Darstellungen aus der Geschichte der Technik der Industrie und Landwirtschaft in Bayern: Festgabe der königlichen technischen Hochschule in München zur Jahrhundertfeier der Annahme der Königswürde durch Kurfürst Maximilian IV. Joseph von Bayern. [Reprint 2019 ed.] 9783486735109, 9783486735093


183 87 38MB

German Pages 338 [384] Year 1906

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Einleitung. Die Technik in Bayern zur Zeit der Regierung Maximilian Josephs I.
Inhalt
Ein Rückblick auf die Anfänge des technischen Schulwesens in Bayern
Münchener Architektur um 1806 und 1906
Sanitäre Zustände und Einrichtungen in München am Anfang des XIX. Jahrhunderts
Entwicklung der Beleuchtung und Beleuchtungstechnik
Bayerisches Karten- und Straßenwesen sonst und jetzt
Die Messung der Basis München—Aufkirchen und die erste topographische Aufnahme Bayerns zu Beginn des XIX. Jahrhunderts
Der Wasserbau in Bayern
Die Entwicklung des Brückenbaues und Bayerns Anteilnahme im XIX. Jahrhundert
Die Eisenbahnen und ihre Einrichtungen nach Josef von Baader
Die neuen Schnellzuglokomotiven der Pfälzischen Eisenbahnen
Ein Meisterwerk im Bau von Wasserkraftmaschinen
Feinmechanik in Bayern
Die Faserstoffindustrie (Spinnerei, Weberei, Papierfabrikation)
Die chemische Industrie Bayerns zu Anfang des XIX. und zu Anfang des XX. Jahrhunderts
Über die Glasindustrie Bayerns vor 100 Jahren und in der Gegenwart
Die Tonindustrie Bayerns in den Jahren 1806 und 1906
Das Brauwesen
Der Zustand der bayerischen Landwirtschaft vor 100 Jahren im allgemeinen
Acker- und Pflanzenbau in Bayern vor 100 Jahren
Landwirtschaftliche Tierproduktion
Recommend Papers

Darstellungen aus der Geschichte der Technik der Industrie und Landwirtschaft in Bayern: Festgabe der königlichen technischen Hochschule in München zur Jahrhundertfeier der Annahme der Königswürde durch Kurfürst Maximilian IV. Joseph von Bayern. [Reprint 2019 ed.]
 9783486735109, 9783486735093

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

DARSTELLUNGEN AUS DER

GESCHICHTE

DER TECHNIK DER INDUSTRIE UND LANDWIRTSCHAFT IN BAYERN.

DARSTELLUNGEN AUS DER G E S C H I C H T E DER TECHNIK DER INDUSTRIE UND LANDWIRTSCHAFT IN BAYERN.

FESTGABE DER

KÖNIGLICHEN TECHNISCHEN HOCHSCHULE IN MÜNCHEN ZUR JAHRHUNDERTFEIER DER ANNAHME DER KÖNIGSWÜRDE DURCH KURFÜRST MAXIMILIAN IV. JOSEPH VON BAYERN.

I . DRUCK UND V E R L A G VON' R. OI.DENBOURG. MCNCHEN UND BERLIN.

Einleitung. Die Technik in Bayern zur Zeit der Regierung Maximilian Josephs I. Festrede, gehalten bei der akademischen Jahresfeier der Technischen

Hochschule

am 8. Januar 1906 von dem derzeitigen Rektor

Walther v. Dyck. Die heutige Jahresfeier unserer Hochschule Gedächtnisses

steht

unter

an die vor hundert Jahren erfolgte A n n a h m e

d u r c h K u r f ü r s t M a x i m i l i a n IV. J o s e p h v o n

dem Zeichen

der

des

Königswürde

Bayern.

Stimmt uns die E r i n n e r u n g an jene Zeit zu ernster Betrachtung, wenn wir der T a g e tiefster Erniedrigung Deutschlands gedenken,

die Folge der Sonderpolitik

der Einzelstaaten, des Schwankens und der Unentschlossenheit der Führenden,

der

O h n m a c h t des Reiches, so erhebt uns das Bewußtsein, daß eben j e n e T a g e

den

Beginn bedeuten für die Z u s a m m e n f a s s u n g der zersplitterten Kräfte der Nation, den Vorfrühling einer neuen Zeit, die uns Befreiung und Einigung gebracht.

Walther v. Dyck.

VI Im Gespräch

mit G o e t h e

hat N a p o l e o n

über

die Schicksalstragödie

mit

den Worten geurteilt: „Was will man mit dem Schicksal, Die Politik ist das Schicksal." Damals waren schon die Widerstände im Entstehen, die zum

Zusammen-

bruch der Macht Napoleons, zur Tragödie seines Schicksals führen sollten. Die

Notwendigkeit

der

Selbsterhaltung

gebot

und

rechtfertigte

in

jener

wechselvollen Zeit gegenüber dem Druck napoleonischer Gewalt eine mit deutschnationalem Empfinden nicht im Einklang stehende äußere Politik, die mit der Macht Napoleons stand und fiel.

Die in Rußland gefallenen tapferen Bayern

waren

die

letzten Opfer jener Winterzeit, denen König L u d w i g 1. mit Recht die Worte widmen konnte: „Auch sie starben für des Vaterlandes Befreiung." Die dauernde E i n i g u n g d e r K r ä f t e aber, die schon damals die Hoffnung der Befreiung war, konnte erst in steter innerer Arbeit, nach Sturm und Drang, durch schmerzlichen Verzicht, nach neuem heißen glorreichen Kampf errungen werden. Die letzten Jahrzehnte des XVIII. Jahrhunderts hatten dem deutschen Volk eine neue Blüte der Poesie und Wissenschaft gebracht. „Zum zweiten „Begründung welche

in Poesie

Male in unserer Geschichte" —

des Deutschen und Wissenschaft

Reiches" für



die Bildung

Stellung in Europa ein neues Zeitalter eröffnete.

schreibt S y b e l

„entstand eine große unseres Volkes

in

seiner

Literatur,

und

dessen

Nach langer Nichtigkeit und Er-

bärmlichkeit fand sich Deutschland wieder in der Lage, mit berechtigtem

Selbst-

gefühl den übrigen Kulturvölkern an die Seite zu treten.

Nation

hatte

einen

Friedrich

aufzuweisen?

welche

Welche andere

andere übertraf in dichterischen

und

philosophischen Leistungen unsere Koryphäen? Im Anblick von Klopstocks, Lessings und Goethes Schöpfungen erinnerte sich das politisch zerrissene Volk an den unverwüstlichen Kern seiner geistigen Einheit und Zusammengehörigkeit.

Holsteiner

und Schwaben, Franken und Sachsen fühlten sich geeinigt in den gleichen Geisteskämpfen, in dem gleichen Sturm und Drang, in der Verwerfung alles Gemachten und

Konventionellen,

der Quelle

in

dem

leidenschaftlichen

aller Wahrheit und Schönheit.

klassisch gebildeten Geschmacke noch

Emporstreben

Mochte

König

zur echten

Friedrich

nach

Natur, seinem

so unwillig die Werke der neuen deutschen

Zeit als Plattheiten und Albernheiten bezeichnen: hier ließ ihn sein Volk im Stich. In dessen Kreisen entfaltete Lessing seine Kraft; die preußische Jugend erfüllte die Hörsäle Kants und Fr. August Wolfs, und das Berliner Publikum drängte sich zu

VII

Einleitung.

den Aufführungen, damals des Götz, wie etwas später der Schillerschen mit dankbarem

Entzücken.

Auf diesem

Gebiete gab

es

zwischen

Dramen,

Preußen

und

dem übrigen Deutschland keine Schranke mehr." „Aber aus diesem schönen Gefühle geistiger Gemeinschaft k e i n G e d a n k e an i h r e p o l i t i s c h e V e r k ö r p e r u n g h e r v o r . "

wuchs



Für diese wurde, freilich nicht in dieser Absicht, der Boden vorbereitet durch die politische Zusammenfassung einzelner Staatengruppen und Gebiete und ihre innere Verschmelzung.

Bayern von 1803 umfaßte in Altbayern, Franken, Schwaben und der

Pfalz vier Elemente von wesentlich verschiedener Stammesart.

Sie zu einem kraft-

vollen Gemeinwesen zusammenzuschließen, war die Lebensarbeit Maximilian Josephs. D i e B e d e u t u n g d i e s e s Z u s a m m e n s c h l u s s e s a b e r für B a y e r n s i n n e r e w i c k l u n g wie für s e i n e S t e l l u n g d a s J a h r 1806, d u r c h

nach außen

i s t in d e r G e s c h i c h t e

die A n n a h m e der K ö n i g s w ü r d e

Entdurch

bezeichnet.

Den Regierungsantritt des Kurfürsten feiert der Geologe F l u r l 1799 in einer akademischen Rede mit den Worten: „Wir feiern den T a g

(der Stiftung der Akademie)

in einem Zeitpunkt,

in

welchem die ganze bayerische Nation wie vom Schlummer aufgeweckt, im Vertrauen auf ihren geliebten Maximilian IV. alle jene Dinge erwartet, die da erfolgen werden und erfolgen müssen.

