken zu lassen". So einigte man sich auf die Einstellung des Getreideaufschlags gegen Bewilligung weiterer 50 000 Gulden. Darüber hinaus gelang es Maximilian, die Stände zu einer erstaunlichen Bindung zu verpflichten, sie bewilligten im vorhinein acht Landsteuern und vier Ständesteuern für die nächsten zwölf Jahre, also bis 1605! Ja ein erweiterter Landtagsausschuß wurde ermächtigt, in bestimmtem Umfang noch weiteren Steuern zuzustimmen, falls außerordentliche Verhältnisse, etwa die fortdauernde Türkengefahr, es erforderten. Man hat von einer „Kronprinzenhaltung" Maximilians gegenüber den Landständen beim Landtag von 1593 und in den folgenden Jahren gesprochen, in dem Sinne, daß sich Maximilian als eine Alternative zum regierenden Herzog Wilhelm V. präsentiert habe. „Je längere Schatten die Politik seines Vaters warf, um so heller erschienen die Hoffnungen und Erwartungen, die
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sich an Maximilians Namen knüpften."24 Tatsächlich vermitteln die Landtagsverhandlungen den Eindruck, daß Maximilian - bei aller Loyalität gegenüber dem Vater — ganz ebenso wie die hohe Beamtenschaft dahin tendierte, über kurz oder lang das finanzpolitische Steuer herumzureißen und im Interesse des Staates und der Dynastie, aber auch der Stände, der fortwährenden Verschuldung ein Ende zu machen. Dies ist von den Landständen offensichtlich erkannt worden und mußte von ihnen auch begrüßt werden, anders läßt sich ihre Bereitschaft zu einer Bindung auf zwölf Jahre nicht erklären. Daß Maximilian hierdurch auch einen großen Schritt getan hatte, sich der Abhängigkeit von den Ständen zu entwinden, war eine andere Sache. Auch die erstmalige Einrichtung eines Landtagsausschusses mit Vollmacht zu selbständiger Steuerbewilligung zwischen den Landtagen dürfte nicht ohne Zutun Maximilians geschehen sein. Manche Landstände, denen die Teilnahme an den Landtagen Zeit und Geld kostete, konnten hierin ihren Vorteil sehen. Viel mehr entsprach es aber dem herzoglich-bürokratischen Interesse, mit kleinen Gremien zu verhandeln, deren Mitglieder der Gnade oder Ungnade des Herzogs leichter erreichbar waren. So bildete die Bindung der Stände bis zum Jahre 1605 und die Übertragung zentraler ständischer Rechte auf den Landtagsausschuß eine wichtige Station in dem langgestreckten Vorgang der Reduzierung landständischen Einflusses im Herzogtum. Der geschickte Umgang Maximilians mit den Ständen äußerte sich auch darin, daß er ihnen während der Abwesenheit seines Vaters in Altötting zugestand, sie auch weiterhin mit den sog. Landschaftsbüchern zu versehen, in denen sämtliche Landtagsdokumente zusammengestellt waren, während Wilhelm V. sich noch wenige Tage zuvor entschieden gewehrt hatte, auf diese Weise geheime Finanzsachen publik zu machen.25 Der Vater hatte sich in eine Sackgasse verrannt, der Sohn warb dagegen in bestimmter Weise um das Vertrauen der Stände, ohne Prinzipielles preiszugeben. Am Ende seines Lebens, in der Instruktion für den Erbprinzen Ferdinand Maria von 1651, sollte er dann schreiben: „Und wan die Landständ wahrnemmen, daß der Landesfürst die Sach verstehet, wohl regieret und sich seines ambts und gewalts zugebrauchen weis, so thuen und bewilligen sie dannoch das iennige, was etwan hiebevor die Landesfürsten durch ertheillung allerhand praejudicierlicher Privilegien herausgebracht."26 In diesem Zusammenhang muß wohl auch der erstaunlichste Vorgang des Landtags von 1593, die Türkenkriegserklärung Maximilians, gesehen werden. Dollinger, Finanzreform 58. « Ebenda 347. 26 Dokumente 1,3 Nr. 359. 24
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Auch in Bayern waren Vorkehrungen gegen die Türkengefahr getroffen worden, als nach vieljährigem Waffenstillstand seit September 1593 türkische Truppen in Ungarn wieder die Offensive ergriffen.27 So ließ Maximilian dem Landtagsausschuß am 6. Januar 1594 bekanntmachen, daß er entschlossen sei, sich im Sommer persönlich an einem Feldzug gegen den Erbfeind der Christenheit zu beteiligen. Er bat die Stände um finanzielle Unterstützung und forderte den Adel und die Bürger der Städte und Märkte auf, sich ihm mutig anzuschließen und ihre Qualitäten unter Beweis zu stellen. „Wie dann gleichwol der bayerische adi und Bayern ingemein das altgehabte gut lob in kriegswesen und kriegserfahrenheit ein zeit hero eben nicht wenig verlohren, das möchte aber dergestalt zimmlichen erholet und widerbracht werden."28 Das Wort von der notwendigen Wiedererweckung des kriegerischen Geistes des deutschen Adels war ein Topos, der im 16. Jahrhundert häufig verwendet worden ist, etwa von dem Theoretiker der Landesdefensionen Lazarus von Schwendi. Dennoch — oder gerade deswegen — wurde Maximilians Erklärung von den Ständen mit Begeisterung aufgenommen, ohne jedes Verhandeln bewilligten sie weitere 30 000 Gulden für den Eventualfall. Allerdings kam der Türkenzug schließlich nicht zustande und wir wissen auch nicht, wie ernst es Maximilian mit seiner Ankündigung gewesen war. Aber wie auch immer: Ohne Zweifel stand der Vorgang im Zusammenhang mit seinen Bemühungen, zu einem positiven Verhältnis mit der Landschaft zu kommen — im Interesse der Bewältigung der finanziellen Probleme, die angesichts der Mentalität Wilhelms V. noch längst nicht gelöst waren, vielleicht aber auch im Hinblick auf seine eigene Regierungsübernahme, die ziemlich unvermittelt denkbar geworden war. Denn am 15. Dezember 1593, nachdem er aus Altötting zurückgekehrt war, hatte Wilhelm V. die Stände zu aller Überraschung aufgefordert, seinem Sohn Maximilian als künftigem Erben und Landesfürsten die Eventualerbhuldigung zu leisten, da er selbst wiederholt von Leibsschwachheiten heimgesucht worden sei und sein ältester Sohn nunmehr das Mannesalter erreicht habe.29 Durch diesen Akt ermöglichte sich Wilhelm auch formell (denn in der Praxis war dies längst geschehen), Regierungsgeschäfte auf Maximilian zu übertragen und für den Fall der gänzlichen Abdankung eine erneute Befassung der Landstände mit dem Problem zu erübrigen. An Abdankung zum gegenwärtigen Zeitpunkt dachte er allerdings noch nicht, doch war nun ein Weg beschritten, der hierhin führen konnte und seiner inneren Konsequenz Vgl. unten Kapitel 14. Altbayer. Landschaft Lit. 448 fol. 174' ff.; Schreiber, Wilhelm V. 247 ff. 2» Altbayer. Landschaft Lit. 448 fol. 103 ff. 27
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nach wohl auch führen mußte. Über die Motive des erst fünfundvierzigjährigen Wilhelm, diesen Weg einzuschlagen, gehen die Meinungen auseinander.30 Man hat sein verstärktes Bedürfnis nach einem Leben frommer Beschaulichkeit genannt, ebenso auch gesundheitliche Gründe, da er selbst seinen Rückzug wiederholt (wie erstmals 1593) mit schlechter Verfassung und dem Bedürfnis, Gott fortan mehr als bisher zu dienen, begründete. Von anderer Seite wurde die finanzielle Notlage betont und die Einsicht Wilhelms, den Regierungsproblemen kaum mehr gewachsen zu sein. Eine genauere Analyse ergibt, daß im Laufe der Rückzugsperiode 1593-1597 die Beweggründe Wilhelms gewechselt haben, zumal in dem impulsiven, vielbeweglichen, stets pläneschmiedenden Geist wohl auch der Gedanke lebte, Sich-Ausschließendes vereinen zu können. Im Zusammenhang der endgültigen Abdankung spielte das Gesundheitsmotiv jedenfalls keine Rolle mehr; im Oktober 1597 erklärte Wilhelm, er schreibe sein Testament, „ob Wir wol jetzmals, dem Allmechtigen sey lob, in zimblicher gueter gesundheit und Uns des zeitlichen ableibens jetziger leibsgelegenheit und disposition halber villeicht nit so bald zu befahren."31 Tatsächlich lebte er noch bis 1626. Offensichtlich war die Finanzmisere, die sich seit 1593 noch vergrößert hatte, das Hauptmotiv zum Rücktritt, die Abneigung und die Unfähigkeit, sich den finanzpolitischen Problemen ernstlich zu stellen. Der Rückzug in ein Leben der Beschaulichkeit und der frommen Werke ergab sich hieraus von selbst, zumal sich Wilhelm später gelegentlich nicht gescheut hat, sich in politische Angelegenheiten zu mischen, nicht immer zum Vergnügen Maximilians. Weniger plausibel scheint das Argument, daß Wilhelm ein Zusammenwirken seines Bruders Ferdinand mit den Landständen zu Ungunsten der Sukzession Maximilians befürchtete.32 Bereits am 11. Januar 1594 (vier Tage vor der Türkenkriegserklärung Maximilians) huldigten die bayerischen Stände im Landshuter Rathaus dem Erbprinzen, nachdem dieser vorher, wie üblich, die landständischen Freiheiten bestätigt hatte.33 Sie gelobten, Maximilian „als dem nechstkunftigen regierenden erbherrn untertänig, gehorsam, getreu und gewärtig zu sein, Sr. Durchlaucht frommen zu fördern und schaden zu wenden, auch in allen sachen, was getreue landleute ihrem rechten erbherrn zu thun schuldig, getreulich thun sollen und wollen".34 Man darf vermuten, daß die beachtlichen finan30 31 32 33 34
Diskussion bei Spindler-Kraus, Handbuch II, 404. Testament vom 15.10.1597: Hausurkunden Nr. 1429. So Oollinger, Finanzreform 30. Text des Konfirmationsbriefes bei Schreiber, Wilhelm V. 250 ff. Altbayer. Landschaft Lit. 448.
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ziellen Zugeständnisse der Stände beim Landtag auch mit dieser Einleitung eines Regierungswechsels, mit der Hoffnung auf einen definitiven Wandel im Regiment verknüpft waren. Seit Beginn des Jahres 1594 sehen wir Maximilian jedenfalls intensiver als bisher in der Staatsverwaltung tätig werden, ein Wandel im bayerischen Regierungssystem deutet sich an. Vor eine breitere politische Öffentlichkeit des Reiches trat Maximilian erstmals beim Regensburger Reichstag des Sommers 1594,35 allerdings angesichts der Umstände nur mit Unbehagen und schließlich auch mit wenig Fortune. Es wurde bereits erwähnt, daß Wilhelm V. im Zusammenhang mit dem seit langem schwebenden Streit mit Österreich in der Frage des Vortritts 1591 fur sich und sein Haus den Titel „Durchlaucht" angenommen hatte, den bis dahin nur die Erzherzöge gefuhrt hatten, um die Gleichrangigkeit des Hauses Wittelsbach mit den Habsburgern zu demonstrieren - Etikettefragen als Machtfragen. Beim Reichstag sollte der Streit zur Entscheidung gebracht und die Titeländerung bestätigt werden. Da die bayerischen Räte jedoch wenig Hoffnung auf Erfolg hatten, blieb Wilhelm schließlich dem Reichstag überhaupt fern und ließ sich durch Maximilian vertreten, der von Oberstkanzler Herwarth, dem Hofkanzler Gailkircher und einigen weiteren Räten begleitet wurde. Durch die Vertretung Maximilians ergab sich aber ein im Verständnis der Zeitgenossen hochpolitisches Problem: Im Reichsfürstenrat nahm Bayern auf der Bank der weltlichen Fürsten den ersten, Pfalz-Neuburg den zweiten Platz ein, doch war zu erwarten, daß Herzog Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg einem noch nicht regierenden und noch unverheirateten jungen Fürsten wie Maximilian den Vortritt nicht einräumen würde. Einem derartigen Gesichtsverlust und der Gefahr einer eventuellen Diskussion der Rangordnung im Fürstenrat wollte man sich bayerischerseits nicht aussetzen.36 Die Lösung bestand darin, daß Maximilian weder an der Eröffnung des Reichstags teilnahm, noch an denjenigen Sitzungen des Fürstenrats, bei denen die regierenden Fürsten persönlich anwesend waren. War schon hierdurch für den selbstbewußten Erbprinzen eine frustrierende Situation gegeben, die ihn mehr als einmal veranlaßte, den Vater um Rückberufung zu
35 BA IV, 139-269; Wolf, Maximilian I, 141 ff.; Antin, Maximilian 430 ff.; RieZler\\ 10 f. Allgemein: Moriζ Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges, 3 Bände, Stuttgart 1889-1908, hier II, 114 ff. 36 Andererseits war Maximilian, obwohl nichtregierend, der einzige weltliche Reichsfurst neben den Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen und den Erzherzögen, der von Rudolf II. mit eigenhändigem Schreiben zum Reichstag eingeladen worden war (Kar/ Vocelka, Die politische Propaganda Kaiser Rudolfs II., Wien 1991,149).
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bitten, so hatte die bayerische Delegation auch in manchen Sachfragen des Reichstags ihre Schwierigkeiten. Wie schon bei den vorhergehenden Reichstagen seit 1566 war auch jetzt das Hauptthema die Bewilligung einer ansehnlichen Geldhilfe der Reichsstände zum Krieg gegen die Türken, wegen der Türkenhilfe hatte Kaiser Rudolf II. den Reichstag einberufen.37 Jedoch forderte eine Reihe protestantischer Stände unter Führung der kalvinistischen Kurpfalz vor jeder Bewilligung die Abstellung ihrer Religionsbeschwerden. Weiterhin war auch in Regensburg, wie seit langem, die Frage, inwieweit die protestantischen Administratoren ehemals katholischer Hochstifter, vor allem Magdeburgs, Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat zugebilligt erhielten. In dieser Frage verwarf Maximilian mit Entschiedenheit jedes Zugeständnis. Er war von Wilhelm V. angewiesen worden, sich zur Vorbereitung auf den Reichstag mit der 1586 erschienenen Schrift „De Autonomia" des Reichshofratssekretärs Andreas Erstenberger bekannt zu machen.38 Dieses „mit hinreißender Leidenschaft geschriebene" umfangreiche Werk, das bereits seit 1580 im Manuskript vorlag, war vom Autor erst auf wiederholtes Drängen Wilhelms V. und auf dessen Kosten in München zum Druck gegeben worden, was heißt, daß sich dieser damit identifizierte.39 In dem aufsehenerregenden und einflußreichen Werk wurde zwar der Augsburger Religions friede als geltendes Reichsrecht akzeptiert, aber der eigentliche innere Friede zwischen den Konfessionen als unmöglich und eine von den Protestanten geforderte Freistellung der Bekenntnisse für gottlos erklärt. Ähnliches hatte Maximilian auch schon von Fickler gehört, so daß er — trotz guter, ja freundschaftlicher Beziehungen zu dem Magdeburger Administrator Joachim Friedrich — wußte, was er zu tun hatte, wenngleich er es nur in Grenzen tun konnte. „Ob dan ich mich schon diser sachen etwas stark annehmen und Iro Majestät darunter ermahnen wollte", schrieb er dem Vater, „so wurde es doch ohne zweifei keinen großen nachdruck haben und vielleicht anders von mir aufgenommen werden, weil ich kein regierender fürst und ich mich sonsten allzeit vernehmen lassen, ich sei von des reichstags wegen nicht hie und habe mit den reichssachen nichts zu schaffen".40 Als der Kaiser schließlich dem Administrator die Session nur
Vgl. unten Kapitel 14. Martin Hecke/, Autonomia und Pacis Compositio. Der Augsburger Religionsfrieden in der Deutung der Gegenreformation, in: ZRG Kan. Abt. 45 (1959), 141-248. Daraus auch das folgende Zitat. 39 Max Lossen, Zwei Streitschriften der Gegenreformation: 1. Die Autonomia. 2. Das Incendium Calvinisticum, in: SB München 1892, 128-172, hier 129 ff. "0 Maximilian an Wilhelm V., 20.7.1594: BA IV, 238 Anm. 4. 37 38
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für „diesmals" verweigerte, notierte Maximilian kritisch: „Dies [diesmals] ist ein böses wörtl und wider der katholischen stände intention und willen von den kaiserischen hinzugethon worden." 41 Die Sessionsfrage, welche ein Teil der allgemeineren Frage nach der Gültigkeit des Geistlichen Vorbehalts von 1555 war, blieb ein wesentlicher Punkt in Maximilians reichspolitischem Programm bis zum Westfälischen Frieden. Beim Reichstag 1594 blieb dagegen die erwartete Konfrontation zwischen Alt- und Neugläubigen aus, weil der Gegensatz zwischen kalvinistischen und lutherischen Ständen, insbesondere zwischen ihren Führern Kurpfalz und Kursachsen, die Bildung einer protestantischen Einheitsfront verhinderte. Wenn diese Entwicklung den Verhandlungen um die Türkenhilfe in gewisser Weise zugutekam, so waren es doch gerade die Finanzfragen, welche zu einem bemerkenswerten Zusammenstoß zwischen Maximilian und den Kaiserlichen führten — wohl der erste, aber gewiß nicht der letzte dieser Art. Zunächst lehnten die Bayern zusammen mit anderen Ständen die Forderung des Kaisers ab, die Türkenhilfe vermittels der Reichssteuer des Gemeinen Pfennigs zu leisten, sie beharrten auf dem überlieferten, den Reichsständen günstigeren Modus der Bewilligung von Römermonaten nach der Reichsmatrikel. Als es dann um die Zahl der zu bewilligenden Römermonate ging, stimmten die bayerischen Gesandten infolge eines taktischen Fehlers ebenso wie die Protestanten lediglich für fünfzig Monate, während die übrigen katholischen Stände dem Antrag des bayerischen Gegenspielers Salzburg auf 64 Monate folgten. Der Vorgang führte zu einer schweren Vertrauenskrise zwischen Bayerischen und Kaiserlichen, die durch Erzbischof Wolf Dietrich von Salzburg noch geschürt wurde. Sie erwies dem jungen Maximilian, wie noch oft, daß die dynastischen und konfessionellen Gemeinsamkeiten zwischen Wittelsbach und Habsburg nur eine vergleichsweise dünne Decke über den territorialpolitischen Interessen der beiden Häuser und dem steten Verdacht gegenseitiger Ubervorteilung bildeten, und sie hat auch seine Beziehungen zu Salzburg schwer belastet.42 Uber Umstände und Einzelheiten seines ersten Auftretens auf Reichsebene konnte Maximilian also nicht sehr befriedigt sein, jedoch waren die Regensburger Erfahrungen dazu angetan, Charakterzüge zu verstärken, die ohnehin für ihn charakteristisch waren: Mißtrauen und Empfindlichkeit, aber auch Selbstbewußtsein und Durchsetzungswillen. Als sich nach Beendigung des Reichstags die bayerischen Geheimräte (vielleicht von Wilhelm V. ermu-
41 42
Maximilian an Wilhelm V., 1.6.1594: Ebenda 208 Anm. 3. Vgl. auch Wilhelm V. an Maximilian, 21.6.1594: Wittelsbacherbriefe II Nr. 53.
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tigt) dahin aussprachen, beim Kaiser erneut in der Titelfrage vorstellig zu werden, riet Maximilian aus solchen Voraussetzungen mit Entschiedenheit ab, zwar nicht hinsichtlich der Zielsetzung, aber in Bezug auf die Methode: Man solle den Kaiserlichen nicht lange mit Bitten kommen, sondern mit den Schulden drohen, die der Kaiser noch bei Bayern habe, nur solche Wege versprächen Erfolg.43 Der Sommer 1594 brachte auch den Abschluß der Heiratsverhandlungen mit Lothringen.44 Als Wilhelm V. sich im Dezember 1593 entschlossen hatte, künftig die Regierung mit Maximilian zu teilen und die Landstände anschließend dem Erbprinzen die Eventualerbhuldigung geleistet hatten, war eine baldige Vermählung Maximilians aus staatspolitischen Gründen unerläßlich geworden, und offensichtlich war Wilhelm mit der auserwählten Elisabeth von Lothringen, seiner Nichte, auch einverstanden. Im März 1594 reiste der sprachenkundige Obersthofmeister und Geheime Rat Johann Bapt. Guidebon Cavalchino, der einst mit Herzogin Renata vom lothringischen Hof nach München gekommen war, zur Werbung nach Nancy.45 Er trug vor, daß Wilhelm V. „ein zimblich alter" erreicht habe, daß Maximilian, dem die Landstände bereits gehuldigt hätten, zum Nachfolger bestellt sei und seine Eltern nichts lieber wünschten als seine Heirat mit einer lothringischen Prinzessin. Maximilian selbst habe im Vorjahr bei der Rückkehr aus Nancy seine Liebe und Zuneigung für Elisabeth erklärt, die jetzt ebenfalls gebeten werde, ihren „selbs freyen will und meinung" zu äußern. Guidebon erhielt alsbald das prinzipielle Jawort Herzog Karls und der Prinzessin; bereits Ende April berichtete Herzogin Renata ihrer Schwägerin in Graz, „das es darauf stett, das der Maximilian baldt soll ein stoltzer preutigam werden".46 Als erste Potentaten wurden Kaiser Rudolf II. und König Philipp II. von Spanien informiert, ebenso auch Papst Clemens VIII., da wegen der engen Verwandtschaft ein päpstlicher Dispens erforderlich war, der Ende Mai ausgestellt wurde. Zur gleichen Zeit, in den Wochen des Regensburger Reichstags, unterrichtete man eine größere Zahl europäischer Höfe von der Verlobung. Eine sowohl hochrangige wie geschäftserfahrene Gesandtschaft aus dem ehemaligen Obersthofmeister Rudolf Frhr. von Helfenstein, dem Hofkanzler Dr. Johann Gailkircher und Johann Bapt. Guidebon handelte anschließend in Nancy die Einzelheiten des Heiratsvertrages aus. In den Ehepakten vom 14. August « Maximilian an Wilhelm V., 16.8.1594: BA IV, 268 f. 44 Korrespondenzakten 627/1; BA IV, 426 ff:,Aretin, Maximilian 443 ff. 45 Instruktion in Hausurkunden Nr. 1340. Berichte Guidebons aus Nancy ebenda Nr. 1341. 46 Renata an Maria von Steiermark, 28.4.1594: de Crignis-Mentelberg, Renata 105 f.
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159447 heißt es ausdrücklich, daß die Verbindung zur Ehre Gottes, zur Wahrung und Verbreitung der gegenwärtig vielfach bedrängten heiligen katholischen Religion sowie zur Befestigung des heilsamen Verwandtschaftsbandes zwischen den Häusern Bayern und Lothringen gereichen solle. Die Prinzessin erhielt ein Heiratsgut von hunderttausend Goldkronen, das an sich in vier Terminen (der letzte 1612) zahlbar war, aber erst bis 1625 abgezahlt wurde,48 sowie Kleidung und Schmuck. Das Heiratsgut wurde von Maximilian für den Fall der Trennung durch Scheidung oder Tod mit einer gleichen Summe widerlegt, seine Morgengabe mit einem Drittel dieses Betrages festgesetzt. Elisabeth hatte auf alle Erbansprüche in Lothringen zu verzichten. Teils aus Geldmangel, teils um seiner Ruhe willen beantragte Wilhelm V. beim Brautvater, die Hochzeit noch ein Jahr hinauszuschieben und entgegen allem Brauch am Ort der Braut in Nancy abzuhalten. Herzog Karl bewilligte zwar den gewünschten Ort, der Termin aber wurde auf Anfang des nächsten Jahres festgelegt; auch Maximilian hatte sich einer Verschiebung nachdrücklich widersetzt. Am 9. Januar 1595 brach er mit einem Gefolge von hundert Personen von München auf und gelangte über Heidelberg, Hagenau und Saarburg am 26. Januar nach Nancy. Dort fand am 6. Februar 1595 in Abwesenheit Wilhelms V. und wohl auch Herzogin Renatas die Hochzeit statt. Wir hören, daß sie mit großer Pracht — „cum regia celebritate" — gefeiert worden sei, Einzelheiten sind jedoch nicht bekannt. Am folgenden Tag überreichte Maximilian seiner jungen Frau ein kostbares Diamenthalsband, um hierdurch die Morgengabe von 33 000 Kronen zu begleichen.49 Seine Frau ziehe gerne hinaus ins Reich, schrieb er wenig später dem Vater. Zum Einzug des Brautpaares in Bayern ließen die bayerischen Landstände eine Schaumünze mit den verschlungenen Initialen des Paares und der Inschrift „In vinculo pacis" prägen.50 Zum zweiten Male innerhalb weniger Jahrzehnte hielt eine Französin als bayerische Herzogin ihren Einzug in Landshut und auf der Trausnitz, wo
Ehepakten (Heiratsabrede zwischen Herzog Wilhelm V. im Namen seines Sohnes Maximilian und Herzog Karl III. von Lothringen im Namen seiner Tochter Elisabeth, Nancy, 14.8.1594), Pergamentlibell in Hausurkunden Nr. 1344; Druck: J y l . Aettenkhover, Kurzgefaßte Geschichte der Herzoge von Bayern von Herzog Otto dem Großen von Wittelsbach an bis auf gegenwärtige Zeiten, Regensburg 1767, 562-576. 48 Die lange Zahlungsfrist erbrachte insgesamt 88 125 Goldkronen an Zinsen. Einzelheiten in Fürstensachen 570, fol. 119 ff., Korrespondenzakten 627/1 sowie Hausurkunden Nrr. 1346 und 1351. Zur Rückzahlung von zwei Dritteln des Heiratsgutes nach Elisabeths Tod vgl. die durch Sparsamkeit gekennzeichneten Bemerkungen Maximilians in der Geh. Kammerinstruktion von 1638/48: Dokumente 1,3 Nr. 315 (1110 f.). 49 Cgm 1822 a, 459. 50 GR II Nr. 163. 47
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die Neuvermählten seit dem 12. März ihr Hoflager nahmen.51 Erst als Wilhelm V. im Frühjahr 1596 seine neue Residenz, die Maxburg in München bezog, übersiedelte Maximilian mit seiner Frau für dauernd nach München. Uber Elisabeths Erscheinung und Persönlichkeit sind wir relativ gut unterrichtet. Ein großes Staatsporträt, das bald nach der Hochzeit entstanden sein dürfte, zeigt eine grazile, elegante, ihrer Schwägerin Magdalena ähnliche Frau im kostbaren französischen Kostüm, das ihr kaum Bewegungsfreiheit läßt.52 Nach einiger Zeit hat Elisabeth die Kleidersitten des lothringischen Hofes abgelegt und sich stets in Schwarz gekleidet; in dieser Weise, als ernstblickende Matrone zeigt sie auch ein Porträt, das Maximilian nach ihrem Tod (1635) aufgrund einer Vorlage von ca. 1630 anfertigen und seiner Kammergalerie einverleiben ließ.53 Zahlreiche Lebensdetails der Kurfürstin haben uns zwei Jesuiten aufgrund eigener Anschauung überliefert, Pater Johann Vervaux, der Beichtvater Elisabeths seit 1631, im dritten Teil seiner bayerischen Geschichte,54 und Pater Jeremias Drexel, Hofprediger in München seit 1615,55 in seinem „Tugendspiegel der Kurfurstin Elisabeth" von 1636, vielleicht als Ausarbeitung von Predigten, die er zum Gedächtnis der Kurfürstin gehalten hatte.56 In beiden Beschreibungen wird Elisabeth mit mancherlei Beispielen gezeichnet als die fromme, bescheidene, leutselige, asketischer Lebensführung verpflichtete Frau, die sich dem Gebet und der Fürsorge für die Armen und Sterbenden widmet, die Leiden des Krieges mit Geduld und Gottvertrauen trägt, ihrem Mann in einer harmonischen Ehe in Liebe und Respekt verbunden ist, ihn bei den Feldzügen der Jahre 1620 und 1632 mit Gebeten begleitet, ihn auch klug berät und im übrigen ein waches Auge auf den ganzen Am 21.3.1595 schrieb Wilhelm V. an Erzhg. Ferdinand: „Der Maximilian ist mit seiner alten Gottlob auch wol herauß kumen; sy sein zu Lantshuet und haben ire sachen für sich selbs": Wittelsbacherbriefe II Nr. 59. 52 Gemälde heute im „Schwarzen Saal" der Münchner Residenz, Abb. in GR II Nr. 233. 53 Abb. in GR II Nr. 722. 54 Adlspeiter-Vervaux, Annales III, 343-348, der auch Mitteilungen Drexels (Anm. 56) verwertet. 55 Karl Pörnbacher, Jeremias Drexel. Leben und Werk eines Barockpredigers, München 1965, hier 95 f. 56 Tugendspiegel oder Kleinodschatz, welchen der weit nach ihrem ableiben hinderlassen die Durchläuchdgste Churfürstin und Hertzogin in Obern- und Nidern Bayrn etc. Elisabeth Hochseligster gedechtnus, weilandt des Durchleuchtigisten Churfürstens Maximiliani Hertzogen in Obern- und Nidern Bayrn etc. gewesten gmahel, von Hieremia Drexel der Societet Jesu Priester teutsch beschriben, München 1636, Duodez. Eine Reihe von Briefen Elisabeths an Hg. Albrecht VI. und dessen Gemahlin Mechthild findet sich in Fürstensachen Nrr. 572, 573 und 575; über ihren Kammerstaat unterrichtet die Instruktion ebenda Nr. 571. Von Maximilian orthographisch verbesserte italienische Briefe Elisabeths an die Kaiserin Eleonore liegen in Korrespondenzakten 627/3. Vgl. auch Margit KsoU, Der Hofstaat der Kurfürstin von Bayern z.Zt. Maximilians, in: ZBLG 52 (1989), 59-69. 51
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Hofstaat hat, „ita ut ab ipsa penderet totius aulae disposino". Mit besonderer Eindringlichkeit und Bewunderung schildern die beiden Jesuiten Elisabeths Frömmigkeit und Sittenstrenge, die sie auch ihrem Hofstaat mitzuteilen sucht, die vielen Gebetsübungen, wöchentliche Beichte und Kommunion, fromme Lektüre, erbauliche Gespräche mit dem Beichtvater und anderen Geistlichen. Nicht zuletzt heißt es über ihr Verhältnis zu Maximilian: „Da war zwischen ihnen, wie ich gnugsamen augenschein so vil jähr her hab können einnehmen, die allervertrawest ainigkeit, der beste £rid [...]. Sie kundten einander, wann es vonnöten, gar schön und mit aller ehrerbietung nachgeben und weichen."57 Mit Wohlwollen, um die fromme Atmosphäre am Münchner Hof zu kennzeichnen, berichtet Drexel auch, daß unter Maximilian und Elisabeth nur bei Anwesenheit fremder Gäste Tafelmusik gestattet gewesen sei. Einen freundlicheren Akzent setzte dagegen der von beiden Fürstlichkeiten geschätzte Kunstagent Philipp Hainhofer in einem Reisebericht von 1612: „Es ist gar ein wackher verstendige fürstin, welche auf ihren herren acht hat; wan sie merkht, daß ihr herr melancolisch ist, so bringt sy immer über der tafel mit dem Budin, ihrem furschneider, was fur, daß ir herr mues lachen und die gedanckhen etlicher massen aus dem sinn schlagen. Mit mir hat sie teusch und französisch geredt, die teusch sprach stehet ihr wol an, dan man an der pronunciation wol merkhet, daß sie kein geborne teusche ist."58 Elisabeths Schicksal war, daß ihre Ehe kinderlos blieb und sie damit ihre wichtigste Funktion nicht erfüllte, der Dynastie den Erben, dem Land den Thronfolger zu schenken. Eine Reihe von Badekuren59 blieb ebenso erfolglos wie mehrere Exorcismen, die Maximilian an ihr veranstalten ließ, doch rühmte sich der Kapuziner Lorenzo da Brindisi, daß er durch solche Praktiken immerhin Depressionen der Kurfürstin habe beseitigen können.60 Welche Probleme sich aus der Kinderlosigkeit Elisabeths zwischen den beiden Eheleuten ergaben, bleibt uns verborgen, aber wir kennen die langjährigen Hoffnungen Maximilians auf einen Erben, die ihn auch veranlaßten, sich der Verheiratung seiner jüngeren Brüder lange Zeit zu widersetzen.61 Drexel, Tugendspiegel 139 f. Christian Häutie, Die Reisen des Augsburgers Philipp Hainhofer nach Eichstädt, München und Regensburg in den Jahren 1611, 1612 und 1613, in: Zeitschrift des Hist. Vereins für Schwaben und Neuburg 8 (1881), 1-316, hier 154. 59 U.a. 1601 nach Lothringen „ad Thermas Plumbanas" mit Abstecher nach Nancy. 60 A. da Carmignano, San Lorenzo II, 335 f. und IV Nr. 254 f. 61 Maximilian widersetzte sich, heißt es in einer Denkschrift von 1605, „erstlich weil Ir fi. Dt. noch in starker hofnung seind, in kurzer zeit selbs aigne leibserben aus den gnaden und milten segen Gottes zu bekommen, in bedenken, daß etliche medici weder an Ir fi. Dt. person noch Dero geliebsten gemahel ainiche indicia sterilitatis et infoecunditatis bis auf den heutigen tag 57 58
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Kurz bevor Maximilian zur Hochzeit nach Nancy gereist war, hatte sich seine Position im bayerischen Regierungssystem erneut verändert. Zum 1. Januar 1595 hatte ihm Wilhelm V. förmlich die Regierung in Form der Stellvertretung übertragen, ohne aber selbst abzudanken.62 Daß die Zeitgenossen und wohl auch Maximilian selbst die Mitregentschaft als praktische Regierungsübernahme eingeschätzt haben, bezeugt ein Maximilian gewidmeter Kupferstich des Hofkupferstechers Johann Sadeler d.Ä. aus diesem Jahr.63 Er zeigt Herkules-Maximilian am Scheidewege zwischen den Mahnungen der Virtus, die ihn auf steilen Pfaden zum Gipfel des Ruhmes zu fuhren verspricht, und den gefährlichen Verlockungen der Voluptas. Die Virtus erhält Hilfe durch Pallas Athene, die Göttin der Staatsklugheit, so daß die Entscheidung von Herkules-Maximilian nicht mehr fraglich ist. Man hat im Zusammenhang mit diesem Bild zu Recht gesagt, daß sich Maximilian dem Leitbild des Herkules als Verkörperung heroischer Tugenden zeidebens verpflichtet fühlte; eine ganze Reihe von Produkten der maximilianeischen Hofkunst ist denn auch dieser Thematik gewidmet. Wir besitzen eine Reihe von Hinweisen, daß Maximilian bereits seit diesem Zeitpunkt zum eigentlichen Regierer im Herzogtum geworden ist.64 Bereits seit der Eventualerbhuldigung vom Januar 1594 und der Vollendung des 21. Lebensjahres am 17. April 1594 leitete er die Sitzungen des Geheimen Rates, der nun endgültig den Charakter einer Art Nebenregierung gegen die herzogliche Antecamera verlor, der ihm noch von seiner Entstehungsgeschichte her anhaftete. Maximilian erließ Mandate im eigenen Namen und führte ein eigenes Siegel. Die von ihm forcierte Tätigkeit des Geheimen Rats erforderte einen Ausbau der Geheimkanzlei. Diese, bisher mit der Antecamera Wilhelms V. verbunden, wurde nun ausschließlich Kanzlei des Geheimen Rats mit zusätzlichen Sekretären und räumlichem Ausbau in der Neuveste. Damit war die Antecamera praktisch beseitigt. Man erkennt, wie sich der junge Herzog durch den Geheimen Rat und die Geheime Kanzlei Arbeitsinstrumente schafft und sichert, mit denen er die Finanz- und Regierungskrise nit verspüren wellen, sonder Ir fi. Dt. noch immerdar vertrösten, daß sie secundum omnia naturalia et physica indicia nichts anders dann gewisse leibserben könden und sollen verhoffen, weil furnemlich baide Irer fl. DDt. personen noch zimlich jung, jezt in ainem recht gestandnen und allerbesten und vollkomnisten alter und sonsten gueter gesunder complexion, zudem auch auf schier- und nechstkonftigen früeling oder sommer willens, ein badcur fürzunemen, die zu disem effect auch gar nuz-dienstlich und durch vil experienz bewärt ist" (Wittelsbacherbriefe VI, Beilage F). « BA IV, 432 ff. 63 Abb. in G R II Nr. 183*. 64 BA IV; Dollinger, Finanzreform; Heydenreuter, Hofrat.
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zu bewältigen sucht, die aber auch indirekt die endgültige Regierungsübernahme vorbereiten helfen. Seit März 1596 behielt sich Wilhelm V. nur noch in einer begrenzten Zahl von Staatsangelegenheiten die Entscheidungsgewalt vor, in Landschaftssachen, Fragen, die Maximilians Brüder betrafen, Vormundschaftssachen sowie Angelegenheiten des Landsberger Bundes. „In andern dingen soll man unser verschonen, sovil immer möglich."65 Es waren die Wochen, in denen Wilhelm aus der Neuveste in die Maxburg übersiedelte und Maximilian seine Residenz für dauernd in München nahm. In dieser Zeit spielten auch — bezeichnend für die mannigfachen Schwierigkeiten, denen sich der junge Herzog nach der Mißwirtschaft Wilhelms V. gegenübersah - schwere Auseinandersetzungen Maximilians mit dem Hofkammerpräsidenten Christoph Neuburger, über die wir allerdings nur ansatzweise unterrichtet sind.66 Neuburger, seit 1587 Leiter der Hofkammer, seit 1592 mit dem Titel eines Hofkammerpräsidenten, hatte bisher als Finanzund Wirtschaftsexperte Wilhelms V. eine bedeutende Rolle in der bayerischen Verwaltung gespielt. Seine Hauptleistung war die Verstaatlichung des bayerischen Salzhandels gewesen, die Begründung des herzoglichen Salzhandelsmonopols, die ihren Abschluß in dem Salzvertrag mit Salzburg 1594 gefunden hatte. Neuburger, der bürgerlicher Herkunft war, war ebenso durch Machtbedürfnis und Selbstherrlichkeit wie Empfindlichkeit gekennzeichnet; was er nicht durch Geburt erlangt habe, äußerte er in einem Präzedenzstreit, habe er, „ohne eytlen rühm zu melden", durch lange getreue Dienste, Mühe und Arbeit sich erworben. Offensichtlich hatte der ebenfalls mit festen Meinungen versehene Maximilian große Schwierigkeiten mit ihm, dessen autokratischen Verfahrensweisen man nicht geringen Anteil an der Verwirrung des Finanzwesens in den neunziger Jahren zugeschrieben hat. Eine Rolle spielte wohl auch, daß Neuburger Wilhelm V. in dessen privaten Geldgeschäften beriet und seinem alten Herrn doch mehr als dem jungen zugetan blieb, der ihm mit Mißtrauen oder jedenfalls mit bestimmten Forderungen gegenübertrat. Anfang 1595 wurde Neuburger als Direktor des Reichenhaller Salzwesens nach Burghausen abgeschoben. Als Oberstkanzler Herwarth riet, ihn wieder zurückzuholen, da allein Neuburger fähig sei, die beabsichtigte Inkorporation des Salzwesens in die Hofkammer zu organisieren, wurde er im Sommer 1596 wieder als Hofkammerpräsident eingesetzt. In einer sehr selbstbewußten Denkschrift beschwerte er sich bei Maximilian über dessen Hineinregieren in Materien, von denen der junge Herzog wohl nicht ganz Heydenreuter, Hofrat 36. Lan^inner, Fürst 102 und 380 f.; Dollinger, Finanzreform 115 ff. und 358 ff.; Hofrat 167 ff.; Stieve, Finanzwesen Nr. 15; BA IV, 301 und 473 f. 65 66
Heydenreuter,
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ausreichende Kenntnisse besitze. In diesem Augenblick ist Maximilian wohl bewußt geworden, daß es unabsehbare Folgen für seine eigene weitere Position gegenüber der alten Beamtenschaft haben mußte, wenn er in dieser Konfrontation zurückwich, das prinzipielle Verhältnis von Fürst und Bürokratie stand zur Diskussion. Bereits im Sommer 1597 war Neuburger trotz Fürbitte Wilhelms V. wieder nach Burghausen versetzt! Jedoch scheint Maximilian dem Kontrahenten, der weiterhin bis zu seinem Tode 1601 Mitglied des Geheimen Rates mit sehr hoher Besoldung blieb, seine Gnade nicht auf Dauer entzogen zu haben.67 Schwierigkeiten hatte der junge Maximilian auch gegenüber der sog. Haager Bauernversammlung von 1596.68 Die östlich von München gelegene Reichsgrafschaft Haag war erst 1566 in bayerischen Besitz übergegangen, der Herrschaftswechsel und die neuen Anforderungen der bayerischen Verwaltung, auch die einsetzende Rekatholisierung, hatten Unruhe in der Bevölkerung hervorgerufen. Diese gipfelte schließlich Anfang Januar 1596 in zwei großen, bis zu fünfzehnhundert Teilnehmern umfassenden Bauernversammlungen, in denen vor allem über staatliche Steuerforderungen geklagt wurde. Die Versammlungen standen durchaus in der Tradition bäuerlichen Protestverhaltens, Beschwerden öffentlich zu artikulieren, um sie anschließend dem Landesherrn persönlich oder durch eine schriftliche Supplikation bekanntzumachen und um Abhilfe zu bitten; von Widersetzlichkeit gegenüber der Obrigkeit oder Aufruhr war nicht die Rede. Dennoch reagierte Maximilian aufs erste mit großer Schärfe auf die Versammlung, wohl aus mehreren Gründen. Schon seit Jahrzehnten war die Landesherrschaft bestrebt, die Versammlungsfreiheit der Bauern zu beschränken, weil sie in „Rottierungen" den Ansatz zu Aufruhrhandlungen gegeben sah. Weiterhin bestand die nicht unberechtigte Sorge, daß ein gleichzeitiger Aufstand oberösterreichischer Bauern auf Bayern übergriff. Nicht zuletzt spielte aber doch die Unsicherheit des jungen Maximilian eine Rolle, wie dem Vorgang adäquat zu begegnen sei, und aus dieser Unsicherheit resultierte zunächst ungewöhnliche Nervosität und Schärfe. Er entsandte eine herzogliche Kommission im Schutze von 150 Bewaffneten nach Haag, gleichzeitig wurden die Bischöfe von Freising und Salzburg, der Herzog von Pfalz-Neuburg, zahlreiche Pfleger sowie einige benachbarte Städte und Märkte alarmiert. In der Instruktion für die KommisVgl. Maximilian an Neuburger, 11.6.1599: Dollinger, Finanzreform 379. Kiefer, Geschichte IV, 675 f.; Renate Blickle, Die Haager Bauernversammlung des Jahres 1596. Bäuerliches Protesthandeln in Bayern, in: P. Blickle (Hg.), Bauer, Reich und Reformation. Festschrift f. G. Franz, Stuttgart 1982, 43-73. 67
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sare drängte Maximilian auf ungesäumte und scharfe Bestrafung der Rädelsführer. Sie sollten nach der Verhaftung peinlich examiniert werden, „ohne oder auch mit gewicht", und sie sollten sofort, „auch ehe dann das ander gemain baursvolckh dessen gewahr werde, mit der verdienten leib- und lebensstraff, als dem sträng oder schwerdt", hingerichtet werden, „damit es also bey den andern desto mehrer forcht und schreckens gewynne." In einem Postscriptum befahl er, die mit dem Strang Hingerichteten zu vierteilen „und zu mehrerem und lengerem abscheuch die viertl an die strassen aufhengen" zu lassen.69 Bevor er die Instruktion unterzeichnete, sandte er sie allerdings seinem Vater zur Überprüfung,70 und dessen Besonnenheit war es zu verdanken, daß die Uberreaktion des jungen Mannes erheblich gedämpft wurde. Wilhelm V. forderte ihn auf, zunächst einmal das Ergebnis einer gründlichen Untersuchung abzuwarten, entsprechend deren Ergebnissen zu procedieren und dabei auch andere Leib- oder Geldstrafen als nur die Hinrichtung ins Auge zu fassen, „weil ich nitt verste, noch aus des landrichters bericht vernemmen khan, was ire [der Bauern] intention aigentlich ist, endtgegen mich quibusdam bericht, daß sy offtt klaget und mehrmals gar zu 100 und 200 starkh ghen München geloffen und ire nott fürbracht und sich angemeldt." Diesen väterlichen Einwänden hat sich der Sohn denn auch sofort gefügt, militärische Aktionen wurden unterlassen und der Rechtsweg beschritten. Zwar hat man auch jetzt noch die Haager Vorgänge als „hochgeferliche emperung" eingestuft, die Gemeinde hatte mit Fußfall um Gnade zu bitten und zwölf sog. Rädelsführern wurde in München der Prozeß gemacht. Jedoch erhielt die Mehrzahl der Angeklagten nur Geld- oder Schanzstrafen; zwei Haupträdelsführer wurden in einem nichtöffentlichen Verfahren wegen Meineids zum Tod durch Enthaupten verurteilt, aber von Wilhelm V. sofort zur Strafe des bloßen Verlusts von zwei Fingern der linken Hand begnadigt. Insgesamt endete der ganze Vorgang in deutlichem Gegensatz zu den ursprünglichen scharfen Forderungen Maximilians ziemlich unspektakulär. Inwieweit der junge Herzog hieraus für die Zukunft gelernt hat, ist allerdings die Frage. Als ihm wenige Wochen später die oberösterreichischen Stände schrieben, gehört zu haben, daß es in der Grafschaft Haag wohl einen „fast [...] gleichmeßigen Aufstandt und Conspiration" wie im Land ob der Enns gegeben habe, antwortete er selbstbewußt, der Vergleich sei zwar nicht abwegig, aber dank seiner starken Hand sei in Haag die Unruhe „hingelegt und gestillt" worden, was die Österreicher auch erreicht hätten, wenn sie, wie er, Instruktion Maximilians fur die nach Haag zu entsendenden Kommissare, 6.1.1596, korr. Reinschrift mit Randbemerkungen Wilhelms V. in Gerichtsliteralien Haag Nr. 42 Konvolut 2. 70 Maximilian an Wilhelm V., 7.1.1596: Ebenda Konvolut 11. 69
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„anfangs ein mehrer ernst gebraucht" hätten.71 Der Wille zu raschem und nachdrücklichem Handeln, der Maximilians weitere Politik - mit bestimmten Ausnahmen - gewiß kennzeichnet, wurde also schon in den ersten Regierungsjahren demonstriert. Was aber die Versammlungsfreiheit betraf, so wurden den bayerischen Bauern zwanzig Jahre später die gewohnten Versammlungen durch die Landesordnung von 161672 zwar nicht prinzipiell verboten, aber ihre Genehmigung mit so vielen Kautelen versehen, daß praktisch von einem „tiefen Einbruch in die gemeindliche Autonomie und in das Mitgestaltungsrecht der Bauernschaft am staatlichen Leben" gesprochen werden muß,73 als weiteres Abdrängen des Bauern aus dem öffentlichen Bereich. Maximilians Verhalten gegenüber der Haager Bauernversammlung bildete eine Station auf diesem Weg. Wenn Wilhelm V. seinem Sohn seit 1593 Schritt für Schritt Regierungsverantwortung übertrug, verfolgte er selbst doch weiterhin jene seiner Zielsetzungen, die ihm besonders nahelagen. In diesen Umkreis gehörte vor allem seine Bistums- und Pfründenpolitik zugunsten seines Bruders Ernst und seiner nachgeborenen Söhne Philipp und Ferdinand, die bisher, insbesondere im Kölner Krieg, so erfolgreich verlaufen war. Wilhelm war dabei gleichermaßen durch dynastische, territorialstaatliche und konfessionspolitische Antriebe bewegt. Im Zentrum der diesbezüglichen Aktivitäten der Jahre 1594 bis 1598 standen die Bemühungen, das Bistum Passau durch die Wahl Philipps oder Ferdinands zum Koadjutor des Bischofs Urban von Trennbach schrittweise in bayerische Hand zu bekommen.74 Das Bistum Passau erstreckte sich weit nach Osten bis vor die Tore Wiens, die Stadt Passau war ein wichtiger Umschlagplatz für den Handel von und nach Bayern. Angesichts dessen war auch Kaiser Rudolf II. an der Nachfolge in Passau für einen Habsburger interessiert, unterstützt von Bischof Urban selbst und schließlich auch von dem Passauer Offizial und Dompropst zu Wien Melchior Klesl. Der stets latent vorhandene territorialpolitische Gegensatz zwischen Bayern und Österreich wurde im Passauer Bistumsstreit erneut offenbar; in unendlichen Erklärungen, Gegenerklärungen, Verdächtigungen, Winkelzügen, nicht Maximilian an die oberösterr. Stände, 23.2.1596: Ebenda Konvolut 35. Polizeiordnung Buch 5, Titel 6, Artikel 3. 73 Blkkle, Bauernversammlung 72. 74 BA IV, 284-309; Spindler-Kraus, Handbuch 111,3 § 31. Die Einschätzung des Problems durch die Römische Kurie wird ersichtlich aus der Instruktion fur den neuen Nuntius am Kaiserhof, September 1597, bei Klaus Jaitner (Bearb.), Instructiones Pontificum Romanorum. Die Hauptinstruktionen Clemens VIII. für die Nuntien und Legaten an den europäischen Höfen 15921605, Tübingen 1984, Bd.2, 512 f. 71
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2uletzt auch in Aktivitäten der beiden Kontrahenten bei der römischen Kurie wurde versucht, die eigene Position durchzusetzen. Das weitläufige Bistum Passau wurde von bayerischer Seite als ideale Ergänzung zum Bistum Regensburg angesehen, das sich bereits in der Hand Philipps befand, aber wenig Einkünfte abwarf. Ende 1594 hielt Maximilian „nochmaln dafür, das wir auf Passau beharren solten, alweiln solcher stift meinem brueder zu Regensburg wol gelegen und S.L. deren beden zusamben mehren austräglichen nuz haben möchte".75 Als schärfster Kontrahent erwies sich zunehmend Melchior Klesl, der konsequent das kaiserliche Interesse vertrat; die Feindschaft Maximilians gegen Klesl, den späteren Bischof von Wien, schließlichen Kardinal und starken Mann des Kaisers Matthias, wurde in diesen Auseinandersetzungen grundgelegt. Sie erhielten eine besondere Note, als Erzherzogin Maria von Steiermark im Frühjahr 1596 von Kaiser Rudolf II. gewonnen werden konnte, ihren nachgeborenen Sohn Leopold, also einen Vetter Maximilians, als Kandidaten des Kaisers für die Passauer Koadjutorie zu präsentieren. Maria war nicht minder wie ihr Bruder darauf erpicht, ihre zahlreichen Kinder gut zu versorgen, rief aber damit die Empörung Wilhelms V. hervor, die bayerischen Verdienste um den Grazer Hof und insbesondere um Erzherzog Ferdinand so schnöde vergolten zu sehen. In der Folge nahm der Briefwechsel zwischen München und Graz einen derart gereizten Ton an, daß Maximilian dem Vater riet, weitere Erörterungen einzustellen: Maria als Frau werde „ihre affectus nit moderiern" können, so daß es ratsam sei, „im namen des geliebten göttlichen fridens und gewinschter ainigkeit zwischen den nechsten bluetsverwanten" sich zurückzuhalten.76 Ende 1597 wählte die eine Hälfte des Kapitels den Erzherzog Leopold, die andere Herzog Ferdinand von Bayern zum Koadjutor. Die Entscheidung lag bei Papst Clemens VIII., der an sich auf bayerischer Seite stand, aber schließlich nach persönlicher Einwirkung Erzherzog Ferdinands dem elfjährigen Erzherzog Leopold im Juni 1598 den Zuschlag gab. „Der Clesl wirdt jezt triumphiern. Es ist halt kheinem menschen schier mer zu trawen", schrieb Maximilian dem Vater.77 Beide zogen unterschiedliche Folgerungen aus der schweren politischen Niederlage. Wilhelm V. nahm nach einer kurzen Zeit des Grolles wieder die alten herzlichen Beziehungen zu seiner Schwester Maria und seinem Neffen Ferdinand auf. Maximilian reagierte empfindlicher. Als im Jahr darauf der bayerische Agent in Rom verstarb, bestellte er in den Zeiten Papst Clemens VIII. (also bis 1605) keinen Nachfolger mehr, weil „eine zeit her unsere 75 76 77
Maximilian an Wilhelm V., 13.12.1594: BA IV, 300 Anm. 1. Maximilian an Wilhelm V., 14.10.1596: BA IV, 302 Anm. 1. Maximilian an Wilhelm V., 21.6.1598: BA IV, 480.
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sachen am päpstlichen hofe ihren rückgang genommen, wir auch wenig genug in acht genommen und respectiert werden".78 Auch gegenüber den Grazern blieb er reichlich reserviert, namentlich gegenüber Ferdinand, auch wenn sich, wie noch zu erzählen ist, die Familienbeziehungen durch die Heirat Ferdinands mit Maximilians Schwester Maria Anna alsbald noch weiter verengten. Diese Zurückhaltung war aber nicht nur eine Folge des Passauer Vorfalles selbst und nicht nur der Verschiedenheit der beiden Charaktere, sondern lag tiefer begründet in der durch den Vorfall geschärften Erkenntnis Maximilians, mit einem heruntergewirtschafteten Staat sich nicht in Konkurrenz zu europäischen Großmächten begeben zu können. Doch sind wir den Entwicklungen vorausgeeilt. Im Verhältnis Maximilians zu seinem Vater erwies sich seit 1595 zunehmend, daß die Doppelregierung auch bei der von Wilhelm V. zugestandenen Begrenzung geeignet war, die Verhältnisse weiter zu verwirren, zumal in finanzieller Hinsicht, da Wilhelm seine Geldbedürfnisse, die er kaum reduzierte, auch unter Umgehung der ordentlichen Instanzen zu befriedigen suchte. Die Akten erweisen, daß Maximilian bemüht war, dieser Willkür durch fortwährende Rechnungskontrolle zu steuern und zwischen den fiskalischen Interessen der Hofkammer und denjenigen seines Vaters loyal zu vermitteln. Wilhelm seinerseits blieb nicht verborgen, daß sein Sohn in diesen Monaten überaus beunruhigt war. Er führte diesen Zustand auf „kummer und melancholie" wegen der Finanzverhältnisse zurück, besorgte aber auch „unordnung im essen, trinken und andern excessen, es sey bey tag oder bey nacht", wie er in einem einfühlsamen Schreiben an Maximilian formulierte.79 Maximilians Depressionen resultierten aus dem Zwiespalt, die Notwendigkeit eines völligen Regierungswechsels klar zu erkennen und doch den Eindruck zu vermeiden, als strebe er nach der Macht im Herzogtum. Dem Kaiser ließ er erklären, daß er sich „in causa resignationis mere passive" halte und abwarten wolle, was, nach Gott, dem Kaiser und Wilhelm V. zu entscheiden gefalle.80 In dieser Situation kam Maximilian die Interessenlage der obersten Landesbeamten entgegen, wie sie sich insbesondere in den Zielsetzungen und Aktivitäten des Oberstkanzlers Johann Georg von Herwarth darstellte.81 ™ Maximilian an Speer, 12.8.1599: BA IV, 309. 79 Wilhelm V. an Maximilian, 15.2.1596: Wolf, Maximilian 1,186. 80 BA IV, 437 Anm. 1. 81 NDB VIII, 169 ff.; Maximilian Lanqnner,]. G. ν. Herwarth d.Ä. (1553-1622). Territorialpolitik, späthumanistische Gelehrsamkeit und sozialer Aufstieg, in: Archiv für Kulturgeschichte 75 (1993), 301-334; Dollinger, Finanzreform 50 ff; Rupert Hacker, Die Münchner Hofbibliothek
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Herwarth war sicherlich der eindrucksvollste Verwaltungsbeamte und Politiker, dem Maximilian zu dieser Zeit im bayerischen Umkreis begegnen konnte. Er stammte aus einer Augsburger Patrizierfamilie, sein Vater hatte sich 1567 mit der Erwerbung der Herrschaft Hohenburg bei Lenggries im Herzogtum niedergelassen. Herwarth selbst war ein Mann mannigfaltiger Begabungen, breiter Interessen, mit erstaunlichem Wissensdrang und Horizont. In einem lebhaften Briefwechsel mit Johannes Kepler erörterte er astronomische Theorien der Zeit, im Austausch mit dem Leidener Philologen Scaliger ging es um Probleme der christlichen Zeitrechnung, daneben standen philologische, vor allem gräzistische Studien, geographische und historische Arbeiten. Herwarth hatte in nahezu idealtypischer Laufbahn zunächst das Münchner Wilhelmsgymnasium der Jesuiten absolviert, anschließend in Ingolstadt die Rechte studiert und 1577 den Eid als bayerischer Hofrat geleistet. 1580 promovierte er in Ingolstadt zum Doktor der Rechte, seit 1583 befand er sich als Assessor des Bayerischen Kreises am Reichskammergericht in Speyer, seit 1585 erneut als Hofrat in München. 1587 wechselte er wohl aus finanziellen Gründen in das Amt des Kanzlers der bayerischen Landschaft, um aber schon 1590 als bayerischer Oberstkanzler in herzogliche Dienste zurückzukehren. Damit wurde er mit den wichtigsten Fragen der bayerischen Politik befaßt und übernahm allmählich auch eine Mitderposition zwischen Wilhelm V. und der hohen Bürokratie, den Landständen und schließlich auch Maximilian. Schon 1593 leitete er den von Landtag und Regierung eingesetzten Finanzausschuß und eine Finanzreformkommission, welche den zerrütteten Etat in Ordnung bringen sollte. Als ehemaliger Landschaftskanzler hatte Herwarth Verständnis für die landständische Forderung nach grundlegenden Änderungen im Finanzgebaren Wilhelms V., als Oberstkanzler vertrat er die in dieser Frage prinzipiell gleichgerichteten Zielsetzungen der hohen Bürokratie, das Staatsinteresse. Wenn Herwarth dabei Verwaltung und Landstände als tragende, dem Fürsten sogar nebengeordnete Institutionen des Territorialstaats begreifen mochte (Lanzinner), so konnte seine Hilfe und sein Einfluß doch auch für jemanden, der diese Auffassung nicht teilte, nützlich sein. Es ist deutlich, daß Maximilian in diesem Sinne die Unterstützung Herwarths gesucht und gefunden hat, um einen Weg aus der Finanzkrise zu finden, genauer gesagt, um durch diesen Wilhelm V. die Notwendigkeit grundlegender Änderungen in einer Direktheit plausibel zu machen, die der Loyalität des Sohnes offensichtlich verwehrt war.
unter Maximilian I., in: GR I, 353-363; Heydenreuter; Hofrat 335 f. und öfter. Über Herwarth als Gegner der Hexenverfolgungen handelt Behringer; Politiker 485 ff.
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Im Sommer 1596 scheint Herwarth nach Verständigung mit Maximilian Wilhelm V. erstmals die Abdankung nahegelegt zu haben,82 doch sind wir über dessen Reaktion, die negativ gewesen sein muß, nicht näher informiert. Vielleicht wollte er die Vollendung der Michaelskirche abwarten, die erst im Juli 1597 die kirchliche Weihe erhalten konnte. Spätestens im Juni 1597, unmittelbar vor diesem Termin, zeigte sich Wilhelm jedoch zum Rücktritt bereit. Die Staatsschuld war bereits wieder auf über 800 000 Gulden angewachsen. Es wurde der Weg gewählt, daß vor definitiven Schritten eine kleine Kommission von Spitzenbeamten - Obersthofmarschall Rudolf von Polweil, Oberstkanzler Johann Georg von Herwarth, Hofkammerpräsident Christoph Neuburger und einige andere - ein grundsätzliches Gutachten zur Reform des Finanzwesens und über Modalitäten der Abdankung erstellen sollten. Dieses Gutachten,83 das Ergebnis einer Konferenz vom 19. Juni 1597,84 eine denkwürdige Parallele zum Reformgutachten der bayerischen Räte von 1557 für Albrecht V., arbeitete überaus realistisch die hauptsächlichen Schäden in Finanzwesen und Behördenorganisation heraus und bezeichnete Wege zu ihrer Beseitigung, zu denen, mehr oder weniger deutlich ausgesprochen, die Abdankung des regierenden Herzogs zählen mußte. Auch wurde betont, daß die Landstände nicht mehr bereit seien, die bisherigen Modalitäten der herzoglichen Finanzpolitik zu akzeptieren. Mit einem Wort: Bürokratie und Landstände drängten zum Regierungswechsel, hinter ihnen stand Maximilian. In Antwort auf das Gutachten erklärte Wilhelm V. nun auch schriftlich, „daß ich genzlich und entlich entschlossen, gemeltem meinem ältern söhn landt und leutt, auch ganze und vollkomne regierung simpliciter, absolute et sine conditione zu resignieren und abzutreten."85 Damit war die Bahn für Maximilians Regierungsantritt praktisch frei. In anschließenden Verhandlungen zwischen Vater und Sohn, die angesichts der Bedeutung der Materien nicht ganz spannungslos verlaufen sein dürften, wurden die Texte dreier Dokumente formuliert: Die Abdankungsurkunde Wilhelms,86 das Testament Wilhelms87 und schließlich eine sog. GeDollinger, Finanzreform 46 ff., 323 ff., auch fur das Folgende; BA IV, 435 ff. Undatiertes Gutachten mit Nebenmemorial: Wolf, Maximilian I, 189-201; Antwort Wilhelms V.: Ebenda 201-213; Replik der Räte, 27.7.1597: Nicht ermittelt; Duplik Wilhelms V.: BA IV, 527-532. 84 Eigenartigerweise datiert das Dekret Maximilians an die Hofkammer, daß eine solche Konferenz einzuberufen sei (bei Stieve, Finanzwesen 65 f.), ebenfalls erst vom 19. Juni. 85 Zitiert bei Wolf, Maximilian I, 202. 86 Abdankungsurkunde Wilhelms V., 15.10.1597: Hausurkunden Nr. 1394; Druck: Dokumente 1,3 Nr. 128; vgl. auch GR II Nr. 179. 87 Testament Wilhelms V., 15.10.1597: Hausurkunden Nr. 1429. 82
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genverschreibung Maximilians,88 die alle vom 15. Oktober 1597 datiert waren. Die für die Abdankung notwendige Genehmigung des Kaisers als oberstem Lehensherrn war bereits im August von Wilhelms Geheimsekretär Ulrich Speer in Prag eingeholt worden. Laut Abdankungsvirkunde übergab Wilhelm an Maximilian „die ganze vellige regierung unserer land und leuth, die chur und wähl des heyligen Reichs,89 das pfalzgrafthumb bey Rhein, das herzogund furstenthumb Obern- und Nidernbayern, auch insgemain all unser herzog- und furstenthumb, land, graf- und herrschaften, die wir besitzen und innehaben, mit allen dazugehörigen rechten." Ausdrücklich wird zur Sicherung der Erbfolge und der Unteilbarkeit des Landes festgestellt, daß die Landesregierung „immerwehrlich dem eltisten weltlichen standes und dessen mannlichen erben in absteigender linie ehelicher geburt allain zustehen und gebüren und jederzeit der jünger dem eitern weichen" solle. Schließlich erklärte Wilhelm seinen Sohn ausdrücklich für „emancipirt und unsers väterlichen gewalts, so zu latein patria potestas genannt wird, begeben und erlassen". Dies alles wurde am 15. Oktober niedergelegt, von Wilhelm und seinen Söhnen unterzeichnet, besiegelt und von Notaren beglaubigt. Man mußte wohl bis zur Abdankung Kaiser Karls V. im Jahre 1556 zurückgehen, um auf einen ähnlichen Vorgang im Reich zu stoßen. Am 14. November sagte Wilhelm dem Kaiser die Regalien auf und bat durch eine Gesandtschaft an den Kaiserhof, der auch der künftige Oberstkanzler Joachim von Donnersberg angehörte, in seinem und seines Sohnes Namen um die Belehnung Maximilians.90 Die Gesandten waren angewiesen, darauf zu achten, daß „die chur und wähl des heiligen römischen Reichs, auch die Pfalz am Rhein" in dem Lehenbrief ausdrücklich aufgeführt würden. Am 23. Dezember sprach Kaiser Rudolf II. die Belehnung Maximilians mit dem Herzogtum Bayern aus.91 Erst jetzt wurde der kommende Regierungswechsel den verwandten und befreundeten Fürsten angezeigt. Am 4. Februar 1598 schließlich wurde der Regierungswechsel wirklich vollzogen, indem Wilhelm V. die Beamten, Lehensleute und Untertanen in drei fast gleichlautenden Mandaten von dem Eid, den sie ihm einst geleistet hatten, entband und sie mit ihren Pflichten an Maximilian I. wies, der sich schon bisher in der Landesverwaltung so sehr bewährt habe. Die Landstände wurden nicht mehr eigens einberufen, denn die 88 Gegenverschreibung Maximilians, 15.10.1597: Hausurkunden Nr. 1395. Vgl. auch die Tabelle in Wittelsbacherbriefe VI, 478 f. 89 D.h. den Anspruch auf die Kurwürde. 90 BA IV, 437. 91 Hausurkunden Nr. 1396.
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Eventualerbhuldigung von 1594 werde nunmehr „ipso iure et facto purificirt".92 Zu erneuter Bekräftigung des Primogeniturprinzips verwies Wilhelm auch in diesen Mandaten auf das Testament Albrechts V. und auf Abmachungen mit seinen Brüdern Ferdinand und Ernst vom 17. April 1580, in denen dieses Prinzip ausdrücklich bestätigt worden war. Und wie zu definitiver Bekräftigung des ganzen Vorganges, der dem erst Fünfundzwanzigjährigen die ungeteilte Regierungsgewalt brachte, ließ sich Maximilian alsbald in einem großformatigem Gemälde erstmals in Herrscherpose porträtieren, im schwarzen Feldharnisch, Helm und Panzerhandschuh neben sich liegend, die gepanzerte Rechte auf einen Stab als Zeichen der Befehlsgewalt gestützt.93 Der Blick des in lebhafter Bewegung innehaltenden jungen Herrschers richtet sich am Betrachter vorbei auf ein fernes Ziel, seine Devise lautet: „Dominus virtutum nobiscum - Der Herr der Heerscharen ist mit uns" (Ps. 45,8). In der Abdankungsurkunde vom 15. Oktober 1597 und in seinem Testament vom gleichen Tag sprach Wilhelm V. in allgemeinen Wendungen von den Rechten und Einkünften, die ihm weiterhin zustünden, und von der Verpflichtung Maximilians, sie zu realisieren sowie seinen eigenen Brüdern Jahresgehalt, Diener und bei Volljährigkeit die Unkosten einer angemessenen Hofhaltung zu finanzieren, auch seine Schwestern fürstlich zu halten und bei Verheiratung standesgemäß auszustatten. In den Vorverhandlungen des Sommers 1597 hatte Wilhelm großen Wert auf detaillierte Fesdegungen in dieser Deputatfrage und insbesondere darauf gelegt, daß Maximilians Brüder genügend bedacht würden, „denn man nit allain mueß sehen, wie man den regierenden fursten, sonder auch ander meine kinder contendere, sonderlich aber, dieweil das jus primogeniturae in unserm haus noch nit so wohl fundirt, daß nit etwan durch unruhige und ubel contentirte köpf mit der zeit mihe und arbait entstehn mechte."94 In der Gegenverschreibung zu Abdankungsinstrument und Testament, ebenfalls vom 15. Oktober 1597, hat Maximilian nun seine Verpflichtungen genau spezifiziert und deren Erfüllung eidlich bekräftigt. Das jährliche Deputat Wilhelms V. betrug künftig 44 000 Gulden in bar, dazu Sachleistungen, die von beachtlichen Mengen Getreide, Wild, Holz, Wachs, Salz und Schmalz bis zu Einpöckisch und Sächsisch Bier reichten. Weiterhin verblieben ihm - neben der Maxburg in München - an Landgütern die Herrschaft und Einkünfte der Grafschaft Mering, der Hofmarken Mühlfeld und Menzing, der Schwaige Schleißheim sowie einiger kleiMandate vom 4.2.1598: Dokumente 1,3 Nr. 129 (Beamtenmandat); vgl. GR II Nr. 180. Abb. in GR II Nr. 185. 94 BA IV, 528. Zu den Deputaten für Maximilians Brüder vgl. auch Stieve, Finanzwesen Nrr. 17-19. 92
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neter Objekte. Herzogin Renata sollte im Witwenstand jährlich 30 000 Gulden erhalten, Wilhelms Bruder Ferdinand 35 000 Gulden, seine Schwester Maximiiiana 6 000 Gulden. Die Pfründeneinkommen von Maximilians geistlichen Brüdern Philipp und Ferdinand sollten durch bayerische Zuschüsse jeweils auf 20 000 Gulden jährlich aufgestockt werden, gegenwärtig erhielt jeder einen Zuschuß von 12 000 Gulden. Für Herzog Albrecht waren ab Volljährigkeit jährlich 25 000 Gulden ausgesetzt, solange er im weltlichen Stand verblieb; wurde er geistlich, traten gleiche Bestimmungen wie für Philipp und Ferdinand in Kraft. Die Heiratsdeputate für Maximilians Schwestern Maria Anna und Magdalena waren auf je 50 000 Gulden festgesetzt. Die Berechnung und Leistung dieser Deputate und Reichnisse hat in der Folge naturgemäß Anlaß zu manchen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gegeben. Hierbei war Maximilian gewissenhaft, wie er es in der Gegenverschreibung gelobt hatte, rechnete aber auch mit jedem Gulden, da es sich bei diesen Ausgaben insgesamt um bedeutende Summen im Rahmen des Staatshaushalts handelte. Jedoch kam in den Ansprüchen der Familienmitglieder und den Verpflichtungen des regierenden Herzogs ihnen gegenüber immer wieder auch die Zusammengehörigkeit und Einheit der Dynastie zum Ausdruck, wie sie Wilhelm V. auf anderer Ebene, sehr bewußt, durch den regen Briefwechsel mit seinen Kindern zu befestigen suchte. Aus der Verknüpfung von Traditionen, Gefühlen und Interessen ergab sich das spezifische Geflecht dynastischer Gemeinsamkeit. Für Maximilian bildete es in der Folge sowohl eine Hilfe als auch mancherlei Belastung. Wie schwer Maximilian die Erfüllung der hohen Deputatforderungen fiel, die einen nicht unbeträchtlichen Teil der regulären Staatsausgaben ausmachten, wie sehr er sie für nicht im Interesse des Landes und des Landesfürsten gehalten hat, zeigt die Tatsache, daß er dem Problem am Ende seines Lebens im Testaméntskodizill von 1650 eine eigene kritische Passage gewidmet hat.95 Dort hieß es, daß sein jüngerer Sohn, der 1638 geborene Maximilian Philipp, zum Kriegshandwerk erzogen werden solle, damit er im Notfall seinem regierenden Bruder Ferdinand Maria beispringen könne — aus brüderlicher Liebe, aber auch in Ansehung des stattlichen Deputats, das er von diesem jährlich erhalte. Verweigere er diesen Beruf, sei Ferdinand Maria befugt, ihm ein Viertel bis ein Drittel des Deputats zu kürzen und für die Landesverteidigung zu verwenden. Im übrigen: Sollte Ferdinand Maria mehrere Söhne bekommen, könne nicht jeder so gut ausgestattet werden wie jetzt Maximilian Philipp oder vorher schon Maximilians Bruder Herzog Albrecht. In den anderen 95
Testamentskodizill vom 5.6.1650: Hausurkunden Nr. 1608; Druck: Dokumente 1,3 Nr. 356.
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deutschen Fürstenhäusern sei dergleichen Großzügigkeit bei Nachgeborenen nicht üblich, „welches in effectu ein thailung der land und einkommen und also der disposition der Primogenitur als dem fundament zuwider ist". Man solle die jüngeren Prinzen nur nach wirklichem Bedarf und entsprechend den finanziellen Möglichkeiten des Landes ausstatten, wie es einst Herzog Albrecht IV. als Urheber und bester Institutor der Primogenitur verordnet habe. Hier erweist sich einmal mehr die hohe Einschätzung, die Maximilian — unabhängig von seiner Person — der mit der Primogenitur verbundenen Position des Landesfürsten zugeschrieben hat. Dessen Funktion unterschied ihn prinzipiell von den übrigen Mitgliedern der Dynastie, dynastische Interessen hatten hinter dem vom Landesfürsten vertretenen Staatsinteresse wie selbstverständlich zurückzutreten. Wilhelm V. selbst fiel es offensichtlich nicht leicht, sich aus dem politischen Getriebe zurückzuziehen, er war in den folgenden Jahren keineswegs nur der zurückgezogen lebende, dem Gebet sich widmende Einsiedler, als der er von der frühen jesuitischen Geschichtsschreibung gezeichnet worden ist. Wie sein lebhafter Briefwechsel mit seinen Söhnen sowie den Verwandten in Graz erweist,96 war er weiter an Politik interessiert, soweit sie die Dynastie und das Fortkommen der jüngeren Söhne betraf, derentwegen er in den folgenden Jahren verschiedentlich bei Maximilian intervenierte. Der starke Familiensinn Wilhelms kam hier ebenso zum Ausdruck,97 wie eine gewisse Naivität, trotz finanziellem Zusammenbruch und Abdankung noch weiter politischen Rat erteilen zu können. Maximilian begegnete dem Vater ehrerbietig, wenn auch verschiedentlich sehr zurückhaltend oder sogar ablehnend, so als dieser mehrmals das Projekt einer Kaiserkandidatur seines Ältesten zur Diskussion brachte, die seinem dynastischen Ehrgeiz geschmeichelt hätte. Derlei Bemühungen des alten Herzogs und eine Reihe von Badereisen bis an den Rhein verbanden sich allerdings mit einem Dasein des Gebets und der Wohltätigkeit. Wilhelms Alterssitz war mit dem nahen Jesuitenkolleg, der Michaelskirche und dem Kapuzinerkloster durch gedeckte Gänge verbunden, die er zu regen Kontakten mit den Patres von der Sozietät und den Kapuzinermönchen nutzte. Auch die Einsiedeleien, die er in einem Halbkreis um die Schwaige Schleißheim errichtet hatte, dienten ihm als Stätten der Besinnung. Der Kunstagent Philipp Hainhofer, der ihn in München und Schleißheim besuchen durfte, hat diese Schauplätze und deren Atmosphäre schön beschrieben; ohne von Wilhelms politischen Aktivitäten zu wissen, hat er ihn Teilweise gedruckt in Wittelsbacherbriefe I-VIII. Vgl. etwa die Ratschläge für Erzherzogin Maria zur bevorstehenden Niederkunft der Tochter Maria Anna in Graz, 19.3.1608: Wittelsbacherbriefe VII Nr. 326.
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als wohlmeinend-freundlichen, frommen und kunstsinnigen alten Herrn mit lebhaftem Interesse für Reliquien, Antiquitäten und auch Kuriositäten geschildert.98 1616 verkaufte Wilhelm Schleißheim an Maximilian, da er zuletzt nur noch selten in dieses Refugium hinausgekommen war," jedoch starb er erst 1626, fast dreißig Jahre nach der Abdankung. „Es ist zweifelhaft", so lautet die Inschrift seines Sarkophags in der Gruft der von ihm errichteten Michaelskirche, „ob er in der Frömmigkeit oder im Glück größer war. Denn von seinen Söhnen sah er Philipp im römischen Purpur, Ferdinand und Maximilian im Kurfürstenmantel, den einen durch Wahl, den anderen durch kriegerische Tapferkeit. Er sah die Nachkommenschaft Herzog Albrechts sowie zwei Schwiegersöhne, den einen als Kaiser, den anderen als Fürsten, der zum großen Segen der Religion vom Luthertum zur katholischen Kirche übertrat." Von den Kindern Wilhelms V., die das Kindesalter überlebten, waren die drei Brüder Maximilians, Philipp, Ferdinand und Albrecht, als Nachgeborene zunächst alle drei für den geistlichen Stand bestimmt. Sie erhielten aber vorsichtshalber nur die niederen oder noch gar keine Weihen, um im Falle der Kinderlosigkeit des Thronfolgers Maximilian heiraten und dann selbst oder durch ihre Kinder die Regierungsnachfolge antreten zu können. Wilhelm V. war dennoch sehr bemüht, um Philipp und Ferdinand eine künftigen Klerikern entsprechende Erziehung angedeihen zu lassen.100 Mit gewissen Varianten, die sich aus der Vorbereitung für den geistlichen Beruf ergaben, kamen hier die selben Erziehungsmaximen wie bei ihrem älteren Bruder zur Geltung. Größere Anstrengungen noch verwendete Wilhelm V. darauf, ihnen materielle Mittel zu verschaffen und dadurch sein eigenes Budget zu entlasten, indem er sich um kirchliche Pfründen, Domherrenstellen und Bischofsstühle für sie bemühte.101 Daß hierdurch auch der Sache von Katholischer Reform und Gegenreformation gedient werden konnte, galt als erwünschter Nebeneffekt. Der älteste der drei Brüder, der 1576 geborene Philipp Wilhelm,102 wurde bereits vor Vollendung seines dritten Lebensjahres zum Bischof von Regensburg postuliert, bis zu seiner Volljährigkeit wurden die dortigen bischöflichen 58 Häutle, Hainhofer 120 ff. 99 Dollinger; Finanzreform 22 f. 100 Belege bei Schmidt, Erziehung, passim. ι«1 BA IV, 270-406; I V e i t l a u f f , Reichskirchenpolitik. '»ζBAIV, 270 ff.; G R U Nr. 147* (Porträt) und Nr. 197 (Grabmal); Karl Hausberger, schichte des Bistums Regensburg, Band 1, Regensburg 1989, 324 ff.
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Funktionen durch einen Administrator versehen. In den achtziger Jahren studierten Philipp und Ferdinand, zwei aufgeweckte, eng verbundene junge Burschen, am Gymnasium und der Universität in Ingolstadt, dann leisteten sie in Mainz, Köln, Trier und Würzburg, wo sie Pfründen besaßen, die notwendige Präsenz. Aus dieser Zeit besitzen wir ein schönes Porträt des dreizehnjährigen Philipp, zwar schon im schwarzen geistlichen Gewand, aber noch von kindlicher Natürlichkeit. 1592/93 befanden sich die beiden in Rom, wie erwähnt, um durch persönliche Anwesenheit am päpstlichen Hof ihre kirchlichen Karrieren zu fördern, anschließend studierten sie wieder in Ingolstadt. Seit 1595 figurierte der nunmehr volljährige Philipp als regierender Bischof von Regensburg. Das ihm von Rom angebotene Kardinalat wurde von Wilhelm V. zunächst abgelehnt; er befürchtete, daß sich hierdurch Philipps Aussichten auf weitere Pfründen und Würden verschlechterten, da die deutschen Domkapitel „durchaus keine romanisten haben wellen", wie ein Gutachten der bayerischen Räte feststellte. Schließlich wurde Philipp doch im Dezember 1596 zum Kardinal erhoben und im Februar 1597 in der Münchner Michaelskirche mit dem Purpur bekleidet. Aber ehe er noch begonnen hatte, die daran geknüpften päpstlichen und väterlichen Hoffnungen zu verwirklichen, starb er am 18. Mai 1598. Sein großes Grabmal im Regensburger Dom täuscht darüber hinweg, daß er wenig Neigung zum geistlichen Beruf verspürt hatte, in den er aus politischen Gründen geführt worden war; wiederholt hatte er seinen Vater um andere Entscheidung gebeten, nicht zuletzt in der Hoffnung, bei Kinderlosigkeit Maximilians für die Erbfolge in Frage zu kommen. Wilhelm V. hatte aber stets abgelehnt — Philipp sei viel zu sehr zum Verschwenden geneigt, als daß er in Bayern zur Regierung kommen dürfe.103 Bei den Kardinalatsverhandlungen hatte der bayerische Agent in Rom argumentiert, daß nichts dem Ansehen des Hauses Bayern förderlicher sei, als wenn einer seiner Prinzen zu den Wählern des Papstes, ein anderer zu den Wählern des Kaisers zähle. Mit dem Kaiserwähler war Maximilians zweiter Bruder, der 1577 geborene Ferdinand gemeint, der von frühester Jugend an für den geistlichen Stand bestimmt war und seit dem Kölner Krieg gezielt zum Nachfolger seines Onkels Kurfürst Ernst von Köln aufgebaut wurde.104 ">3 Wolf, Maximilian I, 214. 104 Zu Ferdinand vgl. NDB V, 90 f.; Joachim F. Foerster; Kf. Ferdinand von Köln. Die Politik seiner Stifter in den Jahren 1634-1650, Münster 1976; Konrad Repgen, Der Bischof zwischen Reformation, kathol. Reform und Konfessionsbildung (1515-1650), in: P. Berglar u.a. (Hg.), Der Bischof in seiner Zeit. Festgabe für Joseph Kardinal Höffner, Köln 1986, 245-314 (mit Hinweisen auf Probleme und weitere Literatur); Fran^Bosbach, Köln, Erzstift und Freie Reichsstadt, in: Schindling- Ziegler (Hg.), Territorien III: Der Nordwesten, Münster 1991, 58-84 (mit zahlreichen Literaturhinweisen); Jaeger-Hößlin, Materialien. Zu Ferdinands Anfangen vgl.
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Bereits als Siebenjähriger erhielt er die niederen Weihen. Auch auf Ferdinands geistliche und sittliche Ausbildung verwendete Wilhelm V. große Sorgfalt, auch Ferdinand war bereits in früher Jugend in eine Reihe kirchlicher Dompfründen (Mainz, Trier, Salzburg, Würzburg, Passau, Straßburg, Köln) eingewiesen, für die er gelegentlich Präsenz zu leisten hatte, womit ein häufiger Ortswechsel verbunden war. Ferdinand war eine weiche, insgesamt liebenswürdige Natur wie sein Vater, wurde aber durch seine Erziehung auf den Kurs entschiedener Gegenreformation programmiert. Er studiere fleißig, schrieb der Elfjährige der Mutter, „damit, wann ich einmal zu meinem alter komm, mege vil lutterische und ketzer bekeren, sie zu der ebigen freid und Seligkeit bringen und E.f.Gn. sambt dem herrn Vattern höchlich erfreien".105 Deutete sich hier schon an, daß er, ungeachtet anderer Charakterzüge, zu einem der radikalsten Hexenverfolger im Reich werden sollte?106 Nach Vorbereitungen von langer Hand wurde der achtzehnjährige Ferdinand im März 1595 zum Koadjutor Emsts gewählt (mit dem er in der Folge große Schwierigkeiten hatte), am 1. Oktober trat er die Administration des Erzstifts Köln an. Zu deren Bewältigung wurden ihm rheinische und bayerische Ratgeber beigegeben, unter denen der Domherr Adolf Wolff von Gracht gen. Metternich und der Geheimsekretär Wilhelms V., Ulrich Speer, von Einfluß waren. Natürlich hatte der jugendliche Koadjutor in diesen ersten Jahren in fremder norddeutscher Umgebung manche Schwierigkeiten, seine Aufgaben zu erfüllen. Sie lagen in den Umständen, aber auch in seiner Person begründet, seiner Jugend, nicht zuletzt in seiner ausufernden Jagdleidenschaft, die ihn immer wieder überwältigte und seiner geistlichen Lebensführung und seinen Regierungspflichten entfremdete. Von München aus kritisierte Wilhelm V. an den Kölner Zuständen, „es reisse sich so weit ein, daß weder roß noch leuth, weder edlleuth noch paurn schier kain ruhe haben, es sey auch gleich das wetter und zeit darnach beschaffen, wie es wolle [,..]"107 Wenige Wochen später sah er sich erneut zu Mahnungen und Ratschlägen veranlaßt: „Man muß arbeiten und muß mit Ordnung arbeiten wie auch mit einer continuation, BA IV, 3 1 4 ff. Zahlreiche Quellen in Wittelsbacherbriefe I-VIII und vor allem in den Bänden der Briefe und Akten sowie der Acta Pacis Westphaücae. 105 Arettn, Maximilian 463 Anm. 16. 106 Vgl Gerhard Schormann, Der Krieg gegen die Hexen. Das Ausrottungsprogramm des Kurfürsten von Köln, Göttingen 1991. 107 Wittelsbacherbriefe V Nr. 203 (1601). Vgl. auch ebenda II, 119-156; III, 444-493; IV, 170185, jeweils mit den dazugehörigen Akten. Ein günstiges Bild Ferdinands zeichnete 1628 der Wiener Nuntius Carafa, Relazione 374: „...di bello aspetto, di gran prudenza e fervore nelli negotii, havendo gran capacità et acutezza, e però è stimato delle migliori teste di Germania." V o m Kaiser werde er geliebt „quasi come fratello carnale e non cugino."
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sonst thuet es nichts."108 Wenn Ferdinand hierdurch wiederholt veranlaßt war, seinen Eltern Besserung zu geloben — „Es ist halt leider caro infirma, etiamsi spiritus promptus" —, so waren dadurch auch seine Beziehungen zu Maximilian berührt. Dieser war als die dominierende Persönlichkeit in dem beiderseitigen Verhältnis leicht geneigt, seinen jüngeren, weicheren und gutherzigen Bruder herablassend zu behandeln, wenn dieser die Aufgaben nicht zu erfüllen schien, die er ihm zuschrieb.109 Jedoch war der persönlich fromme, Idealen verpflichtete Ferdinand zunehmend um die kirchliche Reform in seinen geistlichen Sprengein bemüht, ja er ist in dieser Wirksamkeit zum wichtigsten Kölner Reformbischof geworden, wobei das Nebeneinander von Bemühung und Defiziten nicht nur ihn, sondern die Kirchenreform überhaupt charakterisierte. „Er stimmte weder mit dem borromäischen noch mit dem tridentinischen Bischofs-Leitbild überein, der Erzbischof ohne Priesterweihe mit seinen vielen Bistümern und Tausenden von Pfarreien, die er nie im Leben persönlich zu Gesicht bekommen hat. Aber im Ziel, in der Intensivierung von Frömmigkeit durch Intensivierung von Kirchlichkeit, war er geprägt von den Idealvorstellungen des 16. Jahrhunderts."110 Wenn ihm dabei der Rückhalt an Bayern eine starke Stütze bildete, so profitierte natürlicherweise auch Maximilians Reichspolitik von der wittelsbachischen Position am Rhein und in Westfalen. 1601 wurde Ferdinand auch Koadjutor seines Onkels in Lüttich, 1611 in Hildesheim und Münster. Nach Emsts Tod im Jahre 1612 folgte er ihm in allen dessen Diözesen als Bischof und in Köln auch im Besitz der Kurwürde nach, dazu erhielt er 1618 auch noch Paderborn. Seine Lande bildeten also einen beachtlichen territorialen Block in Nordwestdeutschland, wenn sie auch durch ihre Ausdehnung für nachbarliche, vor allem niederländische Übergriffe anfällig waren, von inneren Schwierigkeiten, insbesondere im Stift Lüttich, ganz abgesehen. Es war dann die Politik der Katholischen Liga seit 1609, die Ferdinand zu engerer politischer Zusammenarbeit mit seinem Bruder führte. Sie dauerte bis zu Ferdinands Tod im Jahre 1650, die beiden Brüder waren neben Johann Georg von Sachsen die einzigen Reichsfürsten, die den ganzen Krieg durchlebten. In den Jahrzehnten seit 1595 standen Maximilian und Ferdinand neben ihrem politischen Briefwechsel auch in regem Austausch von Informationen in Familien-, Kunst- und Jagdsachen und von kleinen brüderlichen •os Wilhelm V. an Ferdinand, 20.3.1601: Ebenda V, Beüage B. 109 Vgl. fü r die Beziehungen der beiden in den Jahren der Kölner Koadjutorie neben den einschlägigen Bänden der Briefe und Akten vor allem Wittelsbacherbriefe IV, 137-169; V, 62100; VI, 398-424; VII, 10-15; VIII, 6, jeweils mit den dazugehörigen Akten. Repgen, Bischof 286.
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Freundlichkeiten, als da waren Jagdtrophäen, Jagdfalken, Waffen, Bücher, Bilder, auch Reliquien. Diese familiären Momente wurden jedoch mehr von Ferdinand betont, der der Familie in München eng verbunden blieb, als von Maximilian, der die beiderseitigen Beziehungen primär in der Perspektive der politischen Zwecke gesehen hat, wie noch zu zeigen sein wird. So sandte er bereits 1598 den befähigten Geheimsekretär Ulrich Speer für längere Zeit zu Ferdinand, um eine durchgreifende Ordnung und Neugestaltung des kölnischen Hof- und Regierungswesens einzuleiten, wie sie von Maximilian gleichzeitig in Bayern selbst begonnen wurde. Ferdinand wurde aufgefordert, in wichtigeren Regierungsangelegenheiten nie ohne Vorwissen seines Vaters und seines Bruders vorzugehen.111 Auf diese Weise ist Ferdinand der Rolle eines Juniorpartners seines älteren und härteren Bruders lange Zeit nicht entkommen. Erst als im Vorfeld des Prager Friedens und dann des Westfälischen Friedens die Frage konfessionspolitischer Zugeständnisse an die Protestanten akut wurde, hob er sich deutlicher von Maximilian ab, insoferne er, weniger flexibel als dieser, längere Zeit einen intransigenten Kurs verfolgt hat. Was Maximilians jüngsten Bruder, den 1584 geborenen Herzog Albrecht betraf,112 so verknüpfte sich dessen Lebensgang lange Jahre mit einem allgemeineren Problem, nämlich der Frage der Erbfolge im Herzogtum bei fortdauernder Kinderlosigkeit Maximilians. Seitdem Albrecht IV. 1506 die Unteilbarkeit Bayerns und die Erbfolge nach dem Erstgeburtsrecht festgelegt hatte, war es üblich geworden, daß die nachgeborenen Söhne entweder in den geistlichen Stand traten oder nicht heirateten oder eine nicht ebenbürtige Gemahlin wählten, um eine Erbfolge im Herzogtum auszuschließen. Bereits am Ende des Jahrhunderts wurde es als ein Recht des regierenden Herzogs aufgefaßt, entsprechende Festlegungen zu treffen. Dieser Tradition entsprechend hatte Wilhelm V. seine jüngeren Söhne Philipp, Ferdinand und Albrecht für den Dienst der Kirche bestimmt, woraus sich die Notwendigkeit ergab, für sie Pfründen zu gewinnen, um ihre standesgemäße Versorgung zu sichern. Dabei war Albrecht der besondere Liebling des Vaters; Vorhaltungen Maximilians und Ferdinands, daß ihr Bruder zu sehr begünstigt werde, hatte Wilhelm mit dem Gleichnis vom biblischen Joseph beantwortet. Diese Bevorzugung kam auch in Wilhelms Testament von 1597 zum Ausdruck, in dem überraschenderweise von Albrechts weltlichem Stand die Rede war. Wittelsbacherbriefe IV, 179 f. mit den dazugehörigen Aktenstücken; vgl. auch ebendaV, 62 ff. "2 GR II, 139 und Nr. 202 (Porträt); Wittelsbacherbriefe IV, VI, VIII; Dollinger, Finanzreform 97 ff. und öfter. Ein Briefwechsel Maximilians mit Albrecht für 1627-1649, z.T. eigenhändig, befindet sich in Fürstensachen 556. 111
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Offensichtlich setzte der in solchen Fragen ganz unbedenkliche Wilhelm bereits jetzt auf Albrecht als eventuellen Nachfolger Maximilians, dessen Ehe bisher kinderlos geblieben war. Entsprechend schärfte das Testament den beiden geistlichen Söhnen Philipp und Ferdinand ein, sich durch keinerlei weltliche Versuchungen zum Verlassen des geistlichen Standes bewegen zu lassen, sie sollten keine Konkurrenz für Albrecht bilden. Jedoch enthielt das Testament — gewiß auf Betreiben Maximilians, Philipps und Ferdinands — noch folgenden und zwar entscheidenden Passus: Erst wenn Maximilian fünfzehn Jahre nach der Eheschließung keinen ehelichen männlichen Erben erhalten habe, könne und solle einer der jüngeren Brüder, und zwar nach der Reihenfolge des Alters, in das Recht der Verheiratung (und damit der Zeugung eines legitimen Erben) eintreten und ein jährliches Deputat von 40 000 Gulden erhalten. Eine Verheiratung Albrechts war also erst um 1610 und dann nur unter Zustimmung Ferdinands möglich. Vorher war sie nur unter Zustimmung Maximilians und Ferdinands möglich. Unbekümmert um diese Festlegung seines eigenen Testaments förderte Wilhelm seit 1602 Albrechts Neigung zu dessen Grazer Base Erzherzogin Magdalena;113 zusammen mit seiner Schwester Maria von Steiermark brannte er darauf, eine weitere Familienverbindung zwischen München und Graz zu arrangieren; intensiv bemühte er sich um Maximilians und Ferdinands Einverständnis. Doch Ferdinand dachte gar nicht daran, zu verzichten, sein geistliches Amt war ihm ohnehin eine Last und von der Ehelosigkeit, zu der ihn die Subdiakonatsweihe verpflichtete, konnten ihn päpstliche Dispense befreien. Auch Kurfürst Ernst von Köln, der selbst als Nachgeborener in den ihm widerwärtigen geistlichen Stand hatte treten müssen, riet seinem Neffen ab, dem Vater zu folgen. Maximilian selbst wich zuerst aus, wies aber dann die Bitten und Forderungen des Vaters merklich kühl zurück: Er könne von den Bestimmungen des Testaments nicht abgehen. Sein Hauptmotiv war, daß er und Herzogin Elisabeth die Hoffnung auf Nachkommenschaft auch nach zehnjähriger kinderloser Ehe noch nicht aufgegeben hatten.114 Sollte aber — hieß es in einer die Gründe Maximilians summierenden Denkschrift - die Ehe weiterhin kinderlos bleiben und die Herzogin Elisabeth noch vor ihrem Mann sterben, was angesichts ihrer schwachen Gesundheit nicht unwahrscheinlich sei, während Maximilian „sowohl seiner gueten complexion nach, als seiner großen meßigkait in essen und trinken und andern corporalibus exercitiis moderatissime usurpatis" sicher länger leben werde, so werde sich der Herzog sicher "3 Wittelsbacherbriefe VI, 367-378, Nrr. 260-268 und Beüagen E-I; VII Nrr. 302-310 und 326. 114 Vgl. oben Anm. 61.
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noch einmal verheiraten - und zwar mit einer Fürstin, von der Kinder erhofft werden könnten.115 Im übrigen spielten für Maximilians Widerstand natürlich auch finanzielle Gesichtspunkte bezüglich eines erheblich erhöhten Deputats für Albrecht nach dessen Verheiratung eine Rolle.116 Wilhelm V. setzte sich also nicht durch. Als jedoch im Jahre 1609 das Ende der testamentarisch festgelegten Fünfzehnjahresfrist abzusehen war, griff er das Thema erneut auf.117 Da ein Einspruch Maximilians ab diesem Zeitpunkt ohne Gewicht war, kam es nur noch auf einen Verzicht Ferdinands an, wobei Wilhelm Maximilian verdächtigte, daß dieser seinen Bruder aufhetze und Ferdinand nach der Herrschaft in Bayern strebe. Maximilian wies die Vorwürfe des Vaters zurück und erklärte, an den Bestimmungen der Gegenverschreibung von 1597 festzuhalten, wenngleich er dem Vater keine Vorschriften zu machen habe. Ferdinand dagegen war es vor allem darum zu tun, seinen Bruder von seiner Loyalität zu überzeugen — „als wan mir das maul allerdings nach der bayrischen regierung und dem weltlichen stand stinket [...], daß es in mein sinn oder gedanken nie khomen."118 Schließlich setzte sich aber doch der Vater durch! Bei einem Badeaufenthalt im Rheinland im Sommer 1609 gelang es ihm in persönlichen Verhandlungen, bei denen auch Kurfürst Ernst anwesend war, Ferdinand zum Verzicht auf seinen testamentarisch festgelegten Vorrang in der Nachfolgefrage zu bewegen, was praktisch bedeutete, daß sich dieser festlegte, bei seinen geistlichen Würden zu bleiben.119 Damit war die Bahn für Albrecht frei. Bereits Ende des Jahres befand sich Wilhelm auf der Suche nach einer Frau für seinen jüngsten Sohn. Im Februar 1612 verheiratete sich Albrecht in München mit der Tochter Mechthild des Landgrafen Georg Ludwig von Leuchtenberg.
us Vgl. die umfangreichen „Bedenken, warum villeicht etliche vermainen mechten, das hg. Maximilians fl. Dt. nit kan noch solle in ires brueders herzog Albrechts verheuraten einwilligen" (1605): Wittelsbacherbriefe VI, Beüage F (484-490). 116 Vgl. die Argumentation von Srieve, ebenda 372 ff. 117 Wittelsbacherbriefe VIII, 6-8 und Nrr. 406, 408-410, 422, 423. 118 Ebenda VIII Nr. 409 (Maximilian) und Nr. 410 (Ferdinand). Eine Variante in diesen Fragen ergibt sich aus einem Bericht des Kölner Nuntius Amalteo an Kardinal Borghese, 6.1.1607 (Roberg, Amalteo Nr. 82). Demnach hatte Ferdinand bei einem Besuch in Bayern seinem Vater erklärt, den geistlichen Stand niemals verlassen zu wollen und daher einer Heirat seines Bruders Albrecht zuzustimmen. Doch wolle er auch sein Erbrecht niemals preisgeben und daher im Falle eines kinderlosen Todes Maximilians, weiterhin Erzbischof verbleibend, Bayern durch seinen Bruder Albrecht regieren („ma di voler, rimanendo arcivescovo, governarlo per mezo di esso fratello suo"); Wilhelm V. sei damit einverstanden. Diese Lösung befriedigte den Nuntius, da im Falle einer Heirat Ferdinands kein geeigneter Nachfolger, auch nicht aus dem Domkapitel, für den Kölner Erzstuhl vorhanden sei. Angedeutet auch bei Cara/a, Relazione 359. 119 Wittelsbacherbriefe VIII, 8.
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Maximilian aber stand nun vor dem Problem, daß Albrecht bzw. dessen künftige Söhne bei weiterer Kinderlosigkeit Maximilians in die Thronfolge eintraten - obwohl Albrecht ein wenig gefestigter Charakter war, der seinen Bruder auch wiederholt mit Geldforderungen bedrängte. Bereits als Jüngling hatte er die Kritik Maximilians über mangelnde Diszipliniertheit herausgefordert.120 Diese Situation veranlaßte Maximilian zu dem ungewöhnlichen Schritt, die Landstände einzuschalten, obwohl er doch bisher bestrebt gewesen war, ihren Einfluß gerade zurückzudrängen! Unnmittelbar nach Albrechts Heirat bestimmte er in einem Testamentskodizill vom 3. April 1612,121 daß über den von ihm angesammelten großen Kriegsschatz oder Geheimen Vorrat sein Nachfolger nur zusammen mit der Landschaft verfügen dürfe, um zu verhindern, daß das Geld für fürstliche Privatzwecke verbraucht wurde (wie es mit dem Schatz Albrechts V. durch Wilhelm V. geschehen war). Bei etwaigem Mißbrauch seines Nachfolgers „soll gemaine landschaft, in welche wir unser sonderbares gnediges vertrauen sezen, solchs kainswegs gestatten, sonder sich gestraks zuwider legen, unser erben, regierende fursten von disem iren vorhaben abhalten, si diser unserer disposition der notturft nach erinnern." Durch die Geburt des Erbprinzen Ferdinand Maria aus Maximilians zweiter Ehe im Jahre 1636 und seines zweiten Sohnes Maximilian Philipp 1638 ergab sich aber dann eine ganz neue Situation, so daß auf Albrecht oder dessen Söhne keine Rücksicht mehr zu nehmen war. Folgerichtig wurde in den weiteren Testamenten und Verfügungen Maximilians die Mitwirkung der Stände wieder zugunsten der Dynastie und der Bürokratie beseitigt. Das große Testament von 1641 bestimmte Albrecht zwar als einen der Administratoren, falls Ferdinand Maria bei Maximilians Tod noch nicht volljährig sei. Doch erließ Maximilian gleichzeitig feste Normen für die Finanzpolitik während der Administrationszeit, welche einen Mißbrauch des Geldvorrats durch die Administratoren ausschlossen und in der Zeit der Administration 16511654 zur Geltung kamen. In seiner Relation von 1628 schildert der Wiener Nuntius Carafa Herzog Albrecht als von besten Umgangsformen und großer Intelligenz, doch weniger geschätzt als seine Brüder Maximilian und Ferdinand.122 Der Kaiser achte ihn allerdings wegen seiner Offenherzigkeit und Aufrichtigkeit wie einen Bruder. Albrecht selbst respektiere seinen regierenden Bruder „come padrone, portandosi grandissimo rispetto e riverenza, ancora in publico..." Maximino Maximilian an Wilhelm V., 28.10.1600: Ebenda V Nr. 194. Hausurkunden Nr. 1586; Druck: Stieve, Finanzwesen Nr. 34 sowie Dokumente 1,3 Nr. 177; vgl. auch Dollinger, Finanzreform 88 ff. und 348 f. 122 Carafa, Relazione 359. 121
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lian habe ihn früher von den Geschäften ferngehalten und darauf beschränkt, seiner Jagdleidenschaft nachzugehen, ziehe ihn aber neuerdings zu den Beratungen hinzu.123 Tatsächlich zeigt der Briefwechsel der beiden Brüder, daß sie seit etwa der Mitte der zwanziger Jahre in guten Beziehungen standen.124 Gleichzeitig hat Maximilian der Ausbildung des ältesten Sohnes Herzog Albrechts, Johann Franz Karl, seine fortwährende Aufmerksamkeit gewidmet, da dieser bis 1636 nach seinem Vater als künftiger Thronerbe gelten mußte.125 Er korrespondierte freundlich mit dem Neffen, wünschte ihm gelegentlich zum neuen Jahr „gueten progreß in euren studiis und alle fürstlich heroischen tugenten" und setzte ihm noch im Juni 1636, wenige Monate vor der Geburt Ferdinand Marias, einen besonderen Unterhaltsbeitrag aus. Selbst nach der Geburt des Thronfolgers wurde der Neffe weiterhin für eventuelle Regierungstätigkeit vorbereitet. In der Erziehungsinstruktion von 1639126 wurde dem Zwanzigjährigen nicht nur besonderer Respekt gegenüber seinem Oheim zur Pflicht gemacht, sondern auch die Lektüre der Staatstheoretiker Justus Lipsius oder Carlo Scribani und die regelmäßige Teilnahme an den Hofratssitzungen vorgeschrieben. Jedoch starb Johann Franz Karl bereits im Jahre 1642. Sein 1621 geborener jüngerer Bruder Maximilian Heinrich127 war für die geistliche Laufbahn bestimmt und wurde seit 1637 bei Ferdinand von Köln erzogen. Er folgte 1650 seinem Onkel als Erzbischof und Kurfürst von Köln, Bischof von Hildesheim und Lüttich sowie Fürstpropst von Berchtesgaden. Der 1623 geborene dritte Neffe Albrecht Sigmund128 konnte 1651 auf den Bischofsstuhl von Freising gebracht werden, wo er bereits seit 1640 Koadjutor war, und 1668 auch auf denjenigen von Regensburg. Das von Wilhelm V. grundgelegte und von Maximilian geförderte wittelsbachische Bischofsreich mit Schwerpunkt im Rheinland setzte sich also in die zweite Jahrhunderthälfte fort. Maximilians älteste, 1574 geborene Schwester Maria Anna129 wurde von beider Tante Maximiiiana, die unverheiratet am Münchner Hof lebte und 123 Ebenda. 124 Vgl. etwa einen eigenhändigen Zusatz Maximilians vom 2.5.1635: „Herzliebster Herr Brueder, ich hör nit gern, daß E.L. khopf noch nit recht thuen will, E.L. sollen sich mit dem schreiben nit bemiiehen. Es ist ganz unnot, daß sie auf alles repliciren, sonderlich von aigner hand. Ist mir gnug wann ich nur wais wie es E.L. und ihren Söhnen ergeth" (Fürstensachen 556). 125 Vgl. Schmidt, Erziehung LXXVIII ff. 126 Instruktion für den Hofmeister und bayer. Hofrat Georg Christoph von Haslang: Schmidt, Erziehung 92 ff. 127 NDB XVI, 496 ff. mit weiterer Lit. 128 Georg Schwaiger (Hg.), Das Bistum Freising in der Neuzeit, München 1989, 312 ff. 129 Hurter, Ferdinand IV, 334 ff.; BA IV, 310 ff.; Wittelsbacherbriefe II und IV; GR II Nr. 193; Franzi Ferdinand II. 76 ff.; Cerwinka, Beziehungen 235 ff. Porträt von 1589 in GR II Nr. 193.
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enge Beziehungen zu ihrer Schwester in Graz unterhielt, als künftige Gemahlin für Erzherzog Ferdinand von Steiermark, ihren Vetter, ins Gespräch gebracht. Nachdem der Kaiser einer solchen Verbindung zugestimmt hatte, gab Ferdinand im Juli 1597 gegenüber Wilhelm V. ein schriftliches Eheversprechen ab. Jedoch wurde der Fortgang der Sache durch die Differenzen zwischen München und Graz im Passauer Bistumsstreit unterbrochen. Erst im Oktober 1599 wurde ein Ehevertrag vereinbart, der auch der Aussöhnung zwischen den beiden Höfen diente. Bei den Hochzeitsvorbereitungen war Maximilian selbst um das Detail - Kleider, Schmuck, Verehrungen - besorgt.130 Im April 1600 begleitete er die Schwester mit seiner Frau Elisabeth und den Geschwistern Albrecht und Magdalena in einer großen Kavalkade von 698 Personen von München über Salzburg nach Graz, wo am 23. April die Hochzeit zwischen Ferdinand und der dreieinhalb Jahre älteren, nicht eigentlich durch Schönheit ausgezeichneten Maria Anna stattfand. Die dynastischen Beziehungen zwischen den Häusern Wittelsbach und Habsburg wurden erneut befestigt, zumal die Ehe als überaus glücklich galt. Die persönlichen Beziehungen Maximilians zu seinem Vetter und Schwager Ferdinand blieben jedoch einige Zeit von der Passauer Niederlage überschattet, wenngleich nicht derart ausgeprägt und derart grundsätzlich, wie es Felix Stieve in seiner Aversion gegen Ferdinand glauben machen will.131 Allerdings waren auch die Charaktere der beiden in zentralen Punkten verschieden, der Bonhomie und Freigebigkeit Ferdinands und seinem großzügigen Finanzgebaren stand Maximilian vielfach distanziert, ja mit Unverständnis gegenüber. Im Zusammenhang hiermit war er wohl auch geneigt, die politischen Qualitäten Ferdinands kritisch einzuschätzen, wenngleich nicht zu übersehen ist, daß in seiner Urteilsbildung immer wieder auch das territorialpolitische Konkurrenzverhältnis zum Haus Österreich mitgespielt hat. Entscheidend in dem beiderseitigen Verhältnis war jedoch die nahtlose Übereinstimmung in den weltanschaulichen Grundpositionen. Sie hatte sich zu bewähren, als ihre Beziehungen durch Ferdinands Kaiserwahl eine neue Qualität erhielten. Sie wurde befestigt, als Maximilian durch seine zweite Ehe mit der Tochter Ferdinands und Maria Annas seit 1635 zum Schwiegersohn seines Schwagers und seiner Schwester wurde und ihm diese Verbindung den ersehnten Erben brachte.
no Fürstensachen 455. 131 Wittelsbacherbriefe V, 60-62, mit den dazugehörigen Akten; BA V, 57 Anm. 1 und 554 Anm. 1.
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Die 1587 geborene jüngste Schwester Maximilians, Magdalena,132 erlitt das Prinzessinnenschicksal, dem politischen und konfessionspolitischen Kalkül geopfert zu werden, doch brauchte sie schließlich nicht auf persönliches Glück zu verzichten. Um die Hand der Zwanzigjährigen warb seit Sommer 1607 der dreißig Jahre ältere Erzherzog Matthias.133 Die treibende Kraft und vielleicht der Erfinder des Projekts war Matthias' politischer Hauptberater Bischof Melchior Klesl, der auf diesem Wege die bayerische Unterstützung im habsburgischen Bruderstreit mit Kaiser Rudolf II. zu gewinnen suchte, darüber hinaus wohl auch einen Rückhalt in den Auseinandersetzungen des Matthias mit den protestantischen Landständen der österreichischen Länder. Wilhelm V. zeigte sich, wenngleich mit mancherlei Schwankungen, einer solchen Verbindung vor allem aus dynastischen Gründen nicht abgeneigt. Maximilian dagegen lehnte ab, aus Rücksicht auf den Kaiser und um nicht in die innerhabsburgischen Streitigkeiten verwickelt zu werden. Der Unterschied zwischen dem schnell begeisterten emphatischen Vater und dem zurückhaltend wägenden Sohn kam auch hier zum Ausdruck, weshalb sich Klesl mehr an den Vater hielt. Als sich für kurze Zeit der Kaiser selbst für Magdalena zu interessieren schien, erwärmte sich Wilhelm trotz mancher Bedenken wegen der Persönlichkeit Rudolfs sogar für eine solche Verbindung. Schließlich kam er jedoch von beiden Bewerbern ab, so daß Matthias im Oktober 1608 durch Klesl seinen Verzicht auf die bayerische Heirat erklären ließ. Wenig später zeigte sich Maximilians Vetter Leopold aus der Grazer Linie der Habsburger,134 der inzwischen Bischof von Passau und Straßburg geworden war, an Magdalena interessiert. Da ihm der Kaiser, um die Pläne des verhaßten Matthias zu durchkreuzen, Ungarn und Böhmen zugedacht hatte, suchte Leopold zur Sicherung solcher Pläne Rückhalt am Münchner Hof. Im Mai 1609 brachte er bei einem Besuch in München zum Ausdruck, daß er bereit sei, seine bischöflichen Amter aufzugeben, um Magdalena zu heiraten. Während sich Wilhelm für den neuen Bewerber sofort erwärmte, lehnte Maximilian aus den genannten Gründen wiederum ab. Jedoch komplizierten sich die Dinge, weil nun neben allem politischem Kalkül die menschliche Seite des
Literatur in BA XII, 38 Anm. 8 und 228 Anm. 5. Porträt von 1613 in GR II Nr. 205. Zu dem Heiratsprojekt vgl. Joseph v. Hammer-Purgstall, Klesls des Cardinais [...] Leben, 4 Bände, Wien 1847-1851, hier II, passim; Wittelsbacherbriefe VI, 385-392, VII, 676-708 und VIII, 8-17, jeweils mit den dazugehörigen Akten und zahlreichen Verbesserungen zu HammerPurgstall; Riester, Geschichte V, 73 ff. Zu den Bemühungen des P. Laurentius von Brindisi vgl. Carmignano, San Lorenzo III, 48 ff. 134 NDB XIV, 290 ff. 132
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Problems ins Spiel kam - Magdalena hatte inzwischen tiefe Zuneigung zu dem wenig älteren Leopold gefaßt, die dieser erwiderte. Sie komplizierten sich noch mehr, als im Oktober 1610 der von Maximilian als heiligmäßig verehrte Kapuziner Laurentius von Brindisi in München erschien, um sowohl im Auftrag des Erzherzogs Matthias als auch von Papst Paul V. erneut für Matthias zu werben.135 Jedoch ist zu bezweifeln, daß Maximilian nun tatsächlich, wie Laurentius berichtete, für Matthias gewonnen wurde und seine Schwester fur diesen zu bereden suchte. Jedenfalls erklärte Magdalena tapfer, daß sie „zu dem Mathias durchaus kain naigung oder affection nit habe" und lieber den Schleier nehmen werde, als von Leopold zu lassen.136 Damit war die Bewerbung des Matthias hinfällig. Unter dem Druck von Vater und Bruder zeigte sich Magdalena aber bereit, auch eine andere Verbindung als Leopold einzugehen, falls dies der Religion und dem gemeinen Wesen zu besonderem Nutzen gereiche. Dies war 1613 der Fall, als die Konversion Herzog Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg zum Katholizismus durch die Ehe mit einer bayerischen Prinzessin besiegelt werden mußte.137 Der bedeutende gegenreformatorische Erfolg rechtfertigte für Maximilian den Einsatz seiner Schwester. Jedoch endete diese an sich politische Eheschließung schließlich für Magdalena in einer nicht häufigen Versöhnung von Pflicht und Neigung, denn die kluge, politisch interessierte, ihrem Bruder in manchem ähnliche Frau, deren Züge uns in einem Staatsporträt des Peter Candid überliefert sind, fand in der Ehe mit Wolfgang Wilhelm, dem schließlichen politischen Konkurrenten Maximilians, auch persönliche Erfüllung. Wenige Wochen nach dem definitiven Regierungsantritt erließ Maximilian eine erste große Verlautbarung an Beamtenschaft, Lehensleute und Untertanen, das Generalmandat vom 13. März 1598.138 Vielleicht hätte man erwartet, daß der neue Landesfürst, der sich hier erstmals an die Gesamtheit seiner Untertanen wandte, angesichts des ganz ungewöhnlichen Umstandes der Thronentsagung seines Vaters zu einem besonderen Akt verstand und allgemeine Zielsetzungen seiner künftigen Regierung bekanntgab, gewissermaßen 135 Vgl. hierzu Carmignano^za Lorenzo 111,52 ff.; Fran^Xaver v. Altötting, Laurentius von Brindisi in der Politik Bayerns von 1606-1612, in: Collectanea Franciscana 29 (1959), 237-272, hier 256 ff. 136 Magdalena an Wilhelm V.,Januar 1611: Wittelsbacherbriefe VIII, Nr. 456. Die Ansicht von Franz Xaver von Altötting, daß sie sich schließlich doch für Matthias erklärt habe, beruht auf einer Überinterpretation des von ihm in Anm. 153 zitierten Schreibens des Wiener Nuntius an Borghese, 15.1.1611. « 7 Heiratskontrakt vom 2.10.1613: Hausurkunden Nr. 1415; Druck: BA XII, 343-348. 138 Druck: Dokumente 1,3 Nr. 130 (Beamtenmandat).
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ein Regierungsprogramm vorlegte. Dies war nicht der Fall, ein durch Erbfolge auf den Thron gelangter Fürst brauchte den Thronwechsel nicht zu rechtfertigen oder seine Untertanen durch Programme zu gewinnen suchen, jedenfalls nicht am Ende des 16. Jahrhunderts. Vielmehr waren es, sehr viel pragmatischer, Gebote und Verbote, die hier in Erneuerung bisheriger, nicht oder nur teilweise eingehaltener Mandate seines Vaters ausgesprochen wurden. Damit wurde die formale und inhaltliche Kontinuität zwischen alter und neuer Regierung betont, die Schroffheit des Regierungswechsels gemildert und die Legitimation des neuen Herrschers bekräftigt. Was aber waren die Inhalte, die durch Hervorhebung in einem ersten Generalmandat nun doch einen gewissen programmatischen Charakter erhielten oder jedenfalls auf künftige Schwerpunkte des jungen Herzogs deuteten? Es ging in ziemlich bunter Folge nicht ausschließlich, aber überwiegend um religiöse und kirchenpolizeiliche Vorschriften: Förderung und Vertiefung des sakramentalen Lebens, Türkengebet, Sauberkeit der Gotteshäuser, Gotteslästerung und Fluchen, Unzucht, Priesterkonkubinat, ketzerische Schriften, Fastengebote, Aufenthalt an ketzerischen Orten, Wiedertäufer, Völlerei, Verwaltung der Kirchenvermögen, und anderes mehr. Man wird sagen, daß hier die entschieden disziplinierende, in starkem Maße auf Konfessionsdisziplin ausgerichtete, anders ausgedrückt: an der fürstlichen Religionssorgepflicht und am Seelenheil der Untertanen orientierte innere Regierung Maximilians sich bereits zu Beginn manifestierte. Dabei zeigte sich der neue Herzog in eigenartiger, gewiß bewußter und absichtlicher Übereinstimmung mit dem Testament seines Vaters vom 15. Oktober 1597. Am Ende dieses Testaments hatte Wilhelm seinem Nachfolger Maximen für eine gute christliche Regierung ans Herz gelegt, freilich ohne jene Weite und Vertiefung zu erreichen, mit denen Jahrzehnte später Maximilian für seinen eigenen Sohn väterliche Ratschläge formulieren ließ. Wilhelm hielt sich ans Konkrete, an Gebote und Verbote zu exemplarischer Disziplin in geistlichen und weltlichen Dingen: Auch in Zukunft sind in Bayern die Vitia und Laster auszurotten, sonderlich Konkubinat und Leichtfertigkeit der Geistlichen, Verschickung der Kinder an ketzerische Orte, Fleischessen an verbotenen Tagen, Lesen unkatholischer Bücher, Gotteslästerung und Fluchen, Ehebruch und andere Leichtfertigkeit, Vergeudung von Geldern der Armen, Witwen und Waisen, unmäßiges Essen, Trinken und Kleiden. Wie man sieht, waren es in der Hauptsache die Maximen konfessionell akzentuierter guter Polizei, auf die sich Wilhelms Testament verengte. Eben in diese Tradition stellte sich der Sohn mit dem Generalmandat von 1598. Aber kein Zweifel bestand, daß er, nunmehr Alleinregent, entschlossen war, sich mit Nachdruck auch allgemeineren Zielsetzungen zu
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widmen, wie sie sich aus der Tradition seines Hauses, den Möglichkeiten seines Staates, der politischen Situation im Reich und nicht zuletzt aus den Ambitionen eines ehrgeizigen, seiner Fähigkeiten bewußten und in großen Dimensionen von Herrschaft und Konfession denkenden Fürsten ergeben mußten.
6. Mitarbeiter und Regierungsstil Der Hofstaat Maximilians, die Gesamtheit der am Münchner Hof regelmäßig beschäftigten und besoldeten Personen, umfaßte mit Einschluß der Bediensteten seiner Gemahlin Elisabeth etwa siebenhundert Personen.1 Entsprechend der Entstehung der Zentralbehörden aus der Beraterschaft in der unmittelbaren Umgebung des Fürsten wurden auch die Beamten der Zentralbehörden dem Hofstaat zugerechnet. Noch war die Identifizierung von Dynastie und Staat, Fürst und Staatsverwaltung so eng, daß zwischen Fürsten- und Staatsdienst nicht unterschieden wurde. Alle Mitglieder der Zentralbehörden gehörten dem Hofstaat an, wenngleich sie in der dortigen Rangordnung (Präzedenz) ganz unterschiedlich eingestuft waren.2 Als der spätere Hofratspräsident Johann Christoph von Preysing nach Beendigung seiner Studien 1604 in herzogliche Dienste trat, wurde er unter den Hofbediensteten als Truchseß eingereiht, gleichzeitig begann er seine Tätigkeit in der Staatsverwaltung als Hofrat. Im Hofdienst stieg er vom Truchseß über den Mundschenk und Kämmerer bis zum Obersthofmarschall auf, in der Staatsverwaltung über den Hofrat und den Geheimen Rat bis zum Hofratspräsidenten.3 Maximilian hat sich im Laufe seiner Regierung zwar um eine genauere Abgrenzung der beiden Sphären bemüht, indem im Konkurrenzfall der Dienst in der Staatsverwaltung grundsätzlich Vorrang vor dem Hofdienst erhielt. Eine strikte Trennung ist jedoch nie ernsthaft versucht und wohl auch gar nicht gewünscht worden. Am deutlichsten zeigt sich die Verklammerung in der Tatsache, daß bestimmte führende Positionen in der Staatsverwaltung hochrangigen Hofchargen vorbehalten waren und mit bestimmten höfischen Funktionen die Mitgliedschaft in den Zentralbehörden verbunden war. Dies galt insbesondere für den an der Spitze des Hofstaates stehenden Obersthofmeister.4 Er wurde stets dem hohen Adel entnommen, weil solche 1 Stand 1600: Wolf, Maximilian I, 217 f.; Stand 1615: Heinrich Föringer, Der bayer. Hofstaat unter Hg. Maximilian I. im Jahre 1615, in: OA 31 (1871), 238-263; Margit Ksoll, Der Hofstaat der Kurfiirstin von Bayern z. Zt. Maximilians, in: ZBLG 52 (1989), 59-69. 2 Einzelheiten bei Heydenreuter, Hofrat 43 ff. 3 Vgl. Sturm, Preysing. 4 Heydenreuter, Hofrat 45 ff.
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6. Mitarbeiter und Rßgierungsstil
Herkunft in der Welt der Dynasten und Höfe dem Ansehen des Hofes und des Fürsten zugutekam. Das bayerische Obersthofmeisteramt war erst 1581 nach Wiener Vorbild eingerichtet worden, gleichzeitig mit der Gründung des Geheimen Rates. Der Obersthofmeister war Chef des gesamten Hofstaates mit Aufgaben der Verwaltung und der Repräsentation, seine wichtigste Aufgabe bestand jedoch in der Leitung eines Instituts der Staatsverwaltung, des Geheimen Rates, dessen Direktor er war, bei Abwesenheit des Fürsten. Von 1596 bis 1604 war das Amt praktisch unbesetzt, seine Funktionen wurden vom Obersthofmarschall versehen. Seit 1604 verwaltete der aus altem schwäbischen Rittergeschlecht stammende Wolf Konrad von Rechberg und Rothenlöwen (ca. 1560-1617)5 das Amt, von 1609 bis zu seinem Tode 1617 war er dessen wirklicher Inhaber. Rechberg hatte eine steile Karriere hinter sich. Er figurierte seit 1585 (1589?) als bayerischer Hofrat, war Hofmeister der Prinzen Albrecht, Philipp und Ferdinand und begleitete 1593 Maximilian nach Rom. Wohl schon im Zusammenhang mit der faktischen Regierungsübernahme durch Maximilian wurde er 1596 Hofratspräsident, 1599 Geheimer Rat und Oberstkämmerer, seit 1602 Obersthofmarschall. 1607 erhob ihn Kaiser Rudolf II. auf Verwendung Maximilians in den Reichsgrafenstand, 1613 wurde seine Hofmark Jetzendorf als Herrschaft mit dem seltenen Privileg der Blutgerichtsbarkeit begabt. In seinen hohen Positionen, vor allem als Obersthofmeister und Vorsitzender des Geheimen Rates, war Rechberg mit den zentralen Problemen der bayerischen Politik bis an die Schwelle des Dreißigjährigen Krieges befaßt und wird uns noch mehrfach begegnen. Sein Nachfolger wurde Graf Johann zu Hohenzollern-Sigmaringen (15781638)6 aus der katholischen Linie der Hohenzollern. Zollern war wohl während seines Jurastudiums in Ingolstadt mit Maximilian bekannt geworden, seit 1598 war er als bayerischer Hofrat tätig gewesen, hatte aber nach dem Tode seines Vaters 1606 die Regierung der Reichsgrafschaft HohenzollernSigmaringen angetreten, war also Reichsunmittelbarer wie Maximilian, was später seiner Unabhängigkeit am Münchner Hof und der Freiheit seines UrLan^nner, Fürst 210 f. und 386 f.; Heydenreuter, Hofrat 351 u.ö.; BA V, 14 f. u.ö., BA VI-XII. Gustav Hebeisen, Die Bedeutung der ersten Fürsten von Hohenzollern und des Kardinals E. F. von Hohenzollern für die kathol. Bewegung Deutschlands ihrer Zeit, in: Mitt. des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern 54-57 (1920-1923), 1-178, insbes. 80 ff.; Dieter Albrecht, Die auswärtige Politik Maximilians von Bayern 1618-1635, Göttingen 1962, 7 ff.; Heydenreuter, Hofrat 338 f.; zahlreiche Quellen finden sich in BA NF. Die Inschrift der Grabplatte Zollerns ehemals im Münchner Franziskanerkloster bietet Kloos, Inschriften Nr. 606. Der Artikel in NDB IX, 501 f. ist unbrauchbar.- Zu Eitel Friedrich von Hohenzollern vgl. NDB IV, 424, zum Reichshofratspräsidenten Johann Georg vgl. Henry F. Schwär.ζ, The Imperial Privy Council in the Seventeenth Century, Cambridge (Mass.) /London 1943, 249 ff. 5 6
6. Mitarbeiter und 'Rigierungsstil
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teils zugutekam. Auf den Schwäbischen Kreistagen setzte er sich mehrfach für bayerische Interessen (Liga, Mindelheim) ein. Wohl im Zusammenhang damit wurde er 1618 zum bayerischen Obersthofmeister ernannt. Dabei fand sich Maximilian bereit, die Bezüge des Obersthofmeisters von 2 000 fl. auf die ungewöhnliche Summe von 6 000 fl. zu erhöhen, um Zollern für das Amt zu gewinnen, der wohl ursprünglich Interesse an Diensten bei Maximilians politischem Konkurrenten, dem Erzherzog Maximilian hatte. Neben Zollerns Qualifikation und seiner Position in der Adelshierarchie spielte für seine Ernennung wohl eine Rolle, daß sein Bruder Eitel Friedrich (1582-1625), der spätere Kardinal, einige Jahre als Dompropst und Obersthofmeister bei Kurfürst Ferdinand von Köln tätig war und sein Vetter Hans Georg von Hohenzollern-Hechingen (1577-1623) als Reichshofratspräsident seit 1609 eine wichtige Verbindung zum Kaiserhof bedeutete, die von Maximilian auch genutzt wurde. Zollern figurierte als bayerischer Obersthofmeister und zugleich Oberstkämmerer von 1618 bis zu seinem Tod 1638. 1623 wurde er zusammen mit Johann Georg vom Kaiser in den Reichsfürstenstand erhoben, wohl wegen seiner Verdienste um die Übertragung der pfälzischen Kurwürde auf Maximilian und damit wohl auch nicht ohne Zutun des neuen Kurfürsten. Zollerns viele Gutachten für Maximilian vorzüglich in außenpolitischen Fragen bezeugen einen politischen Kopf über dem Durchschnitt, mit Urteil und Blick für größere Zusammenhänge, in den Grundauffassungen mit Maximilian durchaus übereinstimmend, in Einzelfragen dessen Entscheidungen auch kritisch kommentierend, ein unabhängiger Geist mit politischen Aspirationen. Wie weit sein Einfluß gegangen ist, läßt sich allerdings schwer abschätzen, zumal er häufig zu Regierungsgeschäften in Sigmaringen abwesend war. Eine neuere Darstellung bewertet seine Persönlichkeit sehr kritisch und schreibt ihm eine wichtige, teils destruktive Rolle am Münchner Hof der zwanziger und frühen dreißiger Jahre zu, ohne allerdings genügend stichhaltige Belege für diese Auffassung beizubringen.7 Zollem sei machthungrig, autoritär, intolerant und ein Untertanenschinder gewesen, militärfeindlich und darum bestrebt, mit fiskalistischen Argumenten Maximilians Argwohn gegen Tilly und das Ligaheer und deren hohe Kosten zu wecken und Maximilians Aversion gegen Wallenstein zu schüren. Dabei habe er sich auch einer „Zollernfraktion" am bayerischen Hof bedient, insbesondere seines Schwiegersohnes Graf Wolkenstein, der seit 1624 dem Geheimen Rat angehörte.
barbara Stadler, Pappenheim und die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Winterthur 1991, 121, 187 ff., 396 ff. u.ö.
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6. Mitarbeiter und
Regerungsstil
Nach Zollerns Tod 1638 blieb das Obersthofmeisteramt aus Gründen, die wir nicht kennen, zehn Jahre lang unbesetzt. Erst im Jahr des Westfälischen Friedens ernannte der alte Maximilian seinen langjährigen Mitarbeiter Maximilian Kurz zu Senftenau (1595-1662)8 zum Obersthofmeister. Anders als seine Vorgänger war Kurz nicht hochadeliger Herkunft, sondern entstammte einer alten Beamtenfamilie niederen Adels, die sich, aus Südtirol kommend, in Schloß Senftenau bei Lindau niedergelassen und rasch Zugang zu hohen Ämtern gefunden hatte. Sein Onkel Jakob war Reichsvizekanzler unter Kaiser Rudolf II. gewesen, sein Vater Philipp Frauenhofmeister der Kurfürstin Elisabeth. Kurz war nach dem Jurastudium in Ingolstadt seit 1618 am Münchner Hof beschäftigt, bereits seit 1625 als Obersthofmarschall, seit 1636 als Wirklicher Geheimer Rat, seit 1643 auch als Oberstkämmerer und als solcher — da das Obersthofmeisteramt nicht besetzt war — oberster Hofbeamter und Vorsitzender im Geheimen Rat. Nachdem er bereits in den zwanziger Jahren auch für diplomatische Missionen verwendet wurde, war er in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges neben dem Vizekanzler Bartholomäus Richel und dem Hofkammerpräsidenten Johann Mändl der wichtigste und einflußreichste Mitarbeiter Maximilians. Kurz sei ein „sehr wackerer, cortesischer, verständiger, schöner, ansehenlicher und Ihrer Churfrstl. Durchlaucht sehr lieber herr, der bey Ihrer Durchlaucht vil vermag", berichtet Hainhofer,9 dem zufolge Kurz auch ein toleranter Herr gewesen sein muß: Er besitze zwei Wachsbüsten König Gustav Adolfs von Schweden und habe geäußert, „daß, außer der religion, diser Künig der heroischte Fürst, den ihemalen die sonnen beschinen, gewesen seye".10 Von Bedeutung war, daß Kurz' älterer Bruder Ferdinand Sigmund (1592-1659) seit 1637 das Amt des Reichsvizekanzlers versah, wofür ihn Maximilian empfohlen hatte; bereits im Jahr zuvor hatten die beiden Brüder und ihr Vater, ebenfalls unter Verwendung Maximilians, die Reichsgrafenwürde (Grafen von Valley) erhalten. Die nahe Verwandtschaft hinderte allerdings nicht, daß die Brüder in wichtigen Fragen der kaiserlich-bayerischen Beziehungen gelegentlich ganz gegensätzliche Ansichten entsprechend den Interessen ihrer Herren vertraten. Von Maximilian 8 ADBXVII, 428 f.; Heydenreuter, Hofrat 316 f.; Gerhard Immler, Die Friedenspolitik des Kf. Maximilian I. von Bayern vom Frühjahr 1645 bis zum Ulmer Waffenstillstand, Münster 1992, passim. Eine Reihe persönlicher Dokumente, darunter ein Briefwechsel mit Hg. Albrecht und ein Testament von 1659, befinden sich in Personenselekt 191/1. - Zum Bruder Ferdinand Sigmund s. NDB 13, 328 f. Ein weiterer Bruder, Albert Kurz SJ, war ein bekannter Astronom. 9 Häutle, Hainhofer 299 f. (Relation von 1636). 10 Hainhofer an Hg. August d.J. von Braunschweig, 16./26.6.1636: Ronald Gobiet (Bearb.), Der Briefwechsel zwischen Ph. Hainhofer und Herzog August d.J. von Braunschweig-Lüneburg, München 1984, Nr. 1181.
6. Mitarbeiter und
Regierungsstil
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testamentarisch zum Mitglied des Regentschaftsrates bestimmt, figurierte Maximilian Kurz nach dessen Tod zusammen mit Mändl und Adlzreiter als wichtigster Berater der Kurfikstin-Regentin Maria Anna; nach dem Ende der Regentschaft 1654 war er der mächtigste Mann am Hofe Ferdinand Marias. Die oberste Hofcharge nahm also auch in der Staatsverwaltung den ersten Rang ein. Die zweite Position kam dem Chef der Geheimen Kanzlei, dem Oberstkanzler zu. Die Geheime Kanzlei war von Maximilian 1596 definitiv als Kanzlei des Geheimen Rates konstituiert worden, seither bildeten beide Gremien in ihrem Zusammenwirken unbestritten dessen zentrales Regierungsinstrument. An sich konnte erwartet werden, daß der seit 1590 amtierende Oberstkanzler Hans Georg von Herwarth11 gerade für schwierige Anfangsjahre des jungen Maximilian in seinem Amt verblieb. Er war dessen politischer Mentor gewesen, mit dem zusammen er die Finanz- und Regierungskrise der neunziger Jahre angegangen und durch den Rücktritt Wilhelms V. auch ihre Lösung eingeleitet hatte. Überraschenderweise schied Herwarth jedoch schon Ende Dezember 1597 aus dem Amt, wurde erneut wie schon in den Jahren 1587-1590 bayerischer Landschaftskanzler und blieb es bis zu seinem Tode 1622. Gleichzeitig blieb er aber auch Mitglied des Geheimen Rats, der die Ratssitzungen regelmäßig besuchte und vor allem in inneren Angelegenheiten zu Worte kam. Offensichtlich war Herwarth nicht in Ungnade gefallen, vielmehr entsprach die Doppelposition als Beamter des Fürsten und der Landschaft den Interessen sowohl Herwarths wie Maximilians. Herwarth verbesserte sich in finanzieller Hinsicht, zugleich gewann er entsprechend den Bedingungen des Anstellungsvertrages einen größeren Freiraum, um sich seinen wissenschaftlichen Studien zu widmen. Für Maximilian dagegen war der Vorgang ein Teil des Kooperationskurses, den er seit 1593 gegenüber der Landschaft eingeschlagen hatte. Herwarth konnte in seiner neuen Position gleichsam aus erster Hand bei den Ständen um Verständnis für die Sachzwänge des herzoglichen Finanzwesens werben. Einen Interessenkonflikt hat Maximilian offensichtlich nicht befürchtet.12 Die Brükkenfunktion Herwarths sollte sich bereits beim Landtag von 1605 erweisen, als die bei den Landtagen Wilhelms V. üblichen Proteste und Verweigerun" Vgl. Kapitel 5. 12 Auch der älteste Sohn Herwarths, Dr. Hans Georg Herwarth d.J. (1588-1657) war als Nachfolger seines Vaters seit 1622 Landschaftskanzler. Als sich die Landstände beschwerten, daß ihm Maximilian 1628 zugleich eine staatliche Funktion übertrug, die Direktion des pfälzischen Kammerwesens, reagierte Maximilian schroff: „Er hätte nie gehört noch geglaubt, daß Fürstendienst und Landschaftsdienst incompatibel seien [...]. Sollten sie übrigens auf ihrer Remonstration bestehen, so werde er künftig keinem von der Landschaft mehr Amt und Titel geben." (Freyberg, Pragmatische Geschichte I, 69).
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6. Mitarbeiter und
Regierungsstil
gen der Landstände praktisch ausblieben, freilich auch, weil Maximilian inzwischen erste Ordnung in das Finanzwesen gebracht hatte. Allerdings muß bei Maximilians Entscheidung auch eine gewisse Kritik an Herwarths Amtsführung mitgespielt haben. In der von Gewold entworfenen Instruktion für den neuen Oberstkanzler wird bemängelt, daß bisher die Expedition der geheimen Sachen verzögert und die Geheimhaltung vernachlässigt worden sei; auch solle sich der neue Kanzler „anderer Studien und occupationen, die zur regierung land und leut wenig oder gar nichts nuzen und doch ir große zeit, auch schier einen aigenen menschen haben wollen", durchaus enthalten.13 Schließlich wollte sich Maximilian wohl auch in bestimmtem Umfang von einer wesentlich älteren und starken Persönlichkeit befreien und stattdessen mit einem jüngeren Mann zusammenarbeiten, der sich den herzoglichen Auffassungen flexibler anzupassen wußte. Ein solcher Mann war der Nachfolger Herwarths als Oberstkanzler, Dr. Joachim (von) Donnersberg (1561-1650)14 aus der Münchner Patrizierfamilie Donnersberger, ein Aufsteiger. Nach einem Jurastudium in Ingolstadt und Siena war er um 1590 zum Doktor beider Rechte promoviert worden und 1587-1592 bayerischer Hofrat, anschließend Kanzler in Landshut gewesen. Als vorzüglicher Jurist hatte er 1594 die abschließenden Heiratsverhandlungen in Nancy geführt. Anfang 1598 nahm ihn Maximilian in den Geheimen Rat, im Januar 1599 wurde er Oberstkanzler und als solcher 1606 in den bayerischen Adelsstand, 1624 in den Freiherrnstand aufgenommen. Eine Berufung nach Graz lehnte er ab. Donnersberg blieb formell Oberstkanzler bis zu seinem Tod, also praktisch für die gesamte Regierungszeit Maximilians. Jedoch wurde er in seiner Aufsicht über die Geheime Kanzlei bereits 1623 von dem Vizekanzler Richel abgelöst und verschwindet seine Handschrift in den zwanziger Jahren allmählich aus den Akten; beim Regensburger Kurfürstentag 1630, zu dem Maximilian die besten Räte beizog, war er wohl aus Gesundheits- und Altersgründen nicht mehr beteiligt. Donnersbergs Wirksamkeit lag also in der Hauptsache in den Jahren vor dem Krieg, dort allerdings in bedeutendem Umfang und zu zentralen Vorgängen der bayerischen Politik, insbesondere unter Einsatz seiner juridischen Qualifikation und bei diplomatischen Missionen, die ihn wiederholt nach Graz und an den Kaiserhof nach Prag und Wien führten. Seine hauptsächliche Leistung wird man in Oberstkanzlerinstruktion, 11.1.1599: Dokumente 1,3 Nr. 134. ADB V, 337 f.; Lansjnner, Fürst 324 f.; Albrecht, Ausw. Politik 8 ff.; Dollinger, Finanzreform 329 Anm. 126; Heydenreuter, Hofrat 319 u.ö.; Erwin Riedenauer, Bayer. Adel aus landesfiirstlicher Macht, in: Festgabe Spindler II, 107-138 (Adelsbrief fur Donnersberger, 1606). Wenig ergiebig ist Personenselekt 58 I und II. Zahlreiche Akten in BA und BA NF. 13
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der Mitarbeit an Gründung, Ausbau und Neugründung der Katholischen Liga sehen, diesem Werk hat er seine besten Jahre gewidmet. Der Prager Nuntius Caetani, mit dem er damals mehrfach verhandelte, nannte ihn „persona principale e di molta saldezza e prudenza".15 In den Schwedenjahren wurde der alte Donnersberg nochmals nach Wien abgeordnet, 1632 um dem Kaiser die bayerisch-schwedischen Neutralitätsverhandlungen plausibel zu machen, 1633 um Hilfe des Kaiserhofs zu erhandeln; offensichtlich suchte Maximilian alte persönliche Beziehungen des Oberstkanzlers zu Ferdinand II. zu nützen, die in dessen Grazer Jahre zurückreichten. Je mehr Donnersberg zurücktrat, desto maßgeblicher wurde der Anteil Dr. Wilhelm Jochers (1565-1636)16 an den Geschäften, der dem Geheimen Rat von 1611 bis 1636 angehörte. Jocher wurde 1565 in Mauterndorf im Salzburgischen aus einer landständischen Familie geboren, die ursprünglich im bayerischen Joch am Kochelsee ansässig gewesen war. Er studierte seit 1586, also gleichzeitig mit Maximilian, in Ingolstadt die Rechte und wurde nach seiner Promotion 1592 vom Bayerischen Kreis dem Reichskammergericht als Assessor präsentiert, was auf seine Qualifikation verweist. Eine Berufung in den Reichshofrat lehnte er 1601 ab, vielmehr trat er 1604 auf Einladung Maximilians mit einem ungewöhnlich hohen Gehalt in bayerische Dienste, zunächst als Pfleger von Dachau und „Rat von Haus aus", seit 1611 als Geheimer Rat. Jocher wurde der Kronjurist Maximilians. Vom Reichskammergericht her mit dem Reichsrecht besonders vertraut, hat er in zahllosen Gutachten und Deduktionen die Politik Maximilians, vor allem die Reichs- und auswärtige Politik, mit seinen juristischen Stellungnahmen und Ratschlägen über Jahrzehnte begleitet, in scharfer, zuweilen recht spitzfindiger Logik, die auch im Duktus seiner kleinen Gelehrtenhandschrift zum Ausdruck kommt. Wir werden seinen Schriftsätzen noch wiederholt begegnen. Sein Rat wurde auch außerhalb Bayerns geschätzt, so etwa am Kaiserhof 1620 in der prekären Frage der Achterklärung gegen Friedrich V. von der Pfalz.17 Jocher war ein erfahrener und gewiegter Jurist, kein Politiker, weswegen er auch kaum zu diplomatischen Missionen verwendet worden ist. Aber er war doch kein starrer Doktrinär, wie behauptet wurde,18 vielmehr hatte er das Gespür, Mögliches von
Caetani an Borghese, 15.6.1609: Carmignano, San Lorenzo IV,1, Nr. 333. ADB XIV, 102 f.; NDB X, 447 f.; Albrecht, Ausw. Politik; Dollinger, Finanzreform 559 f.; Heydenreuter, Hofrat 319; Bireley, Maximilian. Zahlreiche Korrespondenzen und Gutachten in BA und BA NF. 17 Christoph Kampmann, Reichsrebellion und kaiserliche Acht. Politische Strafjustiz im Dreißigjährigen Krieg und das Verfahren gegen Wallenstein 1634, Münster 1992, 64 ff. 18 Endres, Bayer.-spanische Beziehungen 209. 15
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Unmöglichem zu unterscheiden, weshalb er mit Maximilians doktrinärem Beichtvater P. Contzen mehrmals in Auseinandersetzungen geriet. In den zwanziger Jahren war Jocher in starkem Maße mit den bayerischfranzösischen Beziehungen befaßt, zu welchem Zweck er eine jahrelange Korrespondenz mit dem Pariser Nuntius Bagno führte, lateinisch, da er das Französische kaum und das Italienische nur mangelhaft schrieb. Man hat mit Recht gesagt, daß Maximilian durch die Wahl Jochers für die französischen Verhandlungen schon erwiesen habe, in welchen Grenzen er die Abmachungen mit Richelieu getroffen wissen wollte, nämlich im Geiste strengen Festhaltens an der Reichsverfassung, wofür Jocher aufgrund seiner Kenntnisse, aber auch aufgrund seiner Skepsis gegenüber den französischen Absichten ein guter Gewährsmann gewesen ist. Nach den langjährigen Verhandlungen um den Vertrag von Fontainebleau 1631 zog er sich von den Geschäften zurück; seit je von labiler Gesundheit, wohl an Asthma leidend, konnte er am Regensburger Kurfürstentag von 1630 schon nicht mehr teilnehmen. Die Aufregungen der Flucht beim Schwedeneinfall 1632 scheinen seine Gesundheit noch weiter angegriffen zu haben, weshalb er die folgenden Jahre nicht mit Maximilian in Wasserburg oder Braunau oder gar im Feld, sondern in Salzburg verbrachte. Drei Gutachten aus seiner Feder zur Friedensfrage sind noch für 1633 bezeugt,19 1636 ist er in München gestorben. Zu den engsten Mitarbeitern Maximilians über mehrere Jahrzehnte zählte schließlich der Lic. iur. Bartholomäus Richel (1580-1649),20 vielleicht der begabteste politische Kopf, den die bayerische Politik bis weit in die vierziger Jahre neben Maximilian besessen hat, dazu ein Mann von unwahrscheinlicher Arbeitskraft. 1580 in Neufra (Oberschwaben) geboren, studierte Richel in Ingolstadt die Rechte, trat in bischöflich-eichstättische Dienste, wo er es bis zum Kanzler brachte, und wurde von dort im Frühjahr 1621 in den Hofrat nach München berufen. Schon immer wurde Richels Übergang in bayerischen Dienst mit der Tatsache erklärt, daß seine Frau im Dezember 1620 in Eichstätt als Hexe hingerichtet worden war. Eine neuere These behauptet darüber hinaus, daß Richel selbst seine Frau als Hexe denunziert und aufs Schaffott gebracht habe.21 Die dieser Behauptung zugrundeliegende Quelle « BA 11,8 Nr. 128, 193 und 216. ADB XXVIII, 805 f. und Zusatz XL, 670; Albrecht, Ausw. Politik 11 ff.; Heydenreuter, Hofrat 352; Heiner Haan, Der Regensburger Kurfarstentag von 1636/37, Münster 1967; Kathrin Bierther, Der Regensburger Reichstag von 1640/41, Kallmünz 1971; Immler, Friedenspolitik; Oers., Kf. Maximilian. Wichtigste Quellengrundlage sind die Bände der BA und BA NF. 21 So Stadler, Pappenheim 388, nach einem Bericht des Jesuiten Kaspar Wiltheim, hg. von A. Steffen in den Publications de la Section Historique de l'Institut G.-D. de Luxembourg 77,
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gestattet jedoch nur die begrenzte Folgerung, daß Richel sich gegenüber Anklagen und Verfahren passiv verhalten hat. Im übrigen zählte er dann in München zu den entschiedenen Gegnern der Hexenprozesse.22 Schon 1623 erhielt Richel als Vizekanzler die Leitung der Geheimen Kanzlei, um den alternden Donnersberg zu endasten. Damit bekam er Zutritt zum Geheimen Rat selbst, 1625 wurde er zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt, seither begegnet seine energische Schrift in den wichtigsten Akten. Die prall gefüllten, schwer leserlichen Notizbücher Richels im Duodezformat gehören zu den zentralen Quellen der bayerischen Politik während des Krieges. Im Unterschied zu Jocher war Richel häufig auf Reisen, namentlich in Angelegenheiten der Liga. Seine Aufzeichnungen von den Bundestagen der Liga, bei denen er als bayerischer Sprecher fungierte und zugleich das Präsidium führte, belegen seine Sachkunde und seine Zähigkeit, die Anliegen seines Herrn zu realisieren. Über die Ligapolitik hinaus wurde Richel seit Ende der zwanziger Jahre mit den wichtigsten Fragen der bayerischen Politik überhaupt befaßt. Wiederholt verhandelte er bei den Mainzer Kurfürsten zur Koordinierung des Vorgehens in der Wallensteinfrage, vor allem aber stand er an der Spitze der bayerischen Räte beim Regensburger Kurfürstentag 1630 und in den Sitzungen des gleichzeitigen Regensburger Ligatages. Die bereits in Regensburg angesponnenen Ausgleichsverhandlungen mit den protestantischen Ständen führte Richel fort als bayerischer Vertreter beim Frankfurter Kompositionstag 1631. Als Maximilian sich beim Vormarsch Gustav Adolfs nach Süddeutschland persönlich an die Spitze des Ligaheeres setzte, wurde er neben Wolkenstein von Richel begleitet, während die anderen Geheimen Räte nach Wasserburg und Salzburg flüchteten. Daß Richel dann bei Wallensteins endgültigem Sturz eine bestimmte Rolle am Kaiserhof zu spielen hatte, ist seit langem bekannt. 1636 entwarf er beim Regensburger Kurfürstentag die Wahlkapitulation für Kaiser Ferdinand III. und führte 1639 beim Nürnberger Kurfürstentag und 1640 beim Regensburger Reichstag das bayerische Votum. Seit der Mitte der vierziger Jahre war Richel an der Formulierung der bayerischen Politik für die Westfälischen Friedensverhandlungen beteiligt, wobei ihm wohl eine gewisse Frankreichfreundlichkeit attestiert werden kann. Da als Oberstkanzler nominell immer noch Donnersberg figurierte, wurde für Richel 1640 der Titel eines Geheimratskanzlers geschaffen.23 Das OberstLuxemburg 1959, 20. Für freundliche Hilfe zur Klärung des Sachverhalts danke ich Herrn Kollegen Alois Schmid (Erlangen). 22 Vgl. unten Kapitel 9. 23 Dekret vom 25.7.1640, Staatsverwaltung 1469, fol. 174. Frdl. Hinweis von Frau Dr. Bierther.
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kanzleramt hat er nicht mehr erreicht, da er bereits ein Jahr vor Donnersberg, 1649, in München verstorben ist.24 Nachfolger Richels als Vizekanzler 1649 und Donnersbergs als Oberstkanzler wurde Lic. iur. Johann Adlzreiter (1596-1662)25 aus einer bürgerlichen Familie in Rosenheim, der nach dem Jurastudium in Ingolstadt 1625 als Hofkammerrat in bayerische Dienste getreten war. Adlzreiter gehörte in der zweiten Kriegshälfte neben Richel, Kurz und dem Hofkammerpräsidenten Mändl zu den engsten und einflußreichsten Mitarbeitern Maximilians. Seit 1639 nahm er regelmäßig an den Sitzungen des Geheimen Rates teil, führte aber den Geheimratstitel erst seit 1643. Als Leiter des kurfürstlichen Archivs seit 1638 war er auch mit historischen Arbeiten und staatsrechtlichen Deduktionen beschäftigt. Nach Maximilians Tod gehörte er mit Kurz und Mändl dem Regentschafts- und Vormundschaftsrat für Ferdinand Maria an; in seinem Todesjahr 1662 wurden die „Annales Boicae Gentis" des Johann Vervaux SJ, deren dritter Teil die Regierungszeit Maximilians schildert, unter seinem Namen herausgegeben. Im Laufe der Regierungsjähre Maximilians war der Geheime Rat mit insgesamt dreiundzwanzig Geheimen Räten besetzt.26 Alle waren in der einen und anderen Weise an der Exekutierung und in bestimmtem Umfang an der Formulierung der maximiüaneischen Politik beteiligt. Unter ihnen ist noch Paul Andreas Frhr. (seit 1628 Graf) zu Wolkenstein27 hervorzuheben. Über Jugend und Ausbildung des einem Tiroler Geschlecht entstammenden, erst 1599 oder 1600 geborenen Wolkenstein sind wir nicht unterrichtet. Er muß die Rechte studiert haben, war seit 1620 Präsident am Reichskammergericht und von 1624 bis zu seinem frühen Tod 1635 Mitglied des Geheimen Rates mit der ungewöhnlich hohen Besoldung von 3 000 Gulden. Er dürfte wohl von seinem Schwiegervater Fürst Zollern protegiert worden sein. Wolkenstein figurierte als Militärexperte und war seit 1624 neben Richel bayerischer Vertreter bei den Ligatagen, später auch bei den kaiserlich-bayerischen Militärverhandlungen der Jahre 1633/35. Als sich Maximilian 1632 beim Anrükken Gustav Adolfs für mehrere Monate zur Armee begab, wurde er von Richel und Wolkenstein begleitet. Die Quellen erweisen Wolkenstein als Die Inschrift seines Grabsteins in der Münchner Frauenkirche bei Kloos, Inschriften Nr. 647. ADB I, 80 f.; NDB I, 73 f.; Heydenreuter, Hofrat 302 f.; lmmkr, Kf. Maximilian. Wenig ergiebige kurze „Memorabilia" in Cgm 3321, Druck bei Westenrieder, Beyträge X, 37 ff. 26 Verzeichnis bei Maximilian iMnsjnner, Zur Sozialstruktur der Geheimen Ratskollegien im 17. Jh., in: W. Becker-W. Chrobak (Hg.), Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus, Kallmünz 1992, 71-88, hier 75 Anm. 13. 27 Heydenreuter, Hofrat 362 f.; zahlreiche Quellen in BA NF. Persönliche Daten vor allem in BA NF 11,8. 24
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durchsetzungsfähig und ambitioniert, mit bemerkenswerten analytischen Fähigkeiten, als eine dynamische Persönlichkeit. Ob er darüber hinaus „nur zu sehr gewohnt war, in der Residenz die Dinge nach seinem Gusto zu dirigieren", also eine maßgebliche Rolle am bayerischen Hof zu spielen,28 bedürfte näherer Untersuchung. Nach den wichtigeren Mitgliedern des Geheimen Rates müssen auch einige Sekretäre der Geheimen Kanzlei erwähnt werden, Juristen, die in unmittelbarer Nähe des Herzogs tätig waren, praktisch als seine Geheimsekretäre figurierten und als solche für unterschiedlichste Aufgaben Verwendung fanden.29 Dies gilt für die Jahrzehnte vor dem Krieg namentlich für Dr. Christoph Gewold (1556-1621) aus einer protestantischen Amberger Familie,30 der nach Jurastudium, Promotion und Konversion 1591 (nicht erst 1595) zum Geheimsekretär und 1595 auch zum Geheimarchivar ernannt worden war. Gewold wurde alsbald zu einem der engsten und vertrautesten Mitarbeiter des jungen Herzogs, bei dessen Regierungsantritt Herwarth, der aus der Klosterhofmark Rottenbuch stammende Geheimsekretär Ulrich Speer (gest. 1603)31 und Gewold als die z. Zt. besten Köpfe am Münchner Hof bezeichnet wurden. Maximilian hat Gewold auch zu historisch-politischen Arbeiten im Dienste der bayerischen Kuransprüche verwendet. Im übrigen zählte dieser zu den entschiedenen Befürwortern von Hexenverfolgungen in Bayern und hat wohl versucht, seinen Herrn in diesem Sinne zu beinflussen. Konvertit war wohl auch Dr. Esaias Leuker, 32 der seit 1609 als Hofrat, von 1612 bis zu seinem Tode 1627 zugleich als Geheimsekretär und seit 1618 auch als Bibliothekar Maximilians tätig war. Er wurde auch zu politischen Missionen und Gesandtschaftsreisen bis nach Spanien und zugleich für die politische Publizistik verwendet. Bei Maximilian gelte Leuker viel, berichtet Hainhofer, „und wan man disen schmirbt, so khan man bey Bayrn vil ausrichten und erlangen".33 Zuletzt trat Leuker als Berichterstatter aus Wien in der Wallensteinfrage hervor. Nach seinem Tode begegnet als persönlicher
So Stadler.; Pappenheim 398. Zur Entwicklung der Institution vgl. Heydenreuter, Hofrat 39 ff. 30 ADB 9, 131; NDB VI, 355; Lawgnner, Fürst 89 und 348; Heydenreuter, Hofrat 319 und 330 f.; Anton Dümvächter, Christoph Gewold. Ein Beitrag zur Gelehrtengeschichte der Gegenreformation und zur Geschichte des Kampfes um die pfalzische Kur, Freiburg i.Br. 1904; BA und BA NF. 31 Dollinger, Finanzreform 121 f. und 380 f.; Lansjnner, Fürst 408; Heydenreuter, Hofrat 356; Wittelsbacherbriefe I-V; BA. 32 Dollinger, Finanzreform 129 und 391 f.; Albrecht, Ausw. Politik; Heydenreuter; Hofrat 343 u.ö.; BA und BA NF. 33 Hainhofer an Hg. August d j . von Braunschweig, ca. 1623: Gebiet, Briefwechsel Nr. 718. 28
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Referent Maximilians, Konzipient zahlloser Schreiben des Herzogs und Verbindungsmann zu den Geheimen Räten in besonderer Weise der Geheimsekretär Balthasar Rampeck (Ranbeck).34 Aufgrund seiner Sprachkenntnisse war Rampeck auch mit der spanischen Korrespondenz befaßt, hielt die Verbindung mit dem seit 1633 an Maximilians Hof befindlichen spanischen Gesandten Saavedra und wurde verschiedentlich auch selbst nach Spanien abgeordnet. Allerdings hat Maximilian Ende 1633 die Bitte Philipps IV., Rampeck als ständigen Vertreter Bayerns in Madrid zu akkreditieren, nicht erfüllt, um sich nicht gegenüber Frankreich zu kompromittieren. Konvertit war schließlich auch der aus Württemberg stammende Dr. Johann Georg (von) Öxl (1605-1675),35 dem Maximilian nach der Konversion Studium und Promotion finanzierte. Er war von 1630 bis 1649 als Geheimsekretär tätig und wurde in diesen Jahren auch für mehrere wichtige politische Missionen verwendet, so zum Regensburger Reichstag 1641 und zum Nürnberger Exekutionstag 1649. Unter Kurfürst Ferdinand Maria brachte es Öxl bis zum Geheimen Ratskanzler, mußte aber 1667 wegen Unregelmäßigkeiten den Dienst quittieren. Der Geheime Rat und die Geheime Kanzlei waren die wichtigsten Instrumente Maximilians zur Realisierung seiner inneren Regierung und seiner auswärtigen Politik, er rangierte den anderen Behörden gegenüber stets als höherrangig und weisungsbefugt und vermochte im Eventualfall deren Kompetenzen an sich zu ziehen.36 Im Unterschied zu den anderen Zentralbehörden (aber in Ubereinstimmung mit vergleichbaren Kollegien im Reich und in anderen europäischen Staaten) wurden daher seine Zuständigkeiten nie in einer verbindlichen Instruktion geregelt. So entsprach der bayerische Geheime Rat unter Maximilian in seiner Bedeutung im wesentlichen dem Geheimen Rat am Kaiserhof, wie ihn der Wiener Nuntius Carlo Carafa in seiner bekannten Relation von 1628 geschildert hat.37 Jedoch befaßte sich der kaiserliche Geheime Rat (der zumeist in Anwesenheit des Kaisers tagte) in Personenselekt 323; zahlreiche Hinweise in BA NF. Rampeck ist erstmals 1622 als Hofratssekretär, 1624 als Geheimsekretär belegt, letztmals 1640 als Geheimsekretär. 35 ADB XXV, 24 ff.; Heydenreuter, Hofrat 349 f. mit weiterer Literatur. 36 Lan^inner, Fürst 124 ff.; Hejdenreuter, Hofrat 180 ff. 37 „II Consilio Secreto, che in altri parti si chiama di Stato, è quello dal quale dipendono tutte le risolutìoni importanti. Ordina e commanda tutto quello, che riguarda lo stato, la pace, il governo, gl'interessi della Camera. Modera tutte le attioni degli altri e tratta e discute tutto quello, che qualunque ministro delibera" (Carlo Carafa, Relazione dello stato dell'Imperio e della Germania 1628, hg. von J.G. Müller in: Archiv fur Kunde österr. Geschichtsquellen 23 (1860), 101-449, hier 295. 34
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der Regel nur mit Grundsatzfragen, die Tagesgeschäfte wurden von Deputationen aus Sekretären der Reichshofkanzlei und von Reichshofräten unter Vorsitz des Reichsvizekanzlers erledigt.38 In München dagegen war der Geheime Rat (zumeist in Abwesenheit des Fürsten tagend) sowohl mit der Formulierung wie mit der Ausführung der Politik befaßt, beides blieb einem einzigen Gremium zugeordnet. Zu Beginn der Regierung Maximilians bestand der Geheime Rat aus sechs Personen, 1615 waren es ebenfalls sechs, im Jahre 1620 fünf Geheimräte, sicher ein Hinweis auf die Sicherheit und Beständigkeit des Herzogs in der Auswahl seiner engsten Mitarbeiter. Nur zwei davon, der Obersthofmeister und der Oberstkanzler, gehörten dem Gremium kraft Amtes an, die übrigen qualifizierte die persönliche Eignung (die allerdings auch bei den Obersthofmeistern Rechberg, Zollern und Kurz sowie dem Oberstkanzler Donnersberg nicht fehlte). Maximilian hat mit diesen geschäftskundigen Männern regiert, die zumeist aus der juristisch gebildeten Beamtenhierarchie aufgestiegen waren, nicht nur weil ihre Bildung den Erfordernissen einer sich modernisierenden Staatsverwaltung und des expandierenden Staates entsprach, sondern weil er selbst ein Mann juristisch-humanistischer Bildung gewesen ist, ein Bürokrat, der vornehmlich aus seiner Arbeitsstube heraus regiert hat, ein Mann der Akten und schriftlichen Entscheidungen, nicht des Überredens und des Auftrumpfens, sondern der weitläufigen schriftlichen Beweisführung, des Nachdrucks von langer Hand, möglichst ohne persönliche Berührung mit den Kontrahenten. In einem Memoriale, das Maximilian zu Beginn seiner Mitregierung 1594/95 von den Räten übergeben wurde, baten diese, „daß E. fl. Dt. den gehaimen reten selbs in der person beiwonen wegen der motiven, so pro et contra fürkommen und sich mit den umbstenden nit referiren lassen", und der junge Herzog hatte am Rande bemerkt: „Ist allweg meine meinung."39 Jedoch nahm Maximilian bald nur mehr an besonders wichtigen Geheimratssitzungen teil, so etwa bei den Erörterungen des Winters 1631/32 um die Frage einer bayerischen Neutralität. In der Regel beschränkte er sich darauf, sich vom Ergebnis der Verhandlungen unter dem Vorsitz des Obersthofmeisters oder Oberstkanzlers kurz schriftlich oder mündlich informieren zu lassen und dann seine Entscheidung kundzutun. Aufgrund der mündlichen oder schriftlichen Weisungen des Herzogs wurden von den Geheimen Räten selbst oder den Geheimsekretären die notwendigen Schriftstücke konzipiert, Immler, Kf. Maximilian 10 f. 39 BA VI, 13. Hierzu Dollinger, Finanzreform 361 Anm. 25 e. 38
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diese Konzepte von Maximilian korrigiert und häufig auch noch verändert, ehe sie in die Reinschrift kamen. Und selbst die Ausfertigungen mußten nicht selten noch umgeschrieben werden, nachdem sie dem Herzog zur Unterschrift vorgelegt worden waren und dieser tüftelig noch hier und dort am Ausdruck feilte, letzte Präzisionen anbrachte oder in lateinischen Schreiben Germanismen tilgte, auch wenn wegen einer einzigen Korrektur nochmals vier Seiten neu geschrieben werden mußten. Schon der flüchtige Blick in die Akten erweist, daß Maximilian sich alle wesentlichen (und viele unwesentlichen) Entscheidungen und deren Begründungen vorbehalten und in diesem Sinne selbst regiert hat. Bei der ersten Übertragung von Regierungsbefugnissen hatten ihn die Räte allerdings gebeten, im eigenen Interesse nur in Zusammenarbeit mit den Räten zu handeln: „Dieweil alle historien zu erkennen geben, daß jederzeit derjenigen potentaten regierungen gelobt und für anderen gebrisen werden, die mit ires rats rat gehandlet, als were demnach das beste, das E. fl. Dt. sich in nichten wichtiges erclerten, Si hetten dan zuvor desjenigen rats, darein die sach irer art und aigenschaft nach gehörig, vorgehend rätlich guetbedunken darüber angehört." Maximilian hatte hierzu bemerkt, daß er dies wohl tun wolle, „jedoch wirdt mir alsdan nach angehertem guetachten die resolution freisteen."40 Meist mit genauen Vorstellungen, mit Entschiedenheit und Durchsetzungswillen, auch mit Schärfe, oft mit Sarkasmus und gewiß auch mit Pedanterie und Kleinlichkeit hat er so in die Geschäfte der Staatsbehörden, nicht nur der obersten, eingegriffen und mit eisernem Fleiß, der in der Hauptsache nur durch die (nicht wenigen) Stunden der Andacht und der Jagd unterbrochen wurde, die Regierungsgeschäfte mit fester Hand geleitet — ohne daß man freilich Augenblicke des Zögerns und der Entscheidungsschwäche übersehen wird. Sigmund Riezler hat zu Recht bemerkt, daß nun die Zeiten der selbständigen Kanzler, der Leonhard von Eck, Wiguleus Hundt, Simon Thaddäus Eck und Christoph Elsenheimer vorüber waren, hat aber auch hinzugefügt, daß sich durch die stete Rückkoppelung zu den Räten deren Einfluß gesteigert habe. Sucht man die Frage nach dem Einfluß der Räte auf die politischen Entscheidungen zu beantworten, fallt zunächst die betonte Kollegialität der Geschäftsführung unter Maximilian ins Auge, dieser hat nur in Verbindung mit den Räten entschieden, von einsamen Entschlüssen ist nichts bekannt, jedenfalls nicht aufgrund der uns zur Verfügung stehenden Quellen. Die Pflicht des Fürsten, mehrere Berater zu hören, wurde auch in der Staatslehre seines Beichtvaters Adam Contzen betont. Die stete Verbin40
BA VI, 13.
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dung mit den Räten war schon deswegen geboten, weil anders die dem kleinen Staat von Maximilian gestellten schwierigen (und ihn schließlich überfordernden) Aufgaben nicht zu bewältigen waren, der Herzog war in nicht geringem Umfang auf die Sachkennntnis und das Arbeitspotential seiner Mitarbeiter angewiesen. Daß sich Maximilian aber seine Entscheidungsfreiheit vorbehalten hat und in diesem Sinne selbst regiert hat, war seiner Arbeitsdisziplin und seinen Fähigkeiten zu verdanken, der Stärke der Persönlichkeit und der Sicherheit des Urteils, aber auch seinem Selbstgefühl, das ihn auch bei langjähriger enger Zusammenarbeit die Distanz zu den Beratern deutlich und gelegentlich schroff betonen ließ. Allerdings muß dieses Urteil nach zwei Richtungen eingeschränkt werden. Zunächst wird man berücksichtigen, daß die Räte allein schon durch die Gedankengänge ihrer Gutachten und Konzepte die Vorstellungen ihres Herrn in eine bestimmte „vorformulierte" Richtung lenken konnten. Wenn etwa die wichtige und umfangreiche Denkschrift des Jahres 1629: „Ob es ratsamb, sich mit Frankreich in die büntnus einzulassen",41 zunächst von Jocher konzipiert, dann von Peringer neuredigiert, diese Neuredaktion von Maximilian, Jocher und Richel nochmals durchkorrigiert und die erneute Redaktion wiederum von Jocher und Maximilian überarbeitet worden ist, so ist der Anteil der Räte am Gesamttenor wie der Einzelformulierung deutlich zu erkennen. Freilich erweisen die (auch in Einzelheiten gehenden) Korrekturen und Zusätze Maximilians, daß dieser sehr genaue Vorstellungen von der Materie besaß, sie im Einzelfall durchsetzte und auch danach handelte. Zweitens ist zu sehen, daß Maximilian in bestimmten Situationen zu Ängstlichkeit und Entscheidungsschwäche neigte, etwa in der Hexenfrage oder nach 1631 hinsichtlich konfessionspolitischer Zugeständnisse, als er zwischen dem prinzipiell argumentierenden Beichtvater und den realpolitisch denkenden Räten stand. Hier konnte dem Einfluß der Berater allerdings entscheidende, d.h. die schließliche Entscheidung Maximilians bestimmende Bedeutung zukommen. Dagegen ist kaum ersichtlich, inwieweit die Räte unterschiedliche Positionen in den großen außenpolitischen Fragen einnahmen, in denen sich die bayerische Politik zwischen Kaiser, Spanien und Frankreich gestellt sah. Wir erkennen jedenfalls keine ausgesprochenen Präferenzen zugunsten einer mehr prospanischen oder profranzösischen Politik. Man wird die führenden Räte als prinzipiell kaiserfreundlich bezeichnen können, ohne Kritik an der kaiserlichen Politik und gewisse profranzösische Neigungen (etwa bei Richel oder Adlzreiter) auszuschließen. 41
BA NF 11,5 Nr. 47.
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Maximilian war überzeugt, daß der Fürst seine herausgehobene Position in Staat und Gesellschaft durch Vorbildhaftigkeit zu rechtfertigen habe, durch sein Vorbild aber auch befeuernd -wirke. „Vita enim principis", heißt es in den „Monita paterna" von 1639, „optima instructio est Aulicorum et Subditorum et ad virtutis Studium plus incitât, quam multa mandata et poenae".42 Umgekehrt hat er von seinen Räten die gleiche Hingabe an die Sache gefordert, die er selbst täglich bewies, auch in seinen Testamenten hat er wiederholt von den Pflichten der Räte gesprochen. Dabei scheute er sich nicht, harte und hohe Anforderungen zu stellen und seine Kritik durch ironische, in der seitherigen Geschichtsschreibung häufig zitierte Bemerkungen reichlich unverblümt zum Ausdruck zu bringen.43 Das Damoklesschwert fürstlichen Unwillens war den Räten stets gegenwärtig. So weigerte sich Jocher gelegentlich, dem Reichshofratspräsidenten Hohenzollern ein Schreiben Maximilians zur Kurfrage zu interpretieren, solange der Herzog nicht anwesend war: „Euer Gnaden verzeihen mir, daß ich als ein diener mir nit ungnad causir oder mißverstand erweke."44 Die Räte wußten auch, daß Maximilian für Kritik an ihnen empfänglich und bereit war, sie aus stetem Mißtrauen ziemlich unkritisch zu übernehmen.45 Daneben standen die Klagen über die Arbeitsbelastung: „Wir werden über die maßen mit dem laboriren überhäuft, sonderlich bei einem fleißigen herrn, der tag und nacht keine ruhe sich gönnt, sich und andere consumirt."46 Die Überlastung jedenfalls der hohen Beamten war auch in der Tatsache begründet, daß Geheimräte und Hofräte immer wieder auch zu auswärtigen Missionen verwendet wurden, die sich gelegentlich über mehrere Monate erstreckten. Zwar waren im Herzogtum Bayern früher als in anderen deutschen Territorien die Grundlagen eines ständigen Gesandtschaftswesens gelegt worden, wie es von den italienischen Stadtstaaten, der römischen Kurie und Spanien vorexerziert worden war.47 Jedoch handelte es sich zunächst nur um Agenten minderen Ranges, die in Wien, Prag, Rom und Madrid mehr als Briefträger und Beschaffer von neuen Zeitungen für Maximilian tätig waren. Erst die ständigen Residenten in Rom, seit 1605 Vater und Sohn Crivelli, konnten nach Aufgaben und Kompetenzen mit Gesandten der späteren Zeit verglichen werden. Von weit größerem Gewicht als Agenten und Residenten blieben jedoch die außerordentlichen Gesandten, die für Dokumente 1,3 Nr. 317. Beispiele zusammengestellt in Dokumente 1,3 Nr. 140. 44 BA NF 1,2, 216 Anm. 2. « Vgl. etwa die Klage Wolkensteins in BA NF 11,9 Nr. 242. 46 Zitiert Albrecht, Ausw. Politik 15. « Vgl. ebenda 16 ff. 42
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wichtigere Fragen an fremde Höfe entsandt worden sind, diese waren auch ungleich profiliertere Persönlichkeiten. Sie entstammten nun eben zumeist den Zentralbehörden. Sie waren mit detaillierten, oft von ihnen selbst konzipierten und vom Herzog sehr genau revidierten Instruktionen versehen, welche neben dem Inhalt der Verhandlungen auch den Gang der Verhandlungsfiihrung vorschrieben, an den die Gesandten gebunden blieben. Allerdings war Maximilian klug genug, sich trotz hoher Anforderungen im Eventualfall seine qualifiziertesten Räte nicht durch zu große Härte zu entfremden, wie der Prozeß Gailkirchner erwies. Die hohen dienstlichen Belastungen hätten auch besonders gute Gehälter erfordert, doch wurde der hohe Besoldungsstandard, der noch beim Regierungsantritt Maximilians gegolten hatte, auf die Dauer nicht gehalten, auch nicht bei den Zentralbehörden in München.48 Der Anstieg der Lebenshaltungskosten durch die rapide Verteuerung der Lebensmittel seit der Jahrhundertwende, durch die hohen Mieten in der Residenzstadt sowie durch die Geldablösung der bisherigen Naturalleistungen für die Beamten im Zuge der Hofstaatsreformen von 1601 und 1606 wurde durch gelegentliche Besoldungserhöhungen und Gnadenzuwendungen nur verlangsamt, nicht ausgeglichen, auch wenn Beamte steuerfrei waren. Auch die Beanspruchung von Häusern und Grundstücken zum Residenzbau und für die Wallbefestigung Münchens steigerte die Wohnungsknappheit; Bemühungen Maximilians, durch eine Stadterweiterung vom Isartor bis zur Isar neuen Wohnraum zu schaffen, scheiterten am Widerstand der Stadtverwaltung.49 Angesichts der hohen Lebenshaltungskosten waren auch Spitzenbeamte auf die Verleihung von Pflegämtern erpicht, aus denen sie zusätzliche Einkünfte ziehen konnten. Maximilian hat denn auch das Instrumentarium der Gnadengelder und Pflegsverleihungen benützt, um gute Beamte zu halten oder zu gewinnen.50 Er war aber auch kühl genug, gelegentliche Klagen des Hofratspräsidenten Preysing über die schmalen Gehälter der Hofräte und Preysings eigene Besoldungsverhältnisse mit einem Hinweis auf die indirekten Vorteile durch den Hofdienst zu kontern: Ohne Hofdienst und ohne Vermittlung durch den Herzog wäre Preysing nie zu seiner ersten Frau Benigna von Preysing auf Hohenaschau und damit zu großem Reichtum ge-
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han^inner, Fürst 134 ff.; Heydenreuter, Hofrat 72 ff., mit zahlreichen instruktiven Beispielen zum ganzen Umfeld und mit Verzeichnis der Besoldungen der Geh. Räte, Kämmerer, Hofund Kammerräte in den Jahren 1600, 1 6 2 0 , 1 6 3 0 , 1 6 4 0 und 1651. 49 Heydenreuter, Hofrat 76 Anm. 130. 50 Eine Liste von Schenkungen an hohe Beamte für die Jahre 1598-1618 bei Oollinger, Finanzreform 418 Anm. 125 1 und 150 f.
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kommen. 51 Dies traf zu, dennoch mied der Adel seit den zwanziger Jahren zunehmend den Hofratsdienst und bevorzugte, wenn überhaupt, den Hofdienst, wodurch gelehrte bürgerliche Räte umsomehr Chancen erhielten. Jedoch ist festzuhalten, daß Spitzenstellungen in der Hof- und Landesverwaltung auch unter Maximilian mit ordentlichem Gehalt und außerordentlichen Zuwendungen gut honoriert worden sind, um hochqualifizierte Leute zu bekommen und zu halten. Allerdings wurde hier zwischen hohem Adel (zumal in höchsten Hofámtern) und Bürgerlichen deutlich unterschieden52 und wurden Gnadenpflegen mit wenigen Ausnahmen nur an Adelige vergeben. Zahlreiche Inhaber von Spitzenstellungen kamen von außerhalb Bayerns in Maximilians Dienste, ein Hinweis, daß das Herzogtum selbst nicht genügend qualifizierte Leute liefern konnte, was angesichts der begrenzten Bevölkerungszahl und der überwiegenden Agrarstruktur des Landes bei gleichzeitiger Intensivierung der Landesverwaltung und ausgreifender Außenpolitik nicht verwunderlich war. In den „Mónita paterna" für Ferdinand Maria hat Maximilian in einem umfangreichen Katalog sein Idealbild eines Beamten gezeichnet bzw. zeichnen lassen und dabei neben Frömmigkeit und makellosem Lebenswandel drei Eigenschaften hervorgehoben: Unbedingte Treue des Beamten gegenüber seinem Herrn, keinem anderen Fürsten „verbündten oder verpflicht"; Kenntnis der Amtsgeschäfte sowie der Rechte, Sitten und Eigenheiten des Herzogtums und des Reiches; schließlich Uneigennützigkeit in der Ausübung des Dienstes. „Wan die rhät also beschaffen seint, die werden gerechte, erspriesliche, heilsame und nuzliche rhatschläg eröffnen." 53 Als Nachwuchs boten sich zunächst die Absolventen der Juristischen Fakultät der Universität Ingolstadt an. Jedoch war man für höhere Positionen und zur Gewinnung erfahrener Praktiker auch auf Nichtbayern hingewiesen, die am Reichskammergericht, auf Reichs- und Kreistagen, später auch auf den Ligatagen angesprochen wurden. Wenngleich Wilhelm V. in seinem Testament dem Nachfolger einschärfte, sich als Beamter vornehmlich der Landleute, nicht der Auswärtigen zu bedienen, sah sich Maximilian weiterhin nach Nichtbayern um.54 Allerdings hat die fortschreitende Konfessionalisierung im
51
Ebenda 77. Besoldungen von 1630: Fürst Zollern 6 000 fl., Graf Wolkenstein 3 000 fl, Graf Fugger 4 000 fl. Dagegen Donnersberg 1215 fl., Jocher 1060 fl., Richel 1 000 fl. Die Besoldung selbst bedeutender Künstler entsprach in etwa dem Normalgehalt von Hofräten (400 fl.): 1615 erhielt Hans Krumper 480 fl., Peter Candid 500 fl. 53 Dokumente 1,3 Nr. 317; Zitat nach einer deutschen Übersetzung bei Schmidt, Erziehung 128. 5" BA V, 20 ff.; Heydenreuter, H o f r a t 94 f. 52
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Reich den Markt auf die geistlichen Territorien und die habsburgischen Lande verengt, doch sind immer wieder auch Konvertiten aus protestantischen Gebieten eingestellt worden. 1605 mußte der Reichshofratspräsident v. Ulm bei der Suche nach geeigneten Subjekten bekennen, „daß es die Katholischen den Unkatholischen bey weittem nit gleich thun"55 — katholisches Bildungsdefizit im 17. Jahrhundert. Die Suche nach auswärtigen Mitarbeitern war auch durch die langjährige Zurückhaltung von Teilen des bayerischen Adels von öffentlichen Ämtern veranlaßt. Alteingesessene Familien wie die Degenberg, Fraunhofen, Maxlrain, Toerring, Closen, die früher in den Regierungen und Ratskollegien stark vertreten gewesen waren, fehlten unter den höheren Beamten Maximilians fast durchweg, der daher beklagte, daß zwar „die landleutt bei den regierungen nit gern frembde haben", sich selbst aber „doch nit gebrauchen lassen wollen".56 So sind in diesen Jahren zahlreiche Nichtbayern gerade in die höheren Positionen gelangt, Hohenzollern aus Sigmaringen, Jocher, vom Reichskammergericht kommend, aus dem Salzburgischen, der Schwabe Richel aus eichstättischen Diensten, Rechberg aus schwäbischem Rittergeschlecht, und andere mehr, von den vielfach in Anspruch genommenen Jesuiten, Kapuzinern und Karmeliten wie den Patres Vervaux, Contzen, Hyazinth von Casale, Laurentius von Brindisi oder Domenico à Jesù Maria nicht zu reden. Man hat errechnet, daß von den 23 Geheimräten der Maximilianszeit nur ein Drittel aus Bayern stammte, daß etwa die Hälfte adeliger bzw. bürgerlicher Herkunft war, etwa zwei Drittel (also auch nichtbayerische Geheimräte) an der Landesuniversität Ingolstadt die Rechte studiert hatten und die Hälfte der Geheimräte einen universitären Grad erworben hatte.57 Auch bei den Hofräten stammte mehr als die Hälfte nicht aus dem Herzogtum. Der hohe Anteil an Ausländern war allerdings keine bayerische Eigenart, sondern zeigte sich auch in anderen Territorialverwaltungen, nicht zuletzt auch am Kaiserhof.58 Diese Erscheinung war überwiegend im deutschen Territorialismus begründet, doch wurden auch die Reichsgrenzen übersprungen. Die Internationalität der Beamtenkörper gehörte zu den Selbstverständlichkeiten der Zeit; bereits durch die Glaubensspaltung konfessionell eingeschränkt, ist sie im Zeitalter der Nationalstaaten praktisch ganz verschwunden.
55 56 57 58
Lax^inner, Fürst 134. Zitiert bei Sturm, Preysing 10. Lawgnner, Sozialstruktur, Tabellen 2, 5 und 11. Ebenda Tabens 1.
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Die bei Hof und in den Zentralbehörden tätige Beamtenschaft erweiterte sich unter Wilhelm V. und Maximilian mit bemerkenswerten Unterschieden, welche Rückschlüsse auf Persönlichkeit und Zielsetzungen der beiden Fürsten gestatten. Während unter Albrecht V. und Wilhelm V. trotz der Gründung und des Ausbaus der Zentralbehörden der Schwerpunkt landesherrlicher Personalpolitik bei den Hofbeamten gelegen hatte, bemühte sich Maximilian vorwiegend um die personelle Sicherung und Verstärkung der Zentralbehörden sowie der Staatsverwaltung überhaupt, das Schwergewicht verschob sich vom Hof zur Bürokratie, zum Staat. Unter den Zentralbehörden wiederum genoß (neben dem Geheimen Rat) nicht in erster Linie der Hofrat, sondern die Hofkammer die besondere Förderung Maximilians.59 Ohne dessen Interesse an Rechtsetzung und Rechtsprechung und seine Bedeutung für die Fortentwicklung des Rechtswesens in Bayern zu verkleinem, kann doch gesagt werden, daß die erkennbare Bevorzugung der Hofkammer und ihres Personals auf ein besonderes Interesse Maximilians an finanziellen Fragen deutet, denen er entsprechend besondere Förderung angedeihen ließ. Der Sachverhalt wird noch im einzelnen zu entfalten sein, legt es aber nahe, auch die wichtigsten Mitarbeiter im ökonomischen Sektor der Staatsverwaltung ins Auge zu fassen, die Hofkammerpräsidenten. Nicht Theoretiker, sondern erfahrene Praktiker waren hier erwünscht, „erlebte und practicirte leuth" wie es in Maximilians Testament von 1641 heißt. Als Nachfolger des ebenso befähigten wie eigenwilligen Hofkammerpräsidenten Christoph Neuburger figurierte von 1597 bis 1609 Hans Schrenck von Notzing (1543-1619).60 Einem Münchner Patriziergeschlecht entstammend, hatte er in Ingolstadt die Rechte studiert, war Stadtoberrichter in München gewesen, seit 1586 Kammerrat, daneben zeitweise Rentmeister Oberlands, wo er praktische Erfahrungen sammelte. Unbekannt ist, warum Schrenk 1609 seines Amtes entbunden wurde und bis zu seinem Tode 1619 wieder nur als Kammerrat amtierte. Auf ihn folgte Christoph Ulrich Elsenheimer zu Elsenheim (1563-1630).61 Bereits dessen Vater Christoph Elsenheimer, der einem Salzburger Ratsgeschlecht entstammte, war unter Albrecht V. und Wilhelm V. in hohen bayerischen Stellungen tätig und als Oberstkanzler einflußreich gewesen. Er selbst trat nach einem Jurastudium 1593 in die Hofkammer ein, fungierte seit 1604 als Rentmeister Oberlands und schließlich von 1609 bis 1621 als Hofkammerpräsident. Auch Elsenheimer wurde vorzeitig abgelöst, vielleicht weil Maximilian an ihm gelegentlich 59 60 61
Heydenreuter, Hofrat 156 ff. Dollinger, Finanzreform 124 ff. und 384 f.; Lant^nner, Fürst 398 f. Dollinger, Finanzreform 126 f. und 385 f.; Lan^inner, Fürst 331 f.; Heydenreuter, Hofrat 322 f.
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mangelnden Fleiß sowie Trunksucht zu kritisieren hatte, vielleicht aber auch, weil er der steilen Karriere des Oswald Schuß im Wege stand, der die besondere Gunst des Herzogs genossen hat. Der vermutlich aus Regensburg stammende Schuß (gest. 1632),62 hatte im Unterschied zu seinen Vorgängern keine Rentmeisterpraxis hinter sich. Gleichwohl wurde ihm 1609 als Hofkammerrat das für den Staatshaushalt so wichtige Salzwesen übertragen und entwickelte er sich alsbald zur zentralen Figur in der bayerischen Finanzverwaltung, den man mit Neuburger verglichen hat. Schuß leitete auch die wichtige Zollduplierung von 1609/10 und initiierte wenige Jahre danach den Bau der Soleleitung von Reichenhall nach Traunstein, indem er den modernen Grundsatz vertrat, daß Rohstoffe nicht nur an deren Fundort, sondern auch am Ort des Verarbeitungsmaterials veredelt werden könnten. 1622 wurde er Kammerdirektor, von 1623, dem Jahr seiner Adelserhebung, bis zu seinem Tod 1632 war er Hofkammerpräsident, seit 1626 auch Mitglied des Geheimen Rates. Schuß hatte die Finanzierung des Ligaheeres in der ersten Kriegshälfte zu sichern und unter anderem 1623/28 die schwierigen Verhandlungen mit dem Kaiserhof um die Erstattung der bayerischen Kriegskosten zu führen. Wenn es in Maximilians „Information für die Gemahlin" von 1651 hieß, daß im Geldwesen Geheimhaltung unerläßlich sei und der Fürst „dises secretum allein wissen und behalten, auch merern nit, als etwan ein oder zween seiner verthrautisten rhäten, welche dasselbig menagieren", vertrauen solle,63 dann war zu diesen Vertrautesten in Geldsachen neben Oswald Schuß auch dessen Nachfolger Dr. Johann Mandl (1588-1666; seit 1653 Reichsfreiherr von und zu Deutenhofen) zu zählen,64 der in der zweiten Kriegshälfte zu den wichtigsten und engsten Mitarbeitern Maximilians zu rechnen ist. In Günzburg in der habsburgischen Markgrafschaft Burgau geboren, hatte Mändl zunächst fünf Jahre in Ingolstadt, dann dreieinhalb Jahre in Perugia die Rechte studiert und dort promoviert. Seit 1614 war er als Hofkammeradvokat, seit 1616 als Hofkammerrat in bayerischen Diensten. Als Nachfolger Gewolds war er 1617-1638 der Archivar Maximilians und in dieser Funktion dessen Begleiter sowie Verfasser eines Kriegstagebuches im Böhmischen Feldzug. Seit 1628 leitete er mit Herwarth d.J. das ober- und rheinpfälzische Kammerwesen, im schwierigen Jahr 1633 wurde er als Nachfolger von Schuß Hofkammerpräsident und Mitglied des Geheimen Rates. Mändl war der erste Dollinger, Finanzreform 127 f. und 387-391; Heydenreuter, Hofrat 355 u.ö. Dokumente 1,3 Nr. 358. 64 Dollinger, Finanzreform 129 ff. und 393 f.; Rosenthal, Geschichte II, 358 f.; Hejdenreuter, frat 344; NDB XVI, 17 f. mit weiterer Literatur; Porträt in GR II Nr. 436. 62
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promovierte Jurist auf dem Präsidentenstuhl, zunächst ein Theoretiker, der jedoch im Laufe der Jahre zum Mann der Praxis wurde und schließlich mit den unterschiedlichsten Aufgaben der bayerischen Politik betraut worden ist; eine Reihe von langdauernden Missionen führte ihn zu Finanzverhandlungen an den Kaiserhof nach Wien, Linz und Preßburg und zu den Reichsversammlungen der Epoche. Seit langem ist bekannt, daß Mändl zwei späte Testamente Maximilians verfaßt oder jedenfalls redigiert hat, die „Treuherzigen väterlichen Lehrstücke" von 1650 und die „Information für die Gemahlin" von 1651. Darüber hinaus ist ihm auch das Testamentskodizill vom 5. Juni 1650 zuzurechnen!65 Dies alles spricht für ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Mändl und seinem Herrn. Entsprechend rühmte Mändl in seiner Autobiographie seinen Kurfürsten, „daß dergleichen Regenten von solcher prudenzia, authoritet und erfahrenheit das landt in etlich 100 jähren nit gehabt."66 Nach Maximilians Tod gehörte er dem Vormundschafts- und Administrationsrat für Ferdinand Maria an. Überaus vermögend geworden, wurde er 1662 unter dem Vorwurf des Amtsmißbrauchs gestürzt und ein Großteil seines Vermögens konfisziert. Nur einer der nächsten Mitarbeiter Maximilians ist bisher durch eine ebenso umfassende wie schöne Biographie gewürdigt worden, Johann Christoph von Preysing zu Altenpreysing und Kopfsburg, Herr zu Hohenaschau und Söllhuben (1576-1632),67 der Hofratspräsident der Jahre 1623-1632. In seiner Persönlichkeit und seinem Lebensgang treten Charakter und Tätigkeitsfelder, Lebenswelt, familialer Umkreis und ökonomische Ressourcen eines hohen Beamten der Maximilianszeit geradezu paradigmatisch vor Augen. Preysing stammte aus einem weitverzweigten, durch breiten Besitz im Lande verwurzelten Turniergeschlecht, das der bayerischen Verwaltung und den benachbarten geistlichen Fürsten bereits in früheren Jahrhunderten manche Beamte gestellt hatte. Er studierte die Rechte in Ingolstadt, Siena und Padua, war seit 1604 Hofrat in München, seit 1615 Vitztum in Landshut und von 1623 bis zu seinem Tode 1632 Hofratspräsident. Kennzeichnend für ihn war jedoch, daß er in diesen drei Jahrzehnten mehr als andere Räte und Geheimräte zu diplomatisch-politischen Missionen verwendet worden ist, wiederholt an den In seiner Autobiographie in Cgm 3321 (gedruckt bei Loren% Westenrieder, Beyträge X, 1-36) erwähnt Mändl ein Testament Maximilians, „welches ich selbst verfasset", in dem er zusammen mit Kurz, Metternich, Haslang und Adlzreiter zum Administraüonsrat bestellt worden sei. Da in den beiden späteren Testamenten von den fünf Administrationsräten nicht die Rede ist, wohl aber in demjenigen vom 5.6.1650 (vgl. Dokumente 1,3 Nr. 356, hier S. 1272), kann Mändl nur dieses gemeint haben. 66 Cgm 3321. 67 Vgl. Sturm, Preysing; Heydenreuter, Hofrat 310 f. u.ö.; viele Quellen in BA und BA NF. 65
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Kaiserhof nach Wien und Prag, zu Reichsversammlungen nach Regensburg und Frankfurt, zu Ligaverhandlungen und Ligatagen nach Frankfurt, Oberwesel, Würzburg und Augsburg, zu benachbarten weltlichen und geistlichen Fürsten; auch am Feldzug nach Oberösterreich und Böhmen 1620 nahm er im Gefolge Maximilians teil. Die Bewältigung der ihm auferlegten Arbeiten erfordere „divini potius quam humani ingenii", klagte Preysing gelegentlich. Die Unvollkommenheit der Verkehrsmittel und Verkehrswege und die mit den vielen Reisen verbundenen Strapazen mögen zu seinem frühem Tod beigetragen haben. Erliege er der Krankheit, schrieb Preysing in seinem letzten Brief an Maximilian, „geschieht es zu der ehr Gottes, in Eur Churfrstl. Durchlaucht und des lieben vatterlands getreulich aufrecht gepflogner 30 jarigen diensten und verrichten drittmahlig veldzug".68 Aus der Biographie Preysings werden die Kraftquellen des Mannes und so mancher seiner Kollegen in den bayerischen Ratsgremien deutlich: Als Fundament eine gediegene Bildung in den Humaniora, in beiden Rechten und den neueren Sprachen — Preysing sprach Lateinisch, Italienisch und Französisch, hat aber gegenüber Ausländern Latein bevorzugt; Erfahrungen aus der Praxis langjähriger Hofratstätigkeit; Gewandtheit in der Verhandlungsführung, wenngleich Maximilian den Spielraum seiner Gesandten durch detaillierte Instruktionen in engen Grenzen zu halten pflegte; Tätigkeit in landständischen Gremien, Verwaltung eines ansehnlichen Grundbesitzes. Hinter allem wird warme Religiosität und strengste Kirchlichkeit sichtbar, daneben Realismus, auch Erwerbssinn, der Preysing — wie manche andere der bayerischen Spitzenbeamten — aus zunächst mitderen Verhältnissen zu beachtlichem Wohlstand geführt hat. Im Ganzen bietet sich das Bild einer gesammelten, an geistigen Werten nicht armen Persönlichkeit, eines Charakters. Die Relationen Preysings über seine Missionen bezeugen Ernst und Sorgfalt in der Verrichtung der Aufgaben und sie manifestieren das deutliche Bewußtsein ihres Verfassers, an hervorragender Stelle im Dienste einer großen Sache zu stehen — „dasselbe tuen, was Carolus Magnus getan, wie er eben dieselbe lant a paganismo ad fidem catholicam gebracht".69 Es ist der Antrieb katholischer Reform und Gegenreformation, aber nicht weniger des Staatsinteresses und Fürstendienstes, der ihn und seinesgleichen bewegt, wenn nicht zu rascher idealistischer Tat, so doch zu nüchterner, pflichtgetreuer Arbeit des Tages. Wenn es eine der Leistungen Maximilians war, ein Corpus von Spitzenbeamten aus Persönlichkeiten solchen Schlages heranzubilden, so war es eben dieses Beamtentum, das erhebli-
68 Sturm, Preysing 128. 69 Äußerung Leukers: BA NF 11,3 Nr. 334.
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6. Mitarbeiter und
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chen Anteil am Fortgang und an den Erfolgen der bayerischen Politik dieser Jahre besessen hat. Über Differenzen und tiefergreifende Auseinandersetzungen unter den Mitarbeitern Maximilians, gewiß konturierten Gestalten mit Sachverstand und großer Arbeitsbelastung und daher von entsprechendem Selbstbewußtsein, sind wir nur wenig unterrichtet. Deutlich ist, daß auch in München, wie an anderen europäischen Höfen, die beiden großen Tendenzen des Zeitalters, Staat und Politik auf der einen, Religion und Konfession auf der anderen Seite, von den Menschen im Umkreis Maximilians unterschiedlich gewichtet worden sind.70 Die von den Jesuiten entfachte antimachiavellistische Bewegung in Europa, die einer von den Normen des Christentums abgelösten autonomen „Politik" den Kampf ansagte,71 pflegte ihre Angriffsobjekte negativ als „Politiker" zu bezeichnen, als Leute, die nur der Staatsraison folgten: „Ein Politicus, das ist ein Statist, das ist ein Machiavelüst, das ist ein Atheus, das ist kein Christ."72 Einer der prominenten Vertreter dieser antimachiavellistischen Schule war Maximilians Beichtvater der Jahre 1624-1635 Pater Adam Contzen SJ., ein bedeutender Staatstheoretiker, der uns noch wiederholt begegnen wird.73 Natürlich fand diese Richtung auch Anhänger unter den weltlichen Beratern der Fürsten; in Maximilians Umkreis ist ihr mit Sicherheit der Hofkanzler und Geheime Rat der Jahre 1606-1617 Dr. Johann Sigmund Wagnereck zuzurechnen,74 der zugleich, ebenso wie Contzen, zu den entschiedenen Befürwortern von Hexenprozessen im Herzogtum zählte. War Wagnereck in den Augen seiner Gegner ein typischer „Zelant", so waren diese Gegner, die „Politiker", gewiß ebenso gute Christen und fanden es in der Regel auch selbstverständlich, ja notwendig, konfessionelle Zielsetzungen zu verfolgen. Im Konkurrenzverhältnis von Politik und Religion scheuten sie aber doch vor begrenzten konfessionspolitischen Zugeständnissen nicht zurück, wenn es ein hochrangiges allgemeines Interesse, etwa in der Friedensfrage, zu erfordern schien — wenngleich sie weit davon entfernt waren, der fortschreitenden Entwicklung in Europa zu einer „Enttheologisierung der Zum Problem vgl. Michael Stolleis, Religion und Politik im Zeitalter des Barock. „Konfessionalismus" oder „Säkularisierung" bei der Entstehung des frühmodernen Staates?, in: D. Breuer (Hg.), Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, Wiesbaden 1995, 23-42. 71 Robert Bireley, The Counter-Reformation Prince. Anti-Machiavellianism or Catholic Statecraft in early modern Europe, Chapel Hill 1990. 72 Anonym 1672, zitiert Stolleis, Religion 27. 73 Vgl. Kapitel 11 sowie Bireley, Maximilian. 74 Vgl. Kapitel 9 sowie Wolfgang Behringer, „Politiker" und „Zelanten". Zur Typologie innenpolitischer Konflikte in der Frühen Neuzeit, in: ZHF 22 (1995), 455-494 70
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Politik"75 das Wort zu sprechen. Man wird sagen können, daß die Mehrzahl der fuhrenden Juristen und Räte in der Umgebung Maximilians - Rechberg, Donnersberg, Herwarth, Jocher, Richel, wohl auch Zollern und Wolkenstein, später Kurz und Mändl — dieser Gruppe der „Politiker" zuzurechnen war, die bezeichnenderweise zugleich zu den Gegnern der Hexenverfolgung zählte. Offensichtlich waren beide Seiten nicht nur in der Hexenfrage bemüht, in ihrem Sinne auf Maximilian einzuwirken und den Herzog in Entscheidungssituationen auf ihre Seite zu ziehen, wobei jede Gruppierung ihre besonderen Waffen einzusetzen wußte, Contzen die Einwirkung auf das Gewissen des Herzogs, die Räte ihre Kenntnis der politischen Umstände. Wie grundsätzlich die Auseinandersetzungen gefuhrt worden sind und wie scharf die Meinungen aufeinanderprallten, zeigt ein geradezu klassischer Fall des Jahres 1625, in dem sich Contzen als Vertreter der „Zelanti" und Jocher als Sprecher der „Politici" am Münchner Hof gegenüberstanden.76 Die Geheimräte hatten angesichts der wachsenden finanziellen Belastungen Friedensmittel vorgeschlagen, welche gewisse territoriale Zugeständnisse an Friedrich V. von der Pfalz beinhalteten. Contzen hatte derartige Zugeständnisse mit theologischer Beweisführung scharf zurückgewiesen und den Räten vorgeworfen, nur „Politici", aber keine Christen zu sein — er habe „die políticos für bose christen gehalten".77 In einer für Maximilian bestimmten Denkschrift nahmen nun die Räte kein Blatt vor den Mund, überaus heftig betonten sie, ebenso gute Christen wie Contzen zu sein; „es solle auch P. Conzen freundlich erinert sein, das die ret eben aus diser maxima, ehe und zuvor P. Conzen mit seinen anschlegen in Bairn komen," dem Herzog zum Kampf gegen den Kurfürsten von der Pfalz geraten hätten und selbst mit „inter arma" gewesen seien, „doch nit als galeati et validis viribus hastam torquentes milites, wie P. Conzen izt sein wil, sonder als getreue consiliarii, deren officium ist bene consulere, non gregarium militem agere." Die Räte, teils ironisch argumentierend, hielten daran fest, daß man ohne Zugeständnisse an den Pfälzer nicht zum Frieden komme, und zwar aus Ursachen, „die vielleicht bei denen, so sich in Aristotele et; S. Thoma et aliis teglich üben, kein necessitet auf sich tragen, aber der rom. kaiser, curfürsten und fürsten [...] werden auf reichs-, erais- und deputationstag die necessitet wol finden, aida nit iderzeit aus den scolasticis subtilitatibus, sonder das, was einmal redlich und teitsch versprochen, auch redlich und teitsch gehalten werden musse, Stolleis, Religion 27. „Geheimber rät defensión wider Patris Conzen antwort, so er auf 3 curf. fragen geben": BA NF 11,2, Nr. 111; Albrecht, Ausw. Politik 20 f. 77 Vgl. auch M. Herbeiger, Juristen böse Christen, in: HRG 2 (1978), 482 ff. 75
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6. Mitarbeiter und Regierungsstil
vilweniger das man erst ex subtili interpretatione das kaiserliche, curfurstüche und fürstliche zusagen umbstoßen welle, sichs argumentirn last, es ware dan das ein theologo-politicus ire kais. Mt., curff. und fursten in publico consessu darzu persuadirn kont." Wenn Contzen argumentiert hatte, daß der Exkommunikation verfallen sei, wer dem Pfalzgrafen geistliche Güter zurückgebe, so antworteten die Räte, daß man den Ketzern durch den Passauer Vertrag und den Augsburger Religions frieden doch auch viele Stifter und Güter überlassen habe und daß der Reichshofrat und das Reichskammergericht auch in der Gegenwart auf Rückgabe entschieden, wenn ein katholischer Stand einem Lutheraner entgegen dem Religionsfrieden ein geistliches Gut entfremdet habe. Die Räte betonten also die prinzipielle Gültigkeit des Religionsfriedens bis zur Gegenwart. Mit Empörung wiesen sie schließlich den Vorwurf Contzens zurück, durch die Lektüre ketzerischer Schriften zu ihren Ausgleichsvorschlägen gelangt zu sein: „Scriptor und die rat schmecken nach keiner kezerei [...], sein so catholisch und gewissenhaft als der respondent, aber keine solche theologopolitici [...], und wan in inen ein blutstropfen weniger catholisch wär, so müste er heraus; haben sich umb die cath. religion villeicht so verdient gemacht und gearbeitet in suo genere als ein ander [...], haben Machiavellum et Machiavellistarum libros seu Thuanum teils nie gelesen. Weil aber der respondent in solchen buchern wol erfaren und belesen, mechte er etwan einen geschmak [...] daraus bekomen haben." Im gegebenen Fall setzten sich die Räte durch, doch erwiesen manche Schritte der maximilianeischen Politik der folgenden Jahre, insbesondere Maximilians Anteil am Restitutionsedikt, daß Contzen immer wieder das Ohr seines Beichtkindes in politischen Sachen gefunden hat und er daher im Sinne der Räte als „Theologo-Politicus" einzustufen war. Man darf also annehmen, daß sich die Spannungen zwischen den „Politikern" und den „Zelanten" im Kreis der nächsten Mitarbeiter Maximilians auch in den folgenden Jahren fortgesetzt haben. Erst die Krisensituation der Jahre 1630/32 sollte diesen dann zu einer realistischeren, sich allmählich von engsten konfessionspolitischen Erwägungen absetzenden Politik veranlassen, um im Interesse des allgemeinen Friedens den konfessionspolitischen Ausgleich zu suchen.
7. Behörden-, Finanz- und Wirtschaftsreformen
Wenige Wochen nach dem Regierungsantritt Maximilians entschied Papst Clemens VIII. im Frühjahr 1598 den langwierigen Passauer Bistumsstreit zwischen den Höfen von München, Prag und Graz, indem er das große, bis vor die Tore Wiens reichende Bistum Passau zur Enttäuschung des Münchner Hofes einem Habsburger, Erzherzog Leopold, statt einem Wittelsbacher übertrug.1 „Ich siehe halt", schrieb Maximilian damals dem Vater, „daß sowol bei geistlichen als weltlichen nur auf die ragion di stato gesechen wirdt und daß der respectirt wirdt, der vii land oder vil gelt hat, und dieweil wir deren khains, so werden wir sowol bei den Welschen als andern nimmermehr kein authoritet haben, bis wir doch in geltsachen uns besser schwingen, und wirdt gewiß daran alles gelegen sein, wie mich dann gedünkt, es soll dis werkh uns ursach geben, auf dise geltsachen eußerist acht zu geben, und da wir da wol steen, so werden wir den geltgeizigen Welschen wenig, sonder sie uns nachlaufen".2 Ein großes Territorium oder viel Geld schienen also notwendig, um sich im zwischenstaatlichen Kräftespiel einer Zeit durchzusetzen, die Maximilian von den eigennützigen Kategorien der Staatsraison beherrscht sah. Da aber die territoriale Basis seiner Herrschaft begrenzt und wohl kaum zu erweitern war, was Maximilian schmerzlich bewußt war, mußte seine Anstrengung, wenn er diesen Maximen folgte, der Ansammlung finanzieller Mittel gelten. Dann würden auch Leute, die nur der Staatsraison folgten und traditionelle oder ideologische Gemeinsamkeiten nicht bewerteten, auf Bayern Rücksicht nehmen müssen. Und wenn eine verfehlte Finanzpolitik zur Abdankung des Vaters und zu seiner eigenen vorzeitigen Regierungsübernahme geführt hatte, dann gestattete nur eine positive Finanzlage der bayerischen Politik, wieder Tritt zu fassen, eigenständige Zielsetzungen zu verfolgen. Diese Ziele waren 1 Z u den langwierigen, das Verhältnis der Münchner Wittelsbacher zum Kaiserhof, dem Grazer H o f und der römischen Kurie belastenden Auseinandersetzungen vgl. oben Kapitel 5. 2 Maximilian an Wilhelm V., 21.6.1598: BA IV, 479 f.; Neudruck: Dokumente 1,3 Nr. 132. Auch erörtert bei Hein^Dollinger, Staatsraison und Staatsfinanzen in Bayern im 16. und frühen 17. Jh., in: A. D e Maddalena-Η. Kellenbenz (Hg.), Finanzen und Staatsraison in Italien und Deutschland in der frühen Neuzeit, Berlin 1992, 249-268. Allgemeine Gesichtspunkte bei Stolleis, Pecunia.
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7. Behörden-, Finawç und Wirtschafisreformen
erst in Umrissen festgelegt, sie ergaben sich aus den Traditionen der bayerischen Territorial-, Reichs- und Konfessionspolitik, waren aber auch abhängig von den allgemeinen politischen und konfessionspolitischen Konstellationen und Entwicklungen im Reich und deren Bewertung im Blickwinkel bayerischer Interessen. Ihre Realisierung setzte jedenfalls politische Bewegungsfreiheit voraus, und diese sah Maximilian — zweifellos fiskalistisch verengt, aber angesichts der tatsächlichen Situation des bayerischen Staatshaushalts naheliegend — in erster Linie durch eine entsprechende finanzielle Basis gegeben. Es ging also nicht nur um eine bloße Sanierung des Staatshaushalts, der unter Wilhelm V. in höchste Unordnung geraten war, sondern um eine Reformation und Ertragssteigerung der personellen und ökonomischen Möglichkeiten im Lande sowie, hierauf bauend, um die Ansammlung von Rücklagen, eines „Vorrats", wie die Zeit es nannte, als Grundlage einer aktiven Politik, wie sie anderen Staaten aufgrund eines großen Territoriums mit zahlreicher Bevölkerung und entsprechenden Ressourcen möglich schien. Dabei folgte Maximilian einer simplen buchhalterischen Methode: Steigerung der Einnahmen und Verringerung der Ausgaben unter strikter fortwährender Aufsicht des Fürsten. Als sich 1611 die Erfolge seiner Finanzpolitik bereits an den europäischen Höfen herumgesprochen hatten und er von Königin Margarete von Spanien um Information über seine finanzpolitischen Maximen gebeten wurde, skizzierte er diese folgendermaßen: „Mich hat mörklich geholfen ein steifes propositum, alle unnotwendigkeiten abzustellen, item daß ich selbs zu meinen sachen gesehen, die rechnungen selbs gelesen, und was ich für mengl dabei gefunden, geandet, bericht genommen, der sachen remedirt, auch den mitden, das einkommen debito modo zu verbössern, selbs nachgedacht; und ist in hac materia das Sprichwort ganz wahr: oculus domini saginat equum." Was das Sparen betraf, so stellte er es in einen allgemeineren Zusammenhang: „Es wird das maiste an I.Mt, resolution selbs gelegen sein, daß sie gedenken, daß die rechte reputation und grandezza nit in dem spendiern, sonder in dem wolspendiern und gespärigkeit stet; dann vil klaine machen ein groß und von vilen hunderten entspringen vil tausent und aus den tausenten werden die milliones, und ein fürst, so nit bei diser itzigen bösen weit reich ist, der het kain authoritet noch reputation, und wo dise zwey nit sein, da muß das publicum bruchen leyden."3 Man erkennt die Übereinstimmung mit der Äußerung von 1598: Geld verleiht jene Autorität und Reputa-
Maximilian an den Beichtvater der Königin von Spanien, P. Richard Haller SJ, 15.1.1611: BA IX, 51 f.; Wiederabdruck in Dokumente 1,3 Nr. 172. 3
7. Behörden-, Finantç und Wirtschaftsreformen
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tion, die im Selbstverständnis der Fürsten und in der Welt der Dynasten und Höfe einen politischen Faktor ersten Ranges bildet. Maximilian hat diese Reputation am Ende seines Lebens in den „Treuherzigen väterlichen Lehrstücken" für seinen Sohn näher gekennzeichnet: „So ist das vornembste stuckh eines fiirsten und gleichsam sein pupilla oculi oder civilis anima die authoritet, reputation und respect, durch welchen allain die hoche heupter und fürsten von den underthonen oder geringen standtspersohnen undterschaiden und erkendt werden." Und eine fünfzigjährige Regierung hatte ihn nur darin bestärkt, als Grundlage solcher Reputation „sonderlich die vires und mid" eines Staates „als nervus rerum agendarum, augendarum et conservandarum" einzuschätzen.4 Es zeugt von dem hohen Stellenwert dieser Perspektive bei Maximilian, daß sie in allen seinen testamentarischen und testamentsähnlichen Äußerungen sich findet. Deutlicher noch als in den „Monita paterna" von 1639,5 dem großen Testament von 16416 und den „Väterlichen Lehrstücken" von 1650 ist dies in seiner vorletzten Verfügung, der „Treuherzigen Information" für seine Gemahlin vom März 1651 der Fall.7 Hier zieht Maximilian wenige Monate vor seinem Tode die Summe seiner innenpolitischen Erfahrungen, die nun eben in starkem Maße, seiner Grundanschauung entsprechend, den finanziellen Bereich in den Vordergrund rückt. Wieder heißt es, daß „an einer verständigen kluegen oeconomia und wolhausen die reputation und wolstandt des landtsfürsten und seinem landt und leith haubtsächlich gelegen", wie er es selbst in langer Regierung erfahren habe. Erneut wird betont, daß das Wohlhausen vornehmlich auf zwei Hauptsäulen beruhe, augendo censum et parcendo sumptibus, der Vermehrung der Einnahmen und der Reduzierung der Ausgaben. Da sich aber ersteres nicht immer und nicht so leicht praktizieren lasse, habe man sich umsomehr dem Sparen zu widmen, „wie dan ohne das dem alten Sprichwort nach vil leichter und verantwortlicher, etwas zu ersparen, als zu gewünen ist, zumahln das sparen in des menschen will und gwalt, das erobern aber nicht ingleichem bei demselben stehet". So eindeutig aber diese Maxime von 1651 die Gewichte verteilt, so ist sie doch mehr ein Reflex auf die vergangenen dreißig Kriegsjahre, in denen die Eröffnung neuer Finanzquellen schwierig war, als ein Hinweis auf die Gewichtungen bereits in den Anfangsjahren Maximilians, als es um die Sanierung der Staatsfinanzen ging. Tatsächlich sind in Maximilians Finanzpolitik Dokumente 1,3 Nr. 357. Ebenda Nr. 317. s Ebenda Nr. 322, hier 1142 f. ι Ebenda Nr. 358. 4 5
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7. Behörden-, Finan^- und
Wirtschaftsreformen
beide von ihm genannten „Hauptsäulen" zur Geltung gekommen, ja es ist deutlich,8 daß auf der Einkommensseite, der Verbesserung der Einkommensstruktur — faßt man den Begriff nur weit genug — das Schwergewicht seiner Finanz- und Wirtschaftspolitik gelegen hat, nicht auf dem Sparen. Die vorhandenen Finanzquellen waren durch Rationalisierung und Intensivierung zu größerer Effizienz zu bringen, neue Möglichkeiten waren aufzutun, auch die Leistungskraft des Beamtenkörpers war zu steigern. Hinsichtlich der Ausgabenseite ging es — mit bezeichnenden Ausnahmen — gewiß um Sparsamkeit, aber weniger um Schrumpfung, als um den planvolleren Einsatz der Mittel, um „wohlspendirn" in der Terminologie Maximilians. Er mochte sich auch erwarten, daß eine verantwortungsvolle Finanzpolitik, die sich von derjenigen seines Vaters unterschied, von den Landständen durch finanzielle Bereitwilligkeit honoriert wurde. Die Ergebnisse des Landtags von 1594 berechtigten wohl zu solcher Hoffnung. Im übrigen scheute Maximilian bezüglich Sparsamkeit und Einsparungen den Vorwurf von Geiz und Knausrigkeit nicht, den manche gegen ihn erhoben, er sah hinter seinen Reformen das große politische Ziel. Schon Machiavelli hatte im 16. Kapitel des „Principe" betont, daß ein Fürst sich über den Vorwurf des Geizes wenig bekümmern müsse, „denn dieses Laster ist eines von denen, welche ihn auf dem Thron erhalten". Den Zusammenhang von Sparsamkeit und politischem Handlungsspielraum erkannten natürlich auch manche Zeitgenossen, so der weitgereiste Kunstagent Philipp Hainhofer, der unter diesem Aspekt den Großherzog von Toskana und den Herzog von Bayern rühmte, „welche andere fürsten lassen schwelgen und banchettiern und dadurch in schulden gerathen, sie aber halten sich aufs genahest und eingezognest, sammlen dadurch schäz und reichtumb, und werden darbey mehr respectiert weder die andere, haben auch weit mehr credit."9 Maximilians Maßnahmen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der vorhandenen Finanzquellen bewegten sich hauptsächlich in vier Bereichen, die sich vielfach überschnitten, aber im folgenden getrennt behandelt werden. Es waren die Reorganisation des bayerischen Beamtentums, Maßnahmen zu größerer Effizienz der fürstlichen Regalien und des fürstlichen Kammerguts, Maßnahmen zur Steigerung der S teuerer träge, schließlich Bemühungen um die Hebung von Handel und Gewerbe im Lande.
8 Hierauf verweist schon Lansjnner, Fürst 98, in Zusammenfassung der Ergebnisse von Dollinger, Finanzreform. 9 Hainhofer an Hg. August d.J., 23.3.1624: Gobiet, Hainhofer Nr. 673.
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In allen testamentarischen Äußerungen pflegte Maximilian als Erfahrung seines Lebens die Bedeutung eines effizienten und uneigennützigen Beamtentums für das Staatswohl und die Staatsregierung zu betonen. Entsprechend legte er auch in der „Treuherzigen Information" von 1651 seiner Gemahlin ans Herz, daß sie sich „threuer, verstendiger, fleissiger, eingezogner und erfahrner rät und diener befleissen und derselben threuen nuzlichen consiliis folgen, sonderlichen aber das cammerwesen und ins gemain die ämbter mit wolqualificirten subiectis bestellen" solle.10 Von dieser Maxime waren die Behördenreformen seit seinem Regierungsantritt geleitet. Diese hatten allerdings keinen spektakulären Charakter, sie sind „nicht eigentlich bestimmbar nach Jahr und Tag",11 sondern hatten ihren eigentlichen Effekt durch die Beharrlichkeit, mit der sie Schritt für Schritt in der Regierungspraxis betrieben und durchgesetzt wurden, mit einem Strom von Mandaten, der aus den Kanzleien flöß, von allgemeinen Anweisungen bis zum strafenden Einzelmandat. Herausragend und für die Betroffenen spektakulär waren allerdings zwei Vorgänge in den Anfangen Maximilians. Das eine war die schon angesprochene Beseitigung der AntecameraKanzlei Wilhelms V., mit der dieser häufig zentrale Regierungssachen unter Umgehung der Zentralbehörden allein mit seinem Sekretär entschieden hatte. Indem Maximilian sie 1595/96 zu einer Kanzlei des Geheimen Rates, zu einer echten Geheimen Kanzlei umwandelte und ihr damit jeden privaten Charakter nahm, war ein beachtlicher Schritt zur Bürokratisierung der Regierungsgewalt, zu ihrer Versachlichung getan.12 Weiterhin: In einem Memoriale, das Maximilian 1595 von den geheimen Räten übergeben worden war, hatten diese auch die Maxime der Nichteinmischung des Fürsten in die Zuständigkeit der einzelnen Behörden eingeschärft und Maximilian hatte dazu vermerkt: „Ist auch recht, doch bedarf es wol oft auf- und einsehens."13 Er war also nicht bereit, dem Grundsatz der Nichteinmischung auch die Möglichkeit zur Kontrolle der Behörden zu opfern. So bildeten einen zweiten, allerdings spektakulären Vorgang die Visitationen, die möglicherweise nach dem Vorbild der Reichskammergerichtsvisitationen vielleicht schon 1596, spätestens aber 1598 bei den Zentralbehörden in München und den Regierungen in Dokumente 1,3 Nr. 358, hier 1289. Heydenreuter, Hofrat 129. Zur Behördenreform vgl. neben Heydenreuters Mitteilungen auch Rosenthal, Geschichte II, passim; Rieyler, Geschichte V, 73 ff.; Reinhard Heydenreuter, Die Behördenreform Maximilians I., in: GRI, 237-251; Ay, Land und Fürst 119 ff.; Preß, Wittelsbachische Territorien 581 ff. Zur Praxis der Beamten vgl. auch Altmann, Kipper und Wipper 202 ff. 12 Heydenreuter, Hofrat 41 f. Vgl. auch die Oberstkanzlerinstruktion von 1599: Dokumente 1,3 Nr. 134. 13 BA VI, 14. 10
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Landshut, Straubing und Burghausen unter der Leitung von Herwarth eingeführt worden sind.14 Die betroffenen Kollegien wehrten sich gegen diese „Inquisitionen", wie sie es nannten, mit dem Argument, das Ansehen des Herzogs und seiner Beamten müsse im In- und Ausland durch solche Überwachung leiden; der bayerische Agent am Kaiserhof berichtete bereits, daß es angesichts der „stetigen Musterungen" in München schwer werde, qualifizierte Auswärtige für den bayerischen Dienst zu gewinnen.15 Die eigentlichen Entlassungen nach der Visitation von 1598 hielten sich aber dann in Grenzen, es ging weniger um Einsparungen, als um Effizienzsteigerung, mehr um Ersetzung Unfähiger durch Qualifizierte, als um Reduzierung des Corpus. Zu Maximilians Zurückhaltung mochte beigetragen haben, daß ihn der Hofkanzler Gailkircher vor Rigorosität und Fehlern in den Sparmaßnahmen und Reformplänen ausdrücklich warnte.16 Die Hofmusik wurde allerdings von 41 Musikern im Jahre 1591 auf nur mehr 19 Musiker im Jahre 1600 reduziert; auf der Liste abzudankender Hofkünstler von 1594 stand neben den bedeutenden Künstlern Friedrich Sustris und Peter Candid kein Geringerer als Orlando di Lasso, der nur durch seinen Tod im gleichen Jahr seiner Entlassung zuvorkam.17 Bei den Visitationen, die bisher nur für das Hofratskollegium untersucht sind, hatte jeder der Hofräte einen umfangreichen Fragenkatalog über seine eigene Amtstätigkeit und diejenige seiner Kollegen zu beantworten.18 Das Ganze zielte auf die Feststellung und Abstellung von Mängeln und also auf Beförderung rascher und unparteiischer Rechtspflege. Es enthielt aber auch die Möglichkeit gegenseitiger Denunzierung der Befragten, welche zu Fraktionsbildungen führen mußte, die der Arbeit kaum förderlich waren. Dennoch hat Maximilian an dem System festgehalten, weil er von seiner Effizienz überzeugt war, aber gewiß auch, weil zu seinen Charakterzügen ein stetes Mißtrauen gehörte. Zwischen 1598 und 1624 wurden sieben Hofratsvisitationen durchgeführt, eine weitere ist für 1643 bezeugt. Ohne Zweifel dienten sie insgesamt dem angestrebten Zweck einer Intensivierung der Arbeiten durch Rationalisierung im Ganzen und durch Druck auf die Amtsführung der einzelnen Beamten, auf deren Einsatz und Fleiß. „Darzue dan in alweeg sehr dienlich", legte Maximilian seiner Gemahlin und sei-
Heydenreuter, Hofrat 130 ff. BA V, 17. 16 Gailkircher an Maximilian, 18.1.1598, zitiert Wolf, Maximilian I, 215 f. und Dollinger, Finanzreform 119. 17 Leuchtmann, Hofkapelle 364 f. mit Anm. 4. 18 Katalog von 1605 mit 90 Fragen bei Heydenreuter, Hofrat 139 ff., Neudruck in Dokumente 1,3 Nr. 154. 14 15
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nem ältesten Sohn 1651 rückblickend ans Herz, „daß man die rhät und beampte in gueter sorg erhalte, offtermahln nachfrage, wie solchen instructionen und Ordnungen gelebt werde, die rhät sovil möglich yemaln selbst besueche und vom camerwesen, der rhät und beamten verhalten und dergleichen sachen offt referiren lasse".19 Unter den erwähnten „Instruktionen und Ordnungen" ist die mit der ersten Visitadon erlassene Hofratsordnung von 1598 hervorzuheben.20 Sie ist als Ausdruck der Intention Maximilians bezeichnet worden, seine Regierung durch ein umfassendes System von normativen Regelungen auf eine sichere Basis zu stellen: „Gerade die Wiederholung von Rechtsvorschriften minderen Ranges war das einzig wirksame Mittel, um die Geltungsschwäche, die diesem Recht anhaftete, zu überwinden."21 In der Folge ist die Ordnung von 1598 durch Einzelmandate und Durchfuhrungsdekrete laufend ergänzt worden, welche gewissermaßen die tägliche Reformarbeit spiegelten und dann in der Hofratsordnung von 162422 ihre Zusammenfassung gefunden haben. In den Ordnungen der verschiedenen Kollegien und Amter oder in speziellen Instruktionen wurden die Aufgaben eines jeden Beamten möglichst exakt umschrieben. Man hat diese Aufgabenumschreibung durch Instruktionen als ein typisches Kennzeichen der maximilianeischen Verwaltung bezeichnet,23 aber auch darauf hingewiesen, daß Maximilian Realist genug war, um zu wissen, daß es weniger auf Befehle von oben, als auf die Eigeninitiative der Beamten ankam - oder wie es Maximilian selbst ausdrückte, daß es „so gar nit am bevelchen, firschreiben und den Instructionen gelegen, sonder notwendig dahin zu sehen und zu trachten ist, daß die beamten selbst das irige trewlich thuen."24 Aber jedenfalls werden aus den Ordnungen und Instruktionen, daneben aus zahlreichen Äußerungen Maximilians selbst die hohen Anforderungen ersichtlich, die er an die fachliche Eignung, Unbestechlichkeit in der Amtsführung, an die Effizienz und Arbeitskraft seiner Beamten gestellt hat. Weniger die Person des Beamten, als dessen Amt und die Sache interessierten ihn,25 erstes Beurteilungskriterium waren Pflichterfüllung und Leistung. Um diese messen zu können, wurde im Laufe der Jahre ein bürokratisches System Dokumente 1,3 Nr. 358. Druck: Mayer, Quellen 196 ff. 21 Heydenreuter, Hofrat 134. 22 Druck: Mayer, Quellen 196 ff. 23 Heydenreuter, Behördenreform 248. 24 Hofkammerordnung von 1617: Mayer, Quellen 387 ff. 25 So stellte die Hofkammerordnung von 1608 lapidar fest, daß dem Herzog „bei gar weitem nit so vil an versechung oder erhaltung der personen, als vil und merklich an Unsern diensten und ämbtern gelegen" (Mayer; Quellen 346). 19
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von Überwachungen, Kontrollen und Berichtspflichten entwickelt, das wohl seinesgleichen in den Territorien des Reiches suchte und eben in den Visitationen der Zentralbehörden und Regierungen seine besondere Ausprägung fand. Außerhalb Bayerns wurde dieses System mit einer Mischung aus Abscheu und Bewunderung betrachtet und auch die bayerische Beamtenschaft gewöhnte sich erst allmählich und gewiß nicht durchgehend an solche Verfahren. Und doch zollte ein Mann wie der herzogliche Sekretär und bekannte Literat Ägidius Albertinus, dem von Maximilian Unfleiß und verbotene Nebentätigkeit vorgeworfen worden war, der herzoglichen Verwaltung schließlich das Lob, „daß (als vil ich an andern keyser-, kön- und fürstlichen höfen in der Christenheit wargenomen und selbst practisirt hab) diser unser bayrisch hof von wegen dem darinn fiirgehenden und angestellten guten Ordnung, eingezogenheit, administrirung der justiti und sonsten dermassen beschaffen ist, daß er billich unter der zahl der unordenlichen höf nicht begriffen noch gerechnet werden soll".26 Wie wenig es Maximilian bei bloßen Ordnungen und Dekreten bewenden ließ, wenn es um die korrekte Arbeit von Spitzengremien ging, wie sehr er von den Beamten neben Einsatz und Fleiß auch persönliche Integrität forderte, erweist beispielhaft ein Verfahren des Jahres 1602 gegen den Hofkanzler und Geheimen Rat Dr. Johann Gailkircher, damals einer seiner engsten und qualifiziertesten Mitarbeiter.27 Gailkircher war wegen passiver Bestechung angeklagt; er wurde schließlich entlastet, weil die Grenze zwischen zulässigen Verehrungen und unzulässigen Bestechungen nicht eindeutig gezogen werden konnte. Aber gerade weil dies so war und offensichtlich nicht wenige Beamte daraus ihren Vorteil zogen, ließ Maximilian die Untersuchung mit großer Härte fuhren, es sollte ein Zeichen gesetzt werden. Entsprechend untersagte er, vom Fall Gailkircher ausgehend, in der Folge alle Zuwendungen an Beamte, ganz gleich ob es sich um Verehrungen oder Schenkungen handelte. Die Visitationsberichte der Folgezeit erweisen, daß diese Bestimmung auch weitgehend durchgesetzt werden konnte, größere Korruptions falle in den Zentralbehörden sind aus der Regierungszeit Maximilians nicht mehr bekanntgeworden. Auch die Nebentätigkeit von Beamten wurde unterbunden, ebenso auch Dienstnahmen seiner Beamten bei auswärtigen Fürsten, ein der Zeit an sich geläufiges Phänomen. Mißtrauen in Fragen der Geheimhaltung bewegte ihn hier ebenso wie die Zielsetzung, die Beamten, wenn er sie schon bezahlte, auf den eigenen Dienst zu konzentrieren. 26 27
Dokumente 1,3 Nr. 183. hantgnner, Fürst 143 mit Anm. 71; Heydenreuter, Hofrat 135 ff.
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Der Geheime Rat kontrollierte die übrigen Zentralbehörden, diese überwachten die Mittel- und Außenbehörden. Dabei hatte die Hofkammer alle diejenigen Institutionen zu visitieren, die landesherrliche Einnahmen zu erbringen und zu verwalten hatten. Ihr wichtigstes Kontrollinstrument waren die vier (seit dem Anfall der Oberpfalz fünf) Rentmeister.28 Die Rentmeister hatten ursprünglich allein das Finanzwesen ihres Rentamts zu betreuen, jedoch war ihr Aufgabenbereich mit dem Ausbau der Polizeigesetzgebung im 16. Jahrhundert sukzessive erweitert worden. Maximilian hat diese Bewegung fortgesetzt, unter ihm wurde das Institut zu einer umfassenden Kontroll- und Berichtsinstanz der Zustände im Lande auf breitem Felde und damit auch zu einem Instrument der Zentralisierung, um den fürstlichen Zugriff auf Institutionen, Personen und Ressourcen im Herzogtum zu intensivieren. Auf den in der Regel jährlichen Rentmeisterumritten, die jeweils mehrere Monate in Anspruch nahmen, kontrollierten die Rentmeister anhand von „Fragestükken" Amtsführung und Amtsrechnungen der staatlichen und kommunalen Behörden (ausgenommen die sog. Hauptstädte), das Funktionieren der Rechtspflege, die wirtschaftlichen Zustände und nicht zuletzt das religiösmoralische Verhalten der Untertanen. Wenn in den umfassenden Rentmeisterinstruktionen entsprechende Normen aufgestellt waren,29 so erwiesen die detaillierten Rentmeisterumrittsprotokolle, die zusammen mit Rechnungskopien von den Rentmeistern der Hofkammer und dem Hofrat vorzulegen waren, wie es im Lande tatsächlich aussah.30 In Einzelbesprechungen der Hofkammer und des Hofrats mit den Rentmeistern wurden die gravierendsten Mängel festgestellt, bewertet und in Listen erfaßt, welche beim nächsten Umritt den Außenbeamten zur Abstellung vorzutragen waren. Gröbere Verstöße gegen die Amtspflichten wurden schon um der Abschreckung willen streng geahndet, kleinere Vergehen mit scharfen, wohl auch ehrabschneiderischen Bemerkungen kritisiert. Neben den Rentmeistern hatten auch „geheime Kundschafter" („Corycei") über die Amtsführung der Außenbeamten, ja selbst über diejenige der Rentmeister selbst zu berichten, sie erhielten einen Teil der ausgesprochenen Bußen als Prämie. Eine besondere Aufgabe der 28 Rosenthal, Geschichte II, 131 ff. und 157 ff.; Heydenreuther, Hofrat 50 ff.; Helmut Rankl, Der bayerische Rentmeister in der frühen Neuzeit. Generalkontrolleur der Finanzen und Justiz, Mitder zwischen Fürst und Bevölkerung, Promotor der 'bayerischen Libertät', in: ZBLG 60 (1997), 617-648. Instruktiv die in Dokumente 1,3 Nrr. 124, 136, 137, 148 und 179 abgedruckten Rentmeister-Akten sowie die auf Rentmeisterakten beruhenden Mitteilungen bei Helm, Obrigkeit. 29 Vgl. die Instruktion von 1613: Dokumente 1,3 Nr. 179. 30 Vgl. den Auszug aus einem Umrittsprotokoll von 1601: Dokumente 1,3 Nr. 148 sowie auch ebenda Nr. 136 (1599).
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Rentmeister war schließlich die Streitschlichtung bei Differenzen zwischen Untertanen und deren grund- und gutsherrschaftlichen Obrigkeiten, um dem kleinen Mann zu seinem Recht zu verhelfen und hierdurch Unruhe im Lande möglichst zu verhüten. Auch diese Aufgabe und Wirksamkeit der Rentmeister trug dazu bei, den Fürstenstaat sowohl zu stabilisieren wie seine Effizienz zu steigern. Neben den Visitationen war eine weitere, ausgiebig genützte Kontrollmöglichkeit die den Beamten vor allem der höheren Kategorien auferlegte Berichtspflicht. Die Chefs der Zentralbehörden in München hatten monatlich über die von den Räten gehaltenen oder noch ausstehenden Relationen, d.h. deren Gutachtertätigkeit, und alle drei Monate über den regelmäßigen Ratsbesuch zu berichten. Die Berichte wurden von Maximilian selbst gelesen und geprüft und mit einem lobenden oder tadelnden Dekret beantwortet. Fertigkeiten im Rechnen honorierte der Herzog zusätzlich, und mehrmals wurde die Hofkammer angewiesen, alle im Rechnen nicht qualifizierten Kammerkanzlisten durch Leute zu ersetzen, „die sowol des rechnens als der feder besser geübt und nit nur bloße abschreiber geben, daneben auch einen zimblichen verstand und midauffende eigenschaft des fleißes haben."31 Bei allen diesen und anderen Maßnahmen fällt das Bestreben Maximilians auf, die finanziellen, ökonomischen und sozialen Strukturen im Lande durch Erhebungen möglichst datenmäßig zu erfassen, um überprüfbare Unterlagen über die verfügbaren materiellen und personellen Kräfte zur Planung der Reformvorhaben und zur Kontrolle ihrer Realisierung in die Hand zu bekommen. Dabei war er sich nicht zu schade, die wichtigsten Datenreihen mit eigenem Auge zu kontrollieren — wie er es eben der Königin von Spanien als probates Mittel genannt hatte: „Ich hab gleichwol den brauchen, daß alle monat ein jeder pfennig, so bei meinem Zollamt oder hazienda ein und ausget, mir ordentlich verzaichnet muß zuegestelt werden; da khan nun nit sich baldt ein Verlogenheit oder untrew verbergen; dan wo ich ein bedenkhen finde, muß mans incontinenti erleittern, also auch, da in der einnamb sich ein unterschid oder abgang befindte, khan man gleich denselben merken und alsbalt nachsuchen, woher er sich nimbt, also auch wie solchem zu remediern, oder dabei sonsten was zu verbößern."32 Diese Methode war praktizierbar, wenn das Territorium überschaubar und der Fürst fleißig war.
Mayer, Quellen 417. Maximilian an P. Haller, 15.1.1611: BA IX, 52. Vgl. auch die entspr. Passagen in der Information für die Gemahlin von 1651, Punkt 7 und 11 (Dokumente 1,3 Nr. 358). Bezeichnend und informativ die detaillierte Auflistung Maximilians von 1599 über die Mängel, die er aus 31
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Mit Kontrolle und Rationalisierung wurde also in kleineren und größeren Schritten daran gearbeitet, die Effizienz des Beamtenkörpers zu steigern. Diesem Zweck dienten auch die vom Herzog (immer auf Antrag) gezielt vergebenen finanziellen Begnadungen, die verschiedentlich auch hohe Summen erreichten und eigentlich noch ältere Formen eines Dienstverhältnisses spiegelten. Maximilian war sich des Nutzens fürstlicher Munifizenz bewußt, wollte aber auch nicht zu viel des Guten tun. Seinen Nachfolgern legte er ans Herz, daß „die liberalitet ein sonderbare rhuembliche tugent der Firsten ist, damit sie die affection und gemiether umb sovil mehr gewünen und guete threue diener erlangen und erhalten", doch habe „dieselb tugent auch sein gewissen modum und maß, damit der sachen nit zu vil und mehr, als die mid erleiden, gescheche und die liberalitet allein solcher orthen und Zeiten gebrauche, wo man reputation, ehr und nuzen darvon haben und die wolmeritirte nuzliche diener bedenken khan".33 Auch die mannigfachen Möglichkeiten zu gesellschaftlichem Aufstieg im Fürstendienst wurden zu Ansporn und Belohnung eingesetzt. Als Beamte der Hofkammer forderten, in der Hofrangordnung mit den Hofräten gleichgestellt zu werden, argumentierten diese dagegen, daß die Hofkammerleute großenteils unpromovierte bürgerliche Räte seien, denen schon ihrer sozialen Herkunft wegen keine Gleichberechtigung zukomme.34 Bezeichnenderweise hat Maximilian dennoch die Gleichstellung ausgesprochen; da sich die Hofkammer vorwiegend ökonomischen Fragen widmete, hatte er für diesen Bereich nicht Vorbildung und Herkunft, sondern die Effizienz der Praktiker im Auge. So sehr er aufs Ganze an den geltenden gesellschaftlichen Normen und Begrenzungen, am System der ständischen Gesellschaft festhielt, so war er doch bereit, bei Gelegenheit das überlieferte Prinzip der Geburt dem modernen Maßstab der Leistung und des Verdienstes hintanzusetzen. Unwägbar bleiben schließlich die Antriebe, die seinen Beamten aus dem Bewußtsein erwachsen konnten, im Dienste eines Fürsten zu stehen, der sich großen Tendenzen des Zeitalters verpflichtet wußte und zunehmend eine herausragende Position unter den deutschen Dynasten einzunehmen begann. Man wird annehmen dürfen, daß auch hierdurch und durch entsprechende Identifizierung - und nicht nur durch Kontrolle und materielle Belohnung - Pflichterfüllung und Hingabefähigkeit jedenfalls hoher Beamter herausgefordert worden sind. Mit Stolz schrieb so der Hofkammerpräsident Mändl nach dem Tode Maximilians in seinen Memorabilia, den Jahresrechnungen der Rentmeister fur 1597 und 1598 ersehen hatte: Dokumente 1,3 Nr. 136. 33 Information für die Gemahlin, 1651: Dokumente 1,3 Nr. 358. 34 Heydenreuter, Hofrat 169 f.
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„daß dergleichen Regenten von solcher prudenzia, authoritet und erfahrenheit das landt in etlich 100 jähren nit gehabt."35 Die Maßnahmen zur Reform des Beamtenwesens hatten ihren Zweck zunächst in sich. Ein gestrafftes, arbeitsames, seinen Aufgaben verpflichtetes Beamtentum war unerläßlicher Bestandteil einer Staatsmodernisierung zur Bewältigung der von den Zeitumständen oder durch besondere fürstliche Zielsetzungen gestellten neuen Aufgaben. Die Behördenreform stand aber auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem spezielleren Problem der Staatsfinanzen, insofern ein erneuertes Beamtentum effizienter und damit kostengünstiger arbeitete. Dies betraf die Ausgabenseite. Die Beamtenreform mußte sich aber auch auswirken hinsichtlich der Einnahmen, wofür in erster Linie die Beamtenschaft der Hofkammer zuständig war, die nicht zufallig unter Maximilian zur größten Behörde im Lande wurde. Zwischen 1600 und 1630 stieg die Zahl der Kammerräte von 9 auf 16, während die Hofräte sich von 17 auf 15 verringerten; im gleichen Zeitraum vergrößerte sich das Personal der Hofkammerkanzlei von 16 auf 40, dasjenige der Hofratskanzlei nur von 26 auf 32.36 Als signifikant für Maximilians großes Interesse an Kammersachen gilt seit je der Unterschied zwischen den Hofkammerordnungen von 1591 und 1608.37 Während in der ersten, noch unter Wilhelm V. formulierten Ordnung den Kammerräten jeweils ein weitgehender Ermessensspielraum zugebilligt wird, wohl auch im Interesse des damaligen Präsidenten Neuburger, wird 160838 jede einigermaßen wichtige Entscheidung in Finanz- und Wirtschaftssachen an die Zustimmung des Herzogs gebunden. Maximilian hatte in diesem Sinne bereits seit 1595 eine neue Hofkammerordnung gefordert, als Rahmen einer umfassenden Reformation des Kammerwesens und mit dem Ziel, das Steuer im Finanzwesen selbst in die Hand zu nehmen. Im Zusammenhang damit hatte wohl auch die mehrmalige Versetzung Neuburgers gestanden. Wir wissen nicht, warum es dann erst 1608 zur neuen Ordnung kam.39 Die Ordnung von 1608 war aber dann jedenfalls Teil der umfassenden Verwaltungsreform, denn im gleichen Jahr wurden auch eine neue Hofkammerkanzleiordnung,40 Hofzahlamtsordnung und Geistliche Rats-
Cgm. 3321, zum Jahr 1651. Heydenreuter, Hofrat 156 f. 37 Eine Synopse der Ordnungen von 1591, 1608 und 1640 bietet Dokumente 1,3 Nr. 116. Zur Ordnung von 1591 vgl. auch Oollinger, Finanzreform 101 ff. 38 Druck: Mayer, Quellen 344 ff. sowie Dokumente 1,3 Nr. 116. 39 Dollinger, Finanzreform 104 ff. 40 Druck: Mayer, Quellen 372 ff. 35 36
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Ordnung41 erlassen. Die Hofkammerordnung von 1608, welche also die Entscheidungsgewalt des Fürsten betont, befaßte sich in umfassender Weise mit den unmittelbaren Finanzquellen des Staates, dem Salz- und Brauwesen, den herzoglichen Urbarsgütern und den Regalien. Noch detaillierteren Einblick in Ziele und Methoden der herzoglichen Finanz- und Wirtschaftspolitik bietet schließlich die Ordnung von 1640,42 in der die wichtigsten landesherrlichen Dekrete der Vorjahre verarbeitet waren und Organisation, Aufgaben und Kompetenzen der Kammer derart vorbildlich in einen verwaltungsrechtlichen und verwaltungstechnischen Rahmen gebracht wurden, daß sie bis zum Jahre 1765 gültig blieb. Gemäß der Instruktion von 1608 hatte die Hofkammer die Erhaltung der bereits vorhandenen Einnahmequellen zu sichern, aber nicht weniger darauf zu achten, „wie auf zulässige miti und weeg unser cammerguet und järliche intrada also gebessert und vermehrt werden möchten, daß wür dardurch zu ainem ausgibigen, gueten und austräglichen vorrath kommen köndten." Da Neuerungen, Modernisierungen aber erfahrungsgemäß auf Widerstand in der Beamtenschaft stießen, versicherte Maximilian der Hofkammer ausdrücklich „gnad und schuz" bei entsprechenden Maßnahmen.43 Neben der Reorganisation des Beamtentums war also die Aufgabe, zu größerer Effizienz der vorhandenen Rechte und Ressourcen zu gelangen. Dies bezog sich auf die fürstlichen Regalien und das fürstliche Kammergut. In den fürstlichen Interessebereichen der Regalien und des Kammerguts war Maximilian von den Landständen unabhängig, ja durch Steigerung der Einnahmen aus diesen Quellen konnte die sonstige finanzielle Abhängigkeit von den Ständen weiter gelockert werden. Zu einer der ergiebigsten unmittelbaren Einnahmequellen des Staatshaushaltes war bereits unter Wilhelm V. das Salzwesen geworden.44 Die Salzproduktion in Reichenhall war, wie erwähnt, bereits unter Wilhelm IV. in staatliche Regie überführt worden; die Verstaatlichung des Salzhandels innerhalb des Herzogtums und ihre Behauptung gegen den heftigen Widerstand der Städte und Märkte war in den letzten Regierungsjahren Wilhelms V. vom Hofkammerpräsidenten Neubur-
Druck: Mayer, Quellen 113 ff. Druck der verbesserten Ordnung von 1629: Dokumente 1,3, 395-413. 42 Druck: Mayer, Quellen 425 ff. sowie Dokumente 1,3 Nr. 116. Vgl. BJe^ler, Geschichte VI, 86 f.; Heydenreuter, Behördenreform 240; 'Rosenthal, Geschichte II, 356. 43 Mayer, Quellen 345; Dokumente 1,3 Nr. 116; Rosenthal, Geschichte II, 364. 44 Vgl. Kapitel 1; Hofkammerordnungen von 1609 und 1640: Dokumente 1,3 Nr. 116, hier S. 534 ff. 41
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ger durchgesetzt worden; durch Vertrag mit der Fiirstpropstei Berchtesgaden hatte man 1555/1566 auch den Alleinvertrieb für die Produktion der berchtesgadnischen Saline Fronreith erhalten; durch Vertrag von 1594 (erweitert 1611) mit dem Erzstift Salzburg ging schließlich auch das Handelsmonopol für das Salzburger (Halleiner) Salz an Bayern über, soweit es auf dem Wasser (Salzach) transportiert wurde.45 Indem Bayern hiermit zum größten Salzproduzenten und bedeutendsten Salzhändler Süddeutschlands geworden war und die Erträge des Salzwesens den Nukleus des bayerischen Staatshaushalts bildeten, war sich Maximilian der Notwendigkeit sorgfaltiger Pflege dieses Wirtschaftszweiges bewußt. Bereits im Frühjahr 1598 wurde die Direktion des gesamten Salzwesens der Hofkammer übergeben und 1605 als Sonderverwaltung eine eigene Salzdeputation ins Leben gerufen. Um die Produktion auf dem Laufenden zu halten, erbat und erhielt Maximilian von Rom die Ausnahmegenehmigung zu sonntäglicher Arbeit an den Sudpfannen, ungeachtet seiner sonstigen rigorosen Maßnahmen zur Gewährleistung der Sonntagsheiligung! Als 1613 in Reichenhall eine weitere Solequelle eröffnet worden war, befürchtete man eine zu starke Abschwendung der Reichenhaller Salinenwälder, die zur Versiedung der Sole gebraucht wurden. Jedoch fand Oswald Schuß eine interessante Lösung, er errichtete 1618/19 eine Tochtersaline in Traunstein, der die umliegenden Wälder zur Verfügung standen. Ihre Sole aus der neuen Quelle in Reichenhall erhielt sie durch eine 31 Kilometer lange, über das Gebirge führende Rohrleitung, eine beachtliche technische Leistung des Münchner Hofbaumeisters Simon Reifenstuel, die zweihundert Jahre ihren Dienst getan hat.46 Für den Salzverschleiß wurden Absatzstrategien entwickelt, mehrjährige Abnahmeverträge mit Großabnehmern geschlossen, neue Märkte erschlossen, Vertriebsgebiete abgeteilt: Das sog. Reiche Salz (aus Reichenhall und Fronreith) ging auf dem Landweg vornehmlich nach Oberbayern, Schwaben und an den Oberrhein, das sog. Arme Salz (aus Hallein und Schellenberg) auf dem Wasserweg über die Haupthandelsplätze Passau und Regensburg nach Niederbayern, in die Oberpfalz und nach Franken und Böhmen. In den Jahren bis zum Dreißigjährigen Krieg betrugen die Nettoerträge aus dem Salzwesen jährlich - von Extremwerten abgesehen - im Durchschnitt
Vgl. auch unten Kapitel 17 über den Salzkrieg mit Salzburg. Informativ: Heinrich Kur% Die Soleleitung von Reichenhall nach Traunstein 1617-1619. Ein Beitrag zur Technikgeschichte Bayerns, München/Düsseldorf 1978; Veter Piasecki, Das deutsche Salinenwesen 1550-1650. Invention - Innovation - Diffusion, Idstein 1987, 244 ff. 45 46
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rund 249 000 Gulden.47 Dabei flössen die Erträge aus dem Halleiner Salz spätestens seit 1616 nicht in die Hofzahlamtskasse, also den allgemeinen Staatshaushalt, sondern direkt in Maximilians geheimen Geldvorrat. Die Nettoerträge der einzelnen Jahre schwankten allerdings sehr, so daß sich nur schwer eine langfristige Tendenz bestimmen läßt. Aufs Ganze wird man für die ersten zwanzig Jahre der Regierung Maximilians nur von einem leichten Anstieg der Einnahmen, wenn nicht von Stagnation zu sprechen haben. Dies entsprach der ziemlich gleichbleibenden Produktion von ca. 280 000 Zentner Reichenhaller Salz im Jahr. Jedoch bewegten sich die Salzeinnahmen im Vergleich mit den übrigen staatlichen Einnahmen stets auf einem so hohen Niveau, daß ihre Bedeutung für das Staatsbudget keinem Zweifel unterliegt; bis zum Krieg blieb das Salz nach den Aufschlägen und neben den direkten Steuern die größte und zuverlässigste unmittelbare Einnahmequelle. Dabei entwickelte sich an den Salinenorten, wie Schremmer festgestellt hat, auch ein reges gewerbliches Treiben, das zahlreichen Menschen eine Voll- oder Teilbeschäftigung bot. Der Krieg hat aber dann diese Blüte deutlich gestört. Da die Verbindungen zu manchen auswärtigen Absatzgebieten unterbrochen wurden und die Produktion gedrosselt werden mußte, fiel der Anstoß seit den dreißiger Jahren auf maximal 100 000 Zentner pro Jahr, mit entsprechenden Einbußen für die Staatseinnahmen. Besonderes Augenmerk wandte Maximilian neben dem Salz dem Bräuwesen zu,48 das sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts durch den rasch steigenden Bierverbrauch breiter Schichten beachtlich erweitert hatte. Durch indirekte Steuern (Aufschläge) auf Bier und durch die Gründung des herzoglichen Hofbräuhauses in München 1589 hatten bereits Maximilians Vorfahren aus dem Biertrinken Gewinn für die Staatskasse gezogen. Diese Politik wurde jetzt erfindungsreich fortgesetzt. Darüber hinaus tat sich eine besondere Einnahmequelle auf, als 1602/07 mit den Besitzungen der Herren von Degenberg im Bayerischen Wald auch deren Weizenbierbrauereien an Maximilian fielen.49 Die Degenberger hatten einst von Wilhelm IV. das Weißbierbraumonopol erhalten. Maximilian nützte die Gelegenheit des Überganges, um nunmehr ein staatliches Weißbiermonopol zu deklarieren, alle sonstigen Weißbierbrauerein im Lande zu verbieten, eine Reihe von Weißbierbrauereien aufzukaufen oder neu zu gründen und durch geeignete MaßZahlen nach Schlögl.\ Bauern 386 (Tabelle 15). Niedrigere Reingewinne bei Schremmer, Wirtschaft 61 f. 48 Umfassend Letting, Bierbrauwesen. 49 Letting, Bierbrauwesen, bes. 206 ff. und 247 ff. Der Kaufvertrag vom 26.2. 1607 ist gedruckt in Dokumente 1,3 Nr. 165. 47
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nahmen den Weißbierverbrauch der Bevölkerung zu steigern, wodurch auch die Braunbierproduktion der Stände beeinträchtigt wurde. Auch dieser Vorgang erwies seine Befähigung zu zielgerichtetem und erfolgreichem Handeln, denn künftig ergaben die Weißbiererträgnisse beachtliche Summen, die ebenso wie die Salzeinnahmen dem Geheimen Vorrat zuflössen. In den Jahren vor dem Krieg wurde eine jährliche Nettoeinnahme von rund 10 00020 000 Gulden erzielt (wobei allerdings die Münzverschlechterung zu berücksichtigen ist), im Krieg bis zu 50 000 Gulden und darüber und in den sechziger Jahren sogar bis 260 000 Gulden. Trotz der Kriegswirren blieb das Salzund Weißbiermonopol so ertragreich, daß der Hofkammerpräsident Mändl erklären konnte, zwischen 1635 und 1645 habe der Kurfürst den Geheimen Vorrat um 1,3 Millionen Gulden „sonderlich aus den hällingischen salz- und weißen preugefellen" vergrößern können.50 Salzwesen und Weißbierbrauerei waren Kernbereiche der sog. fürstlichen Interessesachen oder causae domini, worunter alle Sachverhalte verstanden wurden, bei denen der Landesherr mit seinen Kammergütern und Hoheitsrechten beteiligt war.51 Hierzu zählten als weitere herzogliche Regalien neben dem Salz- und Weißbiermonopol das Bergbauwesen, die Goldwäscherei und die Perlenfischerei. Auch diesen Zweigen hat Maximilian manche Bemühung und Sorge gewidmet, ohne freilich größere Erfolge zu erzielen.52 1603 setzte er eine eigene Bergwerksdeputation zur Untersuchung des Bergbauwesens im Herzogtum ein. Maximilians Vorgänger hatten Bergrechte an private Unternehmer vergeben, um sich selbst Pionierarbeit und -Unkosten zu ersparen53 und bei (seltener) Rentabilität der Unternehmungen die Gerechtsame wieder an sich zu ziehen. Diese auch anderwärts übliche Praxis wurde z.T. auch von Maximilian fortgesetzt. 1608 nahm er die florierenden freybergschen Montanbetriebe bei Aschau und Bergen zur Hälfte in staatliche Regie, ebenso 1611 das Eisenvitriolwerk bei Bodenmais, das aber im Krieg wieder aufgegeben wurde. Die Versuche, 1616 mit Hilfe Tiroler Fachleute die Bergbautätigkeit in Lam und Bodenmais wieder zu beleben, blieben erfolglos, ebenso auch wiederholte Anläufe, die Auffindung und Ausbeutung von Bodenschätzen durch private Bergwerksunternehmer zu erleichtern und zu belohnen (Bergordnung von 1611) und neue Bergwerkstechniken fruchtbar zu machen Dollinger, Finanzreform 169 und 438 ff.; Schlögl, Bauern 212 f. und 221. Vgl. Heydenreuter, Hofrat 158 ff. 52 Rasenthal, Geschichte II, 369 f.; Heydenreuter, Behördenreform 241; Schremmer, Wirtschaft 69 ff. 53 So Albrecht V. 1551 das Eisenbergwerk am Kressenberg bei Traunstein an Pankraz von_ Freyberg. Interessante Übergabsurkunde in Dokumente 1,3 Nr. 10. 50 51
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(Hofkammerordnung von 1617). Im Jahre 1617 betrugen die Einnahmen aus Bergwerken nur rund 1 000 Gulden. Ähnlich bescheiden waren die Ergebnisse der in merkantilistischer Manier betriebenen Perlenfischerei und Goldwäscherei in bayerischen Gewässern.54 Durch die Ausweisung von Bannwässern im Bayerischen Wald und die Androhung von Strafen für unbefugtes Sammeln sollte die Ausbeute gesteigert werden. „Waschgold und landtperl", die in den Flüssen und Bächen gefunden wurden, ließ sich der Herzog zu eigenen Händen nach München liefern. Daß dabei ein „bis ans Magische streifendes Verhältnis zu Geld, Juwelen und Kostbarkeiten" zum Vorschein kam,55 wird auch durch Schwerpunkte in Maximilians Kunstsammlungen bestätigt. Zu den Regalien gehörten schließlich die Zölle, die zunächst als eine Nutzungsgebühr für Straßen-, Brücken- und Wasserwegebenützung angesehen wurden.56 Um sie zu steigern, wurde den Warentransporten die Benutzung bestimmter, zu den Zollstätten führender Straßen vorgeschrieben, von denen nicht abgewichen werden durfte. Die Reglementierung der Untertanen aus fiskalischem Interesse kam hier besonders deutlich zum Ausdruck. In den Jahren bis 1609 betrug der jährliche Bruttoertrag aus den Zöllen rund 58 000 Gulden. Zollerhöhungen bedurften seit dem Reichsabschied von 1576 der Genehmigung durch den Kaiser und das Kurkolleg. Bei seinem Amtsantritt fand Maximilian im Herzogtum nicht weniger als 73 Zollstätten unterschiedlicher Größe, Tarife und Einnahmen vor. Durch die ganze oder teilweise Befreiung von Einzelnen und ganzen Gruppen, die Vielzahl der Zollstätten im Lande und die Verschiedenheit, ja Zufälligkeit der Tarife trug das ganze Zollwesen einen vormodernen, den Gegebenheiten und Anforderungen des neuen Staates nicht entsprechenden Charakter. Dennoch hielten sich hier Maximilians Reformen in Grenzen, sie beschränkten sich auf gewisse Verschärfungen der Kontrolle, Beschränkung der Zollfreiheiten, Aufkündigung von Rabatten, Einführung des Frachtbriefsystems, Neufassung einer größeren Zahl von Zollordnungen. Denn das Zoll- und Mautwesen wurde nicht unter umfassenderen gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen, sondern hauptsächlich als Finanzquelle eingeschätzt, Zölle waren Finanzzölle. Dieser einseitig fiskalistische Gesichtspunkt veranlaßte Maximilian auch, sich jahrelang um die kaiserliche und kurfürstliche Genehmigung einer Zollduplierung zu bemühen. Schließlich genehmigte ein Privileg Kaiser Rudolfs II. vom Freyberg, Pragmatische Geschichte II, 270 ff.; Rosenthal, Geschichte II, 373 f. Oollinger, Finanzreform 172. 56 Zum Ganzen vgl. Oollinger; Finanzreform 195, 211 ff., 485 ff. und 507 ff.; Ay, Land und Fürst 253 ff. 54
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27. Mai 160957 die Verdoppelung der Zölle und Mauten auf sechzehn Jahre, 1628 auf weitere dreißig Jahre. Im Jahre 1610 erbrachte das Zollsimplum einen Bruttoertrag von rund 40 000 Gulden, das Duplum rund 60 000-70 000 Gulden,58 eine schöne Summe, wobei aber die negativen Auswirkungen der vielen Zölle auf eine Reihe von Wirtschaftszweigen zu kalkulieren waren. Neben der Vermehrung der Einkünfte aus den Regalien zielte die Finanzreform auf die intensivere Nutzung bzw. Erschließung des fürstlichen Kammerguts, also der fürstlichen Wälder, Gewässer und Domänen und vor allem der vielen Ländereien, die an herzogliche Urbarsbauern vergeben waren. Wenn im Jahre 1605 der Rentmeister von Landshut berichtete, daß sich die Renten, Gülten und Gefalle der Kammergüter seines Bezirks unter seiner Amtsführung (seit 1582) fast um ein Drittel vermehrt hätten,59 so darf gefolgert werden, daß die Finanzreform in nicht unerheblichem Umfang auch durch Steigerung oder strengere Erfassung dieser grundherrlichen Gefälle bewerkstelligt worden ist. Man wird bis zum Schwedeneinfall 1632 mit einem jährlichen Bruttoertrag von rund 150 000 Gulden aus Geldzahlungen und Getreidelieferungen der herzoglichen Urbarsbauern zu rechnen haben. Bezeichnend für gegebene Möglichkeiten ist ein Vorschlag von 1611, den Bauern mit schlechteren Leiheverhältnissen gegen Entgelt das Erbrecht an ihren Gütern zu verleihen, da man durch Verzinsung dieses Entgelts von mehreren hundert Gulden mehr für die Staatskasse gewinne, als angesichts der Seltenheit des Besitzwechsels bei Erbrecht (mit entsprechend seltenen Besitzwechselgebühren) verloren werde.60 Bereits im Jahre 1595 waren im Zuge der finanzpolitischen Konsolidierungsmaßnahmen Maximilians die landesherrlichen Bauern im Rentamt München aufgefordert worden, durch eine einmalige Zahlung von etwa hundert Gulden ihre Scharwerksverpflichtungen abzulösen, allerdings mit wenig Erfolg; teils wurden die Fronden als nicht allzu belastend empfunden, teils war man nicht liquide genug, und nicht zuletzt boykottierten Lokalbeamte die Ablösung, welche auf die auch ihnen nützlichen Frondienste nicht verzichten wollten.61 In der Ordnung von 1608 wurde dann der Hofkammer mit Nachdruck ans Herz gelegt, den besten Nutzen aus dem fürstlichen Kammergut zu ziehen, auf den guten Zustand der herzogliDruck: Dokumente 1,3 Nr. 167. So nach Dollinger, Finanzreform. Sehr viel niedrigere Zahlen bei Schlögl, Bauern 224, allerdings ohne das Rentamt München. 59 Wittelsbacherbriefe VI, Beilage Κ (505-508), Neudruck in Dokumente 1,3 Nr. 155. Zum Thema vgl. auch Rosenthal, Geschichte II, 366 ff. sowie Schlögl, Bauern 220 ff., der allerdings ebenso wie Dollinger, Finanzreform 167, Salz und Weißbier zum Kammergut rechnet. 60 Zitiert bei Dollinger, Finanzreform 427. « Schlögl, Bauern 225 ff. 57 58
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chen Urbarsgüter zu sehen, ihre Erträge zu steigern, die Einhaltung der Forstordnung von 1568 zu gewährleisten; auch die Wirtschaftsführung der Klöster sollte im Landesinteresse beaufsichtigt werden; zur Vermehrung des fürstlichen Urbarsbesitzes sollten zum Verkauf stehende Bauernhöfe nach Möglichkeit vom Staatsärar aufgekauft werden.62 Neben den beachtlichen Geld- und Getreideeinnahmen aus dem Kammergut standen die Erträgnisse aus Strafgeldern, fiskalischen Gefallen, Lehensgefällen, Hofkanzleitaxen und dergleichen, die aber wegen geringer Höhe zunehmend an Bedeutung verloren. Weit höhere Einnahmen, und zwar regelmäßige höhere Einnahmen, erzielte die Hofkammer aus den indirekten Steuern, denen daher auch besondere Bemühungen gewidmet wurden. Dies waren zunächst die sog. Aufschläge,63 Verbrauchssteuern, deren erste, wie erwähnt, erstmals 1542/43 als Weinaufschlag von den Landständen bewilligt worden war und sich bis 1634 nur auf alkoholische Getränke bezog. 1566 privilegierte Kaiser Maximilian II. den bayerischen Herzog und seine Nachkommen, Aufschläge auch ohne Zustimmung der Landstände zu erheben, was aber in den Augen der Stände einen so unerhörten Einbruch in ihr Bewilligungsrecht darstellte, daß erst Maximilian im Jahre 1634 angesichts mehrfacher feindlicher Einbrüche und Verwüstungen des Landes davon Gebrauch machte. Im übrigen war die Entwicklung des Aufschlagswesens in eine dreifache Richtung gegangen, auf höhere Tarife, auf unbegrenzte Dauer der Bewilligung, auf Ausdehnung auf neue Warengruppen. Alle drei Tendenzen dienten dem selben Zweck, von landschaftlichen Bewilligungen möglichst unabhängige regelmäßige Zuschüsse zu gewinnen. Dabei hatte der Aufschlag einen weit unauffälligeren Charakter als die direkte Steuer und wurde daher nicht nur in Bayern als Instrument frühabsolutistischer Herrschaft in Anspruch genommen, wie etwa die preußische Akzise erweist. Auch rechneten die Herzöge — und zwar auch noch Maximilian, trotz Änderung des wirtschaftlichen Klimas seit der Jahrhundertwende - mit fortschreitender Prosperität, welche die Aufschlagserträge steigern mußte. Beim Landtag von 1593/94 hatten die Landstände, wie erwähnt, der Fortsetzung der bisherigen Getränkeaufschläge auf zwölf Jahre sowie einem Salzaufschlag, ebenfalls auf zwölf Jahre bis 1605, zugestimmt. Beim Landtag von 1605 gelang es Maximilian, eine Erhöhung der Getränkeaufschläge und ihre weitere Verlängerung, allerdings nur auf sechs Jahre, durchzusetzen.64 Der Salzaufschlag von 1593/94 war bereits seit 1601 durch « Mayer, Quellen 354 ff.; Dokumente 1,3 Nr. 116, hier 526 f. und 542 f. Oollinger, Finanzreform 184 ff. u.ö.; Schlögl, Bauern 231 ff. 64 Oollinger, Finanzreform 193 und 478 f. sowie unten Kapitel 8. 63
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eine Zahlung von jährlich 80 000 Gulden aus der Landschaftskasse ersetzt worden; diese Summe wurde jetzt auf 100 000 Gulden erhöht.65 Sechs Jahre später, beim Landtag von 1612, bewilligten die Landstände eine weitere Verlängerung des Getränkeaufschlags und zwar ohne eigentliche zeitliche Begrenzung! Im Rechnungsjahr 1611/12 erbrachten alle Aufschläge zusammen (ohne den preisgegebenen Salzaufschlag!) eine Bruttoeinnahme von 420 016 Gulden und lagen somit an der Spitze aller Staatseinnahmen.66 Damit hatten sich die Erträge des Aufschlags für die Staatsfinanzen seit 1543 fast verzehnfacht oder jedenfalls (unter Berücksichtigung der Geldentwertung) vervielfacht. Besonders charakteristisch für Maximilians Methoden und seine Hartnäkkigkeit in Finanzfragen waren seine Bemühungen, alte Schuldforderungen zu realisieren und dabei mithilfe von Archivforschungen weit in frühere Jahrhunderte zurückzugehen. So informierte er im Dezember 1600 den in Prag befindlichen Hofkanzler Gailkircher, man habe schriftliche Belege, daß die Krone Böhmen aus dem Verkauf der Mark Brandenburg an König Wenzel durch die Söhne Ludwigs des Bayern „noch heut zu tag 100 000 fl. jährlich zu verzinsen schuldig" sei; Gailkircher solle in der böhmischen Kanzlei Nachforschungen anstellen.67 Besondere Zähigkeit bewies Maximilian im Fall der sog. Kölnischen Schuld, die sich aus mehreren bayerischen Darlehen im Zusammenhang des Kölnischen Krieges von 1583/84 zusammensetzte und schließlich einschließlich der Zinsen rund 445 000 Gulden ausmachte. Maximilian hat jahrelang, 1598 beginnend, nichts unversucht gelassen, um zu seinem Geld zu kommen, erst 1642 verzichtete er auf seine Forderung zugunsten des kölnischen Domkapitels, falls dieses seinen Neffen Maximilian Heinrich zum Koadjutor Erzbischof Ferdinands (und damit faktisch zu dessen Nachfolger) wähle, was dann noch im gleichen Jahr geschah. Maximilians Beharrlichkeit trug in dieser Weise zuletzt wenn nicht finanzielle, so doch politische Früchte — ein Musterbeispiel für sein Durchhaltevermögen und das stets präsente Bewußtsein seiner politischen Interessen und Möglichkeiten. Andererseits war er selbst seit den Anfängen seiner Regierung bemüht, die Gläubiger aus der Regierungszeit seines Vaters, vor allem die vielen kleineren, zu befriedigen, um nicht den Kredit zu verlieren — „damit Wir nicht zu Speyer am kammergericht, bei chur- und fürsten, und zuvorderst bey Sr. Jutta Hanisch, Die Bayer. Landtage von 1605 und 1612, Masch. Magisterarbeit Mainz 1966, 45. 66 Dollinger; Finanzreform 194. Die direkten Steuern erbrachten im gleichen Jahr ca. 300 000 fl. 67 Dollinger, Finanzreform 133 ff. und 398 ff. mit weiteren Beispielen; Stieve, Finanzwesen Nr. 20, 23, 25 und 26. 65
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kaiserl. Maj. selbst, ja auf allen plätzen verkleinerlich und spöttlich herumgezogen und angegeben werden". Auch die Münchner Jesuiten, die in dieser Frage zu Gutachten herangezogen wurden, betonten die Verpflichtung zur Rückzahlung, forderten allerdings höhere Rückzahlungsbeträge, als die Hofkammer zuzugestehen bereit war.68 Zum Zweck der Schuldentilgung wurden Städte, Märkte und Beamte zu Darlehen aufgefordert, wobei Maximilian sogar bereit war, den Städten durch Neuerteilung von Privilegien entgegenzukommen.69 Tatsächlich kam in den Jahren 1595-1605 vornehmlich aus der Beamtenschaft die enorme Summe von 806 753 Gulden zustande, die zur Befriedigung der drängendsten Gläubiger verwendet wurde.70 Maximilians Maxime, daß man „viel Geld" haben müsse, zielte nicht nur auf finanzielle Saturiertheit des Gemeinwesens zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben, sondern in besonderem Maße auf die von ihm postulierte Notwendigkeit, für eine extreme Notsituation einen Geldschatz, einen „Vorrat", zu besitzen, gewissermaßen eine Versicherung des Staates für den Notfall. Diesen Grundsatz, in dem ein hervorstechender Charakterzug Maximilians, sein Sicherheitsbedürfnis, zum Ausdruck kam, hatte er von seinem Großvater Albrecht V. übernommen, der bereits einen Geldvorrat in Höhe von 715 000 Gulden angesammelt und seine Verwendung ausdrücklich dem Fall gemeiner Landesnot vorbehalten hatte.71 Von diesem Schatz hatte Wilhelm V. 19 000 Gulden für das bayerische Landesdefensionswesen und 95 000 Gulden für den Kölnischen Krieg ausgegeben — also bestimmungsgemäß —, darüber hinaus aber rund 600 000 Gulden für seine sonstigen Bedürfnisse, so daß 1597 nur noch 1 200 Gulden im Vorrat waren. Einigermaßen verlegen verpflichtete er daher seinen Sohn testamentarisch, den Schatz wieder auf die alte Höhe zu bringen. In dem Testamentskodizill von 1612 berichtet Maximilian sodann, nicht ohne Genugtuung, daß er dieser Verpflichtung in den vierzehn Jahren seither nicht nur nachgekommen sei, sondern „vil ain mehrer summam" für Fälle der Landesnot aufgebracht habe, die inzwischen eingetreten waren: Für den Türkenkrieg, für die Rüstungen wegen des sog. Passauischen Kriegsvolks, die Gründung der Liga, den Krieg gegen Erzbischof Wolf Dietrich von Salzburg, das allgemeine Landesdefensionswe« Vorgang von 1628: BA NF 11,4 Nr. 110. 69 Stiem, Finanzwesen Nr. 24 (1598). ™ Wolf, Maximilian I, 220 ff. 71 Zum Ganzen vgl. das Testamentskodizill vom 3.4.1612: Hausurkunden Nr. 1586 (Druck: Stieve, Finanzwesen Nr. 34; Neudruck: Dokumente 1,3 Nr. 177) und das Testamentslibell vom 29.7.1612: Hausurkunden Nr. 1587 (Druck: Stieve, Finanzwesen Nr. 35); Ergänzungen bei Oollinger, Finanzreform 170 ff.; Ziegler, Testament 293. Die dort Anm. 26 genannte Summe von 173 554 fl. kann nicht zutreffen.