Unvergeßlich soll dieser Zeitpunkt bleiben, in welchem man

anfing, mit neuen Geisteskräften

die Wissenschaften

welcher den Künsten ein neues Leben,

zu bearbeiten;

ein Zeitpunkt,

den Manufakturen und Fabriken

eine neue

Betriebsamkeit, der Agrikultur eine neue Aufmunterung und dem damit verbundenen Handel einen ganz neuen Sporn geben wird." Es war eine gärende, an Widersprüchen reiche Zeit. Frost und Eis die morschen Bäume

niederbricht,

dabei

Wie im V o r f r ü h l i n g

auch

manchen

gesunden

Stamm und frischen Trieb vernichtend, und wie doch zugleich das erste Regen der neuen Lebenskraft sich zeigt, so tritt in jener Zeit der Neigung, zu zerstören, eine ebenso große Energie, Neues von Grund aus aufzubauen, an die Seite. Was inmitten jener Krisis, inmitten von Krieg und Kriegsgefahr, im Kampf mit äußeren und inneren

Schwierigkeiten

steten

allerart errungen und behauptet

worden ist, zeigt ein Blick auf die wichtigsten Unternehmungen und Schöpfungen aus der Regierungszeit Maximilian Josephs. In d e r

(hier

Hochschule

dem

vorliegenden)

Festgabe,

hundertjährigen

welche

Gedenktag

die

Technische

widmet,

sind

Walther v. Dyck.

VIII Darstellungen

aus der Geschichte

w i r t s c h a f t in B a y e r n

der Technik, der Industrie und

Land-

gegeben.

Sie wollen, in losem Z u s a m m e n h a n g e stehend, den Zustand von damals und von heute in vergleichende Betrachtung ziehen.

Alle Zweige der m o d e r n e n Technik

gleichmäßig zu berücksichtigen, war nicht die Absicht. Darlegungen

ein Bild

der gesamten Entwicklung

durch

E b e n s o w e n i g wollen den Lauf

die

des XIX. Jahr-

hunderts hindurch geben, das, so interessant an sich es ist, doch den Umfang einer Festschrift bei weitem überschritten hätte, u n d für dessen A u s f ü h r u n g auch die zur V e r f ü g u n g stehende Zeit nicht ausreichend gewesen wäre.

So sind nur einzelne

Gebiete und einzelnes aus ihnen in anspruchsloser Form h e r a u s g e h o b e n , und wird vielleicht die Auswahl zu späterer vollständiger und ausführlicher Bearbeitung des einen oder anderen Gebietes Anlaß geben. *

*

*

B e i d e r h e u t i g e n f e s t l i c h e n G e l e g e n h e i t m a g e s z i e m e n , in k u r z e n Z ü g e n die w e s e n t l i c h e n M o m e n t e h e r a u s z u h e b e n , w e l c h e die E n t w i c k l u n g d e r T e c h n i k in B a y e r n z u r Z e i t M a x i m i l i a n J o s e p h s e i n g e l e i t e t u n d B a y e r n s L e i s t u n g e n auf t e c h n i s c h e m G e b i e t e w e i t ü b e r s e i n e G r e n z e n h i n a u s Anerkennung gebracht

zur

haben.

Die stehen, soweit M a ß n a h m e n des Staates, mit M o n t g e l a s ' organisatorischer Tätigkeit und Z e n t n e r s ,

des Unterrichtsministers, Wirken in engster V e r b i n d u n g

und knüpfen sich anderseits an den bach,

Ruhm der Namen U t z s c h n e i d e r ,

Reichen-

Fraunhofer. In die erste Regierungszeit Max Josephs fällt, veranlaßt durch die franzö-

sische Heeresleitung, die g e o d ä t i s c h e L a n d e s a u f n a h m e , mit deren D u r c h f ü h r u n g das im Jahre 1801 errichtete topographische Bureau betraut wurde. französischen Ingenieur-Oberst B o n n e

Den unter dem

und dem bayerischen Kartographen

Oberst

v. R i e d e l rasch fortschreitenden Arbeiten schloß sich die auf U t z s c h n e i d e r s Vorschlag durch die Geodäten

S o l d n e r und S c h i e g g

ausgeführte

Detailvermessung

des Landes an, welche die Unterlage einer systematischen, gerechten G r u n d s t e u e r verteilung liefern sollte.

Hierbei fand Alois S e n e f e l d e r s Erfindung der Lithographie

ihre erste V e r w e n d u n g in g r o ß e m Maßstab durch die Ü b e r t r a g u n g aller Originalaufnahmen

auf Stein.

Die

D u r c h f ü h r u n g der

noch

heute

vollgültig

anerkannten

M e s s u n g e n gab weiter R e i c h e n b a c h Gelegenheit, seine in England

gewonnenen

Erfahrungen für die V e r b e s s e r u n g der Meßinstrumente zu verwerten.

IX

Einleitung.

Jene

auf Anregung

Graf R u m f o r d s

im Auftrag Kurfürst K a r l

Theodors

1791 unternommene Studienreise des jugendlichen R e i c h e n b a c h nach England, bei welcher er im Verein mit dem Bergrat B a a d e r sowohl den industriellen Großbetrieb in der Maschinenfabrik von Boulton & Watt in S o h o , auf den Bergwerken und Eisenhütten Edinburghs kennen lernte, als auch die berühmten englischen Werkstätten für astronomische und geodätische Instrumente besuchte, trug für die gesamte Entwicklung der Technik in Bayern die allerwichtigsten richtung

eines mechanischen

Früchte.

Zunächst führte sie zur Er-

Instituts, für dessen Betrieb sich R e i c h e n b a c h

dem Mechaniker L i e b h e r r verband.

mit

Die auf U t z s c h n e i d e r s Initiative und Unter-

stützung hin im Jahre 1804 erweiterte „mathematische Werkstätte" fand in F r a u n h o f e r , dem besonderen Schützling Kurfürst Max Josephs von der bekannten Katastrophe h e r ,

die ergänzende Kraft.

„optische" in Benediktbeuern

Das „mechanische Institut" in München,

brachten

die Feinmechanik

in B a y e r n ,

schon

B r a n d e r s Tätigkeit in Augsburg weltberühmt, zu einer neuen Blüte. wissenschaftliche

Forschungen

das

durch

Fraunhofers

sind z u d e m , in glücklichster Weise durch diese

technischen Leistungen unterstützt, von grundlegender Bedeutung für die Lehre vom Licht geworden.

Anderseits gewinnen Reichenbachs t e c h n i s c h e Leistungen ihren

Höhepunkt in der genialen Konstruktion seiner W a s s e r h e b e m a s c h i n e n , U t z s c h n e i d e r s weitschauender Tätigkeit Entstehung verdanken.

Auch

die wieder

als Generaladministrator der Salinen ihre

mit dem B r ü c k e n b a u von damals steht R e i c h e n -

b a c h s Name durch seine Konstruktion gußeiserner Röhrenbrücken Kam der ihnen zugrunde liegende Gedanke auch

erst später

in Verbindung.

zur Ausführung,

so

gaben doch die Arbeiten den Anstoß zur Ausgestaltung des Eisenhüttenwesens, das R e i c h e n b a c h auf Grund der Studien in England in die Wege leitete und womit er der späteren Entwicklung der E i s e n i n d u s t r i e

voranging.

Von den Maßnahmen Montgelas' zur Verbesserung der V e r k e h r s v e r h ä l t nisse

gibt W i e b e k i n g ,

dem 1805 das Straßen- und Wasserbauwesen übertragen

wurde, im Anhang zu einer akademischen Rede „Von dem Einfluß der Baukunst auf das allgemeine Wohl und die Zivilisation" (1816) das folgende anschauliche Bild: „Die bayerischen Kunststraßen sowohl als die Brücken waren des Krieges und anderer Ursachen wegen

im Jahre

1805 gänzlich in Verfall geraten.

Vorzüglich

mußten die Chausseen und Brücken in dem ehemaligen Bambergischen, in Schwaben, in Tyrol, im Bayreuthischen und Ansbachischen, im Salzburgischen, im Hundsrückund Innviertel, sowie in der Obern Pfalz und in der ehemaligen Provinz Bayern,

X

W a l t h e r v. D y c k .

von Grund aus wiederhergestellt werden.

Ohngeachtet

drei Kriege die Arbeiten

unterbrachen und die Heereszüge das Angefangene wieder beschädigten, das schlechte, unter den schmalfelgigen Rädern der bis zweyhundert Zentner ladenden Lastwagen leicht zu zermalmende Material, welches man nur in Bayern (außer in den gebirgigen Gegenden) antrifft; wiewohl dies alles große Hindernisse darbot: so wurden dennoch, von 1805 bis jetzt, zwey Tausend Stunden Chausseen, manche des Krieges wegen zweymal, vollkommen hergestellt; in Tyrol die Straßen erweitert und zu dem Ende Felsen gesprengt, Stützmauern aufgeführt und Höhen abgetragen." „Ferner sind dreyundvierzig Stunden neue Kunststraßen und neununddreißig große Brücken über die Hauptflüsse erbaut worden; unter den ersteren werde nur die zwischen Kempten und Lindau angelegte, unter den letzteren die Bogenbrücken von Mühldorf, Oettingen, Altenmark, Rosenheim, A u g s b u r g , B a m b e r g ,

Neuburg,

Rhain, München und Vilshofen genannt, weil diese täglich von vielen Reisenden angesehen und untersucht werden können.

Dann sind noch hundert und eine von

den großen Brücken restauriert und eine zahllose Menge von kleinen Brücken erneuert worden; vierzehn Hauptflußkorrektionen mit der Donau, dem Inn, der Wertach und der Isar sind ausgeführt, drey große massive Durchlaßwehre erbauet, bei Lindau am Bodensee ein geräumiger Hafen angelegt und der Bau von der großen steinernen Brücke bei München angefangen worden." Auch an Plänen für die Herstellung künstlicher Wasserstraßen fehlte es nicht; gehen doch die E n t w ü r f e f ü r e i n e n D o n a u - M a i n - K a n a l (von Karls des Großen Projekten abgesehen) bis in den Anfang des Jahrhunderts zurück.

Freilich gelang die

wirkliche Durchführung erst dem energischen Eintreten L u d w i g s I., der in dem Unternehmen ein vaterländisches Werk von allgemeinster Tragweite erblickte — das heute in erweiterter Gestalt und gefördert durch König Ludwigs Enkel aufs neue die Tatkraft der Techniker zu einem den modernen Forderungen entsprechenden Ausbau aufruft. Langsamer schritt die Förderung von G e w e r b e und I n d u s t r i e sowie die Hebung der L a n d w i r t s c h a f t z u r Z e i t Max J o s e p h s voran. Zwar entfaltete auch hier die Generallandesdirektion

mit ihren besonderen Deputationen für Salinen-, Münz-

und Bergwerke, für Kultur, Forstwesen und Bauten, für das Kommerz-, Zoll- und Mautwesen, wie in der späteren Umgestaltung die Sektionen der Ministerien eine mannigfaltige Tätigkeit; zwar boten die Aufhebung des Zunftzwanges, die Gewährung staatlicher Konzessionen im Gewerbebetrieb, die Beschränkung der Rechte der Grundherren in der Ausübung der Gewerbe, die Besserung der Verkehrswege und -mittel

XI

Einleitung.

größere Bewegungsfreiheit, erfuhr die Landwirtschaft durch Aufhebung der Leibeigenschaft, Erleichterung

der Ansiedelung und Kultivierung, Teilung und

legung der bäuerlichen Güter, Entlastung von Abgaben aber es fehlte,

besonders

in

der Industrie,

bei

Zusammen-

mannigfachste Förderung;

der Unsicherheit der

politischen

Lage, bei dem furchtbaren Tiefstand der wirtschaftlichen Verhältnisse, der nur in mühsamer, stetiger Arbeit wieder auszugleichen war, an privater Initiative, an Mut und nachhaltigen Mitteln zur Durchführung weittragender Projekte.

Der Einführung

fabrikmäßigen Betriebes, maschineller Einrichtungen stellte sich zudem die Abhängigkeit von dem überlegenen England und der aus der Sorge um die eigene Existenz entsprungene äußerste Widerstand der Gewerbetreibenden hemmend entgegen. Auch hier griff U t z s c h n e i d e r in dem Wunsche, „ d e m W o h l s t a n d nicht

dem

Reichtum

einzelner"

zu dienen, tätig, freilich mit

aller,

wechselndem

Erfolge ein; zuerst durch Gründung einer Lederfabrik, nachmals einer Tuchmanufaktur, eines Brauhauses, einer Essigfabrik, durch Fabrikation von Stärke- und Runkelrübenzucker, wie durch Ausführung von Moorkulturen und Meliorationen auf seinen musterhaft betriebenen Gütern. In der Folge hat auch die Tätigkeit gemeinnütziger Vereine, wie der in Nürnberg

schon

ländischen das

1789

gebildeten

„Gesellschaft

zur

Beförderung

I n d u s t r i e " , des 1815 errichteten P o l y t e c h n i s c h e n

Königreich

Bayern,

des

1810 ins Leben getretenen

der

vater-

Vereins

für

Landwirtschaft-

l i c h e n V e r e i n s in B a y e r n , j e länger, um so nachhaltiger gewirkt. Die allseitige Entwicklung aber aller dieser Ansätze konnte erst eintreten, als mit der Sicherung der politischen Lage die industrielle Tätigkeit und frischer Unternehmungsgeist erwacht, als, etwa von der Mitte der dreißiger Jahre ab, die allseitige Einführung des Dampfbetriebes die Technik zu größeren Aufgaben befähigte, als der Bau der Eisenbahnen —

und B a a d e r

un-

ermüdlich in Wort und Schrift hingewiesen und die dann im Jahre 1835 von

auf deren

der

kleinen Strecke N ü r n b e r g — F ü r t h

Bedeutung R e i c h e n b a c h in

Deutschland ihren Ausgang nahmen — den

Verkehr in neue Bahnen lenkte, als die Aufhebung der Zollschranken dem Austausch der Produkte nicht länger hindernd im Wege stand und als mit der systematischen Ausbildung des höheren und besonders

des technischen

Unterrichtes die nötigen

leitenden Kräfte gewonnen werden konnten. Für die Hebung des g e s a m t e n

U n t e r r i c h t e s und

Bildungswesens

ward gleichfalls zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts ein neuer Grund gelegt: Zunächst kam eine umfassende Fürsorge für den elementaren und mittleren Unterricht,

xn

Walther v. Dyck.

bessere

Dotierung

und

Einrichtung

der

Schulen

der

Verbreitung

gemein-

n ü t z i g e r K e n n t n i s s e u n d a l l g e m e i n e r B i l d u n g i m V o l k e zugute. So enthalten die ersten Stücke des neuen Kgl. Bayerischen Regierungsblattes (Januar 1806) einen Lehrplan und Instruktionen für die Kgl. Elementarschulen.

Die Einführung

des ersten großen Studienplanes der Gymnasien war 1804 v o r a n g e g a n g e n . — Schon 1800 hatte die seit I c k s t a t t s Rektorat vorbereitete V e r l e g u n g d e r U n i v e r s i t ä t von Ingolstadt

n a c h L a n d s h u t stattgefunden, zu der die h e r a n n a h e n d e Kriegsgefahr

den äußeren Anlaß bot.

Damit war auch hier eine freiere und reichere Entwicklung

eingeleitet, die mit der späteren Verlegung der Universität nach München (1826) die m o d e r n e Gestaltung herbeigeführt hat. — Im Jahre 1808 folgte d i e

Errichtung

der

Cornelius

Akademie

und K l e n z e

der bildenden

Künste.

Durch

das Wirken eines

erwachte hier aufs neue das Verständnis für

die

Schönheiten

des

klassischen Altertums und bereitete ebenso wie die s o r g s a m e Pflege und Bereicherung der K u n s t s a m m l u n g e n (mit denen die Düsseldorfer Schätze vereinigt worden waren) die k o m m e n d e

Blütezeit

der

Kunst

v o r . — Mit der 1807 erlassenen Konsti-

tutionsurkunde erhielt die A k a d e m i e

der Wissenschaften,

Mißverhältnis

und

zwischen

dem

Zwecke

den Mitteln

„um das offenbare

des Institutes zu

heben",

eine neue Organisation, welche ihren Etat erheblich vermehrte und sie mit

den

erweiterten wissenschaftlichen S a m m l u n g e n des Staates in unmittelbare V e r b i n d u n g brachte.

Die Pflege der Naturlehre mit Rücksicht auf solche Beobachtungen,

„die

dem g e m e i n e n Wesen Nutzen bringen können", auf welche, der Richtung der Zeit entsprechend, schon in der Stiftungsurkunde von 1759 ausdrücklich hingewiesen war, w u r d e damals „zur V e r b e s s e r u n g der Agrikultur, Belebung und Vervollkommnung der Industrie" mit b e s o n d e r e m Eifer a u f g e n o m m e n . Den Männern, welche wie F r a u n h o f e r u n d R e i c h e n b a c h dort in unvergleichlicher Weise theoretische und praktische Arbeiten zu verbinden wußten, sei hier neben anderen schon genannten, S ö m m e r r i n g beigezählt.

Von ihm stammt der Gedanke, die elektrolytische Z e r s e t z u n g des Wassers

zur elektrischen Z e i c h e n g e b u n g zu v e r w e n d e n ; gelegten Apparat hat er zuerst eine weiteren

in seinem 1809 der Akademie

elektrische Telegraphie verwirklicht

und

vorzu

Experimenten für die praktische D u r c h f ü h r u n g der Telegraphie angeregt.

Später (1838)

war es wieder

ein Mitglied der Münchener Akademie,

Steinheil,

welcher die Gauß-Webersche Erfindung des elektromagnetischen T e l e g r a p h e n erfolgreich ausbildete und welcher zuerst den E r d b o d e n als Rückleiter des S t r o m e s benutzte. In der

Frage

des

Tätigkeit U t z s c h n e i d e r s ,

technischen welche mit der

Unterrichtes Errichtung

ist es

technischer

wiederum

die

Fachschulen

XIII

Einleitung.

von Anfang an in nächster Verbindung steht.

Als erste Schule

dieser Art ist hier

die noch unter Karl Theodor (1790) auf Grund der Vorschläge des jugendlichen Utzschneider — der damals als Hofkammerrat

die Moorkultur in Oberbayern mit

glücklichstem Erfolge organisierte — in München errichtete F o r s t s c h u l e zu nennen, die, 1803 nach Weihenstephan verlegt, unter S c h ö n l e u t n e r s Wirksamkeit sich zu der L a n d w i r t s c h a f t s s c h u l e

erweiterte, deren hundertjähriges Jubiläum im ver-

gangenen Jahr gefeiert wurde. Die

Einleitung einer weitergehenden

Fürsorge für den technischen

richt geht auf die allgemeinen Pläne Montgelas' des Schulwesens

zurück.