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sen. Ungeachtet dieser Ausgaben großen Umfanges war der Schatz auf die alte Höhe gebracht worden, da er laufende Einnahmen aus Quellen hatte, die ausschließlich für die Vermehrung des Vorrats bestimmt waren, nämlich die Halleiner Salzgefalle, die Einnahmen aus den Herrschaften Mattighofen und Winzer, später auch der Herrschaft Mindelheim72 und der sog. Degenbergischen Güter,73 schließlich die Erträgnisse des Weißbiermonopols. Da seine Aufgabe und sein Ziel sei, argumentierte Maximilian 1612, seine Lande und Untertanen jetzt wie künftig in Wohlstand und Frieden und vor allem im ungeschmälerten Bestand der katholischen Religion zu erhalten, habe er in dieser Weise einen ansehnlichen Geldvorrat angesammelt. Über die begrenzte bayerische Zwecksetzung hinaus diene der Vorrat „zu erhaltung unserer heiligen catholischen Religion im Reich" — er wollte sich also absichern gegen eine engere, nur auf das Herzogtum bezogene Verwendung des Geldes, und es waren wohl die Auseinandersetzungen mit der Landschaft auf dem Landtag von 1612 um den Beitrag der Landstände zur Finanzierung des Ligaheeres, die ihn zu dieser Präzisierung veranlaßten. Tatsächlich fußte die ins Weite gehende Politik Maximilians seit der Ligagründung in nicht geringem Umfang auf dem Vorrat und dessen Quellen. Offensichtlich bewahrheitete sich Maximilians Satz von 1598, daß derjenige angesehen ist, der viel Geld hat und mit diesem Schatz zu wuchern versteht, indem er auf seinem Fundament aktive Politik betreibt. Der schwierigen Aufgabe, aus den verschiedenen Einnahmetiteln eine Bilanz der durchschnittlichen jährlichen bayerischen Staatseinnahmen vor dem Krieg zu erstellen, hat sich Rudolf Schlögl für die Jahre 1607/09 bis 1618 unterzogen.74 Er errechnet aus Kammergut und Regalien durchschnittliche jährliche Einnahmen von 484 000 Gulden, aus Steuern und Anlagen 794 000 Gulden, also durchschnittliche jährliche Staatseinnahmen von 1 278 000 Gulden.75 Dabei rangieren die wichtigsten Einnahmetitel in folgender Reihenfolge: Aufschläge 34,8 % der gesamten Einnahmen, Landsteuer 22,3 %, Salz (netto) 20,6 %, Amtsgefälle (einschließlich Zölle) 16,7 %. Rechnet man Zölle und Ungeld zu den indirekten Steuern, so machen diese mit 40,8 % der Gesamteinnahmen den weitaus höchsten Teilbetrag aus. Direkte und indirekte Vgl. Dokumente 1,3 Nrr. 184-186 (Kauf der Herrschaft Mindelheim durch Maximilian, 1617). " Vgl. auch Kapitel 12. 74 Schlögl, Bauern 386 f. (Tabelle 15) und 218. 75 Bei dieser Gesamtsumme ist zu berücksichtigen, daß die von den Unter- und Mittelbehörden einbehaltenen Personal- und Sachausgaben nicht eingerechnet sind. Sie beliefen sich bei den drei Rentämtern Landshut, Straubing und Burghausen auf 85 780 fl., inclusive des Rentamts München also wohl auf ca. 120 000 fl. Vgl. Schlögl, Bauern 388 (Tabelle 16) und 219. 72
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Steuern zusammengenommen summieren sich auf 65,8 %. An diesen Zahlen ist besonders bemerkenswert, daß die Aufschläge den größten einzelnen Einnahmetitel ergeben und daß zwei Drittel des Staatsetats auf Steuereinnahmen beruhen. Es ist der Weg vom mittelalterlichen Domanialstaat zum modernen Steuerstaat, der von Maximilian bereits beschritten wurde, wobei in der Folgezeit, z.T. infolge der Abschwächung der Konjunktur, der Teilbereich der indirekten Steuern von demjenigen der direkten Steuern überholt werden sollte. Ewiges Heil und zeitliches Wohl der Untertanen bezeichnet der Fürst des konfessionellen Zeitalters als erste Ziele seiner Regierung. Neben der Religions- und Konfessionspolitik steht die Sorge um das Gemeinwohl, um Friede, Recht und den materiellen Wohlstand im Lande. Dem Landesherrn ist bewußt, daß auf dem Auskommen, mag es sich auch in Grenzen halten, die Zufriedenheit der Untertanen, die Ruhe im Lande und letztlich die Gesichertheit seiner Herrschaft beruht. Und nur der Landeswohlstand bietet der Obrigkeit die Mittel zu ausgreifender Politik. Die Basis dieses Wohlstandes waren im Herzogtum Bayern Landwirtschaft, Gewerbe und Handel. Der landwirtschaftliche Sektor,76 dem vier Fünftel der bayerischen Bevölkerung angehörten, hatte, wie schon erwähnt, bis zur Jahrhundertwende und in Teilbereichen bis in die ersten Jahre des Krieges Hochkonjunktur, denn das ungewöhnliche Bevölkerungswachstum des 16. Jahrhunderts hatte in Verbindung mit anderen Momenten eine starke Nachfrage zur Folge und ließ die Preise steigen. Nutznießer des Preisanstiegs waren alle für den Markt produzierenden Landwirte von den Bauern bis zum Landesfürsten; der von nicht wenigen Bauern erreichte und auch zur Schau gestellte Wohlstand hat Maximilian verschiedentlich veranlaßt, Kleiderluxus und übertrieben aufwendige Hochzeiten durch Mandate zu beschränken. Da die Agrarproduktion von existentieller Bedeutung für das Auskommen der Bevölkerung war — neben der Deckung des allgemeinen Nahrungsbedarfs vor allem durch den Export von Getreide und Vieh —, ging die allgemeine Tendenz der maximilianischen Gesetzgebung auf die Förderung der Landwirtschaft durch den Schutz der Untertanen gegen Übergriffe adeliger und geistlicher Grund- und Gerichtsherrn sowie auf die Sicherung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte, an denen es trotz des Bevölkerungswachstums mangelte. In dem Beziehungsgeflecht von Fürst, Grund- und Niedergerichtsherren und Bauern erwuchsen 76 Vgl. die in Kapitel 1 zur Landwirtschaft angegebene Literatur; Schremmer; Wirtschaft 186 ff.; Freyberg, Pragmatische Geschichte II, 219 ff.
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die typischen Agrarkonflikte im Herzogtum nicht zwischen den Bauern und der Landesherrschaft, als vielmehr zwischen den Bauern und ihren unmittelbaren Obrigkeiten, Adel und geistlichen Institutionen, denen als Grundherren etwa drei Viertel, als Niedergerichtsherren etwa die Hälfte der Bauern im Lande unterworfen waren. Fortwährende Differenzpunkte waren neue Abgaben· und Dienstforderungen, die nicht im Herkommen begründet waren und die den Bauern zustehende „Hausnotdurft" beschränkten. In diesen Agrarkonflikten erwuchs dem Landesherrn eine bedeutsame Aufgabe, zumal er selbst auch als Grundherr über ein Viertel, und als Niedergerichtsherr über etwa die Hälfte der Bauern Herrschaft ausübte. Es ging darum, durch Gesetzgebung, Mandate und Einwirkung der landesherrlichen Beamten eine Überbürdung der Bauern zu verhindern und Mißstände in den grundherrschaftlichen Beziehungen abzustellen, ohne dabei fiskalische Gesichtspunkte zu verleugnen und Adel und Prälaten, immerhin die reichsten Leute im Lande, vor den Kopf zu stoßen. Hinter dieser Agrarpolitik standen unterschiedliche Motive, nicht zuletzt das Ziel, die Steuerkraft der Landesbewohner zu erhalten und zu steigern. Deren intensive Abschöpfung während des Krieges schränkte den positiven Effekt der agrarpolitischen Maßnahmen allerdings wieder ein. Die Obrigkeit konnte in Agrarkonflikte umso leichter eingreifen, als, wie erwähnt, der Austrag solcher Konflikte auf gerichtlichem Wege, die Verrechtlichung sozialer Konflikte, im Herzogtum seit langem entwickelt war. Hier oblag dem Landesherrn als oberster Schiedsinstanz eine Rolle des Ausgleichs, die Maximilian auch nützte. Soviel man sieht, ist sie auf weite Strekken den rechtsuchenden Bauern zugutegekommen, insoferne die Gerichte, Hofrat und (noch mehr) Regierungen, in Streitfällen sehr darauf bedacht waren, die rechtlich normierten Begrenzungen der Scharwerke, den rechtlich fixierten Umfang der hofmärkischen Eigenwirtschaften sowie das Prinzip festzuhalten, daß die Fronarbeit nicht an der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Anwesen hindern dürfe.77 Als der als Bauernschinder bekannte Hofmarksherr Lösch von Hilkertshausen zum wiederholten Male seinen Bauern die Scharwerke erhöhte, wurde er 1628 vom Hofrat zum Verlust seiner Hofmarksjurisdiktion und zu Gefängnis mit anschließender Landesverweisung verurteilt. Diese Rechtsprechung war möglich, weil der Landesherr seit Jahren zugange war, durch Gesetzgebung und Mandate, insbesondere durch Bestimmungen des Landrechts von 1616, Rechte und Pflichten der Schlögl, Bauern 277 f.; Rankl, Ringen Kap. III.3.2.; Riemer, Geschichte VI, 224; Kellner, Jettenbach 118 ff. mit informativer Verfahrensliste. 77
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Grundholden und Grund- und Gerichtsherren abzugrenzen, wobei die Scharwerksbestimmungen des Landrechts (Titel 22) mehrheitlich den Grundholden zugute kamen.78 Scharwerk durfte nur gefordert werden, insoweit es für die „Hausnotdurft" des Hofmarksherrn notwendig war und nicht zu dessen Gewinn und Bereicherung diente. Das Landrecht legte durch allgemeine Umschreibungen für bestehende sowie durch exakte Bestimmungen für neuerrichtete hofmärkische Eigenwirtschaften fest, daß maximal 40 Frontage im Jahr gefordert werden konnten. Diese Begrenzung war umso plausibler, als die Scharwerksforderungen des Landesherren selbst milde waren und im Durchschnitt nur 4-8 Tage Roß- oder Handscharwerk im Jahr betrugen, „häufig weniger, selten mehr,"79 und jedenfalls weniger als in den meisten Adelshofmarken. Überhaupt ist Maximilians Sorge um eine befriedigende Gesamtsituadon der Bauern, der landesherrlichen wie der ständischen, unübersehbar. Sie wußte vom Nutzen der Landwirtschaft für die fürstlichen Kassen und die Möglichkeiten fürstlicher Politik, hatte aber auch eine entschieden patriarchalische Komponente, welche dem christlichen Fürsten gleichermaßen das ewige wie das zeitliche Heil der Untertanenn zur Aufgabe stellte. Einseitig zugunsten der Grundherren war allerdings eine überraschende Bestimmung des Landrechts (Tit. 22 Art. 4), welche angesichts der Abschwächung der Agrarkonjunktur den Hofmarksherrn die Einrichtung bzw. Ausweitung eines Hofbaues durch Einziehung von Bauernhöfen gestattete, also das Bauernlegen. Die Genehmigung wurde 1636 wegen der kriegsbedingten Verödungen wiederholt, aber zunächst kaum praktiziert. Gleichmäßig zugunsten von Grundherrn und (größeren) Bauern waren Maßnahmen, die den Mangel an ländlichen Arbeitskräften beheben sollten.80 Sie erstreckten sich von der Fesdegung eines begrenzten Gesindezwangsdienstes im Landrecht von 1616 über die Bestrafung Vertragsbrüchiger Dienstboten sowie Ab- und Auswanderungsverboten bis zu einem Mandat von 1644, also nach den ersten starken Bevölkerungsverlusten durch Pest und Krieg, daß sich Eheleute nicht auf Dauer des ehelichen Verkehrs enthalten sollten.81 Der von Dienstboten gerne gesuchte Wechsel zur Taglöhnerei wurde nicht gestattet, man befürchtete eine Vermehrung des Proletariats, das der öffentlichen Unterstützung bedurfte oder sogar die öffentliche Sicherheit gefährdete. In die Einzelheiten mit teils differierenden Urteilen in den Untersuchungen von Blickle, Schlögl, Rankl und Kellner. 79 Rankl, Ringen Kap. III.3. mit ausführlichen Erörterungen. 80 Platter, Arbeitsverhältnisse 97 ff.; Schlögl, Bauern 314 ff. 81 Riemer, Geschichte VI, 219. 78
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gleiche Richtung wiesen die wiederholten Heiratsverbote für Dienstboten; die Polizeiordnung von 1616 stellte einen Zusammenhang mit der Söldenbildung her, insoferne durch sie Ehehalten zur Heirat verleitet würden, ohne doch eine gesicherte Existenz zu besitzen. Entsprechend wandte sich Maximilian gegen die Güterzertrümmerung zur Gewinnung kleinerer, aber seiner Meinung nach unwirtschaftlicher Sölden und begünstigte das Anerbenrecht, also die ungeteilte Gutsübergabe an den ältesten Sohn. Dagegen wurde von der Obrigkeit in den eigentlichen landwirtschaftlichen Betrieb nur wenig eingegriffen. Eine der Ausnahmen bezog sich auf die Pferdezucht.82 Die Polizeiordnung von 1616 legte den großen Prälatenklöstern — Tegernsee, Rottenbuch, Ettal und anderen — nahe, wieder Gestüte anzulegen und „hüpsche und gewachsne landtroß, wie vor alter", zu züchten, wofür der Herzog aus den landesfürstlichen Gestüten Beschälhengste zur Verfügung stellen wolle. Unabhängig davon hat Maximilian seinem Hauptgestüt Graßlfing zeidebens viel Interesse und erhebliche Mittel gewidmet. Seine Pferde, die für Reisen, Jagd und Zeremoniell gebraucht wurden, kamen aus eigener Zucht und aus Ankäufen vornehmlich in Italien, Spanien und den Niederlanden, auch war es Sitte befreundeter Potentaten, sich edle Pferde zu dedizieren. Hainhofer rechnete „die schöne pferd und schönes gestüed" zu den Hauptvergnügungen Maximilians.83 Den Bauern wurden dagegen nur Pferde gestattet, die für den Feldbau und andere Notwendigkeiten dienten; durch Ausgaben für Luxuspferde sollte die Viehzucht nicht beeinträchtigt werden.84 Als Mustergüter für die Viehzucht im Lande waren die landesfürstlichen Schwaigen Schleißheim und Grünwald gedacht. Der Sorge um eine ergiebige agrarische Produktion korrespondierte die Sorge um die kontinuierliche, ausreichende und vor allem erschwingliche Versorgung der nicht am landwirtschaftlichen Produktionsprozeß beteiligten Bevölkerungsgruppen, vor allem der städtischen und ländlichen Unterschichten, etwa ein Fünftel der Bevölkerung, denen anfangs der zwanziger Jahre angesichts der Preissteigerungen für Lebensmittel bei gleichzeitiger rapider Geldentwertung durch Münzverschlechterung die Lebenshaltung immer schwieriger wurde. Den Höhepunkt dieser Versorgungs- und Hungerkrise bildeten die Jahre 1620-1624, und zwar in einer Intensität, daß sich Maximilian veranlaßt sah, das sonst beherrschende Moment aller wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die Vermehrung der Staatseinahmen, bewußt zurückzustellen, um die Krise zu meistern. Es waren die Jahre, in denen er Vgl. Freyberg, Pragmatische Geschichte II, 232 f. und 239 f. 83 Häutle, Hainhofer 78. 84 Polizeiordnung von 1616: Freyberg, Pragmatische Geschichte II, 232. 82
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Wirtschaftsreformen
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sich zugleich höchsten politischen Anspannungen ausgesetzt sah, wie noch zu zeigen ist. Das staatsdirigistische Instrumentarium bestand vornehmlich aus einer Verschärfung des seit langem geltenden Marktzwanges, aus wiederholten Getreideausfuhrverboten (Landessperren) und schließlich aus Preisfestsetzungen für landwirtschaftliche Produkte. Marktzwang hieß, daß Agrarprodukte nur auf den Schrannen der Städte und Märkte angeboten werden durften, wo sie der landesherrlichen Preisüberwachung, Qualitäts- und Maßkontrolle unterlagen. Der Marktzwang kam den Bedürfnissen der nichtagrarischen Nachfrager entgegen, wurde aber von den Produzenten als Preisdrükkung empfunden.85 Er wurde daher schon lange vor Maximilian durch den sog. Fürkauf umgangen, den Verkauf an private Zwischenhändler außerhalb des Marktes, bei denen bessere Preise zu erzielen waren. Die Folge waren Preissteigerungen für landwirtschaftliche Produkte, insbesondere Getreide, noch dazu in Jahren der Mißernte, denen die Landesherrschaft mit wiederholten Fürkaufsverboten zu begegnen suchte, so Maximilian bereits in seinem ersten Generalmandat von 1598. Getreideausfuhrverbote wurden bereits seit 1614 so häufig verhängt, daß der freie Getreideexeport, sonst doch eine Haupteinnahmequelle des Landes, zur Ausnahme wurde. Von den Verboten waren selbst die österreichischen Länder betroffen, doch blieben sie mehrenteils erfolglos. Besonders rasante Preissteigerungen im Frühjahr 1622 beantwortete Maximilian mit einer begrenzten Abwertung und einer Höchstpreisverordnung86. Deren faktische Erfolglosigkeit kommentierte er mit der (für ihn bezeichnenden) Folgerung, daß der wahre Grund aller Versorgungsschwierigkeiten in der Konnivenz und Nachlässigkeit der Beamten und im Ungehorsam und in der Halsstarrigkeit der Untertanen zu suchen sei.87 Erst nach der großen Abwertung des Reichstalers im Frühjahr 1623 und nach einer guten Ernte dieses Jahres bekam die Hofkammer das Preisgefüge für Lebensmittel (außer Fleisch) in den Griff, indem sie als Folgeaktion im Herbst 1623 in einer radikalen Kehrtwendung alle Preisfestsetzungen für Lebensmittel aufhob, den Verkauf liberalisierte. Das Aufhebungsmandat appellierte an Wohlverhalten und Vernunft der Untertanen und forderte Lebensmittelpreise, die am „gemainen werth" der Sache orientiert seien,88 offenbar nicht vergeblich. Ohne diese innere Ordnung und Beruhigung des Jahres 1623/24 wäre die ausgreifende Politik Maximilians in den folgenden Jahren kaum möglich gewesen. Vgl. Heydenreuter, Hofrat 278 ff.; Schremmer, Wirtschaft 20 ff.; Altmann, Kipper und Wipper 44 ff. Verordnung vom 23.9.1622: Dokumente 1,3 Nr. 233. 87 Heydenreuter, Hofrat 284. 88 Mandat vom 26.9.1623: Heydenreuter, Hofrat 286. 85 86
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Wirtschaftsreformen
Vergleicht man die Bedeutung von Landwirtschaft und Gewerbe für die bayerische Volkswirtschaft, so ist deutlich, daß das Auskommen der Bevölkerung hauptsächlich auf der landwirtschaftlichen Produktion beruhte, der eben auch die wichtigsten Exportgüter entstammten, Vieh und Getreide. Die Gewerbe im Herzogtum waren dagegen, wie schon erwähnt, am Ende des 16. Jahrhunderts aus sehr unterschiedlichen Gründen nur wenig entwickelt, ihre Produktion beschränkte sich vornehmlich auf die Befriedigung des inländischen Bedarfs, abgesehen von den Textilien, die in größeren Mengen nach Tirol und Italien exportiert wurden, ohne freilich das Volumen der landwirtschaftlichen Exporterlöse zu erreichen.89 Der Reichtum des Landes an Naturprodukten veranlaßte kaum dazu, auch noch eine breitere Palette gewerblicher Güter für den Export zu produzieren; die herzogliche Religionspolitik hatte manchen Handwerker und Kaufmann aus dem Land vertrieben oder vom Zuzug aus den Reichsstädten abgehalten; die Territorialisierung des Gewerbes durch die Söldenbildung bedeutete eine hemmende Konkurrenz für das städtische Gewerbe; auch waren Handel und Gewerbe im agrarischen Bayern nur wenig angesehen, wie die Landstände klagten; Töchter von Handwerkern heirateten lieber Hofdiener oder kleine Beamte als einen Kaufmannsgesellen, auch seien die Landesbewohner wenig innovativ, „welche nit gern was wagen, sondern genügsam [...] nit weiter trachten".90 Maximilian war sich allerdings bewußt, daß „die befiirderung der Commerden nit das wenigiste stuckh, so zu aufnehmung Unserer unnderthonen, land und leuth und consequenten besserung Unsers cammerguets geraicht". Dieser Zusammenhang kam institutionell zum Ausdruck, indem die Finanzbehörde der Hofkammer auch mit den zentralen wirtschaftspolitischen Materien befaßt war. Allerdings war die Frage, die sich schließlich als entscheidend erweisen sollte, inwieweit sich die finanzpolitischen und fiskalischen Interessen und Gesichtspunkte der Hofkammer (und des Herzogs) mit wirtschaftspolitischen Reformzielen vertrugen. Jedenfalls glaubte sich Maximilian im Interesse seiner Finanzen genötigt, Gewerbe und Handel über den bisherigen Zustand hinaus zu entwickeln. Bereits die von Neuburger geprägte Hofkammerinstruktion von 1591, die erstmals bewußt wirtschaftspolitische Maßnahmen in das Programm der Staatsverwaltung aufnahm, verlangte nach
Zum Gewerbe vgl. Freyberg, Pragmatische Geschichte II, 352 ff.; Rie^ler, Geschichte VI, 172 ff.; Rosenthal, Geschichte II, 428 ff.; Adolf Danner, Der Kommerzienrat im 17. Jh., 1. Teil: Unter Maximilian I., in: OA 55 (1910), 187-293; Dollinger, Finanzreform; Schremmer, Wirtschaft 78 ff. und 191 ff.; Heydenreuter, Hofrat 289 ff.; Altmann, Kipper und Wipper 57 ff. 90 Freyberg, Pragmatische Geschichte II, 354. 89
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Mitteln und Wegen, um Gewerbe und Hantierungen ins Land zu ziehen.91 Die Einführung neuer und die Entwicklung vorhandener Gewerbe blieben in der Folge auch die Hauptpunkte in Maximilians wirtschaftspolitischem Programm, das frühmerkantilistischen Charakter trug, insofern es ihm in erster Linie darum ging, durch staatliche Intervention den Abfluß von Kapitalien aus dem Lande zu begrenzen. Er war zur Befassung mit Gewerbeproblemen umsomehr veranlaßt, als die Wirtschaftskrise der Zeit, Geldentwertung und Teuerung, weniger die Landwirtschaft, als vielmehr die städtische Bevölkerung und das Gewerbe betraf. Bereits im Jahre 1602 veranlaßte Maximilian eine Umfrage bei allen Städten und Märkten über die Situation der Gewerbe. Seine Klage galt nicht deren Zustand an sich, als zwei speziellen Bereichen, dem bemerkenswerten Rückgang des Tuchexports sowie dem Fehlen einer Reihe von Gewerbezweigen, wodurch Importe nicht zuletzt von Luxuswaren notwendig wurden, die der bayerischen Wirtschaft Kapital entzogen. Er forderte zu Verbesserungsvorschlägen auf und unterließ den fiskalischen Hinweis nicht, daß die gegenwärtige Situation „zu schmälerung Unserer intraden an mäut und zollen" führe.92 Die befragten Städte und Märkte nützten die Gelegenheit, ihre gewerblichen Probleme ausführlich zur Sprache zu bringen, wobei die Einkommensdisparität zur Landwirtschaft manches wohl in dunkleren Farben malen ließ, als gerechtfertigt war. Als Hauptprobleme bezeichneten sie das geringe öffentliche Ansehen der Gewerbe und Handwerke, die zunehmende Ausweitung des dörflichen Handwerks und Handels und nicht zuletzt die Anforderungen und Eingriffe des Fiskus.93 Beim Landtag von 1612 wurden die Gravamina der Städte und Märkte bezüglich der gewerblichen Verhältnisse erneut vorgetragen und zwar noch deutlicher in der Zuspitzung, daß der Fiskus mit seinen Anforderungen das Haupthindernis einer Besserung sei „daß man sorgen müsse, da etwa ein gewerb in einen schwung gebracht und dem land nützlich zu sein anfangen würde, dasselbe den handelsleuten wieder entzogen werde und man alsdann einen zoll oder etwas anderes darauf schlage, dadurch die freiheit eines oder anderen gewerbes gemindert oder geschwächt werde".94 Tatsächlich wurde die Entfaltung von Handel und Gewerbe in weitem Umfang durch das staatliche Finanzinteresse sowie durch Stieve, Finanzwesen 51; vgl. auch Oollinger; Finanzreform passim. Umfrage vom 7.6.1602: Rosenthal, Geschichte II, 430 Anm. 2; Altmann, Kipper und Wipper 57. 93 Neben manchen anderen Gründen; vgl. die bei Altmann, Kipper und Wipper 60 ff. analysierten Antworten der Städte Reichenhall, Friedberg, Schongau, Wemding, Rosenheim und München. ™ Krenner, Landtag 1612,102 ff. 91
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Rücksichtnahmen auf Bindungen der Zunftverfassung beeinträchtigt. Der Handel litt insbesondere unter den vielen Zöllen, die Zollduplierung seit 1609 traf ihn besonders hart. Das herzogliche Weißbiermonopol bildete für die Braunbierbrauereien eine empfindliche Konkurrenz, die herzogliche Weißbierbrauerei verteuerte den Weizenpreis, das herzogliche Salzhandelsmonopol wurde von zahlreichen Städten beklagt. Maximilian aber bot das Bild eines Mannes, der sich zwar fortgesetzt um eine Revitalisierung des bayerischen Handels- und Gewerbewesens bemühte, auch Schwachstellen erkannte und punktuelle Neuerungen bewirkte, ohne aber letztlich zu überzeugenden Erfolgen zu gelangen. Lag die Ursache in kaum zu bewältigenden objektiven Hindernissen einer allgemeinen Wirtschaftskrise und später in den Belastungen des Krieges, oder vielmehr in der Persönlichkeit des Herzogs und seinen spezifischen politischen Zielsetzungen? Tatsächlich wird man Maximilian selbst in dem Sinne mitverantwortlich machen, daß seinen wirtschaftspolitischen Maßnahmen die in anderen Politikbereichen so ausgeprägte Konsequenz fehlte. Dies wird besonders deutlich in der Frage der Gründung und Wirksamkeit einer weiteren Zentralbehörde neben Hofkammer und Hofrat, die sich ausschließlich dem wirtschaftlichen Sektor widmen und dadurch auch dessen Bedeutung für das Staatsganze zum Ausdruck bringen sollte.95 Als Folge der Enquête von 1602 wurde zwar eine gemischte Kommission aus hochrangigen herzoglichen Beamten und Vertretern der Städte und Märkte eingesetzt, welche über Probleme und Reformen zu beraten hatte.96 Aber zu weitergehenden Innovationen, wie sie in den Diskussionen des Gremiums dann zur Sprache kamen,97 gelangte man schon deswegen nicht, weil sich die Kommission in der Hauptsache der Vorbereitung einer neuen Polizeiordnung zu widmen hatte, in der die Kommerzsachen nur einen Teilbereich bildeten. Entsprechend hielt die Polizeiordnung von 1616 in ihren gewerblichen Bestimmungen im wesentlichen an alten Gebundenheiten fest.98 Um die Reform voranzubringen, reorganisierte Maximilian noch im Jahre 1616 die Kommerzkommission, die aber trotz neuer Besetzung und größerer Selbständigkeit ohne besondere Effizienz blieb. Erst in einem neuen Anlauf wurde schließlich im Jahre 1626 der Kommerzienrat als eine von Hofrat und Hofkammer unabhängige neue Zentralbehörde für Vgl. Danner, Kommerzienrat; Rosenthal, Geschichte II, 428 ff. Fragestücke und Erörterungen bei Freyberg, Pragmatische Geschichte II, 352 ff. und Altmann, Kipper und Wipper 83 ff. Vgl. auch Dokumente 1,3 Nr. 180 (Dekret vom 23.8.1613). 97 Vgl. Freyberg, Pragmatische Geschichte II, 364: „Ob man nicht Jedem gestatten sollte, so vielerlei Gewerbe zu treiben, als er könne?" 98 Zusammenstellung ebenda II, 365 ff. und 209 ff. 95 96
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Handel und Kommerz gegründet. Aber trotz aller Erwartungen, die Maximilian in die neue Behörde setzen mochte, war von konkreten Ergebnissen nicht die Rede, bereits 1631 war seine Tätigkeit wieder beendet, erst nach dem Kriege erhielt er einen Nachfolger." Der Kommerzienrat scheiterte offensichtlich wegen der Reichweite seiner interessanten Reformvorschläge, welche zunächst die Frage stellten, warum in fürstlichen Städten und Landen Handel und Gewerbe weit weniger als in Freien Reichsstädten florierten, und die Antwort fanden, daß es an den mangelnden Freiheiten der Handelsleute und Gewerbetreibenden und ihren vielfachen Behinderungen durch Steuern, Zölle, Mauten und Zunftzwang liege. Erstes Erfordernis sei es, mittels weitgehender Privilegierung kapitalkräftige ausländische Unternehmer ins Land zu ziehen. Der Vorsitzende des Kommerzienrats zögerte nicht, die von der französischen Krone an Kaufleute erteilten Privilegiengewährungen mit der Bitte um Nachahmung auf den Tisch des Herzogs zu legen. Die Vorschläge des Kommerzienrats zielten also primär auf die Behebung des Kapitalmangels im Lande, der auch von anderen Wirtschaftsexperten und Landständen wiederholt als zentrales Hindernis jeder gewerblichen Belebung bezeichnet worden war und sich im Fortgang des Krieges noch verschärfte. Die Vorschläge stießen jedoch auf den Widerstand der Hofkammer wie auch Maximilians selbst. Die Hofkammerräte argumentierten, daß durch ökonomische Privilegierungen die Gefälle und Einnahmen des Landesherrn geschmälert würden; man solle zuerst die bereits vorhandenen inländischen Gewerbe emporbringen — wozu aber schließlich weder Hofkammer noch Landstände die erforderlichen Kapitalien bereitstellen wollten oder (mit Ausnahme der Klöster) konnten. Von den Hofkammerräten als berufenen Vertretern der fiskalischen Interessen war eine andere Meinung wohl nicht zu erwarten; entscheidend wurde, daß sich Maximilian auf ihre Seite schlug und ihre Argumentation übernahm: Durch Handelsprivilegien würden die staatlichen Einnahmen insbesondere aus Mauten und Zöllen gefährdet! Offensichtlich war er nicht bereit, zugunsten langfristiger ökonomischer Reformen kurzfristig finanzielle Einbußen hinzunehmen. Die Frage ist, ob er hier in erster Linie aus der Kriegs situation heraus argumentierte, welche rasche Geldbefriedigung erforderte und keine langwierigen Experimente zu gestatten schien. Oder war Maximilians schon in Friedenszeiten formuliertes Prinzip, daß der Fürst zu Reputation und erfolgreicher Politik bares Geld in der Kasse haben müsse, war sein Grundsatz notwendiger Schatz- und Vorratsbildung so beherrschend, daß ihm der Blick für wei99
Ebenda II, 371 ff.; Rosenthal, Geschichte II, 439 ff.
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terschauende Wirtschaftsreformen überhaupt verbaut war? Die ohne jede Verzinsung in den herzoglichen Schatzgewölben ruhenden Millionen wären bei gezieltem Einsatz jedenfalls vor dem Krieg trotz der Münzverschlechterung wohl in der Lage gewesen, zur ökonomischen Belebung beizutragen. Wenn also der maximilianeischen Gewerbe- und Handelspolitik aus einer Reihe von Gründen der Zug ins Weite und die Bereitschaft zum Risiko fehlte, so versuchte sie vielmehr, positive Ergebnisse durch Ausfüllung oder Intensivierung eines überlieferten Instrumentariums zu erzielen. Den Rentmeistern wurde gesagt, daß ihre wichtigste Aufgabe neben der Beförderung der Religion die Hebung der Gewerbe sei.100 So sind auch im Laufe der Jahre nicht wenige Mandate zur Verbesserung der Gewerbe ins Land hinausgegangen. Neben den Gewerbebestimmungen der Polizeiordnung von 1616 (Buch II und IV) und Verordnungen, die im Zusammenhang mit den Münzreformen der frühen zwanziger Jahre erlassen wurden, sind hier insbesondere eine Reihe von Maßnahmen zu Schutz und Förderung des Textilgewerbes als des wichtigsten Exportgewerbes zu nennen.101 Die allgemeine Verschiebung der Nachfrage seit dem späten 16. Jahrhundert auf leichtere, auch billigere Textilien betraf die mit Schafwolle arbeitenden bayerischen Tucherer und später auch Loderer besonders schwer. Sie veranlaßten die Hofkammer zu detaillierten Vorschriften über Schafhaltung, Wollekauf, Ausbildung der Weber, Qualitätsprüfungen usw., ebenso zu wiederholten Einfuhrverboten für ausländische gefärbte Tuche und Exportrestriktionen für inländische Rohmaterialien in merkantilistischer Manier. Gegenüber der Stadt München rügte Maximilian 1625, daß sich gegenwärtig jeder nach seinem Belieben kleide, ohne Rücksicht, welchen Standes er sei, „darzue nun maistenthails außlendische seidene und samptine zeug an sich erkaufft, hierdurch an parschafft entplöst, das geld aus dem landt und menicher auch wol zum abschlag und endlichem verderben kombt."102 Den Zünften gegenüber verhielt sich die landesfürstliche Gewerbepolitik uneinheitlich; Eingriffen in Zunftordnungen (1599) und der zeitweisen Erwägung, den Zunftzwang überhaupt aufzuheRentmeisterinstxuktion von 1613: Dokumente 1,3 Nr. 179, hier 794. Als Ursache des Niedergangs wird bezeichnet a) das mangelnde Interesse der Beamten, b) die Tatsache, daß die „bürgerlich obrigkeit maistentailß mit würthen, preuen, pecken, metzgern besetzt, und da sich dieselben allain zu irer maul handtierung hinaußbringen, wenig daruf achtung haben, wie andere ire nebenburger und nachbarn generet werden, darauß dann ervolgt, daß anndere außlendische und so gar sectische persohnen unsern Heben getreuen unnderthonen das prot vorm maul abschneiden und das gellt und gewün in ire hanndt bringen", ιοί Freybergt Pragmatische Geschichte II, 365-385; Schremmer, Wirtschaft 98 f.; Schremmer, Gewerbe 786 ff. 102 Zitiert Heydenreuter, Hofrat 288. 100
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ben, standen dann doch immer wieder Rücksichtnahmen auf die Bindungen des Zunftsystems gegenüber. Auch einige Manufakturgründungen Maximilians sowie Bemühungen um die Ansiedlung ausländischer Manufakturisten zur Neugründung von Luxusgewerben, deren Erzeugnisse bisher aus dem Ausland bezogen worden waren, führten nicht weit, gewiß auch infolge der Kriegsereignisse, die eine kontinuierlichè Entwicklung immer wieder durchkreuzten und andere Probleme in den Vordergrund rückten. So wird man den Einfluß dieser und anderer objektiver Gegebenheiten auf den Zustand von Handel und Gewerbe im Herzogtum nicht übersehen. Von besonderem, vielleicht sogar entscheidendem Gewicht aber bleibt doch das spezifische Finanzgebaren des Herzogs selbst, der auf möglichst rasche Verfügbarkeit der finanziellen Quellen zielt, ohne ein längerfristiges ökonomisches Gesamtkonzept zu entwickeln. Es bleibt auch der Konservativismus Maximilians, der zu ängstlich oder zu unflexibel war, sich neuen, wenn vielleicht auch risikoreichen Möglichkeiten zu öffnen. Zu gerechter Würdigung muß allerdings auch hier die Sondersituation zunächst der schweren Staatsverschuldung und einer allgemeinen Wirtschaftskrise und anschließend eines jahrzehntelangen erschöpfenden Krieges bedacht werden. Im Unterschied zu seiner Gewerbepolitik hat Maximilian in seiner Münzund Währungspolitik bei ebenfalls konservativem Grundzug durch realistische Einsicht in die Notwendigkeiten und Möglichkeiten sowie aufgrund seines Durchsetzungsvermögens beachtliche Ergebnisse erzielt. Seit dem zweiten Jahrzehnt seiner Regierung war er mit einer fortschreitenden Münzentwertung und Inflation im Reich konfrontiert, die Teuerung nach sich zog und schließlich in der sog. Kipper- und Wipperzeit der Jahre 1618-1624 kulminierte.103 Man hat bei Maximilian eine bemerkenswerte Zurückhaltung gegenüber den Münzprobations tagen der drei oberdeutschen Reichskreise festgestellt, die in diesen Jahren um eine Neuordnung des Münzwesens in ihrem Bereich bemüht waren. Offensichtlich wollte er sein erstes finanzpolitisches Ziel, die Reduzierung der ererbten enormen Schuldenlast und die Ansammlung eines großen Schatzes für Notzeiten nicht gefährden lassen durch die wiederholten Versuche von Kaiser und Reichskreisen zu einer Reformation der Reichsmünzordnung von 1559, die auch in Bayern das Währungssystem bestimmte; er hielt diese Versuche für unzureichend und daher für schädlich. Als jedoch im Juni 1622 die Inflation ihren Höhepunkt zu erreichen schien, handelte er rasch und entschlossen.104 Er hielt dafür, daß eine 103 Umfassend: Altmann, Kipper und Wippet. Vgl. auch Ay, Land und Fürst 246 ff.; Dokumente 1,3 Nrr. 41 und 232. 104 Altmann, Kipper und Wipper 155 ff.
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Abwertung nun auch breiteren Kreisen plausibel und akzeptabel gemacht werden könne. Nunmehr, da „ins gemain yederman dises hochschödtlichen Unwesens müehendt ist, und nichts anders winscht und begerth, als daß doch demselben dermal ainest gesteürt werde", bestehe Aussicht, daß obrigkeitliche Maßnahmen akzeptiert würden und positive Wirkungen zeitigten.105 Inwieweit auch die Kurtranslation und seine Kriegskostenforderungen den Zeitpunkt und die Modalitäten von Maximilians Handeln in der Münzfrage bestimmten, wird noch zu erörtern sein.106 Jedenfalls wurde in einem Alleingang bereits im Herbst 1622 für den Bereich des Herzogtums Bayern der Reichstaler von 600 auf 360 Kreuzer abgewertet. Beim Augsburger Münzprobationstag vom 5.-10. April 1623 gelang es dann den bayerischen Vertretern Richel und Schuß, einen Beschluß des Bayerischen und Schwäbischen Reichskreises zur weiteren Abwertung des Reichstalers um 75 Prozent, von 360 auf 90 Kreuzer, durchzusetzen.107 Obwohl der Fränkische Kreis eine weitergehende Abwertung auf 72 Kreuzer durchzusetzen suchte, hielt Maximilian an seinem relativ gemäßigten Geldschnitt entschieden fest, nicht nur um seiner Reputation willen, sondern aus der Überzeugung, daß nur auf diese Weise ein praktikabler, durchsetzungsfähiger Neubeginn mit „rechten bestendigen effect" zustandekomme. Tatsächlich wurde seine Einschätzung nach und nach von einer steigenden Zahl von Reichsständen übernommen, die sich dem Augsburger Abschied anschlossen, so im Laufe des Sommers Nürnberg, Kursachsen und Württemberg, im Herbst Straßburg und Frankfurt und schließlich im Dezember 1623 auch Kaiser Ferdinand II. mit seinen Landen. Auf diese Weise ist Maximilian im Jahre seiner großen politischen Erfolge, der Kurerhebung, der Fixierung seiner Kriegskosten und der Pfandnahme von Oberösterreich, Oberpfalz und rechtsrheinischer Unterpfalz, zugleich „die bestimmende Autorität" 108 in der Neuordnung des Münzwesens im Reich geworden.
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Münzinstruktion vom 3.4.1623, zitiert ebenda 157. Vgl. unten Kapitel 19. 107 Mitteilung der neuen Paritäten an die bayer. Beamten, 26.4.1623: Dokumente 1,3 Nr. 243. 108 Altmann, Kipper und Wipper 165. 106
8. Die Landtage von 1605 und 1612
Es ist deutlich, daß die Erträge des herzoglichen Kammergutes und der Regalien allein längst nicht genügten, um die Aktivitäten und Neuerungen Maximilians seit 1598 zu finanzieren und gleichzeitig die enormen Schulden Wilhelms V. abzutragen. Vielmehr waren die Bewilligungen des Landtags von 1593/94 unerläßlich gewesen, um beiden Aufgaben gerecht zu werden. Damals hatten die Landstände eine jährliche Kammmergutsaufbesserung von 50 000 Gulden sowie einen Salzaufschlag in Höhe von 100 000 Gulden jährlich bewilligt, vor allem aber für die nächsten zwölf Jahre die Erhebung von acht Landsteuern und vier Ständesteuern zugestanden, mit denen in der Hauptsache die Schulden Wilhelms V. in Höhe von zuletzt (1594) 4,7 Millionen Gulden verzinst und zum Teil abgetragen werden sollten. Darüber hinaus war ein erweiterter Landschaftsausschuß ermächtigt worden, bei offensichtlicher Nodage noch eine oder zwei halbe Steuern zusätzlich zu bewilligen. Sowohl die Vorausbewilligung auf zwölf Jahre (die 1605 abliefen) wie die zusätzliche Ermächtigung des Ausschusses hatten in dem Verhältnis von Herzog und Landständen einen erheblichen Terraingewinn des Landesfursten bedeutet, waren aber wohl veranlaßt durch die Unlust der Landstände, sich in kurzen Abständen zu kostspieligen Aufenthalten in München einzufinden. Auch jetzt, beim Landtag von 1605,1 waren von den 593 landtagsberechtigten Adeligen nur 193 anwesend, von den 104 geistlichen Instituten nur 48 vertreten und von den 127 Städten und Märkten nur 84. 150 Landsassen ließen sich entschuldigen, ein sehr großer Teil fehlte also unentschuldigt, ein deutlicher Hinweis auf das mangelnde Interesse an langwierigen Beratungen. Jedoch wurden auf Vorschlag Maximilians die entscheidenden Verhandlungen sowieso nur von dem Kleinen Ausschuß von fünf ständischen Deputierten mit vier herzoglichen Beamten geführt, über deren Ergebnisse dann der 64-köpfige Große Ausschuß entschied, während das Landtagsplenum keine besondere Rolle spielte. 1 Der Landtag im Herzogthum Baiern vom Jahre 1605 [hg. von Fran\ von Krenner], o. O. 1802; Freyberg, Pragmatische Geschichte I, 19 ff.; Hanisch, Landtage 28 ff. Eine zusammenfassende Übersicht über Verhandlungsgang und Verhandlungsgegenstande (nach Krenner) bietet Dokumente 1,3 Nr. 152. Zur Entstehung der Proposition vgl. Freyberg, Pragmatische Geschichte 1,16 ff.
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8. Die handtage von 1605 und 1612
Die Themen des Landtags waren — abgesehen von den üblichen Gravamina der Landstände2 - durch die landesfürstliche Proposition vorgegeben, die vornehmlich finanzielle Forderungen formulierte. Maximilian forderte von den Ständen Zuschüsse zur Organisation der Landesdefension, eine Kammergutsaufbesserung, eine Modifizierung des Weißbieraufschlags, in der Hauptsache aber die Bewilligung mehrerer Land- und Ständesteuern, die den Ständen ermöglichen sollten, die beantragten Zuschüsse zu leisten und die noch vorhandenen herzoglichen Schulden zu übernehmen und abzutragen. In allen diesen Punkten zeigten sich die Stände, gewissermaßen einem vorgegebenen Ritual folgend, mit mancherlei Argumenten zunächst sehr zurückhaltend. Erst eine schärfere Tonlage Maximilians und seiner Beamten brachte die Dinge in Bewegung, vor allem nachdem die Diskussion auf den Kleinen Ausschuß beschränkt worden war, der von herzoglicher Seite leichter zu handhaben war. Bezüglich der Landesdefension zeigten sich die Stände schließlich bereit, zwei Drittel der Unkosten, nämlich die hohe Summe von 500 000 Gulden, für die nächste Steuerperiode von sechs Jahren zu übernehmen. Was den Salzaufschlag betraf, so hatte die Bewilligung von 1593/94 nur enttäuschende 30 000 statt der veranschlagten 100 000 Gulden jährlich eingebracht, weswegen Maximilian bereits 1601 mit den ständischen Verordneten vereinbart hatte, den Aufschlag gegen einen unmittelbaren jährlichen Zuschuß der Landstände in Höhe von 80 000 Gulden wieder fallen zu lassen. Diese Vereinbarung hätte 1605 der Bestätigung durch den Landtag bedurft. Ohne sie aber zu erwähnen, forderte Maximilian nunmehr von vornherein eine jährliche Kammergutsaufbesserung von 100 000 Gulden. Er verwies auf seine eigenen Anstrengungen der letzten Jahre, neue Schulden zu vermeiden, und betonte, daß es ihm gelungen sei, die Kurrentgläubiger zu befriedigen, seit Jahren ausstehende Soldforderungen zu begleichen, lange anhängige Gerichtsverfahren unter erheblichem finanziellen Aufwand abzuschließen und die Landesverteidigung auf eigene Kosten voranzubringen. Über dieses „Wohlhausen" Maximilians zeigten sich die Stände zwar erfreut, bewilligten aber eine Kammergutsaufbesserung erst nach harten mündlichen Verhandlungen und nur gegen weitere Sistierung eines Salzaufschlags. Da die Aufbesserung insgesamt 150 000 Gulden jährlich betrug — 100 000 anstelle des Salzaufschlags und weitere 50 000, die bereits beim letzten Landtag als ständiger Beitrag bewilligt worden waren —, war nach Auffassung der Stände kein Grund mehr für neue Schulden Maximilians vorhanden. Zusammenstellung bei Krenner, Landtag 1605, 149 ff.; Freyberg, Pragmatische Geschichte I, 26 ff. und Beilage A; Dokumente 1,3 Nr. 152, hier 686 ff.
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8. Die Landtage von 1605 und 1612
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Nur einen Teilerfolg erzielte Maximilian in der Frage des Weißbieraufschlages. Als 1542 erstmals ein Aufschlag auf Wein und Bier eingeführt worden war, waren auch die Produkte der damals noch wenigen herzoglichen Braunbierbrauereien mit dieser indirekten Steuer belegt worden, die eine wichtige Einnahmequelle der Landstände zur Finanzierung des Staatsetats bedeutete. Für den Ausstoß der inzwischen erworbenen herzoglichen Weißbierbrauereien wollte Maximilian aber keinen Aufschlag zugestehen, der dem Absatz nur hinderlich war. Eben gegen eine solche herzogliche Aufschlagsbefreiung wandten sich jetzt die Landstände mit großer Vehemenz, nicht ohne den Hinweis, daß ihnen dadurch die Mittel zu weiterer Tilgung der herzoglichen Schulden geschmälert würden - „also daß hierdurch Euer Fürsd. Durchlaucht, im grundt davon zu reden, gleichsam auf der einen seite Dero selbsten benommen wurden, was Sie auf der andern zue sich ziehen".3 Nunmehr steuerte Maximilian einem Kompromiß zu: Er bot den Ständen eine „Komposition" an, d.h. die Zahlung eines jährlichen Weißbier-Pauschbetrags von 10 000 Gulden (anstelle der Einzelberechnung des Aufschlags nach Eimern), falls die Stände von den noch vorhandenen 1 663 500 Gulden herzoglicher Schulden 1 Million übernahmen; den Rest wollte er selbst abtragen. Diesen für sie ganz nachteiligen Kompromiß nahmen die Stände an. Die Bewilligungen für das Landesdefensionswesen, die Kammergutsaufbesserung und die Schuldentilgung konnten von den Landständen nur aufgebracht werden, wenn sie sich selbst weitere Geldquellen eröffneten, d.h. neue Steuern und Aufschläge bewilligten. Entsprechend stimmten sie nach einigem Zögern für die kommenden sechs Jahre der Erhebung von insgesamt vier Landsteuern in Höhe von jeweils fünf Prozent des (Teil) Vermögens sowie zwei Ständesteuern zu jeweils 100 000 Gulden zu. Weiterhin wurde der Getränkeaufschlag um ein Drittel und der Aufschlag auf ausländischen Wein um ein Viertel erhöht. Sollten die bewilligten Mittel nicht ausreichen oder ein Fall der Landesnot besondere Ausgaben erfordern, wurde ein erweiterter Ausschuß ermächtigt, zusätzlich eine halbe Land- und eine halbe Ständesteuer auszuschreiben. Überblickt man die entsprechenden Bewilligungen und Einnahmen der Landstände, so handelte es sich um erhebliche Summen, da eine Landsteuer rund 330 000 Gulden, eine Ständesteuer 100 000 Gulden und der Aufschlag jährlich rund 370 000 Gulden erbrachte.4 Auf sechs Jahre verteilt ergab dies einen jährlichen Betrag von rund 625 000 Gulden, mit dem also der Beitrag der Landstände zum Landesdefensionswesen, die Kammer3 4
Krenner.; Landtag 1605, 48. Freyberg, Pragmatische Geschichte I, 42.
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8. Die Landtage von 1605 und 1612
gutsaufbesserung sowie die Verzinsung und Tilgung der herzoglichen Schulden zu finanzieren waren, dazu auch noch die bayerischen Reichs- und Kreishilfen. Analysiert man den Verlauf und die Ergebnisse des Landtags von 1605 unter dem Gesichtspunkt seines Ortes im grundsätzlichen Verhältnis Maximilians zu den Landständen, so ergibt sich ein mehrschichtiges Bild. Die Landstände waren den herzoglichen Forderungen zwar in der Hauptsache nachgekommen, aber doch nicht in allen Punkten: Von den Kosten des Landesdefensionswesens hatten sie nur zwei Drittel, von den herzoglichen Schulden nur gut die Hälfte übernommen und Maximilian hatte auch nicht die völlige Befreiung von dem Weißbieraufschlag durchgesetzt. Im Unterschied zum vorhergehenden Landtag hatten sich die Landstände mit der Steuerbewilligung auch nur auf sechs Jahre gebunden. Auch waren die positiven Ergebnisse erst durch hartnäckiges Verhandeln der ersten Garnitur der herzoglichen Räte (Obersthofmeister Rechberg, Oberstkanzler Donnersberg, Hofkammerpräsident Schrenck, Geheimsekretär Gewold) erzielt worden. Man kann freilich auch umgekehrt, und für die Gesamtsituation wohl zutreffender, formulieren: Obwohl Maximilian dies und jenes nicht durchgesetzt hatte, hatten sich die Landstände trotz anfänglicher Weigerung in erheblichem Umfang an den Kosten der Landesdefension beteiligt, eine nicht minder erhebliche Kammergutsaufbesserung bewilligt und nicht zuletzt eine enorme Schuldenlast übernommen. Wiederum hatten sie sich auf mehrere Jahre im Voraus gebunden und einen Ausschuß zu zusätzlichen Bewilligungen bevollmächtigt, so daß frühestens 1612 ein weiterer Landtag Zustandekommen konnte. Das Steuerbewilligungsrecht und das Beschwerderecht der Stände war auf die lange Bank geschoben, der ständische Einfluß auf die praktische Politik weiter diminuiert worden. Durch die Bewilligung bestimmter wiederkehrender Leistungen (ständige Kammergutsaufbesserung, Steuerbewilligung im Vorgriff, auch Pauschale für die Landesdefension), durch nunmehrige Regelmäßigkeit wurde der ursprüngliche Charakter der Steuer als einer außerordentlichen und besonderen Hilfe preisgegeben. Natürlich wurde sie hierdurch den Bedürfnissen des modernen Staates mehr als bisher angepaßt, aber ebenso natürlich verschoben sich dadurch auch die Gewichte zwischen Fürst und Ständen. Wiederum waren auch die eigentlichen Verhandlungen nur durch einen Ausschuß, und zwar diesmal nur durch fünf ständische Deputierte, geführt worden, wodurch es den herzoglichen Räten offensichtlich erleichtert wurde, ihre Absichten durchzusetzen. Indem dabei die Räte, wie vorher schon Maximilian selbst, nicht etwa mit dem fürstlichen Interesse, sondern dem Gemeinwohl argumentierten und die bisheri-
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gen Leistungen Maximilians bei der Überwindung der Finanz- und Staatsmisere hervorhoben, zu Recht, mußte es den ständischen Deputierten schwer fallen, nicht gleichsam eine Pflicht des Landtags zur Erfüllung der herzoglichen Forderungen zu erkennen. Überblickt man daher den Landtag von 1605, seine Verhandlungen und seine Ergebnisse, seine allgemeine Signatur, so ist deutlich, daß die Landstände kraft der starken Persönlichkeit Maximilians, seiner bisherigen Leistungen wie seiner Landtagsstrategie, der Mithilfe gleichgesinnter befähigter Beamter, aber auch der allgemeinen Situation und gewiß auch mancher Einsicht der Stände in staatliche Notwendigkeiten, gleichzeitig aber auch infolge mangelnden Interesses eines guten Teils von ihnen an ihrer eigenen Korporation, mehr als bisher zu einem Erfüllungsgehilfen der herzoglichen Politik geworden waren. Dieser Tatbestand wurde erhärtet durch die Ergebnisse des nächsten Landtages, der nach Ablauf der sechsjährigen Geldbewilligung von 1605 im Januar/Februar 1612 in München stattfand.5 Dieser letzte Landtag Maximilians, der vorletzte in der älteren bayerischen Landtagsgeschichte überhaupt, war gekennzeichnet durch die Tatsache, daß Maximilian inzwischen durch die Gründung und Führung der Katholischen Liga seit 1609 zu einer prominenten Rolle in Reichsangelegenheiten aufgestiegen war, die ebenso sein Selbstbewußtsein wie seinen Geldbedarf erhöht hatte.6 Entsprechend forderte die herzogliche Proposition vom 10. Januar die Finanzhilfe der Landstände zur Behebung der Gefahren, die nicht nur Bayern, sondern alle katholischen Reichsstände beträfen; sie rechtfertigte die Ligagründung nicht nur als Beitrag zur Sicherung Bayerns, sondern zur Aufrechterhaltung des Friedens im Reich, und sie betonte Maximilians Bemühungen, auch anderweitig finanzielle Hilfe, vom Papst und von Spanien, zu erhalten. Die Landstände zeigten sich jedoch zunächst nicht bereit, ihrem Herzog in eine Politik der großen Dimensionen zu folgen, die sie für riskant und kostspielig hielten, hier taten sich ganz unterschiedliche politische Konzeptionen auf: Die Liga sei ohne ihr Zutun geschlossen worden und bilde überdies keine Reichsangelegenheit, wie die Türkenfrage; durch die Liga werde Bayern unnötigerweise in die Probleme weit entfernter Reichsstände verwickelt, was nicht Aufgabe bayerischer Politik sei; man bitte also, „das gelt, so aus disem landt von den armen underthanen zuesammen getragen würdet, zu schüzung des landes selbsten und nit für andere reichsstendt, ob die gleich catholisch seindt, auszugeben und
5 Der Landtag im Herzogthum Baiern vom Jahre 1612 [hg. von Fran% von Krenner], o. O. 1803; Freyberg, Pragmatische Geschichte I, 35 ff. und Beilage B; Hanisch, Landtage 54 ff. 6 Vgl. unten Kapitel 15 und 16.
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anzuewendten". 7 In diesen Worten manifestierte sich eine Grundfigur ständischen Politikverständnisses, die Beschränkung auf Friedenswahrung, Rechtswahrung, Sparsamkeit für das eigene Territorium, ohne allen politischen Ehrgeiz und daher mit Ablehnung aller politischen Experimente, eine Tendenz, die von manchen späteren Geschichtsschreibern und Rechtfertigern des modernen Staates kritisiert worden ist. In einer reichlich schroffen Antwort bezeichnete Maximilian die Kundgebung der Stände als respektlos; eine Konföderation katholischer Reichsstände wie die Liga garantiere dem Land und seinen Bewohnern eher Frieden und Sicherheit als ein auf das Territorium beschränktes, isoliertes Verteidigungssystem; die Liga sei eine Verbindung, die auf gegenseitiger Unterstützung beruhe. Maximilian begnügte sich schließlich mit der Übernahme von zwei Dritteln der bisherigen bayerischen Ligakosten durch die Landstände sowie mit einem künftigen jährlichen Zuschuß von 50 000 Gulden zur Landesverteidigung unter Einschluß der künftigen Ligakosten. Die Stände gaben also in der Frage der Ligafinanzierung weitgehend nach, zumal sie das Problem der landschaftlichen Zustimmung zum Abschluß des Bündnisses, die von Maximilian nicht eingeholt worden war, nicht weiter zur Sprache brachten. Eine zweite herzogliche Forderung bezog sich auf die Finanzierung unvorhersehbarer Verteidigungsfalle, Fälle der Landesnot, die Maximilian vielleicht als eine Folge seiner Ligapolitik erwartete. Die zwischen den Landtagen existierende Kleine Landschaftsverordnung sollte ermächtigt werden, im Eventualfall landschaftliche Zuschüsse in Höhe von zwei Dritteln der Kosten gleich welcher Höhe zu beschließen. Eine derart weitgehende Ermächtigung lehnten die Stände jedoch ab und verwiesen stattdessen auf die Möglichkeit, einen sog. eilfertigen Landtag einzuberufen, an dem nur Landstände teilzunehmen hatten, die kurzfristig erscheinen konnten. Nach längerem Schriftwechsel kam man auch hier zu einem Kompromiß, die Landschaftsverordnung erhielt eine Vollmacht bis zu dem hohen Betrag von 200 000 Gulden, womit sich Maximilian zufriedengab. Eine unbeschränkte Ermächtigung wurde von den Ständen aber bemerkenswerterweise bis zuletzt abgelehnt. Schließlich die erneute Forderung Maximilians, für die herzogliche Weißbierproduktion von der Bezahlung des Bieraufschlages befreit zu werden. Wie beim Landtag von 1605 wiesen die Stände dieses Ansinnen zurück und nützten die Gelegenheit zu beredten Klagen, daß durch das herzogliche Monopol ihre eigene Braunbierproduktion schwer geschädigt werde. Dies schade aber auch dem Herzog, da „die macht, das ansehen und die vermügenheit der 7
Krenner,
Landtag 1612, 80.
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hochen ansehnlichen fursten, sonderlich in teitschen landen, nit so vast an dem gelt, als an der vermöglichen mannschaft gelegen".8 Nach eingehender und gelegentlich selbstherrlicher Gegenargumentation von herzoglicher Seite lenkte die Landschaft aber schließlich auch in diesem Punkt ein und befreite die herzoglichen Weißbierbrauereien künftig von der Zahlung des Aufschlags bzw. der 1605 von Maximilian zugestandenen 10 000 Gulden. Zur Finanzierung der genannten Bewilligungen sollten nach Auffassung der Stände bis zum nächsten Landtag in wiederum sechs Jahren vier Landund zwei Ständesteuern samt dem bisherigen Getränkeaufschlag ausgeschrieben werden. Mit dieser Begrenzung zeigte sich Maximilian aber nicht einverstanden. Tatsächlich folgten die Stände seiner Aufforderung, wenn nicht Weisung, den nächsten Landtag erst in neun Jahren abzuhalten und bis dahin sechs Landsteuern in Höhe von jeweils fünf Prozent des (Teil)Vermögens und drei Ständesteuern samt Getränkeaufschlag zu bewilligen. Die Prolongation bildete natürlich einen weiteren Schritt in dem Bestreben des Herzogs, durch seltene Berufung eines Gesamtlandtages die Bedeutung der Landschaft im Staatsganzen einzuschränken. Als noch selbstherrlicher mußte von den Landständen empfunden werden, daß Maximilian nunmehr genaue Information über die ständischen Finanzen durch Vorlage der landschaftlichen Rechnungen seit seinem Regierungsantritt forderte, wozu er, wie er erklären ließ, „auch von recht wegen [...] befuegt und berechtigt" sei.9 Damit war das unbestreitbare ständische Recht zu autonomer landständischer Finanzverwaltung in Frage gestellt! Die Stände protestierten, erreichten aber schließlich nur, daß der Herzog auf die Vorlage der Rechnungen selbst verzichtete und sich mit einem schriftlichen und mündlichen Bericht der Landschaftsverordneten zufrieden gab. Doch behielt er sich vor, im Eventualfall auch die Rechnungen selbst einzusehen, was er dann auch in den Kriegsjahren wiederholt praktizierte. Damit war schon seit dem Landtag von 1612 eine Kontrolle der landständischen Finanzen durch den Landesherrn und dessen Bürokratie gegeben, die dem Begriff einer unabhängigen landständischen Korporation mit eigenem Recht ganz gewiß nicht mehr entsprach.10 8 Ebenda 96. "> Ebenda 117. 10 Maximilian selbst hielt den Vorgang für so wichtig, daß er sich dessen auch noch in der eigenhändigen Geheimen Instruktion für den Kurprinzen von 1650 rühmte: „Als sonderlich auf dem Landtag de anno 1612, da die Ständt vnnöthige difficultaeten moviren vnd sich eines mehreren gewalts vnd Disposition yber das Landtschafftische gelt vnd einkommen, als ihnen gebühret, anmassen wollen, Wür sie dahin gebracht, dz sie Vns alsdann und uon solcher zeit jährlich eine anzaig des vorrhats, ia da Wür es nit gern nachgaben, gar rechnung thuen müsten" (Dokumente 1,3,1296).
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Gerade hierauf steuerte Maximilian jedoch zu, die Rechte der bayerischen Landschaftsversammlung als nicht autogen und originär, sondern als delegiert, von der landesherrlichen Gewalt abgeleitet zu behaupten. Daß diese Behauptung von den Landständen schließlich ohne Widerspruch hingenommen wurde, war das wichtigste Ergebnis des Landtags von 1612! Ohne Widerspruch der Stände zu finden, hatte Maximilian in einer geharnischten Antwortschrift vom 5. Februar festgestellt, daß die auf Steuern beruhenden landschaftlichen Einnahmen „ohne mittel iure proprio einem landtsfürsten gebühren und zuestehn".11 Indem Maximilian einen Rechtsanspruch auf die Steuern geltend machte, postulierte er eine landesherrliche, nicht mehr landständische Steuerhoheit! Von dem ursprünglichen Charakter der Steuer als einer außerordentlichen landständischen Hilfe in der Not war nun keine Rede mehr, dem älteren Steuerbegriff trat ein römisch-rechtliches Verständnis gegenüber. Die Landstände erhielten nach Maximilians Auffassung die Steuermittel nur zur Verwaltung und hatten sie dem Fürsten nach dessen Bedarf weiterzugeben. An dem Grundsatz der landesherrlichen Steuerhoheit hat Maximilian dann über die Jahre festgehalten und ihn am Ende seines Lebens auch in seinen Testamenten formuliert, woraus auch die Bedeutung ersichtlich wird, die er diesem Thema zuschrieb. So spricht er 1650 von den „bürden, steurn, anlagen und dergleichen, welche man einem landtsfürsten von rechts wegen schuldig ist" und von den „landtschaftischen gefellen und ausgaben, welche verstandtner maßen ex sua natura einem landtsfirsten gehören [...] und der landtschaft, wie gemelt, nur mit gewisser maß und zu gewissem ende administrationsweiß yberlassen sein".12 Maximilian hat die altbayerische Landschaft als Institution und Korporation nicht aufgehoben, wozu auch weder Veranlassung noch Möglichkeit bestand, und stets betont, daß er die ihr (nach seiner Interpretation) zukommenden Rechte und Privilegien beachten werde. Aber er hat zugleich verstanden, von den Landständen zu erhalten, was er brauchte, oder — wo er es nicht erhielt — es sich unter Berufung auf seine landesfürstlichen Rechte und auf die Umstände, vor allem die Kriegsnotwendigkeiten, selbst zu holen. Davon wird im einzelnen noch zu sprechen sein. Seit 1612 wurde jedenfalls kein Landtag mehr einberufen, auch nicht nach 1621, als die Neunjahresfrist des Landtags von 1612 abgelaufen war; Maximilian und seine Leute haben Krenner, Landtag 1612, 114. Dokumente 1,3, 1291 f. In der Geh. Instruktion von 1651, die sich ausschließlich mit den Landständen befaßt, heißt es ähnlich, man habe aufzupassen, daß die Stände „die ansähliche, ihnen nur als administratorn mit gewisser maas, condition und reservat yberlassene miti und gefáhl nit misbrauchen noch zu anderem ende verwenden" (Dokumente 1,3, 1297). 11 12
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sich seither auf Verhandlungen mit der Landschaftsverordnung beschränkt, mit der leichter zu hantieren war. Die Verordneten selbst haben im Krieg zwar gelegentlich betont, daß ihnen Rückendeckung durch die gesamten Landstände notwendig sei, aber die tatsächliche Rückkoppelung zu ihren Mitständen doch nicht gesucht, soviel man sieht, jedenfalls nicht in offizieller Form.13 Der Auffassung von Riezler, daß Maximilian an sich zu weiteren Landtagsberufungen nach 1621 bereit gewesen wäre — „erst die Entwicklung der politischen Lage hat diese Unterlassung herbeigeführt"14 - wird man nicht folgen. Erstens war das Her2ogtum bis 1631 nicht derart vom Krieg graviert, daß es nicht eine Landtagshandlung ausgehalten hätte. Vor allem aber wird man sich der Worte Maximilians über das Verhältnis von Fürst und Landständen in der „Information für die Gemahlin" erinnern, daß „deß ainen thails auf- des andern abnehmen ist. Deßwegen dan auch nit rathsamb, ohne hochtringende Ursachen landtäg zu halten, weiln bey denselben mehrern thails nur gravamina und neue praetensiones von den stendten vorgebracht werden".15 Im übrigen, so betont Maximilian in den gleichzeitigen „Treuherzigen väterlichen Lehrstücken" für den Erbprinzen Ferdinand Maria, habe er seine Regierung zeitlebens in einer Weise geführt, daß er nicht, wie etliche seiner Vorfahren, gezwungen gewesen sei, „der lantschafft in die händt zu sehen, ires willens zu sein und iren unzimblichen anmaßungen oder praetensionen nachzugeben; sonder wir haben sye in die schrancken der billichkeit, gebürenden respects und gehorsambs gebracht und darin erhalten, welches als ein sonderbares secretum gubernationis eines landtsfürsten vor allem wol zu beachten und mit vleißiger angelegenheit darob zu halten".16 Mochte sich Maximilian vielleicht auch im Rückblick einiges verklären, seine Einschätzung der bayerischen Landstände und sein Verhalten ihnen gegenüber, Theorie und Praxis, zeigen, daß er in den Formen eines fürstlichen Absolutismus regiert hat, welcher sich eben aus der spezifischen Signatur des beiderseitigen Verhältnisses definiert.
13 Zum Problem an sich vgl. Ulrich Lange, Landtag und Ausschuß [...]. Die weifischen Territorien als Beispiel (1500-1629), Hüdesheim 1986. 14 Riemer, Geschichte VI, 30. 15 Dokumente 1 , 3 , 1 2 9 1 . « Dokumente 1 , 3 , 1 2 8 4 f.
9. Recht und Rechtsprechung Die bedeutendste, lange nachwirkende gesetzgeberische Leistung Maximilians war die Kodifizierung und teilweise Neufassung des in Bayern geltenden Zivil-, Polizei- und Prozeßrechts im Codex Maximilianeus oder „Landrecht, Polizei-, Gerichts-, Malefitz- und andere Ordnungen der Fürstenthumben Obern und Niedern Bayrn" des Jahres 1616.1 Die bisher geltenden Rechtsbücher waren, wie erwähnt, die Landesordnung (Polizeiordnung) von 1516 mit Neuredaktion 1553, die Landrechtsreformation von 1518 sowie die Gerichtsordnung für Ober- und Niederbayern von 1520, wobei jedoch die Geltung des Landrechts auf Oberbayern beschränkt war. Jetzt wurde erstmals eine für alle Landesteile verbindliche Kodifikation erstellt. Das hohe Ziel der Rechtseinheit des Herzogtums wurde erreicht, nachdem im Jahre 1506 bereits die politische Einheit begründet und im Laufe des 16. Jahrhunderts die Konfessionseinheit bewahrt bzw. wiederhergestellt worden war. Durch die Vereinheitlichung zentraler Bereiche der politisch-sozialen Lebenswelt wurde die Ausbildung des Territorialstaates neuer Ordnung unter landesfürstlicher Leitung weiter vorangebracht. Gleichzeitig bildete der Kodex von 1616 den Höhepunkt und den vorläufigen Abschluß der Bemühungen seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts, die gemeinrechtlichen Bestandteile der älteren bayerischen Gesetze der fortschreitenden Rezeption des römischen Rechts und den veränderten Rechtsbedürfnissen anzupassen. Die Kodifikation umfaßte in neun Büchern Landrecht, Summarischen Prozeß, Gantprozeß, Gerichtsordnung, Erklärung der Landesfreiheiten (in wörtlicher Wiederholung der Redaktion von 1553), Land- und Polizeiordnung, Forstordnung, Jagdordnung und Malefizprozeßordnung, also nahezu das gesamte öffentliche und private 1 Kritische Ausgabe des Landrechts durch Helmut Günter, Das bayer. Landrecht von 1616, München 1969, mit Entstehungsgeschichte der gesamten Kodifikation. Bedeutender Kommentar zu einem Großteil des Codex Maximilianeus: Kaspar von Schmid., Commentarius amplissimus in Jus provinciale Bavaricum, 3 Bde., München 1665, deutsch 1742/43. Vgl. auch Friedrich Meribacher, Gesetzgebung und Rechtskodifikation unter Kurfürst Maximilian I., in: GR II, 225-236; Rie^ler, Geschichte VI, 99 f.; Rosenthal, Geschichte II; Heydenreuter, Hofrat 184 ff.; Oers., Recht und Rechtspflege im Herzogtum und Kurfürstentum Bayern 1505-1806, in: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk." Recht und Rechtspflege im Wandel der Geschichte, Ausstellungskatalog, München 1990, 47-81; GR II, Nrr. 445 ff.
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9. Recht und Rechtsprechung
Recht. Für das Strafrecht,2 das nur durch einzelne Bestimmungen vertreten war, wurde auf die Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532, die Carolina, verwiesen, die aber in Bayern nur als subsidiäres Recht Geltung erlangte.3 Das große Werk darf Maximilian insoferne zugeschrieben werden, als er über Jahre hinweg die treibende Kraft, der Organisator und der kritische Begleiter des Vorhabens gewesen ist, damit „das landtsnotwendig werckh dermaleinst zu seiner endtschafft gebracht werde".4 Bereits hinter der überraschenden Ankündigung Wilhelms V. beim Landtag von 1593, eine Revision der Polizeiordnung unter Mitwirkung der Stände zu veranstalten, kann Maximilians Initiative vermutet werden. Er hat dann auch bald nach Regierungsantritt seit März 1599 durch die Bestellung von Beratungsgremien und Einholung von Gutachten die Arbeiten an einer neuen Polizeiordnung eingeleitet, die dann seit dem Landtag von 1605 auf die weiteren Materien ausgedehnt worden sind. Bemerkenswerterweise folgte Maximilian dem Grundsatz, das Werk nur in Zusammenarbeit mit den Landständen zu verwirklichen, deren Konsens er in jenen Jahren der inneren Reformen noch für unerläßlich oder jedenfalls für erwünscht hielt. Tatsächlich wurden im Verlauf jahrelanger enger Zusammenarbeit zwischen herzoglichen Beamten und landständischen Deputierten die Vorschläge und Bedenken der Stände in erheblichem Umfang berücksichtigt, das Resultat war eine Gesetzgebung in der bayerischen landständischen Tradition. Großen Anteil am schließlichen Ergebnis hatten auf landesfürstlicher Seite die beiden Hofkanzler Dr. Johann Gailkircher und Dr. Johann Sigmund Wagnereck, unter den Deputierten der Landstände der Münchner Stadtschreiber Dr. Georg Locher, als gutachtendes Gremium der herzogliche Hofrat. Im Vergleich mit den älteren Kodifikationen war einerseits die systematische Scheidung der Rechtsmaterien und die Klarheit des Instanzenzuges, andererseits die Romanisierung weiter vorangetrieben. Jedoch war für das Landrecht bemerkenswert, „daß hier durchaus allgemein der streng romanistische Standpunkt durch mächtige Regulative zugunsten des Überkommenen gemildert erscheint: durch die traditionelle bayerische Achtung vor dem Jahrhunderte alten Wortlaut, durch den praktischen Sinn der Bearbeiter und deren technische Fertigkeit in der Vereinba-
Die Untersuchung von Reinhard Heydenreuter „Herrschen durch Strafen. Die Entwicklung des frühneuzeitlichen Staates im Herzogtum und Kurfürstentum Bayern 1550-1650" lag beim Abschluß des Manuskripts noch nicht vor; vgl. Heydenreuther, Hofrat 227 ff. 3 Gerhard Christi, Die Malefitzprozeßordnung des Codex Maximilianeus von 1616, dargestellt in ihrem Verhältnis zur Carolina und den Rechtsquellen des 16. Jh.s im Herzogtum Bayern, Jur. Diss. Regensburg 1975. 4 Einzelheiten bei Günter; Landrecht 131 ff. 2
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rung von alten Formen mit modernen Bedürfnissen".5 Erst nach eineinhalb Jahrhunderten wurde das große Gesetzgebungswerk Maximilians durch die Kodifikationen Wiguläus von Kreittmayrs abgelöst. Bezüglich der Zuständigkeiten änderte der Kodex nichts daran, daß im Zivilrecht als erste Instanz die Land-, Hofmarks- und Stadtgerichte figurierten, als Revisionsinstanz der Hofrat in München und als dritte Instanz (außer im Summarischen Prozeß, bei dem der Hofrat die Endstation bildete) das Reichskammergericht. Für den Adel und bestimmte Beamtenkategorien war der Hofrat bereits in erster Instanz zuständig.6 Bezüglich der Verfahrensweisen wurde in Zivilsachen zwar der bisherige Ordentliche Prozeß der Gerichtsordnung von 1520 fortgeführt; jedoch blieb der im Kodex erstmals in einer Ordnung fixierte Summarische Prozeß, d.h. ein abgekürztes Verfahren, die vorherrschende Verfahrensform an den bayerischen Gerichten.7 Das in der Summarischen Prozeßordnung ebenfalls vorgesehene Güteverfahren war im Zusammenwirken mit dem Recht aller Untertanen zur unmittelbaren Supplikation beim Landesherrn d.h. beim Hofrat von großer Bedeutung für die Erledigung zahlreicher Konfliktfalle und damit für den Erhalt des inneren Friedens im Lande, wie bereits erwähnt worden ist. Wenige Jahre nach dem Erlaß der Kodifikation erhielt Maximilian von Kaiser Ferdinand II. am 16. Mai 1620 das Privilegium de non appellando illimitatum verliehen,8 ein Recht, das nach der Goldenen Bulle an sich nur den Kurfürsten zukam. Bei der Vorbereitung des Münchner Vertrags vom 8. Oktober 1619, durch den Kaiser Ferdinand II. die Hilfe Maximilians gegen die aufständischen Böhmen erhielt, hatte Oberstkanzler Donnersberg unter den „Puncten, welche von I. Mt. in particular zu begern", auch dieses Privileg genannt, das den Rechtszug zum Reichskammergericht beseitigte. Seine Verleihung konnte auch gesehen werden als ein Vorgriff auf die Übertragung der pfälzischen Kurwürde, die der Kaiser in München ebenfalls versprach. Allerdings waren die zahlreichen Fälle, die im Summarischen Prozeß behandelt wurden, bereits seit 1559 von der Appellation an das Reichskammergericht ausgeschlossen gewesen.9 Dennoch bildete das Privileg von 1620 einen großen Erfolg Maximilians, der nun neben der Rechtseinheit seines Herrschafts-
5 Ebenda 268. Kompetenzen und Tätigkeit des Hofrats als oberster Justizstelle im Lande (bis 1625) sind detailliert geschildert bei Heydenreuter, Hofrat 184 ff. 7 Ebenda 192 ff. 8 Text: Eisenhardt, Privilegia 163-166, ebenso Dokumente II Nr. 213. Erweiterung auf die Oberpfalz durch Privileg vom 4. Mai 1628, Text: Eisenhardt., Privilegia 166-169. 9 Vgl. Heydenreuter, Hofrat 195 und 210 f. 6
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gebietes auch dessen weitgehende Unabhängigkeit von einer Rechtsinstitution außerhalb des Landes, dem Reichskammergericht, zuwege gebracht hatte.10 Das Privileg war also sowohl dem Aufstieg Maximilians innerhalb der Hierarchie der Reichsfursten dienlich, wie seinem Bestreben nach weitgehender Unabhängigkeit von Reichsinstanzen. Dem widersprach nicht, daß sich die Rechtsprechung des bayerischen Hofrats vielfach an derjenigen des Reichskammergerichts orientierte. Als bayerische Rechtsmittelinstanz anstelle des Reichskammergerichts wurde mit Dekret vom 18. April 1625 das sog. Revisorium eingerichtet,11 dessen Geschäfte bis 1645 vom Geheimen Rat, seither von einem eigenen Revisionsrat besorgt wurden, dem Vorläufer des heutigen Bayerischen Obersten Landesgerichts. Im Unterschied zum Zivilverfahren gab es in Strafsachen keinen Rechtszug von den Landgerichten zum Hofrat bzw. zu den Regierungen in Landshut, Straubing und Burghausen, jedoch hatten Hofrat und Regierungen schon zum Ende des 16. Jahrhunderts die Befugnis, wichtige Strafsachen an sich zu ziehen. Dies galt vor allem für Malefizsachen, Verbrechen die (theoretisch) zum Tode zogen, die sog. Vitztumshändel. Man wird es als charakteristisch bezeichnen, daß Maximilian die Tendenz verfolgte, den Katalog der in der Zentrale unter seinen Augen behandelten und entschiedenen Fälle möglichst auszuweiten. So beschwerte sich der Adel beim Landtag von 1612, daß der Herzog immer mehr Delikte als „der Religion und landtsfürstlichen Obrigkeit anhengig" und damit seiner alleinigen Entscheidung unterworfen bezeichne.12 Tatsächlich strebte Maximilian in Strafsachen eine Zentralisierung an, die ihm erstens laufende und vollständige Information über die wichtigeren Vorgänge im Lande bot, und die zweitens, wie die Landstände richtig erkannten, seine Mitsprache und Entscheidung hauptsächlich in zwei Bereichen sicherte, in Religionssachen (worin die Hexensachen eingeschlossen waren) und in fürstlichen Interessesachen. Die beiden zentralen Anliegen Maximilians akzentuierten sich auch hier: Religion und Souveränität. Zu den Instrumenten der Zentralisierung gehörte auch die starke Verschriftlichung im Kriminalverfahren in den ersten Regierungsjähren Maximi10 Außer bei Rechtsverweigerung und bei Prozessen, die der Herzog von Bayern gegen einen anderen Reichsstand bzw. ein solcher gegen den Herzog führte. Vgl. Heydenreuter, Hofrat 215. 11 Rosenthal, Geschichte II, 60 ff.; Lorenz Walch, Die Verfassungsgeschichte des Revisoriums in München, Jur. Diss. München 1977; Heydenreuter, Hofrat 215 ff.; Gerhard Herbst (Hg.), Das Bayer. Oberste Landesgericht. Geschichte und Gegenwart, München 1993. 12 Krenner, Landtag von 1612, 228. Bereits beim Landtag von 1605 hatte der Adel um Beschränkung der zu den Vitztumhändeln gerechneten Delikte gebeten, vor allem um Ausscheidung der Delikte Fleischessen an Fasttagen, Arbeiten an Feiertagen, unterlassene Kommunion (Krenner, Landtag von 1605, 294).
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lians.13 Durch Dekret vom 14. Oktober 1606 wurde dem Hofrat und den Regierungen die Führung eingehender Prozeßprotokolle befohlen. Sie ermöglichten dem Landesherrn die Kontrolle und im Eventualfall den Eingriff in die Prozeßführung; heute bieten sie dem Historiker genauen Einblick in die Praxis des maximilianeischen Kriminalwesens. Die in dieser Weise und auch auf anderen Wegen entwickelten bürokratischen Verfahren hatten — in dem der Zeit möglichen Ausmaß - eine bemerkenswerte Rationalisierung und Eingrenzung der Strafverfahren zur Folge, wie Wolfgang Behringer festgestellt hat. Während die Folter in manchen Territorien relativ willkürlich gehandhabt wurde, war sie im Herzogtum Bayern in jeder Hinsicht limitiert: Umfang und Häufigkeit waren eingeschränkt, nur wenige Mittel erlaubt, ihr Einsatz der Willkür lokaler Richter entzogen, Verhaftungen nur bei begründetem Verdacht und unter Mitteilung an die Zentralbehörden gestattet.14 Eine wichtige Rolle spielten in diesem Zusammenhang wiederum die Rentmeister, die bei ihren regelmäßigen Visitationen auch die Gleichmäßigkeit der Anwendung der rechtlichen Normen zu kontrollieren sowie darauf zu achten hatten, daß alle Pfleger und Landrichter mit den bayerischen Rechtsbüchern und der Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. ausgestattet waren, „und sich darinnen wol erlehrnen, waß recht und unrecht, billich oder unbillich seye, damit sy niemant mit iren abschieden, erkhanndtnussen und urtlen wider recht, auch ir selbs gwissen nit beschwehrn". Bei ihrer eigenen Rechtsprechung, die auf Geldstrafen hinauslief, sollten sie alle Umstände wohl erwägen, auch soziale Gesichtspunkte walten lassen, „damit die Justitia distributiva recht gehalten und nicht in pari delicto der Arm unvermüglich so hoch als der Reich vermüglich gestraft werde".15 Auch die Landstände bemühten sich, Auswüchse der Strafgerichtsbarkeit zu verhindern oder zu begrenzen. Gleichzeitig wurde die Kriminalstatistik durch spezifische Anschauungen Maximilians beeinflußt, der hier zwar ein Exponent von Zeitanschauungen war, aber dies doch in besonders zugespitzter Weise gewesen ist. Eine Aufstellung über die Gesamtkriminalität in Bayern in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts16 weist den Sittlichkeitsdelikten einen Anteil von 30 Prozent, Eigentumsdelikten von 25 Prozent und Gewaltdelikten von 20 Prozent zu.
13 Vgl. Wolfgang Behringer, Mörder, Diebe, Ehebrecher. Verbrechen und Strafen in Kurbayern vom 16.-18. Jh., in: R. v. Dülmen (Hg.), Verbrechen, Strafen und soziale Kontrolle, Frankfurt a.M. 1990, 85-132, hier 89. 14 Vgl. Behringer, Mörder 91 f., mit den Nachweisen; He/m, Obrigkeit 74 f. 15 Rentmeisterinstruktion vom 22.4.1612: Dokumente 1,3 Nr. 179, hier 782 f., 788 f. und öfter. 16 Bei Behringer, Mörder 98 f. Zu den strafrechtlichen Normen, ihrer Anwendung und ihrer Akzeptanz vgl. auch Helm, Obrigkeit 55 ff. und 158 ff.; Heydenreuther, Hofrat 277 ff.
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Diese Reihenfolge war nur möglich, weil inzwischen bestimmte Verhaltensweisen vor anderen kriminalisiert worden waren, vor allem die sog. Leichtfertigkeit, d.h. der voreheliche Geschlechtsverkehr. Die Hochstilisierung dieses Delikts war ein wichtiger Punkt in dem Bemühen, den gesellschaftlichen Alltag zu kontrollieren und die Untertanen zu disziplinieren und erreichte ihren Höhepunkt in dem Sittlichkeitsmandat von 1635.17 Von diesen Delikten, die letztlich unter religiösen Kategorien beurteilt wurden, wird noch zu sprechen sein. Rechnet man zumindest die Leichtfertigkeit nicht zu den schweren Verbrechen, so schieben sich in der Kriminalstatistik die Eigentumsdelikte, Raub und Diebstahl, in den Vordergrund und es zeigt sich, daß neben den religiös motivierten Zielen der Schutz des Eigentums die primäre Zielsetzung des maximilianeischen Strafrechts bildete.18 Aufruhr und Rebellion, Widerstand gegen die feudale Staats- und Gesellschaftsordnung spielten dagegen in der Lebenswelt der Bevölkerung nur eine sekundäre Rolle, wie die Prozeßakten erweisen. Der Bauernaufstand des Winters 1633/34 hatte seine Ursache in einer exzeptionellen Kriegssituation. Die gewisse Rationalisierung der Strafverfolgung, zu der auch die in anderem Zusammenhang erwähnte Verrechtlichung sozialer Konflikte gezählt werden könnte, hinderte nicht, daß der Kriminalprozeß in Ablauf und Ergebnis von den allgemeinen Maximen der Zeit beeinflußt war, die Folter zur Erzwingung von Geständnissen angewandt wurde und überaus strenge, zum Teil barbarische Strafen vorgesehen waren. Dringender Tatverdacht ermöglichte die Anwendung der Folter.19 Das Strafmaß reichte, wie anderswo auch, von Geldstrafen über Schandstrafen und Gefängnisstrafen bis zu Landesverweisung und Galeerenstrafe und in nicht wenigen Fällen zur Todesstrafe. So barbarische Strafen freilich selbst für geringfügige Delikte vorgesehen waren, so häufig wurden im fiskalischen Interesse Strafen unterschiedlicher Reichweite zu Geldstrafen umgewandelt.20 Längere Gefängnisstrafen wurden zwar ausgesprochen, aber mangels Gefängnissen oder wegen der hohen Unter-
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Vgl. auch Leutenbauer, Gotteslästerung 134 ff. So auch Helm, Obrigkeit 158. Bei den Maßnahmen gegen die Wilderei ging es dagegen weniger um die Sicherung des Jagdregals und den Wert der erlegten Beute, als um die mit dem Wildern verbundene kriminelle Energie und die vom Waffengebrauch ausgehende Gefahr, weswegen ein Mandat von 1615 befahl, daß man „verrufene" Wilderer wie Räuber und Mörder behandeln solle. Die Jagdordnung des Landrechts von 1616 erklärte die Wilderei entsprechend zum Vitztumshandel. Vgl. Reinhard Heydenreuter, Kreittmayr und die Strafrechtsreform unter Kurfürst Max III. Joseph, in: R. Bauer u. a. (Hg.), Frhr. von Kreittmayr. Ein Leben für Recht, Staat und Politik, München 1991, 6-12, hier 5 f. 19 Einzelheiten bei Christi, Malefitzprozeßordnung 81 ff. 20 Beispiele bei Helm, Obrigkeit 83 ff. 18
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haltskosten nur selten realisiert. 1607 wurde die lebenslängliche Gefängnisstrafe aus Kostengründen überhaupt abgeschafft; als Ersatz diente ebenso wie für ausgesetzte Todesstrafen die befristete oder unbefristete Landesverweisung (meist nach vorhergehender Auspeitschung und Ausstellung auf dem Pranger). Bei Tätern, die möglichst weit von den Landesgrenzen ferngehalten werden sollten, wie etwa Wilderern, wurde zeitweise die Galeerenstrafe praktiziert;21 die Flucht mancher solcher Gefangener während des Transports nach Venedig oder Genua und die hohen Transportkosten ließen jedoch dieses Verfahren bald wieder einstellen. Auch die Strafe der Zwangsarbeit wurde unter Maximilian häufig ausgesprochen. Sie war im Kriegsdienst und beim Festungsbau abzuleisten; vor allem die nach 1635 mit großem Nachdruck betriebene Befestigung Münchens, für die Tausende von Arbeitskräften gebraucht wurden, ließ eine Reihe von Strafen durch die „condemnatio ad operas" ersetzen. Die Strafe der Landesverweisung sollte der Besserung der Verurteilten (Spezialprävention) und der Abschreckung (Generalprävention) dienen.22 Jedoch gelangte Maximilian gegen Ende seines Lebens zu der Auffassung, daß sie ihren Zweck nicht erreichte; die Verurteilten hätten ihr liederliches Leben fortgesetzt und die Kinder der mit fünfjähriger Landesverweisung bestraften Ehebrecher hätten durch die lange Abwesenheit der Eltern vielfach Schaden erlitten. Die Landesverweisung wurde daher mit Mandat vom 1. Juli 165023 generell durch Zwangsarbeit, vornehmlich Schanzarbeit, ersetzt, durch die der Besserungs- und Abschreckungseffekt erreichbar sei, ohne die Kinder zu schädigen; ein bis zwei Monate Schanzarbeit „in Eisenbandten" wurden als Äquivalent für ein Jahr Landesverweisung angesehen. Schließlich sollte auch die öffentliche Rutenzüchtigung durch Zwangsarbeit ersetzt werden, im Interesse einer Resozialisierung der Verurteilten, „zumahlen die erfahrnus gibt, daß dergleichen leith, welche öffentlich mit ruethen gezichtiget werden, an statt der Verbesserung gmainlich nur in ein lasterhaftiges leben gerathen und dermassen hinein sinkhen, daß nit wol mer ein besserung von ihnen zuhoffen". Für den Wandel in der Strafzumessung spielten sicher auch die Bevölkerungsverluste durch Krieg und Seuchen eine Rolle, die durch Landesverweisungen nicht noch ausgeweitet werden sollten.
21 Hans Schlosser, Tre secoli di criminali bavaresi sulle galere veneziane, Venezia 1984 (Centro Tedesco di Studi Veneziani, Quaderni 28). 22 "Gleich wie aber Ihrer Churfr. Dht. Landtsfurstliche Sorgfalt und intention allein dahin gangen ist, daß durch dergleichen bestraffung die Verbrecher und ybelthetter selbst zur emendation gebracht, andere aber durch das exempel der straff von den lästern abgehalten werden mechten ... ". 23 Dokumente 1,3 Nr. 360. Daraus auch das vorhergehende Zitat.
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Man hat die Gerichtspraxis der frühen Neuzeit angesichts der Methoden der Geständniserzwingung sowie der Strafzumessungen als „Theater des Schreckens" bezeichnet, aber auch den Hinweis nicht unterlassen, daß die in den Kriminalordnungen für bestimmte Delikte angedrohten Strafen in den seltensten Fällen realisiert wurden und die Begnadigung, meist als Strafmilderung, häufig stattgefunden hat.24 Diese Feststellungen treffen auch auf die bayerischen Verhältnisse unter Maximilian zu, ja die Unterscheidung von strafrechtlicher Norm und Strafpraxis scheint zur zutreffenden Beurteilung der Vorgänge gerade hier besonders notwendig zu sein, was von der älteren Literatur zu wenig beachtet worden ist. So ist die Strafe der Hinrichtung bei dreimaligem, später schon bei zweimaligem Ehebruch wohl kaum je vollzogen, sondern durch Landesverweisung oder Zwangsarbeit ersetzt worden. Bestimmtere Aussagen sind allerdings erst nach flächendeckenden Untersuchungen möglich, an denen es noch fehlt.25 Sollten sie, wie zu erwarten, das dunkle Bild des „Theater des Schreckens" etwas aufhellen, so bleibt doch bestehen, daß die Praxis dieser Jahrzehnte noch schaurig genug war. Von den sechs bekannten Todesstrafen wurden unter Maximilian das Lebendigbegraben und das Ertränken nicht mehr, das Verbrennen nur mehr bei Hexen praktiziert, wohl aber das Rädern, das Erhängen am Galgen und das Enthaupten mit dem Schwert. Rädern (nach vorheriger Erdrosselung) wurde als besonders abschreckend eingeschätzt, Hängen (zumeist von Dieben) war auch für die Angehörigen entehrend, die Enthauptung (die häufigste Hinrichtungsart) galt als die ehrlichste Strafe. In besonders schweren Fällen konnten verschärfende Strafen hinzutreten, so in abschreckender Weise bei der öffentlichen Hinrichtung der Raubmörderfamilie Pappenheimer in München im Jahre 1600.26 Zum „Theater des Schreckens" sind auch die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen zu rechnen, die in Süddeutschland hauptsächlich zwischen 1562 Richard van Dülmen, Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1985, 111 und 44 ff. 25 Für Niederbayern vgl. die Untersuchung von Helm, Obrigkeit. 26 Hierüber berichtete ein Flugblatt (abgedruckt in GR II, 290): „Volgends der Frawen die Brüst abgeschnitten, mit heißem Eysen, umb das Bluet zu stillen, gebrandt, Ir wie auch den zwayen Söhnen die Brüst dreymalen umb das Maul geschlagen und gesagt worden, aus disen Brüsten haben Ir solche abschewliche Bubenstuck gesogen. Am außfuhren seind Jedem sechs zwick mit glüenden Zangen gegeben, nachmalen bei der Richtstatt den fünf Mannspersonen jedem die beede Armb zweymal mit dem Raad abgestoßen, ferner seind die Söhn und die andern zween Mann an Säulen mit eyserin Gürtlen angeschmidt, der Vatter aber gespißt, die Muetter in einen Sessel gesetzt und alle sametlich mit jämmerlichem Geschrey verbrandt worden". 24
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und 1630 in Verleumdungen, Anzeigen, Prozessen und Hinrichtungen praktiziert wurden.27 Die Hexenprozesse im Herzogtum Bayern hatten ihre beiden Höhepunkte in den Jahren 1589-1591 und 1629-1631, also in den Zeiten Wilhelms V. und Maximilians.28 Die Ursachen des Hexenglaubens waren in Bayern kaum andere als in anderen deutschen Territorien, verbreitete magische Vorstellungen sowie soziale Spannungen und ökonomische Erschütterungen, die nach Erklärung verlangten. Von Bedeutung waren die Allgegenwart von Krankheit und Tod, die durch eine nachhaltige Klimaveränderung („Kleine Eiszeit") seit etwa 1570 hervorgerufenenen Mißernten, Teuerung und Hungersnöte, Seuchen bei Menschen und Vieh, die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, nachbarschaftlicher Neid und Streit, Verhärtung der sozialen Beziehungen,29 die ideologische Uniformierung des Konfessionalismus, die mit der Konfessionalisierung verbundene (und gerade von Maximilian geförderte) rigorosere Beurteilung moralischer Verfehlungen, schließlich ein breiter Strom akzeptierter Volksmagie, dessen Grenzen zum Hexenglauben durchaus fließend waren, magische oder dämonologische Erklärungsweisen, die auch in höheren Ständen verbreitet waren. So hat Maximilian mehrmals versucht, die Unfruchtbarkeit seiner ersten Gemahlin durch Exorzismen beheben zu lassen. Jedoch bedurfte es trotz solcher mentaler Voraussetzun-
27
Hartmut Lehmann, Hintergrund und Ursachen des Höhepunktes der europ. Hexenverfolgung in den Jahrzehnten um 1600, in: S. Lorenz u. a. (Hg.), Hexenverfolgung. Beiträge zur Forschung, Würzburg 1995, 359-373. 28 Über die Hexenverfolgungen in Bayern, ihre Ursachen, Abläufe, Hauptakteure und Hauptgegner sind wir gut unterrichtet. Bahnbrechend war Sigmund Riesfer, Geschichte der Hexenprozesse in Bayern, Stuttgart 1896 (ein von F. Merzbacher herausgegebener Neudruck Aalen 1968). Vgl. auch Rie^ler, Geschichte VI, 114 ff. Zahlreiche Erweiterungen, neue Gesichtspunkte und auch Korrekturen zu Riezler bietet Wolfgang Behringer, Hexenverfolgung in Bayern. Volksmagie, Glaubenseifer und Staatsraison in der Frühen Neuzeit, München 1987; Oers., Mit dem Feuer vom Leben zum Tod. Hexengesetzgebung in Bayern, München 1988; Bernd Thieser, Die Oberpfalz im Zusammenhang des Hexenprozeßgeschehens im süddt. Raum während des 16. und 17. Jh.s, 2. Aufl. Bayreuth 1992; Annemarie Hartmann, Der Hexenwahn im Herzogtum und Kurfürstentum Bayern im 16. und 17. Jh., in: G. Schwaiger (Hg.), Teufelsglaube und Hexenprozesse, 3.Aufl. München 1991, 103-127; Nomsadtko, Scharfrichter 98 ff. Allgemein: Gerhard Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 1981; Oers., Artikel „Hexen" in: Theol. Realenzyklopädie 15, Berlin 1986, 297-304. Einen Überblick über die sprunghaft angewachsene Forschungsliteratur bieten Wolfgang Behringer, Erträge und Perspektiven der Hexenforschung, in: H Z 249 (1989), 619-640; Ulrich von Hehl, Hexenprozesse und Geschichtswissenschaft, in: Hist. Jahrbuch 107 (1987), 349-375; Peter Kriedte, Die Hexen und ihre Ankläger. Zu den lokalen Voraussetzungen der Hexenverfolgungen in der frühen Neuzeit, in: Z H F 14 (1987), 47-71; Gerd Schwrhoff, Vom Alltagsverdacht zur Massenverfolgung. Neuere deutsche Forschungen zum frühneuzeitlichen Hexenwesen, in: GWU 46 (1995), 359-380. 29 Betont von Wolfgang Behringer, Sozialgeschichte und Hexenverfolgung, in: Lorenz-Bauer (Hg.), Hexenverfolgung (Anm. 27), 312-345.
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gen der theoretischen Untermauerung und literarischen Anheizung durch eine entsprechende Literatur, vor allem aber der Entscheidung der jeweiligen Obrigkeiten, um den Hexenglauben breiter Kreise und die vor allem von unten, aus der Bevölkerung kommenden Denunziationen dann tatächlich zu Hexenverfolgungen in Form von Hexenprozessen zu verdichten. Wenn die Akzeptierung von Denunziationen durch die Obrigkeit zur Eröffnung von Prozessen führte, so die Aussagen unter der Folter über Hexenfreunde der Angeklagten zu ihrer Ausweitung. Im übrigen waren die Hexenverfolgungen nur begrenzt von bestimmten politischen, wirtschaftlichen oder konfessionellen Strukturen abhängig, wir finden große und kleine Prozesse in katholischen und protestantischen, geistlichen und weltlichen, fürstlichen, adeligen und reichsstädtischen Gebieten, großen und kleinen Territorien. Zu den großen Territorien in Süddeutschland mit besonders intensiven Verfolgungen zählten die Hochstifte Würzburg, Bamberg, Eichstätt und Augsburg, deren Bischöfe uns noch als Mitglieder der Katholischen Liga begegnen werden: Julius Echter von Mespelbrunn und Philipp Adolf von Ehrenberg in Würzburg,30 Johann Gottfried von Aschhausen und Johann Georg II. Fuchs von Dornheim in Bamberg, Johann Christoph von Westerstetten in Ellwangen und Eichstätt, Heinrich von Knöringen in Augsburg. In ihren Herrschaftsgebieten fielen innerhalb weniger Jahrzehnte mehr als zweitausend Menschen den Verfolgungen zum Opfer. Im großen Herzogtum Bayern war dagegen aufgrund bestimmter personeller Voraussetzungen nicht nur die Zahl der Prozesse relativ begrenzt, diese endeten auch in der Mehrzahl mit Freisprüchen bzw. geringfügigen Strafen,31 was freilich dem Irrwitz der Anklagen und der Brutalität der Verfahren selbst nur wenig von ihrem Schrecken nahm. Die erste große Prozeßwelle im Herzogtum spielte in den Jahren 1589-1591 unter Wilhelm V., wohl nicht ohne Zusammenhang mit Mißernten der vorhergehenden Jahre. Wilhelm gehörte ebenso wie sein Bruder Ernst von Köln zu den Befürwortern von Hexenprozessen und stand in Verbindung mit literarischen Verteidigern der Verfolgungen. In dieser ersten Periode wurden in Schongau 63 der Hexerei beschuldigte Personen hingerichtet,32 zumeist Frauen, in Ingolstadt 22, in München 5, in Weilheim 4 (in der außerhalb des Herzogtums gelegenen freisingischen Grafschaft Werdenfels 52). Da Wilhelm V. an prinzipiellen Regelungen interFriedrich Mer^bacher, Die Hexenprozesse in Franken, München 1957. Vgl. die Liste der Zauber- und Hexenprozesse in Südostdeutschland 1300-1800 bei Behringer, Hexenverfolgung 431 ff. 32 Wolfgang Behringer, Die große Schongauer Hexenverfolgung und ihr historischer Kontext, in: Der Weif. Jahrbuch des Hist. Vereins Schongau 1 (1993), 1-17.
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essiert war, erstellten die theologische und die juristische Fakultät der Universität Ingolstadt ein Gutachten,33 das abschließend ein „offenliches Edict" zur Hexenfrage forderte, welches aber erst mit dem Hexenmandat von 1611/12 realisiert worden ist. Im übrigen gingen die Verfolgungen nach 1591 rasch zurück, eine systematische Ausdehnung auf das ganze Land fand nicht statt. Jedoch formierten sich seither in den Führungsschichten des Herzogtums zwei Gruppierungen, Verfolgungsbefürworter und Verfolgungsgegner, die darum rangen, den seit 1598 regierenden Maximilian auf ihre Seite zu ziehen. Das Ziel der Verfolgungspartei war die Wiederaufnahme der Prozesse und deren Ausweitung auf das gesamte Herzogtum. Als Hebel hierzu suchte sie den großen Prozeß zu benützen, der, wie erwähnt, 1600 in München gegen die kriminelle Landfahrerfamilie Pappenheimer eröffnet wurde, der zu einem Hexenprozeß ausgestaltet wurde und mit elf Hinrichtungen endete.34 Die herausragenden Persönlichkeiten dieser Gruppierung waren als Theoretiker eine Reihe von Jesuiten, unter ihnen Maximilians erster Beichtvater P. Gregor von Valencia, dann die Patres Jacob Gretser und Jeremias Drexel, später auch Paul Laymann und Maximilians Beichtvater seit 1624 Adam Contzen,35 als Praktiker die Hofräte Ägidius Albertinus und Christoph Gewold, vor allem aber der Hofratskanzler der Jahre 1606-1617 Dr. Johann Sigmund Wagnereck.36 Da das Hofratskollegium in München die wichtigste staatliche Instanz in Hexensachen bildete und jedem größeren Prozeß im Lande ein Kommissar aus Regierungen oder Hofrat beigeordnet war, nahm Wagnereck eine zentrale Position in der bayerischen Hexenpolitik ein. Er hat sie über Jahre mit dem Ziel rigoroser Hexenverfolgung, ja in einer Art totalitären Gleichschaltungswillens zu nützen versucht, indem er denunziatorische und inquisitorische (Tortur) Beweismittel zur Anwendung brachte bzw. deren Druck: Behringer, Hexengesetzgebung 97-108. Ebenda 110-120 die „Gemeine General Instruction", wie sich Pfleger, Richter und Beamte gegenüber als Hexen Verdächtigen zu verhalten haben, ca. Mai/Juni 1590, die Riemer, Hexenprozesse 215 ff. noch Maximilian zugeschrieben hatte. /. Schrittenloher, Aus der Gutachter- und Urteilstätigkeit der Ingolstädter Juristenfakultät im Zeitalter der Hexenverfolgungen, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 23 (1963), 315-353. 34 Alle Einzelheiten bei Michael Kuœçe, Der Prozeß Pappenheimer, Ebelsbach 1981, dessen Ausführungen über den sozialen Umkreis der Familie, die Verfahrensordnung und die Verfahrensträger auch von hohem allgemeinen Interesse sind. 35 U.a. bezeichnete Contzen in einem hs. Gutachten „De persecutione ecclesiae Christi per Germaniam" (in Jesuítica 81) die Bedrängnisse der Kirche im Krieg als Folge mangelnder Hexenverfolgung, woran die die Verfolgungen hindernden Politici die Schuld trügen. 36 Über ihn vgl. Kun^e, Prozeß 111 ff.; Heydenreuter, Hofrat 145 ff. und öfter; Günter, Landrecht 156 f.; Behringer, „Politiker" 463 ff. Über Wagnerecks Sohn, den Dillinger Jesuiten Heinrich Wagnereck (Wangnereck), der während der Westf. Friedensverhandlungen als intransigenter Publizist hervortrat, vgl. unten Kapitel 35. 33
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Anerkennung als Beweismittel durchzusetzen suchte. Eben gegen solche Beweismittel und damit praktisch gegen die gängigen Verfahren wandte sich die Gruppe der Verfolgungsgegner. Sie rekruderte sich in bemerkenswerter Weise aus der Elite der hohen Beamtenschaft Maximilians, die uns ebenfalls schon häufig begegnet ist, Obersthofmeister Graf Rechberg, Oberstkanzler Joachim von Donnersberg, Landschaftskanzler und Geheimrat Johann Georg von Herwarth, Geheimrat Wilhelm Jocher, später auch Vizekanzler Bartholomäus Richel (dessen Frau in Eichstätt als Hexe hingerichtet worden war), Hofratskanzler Johann Christoph von Abegg und andere. Weit entfernt, in religiöser Hinsicht laxen Auffassungen zu huldigen, sahen sie doch in ausufernden Hexenverfolgungen das Gemeinwohl gefährdet, in Denunziationen und Tortur prozeßrechtüche Normen verletzt, und sprachen aus, daß viele volksmagische Vorstellungen und Praktiken, die den Hexenverfolgern als Indizien galten, angesichts ihrer weiten Verbreitung als juristisch irrelevant eingestuft werden müßten.37 Als Verfolgungsgegner trat schließlich auch der Jesuit und bedeutende Dogmatiker Adam Tanner hervor,38 der während seiner Lehrtätigkeit in Ingolstadt 1602-1627 eine Gruppe Gleichgesinnter um sich sammelte. Die kritischen Ausführungen Tanners zum Hexenproblem im dritten Band seiner „Theologia Scholastica" (Ingolstadt 1627) waren in dem Umkreis, in dem sie erschienen, bahnbrechend,39 weshalb dann auch Friedrich von Spee verschiedentlich auf Tanner zurückgegriffen hat. Die Front zwischen Verfolgungsbetreibern und Verfolgungsgegnern deckte sich teilweise mit derjenigen zwischen „Zeloten" und „Politikern", Extremen und Gemäßigten, die sich in der Frage der Ziele und Methoden der bayerischen Politik in den zwanziger Jahren gegenüberstanden.40 Die Namen der führenden Verfolgungsbefürworter zeigen, daß Maximilian bereits von Jugend an von Persönlichkeiten dieser Richtung umgeben war, dem Praeceptor Fickler, dem Beichtvater Gregor von Valencia, dem Sekretär Gewold, später auch den Beichtvätern Busüdius und Contzen. Das konnte nicht ohne Auswirkungen auf seine Anschauungen bleiben. Bereits der erst Achtzehnjährige hatte in Vertretung seines Vaters unter Anleitung Gewolds die „Befragung" einer Hexe zu befehlen, die wenig später verbrannt wurde. Hierzu, insbes. zur Position Herwarths, vgl. Behringer, „Politiker" 481 ff. Über ihn vgl. Duhr; Geschichte 11,2, 380 ff. und öfter; Wolfgang Beringer, Zur Haltung Adam Tanners in der Hexenfrage, in: H.Lehmann u.a. (Hg.), Vom Unfug der Hexenprozesse. Gegner der Hexenverfolgungen, Wiesbaden 1992, 161-185. 39 Weshalb auch die an absoluten Maßstäben sich orientierende Kritik von Rieirfer, Hexenprozesse 248 ff. der Bedeutung Tanners nicht gerecht wird. 40 Vgl. oben Kapitel 6 am Schluß. 37 38
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Jedoch stand Maximilian in den folgenden Jahren in enger Verbindung mit den führenden Verfolgungsgegnern, denn diese waren seine wichtigsten politischen Mitarbeiter seit dem Regierungsantritt und die führenden Köpfe der bayerischen Politik dieser Jahrzehnte, zunächst Herwarth, Donnersberg und Rechberg, dann Jocher, Richel und andere. Aus der Spannung, zwischen zwei entschiedenen Gruppierungen zu stehen, erklärt sich wohl die unentschiedene Haltung, die Maximilian lange Jahre gegenüber der Hexenproblematik eingenommen hat. Wolfgang Behringer hat gezeigt, daß Maximilian nicht, wie man gemeint hat, „der unermüdlichste Hexenjäger unter allen deutschen Kurfürsten" gewesen ist, sondern in seiner Stellung zur Hexenfrage trotz verbaler Schärfe, Interesse an der Sache und zahlreichen persönlichen Initiativen doch „merkwürdig blaß und unentschlossen" war, Ausdruck tiefer eigener Unsicherheit.41 Die bei Maximilian auch in anderen Fragen bemerkbare Unentschlossenheit wurde sowohl von Befürwortern wie Gegnern der Hexenverfolgung kritisiert, die den Herzog auf ihre Seite zu ziehen suchten;42 einer der Verfolgungsgegner, Heinrich von Haslang, riet seinem Herrn nach einem Jahr ergebnislosem Hin und Her um den zu steuernden Kurs, doch das Gutachten einer unparteiischen Universität einzuholen, „weil durch dergleichen wexlschrifft E.D. nur in noch mehrern zweifei mecht gefunden werden".43 Trotz dieses Zögerns — oder wohl gerade deswegen — hatte Maximilians Haltung letztlich zum Ergebnis, daß die Gruppe der Verfolgungsbefürworter ihr eigentliches Ziel nicht erreichte, für das Herzogtum Bayern eine flächendeckende Hexenprozeßwelle wie in manchen benachbarten Territorien durchzusetzen. Hier zählte doch das Gewicht und die Bedeutung der Verfolgungsgegner im Gesamtzusammenhang der bayerischen Politik, denn mit diesen Männern hat Maximilian in erster Linie seine Reichs-, Liga- und auswärtige Politik geführt, wie zu zeigen ist, ihre Stimme mußte auch in anderen Materien Gewicht besitzen. Ihr erster Erfolg war ein herzogliches Dekret von 1601 zur Unterbrechung der Münchner Verfolgung wegen übler Prozeßfüh-
behringer,, Hexenverfolgung 247. Die Schärfe des Tones wird aus Maximilian hinterbrachten Äußerungen Wagnerecks ersichtlich, die allerdings in anderem Zusammenhang gefallen waren: „Sy [Wagnereck und Hofrat Vagh] haben gemaint, sy haben bisher einem hochverstendigen Fürsten dient, so verspüren sie allererst, das sy einem Idiotten dienen, bei deme nichts erkhent." - Und über die Geheimen Räte: „Herr Grave [Rechberg] sey ein Idiot, Herr Obrister Canzler [Donnersberg] sey khein Jurist und darnebens stinckhendt faul darbei. Herr Landschafftcantzler [Herwarth] ein öffentlicher Zauberer, Herr Dr. Jocher verstehe sich nicht auf die Landtgebreuch, seie nit redlich. Herr D. Gewoldt sey ein Aufstecher, khönne nichts, sey nur ein Grammaticus" (zitiert Heydenreuter., Hofrat 148). 4 3 Behringer, Hexenverfolgung 247. 41
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rung sowie Maximilians Zustimmung, vor weiterem Prozedieren Gutachten mehrerer Universitäten sowie bei den drei geistlichen Kurfürsten einzuholen. Durch die in Gang gesetzte Diskussion seit 1601 wurde eine breitere Verfolgungswelle im Anschluß an den Prozeß Pappenheimer verhindert, wie sie von den Prozeßbefürwortern intendiert worden war.44 Nur in Wemding, einer bayerischen Exklave innerhalb des Herzogtums Neuburg, kam es 16091612 erneut zu 10 Hinrichtungen, worauf es aber 1613 den Verfolgungsgegnern gelang, die Hinrichtung des dortigen Hexenrichters durchzusetzen. Einen Erfolg der Verfolgungspartei schien dann das große Hexenmandat Maximilians vom 12. Februar 1611 zu bilden, das „Landtgebott wider die Aberglauben, Zauberey, Hexerei und andere sträffliche Teufelskünste".45 Jedoch wurde der Text aufgrund der Interventionen der Verfolgungsgegner zunächst zurückgehalten und dann ohne öffentliche Publikation nur den Landgerichten mitgeteilt, blieb daher in seiner Wirkung begrenzt. Im übrigen tat sich das Mandat ebenso schwer wie manche der Zeitgenossen, zwischen kirchlicher Übung, abergläubischen Praktiken und Hexerei zu unterscheiden, so wenn alle Amulette verboten wurden, „außer was von Catholischer Kirchen guet gehaissen wird". Hier spiegelten sich Schwierigkeiten und Ungereimtheiten, die dann auch in der Praxis der Hexenverfolgungen immer wieder zutage traten. Nicht leicht zu qualifizieren ist der Höhepunkt der Hexenverfolgungen in der Regierungszeit Maximilians in den Jahren 1629/31, die wohl im Zusammenhang mit der Agrarkrise von 1628 und einer ersten Pestwelle 1629 standen.46 Die Prozesse führten zu 43 Hinrichtungen. Man kann diese erschrekkende Zahl absolut nehmen, man kann aber auch darauf verweisen, daß davon 39 Hinrichtungen allein im Gericht Wemding mit seinen besonderen Strukturen stattfanden, weswegen angesichts der Größe des bayerischen Territoriums doch „von einer geglückten Abwehr" und einem Erfolg der Verfolgungsgegner auf dem Höhepunkt des Hexenwahns in Süddeutschland gesprochen werden kann,47 während gleichzeitig in Franken und Württemberg Tausende von Menschen den Verfolgungen zum Opfer fielen, ebenso auch im Herrschaftsgebiet von Maximilians Bruder Ferdinand von Köln.48 VerVgl. hierzu die Prozeßliste ebenda 442 ff. Druck: Behringer, Hexengesetzgebung 165-191; Dokumente 1,3 Nr. 173 (Auszug). Vgl. hierzu Rteller, Hexenprozesse 208 ff.; Behringer, Hexenverfolgung 294 ff. und öfter. 46 Zu Mißernten, Teuerung und Seuchen 1626-1628 vgl. hämmert, Geschichte 80 ff. und 94 ff.; Friesenegger, Chronik, passim. 47 So Behringer, Hexenverfolgung 318 ff. 48 Schormann, Krieg. 44 45
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gleicht man das Ausrottungsprogramm Ferdinands sowie die Hexenverfolgungen der Bischöfe von Würzburg, Bamberg, Eichstätt und Augsburg und diejenigen in Südwestdeutschland mit den gleichzeitigen Prozessen im Herzogtum Bayern, so tritt die Eigenart und relative Begrenztheit der bayerischen Vorgänge deutlich hervor. Allerdings wird man dieses Ergebnis nicht in erster Linie Maximilian zuschreiben, als vielmehr der Entschiedenheit seiner engsten Mitarbeiter, gegen die schließlich selbst der Beichtvater nicht ankonnte. Auch in den letzten beiden Jahrzehnten der Regierung Maximilians haben noch mehrere Hexenprozesse im Herzogtum stattgefunden, die Besetzung des Landes durch die Schweden bedeutete in dieser Hinsicht nur eine temporäre Unterbrechung, keine Zäsur. 49 In diesen z.T. umfangreichen Prozessen wurden relativ wenige Todesurteile ausgesprochen; für 1637 ist eine Hinrichtung in Vohburg bezeugt; der letzte große Hexenprozeß in den Zeiten Maximilians in den Jahren 1642/43 in Rain am Lech endete mit fünf Hinrichtungen. Die Mehrzahl der Prozesse blieb im Bereich der Ahndung von Aberglaubensdelikten, die zumeist mit Schandstrafen oder sogar Freisprüchen endeten. Die schwierige Grenzziehung zwischen kirchlich akzeptiertem Wunderglauben, Delikten des Aberglaubens und Praktiken, die dem Bund mit dem Teufel zugeschrieben wurden, verunsicherte offensichtlich zunehmend die Behörden; auch scheint der Einfluß von Jesuiten und Kapuzinern, die das Volk über abergläubische Praktiken aufklären sollten und den Hexenprozessen kritisch gegenüberstanden, sich ausgewirkt zu haben. Möglicherweise wird eine systematische Auswertung noch unerschlossener bayerischer Hexenakten Modifikationen dieses Bildes der dreißiger und vierziger Jahre ergeben. Ein zusammenfassendes Urteil über Maximilians Position in der Hexenfrage wird bereits jetzt formuliert werden können. Wir erkennen, daß der Herzog nach Erziehung und Selbstverständnis dem Hexenwahn der Epoche verhaftet war und in diesem Bereich die ideologischen Grenzen seiner Zeit prinzipiell nicht zu überschreiten vermochte. So bereitete es ihm offensichtlich keine Schwierigkeiten, eine Reihe von Hexenprozessen mit nachfolgenden Hinrichtungen zu veranlassen oder zu billigen. Gleichzeitig muß er jedoch für Argumente zugänglich gewesen sein, welche — bei grundsätzlicher Akzeptanz der Hexenlehre der Zeit - Kritik an zentralen Punkten der Verfahren erhoben, insbesondere an der Beweisführung durch die Mittel der Denunziation und der Folter. Hieraus resultierte letztlich doch eine kritische Position in Hexensachen, welche die willkürliche Ausweitung
Vgl. Reinhard Heydenreuter, Der landesherrliche Hofrat in München und die Hexenprozesse in den letzten Regierungsjahren des Herzogs und Kf. Maximilian I., in: Z B L G 55 (1992), 137-150. 49
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einzelner Verfahren zu flächendeckender Hexenverfolgung nicht billigte und dadurch — alles in allem — eine bemerkenswerte zahlenmäßige Begrenzung zum Tode führender Verfahren im Herzogtum zur Folge hatte. In dem offensichtlichen Widerstreit von religiös begründeter zelanüscher Ideologie mit Rechtsbewußtsein und Vernunft der hohen Bürokratie trug letztere den Sieg davon. Daß dieses Ergebnis entgegen den Auffassungen dreier herzoglicher Beichtväter zustandekam, scheint für das Verhältnis von Emotion und Rationalität bei Maximilian von besonderer Aussagekraft. Die Kodifizierung des geltenden Rechts förderte in positiver Weise die Verrechtlichung der Lebensverhältnisse im Herzogtum, bot aber zugleich die Möglichkeit, obrigkeitliche Einflußnahmen zu verstärken, und hatte die Wirkung, die Einordnung der Untertanen in den Fürstenstaat voranzubringen, wenngleich man sich angesichts der noch relativ wenig entwickelten administrativen, kommunikativen und verkehrsmäßigen Strukturen im Lande keinen übertriebenen Vorstellungen über die Breite dieser Wirkungen hingeben sollte. Die Flut von Mandaten, die sich über das Land ergoß, zeugt zwar von dem Bemühen der Landesherrschaft, immer weitere Lebensbereiche staatlicher Einflußnahme und Aufsicht, ja Gleichschaltung zu unterwerfen. Jedoch belegt die vielfache Wiederholung der Weisungen, daß diese nur zögerlich akzeptiert und realisiert worden sind.50 Eher als auf die einzelnen Untertanen hat sich die regelnde, beschränkende und überwachende Einflußnahme der Obrigkeit aufgrund von Land- und Polizeirecht und anschließender Mandate auf die Institutionen im Lande ausgewirkt und hier wiederum besonders intensiv auf die Kommunen. Angesichts der räumlichen Nähe von Hof und Staatsverwaltung verspürte dies besonders die Stadt München, gewissermaßen unter den Augen des Herzogs wurde die Stadt an die obrigkeitlichen Zügel genommen.51 Im sog. Albertinischen Rezeß von 156 1 52 hatte Albrecht V. die Freiheiten der Stadt München,
Ein Verzeichnis sämtlicher gedruckter Mandate in der Regierungszeit Maximilians bietet G R II, 295 ff. 51 Zur allgemeinen Entwicklung differenziert und die Bedeutung des Dreißigjährigen Krieges betonend Hein% Schilling, Stadt und frühmoderner Territorialstaat, in: M. Stolleis (Hg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt, Köln-Wien 1991, 19-39. Zu München vgl. Schattenhofen Beiträge 47 ff.; Reinhard Heydenreuter, Der Magistrat als Befehlsempfanger. Die Disziplinierung der Stadtobrigkeit 1579-1651, in: R. Bauer (Hg.), Geschichte der Stadt München, München 1992, 189-210; Heydenreuter, Hofrat 247 ff.; Hans Schlosser, Statutarrecht und Landesherrschaft in Bayern, in: G. Chittolini-D. Willoweit (Hg.), Statuten, Städte und Territorien zwischen Mittelalter und Neuzeit in Deutschland und Italien, Berlin 1992, 177-194. 52 Text: Dokumente 1,3 Nr. 47. 50
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insbesondere deren Blutgerichtsbarkeit, zwar bestätigt, doch bemühte sich bereits Wilhelm V., diese Rechte sukzessive einzuschränken. Einbußen der städtischen Finanzen durch die Verstaatlichung des Salzhandels unter Wilhelm V. sowie die Folgen der allgemeinen Wirtschaftskrise um 1600 förderten diese dann auch von Maximilian fortgesetzten Bemühungen. Bereits 1598, im ersten Regierungsjahr, forderte Maximilian die Originalurkunden aller städtischen Privilegien, herzoglicher wie kaiserlicher, zur Überprüfung an, ebenso 1599 die Zunftordnungen, was einen unerhöhrten Eingriff in die originäre Statutargewalt der Stadt bedeutete. 1605 wurde der Magistrat zu Verhandlungen über den Albertinischen Rezeß aufgefordert, mit der Absicht, den Rezeß „etwas merers auf Ire Durchlaucht Seiten zu extendieren". Dies geschah dann auch ziemlich schroff durch die herzoglichen „Erläuterungen" vom 4. April 1607,53 in denen die Exemtion des gesamten Hofstaates und Hofgesindes von jeglicher städtischer Obrigkeit noch deutlicher als 1561 ausgesprochen wurde. In der Folge mehrten sich die Eingriffe in die städtische Gerichtsbarkeit, Maximilian beanspruchte in Konkurrenz zum Stadtoberrichter das Recht, in Einzelfällen die städtische Blutgerichtsbarkeit an sich zu ziehen und Kriminalfälle durch den Hofrat abhandeln zu lassen.54 Gelegentlich scheute man sich nicht, Urteile des Stadtoberrichters wegen zu großer Milde zu kritisieren und den Münchnern sogar zu drohen, „inen das Jus gladii ze nemmen". Und es war die wiederholte Berufung auf das Gemeinwohl, die den Magistrat veranlassen sollte, die städtische Jurisdiktion entsprechend den Vorstellungen der staatlichen Behörden auszuüben. Ihren Höhepunkt erreichten die Maßnahmen gegen die Stadt im Jahre 1640 mit der Einsetzung einer Kommission aus höchsten Hof- und Staatsbeamten zur Uberprüfung der gesamten städtischen Verwaltung: Mit dem bürgerlichen Magistrat und seinen Amtern sei es schlecht bestellt, die städtischen Finanzen, Justiz und Polizei würden schlecht administriert, es bestehe Gefahr, daß die schöne Haupt- und Residenzstadt, die bei den Ausländern hochberühmt sei und den anderen Städten im Land ein Beispiel guter Administration abgeben könne, gar ins Verderben gerate. Das Ergebnis der zwei Jahre beanspruchenden Untersuchung war ein langes Sündenregister,55 dessen Forderungen allerdings 1651 noch nicht erfüllt waren, weshalb Maximilian die vier Bür-
53 Text: Ebenda Nr. 166. 54 Michael Kun^e, Zum Kompetenzkonflikt zwischen städtischer und herzoglicher Strafgerichtsbarkeit in Münchner Hexenprozessen, in: ZRG GA 87 (1970), 305-314. 55 Vgl. G. Das kurfiirsd. Dekret zum Abschluß der Münchner Stadtvisitadon aus dem Jahre 1642, in: E. Lukas-Götz u.a. (Hg.), Quellen zur Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte bayer. Städte, Festgabe für W. Störmer, München 1993,133-167.
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germeister mit empfindlichen Geldstrafen belegte. Angesichts dieser Entwicklung verzichtete die Stadt im Jahre 1658 erstmals darauf, sich ihre Privilegien, wie bisher, durch den neugewählten Kaiser bestätigen zu lassen; solche Bemühungen schienen obsolet geworden zu sein. Eine besondere Rolle in der Aushöhlung kommunaler Selbstverwaltung spielte der Hofoberrichter, also ein staatlicher Beamter, mit der Aufgabe, die seit dem Ende des 16. Jahrhunderts geradezu inflationäre staatliche Polizeigesetzgebung, die 1616 ebenfalls kodifiziert wurde, in ihrem Vollzug durch die städtischen Organe zu kontrollieren bzw. durchzusetzen. „Gerade die Polizeigesetzgebung wurde zum Instrument einer totalen Bevormundung von Stadtregiment und Bürgerschaft. Sie war die entscheidende Einbruchsteile der Landesherrschaft in die Autonomie der Partikulargewalten."56 Abgesehen von der Religions- und Sittendisziplinierung, von der noch zu sprechen ist, ging es um die Überwachung des städtischen Wirtschaftsgebarens, die sich bis auf die Kontrolle und schließlich auf die Entscheidung über die Neuaufnahme von Bürgern erstreckte. Dies alles wäre ohne eine systematische Einschüchterung der städtischen Obrigkeit nicht möglich gewesen.57 Ersten Eingriffen Wilhelms V. in das Bürgermeisteramt folgend, band Maximilian zunächst die Ernennung der Bürgermeister aus dem Inneren Rat an seine Genehmigung; 1605 setzte er wie in anderen bayerischen Städten die Wahl aller Mitglieder des Inneren und Äußeren Rates auf Lebenszeit durch, die damit zu „behördenmäßigen Amtspersonen" in zunehmender Abhängigkeit von den staatlichen Behörden wurden. Daß manche Mitglieder des städtischen Patriziats sich auf die Gegenseite schlugen und versuchten, durch Eintritt in den Hofdienst und durch Nobilitierung zu Karriere, Ansehen und Einfluß zu gelangen, und sich dadurch mehr als bisher an den Landesherrn banden, ist bereits angesprochen worden. Gleichzeitig mit der Aushöhlung der städtischen Autonomie wandelte sich das Erscheinungsbild der Stadt und seiner Bevölkerung durch den Bau der Residenz und der Wallanlagen, denen nicht wenige Bürgerhäuser zum Opfer fielen, durch die Ausweitung des Hofes und des damit verbundenen Personals, durch die Entstehung eines ganzen Adelsviertels westlich der Residenz. Auch die Dezimierung der städtischen Bevölkerung durch die Pest und die Bedrängnisse durch Krieg und zeitweilige schwedische Besatzung haben zur Schwächung kommunalen Behauptungswillens beigetragen. Ein besonders markantes Zeichen der Besitzergreifung Münchens durch die Landesherr56 57
Schlosser.; Statutarrecht 185; vgl. auch Heydenreuter.; H o f t a t 247 ff. Vgl. Heydenreuter, Magistrat 196 f.
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Rechtsprechung
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schaft bildete die Mariensäule, die von Maximilian im Jahre 1638 im Mittelpunkt der Stadt ohne Befragung der Bürger auf städtischem Grund errichtet worden ist. „Dort, wo Reichsstädte Rolandssäulen oder Marktkreuze als Zeichen ihrer Freiheit aufrichten, steht in München ein öffentliches Denkmal der Landesherrschaft."58 Was in München an Beschneidung kommunaler Selbständigkeit durch das Landesfürstentum vor sich ging, fand sich in der einen und anderen Weise auch in den übrigen bayerischen Städten.59 Nur wegen erheblicher finanzieller Gegenleistungen, auf die er sich bei seiner Staatsreform angewiesen glaubte, verlieh Maximilian den Städten Landshut (1599)60 und Straubing (1602) noch die Blutgerichtsbarkeit. Im übrigen ging es um die zunehmende Mediatisierung auch der Mittel- und Kleinstädte im Herzogtum, um kompetenzschmälernde Eingriffe in ihre Jurisdiktion, Zensur ihrer Rechtsprechung, Disziplinarmaßnahmen gegen städtische Amtsträger wegen mangelhafter Amtsführung und ähnliches mehr. Die regelmäßige Kontrolle durch die Rentmeister61 und die außerordentlichen Visitationen durch Mitglieder des Hofrates, welche Unregelmäßigkeiten der Rechnungsführung aufzuspüren suchten, waren bei Städten und Märkten 2u Recht gefürchtet. Jedoch kann nicht übersehen werden, daß durch die Eingriffe der landesherrlichen Bürokratie auch manche Mißstände und verkrusteten Strukturen aufgedeckt und beseitigt worden sind, daß nichtprivilegierten Schichten der Stadtbevölkerung zu ihrem Recht verholfen und prinzipiell die Rechtssicherheit für die Einwohner gestärkt worden ist. So ist der positive, modernisierende Effekt absolutistischer Rechtspolitik unübersehbar. Er war aber ohne Beeinträchtigung kommunaler Autonomie nicht zu erreichen, weshalb die Frage bleibt, wie bei einer Bewertung die Gewichte zu verteilen sind. Sicher ist, daß Maximilian seine diesbezüglichen Ziele mit Geschick, Energie und vielfach ohne Skrupel verfolgt hat, mit dem Bewußtsein, den Forderungen der Zeit zu entsprechen, die er in einer Vereinheitlichung des Rechtszustandes unter fürstlicher Leitung gegeben sah. Sein Hauptinstrument war dabei das Landrecht von 1616. Dieses ließ zwar formal sämtliche „statuta et consuetudines locorum" unberührt, soweit diese nicht ausdrücklich durch den Kodex aufgehoben wurden. Da die Kodifikation jedoch als gemeines Recht praktisch alle Rechtsmaterien Ebenda 209. Zur Mariensäule s. unten Kapitel 11. Überblick und Einzelheiten u.a. bei Schlosser, Statutarrecht 192 f.; Heydenreuter.; Hofrat 257 ff.; Stornier, Wirtschaft und Bürgertum, passim. 60 Text: Dokumente 1,3 Nr. 135. 61 Vgl. etwa das Umrittsprotokoll von 1601 für die Stadt Weilheim: Dokumente 1,3 Nr. 148 sowie die Rentmeisterinstruktion von 1611: Ebenda Nr. 179, hier 794 f. 58
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9. Rechi und Rechtsprechung
(außer dem Strafrecht) abschließend und erschöpfend regelte, „blieb das Prinzip der Subsidiarität des Landesrechts gegenüber den Statuten eine reine Absichtserklärung. Für eine städtische oder lokale Rechtsbildung war faktisch kein Raum mehr gegeben".62 Rechtsvereinheitlichung, Beseitigung partikularer Sonderrechte, Durchsetzung des fürstlichen Rechts- und Herrschaftsverständnisses und Modernisierung gingen Hand in Hand, Opfer und Gewinn standen nebeneinander.
62
Schlosser, Statutarrecht 193 f.
10. Kunst und Wissenschaft
Der von Wilhelm V. und Maximilian häufig in Anspruch genommene Kunstagent Philipp Hainhofer berichtet in seinen Erinnerungen über Kunst und Kunstkäufe am Münchner Hof, 1 daß Maximilian sich „zur recreation und zur zierde" mit Kunstgegenständen umgeben habe.2 Damit war gemeint, daß die Förderung und Sammlung von Kunst durch den Herzog einen privaten und einen öffentlichen Charakter besitze. Der öffentliche Charakter bestand in einer polidschen Funktion der Kunstpflege, indem sich in der großen mäzenatischen Geste und dem Reichtum der angesammelten Kunstschätze der Rang und die wirtschaftliche Potenz des Fürsten, seine Reputadon dokumentierte, gemäß der Forderung des Staatsphilosophen Botero an den Fürsten, „che tutto ciò, che spetta in qualche modo a lui, habbia grandezza e decoro". Dies galt nicht nur für die großen europäischen Höfe, etwa das Prag Kaiser Rudolfs II. oder das Rom der Borghese und Barberini. Auch die mittleren und kleineren deutschen Fürsten, unterschiedlich mit Mitteln versehen, suchten die Kunst in den Dienst ihrer politischen Ambitionen zu stellen. Wenn es in einer vom bayerischen Hof gesteuerten Beschreibung der Residenzbauten Maximilians hieß, diese seien „imperiale più che ducale",3 so sollte damit gewiß auch die Kaiserfähigkeit Maximilians in Konkurrenz zu den Habsburgern angesprochen werden. Die Kunstförderung besaß in ihrer 1 Die Literatur zu Maximilians Kunstbestrebungen ist überaus reichhaltig. Sie wird zu einem guten Teil den Forschungen verdankt, die von Mitarbeitern der bayerischen Staatssammlungen (Residenzmuseum München, Staatsgemäldesammlungen, Nationalmuseum, Staatsbibliothek, Landesamt für Denkmalpflege usw.) im Laufe der Jahre veröffentlicht worden sind, nicht zuletzt in den Katalogen und Aufsatzbänden zur Wittelsbacher-Ausstellung 1980. 2 Häufle, Hainhofer 293. Z u dem Augsburger Kunstagenten Hainhofer, dessen Aufzeichnungen manche Details zu den Kunstbestrebungen Wilhelms V., Maximilians und seiner Brüder bieten, vgl. Brigitte Volk-Knüttel.\ Maximilian I. von Bayern als Sammler und Auftraggeber. Seine Korrespondenzen mit Ph. Hainhofer, in: H. Glaser (Hg.), Quellen und Studien zur Kunstpolitik der Wittelsbacher v o m 16.-18. Jh., München 1980, 83-128; Ronald Gobiet, D e r Briefwechsel zwischen Philipp Hainhofer und Hg. August d.J. von Braunschweig-Lüneburg, München 1984; Hans-Olof Boström, Ph. Hainhofer als Vermitder von Luxusgütem zwischen Augsburg und Wolfenbüttel, in: J. Brüning-F. Niewöhner (Hg.), Augsburg in der Frühen Neuzeit, Berlin 1995,140-157 (mit Porträt). 3 Zitiert bei Alois Schmid, Maximilian I. von Bayern und Venedig, in: B. Roeck u.a. (Hg.), Venedig und Oberdeutschland in der Renaissance, Sigmaringen 1993,157-182, hier 179.
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10. Kunst und Wissenschaft
Wirkung nach außen wohl auch eine sozial distanzierende Funktion, insofern sie die Abgehobenheit des Fürsten gegenüber den übrigen gesellschaftlichen Gruppen vor Augen führen konnte.4 Neben solcher öffentlichen Zwecksetzung stand mindestens ebenso stark entwickelt der private Antrieb, standen Interesse und Kennerschaft, ja Leidenschaft mancher Fürstlichkeiten gegenüber den Hervorbringungen der Kunst, stand auch das schlichte Vergnügen, sich mit ausgesuchten Gegenständen hoher Qualität und von großem Wert zu umgeben und eine schöne Welt aufzubauen. Nicht wenigen Fürsten ging es auch um die Einmaligkeit, die Seltenheit dessen, was sie sammelten — „weil ein ding, wan es ein jeder hat, nit mer selzam", wie Maximilian gelegentlich äußerte.5 Unterschiedlich wie die Motivation der Fürsten war auch der Charakter ihrer Sammlungen. Die Bestände reichten von erstklassigen Werken der bildenden Kunst über eine vielgestaltige kunsthandwerkliche Produktion bis hin zu Skurrilitäten. Gerade auch die bedeutendste fürstliche Sammlung im Reich, diejenige Kaiser Rudolfs II. auf dem Hradschin in Prag, wies diese Spannweite auf.6 Wir wissen, daß der junge Maximilian zu den wenigen Auserwählten gehörte, denen die Besichtigung der rudolfinischen Bestände gestattet wurde, und es ist anzunehmen, daß sein eigener Entschluß, eine Sammlung von Spitzenwerken der Malerei und des hochrangigen Kunstgewerbes aufzubauen, von den Prager Anregungen nicht unbeeinflußt war. Daß er dabei in eine gewisse Sammlerkonkurrenz zum Kaiser geriet, entsprach der grundsätzlichen Konkurrenzsituation zum Hause Habsburg auf dem politischen Feld. Hainhofer urteilte 1636, daß Maximilian große Liebe zu Kunstwerken und ein gutes Urteil in Kunstsachen bereits von Jugend auf besitze, weil er von seinem Vater Wilhelm V. und seinem Großvater Albrecht V. „solchen verstandt und lust gleichsam ererbt und hereditarie an sich gebracht" habe.7 Der Hinweis auf den Vater und Großvater kam nicht von ungefähr, denn eine intensivere Kunstpflege und gezielte Sammlungstätigkeit der Münchner Wittelsbacher ist erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zu beobachten.8 AllerBetont bei Jürgen v. Kruedener, Die Rolle des Hofes im Absolutismus, Stuttgart 1973. Maximilian an Hainhofer, 30.11.1613, zitiert bei Volk-Knüttel.\ Maximilian I. 109 Nr. 24. 6 Vgl. Karl Vocelka, Rudolf II. und seine Zeit, Wien 1985, 27 f.; R.J.W. Evans, Rudolf II. Ohnmacht und Einsamkeit, Graz 1980, 113 ff. 1 Häutle, Hainhofer 293. 8 Sigmund v. BJe^ler, Die Kunstpflege der Wittelsbacher, München 1911; Jakob Stockbauer, Die Kunstbestrebungen am bayer. Hof unter Hg. Albert V. und seinem Nachfolger Wilhelm V., Wien 1874, Nachdruck Osnabrück 1970; Otto Hartig, Die Kunsttätigkeit in München unter Wilhelm IV. und Albrecht V. 1520-1579, in: Münchner Jahrbuch für büdende Kunst NF. 10 4 5
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dings verdanken die bayerischen Staatsgemäldesammlungen eines ihrer Glanzstücke, die Alexanderschlacht Albrecht Altdorfers, bereits einem Auftrag Wilhelms IV. Aber die Gründung einer eigenen, fortgesetzt erweiterten herzoglichen Kunstkammer,9 der Bau eines eigenen Sammlungsgebäudes (des heutigen Münzhofs)10 sowie des weitläufigen Antiquariums für die antiken Skulpturen11 ist doch erst das Werk Albrechts V. gewesen. Die Bestände der Kunstkammer und die Erwerbungen Herzog Albrechts bezogen sich allerdings auf ein breites Spektrum von Objekten, das sich von Werken der bildenden Kunst über wertvolle kunstgewerbliche und technische Gegenstände sowie unbearbeitete und bearbeitete Naturalien bis zu Kuriositäten erstreckte. Wenn dabei auch der künsderische Charakter der Kunstkammer überwog, so hat doch eine einigermaßen gezielte Sammlung von Spitzenwerken der bildenden Kunst nicht stattgefunden, was wohl auch durch Albrechts besonderes Interesse und die laufenden hohen Ausgaben für die Hofmusik verhindert worden ist. Diese Einschätzung läßt sich auch für die Kunstbestrebungen Wilhelms V. wiederholen, der sich — bei mannigfachen Interessen und entsprechenden Ankäufen - hauptsächlich in den großen architektonischen Projekten der Münchner Michaelskirche und des Jesuitenkollegs sowie durch die Musikkapelle Orlando di Lassos finanziell erschöpft hat. In diesen Verhältnissen treten uns nun in Maximilians künstlerischen Interessen und den Maßstäben seines Kunstsammelns neue Kriterien entgegen. Sie sind zusammenfassend dahin zu charakterisieren, daß bei ihm weniger die Eigenart des Gegenstandes als vielmehr die Qualität der künsderischen Ausführung sowie der Rang des ausführenden Künstlers den Ankauf bestimmen. Die neue Situation zeigt sich uns vor allem in der Errichtung der sog. Kam(1933), 147-225; Horst H. Stierhof, Die Wittelsbacher und die bildende Kunst, in: Die Wittelsbacher und ihre Künsder in acht Jahrhunderten, München 1980, 323-473. Vgl. auch die einschlägigen Passagen bei Wolfgang Braunfols, Kurbayern als Modell, in: Oers., Die Kunst im Hl. Römischen Reich Deutscher Nation, Band 1: Die weltlichen Fürstentümer, München 1979, 141-288, insbes. 174 ff.; Herbert Brunner, Die Kunstschätze der Münchner Residenz, München 1977; Alois Schmid, Der Hof als Mäzen. Aspekte der Kunst- und Wissenschaftspflege der Münchner Kurfürsten, in: V. Schubert (Hg.), Wissenschaft und Philosophie, Band 5, München o.J., 185-268. 9 Loren% Seelig, Die Münchner Kunstkammer. Geschichte, Anlage, Ausstattung, in: Jahrbuch der bayer. Denkmalpflege 40 (1989), 101-138. 10 Michael Petzet, Das ehem. Marstall- und Kunstkammergebäude in München und sein Ausbau zur kgl. Münze, in: Ebenda 15-100. 11 Ellen Weski - Heike Frosien-Leins^ Das Antiquarium der Münchner Residenz. Katalog der Skulpturen, 2 Bände, München 1987; Dorothea und Peter Diemer, Das Antiquarium Hg. Albrechts V. von Bayern - Schicksale einer fürstlichen Antikensammlung der Spätrenaissance, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 58 (1995), 55-104 (Lit.)
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mergalerie im Jahre 1607, einer Spe2ialsammlung meist hochrangiger Kunstwerke, die zum größeren Teil (übrigens entgegen den Bestimmungen der Testamente Albrechts V. und Wilhelms V.) der Kunstkammer entnommen, zum kleineren von Maximilian in den vorhergehenden Jahren erworben worden waren.12 Die Kammergalerie enthielt als erste Abteilung die „Contrafets", einen Bestand von dreißig Wittelsbacher Porträts gleichen Formats, geordnet nach den regierenden Herzögen der Münchner Linie von Albrecht IV. bis zu Maximilian, dann den nichtregierenden Nachgeborenen sowie zehn Pfálzer Wittelsbachern.13 Ein Teil der Bildnisse stammte aus dem frühen 16. Jahrhundert von der Hand Bartel Behams, die übrigen waren im Auftrag Maximilians zum Zweck der Vervollständigung der Reihe bis zur Gegenwart angefertigt worden. In späteren Jahren ließ Maximilian die Sammlung auf 36 Porträts erweitern, darunter nun auch die Bildnisse Karls des Großen und Ludwigs des Bayern, die damit beide als seine Ahnherrn reklamiert wurden. In der Ahnengalerie mochte sich Maximilian des Ranges der Dynastie und seiner eigenen Position gegenüber seinen Brüdern und Verwandten vergewissern. Als zweite Abteilung enthielt die Kammergalerie eine Reihe von Miniaturen, von denen einige für Werke Dürers gehalten wurden. Den wertvollsten und Hauptbestand der Galerie aber machten die „Kunststuckh" (in der Formulierung der Inventare) aus, zunächst dreißig Gemälde geistlicher und weltlicher Thematik von höchster Qualität, welcher Bestand in den folgenden Jahren durch Ankäufe mehr als verdoppelt worden ist. Maximilian war darauf bedacht, die Kammergalerie in seiner unmittelbaren Nähe zu haben und hat sie daher zusammen mit seiner Privatbibliothek in einem Gang untergebracht, zu dem er von seinem „Leibzimmer", der Schlafkammer im Obergeschoß des südlichen Grottenhoftraktes, direkten Zugang und Einblick hatte so wie einst Philipp II. von Spanien im Escorial den Blick aus der Schlafkammer auf den Hochaltar gehabt hatte. Maximilian sah die Kammergalerie 12
Peter Diemer, Materialien zu Entstehung und Ausbau der Kammergalerie Maximilians I. von Bayern, in: H. Glaser (Hg.), Quellen und Studien 129-174; vgl. auch GR II 500 ff. Wichtig für die Erfassung der Bestände und deren Veränderung sind die überlieferten Inventare: Inventar der Kunstkammer durch Fickler 1598 (Cgm 2133). Inventar der Kammergalerie durch Gewold 1607 (Druck: Diemer, Materialien 130-133). Inventar der Kammergalerie ca. 1630 (Druck: Diemer, Materialien 161-174 [nur Gemälde!]). Inventar der Kammergalerie 1641/42 (Druck: Monika Bachtler-Peter Diemer-Johannes Erichsen, Die Bestände von Maximilians I. Kammergalerie. Das Inventar von 1641/42, in: H. Glaser (Hg.), Quellen und Studien 193-242). Verzeichnis der Verluste beim Schwedeneinfall 1632 (Druck: Ebenda 242-249). Sonstiges (Druck: Ebenda 250-252). 13 Johannes Erichsen, Die Wittelsbacher-Bildnisse der Kammergalerie Maximiiiansi., in: H. Glaser (Hg.), Quellen und Studien 179-190, mit allen Details sowie Abb. sämtlicher Tafeln.
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als einen Intimbereich, ein Arcanum, zu dem er nur wenigen Vertrauten Zugang gewährte (der Kunstagent Hainhofer war nicht darunter). Auch hierin offenbarte sich der hohe Rang, den er künstlerischen Hervorbringungen herausragender Qualität in seiner Wertewelt eingeräumt hat. Das Herz der „Kunststuckh" bildete die Sammlung von Werken Albrecht Dürers, die Maximilian im Laufe der Jahre durch Kennerschaft und Geduld, Unbedenklichkeit und materiellen Einsatz auf vierzehn Objekte zu erweitern vermochte.14 Es waren die „Himmelfahrt Mariens" vom Helleraltar des Frankfurter Dominikanerklosters, nach der lt. Inventar „von Kaiser, König und Potentaten [...] lang und vielfeltig getracht worden, welche Ihre Frl. Dchlt. anno 1614 mit sonderbarer muehe und uncosten bekommen," die aber 1729 einem Residenzbrand zum Opfer fiel; Mitteltafel („Geburt Christi") und Flügel (Hl. Georg und Hl. Eustachius) des Paumgartneraltars aus Nürnberg; eine „Anna Selbdritt", jetzt im Metropolitanmuseum in New York, über deren Echtheit Maximilian allerdings im Zweifel war; die „Madonna mit der Nelke"; eine Beweinung Christi und ein „Herkules im Kampf mit den stymphalischen Vögeln" aus der Sammlung Imhof in Nürnberg; Miniaturen des Hl. Hieronymus sowie der Hl. Familie. Verloren sind heute aus Maximilians Dürerkollektion eine Jugendzeichnung „Drei Köpfe", ein Kopf des leidenden Christus sowie das Brustbild eines Mannes mit Pelz. Bereits einer der Vorfahren Maximilians hatte die Dürersche „Lukretia" erworben. Die herausragenden Kostbarkeiten der Maximilianeischen Dürersammlung waren jedoch, neben dem Helleraltar, die aus dem Nachlaß des Kardinals Granvella in Besançon erworbene Hälfte des Gebetbuches Kaiser Maximilians I. mit den Randzeichnungen Dürers und Cranachs, das Maximilian gelegentlich hohen oder sachkundigen Besuchern (wie dem Maler Sandrart) zeigte, insbesondere aber die „Vier Apostel" von 1526. Dürer hatte die beiden monumentalen Tafeln einst dem Rat seiner Vaterstadt geschenkt. Als Maximilian 1627 sein großes Interesse an ihnen bekunden ließ (obwohl er sie noch nicht gesehen hatte), zögerten die Nürnberger begreiflicherweise und baten den Kurfürsten schließlich, mit den (im bayerischen Auftrag bereits gefertigten) Kopien vorlieb zu nehmen, die sie gleichzeitig mit den Originalen nach München sandten; sie verwiesen auch darauf, daß die unter den Bildern angebrachten reformatorisch akzentuierten Schrifttexte bei den Münchner 14 Josef Weiß, Kf. Maximilian I. als Gemäldesammler, in: Hist.-polit. Blätter für das katholische Deutschland 142 (1908), 545-569, 640-654, 761-773; Anton Ernstberger, Kf. Maximilian I. und Albrecht Dürer. Zur Geschichte einer großen Sammlerleidenschaft, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1940 bis 1953, Berlin 1954, 143-196; Diemer, Materialien; BachtkrDiemer-Erichsen, Bestände.
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Jesuiten anstößig wirken müßten. Maximilian ließ daraufhin kurzerhand die Texte absägen und mit den Kopien nach Nürnberg zurücksenden. Die Originale reihte er der Kammergalerie ein.15 Mit Genugtuung vermerkt das Inventar von 1630, daß die beiden Tafeln zwar „Kayser Rudolpho auf dero begern abgeschlagen, leztlichen anno 1627 Ihrer Churfr. Drt. hieher verwilliget und yberlassen worden". Ungesagt blieb, daß sich die Nürnberger letztlich machtpolitischem Druck gebeugt hatten, in der Hoffnung, durch Bezeugung ihres guten Willens künftig von Durchzügen und Einquartierungen ligistischer Truppen verschont zu werden. Die Bemühungen Maximilians um Dürers Vier Apostel gestatten Einblick in sein Kunstverständnis und in die Strategien, mit denen er Kunstwerken gegenübertrat. Allgemeine Voraussetzung war sein prinzipielles Interesse an Malerei, das uns schon in der Ingolstädter Zeit begegnet, wobei der Einfluß der Eltern und des reichen Kulturmilieus am Münchner Hof hoch zu veranschlagen ist. Auf Wegen, die wir im einzelnen nicht kennen, muß er sich auch gute Kenntnisse über Künstler und Schulen erworben haben, ebenso ein Gespür für Qualität, das ihn später befähigt hat, den besonderen Rang einzelner Künstler und Kunstwerke zu erkennen und zu bewerten.16 Kennerschaft und Sammlungsbemühung gingen Hand in Hand. Maximilians gleichbleibende Kaufstrategie bestand darin, sich durch Kunstagenten wie Hainhofer über käufliche Objekte zu informieren oder sie gezielt nach interessanten Objekten fahnden zu lassen, wobei auch nach Italien, Frankreich und den Niederlanden ausgegriffen wurde. Im Unterschied zur Praxis seines Vaters wurden dann die eigentlichen Verhandlungen, jedenfalls im Italiengeschäft, von Kaufleuten aus Nürnberg und vor allem aus Augsburg geführt.17 Charakteristisch sind auch Maximilians Bemühungen, die Anwesenheit des Ligaheeres in Norddeutschland zur Gewinnung von Kunstwerken zu nützen, so 1627 eines Werkes, von dem er detailliert anzugeben wußte, daß „zu Stendel in der Mark Brandenburg in Unser L. Frauen Kirchen zu hinderist under der orgel ein altar sey mit St. Hieronimie bildtnuß mit doppelten flüglen vom Albrecht Dürer anno 1511 gemalt".18 Tatsächlich wurde der Altar identifiziert, ging aber beim Transport nach München verloren. Im übrigen pflegte
Originale und Texte wurden erst 1922 wieder vereinigt. Vervaux schreibt über Malkunst und Kennerschaft des jungen Maximilian: „Et vero tantos in ea arte progressus fecerat, ut tametsi illi non fuisset nisi obiter primis annis addictus, nemo peritius de pictorum manu atque differentia, de picturarum pretio atque praestantia, quam ipse iudicaret" (Adlireiter- Vervaux, Annales III, 4). 17 Schmid, Venedig 172 ff. 18 Zitiert bei Weiß, Gemäldesammler 555 ff., der den Vorgang eingehend untersucht. 15 16
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Maximilian erst zu kaufen, wenn er das Objekt selbst in Augenschein genommen und auf Authentizität geprüft hatte, denn es sei „mit der pittura ein sach wie mit den pferden, welche ohne das aug nit wol können kauft werden".19 Dieses Prinzip galt insbesondere für Gemälde Dürers, denn, so formulierte einer seiner Agenten, „Ihr Churfürstliche Durchlaucht vermeinen, sie kennen des Dürers Hand so wohl als ein jeder Kanzler seinen Kanzelisten und Schreiber".20 Demgemäß hat Maximilian wiederholt in einer Mischung aus Kennerschaft und Mißtrauen sogenannte Dürer-Stücke nach Autopsie als Kopien oder Fälschungen bezeichnet und wieder zurückgehen lassen. Nach Venedig monierte er gelegentlich indigniert, „wan die mahler hinfüran etwas wölln heraus ordnen, daß sie solche stück und sachen schicken, die bei fürsten passieren und des darauf gehenden costens werth sein".21 Das Angebot sollte dem Rang des Käufers entsprechen, der Käufer qualifizierte sich durch den künstlerischen Rang des Kunstwerks auch selbst - auch dieser Gesichtspunkt trug zur Wertschätzung Dürers in München bei. Maximilian war der Auffassung, daß „die alten den newen meistern in der kunst und verstand" vorzuziehen seien.22 Diese Einschätzung entsprang seinem allgemeinen Konservativismus, seiner Liebe zum akkuraten Detail, war aber wohl auch beeinflußt durch die Wertschätzung seines Vaters für altdeutsche Malerei, vielleicht auch durch den Eindruck der großen Dürerkollektion Rudolfs II. Im übrigen war ein retrospektiver Kunstgeschmack um 1600 weit verbreitet, ein Kunstverständnis, „das die an den Höfen gepflegte manieristische Malerei als einen Rückschritt gegenüber den in der Renaissance erworbenen Fertigkeiten in wissenschaftlich-korrekter Bildanlage und minutiöser Ausführung betrachtete";23 man spricht von einer „Dürer-Renaissance", einer gerade zur Zeit Maximilians beliebten Aufnahme altdeutscher und altniederländischer Formen in der Hofkunst.24 So hat Maximilian im Laufe der Jahre neben Dürer manche weiteren altdeutschen Meister erworben und der Kammergalerie einverleibt, vor allem Lucas Cranach d.Ä., Hans Burgkmair Maximilian an Ferdinand von Köln, 18.3.1630: Weiß, Gemäldesammler 560. Zitiert bei Hrnstberger, Maximilian I. 174, von diesem in der Orthographie modernisiert. 21 Maximilian an Hainhofer, 31.7.1612: Volk-Knüttel.\ Sammler 107 Nr. 16. Vgl. etwa auch Hainhofer an Herzog August d.J., August 1618: „Die Bremische altar tafel. Im fall sie schön, mügen EFG wol für Bayrn schüken, wans aber nit von gueten maister, kan ich nit darzue rathen [..], da sie guet, wiirdt mans ambabus manibus acceptirn, sonderlich der regierende herr [Maximilian], wan die tafel groß und excellent ist" (Gobiet, Briefwechsel Nr. 399). 22 Mitteilung Hainhofers: Häufle, Hainhofer 152 (27.9.1612). 23 Erichsen, Wittelsbacher-Bildnisse 183. 24 Vgl. Gisela Goldberg, Zur Ausprägung der Dürer-Renaissance in München, in: Münchner Jahrbuch der büdenden Kunst 31 (1980), 129-175. 19
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d.Ä., Bartel Beham, Hans Holbein d.Ä., dann auch Altniederländer wie Lucas van Leyden. Von seinem Vater erbte er 1626 eine Tafel Matthias Grünewalds, das sog. Kleine Kruzifix, das er wohl als besonders verehrtes Andachtsbild in seiner Schlafkammer aufbewahrte. Bemühungen um den Isenheimer Altar Grünewalds blieben dagegen ergebnislos. Auch Bilder Hans Holbeins des Jüngeren sind ihm entgangen. Der Maler und Kunstschriftsteller Joachim Sandrart berichtet, daß er (Sandrart) in Basel eine Passion Holbeins in acht herrlichen Tafeln gesehen habe. „Dannenhero, als Anno 1644 Ihre Churfürsd. Durchl. in Bayren, Herzog Maximilian seeligster Gedächtnis, ich gecontrafátet und mit Erzehlung der Fürtrefflichkeit dieses Stucks, indem sie gesessen, unterhalten, haben dieselbe ein solches Belieben, dasselbe zu sehen, bekommen, daß sie einen expreßen abgeordnet, solches um den Preiß, darfür man es lassen wolte, zu erkauffen." Jedoch sei der Agent wegen ungeschickter Verhandlungsführung mit leeren Händen zurückgekehrt.25 In der Mitte der dreißiger Jahre erfuhr Maximilians Sammlungsideal eine gewisse Erweiterung, indem verstärkt Italiener erworben wurden, darunter Meisterwerke wie Tizians herrliche „Vanitas", Bordones „Juwelier mit Dame" und der „Astronom" des Leonardo da Vinci.26 Auch eine Madonna Raffaels befand sich unter den Ankäufen, Maximilian ließ sie, ihren Wert sehr wohl erkennend, mit einem besonders kostbaren Rahmen versehen, doch ist das Bild dem Residenzbrand von 1729 zum Opfer gefallen. Vielleicht hing der Ausbau der italienischen Abteilung seit der Rückkehr Maximilians nach München 1635 mit Verlusten der Kammergalerie durch die schwedische Plünderung von 1632 zusammen, vielleicht auch mit Eindrücken in Wien 1635 bei der Hochzeit mit der Kaisertochter Maria Anna und mit deren Kunstgeschmack. Wenn Maximilian laut Hainhofer die alten Meister den modernen an Kunst und Verstand für überlegen hielt, so erweist seine Sammlungspraxis, daß er sich doch nicht auf diese verengte, sondern weder Scheu vor Manieristen (vor allem niederländischen) noch vor Zeitgenossen hatte, wenn sie nur „Kunst und Verstand" aufzuweisen hatten. Er war ja auch in München unter manieristischen Künsdern wie Friedrich Sustris, Hubert Gerhard und Chri-
Joachim Sandrart, Ternsche Academie der edlen Bau-, Bild- und Mahlereikünste, hg. von R.A. Peteer, München 1925, 99. 26 Zu Maximilians Kunstverbindungen nach Venedig vgl. vor allem die materialreiche Untersuchung von Schmid, Venedig. 25
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stoph Schwarz aufgewachsen.27 Gegenüber Ferdinand von Köln bekannte er gelegentlich, daß ihm auch Bilder annehmlich seien, „die alla moderna und, wie es ieziger zeit gebräuchig, auf italienische manier gemalt".28 Entsprechend finden sich in der Kammergalerie auch Werke Adam Elsheimers, Jan Breughels d.Ä. und des Nürnbergers Johann König. Von dem Zeitgenossen Rubens wurden 1617 vier große Jagdstücke bestellt, die das eben erworbene Schloß Schleißheim schmückten.29 Da sie zweihundert Jahre später auch Napoleon gefielen, befindet sich von ihnen heute nur noch die hinreißende Nilpferdjagd in der Alten Pinakothek. Auch der eindrucksvolle Zyklus der zwölf Monate des Zeitgenossen Joachim Sandrart wurde von Maximilian für Schleißheim bestellt, und ebenso waren die Räume der neuen Residenz mit zahlreichen zeitgenössischen Werken, namentlich von Peter Candid, angefüllt. Dagegen fehlten gleichzeitige kalvinistische Niederländer, wie vor allem Rembrandt, aber auch spanische Meister oder Werke van Dycks, die sein Schwager Wolfgang Wilhelm in Neuburg und Düsseldorf sammelte. Trotz seiner Präferenzen für Dürer und dessen Zeitgenossen darf Maximilian also nicht einseitig auf das frühe 16. Jahrhundert festgelegt werden, kennzeichnender sind sein allgemeines Kunstinteresse, seine Kennerschaft und die konstante Bemühung um Spitzenleistungen. Kennzeichnend ist auch, daß er beim Erwerb einzelner Stücke zwar handelte und knauserte, aufs Ganze jedoch ungeachtet eines auf Sparsamkeit ausgerichteten Staatsprogramms und ungeachtet schwieriger Kriegsjahre seinen Sammlungen bedeutende Summen gewidmet hat, auch wenn sie, wie die unter Verschluß gehaltene Kammergalerie, weder fürstlicher noch staatlicher Repräsentation dienen konnten. Es ist die unmittelbare persönliche Beziehung zum Kunstwerk, die Maximilian als Sammler kennzeichnet, große Kunst empfand er als Lebenshilfe. So äußerte sein Kammerdiener bei den Verhandlungen um Dürers Apostel gegenüber dem Nürnberger Rat, daß sein Herr „bei jetzigem Ihrem schweren regiment und hohem alter kain größer ergetzligkait dan in den gemählen hätten"; sein größtes Vergnügen sei, in seiner Kunstkammer unter wertvollen Gemälden und Kunstgegenständen zu weilen.30 Entsprechend dieser engen Beziehung zeigte sich Maximilian auch an Nachrichten über den Lebensgang der Meister oder über die Geschichte der Vgl. auch Benno Hubensteiner, Der Triumph des Manierismus. Eine Anmerkung zur Hofkultur des bayer. 16. Jh.s, in: D. Albrecht u.a. (Hg.), Festschrift für M. Spindler zum 75. Geburtstag, München 1969, 437-449. 28 Zitiert bei Weiß, Gemäldesammler 563 (9.4.1630). 29 Abb. und weitere Literatur in GR II, 498 ff. 30 Zitiert bei Josef Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, Nördlingen 1860, 95 und 12 f. 27
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erworbenen Kunstwerke interessiert, indem er sich etwa eine Kopie von Dürers Briefwechsel mit Heller über die Entstehung des Helleraltars anfertigen ließ. Sandrart berichtet von der Freude Maximilians, als er diesem den Künsder der „Kleinen Verkündigung", also Grünewald, benennen konnte, den der Vorbesitzer Wilhelm V. noch nicht gekannt hatte. Hier zeigt sich ein gewissermaßen kunstgeschichtliches Interesse, das sich auch in der Qualität der Sammlungsinventar e spiegelt. Dieses intensive Interesse des Liebhabers und Sammlers ließ den Herzog gelegentlich wohl auch die Grenzen überschreiten, wenn es sich mit fürstlichem Selbstbewußtsein paarte — so, als er den Bürgermeister der Stadt Nürnberg bei Ungnade aufforderte, einen Nürnberger Bürger zur Herausgabe eines vermeintlichen Michelangelo zu zwingen. Als er die selbstbewußte Antwort erhielt, daß es in Reichsstädten nicht üblich sei, ehrbaren Bürgern in ihren Privatsachen Vorschriften zu machen, vergaß er in seinem Arger alle Grundsätze und erklärte, daß es sowieso „in effectu umb khain wichtige sach, sonder nur umb ain mit färben überstrichenes prött zu thuen".31 Vielleicht war aus der engen Identifizierung des Sammlers mit seiner Sammlung auch die Unbedenklichkeit zu erklären, mit der Maximilian Korrekturen — Ergänzungen und Übermalungen — an den Bildern vornehmen ließ, selbst bei Bildern Dürers! Neben der Erweiterung von Landschaftsund Architekturteilen ging die Tendenz vor allem auf die Anonymisierung dargestellter Personen. So befahl er beim Paumgartneraltar und der sog. Glimmschen Beweinung Dürers sowie bei Lucas van Leydens Maria mit dem Kind alle Stifterfiguren zu übermalen; die mit Porträtzügen ausgestatteten beiden Heiligen auf den Seitenflügeln des Paumgartneraltars wurden zu anonymen Rittern umgewandelt, in Holbeins Bildnis des Bryan Tuke wurden alle Momente getilgt, die auf ein Porträt deuteten. Offenbar wollte Maximilian in seinem Allerheiligsten nicht durch Subjektives und Zeitgebundenes abgelenkt werden, das Zeitlose sollte ihn umgeben. In der Beschreibung der Inventare wurden selbst Dürers Apostel entpersönlicht und auf Typen reduziert: „Die zwo taffein repraesentirn undter der 4 darauf gemalten heyliger Petri, Joannis, Pauli und Marci gesichter die 4 complexiones des menschen."32 Neben den Spitzenwerken der Malerei, den Miniaturen und den .Ahnenporträts enthielt die Kammergalerie als letzten Bestand eine Vielzahl von wertvollen kunsthandwerklichen Objekten und kleineren künstlerischen Arbeiten. Auch hier dokumentierte sich Maximilians Präferenz für das Exklusi3! Vgl. Weiß, Gemäldesammler 642 f. 32 Bachtler-Diemer-Erichsen, Bestände 226 (Nr. XII, 2/3).
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ve, handwerklich Perfekte und Seltene sowie seine Faszination durch kostbare Materialien. Seine besondere Neigung galt edelsteinbesetzten Kleinodien, den „gioie oder clinodia", von denen er, wie Hainhofer berichtet, auch etwas verstand.33 Selbst im großen Krieg, als die Kassen durch die Heeresfinanzierung erschöpft waren, hat Maximilian erhebliche Beträge für den Kauf von Kleinodien ausgegeben. Von den lothringischen Erben seiner 1635 verstorbenen ersten Gemahlin kaufte er vorwiegend Stücke mit Diamanten zurück;34 1637 erwähnt Hainhofer „einen korb von gold mit allen stainen ziert" für die zweite Gemahlin Maria Anna, „der ist aber hoch ins gelt kommen"; im gleichen Jahr wurden weitere zehntausend Taler für Kleinodien verwendet, „und ist bey disem herrn khain mangel an gelt".35 Die kunsthandwerklichen Objekte in der Kammergalerie entstammten teils der Kunstkammer, waren also bereits von den Voreltern gesammelt worden, teils waren es Neuerwerbungen Maximilians.36 Es handelte sich um wertvollen Schmuck, reichverzierte Gefäße und Geschirre aus kostbaren Steinen, Hölzern und Metallen, um Uhren, Schreibutensilien, Waffen, Prunktische, um Andachtsgegenstände wie das Passionsaltärchen der Maria Stuart und Kruzifixe aus Elfenbein, um reich illuminierte und illustrierte Gebetbücher, so diejenigen Kaiser Karls des Kahlen und Kaiser Maximilians I., auch um die sieben Bußpsalmen in der Vertonung Orlando di Lassos mit den Miniaturen Hans Mielichs. Eines der kostbarsten, von Maximilian selbst in Auftrag gegebenen Stücke bildete der überaus kunstvolle Münzschrein des Augsburgers Christoph Angermair, ein Elfenbeinschrank für eine Auslese aus der großen Münzsammlung des Hauses Wittelsbach.37 Nicht zuletzt enthielt diese Abteilung der Kammergalerie auch Arbeiten Maximilians selbst, die er in Mußestunden angefertigt hatte, aus Elfenbein gedrechselte Dosen und Leuchter sowie eine von ihm aus Silber gegossene Statuette des Erzengels Michael nach Entwurf von Friedrich Sustris.38 Man hat wohl geglaubt, die Drechselarbeiten, die handwerkliches und technisches Geschick erforderten, als Ausdruck einer spezifischen peniblen Mentalität Maximilians interpretieren zu sollen. Jedoch wissen wir, daß 33 Häutle, Hainhofer 78 und 293. 34 Monika Bachtier; Goldschmiedearbeiten im Auftrag Hg. Maximilians I. von Bayern, in: GR I, 323-329, mit weiteren Hinweisen zum Thema. 35 Gobiet, Briefwechsel Nrr. 1214 und 1200. 36 Detaillierter Überblick nach dem Stand von 1641/42 bei Bachtler-Diemer-Erichsen, Bestände 195-217; vgl. auch GR II Nr. 272 ff. Lt. Hainhofer (bei Gobiet, Briefwechsel Nr. 775) soll Maximilian von Galilei ein Teleskop um 200 Reichstaler erworben haben. 37 Vgl. GR II Nr. 301 mit Abb. 38 Zu diesen Arbeiten vgl. GRU Nr. 274-276 mit Abb. Eine Dose, 1632 entwendet, befindet sich heute im Nationalmuseum in Stockholm.
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die Elfenbeindrechselei zur Freizeitbeschäftigung nicht weniger deutscher Fürstlichkeiten zählte, die hierbei Erholung suchten, wie es Hainhofer für Maximilian ausdrücklich festgestellt hat.39 Natürlich waren Maximilians Drechseleien den übrigen Objekten der Kammergalerie an Kunstfertigkeit nicht ebenbürtig, doch verrät die Inschrift eines seiner Produkte einen hohen Anspruch: „Ebur ars nobilitat, artem auctor Maximiiianus Dux Bavariae, anno 1608 - Kunst veredelt das Elfenbein, und der Urheber Herzog Maximilian von Bayern veredelt die Kunst". Zahlreiche Gegenstände der Kammergalerie sind, wie erwähnt, den Beständen der herzoglichen Kunstkammer im Marstallgebäude entnommen worden. Vielleicht hing schon die Erstellung des ersten umfassenden Kunstkammerinventars durch Fickler 1598 mit der Absicht des jungen Maximilian zusammen, sich einen Uberblick über die Bestände als Voraussetzung gezielter Entnahmen für die geplante Kammergalerie zu verschaffen. Jedenfalls hat die Kunstkammer durch die Entnahmen, die kaum durch Zuweisungen ausgeglichen wurden, im Laufe der Jahre erheblich an Wert und Bedeutung verloren, nach den schweren Verlusten durch die schwedische Plünderung 1632 wurde sie vollends zur bloßen Verfügungsmasse für die übrigen Sammlungen degradiert. Als Maximilian durch die testamentarische Disposition von 1641 den Bestand seiner Sammlungen über seinen Tod hinaus zu sichern suchte, wurde die Kunstkammer schon nicht mehr erwähnt. Wohl aber ist dort eine weitere Sammlung neben der Kammergalerie genannt, der sog. Hausschatz.40 Im Jahre 1565 hatte Albrecht V. aus 27 „erb- und haus clainodern", in der Hauptsache kostbarem Schmuck, einen unveräußerbaren Schatzfonds gestiftet, den Grundstock der späteren Schatzkammer der Münchner Wittelsbacher. Wilhelm V. hatte den Hausschatz hauptsächlich durch drei Zuwächse bereichert, das Gebetbuch Karls des Kahlen, eine Schmuckkassette Wenzel Jamnitzers und die überaus kostbare, mit Perlen und Edelsteinen übersäte Statuette des Ritters St. Georg mit dem Drachen. Maximilian hat dem Hausschatz im Laufe der Jahre etwa ein halbes Hundert Objekte hinzugefügt, wie die Dispositionen von 1617, 1637 und 1641 erweisen, und er hat testamentarisch an der Vorschrift seiner Vorfahren festgehalten, daß aus dem Bestand nichts veräußert werden dürfe. Er hat sich aber auch nicht gescheut, einzelne Stücke, wie das Gebetbuch Karls des Kahlen, herauszulösen und in seine Häutle, Hainhofer 78. Vgl. auch Klaus Maurice, Der drechselnde Souverän, in: H. Glaser (Hg.), Kf. Max Emanuel. Bayern und Europa um 1700, Band 1, München 1976, 277 f. 40 EmiI v. Scbauß, Historischer und beschreibender Catalog der Kgl. Bayer. Schatzkammer zu München, München 1879; Herbert Brunner, Schatzkammer der Residenz München. Katalog, 3. Aufl. München 1970, 7 ff.; Brunner, Kunstschätze 127 ff. 35
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Kammergalerie zu übernehmen - wie im Falle der Kunstkammer ging ihm auch hier das Bedürfnis nach Nähe und unmittelbarer Anschauung großer Kunst über die Wahrung der Geschlossenheit der Bestände. Zu Maximilians Sammlungen könnte auch noch seine große Reliquiensammlung gerechnet werden, die in kostbaren Reliquiaren in seinem Privatoratorium aufbewahrt wurde. Hinter der Sammlung dieses Heiltumsschatzes standen jedoch religiöse, nicht ästhetische Intentionen, so daß von ihm im Kapitel über Maximilians Religiosität zu handeln ist. Allen Sammlungen war aber gemeinsam, daß sie nicht der öffentlichen Schaustellung, sondern privaten Bedürfnissen des Fürsten und allenfalls seiner engsten Umgebung dienten und fremden Augen mit wenigen Ausnahmen verborgen blieben. Hinter ihnen stand also keine politische Zielsetzung, weder diejenige einer fürstlichen Repräsentation nach außen, noch der Heraushebung gegenüber den Untertanen. Ihr Zweck war schlicht die Befriedigung der künstlerischen und religiösen Bedürfnisse Maximilians, sie gehörten einer Privat- und Intimsphäre an, die von Politik nichts wußte. Im Unterschied hierzu war die auffälligste künsderische Unternehmung Maximilians in weitem Umfang mit politischen Zwecken verbunden und bedeutete Demonstration herrscherlichen politischen Selbstverständnisses und allgemeinpolitischer Zielsetzungen: Der Bau der neuen Residenz, „imperiale più che ducale". Maximilians Vorgänger hatten ihre Münchner Residenz, die Neue Veste,41 im Laufe der Jahrzehnte nicht nur von der befestigten Burg zum Stadtschloß gewandelt (zuletzt Albrecht V. durch den Bau des repräsentativen Georgs-Saales), sondern auch, bezeichnender, den Ausbruch aus der Neuveste auf bisher städtischen oder kirchlichen Boden vollzogen. Albrecht V. hatte Kunstkammergebäude, Antiquarium und Ballhaus errichten lassen, Wilhelm V. hatte endgültig die Neuveste verlassen und war in den neuen Grottenhoftrakt übersiedelt. Diese bauliche Bewegung hat Maximilian in großem Maßstab fortgeführt, indem er Teile der Neuveste abbrechen ließ und den Rest in eine neue Residenz integrierte, deren Bau sein eigentliches Anliegen war.42
Otto Meitinger, Die baugeschichtliche Entwicklung der Neuveste, in: OA 92 (1970), 2-295, mit zahlreichen Plänen und Abb. 42 Horst H. Stierhof, Zur Baugeschichte der Maximilianeischen Residenz, in: GR I, 269-278; Brigtte Knüttel, Zur Geschichte der Münchner Residenz 1600-1616, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3. Folge 18 (1967), 187-210; Norbert Lieb, München. Die Geschichte seiner Kunst, 4. Aufl. München 1988, 175 ff.; Brunner-Hojer-See/ig, Residenz München, München 1990 (Ut.); GR II Nr. 882 ff. 41
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Am Beginn einer sich über drei Jahrzehnte erstreckenden Bautätigkeit Maximilians stand zunächst die Ausgestaltung des Anüquariums gleichzeitig durch ihn und seinen Vater.43 Durch Absenkung des Bodens und die Einbeziehung der bisher freistehenden Antiken in die Wandflächen gewann der mächtige Tonnenraum an Weite, durch Ausmalung und Stukkierung an Farbe und Festlichkeit. Die Ausschmückung des Saales mit über hundert Ansichten bayerischer Städte, Märkte und Burgen kann vielleicht als bewußte „geographische Machtbezeugung" (Lieb) verstanden werden, die Darstellung fürstlicher Tugenden in den Deckengemälden als Selbstverpflichtung der Auftraggeber. Maximilian beendete die Umgestaltung im Jahre 1600 mit der Ausschmückung der beiden Schmalseiten durch Portal- und Kaminarchitekturen aus schwerem Marmor mit davorliegenden Balustraden, eine für die Musik, die andere für die herzogliche Tafel. Aus dem Antikenmuseum war nun ein prächtiger Festsaal geworden, der größte profane Renaissanceraum des 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen, der durch die zahlreichen Büsten antiker Herrscher aus weißem und rotem Marmor den Charakter eines Kaisersaales erhielt. Diesen Umgestaltungen Schloß sich in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts eine weitere Bauperiode unmittelbar an. Sie erstreckte sich auf Veränderungen und Erweiterungen um den Grottenhoftrakt und war möglich, weil sich Wilhelm V. inzwischen in einiger Entfernung von der Residenz mit der Wilhelminischen Veste (der späteren Maxburg) eine neue Behausung für die Jahre nach der Abdankung geschaffen hatte.44 Maximilian, der bisher den von Sustris 1590/91 errichteten „Erbprinzenbau" an der Schwabingergasse (Residenzstraße) bewohnt hatte,45 bezog nun neue helle und stille Wohnräume im Obergeschoß des südlichen Grottenhofflügels, in denen er auch nach dem Bau der neuen Residenz wohnen blieb. Der südlich anschließende Große Residenzgarten (heute Königsbauhof), in den er blickte, erhielt reichere Ausschmückung vor allem durch Bronzen Hubert Gerhards. Westlich vom Kapellenhof wurde an der Schwabingergasse ein Wohnbau für Herzogin Elisabeth errichtet und gleichzeitig der den Kapellenhof im Norden begrenzende alte Herkulessaal (heute Max-Joseph-Saal) repräsentativ umgestaltet und mit Historienteppichen ausgeschmückt. Die bedeutendsten Residenzbauten dieser Periode hatten jedoch sakralen Charakter: Die Hofkapelle, welche 1601/03 durch Erweiterung der bisherigen Kapelle des Erbprinzenbaus Weski-Frosien-Leiwç, Antíquarium I; Brunner, Kunstschätze 25 ff.; Diemer-Diemer, Antiquarium. Beschreibung bei Häutle, Hainhofer 61 ff. 45 Karl Busch, Das Erbprinzenhaus der Münchner Residenz, in: Zeitschrift fur Kunstgeschichte 2 (1933), 399-404. 43
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auf zwei Stockwerkshöhen aufgeführt wurde, und die 1607 geweihte „Geheime Kammerkapelle" (heute Reiche Kapelle) im westlichen Grottenhoftrakt, das überreich ausgestattete und mit zahlreichen Reliquien angefüllte Privatoratorium Maximilians. Als Übergang zur dritten Bauperiode kann die Umbauung des Brunnenhofs in den Jahren um 1610 gesehen werden, eines Festsaals im Freien, dessen westliche Begrenzung bereits durch das Antiquarium vorgegeben war, weiterhin der Bau des markanten Uhrturms an seiner Nordseite und die Errichtung des namengebenden Wittelsbacher-Brunnens mit den Plastiken Hubert Gerhards und weiterer Ausgestaltung durch Hans Krumper. Zwischen 1611 und 1616 entstand dann in einheitlicher Planung und rascher Ausführung nordwestlich der bisherigen Gebäulichkeiten der mächtige Bau der neuen Residenz, von dem Gustav Adolf sagen sollte, daß er ihn gerne auf Walzen nach Schweden transportiert hätte. Es war ein gewaltiger Vierflügelbau um den Kaiserhof, mit einer langen Schauseite, welche ältere Bauteile verband, an der Schwabingergasse. Hier erhielt die Stadt einen neuen starken Akzent, wie er bisher nur mit Frauenkirche und Michaelskirche samt Jesuitenstock bestanden hatte. Wenn die Frauenkirche den Höhepunkt bürgerlichen Bauens gebildet hatte und die Bautätigkeit Wilhelms V. ebenfalls in kirchlicher Architektur gipfelte, so war es nun bezeichnend für Maximilian, daß sein Bauwille sich in einer Residenz imperialen Ausmaßes realisierte. Es waren die Jahre der Gründung der Katholischen Liga und der Auseinandersetzungen mit den Habsburgern um Ziele und Führung der Liga, die Jahre des gegenreformatorischen Triumphes durch die Konversion Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg, des militärpolitischen Erfolges gegenüber Erzbischof Wolf Dietrich von Salzburg, auch der politischen Versuchung durch die pfalzischen Aufforderungen zur Kaiserkandidatur. Entwurf und Ausführung des Baues teilten sich wohl Hans Reiffenstuel und Heinrich Schön, während der Anteil des Bildhauers Hans Krumper sich entgegen älterer Auffassung wohl auf Funktionen der Oberleitung beschränkte, wenngleich er dann einen erheblichen Beitrag zur bildkünstlerischen Ausstattung geleistet hat. Inwieweit eigene Anschauungen und Forderungen des Bauherrn zum Gesamtplan wie zum Detail zur Geltung gelangten, kann nicht unmittelbar nachgewiesen werden. Seinem Bruder in Köln erklärte Maximilian gelegentlich, daß er bei größeren Bauten nicht auf einen einzigen Baumeister und Bauplan vertraue, sondern aus mehreren Entwürfen dasjenige auswähle, was er für gut halte.46 Man wird daher seinen Zitiert bei Diemer, Krumper 288 f. Sandrart, Academie 308 schreibt zur Residenz: „Dessen Architectes ware fast völlig der Churfiirst Maximilian selber." 46
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Einfluß nicht zu gering veranschlagen und wohl sagen können, daß in Geschlossenheit und Großartigkeit der Anlage Wesenszüge Maximilians und in Einzelheiten des Ausstattungsprogramms zentrale seiner Anschauungen zum Ausdruck gelangten. Vielleicht darf man einen ähnlichen Zusammenhang erblicken, wie er zwischen Philipp II. von Spanien und dem Bau des Escorial festgestellt worden ist. Mit der großartigen und zugleich klaren Komposition der Vierflügelanlage wurde die Enge und Kleinteiligkeit der bisherigen Residenz überwunden. Zwei Festsaaltrakte — im Süden der umgebaute alte Herkulessaal Albrechts V., im Norden der Kaisersaal mit Kaisertreppe — wurden durch West- und Ostflügel zum Viereck um den Kaiserhof verbunden. Der Westflügel enthielt im ersten Obergeschoß die Flucht der Kaiserzimmer (heute Steinzimmer), wohl zur Unterbringung illustrer Gäste, der Ostflügel die Abfolge der Ratszimmer (heute Trierzimmer), Schauräume für repräsentative Regierungsakte und Festlichkeiten. An den Nordflügel Schloß der neue „Große Hofgarten" an. Der in seiner Mitte errichtete Pavillon wurde bekrönt mit einer überaus eleganten ursprünglichen Brunnenfigur Hubert Gerhards, die als „Tellus Bavarica" das Land mit seinen Naturgaben personifizierte.47 Als ihr nach der Übertragung der pfälzischen Kurwürde auf Maximilian der kurfürstliche Reichsapfel in die rechte Hand gegeben wurde, erhielt sie einen politischeren Charakter.48 Die imposante Gesamtanlage der neuen Residenz mußte als Ausdruck von Selbstbewußtsein und großem Anspruch des Erbauers verstanden werden. Im Innern mochten insbesondere die großartige Kaisertreppe mit den Standbildern Karl des Großen und Ludwig des Bayern und der weidäufige, noble und formstrenge Kaisersaal als Hinweis auf Selbstverständnis und Möglichkeiten der Dynastie aufgefaßt werden. Solchen Ansprüchen standen Ausstattung und Ausschmückung des Baues nicht nach. So häufig Maximilian in der Ligapolitik dieser Jahre auf seine begrenzten Mittel verwies, so bedeutende Summen stellte er über die Jahre hinweg für Künstler und kostbare Materialien zur Verschönerung der Residenz zur Verfügung. Kolonnen von Steinmetzen, Marmorierern und Stukkatoren, von Malern und Teppichwirkern, von Plastikern, Schnitzern und Kunstschreinern waren an der Ausschmückung der Räume beteiligt. An hervorragenden Künstlern traten Hans Krumper als Plastiker und Stukkierer, Peter Candid als Maler und Hans van der Biest als Teppichwirker hervor.
Lt. NDB VT (1964) 279 „verständnislos auf den Hofgartentempel versetzt". « Vgl. G R II Nr. 392 und 892a. 47
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Hans van der Biest aus den spanischen Niederlanden war der Leiter der Wandteppichmanufaktur, die von Maximilian in den Jahren 1604-1615 unter großem finanziellem Aufwand ausschließlich für seinen eigenen Bedarf eingerichtet und unterhalten wurde.49 Maximilians Wertschätzung von Wandteppichen ging über die übliche Wertschätzung dieser Gattung als Mittel höfischer Repräsentation hinaus, seine Kennerschaft kam in steter Anteilnahme an den Arbeiten der Manufaktur, auch in kritischer Reglementierung zum Ausdruck. Die Werkstatt hat im Laufe der Jahre drei großformatige Teppichreihen produziert. Leben und Taten Ottos I., des ersten bayerischen Herzogs aus dem Hause Wittelsbach, war die Serie der zwölf sog. Wittelsbacher Teppiche in vornehmer Farbigkeit gewidmet; sechzehn weitere farbkräftige Teppiche brachten in allegorischer Form die Jahres- und Tagzeiten zur Darstellung; zwölf Teppiche galten Allegorien der Tugenden. Weitere zwölf Teppiche fertigte van der Biest, in seine Heimat zurückgekehrt, 1615-1618 für den Kaisersaal mit Heldengestalten des Alten Testaments und der antiken Geschichte. Alle diese großformatigen Behänge und noch weitere Wandteppiche niederländischer und französischer Provenienz gaben den Wänden der neuen Residenz Farbe und Wärme, ihre Thematik verband weite historische Rückgriffe mit vertrauten heimatlichen Motiven. Allerdings konnte eine Wandteppichmanufaktur nur produzieren, wenn man einen Maler zur Hand hatte, der imstande war, Entwürfe zu zeichnen und die originalgroßen Wirkvorlagen zu liefern. Hierfür war Maximilians Hofmaler Peter Candid (Pieter de Wette) wie kein anderer geeignet.50 Der Sohn eines niederländischen Teppichwirkers war nach Ausbildung in Florenz bereits unter Wilhelm V. in München tätig gewesen; 1595 im Zuge der Einsparungen entlassen, war er 1602 wieder angestellt worden. In seinen Gobelinentwürfen verbinden sich monumentale Wirkung mit kräftiger und zugleich differenzierter Farbigkeit. Candid hat darüber hinaus zu Maximilians Bauten zahlreiche Bildtafeln und Fresken beigesteuert, er ist dessen eigentlicher Hofmaler gewesen. Ein subtiles Porträt von Maximilians Schwester Magdalena zur Hochzeit mit Wolfgang Wilhelm von PfalzNeuburg erweist seine Qualitäten als Bildnismaler; auch das große, von Maximilian gestiftete Hochaltarbild der Münchner Frauenkirche, das heute aus puristischer Gesinnung in ein Seitenschiff verbannt ist, stammt von Candids
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Alle Einzelheiten mit Abb. sämtlicher Teppiche bei Brigitte Volk-Knüttel.\ Wandteppiche für den Münchner Hof nach Entwürfen von Peter Candid, München-Berlin 1972. Vgl. auch GR II Nr. 226-229 und 304-308; Dokumente 1,3 Nr. 151. so Volk-Knüttel, Wandteppiche 43 ff.; N D B III (1957). Die Monographie von B. Knüttel über Candid als Hofmaler Maximilians I. (Frankfurt a.M. 1964) blieb leider ungedruckt.
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Hand.51 Und schließlich Hans Krumper,52 aus Weilheim gebürtig, seit 1609 mit Maximilians Kunstpolitik eng verbunden, bedeutend als vielseitiger Künstler, auch von Einfluß als Organisator, auch wenn er nicht die Funktion eines Hofbauintendanten - wie Sustris unter Wilhelm V. - übertragen erhielt, da Maximilian dessen Kompetenzen aufgeteilt hatte, um selbst besseren Einfluß nehmen zu können. Zusammen mit seinem Lehrer Hubert Gerhard hat Krumper die süddeutsche Bronzeplastik auf einen Höhepunkt und zu europäischer Bedeutung geführt, wobei er die manieristische Eleganz Gerhards mit bayerischer Sinnenhaftigkeit zu verknüpfen wußte und hierdurch den Weg zur Barockplastik bereitete. Krumpers Plastiken mit weltlichen und kirchlichen Themen sind auf viele Standorte verteilt und signalisieren in ihrer Vielfalt Erfindungsgabe und Schaffenskraft des Mannes, der 1634 an der Pest verstarb. Sein Hauptbeitrag zur neuen Residenz galt dem Schmuck und der Akzentuierung der langen, sonst nur durch Architekturmalerei gegliederten Schauseite endang der heutigen Residenzstraße.53 Es sind zunächst die beiden Marmorportale, auf deren Giebeln vier mächtige Frauengestalten Krumpers als Allegorien der Kardinaltugenden ruhen, darunter vier Bronzelöwen mit Schilden, auf denen die Tugenden durch Reliefbilder und Sinnsprüche ausgedeutet werden. Hoch zwischen den Portalen steht in einer Nische die mächtige Patrona Boiariae von der Hand Krumpers. In einzigartiger Weise Innigkeit mit Hoheit verbindend, wendet diese Hausmadonna ihren Schutz dem ganzen Herzogtum zu: „Sub tuum praesidium confugimus, sub quo secure laetique degimus." Man hat von geistiger Gewichtigkeit als dem Kennzeichen der Residenz Maximilians gesprochen, in dem Sinne, daß die kunstvolle Ausstattung neben bloß dekorativen Funktionen auch inhaltliche Bedeutsamkeit vorzutragen hatte.54 Über Wände und Decken verstreut erscheinen neben den wiederkeh51 Brigitte Volk-Knüttel, Der Hochaltar der Münchner Frauenkirche von 1620 und seine Gemälde von Peter Candid, in: G. Schwaiger (Hg.), Monachium Sacrum, Band 1, München 1994, 202-232. 52 Dorothea Diemer, Hans Krumper, in: GRI, 279-311, mit Korrektur älterer Anschauungen; Dies., Krumper, in: NDB XIII (1982), 125-127 (Lit.); Dies., Bronzeplastik um 1600 in München. Neue Quellen und Forschungen, in: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 2 (1986) 107-177 und 3 (1987) 109-168. 53 Abbildungen in GRI Nr. 137 ff.; die dortigen Inschriften verzeichnet Rudolf M. Kloos, Die Inschriften der Stadt und des Landkreises München, Stuttgart 1958, 218 f. 54 hieb, München 181. Einzelheiten der ursprünglichen Ausstattung, heute z.T. zerstört, ergeben sich aus den Residenzbeschreibungen von Hainhofer 1611 (Häutle, Hainhofer 61 ff.; Teildruck Dokumente 1,3 Nr. 174); Baidassare Pistorini, Descrittione compendiosa del Palagio Sede de' Serenissimi di Baviera (1644, Bayer. Staatsbibliothek, Cod. ital. 409; über Pistorini und sein Werk vgl. GR II, Nr. 882) sowie von Ranuccio Pallavicino, I trionfi dell'architettura nella
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renden Wappen und Initialen des Herzogspaares Gestalten aus der Geschichte des Hauses Wittelsbach, Ansichten Bayerns und Personifikationen seiner Flüsse und Naturschätze, in Wandteppichen Abläufe von Zeit und Natur, menschliche Tätigkeiten im Wandel der Jahreszeiten, Bukolica. Höheren Bereichen sind Allegorien auf Tugenden und Pflichten des Fürsten, auf Staatsmoral, Religion und Kirche gewidmet, Vergängliches und Ewiges wird dem Beschauer zu Mahnung und Vorbild kontrastierend vor Augen gestellt und in Sinnsprüchen verdeutlicht. Vervaux hat Jahrzehnte später mitgeteilt, daß Maximilian die Sinnsprüche und Devisen selbst ausgewählt hatte, und er hat sie an herausgehobener Stelle seiner Vita Maximiliani wiedergegeben, im Großdruck, um ihre Bedeutung für die Charakterisierung von Persönlichkeit und Regierung des Herzogs herauszustellen.55 In einem der Trierzimmer wird Justinian zitiert, daß der Fürst gleichermaßen mit Waffen und Gesetzen bewehrt sein müsse, um die Zeiten zu meistern: „Princeps debet esse non solum armis decoratus, sed etiam legibus armatus, ut utrumque tempus recte possit gubernare et bellorum et pacis."56 In einem der Steinzimmer triumphiert die Religion, die auf Wahrheit, Wachsamkeit und Geduld sich baut. Das zentrale Deckengemälde des Kaisersaales verweist den Staatsmann auf die Eitelkeit irdischen Ruhmes: „Gloriae fumum, honoris ludum, laudis focum ambitio quaerit, spernit magnanimitas - Den Rauch des Ruhmes, das Gepränge der Ehre und die Schminke des Lobes sucht der Ehrgeizige, die große Seele spottet ihrer." Wenn in dieser Weise in den Staatsgemächern, die nur wenigen zugänglich sind, sich humanistische Ethik und christliches Gebot verbinden, so demonstrieren auch die Bronzen an der Schauseite der Residenz, die sich an die Öffentlichkeit wendet, in der Verbindung der antiken Kardinaltugenden Prudentia, Justitia, Fortitudo und Temperantia mit den durch die Patrona Boiariae repräsentierten christlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe die Maximen eines christlichen Humanismus, dem sich der Bauherr verpflichtet fühlt und die er Land und Untertanen zu vermitteln sucht.57
sontuosa residenza di Monaco, München 1667, übersetzt von Johann Schmidt, Triumphierendes Wunder-Gebaew der Chur-Fuerstlichen Residenz zu München, München 1685. Vgl. auch Liselotte Andersen, Eine unbekannte Quellenschrift aus der Zeit um 1700, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3. Folge 24 (1973), 175-237; Eberhard Straub, Repraesentatio Maiestatis oder Churbayerische Freudenfeste, München 1969, hier 50 ff. 55 Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 612 f. 56 Diese und die weiteren Inschriften bei Kloos, Inschriften 225 ff. 57 Vgl. auch Johannes Erichsen, Residenz- oder Hauptstadt? München im 17. und 18. Jh., in: H.M. Körner u.a. (Hg.), Hauptstadt. Historische Perspektiven eines deutschen Themas, München 1995, 73-93, der in der Kombination der Figuren der Kardinaltugenden, Patrona Boiariae
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Nicht weniger politischen Charakter als Kaisertreppe und Kaisersaal, ja der ganze Komplex der neuen Residenz, hatte die Neugestaltung des Grabmonuments für Kaiser Ludwig den Bayern in der Münchner Frauenkirche durch Maximilian in den Jahren 1619-1622, die freilich auf verschlungenen Wegen zustandekam.58 Herzog Albrecht V. hatte in seinem Testament von 1579 bestimmt, daß für seinen Vater Wilhelm IV. bei der alten Grablege der Wittelsbacher in der Münchner Frauenkirche ein Epitaph errichtet werden solle,59 jedoch hatte Wilhelm V. diesen Auftrag nicht ausgeführt. Auch Wilhelm V. hatte im Testament von 1597 die Errichtung eines Epitaphs für seinen Vater Albrecht V. angeordnet und Maximilian hatte sich in seiner Gegenverschreibung hierzu verpflichtet,60 aber auch er hatte nichts dergleichen getan. Auch als Wilhelm V. 1604 in der Nähe der Grablege Kaiser Ludwigs den mächtigen Bennobogen errichten61 und Maximilian die Grablege selbst umgestalten ließ, war von beiden Epitaphien nicht die Rede. Erst zu Beginn des Krieges befaßte sich Maximilian erneut mit den Wittelsbachergräbern, aber überraschenderweise mit einem Vorhaben, das mit den Wünschen seines Großvaters und seines (bis 1626 noch lebenden) Vaters nichts zu tun hatte — er plante, die spätgotische Grabplatte Kaiser Ludwigs des Bayern durch Erhebung auf eine Marmortumba und Umrahmung mit Balustrade und Kandelabern zu einem monumentalen Grabmal umzugestalten. Der große kaiserliche Ahnherr sollte gewürdigt, sein Kaisertum herausgestellt werden, und zwar in der zentralen Kirche des Herzogtums, obwohl er immer noch dem Kirchenbann von 1324 verfallen war! Es gab unmittelbare Gründe für diese Betonung wittelsbachischer Kaiserfähigkeit: Die Ablehnung der Kaiserkandidatur durch Maximilian zugunsten Ferdinands von Steiermark 1617/18, die Kaiserwahl Ferdinands im August 1619, die Ambitionen Maximilians, in den Kreis der Kurfürsten aufzusteigen, aber auch die Angriffe, die der Dominikaner Bzovius in seinen 1617 in Rom unter den Augen des Papund Mariensäule ein Staatsprogramm 2um Ausdruck gebracht sieht. Wenig überzeugend ist Gabriele Greindl, Zur Ikonographie der Münchner Residenz. Der Einfluß des Hofbeichtvaters Adam Contzen auf das Bildprogramm der Fassade, in: ZBLG 60 (1997), 775-794. 58 Ich kombiniere einschlägige Mitteilungen bei Karl Theodor Heigel·\ Das Grabmal Kaiser Ludwigs des Bayern in der Münchner Frauenkirche, in: Ders., Geschichtliche Bilder und Skizzen, München 1897, 343-370; Dorothea Diemer, Quellen und Untersuchungen zum Stiftergrab Hg. Wilhelms V. usw., in: H. Glaser (Hg.), Quellen und Studien 7-82; Christi Kamehm, Die Münchner Frauenkirche. Erstausstattung und barocke Umgestaltung, München 1984, 148 ff.; GR II Nrr. 328 ff. 59 Ziegler, Testament 279. 60 Hausurkunden Nrr. 1429 und 1395, beide vom 15.10.1597. 61 Karin Berg, Der ehemalige „Bennobogen" der Münchner Frauenkirche, in: GR I, 312-317; vgl. GR II Nrr. 912-914 und GR I, Abb. Nrr. 174 ff.
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stes erschienenen „Annales ecclesiastici" in aufsehenerregender Weise gegen Ludwig den Bayern gerichtet hatte. Der Entwurf des Kaisermonuments von der Hand Krumpers,62 ging aber noch einen Schritt weiter: Zu Füßen des erhöhten Kaisers kniet der betende Maximilian selbst, dieser wird in die Würdigung wittelsbachischen Kaisertums unmittelbar einbezogen! In der Folge ist bei Errichtung des Grabmals im Jahre 1622 zwar (aus uns unbekannten Gründen) die Figur Maximilians weggelassen, das Ganze aber noch monumentaler gestaltet worden. Krumper stellte der Kaisertumba überlebensgroße Gestalten Wilhelms IV. und Albrechts V. zur Seite und piazierte an den vier Ecken knieende Ritter, deren Standarten die Wappen von vier Kaisern, Karl dem Großen, Karl dem Dicken, Ludwig dem Frommen und Ludwig dem Bayern trugen, die damit als Ahnherrn des Hauses Wittelsbach in Anspruch genommen wurden. Die beigegebene Inschrift lautet in Übersetzung: „Ludwig dem Vierten, dem erhabenen Kaiser, setzte dies Maximilian, Herzog von Bayern, des Heiligen Römischen Reiches Kurfürst, auf Befehl seines Großvaters Albrecht V. und seines Vaters Wilhelm V. im Jahre des Heils 1622."63 Diese Formulierung gab jedoch (von der Titulierung Maximilians als Kurfürst ganz abgesehen) den Sachverhalt nicht richtig wieder, denn kl keinem der Testamente war von einem Grabmal für Ludwig den Bayern die Rede gewesen. Mit der Plazierung von Wilhelm IV. und Albrecht V. hatte Maximilian also zwar den Testamenten genügt, aber dies war ihm nur Beiwerk einer allgemeineren Demonstration, nämlich der Huldigung Kaiser Ludwigs sowie der Verknüpfung Ludwigs und des Hauses Wittelsbach — und damit auch seiner selbst — mit dem Kaiserhaus der Karolinger. Die Situierung des Grabmals an zentraler Stelle der Frauenkirche vor dem Hochaltar verstärkte die Bedeutung des Ganzen. Wie man Maximilians Absichten bei dem ganzen Vorgang im einzelnen auch deuten mag, gewiß ist, daß sie mit einer Demonstration der Kaiserfähigkeit seines Hauses und seiner eigenen Person zu tun hatten. Gerade seine wiederholte Ablehnung einer Kaiserkandidatur zugunsten Ferdinands von Steiermark, dem er sich als politische Potenz überlegen fühlte, mochte ihn hierzu — gewissermaßen auch als Ersatzhandlung — bewegen.
Abbildung bei Diemer; Stiftergrab Abb. 43, Karnehm, Frauenkirche Nr. 7 sowie GR II Nr. 330. 63 Wiedergabe sämtlicher Inschriften am Grabmal bei Kloos, Inschriften Nr. 121 (mit weiterer Lit.). 62
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Maximilian hat die für ihn tätigen Künstler eng an sich zu binden gesucht, um sich ihre Fähigkeiten zu reservieren.64 Sie waren in der Hauptsache auf seine Aufträge begrenzt, wenn auch die führenden unter ihnen gelegentlich auch für andere Auftraggeber tätig waren, so Peter Candid für Freising und Landsberg, Krumper für Eichstätt und seine Heimatstadt Weilheim. Umgekehrt wurden auswärtige Künstler zu Lieferungen an den Münchner Hof herangezogen, vor allem für Pretiosen und Kleinkunst jeder Art, wie Maximilian sie im Stile des Manierismus schätzte. Auch der bedeutende Augsburger Georg Petel war im Residenzgarten mit einem Neptunbrunnen vertreten, der Venezianer Andrea Vicentino war an der Ausmalung der Residenz beteiligt. Daß sich Maximilian darüber hinaus über die Kunstszene und die Kaufmöglichkeiten außerhalb des Reiches, vor allem in den Niederlanden, Frankreich und Oberitalien unterrichten ließ und dort zahlreiche Käufe tätigte, wurde erwähnt; seine Verbindungen nach Venedig, die sich schwerpunktmäßig auf kunsthandwerkliche Produkte bezogen, durch die aber auch ein Tizian und weitere erstklassige Venezianer in die Kammergalerie gelangten, sind bereits vorbildlich beschrieben worden.65 Man wird kaum sagen können, daß sich Maximilians Kunstpolitik von derjenigen seines Vaters dadurch charakteristisch unterschieden hätte, daß er weit mehr als dieser auf einheimische Kräfte gesetzt hätte. Tatsächlich spielten auch unter Wilhelm V. bayerische Künstler wie Christoph Schwarz eine bedeutende Rolle, umgekehrt Nichtbayern wie Peter Candid oder Hans v. d. Biest bei Maximilian. Immerhin läßt sich unter diesem eine gewisse Gewichtsverlagerung auf Einheimische konstatieren, augenfällig im Übergang von Sustris auf Krumper und besonders deutlich in der bevorzugten Beschäftigung Münchner Meister, wenn es um Gold- und Silbergeschirre und die Fassung von Juwelen ging.66 Entsprechend ließ es sich Maximilian auch angelegen sein, einheimische Talente zu fördern und zur weiteren Ausbildung nach Italien zu senden: So 1619 den Weilheimer Maler Johann Ulrich Loth, später Schwiegersohn Krumpers und Nachfolger Candids als Hofmaler; so Zum Umgang Maximilians mit Künstlern vgl. u. a. die Schilderung von Sandrart, Academie 222 über die Aufnahme des Medailleurs Alessandro Abondio am Münchner Hof: „...ist auch von selbigem höchst-Kunst-liebenden und verständigen Herren [Maximilian] treflich besoldet und bey Hof nicht anders, dann wie ein andere Adelsperson gehalten worden, weil theils seine edle Kunst und Herkommen, theils aber sein sittlich und geschickter Wandel dem Herzogen sonders beliebt." 65 Von Schmid, Venedig. 66 Schauß, Schatzkammerkatalog 32 ff.; Bachtier, Goldschmiedearbeiten; Johanna Hager; Münchner Gold- und Silberschmiedekunst in der Ära des Herzogs Maximilian I. von Bayern, Phil. Diss. München 1982. 64
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1623 den Jachenauer Maler Kaspar Amort, der 1642 zum Hofmaler ernannt wurde; so Anfang der vierziger Jahre den Maler Nikolas Prugger, der dann als Hofmaler die bekannten Altersbildnisse seines Kurfürsten geliefert hat. Manche einheimische Meister von gutem Ruf fehlten allerdings unter Maximilians Künsdern, etwa die Weilheimer Bildschnitzer und Kistler um Hans Degler. Über Maximilians verschiedene Liebhabereien berichtete Philipp Hainhofer in einem häufig zitierten Diktum: „Die größte recreation und Unkosten dises fursten seind die schöne pferd und schönes gestüed, die raiger- und falckenbaiß, die gioie oder clinodia, die kunst und mahlerey und das drehwerck, wie dann Ihre Drt. gar schöne sachen drehen."67 In dieser Aufzählung fehlt die Musik, was umso bemerkenswerter ist, als in den Zeiten Albrechts V. und Wilhelms V., also auch noch in Maximilians Jugend, die Münchner Musikszene mit Orlando di Lasso und seiner Kapelle europäischen Rang besaß. Jedoch haben die Sparmaßnahmen Maximilians in den Anfängen seiner Mitregierung sofort auch die herzogliche Kapelle erfaßt, die von 41 auf 19 Musiker (1600) reduziert wurde; als Lasso 1594 starb, stand er bereits auf der Entlassungsliste. In den folgenden Jahren, nach der ersten Sparwelle, wurde die Hofmusik wieder auf 30-35 Musiker vermehrt, wobei jedoch im Unterschied zu Lassos Zeiten die (billigeren?) Sänger weit überwogen. Die Instrumentalisten wurden zurückgedrängt, weil Maximilian im Unterschied zu seinem Vater und Großvater auf weltliche Musik, auf Tafelmusik, weitgehend verzichtete; fast nur mehr beim Besuch fremder Potentaten oder bei großen Festlichkeiten wie der Hochzeit der Herzogin Magdalena wurde in der Residenz Musik zur Tafel geboten. Und wenn sich Maximilian gelegentlich doch einen derartigen Luxus leistete, wollte er nicht virtuose Kammermusik hören, wie sie Orlando di Lasso geboten hatte, sondern Blasmusik. Auch die Sänger, die unter Albrecht V. und Wilhelm V. in der täglichen Morgenmesse gesungen hatten, wurden seit 1599 nur mehr an den Sonn- und Feiertagen bei Hof gebraucht. Ein besonderes musikalisches Interesse Maximilians, das demjenigen an bildender Kunst entsprochen hätte, kann daher nicht konstatiert werden. Anders als seinem Großvater und Vater war ihm Musik „nicht Herzensbedürfnis, sondern vornehmlich Instrument kirchlicher Übung"68 sowie - mit dem Instrumentarium der Trompeter fürstlicher Repräsentation. In weiß-blaue Farben gekleidet, mit der herzoglichen Wappenfahne am Instrument, zogen die Trompeter dem Herzog bei Häutle, Hainhofer 78. Zu den folgenden Ausführungen vgl. vor allem Horst l^euchtmann, Die Maximilianeische Hofkapelle, in: GR I, 364-375. 68 Leuchtmann, Hofkapelle 364. 67
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feierlichen Einzügen und Aufzügen voran. Warum dann auch das Trompeterkorps schrittweise reduziert wurde bis zu völliger Auflösung im Jahre 1642, konnte noch nicht plausibel erklärt werden; die Rangerhöhung Maximilians durch die Erwerbung der Kurwürde 1623 ließ wohl kaum die musikaEsche Repräsentation überflüssig erscheinen. Entsprechend seinen begrenzten musikalischen Interessen hat sich Maximilian auch nicht um Nachfolger Lassos bemüht, die dessen Rang und Bedeutung einigermaßen gleichgekommen wären, wenngleich dessen Werke im Repertoire der Hofkapelle auch weiterhin eine große Rolle spielten. Dies lag nicht nur an der jahrelangen Leitung der Kapelle durch Lassos Sohn und Enkel, sondern verweist mehr noch darauf, daß Maximilian für neue Ausdrucksformen in der Musik, wie sie gleichzeitig in Italien entwickelt wurden, (zunächst?) kein Sensorium hatte. Erst mit der Berufung Giovanni Battista Crivellis 1628 und vor allem Giovanni Giacomo Porros 1635 als Leiter der Hofmusik kamen italienische Einflüsse deutlicher zur Geltung. Wir wissen nicht, inwieweit dies mit Maximilians Zutun und Förderung geschehen ist, immerhin ist bemerkenswert, daß sich dieser seit der Mitte der dreißiger Jahre auch in der Malerei verstärkt italienischen Meistern zugewandt hat. So ist dann das erste Dramma per musica, die erste Oper in München noch in den letzten Lebensmonaten Maximilians am 13. März 1651 im Georgssaal der Residenz aus Anlaß der Prokura-Vermählung seines ältesten Sohnes Ferdinand Maria mit Adelaide von Savoyen aufgeführt worden. Aufs Ganze bildete Maximilians Regierungszeit in musikalischer Hinsicht aber doch nur ein Intervall zwischen zwei Höhepunkten unter Albrecht V. und Wilhelm V. mit Orlando di Lasso und unter Ferdinand Maria mit Johann Kaspar Kerrl. Zu seiner Bibliothek und seinen Bibliothekaren hatte Maximilian ein etwas zwiespältiges Verhältnis.69 Die Münchner Hofbibliothek war durch Albrecht V. gegründet worden, der nach ersten Ankäufen im Jahre 1571 die bedeutende, etwa 10 000 Bände umfassende Bibliothek des Augsburger Patriziers Johann Jakob Fugger erworben hatte. Durch Wilhelm V. weiter vermehrt, bildete die Hofbibliothek am Ende des 16. Jahrhunderts eine hervorragende, rund 17 000 Bände umfassende Sammlung wissenschaftlicher und literarischer Drucke und Handschriften. Die Bibliothek war ursprünglich im 69 Otto Hartig, Die Gründung der Münchner Hofbibliothek durch Albrecht V. und Johann Jakob Fugger, München 1917; Rupert Hacker, Die Münchner Hofbibliothek unter Maximilian I., in: GR I, 353-363; Oers., Die bayer. Herrscher der Spätrenaissance und das schöne Buch, in: Das Gebetbuch Kf. Maximilians I. von Bayern. Faksimile-Ausgabe. Kommentarband, Lachen 1986, 7-28.
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Obergeschoß des Antiquariums untergebracht. Maximilian hat sie im Zusammenhang mit den dortigen Umbauten 1599 in das sog. Hofkammergebäude im Alten Hof (heute Pfisterstock) verlegt, wo er seine Kinderjahre verbracht hatte. Hainhofer hat sie dort gesehen und ihre Aufstellung beschrieben,70 ebenso auch die Ausschmückung des großen Bibliothekssaales mit Globen, Landkarten, Porträts von Fürsten, des Erasmus von Rotterdam und ungewöhnlicherweise auch Martin Luthers (freilich mit der Unterschrift: „Diaboli gratia"). Die Oberaufsicht über die Bibliothek lag seit ihrer Gründung beim Hofkanzler bzw. Oberstkanzler, also seit 1599 beim Nachfolger Hans Georg Herwarths, Joachim von Donnersberg. Tatsächlicher Leiter blieb jedoch (bis zu seinem Tod 1622) Herwarth, der kraft Bildung und wissenschaftlicher Interessen hierzu auch besonders berufen war. Die von Maximilian seit 1598 eingesetzten Bibliothekare versahen das Amt nur nebenberuflich neben ihrem Hauptberuf als Mitglieder des Hofrats oder der Hofkammer. Unter ihnen befanden sich nicht uninteressante Persönlichkeiten, so der Hofratssekretär und Schriftsteller Ägidius Albertinus, die Geheimsekretäre Gewold und Leuker oder der Kammerdiener Augustin Haimbl, den Maximilian häufig auch für Kunstkäufe verwendet hat. Es entsprach der regelnden und systematisierenden Natur Maximilians, daß den mannigfachen Ordnungen für die verschiedenen Hof- und Staatsbehörden im Jahre 1607 auch eine von Gewold konzipierte Bibliotheksinstruktion angefügt wurde. Für das Verhältnis Maximilians zu seiner Bibliothek interessieren insbesondere die Bestimmungen über Ankauf und Ausleihe von Büchern und Handschriften. Jede einzelne Erwerbung mußte vom Herzog genehmigt werden, der entweder selbst Titel benannte oder aus Listen der Bibliothekare auswählte. Der Schwerpunkt der Neuerwerbungen lag auf der historischen (vor allem zeitgeschichtlichen) und der staatsrechtlichen Literatur. An Mathematik und Naturwissenschaften waren Maximilian und sein Vater nicht interessiert. „Was die Fürsten person allhie betrüfft" schrieb Herwarth an Kepler, „haben dieselbe zu dergleichen sachen gar kain affection oder zuenaigung."71 Maximilian konnte sich mit den Ankäufen persönlich befassen, weil die Zahl der Neuerwerbungen auffallend gering war. Man hat errechnet,72 daß die Bibliothek zwischen 1598 und 1630, also bis kurz vor der schwedischen Plünderung, nur um rund 1 350 Bände angewachsen ist, das waren pro Jahr rund 45 Bände, darunter auch die Dedikationsexemplare, die Häutle, Hainhofer 81 ff. Herwarth an Kepler, 28.11.1606: Johannes Kepler, Gesammelte Werke, hg. von Max Caspar, Band 15, München 1951, 363. 72 Hacker, Hofbibliothek 362 Anm. 87 und 355. 70
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Maximilian von den Verfassern erhielt. Entsprechend bewegten sich die für den Bücherkauf aufgewendeten Beträge in äußerst bescheidenen Grenzen, man hat für die Regierungszeit Maximilians einen jährlichen Durchschnitt von nur 80 Gulden Büchergeld errechnet, dazu rund 50 Gulden jährlich, die als Anerkennung für Geschenkexemplare gezahlt worden sind. Vergleicht man hiermit die Summen, die gleichzeitig für Werke der bildenden Kunst und für Pretiosen ausgegeben wurden, so muß die Hofbibliothek unter Maximilian als ausgesprochen schlecht dotiert bezeichnet werden. Gleichzeitig war der Herzog so sehr auf die Bewahrung seiner Bücherschätze bedacht, daß er in Konflikte mit Herwarth geriet, welcher im Interesse der Wissenschaft einer liberalen Ausleihpraxis huldigte und auch protestantischen Gelehrten Handschriften zur Verfügung stellte. Benützer der Hofbibliothek waren Mitglieder des Hofes sowie ortsansässige und auswärtige Gelehrte. Gemäß der Instruktion von 1607 entschied über die Ausgabe am Ort Herwarth, über die Entleihung an auswärtige Benützer der Herzog selbst. 1611 wurden Herwarth und Gewold von Maximilian wegen unkontrollierten Ausleihens scharf gerügt und angewiesen, künftig ohne Zustimmung des Herzogs kein Buch mehr auszugeben, auch nicht an Ortsansässige. Als sich Herwarth daraufhin rechtfertigte, daß mancher Gelehrte nun eher auf die Benützung der Hofbibliothek verzichte, als den Herzog mit einem Antrag zu belästigen, schrieb Maximilian sarkastisch an den Rand: „Eben darumb thuet mans, daß mancher das entlehnen wol wird bleiben lassen." 73 E r scheint jedoch auf seiner Anordnung nicht bestanden zu haben, denn die revidierte Bibliotheksordnung von 1617 wiederholte die benützerfreundlichen Bestimmungen von 1607. Als aber im gleichen Jahr der neuernannte Bibliothekar Esaias Leuker den Verlust von mehreren hundert Bänden und das Fehlen eines ordnungsgemäßen Ausleihverzeichnisses feststellen mußte, verfügte der Herzog im Januar 1618 endgültig, daß Werke der Hofbibliothek nur mehr mit seiner persönlichen Genehmigung ausgeliehen werden dürften. Maximilian scheint der Bibliothek zwei wissenschaftliche Aufgaben zugeschrieben zu haben, deren Verwirklichung durch eine zu liberale Ausleihe nicht behindert werden sollte. Die eine betraf die von ihm so sehr geförderte Erforschung der bayerischen Geschichte und der Geschichte des Hauses Wittelsbach. Die damit beauftragten Historiker und Genealogen konnten sich in großem Umfang auf Drucke und Handschriften der Hofbibliothek stützen. Die Ausleihverzeichnisse belegen, daß vor allem auch die Geschichtsschreiber aus dem Jesuitenorden wie Matthäus Rader, Andreas Brunner, Jakob 73
Zitiert bei Hacker, Hofbibliothek 357.
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Balde und Johann Vervaux, aber auch der Staatsrechtler und Beichtvater Maximilians, Adam Contzen, eifrige Benützer der Bibliothek gewesen sind. Der zweite Schwerpunkt in der wissenschaftlichen Benützung der Hofbibliothek lag bei der Auswertung der zahlreichen griechischen Handschriften, welche Werke der Kirchenväter, Akten der frühen Konzilien und literarische Texte aus byzantinischer Zeit überlieferten. 1597 hatte der Geistliche Rat die Verzeichnung dieser Handschriften empfohlen, um hierdurch Editionen anzuregen, die zur Bekämpfung der Ketzerei dienlich sein könnten. Maximilian hatte zugestimmt, daß ein (wohl von Herwarth verfaßter) Katalog von 262 griechischen Handschriften angefertigt und 1602 im Druck veröffentlicht wurde, das erste gedruckte Handschriftenverzeichnis einer deutschen fürstlichen Bibliothek.74 Die Vorrede des Katalogs lud zur Edition und Übersetzung der verzeichneten Texte ein. Tatsächlich sind in der Folge griechische Handschriften der Hofbibliothek die Grundlage für eine Reihe von Editionen patristischer und byzantinischer Literatur mit beachtlicher wissenschaftlichen Wirkung geworden.75 Die gewisse Restriktion der Ausleihe durch Maximilian war natürlich auch durch die Kostbarkeit der Bestände veranlaßt. Neben seltenen Drucken, darunter zahlreichen Inkunabeln, enthielt die Bibliothek überaus wertvolle, vor allem auch illuminierte Handschriften, Spitzenwerke der europäischen Buchmalerei, die nicht so leicht der Benutzung zugänglich gemacht werden wollten. Die wertvollsten waren sowieso durch ihre Überführung in die Kammergalerie fremden Augen praktisch entzogen, so — wie erwähnt — die Gebetbücher Karls des Kahlen und Kaiser Maximilians I., der sogenannte „Münchner Boccaccio", das Turnierbuch Kaiser Maximilians mit den Zeichnungen Hans Burgkmairs d.J. und manche andere.76 Eine Reihe weiterer Cimeüen und Raritäten waren in der Hofbibliothek als eigener Bestand in einem vergitterten Schrank zusammengefaßt, wohl um sie Besuchern (wie Hainhofer 1611) bequem vorzuzeigen, nicht aber auszuleihen. Nach der Plünderung der Residenz durch die Schweden 1632 fühlte sich Maximilian besonders durch die Frage bewegt, „ob die manuscripti und schön gemalte und illuminierte biecher salviert".77 Unter den illuminierten Handschriften liebte er besonders jene, in denen Einzelheiten möglichst wirklichkeitsgetreu in minutiöser Ausführung wiedergegeben waren, eben jene Darstellungsweise, die er auch bei den altdeutschen Meistern geschätzt hat. Die Bedeutung 74 75 76 77
Einen Katalog weiterer 35 griechischer Handschriften hat dann Rader verfaßt. Hacker, Hofbibliothek 359, der eine Reihe entsprechender Titel und Editoren nennt. Vgl. Bachtler-Diemer-Erichsen, Inventar 221 ff. Zitiert bei Hacker, Hofbibliothek 359.
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mancher Cimelien wurde durch besonders kostbare Einbände hervorgehoben, bereits unter Albrecht V. hatte die Münchner Einbandkunst einen hohen Stand erreicht, der unter seinen Nachfolgern erhalten blieb. Das schönste Zeugnis sind die Prachteinbände, die Maximilian für das Gebetbuch Kaiser Maximilians und einige weitere Cimelien anfertigen ließ, ein letzter Höhepunkt der Münchner Einbandkunst vor ihrem Niedergang im Zusammenhang des Dreißigjährigen Krieges.78 Wir wissen, daß Maximilian nicht nur seine Prachthandschriften geschätzt und von Zeit zu Zeit zur Hand genommen hat, sondern natürlicherweise auch aus den übrigen Beständen seiner Bibliothek entliehen und gelesen hat. Uber Einzelheiten informieren uns vor allem zwei Verzeichnisse von Büchern, die sich im März 1618 in Maximilians Privatgemächern befanden, etwas zufällige, aber insgesamt doch aussagekräftige Zeugnisse, aus denen zumindest die Schwerpunkte seiner Lektüre ersichtlich werden, nämlich historische, theologische und staatstheoretische Literatur.79 Hier tritt uns der Wandel des Fürstentyps und seiner Interessen seit dem frühen 16. Jahrhundert, wie er auch schon in der Erziehung Maximilians zum Ausdruck gekommen war, besonders deutlich vor Augen. Sein Ergebnis war der Fürst, der über sein Handeln reflektiert und sich aus Geschichte und Staatstheorie Vergewisserung holt. Von den Kirchenvätern finden sich Gesamtausgaben des Hieronymus, Augustinus und Gregors des Großen, von den Historikern die Klassiker Xenophon, Polybios, Caesar, Sallust, Livius und Curtius Rufos, dann die Jüdische Geschichte des Josephus Flavius und die Kirchengeschichte des Eusebius, weiterhin die Geschichte Italiens von Guicciardini, die Annalen Aventins und die Bayerische Chronik des Markus Welser, dazu Darstellungen zur Papstgeschichte und Kriegsgeschichte auch der jüngsten Vergangenheit. Von besonderem Interesse ist — neben einer Ausgabe des Corpus Juris Civilis und einer Summa Juris Canonici des Ingolstädter Kanonisten Heinrich Canisius - die staatstheoretische Literatur, eine Reihe von Schriften des Justus Lipsius, des Giovanni Botero, Robert Bellarmins und anderer. Es sind Werke der sogenannten Anti-Machiavellisten, zu denen alsbald auch Maximilians späterer Beichtvater Adam Contzen mit seiner „Politica libri decern" (1620) stoßen sollte. Von ihnen und ihrem Einfluß auf das Staatsdenken Maximilians muß noch genauer die Rede sein.
Vgl. Ferdinand Geldner.; Der Einband des „Gebetbuches des Kaisers Maximilian I." und die Münchner Buchbindekunst des frühen 17. Jh.s, in: Philobiblon 4 (1960), 100-112. 79 Die Verzeichnisse liegen in der Bayer. Staatsbibliothek, besprochen bei Hacker; Hofbibliothek 357 f. 78
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Unter den deutschen Fürsten unserer Epoche hat keiner nachdrücklicher Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung gefördert als Maximilian, er hat durch seine Initiativen die bayerische Historiographie auf ihren ersten Höhepunkt nach Aventin gefuhrt. Es ging um eine Geschichte Bayerns von den Anfangen bis zur eigenen Gegenwart, aber nicht als allgemeine Landesgeschichte, wie sie Aventin in seiner Bayerischen Chronik ' hervorgebracht hatte, sondern verengt als Dynastiegeschichte. Die Historiker hatten der Dynastie „das Ehrenkleid einer glanzvollen Geschichte zu weben".80 Ruhmvolle Vergangenheit und Reputation in der Gegenwart wurden von Maximilian in engem Zusammenhang gesehen. Die Anbindung des Hauses Wittelsbach an Karl den Großen als dem Ideal des großen christlichen Herrschers und an die Dynastie der Karolinger sowie die Vergegenwärtigung des Kaisertums Ludwigs des Bayern schienen eine herausgehobene Position der Wittelsbacher und des gegenwärtig regierenden Fürsten zu legitimieren, nach außen gegenüber anderen deutschen Dynastien, nach innen in erhöhter Herrscherlegitimation gegenüber der Untertanenschaft.81 Maximilian hat mit dieser Zwecksetzung im Laufe der Jahre eine ganze Reihe von Hofhistoriographen beschäftigt, da ein zufriedenstellendes Ergebnis in seinem Sinne zunächst auf sich warten ließ. Diese Verzögerung hatte er jedoch letztlich selbst zu verantworten. Denn er hat zwar die Arbeiten seiner Historiker finanziell und organisatorisch in bemerkenswertem Umfang unterstützt, etwa auch durch die Einforderung von Bücher-, Handschriften- und Urkundenverzeichnissen der bayerischen Klöster zur Verbreiterung der Quellengrundlage.82 Gleichzeitig hat er sich aber nicht gescheut, in ihre Arbeiten durch hemmende Vorschriften einzugreifen, die insbesondere drei Komplexen galten, dem Nachweis der Abstammung der Wittelsbacher von den Karolingern, der Aufhellung des Bildes Herzogs Arnulfs „des Bösen", schließlich der Ehrenrettung des im Kirchenbann verstorbenen Kaisers Ludwig des Bayern. Mit dieser speziellen Zwecksetzung und mit der Absicht, das Geschichtsbild des
Alois Schmid, Geschichtsschreibung am Hofe Kf. Maximilians I. von Bayern, in: GR I, 330340, hier 333. Schmid verzeichnet auch die ältere Literatur, von der insbes. Johannes Friedrich, Über die Geschichtsschreibung unter dem Kf. Maximilian I., München 1872 sowie Rie^ler VI, 430 ff. zu nennen sind. Neuere Literatur: Andreas Kraus in Spindler-Kraus, Handbuch II, 908-918 (Lit.); Oers., Geschichte Bayerns, München 1983, 259 ff.; GR II Nrr. 313 ff. 81 Andreas Kraus, Tassilo und Karl der Große in der bayer. Geschichtsschreibung des 17. Jh.s, in: Oers., Bayer. Geschichtsschreibung in drei Jahrhunderten, München 1979, 34-53; Oers., Das Bild Ludwigs des Bayern in der bayer. Geschichtsschreibung der Frühen Neuzeit, in: ZBLG 60 (1997), 5-69, insbes. 24 ff. (Vergleich der Darstellungen von Burgundus und Vervaux). 82 Hierzu Ludwig Rockinger, Die Pflege der Geschichte durch die Wittelsbacher. Akademische Festschrift zur Feier des Wittelsbacherjubiläums, München 1880, 40 ff. 80
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Kirchenkritikers Aventin durch ein neues zu ersetzen, das Dynastie und Kirche, Land, Volk und Konfession als Einheit erwies, hat sich Maximilian seine Historiker gesucht. Es begann 1595 mit einem Auftrag an den Augsburger Humanisten Markus Welser, der 1602 mit den „Rerum boicarum libri quinqué" (deutsche Ubersetzung durch Paul Welser 1605) eine vorzügliche, auch von Maximilian geschätzte Darstellung lieferte, die aber nur bis zur Absetzung Herzog Tassilos 788 reichte. Die Fortsetzung war bei Welsers Tod 1614 bis zum Jahre 844 gelangt, wurde aber zu Maximilians Zeiten nicht gedruckt, denn der wissenschaftlich korrekte Verfasser hatte es nicht über sich gebracht, die Wittelsbacher auf die Karolinger zurückzuführen. Welsers Nachfolger, der Tiroler Jesuit Matthäus Rader,83 erreichte dann zwar in einem dreibändigen Werk das 17. Jahrhundert, wie Maximilian wünschte, doch blieb sein Manuskript ungedruckt, da die Ordensleitung wegen der von Maximilian geforderten apologetischen Behandlung des gebannten Kaisers Ludwig das Imprimatur versagte. Daraufhin beauftragte Maximilian den Tiroler Jesuiten Andreas Brunner, der das Amt des Hofhistoriographen bis 1635 versah. Brunner brachte zwischen 1627 und 1637 drei Bände „Annales virtutis et fortunae Boiorum" heraus, die aber doch nur bis zum Regierungsantritt Kaiser Ludwigs 1314 reichten, denn einem vierten Band, der die Regierungszeit des Kaisers behandelte, hatte der Orden wiederum die Drucklegung versagt.84 Da er also mit Jesuiten seine Ziele nicht erreichte, wandte sich Maximilian 1635 an den Ingolstädter Juristen Nikolaus Burgundus,85 der bereits mit einer Schrift zur Verteidigung der bayerischen Kuransprüche hervorgetreten war. Burgundus hat dann unter Benützung der Vorarbeiten Brunners eine umfassende Geschichte Kaiser Ludwigs des Bayern geliefert, die 1636 als „Historia Bavarica sive Ludovicus IV. Imperator" auch gedruckt wurde. Da aber der Kurfürst mit bestimmten Tendenzen des Buches doch nicht übereinstimmte, gab Burgundus das Amt des bayerischen Hofhistoriographen wieder auf und Maximilian
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Alois Schmid (Hg.), P. Matthäus Rader SJ, Band 1: 1595-1612 (Bayer. Gelehrtenkorrespondenz), München 1995. 84 Leibniz hat 1710 einen Neudruck der drei Bände Brunners mit einem rühmenden Vorwort versehen, während Maximilian über die Unverständlichkeit des Brunnerschen Latein geklagt hatte, das man nur mit einem Wörterbuch lesen könne. 85 Hierzu vgl. Klaus Neumayer, lus Publicum. Studien zur barocken Rechtsgelehrsamkeit an der Universität Ingolstadt, Berlin 1974, 150 ff.; Joseph Bach (Hg.), Jakob Balde. Interpretado Somnii de cursu Bavariae, Straßburg 1904, XVII ff.
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kehrte wieder zu den Jesuiten zurück, zunächst 1639/40 in Gestalt des Paters Johann Bissel, der aber die Sache nicht weiter förderte.86 Von 1640 bis 1648 hat dann der Jesuit Jakob Balde das Amt des bayerischen Hofhistoriographen versehen.87 Balde, der vielgerühmte „deutsche Horaz", der bedeutendste neulateinische Dichter des Jahrhunderts, war in den zwanziger Jahren aus dem Elsaß nach Ingolstadt und München gekommen, seit 1638 figurierte er in der Nachfolge Drexels als Maximilians Hofprediger. Er hatte, neben einer ausgedehnten Naturlyrik, in einer Reihe lateinischer Oden Hauptstationen der Regierung Maximilians geschildert, dieser antikische Züge verliehen und Bayern „gleichsam zu einem klassischen Boden" gemacht, wie später der ihn bewundernde Herder formulieren sollte. Die Themen reichten von der Prager Schlacht 1619 über die Weihe der Mariensäule 1638 bis zur Ode auf die kurfürstliche Residenz und die neue Wallbefestigung Münchens 1640, wobei Balde panegyrische Töne zum Ruhme Maximilians nicht scheute. Jedoch fühlte er sich als Dichter, nicht als Historiker, und schon gleich nicht als ein Höfling, der geschichtliche Vorgänge nach den Interessen seines Auftraggebers zurechtbog. Eine Geschichte Kaiser Ludwigs legte er daher alsbald beiseite, eine Darstellung der Donauwörthischen Expedition 1607 wurde von Maximilian so sehr kritisiert, daß Balde eine Geschichte des Böhmischen Krieges, mit der er bereits begonnen hatte, nicht weiter fortsetzte. Allerdings verfaßte er 1647 im Auftrag des Kurfürsten zur Rechtfertigung des Ulmer Waffenstillstandes noch ein „Drama Georgicum". Als aber Maximilian im Herbst 1648 aus seinem Fluchtort Salzburg nach München zurückkehrte und erkennen mußte, daß Balde das bayerische Geschichtswerk in keiner Weise gefördert hatte, kam es zu einem Zusammenstoß zwischen den beiden und wurde Balde vom Amt des Hofhistoriographen entbunden. Ob Balde seine historische Arbeit nicht vorangebracht hatte, weil er sich nicht der Zensur seines Herrn unterwerfen wollte, wie er selbst in einer Maximilian kritisierenden Niederschrift behauptet hat,88 oder
Lt. Balde erklärte Bissel bei seinem Rücktritt, er wolle nicht ein altes Weib heiraten, das schon vier Männer zugrundegerichtet und zur Aussteuer nur Mühen und Sorgen habe (Riemer; Geschichte VI, 440 Anm. 2). 87 Zu Balde als Historiker s. Bach, Balde; Dieter Breuer, Oberdeutsche Literatur. Deutsche Literaturgesch. und Territorialgesch. in frühabsolutistischer Zeit, München 1979, 218-249; nahezu wortgleich Oers., Princeps et Poeta. Jacob Baldes Verhältnis zu Kf. Maximilian I. von Bayern, in: GR I, 341-352; Jean-Marie Vakntin, Balde et la Bavière de Maximilian, in: Ders. (Hg.), Jacob Balde und seine Zeit, Bern usw. 1986, 48-63. 88 In seiner von J. Bach herausgegebenen „Interpretado Somnii de cursu Historiae Bavariae". 86
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ob er sich eben nicht zum Historiographen berufen gefühlt hatte, sei dahingestellt.89 Jedenfalls beauftragte Maximilian nunmehr seinen langjährigen Beichtvater Johann Vervaux mit der Aufgabe. Vervaux' „Boicae gentis annalium partes III", die 1653, nach dem Tod Maximilians, handschriftlich vollendet wurden, boten endlich die langersehnte Darstellung der bayerischen Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Aber auch sie gerieten in Auseinandersetzungen mit der jesuitischen Zensur,90 über die der junge Kurfürst Ferdinand Maria urteilte, daß man seinem Vater die wohlverdiente Unsterblichkeit nicht gönnen wolle. Die Zensoren rieben sich an der Darstellung Ludwigs des Bayern, an indirekter Kritik an Kaiser Ferdinand III., schließlich an der Person Vervaux' selbst, der an der Römischen Kurie bis hinauf zum Papst wegen konfessionspolitischer Nachgiebigkeit bei den Westfälischen Friedensverhandlungen keinen guten Namen hatte. Erst nach langwierigen Verhandlungen der Kurfürstinwitwe Maria Anna mit der Ordensleitung konnte das Werk 1662/63 unter dem Namen des (inzwischen ebenfalls verstorbenen) bayerischen Kanzlers Johann Adlzreiter von Tettenweis in zwei Folianten im Druck erscheinen.91 Der erste Teil bildete eine Überarbeitung des Brunnerschen Werkes, der zweite behandelte die Jahre 1314-1598, der dritte Teil war unter dem Leitgedanken „Idea boni principatus" ausschließlich der Regierungszeit Maximilians gewidmet. Es war Zeitgeschichtsschreibung aufgrund von Akten, Tagebüchern, Zeugenaussagen und eigenem Erleben, die erste große Biographie Maximilians, reich an Quellen und Tatsachen, mit Schwerpunkten und Beurteilungen, die wohl Maximilians Auffassung von sich selbst entsprachen. Manche Vorgänge vor allem außenpolitischen Charakters wurden allerdings mit Schweigen übergangen. In diesem Sinne bilden die Annales Vervaux' ein Quellenwerk hohen Ranges, dem mit Quellenkritik zu begegnen ist. Man darf annehmen, daß Vervaux zu seinem zeitgeschichtlichen Werk nicht nur durch den Auftrag Maximilians veranlaßt wurde, sondern auch durch die Tatsache beflügelt worden ist, daß ihm in den Taten seines Kurfürsten ein Thema europäischer Dimension und Bedeutung unter der Feder lag. Wenn auch jetzt erst der Wunsch Maximilians nach einer dynastisch orientierten Gesamtgeschichte seines Herzogtums Erfüllung gefunden hatte, so Ersteren Gesichtspunkt betont Breuer, Oberdeutsche Literatur 243 ff. Zurückhaltender Valentin, Balde. 90 Friedrich, Geschichtsschreibung (oben Anm. 80) 32 ff.; Riester, Geschichte VI, 443 f. 91 Joannis Adl^reitter a Tettenweis [= Johann Vervaux SJ], Annalium Boicae gentis partes III, quibus historia a prima Bojorum origine usque ad annum 1651, 2 Bände, München 1662/63, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1710. 89
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hatten doch auch schon die Arbeiten Welsers, Raders und Brunners hohen methodischen Anforderungen genügt, insbesondere hatten sie sich auf eine breite Basis unmittelbarer Quellen gestüt2t, teils staatlichen, die ihnen der Herzog zugänglich machte, teils Urkunden und Handschriften, die ihnen aufgrund von Maximilians Initiativen aus den Klöstern und Stiften greifbar wurden. Indem die Historiker Maximilians ihren Darstellungen kritisch geprüfte Primärquellen zugrundelegten, beschritten sie wissenschaftliche Wege, welche in die Zukunft wiesen, was ihnen auch von späteren Lobrednern wie Leibniz bestätigt worden ist. So bildete die bayerische Historiographie in der Epoche Maximilians eine eigene, durch Methodik und Ergebnisse bemerkenswerte Stufe zwischen Aventin und den historischen Forschungen der Akademie der Wissenschaften im ausgehenden 18. Jahrhundert. Man hat die Historikergruppe, die Maximilian für seine Zwecke förderte, mit dem Gelehrtenkreis verglichen, den Kaiser Ludwig einst um sich gesammelt hatte, und die Münchner Jesuiten mit diesen Publizisten aus dem Münchner Franziskanerkloster des frühen 14. Jahrhunderts, wie etwa Marsilius von Padua.92 Tatsache ist, daß auch Maximilian, wie einst Kaiser Ludwig, seine Historiker in den Dienst politischer Zwecke gestellt hat und daß deren Arbeiten durch Vorgaben politisiert worden sind. Die Frage ist freilich, wie weit die erstrebte politische Wirkung tatsächlich reichte, nachdem alle diese Werke in lateinischer Sprache, teils in schwer verständlichem, auch von Maximilian gerügtem Humanistenlatein verfaßt waren. Offensichtlich erreichten sie nur einen begrenzten Leserkreis, sofern sie überhaupt gedruckt wurden. Ging es mehr um Selbstbestätigung Maximilians und seines historischpolitischen Selbstverständnisses? Die tatsächlichen Wirkungen der großen Geschichtswerke auf die historisch-politische Meinungsbildung sind natürlich schwer abzumessen; für die Zeiten Maximilians selbst konnte von solchen Wirkungen jedenfalls nur begrenzt die Rede sein und damit auch kaum von einem tatsächlichen Beitrag dieser Forschungen zur „Kultisierung, Charismatisierung und Distanzierung des Regenten".93 Eine andere Bewandtnis hatte es mit historischen Untersuchungen, die Maximilian aus unmittelbarem Anlaß in Gang gesetzt und mit diplomatischen Aktionen begleitet hat. 1617 erschien in Rom, 1618 in Köln der vierzehnte Band der großangelegten Annales Ecclesiastici des Kardinals Baronius, der von dem Dominikaner Abraham Bzovius bearbeitet worden war. In diesem Schmid, Geschichtsschreibung 332. Vgl. Karl Bosl, Die „geistliche Hofakademie" Kaiser Ludwigs des Bayern im alten Franziskanerkloster zu München, in: Der Mönch im Wappen, München 1960, 97-129. 93 So Schmid, Geschichtsschreibung 338. 92
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Werk richtete Bzovius scharfe Angriffe auf Kaiser Ludwig den Bayern, er stellte die Rechtgläubigkeit und moralische Integrität des gebannten Kaisers sowie die Rechtmäßigkeit seines Königtums und Kaisertums in Frage. Da diese Auffassung in einem maßgeblichen kirchengeschichtlichen Werk gewissermaßen unter den Augen der Römischen Kurie vertreten wurde, fühlte sich Maximilian besonders berührt und beleidigt.94 Zuerst durch eine Schrift Gewolds, dann durch den Rektor des Münchner Jesuitenkollegs Jakob Keller ließ er seinen Ahnen verteidigen. Kellers „Ludovicus Imperator defensus" (1618), der wegen mancher Kritik an kurialen Auffassungen vorsichtshalber unter dem Namen Hans Georg Herwarths publiziert wurde, bot eine glänzende, auf breite Quellenbasis gestützte Widerlegung des Bzovius.95 Aber aller Scharfsinn dieser Untersuchung hätte nichts genützt, wenn nicht Maximilian selbst in einer neunjährigen diplomatischen und wissenschaftlichen Kampagne gegenüber drei Päpsten seinen Standpunkt in Rom selbst verfochten und Korrektur gefordert hätte. Die Bedeutung des Vorganges für seine Biographie liegt in der unglaublichen Konsequenz und Hartnäckigkeit, mit der er in Jahren, die ihm wahrlich auch Probleme anderer Größenordnung stellten, seinen Standpunkt durchzusetzen suchte und schließlich in wesentlichen Punkten auch zum Ziel gelangte. Wenn dabei die schließliche Bereitschaft Roms, Bzovius zum Widerruf zu zwingen, auch von politischer Rücksichtnahme auf den bedeutendsten katholischen Reichsfürsten diktiert war, so spielte doch die Hauptrolle, wie Andreas Kraus gezeigt hat, daß Maximilian durch weitere Schriftsätze Gewolds und Kellers die Kurie wissenschaftlich zu überzeugen wußte. Zwar blieb Ludwig weiterhin im Kirchenbann und konnte die Kurie nicht veranlaßt werden, über ihren Schatten zu springen und ihn ausdrücklich als rechtmäßigen Kaiser zu akzeptieren. Aber in der zweiten Auflage der Annales Ecclesiastici von 1627 wurde er jedenfalls moralisch rehabilitiert und wurde die Rechtmäßigkeit seiner Wahl zum deutschen König nicht mehr bestritten. Der ganze Vorgang und manche Rigorositäten Maximilians bei der Vertretung seiner Position erwiesen einmal mehr, daß der Herzog von Bayern bei prinzipieller Kirchentreue sich nicht scheute, auf Konfrontationskurs mit dem Papsttum zu gehen, wenn zentrale seiner
Vgl. Andreas Kraus, Die Annales Ecclesiastici des Abraham Bzovius und Maximilian I. von Bayern, in: Oers., Bayer. Geschichtswissenschaft 54-105; Gerhard P f e i f f e r , Um die Lösung Ludwigs des Bayern aus dem Kirchenbann, in: Zeitschrift für bayer. Kirchengeschichte 32 (1963), 1-30; GR II Nrr. 321 ff.; Neumayer, lus publicum 144 ff.; Bach, Balde X ff. 95 Hans Georg Herwarth [= Jakob Keller SJ], Ludovicus Quartus Imperator defensus, München 1618, 2. Aufl. 1621. 94
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Interessen, hier die Ehre seiner Dynastie, berührt schienen. Demgemäß hat er auch an der Plazierung des Ludwigs-Grabmals im Zentrum der Münchner Frauenkirche und an dessen Ausschmückung mit kaiserlichen Insignien nichts mehr geändert. Es war seine Antwort auf die schließliche Verweigerung von Kaisertitel und Bannlösung durch die Römische Kurie. Aktuellem Anlaß entsprangen auch die historischen Forschungen, die Maximilian seit 1610 durch Christoph Gewold zur Geschichte der Entstehung des Kurfürstenkollegs und des Reichsvikariats unternehmen ließ. Sie standen in Zusammenhang mit der hochpolitischen Frage des bayerischen Anspruchs auf die Kurwürde in Auseinandersetzung mit der pfalzisch-kalvinistischen Linie des Hauses Wittelsbach, der die Kur 1356 durch die Goldene Bulle übertragen worden war. Das Problem selbst wird erst später, im Zusammenhang mit Maximilians Kampf um die Kur zu Beginn des Krieges zu erörtern sein. Jedenfalls zeigt sich auch hier die Verwendung der Historiographie in der politischen Auseinandersetzung, die Indienstnahme der Geschichtsschreibung für die Politik. Wie Maximilians Weisungen bei der Entstehung des großen Geschichtswerkes oder bei der Behandlung Arnulfs „des Bösen" durch Gewold96 belegen, konnte es dabei auch zu Verbiegungen und Verfälschungen kommen. So ergibt sich ein ambivalentes Bild der maximilianeischen Geschichtsschreibung: Einerseits trägt sie im Interesse der politisch-dynastischen Zwecksetzung des Auftraggebers verschiedentlich einen manipulativen Charakter. Gleichzeitig fuhrt sie aber durch Quellenreichtum, kritische Überprüfung der Quellen und formale Gestaltung besonders in dem Werk des Vervaux weit über Aventin hinaus und gewinnt den Anschluß der bayerischen Historiographie an westeuropäische Standards. Sowohl die Begrenzungen wie die Leistungen dieser Geschichtsschreibung sind ohne das fortdauernde Interesse Maximilians an der Geschichte seines Hauses und seine entsprechenden Initiativen nicht zu denken.