Diese,

zunächst

Unter-

und Zentners zur Neuorganisation

noch allzusehr von den

utilitarischen

Maximen des zu Ende gegangenen XVIII. Jahrhunderts beeinflußt, hatten 1808 in N i e t hammers

„allgemeinem Normativ für die Errichtung öffentlicher

Studienanstalten

im Königreiche Bayern" eine festere, des Ausbaues fähige Gestalt gewonnen. dort ausgesprochene

Trennung des

humanistischen

und realistischen

Die

Unterrichtes

führte später nach der einen Richtung unter Friedrich Thiersch zum Ausbau unserer Gymnasien im Sinne des Neuhumanismus, polytechnischen

Anstalten.

Freilich

nach der anderen zur Entwicklung

konnten

die damals

hinaus für den höheren technischen Unterricht bestimmten Dauer keine Wurzel fassen. Fraunhofers

aus

dem

Ingenieurwissenschaften

über



1823 für

bei denen

die

Errichtung

auf die

Reichenbachs

einer

der

„Realschulen"

„Realinstitute"

Auch die trefflichen Vorschläge Jahre

die

Hochschule

das Pariser Muster vorschwebte —

und der

führten

erst nach weiteren Jahren schwankender Verhandlungen

und nach wesentlicher Re-

duktion

ersten

der Ziele

im Jahre

1827

Z e n t r a l s c h u l e in München.

zur

Errichtung

der

polytechnischen

Der greise, aber noch jugendfrische Utzschneider



Reichenbach und Fraunh fer waren ein Jahr vorher dahingegangen — war ihr erster Leiter.

Als dantv sechs Jahre später an Stelle der

einen

Zentralschule

die

drei

polytechnischen Schulen in München, Nürnberg und Augsburg errichtet wurden, da war es der Physiker Georg Simon O h m , den man nach Nürnberg berief, dem man bald auch die Leitung der Schule anvertraute. Von hier ab b e g i n n t Ausbau des t e c h n i s c h e n tigen Entfaltung

der

und s t e i g e n d e r

Entwicklung

U n t e r r i c h t e s in B a y e r n , g e t r a g e n v o n d e r

deutschen

l i c h e n und b i s auf d i e s e n des

in s t e t i g e r



Technik

T a g in

ebenso

Staates. *

wie von

reichstem Maße

*

*

der

bewiesenen

der

mäch-

unermüdFürsorge

XIV

Walther v. Dyck.

Einleitung.

Hier will ich schließen. A u s d e n in s t u r m b e w e g t e r Z e i t g e l e g t e n S a a t e n s i n d in t r e u e r A r b e i t , in s o r g s a m e r P f l e g e , in w e i s e r F ü h r u n g d i e S e g n u n g e n e r s t a n d e n , d i e B a y e r n in W i s s e n s c h a f t u n d K u n s t , in I n d u s t r i e u n d T e c h n i k , in H a n d e l u n d G e w e r b e , in V o l k s - u n d L a n d w i r t s c h a f t in d e m zu E n d e g e g a n g e n e n J a h r h u n d e r t d e m H a u s e W i t t e l s b a c h v e r d a n k t . B i s m a r c k hat die Anhänglichkeit zur Dynastie als eine den Deutschen vor anderen innewohnende Eigenschaft bezeichnet. Er hebt dabei zu Recht hervor, „wie der Zusammenhang des Königreiches Bayern nicht nur auf dem bajuwarischen Stamme beruht, wie er im Süden Bayerns und in Österreich vorhanden ist, sondern wie der Augsburger Schwabe, der Pfälzer Alemanne und der Mainfranke, sehr verschiedenen Geblüts, sich mit derselben Genugtuung Bayern nennen wie der Altbayer in München und Landshut, weil sie mit den letzteren durch die gemeinschaftliche Dynastie seit drei Menschenaltern verbunden sind". Hat diese Treue zu ihren Dynastien dem deutschen Volk die Einigung zum Reich erschwert, so war sie anderseits das feste Band, das, als die Zeit gekommen und die Form gefunden war, alle Glieder zum Reich zusammenschloß. Blicken wir zurück, so findet unsere Festesstimmung ihren schönsten Ausdruck in der jüngsten Botschaft unseres Regenten. Diese sieht in der patriotischen Gesinnung, die in den Festesvorbereitungen zutage tritt, einen neuen Beweis, daß alle Teile des Königreiches sich in der Vereinigung unter dem Szepter des Wittelsbacher Hauses beglückt fühlen, und sie fährt fort: „Wenn das G e f ü h l d e r Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t sich so innig g e s t a l t e t h a t , so ist d i e s n i c h t z u l e t z t in d e r E r k e n n t n i s b e g r ü n d e t , z u w e l c h e r h o h e n Stufe der k u l t u r e l l e n E n t w i c k l u n g wie der m a t e r i e l l e n W o h l f a h r t d a s L a n d in v e r e i n t e m W i r k e n v o n F ü r s t u n d V o l k u n t e r G o t t e s g n ä d i g e m B e i s t a n d s i c h e m p o r g e h o b e n hat." „Den E r r u n g e n s c h a f t e n f r ü h e r e r Zeit reiht sich als die w e r t v o l l s t e an d e r Z u s a m m e n s c h l u ß d e r d e u t s c h e n S t a a t e n z u e i n e m m ä c h t i g e n R e i c h e , in d e m B a y e r n s i c h g e a c h t e t u n d a n g e s e h e n w e i ß . D e n R ü c k b l i c k auf d i e V e r g a n g e n h e i t darf frohe Gefühl dankerfüllter Befriedigung begleiten." So die Botschaft.

hiernach

wohl

das

XV

Der Geist der

Bayern

der

durch

Zusammengehörigkeit

die

vergangenen

aber

Jahrhunderte

von

Fürst

geführt,

k o m m e n d e n g e l e i t e t , ist l e b e n d i g in d e m W a h l s p r u c h u n s e r e s „In T r e u e f e s t " . Gott segne und behüte unseren Regenten! Gott s e g n e sein Königliches Haus!

und durch

Volk, alle

Regenten:

INHALT. Seite

WALTHER v. DYCK, Einleitung.

Die Technik in] Bayern zur Zeit der Regierung Maxi-

milian Josephs I SIEGMUND GÜNTHER,

V Ein Rückblick auf die Anfänge des technischen Schulwesens in

Bayern

1

RICHARD STREITER, Münchener Architektur um 1806 und 1906

17

MARTIN HAHN, Sanitäre Zustände und Einrichtungen in München am Anfang des XIX. Jahrhunderts

37

ERNST VOIT, Entwickelung der Beleuchtung und Beleuchtungstechnik

53

SIEGMUND GÜNTHER und FERDINAND LOEWE, Bayerisches Karten- und Straßenwesen sonst und jetzt

67

MAX SCHMIDT, Die Messung der Basis München-Aufkirchen und die erste topographische Aufnahme Bayerns zu Beginn des XIX. Jahrhunderts

85

FRANZ KREUTER und ERNST HENLE, Der Wasserbau in Bayern WILHELM

DIETZ,

Die Entwickelung des Brückenbaues

91

und Bayerns Anteilnahme

im

X I X . Jahrhundert

111

WILHELM LYNEN, Die Eisenbahnen und ihre Einrichtungen nach Jos. v. Baader . . . . WILHELM LYNEN, Die neuen Schnellzuglokomotiven der Pfälzischen Eisenbahnen

.

.

129 .

145

RUDOLF CAMERER, Ein Meisterwerk im Bau von Wasserkraftmaschinen

163

ERNST VOIT, Feinmechanik in Bayern

169

EGBERT VON HOYER, Die Faserstoffindustrie, Spinnerei, Weberei, Papierfabrikation

.

.

197

GUSTAV SCHULTZ, Die chemische Industrie Bayerns zu Anfang des X I X . und zu Anfang des X X . Jahrhunderts

215

GUSTAV SCHULTZ, Über die Glasindustrie Bayerns vor 100 Jahren und in der Jetztzeit.

223

GUSTAV SCHULTZ, Über die Tonindustrie Bayerns vor 100 Jahren und in der Gegenwart

227

CARL LINTNER, Das Brauwesen

233

CARL KRAUS, Der Zustand der bayerischen Landwirtschaft vor 100 Jahren im allgemeinen

247

CARL KRAUS, Acker- und Pflanzenbau in Bayern vor 100 Jahren

263

EMIL POTT, Landwirtschaftliche Tierproduktion

277

Ein Rückblick auf die Anfänge des technischen Schulwesens in Bayern. Von Sie^mund Günther.

O l i m meminisse juvabitl

G e r n e lenkt man, wenn ein wichtiger Abschnitt

geschichtlichen L e b e n s vollendet ist, den Blick rückwärts auf die Z u s t ä n d e , welche zu Beginn des fraglichen Zeitraumes obwalteten, und ein erfreuliches Gefühl ist es immer, von den Fortschritten, die im Laufe dieser Zeit erreicht w u r d e n , Akt n e h m e n zu können.