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Vgl. Alois Schmid, Das Bild des Bayernherzogs Arnulf (907-937) in der deutschen Geschichtsschreibung von seinen Zeitgenossen bis zu Wilhelm von Giesebrecht, Kallmünz 1976, 146 ff.
11. Pietas Maximilianea Wird unter Pietas, Frömmigkeit, eine innere Gesinnung der Gottesfurcht verstanden, die Betätigung dieser Gesinnung in kultischen Handlungen und ihre Kundgebung gegenüber der menschlichen Gemeinschaft, dann kann nach allen Zeugnissen, die wir besitzen, ohne Zögern von Frömmigkeit Maximilians, von einer Pietas Maximilianea gesprochen werden.1 Maximilian selbst hat sich über seine Frömmigkeitshaltung und ihre Antriebe nicht oder nur in formelhaften Wendungen geäußert. Selbst in den ganz persönlich gehaltenen „Treuherzigen väterlichen Lehrstücken" für seinen ältesten Sohn aus dem Jahre 1650 hat der greise Herzog dort, wo er auf die Religion zu sprechen kommt, sich zurückhaltend der Sprache der Bibel bedient.2 Entsprechend hat auch sein langjähriger Beichtvater und erster Biograph Johann Vervaux versichert, daß von dem innersten Verhältnis des Herzogs zu Gott nur dieser selbst wisse. „Denn da der Herzog derartige Geheimnisse in vollendeter Weise zu verbergen pflegte, wurde es von niemandem, den ich kenne, je in Erfahrung gebracht."3 Wir sind daher gehalten, ein Bild seiner Frömmigkeit aus seiner religiösen Praxis zu gewinnen. Sie tritt uns entgegen teils als individuelle Übung, teils eingebettet in die Frömmigkeitsäußerungen der Kultgemeinschaft, und nicht zuletzt in den Bemühungen, seine religiösen Auffassungen auch seinen Untertanen zu vermitteln. Es bedarf keiner näheren Begründung, daß Inhalt und Form von Maximilians Religiosität im Wesentlichen grundgelegt und geprägt waren durch Herkunft und Erziehung, durch die religiöse Atmosphäre und die religionspolitischen Zielsetzungen des Münchner Hofes unter Albrecht V. und Wilhelm V., durch den Frömmigkeitsstil und die Religionspraxis der Eltern, des Erziehers Fickler, des ersten Beichtvaters Gregor von Valencia und anderer Theologen. Auch den Zeitgenossen, selbst den protestantischen, war bewußt, daß Maxi1 Hierzu vgl. auch Dieter Breuer, Absolutistische Staatsreform und neue Frömmigkeitsformen. Vorüberlegungen zu einer Frömmigkeitsgeschichte der frühen Neuzeit aus literarhistorischer Sicht, in: Ders. (Hg.), Frömmigkeit in der frühen Neuzeit, Amsterdam 1984, 5-25; Oers. (Hg.), Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, 2 Teile, Wiesbaden 1995; GR II, 225 ff. 2 Dokumente 1,3, Nr. 357, hier 1288. 3 Adltjeiter-Vervaux, Annales III, 605.
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milian in dieser Tradition stand: „Wie dann sonderlich Ihre Churfürstl. Durchlaucht sich befleißen", berichtet sein lutherischer Kunstagent Hainhofer, „die Sanctitatem Bavariae [...] nit ausgehen noch erlöschen zu lassen, sondern in derselben, neben dero schweren regierungssorgfalt, dero hochloblichste und seeligste vorfahren wa nit zu übertreffen, doch zu ähnlichen und ihren rhuemwürdigen vestigiis zu inhaeriren."4 Dies bedeutete zunächst selbstverständliches Festhalten an der römischen Kirche, deren Glaubenslehren kurz zuvor durch die dogmatischen Dekrete des Konzils von Trient neu umschrieben und abgegrenzt worden waren. „Perchè la certa e vera veneratione e servitio di Dio si ritrova solamente presso la Santa Catholica et Apostolica Romana Chiesa e sua religione", hieß es in der Erziehungsinstruktion Maximilians für seinen ältesten Sohn Ferdinand Maria.5 Es bedeutete weiterhin Benutzung und Schärfung der Instrumente, mit denen nach den Vorstellungen der Katholischen Reform die eigene religiöse Praxis vertieft und die Untertanen zum ewigen Heil geführt werden konnten und sollten. Daß dabei jene Sakramente, Sakramentalien und geistlichen Übungen besonders betont wurden, die von Lutheranern und Reformierten unterschieden, entsprach der Herausstellung des Eigenen und Unterscheidenden in den Jahrzehnten der Konfessionsbildung. Diese allgemeinen Voraussetzungen trafen auf eine Persönlichkeit, die schon in frühen Jahren geschlossen und konturiert erscheint, zumeist diszipliniert, selbst- und zielbewußt, die Vorgegebenes besonders scharf erfaßt und nach Aneignung besonders strikt zu realisieren sucht. Über Maximilians theologische Bildung sind wir nicht näher unterrichtet, doch dürfen wir annehmen, daß durch die Bemühung um die in den Erziehungsinstruktionen genannten Erziehungsziele auch bestimmte theoretische Grundlagen gelegt worden sind. In seiner Handbibliothek finden sich 1618 auch eine Reihe theologischer Titel, darunter Gesamtausgaben der Kirchenväter Hieronymus, Augustinus und Gregor des Großen. Maximilians theologisches Interesse kam in besonderer Weise zum Ausdruck in einem Religionsgespräch, das nach längeren Vorbereitungen 1601 zwischen pfalz neuburgischen und bayerischen Theologen in Regensburg abgehalten wurde.6 Der lutherische Herzog Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg hatte das KolloHäutle, Hainhofer 278. M. Rüttmanner, Die Instruction des Kf. Maximilian I. für den Hofmeister Ferdinand Marias vom Jahre 1646, in: SB München 1878, Band 2, 225-259, hier 241. 6 BA V, 588ff.; Adam Hirschmann, Das Religionsgespräch zu Regensburg im Jahre 1601, in: Zeitschrift fur kathol. Theologie 22 (1898), 1-30, 212-245, 643-688; Duhr, Jesuiten 11,2, 399 ff.; Barbara Bauer, Das Regensburger Kolloquium 1601, in: GR I, 90-99. 4
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quium vorgeschlagen, Maximilian hatte sich einverstanden erklärt, obwohl die Religionsgespräche des 16. Jahrhunderts in München nicht auf Beifall gestoßen waren, und hatte als Thema die Kernfrage gestellt, inwieweit die Hl. Schrift die einzige Glaubensquelle bilde. An dem Gespräch, das seit Ende November 1601 im Regensburger Rathaus in lateinischer Sprache geführt wurde, nahmen Philipp Ludwig und dessen Sohn Wolfgang Wilhelm sowie auf bayerischer Seite Maximilian und dessen Bruder Albrecht persönlich teil. Ob dem ganzen Kolloquium hauptsächlich das Motiv theologischer Wahrheitsfindung zugrundelag oder nicht vielmehr die Hoffnung jeder Seite, schließlich den Sieg für sich zu beanspruchen und politisch auszumünzen, mag offen bleiben. Jedenfalls wurde das Gespräch nach vierzehn Sitzungen durch Maximilian abgebrochen, weil der Papst als Antichrist bezeichnet worden war. Auf katholischer Seite hatte der Hauptkolloquent Pater Gretser mangels Vorbereitung ziemlich versagt, so daß Maximilian nach wenigen Sitzungen veranlaßt gewesen war, eiligst den bedeutenden Ingolstädter Dogmatiker Adam Tanner herbeizuholen, der dann auch seine Sache gut zu vertreten wußte. In Veröffentlichungen nach dem Kolloquium schrieb sich jede Seite den Sieg zu; auf katholischer Seite glaubte man in späteren Jahren eine Auswirkung und damit einen Erfolg des Religionsgesprächs in der Konversion Herzog Wolfgang Wilhelms 1613 sehen zu können. Ein solcher Zusammenhang war kaum gegeben, doch waren Maximilians theologische Kenntnisse bei seinen Disputationen mit Wolfgang Wilhelm, die dessen Konversion vorausgingen, unmittelbar gefragt. Über Maximilians religiöse Praxis sind wir bis in Einzelheiten unterrichtet, besonders eindrucksvoll in einer Beschreibung seines Beichtvaters Vervaux, der sie kennen mußte: „Stundenlang verharrte er regungslos auf den Knien mit solcher Beständigkeit, daß sie nicht nur (wie man von heiligen Männern liest) schwielig, sondern geradezu knöchern wirkten. Ohne jedes Kissen pflegte er in dieser Haltung noch auszudauern, als ihn im höchsten Alter die Füße im Stich ließen, wie wenn zur Verherrlichung Gottes die Kräfte von den Füßen in die Knie geströmt wären. Es war ihm tägliche Gewohnheit, zwei Messen beständig kniend beizuwohnen; häufig fügte er eine dritte hinzu. Niemals, wenn ihn nicht eine Krankheit hinderte, fehlte er bei den festen Gebetszeiten, feierlichen Liturgien, Vespern und sonstigen Kirchengebeten, wenn sie in der Hofkapelle stattfanden, und er wollte, daß auch der Adel am Hof gehörigerweise anwesend sei. Im Kloster Ranshofen beobachteten Zahllose, wie er vierzig Tage hindurch nacheinander drei Stunden lang an sechs oder mehr Messen in bitterer Winterkälte teilnahm, als er zu Gott für die fromme Seele seiner soeben verstorbenen Gemahlin Elisabeth betete.
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München sah ihn Jahr für Jahr, solange seine Kräfte es zuließen, bei der Fronleichnamsprozession barhäuptig dem Allerheiligsten folgen. Braunau sah ihn während der dreijährigen Evakuierung an vielen Freitagen im Zuge der Betenden zu Fuß aus der Pfarrkirche zu den Kapuzinern schreiten, selbst bei unwirtlichem Wetter." Zum Tageslauf Maximilians berichtet Vervaux: „Selbst in schwierigen Zeiten, gleich unter welchem Andrang der Dinge und Geschäfte, widmete er vor allem anderen zumindest eine gute Stunde dem Morgengebet in Abgeschiedenheit, wobei er niemanden in seinem Zimmer duldete, wenn es nicht unbedingt nötig war. Einige Zeit später folgten die beiden bereits genannten Messen. Nachmittags verrichtete er wiederum das Vespergebet, bestehend aus dem üblichen Pensum des Rosenkranzes und weiteren Gebeten, deren er ungezählte hatte; er dehnte es weit über eine Stunde aus. Niemals legte er sich zur Nachtruhe, ohne sein Gewissen durch genaues Prüfen seiner Tagesverrichtungen zu erforschen und sich und die Seinen in einstündigem Gebet Gott anzuempfehlen. Dieser Ablauf war ihm derart zur Natur geworden, daß er ihn nicht einmal auf Reisen je unterbrach, oder wenn er sich einen Tag der Jagd oder ähnlicher Erholung gönnte. Dann diente ihm eben die Kutsche oder ein anderer Ort als Hauskapelle, und wenn ihm etwas von der Zeit des Tages für das Gebet fehlte, zog er sie am nächtlichen Schlaf ab, was nicht selten sein Gefolge aufs höchste ermattete, da es solcher Ausdauer und Nachtwache weniger zuneigte. Damit selbst die Nächte nicht ohne himmlische Zwiesprache blieben, unterbrach er sie durch Gebet. Dazu verwandte er eigene geistliche Übungen sowie den Rosenkranz, den er griffbereit unter dem Kissen hatte und mit Behutsamkeit und Geschick handhabte, um den Schlaf seiner geliebten Gattin nicht zu stören; allerdings gelang es ihm nicht, sie damit zu täuschen: sie beobachtete ihn oft beim Beten und Schloß sich ihm an. Diese Beharrlichkeit im Gebet hinterließ in dem Büchlein, das seine vertrautesten Gebete enthielt, so deutliche Gebrauchsspuren der Hände und Finger, daß jedermann feststellen konnte, wie wenig diese Andachtsmittel nutzlos gewesen waren."7 Vervaux hatte das heute in der Bayerischen Staatsbibliothek verwahrte Gebetbuch Maximilians im Auge,8 ein kostbares, auf Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 605, Übersetzung nach GR II, 225 f. Vgl. auch die Charakteristik durch Hainhofen „Sie [Ihre Fürstliche Durchlaucht] sein in Ihrer bäbstischen Religion gar eyferig, beichten und communicieren oft, gehen fleißig in die Kirchen, auch fleißig in die Räth, und machen durch Ihre Gottesforcht, nüchterheit, christlich leben und guet exempel auch Ihre officier und räth fromb und fleißig" (Häutle, Hainhofer 14 f.). 8 Clm 23640. Eine Faksimileausgabe mit Kommentarband erschien mit Verlagsort Lachen 1986, ohne Hinweis auf einen Herausgeber. Vgl. auch G R II Nr. 333. 7
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feinstem Pergament geschriebenes und mit zarten Randillustrationen versehenes Büchlein, das neben Grundtexten christlichen Glaubens und Lebens zahlreiche Mariengebete enthält. Dem wohl schon unter Albrecht V. entstandenen Gebetbuch ließ Maximilian eine Reihe von Miniaturen mit Szenen aus dem Marienleben einfügen, sprechender Ausdruck seiner marianischen Orientierung. Man wird das intensive Gebetsleben Maximilians und dessen spezifische Ausformungen in Verbindung bringen mit der Gebetskultur seiner jesuitischen Erzieher und Beichtväter und in manchen Übersteigerungen spanisches Vorbild erkennen, wie es ihm wohl durch Gregor von Valencia nahegebracht wurde. Die peinlich genaue Erfüllung aller religiösen Anforderungen, der strikte Gehorsam gegenüber den Kirchengeboten, die exakte Einhaltung äußerer Formen der Andacht entsprangen einem intensiven, zu Zeiten skrupulösen Heilsbedürfnis, aber auch dem Willen einer disziplinierten Natur, gestellten Anforderungen in vollendeter Weise zu genügen. Nach dem Zeugnis Vervaux' war Maximilian nur mit Mühe zu bewegen, im gegebenen Fall von Dispensen Gebrauch zu machen.9 Manchen seiner Frömmigkeitsäußerungen eignete im Unterschied zu seiner rationalistischen Nüchternheit im Politikbereich ein schwärmerischer Einschlag, der gelegentlich mystizistische Züge aufwies. Er gipfelte in dem Weihebrief, den er im Jahre 1645, mit eigenem Blute unterschrieben, in dem von ihm gestifteten Silbertabernakel der Gnadenkapelle zu Altötting, einem Zentralort seiner religiösen Praxis, geheimnisvoll deponierte: „In mancipium tuum me tibi dedico consacroque, Virgo Maria, hoc teste cruore atque chyrographo, Maximiiianus peccatorum corypheus - Dir gebe ich mich ganz zu eigen und weihe mich Dir, o Jungfrau Maria, wie ich es mit meiner Blutunterschrift bezeuge, Maximilian der oberste der Sünder."10 Als nach dem Tode Maximilians ein Kästchen geöffnet wurde, das er stets mit sich geführt, dessen Inhalt er aber sorgfältig verborgen hatte, enthielt es Bußinstrumente, die Spuren wiederholter Benützung zeigten, Geißeln, eine stachelige Büßerkette, härene Kleidungsstücke. „So pflegte der mächtigste Fürst" schreibt Vervaux bewundernd, „die Werke der Hilarión, Elzearius, Bruno und anderer großer Heiligen nachzu9
Adliçeiter-Vervaux, Annales III, 604. Annales III, 609; Abb. bei Maria Angela König, Weihegaben an U.L. Frau
10 Adl^reiter-Vervaux,
von Altötting, Band 1, München 1939, Tafel 32. Vgl. auch ebenda 243 ff. und 3 1 0 ff. sowie Edgar Krausen, Die Blutweihebriefe der Kurfürsten Maximilian I. und Ferdinand Maria von Bayern, in: Archivalische Zeitschrift 57 (1961), 52-56. König 245 verweist auf eine in den dreißiger Jahren im Rheinland besonders unter Mitgliedern der Marianischen Kongregation florierende „Bruderschaft der Sklaven (mancipia) der allerseligsten Jungfrau", die Maximilian vielleicht gekannt hat.
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ahmen, aber insgeheim und nur vor Gott allein, damit auch nicht der Anschein eitler Gloriole aufkommen konnte. [...] Und weil er mit sich selbst so hart war, ist es nicht erstaunlich, wenn er von Gott im Gebet die Freudenschauer und den Vorgeschmack des Himmels erfahren durfte".11 Zu den Heiligen der Kirche suchte Maximilian auch in unmittelbaren, ja körperlichen Kontakt zu treten, indem er sich mit deren Reliquien umgab. Als „fontes salutíferos" hatte sie Wilhelm V. bezeichnet, „Quellen des Heils, durch die der barmherzige Gott den Menschen Wohltaten erweist; ich sammle sie, damit wir sie in Ehrfurcht verehren und in frommer Liebe der Anbetung erhalten".12 Der Reliquienkult des Mittelalters war bei den Reformatoren in Mißkredit geraten, umsomehr wurde er in den katholisch gebliebenen Fürstenhäusern gepflegt, die sich dann auch als Retter von Reliquienschätzen vor protestantischer Verunehrung verstanden. So hatte Albrecht V. im Jahre 1576 die Gebeine des Hl. Benno aus Meißen nach München überführt, Wilhelm V. hatte sie 1580 in der Frauenkirche deponiert und Benno zum Patron der Stadt und des Herzogtums erhoben. Überhaupt war es Maximilians Vater, der die Sammlung von Reliquien in großem Stil betrieb, nachdem der Papst ihre Aufbewahrung in den Räumen der Neuveste genehmigt hatte. Er hat in diesem Bestreben Korrespondenzen mit anderen Fürstlichkeiten und Höfen geführt und auch Protestanten um Reliquien gebeten, „welche vielleicht dieser orten wenig in acht gehalten werden".13 Er hat Agenten eingesetzt und auch Manipulationen nicht gescheut,14 jedoch war nicht bei allen Erwerbungen die Echtheit verbürgt. Immerhin verdanken wir einer solchen zweifelhaften Erwerbung, den 1576 von Kurfürst Ernst von Köln geschenkten Reliquien des Hl. Georg, eines der schönsten Stücke der Münchner Schatzkammer, die kostbare, mit Perlen und edlen Steinen übersäte Reliquiar-Statuette des Heiligen zu Pferd. Maximilian hat die Sammlun11
Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 606. Zitiert bei Brunner, Kunstsammlungen 183. Zu den Reliquiensammlungen und Reliquiaren Wilhelms V. und Maximilians vgl. ebenda 1 8 2 ff.; G R II, 247 ff.; Bachtier, Goldschmiedearbeiten 323 ff.; Steiner; Gottseliger Fürst 258; Schmid, Venedig 164; Gerhard P. Woeckel, Pietas Bavarica. Wallfahrt, Prozession und Ex v o t o - G a b e im Hause Wittelsbach [...], Weißenhorn 1992, 37; Lore/1% See/ig, Der v o n Wilhelm V. begründete Reliquienschatz der Jesuitenkirche St. Michael in München, in: Baumstark (Hg.), R o m in Bayern 199-262. Allgemein: Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes v o m frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994, bes. 2 4 2 ff. 13 Wilhelm V. an Geheimrat Melchior Jäger v o n Gärtringen, 2 3 . 8 . 1 5 9 1 : Wittelsbacherbriefe I Nr. 33, mit der Aufforderung, bei Augustinus nachzulesen, daß die Katholiken die Heiligen nur verehrten, nicht etwa anbeteten. 14 Uwe Müller, Der Versuch Hg. Wilhelms V. v o n Bayern, das Reichsheiltum in seinen Besitz zu bekommen, in: Mitt. des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 72 (1985), 1 1 7 - 1 3 5 . 12
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gen seines Vaters in kleinerem Umfang fortgeführt, seine Erwerbungen werden ersichtlich aus den Echtheitszertifikaten, die von den Verkäufern ausgestellt worden sind.15 So erwarb er 1612, nach der Absetzung des Erzbischofs Wolf Dietrich, vom Salzburger Domkapitel Reliquien der heiligen Salzburger Bischöfe Virgil und Rupert, 1613 vom Regensburger Domkapitel eine Reliquie des Hl. Wolfgang, 1614 vom Bischof von Bamberg die Häupter der Heiligen Cosmas und Damian. 1649 erstand er die dazugehörigen Leiber dieser beiden Heiligen, die aus Münster in die Bestände von St. Michael in München überführt wurden. Auch die fromme Herzogin kaufte Reliquien, so 1633 aus dem Kloster Seligental eine Handreliquie der Gottesmutter Maria. Da es nicht nur um Sammlung, sondern auch um Schaustellung ging, entwickelte sich aus dem Reliquienkult eine Reliquienkunst, die Fassung der Heiltümer in kunstvollen Reliquiaren. Aus den Zeiten Wilhelms V. und Maximilians sind in der heutigen Reliquienkammer der Münchner Residenz noch etwa fünfzig Reliquiare überliefert, welche mit Gold, Silber, Edelsteinen, Elfenbein, kostbaren Hölzern und Textilien die Heiltümer rahmten und in solcher Schaubarkeit der Verehrung zugänglicher machten. Noch in der alten Residenz ließ Maximilian neben der Hofkapelle die Geheime Kammerkapelle oder Reiche Kapelle errichten, ein Oratorium privatissimum, das der Mehrzahl seiner Reliquien einen eigenen, durch Krumper und andere Künstler verschwenderisch ausgestatteten Sakralraum bot. „Ecco, che pur entro in Paradiso" begann Baidassare Pistorini 1644 seine Beschreibung der Kammerkapelle: „Nicht ohne Grund nenne ich diese Stätte Paradies, denn hier finden sich, in vergänglichen Materialien eingeschlossen, Wonnen und Schätze des Paradieses, eine Vielzahl der geschätztesten und gerühmtesten Reliquien, deren sich die Christenheit erfreut."16 Der Reliquienschatz Maximilians war nicht als eine Art „Staats-Heiltum" gedacht, sondern trug durchaus privaten Charakter.17 Wenn die kleine Kammerkapelle den Ort intimer Frömmigkeitsund Bußübungen des Herzogs bildete, so gab der Heiltumsschatz diesen Verrichtungen eine besondere Weihe, der Fromme konnte sich eingereiht Im Geh. Hausarchiv, Bestand Reiche Kapelle, Urkunden. Pistorini, Descritrione (s. oben Kapitel 1 0 A n m . 54). Ein Ver2eichnis der 1 6 2 6 in der Reichen Kapelle befindlichen Reliquien bietet das Inventar in Hausurkunden Nr. 1 5 8 4 1/5. Das Titelblatt trägt den handschriftlichen Vermerk Maximilians: „Zu autentisierung dises Inventarli haben wür unser Hand underschrifft beigefiegt. Maximiiianus m.p." Ein Inventar der Reliquien der Hofkapelle befindet sich in Reiche Kapelle, Urkunden Nr. 178. 17 Lt. Testament v o n 1 6 3 5 und Testamentskodizill v o n 1 6 5 0 hatte Maximilian allerdings beabsichtigt, zur öffentlichen Verehrung seines Reliquienschatzes eine eigene Kirche gegenüber der Residenz zu bauen, doch war der Plan wegen des Krieges nicht realisiert worden (Dokumente 1,3 Nr. 356, hier 1 2 8 1 f.). 15
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fühlen in die Schar der ihn umgebenden Heiligen und Märtyrer und an deren Gnadenschätzen partizipieren. Die Geheime Kammerkapelle im Westflügel des Grottenhoftrakts hatte das Patrozinium Mariae Verkündigung und verwies damit auf die zentrale Position der Marienverehrung in Maximilians Glaubensleben.18 Bereits Vervaux hat sie als Hauptmerkmal der persönlichen Religiosität Maximilians herausgestellt.19 Sie war, wie erzählt, in Maximilians Erziehung grundgelegt worden, ein betonter Marienkult stand im Zentrum jesuitischer Spiritualität und Seelsorgspraxis und gehörte zu den charakteristischen Glaubensbezeugungen der Gegenreformation. Bereits der junge Maximilian hatte das mariologische Hauptwerk des Petrus Canisius „De Maria Virgine incomparabili" kennengelernt, in dem, wie erwähnt, das neue heroische Marienbild der Jesuiten programmatisch entfaltet worden war. Offensichtlich hatte er diese ganze marianische Welt intensiv in sich aufgenommen. Die daraus folgende marianische Praxis tritt uns in vielen Facetten entgegen und ist in den Einzelheiten häufig beschrieben worden: Die frühe Mitgliedschaft in der Marianischen Kongregation; das regelmäßige Gebet marianischer Texte; die vielen und oft mühseligen Wallfahrten zu den Marienheiligtümern, an erster Stelle nach Altötting, wo er den Blutweihebrief niederlegt, dann Ettal, Fürstenfeld, Tuntenhausen, wo er 1630 den Gnadenaltar stiftet, auch in das entfernte Einsiedeln und nach Loreto; die Sammlung und Verehrung von Marienreliquien; die Widmung von Weihegaben an Stätten der Marienverehrung, vor allem nach Altötting;20 die ungewöhnliche Benennung seines langerwarteten ersten Sohnes mit dem Beinamen Maria, wodurch eine langandauernde Praxis im katholischen Raum eröffnet wird; die Bestimmung, sein Herz in der Gnadenkapelle von Altötting beizusetzen, welchem Vorbild seine Nachfolger bis zum letzten König von Bayern im Jahre 1921 gefolgt sind.21 Es konnte gar nicht anders sein, als daß der Fürst des konfessionellen Absolutismus, der sich für das Seelenheil und also für die religiöse Praxis seiner Untertanen vor Gott verantwortlich glaubte, seine persönliche Glaubensauffassung auch dem ganzen Land mitzuteilen suchte. Anna Coreth hat für die österreichischen Habsburger gezeigt, wie die Frömmigkeitsformen des Herr18 Hierzu vgl. vor allem Hugo Schnell.\ Der baierische Barock, München 1936; König, Weihegaben II, 115 ff.; Alois Schmid, Die Marienverehrung Kf. Maximilians I. von Bayern, in: A. Ziegenaus (Hg.), Maria in der Evangelisierung, Regensburg 1992, 33-57 (Lit.); Woeckel\ Pietas Bavarica. 19 Adlspeiter-Vervaux, Annales III, 607 ff. M König, Weihegaben II, 115 ff.; GR II, 341. 21 König, Weihegaben I, 262 f.; GR II Nr. 939.
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scherhauses sukzessive zu Leitbildern werden für die Frömmigkeitsübung der Untertanen, zuerst für die Hofkreise, dann für das Bürgertum, schließlich für das einfache Volk: Pietas Austriaca.22 Nicht wesentlich anders ist der Vorgang in Bayern, der persönliche Marianismus Maximilians erhält eine gesellschaftliche und politische Dimension, die Pietas Maximilianea weitet sich zur Pietas Bavarica.23 Dies geschieht durch Vorbild und Überzeugung, aber auch durch Zwang, durch die Möglichkeiten des fürstlichen lus reformandi, mit dem das religiös-kulturelle Leben des Hofes und des Landes nicht nur auf eine bestimmte Konfession, sondern auch auf einen bestimmten Frömmigkeitstypus festgelegt werden soll. Die Reformorden unterstützen den Vorgang, verbreitem und verfestigen ihn, die Jesuiten in Adel und Bürgertum, die Kapuziner und Franziskaner vornehmlich in den unteren Volksschichten.24 Was den Marienkult betraf, so ging es Maximilian zunächst darum, Gestalt und Bild der Gottesmutter im Lande präsent zu machen, um ihre Verehrung voranzubringen,25 wobei an die spätmittelalterliche Marienverehrung mit ihren zahlreichen bildlichen Äußerungen angeknüpft werden konnte. Die ohnehin zahlreichen Marienpatrozinien bayerischer Kirchen wurden noch einmal schubartig vermehrt, auch mit Verdrängung älterer Patrozinien. Ebenso wie die Hofkapelle von 1600 der Maria Immaculata geweiht war und die Geheime Kammerkapelle von 1607 Mariae Verkündigung, zeigte das monumentale Hochaltarbild der Münchner Frauenkirchen von Peter Candid die Himmelfahrt Mariens, wodurch das Generalthema der süddeutschen Hochaltarkunst des Barock angeschlagen war. Maximilian hatte das Bild nach der Schlacht am Weißen Berge in Auftrag gegeben, bei der der Name Mariens zum Feldgeschrei bestimmt worden war.26 Nicht weniger wirkte die Madonna Krumpers an der Außenfassade der Residenz vorbildhaft; seither wurden zahlreiche Häuser der Stadt, Bürgerhäuser wie Adelspaläste, bis ins frühe 19. Jahrhundert mit solchen Hausmadonnen geschmückt. Die Sitte verbreitete sich auch in anderen bayerischen Städten und Märkten und auf dem 22
Vgl. Anna Coreth, Pietas Austriaca. Ursprung und Entwicklung barocker Frömmigkeit in Österreich, München 1959. 23 Vgl. u.a. Hubensteiner, Geist des Barock; Breuer, Absolutistische Staatsreform; Woeckel, Pietas Bavarica; Brandmüller, Handbuch II, 304 ff. {Schmid). 24 Zum Problem der Volksreligiosität und ihres Verhältnisses zur Frömmigkeit der Eliten vgl. Hans Georg Molitor - Herbert Smolinski (Hg.), Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit, Münster 1994 (mit weiterer Lit.). 25 Vgl. Schmid, Marienverehrung 42 ff.; Steiner, Gottseliger Fürst 255 ff.; Hüttl, Marianische Wallfahrten 112 ff. 26 Lt. Kloos, Inschriften Nr. 488 stiftete Maximilian nach Rückkehr aus Böhmen für die Rückseite des Hochaltars ein weiteres Bild (Auferstehung Christi), das der „siegreichen Helferin" Maria gewidmet war und später nach Schleißheim gelangte.
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flachen Land. Daß der Aufklärer Montgelas 1810 an seinem Münchner Palais von einer Hausmadonna absah, erregte Aufsehen und kennzeichnete den Beginn einer neuen Zeit. Besitz und reger Gebrauch des Rosenkranzes wurden gegen großen Widerstand der Landbevölkerung vorgeschrieben, beim mittäglichen und abendlichen Angelusläuten hatte jeder Untertan, wo er sich befand, niederzuknien und die falligen Gebete zu verrichten. Mandate schärften die Einhaltung der drei bisherigen und dreier neueingeführter Marienfeiertage ein, während gleichzeitig den Bischöfen von Freising und Regensburg die Einführung der Feste der bayerischen Glaubensboten Korbinian und Wolfgang mit der Begründung abgeschlagen wurde, es gäbe schon zu viele Feiertage, an denen nicht gearbeitet würde.27 Nichtweniger hat Maximilian freiwillige Zusammenschlüsse marianischer Zielsetzung, Rosenkranzbruderschaften und vor allem Marianische Kongregationen, lebhaft gefördert.28 Er war dem Begründer der Marianischen Kongregationen in Deutschland, Pater Jakob Rehm SJ., in Ingolstadt persönlich begegnet und als Elfjähriger der Kongregation beigetreten. Mit der religiös-sittlichen Ausrichtung der Kongregationen auf Selbstheiligung und Apostolat konnte er sich ebenso identifizieren wie mit ihrer Zielsetzung, durch Sammlung der Gebildeten der Elitenbildung und derjenigen mitderer bürgerlicher Gruppen der religiösen Breitenarbeit zu dienen, zumal die in den Kongregationen führenden Jesuiten für eine marianische Ausrichtung der Mitglieder sorgten. Manche militärischen Aktionen wurden wohl mit Absicht auf Marienfesttage verlegt, so der Beginn der Donauwörther Exekution auf Mariae Empfängnis 1607 oder der Einmarsch in die Oberpfalz auf Mariae Geburt 1620. Die wichtigste öffentliche Manifestation der maximilianeischen Marienverehrung bedeutete die Deklaration Mariens zur Patrona Bavariae,29 nicht in einem einmaligen Akt, als vielmehr durch eine Reihe künstlerischer Bezeugungen, die von Maximilian persönlich veranlaßt wurden. Bereits auf einer Goldmünze des Jahres 1610 wurde mit dem Bild einer Muttergottes über der Silhouette der Landeshauptstadt und der Inschrift „Sub tuum praesidium" das Patronatsmotiv angeschlagen. 1615 erschien der erste Band der „Bavaria sancta" Matthäus Raders, des von Maximilian veranlaßten vierbändigen
König, Weihegaben I, 1 1 6 f.; Hütt/, Marianische Wallfahrten 113; Dokumente 1,3 Nr. 320. Maximilian V. Sattler, Geschichte der Marianischen Congregationen in Bayern, München 1864; Die Jesuiten in Bayern 1549-1772, Weißenhorn 1991 (Ausstellungskatalog mit guter Bibliographie). 29 Schmid, Marienverehrung 47 ff. Vgl. auch Georg Schwaiger; Maria Patrona Bavariae, in: Ders. (Hg.), Bavaria sancta. Zeugen christlichen Glaubens in Bayern, Band 1, Regensburg 1970, 28-37; Steiner, Gottseliger Fürst 255 f.; Woechel, Pietas Bavarica 46 ff.; GR II Nrr. 407, 4 1 0 , 4 1 1 , 4 1 2 . 27 28
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Sammelwerkes über Leben und Taten der Heiligen und Seligen in Bayern. Im großen Titelkupfer übergab der Erzengel Michael, umgeben von vier Engeln mit den Wappen der bayerischen Rentämter, eine Karte Bayerns an Maria, und in der Vorrede stellte Rader fest, daß die „Bavaria sancta" ihre besondere Weihe aus der Unterstellung unter die Gottesmutter erhalte. Die große Madonna Krumpers an der Schaufassade der Residenz brachte den Patronatsgedanken noch deutlicher zum Ausdruck, indem in der Kartusche über dem Giebelfeld die Antiphon zitiert wurde: „Sub tuum praesidium confugimus, sub quo secure laetique degimus", und der Prunksockel von Maximilian mit der Inschrift „Patrona Boiariae" versehen wurde, gewissermaßen im Sinne einer öffentlichen Proklamation, aber ohne sich darüber mit kirchlichen Stellen zu vereinbaren. Dieser Patronin galten auch die Marientaler oder Frauentaler, die der Herzog seit 1623 prägen ließ. Den Höhepunkt bedeutete die Errichtung der Mariensäule auf dem Münchner Schrannenplatz im Jahre 1638.30 Die Mariensäule ist zunächst eine Votivsäule, erwachsen aus einem Gelübde Maximilians während des schwedischen Einfalls von 1632, ein gottgefälliges Werk zu tun, wenn München und Landshut vor Zerstörung bewahrt würden; die Realisierung des Gelübdes aber geschah in marianischen Formen. Der Vorschlag für ein „monumentum publicum et in publico auffm platz" kam im September 1635 aus dem Geheimen Rat; der Kammerpräsident Mändl hat sich später gerühmt, die spezielle Form des Monuments, eine Mariensäule, vorgeschlagen zu haben, der Maximilian sofort zustimmte.31 Zwei Jahre später unterrichtete der Herzog den Stadtmagistrat lapidar, ohne nähere Vereinbarung, obwohl es sich um städtischen Grund und Boden handelte, daß er in den nächsten Tagen eine Säule mit darauf stehender Marienstatue „als sonderbaren patronin und beschuzerin unserer landen" errichten werde.32 Am 7. November 1638 wurde das Monument in großer Zeremonie durch den Bischof von Freising geweiht, es war der erste Sonntag nach Allerheiligen, an dem alljährlich die große Gedächtnisprozession für den Sieg am Weißen Berg stattfand, den man der Fürsprache der Gottesmutter zuschrieb. Auf schlankem Marmorschaft erhebt sich Hubert Gerhards feingliedrige Madonna, die einst für das Grabmal Wilhelms V. bestimmt gewesen war und lange Jahre, bis zu Candids Hochaltarbild, auf dem Hochaltar der Frauenkir-
Michael Schattenhof er, Die Mariensäule in München, 2. Aufl. München-Zürich 1971. Vgl. auch Woeckel.\ Pietas Bavarica 58 ff; Susan Tipton, „Super aspidem et basiliscum ambulabis." Zur Entstehung der Mariensäulen im 17. Jh., in: Breuer (Hg.), Religion 375-398 (mit manchen Fehlern); GR II, 457 ff. 31 Schattenhofen Mariensäule 8. 32 Notifikation vom 12.12.1637: Dokumente 1,3 Nr. 314. 30
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che gestanden hatte. In ein Behältnis unter der Krone Mariens wurden Reliquien aus den Beständen der Geheimen Kammerkapelle und der Frauenkirche eingefugt.33 In der nicht mehr erhaltenen, aber durch Vervaux überlieferten Weiheinschrift war gesagt, daß Maximilian das Denkmal „Boicae Dominae benignissimae, Protectrici potentissimae" errichtet habe, der gnädigsten Herrin und hochmögenden Schutzfrau Bayerns.34 Auf dem Unterbau der Säule allegorisieren vier Bronzeputti die Verse des 90. Psalms: „Über die Schlange und den Basilisken wirst Du schreiten und den Löwen und den Drachen wirst Du zertreten." Ob die Säule hierdurch auch „eine manifest gegenreformatorische Tendenz" erhalten sollte,35 sei dahingestellt. Maximilian selbst soll bei der Weihe eine vielleicht von Jakob Balde formulierte Bitte gesprochen haben: „Rem, Regem, Regimen, Regionem, Religionem conserva Bavaris Virgo Maria tuis"36 — in der schönen Übersetzung Karl Alexander von Müllers: „Jungfrau Maria erhalte Deinen Bayern das Sach und den Herrn, die Ordnung, das Land und den Glauben." Der Münchner Vorgang war Vorbild für die Errichtung zahlreicher weiterer Mariensäulen in und außer Landes, bis hin zu den beiden, die Kaiser Ferdinand III. unter dem Eindruck des Münchner Monuments, das er 1641 anläßlich des Reichstags von Regensburg kennenlernte, in Wien am Hof und in Prag auf dem Altstädter Ring errichten ließ. Das Landespatronat, die Erhebung von Heiligen zu besonderen Schutzherren und -frauen von Staaten und Ländern, hatte eine lange Tradition, doch erhielt es mit der Ausbildung des Staatskirchentums im 16./17. Jahrhundert eine besondere Funktion, wie in zahlreichen katholisch gebliebenen Staaten des konfessionellen Absolutismus zu beobachten ist.37 Die Landeskirche bzw. der Landesfürst setzt mit den Landespatronen religiöse Symbole, die integrierend wirken sollen. In Bayern spielte der Hl. Emmeram als ältester Stammespatron keine Rolle mehr, aber auch der von Wilhelm V. 1580 als LandespaKarnehm, Frauenkirche 262. Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 607. 35 So Tipton, Super aspidem 389, ihr folgend auch Erichsen, Residenz 89 f. Mit dem Prager Frieden von 1635 hatte die Säule jedenfalls nichts zu tun, sie war keine Sieges- und keine Friedenssäule. 36 Text und Sachverhalt sind nur überliefert bei Anton Crammer.; Dritte verbesserte Auflage des teutschen Roms, München 1784. Der nach 1781 anstelle der ursprünglichen Weiheinschrift in die Vorderseite des Säulenpostaments eingefügte Text: „Rex, Regnum, Regimen, Regio, Religio restaurata sunt sub tuo praesidio" paraphrasierte dieses Distichon; vgl. Schattenhofen Mariensäule 19. Daß damit die Restauradon im Königreich Böhmen 1620 gemeint war (so Kloos, Inschriften Nr. 604) ist nicht anzunehmen. 1970 wurde die ursprüngliche Weiheinschrift („Boicae dominae benignissimae...") wieder eingefügt. 37 Vgl. Schmid, Marienverehrung 50 ff. 33 34
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tron proklamierte Hl. Benno setzte sich nicht durch. Dagegen wurde die von Maximilian proklamierte Patrona Bavariae, obwohl sie kirchenrechtlich erst im Jahre 1916 als solche bestätigt wurde, zum wichtigsten Landespatron bis zur Gegenwart. Was waren Maximilians Motive? Bereits die gemeinsame Konfession und die mit ihr verbundenen gemeinsamen kultischen Handlungen, welche stets die sozialen Grenzen übersprangen, mußten integrierend wirken, Glaubenseinheit und Staatseinheit standen in einem Wechselverhältnis. In dem Bild der Patrona Bavariae, einem Staatssymbol, wie es sonst nicht existierte, und in dem spezifischen Marienkult mochte sich diese Einheit weiter verdichten und damit zur Stabilisierung von Staat und Gesellschaft beitragen. Man darf annehmen, daß Maximilian bei seiner Propagierung der Marienverehrung solche politischen Gesichtspunkte nicht fremd waren, weil sie auf der Hand lagen. Man wird sie aber nicht überbetonen, sondern festhalten, daß der eigentliche Antrieb dieses Marianismus in religiöser Motivation gelegen hat, in der Überzeugung, hiermit in der Verantwortung für das Seelenheil der Untertanen den richtigen Weg zu gehen. So hat es Jacob Balde gekennzeichnet: „Der vor sein Haus Dein Bild gesetzt, o Jungfrau, ehrt Dich, Du Strahlende, nicht bloß nach außen, nein, er trägt Dein Bild auch in sich selbst, in treuem Herzen." Die persönliche Religiosität Maximilians wurde in ihren Außenwirkungen in mehrfacher Hinsicht zur starken Kraft der kirchlich-religiösen Entwicklung im Lande. Das allgemeine Ziel der Religionspolitik war die Erneuerung von Religiosität und religiöser Praxis in Gesellschaft und Staat. Insofern sie sich dezidiert auf Inhalte und Formen katholischer Religiosität bezog, stand sie im Dienste der Konfessionalisierung, der Ausrichtung und Durchdringung des öffentlichen und privaten Lebens nach den Normen der einen, für absolut gesetzten Konfession.38 Es ging um die Herstellung der Glaubenseinheit im Territorium durch Konversion oder Ausweisung der Neugläubigen, um die Erzwingung intensiverer religiöser Praxis der Untertanen in vorgegebenen konfessionellen Formen, schließlich um die Normierung des sittlichen Lebens der Untertanen, gleichfalls mit religiöser Begründung, weil auch hierdurch „die schuldige Ehre Gottes befördert und alles Übel und Unglück von uns abgewendet" werde. Daß mit der religiösen zugleich auch die staatsbürgerliche Formierung der Gesellschaft vorangebracht wurde und mit der religiös-konfessionellen auch eine staatsbürgerliche Einordnung und Unterord38 Zur Konfessionalisierung vgl. Kapitel 3. Zur Praxis unter Maximilian vor allem Freyberg Pragmatische Geschichte III, 156 ff.; Felix Stieve, Das kirchliche Polizeiregiment in Bayern unter Maximilian I., München 1876; Hey/, Geistl. Rat 174 ff.; Heydenreuther, Hofrat 231 ff.
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nung bewirkt werden sollte, ist offensichtlich. Die Einhaltung der religiösen Normen bildete zugleich einen Maßstab für Untertanentreue. Jedoch darf über dieser Tatsache nicht der primär religiöse Antrieb der Konfessionalisierungspolitik und ebenso nicht die Tatsache übersehen werden (wie es in der gegenwärtigen Inflation des Begriffs der „Sozialdisziplinierung" leicht geschieht), daß es schlicht auch um notwendige, akzeptable und akzeptierte Sozialgestaltung gegangen ist.39 Alle genannten Zielsetzungen und die für sie eingesetzten Mittel, auch die Zwangsmittel, waren grundsätzlich keine bayerische Spezialität, sondern Teil der allgemeinen Tendenz dieses konfessionellen Zeitalters und des allgemeinen Vorganges der Konfessionalisierung in den deutschen Territorien gleich welcher Konfession. Diesem Zeittypischen hat Maximilian in seinem Herrschaftsbereich kraft Persönlichkeit und spezifischer Anschauungen aber doch besondere Ausprägung verliehen. Sie ermöglicht auch, aus der Flut seiner Mandate und Anweisungen, Vorschriften und Befehle wiederum auf seine Persönlichkeit rückzuschließen. Unter diesem biographischen Gesichtspunkt ist es auch gleichgültig, daß viele Religions- und Sittlichkeitsvorschriften dann doch nur in abgeschwächter Form realisiert worden sind.40 Entscheidend ist zunächst, was die Religionspolitik Maximilians angestrebt hat und durchzusetzen suchte. Daß es seine zentrale Aufgabe als Landesfürst sei, die Religionseinheit des Landes herzustellen, stand für Maximilian außer Frage, zumal das landesherrliche Reformationsrecht durch den Religions frieden reichsrechtlich abgesichert war. Hierzu bedurfte er nicht erst des Rates seiner Beichtväter. Es ist nicht bekannt, wieviele Mitglieder des bayerischen Adels bei Maximilians Regierungsantritt noch dem Protestantismus anhingen. Immerhin hatte Maximilian noch 1593 von „nicht wenigen" gesprochen und den Vater aufgefordert, sie zur Konversion oder zur Auswanderung zu zwingen,41 was aber wohl nicht geschah, da Wilhelm V. im Testament von 1597 den Sohn noch zu gleichem Vorgehen ermahnt hat. Entsprechend ließ Maximilian im August 1599 den zu den geistlichen Sachen verordneten Räten ein Verzeichnis der in den Rentämtern München, Landshut und Burghausen befindlichen unkatholischen Landsassen mit dem Befehl zugehen, ein Gutachten zu erVgl. hierzu die bedenkenswerten Erörterungen bei Stolleis, Religion und Politik 35 ff. Der Frage der tatsächlichen Realisierung der Mandate nicht oder kaum nachgegangen zu sein, macht die Schwäche der Untersuchung von Stieve, Polizeiregiment, aus. Darauf verweist u.a. Heydenreuter, Hofrat 236 Anm. 1, der eine Reihe von Beispielen für die „latente Geltungsschwäche" der erlassenen Regelungen beibringen kann. Vgl. auch Stolleis, Religion und Politik 37. 41 Stieve, Donauwörth 67. 39
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stellen, wie alle oder zumindest einige davon zur katholischen Religion zu bringen seien.42 Leider besitzen wir weder das genannte Verzeichnis, noch die Antworten der Rentmeister, noch eine Reaktion des Herzogs auf diese. So ist ein herzogliches Mandat, das den noch vorhandenen protestantischen Adel zur Konversion oder Auswanderung auffordert, erst aus dem Jahre 1614 bezeugt; da es 1617 und 1629 wiederholt wurde, scheint es nicht oder nur teilweise befolgt worden zu sein,43 doch waren wohl nicht mehr allzuviele Familien betroffen. Bei protestantischen Ehefrauen katholischer Landsassen sah man in der Regel von einer Ausweisung ab und begnügte sich mit Bekehrungsversuchen, ein flexibleres Vorgehen, das vom Hofrat befürwortet wurde. Die Erwerbung bayerischer Güter durch Ausländer wurde 1608 verboten, was aber nicht hinderte, daß noch zwanzig Jahre später eine Reihe protestantischer Augsburger Bürger im Herzogtum Grundbesitz hatten.44 Auch im bürgerlichen und bäuerlichen Umkreis waren lutherisches Bekenntnis und lutherische Kirchenpraxis um die Jahrhundertwende noch nicht völlig beseitigt oder ausgestorben. Die Quellen gestatten hierzu allerdings nur punktuelle Feststellungen. Wir besitzen aufschlußreiche Protokolle von Religionsverhören des Jahres 1601 in der Herrschaft Aschau-Wildenwarth,45 in der sich ein Luthertum unterhalb der Ebene des Adels wohl deshalb hatte halten können, weil der frühere Herrschaftsinhaber Pankraz von Freyberg einst zu den Führern der bayerischen Lutheraner gehört hatte und auch seine Nachkommen mehr oder weniger offen in lutherischen Bahnen verblieben waren. Die Verhöre offenbarten eine Reihe von Bauern und Dienstboten, die sich in eindrucksvoller Weise von katholischer Sakramentenpraxis und Glaubenslehre distanzierten: „Versteht sich nicht auf die heilig christlich kirch oder den bapst, processiones, anrufung der heiligen, fegfeuer und dergleichen. Er halt sich allein des allmechtigen Gottes." Nur um der Landesverweisung zu entgehen, wenngleich unter großen Gewissensnöten, fanden sich dann die meisten von ihnen, vielleicht alle, zum Übertritt bereit. Die Donauwörther Protestanten sind nach dem Anfall der Stadt an Bayern, wie noch zu zeigen ist, zwar nicht sofort, aber doch allmählich durch Pressionen zur 42
Freyberg, Pragmatische Geschichte III, 160. Stieve, Polizeiregiment 12 f. Ein Mandat v o m 14.5.1608 bezog sich auf protestantische Adelige, die das Land bereits verlassen hatten. Sie wurden angewiesen, für ihre im Herzogtum befindlichen Güter nur katholische Verwalter einzustellen, dort bei Besuchen nur wenige Tage zu verweilen, keine ketzerischen Bücher mitzubringen, an verbotenen Tagen kein Fleisch zu essen, usw. (Stieve, Polizeiregiment 11). 44 Vgl. Heydenreuter, H o f r a t 239 f. 45 Richard Stemmet^ Das Religionsverhör in der Herrschaft Aschau-Wildenwarth im Jahre 1601, in: Z B L G 38 (1975), 570-597. 43
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Konversion oder Auswanderung veranlaßt worden, wobei allerdings die meisten Ubertritte rein formale Akte blieben. Besonderes Interesse kann die Rekatholisierung der Oberpfalz nach deren Eroberung 1621 beanspruchen, bei der Maximilian nur schrittweise vorgegangen ist, wie Walter Ziegler gezeigt hat,46 entsprechend der nur in Stufen (1621, 1623, 1628) erfolgenden rechtlichen Inbesitznahme des Landes. Bei der Darstellung der bayerischen Besatzungspolitik in der Oberpfalz wird diese Praxis näher zu schildern sein. Aber mochte auch der eine und andere protestantische Adelige, der sein Bekenntnis nicht öffentlich praktizierte, im Herzogtum verbleiben,47 und mochten auch manche protestantische Kaufleute und Künstler aus speziellen Gründen mehr oder weniger langen Aufenthalt im Lande nehmen können, so hatte die Konfessionspolitik Maximilians aufs Ganze doch die Religionseinheit des Herzogtums zum Ergebnis. Damit war seiner zentralen religionspolitischen Zielsetzung Genüge getan, allerdings unter erheblichem Aufwand der staatlichen Bürokratie und mit Inkaufnahme des Verlusts von Kapazitäten, Fertigkeiten und Ressourcen der Ausgewanderten sowie derjenigen, die durch die Politik der ausschließlichen Katholizität vom Lande ferngehalten wurden. Eben dieser Fernhaltung diente ein ganzes Bündel obrigkeitlicher Maßnahmen, die z.T. schon in Maximilians Generalmandat vom 13. März 1598 niedergelegt waren.48 Es ging darum, schädliche konfessionelle Einflüsse aus dem unkatholischen Ausland auf das Territorium und seine Bewohner auszuschalten. Mit besonderem Argwohn wurde die Übung junger Leute beobachtet, außerhalb Bayerns zu studieren oder einen Beruf zu erlernen, weshalb sie zu Studium und Berufsausbildung im übrigen Reich nur an katholische Hochschulen und Meister gegeben werden durften. Wer außerhalb des Reichs studierte oder auf Wanderschaft sich befand, war zuvor auf das katholische Bekenntnis und auf katholischen Sakramentenempfang zu verpflichten; jedes Auslandsstudium war den Regierungen anzuzeigen, die ihrerseits dem Herzog selbst zu berichten hatten. Rückgekehrte hatten binnen Walter Ziegler, Die Rekatholisierung der Oberpfalz, in: GR 1,436-447. Im Testament von 1641 rühmt sich Maximilian, daß er nunmehr mit Hilfe Gottes in Oberund Niederbayern und in der Ober- und Unterpfalz alle unkatholischen Landsassen und Untertanen hinweggebracht habe (Dokumente 1,3, Nr. 322, hier 1140). Jedoch wurden nach dem Westf. Frieden 1648 von den bayerischen Behörden noch eine Reihe von Protestanten in der Oberpfalz festgestellt, teils Altansässige, teils durch den Krieg dorthin verschlagen. Sie alle hatten nach einer mehrjährigen Schonfrist das Land zu verlassen oder zu konvertieren. Vgl. unten Kapitel 37. 48 Text: Dokumente 1,3 Nr. 130; vgl. auch Freyberg, Pragmatische Geschichte III, 162 ff.; Stieve, Polizeiregiment 16 ff.; HeßGeistl. Rat 180 ff.; Heydenreuter, Hofrat 242 ff. 46
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eines Monats ihrem Ortsp farter den Beweis der Unversehrtheit ihres Glaubens zu liefern, was wohl seine Schwierigkeiten hatte. Für die im Umkreis des Herzogtums liegenden Reichsstädte Augsburg, Memmingen, Kaufbeuren, Regensburg und Nürnberg benannte Maximilian sog. Religionsagenten, welche die religiöse Praxis der dort befindlichen bayerischen Untertanen zu beaufsichtigen und regelmäßig über sie zu berichten hatten; diese waren ihrerseits veranlaßt, mit den Agenten Verbindung zu halten, da sie bei jedem privatrechtlichen Geschäft, insbesondere bei Erbschaften, deren Zeugnis benötigten. Untertanen, die nach evangelischen Gebieten auswanderten, wurde der für die Einbürgerung erforderliche Geburtsbrief nur erteilt, wenn dort die Ausübung des katholischen Gottesdienstes und eventuell die Kontrolle durch bayerische Agenten gewährleistet war. Darüber hinaus wurden vom Antragsteller Beichte, Kommunion und die Professio fidei verlangt, gelegentlich auch die eidesstattliche Erklärung, vom katholischen Glauben nicht abzuweichen - was dem lus emigrandi des Augsburger Religionsfriedens widersprach (wie der Hofrat richtig bemerkte), auch wenn sich dessen Wordaut auf Untertanen bezog, die bereits konvertiert waren. Das Ausheiraten in sektische Orte, das vor allem unter den Bauersleuten „blindlich und ohne weiters nachgedenken" einreiße, wurde untersagt. Umgekehrt war das Hereinheiraten von Protestanten nach Bayern nur gestattet, wenn die Konversion versprochen wurde. Das Problem der Emigration oder auch nur zeitweisen Ausreise aus dem Herzogtum wurde von Maximilian schließlich als so gravierend empfunden, daß er 1609 vom Hofrat ein Gutachten einforderte, ob er in Zukunft die Ausreise von seiner Einwilligung abhängig machen könne; wer ohne Erlaubnis ausreiste, sollte nicht mehr zurückkehren dürfen. Bemerkenswerterweise hat der Hofrat solche Beschränkungen abgelehnt, da diese dem Herkommen und der „libertas Germanorum" widersprächen, auch werde der bayerische Adel diese Beschränkung seiner Mobilität keinesfalls hinnehmen. Einer der Hofräte bezeichnete ein Ausreiseverbot als probatestes Mittel „ad perturbandam rem publicam".49 Da nicht nur Menschen, sondern auch Texte ketzerische Gedanken ins; Herzogtum tragen konnten, wurden Zensur und Aufsicht über die Literatur von Anfang an praktiziert.50 Es ging um die Kontrolle des Buchimports soHeydenreuter, Hofrat 235. Helmut Neumann, Staatliche Bücherzensur und -aufsieht in Bayern von der Reformation bis zum Ausgang des 17.Jh.s, Heidelberg 1977; Freyberg, Pragmatische Geschichte III, 126 ff.; Stieve, Polizeiregiment 18 ff.; Hey!, Geisd. Rat 182 ff.; Heydenreuter, Hofrat 241 f.; Dieter Breuer, Zensur und Literaturpolitik in den deutschen Territorien des 17. Jh.s am Beispiel Bayerns, in: A. Schöne (Hg.), Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jh., 49
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wie um die Vorzensur von Schriften, die im Herzogtum selbst gedruckt wurden. Bereits Albrecht V. hatte verfügt, daß theologische Werke nur aus bestimmten, namentlich genannten katholischen Druckorten eingeführt werden durften und er hatte eine Liste zugelassener und verbotener theologischer Hauptschriften beigefügt;51 Wilhelm V. hatte 1582 den sog. Bayerischen Index als Erweiterung des tridentinischen Index der verbotenen Bücher veröffentlicht;52 der Geistliche Rat war beauftragt worden, im Zusammenwirken mit den Jesuiten die Vorzensur von Schriften aus Münchner Druckereien vorzunehmen, ebenso hatte er Druckerzeugnisse aus dem Ausland zu kontrollieren, die von Buchführern nach München gebracht wurden.53 Maximilian hat alle diese Verfahren fortgeführt und erweitert, wie schon dem Generalmandat von 1598 zu entnehmen ist. „Der haimblichen einschleichung allerhandt ketzerischen Bücher halben" wurde die sofortige freiwillige Ablieferung solcher Schriften befohlen, die straflos bleibe. Schwere Strafen habe aber zu erwarten, wer künftig von Kommissaren, die demnächst „an allen orthen von hauß zu hauß unfürsehenliche inquisition, besichtigung und nachforsch haben", im Besitze ketzerischer Schriften angetroffen werde. Bei Todesfällen sollten die im Nachlaß befindlichen Bücher nach ketzerischen Schriften untersucht werden; im Eventualfall war die ihren Besitzern angedrohte Strafe über die Erben zu verhängen.54 Dem Generalmandat folgten weitere Einzelgebote und -verböte. So wurde 1616 verfügt, daß in jeder Stadt und jedem Markt zwei verständige und eifrige katholische Bürger neben dem Pfarrer jährlich zweimal bei allen Buchführern und Briefträgern unvermutet nach ketzerischen Schriften und Bildern visitieren und diese beschlagnahmen sollten. Niemand sollte sich künftig unterstehen, ein Buch ins Land zu bringen, das von Glaubenssachen handele und anderswo als zu Ingolstadt, München, Köln, Dillingen, Mainz, Freiburg, Innsbruck, Löwen, Freiburg in der Schweiz, Paris, Lyon, Rom, Venedig, Florenz, Bologna oder in Spanien gedruckt sei.55 Die Frage ist, inwieweit diese teils martialischen Verfügungen auch verwirklicht worden sind. Tatsächlich sind wir über die Normen der staatlichen München 1976, 470-491 und 571-580; Oers., Kathol. Konfessionalisierung und poetische Freiheit, in: Reinhard-Schilling (Hg.), Kathol. Konfessionalisierung 166-183. 51 Text des Mandats von 1566: Dokumente 1,3 Nr. 61. 52 Teildruck: Dokumente 1,3 Nr. 93. 53 Einzelheiten bei Hey/, Geisd. Rat 183 ff. Daß auch Maximilians Beichtvater Contzen im Interesse der Versittlichung der Untertanen für Zensurmaßnahmen plädierte, zeigt Breuer, Konfessionalisierung 176 ff. 54 Dokumente 1,3, 616 f. 55 Freybe>g, Pragmatische Geschichte III, 127.
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Zensur und Bücherkontrolle besser unterrichtet als über deren Realisierung durch die beauftragten Institutionen. Es gibt Hinweise, daß der Geistliche Rat seine Zensur- und Kontrollbefugnisse in den Zeiten Maximilians insgesamt doch ziemlich lässig wahrgenommen hat,56 und daß der Hofrat, bei dem die Strafzumessung lag, den Besitz ketzerischer Bücher in keinem Fall so schwer geahndet hat, wie die herzoglichen Mandate erwarten ließen. Andererseits wissen wir von gründlichen Visitationen, die mancherlei Beschlagnahmungen zur Folge hatten. Ein deutlicheres Bild wird jedoch erst durch systematische und um das Detail bemühte Forschungen gewonnen werden. Wie die Instruktion für den Geistlichen Rat von 1608 erweist, war Maximilian selbst mehr an der Entdeckung von Verstößen, als an ihrer Bestrafung interessiert. Dem korrespondiert eine Äußerung des Geistlichen Rates Dr. Mandl von 1626, sich nicht zu erinnern, daß jemand wegen des Besitzes ketzerischer Bücher bestraft worden sei, weil Verstöße normalerweise aus Unkenntnis und nicht aus Hartnäckigkeit geschehen seien. Beschlagnahmte Werke wurden gesammelt und verbrannt, nachdem Exemplare an die herzogliche Bibliothek abgegeben worden waren. Einen einmaligen Fall bildete die Amberger Bücherverbrennung von 1630, bei der über zehntausend Schriften aus den reichen Beständen des Oberpfälzer Kalvinismus dem Feuer überantwortet wurden.57 Die durch Beschlagnahmung oder auf anderen Wegen in die herzogliche Bibliothek gelangten häretischen Schriften wurden bereits seit Albrecht V. ausgesondert und in eigenen Schränken verwahrt. Um 1628 zählte diese Gruppe 1 583 Bände,58 die wohl für kontroverstheologische und wissenschaftliche Zwecke aufbewahrt wurden. Sie durften aber nur Personen zugänglich gemacht werden, „qui habent licentiam vel a Summo Pontífice vel a Sacra Inquisitione Romana". Über die tatsächliche Benutzung ist nichts bekannt, doch wird sich wohl auch Maximilian für die eine und andere dieser Schriften interessiert haben. Die Erlaubnis, häretische Bücher zu besitzen, zu lesen und anderen mit kirchlicher Erlaubnis Ausgestatteten mitzuteilen, hatte Wilhelm V. für sich persönlich durch den Nuntius Ninguarda erhalten; für seine Nachkommen, und damit auch für Maximilian, erbat und erhielt er den päpstlichen Dispens im Jahre 1597.59 So konnte sich auch die Kurfürstin Maria Anna Ende der vierziger Jahre durch
56 57 58 w
Vgl. Heß, Geistl. Rat 183 ff. Uppert, Gegenreformation 132 ff. Hacker, Hofbibliothek 355. Wilhelm V. an Clemens VIII., 18.9.1597: Stieve, Polizeiregiment 67 ff.
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den Hofkammerpräsidenten Mandl in Wien lutherische Bücher besorgen lassen, die sie selbst lesen, aber doch auch verschenken wollte!60 Maximilian war klug genug, die restriktiven Maßnahmen zur Fernhaltung protestantischen Schrifttums durch positive Bemühungen zu ergänzen, das eigene katholische Schrifttum zu fördern und auch breiteren Kreisen zugänglich zu machen. Gegenreformation, Konfessionalisierung und Katholische Reform gingen Hand in Hand. Letzterer Aufgabe widmete sich insbesondere die Stiftung „Güldnes Almosen", die von dem Jesuiten Emmeran Welser 1614 in München mit finanzieller Unterstützung Maximilians gegründet wurde.61 Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hatten sich Dillingen, Ingolstadt und schließlich auch München zu zentralen Druck- und Verlagsorten der Katholischen Reform entwickelt. Albrecht V. hatte im Zusammenhang seiner Konfessionspolitik durch die Konzessionierung von befähigten altgläubigen Druckern und Verlegern eine staatliche Literaturpolitik begründet, 1564 war der Drucker und Verleger Adam Berg nach München geholt worden, dessen Offizin sich durch zahlreiche und schöne Drucke zum wichtigsten Instrument dieser Politik entwickelte. Berg druckte und verlegte (auch in Kooperation mit anderen Münchner Verlegern) nicht zuletzt zahlreiche Übersetzungen geistlicher Literatur aus Spanien, die durch Maximilians Hofrat Ägidius Albertinus auf der Grundlage der herzoglichen Bücherbestände und mit des Herzogs Förderung zustandekamen; sie vermittelten, neben mancher Unterhaltung, eine aszetische Moral, von der sich Maximilian eine religiöse Vertiefung der Untertanen erhoffte. Die Einbeziehung des Buchwesens in das konfessionspolitische Kalkül ließ Maximilian nun auch zu einem lebhaften Förderer des „Güldenen Almosens" werden. Ziel der Stiftung war die „spendt und außthaylung haylsamer catholischer büechlein mit hilff und almosen eyferiger christen", wofür am Münchner Jesuitenkolleg eine eigene Vertriebsorganisation geschaffen wurde. Kataloge verfügbarer deutscher und lateinischer Schriften waren für nachgeordnete Verteiler, also Pfarrer und Lehrer, bestimmt. Bereits der erste Katalog von 1614 enthielt 7 lateinische und 32 deutsche Titel, der nächsterhaltene von 1673 35 lateinische und 133 deutsche Titel. Insbesondere die volksnahe Predigtliteratur wurde in sehr hohen Auflagen verbreitet. In dieser Literatur nahmen die zahlreichen aszetischen und erbaulichen Publikationen des Jesuiten Jeremias Drexel, MaximiliVgl. unten Kapitel 31 am Schluß. Duhr, Geschichte 11,2, 54 ff.; Pius Dirr, Buchwesen und Schrifttum im alten München 14501800, München 1929, 63 ff.; Breuer, Zensur 488 ff.; Ders., Oberdeutsche Literatur 110 ff.; Wolfgang Brückner; Zum Literaturangebot des güldenen Almosens, in: ZBLG 47 (1984), 121139; Breuer, Konfessionalisierung 169 ff.
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ans Hofprediger seit 1615, einen besonderen Platz ein.62 Drexel hat alle seine Schriften (bis auf sein Lebensbild der Kurfurstin Elisabeth) in lateinischer Sprache verfaßt, jedoch wurden die meisten von ihnen oft noch im Erscheinungsjahr auch in bildkräftigen deutschen Ubersetzungen in hohen Auflagen verbreitet. Die Frage ist, wer die Produktion des „Güldnen Almosens" aufnehmen konnte, also die Frage nach dessen Zielgruppen und deren Vorbildung. Soviel man sieht, unterschied Maximilian ziemlich deutlich zwischen den Elementarschulen auf dem Land und denjenigen in den Städten und Märkten. Am Ende seiner Regierungszeit besaßen sämtliche bayerischen Städte, die meisten größeren Märkte und etwa die Hälfte der zentralen Pfarrdörfer Schulen, die von den Kommunen oder den Pfarreien getragen wurden; staatliche Schulen gab es nicht. Und zwar existierten auf dem Lande deutsche Schulen (Volksschulen), die in der Hauptsache Schreib- und Lesefähigkeit vermittelten, sowie Lateinschulen einfachster Art; in den Städten und Märkten gab es deutsche Schulen sowie Lateinschulen höheren Niveaus.63 Während in den Landschulen etwa 5-20 Prozent der Kinder den Unterricht regelmäßig und längere Zeit besuchten, waren es in den Städten und Märkten etwa 30-50 Prozent. Bei den Verhandlungen um die neue Landes- und Polizeiordnung von 1616 ließ Maximilian von seinen Räten vorschlagen, die deutschen Schulen und Lateinschulen auf dem Land abzuschaffen. Als die Landschaftsverordneten widersprachen, „weil nit alle Paurnkinder mögen Paurn werden" und weil „einer, der seine aigne Muettersprach weder lesen noch schreiben kann, gleichsam schier wie ein todes mensch"64, begründeten die Räte ihren Vorschlag durchaus mit konfessionellen und moralischen Gesichtspunkten: Erstens bestehe die Gefahr, daß die Pfarrer, welche Schule hielten, mit den Mädchen oder gar den Müttern in unerlaubte Beziehungen träten; zweitens könnten sich Lehrer einschleichen, über deren Konfession man sich nicht sicher sei; drittens würden die Kinder durch den Schulbesuch von der Arbeit abgehalten, wo es doch so sehr an Dienstboten mangele. Als sich die Landschaftsverordneten nicht überzeugen ließen und auch ein Gutachten Ficklers abriet, lenkte Maximilian schließlich ein. Die Land- und Poli-
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Pörnbacher,, Jeremias Drexel. Leben und Werk eines Barockpredigers, München 1965; Breuer, Oberdeutsche Literatur 122 ff. 63 Karl Ernst Maier, Gesamtdarstellung, in: M. Liedtke (Hg.), Handbuch des bayer. Erziehungswesens, Band 1, Bad Heilbrunn 1985, 349-384; Rainer A. Müller., Altbayern, in: Ebenda 385-394; RiiZ&r, Geschichte VI, 291 f. 64 Vgl. Freyberg, Pragmatische Geschichte III, 294 ff.; Georg Lurv^ Mittelschulgeschichd. Dokumente Altbayerns einschließlich Regensburgs, Band 2, Berlin 1908, 13 ff.
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zeiordnung von 1616 (Buch III Tit. 10) bestimmte zwar die Abschaffung der lateinischen Schulen in den Dörfern und ihre Reduzierung in den weniger wohlhabenden Märkten; jedoch wurde entsprechend dem Antrag der Landschaftsverordneten die Fortexistenz der schon bestehenden deutschen Schulen in den größeren Dörfern garantiert, die Neugründung von staatlicher Erlaubnis abhängig gemacht; Bauernkinder sollten bis zum zwölften Lebensjahr die Schule besuchen. Damit war immerhin in der seit Albrecht V. geführten Diskussion um die Existenz deutscher Schulen auf dem Lande eine positive Entscheidung gefällt, wenngleich deutlich ist, daß in Maximilians Verhältnis zu den Landschulen ordnungspolitische und konfessionspolitische Gesichtspunkte eine besondere Rolle spielten. Im Mittelpunkt seines schulpolitischen Interesses stand überhaupt das höhere Schulwesen, das durch die Gründung von Jesuitengymnasien bereits seit Albrecht V. ausgebaut wurde. Maximilian sah das Gymnasium ganz unter dem Gesichtspunkt einer modernen und effizienten Erziehung des Nachwuchses für Staatsverwaltung und Kirche, wenngleich von einem „überdimensionalen Ausbau" (Breuer) des bayerischen Gymnasialwesens sicher nicht gesprochen werden kann.65 Was aber die Leser der Buchproduktion des „Güldnen Almosens" betrifft, so waren es in der Hauptsache die Bewohner der Städte und Märkte, die hierfür neben den Pfarrern in Frage kamen. Die Bemühungen um die Verbreitung einwandfreier und eingängiger theologischer Literatur zeigen, daß der Fürst der Gegenreformation sich nicht mit der Erzwingung und Sicherung des äußeren Bekenntnisses begnügen wollte. Das religionspolitische Programm der Glaubenseinheit des Landes wurde stets begleitet von der Zielsetzung, dieses Bekenntnis auch zu vertiefen, zu intensivieren, fruchtbar zu machen. Maximilian wurde hierbei geleitet von der Überzeugung - und im Sinne eines patrimonialen Herrschaftsverständnisses von dem Gefühl der Verpflichtung - , für das ewige Heil der Untertanen verantwortlich zu sein, dessen Erlangung ein frommes und sittliches Leben voraussetze. So heißt es zusammenfassend in den „Treuherzigen väterlichen Lehrstücken" für Ferdinand Maria von den Aufgaben des Fürsten, „daß er vorderist die ehr Gottes, die heilige catholische religion und das heil der seelen seiner von Gott ime anbevolchenen underthonen, für welche er disfahls am Jüngsten tag rechenschaft zu geben, nach allem seinem verstandt und vermögen befürdern" möge. Allerdings hat Maximilian in Verfolg Folgende Gymnasien, die sämtlich von Jesuiten gefuhrt wurden, entstanden seit Albrecht V.: 1559 München, 1556/73 Ingolstadt, 1589/90 Regensburg, 1612/15 Passau, 1616/17 Neuburg a.D., 1626 Amberg, 1629 Landshut, 1629 Burghausen, 1631 Straubing, 1631 Landsberg. 65
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dieser Zielsetzung zu leicht von seiner eigenen strengen religiösen Praxis auf religiöse Bedürfnisse und einen Asketismus der Untertanen geschlossen, wie sie in der von ihm geforderten Intensität nicht vorhanden waren und ernstlich auch nicht erwartet werden konnten. Insoferne ist das bayerische Volk auch in dieser Hinsicht von ihm überanstrengt worden, die dem Glaubenszwang folgenden Anweisungen zu Frömmigkeitsübungen und Bekenntnisdemonstrationen sind immer wieder auch als Beengung und Zwang empfunden worden, was der gewünschten Einordnung in den Fürstenstaat gewiß nicht förderlich gewesen ist. Die kirchenpolizeilichen Maßnahmen Maximilians, d.h. das auf die kirchlich-religiöse Praxis der Untertanen zielende staatliche Verwaltungshandeln, sind oft geschildert und auch zur Charakterisierung des Herzogs und seiner spezifischen Regierungsmaximen herangezogen worden.66 Bei ihrer Durchsetzung spielten die Rentmeister als kontrollierende und strafende Mittelbehörde eine besondere und interessante Rolle.67 Die staatlichen Maßnahmen bezogen sich zunächst auf die sakramentale Praxis, die sich von der heutigen unterschied. Beichte und Kommunion waren mindestens einmal im Jahr, zur Osterzeit, zur Pflicht gemacht, weil gewiß sei, „daß wir dem schweren zorn und ruethen Gottes durch kein ander mittel, als ein rechtschaffene wahre ernstliche bueß entfliehen können". Um ein Beispiel zu geben, kommunizierte Maximilian selbst demonstrativ jedes Jahr am Fest des hl. Benno öffentlich in der Münchner Frauenkirche.68 Sämtliche Untertanen vom hohen Adel bis zum Tagelöhner hatten dem Pfarrer den jährlichen Beichtzettel abzuliefern, auswärts Weilende hatten ihn einzusenden, Nichtkommunikanten waren von den Pfarrern den Behörden zu melden. Auf alle Versäumnisse standen Geld- oder Gefängnisstrafen, in schweren Fällen auch Landesverweisung. An den Sonntagen und den zahlreichen Feiertagen war auch leichte Arbeit (außer der notwendigen Stallarbeit) bei Strafe verboten,69 während der Gottesdienstzeiten waren Wirtshausbesuch, Spielen und Kegelscheiben untersagt. Der Besuch des Hochamts einschließlich der Predigt war an allen Sonn- und Festtagen bei Strafe geboten, darüber hinaus hatten in München alle Hofbediensteten der täglichen Hofmesse beizuwohnen und sich zusam66 Einzelheiten aufgrund der Mandate und der Polizeiordnung von 1616 vor allem bei Freyberg, Pragmatische Geschichte III, 159 ff.; Stieve, Polizeiregiment; Hey/, Geisd. Rat 174 ff.; Steiner, Der gottselige Fürst 254 f.; Helm, Obrigkeit 105 ff. und 203 ff. 67 Besonders Inhalts- und aufschlußreich ist die große Rentmeisterinstruktion vom 22.4.1613: Dokumente 1,3 Nr. 179. Eine Reihe von Rentmeisterberichten verwertet Helm, Obrigkeit. 68 Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 607. 69 Vgl. etwa eine Strafbegründung von 1609: „Hat am lesten Osterfeyrtag ainen rechenstil ausgeschnaidt und eingemacht" (Helm, Obrigkeit 109).
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men mit dem Münchner Magistrat an den Donnerstagsprozessionen zu beteiligen. Bei der Kinderlehre, d.h. dem Katechismusunterricht der Kinder und erwachsenen Dienstboten nach der Sonntagsmesse, die von Maximilian wiederholt angemahnt wurde und auf die er großen Wert legte, sollte möglichst auch die übrige Gemeinde anwesend sein. Wiederholte Mandate galten in den Jahrzehnten der Türkengefahr dem mittäglichen Gebet „wider die Türckische Tyrannei", bei dem jedermann, auch auf der Straße befindlich, beim Läuten der Türkenglocke knieend und mit entblößtem Haupt zumindest ein Paternoster und ein Ave Maria zu verrichten hatte. Darüber hinaus wurde festgestellt, daß es unbegreiflich sei, wenn ungeachtet der Türkengefahr, die offensichtlich eine Strafe Gottes sei, in breiten Kreisen ein liederliches Leben geführt werde, „als wann ainiches anliegen, kriegsgefahr und noth nit verhanden were", weshalb die Beachtung religiöser Übungen sowie moralisches Verhalten auch unter diesem Gesichtspunkt eingebleut wurden. Daß Maximilian 1640 allen Untertanen, Erwachsenen wie Kindern, den Besitz eines Rosenkranzes vorgeschrieben hat, wurde erwähnt. Das Verbot des Fleischgenusses an zwei Tagen in der Woche sowie in den Fastenzeiten bildete eine Quelle fortwährender Differenzen zwischen der Obrigkeit und den Untertanen und bot auch immer wieder Gelegenheit zu Denunziationen. Maximilian selbst hatte bereits 1597 auf ärztliches Anraten für sich und die Herzogin einen päpstlichen Dispens von der Einhaltung des Fasten- und Abstinenzgebotes erbeten und erhalten,70 doch machte er in skrupulöser Weise nur wenig Gebrauch davon.71 Immer neue Bemühungen Maximilians galten dem Schutz des Ehesakraments in der Form strenger Maßnahmen gegen den Ehebruch, „durch was standt er auch beschehen, es sey der erste, ander oder dritt".72 Er konnte sich darauf beziehen, daß auch die Bevölkerung Ehebruch durchwegs als ein schwerwiegendes Delikt eingeschätzt hat. Nachdem in der Landesordnung von 1553 Ehebruch noch ohne bestimmte Strafe verboten worden war, hat Maximilian den Strafrahmen bedeutend erweitert. Nach ersten Fesdegungen im Religionsmandat von 1598 traf die Polizeiordnung von 1616 eingehende und strenge Bestimmungen, die allerdings zwischen Adeligen und Nichtadeli70 Maximilian an Papst Clemens VIII., 30.10.1597: Stieve, Polizeiregiment 74 f.: „Quod medici judicant, omnino mihi expedire, ut quibusdam diebus carnibus vescar, quibus alias per ecclesiae praeceptum vesci non licet, atque edam ut quandoque jejunem, quando est praeceptum ecclesiae de jejunio." 71 Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 604. 72 Vgl. u.a. Helm, Obrigkeit 1 1 2 ff. und 2 1 2 ff.; Wolfgang Behringer, Weibliche Kriminalität in Kurbayern in der Frühen Neuzeit, in: O. Ulbricht (Hg.), Von Huren und Rabenmüttern. Weibliche Kriminalität in der Frühen Neuzeit, Köln 1995, 63-82.
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gen unterschieden. Beim Ehebruch einer ledigen Weibsperson mit einem verheirateten Bürger oder Bauern wurde dieser bei Wasser und Brot eingesperrt und mußte an drei Sonntagen während des Gottesdienstes vor der Kirche am Pranger stehen, mit entblößten Armen in der einen Hand eine Rute, in der andern eine brennende Kerze haltend. Auf den zweiten Ehebruch stand die Landesverweisung, auf den dritten gemäß der Halsgerichtsordnung Karls V. die Todesstrafe. Bei verheirateten Frauen und deren Partnern traten die Strafverschärfungen bereits beim ersten und zweiten Ehebruch ein. 1635 verschärfte Maximilian die Strafen dahingehend, daß bereits zweimaliger Ehebruch von Männern wie Frauen mit dem Tod durch das Schwert zu bestrafen sei, eine Fesdegung, die er wenige Wochen vor seinem Tod noch einmal bekräftigte. Soweit ersichtlich, sind die Todesstrafen aber stets durch Geldstrafen oder Landesverweisung ersetzt worden. Ganz unter religiösem Aspekt hat Maximilian schließlich auch das verbreitete Schwören und Fluchen gesehen, das er als Delikt der Gotteslästerung einstufte, ganz gleich ob es „fürsetzlicher weiß oder auß ubergehendem unmenschlichen zorn, wie auch aus viehischer trunckenheit oder verdampter gewonheit" geschah.73 Entsprechend enthielt bereits das Religionsmandat von 1598 einen Strafkatalog, der von Geld- und Gefängnisstrafen und Ausstellung am Pranger über „abschneydung etlicher glieder, ausreissung oder durchbrennung der Zungen" bis zur Todesstrafe reichte. Spätere Mandate und die Polizeiordnung von 1616 wiederholten solche Bestimmungen und widmeten sich auch der Frage der Anzeige solcher Delikte durch Hausväter und Wirte, denen Verantwortung für ihre Kinder, Dienstboten und Gäste zugeschrieben wurde. Den Angebern von Ehebruch wurde ein Zehntel, denen von Gotteslästerung ein Drittel der verhängten Geldstrafen versprochen. Damit höhere Stände nicht zu milde behandelt würden, sollte ihre Bestrafung dem Hofrat bzw. den Regierungen vorbehalten bleiben. In der Regel wurde Gotteslästerung mit Schandstrafen (am Pranger stehen) geahndet, von Hinrichtungen ist nichts bekannt. Die Mandate gegen das Fluchen zeigen bereits, daß der Übergang von der Religionspolizei zur allgemeinen Sittenpolizei fließend war.74 Im Grunde hat Maximilian auch die meisten sittenpolizeilichen Delikte unter dem Gesichtspunkt der religiösen Fürsorge für Staat und Gesellschaft gesehen, Unmoral verstößt gegen die Gebote Gottes und beleidigt den Herrn. Darüber hinaus 73
Generalmandat von 1598: Dokumente 1,3, Nr. 130, hier 613 f. Informativ Leutenbauer, Gotteslästerung 127 ff. 74 Zum folgenden vgl. Stiene, Polizeiregiment; Kiefer V, 26 ff.; Freyberg, Pragmatische Geschichte III; Heydenreuter, Hofrat 244 ff.
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hat er das hohe Ethos seiner eigenen Lebensführung -wie selbstverständlich zum Maßstab für seine Untertanen erhoben: „Überflüssigen essen und trinckhen, spilen, zu vilen jagen, ritterspilen und andern kurtzweilen und vaniteten fragen Ihre Dhlt. nit nach", berichtete Hainhofer.75 Immer wieder wurde auch ein Zusammenhang hergestellt zwischen der Sündhaftigkeit der Welt und den Strafen Gottes durch Türkengefahr, Krieg und Seuchen — also galt es die Sünde auszurotten. Ebenso wie in anderen deutschen Territorien rangierten an erster Stelle der Skala die sexuellen Delikte, denen wiederholte Mandate insbesondere für die Landbevölkerung galten.76 Besonderes Augenmerk ließ Maximilian auf die „Leichtfertigkeit", den vorehelichen Geschlechtsverkehr richten, der seit der Landesordnung von 1553 strafbar war; Männer wurden in den Stock, Frauen in die Geige geschlagen, bei Wiederholung konnte bis auf Landesverweisung erkannt werden. 1599 wurde der bei Dienstboten beiderlei Geschlechts eingerissene neue Brauch moniert und mit Strafe bedroht, sich nur mit dem Vorbehalt zu verdingen, eine gemeinsame Schlafkammer zu erhalten. Das vielfach noch übliche Baden beider Geschlechter in den städtischen und dörflichen Badstuben wurde untersagt, ebenso den Frauen das Tragen zu kurzer Röcke sowie den Burschen und Männern das Tragen enger und nur bis zu den Knien reichender Hosen. Die „Rocken- und Gunkelreisen", die Feiernächte und „Heimgärten" bei Dunkelheit, zu denen die jungen Leute zusammenkamen, wurden als Gelegenheit zu mancher Ungebühr und Unmoral gesehen; die Burschen hatten sich von den Spinnstuben der Mädchen fernzuhalten, die Hausväter ein scharfes Auge auf den ländlichen Brauch des Fensterlns zu richten. Wiederholte Verbote beschäftigten sich mit dem Tanzen, das auf dem Lande nur an Sonn- und Feiertagen und nur am Nachmittag gestattet wurde, weil Tänze am Abend Anlaß zu Leichtfertigkeit und nicht selten auch zu Raufereien gaben. Krieg und Kriegsgefahr dienten als Begründung für gänzliche Tanz- und Musikverbote. Auch manche Modalitäten der Tänze, „örgerliche und schändtliche gestus", hielten Maximilian und der Hofrat für anstößig, das grobe Halsen, Ansichdrücken, Aufheben und Herumschwingen der Tänzerinnen waren bei Strafe verboten.77
75
Häufle, Hainhofer 78.
Vgl. Helm, Obrigkeit 214 ff. sowie Stefan Breit, „Leichtfertigkeit" und ländliche Gesellschaft. Voreheliche Sexualität in der frühen Neuzeit, München 1991, bes. 78 ff. (Untersuchungsraum Oberbayern), der feststellt, daß bei Leichtfertigkeitsdelikten die Gesetzespraxis anderer deutscher Territorien „ähnlich, sogar eher strenger" war. 77 Im Mandat vom 14.10.1625 (Dokumente 1,3 Nr. 260) wird von Haftstrafen gesprochen. 76
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Bei den staatlichen Maßnahmen gegen ausschweifende Gastmähler, große Hochzeiten und Kindstaufen, wüstes Spielen und Karten sowie gegen teure Kleidung waren in starkem Maße auch wirtschaftliche Erwägungen geltend, die Sorge um Arbeitskraft und finanzielle Erschöpfung vor allem der Landbevölkerung. Daß der bayerische Bauer und seine Dienstboten in diese Vergnügungen viel Geld investierten, hatte bereits Aventin beschrieben. Daher konnte sich Maximilian im Religions- und Sittenmandat von 1598 zunächst darauf beschränken, auf ältere Bestimmungen, die Landesordnungen von 1553 und von 1578, zu verweisen, wo bereits alles gesagt sei, und zu beklagen, daß weder Landstände noch Beamte sich bisher daran gehalten hätten.78 Die wiederholten späteren Mandate zeigen, daß auch dieser erneute Appell wenig fruchtete. Die Landespolizeiordnung von 1616 übernahm dann in der Hauptsache die Bestimmungen der Ordnung von 1578 und regelte detailliert, nach Ständen deutlich abgestuft, für Kindstaufen, Hochzeiten, Leichenmähler, Einladungen und Primizen die Zahl der gestatteten Gäste und den Aufwand in Essen, Trinken, Kleidung und Geschenken. In der Regel sollten bei einer Bauernhochzeit nicht mehr als fünfzig Gäste geladen werden. Um die Landesdefension zu fördern, wurden alle zum Militärdienst Ausgewählten von dieser Limitierung befreit, auch durften sie — ebenso wie der Adel, herzogliche Räte, alte städtische Geschlechter und Doktoren — Hochzeitsgeschenke annehmen, die nicht von der engsten Verwandtschaft herrührten. Den Wirten wurden Verpflichtungen bezüglich der Ausschankzeiten auferlegt, ebenso hinsichtlich der Summen, über die hinaus Bauern und Bürgern nicht geborgt und nicht aufgetischt werden durfte, Karten- und Kegelspiel um höhere Einsätze wurden untersagt. Manche Bestimmungen der Polizeiordnung von 1616 zu diesen Materien wurden in späteren Jahren aus ersichtlichen Gründen noch einmal eingeschärft. Hierzu zählte auch das Problem des Kleiderluxus' bei Festivitäten und im Alltag.79 Den entsprechenden Vorschriften, die von Zeit zu Zeit zu Kleiderordnungen zusammengefaßt wurden, lagen neben ökonomischen auch religiös-moralische Motive zugrunde. So heißt es in der Kleiderordnung von 1626, daß man durch Rückkehr zu einfacherer Kleidung der Jugend „hoffart und leichtfertigem wandl" benehmen und der „unausbleiblichen straf und zorn Gottes" zuvorkommen müsse.80 Der primäre Beweggrund zum Erlaß der Kleiderordnungen war jedoch — neben der Demonstration Dokumente 1,3, Nr. 130, hier 622 f. Vgl. Veronika Baur, Kleiderordnungen in Bayern vom 14.-19. Jh., München 1975; Michael Stöllns, Luxusverbote und Luxussteuern in der frühen Neuzeit, in: Oers., Pecunia 9-61. 80 Teildruck der Kleiderordnung von 1626: Dokumente 1,3 Nr. 264, hier S. 979. 78 79
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und Verfestigung der ständischen Gesellschaftsordnung — staatswirtschaftlicher Natur, der Geldabfluß durch Luxuswaren und der wirtschaftliche Ruin mancher Existenzen. Nach Auffassung Maximilians sollte die Landeshauptstadt München, seine Residenzstadt, in Religions- und Sittenfragen dem übrigen Herzogtum Vorbild und Richtschnur sein.81 Jedoch erwies sich sehr bald, daß gerade die Münchner Bevölkerung nicht so sehr bereit war, den hochgespannten Idealen des Landesherrn zu folgen, auch wenn sich das Frömmigkeitsprofil im Laufe der Jahrzehnte insbesondere durch die Wirksamkeit der Reformorden veränderte. München unterschied sich eben in seiner Sozial- und Berufsstruktur von den anderen Städten und Märkten im Lande und zumal von den ländlichen Gebieten, nicht zuletzt durch die zahlreichen Hofbediensteten und in Aufträgen des Hofes arbeitenden Handwerker. So hat Maximilian mit Kritik am Lebenswandel der städtischen Bevölkerung nicht zurückgehalten. Jedoch hat er es in der Regel vermieden, unmittelbar gegen die Bewohner mit Strafen vorzugehen, vielmehr suchte er seine Ordnungsvorstellungen durch Einwirkung auf die städtische Obrigkeit durchzusetzen: „Und in summa aller mangi ligt diß orths an dem bürgerlichen Magistrat." Gegenüber diesem Magistrat hat er dann allerdings schroff und herrscherlich gehandelt.82 Die kirchenpolizeilichen Maßnahmen Maximilians zielten nicht zuletzt auf Unordnungen im Klerus, die schon seine Vorfahren wie überhaupt die ganze Reformbewegung beschäftigt hatten. Prinzipiell formulierte das Religionsmandat von 1598, daß die Geistlichen „ihr ampt mit rechtschaffenem christlichen eyffer verrichten [und] sich aller leichtfertigkeit und ergernuß gäntzlich enthalten" sollten, womit vor allem das Priesterkonkubinat und das verbreitete übermäßige Trinken gemeint waren. In diesem Bereich hatten sich die bayerischen Behörden allerdings immer wieder mit den zuständigen, aber außerhalb des Herzogtums residierenden geistlichen Obrigkeiten, den Bischöfen und Ordinariaten, auseinanderzusetzen.83 Die Abgrenzung der Kompetenzen von Staat und Kirche und der Umfang der staatlichen Kirchenhoheitsrechte war vom Konkordat von 1583 in den Hauptpunkten geregelt worden. Die Gerichtsbarkeit über Kleriker in Zivilsachen blieb in der Hauptsache bei der weltlichen Obrigkeit, diejenige in Strafsachen hauptsächlich bei den geistlichen Gerichten. Weiterhin bestand (nicht immer aufgrund päpstlicher Zustimmung) ein staatliches Besteuerungsrecht Heydenreuter, Magistrat 189-210; heutenbauer.; Gotteslästerung 142 ff. Beispiele bei Heydenreuter, Hofrat 252 f. 83 Vgl. Heyl, Geisd. Rat 208 ff.; Heydenreuter, Hofrat 187 ff. 81
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gegenüber Klerikern und Kirchengut fort, die Verwaltung von Pfründen- und Kirchenstiftungsvermögen durch staatliche Behörden, das Recht der Besetzung bestimmter Kirchenämter von staatswegen, schließlich die landesherrliche Aufsicht über Verwaltung und ordentliche Wahrnehmung der Kirchenämter durch den Klerus. Letzterer Bereich bildete das eigentliche Feld der staatlichen Kirchenpolizei, hier haben Maximilian und seine Beamten bis in Einzelheiten der kirchlichen Disziplin eingegriffen.84 Bezüglich des Lebenswandels der Kleriker nahmen die weltlichen Behörden zwar kein Abstrafiingsrecht, aber ein Aufsichtsrecht wahr, das intensiv ausgeübt wurde und auch bis zu Temporaliensperre und Landesverweisung führen konnte. In der Regel wurden die Ordinarien von den Beamten Maximilians über straffällige Kleriker informiert und zur Disziplinierung oder Bestrafung aufgefordert; die Konkubinen wurden von den Beamten selbst abgestraft. Darüber hinaus hat Maximilian die Ordinariate fortgesetzt gedrängt, den Klerus zu Zucht und guter Wahrnehmung der priesterlichen Pflichten anzuhalten, freilich auch in schroffen Formen, die von den Bischöfen als unbillige und unzulässige Einmischung in geistliche Kompetenzen empfunden worden sind. Mit der staatlichen Aufsicht über die Weltgeistlichen und die Klöster im Lande, der Besetzung von Kirchenämtern, soweit sie dem Landesherrn zustand, der Verwaltung von Pfründen- und Kirchenstiftungsvermögen, der Kirchenpolizei und der Wahrung der landesherrlichen Kirchenhoheitsrechte gegenüber den Ordinarien war die Zentralbehörde des Geistlichen Rats betraut.85 Die Geistliche Ratsordnung von 162986 stellte als erste und wichtigste Aufgabe der Behörde nicht ihre Verwaltungsfunktionen oder die Behauptung der herzoglichen Kirchenhoheitsrechte, sondern die Religionspolizei heraus: „Damit die ehr Gottes des allerhöchsten bey allen unsern underthonen gemehrt, alle wahrsagerey, superstitiones und aberglauben extirpirt, daß auch unser allain wahre seligmachente alte Catholische Religion in unserm fürstenthumb und landten erhalten und gepflanzet, hingegen aber das einschleichen aller und ieder verdambter khetzereyen und schödlichen irrthumen verbietet und, wo dergleichen in einem oder anderm orth eingerissen oder yemant mit solcher were infkiert wordten, daß unverzogentlich aller dings außgereittet und die verfierten widerumben zu recht gebracht werdten." Der Geistliche Rat war demgemäß primär ein Instrument von Katholischer Reform und Gegenreformation. Erheblichen Mißständen in seiner Amtsführung begegnete Maximilian in den Jahren 1606-1608 durch Neubesetzungen, Vgl. etwa Dokumente 1,3, 615. Umfassend: Hey/, Geist! Rat; vgl. auch Rüsenthal, Geschichte II, 402 ff. se Dokumente 1,3, 395-413, hier 397. 84 85
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eine eingehende Visitation und den Erlaß einer neuen Ratsordnung.87 Von besonderer Bedeutung für die Arbeiten des Gremiums und sein Verhältnis zu Maximilian wurde die Leitung durch den Vizepräsidenten Dr. Jacobus Golia in den Jahren 1610-1614 und 1621-1639.88 Golia, der aus dem Tridentinischen stammte und zeidebens besser Italienisch (und Latein) als Deutsch sprach, verband die Fachkenntnisse eines Kanonisten mit einer eigenwilligen, ja rigorosen Natur, der jede Entscheidung zur Gewissenssache wurde: „Mache aus allen sachen, auch geringen, ein conscienz" hieß es über ihn bei der Visitation von 1614. Sittenstreng und von missionarischem Eifer, fühlte er sich mit einem „affectus versus societatem" besonders den Münchner Jesuiten verbunden. Die Rigorosität Gollas in seiner Amtsführung war jedoch nicht immer im Sinne Maximilians, da sie in bemerkenswerter Weise verschiedentlich auf eine Reduzierung der landesherrlichen Kirchenhoheit hinauslief. Als Geistlicher und Kanonist war Golia der Auffassung, daß die auf päpstlichen Privilegien und Verträgen mit den Ordinarien beruhenden staatlichen Kirchenhoheitsrechte bereits das Äußerste an kirchlichen Zugeständnissen bedeuteten, über die hinaus staatliche Einflußnahmen nicht gestattet seien, zumal die kirchliche Notsituation des 16. Jahrhunderts, auf denen die Privilegien beruhten, gar nicht mehr bestehe.89 Diese bemerkenswerte Auffassung korrigierte manche gewohnheitsrechtlichen staatlichen Kirchenhoheitsrechte zugunsten der Kirche. Umgekehrt wies Golia aber auch Ansprüche der geistlichen Ordinarien, die positivrechtlich oder durch Herkommen nicht fundiert waren, strikt zurück. Maximilian hat nun zwar Gollas Preisgabe von Kirchenhoheitsrechten verschiedentlich mit heftiger Kritik bedacht, ihn aber gleichwohl über Jahrzehnte auf seinem Posten gehalten. Offensichtlich wogen die prinzipiellen Gemeinsamkeiten schwerer, welche die beiden verbanden, Lebensernst, strengste Kirchlichkeit, hohe Anforderungen an die eigene Person und die Mitmenschen, insbesondere an Sitte und Zucht des Klerus. Diese Charakterzüge
Ordnung von 1608: Mayer, Quellen 113-132; verbesserte Ordnung von 1629: Dokumente 1,3, 395-413. 88 Die Position des Präsidenten war von 1 6 1 1 - 1 6 1 4 unbesetzt. Der Präsident von 1614-1642, Franz Wilhelm von Wartenberg, ein unebenbürtiger Vetter Maximilians, amtierte seit 1621 als Obersthofmeister Kurfürst Ferdinands in Köln, seit 1627 als Bischof von Osnabrück, so daß die tatsächliche Leitung des Geistlichen Rates in diesen Jahren beim Vizepräsidenten lag. 89 Vgl. z.B. Golia an Maximilian, 4.4.1623: „Es gebihrt mir alß einem theologo, zu erwegen, ob mit guetten faeg und gewissen jedes [Recht] von e. churfl. drl. wegen defendiert würdet, damit derselben nit etwan durch vil anmassungen der geistlichen sachen ein verhengnus verursacht werde, dan Gott, wie Daniel spricht, terribilis in consiliis super filios hominum" (zitiert Heyl, Geisd. Rat 426 Anm. 2110). 87
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Golks kamen jedenfalls der bayerischen Kirchenpolitik und Kirchenpolizei zugute, so daß Maximilian über anderes hinwegsehen konnte. Die langjährigen Beziehungen der beiden belegen im übrigen, was auch für andere Fälle bezeugt ist, daß der Herzog abweichende Meinungen seiner hohen Beamten zu würdigen wußte, wenn er von deren Loyalität und Amtsführung überzeugt sein konnte. Es ist nicht einfach, das von Maximilian und seinen Beamten exekutierte landesherrliche Kirchenregiment zutreffend zu bewerten. Da die Quellen unterschiedliche Aussagen zulassen, differieren auch die Meinungen der wissenschaftlichen Literatur. Offensichtlich ist, daß Maximilian die ihm zustehenden Kirchenhoheitsrechte voll ausgeschöpft hat, wie mehrere Beispiele bereits gezeigt haben. Die eigentliche Frage ist, inwieweit er eine Ausweitung seiner Rechte nicht nur gewünscht, sondern unter Verletzung rechtlicher Normen auch vollzogen hat. Im Jahre 1607 legte er seinen Räten zum Problem der Strafgerichtsbarkeit über Kleriker die Frage vor, inwieweit der Herzog von Bayern nicht einfach „craft habender lantsfürstlicher obrigkait" gegen straffällige Kleriker vorgehen könne und, falls nicht, ob er nicht einen entsprechenden päpstlichen Indult beantragen solle. Die Räte rieten von beidem ab, um das Einvernehmen mit den Bischöfen nicht zu stören,90 und Maximilian hielt sich auch daran, wie er auch in manchen anderen Kirchenhoheitsfällen bereit war, die Grenzen seiner Zuständigkeit zu respektieren.91 Entsprechend hat man von Maximilians „Vertragstreue gegenüber dem Konkordat und den übrigen Abmachungen mit den Ordinariaten" gesprochen.92 Dies war allerdings die fürstliche Pespektive! Denn von bischöflicher Seite ist der Herzog von Bayern immer wieder beschuldigt worden, in unzulässiger, widerrechtlicher Weise in die geistliche Jurisdiktion einzugreifen. Vor allem der lange regierende Freisinger Bischof Veit Adam von Gepeckh, dessen Diözese nahezu vollständig auf bayerischem Territorium gelegen war, fand Anlaß, derartige Vorwürfe über Jahre hinweg zu erheben.93 Namentlich in den vom Konkordat dem Gewohnheitsrecht überlassenen Materien war genügend Konfliktstoff für Auseinandersetzungen enthalten. Maximilian und 90 Felix Stieve, Beiträge zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche in Bayern unter Maximilian I. (1595-1651), in: Zeitschrift für Kirchenrecht 13 (1876), 372-396, hier 375 ff. 91 Beispiele bei Hejl, Geisd. Rat. 92 Hey/, Geisd. Rat 234. 93 Vgl. Leo Weber, Veit Adam von Gepeckh, Fürstbischof von Freising 1618-1651, München 1972, bes. 418 ff. und 509 ff. Maximilian hatte sich für die Wahl Ferdinands von Köln oder Franz Wilhelms von Wartenberg anstelle Gepeckhs eingesetzt, sich aber schließlich mit dessen Wahl abgefunden; vgl. Hugo Altmann, Maximilian I. von Bayern und die Freisinger Bischofswahl von 1618, in: ZBLG 38 (1975), 701-729.
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seine Beamten suchten in zweifelhaften Fällen stets die bayerische Interpretation des Sachverhalts durchzusetzen, was von der Gegenseite stark empfunden worden ist. Und es war bezeichnend für die Einschätzung eines benachbarten Reichsbischofs durch die bayerischen Räte (und wohl auch durch Maximilian), daß Gepeckh bei einem Besuch in München von Dr. Jocher angeraten werden konnte, gegenüber dem Herzog zu äußern, er (Gepeckh) wolle sich „in allem Irer Durchlaucht bevelchen diemüetig accomodiern, auch also nit wie ein nachbar, sonder als ein gehorsamer caplan verhalten"!94 Solche Ansprüche und die intensive, wohl auch grenzüberschreitende Exekution der landesherrlichen Kirchenhoheitsrechte haben nicht wenige Zeitgenossen veranlaßt, in ihrer Beurteilung der Maximilianeischen Kirchenpolitik deren Ambivalenz zu betonen und neben den unzweifelhaften, jedem Betrachter ersichtlichen Verdiensten Maximilians um Kirche und Kirchenreform das Moment des bayerisch-staatlichen kirchenpolitischen Egoismus in den Vordergrund zu rücken. Diese Kritik war in einer Reihe von Fällen gewiß nicht unbegründet. Jedoch wurde von geistlicher Seite nicht selten übersehen, daß die von ihr als Ubergriffe gerügten bayerischen Maßnahmen vielfach durch ihre eigene Lässigkeit in der Überwachung und Disziplinierung ihres Klerus hervorgerufen worden waren. Daß Maximilian selbst das Problem vornehmlich in letzterer Perspektive gesehen und zu rechtfertigen versucht hat, bezeugt auch eine selbstbewußte Passage in der testamentarischen „Information für die Gemahlin" am Ende seines Lebens. Er argumentierte, daß an der Wahrung der Kirchenhoheitsrechte „einem landtsfirsten nit allein wegen seines hochen landtsfürstlichen interesse, sonder auch und vorderist der allein seeligmachenden religion halber merckhlich gelegen". Die Geschichte habe erwiesen, daß nur auf diesem Wege, und nicht durch die Bischöfe, Religion und Priesterschaft im Herzogtum Bayern erhalten worden seien: „Ingestalten dan die geschichten der vergangnen Zeiten ciar gnueg bezeugen, daß, wan unsere in Gott ruehende voreitern nit mit solchem eyfer und ernst ob der religion und der priesterschafft gehalten, dieselbe, und darmit unsere landt, wie laider in anderen geschechen, durch die geistliche obrigkeiten wegen irer connivenz und kaltsinigkeit nit weren erhalten worden. Dahero dan nothwendig, daß solche Concordata in guete obacht genohmen und denen zu abbruch der Ordinarien neuerung einzufiehren khaines weegs verstatt werde."95 Selbstbewußter konnte man den Bischöfen kaum gegenübertreten! 94 95
Zitiert bei Weber,; Gepeckh 512. 13.3.1651: Dokumente 1,3 Nr. 358, hier 1293.
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Maximilian war sehr darauf bedacht, über die Realisierung und Befolgung seiner vielen Vorschriften unterrichtet zu sein. Mißtrauen in die Natur der Menschen im allgemeinen und den Arbeitseifer der Beamten im besonderen bewegten ihn ebenso wie die Überzeugung, mit seinen Mandaten Richtiges zu tun und Gutes zu bewirken. Die Außen- und Mittelbehörden waren daher auch in geistlichen Fragen zu regelmäßiger Berichterstattung nach München, vor allem an den Geistlichen Rat, veranlaßt. Insbesondere der Rentmeister hatte auf seinen Umritten die Beachtung der herzoglichen Religionsmandate zu kontrollieren, „damit nichts der heilig allein seelig machenden Römischen Catholischen religion zugegen werde gehandlet", und entsprechend zu berichten.96 Die von den Pfarrern zusammengestellten jährlichen Beichtregister wurden vom Geistlichen Rat überprüft, die Beichte der außer Landes befindlichen Untertanen zunächst von Kabinettssekretär Gewold kontrolliert, später von Hof- und Geistlichen Räten. Berichte in geistlichen Angelegenheiten wurden offensichtlich regelmäßig auch den herzoglichen Beichtvätern vorgelegt, nicht wenige auch Maximilian selbst, der sich ebenso sorgsam wie pedantisch stets auch für Einzelheiten interessiert hat und bei der Überschaubarkeit des Landes und eigener großer Arbeitskraft wohl auch in der Lage war, sich damit zu befassen. Neben den ordentlichen Behörden als Kontrollorganen wurden außerordentliche Beobachter bestellt, deren Identität nur den Rentmeistern bekannt werden sollte, also geheime Aufpasser, Spione. Bereits bei Mitteilung des Religionsmandats von 1598 wurden die Rentmeister aufgefordert, in allen Landgerichten „gewisse coricaei und kundschafter, doch auch erbare guete leuth inhalt der landsfreiheitserclerung" zu bestellen, welche die Beachtung des Mandats durch die Landstände, Richter und Beamten zu überwachen und Verstöße zu berichten hatten.97 Der sonst so sparsame Maximilian fügte dem Befehl eigenhändig hinzu, daß keine Kosten zur Gewinnung solcher Leute gescheut werden sollten, die im übrigen mit einem Anteil an den Strafgeldern bedacht wurden. Die Spione ihrerseits und selbst die Rentmeister wurden in der Folge durch noch geheimere Beobachter überwacht. Im übrigen ließ sich Maximilian von den Rentmeistern vierteljährlich Verzeichnisse der von den Spionen erstatteten Anzeigen, der bei Beamten und Landsassen festgestellten Vergehen und der verhängten Strafen einsenden, um sich unmittelbar zu
Rentmeisterinstruktion vom 22.4.1613: Dokumente 1,3 Nr. 179, hier 783. Einzelheiten bei SHeve, Polizeiregiment 57 ff., der insbes. auf Akten der ersten Regierungsjahre fußt; Riesser, Geschichte V, 19 ff. 96
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informieren.98 Es ist nach dem heutigen Forschungsstand nicht ersichtlich, inwieweit dieses System, das auch inauguriert wurde, weil eine Polizei im heutigen Sinne noch nicht existierte, über die ersten Regierungsjahre Maximilians hinaus in aller Breite praktiziert worden ist. Daß es in der Zeit seines Bestehens geeignet war, einem allgemeinen Denunziantentum Vorschub zu leisten und durch Fehlmeldungen auch Rechtsunsicherheit hervorzurufen, läßt sich nicht bestreiten. Die Frage ist natürlich, in welchem Umfang diese vielen Vorschriften tatsächlich auch Beachtung gefunden haben und umgesetzt worden sind, inwieweit also durch die Normsetzung der Landesverwaltung die religiöse und sittliche Situation im Lande verändert worden ist. Es wurde bereits bemerkt, daß die häufige Wiederholung einschlägiger Bestimmungen auf deren begrenzte Akzeptanz schließen läßt. Offensichtlich stießen die landesherrlichen Religions- und Sittenmandate nicht selten bereits bei den Beamten auf Bedenken und Widerstand, auch konnte der zuständige Hofrat bei den Sittenmandaten manche Befreiungen erteilen. Im strafrechtlichen Bereich wurde der von den Mandaten vorgesehene Strafrahmen praktisch nie ausgeschöpft. Mit der Häufung der Mandate scheint auch deren Verbindlichkeitskraft immer mehr gesunken zu sein, so daß Maximilian 1627 in einem Dekret an den Hofrat feststellte, es sei nun bereits so weit gekommen, daß die kurfürstlichen Mandate „aus Connivenz und Hinlesigkeit" der Beamten so wenig respektiert und beachtet würden, daß man sie schimpflicherweise bereits als „Münchner Gebott, welche lenger nit als drey Tag weren" bezeichne." Die Schwierigkeiten, die Konfessionsdisziplinierung und die Sittendisziplinierung der Untertanen durch staatliches Reglement durchzusetzen, sind durch die Kriegsnöte und Seuchen, denen das bayerische Volk besonders seit 1632 ausgesetzt war, sicher nicht kleiner geworden, die Bevölkerung hatte andere Probleme. Jedoch ist ersichtlich, daß die Disziplinierung der Sitten auf größere Widerstände stieß, da sie tiefverwurzelte, teils atavistische Gewohnheiten und Verhaltensweisen beseitigen wollte, hier wurde eine tatsächliche Umerziehung, wenn man so will eine Zivilisierung angestrebt. Die Konfessionsdisziplinierung dagegen — von der eigentlichen gegenreformatorischen Aktion der Glaubensvereinheitlichung abgesehen — zielte nicht auf Umerziehung, sondern auf Ausgestaltung und Vertiefung bereits vorhandener religiö98 Vgl. den Bericht des Rentmeisters von München über die gerichtlich erfaßten und die durch geheime Kundschafter aufgespürten Vergehen, mit einer Rechtfertigung, wegen Unfleiß der Coricaei über zu wenige Vergehen berichtet zu haben, 8.1.1600: Dokumente 1,3 Nr. 137. 99 Heydenreuter, Hofrat 234.
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ser Mentalitäten, Anschauungen und Praxen, die zudem vielfach in der Volkskultur verankert waren. Hier waren manche positiven Anknüpfungspunkte gegeben, auch war Maximilian in diesem Bereich nicht allein auf die staatliche Bürokratie angewiesen, sondern konnte sich zunehmend auf die Mithilfe kirchlicher Institutionen stützen. Wenn er dabei, seinen Vätern folgend, in Verbindung mit den wichtigsten kirchlichen Reformkräften stand, dem Papsttum, den reformwilligen Bischöfen, den Reformorden, dann hieß dies jedenfalls bezüglich der Reformorden, daß er Institutionen förderte, die sich im Interesse der kirchlichen Erneuerung moderner Methoden bedienten, welche in die Zukunft wiesen. Dies galt zunächst für sein interessantes Verhältnis zum Institut der Englischen Fräulein.100 Die Engländerin Mary Ward hatte 1609/10 in Saint Omer eine religiöse Gemeinschaft gegründet, die neue Wege weiblichen Klosterlebens einschlug, indem sie sich gezielt der Mädchenerziehung widmete und zu diesem Zweck auf die herkömmliche, eben durch das Konzil wieder eingeschärfte Klausur verzichtete. Die neue Form gewann sich Freunde wie Gegner, ihr Hauptproblem war die Anerkennung durch den Apostolischen Stuhl. Maximilian muß schon bald von der Gründung erfahren haben, da er seit langem Beziehungen zu geflüchteten englischen Katholiken in Nordfrankreich und Belgien unterhielt; 1626 hatte er ein Collegium Anglicanum in Lüttich zur Ausbildung englischer Missionspriester gegründet und mit einem Fundationskapital von 200 000 Gulden ausgestattet, das jährlich 10 000 Gulden für den laufenden Bedarf erbrachte.101 Sein fortdauerndes Interesse an den englischen Katholiken kam gelegentlich auch in einer Intervention in Madrid zum Ausdruck, bei den spanisch-englischen Friedensverhandlungen auf die Abstellung „der so großen und gleichsam unerhörten pressuren, so den armen catholischen zugefiegt werden", zu drängen und Religionsfreiheit für England zu fordern - zur gleichen Zeit, in der die Rekatholisierung der Oberpfalz intensiviert worden ist.102 1616 hatte Mary Ward ein Haus in Lüttich, 1621 in Köln errichtet, beidemale gefördert von Maximilians Bruder 100 Theodolinde Winkler, Maria Ward und das Institut der Englischen Fräulein in Bayern, München 1926; Josef Grisar, Die ersten Anklagen in Rom gegen das Institut Maria Wards (1622), Roma 1959; Oers., Maria Wards Institut vor römischen Kongregationen (1616-1630), Roma 1966; Anne Conrad, Zwischen Kloster und Welt. Ursulinen und Jesuitinnen in der kathol. Reformbewegung des 16./17. Jh.s, Mainz 1991; Mathilde Köhler, Maria Ward, München 1989; Brandmüller, Handbuch II § 68 (Wetter)·, Schwaiger, Monachium Sacrum 1,112 ff. 101 Vgl. Maximilians Testamente vom 1.2.1641: Dokumente 1,3 Nr. 322, hier 1141, und vom 5.6.1650: Ebenda Nr. 356, hier 1279. Grisar, Kongregationen 277 Anm. 10 ist hinsichtlich des Stiftungskapitals zu berichtigen. 102 Maximilian an Khevenhiller, 2.1.1629: BA NF 11,4 Nr. 210.
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Ferdinand von Köln, der 2ugleich Bischof von Lüttich war. 1620 wurde Maximilian von englischen Katholiken gebeten, sich in Rom 2ugunsten der Bestätigung der neuen Frauengemeinschaft 2u verwenden, man wußte von dem Ansehen, das er kraft seiner bisherigen Politik beim Hl. Stuhl genoß. Es waren diese Verbindungen, die Mary Ward ermutigten, sich um die Erlaubnis zur Gründung eines Instituts in München zu bemühen. Mit einem Empfehlungsschreiben des Jesuitengenerals an Maximilians Beichtvater ausgerüstet, kam sie aus Rom, wo sie die Anerkennung ihrer Gemeinschaft noch nicht erreicht hatte, mit einigen Begleiterinnen am 7. Januar 1627 in München an.103 Die englische Vita Mary Wards glaubt als Begrüßungsworte Maximilians überliefern zu können: Durch englische Missionare sei einst das Christentum nach Bayern gekommen und durch englische Fräulein werde es nun wohl erneuert. Maximilian und die Herzogin Elisabeth zeigten sich von der starken Persönlichkeit und dem Anliegen der Mary Ward beeindruckt, offensichtlich erkennend, daß ein Orden dieses Zuschnitts und dieser Aufgabenstellung dem Anliegen der katholischen Reform in Bayern nur förderlich sein konnte. Auch hier zeigte sich Maximilian fasziniert durch Ordensleute, die Frömmigkeit mit Tatkraft und Hingabe verbanden. Obwohl die päpstliche Bestätigung noch ausstand, stellte er im April 1627104 für zehn Schwestern der Mary Ward aus Köln und Lüttich ein Haus in München für Kloster, Internat und Schule zur Verfügung, ließ es einrichten und bewilligte bis auf Widerruf einen jährlichen Zuschuß von 2 000 Gulden. Schule und Internat wurden bereits Ende April mit zunächst achtzehn Schülerinnen eröffnet, der Unterricht bezog sich auf Katechismus, Lesen, Schreiben, Rechnen, Französisch, Latein, Englisch und Handarbeiten. Über die Herkunft der Schülerinnen, die wohl mehrheitlich aus höheren Ständen kamen, sind wir nicht näher unterrichtet, jedoch war Maximilian mit den Leistungen des Instituts zufrieden und empfahl Mary Ward auch an Kaiser Ferdinand II. Zwischen der Herzogin und der Ordensgründerin entwickelte sich ein vertrauensvolles Verhältnis, das der Neugründung sehr zustatten kam, während nicht alle Münchner Jesuiten mit dem Institut dieser „Jesuitinnen" einverstanden waren. Maximilian hielt seine Hand auch über das Institut, als er 1629 von dem Kardinalnepoten Francesco Barberini zu kritischer Zurückhaltung aufgefor-
103 Vgl. Grisa?> Kongregationen 273 ff. 104 Dekret vom 21.4.1627: Dokumente 1,3 Nr. 267. Zu den Anfängen vgl. auch Jobann Nepomuk Buchinger, Erinnerungen an die Gründung und erste Verbreitung des Instituts der Englischen Fräulein in Bayern, in: OA 17 (1857), 115-173.
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dert wurde.105 Unklar ist allerdings, warum er nach der bekannten Aufhebung der gesamten Vereinigung durch eine Bulle Papst Urbans VIII. vom 13. Januar 1631 nichts dagegen unternahm, daß Mary Ward im Auftrag der Inquisition von Dr. Golia unter dem Vorwurf der Häresie vom 7. Februar bis 14. April 1631 im Münchner Angerkloster konfiniert wurde. Auch forderte er im September nach offizieller Verkündigung der päpstlichen Bulle in München Mary Ward und ihre Mitschwestern, damals etwa vierzig Personen, auf, das ihnen überlassene Haus zu verlassen. Wollte er seine gleichzeitigen Subsidienforderungen gegenüber Papst Urban VIII. nicht gefährden? Als die nach Rom zitierte Mary Ward im Oktober 1631 München endgültig verließ, zeigte sich Maximilian aber zu weiteren, wenngleich begrenzten Leistungen an das Institut bereit und gestattete im März 1635 nach einer Unterbrechung durch Schwedeneinfall und Flucht nach Braunau den wenigen verbliebenen Mitgliedern des Instituts, die sich nunmehr nicht mehr als religiöse Gemeinschaft, sondern als eine Gruppe weltlicher Lehrerinnen definierten, die Wiederaufnahme ihrer Lehrtätigkeit. Aus diesem Nukleus unter der Leitung von Mary Poyntz entwickelte sich nach dem Krieg eine blühende, vom Herrscherhaus immer wieder geförderte Anstalt, der seit 1683 ein zweites Institut in Burghausen zur Seite trat.106 Für die Biographie Maximilians bleibt bestehen, daß er die Bedeutung Mary Wards und die Modernität ihres Erziehungsansatzes erkannt und durch Förderung in schwieriger Situation ihre Realisierungschancen erheblich vermehrt hat. Natürlich waren die Jesuitinnen in München nur eine kleine Truppe mit einem beschränkten Wirkungskreis. Von weiterreichender Wirkung war daher die Unterstützung, die Maximilian den anderen Reformorden, den Jesuiten, Kapuzinern und Franziskanerreformaten angedeihen ließ, weil er sie als effiziente Instrumente seiner Konfessionspolitik angesehen hat. Der besondere Rang der Jesuiten in Maximilians Wertschätzung wird schon daraus ersichtlich, daß er sie als einzigen Orden im großen Testament von 1641 genannt hat. Nach über vierzigjähriger Regierung erinnert er daran, was die Patres der Societät Jesu „mit predigen, beichthören, khinderlehr,
105 Grisar, Kongregationen 431 ff. Mary Ward hatte sich zunächst nur wenige Monate in München aufgehalten. Von Juli 1627 bis November 1628 war sie in Wien, Preßburg und Prag mit der Einrichtung von Niederlassungen und Schulen befaßt gewesen und dann nach München zurückgekehrt, reiste aber schon im Januar 1629 nach Rom, um sich und ihr Werk gegenüber Vorwürfen der Kurie zu rechtfertigen. Erst im Mai 1630 kehrte sie wieder nach München zurück und blieb dort bis Oktober 1631. 106 Zur weiteren Geschichte des Instituts in Bayern vgl. Brandmüller, Handbuch II § 68 {Wetter).
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undterweisung der jugent, büecherschreiben und vil andere weeg fir wolersproßne hilfen gelaist und großen nuz geschafft haben und noch täglich laisten und schaffen" und „in beschüz- und vortpflantzung unser wahren Catholischen Religion, in undterweisung und zucht der jugent und administration der hochheiligen sacramenten" besonderen Eifer gezeigt hätten.107 Zutreffend sind hier die besonderen Schwerpunkte jesuitischer Wirksamkeit in Bayern herausgestellt, Unterricht, Predigt und Sakramentenspendung. Maximilian fühlte sich den Jesuiten zunächst aufgrund der Ubereinstimmung in den fundamentalen religiösen Anschauungen verbunden. Dazu trat die jesuitenfreundliche Atmosphäre am Hof Albrechts V. und Wilhelms V., der jesuitische Einfluß in seiner Erziehung, die Erkenntnis der Dynamik und Effizienz des Ordens durch Methoden, Organisation und Disziplin, trat deren Betonung des Willensmäßigen, die auch ihn auszeichnete. So ist Maximilian den Patres stets mit dem größten Respekt gegenübergetreten und hat er die Jesuiten ebenso gefördert, wie er sie als Helfer seiner Konfessionspolitik verwendet hat. Zu den Jesuitenkollegien in Ingolstadt, München und Landshut und den Residenzen in Altötting und Ebersberg, die seine Vorfahren fundiert hatten, stiftete er Kollegien in Burghausen, Mindelheim und Amberg, erhob Altötting zu einem selbständigen Kolleg und unterstützte die Kolleggründungen in Landshut und Straubing durch erhebliche Zuschüsse. Die Gründungsurkunde Wilhelms V. von 1597 für das Münchner Kolleg war bereits auch von Maximilian unterzeichnet worden. Die Kollegien gehörten der Oberdeutschen Provinz mit Sitz des Provinzials in Ingolstadt an. Ihnen waren Gymnasien angeschlossen, in denen nach den Normen der jesuitischen Studienordnung von 1599, der Ratio studiorum, einheitlich unterrichtet wurde und auf der Grundlage der alten Sprachen eine neue glaubensbewußte und glaubensaktive Führungs schicht von Klerikern und Laien herangezogen werden sollte.108 Die Gymnasien fanden bekanntlich großen Zulauf, in München besuchten jährlich mehr als tausend Studierende das Gymnasium und die philosophischen Kurse der Jesuiten, 50 bis 70 Patres wirkten in Schule und Seelsorge, im Ingolstädter Kolleg weilten zeitweise über 150 Ordensangehörige. Maximilian hat an den Entwicklungen der Kol-
Dokumente 1,3, Nr. 322, hier 1140. Zum Thema vgl. allgemein Duhr, Geschichte 11,1, 199 ff. und öfter; Spindler-Kraus, Handbuch II, 721 f. (Lit.); Die Jesuiten in Bayern 1549-1773, Weißenhorn 1991 (Ausstellungskatalog); Die Jesuiten in Ingolstadt 1549-1773, hg. vom Stadtarchiv Ingolstadt, Ingolstadt 1991 (Ausstellungskatalog); Brandmüller, Handbuch II, 841 ff. {Kummel) mit umfangreicher Bibliographie. 108 Rainer A. Müller, Jesuitenstudium und Stadt - Fallbeispiel München und Ingolstadt, in: H.Duchhardt (Hg.), Stadt und Universität, Köln 1 9 9 3 , 1 0 7 - 1 2 5 . 107
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legien und der Gymnasien und ihres Personals stets lebhaften Anteil genommen, er hat auch deren Theaterauffuhrungen besucht und finanziell gefördert, die durch religiös-moralische Erschütterung zu Besinnung und Umkehr aufriefen.109 Er hat mit den führenden Ordensleuten, dem Provinzial in Ingolstadt und den Vorstehern der Kollegien, vor allem demjenigen bei St. Michael in München, stete unmittelbare Verbindung gehalten, ebenso auch direkt oder indirekt - mit dem jeweiligen Jesuitengeneral in Rom.110 Daß die von Jesuiten inaugurierten, geleiteten und auf ihre Ziele ausgerichteten Marianischen Kongregationen im Lande die besondere Förderung des Herzogs gefunden haben, wurde erwähnt, sie haben einen wichtigen Beitrag zu der von ihm intendierten religiösen Durchdringung der gehobenen Gesellschaftsschichten geleistet, die auf eine Formierung nach einheitlichen weltanschaulichen Grundsätzen zielte.111 Gleichzeitig bildeten die bayerischen Kollegien die Heimstätte einer Vielzahl theologischer, historischer und literarischer, aber auch naturwissenschaftlicher Arbeiten von Mitgliedern der Sozietät, so des seit 1610 in Ingolstadt lehrenden Astronomen Christoph Scheiner. Das Interesse Maximilians an der Missionstätigkeit der Jesuiten, der das erwähnte Collegium Anglicanum in Lüttich seine Entstehung verdankte, erstreckte sich auch auf die jesuitische Chinamission. Als der Chinamissionar Nicolaus Trigault SJ. im Jahre 1616 an europäischen Fürstenhöfen Unterstützungen sammelte, erhielt er von Wilhelm V. und Maximilian kostbare Geschenke für den Kaiser von China überreicht. Die von Wilhelm V. begründete Missionsspende von jährlich 500 fl. wurde von Maximilian bis zur Katastrophe von 1632 fortgeführt.112 Mit besonderem Interesse hat die damalige Öffentlichkeit und später die Geschichtswissenschaft die Tätigkeit der jesuitischen Beichtväter der Fürsten verfolgt und die Frage nach deren Einfluß auf die politischen Entscheidungen der fürstlichen Beichtkinder gestellt.113 Allerdings hatte der Jesuitengeneral Acquaviva in der Instruktion „De confessionariis Principum" (1602) den Beichtvater angehalten, sich zur Vermeidung von Konflikten allein auf die 109 Jean-Marie Valentin, Le théâtre des Jésuites dans les pays de langue allemande (1554-1680), 3 Bände, Bern u.a. 1978, bes. 429 ff. (München 1568-1597), 501 ff. (Greiser), 537 ff. (Bidermann), 761 ff. (Brunner), 769 ff. (Balde); Oie Jesuiten in Bayern 168 ff. 110 Zahlreiche Hinweise bei Duhr, Geschichte 11,2 und Bireley, Maximilian von Bayern, m Vgl. insbes. Duhr, Geschichte 11,2, 81 ff. 112 Die Jesuiten in Bayern Nr. 208. 113 Duhr; Geschichte I, 685 ff. und 11,2, 205 ff.; Robert Bireley, Hofbeichtväter und Politik im 17. Jh., in: M. Sievernich-G. Switek (Hg.), Ignatianisch. Eigenart und Methode der Gesellschaft Jesu, Freiburg 1990, 386-403; Winfried Müller, Hofbeichtväter und geistliche Ratgeber z. Zt. der Gegenreformation, in: W. Müller (Hg.), Universität und Bildung, München 1991,141-155.
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Gewissensbildung des Fürsten zu beschränken: „Caveat ne se implicet externis negotiis ac politicis ... " Aber da in diesem konfessionellen Zeitalter Religion und Politik, politische Entscheidungen und Gewissensfragen in zahlreichen Materien vielfaltig verknüpft waren, war in der Beichtväterpraxis eine Trennung beider Bereiche schwierig und wurde, wenn sich die Fürsten selbst Rat holten, von diesen auch gar nicht gewünscht. Man wird unterscheiden zwischen den Beichtgesprächen, deren Inhalt uns verborgen ist, und gutachtlichen Stellungnahmen der Beichtväter. Daher finden sich auch in den bayerischen Akten zahlreiche Gutachten, Memoranden, Notizen und Briefkonzepte nicht nur zu religionspolitischen Fragen im engeren Sinne, die Maximilian seinen Beichtvätern oder anderen Jesuiten gestellt hat. So ist wiederholt zu fragen, wie hoch der jesuitische Einfluß bei dieser oder jener politischen Entscheidung Maximilians veranschlagt werden muß — eine Frage, die auch an andere Höfe, vor allem an den Kaiserhof unter Ferdinand II. und dessen Beichtväter Beccanus und Lamormaini 114 gestellt werden kann. Maximilians Beichtväter, die alle dem Jesuitenorden angehörten, waren nach dem Spanier Gregor von Valencia (1587-1595), von dem schon die Rede war, die drei französischsprachigen Patres Johann Buslidius (1595-1623), Adam Contzen (1624-1635) und Johann Vervaux (1635-1651). Alle vier stammten von außerhalb Bayerns und figurierten jeweils über lange Jahre als Gewissensführer des Herzogs. Der Luxemburger Johann Buslidius war im Jahre 1594 von Wilhelm V. beim Jesuitengeneral als Beichtvater für Maximilian und dessen künftige Gemahlin Elisabeth erbeten worden, wobei die Französischsprachigkeit des Jesuiten eine Rolle spielte.115 E r hat bis zu seinem Tode 1623 als Beichtvater des Herzogspaares gewirkt. Gelegentliche Bemühungen des Jesuitengenerals Vitelleschi, ihn nach Rom zu berufen, wurden von Maximilian mit bemerkenswerter Begründung abgewehrt: Er könne den Pater nicht entbehren, da er ihn nicht nur als Beichtvater, sondern mehr noch als Ratgeber in allen Gewissensfragen in Anspruch nehme. Entsprechend hat ihn Maximilian häufig als Gutachter herangezogen, 1613 auch zu einer Mission nach Rom, als dem Papst die Konversion und die Heirat Wolfgang Wilhelms von PfalzNeuburg mit Maximilians Schwester Magdalena zu erläutern waren.116 1620 nahm Buslidius mit Maximilian selbst am Böhmischen Feldzug teil, sein Kriegstagebuch bildet eine schätzenswerte Quelle für die ganze Expedition. 114 Robert Bireley, Religion and Politics in the Age o f the Counter-Reformation. Emperor Ferdinand II., Wilhelm Lamormaini SJ and the Formation o f Imperial Policy, Chapel Hill 1981. 115 Duhr,: Geschichte I, 702 und 11,2, 245 ff. 116 Die Jesuiten in Bayem Nr. 236.
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In Briefen an den Jesuitengeneral vom Herbst 1620 rühmt sich Buslidius, daß Maximilian hauptsächlich auf seine, des Beichtvaters Veranlassung persönlich ins Feld gezogen sei und auf seinen Rat auch nicht vorzeitig nach München zurückgekehrt sei, wie er wegen der verheerenden Seuchen im Ligaheer und großer Arbeitsbelastung mehr als einmal erwogen habe.117 Nachfolger des Buslidius als Beichtvater Maximilians und Elisabeths wurde der Luxemburger Adam Contzen, der mehrere Jahre an der Universität Mainz gelehrt hatte, im Jahr 1622 Beichtvater des Bamberg-Würzburger Bischofs Aschhausen gewesen war und seither an der Jesuitenakademie in Molsheim im Elsaß gewirkt hatte. Contzen hatte sich bereits als Kontroverstheologe hervorgetan und als Staatstheoretiker einen bedeutenden Namen erworben.118 Seine Konfessionspolemik,119 die in einer Zeit verschärfter konfessionspolitischer Gegensätze formuliert wurde, hatte sich primär gegen den deutschen Kalvinismus gerichtet, den er der Zerstörung der inneren Ordnung und des Friedens im Reich bezichtigte, durchaus übereinstimmend mit entsprechenden Anschauungen Maximilians. Contzens Hauptwerk war jedoch ein umfangreiches und bedeutendes Kompendium der politischen Theorie und der praktischen Regierungslehre, die 1620 in Mainz publizierten und Kaiser Ferdinand II. gewidmeten „Politicorum Libri Decern",120 die in der Folge bewundernde Anerkennung und weite Verbreitung bis ins 18. Jahrhundert gefunden haben.121 Nach Auffassung Contzens erforderte die aus den Fugen geratene Welt neue Gedanken über den Staat, seine Zwecksetzung, seine Herrschaftsordnung, seine Aufgaben sowie Leitlinien für die praktische Politik zur Bewältigung dieser Aufgaben. Mit Aristoteles und Thomas von Aquin ist ihm der Staat ein gottgewollter, naturhaft-vernünftiger Zusammenschluß im Interesse Zitiert bei Duhr, Geschichte 11,2, 248. Duhr, Geschichte 11,2, 250 ff.; Emst-Albert Seils, Die Staatslehre des Jesuiten Adam Contzen, Beichtvater Kf. Maximilians von Bayern, Lübeck und Hamburg 1968; Ders., Die Staatslehre Adam Contzens. Ein Beitrag zur Erforschung des älteren deutschen Staatsdenkens, in: Der Staat 10 (1971), 191-213; Bireley, Maximilian von Bayern; Breuer, Oberdeutsche Literatur 145 ff.; Kurt Malisch, Kathol. Absolutismus als Staatsraison. Ein Beitrag zur politischen Theorie Kf. Maximilians I. von Bayern, München 1981; Robert Bireley, The Counter-Reformation Prince. Anti-Machiavellism or Catholic Statecraft in Early Modern Europe, Chapel Hill and London 1990, 136 ff.; Wolfgang Weber.; Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jh.s, Tübingen 1 9 9 2 , 1 1 7 ff. u.ö. 119 Vor allem in der Schrift „De Pace Germaniae libri duo", Moguntiae 1616. 120 Politicorum Libri Decern, in quibus de perfectae Reipublicae forma, virtutibus et vitiis, institutione civium, legibus, magistratu ecclesiastico, civili, potentia Reipublica itemque sedinone et bello, ad usum vitamque communem accomodate tractatur, Moguntiae 1620, zweite erweiterte Auflage Coloniae Agrippinae 1629. 121 Zur Wirkungsgeschichte vgl. Seils, Staatslehre 191 ff. 117
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des Einzelnen wie der Gemeinschaft. Höchster Staatszweck ist die in Religion und Ethos fundierte „Felicitas" der Gemeinschaft, die durch Ordnung, Sicherheit und Wohlstand der Bürger bewirkt wird. Dieser Zweck ist ohne eine starke Regierungsgewalt in der Form monarchischer Herrschaft nicht zu verwirklichen, sie allein vermag das Chaos in Staat und Gesellschaft zu verhindern. Nur die Monarchie besitzt die Stetigkeit und Kraft zu erfolgreicher Wahrung von Friede und Recht, zur Verwirklichung des sittlich Guten, denn kraft des göttlichen Ursprungs der Monarchie steht der Monarch zwischen Gott und den Menschen. Daher darf er auch nicht durch die Landstände in seinem Regierungshandeln behindert werden; ein Widerstandsrecht, wie es die spanischen Scholastiker den Ständen bei Mißbrauch der Herrschaft zubilligten, wird von Contzen nicht akzeptiert, Gott allein kann vom Fürsten Rechenschaft verlangen. Jedoch widerspricht Contzen entschieden der Auffassung Machiavelüs, daß politischer Erfolg und sittliches Handeln unvereinbar seien. Mit einem betonten Anti-Machiavellismus reiht er sich in eine Reihe von Staatstheoretikern seiner Zeit von Botero über Lipsius bis Saavedra ein, welche die Möglichkeit des Ausgleichs von Staatsnotwendigkeit und christlicher Norm postulieren.122 Auch Contzen zeigt sich überzeugt und sucht zu begründen, daß sittliches Verhalten das politische Handeln durchdringen kann, ohne dessen Erfolg zu gefährden, ja eben die gute Sache führt zum Erfolg, weil Gott auf der Seite der Guten steht. Darüber hinaus entspricht das Gute dem Nützlichen. Handelt der Fürst in dieser Weise, dann gewinnt er die Zuneigung der Untertanen, ohne die auf die Dauer nicht regiert werden kann, und erwirbt jene Reputation, die als ein zentrales Element fürstlicher Macht angesehen werden muß. Nach solchen prinzipiellen Erörterungen weitet sich Contzens Untersuchung zu einer Darstellung aller wesentlichen Bereiche der Staatstätigkeit. Mit Beispielen aus der Geschichte und unter Zitierung bestätigender Autoren und Autoritäten setzt er Normen und erteilt praktische Ratschläge. Sein Buch ist an Fürsten, Politiker und die künftigen katholischen Eliten in den Jesuitenschulen gerichtet. Er handelt von den Beratern der Fürsten, ihren Gefährdungen und Verpflichtungen, von der Bedeutung einer funktionierenden Bürokratie. Er widmet sich den Problemen der Staatsfinanzierung; die Bildung eines großen Staatsschatzes ist unerläßlich, „qui dubitant, an aerarium habendum sit, et augendum, nomine politici digni non sunt". Entscheidend ist die Überwachung des Finanzwesens durch den Fürsten selbst. Contzen erkennt die Antiquiertheit der Auffassung von der Steuer als einer außeror122
Hierzu vgl. Bireley, Counter-Reformation Prince 136 ff.; Weber, Prudentia 104 ff.
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dentlichen Hilfe und plädiert für eine regelmäßige, wenngleich differenzierte Besteuerung auch ohne Mitwirkung der Landstände. In besonders umfangreichen und eingehenden Ausführungen beschäftigt er sich mit der Bedeutung der Wirtschaft fur den Staat und ihrer Förderung sowie ebenso mit der Heeresverfassung, wobei er für stehende Heere aus Söldnern plädiert, da er von den Landesdefensionen wenig hält. Aller Wohlstand bleibt jedoch eitel und alle Anstrengungen des Fürsten sind ohne Fundament und Ziel, wenn Fürst und Untertanen nicht von Frömmigkeit und Religion bewegt und auf den Dienst Gottes orientiert sind. Contzen verteidigt mit Schärfe das Prinzip der Religionseinheit im Staate, zu deren gewaltsamer Herbeiführung der Fürst durch den Religions frieden ermächtigt ist. Mit gleicher Leidenschaft wendet er sich gegen den Krieg und zeichnet dessen Schrecken und schreckliche Folgen. Doch grundsätzlich darf der Souverän, wenngleich nur er, zu den Waffen greifen, sofern die wenigen Gründe für einen gerechten Krieg gegeben sind. Das Ziel eines solchen gerechten Krieges, der in bestimmten Formen geführt werden muß, darf jedoch nur der Vollzug des Rechts sein, nichts anderes.123 Bereits wenige Tage nach dem Tode des Buslidius im Dezember 1623 bat Maximilian den Jesuitengeneral um die Zuweisung Contzens, der ihm als Beichtvater vorgeschlagen worden sei. Die Zustimmung Vitelleschis verweist vielleicht auf das Interesse des Ordens, gerade den Verfasser der „Politica" im Umkreis Maximilians zu piazieren. Andererseits darf man annehmen, daß Maximilian bereits durch die Lektüre der „Politica" auf Contzen aufmerksam geworden war, denn zwischen dessen Auffassungen und Thesen und Maximilians politischen Grundsätzen und Zielsetzungen bestand offensichtlich vielfache Ubereinstimmung, so daß die Grundlage für ein Vertrauensverhältnis gegeben schien. Fundamental war natürlich die religiöse Gleichgerichtetheit. Ubereinstimmung bestand in der Einschätzung der konfessionspolitischen Situation im Reich, auch Maximilian hielt seit seinen politischen Anfängen die Dynamik des Kalvinismus für gefährlich und die Existenz der geistlichen Territorien für ungesichert. Übereinstimmung bestand auch in der Einschätzung der Position und der primären Aufgaben des Fürsten, seiner Unabhängigkeit von den Landständen und seiner Verantwortung für das 123 Contzen hat einzelne Aspekte seiner Darlegungen in zwei späteren, in München entstandenen und Maximilian gewidmeten Werken noch erweitert, einem Staatsroman: Methodus Doctrinae Civilis seu Abissini Regis historia, Coloniae Agrippinae 1628, und einem umfangreichen und detaillierten Hofleutespiegel: Aulae Speculum sive de Statu, Vita, Virtute Aulicorum atque Magnatum, Coloniae Agrippinae 1630. Zu beiden Werken vgl. Seils, Staatslehre 37 ff., zu ersterem ausfuhrlich Breuer, Oberdeutsche Literatur 170 ff.
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bonum commune, die insbesondere die Sorge um das ewige Heil der Untertanen beinhaltete, woraus sich Konsequenzen für eine Politik der Konfessionalisierung von Staat und Gesellschaft ergaben. Diese Übereinstimmung verweist aber auch darauf, daß Contzens Einfluß auf Maximilian und die bayerische Politik nicht überschätzt werden sollte. Das weltanschauliche und politische Profil des nunmehr fünfzigjährigen Maximilian hatte sich bereits in den vorhergehenden Jahrzehnten ausgebildet und war in entsprechenden Entscheidungen zum Ausdruck gekommen. Maximilians Herzogtum war in seiner inneren Ausrichtung und seiner Politik gegenüber den großen Problemen der Epoche längst vor dem Erscheinen von Contzens „Politica" und längst vor der Übernahme des Beichtvateramts durch Contzen als ein Musterstaat der Gegenreformation und der katholischen Konfessionalisierung, aber auch des Frühabsolutismus und der Staatsreformen den Zeitgenossen bekannt geworden und von diesen, je nachdem, bewundert oder kritisiert worden.124 Daher scheint die These nicht abwegig, daß Contzens theoretisches Gebäude sich jedenfalls in bestimmtem Umfang aus der Anschauung von Maximilians Politik und des bayerischen Beispiels seit der Jahrhundertwende entwickelt hat, also die Theorie durch die Praxis — und nicht umgekehrt — angestoßen worden ist.125 So wird man Contzens weitere Rolle vornehmlich darin sehen, daß er Maximilians Auffassungen bestätigt oder durch theoretische Unterbauung weiter befestigt, gelegentlich wohl auch verschärft hat. In Maximilian verband sich ein intensives Heilsverlangen mit dem entschiedenen Willen zu politischer Wirksamkeit. Die Spannung zwischen religiöser Versenkung und politischer Aktivität fährte ihn notwendigerweise vor das Problem der Übereinstimmung von Staatsraison und christlichem Gebot im Normalfall und im Konfliktfall. Wenn Contzen in dieser Problematik mit seinem Antimachiavellismus vielleicht auch keine rundweg befriedigenden Lösungen anzubieten hatte, so besaß er doch, wie die „Politica" erweist, ein lebhaftes Gespür für die praktischen und moralischen Probleme eines handelnden Fürsten in der Epoche von Konfessionalismus und Frühabsolutismus und war er bemüht, ihm Lösungen zu zeigen, die für dessen Gewissen
124 So trifft es natürlich auch nicht zu, daß Contzen am „Aufstieg des bayerischen Staates [...] erheblichen Anteil" hatte (Breuer, Oberdeutsche Literatur 149). Dieser Aufstieg war 1624 bereits Tatsache. Auch die Ansicht von Seils, Staatslehre 12, daß Contzen die „Oberaufsicht über die innere Verwaltung Bayerns" besessen habe, geht entschieden zu weit. 125 Vgl. auch Bireley, Counter-Reformation Prince 139: „Despite his wide reading and interests, his world was that of the German territorial states and cities, and the Holy Roman Empire. Much of his program for state building came out of the German states and was meant for them [...]."
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akzeptabel oder erwägenswert waren, ohne seine politischen Aktivitäten zu sehr zu beschränken. Dies mußte Maximilian für ihn einnehmen. Uber Contzens Einfluß auf Maximilian und die bayerische Politik — oder zumindest über seine Bemühungen, darauf Einfluß zu gewinnen - sind wir genauer unterrichtet als über etwaige Einflußnahmen seines Vorgängers Buslidius. Dies liegt am Stand der Forschung,126 gewiß aber auch an der Person Contzens, der mehr Ehrgeiz als Buslidius entfaltete, mittels geistlicher Beratung politisch zu wirken und aus seinen theoretischen Einsichten auch praktische Folgerungen zu ziehen. Wäre er kein homo politicus gewesen, hätte er auch sein großes Werk nicht verfaßt. Allerdings bereitet es Schwierigkeiten, trotz zahlreicher Nachrichten über die von Maximilian gewünschte, gelegentlich auch nur geduldete Befassung Contzens mit Problemen der bayerischen Politik seinen Einfluß im Einzelfall abzugrenzen. Aufs Ganze jedenfalls zielte Contzen auf eine Verschärfung des bayerischen kirchenpolitischen Kurses nach innen und außen. Hierbei stieß er allerdings verschiedentlich auf den Widerstand der Räte, die, weit weniger rigoros gestimmt und die zur Verfügung stehenden Mittel kalkulierend, eine Politik des Maßhaltens, ja schließlich des konfessionspolitischen Ausgleichs anrieten. So wird von Contzen noch häufig zu sprechen sein, zumal die militärischen Erfolge der katholischen Partei bis 1629 ihn dazu verleiteten, seinem Beichtkind eine Politik der Expansion anzuraten, deren schließliches Scheitern dann wohl auch seinen Einfluß allmählich reduziert hat. Contzens Nachfolger Johann Vervaux wirkte in der zweiten Hälfte des Krieges, in der die katholische Partei zunehmend veranlaßt war, nach einem Kompromißfrieden zu trachten; wäre er nicht bereits ein Mann der Mäßigung gewesen, hätte ihn die Kriegs situation dazu veranlassen müssen.127 Den in Französisch-Lothringen geborenen Vervaux hatte 1631 die Kurfurstin Elisabeth wohl auf Empfehlung ihres Bruders, des Herzogs Franz von Lothringen, als Beichtvater erbeten und erhalten. Nach ihrem und Contzens Tod im Januar bzw. Juni 1635 wurde Vervaux der Beichtvater des Kurfürsten und blieb es bis zu dessen Tod, um dann mit dem dritten Teil der „Annales Boicae Gentis" auch dessen erster Biograph zu werden. Vervaux ist durch sein 126 Vg] vor allem die Untersuchungen Robert Bireleys; Beispiele auch bei Seils, Staatslehre 13 ff. 127 Zu Vervaux vgl. Duhr, Geschichte 11,2, 256 ff.; Ludwig Steinberger, Die Jesuiten und die Friedensfrage in der Zeit vom Prager Frieden bis zum Nürnberger Friedensexekutionshauptrezeß 1635-1650, Freiburg 1906; Karl Schweinesbein, Die Frankreichpolitik Kf. Maximilians I. von Bayern 1639-1645, Phil. Diss. München 1967; Bireley, Maximilian, passim; Gerhard Immler, Die Bewertung der Friedenspolitik des Kf. Maximilian von Bayern 1639-1648 in der Historiographie, Kallmünz 1989; Ders., Kf. Maximilian 15 und öfter.
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Geschichtswerk sowie als mutmaßlicher Verfasser eines Fürstenspiegels fur den Kurprinzen Ferdinand, mit dessen Erziehung er zeitweise befaßt war, den „Monita Paterna", der bayerischen Geschichtsschreibung immer gegenwärtig geblieben, als Historiker, der zeitgeschichtliche, selbsterlebte Vorgänge in disziplinierter Darstellung und geistiger Durchdringung, wenngleich mit manchen dynastisch-politischen Rücksichten, zusammenzufassen wußte, und als Ethiker, der vom Beruf und den Pflichten eines christlichen Fürsten handelte. Für Maximilian selbst hatte Vervaux in erster Linie Bedeutung als langjähriger Seelenführer, auf dessen Absolution das Beichtkind angewiesen war. Offensichtlich hat Vervaux das volle Vertrauen Maximilians genossen; als „ipsius [Maximiliani] quondam confessano et secretiorum conscio" bezeichnete ihn die Kurfürstinwitwe Maria Anna im Rückblick,128 und Vervaux selbst hat mitgeteilt, daß ihm sein Herzog das Recht freier Meinungsäußerung in weitem Umfang eingeräumt habe.129 Natürlich ist auch Vervaux wie seine Vorgänger als Gutachter in konfessionspolitischen Fragen herangezogen worden, darüber hinaus auch zu diplomatischen Missionen, in denen es auf gute Kenntnis der französischen Mentalität sowie unbedingte Vertrauenswürdigkeit ankam, 1639 zu Verhandlungen mit einem französischen Emissär in die Schweiz, 1645 nach Paris zu Kardinal Mazarin. Vervaux verstand sich, wie er selbst sagte, als Franzose, und er hat auch einer vorsichtigen Annäherung Bayerns an Frankreich das Wort gesprochen, was wohl auch in seinem Geschichtswerk durchschlägt.130 Als in der Endphase des Krieges das Problem möglicher Zugeständnisse an die Protestanten in den Vordergrund trat, erbat Maximilian mehrmals die Erlaubnis des Jesuitengenerals zur aktiven Teilnahme Vervaux' an den Sitzungen des bayerischen Geheimen Rates. Obwohl der Pater nur für auftretende Gewissensfragen herangezogen werden sollte, sah Vitelleschi die Grenze zu politischen Angelegenheiten schwer zu ziehen und lehnte deshalb ab. Doch hat Vervaux spätestens seit September 1645131 aktiv an Geheimratssitzungen teilgenommen. Er hat dabei, soviel man sieht, in der Frage konfessionspolitischer Zugeständnisse den weltlichen Räten nicht zum Munde geredet, aber im Interesse des Friedens solchen Zugeständnissen schließlich zugestimmt und sie auch gegenüber den ExtremiMaria Anna an den Jesuitengeneral, 25.7.1653, zitiert bei Steinberger, Jesuiten 21 Anm. 3. Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 627 f.: „Tantam concesserat suae conscientiae arbitro monendi libertatem, ut non modo eum, quoties vellet, ad colloquium admitteret, sed benigne etiam patienterque audiret monentem, provocaretque ad dicendum libere, quae illi ad rem esse viderentur." no Vgl Andreas Kraus, Eine Geschichte Bayerns fur den Dauphin, in: H.Duchhardt u.a. (Hg.), Deutschland und Frankreich in der Frühen Neuzeit, München 1988, 383-406, hier 395. 131 Immler, Kf. Maximilian 289 f. 128 129
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sten im katholischen Lager, darunter eigenen Ordensgenossen, publÌ2Ìstisch verteidigt. Insgesamt ist schwer zu entscheiden, wie weit Vervaux' Einfluß auf Maximilians politische Meinungsbildung gereicht hat und wie weit dieser den Ratschlägen seines Beichtvaters in Grenzfragen jeweils gefolgt ist. Als sich im Frühjahr 1648 ein bambergischer Gesandter bei Vervaux über Ausschreitungen bayerischer Truppen beschwerte, die von Maximilian zu verantworten seien, und ihn fragte, wie denn der Beichtvater den Kurfürsten von seinen Sünden absolvieren könne, antwortete Vervaux lapidar, „daß er absolvire, wie ihm gebeichtet werde".132 Steinberger fand hierin eine Bestätigung seiner These, daß sich Vervaux „namentlich in politicis wohl gehütet habe, eine von dem Standpunkt des Kurfürsten abweichende Meinung zu vertreten".133 Damit würde Vervaux aber doch wohl unterschätzt und seiner Persönlichkeit nicht Rechnung getragen. Keine Fürstensuppe, so hat er selbst geäußert, habe ihm je den Mund verschlossen, wo es zu reden galt.134 Maximilians Verhältnis zum Jesuitenorden war durch mehrere Momente bestimmt, neben prinzipieller Übereinstimmung in weltanschaulichen Fragen, Hochschätzung jesuitischer Rationalität und gezielter Inanspruchnahme des Ordens für politische Zwecke stand eine an jesuitischem Vorbild orientierte schwärmerische Marienverehrung. Ähnliches läßt sich auch in seinen Beziehungen zu den Kapuzinern beobachten, insbesondere zu einigen hervorragenden Gestalten dieses Ordens.135 Der im frühen 16. Jahrhundert als reformerische Abspaltung der Franziskaner in Italien entstandene Kapuzinerorden fand sein besonderes Arbeitsfeld in der Seelsorge des einfachen Volkes, und zwar in der Form der aushelfenden Seelsorge durch Predigt, Sakramentenspendung, Volksmission. Maximilian hat die besondere Eignung dieser Ausrichtung für eine Erneuerung und Vertiefung des Glaubenslebens in breiteren Volksschichten früh erkannt und ist daher zu einem warmen Förderer der Kapuziner geworden. Auch manche Besonderheiten kapuzinischer Religiosität, Marienverehrung und betonte Verehrung der Eucharistie, lagen ihm nahe. Nachdem 1593 in Innsbruck und 1596 in Salzburg erstmals Kapuzinerklöster Joh. Gottfried von Meiern, Acta Pacis Westphalicae publica V, Göttingen 1736, 126. Steinberger, Jesuiten 21. 134 Duhr, Jesuiten 11,2, 260. 135 Zu Maximilian und den Kapuzinern vgl. Angelikus Eberl, Geschichte der Bayer. KapuzinerOrdensprovinz 1593-1902, Freiburg 1902; Cuthbert-Widlöcher, Die Kapuziner. Ein Geschichtsbild aus Renaissance und Restauration, München 1931, 208 ff.; Carmignano, San Lorenzo IIIV,2; Albrecht, Ausw. Politik, passim; Hubensteiner, Barock 81 ff.; Bauerreiß, Kirchengeschichte VII, 4 ff.; Brandmüller, Handbuch II, § 63 (Sprinkart, Lit.); Schwaiger. Monachium Sacrum I, 104 ff. 132
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auf deutschem Boden gegründet worden waren, berief Maximilian im Jahre 1600 die ersten Kapuziner, zumeist Italiener, nach München und eröffnete ihnen zwei Jahre später außerhalb des Mauerrings, nicht weit von der Maxburg, ein Kloster. Hier hat er dem heiligmäßigen Laurentius von Brindisi wiederholt zur Messe gedient und er hat den Patres das schöne Altarbild der Hl. Familie von Peter Candid gestiftet, das sie bis heute besitzen. 1610 gründete und dotierte er ein Kloster in Landshut, 1614 ein weiteres in Straubing, 1627 ein Hospiz in Neumarkt in der Oberpfalz. Auch die Klostergründungen in Rosenheim (1606), Wasserburg (1624), Deggendorf (1625) und Vilshofen (1641), die von dortigen Bürgern betrieben wurden, hat er lebhaft begrüßt und finanziell unterstützt. So hat die Kapuzinergeschichtsschreibung den Herzog von Bayern zu Recht stets als Freund und Mäzen gefeiert. Von Bedeutung für Maximilians Biographie waren darüber hinaus seine ungewöhnlichen Beziehungen zu vier herausragenden italienischen Kapuzinern, denen er sich ebenso in religiöser Verehrung verbunden fühlte, wie er sie für diplomatische Missionen verwendet hat. Dies war möglich, weil die von ihm beanspruchten Patres selbst Gegensätzliches vereinten, nämlich eine ekstatische, sich bis zu visionärer Schau steigernde Religiosität mit dem Bedürfnis nach politischer Aktivität und mit dem Sendungsbewußtsein, durch religiöse, auf das Gewissen des Kontrahenten zielende Argumentation politische Erfolge erzielen zu können. Namentlich die Patres Laurentius von Brindisi, von dem bereits wiederholt die Rede war, und Hyazinth von Casale, von dem noch häufig zu sprechen sein wird, repräsentierten diesen Typus kapuzinischer Diplomatie, in abgewandelter Form auch die Patres Valeriano Magno und Alexander von Haies, die uns als Emissäre der bayerischen auswärtigen Politik der zwanziger Jahre begegnen werden. Wenn also bei diesen Kapuzinern religiöse Hingabe und politische Geschäftigkeit gleichzeitig wirksam waren, so erwiesen die Beziehungen, die Maximilian über Jahre mit ihnen gepflogen hat, daß auch seinem Innern das Nebeneinander derartiger Strebungen nicht fremd war. Die nüchterner angelegten bayerischen Geheimräte waren allerdings über diese Affinität verschiedentlich nicht sehr glücklich. Neben Jesuiten und Kapuzinern galt die besondere Förderung des Herzogs den Franziskaner-Reformaten.136 Der seit dem späten Mittelalter existierende reformerische Zweig der Franziskaner, die Observanten, besaß am 136 Bernardin Uns, Geschichte der bayer. Franziskanerprovinz von ihrer Gründung bis zur Säkularisadon, München 1926; Bauerreiß, Kirchengeschichte VII, 64 ff.; Brandmüller, Handbuch II, § 55 {Börner)·, Hubensteiner, Barock 89 ff.; Bavaria Franciscana Antiqua, 4 Bände, München 1955-1958 (umfaßt die einzelnen Klöster sämtlicher franziskanischen Zweige); Schwaiger, Monachium Sacrum I, 107 f.
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Ende des 16. Jahrhunderts Niederlassungen in München, Landshut, Kelheim und Ingolstadt, die alle der Straßburger Provinz angehörten und die in ihrer Ordensdisziplin an sich den tridentinischen Anforderungen genügten. Als jedoch in Oberitalien ein weiterer franziskanischer Reformzweig, die Reformaten, an Boden gewann, setzte Maximilian ganz auf diese und betrieb seit 1614 deren Einführung im Herzogtum. Tatsächlich gelang es dem Visitator Antonius von Galbiato (Arrigoni), der im Jahre 1620 mit nicht weniger als vierzig italienischen Reformaten in München erschien, mit Unterstützung Maximilians bis 1622 alle bayerischen Observantenklöster den Reformaten zu übertragen; wer die Annahme der Reform verweigerte, mußte sich ein anderes Kloster suchen. 1624 errichteten die Reformaten eine weitere Niederlassung in Tölz, 1625 wurden die Reformaten und die Reformatenklöster im Herzogtum als eigene bayerische Ordensprovinz organisiert, was Urban VIII. 1630 anerkannte. Letzterer Vorgang verweist auf die kirchenpolitische Zielsetzung, die Maximilian veranlaßte, sich derart intensiv um sie zu bemühen, die bayerischen Franziskanerkonvente sollten von der Straßburger Provinz gelöst und dem eigenen Herrschaftsbereich eingeordnet werden. Die neue bayerische Provinz wurde bis 1638 von italienischen Mönchen geleitet, da sich noch zu wenige einheimische Führungskräfte fanden. Nach der Besetzung der Oberpfalz 1621 wurden die Reformaten neben Jesuiten und Kapuzinern mit der Rekatholisierung des Landes beauftragt, auch hat ihnen Maximilian in diesem Zusammenhang Niederlassungen in Amberg und Pfreimd errichtet. Da die Reformaten und ihre Seelsorge von der Bevölkerung gut aufgenommen wurden, hat er auch in der Folge Neugründungen großzügig unterstützt, Niederlassungen in Cham (1631), Stadtamhof (1638), Weilheim (1639), Dingolfing (1640), Schrobenhausen (1643) und Eggenfelden (1649) multiplizierten den Beitrag der Franziskaner zur religiösen Erneuerung Altbayerns. Andere Beiträge lieferte die asketische Ordensgemeinschaft der Paulaner, ein franziskanischer Reformzweig nach dem Hl. Franz von Paula, die Maximilian im Jahre 1629 an die Pfarrkirche in der Au bei München berief.137 Im gleichen Jahr holte er vier Unbeschuhte Karmeliter aus Prag zur Gründung einer Niederlassung in München, die er bereits nach der Schlacht am Weißen Berg unter dem Eindruck der Persönlichkeit des Karmeliters Domenico à Jesu Maria in Aussicht genommen hatte.138 Kapuziner und Franziskaner sahen ihre Aufgabe vornehmlich in der religiösen Betreuung der einfachen, verschiedentlich mit reformatorischem GeSchwaiger, Monachium Sacrum I, 108 f. »8 Ebenda I, 109 ff. 137
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dankengut in Berührung gekommenen Volksschichten, unter diesem missionarischen Aspekt sind sie auch von Maximilian gefördert worden. Welche tatsächlichen Wirkungen sie erzielten, kann unmittelbar kaum nachgewiesen werden, jedoch existieren nicht wenige indirekte Belege, Bilder, Zeichen, Gewohnheiten, Verhaltensweisen, Bräuche, die erweisen, daß die von den Mönchen vermittelten religiösen Ideale, wenn vielleicht auch vergröbert und dem Volksgeschmack angepaßt, gerade beim gemeinen Mann Widerhall gefunden haben und von ihm rezipiert worden sind.139 Dabei ist (wie bei den Beichtvätern) der Anteil nichtbayerischer, vor allem italienischer Mönche bemerkenswert, durch welche die ohnehin zahlreichen Kontakte von Land und Leuten zur Romanitas verstärkt worden sind. Daß jedoch die Mönche durch die Verbindung von Bettelexistenz und geistlicher Autorität bisher herrschende Priester- und Herrenbilder in Frage stellten, ja vom Landesherrn gerade auch wegen einer bei ihnen vermuteten „gesellschaftsverändernden Kraft" ins Land geholt worden sind, wodurch Adel und Klerus zur Revision bisheriger Lebens- und Herrschaftsauffassungen veranlaßt und die Verbindung von Fürst und Volk enger gestaltet werden sollte,140 ist kaum anzunehmen. Was die alten Orden betraf, die Benediktiner, Zisterzienser, Augustinerchorherren und Prämonstratenser, so waren diese zunächst weniger als Instrumente der Reform zu gebrauchen, als daß sie selbst der Reform bedurften.141 Hier konnten die Bemühungen Maximilians auf Initiativen seines Vaters aufbauen. Wilhelm V. hatte 1585 mit massivem Druck die Errichtung eines gemeinsamen Seminars der alten Orden in Ingolstadt durchgesetzt, das von Jesuiten geführt und beim Regierungsantritt Maximilians von rund achtzig Alumnen aus über zwanzig Konventen beschickt wurde. Von den Absolventen dieses Studienseminars (und desjenigen in DiUingen) ist in der Folge zahlreichen bayerischen Konventen beachtliche Erneuerungskraft zugewachsen und auch Maximilian hat dazugetan, diese Verbindung von jesuitischem Reformvermögen und dem vorhandenen Reformwillen innerhalb der alten Orden zu fördern.
139 Hermann Hörger, Kirche, Dorfreligion und bäuerliche Gesellschaft, München 1978, 131 f. verweist als Indi2 u.a. auf das Eindringen franziskanischer Heiliger in die Taufnamenbestände der Dörfer. 140 So Hörger, Kirche 129 ff. 141 Riemer, Geschichte VI, 261 ff.; Bauerreiß, Kirchengeschichte VII, 56 ff.; Hubensteiner, Barock 139 ff.; ßrandmüller, Handbuch II, 641 ff.; Hermann Hörger, Die oberbayer. Benediktinerabteien in der Herrschaftswelt, Gesellschaft und geistig-religiösen Bewegung des 17. Jh.s, in: STMBO 82 (1971), 7-270.
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Der Pietas Maximilians wäre unvollständig gedacht, würden nicht seine vielen Stiftungen zu kultischen, sozialen und pädagogischen Zwecken erwähnt, die über die geschilderte Förderung des Marianismus und der Reformorden hinaus sein Frömmigkeitsbild kennzeichnen.142 Wir bemerken zahlreiche Zuwendungen an Kollegien und Seminare, auch außerhalb Bayerns, eine Vielzahl von Meßstiftungen in bayerischen und außerbayerischen Kirchen bis hin zur Kalvarienkirche in Jerusalem, die einer Neustiftung gleichkommende Förderung des St. Josephsspitals in München, den Freikauf von Franziskanern aus türkischer Gefangenschaft, die Förderung des Wallfahrtswesens,143 das zunehmend marianisch orientiert und dessen liturgischer Prunk gesteigert wurde, die Ausschmückung und wiederholte Dotierung von Wallfahrtsstätten, unter denen sich Altötting, Andechs und Tuntenhausen zu Großwallfahrtsorten, auch mit ökonomischer Bedeutung, entwickelten, die Förderung eines Andachts-, Umzugs- und Reliquienwesens, an dem der Herzog selbst vorbildhaften Anteil hatte. Institutionen und Instrumente wurden gefördert, die in besonderer Weise die Häufung von Frömmigkeitsübungen zum Ziele hatten. Solche Multiplizierung hatte ein Charakteristikum der spätmittelalterlichen Frömmigkeit ausgemacht, von den Reformatoren war sie bekämpft worden, Maximilian als ein Exponent der Frömmigkeitskultur seiner Zeit hat diese geistliche Praxis für sich selbst geübt (etwa durch gehäuften Meßbesuch) und seinen Untertanen mitzuteilen gesucht. In diesem Zusammenhang ist seine Anteilnahme an den Bruderschaften bemerkenswert, also an Gebetsgemeinschaften, die neben Werken der Frömmigkeit oder Nächstenliebe zur Mehrung liturgischer Aktivitäten beizutragen suchten durch die Einrichtung besonderer und zusätzlicher Andachten, Messen, Wallfahrten, Prozessionen.144 Da die Bruderschaften sehr hohe Mitgliederzahlen aufwiesen, schienen sie besonders geeignet zur religiösen Erfassung breiterer Schichten. Maximilian hat selbst zwei Bruderschaften gegründet, die Erzbruderschaft zum Trost der Armen Seelen (1615) und die Bennobruderschaft bei der Münchner 142 Adlreiter-Vervaux III, 622 ff.; detaillierte Hinweise vor allem bei Sö/tl, Stiftungen 93 ff. und 201 ff.; Schnell, Barock; Steiner.; D e r gottselige Fürst, mit weiterer Literatur. - Lt. Verzeichnissen in Fürstensachen Nr. 568 hat Maximilian während seiner Regierung insgesamt 1 469 198 fl. Kapital für Stiftungen ausgeworfen (ohne Almosenreichnisse), davon als höchsten Einzelbetrag 260 000 fl. fur das Münchner St. Josephs-Spital. 143 Len% Kriß-Rettenbeck-G. Möhler (Hg.), Wallfahrt kennt keine Grenzen, 1984 (Lit.); Ludwig Hütt/, Marianische Wallfahrten im süddeutsch-österr. Raum, 1985. Verzeichnis der bayer. Wallfahrtsorte: Schnell\ Barock 71 ff. Z u der v o m Kloster Rottenbuch geförderten Wallfahrt auf den Hohenpeißenberg vgl. 'Rebekka Habermas, Wallfahrt und Aufruhr. Z u r Geschichte des Wunderglaubens in der frühen Neuzeit, F r a n k f u r t / M . 1991 (mit manchen Fehlern). 144 Schnell, Barock 56 ff.; Thomas Finkenstede], Krettner, Erster Katalog von Bruderschaften in Bayern, 1980; Woeckel, Pietas Bavarica 138 ff.
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Frauenkirche (1603), welche Lehrlinge und Dienstboten unterstützte. Manche Bruderschaften hatten einen berufsständischen Anstrich und verfolgten auch sozialpolitische Interessen, wie etwa die Bruderschaft der Bäckergesellen in München, die häufig in Konflikt mit der Zunft der Bäckermeister geriet. Hier hat Maximilian offenbar versucht, soziale Spannungen dadurch abzubauen, daß die religiöse Ausrichtung der Bruderschaften verstärkt wurde. Er trat selbst der Bruderschaft der Münchner Tagwerker bei, setzte sich 1622 bei Papst Gregor XV. für die Heiligsprechung des Bauernknechts Isidor ein, benannte die Bruderschaft in Isidor- und Notburgabruderschaft um und intensivierte ihre religiösen Verpflichtungen sowie die geistliche Aufsicht durch den Klerus der Peterskirche145. Es war eine bewußte Verkirchlichung und betonte Ausrichtung auf religiöse Ziele, die auch für die anderen Bruderschaften angestrebt wurde. Die Frage ist, inwieweit hierdurch soziale Konflikte und Konfliktpotentiale tatsächlich beseitigt oder jedenfalls eingeschränkt werden konnten. Im Auftrag Maximilians war der Jesuit Matthäus Rader aus dem Kreis seiner Hofhistoriographen viele Jahre mit der Abfassung von Lebensbeschreibungen bayerischer Heiliger und Seliger aus allen Jahrhunderten befaßt.146 Von Maximilian finanziert, erschien das Werk seit 1615 in vier Bänden, mit vielen schönen Kupfern des Augsburger Kupferstechers Wolfgang Kilian geziert: „Bavaria sancta et pia, Maximiliani [...] Ducis auspiciis coepta, descripta, eidemque nuncupata." Rader schrieb in lateinischer Sprache, wodurch Verbreitung und Wirkung des Textes zunächst auf die Gebildeten im Lande beschränkt wurden, wenngleich die Kupferstiche auch dem Nichtlateiner Belehrung und Besinnung schenken mochten. Das große Werk bezeugte die Absicht Maximilians, seine Zielsetzung einer religiösen Durchdringung seines Herrschaftsbereiches in den größeren Zusammenhang des Zeugnisses von Heroen christlicher Lebens- und Weltgestaltung zu stellen, sein Ziel von dorther zu legitimieren und ihm hierdurch neue Impulse zu verleihen. Diesen Bogen von der Geschichte zur Gegenwart schlug auch Rader selbst in seiner an Maximilian gerichteten Vorrede zum ersten Band: „Denn wenn Du alle Teile des bayerischen Landes überblickst, wirst Du kaum einen Ort finden, der nicht durch Monumente des Kultes und der Religion geprägt ist. Städte, Burgflecken, Märkte, Gaue, Dörfer, Felder, Wälder, Berge und Täler atmen und zeigen die katholische und alte Religion in Bayern. Alle sind voll von Steiner, Der gottselige Fürst 261. Georg Schwaiger, Bavaria Sancta, in: Oers. Bavaria Sancta I, 17 ff.; Schmid, Rader I, XXVI f. sowie Nr. 127 und 298. 145 146
11. Pietas Maximilianea
heiligen Gebäuden, weiten Klöstern, neuen Kollegien, prächtigen Kirchen, unzähligen Kapellen, Heiligtümern, Bildstöcken, Pilgerherbergen, Siechenhäusern, Heimen für Alte und Waisen [...]. Einen großen Teil des bayerischen Landes nehmen die Heiligtümer ein, so daß es Mühe bereitet, sie einzeln aufzuzählen, weil die ganze Region nichts ist als Religion — tota regio nil nisi religio."147 Das war eine Vision — es war die Vision, die Maximilian zu verwirklichen suchte und die als ein Erbe der maximilianeischen Epoche in das Zeitalter des bayerischen Barock ausgestrahlt hat.
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Übersetzung nach Steiner; Der gottselige Fürst 252 f.
12. Die Testamente „Man stilisierte seinen Abgang", hat Carl Jacob Burckhardt gelegentlich über die französische Hofgesellschaft des 17. Jahrhunderts und das Politische Testament des Kardinals Richelieu geurteilt,1 womit gemeint war, daß sich der Kardinal in der Darstellung seiner politischen Prinzipien und der Motive seines Handelns weniger schilderte, wie er war, als wie er sein wollte und von der Nachwelt gesehen werden wollte. Auch Maximilian hat im Laufe seiner langen Regierungszeit eine Reihe von Testamenten und testamentsartigen Verfugungen verfaßt oder verfassen lassen. So stellt sich auch für ihn, den Zeitgenossen und politischen Kontrahenten Richelieus die Frage, in welchem Umfang diese Schriftstücke mehr oder weniger der bloßen Stilisierung des Verfassers bzw. Auftraggebers dienten, oder nicht doch Hinweise auf konkrete politische Zielsetzungen bieten, also auf seine Persönlichkeit, wie sie war. Überblickt man die zahlreichen Quellen, die hierfür herangezogen werden können, so ist zunächst bezüglich der Testamente prinzipiell, unabhängig von den bayerischen Verhältnissen, zu unterscheiden zwischen rechtsverbindlichen Testamenten (Testamente im juristischen Sinn) und Politischen Testamenten.2 Erstere enthalten rechtsverbindliche Anweisungen zur Regelung der Sukzession, gegebenenfalls für eine vorläufige Regentschaft, Dispositionen über Legate, Stiftungen und Dotationen, Bestimmungen zur Wahrung von Rechten, Einhaltung von Verpflichtungen, Sicherung der Erwerbungen und Sammlungen und ähnliches. Das erwähnte Testament Wilhelms V. von 1597 hatte diesen Charakter besessen. Politische Testamente dagegen beinhalten zwar politisch gewichtige, aber rechtlich doch unverbindliche Ratschläge für den Sukzessor zur Führung der Staatsgeschäfte, sie sind gedacht als eine „für den Amtsnachfolger - und nur für ihn! - bestimmte Summe der politischen C.J. Burckhardt an den Verfasser, 11.8.1960. So nach der plausiblen Systematik bei Detlev Merten, Die Justiz in den Politischen Testamenten brandenburg-preußischer Souveräne, in: Staat und Parteien. Festschrift für R. Morsey zum 65. Geburtstag, hg. von K. D. Bracher u. a., Berlin 1992, 13-46. Eine andere Systematik legt zugrunde Ducbhardt, Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der frühen Neuzeit, Darmstadt 1987. 1
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Erfahrungen und eines politischen Lebens, die ihm Verhaltensnormen in bestimmten politischen Situationen an die Hand gibt, ihn zu einem wirklich 'politischen' Denken und Handeln anleiten soll."3 Von den Testamenten beider Kategorien sind zu unterscheiden die weit weniger häufigen Fürstenspiegel, die nach dem Vorbild von Erasmus von Rotterdams „Institutio Principis Christian!" und anderer das Bild des idealen christlichen Fürsten zu zeichnen versuchen.4 Je mehr sich die Macht auf die Person des Fürsten und seine Berater konzentrierte, desto wichtiger wurde es, die Machtausübung ethisch und religiös zu verankern.5 So ist 1632 im Umkreis Kaiser Ferdinands II. der habsburgische Fürstenspiegel des „Princeps in compendio" konzipiert und veröffentlich worden.6 Neben Testamenten beiderlei Genres und Fürstenspiegeln sind für unsere Fragestellung in begrenztem Ausmaß auch Erziehungsinstruktionen einschlägig, meist umfangreiche Schriftstücke, die zu Erziehung und Ausbildung der künftigen Herrscher allgemeine Maximen, wie sie in den Fürstenspiegeln niedergelegt sind, mit detaillierten Vorschriften über Lehrstoff und Lehrmittel verbinden, so in den Instruktionen Wilhelms V. für die Hofmeister und Praeceptoren Maximilians, die wir kennengelernt haben. Maximilian hat im Laufe seiner Regierung nicht wenige Texte produziert oder produzieren lassen, die den genannten Gattungen zuzurechnen sind: Instruktionen für die Erziehung seiner beiden Söhne; zahlreiche rechtsverbindliche testamentarische Festlegungen zu den Kunstsammlungen, dem Geldschatz für den Fall der Landesnot, zur Zusammensetzung und den Aufgaben der Vormünder des Thronfolgers in der Phase der Regentschaft, über Legate und Dotationen und ähnliches; weiterhin einige Politische Testamente, in denen politisches und administratives Erfahrungswissen zu Nutz und Frommen des Thronfolgers weitergegeben wird; schließlich auch Maximen und Reflexionen, welche der Sparte der Fürstenspiegel zuzurechnen sind. Dabei sind die Grenzen zwischen den einzelnen Gattungen fließend, wiederholt werden Maximen der Politischen Testamente und der Fürstenspiegel in Duchhardt, Politische Testamente 10. Rainer A. Müller.; Die deutschen Fürstenspiegel des 17. Jh.s. Regierungslehren und politische Pädagogik, in: HZ 240 (1985), 571-597; Konrad Repgen (Hg.), Das Herrscherbild im 17. Jh., Münster 1991; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 1: Reichspublizistik und Polizeywissenschaft 1600-1800, München 1 9 8 8 , 1 1 3 ff. und 342 ff. 5 Stolleis, Geschichte I, 113. 6 Neu herausgegeben von Fran^ Bosbach in: K. Repgen (Hg.), Herrscherbild 79-114. Vgl. hierzu Andreas Kraus, Das katholische Herrscherbild im Reich, dargestellt am Beispiel Kaiser Ferdinands II. und Kf. Maximilians I. von Bayern, ebenda 1-25; Konrad Rzpgen, Ferdinand III., in: A. Schindling - W. Ziegler (Hg.), Die Kaiser der Neuzeit 1519-1918, München 1990, 142-157. 3
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die rechtsverbindlichen Testamente übernommen, um deren Festlegungen gewissermaßen zu unterbauen und zu rechtfertigen. Alle diese Texte bezeugen, daß Maximilian von der Sorge umgetrieben war, die von den Vorfahren überlieferten Gerechtsame und die von ihm selbst errungenen Rechte und Besitztümer sowie die politische, territoriale und nicht zuletzt die konfessionelle Integrität seines Staates gegen jeden Zugriff, auch aus der eigenen Dynastie, zu sichern und sie unverkürzt an seinen legitimen Nachfolger weiterzugeben. Diese Zielsetzung war angesichts des hohen Einsatzes sowie der Erfolge und Niederlagen der bayerischen Politik in den Jahren zwischen Donauwörther Ereignis und Westfälischem Frieden wohl verständlich: Die politische, konfessionelle und materielle Position, die das Herzogtum innerhalb des Reiches sowie Fürst und Dynastie innerhalb des Herzogtums errungen hatten, sollten ungeschmälert erhalten bleiben. Dies war der eigentliche Inhalt aller Testamente. Hierdurch und durch ihre Einzelbestimmungen bilden sie zentrale Quellen für die Anschauungen Maximilians von Staat und Gesellschaft, Fürst und Dynastie, Politik und Konfession. Nur indirekt waren mit dieser Fragestellung die detaillierten Erziehungsinstruktionen für den 1636 geborenen Erbprinzen Ferdinand Maria und dessen 1638 geborenen Bruder Maximilian Philipp befaßt, wenngleich die sorgfaltige Erziehung der beiden gewiß auch unter dem Aspekt der reibungslosen Sukzession und der Wahrung des politischen, territorialen und materiellen Erbes gesehen werden muß. Die zwei Instruktionen vom 1. Dezember 1646 für den Hofmeister und den Praeceptor des zehnjährigen Ferdinand Maria7 übernahmen das Grundgerüst der Instruktionen Wilhelms V. für die Erziehung Maximilians, waren aber insgesamt gedankenreicher und wichen auch im Detail in einer Reihe von Punkten ab. Bei den Vorschriften zur religiösen Erziehung, die wiederum im Vordergrund standen, wurden häufige Beichte und Marienverehrung mehr als zuvor betont. Überhaupt wurde entsprechend den spezifischen religiösen Anschauungen Maximilians die Marienverehrung besonders ans Herz gelegt, wofür der Beichtvater aus dem Jesuitenorden eine Die Hofmeisterinstruktion für den Hofmeister Johann Adolf von Wolff-Metternich befindet sich in mehreren deutschen und italienischen Fassungen in Korrespondenzakten Nr. 639. Eine Ausfertigung fehlt. Druck einer der deutschen Fassungen: Schmidt, Erziehung 154-176. Keine der Fassungen ist jedoch von Maximilians Hand, wie Schmidt annimmt. Druck einer italienischen Fassung durch M. Rottmanner m SB München 1878, Band 2, 225-229. Die Praeceptorinstruktion findet sich als Entwurf von der Hand Richels sowie als Ausfertigung mit Siegel und eigenhändiger Unterschrift Maximilians ebenfalls in Korrespondenzakten Nr. 639. Druck: Schmidt, Erziehung 179-183. Beide Instruktionen wurden in Wasserburg ausgefertigt, wohin sich Maximilian mit Familie 1646 geflüchtet hatte. 7
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eigene (nicht überlieferte) Instruktion erhielt. Von körperlicher Züchtigung, die Wilhelm V. einst nicht nur erlaubt, sondern gewünscht hatte, war nicht mehr die Rede, ebenso nicht von musikalischer Erziehung, da Maximilian, obwohl im Umkreis Orlando di Lassos aufgewachsen, an Musik nicht näher interessiert war. Dagegen wurde mehr als bisher der Unterricht in künstlerischen und handwerklichen Fertigkeiten betont, der Erbprinz sollte Architektur, Malerei, Juwelenkunde, das Goldschmiede- und Stukkkaturhandwerk sowie ähnliche „medianica" so weit kennen lernen, daß er „nicht allein eins und anders mit seinen terminis technicis oder vocabularis artis nennen, sondern auch vernünftig darvon judicirn und es an statt einer recreation gebrauchen könde."8 Es ist deutlich, daß Maximilian die Kenntnis dieser Fertigkeiten wünschte, weil sie mit seinen eigenen Neigungen übereinstimmten. Im übrigen betonten die Instruktionen eine Reihe von Erziehungszielen, die den gängigen Fürstenspiegeln entnommen waren, Erziehung der Prinzen zu Wahrheit, Beständigkeit, Demut, Verantwortung vor Gott in Handhabung der Justiz, die stets mit Milde gepaart sein soll, Fürsorge für die Armen und ähnliches mehr. Eine Reihe von testamentarischen Verfügungen Maximilians bezog sich auf den herzoglichen Geldschatz oder Geheimen Vorrat. Er war, wie erwähnt, von Albrecht V. begründet worden, um im Falle äußerster Landesnot als letztes Rettungsmittel zu dienen.9 Wilhelm V. hatte die Mittel großenteils für andere Zwecke verbraucht. Maximilian hat den Bestand seit 1598 nicht nur wieder aufgefüllt, sondern trotz erheblicher Ausgaben zur Finanzierung der Liga, der Landesdefension und des Salzburger Krieges sogar um ein Beträchtliches vermehrt. Man wird mit einem Geldschatz von 4-6 Millionen Gulden zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges rechnen dürfen, genauere Angaben fehlen. Aus den testamentarischen Verfügungen seit 1612 wird der Stolz Maximilians über diese Leistung ersichtlich, die er fortzusetzen gedachte, ebenso das Bewußtsein, hiermit einen finanziellen Rückhalt zu besitzen, um gegebenenfalls „zue erhaltung und Versicherung unserer fürstenthumb und catholischer religion im reich" präpariert zu sein, also über die Grenzen des Herzogtums hinaus tätig zu werden. Maximilians Einsatz und politische Beweglichkeit in den Jahren seit der Ligagründung 1609 beruhte in starkem Maße auf diesem Bewußtsein und seinen materiellen Voraussetzungen. Hieraus ergab sich nun auch seine Sorge um den ungeschmälerten Bestand des Vorrats, weil er mit diesem seine politische und militärische Hand8 9
Schmidt, Erziehung 170. Siehe oben.Kapitel 7.
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lungsfáhigkeit jedenfalls in einem bestimmten Umfang verknüpft sah. Wenn er in dem Testamentslibell vom 29. Juli 1612 die Geschichte des Geheimen Vorrats seit Albrecht V. beschrieb,10 so hatte das vorhergehende Testamentskodizill vom 3. April 161211 die Funktion, diesen vor Vergeudung durch seinen jüngsten Bruder Albrecht zu sichern, der bei weiterer Kinderlosigkeit Maximilians die Erbfolge antreten würde, aber wegen charakterlicher Schwächen nicht als geeigneter Nachfolger angesehen wurde. So hat sich Maximilian nicht gescheut, zu diesem staatspolitischen Zweck (aber entgegen seiner bisherigen Politik einer Zurückdrängung landständischen Einflusses) den Landständen bzw. den Landschaftsverordneten weitgehende Mitspracherechte für Verwaltung und Verwendung des Vorrats zuzusprechen, was durch ein Testamentskodizill vom 30. Juli 162912 noch bekräftigt wurde. Nach der Geburt des Thronfolgers Ferdinand Maria im Jahre 1636 wurden diese Mitsprachrechte wieder kassiert. An die Stelle der Landstände trat nunmehr die hohe Bürokratie, deren Einbeziehung in eingehenden Fesdegungen der Geheimen Kammerinstruktion von 1638/48 gipfelte. Demnach sollte nach Maximilians Tod für die Zeit der vormundschaftlichen Administration ein Dreiergremium aus dem Hofkammerpräsidenten und zwei weiteren vertrauten Räten gebildet werden, das für die geheimen Finanzsachen und insbesondere für den Geheimen Vorrat zuständig war. Die vier Schlüssel zum Vorrat sollten auf den Administrator, die Kurfürstinwitwe, die Administrationsräte und das Dreiergremium verteilt werden, so daß keine der Gruppen ohne die andere über den Vorrat verfügen konnte. Der Vorgang dokumentiert den Stellenwert, den der Schatz in Maximilians finanzpolitischen, darüber hinaus in seinen allgemeinpolitischen Erwägungen besaß. Der von Gerhard Oestreich für eine bestimmte Stufe des frühmodernen Territorialstaates verwendete Begriff des „Finanzstaates"13 darf auch unter diesem speziellen Aspekt zur Charakterisierung des maximilianeischen Bayern verwendet werden. Mehreren Testamenten aus den Kriegsjahren kann dann entnommen werden, daß beträchtliche Teile der Vorratsgelder zur Finanzierung der Kriegführung dienen mußten.14 Immerhin befand sich im Jahre 1629 trotz
Hausurkunden Nr. 1587. Druck: Stieve, Finanzwesen 87-94. Hausurkunden Nr. 1586. Druck: Stieve, Finanzwesen 80 ff. sowie in Dokumente 1,3 Nr. 177. 12 Hausurkunden Nr. 1592. Vgl. auch die Disposition vom 14. Juli 1627 (Hausurkunden Nr. 1589), zitiert bei Bollinger, Finanzreform 349 Anm. 173. 13 Vgl. Kersten Krüger, Gerhard Oestreich und der Finanzstaat, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgesch. 33 (1983), 333-346. 14 Vgl. das Testament vom 3. April 1635 (Hausurkunden Nr. 1594), die Erklärung vom 1. September 1640 (ebenda Nr. 1587; Druck: Stieve, Finanzwesen Nr. 35), das Testament vom 10 11
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aller bisherigen Aufwendungen noch die enorme Summe von 2 070 000 Gulden in den Schatzgewölben.15 Auch hatte Maximilian für seine Ausgaben im böhmisch-pfälzischen Krieg, die er auf 13 Millionen Gulden berechnete, im Jahre 1628 die Oberpfalz und die rechtsrheinische Pfalz erhalten. Die hierfür ausgegebenen Vorratsgelder konnten insofern unter die Zwecksetzung des Vorrats „zu erhaltung catholischer religion im reich" subsumiert werden, als sich an die Inbesitznahme der beiden Pfalzen deren Rekatholisierung angeschlossen hatte. Nachdem Krieg und Kriegs finanzierung vorüber waren, resümierte Maximilian in dem Testamentskodizill vom 5. Juni 1650 16 noch einmal die Geschichte des Geheimen Vorrats: Er habe ihn einst vorbeugend zur Sicherung von Land, Leuten und Religion angelegt, zumal wegen der Aktivitäten der Unkatholischen schon früh zu befürchten war, „es mechte ainist zu ainem gefehrlichen religionskrieg" kommen. In den Schicksalsjahren seit 1631 sei der Vorrat für die Notwendigkeiten der Kriegführung dahingeschmolzen. Überdies habe man beim zweiten schwedischen Vormarsch 1634 nicht wissen können, „was die sachen für einen außgang gewünen und ob wir sambt den unsrigen den notwendigen undterhalt haben möchten", ob also die herzogliche Familie aus Bayern würde fliehen müssen, weshalb 900 000 Gulden in bar beim Großherzog von Toskana in Sicherheit gebracht wurden.17 300 000 Gulden habe man später wieder zurückgeholt, die restlichen 600 000, die mit fünf Prozent verzinst wurden, konnte der Großherzog bisher wegen eigener Finanzprobleme trotz Anforderung noch nicht zurückzahlen. Es ist also unsicher, welchen Bestand der Vorrat bei Maximilians Tod haben wird. Auf jeden Fall muß ein Grundstock für den Fall gemeiner Landesnot vorhanden sein. Was darüber hinausgeht, hat vor allem zur Tilgung der Schulden bei denjenigen Klöstern und Kirchen zu dienen, denen man 1634 Gold- und Silbergegenstände beschlagnahmt und vermünzt hat, dann auch bei den ärmsten und bedürftigsten Kreditoren wie Kirchen, Spitälern, frommen Stiftungen, Witwen und Waisen, die bislang keine Zinsen erhielten.18 Maximilian schließt mit der dringenden Aufforderung an seine Nachkommen, auch jetzt, im Frieden, für den Fall der Landesnot einen Geldvorrat zu sammeln und zu
1. Februar 1641 (s.u.). Eingehende Erörterungen bei Dollinger; Finanzreform 175 ff. Vgl. auch unten Kapitel 21. 15 Stieve, Finanzwesen 30. 16 Hausurkunden Nr. 1608. Druck: Dokumente 1,3 Nr. 356. 17 Vgl. B A N F 11,8 Nr. 336 Anm. 2. 18 Ähnlich auch schon im Testament vom 3. April 1635 (oben Anm. 13), zitiert auch bei Oollinger., Finanzreform 446 Anm. 211.
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bewahren, damit ihnen keine Schuld zugemessen werde, in der Verteidigung der katholischen Religion etwas versäumt zu haben, „weil die getreue catholische patrioten bekennen und das werkh selbsten bezaigt, daß die catholische religion im Römischen Reich bisher auf disen zwo seylen, nemblich unserm Curbayrischen und dem Ertzherzogischen Osterreichischen hauß bestanden und noch bestehe." Am Ende des konfessionellen Zeitalters und seines eigenen Lebens erinnert Maximilian an die Rolle und Mission der Münchner Wittelsbacher in dieser Epoche. Kaum weniger Aufmerksamkeit wie dem Geheimen Vorrat galt der Sicherung der sehr wertvollen Kleinodien des sog. Hausschatzes, der ebenfalls von Albrecht V. begründet und von Maximilian erheblich erweitert worden war.19 In einer Reihe von Dispositionen und testamentarischen Verfügungen hat Maximilian die Rechtsqualität des Hausschatzes als eines unveräußerlichen und unzertrennlichen Hausfideikommisses festgelegt bzw. bestätigt und dabei die Einzigartigkeit des Bestandes derart hymnisch beschrieben, daß seine ungewöhnliche Faszination durch Juwelen und kostbare Hölzer auch heute noch spürbar wird.20 Albrecht V. hatte bereits auch verfügt, daß die Hauptergebnisse seiner Förderung von Wissenschaft und Kunst, nämlich Hofbibliothek, Antiquarium und Kunstkammer sowie die gesamte Einrichtung der Neuen Veste ungeteilt in der Hand des jeweils regierenden Fürsten vereinigt bleiben sollten,21 Wilhelm V. hatte die Bestimmung im Testament von 1597 wiederholt. Maximilian hat nun auch seinen Nachfolger zu gleichem Verhalten aufgerufen, wobei er der Aufzählung des Erbes seine eigenen Neubauten und Sammlungen hinzufügte, also die neue Residenz, die Geheime Kammerkapelle, die Bildersammlungen in München und Schleißheim, schließlich seine Reliquiensammlung.22 Der Nachfolger sollte sich nur als zeitweiligen Nutznießer dieses Hausvermögens verstehen. Für die Reliquien, den „principal und höchsten schaz" der Dynastie, der ebenfalls auf ewige Zeiten unverändert bleiben sollte, war der Bau einer eigenen Kirche unweit der Residenz vorgesehen, um sie allgemeiner Verehrung zugänglich zu machen, jedoch
Vgl. oben Kapitel 10. Disposition vom 20. Januar 1617: Hausurkunden Nr. 1588; Disposition vom 16. März 1637: Hausurkunden Nr. 1595, Druck: SchauJ.\ Catalog. Durch das Testamentskodizill vom 5. Juni 1650 (Hausurkunden Nr. 1608, Druck: Dokumente 1,3 Nr. 356) wurde die Disposition von 1617 kassiert, diejenige von 1637 bestätigt. 21 Im Testament von 1578: Ziegler, Testament 294. 22 Disposition vom 28. Mai 1641 (Hausurkunden Nr. 1601), also in zeitlicher Nähe zum großen Testament dieses Jahres. 19
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verhinderte der Krieg die Ausführung des Projekts.23 Eindrucksvoll tritt in allen diesen Bestimmungen der Wille Maximilians hervor, eine große Tradition und ihre geistigen, kulturellen und materiellen Ergebnisse zu sichern und in die Zukunft zu verlängern. In den Jahren 1662-1663 erschien in München, wie schon erwähnt,24 in einer schönen zweibändigen Folioausgabe das große Geschichtswerk der „Annales Boicae Gentis", als dessen Verfasser der letzte Hofkanzler Maximilians Johann Adlzreiter angegeben war. In Wirklichkeit war das Werk von Maximilians letztem Beichtvater Johann Vervaux verfaßt worden. Am Ende des den ganzen zweiten Band umfassenden dritten Teiles des Werkes, der Leben und Werk Maximilians gewidmet war,25 publizierte Vervaux im Rahmen einer zusammenfassenden Würdigung Maximilians einen längeren Text mit der Überschrift „Monita paterna Maximiliani, utriusque Bavariae Ducis, S.R.I. Electoris et Archidapiferi, ad Ferdinandum, utriusque Bavariae Ducem, filium adhuc trimulum."26 Da der 1636 geborene Erbprinz Ferdinand Maria als dreijährig bezeichnet wird, können die Monita paterna auf 1639 datiert werden. Als Verfasser dieser väterlichen Ermahnungen wird aus inneren und äußeren Gründen, sicher zu Recht, ebenfalls Pater Vervaux angenommen. Warum sie zwar 1662, aber nicht noch zu Lebzeiten Maximilians veröffentlicht worden sind, wissen wir nicht. Sollten sie erst bei Volljährigkeit Ferdinand Marias bekanntgemacht werden? Kaiser Ferdinand II. hatte 1632 nichts dabei gefunden, den „Princeps in compendio" publizieren zu lassen, wenngleich wohl nur in kleiner Auflage, von der heute kein Exemplar mehr überliefert ist.27 Vor der Veröffentlichung der „Monita paterna" durch Vervaux 1662 gibt es jedenfalls nur einen einzigen, zudem nur undeutlichen Hinweis auf sie. 28 Seit ihrer Publikation sind sie aber durch eine Reihe von Nachdrukken und Übersetzungen auch einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgeworden.29 Der lehrhafte Inhalt des Fürstenspiegels, der in gehobenem Ton und Testament vom 3. April 1635: Hausurkunden Nr. 1594; Testamentskodizill vom 5. Juni 1650: Oben Anm. 20. 2" Vgl. Kapitel 10. 25 Joannis Adl^reitter a Tettenmis [-Johann Vervaux], Boicae Gentis Annalium, Pars III: Idea boni principatus ex vita, rebus gestis et virtutibus Maximiliani, München 1663. Vgl. auch oben Kapitel 10. 26 Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 614-621. 27 Vgl. Bosbach (Anm. 6), hier 79 f. 28 In Maximilians „Väterlichen Lehrstücken" von 1650, Abschnitt 14 (Dokumente 1,3, 1288). 29 Einzelheiten über Neudrucke des lateinischen Textes sowie deutsche, französische und italienische Übersetzungen bei Dollinger, Lipsius 228 ff. Die erste wissenschaftliche Ausgabe bot Schmidt, Erziehung 105 ff., der die Klassikerzitate verifizierte und im Paralleldruck den 23
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einprägsamen Sätzen die Aufgaben des christlichen Fürsten gegenüber Gott, sich selbst und den Untertanen zeichnet, mußte gerade in seiner Allgemeinheit und Zeitlosigkeit Anklang über die Zeiten finden. Normen für gute Regierung zum Wohl von Religion, Fürst und Volk konnten stets dienlich sein, zumal dann, wenn im Streit gegensätzlicher Weltanschauungen Orientierung gesucht wurde. So konnte auch noch Joseph Görres im Jahre 1825 in seinem Sendschreiben „Der Churfürst Maximilian an den König Ludwig I. von Baiern bei seiner Thronbesteigung" im Stil der Mónita paterna und in bewußter Anknüpfung an diese dem jungen König durch den Mund seines Ahnherrn hohe Ziele eines betont katholischen Königtums setzen. „Es gibt nur eine Wahrheit durch die Geschichte, ein Jahrhundert ruft sie dem andern zu, und eine Zeit verkündet sie der andern."30 Die Mónita paterna haben durch Inhalt und Verbreitung weit mehr als die späteren Testamente Maximilians das Interesse von Historikern und politischen Publizisten gefanden. Sie ließen näherhin die Frage aufwerfen, inwieweit in ihnen politische Maximen Maximilians unmittelbar zum Ausdruck kommen, oder ob sie in der Hauptsache nur eine von Vervaux zusammengestellte Sammlung aus Staatslehren und Fürstenspiegeln der Zeit bilden, die zunächst keinen unmittelbaren Rückbezug auf Maximilian gestattet. Daß dieser mit den Mónita persönlich befaßt gewesen war, ergibt sich aus der Mitteilung von Vervaux, daß der Kurfürst selbst die Niederschrift im Jahre 1639 veranlaßt habe.31 Weitere Hinweise besitzen wir jedoch nicht. Darüber hinaus hat die neuere Forschung nachgewiesen, daß die Mónita paterna größtenteils eine Kompilation aus staatstheoretischen Schriften vorhergehender Jahrzehnte bilden, die ihrerseits manche Anleihen aus der älteren Fürstenspiegelliteratur und antiken Schriftstellern aufgenommen haben. Heinz Dollinger hat als Vorlage der Mónita und als Quelle, aus der Vervaux ausgiebig geschöpft hat, das Werk des bedeutenden niederländischen Staatstheoretikers Justus Lipsius „Politicorum sive civilis doctrinae libri sex" (1589) gese-
Text einer deutschen Übersetzung des 17. Jh.s bot. Auf Schmidts lateinischem Text beruht der Druck in Dokumente 1,3 Nr.317. 30 In der Zeitschrift „Katholik" 5 (1825), 219-249; Neudruck in Joseph Görres, Schriften der Straßburger Exilszeit 1824-1827. Aufsätze und Beiträge im „Katholik", hg. von H. Raab (Gesammelte Schriften 14), Paderborn usw. 1987, 102-116. Vgl. auch Hein^Gollmt^er, Vom Funktionswandel polirischer Traditionen. Zum Bild Kf. Maximilians I. und Tillys in der bayer. Überlieferung, in: Festgabe für M. Spindler zum 90. Geburtstag, hg. von A. Kraus, Band 2, München 1984, 51-80, hier 63 f. 31 „[...] mónita, quae ad fìlium sui Ferdinandi natu maioris probam institutionem iussit in Chartas referti, cum ille triennium nondum excessisset, eidemque adolescentiam ingresso proponi atque explican" (Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 613).
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hen,32 einer systematischen Schrift über die „prudentia civilis", die Staatsklugkeit. Sie fand jahrzehntelang weite Verbreitung und Beachtung, weil sie auf der Grundlage eines christlich gefärbten Neustoizismus lehrte, daß Staatsraison und Tugend keine unüberbrückbaren Gegensätze seien — Lipsius zählte zu den bedeutendsten Anti-Machiavellisten der Epoche. Dagegen hat Kurt Malisch als Ausgangspunkt der Mónita paterna die „Politicorum libri decern" (1620) Adam Contzens bezeichnet, also die Staatslehre von Maximilians Beichtvater zwischen 1624 und 1635, dem Vervaux auch persönlich nahestand.33 Vervaux' Aufgabe und Leistung sei es gewesen, aus der zum Vorbild gewählten Staatslehre seines Mitbruders die für seine Zwecke — die Erstellung eines politisch-ethischen Regelkanons — geeigneten Elemente formaler wie inhaltlicher Art auszuwählen. Dadurch seien vereinzelt auch Gedankengänge des Lipsius, die bei Contzen enthalten waren, in die Mónita paterna gelangt. Im übrigen habe sich Vervaux im Aufbau der Abhandlung an den nach jesuitischem Erziehungsideal untrennbaren Zusammenhang von Pietas et Virtutes, Frömmigkeit und Tugenden, gehalten, womit er zugleich der mehrfach bezeugten Vorliebe Maximilians für das Thema der vier Kardinaltugenden entsprach. Im Unterschied zu solchen Auffassungen lehnte es Andreas Kraus ab, die Gedankengänge der Mónita paterna auf einen Gewährsmann allein oder hauptsächlich zurückzuführen; vielmehr sei „die ganze umfassende Ideenwelt, die sich aus antikem Denken, aus mittelalterlichem Glauben und aus humanistischem Ethos speist, als mittelbarer oder unmittelbarer Hintergrund anzunehmen; Tacitus und Seneca, Livius und Cicero, Thomas von Aquin, Erasmus von Rotterdam, Justus Lipsius, Bellarmin und Mariana, Botero, selbst Machiavelli gehören in die Reihe der Zeugen oder Vorbilder."34 Man wird den Mónita paterna diese Ahnenreihe gewiß zuschreiben, ebenso auch dem gleichzeitigen habsburgischen Fürstenspiegel des „Princeps in compendio" (1632),35 und doch dabei bleiben können, daß einer von ihnen, nämlich Contzen, von Vervaux in besonders intensiver Weise herangezogen worden ist.36
Dollinger, Lipsius 235 ff. Zu Lipsius vgl. Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547-16o6). Der Neustoizismus als politische Bewegung, Göttingen 1990; Bireley, Counter-Reformation Prince 72 ff.; Weber,; Prudentia 104 ff. 33 Malisch, Absolutismus 45 ff. 34 Kraus, Herrscherbild 2. 35 Zum „Princeps in compendio" vgl. oben Anm. 6. 36 So auch Seils, Staatslehre 210 ff. 32
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Im übrigen ist deutlich, daß die Mónita nicht in erster Linie auf Ferdinand Maria zielen,37 als vielmehr auf Maximilian selbst, und zwar als Darstellung dessen, wie er sein wollte, wie er die Prinzipien seiner Regierung nach vierzig Jahren gesehen wissen wollte. Allerdings wäre diese Zwecksetzung noch deutlicher durch eine Veröffentlichung des Textes zur Zeit seiner Entstehung zutage getreten. Es ist aber nicht auszuschließen, ja sogar anzunehmen, daß Maximilian bereits am Ende der dreißiger Jahre, als er nach den Anschauungen der Zeit bereits ein Greis und weit älter war als sein Schwiegervater Ferdinand II. bei dessen Tod 1637, sein Lebensende nahe fühlte und sowohl die Mónita paterna als auch das große Testament von 1641 aus der Erwartung eines baldigen Regierungswechsels erwachsen sind. Es ist bezeugt, daß er im Jahre 1640 so schwer erkrankt war, daß am Kaiserhof mit seinem baldigen Tod gerechnet worden ist.38 Wie aber wollte Maximilian von der Nachwelt gesehen werden? Es ist weniger ein individuelles, als vielmehr das traditionelle Bild des christlichen Fürsten, das er zeichnen ließ, in den überlieferten Topoi der Staatsphilosophen sah er sein Herrscherideal am besten ausgedrückt. Es ist der fromme, die Gottesfurcht in seinem Lande fördernde, die Kirche schützende, ihre Rechte achtende, religiöse Neuerungen unterbindende Fürst, der weiß, daß die Macht der Fürsten von Gott stammt und ihm gegenüber zu verantworten sein wird; es ist der Fürst, der seine Leidenschaften zu bändigen weiß durch Vernunft, Geduld und Milde, der in dieser Mäßigung den Untertanen Vorbild ist und sie zu vernünftiger Lebensführung anleitet; es ist der Fürst, der sich selbst an das Recht hält und Gerechtigkeit übt, nicht in erster Linie strafend, sondern jedem zu seinem Recht verhelfend. Denn der Fürst muß wissen, daß die beste Sicherung seiner Herrschaft in der Zufriedenheit der Untertanen besteht. „Gar gefahrlich und schädlich ist es einem regenten", heißt es in einer zeitgenössischen Ubersetzung der Mónita, „wan ihn seine underthonen hassen, welches auf forcht, geiz, strengheit und angethaner schmachen ihren Ursprung nimbt; dann unzeitige und zu harte straff bringet schröckhen und Vgl. auch Stolleis, Geschichte I, 115 f.: „Freilich haben die Fürstenspiegel wie die deutschsprachigen Politiken nur eine geringe Breitenwirkung [...]; ob sie wirklich öfter gelesen oder gar der Prinzenerziehung zugrundegelegt wurden, darf man für die Mehrzahl der Fälle wohl anzweifeln." 38 Vgl. Kaiser Ferdinand III. an Erzhg. Leopold Wilhelm, 29.4.1640: Wien, Habsburgischlothring. Familienarchiv, Familienkorrespondenz, Schachtel 11, Konvolut I, fol. 28: Hat gewisse Nachricht, daß des Kurfürsten von Bayern Liebden „mit solchem schwehren Leibszustand behaftet sein, das ob wohl es sich etwoh auf eine weil damit bessern möchte, doch der Medicorum sorg und mainung nach sie [Maximilian] denselben wegen auf sich habenden hohen Alters nit lang mehr dürfte übertragen khönnen" (Freundl. Mitteilung von Frau Dr. Bierther). 37
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angethane schmach macht räch."39 Auch hüte sich der Fürst vor Zorn, werde im Glück nicht übermütig, sei stets freigebig, ohne zu verschwenden, verschulde sich nicht. Wichtig sind erfahrene, kenntnisreiche und rechtschaffene Räte, die niemandem sonst verpflichtet sind und ihren eigenen Vorteil nicht suchen. Im Krieg entstanden, sprechen die Mónita schließlich auch vom Krieg: „Bellum optimum, quod nullum." Am besten ist es, keinen Krieg zu führen, wie diejenigen bezeugen können, die einen fuhren mußten. Allerdings gibt es denkbare Kriegsgründe: Der Schutz der Religion vor allem, die Treuepflicht gegenüber dem Kaiser, Bündnispflichten, der Schutz der Untertanen „und das ienige recht, so nit änderst als durch die waffen erhalten werden kan." Aber auch hier gilt nach Cicero: „Bella pacis studio gerenda sunt — Krieg soll man führen aus lieb und begierd des fridens." Von Landständen und deren Rechten ist in den Mónita nicht die Rede, ganz selbstverständlich wird davon ausgegangen, daß Amtsauftrag und Amtsführung dem Fürsten allein zukommen. Dennoch erwecken die Mónita nicht den Eindruck, vom absolutistischen Fürsten zu handeln, absolutistisches Herrschertum begründen oder rechtfertigen zu wollen. Im Gegenteil ist fortwährend von der Beschränkung des Fürsten die Rede, eben von seinen Pflichten gegen Gott, sich selbst und nicht zuletzt gegenüber den Untertanen. Dies heißt, daß die Tradition der jesuitischen Staatslehre mit ihrer Ablehnung tyrannischer, ungesetzlicher Herrschaft von Vervaux voll in die Mónita paterna eingebracht wird, wenn er auch (in den Fußstapfen Contzens) nicht mehr den Anschauungen seines Ordensbruders Suarez folgt, daß gegen ungerechte Herrschaft Widerstand der Untertanen gerechtfertigt sei. Nur von den schädlichen Folgen ungerechter Herrschaft wird gesprochen. Fragt man nach dem Erkenntniswert der Mónita für das Persönlichkeitsbild Maximilians, so wird man würdigen, daß dieser offensichtlich mit dem Herrscherbild, wie es Vervaux gezeichnet hat, einverstanden war und sich mit diesem Ideal identifizierte, zumal er vielleicht Einfluß genommen hat auf die Formulierung dieser und jener Passage: So wollte er gesehen werden, so wollte er gerne sein. Dieser Akt der Identifizierung erlaubt gewiß bestimmte Rückschlüsse auf ihn und seine Ideale. Jedoch wird es wenige Fürstlichkeiten dieser Zeit gegeben haben, die im Vervaux'schen Fürsten nicht auch ihr Ideal gesehen hätten. Eben hierin liegt die Begrenzung des Quellenwerts der Mónita: Sie sind zu allgemein, zu typisierend, zu stilisierend, als daß sie mehr als einen allgemeinen, wenngleich im ideologischen Bereich aussagekräftigen Hintergrund bieten würden. Für den konkreten Maximilian und seine spezifi3« Schmidt, Erziehung 134.
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sehen Anschauungen und Ziele ist daher als Quelle weit ergiebiger die Reihe der Testamente, die sich von dem großen Testament des Jahres 1641 bis zur „Geheimen Information" des Sommers 1651 wenige Tage vor seinem Tod erstreckt. Die nach Umfang und Inhalt bedeutendste testamentarische Verfugung Maximilians war das rechtsverbindliche Testament vom 1. Februar 1641, das nach dem Krieg wegen der veränderten Umstände durch das Testamentskodizill vom 5. Juni 1650 noch ergänzt worden ist.40 Es entstammte der Zeit des Regensburger Reichstags von 1640/41, bei dem Maximilian auf Ausgleich zwischen den Kriegsparteien drängte, weil er von der Fortsetzung des Krieges für das Reich eine militärische Katastrophe und für sich selbst den Verlust seiner wichtigsten Erwerbungen befürchtete. „Wir stienden je lenger je mer an", ließ er damals dem Kaiser mitteilen, „und weren auch in ansehung unserer posteritet und erben, mit welchen uns der Allmechtig gesegnet, in unserm hochen alter nit unbillich sorgfeltig und perplex, wie doch aus disem labyrinth und gar zu fest vertieften calamiteten endlich zu kommen sein mechte."41 Die politische Situation, sein eigenes hohes Alter, die Geburt der Söhne Ferdinand Maria (1636) und Maximilian Philipp (1638), wodurch nach Jahrzehnten endlich unmittelbare Erben vorhanden waren, veranlaßten Maximilian zur Regelung dynastischer Hauptfragen und zu vermächtnishaften Erörterungen. Am 16. Februar 1641 nachmittags zwei Uhr versammelte er in der Ratsstube der Geheimen Kanzlei seine wichtigsten Räte um sich, Donnersberg, Kurz, Hohenwaldeck, Fugger-Kirchberg, Haslang, Ottenburg und Mändl (Richel war beim Reichstag in Regensburg) sowie den Notar Philipp Hartmuth. Maximilian hatte ein großes, mit einer weiß-blauen Kordel durchzogenes und mit neun Holzkapseln versehenes Pergamentlibell in der Hand, das auf 1. Februar 1641 datiert war. Er eröffnete den Anwesenden, daß er bereits einmal (1635) ein Testament verfaßt, dieses aber zugunsten eines neuen, in dem Libell enthaltenen Testaments wieder kassiert habe. Er forderte die sieben Zeugen auf, die Unterzeichnung des neuen Testaments durch ihn Testament vom 1.2.1641: Hausurkunden Nr. 1598, Druck: Dokumente 1,3 Nr. 322 (gegenüber dem Abdruck bei Duchhardt, Politische Testamente, verbessert); Testamentskodizill vom 5.6.1650: Hausurkunden Nr. 1608, Druck: Dokumente 1,3 Nr. 356. Vom 28. Mai 1641 datieren drei weitere, begrenzteren Themen gewidmete Testamente: a) Verringerung des Hofstaats nach Maximilians Tod, b) wie es nach Maximilians Tod bezüglich „aller Consultationen, Relationen, Resolutionen, Expeditionen und Exemtionen gehalten werden soll", c) Disposition über den Geh. Vorrat (alles Originalausfertigungen mit eigenh. Unterschrift und Siegel Maximilians: Korrespondenzakten Nr. 636/2). 41 Instruktion für Herwarth, 11.2.1641, zitiert bei Bierther, Reichstag 79 Anm. 47. 40
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selbst durch Unterschrift und Siegel zu authentisieren, und wies den Notar an, über den ganzen Vorgang ein Instrumentum publicum aufzurichten. Dann unterschrieb er das Testament mit eigener Hand, ließ in die erste Kapsel sein großes Sekretsiegel eindrücken und forderte die Zeugen zu gleichem auf. Als dies geschehen war, bestätigte der Notar den gesamten Vorgang. Das Testament war in den vorhergehenden Jahren im Zusammenwirken Maximilians mit Richel und Mändl formuliert worden.42 Erste Vorarbeiten lassen sich bereits für das Jahr 1637 nachweisen, offenbar veranlaßt durch die Geburt des Thronfolgers Ferdinand Maria im Jahr zuvor, jedoch muß auch die erwähnte schwere Erkrankung Maximilians im Jahre 1640 Veranlassung gegeben haben. Ein erster Komplex des Testaments traf Bestimmungen über Primogenitur und Fideikommiß, die Kurwürde und die beiden Pfalzen. Ein zweiter bestätigte die Hausverträge und Dotationen zugunsten der Kurfürstin Maria Anna. In einem dritten Hauptteil wurde der Kurprinz Ferdinand Maria als Universalerbe eingesetzt und mit mannigfachen Ratschlägen zu guter Regierung versehen. Da er aber gegenwärtig noch minderjährig war, wurden in einem vierten Hauptteil detaillierte Bestimmungen über Pflichten und Rechte der Vormünder und Administratoren niedergelegt. Ein ebenfalls umfangreicher fünfter Teil diente ausschließlich der Bestätigung und Befestigung des Testaments durch Zeugen und Notar. Diese Themen zeigen, daß wir es mit einer Mischung aus rechtsverbindlichem Testament, Politischem Testament und Fürstenspiegelzu tun haben, wenngleich ersterer Charakter im Vordergrund steht. Einige Punkte sind zur Kennzeichnung Maximilians von besonderem Interesse, wenngleich — oder weil — sie teilweise Bekanntes wiederholen und bekräftigen. Wiederum geht es um Bestandssicherung und -tradierung, „nachdem Wir durch sonderbare genad Gottes nunmehr ein zimbliches alter erreicht". Wiederum wird als wichtigstes Staatsziel die Erhaltung der alleinseligmachenden römisch-katholischen Religion bezeichnet, bei der die Vorfahren getreu verharrten und die Nachkommen mit gleicher Standfestigkeit verbleiben sollen. Großen Wert legt Maximilian darauf, daß seine territorialen Erwerbungen dem ererbten Fideikommiß des Herzogtums Bayern inkorporiert werden, die Herrschaften Mindelheim, Heidenheim, Winzer, Mattighofen und die sog. Degenbergschen Güter, vor allem aber Oberpfalz und rechtsrheinische Unterpfalz, wobei ihm nicht sicher scheint, die entlegene Unterpfalz auch wirkEntsprechende Unterlagen finden sich in Korrespondenzakten Nr. 636/2. Ebenda Anweisung Maximilians für Richel vom 20.5.1641, bei dem zum Reichstag in Regensburg weilenden Kaiser Ferdinand III. die kaiserliche Konfirmation des Testaments zu erlangen. Später beschwerte sich Maximilian, hierfür 400 fl. Taxe bezahlen zu müssen. 42
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lieh behaupten zu können. Daß die mühsam erworbene und verteidigte Kurwürde auch von den Erben behauptet werden muß, ist selbstverständlich. Die Einnahmen aus Ober- und Unterpfalz bestimmt Maximilian ausschließlich zur Abzahlung der Staatsschuld; im Laufe seines langen Lebens habe er nur einmal Schulden gemacht, eben zur Finanzierung der Eroberung der beiden Pfalzen, wie er mit Befriedigung vermerkt. Die weitläufigen Ermahnungen des Testaments an seinen Erben Ferdinand Maria hat Maximilian dem Vokabular der Mónita paterna oder anderer Fürstenspiegel entnommen. Der künftige Regent wird aufgefordert, im ganzen Land Gottesfurcht zu verbreiten, den Untertanen mit gutem Beispiel „öffentlich vorzuleuchten", schleunige und unparteiische Justiz und gute Polizei zu üben. Er soll sich guter Ökonomie zur Beseitigung der Kriegsschäden und Abtragung der Schulden befleißen, sich allen Luxus' und Uberfluß' enthalten, da als fürstliche Hauptregel gilt „ne sumptus censum superent." Auch handelt der gute Fürst nie voreilig und unbedacht, vielmehr stets mit dem Rat vertrauter Diener, von denen er nur wenige, erprobte, nicht zu junge zu den Staatsgeschäften heranziehen sollte. Das waren allgemeine Weisheiten, eben dem Bild des idealen Fürsten von 1639 entsprechend. Aus dem Munde eines Mannes, der manche ihrer Forderungen in langer Regierung praktiziert hatte, besaßen sie aber Gewicht. Erfahrung spiegelte sich auch in der Mahnung an den Nachfolger, mit Kaiser, Papst und Nachbarn gute Vertraulichkeit zu halten, insbesondere mit dem Erzhaus Österreich, und mit dem Kaiser nicht nur als Reichsoberhaupt, sondern auch als nahem Verwandten. Daß Maximilian selbst die Beziehungen zum Hause Hasbsburg durch Mißtrauen und Eigenwilligkeit wiederholt schwer belastet hatte und noch weiter belasten sollte, stand auf einem anderen Blatt. Ein Niederschlag eigener Politik war schließlich auch die Mahnung, mit ausländischen Potentaten, insbesondere mit katholischen Königen — also mit Spanien, denn mit Frankreich befand man sich im Krieg; oder war Frankreich doch auch gemeint? — die bisherige gute Freundschaft fortzusetzen „und sich gegen inen, so weit es die obligation gegen dem Römischen Reich und dessen Oberhaupt zuelast, also comportirn und verhalten, daß sie ine und das haus herwider zu respectirn und zu aestimirn ursach haben." Der Hinweis auf die reichsrechtlichen Verpflichtungen war keine bloße Floskel, sondern entsprach einem fundamentalen Grundsatz in den auswärtigen Beziehungen Maximilians und war auch eine Reminiszenz an die Bedeutung des Problems bei den bayerisch-französisschen Bündnisverhandlungen 1629/31. Ein guter Teil des Testaments war Erörterungen über Vormundschaft und Administration gewidmet, die bei Minderjährigkeit des Thronfolgers im Erb-
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fall eingerichtet werden mußten. Die Penibilität und Sorge Maximilians, nichts dem Zufall zu überlassen, tritt in diesen Passagen besonders deutlich vor Augen. Als möglichen Vormund benennt er an erster Stelle seinen jüngsten Bruder Herzog Albrecht als den nächsten volljährigen weltlichen Agnaten, in zweiter Linie seinen zweitjüngsten Bruder Erzbischof Ferdinand von Köln, dann seinen Neffen Herzog Albrecht Sigmund, den zweiten Sohn seines Bruders Albrecht, schließlich seinen Neffen Herzog Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg, den Sohn seiner Schwester Magdalena. Als Obervormund soll Kaiser Ferdinand III. figurieren, der sich hierzu in Erinnerung an die Vormundschaft Wilhelms V. über seinen Vater Ferdinand von Steiermark schon bereiterklärt hat. Da nach Reichsrecht nur ein einziger Vormund zulässig ist, kann die Kurfurstin-Witwe in Reichssachen nicht als Mitvormund tätig werden, doch soll der bestellte Vormund in diesen Materien stets mit Rat und Konsens Maria Annas handeln. Darüber hinaus soll die Kurfürstin für innerbayerische Sachen explizit die Position eines Mitvormundes übernehmen, ohne dessen Zustimmung nicht regiert werden kann. Diese Bestimmung hatte die Kurfürstin selbst durchgesetzt,43 doch sah Maximilian hierin wohl auch eine gewisse Kontrolle seines Bruders Albrecht, gegen den er, wie erwähnt, manche Bedenken hatte. Tatsächlich sollte die Kurfürstinwitwe in den Jahren der Administration nach Maximilians Tod den Gang der bayerischen Politik nachhaltig bestimmen. Auch gegenüber den Landständen sah das Testament Sicherungen vor. Wie erinnerlich, waren die Stände in früheren Bestimmungen über den Geheimen Vorrat durch Mitspracherechte an Vorkehrungen gegen Herzog Albrecht beteiligt worden. Seit der Geburt Ferdinand Marias hatte sich jedoch eine neue Situation ergeben, so daß die Landschaft nicht mehr benötigt wurde, ihre Mitwirkung wurde seither wieder zugunsten der Dynastie und nunmehr vor allem auch der hohen Bürokratie beseitigt. Darüber hinaus suchte Maximilian zu verhindern, daß die Stände den Regierungswechsel als Einfallstor landständischen Forderungen benützten. Daher wurde der Administrator angewiesen, die Erbhuldigung durch die Landschaft nicht auf einem Gesamtlandtag, sondern rentamtsweise vorzunehmen. So bezeichnet das Testament von 1641 eine wichtige Station in dem langgestreckten Vorgang der zunehmenden Ablösung von den Ständen vom ersten Landtag Maximilians im Jahre 1593/94 bis zur letzten Verfügung über die Stände vom Sommer 1651. Den Gewinn aus diesem Wandel heimste die hohe Bürokratie ein,
« Vgl. unten Kapitel 31.
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sie sollte nach Maximilians Willen die bestimmende Kraft neben den fürstlichen Administratoren werden. Im zeitlichen und thematischen Zusammenhang mit dem Testament von 1641 (und den Mónita paterna von 1639!) stand Maximilians Geheime Kammerinstruktion für die Hofkammer in der Zeit der Vormundschaft und Administration nach seinem Tod. Sie war 1638 erlassen worden und wurde bis 1648 fortgeschrieben.44 Die Instruktion war wohl von Mandl entworfen worden und bezog sich, entsprechend Verfasser und Adressat, ausschließlich auf finanzpolitische Probleme. Ihr Kennzeichen war, daß sie der Hofkammer bzw. ihrem Präsidenten (also Mändl) erheblichen Einfluß auf die Entscheidungen der Vormundschaftsregierung einräumte; die durch die Instruktion vorgesehene Bildung eines Dreiergremiums für geheime Finanzsachen und dessen Mitwirkung an der vormundschaftlichen Administration wurde bereits erwähnt. Im übrigen schreibt Maximilian der Hofkammer und den Administratoren auch hier einen strikten Kurs des Sparens und der Schuldentilgung vor, wobei er in bekannter Manier auch vor kleinlicher Knickrigkeit nicht zurückscheut, so in der Anweisung, die Rückzahlung des Heiratsgutes seiner ersten Gemahlin Elisabeth an die lothringischen Verwandten zu verzögern, weil auch die Lothringer einst die Mitgift erst im Laufe von 22 Jahren, zuletzt in schlechter Münze, beglichen hätten. Neun Jahre nach dem großen Testament von 1641 hatte sich durch den Westfälischen Frieden die allgemeine Situation so sehr verändert und hatten sich auch manche Anschauungen Maximilians so weit gewandelt, daß das Testament gewisser Korrekturen bedurfte. Diese wurden durch das Testamentskodizill vom 5. Juni 1650 vorgenommen,45 das der Kurfürst mit nunmehr greisenhafter Schrift und Unterschrift unterzeichnete: „Das herinnen unser lester will und mainung begriffen, bezeugen wür hiemit mit unser aigen hand. Maximilian m.p."46 Die nun ganz in bayerischer Hand befindliche Herrschaft Wie44
Druck: Dokumente 1,3 Nr. 315. Z u Inhalt und Stellenwert vgl. auch Dollinger, Lipsius 268 ff. Zur allgemeinen Kammerinstruktion von 1640, welche diejenige von 1617 ersetzte, vgl. ebenda Anm. 87. 45 Hausurkunden Nr. 1608; Druck: D o k u m e n t e 1,3 Nr. 356 (Auszug). 4(5 Mit eigenhändigem Rückenvermerk: „Wür von Gottes gnaden Maximilian Churfiirst, Bekhennen hiemit in khrafft diser unser aigner Handschrift, das wür in disem verschloßnen libell unser in A. 1641 eingerichter verschlossen Testament in etlichen Puncten mehrer erleuttert und in etlichen gar verendert haben. Derowegen ist auch unser entlicher will und befelch, das alles was in disem mit unserm anhangenden insigl bekhrefftigem [!] libell beriffen [!], nach unserem tötlichem absterben so wol als das Testament in den unverenderten puncten in gebärende obacht genomen und vollzogen werden solle. Geschehen zu München den zehenden [!] Junii 1650."
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sensteig wurde jetzt dem Hausfideikommiß zugeschlagen, fur die Herrschaft Heidenheim, die durch den Friedensschluß an Württemberg gefallen war, schuldete der Kaiser einen großen Betrag, der zur Schuldentilgung verwendet werden sollte. Offensichtlich fühlte sich Maximilian durch die kriegsbedingten Kapitalaufnahmen und Schulden, die seiner vor dem Krieg praktizierten Finanzpolitik so sehr widersprachen, fast traumatisch belastet, immer wieder spricht das Kodizill von notwendiger Abtragung der Schulden und Reduzierung des mit ihnen verbundenen „fressenten wurmbs der zünsungen." Laut Friedensinstrument (IPM § 17) sollte die Oberpfalz beim Aussterben der Wilhelminischen Linie wieder an die Pfalz zurückfallen, wobei den wittelsbachischen Allodialerben eine Entschädigung zustand. Maximilian versäumte den Hinweis nicht, daß dann die 13 Millionen Gulden zu fordern seien, die er dem Kaiser 1628 für die Oberpfalz bezahlt hatte. Starb auch die Ferdinandeische Linie aus, so sollte nach Abzahlung der noch vorhandenen Schulden vom verbleibenden Rest eine Filiale der römischen „Congregado de Propaganda Fide" in Deutschland finanziert werden. Weiterhin hatte Kaiser Ferdinand III. durch Vertrag von 1638 zur Abgeltung bayerischer Forderungen eine Anwartschaft auf das oberitalienische Herzogtum Mirandola verliehen. Sollte diese Exspektanz verkauft werden, durfte der Erlös allein zur Verringerung der Kriegsschulden verwendet werden, ebenso wie alle Nettoeinnahmen aus den Hällingischen Salzgefällen, den Herrschaften Mattighofen, Winzer, Mindelheim und Wiesensteig sowie den Degenbergschen Gütern, die bisher alle zur Auffüllung des Geheimen Vorrats gedient hatten. Es ging um die Liquidierung des Krieges in jenem Teilbereich, in dem Grundauffassungen Maximilians besonders berührt waren, daß nämlich die Reputation des Fürsten in dem Wohlhausen bestehe und er sich daher auch aus allgemeinpolitischen Gründen nicht verschulden dürfe. Um die Liquidierung von Kriegsfolgen ging es weiterhin in bemerkenswerten Passagen, die den Landständen gewidmet waren. In den schwierigen Jahren seit dem schwedischen Einfall von 1632 war Maximilian im Interesse der Kriegsfinanzierung mehrere Male rigoros über landständische Rechte hinweggegangen, durch Kontrolle und dann Beschlagnahmung der Landschaftskasse sowie durch Ausschreibung von Steuern mit dem Gipfel der Sondersteuer des „Neuen Aufschlags." Jetzt, im Jahre 1650, gestand er ohne Umschweife ein, daß diese Steuer „wider sowol geistlicher als weltlicher persohnen, orden oder communiteten privilegia oder immunitates, dem vorigen herkhommen zuwider" allein aus höchster Kriegsnot eingeführt worden sei, „und wir sonsten dieselbe nit vorgenommen noch dessen fueg und recht gehabt hetten." So werden die Erben aufgefordert, in Zukunft Land und Leute nicht mehr „wider gebür und ire privilegia (so gegen Gott nit zu verantworten were)" zu beschwe-
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ren. Diese Entschuldigungen waren in articulo mortis zweifellos ernst gemeint, sie sollten nicht nur „den Abgang stilisieren". Die Frage war allerdings, wie eng oder weit Maximilian die Privilegien der Landstände interpretierte. Ein weiterer Hauptteil des Kodizills von 1650 galt Fragen der Vormundschaft und Administration nach dem Tode des Kurfürsten. Schon im Testament von 1641 hatte Maximilian die Befugnisse des Administrators durch das Mitentscheidungsrecht der Kurfürstin Maria Anna in inerbayerischen Angelegenheiten eingeschränkt. Dort (und ebenso in der Geheimen Kammerinstruktion von 1638) war am Rande und ohne Spezifizierung auch von Administrationsräten die Rede gewesen. Jetzt wurde diese Einrichtung institutionalisiert und in ihren Kompetenzen umschrieben und damit in ihrer Bedeutung erheblich gehoben. Neben den bisherigen zentralen Ratsgremien wurde ein eigener Vormundschafts- und Administrationsrat eingerichtet. Er bestand aus den engsten Mitarbeitern Maximilians, dem Obersthofmeister Kurz von Senftenau (der die Direktion des Gremiums erhielt), Vizekanzler Adlzreiter, Hofmarschall Haslang, Hofkammerpräsident Mändl und dem Hofmeister des Erbprinzen, WolffMetternich, von denen keiner einem anderen Fürsten oder der Landschaft mit Eid und Pflichten verbunden sein durfte. Administrator, Kurfürstinwitwe und Administrationsrat mußten einvernehmlich handeln, auch bei eventueller Ergänzung des Administrationsrates; keiner der genannten Administrationsräte durfte von Administrator und Kurfürstinwitwe abgedankt werden. Für den Fall des vorzeitigen Todes von Kurz hatte Maximilian bereits in verschlossenem Umschlag den Namen des Nachfolgers in der Direktion niedergelegt. Er nahm also in diesen Passagen sehr deutliche Rücksicht auf die hohe Bürokratie, ja diese selbst hat durch Mändl Einfluß auf die testamentarischen Entscheidungen des greisen Kurfürsten genommen, um das Erbe in seinem Sinne zu sichern, im Eventualfall auch gegen die Dynastie. Bestimmungen über die Dynastie bildeten schließlich einen weiteren Hauptteil des Testamentskodizills (abgesehen von Fragen des Geheimen Vorrats, des Hausschatzes, der Bibliothek, der Kammergalerie und der Reliquien, die bereits erörtert wurden). Es ging um den jüngeren Sohn Maximilian Philipp, seine Erziehung und Ausbildung bei Hof, um Deputate und eventuelle Heirat. Er sollte nach Maximilians Tod die Landgrafschaft Leuchtenberg erhalten, die Maximilian seinem Bruder Herzog Albrecht im Frühjahr 1650 abgekauft hatte.« Vertrag vom 18.3.1650; Druck: Dokumente I, 3 Nr. 355. Die Grafschaft Haag sollte Herzog Albrecht bis zu seinem Tode nutzen können, anschließend dessen beide Söhne Maximilian Heinrich, Koadjutor von Köln, und Albrecht Sigmund, Koadjutor von Freising, beide ebenfalls auf Lebenszeit. 47
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Von dem Kurprinzen Ferdinand Maria ist in dem Testamentskodizill nur hinsichtlich seiner Verehelichung die Rede, da sich bezüglich der Erbfolge seit dem Testament von 1641 nichts geändert hatte und für ihn gleichzeitig (oder fast gleichzeitig, jedenfalls noch im Jahre 1650) eine eigene testamentarische Verfügung ausgestellt worden ist, die „Treuherzigen väterlichen Lehrstücke".48 Sie waren vom Hofkammerpräsident Mändl entworfen worden, den Maximilian eben zum Mitglied des Administrationsrats bestimmte, neben Kurz von Senftenau sein engster Mitarbeiter in diesen letzten Jahren, die vor allem der Beseitigung der Kriegsschäden gewidmet waren. Mändls Werk war eine Mischung aus Politischem Testament und Fürstenspiegel, denn er hatte sich in seinem Konzept in starkem Maße an den habsburgischen „Princeps in compendio" angelehnt. Angesichts dieses Vorbildes stellen die „Lehrstücke" in weiten Passagen etwas plakativ wiederum den idealen Fürsten vor Augen, der für Religion, Wohlstand, Sicherheit und Justiz im Lande sorgt, fleißig und vorbildhaft ist: „Ingestalten die eiferige arbeitsame potentaten und fürsten den prennendten kerzen recht verglichen werden, welche sagen khünnden: aliis lucendo consumor."49 Die Lehrstücke zeichnen aber nicht nur den idealen Fürsten an sich, sondern auch den idealen Fürsten in der Perspektive der Räte, wie ihn sich die Räte wünschen: Nicht ohne Rat der Räte handelnd, besonders der alten und bewährten; Umsicht bei der Auswahl der Räte beweisend; Schmeichler zurückweisend, Angebern nicht vertrauend; Mitteilungen der Räte mit Verschwiegenheit behandelnd; sich ausländischer und besonders welscher Diener möglichst enthaltend. Auch wenn die „Lehrstücke" von Maximilian durch Unterschrift als persönliches Vermächtnis für den Kurerben beglaubigt sind, scheinen in diesen Passagen doch die Ansichten des Hofkammerpräsidenten Mändl stark durchzuschlagen — die Ubereinstimmung der Auffassungen hatte ihn ja auch zur Vertrauensperson des Kurfürsten werden lassen. Diese Übereinstimmung gilt nicht zuletzt auch für den oft zitierten Satz der „Lehrstücke", daß vom Fürsten „sonderlich die vires und mid als nervus rerum agendarum, augendarum et conservandarum wol in acht zu nemmen" seien. Dagegen treten in den folgenden Passagen über die „Treuherzige vätterliche lehrstuck, erinner- und ermahnungen, welche unser freundtlicher lieber söhn und CurErb bei antret- und fiehrung seiner khünftigen landtsfurstlichen regierung wol in acht zunemen, offt zulesen und sich darnach zurichten hat." Druck: Dokumente 1,3 Nr. 357. Konzept von der Hand Mändls in Hausurkunden Nr. 639. Etwas erweiterte Reinschrift von Schreiberhand mit eigenh. Unterschrift Maximilians und Datierung „1650" ebenda, dort auch Rückenvermerk von der Hand Maximilians: „Instruction für Unsern öltern Sohn und künftigen CurErben." Zum Ganzen vgl. auch Dollinger, Lipsius 257 ff.; Malisch, Absolutismus 39 ff. 49 Daß dieser häufig Maximilian zugeschriebene Satz bereits einen alten und verbreiteten Topos darstellt, zeigt Dollinger, Lipsius 259 Anm. 79. 48
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Landstände vor allem Gedankengänge Maximilians selbst entgegen, wie sie uns schon aus früheren Äußerungen bekannt sind, aber nunmehr einen entschiedeneren Ton angenommen haben. Die Landstände, sagt Maximilian, haben die Tendenz, ihre Privilegien auszuweiten und sich neue zu verschaffen. Dem hat er aber von Beginn seiner Regierung an nicht nachgegeben, „sonder wir haben sye in die schranckhen der bilüchkheit, gebürenden respects und gehorsambs gebracht und darin erhalten, welches als ein sonderbares secretum gubernationis eines landtsfüersten vor allem wol zu beachten und mit vleissiger angelegenheit darob zuhalten." So soll auch Ferdinand Maria bedacht sein, der Landschaft keine neuen Privilegien zu gewähren, „sonder sein landtsfiirstliche superiorität, hochheit, recht und interesse erhalten." Doch dürfen die bisherigen rechtmäßigen Privilegien der Landschaft nicht ohne Grund geschmälert werden. Der alte Maximilian hat in seinem letzten Lebensjahr 1650/51 durch eine Serie von nicht weniger als vier testamentarischen Verfügungen sein Haus zu bestellen gesucht, die Häufung der Testamente spiegelte die Unruhe des Mannes wider, angesichts eines minderjährigen Thronfolgers allen Eventualitäten möglichst vorzubauen. So folgte dem Testamentskodizill und den „Väterlichen Lehrstücken" des Jahres 1650 am 13. Mai 1651 noch die „Notwendige treuherzige Information" für die Gemahlin und den Kurprinzen Ferdinand Maria, ein Politisches Testament.50 Mehr als die Hälfte des Textes besteht aus finanzpolitischen Ratschlägen, wie sie sich aus jahrzehntelangen Erfahrungen eines auf diesem Felde besonders interessierten und versierten Fürsten summierten, praktische und vernünftige Regeln zum Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben, Rechnungslegung, Geldvorrat, Geheimhaltung in Finanzsachen, Bedeutung erprobter Beamter. Man hat mit guten Gründen
50 „Nothwendige treuherzige Information und Erinerungen, welche unser herzliebste Gemahlin und CurErb bey khünfftiger fiehrung der landtsfüirstlichen regierung fleißig in acht zunemmen und in stettiger gedechtnus zu haben." Ausfertigung von Schreiberhand mit eigenh. Unterschrift Maximilians in Hausurkunden Nr. 1465. Druck: Dokumente 1,3 Nr. 358. Die Ausfertigung trägt den Rückenvermerk Maximilians: „Dise treuherzige und notwendige erinderung und information ect. solle unsere Herliebste [!] gemahlin und Churfrt. in fürung der landtsfüirstlichen regierung fleißig in acht haben und stettiger gedächtnuß behalten." - Bezüglich der Reihenfolge halte ich mich an die zweifelsfreien Datierungen der „Väterlichen Lehrstücke" auf 1650 und der „Information für die Gemahlin und den Curerben" auf 13. März 1651. In einem gewissen Widerspruch hierzu wird bereits in den „Lehrstücken" von einer „sonderbaren Instruction fur unsere herzliebste Gemahlin und CurErben" gesprochen, von der ein (nicht erhaltener) Extrakt den „Lehrstücken" beigelegt worden sei. Ob diese Instruktion einen ersten Entwurf der „Information" bildete oder sogar mit ihr identisch war, konnte nicht geklärt werden.
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angenommen,51 daß auch diese Passagen (und vielleicht die gesamte „Information") von Mändl verfaßt worden sind, dessen Sachkenntnis hier gefragt war. Er mußte auch daran interessiert sein, daß bestimmte finanzpolitische Spielregeln, die sich in seiner Zusammenarbeit mit Maximilian ausgebildet hatten, auch für die Zeit der Administrationsregierung und danach in Geltung blieben - und ebenso auch sein eigener Einfluß. Die Kurfurstin Maria Anna als Mitglied der Administrationsregierung und der Kurprinz, der im Jahre 1654 volljährig wurde, sollten offensichtlich auf eine bestimmte Finanzpolitik und deren Träger eingeschworen werden, was auch durchaus im Interesse Maximilians lag. Gleichzeitig sollten wohl auch weitere Barrieren gegen eventuelle finanzielle Eskapaden Herzog Albrechts errichtet werden.52 Neben dem Finanzwesen handelt die „Information" von den Landständen, wobei einiges aus den „Lehrstücken" wiederholt wird, aber dann auch Einzelheiten — bezeichnenderweise wiederum überwiegend finanzieller Thematik — angesprochen werden. Die Mahnung lautet auch hier, begründete landschaftliche Jura zwar zu respektieren, aber Weiteres nicht zuzugestehen. Insbesondere betonen Maximilian/Mändl, daß die Erträgnisse von Landsteuer, Aufschlag und Neuem Aufschlag den Landständen „nur als Administratorn und Verwaltern" überlassen seien, um mit ihnen zentralen finanziellen Erfordernissen von Fürst und Herzogtum nachzukommen. Deswegen seien die Landschaftsverordneten auch schon seit vielen Jahren zu jährlicher Rechnungslegung über die Landschaftskasse gegenüber dem Herzog verpflichtet. Kein Testament Maximilians ohne Bezugnahme auf Religion und Kirche! In der „Information" wird sie in bezeichnender Weise kombiniert mit dem Hinweis auf den Nutzen der herzoglichen Kirchenhoheitsrechte für die Religion. Die durch das Konkordat von 1583 verbürgten Kirchenhoheitsrechte waren es, welche den Herzögen gestattet hatten, sich mit der von den geistlichen Oberen nicht selten vernachlässigten Kirchenreform zu befassen. „Dahero dan nothwendig, daß solche Concordata in guete obacht genohmen, und denen zu abbruch den Ordinarien neuerung einzufiehren khaines weegs verstatt werde." Das Selbstverständnis Wilhelms V. und Maximilians, in der Geschichte der Katholischen Reform einen gesicherten Platz einzunehmen und daher den Bischöfen mit Ansprüchen entgegentreten zu können, kommt hier unverhüllt zum Ausdruck. Am Ende der „Information" aber werden noch einmal die Administrationsräte, „so bei der Landschafft nit interessiert",53 ins Spiel gebracht, also jene Gruppe um Kurz von Senftenau und 51 52 53
Dollinger, Lipsius 265. Betont ebenda 169 ff. Eigenh. Zusatz Maximilians.
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Mändl, die schon in den vorhergehenden Testamenten herausgehoben worden war. Die Kurfurstin und der Kurprinz werden aufgefordert, den vertrautesten Räten bisweilen die Lektüre der „Information" zu gestatten, damit diese „mit ihrem gueten rhat, erinderungen und assistenz iren pflichten gemeß desto besser assistiren und concurriren mögen." Deutlicher konnte der dem Tode nahe Maximilian seine Familie nicht verpflichten, sich des Rates und der Mitwirkung der hohen Beamtenschaft zu bedienen. Die letzte der testamentarischen Verfügungen Maximilians wandte sich erneut an Ferdinand Maria, wiederum ein Politisches Testament. Es war die nicht sehr umfangreiche „Eigenhändige geheime Instruktion", welche auf den Sommer 1651, wenige Wochen vor Maximilians Tod, zu datieren ist.54 Sie handelt wiederum, und zwar ausschließlich und mit noch größerer Entschiedenheit als bisher, von den Landständen und erweist damit erneut die Bedeutung, die Maximilian diesem Thema für die Zeit der Administration und für die Regierung seines Nachfolgers zugeschrieben hat: Die Erfahrung zeigt, daß die Landstände ihre Privilegien auszuweiten und in die fürstliche Souveränität einzugreifen suchen. Sie sind aber nur Verwalter der ihnen mit Vorbehalt überlassenen Geldmittel. Wenden sie diese nicht für das Gemeinwohl an, ist der Fürst berechtigt, über sie hinwegzugehen, so 1612, als er erstmals Rechnungslegung forderte, so 1634, als er gegen den Willen der Landstände in höchster Landesnot den Neuen Aufschlag einführte, so 1639, als er ebenfalls in großer Kriegsnot eine weitere Sondersteuer ausschrieb. „Zumahlen in dergleichen nothfahlen ein Landesfürst ihres willens nit vonnöthen, sonderen sich seiner landesfürstlichen superioritaet zu gebrauchen und mehrers die conservation, heyl und wolstand seiner landen als deren stände unnöthige difficultaeten und bedencken in acht zu nemmen hat." Maximilian hatte außer dem bemerkenswerten Hinweis auf seine Souveränität auch noch eine weitere Rechtfertigung zur Hand, gewissermaßen als Summe seiner Regierungserfahrungen: Wenn die Landstände erkennen, daß der Fürst die Sachen versteht und gut regiert, tun auch sie das ihre, dann bedarf es keiner besonderen Privilegiengewährung von fürstlicher Seite, um ihre Hilfe zu gewinnen. So rechtfertigt Maximilian sein Verhältnis zu den Landständen während eines „Weyl. des Durchleuchtígisten Churfürstens Maximiliani Primi höchstseeligister gedächtnuss eygenhändige geheimbe Instruction von anno 1637 [!], besonders die landständ und deren privilegien betreffend": Universitätsbibliothek München Cod. ms. 698, fol. 248-252; Druck: Dokumente 1,3 Nr. 359. Der Text ist überliefert in einer Abschrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jh.s, auch die Überschrift wurde, wie ersichtlich, erst nach Maximilians Tod formuliert. Der Text gibt zweifellos Gedankengänge Maximilians wieder, doch muß offenbleiben, ob die Vorlage des Kopisten tatsächlich von Maximilian selbst geschrieben war. Zur Datierung „nach März 1 6 5 1 " s. Oollinger; Lipsius 273 f. 54
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halben Jahrhunderts in der Hauptsache durch zwei Momente: Die Souveränität des Fürsten und seine Leistung für den Staat. Testamente haben eine bestimmte Funktion und daher auch eine bestimmte, begrenzte Thematik. Dennoch bieten sie auch in dieser Begrenzung Hinweise auf Schwerpunkte und Prioritäten in den politischen Zielsetzungen des Testierenden, jedenfalls Politische Testamente, die sich nicht mit bloßen Erbverfügungen begnügen. Läßt man den Fürstenspiegel der Mónita paterna beiseite, so heißen Maximilians Schwerpunkte, wie sie sich aus seinen Testamenten ergeben, Religion, Finanzen, Landstände und Bürokratie. Dies sind innenpolitische Themen, von Außenpolitik ist nicht oder kaum die Rede. Wie selbstverständlich steht dabei die religiöse Thematik jeweils an erster Stelle, die nachdrückliche Mahnung zu striktem Festhalten an der alten Kirche und zur Durchdringung des Landes und seiner Bewohner mit den Anschauungen und den Kultformen dieser Kirche. Maximilian selbst hatte die Jahrzehnte seiner Regierung rigoros unter diese Verpflichtung gestellt. Auch wenn er aus mannigfachen Anzeichen erkennen konnte, daß das Zeitalter des Konfessionalismus, zu dessen hervorragenden Exponenten er gehört hatte, seinem Ende entgegenging, sah er für seinen Nachfolger keine Veranlassung, jedenfalls im Herzogtum Bayern von diesem Prinzip abzuweichen. Weiterhin waren zentrale Abschnitte und eingehende Erörterungen der Testamente evociert von Maximilians traumatischem Erlebnis der schweren Staatsverschuldung durch den Vater und die jahrelange Mühsal der Schuldentilgung, aber auch von der Befriedigung über die Erfolge seiner Finanzpolitik bis hin zur Ansammlung eines bedeutenden Kriegsschatzes. Ebenso wie die Religionsproblematik ist auch die Fortsetzung der finanziellen Konsolidierung des Staates sein zentrales Anliegen, denn sie allein verleiht jene Unabhängigkeit, welche fürstliche Souveränität im Inneren garantiert und politische Handlungsspielräume nach Außen eröffnet. Hier spannt sich ein Bogen gleichbleibender Anschauungen von dem finanzpolitischen Credo des Jahres 1598 über Friedens- und Kriegszeiten bis zu den Jahren der Kriegsliquidierung und des Wiederaufbaues, der dann in der Hauptsache eine Aufgabe seines Nachfolgers sein würde. Die wiederholte eingehende Erörterung des Verhältnisses zu den Landständen erweist, daß diese Frage für Maximilian noch am Ende einer Regierungszeit von Gewicht war, die doch geprägt war von sukzessiver Zurückdrängung landständischen Einflusses zugunsten der landesfürstlichen Gewalt. Die Testamente erwecken den Eindruck, daß Maximilian, der seine landständische Politik fortwährend mit fürstlicher Superioritas und eigener Leistung
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rechtfertigte, sich über die künftige Rolle der Landschaft unter seinem Nachfolger nicht völlig sicher war, weshalb er warnte und Sicherungen benannte. Die wiederholte Mahnung, die (persönlichen) Privilegien der Landstände nicht anzutasten, entsprang wohl nicht nur seinem Rechtsgefühl, sondern auch der Sorge, die Stände (welche in England eben den König aufs Schaffott gebracht hatten) nicht zu reizen, sie vielmehr durch eigene Legalität an legales Verhalten zu binden.55 Auch die wiederholte Mahnung an die künftigen Administratoren und den Thronfolger, für geheime Sachen nur Räte heranzuziehen, die den Ständen nicht verpflichtet seien, deutet auf die Sorge, nicht Tore zu einer möglichen Renaissance ständischen Einflusses zu öffnen. Eine solche Sorge bestand gegenüber dem hohen Beamtentum nicht. Vielmehr erweisen die Testamente die sehr große Bedeutung, die Maximilian einem effektiven und loyalen Beamtentum — dessen Heranbildung eine seiner Leistungen gewesen war - für die Fortsetzung seines Werkes zugeschrieben hat. Wenn der Beamtenschaft ein wesentlicher Anteil an der Ausbildung des frühmodernen Staates zuzuschreiben war, dann mußte ihr Beitrag auch für dessen Konsolidierung nach den Erschütterungen von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft durch den langen Krieg unerläßlich sein. Überhaupt - dies war die Entwicklung gewesen, die sich ebenfalls in den Testamenten spiegelte — hatte dem Zurücktreten der Landschaft der Bedeutungszuwachs des hohen Beamtentums korrespondiert, bis hin zu der sehr starken Position, die ihm Maximilian im Rahmen der vormundschaftlichen Administration bestimmte. Dieses Beamtentum sollte freilich strikt eingebunden bleiben in das System des Fürstenstaates. Es sollte dem Staatsinteresse dienen, das für Maximilian am besten durch den Fürsten und durch jene fürstliche Unabhängigkeit verbürgt schien, die eben im Westfälischen Frieden als „ius territorii et superioritatis" definiert worden war. Durch Fürst und Bürokratie (vom Heer ist nicht die Rede) sollte der Bestand des bayerischen Staates in den kommenden Zeiten gesichert werden. Insoweit bestätigt die bayerische Entwicklung unter Maximilian die Tendenz der neueren Forschung über den frühmodernen Territorialstaat,56 anstelle eines dualistischen, auf Fürst und Landstände begrenzten Herrschaftsmodells ein dreipoliges, die hohe Bürokratie mit einschließendes Modell zu verwenden.
Vgl. auch Oollinger, Finanzreform 92 sowie unten Kapitel 38. Vgl. etwa James A. Vann, Württemberg auf dem Weg zum modernen Staat 1593-1793, Stuttgart 1986; 'Lan^inner, Sozialstruktur; Wolfgang Weber, „Ein vollkommener fürstlicher Staats-Rath ist ein Phoenix". Perspektiven einer polit. Ideengeschichte der hohen Beamtenschaft, in: ZHF 21 (1994), 221-233. 55
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Der Regierungswechsel des Jahres 1598 im Herzogtum Bayern vollzog sich vor dem Hintergrund tiefgreifender und weitreichender Veränderungen auf der europäischen Bühne. In Westeuropa beendete der Friede von Vervins vom 2. Mai 1598 die langjährigen Auseinandersetzungen zwischen Spanien und Frankreich, die Vormacht der Gegenreformation in Europa sah sich zum Einlenken gezwungen, wenige Monate später ist Philipp II. von Spanien gestorben. Bereits 1588 war die spanische Seemacht durch die Niederlage der Armada erheblich geschwächt worden. Im Zusammenhang damit sahen sich die Spanier 1607/09 veranlaßt, den Krieg mit den nördlichen Niederlanden durch einen zwölfjährigen Waffenstillstand zu unterbrechen. Die Frage war, inwieweit diese Vorgänge bereits Indikatoren eines zwar allmählichen, aber unaufhaltsamen Niedergangs der spanischen Großmacht und der mit ihr verbundenen politischen und konfessionellen Zielsetzungen bildeten, oder ob es den Spaniern doch noch gelang, ihre starke Position und ihre Ansprüche in Westeuropa und Italien im Wesentlichen zu behaupten. Die Antwort hing nicht zuletzt von den weiteren Entwicklungen in Frankreich ab. Dort hatte König Heinrich IV., dem Paris eine Messe wert gewesen war, nicht nur den Frieden mit Spanien geschlossen, es war ihm auch gelungen, die französische Monarchie im Innern zu befrieden. Durch das Edikt von Nantes vom 13. April 1598, das den Hugenotten Religionsfreiheit gewährte, wurde die Epoche der französischen Religions- und Bürgerkriege beendet. Frankreich schickte sich an, unter der Führung eines erstarkten Königtums erneut eine aküve Außenpolitik zu betreiben. Sie mußte in erster Linie die Interessen der Spanier, aber doch auch diejenigen des Kaisers berühren, da sich die beiden Linien des Hauses Habsburg in einer zwar wechselnd engen, aber grundsätzlich doch konstanten Interessengemeinschaft befanden. Mit dem Kaiser war auch das Reich von den neuen französischen Aktivitäten berührt, darüber hinaus auch durch die Tatsache, daß die konfessionellen Gegensätze unter den deutschen Reichsständen von den Franzosen als Ansatzpunkte ihrer antihabsburgischen Politik genutzt werden konnten. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 hatte das konfessionspolitische Ringen im Reich nur vorläufig in kompromißhaften Formen beendet. Dies
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13. Konstellationen und Probleme um 1600
betraf insbesondere das Schicksal der geistlichen Fürstentümer oder Hochstifter.1 Deren Fortexistenz war zwar grundsätzlich durch den Geistlichen Vorbehalt gesichert, demzufolge die Fürstbischöfe bei einem Konfessionswechsel auch ihre weltlichen Herrschaftsrechte verloren, womit eine Säkularisierung ihrer Territorien ausgeschlossen bleiben sollte. Jedoch war der von den Protestanten nie anerkannte Vorbehalt bereits für eine Reihe von Hochstiftern in Norddeutschland verletzt worden, diese wurden von protestantischen Administratoren verwaltet und zum Protestantismus überführt. Die katholische Seite hat nicht nur die Rechtmäßigkeit dieser Säkularisierungen und Protestantisierungen bestritten, sondern auch den Anspruch der Bistumsadministratoren zurückgewiesen, Sitz und Stimme ihrer Vorgänger in den Reichsversammlungen zu behalten. Verschärfend in diesen Auseinandersetzungen wirkte die Tatsache, daß sich innerhalb des evangelischen Lagers eine Spaltung vollzog zwischen einem gemäßigten Luthertum unter der Führung Kursachsens und den relativ wenigen, aber aktivistischen reformierten Reichsständen, die in den Religionsfrieden nicht eingeschlossen worden waren, unter der Führung der Pfälzer Kurfürsten. Die Reformierten verfolgten offensichtlich das doppelte Ziel einer entschiedenen Verstärkung der reichsständischen Positionen gegenüber dem Kaisertum und der Freistellung der Religionsausübung in den geistlichen Territorien. Von diesen Entwicklungen waren auf katholischer Seite besonders die bayerischen Herzöge berührt, die eben unter Albrecht V. und Wilhelm V. sich als die entschiedensten Vertreter von Katholischer Reform und Gegenreformation im Reich erwiesen. In dem Gegensatz zwischen den beiden Linien des Hauses Wittelsbach, den Münchnern und den Heidelbergern, verkörperten sich also große antagonistische Tendenzen des Zeitalters, im Kölner Krieg 1583 standen sie sich erstmals offen gegenüber. Der Kölner Krieg bezeichnete den Punkt, an dem die katholische Partei im Reich erstmals „der ungeheuren Machtverschiebung"2 entgegentrat, welche die protestantischen Reichsstände durch die Säkularisierung zahlreicher norddeutscher Hochstifter und landsässiger Klöster und Stifter hinsichtlich der konfessionspolitischen Situation im Reich seit dem Religionsfrieden bewirkt hatten. Die Katholiken unter Führung Bayerns und unterstützt von Spanien und dem Papsttum stießen in der Auseinandersetzung um Kurköln auf den Pfalzgrafen Johann Casimir, der seit 1583 die Kurpfalz in betont reformierte Bahnen und an die Spitze der protestantischen Bewegungspartei im Reich führte und die Verbindung mit dem französischen Eike Wolgast, Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648, Stuttgart 1995. 2 Μοήζ Ritter, Der Ursprung des Restitutionsedikts, in: HZ 76 (1896), 62-102, hier 63. 1
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und niederländischen Kalvinismus suchte. Sein Nachfolger Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz (1592-1610) setzte diese Linie fort. Jedoch trafen die Pfälzer und die „Konfoederierten", wie sich ihre Gruppierung bezeichnete, fortan zunehmend auf den Widerstand der katholischen Reichsstände, der allerdings noch eines sammelnden Mittelpunkts bedurfte, da Kaiser Rudolf II. diese Rolle nicht übernehmen wollte oder konnte. Moriz Ritter hat die Jahre nach dem Kölner Krieg als „die Epoche der Sammlung der katholischen Streitkräfte und einer dem weiteren Fortschreiten der protestantischen Macht erfolgreich entgegengesetzten Defensive" bezeichnet und die Frage gestellt, „ob die katholischen Reichsstände mit Wissen und Willen in jener Epoche, da sie die Verteidigung führten, auch bereits den künftigen Angriff, wie er in Gestalt des Restitutionsedikts [von 1629] unternommen wurde, vorbereiteten?"3 Damit war zunächst ein allgemeines Problem angesprochen, das sich aber auch jedem Biographen Maximilians für diese Periode stellt, und nicht zufällig hat es Ritter unternommen, die allgemeine Frage auch aus der Biographie Maximilians zu beantworten — in der Reichspolitik des künftigen Führers der katholischen Partei mußten Bausteine für eine Antwort zu finden sein. Wenn Ritter dabei in Widerspruch zu Thesen Felix Stieves über die Zielsetzungen Maximilians geriet, so ist doch die daraus entspringende Forschungskontroverse der Erörterung des Problems sehr dienlich gewesen. In seiner Geschichte der Protestantischen Union hatte Ritter bei der Schilderung der Anfänge Maximilians festgestellt, daß sich dessen reichspolitische Ziele aus denjenigen Ideen ergeben hätten, welche seiner Erziehung, der Politik seiner Vorgänger und den Bestrebungen der anderen katholischen Reichsstände zugrundelagen, „Ideen, welche in ihren weitesten Konsequenzen auf eine unabsehbare Reduktion der protestantischen Macht nach Maßgabe der katholischen Auslegung des Religionsfriedens, ja schließlich auf die Vernichtung des Protestantismus selbst hinwiesen."4 Die innere Regierung Maximilians während der ersten zehn Jahre seiner Herrschaft, von der Regierungsübernahme bis zur Besetzung Donauwörths 1607 oder der Gründung der Katholischen Liga 1609, sei wesentlich nur als Kräftesammlung für eine solche Politik anzusehen. Dieser These hatte Felix Stieve, neben Ritter der beste Kenner der Epoche, widersprochen: Wenn Maximilian auch gewünscht habe, künftig eine hervorragende Stellung unter den Reichsfürsten einzunehmen, so habe es ihm zunächst doch ferngelegen, sich an der Spitze der katholischen Stände der protestantischen Aktionspartei entgegenzustellen Ritter, Restitutionsedikt 64 f. Morii Ritter> Geschichte der deutschen Union 1598-1612, 2 Bände, Schaffhausen 1867-1873, hier Band 2,1, 183. 3
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und eben hierfür die notwendigen Kräfte zu sammeln. Angesichts der Hinterlassenschaft Wilhelms V. habe er zunächst für Ordnung im Staate zu sorgen gehabt. „Vor allem aber fehlte dem jungen Fürsten noch das Verständnis für die Bedeutung des Zwiespalts zwischen den kirchlich-politischen Parteien des Reiches und damit die Voraussetzung und der Antrieb für eine über die Grenzen Baierns hinausgehende, groß angelegte Politik."5 „Lediglich oder überwiegend die territorialen Interessen" hätten dem jungen Herzog die leitenden Gesichtspunkte gegeben. Es ist bemerkenswert, daß Ritter in der Folge in einem zentralen Punkt seine Auffassung beibehalten, in weiteren Punkten aber Stieves Anschauungen übernommen hat.6 Ritter verblieb bei seiner Auffassung - zu Recht - , daß Maximilian von Anfang an von einem tiefen Gegensatz zwischen den Religionsparteien im Reich ausgegangen sei. Er habe die Machterweiterungen der Protestanten seit dem Religionsfrieden als eine Folge von Rechtsbrüchen angesehen, die nach Möglichkeit zu revidieren seien, und er habe der protestantischen Seite das letztliche Ziel der Vernichtung der katholischen Konfession im Reich zugeschrieben, dessen Realisierung durch Zusammenschluß der katholischen Stände verhindert werden müsse. Ritter räumte jedoch ein, daß dieser scharfen Lagebeurteilung entsprechende Handlungen des jungen Fürsten bis zum Jahre 1607 nicht oder kaum entsprochen hätten; eine Führungsrolle in der katholischen Partei habe er nicht sich, sondern dem Kaiser oder den geistlichen Kurfürsten zugeschrieben, denn es habe nicht in seiner Natur gelegen, sich vorzudrängen oder sich mit „zweifelhaften Zukunftsplänen" abzugeben. Ritter konzedierte sogar, daß bayerisch-territoriale Interessen die Politik Maximilians zunächst überwiegend — wenn nicht allein — bestimmt hätten und seine innere Politik der Jahre 1598-1607 ihren nächsten Zweck in sich selber getragen habe. Ohne Zweifel hat Maximilian bereits in jungen Jahren die konfessionspolitische Situation im Reich unter zwei Hauptaspekten als unbefriedigend und revisionsbedürftig eingeschätzt. Überaus deutlich war ihm die Machtverschiebung seit dem Religions frieden durch die Hochstiftssäkularisationen, die auf das Konto lutherischer Reichsstände gingen. Ebenso deutlich war ihm die neuere Dynamik der reformierten Reichsstände als „eine erhebliche Bedrohung für das Augsburger Friedenssystem des Reiches."7 Dabei mochte die negative Einschätzung der kurpfalzischen Politik auch durch das traditionelle Stirn, Donauwörth 57 f.; Stieve in BA V, 39 f. Μοπ'ζ Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges, Band 2, Stuttgart 1895, 219 f.; Rj'tter, Restitutionsedikt 68 Anm.l. 7 Winfried Schulde, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert: 1500-1618, Frankfurt a.M. 1987,169. 5 6
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Konkurrenzverhältnis der Münchner Wittelsbacher zur Heidelberger Linie verstärkt werden. Wie dem auch sei: Wenn sich Maximilians Situationsanalyse am Augsburger Religionsfrieden in seiner katholischen Interpretation orientierte, mußte er Gegenwart und Zukunft als für die Katholiken bedrohlich empfinden. Daß in dieser Lage kein Jota vom (allerdings mehrdeutigen) Wordaut des Religionsfriedenes einschließlich des Geistlichen Vorbehalts gewichen werden dürfe, konnte Maximilian bereits der Politik seines Vaters, den konfessionspolitischen Maximen seines Lehrers Fickler und den reichsrechtlichen Deduktionen Andreas Erstenbergers entnehmen, auch sein Beichtvater Gregor von Valencia muß ihn hierin bestärkt haben. Es fehlte ihm gewiß nicht an der Einsicht, wie Stieve vermutete, jedoch hat er aus dieser Einschätzung noch nicht die Folgerung einer den Pfalzern ähnlichen aktivistischen Reichspolitik gezogen. Die innenpolitischen Probleme des bayerischen Staates, insbesondere die schwere Staatsverschuldung und die notwendige Staatsreorganisation gestatteten dies nicht, wobei Maximilians Maxime, den zweiten Schritt nicht vor dem ersten zu tun, die Zurückhaltung noch verstärken mochte. „Es mangelt mir nit allein an den necessariis requisitis zu einer solchen wichtigen sach," äußerte er noch 1606 zum Vorschlag einer katholischen Bundesgründung unter bayerischer Führung, „sondern an der autoritet".8 So stand die innere Staatsarbeit zunächst durchaus im Vordergrund, von der Türkenfrage abgesehen. Dies hinderte Maximilian allerdings nicht, auf den Reichsversammlungen der Epoche seine grundsätzliche Position zu markieren und seine konfessionspolitischen Grundsätze auszusprechen, deren Realisierung, nahm man sie so ernst, wie sie formuliert wurden, auf einen offenen Machtkampf mit den Protestanten hinauslaufen mußte.
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Bayerisches Memoriale für Kurköln: BA V, 783.
14. Türkenkrieg, Landesdefension, Zurückhaltung in der Reichspolitik Die Expansion des Osmanischen Reiches entlang Donau und Drau, die im Jahre 1529 bis vor die Tore Wiens gelangt war, war ein großes Thema der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gewesen, aber mit dem Waffenstillstand von Adrianopel 1568 hatten sich die Verhältnisse einigermaßen stabilisiert. Innere Schwierigkeiten und fortwährende Auseinandersetzungen mit Persien hinderten die Türken für über zwei Jahrzehnte an größeren Unternehmungen an der Militärgrenze in Ungarn, so daß der Waffenstillstand mehrfach verlängert werden konnte, zuletzt im Jahre 1590. Nach dem türkisch-persischen Frieden von 1592 entflammte aber bereits seit diesem Jahr ein neuer großer Türkenkrieg im Südosten des Reiches.1 Damit standen Kaiser und Reich, Territorialfürsten, Stände und Untertanen erneut vor einer Bedrohung, die seit je als elementar empfunden, wenn wohl auch in den letzten Jahrzehnten verdrängt worden war. Eine rasch aufschießende Publizistik suchte jetzt diese Bedrohung wieder ins öffentliche Bewußtsein zu bringen, als „Aufeinanderprall zweier völlig divergierender Kulturen, kontroverser Religionen und unterschiedlich strukturierter Gesellschaftsordnungen".2 An dieser Publizistik hatte auch Maximilians ehemaliger Praeceptor und nunmehrige bayerische Hofrat Johann Baptist Fickler Anteil.3 In mehreren Schriften, die vielleicht nicht ohne Zutun Maximilians erschienen sind, rief er die Reichsstände zur Abwehr der Türken auf und ermutigte sie hierzu. Es 1 Jan Paul Niederkorn, Die europäischen Mächte und der „Lange Türkenkrieg" Kaiser Rudolfs II. (1593-1606), Wien 1993, der jedoch auf die Türkenpolitik der Reichsstände nicht eingeht. 2 Winfried Schulde, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jh. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978, 27; "Ritter.; Geschichte II, passim. Für die bayerische Politik vgl. BA IV, 212 ff. und BA V, 241 ff.; Riemer, Geschichte V, 35 ff.; Josef Karl Mayr, Die Türkenpolitik Erzbischof Wolf Dietrichs von Sabburg, in: MGSL 52 (1912), 181-244 und 53 (1913), 193-354; Peter Claus Hartmann, Der bayer. Reichskreis im Zeichen konfessioneller Spannungen und türkischer Bedrohung. Die Zeit der letzten Regierungsjahre Hg. Wilhelms V. (1594-1598), in: ZBLG 60 (1997), 599-616. 3 Vgl. Steinruck, Fickler 221 f. und 293 f.; Schulde, Reich und Türkengefahr 45, 49 ff., 56 (Fickler war jedoch nicht Theologe).
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14. Türkenkrieg, l^andesdefension, Zurückhaltung in der Reichspolitik
gehe nicht um einen Kreuzzug, vielmehr um einen gerechten Krieg zur Verteidigung der christlichen katholischen Religion, der Familien, des Vaterlandes, Europas überhaupt. „Wirdt Ungarn vom türcken eingenommen oder überwunden, so ist weder Italia noch Teutschland sicher, und der Rhein wirdt Franckreich auch nit beschützen können." Von anderen Publizisten wurde die Türkengefahr als Anlaß beschworen, über alle politischen, konfessionellen und sozialen Zerklüftungen hinweg zur inneren Einheit des Reiches zurückzufinden. Auch Maximilian hatte sich beim Landtag von 1593/94 in aufsehenerregender Weise bereiterklärt, persönlich gegen die Türken zu ziehen, und er hatte den bayerischen Adel aufgefordert, sich seiner alten heroischen Tugenden zu erinnern und sich ebenfalls gegen den Erbfeind aufzumachen. Ob Maximilian tatsächlich nach Ungarn gezogen wäre, wenn Wilhelm V. nicht gerade jetzt den Regierungswechsel eingeleitet hätte, kann dahingestellt bleiben.4 Gewiß ist jedenfalls, daß er und bereits auch sein Vater von der Notwendigkeit entschiedener Gegenwehr tief überzeugt und zu erheblichen finanziellen Beiträgen auch bereit waren, wie die folgenden Jahre erwiesen. Mochten ihre Begründungen auch manche floskelhaften Wendungen enthalten, so war doch an der Ernsthaftigkeit ihrer Kernaussagen nicht zu zweifeln, es gelte, Kaiser, Reich und Christenheit zu verteidigen. Gemeint war letztlich die Fortexistenz des bestehenden politischen, konfessionellen und sozialen Systems im Reich und im eigenen Herzogtum. Man ging von einer tatsächlichen, fast unmittelbaren Bedrohung durch die Türken aus. Wieder wurde in den bayerischen Kirchen zum Türkengebet aufgerufen und den Untertanen wurde gesagt, daß beim Läuten der mittäglichen Türkenglocke „jedermenigklich, niemands ausgenommen, er seye aintweders sampt seinem hausgesind in seiner behausung oder auf der gassen und bey der arbeit oder anderswo, unter solchem geleut so lang mit entblößtem haupt nider knye, bis er aufs wenigist ein Vaterunser und Ave Maria mit Andacht gebetet".5 Der Befehl mußte allerdings mehrmals wiederholt werden, da er nicht genügend befolgt wurde.6 In Gutachten für den Regensburger Reichstag von 1594 erklärten die bayerischen Räte, daß es notwendig sei, im Interesse der Sicherheit Bayerns den Kaiser in der Türkenfrage tatkräftig zu unterstützen;7 Wilhelm V. zeigte sich 4 Im Frühjahr 1595 ließ Wilhelm V. dem Papst mitteilen, daß sein Sohn Maximilian wohl wisse, „daß er weder in diser noch in jener weit seliger sein kunte, als wenn er der Christenheit mit seim bluet und leben dienete und nuzete," jedoch könne man ihn nicht zum Führer des Heeres vorschlagen, „dan beim selben [Maximilian] eben die kriegsunerfahrenheit wie bei andern teutschen fürsten" (BA V, 250 Anm. 4). 5 Generalmandat v o m 13.3.1598: Dokumente 1,3 Nr. 130. 6 Mandat vom 15.7.1605: Dokumente 1,3 Nr. 153. 7 BA IV, 197 Anm. 3, auch zum Folgenden.
14. Türkenkrieg, Landesdefension, Zurückhaltung in derRiichspolitik
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gegenüber seinem Sohn, der ihn in Regensburg vertrat, überzeugt, daß die Türkenhilfe der vornehmste, ja schier der einzige Gegenstand der Beratungen sein müsse. Tatsächlich bestand beim Reichstag in der Einschätzung der Situation und der notwendigen Bewilligungen erstaunliche Übereinstimmung unter den Reichsständen. Wenn sich dabei Bayern, Salzburg und Kursachsen nicht zuletzt aufgrund ihrer geographischen Situation als die konsequentesten Verfechter der kaiserlichen Türkenpolitik erwiesen, so bestimmte die Türkengefahr letztlich auch die Entscheidungen der protestantischen Reichsstände.8 In diesem Sinne wirkte die Türkenfrage allerdings als ein Bindemittel unter den Reichsständen, trotz aller Gegensätze, die beim Reichstag zwischen den Konfessionsparteien zutage traten. Diesem Befund widerspricht nicht, daß die bayerische Politik die Türkengefahr auch zu instrumentalisieren suchte, in der Weise, daß sie ihr Engagement für die Türkenhilfe benützte, um in den Auseinandersetzungen mit Salzburg um das Direktorium im Fürstenrat und mit Österreich um die Präzedenz ihr politisches Gewicht zu verstärken. Wie so oft und wie auch anderwärts, mischten sich auch in den Positionen zur Türkenfrage mancherlei Motive. Schon wenige Monate nach den Reichstagsbewilligungen sah sich Kaiser Rudolf II. anläßlich der Eroberung der Festung Raab durch die Türken veranlaßt, auch die Reichskreise um Türkenhilfen in Form von Truppenhilfe anzugehen. Diese Einbeziehung der Reichskreise widersprach an sich dem Reichsherkommen, welches die Kreise auf die Aufrechterhaltung bzw. die Wiederherstellung der inneren Reichsordnung beschränkte.9 Jedoch hatten Wilhelm V. und der Salzburger Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau in Sorge um die Sicherheit des Bayerischen Reichskreises schon von sich aus einen Kreistag für Dezember 1594 nach Regensburg ausgeschrieben. Er bewilligte unter Ablehnung weitergehender kaiserlicher Forderungen die Finanzierung eines Kreiskontingents zur Kreissicherung auf ein halbes Jahr, 10 der folgende Regensburger Kreistag von März 1595 verlängerte die Bewilligung um weitere sechs Monate.11 Um den bayerischen Anteil zu finanzieren, erinnerte Maximilian den Landschaftsausschuß an den Beschluß des Landtags 8 BA IV, 198 ff.; Schulde, Reich und Türkengefahr 93 ff., 133 ff. u.ö.; Winfried Schulde, Majority Decision in the Imperial Diets of the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: The Journal of Modern History 58, Supplement, December 1986, 46-63, hier 53. 9 Hierzu ausführlich Schulde, Reich und Türkengefahr 191 ff. Unzutreffend Hartmann, Reichskreis 606, daß es um die Realisierung der Reichstagsbewilligungen gegangen sei, vielmehr wurden zusätzliche Bewilligungen der Kreise gefordert. 10 Lori, Rreisrecht Nr. 46; BA V, 248 ff., auch für das Folgende; Dot^auer, Reichkreise 190 ff.; Hartmann, Reichskreis 606; Mayr, Türkenpolitik 226 ff. 11 Lori, Kreisrecht Nr. 46; Mayr, Türkenpolitik 234 ff.; Hartmann, Reichskreis 607;
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14. Türkenkrieg/ Landesdefension, Zurückhaltung in der Reichspolitik
von 1593/94, im Falle der Landesnot zusätzlich eine halbe Landsteuer, notfalls sogar zwei halbe Landsteuern und Ständeanlagen aufzubringen. Diese Forderung nach Effektuierung der landständischen Sonderbewilligung erweist, daß das Argument der Türkenhilfe in seiner Plausibilität auch dazu dienen konnte, den Bewegungsspielraum der Landstände weiter einzuengen und diese noch mehr als bisher an den Landesfürsten und dessen politische Zielsetzungen zu binden.12 Beim Kreistag vom März 1596 war auf bayerischer Seite erstmals Maximilian federführend, dem Wilhelm V. zu dieser Zeit mit den meisten übrigen Regierungsgeschäften auch schon die Kreissachen übertragen hatte. Der junge Herzog stand sofort vor einer besonderen Bewährungsprobe.13 Durch Urteil des Reichskammergerichts war Bayern und Salzburg untersagt worden, ihren Salzvertrag von 1594 zum Nachteil ihrer Nachbarn Regensburg und Passau zu realisieren. Da das Urteil vom Kaiser veranlaßt worden war, verzögerten Maximilian und Wolf Dietrich von Raitenau im Gegenzug die Bewilligung der von Rudolf erbetenen weiteren Türkenhilfe; man darf annehmen, daß Maximilian, überaus empfindlich in der Behauptung seiner Rechte, die Verzögerung veranlaßt hat, zumal er schon durch den Passauer Bistumsstreit über den Kaiser verärgert war; schließlich ging der Kreistag ohne Beschluß auseinander. Im weiteren Fortgang traten die unterschiedlichen Charaktere Wolf Dietrichs und Maximilians deutlich zutage. Während der Erzbischof zunächst auf schroffem Widerstand gegen den Kaiser beharrte, hielt Maximilian die Türkenhilfe und ein gutes Verhältnis zu Rudolf II. dann doch für so wichtig, daß er einlenkte und (schließlich auch mit Salzburger Zustimmung) einen neuen Kreistag einberief — allerdings nicht mehr in die Reichsstadt Regensburg, sondern in die bayerische Landstadt Landshut, wo dann auch künftig nahezu alle Tage des Bayerischen Kreises unter Maximilian stattfinden sollten. Allerdings zerschlug sich auch diese Landshuter Tagung vom Mai 1596 ohne Ergebnis, diesmal infolge konfessionspolitischer Forderungen Pfalz-Neuburgs, denen Maximilian keinesfalls folgen wollte.14 Auch der folgende Landshuter Kreistag vom Juni 1596 bewilligte zwar die Finanzierung von dreitausend Mann auf vier Monate, war aber erneut von konfessionspolitischen Auseinandersetzungen durchzogen, während sich die Salzburger überhaupt fernhielten und Wolf Dietrich eine persönliche Zusammenkunft
Zum Problem vgl. Schulde, Reich und Türkengefahr 255. BA V, 254 ff. Der Interpretation der Vorgänge durch Mayr, Türkenpolitik 240 ff. kann ich nicht folgen. it BA V, 258. 12
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14. Türkenkrieg, Landesdefension, Zurückhaltung in der Reichspülitik
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mit Maximilian unter Vorwänden ablehnte.15 Es wurde deutlich, daß mit der Inanspruchnahme der Kreisorganisation doch auch die in den Kreisen enthaltenen konfessionspolitischen und politischen Gegensätze virulent wurden und durch die gemeinsame Bedrohungssituation nur bedingt neutralisiert werden konnten. Immerhin gelang es den bayerischen Bemühungen, auch beim folgenden Kreistag in Mühldorf im Mai 1597 gegen salzburgischen Widerstand die Finanzierung von zweitausend Soldaten auf vier Monate durchzudrücken.16 Einen in der Folge vorgeschlagenen Gesamttag aller Reichskreise (anstelle eines Reichstages) lehnte Maximilian allerdings als dem Kaiser präjudizierlich ab.17 Jedoch lief die Entwicklung ohnehin auf einen neuen Reichstag zu, der auf den 1. Dezember 1597 nach Regensburg einberufen wurde.18 Während der Kaiser, die große Mehrzahl der katholischen Reichsstände und auch Kursachsen mit seinem lutherischen Anhang bereits im Vorfeld betonten, daß sich die Reichstagsverhandlungen auf die Türkenhilfe beschränken müßten, forderten die Kurpfälzer an der Spitze der Konföderierten, daß zuerst die protestantischen Religionsbeschwerden zu befriedigen seien. Darüber hinaus wollten sie bezüglich einer Türkenhilfe — und das hieß: auch in Sachen, die nicht die Religion betrafen — keine Mehrheitsbeschlüsse mehr anerkennen. Wie Kaiser Rudolf II. und die meisten Reichsfürsten blieb auch Maximilian dem Reichstag fern, wirkte aber über seine Gesandten Gailkircher und Donnersberg und durch Korrespondenz mit Rudolf II. und anderen Reichsfürsten auf die Verhandlungen des Fürstenrats ein. Insbesondere war ihm daran gelegen, die aufsehenerregende Pfälzer These von der NichtVerbindlichkeit von Mehrheitsentscheidungen auch in Geldsachen zurückzuweisen, wohl wissend, daß damit das Majoritätsprinzip als ein bisheriges Fundamentalprinzip der Verfahrensordnung des Reichstags überhaupt berührt war.19 Wie schon Felix Stieve gegen Leopold Ranke betont hat,20 hatte Maximilian mit seiner Verteidigung des Mehrheitsprinzips in erster Linie die allgemeinpoliti-
Abschied vom 27.6.1596: Lori, Kreisrecht Nr. 49; Mqyr, Türkenpolitik 242 f.. Abschied vom 21.5.1597: Lori, Kreisrecht Nr. 50; Majr, Türkenpolitik 249 ff. 17 BA V, 263 ff. 18 BA V, 287 ff.; Ritter, Geschichte II, 123 ff.; Schulde, Reich und Türkengefahr, passim; Mayr, Türkenpolitik 255 ff. 19 Zum Problem vgl. ausführlich Schulde, Reich und Türkengefahr 155 ff., mit besonderer Würdigung des Standpunktes der protestantischen Reichsstände; Oers., Majority Decision 54 ff; Oers., Concordia, Discordia, Tolerantia. Deutsche Politik im konfessionellen Zeitalter, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte (Beiheft 3 der ZHF), Berlin 1987, 43-80, hier 58 ff. 20 BA V, 411 Anrn. 3. 15 16
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14. Türkenkrieg, Landesdefension,
Zurückhaltung in der Reichspolitik
sehen und verfassungspolitischen Implikationen des Problems im Auge, Reichsherkommen und Funktionieren der Reichsverfassung. Dies Schloß allerdings nicht aus, daß ihm auch die konfessionspolitischen Auswirkungen geläufig waren; die katholische Partei, welche dank der vielen geistlichen Reichsfürsten im Fürstenrat die Mehrheit und im Kurfürstenrat immerhin Stimmengleichheit besaß, hatte von dem Prinzip vielfach profitiert, denn nicht alle religionsrelevanten Fragen waren vom Augsburger Religionsfrieden Mehrheitsentscheidungen entzogen worden, von den Steuersachen ganz abgesehen. Eben um ihre Interessen in diesen Materien gegenüber der katholischen Mehrheit durchzusetzen, versuchten die Konföderierten jetzt das Majori tätsprinzip überhaupt zu stürzen, indem sie es auch in der dem Kaiser so wichtigen Türkensteuerfrage bezweifelten. Paradoxerweise ging dabei die eigentliche Initiative gegen das Mehrheitsprinzip von dem überaus eigenwilligen Wolf Dietrich von Raitenau aus, der von finanziellen Erwägungen geleitet wurde. Der Widerstand und die Argumentation der Bayern hatte sich also nach zwei Seiten zu richten. Bereits in der Instruktion für die bayerischen Reichstagsgesandten hatte Maximilian die Bedeutung des Majoritätsprinzips hervorgehoben.21 Entsprechend begründete Gailkircher im Fürstenrat die Notwendigkeit, es als unerläßliches Element eines funktionierenden Reichssystems aufrechtzuerhalten. Man habe zwar im Reich eine Sonderregelung bei Abstimmungen in Gewissens- und Religionssachen, aber für Steuersachen gelte sie nicht. „Was das gewissen betreffe, habe seinen weg. Anderes sei es in geldsachen." Auf den Reichstagen sei stets dem Mehrheitsprinzip gefolgt worden; das dortige freie Votum ende an dem Punkt, an dem eine Mehrheit gefanden und förmlich bestätigt worden sei. Auch Papst und Kaiser kämen auf dem Mehrheitswege zustande, und schließlich sei auch der Religions frieden per maiora beschlossen worden. Beginne man also an der Gültigkeit des Mehrheitsverfahrens zu zweifeln, werde alle Politik unmöglich, ebenso die Rechtsprechung und letztlich auch der Religions frieden.22 Man hat die allgemeine Seite dieser bayerischen Erklärung darin gesehen, daß damit die Ungültigkeit der Majorität in Religions sachen zum ersten Mal von katholischer Seite offiziell anerkannt worden sei,23 und weiterhin, daß das Zustandekommen von Reichstagsbeschlüssen erstmals in theoretischen Ausführungen Instruktion bei Carl Maria v. Aretin, Bayerns auswärtige Verhältnisse seit dem Anfang des 16. Jh.s, Passau 1839, Urkunden zum 3. und 4. Abschnitt, Nr. 1. 22 BA V, 394 und 410 ff.; Schulde, Concordia 58 ff. 23 Frit% W o l f f , Corpus Catholicorum und Corpus Evangelicorum auf dem Westfälischen Friedenskongreß. Die Einfügung der konfessionellen Ständeverbindungen in die Reichs Verfassung, Münster 1966, 33 21
14. Türkenkne^ Landesdefension,
Zurückhaltung in der Reichspolitik
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diskutiert worden sei, womit Grundlagen für eine weitere Rationalisierung von Entscheidungsprozessen im Reich gelegt worden seien.24 Der Reichstag endete mit der Mehrheitsentscheidung, dem Kaiser eine Türkenhilfe von sechzig Römermonaten zu bewilligen, wogegen sieben protestantische Reichsstände protestierten. Damit war der Reichstag über der Mehrheitsfrage zwar nicht auseinandergebrochen, jedoch waren weitere Auseinandersetzungen in der Zukunft zu befürchten, gegenüber denen auch Maximilian in Verfolg seiner bisherigen Positionen Stellung beziehen mußte. Das von Maximilian dirigierte Votum der bayerischen Gesandten im Fürstenrat hatte sich ganz im Interesse der kaiserlichen Türkenhilfeforderungen bewegt. Gleichzeitig war es auch von Bedeutung für das ebenfalls der Türkenabwehr dienende Zustandekommen des sog. Nachzugs der fünf nächstgesessenen Kreise.25 Hierunter war eine Hilfsaktion der den Türken nächstgelegenen fünf Reichskreise (Bayern, Franken, Schwaben, Ober- und Niedersachsen) für den besonderen Fall verstanden, daß - wie es in einer bayerischen Quelle heißt — „der türckische bluthund und Sultan selbs eigner person herauskommen, das christliche kriegsheer geschlagen, zertrennt, durch kranckheiten mercklich geschwächt oder sonst obgedachter erbfeind mercklich fürbrechen sollt".26 Auf dem Reichstag wurde die Diskussion im Fürstenrat über diesen Punkt vor allem durch das bayerische Votum bestimmt. Gailkircher erinnerte erneut an die Gefahren für das Reich, wenn der Türke, wie man höre mit 300 000 Mann oder mehr, ins Feld ziehe, weshalb noch ein zusätzlicher Beitrag der fünf Reichskreise bewilligt und in Augsburg deponiert werden müsse, um im Notfall ein Heer zur Verstärkung, eben für den Nachzug, finanzieren zu können. Als Führer dieses Nachzugs wurden vom Reichsfürstenrat Maximilian und Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen vorgeschlagen, Einzelheiten vor allem bezüglich der Finanzierung sollten bei einem Ausschußtag der fünf Reichskreise in Nürnberg beschlossen werden, mit vorbereitenden Versammlungen in den einzelnen Kreisen. Tatsächlich bewilligte der vorbereitende, von Donnersberg dirigierte bayerische Kreistag in Landshut zehn Römermonate, wie sie vom Reichstag für den Nachzug vorgeschlagen worden waren;27 das gleiche Ergebnis hielt dann der Abschied des Ausschußtages in Nürnberg vom 6. Juli 1598 fest.28 Der Nachzug brauchte dann zwar nicht verwirklicht zu werden, jedoch erweisen uns 24 25 26 27 28
Schulde, Reich und Türkengefahr 166; Oers., Majority Decision 54 f. Schulde, Reich und Türkengefahr 212 ff.; BA V, 400 f. u. ö. Abschied des bayer. Kreistags in Landshut, 16.5.1598: Dokumente 1,3 Nr. 131. Wie Anm. 25. Schulde, Reich und Türkengefahr 216 ff.
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14. TürkenkrieQ Landesdefension, Zurückhaltung in der Reichspolitik
die Verhandlungen in Regensburg, Landshut und Nürnberg das fortdauernde große Interesse und politisch wie religiös motivierte Engagement Maximilians in der Türkenhilfsfrage. Als sich nach der Eroberung der Festung Kanisza durch die Türken im Oktober 1600 die Situation erneut verschärfte, war es daher der Herzog von Bayern, der Kaiser Rudolf II. zu baldiger Einberufung eines neuen Türkenreichstags aufforderte und ebenso eine ganze Reihe katholischer und protestantischer Reichsfürsten, darunter Kurpfalz und Kurbrandenburg, zum persönlichen Besuch der Versammlung zu bewegen suchte. Er selbst erklärte sich, floskelhaft und doch überzeugend, bereit, „da es gemeines vatterlands obligende notturft also erfordern wurde, all unser vermögen, auch ungespart unser selbs person, wider den erbfeind darauf zu sezen".29 Auf den Landshuter Kreistagen vom Mai 1601 und Juni 1602 fanden sich denn auch die bayerischen Kreisstände zu weiteren Türkenhilfen bereit.30 Der Reichstag vom März bis Juni 1603 in Regensburg31 war dann gekennzeichnet durch die Tatsache, daß die Reichsstände eine erstaunlich hohe Türkenhilfe von 86 Römermonaten bewilligten und die protestantischen Konföderierten diesen Mehrheitsbeschluß nicht anfochten. Wiederum wurde deutlich, daß die allen gemeinsame Bedrohung in der Lage war, tiefgreifende konfessionelle Diffferenzen jedenfalls partiell und zeitweise zu überbrücken. Denn daß die Gegensätze zwischen den Konfessionsparteien seit dem letzten Reichstag sich noch verschärft hatten, erwiesen die gleichzeitigen Auseinandersetzungen um die Handhabung der Reichsjustiz, welche für die weitere Funktionsfahigkeit der Reichsinstitutionen Schlimmes befürchten ließen. Maximilian selbst war ebensowenig wie Kaiser Rudolf II. und die meisten Reichsfürsten persönlich in Regensburg anwesend, aber wiederum waren es, nach den Sachsen, die bayerischen Gesandten, welche in der Türkensteuerfrage die Dinge voranbrachten. Zu Recht reagierte Maximilian daher mit besonderer Schärfe gegen den auf einem Mißverständnis beruhenden Vorwurf der Kaiserlichen, zur gemeinsamen Sache zu wenig beizutragen.32 Trotz aller Türkenhilfe der Reichsstände gerieten Rudolf II. und das Haus Österreich in größte Schwierigkeiten, als sich im Jahr darauf der siebenbürgiBA V, 554 Anm. 1. Vgl. auch das Mandat zur Werbung für den Türkenkrieg, 24.4.1601: Dokumente 1,3 Nr. 144. Durch Mandat vom 7.6.1601 wurde befohlen, in allen Pfarrkirchen Opferstöcke zugunsten der Türkenabwehr aufzustellen (Frauenholç, Entwicklungsgeschichte 111,2, Beilagenteil 204 f.). 30 BA V, 562 ff und 568 f.; Map, Türkenpolitik 267 ff. 31 BA V, 613 ff.; BA I Nr. 301; Ritter, Geschichte II, 166 ff.; Mayr, Türkenpolitik 273 ff. 32 BA V, 633 f. 29
14. Türkenkrieg, Landesdtfension, Zurückhaltung in der Reichspolitik
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sehe Magnat Stephan Bocskay gegen die habsburgische Herrschaft erhob und sich 1605 zum Großfürsten von Siebenbürgen und König von Ungarn wählen ließ. Die schwierige Situation wurde bereinigt, als der unschlüssige Kaiser gezwungen werden konnte, seinen Bruder Erzherzog Matthias zu Verhandlungen zu bevollmächtigen. Nach dem Wiener Frieden mit Bocskay wurde so am 11. November 1606 mit den Türken der (später mehrfach verlängerte) zwanzigjährige Waffenstillstand von Zsitva-Torok abgeschlossen, der den großen Türkenkrieg beendete. Es war ein Akt von großer geschichtlicher Bedeutung, denn ohne diese Rückenfreiheit im Südosten wäre es dem Hause Habsburg wohl nicht gelungen, die innerhabsburgische Krise der folgenden Jahre zu überstehen und sich anschließend in den Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges zu behaupten. Für das Reich aber bedeutete das Ende der Türkengefahr, daß nunmehr die konfessionspolitischen Gegensätze zwischen den Reichsständen erneut und mit weiterreichenden Auswirkungen als bisher die Situation bestimmen konnten. Von diesen Veränderungen konnte auch die Politik Maximilians nicht unberührt bleiben. In den Jahren des großen Türkenkrieges und in erheblichem Ausmaß beeinflußt durch die Türkengefahr hat Maximilian durch die Einrichtung der sog. Landfahnen auch die Grundlagen einer bayerischen Landesdefension geschaffen. 33 Derartige Landesdefensionen sind gleichzeitig in einer ganzen Reihe deutscher Territorien entstanden, zumeist nach dem Vorbild der Heeresreform der Oranier in den Niederlanden, so daß von einer besonderen kriegerischen Attitüde Maximilians in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden kann. Er griff Vorbilder auf, die in der Zeit lagen, hat sie aber nach seinen besonderen Bedürfnissen zurechtgebogen. Die LanAllgemein: Eugen v. Frauenholζ, Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens. Band III: Das Heerwesen in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, 2. Teil: Die Landesdefension, München 1939; Gerhard Oestreich, Zur Heeresverfassung der deutschen Territorien von 1500 bis 1800, in: Oers., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, 290-310; Gerhard Papke, Von der Miliz zum Stehenden Heer. Wehrwesen im Absolutismus, in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939, Band 1/1, Frankfurt a.M./München 1979; Winfried Schulde, Die deutsche Landesdefension im 16. und 17. Jh., in: J. Kunisch — B. Stollberg-Rilinger (Hg.), Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit, Berlin 1986, 129-149; Hideo Shinpo, Zur verfassungsgeschichtlichen Bedeutung des Landesdefensionswesens, in: ZHF 19 (1992), 341-358. Bayern: Neben zahlreichen Belegen in der allgemeinen Literatur (insbes. bei Frauenholz) vgl. BA V, 242 ff.; BJesJer, Geschichte VI, 136 ff.; Stirn, Donauwörth 28 ff.; künftig: Helmut Rankl, Das Ringen um den Armen Mann. Landvolk, Fürst und Stände in Altbayern 1400-1800, Kapitel III.2. Materialreich, aber wenig systematisiert: Johann Heilmann, Kriegsgeschichte von Bayern, Franken, Pfalz und Schwaben von 1506 bis 1651, 2 Bände, München 1868. 33
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14. Türkenkriefr Landesdefension, Zurückhaltung in der Reichspolitik
desdefensionen sollten die Söldnerheere nicht ersetzen, vielmehr ging es um durchaus defensiv gedachte, gleichzeitig billige, aus Landeskindern rekrutierte Einheiten, die dem Land Schutz gegen Friedensbrecher, marodierende Banden, durchziehende Söldnerabteilungen gewähren sollten. Durch die Reichsexekutionsordnung von 1555 war ja die Landfriedenswahrung definitiv auf die Territorien übergegangen, wenn auch mit organisatorischer Hilfe der Reichskreise. Man ging bei der Einführung der Landesdefensionen davon aus, daß militärisch ausgebildete, zur Verteidigung von Haus und Hof kämpfende, für ihren Dienst privilegierte Untertanen brauchbarer, besser und billiger seien als die häufig unzuverlässigen, meuternden und plündernden, dazu teureren Mietsoldaten. Man mochte auch erwarten, daß die Landstände eher bereit waren, für derartige defensive Zwecke Gelder zu bewilligen. In Bayern und anderswo konnte bei der Landesdefension angeknüpft werden an das alte Landaufgebot, zu dem der landsässige Adel, die herzoglichen Lehensleute und die herzoglichen Bauern verpflichtet waren, das aber im Laufe des 16. Jahrhunderts verkümmert war. Beim Landtag von 1593/94 hatte Maximilian deutlich ausgesprochen, daß der bayerische Adel seine ehemalige Wehrfähigkeit nahezu verloren habe. Wenn Herzog Albrecht V. den bayerischen Bauern den Besitz und Gebrauch von Schußwaffen verboten hatte, weil man nach dem Bauernkrieg dem Waffentragen der Untertanen skeptisch gegenüberstand, und wenn der bayerische Adel dieser Jahrzehnte notorisch lieber mit der Kutsche fuhr, als sich zu Pferde zu üben, war vom bisherigen Landaufgebot nur noch wenig zu erhoffen. Die deutschen Defensionswerke hatten aber ihren Ursprung nicht nur in dem Bedürfnis nach finanzierbarem und vom Lande selbst akzeptierten Schutz, sondern auch in dem Bestreben des Territorialfürstentums nach einem sinnfälligen Ausdruck seines gewachsenen Souveränitätsbewußtseins. Man hat die Besonderheit der neuen Entwicklung darin gesehen, daß durch das neue Defensionssystem die ältere, auf feudalen Grundlagen beruhende Landfolge territorialisiert wurde, d.h. alle Untertanen als gemeinsame Untertanen des Landes aufgeboten wurden, ohne Rücksicht darauf, ob sie dem herzoglichen Kammergut, der Kirche oder dem Adel unterstanden (Schulze). So hat auch Maximilian in die Landfahnen auch die Gerichtsuntertanen der Adels- und Klosterhofmarken einbezogen, seit 1614 auch deren einschichtige Untertanen. Indem alle Landesuntertanen gleich behandelt wurden und die Untertanenverbände des Landesherrn, der Geistlichkeit und des Adels zu einem Defensionswesen verschmolzen wurden, über das allein
14. Türkenkrieg, Landesdefension,
Zurückhaltung in der
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der Landesherr verfügte, wurde versucht, die außenpolitische Bedrohung zur Vereinheitlichung des Landes und zur Stärkung der Landesherrschaft zu nutzen. Bereits seit 1583 war der von Wilhelm V. gegründete Kriegsrat darangegangen, das Landaufgebot wieder zu beleben, doch gelang es erst Maximilian, und zwar in wenigen Jahren, ein Landesdefensionswesen neuer Art zu organisieren und aufgrund von Verhandlungen mit den Landschaftsverordneten zu finanzieren. Wie sehr Maximilians Maßnahmen sich von den früheren, weil weniger konsequenten und durchgebildeten Versuchen, das Volksaufgebot zu beleben, unterschieden, und wie sehr das Ergebnis als Neuerung aufgefaßt wurde, zeigt eine Bemerkung des Kriegsratsdirektors Haslang, dies sei ein „bishero in disem E. Dchl. landen nie in schwung gewesen werckh, welches dem mehrern theil der underthonen ganz widerig, ja schier unmüglich fürkhomen".34 Die Äußerung belegt auch, daß die Untertanen der Sache als einem erneuten obrigkeitlichen Zugriff auf ihre Bewegungsfreiheit mit Skepsis und Ablehnung gegenüberstanden. Die ersten Mandate gingen zwar noch im Namen Wilhelms V. aus, doch erwiesen die Umstände, wer als treibende Kraft dahinterstand. Als erstes wurde im Februar 1595 die Musterung sämtlicher männlicher Untertanen im Lande nach bestimmten, viel schärfer als bisher gehaltenen Normen befohlen, und zwar begründet mit „großer mercklicher gefahr unsers gemainen vatterlandts teutscher nation" durch die Türken.35 Daß die Türkengefahr für Maximilian „schon mehr Vorwand als Anlaß" (Papke) gewesen sei, ist keinesfalls anzunehmen; daß er mit dem Defensionswerk mehrere Zwecke verfolgte, ist jedoch deutlich. In der Folge legten überaus detaillierte Anweisungen die Einziehungsverfahren fest, wobei nach Möglichkeit die Vermögenderen, die ihre Bewaffnung selbst bezahlen konnten, zuerst herangezogen werden sollten. Die Waffen wurden jedoch in Rüstkammern aufbewahrt, da „Ihr Durchl. nit gedacht, den underthonen die wehrn in händen zu lassen". Mit Mandaten vom Dezember 1600 wurde die Einleitungsphase des Unternehmens abgeschlossen. Sie waren insoferne typisch für Maximilians Befehls- und Regierungsstil, als bisherige Mängel mit großer Schärfe gerügt und in detaillierten Formen Anweisungen zur exakten Realisierung der herzoglichen Weisungen erteilt wurden — nichts sollte dem Zufall oder der Willkür überlassen bleiben und das begonnene Werk sollte auf jeden Fall fortgeführt werden.
Zitiert FrauenholEntwicklungsgeschichte 111,2, 21. Mandat vom 24.2.1595, Druck: Ebenda Beilage VII; für das Folgende vgl. die dortigen weiteren Beilagen; Mandat an die Hofmarksherren vom 12.11.1596: Dokumente 1,3 Nr. 126. 34 35
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14. Türkenkrieg, Landesdefension, Zurückhaltung in der Riicbspoüiik
Die Musterungen ergaben über 22 000 Waffenfähige im Land, aus denen in den einzelnen Musterungsbezirken jeweils der dreißigste, zehnte, fünfte und dritte Mann für den Dienst aufgeboten wurden. Die Landesdefension wurde im Laufe der Jahre in 39 sog. Landfahnen sowie in fünf Stadtfahnen der Hauptstädte München (2), Landshut, Straubing und Burghausen organisiert, jede Fahne angeführt von einem Landhauptmann, zumeist einem herzoglichen Beamten oder adeligen Landsassen, für Organisation und Ausrüstung, sowie einigen Landleutnanten, meist ehemaligen Offizieren von Söldnerheeren, für die militärische Ausbildung. Nach einer Grundausbildung von acht Tagen waren regelmäßige Übungen an Sonn- und Feiertagen verpflichtend. Um den Eifer zu fördern, durften Ausgehobene bei Hochzeiten entgegen den sonst geltenden Beschränkungen bis zu hundert Gäste laden, den besten Schützen wurde ein Stück Wild in den fürstlichen Forsten reserviert, vor allem aber wurden obrigkeitliche Heiratserlaubnis und Bürgerrechtsverleihung an den Dienst in den Landfahnen geknüpft.36 Anstelle des wenig geübten allgemeinen Aufgebots trat also, jedenfalls im Ansatz und der Absicht nach, eine kriegsmäßig organisierte, von Drillmeistern erzogene Auswahl, die Wehrkraft des Landes sollte gehoben werden. Sehr bezeichnend rief Maximilian 1601 anläßlich der Werbungen für das Söldnerregiment des Bayerischen Reichskreises zum Türkenkrieg junge, ledige und kräftige Bürger· und Bauernsöhne, die „sonsten daheim auf der pernhaut liegen", zum Eintritt auf, damit sie das dort Erlernte später in die Kampfkraft der Landfahnen einbrächten.37 Wenig später wurden die Fußsoldaten der Landfahnen durch eine Landreiterei ergänzt, die ebenfalls (jedenfalls überwiegend) aus Bürgern und Bauern bestand. Die Ritterschaft selbst löste ihre ursprüngliche Verpflichtung durch Geldzahlungen ab, und auch dies war ein Hinweis auf die zunehmende Einbindung des Adels in den Fürstenstaat. Zur Finanzierung des Defensionswesens mußten die Landstände herangezogen werden. Beim Landtag von 1605 ließ Maximilian keinen Zweifel daran, daß neben der Haushaltskonsolidierung der Ausbau der Verteidigungsanstalten sein zentrales Interesse bildete; eben hatte Stephan Bocskay die kaiserlichen Truppen bis an die Grenzen Ungarns zurückgedrängt. Als sich die Landstände zunächst mit diesen und jenen Argumenten zu entschuldigen suchten (darunter der These, daß es zu gefährlich sei, die Untertanen zu bewaffnen), reagierte Maximilian schroff: Er werde nicht zurückweichen, „sondern die stendt sollen Seine Fürstliche Durchlaucht vil eines höhern vnd 36 37
Doeberi, Entwicklungsgeschichte I, 508. Mandat vom 24.4.1601: FrauenholEntwicklungsgeschichte 111,2 Beilage XVIII.
14. Türkenkrieg, Landesdefension, Zurückhaltung in der Reicbspoülik
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solchen gemüeths wissen, daß Sie diejenigen mittel an die handt nehmen werden, dadurch Sie Sich bey landt vnd leuthen in fürstlichem standi erhalten mögen".38 Man einigte sich schließlich auf die Teilung der Unkosten, ein Drittel für den Herzog, zwei Drittel für die Landschaft. Dies ergab als landständischen Defensionszuschuß für die nächste Steuerperiode von sechs Jahren den sehr hohen Betrag von 500 000 Gulden. Ungeachtet dieser Bewilligung blieben die Landstände aber bei ihrer grundsätzlichen Skepsis gegenüber den Landfahnen, die Argumente Maximilians gegen ein Söldnerheer wurden nicht akzeptiert. Die Stände spreizten sich gegen eine Militarisierung des Landes, die ihnen kostspielig, für die Untertanen zeitraubend und dadurch auch der Grundherrschaft nachteilig sowie insgesamt wenig effektiv erschien.39 Auch beim nächsten und letzten Landtag unter Maximilian im Jahre 1612 zeigten sich die Stände nur widerwillig zu weiterer Finanzierung der Landesdefension bereit, die nunmehr auch den bayerischen Beitrag zur Finanzierung des Ligaheeres beinhaltete, wie später zu erörtern ist.40 Der gemeine Mann, der in der einen oder anderen Weise in das Landesdefensionswesen einbezogen wurde, hat es an passivem Widerstand gegen diese neue und weitergehende Inanspruchnahme für staatliche Zwecke nicht fehlen lassen, der Bauer zeigte keine Lust, sich einem unbequemen und zeitraubenden Dienst einzuordnen. Bezeichnend für die Volksstimmung war der Kommentar eines Tölzer Beamten auf einem Befehlsschreiben Maximilians von 1601 zur Musterung der Landleute: „Solches Werk zu verrichten man sich nit getraut."41 Der Effektuierung der Landesdefension und zugleich der Disziplinierung der Untertanen selbst in privaten Bereichen galten auch wiederholte Bemühungen Maximilians - nahezu ins Absurde reichend - , die engen Hosen der Bauern, die ihm ohnehin anstößig waren, durch eine neue Landestracht zu ersetzen, die für den Waffendienst geeigneter schien; den Schneidern, welche die neue Tracht nicht fertigen konnten, wurde das Handwerk gesperrt; Zutritt zum Tanzplatz sollten nur Bauernburschen erhalten, die nach Vorschrift gekleidet waren.42 Daß entsprechende herzogliche Mandate wiederholt werden mußten, verweist auf den jahrelangen Widerstand der Bauern. Um 1615 glaubte man, mit der Organisation des Defensionswesens im wesentlichen fertig zu sein. Allerdings äußerten sich die
38 39 40 41 42
[Franz Krennei\, Der Landtag im Herzogthum Bayern vom Jahre 1605, München 1802, 56. Krenner, Landtag 1605, 83. Krenner, Landtag 1612,123. Zitiert bei Riemer, Geschichte VI, 152. Mandat vom 20.7.1605: Frauenhofy Entwicklungsgeschichte 111,2 Anhang Nr. 30.
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14. Türkenkrieg
Landesdefension,
Zurückhaltung in der ~Reicbspolitik
Kriegsräte nur zurückhaltend auf eine Anfrage Maximilians, ob die Landfahnen nunmehr kriegsbereit und verwendungsfähig seien.43 Die Landfahnen sollten zwar die Söldnertruppen nicht ersetzen, jedoch stellte Maximilian eine gewisse Verbindung zwischen beiden Organisationen her. Nicht nur sollte aus dem zeitweiligen Dienst von Untertanen im Söldnerheer auch für die Landfahnen Nutzen gezogen werden, umgekehrt war wohl auch gedacht, daß eine Vorschulung in den Landfahnen die Aufstellung oder Auffüllung regulärer Soldregimenter erleichtern könne und daß eine Mischung zwischen beiden Kontingents formen möglich und nützlich sei, obwohl sie sich in zentralen Punkten unterschieden. Für die Reichsexekution gegen die Reichsstadt Donauwörth 1607 wurden 20 Fähnlein derart formiert, daß jedes aus einem Kern von 50 Söldnern und 250 Mann der Landfahnen bestand. Da das Unternehmen unblutig verlief, brauchte diese Kombination den Beweis für ihre Effizienz nicht zu erbringen. Jedenfalls konnte schon hier von bloß defensiver Verwendung der Landfahnen kaum noch die Rede sein, ebenso nicht 1612 bei der Militärexekution gegen Salzburg. Im Laufe des Dreißigjährigen Krieges setzte Maximilian — der inzwischen auch über das Instrument des Ligaheeres verfügte — Kontingente der Landfahnen verschiedentlich auch außerhalb des Herzogtums ein, so 1620 bei der Besetzung fester Plätze in Böhmen, 1621 bei der Besetzung der Oberpfalz oder 1626 mit immerhin 8 000 Mann beim Bauernaufstand in Oberösterreich. Jedoch erwies sich, daß die Landfahnen selbst in der Defensive den ursprünglichen Erwartungen nicht entsprachen, insbesondere nicht beim eigentlichen Ernstfall, beim schwedischen Einbruch in Bayern. Viele Bauernburschen haben sich damals von vornherein der Einberufung entzogen. Maximilian sah sich schließlich zu dem Eingeständnis gezwungen, daß sich „bisher der ausgewelten landsunderthonen mit schlechtem oder gar khainem nutz und effect bedient werden köndten, und also die uff sye gewente spesa fast vergeblich und umbsonst geschehen".44 Die vermöglicheren Gemusterten hatten daher seit Ende 1632 statt persönlichen Dienstes zur Finanzierung von Söldnern beizutragen, die Waffen waren in den Zeughäusern abzugeben, zumal der Bauernaufstand des Winters 1633/34 die Gefährlichkeit bewaffneter Bauern demonstrierte. Damit waren die Landfahnen zunächst auf Eis gelegt. Seit 1637 wurden sie in reduzierter Form neu belebt, blieben aber ohne praktische Wirkung, zumal sie durch die Kriegsmüdigkeit der Untertanen und durch ^ Ebenda Nt. 11. '"Mandat vom 10.12.1632: Dokumente 1,3 Nr. 291. Zahlreiche Berichte über die mangelnde Bewährung der Landfahnen, die es zu Kampfhandlungen mit den Söldnertruppen meist gar nicht erst kommen ließen, bei Frauenhol.ίζ, Entwicklungsgeschichte 111,2 Anhang Nr. 12.
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Desertionen immer wieder geschwächt worden sind. So lag die Bedeutung der Landesdefension insgesamt weniger in ihrem militärischen als in ihrem politischen Effekt, als einem Instrument des Landesfürsten zu weiterer Integration der Untertanen in den neuen Staat und ihrer Inanspruchnahme für dessen Ziele. In den ersten zehn Jahren seiner Regierung hat sich Maximilian im Wesentlichen auf die innere Staatsarbeit konzentriert. An außerbayerischen Problemen fanden - abgesehen von der Türkenfrage - nur solche Probleme sein näheres Augenmerk, mit denen schon sein Vater befaßt gewesen war und die abzuwickeln waren, zunächst der sog. Badische Vormundschaftsstreit.45 Unter Einwirkung Wilhelms V. war einst Markgraf Jakob von Baden-Hachberg zum Katholizismus konvertiert, nach dessen Tod figurierte Wilhelm als Vormund seiner beiden unmündigen Töchter und deren katholischer Erziehung, stieß dabei aber auf den Widerstand des protestantischen Markgrafen Ernst Friedrich von Baden-Durlach. Die lebhaften Bemühungen Wilhelms um das Seelenheil seiner Mündel wurden auch von Maximilian unterstützt und nach seinem Regierungsantritt fortgesetzt, vor allem durch Interventionen bei Kaiser Rudolf II., doch gingen die beiden Mädchen dem Katholizismus schließlich doch verloren. Nicht besser endeten die noch intensiveren Anstrengungen Maximilians im sog. Oberbadischen Gebietsstreit, bei dem es sich darum handelte, die Markgrafschaft Baden-Baden den rechtmäßigen katholischen Inhabern gegenüber den Ansprüchen und Aggressionen der protestantischen Linie Baden-Durlach zu erhalten. Baden-Baden war einst unter der vormundschaftlichen Regierung Albrechts V. zum Katholizismus zurückgeführt worden und lag seither den bayerischen Herzögen besonders am Herzen. In den jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen badischen Linien suchte Maximilian den Kaiser wiederholt zum Einschreiten zu bewegen und war auch selbst zur Übernahme entsprechender kaiserlicher Aufträge bereit, ohne doch schließlich die erneute Protestantisierung der Markgrafschaft verhindern zu können. An diesen Vorgängen fällt auf, daß Maximilian ungeachtet aller Bemühungen sein Engagement jeweils dort beendete, wo er infolge der unentschiedenen Haltung Rudolfs II. keinen greifbaren Erfolg erwarten konnte, wo weiterhin die Gefahr bestand, sich ohne Nutzen mit protestantischen BA IV, 29-45; BA V, 63-96; Ritter, Geschichte II, 131 ff.; Horst Bartmann, Die Kirchenpolitik der Markgrafen von Baden-Baden im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1535-1622), in: Freiburger Diözesanarchiv 81 (1961), 1-352; Werner Baumann, Ernst Friedrich von Baden-Durlach, Stuttgart 1962. 45
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Zurückhaltung in der Reichspolitik
Reichsfürsten zu verfeinden, und wo schließlich die gemeinsame Anstrengung von Kaiser und Reich gegenüber den Türken gefährdet schien. Diese Einschränkungen scheinen überaus charakteristisch für den Maximilian dieser Jahre. Sie erweisen zunächst erneut die Bedeutung, die er der Türkenfrage und entsprechend der Einigkeit der Reichsstände in dieser Frage zugemessen hat. So hat er sich erstaunlicherweise nicht gescheut, 1597 dem Kaiser zu empfehlen, wegen der Türkengefahr über die Beschwerden von aufständischen ober- und niederösterreichischen Bauern „schleunigst eine hauptsächliche milderung und endliche entschließung" ergehen zu lassen, womit nur Zugeständnisse in Bezug auf Duldung des Protestantismus gemeint sein konnten!46 Mit einer solchen Gewichtung stand er allerdings nicht allein; die Reichstage von 1594 bis 1603 sind ungeachtet aller konfessionellen Spannungen insgesamt doch friedlich verlaufen, weil die Türkenfrage Kaiser und Stände letztlich zusammenhielt; der Waffenstillstand von 1607 hat denn auch die Aggressionen der deutschen Konfessionsparteien freigegeben. Charakteristisch für Maximilian, und zwar nicht nur in dieser Phase, war weiterhin seine Zurückhaltung gegenüber allen Aktionen, deren Erfolg zweifelhaft war oder die jedenfalls riskant erschienen; Vorsicht, ja Ängstlichkeit und Zaudern sind immer wieder zu beobachten. Angesichts der Zerrüttung der bayerischen Finanzen und dem gleichzeitigen Türkenproblem scheute er noch zurück, sich anderweitig zu binden und weitergehende Verpflichtungen einzugehen. Dies erwies sich schließlich auch in der Frage der Fortführung des Landsberger Bundes. Dieser Sonderbund war 1556 in Landsberg am Lech durch König Ferdinand, den Erzbischof von Salzburg, die Reichsstadt Augsburg und Herzog Albrecht V. gegründet worden, Albrecht hatte ihn angeregt und in der Folge auch nachhaltig gelenkt. 1557 waren die Bischöfe von Bamberg und Würzburg und die evangelische Reichsstadt Nürnberg aufgenommen worden, das Jahr darauf die mit Nürnberg verbundenen evangelischen Reichsstädte Windsheim und Weißenburg. Der Bund war also gemischtkonfessionell, wenngleich mit starkem Übergewicht des katholischen Teils. Er stand in der Tradition der älteren Landfriedenseinungen und bezweckte lt. Bundesakte die Wahrung des Landfriedens, die Streitschlichtung zwischen den Mitgliedern, gegenseitige Hilfe bei Angriffen von dritter Seite, die Einhaltung des Augsburger Religionsfriedens und schließlich die Verwirklichung von guter Polizei und Ordnung.47 In den folgenden Jahren stellte der Bund « BA V, 56. 47 Bundesakte vom 1.6.1556: Dokumente 1,3 Nr. 25. Grundlegende Quellenpublikation: Walter Goet\ (Hg.), Beiträge zur Geschichte Hg. Albrechts V. und des Landsberger Bundes 1556-
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dank seiner allgemeinen Zielsetzungen und seiner Überkonfessionalität für einige Zeit einen nicht unbeachtlichen Stabilitätsfaktor in der Reichspolitik dar, wenngleich seine Bedeutung nicht einhellig beurteilt wird.48 Seit 1569 betrieb Albrecht V. jedoch die Umgestaltung des Bundes zu einem katholisch-konfessionellen Bündnis, wofür er auch Spanien und Lothringen zu gewinnen suchte. Das Vorhaben scheiterte am Einspruch Kaiser Maximilians II., der die Gegengründung eines protestantischen Bundes und eine Ausgrenzung der kaiserlichen Interessen befürchtete. Im übrigen hatten sich die Exekutionsordnung von 1555 und weitere Friedenssicherungen im Reich bewährt, sodaß ein eigener Landfriedensbund kaum mehr Existenzberechtigung besaß. Anläßlich des Kölner Krieges 1583, bei dem der Bund keine Rolle mehr spielte, traten die protestantischen Mitglieder Nürnberg, Windsheim und Weißenburg aus, worauf Wilhelm V. erneut, wie schon sein Vater, den nunmehr praktisch rein katholischen Bund (Augsburg war paritätisch) durch den Beitritt weiterer katholischer Reichsstände zu einem starken Konfessionsbündnis zu entwickeln suchte. Das Vorhaben scheiterte wiederum, diesmal an Kaiser Rudolf II., Österreich kündigte 1584 die Mitgliedschaft, so daß Wilhelm sogar für die Wiederaufnahme protestantischer Stände plädierte. Entsprechende Verhandlungen wurden jedoch ohne Nachdruck und ohne Erfolg geführt. 1590 verließ schließlich auch der Bischof von Bamberg mit finanzieller Begründung den Bund, der damit nur mehr Bayern, Salzburg und Würzburg sowie die Reichsstadt Augsburg umfaßte, „baufällig" war, wie der Salzburger Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau feststellte. Die Geschichte des Landsberger Bundes ist für eine Geschichte Maximilians aus mehreren Gründen von Interesse. Erstens, weil Maximilian selbst der Gründer eines Sonderbundes geworden ist, der Katholischen Liga. Und zwar war es ein konfessioneller Sonderbund, womit er bestimmte, wenngleich gescheiterte Bestrebungen seines Großvaters und Vaters fortgeführt hat. Angesichts der fortgeschrittenen konfessionellen Trennung der Reichsstände
1598, München 1898. Vgl. auch Winfried Mogge, Nürnberg und der Landsberger Bund (15561598), 1976; Rudolf Endres, Der Landsberger Bund (1556-1598), in: P. Fried u.a. (Hg.), Festschrift für A. Kraus zum 60. Geburtstag, Kallmünz 1982, 197-212; Maximilian Lansjnner, Friedenssicherung und polirische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564-1576), Göttingen 1993, passim; Ders., Der Landsberger Bund und seine Vorläufer, in: V. Preß (Hg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit?, München 1995, 65-79; BA IV, 14 ff. und V, 43 ff. Zahlreiche Hinweise zu Gründung, Ausbau und Aktivitäten des Landsberger Bundes unter Albrecht V. bietet Heil, Reichspolitik (oben Kapitel 3 Anm. 20). 48 Vgl. Frank Göttmann, Zur Entstehung des Landsberger Bundes im Kontext der Reichs-, Verfassungs- und regionalen Territorialpolitik des 16. Jh.s, in: Z H F 19 (1992), 415-444. Skeptisch auch Lan^inner, Landsberger Bund.
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kam jetzt, jedenfalls nach Auffassung Maximilians, nur mehr ein konfessionell orientierter Bund in Frage, der dann seinerseits die konfessionelle Polarisierung weiter vorangetrieben hat. Zweitens ist der Landsberger Bund von Interesse, weil er sich 1598 unter Maximilian aufgelöst hat und sich die Frage nach dem bayerischen Anteil an seinem Ende stellt. Tatsächlich war der Zustand des Bundes in den neunziger Jahren deplorabel, sowohl was die Finanzen, als die Einberufung von Bundestagen, die Besetzung der Stellen und die Wahrnehmung von Aufgaben betraf. Wilhelm V. war an der Vereinigung kaum mehr interessiert, der Pfennigmeister hatte seit 1587 die Beiträge Bayerns als bezahlt zu verbuchen, ohne einen Pfennig gesehen zu haben. 49 Jedoch hatte die Mitregentschaft Maximilians seit 1595 eine deutliche Belebung der Bundesangelegenheiten zur Folge, seine endgültige Regierungsübernahme führte bereits im März 1598 zum ersten Bundestag seit 1590. Die bayerische Proposition sprach sich für eine Verlängerung des Bundes aus: Wenn jemals den Friedfertigen und besonders den Katholischen das Zusammenhalten nötig gewesen sei, so jetzt, wo die Unruhigen daran arbeiteten, die Katholischen zu unterdrücken und die Freistellung durchzusetzen. Die bayerische Argumentation war also ausgesprochen katholisch-konfessionell akzentuiert. Auch Bischof Julius Echter von Würzburg und die Reichsstadt Augsburg plädierten für eine Fortsetzung des Bundes, während Erzbischof Wolf Dietrich von Salzburg seinen Austritt erklärte, „quia confoederationes seien nit perpetuae". Beim rasch folgenden nächsten — und letzten — Bundestag im Juni 1598 vereinbarten Bayern, Würzburg und Augsburg trotz reduzierter Mitgliederzahl die Verlängerung des Bundes auf weitere sieben Jahre, wobei sie ihn nun aber zu einer ganz losen Vereinigung ohne festere Institutionen umgestalteten; vor allem das von Wilhelm V. aufgegebene Amt des Oberhauptmanns wurde nicht wieder besetzt. Das waren zunächst Gesandtenbeschlüsse, welche von den Obrigkeiten erst noch bestätigt werden mußten. Der Augsburger Rat plädierte dafür, Maximilian als Oberhauptmann zu benennen, während Julius Echter dieses Problem in mehreren Schreiben nach München mit Stillschweigen überging. Wenige Wochen später, am 27. September 1598, schlug Maximilian den beiden anderen Mitgliedern die Auflösung des Bundes vor, da nach dem Ausscheiden der meisten Mitglieder und den zuletzt gefaßten finanziellen Beschlüssen von einer Fortsetzung der Vereinigung nur noch wenig Ersprießliches zu erwarten sei.50 Die überra-
Vgl. Mogge, Landsberger Bund 325 ff. so Maximilian an Julius Echter, 27.9.1598: Dokumente 1,3 Nr. 133.
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sehende Kündigung ist in der Forschung unterschiedlich erklärt worden,51 zumal Maximilian wenig später den Kaiser informierte, der Bund habe „wider meinen willen und steifes bei den Stenden antreiben" sein Ende erreicht.52
Man wird für Maximilians Entschluß mehrere Gründe annehmen dürfen, für entscheidend halte ich seine Einsicht, daß dem Landsberger Bund nach dem Ausscheiden Salzburgs nun wirklich die Effizienz fehlte. Dies war in etwa auch schon vor dem Bundestag vom Juni 1598 der Fall gewesen, wurde aber eben durch den Verlauf der Versammlung noch erhärtet. Die (stillschweigende) Weigerung Julius Echters, den Herzog von Bayern als Oberhauptmann anzuerkennen, verlängerte diesen Tatbestand ins Persönliche hinein. Offensichtlich hielt Maximilian die Landfahnen, die er eben aufbaute, für eine stärkere Verteidigungskraft als den auseinanderfallenden Bund, und die hierfür eingesetzten Geldmittel für besser angelegt. Geht man davon aus, daß die Formierung der Landfahnen in starkem Maße durch die Türkengefahr veranlaßt worden ist, so erweist sich diese neben der Staatsreform einmal mehr als der zentrale Bezugspunkt Maximilians in seinen ersten Regierungsjähren.
Stieve in BA IV, 47 f. spricht von einem unerklärlichen Verhalten Maximilians; Goefy Landsberger Bund 901 f. (der Stieve in einem wichtigen Punkt korrigieren kann), hält Maximilians Entschluß durch die Haltung Würzburgs veranlaßt; Mogge, Landsberger Bund 331 f.: Maximilian hält den Bund für zu kostspielig und vielleicht politisch bedenklich. 52 BA V, 48 Anm. 3 (14.5.1599). 51
15. Der Fall Donauwörth und die Gründung der Liga Wenn Maximilian in der ersten Dekade seiner Regierung aus einer Reihe von Gründen auf größere reichspolitische Aktivitäten verzichtete, obwohl sich manche Ansatzpunkte geboten hätten, so konnte doch an seiner grundsätzlichen kirchenpolitischen Position keinerlei Zweifel bestehen, diese wurde auch von den Zeitgenossen nicht verkannt. Er hat sie auch deutlich genug bei einer Reihe von Gelegenheiten außerhalb Bayerns demonstriert. Auf den Reichstagen von 1594 bis 1603 bezog Maximilian in der Frage der Zulassung der protestantischen Bistumsadministratoren und in der allgemeineren Frage der Freistellung der Religion in geistlichen Territorien sowie bezüglich der Geltung von Mehrheitsbeschlüssen in Reichsversammlungen eindeutige und konsequente Stellung. Die Bedeutung dieser Fragen und die Konsequenzen, die sie in sich bargen, waren ihm durchaus geläufig. Eindeutig war auch seine Position beim sog. Vierklosterstreit, der mehr als andere Differenzpunkte seit der Jahrhundertwende die Polarisierung unter den Konfessionsparteien vorangetrieben hat.1 Am Falle von vier säkularisierten Klöstern ging es um die prinzipielle Frage, inwiefern die zahlreichen Säkularisierungen mittelbarer Klöster in protestantischen Territorien seit dem Religionsfrieden diesem zuwider seien, wie die Katholiken behaupteten, oder nicht. Das Reichskammergericht hatte im Sinne der Katholiken entschieden, protestantische Stände hatten Revision dieser Urteile beantragt, in der Folge ging es um die Entscheidung über diese Revisionen, zunächst auf dem Deputationstag von 1600, dann beim Reichstag von 1603. In allen Erörterungen hierüber nahmen Maximilian bzw. die bayerischen Gesandten eine eindeutige, ja besonders schroffe Haltung ein. Als beim Deputationstag 1600 von protestantischen Ständen die paritätische Zusammensetzung dieser Versammlung oder jedenfalls der Revisionskommission gefordert wurde, wies er diese Forderung aus ersichtlichen Gründen sofort zurück. Als dann von den Konföderierten die Verbindlichkeit von Mehrheitsbeschlüssen in Fragen des Religionsfriedens geleugnet wurde, bekämpfte er diese Auffassung als Anfang der Anarchie,
1 Dietrich Kratsch, Justiz - Religion - Politik. Das Reichskammergericht und die Klosterprozesse im ausgehenden sechzehnten Jh., Tübingen 1990.
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ihre Anwendung hätte die bestehende katholische Majorität in dem Gremium zunichte gemacht. Als anschließend die Kurpfälzer, um eine gerichtliche Entscheidung der Klostersache zu verhindern, die zu ihren Ungunsten ausgefallen wäre, mit Braunschweig und Kurbrandenburg den Deputationstag verließen, um diesen arbeitsunfähig zu machen, plädierte Maximilian dafür, auch ohne sie über die Revisionen zu entscheiden. Und als drei Jahre später beim Reichstag der Streit über Aussetzung oder gerichtliche Entscheidung der vier Klostersachen erneut entflammte, wies er seine Gesandten an, einen Beschluß zugunsten gerichtlicher Entscheidung zu betreiben, ohne sich durch die Drohungen der Protestanten einschüchtern zu lassen. Man dürfe den Protestanten keine Präzedenz fälle für die Behandlung der Religions fragen auf künftigen Reichstagen liefern. Ihnen sei begreiflich zu machen, wenn „man protestierenden seits also aus dem reügionfriden schreiten und denselben nur gelten wolle lassen, da es inen annemblich und soweit es inen gefellig, daß man es ex parte catholicorum nicht weniger thuen werde".2 In allen diesen Fragen ging es Maximilian um Abwehr, darüber hinaus auch um Restitution, um Gegenreformation, zur Bewahrung oder Wiederherstellung eines Zustandes, der nach katholischer Auffassung allein dem Religionsfrieden entsprach. Gleichzeitig war er bemüht, dem Prinzip der Katholischen Reform außerhalb Bayerns Geltung zu verschaffen. In diese Richtung zielten seine Einwirkungen auf Lebensführung und Kirchenpolitik des Bruders Ferdinand von Köln ebenso wie seine Aktivitäten bei der Neubesetzung der Bischofsstühle in Straßburg, Bamberg und Augsburg. In Bamberg betrieb Maximilian die Absetzung des seit 1599 regierenden Bischofs Johann Philipp von Gebsattel, der sowohl in seinem Lebenswandel wie in seiner Amtsführung den tridentinischen Anforderungen an einen Bischof ins Gesicht schlug.3 Maximilian erklärte sich zu Gegenwirkungen insbesondere legitimiert, da mit Heinrich II. ein dem Haus Wittelsbach entsprossener Kaiser und Heiliger das Bistum Bamberg gestiftet habe, der auch im Bamberger Dom begraben liege. Wiederholte Anträge in Rom, den Bamberger Verhältnissen zu steuern, blieben allerdings ohne Ergebnis, offensichtlich befürchteten Clemens VIII. und nach ihm Paul V. bei härterer Gangart den Übertritt Gebsattels zum Protestantismus und die Säkularisierung des Hochstifts. Es war ein Erfolg Maximilians, daß nach dem Tod Gebsattels 1609 der
BA V, 652, aus der bayer. Instruktion vom 6.3.1603. 3 BA IV, 394 ff. 2
15. Oer Vali Donauwörth und die Gründung der Liga
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Reformer Johann Gottfried von Aschhausen gewählt wurde,4 der künftig als ein eifriges Mitglied der Katholischen Liga figurierte und bei Auseinandersetzungen zwischen Maximilian und Kurfürst Johann Schweikard von Mainz einen betont bayerischen Kurs steuerte, auch bei Differenzen mit Bischof Julius Echter von Würzburg vermittelte. In Augsburg intervenierte Maximilian im Jahre 1598 bei der anstehenden Bischofswahl, wobei ihm das Domkapitel schon zu dieser frühen Stunde schmeichelte, man wisse wohl, „daß es in dem ganzen hl. röm. reich als auch bei allen des reichs Stenden kund und offenbar, daß E. Dt. allain vor allen andern der cathoüsch- und eiferigste fürst seie".5 Tatsächlich fiel die Wahl auf den ehemaligen Germaniker Heinrich von Knöringen, der in den Fußstapfen des Kardinals Otto von Truchseß zu einer der hervorragenden Gestalten von Kirchenreform und Gegenreformation in Süddeutschland werden sollte.6 Maximilians Ligapolitik, die fortgesetzt mit zahlungsunwilligen Mitgliedern zu kämpfen hatte, fand in Knöringen eine feste Stütze, „murus immobilis pro religione et domo Dei", freilich mit manchen intransigenten Zügen, die ihn schließlich Maximilian entfremdeten. Knöringen sollte 1607 auch den Anstoß zur Donauwörther Aktion geben, durch welche Maximilian schließlich in die große Politik geführt worden ist. Bereits einige Jahre zuvor hatten Herzog und Bischof bei einer Aufgabe zusammengewirkt, die als Vorspiel für Donauwörth gedeutet werden kann.7 Auch hier war es darum gegangen, in kaiserlichem Auftrag in einer Reichsstadt konfessionelle Querelen zum Vorteil des katholischen Bevölkerungsteils zu schlichten, Auseinandersetzungen, die gewiß typisch für manche ungeklärten und schwierigen Verhältnisse in deutschen Reichsstädten waren. In der dem bayerischen Herzogtum benachbarten kleinen Reichsstadt Kaufbeuren hatte der protestantische Bevölkerungsteil sich seit dem Religionsfrieden zahlenmäßig und nach seinem Einfluß ausgeweitet. Um die Jahrhundertwende standen etwa 700 protestantischen nur mehr etwa 80 katholische Familien gegenüber, im Schul- und Spitalwesen und bezüglich des Gottesdienstes gab es die üblichen Streitigkeiten der Konfessionsparteien, vor allem um die Pfarrkirche, die allein von den Protestanten benützt werden durfte, und um
Lathar Bauer, Die Rolle Hg. Maximilians von Bayern bei der Wahl des Bamberger Fürstbischofs J. G. v. Aschhausen, in: ZBLG 25 (1962), 558-571; Alfred Wendehorst,}. G. v. Aschhausen, in: Fränkische Lebensbilder 9, 1980,167-186 5 Bericht Haslangs aus Augsburg, 28.11.1598: BA V, 58 Anm. 2. 6 NDB VIII, 337 f. mit weiterer Lit.; Repgen, Römische Kurie I, passim. 7 Felix Stieve, Die Reichsstadt Kaufbeuren und die baierische Restaurations-Politik. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des dreißigjährigen Krieges, München 1870. 4
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den neuen Gregorianischen Kalender von 1582, der von den Protestanten als papistisch abgelehnt wurde. Auf Betreiben der Katholiken war schon Wilhelm V. 1588 mit einer kaiserlichen Kommission betraut worden, die aber nichts wesentliches zu ändern vermochte. 1601 waren es dann Maximilian und Heinrich von Knöringen, die erneut als kaiserliche Kommissare für Kaufbeuren bestellt wurden, um Rechtsgleichheit für die beiden Bekenntnisse herzustellen. Ihre Sub delegierten erzielten im Frühjahr 1602 mit dem überwiegend protestantischen Rat zunächst einen Interimsvergleich, mit der wichtigsten Vereinbarung, daß die Pfarrkirche von Protestanten und Katholiken gleichermaßen benutzt werden sollte. Für solche halben Lösungen war Maximilian jedoch nicht zu haben, auch erfüllte der Rat nicht alle im Vergleich eingegangenen Verpflichtungen. Als daher Kaiser Rudolf II. die Kommission erneuerte, ließ Maximilian zwar noch den Reichstag von 1603 vorübergehen, schritt aber dann mit seinen und den Augsburger Delegierten zur Tat: Im März 1604 wurde die Stadt aufgefordert, sich dem kaiserlichen Befehl zu unterwerfen. Tatsächlich wagte es der Rat nicht, sich zu widersetzen, die Pfarrkirche wurde den Katholiken zurückgegeben, die Einführung des neuen Kalenders für die gesamte Stadt akzeptiert. Wenn ersteres aufgrund der Rechtslage kaum zu vermeiden war, so fehlte eine solche Rechtsgrundlage für die Kalenderreform. „Niemand zu Lieb, niemand zu Leid, noch dem Papst zu Gefallen" schränkte der Rat also seine Zustimmung zum papistischen Kalender ein. Maximilians Vorgehen in Kaufbeuren bewies, daß er entschlossen war, kaiserliche Kommissionen in Religionssachen zum wirklichen Erfolg zu bringen. Dies galt nun auch für die Donauwörther Angelegenheit, nur daß hier andere Verhältnisse viel weiterreichende Folgen zeitigten. Die Reichsstadt Donauwörth, ein schönes Städtchen an der Einmündung der Wörnitz in die Donau, nur wenige Meilen von der Nordwestecke des bayerischen Herzogtums entfernt, zählte zu der Zeit, in der sie durch Maximilian zum Objekt der großen Politik wurde, etwa viertausend Einwohner.8 Im Jahr des Augsburger Religionsfriedens hatten in der Stadt bereits die Protestanten die Mehrheit, sie besetzten die Mehrzahl der Ratsstellen und waren auch im Besitz der Stadtpfarrkirche. Die katholisch gebliebene Minderheit hatte sich daher unter die pfarrliche Seelsorge des Benediktinerklo8 Umfassend Stieve, Donauwörth, mit Hinweisen auf Quellen und ältere Literatur; BA V, 74 ff. und öfter; Bàtter, Geschichte II, 213 ff.; Rudolf Breitling, Der Streit um Donauwörth, in: ZBLG 2 (1929), 275-298. Berichte des Prager Nuntius Caetani sowie des venezianischen Gesandten Cavalli über die Donauwörther Vorgänge finden sich bei Carmignano, S. Lorenzo II, 340 ff.
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sters Hl. Kreuz gestellt. Jedoch war Donauwörth entsprechend den Bestimmungen des Religionsfriedens (§ 27) eine paritätische Reichsstadt,9 so daß auch die Katholiken das Recht ungehinderter Religionsausübung besaßen und wahrnahmen. Wie in manchen anderen paritätischen Reichsstädten, etwa in Regensburg, zielte jedoch in der Folge auch in Donauwörth die protestantische Mehrheit auf Alleinherrschaft ihres Bekenntnisses, der Magistrat wurde ausschließlich protestantisch besetzt, die Verleihung des Bürgerrechts wurde den Katholiken zunehmend verweigert, um die Jahrhundertwende gab es nur noch sechzehn katholische Hausväter mit Bürgerrecht. Gegen diese Entwicklung stemmten sich die Benediktiner von Hl. Kreuz, von denen manche an der bischöflich-augsburgischen Universität Dillingen studiert und dort den Geist kämpferischer Kathoüzität in sich aufgenommen hatten. Im Zuge der Konfessionalisierung betonten sie auch gerne Andachtsübungen, die von den Protestanten besonders unterschieden, so auch feierliche Prozessionen, die in die Umgebung der Stadt führten. Dabei wurden neuerdings die den Prozessionen vorangetragenen Kirchenfahnen beim Durchschreiten städtischen Gebiets nicht eingerollt, sondern frei fliegend getragen, und man zog nicht durch Seitenstraßen, sondern über den Markt — der Behauptungswille der Katholiken sollte augenfällig demonstriert werden. Im Mai 1605 zwang der solchermaßen herausgeforderte Magistrat eine Prozessionsgruppe zum Einrollen der Fahnen, worauf sich Heinrich von Knöringen als zuständiger Diözesanbischof beim kaiserlichen Reichshofrat wegen Beeinträchtigung des Klosters und der Donauwörther Katholiken beschwerte. Damit war der Fall vor das neben dem Reichskammergericht höchste Reichsgericht gebracht, das bereits mit mehreren reichsstädtischen Religionsstreitigkeiten, etwa in Aachen oder Kaufbeuren, befaßt war und in dem Geruch stand, die Katholiken zu begünstigen. Der Reichshofrat erließ eine Vorladung gegen Bürgermeister und Magistrat von Donauwörth, in der die von Knöringen gerügten Handlungen als Bruch des Religions- und Landfriedens bezeichnet wurden, aber dem Rat eingeräumt wurde, rechtlich begründete Einreden vorzubringen. Gleichzeitig forderte ein kaiserliches Mandat den Rat bei Strafe der Reichsacht auf, sich künftig aller Gewalttaten gegen die Religionsausübung von Kloster und Katholiken zu enthalten. Als dennoch im April 1606 eine katholische Prozession von protestantischen Bürgern erneut massiv gestört wurde, die sog. Donauwörther Fahnenschlacht, 9 Zu Begriff und Problem umfassend Martin Heckel, Parität, in: ZRG Kan. Abt. 49 (1963), 261420. Vgl. auch Paul Warmbrunn, Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl 1548-1648, Wiesbaden 1983.
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erneuerte der Kaiser sein Abmahnungsmandat.10 Als der Magistrat darauf nur die Entschuldigung fand, daß die Obrigkeit gegenüber dem Pöbel gelegentlich machdos sei, erteilte Rudolf II. am 17. März 1607 dem Herzog von Bayern die Kommission, in kaiserlichem Namen Katholiken und Mönche in Donauwörth in der Ausübung ihrer Religion zu schützen.11 Hiervon wurde auch der Donauwörther Rat mit der Aufforderung informiert, jede weitere Unruhe unter den Bürgern zu verhüten, damit kein schärferer Zugriff nötig werde. Donauwörth war schon mehrmals ein Objekt bayerischer Politik gewesen. Es hatte als Teil des Konradinischen Erbes seit 1268 zeitweise zu Bayern gehört, war von Kaiser Karl IV. zum Reich geschlagen, dann 1376 wieder an Bayern verpfändet worden und schließlich 1422 endgültig ans Reich gekommen; ein Versuch Herzog Ludwigs des Reichen 1458/59, die Stadt wieder zu mediatisieren, war nicht geglückt. Diese Vorgeschichte war Maximilian gewiß nicht unbekannt, ebenso nicht die verkehrsgünstige Lage der Stadt. Dennoch gibt es keinerlei Hinweise und ist es auch unwahrscheinlich, daß er sich zu der kaiserlichen Kommission gedrängt oder seine Nominierung sogar selbst veranlaßt hätte.12 Er übernahm die Aufgabe, wie er wenige Jahre zuvor die Kaufbeurer Kommission übernommen hatte, weil er an der strikten Aufrechterhaltung des Religionsfriedens an einer dem bayerischen Herzogtum nahen Stadt interessiert war, weiterhin wohl auch, weil Heinrich von Knöringen den Anstoß am Kaiserhof gegeben hatte. Man darf annehmen, daß er in der Donauwörther Kommission noch nicht den Anfang einer für ihn und die ganze katholische Partei folgenschweren Verwicklung gesehen hat. Kein Zweifel kann allerdings bestehen, daß er von Anfang an entschlossen war, den Auftrag zu einem Erfolg zu führen. „Quell' Altezza" berichtete der Prager Nuntius nach Rom, „sta molto animata di non ceder punto, ma vincer onninamente questa pugna".13 Die nach Donauwörth entsandten bayerischen Subdelegierten forderten vom Magistrat die schriftliche Verpflichtung, jede weitere Störung katholischer Religionsausübung zu unterlassen, sowie das Einverständnis zur sofortigen Abhaltung einer in ihrer Ausgestaltung und in der Wahl des Weges ungehinderten Prozession. Hierzu war der Rat zwar bereit, aber eine erregte Dokumente 1,3 Nr. 158 (3.9.1606). Ebenda Nr. 159 eine Gegendarstellung aus protestantischer Sicht. 11 Dokumente 1,3 Nr. 160. 12 Vgl. auch die Erörterung bei Stieve, Donauwörth 52 Anm. 2. 13 Caetani an Borghese, 19.11.1607: Milena Linhartová (Bearb.), Antonii Caetani nuntii epistulae et acta 1607-1611, 3 Bände, Prag 1932-1946, hier I Nr. 235. 10
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bürgerliche Protestbewegung verhinderte erneut und mit Waffengewalt am 24. April die Prozession, die bayerischen Delegierten wurden zum Abzug veranlaßt. Von diesem Augenblick an änderte sich Maximilians Einstellung zur Donauwörther Frage, diese erhielt für ihn aus persönlichen wie allgemeinen Gründen eine neue Qualität. Er fühlte sich gedemütigt und in seiner Würde verletzt, und er befürchtete Konsequenzen für weitere Reichsstädte, in denen katholische Minderheiten um ihre Rechte kämpften, ja für die Reichsverfassungsordnung überhaupt. Diese war in den letzten Jahren durch die Anfechtung von Majoritätsbeschlüssen vonseiten der Konföderierten und durch die Lahmlegung der Reichsjustiz bereits in bedenklicher Weise berührt worden. Maximilian wurde nunmehr zum Verfechter eines scharfen Kurses; er forderte vom Kaiser, die bereits angedrohte Reichsacht über Donauwörth wirklich zu verhängen; geschehe dies nicht, werde künftig kein Reichsstand mehr einen kaiserlichen Auftrag übernehmen; doch werde es dann der Kaiser auch nicht verübeln können, wenn man die Donauwörther auf eigene Faust lehre, wie sie einen Reichsfürsten und kaiserlichen Kommissar zu achten hätten.14 Die Reichsacht konnte vom Kaiser, dem Reichskammergericht sowie dem seit 1559 bestehenden kaiserlichen Hofgericht, dem Reichshofrat, ausgesprochen werden,15 wobei der Reichshofrat stets nur im Namen des Kaisers die Verfahren führte und das Urteil sprach. Der Acht mußte ein Prozeß vorausgehen, wobei der Reichshofrat bei seinen Verfahren die Prozeßordnung des Reichskammergerichts übernahm. Die Vollstreckung der Urteile geschah gemäß dieser Ordnung bei Reichsunmittelbaren durch den Kreisobersten des einschlägigen Reichskreises; erklärte der Zuständige, nicht stark genug zu sein, um wirklich zu vollstrecken, wurde die Vollstreckung mehreren Reichskreisen übertragen. Der Reichshofrat verwendete jedoch die Reichsacht nicht eigentlich als Strafe im neueren Sinn, sondern eher als Zwangsmittel: durch Androhung und Ausspruch der Achterklärung sollte der Betroffene veranlaßt werden, den vorausgegangenen Mandaten Folge zu leisten. Überhaupt hat der Reichshofrat die Acht zwar häufig angedroht, aber nur selten verhängt; von 1559 bis zum Ende des Alten Reiches war er mit rund einhundertsechzig Klagen befaßt, hat aber nur neun Ächtungen ausgesprochen. Die Kompetenz des Reichshofrats, in Achtverfahren tätig zu werden, war allerdings nicht unbestritten, und sie wurde gerade im Zusammenhang mit Donauwörth von den evangelischen Reichsständen bestritten. Es ging um die Maximilian an den Kaiser, 26.4.1607: Wolf, Maximilian II, 205 ff. Vgl. Dieter Landes, Achtverfahren vor dem Reichshofrat, Frankfurt a.M. 1964; Kampmann, Reichsrebellion 32 ff. und 197 ff. 14
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prinzipielle Frage, inwieweit der Kaiser in der Führung der Reichsgeschäfte an die Mitwirkung der Reichsstände gebunden sei, und dies hieß hinsichtlich der Reichsgerichtsbarkeit, inwieweit Achtverfahren nur vom Reichskammergericht, das ständischem Einfluß unterlag, betrieben werden durften, nicht dagegen vor dem kaiserlichen Reichshofrat, der dem Einfluß der Reichsstände völlig entzogen war.16 Mit der Zunahme der konfessionspolitischen Spannungen im Reich hatte sich diese Frage vor allem auf die Gerichtsverfahren in Religionssachen konzentriert. Entsprechend haben eine Reihe protestantischer Reichsstände, voran Kurpfalz und Kurbrandenburg (nicht aber Kursachsen) in der Donauwörther Angelegenheit die Kompetenz des Reichshofrates, das Achtverfahren zu führen, entschieden bestritten; die Jurisdiktion gegen Reichsstände gebühre mit wenigen Ausnahmen allein dem Reichskammergericht. Diese Auffassung wurde während des ganzen Donauwörther Verfahrens, vor allem auch beim Reichstag von 1608, von protestantischer Seite vorgetragen, von katholischer Seite zurückgewiesen. Der Streit hat auch auf beiden Seiten eine rege politische und staatsrechtliche Publizistik hervorgerufen. In unserem Zusammenhang interessiert vor allem die sog. „Donawöhrtische Relation", die im Auftrag Maximilians von Wilhelm Jocher unter Mitwirkung Gewolds verfaßt und 1610 anonym publiziert worden ist.17 Unter Berufung auf das römische Recht verteidigte Jocher die höchstrichterliche Gewalt des Kaisers, der er sich auch durch die Einsetzung des Reichskammergerichts nicht entledigt habe. Dem Kaiser stehe eine selbständige, mit dem Kammergericht konkurrierende Jurisdiktion gegen die Reichsstände zu, für die er sich das Instrument des Reichshofrats geschaffen habe. Die Gegenseite habe in den letzten Jahren doch gerade die Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts lahm zu legen versucht. Der Exekutionsauftrag an Bayern, das dem Schwäbischen Reichskreis nicht angehörte, wurde von Jocher damit begründet, daß aus der Jurisdiktion des Kaisers auch sein Recht zur Vollstreckung folge, das nicht an die Exekutionsordnung gebunden sei, die einst nur erlassen worden sei, um die dem Kammergericht fehlende Vollzugsgewalt zu schaffen. Der Kaiser könne daher mit dem Herzog von Bayern auch einen Reichsstand aus einem anderen Reichskreis betrauen. Das war also eine
Vgl. auch Stolleis, Geschichte I, 139 f. und 148 ff. (statt „Jöcher" ist „Jocher" zu lesen). „Donawöhrtische Relation, das ist, gründlicher, wahrer Bericht und bestendige, kurze Erzehlung alles deßjenigen, was eine Zeit hero vor, bei und nach dem wider die Statt Schwäbisch - oder Donauwöhrt unlängst angestellten Prozeß, Achtserklärung und darauf ervolgter Execution sich zugetragen, woher auch und aus was Ursachen solches alles entsprungen [...], der Warheit zur Steur in zween Theil verfaßt und in Truck verfertigt. Lege, perpende, judica", 1610, 4.° Vgl. auch Stieve, Donauwörth 420 ff. 16
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scharfe und weitgehende Betonung kaiserlicher Befugnisse gegenüber den Reichsständen - von einem Reichsfürsten, der ansonsten überaus empfindlich gegen jede Beeinträchtigung reichsständischer Befugnisse durch das Kaisertum reagierte und auch künftig reagieren sollte! Aber das Interesse überwog die Prinzipien, nicht zum letzten Mal. Am Kaiserhof zögerte man jedoch, nach einem entschlossenen Beginn, die Achterklärung wirklich auszufertigen; Rudolf II. und dem Reichshofrat war daran gelegen, die protestantischen Reichsstände nicht zu verstimmen, die man beim kommenden Reichstag für neue Türkensteuern benötigte. Gemäß dem Bericht des Prager Nuntius Caetani zögerte Rudolf II. sowohl aus solchem politischem Interesse als auch schlicht aus Angst,18 so daß Maximilian schließlich am 19. Juni — ernst gemeint oder nicht — darum bat, künftig mit der ganzen Angelegenheit verschont zu werden. Wenn man der Kapuzinergeschichtsschreibung glauben darf, war es dem Einfluß des von Maximilian hochverehrten Paters Laurentius von Brindisi zu verdanken,19 der sich am Kaiserhof aufhielt, daß Rudolf II. sich schließlich aufraffte und am 3. August 1607 die Reichsacht über Donauwörth infolge kundbarer Landfriedensbrüche und beharrlichen Ungehorsams gegen die kaiserlichen Mandate ohne nochmalige Vorladung und ohne Schlußverfahren verhängte. Die Exekution war dem Herzog von Bayern übertragen, obwohl dieser nicht, wie Donauwörth, dem Schwäbischen Reichskreis angehörte. Jedoch wurde Maximilian vom Kaiser aufgefordert, vor Vollstreckung der Acht nochmals in Verhandlungen mit dem Donauwörther Rat einzutreten, was auch die bayerischen Räte anrieten, da das Verfahren des Reichshofrats in manchen Punkten anfechtbar sei und sich die Erbietungen des Donauwörther Rates hören ließen. Maximilian stimmte zu, wobei er dann allerdings bei den folgenden Verhandlungen noch weitere Zugeständnisse für die Donauwörther Katholiken herauszuholen suchte, insbesondere gleichen Zutritt zum Bürgerrecht, zum Rat und zu anderen städtischen Ämtern.20 Aber wiederum wiederholte sich das Spiel, daß der verständigungsbereite Rat vom Druck der Straße überrollt wurde. So brach Maximilian am 10. November die Verhandlungen ab, am 12. November veröffentlichten die bayerischen Subdelegierten, zu denen auch Wilhelm Jocher gehörte, die kaiserliche Achterklärung. Was die tatsächliche Achtexekution betraf, so ließ sich Maximilian nicht dadurch beirren, daß benachbarte protestantische Reichsstände schon seit Caetani an Borghese, 24.12.1607: Linhartová, Epistolae I Nr. 286. Carmignano, S. Lorenzo II, 340 ff. 20 Ein Teil der Verhandlungen ist dokumentiert in BA VI, 76 ff.; vgl. auch Stieve, Donauwörth 109 ff. 18
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Monaten versuchten, auf das Verfahren Einfluß zu nehmen, die Herzöge von Pfalz-Neuburg21 und Württemberg,22 die Markgrafen von Ansbach und Baden sowie einige Reichsstädte, darunter Ulm und Nürnberg. Sie suchten die Beteiligten durch rechtliche Deduktionen und auch durch Drohungen zu überzeugen, daß der Reichshofrat für diesen Fall keine Kompetenz besitze und im Falle des Falles nur der Herzog von Württemberg als Kreisoberst des Schwäbischen Reichskreises berechtigt sei, die Reichsacht gegen Donauwörth zu vollstrecken. Solche Einwendungen hat Maximilian aber durchaus ignoriert, obwohl er in den vergangenen Jahren großen Wert auf gutes Einvernehmen mit protestantischen Reichsständen gelegt hatte. Der Waffenstillstand mit den Türken seit 1607 erlaubte es ihm wohl, den Gedanken überkonfessioneller reichsständischer Einheit in den Hintergrund treten zu lassen. Darüber hinaus blieb ihm nicht verborgen, daß sich Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz in der ganzen Frage erstaunlich abseits hielt und Herzog Friedrich von Württemberg trotz mancher Aktivitäten eine protestantische Führerrolle doch nicht übernehmen wollte. Ein weiteres Hindernis hätte die Tatsache bedeuten können, daß der Kaiser zum 11. November 1607 einen Reichstag nach Regensburg ausgeschrieben hatte, der, wie üblich, mit einigen Wochen Verspätung Anfang 1608 beginnen würde. War es nicht im Interesse der kaiserlichen Geldforderungen gegenüber den Reichsständen, die Acht erst nach dem Reichstag zu vollstrecken? Maximilian antwortete: Gerade vor dem Beginn der Verhandlungen muß alles zu Ende sein. Tatsächlich wurde die Aktion in kürzester Zeit abgewickelt, wenngleich die Sache selbst damit nicht zu Ende war. Obwohl aber die Exekution automatisch aufgrund der Acht hätte erfolgen können, war Maximilian so vorsichtig, sich nochmals Rückendeckung zu verschaffen, indem er den Kaiser um einen ausdrücklichen Exekutionsbefehl bat, der dann am 1. Dezember erteilt wurde.23 Schon vorher hatte Maximilian mit den militärischen Vorbereitungen begonnen. Die Exekutionstruppen sollten 6 000 Mann und 500 Reiter umfassen, jedes Fähnlein sollte aus 50 Mann Geworbenen und 250 LandesdefenErika Kossol, Die Reichspolitik des Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg (1574-1614), Göttingen 1976,163 ff. 22 Die von Stirn, Donauwörth noch nicht benützten württembergischen Akten wurden aufgefunden und ausgewertet von Breitling, Donauwörth, der auch die Bemühungen weiterer protestantischer Stände schildert; Axel Gotthard, Konfession und Staatsraison. Die Außenpolitik Württembergs unter Hg. Johann Friedrich (1608-1628), Stuttgart 1992, behandelt Folgevorgänge. 23 Lt. Carmignano, S. Lorenzo II, 344 war die Erteilung dieses Befehls wiederum dem Drängen des P. Laurentius mitzuverdanken. 21
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sionern bestehen, Maximilian nützte die Gelegenheit, um seine Landfahnen erstmals zu erproben.24 Nach Werbungen in Oberschwaben, Tirol und Salzburg wurden Geworbene und Defensioner am 8. Dezember, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariae, bei München gemustert. Den Oberbefehl erhielt der kriegserfahrene Oberst Alexander von Haslang, der seit 1606 den bayerischen Kriegs- oder Defensionsrat leitete; Maximilian hatte zunächst erwogen, selbst an der Spitze der Armada ins Feld zu ziehen, doch hatten ihm seine Räte abgeraten. Die Defensioner wurden allerdings als unsichere Kantonisten eingeschätzt, sie waren „fast [=sehr] verzagt", wie die bayerischen Kriegsräte eingestanden. Eine eigentliche Bewährungsprobe blieb ihnen jedoch erspart, denn als die Exekutionsarmada vor den Mauern Donauwörths erschien, fand sie keinen Widerstand, auch die benachbarten protestantischen Reichsstände rührten keine Hand, nicht einmal der Herzog von Pfalz-Neuburg, der sich durch Drohgebärden besonders hervorgetan hatte und durch dessen Gebiet die Armada ein Stück weit gezogen war. Der Rat übergab die Stadt, die Agitatoren flohen nach einem letzten Tumult mitsamt den Predigern, am 17. Dezember 1607 rückten die bayerischen Truppen in die Stadt ein und bayerische Kommissare übernahmen die Verwaltung. Wenngleich kein Schuß gefallen und kein eigentlicher militärischer Sieg errungen worden war, konnte Maximilian nun doch die Genugtuung haben, sich durch Beharrlichkeit und folgerichtiges Handeln in einer für die katholische Partei wichtigen Entscheidungsfrage durchgesetzt zu haben. Wie Gott die Kinder Israels trockenen Fußes durch das Rote Meer geführt habe, predigte ein Kapuziner, so habe seine Allmacht dem Bayernherzog einen unblutigen Sieg über die Ketzer verliehen. In einer ähnlichen Tonlage waren die Schreiben gehalten, in denen Maximilian Papst, Kardinäle und katholische Fürstlichkeiten von seinem Erfolg unterrichtete, und ebenso auch die Gratulationen, die er von diesen erhielt.25 „Dise statt ist vor 200 jarn auch bayrisch gewest", schrieb Maximilian seiner Tante in Graz. „Ich mueß ietz erwarten, wer mir mein Unkosten zalen wirdt. Underdessen werd ich mich der Reichs Constitutionen gebrauchen und mich aus der pfandschaft nit gern bringen lassen, wurde auch der religion nit schad sein."26 Nun war er in der Lage, den Donauwörther Katholiken wieder zu ihrem Recht zu verhelfen, deswegen hatte er die kaiserliche Kommission übernommen. Wir erkennen jedoch, daß Stieve, Donauwörth 204 ff.; Staudinger, Geschichte I, 60 ff. Vgl. Stieve, Donauwörth 220 ff.; Wolf, Maximilian II, 254 f.; Carmignano, S. Lorenzo II, 34 f. und IV,1 Nr. 298; Ludwig v. Vastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Band 12, Freiburg i. Br. 1927, 508. 2
Text: BA XII, 349 ff.; Teüdruck Dokumente 1,3 Nr. 181. Vgl. auch Neuer-Landfiied, Liga 124 ff., die durch BA XII, 6 ff. bezüglich der Landfriedensverteidigung korrigiert wird. 78 So Altmann in BA XII, 8; Lit^enburger,]6h. Schweikard 280. 79 Betont bei Utyenburger, Joh. Schweikard 280. 77
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rium zu entscheiden, sofern sie ihre ausstehenden Ligabeiträge an Bayern bezahlt hatten. Neben einer größeren Zahl schwäbischer Prälaten, Grafen und Herren wählten vor allem die Stifter Konstanz und Kempten das österreichische Direktorium. Von Bedeutung für Maximilians Position im neuen Bund war schließlich, daß Bundesexekutionen, sofern es die Zeit erlaubte, nur mit Vorwissen des Kaisers, jedenfalls aber nur in kaiserlichem Namen vorgenommen werden sollten (Artikel 2). Weiterhin konnte Kurmainz im Kriegsfall für die rheinischen Reichskreise eigene Bundesobersten ernennen (Artikel 16), während bisher Maximilian der einzige militärische Oberbefehlshaber gewesen war. Wie reagierte Maximilian auf das Regensburger Werk einer neuen Defensión, die seinen bisherigen Bundesbestrebungen in zentralen Punkten diametral entgegengesetzt war? Bereits unter dem 11. Oktober, noch während der Verhandlungen, wies er Jocher an, gegen die neue Bundesnotul zu stimmen, weil durch sie der Kaiser, das Haus Österreich und Klesl das lange erstrebte Ziel einer Kassierung der Liga erreichten.80 Daß er bei einem kurzen Aufenthalt in Regensburg am 19./20. Oktober, der ihn auch mit dem Kaiser und Klesl zusammenführte, dann doch der Dreiteilung der Direktorien zugestimmt haben soll,81 ist ganz unwahrscheinlich. Denn in der Folge hat Maximilian die Regensburger Defensionsverfassung rundweg abgelehnt und sie demgemäß auch nicht ratifiziert. Die Gründe hierzu liegen auf der Hand, sie werden im einzelnen ersichtlich aus einer bayerischen Denkschrift des Spätherbstes 1613, einem jener Selbstvergewisserungsmemoranden von der Hand bayerischer Räte und Maximilians selbst, wie sie in den Regierungsakten des Herzogs häufig zu finden sind.82 Vier Momente, sagt die Aufzeichnung, haben Maximilian vor allem bestimmt: Der starke kaiserlich-österreichische Einfluß in dem neuen Bund, der zu dessen starker Inanspruchnahme für österreichische Interessen führen kann und wird;83 die Dreiteilung des Direktoriums, die den bayerischen Einfluß merklich reduziert, weil zu erwarten ist, daß Bayern durch seine Mitdirektoren regelmäßig überstimmt werden wird; die Ausrichtung des neuen Bundes nicht mehr auf die Verteidigung der katholischen Religion, sondern so Maximilian an Jocher, 11.10.1613: BA XI Nr. 268. 81 So Neuer-Landfried, Liga 126; die von ihr zitierte Quelle in BA XI, 988 Anm. 2 gestattet jedoch diesen Schluß nicht. 82 „Bedenken, warumb der zue Regenspurg aufgerichte oder erneuerte bundsabschid anzuenemen nit ratsamb", undatiert: BA XI Nr. 291. 83 Dieser Gesichtspunkt wird auch in der wichtigen Instruktion für Donnersberg, 20.1.1614, für seine Mission zu den Bischöfen von Bamberg, Würzburg, Eichstätt und Augsburg besonders herausgestellt; vgl. BA XII, 23 f.
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auf den Religions- und Profanfrieden, wodurch der Religionsfriede konfirmiert wird, was jedoch „in vil und vil weg, auch in foro conscientiae, allen catholischen bedenklich sein soll"; schließlich der notorische Unwille der Defensionsstände, die notwendigen Finanzmittel zu bewilligen. Faßt man zusammen, dann sieht Maximilian durch die neue Defensionsverfassung die beiden Grundsäulen seines Selbstverständnisses berührt, bayerischer Staat und katholische Konfession. Daher ist sie abzulehnen. Gleichzeitig wird aber auch schon die Möglichkeit eines dritten Weges erörtert, nämlich einer oberdeutschen „Partikularunion" Bayerns mit den Bischöfen von Augsburg, Eichstätt, Bamberg und Würzburg sowie dem Propst von Ellwangen auf der Grundlage der Bundesverfassung von 1609, wenngleich durch eine solche Partikulareinigung eine weitere Zusammenarbeit mit den rheinischen Ständen nicht ausgeschlossen sein sollte. „Substantia und corpus ipsum aller catholischen" sollten bleiben, ließ Maximilian den Bischöfen vortragen, „doch wegen der umbstend hat modus und qualitas müssen geendert werden."84 Der Gedanke, daß sich die geographisch zunächstliegenden Ligastände zu besserer Sicherung auch noch in kleineren Partikularvereinigungen zusammenschließen sollten, war in den vorhergehenden Jahren schon verschiedentlich erörtert worden.85 Die entscheidende Frage war aber jetzt, ob sich ein solcher oberländische Partikularverein als durchaus selbständiger Bund verstehen und entsprechend organisiert sein würde, oder doch noch als Teil des neuen Regensburger Defensionsvereins entsprechend dessen Organisationsbestimmungen. Eine Analyse der bayerischen Politik der folgenden Monate ergibt, daß Maximilian - „fest in seinen Ansichten, aber auch hinterhaltig in seinem Verfahren" (Ritter) - aus taktisch-politischen Gründen versucht hat, einer klaren Antwort auf diese Frage auszuweichen, um sich den Kaiser und die geistlichen Kurfürsten nicht zu entfremden. Offensichtlich ging es Maximilian darum, den Schein zu wahren, ohne die bayerischen Interessen preiszugeben. So hat Maximilian in der Folge einen oberdeutschen Partikularverein als Neugründung des Oberländischen Bundes von 1609 organisiert, dabei aber den Anschein zu erwecken versucht (so in der Präambel der neuen Satzung), hierdurch in Übereinstimmung mit den Regensburger Vereinbarungen von 1613 zu handeln. Tatsächlich war dies aber nicht der Fall, weder wurde die Regensburger Defensionsverfassung von ihm ratifiziert, noch hat er sich an deren Organisationsbestimmiingen gehalten. Wenn Maximilian gegenüber 84 85
Zitiert bei Neuer-Landfiied, Liga 133 f. Ebenda 131 f.
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den anderen Direktoren der Regensburger Defensionsverfassung, Kurmainz und Erzherzog Maximilian, erklärte, daß er sein eigenes Direktorat weiterfuhren wolle, dann doch nur in einer Weise — nämlich unabhängig von Kaiser und Mitdirektoren - die den Regensburger Vereinbarungen eben nicht entsprach. Man wolle, schrieb er zusammen mit den Mitgliedern des oberländischen Vereins dem Kaiser, den übrigen Ligaständen zwar im Notfall beistehen, aber doch nur, soweit man es fur ratsam, nützlich und ersprießlich halte. Eine solche Unabhängigkeit verstand sich nicht mit den Regensburger Vereinbarungen! Angesichts dessen scheint die Feststellung unzutreffend, daß der Regensburger Defensivbund von 1613, so, wie er seiner Verfassung nach konzipiert war, tatsächlich ins Leben getreten sei. Dem entspricht, daß nach 1613 keine Gesamtligatage, wie bisher, stattgefunden haben, sondern nur noch solche der einzelnen Gruppierungen bzw. Direktorien. Theoretisch mochte man an einer Einheit dieser Gruppierungen als Regensburger Defensiwerein festhalten, faktisch war diese Einheit aber nicht mehr gegeben.86 Die alte Liga von 1609 war durch die Regensburger Beschlüsse aufgehoben, das neue Regensburger Defensivbündnis aber durch den Eigenweg Maximilians und der Oberländischen nicht verwirklicht. Der oberdeutsche Partikularverein wurde am 14. April 1614 in Augsburg vom Herzog von Bayern, den Fürstbischöfen von Augsburg, Eichstätt, Bamberg und Würzburg sowie dem Propst von Ellwangen gegründet; wenige Wochen später traten auch die Bischöfe von Pas sau (Erzherzog Leopold) und Regensburg bei. Es handelte sich faktisch um die Wiederherstellung der ursprünglichen, zunächst nur die Oberländischen umfassenden Liga vom 10. Juli 1609. So entsprach auch die AugsburgerVerfassung 87 weitgehend derjenigen von 1609. Als Bundeszweck wurde jedoch erstaunlicherweise nicht, wie 1609, die Verteidigung der katholischen Religion genannt, sondern, wie 1613, die Verteidigung der Reichsabschiede, des Religions-, Profan- und Landfriedens, der kaiserlichen Autorität! Dies kann nur schwer erklärt werden. Sollte es der Täuschung dienen? Die Gründung des Partikularvereins wurde Kaiser und Papst und dem König von Spanien mitgeteilt. Die von Maximilian ebenfalls informierten „Kondirektoren" Kurmainz und Erzherzog Maximilian wurden betont auf die finanzielle Unabhängigkeit des Partikularvereins hingewiesen. Die beiden behielten sich eine Stellungnahme bis zu einer Zusammenkunft der Mitglie86
So, mit Modifikationen, auch Neuer-'Landfiied,
Liga 134 ff.; früher schon Ritter, Geschichte II,
427 f. Anders Altmann in BA XII, 36 f. und Litsgnburger, Joh. Schweikard 279. Text: BA XII, 363 ff. Zu den Motiven der fränkischen Bischöfe, dem Partikularverein sofort beÌ2utreten, vgl. Baumgart, Reichs- und Ligapolitik Echters 60. 87
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der ihres Direktoriums zunächst vor. Jedoch gelang ihnen nicht - was Maximilian für seinen Bereich sowieso nicht gewollt hatte - , die Regensburger Beschlüsse für ihre jeweiligen Bereiche zu verwirklichen!88 Die rheinischen Bundesstände realisierten zwar auf dem Binger Tag vom Juni 1614 eine Reihe von Bestimmungen der Regensburger Defensionsverfassung, wollten aber für weiteres noch die Errichtung des österreichischen Direktoriums abwarten. Erzherzog Maximilian, der bisher noch wenig Interesse an Bundesangelegenheiten gezeigt hatte, wollte das österreichische Direktorium aber erst errichten, wenn das Hochstift Augsburg und die Fürstpropstei Ellwangen zu seinem Bezirk geschlagen worden waren. Eine solche Abtrennung vom bayerischen Direktorium lehnten aber nicht nur Bischof Heinrich von Knöringen und Fürstpropst Johann Christoph von Freyberg-Eisenberg ab, auch Maximilian stemmte sich gegen diese Schwächung seines ohnehin dezimierten Einflußbereichs und ebenso auch gegen die Einberufung eines allgemeinen Ligatages, wie er von Kurmainz betrieben wurde. Bei einem Tag der schwäbischen Prälaten und Grafen in Überlingen im April 1615 wurde dann zwar ein Bundesstatut für das österreichische Direktorium verabschiedet und Erzherzog Maximilian gebeten, das Direktorium wirklich zu übernehmen, doch machte dieser seine definitive Zustimmung immer noch von der Uberlassung Augsburgs abhängig.89 In der Folge kam es eben über diese Frage zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Maximilian und dem Erzherzog, der hierbei die Unterstützung Johann Schweikards erhielt, welcher seinerseits daran interessiert war, endlich die Regensburger Defensión mit ihren drei Direktorien und eine (von Maximilian wiederholt verweigerte) Zusammenkunft der drei Direktoren zustandezubringen. Die Auseinandersetzungen erreichten ihren Höhepunkt, als nach Intervention des Erzherzogs Mitte November 1615 Kurmainz und Kurtrier gemeinsam Maximilian aufforderten, doch das „publicum" dem „privatum" vorzuziehen und im allgemeinen Interesse der Überlassung Augsburgs an das österreichische Direktorium zuzustimmen. Es war diese Zuspitzung am Ende einer Kette von Schwierigkeiten, an denen er durch seine Trotzhaltung allerdings auch nicht unschuldig war, die Maximilian dazu veranlaßte, Anfang 1616 das Direktorium des Oberländischen Partikularvereins niederzulegen, wovon er sich dann auch durch wiederholte Interventionen der übrigen oberländischen Stände nicht abhalten ließ. Wir besitzen eine ganze Reihe bayerischer Memoranden und Instruktio88 Zum Folgenden vgl. Neuer-Landfried, Liga 141 ff.; BA XII, 50 ff.; Utsgnburger, kard, 281 ff. 89 So gegen BA XII, 70 und Ut^enburger, Joh. Schweikard 287.
Joh. Schwei-
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nen, mit denen sich Maximilian dieses Entschlusses vergewisserte bzw. ihn den oberländischen Bischöfen plausibel zu machen versuchte.90 Unter den mancherlei Motiven, die hier genannt werden und deren jedes wohl auch zu dem Entschluß mehr oder weniger beigetragen hat, hatte ein Komplex offensichtlich besonderes Gewicht, wie auch durch spätere private Äußerungen Jochers bestätigt wird: Es waren die von österreichischer Seite kommenden Schwierigkeiten und Verdächtigungen, daß Maximilian mit der Liga sein Privatinteresse suche, und es waren die kräftig herausgestellten Bestrebungen Erzherzog Maximilians, in der Liga Einfluß zu gewinnen, die bayerische Position im Bund zu schwächen und - so wurde argumentiert - die Häuser Bayern und Österreich zu entzweien. Bedenkt man die Empfindlichkeit Maximilians und seine nicht unberechtigte Identifizierung mit der Liga als seinem Werk sowie die ihm widrige Entwicklung seit den Regensburger Verhandlungen von 1613, so wird man diese Motive als ausreichend für die Aufkündigung des Direktoriums finden, ohne von einer plötzlichen Aufwallung sprechen zu wollen. Man hat aber mit Recht darauf verwiesen, daß sich Maximilian auch durch weitere Aktivitäten des Erzherzogs berührt fühlen konnte.91 Denn der Regent von Tirol sah überhaupt in seltsamer Überschätzung den schwäbischen Raum als seinen politischen und ökonomischen Einflußbereich an, in dem die Bayern nichts zu suchen hätten. Aus dieser Auffassung hatten sich bereits eine Reihe gegen Bayern gerichteter Maßnahmen ergeben, Versuche, den Absatz des bayerischen zugunsten des tirolischen Salzes in Schwaben zu behindern, die Festsetzung Bayerns in der Herrschaft Mindelheim zu verhindern und dort selbst Fuß zu fassen, die Ausübung landesfürstlicher Rechte in der Grafschaft Schwabegg zugunsten der Markgrafschaft Burgau und der Landvogtei Schwaben zu beschneiden und anderes mehr. Österreich betrieb also auch jetzt noch eine Expansionspolitik im schwäbischen Raum, aus dem Bayern möglichst verdrängt werden sollte.92 Eben deswegen wollte man auch die Zugehörigkeit schwäbischer Reichsstände zu einem von Bayern geführten Direktorium nicht akzeptieren. Am 14. Februar 1616 teilte Maximilian dem Kurfürsten von Mainz mit, daß er sein Direktorenamt niederlege, nicht aus „passion, Unwillen oder mißgonst", sondern allein dem gemeinen katholischen Wesen und sich selbst zum besten, mit dem sehr allgemein gehaltenen Zusatz, daß man auch wei90 Vor allem die Instruktion Maximilians vom 14.1.1616 fur Preysing und Götz nach Würzburg, Bamberg und Eichstätt: BA XII, 425-439 und Dokumente 1,3 Nr. 192; vgl. auch BA XII, 80 ff. und Ut^enburger, Joh. Schweikard 300 f. 91 Vgl. die Hinweise Altmanns in BA XII, 78. Hierzu vgl. Spindler, Handbuch 111,2, 981 ff.
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terhin mit den katholischen Ständen in guter Zusammenarbeit bleiben wolle.93 Auch der Papst und Spanien wurden informiert. Mit der Niederlegung des oberländischen Direktoriums94 durch Maximilian war natürlich nicht „die Liga" und auch nicht „der Defensionsverein von 1613" (sofern er ins Leben getreten war) aufgelöst, ebenso aber auch nicht der Oberländische Partikularverein, der ja von seinen verbleibenden geistlichen Mitgliedern fortgeführt werden konnte. Jedoch war durch diesen überraschenden Schritt Maximilians - zumal die Niederlegung des Direktoriums zugleich den Austritt Bayerns aus dem Oberländischen Verein bedeutete - eine entscheidende Schwächung dieser Vereinigung gegeben und ebenso eine solche des katholischen Bündniswesens im Reich überhaupt, wenn die bisher führende und treibende Kraft in dieser Weise resignierte. Demgemäß sind auch in der Folge weder der Oberländische Verein noch das rheinische und das österreichische Direktorium durch bemerkenswerte Aktivitäten hervorgetreten, es war tatsächlich „die Kraft der Liga gebrochen".95 Gerade diese Tatsache hat aber - vor dem Hintergrund unsicherer Zeidäufe - dazu geführt, daß schon wenige Monate nach Maximilians Resignation vier der fünf ehemaligen Mitglieder des oberländischen Partikularvereins, nämlich die Fürstbischöfe von Würzburg, Bamberg und Eichstätt sowie der Fürstpropst von Ellwangen, den Gedanken einer Wiedergründung oder Neugründung einer engeren nachbarlichen Vereinigung in München vortragen ließen, um sich einen Rückhalt für ihre Stifter zu sichern.96 Der Augsburger Bischof Heinrich von Knöringen wurde nicht beteiligt und nicht einmal informiert, wohl um nicht neue Querelen mit Erzherzog Maximilian hervorzurufen. Wie Maximilian seinem Bruder in Köln mitteilte, hätten ihn die Bischöfe mehrmals aufgefordert, „mich mit ihnen, weil das general werkh vast » BA XII, 86 f. 94 Wenn in den Quellen und entsprechend in der Literatur von der Niederlegung des „Bundesoberstenamts" gesprochen wird, so ist dies mißverständlich. Ein Bundesoberst existierte von 1609 bis zur Frankfurter Neuorganisation als militärischer Befehlshaber für die gesamte Liga im Kriegsfall; dieses Amt war seit 1609 an Maximilian übertragen. Seit 1613 wurde für jedes Direktorium ein Bundesoberst eingerichtet - eine der Maßnahmen, um Maximilians Einfluß zu beschränken. Maximilian war seither Bundesoberst nur für den oberländischen Bereich. Mit dem oberländischen Direktorenamt legte er auch dieses (begrenzte) Bundesoberstenamt nieder, aber natürlich war die Niederlegung des Direktorenamtes das Entscheidende. In einem Memorial von 1 6 1 4 wird vom „bundtsobristen- oder directorisamt" gesprochen (BA XII, 95). In der offiziellen Mitteilung an Kurmainz vom 16.4.1616 ist präzise vom „bißhero getragenen directorisamt" die Rede. 55 Riemer, Geschichte V, 113. Unverständlich ist der dortige Satz: „Auf katholischer Seite hielt nur der engere Bund unter Maximilians Leitung noch zusammen", denn eben diese Leitung hatte Maximilian niedergelegt. Einzelheiten in BA XII, 1 1 2 ff.; vgl. Neuer-Landfried, Liga 154 ff.
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2erfallen, in ain particular verstandt einzulassen"; jedoch zögerte er zunächst mit weiteren Schritten. Nach Vorgesprächen seit September 1616 fanden entsprechende Verhandlungen erst im Mai 1617 in München statt. Sie endeten mit der Gründung einer „Nachbarlichen Versicherung" zwischen Maximilian und den genannten geistlichen Fürsten durch Vertrag vom 27. Mai 1617.97 Der Vertragstext stimmte inhaltlich und meist auch wörtlich größtenteils mit den Bestimmungen des Augsburger Abschieds von 1614 für den Oberländischen Partikularverein überein. Ebenso wie 1614 war auch jetzt von Verteidigung der katholischen Religion als erstem Bundeszweck nicht mehr die Rede, es ging lt. Präambel angesichts der allgemein eingerissenen Unsicherheit um „mehrer volziehung des hochbeteurten religion- und prophanfridens und handthab unserer selbst aigenen rechten und befuegnissen, allein defensive". Insofern handelte es sich praktisch um die Erneuerung der Oberländischen Vereinigung. Jedoch bestand der Unterschied, daß jetzt von der Erhaltung der Autorität des Kaisers als Bundeszweck nicht mehr gesprochen wurde und daß keine Bezugnahme zum rheinischen und österreichischen Direktorium mehr existierte; auch gibt es eine Äußerung Maximilians, daß durch die Neugründung seine Aufkündigung des Direktoriums von 1616 nicht im geringsten berührt werde. Was war der Unterschied zwischen beiden Organisationen, weshalb war Maximilian zu einer Neugründung bereit? Man wird es in der Tatsache sehen, daß durch das Fernbleiben Augsburgs und die Nichtberücksichtigung des Kaisers sowie des rheinischen und österreichischen Direktoriums der neue Bund zugleich begrenzter und unabhängiger als bisher war, dazu durch erhebliche Anfangsbewilligungen der Mitglieder weniger belastend für die bayerischen Kassen als bisher, und daß dennoch der überragende Einfluß Maximilians durch präzise Bestimmungen (Artikel 19) gesichert war. Es handelte sich um ein vergleichsweise kleines, aber wohl schlagkräftiges Instrument der Mitglieder, nicht zu weitreichenden Unternehmungen, sondern zum unmittelbaren Schutz der Beteiligten gedacht. So sind auch Bemühungen Ferdinands von Köln, mit seinen entlegenen Landen in die Vereinigung aufgenommen zu werden, erfolglos geblieben, die geistlichen Mitglieder wie auch Maximilian (der sich hinter ihnen verschanzte, um seinen Bruder nicht zu brüskieren) lehnten seinen Beitritt ab. Allerdings war Maximilians langjährige Position als Führer der katholischen Reichsstände nun stark reduziert. Die letzten Argumente in dieser Frage wurden erst im Sommer 1618 ausgetauscht, zu einem Zeitpunkt, als sich durch den Prager Fenstersturz und den 97
Text: BA XII, 464-469 und Dokumente 1,3 Nr. 195.
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Böhmischen Aufstand ganz neue Konstellationen in den Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Konfessionsparteien abzuzeichnen begannen und eine kleine nachbarliche Vereinigung den erhöhten Anforderungen offensichtlich nicht mehr gewachsen war. Damit mußte sich ein neues Kapitel maximilianeischer Ligapolitik eröffnen. Die bisherige Geschichte der Katholischen Liga hatte gezeigt, daß auf katholischer Seite nur der Herzog von Bayern die Kraft und Entschlossenheit besaß, auf der Basis fester Überzeugungen und nüchterner (gelegentlich allerdings zu ängstlicher, die Gefahren zu sehr vergrößernder) Einschätzung der Situation die Gründung eines Sonderbundes anzustoßen und diesen zu organisieren. Sie hatte weiterhin gezeigt, daß nur ein Teil der geistlichen Reichsstände und auch diese nur unter Schwierigkeiten dahingehend mobilisiert werden konnten, diesem Bund durch angemessene Beiträge wirkliche Effektivität zu verleihen; zu seinem Glück hatte er sich militärisch nicht bewähren müssen. Die bisherige Geschichte der Liga hatte schließlich erwiesen, daß ein solcher Sonderbund im Reich auf katholischer Seite auf die Dauer nur mit kaiserlich-habsburgischer Zustimmung möglich war, nicht zuletzt, weil diese von den geistlichen Kurfürsten für notwendig gehalten wurde. Darüber hinaus hatte die Politik Johann Schweikards von Mainz in Verbindung mit derjenigen Klesls erwiesen, daß dem konfessionspolitischen, wenngleich stets defensiven Sonderbundskonzept Maximilians ein anderes zur Seite gestellt werden konnte, das in erster Linie auf die Wiederherstellung einer funktionierenden Reichsverfassung zielte. Wie letztere Zielsetzung im protestantischen Lager, insbesondere bei Kurpfalz aufgenommen werden würde, war allerdings ungewiß. Jedenfalls: So sehr Maximilian daran gelegen war, die Handhabung Friedens und Rechts im Reich zu verbessern, so hatte er doch aus allgemeinen konfessionspolitischen und speziellen bayerischen Gründen erbitterten Widerstand gegen diese Konzeption geleistet, war aber deswegen veranlaßt worden, sich mit immer reduzierteren Bundesformen zu begnügen. Die vergangenen Jahre hatten also sowohl Maximilians Möglichkeiten in der Reichspolitik wie deren Grenzen aufgezeigt. Den Reichsständen war sichtbar geworden, daß er befähigt und gewillt war, in der konfessionspolitischen Konfrontation im Reich bestimmte Traditionslinien der bayerischen Politik fortzuführen. Ihm selbst aber war bestätigt worden, was schon seine Vorfahren wußten und er im Passauer Bistumsstreit auch schon erfahren hatte, daß konfessionspolitische und auch dynastische Gemeinsamkeiten überlagert werden konnten von territorialpolitischen Gegensätzen und vor allem von dem latenten Antagonismus von Kaisertum und Territorialfürstentum. Hier-
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durch war seine Ligapolitik im Laufe der Jahre erheblichen Einschränkungen unterworfen worden, wahrscheinlich war sie sogar gescheitert. Ein neuer Anlauf zu ausgreifender bayerischer Konfessionspolitik im Reich setzte offensichtlich feste Sicherungen nach dieser Seite voraus, um erfolgreich und von Dauer zu sein.
17. Unternehmungen und Versuchungen 1612-1618 Die über die Grenzen des Herzogtums hinausgreifende Politik Maximilians erschöpfte sich nicht mit den Problemen der Liga. Denn so begrenzt Mittel und Möglichkeiten eines deutschen Territorialfürsten sich auch darstellten, so waren doch auch die Territorien mittlerer Größe durch die nachbarschaftlichen Verhältnisse und die wechselnden Konstellationen der Reichspolitik, gelegentlich auch der europäischen Politik, immer wieder zu Stellungnahmen und Reaktionen herausgefordert. In dieser Hinsicht war Maximilian seit der Ligagründung und parallel zu seiner Ligapolitik vor allem mit vier Problemen konfrontiert, dem weiteren Verhältnis zum Salzburger Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau, der Frage der Konversion Herzog Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg, dem Problem der Nachfolge des Kaisers Matthias, und schließlich — damit zusammenhängend — der Frage einer bayerischen Kaiserkandidatur. Die Beziehungen zwischen dem Herzogtum Bayern und dem Erzstift Salzburg waren alt und eng, wenngleich nicht spannungsfrei.1 Das Bistum Salzburg war einst auf Boden des bayerischen Stammesherzogtums und unter Förderung des bayerischen Herzogs gegründet worden. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich das Erzstift Salzburg als eine selbständige politische Einheit gebildet und abgelöst, aber durch gleiche Stammesart, rechtliche und wirtschaftliche Verflechtungen, kulturelle und nicht zuletzt kirchlichkonfessionelle Gemeinsamkeiten war doch ein enges Nachbarschaftsverhältnis lebhaften Austausches bestehen geblieben. Die salzburgische Stadt Mühldorf lag ebenso inmitten des bayerischen Territoriums wie das von Salzburg aus regierte Bistum Chiemsee, die bayerischen Bistümer Freising, Regensburg und Passau gehörten seit 798 der Metropolis Salisburgensis an. Die Situation des Erzstifts zwischen Bayern und Österreich und die reichen Bodenschätze des Landes hatten die bayerischen Herzöge im Laufe der Jahrhunderte wiederholt zu Einflußnahmen auf das Stift und den Salzburger Erzstuhl veranlaßt, nicht zuletzt hatte sich die kirchliche Reformpolitik der Vorfahren Ma1 Die einschlägige Literatur verzeichnet Dieter Albrecht, Erzstift Salzburg, in: Spindler-Kraus, Handbuch 111,3, München 1995, § 33. Vgl. insbesondere HeiDopsch-Hans Spat^enegger (Hg.), Geschichte Salzburgs, 2 Bände in 8 Teilen, Salzburg 1981-1991.
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ximilians immer wieder auch an die Salzburger Erzbischöfe gewandt. Nachdem der Wittelsbacher Herzog Ernst von 1540 bis 1554 als Administrator von Salzburg amtiert hatte, war es allerdings nicht mehr gelungen, einen bayerischen Kandidaten auf dem Stuhl des Hl. Rupert durchzusetzen. Wolf Dietrich von Raitenau, der 1587 achtundzwanzigjährig zum Fürsterzbischof von Salzburg gewählt wurde, gehörte in mehrfacher Hinsicht zu den profiliertesten Figuren im deutschen Episkopat seiner Zeit.2 Der junge Mann war in der Kaderschmiede des deutschen Reformklerus, dem Germanikum in Rom, zum Priester ausgebildet worden. Er verband Bildung mit Tatkraft, Sinn für Macht und Ehrgeiz mit dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung im großen barocken Rahmen. Seine Lust zur Ausreizung von Situationen wurde allerdings nicht durch Selbstdisziplin begrenzt, so daß er in entscheidenden Augenblicken seine Möglichkeiten überschätzte. Die beachtlichen pastoralen und gegenreformatorischen Leistungen Wolf Dietrichs als Bischof traten im Laufe der Jahre hinter seinen Aktivitäten als Landesfürst und Mäzen zurück. Seine Verbindung mit Salome Alt, der zahlreiche Kinder entsprossen, sah er offensichtlich nicht in ernstlichem Widerspruch zu seinem geistlichen Amt. Wolf Dietrichs Pontifikat bezeichnete den Beginn des fürstlichen Absolutismus in Salzburg unter Entmachtung der Landstände und Zurückdrängung des Domkapitels, die Grundlegung der barocken Stadtgestalt, schließlich auch eine Periode mannigfacher Modernisierungen in Verwaltung und Wirtschaft. Wenn Wolf Dietrich in einigen seiner Charakterzüge und Zielsetzungen Maximilian ähnelte, so hatte ihm der bayerische Herzog doch einige Kategorien voraus, die schließlich entscheidend wurden, vor allem Disziplin und genaue Kalkulation des Möglichen. Man darf annehmen, daß der Beurteilung Wolf Dietrichs durch Vervaux diejenige durch Maximilian entsprochen hat: „Ein Mann von ausgezeichneten Geistesgaben, aber unruhig und neuerungssüchtig. Hätte er sich im Glück gemäßigt und sich an die Reinheit seines priesterlichen Standes gehalten, so hätte ihm nichts zu einem großen und glanzvollen Fürsten gefehlt."3 Bereits die Beziehungen Wilhelms V. zu Wolf Dietrich waren nicht spannungsfrei gewesen. 1590 rühmte sich Wilhelm, in Rom verhindert zu haben, daß der Salzburger Erzbischof zum Kardinal erhoben wurde, weil dieser „one das ain hohen geist hat" und vielleicht zum Schaden Bayerns noch höher Kar/Mayr-Deisinger, Wolf Dietrich von Raitenau, München 1886; Eva Stahl, Wolf Dietrich von Salzburg, 2. Aufl. München 1987; Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau. Katalog der 4. Salzburger Landesausstellung, Salzburg 1987; Dopsch-Spat^enegger, Geschichte Salzburgs 11,1,173 ff. 2
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Adiiçreiter-Vervaux, Annales III, 23.
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hinaus wolle.4 Wolf Dietrich war dann aus dem Landsberger Bund ausgetreten, gleichzeitig war es wegen der Koadjutorie der Fürstpropstei Berchtesgaden zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Bayern und Salzburg gekommen, bei denen sich schließlich, wie schon erwähnt, Maximilians Bruder Ferdinand hatte durchsetzen können. Wolf Dietrichs Verhältnis zu Maximilian selbst war spätestens seit dem Regensburger Reichstag 1594 belastet, als er sich in den Verhandlungen wenig bayernfreundlich erwiesen hatte, dann auch durch seine Obstruktion gegenüber den von Maximilian einberufenen bayerischen Kreistagen, die er seit 1596 wiederholt nicht beschickte. Den bayerischen Führungsanspruch in Südostdeutschland, den Maximilian von seinen Vorfahren wie selbstverständlich übernahm, betrachtete Wolf Dietrich als politische Bevormundung, zumal seine lebensvolle Persönlichkeit dem Asketismus Maximilians ganz fremd gegenüberstand. Diese Distanz erhielt bei der Gründung der Liga eine weitere Dimension, insofern Wolf Dietrich trotz wiederholter Einladung dem neuen Bund 1609 und auch später fern blieb. Anfang 1610 schrieb er ganz im Sinne Klesls an Christian von Anhalt, daß solche konfessionellen Bündnisse nur geeignet seien, kriegerische Auseinandersetzungen zu provozieren. Ihm lag nichts daran, einem Bündnis anzugehören, in dem Bayern die erste Geige spielte. Zudem hatte er auf den Kaiser Rücksicht zu nehmen, von dem er eben die Legitimierung seiner fünfzehn Kinder erhoffte und auch erhielt. Der Politik Wilhelms V., seine nachgeborenen Söhne mit kirchlichen Pfründen zu versorgen, war es gelungen, Maximilians Bruder Herzog Ferdinand noch als Kind auf eine Salzburger Domherrnstelle zu bringen. Ebenso saß aber auch ein Habsburger im Domkapitel, Erzherzog Leopold, so daß sich beide Familien Gedanken und Hoffnungen machten, dereinst vielleicht den Salzburger Erzstuhl zu besetzen. Wilhelm V. und Maximilian waren umsomehr daran interessiert, als sie 1598 bei der Besetzung Passaus gegen Habsburg und Leopold verloren hatten. Im Oktober 1605 ließ Maximilian durch Hans Georg von Herwarth in Salzburg sondieren, ob Wolf Dietrich nicht etwa erwägen könne, „aus Seiner Liebden freunden oder deme es Seine Liebden vor andern wol gönnten", einen Koadjutor anzunehmen. Das war deutlich, auch wenn Maximilian in der Instruktion für Herwarth die Randbemerkung angefügt hatte: „Cautissime, daß man ihn nit aus der wiegen werfe, denn er wirds [so] verstehen, als deuten wirs auf uns."5 Der Erzbischof lehnte rundweg ab, und tatsächlich konnte Maximilian angesichts der bisheri1 Wittelsbacher Briefe I Nr. 2 (10.2.1590). 5 Mayr-Deisinger, Wolf Dietrich 113.
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gen bayerisch-salzburgischen Beziehungen kaum erwarten, daß sich Wolf Dietrich in dieser Weise ins bayerische Schlepptau begab und mit Österreich verfeindete. In dieser Situation wurde in München ein Plan geboren, den man nur als machiavellistisch bezeichnen konnte, Maximilian schlug dem Erzbischof vor, durch eine rechtliche Fesdegung die beiden Häuser Wittelsbach und Habsburg ausdrücklich und für alle Zeiten vom Salzburger Erzstuhl auszuschließen — wenn schon nicht Bayern, dann sollte auch Österreich keine Chance haben!6 Tatsächlich zeigte sich Wolf Dietrich nach einigem Hin und Her mit Maximilians Vorschlag einverstanden, wobei man über seine Gründe nur mutmaßen kann: Handelte er primär im Interesse des Erzstifts, das künftig den schädlichen Auswirkungen des bayerisch-österreichischen Antagonismus enthoben sein sollte, oder dachte er, wie man munkelte, an seinen ältesten Sohn Hannibal als Nachfolger? Er wählte jedenfalls den Weg, daß das Salzburger Domkapitel am 5. Mai 1606 neue, von ihm vorgelegte Kapitelstatuten akzeptierte, in denen die Klausel enthalten war, daß „kainer aus disen bayden heusern [Österreich und Bayern] dem andern zu wissentlichem und kundtlichem praeiudicio und nachtail zu disem erzstift zu ewigen Zeiten eligirt oder postulirt solle werden", weil solche Neutralität sowohl den beiden Häusern wie dem Erzstift zum Besten gereiche.7 Wolf Dietrichs Problem war es, das „Ewige Statut" dem entrüsteten und verärgerten Kaiser plausibel zu machen. Er tat es mit dem Hinweis, daß es im Interesse Österreichs liege, wenn den Bayern, die sich schon verschiedentlich um die Nachfolge in Salzburg bemüht hätten, der Zugang zum Erzstuhl versperrt werde. Er gab aber nicht bekannt, daß der Plan von München ausgegangen war. Maximilian aber schlüpfte in eine Doppelrolle, die seinem Ruf eines Machiavellisten ganz entsprach. Obwohl er der geistige Urheber des Ganzen gewesen war, stellte er sich jetzt gegenüber Wolf Dietrich überrascht, ja er meldete sogar Bedenken gegen die Ausschließungsklausel an, was nun allerdings den Erzbischof veranlaßte, ihn auf die bayerische Urheberschaft hinzuweisen.8 Gegenüber Erzherzog Leopold, der sich von der Klausel unmittelbar betroffen fühlte, zeigte Maximilian dagegen Verständnis für das Statut. Gespielt ahnungslos ließ er ihn durch seinen Gesandten Fickler auf die Vorzüge verweisen, die sich durch die Beseitigung der Konkurrenzsituation zwischen den beiden Dynastien ergäben. Gegenüber dem Kaiser verteidigte Maximilian das Statut mit einem spitzfindigen Argument, das bereits Maximilian an Wolf Dietrich, 13.11.1605: Mayr-Deisinger, Wolf Dietrich 114. Text: Dokumente 1,3 Nr. 157. Vgl. auch Mayr-Deisinger, Wolf Dietrich 115 ff. 8 Maximilian an Wolf Dietrich, 12.7.1606: Mayr-Deisinger, Wolf Dietrich 123; Wolf Dietrich an Maximilian, 19.7.1606: Dokumente 1,3 Nr. 157 zweiter Teil. 6 7
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Wolf Dietrich ihm gegenüber gebraucht hatte: Wenn man genau lese, werde ersichtlich, daß eine österreichische oder bayerische Kandidatur nicht absolut ausgeschlossen sei, sondern ausdrücklich nur, „so ser und wait aines oder des andern wal ainem oder dem andern praeiudicirlich".9 Offensichtlich war Maximilian an der Anerkennung des Statuts durch die Habsburger deswegen gelegen, weil er angesichts der österreichischen Dominanz im Südosten des Reiches in der salzburgischen Neutralität die günstigste Lösung für Bayern erblickte; daß er sich für später doch noch Chancen auf den Erzstuhl ausrechnete, ist kaum anzunehmen. Von habsburgischer Seite, insbesondere von Erzherzog Leopold, wurden jedoch alle Hebel zur Annullierung des Statuts in Bewegung gesetzt. Auch Ernst von Köln, Maximilians Onkel, konnte in dem Statut nur Schimpf und Nachteil für die beiden Häuser Habsburg und Wittelsbach erkennen — auch er wußte nichts von Maximilians Urheberschaft. Als Folge der habsburgischen Interventionen suspendierte Papst Paul V. im März 1607 den Ausschließungsparagraphen; 1612, nach der Abdankung Wolf Dietrichs und der Wahl eines neuen Erzbischofs, erklärte er das ganze Statut für ungültig. Dennoch — und darin liegt, über Maximilian und Wolf Dietrich hinaus, die Bedeutung des ganzen Vorganges — wurde künftig kein bayerischer Prinz oder österreichischer Erzherzog mehr zum Erzbischof von Salzburg gewählt. Mit der Fortdauer der Neutralisierung, die durchaus im Interesse des Erzstifts lag, hatte Maximilian also doch sein ursprüngliches Ziel, die Ausschaltung von Mitgliedern des Hauses Habsburg erreicht, der Vorgang ist insofern in seine Erfolgsbilanz einzureihen. Aber doch nur insofern, denn ungeachtet dieses Ausschlusses hat in der Folge bis zum Ende des Alten Reiches der Einfluß Österreichs in Salzburg dominiert, aus einem überwiegend von österreichischem Adel besetzten Domkapitel sind überwiegend österreichfreundliche Erzbischöfe hervorgegangen.10 Den wichtigsten Verbindungs- und zugleich Reibungspunkt zwischen Bayern und Salzburg bildete das Salz.11 Die Salzversorgung des süddeutschen Raumes und Böhmens teilten sich vier Salzproduzenten, Österreich (Saline Hallstadt), Bayern (Reichenhall), Salzburg (Hallein) und Berchtesgaden (Schellenberg und Fronreith), wobei Hallein am ergiebigsten und billigsten produzierte. Österreich und Bayern verfügten über einen großen Binnenmarkt, während Salzburg und Berchtesgaden auf den Export ihres Salzes angewiesen waren, noch dazu durch bayerisches Gebiet. Durch den von ChriMaximilian an den Kaiser, 15.1.1607: Mayr-Deismger, Wolf Dietrich 126. Vgl. Albrecht, Erzstift Salzburg 264. 11 Für das Folgende grundlegend: Koller, Bayem-Salzburg-Berchtesgaden. Vgl. auch MajrDeisinger, Wolf Dietrich 131 ff. 9
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stoph Neuburger mit Salzburg ausgehandelten Salzvertrag von 1594 erhielt Bayern das Monopol auf den Vertrieb des Halleiner Salzes von der Saline bis zur Donau; die bisher am Salzhandel beteiligten Städte Passau, Regensburg und Schärding wurden völlig ausgeschaltet. Dafür verpflichtete sich Bayern, jährlich 1 500 „Hallfahrten" an Salz abzunehmen, eine Absatzgarantie zum Vorteil Salzburgs. Dieser Vertrag brachte den Bayern zunächst beträchtliche Gewinne, wirkte sich aber allmählich zu ihren Ungunsten aus, da durch österreichische Einwirkung der böhmische Absatzmarkt zunehmend enger wurde und Maximilian hierdurch zunehmend auf großen Salzbeständen sitzenblieb. Zwar konnte er durch Verträge von 1602, 1605 und 1609 erreichen, daß ihm eine Reihe von Hallfahrten erlassen wurden, doch hatte er hierfür und für weitere Reduzierungen beträchtliche Ablösungen und Geldbußen zu entrichten, während sich die bayerischen Salzspeicher schon wieder gefährlich füllten. Im März 1610 lagerten rund 11 000 Tonnen Halleiner Salz in Maximilians Magazinen, drei Viertel der Abnahmequote von 1609 waren damit unverkauft geblieben. Offensichtlich mußte man in München nach einer Möglichkeit fahnden, ohne Nachteile aus dem Salzburger Salzvertrag auszusteigen und stattdessen zu einem günstigeren Vertrag mit der Fürstpropstei Berchtesgaden zu gelangen. Im Herbst 1610 ließ Maximilian die Maut auf die Salzlieferungen der Halleiner Händler verdoppeln, gestützt auf das schon erwähnte kaiserliche Zollduplierungs-Privileg von 1609. Wenn er dadurch auch seine Einnahmen erhöhte, so war doch der Zweck des Verfahrens, jedenfalls in Bezug auf den Salzzoll, kein fiskalischer. Es gelte, hieß es vielmehr in einem bayerischen Gutachten vom Januar 1611, den Salzburger Erzbischof, der ein „schneller, geher herr" sei, zu einer unüberlegten Reaktion zu provozieren, ihn zur Kündigung des Salzvertrags zu verleiten. Tatsächlich erreichte Maximilian durch diese und weitere Provokationen, was er wollte, am 21. April 1611 kündigte Wolf Dietrich alle Salzhandelsverträge mit Bayern. Die Kündigung hatte die Blockade des Halleiner Salzhandels durch Bayern zur Folge, die nicht nur zu einem katastrophalen Salzmangel im süddeutschen Raum führte, sondern ebenso zu schwerer Schädigung der Halleiner Bürger und Salzarbeiter. Dem König Matthias ließ Maximilian unzweideutig, wenngleich vergeblich, mitteilen, daß jede Unterstützung Salzburgs, etwa durch Halleiner Salzexporte über Osterreich nach Böhmen, die Beziehungen der Häuser Wittelsbach und Habsburg schwer beeinträchtigen würde. Gleichzeitig ließ Maximilian, um die Halleiner Blockade fortsetzen zu können, die Produktion der Reichenhaller Saline mit allen Mitteln steigern, ohne Rücksicht auf rationellere Verfahren wurde Brennholz verbraucht und ein Defizit von rund 80 000 Gulden in Kauf ge-
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nommen. Auch Produktion und Import des Berchtesgadner Salzes nach Bayern wurden gesteigert, um Wolf Dietrich weiterhin boykottieren zu können. Als dieser darauf im Juli die einzige Straße von Berchtesgaden nach Reichenhall, die über Salzburger Territorium führte, sperren ließ, veranlaßte Maximilian trotz ungünstiger geographischer Voraussetzungen den Bau neuer Straßen, dazu eine Ausfuhrsperre für Lebensrnittel nach Salzburg. Im Gegenzug ließ der Erzbischof die Holzeinschläge im Salzburgischen einstellen, die für die Produktion der Saline Reichenhall unentbehrlich waren. Wiederholte Ausgleichsverhandlungen zwischen beiderseitigen Räten, schließlich auch in Berchtesgaden zwischen Tilly und salzburgischen Offizieren, blieben ohne Ergebnis. Den kürzeren Atem in diesem auch mit ganz kleinlichen Mitteln geführten Salzkrieg hatte aber schließlich Wolf Dietrich. Am 7. Oktober 1611 besetzten seine Truppen die Fürstpropstei, durch ein Faustpfand gesichert wollte er den Salzstreit einem Schiedsgericht von Reichsständen unterbreiten, dessen Einrichtung auch Maximilian zustimmen sollte. Dieser war jedoch entschlossen, die Gelegenheit zu nützen und die Sache zu einem raschen Ende zu bringen. Er hielt Wolf Dietrich ein Sündenregister vor und stellte ein Ultimatum: Rückgängigmachung aller Übergriffe oder militärische Aktion.12 Gleichzeitig sammelte er an der Grenze zu Salzburg bei Burghausen aus den bayerischen Landfahnen ein Heer von zehntausend Mann unter Tilly, zu dem er sich dann auch selbst begab. Da er als Kreisoberst den Landfrieden im Bayerischen Kreis zu wahren hatte, brauchte er für eine Exekution nicht erst den umständlichen Weg über das Reichskammergericht und den Kaiser zu gehen. Jedoch suchte er sich durch Gesandtschaften an Kaiser Rudolf II., König Matthias und die eben in Nürnberg tagenden Kurfürsten mit Darlegung der bayerischen Rechtsposition abzusichern. Wie er erfuhr, waren sowohl die drei geistlichen Kurfürsten wie auch Johann Georg von Sachsen mit seinem Vorgehen ganz einverstanden; auch der Kaiser habe geäußert, „es schade nit, daß die pfaffen sich mit ainander raufen".13 Auch kam ihm sehr gelegen, daß das Salzburger Domkapitel, das jahrzehntelang unter dem Regiment Wolf Dietrichs gelitten hatte, nun um bayerische Hilfe bat, während der Erzbischof selbst weniger entschlossen als kopflos agierte. Am 22. Oktober eroberten die bayerischen Truppen die salzburgische Festung Tittmoning, tags darauf entfloh Wolf Dietrich in das Hochgebirge, worauf das Domkapitel alle geworbenen Truppen entließ. Jocher kam mit einem bayerischen Vorauskommando nach « Maximilian an Wolf Dietrich, 19.10.1611: Wolf, Maximilian III, 80-89. Sturm, Preysing 19 f.; BA X, Nr. 16 mit Anm. 2 und 4 sowie Nr. 10 mit Anm. 2.
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Salzburg und forderte, worauf es Maximilian zunächst ankam, die Besetzung der Feste Hohensalzburg durch bayerische Truppen, freie Ausfuhr des Halleiner Salzes und Wiederaufnahme der salzburgischen Holzlieferungen für Reichenhall. Am Abend des 26. Oktober ritt Maximilian selbst an der Spitze von zwölfhundert Soldaten in Salzburg ein, wenige Stunden später wurde Wolf Dietrich von bayerischen Truppen im Gebirge aufgespürt und gefangengenommen. Für Maximilian stellte sich jetzt die Frage nach dem weiteren Schicksal des Erzbischofs, nach der weiteren Behandlung des Erzstifts und nach der Neuordnung des beiderseitigen Salzwesens. Was Wolf Dietrich betraf, so blieb er in bayerischer Haft, seit 23. November auf der Hohensalzburg, obwohl die bayerischen Geheimräte gewarnt hatten, daß ein hoher geistlicher Würdenträger nicht längere Zeit gefangengehalten werden dürfe. Maximilian hatte dagegen die Auffassung vertreten, daß eine Freilassung des Erzbischofs nicht in Frage komme, da er Verbindung mit den Protestanten suchen werde, wozu es Hinweise durch aufgefundene Korrespondenzen mit Christian von Anhalt gäbe. Die weitere Haft Wolf Dietrichs mußte allerdings noch nicht dessen Absetzung oder Abdankung bedeuten. Um diese Frage sowie um die Höhe der eventuellen Abfindung ging es bei langwierigen Verhandlungen, die zwischen dem Erzbischof und dem Domkapitel geführt wurden, dem Maximilians Wünsche durch Jocher vorgetragen wurden, während der Herzog selbst bereits am 6. November sein Heer auflöste und nach München zurückkehrte. Am 17. Dezember verpflichtete sich Wolf Dietrich schließlich gegenüber dem Kapitel zur Abdankung, sobald die päpstliche Erlaubnis hierzu eingetroffen sei; das Kapitel wollte sich anschließend beim Papst und dem Herzog von Bayern für seine Freilassung verwenden. Maximilian hatte die Resignation des Erzbischofs nie öffentlich gefordert, aber er hatte sie doch von Anfang an als mögliches Ergebnis der militärischen Exekution angesehen und erhofft. Entscheidend mußte sein, daß die Römische Kurie den ganzen Vorgang nicht als Kraftakt eines weltlichen Fürsten gegen den angesehensten Erzstuhl im Reich beurteilte, indem man nicht den Salzstreit, sondern die Lebensführung Wolf Dietrichs in den Vordergrund rückte, und das Domkapitel als die eigentlich treibende Kraft einer Resignation erschien. So schilderte Maximilian dem Papst die Vorgänge der letzten Wochen, daß er von Wolf Dietrich provoziert und vom Domkapitel gerufen worden sei, dem er nun den Erzbischof (wenngleich unter bayerischer Bewachung) übergeben habe. Er schilderte weiterhin den skandalösen Lebenswandel Wolf Dietrichs, auch seine Verbindungen zu Häretikern, und er stellte zur
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näheren Aufklärung eine eigene Gesandtschaft nach Rom in Aussicht.14 Der bayerische Agent in Rom Crivelli hatte diese Mitteilungen zu erläutern; anschließend hatte Jocher in Salzburg Material über das unkirchliche, unsittliche und verschwenderische Leben und Treiben Wolf Dietrichs zu sammeln und zu einer Gesandteninstruktion zusammenzustellen. Diese Instruktion für Christoph Peutinger und Aurelio Gigli15 war denn auch ein Katalog aller echten oder vermuteten Schlechtigkeiten des Erzbischofs, seiner wiederholten Weigerung, sich an den Bayerischen Kreistagen und der Katholischen Liga zu beteiligen, seiner Verbindung zu protestantischen Fürsten, des Häresieverdachts, der persönlichen Feindschaft gegenüber dem Herzog von Bayern. In einer besonderen schriftlichen Information fur Paul V. und wichtigere Kardinäle wurde hinzugefügt, daß Wolf Dietrich bei einem Sieg über den Herzog von Bayern nichts anderes beabsichtigt habe, als im Einverständnis mit den Protestanten das Erzstift in ein weltliches und erbliches Fürstentum für seine Söhne umzuwandeln, „con dannatione dell'anima sua e detrimento irrevocabile della Religione Cattolica". Maximilian verstieg sich aber auch zu einer bemerkenswerten Warnung: Sollte der Papst den Erzbischof wider alle Erwartung in seinem Amt bestätigen wollen, werde sich der Herzog von Bayern dessen Restitution mit rechtmäßigen, zulässigen Mitteln auf das äußerste widersetzen. Nachdrücklicher konnte man die Absetzung oder die Billigung der Abdankung Wolf Dietrichs nicht betreiben! Entsprechend bedrängte Maximilian das Domkapitel, durch eine Delegation nach Rom sich ebenfalls um die päpstliche Zustimmung zur Resignation Wolf Dietrichs zu bemühen. Die Römische Kurie16 hatte bereits im Sommer 1611 teils direkt durch die Nuntien in Graz und Prag, teils indirekt durch den in München befindlichen Kapuziner Laurentius von Brindisi zwischen den beiden Kontrahenten zu vermitteln gesucht und den Kaiser und Erzherzog Ferdinand um Vermittlung gebeten, allerdings vergebens. Nach der Besetzung Salzburgs und der Gefangennahme Wolf Dietrichs stand der Papst vor einem Dilemma: Konnte man die Gefangennahme eines Erzbischofs durch einen weltlichen Fürsten hinnehmen, ohne die dafür vorgesehenen Kirchenstrafen zu verhängen? Konnte man aber den Herzog von Bayern vor den Kopf stoßen, dessen Verdienste um die katholische Sache im Reich in Rom bekannt genug waren? Paul V. war tatsächlich über Maximilians Vorgehen schockiert, versuchte aber 14
Maximilian an Paul V., 29.10.1611: Carmignano, S. Lorenzo III, 135 Anm. 161. is Wolf, Maximilian III, 124 ff.; Majr-Deisinger, Wolf Dietrich 169 ff. ^Pastor, Päpste XII, 560; Mayr-Deisinger, Wolf Dietrich 172 ff.; Wolfgang Einhard, Kardinal Millino als Sachverständiger der Kurie für Fragen der deutschen Politik 1611, in: RQ 62 (1967), 232-239; Carmignano, S. Lorenzo III, 108 ff.
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gleichwohl, nichts zu verbauen. In einem von P. Laurentius dem Herzog übergebenen Breve17 bedauerte er nachdrücklich, daß es zu Gewalttaten zwischen katholischen Fürsten gekommen sei. Umso mehr hoffe er, daß Maximilian auch künftig jene Ergebenheit bezeuge, die er bisher dem HL Stuhl und kirchlichen Dingen gegenüber bewiesen habe. Man konnte das Breve unterschiedlich interpretieren: Als Mindestmaß dessen, was der Papst nun einmal sagen mußte, oder als ungerechtfertigte Kritik, mit der Maximilians und Wolf Dietrichs Verhalten auf eine Stufe gestellt wurde. Maximilian war in gewohnter Empfindlichkeit der letzteren Auffassung, nachdem die Kurie die ganzen Jahre über nichts gegen die Lebensführung Wolf Dietrichs unternommen hatte, und er hat seinen Zorn hierüber wohl erst auf Zureden des Paters Laurentius gedämpft.18 Auch in Rom besänftigten sich die Gemüter, jedoch hielt Paul V. den Salzburger Vorfall für so wichtig, daß zu seiner Untersuchung eine Kardinalskongregation eingesetzt wurde. Ihr wichtigstes, künftig den Fortgang dirigierendes Mitglied war der Maximilian gewogene Kardinal Millino, der darauf abzielte, zur Wahrung der Reputation des Papstes das weitere Verfahren mit Zustimmung Maximilians in kuriale Hand zu bringen, dann aber die Resignation Wolf Dietrichs zu bewerkstelligen. Dies war die Aufgabe des außerordentlichen Nuntius Antonio Diaz,19 der zunächst in München mit Unterstützung des Paters Laurentius20 das Einverständnis Maximilians gewann, daß der noch in bayerischer Hand befindliche Erzbischof zum Gefangenen des Papstes erklärt wurde. Man darf annehmen, daß diese Lösung Maximilian sehr zupaß gekommen ist, da sie sein belastetes Verhältnis zur Kurie klärte und bereinigte. Wenige Tage später, am 7. März 1612, resignierte der Erzbischof in die Hände des Nuntius, d.h. des Papstes, auf alle seine geistlichen Ämter. Gab es nunmehr noch Gründe, den Entthronten entgegen seinen Bitten und auch entgegen früheren Versprechungen des Domkapitels weiterhin in Haft zu halten? Diejenigen, die sich gegen seine Freilassung aus17 Paul V. an Maximilian, 11.11.1611: Carmignano, S. Lorenzo III, 135 Anm. 168. Vgl. auch Borghese an Albergati, 12.11.1611: Reinhard, Albergati Nr. 533. 18 Vgl. die Notiz des Giuliano von Medici, 5.12.1611 (bei Carmignano, S. Lorenzo III, 137 Anm. 171): „Scrive il padre Brindis che il duca di Baviera era in molta collera della risposta dal papa al primo corriero spedito nel negotio di Salzburgh, ma che poi, come principe molto pio, s'era quietato." 19 Millinos Gutachten für den Papst wurde zur Grundlage der Instruktion für Diaz; vgl. Reinhard, Kardinal Millino. Unabhängig davon hatte der Kölner Nuntius Albergati bereits am 4. Dezember die Entsendung eines Sondernuntius' zu dem genannten Zweck als beste Lösung vorgeschlagen, „acciò che dal Duca di Baviera e dal capitulo li fosse consegnato il detto arcivescovo" (Reinhard, Albergati Nr. 559). 20 Carmignano, S. Lorenzo III, 140 ff.
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sprachen, argumentierten weniger mit vergangenen Sünden, als mit der Gefahr, die Wolf Dietrich auch jetzt noch darstelle: Der unruhige Geist werde sich mit den Protestanten verbinden und gefährliche Situationen heraufbeschwören. Insbesondere Maximilian argumentierte jetzt und später in dieser Weise, auch gegenüber der Römischen Kurie, er war aus politischen wie persönlichen Motiven der schärfste Gegner einer Freilassung des Gestürzten, was ihm die Salzburger Geschichtsschreibung bis heute verübelt. Aber auch und gerade der Nachfolger Wolf Dietrichs auf dem Salzburger Erzstuhl befürchtete Gefahren von seinem eruptiven Vorgänger, so daß dieser bis zu seinem Tode 1617 in schmählicher Haft auf der Hohensalzburg gefangen gehalten wurde. 21 Daß das Erzstift Salzburg nach den Erfolgen Maximilians ganz oder teilweise in bayerischem Besitz übergehen könne, stand angesichts aller Umstände nie zur Diskussion. Ein geistliches Fürstentum zumal dieser Tradition und Größe war etwas anderes als eine kleine protestantische Reichsstadt. Jedoch wurde von Maximilian und seinen Räten die Möglichkeit der Besetzung des Salzburger Erzstuhls durch ein Mitglied des Hauses Wittelsbach oder jedenfalls durch einen bayernfreundlichen Kandidaten diskutiert, sofern Wolf Dietrich resignierte; nicht zuletzt dieser Gesichtspunkt bestimmte Maximilians Verhalten in der Frage der Resignation und Gefangenhaltung des Erzbischofs. Maximilian erfuhr im November aus Salzburger Akten, was er bisher nicht wußte, daß der Papst 1607 den Ausschließungsparagraphen des Ewigen Statuts suspendiert hatte, so daß die Wahl eines Wittelsbachers (oder Habsburgers) prinzipiell wieder möglich war. Er glaubte zugleich zu bemerken, daß vom Haus Österreich die Kandidatur Erzherzog Leopolds oder Erzherzog Karls bereits in Rom betrieben wurde. Für diesen Fall sollte Crivelli bei Papst und Kardinälen ein Mitglied des Hauses Wittelsbach propagieren sowie zum Ausdruck bringen, daß Maximilian dessen Nichtberücksichtigung als Affront empfinden würde, „indem Wir derjenige gewesen, der mit gefahr Unserer selbst eigenen fürstlichen person, auch land und leute, besagtes erzstift aus der Servitut und dienstbarkeit, worin es noch lange hätte stecken mögen, gerettet haben". 22 Maximilians Bemühungen in Salzburg und in Rom kreuzten sich mit denjenigen seines Vetters Ferdinand von Steiermark, der seinen Bruder Leopold unterstützte, der bereits auf den BischofsEinzelheiten bei Fran^ Martin, Erzbischof Wolf Dietrichs letzte Lebensjahre 1612-1617, in: MGSL 50 (1910), 157-229. Zu Maximilian vgl. Hugo Altmann, Die bayer. Haltung in der Frage der Freilassung des ehem. Erzbischofs Wolf Dietrich von Raitenau 1612-1615, in: ZBLG 46 (1983), 37-80. 21
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Stühlen von Passau und Straßburg saß. Mögliche Kandidaten Maximilians waren Kurfürst Ernst von Köln und dessen Koadjutor Ferdinand. Als erfolgreichsten Weg bezeichnete er diesen gegenüber die Wahl eines älteren Salzburger Domkapitulars zum Erzbischof mit der Bedingung, sich binnen zwei Jahren einen Wittelsbacher als Koadjutor zu nehmen und bald darauf zu resignieren.23 Ob Emst wirklich bereit war, wie er Maximilian antwortete, seine eigene Kandidatur in dieser Weise vorzubereiten, da Maximilian selbst sich nicht exponieren wollte, sei dahingestellt. Er ist schon wenig später, am 17. Februar 1612, gestorben, weswegen dann auch sein Koadjutor Ferdinand von Köln andere Probleme hatte, als sich für die Wahl in Salzburg zu engagieren. So ging es also um einen bayernfreundlichen Kandidaten aus dem Salzburger Domkapitel. Maximilians erste Kandidaten unter den Domherren, Albert von Toerring oder Marquard von Freyberg, hatten als zu bayernfreundlich im Domkapitel fast keinen Anhang. Als nächste kamen für Maximilian in Frage Eitel Friedrich von Zollern, den er aber schließlich als „für einen nachbar viel zu gescheit" bezeichnete, sowie Marx Sittich von Hohenems, über den er jedoch zunächst urteilte, er werde „die sach nit vil besser als jetziger Bischof machen".24 Nach längerem Drängen des Nuntius erklärte sich Maximilian aber bereit, dessen Kandidatur zu favorisieren, falls er sich schriftlich verpflichte, stets gute Nachbarschaft zu halten, den vom Kapitel abgeschlossenen Salzvertrag zu ratifizieren, die bayerischen Kriegskosten zu ersetzen, der Katholischen Liga beizutreten, im Falle seiner Resignation einen Bayern genehmen Koadjutor anzunehmen, mehr als bisher bayerische Adelige zu Kanonikaten zu befördern, die bayernfreundlichen Domherren zu favorisieren und überhaupt in seiner ganzen Regierung gut bayerisch zu sein. Dies nicht genug, legte Maximilian in beckmesserischer Weise dem Kandidaten nahe, „allen überfluß abzutun und nit etwo seines antecessoris fuesstapfen nach ein auf der burgundischen hofstatt gerichte hofhaltung zu merklich verderben des erzstifts anzustellen, sondern seinen anderen antecessorn gleich sich verhalten", also sparsam zu sein. Mit welcher Überzeugung Marx Sittich diesem Diktat zustimmte und welche Ressentiments Maximilians Forderungen in ihm erweckten, sollte sich noch zeigen. Am 18. März 1612 wurde er jedenfalls zum neuen Erzbischof von Salzburg gewählt. In die ihm vom Domkapitel vorgelegte Wahlkapitulation waren die wichtigsten bayerischen Forderungen
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Wolf, Maximilian III, 115. Martin, Letzte Lebensjahre 179, auch fur das Folgende.
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eingegangen: Ersatz der Kriegskosten und Eintritt Salzburgs in die Katholische Liga. Daß bei dem Hohenemser „Dankbarkeit nicht zu den hervorstechendsten Eigenschaften gehörte" (Heinisch) und er verständlicherweise nicht als bayerische Kreatur gelten wollte, erwies sich zunächst in den Verhandlungen um die bayerischen Kriegskosten, die von Maximilian (wohl überhöht) auf rund 220 000 Gulden, von den Salzburgern dagegen nur auf 60-70 000 Gulden geschätzt wurden. Maximilian war über die restriktive Haltung Marx Sittichs in dieser Frage so erbost, daß er, unter kräftiger Herausstellung seiner eigenen Verdienste um Salzburg und um die Wahl, den Papst bitten ließ, die Konfirmation des Neugewählten aufzuhalten, bis er mit ihm ins Reine gekommen sei.25 Unter Vermitdung des Nuntius Diaz einigte man sich schließlich auf 150 000 Gulden, aber der Groll Maximilians gegen den Erzbischof, dem er überflüssige Ausgaben für einen großen „burgundischen Hofstaat" vorwarf, war deswegen nicht beseitigt. Was den Beitritt Salzburgs zur Katholischen Liga betraf, so führte Marx Sittich die Politik seines Vorgängers zwar in diplomatischeren Formen, aber doch grundsätzlich fort, er ist dem Bund schließlich nicht beigetreten. Zwar nahmen Salzburger Gesandte an einer Reihe folgender Ligakonvente teil und erklärten wiederholt, wie auch ihr Herr, sich am Bund zu beteiligen und zur gemeinsamen Sache beizusteuern, so daß auch Maximilian sich über die Bereitwilligkeit der Salzburger täuschen ließ. Tatsächlich hat Marx Sittich einen rechtsverbindlichen Beitritt zur Liga bis zu seinem Tod 1619 nicht vollzogen.26 Da der Konflikt mit Wolf Dietrich sich an Salzproblemen entzündet hatte, war es folgerichtig, daß Maximilian dessen Niederlage für die bayerischen Salzhandelsinteresen ausnützte. Bereits am 6. November, also vor jeder Resignation des Erzbischofs, waren entsprechende Verhandlungen mit dem Salzburger Domkapitel abgeschlossen. Der neue Salzvertrag vom 22. Dezember 161127 vermied die Nachteile des Vertrags von 1594. Als jährliche Abnahmequote wurden ca. 15 800 Tonnen vereinbart, was in etwa der Quote von 1605 entsprach und für die Salzburger nicht uninteressant war. Entscheidend war jedoch die Bestimmung, daß diese Quote von Bayern ohne Angabe von Gründen und vor allem ohne Entschädigungszahlungen unterboten Wolf, Maximilian III, 146 ff. Vgl. vor allem Reinhard Rudolf Heinisch, Die Neutralitätspolitik Erzbischof Paris Lodrons und ihre Vorläufer im Reich. Salzburgs Verhältnis zu Liga und Reich, in: MGSL 110/111 (1970/71), 255-276, der durch BA XII nicht entkräftet wird; Oers, in Dopsch-Spatynegger, Geschichte Salzburgs 11,1,190 f. 27 Text: Dokumente 1,3 Nr. 175. 25
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werden konnte, was dann in der Folgezeit zumeist auch geschah. Die Zollduplierung, die den Konflikt ausgelöst hatte, blieb dagegen aufrechterhalten! Zu Recht ist daher festgestellt worden, daß sich Maximilian durch den Salzvertrag gegenüber dem Erzstift das Maximum des Möglichen im wirtschaftlichen Bereich gesichert hat.28 Tatsächlich beherrschte Bayern seit 1611 unbestritten den Salzhandel Süddeutschlands. Die bayerischen Salinen Reichenhall und seit 1619 auch Traunstein, die in erster Linie für diesen Markt produzierten, konnten ohne unmittelbare Konkurrenz mit optimaler Wirtschaftlichkeit geführt werden. Aus Hallein wurde künftig jeweils nur jenes Quantum ergänzt, das Maximilian über die eigene Produktion hinaus absetzen konnte. Da hierbei die Quote des Salzvertrags zumeist unterschritten wurde, konnte das Erzstift seine Kapazitäten (und damit seinen wichtigsten Exportartikel) jedenfalls gegenüber Bayern nie voll zur Geltung bringen, es befand sich daher tatsächlich, wie im 18. Jahrhundert formuliert wurde, gegenüber Bayern in einem Zustand der „Sclaverey". Maximilians Salzburger Exekution läßt einige Charakteristika seines politischen Stils sichtbar werden, die auch später wiederholt begegnen. Als Taktiker überläßt er es seinem Kontrahenten, politische Fehler zu machen, die er dann für sich zu nutzen weiß, wobei er es versteht, zur Wahrung seiner Reputation Verantwortlichkeiten möglichst Dritten, hier dem Salzburger Domkapitel, zuzuschieben. Auch auf das Risiko, seine Beziehungen zum Papsttum und zur deutschen Kirche nachhaltig zu belasten, scheut er sich nicht, Hand an geistliche Immunitäten zu legen und zur Resignation eines geistlichen Fürsten beizutragen, wobei es ihm gelingt, private Interessen Dritter — hier der potentiellen Nachfolger Wolf Dietrichs aus dem Domkapitel - für seine eigenen Interessen zu nützen. Er scheut sich nicht, weil er stets zwischen der Kirche als Heilsanstalt und den politisch-ökonomischen Interessen kirchlicher Institutionen unterschieden hat. Schließlich wäre die Konfrontation mit einem prominenten geistlichen Reichsfürsten nicht in dieser Weise möglich gewesen, wenn nicht die durch Krankheit und Tod Kaiser Rudolfs II. (am 20. Januar 1612) hervorgerufene Ausnahmesituation im Reich den Ablauf der Vorgänge erleichtert hätte. Auch diese besondere Möglichkeit ist von Maximilian erkannt und genützt worden, um eine an sich unerhörte Tat zu seinem Vorteil folgenlos hinter sich zu bringen. Aufs Ganze erweist der Vorgang, daß Maximilian ideologische Gemeinsamkeiten zurückzustellen wußte, wenn fundamentale ökonomische Interessen dazu rieten. Allerdings war die weltanschauliche Übereinstimmung mit Wolf Dietrich durch dessen Lebenswandel 28
Koller, Bayern — Sakburg — Berchtesgaden 819.
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in den Augen Maximilians bereits wesentlich beeinträchtigt gewesen und hatte Maximilian in dem Vorgang zugleich die Möglichkeit gesehen, Prinzipien der Katholischen Reform an einem wichtigen Punkt der Reichskirche zur Geltung zu bringen. Der Salzburgerkrieg erwies die Befähigung Maximilians, die in einer gegebenen Situation enthaltenen Möglichkeiten zu erfassen und durch geschicktes Taktieren zu einem politischen Erfolg auszunützen. Noch deutlicher trat diese Fähigkeit den Zeitgenossen in dem Vorgang der Konversion des Herzogs Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg vor Augen, die dem größeren Zusammenhang des Jülich-Kleveschen Erbfolgestreits angehörte.29 Die jülich-kleveschen Lande standen seit 1609, wie erwähnt, unter dem vorläufigen Kondominium von Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg. Da die gemeinschaftliche Regierung schlecht funktionierte, Brandenburg die Alleinherrschaft anstrebte und dabei den Rückhalt der Niederlande und Englands fand, waren die Neuburger Herzöge, der regierende Philipp Ludwig und vor allem dessen Sohn Wolfgang Wilhelm, ihrerseits um Unterstützung bemüht. Obwohl der junge Herzog strenger Lutheraner war, scheute er sich nicht, in einer etwas abrupten Wendung nun auf die katholische Karte zu setzen, auf Kurköln, Spanien und insbesondere auf Bayern. Wolfgang Wilhelm, fünf Jahre jünger als Maximilian, eine stattliche Gestalt, war ein interessanter und vielseitig interessierter Mann,30 gebildet, mit lebhaften künstlerischen Neigungen, die von ihm erworbenen zahlreichen Gemälde van Dycks und Rubens' zählen heute zu den Kostbarkeiten der Münchner Sammlungen. Wie Maximilian war er von strenger Religiosität, theologisch interessiert, beide hatten 1601 beim Regensburger Religionsgespräch als Kontrahenten gegenübergesessen. Wie Maximilian war er seit früh mit den Regierungsgeschäften an der Seite seines Vaters vertraut und wußte auf seinen Ansprüchen zu beharren, wodurch er später in der pfälzischen Kurfrage zum Gegenspieler Maximilians geworden ist. Jetzt jedenfalls suchte er den Rückhalt Bayerns und Maximilian kam ihm aus politischen Rücksichten freundlich entgegen. Nachdem die bayerisch-
Zur Geschichte Pfalz-Neuburgs s. Wilhelm Volkertin: Spindler-Kraus, Handbuch 111,3 § 17 mit weiterer Literatur. - Zum Erbfolgestreit und der Rolle Wolfgang Wilhelms vgl. Hans Schmidt, Pfalz-Neuburgs Sprung zum Niederrhein. Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg und der Jülich-Klevische Erbfolgestreit, in: GR I, 77-89. 30 Vgl. Barbara Fries-Kury, Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg (1578-1653), in: Lebensbilder aus dem Bayer. Schwaben, Band 8, München 1961, 198-227; Schmidt, Pfalz-Neuburgs Sprung 84 ff. 29
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neuburgischen Beziehungen über der Donauwörther Frage auf einem Tiefpunkt angelangt waren, war es seit 1610 zu erneuter Annäherung gekommen, zumal sich Maximilian in der Jülicher Frage zurückgehalten hatte und zwischen dem lutherischen Pfalz-Neuburg und der kalvinistischen Kurpfalz manche konfessionellen Spannungen bestanden. Daß die Neuburger jetzt am Rhein Fuß gefaßt hatten, machte sie für Maximilian und Ferdinand von Köln interessant. Maximilian benützte die Annäherung auch zur Verbesserung seiner durch Donauwörth gesunkenen Reputation im lutherischen Lager. Und vielleicht erwog er schon früh, Wolfgang Wilhelm durch eine Heiratsverbindung und vielleicht sogar durch eine Konversion ganz ins eigene Lager zu ziehen. Bereits bei einer Konferenz in München Anfang März 1611 besprachen die beiden in bestem Verhandlungsklima reichspolitische Themen und solche der beiderseitigen Beziehungen.31 Bei einem zweiten Münchner Besuch im November 1611 wurden alle noch wesentlichen Streitfragen aus dem Weg geräumt und Maximilian noch mehr als bisher als Ratgeber der Neuburger Politik bemüht, ohne daß Wolfgang Wilhelms ältere Zielsetzung schon preisgegeben war, seine Probleme mit Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg durch die Vermählung mit dessen Tochter zu lösen. Die Entwicklungen der folgenden Monate bewogen ihn aber schließlich, ganz auf die katholische Karte zu setzen, eine familiäre Verbindung mit Bayern anzustreben und schließlich bei einem dritten Besuch in München im April 1612 um die Hand von Maximilians Schwester Magdalena zu bitten. Diese könne ihre Konfession auch in Neuburg oder Düsseldorf ungehindert praktizieren, womit auch der alte Herzog Philipp Ludwig einverstanden sein werde. Tatsächlich zeigten sich Maximilian und Wilhelm V. einer solchen Verbindung nicht abgeneigt, aber freilich unter der strikten Bedingung der Konversion Wolfgang Wilhelms zum Katholizismus.32 Maximilian erklärte sich bereit, den Neuburger persönlich in die katholischen Glaubenswahrheiten einzuführen. Bericht Wolfgang Wilhelms an seinen Vater, 8.3.1611: BA IX Nr. 92. Über Vorgeschichte und Verlauf der Religionsgespräche zwischen Maximilian und Wolfgang Wilhelm existiert das Konzept eines Berichts von unbekannter Hand (wohl von Maximilians Beichtvater Buslidius stammend) mit Korrekturen Maximilians: „Circa la Conversione alla Fede Catholica Romana del Principe Palatino del Reno e Neoburgo Wolfgango Guglielmo Primogenito dell'anno 1612." Dieser Bericht ist ausführlich wiedergegeben bei Wolf, Maximilian III, 497 ff. Der Bericht bildet auch den ersten Teil einer Instruktion, aufgrund deren Buslidius dem Papst persönlich über den Vorgang berichten sollte. Der zweite Teil der Instruktion erläutert dem Papst das Verhalten Maximilians und bittet um bestimmte Schritte der Kurie. Die gesamte undatierte, aber wohl vom Frühjahr 1613 stammende Instruktion ist überliefert von der Hand des Buslidius und gedruckt bei Hermine Kühn-Steinhausen, Die Korrespondenz Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg mit der römischen Kurie, Köln 1937, 168-176, Neudruck in Dokumente 1,3 Nr. 178. Übersetzung des zweiten Teils bei Wolf, Maximilian III, 31
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Wenn manche deutschen Fürstlichkeiten des 16. Jahrhunderts ob ihres Eifers, sich mit theologischen Problemen abzumühen, als wahre „Betefürsten" in die Geschichte eingegangen sind und auch die Herzöge Philipp Ludwig und Wilhelm V. dieser Spezies zuzurechnen waren, so erwiesen die nun folgenden Religionsgespräche Maximilians und Wolfgang Wilhelms, daß solche ernstliche Bemühung auch unter den Söhnen lebendig war. Natürlich hatte das Ganze einen politischen Bezug, ohne die Vorteile, die sich beide Seiten aus einer engeren Verbindung ausrechneten, wären die Religionsgespräche nicht zustandegekommen. Diese waren aber nicht nur formeller Natur, vielmehr spiegelten sie das ernste, übrigens in Ansätzen schon in frühen Jahren angelegte Ringen Wolfgang Wilhelms, zu theologischer Vergewisserung zu gelangen und ohne diese nicht den nächsten Schritt zu tun. Die Gespräche wurden seit Mai 1612 in häufiger Folge zwischen den beiden Herzögen meist allein, gelegentlich in Anwesenheit Rechbergs geführt. Es ging entsprechend den Lehrunterschieden um das Verhältnis von Schrift und Tradition, persönlicher Glaubensentscheidung und Autorität der Kirche, Stellung des Papsttums, Heiligenverehrung, Maximilian empfahl auch die Lektüre des Großen Katechismus des Petrus Canisius zu weiterer Unterbauung. Wolfgang Wilhelm seinerseits bat um ausreichende Bedenkzeit sowie um Verschwiegenheit vor allem gegenüber dem Vater, der zwar mit einer bayerischen Heirat einverstanden war, aber nicht entfernt eine Konversion seines Sohnes für möglich hielt. Um größte Verschwiegenheit bat auch Maximilian, als er bereits im Frühjahr 1613 den Papst durch seinen Beichtvater Busüdius von der zu erwartenden Konversion unterrichtete, deren bedeutende politischen Folgen kennzeichnete und um Dispens wegen naher Verwandtschaft der Eheschließenden bat. Am 19. Juli 1613 konvertierte Wolfgang Wilhelm in höchstem Geheimnis in München, und zwar in der Form, daß er in einem umfangreichen, eigenhändigen Schreiben, das an Wilhelm V. und dessen Söhne Maximilian und Ferdinand gerichtet war, die dem Akt auch beiwohnten, das Tridentinische Glaubensbekenntnis ablegte und seinen Religionswechsel begründete.33 Nachdem bald darauf der päpstliche Heiratsdispens eingetroffen war, konnten die Verhandlungen um den Heiratsvertrag beginnen, der unter dem 2. Oktober 1613 unterzeichnet wurde.34 Wenig später, am 11. November 1613, fand in München mit großem Pomp die Hochzeit Magdalenas mit Wolfgang Wilhelm statt. Maximilians 520 ff. Ein Dankschreiben Pauls V. an Maximilian vom 17.8.1613 für die guten, durch Buslidius überbrachten Nachrichten bei Kiihn-Steinhausen, Korrespondenz 176 f. " Hausurkunden Nr. 4 1 7 5 1/3 (19.7.1613). 34 Druck: BA XII, 343-349; vgl. auch ebenda 228 ff.
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Kunstagent Hainhofer hat sie uns im schönen Detail beschrieben, den zeremoniösen Empfang der mehrhundertköpfigen Deputation aus Neuburg, den Brautzug zur Frauenkirche, die mehrtägigen Festlichkeiten mit Bankettieren, Musik und Tänzen, die reich geschmückten Fürstlichkeiten.35 Maximilian trug eine dreifache Perlenschnur am Hut mit Perlen von einer Größe, wie sie selbst der Kenner Hainhofer noch nicht gesehen hatte. Nur ganz wenige der Teilnehmer, vielleicht nicht einmal die Braut, wußten von der Konversion des Bräutigams,36 denn Vater und Brüder der Braut und Wolfgang Wilhelm selbst befürchteten, nicht ohne Grund, daß Pfalzgraf Philipp Ludwig die Nachricht vom Glaubenswechsel seines Sohnes mit sofortiger Enterbung beantworten würde. Wo war dann die Rückgewinnung der pfalz-neuburgischen Lande und der niederrheinischen Gebiete für den Katholizismus, und wie gesichert war dann noch die Unterstützung der katholischen Partei für Wolfgang Wilhelm? Zur weiteren Geheimhaltung ließ Maximilian in Liturgie und Festgestaltung mit größter Peinlichkeit alles vermeiden, was auf eine Konversion des Bräutigams verweisen oder protestantische Anschauungen beleidigen konnte. Die Trauung wurde am Nachmittag abgehalten, um eine Meßfeier zu umgehen, der alte Pfalzgraf konnte in den Räumen der Residenz einen protestantischen Gottesdienst mit Predigt seines Hofprädikanten feiern. „Man konnte nit vermerken", berichtet ein protestantischer Zeuge, „daß ob diesem actu copulationis etwas vorgelaufen, was gegen unsere confessionsverwandte, Gottes wort und dem gewissen zuwider oder ärgerlich gewesen wäre".37 In den folgenden Wochen drängte Wolfgang Wilhelm jedoch auf die „Deklaration", die Bekanntgabe der Konversion, während Maximilian bremste und zuvor eine sichere Hilfszusage der Spanier, genauer Erzherzog Albrechts in Brüssel, im Jülich-Kleveschen Streit für erforderlich hielt. Gleichzeitig riet er Wolfgang Wilhelm wiederholt zur Mäßigung in diesen Auseinandersetzungen, weil er vermeiden wollte, von seinem neuen Schwager zu Hilfeleistungen aufgefordert zu werden.38 Immerhin bewilligte er ihm einmalig 50 000 GulHäutle, Hainhofer 235 ff.; weitere Quellen in BA XII, 228 Anm. 7; Straub, Repraesentatio 163 ff. 36 Wohl nur Wilhelm V., Maximilian und dessen Brüder Ferdinand und Albrecht sowie der Beichtvater Buslidius, dazu von den Geheimen Räten Rechberg und Donnersberg, vielleicht auch Herwarth. 37 Zitiert Riemer, Geschichte V, 95. Herzog Philipp Ludwig schlug anläßüch der Hochzeit eine Erneuerung der bayer.-pfálzischen Erbeinung von 1524 im Sinne einer gesamtwittelsbachischen Hausunion vor, was aber von Maximilian abgelehnt wurde. Vgl. Karl-Fnedrich Krieger, Bayer.-pfalz. Unionsbestrebungen vom Hausvertrag von Pavia bis zur Wittelsbacher Hausunion 1724, in: ZHF 9 (1982), 409-460. 38 Einzelheiten in BA XII, 235 ff. 35
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den zur besseren Verteidigung Düsseldorfs. Nachdem man sich dann der Haltung Spaniens und Frankreichs genauer vergewissert hatte, sah Maximilian die politische Lage so weit gesichert, daß der öffentliche Übertritt gewagt werden konnte. Am Dreifaltigkeitssonntag dem 25. Mai 1614 empfing Wolfgang Wilhelm in der Marienkirche in Düsseldorf in Gegenwart des Kurfürsten Ferdinand von Köln in feierlicher Zeremonie Kommunion und Firmung. Bereits einige Tage zuvor hatte Maximilian Herzog Philipp Ludwig von der Konversion unterrichten lassen und dringlich gebeten, dem Sohn nichts zu entgelten.39 Die bayerischen Gesandten berichteten von einer schweren und ernstzunehmenden Erschütterung des Herzogs — der aber doch zugleich die Gelegenheit nutzte, um von Maximilian und der Liga Geldhilfe zu erbitten. Daß Maximilian sogleich ein Darlehen in Aussicht stellte, um die Indignation Philipp Ludwigs zu mildern, paßte sich in den Gesamtzusammenhang jener Taktik ein, die er in der Konversions frage von Anfang an verfolgt hatte. Im übrigen war aber die Gefahr noch nicht gebannt, da Philipp Ludwig seinen Sohn unter heftigen Klagen aufforderte, die Gründe seines Abfalls darzulegen und - bei Strafe der Enterbung (auch hinsichtlich der Sukzession) — zur „erkandten und bekandten religion augspurgischer confession" zurückzukehren; der Sohn habe das Statthalteramt in Jülich-Berg „in der qualitet solcher evangelischer religion, und nit als ein papist" empfangen. Wolfgang Wilhelm antwortete mit Ablehnung, wozu ihm ein bayerisches Gutachten die Argumente lieferte. Aber ehe noch seine Antwort in Neuburg angelangt war, starb sein Vater, wohl durch die Aufregungen erschüttert, am 22. August 1614. In einer unentwirrbaren Mischung von religiöser Überzeugung und politischer Zielsetzung war Wolfgang Wilhelm vom Luthertum zum Katholizismus übergetreten. Nicht anders gemischt waren die Motive, die nahezu gleichzeitig, an Weihnachten 1613, seinen Kontrahenten Johann Sigismund von Brandenburg bewogen, vom Luthertum zum Kalvinismus zu wechseln und sich damit auch im Bekenntnis den ihn unterstützenden Generalstaaten anzunähern. Beide Konversionen waren ein Hinweis, daß die Politisierung der Konfessionen und die Polarisierung der Konfessionsparteien, wie sie schon in der Gründung von Union und Liga zum Ausdruck gekommen war, sich fortsetzte. Tatsächlich kam es seit Frühjahr 1614 zwischen Wolfgang Wilhelm und Johann Sigismund zu offenen Feindseligkeiten, bei denen der Neuburger von den Spaniern, der Brandenburger von den Niederländern unterstützt wurde. Schließlich einigten sie sich am 12. November 1614 im 35 Relation Donnersbergs und Wensins, 25.5.1614: BA XII, 417 ff.
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Provisionalvergleich von Xanten zur Beendigung des Kondominiums und zur vorläufigen (schließlich aber bleibenden) Aufteilung der Lande: Kurbrandenburg erhielt Kleve, Mark und Ravensberg, der Pfalzgraf das wertvollere Jülich und Berg. Maximilian und die Liga hatten in die Auseinandersetzungen nicht eingegriffen, obwohl Wolfgang Wilhelm fortgesetzt auf deren militärische und finanzielle Hilfe drängte,40 vielmehr hatte man sich um eine friedliche Lösung des Jülicher Streits bemüht und entsprechend auf den Neuburger einzuwirken versucht. Dies heißt aber, daß Maximilian ganz entgegengesetzt dem Ruf, den er in protestantischen Kreisen genießen mochte, in dieser Frage keineswegs die Rolle des Scharfmachers gespielt hat, sondern auf Dämpfung und Beruhigung bedacht war, wohl auch, weil er von der Schlagkraft der in Umorganisation begriffenen Liga keineswegs überzeugt war und eine militärische Auseinandersetzung vermeiden wollte. „Deine brüder", schrieb Wilhelm V. an Maximilians Schwester Maria Anna, „und andere catholische raten aus mangi gelts nur zum fridt, weil kein gelt verhenden oder doch dasselbig nit wil herauß geben werden",41 womit er jedoch die Beweggründe Maximilians nur zum Teil erfaßte. Auch bezüglich der innerneuburgischen Angelegenheiten war Maximilians Politik in der folgenden Zeit ausgesprochen auf Beruhigung und Stabilisierung orientiert.42 In den langen Monaten der Abwesenheit Wolfgang Wilhelms in Düsseldorf figurierte er durch einige seiner Beamten in Neuburg als Quasi-Statthalter, im übrigen war er engster Berater seines Schwagers vor allem in zwei Hauptfragen: Wie konnte der nunmehr katholische Herzog seine Herrschaft in seinem lutherischen Territorium gegenüber anderen Herrschaftsträgern etablieren, seinen beiden Brüdern, den Landständen, der Bürokratie? Und wie konnte aus dem lutherischen ein katholisches Territorium werden, ohne die eigene Herrschaft zu gefährden, nachdem das Testament des Vaters von vollständiger Enterbung bei einer Religionsänderung sprach? In diesen gewiß prekären Fragen hat Maximilian dem Schwager in einer Kombination von Zielgerichtetheit und Behutsamkeit seine Ratschläge gegeben, die bis ins Detail reichten, wobei er sich selbst auf Gutachten seiner Geheimräte sowie der Münchner und Ingolstädter Jesuiten stützte, die übrigens nicht immer mit den Geheimräten übereinstimmten. Bezüglich der Ansprüche der beiden Brüder Wolfgang Wilhelms riet Maximilian in der Hauptsache zu Nachgiebigkeit, um zunächst die eigene (Wolfgang Wilhelms) Position zu festigen. So wurde den Brüdern versichert, daß in den Teilgebie"0 Einzelheiten in BA XII, 272 ff. « 31.7.1614: BA XII, 274 Anm. 98. « Einzelheiten in BA XII, 282 ff.
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ten, die ihnen unter der Landesherrschaft Wolfgang Wilhelms zugewiesen wurden, das Luthertum weiterhin praktiziert werden konnte. Unter Vermittlung Donnersbergs, der beide Seiten zu Kompromissen drängte, kam so die „Brüderliche Vergleichung" vom 17. Juli 1615 zustande. Was die Landstände betraf, so war der schwer verschuldete Wolfgang Wilhelm auf deren Bewilligungen angewiesen, wofür sie die Bestätigung ihrer Religionsprivilegien forderten. Maximilian riet zu der Erklärung, daß man zwar nicht beabsichtige, jemanden zum katholischen Glauben zu zwingen, daß aber eine ausdrückliche Garantie der Ausübung Augsburgischer Konfession auch nicht in Frage komme. Sollten die Landstände daraufhin die Steuern verweigern, sei Wolfgang Wilhelm berechtigt, gewisse Landschaftsgefälle an sich zu ziehen, was Maximilians Auffassungen auch gegenüber den bayerischen Landständen entsprach. Auch Wilhelm V. fühlte sich bemüßigt, seinen Schwiegersohn zu fester Haltung gegenüber den Landständen aufzufordern, damit dieser nicht den Eindruck erwecke, nur aus politischen Motiven konvertiert, im Herzen aber weiterhin Lutheraner zu sein. Wolfgang Wilhelm folgte dem Rat Maximilians, kam aber dennoch zu seinem Geld, da die Landstände aufgrund bayerischer Intervention bereit waren, die Religionsfrage zunächst auszuklammern. Was die Religionspolitik Wolfgang Wilhelms insgesamt betraf, so war dieser von Anfang an entschlossen, sein neuburgisches Territorium über kurz oder lang zu rekatholisieren,43 jedoch angesichts der Umstände nur schrittweise vorzugehen. Das grundlegende Religionsmandat vom 24. Dezember 161544 kam, wie so viele Entscheidungen Wolfgang Wilhelms in diesen Monaten, unter intensiver bayerischer Beteiligung zustande, sowohl Maximilian und Wilhelm V. wie der bayerische Geheimrat und die Münchner Jesuiten waren damit befaßt gewesen, das ursprüngliche neuburgische Konzept zu überarbeiten. Dabei wurden gewisse Verschärfungen angebracht, aber Wolfgang Wilhelm auch veranlaßt, das Mandat erst nach der Brüderlichen Vergleichung zu publizieren, um diese nicht zu gefährden. Das Mandat selbst verordnete die volle Gleichberechtigung katholischer Religionsausübung im Herzogtum samt der Einführung des Gregorianischen Kalenders. Auch bezüglich der Realisierung des Mandats riet Maximilian seinem Schwager in der Folge wiederholt zu Mäßigung und Geduld, er solle nicht gleich alles „ad extrema und ad viam facti" kommen lassen. Diese Vorsicht Maximilians galt auch noch für die Vorgänge des Jahres 1617/18, dem eigentli« Vgl. BA XII, 295 und 298 mit Anm. 122. 44 Druck: Dokumente 1,3 Nr. 187.
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chen Rekatholisierungsjahr Neuburgs, als Wolfgang Wilhelm sogar die bisherige Parität der Konfessionen beseitigte und die Lutheraner zum Übertritt oder zur Auswanderung zwang. Offensichtlich befürchtete Maximilian, bei konfessionspolitischen Unruhen in Neuburg um Hilfe angegangen zu werden, die er aber nicht leisten wollte. Andererseits riet er Anfang 1618 selbst dazu, die lutherischen Prädikanten aus der Stadt Lauingen zu verweisen und stellte zur Sicherung die Ingolstädter Garde zur Verfugung. Bedenkt man, daß Maximilian in den Jahren 1612-1616 vor den schwierigen Problemen der Kompositionspolitik Klesls und der Umstrukturierung der Katholischen Liga gestanden hat, so sind seine Ergebnisse in der PfalzNeuburger Frage umso höher zu bewerten. Es war ihm gelungen, die politische Zwangslage Wolfgang Wilhelms in mehreren wohlbedachten Schritten zu einem großen Erfolg für die katholische Gruppierung im Reich zu nützen. Er hatte ihn erzielt in einem intensiven persönlichen und politischen Engagement, aber ohne jede Gewaltanwendung und ohne weitergehende politische oder finanzielle Verpflichtungen einzugehen. Gerade das Nebeneinander von nachdrücklichem Einsatz, Sorge vor Verwicklungen und strikter Ablehnung, sich zu binden, charakterisierte seine Politik. Erfolgsorientierter Ehrgeiz hatte sich mit Augenmaß und Vorsicht, vielleicht auch mit Ängstlichkeit verbunden. Diese Politik war ihm allerdings erleichtert worden durch die Tatsache, daß sich Wolfgang Wilhelm in erstaunlicher Weise zunächst seiner religiösen Argumentation geöffnet hatte und anschließend seinen politischen Direktiven gefolgt war. Man wird dieses Verhalten nicht nur aus der Parallelität der Interessen erklären und nicht nur aus der Notwendigkeit, auf Bayern angewiesen zu sein, sondern auch aus der Tatsache, daß Wolfgang Wilhelm, der selbst eine konturierte Persönlichkeit gewesen ist, von dem Ernst und der Überzeugungskraft Maximilians, von dessen Gesamtpersönlichkeit in starkem Maße beeindruckt war. In späteren Jahren hat er sich zum Mißvergnügen seines Schwagers aus dieser engen Bindung gelöst und es verstanden, sein Land und seine Untertanen auf einem mittleren Weg zwischen den Fronten durch den großen Krieg zu führen. Das Problem der Nachfolge Kaiser Rudolfs hatte jahrelang ein Zentralthema der Reichspolitik wie der innerhabsburgischen Auseinandersetzungen gebildet. Angesichts der Kinderlosigkeit des Kaisers Matthias setzte es sich auch nach 1612 fort, und zwar in einer Weise, daß auch Maximilian, obwohl nicht Königswähler und nur Bruder eines Kurfürsten, davon berührt war.45 Was die « Ritter, Geschichte II, 429 ff.
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deutschen Habsburger betraf, so drängte die Grazer Linie auf die Nachfolge des jungen Erzherzogs Ferdinand, Maximilians Vetter und Schwager, sowohl in den österreichischen Erb- und Kronlanden, als auch im Reich. Die Brüder des Kaisers, die kinderlosen Erzherzöge Maximilian, Regent von Tirol und Vorderösterreich, und Albrecht, Statthalter der Spanischen Niederlande in Brüssel, waren bereit, zugunsten Ferdinands ihre Ansprüche zurückzustellen. Was die spanischen Habsburger betraf, so sollten deren unvermutet vorgebrachten Ansprüche auf die österreichischen Erblande durch Verhandlungen zwischen Erzherzog Ferdinand und dem neuen spanischen Botschafter Oñate befriedigt werden,46 während der Kaiser selbst eine mehr schiedsrichterliche Rolle einnehmen wollte. Die Schwierigkeiten der Nachfolge des Matthias lagen also nicht eigentlich, wie noch unter Rudolf II., innerhalb des Hauses Habsburg, vielmehr im Reich. Zwar einigten sich die geistlichen Kurfürsten schon früh auf den Kandidaten Ferdinand, für den wohl auch Kurfürst Johann Georg von Sachsen zu gewinnen war. Jedoch wollten die Protestanten unter Führung der beiden kalvinistischen Kurfürsten von der Pfalz und von Brandenburg einer Wahl Ferdinands — der ihnen ohnehin eine Zentralfigur schroffer Gegenreformation darstellte — nur zustimmen, wenn zuvor ihren Religionsbeschwerden, die sie seit Jahren vor sich her schoben, durch beiderseitige Verständigung abgeholfen war: Erst Komposition, dann Sukzession. Entsprechend, um die Sukzession und damit das österreichische Hausinteresse (nicht in erster Linie ein allgemeines Friedensinteresse!) zu sichern, bemühte sich auch Melchior Klesl in einem jahrelangen Vorgang um die Zustimmung des Kaisers, der Erzherzöge, der geistlichen Kurfürsten und nicht zuletzt des Herzogs von Bayern zu Kompositionsverhandlungen. Maximilian hat jedoch die Einberufung eines Kompositionstages oder sonstige Kompositionsverhandlungen entschieden abgelehnt, da er sich davon nur unakzeptable Forderungen protestantischer Reichsstände im konfessionspolitischen Bereich erwartete, vor allem hinsichtlich der Anerkennung der Hochstiftssäkularisationen seit 1555 und der Majoritätsentscheidungen auf Reichstagen - „sachen, darauf die fundamenta catholischer religion ligen, welche die catholische ehr, gewissen und pflicht halber nit können nachge-
In dem schließlichen Vertrag zwischen Erzherzog Ferdinand und Philipp III. von Spanien vom 6. Juni 1 6 1 7 („Oñatevertrag") verzichtete Philipp auf seine Ansprüche auf Böhmen und Ungarn zugunsten Ferdinands gegen das Zugeständnis, beim Aussterben der männlichen Linie Ferdinands beide Königreiche für Spanien zu erhalten. Bereits am 20. März hatte Ferdinand in einem Geheimrevers zusätzlich die Abtretung des Elsaß zugesichert, sobald es ihm zugefallen war, sowie die Belehnung Philipps III. mit den italienischen Fürstentümern Finale und Piombino, nachdem Ferdinand die Kaiserwürde erhalten habe. 46
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ben". Die Lösung der anstehenden reichspolitischen Probleme bestehe vielmehr darin, daß Kaiser Matthias im Namen Gottes sein Amt tatsächlich ausübe, die untragbaren Auslegungen des Religions- und Profanfriedens abstelle und die zwischen den Religionsparteien schwebenden Differenzen nach Maßgabe der Reichsabschiede und des Gemeinen Rechts ohne weiteren Verzug durch richterlichen Spruch entscheide. „Non esse componendum eo modo, quo volunt haeretici", lautete der Kernsatz eines großen Gutachtens Jochers für die Reichskanzlei, in dem mit der Unnachgiebigkeit Jochers auch diejenige Maximilians in Konfessionssachen zum Ausdruck kam. 47 Wenn dieser die Probleme also durch tatkräftige Realisierung der kaiserlichen Kompetenzen und Sentenzen gelöst haben wollte, dann war es nicht nur notwendig, entsprechend auf den Kaiser einzuwirken, es mußte auch die Nachfolgefrage rasch und befriedigend gelöst werden, nicht zuletzt um zu verhindern, daß Kurpfalz bei einem Interregnum seine Vollmachten als Reichsvikar zum Nachteil der Katholiken ausübte. Alle einschlägigen Quellen belegen, daß Maximilian von Anfang an nur die Kandidatur eines Habsburgers und zwar Erzherzog Ferdinands im Auge hatte. Da er nicht zu den Kaiserwählern zählte wie sein Bruder Ferdinand von Köln, war die Sukzessionsfrage allerdings nicht in der Weise ein erstrangiges Problem seiner Politik wie bei den geistlichen Kurfürsten, insbesondere beim Reichserzkanzler Johann Schweikard von Mainz. Jedoch berührte ihn das Problem der Sukzession in besonderer Weise unter dem Gesichtspunkt, daß angesichts aller Umstände nur ein Habsburger für die römische Königskrone in Frage kam, diese Automatik aber praktisch die Anerkennung einer Erblichkeit der Krone im Hause Österreich bedeutete. Diese Tatsache war allerdings für einen Reichsfürsten mit dem Selbstbewußtsein Maximilians nicht leicht zu akzeptieren. Was war dann mit Wahlfreiheit und deutscher Libertät? Es war dieser Gesichtspunkt, der Maximilian bei allem Einverständnis mit der Kandidatur Ferdinands kritisch reagieren ließ, als er seine Zustimmung und diejenige der geistlichen Kurfürsten durch das Haus Österreich überstrapaziert glaubte, nämlich durch den sog. Heeresplan Erzherzog Maximilians.48 Ende 1614 hatte der Reichshofratspräsident Hans Georg von Hohenzollern das Projekt entwickelt, dem Kaiser eine Armee zur Verfügung zu stellen, die von der Liga und Spanien — also nur von katholischer Seite — zu finanzieren sei. Sie sollte den Übergriffen der Holländer und Kurbrandenburgs in Jülich Gutachten vom 18.3.1614, Druck: BA XII, 372-395; ebenda 148 ff. das bei Ritter, Geschichte II, 436 besprochene Gutachten Maximilians für den Kaiser vom 4.5.1615. « Vgl. BA XII, 160 ff.; Ritter, Geschichte II, 439 f.; Ut^enburger, Joh. Schweikard 196 ff. 47
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steuern, vor allem aber dazu dienen, die kaiserliche Autorität im Reich durchzusetzen und die Römische Königswahl zu sichern. Dieses Projekt wurde von Erzherzog Maximilian übernommen und von diesem Anfang 1616 dem Kaiser vorgetragen, mit der Spezifizierung, daß die Direktion des Ganzen bei Erzherzog Ferdinand liegen solle. Gleichzeitig riet er dem Kaiser, sich persönlich um die Zustimmung Kursachsens zur Kaiserkandidatur Ferdinands zu bemühen. Zur Ausschreibung des Wahltages, ja zur Wahl selbst genügten dann die vier Stimmen der geistlichen Kurfürsten und Kursachsens, so wie einst 1531 die Wahl Ferdinands I. veranstaltet worden sei. Um eine derartige, im Zwiespalt mit Kurpfalz und Kurbrandenburg vollzogene Königswahl durchzusetzen, sei die vorgeschlagene Armierung „nothwendig und dienstlich". Man wird sagen, daß die bisherigen Münchner Vorschläge, der Kaiser solle seine Autorität und Kompetenz im Reich gebrauchen, von diesem Projekt nicht allzu weit entfernt lagen. Dennoch hat Maximilian sehr schroff reagiert, als er Einzelheiten erfuhr.49 Ein Urteil über seine Reaktion muß berücksichtigen, daß er sich in den vergangenen Monaten in fortwährenden Auseinandersetzungen mit den Ansprüchen Erzherzog Maximilians auf die Herrschaft Mindelheim und die Zugehörigkeit des Hochstifts Augsburg zur österreichischen Ligadirektion befunden hatte. Jedoch kritisierte er den Armeeplan des Erzherzogs unter einem mehrfachen Aspekt. Allgemein rügte er, daß das projektierte Heer nicht nur, wie ursprünglich vorgegeben, gegen die Generalstaaten und die dem Kaiser im Reich Widerstrebenden gedacht sei, und es offensichtlich nicht so sehr um die Beseitigung der Mißstände im Reich und die Wiederherstellung der Reichsjustiz gehe, als um die Stabilisierung des Hauses Österreich sowie um die Durchsetzung der Römischen Königswahl. Im einzelnen kritisierte Maximilian, daß durch das Projekt einer vom Haus Habsburg abhängigen Armee die Liga überflüssig gemacht werde ähnlich sollte er 1629/30 gegenüber der Wallensteinschen Armee argumentieren! Darüber hinaus trage das neue Projekt offensiven Charakter, während man doch den Protestanten gegenüber die Liga stets als Defensivbündnis legitimiert habe. Weiterhin werde die Hauptlast der Finanzierung der neuen Armee auf die katholischen Stände fallen, von denen aber nach bisheriger Erfahrung nicht allzu viel zu erwarten sei. Was aber den Nutzen des Projekts für das Haus Bayern betreffe, so könne er daran angesichts der bisherigen österreichischen Praxis in den beiderseitigen Beziehungen, wodurch „alles per « Maximilian an Kurköln, 19. und 26.7.1616: BA XII, 172 ff.; Ritter, Geschichte II, 440; WolfBreyer, Maximilian IV, 58 ff.
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forza et authoritate absoluta, cui nemo contradicere potest, hinaußgetruckht werden will," nicht glauben. Vielmehr seien erhöhte Anforderungen und Erpressungen durch das Haus Habsburg zu befurchten. In Maximilians Argumentation kam altes bayerisches Mißtrauen gegen das Haus Österreich und dessen Absichten, das immer nur eines Anlasses bedurfte, um sich zu äußern, unverhüllt zum Vorschein. Was schließlich den Zusammenhang von Armierung und Römischer Königswahl anging, stellte sich Maximilian explizit auf den Standpunkt der protestantischen Reichsstände, daß die Ratschläge Erzherzog Maximilians der deutschen Libertät und kurfürstlichen Freiheit, der Goldenen Bulle und den Reichskonstitutionen zuwider seien. Von allen diesen Auffassungen ließ er sich auch durch triftige Gegengründe seines Bruders in Köln nicht abbringen, der an sich als Königswähler besonders interessiert sein mußte, seine Wahlfreiheit durch das Projekt nicht verletzt zu sehen. In dem Gedankenaustausch zwischen Maximilian und Ferdinand von Köln kam auch die Person Erzherzog Ferdinands zur Sprache. Selbst von ihm befürchtete Maximilian, obwohl er ihn persönlich „wol leiden könne", daß er das für ihn vorgesehene Generalkommando durchaus im österreichischen Interesse ausüben werde, da er wegen seiner Kaiserkandidatur ganz von Erzherzog Maximilian abhänge. Abschätzig fügte Maximilian hinzu, nichts dagegen zu haben, wenn sein Bruder den Erzherzog Ferdinand als Römischen König favorisiere — „dazu eben solches subject in mangi anderer sich selbs an die hand gibt".50 Dieses wenig freundliche Urteil war veranlaßt durch eine Äußerung des Kölners, sich deshalb für Ferdinand entschieden zu haben, weil er aus früheren Äußerungen Maximilians zur Römischen Königswahl entnommen habe, „wie wenich Euer Liebden, sovil dero person anlangt, lust darzue erzaigt".51 Hier war also die Frage einer Kaiserkandidatur Maximilians selbst berührt. Die Position, die Maximilian im Laufe der Jahre durch Politik und Persönlichkeit im Reichssystem erreicht hatte, konnte nicht deutlicher bezeugt werden als durch die Tatsache, daß führende protestantische Reichsstände begannen, sich nachhaltig für ihn zu interessieren.52 Im März 1616 waren in Stuttgart Herzog Johann Friedrich von Württemberg, der junge Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, die Markgrafen von Baden und Ansbach und Fürst Christian von Anhalt-Bernburg zu einem Meinungsaustausch über die politische Lage versammelt. Unter dem Eindruck der Nachricht, daß Maxi50 51 52
Maximilian an Kurköln, 4.10.1616: Wolf-Breyer; Maximilian IV, 63. Kurköln an Maximilian, 18.9.1616: BA XII, 175. Zum Folgenden vgl. BA XII, 195 ff. mit der älteren Literatur.
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milian das Direktorium des Oberländischen Bundes niedergelegt hatte, beschlossen sie, Maximilians Schritt zweifellos überbewertend, eine Annäherung an Bayern zu versuchen, wozu sie im Mai 1616 einen Unterhändler an den Münchner Hof entsandten. Man darf annehmen, daß der Plan in erster Linie auf Christian von Anhalt zurückging, der 1595 als Statthalter der Oberpfalz in pfälzische Dienste getreten und seither zur Seele einer aktivistischen Reichspolitik der Pfälzer Kurfürsten geworden war.53 Von hoher Intelligenz, Tatkraft und politischer Phantasie, zielte Anhalt auf eine Neuordnung im Reich unter territorialstaatlich-kalvinistischem Vorzeichen, also gegen habsburgisches Kaisertum und Katholizismus, wozu er auch außerhalb des Reiches nach Verbündeten suchte. Die pfälzische Obstruktionspolitik, die Gründung der Protestantischen Union, die Verbindung mit den kalvinistischen Niederlanden und Heinrich IV. von Frankreich und 1613 die Heirat des siebzehnjährigen Kurfürsten Friedrich V. mit der Tochter Elisabeth König Jakobs I. von England waren in der Hauptsache sein Werk gewesen. Jetzt ging es offensichtlich darum, in der heranreifenden Frage der Nachfolge des kinderlosen Kaisers Matthias die ersten Weichen gegen eine Nachfolge Ferdinands von Steiermark zu stellen. Der Unterhändler, ein Freiherr von Freyberg-Öpfingen, trug in München vor,54 daß die Unionsfürsten in ihren Bemühen um Friede, Ruhe und Einigkeit im Reich einen überkonfessionellen Bund unter Auflösung von Union und Liga gründen wollten. Als Oberhaupt des Bundes schlage man Maximilian von Bayern vor, denn der Kaiser sei zu alt, Friedrich von der Pfalz zu jung und Erzherzog Ferdinand nicht annehmbar. Man müsse aber versichert sein, daß Maximilian sich an den Religionsfrieden halten werde sowie die Verbesserung der Rechtspflege und die Wiederherstellung des Vertrauens im Reich anstrebe. Bei all dem führe man nichts gegen den Kaiser, das Haus Habsburg oder die Reichskonstitutionen im Schild, auch ende der Bund, sobald den Übeln im Reich abgeholfen sei. Gerade letztere Versicherungen bestätigten Maximilian, was er bereits als eigentlichen Zweck des Antrags erkannt hatte, ihn angesichts seiner Liga-Differenzen mit den Habsburgern und mit Kurmainz dem Kaiser, dem Haus Österreich und der Liga im protestantischen Interesse zu entfremden. Mit solchen Hoffnungen wurde allerdings seine grundsätzliche Position gründlich verkannt. Demgemäß erklärte er, daß die treue Beobachtung der Reichskonstitutionen und des Religionsfriedens durchaus genügten, um das Vertrauen im Reich wiederherzustellen. Er beNDB III, 221 ff.; Volker Preß, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559-1619, Stuttgart 1970. Eine kritische Biographie fehlt. WofBreyer, Maximilian IV, 98 ff. 53
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tonte, daß die Liga allein der Verteidigung diene und daß er trotz seines Rückzuges den katholischen Ständen beistehen werde, wenn sie von den Protestanten bedrängt würden. Das war eine deutliche Antwort. Christian von Anhalt wäre jedoch nicht er selbst gewesen, wenn er sich von Maximilians Absage hätte entmutigen lassen, vielmehr ging er noch einen Schritt weiter, vielleicht veranlaßt durch den rührigen pfalzischen Geheimrat Ludwig Camerarius,55 aber jedenfalls im Zusammenwirken mit diesem: Maximilian sollte fur die Kaiserkandidatur gewonnen werden! Der Plan entsprang der Einschätzung der Situation im Reich durch die pfälzische Politik, die allgemein gegen das Haus Habsburg, speziell gegen die gegenreformatorischen Tendenzen Erzherzog Ferdinands gerichtet war. Die Wahl Ferdinands zum König von Böhmen sollte verhindert, die Wenzelskrone für Friedrich V. gewonnen werden, desgleichen sollte durch die Kaiserkandidatur Maximilians die Römische Königswahl wiederum Ferdinands und überhaupt eines Habsburgers hinfällig werden. Die Frage war allerdings, wie sich der Optimismus der Pfälzer mit dem Realismus Maximilians vertrug. Zunächst sondierten die Pfälzer im September 1616 bei Ferdinand von Köln, der jedoch jeden Gedanken an eine Kandidatur seines Bruders zurückwies. Als dann im Juni 1617 allen pfälzischen Bemühungen zum Trotz Erzherzog Ferdinand von den böhmischen Ständen als König von Böhmen angenommen wurde, mußte sich das Interesse Heidelbergs an einer bayerischen Kaiserkandidatur umsomehr verstärken. So war man seither bemüht, auch die Unterstützung Frankreichs, also der Regentin Maria von Medici, für Maximilians Nominierung zu gewinnen, von dem nicht unrichtigen Gedanken geleitet, daß das betont katholische, aber doch mit dem Hause Habsburg konkurrierende Frankreich hierin seinen Vorteil sehen konnte.56 Man argumentierte gegenüber Paris, daß eine Kandidatur des Bayern, die schon Heinrich IV. gewünscht habe, bei den katholischen Reichsständen — „qui subissaient par nonchalance plustost que par goût l'emprise espagnole" — keinen Widerstand finden und ebenso von den Protestanten, anderen europäischen Potentaten, ja selbst vom Papst gerne gesehen werde. Eindringlich wurde die Gefährdung europäischer Freiheit durch das Haus Habsburg an die Wand gemalt und es wurde argumentiert, daß nach Reichsrecht jede Kandidatur zulässig sei. Hier wurden von pfälzischer Seite die selben Argumente gebraucht, mit denen Richelieu in späteren Jahren Maximilian für Ziele der französischen Politik zu gewinnen suchte. Es war eine eigenartige VerkehSo Schubert, Camerarius 69. Einzelheiten bei Victor L. Tapié, La politique étrangère de la France et le début de la Guerre de Trente Ans 1 6 1 6 - 1 6 2 1 , Paris 1 9 3 4 , 1 6 3 ff. 55 56
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rung der Fronten, daß sich die französische Regierung ihnen versagte, als sie ihr aus dem Reich selbst entgegengetragen wurden. Aber man befürchtete in Paris von einem Ausschluß Ferdinands eine Stärkung des deutschen Protestantismus, die dem von den Hugenotten bedrängten Regime unannehmbar war; die strikt katholische Orientierung der französischen Politik war zumindest gegenwärtig „une nécessité du regime". Gerüchte, die um diese Zeit über die pfälzischen Aktivitäten nach München drangen, veranlaßten die bayerischen Räte, sich über die Motive der Pfälzer nähere Gedanken zu machen,57 mit dem Ergebnis, daß es diesen nur darum gehe, mittels einer Nominierung Maximilians, die zur Spaltung des katholischen Lagers und völliger Entzweiung Bayerns und Österreichs führen mußte, die Königswahl bis zum Tode des Matthias zu verzögern. Dann aber würde der Pfälzer als Reichsvikar versuchen, das Interregnum möglichst lange hinauszuziehen, „damit er in effectu Caesar bleib" und im Reich alles nach seinem Gefallen tun „oder es gar in einen neuen modi gießen könne". Die Räte hielten also schon aus diesen Gründen nichts von einer bayerischen Kandidatur. Solcher Auffassungen unbewußt scheute sich Friedrich V. Ende Oktober 1617 nicht vor einem erstmaligen direkten Vorstoß in München. Der in großem Geheimnis nur mit Maximilian und Jocher verhandelnde pfälzische Gesandte58 stellte ganz auf die freie Römische Königswahl ab, welche die Habsburger in ihrem Hause erblich zu machen suchten, zu deren Verhinderung eine von Friedrich V. aus besonderer Affektion gewünschte Kandidatur Maximilians das sicherste Mittel sei. Der Kurfürst von der Pfalz komme gerne zu näherer Besprechung des Problems nach München. Die Wahrung der deutschen Fürstenlibertät war gewiß ein zentrales Anliegen Maximilians. War sie ihm die Risiken einer Kaiserkandidatur wert, wie stellte er sich zu einer Kaiserkandidatur, jetzt und überhaupt? Die Frage ist für die Jahre vor 1616 nicht ganz eindeutig zu beantworten.59 Schon für die Nachfolge des kinderlosen Rudolf II. war an den deutschen BA XII, 201 ff. ss BA XII, 203 ff. 59 Unsere Kenntnisse beruhen für die Jahre bis 1608 hauptsächlich auf Forschungen von Stieve: Felix Stieve, Die Verhandlungen über die Nachfolge Kaiser Rudolfs II. in den Jahren 1591-1602, in: Abh. München, Band 15, München 1880, 1-160; Oers., Hg. Maximilian von Baiern und die Kaiserkrone, in: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswiss. 6 (1891), 40-77. Vgl. weiterhin verstreute Nachrichten in den Wittelsbacherbriefen und Briefen und Akten IV und V s. v. Bayern, Maximilian Kaiserkrone. Über das Problem einer eventuellen Kandidatur König Heinrichs IV. von Frankreich oder dessen eventuelle Unterstützung eines wittelsbachischen Kandidaten handelt Winfried Dot^auer, Heinrich IV. von Frankreich und die Frage der römischen Königswahl in Deutschland, in: ZGORh 114 (1966), 71-146. 57
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Höfen neben den Erzherzögen Matthias und Maximilian als Brüdern des Kaisers, Erzherzog Ferdinand von Steiermark, Erzherzog Albrecht in Brüssel und König Heinrich IV. von Frankreich gelegentlich auch Maximilian von Bayern benannt worden. Die wenig ausgebildeten Kommunikationsmittel der Zeit, dynastische Spekulationen und die Empfänglichkeit des Publikums ließen Gerüchten und Vermutungen auch zu diesem Thema breiten Raum.60 Daß der phantasievolle und ehrgeizige Wilhelm V. davon träumte, seinem talentierten Sohn vielleicht einmal die Kaiserkrone zuwenden zu können, wurde bereits 1590 sichtbar,61 deutlicher noch im Sommer 1600, als er in einem Schreiben an Kurköln den Satz streichen Eeß, daß Maximilian „zur cron nie kain gedanken gehabt und auch noch nit habe."62 Der auch nach seiner Abdankung noch geschäftige Wilhelm wollte nichts verbaut haben, fand aber bei Maximilian keinen Beifall. Wenige Wochen später forderte Wilhelm angesichts einer gesundheitlichen Krise des Kaisers seinen Bruder Ernst von Köln sogar auf, bei den übrigen Kurfürsten die Kandidatur Maximilians zu betreiben;63 in den Jahren 1603, 1604 und 1605 wiederholte er diese Bemühungen.64 Jedoch war Ernst von Anfang an der Meinung, daß Bayern zu schwach sei, um eine Kandidatur durchzusetzen und daß hieraus nur Todfeindschaft zwischen Bayern und Osterreich entstehen könne. Soviel die spärlichen Quellen erkennen lassen, wußte Maximilian von den Initiativen seines Vaters und er hat ihnen nach anfanglicher Ablehnung schließlich keinen Widerstand entgegengesetzt. Von einer intensiveren Beteiligung an diesen Vorgängen kann allerdings nicht gesprochen werden,65 sie waren ein folgenloses Werk des ehrgeizigen Vaters, der solchen Plänen auch weiterhin nachhing, wenn sich eine Gelegenheit zu bieten schien.66 Jetzt, 1617, wurde Maximilian durch die Anfrage Friedrichs V. erstmals direkt vor die Frage einer Kaiserkandidatur gestellt und zwar als offenes Angebot des Führers der protestantischen Bewegungspartei.67 Offensichtlich bedeutete es aber keine Versuchung für ihn, er lehnte sofort und entschieden ab, wobei in der Begründung nicht mit weitschweifigen Entschuldigungen, 60
Vgl. etwa BA IV, 221, 269, 366 und 467; Stiem, Kaiserkrone 44 f. « BA IV, 13. 62 Stieve, Kaiserkrone 47 f. 63 Hauptquelle sind eine Reihe von Schreiben des kölnischen Rates Groisbeeck an Wilhelms vertrauten Rat Ulrich Speer, Dezember 1600-März 1601: Stieve, Nachfolge 143 ff.; vgl. ebenda 83 ff. m BA V, 759 ff.; Dokumente 1,3 Nr. 156. 65 Dies gilt auch für die bei Stieve, Kaiserkrone 66 ff. und in Wittelsbacherbriefe VI, 390 ff. behandelte Affare um den Feldmarschall Rusworm. Vgl. etwa Wilhelm V. an Maximilian, 15.7.1608: Wittelsbacherbriefe VII, 346. 67 Gindely, Geschichte I, 193 f.; BA XII, 204 ff.
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sondern mit den Realitäten argumentiert wurde. Maximilian faßte sie dahingehend zusammen, „daß ich semel pro semper bedacht, diser succession halber mit dem hauß Osterreich mich in irrung, vil weniger aber in Weiterung nit zu begeben". Man darf unterstellen, daß Maximilian darüber hinaus befürchtete, durch den Gegensatz zu Österreich die katholische Seite zu schwächen, in Abhängigkeit von der protestantischen Partei zu geraten und zu religionspolitischen Zugeständnissen gezwungen zu werden. Die Bemühungen der Unierten um Maximilian waren zu breit angelegt, als daß sie nicht, zumindest in der Form von Gerüchten, am Kaiserhof bekanntgeworden wären. Hier in Prag erfuhr auch Erzherzog Ferdinand, als neuer König von Böhmen eben von einer Huldigungsreise zurückgekehrt, von ihnen. Da Ferdinand, wie noch zu erzählen ist, inzwischen der Kandidat der Gesamtdynastie Habsburg für die Nachfolge des Kaisers Matthias geworden war, wurde er durch diese Nachrichten auch besonders aufgeschreckt, im Interesse seiner eigenen Kandidatur war er an einer eindeutigen Stellungnahme der Münchner interessiert.68 Da auch Maximilian der Sache große Bedeutung beimaß und er die Beantwortung Ferdinands benützen wollte, um eigene Wünsche vorzubringen, wurde Mitte November 1617 der Oberstkanzler Donnersberg nach Graz abgeordnet. Maximilian ließ klipp und klar versichern, „daß einmal wür uns zu höchern digniteten [...] kein rechnung iemals gemacht oder dieselb ambirt, keinem menschen darzu ursach geben, vil weniger Seiner Königlichen Würden und Liebden [Ferdinand] disfalß ir vorhaben schwerer machen oder uns derselben opponirn wellen, weil nit allein ein solliche burd für sich selbs zu schwer, sonder für unsere person uns auch darzu nit gnuegsam erkennen". Er habe alle Angebote ausgeschlagen und bedaure, daß ihn Friedrich V. noch persönlich aufsuchen wolle. An dem Wahrheitsgehalt dieser Versicherungen war nicht zu zweifeln und hat Ferdinand wohl auch nicht gezweifelt. Es entsprach Maximilians Mentalität, daß Donnersberg für das bewiesene Wohlverhalten seines Herzogs auch einen Preis zu fordern hatte, da durch dessen Abstinenz die Chancen Ferdinands umso besser würden. Maximilian erbat von Ferdinand nach dessen Regierungsantritt in den österreichischen Erblanden die Abstellung bisheriger Behinderungen vonseiten der Tiroler Landesregierung vor allem bezüglich Mindelheims sowie das Ende aller Be68
BA XII, 207 ff., auch für das Folgende. Die Instruktion fur Donnersberg nach Graz, 17.11.1617, und die Relation Donnersbergs über seine Verrichtung in Graz, 9.12.1617, finden sich ebenda 469-477 bzw. 477-479, letztere auch in Dokumente 1,3 Nr. 197. Über Besorgnisse der Spanier, die Oñate zur Entsendung des Rates Jacques Bruneau nach München veranlaßten, vgl. BA XII, 211 f.
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hinderungen beim Verschleiß des Halleiner Salzes. Er erbat weiterhin für den Fall der Kaiserwahl Ferdinands die Abstellung bisheriger Beschränkungen des bayerischen Privilegiums de non appellando. Schließlich sollte Donnersberg noch ein sehr persönliches Problem zur Sprache bringen.69 Maximilian und Ferdinand hatten sich von Jugend an geduzt und gegenseitig die Anrede „Bruder" gebraucht. Nach Ferdinands Wahl zum König von Böhmen im Sommer 1617 wollte Maximilian diese Übung von seiner Seite aufgeben, doch hatte Ferdinand dies „durchaus nit gestattet". Maximilian hatte sich gefügt, ließ aber jetzt mitteilen, daß ihm eine solche Vertraulichkeit vom Tage der Kaiserwahl an nicht mehr gebühren werde und er alsdann Ferdinand „alß unser haupt veneriern" werde. Jedoch hatte er auch für diese Respektsbezeugung eine Gegenleistung im Auge: Er bat Ferdinand, auch nach der Kaiserwahl Maximilian und die Mitglieder des Hauses Wittelsbach, „als von deme sie [Ferdinand] selbs auch ir geblüett herhetten", mit dem Prädikat „Durchlauchtig" anzusprechen. Diese Etikettefrage, hinter der sich nach Anschauung der Zeit eine Frage der Reputation und also eine Machtfrage verbarg, bewegte Maximilian und besonders Wilhelm V. schon seit Jahrzehnten. Im Jahre 1591 hatte Wilhelm V. den bisher nur von den Erzherzögen geführten Titel „Durchlaucht" angenommen, um seinen Anspruch auf den von den Erzherzögen bestrittenen Vortritt (Präzedenz) des Hauses Bayern vor dem Hause Österreich und den ersten Platz auf der Reichsfürstenbank zu wahren. Beim Reichstag von 1594 hatte Maximilian die Anerkennung des Titels durch die Erzherzöge gefordert, aber nur die nahverwandte Grazer Linie mit Ferdinand hatte der Forderung nachgegeben; andere Mitglieder des Erzhauses hatten dagegen Wilhelms Vorgehen als Verletzung eines Privilegs Kaiser Karls V. von 1522 getadelt, demgemäß den Erzherzögen auf Reichstagen der erste Platz nach den Kurfürsten zukomme. Im Laufe der Jahre war man zu keiner Einigung gelangt. Jetzt wurde Ferdinand gebeten, die Titulierung, wie bisher, auch nach der Kaiserwahl fortzusetzen und auch die übrigen Mitglieder des Hauses Osterreich hierzu zu bewegen.70 Als Gegenleistung für alle genannten Wünsche versprach Maximilian, Ferdinands Nachfolge im Reich zu fördern und die Befürworter anderer Kandidaten für die Unterstützung Ferdinands zu gewinnen. Sollte allerdings Ferdinand die genannten bayerischen Wünsche nicht mit einem speziellen Versprechen beantworten, sollte sich auch Donnersberg nur mit allgemeinen M BA XII, 209 ff. Letztere Forderung ist nicht in der Instruktion Donnersbergs enthalten, ergibt sich jedoch aus der Antwort Ferdinands. Die Kritik Altmanns in BA XII, 210 Anm. 103 an Gindely, Geschichte I, 194 f. ist unzutreffend.
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Versprechungen begnügen, ja sogar die Möglichkeit nicht ausschließen, daß sich sein Herr doch noch eines anderen besinnen könne - „dem könig auch die sach so gewiß nit machen, daß wür unsere gedanken gantz und gar mechten fallen lassen". Hier ging die Rechenhaftigkeit in Erpressung über, obwohl sicher ist, daß Maximilian angesichts aller Umstände, die im Schöße seiner Regierung genau genug erwogen worden waren, diese Drohung, d.h. seine eigene Kandidatur nicht realisiert hätte. Ob Ferdinand selbst seinen Schwager Maximilian als ernstlichen Konkurrenten um die Kaiserkrone eingeschätzt hat und unter diesem Aspekt zu Zugeständnissen bereit war, ist schwer auszumachen. Auch Ferdinand kannte die Umstände und konnte sich abzählen, daß bestenfalls drei der Kurstimmen — Kurpfalz, Kurbrandenburg und Kurköln — für Maximilian einigermaßen sicher waren. Im übrigen waren die von Maximilian geforderten Zugeständnisse (Donnersberg brachte schließlich nur die Halleiner Salzfrage, das Privilegium de non appellando und die Titelfrage vor) nicht derart, daß sie nicht von Ferdinand relativ leicht bewilligt werden konnten. Entsprechend fiel seine Antwort für Donnersberg aus, er dankte für die Haltung seines Schwagers in der Frage der Kaiserwahl, die er nie vergessen werde, „sondern beflissen sein, ain solchs umb E.F.D. und dero haus hinwiderumb zu beschulden, do sy nur occasiones praesentiern", er wolle Maximilians Wünschen in der einen und anderen Weise nachkommen. Tatsächlich hat Ferdinand Wort gehalten.71 Wenige Monate nach der Kaiserkrönung wurde Maximilian in der Titulatur den Erzherzögen gleichgestellt, indem ihm der Kaiser das Prädikat „Durchlauchtig" offiziell zuerkannte, die Reichshofkanzlei und die österreichischen Kanzleien wurden im April 1620 zu entsprechender Titelgebung angewiesen. Im gleichen Jahr erhielt Maximilian das sonst nur den Kurfürsten zustehende Privilegium de non appellando illimitatum. Der Streit um den Halleiner Salzverschleiß, den Maximilian dann auch bei den Verhandlungen um den Münchner Vertrag zur Sprache brachte, wurde allerdings erst 1630 vertraglich beendet. Im übrigen titulierte Maximilian den Kaiser nunmehr mit „Euer Majestät",72 während dieser ihn weiterhin als „Herr Bruder" ansprach.73 Die bayerische Antwort auf die bisherigen Anträge der Unierten war zwar eindeutig gewesen, dennoch wiegten sich manche Unionsfürsten in der Illusion, daß es Maximilian nur darum gegangen sei, den Preis höher zu schrauben. Auch Christian von Anhalt plädierte für einen neuen Versuch und hoffte auf 71 BA XII, 211. 72 Vgl. etwa BA NF 73
1,1 Nr. 161.
Vgl. ebenda Nr. 174.
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Erfolg, obwohl, wie er offen eingestand, die pfälzischen Vorschläge nur darauf berechnet seien, die Katholiken 2u spalten. Dieser Versuch wurde durch den damals zweiundzwanzigjährigen Friedrich V. selbst unternommen. Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz war keine bedeutende und starke Persönlichkeit, Liebenswürdigkeit und große Pläne im Kopf konnten Herrscherqualitäten nicht ersetzen.74 Durch seine Heirat 1613 mit der englischen Prinzessin Elisabeth und den Ausbau des Heidelberger Hofes nach französischem Vorbild suchte er deutscher territorialstaatlicher Enge zu entkommen, überanstrengte dabei aber seine Finanzen. In der großen Politik, zu der er sich berufen fühlte, stand er ganz unter dem Einfluß Christians von Anhalt, welcher der kalvinistischen Pfalz durch eine enge Verbindung mit dem europäischen Kalvinismus, vor allem den Niederlanden und den böhmischen Ständen, und durch den Rückhalt an England höheren politischen Rang zu gewinnen suchte, der notwendigerweise gegen das Haus Habsburg gerichtet war. Mit dem Argument reichsständischer Gegenwehr gegen den kaiserlich-habsburgischen Dominât sollten für diese Frontbildung auch katholische Reichsstände gewonnen und ein entsprechender Umbau der Reichsverfassung eingeleitet werden. Anhalt und ihm folgend Friedrich V. dachten also in großen Dimensionen. Vom 3. bis 8. Februar 1618 befand sich Friedrich V. zu Verhandlungen in München,75 wo er von Maximilian mit allen Ehren und Freundschaftsbezeugungen empfangen wurde. Da man den Gesprächen offensichtlich hohe Bedeutung zumaß, hatte man sich gründlich vorbereitet, Jocher hatte nicht weniger als vier Gutachten geliefert, in denen mit Jocherscher Akkuratesse alle denkbaren Argumente und Gegenargumente summiert waren.76 Insbesondere aus den „privat Ursachen", die den Pfälzern nicht vorgetragen werden sollten, sondern allein der bayerischen Meinungsbildung dienten, werden die eigentlichen bayerischen Motive ersichtlich, die zur Ablehnung des pfälzischen Angebots führten. Sie lassen sich in den einen Satz zusammenfassen, daß Maximilian eine bayerische Kaiserkandidatur für nicht aussichtsreich hielt. Nicht etwa die Rücksicht auf die Kaisertradition des Hauses Habsburg Gute Charakteristiken von Mori% "Ritter in ADB VII, 621 ff. und von Friedrich Hermann Schubert in NDB V, 535 f. Eine umfassende Untersuchung über ihn wird gegenwärtig von Brendan C. Pursell (Harvard University) vorbereitet. 75 Vgl. BA XII, 213 ff. Quellengrundlage sind vier Gutachten Jochers, weiterhin das „Kurtze verzeichnuß desjenigen, so zu München vorgangen" von Camerarius (Druck: BA NF 1,1 Nr. 8) sowie der „Summarische vergrif in puncto successionis" Donnersbergs mit Korrekturen Maximilians. 76 Das wichtigste ist gedruckt BA XII, 480-485 (Neudruck: Dokumente 1,3 Nr. 198), zu den übrigen vgl. ebenda 213 ff. 74
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oder auf die nahe Verwandtschaft mit Erzherzog Ferdinand bestimmte ihn. Vielmehr war er überzeugt, nicht die notwendigen Stimmen zu erhalten oder, wenn er sie erhielt, durch die Wahl in Auseinandersetzungen mit dem Haus Österreich, dem Papst, Spanien und weiteren katholischen Potentaten zu geraten, deren Folgen für Bayern unabsehbar sein mußten. Nicht zuletzt mußte er bei einer Kandidatur zum Schaden des Reichs und der katholischen Religion in völlige Abhängigkeit von der Pfalz und anderer Protestanten geraten. Praktische Gründe der politischen Vernunft rieten von einer Kandidatur ab, womit die politische Situation durchaus zutreffend eingeschätzt war. Maximilian und Friedrich V. verhandelten unter vier Augen in zwei Besprechungen am 4. und 5. Februar, wobei Maximilian die pfälzischen .Angebote von vornherein eindeutig ablehnte. Auf die Bemerkung des Kurfürsten, daß es doch um die deutsche Libertät gehe, gab Maximilian die bemerkenswerte Antwort, daß die Libertät auf andere Weise, durch Vorsorge in den Wahlkapitulationen, gesichert werden müsse, „biß der Allmechtige miti schikhe, daß man zur interruption [der habsburgischen Nachfolge] ohne gefar gelangen möchte." Auch später wiederholte er den Rat, „einer bequemern occasion und zeit zu erwarten, da die Interruptio ohne gefar und zerrüttlikheit etwas sicherer zu erheben" sei.77 Mit diesen Äußerungen revidierte Maximilian zwar nicht seine ablehnende Haltung, doch bestätigen sie uns, daß nicht prinzipielle Bedenken, sondern die Einsicht in die Aussichtslosigkeit einer Kandidatur seine Entscheidung bestimmt hat. Ob er der Ansicht und Hoffnung war, daß die „Interruptio ohne gefar" überhaupt einmal möglich sei, und er sich dann tatsächlich um die Kaiserkrone beworben hätte, steht dahin. Angesichts der begrenzten bayerischen Mittel ist die Frage eher zu verneinen. Friedrich V. nahm aus den Münchner Verhandlungen zwei Eindrücke mit: Zunächst, daß die Katholiken nicht auf einen Konflikt mit den protestantischen Reichsständen zusteuerten. Maximilian hatte ihn dieser Auffassung nachdrücklich versichert und vorgeschlagen, sich künftig gegenseitig zu informieren, um Mißverständnissen rechtzeitig vorzubauen. Zweitens war Friedrich trotz aller gegenteiligen Erklärungen Maximilians der Meinung verblieben, daß dieser an einer Kaiserkandidatur interessiert sei, wenn er nur der notwendigen Stimmen versichert sei. Daß Maximilian viel eher die machtpolitische Anfechtung einer vollzogenen Wahl besorgte, wurde nicht berücksichtigt. Auch Camerarius und Christian von Anhalt schlossen sich der Ein-
77
Zitiert in BA XII, 219.
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Schätzung Friedrichs an.78 Daher führte der Wunsch Maximilians, im Interesse der deutschen Libertät weiter in guter Korrespondenz mit dem Pfälzer zu bleiben (ja vielleicht sogar dessen Konversion betreiben zu können!79) und zum andern die Hoffnung Friedrichs V., den Bayern doch noch für die Ziele der pfälzischen Kaiserpolitik gewinnen zu können, am 9. April 1618 zu einer Begegnung zwischen Jocher und Camerarius. Sie ist zunächst deshalb von Interesse, weil sie ebenso wie die Münchner Verhandlungen erweist, daß trotz der konfessionellen Verhärtungen der letzten Jahre noch mancherlei Bereitschaft zu friedlichem Nebeneinander bestand. Die Verschiedenheit der weltanschaulichen und politischen Lager überdeckte auch nicht, daß man mit Jocher und Camerarius ein und denselben Typ vor sich hatte, den juristisch und humanistisch gebildeten bürgerlichen Beamten, der durch Kenntnisse und Einsatz zum Ausbau frühabsolutistischer Fürstenherrschaft unentbehrlich war.80 Die Verhandlungen zwischen Jocher und Camerarius81 standen unter dem Vorzeichen, daß für Mai 1618 endlich ein Kurfürstentag nach Regensburg ausgeschrieben worden war, bei dem der künftige Nachfolger des Kaisers durch die Wahl zum Römischen König bestimmt werden konnte. Diese Aussicht hatte schon zur Reise Friedrichs V. nach München geführt. Daher versuchte Camerarius in einem vorerst letzten Anlauf, doch noch die Kandidatur Maximilians im pfälzischen Sinne zur Entscheidung zu bringen, wobei er in den Mittelpunkt seiner Argumentation erneut das Problem der fürstlichen Libertät rückte, die durch die Quasi-Erblichkeit der Kaiserkrone im Hause Österreich und entsprechendes Auftrumpfen der Habsburger immer häufiger verletzt und immer mehr eingeengt werde. Nur die Unterbrechung der habsburgischen Tradition durch eine bayerische Kandidatur schaffe Abhilfe, die von Maximilian und Jocher ins Feld geführten Wahlkapitulationen seien hierfür nicht geeignet. Jocher konterte diese Situationsanalyse mit der bloßen Feststellung, daß sein Herr aus wiederholt genannten Gründen kein Interesse am Kaisertum haben könne. Es ist jedoch bemerkenswert, daß Maximilian (in seinem Bericht an Ferdinand von Köln über das Gespräch) die pfälzische Argumentation von der sukzessiven Beschneidung der reichsfürstlichen Libertät durch das Haus Österreich durchaus zu würdigen wußte und seine lebhafte Besorgnis zum Ausdruck brachte, daß es ohne eine Änderung tatsächlich „umb der ™ Vgl. Anhalt an Solms, 16.2.1618: BA XII, 221 Anm. 172. ™ BA XII, 221 f.; vgl. auch BA NF 1,1 Nr. 10. 80 Den Typ arbeitet heraus Schubert, Camerarius. si Hauptquelle: Maximilian an Kurköln, 17.4.1618: BA XII, 486-489; vgl. auch ebenda 223 ff. und Camerarius an Jocher, 12.4.1618: BA NF 1,1 Nr. 15.
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chur, fiirsten und stende teitsche freyheit gethan, die succession erblich, die übrige weltliche fursten allgemach gemeine landtstend, das Romische Reich mutirt" sei. Da von den anderen geistlichen Kurfürsten kein Widerstand zu erwarten sei, solle sich Kurköln beim Kurfürstentag mit den weltlichen Kurfürsten, insbesondere mit Friedrich von der Pfalz zusammentun, um dem habsburgischen Kandidaten in einer Wahlkapitulation entsprechende Zusicherungen abzutrotzen. Der von Ranke bis Riezler gegenüber Maximilian erhobene Vorwurf, gemeinsame Interessen der deutschen Reichsfürsten gegenüber dem habsburgischen Kaisertum hinter konfessionellen Gesichtspunkten zurückgestellt zu haben, trifft also weder hier noch später - etwa bei der Endassung Wallensteins - in dieser Eindeutigkeit zu. Tatsächlich hat das Interesse reichsständischer Freiheiten Maximilian wiederholt zur Zusammenarbeit mit protestantischen Reichsständen geführt. Entsprechend erklärte er sich jetzt auch zu einer „engen zusamenkhunft" mit Kurköln und Kurpfalz noch vor dem Kurfürstentag bereit. Im übrigen war er so optimistisch, aus den Verhandlungen Jochers mit Camerarius zu entnehmen, daß sich Friedrich von der Pfalz der Mehrheit des Kurkollegs anschließen werde, wenn sich diese für Erzherzog Ferdinand entscheide. „.Also ich khonig Ferdinando per indirectum zu seinem intent je treulich verhilflich bin." Der für Ende Mai geplante Kurfürstentag, der als Wahltag zur Regelung der Nachfolge des Kaisers Matthias gedacht war, ist jedoch nicht zustandegekommen, da er von einem weltgeschichtlichen Ereignis überholt wurde, dem Prager Fenstersturz des 23. Mai 1618.
18. Der Krieg in Böhmen1 Die Verhältnisse im Königreich Böhmen hatten sich seit der Jahrhundertwende rasch und dramatisch zugespitzt. Hochaktuelle allgemeine Probleme und Konflikte des Zeitalters wurden auf engem Räume virulent, die Konfessionsfrage und die Frage nach der Machtverteilung zwischen Königtum und Ständen. Im Zusammenhang des Bruderzwists im Hause Habsburg hatten Protestantismus und Ständewesen in Böhmen an Kraft gewonnen, der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609 hatte konfessionelle und ständische Freiheiten zugestanden. Gleichzeitig hatten die böhmischen Stände Verbindungen zu gleichgerichteten Bestrebungen in den habsburgischen Erblanden, hinüber ins Reich zur Protestantischen Union und ihrem Führer Kurpfalz, ja bis hin zu den kalvinistischen Niederlanden aufgenommen. Umso erstaunlicher war es, daß sie dann im Juni 1617 Erzherzog Ferdinand von Steiermark zum König von Böhmen annahmen und krönten, obwohl dieser für eine entschieden gegenreformatorische und ständefeindliche Politik bekannt war. Indem Ferdinand seine Prinzipien auf die Verhältnisse in Böhmen übertrug, standen sich seither Gegenreformation und Protestantismus, monarchischer Absolutismus und Ständefreiheit besonders akzentuiert gegenüber. Als sich die Spannungen alsbald im Prager Fenstersturz vom 23. Mai 1618 entluden, war das Signal zu einer Adelsrevolution gegeben, welche sofort den Blick
1 Zusammenfassende Darstellungen und neuere Literatur zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges finden sich bei Konrad Ripgen, Artikel „Dreißigjähriger Krieg", in: Theol. Realenzyklopädie 9 (1982), Sp. 169-188; Oers. (Hg.), Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven, München 1986; Martin Meckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, Göttingen 1983; Gerhard Schormann, Der Dreißigjährige Krieg, Göttingen 1985; Günter Barudio, Der Teutsche Krieg 1618-1648, Frankfurt a.M. 1985; Geoffrey Parker, The Thirty Year's War, 2. Aufl. London 1987, dt. 1991; Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a.M. 1992; Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg, München 1995. Als Gesamtentwurf unübertroffen bleibt Mori% Ritter, Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 1908, Neudruck Darmstadt 1962. - Speziell zum Krieg in Böhmen vgl. Anton Gindely, Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Band 2-3, Prag 1869-1878; Hans Starnberger, Aufstand in Böhmen, München 1959; Documenta Bohémica bellum tricennale illustrantia, Band 1: Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Der Kampf um Böhmen. Quellen zur Geschichte des Böhmischen Krieges (1618-1621), hg. von Miroslav Tögel, Prag 1972; Josef Polisensky, Tragic Triangle. The Netherlands, Spain and Bohemia 1617-1621, Prag 1991.