Für das technische Schulwesen

J a h r h u n d e r t nicht nur tief ziemlich

alles B e s t e h e n d e

greifende neu

u n s e r e s Staates hat das abgelaufene

Veränderungen

geschaffen w o r d e n ,

gebracht, und

sondern

der G e g e n s a t z

es ist

so

zwischen

sonst u n d jetzt tritt hier viel schärfer hervor, als wenn man etwa die Universitäten, die Gymnasien, ja sogar die — doch gewiß einer hohen V e r v o l l k o m m n u n g teilhaftig g e w o r d e n e n — Elementarschulen ins Auge fassen wollte.

G e r a d e die ersten Jahr-

zehnte des j u n g e n Königreiches sind nach dieser Seite hin von f u n d a m e n t a l e r Bed e u t u n g g e w e s e n , was ihm um so

höher

a n z u r e c h n e n ist, als damals

ungezählte l

Siegmund Günther.

2

neue und dringende Aufgaben an das noch nicht innerlich geeinte, aus heterogenen Bestandteilen

zusammengeschweißte

Staatswesen

herantraten.

In

dankenswerter

Weise hat schon früher K l u c k h o h n ) jene Periode des Sturmes und Dranges auf 1

dem

Unterrichtsgebiete

zum

Gegenstande

und die vorliegende Skizze kann nicht Historikers anzulehnen.

monographischer

umhin,

sich

an

Darstellung

die Arbeit

des

gewählt, trefflichen

Indessen konnte doch mancher dort nur gestreifte Punkt hier

weiter ausgeführt werden, wozu eine erneute Durchsicht des von seiten Staatsministeriums

des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten

des

Kgl.

bereitwillig

zur Verfügung gestellten Aktenmateriales wesentlich beigetragen hat. Wir

verstehen

in

Bayern,

etwas

abweichend

von

dem

Sprachgebrauche

anderer deutscher Länder, unter t e c h n i s c h e n S c h u l e n alle diejenigen Lehranstalten, welche ihre Ziele entweder ganz ohne das Hilfsmittel der alten Sprachen, oder doch nur mit beschränkter Heranziehung derselben zu erreichen bestrebt sind. Sinne wird die Bezeichnung

auch

hier

angewendet.

Dies

In diesem

vorausgesetzt,

können

wir ohne Gefahr, der Übertreibung bezichtigt zu werden, die Behauptung aufstellen: Im

Jahre 1806

war

für die

Gesamtheit

der

im

Königreiche

Bayern

gefaßten staatlichen Gebilde ein technisch-realistisches Schulwesen

zusammen-

gar nicht

oder

doch nur in den allerschwächsten Anfängen vorhanden. Das ist freilich nicht zu verwundern. War doch der Name R e a l s c h u l e erst im Jahre 1706 zuerst aufgetaucht, und hatte

diese

neue Schulgattung

erst 1747 eine einigermaßen festere Form angenommen. 2 ) wendigkeit,

dem

altklassischen

Unterrichtsgange

auch

doch

sogar

In Bayern hatte die Noteinen

solchen

von

mehr

praktischer Tendenz zur Seite zu stellen, zuerst der geniale, wiewohl etwas gewalttätige Schulreformator J. A. v. I c k s t a t t

gefühlt, dessen Gedanken

zwar

zunächst

nur in sehr beschränktem Umfange verwirklicht wurden, tatsächlich aber doch für den W i s m a y r s e h e n Mittelschulplan, der von 1804—1808 im damaligen „Kurpfalzbayern" normativ war, die eigentliche Grundlage abgaben. 3 ) lichkeitstendenz, welcher man, um den scharfen

Die etwas platte Nütz-

Gegensatz gegen den

klerikalen

Charakter der bisherigen Schuldoktrin recht deutlich hervortreten zu lassen, in den maßgebenden Kreisen nur allzusehr huldigte, schädigte jedoch sowohl die eine wie auch die andere Schulgattung,

zumal

da es

auch gänzlich an Lehrern fehlte und

fehlen mußte, welche selbst die Vielzahl der ihren Schülern zu übermittelnden Kenntnisse besaßen.

Mit mehr Erfolg suchten in den ersten Jahren des X I X . Jahrhunderts

Privatanstalten unter der im praktischen Leben stehenden Jugend jenes Wissen und jene Fertigkeiten zu verbreiten, deren sie für den Kampf ums Dasein

so

dringend

Anfänge des technischen Schulwesens.

bedurften.

Halb und halb darf man hierher auch die noch in einzelnen

Reichs-

städten teils durch öffentliche Mittel, teils durch private Unterstützung helldenkender Mitglieder der Bürgerschaft

unterhaltenen

Kunstschulen4)

rechnen.

Mit ihnen

weist unverkennbare Ähnlichkeit jene Münchener „ F e i e r t a g s s c h u l e "

auf, die im

alten Kurfürstentum Bayern den ersten ernstgemeinten und auch größtenteils gelungenen Versuch der Darbietung propädeutisch-technischen Volksunterrichtes gebildet hat. Seit 1793 bestand die von K e f e r eingerichtete „Zentralfeiertagsschule" 5 ), die wenig nach seinem T o d e es bereits auf mehr denn Lehrlinge) gebracht haben soll.

Frequentanten (Gesellen und

In sie ging sehr bald auch die von

lehrer des Gymnasiums, von J. M i t t e r e r 6 ) , über.

tausend ins Leben

Wir erkennen in diesem Institute den Keim der

gerufene späteren

dem Zeichen-

Zeichnungsschule Baugewerkschulen

und stellen gerne fest, daß München auf einem noch so wenig bearbeiteten Gebiete der Didaktik mit seinem guten Beispiele bahnbrechend vorgegangen ist.

Auch

die

Ausdehnung des Prinzipes der S o n n - und Feiertagsschulen auf Gesamtbayern wurde damals

schon

von

der Regierung,

der

die

guten Früchte

der von

Kefer

und

M i t t e r e r ausgegangenen Anregung nicht verborgen bleiben konnten, als eine wünschenswerte S a c h e anerkannt.

Mit Recht hat neuerdings die Stadtgemeinde München

je eine Straße nach den beiden wohlverdienten Pädagogen benannt. Die in Nürnberg um dieselbe Epoche, nämlich 1792, von einer „Gesellschaft zur Beförderung vaterländischer Industrie" geschaffene Zeichnungsschule, den

Aspiranten

des

Gewerbestandes

an

den

Sonntagen

besucht

die von

werden

sollte,

scheint über kleine Anfänge nicht hinausgediehen zu sein. ) 7

Die Stadt wurde von den unaufhörlichen Kriegen und politischen Umwälzungen — ihr ganzes Gebiet hatte Preußen längere Zeit mit Beschlag belegt — allzu hart betroffen.

Es wäre der Mühe wert, die Ratsakten anderer Städte daraufhin zu

prüfen, ob dortselbst Veranstaltungen

verwandten

Charakters

gelegentlich

bestan-

den haben. Aus der Münchener erste

polytechnische Schule

Feiertagsschule

hat sich, wie wir sehen werden,

Bayerns entwickelt.

Ehe wir

indessen

den

die

ziemlich

umständlichen Werdegang dieser eigentümlichen, weder den Hoch- noch den Mittelschulen die

zuzurechnenden

ersten

ernsthaften,

Schulgattung wenngleich

näher betrachten,

nicht

von

dauerndem

wird es sich Erfolge

empfehlen,

gekrönten

Be-

mühungen um die Begründung staatlicher Realanstalten kennen zu lernen. Der kurz berührte W i s m a y r s c h e Schulplan hatte schon nach wenigen Jahren seine Unzulänglichkeit in ganz überzeugender Weise dargetan.

Er war noch ganz l*

4

Siegmund Günther.

unter der Herrschaft der nachgerade zu sehr in Utilitarismus klärung"

entstanden,

und

dem

von

den

Neuhumanisten

verwandelten

„Auf-

mit Entschiedenheit,

ja

Schroffheit durchgeführten Grundsatze: „multum, non multa" paßte er sich schlecht genug an.

Zwar war es noch nicht sofort diese durch F r i e d r i c h A u g u s t

Wolfs

Namen und Autorität getragene Richtung, welche den „trockenen T o n " der Aufklärer verdrängte; davon konnte erst die Rede sein, als unter L u d w i g I. der „Praeceptor Bavariae", F r i e d r i c h T h i e r s c h , mit einer fast an Omnipotenz grenzenden Machtvollkommenheit das Schulregiment

in die Hand nahm.

Durch die Berufung

des

Württembergers N i e t h a m m e r (1766—1848), der 1806 in bayerische Dienste getreten und 1808 „Zentralschulrat" in München geworden war, wurde ein Obergangszustand angebahnt.

Denn wenn auch dieser einflußreiche Mann, der sein Amt durch Heraus-

gabe einer umfangreichen Kampfschrift 8 ) inaugurierte, entschieden ein Parteigänger des wieder modern gewordenen humanistischen Leitmotives war, so kann doch bei objektiver

Beurteilung

seiner

Ideen

niemand

in Abrede

stellen,

daß

ihm

jene

schrankenlose Uberschätzung des Bildungswertes von Latein und Griechisch, welche unter T h i e r s c h in unserem engeren Vaterlande heimisch ward, völlig fremd war, und daß

er

gegen

die unrichtige Vorstellung,

es gäbe

nur einen

einzigen Weg

zur

höheren Bildung, nachhaltig Verwahrung einlegte. Da die Bedeutung des Mannes in der Fachliteratur,

die K l u c k h ö h n sehe

Schrift nicht ausgenommen, nicht so zur Geltung gelangt, wie dies zumal ein Anhänger muß,

der in

unseren Tagen

so viel

so halten wir es für angezeigt,

Erörterung

zu widmen.

besprochenen

Unterrichtsreform

seinem Auftreten eine etwas

Vor allem verdient e i n e Seite in

wünschen

eingehendere

demselben

besondere

Würdigung. N i e t h a m m e r tritt als der erste Didaktiker zielbewußt teilung

oder G a b e l u n g

ein für die Z w e i -

des höheren Unterrichtes bei gemeinsamer Unterstufe.