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nach außen richtete, um Bundesgenossen zu gewinnen. Durch den baldigen Anschluß der schlesischen und oberösterreichischen Landstände an die Bewegung und durch das Interesse des europäischen Kalvinismus an der Eindämmung der habsburgisch-katholischen Positionen war eine gefährliche Ausweitung des Aufstandes und eine Erschütterung der habsburgischen Herrschaft zu besorgen, welche auch die katholische Partei im Reich berühren mußte. Maximilians Reaktion auf die Vorgänge im benachbarten Böhmen ist dahingehend zu charakterisieren, daß er zwar deren allgemeinen, überregionalen Charakter rasch erkannt hat, sich aber in den Konflikt nicht verwickeln lassen wollte. Er war also nicht bereit, seine frühere Rolle als Führer der katholischen Partei im Reich fortzusetzen, die ihm von den - jetzt bedrängten Habsburgern bestritten worden war. Ebenso wie sein Bruder Ferdinand von Köln sah er die Prager Vorgänge zunächst unter dem Gesichtspunkt erneuter Verzögerung des lange geplanten Kurfürstentags und der römischen Königswahl Ferdinands von Steiermark. Beide erblickten auch einen Zusammenhang zwischen den protestantischen Aktivisten im Reich, welche den Wahltag bisher verzögert hatten, und den aufständischen Böhmen. Hieraus ergab sich, daß der Aufstand nicht nur als innerböhmischer Vorgang eingestuft wurde: „Daß eben dieser pragerisch prozeß noch wol mehr in sich begreift und ziehen wierdt."2 Maximilian warnte daher wiederholt, ihn auf die leichte Schulter zu nehmen, „als wann solchem wol in der güete ohne ainiche comotion abgeholfen werden könne; dann dergleichen sorgfreie persuasiones den catholischen hiebevor großen schaden causiert".3 Von Anfang an war er auch überzeugt, daß das religiöse, nicht das ständisch-politische Moment den Kern der Rebellion bilde und daß eine Verbindung der Böhmen mit den Protestanten im Reich zur Erpressung der katholischen Reichsstände in Religionssachen zu befürchten sei.4 Jedoch war er ebenso wie die übrigen Reichsfiirsten nicht bereit, den wiederholten Bitten des Kaisers Matthias um Truppen· oder Geldhilfe nachzukommen; sowohl Abt Anton Wolfradt von Kremsmünster wie der Reichshofratspräsident Hans Georg von Hohenzollern und der kgl. Statthalter Jaroslaw von Martinitz, der sich seit dem Fenstersturz in München aufhielt, wurden bei entsprechenden Vorstellungen am
Maximilian an Kurköln, 18.6.1618: BA NF 1,1, 33 Anm. 1. Vgl. auch Kurköln an Maximilian, 10.6. und 17.6.1618: Ebenda Nr. 20 und S. 34 Anm. 1. 3 Maximilian an Kurmainz, 25.6.1618: Ebenda Nr. 23. 4 Instruktion für Preysing, 16.12.1619: Ebenda Nr. 60. 2
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bayerischen Hof im Sommer und Herbst 1618 negativ beschieden.5 Nur einem vom Kaiser erbetenen Verbot von Werbungen für die Böhmen auf bayerischem Boden wurde entsprochen. Auch der bayerische Kreistag in Landshut vom Dezember 1618 lehnte, nicht ohne bayerisches Zutun, die Bitte des Kaisers um Geldhilfe gegen die Böhmen ab. Maximilian zeigte sich nur an Maßnahmen zur Sicherung der Kreisgrenzen interessiert.6 Er war also trotz kritischer Einschätzung der Situation zu keinem Engagement fiir die Habsburger bereit, die ihm eben - wie er offen aussprach - bei der Erwerbung der Herrschaft Mindelheim große Schwierigkeiten bereitet hatten. Er begründete seine Absage mit den Notwendigkeiten der eigenen Landesverteidigung und den hohen Kosten für Mindelheim. Vor allem aber: Springe man dem Kaiser bei, würden sich die deutschen Protestanten, die sich jetzt noch ganz ruhig verhielten, offen auf die Seite der Böhmen schlagen. Maximilian zielte also auf Konfliktbegrenzung. So lehnte er auch Hilfe für die von dem Söldnerführer Ernst von Mansfeld belagerte Stadt Pilsen ab, die ihn in Erinnerung an frühere Zeiten als „tamquam singularem protectorem ac asylum catholicae religionis" um Unterstützung gebeten hatte.7 Andererseits hielt er deutliche Distanz zu den böhmischen Direktoren, die sich verschiedentlich um gut Wetter bei ihm bemühten und den politischen Charakter des Konflikts hervorhoben, den religiösen unterdrückten, doch konnte Maximilian auch einer ständisch-politischen Opposition nichts abgewinnen.8 Eine besondere politische Verbindung Maximilians in diesen Monaten bestand zu Friedrich V. von der Pfalz. Sie wurde nach den Münchner Verhandlungen des Frühjahrs 1618 entsprechend der Vereinbarung, sich künftig in wichtigeren Fragen auszutauschen, hauptsächlich durch eine Korrespondenz zwischen Jocher und Camerarius aufrechterhalten. Während Jocher den Fenstersturz kritisierte, „dergleichen bei cristen nit bald erhört worden", bemühte sich Camerarius darum, den Bayern die böhmischen Vorgänge plausibel zu machen und jede Beteiligung des Pfälzers an ihnen zu leugnen.9 Maximilian, der die Korrespondenz mitlas, war jedoch von der Aufrichtigkeit der Pfälzer nicht überzeugt und ironisierte, „wie wunderbarlich dise leuth ihre sachen zu ihren intent bedächtüch eifferig verdeckt angreiffen und bestellen, Vgl. BA NF 1,1 Nr. 21 und S. 34 Anm. 1; Nr. 26 und S. 58 Anm. 3; Nrr. 46, 49 und 63; Gindely, Geschichte I, 356, 411, 465. 6 Kreisabschied vom 10.12.1618: BA NF 1,1 Nr. 57; vgl. auch Ferdinand Magen, Die Reichskreise in der Epoche des Dreißigjährigen Krieges. Ein Überblick, in: ZHF 9 (1982), 409-460, hier 430 ff. 7 BA NF 1,1, 58 Anm. 2. 8 Vgl. etwa ebenda Nr. 33 und S. 44 Anm. 2. 9 Camerarius an Jocher, 15./25.6.1618: Ebenda Nr. 24. 5
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bis die zeit erfordert, daß es offenbar werden mueß oder sie ihren vortl ergreiffen".10 Tatsächlich befanden sich die Pfälzer zu diesem Zeitpunkt bereits in Kooperationsgesprächen mit den Böhmen.11 Gleichzeitig unterstützten sie aber den Vorschlag des Kurfürsten Johann Georg von Sachsen, zusammen mit Kurpfalz, Kurmainz und Bayern zwischen den Böhmen und dem Kaiser zu vermitteln, um eine Eskalation der Krise zu verhindern. Diese Frage der Vermitdung oder Interposition hat die bayerische Politik bis in den Februar 1619 beschäftigt. Obwohl Maximilian den Konflikt zu begrenzen suchte, befürchtete er von einer Komposition konfessionspolitische Zugeständnisse an die Böhmen, da der Kaiser zu wenig gerüstet und am Kaiserhof Kompromißhaltungen zu bemerken seien; auch erhielten durch eine Interpositionshandlung die alten protestantischen Kompositionsbemühungen im Reich wieder neuen Auftrieb.12 Bei diesen Befürchtungen blieb er auch, als er vom Kaiser selbst, dann von König Ferdinand, Erzherzog Leopold, dem Wiener Nuntius, Kursachsen, Kurmainz und anderen (nicht aber von Kurköln) wiederholt gebeten wurde, sich an der Interposition zu beteiligen.13 Mitte Oktober 1618 ließ er durch seinen Hofkanzler Brugglacher in Wien sowohl die Unmöglichkeit bayerischer Hilfe gegen die Böhmen begründen, als auch sein Widerstreben gegen eine Interpositionshandlung erläutern, stieß aber auf Kritik. Der Reichsvizekanzler Ulm bestritt mögliche Auswirkungen von Kompositionsverhandlungen in Böhmen auf das Reich; auch die Erteilung des Majestätsbriefes sei einst für das Reich folgenlos geblieben. Die kaiserlichen Geheimräte beklagten in ihrer offiziellen Antwort vom 5. November, daß der Kaiser bei rechtzeitiger Assistenz Maximilians und anderer das böhmische Feuer hätte ersticken können; jetzt müsse er den Weg der Interposition beschreiten, ohne freilich in Religionsfragen Zugeständnisse machen zu wollen. „Man wolts duci [Maximilian] nit zuegemutet haben, da man in der religion wolt weiter gehen; dann man vorhinein gewißt, quod dux conscientiosus non fecisset."14 Maximilian blieb jedoch dabei, daß er sich seit Jahren den Kompositionsbedingungen der protestantischen Reichsstände widersetzt habe und jetzt seine Grundsätze nicht verleugnen könne. Mehrere eigenhändige Niederschriften Maximilians erweisen, daß Maximilian an Kurköln, 18.9.1618: Ebenda 76 Anm. 1. " Ritter, Geschichte III, 12 ff. 12 BA NF 1,1,33 Anm. 1. 13 Ebenda Nrr. 43 und 44. Vgl. auch die Niederschrift Maximilians „Cur dux Bavariae in negotio compositionis inter imperatorem et status Bohemicae ingerere nec potuit nec debeat", ebenda 134 Anm.2. Zu den Interpositionsbemühungen Johann Georgs von Sachsen s. Frank Müller, Kursachsen und der Böhmische Aufstand 1618-1622, Münster 1997,175 ff. BA NF 1,1 Nrr. 46 und 49; Gindely, Geschichte I, 457 f. 10
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seine Argumentation in religiösen Kategorien nicht etwa vorgeschoben war, um andere Interessen zu verdecken, sondern seiner tatsächlichen Einschätzung der Gefahren einer Interpositionshandlung entsprach.15 Solange der Kaiser und die Katholischen nicht besser gerüstet seien, bestehe die Gefahr, zu untragbaren konfessionspolitischen Zugeständnissen an die Protestanten gezwungen zu werden; „deberet ergo hac ratione dux Bavariae se obligare et constituere protectorum haereticorum et harum concessionum, quas contra religionem et catholicos a multis annis obtinuerant". Umsomehr überraschte daher die Entscheidung Maximilians Mitte Januar 1619, sich nunmehr doch als Interponent zur Verfügung zu stellen, sofern mehrere Bedingungen erfüllt würden: Keinerlei religionspolitische Zugeständnisse; keine Unterbrechung der kaiserlichen Rüstungen; keine persönliche Teilnahme an den Verhandlungen, die auch besser in Nürnberg statt im endegenen Eger stattfänden.16 Man wird Maximilians Schwenkung durch seine Sorge erklären, sich andernfalls aus dem Entscheidungsprozeß auszuschalten, auch glaubte er sich durch seine Vorbehalte genügend abgesichert. Nachdem er, wie er sagte, „gleichsam gezwungen" Verhandlungen zugestimmt hatte, bedrängte er König Ferdinand, daß auch von kaiserlicher Seite nur streng katholische, keiner Nachgiebigkeit verdächtige Räte beteiligt würden. Auch hier zeigt sich, daß die Religionsfrage, „daran des röm. reichs consequenz hangt",17 im Zentrum seiner Erwägungen zu den böhmischen Vorgängen und ihren Auswirkungen auf das Reich gestanden hat. Zu diesem Zeitpunkt war aber eine Interpositionshandlung praktisch schon aussichtslos geworden, denn mit dem Tod des Kaisers Matthias am 20. März 1619 schob sich nicht nur die Nachfolgefrage in den Vordergrund der politischen Erwägungen der Reichsfürsten, angesichts der Persönlichkeit und der Zielsetzungen des Nachfolgekandidaten, König Ferdinands, stand auch eine weitere Verschärfung der landständischen Opposition in Böhmen, Mähren, Ungarn und den österreichischen Erblanden zu erwarten. Die Diskussion um Ausgleichsverhandlungen hatte sich ja abgespielt vor dem Hintergrund wachsender Zuspitzung der Gegensätze zwischen der Ständebewegung in den habsburgischen Herrschaftsgebieten und dem habsburgischen Landesfürstentum. Darüber hinaus hatte eine Versammlung der Protestantischen Union in Rothenburg im Oktober 1618 Werbungen für Böhmen in den UniBA NF 1,1, 134 Anm. 3. Instruktion für Wensin an den Kaiserhof, 22.1.1619: Ebenda Nr. 72. Ebenda die von Jocher stammenden „Conditiones interpositionis, si fieri debeat" und die im Ganzen zustimmende Antwort des Kaisers vom 9.2.1619 auf Wensins Vortrag; Sturm, Preysing 52 ff. " Maximilian an König Ferdinand, 26.3.1619: BA NF 1,1 Nr. 86. 15 V g l . 16
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onsgebieten gestattet, ja Christian von Anhalt sah die Gelegenheit, die böhmischen Vorgänge zu einem großen Krieg gegen Habsburg auszuweiten, der seinem Kurfürsten die böhmische Königskrone bringen sollte. Auch mit den kalvinistischen Generalstaaten18 und Herzog Karl Emanuel von Savoyen wurde die Verbindung hergestellt, der Söldnerführer Ernst von Mansfeld wurde in Dienst genommen und ein böhmisches Heer unter dem Grafen von Thum stand bereit. Im Laufe dieser gefährlichen Entwicklung, deren weitere Verschärfung abzusehen war, war am Kaiserhof eine Entscheidung gefallen, die durchaus im Sinne Maximilians gewesen war, eine Klärung zwischen zwei Hofparteien, deren eine unter Kardinal Klesl in Fortsetzung der Kiesischen Kompositionspolitik für einen Ausgleich mit den böhmischen Ständen plädierte, die andere unter König Ferdinand und Erzherzog Maximilian dagegen eine Politik der Härte vertrat. Am 20. Juli 1618 war es den Erzherzogen Ferdinand und Maximilian gelungen, ohne Wissen und zum Bedauern des Kaisers Klesl zu verhaften und für die Zukunft auszuschalten. Wenn auch mangels ausreichender Rüstungen die Bemühungen um Interpositionsverhandlungen auch durch Ferdinand fortgesetzt wurden und erst mit dem Tod des Kaisers ein Ende fanden, so waren doch nunmehr die Weichen für eine militärische Lösung des böhmischen Problems gestellt, bereits im Sommer eröffneten die kaiserlichen Generäle Dampierre und Bucquoy einen Kleinkrieg mit den Truppen des Grafen Thum. Maximilian äußerte sich über die Gefangennahme Klesls nur zurückhaltend und ohne Triumph, 19 obwohl er sie ebenso wie die Tatsache begrüßen mußte, daß mit König Ferdinand nunmehr konfessionelle und landesfürstliche Entschlossenheit in die Wiener Regierung Einzug hielt. Durch die neue Konstellation war zu erwarten, daß eigene Anstrengungen nicht mehr, wie vor 1618, konterkariert würden, sondern Unterstützung und Nachahmung fanden. Eben dies hatte er in den vergangenen Monaten wiederholt als Bedingung eigener Hilfeleistung bezeichnet. In der Analyse Maximilians zwang die Gefahrdung der habsburgischen Herrschaft und damit verbunden genuiner katholischer Interessen, der Zusammenhang der böhmischen Vorgänge mit der Politik der Kurpfalz und der Union im Reich, die Ungesichertheit der Nachfolge des Matthias, welche die Gefahr eines protestantischen Kaisertums zu eröffnen schien, nunmehr zum Handeln. Und entschiedeneres Handeln schien möglich durch eine neue Kooperationsbereitschaft der Habsbur18 19
Hierzu vgl. vor allem Po&ensky, Tragic Triangle. Maximilian an König Ferdinand und Erzhg. Maximilian, 6.8.1618: BA NF 1,1, 56 Anm. 3.
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ger, insbesondere Ferdinands, durch den Tod des bisherigen Ligakonkurrenten Erzherzog Maximilian im November 1618, durch eine Neuorientierung der geistlichen Reichsfürsten, und womöglich auch durch Hilfestellung Spaniens und der Römischen Kurie. Aus zunächst noch zögerlichen Erwägungen und Sondierungen entwickelte sich so in der zweiten Jahreshälfte 1618 der Entschluß Maximilians zur Neugründung der Katholischen Liga.20 Dabei erhielt er Anstöße von verschiedenen Seiten, sowohl von solchen, welche sich die Hilfe einer neuen Liga erhofften, als auch von ehemaligen Mitgliedern, die jetzt noch mehr als früher einen Zusammenschluß katholischer Stände für notwendig hielten. Bereits zehn Tage nach dem Prager Fenstersturz rühmte der einflußreiche spanische Gesandte am Kaiserhof, Conde d'Oñate, Maximilian als „tamquam praecipuam religionis basem in imperio", ohne schon seine Wünsche zu spezifizieren.21 Gegenüber seinem König Philipp III. bezeichnete es Oñate aber deutlich als höchst notwendig für das Gesamthaus Habsburg, die Katholische Liga wieder zu beleben.22 Da er wußte, daß Maximilian eine Neugründung nur unter Ausschluß Erzherzog Maximilians unternehmen würde, verhandelte er in diesem Sinne mit König Ferdinand, der ihm denn auch zusicherte, daß das Haus Habsburg die bayerische Bedingung erfüllen werde.23 Entsprechend konnte Brugglacher Ende Oktober aus Wien berichten, „man gehe mit einer neuen liga albereit umb, die also soll gestelt werden, daß i.Dt. sich auch dabei werden finden künden und doch Sachsen auch nicht offendiert werde".24 Aus dieser Zeit stammen auch die ersten Äußerungen Maximilians zu dieser Problematik, die andeuten, daß er von bisheriger Verweigerung individueller Hilfe zu einem Konzept kollektiver Unterstützung vorangeschritten war: Eine Partikularhilfe für den Kaiser nütze nichts, „ein gemaines werk" müsse gemacht werden,25 ein Zusammenschluß der katholischen Reichsstände sei im Interesse der katholischen Religion unabdingbar.26 Jedoch hatte er seine eigenen Vorstellungen von den Modalitäten. Gegenüber dem spanischen Diplomaten Jacques Bruneau und dem Erzherzog Leopold, die ihn im Auftrag des Kaiserhofs persönlich zur Ligagründung drängten, verhielt er sich nur ausweichend.27 VorZum folgenden vgl. vor allem Neuer-Land/ried, Liga 158 ff.; Lit^enburger, Joh. Schweikard 306 ff. Oñate an Maximilian, 4.6.1618: BA NF 1,1 Nr. 19. 22 Oñate an Philipp III., 22.8.1618: Ebenda Nr. 35. 23 König Ferdinand an Erzhg. Maximilian, 10.8.1618: Ebenda 65 Anm. 1. 24 Ebenda 87 Anm. 1. 25 Maximilian an Marx Sittich von Salzburg, 17.10.1618: Ebenda 84 Anm. 2. 26 Maximilian an Philipp III., 6.11.1618: Ebenda 96 Anm. 1. π Gindefy, Geschichte II, 381 ff. 20
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sichtig von Natur und durch die Ligaquerelen der letzten Jahre von Mißtrauen erfüllt, forderte er vor eigenen Schritten die Gründung eines rheinischen Direktoriums durch die geistlichen Kurfürsten sowie vorherige verbindliche Erklärungen der künftigen Mitglieder über die zu leistenden Beiträge aufgrund entsprechender Versicherungen ihrer Domkapitel. Tatsächlich gelang es den vereinten Bemühungen des Speyrer Bischofs Philipp von Sötern (des späteren Kurfürsten von Trier) und des bayerischen Gesandten Johann Christoph von Preysing,28 den wegen Rücksichtnahme auf den Kaiser und den Pfälzer zunächst überaus zögerlichen Kurfürsten Johann Schweikard von Mainz zur Einberufung eines Konvents der rheinischen Bischöfe zu veranlassen. Es war der Konvent von Oberwesel, durch den am 26. Januar 1619 die drei geistlichen Kurfürsten sowie die Bischöfe von Speyer und BambergWürzburg unter der Bedingung, daß auch eine oberländische Bundesgruppe errichtet werde, eine rheinische Bundesgruppe auf der Grundlage der Verfassung von 1609 (nicht 1613!) errichteten; ein österreichisches Direktorium war nicht vorgesehen;29 als Zweck des Bündnisses wurde wie 1609 die Verteidigung der katholischen Religion und die Erhaltung des Land- und Religionsfriedens bezeichnet. Die Kriegsleitung der rheinischen Gruppe sollte der Herzog Franz von Vaudemont, ein Schwager Maximilians aus seiner lothringischen Verwandtschaft, erhalten, bei künftiger Kooperation der Rheinischen und Oberländischen sollte sie allerdings auf Maximilian übergehen. Der Bischof von Bamberg-Würzburg, Johann Gottfried von Aschhausen, wurde beauftragt, Maximilian über diese Beschlüsse zu unterrichten, zur Parallelgründung einer oberländischen Gruppe aufzufordern und auf diese Weise die Situation von 1609 wiederherzustellen. Die Preisgabe der bayernfeindlichen Reorganisation von 1613 durch Johann Schweikard mußte vom Herzog von Bayern als Triumph empfunden werden. Jedoch hielt Maximilian die für ihn entscheidende Frage einer führenden Mitgliedschaft Österreichs in der neuen Liga, die er keinesfalls akzeptieren wollte, für noch nicht geklärt, zumal nunmehr Erzherzog Leopold in den Fußstapfen des Erzherzogs Maximilian ebenfalls die Errichtung eines dritten Direktoriums unter seiner Führung forderte. Bemühungen der Bischöfe Aschhausen, Knöringen und Westerstetten um einen Verzicht LeoDessen Instruktion vom 16.12.1618 in BA NF 1,1 Nr. 60 (Neudruck Dokumente 1,3 Nr 199); vgl. auch ebenda Nr. 68 sowie Sturm, Preysing 47 ff. Warum sich Maximilian dann davon distanzierte, den Konvent bei Kurmainz urgiert zu haben (vgl. ebenda 127 Anm. 3), kann kaum erklärt werden. 29 Text der Urkunde bei Stumpf, Liga 98-122. Vgl. auch Neuer-Landfried, Kath. Liga 162 f. mit der älteren Literatur; Ut^enburger, Joh. Schweikard 306 ff. 28
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poids blieben ohne Erfolg. Da war es König Ferdinand, der die Entscheidung herbeiführte und herbeiführen mußte, weil angesichts der schweren Krise, in die seine Herrschaft in Böhmen und das Haus Habsburg insgesamt geraten waren, und angesichts der bevorstehenden Kaiserwahl die Übereinstimmung mit den führenden katholischen Reichsfürsten und eine rasche Ligagründung unerläßlich waren. Nach Verhandlungen mit seinem Bruder Leopold,30 der auch von den Spaniern unter Druck gesetzt wurde, erklärte er am 27. April den Verzicht auf ein drittes, österreichisches Direktorium; den schwäbischen Ständen wurde freigestellt, sich dem oberländischen Direktorium anzuschließen.31 Wenn sich Maximilian auch eine noch eindeutigere Erklärung gewünscht hätte,32 so war nun doch das entscheidende Hindernis zur Neugründung einer oberländischen Bundesgruppe beseitigt. Bereits vom 6.-10. Mai fanden in München Besprechungen der bayerischen Geheimräte mit Bevollmächtigten des Bischofs Aschhausen von Bamberg-Würzburg (der zur oberländischen Bundesgruppe wechseln wollte), der Bischöfe Knöringen von Augsburg und Westerstetten von Eichstätt sowie des Propsts Freyberg von Ellwangen statt.33 Als Ergebnis der Verhandlungen wurde unter dem 31. Mai 1619 eine Vertragsurkunde ausgefertigt und in der Folge von Maximilian, Bamberg-Würzburg, Augsburg, Eichstätt und Ellwangen unterzeichnet.34 Erstaunlicherweise wiederholte sie aber im wesentlichen nur den Wortlaut der Urkunde des Partikularbundes vom Mai 1617, wie auch die Unterzeichner diejenigen von 1617 waren. Praktisch wurde also nur der oberländische Sonderbund von 1617 erneuert; entsprechend findet sich in dem Dokument auch kein Hinweis auf das rheinische Direktorium oder auf einen künftigen Zusammenschluß mit diesem.35 Man kann nur vermuten, daß Maximilian zunächst in den Formen von 1617 bleiben wollte, weil er (nicht ganz zu Unrecht) immer noch nicht völlig von der Abstinenz Erzherzog Leopolds überzeugt war. Aber ihm war selbst bewußt, daß er angesichts seiner Befürchtungen vor einem Zusammenwirken der böhmischen und deut30 Vgl. Erzhg. Leopold an Aschhausen, 1.5.1619: BA N F 1,1,174 Anm. 2. Leopold wies anschließend die Prälaten, die bisher für das österreichische Direktorium beansprucht worden waren (Konstanz, die schwäbischen Prälaten), an, dem oberländischen Direktorium beizutreten. 31 Ferdinand an Aschhausen, 27.4.1619: BA N F 1,1,161 Anm. 1; Wolf-Breyer, Maximilian IV, 187 f. Dadurch erhielt auch die Mission Preysings nach Wien Anfang Mai, durch die Druck auf Ferdinand ausgeübt werden sollte, eine andere Zielsetzung; vgl. Sturm, Preysing 54 ff. sowie den Bericht Brandts, unten Anm. 33. 32 Maximilian an Kurköln, 20.5.1619: BA N F 1,1, 178 Anm. 1. 33 Hauptquelle ist der Bericht des Würzburger Kanzlers Dr. Brandt vom 12.5.1619: Ebenda Nr. 98 sowie Nr. 104. 34 Text: Kasten rot 8a 2; vgl. auch Neuer-Landfried, Kath. Liga 166 f. 35 Unzutreffend Ritter, Geschichte III, 39.
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sehen Protestanten, der wiederholten und dringlicher werdenden Aufforderungen König Ferdinands, der Spanier und des Papstes sowie auch des Drängens der fuhrenden geistlichen Fürsten nicht mehr lange umhin konnte, seine gewohnte Tatkraft über seine Vorsicht und seine Ressentiments zu stellen und sich eindeutig zugunsten einer Unterstützung des Hauses Habsburg zu erklären. Doch wollte er noch mehr gebeten werden. Daß er auch Gegenleistungen fordern würde, war schon deutlich geworden, als er für ein von Ferdinand erbetenes Darlehen zur Rüstungsfinanzierung die Verpfandung der Veste Kufstein forderte, worauf Ferdinand auf das bayerische Geld verzichtet hatte.36 Ein entscheidender Punkt schien erreicht, als Ferdinand auf der Reise zur Königswahl nach Frankfurt am 19. Juli in München Station machte und der mitreisende Oñate eine allgemeine Hilfszusage Philipps III. für die Liga überbrachte. Allerdings hat Maximilian die Bitte Ferdinands um Hilfe der Liga, falls die böhmischen Stände von der Protestantischen Union offen unterstützt würden, auch jetzt noch nicht positiv beantwortet,37 doch erklärte er sich bereit, sie den oberländischen Ligaständen vorzulegen. Dies geschah alsbald auf dem oberländischen Ligatag in Eichstätt vom 28.-30. August,38 der dann freilich den Erwartungen Ferdinands doch nicht entsprach. Man beschloß zwar, zu Rüstungen überzugehen, blieb aber ansonsten bei dem ganz allgemeinen Beschluß, sich in Bereitschaft zu halten und Hilfe für Osterreich nur nach Möglichkeit und Tunlichkeit zu leisten. Der König von Spanien wurde gebeten, sich über seine Hilfe für die Liga bestimmter zu erklären. Alle diese Beschlüsse entsprachen den Weisungen Maximilians für seinen Ligatagsgesandten, was bedeutet, daß er zwar einen Schritt weiter als bisher gegangen war, ohne aber, was doch entscheidend gewesen wäre, seine Hilfe für König Ferdinand zu konkretisieren. Während die Eichstätter Versammlung tagte, wurde Erzherzog Ferdinand von Steiermark am 28. August 1619 in Frankfurt zum Römischen König und Kaiser gewählt. Der Votant der Kurpfalz sprach sich beim Wahlgang zwar für Maximilian aus, wollte sich aber der Stimmenmehrheit anschließen,, wenn diese auf Ferdinand falle, was dann auch geschah. Die Nennung Maximilians durch die Pfalzer verwies auf die Tatsache, daß Friedrich V. auch nach den Ritter, Geschichte III, 40. Riemer, Geschichte V, 129, der sich auf Wolf-Breyer, Maximilian IV, 216 f. stützt, ist zu berichtigen, wie die Instruktion für Brugglacher ergibt. 3« Instruktion für Brugglacher, 22.8.1619: BA NF 1,1 Nr. 118; Wolf-Breyer, Maximilian IV, 233 ff.; Neuer-LanJfried, Liga 168 ff. 36
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gescheiterten Münchner Verhandlungen vom Februar 1618 und der Verhandlung zwischen Jocher und Camerarius vom April 1618 die Hoffnung nicht aufgegeben hatte, Maximilian doch noch für die Kaiserkandidatur zu gewinnen. Der seitherige Briefwechsel zwischen Camerarius und Jocher und gelegentliche Korrespondenzen zwischen Maximilian und Friedrich V. war von beiden Seiten als ein vertraulicher Gedankenaustausch gesehen worden, der unter Ausklammerung konfessioneller Polemik Möglichkeiten und Bedingungen eines weiteren friedlichen Nebeneinanders der Konfessionsparteien im Reich erörterte, ohne freilich von grundsätzlichen Positionen zu weichen oder sich zu konkreten Zugeständnissen bereitzufinden. „Es war" schreibt ein früher Biograph Maximilians zugespitzt, „als ob der einsichtsvolle Jocher und der geistreiche Camerarius den großen Streit der Katholiken und Protestanten in Deutschland noch einmal vor dem Gerichtshofe des Rechts und der Politik vollständig abhandeln wollten, bevor derselbe durch das Schwert entschieden werden sollte".39 Camerarius' Anliegen war es in diesem Zusammenhang, Maximilian doch noch für eine Kaiserkandidatur zu gewinnen, wozu er, wie ein Jahr zuvor sein Kurfürst, mit der Notwendigkeit argumentierte, eine habsburgische Erbmonarchie zu verhindern und die deutsche Libertät zu retten. Entsprechend den Weisungen Maximilians stimmte Jocher zwar solchen Angeboten niemals zu, lehnte sie aber — anders als Maximilian gegenüber Friedrich V. - auch nicht direkt ab, so daß die Hoffnungen am Heidelberger Hof lange bestehen blieben, zumal man von Maximilians Differenzen mit den Erzherzögen Maximilian und Leopold wußte. Im Mai 1619 war daher der pfalzische Geheimrat Schönberg in München erschienen, um Maximilian erneut zur Bewerbung um das Kaisertum zu bewegen.40 Über seine Verhandlungen, die ergebnislos blieben, sind wir nicht näher unterrichtet, sie hatten aber die Folge, daß sich sowohl der alte Wilhelm V. als auch Maximilian in interessanter Weise zum Problem äußerten.41 Es wurde bereits gezeigt, daß Wilhelm V. wiederholt mit der Hoffnung gespielt hat, seinen ältesten Sohn zum römischen König und deutschen Kaiser gewählt zu sehen, zumal dessen Onkel Ernst (gest. 1612) und dann auch sein Bruder Ferdinand als Kurfürsten von Köln zu den Königswählern zählten.42 Jetzt, wenige Wochen vor dem Wahltag in Frankfurt, glaubte er Kurfürst Ferdinand informieren zu können, daß Maximilian zwar „dise dignitet durch3' WofBnyer, Maximilian IV, 195. 4° Wolf-Breyer, Maximilian IV, 203. « Wilhelm V. an Kurköln, 20.5.1619: BA NF 1,1 Nr. 99; Maximilian an Kurköln, 22.5.1619: Ebenda 178 Anm. 2. 42 Vgl. Kapitel 17.
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aus nit ambiert, jedoch wan es ane sein zuetun und gleichsam wider sein willen oder begern aus sonderbarer Schickung Gottes also geschehe, das dise wal legitime auf ime fiel, würde er alsdan solchen willen Gottes auch nit widerstreben, sonder verhoffen, das Gott, welher ine zu einem sölhen stant berueffen würde, ime auch gnat und segen geben, dasjenige zu prestiern, was sein gottliche almacht von im erforderte". Allerdings seien von den Pfálzern Wahlkapitulationen zu befürchten, vor allem die lange begehrte Komposition, wozu sich Maximilian niemals verstehen werde. Sollten aber keine Forderungen gestellt werden und sich die anderen Kurfürsten für Maximilian erklären, solle ihm auch Kurköln die Stimme geben, ungeachtet etwaiger Versprechungen für Ferdinand von Steiermark! Dieses Schreiben kam vor Absendung auch in die Hand Maximilians. Aus Respekt vor dem Vater änderte er den Text nicht, fühlte sich aber doch bewogen, den Vater zu korrigieren und dem Bruder im Vertrauen mitzuteilen, „daß ich nit ermessen kan, daß dem gemeinen cathoüschen wesen, unserm haus und landen noch meiner person rathlich, vorstendig oder ertreglich sein werde, aus deme jenigen zu schreiten, so e.L. in jüngstem iren alhie sein ir selbs gefallen lassen, auch hernacher sich schriftlich erklert, excepto unico casu extremae necessitatis, da sonsten die sach auf ein uncatholischen fallen müßte, und dahin ist mein erklerung gegen i. Dt. dem herrn vatter auch gangen".43 Das war eindeutig, wenn es auch das Selbstbewußtsein Maximilians beleuchtete, den Anforderungen des Kaisertums notfalls gewachsen zu sein. Wenige Wochen vor dem Wahltag unternahm dann Friedrich von der Pfalz einen letzten Versuch, über Maximilian und Kurköln auf das Wahlergebnis Einfluß zu nehmen. Ohne Namen zu nennen, betonte er gegenüber Maximilian erneut, daß es hohe Zeit sei, „die ein zeit hero sehr geschwechte des h. reichs und desselben ständ libertät in besserer obacht zu haben", das freie Wahlrecht der Kurfürsten nicht zu unterdrücken und nicht geschehen zu lassen, „daß eine erbliche succession im reich, darzu alberait ein zimlicher anfang gemacht, eingefüert und stabilirt werde". Maximilian wurde gebeten, eine entsprechende Intervention der pfalzischen Wahlgesandtschaft in Frankfurt bei Kurköln zu befürworten, da Friedrich V. nicht persönlich in Frankfurt erscheinen werde.44 Am gleichen Tag fanden Beratungen der Heidelberger Regierung über das mögliche Wahlverhalten der pfälzischen Wahlgesandten statt, bei denen wiederum die Person Maximilians im MittelMaximilian bat den Bruder, sein Schreiben dem Vater nicht bekanntwerden zu lassen. Andererseits hatte Wilhelm V. gebeten, sein Schreiben zu verbrennen, was aber nicht geschah, wie das in Düsseldorf liegende Original erweist. 4 4 Kurpfalz an Maximilian, 17.7.1619: B A NF 1,1 Nr. 111. 43
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punkt stand.45 Eine Wahl Ferdinands im Anschluß an die geistlichen Kurfürsten wurde ebenso ausgeschlossen wie eine Wahlenthaltung. Möglich sei nur ein dritter Weg, der zunächst eine Reihe von Kandidaten benenne: Erzherzog Albrecht, Erzherzog Ferdinand, Dänemark, Kursachsen, Bayern, Savoyen, dann aber den Herzog von Bayern als einen erfahrenen, verständigen und friedfertigen Regenten hervorhebe, dem Kurpfalz die Stimme geben wolle. Sollte die Mehrheit der Stimmen auf Albrecht oder Ferdinand fallen und die allgemeine Meinung sein, „daß ohne abbruch der freien wähl diese dignitet bei einem haus [Osterreich] länger zu lassen", werde man sich jedoch schließlich der Mehrheit anschließen. Mit diesem dritten Weg glaubte man in Heidelberg das Ei des Kolumbus gefunden zu haben, denn er biete „diese comoditet, daß wir unser gewissen dadurch salvieren und uns des hg. in Baiern nochmals obligierten, so könte es Ferdinandus zu keiner großen offension ufnehmen, weil er dadurch Baiern und Köln selbst offendirt zu werden besorgen müßte". Christian von Anhalt billigte zwar dieses Votum, rechnete sich aber dann doch auch noch eine letzte Chance aus, wenn die geistlichen Kurfürsten unmittelbar vor der Wahl von den pfälzischen Gesandten nochmals auf den Herzog von Bayern, die Vermeidung der Erblichkeit der Kaiserwürde und des Anscheins, als ob die dignitas electoralis nur eine bloße Form sei, hingewiesen würden.46 Bei der Wahl am 28. August47 stimmten die pfalzischen Gesandten in der angegebenen Weise mit der erwähnten Begründung für Maximilian, traten aber dann der Mehrheit bei. Kurköln stimmte unmittelbar für Ferdinand, indem er versicherte, daß sein Bruder Maximilian die Kaiserwürde nicht suche. Kurtrier, Kurbrandenburg und Kurmainz benannten die Erzherzöge Albrecht und Ferdinand sowie den Herzog von Bayern als der Kaiserkrone vollkommen würdige Fürsten, entschieden sich aber ebenfalls für Ferdinand. Kursachsen nannte nur Ferdinand, der sich dann, als letzter stimmend, als König von Böhmen selbst die Stimme gab. Maximilians Persönlichkeit hatte also bei der Abstimmung mehrfache Anerkennung gefunden, deutlich war der Herzog von Bayern in eine Reihe mit Kurfürsten und Erzherzögen gestellt worden. Spätere Geschichtsschreiber haben es deswegen getadelt, daß er die Chancen einer Kaiserkandidatur nicht « Kurpfalz an Anhalt, 17.7.1619: Ebenda 204 Anm. 1. 46 Anhalt an Kutpfalz, 20.7.1619: Ebenda Nr. 113. Tatsächlich wurde Kurköln von dem pfälzischen Geheimrat Vollrad von Plessen nochmals zur Wahl Maximilians aufgefordert; vgl. Gindely, Geschichte II, 154 f. 47 Vgl. ebenda 164 ff. aufgrund eines detaillierten eigenhändigen Wahlberichts Ferdinands von Köln.
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ergriffen habe. „Hätte Maximilian sich mit Friedrich von der Pfalz vereinigt", hat Ranke bei den Berchtesgadner Vorträgen vor König Maximilian II. geurteilt, „so wäre wahrscheinlich das Haus Wittelsbach groß geworden [...]. Hätte er sich an Friedrich von der Pfalz angeschlossen, was er wohl tun konnte, ohne Protestant zu werden, so wäre Österreich nicht so mächtig geworden".48 Das Urteil Rankes verkannte die Situation und die Charaktere. Gerade die Vorgänge um die Kaiserwahl 1619 erwiesen, daß die Pläne Anhalts zu abenteuerlich waren und die Persönlichkeit Friedrichs V. zu schwach war, als daß sie den Kristallisationspunkt einer effektiven Opposition gegen das Haus Habsburg hätten bilden können. Dieser Sachverhalt war von Maximilian ganz klar erkannt worden. Darüber hinaus war er nicht gewillt, zugunsten einer oppositionellen Politik gegenüber dem Haus Habsburg den Kern seiner Weltanschauung und seines religiösen Selbstverständnisses so weit preiszugeben, wie es bei einem Anschluß an die pfalzischen Pläne notwendig gewesen wäre. Ja es war gerade umgekehrt, nur in „unico casu extremae necessitatis, da sonsten die sach auf ein uncatholischen fallen müßte", wollte er eine Kaiserkandidatur übernehmen. Sein dezidierter Katholizismus verband ihn ungeachtet nicht weniger politischer Gegensätze in prinzipieller Weise mit den Habsburgern, und diese und ihr Kaisertum waren selbst ein Eckstein der katholischen Partei im Reich. Was aber die territorialpolitischen Interessen Bayerns und die reichsfürstliche Libertät betraf, so ging Maximilian davon aus, zu Recht, daß sie eher in kritischer Kooperation mit dem habsburgischen Kaisertum als in Fundamentalopposition zu ihm zu verwirklichen waren. Wie das Verhältnis von Kritik und Kooperation im einzelnen auszugestalten war, bildete allerdings ein Grundproblem der bayerischen Politik. Aber jedenfalls: Weltanschauliche und territorialpolitische Gesichtspunkte und eine realistische Einschätzung der politischen Kräfte und Konstellationen im Reich bestimmten Maximilians Haltung in der Frage der Kaiserwahl, deren Ablauf war keine verpaßte Gelegenheit der bayerischen Geschichte. Einen Tag vor der Kaiserwahl Ferdinands II. wurde Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz am 27. August 1619 in offenem Affront gegen König Ferdinand zum König von Böhmen erhoben.49 Nun war deutlich, daß, wenn der Pfälzer durch die Annahme der böhmischen Krone (die Ende September erfolgte) offen auf die Seite der Böhmen und aller Habsburggegner trat und ihm die Protestantische Union folgte, der böhmische Krieg und die deutschen Vorgänge zu einer einzigen Gesamthandlung verschmolzen. Wenn also 48 Leopold von Ranke, Über die Epochen der neueren Geschichte, Hist.-krit. Ausgabe hg. von Th. Schieder-H.Berding, München-Wien 1971, 327. 49 Gindefy, Geschichte II, 172 ff.; Ritter, Geschichte III, 47 ff.
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der oberdeutsche Ligatag in Eichstätt sich praktisch auf Aktionen innerhalb der Reichsgrenzen hatte beschränken wollen, so war diese Begrenzung, wenn man Ferdinand tatsächlich und effektiv unterstützen wollte, jetzt wohl nicht mehr möglich. Allerdings erhoffte sich Maximilian von Friedrich V. die Nichtannahme der Wahl: „Ich halte ine für ein so verständigen firsten, daß er verhoffentlich den gemainen friedlichen wolstand allen anderen respecten vorziehen werde." 50 Als Friedrich die Tatsache der Wahl - bevor er sie annahm - in Fortführung der bisherigen Korrespondenz nach München mitteilte, legte ihm Maximilian einen Katalog von Gründen vor, sie nicht anzunehmen, wobei er rechtliche Gesichtspunkte in den Mittelpunkt stellte. Friedrich solle vielmehr „umb der Liebe unsers gemeinen Teutschlands des Römischen Reichs und aller dero Glieder willen" für die Dämpfung aller Zwistigkeiten in Böhmen und im Reich tätig werden.51 Man darf annehmen, daß es Maximilian mit seiner Argumentation, die darauf abzielte, eine große Auseinandersetzung zu vermeiden, ernst gewesen ist, er also die Ausweitung des Konflikts durch die Königskrönung Friedrichs V. nicht gewünscht hat. Jedoch hat er, als der Tatbestand geschaffen war, den Krieg nicht gescheut und dabei neben dem Gewinn für die allgemeine Sache auch den eigenen Vorteil nicht übersehen. Nach vollzogener Kaiserwahl blieben Ferdinand II., die geistlichen Kurfürsten und der spanische Gesandte Oñate noch einige Zeit in Frankfürt, um sich über die weiteren Schritte gegen die Böhmen, den Pfälzer und die Unierten schlüssig zu werden.52 Sie beschlossen, die Aufstellung eines Ligaheeres zu betreiben, das sowohl der Verteidigung der Ligastände wie auch der Unterstützung des Kaisers dienen sollte. Die Koordinierung dieser Aufgabe und die Verwendung der Armee sollten ohne Einschränkung dem Herzog von Bayern übertragen werden. Weiterhin wurde als wünschenswert bezeichnet, daß eine aus den spanischen Niederlanden kommende Armee sich gegen die Verbündeten des Pfälzers im Reich, also gegen die Unionsstände, wendete. Am 1. Oktober trafen Ferdinand II. und Oñate, beide von Maximilian eingeladen, auf dem Weg nach Wien in München ein, mit ihnen der kölnische Obersthofmeister Eitel Friedrich von Hohenzollern als Vertreter der geistliÄußerung Maximilians: BA NF 1,1, 225 Anm. 1. Maximilian an Kurpfalz, 24.9.1619: Londorf, Acta publica I, 912 ff.; Lorenz Quellen Vorgeschichte Nr. 61; vgl. auch Ziegler; Maximilian 66 f. - Antwort Friedrichs V. vom 6.10.1619: Londorp, Acta publica I, 917 f.; Lorenz Quellen Vorgeschichte Nr. 64. 52 Ritter, Geschichte III, 56 f. 50 51
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chen Kurfürsten. Bis jetzt hatten sich Ferdinand und Maximilian freundvetterlich geduzt; diese Übung setzte Maximilian gegenüber der kaiserlichen Majestät nicht mehr fort, wie schon erwähnt, doch bestand er darauf, daß ihn Ferdinand in alter Weise anspreche. Bei den folgenden Verhandlungen ging es um die Modalitäten und den Preis, unter denen Maximilian bereit war, die ihm vom Kaiser und den geistlichen Kurfürsten angebotene Organisierung und Führung eines Heeres und damit praktisch die Führung der neuen Katholischen Liga zu übernehmen. Sie endeten im „Münchner Vertrag" zwischen Ferdinand II. und Maximilian vom 8. Oktober 1619.53 Auf der Reise nach München hatte Ferdinand die Nachricht erhalten, daß sich seine Situation erneut verschlechtert hatte, denn der Großfürst von Siebenbürgen Bethlen Gabor war mit einem beachtlichen Heer in Ungarn eingefallen und eilte den Böhmen zu Hilfe. Erschreckt bekannte Ferdinand „daß mier das ungerische unwesen fast [= weit] mehrers als alle andere aufstandt zue herzen gehet, sintemallen mier derselben natur gar woll bekandt, daß wan sie einmall auszuraißen anfangen, nit leichtlichen mehr undter den Cavezan [= Zaum] zuebringen".54 Weil ihm nunmehr das Wasser wirklich bis zum Halse reichte, sah er sich umsomehr zu Verhandlungen mit Maximilian veranlaßt. Diese bildeten nach Ergebnissen und Auswirkungen nicht nur einen zentralen Vorgang in der Geschichte Ferdinands und des Böhmischen Aufstandes, sondern ebenso, ja noch weitergehend in der Biographie Maximilians, weil sie seine Regierung drei Jahrzehnte bis zum Westfälischen Frieden begleiteten und in wesentlichen Punkten nachhaltig bestimmten. Sie waren darüber hinaus geeignet, die Gegensätze zwischen den Kriegsparteien offenzuhalten und einen Ausgleich zu verhindern oder zu verzögern, also den Krieg zu verlängern oder jedenfalls den Vorwand hierfür zu bieten. Die Vertragsverhandlungen und der schließliche Vertragsinhalt offenbarten unterschiedliche Charakterzüge Maximilians, Verantwortungsgefühl und Tatkraft, aber auch Mißtrauen und Eigennützigkeit. Zugeständnissen an den Kaiser standen erhebliche Forderungen gegenüber, die auch in den schlechten Erfahrungen der bayerischen Ligapolitik der vergangenen Jahre mit dem Haus Österreich begründet lagen. Die Verhandlungen vom 2. bis 5. Oktober wurden auf kaiserlicher Seite vom Direktor des Geheimen Rates Ulrich von Eggenberg und dem Hofvizekanzler Leonhard von Götz (alsbald Bischof von Lavant) geführt, Eitel Friedrich Dokumentation durch Arno Duch in BA NF 1,1 Nr. 130 (232-256), auch mit Hinweisen auf die ältere Literatur. Auf dem dortigen Druck des Vertragstextes (242-247) beruht der Text in Dokumente 1,3 Nr. 204. Lateinischer Text mit zeitgenössischer Übersetzung bei Lorenz Quellen Vorgeschichte Nr. 65. 54 Der Kaiser an Maximilian, 21.9.1619: BA NF 1,1, 254 Anm. 1. 53
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von Hohenzollern sprach für die geistlichen Kurfürsten, Graf Johann von Hohenzollern und Jocher für Maximilian, der die bayerischen Positionen durch Denkschriften Jochers, Donnersbergs und Gewolds55 hatte vorbereiten lassen. Die Präambel des Vertrags sprach „de presentissimo et extremo periculo, in quo praedicta Caesarea Maiestas ac Domus Austriaca, nec non per hoc omnes Catholici Status Imperii et ipsa Catholica religio versatur." Damit war gesagt, welchem allgemeinen Zweck der Vertrag diente: Es war die Sicherung der offensichtlich von mehreren Seiten bedrohten konfessionspolitischen und verfassungspolitischen Ordnung im Reich und den habsburgischen Landen. In der Rebellion protestantischer Untertanen gegen ihren katholischen Landesherrn, der Protestantisierung der böhmischen Königswürde durch die Wahl Friedrichs V. und damit der Möglichkeit eines protestantischen Kaisertums56 sowie der zu erwartenden Unterstützung des Pfälzers durch die Protestantische Union sah Maximilian Kaiser, katholische Reichsstände und katholische Religion bedroht und damit die konfessionelle und politische Verfassung des Reichs, in die auch seine Herrschaft eingebettet war. So erklärte er sich auf dringende Aufforderung des Kaisers und der geistlichen Kurfürsten bereit, das absolute und uneingeschränkte Direktorium eines katholischen Verteidigungsbündnisses und Heeres zu übernehmen: „Liberum et absolutum Catholicae defensionis et exercitus congregandi et ducendi Directorium in se suscipere parata est".57 Jedoch stellte er die Bedingung, daß die hierzu notwendigen Mittel und Gelder tatsächlich verfügbar seien — eine Sicherung, um nicht unvorbereitet in den Krieg gezogen zu werden, und ein Ansporn zu eigenen Aktivitäten des Kaisers, um Maximilians Kriegseintritt zu beschleunigen. Laut Vertragstext diente das Bündnis dem Schutz seiner Mitglieder und erst an zweiter Stelle, soweit die Mittel es erlaubten, der Unterstützung des Kaisers. Jedoch war es allen Beteiligten klar, daß in der gegenwärtigen Situation die direkte oder indirekte Hilfe für den Kaiser im Vordergrund stehen mußte. Die Modalitäten dieser Hilfe waren ausschließlich in das Gutbefinden Maximilians gestellt. Da die dem Herzog zur Verfügung stehenden Mittel und die künftigen Situationen nicht vorhersehbar waren,
55 Ebenda Nr. 130 A und B. 56 Einzelheiten, insbes. zur Bedeutung der böhmischen Kurwürde, bei Hein% Duchhardt, Protestantisches Kaisertum und Altes Reich. Die Diskussion über die Konfession des Kaisers in Politik, Publizistik und Staatsrecht, Wiesbaden 1977. 57 Der Vertragstext lautet also nicht, daß Maximilian das Direktorium übernehme, falls es absolut und uneingeschränkt sei! Jedoch hätte Maximilian ein eingeschränktes Direktorium nicht übernommen.
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wollte er sich diesbezüglich auch „ad nihil certi" verpflichten. Der Kaiser seinerseits versprach für sich und sein Haus, das absolute Kommando und die Entscheidungsfreiheit des Herzogs von Bayern in keiner Weise zu beeinträchtigen. Keinem der Kontrahenten wurde gestattet, einseitig Unterhandlungen mit dem Gegner anzuknüpfen oder einen Waffenstillstand zu schließen. Als Gegenleistung für Maximilians Einsatz versprach Ferdinand für sich und sein Haus den Ersatz für alle Kriegskosten, die über Maximilians Ligabeiträge und die Kosten der bayerischen Landesverteidigung hinausgingen; bis zur Kostenerstattung sollte Maximilian territoriale Pfander, vor allem die etwa in Österreich eroberten Gebiete erhalten. Etwaige Verluste aus der bayerischen Ländermasse sollten ihm nach Friedensschluß aus der österreichischen Ländermasse ersetzt werden. Dies alles waren keine ungewöhnlichen Fesdegungen. Jedoch war Maximilian entschlossen, die Nodage des Kaisers und die Gunst der Stunde darüber hinaus zur Befriedigung von alten Ansprüchen des Hauses Wittelsbach und auch von persönlichen Ambitionen zu nützen. Dies geschah durch zwei mündliche Absprachen, die von Ferdinand und Maximilian in München außerhalb des schriftlichen Abkommens getroffen worden sind.58 Die erste Vereinbarung betraf die pfälzische Kurwürde. Der Kaiser versprach, vielleicht in Erinnerung an das (freilich vage) Versprechen Karls V. von 1546 gegenüber Wilhelm IV., die Pfälzer Kurwürde auf Maximilian und seine Erben zu übertragen. Ferdinand hat später mehrfach versichert bzw. nicht widersprochen, das Kurversprechen in München aus eigenem Antrieb („motu proprio") gegeben zu haben, wenn auch - wie er später sagte — auf Rat des spanischen Gesandten Oñate, der an einem baldigen Kriegseintritt Maximilians höchlichst interessiert war.59 Jedoch kann angenommen werden, daß auch Maximilian selbst sein Interesse an der Kurwürde dem Kaiser nahegebracht hat, weil hiermit weitgespannte und alte Ansprüche und Wünsche der Dynastie verknüpft waren.60 Zumindest kannte Ferdinand, Vetter und Schwager Maximilians, diese Ansprüche. Bei der Teilung des Hauses Wittelsbach durch den Hausvertrag von Pavia 1329 in eine bayerische und eine pfäl58 Vgl. Dieter Albrecht, Die Kriegs- und Friedensziele der deutschen Reichsstände, in: Repgen, Krieg und Politik 257 ff., mit Einzelnachweisen. 59 "Factum hoc ex Consilio Legati Regis in mea aula residentis" (BA NF 1,1,250, aus Cancelleria Hispanica, editio locupletior, 1622, 76). Damit wurde aber das Motu proprio Ferdinands nicht „korrigiert" (so Ziegler in Dokumente 1,3 Nr. 207), beide Erklärungen schlossen einander nicht aus. 60 BJe^ler, Geschichte V, 136 ff.; Dümvächter, Gewold.
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zische Linie war die Alternation der Kurwürde zwischen den beiden Linien festgelegt worden, doch hatte sie dann die Goldene Bulle von 1356 definitiv den Pfálzern zugesprochen. In München hatte man jedoch den Anspruch darauf durch die Jahrhunderte festgehalten und insbesondere Maximilian hatte ihn, wie erwähnt, durch die bayerische Geschichtsschreibung unterbauen lassen, die hierdurch in eine hefdge literarische Fehde mit der Pfälzer Historiographie geraten war. Noch unmittelbar vor der Münchner Konferenz hatte Christoph Gewold im Auftrag des Herzogs und als Argumentationshilfe für die Verhandlungen eine historisch-politische Deduktion über Bayerns geschichtliches Recht auf die Kur verfaßt und die günstige Gelegenheit betont, angesichts der Felonie des Pfalzers durch Annahme der böhmischen Krone diesen zu ächten und die pfälzische Kurwürde wieder an Bayern zu geben.61 Auch in der bayerischen Instruktion zu den Verhandlungen hieß es bei den „Punkten, welche von I.M. in particular zu begern" ganz deutlich: „Expectanz auf konfftige haimbfellige reichslehen, in specie aber die Chur pfalz", womit nicht das Land, sondern die Kurwürde gemeint war.62 Die zweite mündliche Zusage des Kaisers betraf die Eroberungen, die Maximilian im Zuge der abzusehenden Kriegshandlungen innerhalb des Reiches machen würde. Ferdinand versprach bzw. ließ durch seine Räte versprechen, daß von Maximilian eroberte Gebiete im Reich mit allen Hoheitsrechten und Einkünften diesem als Eigen („iure proprio") verbleiben sollten. Dies bezog sich, ohne ausdrückliche Nennung, gewiß in erster Linie auf die Oberpfalz oder die Rheinpfalz oder auf beide. Da der Kaiser wenige Monate später dem Kurfürsten Johann Georg von Sachsen für Mithilfe gegen die Böhmen die Überlassung eines freiwerdenden Fürstentums im Reich zusagte, und zwar schriftlich, drängte auch Maximilian auf eine schriftliche Fassung dieses zweiten mündlichen Versprechens, die er dann im Mai 1620 auch erhielt.63 Dies alles waren Zusagen Ferdinands, die zwar in großer Not gegeben und daher verständlich, aber doch derart weitgehend waren, daß ihre Realisierung zu großen Komplikationen führen konnte, ja mußte. Denn die Kurübertragung setzte eine Ächtung Friedrichs V. von der Pfalz voraus, deren reichsrechtliche Begründung nicht einfach war und Auseinandersetzungen zwischen den Reichsständen erwarten ließ. Die Frage war, ob die Verwirklichung dieser speziellen Ziele Maximilians nicht die Folge haben mußte, daß seine allgemeinen Zielsetzungen, nämlich die Sicherung bzw. Wiederherstellung der Memoriale Gewolds, ca. September 1619: BA N F 1,1 Nr. 130 F. Instruktion für Jocher von der Hand Donnersbergs: Ebenda Nr. 130 B, hier S. 237. 63 Maximilian an den Kaiser, 5.5.1620, und der Kaiser an Maximilian, 17.5.1620: Dokumente 1,3 Nr. 208. 61
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überlieferten politischen und kirchlichen Verhältnisse im Reich und den habsburgischen Landen, behindert und vielleicht sogar verhindert wurden. So stellte sich also seit den Münchner Verhandlungen in besonders dringlicher Weise die Frage nach den Prioritäten in Maximilians Politik. Im übrigen wußte Maximilian bei seinen Forderungen und den Verhandlungen über sie zu verbergen, welches vitale Interesse er schon als Nachbar der Böhmen an der Niederwerfung des Aufstandes hatte. In einer Interpretation des Münchner Vertrags, die er dem Brüsseler Hof angelegentlich zukommen ließ,64 betonte Maximilian dem Vertragstext entsprechend, aber doch zweckgerichtet, um spanische Unterstützung hervorzulocken, daß die versprochenen Rüstungen der Ligastände in erster Linie dem Schutz ihrer eigenen Lande dienten und erst in zweiter Linie, „mit dem iberrest", der Hilfe für den Kaiser. Wenn die katholischen Stände sich selbst konservierten, komme dies eo ipso auch dem Kaiser zugute. „Dannenhero man bei izigen Zeiten und leufen das principal- und hauptfundament auf die catholische kur-, fürsten und stende im reich oder derselben volk nit, sondern auf Ihr kgl. Würden in Hispanien als protectorem religionis, und umb dessen haus es principaliter ze thuen, ze machen". Ja Maximilian ging so weit, zu erklären, daß er für sein Herzogtum nur deswegen etwas zu befürchten habe, weil und insoweit er den Kaiser unterstütze, weswegen er seinerseits auch für sich die Unterstützung des Kaisers, des Königs von Spanien und des ganzen Hauses Österreich zu fordern habe. Er sah sich zu dieser Intervention gegenüber Erzherzog Albrecht veranlaßt, weil Oñate bei den Verhandlungen in Frankfurt und München umfangreiche spanische Hilfe versprochen hatte, nämlich neben einer Diversion gegen die Pfalz die Gestellung von tausend Reitern für das Ligaheer, und dabei offensichtlich seine Kompetenzen überschritten hatte, denn in Brüssel war man sehr viel zurückhaltender.65 Man kritisierte an dem Münchner Vertrag, daß er „nihil certi et firmi" enthalte, da unklar bleibe, wann die Bedingungen erfüllt seien, an die Maximilian seinerseits die Erfüllung seiner Vertragspflichten knüpfte; ihm bleibe jederzeit die Möglichkeit des Rücktritts. Auch die Versprechungen Oñates wurden in Brüssel als zu weitgehend angesehen. Die von den Spaniern und auch manchen späteren Historikern herausgestellte Eigennützigkeit Maximilians in Bezug auf das Vertragswerk darf allerdings nicht überbetont werden, wenn die Proportionen stimmen sollen. Alle Versprechungen Ferdinands bezogen sich nur auf den Fall tatsächlicher HilfeM Maximilian an Morraeus, 26.11.1619: BA NF 1,1 Nr. 130 G. 115 Vgl. ebenda 253 Anm. 1.
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leistung fur den Kaiser. Sicherte Maximilian nur sich selbst und die Ligastände, war Ferdinand zu nichts verpflichtet. Und wie die Abläufe des folgenden Jahres erweisen, stand in der Folge nicht die Selbstverteidigung der Ligastände im Vordergrund (auch weil es Maximilian gelang, durch den Vertrag von Ulm die Union zu neutralisieren), sondern eben die Hilfe für das Haus Habsburg. Der Krieg bis zur Schlacht am Weißen Berge spielte sich vonseiten der Liga ausschließlich in habsburgischen Landen zur Rettung habsburgischer Herrschaft ab. Ferdinand hatte gewußt, warum er den Münchner Vertrag abgeschlossen hatte! Die Münchner Wittelsbacher hatten in den Jahrhunderten seit der Gründung des Herzogtums Österreich aus bayerischen Gebietsteilen im Jahre 1156 oft genug die Stunde herbeigewünscht, den mächtigen Nachbarn gedemütigt zu sehen. Was waren die Beweggründe Maximilians, die Gelegenheit jetzt, da sie gekommen war, nicht zu nützen? Hätte es ihm, wenn er sie genutzt hätte, nicht mehr eingebracht, als nur die jetzigen Zugeständnisse Ferdinands? Maximilians Haltung war die Konsequenz seiner bisherigen Konfessions- und Reichspolitik, wie sie auch in der Frage einer bayerischen Kaiserkandidatur die entscheidende Rolle gespielt hatte. Konfession und Reichsverfassung und deren Stabilisierung durch das habsburgische Kaisertum waren die entscheidenden Gesichtspunkte zur Unterstützung des Kaisers. Daß die Gelegenheit zugleich zur Erfüllung alter Wünsche der Dynastie genützt werden konnte, stand auf einem anderen Blatt, wenngleich die Übertragung der pfälzischen Kur auf einen katholischen Reichsfürsten gewiß auch im Interesse des deutschen KatholÍ2Ísmus und des katholischen Kaisertums der Habsburger lag, wie u.a. auch in Madrid argumentiert wurde. Das eigentliche Problem war nicht eine vermutete „Erpressung" des Kaisers durch Maximilian, sondern die in die Zukunft weisende Frage, inwieweit Maximilians Forderungen und Ferdinands Zugeständnisse sowie dessen Finanznot, die ihn schließlich zwang, die Kriegskosten Maximilians aus nichtösterreichischen Gebieten zu entschädigen, geeignet waren, den Krieg zu verlängern. So regelmäßig Maximilian in den Monaten nach dem Münchner Vertrag nach allen Seiten betonte, ohne die Hilfe der Spanier, des Papstes, der geistlichen Reichsfürsten und ohne intensive eigene Anstrengungen des Kaisers nicht handeln zu können, so tatkräftig widmete er sich bereits in dieser Zeit der Aufgabe, sich durch eine Reihe diplomatischer Offensiven diese Unterstützung zu sichern, und so umsichtig bereitete er eine Sammlung der katholischen Kräfte vor, um den militärischen Erfolg zu garantieren. Einen ersten und vorbildhaften Schritt bildete der Würzburger Ligatag vom
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Dezember 1619,66 durch den das oberländische und rheinische Direktorium sich (unter Fortgeltung ihrer jeweiligen Verfassung von Oberwesel bzw. München) zu gemeinsamem Handeln verpflichteten und die Aufstellung und Finanzierung eines gemeinsamen Bundesheeres von 21 000 Mann Fußvolk und 4 000 Reitern auf zunächst sechs Monate beschlossen, von denen Bayern 6 000 Mann Fußvolk und 1 000 Reiter übernahm, ebensoviel wie das ganze rheinische Direktorium. 7 000 Mann Fußvolk und 1 800 Reiter übernahmen die Oberländischen (ohne Bayern), der Rest von 2 000 Mann Fußvolk und 200 Reitern sollte nicht von den Ligaständen, sondern vom Bayerischen Reichskreis finanziert werden. Als Direktoren der Liga wurden Maximilian und Kurmainz bestimmt, die sich künftig über Grundsatzfragen zu verständigen hatten, das militärische Bundesoberstenamt aber lag allein bei Maximilian, die Verwendlang der Armee sollte allein bei seiner „discretion und wachtbarkeit stehn". Damit war die neue Liga endgültig ins Leben getreten, wenngleich die schwierige Aufgabe, die von den Mitgliedern bewilligten Zuschüsse tatsächlich hereinzubekommen, von Maximilian künftig immer neu zu lösen war.67 Ein zweites Problem war, weitere Mitglieder zu gewinnen, da eine Reihe geistlicher Reichsfürsten noch abseits stand. Neben dem Bischof von Konstanz und den Prälaten der großen und reichen schwäbischen Klöster, die dann im März 1620 ihren Beitritt erklärten, betraf dies im oberländischen Direktorium vor allem die Salzburger Erzbischöfe Marx Sittich von Hohenems, der 1619 verstarb, und Paris Graf Lodron. Beide verstanden es, in den Fußstapfen von Wolf Dietrich von Raitenau einen rechtsverbindlichen Beitritt zu vermeiden und nur im Rahmen von Kreiskontributionen gelegentliche Beiträge zu leisten,68 obgleich das reiche Erzstift den wohltätigen Vorfeldschutz der Liga genoß. Auch die Bischöfe von Freising, Regensburg und Passau traten (im Unterschied zu 1609) dem Bund nicht bei und beschränkten sich auf gelegentliche Kreisbeiträge.69 So waren die Bischöfe von Bamberg-Würzburg, Eichstätt und Augsburg die wichtigsten Mitglieder des oberländischen Bezirks neben Bayern. Dabei blieb die « Neuer-Landjried, Kath. Liga 177 ff.; BA NF 1,1 Nr. 146 u.ö. 26.1. und 1.2.1628. 70 BA NF 11,4 Nrr. 4 und 9 und öfters. 71 Der Bericht in italienischem Original bei Aretin, Wallenstein Urkundenteil 23 ff., in deutscher Übersetzung bei Gindely, Waldstein II, 5 ff. Die Autorschaft Valeriano Magnos wurde festgestellt durch Ritter, Untersuchungen. Zum Ganzen vgl. auch BA NF 11,4 Nr. 66; farbig Mann, Wallenstein 523 ff. Maximilian bezeichnete den Gewährsmann als eine Person, „die ihne [Wallenstein] nunmer ein zimliche zeit hero wol pracücirt, und erkennen gelernet, auch umb seine anschleg, tun und lassen aus täglicher experienz und conferenz gutte Wissenschaft hat" (Maximilian an Kurmainz, 9.5.1628: BA NF 11,4 Nr. 74).
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seiner Hand. Maximilians und der Kurfürsten Aufgabe sei es, Ferdinand die Notwendigkeit der Entlassung Wallensteins plausibel zu machen. Auch die Spanier seien dem Friedländer feindlich gesinnt. Alle Reaktionen Maximilians auf diese Mitteilungen deuten darauf hin, daß er sie als Bestätigung seiner eigenen Einschätzungen gesehen hat, aber auch als Antrieb, nachdrücklicher als bisher zu handeln - die Verhandlungen über Kur und Kurlande waren inzwischen abgeschlossen! Mit ungewöhnlicher Erregung informierte er noch am 26. April den Kurfürsten von Mainz und schlug Beratungen über weitere Schritte vor. Ebenso ließ er die Infantin Isabella und König Philipp von Spanien unterrichten, von denen er wußte, daß sie Wallenstein - ebenso wie dieser ihnen - mit Skepsis gegenüberstanden.72 Den Generalkriegskommissar Ruepp beorderte er nach München, um hochwichtige Sachen fur Tilly in Empfang zu nehmen (in der Relation war von möglichen Angriffen Wallensteins auf ligistische Quartiere die Rede gewesen). Einen Tag später wandte er sich an Johann Georg von Sachsen.73 Nachdem die Wallensteinfrage bereits in Mühlhausen die Kurfürsten über die Konfessionsgrenzen hinweg zusammengeführt hatte, betonte Maximilian zweckgerichtet, daß es sich bei den gegenwärtigen Turbulenzen im Reich keineswegs um einen Religionskrieg handle, sondern um eine Folge der Existenz zu vieler Soldaten und „teils iren vorgesezten hauptern, welche nunmehr im reich den meister spielen und bereit gegen irer kais. Mt. selbsten und den cur- und fürsten des reichs allen schuldigen respect verloren" hätten. Angesichts der Erfolglosigkeit der bisherigen Schreiben und Gesandtschaften an den Kaiserhof schlug Maximilian nunmehr — erstmals — eine persönliche Zusammenkunft aller Kurfürsten mit dem Kaiser zu Verhandlungen über die Wallensteinfrage vor. Tatsächlich sollte es dann die gemeinsame Front der katholischen und protestantischen Kurfürsten gegenüber Ferdinand II. sein, die beim Kurfürstentag von Regensburg 1630 die Entlassung Wallensteins erzwang. Erregt wie er war, sandte Maximilian wenige Tage später den Pater Alexander ein zweites Mal nach Prag, und bereits am 21. Mai erstattete dieser in München seine zweite Relation.74 Sie schlug noch schärfere Töne an: Wallenstein strebe letztlich nach der deutschen Krone, falls Ferdinand II. durch Krankheit oder gewaltsam aus dem Leben scheide. Das Ligaheer suche er durch schlechte Quartiere und Verwicklung in den niederländischen Krieg Gindely, Waldstein II, 35 ff. Maximilian an Kursachsen, 28.4.1628: BA NF 11,4 Nr. 28. 74 Druck: Aretin, Wallenstein Urkundenteil 34 ff.; deutsche Übersetzung bei Gindely, Waldstein II, 16 f. Vgl. auch BA NF 11,4 Nr. 81. 72
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aufzureiben, um dann mit seiner Armee die Macht an sich zu reißen und die Kurfürsten unter sich zu beugen. Der Informant gab den Ratschlag, dem Kaiser mit Gewaltanwendung gegen das Wallensteinsche Heer zu drohen, falls er den Generalissimus nicht entlasse. Maximilian hielt den Inhalt dieser zweiten Relation für noch gefahrlicher als die früheren Nachrichten75 und daher die von ihm angeregte Rätekonferenz für umso dringlicher, schärfere Forderungen an den Kaiser für umso notwendiger. Man war in München überzeugt, daß eine Auseinandersetzung zwischen Ligaheer und kaiserlichem Heer nahezu unausweichlich sei. Wolle man sie vermeiden, müsse der Kaiser durch eine Gesandtschaft, an der sich möglichst auch Kursachsen und Kurbrandenburg beteiligten, aufgefordert werden, den Herzog von Friedland zu endassen und zu erwägen, „wie man ine Friedland in ainen solchen stand bringen möcht, daß er, ob er schon gern wolt, niemands mer nociren könde".76 Als die bayerischen Gesandten bei dem am 29. Juni eröffneten Binger Konvent von Vertretern der vier katholischen Kurfürsten77 diese scharfe Forderung vortrugen, ja sie noch verstärkten, man solle in Wien auch mit der Ablehnung der von Ferdinand II. für seinen Sohn erhofften römischen Königswahl drohen, stellten sich ihnen jedoch zwei Hindernisse entgegen. Das erste war eine Mitteilung des Kaisers, 8 000 Reiter des kaiserlichen Heeres endassen bzw. in die österreichischen Erblande abführen zu wollen, das zweite die eben durch diese Mitteilung bestärkte Auffassung des Kurfürsten von Mainz, der sich andere anschlossen, den Kaiser zunächst nur zu informieren, daß man sich gegen weitere Bedrückungen Wallensteins mit Waffengewalt wehren werde. Erst wenn Ferdinand die versprochenen Abdankungen nicht vornehme, solle durch eine Gesandtschaft die Endassung Wallensteins gefordert werden. Antworte der Kaiser dann wiederum ausweichend, sei ihm allerdings ins Gesicht zu sagen, daß er „Friedlands nit mechtig zum gehorsamb etc. und nit remedieren künde", und daher den Ständen die Selbsthilfe nicht zu verdenken sei. Dieses Ergebnis von Bingen konnte Maximilian nicht befriedigen. Der Kaiser hatte durch die Ankündigung der Abdankungen einen schärferen Beschluß der katholischen Kurfürsten geschickt unterlaufen, und geschickt war es auch gewesen, gleichzeitig durch den Hofkriegsratspräsidenten Collalto Maximilian an Kurköln, 24.5.1628: BA NF 11,4 Nr. 85. Instruktion für Wolkenstein und Richel zum Binger Konvent, 18.6.1628: Ebenda Nr. 103. Bei der Vorbereitung hatten Wolkenstein, Peringer und Richel die Forderung nach Absetzung Wallensteins befürwortet; Zollern hatte diesmal Bedenken (!), doch wußte er auch nichts Besseres. 77 Lückenhafte Dokumentation in BA NF 11,4 Nr. 103; Gindely, Waldstein II, 50 ff. 76
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Maximilian in München persönlich über die Abdankungen zu informieren.78 Aber auch Maximilian selbst behinderte die Realisierung seiner eigentlichen Zielsetzung, die Absetzung Wallensteins, weil er sich weiterhin hütete, sein Verhältnis zum Kaiser aus welchen Gründen auch immer zu belasten. Zwar agierte er im Hintergrund und Halbdunkel, suchte aber fortgesetzt den Schein zu wahren, als handle er nur für die von Einquartierungen und Durchzügen betroffenen Stände, während Bayern selbst nicht betroffen sei. Hierdurch fehlte seiner Argumentation gegenüber dem Kaiserhof die entscheidende Stoßkraft und hatte er es sich selbst zuzuschreiben, wenn seine Verklausulierungen in Wien kaum ernst genommen wurden. „Ich für meine Person" äußerte er in diesem Tenor Anfang Juli gegenüber Collalto, „hätte vom Herzog von Friedland bisher alle gute Affection und Respect verspürt, daß ich darmit ganz wohl zufrieden und hätte mich ingleichen auch, wie es Ihr Mt. und des gemeinen Wesens Dienst erfordert, aller guten Correspondenz beflissen, wolle es auch noch thun und hätte von ihm viel [...] ein besser Opinion, als theils andere".79 Damit konnte man eine Forderung nach Entlassung Wallensteins kaum begründen! Als Maximilian zur gleichen Zeit den Oberstkanzler Donnersberg nach Wien sandte, hatte dieser gegenüber Eggenberg auch die Kapuzinerrelationen anzusprechen, aber abzuleugnen, daß Maximilian mit diesen Vorgängen befaßt gewesen sei — „daß wir umb das, was gemelter Rota und P. Valerianus mit einander negotiirt und er, Valerianus, dem hg. von Cromau [Eggenberg] angefuegt, kein wissen, weniger einen oder andern bevelch gegeben, von uns aus dergleichen sachen mit einander zu conferiren oder bei ihme, herzogen, anzubringen"80 Da Eggenberg sowohl der einflußreichste Berater des Kaisers als auch die Hauptstütze Wallensteins am Kaiserhof war, befürchtete Maximilian wohl, über die Kapuzinerrelationen bei Ferdinand ins Zwielicht und bei Wallenstein in völligen Mißkredit zu geraten. Es lag auf dieser Linie, daß er im August den Kaiser durch Wolkenstein zwar über die Beschlüsse der Bingener Konferenz unterrichten und auch zu entsprechenden Folgerungen für die kaiserliche Armee auffordern ließ,81 aber dabei verschwieg, daß letztlich die Entlassung Wallensteins gefordert werden sollte. Mochte Maximilian für dieses Verhalten seine Gründe haben, so war es doch insgesamt ängstlich und schwach.
78 Hierzu BA NF 11,4 Nr. 104. Bei den dortigen Hinweisen auf Druckorte der Quellen lies richtig Gindely, Waldstein II, 44 ff. 79 Zitiert bei Gindely, Waldstein II, 46, dort leicht modernisiert. Entsprechend auch die Aufzeichnung Collaltos, ebenda II, 48 f. 80 Instruktion für Donnersberg, 22.6.1628: BA NF 11,4 Nr. 100. 81 Instruktion fur Wolkenstein, 15.8.1628: BA NF 11,4 Nr. 123.
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Souverän war es umso weniger, als er die „vom Richtigen über das halbwegs Plausible zum Phantastischen" 82 aufsteigenden Kapuzinerrelationen angesichts der Persönlichkeit des Berichtenden, dessen Nähe zu Wallenstein und der tatsächlichen Schwierigkeiten der Liga mit Wallenstein durchaus ernst genommen hat. Gerade die Blindheit des Hasses gegen den Friedländer ließ ihn manche Ungereimtheiten der Kapuzinerrelationen übersehen. 83 Im übrigen ist nicht anzunehmen, daß Wallenstein tatsächlich nach der Römischen Königskrone trachtete; wie weit er gegenüber Liga und Reichsfürsten gehen wollte und konnte, ist ebenfalls die Frage. Daß er allerdings bereits in der Zeit der Kapuzinerrelationen infolge Fähigkeiten, Erfolgen, Selbstverständnis und Rückhalt am Kaiserhof eine starke Position im Reich erlangt hatte, die auf jeden Fall zu Vorsicht Anlaß geben mußte, steht außer Zweifel. Im Sommer und Herbst 1628 ging auf Weisung des Kaisers die erwähnte Reduktion des Wallensteinschen Heeres vonstatten, die von Collalto vorgenommen wurde. Ferdinand war zu diesem Schritt durch die Erregung der Ligastände bewogen worden, aber auch durch die Hoffnung auf leichtere Zustimmung der Kurfürsten zur römischen Königswahl seines Sohnes Ferdinand (III.). Die Reduktionen wurden im katholischen Lager insbesondere von Kurmainz begrüßt, der die ohnehin immer noch hinausgeschobene kurfürstliche Gesandtschaft an den Kaiserhof nunmehr ganz aufgab. Bereits vorher hatte ihn Maximilian selbst gebeten, aus der Instruktion für die Gesandten die Forderung nach Entlassung Wallensteins zu streichen, da angesichts dessen kürzlichen Sieges bei Wolgast „Ihr kais. Maj. gar schwerlich denjenigen gleich also unter einsten wiederum cassieren werden wollen oder können, in welchen sie fast ihr ganze Macht transferiert haben, und dessen sie allein nicht mehr mächtig sein". 84 Daß der Kaiser nicht das siegreiche Pferd wechseln konnte, war richtig gesehen. Aber wollte Maximilian überhaupt darauf verzichten, weiter die Entlassung Wallensteins zu verfolgen, dessen der Kaiser „nicht mehr mächtig" zu sein schien? Dies war nicht der Fall, aber ängstlich oder vorsichtig vermied er jeden Schritt und jede Aktion, die Wallenstein hätte bekanntwerden und herausfordern können. Nur unter der Hand suchte er weiterhin auf Ferdinand einzuwirken. In einer höchst geheimen Information für Trauttmansdorff zur Unterrichtung des Kaisers zeichnete er mehr denn zuvor ein düsteres Bild von Wallenstein, der den Frieden nicht wolle, von der Wallensteinschen Armee, die erschöpft sei und deren Mann, Wallenstein 539. Die Tendenz bei Stadler, Pappenheim 292, Maximilians Befürchtungen gegenüber Wallensteins Plänen abzuschwächen, überzeugen nicht. 84 Maximilian an Kurmainz, 5.9.1628: Gindel·), Waldstein II, 59. 82
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OffÌ2Ìere dem Generalissimus nicht gewogen seien, von der europäischen Situation, die auf ein Eingreifen Schwedens in den deutschen Krieg deute. Von kaiserlichen Maßnahmen gegen Wallenstein war jedoch in dem Katalog Wolkensteins nicht die Rede. Der Rat Maximilians ging allein dahin, den Frieden zu befördern und sich hierbei durch den Friedländer nicht hindern zu lassen.85 Maximilians Rat bezog sich zunächst auf die bevorstehenden Friedensverhandlungen mit Dänemark, die auf Wunsch des Kaisers von zwei Militärs, Wallenstein und Tilly, geführt werden sollten,86 wobei Maximilian keinen Einspruch erhob, als Wallenstein dabei einen gewissen Vorrang vor Tilly erhielt.87 Als Subdelegierte und eigentliche Verhandlungsführer wurden Tilly der Obersdeutnant Graf Gronsfeld und der Generalkriegskommissar Ruepp beigegeben. Überblickt man Maximilians Stellungnahmen zu den Friedensverhandlungen mit Dänemark, die seit Januar 1629 offiziell in Lübeck geführt wurden, so treten zwei Momente hervor: Erstens sein Mißtrauen gegenüber Wallensteins Friedenswillen - „daß desjenigen intention, sinn und gedanken, welcher die waffenmacht [...] in der hand hat, zu keiner fridlichen accomodation gerichtet seien und dahero sich besorglich understehen möchte, ir kais. Mt. durch anderwertige informationen zu continuation des kriegs zu persuadirn".88 Hier irrte er aber, denn gerade Wallenstein war an einem baldigen Friedensschluß interessiert. Zweitens trug Maximilian Sorge, daß der Friede an zu hohen Forderungen des Kaisers scheiterte. Tilly sollte also gegen friedenshemmende Bedingungen Einspruch erheben,89 ja Ruepp und Gronsfeld sollten im Eventualfall den dänischen Unterhändlern verdeutlichen, daß die harten Friedensbedingungen von kaiserlicher, nicht bayerischer Seite rührten, und sie sollten beim eventuellen Scheitern der Verhandlungen den Dänen die fortgesetzte Friedensbereitschaft Maximilians und der Liga versichern.90 TatWolkenstein (im Auftrag Maximilians) an Trauttmansdorff, 17.11.1628: BA NF 11,4 Nr. 171 II. Zur Beteiligung Tillys vgl. Kaiser an Maximilian, 10.6.1628: Ebenda Nr. 95; Maximilian an die geistlichen Kurfürsten, 24.6.1628: Ebenda 85 Anm.2; Kurköln an Maximilian, 9.7.1628: Ebenda Nr. 108. Der Kölner bezweifelte Tillys Kenntnis der Reichsverhältnisse, weswegen man ihm einen erfahrenen Mann beigeben müsse. 87 Maximilian an den Kaiser, 27.7.1628: Ebenda Nr. 119; der Kaiser an Maximilian, 14.8.1628, und Antwort Maximilians vom 31.8.: Gindely, Waldstein 11,91. 88 Wolkenstein an Trauttmansdorff, 17.11.1628: BA NF 11,4 Nr. 171. 89 Maximilian an Tilly, 26.1.1629: Ebenda Nr. 229; Maximilian an den Kaiser, 19.1.1629: Ebenda S. 220 Anm. 2; Maximilian an Tilly, 15.4.1629: Ebenda Nr. 265; Rezeß der kurfürsd. Gesandten in Heidelberg, 10.3.1629: Ebenda Nr. 241. 50 Maximilian an Ruepp, 6.1.1629: EbendaNt. 214. 85 86
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sächlich forderte der Kaiserhof von Christian IV. zunächst nicht nur die Preisgabe der säkularisierten Hochstifter im Niedersächsischen Kreis, sondern auch seines ganzen festländischen Besitzes (Holstein, Schleswig, Jüdand) sowie die Offenhaltung des Sundes für die Freunde und seine Sperrung für die Gegner des Kaisers. Während Tilly solche Abtretungen durchaus befürwortete, war es — anders als Maximilian annahm — nun gerade Wallenstein, der den Kaiserhof zu sukzessiver Reduzierung der Forderungen veranlaßte und im übrigen die Verhandlungen praktisch unter Ausschluß Tillys führte bzw. mit dessen Nachgiebigkeit91 rechnen konnte. Am 22. April 1629 erschien der kaiserliche Hofratspräsident Abt Anton Wolfradt von Kremsmünster unvermutet in München,92 um Maximilian über die erhebliche Reduzierung der kaiserlichen Friedensforderungen zu informieren, welche sich nunmehr auf den Verzicht Christians IV. auf die niedersächsischen Stifter, auf das Kreisoberstenamt und auf die weitere Einmischung in Reichssachen beschränkten. Der Kaiser befürchtete, daß Maximilian in seiner bekannten Rigorosität an überhöhten Forderungen festhielt, welche die Friedensverhandlungen zum Scheitern bringen konnten. Tatsächlich hatte Maximilian aber gerade die ursprünglichen kaiserlichen Friedensbedingungen für überhöht gehalten, so daß es ihm jetzt nicht schwer fiel, ihre Reduktion zu begrüßen und Tilly entsprechend anzuweisen. Selbst die Forderung nach einer Kriegskostenentschädigung für die Ligastände sei preiszugeben, wenn daran die Einigung hänge.93 Zur Reduzierung der kaiserlichen Bedingungen hatte wohl auch die Sorge des Kaiserhofs vor einem separaten Friedensschluß zwischen der Liga und Dänemark beigetragen, denn Kremsmünster verwies in München ausdrücklich auf die Gefahr der Einmischung auswärtiger Mächte, womit nicht nur das Schweden Gustav Adolfs gemeint war. Tatsächlich hatte Richelieu Mitte März 1629 durch den Gesandten Charnacé in München einen Separatfrieden zwischen der Liga und Dänemark vorschlagen lassen, der es Christian IV. ermöglichen sollte, den Krieg gegen den Kaiser allein fortzusetzen.94 Maximilian hatte jedoch entschieden abgelehnt; er wünsche zwar nichts sehnlicher als baldigen Frieden, „jetzt aber des Kaisers tractat zu interrumpiern, sei der liga und mir höchst periculos, weil es das ansehn, als geschech es in emulationem, dem Kaiser sein fridtractat zu traversiern und wider ime zu practiziern".
Ί Vgl. etwa Tilly an Wallenstein, 12.2.1629: Ebenda Nr. 238. 92 Vortrag Kremsmünsters, Antwort Maximilians und Gutachten Jochers: Ebenda Nr. 276. m Maximilian an Tilly, 24.4.1629: EbendaNt. 278. 94 Vgl. Albrecht, Auswärtige Politik 218 ff. mit den Nachweisen.
2ì. Maximilian und Wallenstein
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Im Mai 1629 wurde der Friede von Lübeck95 unterzeichnet, am 7. Juni ratifizierte der Kaiser den Vertrag. Tilly hatte trotz mancher Bemühungen die Aufnahme einer Kriegskostenentschädigung für die Liga nicht erreicht.96 Auch die von Maximilian geforderte ausdrückliche, auch die Nachfolger Christians IV. bindende Verpflichtung, Friedrich V. von der Pfalz und andere Geächtete nicht weiter zu unterstützen, war nicht in den Vertragstext aufgenommen worden. Maximilian hatte sich damit zufrieden zu geben, daß die Dänen durch den Vertrag ausdrücklich auf fernere Einwirkung in Reichssachen verzichteten und daß die dem Kaiser befreundeten Mächte, darunter auch Bayern und die Ligastände, förmlich in den Vertrag aufgenommen worden waren.97 Wenige Tage nach Friedensschluß wurde Tilly von Maximilian angewiesen, sich in keine neuen Unternehmungen einzulassen, damit das Ligaheer „zu des bunds disposition unverhindert sei".98 Die hinter diesem Befehl stehende Sorge um die Sicherheit der Ligastände entsprang der fortbestehenden Sorge Maximilians um die weiteren Pläne Wallensteins, in diesem Problemfeld bedeutete für ihn der Lübecker Frieden keine Zäsur. Gerade jetzt wollte er erneut erfahren haben, „daß der herzog von Fridland kain anders dissegni habe, als die cathoüsche union entweders ganz und totaüter oder doch vast [= sehr] merklichs zue disarmiren".99 Die Auseinandersetzung mit Wallenstein ging also unter veränderten Umständen weiter. Die Frage war, ob Maximilians bleibende Befürchtungen weiterhin nur zu ängstlichen und dadurch ineffektiven Hintergrundaktivitäten führen würden, wie bisher, oder sie sich nicht doch umsetzten in eine entschiedene offene Aktion zur tatsächlichen Entlassung Wallensteins. Die hierfür wohl notwendige Einigkeit der Kurfürsten über alle Konfessionsgrenzen hinweg wurde aber zunächst gefährdet durch das Restitutionsedikt vom 6. März 1629.
Text bei Lorenz Quellen Wallenstein Nr. 58 nach Lünig. Tüly an Maximilian, 23.6.1629: BA NF 11,4 Nr. 320. 97 Ritter, Geschichte III, 413. 58 Maximilian an Tilly, 19.6.1629: BA NF 11,4 Nr. 318. 99 Maximilian an Kurmainz, 19.6.1629: Ebenda Nr. 319. 95
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24. Das Restitutionsedikt1
Das Problem der Geltung des Augsburger Religionsfriedens und der Folgerungen, die aus seiner Interpretation zu ziehen seien, hat Maximilian seit seiner Teilnahme am Reichstag von 1594 begleitet. Was sollte mit den Stiftern geschehen, die entgegen dem Geistlichen Vorbehalt seit 1555 in protestantische Hand übergegangen waren; was mit den landsässigen Klöstern, die seit dem Passauer Vertrag von 1552 säkularisiert worden waren; welche Stellung kam den Kalvinisten zu, die in den Religionsfrieden nicht eingeschlossen worden waren? Maximilian hatte stets die Rechtsauffassung vertreten, daß der von den Protestanten nicht anerkannte Geistliche Vorbehalt rechtsgültig sei, daß die Säkularisationen entgegen dem Wortlaut des Religionsfriedens erfolgt seien und die Kalvinisten der Sicherungen des Religionsfriedens nicht teilhaftig seien. Er hatte aber bislang keine weitergehenden Folgerungen aus den von ihm vertretenen Normen im Sinne einer bedingungslosen Forderung nach Restitution der entfremdeten Hoheitsrechte und Kirchengüter gezogen. Beim Reichstag von 1608 wollte er allerdings der von den Protestanten geforderten Bestätigung des Religionsfriedens nur mit der Klausel zustimmen, daß, was seither widerrechtlich „gehandelt und occupirt worden, solches alles und jedes restituirt und hinfüro nichts darwider attentirt werden solle"; beim Reichstag von 1613 hatte er mit besonderem Nachdruck die Auffassung vertreten, daß der Anspruch auf eine nicht nur partikulare, sondern generelle Revindikation geistlicher Territorien und Güter entsprechend der katholischen Interpretation des Religionsfriedens nicht aufgegeben werden dürfe. Entsprechend hatte er 1620 in Mühlhausen gegenüber Kursachsen zwar zugestimmt, daß die protestantischen Inhaber ehemaliger Stifter und Kirchen1
Theodor Tupety Der Streit um die geistlichen Güter und das Restitutionsedikt (1629), in: SB Wien 102 (1883), 315-566; Ritter, Restitutionsedikt; Repgen, Römische Kurie I, 157 ff.; Helmut Urban, Das Restitutionsedikt. Versuch einer Interpretation, Phil. Diss. Berlin 1968; Bireley, Maximilian 90 ff.; Bireley, Religion 85 ff.; Heike Ströle-Bühler; Das Restitutionsedikt von 1629 im Spannungsfeld zwischen dem Augsburger Religionsfrieden 1555 und dem Westfälischen Frieden 1648, Regensburg 1991; Michael Frisch, Das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. v o m 6. März 1629. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung, Tübingen 1993; Eike Wolgast, Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648, Stuttgart 1995.
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24. Das
Restituüonsedikt
güter im Ober- und Niedersächsischen Kreis nicht gewaltsam verdrängt werden sollten, aber nur mit dem Zusatz, daß der prinzipielle Rechtsanspruch auf die Stifter und die Gültigkeit des Geistlichen Vorbehalts davon unberührt blieben. Als dann im Böhmischen und Pfälzischen Krieg die katholische Partei triumphierte und im Niedersächsisch-Dänischen Krieg eine Reihe norddeutscher Hochstifter in den Machtbereich des wallensteinschen und des Ligaheeres geriet, stellte sich die Frage, ob nicht die Zeit zur Einlösung des postulierten Rechtsanspruches gekommen sei. Die These von Moriz Ritter, daß es am Kaiserhof, auf den es in diesen Fragen ankam, vornehmlich der Nuntius Carafa und der kaiserliche Beichtvater P. Lamormaini SJ gewesen seien, welche die Diskussion dieser Frage in Fluß brachten,2 ist inzwischen bezüglich Carafas und der Römischen Kurie vollständig, bezüglich Lamormainis weitgehend revidiert worden. Robert Bireley hat stattdessen die beiden Jesuiten und Beichtväter P. Ziegler und P. Contzen namhaft gemacht, welche Kurfürst Georg Friedrich von Mainz und Maximilian von Bayern zu einer Politik der Restitutionen veranlaßt hätten.3 Was Contzen betrifft, so hat Bireley die These aufgestellt, daß es überhaupt dessen beichtväterlicher Einfluß gewesen sei, der Maximilian seit 1624 auf den Weg einer expansionistischen Politik der Restitutionen geführt habe, obwohl dieser voller Gefahren war, durchaus im Widerspruch zu der von Maximilian im Interesse seiner Erwerbungen gewünschten Konsolidierung der Verhältnisse im Reich stand und schließlich auch zur Katastrophe von 1632 führte. Contzen habe also maßgeblich dazu beigetragen, der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges den Charakter eines Religionskrieges zu verleihen,4 insoferne die konfessionspolitische Zielsetzung der Rekuperationen andere politische Erwägungen wie vor allem die Rücksichtnahme auf Kursachsen zurückgedrängt habe. Daß Maximilian Contzens Rat auch und gerade in politischen Fragen gesucht hat, ist unumstritten. Wie der Nachfolger Contzens als Beichtiger Maximilians, Pater Vervaux, mitgeteilt hat, konnte sich der Beichtvater dem Fürsten nähern, so oft er wollte, und konnte stets sicher sein, Gehör zu finden; seine Aufgabe reichte viel weiter, als nur die Beichte zu hören. So übte auch Contzen, wie später Vervaux, die Tätigkeit eines Ratgebers aus, der anstehende politische Probleme, welche Gewissensfragen implizierten, unter Ritter, Restitutionsedikt 91. Bireley, Maximilian 83; Bireley, Religion 55 f. Vgl. auch schon Repgen, Römische Kurie 1,165 ff. 4 Vgl. auch Robert Bireley, The Thirty Year's War as Germany's Religious War, in: K. Repgen (Hg.), Krieg und Politik 1618-1648, München 1986, 85-106. Hierzu die Diskussion dieser Thesen ebenda 319 f. 2
3
24. Das Restitutionsedikt
695
theologischem Aspekt analysierte. Notizen in Richels Notizbuch wie: „Mit P. Contzen zu reden und Ihr Dhl. hernach zu referieren", sowie zahlreiche Gutachten von der Hand Contzens, die in den Akten überliefert sind, weisen darauf hin, daß der Beichtvater über wichtige Verhandlungsgegenstände der Geheimräte unterrichtet war und diese über seine Ansicht hierzu informiert wurden. Allerdings waren die politischen Einflußnahmen Contzens in München nicht unumstritten, da die Geheimen Räte ihre Kompetenzen und Meinungsfreiheit zu wahren suchten und sie eher als Contzen von Maximilian zur Verantwortung gezogen werden konnten, falls es zu Fehlentscheidungen kam. Einen eindrucksvollen Beleg für entsprechende Konflikte, die dann von Maximilian entschieden werden mußten, haben wir bereits kennengelernt, Auseinandersetzungen zwischen Contzen und Jocher um konfessionspolitische Zugeständnisse, bei denen Contzen die Argumente der „zelanti", Jocher diejenigen der „politici" vertreten hatte.5 Die Frage war, ob solche scharfen Gegensätze unter den engsten Beratern Maximilians wieder aufbrechen würden, wenn das Problem der Kirchengutsrestituierung aufgeworfen wurde, dessen mannigfache politischen Implikationen zu bedenken waren. In der Restitutionsfrage selbst wurde entscheidend, ob man über Einzelrestitutionen, wie sie vom Reichshofrat schon seit Jahren im Prozeßverfahren behandelt und entschieden wurden, hinausgehen wollte zu einer generellen Entscheidung, zu einer authentischen Interpretation des Religionsfriedens durch den Kaiser kraft kaiserlicher Machtvollkommenheit. Als Ferdinand II. im Juli 1627 in einer durch den Bischof von Augsburg aufgeworfenen Einzelfrage die katholischen Kurfürsten um ein Gutachten über das Restitutionsproblem bat,6 fixierte Jocher die bayerische Meinung dahingehend, daß der Kaiser aufgrund der Rechtslage zu einer Entscheidung zugunsten der katholischen Seite berechtigt sei - er argumentierte juristisch. Maximilian war dagegen der Ansicht, daß der Kaiser eine politische Stellungnahme wünsche, auf eine Einschätzung der politischen Lage ausgehe. So forderte er, in das Konzept Jochers noch ein vorliegendes Gutachten Contzens einzuarbeiten, das dazu aufrief, einfach die Gunst der militärischen Erfolge zu nützen, um den besagten Einzelfall, die Rückforderung einer Reihe von Klöstern, zu realisieren.7 Diesem Gutachten entsprechend wurde das Jochersche Konzept zwar umformuliert, jedoch war noch nicht von einer Empfehlung an den Kaiser zugunsten einer generellen Lösung die Rede.8 5 6 7 8
Oben Kapitel 6 am Schluß. BA NF 11,3 Nr. 428/11; Ritter, Restitutionsedikt 87; Frisch, Restitutionsedikt 69 ff. Bireley, Maximilian 76 ff. In den Briefen und Akten nicht dokumentiert. Maximilian an Kurmainz, 7.9.1627, zitiert bireley, Maximilian 78.
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24. Das
Restitutionsedikt
Aufgrund der Gutachten der vier katholischen Kurfürsten richtete der erst seit kurzem im Amt befindliche Mainzer Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenklau unter dem 20. September 1627 ein kurfürstliches Gesamtschreiben an den Kaiser, das einen Wendepunkt in der Restitutions frage bedeutete, insofern es Ferdinand II. anriet, rechtliche Entscheidung nicht nur in besonderen Einzelfállen zu treffen, sondern in genereller Weise, indem er in den Gravamina der beiden Religionsparteien den Ausschlag gebe und die Rückgabe der seit 1552 entfremdeten Klöster (von den Stiftern ist noch nicht die Rede) entscheide.9 Da in dem Gutachten Maximilians vom 7. September diese weitgehende Forderung noch nicht enthalten gewesen war, muß sie von anderer Seite, wohl durch Kurmainz selbst, in das Gesamtschreiben an den Kaiser hineingebracht worden sein. Jedoch war inzwischen die Meinungsbildung in München ebenfalls an diesem Punkt angelangt (und zwar unter Einbeziehung der Stifter), freilich nicht ohne kontroverse Diskussion. In einer Instruktion vom 14. Oktober für die bayerischen Gesandten zum Mühlhausener Kurfürstentag hieß es schon, daß man die Gelegenheit der jüngsten Erfolge nützen müsse, um die „wider alle recht occupirte erz-, stüft und praelaturn zu recuperirn", und es werden die in Frage kommenden norddeutschen Stifter der Reihe nach aufgezählt, worüber man sich mit den Gesandten der geistlichen Kurfürsten besprechen solle.10 Nun ist also nicht mehr nur von den säkularisierten Klöstern, sondern auch von den weit wichtigeren Stiftern die Rede, jedoch wird noch nicht von einer gewünschten generellen Sentenz des Kaisers gesprochen.11 Am Tag darauf kam es im Geheimen Rat zu lebhaften Diskussionen, ob man die Verlängerung des Krieges, die durch eine Restitutionspolitik verursacht werde, überhaupt durchhalten könne. Schuß, Donnersberg und Richel lehnten umfassende Restitutionen ab, wohl ahnend, welche bösen Konsequenzen sich daraus ergeben konnten. „Ihr Chft. Dht. müeß sich resolvieren und darbei bleiben, sich durch Theologos nit wider wenden lassen."12 Maximilian war also noch unentschlossen und befand sich zwischen den Fronten der Geheimräte und Theologen. Die Beratungen standen wohl im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des von Kurmainz formulierten kurfürstlichen Gesamtschreibens durch Maximilian, die wenige Tage später erfolgte und mit der sich dieser nunmehr — entgegen Batter, Restitutionsedikt 93; Ritter, Geschichte III, 373; Urban, Restitutionsedikt 181 ff. Vgl. aber die unten übernommene Argumentation von Michael Frisch. Maximilian unterzeichnete das Gesamtschreiben am 19.10., Bireley, Maximilian 82. 10 Maximilian an die bayer. Gesandten, 14.10.1627: BA NF 11,3 Nr. 470, hier 711 f. 11 Der weitergehenden Interpretation von Bireley, Maximilian 81 f. kann ich nicht folgen. 12 Notizbuch Richels, zitiert bei Bireley, Maximilian 83 f.
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24. Das Ristituüonsedikt
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Schuß, Donnersberg und Richel - der Forderung nach Erlaß einer generellen kaiserlichen Sentenz anschloß! Ehe noch das Gesamtschreiben der katholischen Kurfürsten in Wien eintraf, hatte der nach Mühlhausen entsandte Reichsvizekanzler Stralendorf den dortigen katholischen Gesandten sowie dem persönlich anwesenden Mainzer schon als Ansicht des Kaisers dargelegt,13 daß man die Gelegenheit zur Reoperation sämtlicher seit 1555 bzw. 1552 entfremdeter Stifter und geistlichen Güter nützen müsse. Ganz entsprechend dem kurfürstlichen Gesamtschreiben, aber unabhängig davon und eigenständig war also am Kaiserhof im gleichen Sinne entschieden worden. Einer entsprechenden Resolution des gesamten Kurkollegs für den Kaiser wollten Kursachsen und Kurbrandenburg zur Sicherung der von ihnen innegehabten Stifter jedoch verständlicherweise nur in einer sehr allgemeinen Formulierung und mit einem Vorbehalt zustimmen. Daher lautete die Resolution des Kurkollegs vom 4. November schließlich, daß der Kaiser um eine Verfügung gebeten werde, wodurch die beklagten Religionsgravamina „nach inhalt der reichs Constitutionen, auch religion- und prophanfridens, so weit und viel darinnen submittiert, erörtert [d.h. entschieden] und kein stant demselben zuwider beleidiget und beschwert bleibe". 14 Unverhüllter drückte sich ein Sondergutachten der katholischen Kurfürsten für den Kaiser vom 12. November 15 aus: Es gehe um die Restitution aller nach dem Passauer Vertrag und dem Augsburger Religionsfrieden den Katholiken entzogenen Klöster und Stifter. Weiterhin wurde argumentiert, daß die von den protestantischen Kurfürsten geforderte Submission bereits erfolgt sei, insoferne sie ihre Beschwerden wiederholt an den Kaiser gerichtet, sich also dessen Entscheidung unterworfen hätten — eine unhaltbare Konstruktion, die von Ferdinand II. denn auch nicht übernommen wurde. Wie Michael Frisch unter Korrektur der älteren Forschung über die Entstehung des Restitutionsedikts herausgearbeitet und betont hat, war mit den Gesamtschreiben der katholischen Kurfürsten vom 20. September und 12. November an den Kaiser und mit der Resolution des Mühlhauser Kurfürstentags vom 4. November nicht auf eine authentische Interpretation des Religionsfriedens durch Ferdinand II. abgestellt, wie sie dann durch das Restitutionsedikt erfolgte, also nicht auf kaiserliche Gesetzgebung, sondern auf einen Akt der Rechtsprechung, auf rechtliche Entscheidung der bisherigen 13
Vgl. Aufzeichnung Kurmainz', 23.10.1627: BA N F 11,3 Nr. 470 IV; Urban, Restitutionsedikt 187 ff. BA N F 11,4, 739; Urban, Restitutionsedikt 191 f.; Frisch, Restitutionsedikt 83 f. 15 BA N F 11,4, 697 Anm. 1; Urban, Restitutionsedikt 192 f.; Frisch, Restitutionsedikt 85 f.
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24. Das 'Rístítutíonsedikt
Gravamina in Klostersachen.16 Der entscheidende Schritt zum Restitutionsedikt als authentischer Interpretation des Augsburger Religionsfriedens aufgrund kaiserlicher Machtvollkommenheit als ein Akt kaiserlicher Gesetzgebung wurde erst durch einen Antrag Maximilians gegenüber dem Kaiser getan. Maximilian von Bayern hat daher als der eigentliche Vater des Edikts zu gelten! Zu diesem Antrag haben ihn offensichtlich drei Beweggründe veranlaßt, wie sich aus umfangreichen bayerischen Denkschriften 17 erschließen läßt, der Wunsch nach Restitution der seit dem Religionsfrieden bzw. seit 1552 entfremdeten geistlichen Fürstentümer und mittelbaren Klöster, die Frage der „Submission" ihrer protestantischen Inhaber, und nicht zuletzt die Frage der Rechtsstellung des Kalvinismus im Reich, die sich mit derjenigen nach der Sicherheit des bayerischen Kurbesitzes verbinden ließ. Als bald nach dem Mühlhausener Kollegialtag Preysing zum Kaiser nach Prag gesandt wurde, ging es nicht nur, wie erzählt, um Kur und Kurlande,18 sondern ebenso um die Beschleunigung des gewünschten kaiserlichen Spruches in der Restitutionsfrage und um seine Formulierung in Form eines gesetzgeberischen kaiserlichen Aktes. Maximilian befürchtete, daß die Mühlhausener Formel „so weit und viel darinnen submittiert" dazu führen werde, daß die Restitutionen nur in langwierigen Prozessen, bei denen die Parteien gehört wurden, bewerkstelligt würden, was aber auf eine „unsterbliche weitterung" hinauslaufe, statt mit rascher Dezision ein für allemal verbindliche Normen zu setzen. Also „sollen ir kais. Mt. dise erwünschte occasion nit aus handen lassen, sonder die gravamina mit gutem rat und consideration der umbstend eheist decidiern, hernach bei und mit iren armis die ungehorsamben zue gebür bringen", denn dann „volgt der cath. religion extension, wolstant und aufnemmen für sich selbst und kan man allen der protestierenden praetensionen begegnen".19 Mit diesem Vorschlag eines Akts kaiserlicher Gesetzgebung statt Rechtsprechung war der entscheidende Punkt angesprochen, der den Charakter des Edikts schließlich bestimmen sollte. Weiterhin hatte Preysing dem Kaiser vorzutragen: 20 Die Urheber des Übels, das in der böhmischen Rebellion ausgebrochen ist und nunmehr fast ganz Europa angesteckt hat, sind die blutgierigen Kalvinisten, die sich „wie
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Frisch, Restitutíonsedikt 78 ff. Alle vom 30.11.1627: BA N F 11,3 Nr. 487; Preysings Tagebuch bei Aretin, Ausw. Verhältnisse, Urkundenteil Nr. 61. « Oben Kapitel 20. 19 Gutachten betr. Gravamina, 30.11.1627: BA N F 11,3 Nr. 487 II; Urban, Restitutionsedikt 196 ff.; Frisch, Restitutionsedikt 88 f. 20 Gutachten betr. Calvinismus, 30.11.1627: BA N F 11,3 Nr. 487 III. 17
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das bösiste unkraut nach und nach ausbraiten". Beim Reichstag von 1566 sei der Kalvinismus ausdrücklich vom Religionsfrieden ausgeschlossen worden, und wenn auch auf Bitten Kurpfalz' die Exekution des Reichsschlusses suspendiert worden sei, so sei dieser dadurch nicht aufgehoben worden. Entsprechende Bemühungen der Pfälzer in den Jahren 1607 und 1613 seien vergeblich geblieben, „man hat in camera ie und allweg vermög des religionfridens die calvinistische sect verworfen". Der Kaiser wird daher von Maximilian aufgefordert, aufgrund des Reichsschlusses von 1566 und wegen der seitherigen bösen Taten der Kalvinisten diese Sekte durch öffentliche Mandate endlich zu verbieten und im Weigerungsfall „brevi manu" gegen ihre Anhänger zu prozedieren. Kursachsen und die anderen Lutheraner im Reich werden nichts dagegen haben, wenn sie nur versichert sind, daß nach der Vernichtung der Kalvinisten nicht auch die Lutherischen an die Reihe kommen. „Doch mechte vielleicht die executio besser und füeglicher geschehen, wan die gravamina zuvor und zwar eheist erlediget wurden ..." Dieses Kalvinismus-Gutachten war von Jocher konzipiert, der wenige Wochen später triumphierend formulieren sollte, daß „in culmine victoriarum, da das spil vast gewonnen", die Gelegenheit genützt werden müsse. Es spiegelte also die Hochstimmung am Münchner Hof. Zugleich spiegelte es die Sicht der neuesten Reichsgeschichte durch Maximilian. Der von Kurpfalz angeführten kalvinistischen Bewegungspartei wird die Hauptschuld an den negativen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im Reich zugeschrieben, die Entzweiung zwischen Kaiser und Reichsständen sowie der Reichsstände untereinander, das Versagen der Reichsorgane, schließlich der Krieg. Lutheraner und Katholiken allein hätten auf der Grundlage des Religionsfriedens wohl in friedlichem Nebeneinander existieren können. Dieses Geschichtsbild Maximilians war natürlich nicht unbeeinflußt von der alten Konkurrenzsituation der beiden Linien des Hauses Wittelsbach, von ihrer Konfrontation im Kölnischen Krieg und nicht zuletzt von der Rolle, die Friedrich V. und die pfälzische Kur in der Politik Maximilians gespielt hatten und weiterhin spielten. Wurden jetzt die Kalvinisten geächtet, dann waren auch die immer noch nicht aufgegebenen Ansprüche der pfälzischen Agnaten irrelevant. Ein Verbot des Kalvinismus durch einen kaiserlichen Gesetzgebungsakt war nicht möglich. Bezog man sich jedoch auf den Religionsfrieden, in den die Kalvinisten nicht aufgenommen worden waren, dann war eine rasche und eindeutige Entscheidung gegeben und war es auch nicht notwendig, der Submission protestantischer Stände zeitraubend im einzelnen nachzufragen. Mit einer authentischen Interpretation des Religionsfriedens kraft
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kaiserlicher Machtvollkommenheit 21 sah Maximilian also mehrere seiner Ziele verwirklicht oder jedenfalls befördert, die rasche und umfassende Restitution säkularisierten Kirchengutes, die seinen konfessionspolitischen Zielsetzungen spätestens seit dem Reichstag von 1594 entsprach, und das Verbot des Kalvinismus durch strenge Unterscheidung der Kalvinisten von den Bekennern der Augsburgischen Konfession (Invariata), das auch seinen Bestrebungen in der Kurfrage nützlich war. Die These, daß der Zusammenhang mit der Kurfrage das eigentliche Motiv Maximilians zur Forderung des Kalvinismusverbots gewesen sei,22 geht jedoch zu weit23 und berücksichtigt nicht seine jahrzehntealte Frontstellung gegenüber der kalvinistischen Partei und Politik im Reich, die durch Contzen und dessen Schriften noch weiter genährt worden war. Als Graf Trauttmansdorff im Februar 1628 in München über die Rückgabe Oberösterreichs verhandelte, warf er auch die Frage auf, ob es nicht klüger sei, die von den Kurfürsten geforderte kaiserliche Entscheidung in der Frage der Religionsgravamina bis nach Beendigung des Krieges mit Dänemark zurückzustellen. Jedoch vertraten die bayerischen Räte und mit ihnen nunmehr auch Jocher praktisch einhellig die Ansicht, daß die günstige Lage durch schnelles Handeln genützt werden müsse;24 entsprechend wurde Trauttmansdorff von Maximilian beantwortet.25 Jedoch erhielt Maximilian ebenso wie die geistlichen Kurfürsten erst Monate später, Ende Oktober 1628, zusammen mit Begleitschreiben des Kaisers und Stralendorfs einen Entwurf des Restitutionsedikts zur Begutachtung zugesandt.26 Die Entscheidungen am Kaiserhof hatten sich aus politischen Gründen des Kaisers wie sachlich-juristischen Einwänden der Reichshofräte verzögert.27 Als Hauptforderung war schließlich in den Entwurf aufgenommen worden, daß die seit 1552 säkularisierten landsässigen Klöster und die seit 1555 in protestantische Hand übergegangenen Stifter (Hochstifter) den Katholiken wieder zurückgegeben werden müßten und daß die geistlichen Reichsfürsten das gleiche ius reformandi wie Zum Recht der authentischen Interpretation vgl. Frisch, Restitutionsedikt 125 ff. So hirekj, Maximilian, und ihm folgend Frisch, Restitutionsedikt 90. 23 In der Konsequenz würde sie zur These fuhren, daß das Restitutionsedikt in seiner spezifischen, auf den Religionsfrieden bezogenen Form als ein Ergebnis von Maximilians Kurpolitik anzusehen sei. 24 Bireley, Maximilian 91 nach Richels Notizbuch zum 8.2.1628. 25 Bescheid für Trauttmansdorff, 21.2.1628: BA NF 11,4 Nr. 30. 26 Stralendorf an Maximilian, 25.10.1628: BA NF 11,4 Nr. 159. Ebenda Anm. 2 das Schreiben des Kaisers, 25.10.1628. Vgl. auch Bireley, Religion 75 f. 27 Ausführlich Urban, Restitutionsedikt 205 ff.; Frisch, Restitutionsedikt 92 ff. 21
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die weltlichen besäßen. Der Kaiser interpretierte den Religionsfrieden dahingehend, daß der Geistliche Vorbehalt gültig und die Declarado Ferdinandea ungültig sei, woraus die Konsequenzen gezogen wurden. In dem Begleitschreiben zum Entwurf stellte Ferdinand zwei Fragen an Kurmainz und Maximilian: Ob er bei der Exekution des Edikts auf ihren Beistand rechnen könne und bei welchem Stift man beginnen solle (wobei er Magdeburg bevorzugte). Auch Stralendorf stellte zwei Fragen, die vornehmlich an Maximilian gerichtet waren:28 Ob man auch die vor 1552 säkularisierten Stifter zurückfordern solle, was vornehmlich Kursachsen betreffe, und ob die Kalvinisten „mit in dem religionfriden begriffen", was vornehmlich Kurbrandenburg betreffe. Der Kaiser zögere nòch, auch über diese beiden Punkte zu entscheiden. Diese vier Fragen riefen mancherlei Denkschriften und Beratungen in München hervor; zur Abstimmung mit Kurfürst Georg Friedrich, auf die Maximilian großen Wert legte, wurde Richel nach Mainz entsandt.29 Es waren auch die Wochen, in denen der Dillinger Jesuit Paul Laymann auf Anregung des Bischofs Knöringen von Augsburg seine berühmte Untersuchung „Pacis Compositio" verfaßte und schließlich 1629 anonym herausbrachte, welche die katholische Interpretation des Augsburger Religions friedens fixierte und damit die theoretische Begleitschrift und Rechtfertigung des Restitutionsedikts bilden sollte.30 Anfang Dezember waren die bayerischen Bemerkungen zum Entwurf des Edikts fertiggestellt und wurden zusammen mit 23 kleineren Textverbesserungen („annotationes") an Kurmainz übermittelt.31 Hinsichtlich der Frage des Kaisers nach der Assistenz der Liga bei der Exekution des Edikts wurde Maximilians großes Interesse am wirklichen und baldigen Erlaß des Edikts in dem Passus ersichtlich, daß man zwar nicht zu viel versprechen solle, Hilfe aber auch nicht abschlagen dürfe, damit der Kaiser „nit etwan dardurch in 28
Vgl. die Argumentation bei Urban, Restitutionsedikt 216 ff. Instruktion vom 9.11.1628: BA N F 11,4 Nr. 167; Resümee der Ansichten Kurmainz' ebenda Nr. 172, Punkt 4. Ein Gutachten Jochers (ebenda Nr. 167 IV) ging von der irrigen Ansicht aus, daß nur Maximilian, nicht auch Kurmainz vom Kaiser befragt worden sei. 30 \PaulLaymann u.a.], Pacis compositio inter principes et ordines catholicos atque Augustanae confessionis adhaerentes in comitiis Augustae a. 1555 edita, Dillingen 1629. Vgl. auch Robert Bireley, The Origins of the „Pacis Compositio" 1629: A text of P. Laymann S.J., in: Archivum Historicum Societatis Jesu 42 (1973), 106-127; Repgen, Römische Kurie I, 212 ff.; Heckel, Autonomia 150 ff. 31 Maximilian an Kurmainz, 5.12.1628: Druck: Londorf, Acta publica III, 1045 ff. Vgl. auch BA N F 11,4 Nr. 181, mit Korrekturen bei Urban, Restitutionsedikt 450 Anm. 42; Bireley, Maximilian 96 f. aufgrund des Notizbuchs Richels über die Geheimratssitzungen; Repgen, Römische Kurie I, 175 f. 29
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disem dero lobi, und christlichem vorhaben perplex gemacht und die publication der decision gehindert und gestekt werde". Der von Ferdinand gewünschte Beginn der Exekution mit Magdeburg (das er seinem Sohn Leopold Wilhelm zuwenden wollte) wurde in Rücksicht auf Kursachsen widerraten, man solle vielmehr mit kleineren Territorien beginnen. Die von Stralendorf angefragte Ausdehnung des Edikts auf die Säkularisationen vor dem Passauer Vertrag wurde ebenfalls widerraten. Was aber die Kalvinisten betraf, so plädierte Maximilian erneut und mit Nachdruck dafür, diese im Edikt als des Religionsfriedens nicht teilhaftig zu benennen. So hatte er schon durch Preysing in Prag argumentieren lassen und in gleicher Weise durch Richel in Mainz, sie seien „das rechte urspringliche brunquell aller diser iezigen und voriger im röm. reich nach dem Passauischen vertrag vorgangner kriegsempörungen". Doch da sie sich neuerdings unter dem Decknamen der Augsburgischen Konfession verbärgen, „so wer derowegen ratsamer und sicherer, auch dem religionfriden gemeßer, daß die Calvinisten nit expresso hoc nomine, sonder in genere alle die ienige secten und derselben anhanger, welche sich zu der in a.o 1530 zu Augspurg [...] ubergebnen und im religionfriden zugelaßnen confession nit bekennen, aus dem reich bannivirt und deren glaubens exercitia verbotten werden sollen". Diese allgemeinere Formulierung zum Kalvinismusverbot hatten auch die Patres Keller und Contzen befürwortet.32 Dagegen hatte es der Mainzer bisher in Rücksicht auf Kurbrandenburg als unratsam bezeichnet, etwas gegen die Kalvinisten vorzunehmen, dadurch würde das Kurkolleg gespalten.33 Weiterhin wurde von Maximilian nochmals vorgeschlagen, was schon Preysing dem Kaiser vorgetragen hatte, nämlich durch das Edikt auch die Rechtslage der Konfessionen in den Reichsstädten gemäß dem Religionsfrieden wiederherzustellen und den Vollzug durch kaiserliche Kommissare zu kontrollieren.34 Hier hatte Maximilian wohl Augsburg und Regensburg und sich selbst als kaiserlichen Kommissar wie einst bei Donauwörth im Auge! Insgesamt orientierte sich Maximilian am Religionsfrieden, den er ebenfalls, wie der Wiener Entwurf, dahingehend interpretierte, daß der Geistliche Vorbehalt als gültig, die Declarado Ferdinandea als nicht gültig anzusehen sei. Zusätzlich stellte er fest, daß
Gutachten vom 29.11.1628: BA NF 11,4 Nr. 179: „[...] libera actio contra eos, qui non sunt purae confessionis, sed variatae, Calvinizatae, Zvenefeldizatae [Schwenkfeldianer] idque terminis generalibus". Der weitere Ratschlag der beiden Jesuiten, die Rückforderung der durch die Säkularisationen entgangenen Einkünfte zwar nicht in das Edikt aufzunehmen, aber dem Kaiser privatim zu intimieren, wurde nicht übernommen. » Bericht Richels, 19.11.1628: BA NF 11,4 Nr. 172 Anm. 4. 34 Vgl. auch Frisch, Restitutionsedikt 65. 32
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alle diejenigen, die der unveränderten Augsburgischen Konfession nicht angehörten, d.h. vor allem die Kalvinisten, des Religionsfriedens nicht teilhaftig, also in der Konsequenz zu verbieten seien. Ende Dezember übersandte Kurmainz dem Kaiser aufgrund der Gutachten Kurbayerns, Kurkölns und seiner eigenen Meinungsbildung das Gesamtschreiben der katholischen Kurfürsten zum Entwurf des Restitutionsedikts und die Antwort auf die zwei Fragen Ferdinands35 sowie an Stralendorf die Antwort auf dessen beide Fragen.36 Der Inhalt dieser Schreiben wurde von Maximilian nach Kenntnisnahme umsomehr gebilligt,37 als sowohl die Bemerkungen zum Entwurf des Edikts selbst („formula edicti") als auch die weiteren Vorschläge zu eventuellen Ergänzungen zum größten Teil in Ubereinstimmung mit den bayerischen Empfehlungen - und d.h. in zentralen Punkten aufgrund der bayerischen Empfehlungen - formuliert waren. Übereinstimmend mit Maximilian wurde dem Kaiser bei den Exekutionen Ligahilfe zugesagt, die Aufnahme des Reichsstädteproblems in das Edikt vorgeschlagen, die Einbeziehung der Säkularisationen vor 1552 abgeraten. Auch bezüglich des Verbots des Kalvinismus stellte sich der Mainzer jetzt auf Maximilians Standpunkt. Abweichend von Maximilians Gutachten plädierte er allerdings dafür, die Exekution mit Magdeburg als einem besonders wichtigem Stift zu beginnen, und neu war sein Vorschlag, die vom Edikt betroffenen Stifter und Klöster namentlich aufzuführen, was allerdings dem von Maximilian intendierten generellen Charakter des Edikts widersprach.38 In den darauf folgenden Beratungen der Reichshofräte und der kaiserlichen Geheimräte wurden zwar nicht alle, aber doch die Mehrheit der Vorschläge Maximilians und Kurmainz' akzeptiert.39 Die vorgeschlagene Aufnahme der Städtegravamina schob man nach eingehenden Diskussionen schließlich auf die lange Bank, was Maximilian nur ungern akzeptierte.40 Der Text des Restitutionsedikts vom 6. März 162941 entsprach in Hauptpunkten dem Entwurf vom Herbst 1628. Das Edikt verstand sich als authentische Interpretation des Augsburger Religionsfriedens kraft kaiserlicher 35 Kurmainz an den Kaiser, 28.12.1628: BA N F 11,4 Nr. 203; Urban, Restitutionsedikt 220 f. Kurmainz an Stralendorf, 29.12.1628: EbendaNt. 205; vgl. Nr. 206.. 37 Maximilian an den Kaiser, 9.1.1629, ebenso an Stralendorf: EbendaNt. 215. 38 Unzutreffend Bireley, Religion 77, „the two electors" hätten diesen Vorschlag gemacht. 39 Die Details bei Urban, Restitutionsedikt 221 ff. 40 Urban, Restitutionsedikt 222; der Kaiser an Maximilian, 27.3.1629, und Maximilian an den Kaiser, 19.4.1629: BA N F 11,4 Nrr. 255 und 267. 41 Druck: Londorf, Acta publica III, 1048-1055; Frisch, Restitutionsedikt 184-194. Zu Datierung und Publikation vgl. Urban, Restitutionsedikt 223 f.; Oers., Druck und Drucke des Restitutionsedikts von 1629, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 14 (1974), Sp. 609-654.
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Machtvollkommenheit: Der Geistliche Vorbehalt ist gültig, also sind die seither entzogenen Stifter von den Protestanten wieder zurück2ugeben; der Religionsfriede verbietet den Landesherrn die Säkularisierung landsässiger Klöster, also sind die seit dem Passauer Vertrag entfremdeten Klöster wieder zu restituieren. Die wichtigste Veränderung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf ging auf Maximilian zurück, es war die ausdrückliche Feststellung, daß der Religionsfriede neben den Katholiken nur den Anhängern der ungeänderten Augsburger Konfession zukomme, also die Kalvinisten und andere Denominationen ausgeschlossen seien. Um diese Passage in das Edikt hineinzubekommen, hatte Maximilian u.a. das Argument gebraucht, daß sich Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg dadurch nicht getroffen fühlen könne, weil er dem Kalvinismus gar nicht zugetan sei oder, wenn doch, „sich doch zum selben unverholen zu bekennen sich selb Schemen tuet".42 Das Argument war reichlich simpel, verriet aber gerade hierdurch das besondere Interesse Maximilians. Weniger einfach war das Problem, wie sich die Rückgewinnung der norddeutschen Stifter durch das Edikt mit dem erstrangigen Interesse Maximilians vereinen sollte, Kurfürst Johann Georg von Sachsen nicht in das Lager der Gegner zu treiben, um die Einheit des Kurkollegs gegenüber der kaiserlichen Politik und speziell gegenüber Wallenstein zu wahren. Daß hier ein zentrales Problem mit möglichen schweren Konsequenzen gegeben war, wurde in München sehr wohl gesehen. Als Pater Laymann im Dezember 1628 das Manuskript seiner „Pacis Compositio" an seine Ordensbrüder Contzen und Keller in München zur Begutachtung übersandte, sprachen sich diese für die Veröffentlichung nur unter dem Vorbehalt aus, daß große Teile, die sich mit der Kirchengutsrestitution befaßten, weggelassen oder überarbeitet würden, um den Kurfürsten von Sachsen nicht zu provozieren.43 Bei der Drucklegung wurden die jeweils ausgedruckten Bögen von Dillingen nach München und Wien gesandt, wobei der von Maximilian zur Begutachtung herangezogene Richel urteilte, daß das Werk einen Aufruhr im Reich hervorrufen werde und deshalb nicht publiziert werden dürfe; Anfang Februar 1629 rieten auch Jocher und Maximilian, ja selbst Contzen von einer Veröffentlichung ab. In den folgenden Wochen fand aber am Kaiserhof und in München ein Meinungsumschwung statt, offensichtlich sah man in Laymanns Werk eine plausiblere und solidere juristische Begründung für das Restitutionsedikt, als bisher vor-
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Maximilian an Stralendorf, 9.1.1629: BA NF 11,4 Nr. 215 Anm. 2. Bireley, Maximilian 100 f., mit den Nachweisen.
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handen war. Indem im Mittelpunkt der Argumentation Laymanns das Festhalten am Religionsfrieden stand, traf er sich mit Maximilians Auffassung, was der Inhalt des Restitutionsedikts sein müsse: Eine bloße Interpretation des Religionsfriedens im katholischen Sinne. Entsprechend wurde in München auch argumentiert, daß doch auch der Lutheraner Johann Georg den Religionsfrieden akzeptiere, zumal wenn man ihm die Mühlhausener Versicherung von 1620 (vielleicht in feierlicherer Form) bestätige. Daß die Lutheraner den Religionsfrieden anders als die Katholiken interpretierten, wurde stillschweigend übergangen. Kurfürst Johann Georg von Sachsen hatte die Aufforderung Kurmainz' und Maximilians zur Teilnahme an einem weiteren Kurfiirstentag nach dem Mühlhausener Tag stets mit dem Hinweis auf die Bedrückung der sächsischen Lande durch Wallensteinsche Truppen abgelehnt. Seit dem Januar 1629 fügte er dieser Argumentation ein neues, konfessionspolitisches Argument hinzu: Man höre von gefährlichen Plänen auf katholischer Seite, die bei Verwirklichung „den ganzen statum romani imperii evertiren und denselben in ein neu modell bringen würden". 44 In seiner Antwort (erst nach Erlaß des Restitutionsedikts) stellte sich Maximilian unwissend: Von einer „Universalreformation" wisse er nichts und würde sich auch nicht daran beteiligen; er halte sich vielmehr strikt an den Religionsfrieden und an den Passauer Vertrag45 — und da sich, so war es gemeint, das Restitutionsedikt nur als Interpretation des Religionsfriedens verstehe, könne es mit einer Universalreformation nicht identifiziert werden. Tatsächlich aber war Maximilian über die wiederholten Beschwerden Kursachsens überaus beunruhigt, so daß er die Quadratur des Kreises versuchte: Johann Georg werde es vor allem um seine drei Stifter Naumburg, Meißen und Merseburg gehen, auch habe er im Vierklosterstreit seine protestantischen Glaubensbrüder nicht unterstützt. Versichere man ihn daher wegen dieser Stifter und bestätige man das Mühlhausener Versprechen von 1620, zumal er im Niedersächsisch-Dänischen Krieg neutral verblieben war, so werde er auf das Erzstift Magdeburg keine weiteren Ansprüche erheben.46 Auf weitere starke Proteste Kursachsens, die sich über das ganze Jahr 1629 erstreckten,47 wußte Maximilian nur mit Ausflüch44 Kursachsen an Kurmainz, 20.1.1629, dgl. an Maximilian, 23.1.1629: BA N F 11,4 Nr. 226 mit Anm. 1. Offensichtlich hatte der Kurfürst Kenntnis von dem alsbald an die Öffentlichkeit gelangten Schreiben Maximilians an Stralendorf, 9.1.1629, erhalten. Beschwerde Maximilians beim Kaiser vom 26.4.1629 über Nichtgeheimhaltung von kurfürstlichen Gutachten ebenda Nr. 280. 45 Maximilian an Kursachsen, 5.4.1629: Ebenda Nr. 259. 46 Maximilian an Kurmainz, 24.4.1629: Ebenda Nr. 279. 47 Einzelheiten bei Bireley, Maximilian 123 ff.; BA N F 11,5 Nr. 10 Anm. 1 und öfter.
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ten zu antworten: Das Edikt werde nur in den Fällen angewandt, in denen die beteiligten Stände bereits gehört worden seien — er leugnete also den eigentlichen und gerade von ihm geforderten spezifischen Charakter des Edikts. Er betonte, daß aufgrund des Mühlhausener Versprechens von 1620 gegen Kursachsen nur nach Anhörung prozediert werde und riet daher dem Kaiser, das Versprechen noch einmal feierlich zu bestätigen.48 Schließlich scheute er sich nicht, gegenüber Johann Georg alle Verantwortung am Edikt und dessen künftige Exekution auf den Kaiser zu schieben, dem man nicht in den Arm fallen könne.49 In einem ersten Entwurf dieses Schreibens hatte es sogar geheißen, daß Maximilian die Exekution des Edikts unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht billige, jedoch hatten Richel und Contzen dieser Fassung denn doch widersprochen.50 Das Dilemma Maximilians, das Edikt und dessen Exekution nicht preisgeben zu wollen und dennoch Johann Georg nicht zu verstimmen, kam in zugespitzter Weise zum Ausdruck, als er sich der Auffassung des neuen, seit Herbst 1629 regierenden Mainzer Kurfürsten Anselm Casimir von Wambold zu versichern suchte:51 Man könne die Forderung Kursachsens nach Einstellung der Exekution des Edikts und Vornahme der von den Protestanten seit langem erstrebten Komposition nicht rundweg abschlagen, dies würde „gar zu odios sein und cur Saxen offendieren". Andererseits würde man als Parteigänger Johann Georgs verdächtigt, wenn man ihm die Befürwortung seiner Forderungen beim Kaiser in Aussicht stelle. Was also tun? In einer für Maximilian höchst bemerkenswerten Wendung wird schließlich als beste Taktik erwogen, einfach der Wahrheit die Ehre zu geben: „Ob es nit etwan das böste und ratsamste sein würde, in diser sachen candide heraus zu gehen und s.L. [Kursachsen] die Ursachen und motiven, warumben die catholische curfursten in dieser sachen sich nit einlassen können, glimpflich zu remonstrirn, so hoffentlich eine bössere stat fünden und lieber aufgenommen werden mechte, als wan man nach und nach lavirn und sich kaines aigentlichen erkleren tut." Die Bemühungen um Kursachsen hatten die Sorge zum Hintergrund, daß sich erneut, wie einst mit der Union, eine protestantische Sondergruppierung im Reich bildete, mehr aber noch die Befürchtung, daß Johann Georg sich wegen des Edikts weigern werde, persönlich am geplanten Kollegialtag teilzunehmen, auf dem die Gravamina der Reichsstände gegenüber der kaiserlichen Politik, insbesondere gegen Wallenstein, vereint zur Sprache gebracht Maximilian an den Kaiser, 13.9.1629: Bireley, Maximilian 125. « Maximilian an Kursachsen, 6.9.1629: BA NF 11,5 Nr. 10 Anm. 1. 50 bireley, Maximilian 126. si Instruktion für Richel, 20.8.1629: BA NF 11,5 Nr. 14. 48
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werden sollten. Der Dissens über das Restitutionsedikt konnte die Einheit der Kurfürsten beider Konfessionen in der Wallensteinfrage allerdings sprengen. Mußte Maximilian also nicht bereit sein, wenn nicht bezüglich des Edikts selbst, so doch hinsichtlich seiner Exekution Zugeständnisse zu machen und speziell für die Behandlung Kursachsens einen Ausweg zu finden, der noch weiter reichte als die Mühlhausener Versicherung? Wenn er in der Beantwortung dieser zentralen Frage schwanken sollte, so war es sein Beichtvater Contzen, der ihn auf die strikte Beachtung des Edikts und seiner Exekution festzulegen suchte.52 Als im Sommer 1629 die kaisertreuen protestantischen Herzöge Johann Friedrich von Holstein sowie Christian und August von Braunschweig-Lüneburg den Kaiser baten, im Besitz der Hochstifter Bremen, Minden und Ratzeburg belassen zu werden, holte Ferdinand II. ein bayerisches Gutachten ein. Die kaiserlichen Geheimräte hatten als Kompromiß vorgeschlagen, in diesen Hochstiftern geistliche und weltliche Jurisdiktionsbereiche zu trennen und letztere, d.h. die Einkünfte daraus, den Herzögen ad dies vitae zu überlassen. Ein Diskussionsbeitrag Jochers aus einer Geheimratssitzung dieser Tage kann wohl dahin interpretiert werden, daß Maximilian auch in dieser Frage schwankend war: „Ihr Dht. muessen einmal eine resolution nemmen, was Sie thuen wollen. [...] Ihr Dht. besorgen, man muess etwan nachgeben, so Sie nit gern thun werden propter periculum conscientiae, dissuasionem Theologorum." Einer dieser Theologen war Contzen, der den Kompromiß des Kaiserhofes entschieden zurückwies. Jetzt sei vielmehr die Zeit, durch die wirkliche Exekution des Edikts die katholische Religion in vielen Teilen des Reichs wiederherzustellen. Also sei der Kaiser zu Standfestigkeit aufzufordern und ihm die bayerische Unterstützung bei den Exekutionen zu versichern, denn diese Restitutionen seien, wie Contzen in einer seither wiederholt zitierten Wendung formulierte, „finis belli et fructus" - das Ziel und die Frucht des Krieges.53 Nicht ganz so hart lautete dann aber das Gutachten Maximilians für den Kaiserhof, das er aus Gründen der Geheimhaltung nach Lektüre zu verbrennen bat.54 Wolle man die drei Fürsten entschädigen, dürfe prinzipiell nicht auf kirchlichen Besitz zurückgegriffen werden, der vielmehr für das gottgefällige Werk der Gegenreformation zu verwenden sei. Dann aber doch eine Einschränkung, die auch von den bayerischen Theologen gebilligt worden sei: Falls größeres Übel zu verhüten sei und der Papst zustimme, könne auch auf geistliche Einkünfte zurückgegriffen 52
Zum Folgenden vgl. Bireley, Maximilian 127 ff.; Ders., Religion 90. Gutachten Contzens vom September 1629, Kschw. 71, fol. 124 f., erstmals zitiert bei Ritter, Geschichte III, 425 Anm. 3. 54 Maximilian an Stralendorf, 20.9.1629: Bireley, Maximilian 129. 53
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werden, wenngleich deren Hauptteil der Gegenreformation in den drei Stiftern vorbehalten bleiben müsse. Trotz grundsätzlicher Entschiedenheit, wie sie Contzen forderte, behielt sich Maximilian auch jetzt noch einen Ausweg vor, der auf der Unterscheidung von prinzipiell und aktuell beruhte. Offensichtlich erkannte er nunmehr, daß die Exekution des Edikts in Schwierigkeiten führte, die bei dessen Ausarbeitung „in culmine victoriarum" nicht genügend bedacht worden waren. Vom Restitutionsedikt waren neben den großen und reichen Erzstiftern Bremen und Magdeburg sieben weitere Hochstifter (Halberstadt, Minden, Verden, Kammin, Lübeck, Ratzeburg und Schwerin) und über 500 Klöster und Kirchen betroffen.55 Die Realisierung des Edikts mußte daher eine gewaltige Herrschafts- und Besitzumwälzung zugunsten des deutschen Katholizismus bedeuten, wenngleich sie längst nicht die „Axt an die Wurzeln der Reformation" gelegt hätte, wie Ranke geurteilt hat. So sehr jedoch Maximilian an der Entstehung des Edikts mitgewirkt hatte und dessen Rechtsgültigkeit verteidigte, so wenig profitierte er unmittelbar von den Restaurationen. Bei der Verteilung der Beute unter den Verbündeten trug der Kaiser den Sieg davon; dessen noch unmündiger Sohn Leopold Wilhelm erhielt zu seinen Hochstiftern Passau und Straßburg auch noch das Erzstift Magdeburg, das Hochstift Halberstadt und die Abtei Hersfeld zugesprochen. Maximilian hatte sich in Rücksicht auf Kursachsen für Magdeburg nicht interessiert, jedoch machte er sich große Hoffnung auf Bremen, das einer der Söhne Herzog Albrechts erhalten sollte, wofür er sich auch der Unterstützung durch den Kaiser sicher schien.56 Jedoch gab Papst Urban VIII. das Erzstift ebenfalls an Leopold Wilhelm. Obwohl es dieser nicht übernehmen konnte, da sich der protestantische Administrator zu behaupten wußte, war der Vorgang nicht geeignet, die Beziehungen Maximilians zum Kaiserhof und zur Römischen Kurie zu verbessern. Ein Bewerber um Bremen war auch der Bischof von Osnabrück Franz Wilhelm von Wartenberg gewesen, ein Vetter Maximilians aus der unstandes-
55 Vermutlich nicht betroffen waren die Hochstifter Brandenburg, Havelberg, Lebus, Meißen, Merseburg und Naumburg. Vgl. die Aufstellung bei Tupefy Restitutionsedikt 523 ff. Literatur über die Restitutionen auch bei Strök-Bühler, Restitutionsedikt 46 Anm. 169; Roswitha Philippe, Württemberg und der Westfälische Friede, Münster 1976; Schindling-Ziegler, Territorien; Wolgast, Hochstift 330 ff. 56 Maximilian an Kurköln, 7.3.1629: BA NF 11,4 Nr. 245; Tupet^ Restitutionsedikt 434 ff.; Albrecht, Auswärtige Politik 201 f.
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gemäßen Ehe seines Onkels Ferdinand mit Maria Pettenbeck.57 Wilhelm V. hatte das Sukzessionsrecht der Wartenberger am Herzogtum Bayern zwar 1588 anerkannt, aber nur für den Fall des Aussterbens der Wilhelminischen Linie; ausdrücklich war festgesetzt, daß die Wartenberger bis dahin nicht dem Hause Bayern angehörten. Diese Abgrenzung wurde auch von Maximilian betont, er bewahrte zu dem zwanzig Jahre Jüngeren aus persönlichen und politischen Gründen zeitlebens ein distanziertes Verhältnis. Seit 1614 stand der im Germanicum in Rom zum Theologen ausgebildete Wartenberg in bayerischen Diensten, seit 1617 als Präsident des Geistlichen Rates in München, 1621 übernahm er die Stelle eines Obersthofmeisters des Kurfürsten Ferdinand von Köln, womit er einen Wirkungskreis betrat, die wittelsbachische Bistumspolitik am Niederrhein und in Westfalen, den er erst 1649 zugunsten einer Tätigkeit als Bischof von Regensburg58 wieder verließ. Wartenbergs Name ist verknüpft mit einer besonders intransigenten Vertretung katholischer Interessen in der zweiten Kriegshälfte und bei den Westfälischen Friedensverhandlungen, und vorher schon mit einer Tätigkeit großer Entschiedenheit als kaiserlicher Kommissar bei der Exekution des Restitutionsedikts in Nordwestdeutschland, wo er seit 1628 (Postulation 1625) als Bischof von Osnabrück gewirkt hat. Im Zusammenhang mit dem Edikt und in scharfer Konkurrenz zu dem habsburgischen Kandidaten gelang ihm zwar nicht die Gewinnung Bremens,59 doch erhielt er 1629 zusätzlich zu Osnabrück das Hochstift Minden und 1630 auch noch das Hochstift Verden. Dies waren Ansätze zu einem zweiten wittelsbachischen Bischofsreich in Nordwestdeutschland neben demjenigen Ferdinands von Köln, das jedoch infolge der Kriegsereignisse nicht konsolidiert werden konnte. Bedenkt man den Anteil der Liga und des Ligaheeres an der Herbeiführung der militärisch-politischen Situation, die das Restitutionsedikt ermöglichte, so konnte Maximilian über die Ergebnisse zugunsten des Hauses Wittelsbach kaum zufrieden sein. Er war es umso weniger, als er sich an der Römischen Kurie verschiedentlich um die Zuweisung von eroberten Stiftern bzw. deren Erträgnissen als Kriegskostenersatz für die Liga bemüht und wie-
57 Die Literatur zu Wartenberg und ein informativer Lebensabriß finden sich bei Joachim Foerster, Diarum Wartenberg, 1. Teil, Münster 1987 (= Acta Pacis Westphalicae III C 3). Für die zwanziger Jahre vgl. besonders H. Forst, Politische Correspondenz des Grafen F.W. v. Wartenberg, Bischofs von Osnabrück, aus den Jahren 1621-1631, Leipzig 1897. 58 Georg Schwaiger, Kardinal Franz Wilhelm von Wartenberg als Bischof von Regensburg, München 1954. 59 Wofür ihn Ferdinand von Köln, aber nicht Maximilian unterstützte, der seinen Neffen Max Heinrich bevorzugte. Vgl. auch Wolgast, Hochstift 330 f.
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24. Das
Restitutionsedikt
derholt auch Versprechungen Papst Urbans VIII. erhalten hatte.60 In Konkurrenz zum Kaiser, dessen Beichtvater Lamormaini über den Nuntius auf die Kurie einzuwirken suchte, beschwor Maximilian den Papst, das Haus Habsburg, das bereits Magdeburg, Bremen und Halberstadt erhalten habe, nicht noch weiter zu vergrößern; die Fürsten, die sich und ihre Untertanen zugunsten der Gewinnung dieser Stifter ruiniert und nur das Interesse der Kirche verfolgt hätten, dürften von der Römischen Kurie nicht benachteiligt werden.61 Da bedeutete es wenig, daß dann ein päpstliches Breve vom 9. April 1631 der Liga auf drei Jahre die Hälfte der Einkünfte aus den zurückgeforderten Stiftern zuwies, denn Maximilian mußte den Papst unterrichten, daß die Stifter noch in protestantischen Händen seien; „es ist durch diß mid khein hilf zu erhoffen, so etwas ergibig, man hat diß schon offt nach Rom geschriben".62 Was die vom Edikt zurückgeforderten landsässigen Klöster betraf, so ist es über sie bekanntlich zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den alten Orden, denen sie entfremdet worden waren, und den Jesuiten gekommen, die sie jetzt für Kollegien, Schulen und Mission ihres Ordens reklamierten.63 Da die Jesuiten wohl eher als die Benediktiner, Zisterzienser und Prämonstratenser in der Lage schienen, die zurückgewonnenen Klöster bzw. die aus ihren Einkünften zu finanzierenden neuen Einrichtungen personell auszustatten, fanden ihre Forderungen, die besonders von P. Lamormaini vertreten wurden, manche Unterstützung. Maximilian selbst wurde mit der Problematik nur am Rande befaßt; man darf annehmen, daß er, ebenso wie Tilly,64 Forderungen der Jesuiten wohlwollend gegenüberstand; Contzen beteiligte sich mit zwei anonym erscheinenden Schriften an dem Streit.65 Im übrigen beschränkte sich Maximilian darauf, sich die Erträgnisse der Klöster in der Oberpfalz und der Rheinpfalz weiterhin zu sichern, wie bereits berichtet worden ist; sie gestatteten ihm, sich aus den Auseinandersetzungen um die vom Edikt erfaßten Klöster herauszuhalten.
so Vgl. vor allem BA NF 11,4 Nrr. 122, 218, 231, 232, 241, 286, 300. 61 Gigli an Crivelli, 17.5.1629: Ebenda Nr. 303. 62 Albrecht, Kriegsfinanzierung 550; Riesser, Geschichte V, 346 f. 63 Ritter, Geschichte III, 433 ff.; Tupeta^ Restitutionsedikt 421 ff. Materialreich aber unübersichtlich Wolfgang Seibrich, Gegenreformation als Restauration. Die restaurariven Bemühungen der alten Orden im deutschen Reich von 1580 bis 1648, Münster 1991. Für die jesuitische Seite vgl. Btre/ey, Religion 133 ff. M Albrecht, Tillybriefe Nr. 11 und 12. 65 "Disceptatio placida" und „Amica responsio", beide 1630; vgl. Bireley, Religion 146 mit Anm. 59.
24. Das Restitutionsedikt
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Unabhängig davon blieb die Frage bestehen, wie die Unruhe, die durch das Restitutionsedikt im evangelischen Lager und insbesondere bei Kursachsen aufgebrochen war und die ja doch in ziemlichem Umfang der Politik Maximilians zuzuschreiben war, wirksam eingedämmt werden konnte, weil zunehmend weitere Probleme großer Dimension Aufmerksamkeit und Kräfte in Anspruch nahmen: Die fortbestehende Wallensteinfrage, die kaiserliche Politik in der Frage der Mantuanischen Erbfolge, die expansive Politik Richelieus und Gustav Adolfs von Schweden.
25. Europäische Zuspitzungen
Werner Näf hat betont, daß die Jahre 1629-1631 nicht Wende, sondern Steigerung des Krieges bedeuteten, alle gegensätzlichen Kräfte traten in die Auseinandersetzungen ein.1 Man wird hinzufügen, daß eben die Intensivierung des Kampfes auch eine Wende nach sich zog. Durch diese Entwicklungen sah sich gerade auch die bayerische Politik vor Entscheidungen gestellt. Maximilian war entschlossen, an seinen grundsätzlichen politischen Zielen festzuhalten, sich Kur und Kurlande zu sichern, die reichsfürstliche Libertät zu verteidigen, den konfessionellen Status im Reich jedenfalls zu behaupten, wenn nicht durch Exekution des Restitutionsedikts zugunsten der katholischen Partei zu verändern. Da aber trotz der Verbindung mit der Katholischen Liga sein Territorium zu klein und seine materiellen Möglichkeiten zu begrenzt waren, diese Linie unabhängig von den Bewegungen der großen Mächte durchzuhalten, war er gezwungen, auf alle neuen Entwicklungen unmittelbar zu reagieren und damit seine Politik enger denn je mit derjenigen der europäischen Mächte zu verflechten. Ein erstes neues Problem bildete die Mantuanische Erbfolgefrage, um die sich seit 1628 die Fronten polarisierten.2 Zu Ende des Jahres 1627 war Herzog Vincenz II. von Mantua und Montferrat gestorben, Anspruch auf die Nachfolge erhoben Herzog Karl von Nevers, der von Frankreich unterstützt wurde, und Herzog Cesare Gonzaga von Guastalla, den die Spanier favorisierten. Um vollendete Tatsachen zu schaffen, verbanden sich die Spanier mit dem Herzog von Savoyen und besetzten das Montferrat, gleichzeitig bewog Olivares den Kaiser, am 1. April 1628 als Oberlehensherr der beiden Herzogtümer den Sequester über sie zu verhängen. Die hierdurch mögliche richterliche Entscheidung Ferdinands II. über die Erbfolge sollte dann im Sinne der Spanier erfolgen. Man hat die Politik des Olivares in der Erbfolge1 Näf, Epochen I, 312. Einen knappen informativen Überblick über die politische Situation bieten Ritter, Geschichte III, 437 ff. und Plat^hoff, Staatensystem 180 ff. 2 Romolo Quasga, La guerra per la successione di Mantova e del Monferrato 1628-1631, 2 Bande, Mantua 1924/26; David Parrott, The Mantuan Succession: A Sovereignty Dispute in Early Modem Europe, in: English Hist. Review 112 (1997), 20-65. Sehr übersichtlich Ritter, Geschichte III, 397 ff.
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25. Eumpäische
Zuspitzungen
frage, welche die spanischen Positionen in Oberitalien festigen sollte, als dessen größten Fehler bezeichnet, weil sie direkt oder indirekt eine grundlegende Umgestaltung der europäischen Mächtekonstellation zum Nachteil Spaniens eingeleitet habe.3 Richelieu qualifizierte das spanische Vorgehen als einen weiteren Schritt in der Umklammerung Frankreichs, dem nach Klärung seines Verhältnisses zu den französischen Protestanten zu begegnen war.4 Im Oktober 1628 kapitulierte nach langer Belagerung die hugenottische Hauptfestung La Rochelle, im April 1629 gaben auch die Engländer, welche die Hugenotten unterstützt hatten, diese preis, im Gnadenfrieden von Alais vom 28. Juni 1629 nahm Richelieu den Hugenotten ihre politischen Sonderrechte, ließ aber in Verfolg des Edikts von Nantes ihre religiösen Freiheiten unberührt. Nunmehr innenpolitisch bewegungsfrei, marschierte er bereits im Winter 1629 mit einem Heer über die Alpen, entsetzte die von den Spaniern belagerte Hauptfestung Casale und unterwarf den Herzog von Savoyen. Durch die spanische Politik sah sich auch Papst Urban VIII. als Herr des Kirchenstaates und als italienischer Landesfürst herausgefordert, die spanischen Interventionen im Italien des 16. Jahrhunderts seit dem Sacco di Roma waren an der römischen Kurie unvergessen.5 Zwar lehnte der Papst ein Bündnis mit Frankreich zur Verteidigung der Ansprüche des Herzogs von Nevers ab, aber die hartnäckige Weigerung der Spanier, seinen Vermittlungsversuchen nachzukommen, und die Ergebnislosigkeit der von ihm veranlaßten Interventionen Maximilians am Kaiserhof führten ihn, wenn auch nicht offen, immer mehr an die Seite Frankreichs. So hat Urban VIII. den Friedensschluß Richelieus mit den Hugenotten und mit England ohne eigentlichen Widerspruch hingenommen und die Mantuanische Frage ließ ihn darüber hinwegsehen, daß sich die französische Politik gleichzeitig bemühte, Schweden in den deutschen Krieg hereinzuziehen. Wenn der Kardinalstaatssekretär Francesco Barberini später gegenüber Maximilian äußerte, daß der Einbruch Gustav Adolfs eigentlich das unmittelbare Ergebnis der habsburgischen Politik in Mantua sei,6 so bestanden allerdings gewisse Zusammenhänge zwischen beiden Vorgängen, aber die Folgerung der Kurie, daß ihre eigene Politik in der Mantuanischen Frage und deren Auswirkungen auf das Verhältnis zu Frankreich mit dem schwedischen Einfall nichts zu tun hätten, war zweifellos nicht haltbar. John H. Elliott, Richelieu and Olivares, Cambridge 1984, 95. Mousnier; L'Homme Rouge 355 ff. 5 Kraus, Auswärtige Politik 412 ff. 6 Barberini an Maximilian, 31.5.1631: „Non si può negare, che tutto sia effetto quasi immediato della guerra intrapresa in Italia" (Barb. lat. 6163, f. 20').
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25. Europäische Zuspitzungen
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Die Frontbildung gegen das Haus Habsburg, die Frankreich und die Römische Kurie in bestimmter Weise in Verbindung brachte, hat gleichzeitig eine Parallele im Reich gefunden. Sowohl die Abneigung, das spanisch-kaiserliche Vorgehen in Mantua zu billigen oder gar zu unterstützen, als vor allem die Opposition gegen Wallenstein, der als die Verkörperung aller mißbilligten Tendenzen des Hauses Habsburg erschien, hat die Kritik zahlreicher Reichsfürsten an der Politik des Kaiserhofes hervorgerufen. An die Spitze der reichsständischen Opposition, die sich über die Konfessionsgrenzen hinweg erstreckte, rückte der Herzog von Bayern, von dessen wachsender Kritik an Wallensteins Kriegführung und der zunehmenden Sorge vor weitgehenden, die reichsfürstliche Libertät beschränkenden Plänen des Friedländers bereits die Rede war. Maximilians tiefverwurzeltes Mißtrauen gegen Wallenstein war erwachsen aus dem dynastischen Selbstgefühl des Herzogs gegenüber dem böhmischen Emporkömmling; es war gesteigert worden, als durch die wallensteinsche Armee das Ligaheer aus seiner bisherigen, dem Kaiser unentbehrlichen Rolle in die zweite Position gedrängt worden war und damit der bayerische Einfluß am Kaiserhof an Gewicht verloren hatte; es hatte sich zu tiefem Haß gewandelt, als sich ihm durch Gerüchte und Meldungen wie die Kapuzinerrelationen der Verdacht bestärkte, daß der Generalissimus letztlich auf den Umsturz der Reichsverfassung auf Kosten der fürstlichen Freiheiten und katholisch-konfessioneller Interessen ziele. Jedoch hat Maximilian Wallensteins Absichten zunächst nicht mit denen des Kaiserhofes oder jedenfalls Ferdinands II. identifiziert, sondern sich wiederholt bemüht, über den Kaiser auf Wallenstein einzuwirken und durch den Kaiser die Beschwerden über die friedländischen Kriegspressuren abzustellen — freilich ohne den letzten Nachdruck, den man angesichts der Bedeutung des Problems für Maximilian hätte erwarten mögen. Dies geschah zur gleichen Zeit, als Maximilian den Kaiser auch noch über seine französische Politik, freilich unvollständig, auf dem Laufenden hielt. Doch hat ihn dann die praktische - angesichts der Bedeutung Wallensteins für die kaiserliche Kriegführung freilich nicht unplausible — Wirkungslosigkeit seiner Bemühungen am Kaiserhof veranlaßt, seine bisherige relative Zurückhaltung gegenüber französischen Angeboten zunehmend aufzugeben und nunmehr ohne Wissen des Kaisers separate, geheime, auf ein Bündnis mit Frankreich zielende Verhandlungen ins Auge zu fassen. So wurzelte die gewisse Distanzierung Maximilians vom Kaiserhof und die deutliche Wendung in seiner französischen Politik in starkem Maße in seinem Verhältnis zu Wallenstein. Von Wallenstein sich bedroht fühlend, die habsburgische Politik in der Mantuanischen Frage wegen ihrer möglichen Folgen für das Reich mißbilligend, hat Maximilian nach einem Rückhalt Aus-
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25. Europäische Zuspitzungen
schau gehalten. Er mußte katholisch sein, er konnte habsburgfeindlich sein, der Papst und Frankreich waren der gegebene Rückhalt. Hier schürzte sich nun der Knoten, denn angesichts des päpstlichen Interesses an Mantua und der aktuellen und allgemeinen Ziele Richelieus war es für die Römische Kurie wie für Frankreich von großem Interesse, den bedeutendsten katholischen Reichsfürsten und in seinem Schlepptau vielleicht die Katholische Liga zu mehr oder weniger großer Distanz gegenüber dem Haus Habsburg zu bewegen. Es wird zu schildern sein, wie aus dieser Situation Maximilian und Richelieu unter Vermittlung des Papstes in Allianzverhandlungen eintraten. Dabei ist zu betonen, daß hierzu neben der Wallensteinfrage auch zwei alte Erwägungen eine Rolle spielten: Erstens daß man mit den Franzosen im Gespräch bleiben müsse, um sie von militärischen Aktionen gegen das Reich abzuhalten, wie sie jetzt besonders im Zusammenhang der Mantuanischen Frage befürchtet wurden. Zweitens, daß Richelieu durch ein Bündnis mit Bayern bewogen werden sollte, seine Verbindungen mit protestantischen Mächten aufzugeben, sie gewissermaßen zu erübrigen. Ähnlich erhoffte Maximilian von der Vermittlung durch den Papst, daß es dessen Einfluß gelang, Richelieu zur Distanzierung von England, den Niederlanden und Schweden zu bewegen; in den protestantischen Verbindungen des Kardinals sah er immer noch das Haupthindernis einer näheren Korrespondenz mit Frankreich. Die Konzeption Urbans VIII. wiederum bestand darin, soviel man sieht, durch die bayerischfranzösische Verständigung den Widerstand der spanischen und deutschen Habsburger gegen die von Rom gewünschte Lösung der Mantuanischen Frage zu lähmen, gleichzeitig aber eine Schädigung der katholischen Sache, die doch wohl aus seiner habsburgfeindlichen Politik resultieren mußte, dadurch zu verhindern oder jedenfalls zu reduzieren, daß er dem bedeutendsten Vertreter des katholischen Prinzips im Reich den starken Rückhalt Frankreichs vermittelte und durch die Bindung Bayerns an Frankreich protestantische Koalitionen Richelieus vielleicht erübrigte. Diese Konzeption des Hl. Stuhls sollte sich allerdings angesichts der weitergespannten Ziele und vor allem angesichts der unbedenklicheren Methoden Richelieus als falsch erweisen. Fügt man den genannten Problemen im europäischen Kräftefeld und im Reich hinzu, daß das Restitutionsedikt die Differenzen der Konfessionsparteien im Reich neu belebte und die Front der Kurfürsten beider Konfessionen gegen Wallenstein aufzubrechen drohte; daß um diese Zeit Richelieu den polnisch-schwedischen Waffenstillstand von Altmark vermittelte, wodurch Gustav Adolf freie Hand gegenüber dem Reich erhielt; daß die Spa-
25. Europäische Zuspitzungen
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nier in Friedensverhandlungen mit England eintraten, bei denen zum Mißfallen Maximilians die Frage der Restitution des Pfálzers behandelt wurde; daß schließlich der Kaiser durch den Frieden von Lübeck Teile seiner Truppen zu direktem Einsatz im Mantuanischen Krieg freibekam — erwägt man dies alles, so war offensichtlich eine Zuspitzung und Verschärfung der deutschen und europäischen Situation gegeben oder in naher Aussicht, und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem die Macht des Kaisers und der katholischen Partei im Reich ihren Höhepunkt erreicht hatte. So war die Frage, ob alle diese Vorgänge eine Lösung fanden, welche die Machtverhältnisse, wie sie jetzt bestanden, ungestört ließ, oder ob nicht der Höhepunkt der kaiserlich-katholischen Machtentfaltung zugleich den Beginn ihres Niederganges bedeutete. Es war für Maximilian die Frage, ob eine rigorose Konfessionspolitik weiterhin möglich war, und darüber hinaus die Frage, ob und inwieweit die bayerischen Interessen ohne nähere Anlehnung an das Haus Habsburg überhaupt gewahrt werden konnten, also die Frage, ob sein bisheriges System, zwischen Habsburg und Frankreich eine relativ unabhängige Stellung einzunehmen und hierdurch seine Erwerbungen zu sichern, auf die Dauer durchzuführen war. Letztlich war die Frage, ob der kleine bayerische Staat wirklich dauerhaft eine einigermaßen selbständige Stimme im Konzert der europäischen Mächte zu führen vermochte.
26. Das Bündnis mit Frankreich
Als Maximilian im September 1628 von Papst Urban VIII. aufgefordert wurde, sich am Kaiserhof zugunsten einer friedlichen Lösung der Mantuanischen Frage zu verwenden, antwortete er dem Papst alsbald, daß er sich der Sache gerne annehmen werde.1 Es war wohl dieses Interesse Maximilians am mantuanischen Problem, dem er ähnlich kritisch wie die Römische Kurie gegenüberstand, das wenige Wochen später den Neffen des Papstes, Kardinalstaatssekretär Francesco Barberini, veranlaßte, dem bayerischen Herzog die Eröffnung einer näheren vertraulichen Korrespondenz vorzuschlagen. Sie ist zwischen Barberini und Maximilian schließlich in ununterbrochener Folge bis zum Pontifikatsende 1644 gefuhrt worden und belegt die Bedeutung, die von beiden Seiten der Verbindung Rom-München zugeschrieben wurde; kein anderer Monarch der Epoche hat in dieser Weise in einem laufenden unmittelbaren Kontakt mit der Spitze der Römischen Kurie gestanden.2 Bereits das erste Schreiben Barberinis war dem in römischen Augen nächsten Zweck dieser Korrespondenz gewidmet, es ermunterte Maximilian im Namen des Papstes zu einem besseren und engeren Verständnis mit Frankreich, und Maximilian nahm die Anregung auf, indem er Urban VIII. bitten ließ, eine tatsächliche und feste Allianz zwischen Bayern und Frankreich zur Sicherung der Interessen Bayerns zu vermitteln.3 Dieses Schreiben traf am 9. Januar 1629 in Rom ein, schon am Tag darauf hat die Kurie Maximilians Bitte an den Pariser Nuntius Bagno befürwortend weitergeleitet. Giovanni Francesco Guidi di Bagno, von 1627-1630 Nuntius in Paris, seit 1629 Kardinal, ein beweglicher, hochgebildeter Mann, vor allem aber ein politischer Kopf mit Sinn für große Zusammenhänge, ist in der Folge zum wichtigsten Befürworter und tatsächlichen Vermitder einer bayerisch-französischen Allianz geworden. Er war schon während seiner Brüsseler Nuntiatur (1621-1627) für Interessen der
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BA N F 11,4 Nr. 136. Vgl. Albrecht, Auswärtige Politik 211 f. Zu Francesco Barberini vgl. Andreas Kraus, Der Kardinal-Nepot F. Barberini und das Staatssekretariat Urbans VIII., in: RQ 64(1969), 191-208; Oers., Amt und Stellung des Kardinalnepoten z. Zt. Urbans VIII., in: RQ 53 (1958), 238-243. 3 Maximilian an Barberini, 21.12.1628: Barb. lat. 6717, f. 1: „Che Sua Santità s'interponesse per mettere tra noi [Bayern und Frankreich] una vera e ferma allianza". 2
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26. Das Bündnis mit Frankreich
bayerischen Politik tätig gewesen.4 Vorher hatte er als päpstlicher Vizelegat in Avignon den dort 1617/18 im Exil befindlichen Richelieu kennengelernt, der damals seine politischen Konzeptionen dahingehend klärte, daß die europäische Vorherrschaft Spaniens endgültig gebrochen werden müsse.5 Derartige Gedankengänge waren dem Bagno jedenfalls der Pariser Jahre nicht fremd, und wie schon Urban VIII. sah er in einer bayerisch-französischen Verständigung eines der Mittel hierzu, ohne dabei die Interessen der Kirche preisgeben zu müssen. Eben in diesen Tagen, im Januar 1629, proklamierte Richelieu in dem berühmten „Avis au Roy", daß nun, nach dem Fall von La Rochelle, der französische König zum mächtigsten Monarch Europas aufsteigen könne, wenn er sich entschließe, die spanische Expansion zu stoppen; „la France ne doit penser qu'à se fortifier en elle même et s'ouvrir des portes pour entrer dans touts les Etats de ses voisins et les pouvoir garantir de l'oppression d'Espagne quand les occasions s'en présenteraient". Jedoch hat sich Maximilian einem ersten Vorstoß im Sinne dieser französischen Zielsetzung und der kurialen Absichten weitgehend versagt. Als im März 1629 der französische Gesandte Hercule de Charnacé in München erschien,6 um ihn zu einem separaten Friedensschluß der Liga mit Dänemark und damit zu einer weiteren Bindung der kaiserlichen Armee gegen Dänemark zu bewegen, lehnte er ab, wie schon berichtet worden ist. Weitere Aufträge Charnacés galten der Wahl eines Römischen Königs, die der Kaiser für seinen ältesten Sohn erstrebe, die aber durch die Gegenkandidatur Maximilians verhindert werden müsse, um jeder Beschneidung der reichsfürstlichen Libertät zuvorzukommen. Diese Forderung zählte künftig zum eisernen Bestand der von Richelieu ins Reich entsandten Diplomaten, obwohl ihm klar sein mußte, daß Maximilian hier keinerlei Ambitionen hatte. Daß man in Paris teilweise abenteuerliche Vorstellungen über den Handlungsspielraum deutscher Reichsstände hatte, war Bagno schon bei der Ankündigung von Charnacés Mission aus München mitgeteilt worden: Richelieu müsse begreifen, „daß in imperio man unter einander verknüpft, auch nit ein iklicher für sich selbst handien kan, als wan er ein absoluter dominus".7 So dankte Maximilian jetzt nur für die Sorge des französischen Königs um die deutsche Libertät; er selbst wolle alles zur Rettung der alten deutschen Freiheiten tun, „wolt lieber die cur nit haben, als die libertet geschwecht sehen". Die Frage Vgl. oben Kapitel 22. Quellen und Literatur zu Bagno verzeichnet hu% Bagno. Mousnier, L'Homme Rouge 160 ff. 6 Instruktion vom 25.1.1629 in 'Richelieu, Mémoires V, 109 ff.; zu den Verhandlungen s. die eigenhändigen Aufzeichnungen Maximilians in BA NF 11,4 Nr. 252. 7 Jocher an Kütner zur Mitteilung an Bagno, 24.1.1629: BA NF 11,4 Nr. 227. 4 5
26. Das Bündnis mit Frankreich
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der Königswahl müsse man aber beruhen lassen.8 Allein die Vorschläge Charnacés zur Einleitung bayerisch-französischer Bündnisverhandlungen fanden in München ein offenes Ohr. Ohne sich in Einzelheiten einzulassen, ließ Maximilian wissen, daß eine Allianz „hoch desiderirt" sei und an der Aufrichdgkeit Bayerns bei Verhandlungen nicht gezweifelt werden dürfe. Damit war die Grundlage für konkrete Vertragsverhandlungen gegeben. Die folgenden Verhandlungen um ein bayerisch-französisches Bündnis fanden bis zum Regensburger Kurfürstentag im Sommer 1630 nur auf schriftlichem Wege statt,9 die Zeiten der Marcheville und Charnacé waren zunächst vorbei. Verhandlungsführer auf bayerischer Seite war Jocher, der von Maximilian instruiert wurde, auf französischer Seite war es Bagno, der die Vorschläge Richelieus übermittelte, erläuterte und im französischen Interesse fortgesetzt auf baldigen Vertragsabschluß drängte. Intendiert war ein Nichtangriffs- und Beistandspakt. Was die Einzelheiten betraf, so suchte begreiflicherweise jede Seite die primären Ziele, die sie mit dem Bündnis verfolgte, im Vertragstext zu fixieren bzw. durch entsprechende Textänderungen sicherzustellen. Für Maximilian stand die Sicherung der Kurwürde und der Kurlande im Vordergrund, deren Anerkennung und Verteidigung durch Frankreich für den Eventualfall gefordert wurde. Richelieu dagegen ging es um die Einbindung Bayerns in ein antihabsburgisches System oder zumindest um die Neutralisierung Bayerns bei einem Konflikt Frankreichs mit Spanien und dem Kaiser. Angesichts dessen war es eine Kernfrage für Maximilian, ob eine Vereinbarung zustande kam, die ihm die Unterstützung Richelieus sicherte und doch seine Verpflichtungen gegenüber Kaiser und Reich vorbehielt. Wenn das Reichsverfassungsrecht überhaupt Verträge von Reichsfürsten mit auswärtigen Potentaten gestattete, ein Bündnisrecht der Reichsstände, dann doch nur, wenn die Verpflichtungen gegenüber Kaiser und Reich ausdrücklich vorbehalten blieben. Dennoch wiegte sich die französische Seite lange in der Hoffnung, infolge des großen Interesses Maximilians
8 Deutlicher die Antwort Maximilians bei Richelieu, Mémoires V, 114: „Que, quant à se faire proposer lui-même, il n'en avoit pas la pensée, bien que l'Empereur croût que c'étoit son dessein, et lui en voulût grand mal." 9 12.5.1629: Französische Vorschläge (BA NF 11,4 Nr. 298 I). 3.7.1629: Bayer. Gegenvorschläge (BA NF 11,5 Nr. 1). 5.10.1629: Erster französischer Vertragsentwurf (ebenda Nr. 29). 13.11.1629: Bayer. Gegenvorschläge (ebendatit. 54). 26.12.1629: Französischer Gegenentwurf (ebenda Nr. 83). 29.1.1630: Bayer. Antwort (ebenda Nr. 103). 27.3.1630: Französischer Gegenentwurf (ebenda Nr. 135).
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26. Das Bündnis mit Frankreich
an einem Vertragsabschluß schließlich doch die Preisgabe des Vorbehalts durchzusetzen. Nach einigem Vorgeplänkel, in dem die beiderseitigen Positionen abgetastet wurden,10 waren in einem ersten Vertragsentwurf (Articuli confoederationis) und begleitenden Vorschlägen und Erörterungen (Articuli secreti)11 erstmals die französischen Vorstellungen genauer fixiert worden. Richelieu schlug einen kombinierten Verteidigungs- und Nichtangriffspakt vor. Bayern und Frankreich (sowie die dem Vertrag eventuell beitretenden Liga- und weitere Fürsten) sollten sich, wenn angegriffen, mit Truppen unterstützen. Beide Partner versprachen, sich gegenseitig nicht anzugreifen sowie Angreifer nicht zu unterstützen. Frankreich versprach, die bayerische Kur auf Lebenszeit Maximilians anzuerkennen und sie zu verteidigen. In den begleitenden Vorschlägen wurde Maximilian und seinem Haus die nachdrückliche Unterstützung Frankreichs zum Erwerb der Kaiserkrone zugesichert, als Gegenleistung sollte sich Maximilian für die Investitur des Herzogs von Nevers im Herzogtum Mantua engagieren. Im übrigen sollte die Liga die Gunst der Bindung kaiserlicher Truppen auf dem mantuanischen Kriegsschauplatz nützen, um vom Kaiser die Wiederherstellung der so sehr unterdrückten reichsständischen Freiheiten zu erzwingen; die übergroße Zahl kaiserlicher Truppen im Reich könne die Reichsstände veranlassen, sich dieser Bedrohung schließlich mit Gewalt zu entledigen. Da die antikaiserliche und antihabsburgische Tendenz der französischen Vorschläge offensichtlich war, sah sich Maximilian veranlaßt, sich mit den Geheimräten in grundsätzlicher Weise über die weitere Ausgestaltung des Verhältnisses zu Frankreich schlüssig zu werden, wobei sich vor allem zwei Fragen stellten: Ist es wirklich notwendig, sich mit Frankreich zu verbünden, und ist es erlaubt, mit Potentaten außerhalb des Reiches in ein Vertragsverhältnis zu treten.12 Was die zweite Frage betraf, so wurde sie bejaht, da Naturrecht, Völkerrecht, die Goldene Bulle, der Reichslandfrieden von 1495, die kaiserliche Wahlkapitulation, Politiker und Rechtsgelehrte sie für den Fall bejahten, „da man sich sonsten wider unbillichen gewalt im röm. reich nit defendiren kan, [...] doch mues in allweg in dergleichen und allen anderen verbüntnussen die persona und authoritas superioris, das ist Imperatoris, sive 10 BA NF 11,4 Nr. 298/1 und 11,5 Nr. 1. » BA NF 11,5 Nr. 29. 12 Vgl. die umfangreiche Denkschrift von Anfang November 1629, „Ob den curfürsten des reichs zuegelassen seie, sich im notfal ermanglender aigner oder anderwertiger defensión mit auswendigen potentaten oder nationen zu verbünden?", an deren Erstellung Maximilian, Jocher, Peringer und Richel beteiligt waren, in BA NF 11,5 Nr. 47.
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tacitè sive expressè ausgenommen werden". Die Notwendigkeit eines klaren Rechtsvorbehalts in Bezug auf Kaiser und Reich blieb in den folgenden Vertragsverhandlungen die Leitlinie Maximilians gegenüber allen französischen Einwendungen und Verwässerungsversuchen, eine Tatsache, die für sein Reichsverständnis charakteristisch ist und für die Beurteilung seiner Persönlichkeit hohen Stellenwert besitzt. Bezüglich der zweiten Frage nach der Notwendigkeit eines Bündnisses mit Frankreich wurden die Für und Wider breit erwogen, wobei schließlich die Gegengründe auf der Strecke blieben. Manche positiven Argumente beruhten offensichtlich auf dem Wunsch, den Nutzen des Bündnisses auch für Kaiser und Reich zu erweisen und es hierdurch noch begründeter zu rechtfertigen. Dabei wurde aber das Wallensteinmotiv, ja selbst das Kurmotiv in den Hintergrund gedrängt! „Das hauptfundament diser franzosischen allianz" hieß es jetzt, „bestehet nit auf dem mistrauen gegen den herzogen von Fridlandt und seine verdechtige armatur, sonder auf dem, daß Frankreich von dem proscribirten Pfalzgrafen, Engelant, Hollant und deren adhaerenten etc. als irer kais. Mt. feinten abgezogen und dardurch ire kais. Mt. selbs, das römische reich, Churbairn etc. und andere gehorsame Chur-Fürsten und Stende in merere Sicherheit gestelt werden". Die Zielsetzung einer Lösung Richelieus aus seinen protestantischen Verbindungen im Interesse von Kaiser und Reich wurde also nunmehr in den Vordergrund gerückt. Einige Wochen später wurde diese Zwecksetzung des Bündnisses in einer internen Äußerung Maximilians erneut hervorgehoben und muß also ernst genommen werden: „Es scheint" schrieb er an Zollern, „ daß wir unsern principal intent der französischen allianz nit werden erhalten, dann unser scopus gewest, Frankreich von den widerwertigen ganz zu separiren."13 Als zweites Hauptmotiv zum Vertragsabschluß hoben die bayerischen Erwägungen die Anerkennung und Sicherung von Kur und Kurlanden durch Frankreich hervor, mit der Betonung, „daß dahero der fride im h. röm. reich leichter erhebt". Schließlich wurde aber doch auch die Wallensteinfrage als eine zentrale Veranlassung zu dem Bündnis ins Feld geführt: „So kan doch die fridlendische violentia und pressur noch lang weren, und solang, bis inmittels Chur-Bairn und andere gehorsame stende des reichs gar ruiniert sein und zu spat umb anderwertige assistenz wider das verderben ausweichen wurden." In dieser Weise schälen sich drei hauptsächliche Motive Maximilians zu Allianzverhandlungen heraus: Frankreich aus dem Kreis der Gegner zu lösen, französische Unterstützung in der Kurfrage zu erhalten und
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6.1.1630: BA NF 11,5 Nr. 93.
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französischen Rückhalt in der Wallensteinfrage zu gewinnen.14 Da sich auch Pater Contzen unter Anerkennung der genannten Gründe für ein Bündnis aussprach15 und sich Maximilian hierdurch auch nach der moraltheologischen Seite abgesichert glaubte, setzte er die Verhandlungen fort. Diese verliefen jedoch weiterhin enttäuschend. Nicht nur, daß Richelieu davon abrückte, die Kurwürde und die Oberpfalz im Vertragstext zu erwähnen und Maximilians Vorbehalt bezüglich Kaiser und Reich zu akzeptieren, er stellte auch Forderungen, die in München keinesfalls akzeptiert werden konnten.16 Falls protestantische Reichsstände „pro tuenda liberiate Germaniae" zu den Waffen griffen, sollte Bayern neutral bleiben; vor allem sollte Maximilian Neutralität versprechen, wenn der französische König, „fatigatus vexationes iniustis" der Habsburger, seine Waffen gegen die habsburgischen Erblande führe — womit ein bereits vorbereiteter französischer Angriff auf das Elsaß gemeint war, so daß die Forderung Richelieus, die von Bagno lebhaft unterstützt wurde,17 höchste Aktualität besaß. Da Richelieu also hauptsächlich forderte und nur wenig bot und trotz bayerischer Vorstellungen18 zu keinen substantiellen Zugeständnissen bewogen werden konnte19 blieb der Schriftwechsel ergebnislos, weniger zur Enttäuschung Maximilians, als der Franzosen, die wohl einen baldigen Vertragsabschluß erwartet hatten, wie Bagno wiederholt zu erkennen gab. Richelieus engster außenpolitischer Mitarbeiter, der Kapuzinerpater Joseph von Paris, sprach von Maximilians „humeur difficile et scrupuleuse";20 die Verärgerung Richelieus selbst wird noch
14 In einem eigenhändigen, undatierten, in die zweite Jahreshälfte 1632 gehörenden Zettel wies Maximilian Jocher an, als Gründe für die Allianz, die man auch den Kaiserlichen und Spaniern mitteilen könne, u.a. die beim Kurfürstentag verbreitete spanische Denkschrift gegen die Betrauung Maximilians mit der Nachfolge Wallensteins zu nennen (hierzu vgl. Albrecht, Auswärtige Politik 272 Anm. 37). „Item, daß auch hoc statu Imperii, da jederman wider die Catholischen, und Khayser und Spania ir aigne defensión fur sich selbs schwerlich erraichen, die Catholische ir Sicherheit in acht zu nemmen. Item, daß man dardurch Frankhreich von den Protestirenden und den Leipzigischen concluso abzuziehen das absehen gehabt" (Akten 304, fol. 86). is BA NF 11,5, 1 1 7 ff. 16 BA NF 11,5 Nr. 83 I. 17 Vgl. dessen zweites Begleitschreiben, 26.12.1629 (ebenda Nr. 83 III), in dem er Maximilian zu beruhigen suchte: Es sei notwendig, „che Rex sit fatigatus, che una leve molestia non basta. In oltre che sit vexatus, et non sit ipse qui vexet. Di più bisogna, che sit iniuste". Doch glaube er nicht, daß Frankreich in der Lage sei, eine solche Diversion vorzunehmen. '8 V o m 29.1.1630: EbendaNt. 103. 19 Französische Vorschläge vom 27.3.1630: Ebenda Nr. 135. 2 0 P.Joseph an Bagno, 9.3.1630: EbendaNt. 135 III.
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aus seinen Memoiren ersichtlich.21 Maximilian aber spielte 2unächst auf Zeit, um den Kurfürstentag abzuwarten, der von Ferdinand II. zum 3. Juni 1630 nach Regensburg ausgeschrieben war und von dessen Verhandlungen man sich in München eine Lösung der Wallensteinfrage und die Beendigung des Mantuanischen Krieges erhoffte. Auch wenn Bagno ungestüm auf Resolution drängte, wollte sich Maximilian erst aufgrund der Regensburger Entscheidungen schlüssig werden, inwieweit er überhaupt noch und in welchem Umfang er weiterhin auf eine nähere Verbindung mit Frankreich angewiesen war. Diese Verzögerungstaktik wurde jedoch von Richelieu durchkreuzt, nachdem der Kurfürstentag am 3. Juli 1630 eröffnet worden war und Ende Juli als Begleiter des offiziellen französischen Gesandten Brûlart de Léon auch Pater Joseph in Regensburg erschien. Zur Überraschung Maximilians und Jochers, denen von Bagno versichert worden war, daß nur der König, Richelieu und Bagno von den Verhandlungen wüßten, zeigte sich auch der Kapuziner voll informiert.22 Maximilian befürchtete zu Recht, daß der Pater, um die Verhandlungen zum Abschluß zu bringen, Vorschläge machen werde, die man ohne weitere Offension Frankreichs kaum zurückweisen konnte.23 Andererseits wußte er, daß Verhandlungen und ein Abschluß noch in Regensburg mit Gefahren verbunden waren. Wurde der Vorgang bekannt, waren schwere Differenzen mit dem Kaiser zu befürchten, auch mußte ein vorzeitiger Vertragsabschluß die Position des Kaisers bei Mantuanischen Friedensverhandlungen schwächen, „dan vermutlich Gallus, wan Chur Bairn von Osterreich alienirt, desto weniger billiche oder wol keine conditiones mehr wirdt acceptirn". Die Bedenken Maximilians ließen erneut die Grundsatzfrage nach der Opportunität eines Bündnisses mit Frankreich stellen, nachdem die jüngsten französischen Vorschläge ganz unbefriedigend geblieben waren. „Also wan Gallus sieht, daß er sein scopum nit allerdings erlangt, möcht er in casu necessitatis ihr cfl. Dt. nit assistirn, wie es abgeredt und versprochen." Maximilian und seine Räte einigten sich schließlich auf die Marschroute, einen die Franzosen nicht düpierenden Aufschub anzustreben und, falls Verhandlungen noch beim Kollegialtag doch unvermeidlich würden, nachdrücklicher als Richelieu, Mémoires VI, 548: „Mais quand le Roy avait agrée toutes les conditions, que le Duc désiroit, il en changeoit quelques unes ou il en ajoutoit d'autres, et demeura tousjours en une telle incertitude, qu'on eut peine à conclure chose avec lui." 22 Zu den bayer.-französischen Bündnisverhandlungen in Regensburg vgl. BA NF 11,5 Nr. 170 III mit Hinweisen auf weitere Literatur, insbes. Gustave Fagnie^ La mission du Père Joseph à Radsbonne, in: Revue historique 27 (1885), 38-67, 241-299 und 28 (1885), 33-57, 88. 23 So auch Richelieu an P. Joseph, 4.9.1630 (BA NF 11,5, 723): „Je vous redis encore qu'il est nécessaire de terminer le traitté secret avec Bavière. Il ne peut reculer à le passer, sans tesmoigner mauvaise volonté...". 21
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bisher auf eine Umgestaltung des Vertragsinhalts nach bayerischen Vorstellungen zu drängen. Tatsächlich gelang es Maximilian, eigentliche Vertragsverhandlungen mit P. Joseph bis Mitte Oktober hinauszuschieben, als nach dreieinhalb Monaten die wesentlichen Entscheidungen des Kollegialtages bereits gefallen waren. Wallenstein war Mitte August endassen worden, der Mantuanische Friedensvertrag am 12. Oktober mit Unterstützung Maximilians zustandegekommen.24 In der Korrespondenz Richelieus mit Pater Joseph wird die Ungeduld des Kardinals über diese Verzögerung erkennbar, da er den Traktat mit Bayern in einen größeren Zusammenhang stellte: „Souvenez-vous donc de conclure le traitté secret d'union entre la France et luy [Maximilian], car, en vérité, c'est le fondement du relaschement que nous faisons en beaucoup d'autres choses." Und am 9. Oktober: „Asseurez Bavières et les électeurs catholiques de l'affection de la France, qui jamais ne manquera. Concluez, si vous pouvez, le traitté secret entre le roy et Bavières. Prévenez dès cette heure envers luy les artifices dont, après que vous serez parti, les ennemis pourront user pour luy donner des dégousts de la France..."25 Als P.Joseph aufgrund dieser Weisung einen erneuten Vorstoß unternahm, kam ihm Maximilian nunmehr aus zwei Gründen entgegen. Einmal, weil sich inzwischen trotz der Absetzung Wallensteins und des Mantuanischen Friedensschlusses durch die Landung eines schwedischen Heeres unter Gustav Adolf auf deutschem Boden am 6. Juli 1630 eine ganz neue und gefährliche Situation für die katholische Partei ergeben hatte; „Gallus sopire debet Suecum" notierte Richel unter dem 19. Oktober. Zum andern, weil P. Joseph offensichtlich, um überhaupt zu einem Vertrag zu gelangen, zu erheblichen Zugeständnissen bereit war. Aus entsprechenden Verhandlungen mit dem Kapuziner seit dem 30. Oktober, wenige Tage vor dem Ende des Kollegialtags, resultierte bereits am 3. November ein neuer Vertragsentwurf.26 Der neue Text, der gegen einen gewandten Kontrahenten ausgehandelt worden war, muß als bedeutender Erfolg Maximilians gewertet werden. Die wichtigsten Neuerungen gegenüber den ganz unbefriedigenden französischen Vorschlägen vom März 1630 waren, daß sich der französische Schutz nunmehr auf die „provincias haereditarias et acquisitas", also auch auf die pfalzischen Erwerbungen Maximilians erstrecken sollte, daß der französische König die erbliche Kurwürde anerkennen und verteidigen wollte, und nicht zuletzt, daß Maximilians VerVgl. unten Kapitel 27. 25 BA NF 11,5, 723 und 724 Anm. 1. 26 Von der Hand Peringers, der anstelle des erkrankten Jocher die Verhandlungen gefuhrt hatte: Ebenda Nr. 170 VII D. 24
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pflichtungen gegenüber Kaiser und Reich ausdrücklich vorbehalten blieben. Gegenüber Bagno - und das heißt zur Unterrichtung Ludwigs XIII. und Richelieus - erläuterte Jocher einzelne Punkte des neuen Vertragsentwurfs, insbesondere die Notwendigkeit, einen Vorbehalt bezüglich Kaiser und Reich zu inserieren; da ein entsprechender Artikel im letzten französischen Entwurf gefehlt habe, sei es Maximilian unmöglich gewesen, bereits im Sommer zum Abschluß zu kommen.27 Jocher erläuterte weiterhin, daß die französische Formulierung „provincias possessas" (statt „provincias haereditarias et acquisitas") für Maximilian nicht akzeptabel gewesen sei, weil man darunter auch die von Frankreich besetzten Bistümer Metz, Toul und Verdun verstehen konnte; es sei Maximilian aber nicht zuzumuten, diese Gebiete im Eventualfall an der Seite Frankreichs gegen Kaiser und Reich zu verteidigen. Im übrigen aber — so heißt es überraschenderweise — habe Maximilian bereits in Regensburg dem Pater Joseph versprochen und bestätige nun erneut, wenn auch nur mündlich: In einem spanisch-französischen Konflikt den Spaniern keinerlei Hilfe zu gewähren; möglichst viele Ligastände zum Vertragsbeitritt zu bewegen; keine Feindseligkeiten des Ligaheeres gegen Frankreich zuzulassen; Neutralität der Liga mit den Holländern zu halten; alles zu tun, um Feindseligkeiten des Kaisers und des Kurkollegs gegen Frankreich wegen der genannten drei Bistümer zu verhindern; schließlich alles zu tun, damit das kaiserliche Heer gegenüber Frankreich Zurückhaltung übe. Waren diese Versprechungen der Preis für die Zugeständnisse im Vertragsentwurf vom 3. November? Jedenfalls mußte Richelieu aufgrund des Regensburger Vertragsentwurfes bewußt werden, daß sich Maximilian auf keinen Fall gegen den Kaiser benützen lassen wollte. Welchen Wert hatte aber dann der Vertrag für den Kardinal? Doch jedenfalls so viel, daß er am schließlichen Abschluß der Verhandlungen interessiert blieb. Da er wenige Monate später im Subsidienvertrag von Bärwalde vom Februar 1631 Gustav Adolf als Verbündeten gegen den Kaiser gewann, konnte er wohl leichter über unbefriedigende Punkte des Vertrags mit Maximilian hinwegsehen. Dieser aber mußte angesichts des schwedischen Vormarsches in Norddeutschland und der Rüstungen protestantischer Reichsstände seit dem Leipziger Konvent vom Februar 1631 umsomehr auf die Verbindung mit Frankreich drängen. So unterzeichneten Maximilian und Jocher am 8. Mai 1631 in München das bayerische Exemplar des Vertragsinstruments. Kurz zuvor hatte Richelieu noch versucht, durch einen Zusatz zu dem Vorbehaltsartikel (Art. 7) die französischen Interessen noch 27
Jocher an Bagno, undatiert, wohl November 1630: Bavierè I, fol. 215 ff.
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besser zu verankern, war aber von Maximilian zurückgewiesen worden.28 Am 21. Mai traf Hofrat Kütner mit dem von Maximilian unterzeichneten Exemplar in Paris ein, am 31. Mai 1631 unterzeichneten König Ludwig XIII. und Staatssekretär Bouthillier das für Maximilian bestimmte Vertragsexemplar in Fontainebleau.29 Dabei fühlte sich Richelieu bemüßigt, seine beiden Verträge mit Gustav Adolf und mit Maximilian rechtfertigend zu vergleichen: Der Vertrag mit dem König von Schweden sei gezwungenermaßen, wegen der Vorgänge in Italien, geschlossen worden, derjenige mit Maximilian dagegen aus freier Wahl.30 Dem definitiven Vertragstext war der für Bayern günstige Entwurf vom 3. November 1630 zugrundegelegt, wenn auch mit einigen Änderungen. Es handelte sich um einen Nichtangriffs- und Beistandspakt auf acht Jahre, durch den gegenseitige Hilfe mit Truppen (Frankreich 11 000 Mann, Bayern 4 000 Mann) oder entsprechende Geldzahlung zur Verteidigung der ererbten und erworbenen Territorien beider Vertragspartner sowie der bayerischen Kur gegen jeden Angreifer versprochen wurde. Der lange umstrittene Artikel 7 enthielt zwar nicht mehr den Zusatz „nisi contra Imperatorem et Imperii ordines" (der von französischer Seite in letzter Minute doch nicht akzeptiert worden war), jedoch wurde ausdrücklich festgestellt: „Reservat ideo tarnen ac excipit hie Elector Iuramentum suum Imperatori et Imperio praestitum". Wenn die Franzosen letztere Formel als für sie akzeptabler ansahen, so konnte Maximilian doch der Überzeugung sein, hierdurch seine lehensund reichsrechtlichen Verpflichtungen gewahrt zu haben. Insgesamt ging er davon aus, bei einem schwedischen Angriff auf Bayern der Unterstützung Frankreichs gemäß dem Vertrag sicher zu sein. Allerdings hatte sich ein bayerisches Gutachten in Bezug auf französische Vertragstreue bereits skeptisch geäußert, „weil man wais, das Gallus eben so wenig als Hispanus in acht nimbt, was man verspricht, allein so vil und so weit es ihnen dienlich, und die nithaltung mit dem posse und circumstantien entschuldigen".31 Aber auch bayerischerseits war die Vertragstreue so unbedingt nicht gesichert, denn, so heißt es in dem Gutachten weiter, angesichts der erwähnten französischen Praxis „möchte man künftig ebenmäßig ex parte Churbairn entschuldigen,
Ersichtlich aus Bagno an Jocher (?), undatiert, von Anfang Mai 1631: Bavierè I, fol. 200 f. Ausfertigung in Kasten rot 16/b 3; Druck: Albrecht, Auswärtige Politik 378 f.; Dokumente 1,3 Nr. 286. 30 „Che la lega con Rè di Suecia era fatta per necessità, per rispetto delle cose d'Italia; ma questa con S.A. per elettione" (Kütner an Maximilian, 31.5.1631: Akten 143 a/II unfol.). 31 Bayer. Gutachten für die Verhandlungen mit P. Joseph, ca. Ende August 1630: BA NF II 5 Nr. 170 VII B. 28 29
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wan ihr cfl. Dt. aus mangi der miti, obstantibus legibus et constitutionibus Imperii et authoritate caesarea prohibente nit praestirn soll und kunt". Der Bündnisfall mußte erweisen, wie viel das Bündnis eigentlich wert war. Unversehens erhielt es aber bereits jetzt, im Sommer 1631, politisches Gewicht und wurde es zu einer schweren Belastung in den Beziehungen Maximilians zu Ferdinand II. und zum Kaiserhof. Den Spaniern war es gelungen, im Frühjahr 1631 Kopien der wichtigsten Stücke der Korrespondenz zwischen Bagno und Jocher sowie der Vertragsentwürfe bis einschließlich März 1630 in ihren Besitz zu bringen.32 Der Vorfall war für Maximilian überaus kompromittierend und peinlich, wenngleich nicht aus reichsrechtlichen Gründen. Auch wenn Bündnisse mit auswärtigen Mächten ohne Wissen und Willen des Reichstags der Exekutionsordnung (§ 7) des Reichslandfriedens von 1495 widersprachen, so war das Bündnisrecht der Reichsstände doch grundsätzlich anerkannt und seither auch vielfach praktiziert worden.33 Durch dieses Gewohnheitsrecht und durch den Vertragsvorbehalt bezüglich Kaiser und Reich war Maximilian gedeckt; er habe sich, argumentierte er entsprechend gegenüber dem Kaiserhof, „auf ain in allen rechten befündige zuegelassene limitierte reciproca defensión eingelassen."34 Jedoch widersprachen seine geheimen Bündnisverhandlungen prinzipiell und wegen ihres Inhalts dem Münchner Vertrag von 1619 — wenn nicht dessen Buchstaben, so doch dessen Geist. Darüber hinaus hatte der letzte (französische) Vertragsentwurf, der den Spaniern zugänglich geworden war, derjenige vom März 1630, den Vorbehalt bezüglich Kaiser und Reich nicht enthalten. So war es nicht überraschend, daß Ferdinand II. sich durch Maximilian schmählich hintergangen fühlte. Der gute Kaiser sei niedergeschmettert („sta travagliatissimo"), berichtete der Wiener Nuntius, und wisse nicht, wem er noch trauen könne. Die spanische Partei am Kaiserhof unter Führung des gewandten Kapuziners Diego de Quiroga, des Beichtvaters der Königin von Ungarn, suche die Gelegenheit zu einem völligen Kurswechsel zu benützen und den Kaiser zu näherer Verständigung mit Kurfürst Johann Georg von Sachsen zu bewegen, der als Gegengewicht gegen den unzuverlässigen Bayern dienen könne.35 Die Abschriften dieser Kopien finden sich sowohl in Rom (Barb. lat. 5351, fol. 36-71) als in Paris (Bavière I, fol. 50-103'). Vgl. auch P.Joseph an Jocher, 29.3.1631: Akten 143 a/II, unfol. und Maximilian an Kurköln, 7.4.1631: Kschw. 960, fol. 142 f. 33 Ernst-Wolfgang Böckenfirde, Der Westfälische Frieden und das Bündnisrecht der Reichsstände, in: Der Staat 8 (1969), 449-478, hier 458 f. und 463 ff.; Dirk Götscbmann, Das Jus Armorum Ausformung und politische Bedeutung der reichsständischen Militärhoheit bis zu ihrer definitiven Anerkennung im Westfälischen Frieden, in: BlldLG 129 (1993), 257-276, hier 271 ff. 34 Maximilian an Eggenberg, 3.10.1631: Kschw. 73, fol. 225 f. 35 Rocci an Staatssekretariat, 1.11.1631: Barb. lat. 6969, fol. 147 ff. 32
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große Verlegenheit Maximilians wird aus der Tatsache ersichtlich, daß er dem zur Aufklärung nach München entsandten Grafen Trauttmansdorff aufs erste noch keine offizielle Antwort zu geben vermochte.36 Schließlich folgte er einer anderen Strategie,37 indem er die Hauptschuld seiner Annäherung an Frankreich auf Spanien schob, das die Kurübertragung und deren Verteidigung immer abgelehnt und sich bis zur Gegenwart als Gegner Bayerns erwiesen habe. Auch Ferdinand selbst habe erklärt, wegen großer Belastungen nicht auch noch den Schutz der bayerischen Kur übernehmen zu können. Was Wunder, daß man sich an Frankreich gewandt habe, welchen Schritt auch der Papst vollkommen gebilligt habe. Zuletzt wurde die Aushandlung konkreter Bündnisartikel eingeräumt, weil dies Gelegenheit gab, dem Kaiser den Vertragsartikel 7 mit der Vorbehaltsklausel bekanntzugeben, der nach Ansicht Maximilians die stärkste Waffe bildete, um den Argwohn des Kaiserhofes zu beschwichtigen. Man wird rückblickend wohl urteilen können, daß den Verpflichtungen Maximilians gegenüber Kaiser und Reich mit dieser Klausel Genüge getan worden war, falls sie weit genug verstanden wurde — und eben dieses Verständnis wird durch die bayerischen Texte zu den Bündnisverhandlungen dokumentiert. So beschränkte sich der Kaiser in der Folge darauf, die gegen Spanien erhobenen Anschuldigungen zurückzuweisen. Was ihn, Ferdinand, selbst betreffe, so habe er die bayerisch-französischen Beziehungen nur in der Hoffnung gebilligt, daß Maximilian umso leichter zwischen Habsburg und Frankreich den italienischen Frieden vermitteln könne. Jedoch vertraue er letztendlich auf die Aufrichtigkeit und Klugheit seines Vetters und Schwagers. Ferdinand ließ sich bei dieser Antwort leiten von der Zurückhaltung, die der kaiserlichen Majestät angemessen und der nahen Verwandtschaft geschuldet war, aber auch von der Rücksicht auf seinen wichtigsten Bundesgenossen im Reich, dessen er mehr denn je bedurfte — am 11. September hatte sich Johann Georg von Sachsen den Schweden angeschlossen, am 17. September war Tilly mit dem kaiserlichen und Ligaheer bei Breitenfeld von den Schweden geschlagen worden. Tatsächlich aber war er tiefbetroffen, noch im April 1632, beim Einbruch Gustav Adolfs in Süddeutschland, bezeichnete er in heftiger Aufwallung die bayerisch-französische Allianz als die Wurzel aller Zum Folgenden vgl. die Instruktion für Kiitner nach Wien, 25.7.1631: Kschw. 73, fol. 88 ff.; Kütners Proposition bei Hallwich, Briefe und Akten I, 456 ff.; Maximilian an Eggenberg, 21.8.1631: Kschw. 131, fol. 35. Nach Brüssel wurde einige Monate später F. W. von Wartenberg entsandt, „per levar alli Spagnuoü ogn' ombra presa del Duca di Baviera"; Carafa an Barberini, 27.2.1632: Wijnhoven, Carafa Nr. 2445. 37 Sendung Kütners an den Kaiserhof: Kschw. 73,fol. 78 f. 36
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gegenwärtigen Unruhen im Reich — „l'origine di tutte le correnti rivolutioni di Germania".38 Dies traf gewiß nicht zu, diesen Stellenwert hatten weder der Vertrag noch die bayerisch-französischen Beziehungen, und der Vorwurf entsprach auch nicht den Zielsetzungen, die Maximilian mit dem Vertrag verfolgt hatte. Jedoch ist deutlich, wie sehr die Beziehungen zwischen München und Wien und die Ubereinstimmung im katholischen Lager in dem dramatischen Sommer des Jahres 1631 nicht geringen Belastungen ausgesetzt waren. Sie waren es umsomehr, als bereits ein Jahr zuvor, beim Kurfürstentag von Regensburg, die Kurfürsten unter Zurückstellung ihrer konfessionellen Differenzen dem Kaiser in einer Reihe zentraler Fragen schwere Niederlagen bereitet hatten.
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Gegenüber Rocci, wie dieser nach Rom berichtete: Barb. lat. 6970, fol. 122.
27. Der Regensburger Kurfürstentag 1630 Den Höhepunkt seines öffentlichen Ansehens und seines politischen Einflusses erreichte der nunmehr siebenundfünfzigjährige Maximilian beim Regensburger Kurfürstentag vom 3. Juli bis 12. November 1630. „Je n'eusse jamais pense", berichtete der pfalzische Gesandte Rusdorf aus Regensburg, „que ce prince fust tellement estimé, respecté, honoré, et mixto odio et timore reveré. Il n'y a nul qui presse plus l'observation des constitutions de l'Empire, la prérogative et prééminence et pouvoir des électeurs et estats de l'Empire"; der florentinische Gesandte Sacchetti rühmte nach einer Audienz bei Maximilian in Regensburg „le qualità eminentissime di questo gran principe [...], la composizione del suo gesto, del suo discorso, grave, prudente, affabile e pieno di tratto amorevole".1 Aus der Tatsache, daß Maximilian an der Spitze der kurfürstlichen Opposition gegen die kaiserliche Politik in Regensburg gestanden hat, wodurch weitreichende Zielsetzungen des Kaisers und der spanischen Habsburger vereitelt worden sind, erhellt die Bedeutung, die seiner Politik für die europäischen Entwicklungen in diesem Augenblick und angesichts der langfristigen Auswirkungen des Regensburger Tages auch für die folgenden Jahre beizumessen ist. Wenn der Kollegialtag nach dem Wort Moriz Ritters zu einem Gericht über die bisherige innere und äußere Politik des Kaisers werden mußte, so war es in weitem Umfang der Herzog von Bayern, der aus persönlichem Interesse und aus der Sorge um Gestalt und Politik des Reiches die Rolle des Richters übernahm.2 Sowohl der Kaiser wie die Kurfürsten hatten die Einberufung eines Kurfürstentages unter persönlicher Teilnahme des Kaisers gewünscht und betrieben, die Kurfürsten vor allem zur Erörterung und Abstellung der „Kriegspressuren" der kaiserlichen Armee, Ferdinand II. vor allem unter dem Gesichtspunkt, die Hilfe des Reiches zur Unterstützung der habsburgischen 1 Rusdorf an den pfälzischen Hof im Haag, ca. November 1630: BA NF 11,5, 711; Sacchetti an den Großherzog, 1.7.1630: Ebenda 702. Vgl. auch den Bericht des hessen-darmstädtischen Vizekanzlers A. Wolff, 14./24.7.1630, ebenda Nr. 170 VI A: „Der maintzische canzler sagt mir, Churbayern sei ein überaus fleißiger herr, man müsse sich über ihrer churfl. Durchleuchtigkeit stetiges anmahnen, treiben und erinnern hoch verwundern." 2 Quellen und Literatur zum Kollegialtag verzeichnet BA NF 11,5, 417 f. Ebenda Nr. 170 (S. 414-731) die Akten des Kollegialtags.
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Politik zu gewinnen. .Allerdings erschienen nur die vier katholischen Kurfürsten persönlich in Regensburg, Kursachsen und Kurbrandenburg waren wegen des Restitutionsedikts und der Wallensteinschen Kriegspressuren nur durch Gesandte vertreten. Maximilian selbst war zusammen mit Ferdinand von Köln, mit dem er in Neustadt Vorgespräche geführt hatte, am 25. Juni auf der Donau nach Regensburg gekommen, erst zwei Wochen nach dem Kaiser, mit einem Gefolge von fünfzig Edelleuten, reichgekleideten Pagen, den Leibwachen zu Pferd und zu Fuß und einer großen Zahl sonstiger Bediensteten. Er wurde von der ersten Garnitur der bayerischen Geheim- und Hofräte (außer dem kranken Jocher) begleitet, dem Fürsten Zollern, Richel als wichtigstem Sprecher, Wolkenstein, Peringer, Preysing, Toerring, Kurz von Senftenau und Kütner. Die Ziele, die der Kaiser im einzelnen mit dem Kollegialtag verband, kamen zum Ausdruck in der kaiserlichen Proposition vom 3. Juli,3 die an das Kurkolleg eine Reihe von Fragen richtete: Wie ein Universalfrieden zu erreichen sei und — sofern dies nicht möglich sei — wie „eine rechtschaffene coniunction und veranlessige einigung gegen alle eußerund innerliche fridensstörer zu machen"; ob dem Pfalzer die Gnadenpforte endgültig zu verschließen sei; wie das weitere Vordringen der Holländer und der Schweden auf Reichsboden zu verhindern sei; wie die kaiserlichen Gerechtsame im Mantuanischen Streit durchgesetzt werden könnten; schließlich die Frage, wie eine bessere Ordnung im Kriegswesen herzustellen sei? Es war offensichtlich und schon aus der Reihenfolge der Fragen abzunehmen, daß der Kaiser in erster Linie die Unterstützung der Kurfürsten und des Reiches gegen seine auswärtigen Gegner suchte und der Frage der wallensteinschen Kriegspressuren nur eine nachrangige Rolle einzuräumen bereit war. Maximilian, Anselm Casimir von Mainz und Johann Georg von Sachsen hatten den Entwurf der Proposition schon im April 1630 zur Begutachtung erhalten; Maximilian hatte manches auszusetzen gehabt, ohne aber seine Kritik dem Kaiser mitzuteilen, um sich nicht dessen Unwillen zuzuziehen.4 Gegenüber Kurmainz war er allerdings deutlicher geworden und hatte durch Entsendung Richels vor allem zwei Probleme zu erwägen gegeben, die Frage der Römischen Königswahl, die in der Proposition zwar nicht angesprochen, aber dem Kaiser „am mehrsten angelegen" sei, und die Wallensteinfrage.5 Nur durch engste vertrauliche Zusammenarbeit der Kurfürsten beim Kollegialtag, ohne alle Alleingänge, sei die Wahl des Kaisersohnes Ferdinand zum Römischen König zu verhindern; diese dürfe erst erfolgen, wenn Frieden im 3 Gedruckt u.a. bei Umdoip, Acta publica IV, 45-52; vgl. auch BA N F 11,5, 438 f. * BA N F 11,5 Nr. 146 III und 147. 5 Gesandtschaft Richels zu Kurmainz, 18. April ff.: Ebenda Nr. 146.
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Reich sei, weil sich die Kurfürsten sonst selbst der Trümpfe begäben, die sie dem Kaiserhof gegenüber in der Hand hätten. So war auch beim Mergentheimer Ligatag vom Dezember 1629 von den kurfürstlichen Gesandten einhellig beschlossen worden. Was aber Wallenstein betreffe, so sei „den sachen ohne total amotion nit zu helfen, dann man halt kein parola".6 Diesen Einschätzungen und Vorschlägen Maximilians hatte Anselm Casimir von Mainz durchaus zugestimmt.7 Das alleinige Recht der Kurfürsten, einen Römischen König zu wählen, sei ihr Trumpf, um andere Ziele durchzusetzen. „Dan geben die Churfürsten disen vortel aus der hand, sei all ihr respect bei dem Kaiser und seinen ministri verloren." Und zu Wallenstein: „Ihro cfl. Gn. seind noch der meinung, man müeß ihne amoviren. Werd schwer hergehen [...]. Kein besseres und anderes mid, den Fridland zu heben, als daß die Churfürsten zusamen halten," wobei allerdings der Zusammenhalt des Kurkollegs durch die konfessionspolitischen Beschwerden der protestantischen Kurfürsten gefährdet war. Entsprechend den Auffassungen Maximilians und Kurmainz', die von Kurfürst Ferdinand von Köln und dem als besonders erfahren und durchsetzungsstark eingeschätzten Kurfürsten Philipp Sötern von Trier8 durchgehend geteilt wurden, beschlossen die katholischen Kurfürsten in ihrer zweiten Sitzung beim Kollegialtag am 10. Juli, die kaiserliche Proposition nicht in der Reihenfolge ihrer Punkte zu beraten, sondern mit den Unordnungen im Kriegswesen zu beginnen, die Kriegspressuren und der dafür verantwortliche Wallenstein seien das wichtigste Thema.9 Und so überschüttete denn auch die erste Antwort des Kurkollegs auf die kaiserliche Proposition10 den Kaiser mit einem Schwall von Klagen über den Generalissimus und dessen Heer, die übermäßigen Werbungen und Kontributionsforderungen, excessiven Durchzüge und Mißhandlungen von Untertanen, über Präjudizierung von Reichsfürsten durch wallensteinsche Offiziere. Unter den vorgeschlagenen Reformen rangierte auch die Ersetzung des bisherigen Kontributionssystems durch Bewilligungen der Kreistage oder anderer Versammlungen. Das wichtigste Abhilfsmittel aber sei der Wechsel im Kriegs dir ektorium, d.h. die Bestellung eines Capos der kaiserlichen Armee, der im Reich angesessen und als ReichsEbenda 371 Anm. 2. Erklärung Kurmainz' auf Richels geheimes Anbringen, Anfang Mai 1630: Ebenda Nr. 146 V. 8 Vgl. das Urteil Sacchetds vom 8.7.1630: Ebenda 702; Weber, Frankreich 15 ff. 9 Ebenda 441 ff.; vgl. auch die Konferenz bayer. Räte, 4.7.1630: Ebenda 439. Eigenartigerweise stimmten die Gesandten Kursachsens und Kurbrandenburgs trotz aller bisherigen Klagen über das kaiserliche Heer dafür, doch mit Punkt 1 zu beginnen. 10 Das Kurkolleg an den Kaiser, 16.7.1630: Londorf, Acta publica IV, 52 ff.; vgl. BA NF 11,5, 454 Anm. 1. 6 7
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stand von den anderen Reichsständen anerkannt sei, der gemäß den Reichskonstitutionen und in den -wichtigsten Sachen mit Rat der Kurfürsten handle „und nit eben alles absolute nach eigenem willen und gefallen 2u disponieren und zu dominieren hab, weil solches im Reich nit herkomen noch zulässig". Diesen eindeutigen Forderungen glaubte der Kaiser zunächst zu entkommen, indem er das Problem auf eine andere Ebene verlagerte und nur Einzelklagen über den einen und anderen Mißstand akzeptieren wollte. „Da wider jetzigen Ihrer Majestät Feldhauptmann etwas in specie geclagt werden sollte, wollen Ihre Kaiserliche Majestät solches willig anhören und sich darüber der Gebür nach resolvieren."11 In diese Sackgasse wollten die Kurfürsten aber die Verhandlungen nicht geraten lassen, sie beschlossen, statt weiteren Schriftwechsels persönlichen Druck auf Ferdinand auszuüben. Am 30. Juli fuhren Maximilian und die rheinischen Kurfürsten beim Kaiser vor und wiederholten die bisherigen Beschwerden, die nicht Einzelheiten, sondern den bisherigen Capo als solchen und dessen grundsätzliche Methoden beträfen; ein von ihnen überreichtes Schriftstück strotzte von Anklagen gegen Wallenstein;12 alle weiteren Verhandlungen sollten mündlich geführt werden. Wenn Ferdinand II. hierauf antwortete, „man solle ihm nur Zeit den Sachen nachzudenken gönnen, er wolle am Werk remedieren auf Glauben eines Cavaliers", dann verbarg sich dahinter die Einsicht, daß jede Entscheidung negative Folgen haben mußte: Hielt er an Wallenstein fest, war eine weitere Zusammenarbeit mit den Ligafürsten kaum denkbar. Kam er aber deren Forderung nach, geriet er wieder in eine Abhängigkeit von der Liga und nicht zuletzt vom Herzog von Bayern, aus der ihn Wallenstein gerade befreit hatte. Zugleich mußte dadurch die gesamte auswärtige Politik des Kaisers, wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hatte, und seine Stellung innerhalb des europäischen Staatensystems berührt werden. Allerdings hatten die Kurfürsten ihre Unterstützung des Kaisers gegen Schweden nicht mit der Entlassung Wallensteins konditioniert,13 sondern sich bereits am 19. Juli bereiterklärt, dem Kaiser „schuldige hilf und beistand zu leisten".14 Jedoch mußte eine Belassung Wallensteins die Kurfürsten zu einer Uberprüfung ihrer Zusage bewegen.15 Auch schien es nicht unmöglich, daß sich alt- und " Der Kaiser an das Kurkolleg, 20.7.1630: Londorf, Acta publica IV, 59 ff.; vgl. BA NF 11,5, 462 Anm. 1. 12 Duplik des Kurkollegs für den Kaiser zu Punkt 6 der Proposition, 29.7.1630: Londorf), Acta publica IV, 61 ff.; vgl. auch BA NF 11,5, 469 Anm. 2. » So Riemer, Geschichte V, 369 f. 14 Replik vom 19.7.1630: Londorf, Acta publica IV, 55 ff.; BA NF 11,5, 459 Anm. 1 15 Wenngleich keinesfalls anzunehmen ist, daß „eine Absetzung des Kaisers nicht mehr außer aller Möglichkeit gestanden hatte" (so Stadler, Pappenheim 423).
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neugläubige Reichsfürsten über die konfessionellen Trennungslinien hinweg zur Verteidigung ihrer Libertät zu einer Mittelpartei von großer Stärke vereinigten. In den bisherigen Bündnisverhandlungen mit Maximilian hatte Richelieu wiederholt zu einer solchen Bildung aufgefordert, die, wie er ausgemalt hatte, auch einer bayerischen Kaiserkandidatur zugutekomme. Den kaiserlichen Räten war die Brisanz der Situation nicht verborgen.16 Sie sahen das Problem unter zwei Gesichtspunkten. Erstens: Amoviere man Wallenstein, werde er sich wohl mit dem von ihm abhängigen Heer zu rächen suchen — man anerkannte also, daß die Armee in Wirklichkeit nicht eine solche des Kaisers, sondern Wallensteins sei, auf dessen Treue man sich nicht verlassen könne. Die Geheimräte befürchteten aber auch, zweitens, daß die Kurfürsten zu allem entschlossen seien und daß, wenn der Kaiser an Wallenstein festhalte, „eine hochgefährlichste Coniunction, auch der Catholischen mit den Uncatholischen, quae summum esset malorum, und deren man sich auch nicht erst jetzo, sondern schon ein gute Zeit hero hat vernemmen lassen, unvermeidlich erfolgen" werde. Die Geheimräte griffen weit in die Geschichte zurück: „Was nun der consensus totius Corporis Romani Imperii gegen dessen häupter für effect getan und wie leidige fines hieraus entstanden, solches bezeugen vornemblich die Historiae Ludovici Pii, Caroli Crassi, Henrici Quarti, Venceslai, Alberti und anderer." Halte der Kaiser an Wallenstein fest, vermuteten die Kurfürsten zweifellos, Ferdinand beabsichtige, „das Reich von seinen cräften zu bringen, und wann es allerdings matt und crafdos gemacht, demselben eine andere form und gestalt zu geben." Es ist verschiedentlich diskutiert worden, ob Kaiser Ferdinand II. tatsächlich das Ziel verfolgt hat, mithilfe Wallensteins „monarchiam zu stabiliern", wie Maximilian einmal formulierte, also im Reich das zu tun, was die Reichsfürsten in ihren Territorien zu realisieren am Werke waren, absolutistische Fürstenherrschaft unter Schwächung von Teilgewalten zu begründen. Die Frage ist bezüglich Ferdinands II. sicher zu verneinen. So gewiß er den status quo im Verhältnis von Kaiser- und Territorialgewalt aufrechtzuerhalten suchte, so sicher wollte er nicht darüber hinausschreiten. Auch die Argumentation der kaiserlichen Geheimräte war offensichtlich dahin zu verstehen, daß auch sie eine solche Politik für gefährlich und daher unrätlich hielten. Entsprechend rieten sie dem Kaiser nach langem Für und Wider, den Friedländer in Gottes Namen fallen zu lassen. Da aber Fürst Eggenberg und der Hofkammerpräsident Abt Anton von Kremsmünster, beide langjährige Begünstiger Wallensteins am
16 Vgl. das Gesamtgutachten des kaiserlichen Geh. Rates, 6.8.1630: Gindely, 281 ff. sowie BA NF 11,5, 479 Anm. 1.
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Kaiserhof, sich wohl nicht so schnell geschlagen gaben, mußte Ferdinand in der Wallensteinsfrage schließlich doch selbständig entscheiden. Es sei sehr schwer zugegangen, den Kaiser dahin zu disponieren, äußerte später der Mainzer, ohne daß wir über Einzelheiten unterrichtet wären. Am 13. August jedenfalls beschied Ferdinand die katholischen Kurfürsten zu sich und erklärte sich bereit, „bei der kayserlichen armaden sonderlich die direction zu ändern".17 Dieser Niederlage des Kaisers folgte sofort eine zweite, die freilich mit einer Niederlage Maximilians verknüpft war. Auf die Frage Ferdinands, wer Wallensteins Nachfolger werden solle und mit welchen Befugnissen, schlugen die drei geistlichen Kurfürsten den Herzog von Bayern vor.18 Welche Forderung! Was blieb dem Kaiser, wenn die beiden großen Armeen im Reich, die kaiserliche und die ligistische, unter einem Kommando standen, und zwar eines Mannes von klaren Konzeptionen und eisernem Willen, der hierdurch eine Machtstellung erhielt, wie sie bisher wohl kein Reichsfürst besessen hatte? Maximilian hatte zunächst (ernstlich?) gezögert, sich vorschlagen zu lassen, nicht zuletzt unter dem für ihn typischen Gesichtspunkt, daß ihm eine Ablehnung durch den Kaiser, die er für möglich hielt, „aller orten im und außer Reiches zu schlechter reputation, sondern vil mehr zu verschimpfung geraichen wurde".19 Er hatte sich aber dann auf erneutes Drängen der geistlichen Kurfürsten unter folgenden Bedingungen zur Übernahme des Generalats bereiterklärt: Daß man sich bezüglich seiner Kompetenzen mit dem Kaiser einige; daß der Unterhalt der Armee gesichert sei; daß er von erfahrenen Offizieren im Kommando unterstützt werde; schließlich, daß Wallenstein vollständig entmachtet werde und nicht Gelegenheit erhalte, sich zu rächen.20 Die politischen Folgen eines Generalates Maximilians wurden auf kaiserlicher Seite sehr wohl gesehen.21 Man anerkannte zwar seine Qualitäten, wie sie Kurmainz gegenüber dem Kaiser herausgestrichen hatte: Im Reich angesehen, des Kaisers naher Verwandter, der zur Erhaltung der habsburgischen Lande Gut und Blut gewagt hat, mit dem Kurfürsten von Sachsen auf vertrautem Fuße, auch kriegserfahren. „Ihr [Maximilians] person werd sovil operirn als ein exercitus." Jedoch erwogen die kaiserlichen Räte auch Reichshofratsprotokoll in BA NF 11,5, 502 (13.8.). « Mündlicher Vortrag Kurmainz' beim Kaiser, 14.8.1630: BA NF 11,5, 505 f. 19 "Moriva, warumb ire cfl. Dht. sich anfangs gegen dero herren mitcurfüirsten entschuldiget, zu der generalfeldhauptmannschaft sich vorschlagen zu lassen": Ebenda 503 Anm. 2. 20 Ebenda 505 (Votum Richels). 21 Gutachten der „Confidenten", ca. 15.8.1630: Ebenda 507 Anm. 1; Gutachten kaiserlicher Geheimräte, wohl 16.8.1630: Ebenda 510-515; „Votum consilii secreti", 17.8.1630: Gindely, Waldstein II, 296 ff.; vgl. auch Dokumente 1,3 Nr. 283. 17
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„das allgemeine axioma politicum, daß niemand also mechtig zu machen oder in einen solchen stand zu setzen, daß man sich allein auf seine discretion zu verlassen, im fall aber die begirde die ragion überwinden würde, derselben mit macht sich zu widersetzen kein mittel mehr vorhanden". Auch sei zu befürchten, daß sich Maximilian der Gelegenheit bediene, um die Sukzession im Reich dem Hause Wittelsbach zuzuwenden. Aber gleichzeitig waren die Räte zu dem Bekenntnis gezwungen, daß nunmehr „nicht mehr die frag, was, simpliciter zu reden, das beste für e. Mt. und dero hochgeehrtes haus, sonder welches consilium das minder gefährlichste und sicherlichiste: der catholischen Churfürsten rat auszuschlagen und dardurch ein schedliches mistrauen zu erwecken, auch wol einen genzlichen bruch zu verursachen, oder dergleichen ratschläg limitato modo plaz zu geben?" Die kaiserlichen Räte rieten also, das Generalat notgedrungen auf Maximilian zu übertragen. Nachdem sie aber zu diesem Ergebnis gelangt waren, fanden sie auch eine Reihe von positiven, in der Person Maximilians liegenden Gründen, die diesen Beschluß rechtfertigen konnten. Er sei ein General, der „1. der sachen gewachsen, 2. für sich selbst mechtig, 3. im fall der not etwas beizusetzen [habe], 4. eine rechte regulirte militiam in handen, 5. bei dem keine occasion versäumet, 6. kein überflüssiges, unnützes kriegsvolk, viel weniger obristen und befelchshaber verstattet, 7. under welchem kein überfluß nachgesehen, sondern alles dem gemainen wesen zum besten angewendet werde." Das war von ungewohnter Seite ein hohes Lob für Maximilian als Oberhaupt des Ligaheeres. Aber allerdings sollte Maximilian das Generalat nur „limitato modo" erhalten - und das war nun der Gegenzug der kaiserlichen Seite. Schon Fürst Eggenberg hatte geäußert, es scheine, die Kurfürsten wollten durch die Kandidatur Maximilians nicht nur die dem Kaiser entfallenen Zügel wieder aufnehmen, sondern sie auch behalten, ja sogar dem Kaiser in die Steigbügel greifen. Eben dies sollte ausgeschlossen werden, indem Maximilian die Kompetenzen Wallensteins nicht mehr erhielt, weil bekannt sei, „was einem potentaten an den waffen, in welchen vis Imperii stehet, daß er solche in henden habe, gelegen". Dabei fiel den Kaiserlichen die Argumentation nicht schwer, denn die Kurfürsten und vorzüglich Maximilian selbst hatten fortwährend die Beschneidung der Wallensteinschen Befugnisse und die Wiederherstellung des kaiserlichen supremum Imperium über die Armee gefordert. Das müsse auch für den neuen General gelten, Bedingung müsse sein, daß dem Kaiser das „summum Imperium bellicum allein verbleibe nach inhalt des h. Reichs Satzung". Wie dies im Einzelnen gedacht war, wurde den Kurfürsten wenige Tage später in fünf Forderungen
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mitgeteilt:22 Erstens gehört dem Kaiser die Anstellung und Entlassung der Obersten und anderen hohen Befehlshaber, die Austeilung der Werbepatente, Verteilung der Quartiere und Musterplätze, Abschluß von Bündnissen, Eröffnung neuer Kriege, Einbehaltung der Kriegsbeute, wie dies alles den Reichskonstitutionen entspricht. Zweitens ist das Ligaheer mit dem kaiserlichen Heer zu vereinigen und auf den Kaiser zu vereidigen. Drittens ist die neue Armee nicht mehr nach dem alten Modus, sondern durch Beiträge der Reichskreise, also der Reichsstände zu finanzieren; diesen neuen Kontributionsmodus anstelle Wallensteinscher Willkür hatte das Kurkolleg oder hatten jedenfalls die katholischen Kurfürsten bereits im Juli dem Kaiser vorgeschlagen.23 Viertens hat die neue Armee ohne Kostenerstattung auch den Schutz der kaiserlichen Lande und Erblande zu übernehmen. Schließlich und fünftens soll das Kommando in Italien bis zum Friedensschluß unverändert bei Collalto bleiben und erwartet der Kaiser die Hilfe des Kurkollegs im Mantuanischen Krieg. Die kaiserlichen Räte bauten also hohe Hürden auf, um die Kandidatur Maximilians zu konterkarieren oder zu neutralisieren. Oder glaubten sie, diesen hierdurch von vornherein zum Rückzug bewegen zu können? Mit dem alleinigen Recht des Kaisers zur Bestellung der Obersten und Befehlshaber konnte u.a. eine Säuberung der Armee von wallensteinschen Elementen und eine Infiltrierung durch Maximilian ergebene Offiziere verhindert werden. Am schwersten aber wog die geforderte Preisgabe eines selbständigen Ligaheeres und damit praktisch die Auflösung der Katholischen Liga. „Es können nit zween Kayser sein, denn so lang die Liga weret, wirdt die gelosia nit aufhören", hieß es in einer Wiener Denkschrift.24 „Soll also die Liga zergeen, sei es umb die libertät getan und die monarchia stabilirt", formulierte dagegen ein bayerisches Gutachten. Tatsächlich hätte die Preisgabe der Liga nicht nur Maximilians Machtbasis reduziert, sondern auch eine erhebliche Machterweiterung des Kaisers bedeutet, falls dieser das dann einzig bestehende große Heer zu seinen weiteren Bedingungen leiten konnte. Zu diesen gehörte nun vor allem, daß das neue Heer nicht vom Kaiser, sondern von den Reichsständen unterhalten werden, aber dennoch auch dem Schutz der kaiserlichen Lande dienen sollte, wobei die Frage war, wie weit letzterer Passus interpretiert werden würde. Sollten die Reichsstände enger als bisher in den Dienst
"Conditiones, uf welche der neu general zu bestellen", 22.8.1630: BA NF 11,5, 522 ff. Replik des Kurkollegs, 16.7.1630: Ebenda 454 Anm. 2; vgl. auch die 12. Sitzung des Kurfürstenrats, 27.7.1630: Ebenda 465 ff.; Magen, Reichskreise 439 f. 24 BA NF 11,5, 507 Anm. 3 am Schluß (15.8.1630). 22 23
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der habsburgischen Politik, auch außerhalb der Reichsgrenzen, auch zugunsten spanischer Interessen, gestellt werden? So weit freilich die Absichten der Kaiserlichen gehen mochten, so entschieden war der Widerstand der katholischen Kurfürsten gegen eine Schmälerung der Kompetenzen Maximilians und eine Auflösung der Liga. Die Positionen in der Militärfrage waren derart konträr, daß alsbald vom Schriftwechsel zu mündlichen Verhandlungen übergegangen wurde, die mit Unterbrechungen vom 23. August bis 6. November dauerten und mit einer Resolution des Kaisers vom 9. November endeten.25 Im Vordergrund standen zunächst die künftigen Befugnisse Maximilians, deren Beschneidung von den katholischen Kurfürsten strikt zurückgewiesen wurde, sowie die Frage der Verschmelzung der beiden Armeen, welche die Kurfürsten nicht weniger ablehnten. Auf eine derart rigorose Zurückweisung seiner Bedingungen war Ferdinand offenbar nicht eingestellt — das Reichshofratsprotokoll, unsere Hauptquelle für die geschilderten Vorgänge, unterbricht an dieser Stelle seine nüchterne Berichterstattung mit den Worten, daß der ganz gegen seine Gewohnheit höchst erregte Kaiser geäußert habe: Es scheine einem Zwange gleich, es werde ihm aber im Notfall an geeigneten Subjekten anstelle Maximilians nicht mangeln.26 Schließlich versuchten die Kaiserlichen ihr Ziel durch Separatverhandlungen und Vermittlung des ihnen als Reichserzkanzler noch am nächsten stehenden Kurfürsten Anselm Casimir von Mainz zu erreichen, doch ohne Erfolg. Was das Ligaheer betraf, so verwiesen die Kurfürsten nunmehr auf die Entscheidungsbefugnis der Bundesversammlung der Liga, die Anfang September in Regensburg zusammengetreten war.27 Doch war klar, daß alle diese kleineren Fürsten und Stände nicht wagten, und auch nicht wollten, vom Urteil der Kurfürsten abzugehen. Alle außer dem kaiserhörigen Deutschmeister Stadion stimmten gemäß dem Votum des Bischofs von Würzburg: „Churfürsten wissen die beschaffenheit beeder armaden und des reichs am besten; werden befinden, was das nuzlichst." Auf diesen Beschluß reagierte der Kaiser ebenso enttäuscht wie scharf mit dem nunmehrigen Hinweis, daß Privatverfassungen der Reichsstände nur gestattet seien, wenn das Reichsoberhaupt nicht in der Lage sei, den Reichsfrieden zu wahren, was aber jetzt nicht mehr, wie im Jahre 1619, der Fall sei, so daß nun-
Die Verhandlungen sind dokumentiert in BA NF 11,5, ebenso auch die separaten Beratungen der kaiserlichen, der kurfürstlichen und der bayerischen Räte. 26 BA NF 11,5, 535 (26.8.1630). 27 Regensburger Ligatag vom 4.9.-12.11.1630. Akten in BA NF 11,5 Nr. 171. Vgl. auch Hallmch, Wallenstein I, 97 ff. 25
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mehr das ius armorum wieder allein dem Kaiser gebühre.28 Die Frage war natürlich, ob das ius armorum den Reichsständen in dieser Weise je nach Situation zugeteilt und wieder genommen werden konnte. Was aber das Generalat betraf, so war angesichts der Unnachgiebigkeit des Kaisers und seiner Berater die Frage für Maximilian, ob er an seiner Kandidatur festhalten sollte. Offensichtlich befand er sich in einem deutlichen Zwiespalt. Einerseits war er überzeugt, daß vom Kaiser bestellte Obristen ganz dem Kaiserhof hörig seien, „also daß in ipso effectu nit der veldhauptmann, sonder die ienige ministri, welche am kayserischen hof die consilien dirigirn und fiehren, die veldobriste wären, und doch benebens der veldhauptmann, wanns übel ausschleg, die Verantwortung allein tragen müesse". In diese Situation wollte er sich nicht begeben, zumal er, gewiß überängstlich oder übertreibend, weitaussehende Entwicklungen damit verbunden glaubte, daß nämlich „die kayserische hierdurch absolutum dominatum im Reich, und der Churfürsten hoheit, auch deren und aller stende libertet undertrucken und schmelern, und ein andere formam et statum Imperii introducirn wollen, ungeacht, was die kenigliche capitulation und reichsconstitutiones und abschied disfalls für Ordnung und maß vorschreiben".29 Was nützte dann die Entlasssung Wallensteins, dem man bisher solche Zielsetzungen zugeschrieben hatte? Andererseits sah Maximilian bei NichtÜberlassung des Ligaheeres die Gefahr, daß der Kaiser im Vollzug seiner genannten Rechtsauffassung die Liga für reichsrechtswidrig erklärte und durch öffentliche Mandate dazu aufforderte, den Ligatruppen künftig Quartiere, Kontributionen und Durchzug zu verweigern. Sich dagegen zu wehren, hätte den Bruch mit dem Kaiser bedeutet, was angesichts der gegenwärtigen schwedischen Bedrohung mit den schlimmsten Folgen für die gemeinsame katholische Sache verbunden war. Um eine Entscheidung aufzuschieben, forderte Maximilian die rheinischen Kurfürsten auf, dem Kaiser noch einen letzten Vorschlag zur Verständigung zu unterbreiten.30 Als auch dieser Versuch ergebnislos blieb,31 entschied er sich, die Kandidatur für das Generalat zurückzuziehen.32 Der Kaiset an die kathol. Kurfürsten, 20.9.1630: BA NF 11,5, 591 ff. Votum Richels, 2.9.1630: Ebenda 551 ff. 30 Die kathol. Kurfürsten an den Kaiser, 4.9.1630: Hallmch, Wallenstein I, 90-95; vgl. BA NF 11,5, 561 Anm. 2. 31 Eine Konferenz der kaiserlichen Räte Trauttmansdorff, Kremsmünster, Stralendorf, Nostitz und Arnoldin am 13.9.1630 (BA NF 11,5, 577 ff.) schlug zwar nunmehr die Überlassung der Oberstenbestallung an Maximilian vor, doch wurde der Vorschlag dann in keine der folgenden kaiserlichen Erklärungen für die Kurfürsten aufgenommen. 32 Vgl. das Votum Richels in der Konferenz der Deputierten der kathol. Kurfürsten, 23.9.1630: Ebenda 598 f. 28 29
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Zur Begründung dieses Schrittes wurde von bayerischer Seite natürlich der fortgesetzte Widerstand der Kaiserlichen genannt, überraschenderweise aber auch die notwendige Rücksichtnahme auf die protestantischen Reichsstände, vor allem auf Kursachsen! Denn die dem vereinigten Heer notwendigen Kontributionen sollten, wie gesagt, künftig durch Bewilligungen der Reichskreise zustande kommen; da aber die protestantischen Stände, vorzüglich Kursachsen, nur Zahlungen aufgrund von Reichstagsbeschlüssen leisten wollten, werde man, so argumentierte Maximilian, gezwungen sein, zur Erzwingung der Kontributionen gegen sie mit Waffengewalt vorzugehen. „Wan die protestirende sehen, daß die catholische dem Kaiser selbst zu solchem Zwangsmittel helfen, werden sie extrema dargegen tentirn. [...] Und sonderlich da man wider Saxen exequirn und die contributiones mit gewalt eintreiben sollte wollen, wurde das churfl. collegium getrennt werden, auf dessen zusammenhaltung bisher noch alle hoffnung gestellt worden." Als weiteres Argument verwendete Maximilian den Hinweis, daß ihm bei Übernahme des Generalats auch die Exekution des Restitutionsedikts übertragen werde, wodurch die Entfremdung Kursachsens und die Spaltung zwischen den Konfessionsparteien noch weiter getrieben würden. Eben diese Trennung suchte er, wie wir sehen werden, gerade jetzt und in den folgenden Monaten durch Verhandlungen mit den protestantischen Ständen über die Exekution des Edikts zu verhindern, um eine Einheitsfront der Reichsstände beider Konfessionen gegen die Schweden herzustellen. So war die Zeit des Regensburger Kurfürstentages zugleich der Beginn eines allmählichen, zumindest taktisch begründeten Abrückens Maximilians vom Restitutionsedikt, wie noch zu zeigen ist. Der Rücktritt Maximilians wurde den Kaiserlichen nicht offiziell mitgeteilt, die katholischen Kurfürsten rückten stillschweigend von ihrer bisherigen Forderung ab. Was aber die Frage der Konjunktion der beiden Armeen betraf, die immer noch nicht definitiv geklärt war, weil die Ligisten mehr als zuvor befürchteten, bei Nichtüberiassung des Ligaheeres die kaiserlichen Vollmachten zu Kontributions- und Quartiernahmen im Reich zu verlieren,33 so ließ Maximilian am 21. Oktober den sog. dritten Modus vorschlagen, einen Mittelweg, durch den beide Armeen zwar wie bisher getrennt bleiben sollten, „iedoch daß man sich mit ihrer kay. Mt. der anzal, der quartir, assistenz und anders halber noch allhie eines gewissen vergleichen" sollte.34 Gedacht war an eine einvernehmliche Abstimmung über die Größe und die Subsistenzmittel Vgl. noch am 15. Oktober die bayer. „Bedenken pro et contra, ob die Bundsarmada mit der Kayserischen zu coniungirn oder nit" in BA NF 11,5, 636 ff. Votum Richels, 21.10.1630: Ebenda 644 f. 33
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der beiden Armeen, wie sie z. Zt. Wallensteins nicht bestanden hatte. Über diesen dritten Weg wurde seit 22. Oktober mit den kaiserlichen Spitzenbeamten Trauttmansdorff, Stralendorf, Nostitz, Questenberg und Arnoldin verhandelt. Spezielle Verhandlungen der militärischen Experten, darunter Tilly, fanden vom 24.-26. Oktober im nahegelegenen Kelheim statt.35 Es ging um Truppenzahlen, Kontributionen und Quartiere, worüber (als erster einer Reihe von Militärverträgen der folgenden Jahre) folgende Einigung erzielt wurde:36 Das kaiserliche Heer wird durch Abdankung in Italien stehender Truppen auf 40 000 Mann reduziert werden, das Ligaheer durch Abdankung von drei Regimentern (9 000 Mann) auf 20 000 Mann. Diese Reduzierungen wurden beschlossen, obwohl eine Auseinandersetzung mit dem Heer Gustav Adolfs über kurz oder lang vorauszusehen war! Zur Gewinnung des Unterhalts für beide Armeen wird der Kaiser demnächst Reichskreistage ausschreiben, auf denen von jedem Reichsstand eine Bewilligung von 96 Römermonaten pro Jahr, also von acht Römermonaten pro Monat gefordert werden soll, doch ist eine Reduktion auf 72 Römermonate jährlich denkbar. Die Gelder, von denen der Kaiser zwei Drittel, die Liga ein Drittel erhält, gehen in die Reichskasse, die Zahlungen der Ligastände in die Ligakasse werden angerechnet. Die kaiserlichen Truppen erhalten zu ihren Quartieren noch die bisherigen Ligaquartiere in Schwaben, Franken, Hessen-Darmstadt und Hessen-Marburg, ausgenommen diejenigen Grafen, Prälaten und Stände, die hier schon bisher zur Liga gesteuert haben. Der Liga verbleiben die Quartiere im Niedersächsischen Kreis, in Hessen-Kassel, der Wetterau, dem Westerwald und einigen kleineren Gebieten. Verzögern sich die Kreisbewilligungen, dürfen die notwendigen Kontributionen aus den Quartieren gewonnen werden trotz aller Klagen, die bisher gegen Wallensteins Kontributionssystem vorgebracht worden waren! Der Modus der Finanzierung der Mittel für das kaiserliche Heer durch Bewilligungen der Kreistage war dem Kaiser, wie erwähnt, bereits im Juli vom Kurkolleg vorgeschlagen worden und dieser hatte den Vorschlag, mit Ausdehnung auf die künftige Finanzierung des Ligaheeres, auch akzeptiert. Der Wunsch des Kaisers, daß sämtliche dieser Bewilligungen, auch diejenigen der Ligastände, in die Reichskasse abzuliefern seien, war von den Ligisten nicht akzeptiert worden. Vielmehr legte der Ligatagsabschied vom 10. November fest, daß Kreisbewilligungen der Ligastände unmittelbar
35 Ebenda 649 ff. 36 Vgl. die Resolution des Kaisers für die kathol. Kurfürsten (eigentlich für den Ligatag), 9.11.1630: Ebenda 664 f. sowie 744 f.
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in die Ligakasse gezahlt werden sollten, womit eine Einflußnahme des Kaisers ausgeschaltet war.37 Bereits einige Tage vor der Entlassung Wallensteins hatte der Kaiser die katholischen Kurfürsten um die Überlassung Tillys als Befehlshaber der kaiserlichen Truppen gegen die Schweden gebeten, was Wallenstein selbst angeregt habe, doch sollte Tilly daneben die Führung des Ligaheeres beibehalten.38 Die bayerischen Räte und auch die katholischen Kurfürsten hatten zunächst Bedenken geäußert, da sich die Liga hierdurch die Schweden auf den Hals lade.39 Andererseits konnte die Überlassung als Bedingung und Hebel zur Endassung Wallensteins benützt werden. Als daher der Kaiser am 13. August seinen Entschluß bekanntgab, den Friedländer zu entlassen, erklärten sich die vier Kurfürsten bereit, Tilly unter der Bedingung auszuleihen, daß Wallenstein tatsächlich amoviert werde und die Kriegsbeschwerden tatsächlich beseitigt würden, die Überlassung jederzeit rückgängig gemacht werden könne und Tilly selbst einverstanden sei.40 In der Folge drängte der Kaiser wiederholt darauf, Tilly raschestens gegen die Schweden einzusetzen, jedoch bedang sich dieser aus, zunächst über Armeestärke und Sicherung der Unterhaltsmittel Gewißheit zu erlangen, auch wenn hierüber kostbare Zeit verstrich.41 Nachdem diese Probleme bei den Kriegskonferenzen in Regensburg und Kelheim einigermaßen geklärt worden waren, stand dem Einsatz Tillys nichts mehr im Wege, der somit seit Ende 1630 zwei Armeen kommandierte, die kaiserliche Armee, für die er (ohne die Vollmachten Wallensteins) dem Kaiser, und die Ligaarmee, für die er Maximilian und den Ligaständen verantwortlich war. Angesichts seiner Herkunft war an der Loyalität Tillys gegenüber dem Haus Habsburg nicht zu zweifeln, doch wurde von bayerischer Seite erwartet, daß er sich nach zwanzigjährigem Dienst an der Spitze des Ligaheeres und durch verehrende Bindung an die Person Maximilians doch in erster Linie als Mann der Liga fühle. Seine Berufung zum Capo des kaiserlichen Heeres wurde daher als im Interesse der Liga angesehen. Dieser Gesichtspunkt hatte auch zur Zustimmung der katholischen Kurfürsten beigetragen, zumal sie davon ausgingen, daß der Kaiser keinen Feldherrn
37
Abschied vom 10.11.1630: Ebenda Nr. 171 II; vgl. auch den einschlägigen Bericht Richels über das Ergebnis der Militärverhandlungen, ebenda 744 (8.11.). 38 BA N F 11,5, 485-488. 3' Ebenda 493 ff. « Memoriale der kathol. Kurfürsten, 13.8.1630: Hallaich, Wallenstein I, 46 f.; vgl. BA N F 11,5, 502 Anm. 3. « Erklärung Tillys, 16.9.1630: BA N F 11,5, 564 Anm. 3.
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vom Format Tillys besitze, der in der Lage sei, gegen die Schweden etwas auszurichten. Wer war der eigentliche Sieger der Regensburger Militärverhandlungen? Daß es den Kaiserlichen durch große Hartnäckigkeit und geschickte Gegenforderungen gelungen war, die Kandidatur Maximilians für die Nachfolge Wallensteins abzuwehren, muß als Erfolg des Kaisers und als Niederlage Maximilians bewertet werden, wenn dadurch auch von einer Konjunktion beider Armaden und einer Auflösung der Liga, wie sie von den Kaiserlichen ebenfalls angestrebt worden waren, keine Rede mehr sein konnte. Inwieweit Maximilians „Mitderer Weg" zwischen völliger Verschmelzung und völliger Trennung der Armeen, der im Interesse der weiteren Finanzierung des Ligaheeres notwendig schien, und die Fesdegungen über Kontributionen und Quartiere mehr der einen oder der anderen Seite zugutekamen, ist dagegen schwer zu entscheiden. Daß Tilly mit der Führung zweier Armeen offensichtlich überfordert war, sollte sich im Laufe des folgenden Jahres erweisen. Daß eine Reduzierung des kaiserlichen Heeres und des Ligaheeres um insgesamt ein Viertel des Bestandes beschlossen wurde, war angesichts der bisherigen Belastungen nicht unverständlich, zeugte aber von einer bemerkenswerten und schließlich verhängnisvollen Unterschätzung der von Gustav Adolf dem Reich drohenden Gefahren. Im fünften Punkt seiner Proposition erbat Kaiser Ferdinand die Militärhilfe der Kurfürsten für den Mantuanischen Krieg. Jedoch entwickelte sich das Problem in der Folge dahingehend, daß auf Drängen des Kurkollegs Friedensverhandlungen des Kaisers mit den französischen Gesandten Brulart de Léon und Pater Joseph eingeleitet wurden, die schließlich mit dem Regensburger Friedensschluß vom 13. Oktober 1630 zwischen dem Kaiser und König Ludwig XIII. endeten.42 Papst Urban VIII. schrieb dieses Ergebnis in einem überschwenglichen Breve vor allem den Vermitdungsbemühungen Maximilians zu.43 Schon früh, seit Herbst 1628, war Maximilian tätig gewesen, eine Zuspitzung in der Mantuanischen Frage, also einen Krieg zu verhindern, da dieser durch die Bindung kaiserlicher Truppen in Italien die katholische Sache im Reich schwächen müsse und Richelieu veranlassen werde, zur Endastung Frankreichs noch mehr als bisher die Gegner von Kaiser und Reich zu unterDie einschlägigen Reichshoftatsprotokolle über die Verhandlungen sind gedruckt in BA NF 11,5 Nr. 170 passim. Ebenda 488 f. Hinweise auf weitere Quellen und Literatur. Vgl. auch Straub, Pax 407 ff. zu den spanischen Positionen und Einschätzungen. « Pastor, Päpste XIII, 1, 420. 42
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stützen.44 Maximilian hatte vom Kaiserhof gefordert, daß der mantuanische Konflikt „nit so gar auf die spüze gestellet und durch die waffen ausgetragen, sonder vil mer und zwar ehist als möglich durch billichmeßige guetüche miittel accomodirt oder in entstehung derselben durch rechtlichen ausspruch erörtert werden mechte".45 Er hatte sich mit den geistlichen Kurfürsten verständigt, den Kaiser gemeinsam zu einer friedlichen Regelung des Problems aufzufordern und hatte kaiserliche und spanische Ersuchen um die Hilfe der Liga in den mantuanischen Auseinandersetzungen zurückgewiesen. Schließlich hatte Maximilian auf die kuriale Aufforderung, sich für einen Ausgleich einzusetzen, seinerseits Kardinal Barberini gebeten, Richelieu von einer proprotestantischen Politik abzuhalten, um den Kaiser abzuhalten, über einen Krieg in Mantua Druck auf Frankreich auszuüben. Richelieu selbst hatte im Rahmen der bayerisch-französischen Bündnisverhandlungen Maximilian zur Vermitdung zwischen Frankreich und dem Kaiser aufgefordert,und Maximilian hatte die Aufforderung begierig aufgegriffen, da sie auf eine Lösung der Differenzen durch rechtliche Dezision hinauszulaufen schien, die er stets befürwortete. Er sah sich in eine große Vermitderrolle gerückt, die sich in fortgesetztem Schriftwechsel mit dem Kaiserhof und Paris bis in den März 1630 hinein artikulierte, aber angesichts der gleichzeitigen militärischen Erfolge der Franzosen die angestrebten Ausgleichsverhandlungen nicht erreichte. Jedoch ließen die anschließenden Erfolge der kaiserlichen Truppen, die am 18. Juli in der Eroberung Mantuas durch Collalto gipfelten, die Aussichten auf Vermitdung bei Frankreich wieder steigen. Das war zu einem Zeitpunkt, als wegen der Landung Gustav Adolfs eine Sammlung der katholischen Kräfte im Reich und ein Ende des italienischen Krieges trotz aller habsburgischen Siege in Oberitalien - die Spanier standen kurz vor der Entsetzung der belagerten Festung Casale — umso notwendiger schien. Entsprechend tadelte das Kurkolleg in Beantwortung der kaiserlichen Proposition, daß sich Ferdinand ohne Vorwissen der Reichsstände, geschweige der Kurfürsten, in diesen Krieg eingelassen habe. „Man hette schon andere mittel haben können, dardurch des Kaisers authoritet zu erhalten, weils aber auf dies breits ausgeschlagen, seie an jezo zu gedenken, wie das feur zu restinguieren."46 Das Kurkolleg riet, die Anwesenheit französischer Gesandter beim Kollegialtag zu nützen und erbot sich zu friedefördernder Interposition. Obwohl nun die Antwort des Kaisers ziemlich reserviert gehalten war und Einzelheiten bei Albrecht, Auswärtige Politik 285 ff. « Maximilian an Stralendorf, 4.1.1629: BA NF 11,4 Nr. 211. « Das Kurkolleg an den Kaiser, 19.7.1630: Londorf, Acta publica IV, 55 ff.; vgl. BA NF 11,5, 459 Anm. 1. 44
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für den gesetzten Fall wiederum die Waffenhilfe des Reiches forderte,47 blieben die Kurfürsten bei ihren Interpellationen, bis auch die kaiserlichen Räte ihrem Herrn nahelegten, wegen der von Schweden und den Generalstaaten drohenden Gefahren und „weil die herren Churfürsten so stark und unaussetzlich auf den italienischen frieden dringen", eine Traktation nicht auszuschlagen. So eröffnete der Kaiser am 11. August trotz seiner günstigen militärischen Position in Mantua die Regensburger Friedensverhandlungen mit Frankreich, weil das Kurkolleg jede Hilfe verweigert und vielmehr auf den Verhandlungsweg gedrängt hatte.48 Die Haltung des Kurkollegs — und auch Maximilians — gegenüber den Verhandlungen selbst führte jedoch in einem verwickelten Vorgang zu einer schweren Schädigung der kaiserlichen Interessen. Ferdinand II. zeigte sich unter dem Druck der Kurfürsten schließlich bereit, der französischen Forderung nach Investitur des Karl von Nevers, also des von Frankreich unterstützten Prätendenten, nachzugeben, stellte aber dafür die Gegenforderung nach einem „Generalfrieden": Frankreich müsse sich verpflichten, Angriffe gegen Kaiser und Reich künftig in keiner Weise zu unterstützen (also auch die Subsidienzahlungen an Gustav Adolf einzustellen, die diesem eine weiterreichende Kriegführung gestatteten) sowie allen Bündnissen abzusagen, die gegen Kaiser und Reich gerichtet waren. Dieser weitgehenden Forderung widersprachen aber die Kurfürsten, da die französischen Gesandten für einen Generalfrieden wohl nicht bevollmächtigt seien und also der Mantuanische Friede, auf den es zuerst ankomme, durch solche allgemeinen Friedensverhandlungen nur gehindert werde. „Renunciado der büntnuß dem [französischen] König zuzumuten", votierte Richel im Auftrag Maximilians, „sei schwer und nit zu erheben. Derwegen genug, daß er versprech, des Reichs feinden kein hilf zu tun".49 Dachte Maximilian an das von ihm selbst angestrebte Bündnis mit Frankreich oder doch nur an die Erleichterung der Verhandlungen über Mantua? Wie dem auch sei: Die Sorge der Kurfürsten war berechtigt, die französischen Gesandten waren tatsächlich zu Generalfriedensverhandlungen nicht bevollmächtigt, wie sie den Kaiserlichen erklären mußten. In raffinierter Diplomatie gelang es aber Pater Joseph, die Ablehnung der kaiserlichen Generalfriedenspläne durch das Kurkolleg für die Ziele Richelieus auszunützen. Indem er sich auf die Forderung der Kurfürsten « Der Kaiser an das Kurkolleg, 1.8.1630: Londorf,, Acta publica IV, 65 ff.; vgl. BA NF 11,5, 475 Anm. 2. 48 Weswegen die Politik des Kurkollegs und insbesondere Maximilians vonseiten der Spanier scharf kritisiert wurde; vgl. Straub, Pax 419 ff. « BA NF 11,5, 530 (25.8.1630).
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nach raschem Frieden fur Mantua stützte, erreichte er es, trotz seiner fehlenden Vollmacht für einen Generalfrieden, den Kaiser zunächst zu einem Waffenstillstand in Mantua zu bewegen. Dadurch gewann das in die Defensive gedrängte französische Heer Zeit zu Erholung und Neuformierung. Gleichzeitig gab Pater Joseph sein Wort, daß sein König trotz fehlender Vollmacht einem Generalfriedensvertrag zustimmen werde und billigte also den schließlichen Friedensvertrag für Mantua vom 13. Oktober, dessen erster Artikel einen Generalfrieden zwischen Kaiser, Reich und Frankreich festlegte.50 An dem Zustandekommen des Vertrags waren die geistlichen Kurfürsten und Maximilian in beachtlichem Umfang beteiligt, was von Kommentatoren mehr oder weniger freundlich festgestellt wurde. Der florentinische Gesandte Sacchetti urteilte, „che Baviera insomma ha una gran parte nella Pace d'Italia, perché da quella spera sollevamento nella Germania";51 wenn es in Regensburg zum Frieden für Italien komme, dann habe der bayerische Kurfürst den größten Anteil, denn er sei wie ein Schiedsrichter (come arbitro) zwischen Frankreich, Spanien und dem Kaiser, die alle auf sein reifes Urteil vertrauten.52 Richelieu dagegen kritisierte, daß die französischen Gesandten sich von den Kurfürsten hätten täuschen lassen, womit er deren Anteil am Zustandekommen des Vertrages doch feststellte.53 Maximilian selbst ließ Bagno zur Information Richelieus selbstbewußt mitteilen, man könne sagen, daß ohne das kräftige bayerische Dazwischentreten die spezifische Formulierung des Vertrags oder zumindest dessen Unterzeichnung nicht erreicht und damit der ersehnte italienische Friede verzögert worden wäre.54 Weder Maximilian noch die übrigen Kurfürsten noch auch die Kaiserlichen hatten Sorge, daß die fehlende Vollmacht der französischen Gesandten für einen Generalfrieden Richelieu die Veranlassung bot und bieten konnte,55 den Friedensvertrag nicht zu ratifizieren und aus einer inzwischen gekräftigten militärischen Position heraus neue Verhandlungen für einen neuen Vertrag zu fordern, der die Generalfriedensklausel nicht mehr enthielt. Eben dies geschah jedoch in den folgenden Wochen und Monaten! Da aber hierdurch der Krieg in Mantua weiterging, war der Kaiser nicht so schnell in der Lage, 50 Vertragstext: Du Mont, Corps universel diplomatique V,2,615; deutsche Übersetzung bei Londorf), Acta publica IV, 96 f.; vgl. auch BA NF 11,5, 632. 51 Staatsarchiv Florenz, Filza 4384 (9.10.1630).
52 Ebenda (19.8.1630). 53
Fagnie^ Rarisbonne 57 Anm. 4.
Kütner an Bagno, 21.10.1630: Kschw. 488/2 II, fol. 73. 55 Vgl. D. P. O'Connell, A cause célèbre in the history of treaty making. The refusal to ratify the peace of Regensburg 1630, in: British Yearbook of International Law 42 (1967), 71-90 (Rechtfertigung Richelieus). 54
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Truppen aus Italien zum Krieg gegen die Schweden abzuziehen, wie mit dem Regensburger Vertrag beabsichtigt gewesen war. Darüber hinaus war Ferdinand in den schließlichen Verträgen von Cherasco vom 6. April und 19. Juni 1631, die sich ausschließlich auf den Frieden in Italien bezogen, zu noch größeren Zugeständnissen an die Franzosen als im Regensburger Vertrag gezwungen. Angesichts dieses Ergebnisses wird man Maximilians Kurfiirstentagspolitik in der Mantuanischen Frage zwiespältig bewerten müssen. Ihrer Intention nach war sie Friedenspolitik, die dem Reich angesichts anderer Gefährdungen neue Verwicklungen zu ersparen suchte. Das Ergebnis war aber nicht nur eine Schädigung von habsburgischen und Reichsinteressen in Oberitalien, sondern auch die weitere Bindung von Truppen in Oberitalien, die im Reich notwendig gebraucht worden wären. Eigenartigerweise ist das ausgeprägte Mißtrauen, das Maximilian sonst auszeichnete, auch gegenüber den Franzosen, in dieser Frage nicht zum Tragen gekommen, die Zielsetzung raschen Friedensschlusses hat bei ihm wie bei den geistlichen Kurfürsten alle Bedenken überspielt. Als entschiedenste Gegner Maximilians beim Kollegialtag figurierten die Spanier, die durch Carlos Doria, Herzog von Tursi, in Regensburg vertreten waren, sowie die spanische Fraktion unter den Beratern des Kaisers. In der Mitte der zwanziger Jahre hatte sich Maximilian, wie erinnerlich, allen Anforderungen der Spanier widersetzt, mit ihnen in eine engere politische und militärische Verbindung, eine Habsburgerliga, zu treten und sich an ihrer Seite mit dem Ligaheer am niederländischen Krieg zu beteiligen. Die militärischpolitische Situation der Jahre 1625/27 hatte ihm diese Distanzierung gestattet, er war auf die Spanier nicht angewiesen gewesen, ebenso auch nicht auf die Franzosen, deren Zumutungen, Bayern in eine antihabsburgische Front eingliedern zu lassen, er in dieser Periode ebenfalls stets ausgewichen war. Auch in den folgenden Jahren, der Epoche des Lübecker Friedens und des Restitutionsedikts, hatte er sich nicht veranlaßt gesehen, wiederholten weiteren Anforderungen des Olivares näher zu treten, der durch seine Diplomaten oder über den Kaiser erneut die Hilfe Maximilians und der Liga gegen die Generalstaaten zu gewinnen suchte.56 Maximilians Sorge vor den Plänen Wallensteins ließ einen Bruch mit den Generalstaaten gewiß nicht zu, zumal er auch die Spanier, eben das Gesamthaus Habsburg, mit diesen Plänen in Verbindung gebracht hat. Einer Reihe von spanischen Diplomaten, die im Laufe des Jahres 1629 in München aufkreuzten, waren daher mehr oder we56
Kritische Reflexionen hierzu bei Straub, Pax 372 ff.
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niger verklausulierte, aber im Kern eindeutige Absagen erteilt worden;57 auf den Ligatagen von Heidelberg im Frühjahr und in Mergentheim am Ende des Jahres 162958 hatte sich Maximilian entsprechende Beschlüsse der Ligastände verschafft, mit denen er gegenüber den Spaniern argumentieren konnte, ohne seine eigene Ablehnung deutlicher werden zu lassen. Diese beruhte auf dem Widerwillen, seine Erwerbungen und die Erfolge der katholischen Partei im Reich durch neue auswärtige Kriege zu gefährden, wenngleich gewiß nicht auf der Hoffnung, „Schiedsrichter in Deutschland werden zu können".59 Dementsprechend beobachtete Maximilian auch mit Mißtrauen die seit Anfang 1628 geführten spanisch-englischen Friedensverhandlungen60, bei denen verschiedentlich das weitere Schicksal der links- und rechtsrheinischen Pfalz zur Sprache kam, woraus die Spanier gegenüber Maximilian das Argument gewannen, bei dessen weiterer Zurückhaltung zu Zugeständnissen in der Pfalzfrage gezwungen zu werden. Eine Beteiligung an den Friedensverhandlungen lehnte Maximilian ab. Weitere Anträge der Spanier auf Ligahilfe beantwortete er mit dem Hinweis auf die finanzielle Erschöpfung der Ligastände durch die wallensteinischen Kriegspressuren, vor allem aber mit der Kritik an der Verzettelung der habsburgischen Kräfte und Mittel durch den neuen Krieg in Mantua: Nicht wegen der Hilfsverweigerung der Liga stehe gegenwärtig die spanische Sache in den Niederlanden schlecht. „Da man der sachen beschaffenheit und verlauf nur etwas besser considerirn und auf den rechten grund gen wolte, würde man Spanischer seits bait befunden, das an allem disen unhail nur diejenigen schuldig, welche aus unzeuttiger imagination anderer orten neuen unnotwendigen krieg und dardurch verursacht, das die Kay. kriegsmacht, welche man vül nötiger und mit bösserm nuzen und effect in Niderlaut hette emploirn und anwenden könden, anderwertig distrahirt und verwendt worden."61 Bis zur Eröffnung des Kurfürstentags war es also den Spaniern nicht gelungen, die Ligastände für spanische Ziele zu gewinnen, in erster Linie infolge des Widerstandes des Herzogs von Bayern. Aber auch beim Kollegialtag blieb ihren Bemühungen der Erfolg versagt.62 Der Herzog von Tursi erschien in Regensburg mit einer Generalvollmacht zum Abschluß eines Bündnisses zwischen Spanien, dem Kaiser und der Katholischen Liga, aber zugleich mit Instruktionen, die ausweisen, daß man sich Einzelheiten bei Albrecht, Auswärtige Politik 232 ff. Heidelberg: BA NF 11,4 Nr. 241; Mergentheim: Ebenda 11,5 Nr. 72. 59 So Straub, Pax 390. Hierzu Straub, Pax 386 ff. « Maximilian an Khevenhiller, 23.10.1629: BA NF 11,5 Nr. 41. « Albrecht, Auswärtige Politik 297 ff.; eine Reihe einschlägiger Akten in BA NF 11,5 Nr. 170. 57
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in Madrid nur mehr wenig Illusionen über Maximilian hingegeben hat, seinen Einfluß aber auch überschätzt hat.63 So wird in der Agitation gegen das ebenso mächtige wie verdächtige Bayern eine Hauptaufgabe des Gesandten gesehen, Kurmainz und Kurtrier seien zu gewinnen, um die deutsche Liga zu sprengen und Maximilian seines Rückhalts zu berauben und dadurch zu verhindern, „daß Bayern weiterhin ganz Europa tyrannisiert und dessen Schiedsrichter wird".64 Auf dieser Basis konnte Maximilian allerdings nicht für das spanische Projekt gewonnen werden, zumal Tursi auch in zentralen Fragen des Kollegialtags gegen ihn opponierte, im Widerstand gegen die Endassung Wallensteins, gegen die Nachfolge Maximilians im Generalat, gegen die Politik des Kurkollegs bei den Mantuanischen Friedensverhandlungen,65 in wiederholten Anschwärzungen Maximilians beim Kaiser. In besonderer Weise fühlte sich Maximilian durch die Haltung Tursis gegenüber den beim Kollegialtag stattfindenden Ausgleichsverhandlungen in der Pfalzfrage berührt.66 Olivares war es gelungen, die spanisch-englischen Friedensverhandlungen (die schließlich am 5. Dezember 1630 im Frieden von Madrid endeten) dadurch zu endasten, daß die von den Engländern aufgeworfene pfalzische Frage abgetrennt und beim Kollegialtag behandelt werden sollte, womit er ein Dreifaches anstrebte: Einen rascheren Friedensschluß mit England, den Weiterbesitz der spanischen Unterpfalz, und schließlich die Möglichkeit, beim (nahezu sicheren) Scheitern der Verhandlungen in Regensburg alle Verantwortung auf den Kaiser und besonders auf Maximilian zu schieben. Die englisch-pfälzischen Ansprüche, die in Regensburg durch den englischen Gesandten Anstruther und den pfälzischen Gesandten Rusdorf vorgetragen wurden, erhielten spanische Unterstützung, nicht weil Olivares Zugeständnisse zugunsten des Winterkönigs wünschte, sondern eben die Madrider Verhandlungen entlasten wollte. Hier hat Maximilian nicht erkannt, daß den Spaniern diese ihre Unterstützung nur Mittel zum Zweck gewesen ist. So hat auch dieser Komplex dazu beigetragen, seine ohnehin schwierigen, von gegenseitigen Verdächtigungen erfüllten Beziehungen zu den spanischen Habsburgern noch mehr zu belasten. Zu den Vorwürfen der Spanier gegen Maximilians Politik beim Kollegialtag gehörte nicht zuletzt, daß er die Wahl des ältesten Kaisersohnes zum « Vgl. auch Straub, Pax 403. 64 Olivares am 6.7.1630, zitiert bei Straub, Pax 408. « Vgl. hierzu die Berichte Sacchettis, BA NF 11,5, 701 ff. sowie Straub, Pax 410 ff. « Zu diesen Verhandlungen vgl. BA NF 11,5, 431 ff., 621 ff., 629 ff., 641 f., 697 ff. und 706 ff.; Straub, Pax 404 und 409 ff.
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Römischen König verhindert oder jedenfalls zu deren Verhinderung beigetragen habe. Tatsächlich war es ein Anliegen Kaiser Ferdinands II., seinen eben zweiundzwanzigjährigen Sohn Ferdinand (III.),67 der bereits zum König von Ungarn und von Böhmen gekrönt worden war, noch vivente Imperatore, zu Lebzeiten des Kaisers zum Römischen König gewählt zu sehen, was nur bei einem Kollegialtag oder, besser, einem eigenen Wahltag möglich war. Zwar sah die Goldene Bulle eine solche vorgezogene Wahl nicht vor, doch war sie seit Kaiser Karl V. in Übung gekommen. Auch die ihm folgenden Kaiser hatten zur Sicherung der Nachfolge eines Habsburgers die Wahl vivente Imperatore bei den Kurfürsten durchgesetzt, nicht ohne dadurch, zum Unwillen der Kurfürsten, den Anschein einer Erblichkeit des deutschen Königtums im Hause Habsburg zu erwecken.68 Beim Kurfürstentag von Mühlhausen 1627 hatte Ferdinand II. die Kurfürsten noch nicht interpelliert, jedoch hatte man sich damals in München auf eine Anfrage vorbereitet. Die bayerischen Gesandten sollten sich zwar als nicht instruiert bezeichnen, aber die grundsätzliche Bereitschaft Maximilians zu einer Wahl erkennen lassen, sobald diese ordnungsgemäß beim Kurkolleg beantragt und aus rechter Intention, vor allem zu Erhaltung der katholischen Religion, vom Kaiser angestrebt werde.69 Im Februar 1628 ließ Ferdinand dann erstmals seinen Wunsch nach einem Wahltag, der noch im Juni des Jahres in Regensburg stattfinden sollte, dem Mainzer Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenclau und Maximilian übermitteln. Er mochte veranlaßt werden durch die Erinnerung an die Schwierigkeiten bei seiner eigenen Wahl und die Unwägbarkeiten eines Interregnums im Krieg, aber auch durch die Machtposition, die er eben mithilfe Wallensteins erreicht hatte. Der Mainzer zeigte sich unter dem Gesichtspunkt, ein Interregnum zu vermeiden, grundsätzlich zu einem Wahlakt bereit, während eine eindeutige Meinung Maximilians nicht ersichtlich wird.70 Beide waren aber sorgfältig darauf bedacht, im Falle des Falles die kurfürstliche Entscheidungsfreiheit nach allen Seiten zu sichern. Sie verwiesen Ferdinand auf den nächsten Kollegialtag, der von den Kurfürsten zur Befriedung des Reiches bereits angestrebt werde, auf die Einhaltung eines ordnungsgemäßen, dem Herkommen folgenden Verfahrens sowie auf die Notwendigkeit der 67 Über ihn Konrad Repgen, Ferdinand III., in: A. Schindling-W. Ziegler (Hg.), Die Kaiser der Neuzeit 1519-1918, München 1990, 142-167 und 480-482, mit Quellen und Literatur. Zahlreiche neue Hinweise für die Jahre 1633/35 in BA NF II 8 und 9. 68 Conrad., Rechtsgeschichte II, 68 f. « Instruktion vom 18.10.1627: BA NF 11,3, Nr. 470 I, hier S. 647 f. 70 Maximilians Bescheid für Trauttmansdorff, 21.2.1628: BA NF 11,4 Nr. 30; Sendung Richels zu Kurmainz, 3.-5.4.1628: Ebenda Nr. 52 V; Maximilian an Kurköln, 18.4.1628: Ebenda Nr. 62; der Kaiser an Kurmainz, 22.4.1628: Ebenda Nr. 65.
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richtigen Reihenfolge: Erst Befriedung des Reiches, dann Wahl. Der Mainzer verwahrte sich auch sehr deutlich dagegen, die Kurfürsten durch Wallenstein unter Druck zu setzen: „Dan auch i. Mt. treuherzig zu warnen, das sie sich im geringsten nit wollen merken lassen, als wan sie durch gegenwertige kriegsmacht die wal richtig und gewis wolten machen; dan dardurch werd dieselbe erst schwer und ungewis; dis sei die rechte tür nit, zu dem reich zu komen; solche wal werd kein bestand haben." Wahlfrage und Wallensteinfrage wurden also von den Kurfürsten verknüpft. Nach Bekanntwerden der Kapuzinerrelationen hielt Maximilian eine Wahl für bedenklich, solange Wallenstein in starker Armatur stehe und dadurch der Eindruck entstehen könne, als geschehe sie nicht secundum germanam libertatem, sondern secundum metu armorum,71 was er auch dem Kaiser mitteilen ließ.72 Auch in der Folge, bei sich näherndem Kollegialtag, aber auch steigender Empörung über die wallensteinsche Armee, hielten die katholischen Kurfürsten daran fest, über Frieden und Wahl nicht pari passu, wie der Kaiser wünsche, sondern nur nacheinander zu verhandeln und im Interesse der Einheit des Kurkollegs nur im Einvernehmen mit den protestantischen Kurfürsten zur Wahl schreiten. Da diese beiden jedoch am Kollegialtag nicht persönlich teilnahmen, war eine Wahl in Regensburg von vornherein unwahrscheinlich! Man darf aber wohl annehmen, daß den katholischen Kurfürsten, insbesondere auch dem neuen Mainzer Erzbischof Anselm Casimir von Wambold, das Fernbleiben der beiden auch nicht ungelegen kam, da sie den Trumpf der Königswahl nicht vorzeitig aus der Hand geben wollten. Es hätte also nicht erst der wiederholten eindringlichen Aufforderungen Richelieus bedurft, die Wahl keinesfalls vorzunehmen, ebenso nicht entsprechender Äußerungen Papst Urbans VIIL, die durch den mantuanischen Konflikt bestimmt waren.73 Auch hüllte sich der Kaiser seit Frühjahr 1629 hinsichtlich einer Wahl vollkommen in Schweigen. Dennoch hielt es Maximilian für gut, den Mainzer im Vorfeld des Kurfürstentags hinzuweisen, daß das Vorpreschen seines Vorgängers in puncto Königswahl den übrigen katholischen Kurfürsten „frembd und verwunderlich" vorgekommen sei und beim Heidelberger Ligatag im Frühjahr 1629 ausdrücklich beschlossen worden sei, „daß nemblich bei dem vorstehenden collegialconvent von dem negotio successionis am Reich so lang man begehrs, auch so stark man immer wolle, nichts soll proponirt und deliberirt, vil weniger geschlossen wer-
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Bayer. Instruktion zum Binger Tag, 18.6.1628: Ebenda Nr. 103. Instruktion für Wolkenstein nach Wien, 15.8.1628: Ebenda Nr. 135. Hierzu Albruht, Auswärtige Politik 274 ff.
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den, bis man zuvor wegen allgemeinen fridens und ruhe im Rom. Reich ein gewissen schluß und Sicherheit haben wird".74 Beim Kollegialtag wurde die Römische Königswahl weder in der kaiserlichen Proposition genannt, noch von den Kurfürsten im Zusammenhang der Wallensteinfrage angesprochen. Erst als es um die Übernahme des Generalats durch Maximilian ging, plädierten die kaiserlichen Räte dafür, „das negotium [successionis] numer aperte zu treiben"; durch die Ernennung Maximilians zum Nachfolger Wallensteins könne vielleicht die Zustimmung der katholischen Kurfürsten zur Wahl auch bei Abwesenheit der Protestanten eingehandelt werden.75 Man sieht nicht, inwieweit dieses Argument von kaiserlicher Seite dann tatsächlich verwendet worden ist. Jedenfalls brachte Fürst Eggenberg als Intimus des Kaisers Anfang September, also erst nach der Endassung Wallensteins, die Wahlfrage bei den katholischen und den Gesandten der protestantischen Kurfürsten vor,76 „nicht gemeint, den herren curfürsten hierinnen etwas vorzuschreiben, sondern es geschehe allein aus treuer Sorgfalt und zu dem end, damit das Reich mit einem tüchtigen Oberhaupt möchte versehen werden". Eggenberg erhielt aber nur ausweichende Antworten. Die katholischen Kurfürsten verwiesen auf die Abwesenheit der protestantischen Kollegen, und deren Gesandte wiederum erklärten, nicht instruiert zu sein, da die Wahl in der Proposition nicht angesprochen worden sei. Die Meinung Johann Georgs von Sachsen und Georg Wilhelms von Brandenburg wurde jedoch ersichtlich, nachdem sie der Kaiser auch noch in einem eigenen Handschreiben in der Wahlfrage interpelliert hatte.77 Sie argumentierten mit zwei Gründen: Erstens müsse nach ordnungsgemäßer und sorgfaltiger Beratung des gesamten Kurkollegs ein Votum sämtlicher Kurfürsten auf einem von Kurmainz ausgeschriebenen Wahltag erfolgen. Zweitens falle es den Kurfürsten angesichts des immer noch erbärmlichen Zustandes des Reiches schwer, über einen so wichtigen Gegenstand zu beraten. Dieser Meinung waren auch die katholischen Kurfürsten; Richel trug in der entscheidenden Sitzung vom 26. Oktober als Meinung Maximilians zu den Argumenten der protestantischen Kurfürsten vor, daß „Ihre cfl. Dht. [...] die bedenken für erheblich befinden. Und sich selbst des herkomen und der [Kurjverain erinerten. Derwegen aus demselben nit schreitten kenden, wie Instruktion für Richel zu Kurmainz, 18.4.1630: BA NF 11,4 Nr. 146. Gutachten von der Hand Stralendorfs, ca. 16.8.1630: Ebenda 513. Diese Taktik der Kaiserlichen wurde auch auf kurfürstlicher Seite vermutet; ebenda 525. 76 Ebenda 691 mit Anm. 1. 77 Kursachsen und Kurbrandenburg an Kurmainz, 7.10.1630: Ebenda 691 ff. Ebenso wurde auch der Kaiser beantwortet. 74 75
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ihre Maj. allergnedigst selbst ermessen".78 Die katholischen Kurfürsten lehnten also eine römische Königswahl ab, weil sie die stets als Vorbedingung geforderte Befriedung des Reiches noch nicht vollzogen sahen und weil sie die Einheit des Kurkollegs nicht gefährden wollten — nicht noch mehr gefährden wollten, als durch das Restitutionsedikt ohnehin der Fall war. Als sie dem Kaiser ziemlich gegen Ende des Kollegialtags ihre Meinung wohl mündlich über Eggenberg kundgaben, setzte Ferdinand seine Bemühungen nicht mehr fort. Sie waren ohnehin so wenig nachdrücklich gewesen, daß sich die Frage stellt, ob die Wahlfrage wirklich, wie spätere Geschichtsschreiber behaupteten, diejenige Angelegenheit gewesen war, die ihm in Regensburg am meisten am Herzen gelegen hatte. Wie dem auch sei, der Ausgang dieses Problems zählte ebenfalls zu den Niederlagen des Kaisers beim Kollegialtag. In der kaiserlichen Proposition vom 3. Juli waren die Kurfürsten um Hilfe gegen die Schweden gebeten worden, falls das Reich von ihnen angegriffen würde; drei Tage später war König Gustav II. Adolf mit einem kleinen, aber schlagkräftigen Heer auf Usedom gelandet.79 Der König hätte keinen günstigeren Zeitpunkt wählen können, da eine entschiedene und rasche Gegenwehr offensichtlich durch die langwierigen Verhandlungen des Kurfürstentags, durch die Differenzen in der Wallensteinfrage und der Mantuanischen Frage und die Verhandlungen über die Nachfolge Wallensteins und den Fortbestand des Ligaheers verzögert werden mußte. Allerdings waren Maximilian und die Mitkurfürsten bereits seit Jahren durch das schwedische Problem bewegt worden, seitdem im Ostseeraum Pläne und Aktivitäten Gustav Adolfs auf kaiserlich-spanische Pläne und Aktivitäten gestoßen waren und also ein Konflikt zu drohen schien, in den neben dem Kaiser auch die Reichsstände und die Liga verwickelt werden konnten. Um die schwedische Ostseeherrschaft, das Dominium maris Baltici zu realisieren, hatte der geniale, von Tatendrang strotzende, von einer schließlichen Auseinandersetzung mit dem Kaiser und der katholischen Gegenreformation seit je überzeugte Gustav Adolf im Laufe der zwanziger Jahre, von Schweden und Finnland ausgehend, die Ostseeküste vom Baltikum bis Danzig in seine Hand gebracht. Seinen Krieg gegen Polen hatte er am 26. September 1629 durch einen langfristigen, von Richelieu vermittelten Waffenstillstand beendet, um sich dem Reich zuwenden zu können. Die Siege der Armeen des Kaisers und der Liga in NordEbenda 652 f. Grundlegend und detailliert: Michael Roberts, Gustavus Adolphus. A History of Sweden 16111632, Band 2: 1626-1632, London 1958, 305 ff. Weitere Literatur bei Parker; Thirty Year's War 292 f. sowie unten Kapitel 29. 78
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deutschland mit der Besetzung der norddeutschen Stifter, die maritimen Pläne der Habsburger 2u einer kaiserlich-spanischen Ostseeherrschaft, die Achtung der Mecklenburger Herzöge und die Belehnung Wallensteins mit Mecklenburg, schließlich auch die Unterstützung der Polen durch kaiserliche Truppen hatten ihn zu dieser Wendung bewogen. Maximilian war von Tilly wiederholt über die schwedischen Aktivitäten und Absichten unterrichtet worden. Er war umso besorgter, als er dem König hohen Respekt bekundete: Gustav Adolf habe „bisher in seinen gefierten underschidlichen kriegen demonstrirt, das es ime an hiern, herz und glück zu kriegen nit mangle," weshalb er auch bei den Feinden des Reichs und der Katholiken „ihr Messias ist, darauf sie warten und die meiste hoffnung stellen".80 Maximilian sah jedoch in einer Inbesitznahme Mecklenburgs durch Gustav Adolf noch keine Veranlassung, mit Schweden zu brechen! Beschränke sich der König auf Mecklenburg und dringe er nicht weiter ins Reich herein, habe man keine Ursache, sich seiner vonseiten der Liga anzunehmen.81 Überhaupt ging die Tendenz Maximilians und der übrigen Kurfürsten dahin, Gustav Adolf nicht zu provozieren, um sich keinen neuen Gegner aufzuladen, nachdem der Friede von Lübeck glücklich geschlossen war. Entsprechend forderten die katholischen Kurfürsten den Kaiser im Herbst 1629 auf, den Schweden nach dem Vertrag von Altmark keinerlei Anlaß zum Vorrücken auf Reichsboden zu geben.82 Sie stützten sich dabei auf eine ausdrückliche Versicherung Gustav Adolfs, daß er mit dem Reich in Frieden leben wolle, wenn dieses Frieden halte.83 Wenn die Kurfürsten darauf erwiderten, daß sich auch Gustav Adolf nichts zu befahren habe, falls er friedlich bleibe,84 so war sowohl der Friedenswille des Kurkollegs zum Ausdruck gebracht, als auch die grundsätzliche Bereitschaft zur Unterstützung des Kaisers bei einem schwedischen Angriff. Entsprechend reagierte die Mehrheit der Kurfürsten auch auf die Bitte der kaiserlichen Proposition beim Kollegialtag um Waffenhilfe gegen die Schweden, welche Bitte durch die nahezu gleichzeitige schwedische Landung besondere Aktualität erhielt. Allerdings kritisierte man, daß die Belagerung Stralsunds durch Wallenstein dem schwedischen König den Vorwand für eine Aggression liefere; man erkenne abermals, „wie gar beschwerlich dem Reich fallen tuet, umb sachen willen, darvon dem Reich nichts bewußt, in so Instruktion für Richel zu Kurmainz, 10.11.1628: BA NF 11,4 Nr. 167. si Maximilian an Kurmainz, 2.10.1629: BA NF 11,5 Nr. 28. 82 15.10.1629: EbendaNt. 33. 83 5.5.1629: Londorp, Acta publica IV, 18 f.; vgl. BA NF 11,5, 264 Anm. 4. 8t 2.12.1629: Ebenda.
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solche unverschuldte kriegsgefahr zu geraten." Der Kaiser solle also die Schweden versichern, daß die kaiserliche Kriegsverfassung an der Ostsee nicht gegen sie gerichtet sei. Ergieße sich der schwedische Kriegsschwall aber dennoch weiter hinein ins Reich, werde man dem Kaiser schuldige Hilfe leisten.85 Dies war ein Mehrheitsbeschluß, da sich die protestantischen Gesandten verweigerten. Immerhin war dem Kaiser die Hilfe der katholischen Kurfürsten zugesagt, die aber nach bayerischer Ansicht noch von einem Ligatag zu bestätigen war.86 Der wegen der schwedischen Aggression, die auf einen neuen Religionsfrieden ziele, zum 4. September nach Regensburg ausgeschriebene Bundestag87 beschloß denn auch, wegen der schwedischen Landung in Defensionsverfassung zu bleiben. Der bayerische Wortführer Richel hatte zu Beginn der Versammlung auf die Gefahr verwiesen, daß sich die Unruhe im Reich wegen des Restitutionsedikts mit schwedischer Unterstützung zu einem Aufstand entwickle, „derowegen dis feur in der aschen zu dempfen." Damit war dem Kaiser unter maßgeblicher Einwirkung Maximilians als wichtigster Erfolg, den er in Regensburg erzielte, die Hilfe der Liga gegen Schweden gesichert, wenn auch die Einzelheiten des Zusammenwirkens beider Armeen unter Führung Tillys noch auszuhandeln waren. Es wurde bereits geschildert, daß sich diese Verhandlungen noch bis in den November erstreckten und auch die Auflösung der Liga zum Gegenstand hatten. Verärgert konstatierte Maximilian gegenüber Barberini schon Mitte September, daß die Schweden bereits daran seien, das wichtige Wolgast zu erobern, „mentre qui si sta perdendo il tempo inutilmente in contrastando sopra l'abolitione della lega".88 Tatsächlich waren die langwierigen Regensburger und Kelheimer Militärverhandlungen des Herbstes 1630 dazu angetan, rasche effektive Widerstandshandlungen gegenüber den Schweden zu verzögern. Diese Schuld ging auf das Konto der katholischen Kurfürsten, Maximilian nicht ausgenommen, und ihres Versuches, das Generalat der kaiserlichen Armee an Maximilian zu bringen. Allerdings ist die Frage, wie erfolgreich dieser Widerstand tatsächlich hätte sein können, nachdem — wie noch zu schildern ist - die kaiserlichen Truppen in Norddeutschland dezimiert und schlecht gerüstet waren und die Ligafürsten als die eigentliche Aufgabe des Ligaheeres den Schutz der Ligaterritorien bezeichneten.
ss Das Kurkolleg an den Kaiser, 19.7.1630: Londorf, Acta publica IV, 55 ff.; vgl. BA N F 11,5, 459 Anm. 1. 86 Ebenda 487. 87 Dokumentation ebenda Nr. 171; Ligatagsabschied vom 10.11.1630. 88 16.9.1630: Ebenda 674 ff.
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Nachdem sich Kursachsen und Kurbrandenburg im Unterschied zu den katholischen Kurfürsten zu keiner Hilfszusage gegen Schweden verstanden hatten, legte Kurfürst Johann Georg von Sachsen in einem lebhaften Briefwechsel mit dem Kaiser, der auch den katholischen Kurfürsten mitgeteilt wurde, seine Gründe dar, wobei er das Restitutionsedikt und dessen Exekution sowie die neuen kaiserlichen Kontributionsforderungen in den Vordergrund stellte und schließlich am 3. September die Einberufung eines Konvents evangelischer Reichsstände zur Beratung ihrer Gravamina ankündigte. Wenn den Katholiken die Veranstaltung von Ligatagen gestattet sei, könnten auch Zusammenkünfte der Evangelischen nicht verdächtigt werden.89 Es war diese Ankündigung, die an eine Wiederbelebung der Protestantischen Union denken ließ, durch die sich nicht zuletzt Maximilian aufgestört und beunruhigt fühlte. Sie hat ihn veranlaßt, der seit längerem erörterten Frage eines Ausgleichs zwischen katholischen und protestantischen Reichsständen über das Edikt bzw. dessen Exekution entschiedener als bisher nachzugehen — nicht aus plötzlicher Irenik, sondern um Kursachsen und weitere protestantische Reichsstände nicht in die Arme Gustav Adolfs zu treiben.
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3.9.1630: Londorp, Acta publica IV, 80 ff.; vgl. BA NF 11,5, 677 Anm. 2.
28. Ausgleichsverhandlungen über das Restitutionsedikt
Schon unmittelbar nach Erlaß des Restitutionsedikts am 6. März 1629 hatte Maximilian der heftigen Reaktion Kurfürst Johann Georgs von Sachsen entnehmen können, daß das Edikt ein schwerer politischer Fehler war, sofern man Wert darauf legte, Kursachsen und Kurbrandenburg weiterhin in eine reichsständisch-kurfürstliche Einheitsfront gegenüber befürchteten Bedrohungen durch Wallenstein und bestimmten Zielsetzungen der kaiserlichhabsburgischen Politik einzubinden und den deutschen Protestantismus von einer Annäherung oder sogar einem Anschluß an Schweden abzuhalten. Das Edikt war geeignet, jene Unstabilität in den Reichsverhältnissen zu fördern, die Maximilian seit je als Gefahrdung seiner Erwerbungen zu vermeiden gesucht hatte. Mochte diese Einsicht bei ihm zunächst auch nur rudimentär vorhanden sein, so wurde sie im Gang der politischen Entwicklung doch bald zur Gewißheit. Jedoch gestand er sich als ein Haupturheber des Edikts nur zögernd und widerwillig, nur in einem längeren Prozeß ein, daß aus dieser Tatsache auch Konsequenzen zu ziehen waren, wenn nicht prinzipiell hinsichtlich der Geltung, so doch hinsichtlich der Exekution des Edikts, und wenn nicht für alle vom Edikt Betroffenen, so doch in Bezug auf den Kurfürsten von Sachsen. Maximilian zögerte, weil er von der Rechtmäßigkeit des Edikts und dessen Opportunität für die Erhaltung und Förderung der katholischen Sache im Reich überzeugt war, aber auch, weil er durch seinen Beichtvater zur rigorosen Interpretation des Religionsfriedens angestachelt wurde, der ihn in Denkschriften und Gutachten — und wohl auch im Beichtgespräch — bedrängte, den Pflichten eines christlichen Fürsten, wie Contzen sie verstand, nachzukommen. In dieser Situation bedeutete die Mitteilung Johann Georgs von Sachsen vom 3. September 1630, einen Konvent protestantischer Stände nach Leipzig einzuberufen, für Maximilian einen Schock und einen Einschnitt. Er konnte sich nicht mehr, wie bisher, gegenüber Beschwerden Kursachsens mit dem Argument aus der Affäre zu ziehen suchen, daß für diesen und dessen Stifter die Mühlhausener Versicherung von 1620 gelten solle. Jetzt war sichtbar, daß
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die gesamten protestantischen Stände, für die dieser Ausweg nicht gelten konnte, ihre Ansprüche auf Revision des Edikts erheben würden, und dies in einem Augenblick, in dem die Frage des weiteren Verhältnisses des deutschen Protestantismus zu Gustav Adolf akut geworden war. Das Restitutionsedikt und seine Handhabung war für Maximilian und die katholische Partei nach Monaten des Lavierens1 in ganz neuer und dringender Weise zum Problem geworden. Einflußnahmen auf Maximilians Entscheidungen waren vonseiten der Geheimen Räte, des Beichtvaters sowie der geistlichen Kurfürsten zu erwarten. Es war absehbar, daß die Frontstellung in München zwischen führenden Räten wie Zollern, Jocher und wohl auch Richel gegen Pater Contzen, die sich in der Frage von Zugeständnissen in Kirchensachen bereits in der Mitte der zwanziger Jahre in großer Schärfe geäußert hatte, auch und gerade jetzt wieder virulent werden würde. Allerdings erweist ein Gutachten Contzens kurz vor Beginn des Kollegialtags, daß auch dieser seine starre Position etwas aufgelockert hatte:2 Zwar müsse man auch auf die Gefahr eines Krieges am Edikt festhalten. Doch könne kirchlicher Besitz im äußersten Notfall den gegenwärtigen protestantischen Inhabern für einen begrenzten Zeitraum oder sogar auf Lebenszeit belassen werden, sofern es der katholischen Sache nicht schade, was freilich kaum denkbar sei. Unter den geistlichen Kurfürsten war es Kurfürst Anselm Casimir von Mainz, der eine flexiblere Haltung der Katholiken in Ediktsfragen befürwortete. Die Diskussion über das Problem begann unter den Genannten bereits beim Kollegialtag. Johann Georg von Sachsen lehnte es zwar ab, die Frage des Restitutionsedikts in Regensburg in offizieller Form zu behandeln, ließ aber schon im Juli Verhandlungen über einen Ausgleich in Religionsfragen bei Kurmainz und Maximilian persönlich anregen, vielleicht ermutigt durch eine bemerkenswerte Äußerung Zollerns gegenüber dem sächsischen Gesandten Miltitz, daß Maximilian an einer Milderung des Edikts interessiert sei.3 In einer Konferenz von Räten der katholischen Kurfürsten mit den Beichtvätern Kurmainz', Kurkölns und Maximilians4 sprachen die Mainzer Räte frei heraus, daß man seit dem Religions frieden in ununterbrochenen Auseinandersetzungen mit den Protestanten in Religions fragen stehe, wodurch das Einvernehmen der Reichsfürsten und der Gang der Reichsjustiz schwer beeinträchtigt worden seien, so daß sich doch die Frage stelle, „an Geschildert bei Bireley, Maximilian 122 ff. Undatiertes Gutachten, wohl Juni 1630: BA NF 11,5, 419-423 Anm. 1 ff.; vgl. auch Bireley, Maximilian 131. 3 BA NF 11,5, 697 Anm. 1. 4 Konferenz vom 3.8.1630: Ebenda 473 f. 1
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über das
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non melius, renunciare bonis quibusdam ecclesiasticis, quam cum tanto periculo conservare?" Die Trierischen rieten, zwar nicht über das Edikt selbst, aber doch über dessen Exekution in Verhandlungen einzutreten, auch die Kölner sprachen sich für eine Komposition aus. Maximilians Sprecher Richel erklärte nicht weniger, daß zur Vermeidung größter Schwierigkeiten in der gegenwärtigen gefährlichen Situation den protestantischen Kurfürsten „content" gegeben werden müsse. So wurde den anwesenden Theologen die Frage gestellt, ob mangels Mitteln zu weiterer Kriegführung nicht der gütliche Weg versucht werden müsse. Unter Vorantritt des Mainzer Beichtvaters Reinhard Ziegler, dem etwas zögerlich auch die beiden anderen Beichtväter Schröttel und Contzen folgten, kamen die drei Jesuiten zu dem Ergebnis, daß das Edikt zwar nicht in Frage gestellt werden dürfe, aber „das man die Stifter ad certos annos unangefochten lassen kend", wenn die Kriegsmittel mangelten. Entsprechend beantwortete Maximilian die Ankündigung des Leipziger Konvents durch Johann Georg von Sachsen mit der Erklärung, daß Kaiser und katholische Kurfürsten zu Ausgleichsgesprächen durchaus bereit seien.5 Ein etwa gleichzeitiges Gutachten Richels beschwor die schwersten Gefahren, wenn man keinen Ausgleich mit den protestantischen Reichsständen finde.6 Als jedoch wenige Wochen später im Laufe des Oktober die geistlichen Kurfürsten auf Ausgleichsverhandlungen drängten, für die der Kaiser gewonnen werden sollte, ließ Maximilian erklären, daß man sich nach Ansicht der Theologen nur in casu extremae necessitatis in einen Vergleich mit den Protestanten einlassen dürfe. Er, Maximilian, sehe sich noch nicht in dieser Notwendigkeit, sondern sei in der Lage, seine Ligaquote weiterhin zu bezahlen. Seien freilich die anderen Ligastände hierzu nicht fähig, könne Bayern allein die Armee auch nicht aufrechterhalten und werde dann „umb anderer ihrer [Maximilians] mitverainten impossibilität willen auch selbst ad términos impossibilitatis et necessitatis redigirt" und gezwungenermaßen sich zu Ausgleichsverhandlungen bereitfinden müssen.7 Man wird nicht bezweifeln, daß der Sachverhalt so, wie er vorgetragen wurde, tatsächlich gegeben war, und doch bemerken, daß diese Argumentation einer oft praktizierten Übung Maximilians entsprach, die Verantwortung für unliebsame religionspolitische
Maximilian an Kursachsen, 26.9.1630: Ebenda 677 ff. „Ursachen, warum ehist nach dem friden [= Ausgleich mit den Protestanten] zu trachten": Ebenda 757 Anm. 2. 7 Erklärung Richels in der Konferenz der Deputierten der kath. Kurfürsten, 21.10.1630: Ebenda 644 f., auch zitiert bei Bireley, Maximilian 136 f. 5 6
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28. Ausgleichsverhandlungen
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Entscheidungen möglichst auf seine geistlichen Kollegen zu schieben.8 Im vorliegenden Fall bedeutete die Erklärung, daß Bayern grundsätzlich zu Verhandlungen über einen Ausgleich bereit war. Entsprechend baten die noch in Regensburg befindlichen katholischen Kurfürsten um die Erlaubnis des Kaisers, „daß sie wegen der mittel zu erlangung eines fridens — hoc intellige von moderation des kay. edicts — reden und handien dörfen", denn man sei sich sicher, „wan die stend einig, das es an gnuegsamen mittein, dem König in Schweden zu begegnen, nit manglen werde".9 Das unmittelbare Ziel war, durch Bereinigung der Religionsdifferenzen Kursachsen vom Anschluß an Schweden abzuhalten, ja den Kurfürsten (über die Kreisbewilligungen) zur Mitfinanzierung des kaiserlichen Heeres zu gewinnen. Inzwischen hatte der Kanzler Antonin Wolff des Landgrafen Georg von Hessen-Darmstadt der mainzischen Kanzlei am 1. Oktober ein ausdrücklich als Privatarbeit bezeichnetes detailliertes Ausgleichsprogramm eingereicht.10 Landgraf Georg, ein Schwiegersohn des Kurfürsten von Sachsen, eine um Vermittlung bemühte Natur und nach den Worten Gustav Adolfs „des Hl. Römischen Reiches Erzfriedstifter", hatte Anregungen einer Reihe mittlerer und kleinerer protestantischer Reichsstände zu diesem Schriftstück verarbeiten lassen. Diese sog. Hessischen Punkte erbaten die sofortige Einstellung der Exekution des Restitutionsedikts, um Ausgleichsverhandlungen zu erleichtern. In der Hauptsache gestanden sie, doch sehr weitgehend, die Rückgabe derjenigen seit 1555 (nicht 1552) säkularisierten Mediatstifter und reichsunmittelbaren Hochstifter an die Katholiken zu, in denen z. Zt. des Religionsfriedens noch allein das katholische Bekenntnis in Übung gewesen sei, was allerdings in den wenigsten der Fall gewesen war. Dagegen sollten Kursachsen, Kurbrandenburg und Hessen sämtlicher Stifter und Hochstifter, die sie innehatten, ohne Ausnahme auf fünfzig Jahre versichert sein, nach deren Ablauf der Stand von 1621 gelten solle. Auf diese Hessischen Punkte antwortete am 29. Oktober der Mainzer Kanzler Gereon mit einer ebenfalls als Privatarbeit bezeichneten „Gegenerklärung",11 von der er nicht wisse, ob Von einer für Maximilian „charakteristischen Rücksicht gegenüber den geistlichen Fürsten in Religionsfragen", die seiner „Fähigkeit zur Führung erhebliche Grenzen setzte" (so Bireley, Maximilian 136) kann also nicht gesprochen werden. 9 Konferenz zwischen Deputierten des Kaisers und der kath. Kurfürsten, 22.10.1630: BA NF II,5, 646 f. 10 Druck: Ebenda 680-685; Teile einer lateinischen Version auch bei Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 215 ff. Vgl. auch Tupe% Streit 470 ff.; Rtpgen, Römische Kurie 1,1, 223 und 250 f.; Bireley, Maximilian 135 u.ö. » Druck: BA NF 11,5, 685-690; Teile auch bei Adfyeiter-Vervaux, Annales III, 218 f. Zu Entstehung und Übergabe vgl. BA NF 11,5, 759 Anm. 1. 8
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die katholischen Reichsstände mit ihrem Inhalt übereinstimmten. Tatsächlich standen aber hinter diesem Schriftstück neben Kurmainz auch Maximilian, Kurtrier und Kurköln, deren Räte an der Formulierung beteiligt gewesen waren.12 In den Hauptpunkten forderte die „Gegenerklärung" die Rückgabe sämtlicher seit 1552 (nicht 1555) säkularisierten Mediatstifter, ebenso die Rückgabe sämtlicher säkularisierten Hochstifter, auch der vor 1552 entfremdeten, ohne jede Berücksichtigung des damaligen Bekenntnisstandes. Seien die Protestanten damit einverstanden und akzeptierten sie gleichzeitig die erbliche Kurübertragung auf Maximilian von Bayern, werde Kursachsen und Kurbrandenburg der Besitz sämtlicher ihrer Stifter und Hochstifter auf vierzig Jahre und nach deren Ablauf nach dem Stand von 1621 zugestanden. Man erkennt die fundamentalen Unterschiede der „Gegenerklärung" gegenüber den Hessischen Punkten und man sieht, daß es Maximilian verstanden hatte, in einem Schriftstück, das doch ganz anderen Problemen gewidmet war, auch seine politische Hauptforderung unterzubringen. Daher ist es wenig plausibel, daß er mit der „Gegenerklärung" nicht einverstanden gewesen sein sollte.13 Bei der Übergabe äußerte der Mainzer Kanzler, daß die katholischen Kurfürsten zu einer gütlichen Handlung über einen nicht mehr privaten, sondern nunmehr offiziellen Gegenvorschlag der Protestanten „nicht ungenaigt" seien und schlug Lichtmeß (3. Februar) 1631 und Frankfurt als Zeit und Ort einer solchen gütlichen Tagfahrt vor. Der Kaiser hatte sich für Ausgleichsverhandlungen noch in Regensburg ausgesprochen, jedoch hatte Maximilian dringend für den späteren Termin plädiert.14 Auf den kommenden Konvent in Frankfurt wurde auch eine Gruppe kleinerer evangelischer Reichsstände verwiesen, die gegen Ende des Kollegialtags unabhängig von dem genannten Schriftwechsel bei Kurmainz um die Einstellung der Exekution des Restitutionsedikts und die Eröffnung von Ausgleichsverhandlungen baten.15 Sie wurden von den katholischen Kurfürsten unterrichtet, daß man sich zwar in keinerlei Diskussion über eine Aufhebung des Edikts einlassen könne, doch wolle man über eventuelle Exzesse bei seiner Exekution sowie über die Hessischen Punkte und die katholische Gegen-
12 Konferenz der Deputierten der kath. Kurfürsten, 26.10.1630, und Konferenz bayer. Räte, 28.10.1630: Ebenda 653 f. und 654 f. 13 So Birelej, Maximilian 137. M BA NF 11,5, 654 f. , 5 Gesandte protestantischer Stände an Kurmainz, 6.11.1630: Londorf, Acta publica IV, 109 f.; vgl. auch BA NF 11,5, 760 Anm. 1.
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28. Ausgleichsverhandlungen über das Restitutionsedikt
erklärung gütliche Handlung pflegen; darüber hinaus werde man den Kaiser bis Ende Februar um keine neuen Ediktsexekutionen bitten.16 Folgt man Pater Contzen,17 so hatte Richel im Gremium der kurfürstlichen Deputierten sich gegen eine Sistierung der Ediktsexekutionen ausgesprochen; auch Maximilian, der den Beschluß erst einige Tage später erfuhr, habe ihn mißbilligt. Dies scheint jedoch wenig glaubhaft, denn tatsächlich hat Maximilian das genannte Gesamtschreiben der katholischen Kurfürsten mit unterzeichnet! Allerdings betonte er gegenüber dem drängenden Mainzer, daß man gründliche Vorbereitungen für Ausgleichsverhandlungen treffen müsse.18 Am gleichen Tag stellte er seinem Bruder in Köln die Frage,19 ob in der ganzen Angelegenheit nicht die Zustimmung des Papstes einzuholen sei, da es vorwiegend um geistliche Dinge gehe. Man werde zwar keinesfalls vom Religionsfrieden weichen, doch wisse man, „daß die Bäpst auch so gar den Passauischen Vertrag und religionfriden niemals guet gehaissen und ratificirt", ja sogar die am Passauer Vertrag beteiligten katholischen Fürsten hätten exkommunizieren wollen.20 Solche Dinge müsse man sich ersparen und also jetzt behutsam vorgehen. Jedoch sei es seine Aufgabe nicht, den Papst schriftlich oder durch einen Gesandten über den geplanten Konvent zu informieren. „Mich als ein weltlichen stand geht die sach so weit nit an, daß ich solchen Vorschlag tuen, weniger aber auch bei der abordnung oder anbringen concurriren soll, sonderlich weil es umb geistliche güetter und jurisdiction zuthuen." Maximilian folgte also weiterhin der Linie, zu Ausgleichsverhandlungen bereit zu sein, die Verantwortung hierfür aber den geistlichen Kurfürsten zuzuschieben. Die Hauptfrage ist, ob Maximilian ernstlich an einem Ausgleich interessiert war, der naturgemäß auch Zugeständnisse von katholischer Seite erforderte, und zu welchen tatsächlichen Zugeständnissen er bereit war. Was das Zustandekommen von Verhandlungen betrifft, so betonte er im März 1631 erneut, daß er seine Ligaquote noch leisten könne. Müßten aber die anderen katholischen Stände sich wegen Erschöpfung zu Verhandlungen herbeilassen, so werde sich Bayern nicht separieren, sondern dasjenige befördern helfen,
16 Resolution der kath. Kurfürsten auf etlicher protestantischer Stände am 8.11. übergebenes Memoriale, 12.11.1630: Londotp, Acta publica IV, 110 f.; vgl. BA NF 11,5, 761 Anm. 1. 17 Contzen an F. W. von Wartenberg, ca. Ende November 1630: Repgen, Römische Kurie 1,2 Nr. 26. « Maximilian an Kurmainz, 10.12.1630: BA NF 11,5 761 Anm.l. 19 Maximilian an Kurköln, 10.12.1630: Ebenda 756 Anm. 3. 20 Zur Kritik Pauls IV. am Religions frieden, die aber nicht zu einem Protest geführt hatte, vgl. Repgen, Römische Kurie 1,1, 82 ff.
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was allgemein für notwendig angesehen werde.21 Dies war der entscheidende Punkt! Die Beschlüsse des Leipziger Konvents vom 12. April 1631 mußten ihn dann umsomehr auf den Verhandlungsweg weisen. Die evangelischen Stände unter Führung Kursachsens protestierten erneut gegen das Restitutionsedikt, lehnten weitere Kontributionen für die kaiserliche Armee ab und wollten eine eigene Armee zur Verhinderung weiterer Exekution des Edikts werben. Bedachte man dazu noch die gleichzeitigen Erfolge der Schweden, so war es umso notwendiger, durch Ausgleichsbereitschaft Kursachsen und weitere protestantische Stände vom Anschluß an Gustav Adolf abzuhalten. Es sei notwendig, schrieb der Mainzer in diesem Sinne an Maximilian, „daß die occasion, so sich aniezo mit bewüster tractation gleichsamb selb herfür tuet, nit versaumbt werde".22 So hat sich Maximilian auch nicht gegen eine neue Terminsetzung für den Frankfurter Konvent gesperrt, nachdem er sich schon vorher von Warnungen der Kurie, in Verhandlungen einzutreten, nicht hatte beeindrucken lassen.23 Entsprechend Maximilians bisheriger Taktik, die Geistlichen vorzuschieben, sollten die bayerischen Gesandten zum Dinkelsbühler Ligatag vom Mai 163124 in der Frage der Opportunität von Ausgleichsverhandlungen nur ganz allgemein erklären, daß man sich von der Meinung der geistlichen Stände, die es am meisten angehe, nicht separieren werde — was nichts anderes hieß, als daß man der Eröffnung von Verhandlungen zustimme, auf die Kurmainz so sehr drängte. Allerdings werde keiner der Stände dem Kaiser die Preisgabe des Edikts selbst zumuten wollen. Die weitere Exekution des Edikts aber sei allein eine Sache der geistlichen Stände, „dann wir nie umb kein exekution angehalten und auch nichts darmit zuthuen haben, sonder es billich denen, welchen es stand und ambts halber gebürt, haimgestellt sein lassen." Maximilian unterschied also zwischen dem Edikt, an dem festgehalten werden müsse, und der weiteren Exekution, die ihn nichts angehe! Die in Dinkelsbühl versammelten Ligastände plädierten denn auch trotz mancher Wenn und Aber (vor allem der Gesandten des Augsburger Bischofs Heinrich von Knöringen) schließlich für Verhandlungen mit den Protestanten, soweit es Beschwerden über Verletzungen des Religions friedens bei der Ediktsexekution 21
Maximilian an Kurmainz, 18.3.1631: Akten 262/1, fol. 137 f. Die Feststellung bei Bireley, Maximilian 147, daß Maximilian sich geweigert habe, „auch nur auf Verhandlungen mit den Protestanten zu drängen", ergibt sich jedoch nicht aus dem Schreiben. 22 Kurmainz an Maximilian, 27.3.1631: Forst, Wartenberg, Anlage Nr. 12. 23 Urban VIII. an Maximilian, 10.2.1631: Repgen, Römische Kurie 1,2 Nr. 36, vgl. Nr. 32; Maximilian an Kurmainz, 25.2.1631: Akten 262/1, fol. I l l f.; Barberini an Carafa, 1.2.1631: Wijnhoven, Carafa Nr. 2105. 24 Instruktion vom 1.5.1631: Akten 272, fol. 203-255.
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betraf. Am Edikt selbst, „sovil dessen substantial betrifft", müsse jedoch eisern festgehalten werden.25 Aber selbst diesen Punkt schwächte Maximilian in Rücksicht auf den erstrebten Ausgleich ab. Er riet den Ligaständen ab, zu sehr zu betonen, daß am Restitutionsedikt nicht gedeutelt werden dürfe, denn „man möchte dardurch denselben [Protestanten] gleichsamb alle hoffnung zue gütlicher accomodation [...] abschneiden".26 Das hieß nichts anderes, als daß er den Beginn von Verhandlungen entschieden zu fördern suchte! Als Zeichen der Ausgleichsbereitschaft war auch Maximilians gleichzeitige Bitte an den Kaiser zu verstehen, Johann Georg von Sachsen in dieser schwierigen Stunde nochmals ausdrücklich zu versichern, daß der Mühlhausener Schluß von 1620, also die vorläufige Belassung seiner drei Hochstifter, trotz des Restitutionsedikts auch jetzt noch gelte.27 Der Frankfurter Ausgleichstag wurde vom Kaiser schließlich auf den 2. August 1631 einberufen und von zahlreichen katholischen und protestantischen Reichsständen beschickt.28 Die drei bayerischen Vertreter Preysing, Richel und Herwarth (der während der Verhandlungen in Frankfurt starb) wurden instruiert,29 sich an der Regensburger „Gegenerklärung" - die allerdings in einigen Punkten präzisiert oder erweitert werden sollte — zu orientieren, d.h. prinzipiell an Religionsfrieden und Restitutionsedikt festzuhalten. Was die in der „Gegenerklärung" konzedierte Außerkraftsetzung der Exekution des Edikts für Kurbrandenburg und Kursachsen auf vierzig Jahre betraf, so wollte Maximilian dem Brandenburger als einem Kalvinisten, der sich inzwischen Gustav Adolf angeschlossen hatte, nun nichts mehr zugestehen. Auch bei Johann Georg von Sachsen sei noch zweifelhaft, ob er sich nicht den Schweden anschließe und damit einer Konzession unwürdig mache. Würde aber beiden beim Konvent etwas zugestanden, „sollten doch die iahr sovil müglich abgekürzt [...] und gleichwohl auch damit solang hinderhalten Abschied vom 20.5.1631: Akten 272, fol. 268 ff. an Richel in Dinkelsbühl, 20.5.1631: Akten 272, fol. 471 f. 27 Maximilian an den Kaiser, 24.7.1631: Kschw. 73, fol. 84. Von Kütner dem Kaiser mündlich vorgetragen. 28 Zum Frankfurter Konvent vgl. Tupefy Restitutionsedikt 508; Sturm, Preysing 120 ff.; Bireley, Maximilian 156 ff.; Frohnweiler, Friedenspolitik 13 ff. Ritter, Geschichte III, 506 äußert sich nur sehr knapp. Zahlreiche Berichte der Gesandten Kurkölns und Osnabrücks finden sich bei Forst, Wartenberg. Die Position Roms schildert Repgen, Römische Kurie 1,1, 239 ff. Die bayerischen Akten, vor allem die Instruktion für Preysing, Richel und Herwarth sowie deren Schriftwechsel mit Maximilian, liegen in Akten 263/1 und II. Tagebuchähnliche Aufzeichnungen Preysings vom 12.8.-4.9.1631 befinden sich im Staatsarchiv München, Hohenaschauer Archiv, Akten 597; Teildruck mit nicht gekennzeichneten Auslassungen bei Aretin, Auswärtige Verhältnisse, Urkundenteil 293-300. 29 Instruktion vom 1.8.1631: Akten 263/1, fol. 125 ff. 25
lf> Maximilian
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werden, als lang die hofnung ist, sonsten mit den protestirenden durchzukommen." Das war übliche Verhandlungstaktik, prinzipiell war Maximilian jedoch zu Zugeständnissen an Kursachsen bereit. Der Instruktion waren zwei Theologengutachten beigegeben, die durchaus, wie die Instruktion selbst formulierte, „in favorem unser alleinseligmachenden religion gerichtet" waren.30 Das Gutachten Pater Laymanns war in der Tonlage seiner „Pacis Compositio" gehalten und verwarf jedes Zugeständnis. Pater Contzens Bemerkungen hierzu stellten fest, daß Zugeständnisse nur in äußerster Notlage eingeräumt werden dürften, die er aber noch nicht gegeben sah. So weit, so gut. Die Instruktion erwies aber auch, daß Maximilian gegen Zugeständnisse anderer nicht protestieren würde. Vielmehr, so hieß es, wenn die geistlichen Fürsten mehr als Bayern zugestehen sollten, „müssen es unsere abgesandte gleich wohin dahingestellt sein lassen." Die Verhandlungen des Konvents begannen spät und endeten abrupt und ohne Ergebnis.31 Seit dem 13. August berieten die katholischen Gesandten vorbereitend über die Hessischen Punkte und die „Gegenerklärung", mit dem Ergebnis, vom „klaren teutschen buechstaben" des Passauer Vertrags, Religionsfriedens und Restitutionsedikts keinesfalls weichen zu wollen. Die kursächsischen Gesandten trafen erst am 20. August in Frankfurt ein, wollten aber erst nach Ankunft der Brandenburger verhandeln, die bis zum 12. September auf sich warten ließen. Schon Ende August war jedoch den Katholischen bekannt, daß die sächsische Instruktion praktisch auf völlige Negierung des Geistlichen Vorbehalts und auf Beseitigung des Restitutionsedikts hinauslief, sodaß eine Verständigung kaum möglich schien, wenngleich Richel vom hessen-darmstädtischen Kanzler dringlich aufgefordert wurde, auf Modifizierung der sächsischen Linie zu hoffen und darauf hinzuarbeiten. Am 15. September wurde der Konvent endlich mit der Proposition der kaiserlichen Gesandten offiziell eröffnet, 32 am 24. September legten die Protestanten ihre Vorschläge vor,33 welche bezüglich der Hochstifter und Stifter die Wiederherstellung des Standes von 1620 forderten. Am gleichen Tag wurde in Frankfurt der Sieg der vereinigten schwedisch-sächsischen Truppen über Tilly in der Schlacht bei Breitenfeld vom 17. September bekannt, ohne allerdings die katholischen Gesandten zu größerer Nachgiebigkeit zu veranlassen. Vielmehr bekräftigten diese in ihrer Antwort und Erklärung vom 1. Okto30
Präsentiert 11.7.1631: Akten 264, fol. 19-28. Hierzu vgl. Bireley, Maximilian 155 f. Einzelheiten in Preysings Tagebuch sowie den Berichten der bayer., kurkölnischen und osnabrückischen Gesandten. 32 Londorp, Acta publica IV, 225 f. 33 Ebenda IV, 226 ff. 31
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ber34 ihren Standpunkt; die protestantischen Vorschläge glichen mehr „einem extremo, als fridensmittel," da sie dem Passauer Vertrag und Religionsfrieden ganz zuwider seien. Ein weiterer Meinungsaustausch mit dem erneuten Vorschlag der Protestanten vom 10. Oktober, sich auf das Normaljahr 1620 zu einigen,35 und einer kurzen Ablehnung durch die Katholischen vom 13. Oktober36 beendeten den Schriftwechsel ohne alle Ergebnisse. Die Katholiken erklärten anschließend, die Verhandlungen zunächst abbrechen zu müssen, da die Kriegslage den Briefverkehr mit ihren Prinzipalen nicht mehr gestatte. Maximilian nützte die Anwesenheit der Gesandten zahlreicher Ligastände in Frankfurt und ließ durch Richel zu gesteigerten finanziellen Anstrengungen für das Heer anstacheln. Besondere Veranlassung hierzu gab die prekäre Situation seit der Niederlage von Breitenfeld. Doch ließ er ausdrücklich betonen, daß die Stände durch die drastische Schilderung der militärischen und finanziellen Lage nicht zu Nachgiebigkeit in den Konfessionsfragen veranlaßt werden sollten. Dennoch brachte er selbst beide Momente in einen Zusammenhang: Die Beschlüsse zur Wahrung der Religionsinteressen seien zwar „ganz billich, loblich, heroisch und gewissenhaft", und er schließe sich ihnen auch an. „Aber wan nit auch die media humana zu dero manutention alsgleich resolvirt und die resolvirte anders nit und mit bösserm bestand, als bishero der effect erwisen, beigeschafft werden, so werde solche resolution für sich selbst nichts und zu wasser werden."37 Im übrigen hoffte er auf einen schließlichen Erfolg der Verhandlungen; jede Seite sei des Krieges überdrüssig, weswegen die sächsische Instruktion noch nicht das letzte Wort sei. Beim tatsächlichen Scheitern der Verhandlungen sollte aber die Schuld den Protestanten zugeschoben und Frankfurt erst nach ihnen verlassen werden. Da Preysing und Richel aus Sorge vor den nahenden Schweden mit den anderen Katholiken am 14. Oktober von Frankfurt abreisten, wurden sie nicht mehr von einer bemerkenswerten Weisung Maximilians vom gleichen Tag erreicht,38 der sich angesichts der katastrophalen militärischen Situation nunmehr zu erheblichen Zugeständnissen an Kursachsen bereit zeigte - jetzt wie bisher sah Maximilian einen Ausgleich in der Religionsfrage in erster Linie unter dem kurzfristig-taktischen Gesichtspunkt, die Neutralität Johann Georgs von Sachsen zu sichern oder, wie jetzt nach Breitenfeld, wiederherzustellen. Verärgert kritisierte er Preysing und Richel, bei den katholischen GeEbenda IV, 228 ff. 35 Ebenda IV, 259 ff. Ebenda IV, 265. 34
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Maximilian an die bayer. Gesandten, 26.8.1631: Akten 263/11, fol. 57 f. Maximilian an die bayer. Gesandten, 14.10.1631: Ebenda fol. 133 ff.
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sandten keine Beratungen über spezielle, durch Landgraf Georg zu vermittelnde Zugeständnisse an Kursachsen angeregt zu haben, die diesen vom Anschluß an Gustav Adolf abhalten sollten. Aber noch sei es nicht zu spät, Johann Georg zurückzugewinnen. Man könne ihm zugestehen, erstens von Angriffen der Katholischen verschont zu bleiben, wenn er Gleiches verspreche und Gustav Adolf zur Respektierung der katholischen Territorien bewege; zweitens auf unbestimmte Zeit im Besitz seiner drei Hochstifter zu verbleiben; drittens beim Kaiser Fürsprache zur Einstellung der Exekution des Restitutionsedikts einzulegen; schließlich und viertens, einen allgemeinen Wafffenstillstand als Voraussetzung erneuter Verhandlungen einzugehen. Das waren neue, durch den Umschlag des Kriegsglücks hervorgerufene Töne, denn für die Belassung der drei Stifter auf unbestimmte Zeit hatte sich Maximilian noch nie ausgesprochen. Derartige Töne sollten fortan, wenn auch mit Intervallen, bis zum Westfälischen Frieden nicht mehr verstummen. Offensichtlich hatte Maximilians Konfessionspolitik nunmehr den Zenith überschritten. So wurden Preysing und Richel angewiesen, daß man nunmehr, „da man aus getrungener not wol ein übriges tuen müesse und sich besorglich nit alles so stricte, wie man sich anfangs verglichen, behaupten lassen wird, sovil nur immer möglich und tunlich, die güete continuirt und auf müttel und weg gedenke, dardurch man zu einem vergleich und endtlich aus den sachen kommen" möge. Man müsse vorbauen, daß nicht „heunt oder morgen die catholische stende sich etwan beklagen und uns zuemessen solten, als hetten wir sie durch unser so starke erinderungen zu den extremis bewegt und von der güete abgehalten." Nachdem eine expansionistische Konfessionspolitik der katholischen Partei in einer militärischen Niederlage geendet hatte, distanzierte sich Maximilian nunmehr von dieser Politik und suchte sich selbst als einen Gemäßigten darzustellen. War er ein Gemäßigter? Pater Vervaux hat in seiner Biographie Maximilians die Ansicht vertreten, daß es 1630/31 in München in konfessionspolitischen Fragen zwei Gruppierungen gegeben habe, eine extremistische, deren Exponent Pater Contzen als „consultor rigidus" gewesen sei, und eine gemäßigte, der auch Maximilian angehört habe.39 Diese Auffassung wurde von einer Reihe späterer Historiker übernommen.40 Robert Bireley hat dann das Problem näher untersucht und dabei im Gegensatz zu Vervaux die These aufgestellt, daß Maximilian bis zum Ende des Frankfurter Konvents den Extremisten gefolgt sei und daß es die Münchner Jesuiten, in der Hauptsache sein Beichtvater Contzen, gewesen 39 40
Adlyreiter-Vervaux, Annales III, 215 ff. Aufgeführt bei Bireley, Maximilian 144 Anm. 71.
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seien, die im Ringen um die Willensbildung des Herzogs gegen die gemäßigten Kräfte unter seinen Mitarbeitern, insbesondere Jocher und Wolkenstein, sich durchgesetzt hätten. Die religiös-moralische Argumentation Contzens habe über den politischen Realismus der Räte gesiegt, bis dann Krise und Katastrophe der bayerischen Politik 1631/32 auch Maximilian ins gemäßigte Lager geführt hätten. Zur Stützung seiner These zog Bireley ein denkwürdiges, teilweise von der Hand Maximilians stammendes und daher für dessen Ansichten authentisches Memorandum heran, einen „Diseurs über des Reichs statum", der nach 1636 und vielleicht sogar erst während der Westfälischen Friedensverhandlungen entstanden ist.41 Das Memorandum schildert, wie nach den großen Erfolgen der Katholischen und dem Erlaß des Restitutionsedikts die Protestanten im Jahre 1630 um des Friedens willen zur Rückgabe sämtlicher seit 1552 säkularisierter Kirchengüter bereit gewesen seien und auch „vil treuherzige" Katholiken hierin den Weg zum Frieden gesehen hätten. Jedoch hätten extremistische Geistliche noch höhere Kriegsziele propagiert, zur Fortsetzung des Krieges aufgerufen, mit Kirchenstrafen drohend die Gewissen der Fürsten bearbeitet und erreicht, „däß man endlich die damaln in der hand gehabte erwünschte apertur eines wol ersprießlichen und reputirlichen fridens aus handen gelassen und sich zu continuation des Kriegs bei wißlichem abgang der notwendigen requisiten und assistenz Catholischer häupter und Potentaten resolvirn und dardurch das gewisse umb das ungewisse, das mehrer umb das weniger und vieler Millionen Seelen ewiges heil in gefahr und seithero ervolgtes höchstbedauerliches verderben sezen mießen." Denn aus Furcht, völlig ausgerottet zu werden, hätten sich die Protestanten vereinigt und mithilfe Frankreichs und Schwedens die Katholiken schließlich besiegt. So sei das Reich zu vielen weiteren Kriegsjahren verdammt worden, in denen die Katholiken alle ihre Gewinne und noch mehr verloren. Ganz ähnlich hatte auch schon eine Denkschrift Jochers von 1633 argumentiert,42 wo ebenfalls katholische „consulenten" angeklagt wurden, einen mit den Protestanten möglichen Ausgleich über das Edikt vereitelt und die Fortsetzung des Krieges durchgesetzt zu haben. Die Protestanten hätten „fast nur dis gesucht, daß man mit dem ksl. edict nit also praeeipitanter, etiam contra inauditos, procediren, ihnen ihre iura superioritatis in iren territoriis auf den geistlichen gütern nit entziehen und sie bei der augspurgischen religion (welche man wol erleitern und von andern secten entschaiden khönen) lassen sol, Druck: Albrecht, Auswärtige Politik 379 ff. Gutachten von Ende Juni 1633: BA NF 11,8 Nr. 128, besprochen bei Bireley, Maximilian 143 und 192 ff. Die ebenda Contzen zugeschriebene Stellungnahme stammt jedoch erst aus dem Jahre 1634; vgl. BA NF 11,8 Nr. 128 Anm. 1. 41
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auch es sonst nit umb so praeiudicirliche sachen und villeicht nur etlicher vor dem passauischen vertrag verlornen gütern halben zu thun gewest." Diese beiden historischen Rückblicke erweisen sich jedoch als falsch, soweit sie von der Möglichkeit eines Ausgleichs handeln. Denn niemals hatten die protestantischen Stände Zugeständnisse gemacht, insbesondere hinsichtlich der Hochstifter, die von den katholischen Gemäßigten für akzeptabel gehalten worden wären.43 Vom Angebot der Rückgabe sämtlicher säkularisierter Kirchengüter war niemals die Rede gewesen, selbst die Hessischen Punkte, die hinsichtlich der Hochstifter bemerkenswerte Zugeständnisse offerierten, hatten diese mit starken Einschränkungen versehen. Umgekehrt hatten die katholischen Gemäßigten niemals Vorschläge erwogen oder gar vorgelegt, welche die Protestanten hätten zufriedenstellen können;44 über eine zeitlich begrenzte Versicherung Kursachsens mit seinen drei Hochstiftern sowie die Möglichkeit einer befristeten Einstellung der Exekution des Restitutionsedikts waren sie nie hinausgegangen, was der Gegenseite weitaus zu wenig gewesen war. Auch Johann Georg von Sachsen hätte mit dieser Versicherung allein nicht mehr auf der Seite des Kaisers gehalten werden können. Das heißt: Die Gruppenbildung im katholischen Lager in Extreme und Gemäßigte war für den Ausgang des Problems Anfang der dreißiger Jahre ganz irrelevant, vielmehr waren die Konfessionsparteien insgesamt noch zu starr, um einen Ausgleich finden zu können. Dennoch ist die Existenz dieser Gruppen am Münchner Hof für die Biographie Maximilians von hohem Interesse. Auch wenn beide Denkschriften keine Namen nannten, war unter den extremistischen Beratern in erster Linie Pater Contzen gemeint, der ohne Zweifel starken Einfluß auf Maximilians Willensbildung in kirchenpolitischen Fragen auszuüben suchte. Die entscheidende Frage ist jedoch, inwieweit der Herzog diesen geistlichen Einwirkungen jeweils auch gefolgt ist, ein Mann, dessen jahrzehntelange politische Praxis erwies, daß er stets einen kirchlich-fundamentalistischen Standpunkt mit politischem Realismus, ja Egoismus zu vereinen wußte. Wenn nicht alles täuscht, bestimmte dieser Pragmatismus auch Maximilians Stellung zum konfessionspolitischen Ausgleich in den Jahren 1630/31. Er war in der Frage eines Ausgleichs mit den Protestanten in dieser Zeit weder dem extremistischen Lager zuzurechnen, wie Bireley will, noch dem gemäßigten Lager, wie Vervaux in Vorwegnahme von Maximilians Haltung bei den Westfälischen Friedensverhandlungen will. Vielmehr handelte er als ein Taktierer (oder So auch schon Bireley, Maximilian 223. So auch schon P. Contzen in einer Denkschrift von 1632, in der er sich und die Jesuitentheologen verteidigt, den Ausgleich verhindert zu haben; vgl. Bireley, Maximilian 142 f.
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unentschlossener Zögerer ?), der zwischen den beiden Positionen changierte und sich je nach Möglichkeiten und Umständen an religiös-moralischen oder politischen Gesichtspunkten orientierte, um daraus höchstmöglichen Gewinn für beide Bereiche zu ziehen. Vor allem seine wiederholte Argumentation, zwar selbst nicht zu Zugeständnissen gezwungen zu sein, aber im gegebenen Fall sich Zugeständnissen der geistlichen Fürsten anzuschließen, signalisiert diese Zielsetzung. Den Forderungen des Beichtvaters und der Reputation des katholischen Fürsten der Gegenreformation sollte ebenso Genüge getan sein wie der offensichtlichen politischen Zwangslage. Die Bandbreite dieser Methodik war allerdings zu schmal, die Bereitschaft zu Zugeständnissen dann doch zu begrenzt — hier war Maximilian nur der Exponent der konfessionspolitischen Anschauungen praktisch aller Lager im Reich zu diesem Zeitpunkt - , als daß damit eine entschiedene und erfolgreiche Korrektur der Politik des Restitutionsedikts hätte vorgenommen werden können. Als Maximilian am Ende des Regensburger Kurfürstentags und noch deutlicher am Ende des Frankfurter Kompositionstages begann, eine weitergehende Kurskorrektur einzuleiten, war es zu spät. Es bedurfte der Verwüstungen Bayerns durch die Schweden in den folgenden Jahren, um schließlich in der Zustimmung zum Prager Frieden zwar immer noch begrenzte, aber im Effekt doch friedefördernde konfessionspolitische Zugeständnisse hervorzurufen.
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Die dramatischste Epoche in der langen Regierungszeit Maximilians bildeten die Jahre 1630-1632, Sieg und Niederlage, Triumph und Demütigung folgten sich in raschem Wechsel. Der Bogen spannte sich vom Regensburger Kurfiirstentag über die Niederlage bei Breitenfeld und die Hilfsverweigerungen Frankreichs und Wallensteins bis zur Besetzung und Verheerung Bayerns durch die Schweden. Die Epoche Gustav Adolfs in der deutschen Geschichte bildete zugleich auch eine Epoche in der Geschichte Bayerns und der Biographie Maximilians. Die katholischen Kurfürsten hatten in Regensburg dem Kaiser Unterstützung gegen Gustav Adolf zugesagt, aber die Frage war, was Kaiser und Liga den Schweden und deren eventuellen Verbündeten entgegenzusetzen hatten. Der bessere Teil des kaiserlichen Heeres unter Collalto befand sich auf dem mantuanischen Kriegsschauplatz und blieb dort dank Richelieus Diplomatie bis zum Frühjahr 1631. Der andere Teil war mangels Ergiebigkeit der Quartiere weit über Norddeutschland verstreut, es mußte schwierig sein, ein effektives Feldheer zur Abwehr der Schweden rasch aus den Garnisonen herauszuführen. Darüber hinaus waren Personal und Ausrüstung der meisten Regimenter in schlechtem Stand. Die Berichte des neuen Oberbefehlshabers Tilly an Maximilian waren voll von Klagen über den deprimierenden Zustand des kaiserlichen Heeres und von Bitten, den Kaiser um Abhilfe zu ersuchen.1 Maximilian seinerseits forderte Ferdinand auf, durch raschen Friedensschluß in Italien die dortigen Truppen freizubekommen und inzwischen starke Werbungen vorzunehmen, denn bekanntlich ziele der König von Schweden vor allem auf die kaiserlichen Erblande.2 Im übrigen sei man aus Frankreich informiert, daß es nur der Investitur des Herzogs von Nevers bedürfe, damit der König von Frankreich die Schweden zur Räumung des Reichsbodens veranlasse, „und also zur erhebung eines büllichen reputirlichen fridens der weg geöffnet werden solle".3 1 Vgl. auch Klopp, Krieg 111,2, 3 ff.; Kurmainz an Maximilian, 3.2.1631: Kschw. 781, fol. 154 ff. Maximilian an den Kaiser, 14.1.1631: Kschw. 72, fol. 23 ff.; ähnlich am 30.1.1631: Hallmch, Briefe und Akten I, 260 ff. 3 Maximilian an den Kaiser, 20.3.1631: Kschw. 72, fol. 70 ff. 2
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In besserem Zustand als das kaiserliche Heer präsentierte sich das Ligaheer, dessen Quartiere sich über Ostfriesland, Westfalen, Berg und Mark, Wetterau und Hessen bis ins Braunschweigische und in die Mark Brandenburg erstreckten; die Reiterei war in Franken und Schwaben untergebracht. Auf Drängen Tillys hatte Maximilian die in Regensburg bzw. Kelheim vereinbarte Reduzierung des Ligaheeres doch nicht vorgenommen, das also wie bisher rund 29 000 Mann umfaßte.4 Tilly glaubte nunmehr ein Feldheer von 10 000 Mann aus den Garnisonen ziehen zu können, Maximilian rechnete sogar mit 18 000 Mann. Jedoch hatte Tilly auch beim Ligaheer über erschöpfte Quartiere und unzureichende Geldbeiträge der Bundesstände zu klagen. Der Gegner sei umso gefährlicher, als der Kern der schwedischen Truppen aus schwedischen Landeskindern bestehe, die, „gleichsamb all sclaven ires herrn und Königs," gezwungen seien, jeweils bis auf den letzten Mann zu kämpfen, um Leib- und Lebensstrafen zu entgehen. Vielleicht war Tillys gleichzeitige Bitte, aus seinem Amt entlassen zu werden, nicht allzu ernst zu nehmen, umso ernster aber seine Begründung, daß die Gefährlichkeit der Situation und die Notwendigkeit erhöhter Geldbeiträge von den Ligaständen offensichtlich nicht erkannt würden.5 Es war eine der Hauptaufgaben Maximilians nach dem Kurfürstentag, derartige Klagen der Militärs mit dem Rückhalt seiner Autorität zu versehen und an die Ligastände weiterzugeben, wie vor allem ein dichter Schriftwechsel mit Anselm Casimir von Mainz und Ferdinand von Köln bezeugt. Es ging um die tatsächliche Bezahlung der beim Regensburger Ligatag bewilligten Quoten und um deren Fortsetzung.6 Beim Kollegialtag war, wie erwähnt, die weitere Finanzierung der kaiserlichen Armee und des Ligaheeres durch Bewilligungen der Kreistage beschlossen worden, wobei die Leistungen der Ligastände direkt in die Ligakassen fließen sollten. Von den der Liga nicht angehörenden bayerischen Kreisständen (wie Salzburg, Freising, Passau und Regensburg) erhoffte sich Maximilian allerdings nicht viel, und noch weniger von den Reichskreisen, in denen Protestanten zu den kreisausschreibenden Ständen zählten, bei letzteren zu Recht, wie die Beschlüsse des Leipziger Konvents bestätigten.7 Was den Bayerischen Reichskreis betraf, so kamen die Kreistage vom Januar und Mai Ligatagsabschied vom 10.11.1630: BA NF 11,5 Nr. 171 II. Zur Begründung vgl. u.a. die bayer. Instruktion zum Ligatag von Dinkelsbühl, 1.5.1631: Akten 272, fol. 203 ff. 5 Tilly an Maximilian 22.3.1631: Akten 272, fol. 70 ff.; vgl. auch Klopp, Krieg 111,2, 38 f. und 50 f.; junkelmann, Tilly 388 sowie die Klagen Pappenheims bei Stadler, Pappenheim 477 f. ύλΧ)\Albrecht, Auswärtige Politik 332 ff. 122 Richelieu, Testament Politique, ed. L. André, Paris 1947, 355. 123 Druck: Hallaich, Briefe und Akten II, 117.
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von Köln und von Trier, welch letzterer sich bereits unter französischen Schutz gestellt hatte) bis zu einem Universalfrieden in schwedischer Hand verblieben. Das Hochstift Bamberg wurde von jeglicher Neutralisierung ausgenommen. Das Ligaheer war auf 10-12 000 Mann zu begrenzen und auf mehrere Plätze zu verteilen. Die Einhaltung der Neutralitätsbedingungen durch Bayern und die Liga sollte von Frankreich garantiert werden, notfalls mit Waffengewalt. Gustav Adolf gewährte einen zweiwöchigen, später um eine Woche verlängerten Waffenstillstand, innerhalb dessen sich Maximilian und die Ligafürsten entscheiden sollten. Die Annahme der schwedischen Artikel durch die französischen Gesandten mußte als eine Kapitulation der Franzosen gewertet werden, als Eingeständnis, die katholischen Reichsfürsten nicht mehr schützen zu können, während sich Gustav Adolf jeder französischen Kontrolle entzog, ja den Franzosen die Einflußnahme auf Reichsangelegenheiten streitig machte. Dennoch, wenn auch zögernd, verpflichteten Charnacé und dessen Kollege de Brézé ihre Regierung, die Annahme der schwedischen Neutralitätsartikel bei den Ligafürsten zu betreiben. Gleichzeitig übermittelten sie den Vertragsentwurf nach München, wo St. Etienne das bayerische Einverständnis gewinnen sollte. Jedoch hat Maximilian die schwedischen Artikel sofort zurückgewiesen, „Sie [Maximilian] wolten liber das leben verliehren, als Iren mitconfoederirten bundtsgenossen gegenüber parola manquiren."124 Er lehnte die Bedingungen ab, weil sie zu überspannt waren, spielte aber auf Zeitgewinn, indem er zunächst erklärte, sich erst mit den Ligaständen verständigen zu müssen.125 Gleichzeitig suchte er über den in Vicq am französischen Hof befindlichen Hofrat Kütner Ludwig XIII. und Richelieu zu veranlassen, entweder die Annahme der mit Charnacé in München ausgehandelten Neutralitätsartikel bei Gustav Adolf doch noch zu erzwingen oder aber, wie von Charnacé wiederholt in Aussicht gestellt worden war, mit Schweden zu brechen und die vertraglich vereinbarte Truppen- oder Geldhilfe zu leisten. „Wie Du dann, wo es Dich für räthüch ansehen wirdt, auch dis erindern khanst, welches auch der Herr Nuntius thun mechte, daß Frankreich umb sovil mehr vor Gott schuldig, den Schweden von den violenzen gegen den katholischen Stenden mit gewaldt abzuhalten, weil der selbe durch sie zu disem angrif des Reichs erw Maximilian an de Brézé, 20.2.1632: Kschw. 15021/5, fol. 106. 125 So Maximilian an Donnersberg, 29.1.1632: Kschw. 131, fol. 135 ff. Die bei Hallmch, Briefe und Akten I, 131 ff. gedruckte „Resolutio" vom 1.2.1632 vermag ich (unter Korrektur von Albrecht, Auswärtige Politik 335) nicht einzuordnen. Jedenfalls handelte es sich nicht um eine Stellungnahme und Antwort Maximilians zu den schwedischen Artikeln.
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mant und vermögt, auch mit geld assistirt worden, dardurch izt die stiffter zu grund gangen und noch mehr folgen werden."126 Maximilian hielt also am Neutralitätsgedanken fest, sofern er zu günstigen Bedingungen zu realisieren war, es war ihm seit Dezember nicht einfach darum gegangen, Zeit zu gewinnen.127 Daß ihm die Zeit der Neutralitätsverhandlungen vom Dezember 1631 bis Februar 1632 (ohnehin eine Zeit der Winterquartiere) ermöglichte, Kräfte zu sammeln, Werbungen vorzunehmen und vermehrte Anstrengungen des Kaisers zu fordern, die bei einer Fortsetzung des Krieges nützlich waren, steht auf einem anderen Blatt. Anfang Februar machte sich Maximilian keine großen Hoffnungen mehr auf Frankreich. Obwohl ihm unbekannt blieb, mit welcher Unsicherheit Richelieu in diesen Wochen Gustav Adolf gegenüberstand, war ihm doch klar, daß dieser den Franzosen den Wind aus den Segeln genommen hatte.128 Selbst begrenzte Änderungsvorschläge Richelieus an den schwedischen Neutralitätsartikeln129 konnten daher von Charnacé und de Brézé nicht durchgesetzt werden. Maximilians Einschätzung wurde bestätigt, als der zurückgekehrte Kütner Mitte Februar mitteilte, daß die Franzosen trotz Charnacés Versprechungen weder mit den Schweden brechen noch Militärhilfe für Bayern leisten wollten. Die Folge war, daß Maximilian seine Anstrengungen um die Reorganisation des militärischen Potentials der katholischen Seite vervielfachte. Natürlich blieb im katholischen Lager die Kritik an der bayerischen Neutralitätspolitik nicht aus, mannigfache alte Vorbehalte gegen Maximilians Politik fanden hier einen gegebenen Ansatzpunkt. Bereits Anfang Januar berichtete der Jesuitengeneral Vitelleschi nach München, daß in Rom scharfe Anklagen gegen die bayerische Politik erhoben würden. Selbst in hochgestellten Kreisen heiße es, daß der ehrgeÌ2Ìge Kurfürst dem Hause Habsburg trotz aller Gunsterweise des Kaisers den Rücken kehren und die Kaiserkrone an sich zu bringen suche; er sei mit einigen Potentaten ein Bündnis zum Verderben Habsburgs eingegangen, habe sich mit Gustav Adolf in Geheimverhandlungen eingelassen und führe nur einen Scheinkrieg, was alles der kathoEigenh. Zusatz Maximilians in seinem Schreiben an Kütner vom 29.1.1632: Kschw. 15021/5, fol. 115 ff. 127 So entgegen Roberts, Gustavus Adolphus II, 591. Allerdings war im bayer. Geheimrat gelegentlich argumentiert worden, daß man die Neutralitätsverhandlungen gegenüber dem Kaiser rechtfertigen könne, indem man sie als Mittel zum Zeitgewinn bezeichne. 128 Vgl etwa Maximilian an Kurköln, Ende Januar 1632: Akten 143a/II, unfol. ™ Kopie in Kschw. 15021/5, fol. 153 ff. 126
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lischen Sache an der Wurzel schade.130 Gleichzeitig übersandte Crivelli ein in Rom zirkulierendes Schriftstück, das Maximilians und Richelieus Neutralitätspolitik und Verhandlungen mit Häretikern verurteilte, der Bayer folge nur der „vera dottrina e regola Machiavellica."131 Die Kritik kam aus der spanischen Ecke in Rom, die gleichzeitig auch (wie Maximilian selbst) die deutsche Politik Urbans VIII. kritisierte und schließlich im berühmten Protest des Kardinals Borja im Konsistorium vom 8. März 1632 gipfelte.132 Angesichts seiner eigenen Vorbehalte gegenüber dem Papst war Maximilian nicht der Mann, römische Vorwürfe schweigend hinzunehmen. Jocher hatte als Antwort für Vitelleschi eine „Informado brevis pro Romanis" zu verfassen;133 Contzen hatte ein Schreiben Maximilians an den Papst zu konzipieren, das die bayerischen Erwägungen zu Neutralitätsverhandlungen noch einmal rekapitulierte;134 Maximilian selbst wehrte sich gegenüber Francesco Barberini, daß er von Personen angeklagt werde (gemeint war doch die Römische Kurie), die zumindest schlecht informiert, wenn nicht schlecht gesinnt seien. Der Kardinal wiegelte hierauf ab und versicherte, daß „qualche diceria del volgo" an der hohen Wertschätzung Maximilians und seiner Frömmigkeit durch den Papst nichts ändere.135 Gleichzeitig entfaltete Maximilian eine bemerkenswerte Initiative. Schon wiederholt hatte er auf die unübersehbare Tatsache hingewiesen, daß der Gegensatz zwischen Spanien und Frankreich, zwischen Olivares und Richelieu, eine einheitliche und effektive Frontbildung der katholischen Mächte Europas gegen Schweden und dessen Verbündete, gegen den europäischen Protestantismus überhaupt verhindere. Angesichts der Situation des Winters 1631/32 suchte er diese Einschätzung mit besonderem Nachdruck auch in Rom zur Geltung zu bringen, indem er zusammen mit seinen Beschwerden eine Denkschrift an Barberini übersandte, die von Pater Contzen konzipiert worden war und sich als „Consilium theologopoliticum de praesenti Europae statu et malorum remedium" bezeichnete.136 Die Denkschrift bemühte sich, 130 Vitelleschi an Contzen, 3.1.1632: Akten 238, fol. 55 f. Eine Reihe von Berichten des Kölner Nuntius P. Carafa über die Neutralitätsverhandlungen findet sich bei Wijnhoven, Carafa. 131 „Avertimento per li Principi Christiani", undatiert: Akten 238, fol. 37 ff. 132 Leman, Urbain V i l i 119 ff. und 551 ff. 133 Konzept Jochers: Akten 238, fol. 23 ff. 134 Maximilian an Urban VIII., s.d., wohl Ende Januar 1632: Ebenda fol. 14 f. 135 Maximilian an Barberini, 29.1.1632: Barb. lat. 6709, fol. 9; Barberini an Maximilian, 6.3.1632: Kschw. 7402, fol. 172. 136 Original ohne solche Überschrift in Barb. lat. 6709, fol. 11 ff.; Konzept Contzens mit dieser Überschrift in Akten 238, fol. 8 ff. Kopien tragen die Bezeichnung „Apologia". Vgl. auch Albrecht, Auswärtige Politik 346 Anm. 1; Bireley, Maximilian 183 f.
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die von Gustav Adolf für Italien, den Kirchenstaat und das Papsttum drohenden Gefahren herauszustellen, falls die deutschen Katholiken einmal entmachtet seien. Sie rief Urban VIII. dazu auf, zwischen Madrid und Paris zu vermitteln und zu versöhnen. Im Zusammenwirken Spaniens und Frankreichs sowie der deutschen Katholiken könne dann die katholische Religion im Reich binnen kurzem wiederhergestellt werden. Diese „unione delle due corone" könne nur durch den Papst vermittelt werden. So forderte Maximilian Urban VIII. dazu auf, zur Einleitung entsprechender Verhandlungen umgehend außerordentliche Nuntien an die wichtigeren europäischen Höfe zu entsenden. Tatsächlich hatte diese bayerische Initiative eine viel beachtete päpstliche Friedensoffensive zur Folge! Bereits im Konsistorium vom 29. März 1632 gab Urban VIII. die Entsendung der drei außerordentlichen Nuntien Grimaldi, Ceva und Campeggi nach Wien, Paris und Madrid bekannt, mit der ausdrücklichen Aufgabenstellung, die Häuser Habsburg und Bourbon zu versöhnen und eine große katholische Allianz zustandezubringen. Die von der Kurie groß aufgezogene Aktion 137 war zweifellos ein diplomatischer Erfolg Maximilians auf dem internationalen Parkett, auch wenn der Papst den Nebenzweck verfolgte, seinen bisher nur mangelhaften Einsatz für Kaiser und Liga durch besondere Friedensbemühungen zu kaschieren. Im übrigen war die Römische Kurie ein entschiedener Gegner jeder Neutralisierung Bayerns und der Liga. Die Förderung der Neutralitätsverhandlungen durch den Pariser Nuntius Bichi, die auf eine Isolierung des Kaiserhofes im Sinne der Franzosen hinauslief, hatte nicht die päpstliche Billigung gefunden.138 So wurde der Wiener Nuntius angewiesen, die Wiedervereinigung Maximilians mit dem Kaiser bzw. den weiteren Zusammenhalt der beiden energisch zu betreiben, denn auf beider Einigkeit beruhe vor allem die Hoffnung der Katholiken im Reich.139 Weit wichtiger als die Rechtfertigung der bayerischen Neutralitätsverhandlungen gegenüber der Kurie war diejenige gegenüber dem Kaiserhof, schon deswegen, weil der Kaiser durch aufgefangene Instruktionen für Charnacé von dessen Mission nach München informiert war und um Aufklärung gebeten hatte.140 Bereits am 10. Januar war Oberstkanzler Donnersberg an den Kaiserhof abgefertigt worden, angesichts alter Beziehungen zu Ferdinand war er wohl geeignet, gute Stimmung zu machen. Aufgrund seiner weitläufi» 7 Einzelheiten bei Pastor, Päpste XIII,1,448 ff. und Leman, Urbain V i l i 213 ff. »8 Vgl. Staatssekretariat an Bichi, 22.11.1631: NF 74 A, fol. 153; Vastor, Päpste XIII,1, 430; Leman, Urbain VIII 74 f. 139 Staatssekretariat an Rocci, 27.3.1632: Barb. lat. 7064, fol. 37. i « Der Kaiser an Maximilian, 7.1.1632: Hallaich, Briefe und Akten II, 23 f.
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gen Instruktion und weiterer Papiere, darunter die erwähnten eigenhändigen Aufzeichnungen Maximilians zur Neutralitätsfrage, hatte Donnersberg dem Kaiserhof alle bayerischen Motive darzulegen.141 Er hatte zu argumentieren, daß durch eine bayerische Neutralität dem Kaiser nicht geschadet werde, und zu bemerken, daß Cadereyta, doch wohl mit Zustimmung Ferdinands, einen Neutralitätsvertrag zwischen Kursachsen und dem Kaiser allein vorgeschlagen habe, weshalb man auch der Liga nicht verdenken könne, um ihre Lande besorgt zu sein. Donnersberg hatte auch allgemeine Probleme anzuschneiden, den Fortgang des Mühlhausener Konvents, die bayerisch-spanischen Beziehungen, deren Verbesserung von beiden Seiten gewünscht werde, die Aussöhnung zwischen Madrid und Paris142 und manches andere mehr. Insbesondere hatte er auch die grundsätzliche Friedensbereitschaft Frankreichs gegenüber dem Reich zu betonen, ebenso Richelieus Anerbieten, bei Ablehnung der französichen Neutralitätsartikel durch Gustav Adolf mit diesem zu brechen. Man verdanke es im übrigen der französischen Vermittlungsbereitschaft, daß Gustav Adolf im vergangenen Herbst nicht von Würzburg nach Bayern und Osterreich, sondern an den Rhein gezogen sei (was offensichtlich nicht zutraf). Donnersbergs Rechtfertigungen stießen naturgemäß auf die Kritik der kaiserlichen Räte.143 Eggenberg, Trauttmansdorff und andere kritisierten in erster Linie, daß durch eine Neutralität Bayerns und der Liga der ganze Kriegsschwall auf die kaiserlichen Erblande gelenkt werde. Die bayerische Neutralitätspolitik sei „mit keinem einigen schein rechts justificirt", sie widerspreche den Verpflichtungen eines Reichsfürsten gegenüber dem Reichsoberhaupt, dem Verspruch beim Regensburger Kollegialtag und wiederholten Versicherungen Maximilians. Dessen Hoffnung, durch die Neutralität bei Land und Leuten zu bleiben, die verlorenen Stifter zurückzugewinnen und die katholische Religionsausübung wieder herzustellen, ruhe auf nur schwachen Fundamenten. Der Kaiser tue also gut daran, die katholischen Reichsfürsten an ihre Pflichten zu erinnern, damit sie nicht „auß eyder forcht eines 141 Die Instruktion vom 10.1.1632 in Kschw. 131, fol. 2-29 war in der Hauptsache ein Werk Richels, jedoch existiert in Kschw. 15021/5 fol. 165 ff. auch ein vorbereitendes Gutachten Jochers. 142 Im Zusammenhang mit den erwähnten Bemühungen Maximilians bei der Römischen Kurie. Hierzu vgl. auch das große Schreiben Maximilians an den Kaiser, 13.5.1632, in dem er die Friedensbereitschaft Richelieus betont (Kschw. 74, fol. 65 f.). 143 Donnersberg an Maximilian, 28.1.1632: Kschw. 131, fol. 126. „Bei I.Mt, finde ich noch gueten bschaidt, die Rehte aber sein meiner Werbung ubi gewogen, ob ich wol mid und weg suech, ihnen alle obstacula aus dem weg zu räumen. [...] Alle hofnung wirdt auf den von Friddandt gestellt."
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auswendigen feindes ihren Kayser und Herrn verlassen, dergleichen wol in den historien, so lang das Rom. Reich bei den Teutschen, nicht leicht zu finden."144 Die etwas zurückhaltender formulierte (erste) kaiserliche Resolution für Donnersberg 145 forderte Maximilian auf, bei Nichtannahme der französischen Neutralitätsbedingungen durch Gustav Adolf den von Landgraf Georg mit dem Mühlhausener Kongreß eingeleiteten allgemeinen Friedenstraktat zu unterstützen, der dem ganzen Reich — und nicht nur Bayern — dienlich sei. Sollte es aber zu einem Neutralitätsvertrag zwischen Bayern und Schweden kommen, müsse durch einen Vorbehalt die Hilfe des Reiches zur Verteidigung der kaiserlichen Erblande gesichert bleiben.146 Als diese Erklärung Mitte Februar in die Hand Maximilians gelangte, war bereits klar, wie geschildert, daß die schwedischen Neutralitätsbedingungen nicht akzeptabel waren. Angesichts dessen entschloß er sich, sich anstelle der Neutralität mit Schweden der Hilfe des Kaisers zu versichern; bei Zusicherung genügender kaiserlicher Hilfe, so ließ er Donnersberg vortragen, werde er von weiteren Neutralitätsbemühungen absehen. Nachdem er schon seit Breitenfeld die Intensivierung der kaiserlichen Rüstungen gefordert (und dadurch die Rückberufung Wallensteins befördert) hatte, stellte er nun explizit die Frage nach Einzelheiten und Sicherheiten.147 Wieviele Soldaten habe Ferdinand bereits zur Hand, wieviele würden noch geworben? Wieviele Truppen könne der Kaiser aus Böhmen zur Verteidigung des Stifts Bamberg und anschließend zur Sicherung der Donaulinie abordnen? Sollten durch die Verhandlungen Wallensteins mit General Arnim um einen Waffenstillstand nur die kaiserlichen Lande oder auch die Ligaterritorien gesichert werden? Weiterhin forderte Maximilian eine spanische Offensive gegen die schwedischen Positionen am Rhein, mit dem ausdrücklichen Zusatz, daß ein eventueller Verlust der rechtsrheinischen Pfalz vom Kaiser auf Dauer durch andere Landzuweisungen kompensiert werden müsse. Auch die Frage der Unterhaltsmittel für die Truppen erfordere klare Aussagen Ferdinands. Erst wenn der Kaiser auf alle diese Fragen positiv reagierte, hatte ihm Donnersberg bekanntzugeben, „daß wir [Maximilian] uf solche resolution und deren ervolgende würkliche volziehung die von der Cron Frankreich uns offerierte assecurationem reciprocam de non offendendo, auch die disfals noch an der handt habende apertur und tractation, beiseits stöllen und im namen Gottes mit und neben Irer Mt. und andern dero assistirenden Cur-, Fürsten und 144
Gutachten vom 28.1.1632: Uallmch, Briefe und Akten II, 100 ff. i « Vom 4.2.1632: Kschw. 131, fol. 164 ff. 146 Donnersberg an Maximilian, 28.1.1632: Kschw. 131, fol. 126 ff. 147 Maximilian an den Kaiser, 23.2.1632: Ebenda fol. 227 ff.
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Stendten dem Rom. Reich und der Catholischen Religion zum besten unserer eusserister mügligkeit nach weiter daruf und daran sezen wollen." Als Ferdinand hierauf in einer (zweiten) Resolution Maximilian seiner nachdrücklichen Unterstützung versicherte, deren Spezifizierung in weiteren Verhandlungen erfolgen sollte, erklärte sich dieser zufriedengestellt.148 Damit war die Periode der Neutralitätsverhandlungen definitiv abgeschlossen, zumal der zusätzlich nach Wien entsandte Kurz von Senftenau ebenfalls von beruhigenden kaiserlichen Hilfszusagen berichten konnte,149 die vor den Neutralitätsverhandlungen nicht gegeben worden waren. Solche Zusagen waren dem Kaiser allerdings nur möglich aufgrund der Wiederberufung Wallensteins im Dezember 1631 und der umfangreichen Werbungen, die dieser seither, die Winterruhe nützend, vorgenommen hatte. Ungeachtet aller früheren Kritik an dem Friedländer, allen Mißtrauens und aller bisherigen Anklagen mußten diese Maßnahmen doch auch den Beifall Maximilians finden. Fürst Eggenberg, der alte Förderer Wallensteins am Kaiserhof, versicherte, daß Wallenstein bestrebt sei, mit Maximilian gut zu stehen; der Generalissimus „wisse wohl, dasjenig, so zu Regenspurg vorgangen, seie aus kainer besen affection gegen seiner selbst aignen person hergeflossen, [...] das sein alles geschehene sachen, daran nit mehr zu gedenken."150 Maximilian seinerseits unterließ nicht, über Eggenberg auch Wallenstein seiner Affektion zu versichern, wollte mit diesem aber nur indirekt, über Tilly, verkehren, um ihn nicht als Herzog von Mecklenburg titulieren zu müssen; die Zusammenarbeit zwischen Tilly und dem Friedländer solle aber eng und effektiv sein.151 Jedoch war diese Distanzierung angesichts der militärischen Situation nicht lange durchzuhalten, bereits im März korrespondierte Maximilian auch mit Wallenstein selbst,152 ja wenig später, Anfang April, hatte sich die Lage bereits derart zugespitzt, daß er gezwungen war, sogar zum Bittsteller zu werden: „Der feindt wirdt teglich störkher und ist uns an der anzal sehr uberlegen. Wann Euer Liebden nit eilen und ein anders weisen, wirdt er vorbrechen. Es stinkht ihm das maul nach der Dona und Osterreich."153 Der Kaiser an Maximilian, 15.3.1632: Ebenda fol. 299 ff.; Maximilian an den Kaiser, 5.4.1632: Ebenda fol. 326. 149 Maximilian an den Kaiser, 18.3.1632: Hollnich, Briefe und Akten II, 277 ff. 150 Donnersberg an Maximilian, 8.2.1632: Kschw. 131, fol. 178 ff. 151 Maximilian an Donnersberg, 27.2.1632: Ebenda fol. 271 ff. 152 Die seither sehr dichte Korrespondenz findet sich bei Hallmch, Briefe und Akten II. 153 Eigenh. Postscriptum im Schreiben an Wallenstein, Ingolstadt 8.4.1632: Hallmch, Briefe und Akten II, 329; Konzept in Kschw. 74, fol. 40. Ähnlich Maximilian an den Kaiser, 8.4.1632: Konzept ebenda, eigenhändig: „Der feindt sterkht sich teglich. Er will sich des Donawstrombs ganz bemechtigen, wan Euer Mt. nit ihr mayste macht eylfertig gegen ihn wenden und daß 148
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Der Prior des Klosters Andechs Maurus Friesenegger berichtet in seinem Tagebuch über die Schicksale der Abtei im Krieg, daß im Oktober 1631, nach der Schlacht bei Breitenfeld, die Bevölkerung voll großer Furcht vor einer schwedischen Invasion gewesen sei. Er sei nach München gerufen worden, wo ihn der Kurfürst persönlich informiert habe, daß tatsächlich ein Einfall der Schweden zu befürchten sei, und ihn angewiesen habe, den Andechser Heiltumsschatz zu verpacken, um ihn gegebenenfalls rasch in Sicherheit bringen zu können. Mitte Februar 1632 sei aber befohlen worden, die Reliquien wieder auszupacken und an ihren Ort zu stellen, „welches allgemeine Freude und Hoffnung der Sicherheit für Bayern versprach."154 Offensichtlich hatte die unverhoffte Wendung der Schweden im Spätherbst 1631 von Würzburg nach Frankfurt und Mainz, und nicht zur Donau und nach Bayern, Maximilian zu dieser Entwarnung veranlaßt. Tatsächlich beabsichtigte Gustav Adolf noch Anfang Februar 1632, von Mainz über die Pfalz nach Württemberg mit seinen guten Quartieren und Unterhaltsmitteln als Basis weiterer Kriegführung vorzustoßen.155 Der Gedanke Maximilians, daß zunächst keine unmittelbare Gefahr für Bayern bestehe, war also nicht abwegig. Dennoch war er im Winter 1631/32 intensiv bemüht, sich durch Verstärkung des Tillyschen Heeres für alle Eventualitäten zu präparieren, durch Truppenreformation, Werbungen, Rückforderung der Pappenheimschen Truppen aus Nordwestdeutschland, Anforderung weiterer Geldmittel bei den Ligaständen, Bitten um Truppenhilfe am Kaiserhof und bei Wallenstein, schließlich auch, notgedrungen, durch Aushebung der Landfahnen, da der Markt durch die Werbungen Gustav Adolfs und Wallensteins erschöpft war.156 Inwieweit dies alles doch nur „minimalste Verteidigungsmaßnahmen" waren,157 bedürfte genauerer Untersuchung. Schon zuvor erwiesen die Neutralitätsverhandlungen, daß sich Maximilian über den Ernst der Lage nicht hinwegtäuschte. Die Gesamtsituation änderte sich, als der von Gustav Adolf in Franken zurückgelassene General Horn Anfang Februar gegen den Willen des Königs Stift und Stadt Bamberg besetzte und Tilly von Maximilian zu einem sofortigen Gegenzug aufgefordert wurde, da eine schwedische Offensive gegen die man zusammen stoßt, so würdt er fürbrechen. An meinem gueten willen ist khain mangi, aber vil hundt sind des hasen todt." Vgl. auch Irmer, Verhandlungen II, 407 ff.; Hanns Kuhn, Die Schweden vor Ingolstadt, 28. April - 4. Mai 1632, in: Sammelblatt des Hist. Vereins Ingolstadt 50 (1931), 81-142, hier 131 f. 154 Friesenegger, Tagebuch 21 ff. 155 Roberts, Gustavus Adolphus II, 694 f. 156 Vgl. Aldringen an Wallenstein, 17.1. und 10.2. 1632: Hallaich, Briefe und Akten II, Nrr. 567 und 642. 157 So Stadler, Pappenheim 581 f.
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Oberpfalz und nach Böhmen, aber auch eine Gefährdung der Donaulinie von Westen her befürchtet wurde.158 Während sich der um Hilfe gebetene Wallenstein versagte, gelang es Tilly, Horn zu schlagen und am 9. März Bamberg zurückzuerobern. Es war die erste schwedische Niederlage auf deutschem Boden, aber mit unerwarteten Folgen.159 Denn wenn Gustav Adolf beabsichtigt hatte, von Mainz rheinaufwärts zu operieren, so wandte er sich nunmehr, nach Horns Niederlage, über Frankfurt, Aschaffenburg und Nürnberg nach Südosten. Anfang April erreichte er Donauwörth und den Lech, während Tilly zur Sicherung Bayerns über die Oberpfalz nach Ingolstadt retiriert war. Der improvisatorische Charakter der Wendung Gustav Adolfs war offensichtlich, er hatte die Chance zu einer Schlachtentscheidung gesehen und sie ergriffen.160 Daß er nicht gegen Regensburg, sondern nach Donauwörth marschierte, mag in dessen Nähe zur ursprünglich angestrebten und prinzipiell nicht aufgegebenen Basis Württemberg gelegen haben. Angesichts der ganz unerwarteten Entwicklung und der offensichtlich sich gefährlich zuspitzenden Situation eilte Maximilian am 4. April von München nach Ingolstadt, um, wie er Wallenstein unterrichtete, Tilly und der Armee näher zu sein und im Eventualfall raschere Entscheidungen treffen zu können. Eigenhändig fügte er mit Blick auf die abgebrochenen Neutralitätsverhandlungen und in der Hoffnung auf Hilfe Wallensteins hinzu: „Weil ich mich von Ihrer Kais. Mt. nit hab wollen absondern und trennen lassen, sondern bei derselben standhaft verblieben, so muß ich dessen jetzt bei den Schweden entgelten. Hoff Gott, Ir Kais. Mt. und E.L. werden mich nit lassen zuschanden werden."161 Selbst die Kurfürstin ließ Wallenstein versichern, daß ihr Gemahl stets eine wahre und aufrichtigte Verehrung für ihn gehabt habe, es habe nicht in ihres Mannes Macht gestanden, die Regensburger Vorgänge zu verhindern.162 Maximilian glaubte sich Wallensteins Hilfe sicher, diese Uberzeugung war die Grundlage seines Verhaltens in den ganzen folgenden 158
Maximilian an Donnersberg, 12., 15. und 19.2.1632: Kschw. 131, fol. 189 ff., 194 ff. und 217 ff. 159 Einzelheiten bei Roberts, Gustavus Adolphus II, 694 ff.; Junkelmann, Gustav Adolf 405 f. D e r später in bayerische Gefangenschaft geratene schwedische General H o r n sagte aus, daß nur der Angriff Tillys auf ihn im Frühjahr 1631 den Zug Gustav Adolfs nach Bayern veranlaßt habe (BA N F 11,9, 383 Anm. 2). - Christa Deinert, Die schwedische Epoche in Franken von 1631-1635, Phil. Diss. Würzburg 1966. 160 Roberts, Gustavus Adolphus II, 697. D a ß Maximilian zunächst einen Rückzug Tillys nach Böhmen gewünscht hat, um die Schweden von Bayern abzuziehen {ebenda), ist durch bayer. Akten nicht belegt. 161 Maximilian an Wallenstein, 5.4.1632: Kuhn, Schweden 131 f. 162 Uber P. Valeriano Magno, 20.3.1632: Beda Dudik, Waldsteins Correspondenz. Eine Nachlese aus dem k. k. Kriegsarchive in Wien, in: A Ö G 36 (1866), 185-237.
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Wochen, denn bereits Anfang März hatte der nach Wien entsandte Max Kurz von Senftenau vom Kaiser die Zusage einer Truppenhilfe von 5 000 Reitern aus den Wallensteinschen Werbungen in Böhmen erhalten, und Wallenstein selbst hatte diese Zusage bestätigt!163 Am 9. April befand sich Maximilian mit dem Heer im Feldlager zwischen Rain am Lech und Thierhaupten, hier sollte definitiv entschieden werden, „ob man mit dem feind schlagen oder einen sicheren posto einnehmen" und die erbetene Verstärkung durch die wallensteinschen Reiter abwarten wollte.164 Vor allem wegen dieser Grundsatzentscheidung hatte Tilly die Anwesenheit Maximilians gewünscht. Allen Beteiligten am Kriegsrat war die Bedeutung des Augenblicks bewußt, als sich Maximilian und Gustav Adolf auf wenige Meilen gegenüberstanden. Man entschied sich, die weit stärkeren Schweden zwar nicht anzugreifen, fühlte sich aber stark genug, „dem feindt an disem posto des Lechs testa zu machen undt mit einem kleinen vorthail mit ihne zue schlagen."165 Gegenwärtig umfaßte die schwedische Armee gut 35 000 Mann, die ligistische dagegen nur 22 000 Mann, davon 8 000 Mann bayerische Landfahnen. Da die letzten Söldnerwerbungen wenig gebracht hatten, hatte Maximilan seit Anfang des Jahres die Einziehung lediger Bauernburschen im Alter von 18 bis 40 Jahren zu den Landfahnen angeordnet, mit der Drohung, sich Weigernde des Landes zu verweisen.166 Man wußte, daß die Burschen sich nur ungern unter die Söldnertruppen einreihen ließen, da die gewaltsame Einreihung nur bei Kriegsgefangenen und Landstreichern sowie als Strafe für Kriminelle gehandhabt wurde. Man war sich auch bewußt, daß sie „lieber ihr Vaterland als andere ausländische [Ligastände] helfen defendiren" wollten, doch löste sich das Problem durch den raschen schwedischen Vormarsch auf Bayern alsbald von selbst. Um die Unruhen in der Armee durch eine exemplarische Demonstration zu dämpfen, den Mut der Soldaten zu stärken und sein eigenes Ansehen bei der Truppe zu erhöhen,167 befahl Maximilian, unter die Soldaten zusätzliche 200 000 Gulden zu vertei1« Maximilian an den Kaiser, 10.3. und 18.3.1632: Kschw. 131, fol. 292 f. und Hallwich, Briefe und Akten II, Nr. 754; Wallenstein an Maximilian, 3.4.1632: Ebenda Nr. 789. Vgl. auch den unten genannten „Diseurs iber des Fridlandts actiones." 164 So Wolkenstein an Zollern, Rain 9.4.1632: Akten 305, fol. 3. 165 Wolkenstein an Zollern, Dürnhaupten 11.4.1632: Akten 305, fol. 5. Etwas anders Maximilian an Wallenstein, 12.4.1632: „Unnd man sich aber der zeitt einmahl allhie nit bastand befiindt, dem feind testa zu machen, sondern sich nur auf das bößte, alß möglich, defendiren mueß" (Dudik, Waldsteins Correspondenz Nr. 206). 166 Heilmann, Kriegsgeschichte II, 825 f.; eine Reihe einschlägiger Quellen bei Frauenhofy Entwicklungsgeschichte 111,2, 140 ff. 167 So die Argumentation in Wolkenstein an Zollern, 14.4.1632: Akten 305, fol. 9.
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len, die aber so schnell nicht herbeigeschafft werden konnten, um den gewünschten Effekt zu bewirken. Am 15. April gelang Gustav Adolf die schwierige Operation, fast im Angesicht des Ligaheeres über den Lech zu setzen und einen Brückenkopf zu bilden.168 Tillys Heer, das zu nahe am Fluß postiert war, wie Clausewitz später kritisierte, erlitt vor allem durch das schwedische Geschützfeuer Verluste, Tilly und Aldringen wurden schwer verwundet, doch habe Maximilian, berichtet der ihn begleitende Wolkenstein, gegenüber der Niederlage und dem Ausfall Tillys große „Magnanimität" bewiesen.169 Noch auf dem Gefechtsfeld erbat er erneut die immer noch ausstehende Hilfe Wallensteins und die Bestellung eines Nachfolgers für Aldringen: „Datum im Veld ein stund oberhalb Rain den 15. April Anno 1632. Gleich itzt wirdt dem grafen von Tilly ein schenkhel mit einem Doppelhaggen entzwey geschossen, sorg es werd nit ohne gefahr sein. Der von Aldringen ist auch im khopf Verwundt mit einem stukh, ist aber ohne gefar wie man hoft. E.L. wollen hirauf ein reflexion haben, weil izt die 2 Vornembste General Commandanten zugleich niderligen, damit die Khay. Socors nit allein eilfertig avanziert sondern wie mich für notwendig bedünkht mit einem general commandanten versehen werde!"170 Noch in der Nacht retirierte Maximilian mit dem Heer über Neuburg an der Donau in Richtung Ingolstadt, in erster Linie, um dem wallensteinschen Sukkurs näher zu sein; zugunsten dieser Strategie wurde auch ein ursprünglicher Plan aufgegeben, unter Versammlung der gesamten Landwehr bei München Stellung zu beziehen.171 In Neuburg wurde der geschlagene Kurfürst gesehen, wie er mit einem Stab in der Hand um die Kirche wanderte, „wie der schatten an der wandt und so betrübt, daß man ihne fast nit hat erkennen können." 172 Gustav Adolf dagegen wandte sich mit der schwedischen Armee zunächst nach Augsburg, der reichsten Stadt Süddeutschlands, die ihn aus strategischen und finanziellen Gründen interessierte und am 19. April ohne Kampf übergeben wurde. Fünf Tage später betrat er die Stadt und ließ Rat und Bürgerschaft auf seine Person vereidigen, um als Stadtherr der Reichs168 Einzelheiten bei Heitmann, Kriegsgeschichte II, 334 f.; Roberts, Gustavus Adolphus II, 699 ff.; Junkelmann, Gustav Adolf 411 ff. 169 Wolkenstein an Zollern, 19.4.1632: Akten 305, fol. 11. Gleichzeitig berichtete Wolkenstein von großer Disziplinlosigkeit in der Armee. „So fangen sie an, zimblich laut umb das [versprochene] gelt zu röden, also daß ich mich gewißlich eines großen unhails besorge, wann nit das gelt baldt heraus remittiert wird. [...] Es ist dem landt ein überaus großer schaden, daß Ihre Curfl. Dht. die gelder nit ehender oder zugleich mit deroselben haben heraus genommen." 170 Maximilian an Wallenstein, 15.4.1632: Dudik, Waldsteins Correspondenz 421 f. 171 „Diseurs" báAretin, Auswärtige Verhältnisse 338. 172 Christian von Braunschweig an Kursachsen, 10./20.4.1632: Hallmch, Briefe und Akten II, 349.
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an die Stelle des Kaisers zu treten.173 Sein eigentliches Ziel, die Vernichtung des Tillyschen Heeres, hatte er allerdings noch nicht erreicht. Die in der Mitte des 16. Jahrhunderts zur Sicherung der Donaulinie ausgebaute Landesfestung Ingolstadt, die zugleich die Landesuniversität beherbergte, war zwar in manchen Teilen veraltet und von Maximilian erst nach der Schlacht bei Breitenfeld durch einige wenige Wallbauten verstärkt worden,174 konnte aber, wie sich zeigen sollte und worauf auch Maximilian vertraute, einer schwedischen Belagerung standhalten. Da Tilly und Aldringen ausfielen, bestimmte Maximilian noch mehr als bisher den Gang der Operationen. Die Niederlage steigerte seine Bemühungen um Hilfe Wallensteins, u.a. wurde Ruepp zu diesem Zweck in das friedländische Feldlager entsandt.175 Immer noch war er überzeugt, daß Wallenstein nicht nur die versprochenen 5 000 Reiter entsenden, sondern mit seiner ganzen Armee und in eigner Person aus Böhmen zu Hilfe eilen werde. Aber trotz fortgesetzter guter Versicherungen dachte dieser gar nicht daran, den Kurfürsten von Bayern vor den Schweden zu retten.176 Wallensteins Konzept zielte vielmehr darauf, das in Böhmen befindliche sächsische Heer unter Arnim durch Verhandlungen oder militari manu auszuschalten, um bei folgenden Unternehmungen gegen die Schweden in der Flanke gesichert zu sein. Das war ein Gesichtspunkt, der bemerkenswerterweise auch im bayerischen Hauptquartier gesehen und gewürdigt wurde, freilich auch dessen negative Folgen für Bayern: „Welche ration [Wallensteins] zwar nit zu verwerfen, allein trifft das unglück entzwischen Ihr Cfl. Dht. und dero landen."177 Um die Realisierung dieses Konzepts zu verhindern, verwies Maximilian auf seine Gefahren für die kaiserlichen Erblande: „Ich glaub wol, daß der Schwed durch den Churfürsten von Saxen disen högstnötigen socorß zu divertiren vermaint; E.L. werden aber hoch vernünftig erwegen, wenn er den Donawstromb abschneidt, wie er thuen khan, weil er patron di Campagna, waß dem Khönigreich Behemb sambt andern Khays. Erblanden darauß zu gewardten und daß wür einander weitter nit soccorieren mögen; hergegen wenn der Feindt diß Stadt
173 Einzelheiten bei Bernd Raeck, Eine Stadt in Krieg und Frieden, Göttingen 1992, Band 2, 680 ff. Maximilian vermerkte am 18. Mai gegenüber dem Kaiser in Bezug auf Gustav Adolf, man erkenne, „welchergestalt sich derselb befleist, under dem schein der protection die stendt des Reichs von Euer May. ab und an sich zu ziehen" (Kschw. 74, fol. 71 f.). 174 Unzutreffend Riemer, Geschichte V, 410. 175 Vgl. Maximilian an Wallenstein, 10.5.1632: Hallmcb, Briefe und Akten II, 388. Die bayer. Hoffnungen auf den Sukkurs Wallensteins bringt besonders deutlich auch Wolkenstein an Zollern, 3.5.1632: Akten 305, fol. 21 f. zum Ausdruck. 176 Einzelbelege bei Pekar, Wallenstein I, 196 ff. 177 Wolkenstein an Zollern, 23. 5.1632: Akten 305, fol. 63 f.
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ordt repussirt wirdt, das Überige sich selbs renoncieren wirdt."178 Auch angesichts dieser Folgen konnte die Strategie Wallensteins von bayerischer Seite nicht akzeptiert werden, zumal sie den Versprechungen des Friedländers durchaus widersprach. In diesen Tagen, am 30. April, ging hinter den Mauern Ingolstadts auch das Leben des 73-jährigen Tilly zu Ende, nach Meinung Maximilians „mehr sein hohen alters und abgenommener leibskreften, als des empfangenen schadens halber."179 Auf Tillys Renommée als Feldherr waren in den letzten Jahren manche Schatten gefallen. Das Kommando über zwei Armeen, welches Loyalität gegenüber dem Kaiser wie gegenüber Maximilian erforderte, hatte ihn bedrückt; gegenüber Gustav Adolfs neuer Taktik, die mit kleineren beweglichen Einheiten operierte, war die von ihm praktizierte spanische Kriegsschule zu schwerfällig geworden, wie Breitenfeld bezeugte; die großen Schwierigkeiten bei der Versorgung und Unterbringung des Heeres hatten ihn belastet, zumal er sich für die Lebenssituation seiner Soldaten stets unmittelbar verantwortlich fühlte; wiederholt fehlte ihm die Energie zur Durchsetzung disziplinarischer Maßnahmen. Mit zunehmendem Alter war er auch schwierig im Umgang geworden, wie die Kriegskommissare klagten; Ende 1631 wurde in München davon gesprochen, „daß dem herrn general Tilly sehr vil an verstant und gedechtnus abgehe."180 Auch Maximilian beklagte Mitte März besorgt die seelische Verfassung seines Feldherrn, gerade jetzt, wo ihn die Liga am notwendigsten brauche, lasse er einen Kleinmut und eine Perplexität erkennen, die man früher nicht an ihm gekannt habe.181 Dieses Urteil änderte nichts an Maximilians Respekt vor Tillys Leistungen und an seiner Verbundenheit mit dem alten Mann, dessen Tod ihn augenscheinlich mit Wehmut erfüllte: „Unser frommer alter braver Tilly ist auch an eim bößren ordt, hoff, er sei im himel, dahin unser herr uns allen helffen wolle."182 Gustav Adolf wandte sich nach der Besetzung Augsburgs zwar nach Ingolstadt, beabsichtigte aber nicht, die am Nordufer der Donau gelegene Festung, hinter deren Mauern sich Maximilian mit dem ganzen Heer befand, lange zu belagern.183 Vielmehr zielte er auf die Eroberung Regensburgs, wie auch Maximilian erkannte,184 um hierdurch „einen festen sedem belli vermitMaximilian an Wallenstein, Ingolstadt 20.4.1632: Dudik, Waldsteins Correspondenz Nr. 25. ™ Memoriale für Kütner, 14.5.1632: Kschw. 6452, fol. 16 ff. 180 Zitiert bei Stadler, Pappenheim 633 f., vgl. auch ebenda 467. 181 Zitiert bei Klopp, Tilly II, 162. 182 Maximilian an Herzog Albrecht, 3.5.1632: Akten 287, unfol., eigenhändig. 183 Roberts, Gustavus Adolphus II, 703 f. 184 Vgl. Maximilian an den Kaiser, 28.4.1632: Kschw. 74, fol. 49. 178
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tels der drei hauptstetten Ulm, Augsburg und Regensburg an der Donau zu machen und dadurch das ganze Beyernland dem feinde abzuschneiden."185 So zog er von Augsburg nach Ingolstadt, um den Übergang des Ligaheeres auf das Südufer der Donau zu verhindern, anschließend aber selbst dieses Ufer von Ingolstadt bis Regensburg zu dominieren und schließlich auch die Reichsstadt Regensburg zu besetzen. Als sich Ende April die beiden Heere bei Ingolstadt unmittelbar gegenüberlagen, nur durch Vorwerke und Donau getrennt, spielte die Szene, daß Maximilian und Gustav Adolf einander auf Sichtweite nahe waren, ohne sich zu erkennen. Maximilian hat in einem für seine Verhältnisse launigen Brief beschrieben, wie er von den Wällen Ingolstadts aus in einer Rekognoszierungsabteilung der Schweden einen Reiter auf weißem Pferd gesehen habe, der durch eine Kugel aus dem Sattel gehoben und von aufgeregten Leuten weggetragen worden sei. „Es mueß ein fürnemmer gewesen sein, gäbe etwas drum, daß ichs wissen mecht."186 Es war Gustav Adolf, dessen damals erschossenes Pferd noch heute als Trophäe in Ingolstadt gezeigt wird.187 Gustav Adolfs Absicht, das Ligaheer in Ingolstadt festzuhalten und selbst nach Regensburg weiterzuziehen, schlug jedoch fehl, denn im bayerischen Kriegsrat wurde beschlossen, sich weder vor Eintreffen des auf 30 000 Mann geschätzten wallensteinschen Heeres auf eine Schlacht einzulassen, noch sich in der Festung zu verschanzen, da man nicht genügend Futter für die Kavallerie besaß. Auch schien es „contra raison du guerre, daß Ihre Cfl. Dht. als Veldherr bei diser bewandtnus sich also hetten einspörren sollen."188 Maximilian ließ 9 500 Mann in Ingolstadt zurück und nahm am 1. Mai mit etwa 18 000 Mann selbst den Weg nach Regensburg, das am 3. Mai erreicht wurde. Dort war die Bürgermiliz bereits einige Tage zuvor von bayerischen Truppen überwältigt worden, um eine Übergabe der protestantisch dominierten und schwedenfreundlichen Stadt an Gustav Adolf auszuschließen. Da es sich um eine Reichsstadt handelte, war Maximilian gehalten, nachträglich die Dispens des Kaisers für diesen Gewaltakt einzuholen.189 Die Frage ist, welches strategische Konzept Maximilian in diesen Tagen verfolgt hat. Riezler nannte die Erwägung, durch den Zug nach Regensburg
185 Gustav Adolf an Solms, 9.5.1632: Irmer, Verhandlungen I, 165; vgl. auch Roberts, Gustavus Adolphus II, 703 f. 186 Maximilian an Herzog Albrecht, 3.5.1632: Akten 287, unfol., eigenhändig. 187 Abbildung in GR II Nr. 670; der Vorfall ist richtig auf 30. April zu datieren. ' 8 8 Wolkenstein an Zollern, Stadtamhof 3.5.1632: Akten 305, fol. 21 f. 189 Vgl. Maximilian an den Kaiser, 28.4.1632: Kschw. 74, fol. 49 f., mit sehr kritischen Bemerkungen über die Regensburger Bürgerschaft.
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den stündlich aus Böhmen erwarteten Hilfstruppen Wallensteins näher zu sein.190 Auch Mori2 Ritter hat Maximilians Bestreben herausgestellt, sich die Verbindung zu Wallenstein freizuhalten, freilich um den Preis, sein Herzogtum zumindest kurze Zeit den Schweden zu öffnen. Die Sorge um die gemeinsame Sache, das Bestreben der Sicherung der kaiserlichen Erblande habe ihn bewegt: „In diesen Stunden zeigte Maximilian, daß er bei aller Selbstsucht seiner territorialen Politik in den Augenblicken, da die gemeine Sache auf dem Spiel stand, doch auch sein eigenes Land zu opfern vermochte." 191 Tatsächlich hatte Maximilian bereits am 17. April Wallenstein versichert, mit Rat der hohen Offiziere resolviert zu sein, „ehender dem feindt mein land bis an den Ihnstromb preis zu geben, alß das algemeine wesen und Ir Khay. Mt. erbland in gefahr zu sezen, wann diser armada etwaß widriges begegnet weer; hab mich also mit solcher hieher mit gueter Ordnung retierirt, so lang, biß der khayserlich genuegsame socors ankhombt." 192 Jedoch spricht alles dafür, daß der erste Teil dieser Äußerung nur funktionalen Charakter hatte, um Wallensteins Hilfe desto eher zu gewinnen. Denn - und das war der eigentliche Grund, warum er Bayern jedenfalls zeitweise den Schweden preisgeben wollte — Maximilian und seine Offiziere waren überzeugt, ohne den Zusammenschluß mit Wallenstein dem Feind keinesfalls gewachsen zu sein: „Dann ohne disen soccors dem feind under äugen zegehen, will niemand erachten und findet man auch, die Wahrheit zu bekennen, bei unsern leuten schlechte lust, dann sie des feindts macht gar zu hoch apprehendiren."193 Maximilians erstes Ziel war nicht der Schutz Österreichs, sondern die Gewinnung der Hilfe Wallensteins, um mit den vereinigen Heeren die Schweden mit Aussicht auf Erfolg zur Schlacht zu stellen. Bayern sollte nur temporär preisgegeben werden, als Mittel zum Zweck der anders nicht möglichen Vernichtung des schwedischen Heeres. Diese Zielsetzung hatte allerdings den Nebeneffekt, daß die kaiserlichen Erblande von den Schweden verschont blieben. Denn Gustav Adolf änderte nunmehr seinen Operationsplan, der über Regensburg und Passau auf Osterreich gerichtet gewesen war, er wandte sich südwärts nach Landshut und München. Offensichtlich war die Verlockung zu groß,
Riemer, Geschichte V, 411. Ritter, Geschichte III, 534. 192 Maximilian an Wallenstein, Ingolstadt 17.4.1632: Dudik, Waldsteins Correspondenz Nr. 215; Faksimile bei Kuhn, Schweden 134. Vgl. auch Maximilian an den Kaiser, 18.5.1632: Kschw. 74, fol. 71 f.: Er sei gen Regensburg gezogen, damit erstens „diser große vord und vorneme haubtpaß, auf welchen der Schwed ein so starkes aug, wie alle kundtschaften und gefangne erweisen, zu geniegen versichert", und zweitens die Vereinigung mit dem wallensteinschen Sukkurs besser vonstatten gehe. i " Wolkenstein an Zollern, Stadtamhof 8.5.1632: Akten 305, fol. 36. 191
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mehr oder weniger ungehindert ins Zentrum seines bayerischen Gegners vorstoßen zu können. Ob das strategisch klug war, stand auf einem anderen Blatt. Man hat in dieser Schwenkung eine wichtige Zäsur in Gustav Adolfs Kriegführung gesehen und seither eine strategische Unsicherheit, die bis zu seinem Untergang in Lützen angedauert hat.194 Land und Leute zwischen Lech und Inn aber waren nunmehr den Schweden preisgegeben, solange die Hilfe Wallensteins nicht wirksam wurde. Die Geheimen Räte Richel und Wolkenstein befanden sich bei Maximilian, die Kurfürstin, Herzog Albrecht und Gemahlin, Zollern und die Geheimräte Preysing, Jocher und Peringer mit Familien flüchteten nach Salzburg; auch die Landschaftskasse wurde nach Salzburg gebracht; seine eigenen Schätze, soweit transportabel, ließ Maximilian auf der salzburgischen Feste Werfen und nach Wasserburg in Sicherheit bringen. Eine Reihe von Hofräten verblieb unter dem Befehl des Hofkanzlers Abegg in München, um soweit möglich Verwaltung und Justiz in Gang zu halten; die Leitung der Landesverteidigung wurde dem Generalkommandanten Wahl, zunächst noch Kommandant der Festung Ingolstadt, übertragen. In dem von Truppen entblößten Land, dessen Einwohner den Feind mit Ängsten erwarteten, bewegten sich nur wenige militärische Streifkommandos, die ebenso wie die in München zurückgebliebenen Hofräte den Kurfürsten über die feindlichen Truppenbewegungen unterrichten sollten.195 Die Bevölkerung selbst zeigte wenig Bereitschaft zum Widerstand, obwohl die Landfahnen für den Fall eines feindlichen Einbruches Anweisungen erhalten hatten: In den Dörfern und an den Brücken seien Wachen zu postieren, um das Herannahen der Schweden durch Glocken- oder Feuerzeichen zu signalisieren; feindliche Streifen seien von Bürgern und Landvolk mit ihren besten Waffen anzugreifen und zu verfolgen, am günstigsten aus den Wäldern heraus. Der Aufforderung zum Guerillakrieg wurde jedoch kaum Folge geleistet, zahlreiche Orte ergaben sich ohne jede Verteidigung auf die erste Bedrohung durch oft nur kleine schwedische Kommandos. Sie hatten hohe Brandschatzungen zu leisten oder Plünderung, Brand und Mord über sich ergehen zu lassen, weil sie — wie die Einwohner klagten und sich rechtfertigten — von keinerlei bayerischen Truppen beschützt wurden. Die in Salzburg befindlichen Räte wagten gegenüber Maximilian den Hinweis, daß dieses Gefühl der Schutzlosigkeit bei den Untertanen „ein üble affection unt aller-
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Ritter, Geschichte III, 535. Eine Reihe anschaulicher Berichte findet sich in Akten 299 und 305.
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hand desperate reden" verursache, der Kurfürst möge die militärischen Streifen verstärken; indem man die Untertanen besser schütze, animiere man sie zur Selbstverteidigung.196 Der empfindliche Kurfürst erblickte in diesen Bemerkungen den Vorwurf, als sei er selbst am Elend des Landes schuld, und wies sie daher entschieden zurück: Die Streifen seien stark genug, würden aber von der Bevölkerung zu wenig unterstützt; hätten die Untertanen häufigere Informationen über die feindlichen Truppenbewegungen geliefert, wären manche Exaktionen vermieden worden, ja wäre man imstande gewesen, dem Feind einen „starken abbruch" zu tun.197 Zugleich beklagte er, an einen besonderen Verratsfall anknüpfend, die „treulosigkeit, undank und boßheit" der Untertanen, deren Wohl er sich in den vergangenen Jahren unter Selbstaufopferung gewidmet habe.198 Schließlich lenkten auch die Geheimräte ein, sprachen von Ungehorsam, Untreue und Meineidigkeit der Untertanen, die sich aus Angst und „freventlichem mutwillen" lieber dem Feind ergäben, als militärischen Schutz anzufordern; solche dem Feind dienliche Untreue dürfe nicht unbestraft bleiben.199 In Wirklichkeit war Maximilian nicht bereit, vor dem Zuzug wallensteinscher Truppen dem Land ergiebigen militärischen Schutz zu gewähren. Was die desperaten Reden betraf, so zeigten sich insbesondere die Bauern am Inn als schwierig und stellten Geldforderungen. Maximilian stufte die Unruhen als gefährlich ein und war daher bereit, sie mit Lebensmittellieferungen und Geldzahlungen zu dämpfen; „es laßt sich ie anitzo nit mehr cameralisch hausen."200 Jedoch mußte Zollern zwei Wochen später berichten, daß der Ungehorsam der Untertanen auch in anderen Gegenden Bayerns von Tag zu Tag wachse.201 Gemeint waren vor allem die Befehlsverweigerungen Die Geheimräte an Maximilian, 11.5.1632: Akten 305, fol. 52. Maximilian an die Geheimräte, 22.5.1632: Ebenda fol. 95. Ähnlich Wolkenstein an Zollern, 21.5.1632: Ebenda fol. 59: „Die schuld [an den Verwüstungen] ist aber gewißlich nit Ihrer Cfl. Dht., sonder vil mehr den landtleuthen und underthanen zuzumessen, vorderist aber für eine augenscheinliche straff Gottes 2u erkennen [..]. Entweder die forcht oder untreue der underthanen ist so groß, daß nit ein einziger zu Ihrer Cfl. Dht. sich begebe, zum wenigsten sein not klagte, zu geschwaigen von dem feindt ainige kundtschaft brächte; wann man nur ieweiln des feindts quartier und straiffen von den underthonen vernehmen könte, so zweiffeie ich nit, wir wolten dem feindt einen starkhen abbruch getan und das land gueten tails von dergleichen exactionen liberirt haben." 198 9.6.1632, zitiert bei Dollinger; Finanzreform 96. 199 Die Geheimräte an Maximilian, 22.5. und 26.5.1632: Akten 305, fol. 61 f. und 73 ff. In Akten 299 finden sich Verfahren gegen Untertanen dokumentiert, denen Zusammenarbeit mit den Schweden vorgeworfen wurde. 2W Wolkenstein an Zollern, 11.5.1632: Akten 305, fol. 48. 201 Wolkenstein an Zollern, 11.5.1632, und Zollern an Wolkenstein, 25.5.1632: Ebenda fol. 48 und 68 ff. Maximilians befürchtete noch längere Zeit, daß die oberennsische Rebellion nach m
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bei den Aushebungen der wehrfähigen Mannschaften für die Landesverteidigung. Die ledigen Bauernburschen, die hierfür in erster Linie in Frage kamen, weigerten sich in großer Zahl, den Einberufungen Folge zu leisten, geschweige sich unter Führung ihrer Landoffiziere gegen die Schweden verwenden zu lassen, Massendesertionen waren an der Tagesordnung. So beklagte der Amberger Rentmeister, daß man von über dreitausend in Frage kommenden Burschen wohl keine dreihundert bekommen werde, „und man hat genueg zu thuen, ainen general uffstand zu verhüetten."202 Maximilian war vor allem an den Vorgängen am Inn interessiert, weil Gerüchte kursierten, daß Gustav Adolf Kurs nach Südosten nehme, um sich mit aufständischen oberösterreichischen Bauern im Hausruckviertel zu vereinigen. Er befahl daher im Juni, die Untertanen „an und über dem Inn" zu entwaffnen, wobei zur Kaschierung des Verfahrens erklärt werden sollte, daß nunmehr keine besondere Feindsgefahr mehr gegeben sei, so daß die Waffen wieder in die Rüstkammern eingeliefert werden könnten.203 Alle diese Erfahrungen veranlaßten Maximilian am Ende des Jahres zu dem Eingeständnis, daß man bisher wenig oder gar keinen Nutzen von den Landfahnen gehabt habe, „und also die uff sye gewente spesa fast vergeblich und umbsonst gewesen." Daher hatten die vermögenderen Landfahnen ihre Wehrpflicht künftig mit Zahlungen zur Söldnerwerbung abzulösen.204 Durch Maximilians Strategie, die sich an der Schwäche des Ligaheeres und der Hoffnung auf wallensteinschen Sukkurs orientierte, waren Land und Leute dem Gegner praktisch ungeschützt ausgeliefert. Es begann die erste Schwedenzeit, deren Greuel sich bis zum Ende des Krieges mehrmals wiederholen, ja sogar noch steigern sollten, Plünderungen und Brandlegungungen auf dem flachen Land, Brandschatzungen in den Märkten und Städten, Geiselnahmen, Folterungen und Tötungen auch von Frauen und Kindern. Manches davon entsprach den barbarischen Kriegsbräuchen der Zeit, anderes war reiner Vandalismus. „Was aber das arme Bayerlandt belangt" schrieb Maximilian dem Bruder in Köln, "würden es E.L. nit mehr khenen und ohne mideiden nit ansehen khönen. Dergleichen crudelitet ist in disem Khrieg nit erhörtt worden. Ich mues gleich dem Sprichwortt nach das badt austrinkhen, Bayern übergriff; vgl. etwa sein Schreiben an den Kaiser, 6.9.1632: Kschw. 74, fol. 159 f. sowie Öxleins Relation über seine Reise an den Inn, 14.9.1632: Akten 305, fol. 191 ff. 202 Bericht vom 22.4.1632: Frauenhoiς, Entwicklungsgeschichte 111,2, 135; ebenda und in Akten 305 weitere einschlägige Berichte. 203 Maximilian an die Geheimräte, 12.6.1632: Akten 305, fol. 116; die Geheimräte an Maximilian, 20.6.1632: Ebenda fol. 122 ff. 204 Mandat vom 10.12.1632: Frauenhoi.ç, Entwicklungsgeschichte 111,2, 247 f., auch in Dokumente 1,3 Nr. 291.
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hoffe, Gott werdt mirs wider ergezen, weil mir alles odio Religionis et Justitiae widerfahret."205 Er erkannte also die Vorgänge als unmittelbare Folge seiner Religionspolitik. Die Soldaten wurden von den tatsächlichen und vermeintlichen Reichtümern der zahlreichen Kirchen und Klöster und bürgerlicher Wohlhabenheit angelockt, auch von den Viktualien der bäuerlichen Landstriche. Darüber hinaus wurde die Verwüstung mit System betrieben. Gustav Adolf hat selbst erklärt, daß er durch Ruinierung des Landes „dem feinde seine nervös, die er sonsten aus diesem herzogtum hätte," entziehen und dessen „totalruin" bewirken wolle.206 Da er sich nicht lange in Bayern aufhalten wollte, war ihm eine solche Politik der verbrannten Erde möglich. Nur bei der Besetzung Münchens hat er größere Exzesse unterbunden, wozu er auch durch den Brandschatzungsakkord verpflichtet war. Man hat neuerdings aus der Ungleichmäßigkeit der Verwüstungen in den verschiedenen Landstrichen sowie im Ablauf der Jahre 1632-1634 geschlossen, daß von einer „planmäßigen" Zerstörung des Landes wohl nicht gesprochen werden könne, hat aber gleichzeitig aufgrund neuerschlossener Quellen derart viele Hinweise auf Zerstörungen und Tötungen insbesondere in den Gebieten nördlich von München beigebracht, daß zumindest die bisherige Annahme überaus schwerer Schädigungen von Land und Leuten bestätigt wird.207 Die Erinnerung an die schwedischen Schrecken, die bis in die entferntesten Dörfer und Einödhöfe reichten, hat sich bis heute im Gedächtnis des bayerischen Volkes erhalten.208 Jedoch waren die Ausschreitungen der schwedischen Armee (in der, wie in allen Heeren dieser Zeit, Soldaten aus zahlreichen Völkerschaften versammelt waren), nicht ohne einen Seitenblick auf das Verhalten der eigenen Soldateska zu bewerten. Vom Rückzug des Ligaheeres von Rain nach Ingolstadt berich-
205 Maximilian an Kurköln, 4.6.1632: Kschw. 961, fol. 154 ff. 206 Gustav Adolf an Solms, 9.5.1632: Irmer, Verhandlungen I, 164 f.; vgl. auch Roberts, Gustavus Adolphus II, 703. 207 Ludwig Holtfurtner, Katastrophe und Neuanfang. Kriegsschäden im Dreißigjährigen Krieg im Spiegel der Stiftbücher oberbayer. Klöster, in: ZBLG 58 (1995), 552-576. Lt. Göran Rystad, Die Schweden in Bayern während des Dreißigjährigen Krieges, in: GR I, 424-435, hier 426, erhielten die Verwüstungen systematischen Charakter seit dem Aufenthalt Gustav Adolfs in Moosburg, also um den 10. Mai. 208 Zahlreiche Stadtgeschichten, Ortschroniken, Aufzeichnungen von Ordensleuten und Pfarrern, Votivbilder und sonstige Überreste haben in herausgehobener Weise die Schwedenzeit zum Gegenstand. Vgl. u.a. Friesenegger, Tagebuch; Klara Steigers Tagebuch. Aufzeichnungen während des Dreißigjährigen Krieges , hg. von O. Fina, Regensburg 1981. Weitere Quellen und Literatur nennen Rietrfer, Geschichte V, 414 ff; Rystad, Schweden; Spindler-Kraus, Handbuch II, 446 Anm. 10; Schlögl, Bauern 59 ff.; Benigna von Krusenstjern, Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis, Berlin 1997.
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tete der Maximilian begleitende Wolkenstein, daß die Disciplina militaris durchaus erloschen sei, „also daß der feint nit ärger hausen kont", alle Schlösser und Dörfer und selbst manche Kirchen im Rückzugsgebiet würden geplündert; so sehr die Leiden der Untertanen durch die schwedischen Drangsale zu beklagen seien, müsse doch bedacht werden, „daß man andern mit dergleichen maß auch ausgemessen."209 Der durch die schwedischen Krudelitäten erbitterte Maximilian kritisierte in einem Mandat, daß krank oder verwundet zurückgelassene schwedische Soldaten durch die Landbevölkerung aufgenommen und gepflegt würden; jedoch seien alle Schweden, deren man habhaft werden könne, ob gesund oder krank, niederzumachen.210 Maximilian sann noch lange auf Rache, gewiß auch, um seine Enttäuschung über die Niederlage zu kompensieren. Im Sommer 1634 befahl er den Streifzug eines Kavalleriekorps ins Fränkische, um dort „mit mord und prand dem feind, gleich wie ers im Bayrischen und anderer cathollischen landen gemacht, den grösten abbruch zu thuen"; es seien „stött, märkht, schlösser und dörfer, da mans vorhero ausgeblindert, in die aschen zu legen." Die Reaktion des beauftragten Offiziers entsprach dem Befehl: Für jedes Haus, das der Feind anzünde, werde man ihm ein ganzes Dorf abbrennen.211 Über Landshut, das eine riesige Brandschatzung von 100 000 Reichstalern nicht bezahlen konnte, weswegen acht Geiseln genommen wurden,212 zog Gustav Adolf Mitte Mai nach München.213 In Freising trat ihm St. Etienne entgegen, der im Auftrag Maximilians um Schonung Münchens, Austausch von Geiseln und um ungehinderte Religionsausübung zu bitten hatte, wie sie im Vertrag von Bärwalde festgelegt worden war. Nach Ansicht Maximilians konnte München nur durch den Einsatz des französischen Gesandten vor Plünderung und Brand verschont werden.214 Bereits am 30. April hatte St. Etienne im Feldlager vor Ingolstadt den König zur Wiederaufnahme von Neutralitätsverhandlungen zu bewegen versucht. Dies war ohne Auftrag Maximilians geschehen, der vielmehr entsprechende Vorschläge St. Etiennes von vornherein abgelehnt hatte.215 Auch Gustav Adolf hatte die Angebote des Franzosen schroff zurückgewiesen: Dem Bayern könne man nicht trauen, „le 209
Wolkenstein an Zollern, 19.4. und 13.5.1632: Akten 305, fol. 11 und 63 f. '0 Mandat vom 20.5.1632: VJe^kr, Geschichte V, 422 f. 211 Maximilian an Wahl, 29.8.1634, und Wahl an Maximilian, 2.9.1634: BA N F 11,9 Nr. 90 mit Anm. 1. 212 Maximilian Blaimhofer., Die Schweden in Baiern oder Bürgertreue, München 1783, Nachdruck Landshut 1989 (über Gustav Adolf in Landshut 1632). 213 Einzelheiten bei Roberts, Gustavus Adolphus II, 703 ff.; GR II Nrr. 662 ff. 214 So Wolkenstein an Zollern, 21.5.1632: Akten 305, fol. 59. 215 Vgl. Maximilian an den Kaiser, 12.5.1632: Hallaich, Briefe und Akten II, 412 ff. 2
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Duc porteroit une double casaque, monstrant par dehors tantost le bleu, tantost le rouge avec le croix de Bourgogne, tantost le blanc et le rouge, en meslant les couleurs comme il vouloit; mais qu'à ceste fois il ne tromperait point le Roy, qui avoit desia cognu sa fausseté."216 Auch in Freising äußerte sich Gustav Adolf gegenüber St. Etienne und dessen Begleiter Kütner in harschen Worten, gestand aber schließlich dem ebenfalls erschienenen, die kampflose Übergabe versprechenden Münchner Bürgermeister Ligsalz zu, gegen Zahlung einer enormen Brandschatzung von 300 000 Reichstalern oder 450 000 Gulden die Stadt zu schonen. Maximilian hatte den in München verbliebenen Räten bereits einige Zeit zuvor als besonders zu beachtende Kapitulationspunkte genannt den Schutz der Gotteshäuser, seiner eigenen und seines Bruders Residenz, Schutz der Häuser und Mobilien der kurfürstlichen Beamten und Bediensteten sowie der ganzen Stadtgemeinde. Diese Punkte sollte auch St. Etienne berücksichtigen.217 Aber nicht in Rücksicht auf die französische Intervention, sondern wegen seines Geldbedarfs ist Gustav Adolf den Akkord eingegangen. Am 17. Mai nahm er auf den Höhen über dem rechten Isarufer die Schlüssel der Stadt entgegen, Matthäus Merian hat die Szene in einem schönen Stich festgehalten. Das Haupt des europäischen Luthertums und in seiner Begleitung das Haupt des deutschen Kalvinismus, Friedrich V. von der Pfalz, betraten mit der Residenzstadt ihres Gegners das Zentrum der deutschen Gegenreformation. Dieser Vorgang mußte Maximilian tief bewegen, demonstrierte er doch seinen tiefen Fall seit der Schlacht am Weißen Berg. Jedoch ist keine emotionale Äußerung des Kurfürsten zu dem Ereignis überliefert, ja in dem Konzept eines Schreibens an Zollern, das von der „betrübten" Nachricht des Verlusts der Residenzstadt sprach, strich er das Adjektiv und befahl vielmehr in christlicher Demut das Ganze dem lieben Gott, „weiln es seiner Allmacht also gefellig."218
Bericht St. Etiennes in Allemagne 8, fol. 64 ff.: „Recit de la negotiation du S. de St. Etienne avec le Roy de Suède touchant la Neutralité requise [!] par le Duc de Bavière." Eine deutsche Übersetzung bei Hallmch, Briefe und Akten II, 404 ff. Vgl. auch Roberts, Gustavus Adolphus II, 704 f.; Junkelmann, Gustav Adolf 422 ff. sowie interessante Bemerkungen über St. Etiennes Motive in Kütner an Maximilian, 30.4.1632: Akten 304. 2" Maximilian an Kütner, 27.4. und 12.5.1632: Akten 304, fol. 27 und Kschw. 6452, fol. 14 f.; vgl. auch Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 622.- Text des Brandschatzungsprotokolls vom 11./21.5.1632 bei Carl Maria von Aretin, Nachrichten über des Schwedischen Königs Gustav Adolphs Aufenthalt in München, in: Gelehrte Anzeigen 36 (1853), 49-56, hier 53 f. Die Situation in München kurz vor Ankunft der Schweden schildert sehr schön Sturm, Preysing 123 ff. 218 Aretin, Nachrichten 55. 216
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Der Aufenthalt Gustav Adolfs und seiner Soldaten in München vom 17. bis 27. Mai bzw. 6. Juni ist wiederholt geschildert worden.219 Man weiß von der allgemeinen Disziplin der Truppe (die sich aber doch nicht nehmen ließ, eine Reihe von Häusern zu plündern, deren Besitzer geflüchtet waren); von der erfolgreichen Suche nach vergrabenen Kanonen; von dem Interesse des Königs für die Schönheiten der Stadt, insbesondere für die kurfürstliche Residenz (in der er wohnte), für die Frauenkirche und die Michaelskirche; von seiner Diskussion mit den Jesuiten des Kollegs; von der Gewährleistung des katholischen Gottesdienstes, zu der er sich im Brandschatzungsakkord verpflichtet hatte. Für Maximilian waren zwei Probleme von näherem Interesse, die Brandschatzung sowie der Kunstraub der Schweden. Was die Zahlung von 300 000 Reichstalern betraf, so brachten die Bürger nur 145 000 Gulden oder rund 100 000 Reichstaler zusammen, in der Hauptsache (wie Andreas Brunner berichtet) von den weniger vermögenden Bürgern, da die Reicheren zumeist geflüchtet und die kurfürstlichen Schätze sowie das Kirchensilber nach Salzburg und Tirol verbracht worden waren. General Bañer forderte bis zur Bezahlung des Rests 20 Geiseln, Gustav Adolf verdoppelte die Zahl auf 42, die er mit nach Augsburg nahm, zur Hälfte Geistliche, meist Ordensleute, darunter auch der Jesuit und Geschichtsschreiber Andreas Brunner.220 Um die Aufbringung der restlichen Brandschatzung bemühte sich auch Maximilian,221 der hierzu nach einigem Hin und Her 68 000 Reichstaler oder 100 000 Gulden der Landschaftskasse entnehmen und als Beitrag der
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Aretin, Nachrichten; Georg Thomas Rudhart, König Gustav Adolf und Friedrich von der Pfalz in München, in: Taschenbuch für die vaterländische Geschichte 42 (1856), 69-153; L Schädel, Gustav Adolf von Schweden in München, in: Forschungen zur Geschichte Bayerns 16 (1908), 121-126; BJe^fer, Geschichte V, 416 ff.; Weiß, Gemäldesammler 764 ff; Diemer, Kammergalerie 140 f.; Bachtler-Diemer-Erichsen, Kammergalerie 242 ff; zahlreiche Details finden sich bei Horst Ijeuchtmann, Zeitgeschichtliche Aufzeichnungen des bayer. Hofkapellaltisten J. Heügemayr 1595-1633, in: O A 100 (1975), 142-221, hier 204 ff.; G R II, Nrr. 672 ff. 220 Vgl. das Tagebuch Brunners v o m 15.5.1632 bis 13.1.1634: „Münchnerischer Denkring zu sonndern Ehren deren auß bayden Ständen Geistlich und Weltlich auserkornen Geyßlen [...] von Andrea Brunner der Soc. Jesu Priestern, Ihrem gewesten mitconsorten." Das Tagebuch ist überliefert in Akten 311 in einer Reinschrift (fol. 1-325") sowie im Original von der Hand Brunners (nicht durchgehend foliiert), mit Abschriften zahlreicher Schreiben der Geiseln und anderer, bes. des Bürgermeisters Ligsalz. Das Tagebuch kam 1670 in die H a n d des Franziskaners Franziskus Sigi, selbst gewesene Geisel, der aus eigenem Erleben und mit Benützung Brunners eine Geschichte der Geiseln verfaßte: Fran% Sigls, Franziskaners in München, Geschichte der Münchner Geiseln in schwedischer Gefangenschaft v o m 7.Juni 1632 bis 3. April 1635, hg. von M.J. Stöger, München 1836. Vgl. auch G R II Nr. 674. Wichtigste neuere Arbeit ist Eberhard Graf Fugger, Die Münchner Geiseln, in: Bayerland 1898, Nrr. 46-51; vgl. auch Duhr, Jesuiten 11,2, 531 ff. Weitere Hinweise in BA N F 11,8 und Dokumente 1,3 Nr. 290. 221 Hierzu ein Briefwechsel Maximilians mit den Geheimräten in Akten 305.
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Landstände dem Magistrat übergeben ließ. Er handelte aus humanitärem Impuls, befürchtete aber auch, daß bei Nichtbezahlung die inzwischen abgezogenen Schweden wieder nach München zurückkehrten, um sich schadlos zu halten, schließlich suchte er auch Beschwerden des Münchner Rates und der Geiseln über mangelndes Interesse des Landesherren an ihrem Schicksal zu begegnen.222 Jedoch blieb ein großer Rest, zu dessen Bezahlung die Einschmelzung des geflüchteten Kirchensilbers erwogen wurde,223 ja Maximilian sogar die Frage stellte, ob man nicht der Reichsstadt Regensburg eine große Brandschatzung auferlegen könne, was jedoch von Jocher mit rechtlicher Argumentation widerraten wurde.224 Die Heranziehung des Geheimen Vorrats wurde nur kurz erwogen. Die 42 Münchner Geiseln (zu denen weitere 22 Geiseln aus Landshut, Neustadt, Freising, Landsberg und Weilheim stießen) verbrachten die mehrjährige Gefangenschaft unter zumeist drückenden Umständen, vier verstarben, einer entfloh, zwei (darunter ein Franziskaner) konvertierten. Gegenüber wiederholten Bitten der Geiseln, den Rest der Brandschatzung aus der herzoglichen Kasse zu bestreiten, entschuldigte sich Maximilian mit Geldmangel, u.a. unter Verweis auf sein großes Darlehen für Wallenstein.225 Jedoch bemühte er sich wiederholt um die Freilassung der Geiseln, 1633 verhandelten Kütner, der Münchner Bürgermeister Ridler und der Landshuter Bürgermeister Schrenk in Augsburg, anschließend auch Hofkammerrat Wangnereck, offiziell im Namen der Städte München und Landshut, tatsächlich im Auftrag Maximilians, wobei Salzlieferungen anstelle von Geldzahlungen vereinbart wurden. Auf Vorstellungen Maximilians in Paris wurden die französischen Diplomaten im Reich angewiesen, sich für die Freilassung der Geiseln einzusetzen.226 In welchem Umfang die Brandschatzung schließlich beglichen wurde, läßt sich kaum feststellen. Nach der Übergabe Augsburgs an bayerische Truppen im März 1635 kehrten die Geiseln nach München zurück, bei einem Festakt im Münchner Jesuitenkolleg hielt Jakob Balde die Festrede, eine große Votivtafel in der Ramersdorfer Kirche erinnert bis heute an Gefangenschaft, Befreiung und Rückkehr.227
Vgl. Maximilian an Zollern, 28.6.1632: Kschw. 131, fol. 328 ff. Zur Ersetzung des landschaftlichen Beitrages durch eingeschmolzenes Kirchensilber vgl. Zollern und die Geheimräte an Maximilian, 2.6.und 11.6.1632: Akten 305, fol. 87 ff. und 107 ff. 224 Die Geheimräte an Maximilian, 20.6.1632: Ebenda fol. 134 ff., Konzept Jochers. 225 Eine von P. Contzen vermittelte Audienz einer Gesandtschaft der Geiseln bei Maximilian in Braunau im Februar 1633 blieb ergebnislos; Duhr, Jesuiten 11,2, 254 mit Anm. 6. 226 BA NF 11,8 Nrr. 155,157, 173 und 186. 227 Abb. in GR II Nr. 673. Texte der Tafel mit Namen der Geiseln bei Kloos, Inschriften Nr. 591. 222 223
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Die Maxime Gustav Adolfs, daß in München nicht geplündert werden dürfe, die von den Soldaten nur teilweise befolgt wurde, wurde auch vom König selbst und einigen Fürstlichkeiten in seiner Umgebung nicht eingehalten, soweit es Eigentum des Kurfürsten und seiner Familie betraf. Allerdings hatte Maximilian vorgesorgt und sein Archiv, zahlreiche Gemälde, kunsthandwerkliche Gegenstände, Silbergeschirr, Tapisserien, Möbel und Bücher aus der Kammergalerie, der Kunstkammer, der Bibliothek und sonstigen Beständen der Residenz in Sicherheit bringen lassen, doch war noch genügend vorhanden. Aus der Kammergalerie wurden siebzehn Gemälde geraubt, vielleicht die letzten noch nicht ausgelagerten Stücke, elf davon gelangten nach Stockholm, drei kamen später wieder nach München zurück, von Maximilians Dürersammlung war aber kein Stück betroffen. Schlimmer sah es in der Kunstkammer aus, die nach dem Urteil von Zeitgenossen katastrophale Einbußen hinnehmen mußte, manches davon wurde von den Schweden noch in München auf den Markt gebracht.228 Maximilian hat in den folgenden Jahren weidäufige Nachforschungen nach dem Verbleib solcher Stücke angestellt229 und dabei auch das eine und andere zurückgewonnen. In der Kammergalerie veranlaßte die Ergänzung der Sammlung zu Neuerwerbungen, bei denen, wie erwähnt, auch ein verändertes Kunstverständnis Maximilians durch den bevorzugten Erwerb italienischer Meister zum Ausdruck kam. Auch die Hofbibliothek erlitt erhebliche Verluste.230 Allerdings waren auch hier die wertvollsten Handschriften und Bücher in Fässern verpackt nach Burghausen in Sicherheit gebracht worden, doch wurden unter Verantwortung des in schwedischen Diensten stehenden Herzogs Wilhelm von Sachsen-Weimar etwa zweitausend Bände abgeschleppt. Nach Abzug der Schweden erhoffte sich Maximilian eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung: „Wir meghten etwa auch in eine Bibliothec khumen und die schartten außwezen khünden." Die Gelegenheit kam 1635 nach der Besetzung Württembergs, als er entgegen den Bestimmungen des Übergabeakkords für Tübingen aus der Fürstlichen Bibliothek in Hohentübingen rund 880 Bände, darunter wertvolle Handschriften, entnehmen und nach München bringen ließ. Im übrigen verEinzelheiten in einer von Maximilian angeforderten Aufstellung der Münchner Hofkammerräte vom Juli 1632: Dokumente 1,3 Nr. 289 (aus Rudhart). Auch der Kunstagent Georg Forstenhäuser im Gefolge Gustav Adolfs war an den Plünderungen beteiligt; vgl. lu>re SporhanKrempel, G. Forstenhäuser aus Nürnberg 1584-1659, in: Börsenblatt für den Dt. Buchhandel Jg. 26, 728 ff. 229 U.a. über den in Ingolstadt gefangengehaltenen schwedischen General Torstenson: Dokumente 1,3 Nr. 290. 230 Hacker, Hofbibliothek 359; Κ Schreiner, Württembergische Bibliotheksverluste im Dreißigjährigen Krieg, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 14 (1974), 655-1024, hier 753-895. 228
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trat er zu Recht die Auffassung, daß der Kunstraub des Königs von Schweden und seiner Leute dem Brandschatzungsakkord mit der Stadt München durchaus widersprach. Während sich Gustav Adolf mit seinem Heer in München befand, war Wallenstein endlich in Böhmen gegen die kursächsische Armee unter Arnim in Bewegung gekommen, am 25. April besetzte er Prag. Man glaubte im bayerischen Hauptquartier zu erkennen, daß Wallenstein die Strategie verfolgte, nunmehr in kursächsisches Territorium einzudringen, um Gustav Adolf zur Hilfe für Kursachsen und dadurch zur Räumung Bayerns zu veranlassen.231 Dementgegen plädierte Maximilian dafür, gegenüber Kursachsen in der Defensive zu verbleiben und die Hauptmacht der Kaiserlichen und Ligisten gegen die Schweden zu wenden, die sich so weit nach Oberdeutschland vorgewagt hätten, daß man sie abschneiden und zur Schlacht zwingen könne. Denn ziehe Gustav Adolf nach Norden, wie Wallenstein hoffe, werde er doch Truppen zurücklassen und Bayern weiterhin in Atem halten. Tatsächlich trat letzteres ein! In der Vermutung, daß sich Wallenstein gegen Sachsen wenden werde, änderte Gustav Adolf seinen Kriegsplan, am 27. Mai verließ er vorübergehend, am 6. Juni definitiv München und rückte über Donauwörth in Richtung Nürnberg; zur Beunruhigung des westlichen Oberbayern ließ er aber Truppen des Generals Bañer und des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar am Lechrain zurück. Unter strategischen Gesichtspunkten war sein Feldzug nach Bayern offensichtlich wenig sinnvoll gewesen, wenn er sich jetzt nicht, von Wallenstein unbedroht, unmittelbar gegen Österreich wandte.232 Wie dem auch sei, Maximilian beabsichtigte den Abmarsch der schwedischen Hauptmacht zu nützen und sich nunmehr der Säuberung Bayerns zuzuwenden; schon mit relativ geringer Verstärkung durch kaiserliche Truppen dachte er gegen die zurückbleibenden Schweden „etwas guetes außzurichten", wie er dem Kaiser durch Gesandtschaft Wolkensteins mitteilen ließ.233 Trotz guter Versicherungen Ferdinands II.234 lehnte Wallenstein aber weiterhin nicht nur jede unmittelbare Hilfe ab, sondern rief auch Aldringen mit allen dessen Truppen zu sich nach Böhmen. Angesichts dessen glaubte 231 Vgl. Wolkenstein an Zollern, 29.5.1632: Akten 305, fol. 85 f. 232 Am 18. Mai hatte Maximilian gegenüber dem Kaiser geäußert, daß man noch nicht wisse, ob Gustav Adolf sich gegen den Inn auf Wasserburg zu oder gegen Augsburg und an den Lech wenden werde (Kschw. 74, fol. 71 f.). 233 Maximilian an den Kaiser, 2.6.1632: Hallaich, Briefe und Akten II, 459 ff.; auch die Geheimräte rieten, jetzt den verbliebenen Feind anzugreifen, zumal man selbst meist gute Truppen, vor allem gute Reiter, besitze: Geheimräte an Maximilian, 2.6.1632: Akten 305, fol. 87 ff. 23+ Kaiserl. Bescheid für Wolkenstein, 3.6.1632: Hallmch, Briefe und Akten II, 464 ff.
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sich Maximilian zu schwach, mit den verbliebenen Ligatruppen in Stärke von etwa 6 000-8 000 Mann Bañer und Bernhard von Weimar gewachsen zu sein, beide hatten etwa 12 000 Mann zur Verfügung. Maximilian zog sich aber auch nicht wieder nach Ingolstadt zurück oder blieb, wie bisher, abwartend im Lager bei Stadtamhof/Regensburg, sondern entschloß sich Mitte Juni, nach Norden zu marschieren, um seine Truppen mit denjenigen Wallensteins zu vereinigen. Dadurch gab er Bayern allerdings zum zweiten Mal den Schweden preis, die im Sommer 1632 das Land bis zum Inn erneut mit Brand und Plünderung überzogen. Die Frage ist, ob Maximilians Entschluß der Situation angemessen war, oder ob nicht die Gegenwart des Ligaheeres im Lande manches hätte verhindern können, ohne eine große Auseinandersetzung mit dem überlegenen Gegner riskieren zu müssen. Spielten das Fehlen eines Feldherrn seit Tillys Tod, militärische Unerfahrenheit und nicht zuletzt Ängstlichkeit Maximilians eine zu große Rolle? Warum reagierte Maximilian nicht entschiedener auf die Tatsache, daß Pappenheim seine wiederholten Weisungen nicht befolgte, zur Verstärkung des Ligaheeres nach Süddeutschland zurückzukehren, statt eine Diversion nach Maastricht zur Unterstützung der Spanier zu unternehmen?235 Oder versprach nur das Zusammenwirken mit Wallenstein einen anhaltenden Erfolg, dem zunächst das Land erneut geopfert werden mußte? Maximilian selbst hat als seinen mit Aldringen abgesprochenen Beweggrund bezeichnet, den Feind besser zu beobachten und zu „travagürn" und um sich ungehinderter und bälder mit Wallenstein zu vereinigen;236 der bayerische „Diseurs über des Fridtlandts actiones" vermerkt als Motiv Maximilians lapidar, „damit die so lange gesuechte conjunction einstens fürgang hette und man dem feind begegnen möge."237 Insgesamt bleibt Maximilians Entscheidung nur schwer verständlich. Ende Juni vereinigten sich das kaiserlich-wallensteinsche und das Ligaheer in der nördlichen Oberpfalz, am 28. Juni standen sich Maximilian und Wallenstein in Waldsassen erstmals Auge in Auge gegenüber.238 Beide, so berichtet ein Teilnehmer, seien sich ihrer bisherigen Differenzen bewußt gewesen, aber einander freundlich entgegengekommen. „Doch haben die Curiosi Vgl. Maximilian an Kurköln, ca. 25.9.1632: Akten 303, fol. 9 ff.; Maximilian an Zollern, 28.8.1632: Akten 287, unfol.; Stadler, Pappenheim 676 ff. 236 Maximilian an den Kaiser, 14.6.1632: Kschw. 74, fol. 123 f. Der Mitteilung an Kurmain2, 17.6.1632: Kschw. 783, fol. 30 ff. wurde noch hinzugefügt: Und um dem Feind eine Schlacht zu liefern und die von ihm besetzten katholischen Lande zu rekuperieren. 237 Aretin, Auswärtige Politik, Urkundenteil 341. 238 Datum gemäß Maximilian an Herzog Albrecht, 30.6.1632: Fürstensachen 556, fol. 41 f., eigenh. 235
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vermercket, daß Ihre Churfurstüche Durchlaucht die Kunst zu dissimuliren besser als der Herzog gelernet."239 Maximilian selbst sprach von seiner „guetten satisfaction" durch die Begegnung,240 und in der Folge brachte er es auch über sich, Wallenstein als Herzog von Mecklenburg zu titulieren, der sich dem Hause Bayern gegenüber sehr affektioniert erzeige.241 Auch Wolkenstein bemerkte zunächst, daß beide Herren bemüht seien, einander zufriedenzustellen.242 Wie sehr Maximilian an einer Verständigung mit Wallenstein lag und angesichts der Situation liegen mußte, erweist seine Bereitwilligkeit in diesen Tagen, Wallensteins Bitte um ein Darlehen von 300 000 Gulden zur Proviantierung und Remontierung der kaiserlichen Truppen nachzukommen, obwohl dieser Betrag u.a. zur Auslösung der Münchener Geiseln fehlen mußte.243 Das Problem der Rückzahlung des Darlehens verknüpfte sich später mit der Frage der kaiserlichen Kriegskostenentschädigung für Maximilian. Die Oberbefehlshaber der beiden Armeen, Maximilian und Wallenstein, waren auf Übereinstimmung in der Armeeführung angewiesen, wobei Maximilian als militärischer Laie wohl Wallensteins Kompetenz anerkennen mußte, was ihm nicht leicht gefallen sein kann. Gustav Adolf hatte am 16. Juni mit einem Heer von 20 000 Mann Nürnberg erreicht, während Wallensteins Armee rund 40 000 Mann, diejenige Maximilians 6 000-8 000 Mann umfaßte, beide zusammen also den Schweden weit überlegen waren. Maximilian hatte anzuerkennen und zu würdigen, daß durch Wallensteins Strategie sowohl Böhmen von der sächsischen Armee, als auch Bayern von der schwedischen Hauptarmee befreit worden war, wenngleich eben nicht zu übersehen war, daß als Folge dieser Strategie Bayern erneut verwüstet worden war und die Truppen Bañers und Bernhards von Weimar das Herzogtum weiterhin bedrohten und schließlich auch erneut verheerten. Angesichts der eigenen Überlegenheit schien es Maximilian jedenfalls logisch, den Schweden vor Nürnberg alsbald eine Schlacht zu liefern, deren Gewinn ihm ermöglicht 239 Khevenhiller, Annales XII, 24. 2to Maximilian an Kurköln, 2.7.1632: Kschw. 961, fol. 180. 241 Maximilian an Herzog Albrecht, 16.7.1632: Akten 287, unfol., eigenh. 242 Wolkenstein an Zollern, 9.7.1632: Akten 305, fol. 159. Wallenstein sei „ein verstendiger, tiefsinniger herr [...], auch in kriegssachen mit solchem fundament gehet, als sich wohl zu verwundern." 243 Maximilian rechtfertigend gegenüber den Geheimräten, 28.6.1632: Kschw. 131, fol. 328 ff.: Wallenstein habe so inständig gebeten, „daß ichs ohne offension und andere auch das publicum concernirende ungelegenheiten und sonderlich ohne hinderung meiner für die erlittne Schäden bei Irer Kay. Mt. suechende recompens besorglich nit wol werde ganz abschlagen könden."
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hätte, zumindest mit den Ligatruppen wieder nach Bayern zurückzukehren. Auch Wallenstein sprach sich zunächst für einen Angriff aus,244 und auch durch Wolkenstein wissen wir, daß beide Feldherren sich zunächst einig waren, mit Gustav Adolf zu schlagen.245 Als sich jedoch erwies, daß das schwedische Lager um Nürnberg besonders stark befestigt und nur schwer anzugreifen war, änderte Wallenstein seine Strategie, der Schwede sollte nicht angegriffen, sondern ausgehungert werden, wozu ein schwer befestigtes Lager der kaiserlichen und ligistischen Truppen bei Zirndorf dienen sollte. Zugleich sollte Gustav Adolf veranlaßt werden, seine im Reich liegenden Truppen herbeizurufen und dadurch die von diesen bisher besetzten Gebiete zu endasten. Schließlich sollte er herausgefordert werden, das Lager der Kaiserlichen und Ligisten anzugreifen, wodurch er, so rechnete oder hoffte Wallenstein, schwerste Verluste erleiden mußte. Uber diese Ermattungsstrategie kam es zu heftigen Auseinandersetzungen Maximilians mit Wallenstein, weit schärfer noch als einst mit Bucquoy. Wenn Maximilian in den vergangenen Jahren immer wieder den zur Offensive drängenden Tilly zu bremsen versucht hatte, so plädierte er nunmehr für offensive Kriegführung. Er argumentierte mit der zahlenmäßigen Überlegenheit der eigenen Truppen, verwies auf die steigende Schwierigkeit der Proviantzufuhr aus Bayern und gab auch strategische Ratschläge, wie dem Feind beizukommen sei. Jedoch gelang es ihm nicht, Wallenstein zu überzeugen, „sondern derselb alles nach seinem aignen gefallen disponirt und dirigirt, und die ordonanzen ohne wissen Irer Curf. D. ausgefertigt."246 So standen sich beide Armeen über sieben Wochen praktisch unbeweglich gegenüber, während sich Gustav Adolfs Heer durch den Zuzug von Truppen vom Rhein, aus Thüringen, Schwaben und Bayern verdoppelte. Am 31. August wagte der König den Angriff auf die Katholischen, den er aber nach vier Tagen mit großen Verlusten abbrechen mußte. Und wiederum kam es zu Auseinandersetzungen Wallensteins mit Maximilian, der vergeblich darauf drängte, den Abwehrerfolg durch kräftiges Nachsetzen auszunützen. „Der Herzog von Friedland aber hat nichts anderes darüber gethan, als daß er solch irer Churf. Betont bei Roberts, Gustavus Adolphus II, 718; unzutreffend Ma»», Wallenstein 844. Wolkenstein an Zollem, 16. und 9.7. sowie 21.8.1632: Akten 305, fol. 164, 159 und 180: „So ist die resolution auch dergestalt beraits genommen, wie es Ihre Cfl. Dht. vorhero desiderirt haben und es des gemeinen wesens Wohlfahrt erfordert." 246 „Diseurs" bei Aretin, Auswärtige Verhältnisse, Urkundenteil 342; Maximilian an den Kaiser, 12.9.1632: Hallwich, Briefe und Akten III, 94 ff. Allerdings wußte man auch auf bayer. Seite von den Problemen eines Angriffs; vgl. Wolkenstein an Zollern, 29.7.1632: Akten 305, fol. 162: „Das beschwörüchste ist, daß der König den Vorteil mit Nürnberg hat, daselbsten ist nit möglich, ihn ohne eußeriste gefahr und besorgende ruin unserer armée anzugreifen." 244 245
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Dit. von allen hochen officiem guet befunden und verlangten Vorschlag schümpflich verlacht [...], welches Ire Churfl. Drlt. bei offizirn als gemainer Soldatesca, die es gemerkht und erfaren, große disreputation verursacht"247 In diesen Auseinandersetzungen hatten beide Seiten ihre Gründe, die gewürdigt werden müssen. Wallenstein war ein Freund und Meister defensiver Kriegführung, des Abwartens, um den Gegner zu erschöpfen, der Verlokkung des Gegners zu aussichtsloser Offensive, wie er mit besonderer Meisterschaft gerade im Lager vor Nürnberg vorexerzierte.248 In der Situation des Sommers 1632 konnte er abwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden und konnte sein Gesichtspunkt ein rein strategischer sein, weil er im Unterschied zu Maximilian keine Bindung an ein Territorium im Reich besaß, dessen Befreiung von schwedischer Besetzung ihm am Herzen gelegen hätte. Für Maximilian war aber eben dies der entscheidende Gesichtspunkt, durch eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der schwedischen Hauptarmee jede weitere Bedrohung des Herzogtums Bayern durch schwedische Truppen einmal für immer auszuschalten, nachdem das Land in den vergangenen Monaten so furchtbar gelitten hatte. Das unmittelbare Schicksal von Land und Leuten in Bayern bestimmte sein Verhalten. Ungewiß bleibt, ob die Gelegenheit zu solcher Entscheidung durch Wallensteins Strategie tatsächlich versäumt worden ist, wie Maximilian beklagte. Gewiß ist jedenfalls, daß die Gelegenheit vorteilhafter Kräfteverhältnisse für die kaiserlich-ligistische Gruppierung so nicht wiederkehrte und daß der Endpunkt der Wallensteinschen Strategie des Jahres 1632, die Schlacht bei Lützen, doch mit einer Niederlage Wallensteins endete. Am 18. September marschierten die Schweden wegen großer Versorgungsprobleme nach Westen ab, fünf Tage später brachen auch die Truppen Wallensteins und Maximilians in Richtung Sachsen auf. Gustav Adolf jedoch, der in falscher Einschätzung der Verhältnisse Hilfe für die sächsische Armee für unnötig hielt, wandte sich aus mancherlei Gründen,249 hauptsächlich wohl wegen besserer Versorgungs- und Rekrutierungsmöglichkeiten im Schwäbischen, wieder nach Süden, bereits am 5. Oktober war er wieder in Donauwörth angelangt. Da hierdurch die Sicherheit Bayerns erneut und wesentlich mehr als in den vorhergehenden Wochen bedroht war, sah sich Maximilian „Diseurs" bei Aretin, Auswärtige Verhältnisse, Urkundenteil 343. Adlyeiter-Vervaux, Annales III, 289 berichtet als Äußerung Maximilians: „Ego vero a Fridlando bene mortificatus redeo." 248 Vgl die Erörterungen von Hans Schmidt, Wallenstein als Feldherr, in: Mitt. des Oberösterr. Landesarchivs 14 (1984), 241-260, hier 253 ff.und 257 ff. 249 Diskussion bei Roberts, Gustavus Adolphus II, 733 ff. 247
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zu Entscheidungen veranlaßt. Allerdings gelang es ihm wiederum nicht, Wallenstein zur Rückkehr auf den süddeutschen Kriegsschauplatz zu bewegen, aber er selbst trennte sich am 15. Oktober in Coburg von ihm, um das Ligaheer wieder nach Bayern zu führen.250 In einem Tauschgeschäft wurden die Ligisten durch zwei kaiserliche Regimenter unter Aldringen verstärkt, wogegen der mit 12 000 Mann in Nordwestdeutschland operierende Pappenheim zu Wallenstein stoßen sollte.251 Trotz der Verstärkung durch Aldringen war das Ligaheer dem gesammelten schwedischen Heer auch jetzt noch weit unterlegen. Warum Maximilian jetzt dennoch, anders als im Juni, die Verteidigung seines Herzogtums mit begrenzten Kräften auf sich nehmen wollte, ist nicht näher belegt. Vielleicht wollte er nicht das Odium auf sich nehmen, sein Land ein drittes Mal ohne Gegenwehr dem Feind zu überlassen? Wie ernst er die Lage auffaßte, erweist jedenfalls ein Befehl an den Hofkanzler in München, bei einem feindlichen Angriff die Stadt bis zum letzten Mann zu verteidigen — von Ubergabe war nicht mehr die Rede, zumal auch die Geiseln noch nicht ausgelöst worden waren.252 Aber während sich das Ligaheer noch auf dem Marsch nach Süden befand, änderte Gustav Adolf erneut seine Planungen; angesichts des wallensteinschen Zuges nach Sachsen und dessen bevorstehender Vereinigung mit Pappenheim entschloß er sich, nun doch in Gewaltmärschen nach Norddeutschland zu eilen. Am 18. Oktober, als Maximilians Truppen eben über Forchheim nach Hersbruck gelangt waren, brachen die Schweden von Neuburg (Donau) in Richtung Erfurt auf, nicht ohne zur weiteren Beunruhigung Bayerns ein Korps unter dem Pfalzgrafen Christian von Birkenfeld zurückzulassen. Auch diese Tage waren durch Differenzen zwischen Maximilian und Wallenstein überschattet. Maximilian forderte weitere kaiserliche Truppen an, weil sich Wallensteins Einschätzung nicht bewahrheiten werde, daß die Schweden durch die Diversion der Kaiserlichen gegen Sachsen zur endgültigen Räumung Bayerns und Schwabens veranlaßt würden.253 Der wichtigste Differenzpunkt waren die wiederholten, sich verschiedentlich auch widersprechenden Weisungen Wallensteins an Aldringen, mit den beiden kaiserlichen Regimentern wieder zurückzukehren, da der von Maximilian verspro-
Maximilian an den Kaiser, 12.10.1632: Kschw. 74, fol. 165 f. Maximilian an den Kaiser, 12.10.1632: Kschw. 74, fol. 165.f.; Patent auf Pappenheim, 13.10.1632: Hallmch, Briefe und Akten III, 252. f. 252 Wahl an Abegg, 17.10.1632: Akten 302, fol. 69. 253 Maximilian an Wallenstein, 22.10.1632: Hai/wich, Briefe und Akten III, 287. 250 251
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chene Zuzug Pappenheims immer noch ausstehe.254 An sich widersprachen diese Weisungen der Coburger Vereinbarung, daß Aldringen gegenüber Maximilian weisungsgebunden sei. Aber der General war nur zu bereit, sich vom Ligaheer zu trennen; um sich den Rückweg zum kaiserlichen Heer nicht zu erschweren, weigerte er sich zum Leidwesen Maximilians sogar, zusammen mit den Ligisten die Donau zu überschreiten. Maximilian dagegen sah durch die Befehle Wallensteins die Gelegenheit vertan, den Bayerischen Kreis und Teile des Schwäbischen Kreises noch vor dem Winter vom Feind zu befreien und dort Quartiere einzunehmen. Am 6. November 1632 standen sich die Armeen Wallensteins und Gustav Adolfs in der Schlacht bei Lützen gegenüber. Der König und Pappenheim fanden den Tod, Wallenstein zog sich mit dem kaiserlichen Heer nach Böhmen zurück. Wenn er noch kurz vor der Schlacht Aldringen gestattet hatte, persönlich beim Ligaheer zu verbleiben, so befahl er ihm jetzt, sich mit den Regimentern schleunigst nach Eger zu begeben.255 Es bedeutete einen offenen Affront, daß er nicht auch Maximilian von diesem Befehl unterrichtete, der es daher unterließ, Wallenstein zur Schlacht zu gratulieren und kalt erklärte, da Aldringen abgefordert werde, müsse es sich bei Lützen offensichtlich um eine Niederlage der Kaiserlichen gehandelt haben.256 Damit waren die Beziehungen Maximilians zu Wallenstein wiederum auf einem Tiefpunkt angelangt. Da aber die schwedische Gefahr trotz des Todes Gustav Adolfs fortbestand, blieb das Verhältnis zu Wallenstein und zum kaiserlichen Heer weiterhin ein erstrangiges Problem der bayerischen Politik und Kriegführung. In diesem Beziehungsgeflecht spielten nun aber zwei Vorgänge des Jahres 1632 eine entscheidende Rolle in Maximilians weiterer Meinungsbildung: Erstens die Tatsache, daß ihn Wallenstein mehrmals, insbesondere im Lager vor Zirndorf, in verletzender Weise gedemütigt hatte. Maximilian war gewiß nicht der Mann, solche Dinge zu vergessen. Zweitens und vor allem war von Bedeutung, daß Wallenstein die wiederholten bayerischen Hilfsgesuche zwar mit Versprechungen beantwortet, aber schließlich nicht eingelöst hatte. Auch wenn sich Wallenstein hierdurch nicht nur - und vielleicht nicht einmal in Briefwechsel zwischen Wallenstein, Aldringen, Maximilian und Pappenheim im Herbst 1632 bei Halhvich, Briefe und Akten III; Aretin, Auswärtige Verhältnisse, Urkundenteil 344 f.; Maximilian an die Geheimräte, 3.11. und 11.11. 1632: Akten 305, fol. 262 f. und 284. 255 Befehl vom 17.11., vgl. Aldringen an Wallenstein, 23.11.1632: Hallmch, Briefe und Akten III, 524 f. 256 Maximilian an Wallenstein, 24.11.1632: Ebenda 526. Vgl. auch Aldringen an Wallenstein, 23.11.1632: Ebenda 524 f.: „Ihr Churf. Dchlt. haben sich sonders nichts gegen mich merckhen lassen, ohne so vil, das Sye zu underschiedlichen mahlen wiederholt, das Sye woll verhofft hetten, E. Fiirsd. Gn. würden Sie mit ainem wortt gewürdigt haben." 254
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erster Linie - an seiner Entlassung zu rächen gesucht hatte, sondern sich primär an bestimmten strategischen Überlegungen orientierte, konnte sich Maximilian durch dessen Gesichtspunkte doch nur wenig überzeugt zeigen. Für ihn zählte, daß er im Vertrauen auf Wallensteins Versprechungen sein Land den Schweden preisgegeben hatte, ohne daß sich dieses Opfer dann in gemeinsamer Kriegführung mit entsprechenden Erfolgen ausbezahlt hätte. Als sich Ende 1633 die Wallensteinfrage zuspitzte, wurde am bayerischen H o f Material gegen den Generalissimus gesammelt und in einer großen Anklageschrift zusammengefaßt, dem „Diseurs iber des Fridlandts actiones und gegebne ungleiche ordonanzen. Anno 1632 et 1633." 257 Hier fanden sich die Hilfsversprechen und Hilfsverweigerungen Wallensteins seit dem Frühjahr 1632 zusammengestellt und kommentiert, zwar als Mittel zum Zweck, aber bemerkenswert sachlich und in der Sache auch richtig. Tatsächlich hätte es nicht nur, wie Wallenstein argumentierte, das Entweder-Oder von Hilfe für das Ligaheer oder großer (sich schließlich auch nur zum Teil als richtig erweisender) strategischer Konzeptionen gegeben, sondern auch Lösungen, die beiden Anforderungen gerecht geworden wären. Nach bayerischer Auffassung hätte ein wallensteinscher Sukkurs von 10 000 Mann ausgereicht, um es mit den Schweden aufzunehmen. 258 Wallensteins Sicherheitsdenken, strategische Grundsätze, die mit politischen Zielsetzungen verbunden waren und Rachegedanken hatten jedoch den Ausschlag gegeben. Dabei waren es weniger die unterlassenenen Hilfeleistungen selbst, als die irritierenden Versprechungen Wallensteins gewesen, aufgrund deren falsche Entscheidungen getroffen wurden, durch die Maximilian schließlich in landsverderbliche Situationen manövriert worden war. Auch Maximilians weitere Beziehungen zur Römischen Kurie und zu Frankreich wurden durch die Vorgänge der Jahre 1631/32 nicht unerheblich belastet. Was den Papst betraf, so wurde bereits gezeigt, daß sich Urban VIII. mit dem Hinweis auf die Belastungen der päpstlichen Kassen durch den Mantuanischen Erbfolgekrieg längere Zeit für außerstande erklärt hatte, dem Kaiser und der Liga mit Subsidien beizuspringen. Die dann seit Dezember 1631 wiederaufgenommenen, über Augsburger Bankhäuser laufenden Subsidienzahlungen für die Liga stockten wegen der Besetzung der Stadt durch die
Druck: Aretin, Auswärtige Verhältnisse, Urkundenteil 337-357; vgl. auch BA NF 11,9 Nr. 272 Ρ Anm. 2. 258 Wolkenstein an Zollern, 11.5.1632: Akten 305, fol. 48; Zollern und die Geheimräte an Maximilian, 26.5.1632: Ebenda fol. 73 ff. 257
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Schweden bereits seit Juni 1632.259 So forderte Maximilian die Fortsetzung der Zahlungen auf sichereren Wegen, dazu einen ergiebigen Vorschuß, da päpstliche Hilfe im Interesse der katholischen Religion im Reich niemals notwendiger als jetzt gewesen sei.260 Tatsächlich hatte der durch den BorjaZwischenfall und eine nachfolgende Intervention des Kardinals Pazmany aufgestörte Papst dem ao. Nuntius Grimaldi bei seiner Mission an den Kaiserhof bereits Anweisungen auf 130 000 Reichstaler für Kaiser und Liga mitgegeben, die als Vorschuß auf die bewilligten Monatsraten gedacht waren; der Kaiser sollte 80 000, die Liga 50 000 erhalten.261 Maximilian nahm die Gelder für die Liga dankend entgegen, meinte jedoch, daß hiermit „bei jetzigem starken veldtzug" nicht viel auszurichten sei. Sein gleichzeitiges großes Darlehen an Wallenstein war ein Hinweis, welche Summen zur Kriegführung tatsächlich gebraucht wurden. Mehr noch als die Begrenzung der Subsidien kreidete Maximilian dem Papst in gewiß eigenwilliger Schlußfolgerung an, daß Bayern sich deswegen auf einem Tiefpunkt befinde, weil es Urban VIII. nicht gelungen sei, die Franzosen zum Bruch mit Gustav Adolf zu veranlassen! Da der Vertrag von Fontainebleau von der Römischen Kurie selbst — und nicht nur durch den Nuntius Bagno — vermittelt worden sei, bilde der Heilige Stuhl auch die Garantiemacht des Vertrages. Damit schob Maximilian die aus dem Versagen der bayerisch-französischen Allianz resultierenden Folgen letztlich dem Papst in die Schuhe. Nur wegen dessen Garantie habe er auf die Vertragstreue und die Hilfe Frankreichs vertraut, die jedoch ausgeblieben sei, sodaß die Schweden freien Weg nach Bayern erhielten. Das war eine kühne Konstruktion, die Maximilian jedoch in einer langen und eindrucksvollen Erklärung dem Kardinalnepoten Francesco Barberini zu vermitteln suchte.262 Er schilderte dem Kardinal die schwedischen Greuel und seine Enttäuschung über die ausbleiVgl. oben 729. Maximilian an Stückl in Wien, 21.7.1632: Kschw. 74, fol. 140 ff., mit Erörterung der Zahlungsmodalitäten. 261 Einzelheiten bei L u f y Subsidien 95 ff. 262 Maximilian an Barberini, 21.10.1632: Barb. lat. 6718, fol. 130 ff., gedruckt bei Ferdinand Gregorovius, Urban VIII. im Widerspruch zu Spanien und dem Kaiser. Eine Episode aus dem Dreißigjährigen Krieg, Stuttgart 1879, 142 ff. Barberini sprach in seiner Antwort vom 18.12.1632 (Kschw. 7402, fol. 258 ff.) wahrheitswidrig von der „ignoranza totale, che qui s'è havuto della collegadone di V.A. con Francia". Gleichzeitig wies er aber den Nuntius Bichl an, „che con la solita sua premura ricordi a S.M. et al Card. Richelieu l'obligo, che hanno di aiutar un Prencipe loro amico, che non rovini, et insieme con lui la Religione Cattolica, che con la caduta di quelli stati deteriora notabilmente in Germania, non vi essendo stato altro Principato in quella Provincia più netto di Eresia, che quello del Duca di Baviera" (NF 77, fol. 195, 18.12.1632). 259
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bende französische Hilfe und suchte sodann den Anteil der Kurie an diesen Vorgängen zu bezeichnen. Er habe sich nicht leichten Herzens in die Allianz mit Frankreich eingelassen und hätte den Abschluß noch weiter verzögert, wenn nicht Kardinal Bagno als Vermitder aufgetreten wäre und gedrängt hätte, die französischen Bedingungen anzunehmen. „Er hat mir nicht nur die Aufrichtigkeit Frankreichs versichert, sondern auch, daß er diese Allianz mit Wissen und Billigung Seiner Heiligkeit und Eurer Eminenz betreibe, was durch Briefe Bagnos an Eure Eminenz bewiesen werden kann, deren Kopien in Brüssel liegen. Alle diese Gründe haben mich bewogen, im Vertrauen auf die Aufrichtigkeit Frankreichs und die .autorità' Seiner Heiligkeit und Eurer Eminenz das Mißtrauen des Hauses Habsburg auf mich zu laden, von dem ich mir jetzt nicht mehr die Ubereinstimmung und die Unterstützung wie in früheren Jahren erwarten kann, ganz davon abgesehen, daß andere Fürsten nun vorsichtiger sein werden, Verträge mit den Franzosen abzuschließen, nachdem sie mich jetzt in größter Gefahr verlassen und der schwedischen Tyrannei preisgegeben sehen..." Natürlich war die Einstufung des Heiligen Stuhles als Garantiemacht nicht zu halten, nachdem ein explizites Einverständnis hierzu nicht existierte. Aber richtig an Maximilians Argumentation war, daß ihn die kuriale Vermittlung wesentlich ermutigt hatte, den Vertrag abzuschließen. Jedoch war es in erster Linie die allgemeine politischmilitärische Situation gewesen, die ihn, ganz unabhängig von römischer Vermittlung und Garantie, zur Annäherung und vertraglichen Bindung an Frankreich geführt hatte. Dem widerspricht nicht, daß er sich von der Mitwirkung des Papstes offensichtlich positiven Einfluß auf die Vertragstreue Richelieus erhofft hatte und wohl zu Recht erhoffen konnte. Dieses Moment wurde jetzt in den Vordergrund gerückt, teils berechtigt, teils weil es seiner Natur entsprach, die Verantwortung für Rückschläge nicht bei sich selbst zu suchen. Weit mehr waren durch die Ereignisse der letzten Monate Maximilians Beziehungen zu Frankreich belastet worden, welche die eigentliche Bewährungsprobe nicht bestanden hatten. Dem König und Richelieu war allerdings bewußt, welche Einbuße an Reputation es für sie bedeutete, wenn Gustav Adolf die Neutralitätsbedingungen zurückwies, die von französischer Seite für angemessen angesehen worden waren.263 Umsomehr waren die Franzosen daran interessiert gewesen, daß ihre Korrekturen an den schwedischen Neutralitätsartikeln von Gustav Adolf und Maximilian akzeptiert wurden, um die Periode der Neutralitätsverhandlungen doch noch positiv zu beenden. Dieser Zielsetzung war eine ganze Serie von Depeschen gewidmet, die St. Etienne 2« So Bichi an Maximilian, 20.3.1632: Akten 304, fol. 39.
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Ende April Maximilian überbracht hatte.264 Dabei versicherte Richelieu, daß der König entschlossen sei, ihn zu unterstützen, „sy les iustes conditions sont reiectes", und Ludwig XIII. selbst betonte, daß im Falle der Ablehnung der französischen Änderungen durch Gustav Adolf „je suis tout disposé et résolu à Vous tesmoigner la continuation de ma bonne volonté en Vous assistant." Das waren jedoch keine konkreten Hilfszusagen, wie sie Maximilian brauchte, weshalb er ebenfalls in einer Serie von Depeschen dringlicher denn je sofortige französische Geldhilfe eingefordert hatte.265 Die schwedischen Neutralitätsbedingungen könnten von den Ligafürsten „sine religionis Catholicae excidio et libertatis Germaniae oppressione manifesta" nicht akzeptiert werden. Das Hilfsversprechen des bayerisch-französischen Vertrags setze auch keine solche Neutralität voraus, sondern beziehe sich auf einen feindlichen Angriff, wie ihn Bayern eben durch die Schweden mit großem Schaden erleide. Gezielt erklärte Maximilian dem Pater Joseph, daß Gustav Adolf durch Brennen und Morden aller Welt demonstriere, keine Rücksicht mehr auf Frankreich zu nehmen - „Regis Christianissimi auctoritatem ac mónita quasi iam potentior irritet." Gegenüber St. Etienne äußerte er sich schließlich ganz eindeutig: Die Franzosen sollten sich keinerlei Hoffnung mehr auf eine bayerische Neutralität hingeben. Im übrigen vertrat er, zu Recht, die Auffassung, daß ihm durch Artikel 7 des Vertrags von Fontainebleau die Unterstützung des Kaisers gestattet sei, weshalb der Angriff Tillys auf die Schweden im Sommer 1631 die Gültigkeit des Vertrags nicht beeinträchtige.266 Die Obstinanz, mit der Richelieu ungeachtet solcher Erklärungen und Bitten daran festhielt, Maximilian zu einem Neutralitätsabkommen oder einem Waffenstillstand mit Schweden zu bewegen, erweist die Bedeutung, die er Bayern in seinem gegenwärtigen außenpolitischen Konzept zuschrieb. Aber ging es wirklich nur um die Neutralisierung Bayerns? Tatsächlich waren die Absichten des Kardinals weiter gespannt, wie eine umfassende Denkschrift Pater Josephs aus dem Jahre 1633 erweist.267 Es ging um mehr, als Maximilian nur vom Kaiser zu trennen, vielmehr handelte es Bichl, Richelieu und P. Joseph an Maximilian, alle vom 6.4.1632: Akten 304, fol. 1, 9 und 7f.; Ludwig XIII. an Maximilian, 8.4.1632: Ebenda fol. 14. 265 Maximilian an Ludwig XIII., Richelieu, P. Joseph und Bichi, alle vom 27.4.1632: Ebenda fol. 43, 43', 38 und 44. 266 Maximilian an St. Etienne, 27.4.1632: Ebenda fol. 29. Dessen ungeachtet entsandte Richelieu im Sommer 1632 erneut einen Gesandten, La Grange aux Ormes, zu Maximilian ins Feldlager bei Nürnberg, der aber dessen Vorschläge zu einem Waffenstillstand als mit Ehre, Reputation und gutem Gewissen nicht annehmbar ablehnte. Vgl. Albrecht, Auswärtige Politik 352 sowie Maximilian an Zollern, 15.9.1632: Akten 302, fol. 56 ff. 267 Druck bei Fagnie^ Père Joseph II, 146 ff. 264
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sich darum, mit dieser Trennung das gegenwärtige außenpolitische System Richelieus überhaupt zu rechtfertigten, vor sich selbst und vor der europäischen Staatenwelt. Primäre Notwendigkeit war laut Pater Joseph, auch nur den Anschein eines Religionskrieges zu vermeiden. „Evitons au nom de Dieu une guerre de religion." Frankreich müsse in seine antihabsburgischen Koalitionen katholische Mächte aufnehmen, um durch eine gemischtkonfessionelle Frontbildung den Vorwurf zu widerlegen, als stehe es in einem Religionskrieg auf der falschen Seite, und um zu demonstrieren, daß es sich in Wirklichkeit um einen säkularen Machtkampf mit dem Hause Habsburg handle. Aber wie waren Katholiken und Protestanten unter einen Hut zu bringen? Es galt nach Pater Joseph, die konfessionellen Unterschiede zurückzudrängen, um beide Religionsparteien wenn nicht zur Zusammenarbeit, so doch zu gegenseitiger Neutralität zu bewegen. „La neutralité, c'est la seul moyen d'eviter une guerre de religion, d'adoucir peu à peu les esprits et d'ouvrir la voie à une paix sure." In diesem weiten Konzept hatten auch die Bemühungen um Bayern ihren Platz. Und da Richelieu auch nach dem Tode Gustav Adolfs die Methode des „verdeckten Krieges" verfolgte, der gemäß der Kaiser auch ohne offenen Kriegseintritt Frankreichs, eben durch die finanzielle Unterstützung Schwedens und der deutschen Prostestanten, bekämpft werden konnte, blieb im Rahmen des Konzepts auch weiterhin die Gewinnung Bayerns ein erstrangiges Ziel der französischen Politik. Als Ansatzpunkte nannte der Kapuziner in seiner Denkschrift drei Momente: „C'est le Bavarois, qui a le plus d'importance parmi les électeurs catholiques; or, il est très hostile à Waldstein et aux Espagnols, et il incline vers la paix." Hiermit waren tatsächlich zentrale Positionen Maximilians in den folgenden Jahren bezeichnet. Was seinen Friedenswillen betraf, so fuhr Maximilian fort, gegenüber dem Kaiser, der Römischen Kurie, Spanien und Frankreich direkt oder indirekt für einen Ausgleich zwischen Spanien und Frankreich zu werben, in dem er zu Recht den Schlüssel einer Befriedung Europas erblickte. Da es sich bei beiden um katholische Mächte handelte, suchte er die Vermittlung des Papstes, wenngleich im Grunde wissend, daß das konfessionelle Argument kaum mehr in der Lage war, die machtpolitischen Gegensätze in Europa zu überbrücken. Was den Frieden im Reich selbst betraf, so unterstützte Maximilian in der Folge die Bemühungen des Kaisers, Johann Georg von Sachsen selbst um den Preis konfessionspolitischer Zugeständnisse aus der Verbindung mit Schweden zu lösen, wie es schließlich im Prager Frieden verwirklicht wurde. Was schließlich Maximilians weitere Beziehungen zu Wallenstein und Spanien betraf, so orientierte er sich allein an dem Nutzen, den beide für die bayerische Politik und Kriegführung
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bieten konnten. Da es Oxenstierna nach dem Tode Gustav Adolfs gelang, zahlreiche protestantische Reichsstände zur Fortsetzung des Krieges auf schwedischer Seite zu gewinnen, war es für Maximilian weiterhin lebensnotwendig, sich militärischer Unterstützung durch den Kaiser und Wallenstein sowie nunmehr auch — da auf Hilfe Frankreichs offensichtlich nicht zu rechnen war — durch Spanien zu versichern. Die Notwendigkeit des Rückgriffs auf das Haus Habsburg und Wallenstein demonstrierte Maximilian mehr als alles andere, daß eine eigenständige Politik Bayerns zwischen den Mächten, wie er sie (auch mit Hilfe der Liga) vor dem Erscheinen der Schweden und dem Kriegseintritt Kursachsens und Kurbrandenburgs betrieben oder jedenfalls zu führen versucht hatte, nicht mehr möglich war. Dies war das eigentliche Resultat der Epoche Gustav Adolfs für Maximilian.
30. Von Lützen bis Prag 1632-1635
Der Tod Gustav Adolfs beraubte die schwedische Politik und Kriegführung zwar eines wesentlichen Teils ihrer Dynamik, die weitreichenden Zielsetzungen eines protestantischen Kaisertums und eines umfassenden Corpus Evangelicorum unter schwedischer Führung waren jetzt wohl erledigt. Jedoch waren auch die Ziele seines Kanzlers Axel Oxenstierna, der nunmehr die politische Führung übernahm und die territoriale und finanzielle Satisfaktion Schwedens anvisierte, für die der Selbstbehauptungswille der deutschen Protestanten eingespannt werden sollte, dazu angetan, die katholische Partei und nicht zuletzt den Herzog von Bayern weiterhin in Atem zu halten.1 Maximilian befand sich weiterhin in der Defensive, er verstand ebenso wie der Kaiser seine Politik und Kriegführung als eine abwehrende und fand in diesem Bewußtsein ihre Rechtfertigung. Dies war umsomehr der Fall, als die Schweden und ihre Verbündeten zu seiner großen Erbitterung weiterhin von Frankreich unterstützt wurden. Am 19. April 1633 wurde der französisch-schwedische Subsidienvertrag von Bärwalde erneuert, dem auch Kurbrandenburg beitrat. Am 23. April gelang es Oxenstierna, die protestantischen Reichsstände der vier oberdeutschen Reichskreise sowie Kurbrandenburg im Heilbronner Bund zu gemeinsamer Kriegführung unter schwedischer Führung zusammenzuschließen und dadurch die schwedischen Finanzen erheblich zu endasten.2 Kursachsen gehörte dem Bund nicht an und behielt seine eigene Armee unter Arnim. Die Streitkräfte Schwedens und des Heilbronner Bundes verteilten sich auf mehrere Armeen unter verschiedenen Befehlshabern, von denen Herzog Bernhard von Weimar und Feldmarschall Gustav Horn in erster Linie mit der Kriegführung in Süddeutschland befaßt waren, mit diesen beiden hatten es Maximilian, die ihm unterstellten Truppen und nicht zuletzt auch die bayerische Bevölkerung vor allem zu tun. 1 Sigmund Goethe, Die Politik des schwedischen Reichskanzlers Axel Oxenstierna gegenüber Kaiser und Reich, Kiel 1971; Michael Roberts, Oxenstierna in Germany 1633-1636, in: Scandia 48 (1982), 61-105; Sven Lundquist, Die schwedischen Kriegs- und Friedensziele 1632-1648, in: Repgen, Krieg und Politik 219-240. 2 Johannes Kret^schmar, Der Heilbronner Bund 1632-1635, 3 Bände, Lübeck 1922; Herbert Langer, Der Heilbronner Bund, in: V. Preß (Hg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit?, München 1995,113-122.
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30. Von Lütgen bis Prag 1632-1635
Maximilian hielt sich von Dezember 1632 bis Mai 1635 fern von seiner Residenzstadt und dem Ligaheer in Braunau im bayerischen Innviertel auf, also östlich des Inn, wo ihm Sicherheit vor feindlichen Überfällen gegeben schien.3 Er hatte zunächst Wasserburg erwogen, um der Armee näher zu sein, dann, nach der Betrauung Aldringens mit dem Kommando im Feld, Burghausen oder Otting, schließlich war Braunau gewählt worden, zumal die Bauern im benachbarten Land ob der Enns sich gegenwärtig ruhig verhielten.4 Ende November kamen auch die Kurfurstin Elisabeth und der Hofstaat aus Salzburg nach Braunau. Die Kurfurstin hatte beim Anrücken der Schweden das Gnadenbild von Altötting nach Salzburg geflüchtet, wo es auf dem Hochaltar des Domes verehrt wurde. Jetzt brachte sie es wieder in die Gnadenkapelle zurück, „weil wir", wie Maximilian äußerte, „durch widerkonft diser heiligen bildnuß der Allers digisten Jungfrauen Maria von der Göttlichen Allmacht desto mehrer gnadt und glick zu haben verhoffen."5 Die militärischen Vorgänge des Jahres 1633 waren wie bisher gekennzeichnet durch Bewegungen der beiderseitigen Heere über weite Entfernungen hinweg zur Ausmanövrierung des Gegners, zur Eroberung fester Plätze und zur Gewinnung von ergiebigen Quartieren, begleitet von kleineren plötzlichen Streifzügen zur Beunruhigung des Gegners und zu Plünderungen. Dabei sahen sich die bayerisch-kaiserlichen Truppen ungeachtet einer Reihe von Einzelerfolgen zunehmend weiter in die Defensive gedrängt. Das Land zwischen Lech und Isar mußte im Frühjahr 1633 ein weiteres Mal den Schweden preisgegeben werden, nach einer Atempause im Sommer ging im November sogar Regensburg verloren. Maximilian sah die Hauptursache dieser negativen Bilanz in der mangelnden Unterstützung durch Wallenstein, der sich mit der von ihm reorganisierten kaiserlichen Hauptarmee mehr oder weniger untätig in Böhmen aufhielt und sein Augenmerk hauptsächlich auf Sachsen und Schlesien richtete. Wallenstein argumentierte wie bisher, daß bei einer Ausschaltung Kursachsens durch militärische Niederlage oder politische Verhandlung die Schweden gezwungen würden, Süddeutschland preiszugeben. Während Maximilian den Kaiserhof wiederholt mit der Forderung konFür diese Periode der bayerischen Politik sind grundlegend die von Kathrin Bierther bearbeiteten Bände BA NP 11,8-10. 4 Die Geheimräte rühmten, Braunau sei „nicht allein eben, luftig, gesundt und von guettem underkommen, sowohl an vivers, als den quartiern, sondern es ist auch die Statt zimblich muniert und hat ein feinen Gottesdienst so wol bei den Patribus Cappucinis als auch sonsten." Die Geheimräte an Maximilian, 20.6.1632: Akten 305, fol. 122 ff ; vgl. auch deren Schreiben von 12., 20. und 24.11: Ebenda fol. 286, 320 und 335; Maximilian an Zollern, 22.9. 1632: Ebenda fol. 207 ff. 5 Maximilian an die Geheimräte, 10.12.1632: Akten 302, fol. 124. 3
30. Von Lütgen bis Prag
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frontierte, als Hauptkriegsschauplatz Süddeutschland und als Hauptgegner die Schweden einzustufen, gegen die offensiv vorzugehen sei, beharrte Wallenstein auf seinem strategischen Konzept. Seine Bemühungen galten zunehmend einem Verhandlungsfrieden mit Kursachsen, dessen Aushandlung durch offensive militärische Aktionen nicht gestört werden sollte. Da er bei den Göllersdorfer Verhandlungen zur definitiven Übernahme seines zweiten Generalats im April 16326 vom Kaiser praktisch völlige Freiheit in der Kriegführung erhalten hatte und auch zur Einleitung von Friedensverhandlungen ermächtigt worden war, mußten aus den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen notwendigerweise grundsätzliche Differenzen zwischen Maximilian und Wallenstein resultieren, von den persönlichen Animositäten zwischen den beiden ganz abgesehen. Als Maximilian im Dezember 1632 die ligistische (oder angesichts des nunmehrigen Hauptfinanziers eigentlich bayerische) Armee verließ, die seit den Coburger Verhandlungen durch mehrere kaiserliche Regimenter unter dem Kommando General Aldringens verstärkt war, übertrug er Aldringen den Oberbefehl auch über die Ligatruppen, obwohl die vergangenen Wochen gezeigt hatten, daß sich dieser in starker Affinität zu Wallenstein befand. Das Problem war, inwieweit Aldringen für den kaiserlichen Teil dieser Armee der Kommandogewalt Wallensteins unterstellt war oder nicht doch weiterhin wie in Coburg ausdrücklich vereinbart worden war — derjenigen Maximilians, zumal Wallenstein seinerseits weiterhin über die ihm damals überlassenen und bei ihm verbliebenen Pappenheimschen Regimenter verfügte. In der Frage der Befehlsgewalt über Aldringen spitzten sich die unterschiedlichen Auffassungen Maximilians und Wallensteins über Charakter und Schwerpunkte der weiteren Kriegführung in erster Linie zu. Nach anfänglichen Erfolgen der katholischen Truppen im Schwäbischen Kreis vereinigte sich Anfang April die Armee Horns mit dem aus Norddeutschland kommenden schwedischen Hauptheer unter Bernhard von Weimar in dem Raum zwischen Donauwörth und Augsburg zu einer beachtlichen Armee von 42 000 Mann. Diese Übermacht bewog Aldringen, sich zum Schutze Münchens auf die Isarlinie zurückzuziehen, wodurch das Herzogtum westlich der Isar erneut den Schweden offenstand; nachdem schon die eigenen Truppen Land und Leute schwer bedrückt hatten, ging im Frühsommer 1633 wiederum eine Welle von Vandalismus über Städte, Märkte Quellen und Forschungsmeinungen zu den Göllersdorfer Verhandlungen diskutiert Loren^ Quellen Wallenstein 228 ff. 6
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und Dörfer, insbesondere die Stadt Landsberg wurde zum wiederholten Male verwüstet. Maximilian aber war erneut gezwungen, die Hilfe Wallensteins zu suchen. Bereits Anfang März hatte er Donnersberg nach Wien gesandt, um über den Kaiser Einfluß auf den Generalissimus zu nehmen.7 Jedoch stellte sich heraus, daß Ferdinand zwar Verständnis für Maximilians Lage und Bitte hatte, sich aber angesichts der großen Machtbefugnisse Wallensteins seit Göllersdorf scheute bzw. nicht in der Lage war, diesem präzise Weisungen zu erteilen. Als er den Hofkriegsratspräsidenten Schlick befragte, inwieweit man Forderungen an Wallenstein stellen könne, charakterisierte dieser die Situation sehr zutreffend: „Ir Mt. haben deme von Friddandt zuvil eingeantwort und authoritet geben, die er, von Friddandt, ihme so bait nit würd zugken lassen. Und solang er, von Friddandt, solche in handen, sei khein bösserung zu hoffen." 8 Genaueres über Wallensteins Absichten erfuhr Maximilian, als er diesen gleichzeitig direkt kontaktierte und durch den Generalkriegskommissar Ruepp um einen ergiebigen Sukkurs zur Sicherung der Oberpfalz ersuchen ließ.9 Um ihn freundlich zu stimmen, zeigte er sich bereit, den in bayerische Hand gefallenen schwedischen General Torstenson gegen den von den Schweden gefangenen Grafen Harrach, einen Schwager Wallensteins, auszutauschen, obwohl Torstenson zunächst als Äquivalent zur Freilassung der Münchner und Landshuter Geiseln vorgesehen war. In allen folgenden Verhandlungen ging es aber dann weniger um Truppenhilfe, die Wallenstein schließlich in bescheidenem Ausmaß zugestand, als um die unterschiedlichen Konzepte über die weitere Kriegführung, offensiv oder defensiv, in Oberdeutschland oder gegen Sachsen, und damit verknüpft um die Frage der Befehlsgewalt über Aldringen und die von diesem kommandierten kaiserlichen Regimenter. Wallenstein nahm diese Gewalt weiterhin für sich in Anspruch und gestattete Aldringen keinerlei offensive Kriegführung, wie sie Maximilian dringend wünschte und erbat; der General dürfe nichts hasardieren, sein Kontingent dürfe keinem Risiko ausgesetzt werden. Ungehört blieben Maximilians Gegenargumente, daß das Land zur weiteren Proviantierung der Truppe zu ausgesaugt sei und sich der Feindeinfall des Vorjahres in schlimmerer Form wiederholen werde; man werde die Truppen Aldringens nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, doch müsse dieser die Hände frei haben. Wallensteins Zurückweisungen bewogen Maximilian zu ingrimmigen Vorstellungen beim Kaiser und bei Eggenberg, um auf diesem Wege günstige Weisungen für Aldringen herauszuholen. Da er sich nie angemaßt 7 8 9
Sendung Donnersbergs an den Kaiserhof, 5.3. bis 22.6.1633: BA NF 11,8 Nr. 53. Donnersberg an Maximilian, 27.4.1633: EbendaNt. 53 Q. Abordnung Ruepps zu Wallenstein, 10.3. bis 2.4.1633: Ebenda Nr. 55.
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habe, den Wallenstein überlassenen Pappenheimschen Regimentern Befehle zu erteilen, könne er erwarten, daß auch der Generalissimus die Coburger Vereinbarung einhalte. Maximilian unterließ nicht, erneut seine mannigfachen Verdienste um den Kaiser und das Haus Habsburg herauszustellen, aber auch für den Notfall mit einem Alleingang Bayerns zu drohen. Schließlich erbat er einen direkten Befehl des Kaisers an Aldringen, also unter Umgehung Wallensteins, sich mit seinem Kontingent in allen Okkasionen allein an die Weisungen des Kurfürsten von Bayern zu halten. Donnersberg müsse erreichen, „daß ihre Mt. entweder dem herzogen [Wallenstein] praecise bevelchen, seine vorige ordinanzen aufzuheben und den graven von Altringen mit dem kaiserischen volk an unß und auf unsere ordinanzen zu weisen, oder solches alßbalden selbsten thun und disfalß vorgreifen wollen." Aber es lag nicht am guten Willen des Kaisers: „Ich bin gewiß", berichtete Donnersberg, „daß ir Mt. gehrn helfen wolten. Es ist aber der respect gegen den von Fridlandt gar zu groß [...]. Dependirt alles von ihme. Wann er nit will, ist alhie bei ir Mt. nichts zu erhalten."10 In der Folge verwirrten sich die Verhältnisse durch Befehle und Äußerungen Wallensteins, die sich eindeutig widersprachen und wohl darauf angelegt waren, Maximilian und den Kaiser zu düpieren, ohne hierfür Verantwortung übernehmen zu müssen.11 In Erinnerung an Vorgehensweisen vor dem Regensburger Kurfürstentag entwickelte Maximilian nunmehr den Plan, anstelle aller bayerischen „Partikularerinnerungen", die offensichtlich nichts nützten, durch eine eigene Ligagesandtschaft an den Kaiserhof unter Führung des Bischofs von Bamberg-Würzburg Franz von Hatzfeld eine Wende herbeizuführen. Da die Liga durch die feindliche Besetzung zahlreicher Ligaterritorien und die Flucht der wichtigsten Ligabischöfe12 praktisch in Auflösung begriffen war, sie also keine große politische Potenz mehr darstellte, erhellt aus Maximilians Plan, wie sehr er sich darauf angewiesen glaubte, auch noch den letzten Strohhalm zu ergreifen.13 Die von bayerischer Seite für die Gesandtschaft konzipierten Instruktionspunkte richteten sich ausschließlich gegen Wallenstein und die Nachgiebigkeit des Kaiserhofes gegenüber dem Generalissimus. Der einzige Weg zur Rettung sei die Beschneidung oder sogar die
Donnersberg an Maximilian, 25.5.1633: Ebenda'Ht. 53 X. Vgl. Maximilian an Eggenberg, 30.6.1633: Ebenda Nr. 125. 12 Die Reichsstadt Köln war mehrjähriger Zufluchtsort für die Erzbischöfe von Mainz und Köln, die Bischöfe von Worms und Bamberg-Würzburg sowie den Fürstabt von Fulda, seit September 1633 auch für Bischof Wartenberg. 13 Maximilian an Kurköln, 15.7.1633: Ebenda Nr. 145, mit den im folgenden genannten Punkten. 10 11
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Kassierung der Wallensteinschen Vollmachten — aber auf diese Lösung müsse der Kaiser selbst kommen! Die Ligagesandtschaft kam schließlich nicht zustande, da Kurmainz und Kurköln davon abrieten,14 doch war die Frage der Kommandogewalt zu wichtig, als daß Maximilian aufgesteckt hätte, an ihr hing die weitere Verteidigung Bayerns. Um sicher zu gehen, entschloß er sich im Juli zu einer Parallelaktion, Ruepp wurde erneut zu Wallenstein, Richel an den Kaiserhof entsandt. Der Generalissimus befand sich damals in Schweidnitz, er war Ende Mai mit seinem Heer von Böhmen nach Schlesien aufgebrochen, am 7. Juni hatte er mit Arnim einen vierzehntägigen Waffenstillstand abgeschlossen, dem ein weiterer vom 22. August bis 2. Oktober folgte. Die klare Bitte Ruepps an Wallenstein lautete, „dem graven von Aldringen die hend absolute zu öffnen und ihne mit den ordinanzen auf uns [Maximilian] zu weisen" sowie dem an der böhmischen Grenze postierten Feldmarschall Holck eine Diversion zur Endastung der Oberpfalz zu befehlen, anstatt ihn nach Schlesien abzuziehen.15 Beide Bitten wurden jedoch von Wallenstein mit ungewöhnlicher Rigorosität zurückgewiesen; wörtlich erklärte er dem Ruepp: „Ich will euch nit allein kheinen einzigen mann geben vom Holckhen, sonder ich mueß des Kaisers land defendiren und, wan es nötig, noch vil mehr volkh vom Aldringer abfordern. Ich waiß wol, der curfürst wolte gehrn, daß ich mit dem ksl. volkh, so der Aldringer hat, nichts mehr zu commandiren hette, sonder daß es absolute von ihm dependirte. Das thue ich nit."16 Die parallele Mission Richels nach Wien hatte zum Ziel, erneut, unter Umgehung Wallensteins, durch direkte kaiserliche Weisung an Aldringen dessen Unterstellung unter Maximilians Befehlsgewalt durchzusetzen sowie einen ganz anderen Feldzugsplan als den wallensteinschen nach Schlesien zu propagieren: Oberdeutschland und die Auseinandersetzung mit den Schweden müßten erste Priorität erhalten.17 Die Parallelaktion signalisierte Maximilians Einschätzung der Brisanz der militärischen Situation sowie seinen Widerwillen, weiterhin als Bittsteller Wallensteins zu figurieren. Entsprechend hieß es, die Stimmung am bayerischen Hof illustrierend, in einem Gutachten Jochers, der Kurfürst habe sich gegenüber Wallenstein „gleichsam in ein (si licet dicere) Servitut begeben, indem Fridlandt pro authoritate mit ihrer kfl. dt. und in dero lande handlet. [...] Churbayrn ist in dero land nit mer maister, khan sich dero aignen volkhs
Maximilian an Kurmainz und Kurköln, 15.9.1633: Ebenda Nr. 201. Memoriale für Ruepp, 19./20.7.1633: EbendaNt. 149. 16 Ebenda Nr. 149 Anm.4. 17 Abordnung Richels nach Wien, 24.7. bis 21.9.1633: Ebenda Nr. 156 A-Z. 14
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nit gebrauchen."18 In der Ordonanzfrage hatte Richel einen kaiserlichen Geheimbefehl an Aldringen zu erbitten, auf jeden Fall, auch entgegen anderslautenden Weisungen Wallensteins, den Befehlen Maximilians zu folgen. Bezüglich der Prioritäten der Kriegführung hatte er darauf hinzuweisen, wie sehr doch die Hoffnungen enttäuscht worden seien, daß der Feldzug in Schlesien sich günstig auf den süddeutschen Kriegsschauplatz auswirken werde. In einem umfangreichen Memoriale wurde dem Kaiser darzulegen versucht, daß es auch im österreichischen Interesse in erster Linie auf die unmittelbare und sofortige Verteidigung des Reiches, gemeint war Oberdeutschland, ankomme.19 Denn sei Bayern überwältigt, stehe Österreich dem Feinde offen, der sich mit den österreichischen Bauern und anderen Malkontenten vereinigen werde, sodaß der Kaiser schließlich die Schweden vor sich, die Türken hinter sich und die Venezianer an der Flanke haben werde, ohne irgendwelche Hilfe erwarten zu können. Die Verhandlungen Richels im Sommer 1633 in Wien haben schon stets unter dem Aspekt der weiteren Vorgeschichte der Endassung und Ermordung Wallensteins Interesse gefunden,20 ihnen ist hier nicht in Einzelheiten nachzugehen. Sie bezeugen ebenso das wachsende Unbehagen des Kaisers über das Verhalten Wallensteins und dessen Machtfülle, wie sein langes Zögern, durch klare Weisungen Abhilfe zu schaffen und Maximilian zu befriedigen. Ebenso bezeugen sie die Methode Wallensteins, sich nicht definitiv festzulegen, letztlich seinen entschiedenen Widerwillen gegen Zugeständnisse an Maximilian und, in diesem Zusammenhang, gegen eine Änderung seiner strategisch-politischen Pläne. Da auch die Entsendung des Maximilian zugetanen Hofkriegsratspräsidenten Schlick in Wallensteins Hauptquartier (die nicht zuletzt durch das Memoriale Richels veranlaßt worden war), keine ei-
18 Gutachten von Ende Juni 1633: Ebenda Nr. 128. Zur gleichen Zeit notierte sich der schwedische Resident in Dresden zum 4.6.1633 als Äußerung Wallensteins über Maximilian u.a.: „Schmeißen will er [Wallenstein] ihn und hingehen, sein gold holen, dan er woll weiß, wo er seinen schätz hingeflichtet hat, were ihme ohne das über alle maßen Spinnefeind" (Dokumente 1,3 Nr. 293). 19 „Bedenkhen, daß diser zeit das hauptwerkh nit auf der defensión der Schlesien und anderer erblanden, sonder deß rom. reichs bestehe," Entwurf Richels, Anfang August 1633; vgl. ebenda Nr. 156 H Anm. 1, mit Hinweis, daß diese wichtige Quelle von den in der bisherigen Literatur (z.B. Pekar, Wallenstein 1,439) benutzten „Wolgemeinten Bedenken" unterschieden werden muß. 20 Vgl. die BA NF 11,8 Nr. 156 A Anm.l genannten Untersuchungen von Aretin, Ranke, GindeIj, Jacob, Pekar, Srbik und Suvanto-, Mori% Ritter, Der Untergang Wallensteins, in: HZ 97 (1906), 237-303. Eine neuere sehr informative Zusammenfassung der Vorgänge von der Wiederberufung Wallensteins bis zu dessen Tod bietet Kampmann, Reichsrebellion 106-172.
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gentliche Klärung brachte,21 fühlte sich Ferdinand aber schließlich doch zu einer Entscheidung gedrängt. Am 18. September erteilte er die Weisung, Aldringen totaliter der Befehlsgewalt Maximilians unterzuordnen, worüber auch Wallenstein unterrichtet wurde, mit der Weisung, künftig keine gegenteiligen Befehle mehr zu erteilen.22 Diese bedeutsame Wendung, die offensichtlich eine Abweichung von den Göllersdorfer Abmachungen darstellte, entsprang allerdings nicht allein dem Willen Ferdinands, sich endlich gegen seinen Generalissimus durchzusetzen und den Kurfürsten von Bayern zufriedenzustellen. Vielmehr forderte er auch eine bayerische Gegenleistung, nämlich Maximilians Einverständnis zur Unterstützung eines großen Projektes der spanischen Politik, des Zuges der Armee des Herzogs von Feria von Mailand über Süddeutschland nach Brüssel, unter Entsetzung der von den Schweden belagerten, von allen Parteien als besonders wichtig eingeschätzten Festung Breisach. Da Wallenstein eine solche Unterstützung strikt verweigerte, glaubten die Spanier umsomehr auf die Zustimmung Maximilians angewiesen zu sein. Der erneute, ja gegenüber 1629/30 verschärfte Gegensatz zu Wallenstein, dessen der Kaiser kaum mehr mächtig zu sein schien, hat Maximilian erneut veranlaßt, wie schon vor 1630, sich der Hilfe einer größeren Macht zu versichern. Angesichts der Vorgänge seit 1631, der fortgesetzten Negierung des Vertrags von Fontainebleau durch Richelieu, konnte diese Macht, wollte man einige Sicherheit, wohl nicht mehr Frankreich sein. So hat sich Maximilian schrittweise, wenn auch mit den üblichen Kautelen und Verzögerungen, Spanien zugewandt und dadurch mit einer jahrelangen Linie der bayerischen Politik gebrochen. Die Neuorientierung hatte in der einen und anderen Weise bis in die vierziger Jahre Bestand. Die Spanier ihrerseits haben die durch die Umstände erzwungene Neuorientierung rasch erkannt und sie durch ihre Diplomaten im Reich - Castañeda und Oñate in Wien, Saavedra am bayerischen Hof in Braunau — für spanische Interessen zu nützen versucht. Bereits im Mai 1633 berichtete der Wiener Nuntius, daß die Spanier am Kaiserhof bestrebt seien, dem Herzog von Bayern gute Dienste zu erweisen und sein Wohlwollen zu erwerben,23 und es war der seit März in Wien befindliche
Ebenda Nr. 156 J und N; Instruktion vom 10.8.1633: Documenta Bohémica V Nr. 545. Ebenda Nr. 156 Y und Z, mit weiteren Belegstellen. 23 Grimaldi an Staatssekretariat, 21.5.1633: Barb. lat. 6979, fol. 185 ff.; Donnersberg an Maximilian, 21.3. und 6.4.1633: BA NF 11,8 Nr. 53 E und K. 21 22
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neue spanische Botschafter Castañeda, der Nachfolger Cadereytas, welcher sich in besonderer Weise um Maximilian bemüht hat.24 Die allgemeine Zielsetzung des Olivares, in engere vertragliche Verbindung mit dem Kaiser und Bayern zu gelangen, zu einer „Habsburgerliga", die der spanischen Kriegführung gegen die Generalstaaten und der Frontstellung gegen Frankreich dienen konnte, war seit langem mit dem Gedanken verbunden worden, die wichtige, aber unterbrochene Verbindung zwischen den beiden Zentren Mailand und Brüssel25 wieder zu aktivieren und spanische Truppen dauernd im Elsaß zu stationieren, um diese Verbindungslinie im Zusammenwirken mit dem Herzog von Lothringen zu sichern. Beide Ziele konkretisierten sich in dem Plan, den als Nachfolger der Brüsseler Statthalterin Isabella ausersehenen Kardinalinfanten Ferdinand, den Bruder Philipps IV., mit einem größeren Heer unter Führung des Herzogs von Feria, des spanischen Statthalters von Mailand, von dort nach Brüssel zu begleiten.26 Die anschließende ständige Plazierung dieser Armee im Elsaß sollte gestatten, im Verein mit Lothringen, Bayern und Kurköln an gefährdeten Punkten in den Niederlanden, im Reich und notfalls auch gegen Frankreich präsent zu sein und zugleich die Linie Mailand-Brüssel zu sichern. Hierzu war aber neben dem Einverständnis und der Unterstützung des Kaisers auch diejenige Maximilians wünschenswert oder sogar erforderlich. Sie zu gewinnen und überhaupt Bayern enger an Spanien zu binden sowie französischen Einfluß am bayerischen Hof zu konterkarieren war die Aufgabe27 des spanischen Diplomaten Don Diego de Saavedra y Fajardo, der am 7. Juli 1633 in Braunau erschien und sich mit Unterbrechungen bis 1642 an Maximilians Hoflager in Braunau und München aufgehalten hat.28 Saavedra zählte zu den herausragenden spanischen Diplomaten der Epoche, 1643-1646 figurierte er
24 Vgl. Castañeda an Maximilian, 25.5.1633: BA NF 11,8 Nr. 108 a. Zu Castañeda s. Hildegard Ernst, Madrid und Wien 1632-1637. Politik und Finanzen in den Beziehungen zwischen Philipp IV. und Ferdinand II., Münster 1991, bes. 55 ff. 25 Parker, Army of Flanders Karten 8-10. 26 Grundlegend: Alfred van der Essen, Le Cardinal-Infant et la politique europeenne de l'Espagne 1609-1641, Band 1: 1609-1634, Löwen-Brüssel 1944. 27 Instruktion vom 11.4.1633: Günter, Habsburgerliga Anhang Nr. 92 und Aidea, Saavedra I Nr. 20. 28 Quintin Aldea Vaquero (Hg.), España y Europa en el siglo XVII. Correspondencia de Saavedra Fajardo, bisher 2 Bände, Madrid 1986-1991, mit ausführlicher Einleitung in Band I, XXI ff.; ein Großteil dieser Briefe war schon von v.d. Essen benutzt worden. Manuel Fraga lribarne, Don Diego de Saavedra y Fajardo y la diplomacia de su epoca, Madrid 1956; v.d. Essen, Le Cardinal-Infant, passim; Hans-Otto Mühleisen, D. Saavedra [...] beim Westfälischen Friedenskongreß, in: H. Duchhardt u.a. (Hg.), Siglo de Oro [...], Köln 1996, 43-60; BA NF 11,8 Nr. 134, Nr. 142 Anm. 1 und 2, und öfter.
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als einer der spanischen Gesandten bei den Westfälischen Friedensverhandlungen, der Gegenwart ist er bekannt als bedeutender Staatstheoretiker der antimachiavellistischen Schule.29 Die erste Auflage seines staatstheoretischen Hauptwerkes „Idea de un principe politico christiano" erschien 1640 in München, hier wurde Maximilian mehrmals apostrophiert, u.a. wegen seiner „presencia de animo y su constancia" während der schwedischen Besetzung Bayerns. Wir besitzen nur wenige Hinweise auf das nähere Verhältnis Saavedras zu Maximilian, Pater Contzen und Pater Vervaux,30 doch besteht kein Zweifel, daß es in der Einschätzung des von allen vieren reflektierten Problems des Verhältnisses von Religion und Politik, der Möglichkeiten und Grenzen des christlichen Staatsmannes, mannigfache Übereinstimmung gegeben hat. Allerdings befürchtete Maximilian schon durch die bloße Anwesenheit eines spanischen Gesandten am bayerischen Hof das Mißtrauen der Franzosen zu erregen, zumal Saavedra, wie er im Vorgriff erfuhr, mit dem Anspruch eines ständigen Residenten auftreten wollte (während die von den Franzosen einst angebotene Entsendung eines ständigen französischen Residenten von Maximilian abgelehnt worden war). So setzte er alle Hebel in Bewegung, um französischen Mißdeutungen entgegenzuwirken. Tatsächlich erkannten die Franzosen, daß Maximilian hauptsächlich wegen der mangelnden Unterstützung durch Wallenstein zur Annäherung an Spanien veranlaßt wurde.31 Dieser Zusammenhang blieb auch den Spaniern nicht verborgen. Die Berichte Saavedras an Philipp IV. zeigen, daß sich Maximilian ihm gegenüber wiederholt über Wallenstein beklagt hat; gleichzeitig befürchtete Saavedra aber auch eine Annäherung Maximilians an Frankreich, gerade wegen Wallenstein!32 Kaiser Ferdinand II. stimmte dem Zuge Ferias (ohne den krank in Mailand zurückbleibenden Kardinalinfanten) erst nach einigem Zögern zu, da die Anwesenheit einer spanischen Armee im Reich Mißtrauen der Reichsfürsten und negative Reaktionen Frankreichs hervorrufen würde, vor allem aber, weil Wallenstein dem Unternehmen ablehnend gegenüberstand.33 Erst Ende Juli, als wegen Erkrankung des Kardinalinfanten die Eroberung Breisachs zur 29
Bireley, Counterreformation Prince 188 ff. Einiges bei Bireley, Maximilian 199 f. und 203 sowie bei Eberhard Straub, D o n Diego de Saavedra y Fajardo und die Rechtfertigung des Spanischen Reiches, in: Z B L G 34 (1971), 512-546 (mit kritischen Urteilen Saavedras über Maximilian). 31 Übertreibend allerdings die Äußerung des französischen Gesandten in Wien, Charbonnières, „che Baviera totalmente si sia battuto in braccio de' Spagnuoli" (Bericht Grimaldis, 10.9.1633: Barb. lat. 7078, fol. 124). 32 Saavedra an Philipp IV., 8., 12., 13. und 25.7.1633: Aldea, Saavedra Nrr. 38, 41, 42 und 47. 33 Donnersberg an Maximilian, 16.6.1633: BA N F 11,8 Nr. 53 ff. Z u Wallenstein: Pekar, Wallenstein I, 303 ff., 315 ff., 370 ff., 421 ff.; v.d.Essen, Cardinal-Infant 122 ff., 126 f. 30
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eigentlichen Aufgabe Ferias bestimmt wurde, lenkte der Kaiser ein. Maximilian dagegen hatte sich bereits vor der Ankunft Saavedras positiv geäußert, denn wenn auch die Reaktion der Franzosen auf den Vorgang ungewiß blieb, mußte doch die Anwesenheit einer spanischen Armee in Süddeutschland auf jeden Fall Bayern endasten.34 Da er auf die Spanier angewiesen war, stellte er zurück, daß es bei den Reichsfürsten bereits seit den Zeiten Kaiser Karls V. üblich war, die Anwesenheit fremder, d.h. spanischer Truppen auf Reichsboden abzulehnen oder jedenfalls zu kritisieren. Im Gegenzug erfreute er sich auch in seinen Differenzen mit Wallenstein der Sympathie und Unterstützung Castañedas,35 sodaß sich die bayerisch-spanischen Beziehungen Schritt für Schritt verengten. Saavedra hat durch entsprechende Argumentation, auch durch Subsidienversprechen, denen tatsächliche Zahlungen folgten, diesen Prozeß geschickt vorangetrieben. In der Folge erwärmte sich Maximilian so sehr für das Unternehmen Ferias als einer Möglichkeit, endlich aus der bisherigen jahrelangen Defensive herauszugelangen, daß er einen Feldzugsplan entwickelte, der als ersten Schritt sogar die militärische Unterstützung Ferias zur Entsetzung Breisachs durch Teile von Aldringens Truppen vorsah, um seinerseits dann Ferias Hilfe zu gewinnen. „Haben nun die Spanier solchergestalt den effect mit Preisach glicklich gethan, kan man alsbalden firdersamb mit völliger coniunction zum haubtwerkh greifen und mit göttlicher hilf noch vor dem winter ein ergiebigen colpo thuen."36 Schließlich stimmte Maximilian auf Anforderung der Spanier (und unter dem Eindruck des erwähnten kaiserlichen Kommandogewaltbefehls vom 18. September) sogar zu, daß praktisch die gesamte Armee -Aldringens aus kaiserlichen und Ligatruppen sich am 21. September bei Schongau mit der inzwischen eingetroffenen Armee Ferias vereinigte, um zum Entsatz Breisachs an den Rhein zu ziehen.37 Er nahm das Risiko auf sich, Bayern für einige Wochen mehr oder weniger ungeschützt zu lassen, weil er von der Bedeutung der Aktion am Rhein überzeugt war (Horn war inzwischen nach Westen abgezogen), weil er sich dadurch die Hilfe Ferias verdienen konnte und der Kaiser für den Fall der Bedrohung Bayerns Hil-
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BA N F 11,8 Nr. 53 Dd mit Anm. 3. « Richel an Maximilian, 3.8.1633: Ebenda Nt. 156 E; vgl. aber Nr. 156 I. 36 Maximilian an Richel, 6.9.1633: Ebendann. 156 S. 37 Maximilian an den Kaiser, 23. und 24.9.1633: Hallwich, Wallensteins Ende II Nrr. 1159 und 1161; dazu BA N F 11,8 Nr. 207; v.d.Essen, Cardinal-Infant 17 f. Zahlreiche Schreiben des Herzogs von Feria aus der Zeit seines Zuges von Mailand nach dem Elsaß, des Zusammenwirkens mit Aldringen und des Rückmarsches nach Bayern (August bis Dezember 1633) finden sich bei Aidea, Saavedra I, 569-637. Über die zum Schutz Bayerns zurückgelassenen Truppen, die Einrichtung eines Campo volante und die Frage der Unterstützung durch Gallas vgl. BA N F 11,8 Nr. 211 ff., 222, 228 u.ö.
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fe versprach. Erstmals seit 1621 wirkten bayerische und spanische Truppen wieder zusammen. Die Interessengemeinschaft wurde befestigt durch die Gewährung ansehnlicher spanischer Subsidien von monatlich 10 000 Escudos auf ein Jahr. 38 Bereits am 20. Oktober wurde Breisach von Feria und Aldringen entsetzt, ein großer Erfolg, den die schwedischen Armeen unter Horn und Bernhard von Weimar nicht hatten verhindern können. Der Erfolg war jedoch nur von kurzer Dauer. Denn überraschend marschierte Herzog Bernhard anschließend wieder nach dem wenig gesicherten Bayern zurück, und da er den dort zurückgelassenen Ligatruppen unter Jan von Werth weit überlegen war, gelang es ihm, bereits am 14. November die Stadt Regensburg zur Übergabe zu zwingen.39 Das eigentliche Tor zu Bayern und Oberösterreich befand sich erstmals in diesem Krieg in feindlicher Hand, schwedische Streifzüge ins Niederbayerische demonstrierten sofort die Bedrohung bisher vom Krieg verschonter Gebiete, Straubing und Deggendorf wurden besetzt, die Oberpfalz durch Einquartierungen und Plünderungen drangsaliert. Maximilians Hofstaat erwog bereits den Umzug von Braunau nach Salzburg, Maximilian selbst seinen Fortgang zur Truppe. Maximilian hatte den Anzug Bernhards von Weimar in seinen Stationen mit Sorge verfolgt. Wiederum sah er sich veranlaßt, direkt und über den Kaiserhof, den er an die Hilfszusagen erinnerte, um die Unterstützung durch den an der böhmisch-sächsischen Grenze operierenden Wallenstein zu bitten, aber wiederum wurde er trotz mehrmaliger Intervention des Kaisers enttäuscht. Wallenstein verwies ihn auf die Hilfe Aldringens, süffisant, weil er dessen Detachierung zur Unterstützung Ferias stets abgelehnt hatte.40 Erst am 16. November, als der Fall Regensburgs schon erfolgt (wenn auch Wallenstein noch nicht bekannt war), brach er mit 6 000 Mann quer durch Böhmen ziehend in Richtung Regensburg auf; in sechs Tagen, schrieb er am 27. November von Pilsen an Maximilian, wolle er an der Donau stehen. Dann brach er jedoch den Marsch ganz unvermutet an der bayerischen Grenze bei Furth wieder ab und kehrte nach Pilsen zurück. Weder ein ausdrücklicher Befehl des Kaisers noch Bitten Maximilians konnten ihn zum 38 Ernst, Madrid 76 f.; BA NF 11,8 Nrr. 272 Vv, 342, 363 und 367 D mit Anm. 2. Lt. Zusammenstellung bei Ernst, Madrid 277 wurden von März 1634 bis März 1635 insgesamt 180 000 Gulden spanischer Subsidien an Maximilian für die Liga ausbezahlt. 39 Simon Höpfl, Die Belagerungen Regensburgs in den Jahren 1633 und 1634 durch Bernhard von Weimar und durch die Kaiserlichen und Ligisten, Amberg 1913. Vgl. auch Dokumente 1,3 Nrr. 294 und 296 sowie eine Reihe von Quellen in BA NF 11,8. 40 Wallenstein an Maximilian, 12.11.1633: Documenta Bohémica V Nr. 637. Alle Einzelheiten sind dokumentiert BA NF 11,8 passim; eindrucksvolle Darstellung bei Pekar, Wallenstein I, 512 ff. und Mann, Wallenstein 984 ff.
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weiteren Vormarsch bewegen, sein vordringliches Interesse galt den Verhandlungen mit Kursachsen, die durch militärische Operationen nicht beeinträchtigt werden sollten.41 Aber auch mit Aldringen und Feria geriet Maximilian in Schwierigkeiten. Da an einen Winterfeldzug nicht zu denken war, hätte die Riickberufung der beiden mit ihren Armeen genötigt, diese in bayerischen Quartieren unterzubringen. Daher wurde Aldringen angewiesen, zwar einige Regimenter zur Sicherung Bayerns abzuordnen, mit der Hauptmacht jedoch im Breisgau und in Württemberg Quartiere zu beziehen. Ebenso wurde Feria gebeten, das Elsaß verlassend die Winterquartiere im Württembergischen zu nehmen und dort zu eventueller Hilfe für Bayern bereit zu sein.42 Aber auch diese Pläne hat Wallenstein durchkreuzt! Da er selbst Interesse an Württemberg hatte, das ihm vom Kaiser als Dotation in Aussicht gestellt worden war, untersagte er Aldringen die Quartiernahme und ermunterte ihn, stattdessen nach Bayern zu ziehen.43 Bereits am 19. Dezember überschritten die beiden Armeen den Lech. Durch Krankheiten und Desertionen auf 16 000 Mann reduziert, durch schwere Mängel in Ausrüstung und Proviantierung sowie durch ausstehende Soldzahlungen demoralisiert, wurden sie schließlich westlich Münchens in dem Gebiet zwischen Ammer- und Würmsee angehalten, um vorläufige Winterquartiere zu beziehen; der Herzog von Feria selbst starb am 11. Januar in Starnberg. Die Frage der definitiven Quartierverteilung für die ligistischen, kaiserlichen und spanischen Truppen wurde Gegenstand von Verhandlungen zwischen Maximilian, der sein ausgesaugtes Land zumindest von den kaiserlichen Truppen befreien wollte, und dem Kaiser, der sie auch nicht haben wollte. Die Verhandlungen gewannen besondere Brisanz, weil sie sich vor dem Hintergrund eines gefahrlichen Aufruhrs abspielten, zu dem sich in diesen Tagen bayerische Bauern im Widerstand gegen neue und alte Drangsale erhoben hatten. Seitdem sich 1632 die Kriegshandlungen auch nach Bayern verlagert hatten und seither feindliche wie eigene Truppen das Land durchzogen, war die bayerische Bevölkerung mit den Schrecken des Krieges unmittelbar konfrontiert. Die Inanspruchnahme der Bevölkerung gehörte zum System des Söldnerkrieges. Die vielfach schlecht versorgten Soldaten, deren Besoldung sich nicht selten monatelang im Rückstand befand, hielten sich an der Bevölkerung schadlos, Diebstahl, Raub und Brand, aber auch Quälereien, VergewaltiBA NF 11,9 Nr. 252 Exkurs; Pekar, Waüenstein I, 530 ff.; Kampmann, Reichsrebellion 112 f. Rechtfertigung Wallensteins gegenüber Maximilian: Hallaich, Wallensteins Ende II Nr. 946. « BA NF 11,9 Nrr. 221, 240, 251 und 251 a; v.d. Essen, Cardinal-Infant 195 ff. 43 Rechtfertigung in Aldringen an Maximilian, 15.12.1633: BA NF 11,8 Nr. 281. 41
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gung und Totschlag begleiteten die Heere. Wie die Akten erweisen, waren die Obrigkeiten bis hinauf zum Kurfürsten über solche Exzesse durchaus informiert, beklagten sie, forderten Abstellung und Bestrafung, straften auch, waren sich aber auch bewußt, daß Söldnerkriege mangels Mitteln nur mit solchen Begleiterscheinungen zu führen waren. Die Bauern aber, denen der obrigkeitliche Schutz fehlte, griffen zur Selbsthilfe und fühlten sich dabei, wie den Äußerungen ihrer Wortführer zu entnehmen war, ganz in Übereinstimmung mit einer übergeordneten Rechtsordnung. Den konkreten Anlaß zur Aufstandsbewegung bayerischer Bauern im Winter 1633/34 44 gaben nicht die Truppen Aidlingens und Ferias, die erst Ende Dezember das Herzogtum betraten,45 als vielmehr im Land verbliebene Einheiten der Liga und der Kaiserlichen. Die Bewegung fand ihren Mittelpunkt auch nicht in den Gebieten westlich der Isar, die im vergangenen Jahr von den Schweden besetzt gewesen waren, sondern in den Landgerichten zwischen Isar und Inn, wo die Masse der eigenen Truppen stationiert war, teils auch östlich davon zwischen Inn und Salzach. Bereits im Mai/Juni waren Bauern an der Isar durch barbarische Ausschreitungen eigener Truppen veranlaßt worden, sich zusammenzurotten und gegen die Soldaten mit Waffengewalt vorzugehen.46 Jetzt, im Herbst 1633, entzündete sich der große Aufstand an der Weigerung von Bauern des Gerichts Kling (bei Rosenheim), für kaiserliche Truppen Scharwerks fuhren zu leisten. Alsbald riefen die Sturmglocken in den oberbayerischen Gerichten zwischen Isar und Inn zur Zusammenrottung und zu einem Aufstand gegen die Bedrückungen der Soldateska auf, der sich rasch in die Gerichte östlich des Inn fortpflanzte. Am 4. Dezember sammelten sich mehrere tausend mit Morgensternen und Heugabeln bewaffnete Bauern bei Wasserburg und forderten die Vertreibung der Soldaten; versprengte Soldaten und kleinere Abteilungen, deren man habhaft wurde, wurden niedergemacht. Alle Äußerungen der Bauern deuten darauf hin, daß sie in erster Linie durch die Ausschreitungen der Soldateska und durch die neuen landesherrlichen Kriegskontributionen des Jahres 1633 bewegt waren, erst an zweiter Stelle durch alte Beschwerden über Wildschäden und Scharwerkslasten. Dabei äußerte sich auch Kritik an der Obrigkeit und
Sigmund Riemer, Der Aufstand der bayer. Bauern im Winter 1633 auf 1634, in: SB München 1900/01, München 1900, 35-95; Oers., Geschichte V, 472 ff.; Renate Blickte, Rebellion oder natürliche Defensión? Der Aufstand der Bauern in Bayern 1633/34 im Horizont von gemeinem Recht und christlichem Naturrecht, in: R.V.Dülmen (Hg.), Verbrechen, Strafe, soziale Kontrolle. Studien zur hist. Kulturforschung Band 3, Frankfurt a.M. 1990, 56-84. 45 Dies wird in den beiden Darstellungen Riezlers nicht genügend berücksichtigt. 46 Maximilian an Donnersberg in Wien, 9.6.1633: B A N F 11,8 Nr. 53 C. 44
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am Kurfürsten selbst; in einem allerdings vereinzelt gebliebenen „Rosenheimer Famosschreiben", das von einem nicht ermittelten Intellektuellen stammte,47 wurde Maximilians Konfessionspolitik für den Krieg und die Anwesenheit der Soldaten im Lande verantwortlich gemacht. Inwieweit die Bauern bei der Anknüpfung von Verbindungen zu gemeinsamem Handeln sich auch der Organisationsstrukturen der Landfahnen bedienten, ebenso auch zur Bewaffnung der in den Zeughäusern verwahrten Waffen, ist noch nicht näher untersucht. Nachdem die Unruhen Mitte Dezember wieder abgeflaut waren, nahmen sie seit Ende des Monats einen neuen Aufschwung, vielleicht aufgrund der Nachricht von der Ankunft der Armeen Aldringens und Ferias, und zwar auch in Gebieten östlich des Inn, in denen Einquartierungen nur erst befürchtet wurden. Zunehmend trat jetzt die Bewegung als eine verabredete und organisierte Empörung hervor, deren Führer sich bemühten, auch zunächst noch zurückhaltende Bauernschaften zum Anschluß zu zwingen. Ein Bauernlager östlich von Wasserburg wurde, wohl zu hoch, auf 20 000 Mann geschätzt, die zwischen Isar und Inn stationierten ligistischen Regimenter Cronberg und Fürstenberg hatten sich gegen mehrere verlustreiche Überfälle zu wehren; auch in der Donaugegend um Ottenburg und Hengersberg kam es zu Gewalttätigkeiten gegen einquartierte und quartiersuchende eigene Truppen. Dann jedoch wurde die Aufstandsbewegung Mitte Januar 1634 durch eine entschiedene Wendung Maximilians teils beruhigt, teils blutig niedergeschlagen. Da sich der Kurfürst in diesen Wochen unter der doppelten Anforderung sah, von Augsburg und Regensburg her unter ständiger schwedischer Bedrohung zu stehen und gleichzeitig für die Truppen Aldringens und Ferias neue Winterquartiere suchen zu müssen, um die Bevölkerung zu endasten, hielt er eine rasche Beendigung des Aufruhrs für unerläßlich. Bereits Ende 1632 war Maximilian durch einen religiös motivierten Aufstand der Bauern im benachbarten oberösterreichischen Hausruckviertel stark beunruhigt worden, da er, nicht zu Unrecht, eine Verbindung mit den Schweden besorgt hatte, die dann allerdings durch Gustav Adolf nicht aktiviert worden war.48 Noch im Herbst 1633 befürchtete er, daß sich Bernhard von Weimar nach der Eroberung Regensburgs auf dem Weg nach Österreich sich mit aufständischen Oberennsern zusammentat. Gegenüber dem Aufstand im eigenen Lande ging er schrittweise vor. Zunächst wurden die Behörden zur Zurückhaltung angewiesen, da es den Bauern nicht um Aufruhr Dokumente 1,3 Nr. 298. Rie^ler, Aufstand 34 ff. Manche Hinweise auch in Maximilians Korrespondenz mit den Geheimräten. 47
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gegen die Obrigkeit, sondern um Wiederherstellung der von den marodierenden Soldaten gestörten öffentlichen Ordnung gegangen sei. Maximilian zeigte sich ungewöhnlich verständnisvoll: „Welche der underthanen aufrhuer und insolenz hauptsächlichen dahero fließt und entsprungen, weil die Soldaten gegen inen so grob tiranisiert, sie geraidlet, gesenget, geprennet, aufgehengt, todgeschossen, hart verwundet und neben abnemmung alles des irigen mit so grausamen, vor nie erhörten martern die arme leuth dergestalt gequelet haben, daß sie nach lang getragner geduld zu solchen extremiteten bewogen worden und wir nicht wol ainiges miti sehen, dardurch disem unhail bei der soldatesca abgeholfen und meniglieli satisfaction gegeben werden khunde." 49 Ein Abmahnungspatent an alle Untertanen betonte sowohl die Notwendigkeit von Einquartierungen als auch die obrigkeitlichen Bemühungen um den Schutz der Bevölkerung vor der Soldateska. Der Anspruch der Untertanen auf Ordnung im Lande und auf Schutz durch die Obrigkeit wurde also prinzipiell anerkannt. Gleichzeitig wurde aber auch befohlen, die Rädelsführer zu ermitteln und gefangenzusetzen. Es ging also darum, die Unruhen durch Verständnis für die Bevölkerung und Beruhigung zu dämpfen und doch ein Exempel zu statuieren, um Weiterungen zu verhindern. Ein zweites, von den Kanzeln verlesenes Mandat vom 2. Januar 1634 suchte den Untertanen erneut das Bedürfnis nach Quartieren zu verdeutlichen, versäumte aber nunmehr nicht die Drohung, die Aufständischen notfalls mit Gewalt zum Gehorsam zurückzuführen. Schon seit Beginn des Aufstandes war versucht worden, durch Beamte, Honoratioren und Ordensleute, vornehmlich durch die im Volk beliebten Kapuziner, die Bauern zum Einlenken zu veranlassen. Schließlich wurden zu Verhandlungen in den deutlich unterschiedenen Landesteilen östlich und westlich des Inn zwei Kommissionen aus Beamten und Prälaten gebildet. Sie hatten den Aufständischen vorzuhalten, daß den bayerischen Bauern im Unterschied zu den österreichischen und salzburgischen während der vierzehn Kriegs jähre keine höheren Steuern und Anlagen auferlegt worden seien und sie im Vergleich zu ihren Nachbarn „gleichsam im Rosengarten gesessen" (wobei die Kriegskontribution vom Januar 1633 stillschweigend übergangen wurde!). Die Ostkommission erreichte gegen das Zugeständnis, keine Soldaten über den Inn zu führen und einzuquartieren, das Versprechen der dortigen Bauern, sich künftig ruhig zu verhalten und die geforderten Kriegskontributionen zu zahlen. Dagegen blieb die ebenfalls in Wasserburg verhandelnde, aus dem Abt von Andechs, dem Hofoberrichter Seyboldsdorf 49
Maximilian an Richel, 1.1.1634: BA N F 11,8 Nr.272 0.