Er muß als der wahre und — sofern man eben diesen Standpunkt für berechtigt erachtet — wohlverdiente Vorkämpfer des Reformgymnasiums der Neuzeit hingestellt und geschätzt werden. Neben dem immerhin merkwürdigen Werke stellt sich als ein zweiter Umstand, der das „Allgemeine Normativ für die Errichtung der öffentlichen Studienanstalten fassenden

im Königreiche B a y e r n " Visitationsreise

ausgerüstete Neubayern

Schulmann gemacht

dar, in

hat. ) 9

der Der

mit bestimmen

welche zweiten

der

mit

Hälfte

ausführliche,

half,

das Ergebnis

bedeutenden

des Jahres 1808 mit

musterhafter

jener

um-

Machtbefugnissen durch AltHandschrift

und kon-

A n f ä n g e des t e c h n i s c h e n

5

Schulwesens.

zipierte Bericht darf als ein wahres Muster für derartige Fälle angesprochen werden. Leider gestattet der Raum nicht die Wiedergabe des ganzen Schriftstückes, welches einer vollständigen Veröffentlichung wohl würdig erscheint; nur auf ein paar Punkte soll

in

einer

v. Z e n t n e r

Note 1 0 )

hingewiesen

werden.

Man

begreift

aber

sehr

wohl,

daß

es beifällig aufnahm und am 21. September genannten Jahres darauf

die Worte schrieb: „Von diesem Berichte wird bei der künftigen Organisation der verschiedenen Lehranstalten Gebrauch zu machen sein." An

dieses

Reorganisationswerk

wurde

denn

auch

bald

herangetreten, und man kann, wenn man auch keineswegs

mit voller

Kraft

mit den gewaltsamen

Regierungsmaximen des Ministeriums v. M o n t g e l a s in allem einverstanden ist, den bei der gewaltigen Arbeit beteiligt gewesenen Männern die Anerkennung nicht versagen, daß in kurzer Zeit ein Schulsystem aus dem Nichts geschaffen wurde, dem ein längeres Leben und eine kräftigere Einwirkung auf die bayerische Bevölkerung zu wünschen gewesen wäre.

Niethammers

vom 16. Juni 1808 und führt die Aufschrift:

entscheidendes Gutachten ist datiert „Bemerkungen

Lehrplanes für die kön. bairischen Mittelschulen". ) 11

schnitte

von

hoher B e d e u t u n g ;

sie könnten

ganz

zu einer Revision des

Darin in

nun sind einzelne Ab-

der nämlichen Weise auch

neunzig Jahre später niedergeschrieben sein und in dem Kampfe gegen das Gymnasialmonopol figurieren.

„Müssen denn," so wird gefragt, „die beiden heterogenen

Unterrichtszwecke in e i n e r u n d derselben Lehranstalt vereinigt w e r d e n ? "

Die Natur

habe doch auch selbst dafür gesorgt, daß nicht alle Menschen über denselben Leisten geschlagen

seien. 1 2 )

Obige

„Praeliminarfrage"

sei mithin

dahin zu

beantworten,

„daß zu vollständiger Befriedigung der höheren Unterrichts-Bedürfnisse der Staatsbürger zwey verschiedene öffentliche Lehranstalten zu errichten seyen: die

Gelehrten,

die

andere

für

die

Nichtgelehrten".

Dem

die eine für

„Gymnasium"

werde

gewöhnlich die „Bürgerschule" entgegengestellt; beide Schulkategorien stimmten in ihrer letzten Absicht überein, aber die erstgenannte suche diese auf andere Weise zu erreichen, wie es eben dem Unterschiede der „Natur- und Geistesgegenstände" entspreche. Die Wissenschaftsgeschichte

darf wohl

davon Notiz

nehmen,

daß

h a m m e r lange vor H. v. H e l m h o l t z 1 3 ) die uns seitdem so geläufig

Niet-

gewordene

Gegenüberstellung von „Naturwissenschaften" und „Geisteswissenschaften" mit richtigem Einblick in deren Eigentümlichkeiten

durchgeführt hat.

An die Volksschule

schließt sich im neuen Schulplan die R e a l s c h u l e , die selbst wieder ihre Krönung durch

das R e a l i n s t i t u t —

das sei ein sinngerechterer

Ausdruck

als

„Höhere

6

Siegmund Günther.

Bürgerschule" — zu erfahren hätte.

„Die Primärschule steht sonach auch sowohl

zu dem Realinstitut als zu dem G y m n a s i u m in völlig gleichem Verhältnis und hat w e d e r auf das eine noch auf das andere jener beiden Institute eine b e s o n d e r e Rücksicht zu n e h m e n . "

N i e t h a m m e r s F ü r s o r g e erstreckt sich sogar auf die Titulaturen

der an den Mittelschulen amtierenden L e h r e r , indem darauf geachtet wird, daß die A m t s n a m e n der im gleichen

Range an den beiden verschiedenen

Schulgattungen

tätigen Männer ähnlich klingen und doch d e m bestehenden G e g e n s a t z e gerecht werden. So bildet sich denn das nachstehend beschriebene System der Schulen selbst u n d der an ihnen Angestellten h e r a u s ; u n s e r S c h e m a ist dem Schulplane unmittelbar e n t n o m m e n u n d sieht so a u s : Namen der S c h u l e n :

Namen der Lehrer:

a) P r i m ä r - oder Prinzipienschulen.

Primärlehrer, Prinzipienlehrer.

b) S e c o n d ä r s c h u l e n : a) Realschule.

Reallehrer, Realpraezeptoren.

ß) Gymnasialschule.

Gymnasiallehrer,

A) Realinstitut. „ „ B) G y m n a s i u m .

Gymnasialpraezeptoren.

Oberreallehrer, „ Obergymnasiallehrer,

Professoren.

Der Unterrichtsminister n a h m den Plan mit lebhaftem Interesse entgegen 1 4 ), unterließ es jedoch selbstverständlich Jacobs, holen. 1 5 )

v. W e i l l e r ,

Hobmann,

nicht, von seinen sachkundigen Beratern

Wismayr



gutachtliche Ä u ß e r u n g e n



einzu-

In der H a u p t s a c h e erklärte man sich mit N i e t h a m m e r einverstanden, der

am 18. September

1808 einzelne

Selbstbewußtsein zurückwies.

Einwürfe mit ziemlich

starkem

Aufgebote

von

Es g e l a n g ihm, seinen Standpunkt z u m herrschenden

zu machen und eine scharf a u s g e p r ä g t e Zweiteilung der bayerischen Mittelschulen in die Wege zu leiten. N i e t h a m m e r s Entwurf w u r d e Gesetz, allein der von ihm a n g e b o t e n e n Reform war nur ein flüchtiger Erfolg beschieden. weit sie die Realanstalten betraf, mit P a u l s e n verschmäht".

Die n e u e S c h u l o r d n u n g wurde, so16

) zu reden, „von der Bevölkerung

Es ist hier nicht der geeignete Ort, den G r ü n d e n dieser doch eigentlich

auffälligen Erscheinung n a c h z u s p ü r e n , und die Literatur gibt d a r ü b e r so gut wie gar keinen Aufschluß.

Mutmaßlich hat eben doch auch damals bereits die leidige

Berechtigungsfrage ihre Rolle gespielt. anscheinend

Die „Realschulen", also die Mittelstufe, sind

nicht einmal zu v o r ü b e r g e h e n d e r 17

Entfaltung der ihnen vom Gesetz-

geber beigelegten „Fähigkeiten" g e l a n g t ) ; „Realinstitute" w u r d e n nicht ohne starke

Anfänge des technischen

7

Schulwesens.

Inanspruchnahme der bescheidenen Mittel des Staates hergestellt, hielten nur wenige Jahre. war,

aber

Die größte Lebenszähigkeit legte, wie das sich von selber ver-

steht, die Nürnberger Anstalt an den T a g , gewähltes

sich

und

so

hielt

sie

sich

deren Lehrpersonal

von

1809 bis 1817.

ein sehr gut aus-

Ihr Direktor war der

seinerzeit weit verehrte, nach heutigen Begriffen freilich zu sehr in die nicht eben fruchtbaren Anschauungen riker G. H. v. S c h u b e r t J. W. A. Pf ä f f .