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und dem Münchner Bürgermeister Ligsalz bestehende Westkommission erfolglos, da sie in der Quartierfrage zu keinen Zugeständnissen autorisiert war; Maximilian hielt Quartiere zwischen Isar und Inn für Truppen Aldringens und Ferias für unabdingbar. Angesichts dessen war er schon seit Anfang Januar, als der Aufstand wieder aufgeflammt war und gleichzeitig die Quartierfrage durch die Ankunft Aldringens und Ferias sich verschärft hatte, entschlossen, notfalls Gewalt anzuwenden. So wurde am 18. Januar ein größerer Bauernhaufe, der sich vor Ebersberg versammelt hatte, nach der Flucht in den Markt mit Geschütz beschossen und anschließend, da die Bauern mangels Bewaffnung den Truppen nicht gewachsen waren, in einer blutigen Exekution, der auch Unbeteiligte zum Opfer fielen, niedergemacht, man zählte über zweihundert Tote. „Nit auszesprechen noch zubeschreiben ist es", berichtete ein Augenzeuge über das Massaker, „keiner ders nit gesehen, khinns auch nit glauben."50 Das Gemetzel hatte Demonstrativcharakter, man hoffte „andern ufruerigen Correspondenten billich einen solchen schrökhen [zu machen], daß sy sich verner der Rotierung, noch weniger deß gewöhrs (damit sy doch nichtß umbgehen oder nutz sein khinden) anmaßen und gebrauchen werden."51 Tatsächlich war damit die Kraft des gesamten Aufstands gebrochen und es blieb die gerichtliche Verfolgung der Anführer, auf die man sich beschränkte.52 In diesen Verfahren, die von der Regierung und dem Bannrichter in Burghausen gegen 32 Angeklagte und vom Bannrichter in Wasserburg gegen rund siebzig Angeklagte geführt wurden, entwickelte sich zwischen der Burghausener Regierung und Maximilian ein bemerkenswerter Gegensatz hinsichtlich der grundsätzlichen Beurteilung des Aufstandes. Aufgrund der Aussagen der Angeklagten bewertete die Regierung die Vorgänge in der Hauptsache als Notwehr der Bauern gegenüber den Soldaten und gelangte unter diesem Aspekt (der der anfänglichen Einschätzung Maximilians entsprach!) zu Freisprüchen bzw. zu sehr milden Strafen. Dagegen vertraten Maximilian und die Geheimräte in Braunau jetzt mit großer Entschiedenheit die Auffassung, daß es sich bei den bäuerlichen Aktionen nicht nur um die Abwehr von Einquartierungen und Übergriffen gehandelt habe, sondern um Rebellion, eine „Formalsedition" gegenüber der Obrigkeit, um eine Aufkündigung des Untertanengehorsams gegenüber dem Landesfürsten.: „...daß es ihnen nit nur Akten 348 a. Für die von Blickte, Rebellion 60 mit Verweis auf diesen Aktenfaszikel genannte Zahl von 260 Toten konnte ich keinen Beleg finden. 51 Bericht des beteiligten Pflegsverwalters von Markt Schwaben, 19.1.1634: Dokumente 1,3 Nr. 299. 52 Hierzu Blickte, Rebellion 61 ff. 50
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umb abwendung der besorgten einquartierung, sonder darumben vornehmlich auch zu thuen gewesen, wie sie sich von der landtsteur, contribution, von dem scharwerkh, proviant und geiaidsfuehren und also alles schuldigen landtgehorsambs frymachen köndten." Maximilian betonte aber nicht nur den finanziellen Aspekt: „So haben sie auch gegen den ihnen vorgesetzten beambten und Obrigkheiten, ingleichen unsern zu ihnen abgeschikhten Commissarien, den gebürenden respect nit erzaigt, sye aufriehrerischerweiß angrüffen, thails geschlagen und mit ihnen hinwekhgeschlept, unsere Churfürstliche Mandata verächtlich beyseits gesteh, denen, so nit mit ihnen halten wollen, mit mordt und brand gethroet." Und dies in einem Augenblick, in dem der Feind das Land unmittelbar bedrohte, von der Beleidigung landesfiirstlicher Hoheit und obrigkeitlicher Reputation ganz abgesehen.53 Schroff forderte Maximilian die Regierung zur Änderung des Verfahrens, zu neuem Schuldspruch und neuer Urteilsbegründung auf. Es ist bemerkenswert, daß die als Richter figurierenden Beamten dennoch bei ihrer bisherigen grundsätzlichen Einschätzung der Vorgänge und bei zwar veränderten, aber insgesamt doch zurückhaltenden Urteilen beharrten! Für die Mehrzahl der Angeklagten verblieb es bei Freispruch, zehn wurden für 1-3 Jahre, einer auf ewig des Landes verwiesen (davon drei in der verschärften Form der Einweisung zum Militär), ein letzter wurde enthauptet und anschließend gevierteilt (wobei die entehrende Strafe der Vierteilung von Maximilian zusätzlich ausgesprochen worden war). Der Vorwurf der Rebellion wurde von der Regierung auch jetzt nicht erhoben, schon weil es den Angeklagten an Rebellionsabsicht gefehlt habe, sie hätten vielmehr das Recht der Selbstverteidigung wahrgenommen, allerdings im Falle der Verurteilten zu aggressiv. Der Bannrichter in Wasserburg sprach neben Landesverweisungen fünf Todesurteile aus, aber ebenfalls nicht wegen Rebellion, sondern wegen Mordes an Soldaten. Die Urteile erwiesen eine bemerkenswerte Unabhängigkeit der Urteilenden gegenüber dem Kurfürsten, sie erwiesen aber auch — da dieser die Urteile (und Urteilsbegründungen!) abschließend bestätigte — dessen schließlichen Respekt vor den Gerichten. Sowohl der „Absolutismus" des Landesherrn wie die „Sozialdisziplinierung" durch ihn hatten ihre Grenzen. Inzwischen hatte sich Maximilian auch in der leidigen Quartier frage mit dem Kaiser geeinigt.54 Das Problem war, die Untertanen zu entlasten und doch die Truppe schlagfertig zu halten und die Isarlinie zu sichern, was allerReskript an die Regierung in Burghausen, 3.5.1634: Teildruck Dokumente 1,3 Nr. 300. 5+ BA NF 11,8 Nrr. 281, 283-285 und 289. 53
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dings einer Quadratur des Kreises gleichkam. Die Ligatruppen wurden in der Hauptsache in dem Gebiet zwischen Isar und Inn einquartiert; die unter Aldringens Befehl stehenden kaiserlichen Truppen verblieben nur zu einem geringen Teil im Land (bei Landshut und in der Oberpfalz). Daß der Erzbischof von Salzburg die Aufnahme kaiserlicher Abteilungen verweigerte, kam Maximilian nicht ganz ungelegen; damit schien ein Aufstand salzburgischer Bauern vermieden, der auf Bayern hätte übergreifen können. Die Soldaten Ferias konnten entgegen der ursprünglichen Absicht Maximilians nicht außerhalb des Herzogtums, in Tirol, untergebracht werden; sie wurden größtenteils im Gebiet zwischen Isar und Inn sowie im südwestlichen Oberbayern einquartiert. Abgesehen von den Gebieten östlich des Inn, die schon bisher ziemlich soldatenfrei gewesen waren, war also die Bevölkerung im Herzogtum weiterhin mit Soldaten und deren Bedürfnissen konfrontiert. Jedoch saß der Schock über die gewaltsame Beendigung des Aufstandes vom Winter 1633/34 zu tief, als daß es nochmals zu Untertanenrevolten ähnlichen Ausmaßes gekommen wäre. Das Verhalten Wallensteins gegenüber Maximilian und der bayerischen Kriegführung in den Jahren 1632/33, seine fortgesetzte demütigende Praxis, Hilfsgesuche zurückzuweisen oder versprochene Hilfe doch nicht zu leisten, weiterhin die Auseinandersetzungen um die Kommandogewalt über Aidlingen, Wallensteins abschätzige Behandlung kaiserlicher Befehle, die Undurchsichtigkeit seiner Verhandlungen mit Kursachsen, schließlich auch beleidigende Äußerungen über den Kurfürsten, die diesem hinterbracht wurden — dies alles hätte wohl genügt, um Maximilian erneut eine Rolle übernehmen zu lassen, wie er sie bereits 1630 gespielt hatte, nämlich die treibende Kraft in der Forderung nach erneuter Absetzung des Friedländers zu bilden. Jedoch hatten sich die Zeiten geändert. Damals hatte er zusammen mit Kaiser und Liga auf dem machtpolitischen Höhepunkt der katholischen Gruppierung gestanden. Jetzt dagegen war sein Land zum wiederholten Male vom Feind bedroht und zum Teil besetzt, waren seine Subsistenzmittel weitgehend erschöpft, die Liga war praktisch aufgelöst, er war auf die Hilfe des wallensteinkaiserlichen Heeres und auf entsprechende Befehle wenn nicht Wallensteins, so jedenfalls des Kaisers angewiesen. Jetzt war er der Auffassung, Zurückhaltung üben zu müssen und in der Kennzeichnung der Situation oder zumindest in der Formulierung von Schlußfolgerungen dem Kaiserhof den Vortritt zu lassen. Dies Schloß nicht aus, daß er sich bereits seit dem Frühjahr 1633 wiederholt über Wallensteins Untätigkeit bzw. seine Kompetenzforderungen in Wien beschwert und Abhilfe gefordert hatte. Von der Forderung
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nach einem erneuten Wechsel im Generalat war jedoch keine Rede gewesen. Auch Graf Oñate, der sich seit Anfang Oktober 1633 als außerordentlicher spanischer Botschafter neben Castañeda wieder in Wien befand, übte bemerkenswerte Zurückhaltung, da er ebenso wie Castañeda angewiesen war, eine direkte Aktion gegen Wallenstein nur dann zu unterstützen, wenn Hochverratspläne des Friedländers zweifelsfrei nachgewiesen waren.55 Er war mit dem Auftrag nach Wien entsandt worden, die Verbindung Wallensteins (der bereits seit Anfang 1632 monatlich 50 000 Gulden spanischer Subsidien zur Heeresfinanzierung erhielt)56 zu Spanien zu pflegen und zu festigen; anders als Castañeda, der die Hilfsunwilligkeit des Generalissimus dann doch fortwährend kritisierte, hielt er diesen für einen Freund Spaniens. Erst als Wallenstein jede Unterstützung Ferias ablehnte, Aldringen zur Rückkehr vom Oberrhein drängte und den Fall Regensburgs nicht verhinderte, wurde Oñates Vertrauen erschüttert. In diesem Sinne wurden die beiden spanischen Diplomaten zu Verbündeten Maximilians in ihrer Kritik an Wallenstein, doch gingen alle drei davon aus, daß bestimmte Zurückhaltung angebracht sei, bis der Kaiserhof selbst — der Kaiser, der König von Ungarn, bisherige Förderer Wallensteins wie Eggenberg und der Bischof Anton Wolfradt von Wien — zu entsprechenden Einschätzungen und Konsequenzen gelangt seien. Als Vizekanzler Richel Anfang Dezember 1633 zur Verhandlung der damaligen beiden Hauptprobleme zwischen Maximilian und dem Kaiser, Quartierfrage und Wallensteinfrage, erneut nach Wien gesandt wurde,57 hatten sich bisherige grundlegende Positionen am Kaiserhof schon verändert. Vor allem die Nichtbeachtung wiederholter kaiserlicher Befehle durch Wallenstein, die durch die Göllersdorfer Abmachungen nicht mehr gedeckt schien, hatte Ferdinand II. verletzt und empört; Wallensteins Betragen könne bei anderen Potentaten die Meinung erwecken, „daß Wir gleichsam einem Corregem an der Hand und in unsern eigenen landen keine freie disposition mehr übrig haben."58 Es ging um die kaiserliche Reputation. Deutlichstes Zeichen eines gewandelten Klimas am Kaiserhof war, daß nunmehr auch Fürst Eggenberg sich eines kritischen Tones befleißigte. Man habe ihn, bemerkte er zu Richel, zwar für friedländisch gehalten und tatsächlich sei er Wallensteins guter Freund gewesen und sei es auch jetzt noch; aber es heiße: ,Amicus Plato, amicus Socrates, amicior autem religio et patria.' Sollte Wallenstein den BePekaf, Wallenstein 568 ff.; BA NF 11,8 passim; Kampmann, Reichsrebellion 116 f.; Emst, Madrid 68 ff. 56 Hierzu vgl. Ernst, Madrid 71 ff. 57 Abordnung Richels an den Kaiserhof, 6.12.1633 bis 10.3.1634: BA NF 11,8 Nr. 272. 58 Instruktion für Questenbergs Sendung zu Wallenstein, bei Pekaf, Wallenstein I, 549 f. 55
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fehlen des Kaisers auch künftig nicht nachkommen, werde dieser endlich demonstrieren, „daß ihre majestät herr und der herzog ein diener sei. [...] Ihre kaiserl. majestät werden des herzogen von Fridlandt halber sich ihr haus und ew. curfürstl. durchlaucht als dero nehisten freund und getreuen curfürsten nit zu grund richten lassen."59 Eggenberg signalisierte also einen von Maximilian seit langem erhofften Umschwung am Kaiserhof in der Einschätzung Wallensteins. Inzwischen war in Braunau auch die brüske und spöttische Behandlung bekannt geworden, die Wallenstein dem bayerischen Kriegsrat Starzhausen hatte angedeihen lassen, als dieser erneute bayerische Hilfsbitten vorgetragen hatte.60 Nun beendete Maximilian seine bisherige relative Zurückhaltung, auch ohne der Wendung in Wien schon völlig versichert zu sein, denn nunmehr gebiete das Gewissen „den dekel ainist vom hafen [zu] thuen."61 Noch bevor Maximilian von Eggenbergs Äußerungen Kennntnis hatte,62 wies er Richel am 18. Dezember an, nunmehr beim Kaiser unter Verweis auf das empörende Verhalten Wallensteins in den vergangenen Monaten dessen Entlassung zu fordern! Die kaiserliche Majestät solle sich „irer kaiserl. autoritet und gewalts gebrauchen und das hauptwerk, sonderlich die direction des kriegswesens in einen andern und solchen stand richten, damit sie selbst, dero getreue assistirende stende und die gemeine wolfahrt lenger nit also von einem solchen humor, auch dessen Imaginationen und passionen dependirn, und also sambentlich zu grund gehen müessen." Allerdings schränkte Maximilian in charakteristischer Vorsicht auch jetzt noch ein: Sollte Richel bei Wallensteingegnern — etwa Schlick, den spanischen Botschaftern, dem kaiserlichen Beichtvater Lamormaini — erfahren, daß wegen Veränderung des Generalats bereits etwas im Gange sei, solle er sich zurückhalten und den Dingen ihren Lauf lassen. Geschehe aber nichts oder nichts Effektives, solle er in der angegebenen Weise prozedieren. Im übrigen bezeichnete sich Maximilian infolge Alters und seit einiger Zeit geschwächter Gesundheit nicht in der Lage, einen Teil der Funktionen Wallensteins zu übernehmen, falls davon in Wien die Rede sein sollte. 59
Richel an Maximilian, 14.12.1633: Irmer, Verhandlungen III Nr. 318; vgl. auch BA N F 11,8 Nr. 272 D. 60 Maximilian an Starzhausen, 4.12.1633: BA N F 11,8 Nr. 270. 61 Maximilian an Richel, 18.12.1633: Irmer, Verhandlungen III Nr. 319. Starzhausen war am 16.12. nach Braunau zurückgekehrt. 62 Sie wurden ihm erst am 19.12. bekannt. Die Weisung an Richel datiert schon vom 18.12.1633: Irmer, Verhandlungen III Nr. 319. Die bei Irmer nicht gedruckte eigenh. Nachschrift Maximilians findet sich nunmehr in BA N F 11,8 Nr. 272 E. Vgl. auch Pekar, Wallenstein 571 ff. und Mann, Wallenstein 1014 f.
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Blickt man auf die Begründungen Maximilians zur erneuten Amotion Wallensteins, so zeigt sich, daß ihn nicht etwa der Vorwurf hochverräterischer Verhandlungen Wallensteins mit Kursachsen, Schweden und böhmischen Emigranten bewogen hat, dessen erneute Endassung zu fordern, und ebenso nicht, wie 1630, die Sorge vor usurpatorischen Zielen des Generalissimus. Sein Motiv war vielmehr die Verweigerung wiederholt und dringend erbetener Hilfeleistungen durch den Friedländer und deren Folgen für das Schicksal Bayerns. Diese ganz auf die unmittelbaren bayerischen Interessen bezogene Motivation verband sich zunehmend mit einer Disqualifizierung Wallensteins als Person, die auch mangels Charakter nicht mehr akzeptabel sei. Maximilian war sich gewiß, daß diese Argumentation ihren Eindruck auf den skrupulanten Kaiser nicht verfehlte: Man erkenne, daß es in den letzten Jahren aufseiten der Katholischen nicht eigentlich an Mitteln gemangelt habe, als vielmehr am Segen Gottes, „alß dene man auf des Herzogen selten so vilfeltig gleichsamb mit fießen thritt;" wie könne jemand auf Gottes Segen hoffen, „welcher Seine Allmacht mit so erschrökckhlichen unerhörten, alten und neu erfundenen fluechen und Gottslästern und Blasphemiis wie meniglieli bekhant unaufhörlich verlezet, [...] auch seine actiones und der Cathol. Religion wolfahrt mehrer auf die betriegliche Astrologia, alß auf das vertrauen zu Gott fündiret." Man könne also nicht umhin, den Kaiser nochmals treulich zu warnen und ihm zu raten, das Kriegsdirektorium anderweitig zu bestellen, um dem Totalruin der katholischen Seite zuvorzukommen.63 Die erste Forderung Maximilians vom 18. Dezember nach Absetzung Wallensteins wurde dem Kaiser von Richel vorgetragen,64 der hierzu auch von Schlick sowie dem Deutschmeister Graf Stadion gedrängt worden war, der die Übertragung des Oberbefehls über die kaiserliche Armee auf den König von Ungarn betrieb. Die zweite von Maximilian am 22. Dezember befohlene Intervention unterließ Richel zunächst, da er am 28. Dezember aus Kreisen des Kaiserhofs informiert wurde, vielleicht von Schlick, daß sich Ferdinand bereits zum Wechsel in der Kriegsdirektion entschlossen habe,65 Maximilian an Richel, 22.12.1633: Aretin, Wallenstein, Urkundenteil Nr. 27; vgl. auch BA NF 11,8 Nr. 272 G. 64 Was ihm allerdings, obwohl der Befehl so gelautet hatte, eine Rüge Maximilians eintrug, da dieser gerne gesehen hätte, „daß vorhero wider ihne [Wallenstein] das eis durch andere gebrochen." Maximilian an Richel, 3.1.1634: Irmer, Verhandlungen III Nr. 334. Hierzu die Rechtfertigung Richels von 9.1.: Ebenda Nr. 343 sowie BA NF 11,8 Nr. 272 S Anm. 1. 65 „Ich vernimb auch in höchsten vertrauen, das ire ksl. mt. sich schon vernemmen lassen, sie wollen den hörzog amoviern, und sei iezt die gröste frag nur de modo. Dis seind aber summa secreta und nit zu palesirn, bis sie geschehen seind und mans in effectu sieht." Richel an Maximilian, 28.12.1633: Aretin, Wallenstein, Urkundenteü Nr. 30; vgl. auch BA NF 11,8 Nr. 272 J. 63
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eine sensationelle Nachricht für Maximilian, die ihm am letzten Dezembertag nochmals bestätigt wurde: „Daß ihre kaiserl. maj. sich nunmer haimblich gegen etlich wenig, welche der fridlandischen faction nit zugethan, allergnedigst resolvirt, dem herzog von Friedland die kriegsdirection und das generalat zu nemen" und er im Werk sei, sich zuvor der Loyalität der wichtigsten Generäle für diesen Schritt zu versichern. Unentschieden sei Ferdinand noch, ob man Wallenstein auch gefangensetzen solle.66 Jedoch gab es Momente, die den Kaiser wieder schwankend machen konnten. So wurde Richel von Castañeda unterrichtet, daß der Kaiserhof von Verbindungen Maximilians mit Frankreich erfahren habe und man von einem möglichen Abfall Bayerns vom Hause Osterreich spreche, weswegen Parteigänger Wallensteins argumentierten, daß man dem Generalissisus in dieser Situation nicht das Kommando nehmen könne.67 Auch eine Äußerung des Königs von Ungarn, „wenn der curfürst in Beyren dis werk nit erheb, so erhebs niemand anderer," schien auf eine Stockung zu deuten.68 Angesichts dessen übergab Richel dem Kaiser den schon erwähnten, Ende Dezember in Braunau zusammengestellten „Diseurs iber des Fridtlands actiones"69 mit seinen vielen Anklagen gegen Wallenstein und versuchte mit mancherlei Argumenten jeden Verdacht gegen die Loyalität Maximilians auszuräumen. Im übrigen hatte Richel die wesentlichen Feststellungen und Beschwerden dieser Denkschrift bereits seit seiner Ankunft in Wien dem Kaiser und den kaiserlichen Räten vorgetragen. Inwieweit die Differenzen zwischen Maximilian und Ferdinand in der parallel zur Wallensteinfrage schwebenden und verhandelten Quartierfrage des Winters 1633/34 hemmend auf die kaiserliche Entscheidung eingewirkt haben, ist nicht ersichtlich, jedoch wurde ein solcher Zusammenhang von Wallensteingegnern wie dem Grafen Schlick nicht unplausibel befürchtet.70 Andererseits mußte die Absage, die Wallenstein Anfang Januar einem von Pater Quiroga vorgetragenen spanischen Hilfeersuchen erteilte, auch den Kaiser berühren. So erhielt Richel in diesen Tagen sowohl von Graf Trauttmansdorff, auf den er sehr vertraute, als auch vom Bischof von Wien, dem er weniger traute, der aber ausdrücklich im Namen des Kaisers sprach, die Versicherung, „daß ihre kaiserl. maj. allbereit in völliRichel an Maximilian, 31.12.1633: lrmer, Verhandlungen III Nr. 329; vgl. BA NF 11,8 Nr. 272 N; Pekar, Wallenstein I, 582 f. 61 Richel an Maximilian, 3. und 9.1.1634: lrmer, Verhandlungen III Nr. 336 sowie BA NF 11,8 Nr. 272 Τ mit Anm.l. 68 Richel an Maximilian, 9.1.1634: lrmer, Verhandlungen III Nr. 343. 69 Er war Anfang Januar an Richel übermittelt worden. Maximilian an Richel, 3.1.1634: Ebenda Nr. 334; vgl. BA NF 11,8 Nr. 272 P. 70 Bericht Stücklins aus Wien, 11.1.1634: BA NF 11,8 Nr. 272 W Anm. 2. 66
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ger deliberation und gänzlich resolvirt sein, zu remediren und zwar daß ew. curfürsd. durchl. ein contento darob haben und verspüren werden, daß demselben erinnerungen nicht ohne frucht gewesen." 71 Mitte Januar 1634 konnte also von der festen Entschlossenheit des Kaisers ausgegangen werden, die Kriegsdirektion zu ändern, wenn auch das Verfahren selbst noch offen war. Die Frage ist, welchen Anteil Maximilian an der Entschlußbildung Ferdinands hatte. Die bisher eingehendste Untersuchung der letzten Jahre Wallensteins durch Josef Pekaf schreibt zwei Momenten den Hauptanteil zu, dem Drängen Maximilians über Richel sowie dem Einfluß des Hofkriegsratspräsidenten Graf Schlick. 72 Im Unterschied zur ersten Entlassung Wallensteins, bei der Maximilian durch Anselm Casimir von Mainz erheblich unterstützt worden war, der nunmehr keine Rolle mehr spielte, war Maximilians Einflußnahme jetzt auch von weiteren hochgestellten Persönlichkeiten am Kaiserhof neben Schlick gefördert worden, welche, wie Fürst Eggenberg, wegen der offensichtlichen Nichtbeachtung kaiserlicher Befehle durch Wallenstein einen Gesinnungswandel vollzogen hatten.73 Diese Anklagepunkte und diese Vorgänge hatten Ferdinands Entschluß zur Folge, die Kriegsdirektion zu ändern. Dagegen spielte das Problem eines Hochverrats Wallensteins durch Anknüpfungen an Schweden, Frankreich und die protestantischen Kurfürsten zu diesem Zeitpunkt — erste Januarhälfte 1634 — weder für Maximilian noch auch für den Kaiser eine Rolle, auch wenn Verdachtsmomente vorhanden waren. Maximilian zumindest warf dem Friedländer nicht Hochverrat vor, sondern falsche strategische Entscheidungen, welche das Schwergewicht der Kriegführung nicht auf Süddeutschland und die Vertreibung der Schweden gelegt hatten, sowie wiederholt unterlassene Hilfeleistung, Nichtgewährung versprochener Hilfe. Ihn interessierte auch nicht, ob und inwieweit Wallensteins Strategie Plausibiütät für sich hatte, sondern ausschließlich, welche Konsequenzen und Auswirkungen sie für Bayerns Land und Leute und damit für die Grundlagen seines eigenen Herrschertums besaß. Unter diesem Aspekt hatte sie die Probe nicht bestanden. Am letzten Akt des Dramas, bei dem nunmehr das Hochverratsproblem in den Vordergrund rückte, hat Maximilian nicht mehr maßgeblich mitgewirkt und brauchte er nicht mehr mitzuwirken.74 Zunächst wurde der Kaiser durch
Richel an Maximilian, 11.1.1634: Inner, Verhandlungen III Nr. 346: vgl. BA N F 11,8 Nr. 272 W. Pekaf, Wallenstein I, 582 und 584. 7 3 Eine Einflußnahme Oñates auf den Kaiser mit dem Ziel der Absetzung Wallensteins fallt dagegen wohl erst in die zweite Januarhälfte, nach Bekanntwerden der Relation Piccolominis sowie des ersten Pilsener Reverses. Vgl. Kampmann, Reichsrebellion 118 f. 7 4 Zum folgenden vgl. Pekaf, Wallenstein I, 595 ff.; Mann, Wallenstein 1018 ff. und 1057 ff. 71 72
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eine Relation Ottavio Piccolominis aufgeschreckt, daß Wallenstein im hochverräterischen Bunde mit den Feinden Ferdinands einen Aufstand zur Vernichtung des Hauses Habsburg vorbereite; wenige Tage später wurde dem Kaiserhof der erste Pilsener Revers vom 13. Januar 1634 bekannt, durch den sich Wallenstein des Gehorsams seiner Generäle und Obersten zu versichern suchte; ein gleichzeitig dem Kaiser übergebenes Memorandum des Fürsten Gundaker von Liechtenstein riet, notfalls die Ermordung des Generalissimus ins Auge zu fassen. Geschockt von diesen Vorgängen sowie einem Gutachten Eggenbergs, Trauttmansdorffs und des Bischofs Anton Wolfradt von Wien folgend, dekretierte Ferdinand nunmehr am 24. Januar in einem vorerst geheimgehaltenen Papier die Absetzung Wallensteins.75 Durch einen zweiten, ebenfalls geheimzuhaltenden Spruch, der auch vom kaiserlichen Beichtvater gebilligt wurde,76 erteilte Ferdinand den Generälen Aldringen, Piccolomini, Gallas und Colloredo die Vollmacht, Wallenstein und dessen wichtigste Vertraute gefangenzunehmen und nach Wien zu bringen oder sie als überführte Schuldige zu töten — „e numero mortalium exturbare." Auf das Zustandekommen dieser letzteren Entscheidung, die vom Tatbestand der notorischen Reichsrebellion Wallensteins ausging, hatte Maximilian keinen Einfluß. Allerdings war er von mehreren Seiten über den Pilsener Revers unterrichtet worden und hatte er über Richel eine scharfe und rasche Reaktion des Kaisers gefordert. 77 Ebenso waren ihm durch Aldringen Teile der Relation Piccolominis bekanntgemacht worden 78 und er hatte durch Richel in Wien die Hoffnung ausdrücken lassen, daß diese Ungeheuerlichkeiten dem Kaiser „einen neuen calor und stimulum" verliehen.79 Doch war inzwischen schon die Entscheidung vom 24. Januar gefallen. Da sie höchster Geheimhaltung unterlag, wurde Maximilian über sie trotz aller Bemühungen Richels zunächst nicht unterrichtet, wenngleich Richel der einen und anderen Andeutung entnehmen konnte und er Maximilian hierdurch zu beruhigen suchte, daß der letzte Akt, der ja sichernder Vorbereitungen bedurfte, 80 bereits im Gange war.81 Der Kaiser ließ ihm nur versichern, bereits völlig im Werk begriffen zu
Hierzu Kampmann, Reichsrebellion 120 ff. Bireley, Religion 202 f. 77 Rogge an Maximilian, 13.1.1634: BA NF 11,8 Nr. 294; Maximilian an Richel, 25.1.1634: Aretin, Wallenstein, Urkundenteil Nr. 34; vgl. BA NF 11,8 Nr. 272 Ee. 78 Aufzeichnung Teisingers: Aretin, Wallenstein, Urkundenteil Nr. 33; detaillierte Rekonstruktion in BA N F 11,8 Nr. 305. τ> Maximilian an Richel, 2.2.1634: Inner, Verhandlungen III Nr. 407; vgl. BA NF 11,8 Nr. 272 LI. 80 Hierzu eingehend Kampmann, Reichsrebellion 131 ff. 81 Richel an Maximilian, 8.2. und 15.2.1634: Irmer; Verhandlungen III Nr. 434 und Aretin, Wallenstein, Urkundenteil Nr. 39; vgl. BA NF 11,8 Nrr. 272 Nn und 272 Pp. 75
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sein, mit dem er sich am Morgen erhebe und am Abend schlafenlege; Eggenberg erläuterte, daß die notwendigen Befehle bereits gegeben worden seien, es hänge nur noch an Einzelheiten der Ausführung; Oñate, der in diesen Tagen starken Einfluß auf Ferdinand im Sinne der Beseitigung Wallensteins ausübte, deutete an, „daß ebenso leicht und weniger gefahr dorbei sei, den Fridland gleich gar umbzubringen, als zu fangen und erst an andere ort zu fihren und zu verwahren". Diese Vorstellung war Richel nicht fremd, hatte er doch selbst schon gegenüber Eggenberg Gründe aufgezählt, „warumb besser und sicherer, den herzog und seine Complices alsbald gar niderzumachen, als nur beyzufangen."82 Man darf annehmen, daß Maximilian diese Auffassung teilte, da er in diesen Tagen mit größter Unruhe das Procedere des Kaiserhofs verfolgte, dessen bemerkenswerte Vorsicht und Umsicht in der Vorbereitung der Entmachtung Wallensteins er ängstlich als gefährliches Zögern interpretierte; er befürchtete, von Wallensteinschen Truppen, die im Land ob der Enns stationiert waren, selbst angegriffen zu werden.83 Erst am 24. Februar erfuhr er in offizieller Form durch ein kaiserliches Handschreiben von der bevorstehenden „verenderung mit dem gewesten Veldhauptmann", d.h. von der Absetzung Wallensteins und von dem kaiserlichen Armeebefehl vom 18. Februar, der nunmehr in aller Öffentlichkeit Wallenstein der Verschwörung gegen den Kaiser und sein Haus bezichtigte.84 Maximilian erhielt in diesem Zusammenhang vom Kaiser die Aufgabe, eine eventuelle Vereinigung Bernhards von Weimar mit Wallenstein durch ligistische Truppen zu verhindern.85 Einen Tag später, am 25. Februar, wurde Wallenstein in Eger ermordet. Und da sich praktisch keine Hand, keiner der Generäle, kein Regiment zu seinen Gunsten rührte und weder Bernhard von Weimar noch Hans Georg von Arnim die Situation des Umbruches zu nützen suchten, konnten alle bisherigen Gegner des Generalissimus aufatmen. Aber wahrscheinlich war zuletzt mehr dessen Name gefürchtet worden, als daß von ihm noch wirkliche Gefahren ausgegangen wären, denn der Todkranke hatte sich zuletzt in unschlüssiger Zerfahrenheit und Selbsttäuschung selbst in die Isolation manövriert. Richel an Maximilian, 1.2.1634: Antin, Wallenstein, Urkundenteil Nr. 36; vgl.BA NF 11,8 Nr. 272 Jj. 83 Maximilian an Richel, 17.2.1634: Irrner, Verhandlungen III Nr. 457, mit Berichtigung durch BA NF 11,8 Nr. 272 Rr Anm. 1. 84 Hierzu ausfuhrlich und exakt Kampmann, Reichsrebellion 137 ff. 85 Der Kaiser an Maximilian, 19.2.1634: Aretin, Wallenstein, Urkundenteil Nr. 42; vgl. BA NF 11,8 Nr. 325; Richel an Maximilian, 20.2.1634: Irmer, Verhandlungen III Nr. 468. 82
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Konnte auch Maximilian aufatmen? Seine Gegnerschaft zu Wallenstein beruhte ja nicht oder weniger auf irgendwelchen verräterischen Aktivitäten des Friedländers, als auf dessen Unterlassungen, dessen Hilfsverweigerungen für Bayern, dem mangelnden Einsatz des kaiserlichen Heeres für Strategien, denen Maximilian Priorität, ja kriegsentscheidende Bedeutung zugeschrieben hatte. Die Frage war also, wer die Nachfolge Wallensteins in der Führung des kaiserlichen Heeres antrat, wie die Prioritäten des Nachfolgers lauten würden und welche Kommandoregelungen zwischen dem Ligaheer und dem kaiserlichen Heer getroffen werden würden. Das Problem des Verhältnisses Maximilians zum kaiserlichen Heer und dessen Befehlshabern und das Problem einer eigenständigen Kriegführung des Ligaheeres unter Maximilian neben dem kaiserlichen Heer war also durch die Ermordung Wallensteins zwar zunächst entschärft, aber noch keineswegs gelöst. Bevor entsprechende militärpolitische Beschlüsse gefaßt wurden, suchte Maximilian die Gelegenheit des Umbruchs zu nützen, um beim Kaiser zum wiederholten Male die Erstattung seiner neueren Kriegskosten sowie auch der wallensteinschen Schuld von 1632 zu erreichen. Bereits im Mai 1632, als das Herzogtum zum ersten Mal von den Schweden besetzt worden war, hatte er am Kaiserhof durch Graf Wolkenstein Ersatz für die Kriegskosten seit der letzten Abrechnung von 1623 bzw. 1628 sowie für die durch den schwedischen Einfall verursachten Schäden fordern lassen.86 Als Rekompens dachte sich Maximilian nichts Geringeres aus als die drei Reichsstädte Nürnberg, Augsburg und Regensburg, die österreichischen Ämter Kufstein, Rattenberg und Kitzbühl sowie die württembergische Herrschaft Heidenheim. Die schwedenfreundliche Haltung der drei wohlhabenden und protestantisch dominierten Reichsstädte in seiner Nachbarschaft war ihm seit langem ein Dorn im Auge. Das von bayerischem Territorium umschlossene Regensburg war einst Hauptstadt des Herzogtums und im 15. Jahrhundert längere Zeit in bayerischem Pfandbesitz gewesen. Auch die drei durch Bodenschätze ausgezeichneten Ämter im Inntal hatten im Mittelalter zum Herzogtum Bayern gehört, ihre Abtretung war 1505 von Kaiser Maximilian I. erzwungen, aber von bayerischer Seite nie verschmerzt worden; im gleichen Jahr hatte auch die außerhalb des Herzogtums gelegene Herrschaft Heidenheim an Württemberg abgetreten werden müssen. Wolkenstein hatte nun in Wien auf die Bestimmung des Münchner Vertrags von 1619 zu verweisen, daß Maximilian 86 Eine Instruktion habe ich nicht gefunden, jedoch liegt eine Nebeninstruktion vom 2.6.1632 in Kschw. 74, fol. 103 f. Wolkenstein, der am 27.6. abreiste, hatte auch auf den Sukkurs Wallensteins zu drängen; vgl. Hallmch, Briefe und Akten II, 459 ff.
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für seine Kriegskosten entschädigt und bis zur Kostenerstattung territoriale Pfänder erhalten würde. Da die Kosten der bayerischen Landesverteidigung nicht entschädigt zu werden brauchten, hatte er sehr zu betonen, daß Bayern bei Unterstützung durch Wallenstein sehr wohl hätte verteidigt und damit die Kriegsschäden im Land vermieden werden können. Der Umkehrschluß lautete: Da uns Wallenstein nicht verteidigt hat, hat der Kaiser auch die durch die Schweden verursachten Kriegsschäden zu bezahlen. Im übrigen hatte Wolkenstein hervorzuheben, daß Maximilian trotz großer Unbilden stets an der Seite des Kaisers geblieben sei. Wandten die kaiserlichen Räte ein, daß man Reichsstädte nicht wie Territorien zu erblichem Eigentum vergeben könne, sollten diese jedenfalls pfandschaftsweise mit allen Nutzungen bis zur Erstattung aller Kriegskosten und Schäden an Bayern überlassen werden. Natürlich konnte Ferdinand in der Situation des Jahres 1632 nur eine allgemeine Antwort erteilen und wollte es natürlich auch, von den Zumutungen wegen der Reichsstädte ganz abgesehen. So versicherte er mündlich und schriftlich, Maximilian voll zu befriedigen, wenn der Allmächtige ihm die Siege und hierdurch auch die notwendigen Mittel gewährt habe.87 Dabei blieb es zunächst auch und die bayerischen Geheimräte waren der Ansicht, daß man kraft Münchner Vertrag, Kriegsrecht und jetziger Erklärung genügend gesichert sei.88 Mit dem Tod Wallensteins zwei Jahre später kam Maximilian wohl auch deshalb auf die Rekompensforderung zurück, weil er nun auch sein Darlehen von 300 000 Gulden für Wallenstein ersetzt haben wollte, am besten aus konfisziertem Besitz des Friedländers. Als seine Forderung an den Kaiser bezeichnete er den Ersatz der Kriegskosten, Entschädigung für die von den Schweden verursachten Kriegsschäden sowie einen Ausgleich für das wallensteinsche Darlehen.89 Mit grellen Farben malte er die Schäden, die er durch die Bürgerschaft von Augsburg, Nürnberg und Regensburg erlitten habe, um die drei Städte erneut und nachdrücklicher als Rekompens reklamieren zu können. Da auch ihm bewußt war, daß seine Forderungen erst bei besserer Kriegslage zu erfüllen waren, erbat er erneut eine schriftliche Versicherung wie schon im Juni 1632, die der Kaiser dann auch am 20. März wiederum ausstellte.90 Obwohl die Mehrheit der bayerischen Geheimräte schon die
Der Kaiser an Maximilian, 8.6.1632: Kschw. 74, fol. 117. Die Geheimräte an Maximilian, 20.6.1632: Akten 305, fol. 117f.; Dank Maximilians an den Kaiser: Kschw. 74, fol. 132. 8' Maximilian an den Kaiser, 8.3.1634: BA NF 11,8 Nr. 339. 90 Ebenda Nr. 347. 87
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Einholung dieser erneuten Erklärung für überflüssig gehalten hatte,91 war Maximilian obstinat genug, das Thema wenige Wochen später erneut vorzubringen und erneut um eine Wiederholung des kaiserlichen Versprechens vom Juni 1632 zu bitten.92 Freundlichwerweise fertigte Ferdinand eine weitere Erklärung aus, die Maximilian nunmehr dahingehend beantwortete, daß er sich auf des Kaisers Erbieten und Versprechen „genzlich verlassen" werde.93 Da also die umfassende Kriegsentschädigung zunächst nicht zu erhalten war, kaprizierte sich Maximilian in der Folge auf die wallensteinsche Schuld, die er aus konfisziertem Besitz des Generalissimus, aus dem auch eine Reihe von Generälen entschädigt wurde, für rückzahlbar hielt. Als ihm stattdessen die Herrschaft Heidenheim in Aussicht gestellt wurde, wehrte er zunächst ab, da diese als Teil der allgemeinen Kriegsentschädigung anzusehen sei, lenkte dann aber aufgrund von Bedenken Richels ein, nicht auch noch Heidenheim zu verspielen.94 Diese Diskussion gab ihm zugleich Veranlassung, Ende April 1635 wenige Wochen vor Abschluß des Prager Friedens noch einmal in umfassender Weise und sehr selbstbewußt bezüglich der großen Kriegsentschädigung am Kaiserhof initiativ zu werden.95 Er erinnerte an den Münchner Vertrag, an die kaiserlichen Versprüche von 1632 und 1634, an Völkerrecht, Vernunft und Billigkeit, an seine zahlreichen und im einzelnen vorgeführten Verdienste um das Haus Habsburg und er scheute sich nicht, besonders heiße Eisen anzusprechen: Wäre Wallenstein vom Kaiser nicht mit derart umfassenden Vollmachten ausgestattet worden, hätte er diese nicht zum Nachteil der katholischen Sache mißbrauchen und schwere Schäden für Bayern hervorrufen können. Und wenn der Kaiser bei den gegenwärtigen Friedensverhandlungen dem Kurfürsten von Sachsen weit entgegenkomme und ihn sogar mit Hochstiftern befriedigen wolle - um wievielmehr sei Bayern zu berücksichtigen, das sich weit größere Verdienste um die gemeinsame Sache erworben habe und dazu noch ohne Schwanken an der Seite des Kaisers geblieben sei. Schließlich die Aufgipfelung: Ohne das Versprechen Ferdinands II. auf Rekompens und Hilfe „hetten wir uns so weit nit vertüefft, sonder zeitlicher aus den sachen getracht und unß dardurch von einem großen last der schaden und ungelegenheiten salviren können" — hätte sich MaZollern, Richel, Donnersberg, Wolkenstein (ebenda Anm.l); vielleicht deswegen war das Schreiben vom 8.3. nicht von einem der Geheimräte, sondern vom Geheimsekretär Rampeck konzipiert worden. 92 Instruktion fur Wolkenstein und Ruepp nach Wien, 15.4.1634: Ebenda Nr. 367 A, hier S. 699 f. 93 Rekreditiv für Wolkenstein, 11.5., der Kaiser an Maximilian, 11.5., Maximilian an den Kaiser, 22.5.1634: Ebenda Nr. 367 I mit Anm. 1. 94 Briefwechsel Maximilian-Richel im März/April 1635 in BA NF 11,9 Nrr. 193 P, 193 S, 193 U. 95 Memorial für Wolkenstein und Richel in Wien, 25.4.1635: Ebenda Nr. 258 C. 91
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ximilian also vom Kaiser getrennt! Da er es nicht tat, sei ihm der Kaiser zutiefst verpflichtet. Jedoch, um den Ausgang vorwegzunehmen, mußte Maximilian im weiteren Verlauf des Krieges in der Mehrzahl seiner Entschädigungsforderungen zurückstecken und froh sein, die Kurwürde und die Oberpfalz in den Friedensvertrag hineinzuretten. Weder erhielt er die drei Reichsstädte, auch nicht Regensburg, um das er sich noch besonders bemühen sollte, noch die drei österreichischen Amter. Nur die Herrschaft Heidenheim sowie die Anwartschaft auf das kleine italienische Fürstentum Mirandola wurden ihm im Jahre 1638 im Zuge einer Bereinigung zahlreicher seiner finanziellen Forderungen durch Kaiser Ferdinand III. zugesprochen.96 Von diesen beiden Territorien gelangte das endegene Mirandola niemals in bayerische Hand und Heidenheim mußte im Westfälischen Frieden an den Herzog von Württemberg zurückgegeben werden. Allerdings hatte Maximilian schon vorgesorgt: Durch Vertrag vom November 1645 war ihm vom Kaiser für den Fall der Rückgabe Heidenheims bereits eine Verschreibung von 400 000 Gulden auf die Gefalle des kärntnischen Mautamtes Tarvis zugesichert worden!97 Die Prioritäten und Modalitäten der weiteren Kriegführung nach dem Tode Wallensteins wurden bei den Wiener Militärkonferenzen vom 23. April bis 10. Mai 1634 festgelegt, an denen von bayerischer Seite Wolkenstein und Ruepp (also keiner der Generäle!), von kaiserlicher Seite Trauttmansdorff, die Generäle Gallas, Aldringen und Colloredo sowie der Präsident des Hofkriegsrats Schlick und als Vertreter Spaniens Graf Oñate beteiligt waren.98 Eine von bayerischer Seite erwogene persönliche Zusammenkunft zwischen dem Kaiser und Maximilian in Prag war nicht zustandegekommen,99 sie wäre die erste Begegnung seit 1630 gewesen. Als Maximilian wenige Wochen zuvor im Januar 1634 befürchtet hatte, daß die Absetzung Wallensteins doch noch von dessen Parteigängern verhindert werden könnte, hatte er ein ganz ungewöhnliches Zugeständnis erwogen: Falls Wallenstein abgesetzt und der König von Ungarn dessen Nachfolger werde oder zumindest Wallensteins Kommando auf die kaiserlichen Erblande beschränkt werde und der König von Ungarn das Kommando über die kaiserlichen Truppen im Reich erhalte, sei er, Maximilian, bereit, dem König Vertrag vom 28.6.1638: Dokumente 1,3 Nr.316. Zum Schicksal Heidenheims vgl. Roswitha Philippe, Württemberg und der Westfälische Friede, Münster 1976, passim. 97 Kapser, Kriegsorganisation 161 f. 9« Die bayerischen Akten in BA NF 11,8 Nr. 367 A-I. 99 Ebendann. 367 A Anm. 1. 96
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das Ligaheer abzutreten, auf ihn zu verpflichten und seinem freien Befehl zu unterstellen.100 War hier mit dem Ligaheer nur der in Oberdeutschland operierende Teil gemeint oder auch die im Westfälischen und Niedersächsischen Kreis stehenden Einheiten? War praktisch an eine Auflösung der Liga gedacht, die ohnehin seit Jahren keinen Bundestag mehr hatte abhalten können und deren Armee ohnehin fast nur mehr von Bayern finanziert wurde? Wie dem auch sei: Maximilians Angebot war dem Kaiser schließlich nicht vorgelegt worden, da es sich für die Absetzung Wallensteins als nicht mehr notwendig erwiesen hatte,101 und Maximilian hat sich gehütet, diese Extremlösung in der Folge noch einmal anzusprechen. Denn die Fortführung einer eigenständigen Armada der Liga unter seinem Oberbefehl schien ihm doch selbstverständlich, obwohl das Ligaheer in den vergangenen Jahren dermaßen reduziert und geschwächt worden war, daß es eigentlich nur noch in Verbindung mit der kaiserlichen Armee Effektivität erreichte. Aus dieser Hilfsbedürfigkeit hatten sich ja die Probleme mit Wallenstein ergeben. Eine eigene Armee aufrechtzuerhalten hieß also paradoxerweise, weiterhin von den Kaiserlichen abhäpgig zu sein. Kaiser Ferdinand II. hat bei den Wiener Verhandlungen die weitere Selbständigkeit des Ligaheeres nicht angetastet. Ob der König von Ungarn, der nunmehr als Nachfolger Wallensteins den Oberbefehl über das kaiserliche Heer erhielt, schon damals die Unterstellung des Ligaheeres unter sein Kommando angestrebt hat, wissen wir nicht. An Selbstbewußtsein fehlte es dem Fünfundzwanzigjährigen jedenfalls nicht und ebenso nicht seinem Hauptberater, dem Deutschmeister Johann Caspar von Stadion, der sich als Mitglied der Liga auf den bisherigen Bundestagen dadurch hervorgetan hatte, daß er stets die kaiserlichen Positionen vertreten und dadurch den bayerischen Intentionen häufig zuwidergehandelt hatte. Maximilian ging in die Wiener Verhandlungen mit der allgemeinen Zielsetzung baldiger offensiver Kriegführung in Süddeutschland gegen die Schweden, die er seit Jahren gefordert, aber gegen den Widerstand Wallensteins nicht durchgesetzt hatte.102 In Bezug auf Johann Georg von Sachsen empfahl er die Defensive und die Fortsetzung der vom Herzog von SachsenLauenburg mit Kursachsen eingeleiteten Friedensverhandlungen. Als Nahziel
100 „...unser und des bunds volkh demselben genzüch abzutretten und die armada in ir mt. dienst und pflicht zu uberlaßen und zu dessen freier direction anzuweisen." Maximilian an Richel, 14.1.1634: Irmer, Verhandlungen III Nr. 355, mit Verbesserung des Textes gemäß BA NF 11,8 Nr. 2 7 2 X A n m . 1. 101 Vgl. Richel an Maximilian, 25.1.1634, und Maximilian an Richel, 2.2.1634: Irmer, Verhandlungen III Nrr. 386 und 407. !02 Instruktion für Wolkenstein und Ruepp, 15.4.1634: BA NF 11,8 Nr. 367 A.
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sah Maximilian die Öffnung und Sicherung der Donaulinie und die Befreiung Bayerns von unmittelbarer Bedrohung durch Eroberung der Städte Regensburg,103 Donauwörth und Augsburg im Zusammenwirken kaiserlicher, ligistischer und spanischer Truppen. Der Hauptkriegsschauplatz sollte also Oberdeutschland, der Hauptgegner Schweden sein. Es gehe darum, „daß kain zeit verloren, sondern daß das volkh ehist zusammengeführt, zu einer gewissen exekution gebraucht und nicht wie biß dato uf jeden motum deß feinds bald hie-, bald dorthin distrahirt und strapascirt werde." Eroberte Geschütze, Gefangene, den Städten abverlangte Ranzionen und sonstige Beute sollten bei gemeinsamer Kriegführung ihm und dem Kaiser je zur Hälfte zufallen, die Garnisonen in den gemeinsam eroberten Orten je zur Hälfte aus kaiserlichen und Ligatruppen bestehen. Nur Regensburg und Augsburg sollten ausschließlich durch Ligatruppen besetzt werden - hier schlug das besondere Interesse Maximilians an den beiden Reichsstädten durch. Das Ergebnis der Wiener Beratungen, niedergelegt in einer kaiserlichen Resolution für Maximilian,104 entsprach zwar nicht in allen, aber doch in den Hauptpunkten den Vorstellungen Maximilians. Die Defensive gegenüber Kursachsen wurde ebenso beschlossen wie die Fortsetzung der Friedensverhandlungen, die Verlegung des Hauptkriegsschauplatzes nach Oberdeutschland ebenso wie die baldige Belagerung Regensburgs, allerdings unter dem Kommando des von Maximilian nunmehr wenig geschätzten Aldringen. Gleichzeitig sollte Gallas mit den in Böhmen stehenden kaiserlichen Truppen zur Sicherung des Belagerungsheeres in die Oberpfalz rücken. Nicht im Sinne Maximilians war, daß von der Kriegsbeute der Kaiser zwei Drittel, die Liga nur ein Drittel erhalten sollte und die Besatzungen der eroberten Orte im selben Verhältnis stehen sollten. Vor allem beklagte Maximilian, daß die Besatzung in Regensburg zwar unter bayerischem Kommando stehen, aber nur zur Hälfte aus bayerischen Truppen bestehen sollte; der Kaiser hatte eingewandt, daß man den Eindruck vermeiden müsse, als sei die Stadt entgegen allen Reichsfreiheiten bereits an Bayern abgetreten, „daraus leichtlich allerhand schädliche Weiterungen und Sperrung eines gemainnutzigen friedens erwachsen dörften." Das war ein deutlicher Hinweis, sich keine Hoffnungen auf eine spätere Annexion der Stadt zu machen. So war durch die Wiener Beschlüsse zwar nach den Belastungen der letzten Jahre eine neue Grundlage für die Zusammmenarbeit zwischen München (oder Braunau) und Wien gegeben, aber es war nicht zu übersehen, daß Maximilian angesichts der 103 Zum Ziel der baldigen Eroberung Regensburgs vgl. Maximilian an Aldringen, 2.4.1634: Ebenda Nr. 360. >0" Vom 10.5.1634: Ebenda Nr. 367 H.
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Kräfteverhältnisse auf eine zweitrangige Position verwiesen worden war. Diese selbstbewußte Praxis der Kaiserlichen, hinter der wohl schon der König von Ungarn stand, sollte sich in den nächsten Monaten fortsetzen. An der Belagerung Regensburgs nahm Maximilian seit Ende Juli persönlich teil, da er von Ligaoffizieren gebeten worden war, den bisher schleppenden Gang durch seine persönliche Gegenwart und Initiative zu befeuern.105 Am 25. Juli traf er aus Braunau kommend in Begleitung von Wolkenstein, Richel und Saavedra im Feldlager vor Regensburg ein und nahm Quartier im Kloster Prüfening, „ohne zweifei der hofnung", wie der Deutschmeister süffisant bemerkte, „wan die ganß [Regensburg] gerupft solte werden, ein feder darvon zu bekhomen.106 Tatsächlich richtete sich Maximilians primäres Interesse darauf, nach dem Fall Regensburgs seine Forderungen an die Stadt befriedigt zu sehen. Daher war er auch nicht an einer zerstörenden Erstürmung interessiert, sondern an einer Ubergabe durch Akkord, und zwar einem solchen, der seine Interessen wahrte bzw. seine Forderungen nicht präjudizierte. Der Übergabeakkord vom 26. Juli, der zwischen dem König von Ungarn und Maximilian auf der einen, dem schwedischen Kommandanten sowie Rat und Bürgerschaft auf der anderen Seite geschlossen wurde,107 war aber dann durchaus nicht in seinem Sinne.108 Maximilian hatte formal zu rügen, daß er die letzte, verbindliche Fassung des in drei Stufen entstandenen Vertragstextes nicht zu Gesicht bekommen, geschweige gebilligt habe und also in unzulässiger Weise übergangen, ja hintergangen worden sei. Er rügte inhaltlich, daß der Akkord in Religionssachen und hinsichtlich der Schäden, die bayerischen Untertanen von den Regensburgern zugefügt worden seien, unakzeptabel sei, da die Stadt laut Akkord keinerlei Entschädigung zu leisten brauchte.109 Es handelte sich um die Zerstörung des bayerischen Stadtamhof und des dortigen Klosters St. Mang, die Sprengung der Veste Donaustauf, die Verwüstung der Klöster Karthaus und Prüfening, Verletzung althergebrachter bayerischer Gerechtsame in der Stadt, Bedrückung katholischer Bürger 105 „Protocollum über den verlauf zwischen irer kfl. dt. in Bayrn und den kaiserischen vor Regenspurg", von der Hand Richels mit Zusätzen Maximilians, nach 2.8.1634: BA NF 11,9 Nr. 63. Zum Folgenden vgl. auch Kathrin Bierther, Bayerische Absichten auf die Reichsstadt Regensburg und der Regensburger Akkord vom Juli 1634, in: W. Becker u.a. (Hg.), Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus, Kallmünz 1992, 107-118. 106 Der Deutschmeister an Trauttmansdorff, 29.6.1634: BA NF 11,9 Nr. 30. i°7 Text ebenda Nr. 52. 108 Weshalb Maximilian auch den Ablauf der Verhandlungen durch eine Denkschrift Richels, der zusammen mit Wolkenstein bayerischer Verhandlungsfuhrer gewesen war, detailliert dokumentieren ließ: „Relatio iber den verlauf mit dem regenspurgischen accord", ebenda Nr. 64 S. 115-141. 109 Maximilian an den König von Ungarn, 27.7.1634: Ebenda Nr. 54.
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durch den evangelischen Rat der Stadt und ähnliches. Aber ganz unabhängig von solchen Einzelbeschwerden war ihm die protestantisch dominierte Reichsstadt inmitten des Herzogtums seit je ein Stachel gewesen. Daher hatte er bereits lange vor Beginn der Akkordverhandlungen umfangreiche Archivrecherchen befohlen und gelehrte Gutachten durch den Hofkammerpräsidenten Mändl und den Hofkammerrat Wämpl erstellen lassen. In den Schriftstücken wurden die Beziehungen zwischen Bayern und Regensburg bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt und unter Bezugnahme auf die Entschädigungsbestimmungen des Münchner Vertrags von 1619 sowohl eine Annexion wie ein Pfandbesitz der Reichsstadt — wie einst im Falle Donauwörths — erörtert. Jedoch hat Maximilian, dem die Gutachten noch vor den Akkordverhandlungen in die Hand kamen, wohl in Erinnerung an die früheren Absagen des Kaisers bezüglich der Reichsstädte keine entsprechenden Forderungen gestellt, und der Text des definitiven Akkords, der die Regensburger Reichsfreiheiten bestätigte, unterband ohnehin solche Schritte.110 Aber natürlich blieb die Kritik Maximilians an zahlreichen Einzelbestimmungen des Akkords, die ihm Entschädigungsforderungen untersagten, bestehen. Nicht zuletzt: Im glatten Widerspruch zum Wiener Rezeß war im Akkord nur von einer kaiserlichen Besatzung für die Stadt und von einem kaiserlichen Kommandanten die Rede! Daß Regensburg ohne große Berücksichtigung der bayerischen Wünsche pardoniert worden war, war das Werk des Königs von Ungarn und seines Assistenzrates, des Deutschmeisters, gewesen, gegen den sich dann auch der spezielle Zorn Maximilians richtete. Der Grundsatz des Königs war gewesen, „mehrers die gnade als den rigor zu gebrauchen",111 um eine rasche Ubergabe zu erreichen und einer Entsetzung durch Bernhard von Weimar zuvorzukommen, aber gewiß auch, um die Bereitschaft des Kaisers zu einem friedlichen Ausgleich mit den noch im feindlichen Lager stehenden Reichsständen zu demonstrieren, und schließlich wohl auch, um als junger Mann und präsumptiver Kaiser bei den Reichsstädten an Reputation zu gewinnen.112 Maximilian dagegen erklärte, sich an den Vertrag nicht gebunden zu fühlen und forderte den Kaiser auf, bezüglich der Regensburger Besatzung am Wiener Rezeß festzuhalten.113 Im übrigen sah er — gewiß nicht zu Unrecht — die Vorgänge in der weiteren Perspektive eines grundsätzlichen Angriffes der Kaiser110 Die Gutachten: Mändl an Maximilian, 1.7.1634: Ebenda Nr. 33; Erstes und zweites Gutachten Wämpls, vor 5.7.1634: Ebenda Nrr. 37 und 38. Zum Ganzen vgl. Bierther; Absichten 110 ff. 111 Der König von Ungarn an den Kaiser, 26.7.1634: Ebenda Nr. 53. 112 Vgl. die Bemerkung des Deutschmeisters ebenda 123 Anm. 16. 113 Maximilian an den Kaiser, 1.9.1634: Ebenda Nr. 95.
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liehen auf die Liga, mit dem Ziel, „dem loblichen catholischen bund alle authoritet und gewalt zu benemmen, dessen armada nach und nach an sich zu ziehen und also den bund ganz und gar aufzuheben und zu vernichten, damit sie im römischen reich alles allein nach ihrem willen, eß gehe darnach andern darunder, wie eß woll, dirigieren und effectuieren mögen." 1 1 4 Ahnlich hatte er schon Jahre zuvor im Hinblick auf Wallenstein argumentiert, jetzt waren in erster Linie der König von Ungarn und dessen Berater gemeint. Am 22. September ließ Maximilian vor einem Braunauer Notar einen förmlichen Protest gegen den Akkord niederlegen und anschließend der Stadt Regensburg übermitteln. 115 Durch diesen Akt und durch Mitteilungen an Kardinal Barberini, Kurmainz und Kurköln, daß im Regensburger Akkord der Religionssachen nicht genügend gedacht worden sei, kam es zu erheblichen Spannungen auch mit dem Kaiser selbst, da sich der König von Ungarn brüskiert fühlte und jede weitere Diskussion über das Thema ablehnte. 116 D a aber Maximilian angesichts seiner militärischen Schwäche an einem passablen Verhältnis zu Vater und Sohn gelegen sein mußte, wurde Richel wieder einmal an den Kaiserhof gesandt, um aufzuklären und zu beruhigen. 117 Richel hatte dort allerdings einen schwierigen Stand, da es inzwischen über den Protest zu einer scharfen Auseinandersetzung zwischen Ferdinand II. und Maximilian gekommen war. 118 Der Kaiser hatte gerügt, daß durch den im ganzen Reich verbreiteten Protest Gefahr bestehe, daß künftig von manchen Reichsständen friedefördernde Vergleiche zum Schaden des allgemeinen Wesens unterlassen würden — er hatte seine weit vorangeschrittenen Friedensverhandlungen mit Kursachsen in Auge, die er durch die bayerische Protesthaltung gefährdet sah. Diesen Vorwurf hatte Maximilian aber nicht auf sich beruhen lassen. Mit einer Schärfe, die seiner kaiserlichen Korrespondenz sonst nicht eignete, hatte er den Protest erneut gerechtfertigt und sich entschieden gegen den Vorwurf gewehrt, als Urheber schlechter Vertragsmoral im Reich denunziert zu werden. D e r Tenor seiner Replik war so aggressiv gewesen, daß er ihn schließlich selbst für zu provozierend gehalten und das Schreiben kassiert hatte, doch wurde der Inhalt nunmehr durch Richel mündlich vorgetragen. Den verantwortlichen Räten am Kaiserhof wurde darüber hinaus bedeutet, daß man mit einem Kurfürsten des Reiches nicht
Maximilian an Kurköln, 30.7.1634: EbendaNt. 57.
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Ebenda Nr. 135IAnm. 1.
EbendaNc. 135.
Abordnung Richels an den Kaiserhof, 14.1.-25.4.1635: Ebenda Nr. 193 A-193 V. Der Kaiser an Maximilian, 2.1.1635, Maximilian an den Kaiser, 1.2.1635: Ebenda Nrr. 185 und 209. 117
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wie mit einem „Privatsolicitanten" umspringen könne. Angesichts dieser Spannungen wurde Richel von den Kaiserlichen erst nach wochenlangem Aufenthalt beantwortet, und zwar nur mit der Auskunft, daß der Kaiser Kommissare zu gütlicher Vermittlung zwischen Bayern und der Stadt Regensburg bestellen werde; ohne vorherige Anhörung der Regensburger könne er keine Entscheidung fallen. Im übrigen waren die Kaiserlichen der Ansicht, daß man den Regensburger Akkord als ersten öffentlichen Akt des jungen Königs nicht revidieren könne, ohne dessen Reputation im Reich zu beschädigen, was Maximilian im Hinblick auf die Bewahrung von Treu und Glauben im Reich berücksichtigen möge.119 Maximilians Verärgerung beruhte auch auf persönlicher Brüskierung durch die Kaiserlichen bei der Belagerung Regensburgs. Im Feldlager angekommen, hatte er dem König von Ungarn und dessen Beratern seine Ansichten über das weitere Vorgehen gegen die Stadt wie gegen die Armeen Bernhards von Weimar und Horns vorgetragen, die von Augsburg aus in Bayern eingefallen waren. Zu seiner Verärgerung war aber sein Rat nicht willkommen gewesen, die Kaiserlichen und insbesondere der Deutschmeister waren ihm überaus frostig, ja nahezu beleidigend begegnet, sie wollten, wie Maximilian klagte, „alleß nur nach ihrem köpf dirigiren und ordiniren und andere treu und wolgemainte Consilia, vorschläg und erinerungen nichts gelten lassen."120 Es bedurfte also nicht der Person Wallensteins, um das Verhältnis Maximilians zur Führung der kaiserlichen Armee weiterhin schwierig zu gestalten! Habsburgisches Selbstbewußtsein und der Unterschied der Generationen hatten den Ton bestimmt. So hatte sich der nicht minder selbstbewußte, aber empfindliche und verstimmte Maximilian alsbald nach der Übergabe der Stadt entschlossen, nicht mehr länger bei der Armee zu bleiben; am 31. Juli verließ er sein Quartier in Prüfening und kehrte mit Richel, Wolkenstein und Rampeck am 2. August nach Braunau zurück. Inzwischen hatten sich die kaiserlich-bayerischen Beziehungen auch noch auf einem dritten Felde verschärft, nämlich bei Auseinandersetzungen um päpstliche Geldhilfe.121 Nach den Subsidienzahlungen des Jahres 1632 hatte Papst Urban VIII. dem Kaiser und der Liga im April 1633 je 25 000 Reichstaler und im Januar/Februar 1634 wiederum je 25 000 Reichstaler zukommen lassen, „acciò che tutti vedano, che il Papa fa quel che può." Nunmehr, im März 1634, eröffnete Francesco Barberini dem Wiener Nuntius Rocci, daß »9 Richel an Maximilian, 28.3.1635: Nr. 193 P. 120 Vgl. Richels Denkschrift oben Anm. 108. 121 Albrecht, Subsidien 558 ff.; Ut% Subsidien 97 ff.; BA NF 11,8 Nrr. 367 A und Β und 384.
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der Papst erneut 200 000 Scudi (oder 220 000 Reichstaler) nach Deutschland senden werde, die durch einen mehrjährigen zweiprozentigen Aufschlag auf die Einkünfte des italienischen Klerus aufgebracht würden. Wie wir aus der Nuntiaturkorrespondenz wissen, hätte die Kurie das Subsidium gerne zu gleichen Teilen an den Kaiser und die Liga gegeben, da es der Befreiung der Ligaterritorien diene, die Zehnten aus Kirchengut stammten und die meisten Ligamitglieder Kirchenfürsten seien. Jedoch war sie in Erwartung kaiserlichen Einspruches bereit, dem Kaiserhof doch etwas mehr als die Hälfte zukommen zu lassen. Der Protest des Kaisers richtete sich aber gegen jede Teilung, denn das kaiserliche Heer trage die Hauptlast des Krieges. Der Assistenzrat des Königs von Ungarn, Carretto, bestürmte den Nuntius in diesem Sinne, da der Bayer nur wenig Truppen, dagegen viel Geld besitze. Auch die beiden spanischen Botschafter am Kaiserhof und der Beichtvater der Königin von Ungarn, Diego de Quiroga, argumentierten in diesem Sinne. Maximilian selbst befürchtete von vornherein eine Bevorzugung des Kaisers, da die Geldhilfe aufgrund von kaiserlichen und spanischen Vorstellungen bewilligt worden war. Wenngleich er durch seinen Wiener Agenten Stücklin und den eben am Kaiserhof befindlichen Wolkenstein beim Nuntius Rocci die Hälfte des Gesamtbetrags fordern ließ, war er daher bereit, in Eventualfall auf ein Drittel und im äußersten Fall sogar auf ein Viertel zurückzugehen. Er konnte also sehr zufrieden sein, als er schließlich 85 000 Reichstaler erhielt. Rocci hatte nach dem Schlüssel von 1632 aufgeteilt, weil er der Liga entgegenkommen wollte, doch war er wohl auch nicht unbeeindruckt von sieben Kutschpferden aus dem kurfürstlichen Gestüt, die ihm Maximilian noch während der Verteilungsverhandlungen zum Geschenk gemacht hatte. Für die Kaiserlichen, die den Gesamtbetrag gewollt hatten, bedeutete dieses Ergebnis eine Niederlage.122 Regensburg hatte am 26. Juli kapituliert, ohne daß die Armeen Bernhards von Weimar und Gustav Horns, die von Augsburg her im Anmarsch waren, in das Geschehen hätten eingreifen können. Immerhin waren sie über Freising bis nach Landshut vorgerückt, das am 20. Juli erobert und barbarisch behandelt wurde, Aldringen fiel bei der Verteidigung der Stadt. Anschließend zogen sie sich unter weiteren großen Verwüstungen wieder bis zum Lech 122 Sie beschwerten sich umsomehr, als Rocci wegen des schlechten Wechselkurses nur 207 000 statt der erwarteten 220 000 Reichstaler hatte verteilen können, und forderten eine zusätzliche Zahlung von 7 000 bis 8 000 Talern, die nunmehr allein dem kaiserlichen Heer zukommen sollten. Die (ergebnislosen) Auseinandersetzungen um diese Forderung zogen sich den Rest des Jahres hin.
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zurück.123 Auch das kaiserliche Heer unter König Ferdinand und Gallas verließ nunmehr nach kurzem Zögern124 Bayern und marschierte in Realisierung des Wiener Feldzugsplans die Donau entlang nach Westen. Ihm Schloß sich das Ligaheer unter dem neuen interimistischen Befehlshaber Ottheinrich von Fugger an, auch wenn die von Maximilian angestrebte Feldschlacht zunächst noch nicht möglich schien. Beide Armeen erwarteten Verstärkung aus Oberitalien durch ein neugebildetes spanisches Heer, das den nunmehr gesundeten Kardinalinfanten Ferdinand von Mailand nach den Niederlanden begleiten sollte, wie es bereits für das Jahr zuvor geplant gewesen war; es sollte auch die Reste der Armee Ferias (unter dem Oberbefehl des Generals Serbelloni) aufnehmen, die sich immer noch in oberbayerischen Quartieren aufhielten.125 Das Zusammenwirken der Armee des Kardinalinfanten mit den Heeren des Kaisers und der Liga war schon bei den Wiener Militärkonferenzen eingeplant worden, die Kaiserlichen hatten der Verlegung des Hauptkriegsschauplatzes nach Süddeutschland offensichtlich auch wegen der Aussicht auf Unterstützung durch die Spanier zugestimmt, Oñate hat wohl bei diesen Entscheidungen mitgewirkt. Das Zusammenwirken mit den Kaiserlichen und der Liga war der Preis, den die Spanier für die Gewährung des Durchzugs durch das Reich zu bezahlen hatten, doch sahen sie diese Zusammenarbeit auch als Mittel zum Zweck, als Vorstufe eines engeren Verhältnisses mit Kaiser und Liga. Maximilian hatte dem Durchmarsch zugestimmt, da er sich hiervon, wie schon das Jahr zuvor durch Feria, Entlastung versprach. Als das vom Engadin kommende und das Inntal heraufziehende Heer in Kufstein angelangt war und sich dort mit den Truppen Serbellonis vereinigte, traf er sich am 14./15. August in Braunau mit Kardinalinfant Ferdinand.126 Beide waren sich einig, daß man die Schlacht mit den Schweden suchen müsse, und Maximilian versprach, das Ligaheer zu diesem Zweck auch über die Grenzen Bayerns hinauszuführen, falls ihm bei einer feindlichen Diversion in sein Herzogtum Hilfe sicher sei. So marschierten die spanischen Truppen in den letzten Augusttagen von Kufstein aus quer durch Bayern, das nach Augenzeugenberichten westlich Münchens einer Wüste glich.127 Sie wurden von 123 Über umfangreiche Verteidigungsmaßnahmen Maximilians zur Sicherung Münchens in diesen Wochen vgl. BA N F 11,9 Nrr. 16, 21, 23, 29, 43, 45 f., 48 f. 124 Auf die kurzzeitige Absicht König Ferdinands, nach Böhmen zu ziehen, gehe ich nicht ein. Vgl. u.a. sein Rechtfertigungsschreiben an den Kaiser, 4.8.1634: Ebenda Nr. 70, und das Gutachten des kaiserlichen Hofkriegsrats, ca. 5.8.1634: Ebenda Nr. 71. 125 Alle Einzelheiten zum Zuge Ferdinands bei v.d. Essen, Cardinal-Infant 372 ff. 126 Ein detaillierter Bericht über diese Zusammenkunft findet sich in einem Schreiben Kurz' an Herzog Albrecht, 17.8.1634: Personenselekt Kurz von Senftenau 191/1. 127 v.d. Essen, Cardinal-Infant 410.
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bayerischen Kriegskommissaren begleitet, um Land und Leute zu schonen, München durfte nur von Offizieren betreten werden.128 Sowohl der Zuzug der spanischen Armee wie der Entschluß König Ferdinands, die Donaulinie zu sichern und nach der Eroberung Donauwörths am 16. August weiter in Richtung Württemberg zu ziehen, mußte von Maximilian ungeachtet aller sonstigen Verstimmung über die Kaiserlichen mit größter Befriedigung registriert werden. Endlich wurde verwirklicht, was er seit Jahren gefordert, aber gegen den Widerstand Wallensteins nicht durchgesetzt hatte, die Verlegung des Kriegstheaters nach Oberdeutschland, um nicht nur Bayern (und dahinter Österreich) zu sichern und die Territorien zahlreicher kleiner und größerer Reichs- und Ligastände von gegnerischen Truppen zu säubern bzw. vor Überfällen und Durchzügen zu bewahren, sondern auch durch eine Entscheidungsschlacht das seit Breitenfeld verlorene Ubergewicht im Reich zurückzugewinnen. So fand er sich trotz der schlechten Erfahrungen des Vorjahres bereit, das Ligaheer an der Seite der Kaiserlichen und der Spanier nach Württemberg und an den Rhein zu führen. Noch ehe sich die drei Armeen vereinigten, bestellte Maximilian am 8. August in Herzog Karl IV. von Lothringen als Nachfolger Aidlingens einen neuen Oberbefehlshaber des Ligaheeres.129 Bereits Karls Vater Franz von Vaudemont (seit 1625 als Franz II. Herzog von Lothringen), ein Bruder der Kurfürstin Elisabeth und also Schwager Maximilians, hatte zeitweise im Dienste der Liga gestanden. Er und Karl hatten in den zwanziger Jahren wiederholt versucht, das politische Gewicht Maximilians für sich zu nützen, nämlich durch dessen Fürsprache am Kaiserhof, vor allem aber durch dessen Vermittlung bei Frankreich; schon seit Jahren unterstützte der ehrgeizige und unruhige Karl den aufrührerischen Bruder König Ludwigs XIII., Gaston von Orleans. Im Herbst 1631 war er, wie erzählt, mit einem lothringischen Heer für einige Wochen an die Seite Tillys getreten, schließlich war er Anfang 1634 von Richelieu zum Verlassen Lothringens gezwungen worden. Seine anschließende Bewerbung als General der kaiserlichen Armee war von König Ferdinand abgelehnt worden, der Rang- und Kompetenzstreitigkeiten mit ihm befürchtete. Die schließliche Anstellung bei der Liga begründete Maximilian mit der Qualifikation seines Neffen, der Zustimmung König Ferdinands und dem Mangel an geeigneten Subjekten im Ligaheer selbst; auch war in der Konkurrenz von Liga- und kaiserlichem Heer das Gewicht eines regiere BA NF 11,9 Nr. 69 Anm. 2; v.d. Essen, Cardinal-Infant 407 ff. 129 Maximilian an Kurmainz (als Mitdirektor), 25.8.1634: BA NF 11,9 Nr. 86 mit Anlage. Vgl. auch Kraus, Kommandoregelung 273 ff. Über Karl IV. von Lothringen vgl. NDB XI, 231 ff. sowie Babel, Zwischen Habsburg.
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renden Herzogs zu bedenken. Vor allem aber wollte Maximilian einen General haben, der sich seine Weisungen nicht, wie Aldringen, immer wieder von anderswo holte, „so mehrer von andern orthen, als von uns dependirt." Entsprechend war Karl prinzipiell allein dem Herzog von Bayern als Bundesoberstem unterstellt, der sich auch weiterhin die Ernennung der Obersten und die Zustimmung zu Werbungen vorbehielt. Solange die Heere vereinigt waren und König Ferdinand zugegen war, war Karl auch diesem als Ranghöherem unterstellt. Mündlich bedang sich Maximilian aus, daß sich Karls Differenzen mit Frankreich nicht auf die Verwendung des Heeres auswirken dürften. Der von Karl gewünschte Oberbefehl auch über die Ligatruppen im Westfälischen und Niederrheinischen Kreis wurde ihm versagt. Das weitere Verhältnis Maximilians zu seinem Neffen blieb nicht ohne Reibungen, was sowohl in der Impulsivität und dem Ehrgeiz des Lothringers wie dem Mißtrauen Maximilians begründet lag, der sich weitab vom Kriegsschauplatz in Braunau befand. Seine Sorge war, daß Karl das Ligaheer über den Rhein führte und in Auseinandersetzungen mit den Franzosen geriet, weshalb die Kriegskommissare sogar zu einer gewissen Überwachung des Herzogs beauftragt wurden,130 jedoch war an dessen Loyalität nicht zu zweifeln. Nach der Besetzung Donauwörths erreichte der Zug der kaiserlichligistischen Truppen die gut befestigte Stadt Nördlingen,131 die aus strategischen und politischen Gründen für beide Kriegsparteien von Bedeutung war, sie deckte den Weg nach Württemberg und damit den Zugang zu einem für Schweden und den Heilbronner Bund politisch wichtigen Territorium. Seit Ende August wurde die Stadt von den kaiserlich-ligistischen Truppen belagert, mit denen sich am 1. September das Heer des Kardinalinfanten vereinigte. Am 6. September kam es vor den Toren Nördlingens zur Schlacht der drei katholischen Armeen mit den Heeren Bernhards von Weimar und Horns, eine der blutigsten Auseinandersetzungen des ganzen Krieges. Sie endete mit einer vernichtenden, überaus verlustreichen Niederlage der Schweden. Erstmals wieder seit vielen Jahren hatten die Armeen des Kaisers, der Liga und Spaniens erfolgreich zusammengewirkt. Die seit Breitenfeld bestehende schwedische Machtstellung im Reich brach in der Folge zumin-
130 Vgl. u.a. Maximilian an Metternich, 29.9.1634: BA NF 11,9 Nr. 124; Vermerk Richels, 8.11.1634: Ebenda Nt. 135 G. 131 Vgl. Frieden ernährt, Krieg und Unfrieden verzehrt. 14 Beiträge zur Schlacht bei Nördlingen (Jahrbuch des Hist. Vereins für Nördlingen und das Ries 27), Nördlingen 1985; darin insbes. Bernhard Sicken, Die Schlacht bei Nördlingen. Analyse des Kriegswesens und Beobachtungen zum Kampfgeschehen (175-219), mit weiterer Literatur.
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dest in Süddeutschland zusammen, der Heilbronner Bund protestantischer Reichsstände ging seiner Auflösung entgegen. Auch Maximilian feierte den Sieg: „Dem Allmächtigen sei umb solch verlihene herrliche victori nochmalig und immerwehrender dankh gesagt." 132 Jedoch blickte er fast mehr auf die Schattenseiten des Vorganges, nämlich auf die Differenzen, die sich erneut — vor, während und nach der Schlacht — zwischen den Ligisten, insbesondere Karl von Lothringen, und den Kaiserlichen, insbesondere dem Deutschmeister, aufgetan hatten. Während des Marsches nach Nördlingen hatte er zu kritisieren, daß das Ligaheer von den Kaiserlichen über Gebühr strapaziert werde, als ob es bewußt geschwächt, ja zur Auflösung gebracht werden solle; der Deutschmeister habe sich ja schon bei den Ligatagen bemüht, das Heer unter kaiserliche Direktion zu bringen.133 Nach der Schlacht, als die Berichte bayerischer Kriegskommissare und Offiziere in Braunau vorlagen, erreichte die Verstimmung ihren Höhepunkt:134 „Die kaiserische handien alles vor sich und bevelchen, waß und wie sie wollen;" der Herzog von Lothringen sei zu keinem Kriegsrat zugezogen worden, König Ferdinand habe ihm nicht einmal Audienz gewährt, „sei weniger als Gallas"; das Ligaheer sei vorsätzlich strapaziert worden und habe die meisten Verluste erlitten, an die 1 500 Mann; der von Ligatruppen gefangene General Horn werde von den Kaiserlichen wider alles Kriegsrecht für sich reklamiert. Die mit der Analyse der Vorgänge betrauten bayerischen Geheimräte rieten schließlich, das Ligaheer wieder vom kaiserlichen Heer zu trennen, das nach der Niederlage der Schweden ohnehin nach Böhmen und Schlesien abziehen werde, ebenso wie der Kardinalinfant in die Niederlande. Also müsse das Ligaheer separat im Reich operieren. Schon zehn Tage später befand sich der unermüdliche Richel wieder in Wien,135 um dem Kaiser alle Gravamina seit der Belagerung Regensburgs vorzutragen und auf die Einhaltung des Wiener Rezesses vom 10. Mai zu drängen. Er war allerdings angewiesen, den König von Ungarn aus den Beschuldigungen herauszuhalten; dessen Berater, insbesondere der Deutschmeister, hätten die skandalösen Schwierigkeiten verursacht; selbst in den Zeiten Wallensteins hätten sich die Offiziere der beiden Armeen besser vertragen; „Teitschmeister sei heimblich ihrer kfl. dt. so großer feind alß Fridland aperte."136 Das Problem erneuter Separierung der Armeen hatte Richel zumindest anzudeuten. Jedoch ließ sich der Kaiser auf Maximilian an Kurmainz, 7.9.1634: BA NF 11,9 Nr. 103. Maximilian an Metternich, 1.9.1634: Ebenda Nr. 96, vgl. Nr. 94. 134 Notizen Richels über die Geheimratssitzungen am 10. und 11.9.1634: Ebenda Nr. 105. 135 Abordnung Richels an den Kaiserhof, 21.-27.9.1634: Ebenda Nr. 113 A-D. »« Notizen Richels: BA NF 11,9 Nr. 105, hier S. 221. 132
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keine Spezialia ein, sondern schlug Beratungen über einen neuen Militärrezeß vor, den er durch Abgeordnete befördern wollte.137 Es trug nicht zum Abbau der Differenzen Maximilians mit den Kaiserlichen bei, daß alsbald eine öffentliche Kontroverse über den eigentlichen Sieger von Nördüngen entbrannte.138 In den zahlreichen kaiserlichen und spanischen Flugschriften über die Schlacht wurde die Beteiligung ligistischer Truppen und Befehlshaber nahezu ganz übergangen, Nördlingen war ein Sieg der Kaiserlichen und Spanier, des Königs von Ungarn und des Kardinalinfanten. So schilderte es dann auch ein großes Gemälde, das die Stadt Antwerpen zum Einzug des Kardinaünfanten durch Rubens entwerfen ließ.139 Solchen Thesen setzte Maximilian seine und seiner Offiziere Auffassungen entgegen, indem er bereits im Oktober eine Gegenschrift140 verfertigen ließ: Das Ligaheer ist der eigentliche Sieger, durch den Einsatz des Ligaheeres unter dem Herzog von Lothringen wurde aus der Niederlage für Horn und Bernhard von Weimar (die schon feststand) eine Katastrophe, deren verheerender Charakter das eigentliche Signum der Schlacht bildet. Mit der bayerischen Auffassung stimmte diejenige des gefangenen Generals Horn überein, der nach einem Tauziehen zwischen Maximilian, dem Kaiser und dem Herzog von Lothringen auf die bayerische Festung Burghausen verbracht und acht Jahre gefangengehalten wurde. Dort hat Horn noch im Herbst 1634 eine später weitverbreitete und meinungsbildende Relation über die Nördlinger Schlacht verfaßt, bei der ihm der Haß gegen seinen Konkurrenten Bernhard von Weimar die Feder führte. Angesichts der Ubereinstimmung seiner Relation mit den bayerischen Thesen über den Ausgang der Schlacht kann angenommen werden (und besitzen wir auch Hinweise), daß Maximilian die Abfassung und Publikation der Hornschen Relation nicht nur gebilligt, sondern auch gefördert hat — wurde doch auch Horns Aufsichtsperson in Burghausen angewiesen, den hohen Gefangenen in politische Diskussionen zu verwickeln und über deren Inhalt dem Kurfürsten zu berichten.
Kaiserliche Resolution für Richel, 27.9.1634: Ebenda Nr. 113 D Anm. 3. Göran Rystad, Kriegsnachrichten und Propaganda während des Dreißigjährigen Krieges. Die Schlacht bei Nördlingen in den gleichzeitigen gedruckten Kriegsberichten, Lund 1960. 139 Vgl Marcus Junkelmann, Gottes Kriege, Gottes Siege. Zur Darstellung des Dreißigjährigen Krieges in der fürstlichen und kirchlichen Repräsentationskunst, in: Friede ernährt...(oben Anm. 131), 221-263, hier 246 ff. 140 „Gründtliche Relation und Erzehlung", in: Gustav Drqysen (Hg.), Materialien zur neueren Geschichte. Gedruckte Relationen über die Schlacht bei Nördlingen, Halle 1885, 56 ff.; vgl. auch BA NF 11,9 Nrr. 136 ff. 137
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Die Differenzen zwischen Ligisten und Kaiserlichen und das Problem der weiteren Kriegführung ließen seit Nördlingen in beiden Lagern die Frage einer erneuten Trennung der beiden Heere im Sinne eigenständiger und eigenverantwortlicher Operationen lebhaft erörtern. Der Kaiser und der König von Ungarn lehnten eine Trennung ab, der Herzog von Lothringen befürwortete sie, während Maximilian wie häufig schwankte. Für eine Trennung sprach neben den Anmaßungen der Kaiserlichen die Absicht des Königs, über Franken nach Böhmen zurückzukehren. Als dieser sich jedoch entschloß, in Südwestdeutschland zu verbleiben, um den Nördlinger Sieg auszunützen, und der Kaiser dringend um weiteres enges Zusammenwirken von Ligaheer und kaiserlichem Heer ersuchte und die schon früher vorgeschlagene Konferenz zur Bereinigung der Differenzen in nahe Aussicht stellte,141 entschied sich auch Maximilian nach manchem Hin und Her 142 gegen eine Trennung. Sein Vorschlag, den Armeen verschiedene Operationsgebiete zuzuweisen, mußte aber faktisch doch eine solche bedeuten, auch wenn man sich vielleicht nahe genug blieb, um gegenseitige Hilfe leisten zu können. 143 Der Vormarsch der vereinigten Armeen richtete sich zunächst auf Württemberg, das ergiebige Winterquartiere versprach, am 20. September wurde Stuttgart erreicht. Dort fanden seit 1. November Konferenzen über die Modalitäten der weiteren militärischen Zusammenarbeit statt, die von Wolkenstein und Richel mit den kaiserlichen Bevollmächtigten Schlick und Kurz von Senftenau unter Teilnahme des Königs von Ungarn und des Herzogs von Lothringen geführt wurden.144 Der König von Ungarn und der Deutschmeister zielten im Grunde darauf ab, die Selbständigkeit des Ligaheeres zu beseitigen — zur gleichen Zeit, als bei den Pirnaer Friedensverhandlungen mit Kursachsen über die Eingliederung der kursächsischen Truppen in eine Reichsarmada gesprochen wurde, und ein halbes Jahr, bevor der Prager Friede die Liga verbot. In diesem Kontext waren also die Stuttgarter Konferenzen zu sehen. Die bayerischen Gesandten gingen dagegen in die Verhandlungen mit dem Auftrag, entgegen allen bisherigen Bemühungen der Kaiserlichen um ein „absolut commando" über beide Armeen die Fortexistenz eines eigenständigen Ligaheeres zu behaupten, wenn auch gleichzeitig die weitere enge Zusammenarbeit mit der kaiserlichen Armee zuzugestehen,
141 Der Kaiser an Maximilian, 30.9.1634: Ebenda Nr. 125; Bericht Richels aus Wien, 27.9.1634: Ebenda Nr. 113 D. i « Vgl. ebenda Nrr. 113 B, 113 C, 118,122, und öfter. 143 Maximilian an den Herzog von Lothringen, 30.9.1634: Ebenda Nr. 127. 144 Die bayerischen Akten ebenda Nr. 135 A-L.
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die allerdings ständige Kommunikation in einem einzurichtenden „consilium formale bellicum" erfordere. 145 Die Verhandlungen, bei denen Schlick und Kurz im Sinne des Kaisers zwischen den Parteien auszugleichen suchten, endeten mit dem Stuttgarter Rezeß vom 19. November 1634, der den Wiener Rezeß größtenteils ersetzen sollte. Die für die Zukunft, über den Prager Frieden hinaus, sehr wichtige Vereinbarung bestimmte in den Hauptpunkten: 146 Das Ligaheer wird, wie bisher, als eine „underschidene armada absonderlich commandirt", es bleibt wie bisher ein Heer der dem Kaiser nicht unterstellten, sondern verbündeten Liga. Jedoch ist der kommandierende Herzog von Lothringen bei gemeinsamen Operationen in Anwesenheit des Königs von Ungarn und Abwesenheit Maximilians (die wohl die Regel sein würde) den Befehlen des Königs unterworfen, wie Maximilian schon früher zugestanden hatte. Der Lothringer und einige seiner Räte sind aber jeweils zu einem gemeinsamen Kriegsrat beizuziehen. Dort gibt die Stimme des Königs den Ausschlag, doch wird in Sachen, die Verzug leiden, bei abweichender Meinung des Herzogs von Lothringen die Ansicht Maximilians einzuholen sein. Operieren beide Armeen getrennt, wird König Ferdinand seine Befehle dem Lothringer begründen und dessen Meinung hören, soweit Zeit vorhanden ist. Im Falle unmittelbarer Bedrohung Bayerns kann Maximilian die Ligatruppen ganz oder teilweise von der kaiserlichen Armee abfordern, doch ist der König vorher zu unterrichten. Nicht einigen konnte man sich über die Besatzungen in eroberten Reichsstädten. Da die im Wiener Rezeß vorgesehenen gemischt kaiserlichligistischen Besatzungen im Falle Regensburgs nicht praktiziert worden waren, schlugen Wolkenstein und Richel vor, den Kaiserlichen jeweils zwei Reichsstädte allein, den Ligisten jeweils eine Reichsstadt allein zuzuweisen, was jedoch von König Ferdinand abgelehnt wurde; bis zu einer Entscheidung des Kaisers sollte weiterhin der Wiener Rezeß praktiziert werden. Auch bezüglich seiner Klagen über den Regensburger Akkord wurde Maximilian auf den Kaiser verwiesen. Mündlich wurde vereinbart, daß alle Handlungen zu unterlassen seien, die zum Bruch mit Frankreich führen konnten. Außerhalb des Rezesses wurde am 2. November die Frage der Winterquartiere geregelt, auch sie nicht zur Zufriedenheit der bayerischen Delegierten, 147 aber nolens volens, da die Kaiserlichen erklärt hatten, notfalls Gewalt anzuwenden.
Instruktion vom 14.10.1634: Ebenda Nr. 135 A. Text: Ebenda Nr. 135 L. Zu Verhandlungen und Rezeß vgl. auch Kraus, Kommandoregelung 278 f. und Kapser, Kriegsorganisation 22 ff. 147 Wolkenstein und Richel an Maximilian, 6.11.1634: Ebenda Nr. 135 F. 145 146
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Aufs Ganze hatten sich in dem Rezeß die Auffassungen der Kaiserlichen durchgesetzt, manche weichen Bestimmungen konnten leicht im kaiserlichen Sinne interpretiert werden.148 Zwei Fesdegungen waren als Erfolge der bayerischen Seite zu buchen — wenn man sie nicht als Selbstverständlichkeit ansah - , die Anerkennung der Fortexistenz und weiteren Eigenständigkeit des Ligaheeres sowie die Möglichkeit, dieses Heer ohne Einspruch der Kaiserlichen zum Schutze Bayerns (von den übrigen Ligaterritorien ist nicht die Rede!) zu verwenden. Die unmittelbare Bedeutung des Rezesses lag in der Lockerung bisheriger Spannungen. Doch fehlten angesichts seines Inhalts, der mißtrauischen Natur Maximilians, dem Ehrgeiz des Herzogs von Lothringen, dem Selbstbewußtsein König Ferdinands, den Ambitionen des Deutschmeisters und der Schroffheit des Generals Gallas auch weiterhin die Reibungspunkte nicht. Nicht nur der Lothringer kritisierte, daß ihm der Rezeß praktisch die Bewegungsfreiheit genommen habe.149 Auch Maximilian übernahm die Kritik seiner Kriegsräte an dem Abkommen - voreilig, wie der von ihm kritisierte Wolkenstein bemerkte, der natürlich als Verhandlungsführer seine Verhandlungsergebnisse rechtfertigen wollte und der in diesem Zusammenhang seinem Herrn zuschrieb, zu „geschwinde resolutiones" zu nehmen, negative Urteile anderer sich ohne nähere Prüfung zu rasch zu eigen zu machen.150 Auf der Gegenseite bezeichnete der Deutschmeister die Erfolge der Kaiserlichen in Stuttgart für noch ungenügend, weil seine Absichten noch viel weiter gegangen waren. In einer Denkschrift für den Kaiser151 plädierte er weitergehend für die Auflösung der Liga, die Eingliederung des Ligaheeres in das kaiserliche Heer und die Herstellung eines einheitlichen militärischen Oberbefehls in der Hand des Kaisers — es war „die Sprache des Absolutismus,"152 formulierte aber nur, was im Grunde bei den gleichzeitigen Prager Friedensverhandlungen von kaiserlicher Seite angestrebt, wenn auch bezüglich Bayerns dann nicht erreicht wurde. Jedoch muß zur Praxis des Stuttgarter Rezesses noch ein Gesichtspunkt hinzugefugt werden. Zentrale seiner Bestimmungen galten nur für den Fall 148 Kraus, Kommandoregelung 279 und im Grunde auch Kapser, Kriegsorganisation 25 f. sehen den Rezeß dagegen als Erfolg Maximilians, wohl weil sie zu sehr von den späteren Beschränkungen des Prager Friedens, zu wenig von der seit vierzehn Jahren bestehenden Situation eines selbständigen Ligaheeres ausgehen. Vermerk Richels: BA NF 11,9 Nr. 135 Κ Anm.1. 150 Wolkenstein an Richel, 16.3.1635: Ebenda Nr. 242. 151 „Erhebliche motiven und bedenkhen, warumb die absonderliche armatur der liga gentzlich uffzuheben und daß gantze kriegswesen under einer direction in nahmen ksl. mt. in ein corpus zu verfassen seie", 16.12.1634: Ebenda Nr. 176. 152 Kraus, Kommandoregelung 280.
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der persönlichen Anwesenheit des Königs von Ungarn bei der Armee, die dieser jedoch bereits am 24. November verließ, um nach Wien zurückzukehren. Gültig wurde nunmehr eine zwischen dem Herzog von Lothringen und General Gallas vereinbarte neue Kommandoregelung. Demnach lag bei gemeinsamen Operationen beider Armeen das Kommando nunmehr beim Herzog von Lothringen (wie es beim Böhmischen Feldzug 1620 bei Maximilian gegenüber Bucquoy gelegen hatte).153. Der Deutschmeister war daher von seinem Standpunkt aus ganz im Recht, wenn er König Ferdinand die Abreise nach Wien widerriet, weil hierdurch das große Ziel der Auflösung der Liga behindert werde.154 Von Stuttgart aus trennten sich die Verbündeten. Der Kardinalinfant zog mit dem spanischen Heer und einem kaiserlichen Korps nach Norden, um über Main und Rhein die Spanischen Niederlande zu erreichen; den Kaiserlichen war es nicht gelungen, die Spanier zum Verbleib und zu weiteren gemeinsamen Aktionen zu gewinnen.155 Die Masse des kaiserlichen Heeres unter Gallas festigte die Positionen im Herzogtum Württemberg, das unter die Verwaltung kaiserlicher Komissare gestellt wurde und wandte sich anschließend gegen Westen. Der Herzog von Lothringen marschierte mit dem Ligaheer, das durch einige kaiserliche Regimenter verstärkt worden war, in die Markgrafschaft Baden-Durlach und die rechtsrheinische Pfalz. Der Zusammenbruch der schwedischen Machtstellung in Süddeutschland besiegelte auch das Schicksal der Stadt Augsburg, die sich seit April 1632 in schwedischer Hand befand, aber infolge der allmählichen Rückeroberung Bayerns und Schwabens durch die katholischen Heere zunehmend zu einer isolierten, von Flüchtlingen überfüllten, unter schweren Versorgungsmängeln leidenden Insel geworden war.156 Maximilians Verhältnis zu Augsburg war stets ambivalent gewesen, die wirtschaftliche Potenz der Stadt und die unmittelbare Nachbarschaft zum Herzogtum Bayern mit traditionellen wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Beziehungen hatte Möglichkeiten geboten, aber auch Konkurrenzen hervorgerufen. Maximilian hatte zahlreiche Geldgeschäfte über Augsburger Handelshäuser abgewickelt, selbst noch in der Zeit der schwedischen Besetzung, er hatte bei Kunstkäufen die interna153 Wolkenstein und Richel an Maximilian, 13. und 19.11.1634: BA NF 11,9 Nrr. 135 H und 135 K. Bei Kraus, Kommandoregelung, und Kapser, Kriegsorganisation, nicht berücksichtigt. 154 Memorial des Deutschmeisters für den König von Ungarn, vor 24.11.1634: Ebenda Nr. 176 Anm. 1. 155 v.d. Essen, Cardinal-Infant 440 ff. 156 Roeck, Eine Stadt 720 ff.
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tionalen Beziehungen Augsburger Kaufleute genützt, er war Kunde Augsburger Silberschmiede und sein wichtigster Kunstagent Philipp Hainhofer war Augsburger Bürger (der übrigens in der schwedischen Zeit dezidiert in protestantisch-schwedischem Sinne tätig war). Das Verhältnis zur Stadtobrigkeit hatte sich dagegen nach den politischen und konfessionellen Entwicklungen reguliert. Augsburg war im 16. Jahrhundert zur paritätischen Reichsstadt geworden, der Mehrheit der Katholiken im regierenden Inneren Rat stand eine protestantische Mehrheit in der Stadtbürgerschaft gegenüber, sodaß das Gedeihen der Stadt in der Wahrung des konfessionellen Gleichgewichts beruhte. Wenn Augsburg daher nicht der Katholischen Liga beigetreten war, war es doch veranlaßt, ein erträgliches Verhältnis zu dem mächtigen bayerischen Nachbarn zu finden. Maximilian war allerdings an einer Stärkung des katholischen Elements in der Stadt interessiert und hatte daher die Rekatholisierungspolitik des Augsburger Bischofs Heinrich von Knöringen seit 1628, welche die evangelische Religionsausübung in der Stadt praktisch zum Erliegen brachte, mit Sympathie verfolgt. Aufs Ganze war sein Verhältnis zu Augsburg geprägt von der typischen Arroganz der deutschen Reichsfürsten gegenüber den Reichsstädten; es lag ganz auf dieser Linie, daß er beim Kaiser die Reichsstädte Augsburg, Regensburg und Nürnberg als Kriegskostenersatz ins Spiel gebracht hatte. Bereits am 15. September, wenige Tage nach der Nördünger Schlacht, befahl Maximilian die Blockierung Augsburgs durch ein Korps, das schließlich bis zu 4 000 Mann umfaßte.157 Da es sich um eine Reichsstadt handelte, mußte ein eventueller Übergabeakkord durch einen Beauftragten des Kaisers traktiert werden. Maximilians Hauptsorge war daher, daß in den Übergabebedingungen die bayerischen Interessen nicht genügend berücksichtigt würden, wie kurz zuvor beim Regensburger Akkord.158 Da seit der schwedischen Besetzung vom April 1632 das katholische Religionsexercitium in Augsburg durchaus unterdrückt worden war, mußte die Religions frage einen wichtigen Punkt in Akkordverhandlungen bilden. Entsprechend unterstützte Maximilian die .Anliegen des Bischofs von Augsburg gegenüber den Kaiserlichen, weil er, wie er sagte, in seiner Nachbarschaft die alleinseligmachende Religion wieder gern florieren sähe, äußerte dann aber entgegen seinem sonstigen intensiven Interesse an Religions fragen ziemlich farblos, daß der Kaiser schon wissen werde, was hierbei zu tun sei. Im Vordergrund standen ihm vielmehr die unmittelbaren bayerischen „Interessesachen." Er rechnete die 157 Maximilian an Wahl, 15.9.1634: BA NF 11,9 Nr. 109. '58 Maximilian an den Kaiser, 25.9.1634: Ebenda Nr. 121, vgl. Nr. 135 J.
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schwedischen Verwüstungen in Bayern kurzerhand auch auf das Konto der Augsburger Protestanten und bezeichnete daher als seine Forderung an die Stadt einen Beitrag zum Wiederaufbau der verwüsteten bayerischen Städte, Märkte und Schlösser, weiterhin die Rückführung der Münchner und Landshuter Geiseln, der aus München entführten Kanonen sowie der aus der kurfürstlichen Residenz geraubten Kunstgegenstände, die sich in Augsburg befänden. Die von den Augsburgern errichteten Fortifikationen um die Stadt sollten wieder zerstört werden, „dann wir nit gedulden khönnden, das uns dergleichen praeiudicirliche fortificationes gleichsamb vor die nasen gelegt werden."159 Maximilian drängte umsomehr auf ergiebigen Rekompens, als er auch die Belagerungskosten in Rechnung stellen wollte und im übrigen überzeugt war, daß die spürbaren Folgen der monatelangen Belagerung, Hunger, Krankheiten und Seuchen, die Bürger schließlich nicht nur zur Übergabe der Stadt, sondern auch zur Anahme der bayerischen Forderungen zwingen würden.160 Jedoch war sein Mißtrauen wegen einer Wiederholung der Regensburger Vorgänge nur zu berechtigt, denn sowohl am Kaiserhof wie in der Umgebung des Königs von Ungarn plädierte man für milde Bedingungen.161 Gallas argumentierte sogar, daß bereits die bloße Inbesitznahme der Stadt einer gewonnenen Schlacht gleiche, weshalb außer dem Abzug der schwedischen und der Aufnahme einer kaiserlichen Garnison nichts gefordert werden solle.162 In der Beurteilung des Problems durch Ferdinand II. kam sowohl die traditionelle Verbundenheit des Kaisertums mit den Reichsstädten zum Ausdruck, als auch die Rücksicht auf die laufenden Friedensverhandlungen mit Kursachsen, deren Ergebnis, so hoffte man, noch zahlreiche weitere Reichsstände akzeptieren sollten. Nach sechsmonatiger Belagerung begannen Anfang März in Leonberg bei Stuttgart Übergabeverhandlungen zwischen Gallas, schwedischen Offizieren und Augsburger Abgesandten, von bayerischer Seite war Generalkriegskommissar Ruepp beteiligt. Das Verhandlungsergebnis, der Leonberger Akkord vom 13. März 1635,163 entsprach nur teilweise den Erwartungen Maximilians. Der Vertrag bestimmte hinsichtlich der bayerischen Interessesachen, daß die Münchner und Landshuter Geiseln und die aus München entwendeten Ka159 Maximilian an den König von Ungarn, 26.11.1634: Ebenda Nr. 62; Instruktion für Richel nach Wien, 14.1.1635: EbendaNt. 193, hier S. 435. 160 Maximilian an Gronsfeld, Metternich und Ruepp, 13.2.1635: Ebenda Nr. 214. "i Vgl. ebenda S. 447 f., 451 f., Nr. 193 J Anm. 2. 162 Gallas an den König von Ungarn, 6.1.1634: Ebenda Nr. 188, vgl. Nr. 223. i « Text: Khevenhiller, Annales XII, 1765 ff.; Spindler, Knöringen 208 ff. Vgl. auch BA NF 11,9 Nr. 240, wo jedoch der Vertragstext nicht geboten wird; Rseck, Eine Stadt 765 f.
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nonen und Kunstschätze, „so vil deren in Augsburg zu finden," zurückzufuhren und 50 000 Gulden an Belagerungskosten zu zahlen waren (Art. 9). In einem Nebenrezeß vom 16. März, der ohne Beteiligung der Kaiserlichen zustandekam, verpflichteten sich die Augsburger zur Zahlung von weiteren 30 000 Gulden für Belagerungskosten.164 Ebenfalls außerhalb des Akkords wollte der Kaiser eine Ranzion von 300 000 Gulden fordern, welche Summe nach dem Schlüssel des Wiener Rezesses aufgeteilt werden, Maximilian also nur ein Drittel erhalten sollte, während er durch Richel den ganzen Betrag oder mindestens zwei Drittel hatte fordern lassen.165 Noch unbefriedigender war, daß der Kaiser den bayerischen Anteil an der Ranzion als den von Maximilian geforderten Kriegskostenersatz bezeichnete, also weitergehende bayerische Forderungen nicht anerkannte; Ferdinand lehnte es sogar ab, Maximilian durch eine Vertragsklausel den Rechtsweg in dieser Frage offenzuhalten - solches verhindere nur den Ausgleich mit Augsburg, der Kurfürst solle seine Privatinteressen dem Gemeinwohl nachordnen!166 Auch bezüglich der künftigen Garnison in Augsburg mußte Maximilian zurückstecken. Obwohl er zwei Drittel oder mindestens die Hälfte der Besatzung (mit entsprechenden Kompetenzen über die Stadt) stellen wollte, beharrte der Kaiser auf den Relationen des Wiener Rezesses. Und wenn sich Ferdinand und Maximilian in der Person des künftigen Stadtkommandanten, des ligistischen Generalfeldzeugmeisters Ottheinrich von Fugger, auch einig waren, so mußte Fugger vor dem Amtsantritt doch den Dienst der Liga quittieren und figurierte künftig als kaiserlicher Kommandant. 167 Hinsichtlich der Religionsverhältnisse in Augsburg stellte der Leonberger Akkord die den Lutheranern ganz ungünstige Situation von 1629 nicht wieder her, wie der Bischof forderte,168 sondern gestattete ihnen das öffentliche Religionsexercitium, wozu sie auf eigene Kosten eine Kirche errichten und einen Prädikanten anstellen konnten. Bei aller Begrenztheit dieses Zugeständnisses signalisierte die Fesdegung doch eine gewisse Aufweichung bisheriger konfessionspolitischer Grundsätze bei Ferdinand II., welcher Rücksicht auf die Stimmung im protestantischen
164
BA N F 11,9 Nr. 240 Anm. 1. •65 Maximilian an Richel, 15.2.1635: Ebenda Nr. 193 F. 166 Vgl Richel an Maximilian, 7.2.1635: Ebenda Nr. 193 D . Später hieß es am Kaiserhof, daß Ferdinand überhaupt auf eine Ranzion verzichten wolle, da von ihr im Akkord keine Rede gewesen sei; Richel an Maximilian, 4.4.1635: Ebenda Nr. 193 R; jedoch scheint er dann doch eine Forderung erhoben zu haben, wie sich aus Spindler, Knöringen 58 Anm.2 ergibt. 167 Ebenda Nr. 193 J A n m . 2 und Nr. 193 Anm. 1. 168 Vgl. u.a. ebenda Nrr. 243, 246, 250, mit weiteren Hinweisen, sowie das Gutachten Lamormainis, ad 23.1.1635: BA N F 11,10, Nr. 122.
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Lager, insbesondere auf Kursachsen nahm,169 sowie doch auch bei Maximilian, insofern dieser keine Einwendungen erhob und sich nicht auf die Seite des protestierenden Knöringen schlug. Die geschilderten militärisch-politischen Entwicklungen seit der Schlacht bei Nördlingen spielten sich vor dem Hintergrund einer verheerenden Pestepidemie ab, von der wohl das gesamte Herzogtum Bayern — ausgenommen vielleicht die Gebiete östlich des Inn — ergriffen wurde. Ebenso wie die Schwedenzeiten hat seither die Pest von 1634/35 im Geschichtsbild des bayerischen Volkes einen festen Platz erhalten, zahlreiche Pestfriedhöfe, Pestkapellen und Pestsäulen im Land und nicht zuletzt die durch ein Pestgelübde begründeten Passionsspiele von Oberammergau halten die Erinnerung bis zur Gegenwart lebendig. Die Seuche war seit dem späten Mittelalter immer wieder auch in Bayern hier und dort aufgeflackert, doch war nur die große Pest von 1348/49 mit der jetzigen zu vergleichen,170 die vielleicht von spanischen Truppen aus Oberitalien eingeschleppt worden war.171 Wie anderswo wurde ihre Verbreitung auch in Bayern durch die kriegsbedingt vermehrten Bevölkerungskontakte und die Desorganisation des wirtschaftlichen Lebens infolge der Kriegshandlungen begünstigt. Sie traf auf eine an vielen Orten bereits physisch geschwächte Bevölkerung, mehrere Mißernten in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre und eine erste Pestwelle 1628/29 hatten schon ihre Spuren hinterlassen. Zur Pest trat der Hunger durch Mißernten der Jahre 1633/35, und traten die bereits geschilderten Belastungen durch die Einquartierungen ligistischer, kaiserlicher und spanischer Truppen. Der Prior 169 Vgl. auch das umfangreiche Gutachten des Reichshofrats, 9.2.1635: BA NF 11,10 Nr. 118 sowie das darauf (und auf das Gutachten Lamormainis) Bezug nehmende Gutachten kaiserlicher deputierter Räte, 24. und 25.2.1635: Ebenda Nr. 123. 170 Jean-Noel Biraben, Les hommes et la peste en France et dans les pays européens et mediterranées, 2 Bände, Paris 1975-1976 (ebenda 1,477 ff. ein Verzeichnis der Pestorte in Europa vom 14.-18. Jh.); Manfred Vasold, Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991; Walter Hartinger-Winfried Helm, „Die laidige Sucht der Pestilentz." Kleine Kulturgeschichte der Pest in Europa, Passau 1986, mit zahlreichen bayerischen Beispielen; Gottfried l^ammert, Geschichte der Seuchen, Hungers- und Kriegsnoth z.Zt. des Dreißigjährigen Krieges, Berlin 1890, Neudruck Niederwalluf 1971; Alfred Wolfsteiner, Die Pest in der Oberpfalz, Amberg 1990; Riemer, Geschichte V, 498 f. und VI, 67 ff. 171 Da der erste Todesfall in München am 12. August 1634 notiert wurde, kamen - die Einschleppung durch spanische Soldaten vorausgesetzt - nicht die Truppen des Kardinalinfanten in Frage, die erst in der zweiten Augusthälfte Bayern berührten, sondern die Truppen Ferias, die allerdings bereits im Sommer 1633 das Land erstmals durchzogen hatten und schon seit Dezember 1633 in Oberbayern einquartiert waren. Lt. dem Tagebuch Hellgemayrs war die Pest bereits auch 1628 in München aufgetreten und zwar im Hause Bartholomäus Richels, doch hatte sie sich noch kontrollieren lassen (Leuchtmann, Hellgemayr 195 Anm. 252).
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des Klosters Andechs hat in seinem Tagebuch eindrucksvoll beschrieben, wie die Bevölkerung seines Umkreises zwischen Lech und Isar in den Jahren 1634/35 durch das Zusammentreffen von Pest, Mißernten und Exzessen der Soldaten bis ins Mark getroffen worden ist.172 Die Pest ergriff natürlich nicht nur die Städte, aber angesichts der Lebensverhältnisse die städtische Bevölkerung wohl mehr als die ländliche, auch waren Tausende von Landbewohnern in die Städte geflüchtet.173 In München fiel der Seuche in den wenigen Monaten zwischen August 1634 und Februar 1635 mindestens ein Sechstel der Bevölkerung zum Opfer. Gesicherte Zahlen besitzen wir jedoch weder für die Residenzstadt noch für andere bayerische Orte, auch existiert noch kein genauerer Überblick, welche Landesteile mehr oder weniger betroffen waren.174 Maximilian war bereits mehrmals zum Erlaß von Pestmandanten veranlaßt gewesen, 1613 war eine Infektionssperre gegen Regensburg, 1614 und 1625 gegen Österreich sowie 1628 gegen Augsburg erlassen worden.175 Nunmehr unterzeichnete er am 14. August 1634 ein großes Mandat gegen die „erschröckliche, abscheuliche sucht der Pestilentz," das die Obrigkeiten anwies, der Pest durch geeignete Maßnahmen ein Ende zu bereiten.176 Für die Seuche machte das Mandat weder Juden noch Hexen verantwortlich, sondern die Sündigkeit der Menschen, weswegen zunächst Bußübungen und vermehrter, mindestens vierzehntägiger Sakramentenempfang angeraten wurden. Der Hauptteil des Mandats widmete sich jedoch hygienischen Maßnahmen. Man wußte noch nicht, daß die Pest von der Hausratte über den Zwischenwirt des Pestflohs auf den Menschen übertragen wurde, sondern nahm Vergiftung der Luft als Erreger an. Daher befahl das Mandat in der Hauptsache größtmögliche Sauberkeit vor allem auf Straßen und Gassen der Städte und Märkte, womit man auf dem richtigen Weg war. Ansteckung durch Personen und Sachen sollte durch strenge Isolierung der Kranken, vierwöchige Quarantäne der Gesundeten und strikte Absperrung der befallenen Orte vermieden werFriesenegger, Tagebuch 85 ff. Zum August 1632 berichtet das Tagebuch Hellgemayrs von zahlreichen Menschen, die aus der Umgebung nach München geflohen seien. „Ligen nächtlich iber all auf den gassen und under den laten wie das arme vich", viele stürben (Leuchtmann, Hellgemayr 2 1 2 f.) 174 Eine Reihe von Hinweisen, die jedoch der Überprüfung bedürfen, bei Dietrich Oeter, Sterblichkeit und Seuchengeschichte der Bevölkerung bayer. Städte von 1348-1870, Med. Diss. Köln 1961, 17 ff. Lt. Schlögl, Bauern 72 ff. wurden in der Hofmark Wessobrunn zwischen 1632 und 1635 320 Tote beerdigt (normalerweise etwas mehr als 10 im Jahr), in der Hofmark Pähl 1633/34 256 Tote (normalerweise ca. 8 im Jahr). 175 Zur Pest in Augsburg 1627/28 vgl. Roeck, Eine Stadt 630 ff., der dort mit der hohen Zahl von rund 9 000 Seuchenopfern rechnet. 176 Text: Dokumente 1,3 Nr. 306; Faksimile der ersten Seite bei Hartinger-Helm, Pestilent2 83. 172
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den. Für die Verköstigung der Erkrankten und die Beerdigung der Toten waren Hilfspersonen zu bestimmen, Arme waren von den Pestärzten kostenlos zu behandeln, erkrankte Dienstboten kostenfrei in Spitäler aufzunehmen. Wiederholt wies Maximilian in diesen Monaten seine Geheimräte an, auf ihren weiten Reisen Seuchengebiete zu meiden und möglichst Flußwege zu benützen, um die Einschleppung der Seuche nach Braunau zu verhindern. Schließlich sah er sich bewogen, Ende Oktober 1634 mit der Kurfürstin und kleinem Gefolge vor der Pestgefahr nach dem nahegelegenen Kloster Ranshofen am Inn auszuweichen und dort möglichst keine Besucher zu empfangen.177 Der Großteil des Hofes und der Beamtenschaft blieb in Braunau zurück. In Ranshofen starb am 4. Januar 1635 die Kurfürstin Elisabeth im Beisein ihrer Schwester Katharina und Maximilians im Alter von 61 Jahren. 178 Sie war schon seit zwei Jahren betdägerig gewesen und litt wohl an einer Nierenkrankheit. Bereits 1605 war von ihr gesagt worden, daß sie wohl vor ihrem Gemahl sterben werde, „nit allain weil secundum naturae cursum mulleres semper praesumuntur brevioris esse vitae quam viri, sonder auch weil diese hechstgedachte fürstin von natur etwas schwach und sonsten bei Ir Dt. sich allerlei indicia verspüren lassen, die nit ein anzeigen sein vitae valde diuturnae." 179 Krankheit und Tod seiner Gemahlin eröffnen uns für kurze Momente Einblicke in Bereiche Maximilians, die er sonst sorgsam verschlossen hielt. Er sehe, schrieb er zwei Tage vor Elisabeths Tod dem Bruder in Köln, „meine liebste Gemahlin und einzigen zeitlichen trost schon etüch tag in den höchsten schmerzen und gleichsam mit dem tode ringend," es sei „ein betrüebtes herzschneidendes schaiden gleichsamb stündlich zu erwarten, wie denn die Medici nunmehr vast alle hoffnung verlohren." 180 Am Todestag verfügte er allgemeine Landestrauer und benachrichtigte neben nahestehenden Fürstlichkeiten auch zahlreiche bayerische Klöster mit der Bitte um Gebetsgedenken.181 Den in München befindlichen Hofkammerräten wurde aufgetragen, an den privilegierten Altären der Kirchen und Klöster der Residenzstadt Seelenmessen lesen zu lassen, wofür tausend Gulden zur Ver177 „...daß ich wegen der fast allenthalben in meinen landen eingerüssenen infection verursacht worden bin, mich sambt meiner geliebsten gemahlin mit gar wenig leuthen, weil das underkhomen ain mehrers nit leidt, alhero in das closter Ranßhoffen zu retirirn und mich aller frembder audienzen und negotirens zu enthalten". Maximilian an Wartenberg, 27.12.1634: BA N F 11,9 Nr. 1 1 3 B A n m . 2. 178 Adl^reiter-Vervaux, Annales III, 347 f. Denkschrift von 1605, Wittelsbacherbriefe VI Beilage F. 180 Maximilian an Kurköln, 2.1.1635: Fürstensachen 575. 181 Die einschlägigen Korrespondenzen liegen in Korrespondenzakten 625 und 627/2.
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fugung standen, ein gleicher Betrag auch für Werke der Barmherzigkeit. Da wegen der hohen Peststerblichkeit in der Stadt zahlreiche Altäre bereits mit Totenmessen für Münchner Bürger belegt waren, sah sich Maximilian ungeduldig zu dem Befehl veranlaßt, mit Meßstipendien auch auf die Klöster des Oberlands auszuweichen. Immerhin wurden in München bis Mitte März 3139 Messen für das Seelenheil Elisabeths absolviert. Weitere zehntausend Messen, die in Rom und Loreto gelesen werden sollten, wurden bei den römischen Jesuiten bestellt. Der schlichte Zinnsarg der Kurfürstin erhielt seinen Platz in der Krypta der Münchner Jesuitenkirche St. Michael, in der sich bereits die Sarkophage der Eltern Maximilians befanden. Anschließend verfügte Maximilian den Guß zweier Bronzeepitaphien, eines für das Kloster Ranshofen, das andere für die Gnadenkapelle in Altötting, in deren Boden Elisabeths Herz in einer Silberkapsel beigesetzt wurde. Mit der Inschrift des Altöttinger Epitaphs ließ er seine Gemahlin die Worte der Marienweihe sprechen,182 so wie er sich wenige Jahre später selbst der Altöttinger Madonna weihen sollte. Die persönliche Hinterlassenschaft der Kurfürstin, Kleinodien, Silbergeschirr, Heiltümer, geistliche Literatur und anderes, fiel größtenteils an ihre Verwandten in Lothringen, doch war Maximilian an einem Teil ihrer zahlreichen und schönen Juwelen interessiert, die er gegen Bezahlung zurückbehielt.183 Die schwedischen Erfolge seit der Schlacht bei Lützen bis hin zur mehrmaligen Besetzung Bayerns hatten Maximilian veranlaßt, sich an Spanien anzunähern, da französische Hilfe ausgeblieben war und Richelieu sich auf die Seite der Gegner Bayerns geschlagen hatte. Maximilians Differenzen mit Wallenstein hatten die Notwendigkeit dieser außenpolitischen Wendung noch verstärkt. Nichts charakterisierte sie deutlicher als die Tatsache, daß Maximilian sowohl 1633 wie 1634 dem Aufenthalt spanischer Armeen im Reich und ihrem Durchmarsch durch Bayern zustimmte und ihn unterstützte und in der Wallensteinfrage eng mit den spanischen Botschaftern am Kaiserhof zusammenarbeitete. Die Spanier ihrerseits waren so sehr an den Operationen des Herzogs von Feria und des Kardinalinfanten Ferdinand interessiert, daß sie deren Unterstützung durch Maximilian fast als Äquivalent für die bisher angestrebte Habsburgerliga werteten und ihre Bemühungen um ein derartiges Bündnis jedenfalls zeitweise zurückstellten. Die neue Zusammenarbeit mit 182 Text bei König, Weihegaben I, 162 mit Tafel 35; Maximilian an die Hofkammerräte in München, 18. und 25.1.1635: Korrespondenzakten 625. Eine Trauerrede des Ingolstädter Juristen N. Burgundus auf die Kurfiirstin (Clm 7242 Nr. 13) erwähnt Neumayer, Jus publicum 189; zur Gedenkschrift des Paters Drexel vgl. oben Kapitel 5. 183 Verzeichnisse in Korrespondenzakten 627/2.
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Spanien, die auch in der Anwesenheit eines ständigen spanischen Residenten am Hof in Braunau zum Ausdruck kam, sollte aber nach dem Willen Maximilians weitere Beziehungen zu Frankreich nicht verhindern, beide Mächte sollten nach Möglichkeit an der Hand behalten werden. Entsprechend hat Maximilian in diesen beiden Jahren mannigfache Anstrengungen unternommen, um seine spanischen Verbindungen gegenüber Richelieu teils zu rechtfertigen und teils zu verharmlosen. Dahinter stand die Hoffnung, vielleicht doch noch einen Wandel der französischen Politik herbeizuführen, sie zur Erfüllung des Vertrags von Fontainebleau, darüber hinaus zur Einstellung der finanziellen Leistungen an die Schweden, ja vielleicht sogar zu militärischen Aktionen gegen Schweden und die deutschen Protestanten zu bewegen. Manche Bemühungen galten auch dem Ausgleich zwischen seinen lothringischen Verwandten und dem König von Frankreich. Auf der anderen Seite hat es auch Richelieu trotz enttäuschender Erfahrungen immer noch für aussichtsvoll gehalten, sich um Maximilian zu bemühen, um Bayern und die Ligafürsten zusammen mit protestantischen Reichsständen, vor allem Kursachsen, zu einer überkonfessionellen dritten Partei zusammenzuschließen, den Kaiser zu isolieren, die Schweden zu benützen, ohne von ihnen abhängig zu sein, und — vor allem — dem spanischen Druck zu begegnen. Maximilian beschritt mehrere Wege, um auf die französische Meinungsbildung einzuwirken. Ein erster war die unmittelbare Korrespondenz mit Ludwig XIII., Richelieu und Pater Joseph.184 Ein zweiter lief über die Nuntien. Da Bayern keinen eigenen ständigen Residenten am französischen Hof unterhielt, war umso wichtiger die Verbindung mit dem Pariser Nuntius Alessandro Bichl, dem Nachfolger Bagnos seit 1631, der wie vorher Bagno benut2t wurde und auch hilfreich war, um den französischen Staatsmännern die bayerische Politik zu interpretieren und um Wünsche zu äußern, die sich angesichts der schwedischen Bedrohung zu Hilferufen steigerten.185 Ein dritter Weg war der kontinuierliche Briefwechsel Maximilians mit dem Kardinalnepoten Francesco Barberini, in dem er fortgesetzt zur Einwirkung des Papstes auf Frankreich zugunsten der bayerischen Interessen aufforderte.186 Nicht zuletzt sollte Urban VIII. die neue bayerische Zusammenarbeit mit "84 Vgl. etwa Maximilian an Ludwig XIII, 11.8.1633: BA NF 11,8 Nr. 173; 11.1.1634: Nr. 292 a; Maximilian an Richelieu, 11.1.1634: Ebenda Nr. 292 b.
Ebenda
185 „Se humanamente si può apportare alcun rimedio, sono di parere, che da nessun' altro egli possa derivare che solo dal re di Francia per l'autorità ch'egli ha": Maximilian an Bichi, 11.1.1634, Bichi an Maximilian, 4.3.1634: Ebenda Nr. 291 a mit Anm. 1. 186 Vgl etwa Maximilian an Barberini, 16.2. und 13.4.1633: Ebenda Nr. 38 und 75 a, mit weiteren Hinweisen; die originalen Schreiben Maximilians für diesen Zeitraum liegen in Barb. lat. 6719 und 6721. Barberini an Maximilian, 28.4.1633: BA NF 11,8 Nr. 75 a Anm. 1.
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Spanien rechtfertigen und Maximilians dennoch fortdauernde Verbundenheit mit Frankreich, das sich einst für die Kurübertragung eingesetzt habe, zum Ausdruck bringen. Nur gezwungenermaßen, weil ihm französische Hilfe versagt wurde, habe er sich jetzt den Spaniern zugewandt, „nessun altro n'è stato in causa che li Francesi medesimi."187 Tatsächlich ist Urban Vili, den Bitten und Aufforderungen aus Braunau wiederholt nachgekommen, wie eine Reihe päpstlicher Breven und die Korrespondenz des Hl. Stuhles mit den Pariser Nuntien Bichl, Bolognetti und später Mazarini erweisen. Er hat Richelieu sowohl zur Distanzierung von dessen protestantischen Verbindungen wie zum Ausgleich mit Spanien als Vorbedingung eines ganz Europa dienlichen Universalfriedens aufgerufen, Maximilians Fürsprache für das lothringische Herzogshaus weitergeleitet und seine Annäherung an Spanien zu erläutern versucht.188 Wenn sich der Papst zum Anwalt der bayerischen Erklärungen machte, dann wohl auch, um im Rahmen seiner großen Befriedungsaktion wenigstens einen Ausgleich zwischen Frankreich und Bayern zustandezubringen, wenn schon kein solcher zwischen Olivares und Richelieu gefunden werden konnte — wobei ihm bewußt sein mußte, daß eine bayerisch-französische Verständigung leicht auf Kosten des Hauses Habsburg gehen konnte. Aber auch diese Bemühungen des Hl. Stuhls blieben im Endeffekt ohne positives Ergebnis, weil die Franzosen weder Maximilians fortdauernde Zusammenarbeit mit dem Kaiser akzeptierten, noch bereit waren, von ihren Vorstellungen über eine den französischen Interessen angemessene europäische Ordnung abzurücken. Die Bewertung der bayerischen Erklärungen und Forderungen durch Richelieu konnte Maximilian sowohl den Berichten Bichls (teils über Barberini) entnehmen, als auch Äußerungen des neuen französischen Residenten am Kaiserhof Nicolas de Charbonnières, der auf seinem Weg nach Wien mit dem Kurfürsten in Braunau persönlich konferierte189 und in der Folge von Richel bei dessen Wiener Verhandlungen wiederholt kontaktiert wurde, heimlich, um die Spanier nicht zu verstimmen!190 Richelieu ließ erneut erklären, daß ihn der Defensiwertrag mit Bayern nicht verpflichtet habe, und auch jetzt könne man nicht helfen, solange Bayern mit dem Kaiser verbündet sei. Charbonnières' Vorschlag eines bayerischen Waffenstillstandes mit den protestantischen Kurfürsten wurde von Maximilian bereits in Braunau strikt Maximilian an Barberini, 26.10.1633: BA NF 11,8 Nr. 204 Anm. 2. Vgl. Leman, Urbain V i l i 301 ff.; Albrecht, Auswärtige Politik 373 ff. 'S» Am 15. März. Maximilian an Richel, 16.3.1633: BA NF 11,8 Nr. 53 Β mit Anm. 3-5; Maximilian an Barberini, 30.3.1633: Barb. lat. 6719, fol. 18 ff. Vgl. zaàiAIbmht, Auswärtige Politik 357. "o Vgl. vor allem Richel an Maximilian, 6.8.1633: BA NF 11,8 Nr. 156 G. 187
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zurückgewiesen. Dagegen wurde sein Vorschlag vom August 1633, mit französischer Vermittlung erneut in Neutralitätsverhandlungen mit Schweden einzutreten, das jetzt günstigere Bedingungen stellen werde, nicht sofort abgelehnt, sondern sogar als nicht uninteressant eingestuft. Maximilian hatte im Laufe der letzten Monate gegenüber dem Kaiserhof schon mehrmals die Drohung gebraucht, bei weiterer mangelnder Unterstützung durch das wallensteinsche Heer gezwungen zu sein, an andere Mittel zu denken, um Land und Leute vor dem Ruin zu bewahren. An diese Drohung und damit an die schwebende Wallensteinfrage knüpfte der von Charbonnières angesprochene und stets frankreichfreundliche Richel an, als er seinem Herrn zu erwägen gab, für den „eußeristen fall" einer unbefriedigenden Resolution des Kaisers vielleicht doch auf das französische Angebot zurückzugreifen! Da der Vorschlag seiner Tendenz entsprach, sich möglichst viele Türen offenzuhalten, zeigte sich Maximilian einverstanden, die französische Offerte im Auge zu behalten.191 Wenn diese dann infolge der weiteren Entwicklung auch gegenstandslos wurde, so erwies sie doch einmal mehr das Gewicht der Wallensteinfrage in Maximilians Beziehungen zu auswärtigen Mächten. In der Folge registrierte Maximilian aufmerksam französische Bemühungen, mit ihm Verbindung zu halten sowie wiederholte Angebote, für bayerische Interessen eintreten zu wollen, und zeigte sich seinerseits an Kontakten mit den im Reich befindlichen französischen Gesandten interessiert.192 Die schwelende Wallensteinfrage und die Kriegslage veranlaßten ihn schließlich, am Kaiserhof die Frage ventilieren zu lassen, ob nicht Kaiser und Kurfürsten sich bemühen sollten, Frankreich als Vermitder zwischen der katholischen Partei und den Schweden zu gewinnen, immerhin handle es sich um einen katholischen König.193 Eine solche Vermitderrolle wurde in Wien seit langem von Charbonnières und dem a.o. Nuntius Grimaldi im Zusammenhang der päpstlichen Friedensinitiative propagiert.194 Als sie jedoch von kaiserlicher Seite als ausgeschlossen bezeichnet wurde, solange Frankreich mit den Feinden des Kaisers und der katholischen Religion eng verbunden sei, zog Maximilian seinen Vorschlag sofort wieder zurück und stimmte der kaiserlichen Auffassung lebhaft zu.195 Gleichzeitig forderte er erneut französische Hilfe,
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Maximilian an Richel, 13.8.1633: Ebenda Nr. 156 G Anm. 2. 152 Vgl. u.a. Maximilian an Kütner, 24.7. und 28.7.1633: BA N F 11,8 Nrr. 155 und 157 mit Anm. 2. 193 Maximilian an Richel, 9.12.1633: Irmer, Verhandlungen III Nr. 317. 194 Vgl. Richel an Maximilian, 31.12.1633: Ebenda Nr. 328; zum Ganzen vgl. heman, Urbain VIII 258 ff. und 272 ff. «5 Maximilian an Richel, 10.1.1634: BA N F 11,8 Nr. 272 V.
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wenn schon nicht aufgrund des Vertrags von Fontainebleau, so doch im allgemeinen Interesse der katholischen Sache.196 Die durch Bichi übermittelte Antwort Richelieus lautete: Man werde sich gerne von den Protestanten trennen, ja sich sogar gegen diese wenden, wenn man Sicherheit vor Anschlägen der Casa d'Austria habe; eben deswegen bemühe man sich um einen Ausgleich mit Madrid und Wien, dessen Zustandekommen auch Maximilian unterstützen solle.197 In diesem unentschiedenen, starren Zustand verblieben die bayerischfranzösischen Beziehungen monatelang, bis sich nach Nördlingen das Ligaheer unter dem Herzog von Lothringen und das kaiserliche Heer unter Gallas unmittelbaren französischen Interessengebieten am Rhein zu nähern begannen. Die Frage stellte sich, ob man nun auch der militärischen Auseinandersetzung mit Frankreich nahe war, der Maximilian seit Jahren zu entgehen versucht hatte, ja deren Vermeidung ein Hauptziel seiner bisherigen Frankreichpolitdk gewesen war? Tatsächlich kam es zu einer ersten, allerdings noch unblutigen Konfrontation zwischen Ligatruppen und einer französischen Armee, als seit Anfang Dezember 1634 nach Besetzung der Stadt Heidelberg das von Schweden noch gehaltene Heidelberger Schloß durch ligistische Einheiten belagert wurde. Um den Franzosen jeden Vorwand zu nehmen, hatte der Herzog von Lothringen das Kommando an General Gronsfeld übergeben. Jedoch überschritten französische Truppen unter dem Marschall de la Force den Rhein, entsetzten am 22./23. Dezember Schloß und Stadt und zwangen die Belagerer durch Akkord zum Abzug.198 Maximilian erblickte die Signatur und das Bedrohliche des ganzen Vorganges in dem Affront, den die Franzosen ihrem bayerischen Vertragspartner zugefügt hatten. Empört bat er die Kurie um Intervention in Paris,199 denn es sei eine eigenartige Sache, wenn der Allerchristlichste König einen Verbündeten hindere, ein Territorium, die rechtsrheinische Pfalz, zurückzuerobern, das diesem rechtmäßig gehöre und in dem dieser mit viel Mühe katholisches Leben wiedererweckt habe. Im Maximilian an Ludwig XIII. und an Richelieu, 11.1.1634: Ebenda Nrr. 291 a und 291 b. Bichi an Maximilian, 4.3.1634: Ebenda Nr. 291 a Anm. 1. 198 Gronsfeld, Metternich und Ruepp an Maximilian, 28.12.1634: Ebenda Nr. 181. Über den Vorfall kam es in der Folge zu Schuldzuweisungen innerhalb der Ligaarmee und zur Einsetzung einer Untersuchungskommission durch Maximilian, auch zu einer Verstimmung des Kaisers; vgl. ebenda Nr. 187 mit Anm. 2 und Nr. 189 mit Anm. 3. 199 Maximilian an Barberini, 6.12.1634: Ebenda Nr. 169. Ähnliche Klagen erhob Maximilian gegenüber Mazarini, 20.3.1635: Ebenda Nr. 245. Über entsprechende Bemühungen der Nuntien Bolognetti und Mazarini in Paris vgl. Mazarini an Maximilian, 4.2.1635: Ebenda Nr. 211 a mit Anm. 1 und 2. 196 197
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übrigen sei der Herzog von Lothringen exakt angewiesen, mit dem Ligaheer weder mit Frankreich zu brechen, noch sein Herzogtum zurückzuerobern. Eben das Ligakommando des Lothringers gab aber den Franzosen die nicht unplausible, wenn auch von Maximilian wiederholt bestrittene Begründung, den Rheinübergang und die Entsetzung Heidelbergs zu rechtfertigen.200 Wie sollte sich Maximilian in dieser Entscheidungssituation verhalten? Wie sich zeigt, suchte er einer ihm unbequemen definitiven Festlegung auch weiterhin zu entgehen und vielmehr zweigleisig zu fahren, „damit das iuramentum erga imperatorem et amicitia cum rege Galliae in salvo bleib."201 Er versprach dem Kaiser Ligahilfe gegen weitere französische Übergriffe, selbst wenn zu besorgen sei, daß die Krone Frankreich Gewaltanwendung als Kriegsgrund bezeichnete.202 Gleichzeitig ließ er aber die Franzosen wissen, daß die Vorgänge um Heidelberg für ihn noch kein Grund seien, das gute Verhältnis zu Frankreich aufzukündigen; was bayerischerseits geschehen sei und künftig geschehen werde, geschehe nur zur Verteidigung.203 Abwehr französischer Aggressionen, aber kein Bruch mit Frankreich, war also die Parole. Dieser Weg schien insoweit gangbar zu sein, als die Franzosen ebenfalls an weiteren guten Beziehungen zu Bayern interessiert waren,204 offensichtlich weil der offene Krieg mit Spanien unmittelbar bevorstand, der sich im Mittelpunkt aller französischen Erwägungen befand.205 In dieser Situation suchte man weiterhin die Unterstützung Bayerns zu gewinnen, wie Richelieu dem Nuntius Mazarini zur Information Maximilians erklärte: Bleibe Maximilian bei Kriegseintritt Frankreichs neutral, werde man ihm 20 000 Mann zu Fuß und 3 000 Reiter gegen das Haus Habsburg zur Verfügung stellen.206 Dies war der letzte, doch reichlich plumpe Versuch Richelieus, Maximilian doch noch auf seine Seite zu ziehen. Allerdings weigerte sich Mazarini, diese 200 VgL ebenda Nr. 181 Anm. 6 sowie Charbonnières im Gespräch mit Richel, ebenda Nr. 193 G Anlage. 201
So Richel gegenüber Charbonnières, ebenda. Maximilian an den Kaiser, 10.12.1634, sowie der Kaiser an Maximilian, 15.12.1634: Ebenda Nrr. 172 und 175. 203 Richel zu Charbonnières, Ende Februar 1635: Ebenda Nr. 193 G Anlage. 204 Vgl die Bemerkung Rampecks zu einem Schreiben Ludwigs XIII. an Maximilian, 26.1.1635: Ebenda Nr. 199 mit Anm.l: „...daß sowol der könig selbst als der Richelieu und P. Joseph in ihren schreiben ire kfl. dt. praeter solitum gar höfflich tractirn und gar anmüethige, schöne términos gebrauchen, dergleichen sie vor disem nit gethan, darauß abzunemen, daß sie suchen, über die zuegefiegte wunden ein pflaster zu legen." Mazarini schrieb gleichzeitig an Barberini, daß die erwähnten Schreiben an Maximilian „non possono esser più cortesi" (Leman, Urbain Vili 461 Anm. 3). 205 Vgl, Hermann Weber, Vom verdeckten zum offenen Krieg. Richelieus Kriegsgründe und Kriegsziele 1634/35, in: Repgen (Hg.), Krieg und Politik 203-217. 206 Vgl. Uman, Urbain VIH 462; Albncht, Auswärtige Politik 375 f. 202
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Vorschläge nach München zu übermitteln, um nicht zu sehr als Parteigänger Frankreichs zu erscheinen. Er fand sich nur bereit, zu sondieren, ob Maximilian bereit sei, einen französischen Gesandten zu empfangen, der über Maßnahmen im Interesse der katholischen Religion und eines dauerhaften Friedens verhandeln werde.207 Auf diese Anfrage hat Maximilian nicht mehr geantwortet,208 denn inzwischen war es schon wiederholt zu Kampfhandlungen zwischen ligistischen und französischen Truppen gekommen. Auch gegenüber seinem Bruder in Köln, der vor einem Bruch mit Frankreich warnte, argumentierte er mit der tatsächlichen Lage: „Kheiner khan lenger frid haben, als sein nachbaur will."209 In diesem Sinne verstand er sich immer noch und auch weiterhin als in der Defensive befindlich, zur Verteidigung herausgefordert.210 Er wollte also nicht erst noch den Ausgang der Friedensverhandlungen des Kaisers mit Kursachsen abwarten, um gegenüber Frankreich definitiv Stellung zu beziehen.211 Jedoch traf die förmliche französische Kriegserklärung an Spanien vom 19. Mai 1635, die den Kaiser und die Liga praktisch einschloß, auf eine ganz neue Situation im Reich, da nahezu gleichzeitig, am 30. Mai 1635, zwischen dem Kaiser und Kurfürst Johann Georg von Sachsen der Friede von Prag geschlossen wurde.
207
Anfrage in Mazarini an Maximilian, 4.2.1635: BA N F 11,9 Nr. 211 a. Ein entsprechender Passus in der Antwort an Mazarini, 20.3.1635, wurde wieder gestrichen; vgl. ebenda Nr. 245 Anm. 7. 209 Randbemerkung Maximilians in Kurköln an Maximilian, 26.3.1635: Ebenda Nr. 247 mit Anm. 4. 210 Maximilian an Kurköln, 27.4.1635: Ebenda Nr. 259. 211 Auf Vorwürfe des Königs von Ungarn, daß Maximilian offenbar auf der französischen Seite stehe, hatte Saavedra geantwortet, „der herr churfurst werde die französische thür alzeit wollen offenhalten, solang mit Chursachsen der frid nit geschlossen; so aber derselbe verglichen, werde er sich ganz heruberlenden" (Der Bischof von Wien an Trauttmansdorff, 25.4.1635: Ebenda Nr. 247 Anm. 2). 208
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Die Versuche von Frankfurt und Mühlhausen, zu einem Ausgleich zwischen den Konfessionsparteien zu gelangen, waren zwar gescheitert, aber der Wandel des Kriegsglücks und der Konstellationen von Breitenfeld über Lützen bis Nördlingen hatte zur Folge, daß auch weiterhin Wege der Verständigung und des politischen und konfessionellen Ausgleichs gesucht worden sind.1 Wenn dabei auch längere Zeit die Hoffnung bestand, daß es zu Friedensverhandlungen mit Einschluß Schwedens kommen könne, so konzentrierten sich die Bemühungen der katholischen Seite realistischerweise doch zunehmend auf einen Ausgleich mit Kursachsen allein, dem hierbei eine Vorreiterrolle für den Anschluß weiterer protestantischer Reichsstände zugeschrieben wurde. Da Johann Georg von Sachsen im Tode Gustav Adolfs die Möglichkeit größerer Unabhängigkeit von schwedischen Vorgaben erblickte und dem Heilbronner Bund nicht beitrat, schien es nicht aussichtslos, zu separaten Vereinbarungen mit ihm zu gelangen, wobei der Vermittlungseifer des Landgrafen Georg von Hessen-Darmstadt, seines Schwiegersohnes, erneut gute Dienste leisten konnte. Das Problem war, wie früher, zu welchen konfessionspolitischen Zugeständnissen die katholische Seite bereit sein mußte. An der grundsätzlichen Bereitschaft des Kaiserhofs zu kirchenpolitischem Entgegenkommen an die protestantischen Reichsstände bestand jedenfalls Anfang 1633 kein Zweifel, wie ein Gutachten kaiserlicher Räte bewies,2 das die befristete Suspension, wenn nicht die völlige Kassation des Restitutionsedikts ins Auge faßte. Alsbald fanden in Leitmeritz Sondierungsgespräche des Bischofs von Wien, Anton Wolfradt, und des Reichshofrats Questenberg mit Landgraf Georg statt, die zu dem Ergebnis führten, daß ein Friedenskongreß wohl Erfolgschancen besitze. Er sollte noch für den Sommer 1633 nach Breslau ausgeschrieben werden und unter der Vermittlung des Königs von Dänemark stehen. Die kaiserliche Majestät, berichtete Donnersberg in diesen Tagen aus Wien, sei „zum friden also inclinirt, das unnoth, dieselb hierzu weiter zu stimulieren oder vil argumenta zu brauchen, ire mt. zum friden zu 1 Zur Vorgeschichte der Friedensverhandlungen seit 1631 vgl. die ausführlichen Darlegungen von Kathrin Bierther in BA NF 11,10, Teüband 1, *1 ff. 2 Gutachten deputierter Räte vom 28.1.1633: Hallaich, Briefe und Akten III Nr. 1801.
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disponiern. Sie sehen das eilend und noth, daraus änderst nit als durch aine fridenstractation ze khomen."3 Maximilian beurteilte eine dänische Vermittlung zwar skeptisch, begrüßte aber den geplanten Friedenskongreß und zeigte sich bereit, zusammen mit den geistlichen Kurfürsten sich durch Gesandte zu beteiligen.4 Mehr noch, die Separierung Kursachsens von den Schweden schien ihm für das Friedenswerk so entscheidend, daß er bereits jetzt dem Kaiser religionspolitische Zugeständnisse an Johann Georg vorschlagen ließ: In einem neben dem Universaltraktat zu führenden Spezialtraktat solle man Kursachsen seiner Stifter auf eine gewisse Zahl von Jahren versichern, wie 1620 in Mühlhausen geschehen und 1630 auch von den Theologen gebilligt worden war. Dies lief praktisch auf eine - wenn auch zeitlich begrenzte - Suspension des Restitutionsedikts für Kursachsen hinaus.5 Entsprechend berichtete Ende März ein dänischer Gesandter nach einem Gespräch mit Maximilian, „er habe ihre churfürstl. Durchlaucht in Bayern ganz wohl zum Frieden, sonderlich in puncto edicti, disponirt gefunden."6 Allerdings erwies ein Verzeichnis der beim Friedenskongreß zu erwartenden protestantischen Forderungen, daß es mit halben Zugeständnissen kaum mehr getan war, u.a. war für die geistlichen Güter und Stifter die Wiederherstellung des Standes von 1612 gefordert.7 Die Forderungen waren so weitgehend, jedenfalls in katholischer Perspektive, daß der vom Kaiser zu einem Gutachten aufgeforderte Maximilian auf die Notwendigkeit vorheriger Meinungsäußerung der geistlichen Fürsten verwies, welche die Sache am ersten betreffe.8 Es war die alte Methode Maximilians, bei unangenehmen Entscheidungen in kirchenpolitischen Sachen mit dem Argument mangelnder Zuständigkeit die geistlichen Herren vorzuschieben. Ein fulminantes Gutachten Jochers zum internen Gebrauch zerpflückte dann zwar die protestantischen Forderungen im einzelnen, riet aber dennoch, in Verhandlungen einzutreten, da zur Fortsetzung des Krieges die Mittel fehlten und von Auswärtigen keinerlei Hilfe zu erwarten sei.9 Was sollte dann den Protestanten zugestanden werden? Der Kaiser jedenfalls war hinsichtlich des Restitutionsedikts zu weitgehenden Zugeständnissen bereit, sofern sich die
Donnersberg an Maximilian, 16.3. und 13.4.1633: BA NF 11,8 Nrr. 53 D und M. Instruktion für Donnersberg, 5.3.1633: Ebenda Nr. 53 A; Maximilian an den Kaiser, 20.4.1633: Ebenda Nr. 53 M Anm. 4. 5 Maximilian an Donnersberg, 7.5.1633: Ebenda Nr. 53 M. 6 Ebenda Nr. 63 Anm. 1. 7 Protestantische Praepetita, von Landgraf Georg in Leitmeritz vorgelegt, ebenda Nr. 92 Anlage. 8 Maximilian an den Kaiser, 12.5.1633: Ebenda Nr. 92 Anm. 3. Vgl. auch Bireky, Maximilian 191 f. 9 Gutachten Jochers, Ende Juni 1633: Ebenda Nr. 128. Vgl. auch Bireley, Maximilian 192 ff. 3 4
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Reichsstände beider Konfessionen darüber einigten.10 Jedoch brauchte die Probe aufs Exempel zunächst nicht gemacht zu werden, da der Breslauer Kongreß schließlich nicht zustande kam. Umso mehr waren der Kaiser und auch Maximilian an Verhandlungen allein mit Kursachsen interessiert. Seit Dezember 1633, als sich eben das Wallensteinproblem der Krise näherte, verhandelte der agile Herzog Franz Julius von Sachsen-Lauenburg an den Höfen von Wien, Dresden und Berlin, um doch noch einen Friedenskongreß zustandezubringen. Maximilian begrüßte ebenso wie der Kaiser und Kursachsen diese Initiativen, bedauerte allerdings, daß die Absicht des Lauenburgers wohl mehr auf einen Universalfriedenstraktat mit Einschluß Schwedens gehe. Wünschenswerter und aussichtsreicher seien Friedensverhandlungen mit Kursachsen und Kurbrandenburg allein, die dadurch von Schweden und den übrigen Protestanten getrennt würden, mit denen man dann anschließend leichter zu Rande und zu einem Universalfrieden gelange.11 Tatsächlich entwickelten sich die Dinge im Sinne Maximilians, denn angesichts der Friedensbereitschaft beider Seiten führten die weiteren Bemühungen des Herzogs Franz Julius zu konkreten Ergebnissen. 12 . Im April 1634 erhielt der König von Ungarn nicht nur, wie berichtet, als Nachfolger Wallensteins das Kommando über die kaiserliche Armee, sondern auch die kaiserliche Vollmacht, mit Kurfürst Johann Georg von Sachsen in separate Friedensverhandlungen einzutreten. Maximilian versäumte nicht, dem König zu dieser Aufgabe zu gratulieren und ihm die bayerischen Hausinteressen, vor allem die Pfalzfrage, angelegentlich ans Herz zu legen.13 Über die seit 15. Juni 1634 in Leitmeritz geführten, seit 19. Juli in das sächsische Pirna verlegten Friedensverhandlungen zwischen den Unterhändlern Kaiser Ferdinands II. und Kurfürst Johann Georgs von Sachsen14 wurden 10
Instruktion fur den Breslauer Kongreß, 26.8.1633: Hallmch, Briefe und Akten IV Nr. 2008. Zur Stellungnahme der Kurie vgl. Repgen, Römische Kurie 1,1, 310 ff. » Maximilian an Richel, 29.12.1633 und 10.1.1634: BA N F 11,8 Nrr. 272 Κ und 272 V. Vgl. auch BA N F 11,10, *231 ff. 12 Vgl. die Korrespondenzen des Herzogs mit dem Kaiser, Kursachsen und Kurbrandenburg von März bis Mai 1634: BA N F 11,10 Nrr. 4 ff. 13 Maximilian an den König von Ungarn, 12.5.1634: BA N F 11,8 Nr. 381; vgl. auch schon
ebenda Nr. 156 Ρ (für Breslau). 14 Grundlegend ist nunmehr die monumentale Dokumentation der Verhandlungen und ihrer Ergebnisse in BA N F 11,10, Teil 1-4. Vgl. auch Kathrin Bierther, Zur Edition von Quellen zum Prager Frieden vom 30. Mai 1635 zwischen Kaiser Ferdinand II. und Kurfürst Johann Georg von Sachsen, in: K. Repgen (Hg.), Forschungen und Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Münster 1981, 1-30. Zu Maximilians Stellungnahmen vgl. auch Birelej, Maximilian 209 ff., dessen Urteile jedoch in mehreren Punkten nicht übernommen werden können.
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Maximilian, die Kurfürsten von Mainz und Köln und die weiteren im Kölner Exil befindlichen geistlichen Reichsfürsten vom Kaiser durch die mehrmalige Übersendung von Verhandlungsakten unterrichtet und zu Gutachten über die kursächsischen Forderungen und die kaiserlichen Gegenforderungen und Zugeständnisse aufgefordert, da Ferdinand angesichts der brisanten Materien die Unterstützung und Zustimmung der katholischen Kurfürsten für unerläßüch hielt.15 Maximilian vertrat zwar wiederum die Ansicht, vor eigener Stellungnahme die Gutachten der beiden geistlichen Kurfürsten abzuwarten, da diese von den religionspolitischen Materien der Friedensverhandlungen in erster Linie berührt seien, aber natürlich wurden die kaiserlichen Mitteilungen von den bayerischen Geheimräten und Theologen genau unter die Lupe genommen. Wie man sah, ging es in der Hauptsache um einen Rekompens für Kursachsen, eine Satisfaktion für die Schweden, um das Schicksal der geistlichen Stifter und Güter und die Frage eines Normaljahres, um die Rechtsprechung von Reichshofrat und Reichskammergericht in geistlichen Sachen sowie um die Pfälzische Frage. Die Religionsforderungen Kursachsens wurden von den bayerischen Theologen mit großer Entschiedenheit als der Religion schädlich und im Gewissen unannehmbar zurückgewiesen,16 während die Geheimräte weniger die kursächsischen Forderungen, als die Stellungnahmen der kaiserlichen Unterhändler ins Auge faßten und diese teils kritisierten, teils akzeptierten.17 Das von Maximilian abgewartete Gutachten Kurmainz', Kurkölns und der im Kölner Exil befindlichen geistlichen Reichsfürsten für den Kaiser datierte vom 2. Oktober; es wies die von kaiserlicher Seite in Aussicht genommenen Religionskonzessionen ebenfalls zurück und forderte für ein endgültiges Abkommen die Mitwirkung der Kurfürsten und Fürsten sowie die Zustimmung des Papstes.18 Obwohl auch dieses Gutachten in Braunau und Ranshofen sorgfaltig gelesen wurde,19 hielt Maximilian seine eigene Stellungnahme auch jetzt noch zurück, wohl weil er annahm, daß die Nördlinger Niederlage Jo« Der Kaiser an Maximilian, 28.6., 5.7, 12.7. und 16.8.1634: BA NF 11,10 Nrr. 29, 32,39 und 52. 16 Votum bayer. Theologen, nach 20. Juli 1634: Ebenda Nr. 342, besprochen bei Birelej, Maximilian 196 f , dort jedoch fälschlich auf 1633 datiert. Vgl. auch hierther, Zur Edition 24 ff. 17 Niederschrift Peringers, 29.8.1634: Ebenda Nr. 345; Maximilian an den Kaiser, Projekt, ad 29.8.1634: Ebenda Nr. 346; dieser Entwurf einer Antwort auf die verschiedenen kaiserlichen Mitteilungen wurde jedoch nicht ausgefertigt und abgesandt! 18 Kurmainz und Kurköln an den Kaiser, 2.10.1634: Ebenda Nr. 349; dazu das Kurkölner Votum vom 1.10.1634: Ebenda Nr. 348. Vgl. auch Foerster, Kf. Ferdinand 18 ff. 19 Vgl. Maximilian an Kurköln, 2.11.1634: Ebenda Nr. 352; statt „catholische chur- und fursten" ist wohl „geistliche chur- und fiirsten" zu lesen. Vgl. auch Nr. 353, wo die in Anm. 2 wiedergegebenen Sätze die eigentliche Meinung Maximilians zum Ausdruck bringen, dann aber vorsichtshalber gestrichen wurden.
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hann Georg von Sachsen zu Zugeständnissen veranlassen werde20 und weil die Verhandlungen in Pirna inzwischen so weit vorangeschritten waren, daß der Abschluß eines Präliminarvertrags abzusehen war. Tatsächlich wurde dieser Vorvertrag bereits am 24. November in Pirna unterzeichnet, der Text, die sog. Pirnaer Notein, wurde am 13. Dezember an Maximilian, Kurmainz und Kurköln übersandt. Der Kaiser bat um Gutachten, ob die mit Kursachsen nach bestem Bemühen ausgehandelten Artikel akzeptabel seien, verändert werden müßten oder überhaupt abzulehnen seien, und stellte für den letzteren Fall die Frage, welche Mittel zur Fortführung des Krieges die Kurfürsten zu benennen wüßten, da er allein kaum in der Lage sei, ihn fortzusetzen.21 Die Pirnaer Notein22 befaßten sich zunächst mit den kursächsischen Sonderinteressen, insofern als Rekompens für die kursächsischen Kriegskosten von 1619/20 die bisher vom Kaiser nur pfandschaftsweise eingeräumten beiden Lausitzen sowie vier Amter des Erzstifts Magdeburg dem Kurfürsten erblich übertragen werden sollten. Gegen ersteres konnte Maximilian wenig einwenden, da er mit gleicher Begründung die Oberpfalz erhalten hatte. Das Erzstift Magdeburg selbst sollte dem kursächsischen Prinzen August auf Lebenszeit verbleiben. Die zentralen und eigentlich brisanten Materien der Pirnaer Verhandlungen aber waren Kirchengut und Religionsfreiheit gewesen, es war im Grunde um Fortsetzung, zeitweilige Sistierung oder Beendigung der Gegenreformation gegangen. Die dem Kaiser, seinen Theologen und Beratern und darüber hinaus der gesamten katholischen Partei gestellte Frage war, ob die Nodage so groß sei, daß man konfessionspolitische Zugeständnisse machen müsse, und wie weit bejahendenfalls diese Zugeständnisse reichen durften. Die erstere Frage war von den Kaiserlichen mit Blick auf die Kriegslage, die mangelnden Mittel und den drohenden Kriegseintritt Frankreichs mehrheitlich bejaht worden. Bezüglich der zweiten hatte der Kaiser neben einer Amnestie für alle seit der Landung Gustav Adolfs am 6. Juli 1630 verübten Feindseligkeiten das prinzipielle Zugeständnis eines vor dem Restitutionsedikt liegenden Normaljahres gemacht. Nachdem Kursachsen zunächst das Jahr 1612 gefordert hatte, hatte man sich schließlich auf den 12. November 1627, das Ende des Mühlhausener Kurfürstentages, geeinigt. Alle den Protestanten durch das Restitutionsedikt entzogenen oder bestrittenen geistlichen Güter und reichsunmittelbaren Stifter sollten gemäß den Besitzverhältnissen dieses Stichtages zurückgegeben und samt dem damaligen 20 21 22
Vgl. Maximilian an Kurmainz, 26.10.1634: Ebenda Nr. 351. Der Kaiser an Maximilian, 13.12.1634: Ebenda Nr. 102 mit Anm. 1-12. Text ebendaNt. 561 Β (Hauptvertrag) und C-J (Nebenrezesse).
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Konfessionsstand deren Besitzern auf vierzig Jahre verbürgt werden. Damit war das Restitutionsedikt praktisch preisgegeben, auch wenn innerhalb dieses Zeitraumes weiterhin Verhandlungen um einen definitiven Ausgleich geführt werden sollten. Von den weiteren Bestimmungen der Pirnaer Notein war für Maximilian von besonderer Bedeutung, daß alle Sonderbünde im Reich, also neben dem Heilbronner Bund auch die Katholische Liga, aufgehoben werden sollten. In militärischer Hinsicht sollte es hinfort nur mehr ein auf Kaiser und Reich vereidigtes Reichsheer geben, das durch Beiträge sämtlicher Reichsstände in Höhe von zunächst achtzig Römermonaten zum Reichskrieg gegen Schweden, Frankreich und die dem Frieden widerstrebenden Reichsstände aufgestellt und finanziert wurde. Jedoch sollte Kurfürst Johann Georg von Sachsen die selbständige Führung eines Teils dieser Reichsarmee erhalten. Bezüglich der Pfalzischen Frage war nur gesagt, daß auf einer baldigen Tagsatzung eine neue gütliche Verhandlung vorgesehen sei. Da der Text der Pirnaer Notein gegenüber dem Verhandlungsstand des Sommers 1634 eine Reihe von Veränderungen aufwies, wollte Maximilian wiederum erst die Gutachten Kurmainz' und Kurkölns abwarten, bevor er sich selbst äußerte — was allerdings nicht hieß, daß er sich dann deren Votum unbedingt anschließen würde. Hierbei ging es zunächst um die konfessionspolitischen Festlegungen. Das Kölner Votum in der Form detaillierter „Considerationes" war eindeutig ablehnend.23 Ohne die übliche Vorverständigung mit seinem Bruder bekannte sich Ferdinand von Köln in ungewöhnlicher Entschiedenheit zur strikten Aufrechterhaltung des bisherigen Reichsreligionsrechts in katholischer Interpretation, suchte aber dann doch eine gewisse Rückendeckung bei Maximilian, indem er ihn um Prüfung bat, ob denn die überaus kritischen „Considerationes" an den Kaiserhof weitergeleitet werden könnten. Maximilian hat diese dann zwar nach Wien übermittelt, gab aber dem Bruder zu bedenken, daß dessen extremistische Auffassungen nur realisiert werden könnten, wenn entsprechende Kriegsmittel vorhanden seien,24 womit er seine grundsätzlich positive Position gegenüber den konfessionspolitischen Bestimmungen der Pirnaer Notein eigentlich schon zum Ausdruck brachte. Damit befand er sich in Übereinstimmung mit der Einschätzung der „Considerationes" in Wien, wo der kaiserliche Hauptunterhändler Trauttmansdorff äußerte, daß diese wohl anders ausgefallen wären,
23 24
Ebenda Nr. 363. Maximilian an Kurköln, 2.2.1635: Ebenda Nr. 363 Exkurs (S. 832 f.).
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wenn nicht Theologen, sondern politische Räte sie verfaßt hätten, denen der jetzige Status Imperii bekannt sei.25 Anselm Casimir von Mainz, der sich seit Ende 1631 im Exil in Köln befand, Schloß sich der Kölner Kritik und bedingungslosen Ablehnung nicht mehr an. Sein Votum vom 8. Januar 1635 stellte zwar heraus, daß eine Reihe konfessionspolitischer Zugeständnisse der Pirnaer Notein mit großen Bedenken behaftet seien, erklärte aber schließlich, sich einer Ratifikation durch den Kaiser, die von diesem sicher wohlbedacht sein werde, anschließen zu wollen.26 Gegenüber Maximilian begründete er seine Entscheidung vor allem mit der finanziellen Erschöpfung der Katholiken, die durch einen Kriegs eintritt Frankreichs noch verstärkt würde.27 Maximilian aber war nun aufgerufen, seine Meinung zu den Verhandlungen und ihrem bisherigen Ergebnis endlich kundzutun. Sein Gutachten wurde in Wien auch deswegen sehnlichst erwartet, weil der Kaiser ohne die Meinungsäußerung der befragten Kurfürsten nicht weiter prozedieren wollte, dabei aber befürchtete, daß bei noch längerem Verzug sich Johann Georg von Sachsen veranlaßt sähe, wenn auch widerwillig, auf die Seite der Franzosen zu treten.28 Die bayerischen Geheimräte hatten schon Anfang Dezember ihrem Herrn geraten, „Ihr Kfl. Dt. sollen eß nit hindern, was mit Saxen geschlossen [...]. Inclinier der Kaiser, zu volgen propter desertione mediorum [...]. Het lengsten geschehen sollen."29 In der Diskussion über die dann vorliegenden Pirnaer Notein hatten sie sich zwar dafür ausgesprochen, Kursachsen zu weiteren Verhandlungen zu bewegen, um Verbesserungen herauszuholen. „Wan aber kein weitere handlung oder bei derselben keine andere fridensmitel [zu] erhalten, sei rathsamer, dise anzunemen, als noch weiter vortzukrigen und alleß auff die spiz zu sezen. Ex multis causis."30 Der Ratschlag der Geheimräte wurde unterstützt durch das wiederholte Drängen Anselm Casimirs von Mainz, den Kaiser jetzt nicht zu verlassen, sondern die Pirnaer Notein zu akzeptieren.31 Oñate brachte in diesen Wochen das starke Interesse der Spanier an einem baldigen Friedensschluß mit Kursachsen zum Ausdruck, der Vgl. Richel an Maximilian, 14.2.1635: Ebenda Nr. 396. Daß Maximilian „voll Zorn" über die negative Aufnahme der „Considerationes" in Wien gewesen sei (so Bire/ey, Maximilian 212), kann ich nicht sehen. 26 Kurmainz an den Kaiser, 8.1.1635: Ebenda Nr. 372. Vgl. auch weitere entsprechende Äußerungen des Mainzers in Nrr. 423 und 427. 27 Kurmainz an Maximilian, 8.1.1635: Ebenda Nr. 373. 2« So der Bericht Richels aus Wien, 30.1.1635: Ebenda Nr. 383. 29 Notizen Richels, 9.12.1634: Ebenda Nr. 358 Anm. 1. 30 Niederschrift Richels, ca. 13.1.1635: Ebenda Nr. 377 a. 31 Vgl. u.a. Kurmainz an Maximilian, 8.1.1635: Ebenda Nr. 373. 25
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dem Kaiser ermögliche, seine Hilfe für Spanien zu steigern.32 Die Berichte Richels aus Wien seit Ende Januar 1635 ließen dann keinen Zweifel, daß die wichtigsten Räte am Kaiserhof zum Frieden mit Kursachsen entschlossen waren, „ob defectum mediorum belli continuandi und der ganz zerfallnen und derzeit fast unwiderbringlichen kriegsdiscipün et propter metum interregni."33 Der kaiserliche Beichtvater Pater Lamormaini, der den Traktat wegen der konfessionspolitischen Zugeständnisse ablehnte, kam schließlich ebensowenig zum Zug34 wie nunmehr auch Pater Contzen am bayerischen Hof, weil in Wien wie in Braunau einsichtige Erwägungen der Staatsraison das konfessionelle Argument prinzipiell überspielten. So wurde Mitte Februar das lange aufgeschobene Gutachten Maximilians für den Kaiser ausgefertigt und nach Wien gesandt.35 Maximilian dankte dem Kaiser für seine Bemühungen um den Frieden, verwies auf die bedeutenden konfessionspolitischen Zugeständnisse, die den Katholiken abgefordert würden, und bat, in erneuten Verhandlungen mit Kursachsen zu versuchen, den Friedensschluß auf bessere und — wie er eigenhändig hinzufügte, — „dem gewissen nit zuwiderlauffende" Konditionen zu stellen. Sollten aber trotz aller Bemühungen keine anderen Bedingungen zu erreichen sein, in diesem äußersten Fall „würdt ich es auch dahingestelt sein lassen müeßen, was E. Mt. in dero hocherleüchtem verstandt für thuenlich und verantwortlich ermessen werden." Maximilian äußerte sich auf diese Weise, wie er sagte, in der Hoffnung auf ein Ende des blutigen Krieges, wegen fehlender Kriegsmittel des Kaisers und der assistierenden Stände, weil der Kriegseintritt neuer mächtiger Feinde drohe, und in Erwartung künftiger einhelliger Zusammensetzung der katholischen und evangelischen Reichsstände gegen die Feinde von Kaiser und Reich. Er zweifle nicht, daß sich der Richel an Maximilian, 14.2.1635: Ebenda Nr. 396: „...daß sein [Oñates] könig und alle Spanische ministri für die höchste nottwendigkeit befunden, den friden im Reich derzeit nit auszuschlagen, sonder zue amplecdren, so gutt und ehist; inmassen er, conte, bevelch hab von seinem könig, pacem Imperii omnibus modis zu befördern." 33 Richel an Maximilian, 30.1.1635: Ebenda Nr. 383. 34 Bire/ey, Religion 221 f. 35 Maximilian an den Kaiser, 14.2.1635: BA NF 11,10 Nr. 395; nach dieser Vorlage auch in Dokumente 1,3 Nr. 308. Vgl. auch BA NF 11,10 Nr. 397 mit Anm. 1. - Eine wichtige Vorarbeit bildete das in die erste Februarhälfte gehörige „Conclusum" bayerischer Räte (ebenda Nr. 394), das zwar zahlreiche Verbesserungen der Pirnaer Notein in Erwägung zog (u.a. Verwendung der bisher von den Protestanten besetzten Stifter und Güter zur Finanzierung der neuen Reichsarmada), dann aber zu dem Ergebnis gelangte: „Entlichen aber, wann iber alle angewendete embsige bemiehung aus den obgesözten mediis keines zu erhalten, so würdt man propter urgentem extremam neceszitatem et ad evitandum maius periculum daßjenige annemmen miessen, was mann haben khann. Jedoch ist in allweg dahin ze trachten, daß nichts perpetuirlichs (wie es Curmainz wol erindert) eingewilliget werde." 32
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Kaiser das Friedenswerk vor Gott und der Posterität zu verantworten traue.36 Was nun der Kaiser und die geistlichen Kurfürsten („alß welche, bevorab was die ganze geistligkeit und dero dependentien antrifft, dise sach vil mehrers dann mich concerniern thuett") für gut und nützlich befinden, „das begehr ich meinestheils nicht zu verhindern,37 wie ich es auch nicht verhindern köndte." Er sei dankbar, daß Ferdinand in dem Vertrag die bayerischen Partikularinteressen berücksichtigen wolle und vor allem die Kurübertragung auf das Haus Bayern wenn nicht „pure", so doch zumindest bis zu einem gütlichen oder rechtlichen Ausgleich sichern werde. An dem nicht sehr umfangreichen Gutachten war zweierlei bemerkenswert. Erstens die deutliche Zurückhaltung, Vorsicht und vielleicht sogar Feigheit, mit der Maximilian seine unbestreitbare Zustimmung zur Friedenspolitik Ferdinands II. verklausulierte, um die schließliche Verantwortung für Zugeständnisse an die Protestanten dem Kaiser (und den geistlichen Kurfürsten) zuzuschieben. Zweitens und damit zusammenhängend die Tatsache, daß im Unterschied zur Stellungnahme Kurkölns und selbst derjenigen Kurmainz' auf keine Einzelheiten (außer der bayerischen Kur) eingegangen wurde und keinerlei konkrete Änderungsvorschläge für die weiteren Verhandlungen gemacht wurden — „auß gewisen und erheblichen Ursachen," wie Maximilian später äußerte.38 Die Geheimräte waren vielmehr ausdrücklich angewiesen worden, in dem Gutachten keine „Particularia" anzusprechen. Was bewog Maximilian hierzu? Die Geheimräte hatten drei Bedingungen der Pirnaer Notein als besonders gravierend bezeichnet: Die Fesdegungen in geistlichen Fragen, die vielfach dem Religions frieden widersprächen und den Einschluß der Kalvinisten unter den Begriff „protestierende Stände" beinhalteten; die Amnestie; die Neuordnung des Kriegswesens. Bezüglich der ersten, schwierigsten Fragen hatten sie empfohlen, „Ihre Kfl. Dt. sollen sich bei den geistlichen güettern negative halten und disen puncten auf die geistliche chur- und fürsten hinumbschieben."39 An diesen Rat hat sich Maximilian gehalten; schon wenige Tage später teilte er seinem Bruder in Köln mit, da es bei den Friedensverhandlungen vornehmlich um Stifter, Klöster und andere geistliche Güter gehe, „daß ich für mein person, auch meine land und leüth in particulari gar nit intereszirt bin."40 Natürlich war Maximilian am Schicksal Unzutreffend ist die gegenteilige Formulierung bei Bire/ey, Maximilian 215 f. Das im Konzept ursprünglich folgende „noch mich davon abzusondern" wurde (von Maximilian?) wieder gestrichen. 38 Maximilian an Richel, 2.3.1635: BA NF 11,10 Nr. 409. 39 Niederschrift Richels über Konsultationen der Geheimräte, ca. 13.1.1635: Ebenda Nr. 377 a. 40 Maximilian an Kurköln, 26.1.1635: Ebenda Nr. 381. 36
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der geistlichen Stifter und Güter interessiert, seit seinen politischen Anfängen beim Reichstag von 1594 hatte er sich für die Unversehrtheit der geistlichen Territorien eingesetzt. Jetzt aber wünschte er zu sehr den Ausgleich mit den Protestanten, als daß er diesen durch konfessionspolitische Forderungen hätte blockieren wollen. Um dieses Interesse und Desinteresse zu verbergen, um unverantwortlich zu bleiben, gewiß aber auch aus Gewissensgründen, schob er dem Kaiser und den geistlichen Fürsten die Verantwortung für den Friedensschluß und das Schicksal der geistlichen Güter zu, aber ohne sich ihnen in den Weg zu stellen! An dieser Strategie hielt er auch fest, als es selbst seine Geheimräte für notwendig hielten, zwei religionspolitische Probleme in dem Gutachten für den Kaiser konkret anzusprechen: Durch entsprechende Vertragsformuüerung müsse verhindert werden, daß aus der befristeten schließlich eine dauernde Überlassung der Stifter an die Protestanten sich entwickle, und zweitens müsse die Freistellung der katholischen Religion in diesen den Protestanten ad tempus überlassenen Stiftern gefordert werden.41 Maximilian lehnte es jedoch ab, solche Hinweise aufzunehmen oder sie zumindest Richel mitzuteilen, mit der (ernstzunehmenden?) Begründung, „sintemaln es das ansehen gewünnen wurde, wan sie [Maximilian] nur dise beede puncten erindern, daß sie das übrige alles in dem friedenslibell tacite approbirn."42 Hinter der starren Haltung Ferdinands von Köln stand dessen und Maximilians nichtebenbürtiger Vetter Franz Wilhelm von Wartenberg, der sich als Bischof von Osnabrück im Kölner Exil befand. Maximilians distanziertes Verhältnis zu ihm wurde bereits angesprochen. Als Wartenberg im Winter 1634/35 zu Verhandlungen in der Friedensfrage nach Wien reiste,43 war er veranlaßt, sich mehrere Wochen in Altötting aufzuhalten, u. a. weil er von Maximilian im nahen Ranshofen lange Zeit keine Audienz erhielt, teils wegen des Todes der Kurfürstin, teils aus Sorge vor einer Pestinfektion, nicht zuletzt aber, weil Maximilian mit Wartenbergs und Kurkölns intransigenter Position nicht übereinstimmte und sich in keine Debatten einlassen wollte. Als Wartenberg schließlich nach acht Wochen, die er nutzlos in Altötting verbracht hatte, zur Audienz vorgelassen wurde, glaubte er aus Äußerungen Maximilians zu erkennen, daß dieser in der Friedensfrage mit Kurköln übereinstimme; „Churbayrn ist mit E. Kfl. Dt. eins wie auch die theologi, die rhät aber seint
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Bayer. Räte an Maximilian, 15.2.1635: Ebenda Nr. 397. Vermerk Rampecks, ebenda Nr. 397 Anm.3. Foerster; Kf. Ferdinand 40 ff.
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in contrario."44 Jedoch war gerade Maximilian den konfessionspolitischen Forderungen der Pirnaer Notein nicht entgegengetreten und war im übrigen das Gutachten für den Kaiser bereits mehrere Tage vorher nach Wien gesandt worden. Entsprechend wies Maximilian die Zumutung Wartenbergs, das Gutachten zu revidieren und sich für die Fortsetzung des Krieges auszusprechen, da in Norddeutschland noch Mittel vorhanden seien, mit ironischen Bemerkungen zurück. In einer Aussprache Wartenbergs mit den Geheimräten weigerten sich diese, die Pirnaer Notein entsprechend Wartenbergs Wunsch im einzelnen durchzusprechen, da der Kurfürst das Gutachten für den Kaiser bereits erstellt habe und dabei selbst in Religionssachen nicht ad specialia gegangen sei, und zwar — erklärten die Räte — auf Rat der bayerischen Theologen, die es als günstiger bezeichnet hatten, daß sich der Kurfürst in diesen Fragen eher passiv verhielt!45 Vielleicht glaubten die Theologen, Maximilians Bereitschaft zu Zugeständnissen, die sie nicht verhindern konnten, auf diese Weise kaschieren zu können.46 Wartenberg schied jedenfalls in frostiger Atmosphäre aus Braunau, zumal einer der Geheimräte ungescheut erklärt hatte, daß jeder Verhinderer des Friedens die Strafe Gottes zu gewärtigen habe.47 In Wien fand das bayerische Gutachten ein geteiltes Echo. Der Kaiser und eine Reihe kaiserlicher Räte begrüßten es, daß Maximilian, anders als Kurköln, den Friedensprozeß nicht durch Forderungen in den geistlichen Zentralfragen behinderte und also den kaiserlichen Unterhändlern freie Hand ließ.48 Andere Räte dagegen erkannten bzw. sprachen es aus, daß Maximilian einfach Verantwortungen von sich schieben wollte — „daß E. Kfl. Dt. mit ihrer mainung nit so gar lauter und ciar heraußgangen, sonder die sachen von sich geschoben und dem Kaiser auff sein gewissen gelegt haben." Genau dies war Maximilians Absicht gewesen.
Vgl. die Berichte Wartenbergs in BA NF 11,10 Nrr. 379, 384, 391, 393 und 400. Das Zitat aus Nr. 402 (23.2.1635). 45 Wartenberg an P. Contzen, 26.2.1635: Ebenda Nr. 404; Wartenberg an Kurköln, 1. und 2.3.1635: EbendaNtt. 408 und 410. 46 Es waren wohl die gleichen Theologen, die gleichzeitig ein Gutachten bayer. Räte zu Religionspassagen der Pirnaer Notein über Wartenberg oder auf anderem Wege an Trauttmansdorff gelangen ließen, um (ohne Wissen Maximilians?) doch noch in ihrem Sinne auf die Verhandlungen einzuwirken. Vgl. ebenda Nr. 394 mit Exkurs. 47 Wartenberg an Kurköln, 4.4.1635: Ebenda Nr. 430. 48 Richel an Maximilian, 28.2.1635: Ebenda Nr. 404. Nachdem Richel dem Kaiser auf dessen Frage erläutert hatte, daß das bayer. Gutachten mit dem kurmainzischen übereinstimme, äußerte Ferdinand: „Sie [Ihre K. Mt.] vernemen eß gern, dan der churfurst zu Cöln gar zu weit gangen und wöll den religionfriden ganz umbstoßen." 44
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Auch in der Folge erhoffte sich Maximilian zwar weitere konfessionspolitische Zugeständnisse Kursachsens durch Bemühungen der kaiserlichen Unterhändler, die seit Anfang April 1635 in Prag über eine Verbesserung der Pirnaer Notein verhandelten. Gleichzeitig beharrte er auf seinem Standpunkt, hinsichtlich der geistlichen Fragen keine speziellen Änderungswünsche zu äußern,49 obwohl ihn sein Bruder in Köln inständig beschwor, sich entsprechend der bayerischen und wittelsbachischen Tradition der geistlichen Interessen anzunehmen: Er müsse so handeln als Haupt der Katholischen Liga und als Reichsvikar, im Bewußtsein, daß Bayern und Österreich seit je als die Säulen der Kirche im Reich eingeschätzt worden seien, im Wissen, daß der Schwede „ex solo odio religionis" Bayern verwüstet habe und daß bei Unterdrückung der Bischöfe und geistlichen Stifter auch der Religionsstand der weltlichen Stände nicht gesichert bleibe, „maßen alle catholische zuvorderist und vor allem auf die conservation deren catholische religion und nit allein auf die intraden und einkomen billich zu sechen haben." Im übrigen sei es wohl so, daß nachgeborene Prinzen des Hauses Wittelsbach auch künftig auf Bischofsstühle berufen zu werden wünschten, was aber doch die Fortexistenz der geistlichen Fürstentümer voraussetze!50 Maximilian reagierte auf den ungewöhnlich drängenden Appell seines Bruders nur zurückhaltend und selektiv. Nur bezüglich der bayerischen Hausinteressen äußerte er sich näher, für die er wahrlich das Seine getan habe und auch jetzt tue, indem er sich bei den Friedensverhandlungen um die Sicherung der bayerischen Kur bemühe.51 Tatsächlich: So sehr sich Maximilian hinsichtlich der spezifisch geistlichen Sachen zurückhielt - nicht mangels Interesse, sondern um den Friedensprozeß nicht zu behindern und um sich selbst zu bedecken - , so sehr bemühte er sich um seine Kurwürde. Sowohl der Kaiser wie Trauttmansdorff wurden wiederholt gebeten, Johann Georg von Sachsen, der bisher nur der Kurübertragung auf die Person Maximilians zugestimmt hatte, zur Anerkennung der erblichen Kur zumindest in der Form zu bewegen, daß die Kurwürde bis zu gütlicher Einigung oder rechtlicher Entscheidung beim Hause Bayern verbleibe.52 Wie schon seit 1619 fand man auch jetzt viele Gründe zur Stützung der bayerischen Kuransprüche. Neu war das Argument, daß die Vorteile einer katholischen Mehrheit im Kurkolleg größeres Gewicht besäßen als die Nachteile von Zugeständnissen hinsichtlich der geistlichen Stifter. Der Kur« Maximilian an Richel, 16.2.1635: Ebenda Nr. 399. 50 Kurköln an Maximilian, 5.3.1635: Ebenda Nr. 411. 51 Maximilian an Kurköln, 6.4.1635: Ebenda Nr. 411 Anm. 2 und 3. 52 Vgl. vor allem die umfangreichen bayer. „Considerationes" zur Pfalzfrage, Februar 1635: Ebenda Nr. 403; Maximilian an Richel, 16.2. und 2.3.1635: Ebenda Nrr. 399 und 409.
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frage wurde also ganz unverhüllt im Gesamtzusammenhang des Religionsproblems größere Bedeutung beigemessen, als dem Schicksal der Stifter! Entsprach diese Argumentation nur dem bayerischen Kurinteresse, oder war sie objektiv zu rechtferdgen, wenn man sie etwa unter dem Gesichtspunkt der angesichts des kaiserlichen Gesundheitszustandes bald zu erwartenden Römischen Königswahl betrachtete? Richel hat jedenfalls die bayerischen Wünsche bei einer Konferenz mit dem Bischof von Wien und Trauttmansdorff ausführlich erörtert; so schweigsam sich dabei die Kaiserlichen über ihre weiteren Verhandlungsziele in geistlichen Sachen verhielten, so hoffnungsvoll zeigten sie sich hinsichtlich der bayerischen Kur.53 Trauttmansdorff hat sich denn auch in Prag besonders nachdrücklich für die bayerischen Pfalzinteressen eingesetzt, „daß, wenn er auch Eur Kfl. Dt. verpflichter dienner gewest, er nit merers hett thuen khinden."54 Neben der Frage der Stifter hatten die bayerischen Geheimräte die Fesdegungen der Pirnaer Notein über eine Amnestie als besonders gravierend bezeichnet. So suchte Maximilian für die weiteren Verhandlungen in Prag zu erreichen, daß der Kreis der von der kaiserlichen Amnestie Betroffenen möglichst klein gehalten wurde, da er sich aus dem Vermögen der Proskribierten Ersatz für seine Kriegskosten und Kriegsschäden erhoffte.55 Jedoch wurde der mit der Intervention beauftragte Richel von Trauttmansdorff ziemlich schroff und etwas schulmeisterlich in die Schranken gewiesen: Es gehe jetzt nicht in erster Linie um Entschädigung, sondern um den Frieden, für den alle Beteiligten Opfer zu bringen hätten. „Patria salus suprema lex esto." Friede sei nur dann beständig, wenn er auf breiter Amnestie beruhe. Auch der Kaiser werde um des Friedens willen notfalls auf Rekompens verzichten, gleiches erhoffe er von den Reichsfürsten.56 Schließlich glaubte Maximilian die Friedensverhandlungen auch zu einem Schlag gegen die ihm wenig sympathischen Reichsstädte nützen zu können. Er schlug vor, bei den weiteren Verhandlungen bezüglich der Reichsstädte freie Religionsausübung für die Katholiken und Wiederherstellung des geistlichen Besitzes nach dem Stand von 1552 zu fordern, sie also aus der allgemeinen Normaljahrsregelung herauszunehmen. Und da sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Reichs-
53 Richel an Maximilian, 28.2.1635: Ebenda Nr. 407. Vgl. ebenda Nr. 440 Anm. 6. 55 Maximilian an Richel, 2.3.1635: Ebenda Nr. 409. Ähnlich auch Kurmainz bezüglich seiner Rekompensforderungen gegenüber der Stadt Frankfurt, ebenda Nr. 374 und 420. 56 Richel an Maximilian, 14.3.1635: Ebenda Nr. 416. Daß Maximilian deswegen nicht überhaupt auf Rekompens verzichten wollte, zeigt seine Antwort für Richel, 23.3.1635: Ebenda Nr. 416 Anm. 2.
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Städte mit den auswärtigen Gegnern von Kaiser und Reich eingelassen hätten, müsse die Einsetzung von Reichsvögten durchgesetzt werden. Maximilian argumentierte, daß die Städte, wie insbesondere Nürnberg, im Interesse ihres darniederliegenden Handels so sehr an einem Friedensschluß interessiert seien, daß sie einem entsprechenden Vertragsartikel wohl zustimmen würden; bis dahin müsse man sie durch Handelssperren unter Druck halten.57 Die bayerischen Geheimräte hatten in ihrem Gutachten zu den Pirnaer Notein neben den geistlichen Fragen und der Amnestie schließlich auch die Neuordnung des Kriegswesens als zentralen Punkt bezeichnet, der bedacht werden müsse. Erstaunlicherweise galt Maximilians Grundsatz, in dem Gutachten für den Kaiser im Allgemeinen zu verbleiben, auch für diesen Punkt. Zwar war es bei den Verhandlungen nicht grundsätzlich um das Bündnisrecht der Reichsstände sowie ihr ius armorum überhaupt gegangen, sondern begrenzter um die Auflösung der Liga und des Ligaheeres. Aber auch diese Forderung mußte ihn als Gründer und jahrelanger Führer der Liga wahrhaft berühren. Dennoch beschränkte er sich auch zu diesem Problemkreis auf eine nichtssagende Formel! 58 Hatte er sich mit diesen Veränderungen bereits abgefunden, ja konnte er in ihnen sogar einen Vorteil für die bayerische Politik und Kriegführung erblicken? Richel und mit ihm Maximilian erfuhren in der Folge nur in Umrissen oder gar nicht, inwieweit die wenigen bayerischen Vorschläge zur Modifizierung der Pirnaer Notein von den kaiserlichen Unterhändlern bei den Schlußverhandlungen in Prag näherhin berücksichtigt werden würden. Die Kaiserlichen blieben schweigsam und nützten es aus, daß ihnen von Kurbayern und Kurmainz die Einzelheiten der Verhandlungsführung überlassen worden waren. So blieb der schließliche Prager Frieden ein Werk des Kaisers und seiner Berater, vor allem Trauttmansdorffs, auf der Gegenseite Johann Georgs von Sachsen und Landgraf Georgs von Hessen-Darmstadt, während Maximilians Beitrag — von wenigen konkreten Forderungen abgesehen — im stillschweigenden Gewährenlassen der kaiserlichen Friedenspolitik bestand. Da der bayerische Kurfürst in dem zentralen Bereich der geistlichen Sachen keine Verantwortung übernehmen wollte, kam ihm auch nicht der Ehrentitel eines Friedensstifters zu. Maximilian an Richel, 19.3.1635: Ebenda Nr. 419. Zu Regensburg vgl. ebenda Nr. 377a Anm. 16. 5 8 „Bin sonsten hiebei von E . Mt. vergwüßt, daß sie, was vornembüch das allgemeine religionund justitiwesen und künftige kriegsanstellung, dann auch mein particularinteresse, zumahlen der chur und pfalzischen landen halber, belangt, nichts underlassen werden, was zu Verbesserung und Versicherung derselben immer würdt gedeien mögen." 57
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Nachdem die kaiserlichen Unterhändler in Prag noch eine Reihe von Nachbesserungen durchgesetzt hatten, wurde der Friede zwischen Kaiser Ferdinand II. und Kurfürst Johann Georg von Sachsen am 30. Mai 1635 unterzeichnet, der erste umfassende Versuch einer Friedensregelung in diesem Krieg, der als solcher trotz mancher Defizite prinzipiell positiv gewürdigt werden muß.59 Der Vertrag war ein Kompromiß, allerdings entsprechend der Kriegslage (und nach Befriedigung der kursächsischen Privatinteressen!) mit größeren Zugeständnissen der protestantischen Seite. Das Prinzip allgemeiner Restitution und Amnestie galt ab dem Stichtag 6. Juli 1630 (Landung Gustav Adolfs), womit die Pfälzer und Hessen-Kassel von Rückerstattung und Verzeihung ausgeschlossen waren, zusätzlich aber auch Württemberg, Baden-Durlach und einige kleinere Reichsstände. Für das reichsunmittelbare und mittelbare Kirchengut wurde der Stand vom 12. November 1627 auf vierzig Jahre festgeschrieben, womit das Restitutionsedikt praktisch preisgegeben war, das wichtigste Zugeständnis der katholischen Seite. Die Reichsstädte (außer Nürnberg, Ulm, Straßburg und Frankfurt a.M.) und Reichsritter waren nicht in die Normaljahrsregelung einbezogen, für sie galt uneingeschränkt der Augsburger Religionsfrieden. Die in den letzten Jahren mit manchen Reichsstädten (u.a. Regensburg und Augsburg) abgeschlossenen Akkorde blieben in Kraft. Die protestantischen Bistumsadministratoren blieben wie bisher von Sitz und Stimme in den Reichsgremien ausgeschlossen. Mit dem Verbot der Bündnisse im Reich wurde die Katholische Liga aufgehoben. Weiterhin wurde das ius armorum der Reichsstände durch eine neue Reichskriegsordnung beschränkt, wodurch für Bayern die bis dahin geltenden einschlägigen Bestimmungen des Münchner Vertrags von 1619 obsolet wurden. Im Rahmen des Friedensvertrages waren spezielle bayerische Interessen vor allem durch die Regelung der Pfalzfrage, die Auflösung der Liga und die Neuordnung des Kriegswesens berührt. Zur gewissen Überraschung der bayerischen Seite hatte Johann Georg von Sachsen nach einigem Widerstand der Übertragung der pfälzischen Kurwürde, der Oberpfalz und der rechtsrheinischen Unterpfalz nunmehr auch auf die gesamte Wilhelminische Linie, also in erblicher Weise, zugestimmt.60 Die Kinder des Pfälzers sollten
59 Kritische Edition der Vertragstexte jetzt erstmals in BA NF 11,10 Nr. 564 A (Hauptvertrag) und 564 B-I (8 Nebenrezesse und Memoriale). Teildruck auf dieser Grundlage in Dokumente 1,3 Nr. 309. 60 Ebenda Nr. 564 A, Abs. 31 und 32: „...alß soll es bei demjenigen, so Ihre Ksl. Mt. wegen derselben chur und lande für Ihre Kfl. Dt. in Bayern und die Wilhelmische linea, auch sonst
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nach Unterwerfung unter den Kaiser mit einem fürstlichen Unterhalt bedacht werden. Was die Aufhebung aller Bündnisse im Reich und damit auch der Katholischen Liga betraf,61 so findet sich in den Quellen keinerlei Hinweis, daß sich Maximilian gegen diese Fesdegung gesträubt und sie zu verhindern gesucht hätte. Da die Liga faktisch schon seit einigen Jahren nicht mehr in Funktion war, wie auch von bayerischer Seite verschiedentlich schon eingeräumt (oder betont) worden war, d.h. der größere Teil des Ligaheeres praktisch allein von Bayern finanziert werden mußte und die Kommunikation mit Kurmainz seit Jahren schwierig war, kam es Maximilian weniger darauf an, die Fiktion eines katholischen Sonderbundes aufrechtzuerhalten, als die Vorteile zu akzeptieren, welche ihm die Neuregelung des Militärwesens durch den Prager Frieden offensichtlich bot. Dies erhellt insbesondere ein Satz aus seiner Zustimmung zu den Pirnaer Notein, demgemäß die Ligastände zu erschöpft seien, um den Krieg noch fortzusetzen, zumal dem Reich eben neue Feinde erstünden, „welche aber umb sovil leichter widerumb zuruckhzutreiben, wann mit E. Mt. und den catholischen auch die uncatholische chur-, fürsten und ständt widerumb zu gleichem verstandt gebracht und sich zu einer einmüettigen zusamensezung wider alle außwendige reichsfeindte verstehen wurden." Maximilian sah also die Vorteile der neuen Heeresverfassung (auch) in der Gewinnung bisher abseitsstehender bzw. sogar feindlicher Reichsstände. Genau dies war im Kern die Zielsetzung der kaiserlichen Politik mit dem Prager Frieden! Es ging nicht nur darum, Kursachsen aus der Front der Gegner zu lösen, sondern darüber hinaus Kurfürst Johann Georg und nach Möglichkeit weitere protestantische Stände als militärische Bundesgenossen gegen alle diejenigen zu gewinnen, die nicht bereit waren, dem Frieden beizutreten. So hatte die künftige Assistenz des Kurfürsten von Sachsen bzw. die Vereinigung der kursächsischen mit der kaiserlichen Armee von Anfang an ein zentrales Ziel der kaiserlichen Friedenspolitik gebildet, ansatzweise schon faßbar in der kaiserlichen Instruktion für den Breslauer Friedenskongreß62 und in der Folge von den kaiserlichen Friedensunterhändlern als ihre wichtigste Aufgabe bezeichnet.63 Der Kaiser müsse wissen, gemacht, sowohl waß Ihre Ksl. Mt. wegen etlicher gewesener Pfáltzischer diener angeordnet, allerdings verbleiben." 61 Ebenda Nr. 564 A Abs. 79: „Ferner sollen in und mit aufrichtung dießes friedensschlußes und deßen publication alle und jede uniones, ligae, foedera und dergleichen schlüße, auch darauf gerichte aidt und pflichte gäntzlich aufgehoben sein." « Vgl. Bierther in BA NF 11,10, Teüband 1, *88. « Die kaiserl. Gesandten an den Kaiser, 28.6.1634: BA NF 11,10 Nr. 31: „[...] das wir mit höchstem fleiß drauff trachten, damit gegen des churfursten contentierung E. Ksl. Mt. auch seiner assistente und conjunction der waffen (als welches zwar das ultimum in executione,
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wurde den Sachsen erklärt, ob ihm der Kurfürst gegen die Schweden beistehen bzw. seine Truppen mit der kaiserlichen Armee vereinigen wolle. „Dan wan es änderst, wurden Ihr Ksl. Mt. sich des fridens weniger alß des kriegs zu trösten haben und alle tractaten vergebens sein."64 Der Prager Friede bestimmte in dieser zentralen Frage der Militärhilfe für den Kaiser,65 daß alle Armeen im Reich zu einer Hauptarmada, einer „Reichsarmada" unter dem obersten Befehl des Kaisers vereinigt werden sollten. Ein „ansehenlich corpus" dieses Reichskriegsheeres sollte unter dem Generalkommando des Kurfürsten von Sachsen stehen. Der übrige, größere Teil sollte tinter dem Generalkommando des Königs von Ungarn „und wem es Ihre Ksl. Mt. nechst deroselbigen [Kgl. Würden] von ihrent- und des Hl. Reichs wegen gantz oder zum theil zu dirigiren albereit vertrawet hetten oder noch vertrawen würden, sein und bleiben." Zweck des Heeres war die Durchsetzung des Prager Friedens gegen alle inneren und äußeren Feinde. Das Heer sollte zunächst finanziert werden durch einen Beitrag sämtlicher Reichsstände in Höhe von 120 Römermonaten, die auf Kreistagen zu beschließen und in sechs Terminen bis Dezember 1636 zu bezahlen waren. Eine notwendig werdende Fortsetzung der Zahlungen sollte nur auf einem ehest auszuschreibenden Reichstag beschlossen werden können. Alle Offiziere und Soldaten der Armada sollten auf den Kaiser vereidigt werden. „Doch sollen die Kgl. Würde zu Hungarn und Böheim und die churfürsten des Reichs, da deren einer oder mehr im Namen der Rom. Ksl. Mt. und des Hl. Reichs ein generalat führete und also auch die Kfl. Dt. zu Sachßen" eines persönlichen Eides enthoben sein. Die Details des Verhältnisses zwischen den verschiedenen Corpora der Gesamtarmada wurden in einem Nebenrezeß geregelt.66 Von der Armada in der Gesamtstärke von 80 000 Mann sollten Kursachsen ein Viertel, dem König von Ungarn „und wem es Ihr Ksl. Mt. nechst deroselben unter einem oder etlichen corporibus anvertrawet hetten oder noch anvertrawen würden", drei Viertel unterstellt werden. Das kurjedoch das primum in intendone nostra vermög dero vor die Kgl. Mt. gefertigten memoriales ist) gnugsam versichert weren." 64 Kaiserliches Protokoll, 1.7.1634: Ebenda^. 461. 65 Ebenda Nr. 564 A, Abs. 70-75 (ehemals als Art. 24 bezeichnet). Hierzu vgl. auch Heiner Haan, Kaiser Ferdinand II. und das Problem des Reichsabsolutismus. D i e Prager Heeresreform v o n 1635, in: H Z 207 (1968), 297-345; Kraus, Kommandoregelung 290 ff.; Kapser, Kriegsorganisation 10 ff. 66 BA N F 11,10 Nr. 564 H (Nachdruck in Dokumente 11,3 Nr. 310): „Memoriale wegen coniungirung der waffen." A u f den Inhalt des Memoriales muß insbesondere der König v o n Ungarn Einfluß genommen haben, dessen Gutachten allerdings nicht erhalten ist; vgl. Kaiser an König v o n Ungarn, 23.10.1634: B A N F 11,10 Nr. 77, und Trauttmansdorff an den Kaiser, 20.11.1634: Ebenda Nr. 95.
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sächsische Kontingent konnte als Armee der evangelischen Reichsstände angesehen werden, insbesondere wenn sich weitere evangelische Stände (praktisch die Unterzeichner des Leipziger Schlusses von 1631) dem Frieden und der Militärhilfe für den Kaiser anschlossen. Die Corpora sollten sich, wenn es der Kaiser für notwendig hielt, gegenseitig Hilfe leisten. Bei gemeinsamer Kriegführung des sächsischen Kontingents mit der Armada des Königs von Ungarn sollte dieser bei Abwesenheit des Kurfürsten von Sachsen das Kommando über beide Armeen fuhren.67 Die Frage war, wie sich die beabsichtigte Einordnung der bayerischligistischen Truppen in die Reichsarmada mit den Bestimmungen des Wiener Rezesses vom 10. Mai 1634 und vor allem des Stuttgarter Rezesses vom 19. November 1634 vertrug, denen gemäß das Ligaheer als ein selbständiges und unabhängiges Corpus neben der kaiserlichen Armee bestehen bleiben sollte. Wie reagierte Maximilian also auf die neue Militärverfassung, die ihm zunächst Ende Dezember 1634 in den Formulierungen der Pirnaer Notein offiziell bekannt geworden war.68 Die Vertragsverhandlungen in Pirna und Prag lassen erkennen, daß alle Seiten, sowohl die kaiserlichen Unterhändler wie Kursachsen und die hessischen Vermitder, ganz selbstverständlich davon ausgingen, daß der Kurfürst und Herzog von Bayern ebenfalls ein Generalat über einen Teil der Reichsarmada erhalten sollte, wenn er es wünschte. Tatsächlich konnten die Ligafürsten und insbesondere Maximilian als wichtigste Verbündete des Kaisers seit Kriegsbeginn nicht einfach übergangen werden, die Neuordnung des Reichskriegswesens bedurfte offensichtlich ihrer Zustimmung und Mitwirkung, daher waren Zugeständnisse des Kaisers von vornherein notwendig. Eine andere Lösung wäre auch als Diskreditierung der katholischen gegenüber den im kursächsischen Corpus repräsentierten protestantischen Reichsständen verstanden worden.69 Wohl in Rücksicht auf die protestantischen
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Unzutreffend Haan, Reichsabsolutismus 307, auch bezüglich des Generalkommandos im Ober- und Niedersächsischen Kreis. 68 Zum Folgenden vgl. die Quellen zum Prager Frieden in BA N F 11,10, die manche Neuinterpretation oder Präzisierung der Vorgänge und gewisse Korrekturen an den Darstellungen von Haan, Reichsabsolutismus, Kraus, Kommandoregelung und Kapser, Kriegsorganisation ermöglichen. 69 Vgl. die Äußerungen der Kaiserlichen sowie der hessen-darmstädtischen Vermittler in den Sitzungen vom 21. und 25.10. 1635: Ebenda Nr. 499 (S. 1317) und Nr. 501 (S. 1333). Vgl. auch Kaiser an König von Ungarn, 1.9.1635, unten Anm. 85: Es würde „ein seltzames ansehen und nachdenkhen machen, daß ich einem uncatholischen churfiirsten die waffen zu seinem commando ließe, dagegen aber einem catholischen solche nicht mehr vertrauen wolte."
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Reichsstände und im Interesse eines raschen Friedensschlusses wurde die beabsichtigte Zuteilung eines Teils der Reichsarmee an Maximilian allerdings nicht „austruckhenlich und specifice, wie mit Chur Sachsens L. beschehen",70 im Vertragstext ausgesprochen. Aber die Möglichkeit hierzu war schon durch die besondere Formulierung der Pirnaer Notein geschaffen worden.71 So sah Maximilian zunächst noch keine Veranlassung, in seiner Stellungnahme zu den Pirnaer Notein oder in Weisungen an Richel in Wien die Frage eines bayerischen Kontingents besonders anzusprechen.72 Dies war den Kaiserlichen aber doch zu wenig, weshalb sie im Februar 1635 ausdrücklich anfragen ließen, „ob dan E. Kfl. Dt. kein armaden, gleich wie Chursaxen thue, fiehren und ihro vorbehalten wolten", und wenn ja, wieviele Truppen das bayerische Kontingent umfassen solle?73 Erst jetzt wurde Maximilian konkreter und brachte seine Erwartung zum Ausdruck, hinsichtlich der Führung eines eigenen Kontingents innerhalb der Reichsarmada und dessen Truppenzahl Kursachsen zumindest gleichgestellt zu werden, wenn es auch den Verdiensten eines dem Kaiser stets treuen Reichsfursten entspräche, ein noch größeres Kontingent zu erhalten.74 Er erklärte also sein Einverständnis mit der Eingliederung des Ligaheeres in die geplante Reichsarmada, sofern das beanspruchte Kontingent als ein besonderes Corps weiterhin seiner Kommandogewalt unterstand. Diese Erklärung, die von Trauttmansdorff und Schlick sofort akzeptiert wurde,75 fand ihren Niederschlag in der Weisung der kaiserlichen Instruktion für die Prager Schlußverhandlungen, Kursachsen zu beweDer Kaiser an Maximilian, 9.10.1635: Dokumente 1,3 Nr. 311. BA NF 11,10 Nr. 561 Β (S. 1576): „[...] wem Ihre Mt. dieselbe von Ihr Ksl. Mt. und deß Hl. Reichs wegen ganz oder zum theil zu dirigiren alberali anvertrawet hetten oder noch anvertrawen und untergeben würden." Vgl. auch das Memoriale betr. Vereinigung der Armeen, ebenda Nr. 561 C (S. 1586): „[...] oder wem Ihre Ksl. Mt. solches volk under einem oder etlichen corporibus anvertrawt hetten oder noch anvertrawen würden." 72 Anderer Meinung waren die bayerischen Geheimräte Mitte Januar 1635 in einer Beratung über das auf die Pirnaer Notein zu gebende Gutachten: „Bedenklich, daß Kaiser und Saxen die waffen im Reich allein führen und die catholische chur- und fürsten außgeschlossen sein sollen. [...] Auf ein andere außtheilung zu gehen und Churbayern auch waß begehren. Saxen hab zuvil. Dem Kaiser 30 000, iedem churfursten 25.000 nach proportion" (Ebenda Nr. 377a S. 861). Maximilian wollte jedoch in dem Gutachten auf keine Einzelheiten eingehen und interpretierte den einschlägigen Passus der Pirnaer Notein auch anders. 73 Richel an Maximilian, 21.2.1635: Ebenda Nr. 401. 74 Maximilian an Richel, 2.3.1635: Ebenda Nr. 409. Am 23. März ergänzte Maximilian gegenüber Richel: „Wür vermeinen aber, es werde Chursaxen ihrer selbs hierunder wegen der anzahl volkhs und was dessen khunftige direction betrüfft, nit vergessen und wür dahero an deroselben hierinnen einen guetten vorfechter und dardurch den vortel haben, das wür an unserm ort bei Ihrer Mt. und den irigen disfals nit so starkh und sorgfeltig werden solicitiren lassen derfen" {Ebenda Nr. 416 Anm. 3). 75 Richel an Maximilian, 12.3.1635: Ebenda Nr. 416. 70 71
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gen, sich mit einem Corpus von 20 000 Mann zufriedenzugeben, „damit wir alßdann Churbayrns L. wegen seines generalats auch darnach bescheiden undt dieselbe zue aufgebung der catholischen liga im Reich umb soviel desto besser vermögen undt gewinnen khönnen."76 (Die Bezugnahme auf die Katholische Liga zeigt, daß man sich am Kaiserhof noch nicht sicher war, inwieweit Maximilian bereit war, der intendierten Auflösung der Liga zuzustimmen). Aufgrund dieser eindeutigen Weisung schlugen die kaiserlichen Gesandten den Sachsen vor, von der Hauptarmada von 80 000 Mann 40 000 Mann dem König von Ungarn zu unterstellen, 20 000 Mann Kursachsen und weitere 20 000 Mann Maximilian von Bayern, „von welchem sie [die Kaiserlichen] große dienste empfangen und nicht ubergehen könten. [...] Churbayern wolte nicht deterioris conditionis alß Chursachßen sein, hingegen auch nicht pinguioris."77 Beim Abschluß des Prager Friedens am 30. Mai war also den Beteiligten klar, daß mit der Passage des Vertragstextes „und wem es Ihre Ksl. Mt. nechst deroselbigen [Kgl. Würden] von ihrent- und des Hl. Reichs wegen gantz oder zum theil zu dirigiren albereit vertrawet hetten oder noch vertrawen würden", der Herzog von Bayern und dessen Gleichstellung mit Kursachsen gemeint war. Gleichzeitig mit der Schlußphase der Prager Verhandlungen berieten kaiserliche und bayerische Bevollmächtigte in Wien über den Feldzugsplan für Sommer 1635. Maximilian ging in diese Verhandlungen mit dem Willen, nichts zuzugestehen, was die Forderungen präjudizieren konnte, die er hinsichtlich seiner künftigen Kommandogewalt anläßlich der Prager Friedensverhandlungen gestellt hatte, also die Gleichstellung mit Kursachsen, falls der Frieden zustandekam.78 Aus den Verhandlungen resultierte der Wiener Rezeß vom 2. Juni 1635.79 Er regelte in der Hauptsache die strategischen Prioritäten und die Zusammenarbeit zwischen kaiserlichem und Ligaheer, wobei das Ligaheer, indem mehrfach auf den Stuttgarter Rezeß verwiesen wurde, weiterhin als eigenständige Armee behandelt wurde. Nach der (in Bälde zu erKaiserliche Instruktion vom 12.3.1635: Ebenda Nr. 128 (284 f.). Kursächsisches Protokoll, 17.4.1635: Ebenda Nr. 529. Angesichts dessen kann nicht davon gesprochen werden, daß der Kaiser Kursachsen über die Absicht, ein drittes Kontingent zu bilden, hinweggetäuscht habe (so Haan, Reichsabsolutismus 343). 78 Dies ergibt sich aus Maximilians Instruktion für Wolkenstein und Richel, 25.4.1635: Ebenda Nr. 258 A. 79 Text: BA NF 11,9 Nr. 258 K. Vgl. auch Haan, Reichsabsolutismus 308 ff. Bayerische Unterhändler waren Wolkenstein und Richel. Nach Abschluß der Verhandlungen um den Rezeß sowie der Verhandlungen um die Heirat Maximilians mit der Kaisertochter Maria Anna starb der befähigte Wolkenstein am 26. Juni wohl in Baden bei Wien im Alter von erst 36 Jahren (BA NF 11,9, 667). 77
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wartenden) Publikation des Prager Friedens wollte sich Maximilian aber den dort fixierten Rechten und Pflichten des Kurfürsten von Sachsen angleichen.80 Dies beinhaltete u.a., daß der König von Ungarn das Kommando auch über das bayerische Korps erhielt, wenn beide Armeen gemeinsam operierten und Maximilian abwesend war. Die bayerischen Unterhändler hatten dieser Regelung zustimmen können, weil sie sich in der Hauptsache, der Frage der Kommandogewalt, nicht von der Stuttgarter Regelung unterschied. Beide Male hatte Ferdinand (III.) nur dann Kommandogewalt über das bayerische Heer, wenn die beiden Armeen zusammenwirkten und Maximilian nicht bei der Truppe sich befand. Gegen eine solche Lösung protestierte allerdings Ferdinand (III.) - dem wohl der Deutschmeister die Feder führte - bei seinem Vater.81 Er sah mit einer derartigen künftigen Kommandoregelung die Prager Heeresreform durch Maximilian unterlaufen und damit sein (wenn auch nicht seines Vaters) eigentliches Ziel, die Beseitigung eines selbständigen Kontingents der katholischen Reichsfürsten, in weite Ferne gerückt. An sich, so erklärte er, stehe Maximilian überhaupt kein eigenes Heerescorpus zu. Sollte sich der Kaiser aber hinsichtlich der Betrauung des bayerischen Kurfürsten mit einem Generalat bereits gebunden haben, so fordere er, König Ferdinand, zumindest die „völlige Disposition" über das bayerische Kontingent bei Abwesenheit Maximilians. Gemeint war: Keine bayerische Mitwirkung durch einen gemeinsamen Kriegsrat, weiterhin Befehlsgewalt des Königs von Ungarn über die bayerische Armee, auch wenn sie nicht gemeinsam mit der kaiserlichen operierte. Da sich Maximilian kaum für längere Zeit zur Armee begeben würde, bedeutete diese Forderung, daß das bayerische Kontingent in der Regel durch den König von Ungarn ohne jede bayerische Mitwirkung kommandiert werden sollte. Damit wären die Pläne Ferdinands (III.) und des Deutschmeisters aus dem Jahre 1634 im Zuge der Heeresreform in der Substanz realisiert worden.
80 „Der kgl. mt. zu Hungarn und Behaimb kriegsdirection betreffend, solle es noch diser Zeith bei dem, was deswegen zu Stutgard geschlossen worden, verbleiben. Da aber mehrbemelter fridenschluss wird publicirt sein, so wollen alsdan ihre kfl. dt. auch dises puncts halber allem demjehnigen sich accommodiren, was Chursachsen sich darbei erkleren und der inhalt bemeltes fridenschlusses ausweisen wird" (ebenda 663). 81 Der König von Ungarn an den Kaiser, 13.6.1635: Wien HHStA Kriegsakten 113, fol. 224 f., mit beiliegenden „Considerationes" (Kopie von Frau Dr. Bierther zur Verfugung gestellt). Auch benützt bei Haan, Reichsabsolutismus 315 f.
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Zwischen den König von Ungarn und Maximilian gestellt, versuchte der Kaiser Zeit zu gewinnen und erklärte seinem Sohn,82 daß er die bevorstehende Hochzeit Maximilians in Wien zu Verhandlungen mit diesem nützen wolle, bei denen die Forderungen des Königs von Ungarn berücksichtigt werden sollten. Ferdinand gab also seinem Sohn keine definitive Zusage, weil er wußte, daß lt. Wiener Rezeß vom 2. Juni Maximilian in der Heeresführung dem Kurfürsten von Sachsen gleichgestellt werden sollte. Die Sache blieb aber auch weiterhin ungeklärt, weil sie bei Maximilians Wienaufenthalt Mitte Juli dann doch nicht behandelt wurde.83 Wohl aber gab Maximilian am Tag nach der Hochzeit, noch in Wien befindlich, dem Kaiser seine Verwunderung zu erkennen, daß im Prager Friedensinstrument das bayerische Generalat entgegen früheren Versprechungen und der Festlegung im Wiener Rezeß nicht wie dasjenige Kursachsens explizit erwähnt werde.84 Er forderte daher die öffentliche Bekanntgabe seines Generalats über ein Kontingent der Reichsarmada und der Gleichstellung mit Kursachsen durch ein kaiserliches Patent, zumal der Wiener Rezeß als ein „privatum pactum" den bayerischen Anspruch vielleicht zu wenig sichere, während der Prager Frieden den Rang einer „sanctio pragmatica" erhalten sollte. Dies war ein rigoroser Gegenzug gegen alle Bemühungen des Königs von Ungarn, der aus dem Bewußtsein seiner langjährigen Unentbehrlichkeit für die kaiserliche Kriegführung resultierte. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, verließ er bald darauf Wien und seinen neuen Schwiegervater, ohne dem Prager Frieden beigetreten zu sein und ohne diesen in der Folge in Bayern und als Kreisausschreibender im Bayerischen Reichskreis zu publizieren. Ferdinand II. aber hatte die militärische Bedeutung des Ligaheeres bzw. des bayerischen Corpus' und das politische Gewicht Maximilians zu erwägen, dessen Stimme bei der anstehenden Römischen Königswahl des Königs von Ungarn ebenso zu bedenken war wie diejenige Kurkölns, der (im Unterschied zu Kurmainz!) in der Frage eines bayerischen Generalats durchaus mit Maximilian übereinstimmte. Es war ja ohnehin erstaunlich, daß der König von Ungarn sich gegenüber den katholischen Kurfürsten derart rigoros verhielt, obwohl er über kurz oder lang auf deren Wahlstimmen angewiesen war. Der Kaiser hatte-also Maximilian entgegenzukommen und den König von Ungarn vorsichtig zu enttäuschen. So erklärte er seinem Sohn unter Mitteilung der Der Kaiser an den König von Ungarn, 22.6.1635: Ebenda fol. 267 f.; mit Gutachten deputierter Räte, 21.6.1635, fol. 263 ff. (Kopie Dr. Bierther). Auch benützt bei Haan, Reichsabsolutismus 318. 83 Unzutreffend Haan, Reichsabsolutismus 319 f. 84 Maximilian an den Kaiser, 18.7.1635: HHStA Wien, Kriegsakten 114, fol. 53 f. (Kopie Dr. Bierther). Benützt bei Haan, Reichsabsolutismus 320 (mit Datum 17.7.) 82
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Forderung Maximilians,85 daß der Bayer bis zur Veröffentlichung der gewünschten kaiserlichen Deklaration das Friedensinstrument wohl nicht publizieren werde, was Unruhe bei den Protestanten erwecken werde. Tatsächlich habe sich Maximilian große Verdienste um Kaiser und Reich erworben; auch werde es Unwillen bei den Katholiken in und außer Reichs hervorrufen, „daß ich einem uncatholischen Churfursten die Waffen zu seinem Commando ließe, dagegen aber einem Catholischen solche nicht mehr vertrawen wolte." Im übrigen sei er, der Kaiser, auch durch den Stuttgarter und den Wiener Rezeß festgelegt, der in diesem Punkt durch den Prager Frieden nicht aufgehoben sei. Nicht zuletzt sei man bei den Friedensverhandlungen stets davon ausgegangen, daß Kurbayern in der Militärfrage wie Kursachsen zu behandeln sei, schon um seinen Verzicht auf die Liga zu erlangen. „Es wurde schwer sein, solches widerumb zuruck zunemmen, ja da man nur sich mercken lassen solte, daß bey mir oder bey E. L. deßwegen zweivel fürgefallen, dürffte es allerhand schädliche Weiterung und diffidenzen verursachen." Sobald also Maximilian dem Frieden beigetreten sei und ihn im Bayerischen Reichskreis publiziert habe, würden die von ihm gewünschten kaiserlichen Patente ins Reich publiziert und Maximilians Generalkommando über ein Corpus von ca. 20 000 Mann bestätigt, wobei, „da dieselbe [Maximilian] nicht selbst im Feld, die disposition E.L. [König von Ungarn] völlig zustendig sein solle." Der König von Ungarn gab sich mit dieser Auskunft und Entscheidung aufs Ganze zufrieden,86 wohl weil weiterhin von „völliger Disposition" die Rede war. Inzwischen war Maximilian am 30. August dem Prager Frieden beigetreten und hatte diesen im Bayerischen Kreis publiziert. Daher wurde er am 9. Oktober durch ein kaiserliches Patent, das auch den kreisausschreibenden Kurfürsten und Fürsten, dem König von Ungarn und Kurbrandenburg mitgeteilt wurde, ebenso wie Johann Georg von Sachsen zum Generalkommandanten über ein Viertel der Reichsarmada ernannt.87 Wie der Kaiser auf Rückfrage Maximilians präzisierte, sollte dieses Kontingent nicht nur aus den von Maximilian selbst geworbenen und finanzierten Truppen bestehen, sondern aus dem gesamten bisherigen Ligaheer. Wie die übrige Reichsarmada sollte es
85 Der Kaiser an den König von Ungarn, 1.9.1635: Ebenda fol. 329 ff. (Kopie Dr. Bierther). Benützt bei Haan, Reichsabsolutismus 321 f. 86 Der König von Ungarn an den Kaiser, 9.9.1635: Ebenda fol. 372 f. (Kopie Dr. Bierther). 87 Text: Dokumente 1,3 Nr. 311.Vgl. auch Haan, Reichsabsolutismus 322 ff. Dessen Ansicht, daß durch die Schaffung eines dritten Corpus „eine erste entscheidende Modifizierung des Prager Friedensprogramms" vorgenommen worden sei, ist nicht akzeptabel. Das dritte Corpus für Maximilian war seit den Pirnaer Verhandlungen vorgesehen.
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finanziert werden aus Kontributionen der Reichskreise, für das bayerische Kontingent waren die Reichssteuern und Quartierleistungen des Bayerischen, Schwäbischen und Fränkischen Kreises vorgesehen. Jedoch enthielt das Dekret weiterhin die Bedingung, die der König von Ungarn schon am 13. Juni gestellt hatte, daß die Truppen im Falle der Abwesenheit Maximilians von der Armee der völligen Disposition des Königs von Ungarn unterstanden und daß bei einem Rücktritt Kursachsens vom Generalat auch Maximilian zurückzutreten hatte (um gegenüber den Protestanten den Anschein der Fortexistenz der Liga zu vermeiden). Maximilian wollte keiner dieser Einschränkungen zustimmen! Zwar akzeptierte er, wie bisher, das Kommando des Königs von Ungarn beim Zusammenwirken der beiden Heere und seiner eigenen, Maximilians, Abwesenheit. Aber eine völlige Disposition des Königs lehnte er weiterhin ab.88 Eine Besprechung Zollerns und Richels mit dem König von Ungarn, Trauttmansdorff und Ferdinand Kurz von Senftenau am 16. November in Ingolstadt zur Klärung des Problems blieb ergebnislos. Erneute intensivere mündliche und schriftliche Verhandlungen mit Kurz im Januar 1636 in München führten dann zwar zu einigen weiteren Zugeständnissen des Kaisers, aber nicht zur Klärung der eigentlich entscheidenden Frage nach den definitiven Kompetenzen des Königs von Ungarn über das bayerische Kontingent.89 Ferdinand II. rückte nun zwar von der Forderung nach „völliger Disposition" des Königs ab, ebenso von dessen Kommandogewalt über das bayerische Corpus bei getrennten Armeen; auch sollte ein Rücktritt Kursachsens vom Kommando keine Auswirkungen auf Maximilians Kommando haben. Jedoch forderte er nunmehr — und das war jetzt der entscheidende Punkt —, daß bei gemeinsamer Kriegführung in Abwesenheit Maximilians und des Königs von Ungarn das Kommando über beide Armeen auf den Befehlshaber der kaiserlichen Armee Graf Gallas übergehen solle! Denn der Charakter der ehemaligen Ligatruppen habe sich durch den Prager Frieden grundlegend verändert, aus der bisherigen „assistenz armada" sei ein dem Kaiser unterworfenes Corpus der Reichsarmada geworden. Diese Tatsache wurde von Maximilian nicht bezweifelt. Er war auch, wie bisher, einverstanden, daß bei gemeinsamer Kriegführung und Abwesenheit Maximilians das Kommando über beide Armaden dem König von Ungarn zukam,90 da dies dem Stuttgarter Rezeß entspreche; nur müßten dann, wie ebenfalls in Stuttgart vereinbart, der HerHaan, Reichsabsolutismus 323 ff. und 329 ff.; Kapser, Kriegsorganisation 27 ff. Haan, Reichsabsolutismus 325 ff. Ό Vgl. Maximilian an Kurz, 21.1.1636: Kschw. 78, fol. 40 ff. (Entwurf Richels), auch für das Folgende. Unzutreffend Haan, Reichsabsolutismus 329. 88 89
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zog von Lothringen und einige hohe Offiziere jeweils zum Kriegsrat des Königs beigezogen werden. Die Kommandogewalt des Gallas im geforderten Sinn wies Maximilian jedoch strikt zurück, denn sie hätte ihm das Kommando über die bayerische Armee überhaupt aus der Hand genommen. Er gebrauchte das Argument, daß sich der Lothringer den Befehlen des Gallas keinesfalls unterwerfen würde. Vielmehr sollte der Kriegsplan von Gallas und dem Herzog jeweils gemeinsam beschlossen werden, auch sollten die entsprechenden Befehle für das bayerische Corps dann von dem Herzog allein erteilt werden. War der Herzog von Lothringen abwesend, sollte Gallas zwar einem gemeinsamen Kriegsrat mit bayerischen Offizieren präsidieren, die Beschlüsse sollten aber der bayerischen Armada nur von dem bayerischen Befehlshaber übermittelt werden. So sei es schon 1620 mit Maximilian und Bucquoy, 1625 mit Tilly und Wallenstein und 1632 vor Nürnberg mit Maximilian und Wallenstein praktiziert worden. „Der gestallt hat ein yeder general bey seiner underhabenden armaden den gebürenden und im kriegswesen hechstnotwendigen respect und gehorsamb erhalten." Darüber hinaus vertrat Maximilian die Auffasssung,91 daß der Kaiser, obwohl als Oberstkommandierender anerkannt, gleichwohl seine Kommandogewalt nur in Verständigung mit den Oberbefehlshabern der drei Corpora ausüben könne, sich also auch an die bayerischen Truppen nicht unmittelbar kommandierend wenden könne. Er, Maximilian, werde zwar den kaiserlichen Befehlen nachkommen, „soviel die ausseriste möglichkeit immer zuläßt", könne aber eine unmittelbare Kommandogewalt des Kaisers nicht anerkennen. In späteren Jahren versuchte Maximilian diesen Anspruch terminologisch zu fixieren, indem er zwischen der „Kayserlichen immédiat- und mediatreichsarmada" bzw. zwischen „Euer Mayestät immédiat- und meiner reichsarmada" unterschied.92 In der Folge wurde über die strittigen Befehlsfragen keine grundsätzliche Einigung erzielt, beide Seiten hielten an ihren Auffassungen fest. Jedoch wurde in der Praxis, auf die es ankam, die Unabhängigkeit Maximilians zunehmend gestärkt und gefestigt.93 Das Kommando des Königs von Ungarn wurde bereits nach einem Jahr obsolet, insofern dieser im Februar 1637 beim Tode Ferdinands II. in die Kaiserwürde eintrat und damit aus seinem militärischen Kommando ausschied. Weiterhin wurde das bayerische Kontingent ebenso wie das sächsische schließlich nicht auf den Kaiser vereidigt, wie
Maximilian an Kurz, 23.1.1636: Kschw. 78, fol. 64 ff. (Entwurf Richels); vgl. auch Haan, Reichsabsolutismus 329 ff.; Kapser, Kriegsorganisation 28. 92 Maximilian an den Kaiser, 29.6.1646: APW II A 4, Nr. 248 Beil. A. 93 Hierzu vgl. Kapser, Kriegssorganisation 36 ff. 91
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von diesem ursprünglich gefordert worden war.94 An sich war vorgesehen, die Offiziere und Soldaten des bayerischen Corpus sowohl auf Kaiser und Reich wie auf Maximilian zu vereidigen, jedoch verzichtete König Ferdinand erstaunlicherweise schon im November 1635 bei der Ingolstädter Konferenz auf die Inpflichtnahme für den Kaiser - vielleicht aus finanziellen Gründen, da bei Neuvereidigung Soldzahlungen hätten geleistet werden müssen. Hierdurch wurde in der bayerischen Reichsarmada zumindest bei den Offizieren ein Sonderbewußtsein gefördert, das Maximilians Forderung nach größtmöglicher Selbständigkeit seines Kontingents entgegenkam und sich in der Schlußphase des Krieges in dramatischer Aktion äußern sollte. Die Unabhängigkeit Maximilians von kaiserlichen Ansprüchen wurde weiterhin verstärkt durch die Regelung, daß die Kontributionen des Bayerischen, Schwäbischen und Fränkischen Reichskreises zur Finanzierung der bayerischen Armada direkt in die bayerische Kriegskasse flössen, ohne einer Kontrolle der Kaiserlichen zu unterliegen. Maximilian hatte ein Konzept der Heeresfinanzierung durchgesetzt, das er schon beim Kollegialtag 1630 entgegen anderweitigen kaiserlichen Vorstellungen gefordert hatte. In der Frage der Kommandogewalt hatten 1635/36 beide Seiten auf ihrem Standpunkt beharrt, jedoch erwies die seitherige Praxis, daß Maximilian fortfuhr, seine Auffassung in die Tat umzusetzen. Er beanspruchte und praktizierte das alleinige Recht der Bestellung der obersten Befehlshaber bis herab zum Obersten sowie der Austeilung der Werbepatente und Musterplätze.95 Die Bedeutung dieser Befugnisse erhellt aus der Tatsache, daß das Recht zur Ernennung der Generäle und hohen Offiziere bei den Militärverhandlungen von 1630 als so wichtig angesehen worden war, wie erwähnt, daß die Betrauung Maximilians mit der Nachfolge Wallensteins u.a. an dieser Frage gescheitert war, da man ihm diese weitreichende Kompetenz nicht hatte zugestehen wollen. Weiterhin wurde die Befehlsgewalt bei gemeinsamer Kriegführung der kaiserlichen und bayerischen Streitkräfte nicht in der Weise ausgeübt, wie vom Kaiser und insbesondere vom König von Ungarn beansprucht worden war. Seit der Kaiserkrönung von 1637 führten anstelle des Königs von Ungarn kaiserliche Generäle das Oberkommando über die kaiserliche Armee, somit lehnte es Maximilian wie bisher ab, die dem König von Ungarn zugebilligte alleinige Befehlsgewalt beim Zusammenwirken der beiden Armeen und Abwesenheit Maximilians auch den Generälen zuzugestehen. Vielmehr wurden in der Folgezeit die anstehenden Probleme zwischen Haan, Reichsabsolutismus 337 ff. Die Zuteilung dieser Befugnis findet sich jedoch nicht in der kaiserlichen Erklärung vom 9.10.1635 (so Kapser, Kriegsorganisation 44 Anm. 110); vgl. den Text in Dokumente Nr. 311. 94
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der kaiserlichen und der bayerischen Armada jeweils auf dem Weg der Verhandlung und beidseitigen Konsultation, also von Fall zu Fall, entschieden, vor allem auf den neun nachweisbaren kaiserlich-bayerischen Militärkonferenzen, bei denen alle Fragen der Feldzugsplanung, des Armeeunterhalts und der Quartierverteilung besprochen worden sind.96 Natürlich bedeutete diese Verständigungspraxis eine bestimmte Bindung Maximilians in der Ausübung seiner Befehlsgewalt, doch war er auch in Ligazeiten in gewisser Weise gebunden gewesen, nämlich durch die Mitsprache der Ligastände und speziell der Kurfürsten von Mainz als Mitdirektoren. So läßt sich sagen, daß Maximilian aufgrund aller seiner jetzigen Befugnisse und Praxen die starke Position, die er bis 1635 in der Verfügung über das Ligaheer besessen hatte, trotz der Prager Neuordnung auch in der Verfugung über den bayerischen Teil der Reichsarmada besaß. Dies war eine Tatsache von fundamentaler Bedeutung für sein Selbstverständnis und seine Möglichkeiten in der zweiten Kriegshälfte. Im Grunde hat er das reichs fürstliche ius armorum, das ihm 1619 zu Beginn des Krieges von Ferdinand II. bestätigt worden war, in seiner Praxis weiterhin behauptet. Darüber hinaus bedeutete dieses Fazit, daß die Prager Neuordnung des Heerwesens zwar eine weitreichende und als Lösung interessante Umgestaltung des Reichskriegswesens bewirkt hat, daß aber die weitergehenden Absichten, die der König von Ungarn mit ihr verbunden hatte, letztlich nicht zum Zuge gekommen sind. Das Ganze trägt den Stempel Ferdinands II. und Maximilians, nicht Ferdinands III. Der Prager Frieden war als ein allgemeiner Frieden konzipiert, der sowohl für sämtliche Reichsstände wie für die auswärtigen Gegner verbindlich sein sollte. Tatsächlich traten ihm in der Folge nahezu alle Reichsstände außer dem Landgrafen Wilhelm von Hessen-Kassel und dem Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar bei, andere wie Württemberg und Baden-Durlach waren als „nondum reconciliati" ausgeschlossen. Obwohl er einen bedeutenden Friedensschritt darstellte, hatte der Vertrag durch die zeitliche Begrenzung mancher seiner Festlegungen, durch Ausnahmeregelungen und Zweideutigkeiten, welche Definitives zu vermeiden suchten, doch einen Charakter von „Vorläufigkeit und Stückhaftigkeit" (Repgen). Diese Begrenzungen trugen dazu bei, daß er sein eigentliches Ziel, die Einigung des Reiches gegen die fremden Mächte durch Ausgleich der Konfessionen und Stärkung der Kaisermacht, schließlich nicht erreichte. „Die Lösung war zu eng."97 Vor allem aber besaß 96 97
Liste der Konferenzen bei Kapser, Kriegsorganisation 166 Anm. 3. Hecke/, Deutschland 177.
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das durch den Friedensschluß nur unvollkommen und teils widerwillig geeinte Reich nicht die Machtmittel und die Machtorganisation, um Schweden und Frankreich, wie es das Friedensinstrument vorsah, ζμηι Friedensschluß zu zwingen oder aber vom Reichsboden zu verdrängen. So bedeutete der Prager Frieden auch für Maximilian und das Herzogtum Bayern zwar eine wichtige Zäsur des Krieges, aber noch nicht dessen Ende. Die Differenzen in der Militärfrage und manche andere Friktionen in den bayerisch-kaiserlichen Beziehungen dieser Monate verhinderten nicht, daß gerade jetzt das dynastische Band zwischen den Häusern Wittelsbach und Habsburg noch enger als bisher geknüpft wurde. Mitte Mai 1635, schon wenige Monate nach dem Tode der Kurfurstin Elisabeth, ließ Maximilian in Wien nach vorhergehenden Sondierungen um die Hand der ältesten Kaisertochter Maria Anna, seiner funfundzwanzigjährigen Nichte anhalten. Darf man Äußerungen Maximilians gegenüber seinem Bruder in Köln glauben,98 hatte er zunächst erwogen, „nach so lang geführter schweren und mühsamen regierung mehr ruhe zu suchen", also abzudanken wie einst sein Vater. Auf Zuspruch vieler geistlicher und weltlicher Leute habe er aber nicht nur davon abgesehen, sondern sei auch bewogen worden, sich erneut zu verheiraten," zumal ihm vom Kaiserhof und von spanischer Seite das Interesse an einer engeren Verbindung der Häuser Habsburg und Wittelsbach signalisiert wurde. So gewiß mit dynastischen Verbindungen politische Wirkungen angestrebt wurden, so war doch das Hauptmotiv Maximilians die Hoffnung, doch noch zu einem Erben zu gelangen, was freilich letztlich auch auf eine politische Zielsetzung hinauslief. Man vertraute in München auf Prophezeiungen, daß Maximilian trotz seines Alters noch mit Nachkommenschaft zu rechnen habe, er wurde auch allgemein als kräftiger und gesünder als noch im Jahre 1630 bezeichnet.100 Er habe zwar beabsichtigt - ließ Maximilian die aus der ersten Garnitur seiner Räte bestehende Werbungsgesandtschaft am Kaiserhof vortragen - , im Witwerstand zu verbleiben, sich aber dann vor allem auf Rat Rekapituliert in Kurköln an Maximilian, 23.5.1635: Kschw. 965, fol. 255 ff. „Weil durch verlust dero gliebsten sehligen gemahel E.L. fast alles menschlichen solatìi bei so unauffhörlichen überheuffigen laboribus destituirt worden, sie widerumb ein ergezung des mühsamen lebens billich haben mechten, derwegen zu abermahlicher verehelichung Ire gedankhen schlagen wolten..." 100 Wartenberg an Kurköln, 7.5.1635: BA N F 11,9 Nr. 258 I Anm. 5. 1636 berichtete der pfalzische Gesandte v o m Regensburger Kurfiirstentag, Maximilian „sihet in warheit noch frisch auß und solt man in nit vor so alt ansehen. Hab sorg, er werde noch nit so bald ad patres gehen. Seine gemahlin ist eine hüpsche ansehnliche dame und viel schöner als ihre noch ledige schwester." Zitiert Haan, Kurfiirstentag 100. M
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der Geheimräte entschlossen, sich zum Wohle des Hauses Bayern und des allgemeinen Wesens noch enger mit dem Hause Osterreich zu vereinigen.101 Die Geschichte habe erwiesen, wie segensreich die enge Verbindung zwischen beiden Dynastien diesen und der katholischen Religion schon bisher gewesen sei. Man wisse, daß der Kaiser der erstrebten Verbindung zustimme und erhoffe den wegen naher Verwandtschaft notwendigen päpstlichen Dispens. Zur Grundlage der Heiratsverhandlungen dienten die Abreden anläßlich der Hochzeit Albrechts V. mit Erzherzogin Anna von Österreich 1546102 und derjenigen von Maximilians Schwester Maria Anna 1598 mit Erzherzog Ferdinand von Innerösterreich, dem jetzigen Kaiser und künftigen Schwiegervater Maximilians. Kaiser Ferdinand II. war insofern zu Zugeständnissen bereit, als er seine Bevollmächtigten mit dem Auftrag in die Verhandlungen schickte, für seine Tochter Maria Anna nicht den sonst im Hause Österreich üblichen vollständigen, sondern nur einen bedingten Erbverzicht auszuarbeiten.103 Entsprechend sah der Heiratskontrakt vom 17. Juli 1635104 für den Fall des Aussterbens der männlichen Nachkommenschaft Ferdinands II. ein Miterbrecht der Braut vor. Dieses war jedoch durch den Verweis auf das habsburgische Hausrecht derart eingeschränkt, daß sich Maximilian ebensowenig Hoffnungen auf eine habsburgische Erbfolge seiner Nachkommen machen konnte, wie einst Wilhelm IV. im Jahre 1546. Das Heiratsgut der Braut sowie Widerlager und Morgengabe des Bräutigams, insgesamt 250 000 Gulden, sollten auf Schloß und Stadt Wasserburg sowie die Landgerichte und Märkte Kraiburg und Neumarkt versichert werden. Sieben Jahre zuvor hatte der Wiener Nuntius Carafa an der Erzherzogin Maria Anna große Schönheit, geordnete Lebensführung, Urteilskraft, Klugheit und Gemessenheit („una gravità quasi Spagnuola") bemerkt. Sie spreche fließend Italienisch und werde wohl, wie bei ältesten Kaisertöchtern üblich, einem König vermählt werden, in Deutschland jedenfalls sei kein Kandidat vorhanden.105 Ein Porträt, das Maximilian wohl bald nach der Hochzeit anfertigen ließ, zeigt Maria Anna als grazile dunkle Schönheit, behängt mit einer der berühmten Perlenketten aus der Münchner Schatzkammer und einem 101 Instruktion für Zollern, Wolkenstein, Max Kurz von Senftenau und Richel, Reinschrift mit Korrekturen Maximilians und Richels, 6.5.1635: Hausurkunden Nr. 1436. 102 Hierzu vgl. Doeberl, Entwicklungsgeschichte I, 396 f. 103 Vgl. Ludwig Hiittl, Die bayer. Erbansprüche auf Böhmen, Ungarn und Österreich in der frühen Neuzeit, in: F. Seibt (Hg.), Die böhmischen Länder zwischen Ost und West. Festschrift für K. Bosl zum 75. Geburtstag, München 1983, 70-88, hier 77 f. Hütd verwechselt die kaiserlichen mit den bayerischen Unterhändlern Wolkenstein, M. Kurz und Richel. 104 Druck: Dokumente 1,3 Nr. 310. 105 Carafa, Relazione 287 f.
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großen Diamantanhänger, der auch schon von der Kurfurstin Elisabeth getragen worden war.106 Am 17. Juli fand die Trauung in der Augustinerkirche in Wien durch den Erzbischof von Olmütz Kardinal Dietrichstein statt, der einst schon die Eltern der Braut getraut hatte.107 Maximilian war mit Herzog Albrecht und großem Gefolge von München aus auf Isar und Donau nach Wien gereist; er war vom Kaiser mit großem fürstlichen, adeligen und geistlichen Beistand festlich empfangen und zur Kirche geleitet worden, wo sich das Brautpaar zum ersten Mal von Angesicht gegenüberstand. Nach Festmählern, Turnieren und Jagdvergnügungen verließ das Paar am 27. Juli die Kaiserstadt und reiste durch das Land ob der Enns zur bayerischen Grenze. In Ried überreichten Vertreter der bayerischen Landstände als Geschenk der Landschaft eine Silbertruhe mit silbernem Eßgeschirr.108 In der Altöttinger Gnadenkapelle empfing das Paar die Eucharistie, Maria Anna stiftete ihr Brautkleid dem Kirchenschatz zur Anfertigung von Paramenten, Maximilian einen kostbaren Rosenkranz,109 dann reisten beide über Wasserburg nach München, um in der Frauenkirche den Segen Gottes zu erflehen. Zur Begrüßung in der Residenzstadt brachten die Schüler des Münchner Jesuitengymnasiums ein von Andreas Brunner verfaßtes Schauspiel „Nabuchodonosor" zur Aufführung: Die Tugend besiegt das Laster, „die Hoffnung einer newen Welt / ist alle auff den Fürsten gestellt."110 Die Verbindung des alten Wittelsbachers mit der jungen Habsburgerin mochte im übrigen Europa manche Häme hervorrufen. Wichtiger war, daß sie auch als ein politischer Akt empfunden wurde, als Abkehr Maximilians von profranzösischen Tendenzen und eine Hinwendung zum Haus Habsburg in einem Augenblick, in dem Frankreich den offenen Kampf gegen Kaiser und Reich aufgenommen hatte.111 Auf die unmittelbaren politischen Beziehungen zwischen München und Wien hatte der Vorgang entgegen den Hoffnungen mancher Zeitgenossen keine erkennbaren Auswirkungen, wie die fortdauernden Auseinandersetzungen um Maximilians Kommandogewalt zeigten. Vielleicht war es nicht zufallig, daß der König von Ungarn bei den Wiener Feierlichkeiten gefehlt hatte und in seinem Hauptquartier in Heilbronn verblieben war.
Abb. in GR II Nr. 726. Khevenhilkr.; Annales Ferdinandei XII, 1775 ii:,Adl%reiter-Vervaux, 108 Einzelheiten in Fürstensachen Nr. 577. κ» König, Weihegaben II, 221. "o Vgl. GR II Nr. 728. 111 Vgl. den Bericht aus Rom in BA NF 11,9 Nr. 258 I Anm. 5. 106 107
Annales III, 359 f.
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Im übrigen erreichte das Unternehmen seinen Zweck, am 31. Oktober 1636 wurde der Kurprinz Ferdinand Maria geboren, am 20. September 1638 der zweite Sohn Maximilian Philipp. Hainhofer hat berichtet, mit welcher Sorgfalt Maximilian seine schwangere Gemahlin umhegte, als beide bei einer Wallfahrt nach Andechs um eine glückliche Geburt beteten. Dem Andechser Heiltumsschatz entstammte auch der Gürtel mit einer Marienreliquie, deren apotropäische Kraft Maria Anna wie manche frühere Herzogin während der Wehen schützen und segnen sollte.112 Der lang ersehnte Erbe wurde auf den Namen seines Großvaters und Taufpaten Kaiser Ferdinand II. getauft, der Beiname Maria sollte ihm den besonderen Schutz der von seinen Eltern so sehr verehrten Gottesmutter vermitteln. Mit der Geburt Ferdinand Marias wurde Herzog Albrecht aus seiner jahrzehntelangen Position als Thronfolger verdrängt, auch alle eventuellen Ambitionen Ferdinands von Köln waren endgültig hinfällig. Wenn bisher Maximilians Handeln in erster Linie von der Sorge um die politische und konfessionelle Integrität seines Herzogtums bestimmt gewesen war, so trat nun das besondere dynastische Anliegen hinzu, seinem Sohn das ungeschmälerte Erbe zu erhalten. In der Folge erwies sich Maria Anna (soviel aus den wenigen Zeugnissen aus den Jahren vor 1651 ersichtlich wird) als interessierte Begleiterin der Politik ihres Gemahls, über die politischen Vorgänge unterrichtet, mit Kaiser Ferdinand III., ihrem Bruder, in politischen Fragen korrespondierend und den bayerischen Standpunkt vertretend, auch im Meinungsaustausch mit hohen Beamten des Münchner Hofes.113 Maria Annas politisches Interesse erwies sich besonders deutlich, als im Herbst 1640 Maximilians großes Testament von 1641 vorbereitet und dabei das Problem der Kompetenzen des Administrators für den minderjährigen Erbprinzen erörtert wurde. Die Kurfürstin akzeptierte zwar Maximilians Auskunft, daß Reichs- und Kursachen lt. Goldener Bulle nur von einem männlichen Administrator ausgefertigt werden könnten. Jedoch drängte sie darauf, daß sie als Kurfürstinwitwe dann jedenfalls in Landessachen ein Mitunterzeichnungsrecht erhalten müsse. Als sich Maximilian damit grundsätzlich einverstanden erklärte, aber ohne vorheriges Gutachten Richels keine Festlegung treffen wollte, wandte sich Maria Anna hinter dem Rücken ihres Mannes unter einem Decknamen an Bartholomäus Vgl. Häutk, Hainhofer 279 f.; Friesemgger, Tagebuch 103; GR II, Nrr. 336 und 729. Vgl. Karl Mayr; Briefe der Kurfüirstin Maria Anna von Bayern, in: Festgabe für Karl Theodor von Heigel, München 1903, 305-323; Rie^ler, Meuterei Werths 52 f. U.a. korrespondierte Maria Anna Ende der vierziger Jahre mit dem nach Wien abgeordneten Hofkammerpräsidenten Mändl, den sie um die Besorgung lutherischer Bücher zum eigenen Gebrauch und zum Verschenken bat! 112
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Richel und bat diesen, das Gutachten in ihrem Sinne zu formulieren. „Denn Ir [Richel] leucht erachten könt, das wan alle cameralia pevelch, die beamten decret und dergleichen sachen alls under des Administrator hant zeichen ausging, es den anschein habe, als wan mein gemahl ein mistrauen zu mich gehab oder ichs an verstant nit hete, welichs mir ein schlechte reputation sein wurde und in effect war der Administrator herr und ich diener..."114 Tatsächlich fand sich dann die von Maria Anna gewünschte Fesdegung im Testament von 1641.115 Demgemäß wurden nach Maximilians Tod die Reichs- und Kursachen dem Herzog Albrecht, die Justiz-, Kamerai- und anderen Sachen der Kurfurstin zugewiesen.116 Man darf annehmen, daß Maximilians Entscheidungen in seinen letzten Lebensjahren in beachtlichem Ausmaß durch Maria Anna, Mändl und Maximilian Kurz beeinflußt worden sind, eben durch jene drei, die nach seinem Tod den Kern des Administrationsrates bis zur Volljährigkeit Ferdinand Marias gebildet haben.
Maria Anna an Richel, 28.9.1640: Korrespondenzakten 636/2, unfol. »5 Dokumente 1,3 Nr. 322, hier 1148. 116 Riemer, Geschichte VII, 6. 114
32. Zur Kriegsfinanzierung 1635-1648 Seit dem Prager Frieden und der Auflösung der Liga hatte Bayern nicht mehr zusammen mit den Ligaständen das Ligaheer zu finanzieren, sondern zusammen mit den Ständen des Bayerischen, des Schwäbischen und des Fränkischen Reichskreises das von Maximilian befehligte bayerische Kontingent der Reichsarmada. Laut Absatz 70-75 (ehem. Art. 24) des Prager Friedens kamen die Kontributionen dieser drei Reichskreise ebenso wie diejenigen der anderen Reichskreise aus den Bewilligungen der Reichs-, Kurfürsten- und Reichskreistage zusammen, die in der Regel jeweils 120 Römermonate betrugen.1 Da ein Römermonat auf Reichsebene rechnerisch etwa 100 000 Gulden erbrachte, wären hiermit gewaltige Summen zur Kriegs finanzierung eingegangen. Jedoch wurde von vornherein einkalkuliert, daß nicht wenige Reichsstände den vollen Betrag nicht zahlen konnten oder wollten und daß der Kaiser einzelnen Ständen beträchtliche Ermäßigungen, sog. Moderationen, gewährte.2 Aber auch in reduzierter Form bedeuteten die Beiträge der drei Reichskreise für die Heeresfinanzierung Maximilians eine wesentliche Grundlage, die vor dem Prager Frieden in dieser Weise nicht gegeben war.3 Allerdings hatte er vorher über die Zahlungen der Ligastände verfügen können, die jedoch seit 1631 nahezu vollständig eingestellt worden waren. Auch hatte Maximilian wiederholt befürchten müsssen oder jedenfalls befürchtet, daß ihm angesichts der Existenz eines kaiserlichen Heeres seit 1625 die erstmals 1620 erteilte und seither verschiedentlich erneuerte Vollmacht zur Kriegführung im Namen des Kaisers entzogen und damit der Liga die 1 Lt. Kapser, Kriegsorganisation 139 ff. und 287 wurde der Bayerische Reichskreis auf Reichs-, Kurfürsten- und Kreistagen zu folgenden Zahlungen (in Römermonaten) verpflichtet: Prager Frieden 1635: 120 Römermonate; Kurfürstentag von Regensburg 1636/37: 120; Kreistag von Landshut 1638: 150; Reichstag von Regensburg 1640/41: 240; Kreistag von Landshut 1642: 100; Deputationstag von Frankfurt 1643/44: 240; Ort unbekannt 1645: 120; Ort unbekannt 1646: 120; Ort unbekannt 1647: 120; Kreistag von Wasserburg 1649 (zur Abdankung): 125. Vgl. auch Magen, Reichskreise; Salm, Armeefinanzierung 13 f.; Bierther, Reichstag 291 ff.; Heinisch, Salzburg 164 ff. Eine Spezialuntersuchung über das Kontributionssystem für die Reichsarmada seit dem Prager Frieden steht noch aus. 2 Hierzu vgl. Bierther, Reichstag 296 f. 3 Zu gelegentlichen und insgesamt weit niedrigeren Beiträgen des Bayerischen Reichskreises zum Ligaheer vor 1635 vgl. oben Kapitel 21.
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Rechtsgrundlage genommen würde, die Untertanen nicht der Liga angehörender Reichsstände zu Quartierleistungen heranzuziehen. Insoferne konnte er mit der Prager Finanzierungsregelung zufrieden sein, falls sie einigermaßen in die Tat umgesetzt wurde. Allerdings wurde der von den Ligaständen (ohne Bayern) zwischen 1619 und 1634 erbrachte Gesamtbeitrag in Höhe von rund 7 218 000 Gulden durch die Leistungen der drei oberdeutschen Reichskreise (ohne Bayern) in der zweiten Kriegshälfte bei weitem nicht erreicht. Laut der bayerischen Hauptkostenrechnung4 betrugen die Einnahmen des bayerischen Kontingents der Reichsarmada in den Jahren 1635-1649 insgesamt 11 875 357 Gulden. Davon bezahlten die 18 Mitglieder des Bayerischen Reichskreises (ohne Bayern!) aufgrund der Kontributionsbewilligungen auf Reichs-, Deputations- und Kreistagen insgesamt 2 219 424 Gulden, wobei die ursprünglichen Bewilligungen weit höher als die tatsächlichen Zahlungen gewesen waren.5 Die höchsten Leistungen erbrachte das Erzstift Salzburg mit rund 74 Prozent dieser Summe, ihm folgten mit Abstand die Fürstpropstei Berchtesgaden (5,99 Prozent)6, das Hochstift Freising (5,5 Prozent) und das Herzogtum Pfalz-Neuburg (3,87 Prozent). Für den Schwäbischen Kreis nennt die Hauptrechnung nur einen Betrag von rund 564 000 Gulden, jedoch gibt es Hinweise auf erheblich höhere Leistungen.7 Uber die Kontributionsleistungen des Fränkischen Kreises haben wir keine Angaben. Auch wissen wir nicht, wie hoch die den schwäbischen und fränkischen Reichsständen auferlegten Einquartierungen zu veranschlagen sind, die auf die Kontributionszahlungen angerechnet zu werden pflegten. Bei Goefy Kriegskosten sowie in vereinfachter Form bei Kapser, Kriegsorganisation 285 mit Erläuterungen ebenda 133 ff. 5 Für Salzburg werden 1 640 000 fl. als bezahlt angegeben, was auch durch kaiserliche Quittungen bestätigt ist (s. Heiltisch, Salzburg Anhang XXVI f.). Jedoch war Salzburg weit höher veranlagt gewesen und nur durch kaiserliche Reduktionen auf die genannte Summe gekommen, von der übrigens der Teilbetrag von 500 000 fl. (so nach Heinisch, Salzburg Anhang XXVII; Goe% Kriegskosten 116 hat 725 000 fl.) erst in den Jahren 1649-1652 bezahlt worden ist. Dagegen hat die Fürstpropstei Berchtesgaden die in der Hauptrechnung als bezahlt verzeichnete Summe von 133 000 fl. zwar bewilligt, aber nur etwa zur Hälfte bezahlt, wie sich aus Brugger; Geschichte Berchtesgadens 11,1,133 ergibt. Eine klärende Untersuchung über das Verhältnis von Bewilligungen und tatsächlichen Zahlungen wäre erwünscht; zur Schwierigkeit vgl. Kapser., Kriegsorganisation 136 Anm. 27. - Die Bemerkung von Kapser, Kriegsorganisation 213, das Erzstift Salzburg habe nach 1635 „nur unwesentlich geringere Kontributionen" als Bayern aufgebracht, bezieht sich natürlich nur auf den begrenzten Bereich der auf Reichs- und Kreistagen bewilligten Kontributionen. Denn aufs Ganze hat Bayern in der zweiten Kriegshälfte 8 897 000 fl. fur die bayerische Reichsarmada geleistet, Salzburg dagegen 1 640 000; vgl. die Tabellen 39 und 40 ebenda 285 ff. 6 Vgl. jedoch Anm. 5! 7 Hierzu Kapser, Kriegsorganisation 145 ff. 4
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Was den neunzehnten Stand des Bayerischen Reichskreises, das Herzogtum Bayern, betrifft, so bewilligten die bayerischen Landstände zwischen 1635 und 1649 für Reichs- und Kreiskontributionen insgesamt 2 412 000 Gulden, von denen allerdings (aufgrund kaiserlicher Reduktionen?) nur 1 193 840 Gulden wirklich beglichen wurden.8 Für Kontributionsleistungen der Jahre 1635-1638 streckte Maximilian den Landständen darüber hinaus einen Betrag von 475 820 Gulden vor, sodaß die bayerischen Gesamtleistungen für Reichs- und Kreiskontributionen sich auf 1 669 660 Gulden beliefen. Da die von den Landständen geleisteten Zahlungen größtenteils auf Landsteuern (ca. 60 Prozent) und Aufschlägen (ca. 26 Prozent) und sehr viel weniger auf Ständesteuern (ca. 14 Prozent) beruhten, dürfen sie nicht eigentlich, wie üblich, den Ständen, sondern müssen der bayerischen Bevölkerung insgesamt, insbesondere der Landbevölkerung als Kriegsleistung gutgeschrieben werden. Die Kriegskosten seit 1635 hätten aber durch die genannten Reichs- und Kreiskontributionen der drei oberdeutschen Reichskreise allein längst nicht finanziert werden können, hierzu bedurfte es zusätzlicher Leistungen der bayerischen Untertanenschaft und des Landesherrn. Was die Untertanenschaft betrifft, so hat Maximilian die in der ersten Kriegshälfte eingeführten außerordentlichen Kriegssteuern und den sog. Neuen Aufschlag auch nach 1635 eingefordert, begünstigt durch die wirtschaftliche Erholung des Landes nach den ersten Schwedeneinfällen. Demgemäß wurde in den Jahren 1639, 1642 und 1645 die Erhebung der außerordentlichen Kriegssteuern mit einem Gesamtertrag von rund 539 000 Gulden fortgesetzt und 1639/40 erneut eine Dezimation beim gesamten bayerischen Welt- und Ordensklerus vorgenommen.9 Weiterhin wurde in einer Reihe von Jahren seit 1639 eine zehnprozentige Quellensteuer auf die Zinserträge von Darlehen bei der Landschaftskasse sowie zeitweise auch bei der Hofzahlamtskasse und der Kriegszahlamtskasse erhoben. Sie erbrachte mindestens 120 000 Gulden und diente vor allem der Entlastung der Hofzahlamtskasse, die angesichts ihrer erheblichen Zinsbelastungen seit langem jährliche landschaftliche Zinszuschüsse von 75 000 Gulden erhielt. Die genannten Sondersteuern sollten aber auch größere Steuergerechtigkeit bewirken, vor allem auch den Adel stärker belasten, der im Rahmen der Ständesteuer wenig genug leistete, ebenso die Beamten und die Weltgeistlichkeit, die von Land- und Ständesteuer kaum erfaßt wurden. Maximilian hielt Sondersteuern auch desGenaue Aufstellung ebenda 298 f. (Tabelle 44); Freyberg, Pragmatische Geschichte I, 59 ff. Neben Immler, Kirche, vgl. hierzu Konrad Repgen, Fabio Chigi in München (1639) und die bayer. Klerussteuer 1640, in: Archivalische Zeitschrift 73 (1977), 58-75. 8 9
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wegen für erforderlich, weil Subsidienzahlungen, wie sie in der ersten Kriegshälfte vor allem von der Römischen Kurie geleistet worden waren, völlig versiegt waren, nachdem die Spanier 1635/37 noch ein letztes Subsidium von 111 500 Gulden überwiesen hatten.10 Eine Spezialität waren schließlich die Darlehen, die 1648 von zwölf Städten und 77 höheren Beamten als Beitrag zu den Abdankungskosten gefordert wurden; München zahlte 20 000 Gulden, die Beamten hatten zwischen 500 und 3 000 Gulden zu leisten, insgesamt erbrachte die Aktion den ansehnlichen Betrag von 135 000 Gulden.11 Schließlich erforderten die hohen Kriegs- und Abdankungskosten der zweiten Kriegshälfte erhebliche zusätzliche Beiträge des Landesherrn, die aus der Hofzahlamtskasse sowie der „propria cassa" Maximilians finanziert wurden. Sie summierten sich entsprechend der bayerischen Hauptkriegskostenrechnung für die Jahre 1635-1649 auf den Betrag von nicht weniger als 4 409 418 Gulden. Davon stammten 1 555 000 Gulden aus der Hofzahlamtskasse, 2 854 000 Gulden aus der fürstlichen „propria cassa". Wie schon erwähnt, bestanden die Einnahmen der Hofzahlamtskasse in der Hauptsache aus den Leistungen des fürstlichen Kammergutes, also den Abgaben der herzoglichen Urbarsbauern und den Einkünften aus den herzoglichen Domänen und Regalien. Unter der fürstlichen „propria cassa" kann nicht allein der ofterwähnte „Geheime Vorrat" verstanden werden, da dieser in der zweiten Kriegshälfte nicht mehr die hohen Beträge der zwanziger Jahre enthielt. Wie erinnerlich, hatte Maximilian 1634 den auf 900 000 Gulden zusammengeschmolzenen Geheimen Vorrat nach Florenz in Sicherheit gebracht, dann aber 300 000 Gulden wieder nach Bayern zurückgeholt. Diese bildeten im Schatzgewölbe von Burghausen den Grundstock für die Ansammlung eines neuen Vorrats, der bis 1645 wieder auf 1 600 000 Gulden angewachsen ist, vornehmlich aus Einkünften der Halleiner Salzgefälle und den Einnahmen aus den Weißbiergefallen, also den beiden Monopolien Maximilians. Laut Bericht Mändls wurde dieser Betrag beim Feindeinfall 1646 und für die Abdankung der Armee 1648/49 bis auf 300 000 Gulden wieder verbraucht.12 So muß also die „propria cassa" auch noch aus anderen Titeln gespeist worden sein, wobei vor allem an die erwähnten Sondersteuern und die spanischen Subsidien zu denken ist, die nicht in die Landschaftskasse gelangten. Summiert man sämtliche bayerischen Leistungen zur Finanzierung 10 Ernst, Madrid 277 ^Tabelle 11). Kapser, Kriegsorganisation 154 ff. Im Unterschied hierzu erhielt der Kaiserhof von 1635-1640 weiterhin spanische Subsidien in Höhe von 2 560 000 £1. 11 Kapser, Kriegsorganisation 153 f. 12 Bericht Mändls von 1650 in Staatsverwaltung 1136, fol. 1-3'. Hierzu vgl. Dollinger, Finanzreform 175 f.; Immler, Kf. Maximilian 475 f.; Kapser, Kriegsorganisation 163 f.