18

der damaligen Naturphilosophie verflochtene Naturhisto);

neben ihm wirkte der vielfach originelle Mathematiker

Beide Männer wurden, als ihres Bleibens in der unhaltbar gewor-

denen Stellung nicht mehr war, von bayerischen Universitäten

als ordentliche Pro-

fessoren ihrer Fächer übernommen. Daß die N i e t h a m m e r sehe Realschule etwas später,

in einer jenseits

der

Grenzen dieser Studie gelegenen Zeit, ihre Wiederauferstehung als „Gewerbe- und Landwirtschaftsschule" feierte, sei nur nebenher erwähnt, und diese hat gezeigt, daß der Grundplan der bayerischen Schulreform von 1808 ein richtiger gewesen

ist. 1 9 )

Denn über ein Halbjahrhundert haben diese Lehranstalten, an welche die Metamorphose der siebziger Jahre anknüpfen mußte, wertvolle Dienste getan, und die Bürger der zahlreichen Städte, in denen es solche gab, brachten ihren Leistungen volles Vertrauen entgegen.

Mancher hat sie nicht ohne ein gewisses Bedauern vor ihren,

allerdings den Anforderungen des Zeitalters noch besser Rechnung tragenden Nachfolgerinnen das Feld räumen sehen. Darüber, daß das Vakuum, welches mit dem Verschwinden der Realinstitute im zweiten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts

entstanden war, irgendwie

werde

ausgefüllt werden müssen, waren mit sich alle einsichtigen Schul- und Staatsmänner im reinen.

Teilweise an die uns bekannte M i t t e r e r s c h e „Feiertagsschule", teilweise

auch an die großen Muster von Paris 2 0 ) und Wien 2 1 ) knüpften diejenigen an, welche gerne eine höhere technische Lehranstalt in Bayern gegründet gesehen hätten.

Man

hielt allgemein dafür, daß eine solche nicht sowohl dem allgemeinen Bildungszwecke, wie das in Mißkredit geratene Realinstitut, sondern direkt der praktischen Fachausbildung zu dienen hätte, und der seit 1816 in München erfolgreich wirkende „Polytechnische Verein

für

Bayern"

konnte

als

eine Vorbereitung

anstrebte, mit gutem Grunde angesehen werden.

für

das,

was

man

Sonst freilich gingen die Ansichten

darüber, was zu geschehen habe, ziemlich wirr durcheinander. 2 2 )

Ein Graf

Spaur

beklagie sich mit einigem Recht, daß die Einrichtungen der kameralistischen Fakultäten der Landeshochschulen

für die Bedürfnisse

nische Fragen berufenen Verwaltungsbeamten

der zur Entscheidung über tech-

nicht recht aufkommen

könnten 2 3 );

8

Siegmund

Günther.

man solle, meint der radikale Reformer, die Universitäten lieber ganz aufheben, um ihre Mittel der neuen „Polytechnischen Anstalt" zuzuwenden, oder man solle ihnen wenigstens zu diesem Behufe die Professuren für Mathematik, Physik und Naturgeschichte nehmen!

Andere Gutachter gedachten die neue Schule

engeren Rahmen zu fassen,

und ein Professor M a r c h e a u d

Wiener Institut für einen Luxus; für Bayern

in

einen weit

erklärt 1816 das neue

dürfte eine Ausgestaltung der

beste-

henden Sonntagsschule — man bemerkt den Einfluß des wackeren M i t t e r e r — den Bedürfnissen genügen. art vernehmen. ) 21

Dieser selbst ließ sich selbstredend in der nämlichen T o n -

Doch überwogen mehr und mehr die Stimmen d e r e i n e n höheren

Zweck Verfolgenden, zumal als die erste Ständeversammlung, die des Jahres 1819, für die Förderung

der „Polytechnik",

durch welche zumal der Hungersnot Abhilfe

gebracht werden könnte, ihr gewichtiges Votum in die Wagschale warf. und Nürnberg sollten derartige Lehranstalten ist.

bekommen, was j a auch

München geschehen

Allerdings hat es sich bei Nürnberg, worauf später zurückzukommen sein wird,

etwas anders gestaltet.

Einstweilen soll lediglich von den Münchener Verhältnissen

die Rede sein. Manche Ideen, wie daß man die Akademie der Künste oder auch die der Wissenschaften

mit einem

schwanden ebenso worden waren.

der neu zu schaffenden

Institute vereinigen solle, ver-

rasch wieder von der Tagesordnung, wie sie auf diese gesetzt

Auch die „Polytechnische Sektion", mittels deren man die Akademie

zu vervollständigen

im Sinne hatte,

war nur eine ephemere

Gründung.

Als

der

Mann, auf dessen Anregung j e n e einleitenden Arbeiten begonnen wurden, ist der damalige Baurat L e o v. K l e n z e ( 1 7 8 4 — 1 8 6 4 ) zu bezeichnen. so daß selbst K l u c k h o h n

Das ist wenig bekannt,

dieses Namens keine Erwähnung tut, und um so nach-

drücklicher soll es hier ausgesprochen werden.

Seit 1815 in der bayerischen Landes-

hauptstadt tätig, hatte K l e n z e sich schon vor dem Regierungsantritte L u d w i g s I., der ihm bekanntlich besonders gewogen war, eine angesehene Stellung erworben, und so versteht man, daß sein Wort bei der mit dem polytechnischen Probleme schon lebhaft beschäftigten Regierung Anklang fand.

Verständigerweise fiel er nicht gleich

mit einem fertigen Plan ins Haus, sondern gab die Einsetzung eines Ausschusses aus den am besten dafür geeigneten Fachmännern anheim. 2 6 )

Nunmehr war das

Eis g e b r o c h e n ; die Kommission wurde gebildet, und nachdem unterm 27. Juni 1822 ein Erlaß ergangen war, daß für den Kostenpunkt die Überschüsse des Lokalmalzaufschlages

in Aussicht zu nehmen seien, erklärte am 12. Februar 1824 auch das

Finanzministerium

seine Zustimmung.

Mitglieder

des vorberatenden

Ausschusses

Anfänge des technischen

9

Schulwesens.

waren außer K l e n z e noch der bekannte (s. o.) Schulmann v. W e i l l e r , der Mathematiker S p a e t h 2 6 ) , der Physiker S i b e r 2 7 ) und der Mineralog F u c h s 2 8 ) ; G. v. R e i c h e n b a c h 2 9 ) und J. v. F r a u n h o f e r 3 0 ) scheinen erst etwas später beigezogen worden zu sein, worauf sie ein Separatvotum erstatteten. 3 1 )

Das Ansinnen

rates" J. v. B a a d e r ,

zuzugestehen, wurde vom Mini-

ihm einen stärkeren Einfluß

des

„Oberstberg-

sterium mit nichts weniger denn freundlichen Worten zurückgewiesen, und so hatte auch sein am 27. Januar 1826 eingereichtes Gegenprojekt — „es soll die Akademie der Wissenschaften für das praktische Leben wirksamer gemacht werden" — von vornherein Tag,

keine Aussicht

an welchem

auf Berücksichtigung.

die Kommission

Der

19. Februar 1825

in ihrer ursprünglichen

war

der

Zusammensetzung

ihr

Referat vorlegte, das sich größtenteils dem K l e n z e s c h e n Entwürfe anpaßte und somit das „ähnliche Institut"

in Paris zur Norm ausersah.

Als beachtenswert mag

der

Umstand angeführt werden, daß vorab S i b e r auch die Angliederung der Forstlehranstalt in Aschaffenburg als eine dringend wünschenswerte Sache hinstellte. Beschränkte man sich auf das Notwendigste, so wie es die K l e n z e s c h e n Vorschläge formulierten, so glaubte man mit zwölf Professoren ausreichen zu können. Fünf

von

diesen — für höhere Mathematik, allgemeine

und technische

Naturgeschichte und Zivilbaukunst — sollten aus den Reihen

Chemie,

der Akademiker g e -

nommen werden, so daß nur sieben neue Bestellungen sich als unumgänglich erwiesen.

Je einer dieser neuen Lehrer hatte niedere Mathematik, Straßen-, Wasser-

und Landbau (als e i n Fach gedacht), Maschinenbau, Technologie nebst Warenkunde zu vertreten; für das Zeichnen gedachte man. zwei Lehrkräfte heranzuziehen. lich war noch ein Vorstand der mechanischen Werkstätte erforderlich.

End-

Am 25. Februar

1826 gab der Minister Graf A r m a n s p e r g das gesamte Beratungsmaterial zur Einsichtnahme und Überprüfung an

„den obersten Kirchen- und S c h u l r a t " 3 2 ) hinüber.

Besonders eingehend war S p a e t h s Sonderentwurf gehalten,

der namentlich

auch

die künstlerische Seite des architektonischen Lehrauftrages beleuchtete. Die Personalfragen gaben zu sehr eingehender Diskussion Anlaß; abgesehen von den in dem zitierten Aktenhefte enthaltenen Erörterungen teres ) zum 83

weisen

wir

größten Teile in

eine

v. U t z s c h n e i d e r

36

)

damit

Note. w )

Am

angefüllt.

Ein

11. August

die vorläufige Direktion

ist noch ein wei-

paar Mitteilungen

1827

bestimmte

der

darüber

ver-

König,

daß

der neuen Anstalt führen

und von

A. v. S c h l i c h t e g r o l l in den Korrespondenzgeschäften unterstützt werden solle. Schlußstein

aber setzte ein das allerhöchste Signat,

genaueres Datum fehlt — in Bad Brückenau herauskam.

Den

welches im S o m m e r 1827



Es lautet wörtlich wie folgt:

10

Siegmund Günther.