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des bayerischen Teils der Reichsarmada in der zweiten Kriegshälfte (Kreiskontributionen, Sondersteuern, Leistungen der Hofzahlamtskasse und der Propria cassa sowie aus Subsidienzahlungen und Anlehen), so ergibt sich nach der bayerischen Hauptkostenrechnung ein Gesamtbetrag von 8 897 766 Gulden, der vom Herzogtum Bayern in der zweiten Kriegshälfte zur Kriegsfinanzierung aufgebracht worden ist.13 Angesichts der Einfuhrung bzw. Fortführung von Sondersteuern entwikkelte sich in den vierziger Jahren eine sich hinschleppende Auseinandersetzung zwischen den Landschaftsverordneten und Maximilian bzw. der Hofkammer um die Frage der Anrechnung der Kriegssteuern, der Gelder des Neuen Aufschlags sowie der Quellensteuer auf die landschaftlichen Beiträge für die Reichsarmada. Obwohl die Stände einschlägige Versprechungen Maximilians ins Feld fuhren konnten, wies dieser unter Verweis auf entsprechende Reichsbeschlüsse jede Anrechnung strikt zurück.14 Es bezeichnete das beiderseitige Verhältnis, daß sich die Verordneten dieser Entscheidung unterwarfen, ohne etwa eine Steuerverweigerung ins Auge zu fassen; nach den schockierenden Vorgängen des Jahres 1634 wagten sie über verbale Einwendungen nicht hinauszugehen. Es war nur ein Trostpflaster für sie, wenn 1639 die bereits gedruckten Mandate für eine neue Kriegssteuer noch einmal zurückgezogen und nachträglich mit dem Zusatz versehen wurden, daß sie die Zustimmung der Landschaftsverordneten gefunden hätten. So setzte sich Maximilian auch über alle Einwendungen der Stände hinweg, als er Anfang 1647 die Einhebung einer besonderen Einquartierungssteuer befahl, da die bayerische Armada während des Ulmer Waffenstillstandes in bayerischen Quartieren versorgt werden mußte. Die finanziellen Anforderungen waren erheblich, denn die auf zwei Monate begrenzte (aber dann wohl länger erhobene) Steuer war monatlich auf 614 000 Gulden veranschlagt.15 Das war von der Bevölkerung nicht lange durchzuhalten, zumal angesichts der Schäden, die die Schweden im Jahre 1646 im Lande angerichtet hatten. So ist anzunehmen, daß Maximilian den Ulmer Waffenstillstand von 1647 auch deswegen nach sechs Monaten wieder aufgegeben hat, weil es sich als zu kostspielig
13 Kapser; Kriegsorganisation 285 (Tabelle 39). Demgegenüber waren in der ersten Kriegshälfte vom Herzogtum Bayern (nach der gleichen Aufstellung) 31 779 253 fl. aufgebracht worden, wobei die Einnahmen aus der Steigerung des Münzwerts noch zusätzlich mit 2,62 Millionen berechnet wurden. 14 Als das Problem 1651 noch einmal aufgegriffen wurde, gestand ein kurfürstliches Gutachten die Anrechnung der vollen Kriegssteuer des Jahres 1645 und einiger anderer Beträge zu; Freyberg, Pragmatische Geschichte 1,110. 15 Mandat vom 16.1.1647; vgl. Freyberg, Pragmatische Geschichte 1,101 ff.; Immler; Kirche 400 f.
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erwies, die eigene Armee länger im eigenen Land zu unterhalten, anstatt die Quartierlasten anderen aufzubürden. Die beachtlichen Summen, die Maximilian und die Landstände trotz allem aus dem Lande ziehen konnten, sind ein Hinweis darauf, daß Land und Leute in der Periode zwischen den Schwedeneinfallen von 1632/34 und 1646 in beachtlichem Umfang wieder an Produktionskraft gewonnen hatten. Als der Nuntius Fabio Chigi im Sommer 1639 zu Verhandlungen über die Dezimation des Klerus durch Bayern reiste, konnte er dem Papst berichten, daß die Kriegsschäden von 1632 und 1634 in den letzten fünf Jahren weitgehend wettgemacht worden seien und daher die Geistlichkeit zu Dezimationszahlungen in der Lage sei.16 Da jedoch die einzelnen Landesteile unterschiedlich stark vom Krieg betroffen waren, hat Maximilian verschiedentlich abgestufte Steuerbefreiungen ausgesprochen und auch hierdurch versucht, größere Steuergerechtigkeit herzustellen. Das Steuermandat vom 4. Juni 1634 belegte mit der vollen Steuer das ganze Rentamt Burghausen sowie vom Rentamt München alle Gerichte östlich des Inn, da sie weder durch feindliche noch eigene Truppen besonderen Schaden erlitten hatten,17 ferner vom Rentamt Landshut die östlichen Gerichte Neumarkt, Eggenfelden, Pfarrkirchen, Griesbach, Vilshofen, Hals und das Vogtgericht Mühldorf; nur mit der halben Steuer wurden die im Rentamt Straubing nördlich der Donau gelegenen Gerichte Bärnstein, Dießenstein, Weißenstein, Zwiesel, Viechtach und Hengersberg belegt, da sie in gewissem Umfang vom Feind heimgesucht und Quartierleistungen erbracht hatten; die restlichen Gerichte des Rentamts Landshut sollten mit einer Drittelsteuer belegt werden; alle übrigen Gerichte, weil ganz verderbt, wurden von Steuerzahlungen befreit, das war also der größte Teil des Rentamts München sowie die Oberpfalz, etwa die Hälfte des Landes.18 Hier ist ein Wort zu den Landständen zu sagen, mit deren Vertretern Maximilians Räte die regelmäßigen Finanzverhandlungen um den landständischen Kriegsbeitrag geführt haben. Der finanziellen Inanspruchnahme der Stände während des Krieges hat nur in geringem Umfang ihre Befassung mit akuten allgemeinpolitischen Fragen entsprochen. Allerdings hatte Maximilian in den Testamentskodizillen von 1612 und 1629 der Landschaftsverordnung Repgen, Fabio Chigi 64. Allerdings hatten die Stände und Untertanen östlich des Inn aufgrund von Verhandlungen nach dem Bauernaufstand von 1633/34 nicht unerhebliche wöchentliche Zahlungen zur Quartierbefreiung zu leisten; Freyberg, Pragmatische Geschichte I, 86. « Kiefer, Geschichte V, 505 f. 16 17
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weitgehende Mitspracherechte für Verwaltung und Verwendung des Geheimen Geldvorrats nach seinem Tod zugesprochen, aber nur aus Mißtrauen gegenüber seinem Bruder Albrecht, weswegen diese Bestimmungen nach der Geburt des Thronfolgers 1636 wieder kassiert worden sind. Obwohl die Stände ihrem grundsätzlichen Anspruch nach an wichtigeren Staatsverträgen beteiligt sein wollten, hatte sie Maximilian weder 1619 beim Münchner Vertrag noch 1629/31 beim bayerisch-französischen Abkommen noch auch beim Beitritt zum Prager Frieden konsultiert. Auch bei den jährlichen Steuerverhandlungen kam man über eine allgemeine Erörterung der Kriegsbeschwerden nicht hinaus; inwieweit der Landschaftskanzler Hans Georg von Herwarth d.J., der seit 1637 zugleich dem Geheimen Rat angehörte, die Landschaftsverordneten über Maximilians Absichten und Politik informieren durfte und informiert hat, ist nicht bekannt. Überraschenderweise traten jedoch gegen Ende des Krieges beide Seiten in die Erörterung zentraler politischer Probleme ein!19 Als nach der Schlacht bei Alerheim im Sommer 1645 eine erneute schwedische Invasion drohte, scheuten sich die Landschaftsverordneten nicht, Maximilian um die Aufnahme von Separatfriedensverhandlungen mit Frankreich zu bitten und ihm zu raten, sich hierzu des gefangenen französischen Marschalls Gramont zu bedienen. Wir kennen die Gründe nicht, die Maximilian daraufhin veranlaßten, mit vier in München anwesenden Landschaftsverordneten in eine Erörterung der damaligen Arcana der bayerischen Politik einzutreten. Wollte er die Verantwortung für eine eventuelle Trennung vom Kaiser auf mehrere Schultern verteilen? Oder glaubte er, die Verordneten auf diesem Wege zu erhöhten Bewilligungen zu motivieren? Jedenfalls ließ er sie durch den Obersthofmeister Maximilian Kurz detailliert über die (noch zu schildernden) Verhandlungen des Paters Vervaux in Paris sowie des bayerischen Gesandten Haslang beim Friedenskongreß in Münster unterrichten, ebenso aber auch die gegen eine Trennung vom Kaiser sprechenden Gründe zur Sprache bringen. Zuletzt forderte er ein Gutachten der Verordneten: Sollte der Krieg an der Seite des Kaisers fortgesetzt oder der Weg der Neutralitäts- und Separatfriedensverhandlungen mit Frankreich weiter verfolgt werden? Das war eine erstaunliche Frage, gemessen am bisherigen Verhältnis Maximilians zu den Ständen, auch wenn damit mancherlei taktische Gründe verbunden sein mochten. Die Verordneten rieten, die Verhandlungen auf der Basis derjenigen Bedingungen fortzusetzen, mit denen Kursachsen kürzlich aus dem Krieg ausgeschieden war, wußten aber dann
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Vgl. Freyberg, Pragmatische Geschichte I, 98 ff.
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freilich nicht zu sagen, wie sie abgeschlossen werden könnten, ohne darüber mit dem Kaiser „in Verlegenheit" zu kommen. Alles in allem war keine unmittelbare Einflußnahme der Landstände auf die bayerische Kriegs- und Friedenspolitik gegeben, ihr Anteil beschränkte sich auf Finanzfragen, die natürlich von Gewicht waren, deren Behandlung und Lösung aber von Maximilian vor und nach 1635 einseitig an sich gerissen wurde, wenn es ihm notwendig schien. So ist es zwar richtig, daß sich bei der Landschaftsverordnung im Laufe der Jahre ein Prozeß der Verselbständigung gegenüber der Gesamdandschaft vollzogen hat, die seit 1612 nicht mehr einberufen wurde, und daß die Verordneten sich schließlich „kaum noch als Vertreter ihrer Mitstände begriffen" haben.20 Dieser Vorgang wurde von staatlicher Seite gewiß nicht ohne Wohlwollen betrachtet, weil man mit dem kleinen Gremium der Verordneten leichter zuwege kam. Daß aber die Verordneten nunmehr „als Teil des bürokratischen Zentrums im absolutistischen Herrschaftsgefüge handelten [...], aus der Identifikation mit dem Herrschaftsapparat,"21 scheint überspitzt formuliert und läßt sich aufgrund der Verhandlungen in den Kriegsjahren und den ersten Nachkriegsjahren kaum behaupten. Die Einsicht der Verordneten in manche Kriegsnotwendigkeiten und ihre Anerkennung des persönlichen und materiellen Einsatzes Maximilians hat ihrer prinzipiellen kritischen Distanz gegenüber den landesherrlichen Forderungen keinen Abbruch getan. Und sollten sie sich tatsächlich „als Teil des bürokratischen Zentrums" gefühlt haben, so hat ihnen Maximilian doch immer wieder zu verstehen gegeben, daß er sie nicht als Mitarbeiter, sondern als Handlanger, als zur Unterstützung verpflichtet betrachtete. So hat er den Landständen ihren Beitrag zur Kriegsfinanzierung auch nicht gedankt. Die von den Landständen handelnden Passagen der Testamente der Jahre 1650/51 sind durchaus auf einen kritischen und mißtrauischen Ton gestimmt, warnen vor ständischen Ansprüchen, betonen die fürstlichen Prärogativen. Von Dank oder Anerkennung, von Würdigung des landständischen Einsatzes zur gemeinsamen Sache in den Jahrzehnten des Krieges ist nicht die Rede. Obwohl die Stände längst keine Konkurrenz mehr für den Fürsten bildeten, war bei diesem das Trauma einer solchen Rolle bestehen geblieben. Die enormen Summen, welche zur Finanzierung der bayerischen Reichsarmada zwischen 1635 und Kriegsende aufgebracht wurden, waren in erster Linie das Ergebnis von Leistungen der Steuerzahler aller — vor allem der 20 21
Schlögl, Absolutismus 174. Ebenda.
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breiteren - Bevölkerungsschichten, aber sie wären nicht zustandegekommen ohne den unablässigen Einsatz Maximilians gegenüber den Landständen, den Ständen des Bayerischen Reichskreises (bei Auseinandersetzungen insbesondere mit Salzburg), den eigenen Beamten, ohne die Verbesserung der Wirtschaftskraft des Landes seit den ersten schwedischen Invasionen, ohne Maximilians Findigkeit und Durchsetzungsvermögen in der Eröffnung neuer Geldquellen. So ist es ihm gelungen, die Einnahmen für Kriegsbedürfnisse aus den erwähnten verschiedenen Geldquellen auf den Stand von durchschnittlich 780 000 Gulden im Jahr zu bringen und dadurch bis zum Jahre 1646 die anfallenden Kosten für die bayerische Reichsarmada einigermaßen abzudecken.22 Dies war möglich, weil bis zu diesem Jahr sowohl die Einnahmen aus den Kontributionen des Bayerischen Reichskreises nicht ausgesetzt hatten,23 als auch die Einnahmen der Landschaftskasse und diejenigen des Hofzahlamts gleichmäßig zugenommen hatten. Die Gesamteinnahmen der Landschaftskasse aus Landsteuern, Ständesteuern und Aufschlägen waren von einem Tiefpunkt von 185 000 Gulden im Jahre 1635 bis auf 659 000 Gulden im Jahre 1645 gestiegen, deutliches Zeichen einer ökonomischen Erholung des Landes seit den Schwedeneinfällen und der Pest, einer Steigerung des Sozialprodukts und damit einer stetig wachsenden Steuerkraft. Parallel dazu waren die Einnahmen des Hofzahlamts von 608 000 Gulden im Jahre 1635 auf 1 004 000 Gulden 1642 und immer noch 816 000 Gulden im Jahre 1645 gestiegen. Das darauffolgende Jahr 1646 bedeutete jedoch eine Wende und es war die erneute Überflutung Süddeutschlands und Bayerns durch Schweden und Franzosen, die sie verursachte. Erstens wurde ein großer Teil des Bayerischen und Schwäbischen Reichskreises vom Feind besetzt oder jedenfalls unmittelbar bedroht, sodaß die dortigen Reichsstände ihre Kontributionszahlungen zur bayerischen Kriegskasse einstellten, vor allem aber die dortigen Quartiere und deren Erträgnisse für die bayerische Armee verlorengingen. Zweitens sanken die Einnahmen der Landschaftskasse bis 1649 auf 204 000 Gulden, diejenigen der Hofzahlamtskasse bis 1647 auf 641 000 Gulden. Da die feindlichen Armeen nach ihrem Rückzug im Herbst 1646 die Winterquartiere in Franken und Schwaben nahmen, blieb der bayerischen Armee allein das Herzogtum Bayern als Quartier- und Kontributionsbasis. Auch während des Ulmer Waffenstillstandes von März bis September 1647 war sie allein aus bayerischen Mitteln zu versorgen, zumal in diesen Monaten der Kaiser jede Hilfe versagen mußte. Bisher waren in erster Linie Vgl. Kapser, Kriegsorganisation 187 ff., auch zum Folgenden. Jedenfalls seit 1638. Vgl. die Liste bei Kapser, Kriegsorganisation 188 Anm. 57: Zwischen 118 000 und 180 000 0.
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32. Zur Kriegrfìnan%ierung 1635-1648
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Werbung und Ausrüstung der Truppe und die Erfordernisse des Bewegungsund Belagerungskrieges zu finanzieren gewesen, während die laufenden Unterhalts· und Personalkosten großenteils aus den Quartier- und Unterhaltsräumen gewonnen werden konnten. Jetzt - bei Wegfall der Beiträge der Reichskreise und der schwäbischen Quartiere und unter der Belastung feindlicher Besetzving von Teilen des Landes — hatte Bayern praktisch sämtliche Kosten für die Armee allein zu tragen, sowohl die laufenden Quartier- und Unterhaltskosten als auch die außerordentlichen, zu einer offensiven Kriegführung notwendigen Rüstungskosten.24 Zwar war es Maximilian gelungen, auch noch in den vierziger Jahren die Staatseinnahmen leicht zu steigern, doch wurden diese nunmehr (trotz der Zuschüsse aus dem Geheimen Vorrat) von den Kriegsbedürfnissen überrollt, wie die Tabelle zeigt:25
1643 1643/44 1645 1647
Staatseinnahmen 1 483 000 fl. 1 534 000 fl. 1 653 000 fl. 1 764 000 fl.
Kriegskosten 577 000 fl. 978 000 fl. 1 346 000 fl. 1 683 000 fl.
Dieser Entwicklung waren die Kräfte des bayerischen Staates nicht mehr gewachsen, Wege zu rascher Kriegsbeendigung mußten gefunden und beschritten werden. Eben hieraus resultierten die nachdrücklichen Bemühungen Maximilians um das Zustandekommen des Friedenskongresses, das zeitweilige Ausscheiden aus dem Krieg durch den Ulmer Waffenstillstand, das intensive, immer wieder mit Drohungen verbundene Drängen auf Beschleunigung der Friedensverhandlungen auch um den Preis politischer und konfessionspolitischer Zugeständnisse, schließlich nach dem Friedensschluß die rasche Abdankung der Truppen auch entgegen kaiserlichen Wünschen. Daß zwischen diesen Stationen immer wieder auch die Hoffnung auf eine Wendung oder Besserung durch militärische Erfolge wach wurde, änderte nichts an der Gesamtorientierung, die angesichts der tiefgehenden Erschöpfung von Land und Leuten spätestens seit 1646 eindeutig auf Frieden wies. Diese stiegen auch durch die Tatsache, daß Maximilian in den Jahren 1643/45 durch die Neuaufstellung von Regimentern, durch Zuwerbung zu bereits bestehenden Formationen und durch Bereitstellung und Ersatz von Rüstzeug und Proviant seine Rüstungen noch verstärkte, obwohl er seit etwa 1644 überzeugt war, daß der Krieg nicht mehr gewonnen werden könne. Vgl. Kapser, Kriegsorganisation 214. 25 Ebenda 195 (Tabelle 4). Natürlich mußten aus den Staatseinnahmen neben den eigentlichen Kriegskosten auch noch zahlreiche andere Ausgabentitel befriedigt werden. 24
33. Vom Prager Frieden zum Regensburger Reichstag von 1640/41
So viele Defizite der Prager Frieden auch aufweisen mochte, so war es doch unzweifelhaft eine bedeutende Leistung Kaiser Ferdinands II., durch den Friedensschluß Kursachsen und bald darauf auch Kurbrandenburg und die Mehrzahl der protestantischen· Reichsstände aus der Front der Gegner zu lösen' und durch eine Reichskriegsverfassung die Waffenhilfe der katholischen wie der protestantischen Reichsstände zu gewinnen, die durch die Reichskreise zu finanzieren war. Und so begrenzt die konfessionspolitischen Zugeständnisse des Kaisers in den Augen der Protestanten auch sein mochten, so war durch den Friedensschluß die Entkonfessionalisierung der politischen Verhältnisse doch erheblich vorangetrieben und im Reichsreligionsrecht eine nicht mehr reversible Zäsur gesetzt worden. Daß der Krieg nunmehr den Charakter einer vornehmlich machtpolitischen Auseinandersetzung erhielt, wurde durch den Kriegseintritt Frankreichs bestätigt, und ebenso wurde durch diese Europäisierung des Krieges verdeutlicht, daß es sich künftig im Kern um eine Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Spanien handelte. Solange daher der Kaiser sich von den spanischen Vettern nicht trennte und solange die deutschen Reichsstände in Realisierung der gegen Frankreich zielenden Bestimmungen des Prager Friedens den Kaiser uneingeschränkt unterstützten, war ein Ende des deutschen Krieges nicht abzusehen. Maximilian erblickte nach dem Prager Frieden den Hauptgegner trotz der schwedischen Verwüstung Bayerns nicht in den schwedischen Heeren, sondern in Frankreich, und forderte daher eine offensive Kriegführung im Westen des Reiches, die Überschreitung des Rheins und die Verlagerung des Krieges auf französischen Boden.1 In einer solchen grenzüberschreitenden Strategie sah er die größtmögliche Sicherheit für das Herzogtum Bayern, die beste Entlastung der ausgesaugten Quartiere der deutschen Reichsstände, wohl auch die Möglichkeit der Rückgewinnung Lothringens für die lothringi1 Instruktion fur Wolkenstein und Richel zu den Wiener Militärverhandlungen, 25.4.1635: BA N F 11,9 Nr. 258 A.
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33. Vom Prager Frieden ^mKegensburgerRíichstag
von 1640/41
sehen Verwandten; untergründig spielte gewiß auch die Enttäuschung über die Politik Richelieus in den letzten Jahren eine Rolle. Im übrigen war er überzeugt, daß die französischen Absichten „nit nur auf die Römische cron sonnder zugleich, ja vilmehr auf die erweitterung ihres königreichs biß an den Rhein gerichtet" waren.2 Jedoch war er skeptisch, die Franzosen wirklich entscheidend schlagen zu können. Er zielte darauf ab, sie durch militärische Erfolge an den Verhandlungstisch zu bringen und hier zu einem Kompromißfrieden zu gelangen. Zunächst aber sprachen die Waffen.3 Im Wiener Rezeß vom 2. Juni 1635 waren die Prioritäten und Modalitäten der Kriegführung der neuen Reichsarmada festgelegt worden.4 Die bayerische Armee zählte zu diesem Zeitpunkt etwa 24 000 Soldaten, davon befanden sich 18 000 Mann in Oberdeutschland, rund 6 000 Mann in Nordwestdeutschland.5 Von den in Oberdeutschland befindlichen Truppen wollte Maximilian zunächst nur einen kleineren Teil für den französischen Feldzug abzweigen, um weiterhin Kräfte zur Rückeroberung besetzter Ligaterritorien (deren Verlust ihm von den geistlichen Fürsten angekreidet wurde)6 und zum Schutze Bayerns an der Hand zu haben, doch gab er schließlich den weitergehenden Forderungen der Kaiserlichen nach. So wurden aus der Mehrzahl der zur Verfügung stehenden Reichstruppen vier Korps unter dem Herzog von Lothringen, Gallas, Piccolomini und Kursachsen gebildet. Das etwa 20 000 Mann (darunter 8-9000 bayerische Truppen) umfassende Korps des Herzogs von Lothringen und dasjenige des Gallas mit etwa 35 000 Mann sollten gegen Frankreich und dessen Bundesgenossen Bernhard von Weimar eingesetzt werden, dasjenige des Piccolomini gegen den Landgrafen Wilhelm von Hessen-Kassel sowie im Westfälischen Kreis, wofür auch die dortigen bayerischen Truppen vorgesehen waren, schließlich das kursächsische Korps gegen die Schweden im Ober- und Niedersächsischen Reichskreis. Die Operationen dieser Corpora, auch des bayerischen Kontingents, brauchen nicht im einzelnen betrachtet zu werden,7 Erfolge und Niederlagen Instruktion für die bayer. Gesandten zum Kurfiirstentag, 2.8.1636, zitiert Haan, Kurfurstentag 74. 3 Einen schönen Überblick über die bayerische Kriegführung 1635-1648 bietet Kapser, Kriegsorganisation 166-183, mit weiterer Literatur. 4 BA NF 11,9 Nr. 258 K. Zur Reichsarmada, ihrer Organisation und Finanzierung vgl. Salm, Armeefinanzierung 11 ff. 5 Die Zahlen schwanken. Vgl. den Wiener Rezeß mit Ergänzungen durch BA NF 11,9 Nr. 258 F Anlage und Nr. 258 I. 6 Vgl. Maximilian an Kurköln, 12.5.1635: Ebenda Nr. 270. 7 Zu den Operationen vgl. Heilmann, Kriegsgeschichte II, 525 ff.; Riester, Geschichte V, 504 ff.; Kapser, Kriegsorganisation 166 ff. 2
J J. Vom Prager Frieden sgtm Regensburger'Reichstag von 1640/41
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wechselten ebenso wie Schauplätze und Schwerpunkte der Kriegshandlungen. Wie bisher wurde die Strategie verfolgt, zentrale, ihre Umgebung beherrschende Orte zu gewinnen und von diesen festen Plätzen aus das umliegende Land zu kontrollieren, um es zur Unterbringung und zum Unterhalt der Truppen vor allem im Winterhalbjahr zu nützen. Es ging weniger um Schlachtentscheidungen, als um die Sicherung und Ausweitung der eigenen Quartiere und Kontributionsgebiete und die Beschneidung der Versorgungsmöglichkeiten des Gegners. Die Parole lautete also, die eigenen Truppen zu konservieren und den Gegner zu zwingen, sich selbst zu konsumieren.8 Im Zuge solcher Operationen kam es jedoch gelegentlich auch zu größeren Gefechten, so 1636 bei Wittstock und 1638 bei Rheinfelden und Breisach. Ende 1635 waren Bayern, der größte Teil Schwabens, Frankens, der Rheinpfalz und der Gebiete am Oberrhein von kaiserlichen und bayerischen Truppen besetzt, die Schweden nahezu vollständig aus Süddeutschland verdrängt. Jedoch hatten sich inzwischen französische Armeen über das Elsaß bis an den Rhein vorgeschoben und Stützpunkte am Mittelrhein gewonnen und schickten sich an, im Zusammenwirken mit Truppen Bernhards von Weimar und der Schweden das Kriegsgeschehen mehr und mehr zu bestimmen. Den wichtigsten Schauplatz bildeten der Oberrhein und die sich beiderseits erstreckenden österreichischen Vorlande. Die bayerischen Truppen fochten in der Folgezeit hier und in Lothringen, in der Rheinpfalz, in Hessen und Westfalen, ja selbst in Sachsen. Der kühne Reiterführer Jan von Werth drang im Zusammenwirken mit spanischen Truppen gelegentlich bis vor die Tore von Paris.9 Aufs Ganze überwogen zunächst die Erfolge der Reichsarmada, jedoch wendete sich seit 1638 das Kriegsglück. Insbesondere die Eroberung der beherrschenden, lange belagerten Festung Breisach durch Bernhard von Weimar am 17. Dezember 1638, die von schweren bayerischen Verlusten begleitet war, sicherte die französische Herrschaft über das Elsaß und am Oberrhein, welche wiederum, auch in den Augen Maximilians,10 eine latente Bedrohung Oberdeutschlands und des Herzogtums Bayern bedeutete. 8 Per Sörensson, Das Kriegswesen während der letzten Periode des Dreißigjährigen Krieges, in: Rudolf, Dreißigjähriger Krieg 431-457. 9 Werner Schulde, Der Sommerfeldzug Johann von Werths in Nordfrankreich im Jahre 1636, München 1934; Helmut Lahrkamp, Jan von Werth. Sein Leben nach archivalischen Quellenzeugnissen, Köln 1962, hier 50 ff. 10 Vgl. die bayer. Instruktion vom 26.3.1636 zur Speyrer Konferenz, zitiert Haan, Kurfürstentag 73: „Gleichwie nun I.K.M. uf bedeckhung und Versicherung dero Erbländer Zilien und das absehen machen, als khan man auch unns nit verdenckhen, das wir auf die Versicherung des Reinstrombs und per consequens auf unnsere Lannde und underthanen acht geben."
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33. Vom Prager Frieden spm Regensburger Reichstag von 1640/41
Angesichts dessen verfolgte Maximilian die dortigen Bewegungen der kaiserlichen Truppen mit fortdauernder Anteilnahme. Nicht zu Unrecht bezichtigte Maximilian seit Beginn der Feldzüge den kaiserlichen Befehlshaber Gallas, der ihm seit je ein Dorn im Auge war, und später dessen Nachfolger Savelli, eine Reihe von Niederlagen durch Untätigkeit oder Unfähigkeit verschuldet zu haben. Überhaupt setzten sich die Mißhelligkeiten zwischen den bayerischen Truppen und den kaiserlichen Verbänden auch nach dem Wiener Rezeß, dem Prager Frieden und den darauffolgenden Vereinbarungen fort. Angesichts der mannigfachen Schwierigkeiten bei der Finanzierung und Versorgung der Truppen nach vielen Kriegsjahren war dies nicht verwunderlich, gab aber Maximilian wiederholt Gelegenheit, sich in Wien über die kaiserlichen Befehlshaber zu beklagen und Abhilfe zu fordern. Wie bisher wurde zum Mittel der Militärkonferenzen gegriffen, um die Übereinstimmung wiederherzustellen und die weitere Strategie der Sommerfeldzüge festzulegen, so im April 1636 in Speyer und im Mai 1637 in Prag. Die zunehmend unbefriedigende militärische Entwicklung veranlaßte Maximilian aber auch, im eigenen Lager nach Sündenböcken zu fahnden. So wurde Feldmarschall Johann von Götz, der seit Januar 1636 als Nachfolger des Herzogs von Lothringen das bayerische Oberkommando führte, im Dezember 1638 nach dem Fall Breisachs wegen Verdachts auf Verrat verhaftet; obwohl sich seine Unschuld erwies, ersetzte ihn Maximilian Anfang 1639 durch den Feldmarschall Joachim Christian von Wahl, der seinerseits 1643 dem hochbefähigten Feldmarschall Franz von Mercy weichen mußte. Auch Jan von Werth hatte sich inmitten seines Frankreichfeldzuges gegen schwere disziplinarische Vorwürfe Maximilians zu rechtfertigen; aber auch hier erwiesen sich die Anschuldigungen als grundlos.11 Dieses mißtrauische Hineinregieren war der seit Kriegsbeginn festgehaltenen Überzeugung Maximilians entsprungen, für das Funktionieren der Armee bis in Einzelheiten verantwortlich zu sein und durch Reglementierung bis ins Detail auf die militärischen Entscheidungen einwirken zu sollen und auch zu können. Er folgte dieser Maxime umsomehr, als sein Selbstbewußtsein forderte, die nicht leicht errungene Kommandogewalt über das bayerische Kontingent durch Erfolge zu rechtfertigen. Zum Zeitpunkt des Prager Friedens war die Gesundheit Kaiser Ferdinands II. bereits dermaßen geschwächt und der König von Ungarn in der Reichspolitik und als Oberkommandierender des kaiserlichen Heeres bereits » Lahrkamp, Werth 60 ff.
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so weit hervorgetreten, daß Ferdinand schon im Herbst 1635, wohl auch von seinem Sohn und von spanischer Seite gedrängt, den Kurfürsten (außer Kurtrier) den Vorschlag einer baldigen Römischen Königswahl unterbreiten ließ.12 Es galt, die bei einem Interregnum im Krieg zu gewärtigenden Schwierigkeiten zu vermeiden und zugleich die Befriedung der Reichsstände durch den Prager Frieden fur dieses genuin habsburgische Interesse auszunützen. Tatsächlich stimmten die befragten Kurfürsten dem Vorschlag jedenfalls grundsätzlich zu, forderten aber die Einberufung eines allgemeinen Kollegialtags, bei dem neben der Wahl auch weitere Probleme behandelt werden sollten. Auch Maximilian stimmte zu, als er Anfang Dezember von dem kaiserlichen Gesandten Khevenhiller angefragt wurde. „Der churfürst werde mit händ und füessen darzue helffen und raten", äußerte Zollern. Eine eigene Kandidatur kam für Maximilian wie schon im Jahre 1619 aus realistischer Einschätzung der Kräfteverhältnisse nicht in Frage. Wiederholte Bemühungen Richelieus, über die Römische Kurie die Wahl des Kaisersohnes zu verhindern bzw. Maximilian zu einer Bewerbung zu veranlassen, wurden von Urban VIII. anders als 1630 zurückgewiesen und von Maximilian mit äußerster Reserve verfolgt. 13 Und wenn er noch 1630 die Königswahl Ferdinands (III.) verhindert hatte, so hatte sich inzwischen die Situation gewandelt, Wallenstein war beseitigt, den mit einem Interregnum verbundenen Unwägbarkeiten wollte Maximilian Kurwürde und Oberpfalz, die ihm eben im Prager Frieden bestätigt worden waren, nicht aussetzen, und ihm war bewußt, daß er anders als 1630 auf Ubereinstimmung mit dem Kaiserhof angewiesen war. Am 6. März 1636 schrieb Anselm Casimir von Mainz einen Kollegialtag auf den 7. Juni nach Regensburg aus, auf dem die Sukzessionsfrage und weitere Probleme behandelt werden sollten. Unter letzteren verstanden die Kurfürsten die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen eines künftigen Friedens im Reich nach innen und außen. Dabei hatte Johann Georg von Sachsen vornehmlich die Amnestierung der vom Prager Frieden ausgeschlossenen Reichsstände im Auge, Georg Wilhelm von Brandenburg den Ausgleich mit Schweden, Maximilian und Ferdinand von Köln dagegen das Verhältnis zu Frankreich — „darumben vornemblich nach dem friden mit Franckreich zu trachten", hieß es in der Instruktion für die bayerischen Gesandten zum Kollegialtag. Im Zentrum der kaiserlichen Erwägungen stand dagegen die Königswahl. Wie üblich verzögerte sich der Beginn des KolleHierzu und zum Folgenden vgl. Haan, Kurfüirstentag 26 ff. Auguste Leman, Le Saint-Siège et l'élection impériale du 22. décembre 1636, in: Revue d'histoire écclésiastique 34 (1938), 542-555; Haan, Kurfurstentag 221 f.; Maximilian an Barberini, 20.11.1636: Barb. lat. 6721, fol. 176. 12
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gialtags um einige Monate, sodaß Maximilian Zeit blieb, vom Kaiserhof einen Preis für seine Bereitschaft zur Königswahl einzufordern.14 Der Kaiser hatte im Oktober 1635 dem Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg zugestanden, seine Ansprüche in der pfälzischen Frage trotz der Bestimmungen des Prager Friedens auch in Zukunft auf dem Rechtsweg geltend zu machen. Da Maximilian davon ausging, daß der Prager Friede in der pfälzischen Frage „nit nur viam facti et juris, sonder auch omnis amicabilis compositionis abschneid," fühlte er sich durch das kaiserliche Dekret erheblich verletzt und forderte ziemlich schroff dessen Rücknahme. Jedoch wußte man in Wien und sprach es aus, daß eine solche Distanzierung für den Kaiser schimpflich sein mußte und im Reich den Eindruck hervorrufen konnte, daß Ferdinand „propter potentiam domus Bavaricae gleichsamb alles thuen müesten, was dasselbe haben wollte." Jedoch bemerkten die kaiserlichen Räte auch, daß man in der Frage der Königswahl auf die Hilfe Maximilians angewiesen sei. So rieten sie, dem Bayern schriftlich zu versichern, daß seine Rechte und Interessen durch das neuburgische Dekret nicht beeinträchtigt würden. Hierdurch befriedigt, erschien Maximilian schließlich persönlich in Regensburg, allerdings erst am 19. August, zwölf Tage nach dem kranken Kaiser, begleitet von der Kurfürstin sowie von Richel, Toerring und Abegg. Auch Kurmainz und Kurköln nahmen persönlich am Kollegialtag teil, Kursachsen und Kurbrandenburg waren wie 1630 nur durch Gesandte vertreten. Da die Kurfürstin Maria Anna wenige Wochen vor der Geburt des Thronfolgers stand, verließ Maximilian mit ihr bereits Ende September, mitten unter den Verhandlungen, den Kollegialtag. Er kehrte erst nach der Geburt Ferdinand Marias (31. Oktober) am 7. Dezember wieder nach Regensburg zurück, um an der Römischen Königswahl persönlich teilzunehmen und dadurch Gerüchten über eine Verstimmung mit dem Kaiser den Boden zu entziehen. In der Zwischenzeit wußte er die bayerischen Interessen bei Richel in guten Händen. Da die Kurfürsten bereits im Vorfeld auf die Behandlung der Friedensfrage gedrängt hatten, hatte der Kaiser schließlich auch das Pazifikationswerk in seine Proposition aufgenommen, mit deren Verlesung am 15. September der Kollegialtag eröffnet wurde.15 Maximilian hat bei den Verhandlungen des Kollegialtags von 1636 trotz mehrwöchiger Abwesenheit eine herausragende Position ähnlich derjenigen von 1630 eingenommen, die er zu nutzen suchte. Seine Leitlinie war, die kaiserlichen Interessen zu unterstützen, ohne diejenigen des Kurkollegs und Haan, Kurfiirstentag 90 f. Umfassende Darstellung des Kollegialtages durch Haan, Kurfurstentag. Zur spanischen Politik in Regensburg vgl. zusätzlich Ernst, Madrid 232 ff. 14 15
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solche seines eigenen Hauses zu vergessen. Ganz im Sinne des Kaiserhofs und der geistlichen Kurfürsten förderte er die Römische Königswahl, auch wenn er in den letzten Jahren vom König von Ungarn, jetzt seinem Schwager, verschiedentlich stark brüskiert worden war. Gleichzeitig war er um die Einheit und Geschlossenheit des Kurkollegs bemüht, um einer durch die Königswahl gestärkten kaiserlichen Position ein kurfürstliches Gegengewicht an die Seite setzen zu können. Diese Strategie wurde ihm hinsichtlich der protestantischen Kurfürsten erleichtert, weil seit dem Prager Frieden der konfessionelle Gegensatz doch an Gewicht verloren hatte. So förderte er im Sinne Kurbrandenburgs und Kursachsens die Bemühungen um das Zustandekommen von Friedensverhandlungen mit Schweden sowie auch um Regelungen in der Amnestiefrage, jedenfalls soweit es auch im bayerischen Interesse lag. Nachdem es ihm in ersten Verhandlungen gelang, das Kurkolleg auf einen Modus procedendi zu vereinigen, durch den die Königswahl praktisch bereits gesichert war, konnte er gegenüber dem Kaiser rühmen, wie nützlich die Kurübertragung auf die Münchner Wittelsbacher sich jetzt doch erweise. Was die Friedensfrage betraf, so hatte die bayerische Delegation wesentlichen Anteil an dem Beschluß des Kurkollegs, daß der Prager Friede in allen seinen Teilen nicht mehr zur Disposition gestellt werden dürfe. Hinsichtlich von Friedensverhandlungen mit Frankreich beschlossen die Kurfürsten, sich neben dem Kaiser an dem von Papst Urban VIII. seit längerem propagierten und vorbereiteten Kölner Friedenskongreß16 zu beteiligen. Es waren Maximilians Gesandte, die darauf drängten, dem Kaiser für diesen Kongreß eine Deputation des Kurkollegs als Vertretung des Reiches an die Seite zu stellen; wenn der Kaiser lt. Wahlkapitulation nur mit Zustimmung der Kurfürsten Kriege beginnen könne, dann gelte dies auch für den Friedensschluß; die kaiserlichen Gesandten repräsentierten „doch allein den Keyser und nit das ganze Römische reich, also das haupt ohne die glider."17 Dieses selbstbewußte Konzept von der Bedeutung der Kurfürsten als der „columna Imperii" und des Kurkollegs als einer „repraesentatio Imperii" hatte Maximilian schon seit seiner Aufnahme in dieses erlauchte Gremium vertreten. Hiermit wurde auch die Bedeutung der übrigen Reichsfürsten zugunsten des Kurkollegs relativiert; waren nicht in den letzten Jahrzehnten die Reichstage durch Kurfürstentage abgelöst worden? Der von bayerischer Seite initiierte Beschluß des Kurkollegs lautete schließlich, daß zwei kurfürstliche Deputationen für die Friedensverhandlungen gebildet wurden, eine aus Kurköln und Kurbran16 17
Hierzu Repgen, Römische Kurie I, 391 ff. Instruktion fiiir die bayer. Gesandten, 2.8.1636, zitiert Haan, Kurfiirstentag 145.
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denburg für die Verhandlungen mit Frankreich, die andere aus Kurmainz und Kurbrandenburg für die Verhandlungen mit Schweden. Kursachsen und Maximilian hatten gebeten, für diese Aufgabe nicht verwendet zu werden,18 jedoch wurde jedem Kurfürsten freigestellt, neben den Deputierten des Kollegs auch noch eigene Gesandte abzuordnen, die mit jenen „in pari authoritate" stehen sollten. Die Frage ist, welche Kompetenz den kurfürstlichen Deputierten und Gesandten beim geplanten Friedenskongreß zukommen sollte, nur Assistenz und Beratung des Kaisers, oder die Ausübung eines selbständigen Stimmrechts neben dem Kaiser. Die Aussagen der Quellen hierzu sind nicht einheitlich.19 Maximilian hat wohl schon in Regensburg ein selbständiges Stimmrecht angestrebt, wie es später bei den Westfälischen Friedensverhandlungen realisiert wurde; jedoch verstand sich die Mehrheit der Kurfürsten jetzt und in der Folge auf bloße Beratung beschränkt. In materieller Hinsicht postulierte Maximilian eine harte Haltung gegenüber Frankreich, die Rückforderung der seit 1630 dem Reich entfremdeten Gebiete, vor allem Lothringens, und nach Möglichkeit auch der drei Stifter Metz, Toul und Verdun. In der Frage eines Friedens mit Schweden war er ebenso wie die anderen Kurfürsten noch zu keinerlei Gebietsabtretungen bereit. Im übrigen vertrat er mit Kurmainz und Kurköln die Auffassung, daß eine eventuelle Satisfaktion für die Schweden ausschließlich von deren jetzigen oder früheren Verbündeten (also vornehmlich von Kursachsen und Kurbrandenburg) geleistet werden müsse. Hinsichtlich der von Kursachsen mit großem Nachdruck geforderten Amnestierung der in den Prager Frieden nicht aufgenommenen Reichsstände nahm Maximilian einen mittleren Standpunkt ein, der dann auch zur Grundlage des kurfürstlichen Gutachtens für den Kaiser wurde. Ebenso wie die beiden geistlichen Kurfürsten hielt er die Frage durch den Prager Frieden für prinzipiell geregelt, zeigte sich aber bezüglich des vornehmsten der ausgeschlossenen Reichsstände, Herzog Eberhards von Württemberg, zu einem begrenzten Zugeständnis bereit: Falls der Herzog nach gewissen Vorleistungen vom Kaiser begnadigt werde, sei ihm im Hinblick auf die geistlichen Güter im Herzogtum, die von den württembergischen Prälaten zurückgefordert wurden, weiterhin der Rechtsweg am Kaiserhof offenzuhalten. Die vom Kaiser versprochene Überlassung der württembergischen Herrschaft Heidenheim an Bayern dürfe allerdings nicht rückgängig gemacht werden!
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Diekmann,
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Vgl. Haan, Kurfürstentag 147 f. und 279 f.; Becker, Kurfürstenrat 133 f.; Bierther, Reichstag
Westf. Frieden 89 ist zu berichtigen.
231 und 236. Diekmann,
Westf. Frieden 148 spricht von „bloßer Assistenz."
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Obwohl Johann Georg von Sachsen mit dieser Behandlung der Amnestiefrage nicht einverstanden war, wies er seine Gesandten an, deswegen der Römischen Königswahl nicht fernzubleiben. Auch Georg Wilhelm von Brandenburg hatte Bedenken, hielt aber schließlich die unbefriedigende Regelung der Amnestiefrage für kein Wahlhindernis. Maximilian kehrte rechtzeitig zum Wahlakt wieder nach Regensburg zurück. So wurde König Ferdinand von Ungarn am 22. Dezember 1636 im Regensburger Dom einstimmig (ohne die Trierer Stimme und mit Enthaltung der von Ferdinand geführten böhmischen Stimme) zum Römischen König und künftigen Kaiser gewählt; am 30. Dezember wurde er an gleicher Stelle mit den aus Aachen herbeigeschafften Reichsinsignien gekrönt und ausgestattet. Die Kurfürsten hatten jedoch nicht versäumt, Ferdinand vor der Wahl traditionsgemäß auf eine Wahlkapitulation zu verpflichten, deren Inhalt in starkem Maße von bayerischer Seite bestimmt worden war.20 Bereits im Sommer 1636 waren in München eine Reihe von Änderungsvorschlägen zur Kapitulation Ferdinands II. (an der Bayern noch nicht beteiligt gewesen war) erarbeitet und in eine Instruktion für die bayerischen Gesandten zum Kollegialtag zusammengefaßt worden. Sie hatten (mit einer Ausnahme) zum Ziel, das Regiment des neuen Kaisers stärker als bisher an die Mitwirkung des Kurkollegs zu binden und brachten damit ein grundsätzliches und langfristiges Konzept Maximilians zum Ausdruck. Unter anderm sollte auf regelmäßig abgehaltenen Kurfürstentagen kontrolliert werden, ob die Bestimmungen der Wahlkapitulation auch wirklich eingehalten wurden. Zwar gelang es Richel dann doch nicht, alle Forderungen Maximilians durchzusetzen, doch wurde das bayerische Konzept in einer ganzen Reihe von Punkten verwirklicht. Die Wahlkapitulation für Ferdinand III.21 kritisierte die Verletzungen der Reichsverfassung durch das kaiserliche Regiment seit 1619 und rügte Eingriffe Ferdinands II. in Freiheiten und Rechte der Reichsstände, um daraus die Folgerung zu ziehen, daß sich der künftige Kaiser mehr als sein Vorgänger mit dem Kurkolleg abzustimmen habe — es war der übliche Tenor von Wahlkapitulationen. In einem Punkt wollte Maximilian allerdings keine Mitwirkung der Kurfürsten festgelegt wissen, weil er von einem entsprechenden Verfahren selbst profitiert hatte, nämlich hinsichtlich der Befugnis des Kaisers zur Verhängung der Reichsacht. Ferdinand II. hatte sich in Artikel 26 der Wahlkapitulation von 1619 verpflichtet, Achterklärungen nur nach einem ordentlichen Prozeß nach Maßgabe der Kammergerichtsordnung von 1555 auszuspreHaan, Kurfurstentag 210 ff.; Kampmann, Reichsrebellion 214 ff. Text: Jean Du Mont, Corps universel diplomatique du droit des gens, vol. VI,1, Amsterdam 1728, 1437-1465.
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chen. Er hatte aber dann, wie erzählt, die Reichsacht über Friedrich von der Pfalz ohne einen solchen Prozeß verhängt, mit dem Argument, daß bei notorischem Landfriedensbruch und Verletzung der kaiserlichen Majestät ein prozessuales Verfahren nicht erforderlich sei. Da diese Argumentation seither verschiedentlich angefochten worden war, suchte Maximilian die Gelegenheit der neuen Wahlkapitulation zur Absicherung der kaiserlichen Rechtsauffassung (und der darauf beruhenden Ächtung des Pfalzers als Vorbedingung der Kurübertragung auf ihn selbst) zu nützen.22 Er schlug eine Ergänzung des Artikels 26 vor, dergestalt, „daß contra notorios et perseverantes delinquentes die achterklärung auch ohne vorhergehenden ordentlichen proceß geschehen könd," konnte sich aber nicht gegen den Einwand der protestantischen Gesandten durchsetzen, daß man die Festellung der Notorietät nicht allein dem Kaiser oder dem Reichshofrat überlassen dürfe. Die Diskussion endete mit der Annahme eines kurkölnischen Vermitdungsvorschlages, dem gemäß alle wirklich notorischen Fälle zwar nicht unter Artikel 26 (jetzt 30) fielen, der Kaiser aber „auch in diesem fall mit zuziehung obgedachter des Heiligen Reichs obgemeltermaßen uninteressierter churfürsten ehe und bevor Wir zu der würcklichen achtserklärung schreiten, communiciren und verfahren" solle. Die wohl bewußt vage Formulierung „Zuziehung" zielte offensichtlich nur auf Information der Kurfürsten, nicht auf deren notwendige Zustimmung.23 Auch hiermit war dem Anliegen Maximilians weitgehend Genüge getan. Außerhalb des Rahmens, der von der kaiserlichen Proposition vorgegeben war, wurde in Regensburg die Pfälzische Frage behandelt, die allerdings in eigentümlicher Weise zur Sprache kam.24 Die Bemühungen der englischen Gesandten Arundel und Taylor in Regensburg um die Restitution der Pfälzer Wittelsbacher in Kurwürde und Kurlande stießen auf das Interesse des Kaisers, weil dieser um bessere Beziehungen zu Karl I. von England bemüht war. Aber natürlich mußte Ferdinand II. bezüglich Kur und OberVgl. Kampmann, Reichsrebellion 216 ff.; Haan, Kurfüirstentag 218 f. Das notwendige Einverständnis wurde erst 1658 in der Wahlkapitulation für Leopold I. festgelegt. Zu weit geht die Bemerkung von Haan, Kurfiirstentag 219, daß der Kaiser durch den Zusatz von 1636 auch in Zukunft bei einer Achterklärung „an den ordentlichen Rechtsgang gebunden" worden sei. 24 Francis L. Springe//, Connaisseur and diplomat. The Earl of Arundel's embassy to Germany in 1636, London 1963; wichtige Korrekturen und Ergänzungen bei Haan, Kurfüirstentag 233 ff.; Ursula Gsottberger, England und die Pfälzische Frage anhand venezianischer Gesandtenberichte 1632-1648, Staatsexamensarbeit Regensburg 1980, Maschinenschrift; Ernst, Madrid 237 ff. Eine spezielle Untersuchung wird durch Thea Lindquist (University of Wisconsin-Madison) vorbereitet. 22
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pfalz auf die Bestimmungen des Prager Friedens verweisen; nur über die Rückgabe der Unterpfalz könne beim Zustandekommen eines habsburgisch-englischen Bündnisses verhandelt werden. Mit der Ablehnung dieses Angebots durch die Engländer wurden zwar die offiziellen Verhandlungen beendet, doch bemühten sich Arundel und Taylor in anschließenden inoffiziellen Gesprächen, Maximilian selbst zu Zugeständnissen zu bewegen. Wir sind über sie nicht nur durch mehr oder weniger glaubwürdige englische Berichte, sondern auch durch eine Korrespondenz zwischen Richel und Maximilian unterrichtet, die durch dessen mehrwöchige Abwesenheit in München zustandekam. Die Engländer zielten auf eine Lösung der Kurfrage durch Einrichtung einer achten Kurwürde für Bayern (wie sie bereits Jakob I. vorgeschlagen hatte) oder durch Alternation der Kur zwischen Bayern und Pfalz nach Aussterben der maximilianeischen Linie bzw. bereits nach dem Tode Maximilians. Die achte Kur für Bayern lehnte Maximilian sofort ab. Hinsichtlich einer Alternation aber war er sich erstaunlicherweise doch so wenig schlüssig, daß er von seinen Räten sowohl in Regensburg wie in München eine Reihe von Gutachten erstellen ließ, in denen nach der Praxis der bayerischen Bürokratie die Gründe pro et contra gründlichst und nach allen Seiten erörtert wurden. Für eine definitive Regelung durch Alternation schien die Unsicherheit zu sprechen, ob nicht in künftigen Friedensverhandlungen die Kurfrage mit englischer Unterstützung doch wieder aufgeworfen werden würde, wobei der Ausgang ganz ungewiß schien — „daß durch hilff frembder potentaten die chur wider von Bayern hinweg und auff einen uncatholischen kome." Gegen eine Alternation sprach, daß im Hausvertrag von Pavia 1329 schon einmal eine Alternationslösung festgelegt worden war, die zum Nachteil der Münchner Wittelsbacher ausgeschlagen war, wie Maximilians Historiker schon früher dargelegt hatten. Wie sehr Maximilian vom dem Problem bewegt wurde, wird aus der Tatsache deutlich, daß er auch bei Anselm Casimir von Mainz und Ferdinand von Köln Rat suchte. Der Mainzer lehnte eine Alternationslösung ab, der Kölner befürwortete sie letztlich, wenn auch mit vielen, kaum praktizierbaren und für die Gegenseite eigentlich unannehmbaren Klauseln. Wir kennen Maximilians Reaktion auf diese Ratschläge nicht, jedenfalls wurde bis zum Ende des Kollegialtags am 23. Februar 1637 in diesem Problemkreis nichts entschieden, die Pfälzer Frage blieb weiterhin ein Thema der europäischen Politik. Sie blieb es umsomehr, als Verhandlungen der spanischen Diplomaten in Regensburg mit den Kaiserlichen gezeigt hatten, daß die Spanier weiterhin auf dem Besitz der linksrheinischen Unterpfalz bestan-
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den. Er besitze die Pfalz mit gleichem Recht wie Madrid, schrieb Philipp IV. mit eigener Hand in das spanische Staatsratsprotokoll.25 Fritz Dickmann hat über den Kollegialtag von 1636 geurteilt, daß die Kurfürsten „ganz in der Hand des Kaisers" gewesen seien und von einer kurfürstlichen Opposition, die diesen Namen verdiene, nichts zu spüren gewesen sei.26 Tatsächlich hatten die Kurfürsten sowohl in der Frage eines Friedens mit Frankreich und Schweden, als auch bezüglich der Amnestie trotz mancher Meinungsunterschiede eine den Wünschen des Kaiserhofs insgesamt entgegenkommende Haltung vertreten und sie zuletzt mit der Wahl Ferdinands III. gekrönt. Noch befand man sich innerhalb des Systems des Prager Friedens. Eine Reihe militärischer Niederlagen der Reichsarmada und die fortschreitende Erschöpfung und Kriegsunlust der Reichsstände sollte aber schon in wenigen Jahren zu ganz anderen politischen Konstellationen führen. Zu den neuen Konstellationen zählte auch die Thronbesteigung Kaiser Ferdinands III., nachdem Kaiser Ferdinand II. am 15. Februar 1637 wenige Tage vor dem Ende des Kollegialtages in Wien gestorben war, wohin er sich, bereits dem Tode nahe, von Regensburg aus hatte zurückbringen lassen. Wir kennen nur floskelhafte Äußerungen Maximilians zu dem Ereignis, doch muß ihn der Tod seines Vetters, Schwagers und Schwiegervaters, mit dem er fast ein halbes Jahrhundert in nahen persönlichen und engen politischen Beziehungen gestanden hatte, doch wohl berührt haben. Bei allen Schwierigkeiten und Differenzen, die sich im Laufe wahrhaft schicksalsvoller Jahre zwischen den beiden ergeben hatten, war doch das allgemeinste Kennzeichen ihres Verhältnisses Zusammenarbeit gewesen, Zusammenwirken im Interesse von Kirche und Reichsverfassung und im eigenen herrscherlichen und dynastischen Interesse, hierdurch hatten sie Geschichte gemacht. Maximilians Verhältnis zum neuen Kaiser Ferdinand III., seinem Neffen und Schwager, war in den vorhergehenden Jahren mannigfachen Belastungen ausgesetzt gewesen, da der junge, selbstbewußte und dynamische Ferdinand den Ratschlägen und Forderungen Maximilians verständlicherweise zunächst einmal mit dem Willen zu künftiger Unabhängigkeit gegenübergetreten war. Seine Hauptberater, zunächst der Deutschmeister Graf Stadion und mit zunehmendem Einfluß Maximilian Graf Trauttmansdorff, hatten ihn in dieser Haltung bestärkt. Ohne einen spezifischen kaiserlichen Absolutismus im Reich anzustreben, zu dem die Voraussetzungen fehlten, war er doch entschlossen, im Verhältnis von Kaisertum und Reichsfürsten den durch den Prager Frieden 25 26
Ernst, Madrid 239. Diekmann, Westf. Friede 89 f.
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eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, auch gegenüber Maximilian, dem er weit unbefangener als sein Vater gegenübertreten konnte. Ferdinands II. Notlage und Trauma von 1619, von denen Maximilian in den vergangenen Jahren immer wieder zugunsten bayerischer Interessen profitiert hatte, waren für Ferdinand III. nicht mehr existent. Dies mußte einen kälteren, realistischeren Zug in die beiderseitigen Beziehungen tragen. Die Verhandlungen des Kollegialtages hatten vor dem Hintergrund einer Reihe beachtlicher Erfolge der Reichsarmada seit dem Prager Frieden stattgefunden. Das Jahr 1638 bedeutete aber dann eine Wende zugunsten der französischen und schwedischen Heere, die mit einigen Schwankungen bis zum Kriegsende andauern sollte. Markante Fixpunkte des Wandels waren vor allem die Eroberung der wichtigen Festung Breisach durch Bernhard von Weimar im Dezember 1638 sowie die auf drei Jahre lautende Erneuerung des französisch-schwedischen Bündnisses im Hamburger Vertrag vom 5. März 1638, mit Vereinbarungen über gemeinsame Politik und Kriegführung und die Wiederaufnahme französischer Subsidenzahlungen an Schweden. Beide Mächte nannten als Kriegsziele Assekuration und Satisfaktion, eine durch Schwächung des Kaisers zu erzielende Neuordnung der inneren Reichsverhältnisse sowie Kriegsentschädigungen territorialer und finanzieller Art. Während es aber den Schweden unter Oxenstierna seit 1635 praktisch nur um die Gewährleistung eines befriedigenden Ausscheidens aus dem Krieg gegangen war und ging, hatte Richelieu in erster Linie die Auseinandersetzungen mit Spanien im Auge, dem jede Unterstützung von deutscher Seite genommen werden sollte. Diese Divergenz in den Kriegszielen der beiden Mächte bildete den Ansatzpunkt für das Friedenskonzept Kaiser Ferdinands III., der angesichts seiner dynastischen und vertraglichen Bindungen an Spanien den eindeutigen Hauptgegner in Frankreich erblickte. Der Kaiser, dessen spanische Gemahlin Maria Anna und deren Beichtvater Diego de Quiroga bemerkenswerten Einfluß auf die Formulierung der kaiserlichen Politik ausübten, zielte auf die Isolierung Frankreichs durch die Abspaltung Schwedens auf dem Verhandlungsweg, zumal die schwedische Territorialsatisfaktion im Unterschied zur französischen nicht aus habsburgischem, sondern pommerschen Gebieten bestehen würde. Bei einer Reihe geheimer Kontakte zwischen kaiserlichen und schwedischen Unterhändlern seit 1635 wurde von kaiserlicher Seite schließlich ganz Pommern offeriert.27 Erst durch die weitere Verlängerung des französisch-schwedischen Bündnisses am 30. Juni 1641 bis zu einem 27
Übersicht durch Ernst Manfred Wermter m APW 1,1 194 ff.; Diekmann, Westf. Frieden 91 ff.
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Universalfrieden wurden diese Gespräche beendet. Zu keinerlei Zugeständnissen war Ferdinand III. dagegen bei Verhandlungen mit Frankreich bereit, die beim Kölner Kongreß stattfinden sollten. Wie die bereits unter Ferdinand II. konzipierte, schließlich vom 1. März 1637 datierte Instruktion für die kaiserlichen Gesandten zum Kongreß28 erweist, sollte ebenso wie beim Kollegialtag das Einlenken Frankreichs auf den Stand des Regensburger Friedens von 1630 und des Prager Friedens von 1635 gefordert werden, in keinem Punkt war die Möglichkeit von Konzessionen und damit zu eigentlichen Friedensverhandlungen erwogen. Auch Maximilian erblickte nach dem Prager Frieden, wie erzählt, die Hauptbedrohung und den Hauptgegner in Frankreich, dem der Hauptstoß der kaiserlich-bayerischen Waffen zu gelten habe. Entsprechend fanden große Teile des bayerischen Kontingents der Reichsarmada seit 1635 gegen die Franzosen Verwendung, auch unterstützte Jan von Werth das Jahr darauf die Offensive des Kardinalinfanten Ferdinand in Nordfrankreich. Die hier zum Ausdruck kommende Annäherung Maximilians an Spanien war, wie erwähnt, schon durch die deprimierende Situation des Jahres 1632 veranlaßt worden, sie hatte sich dann in der gemeinsamen Gegnerschaft gegen Wallenstein verengt und im Zusammenwirken mit den Truppen des Herzogs von Feria und des Kardinalinfanten befestigt. Nicht umsonst hatten die Spanier im Oktober 1633 Subsidien von 180 000 Gulden und noch einmal im Oktober 1635 von 111 500 Gulden zugesagt und bis Frühjahr 1637 auch wirklich ausbezahlt.29 Jedoch wurde Maximilian durch den Umschwung der militärisch-politischen Situation seit Frühjahr 1638 und die fortschreitende moralische und finanzielle Erschöpfung im kaiserlichen und bayerischen Heer veranlaßt, sein bisheriges Konzept zu modifizieren, d.h. im Verhältnis zu Frankreich zunehmend von einer militärischen Lösung abzugehen, um stattdessen auf eine Verhandlungslösung zu setzen. Auf die in Gang gekommene Kriegswende, die er mit angeborenem Pessimismus rascher als andere erkannte, reagierte er mit einer politischen Wende, mit betonter Friedenspolitik. Diese war mehrfach motiviert. Unübersehbar waren die katastrophalen Auswirkungen des nunmehr zwanzigjährigen Krieges auf die Lebenssituation weiter Bevölkerungskreise und die volkswirtschaftlichen Strukturen, war die zunehmende Erschöpfung der staatlichen und privaten Subsistenzmittel im Reichsganzen und innerhalb des bayerischen Territorialstaates; einzukalkulieren und auch jetzt noch von 28 29
Herausgegeben von Hans Wagner m APW 1,1 Nr. 21. Ernst, Madrid und Wien 76 f., 247 und 277; Kapser, Kriegsorganisation 154 f.
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erheblichem Gewicht für Maximilian waren die konfessionspolitischen Folgen eines Siegfriedens der Gegner; und schließlich hatte die Entwicklung erwiesen, daß nur durch einen allerseits anerkannten Friedensschluß die bisherigen bayerischen Kriegsgewinne, Kurwürde und Kurlande, dauerhafte Sicherung erfahren konnten. Eine realistische Einschätzung der militärischpolitischen und finanziellen Situation, die Konfrontation mit den Schrecken und langfristigen Folgen des Krieges aber auch die Entschlossenheit, aus diesem Krieg nicht ohne einen angemessenen Preis für die bisher gebrachten Opfer hervorzugehen, bestimmten die Friedenspolitik Maximilians. Dabei war ihm bewußt, daß zu ihrer Realisierung eine Distanzierung von der spanischen und in bestimmtem Umfang auch von der kaiserlichen Politik unumgänglich war. Denn offensichtlich war die französische Gegnerschaft gegen das Reich und die den Kaiser unterstützenden Reichsstände primär in der Bindung der kaiserlichen Politik an die Interessen Spaniens begründet. „So lang die Spanische faction im Reich bei jeziger authoritet verbleibt und gleichsam das Reich regiert, so lang halt Frankhreich kheinen frid", argumentierte Maximilian in einer eigenhändigen Denkschrift des Jahres 1639.30 Jedoch war der Kaiser gegenwärtig weder bereit, die spanischen Vettern preiszugeben, noch willens, die österreichischen Vorlande an Frankreich zu opfern. Maximilians brennendes Interesse an einem Ausgleich mit Frankreich und seine Bereitschaft zu Zugeständnissen äußerte sich bereits früh in seinen Stellungnahmen zum Kölner Kongreß.31 In der jahrelang umstrittenen Frage der Erteilung von kaiserlichen Geleitbriefen für die Gesandten protestantischer Mächte und die Frankreich unterstützenden deutschen Reichsstände, d.h. der Frage ihrer Zulassung zum Friedenskongreß, wurde Maximilian von der Römischen Kurie wiederholt gebeten, auf den Kaiser einzuwirken. Insbesondere ging es um die Zulassung Bernhards von Weimar und der Landgräfin Amalia Elisabeth von Hessen-Kassel, für die der Kaiser in den Pässen den Terminus „nondum reconciliati" gebrauchen wollte, während die Franzosen auf der Formulierung „foederati Regis Galliae" bestanden. Maximilian, der ebenso wie der Kaiser „foederati" ablehnte, schlug als Kompromißformel „adhaerentes Regis Galliae" vor, derzufolge die nichtversöhnten Reichsstände zwar im Gefolge der französischen Gesandten zur Wahrnehmung ihrer In30 Zitiert bei Heinrich Brockhaus, Der Kurfürstentag zu Nürnberg im Jahre 1640, Leipzig 1883, 275. Vgl. auch den entspr. Passus in einem Schreiben Richels vom 4.9.1639 an einen kursächsischen Rat, ebenda 92 Anm. 38. 31 Vgl. Karl Schweinesbein, Die Frankreichpolitik Kf. Maximilians I. von Bayern 1639-1645, Phil. Diss. München 1967, 24 ff. Zu den Paßfragen vgl. Repgen, Römische Kurie 1,1, 394 ff.
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teressen, nicht aber als gleichberechtigte Teilnehmer zugelassen werden sollten. Der Kompromiß wurde vom Kaiser akzeptiert, nicht aber von Richelieu, der überhaupt für sämtliche mit Frankreich jetzt oder früher verbündeten Reichsstände, nicht nur für die „nondum reconciliati", einen Generalpaß forderte. Tatsächlich hat sich dann dieser französischen Forderung nicht nur der Papst, sondern auch Maximilian mit den übrigen Kurfürsten angeschlossen! In den späteren bayerisch-französischen Verhandlungen unterließ er daher den Hinweis nicht, daß er mitgeholfen habe, Frankreich den Weg zum Kölner Kongreß zu bahnen. Die Bemühungen Maximilians um das Zustandekommen des Kölner Kongresses, Ausdruck seines Friedenswillens, nahmen breiten Raum in seiner gleichzeitigen Korrespondenz mit Francesco Barberini ein.32 Der Kardinal benützte diese Brücke nach Bayern, um bei Kaiser und katholischen Reichsständen für das päpstliche Friedenswerk zu werben. Umgekehrt suchte Maximilian seit der militärischen Wende die Verbindung mit der Kurie zur Sondierung der französischen Friedensziele und Friedensbereitschaft zu nützen. Wie erinnerlich, war die Korrespondenz mit Barberini im Jahre 1628 im Hinblick auf eine bayerisch-französische Allianz zustandegekommen und seither ohne Unterbrechung fortgeführt worden. Dagegen waren Maximilians Beziehungen zu Frankreich seit 1632 drastisch reduziert und seit 1635 aufgrund der militärischen Entwicklungen ganz eingestellt worden. Jetzt, 1638/39, suchte er sie durch Vermitdung der Kurie neu zu beleben. Unmittelbarer Anlaß war die Pfalzfrage, die auf französischen Wunsch beim Kölner Kongreß behandelt werden sollte. Um den Franzosen entgegenzukommen, setzte sich Maximilian beim Kaiser dafür ein, den Pfälzern durch die Ausstellung von Pässen die Teilnahme am Kongreß zu ermöglichen;33 gleichzeitig suchte er über Barberini und den Pariser Nuntius Bolognetti, dann seit Frühjahr 1639 über den ehemaligen Nuntius und nunmehrigen Kardinal Bichi die Unterstützung Richelieus in der Pfalzfrage zu gewinnen. Bichi hatte als Nachfolger Bagnos in den Jahren 1630-1634 engen Kontakt mit Maximilian gehalten und sich bemüht, die bayerisch-französischen Beziehungen im Sinne Richelieus, dem er nahestand, auszubauen. So wurde er jetzt von Richelieu benützt, um Maximilian wissen zu lassen, daß man in Paris an einem geheimen Gedankenaustausch zur Herstellung erneuten guten Einverständnisses
Die Originalschreiben Maximilians für 1635-1643 befinden sich in Barb.lat. 6723-6726, diejenigen Barberinis in Kschw. 7422. 33 Schweinesbein, Frankreichpolitik 40 ff. Vgl. auch Gerhard Immler, Die Bewertung der Friedenspolitik des Kf. Maximilian I. von Bayern 1639-1648 in der Historiographie, Kallmünz 1989,16 ff. 32
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zwischen den beiden Mächten interessiert sei.34 Richelieu hatte aus der Anfrage Maximilians dessen Anlehnungsbedürftigkeit erkannt, deren Äußerung ja bereits als eine gewisse Distanzierung zur kaiserlichen und spanischen Politik interpretiert werden konnte, und wollte sie .für seine Zwecke nützen. Aber auch Maximilian hatte eine weitere Perspektive und erblickte in einem erneuten Kontakt mit Frankreich (mit dem man sich zwar nicht offiziell, aber tatsächlich im Kriegszustand befand) den Weg, sowohl die Erörterung der Friedensfrage voranzubringen, als die Unterstützung Richelieus in der pfälzischen Frage zu gewinnen. Sein Konzept war, dem Kardinal seine guten Dienste zur Wiederherstellung des Friedens mit Kaiser und Reich anzubieten, hierdurch die französischen Kriegsziele kennenzulernen und beim kommenden Kollegialtag zur Sprache zu bringen und sie alsdann mit dem Kommentar des Kurkollegs dem Kaiser im Sinne einer Aufforderung zu Friedensverhandlungen zu unterbreiten. Die französische Gegenleistung sollte in der Unterstützung der bayerischen Pfalzansprüche beim Kölner Kongreß bestehen. Die Verhandlungen, die Maximilian zu diesem Ende durch seinen Hofratsvizepräsidenten Johann Christoph Tanner am 10. und 11. Januar 1640 in dem schweizerischen Wallfahrtsort Einsiedeln mit dem französischen Diplomaten Paul d'Oysonville in höchstem Geheimnis führen ließ,35 verliefen jedoch ergebnislos und für beide Seiten enttäuschend. Ohne auf die bayerischen Argumente einzugehen, forderte der Franzose den Abschluß eines mehrjährigen Waffenstillstandes zwischen den Kriegführenden als Voraussetzung fruchtbarer Friedensverhandlungen. Ein Gutachten Richels las aus den französischen Vorschlägen die Absicht Richelieus heraus, Bayern durch ein Partikularabkommen vom Kaiser zu trennen. Jedenfalls erkannte man auf bayerischer Seite, daß Richelieu zu einem Frieden mit Kaiser und Reich nur bei deren Neutralität im französisch-spanischen Konflikt bereit war, also nur zu einem Separatfrieden, und daß er darüber hinaus territoriale Forderungen stellen werde. Wollte Maximilian also seine eigenen Ziele erreichen: Frieden und Sicherung der bayerischen Erwerbungen, hatte er den Kaiser zu einer Trennung von Spanien und zu territorialen Zugeständnissen an Frankreich zu bewegen. Für eine solche nicht unriskante Unternehmung die Unterstützung weiterer Reichsstände zu gewinnen, war für Maximilian der Zweck eines neuen 34 35
Bichi an Maximilian, 23.6.1639, zitiert bei Schweinesbein, Frankreichpolitik 55. Schweinesbein, Frankreichpolitik 51 ff.
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Kurfürstentages, der auf sein Betreiben von Kurmainz zum 5. Dezember 1639 nach Nürnberg ausgeschrieben und schließlich am 3. Februar 1640 eröffnet wurde.36 Der Kaiser hatte gegen die Einberufung keinen Einspruch erhoben, nahm aber nicht, wie 1630 und 1636/37 sein Vater, an der Versammlung teil, zumal selbst die Kurfürsten sich vertreten ließen.37 Der Wille Maximilians, im Interesse eines Ausgleichs mit Frankreich auf eine Distanzierung des Reiches von der spanischen Politik und Kriegführung hinzuarbeiten, wurde bestärkt, als er Mitte Januar 1640 erfuhr, daß bereits im vergangenen September zwischen dem Kaiser, der Erzherzogin Claudia von Tirol und Philipp IV. von Spanien ein Militärvertrag abgeschlossen worden war, der die Aufstellung einer Armee zur Wiedereroberung der österreichischen Vorlande und Breisachs zum Ziele hatte.38 Er beklagte, daß das bedrängte Vaterland nun umsomehr das Theater bilden werde, auf dem die auswärtigen Mächte ihre gleichsam erblichen Händel auszufechten suchten; also habe man sich quovis modo zu resolvieren, Frieden zu schließen oder zugrunde zu gehen, man müsse in Nürnberg eine heroische Resolution fassen.39 Die Voraussetzung für eine solche Politik eines Druckes auf den Kaiser bildete nach Auffassung Maximilians die Einigkeit des Kurkollegs, insbesondere auch zwischen seinen katholischen und protestantischen Mitgliedern. Demgemäß hatte sich Richel als bayerischer Sprecher beim Kollegialtag angelegentlich zu bemühen, Majoritätsbeschlüsse der katholischen Kurfürsten zu vermeiden, um Kursachsen und Kurbrandenburg für die bayerische Linie zu gewinnen. Gleichzeitig war Maximilian in höchst bemerkenswerter, katholisch-konfessionelle Gesichtspunkte zurückstellender Weise bereit, den Protestanten in der Amnestiefrage weit entgegenzukommen,40 allerdings nicht nur, um sie beim Kollegialtag bei der Stange zu halten, sondern unter dem umfassenderen Gesichtspunkt, durch einen über den Prager Frieden hinausgehenden Ausgleich zwischen Katholiken und Protestanten im Reich dem Kaiser die volle Unterstützung auch der protestantischen Stände zu gewährleisten, um Frankreich und Schweden an den Verhandlungstisch zu bringen. Wenn die zentralen Forderungen der Großmächte Satisfaktion und Assekuration hießen, so diejenigen der deutschen Protestanten nach Prag Amne-
Brockhaus, Kurfürstentag; Rteller, Geschichte V, 543 f.; Schweinesbein, Frankreichpolitik 91 ff.; Becker, Kurfurstenrat 134 ff.; Bierther, Reichstag passim; Immler, Bewertung 19 ff. 37 Eine bei Brockhaus, Kurfürstentag 118 Anm. 15 zitierte Quelle scheint aber auf zumindest einmalige Anwesenheit Maximilians bei den Verhandlungen zu deuten. 38 Ebersdorfer Vertrag vom 18.9.1639: Du Mont, Corps diplomatique VI,1,180 f. 39 Maximilian an Richel, 14.1.1640, zit. bei Brockhaus, Kurfüirstentag 151 ff. 40 Einzelheiten bei Brockhaus, Kurfüirstentag 110 ff. und 241 ff.; Bierther, Reichstag 83 ff. 36
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stie und Restitution. Durch eine Vereinbarung im Zusammenhang des Prager Friedens waren eine Reihe protestantischer Stände der vier oberdeutschen Reichskreise sowie die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg und die Landgräfin von Hessen-Kassel vom Frieden ausgeschlossen worden.41 Ein Teil von ihnen war seither vom Kaiser amnestiert und restituiert worden (die restituti gravati), hatte aber, wie vor allem der Herzog von Württemberg, dafür erhebliche Teile seines Besitzes dem Kaiser überlassen müssen, der sie anderweitig verwendet hatte. Darunter befanden sich die durch das Restitutionsedikt rekatholisierten schwäbischen Klöster, deren umfangreicher Grundbesitz nunmehr den katholischen Prälaten zurückgegeben wurde, aber auch die Herrschaft Heidenheim, die Maximilian zur Schuldentilgung zugesprochen worden war. Ein anderer Teil der in der Prager Vereinbarung genannten Reichsstände war noch nicht mit dem Kaiser ausgesöhnt worden (die nondum reconciliati). Beim Kollegialtag forderte Kursachsen sowohl Amnestie und Restition für die nondum reconciliati als auch die vollständige, nicht nur partielle Restitution der restituti gravati. Es war sehr bemerkenswert, daß sich Maximilian diese Forderung durchaus zu eigen gemacht hat, indem er durch Richel für eine Generalamnestie plädieren Heß, durch welche beiden Gruppen zu ihrem Recht verholfen werden sollte! Dies widersprach zwar u.a. den Restitutionsforderungen der schwäbischen Prälaten, doch war für Maximilian die als Gegenleistung geforderte weitere Unterstützung der Reichsarmada durch die Protestanten (insbesondere auch der bayerischen Armada durch die Stände des Schwäbischen Kreises), ihre Unterstützung der bayerischen Kurforderungen sowie ihr Einverständnis mit Maximilians Friedenspolitik nunmehr von größerem Gewicht, als konfessionelle Gesichtspunkte. Man bemerkt die Ausgestaltung einer Linie, die mit den konfessionspolitischen Verhandlungen von 1631 eingeleitet und in der Zustimmung zum Prager Frieden fortgesetzt worden war. Maximilians allgemeinpolitisch motiviertes Zugeständnis war so ungewöhnlich, daß er hierüber in Diskussionen mit dem zurückhaltenderen Richel geriet, dem er aber mitteilen konnte, daß die kurfürstliche Amnestiepolitik auch von den Münchner Jesuiten akzeptiert worden sei.42 Jedoch endeten die Amnestieverhandlungen in Nürnberg wie so vieles ohne Ergebnis, da die geistlichen Kurfürsten einer Preisgabe des württembergischen Kirchengutes nicht zustimmten, Maximilians realistischen und weitschauenden Bemühungen blieb zunächst der Erfolg versagt.
41 Mitteilung der kaiserlichen Gesandten betr. die Ausnahmen von der Amnestie, 30.5.1635: BA N F 11,10 Nr. 568. 42 Maximilian an Richel, 20.6.1640, zit. bei Bnckhaus, Kurfurstentag 247 Anm. 25.
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Um den Beschlüssen der Kurfürsten insbesondere in der Friedensfrage größeres Gewicht zu verleihen, versuchte Maximilian, den Kollegialtag durch die Zuziehung weiterer Reichsstände zu einer Art Reichsforum zu erweitern und mittels dieses Gremius den Kaiser unter Druck zu setzen.43 Gleich zu Beginn des Konvents schlug er vor, auch die ausschreibenden Fürsten der Reichskreise nach Nürnberg zu laden, allerdings ohne den Kaiser und den Kardinaünfanten als Ausschreibenden des Österreichischen und Burgundischen Reichskreises, um ein Entgegenkommen gegenüber französischen Forderungen zu ermöglichen. Er konnte sich jedoch mit seinem Erweiterungsplan nicht durchsetzen, da vor allem Anselm Casimir von Mainz jede Brüskierung des Kaisers ablehnte. So wurde zwar beschlossen, auch die kreisausschreibenden Fürsten einzuladen, etwa zehn bis fünfzehn weitere Reichsstände, aber nur unter Einschluß Österreichs und Burgunds und nur mit Billigung des Kaisers. Dieser offensichtlichen Niederlage der bayerischen Politik reihte sich eine zweite an. Maximilian hatte beabsichtigt, dem Kurkolleg einen längerfristigen Waffenstillstand zwischen den Kriegfuhrenden vorzuschlagen, da die Reichsstände mangels Unterstützung durch den Kaiser und Spanien und wegen unzureichender Heeresfinanzierung zur Fortsetzving des Krieges kaum mehr in der Lage seien. Dieser Vorschlag war bereits in der bayerischen Kollegialtagsinstruktion vom 1. Januar enthalten, also nicht erst eine Folge der Anregung d'Oysonvilles bzw. Richelieus in Einsiedeln, er wurde als notwendige Voraussetzung allgemeiner Friedensverhandlungen bezeichnet. Jedoch war die Stimmung bei den anderen Kurfürsten, insbesondere den protestantischen, deren Territorien zu einem guten Teil von den Schweden besetzt waren, einem Waffenstillstand derart ungünstig, daß der bayerische Vorschlag nicht zum Tragen kam. Vielmehr wurde nun die Gegenoffensive des Kaiserhofs eröffnet, der in den bayerischen Plänen nicht zu Unrecht den Versuch erblickte, die wichtigsten Reichsfürsten zu mobilisieren, um Ferdinand III. zu einem Ausgleich mit Frankreich unter Separation von Spanien zu nötigen oder sogar unabhängig von Kaiser und Spanien und auf deren Kosten den Krieg mit Frankreich zu beenden. Bereits Anfang Februar war man in Wien über die Tatsache, wenn auch nicht den Inhalt der Einsiedler Konferenz unterrichtet, von der man eine Wiederaufnahme der bayerisch-französischen Bündnisgespräche befürchtete. Als der Reichsvizekanzler Kurz von Senftenau deswegen in München vorstellig wurde, leugnete Maximimilian rundweg ab, in Kontakt mit
43
Brockhaus, Kurfurstentag 172 ff.; Becker, Kurfurstenrat 135.
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Frankreich zu stehen.44 Da dies wenig glaubhaft war und der Kaiserhof gleichzeitig über die Bestrebungen Maximilians nach Berufung der kreisausschreibenden Fürsten unterrichtet wurde, geriet man in Wien allerdings in große Sorge und in schlimme Vermutungen über die bayerischen Ziele. Sollte der Kaiser in der Friedensfrage isoliert, wenn nicht zu einer Friedenspolitik gezwungen werden, die auf habsburgische Kosten ging? Die Reichshofräte warnten Ferdinand III., der von Maximilian angestrebten Erweiterung des Kurfürstentages zuzustimmen, da diese den Reichsständen Gelegenheit biete, ein Friedensprogramm zu formulieren, das aller Voraussicht nach den kaiserlich-habsburgischen Interessen nicht entspreche. Um dieser Gefahr vorzubeugen, galt es, stattdessen eine Versammlung zu berufen, deren Leitung allein dem Kaiser zustand und deren Beschlüsse von ihm sanktioniert werden mußten, um Gültigkeit zu erlangen, also einen Reichstag. Noch am 20. März schlug Ferdinand dem Kurfürsten von Mainz die baldige Berufung eines Reichstages vor, des ersten seit 1613! Gleichzeitig entschloß er sich, sich im Mai persönlich nach Regensburg als dem Ort der künftigen Versammlung zu begeben. Damit hatte er die Friedensinitiative Maximilians zunächst einmal abgefangen und zum Gegenstoß ausgeholt. Als der Regensburger Reichstag am 19. September 1640 mit der Verlesung der kaiserlichen Proposition eröffnet wurde, waren nur Ferdinand III. und eine kleine Zahl von Reichs fürsten persönlich anwesend, sämtliche Kurfürsten, darunter auch Maximilian, der sich auf sein Alter und eine eben überstandene Krankheit berief, ließen sich durch Gesandte vertreten. Als Sprecher Maximilians figurierte wieder einmal Bartholomäus Richel, der nach mehrfachem Zeugnis durch Sachverstand und Nachdruck beachtlichen Einfluß auf den Fortgang der Verhandlungen nahm. Der Reichstag45 verstand sich als Fortsetzung des Nürnberger Kollegialtags, dessen sämtlich unerledigt gebüebenen Themen nunmehr wieder aufgenommen wurden. An der Diskussion der drei zentralen Temen des Reichstags war auch die bayerische Politik in besonderer Weise interessiert und beteiligt: den innerdeutschen Problemen, also vor allem der Frage von Amnestie und Restitution; der Frage der Friedensverhandlungen mit Frankreich und Schweden; schließlich der Frage der Mittel zur Fortsetzung des Krieges, also der Verteilung der Kontributionen und Quartiere.
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Schweinesbein, Frankreichpolitik 96 ff.; ergänzend aus Wiener Akten Bierther, Reichstag 34 ff. Grundlegend Bierther, Reichstag, mit der älteren Literatur. Zur Einschätzung in der älteren Forschung vgl. auch Immler, Bewertung 21 ff. 45
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Wie in Nürnberg sah Maximilian auch jetzt die Regelung von Amnestie und Restitution unter dem Gesichtspunkt, hierdurch die finanzielle oder militärische Hilfe der bisher nicht ausgesöhnten sowie der nur teilweise restituierten protestantischen Reichsstände für den Kaiser und die diesen seit 1635 unterstützenden Reichsstände zu gewinnen. Dabei war die Gewinnung der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg und der Landgräfin von Hessen deswegen von besonderer Bedeutung, weil diese im Mai 1640 mit ansehnlichen Truppenverbänden auf die Seite der Franzosen und Schweden getreten waren. Fünf Jahre nach dem Abschluß des Prager Friedens sollte das durch den Friedensschluß angestrebte, aber nicht vollständig erreichte Ziel verwirklicht werden, eine politische und militärische Einheitsfront des Kaisers mit sämtlichen Reichsständen zu schaffen. Ob diese dann in erster Linie der militärischen Auseinandersetzung mit Frankreich dienen sollte, wie der Kaiser intendierte, oder durch ihre Existenz die Großmächte an den Verhandlungstisch zwingen sollte, wie Maximilian dachte, war eine spätere Frage. Maximilian war jedenfalls die Leitfigur und der Motor einer gemäßigten Gruppe unter den Katholiken, die in ihrer Bereitschaft zu konfessionspolitischen Zugeständnissen mit dem Widerstand einer Reihe geistlicher Reichsstände, darunter Bischof Knöringen von Augsburg, zu kämpfen hatte, sodaß sich hier schon Konstellationen abzeichneten, die bei den Westfälischen Friedensverhandlungen erneut und stärker hervortreten sollten. Wie sehr Maximilian rasche Fortschritte in der Amnestiefrage erstrebte, erwies sich im Oktober, als Richel beim Reichstag aus rein taktischen Gründen zunächst eine langsamere Gangart eingeschlagen hatte. Mit ungewöhnlicher Schärfe maßregelte er den Vizekanzler, daß man in München die Sachen reiflich bedacht, auch die Theologen gehört habe. „Dahero euch nit gebürt, dariber vüll zu scrupulirn und mit exequirung unsers gemessnen bevelchs an euch zu halten." Also habe Richel für die Maximallösung der Generalamnestie zu wirken, weil davon die Zusammenarbeit der Reichsstände zu erhoffen sei. Maximilian scheute die Weisung nicht, keinerlei Rücksicht auf den päpstlichen Nuntius Mattei zu nehmen, der beim Reichstag die Restitution der geistlichen Güter zu verhindern suchte.46 Bei Auseinandersetzungen Matteis mit Richel nahm dieser denn auch kein Blatt vor den Mund: Der Papst tue besser daran, seine Hand vom König von Frankreich abzuziehen, als den bayerischen Räten und ihren Kollegen Vorwürfe zu machen. Gerade der Krieg des Allerchristlichsten Königs gegen Kaiser und Reich zwinge die deutschen Katholiken, sich die Militärhilfe der Protestanten durch konfessi46
Zu Matteis Bemühungen vgl. Repgen, Römische Kurie 1,1, 391 ff.
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onspolitische Zugeständnisse zu erkaufen. Diese unverhüllte Affrontierung der Römischen Kurie belegt am deutlichsten den Wandel in der kirchenpolitischen Praxis Maximilians auf Reichsebene zugunsten der Herbeiführung des Friedens. Maximilian hatte auch mit dem Widerstand der beiden geistlichen Kurfürsten zu tun, die, wie schon in Nürnberg, nicht das Odium einer Preisgabe geistlichen Besitzes auf sich nehmen wollten, darin von Mattel bestärkt wurden und erst nach langem Zögern, der Mainzer erst nach Billigung durch den kaiserlichen Beichtvater, einer Generalamnestie zustimmten.47 Es war insgesamt der Entschlossenheit Maximilians und dem taktischen Geschick Richels zuzuschreiben, daß das bayerische Amnestieprogramm über zahlreiche Klippen und Widerstände im Kurfürsten- und Fürstenrat hinweggeschleust und schließlich zur Verabschiedung durch die Gremien gebracht werden konnte. Entscheidend für die schließliche mehrheitliche Zustimmung war die einschränkende Festlegung („effectus suspensives amnestiae"), daß die volle Restitution der restituii gravati erst dann in Kraft treten sollte, wenn sich zuvor sämtliche noch unausgesöhnten Stände von den beiden Großmächten getrennt hatten, in das Lager des Kaisers und der gehorsamen Stände übergetreten und, soweit bewaffnet (wie Braunschweig-Lüneburg und Hessen-Kassel), ihre Streitkräfte mit der Reichsarmada vereinigt hatten. Nur unter dieser Bedingung war auch Maximilian bereit, Kirchengut preiszugeben. Nicht weniger wichtig für die Beurteilung der bayerischen Kirchenpolitik war die Tatsache, daß Maximilian zwar einer Restitution auf der Basis von 1627 für die geistlichen und 1630 für die weltlichen Güter zustimmte, aber die weitergehenden, dem Prager Restitutionsprinzip nicht mehr entsprechenden Forderungen protestantischer Stände nach einem Normaljahr 1618 strikt zurückwies. Angesichts der beiden Einschränkungen wird man von einer mitderen Linie der bayerischen Konfessionspolitik in Regensburg sprechen. Auch der Kaiser schwenkte schließlich trotz massiver Interventionen Matteis auf die bayerische Linie ein, weil sie seiner Zielsetzung entgegenkam, die beiden Großmächte zu isolieren und die militärische Position des Reiches zu stärken, vielleicht aber auch, um einen Konflikt mit Maximilian, seinem wichtigsten und mächtigsten Verbündeten im Reich, zu vermeiden. Da Maximilian daran lag, gegenüber der Römischen Kurie seinen bisherigen guten Ruf als Stütze der Kirche im Reich zu wahren, betonte er in seinem Briefwechsel mit Kardinal Barberini mehrmals, daß die gegenwärtige militärische Situation daran hindere, in Religionssachen so zu handeln, wie man als Katholik eigentlich wolle. Nie hätten sich die katholischen Reichsstände zur 47
Bierther, Reichstag 130 ff.
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Amnestie oder zu anderen religionspolitischen Zugeständnissen herbeigefunden, wenn nicht ausländische Katholiken (gemeint war Frankreich) die deutschen Protestanten derart massiv unterstützten.48 Bemerkenswerterweise hielt sich Francesco Barberini zurück, die offensichtlich auf Zugeständnisse in Kirchenfragen hinauslaufende Reichstagspoütik der Bayern zu kritisieren. Allerdings schlugen sich die Auseinandersetzungen zwischen Mattei und Richel auch in dem Briefwechsel Barberinis mit Maximilian nieder, nachdem sich der Nuntius beim Kardinalnepoten über die bayerischen Räte beschwert hatte.49 Jedoch wiegelte Barberini ab, selbst als ihm von bayerischen Räten in Regensburg unterstellt wurde, in einem Privatschreiben an Maximilian die stillschweigende Zustimmung des Hl. Stuhls zur Amnestie signalisiert zu haben.50 Natürlich hatte sich der Kardinal nicht expressis verbis in dieser Weise ausgedrückt. Aber seine Formulierung, man müsse Frieden schließen, damit die Religion nicht noch größeren Schaden nehme, war nicht weit von der Argumentation entfernt, mit der Maximilian seine konfessionspolitischen Zugeständnisse seit langem begründete. Entsprechend dieser vorsichtigen Zurückhaltung Barberinis hat sich die Kurie in diesen Monaten auch mit keiner Zeile gegen Maximilians Amnestiepolitik ausgesprochen, und sie hat auch nicht etwa gedroht, in der Pfalzfrage die seit 1620 bestehende Unterstützung der bayerischen Politik einzustellen, vielmehr setzte man die traditionelle probayerische, weil der Kirche nützliche Politik in dieser Frage fort. Selbst der von der Kurie gebilligte öffentliche Protest Matteis vom 18. April 1641 gegen das Amnestiedekret des Reichstags51 hat hieran nichts geändert. Alles in allem konnte sich Maximilian also in seiner Amnestiepolitik von der Römischen Kurie wenn nicht bestätigt, so doch auch nicht desavouiert sehen, was ihm genügen mochte, um sie guten Gewissens fortzusetzen. Allerdings blieben die Ergebnisse dieser Politik schließlich mehrenteils auf dem Papier, da die Mehrzahl der unausgesöhnten Reichsstände eine Verständigung mit dem Kaiser auf der Basis der Generalamnestie ablehnte, die daher auch für die restituii gravati vorläufig nicht in Kraft trat. Die Bedeutung der bayerischen Amnestiepolitik beim Regensburger Reichstag lag also weniger in ihren tatsächlichen Auswirkungen, als in dem Hinweis auf die neue Flexibili« Maximilian an Barberini, 22.11.1640,14.2. und 28.3.1641: Barb. lat. 6725, fol. 49, 67 und 80. 49 Vgl. Maximilian an Barberini, 20.12.1640: Barb. lat. 6725, fol. 54 und die von Maximilian an Barberini übersandte „Relatione fatta al Ser. Elettore di Baviera del raggionamento fatto in Ratìsbona tra Möns. Nuntio et un Commissario di Baviera", ebenda fol. 58. 50 Vgl. Rtpgen, Römische Kurie 1,1, 484 und 492 ff. Das gemeinte Schreiben vom 24.11.1640 ist ebenda!,2 Nr. 151 gedruckt. « Repgen, Römische Kurie 1,1, 497 ff.
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tät Maximilians in konfessionspolitischen Fragen, falls es die politische und militärische Situation des Reiches erforderte. Diese Flexibilität (die Mattei oder dem Bischof Knöringen allerdings als Verrat an der Kirche erschien) war in Zukunft noch mehr gefragt. Konnte man in München die schließliche Bewilligung der Generalamnestie durch den Reichstag als einen bayerischen Sieg betrachten, so blieb Maximilian in der Frage von Sonderfriedensverhandlungen mit Frankreich ohne Erfolg, da es hier dem Kaiser und dessen Hauptberatern Trauttmansdorff und Kurz von Senftenau gelang, den Bayern eine diplomatische Niederlage beizubringen. Maximilian zielte, wie erwähnt, auf Separatfriedensverhandlungen mit Frankreich unter Ausschluß Spaniens, da er allgemeine Friedensverhandlungen, in deren Zusammenhang auch die französisch-spanischen Differenzen gelöst werden sollten, für weniger aussichtsreich gehalten hat, ohne sie freilich völlig zu verwerfen. Dabei war ihm aus den Mitteilungen Bichls und den Verhandlungen von Einsiedeln bewußt, daß Richelieus Preis für einen Friedensschluß territoriale Abtretungen im Elsaß und die Neutralität des Reiches in den weiteren französisch-spanischen Auseinandersetzungen sein würde. Offensichtlich war er bereit, beides zuzugestehen, ganz im Gegensatz zu Kaiser Ferdinand III. Gegen den Widerstand des Kaisers, der sich auch der willfährigen Mainzer bediente, setzte Maximilian zunächst durch, daß die drei Kurien des Reichstags, Kurfürstenrat, Fürstenrat und Städterat, den König von Frankreich offiziell aufforderten, seine Gesandten zum Kölner Friedenskongreß abzuordnen. Sein Hintergedanke war, dem König Gelegenheit zu bieten, in seiner Antwort dem Reichstag ein Friedensangebot zu machen und auf diese Weise Anlaß zu geben, die französische Friedensfrage in allen drei Kurien aufzurollen.52 In seiner (reichlich formlosen) Antwort vom 6. Juli 1641 brachte Ludwig XIII. zum Ausdruck, daß er sich von Separatfriedensverhandlungen zwischen Frankreich und dem Reich unter Ausschluß Spaniens baldigen Erfolg verspreche; verklausuliert ließ er erkennen, daß er dabei territoriale Forderungen erheben werde. Bereits in dieser Antwort erblickte Maximilian die Möglichkeit, den Reichstag für Separatverhandlungen mit Frankreich zu erwärmen und wies seine Regensburger Gesandten an, unter den Reichsständen für den Gedanken eines Separatfriedens zu werben. Das Problem von Gebietsabtretungen an Frankreich sollte jedoch nicht angesprochen werden, zum Handlanger französischer Annexionsforderungen wollte sich Maximilian nicht machen lassen. Ihm kam es zunächst auf 52
Bierther, Reichstag 269 ff.
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einen Reichstagsbeschluß an, der Separatfriedensverhandlungen grundsätzlich billigte und dann dem Kaiser mit dem Gewicht eines Reichstagsgutachtens vorgetragen werden sollte. Tatsächlich konnte Richel über ein mehrfach positives Echo auf seine Bemühungen in Regensburg berichten. Jedoch erhielt er Ende September die Anweisung des Kurfürsten, auf weiteren Beratungen über das französische Memorial nicht mehr zu bestehen! Der überraschende Befehl war die Folge von Gegenmaßnahmen, mit denen der Kaiser Maximilians Friedensoffensive zu konterkarieren suchte und schließlich auch zu einem Ende brachte. Ferdinand III. hatte die Pfingsttage 1641 bei seiner Schwester und seinem Schwager in München verbracht, um sich über die bayerisch-französischen Beziehungen und die weiteren Pläne Maximilians zu informieren und wohl auch einer Annäherung Bayerns an Spanien das Wort zu sprechen. Maximilian seinerseits hatte die Gelegenheit benützt, um den Kaiser zu einer Stellungnahme in der Frage der Separatverhandlungen zu veranlassen, indem er ihm erklärte, aus absolut sicherer Quelle (gemeint war Bichi) zu wissen, daß Frankreich zu einem Separatfrieden bereit sei, falls man sich von Spanien trenne. Ferdinand hatte den Antrag strikt zurückgewiesen, dessen Erfüllung allen seinen dynastischen Verpflichtungen und grundsätzlichen Kriegszielen widersprochen hätte, jedenfalls noch zu diesem Zeitpunkt. Da er aber nun jedenfalls wußte, wohin Maximilians Pläne gingen, konnte er Gegenmaßnahmen treffen. Vor allem galt es ein Reichstagsgutachten über das französische Memoriale zu verhindern, das ihn zu eindeutiger Stellungnahme gezwungen hätte. Denn so wenig er an eine Trennung von Spanien dachte, so sehr suchte er gegenüber den Reichsständen den Eindruck zu vermeiden, als werde der Krieg gegen Frankreich nur wegen habsburgischer Interessen fortgesetzt. So veranlaßte er den Kurfürsten von Mainz, im Kurfürstenrat gegen die Beantwortung des Memorials zu stimmen. In München ließ er durch den Reichshofrat Auersperg erklären, daß die allen Etiketteregeln widersprechende Form des französischen Schreibens zu beleidigend sei, als daß man es beantworten könne. Seien die Reichsstände anderer Meinung, sähe er sich gezwungen, die Pässe für Frankreich und dessen Verbündete zu den nunmehr nach Münster und Osnabrück verlegten allgemeinen Friedensverhandlungen zurückzufordern. Gleichzeitig hatte Auersperg die Zustimmung Maximilians zur Verlegung der bayerisch-pfälzischen Ausgleichsverhandlungen von Regensburg nach Wien einzuholen. Unmittelbar nach diesen beiden Eröffnungen wies Maximilian seine Gesandten beim Reichstag an, die Behandlung des französischen Memorials nicht weiter zu betreiben. Was bewog ihn, eine wichtige Linie seiner Politik
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so unvermittelt abzubrechen?53 Man wird das Gewicht der von Ferdinand angedrohten Zurück2iehung der Pässe nicht gering bewerten. Von Bedeutung war gewiß auch, daß die Kurmainzer auf Veranlassung des Kaisers durch Verschleppung ihres Votums die Behandlung der Friedensfrage bei dem bereits zu Ende gehenden Konvent so sehr verzögerten, daß dort mit Ergebnissen nicht mehr gerechnet werden konnte, „sonder wir [Maximilian] durch urgierung dessen ohne alle frucht das odium allein auf uns laden."54 Entscheidend war wohl, daß Auersperg die Frage des Separatfriedens und die Pfalzfrage gleichzeitig, gewissermaßen in einem Atemzug zur Sprache brachte, eine unmißverständüche Drohung, die auf Maximilians Proprium zielte: Mußte er befurchten, die Unterstützung des Kaisers bei den kommenden Pfalzverhandlungen in Wien zu verlieren? Wie dem auch sei, jedenfalls erreichte der Kaiser sein Ziel; schon Olivares hatte einmal ausgesprochen, daß man den Bayern in der Pfalzfrage ständig „inter spem et metum" halten müsse. Der Erfolg Ferdinands war um so höher zu bewerten, als Maximilian nicht damit rechnen konnte, die offensichtliche Unzufriedenheit vieler Reichsstände über die spanienfreundliche Politik des Kaisers so schnell wieder auf einem Reichstag hinter sich sammeln und für seine Friedenspolitik bündeln zu können. Jedoch gewann der Kaiser nur eine kurze Atempause, denn das positive Echo zahlreicher Reichsstände auf das bayerische Separatfriedenskonzept mußte Maximilian doch in dem Entschluß bestärken, seine Bemühungen auch nach Beendigung des Reichstags im Oktober 1641 fortzusetzen. Wir sehen freilich, daß auch Ferdinand III. seinen Plan eines Separatfriedens mit Schweden als Voraussetzung zu intensiverer Kriegführung gegen Frankreich nicht verwirklichen konnte. Dieser schien zunächst erfolgversprechend, weil die 1638 abgeschlossene französisch-schwedische Allianz im März 1641 endete und der schwedische Gesandte Salvius bei Sondierungsgesprächen in Hamburg Separatverhandlungen mit dem Kaiser in Aussicht gestellt hatte. Als Kriegsentschädigung forderten die Schweden das Herzogtum Pommern, jedoch war der Kurfürst von Brandenburg, der eine Anwartschaft auf Pommern besaß, ohne entsprechende Entschädigung nicht zu einem Verzicht bereit. Obwohl der Kaiser die rasche Behandlung der schwedischen Frage beim Reichstag wünschte,55 verzögerte sie sich, da Maximilian Diskussion bei Bierther, Reichstag 275 f. und Immler, Bewertung 23. Maximilian an die bayer. Gesandten, 27.9.1641, zit. Bierther, Reichstag 276 Anm. 118; die Fortsetzung des Zitats lautete: „[...] und etwan auch der Pfalzischen sachen halber bei andern [d.h. dem Kaiser und Spanien] deswegen ein entgeltnus zu gewarten haben werden." 55 Bierther, Reichstag 251 ff. und 96 ff. 53
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die Amnestiefrage für wichtiger hielt und deren vorrangige Beratung auch durchsetzte. Jedoch hatte Ferdinand inzwischen schon geheime Separatfriedensverhandlungen in Hamburg eingeleitet, über die er das Gutachten Kurmainz' und Maximilians erbat. Wie nicht anders zu erwarten, befürwortete Maximilian (ebenso wie Kurmainz) die kaiserliche Politik in der schwedischen Friedensfrage ohne Vorbehalt, zumal er die Position Kurbrandenburgs, auf dessen Kosten wohl alles gehen mußte, unter einem besonderen, nämlich einem konfessionellen Blickwinkel sah. Man habe „Brandenburg wegen Pommern so hoch nit zu respectiren," ließ er dem Kaiser sagen, „dann der spiritus Calvini mit beneficiis nit zu demerieren."56 Wenn man um des öffentlichen Wohles willen in der Amnestiefrage auf geistliche Güter verzichten könne, um wieviel mehr auf weltliche. Maximilian empfahl dem Kaiser, den Schweden nicht nur Vorpommern, sondern notfalls das ganze Herzogtum Pommern anzubieten; wenn es darum gehe, dem Reich den Frieden zu schenken, müßten die Interessen einzelner Reichsstände zurückstehen (unter denen er selbst sich allerdings nicht verstand!). Der zunächst zögernde Kaiser folgte schließlich diesem rigorosen Rat, zumal der seit Dezember 1640 regierende junge Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg im März 1641 einen Waffenstillstand mit Schweden Schloß, durch den Brandenburg aus dem Krieg ausschied. Wenig später scheiterten aber auch die kaiserlichen Verhandlungen mit der schwedischen Krone, welche schließlich die Erneuerung des Bündnisses mit Frankreich und einen allgemeinen Friedensschluß einem Separatfrieden mit dem Kaiser vorzog. Am 30. Juni 1641 wurde, wie schon erwähnt, die französisch-schwedische Allianz bis zu einem allgemeinen Friedensschluß verlängert. Es war diese Mächtekonstellation, die weiterhin und zunehmend bedrohlicher dem Kaiser und seinen Verbündeten gegenübertrat. Da Frankreich und Schweden sich gegenseitig verpflichteten, nur gemeinsam Frieden zu schließen, konnte also von Separatfriedensverhandlungen, wie sie der Kaiser mit Schweden, Maximilian mit Frankreich angestrebt hatte, wohl keine Rede mehr sein. Nun war auch Ferdinand veranlaßt, dem von Papst Urban VIII. und König Christian IV. von Dänemark seit Jahren betriebenen allgemeinen Friedenskongreß in Köln mit Frankreich und in Hamburg oder Lübeck mit Schweden näherzutreten, dem er bisher angesichts seines militärisch-politischen Konzepts überaus skeptisch, ja ablehnend gegenübergestanden hatte. Insbesondere die Forderung Richelieus nach Zulassung aller 56 Maximilian an Richel, 4.3.1641, zit. Bierther, Reichstag 259 Anm. 44; vgl. auch das Handschreiben Maximilians an den Kaiser, 22.3.1641, ebenda Anm. 45.
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deutschen Verbündeten Frankreichs zum Kongreß hatte Ferdinand zögern lassen, jedoch war er von den Reichsfürsten bereits schrittweise vorangedrängt worden, den Kreis der Teilnehmer auszuweiten, um den Beginn der Verhandlungen nicht weiter zu verzögern.57 Beim Nürnberger Kurfürstentag hatte Ferdinand noch darauf bestanden, daß nur die nichtversöhnten Reichsstände (nobis nondum reconciliati) als Verbündete Frankreichs zum Kölner Kongreß zugelassen würden, während die Kurfürsten entsprechend französischen Wünschen auch die Zulassung derjenigen ehemaligen Verbündeten Frankreichs gefordert hatten, die sich inzwischen mit dem Kaiser ausgesöhnt und den Prager Frieden unterzeichnet hatten. Es wurde gezeigt, daß auch Maximilian zu den Befürwortern gezählt hatte. Beim Reichstag gab Ferdinand nunmehr der einmütigen Forderung der Reichsstände nach und willigte in die Streichung des „nobis nondum reconciliati" in den Pässen. Damit war der Kreis der zum Kongreß Zugelassenen erheblich ausgeweitet. Ein anderes war die Zulassung aller übrigen, weit zahlreicheren Reichsstände zum Kongreß.58 Beim Regensburger Kurfürstentag hatte Ferdinand der von Maximilian betriebenen Beteiligung der Kurfürsten an den Verhandlungen zugestimmt, wenngleich nur zur Assistenz und Beratung der kaiserlichen Gesandten, nicht als eigenständige Stimmführer neben dem Kaiser. Jetzt, auf dem Reichstag, forderten die Gesandten von BraunschweigLüneburg und Hessen-Kassel die Zulassung sämtlicher Reichsstände, und zwar in der Qualität von gleichberechtigten Verhandlungspartnern, vertreten durch einen bevollmächtigten Reichstagsausschuß.59 Tatsächlich hielten auch die Kurfürsten eine Deputation des Fürsten- und Städterates zum Kongreß für plausibel, ohne freilich auf deren Kompetenzen einzugehen; offensichtlich hielten sie nur eine Beratungsfunktion für gerechtfertigt. Da auch der Fürstenrat den Antrag aufnahm, erklärte sich auch der Kaiser einverstanden, aber nur mit deutlichen Einschränkungen: Der Städterat wurde nicht erwähnt, und nicht der Fürstenrat als solcher sollte vertreten sein, sondern die einzelnen Fürsten, aber diese weder als gleichberechtigte Verhandlungspartner neben dem Kaiser, noch als Berater wie die Kurfürsten, sondern lediglich als Bittsteller, die den kaiserlichen Gesandten beim Kongreß ihre Wünsche vortragen konnten. Im übrigen sprach sich der Reichstag unter Ablehnung weiterer Bemühungen um Separatverhandlungen für den baldigen Beginn von allgemeinen, alle 57 Bierther, Reichstag 227 ff.; zu den Paßfragen vor allem Repgen, Römische Kurie 1,1, 392 ff. und öfter. 58 Becker.; Kurfiirstenrat 136 ff. 59 Bierther, Reichstag 236 ff.
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Kriegfuhrenden umfassenden und damit wohl auch innerdeutsche Themen behandelnden Friedensverhandlungen in Köln bzw. Hamburg oder Lübeck aus. Als dann von den Schweden im April 1641 als neue Tagungsorte Münster für die Verhandlungen mit Frankreich und Osnabrück für diejenigen mit Schweden vorgeschlagen wurden, hatten auch Kaiser und Reichsstände nach einigen Bedenken nichts dagegen einzuwenden. Obwohl an getrennten Orten stattfindend, sollten die Verhandlungen in den benachbarten Städten als eine Einheit gelten. Der Hamburger Präüminarvertrag vom 25. Dezember 1641 zwischen dem Kaiser, Frankreich und Schweden bestimmte den Beginn dieses einheitlichen allgemeinen Friedenskongeresses für den 25. März 1642. Frankreich und Schweden bezeichneten als ihre Bundesgenossen, die zum Kongreß zugezogen werden sollten, Pfalz, Braunschweig-Lüneburg und Hessen-Kassel, wozu die Franzosen dann noch Savoyen, die Generalstaaten und Kurtrier hinzufügten; zusätzlich sicherten sie sich bereits jetzt freies Geleit für alle diejenigen, die sie künftig noch als ihre Verbündeten bezeichnen würden. Die Frage war, welcher Status, bittend, beratend oder eine eigene Stimme führend, diesen und den anderen Reichsständen dann zukommen würde. Zunächst aber war die Frage nach dem tatsächlichen Beginn der Friedensverhandlungen. Das Problem mußte auch Maximilian, seine militärischen Planungen wie seine Friedenspolitik, heftig bewegen.
34. Auf dem Weg zum Friedenskongreß In den Jahren vom Hamburger Präliminarfrieden des November 1641 bis zum tatsächlichen Beginn der Westfälischen Friedensverhandlungen im Dezember 1644 oder vielmehr Sommer 1645 war die bayerische Politik bemüht, den mannigfachen Hemmnissen entgegenzuwirken, die der Eröffnung von Universalfriedensverhandlungen immer wieder entgegenstanden, jedoch bei Erfolglosigkeit einen Separatfrieden des Reiches mit Frankreich allein anzusteuern. Dabei zeigte sich Maximilian zunehmend überzeugt, daß Verhandlungen um einen Universalfrieden infolge der Zurückhaltung der Franzosen, die Auseinandersetzungen mit Spanien zu beenden, immer weniger Wahrscheinlichlichkeit hatten und daher angesichts der militärischen und materiellen Situation der katholischen Partei Partikularverhandlungen des Reiches mit Frankreich unter Ausschluß Spaniens anzustreben seien. Eingeleitet wurde diese Periode der Politik Maximilians jedoch durch Verhandlungen über die Pfalzfrage. Maximilian war sich bewußt, daß diese Frage trotz aller kaiserlichen Festlegungen in den Jahren 1623, 1628 und 1635 angesichts ihrer europäischen Dimension erst mit der Zustimmung der Großmächte und der Pfälzer selbst definitiv geregelt sein würde. Er hatte es daher zunächst begrüßt, daß sie auf dem geplanten Kölner Kongreß behandelt werden sollte und hatte sich beim Kaiser für die Gewährung von Pässen an Pfälzer Gesandte verwendet. Da sich aber die Eröffnung des Kongresses immer wieder verzögerte und aus den Einsiedler Verhandlungen ersichtlich wurde, daß Richelieu zu substantiellen Zusicherungen in der Pfalzfrage nicht bereit war, ja vielleicht sogar die Sache des Pfälzers unterstützen würde, änderte Maximilian im Frühjahr 1640 seine Marschroute. Er stimmte einem dänischen, letztlich auf Karl I. von England zurückgehenden Vorschlag zu, die Pfalzfrage bereits vor dem Friedenskongreß und unabhängig von diesem durch eigene Ausgleichsverhandlungen zu klären.1 Auch das Kurkolleg und nach einigem Zögern auch Kaiser 1 Zum folgenden vgl. Bierther, Reichstag 218 ff.; Steiner.; Kurwürde 131 ff.; KB. Mowat, The mission of Sir Thomas Roe to Vienna, 1641/42, in: EHR 25 (1910), 264-275; Arthur Jude/, Verhandlungen über die Kurpfalz und die Pfälzer Kurwürde von Oktober 1641 bis Juli 1642, Phil. Diss. Halle 1890.
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Ferdinand III. zeigten sich einverstanden, solche Verhandlungen unter Vermittlung des Königs von Dänemark und des Kurkollegs während des Regensburger Reichstags vorzunehmen. Wegen des Reichstagsendes wurden sie aber dann im Winter und Frühjahr 1641/42 in Wien geführt, beteiligt waren Vertreter des Kaisers, Spaniens, Englands, des Pfalzgrafen und Bayerns sowie als Vermittler gedachte Gesandte Dänemarks und der übrigen Kurfürsten außer Kurtrier. Die kaiserliche Politik verfolgte dabei eine nicht ganz eindeutige Linie. Denn wenn auch Ferdinand III. durch die wiederholten Zusagen seines Vaters gebunden war, glaubte er sich doch zur Rücksicht auf England genötigt, das von einem Bündnis mit Frankreich abgehalten und zur Zusammenarbeit mit dem Kaiser gewonnen werden sollte, der daher auf Zugeständnisse an die Pfälzer drängte. Maximilians Abgeordneter Bartholomäus Richel war instruiert, äußerstenfalls die Preisgabe der entlegenen rechtsrheinischen Pfalz zu konzedieren, „amore pacis et ad vitanda malora mala".2 Gleichzeitig bedrängte Maximilian den Kaiser, die Spanier zur Rückgabe des linksrheinischen Teils zu veranlassen, weil ihm daran gelegen war, zur Lösung des Gesamtproblems (und damit zur endgültigen Sicherung der bayerischen Erwerbungen) zu gelangen. Offensichtlich war es dieses starke Interesse, das ihn im Lauf der Wiener Verhandlungen dazu bewog, noch einen weiteren Schritt entgegenzukommen, nämlich bezüglich der Kurwürde, die er doch bisher strikt aus jeder Diskussion herausgehalten hatte. In der Hauptresolution des Kaisers vom 6. Mai 1642 für die dänischen, englischen und pfälzischen Unterhändler3 hieß es jedenfalls: Die Unterpfalz mit Ausnahme des Amts Germersheim kann den Erben Friedrichs V. zurückgegeben werden; die Oberpfalz mit Ausnahme der Grafschaft Cham kann ihnen gegen Zahlung von 13 Millionen Talern ebenfalls restituiert werden; die Kurwürde soll bei Maximilian und dessen männlichen Nachkommen sowie nach deren Aussterben bei weiteren drei männlichen Mitgliedern der Wilhelminischen Linie verbleiben und nach deren Tod zwischen der Pfalz und der Wilhelminischen Linie alternieren;4 in allen restituierten Gebieten muß die katholische Religionsausübung geduldet werden; Voraussetzung aller dieser Zugeständnisse ist ein gegen Frankreich gerichte-
Lt. späterer Instruktion für Vervaux 1645: Schweinesbein, Frankreichpolitik 191. Londorf), Acta publica V, 785 ff.; vgl. auch Jiidel, Verhandlungen 34 ff. 4 Ungenau Rie^ler, Geschichte V, 549 und Diekmann, Westf. Frieden 378. Nicht recht einzuordnen vermag ich ein eigenartiges Projekt Maximilians vom Sommer 1640 zur Alternation der Kurwürde (bei Bierther, Reichstag 81 Anm. 55), das von Maximilian als ein „practicierlicher modus alternationis" bezeichnet wurde, aber in seiner Künstlichkeit kaum praktizierbar war und auch, soviel man sieht, nie in Verhandlungen eingebracht wurde. 2
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tes Bündnis Englands mit dem Kaiser. Dieser Bescheid wurde von englischer und pfälzischer Seite natürlich abgelehnt, da er den eigentlichen pfälzischen Absichten in allen Punkten zuwiderlief; nicht zuletzt war die enorme Ablösesumme für die Oberpfalz nicht zu leisten, von der Möglichkeit eines antifranzösischen Bündnisses Englands ganz abgesehen. Der kaiserliche Vorschlag war also nichts wert; offensichtlich deswegen hatte Maximilian diesen sog. Zugeständnissen des Kaisers nicht widersprochen. Für die Zukunft aber wurde doch von Bedeutung, daß ein zentrales Kriegsziel Maximilians, die Kurübertragung auf die gesamte Wilhelminische Linie, die noch 1628 vertraglich festgelegt und im Prager Frieden bestätigt worden war, nunmehr erneut zur Diskussion gestellt worden war. Die Verhandlungen um die Pfälzische Frage vom Regensburger Kurfürstentag 1636 bis nach den Wiener Konferenzen 1641/42 wurden von publizistischen Auseinandersetztingen begleitet, die auf pfälzischer Seite vornehmlich von Johann Joachim von Rusdorf, auf bayerischer von Johann Adlzreiter geführt worden sind.5 Da die meisten Argumente auch schon in früheren Jahren ausgetauscht worden waren, vor allem in der Freher-GewoldKontroverse, handelte es sich nunmehr vor allem darum, die Schuld am Scheitern aller Verhandlungen jeweils dem Kontrahenten zuzuschieben. Den Schlußpunkt auf bayerischer Seite setzte 1643 Adlzreiters „Assertio electorates Bavarici", die sich als Antwort auf Rusdorfs „Vindiciae causae Palatinae" (1640) verstand und nochmals die probayerischen historischen und juristischen Argumente zusammenfaßte.6 Wenn Adlzreiter erklärte, den literarischen Streit nunmehr beenden zu wollen, um die bevorstehenden Westfälischen Friedensverhandlungen nicht zu beeinträchtigen, so konnte es sich Rusdorf doch nicht versagen, 1645 nochmals mit einer Gegenschrift zu antworten, die unversöhnlich blieb. Erst das alt-neue Konzept der Errichtung einer achten Kurwürde sollte dann den Weg zum Ausgleich ebnen. Wichtiger als die Pfalzverhandlungen in Wien, deren Ergebnislosigkeit abzusehen war, waren Maximilians Bemühungen, angesichts der schwedischfranzösischen militärischen Erfolge des Frühjahrs und Sommers 1642 und der damit verbundenen Ungewißheit des Beginns der Universalfriedensverhandlungen zu einem Sonderfrieden des Reiches mit Frankreich unter Ausschluß Spaniens zu gelangen. Trotz der engen Verbindung der beiden Linien des Hauses Habsburg und ungeachtet des Mißerfolgs seiner Initiative beim 5 6
Steiner.; Verhandlungen 140 ff. Neumaier, Jus publicum 175 ff.
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Reichstag hielt er es für möglich, durch eine Initiative der katholischen Kurfürsten und unter Einbeziehung weiterer Reichsstände den Kaiser für dieses Konzept gewinnen zu können. Zunächst ging es um Anselm Casimir von Mainz, über den sich Maximilian zwar beklagte, „daß alles daselbst [in Mainz] nach intention der Kayserlichen und Spanischen dirigirt und eingericht wird,"7 der aber gerade deswegen Einfluß in Wien besaß. Da Maximilian im Hintergrund bleiben wollte, um seine Position bei den Pfalzverhandlungen nicht zu gefährden, veranlaßte er seinen Bruder Ferdinand zu Fühlungnahmen bei Kurmainz, die tatsächlich dessen Einverständnis zu einer Gesandtenkonferenz der katholischen Kurfürsten (außer Kurtrier) erbrachten. Um den Erfolg zu garantieren, strebte Maximilian außerdem — wie beim Regensburger Kurfürstentag 1636 - eine Erweiterung des Teilnehmerkreises durch Teilnahme weiterer Bischöfe an, vornehmlich durch den Würzburger Bischof Franz von Hatzfeld, mit dem er in engeren Beziehungen stand.8 Dabei scheute er sich nicht, Hatzfeld durch die nach Mainz reisenden bayerischen Gesandten die Frage vorlegen zu lassen, was man tun solle, falls in absehbarer Zeit nicht einmal ein Partikularfriede mit Frankreich zustandekomme — konnte Maximilian (das war der unausgesprochene Kern der Sondierung) mit Bundesgenossen rechnen, wenn es im äußersten Fall darum ging, sich vom Kaiser zu trennen und ein separates Waffenstillstands- oder Neutralitätsabkommen mit Frankreich abzuschließen? Zur großen Befriedigung Maximilians stimmte Hatzfeld sowohl in der Kritik an der kaiserlichen Militärpolitik wie hinsichtlich der Notwendigkeit eines Sonderfriedens mit Frankreich durchaus mit den bayerischen Vorstellungen überein. Hatzfeld ging aber noch weiter, nützlicher als die Mainzer Konferenz sei die Zusammenkunft einer größeren Zahl von Befürwortern eines Sonderfriedens, welche die Notdurft des Reiches berieten und diese dem Kaiser „guet teitsch under die äugen" legten. Die protestantischen Fürsten seien in dieser Frage „melioris conditionis" als die katholischen, aber niemand sei mehr daran interessiert als die geistlichen Reichsfürsten; ehe sie ihre Hochstifter verlören, „wurden sie nit underlassen, bei der Cron Frankhreich Schuz und protection zu suechen." Sollte Maximilian weiter auf der Seite der Spanier verharren, werde er samt dem Reich und mit den Spaniern, „zumaln ihr kriegen niemaln kein endte,"
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Schweinesbein, Frankreichpolitik 115, auch für das Folgende. Instruktion für Abegg und Kütner zur Mainzer Konferenz, 12.3.1642: Kschw. 798, unfol.; Reinhard Weber.; Würzburg und Bamberg im Dreißigjährigen Krieg. Die Regierungszeit des Bischofs Franz v o m Hatzfeld 1631-1642, Würzburg 1979, hier 373 ff. über die Beziehungen Hatzfelds zu Maximilian seit 1639. 8
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zu Grunde gehen.9 Das war ganz im Sinne Maximilians! Hatzfeld beteiligte sich aber dann doch nicht an der Konferenz, ebenso nicht Vertreter des Fränkischen Reichskreises und weiterer Reichskreise, wie Maximilian vorgeschlagen hatte, um dem Ganzen das Gewicht einer größeren reichsständischen Versammlung zu verleihen; die weiterreichenden bayerischen Vorstellungen waren also nicht zum Zuge gekommen.10 Die Mainzer Konferenz vom 1. April bis 7. Mai zwischen Vertretern Kurmainz', Kurkölns und Kurbayerns11 war gekennzeichnet durch enges Zusammenwirken der bayerischen und kurkölnischen Gesandten zunächst in den militärischen Fragen, wobei alle Verhandlungen unter dem Eindruck der schweren Niederlage standen, die der kaiserliche General Lamboy am 17. Januar 1642 durch französische Truppen bei Kempen erlitten hatte.12 Noch vor Abschluß dieses Themas wurde auf Initiative Kurkölns mit der Beratung des „Hauptwerks", der Friedensfrage, begonnen. Das Gesetz des Handelns, so argumentierten die bayerischen und kölnischen Gesandten, sei zunehmend auf Frankreich und Schweden übergegangen. Daher gehe es nicht mehr darum, wie man am Kaiserhof annehme, durch Einigkeit des Reiches die Kräfte zum militärischen Sieg über die ausländischen Gegner zu gewinnen, vielmehr bleibe nur, unter Verteidigung der errungenen militärischen Positionen bis zum Friedensschluß, schleunigst in Friedensverhandlungen mit Frankreich einzutreten. Mit einem baldigen Beginn der Universalfriedensverhandlungen in Münster und Osnabrück sei nicht zu rechnen. Man müsse den Franzosen den Friedenswillen des Reiches zu erkennen geben, damit sie sich nicht mehr wie bisher „in conscientia bei disem krieg sicher" halten. Doch sei Richelieu nur zu gewinnen, wenn ihm ein Sonderfriede unter Ausschluß Spaniens angeboten werde, was freilich nicht heiße, „als wan mans mit Ir Kayserlichen Mayestet und dem hochlöblichen erzhaus nit recht meinete und mehr französisch als spanisch were." Allerdings sei zu befürchten, daß man am Kaiserhof „nit so vil die reflexion auf den reichs statu als interesse der cron Spanien mache." Die kölnisch-bayerischen Einlassungen endeten mit dem Vorschlag einer wohl auch vom Kaiser zu begrüßenden Ge9
Die bayer. Gesandten an Maximilian, 24.2.1642: Ebenda-, vgl. auch Schweinesbein, Frankreichpolitik 122 ff. 10 Maximilian an die bayer. Gesandten, 2.4.1642: Kschw. 798 unfol. 11 Das Protokoll (ebenda) ist für die Friedensfrage ausgewertet bei Schiveinesbein, Frankreichpolitik 128 ff. 12 Für die Feststellung bei M.Koch, Geschichte des deutschen Reiches unter der Regierung Ferdinands III., Band 1, Wien 1865, 354 f. (übernommen bei Riemer, Geschichte V, 554), die katholischen Kurfürsten hätten geradezu den Plan gefaßt, ihr Kriegswesen unter selbständiger Direktion vom kaiserlichen abzusondern, habe ich keinen Beleg gefunden.
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sandtschaft nach Rom, um den Papst und über diesen die Franzosen vom Friedenswillen von Kaiser und Reich zu überzeugen und hierdurch den Weg zu Separatverhandlungen zu eröffnen.13 Auf Wunsch Maximilians sollte die Gesandtschaft im Namen sämtlicher Reichsstände (auch der protestantischen) vor sich gehen. Diesen Vorschlägen stimmten schließlich auch die Mainzer zu; den Vorbehalt, daß die Gesandtschaft der vorherigen Zustimmung des Kaisers bedürfe, ließ Anselm Casimir schließlich fallen; tatsächlich hätte er, wie bayerischerseits argumentiert wurde, die Sache von vornherein zum Scheitern verurteilt. Infolge kaiserlichen Widerstandes kam die Gesandtschaft nach Rom aber ohnehin nicht zustande. Der zu Recht mißtrauische Kaiser hatte bereits zu Beginn der Mainzer Konferenz durch einen eigenen Gesandten auf die Verhandlungen einzuwirken gesucht, obwohl doch, wie Maximilian pikiert bemerkte, „den Hern Churfürsten, craft der Guldinen Bull, der kayserlichen Capitulation und des herkomens, ganz unverwört zusammenzukomen."14 Nach der Konferenz ließ Ferdinand III. durch den Reichshofrat Justus Gebhardt bei Kurmainz und durch den Reichshofratssekretär Wilhelm Schröder bei Maximilian gegen die geplante Gesandtschaft polemisieren, nicht zuletzt mit dem Argument, daß Papst Urban VIII. zu frankreichfreundlich sei, um sich der Reichsinteressen ernstlich anzunehmen. Im Hintergrund der kaiserlichen Initiative stand die Entschlossenheit des Kaiserhofs, Spanien keinesfalls preiszugeben. Jedoch traf Schröder in München auf ein schwieriges Pflaster. Maximilian drohte ganz unverhüllt, falls weiterhin jeder Versuch, einen Separatfrieden mit Frankreich einzuleiten, von kaiserlicher Seite blockiert werde, werde „ain ieder standt des Reichs zu entfliehung des vor äugen steenden undergangs sich samt landt und leuten, so guet er kan, salvirn und daraus entlich eine totaldissolution des Reichs und der stendte entspringen mechte." Den Mainzer forderte er auf, die kaiserlichen Gegenwirkungen nicht zu beachten. Jedoch ließ sich Anselm Casimir durch die Argumentation Gebhardts so sehr beeindrucken, daß er sich für eine Rückstellung der Gesandtschaft bis zum geplanten Deputationstag entschied; bei einer Aktion ohne den Kaiser und gegen die Intentionen des Kaisers war ihm sowieso nicht sehr wohl ge-
13 Mehrere Fassungen der Instruktion fur den ins Auge gefaßten Gesandten, den Paderborner Domdechant v.d. Reck, liegen in Kschw. 798 unfol.; zum Inhalt vgl. Schweinesbein, Frankreichpolitik 140 ff. Über den tatsächlichen Erfolg einer solchen Gesandtschaft war sich Maximilian allerdings nicht sicher, „weil man zu Rom allerlei absehen und aprehensiones hat, daß der particular frid in Teutschland in Italia den khrieg mehr foviren als leschen mechte" (Maximilian an die bayer. Gesandten, 21.5.1642: Kschw. 798 unfol.; eigenh. Zusatz). 14 Maximilian an Kütner und Abegg, 2.4.1642, zitiert Schweinesbein, Frankreichpolitik 127.
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wesen. Da Maximilian und Ferdinand von Köln sich scheuten, den Mainzer zu überstimmen, war hiermit die Gesandtschaft nach Rom und damit eine bemerkenswerte, wenngleich in ihren Erfolgschancen von Beginn an unsichere bayerische Friedensinitiative praktisch gescheitert. Maximilian lag jedoch viel zu sehr an der Verwirklichung seines Friedenskonzepts, als daß er seine Pläne schon aufgegeben hätte. Schon seit Ende Mai 1642, also überlappend mit der Mainzer Konferenz, entwickelte er den Plan einer gemischtkonfessionellen bayerisch-sächsischen Gesandtschaft nach Paris zum selben Zweck, der Erkundung der französischen Friedensziele und der Herbeiführung von Separatfriedensverhandlungen mit Frankreich unter Ausschluß Spaniens.15 Die Einbeziehung Kursachsens sollte die protestantischen Reichsstände für dieses Konzept aktivieren und protestantische Besorgnisse über katholische Alleingänge beschwichtigen, die im Zusammenhang mit der Mainzer Konferenz aufgekommen waren. Da sich anläßlich der Pfalzverhandlungen Gesandte sämtlicher Kurfürsten in Wien befanden, hatte Richel entsprechende Kontakte mit den Sachsen aufzunehmen. Die bayerische Initiative zielte auf die Erstellung eines kurfürstlichen Kollegialgutachtens, das dem Kaiser eine bayerisch-sächsische Gesandtschaft nach Paris plausibel machen sollte. Im Unterschied zu den Beschlüssen der Mainzer Konferenz sollte Ferdinand III. diesmal in die Initiative eingebunden werden, um den Erfolg zu gewährleisten. Das schließliche Gutachten des Kurkollegs für den Kaiser vom 19. Juli 16 (dem die protestantischen Gesandten allerdings nur mit Vorbehalt zugestimmt hatten) argumentierte, daß alle bisherigen Verhandlungen um einen Universalfrieden vergeblich gewesen seien. Daher werde Ferdinand III. gebeten, die Kurfürsten von Bayern und Sachsen aufzufordern, „durch eine vertraute abordnung mit der Königl. Mayestet in Frankreich in geheim anzubinden." Um dem Kaiser die Zustimmung zu erleichtern, wurde als erster Zweck der Gesandtschaft bezeichnet, die Bemühungen um einen Universalfrieden zu intensivieren, die aber - und dies war das eigentliche Anliegen — bei Ergebnislosigkeit als Bemühungen um einen Separatfrieden mit Frankreich fortgesetzt werden sollten. Für Ferdinand III. war zu diesem Zeitpunkt eine Trennung von Spanien aus dynastischen, materiellen und militärischen Gründen noch so undenkbar, daß er den Vorschlag der Kurfürsten schroff zurückwies. J a er fand ihn so gefahrlich, daß er den Reichsvizekanzler Kurz in einer Sondermission nach München entsandte, um ihn zu verhindern. Kurz hatte festzustellen, daß
15
Vgl. Scbweinesbein, Frankreichpolitik 149 ff. Kopie Kschw. 83, fol. 294 ff.
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sowohl an allgemeinen Friedensverhandlungen, die doch unmittelbar bevorstünden, wie am Bündnis mit Spanien festgehalten werden müsse.17 Um sich verständlich zu machen, suchte er in längeren Ausführungen die politischen Maximen Spaniens denjenigen Frankreichs gegenüberzustellen. Alle Grundsätze der Spanier identifizierten das Wohl des Reiches mit demjenigen Spaniens; alle Maximen Frankreichs zielten auf das Verderben des Reiches, von der Unterstützung der Türken bis zu einer Amnestie nach dem Stand von 1618. Kurz zeigte sich wenig beeindruckt von Maximilians Drohung, bei Verhinderung der Gesandtschaft „auf andere media" zu denken, weil um Spaniens willen das Reich nicht zugrundegehen dürfe.18 Auch die spätere Argumentation Maximilians, daß man den Tod Richelieus am 4. Dezember 1642 zu einem Vorstoß in Paris nützen müsse, da der Kardinal bisher vieles verhindert habe, verfing am Kaiserhof nicht. Man unterließ die gewünschte Aufforderung an Kursachsen und stellte mit Befriedigung fest, daß Kurfürst Johann Georg beim Frankfurter Deputationstag eine Beteiligung an der Gesandtschaft selbst ablehnte und auch Anselm Casimir von Mainz sich inzwischen von dem Plan distanzierte. So sah sich Maximilian veranlaßt, am 25. März 1643 seine Gesandten beim Deputationstag anzuweisen, das Projekt nicht weiter zu verfolgen — Eingeständnis einer eklatanten Niederlage gegenüber dem Haus Habsburg. Da nützte es ihm wenig, daß auch der vom Kaiserhof Ende Dezember 1642 nach Paris entsandte Dominikanerpater Georg von Herberstein ohne positives Ergebnis zurückkehrte.19 Die Mission war der Versuch Ferdinands gewesen, angesichts der Aktivitäten Maximilians die Initiative wieder an sich zu bringen, die Stimmung in Paris selbst zu erkunden und dort auch Grundzüge der eigenen Friedensvorstellungen bekanntwerden zu lassen. Wenn Herberstein dabei auch die Möglichkeit von Separatfriedensverhandlungen andeuten sollte, so doch nicht im Sinne eines Ausschlusses Spaniens, das mit Kaiser und Reich in engsten Beziehungen stehe. 20 Herberstein war jedoch von dem inzwischen amtierenden Kardinal Mazarin mit unverbindli-
17 Zu den interessanten Verhandlungen Kurz' Anfang November in München vgl. die Akten in der kaiserlichen Korrespondenz Kschw. 83, insbesondere ein undatiertes Memoriale Kurz' (fol. 406 ff.), eine undatierte Aufzeichnung Richels (fol. 486 ff.), die bayerische Antwort für Kurz (fol. 490 ff.), ein weitere undatierte Aufzeichnung Kurz' für Maximilian (fol. 500 ff.) sowie den anschließenden Briefwechsel zwischen dem Kaiser und Maximilian, der bei Schweinesbein, Frankreichpolitik 156 referiert wird. 18 Vgl. Wagner in APW I A,l, 332 nach einem Bericht Kurz'. 19 Hauptinstruktion und Nebeninstruktion für Herberstein, beide vom 22.11.1642, in APW I A,1 Nrr. 24 und 25. Vgl. auch ebenda 332 ff. und Karsten Ruppert, Die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß (1643-1648), Münster 1979, 24 ff. 2 0 APW I A,l, 391 Zeile 33 ff. Nicht ganz eindeutig Rippert, Politik 25.
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chen Hinweisen abgespeist worden. Maximilian erhielt erst nachträglich, nach der Rückkehr des Paters, Kenntnis von dem Vorgang, wohl in Erinnerung an sein eigenes Verhalten bei der Einsiedler Konferenz und als deutlicher Ausdruck kaiserlichen Mißtrauens. Daß die „anderen media", die zu ergreifen Maximilian gegenüber dem Reichshofrat Kurz gedroht hatte, weit über die bisherigen Initiativen der bayerischen Politik hinausgehen konnten, wurde ersichtlich, als Maximilian angesichts der Ergebnislosigkeit der Wiener Pfalzverhandlungen sowie des NichtZustandekommens der Schickungen nach Rom und Paris im Herbst 1642 nunmehr im Alleingang handeln wollte.21 Sein Gedanke war, bei den Franzosen die Frage eines bayerisch-französischen Waffenstillstandsabkommens aufzuwerfen oder zumindest auf eine französische Zusicherung hinzuarbeiten, von weiteren militärischen Aktionen gegen bayerisches Territorium abzustehen, was natürlich bayerische Gegenleistungen erfordern mußte. Das eine wie das andere beinhaltete, daß Bayern aus dem Krieg ausschied, den Kaiser verließ, dem Prager Frieden und dem Münchner Vertrag von 1619 zuwiderhandelte! Angesichts der Brisanz einer derart weitreichenden Entscheidung erarbeiteten Maximilians Räte Kurz, Richel, Mändl, Herwarth und Adlzreiter (Theologen waren offensichtlich nicht befaßt) im November/Dezember 1642 noch vor dem Tod Richelieus ein umfassendes Gutachten, das tiefen Einblick in Motive und Prioritäten der damaligen bayerischen Politik gewährt. Die Räte fanden zunächst eine Reihe von Gründen, die für das Projekt sprachen, vor allem die militärische Lage und die möglichen negativen Folgen zu langen Abwartens. Es müsse „doch endtlich einer der erste sein und das eis brechen, die anderen, wan sie kein anders mittel zu ihrer defensión und conservation sehen, werden schon selbsten nach und nach volgen." Interessanterweise überwog jedoch in der Argumentation der Räte schließlich eine lange Reihe von politischen, rechtlichen und ideellen Gegengründen: Die bayerische Armee ist ein Teil der Reichsarmee unter dem obersten Befehl des Kaisers. Dieser wird bei einem bayerisch-französischen Waffenstillstand nicht zögern, der bayerischen Armee die Kontributionen und Quartiere aus den Reichskreisen zu sperren oder das unmittelbare Kommando über sie an sich zu ziehen, ja vielleicht sogar militärisch gegen Bayern vorzugehen, zur Freude der Protestanten, „daß diese beede heuser, so bisher columnae catholicae religionis in Imperio gewesen, sich selbst under einander ruiniren und schwöchen." Weiterhin ist zu bedenken, daß bei den Franzosen „alzeit ratio ihres 21
Schweinesbein, Frankreichpolitik 164 ff.
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eigenen status und interesse allen anderen respecten und Ursachen praevalirn", weshalb man auf ihre Versprechungen und speziell auf den Kardinal Richelieu nicht bauen kann. Das wichtigste Gegenargument der Räte aber bildete „das iuramentum, darmit Eur Churf. D. dem Römischen Kaiser und dem Reich verbunden", waren die reichsrechtlichen Verpflichtungen Maximilians! Trotz aller Bedrängnisse ist eine „extrema nécessitas", in der vielleicht von diesen Verpflichtungen abgesehen werden könnte, gegenwärtig noch nicht gegeben. Sollte sich die Situation weiter zuspitzen, können neue Erwägungen angestellt und dann auch die Theologen gefragt werden. Gegenwärtig sind aber die reichsrechtlichen Implikationen zu bedenken. Rechtliche Bindungen bestehen auch durch den Prager Frieden, der schon deswegen nicht verletzt werden darf, weil sonst auch die dortigen Festlegungen zugunsten der bayerischen Kur obsolet werden würden. Schließlich unterlassen die Räte den Hinweis nicht, daß Maximilian durch eine Trennung vom Kaiser seine seit Kriegsbeginn gebrachten großen Opfer ihres eigentlichen Sinnes berauben und seinen bisher errungenen „großen nammen und ruem" relativ leichter Hand aufs Spiel setzen würde. Im übrigen sei es einfach eine Gewissensfrage, wie man einem Staat, Frankreich, begegne, der einen „iniustissimum bellum" gegen das Reich führe und durch die Unterstützung protestantischer Mächte der katholischen Religion in Europa größten Schaden zugefügt habe. Das Gutachten dokumentiert die offene Sprache der hohen Bürokratie gegenüber dem Kurfürsten, vor allem aber das Gewicht reichsrechtlicher Erwägungen bei den Räten und — da diese ihre Argumente doch auf ihren Herrn zuspitzten — in den politischen Prioritäten Maximilians. Tatsächlich entschied sich dieser, die Frage eines Waffenstillstandes oder sonstiger Kampfeinstellungen mit Frankreich zunächst nicht weiterzuverfolgen. Selbst eine auf die pfälzische Frage beschränkte Mission Kütners nach Paris unterblieb, vielleicht weil der Kaiser, der von dieser Teilaufgabe (und nur von dieser) unterrichtet worden war, sich hierzu sehr negativ geäußert hatte, vielleicht auch, weil Maximilian französische Gegenforderungen befürchtete, vor denen ihn das Ratsgutachten gerade gewarnt hatte. Der verschiedentlich angestrebte Ausgleich speziell mit Frankreich wurde von Maximilian immer wieder mit der Kriegslage begründet, mit der wachsenden Schwierigkeit, eine den Gegnern ebenbürtige Zahl von Soldaten zu finanzieren und mit den Niederlagen, die man inzwischen erlitt. Tatsächlich verschlechterte sich die militärische Situation auch während und nach dem Regensburger Reichstag, besonders spektakulär im Januar 1641, als die
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Schweden unter Bañer bis vor Regensburg gelangten, hinter dessen Mauern die Reichstagsgesandten von Ferdinand III. und Maximilian zum Ausharren ermutigt wurden. Bereits 1639 hatte die Landgräfin Amalia von HessenKassel, einen Ausgleich mit dem Kaiser ablehnend, sich mit Frankreich verbündet und 1640 ihr Heer mit der französischen Armee vereinigt, im gleichen Jahr auch die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg ihre Truppen der schwedischen Armee unterstellt. Die gleichzeitigen Anstrengungen Maximilians, in dem Grafen von Hatzfeld einen besonders befähigten Oberbefehlshaber für die bayerische Reichsarmada zu gewinnen, scheiterten am Einspruch des Kaisers. Daß hinter dem kaiserlichen Veto wiederholte Differenzen Ferdinands III. mit Maximilian in Fragen der Kriegführung standen, erwies auch ein merkwürdiges gedrucktes Mandat, das der Kaiser am 23. April 1640 den bayerischen Generälen zugehen ließ: Da der Kurfürst von Bayern sicheren Nachrichten zufolge so krank sei, daß bei seinem hohen Alter das Schlimmste besorgt werden müsse, habe sich jeder zu erinnern, daß die bayerische Reichsarmada „ganz und gar absolute" dem Kaiser zugehöre und bei Maximilians Tod dem unmittelbaren Dienst des Kaisers zufalle. Erzherzog Leopold Wilhelm sei für diesen Fall bereits beauftragt, das Heer zu übernehmen und mit den kaiserlichen Truppen zu vereinigen.22 Die Nachricht von einer schweren Erkrankung Maximilians traf zwar zu, jedoch war der Vorgang nicht dazu angetan, das Klima zwischen München und Wien im Sinne einträchtiger Kriegführung zu verbessern. Der Mangel an Kriegsmitteln für beide Armeen hatte eine Kette von Klagen über fehlende gegenseitige Hilfe sowie von Schuldzuweisungen zur Folge, bei denen sich Maximilian durch Detailfreude in der Ausbreitung von Belegen wie durch Heftigkeit hervortat. Eine Reihe von Niederlagen im Felde, so im Juni 1642 bei Wolfenbüttel, diejenige Lamboys im Januar 1642 bei Hülst und vor allem die schwere Niederlage der Kaiserlichen gegen Torstenson am 2. November 1642 in der sog. zweiten Schlacht von Breitenfeld ließen Maximilian denn auch noch drängender als zuvor nach politischen Lösungen rufen. Erst im Jahre 1643, das nach den Worten Riezlers zu den ruhmvollsten der bayerischen Kriegsgeschichte zählt,23 veränderte sich die militärische Konstellation. Dreimal vereitelte Franz von Mercy, seit Tilly das größte strategische Talent unter den bayerischen Heerführern,24 den Versuch der Franzosen unter Guèbriant, über Schwaben nach Bayern vorzudringen. Bei ihrem dritten Versuch konnten die
Riemer, Geschichte V, 545. a Ebenda 562. 24 Über ihn Helmut Neuhaus in NDB XVII, 125 f. mit weiterer Lit. 22
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Franzosen am 24. November in der Schlacht bei Tuttlingen vernichtend geschlagen werden. Es waren diese Erfolge, die selbst den friedenswilligen und um Frankreich bemühten Maximilian bewogen, doch auch noch auf die Waffen zu setzen. Bereits im Oktober hatte er den Kaiser zu einem Großangriff gegen die nach Württemberg vorgestoßene französische Rheinarmee gedrängt: nur durch militärische Erfolge seien die Franzosen zu Verhandlungen zu bewegen; durch eine große gemeinsame Anstrengung sei daher der Krieg auf französischen Boden zu tragen.25 Maximilian sah also weiterhin, auch angesichts der geographischen Situation Bayerns, den Hauptkontrahenten in Frankreich. Gegen die Schweden, die sich seit Herbst 1643 im Krieg mit Dänemark befanden, der die kaiserliche Armee erheblich endastete, sollte in der Defensive verblieben werden. Auf der vom Kaiser, Spanien und Bayern beschickten Passauer Militärkonferenz vom 14. bis 19. Februar 1644 zur Vorbereitung des Sommerfeldzuges erwies sich jedoch, daß Ferdinand III. auch die offensive Unterstützung Dänemarks wünschte, um eine Bedrohung der kaiserlichen Erblande zu verhindern. Durch den Kompromiß des Passauer Rezesses vom 19. Februar26 wurde schließlich eine klare Schwerpunktsetzung, sei es gegen Frankreich, sei es gegen Schweden, verwässert. Die bayerische Armee unter Mercy sollte am Oberrhein gegen Frankreich, die kaiserliche Armee unter Gallas in Richtung Mecklenburg und Pommern gegen die Schweden die Offensive ergreifen. Wohl in erster Linie als Folge dieser zersplitterten Kriegführung liefen die Feldzüge der Jahre 1644 und 1645 nicht nach den Hoffnungen des Kaisers und Maximilians ab. Auch die fortwirkende Schwächung der spanischen Kriegführung seit 1640 durch den Katalanischen Aufstand und den Abfall Portugals sowie die schwere Niederlage gegen die Franzosen bei Rocroy vom Mai 1643 wirkten sich auf die deutschen Verhältnisse aus.27 In der Schlacht bei Freiburg im Breisgau vom 5. August 1644 konnte Mercy nicht denjenigen Erfolg über die Armeen Turennes und des Herzogs von Enghien erringen, der ihm eine Offensive über den Rhein gestattet hätte, zumal die Franzosen Maximilian an den Kaiser, 8.10.1643, zitiert Immler, Kf. Maximilian 28. Für das folgende s. ebenda 27 f f , 37 ff., 107 ff.; Parker, Thirty Year's War 170 ff.; Ernst Walther Heydendor/f, Vorderösterreich im Dreißigjährigen Kriege. Der Verlust der Vorlande am Rhein und die Versuche zu deren Rückgewinnung. II.Teil: 1639-1648, in: Mitt. des Österr. Staatsarchivs 12 (1959), 107194; Heilmann, Kriegsgeschichte II, 1643 ff. 26 Text bei Immler; Kf. Maximilian 498-507. 27 Zu den damaligen spanischen Bemühungen um eine erneute Zusammenarbeit mit Bayern in Fortsetzung derjenigen der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre vgl. Immler, Bayer.-spanische Beziehungen 318 ff. 25
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anschließend das gesamte linke Rheinufer in ihre Hand bekamen. Gleichzeitig erwies sich der Feldzug des kaiserlichen Heeres gegen die Schweden als ein großer Fehlschlag, der am 6. März 1645 in der Schlacht bei Jankau durch eine große Niederlage der Kaiserlichen besiegelt wurde, in die auch ein starkes bayerisches Korps unter Jan von Werth verwickelt war. Maximilians Zielsetzung, die Franzosen durch militärische Erfolge von der Nutzlosigkeit weiterer Kriegführung zu überzeugen, konnte also in den Jahren 1644/45 nicht realisiert werden. Hieran vermochte auch der Sieg Mercys über Turenne am 5. Mai 1645 in der Schlacht bei Mergentheim-Herbsthausen28 nichts zu ändern, da es den Franzosen bald darauf am 3. August in der Schlacht bei Alerheim (im Ries) gelang, die bayerische Armee zu schlagen, wobei Mercy den Tod fand.29 Vor dem Hintergrund dieser militärischen Entwicklungen und natürlich nicht unbeeinflußt durch sie suchte Maximilian politische Orientierung gegenüber seinem Hauptgegner Frankreich zu finden. Bereits die Schlacht bei Freiburg und die Eroberung der linksrheinischen Plätze sowie der rechtsrheinischen Festung Philippsburg durch die Franzosen bewogen ihn im Herbst 1644, wieder auf den Verhandlungsweg zu setzen, ein erneuter Wechsel der Strategie, der wieder einmal die Schwäche des Kleinstaats im System der Großmächte zum Ausdruck brachte. Selbst die Kurfurstin Maria Anna hatte bei ihrem Bruder Erzherzog Leopold Wilhelm, seit 1639 Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee, für eine Verhandlungslösung zu werben: „Last uns frid machen, den ie einmal sieht man, das uns Gott durch die wafen den friden nit gewen wil."30 Die wiederholten Hinweise des Kaisers auf die Hilfe Spaniens ließ Maximilian mit einer Denkschrift beantworten, daß spanische Versprechungen, das Reich durch eine Diversion nach Frankreich zu entlasten, völlig unrealistisch seien. Für das Reich sei daher nichts notwendiger, als „ungeachtet anderer differentien außer Reichs separatim und auf das förderlichste alß möglich" Frieden zu schließen. In eindringlicher Argumentation suchte er den Kaiser zu überzeugen, daß der Krieg militärisch nicht mehr zu gewinnen sei, aber auch auf Universalfriedensverhandlungen in Münster keine Hoffnung zu setzen sei, so daß nur der Weg eines direkten Ausgleichs mit Frankreich bleibe31 - das alte Konzept! Siegfried Nikolaus, Der Frühjahrsfeldzug 1645 in Süddeutschland (Schlacht bei Herbsthausen), in: Württembergisch Franken 60 (1976), 121-180. 29 Sigmund Riemer, Die Schlacht bei Alerheim, 3. August 1645, in: SB München 1901, 477-548. 30 16.12.1644, zitiert Immler, Kf. Maximilian 51 f. 31 Ruppert, Kaiserliche Politik 66 f. 28
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Hier hatte Maximilian eine Neuauflage des in den vergangenen Jahren gescheiterten oder auch nicht zustandegekommen Planes im Auge, durch eine Gesandtschaft nach Paris den unmittelbaren Kontakt mit Frankreich wiederherzustellen. Dieser war schon deswegen notwendig, um nach dem Regierungswechsel von Richelieu auf Mazarin Klarheit über die Schwerpunkte und Absichten des neuen französischen Premiers zu gewinnen. War von diesem mehr zu erhoffen als von dem immer wieder enttäuschenden Richelieu? Das Ganze wurde freilich nur mit den zeitüblichen Verzögerungen realisiert. Erst Ende 1643 bemühte sich Maximilian über Kardinal Bichl um einen Kontakt mit Mazarin, der alsbald durch den Pariser Nuntius Grimaldi seine Bereitschaft bekundete, einen Vertrauten Maximilians zu empfangen, denn auch Mazarin konnte in neuerlichen Beziehungen zu Bayern gewisse Vorteile erblicken. Jedoch wurden die von Maximilian erbetenen Pässe erst im Dezember 1644 ausgestellt, da zwischen dem Kardinal und den französischen Gesandten in Münster Meinungsverschiedenheiten über die Einschätzung und Behandlung Bayerns bestanden.32 Als bayerischer Gesandter wurde niemand anders als Maximilians Beichtvater Johann Vervaux SJ. bestellt, der als französischsprechender Ordensmann und Vertrauter des Kurfürsten wohl auf gute Aufnahme in Paris rechnen konnte.33 Die bisherige Forschung hat Maximilian für die Vervaux-Mission, soweit sie sich nicht auf die bloße Kontaktnahme beschränken wollte, unterschiedliche Absichten zugeschrieben, allgemeine Friedensziele und spezielle bayerische Interessenwahrung.34 Man wird sagen können, daß sie (zunächst) den Hauptzweck verfolgte,35 sich der französischen Unterstützung in der Pfalzfrage zu versichern — nach der Ergebnislosigkeit der Wiener Verhandlungen kehrte Maximilian wieder zu dem Konzept der Inanspruchnahme Frankreichs zurück, wohl auch in der Hoffnung, für konfessionspolitische Argumente, die Vervaux verwenden sollte, bei Mazarin mehr Verständnis als bei Richelieu zu finden. Als sich Vervaux jedoch im Laufe des März auf der Reise Die von Diekmann, Westf. Frieden 235 mit unzutreffender Chronologie behauptete Entsendung bayer. Gesandter nach Münster hatte mit der Paßgewährung nichts zu tun. 33 Zur Vervaux-Mission vgl. Steinberger, Jesuiten 40 ff.; Schminesbein, Frankreichpolitik 181 ff.; Andreas Kraus, Frankreich und die Pfalzfrage auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: ZBLG 53 (1990), 681-696, hier 688 f.; Immler, Bewertung 25 ff.; Immler, Kf. Maximilian 62 ff.; die französischen Akten in A P W Β II, 2. 3 4 Überblick bei Immler, Bewertung 25 ff. 35 Instruktion vom 26.2.1645 in Kschw. 7637. Der Kaiserhof war über die bevorstehende Mission Vervaux' unterrichtet, weshalb Reichsvizekanzler Kurz und Geheimrat Martinitz im März 1645 nach München entsandt worden waren, um Einfluß auf die Instruierung des Paters zu nehmen. Vgl. Wagner in A P W 1,1, 342. 32
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nach Paris befand, wurden Maximilian und seine Räte durch die Nachricht von der Niederlage bei Jankau aufgeschreckt. Da man über kurz oder lang eine schwedische Offensive gegen Bayern befürchtete und überhaupt die schwedische Gefahr wieder deutlicher vor Augen trat, schien es notwendig und möglich, in den Verhandlungen des Paters ganz neue, der neuen Situation angemessenere Schwerpunkte zu setzen. Dies war nunmehr der Vorschlag von Separatfriedensverhandlungen zwischen dem Reich und Frankreich nicht nur unter Ausschluß Spaniens, sondern nunmehr auch Schwedens; dies war weiterhin der Vorschlag eines Waffenstillstandes Frankreichs wenigstens mit dem Bayerischen, Schwäbischen und Fränkischen Reichskreis sowie mit Kurköln; dies war schließlich die Forderung nach Bekanntgabe der französischen Satisfaktionsforderungen, mit dem Anerbieten, sie dem Kaiser zur Annahme zu empfehlen, falls sie billig seien. Sollte Mazarin aber alle diese Vorschläge ablehnen, wollte sich Maximilian nunmehr, nach Jankau, noch zu einem sehr viel weiter gehenden Schritt bereitfinden, nämlich dem Angebot, sich und Kurköln und eventuell auch die drei oberdeutschen Reichskreise unter französische Protektion zu stellen. Land und Leute sollten „in der Cron Frankreich protection auf und angenomen und wider alle unrechtmeßigen gewaldt," von wem diese auch komme, geschützt werden. Mit „Protektion" war eine von der französischen Politik schon unter Richelieu praktizierte Verfahrensweise angesprochen, durch Schutzherrschaft über ein Gebiet Einfluß im Sinne französischer Interessen zu gewinnen und auszuüben.36 Maximilian hatte das Beispiel des Trierer Kurfürsten Philipp von Sötern vor Augen, der sich im April 1632 gegen schwedische und spanische Bedrohung unter französischen Schutz begeben hatte und damit aus dem Krieg ausgeschieden war.37 Die französische Protektion sollte Maximilian zwar zu keinerlei Handlungen gegen den Kaiser verpflichten, jedoch wollte er als Gegenleistung Frankreich und dessen Verbündete künftig „unangegriffen und unbeschwert" sein lassen. Damit hätten Maximilian und die bayerische Reichsarmada den Kaiser allerdings seinem Schicksal preisgegeben. Den Hintergrund dieses weitgehenden Angebots bildete die Einschätzung Maximilians, daß Mazarin den schwedischen Sieg bei Jankau als schwere Beeinträchtigung französischen Einflusses im Reich empfinde und er daher daran interessiert sei, Bayern als Gegengewicht gegen Schweden auf seine Seite zu bringen.
Diekmann, Westf. Frieden 35 ff. und öfter; Weber, Frankreich, passim; Wolfgang Hans Stein, Protection Royale. Eine Untersuchung zu den Protektionsverhältnissen im Elsaß zur Zeit Richelieus 1622-1643, Münster 1978. -17 Weber, Frankreich 173 ff. 36
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Dies war jedoch eine Fehleinschätzung, wie sich bei den Pariser Verhandlungen Vervaux' in der ersten Aprilhälfte 1645 erwies. Der Zeitpunkt hätte für Vervaux gar nicht ungünstiger sein können, da Jankau natürlich auch als französischer Erfolg bewertet wurde. Mazarin betonte wiederholt seine Ubereinstimmung mit den Schweden, lehnte Friedensverhandlungen ohne Beteiligung Schwedens ab und verwies Vervaux ziemlich rigoros — auch bezüglich anderer Anträge — auf die Friedensverhandlungen, die inzwischen in Münster eröffnet worden waren. Nur in der Pfalzfrage versprach er Unterstützung, freilich in so allgemeiner Form, daß sich Maximilian in seinem Dankschreiben vom 13. Mai auf nichtssagende diplomatische Floskeln beschränken konnte. Von besonderem Interesse für Maximilian war allerdings, daß Mazarin erstmals die französischen Kriegsziele enthüllte, wenngleich in vagen Formulierungen: Frankreich wolle territoriale Gewinne! Aus uns unbekannter Quelle erfuhr Vervaux auch, was damit näherhin gemeint war: Das Elsaß, die Festungen Breisach und Philippsburg sowie Sitz und Stimme im Reichstag. Vervaux kehrte also ohne sichtbare Ergebnisse nach Bayern zurück, es sei denn, daß die französischen Kriegsziele deutlich geworden waren. Jedoch erkennen wir heute aus der Korrespondenz Mazarins mit den französischen Gesandten Servien und d'Avaux in Münster, daß den Kardinal das Protektionsgesuch Maximilians mehr beeindruckt hat, als er gegenüber Vervaux zu erkennen gegeben hatte,38 denn offensichtlich zeigte sich der Bayer im äußersten Fall bereit, den Kaiser zu verlassen. Dann aber, erklärte Mazarin seinen Gesandten, habe man den Frieden gewissermaßen schon in der Tasche, „mais une paix quasy telle que nous la pouvons souhaitter pour la gloire et pour la seureté." 39 Was aber die Pfalz- und Kurfrage betraf, so hatte Mazarin bereits lange vor der Ankunft Vervaux' Weisung nach Münster erteilt, daß man alles tun müsse, um den Herzog von Bayern bei der Kur zu erhalten; nachdem Frankreich einst großen Anteil an der Kurübertragung gehabt habe, könne es jetzt nicht seine Grundsätze aufgeben, nur um den Verbündeten zu gefallen. Aber es ging nicht nur um solche Grundsätze, denn wiederholt betonte Mazarin, daß die französische und die bayerische Politik im Grunde das gleiche Ziel verfolgten, nämlich sich der Zerstörung der deutschen Freiheit durch das Haus Habsburg zu widersetzen, hierin liege ein sicheres Fundament der Zusammenarbeit beider Staaten. Mazarin wiederholte hier nur, was
38 Vgl. vor allem APW II B,2 Nrr. 75, 79, 80, 90, 92, z.T. benützt bei Immler, Kf. Maximilian 80 und Kraus, Pfalzfrage 688 f. 35 Mazarin an d'Avaux und Servien, 15.4.1645: APW II B,2 Nr.80.
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Richelieu einst so oder ähnlich formuliert hatte.40 Er zeigte sich überzeugt, „que la personne dudit Duc de Bavière bien mesnagée est la meilleur pièce pour conduire à fin la negotiation de la paix avec l'advantage de cette Couronne." 41 Anders als gegenüber Vervaux zum Ausdruck gebracht worden war, war er also an weiteren Kontakten mit Maximilian interessiert und auch zu Zugeständnissen bereit, da er sich hiervon bayerische Gegenleistungen erwartete. In Rücksicht auf den französischen Bundesgenossen Schweden sollten jedoch alle Verhandlungen auf dem allgemeinen Friedenskongreß in Münster geführt werden, nicht etwa auf einem Verhandlungsseitenstrang, wie Maximilian beabsichtigt hatte. Daß Maximilian um des Friedens willen zu frühen Gegenleistungen bereit war, sofern sie nicht an seine zentralen Kriegsziele rührten, erwies sein Bericht über die Vervaux-Mission für den Kaiser.42 Zunächst informierte er Ferdinand, daß von den Franzosen territoriale Forderungen an Kaiser und Reich gestellt werden würden, weil „der Kenig in Frankreich auch wöll ein Fürst des Reichs sein, gleich wie Spania wegen Burgund sei, und zu solchem end die Landgrafschaft behalten." Anschließend äußerte er ungescheut seine Meinung zu den französischen Kriegszielen: Dies seien zwar hochgespannte Forderungen, dennoch sei es höchst notwendig, „daß man auf alle mittel und weg gedenke, wie den Franzosen in diser ihrer praetension, einen fueß im Römischen Reich zu behalten, möge entgegen gangen und dardurch der friden erhoben werden." Damit hatte Maximilian eine Forderung gestellt, genügende Satisfaktion Frankreichs, die in den folgenden Monaten das beherrschende Thema in seinen Beziehungen zum Kaiserhof und seiner Bemühungen beim Friedenskongreß werden sollte! Die Nachricht von den französischen Aspirationen auf das Elsaß, Breisach und Philippsburg hatte Maximilian auch direkt von den Franzosen erhalten, bereits am 10. April hatte d'Avaux die bayerischen Gesandten in Münster über dieses Kriegsziel unterrichtet, wohl um eine Reaktion Maximilians herauszufordern. 43 Auch dies war keine offizielle Bekanntgabe der französischen Satisfaktionsforderungen gewesen, weshalb Maximilian in der Folge auch auf eine förmliche 40
Vgl. u. a. die auf Richelieu zurückzuführende französische Hauptinstruktion für die Friedensverhandlungen vom 30.9.1643, APW 1,1 Nr. 5, hier 100: „Au reste, le Duc de Bavières estant si avancé en age comme il est, et ses enfants si peu, il faudrait qu'il fust aussy aveugle comme il est prudent et clair voyant pour ne cognoistre pas, combien il luy est important que la France qui ne prétend rien en Allemagne soit en estât d'appuyer sa Maison, dont elle désire autant la grandeur que la Maison d'Austriche en souhaite l'abaissement." "i Desgleichen, 9.4.1645: EbendaNc. 31. 42 Maximilian an den Kaiser, 6.5.1645, zitiert Schweinesbein, Frankreichpolitik 215 f. 43 Immler; Kf. Maximilian 95.
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Erklärung drängte, wenngleich er sich sicher war, daß eben hierin die französische Hauptforderung bestand. Und zwar identifizierte er sich mit ihr um des Friedens willen, zumal sie nicht auf seine Kosten ging. Entsprechend ließ er d'Avaux beantworten, „daß wür [Maximilian] mehrers nicht wünschen, dann deroselben [der Krone Frankreich] nach allen büllichen und müglichen dingen hierinnen satisfaction zue laisten." Nimmt man Maximilians Mitteilung an den Kaiser hinzu, so kann gesagt werden, daß er bereits im Sommer 1645 die französische Forderung nach dem Elsaß übernommen und befürwortet hat, auch wenn er veranlaßt war, die Franzosen zu informieren, daß im Elsaß neben den habsburgischen Besitzungen und Rechten auch eine größere Zahl reichsunmittelbarer Stände existierten, die bei einer Abtretung des gesamten Elsaß ihre Reichsunmittelbarkeit verlieren würden, was Bedenken habe. Trotz dieser Vorbehalte kann nicht gesagt werden, daß die französische Elsaßforderung sich negativ auf Maximilians weitere Bemühungen um Frankreich ausgewirkt hätte oder daß die noch zu schildernden Verhandlungen des Herbstes 1645 eben wegen dieser Forderung ohne Ergebnis geblieben seien.44 Da man in München über die eigentliche Einschätzung der Vervauxmission durch Mazarin nicht unterrichtet war, wurde sie als Fehlschlag empfunden, denn in der Friedensfrage selbst war keinerlei Fortschritt erzielt worden. Daher sprachen sich die Geheimräte bereits am 4. Mai mehrheitlich dafür aus, nunmehr (auch) wieder auf die militärische Karte zu setzen.45 Der an sich frankreichfreundliche Richel vertrat die Ansicht, daß die Franzosen nur auf die Trennung Bayerns vom Kaiser zielten; Mändl äußerte, daß die weitreichenden Offerten ein Fehler gewesen seien, man müsse sich durch Erfolge im Felde wieder Respekt verschaffen; einzig Adlzreiter befürchtete, daß ein Wechsel von den Friedensangeboten Vervaux' zu militärischer Aktion die bayerische Politik in den Ruf der Unberechenbarkeit bringe. Da sich Maximilian der Mehrheit anschloß, erhielt Mercy den Befehl, die bis Rothenburg vorgedrungene Armee Turennes anzugreifen. Bereits am Tag danach errangen die von Mercy unverzüglich mobilisierten bayerischen Truppen den Sieg von Mergentheim-Herbsthausen. Überblickt man Maximilians Friedensstrategie in den frühen vierziger Jahren, so zeigt sich, daß er das ersehnte Ziel mehrgleisig zu erreichen suchte, 44
Anders Otckmann, Westf. Friede 238 f., der bemüht ist, die Diskrepanz zwischen den französischen Versicherungen, die deutsche Libertät zu schützen, und den gleichzeitigen Satisfaktionsforderungen herauszustellen. 45 Immler; Kf. Maximilian 78.
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durch militärische Erfolge, durch Förderung allgemeiner Friedensverhandlungen, durch ein Separatabkommen von Kaiser und Reich mit Frankreich und Schweden, schließlich auch durch ein Separatabkommen Bayerns allein mit den Franzosen. Diese Vielgestalt der Wege war weniger ein Ergebnis besonderer politischer Flexibilität und Meisterschaft, als vielmehr bedingt durch die relative Schwäche seines Staates im Kreis der europäischen Mächte. Er hatte sich in der Wahl der Mittel den Gegebenheiten anzupassen, wodurch die bayerische Politik verschiedentlich den Anstrich des Sprunghaften erhielt, der von Maximilians mißtrauischen Gegnern auch als Verschlagenheit des Bayern interpretiert wurde. Mazarin sprach davon, „comme monsieur le duc de Bavière prend tousjours ses résolutions selon les conjonctures."46 und die französischen Gesandten in Münster nannten ihn „un prince qui se peut dire un des plus raffinez et adroictz qui vivent aujourd'huy."47 Mazarins scharfsinnige Analysen der bayerischen Politik hatten aber auch zum Ergebnis, daß die gewiß eigennützigen Handlungen des Bayern in bestimmten Bereichen durchaus im Interesse Frankreichs seien,48 weshalb Servien und d'Avaux und später der Herzog von Longueville immer wieder erinnert wurden, die Verbindung mit den bayerischen Gesandten in Münster zu suchen. Maximilian hatte sich bereits im Oktober 1644 nach der Niederlage von Freiburg und dem Verlust der linksrheinischen Plätze gleichzeitig mit der Vorbereitung der Mission Vervaux' entschlossen, Gesandte zum allgemeinen Friedenskongreß zu entsenden, wie es der Beschluß des Regensburger Kurfürstentages den Kurfürsten gestattete.49 Am 22. Februar 1645 trafen der Geheimrat Georg Christoph Frhr. von Haslang als Prinzipalgesandter und der Hofrat (seit Ende 1647 Geheimrat) Dr. Johann Adolf Krebs als Sekundargesandter im Münster ein, im Spätherbst folgte noch der Hofrat Dr. Johann Ernst, der sich überwiegend in Osnabrück betätigen sollte.50 Ihr allge-
« Mazarin an Longueville, 19.8.1645: APW Β 11,2 Nr. 191 47 d'Avaux und Servien an Mazarin, 28.4.1645: Ebenda Nr. 92. Vgl. auch das Memorandum Serviens, 27.5.1645: EbendaNc. 112. 48 „II y a grand sujet de se méfier de ce prince que toutes ses actions ont fait paroistre jusqu'à cette heure rusé et artificieux au dernier point. Mais comme il n'ayme rien tant que son interest particulier et comme il se rencontre en beaucoup de choses, où nous trouvons encore le nostre, il se peut faire qu'en celles qui seront de cette nature nous pourons faire fondement de ce qu'il nous promettra, non pas tant pour la religion de sa promesse que parce que ce sera son avantage de la tenir" (Mazarin an Longueville, 12.8.1645: Ebenda Nr. 184). 49 Hierzu und zum folgenden vgl. Immler, Kf. Maximilian 49 ff., 54 ff. und 83 ff. 50 Zu den dreien vgl. Immler,, Kf. Maximilian 17 ff. und öfters; Ksoll, Wirtschafd. Verhältnisse 198 ff. Die Lebensverhältnisse der Gesandten in Münster untersucht Fran\ Bosbach, Die Kosten des Westfälischen Friedenskongresses. Eine strukturgeschichtliche Untersuchung, Mün-
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meines Ziel war der baldige Friede unter Wahrung der bayerischen konfessionspolitischen, territorialpolitischen und dynastischen Interessen. Ihre speziellen Aufgaben waren niedergelegt in der hauptsächlich von Richel erarbeiteten Instruktion vom 12. Dezember 1644,51 die sich entsprechend dem Anfangsstadium des Friedenskongresses überwiegend mit Verfahrensfragen befaßte, wobei vier Themen im Vordergrund standen: Der Kongreß soll vor allem anderen Fragen die Reichsangelegenheiten (ohne die konfessionellen Fragen) behandeln; zur Erleichterung der Verhandlungen (und zur größeren Sicherheit Bayerns) soll ein allgemeiner Waffenstillstand bis zum Friedensschluß vereinbart werden; als Voraussetzung einer erfolgreichen Friedenspolitik sind gute Beziehungen zu Frankreich zu fördern; in der Pfalzfrage ist der Kurfürst gegen Bezahlung von 13 Millionen Gulden oder Überlassung von Oberösterreich zur Restitution der pfalzischen Lande bereit, eine Restitution der Kurwürde kommt aber keineswegs in Frage. Maximilians Drängen auf einen allgemeinen Waffenstillstand intensivierte sich, als durch die Niederlage bei Jankau die militärische Situation sich noch ungünstiger als zuvor darstellte. Jedoch waren Haslang und Krebs weder bei den Vermittlern in Münster erfolgreich, dem päpstlichen Nuntius Fabio Chigi und dem venezianischen Gesandten Alvise Contarmi, noch bei den französischen Gesandten d'Avaux und Servien, bei denen sie sich besonders bemühten. Die Vermitder hielten die Vorschläge Maximilians für aussichtslos, die Franzosen zielten angesichts der für sie günstigen militärischen Lage nicht auf einen allgemeinen Waffenstillstand, sondern auf Trennung Bayerns vom Kaiser. Sie hatten dabei das ihnen von Mazarin mitgeteilte Vervaux'sche Protektionsgesuch im Auge. Da die Bayern aber hierüber keine Silbe mehr verlauten ließen, schlugen sie schließlich einen Sonderwaffenstillstand zwischen Frankreich und Bayern allein vor. Tatsächlich bekundete Maximilian nach einigem Zögern, aber unter dem Eindruck der Schlacht von Alerheim, auch hierfür lebhaftes Interesse, wohl wissend, daß es hiermit auch um die Trennung vom Kaiser ging. Er ließ den bei Alerheim gefangenen, für den Austausch vorgesehenen Herzog von Gramont nach München bringen und dort, wie Gramont berichtet, „avec une pompe royale" empfangen, um seinen Wunsch nach guten Beziehungen zu Frankreich zu demonstrieren.52 In einer erstaun-
s t « 1984. Maximilian kritisierte wiederholt die aufwendige Lebensführung der bayer. Gesandten (ebenda 7). 51 Erstmals ausgewertet bei Immler,; Kf. Maximilian 54 ff. 52 Gramonts Münchner Verhandlungen sind in der Hauptsache durch drei Quellen dokumentiert: Mémoires du maréchal de Gramont, 2 Bände, in: Collection des mémoires relatifs à l'histoire de France [...], Band 56, 243-480 und 57, 1-104, Paris 1826/27, hier Band 56, 373 ff.;
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liehen Konferen2 zuerst Maximilians, dann der Geheimräte mit Gramont erklärte man sich grundsätzlich zu entsprechenden Separatverhandlungen bereit. Maximilian wußte sich dabei im Einvernehmen mit dem bayerischen Landschaftsausschuß, der sich eben in diesen Tagen zu Wort meldete. Die Landstände wußten zwar, daß ein separates Neutralitätsabkommen auf reichsrechtliche Bedenken stoßen mußte, plädierten aber dennoch dafür, denn um Bayern nicht erneut zum Kriegsschauplatz werden zu lassen, müßten „auch die eusseriste Consilia und resolutiones gefast werden."53 Mitte September 1645 erfuhren Haslang und Krebs die französischen Bedingungen für einen Waffenstillstand mit Bayern, nämlich die Einbeziehung Schwedens und aller anderen Verbündeten Frankreichs bei ausdrücklichem Ausschluß des Kaisers, die Aufteilung der Quartiere zwischen Rhein und Donau sowie die Abtretung von bestimmten Festungen und Plätzen an französische Truppen als „Realassekuration". Da das Projekt offensichtlich beinhaltete, den ganzen französischen und schwedischen Kriegsschwall auf den Kaiser zu lenken, konnte sich Maximilian die Entscheidung nicht leicht machen. Am 25. September erörterte er zusammen mit den Geheimräten, Herzog Albrecht und Pater Vervaux, ob man den Vorschlag annehmen oder weiterhin auf die Waffen setzen solle.54 Für die Annahme sprachen lt. Maximilian die nahe Erschöpfung der finanziellen Mittel, die Vermeidung eines Bruches mit Frankreich, die notwendige Erhaltung der Armee, sein eigenes vorgerücktes Alter. Dagegen spreche, daß man den Franzosen nicht trauen könne, die Bedingungen unerfüllbar seien, Kaiser und Reichsstände vor den Kopf gestoßen würden. Das Mehrheitsvotum, dem sich auch Maximilian und Vervaux anschlossen, lautete zunächst, den Feldzug fortzusetzen, da man den Franzosen doch nicht trauen könne. Jedoch entschied sich Maximilian im weiteren Verlauf, gleichzeitig doch auch in Münster weiterzuverhandeln, allerdings mit Forderungen, welche die Möglichkeit weiterer Unterstützung des Kaisers gegen Schweden gewährleisten sollten. So sehr Maximilian also einen Waffenstillstand anstrebte, um sich zu entlasten und Bayern vor weiterer französischer Bedrohung abzusichern, so war er doch (noch) nicht bereit, sich deswegen vom Kaiser zu trennen. Schließlich ließ er die Verhandlungen in Münster überhaupt einschlafen, da, wie er die Gesandten informierte, die militärische Lage sowie die Erfolgsaussichten beim Friedenskongreß besser Bericht Gramonts an die Königin Anne, undatiert: APW Β 11,2 Nr. 200; Memorandum Ludwigs XIV. für Longueville etc., 1.9.1645: Ebenda Nr. 201. Vgl. auch Rie^ler, Geschichte V, 595 f. und Immler, Kf. Maximilian 118 ff. u.ö. 53 Zitiert Immler, Kf. Maximilian 120. 54 Vgl. Ebenda 126 ff.
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geworden seien. Die bei Alerheim siegreiche Armee des Herzogs von Enghien hatte sich zwar noch im August bedrohlich in der Nachbarschaft Bayerns aufgehalten, war aber Ende September von bayerischen und kaiserlichen Truppen nach Westen abgedrängt worden. Was aber die von Maximilian apostrophierten besseren Kongreßaussichten betraf, so hatte sich der Kaiser inzwischen entschlossen, seinen vertrautesten und gewiß auch fähigsten Ratgeber Maximilian von Trauttmansdorff, „sine quo fit nihil", zur Förderung der Verhandlungen nach Münster zu senden. Seine Entsendung war das unmittelbare Ergebnis dramatischer Verhandlungen, die der Reichsvizekanzler Ferdinand Kurz von Senftenau in München geführt hatte, und von rigorosen Forderungen, die Maximilian durch diesen dem Kaiser hatte übermitteln lassen. 55 Bereits Ende Mai hatte Maximilian den Kaiser gebeten, vornehmlich zur Erörterung der Friedensfrage einen Vertrauten nach München zu senden; nachdem Frankreich und Schweden am 11. Juni 1645 in Münster und Osnabrück ihre Propositionen vorgelegt hatten, nannte Maximilian als Besprechungsthema auch die kaiserliche Antwort auf die Proposiüonen; nachdem schließlich am 3. August die Schlacht bei Alerheim geschlagen worden war, sah sich Maximilian veranlaßt, den Kern des Friedensproblems noch genauer zu bezeichnen: Die vom Kaiserhof bisher mehr oder weniger verdrängte Frage der Satisfaktion für Frankreich und Schweden, „allß das vomembste mittel, dardurch man den gemeinen friden im Römischen Reich befürdern und erhalten khan," sei nun endlich mit vollem Ernst anzugehen. Die nun folgenden Münchner Konferenzen des Reichsvizekanzlers vom 23. August bis 4. September mit Maximilian und den bayerischen Geheimräten (darunter Kurz' Bruder, der bayerische Oberstkämmerer Maximilian Kurz) widmeten sich allen zentralen Themen des beiderseitigen Verhältnisses, im Mittelpunkt standen die Propositionen der beiden Kronen, die kaiserliche Militärhilfe und die Satisfaktionsfrage. Zunächst ging es um den von Kurz mitgebrachten Entwurf der kaiserlichen Antwort (Responsio) auf die Propositionen. Die bayerischen Räte taten alles, sie so umzuformulieren, daß sie für die Gegner akzeptabel wurde. Vor allem forderten sie, Spanien nicht namentlich unter den in den Frieden einzuschließenden Verbündeten des Kaisers zu nennen und die kaiserliche Bereitschaft zur Satisfaktion der beiden Kronen deutlich zum Ausdruck zu bringen. Der von Kurz nach Wien übermittelte und von ihm auch befürwortete baye-
55
Rippert, Kaiserliche Politik 102 ff.; Immler, Kf. Maximilian 167 ff.; Wagnerin APWI A,l, 342 ff.
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rische Gegenentwurf wurde jedoch von Ferdinand III. nicht akzeptiert, vielmehr erhielten seine Gesandten in Münster die ursprüngliche kaiserliche Responsio übersandt, sogar mit einem Zusatz, der die Verbundenheit der österreichischen mit den spanischen Habsburgern noch einmal bekräftigte. Daß Maximilian über dieses Vorgehen nicht glücklich war, das natürlich eine bayerische Niederlage darstellte, wird aus seiner Weisung an Haslang und Krebs ersichtlich, für die weiteren Verhandlungen erneut die Zugrundelegung des Münchner Entwurfs zu fordern, womit die beiden allerdings nicht durchgedrungen sind. Kurz hatte dem Kaiser gegenüber den Münchner Entwurf befürwortet, weil sich seine Verhandlungen in einer überaus angespannten und habsburgkritischen Atmosphäre am bayerischen Hof abgespielt hatten und er fortgesetzt gegen das dortige französische Trauma, wie er es nannte, anzukämpfen hatte. Nach der Kritik an der kaiserlichen Responsio äußerte sich diese Stimmung auch in den Diskussionen um die Militaría. Maximilian suchte dem Reichsvizekanzler begreiflich zu machen, daß der Kaiser beim nächsten Feldzug nur dann mit der bayerischen Armee rechnen dürfe, wenn diese nicht gezwungen sei, durch Quartiernahmen den Bayerischen Kreis zu erschöpfen, sondern den Winter in schwäbischen Quartieren verbringen könne. Hierzu müßten die Franzosen noch im Herbst über den Rhein getrieben werden. Kurz hat sich auch diese Lagebeurteilung zu eigen gemacht und noch von München aus dem Kaiser den Rat gegeben, daß es augenblicklich politisch und militärisch wichtiger sei, Bayern zu unterstützen, als die eigenen Lande von den Schweden zu befreien. Der Kaiser könne sich Maximilians nur sicher sein, solange die bayerische Armee ungeschlagen sei; verliere sie jetzt eine Schlacht, sei das ganze Reich für den Kaiser verloren.56 Dieser Appell muß am Kaiserhof tiefen Eindruck gemacht haben, denn man entschloß sich „mit dem Mut der Verzweiflung" (Ruppert), den Bayern mit der Hälfte der kaiserlichen Hauptarmee zu Hilfe zu kommen, obwohl die Schweden gegenwärtig bis an die österreichische Donau vorgerückt waren. Mitte September ging der Sukkurs nach Bayern ab, bis Mitte Oktober gelang es den vereinten kaiserlich-bayerischen Truppen, wie bereits erzählt, die Franzosen bei Philippsburg über den Rhein zu drängen. Maximilian, an sich bekannt durch seine Klagen über mangelnde Unterstützung, konnte sich beim Kaiser bedanken, der seinerseits vor der Gefahr eines Abfalls seines (nach dem Ausscheiden Kurbrandenburgs und Kursachsens aus dem Krieg) einzigen Verbündeten im Reich gestanden hatte. 56
Ruppert, Kaiserliche Politik 125.
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Aus den weiteren Münchner Verhandlungen, die der künftigen politischen Linie beim Friedenskongreß galten, wurde dem Reichsvizekanzler jedoch klar, daß es mit militärischer Hilfe fïir Bayern nicht getan sei. Sie erwiesen ihm, daß Maximilian ohne Wissen des Kaisers bereits intensive Friedensgespräche mit den Franzosen geführt hatte, darunter über die französische Satisfaktion, und sie ließen ihn vermuten, daß Maximilian eigene Wege einschlagen würde, wenn der Kaiserhof an die Franzosen weiterhin die Maximalforderung vollständiger Restitution der französischbesetzten Gebiete am Rhein stellen sollte. Als Kurz von den bayerischen Räten über die ihnen aus Paris und Münster inoffiziell bekanntgewordenen französischen Territorialforderungen unterrichtet wurde: Elsaß, Breisgau, Breisach, dazu Metz, Toul und Verdun sowie einiges weitere, und er von gemeinsamer Abwehr dieser unerhörten Forderungen sprach, erhielt er eine kalte Antwort der Räte: Es sei nunmehr müßig, über Recht und Moral der französischen Forderungen zu streiten, für den Kaiser gehe es jetzt um die Existenz. Kurz zog aus der ganzen bayerischen Argumentation die Folgerung, daß Maximilian nur dann noch auf kaiserlicher Seite zu halten sei, wenn sich Ferdinand raschestens bereitfand, durch Satisfaktionsangebote an Frankreich (an Schweden war Maximilian weit weniger interessiert) seinen ernsten Friedenswillen zu demonstrieren und damit zugleich aus der Phase der Präliminarien zu wirklichen Verhandlungen beim Kongreß zu schreiten. Maximilian unterstrich diesen Eindruck, indem er gleichzeitig den Hofkammerpräsidenten Mändl zum Kaiser nach Linz entsandte.57 Man müsse den Feind noch in diesem Herbst „proximam et certam spem des fridens und satisfaction (ausser dessen certissime der friden weder zu hoffen noch zu erhalten ist)" geben. In seinen langjährigen Beziehungen zum Kaiserhof hatte sich Maximilian so oft der Schwarzmalerei in militärischen und politischen Fragen beflissen, daß seine pessimistischen Prognosen vielfach nicht mehr ernst genommen worden waren. Wie die kaiserlichen Akten zeigen, entnahmen aber jetzt die Wiener Geheimräte den Berichten des Reichsvizekanzlers, daß Maximilians Drohungen nicht mehr auf die leichte Schulter zu nehmen waren, sondern gehandelt werden mußte. Der Bayer, hieß es in ihren Gutachten, werde eher mit Frankreich Frieden schließen, als ohne Aussicht auf Erfolg einer feindlichen Übermacht gegenüberzutreten; durch Abtretung des Elsaß und der Oberpfalz (was dem Kaiser Oberösterreich kosten würde) werde er sich auf Kosten des Kaisers verständigen. Man rate also dringend, den Grafen Trauttmansdorff unverzüglich mit umfassender eigenhändiger Instruktion 57 Vgl. Immler, Kf. Maximilian 185 ff.
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des Kaisers nach Westfalen zu senden, um mit den Kronen Frankreich und Schweden endlich in substantielle Verhandlungen einzutreten. Tatsächlich folgte der Kaiser diesem Rat, der in der Folge durch Sondergutachten der Räte noch untermauert worden war. Vom 16. Oktober 1645 datierte die eigenhändige Geheiminstruktion Ferdinands III. für Trauttmansdorff, ein Dokument erstrangiger Bedeutung, das sich im Interesse des Friedens schrittweise zu erheblichen Zugeständnissen bereitfinden wollte.58 Am 24. Oktober brach Trauttmansdorff in Linz zur Reise nach Westfalen auf. Maximilians Genugtuung über die Entsendung Trauttmansdorffs wurde allerdings getrübt, als dieser bei der Durchreise durch Bayern in Gesprächen mit Mändl zu erkennen gab, daß er in der Frage der Satisfaktion für Frankreich und der Kurfrage nicht mit den bayerischen Vorstellungen übereinstimmte. Maximilian glaubte sich daher auch weiterhin veranlaßt, gegenüber dem Kaiserhof eine Politik des Druckes und auch der versteckten Drohungen zu betreiben, um die Friedensverhandlungen in seinem Sinne voranzubringen. Inzwischen, im September 1645, war auch nach langen Auseinandersetzungen entschieden worden, daß sämtliche Reichsstände mit vollem Stimmrecht an den Friedensverhandlungen sich beteiligen konnten.59 Maximilian hatte dem Problem zwiespältig gegenübergestanden. Einerseits hatte er sich bemüht, diese Entscheidung zu verhindern oder jedenfalls zu verzögern, da ihm die Teilnahme und Mitsprache so vieler Reichsstände zu viele Unwägbarkeiten für den Ausgang der Verhandlungen heraufzubeschwören schien. So sehr er gegenüber dem Kaisertum die durch Reichsrecht und Reichsherkommen verbrieften reichsfürstlichen Rechte betonte, so wenig war er geneigt, seine Sonderrechte als Kurfürst mit anderen zu teilen. Der Regensburger Kurfürstentag von 1636/37 hatte auf Drängen Maximilians beschlossen, den kaiserlichen Gesandten beim Friedenskongreß eine Deputation des Kurkollegs zur Seite zu stellen, die als Vertretung aller Reichsstände gelten und beratende Funktion besitzen sollte; daneben sollte jedem Kurfürsten freistehen, auch noch eigene Gesandte abzuordnen, die mit der Deputation „in pari authoritate" standen. Beim Nürnberger Kurfürstentag 1639/40 und beim Regensburger Reichstag 1640/41 hatte dann auch Maximilian in Rücksicht auf Frankreich befürwortet, daß durch Streichung der Formel „nobis nondum reconciliati" eine größere Zahl von Reichsständen Abgeordnete zu den 58 Druck: A P W I A,1 Nr. 29. 59 Diekmann, Westf. Frieden 142 ff. und 163 ff.; Becker, Kurfürstenrat 133 ff.; Ruppert, Kaiserliche Politik 86 ff.; Immler, Kf. Maximilian 148 ff.
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Verhandlungen entsenden konnten, allerdings ohne Beratungsrecht, nur um den kaiserlichen Gesandten ihre Wünsche vorzutragen. Entsprechend erhielten die beiden Kronen im Hamburger Präliminarvertrag vom Dezember 1641 vom Kaiser die Teilnahme ihrer Verbündeten am Kongreß zugestanden, eine begrenzte Zahl, doch mit der Möglichkeit, künftig auch noch weitere Verbündete benennen zu können. Der Gegensatz zwischen Kurfürsten und übrigen Reichsständen in der Frage der Beteiligung einiger oder sämtlicher Reichsstände und deren Kompetenzen wurde virulent bei dem Reichsdeputationstag, der im Februar 1643 in Frankfurt auf Wunsch des Kaisers zum Zweck einer Reichsjustizreform zusammentrat, sich aber sofort der Friedensfrage zuwandte.60 Die bayerischen Gesandten waren von vornherein angewiesen worden, die vorrangige Behandlung der Friedensfrage zu betreiben, denn „silent inter arma leges."61 Die Deputation bestand aus den Kurfürsten, die eine eigene Kurie bildeten, und einer gemeinsamen Fürsten- und Städtekurie. Es war nun die Fürstenkurie, die dem Kaiser und den Kurfürsten das alleinige ius belli ac pacis streitig zu machen suchte, indem sie die Beteiligung aller Reichsstände beim Friedenskongreß mit vollem Stimmrecht forderte. Jedoch wurde diese und ihre weitere Forderung, zu diesem Zweck den Deputationstag als Vertretung der Reichsstände zu konstituieren und „ad loca tractatuum" zu verlegen, vom Kaiser und mehrheitlich (Bayern, Köln, Sachsen) auch vom Kurkolleg abgelehnt. In diesem Stadium wurde es von großer Bedeutung, daß Frankreich und Schweden, die sich bisher nur für die Zulassung ihrer Verbündeten interessiert hatten, den Gedanken der Zulassung sämtlicher Reichsstände aufgriffen, und es war die Landgräfin Amalia Elisabeth von Hessen-Kassel, die ihn als Vertreterin des ständischen Prinzips den beiden Kronen mit ungewöhnlicher Zähigkeit nahebrachte. Die beiden Kronen sahen hierin die Möglichkeit, sich nicht nur die Unterstützung des einen oder anderen Reichsstandes beim Kongreß zu sichern, sondern vor allem den ständischen, nichtmonarchischen Charakter des Reiches zu betonen und für die Zukunft festzuschreiben. In dem jahrhundertealten Dualismus von Zentral- und Territorialgewalten im Diekmann, Westf. Frieden 113 ff.; Becker, Kurfürstenrat 138 ff. Rosmtha von Kiet^ell, Der Frankfurter Deputationstag von 1642-1645. Eine Untersuchung zur staatsrechtl. Bedeutung dieser Reichsversammlung, in: Nassauische Annalen 83 (1972), 99-119, geht auf die Verhandlungen um die Justizreform nicht ein. 61 Instruktion fur die bayer. Gesandten Hans Egon Graf Fürstenberg, Geheimsekretär Johann Georg Öxl und Hofrat Johann Wämpl zum Deputationstag, 1.9.1642: Kurbayern Ä A 3294, fol. 137-193, Ausfertigung; Konzept mit Korrekturen Maximilians in Kschw. 798, unfol. Die Hälfte der Instruktion befaßt sich jedoch mit der Reform von Reichskammergericht und Reichshofrat. 60
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Reich, Kaiser und Reichsständen, sollte im Interesse vor allem Frankreichs die reichsfürstliche Position durch die Zuschreibung und Anwendung des ius belli ac pacis entscheidend gestärkt werden. Im November 1643 riefen die Schweden alle evangelischen Reichsstände, im April 1644 die Franzosen alle Reichsstände überhaupt dazu auf, sich am Friedenskongreß zu beteiligen. Nach einigem Zögern entschlossen sich daher immer mehr Reichsstände, beginnend mit dem Fränkischen Reichskreis unter Führung des Bischofs von Würzburg, ungeachtet der kaiserlichen Verbote den Friedenskongreß zu beschicken, und zwar unter Inanspruchnahme des „ius suffragii", also des vollen Stimmrechts. Die Haltung Maximilians und der bayerischen Politik gegenüber diesen Entwicklungen kann gekennzeichnet werden als das Bemühen, Unvermeidliches zwar hinzunehmen, aber im bayerischen Interesse möglichst zu kanalisieren. Während er im April 1644 beim Deputaüonstag (ergebnislos) fordern ließ, das durch schroffen Ton ausgezeichnete französische Einladungsschreiben zurückzusenden, riet er dem Kaiser im Dezember, Abordnungen der Reichskreise zum Kongreß zuzugestehen, ja er ermunterte sogar den Fränkischen Kreis zur Entsendung einer Vertretung. Man hat Maximilian hierfür unterschiedliche Motive zugeschrieben.62 Entscheidend war wohl, daß er seine Beziehungen zu den an der Heeres finanzierung beteiligten oberdeutschen Reichskreisen verbessern wollte und konnte, ohne diesen beim Kongreß Stimmrecht zugestehen zu müssen; weiterhin, daß sein Anliegen, die Konfessionsfragen vom Kongreß fernzuhalten, eben durch die Reichskreise unterstützt wurde; vor allem aber, daß er hoffte, hierdurch weitere Verzögerungen des Kongreßbeginns zu verhindern. Gleichzeitig setzte Maximilian einen Beschluß des Kurfürstenrates durch, daß das Kurkolleg nicht mehr, wie früher beschlossen, durch Deputierte (unter denen Bayern sich nicht befand), sondern „in forma collegii" beim Kongreß vertreten wurde, weil hierdurch der (evangelische) Einfluß Kurbrandenburgs reduziert, der bayerische Einfluß verstärkt werden konnte. Nach der Jankauer Niederlage betrieb Maximilian schließlich selbst die Verlegung des Deputationstages nach Münster und Osnabrück, da dieser in seiner insgesamt prokaiserlichen und überwiegend katholischen Zusammensetzung das letzte Mittel schien, um den jetzt erneut anschwellenden Zustrom der Reichsstände zu verhindern. Er konnte der Verlegung nach Westfalen zustimmen, weil er mit dem Kaiser einer Meinung war, daß nur den deputierten Reichsständen Stimmrecht zukomme, nicht aber den an Zahl weit überwiegenden non deputati, daß also die vom Für62
Vgl. Becker, Kurfurstenrat 156 f.; Immler, Kf. Maximilian 153 ff.
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stenrat vertretene Forderung der vollen Mitwirkung sämtlicher Reichsstände am Kongreß hierdurch verhindert würde. Bei den sog. Lengericher Konferenzen des Kurfürstenrats (ohne Kurtrier und Kursachsen) am 10. und 11. Juli 164563 erklärten die Bayern zwar, daß prinzipiell sämtlichen Reichsständen das ius suffragii zukomme, verteidigten aber für die Gegenwart das alleinige Vertretungsrecht der Deputation und den Ausschluß der non deputati; es sei „den reichsconstitutionibus zuwieder, alle reichständ zur deputation zu ziehen [...], wehre besser, mit zwantzig votis die tractaten zu absolviren alß mit hunderten."64 Jedoch traten sie dann doch dem nach Einspruch Kurbrandenburgs gefaßten Kompromißbeschluß bei, die Deputation durch vier Fürsten und zwei Städte zu erweitern. Auf weitere entschiedene Einwendungen der Brandenburger zugunsten des Stimmrechts aller Reichsstände wurde schließlich mit Mehrheit, darunter auch der bayerischen Stimme, die Empfehlung an den Kaiser beschlossen, alle Reichsstände cum iure suffragii zu den Friedensverhandlungen zuzulassen, bis zur Ankunft der noch Abwesenden aber mit der erweiterten Deputation die Verhandlungen zu beginnen. Ende Juli billigte auch Maximilian widerwillig diesen Beschluß, weil angesichts der breiten Bewegung unter den Reichsständen, mit denen sich die Forderungen der beiden Kronen verbanden, eine andere Lösung nicht mehr möglich schien, falls man am baldigen Verhandlungsbeginn interessiert war. Sein ursprüngliches Konzept, die Mehrheit der Reichsstände von den Entscheidungen des Friedenskongresses fernzuhalten und die Mitsprache möglichst auf das Kurkolleg zu beschränken, war Schritt für Schritt zunichte gemacht worden. Am 29. August lud der Kaiser, dessen Konzept ebenfalls nicht aufgegangen war, alle Reichsstände cum iure suffragii zum Friedenskongreß ein. Schließlich mußte Maximilian auch in der Frage des Verhandlungsmodus beim Kongreß zurückstecken.65 Der Lengericher Beschluß hatte zu diesem Problem die bayerische Auffassung übernommen, daß die Kurfürsten und die niederen Reichsstände in Münster, die Fürsten in Osnabrück tagen sollten (durch separatio inter se). Diese ungleiche Verteilung forderte den Protest der Schweden und der in Osnabrück versammelten evangelischen Reichsstände heraus, welche die Gegenforderung der separatio in se erhoben, also die Zweiteilung jedes der drei Kollegien, sodaß alle drei sowohl in Münster wie in 63 Protokolle in APW III A 1,1 Nrr. 26-28; vgl. auch Becker, Kurfürstenrat 202 ff.; Immler, Kf. Maximilian 158 ff.; Huppert, Kaiserl. Politik 92 ff. M APW III A 1,1, 164. 65 Becker, Kurfürstenrat 216 ff.; R u p p e r t , Kaiserl. Politik 93 ff. Nicht ganz genau Immler, Kf. Maximilian 161 ff.
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Osnabrück vertreten sein konnten. Hiergegen haben die bayerischen Gesandten im Sommer 1645 auf Weisung Maximilians hinhaltenden Widerstand geleistet und an der separatio inter se festgehalten, notfalls mit der Lösung, nur den Kurfürstenrat in Münster zu belassen. Sie sind aber schließlich nicht reüssiert,66 Anfang September sah sich Maximilian veranlaßt, der Aufteilung der drei Kurien zuzustimmen. Umso entschlossener stemmte er sich gegen das Bestreben der protestantischen Stände, auch dem Administrator des Erzstifts Magdeburg, einem sächsischen Prinzen, das Stimmrecht zuzuwenden. Bereits in seinen Anfängen, beim Reichstag von 1594 und später, hatte sich Maximilian mit großer Entschiedenheit gegen alle Bestrebungen gewandt, protestantischen Bistumsadministratoren Sitz und Stimme auf den Reichstagen zu gewähren, da hierdurch der Geistliche Vorbehalt verletzt werde. Jetzt mußte er erleben, daß nicht nur die Kaiserlichen die Zulassung anrieten, um die protestantischen Stände für ihre Politik zu gewinnen, sondern auch Ferdinand von Köln, der neue Auseinandersetzungen mit den Protestanten befürchtete, ja selbst Franz Wilhelm von Wartenberg, dessen Intransigenz sonst sprichwörtlich war. Erbost schrieb Maximilian seinem Bruder, daß er es für grundsätzlich falsch halte, durch ständiges Nachgeben den Appetit der Protestanten zu steigern; wenn schon, dann müsse man die Franzosen befriedigen, mit deren Hilfe immerhin katholische Interessen gefördert werden könnten.67 Ungeachtet solcher prinzipiellen Einwände vertrat aber schließlich die Mehrheit der katholischen Stände die Meinung, „amore boni publici" den Administrator unter gewissen Sicherungen zuzulassen, nämlich auf der weltlichen Reichsfürstenbank unter dem Titel eines Herzogs von Sachsen, womit der Eindruck einer Verletzung des Geistlichen Vorbehalts vermieden werde.68 Die Protestanten erreichten aber schließlich, daß der Administrator einen Platz zwischen der geistlichen und weltlichen Fürstenbank erhielt. Dieser Schlußpunkt der ganzen Administrations s ache konnte Maximilian gewiß nicht befriedigen. Er war aber zum Zeichen, daß der Wille zum Frieden und zu dessen dauerhaften Befestigung so stark geworden war, daß auch bisher zentrale konfessionspolitische Bedenken beiseitegeschoben werden konnten. Unter dieser Signatur standen dann auch nicht wenige der Verhandlungen um die Sachfragen, in die man endlich eintrat, nachdem die kaiserliche Antwort auf die Propositionen der beiden Kronen den versammelten Reichsständen am 25. September 1645 in feierlicher Sitzung überreicht worden war. M Vgl. APW III A 1,1 Nr. 40 (2. Sitzung des Kurförstenrats am 2.9.1645). 67 Maximilian an Kurköln, 15.11.1645, zitiert Immler, Kf. Maximilian 166. 68 APW III A 4,1 Nr. 4(19.11.1645).
35. Maximilian und die Westfälischen Friedensverhandlungen I: Satisfaktion Frankreichs, Pfákische Frage, Gravamina, schwedische Armeesatis faktion, Ausschluß Spaniens Maximilian v o n Bayern w a r fast 73 Jahre alt, als im D e z e m b e r 1 6 4 5 die Friedensverhandlungen ihren A n f a n g nahmen 1 und im Februar 1 6 4 6 die bayerischen Gesandten beim K o n g r e ß erschienen. In politischen Lagebeurteilungen v o n Zeitgenossen w u r d e wiederholt über den absehbaren T o d des Greises und dessen Folgen spekuliert. 2 Sein ältester S o h n
Ferdinand Maria w a r ein
K i n d v o n jetzt neun Jahren, seine junge Frau eine Schwester Kaiser Ferdinands III.; w ü r d e bei Maximilians T o d der Einfluß des Hauses Habsburg in München prävalieren, oder w a r der in Maximilians Testamenten vorgesehene Regentschaftsrat h o h e r Beamter stark genug, u m den bisherigen K u r s des Staatsschiffes beizubehalten? A u c h Maximilian selbst und seine Gesandten pflegten gelegentlich mit dem A l t e r des K u r f ü r s t e n zu argumentieren, u m die Notwendigkeit rascher Entscheidungen zu unterstreichen, v o r allem solcher, die den W e g zum Frieden ö f f n e t e n . Überhaupt waren Ungeduld, Ängstlich1 Zu den Friedens Verhandlungen in Münster und Osnabrück vgl. die Bibliographie %um Westfälischen Frieden, hg. von Heinz Duchhardt, bearb. von Eva Ortlieb und Mathias Schnetter, Münster 1996; die Quellenpublikation der Acta Pads Westphalicae (APW), hg. von Konrad Repgen (s. Literaturverzeichnis); die klassische Darstellung von Frit% Diekmann, Der Westfälische Frieden, Münster 1959, 6. Aufl. hg. von Konrad Repgen, Münster 1992; die Aufsatzsammlung von Konrad Repgen, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hg. von F. Bosbach und Chr. Kampmann, Paderborn 1998. 2 Vgl. etwa eine Äußerung des französischen Gesandten Servien: „Es wehre der churfiirst ein alter erlebter herr; wan er versterben solte, weiln die witdb des Kayßers schwester, wurden die vormunder wohl nach dern pfeiffen dantzen mußen und also alle diese potentia, auch das reichthumb, wie man sagt, daß daselbsten vorhanden, dem hauß Osterreich in die handt kommen und consequenter gegen die cron Franckreich mehrer mittel und gelegenheit gewinnen" (Diarium Wartenberg, 17.12.1647: APW III C 3,2, 1040). Ob die Kurfurstin Maria Anna Einfluß auf die bayerische Politik bei den Friedensverhandlungen zu nehmen suchte, ist bisher nicht ersichtlich und auch kaum nachweisbar; vgl. Immler, Kf. Maximilian 16 f. Daß von kaiserlicher Seite auf sie eingewirkt wurde, ist belegt, doch hielt sie sich offensichtlich strikt an die Linie Maximilians, die sie auch gegenüber dem Kaiser zu rechtfertigen suchte.
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keit, Pessimismus sowie die Neigung zu bitteren Urteilen und Drohungen mehr als bisher an ihm zu bemerken. Der Bayer besitze zwar viel Verstand, äußerte Johann Georg von Sachsen im Frühjahr 1647, „er wäre aber sehr timidus."3 Das Alter, der lange Krieg und die Aussichtslosigkeit eines Siegfriedens hinterließen ihre Spuren. Maximilian war spätestens seit 1645 überzeugt, daß angesichts der militärischen Entwicklungen und der materiellen und moralischen Erschöpfung des kaiserlich-katholischen Lagers ein baldiger Friedensschluß unumgänglich war, wenn man weiteren Niederlagen, weiteren landsverderblichen Invasionen feindlicher und leider auch eigener Truppen und wohl auch erhöhten Forderungen der militärisch überlegenen Gegner entgehen wollte. Dabei war klar, daß der Friede ohne erhebliche, wenn auch in ihrem Umfang erst auszuhandelnde Zugeständnisse nicht mehr zu bekommen war, also ohne Satisfaktionen territorialer Art für Frankreich und Schweden, konfessionspolitischen Zugeständnissen zur Befriedigung der Gravamina der Schweden und der deutschen Protestanten, darüber hinaus verfassungspolitischen Regelungen zum Verhältnis von Kaisertum und Reichsständen. Maximilians Marschroute gegenüber der Vielzahl der Verhandlungsthemen beim Kongreß ging dahin, zuerst die Frage der Satisfaktionen zu lösen, und zwar in erster Linie die Satisfaktion Frankreichs, das als gefahrlichster Kriegsgegner Bayerns zuerst dem Kriegsgeschehen entzogen werden müsse, das dann aber auch als katholische Macht Unterstützung in bayerischen Anliegen leisten könne, vor allem hinsichtlich der Religionsgravamina und der Kurfrage. War die französische Satisfaktion zur Zufriedenheit der Franzosen geregelt, so der Gedankengang Maximilians, konnten die gemeinsamen bayerisch-französischen Interessen aktiviert werden und zur Geltung gelangen, der beiden Staaten gemeinsame Katholizismus und das beiden gemeinsame Interesse an einer föderativen Ausgestaltung der Reichsverfassung. Die französischen Unterhändler hätten stets erklärt, „ihre confoederation [mit Schweden] seye nit in detrimentum religionis, sonderen pro conservatione libertatis statuum angesehen."4 Angesichts dieser politisch nutzbaren Gemeinsamkeiten hatte Maximilian auch in den vergangenen Jahren militärischer Auseinandersetzungen sich wiederholt beflissen, sich gegenüber den Franzosen prinzipiell positiv zu geben, etwa durch die Vermitdung des Marschalls Gramont. Aber auch Mazarin wußte von der Bedeutung Bayerns für die französische Deutschlandpolitik, er hat seine ebenfalls ganz zweckgerichtete positive Einschätzung Maximilians den 3 4
Meiern, Acta Pads V, 323 (Frühjahr 1647). Bayer. Votum bei den katholischen Ständeberatungen, 9.5.1646: APW III A 4,1 Nr. 46.
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französischen Gesandten in Münster verschiedentlich kenntlich gemacht: „Que tout ce qui s'est passé entre cette Couronne et ledit Duc de Bavière n'empesche pas que le Roy ne l'ayme, ne le considère et ne luy procure toute sorte d'advantages..."5 Hieran konnte die bayerische Politik anknüpfen, Voraussetzung war jedoch die Satisfaktion Frankreichs. Wie erwähnt, war Maximilian bereits im Mai und Juni 1645 von französischer Seite inoffiziell über die wichtigste französische Satisfaktionsforderung, die Abtretung des Elsaß, informiert worden, und er hatte den Kaiser nicht nur davon unterrichtet, sondern das französische Anliegen auch befürwortet, um die Verhandlungen voranzubringen. Sein Einsatz mußte sich verstärken, als am 7. Januar 1646 die französischen Satisfaktionsforderungen auch offiziell in die Verhandlungen eingebracht wurden. Es war die Forderung nach dem Unter- und Oberelsaß einschließlich des Sundgaus, nach Breisach, dem Breisgau und den Waldstädten, mit allen Rechten, wie sie vor dem Krieg das Haus Habsburg besessen hatte. Maximilian hatte bei seinen Interventionen in Wien und Münster zu berücksichtigen, daß sein entschiedener Friedenswille von den Franzosen gegenüber dem Kaiser ausgenützt werden konnte. Das Problem war, wie weit er in seiner Bereitwilligkeit gehen konnte, die französischen Forderungen zu übernehmen, wie starken Druck er deswegen auf den Kaiser ausüben konnte, ohne zum Handlanger Frankreichs zu werden, wie weit er die Franzosen über die eventuelle Bereitschaft des Kaisers zu Zugeständnissen informieren durfte, ohne der kaiserlichen Politik in den Rücken zu fallen oder noch weitergehende französische Ansprüche zu provozieren. Die Frage nach den Motiven Maximilians, sich intensiv und positiv in die Verhandlungen um die französische Satisfaktion einzuschalten, die doch in erster Linie ein Problem des Kaisers bildete, hat die bisherige Forschung unterschiedlich beantwortet.6 Die Meinungen reichen von der Behauptung Rankes, daß Maximilian das katholische Frankreich aus konfessionellen Gründen begünstigt habe, über den Vorwurf, sich mit der Abtretung des Elsaß die französische Unterstützung in der Pfalzfrage erkauft zu haben, bis zu der Beschuldigung, den Franzosen das Ausmaß der kaiserlichen Konzessionsbereitschaft verraten und dadurch die Verhandlungsstrategie TrauttmansMazarin an d'Avaux und Servien, 9.4.1644: APW II Β 1 Nr. 31. Zusammengestellt bei Immler, Friedenspolitik 33 ff. Vgl. auch Andreas Kraus, Kf. Maximilian I. von Bayern und die französische Satisfaktion (1644-1646). Neue Quellen zu einem alten Problem, in: Oers. (Hg.), Land und Reich, Stamm und Nation. Festgabe für M. Spindler, München 1984, Band 2, 21-50; Oers., Die Acta Pacis Westphaücae. Rang und geisteswissenschaftliche Bedeutung eines Editionsunternehmens unserer Zeit, untersucht an Hand der Elsaß-Frage (1640-1646), in: Rheinisch-Westfál. Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 269, Opladen 1984, 7-37. 5
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dorffs zunichte gemacht zu haben. Natürlich wurde nicht übersehen, daß sich der Kaiser auch ganz unabhängig von Maximilians Interventionen aufgrund der militärisch-politischen Situation des Hauses Habsburg zu Zugeständnissen veranlaßt sah. Weit weniger wurde gewürdigt, daß der hohe Preis des Friedens, den Maximilian erstrebte, seinen Druck auf Kaiser Ferdinand III., das Elsaß preiszugeben, wohl rechtfertigen konnte, zumal dieser selbst in der Instruktion für Trauttmansdorff dieses Friedensmittel ohne Scheu ins Auge gefaßt hat. Durch die bayerischen Mitteilungen an den Kaiser im Mai 1645 sowie an Reichsvizekanzler Kurz im September 1645 war dem Kaiserhof der Umfang der französischen Satisfaktionsforderung inoffiziell bekanntgeworden: Elsaß, Breisach, Breisgau und einiges andere mehr, zusammen mit der dringlichen Aufforderung Maximilians, den Franzosen ein Satisfaktionsangebot zu machen.7 Da letzterer Vorschlag von den kaiserlichen Räten befürwortet worden war, enthielt die Geheiminstruktion Ferdinands III. für Trauttmansdorff vom 16. Oktober 1645 bereits eine Ermächtigung zu schrittweisen Zugeständnissen: Erstlich das Elsaß, im Notfall auch Breisach und schließlich — „in desperatissimo casu" — auch den Breisgau.8 Die erwähnte französische Proposition vom 7. Januar 1646 bestätigte dann im wesentlichen die bayerischen Mitteilungen. Zum großen Ärger Maximilians ließen jedoch entsprechende Verhandlungen Trauttmansdorffs in Münster auf sich warten. Dieser verfolgte vielmehr das Konzept, zunächst mit den Schweden und den deutschen Protestanten die Konfessionsfragen zu regeln, um Frankreich möglichst zu isolieren und dadurch — vornehmlich im habsburgischen Interesse — den Umfang der französischen Satisfaktion zu reduzieren, eine Taktik, die mehrheitlich auch von den Reichsständen begrüßt wurde. Dieses Konzept hat jedoch eine überaus scharfe Kritik Maximilians zunächst gegenüber Trauttmansdorff selbst hervorgerufen:9 Entgegen dem Reichsherkommen habe Trauttmansdorff in einer so wichtigen Sache ohne Zuziehung der Reichsstände verhandelt. Er, Maximilian, werde sich nicht scheuen (und sich auch nicht durch die Rücksicht auf sein Interesse an der Kurwürde beirren lassen), sich und sein Land auf anderen Wegen zu retten, wenn die KaiserliS. oben Kapitel 34. APW A I 1 Nr. 29 Punkt 12. 9 Maximilian an Trauttmansdorff, 7.2.1646: APW II A 3 Nr. 167 Beilage B. Rechtfertigung Trauttmansdorffs vom 22.2.: Ebenda Nr. 167 Beilage C. Vgl. auch Trauttmansdorff an Kurz, 22.2.1646: Ebenda Nr. 173: „Daß Churbayrische schreiben ficht mich an. Ich diene ihrer churfürstlichen durchlaucht doch nach allen meinen khrefften und vermögen, unndt sie tractiren mich so übel. Ich bin khein Richel, noch Mandl." Zu dem Konflikt MaximilianTrauttmansdorff vgl. auch Kraus, Acta Pacis 28 f. sowie Diekmann, Westf. Friede 253 ff. 7
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chen den Frieden weiter verzögerten. Was nütze ihm die Kurwürde, wenn er durch die kaiserliche Politik Land und Leute verliere und nur den Titel behalte? Im übrigen stellten die Franzosen, anders als die Schweden, nur Forderungen, welche ohne Beschwernis des Gewissens und der Religion befriedigt werden könnten. „Wahrscheinlich" so hat Dickmann zu diesem Schreiben bemerkt, „hatte noch kaum ein Kurfürst in der Geschichte des Reiches so zu einem kaiserlichen Minister zu sprechen gewagt, dessen einziges Vergehen darin bestand, daß er nach bestem Wissen und nach den Weisungen seines Herrn handelte." Schon bisher hatte Maximilian offene Worte gegenüber dem Kaiserhof nicht gescheut, wenn es um den Frieden oder andere seiner Interessen, oft auch nur um Quisquillen, gegangen war. Jetzt schritt er zu offenen Drohungen, indem er Mitte Februar den in Linz befindlichen Kaiser durch Mändl auffordern ließ,10 Trauttmansdorff die sofortige Aufnahme von Satisfaktionsverhandlungen mit den Franzosen zu befehlen, da dessen bisherige Verhandlungstaktik erfolglos und zudem den katholischen Interessen schädlich sei. Bayern sei einem weiteren Feldzug nicht mehr gewachsen und müsse sich vom Kaiser trennen, wenn Trautmansdorff nicht unverzüglich in substantielle Verhandlungen mit den Franzosen eintrete. Bayern werde beim Kaiser „wie alzeit bestendig verharren, so lang friden zehoffen und Ihr Mayt. was darzue gehört thuen werden. Aber den Krieg khünden und wollen sie [Maximilian] nit continuiren, sonder sich ehender, so guett sy künden, accomodiren, und dises sei immutabilis sententia, darauff sich Ihr Mayt. zu verlassen."11 Der Kaiser müsse die habsburgischen Besitzungen und Rechte im Elsaß (so allgemein hätten sich die Franzosen geäußert) opfern, dann sei Frankreich zum Frieden und zur Unterstützung der bayerischen Ansprüche auf die Kur und die Oberpfalz bereit. Mändl, der sich gerne mit Zitaten schmückte, zitierte Cicero: „Quod iniusta pax in necessitate etiam iustissimo bello sit praeferenda."12 Wenn auch der spanische Botschafter am Kaiserhof aus ersichtlichen Gründen die bayerischen Drohungen als bloßen Bluff bezeichnete, waren die kaiserlichen Räte doch anderer Auffassung und rieten Ferdinand, der Aufforderung Maximilians zu folgen. Da Maximilian einer der wenigen katholischen Reichsstände sei, der Verhandlungen über die Religionsgravamina nicht grundsätzlich ablehne, gelange der Kaiser nur über Kurbayern zu einer Lösung der Gravamina-Frage. Man müsse ihm also in anderen Fragen entge1° Immler, Kf. Maximilian 219 ff.; APW II A 3 Nrr. 175 und 184. 11 Bericht Mändls über sein Vorbringen beim Kaiser, 6.3.1646: Kschw. 88, fol. 75 ff. 12 Memorial Mändls für den Kaiser, 18.2.1646: Ebenda fol. 24.
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genkommen. Ausschlaggebend aber sei, so lautete das bemerkenswerte Urteil der Räte, daß es „contra stilum et fundamenta gubernandi bey einem Römischen Kaiser, Consilia der catholischen churfursten [...] ganz zu verwerffen," zumal der Kaiser verpflichtet sei, in Fragen von Krieg und Frieden dem Rat der Kurfürsten so weit wie möglich zu folgen.13 Zu solchen verfassungsrechtlichen Fragen hatte man allerdings auch schon andere Antworten der Kaiserlichen gehört. Jetzt aber steuerten sie dem Frieden zu. Am 2. März wies Ferdinand seine Unterhändler in Münster an, die Satisfaktionsverhandlungen mit Frankreich durch das Angebot des habsburgischen Unterelsaß zu eröffnen und im Notfall auch das ganze Elsaß anzubieten.14 Bereits fünf Tage später, am 7. März, ließ Maximilian den Pariser Nuntius Bagno (und damit auch Mazarin) zwar etwas verklausuliert, aber für den Kenner eindeutig, vom Entschluß des Kaisers unterrichten, das Elsaß (so allgemein formuliert) an Frankreich abzutreten!15 Der von der Nachricht beflügelte Mazarin konnte bereits voll Befriedigung erklären, „que la Paix est faite, au moins dans l'Empire." Allerdings ging die Depesche, mit der der Kardinal seinerseits die französischen Gesandten in Münster von der überaus interessanten Nachricht informieren wollte, auf dem Postweg verloren; aber jedenfalls war der Kardinal nun selbst informiert und erhielten seine Gesandten durch ein weiteres Schreiben16 erneut einen deutlichen Hinweis. Damit war Trauttmansdorffs Verhandlungsposition allerdings geschwächt,17 wenngleich es in Münster bereits Tagesgespräch war, daß der Kaiser die Abtretung des Elsaß oder von Teilen davon bereits gebilligt habe. Die von der kaiserlichen Entscheidung nicht unterrichteten Haslang und Krebs sprachen gegenüber d'Avaux und Servien nur allgemein von der Bereitschaft der Kaiserlichen zu Zugeständnissen. Maximilian dagegen mochte sich schmeicheln, durch eine kalkulierte Indiskretion dem Fortgang der Satisfaktionsverhand« APW II A 3 Nr. 175 Beüage 1 Anm. 1. 14 Der Kaiser an Trauttmansdorff, 2.3.1646: APW II A 3 Nr.184 mit einer Beilage, in der die einzelnen Verhandlungsschritte (gradus) und die conditiones sine quibus non festgelegt sind; vgl. auch Nr. 204 (12.3.1646). Zur Entstehung vgl. Riippert, Kaiserliche Politik 144 ff. 15 Ermittelt und überzeugend dargelegt bei Immler, Kf. Maximilian 225 f., der aber zögert, die gegebene Folgerung zu ziehen. Die u.a. von Huppert, Kaiserliche Politik 166 vertretene Auffassung, daß die Entscheidung des Kaisers zur Abtretung des Elsaß von den bayer. Gesandten in Münster den französischen Gesandten verraten worden sei, ist zwar von Kraus, Satisfaktion 46 ff. (hierzu vgl. auch Immler, Kf. Maximilian 239 Anm. 101) entkräftet worden. Jedoch kannte Kraus die genannten Ergebnisse Immlers noch nicht, sodaß seine Folgerung, die Franzosen seien vielleicht anderweitig, aber jedenfalls nicht von Bayern, unterrichtet worden, nicht zutrifft. Sie wurden zwar nicht von den Gesandten, aber von Maximilian selbst informiert! 16 Vom 24. März: Immler, Kf. Maximilian 227 Anm. 53. " So Trauttmansdorff an den Kaiser, 23.3.1646: APW II A 3 Nr. 225.
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lungen mit Frankreich gedient zu haben. Maximilians Indiskretion zielte nicht in erster Linie auf eine französische Gegenleistung in Form einer Unterstützung der bayerischen Kuransprüche, wenngleich diese Zielsetzung mitgespielt haben wird. Das Hauptmotiv war vielmehr, durch die Befriedigung der französischen Satisfaktionsforderungen den entscheidenden Durchbruch zu einem allgemeinen Frieden zu befördern. Sehr richtig hat Moriz Ritter die Haltung Maximilians in der Elsaßfrage mit derjenigen Ferdinands III. gegenüber Kurbrandenburg in der Frage der Abtretung Pommerns verglichen — in beiden Fällen sei es darum gegangen, ein für den Frieden notwendiges Opfer gegen die dadurch Geschädigten durchzusetzen.18 Mit der Resolution Ferdinands III. vom 2. März war ein intensives Ringen der Wiener Gremien über die Aufnahme von Elsaßverhandlungen zu Ende gegangen, das durch die Intervention Maximilians gegenüber dem Reichsvizekanzler und über Mändl in Gang gebracht worden war. Jedoch war Trauttmansdorff zu eigenwillig und in seinen Anschauungen zu unabhängig, als daß er sein ursprüngliches Konzept sofort preisgegeben hätte, sodaß sich Maximilian, augenscheinlich erregt, erneut zu Drohungen mit einem separaten Waffenstillstand veranlaßt glaubte. Inwieweit sich Trauttmansdorff davon beeindruckt fühlte, steht dahin. Jedenfalls bot er am 28. März den Franzosen über die Vermittler Chigi und Contarini erstmals Gebiete im Elsaß als territoriale Satisfaktion an,19 freilich nur einen Teil des habsburgischen Unterelsaß, was die Franzosen sofort als unbefriedigend ablehnten. Als daraufhin die bayerischen Gesandten den Druck auf Trauttmansdorff verstärkten und ihre Vermitdungstätigkeit zwischen Kaiserlichen und Franzosen intensivierten,20 ging Trauttmansdorff zum nächsten „gradus" über und bot am 14. April über die Vermittler das gesamte Ober- und Unterelsaß mit dem Sundgau unter dem Titel „Landgrafschaft Elsaß" mit den bisherigen habsburgischen Rechten an.21 Da die Franzosen aber ihre Ansprüche erneut steigerten und auch Kitter, Geschichte III, 625. Vgl. Trauttmansdorff etc. an den Kaiser, 27.3.1646: APW II A,3 Nr. 233 mit Beilagen sowie APW III C 2 , 574 ff. (Diarium Volmar). Hierzu Konrad Repgen, Über den Zusammenhang von Verhandlungstechnik und Vertragsbegriffen. Die kaiserlichen Elsaß-Angebote vom 28. März und 14. April 1646, in: Oers., Historische Klopfsignale für die Gegenwart, Münster 1974, 6496, hier 86 ff. und öfter. 20 Hierzu vor allem Trauttmansdorff etc. an den Kaiser, 13.4.1646: APW II A 3 Nr. 268; Diarium Volmar, 9. und 12.4.1646: APW III C 2, 593 ff. « Vgl. APW II A 1 Nrr. 270, 272 und 280; vgl. auch Huppert, Kaiserliche Politik 163 ff.; Repgen, Verhandlungstechnik, passim. Zum Begriff „Landgrafschaft Elsaß" und dessen Inhalt vgl. Rßpgen, Verhandlungstechnik 64 ff. und Huppert, Kaiserliche Politik 155 ff. Übrigens hatte Maximilian die Franzosen bereits 1630 informiert, daß im Elsaß neben den habsburgischen eine größere Zahl von reichsständischen Besitzungen vorhanden sei (BA NF 11,5 Nr. 297). 18
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die Abtretung der Festung Breisach forderten, glaubte sich Maximilian zu erneuten Interventionen aufgefordert, nunmehr weniger bei Trauttmansdorff, als beim Kaiser selbst, dem er wieder einmal drohte, in sofortige Separatverhandlungen mit Frankreich einzusteigen.22 Selbst die Kurfürstin wurde aktiviert und hatte ihren Bruder zu bedrängen: „Dan haben sich Euer Majestät mit dem Elsas überwunden, hoffe ich, sie werden sich mit disem auch überwinden, dan ia einmal khan mans derzeit nit wenden, und der fridt ligt an disem."23 Auch bei den Gravaminaberatungen der katholischen Stände trat Maximilian mehrmals für die Abtretung Breisachs an die Franzosen ein, denn „wan ihne satisfaction adoustiret, wollen sie sich in bonum catholicae religionis interponiren."24 Unter dem Eindruck der bayerischen Pressionen wurde Trauttmansdorff am 27. Mai angewiesen, durch die Vermittler auch noch die Abtretung Breisachs anzubieten. Maximilian hat die französischen Forderungen befürwortet, weil der Ausgleich mit Frankreich für ihn Vorrang hatte, aber auch in der Hoffnung, hierdurch die französische Unterstützung für Schweden und dessen konfessionspolitischen Ziele abzuschwächen, ja Frankreich vielleicht sogar zum Frontwechsel auf kaiserliche Seite bewegen zu können!25 Das war nun allerdings eine Illusion und wurde Maximilian sowohl von Ferdinand III. als auch, besonders scharfzüngig, von Trauttmansdorff als blanke Naivität angekreidet. Er habe, schrieb der Kaiser an Trauttmansdorff, der Abtretung Breisachs nicht nur um des Friedens willen zugestimmt, sondern auch, um den Bayern auf kaiserlicher Seite zu halten, bis auch dieser mit Händen greife, wie es die Franzosen mit den beiden Häusern Habsburg und Wittelsbach wirklich meinten.26 Auch seine Schwester in München beantwortete Ferdinand voller Skepsis: „Ich wolte gern, daß ich ein falscher profet were, aber Euer Liebden werden sehen, daß die Franzosen Euch und unnß betriegen werden, dan ich mir nit einbilden khan, daß sie fridt haben wollen, habe auch genuegsambe inditia darzue..."27 Und Trauttmansdorff konnte es sich nicht versagen, alle Hoffnungen Maximilians auf die Trennving eines durch Satisfaktionen befriedigten Frankreich von Schweden als illusionär zu bezeichnen: „Die Churbayrischen befinden sich iezo gewaltig von Franzosen betrogen, ihr [der Franzosen] assistenz vor die catholische (die sie auf den faal ihrer satisfaction 22 Maximilian an den Kaiser, 21.4.1646: APW II A 4 Nr. 43 Beü.l. Vgl. Nrr. 113 und 121. 23 Maria Anna an den Kaiser, 19.5.1646, zitiert Immler, Kf. Maximilian 257. 2t Bayer. Voten vom 9., 14., 19. und 27.5.1646: APW II A 4 Nrr.46, 47, 49 und 52. 25 So Maximilian an den Kaiser, 1.6.1646: APW II A 4 Nr. 177 Beü. A. 2man Deutinger, Schwedische Verwüstungen in Bayern 1646/48. Ein Ansatz zur Neuinterpretation anhand schwedischer Quellen, in: ZBLG 57 (1994), 719-733. 34
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würde, und tatsächlich ist eine solche Honorierung sowohl in der Pfalzfrage wie in gewissem Umfang in der Gravaminafrage auch erfolgt, wenngleich die französischen Beweggründe hierzu unterschiedlicher Art sein mochten. Volle Unterstützung Frankreichs und völlige Sicherheit vor Frankreich hätte aber nur die völlige Trennung Bayerns von der Sache des Kaisers geboten. Dieser Sachverhalt ist in München schon seit den zwanziger Jahren realistisch erkannt und verschiedentlich sehr deutlich benannt worden, wie gezeigt wurde. Daß Maximilian dennoch wiederholt versucht hat, sich um einen geringeren Preis mit Frankreich verständigen zu können, so auch im Sommer 1646 durch die Unterstützung der französischen Elsaßforderungen, war nicht in Naivität begründet, sondern in einem intensiven Friedensbedürfnis, das nach den Erschöpfungen eines fünfundzwanzig]ährigen Krieges wohl positive Würdigung finden kann. Die Pfälzische Frage, „origo huius belli", wie die kaiserliche Geheiminstruktion für Trauttmansdorff formulierte, hatte die bayerische Politik seit über zwanzig Jahren begleitet, ihr Aufgaben gestellt, sie belastet und vielfach konturiert.37 Sie war schon früh aus einer innerdeutschen zu einer europäischen Frage geworden und sie war gleichzeitig von den Großmächten instrumentalisiert worden, d.h. ohne innere Affinität zum Schicksal Friedrichs V. und seiner Kinder zum Spielmaterial und Kompensationsobjekt der großen Politik geworden. Auf der Ebene der deutschen Reichsstände war sie eigentlich schon gelöst: 1621 war die pfälzische Kurwürde geheim, 1623 öffentlich auf Maximilian übertragen worden, zunächst auf Lebenszeit, 1628 auch erblich in der Wilhelminischen Linie. Durch Vertrag von 1628 waren zur Begleichung der bayerischen Kriegskosten die Oberpfalz und die rechtsrheinische Unterpfalz an Bayern gelangt, 1635 hatten die Unterzeichner des Prager Friedens, darunter auch Kursachsen und Kurbrandenburg, alle diese Regelungen bestätigt. Angesichts des — unterschiedlich motivierten — Interesses einer Reihe außerdeutscher Staaten bis hin zur Römischen Kurie an der Pfalzfrage konnten diese Festlegungen aber noch nicht, so wurde deutlich, der Schlußpunkt sein. So war es auf Betreiben Englands 1642 zu den Wiener Pfalzverhandlungen unter Vermittlung Dänemarks und des Kurkollegs gekommen, die aber ergebnislos geblieben waren, weil Maximilian und der Kaiser die englisch-pfälzische Diekmann, Westf. Frieden, vor allem 377 ff. und 398 ff.; Steiner, Pfalzische Kurwürde 163 ff.; Ruppert, Kaiserliche Politik, vor allem 108 ff., 132 ff., 223 f. und 282 ff.; Andreas Kraus, Frankreich und die Pfalzfrage auf dem Westf. Friedenskongreß, in: ZBLG 53 (1990), 681-696; Immler, Kf. Maximilian passim. 37
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Seite nicht befriedigt hatten. Maximilian selbst hatte sich im Laufe der Jahre je nach Situation zu unterschiedlich weit reichenden Zugeständnissen in der Pfalzfrage bereit erklärt, um die Diskussion über sie zu einem Ende zu bringen und seinen Kriegsgewinn zu sichern. Im Kern war er nur zur Preisgabe der von Bayern weit entlegenen rechtsrheinischen Unterpfalz bereit, sofern auch die Spanier ihr unterpfälzisches Besatzungsgebiet räumten. Die Oberpfalz wollte er (ernstlich?) nur gegen Ersatz der Kriegskosten zurückgeben, die aber niemand bezahlen konnte, oder gegen die Einräumung Oberösterreichs, die der Kaiser jedoch ablehnte. Auf die Kurwürde zu verzichten war Maximilian nie bereit, Vorschläge zu einer Alternadon mit den Pfälzern, wie sie gelegentlich vorgetragen wurden, waren, soweit von bayerischer Seite formuliert, kaum ernstzunehmen. Der Kaiser und Maximilian hatten zunächst versucht, die Pfalzfrage als ein deutsches Problem vom Friedenskongreß fernzuhalten und in Separatverhandlungen der unmittelbar Interessierten zu erledigen. Jedoch wurde sie auf Drängen Frankreichs und Englands, denen sich im September 1645 auch Maximilian anschloß, dann doch auf dieses internationale Forum gehoben und dadurch der Beschlußfassung der Kongreßbeteiligten unterworfen. Dabei wurde sie von den Parteien in erheblichem Ausmaß als Mittel zum Zweck benützt, vom Kaiser, um Maximilian an seiner Seite zu halten, von Frankreich um der französischen Satisfaktion und der Rolle Bayerns im antihabsburgischen Konzept willen, von Schweden unter dem Gesichtspunkt begleitender konfessionspolitischer Forderungen. Der Kaiserhof neigte bezüglich der pfälzischen Kurwürde trotz aller Festlegungen unter Ferdinand II. dazu, eine Alternation zwischen Münchner und Heidelberger Wittelsbachern anzusteuern, wobei allerdings die Meinungen über den Zeitpunkt des erstmaligen Übergangs auf die Pfälzer nicht einheitlich waren. 1642 hatte der Kaiser davon gesprochen, daß die Kur zunächst bei Maximilian und dessen männlichen Nachkommen sowie nach deren Aussterben bei weiteren drei männlichen Mitgliedern der Wilhelminischen Linie verbleiben solle. Das konnte also bis zum St. Nimmerleinstag dauern, wie es überhaupt diese und andere Vorschläge kennzeichnete, daß von der Möglichkeit langdauernder Festlegungen ausgegangen wurde. Gegen die schon 1623 von englischer Seite vorgeschlagene Errichtung einer achten Kurwürde (für Bayern oder die Pfalz) sprach nach kaiserlicher Ansicht die durch die Goldene Bulle und langes Herkommen geheiligte Siebenzahl sowie die Erwägung, daß dann das Gesamthaus Wittelsbach im Besitz dreier Kurhüte (Bayern, Köln, Pfalz) wäre. Entsprechend dieser Auffassung wurde Trauttmansdorff im Oktober 1645 auf die
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Alternation hin instruiert.38 Maximilian dagegen zielte auf die Einrichtung einer achten Kur für die Pfälzer, um die fünfte Kurwürde, mit der das Reichsvikariat für Oberdeutschland verbunden war, auf alle Fälle sicher zu behaupten. Er wußte genau, daß die Alternadonslösung von 1329 zum Nachteil Bayerns ausgeschlagen war und argumentierte auch, daß die Pfalzer bei einer Alternadonslösung nicht derart lange auf den Wechsel warten wollten, wie von kaiserlicher Seite vorgeschlagen wurde. Entscheidend war für ihn, daß die Errichtung einer achten Kurwürde für die Pfälzer diejenige Lösung bot, die seine Interessen in der Kurfrage am wenigsten tangierte. Tatsächlich gelang es ihm durch massive Intervention bei Ferdinand III. und Trauttmansdorff, noch im Dezember 1645 den Kaiser zu bewegen, bezüglich der achten Kur auf die bayerische Linie einzuschwenken, sofern auch die Reichsstände zustimmten.39 Allerdings ging man nun in Wien mit dem Gedanken um, als Gegengewicht gegen die zu erwartenden drei wittelsbachischen Kurstimmen eine neunte Kur für Österreich zu beanspruchen oder aber bei Stimmengleichheit die böhmische Kurstimme zu verdoppeln. Entsprechende Vorschläge Trauttmansdorffs wurden jedoch von den Kurfürsten abgelehnt.40 Im übrigen beinhaltete die Aufnahme der Pfälzischen Frage in den Themenkatalog der Trauttmansdorffinstruktion, daß der Kaiser nun seinen Widerstand gegen deren Behandlung beim Friedenskongreß aufgegeben hatte, wohl aufgrund der Forderung Maximilians im September gegenüber dem Reichsvizekanzler. Trauttmansdorff hat denn auch bei den folgenden Pfalzverhandlungen ungeachtet aller Gegensätze in der Frage der französischen Satisfaktion und bei mancher Kritik am bayerischen Egoismus41 generös die Interessen Maximilians vertreten.42 Die Franzosen hatten sich 1621 für die Kurübertragung auf Maximilian eingesetzt und in den folgenden Jahren daran festgehalten, weil sie hierdurch den neuen Kurfürsten zur Unterstützung ihrer antihabsburgischen Politik zu gewinnen hofften; im Vertrag von Fontainebleau hatten sie sich zur VerteidiAPW I 1 Nr. 29 Punkt 7. Nur im äußersten Fall und dann nur mit Zustimmung der Reichsstände sollte Trauttmansdorff die achte Kur zugestehen. 35 Immler, Kf. Maximilian 196 ff. 40 Lt. Trauttmansdorff an den Kaiser, 11.5.1646: APW II A 4 Nr.93 hatte Maximilian vorgeschlagen, für den Fall einer Verdoppelung einer Kurwürde den Mainzer zu bedenken, um diesen in puncto octavi Electoratus auf die bayerische Seite zu ziehen. 41 Vgl. etwa Trauttmansdorff an den Kaiser, 23.4.1646: Ebenda Nr.26, „daß Bayren alles geschliffen und auß anderer leuth beutel den friden erkaufft unnd bezahlt haben, von dem seinigen aber nichts hinderlassen und contribuiren wolle." 42 Vgl. etwa Trauttmansdorff an Maximilian, 19.4.1646: Ebenda Nr.9 Beil. Β betr. eine Unterredung mit Salvius. 38
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gung von Kur und Kurlanden verpflichtet. Wenn sie dann dieser Verpflichtung nicht nachgekommen waren, so zählte Maximilian doch darauf (freilich mit starken Schwankungen), in der Kurfrage, falls sie wieder akut werden sollte, auf Richelieu und dessen Nachfolger Mazarin bauen zu können. Im Januar 1645 drückte er gegenüber dem Kardinal die Hoffnung aus, daß sich Frankreich bei den Münsteraner Pfalzverhandlungen auf die bayerische Seite stellen werde und bot im Gegenzug seine guten Dienste zur Wiederherstellung des Friedens zwischen Frankreich und dem Reich an.43 Gleichzeitig bat er den Papst, sich in Paris zugunsten der bayerischen Pfalzinteressen zu verwenden, um beim Kongreß französische Unterstützung zur Neutralisierung protestantischer Bemühungen zugunsten des Pfälzers zu erhalten.44 Maximilian hoffte also in der Pfalzfrage (und ebenso in der Gravaminafrage) auf Frankreich, war sich jedoch französischer Gegenforderungen bewußt. Allerdings hat er, wie bereits gezeigt, die französischen Kriegsziele in Bezug auf das Elsaß nicht nur unter dem Gesichtspunkt der engeren bayerischen Interessen unterstützt, sondern ebenso, ja sogar in erster Linie, weil er hierin den Schlüssel zu einem baldigen Friedens s chluß gesehen hat. Da er bei diesem do ut des auf schmalem Grat wanderte, erforderte es großes Geschick, beim Friedenskongreß nicht zum bloßen Handlanger französischer Interessen zu werden. Maximilian war im Verkehr mit Mazarin, dem Pariser Nuntius Bagno sowie in den Weisungen für seine Gesandten in Münster fortwährend bemüht, dieser Gefahr zu entgehen, und man wird ihm sowie den Gesandten Haslang und Krebs hierbei Verantwortungsgefühl und diplomatisches Geschick zuschreiben. Letztlich war aber der Zusammenhang von Elsaßfrage und Pfalzfrage in den bayerisch-französischen Beziehungen dieser Monate unübersehbar, er wurde von beiden Seiten genau kalkuliert und natürlich auch vom Kaiserhof wahrgenommen. Maximilian hat die kaiserlichen Gesandten in Münster verschiedentlich wissen lassen, daß als conditio sine qua non der französischen und schwedischen Satisfaktion die bayerischen Ansprüche auf die Kurwürde und die Oberpfalz anerkannt werden müßten.45 Ihre Plausibilität und Rechtfertigung gewann diese Politik Maximilians aus der Tatsache, daß sie eben nicht nur auf die Sicherung der bayerischen Erwerbungen zielte, sondern mehr noch auf einen raschen und akzeptablen Friedensschluß. Das war ein Weg, den der Kaiser hinsichtlich der französischen Satisfaktion bereits in der Instruktion für Trauttmansdorff vorgezeichnet hatte. Warum sollte ihn Maximilian nicht ebenfalls gehen? 43 44 45
Maximilian an Mazarin, 18.1.1645, zitiert Immler, Kf. Maximilian 65. Maximilian an Innozenz X., 11.11.1644, zitiert ebenda 66. Vgl. etwa Diarium Volmar, 24.3. und 3.5.1646: APW III C 2, 574 und 613 f.
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Andreas Kraus hat anhand der Korrespondenz zwischen Mazarin und den französischen Gesandten in Münster gezeigt, daß der Kardinal überzeugt war, auf der Grundlage mancher gemeinsamer Interessen mit Bayern durch Befriedigung Maximilians in der Pfalzfrage sowie in seinen konfessionspolitischen Anliegen dessen Unterstützung für französische Interessen gewinnen zu können;46 „que la personne dudit Duc de Bavière bien mesnagée est la meilleure pièce pour conduire à fin la negotiation de la paix avec l'advantage de cette Couronne."47 Der in Münster unter den Franzosen zunächst tonangebende Gesandte Servien war dagegen sehr viel mißtrauischer und auch rigoroser in der Einschätzung des Bayern: „C'est un vieil avaricieux qui treuve du proffit à continuer la guerre, parce qu'il la faict aux despens d'aultruy et qu'il craint que la paix ne luy fasse rendre ce qui ne luy appartient pas."48 Während Mazarin in den gemeinsamen Interessen mit Bayern gewissermaßen eine Automatik zum Vorteil Frankreichs gegeben sah, setzte Servien auf Druck, ja auf Drohungen gegenüber Maximilian und war leichter bereit, zugunsten der Fortsetzung guter Beziehungen zu Schweden eine Restitution der Pfälzer ins Auge zu fassen. Daraus ergaben sich Differenzen zwischen Mazarin und Servien und Schwankungen in den französischen Äußerungen gegenüber Maximilian und den bayerischen Gesandten, welche die bayerische Seite verunsichern konnten. Jedoch beharrte Mazarin darauf, daß man bei Gegenleistungen Maximilians sich in der Pfalzfrage für ihn verwenden werde. Der entscheidende Punkt in der französischen Meinungsbildung wurde bereits im November 1645 erreicht. Die bayerischen Gesandten hatten erklärt, daß sich Maximilian wie bisher für die Satisfaktion Frankreichs einsetzen werde, aber dafür eine kategorische Erklärung über die Befürwortung der bayerischen Kuransprüche durch Frankreich erwarte; um die Sache endlich zu beenden, sei er bereit, der Einrichtung einer achten Kur für die Pfälzer zuzustimmen. Werde aber seinem Haus die Kur genommen, sei er entschlossen, bis zum äußersten zu gehen.49 Diese Eröffnungen erschienen Mazarin so plausibel, daß er in dem Zusatz vom 23. November 1645 zur französischen Hauptinstruktion die weitere Marschroute Frankreichs in der Pfalzfrage bis zum Friedensschluß zwar nicht wörtlich gemäß der Forderung Maximilians,
Kraus, Pfalzfrage 683 ff. Mazarin an die französischen Gesandten, 9.4.1644: APW Β II 1 Nr. 31, hier S. 59. 48 Servien an Brienne, 3.9.1644: Ebenda Nr. 237, hier S. 494. Vgl. auch d'Avaux und Servien an Mazarin, 28.4.1645: APW Β II 2 Nr. 92 hier S. 305: Maximilian sei „un prince qui se peut dire un des plus raffinez et adroictz qui vivent aujourd huy." 49 Die französischen Gesandten an Brienne, 4.11.1645: Ebenda Nr. 251, hier S. 815; vgl. Kraus, Pfalzfrage 695. 46
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aber doch in dessen Sinne fesdegte. Zwar wurde die Restitution der Oberund Unterpfalz als Vorbedingung des Friedens in Erwägung gezogen, aber nur gegen Entschädigung (die wohl kaum jemand zahlen konnte). Bezüglich der Kurwürde sollten sich die französischen Gesandten „avec toute sorte d'affection" für die Belassung bei Bayern einsetzen; gegebenenfalls sollten sie für die Errichtung einer achten Kur sich verwenden. Leitlinie müsse sein „d'agrandir la puissance des princes et estatz de l'Empire, et diminuer celle de l'Empereur." 50 Unter diesem Gesichtspunkt, gewissermaßen sein Eintreten für die bayerischen Interessen rechtfertigend, äußerte sich Mazarin auch gegenüber seinen Gesandten in Münster: Mit Maximilian setze man deswegen die französischen Belange im Reich am besten durch, weil der Bayer wisse, daß die Förderung französischer Interessen auch seinen eigenen Anliegen nütze, „son intérest propre qui s'y rencontre l'obligera de la faire."51 In der Folge hat zwar die Rücksichtnahme auf Schweden die Franzosen wiederholt veranlaßt, sich in der Pfalzfrage zweideutig zu äußern und dadurch die Bayern in Unruhe zu versetzen. Als jedoch im Sommer 1646 mit tatkräftiger Vermittlung Maximilians ihre Satis faktionsforderungen vom Kaiser erfüllt worden waren und sie hierüber im Vorvertrag vom 13. September Brief und Siegel erhalten hatten, erhielten Haslang und Krebs die ausdrückliche Zusage Mazarins, neben den konfessionspolitischen Anliegen Maximilians auch dessen Pfalzforderungen gegenüber den Schweden zu unterstützen, und zwar in der Form, daß Maximilian die fünfte Kur und die ganze Oberpfalz, der Pfälzer Erbe die achte Kur und die Unterpfalz erhalten sollte.52 Hieran haben die Franzosen mit nur geringen Schwankungen bis zum Friedensschluß festgehalten, nicht aus Dankbarkeit, sondern weil sie in einem starken Bayern ein Gegengewicht gegen das Haus Habsburg sahen. Wenn sie gelegentlich doch auch die Belassung der Oberpfalz bei den Pfalzern ins Spiel brachten, so unter dem Gesichtspunkt, daß Maximilian dann Oberösterreich fordern und hierdurch der Kaiser geschwächt werden würde. Der französische Gesandte d'Avaux, ein überzeugter Katholik, hat darüber hinaus die bayerischen Interessen gegenüber Schweden und den deutschen Protestanten auch betont unter konfessionellem Gesichtspunkt vertreten.53 Die Schweden waren mit der Absicht in die Friedensverhandlungen von Osnabrück gegangen, im Zusammenhang mit einer Universalamnestie nach 50
APW Β II 2 Nr. 267, hier S. 881. Mazarin an die französischen Gesandten, 22.11.1645: Ebenda Nr. 266, hier S. 871. 52 Immler, Kf. Maximilian 279 mit Anm. 128, mit Korrektur an Ruppert, Kaiserliche Politik 283. 53 Ein schönes Loblied d'Avaux' auf Maximilian verzeichnet das Diarium Wartenberg: APW III C 3,1,1039 f. 51
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dem Stand von 1618 die vollständige Restitution der Pfalzer zu fordern54 und sie hatten auf dieser Zielsetzung seit Beginn der Verhandlungen auch beharrt; mit der Forderung nach Restitution Friedrichs V. war Gustav Adolf einst in Deutschland gelandet. Maximilian hatte sich gegenüber den Schweden zunächst zurückgehalten, die bayerischen Gesandten in Münster hatten bei ihren schwedischen Kollegen in Osnabrück nicht einmal Visite gemacht. So wurde die schwedische Verhandlungsposition in der Pfalzfrage erstmals auch nicht gegenüber den bayerischen, sondern den kaiserlichen Gesandten dargelegt: Die Kurwürde sollte bereits nach dem Tode Maximilians an die pfalzische Linie kommen, wenn nicht auf Dauer, so doch zumindest alternierend. Die Oberpfalz müsse zurückgegeben werden, notfalls könne ein Teil davon gegen Bezahlung bei Bayern bleiben.55 Die Enttäuschung über die schwedische Haltung und die zweite Besetzung Bayerns durch die Schweden und Franzosen im Sommer 1646 veranlaßten Maximilian, nunmehr seine bisherige Zurückhaltung aufzugeben und Sondierungen der Schweden in der Pfalzfrage aufzugreifen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Dabei wollte er ihnen „reciprocam assistentiam" versprechen, wenn sie bayerischen Vorstellungen folgten, also Unterstützung in der Frage der schwedischen Satisfaktion!56 Jedoch waren die Äußerungen des schwedischen Gesandten Salvius zur Kurfrage zu ungleichmäßig, als daß man darauf hätte bauen können. Die Aufnahme einer Pfalzklausel in das kaiserliche Satisfaktionsprojekt lehnte Salvius ab, der kaiserlich-schwedische Vorvertrag vom 18. Februar 1647, der die schwedische Satisfaktion regelte, wurde ohne Erwähnung der bayerischen Pfalzansprüche abgeschlossen. Auf bayerisches Drängen hatte Trauttmansdorff ursprünglich die Aufnahme einer Klausel gefordert, daß die Pfalzfrage den kaiserlich-französischen Vereinbarungen gemäß geregelt werden solle. Er hatte aber dann dem schwedischen Widerstreben nachgegeben, da wegen der noch zu schildernden Waffenstillstandsverhandlungen Maximilians mit Frankreich und Schweden im Frühjahr 1647 ein rascher Ausgleich über die schwedische Satisfaktion unerläßlich schien. Damit war zum Mißvergnügen Maximilians57 zwar die Frage der schwedischen Satisfaktion, nicht aber die für ihn zentrale Pfalzfrage geregelt, auch wenn Trauttmansdorff nunmehr
st Schwedische Hauptinstruktion, 5./15.10.1641, Art. 7, 25 und 31: A P W I 1 Nr. 17a. 55 Trauttmansdorff etc. an den Kaiser, 13.7.1646: APW II A 4 Nr. 258; vgl. auch Nr. 276. Über gleichzeitige schwedisch-französische Verhandlungen in der Pfalzfrage mit ungewissem Inhalt handelt Immler, Kf. Maximilian 272 f. 56 Maximilian an Haslang und Krebs, 26.10.1646, zitiert Immler; Kf. Maximilian 328 f. 57 Vgl. Schröder an Kurz, 14.2.1647: APW II A 5 Nr. 259.
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beruhigend versprach, die Erledigung der Pfalzfrage zur Bedingung der kommenden Gravaminaverhandlungen zu machen. Zu diesem Zeitpunkt rechnete Maximilian in der Pfalzfrage nicht nur mit der weiteren Unterstützung der Franzosen, sondern auch der Reichsstände, deren Zustimmung zur Errichtung einer achten Kurwürde als einer wichtigen Änderung der Reichsverfassung notwendig war. Hierfür hatte er schon seit Monaten vorgearbeitet, seitdem die kursächsischen Gesandten im April 1646 in Osnabrück eingetroffen waren, wo der protestantische Fürsten- und Städterat tagte.58 Aus dem Briefwechsel Maximilians mit Kurfürst Johann Georg von Sachsen und Äußerungen der kursächsischen Gesandten durfte man sich in München der Unterstützung Kursachsens für den Verbleib der Kurwürde bei der Wilhelminischen Linie, der Errichtung einer achten Kurwürde für die Pfälzer und dem Verbleib der Oberpfalz bei Bayern für versichert halten. Die Sachsen konnten nicht wünschen, daß etwa auch ihr Kriegsgewinn, die beiden Lausitzen, zur Diskussion gestellt werden würde, und auch der konservative Charakter der kursächsischen Politik und die Abneigung gegenüber dem pfalzischen Kalvinismus spielten ihre Rolle, beide Momente waren in der kursächsischen Politik seit 1619 immer wieder hervorgetreten. Maximilian rechnete auch, nicht zu Unrecht, mit entsprechender Einflußnahme Johann Georgs auf andere protestantische Fürsten und bemühte sich auch selbst durch direkte Korrespondenz und über seine Gesandten um deren Zustimmung. Da aber das erhoffte positive Votum der Reichsstände wenig nützte, wenn nicht auch die Schweden zustimmten, war er gleichzeitig bemüht, die Kontakte zu Salvius fortzusetzen, der seinerseits schwedisches Wohlwollen in der Pfalzfrage mit bayerischem Einsatz hinsichüch der Satisfaktion und der protestantischen Gravamina belohnt sehen wollte. Daß in diesem Zusammenhang Trauttmansdorff und Krebs auf Vorschlag Maximilians vereinbarten, Salvius durch Bestechungsgelder zu gewinnen, widersprach nicht den Usancen der Zeit.59 Im übrigen befand sich Trauttmansdorff in diesen Wochen gegenüber Maximilian in einer schwierigen Position. Denn seinem Wunsch, den Kurfürst in der Kurfrage zufriedenzustellen und durch die Zuweisung der ganzen Oberpfalz an Bayern Oberösterreich endgültig für den Kaiser zu sichern, korrespondierte sein verständliches Bedürfnis, die gleichzeitigen Waffenstillstandsverhandlungen Maximilians mit Frankreich und Schweden doch durch eine Vernachlässigung der bayerischen Interessen zu beantworten: „Alle detestiren diese perfidiam [Maximilians], nachdem wir 58
Immler, Kf. Maximilian 299 ff. und 378 ff. Zur Bestechlichkeit zahlreicher Gesandter und Salvius' insbesondere vgl. Dickmann, Westf. Frieden 204 f. 59
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alhie so eyfferig und auffrichtig ihrer churfürstlichen durchlaucht interesse propugniren." Am 16. März 1647 wurde das Problem der Errichtung einer neuen, achten Kur von Trauttmansdorff mit Zustimmung Schwedens und Bayerns und unter Förderung der Franzosen gleichzeitig in Osnabrück und Münster den Reichsständen, also Kurfürstenrat und Fürsten- und Städterat, vorgelegt.60 Oxenstiernas Zustimmung signalisierte wohl, daß die Schweden zum Einlenken bereit waren, nachdem zu diesem Zeitpunkt ihre Satisfaktion gesichert war. Noch am 28. Februar hatten sie einen neuen bayerischen Vorschlag zur Pfalzfrage61 abgelehnt und stattdessen die nahezu vollständige territoriale Restitution (ausgenommen nur die Grafschaft Cham) der Pfalzer sowie den Wechsel der Münchner Wittelsbacher in die achte Kur nach dem Tod Maximilians gefordert.62 Ebenso hatte der schwedische Gesandte Johan Oxenstierna gegenüber Trauttmansdorff geäußert, „sy [die Schweden] seyen nun mit dem Kaiser nicht mehr feindt, aber mit Bayrn wohl; ein jeder solte nachlassen und Bayrn allein gewinnen, das konten sy nit finden."63 Jetzt, am 11. März, gewährte Oxenstierna den bayerischen Gesandten die bisher stets verweigerte Audienz, titulierte während des ganzen Gesprächs Maximilian als „Kurfürst" und erklärte abschließend, daß über die Pfalzfrage die Reichsstände entscheiden sollten.64 Die Konsultationen des Fürsten- und Städterats in Osnabrück sowie des Fürstenrates in Münster65 bezogen sich nur auf die Errichtung einer achten Kurwürde, diese Beschränkung hatte Maximilian stets gefordert, weil für das Territorialproblem nur Kaiser und Kurfürsten zuständig seien. Da es sich um die erste wesentliche Abänderung der Goldenen Bulle seit dreihundert Jahren handelte, wurden mancherlei prinzipielle Bedenken geäußert. Schließlich stimmten aber alle Gremien, auch der überwiegend protestantische Fürstenrat in Osnabrück, der Änderung mehrheitlich zu; das katholische Salzburg enthielt sich wegen finanzieller Differenzen mit Maximilian der Stimme, der Gesandte von Pfalz-Neuburg protestierte wie gewohnt gegen die Nichtbe