„In M ü n c h e n s o l l e i n e p o l y t e c h n i s c h e werden,

und der Zweck

dieser Schule

Central-Schul e errichtet

in d e r h ö h e r e n

technischen

Aus-

b i l d u n g d e r j e n i g e n I n d i v i d u e n b e s t e h e n , w e l c h e s i c h d e n auf M a t h e m a t i k , Physik, Mechanik und N a t u r k u n d e gegründeten Gewerben entweder Selbstarbeiter

oder

als Aufseher

M a n u f a k t u r e n zu w i d m e n

und Werkführer

in

Fabriken

als und

gedenken."

Uber die Geschicke des Institutes, dem die Geringfügigkeit der v e r f ü g b a r e n Mittel

nur sehr langsam e m p o r z u k o m m e n gestattete, das aber in seinem engeren

Rahmen doch sehr A n e r k e n n e n s w e r t e s leistete, hat sich unsere Skizze ihrer T e n d e n z nach nicht weiter zu verbreiten.

Jene h ö h e r e akademische Rangstellung,

welche

v. U t z s c h n e i d e r niemals aus dem A u g e verlor, war es einstweilen noch nicht zu erringen i m s t a n d e ; vierzig Jahre sollten noch hingehen, ehe dieses g r o ß e Ziel ersten Direktors erreicht war.

des

Wohl aber m u ß daran erinnert werden, daß die g r ö ß t e

H a n d e l s - und Industriestadt des Königreiches



denn das war N ü r n b e r g

schon

damals — hinter der Metropole nicht zurückblieb und sich eine städtische „Polytechnische Schule" schuf, die am 2. Januar 1822, also noch vor der Zentralanstalt, feierlich eingeweiht wurde. 3 6 )

Sie hielt sich in etwas engeren Grenzen und glich

erst 1829, auf wiederholtes D r ä n g e n des Ministeriums hin, ihren Lehrplan d e m j e n i g e n der Münchener Schule an. Das Jahr 1833, welches die drei polytechnischen Schulen Münchens,

Nürn-

b e r g s und A u g s b u r g s auf eine ganz identische Grundlage stellte und zugleich z w a n z i g Gewerbeschulen als Vorbereitungsanstalten brachte, schließt dann endgültig die von uns allein geschilderte erste Periode des bayerischen technischen Schulwesens

ab.

Es war gewiß ein Zeitraum des Tastens und Experimentierens, und Mißgriffe haben nicht gefehlt.

Aber wie hätte es anders sein können, da es ja noch fast ganz

an geeigneten Vorbildern, ganz und gar an selbsterworbenen E r f a h r u n g e n g e b r a c h , und da alle Ratgeber mit Naturnotwendigkeit auf den Weg des Probierens g e d r ä n g t w a r e n ? Zieht man die wahrlich nicht e n t g e g e n k o m m e n d e n Zeitumstände in E r w ä g u n g , so wird man sogar eine gewisse V e r w u n d e r u n g darüber nicht unterdrücken können, daß Bayern in verhältnismäßig kurzer Frist, n a c h d e m seine neue staatliche Konsolidierung erfolgt war, sich des Besitzes eines in seiner Art konsequent d u r c h g e f ü h r t e n und vervollkommnungsfähigen technischen Unterrichtswesens erfreuen durfte.

Anfänge des technischen Schulwesens.

11

Literatur.

') A. Kluckhohn, Über das technische Unterrichtswesen in Bayern bis zur Gründung der polytechnischen Zentralschule in München (1827), Bericht über die Kgl. Technische Hochschule zu München für das Studienjahr 1877—1878, München 1878, S. 45 ff. !

) Ober die langsame Entwicklung des Realschulprinzipes bei Semler, Hecker und den sachlich ungefähr auf dem gleichen Boden stehenden Philanthropinisten orientiert sehr gut F. Paulsen (Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, Leipzig 1885, S. 482 ff.). 8

) P a u l s e n , a . a . O . , S. 505 ff. Kluckhohn betont (a. a. O., S. 53), daß die an die künftige Realschule gestellten Anforderungen, wie dies bei grundstürzenden Neuerungen im Bereiche des Erziehungswesens nur allzu leicht geschieht, viel zu hohe waren. 4

) Solche gab es in den altberühmten Kunststädten A u g s b u r g und Nürnberg. Die Augsburger Anstalt scheint in der uns hier angehenden Zeit ein Appendix des humanistischen Gymnasiums gewesen zu sein; denn die „Geh. Raths-Acta" (1810—1820) enthalten einen Erlaß vom 24. März 1812, kraft dessen der König „die Verbindung der Spezial-Kunstschulen mit den allgemeinen Studien-Anstalten" endgültig aufhebt. In Nürnberg war die einst unter J. v. Sandrart dem Altern hochberühmt gewesene „Malerakademie" (G. Doppelmayr, Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, Nürnberg 1730, S. 248) ganz ebenso um 1800 zum bloßen Schatten ihres einstigen Ruhmes h e r a b g e s u n k e n , wie dies so ziemlich von all den überlebten reichsstädtischen Institutionen galt. 5 ) Über diese sympathische Persönlichkeit gibt näheren Aufschluß K. A. Baader (Das gelehrte Baiern oder Lexikon aller Schriftsteller, welche Baiern im achtzehnten Jahrhundert erzeugte oder ernährte, 1. Band, Nürnberg-Sulzbach 1804, Sp. 582 ff.). Seit 1790 war F. X. Kefer (1762—1802) Aufseher und Repetitor an der kurfürstlichen Militärakademie, und zwei Jahre vor seinem Tode

Siegmund Günther.

12

wurde er kurfürstlicher Inspektor der deutschen Schulen. Was er mit seiner Schöpfung bezweckte, hat er in einem später gedruckten Vortrage dargelegt (Rede über die Absicht, den Nutzen und die wesentliche Einrichtung der in München errichteten Feiertagsschule für Handwerksgesellen und J u n g e n , München 1795). Regelmäßig wiederkehrende Berichte über den Stand der Schule veröffentlichte er während der kurzen Zeitspanne seines Lebens (Rechenschaft über den Z u stand dieser Schule bey der im Jahre 1797 vorgenommenen P r ü f u n g , München 1797; ebenso 1799 und 1801). 6

) Vgl. Biographische Notizen über Hermann Joseph Mitterer, Jahresbericht über den Bestand und das Wirken des Kunst-Vereines während des Jahres 1829, München 1829. Mitterer hatte 1784 das Münchener Lyzeum absolviert, und da ihm zum Studium der Medizin das Vermögen, zu dem der Theologie die Neigung fehlte, so wandte er sich der Kunst zu. Für sein gemeinnütziges Wirken erhielt er 1797 die Ehrenmedaille des Magistrates. Ihm ist die Einführung der wichtigen Erfindung Senefelders in weitere Kreise vornehmlich zu danken; auf seinen Antrieb hin kaufte der Staat 1808 „das Arcanum der Lithographie" an, und 1810 wurde er Eigentümer der dafür errichteten Kunstanstalt. Dem Rufe an die neue polytechnische Schule, von dem nachher die Rede sein wird, vermochte er, schon schwer an den Folgen eines Schlaganfalles leidend, nicht mehr Folge zu leisten. ') Davon handelt eine anonym erschienene Broschüre (Die Industrie Nürnbergs mit Rücksicht auf die polytechnische Schule, Nürnberg 1861). 8

) Fr. Niethammer, Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungsunterrichtes unserer Zeit, Leipzig 1808. Eine für diesen sonst so ungewöhnlich objektiven Schriftsteller unerwartet scharf zu nennende Kritik des gleich bei seinem ersten Erscheinen viel befehdeten, von dem großen Philosophen Herbart als „elend" bezeichneten Buches sehe man nach bei Paulsen (S. 552 ff.). Einseitig war es ja gewiß in hohem Grade. ") Diese Reise macht einen selbständigen Faszikel der Ministerialakten aus. Vorgebunden ist demselben ein von dem hervorragend tüchtigen Minister v. Zentner signiertes „Offenes Circular an alle Schulen-Vorstände von Bamberg, Ansbach, Nürnberg, Amberg, Straubing und Landshut". Als Aufgaben waren dem Inspizienten gestellt Untersuchungen über die Tauglichkeit und Verwendbarkeit der Lehrer, über den augenblicklichen Zustand der Anstalten, über die Schulräumlichkeiten mit besonderer Rücksicht auf deren Aptierung für andere Bestimmungen, endlich über schon vorhandene oder neu zu gründende Internate. 10 ) Die Verhältnisse im bayerischen Schulwesen müssen damals, als Niethammer mit seiner Fackel in manch dunklen Lehrsaal hineinleuchtete, vielfach recht unerquickliche gewesen sein. In Bamberg, wo die Professoren von hohen, schwer zugänglichen Kathedern aus ihre Hefte den Gymnasiasten und Lyzeisten vorlasen, waren so ziemlich alle Regeln der Erziehungslehre verletzt; der Religionslehrer war „weniger als mittelmäßig". In dem altberühmten Gymnasium Aegidianum zu Nürnberg, wo der 85jährige, schwer augenleidende Rektor Schlenk schon lange vergeblich auf seine Quieszierung wartete, fanden sich Geschichte, Geographie, Naturkunde, „Seelenlehre", ja selbst Mathematik außerordentlich vernachlässigt- Sulzbach hatte zwei konfessionell geschiedene Lehranstalten, und dabei erschien die Stadt dem Regierungskommissar sogar „für ein simultanisches Gymnasium" zu klein. Am unvorteilhaftesten präsentierte sich Straubing, wo ein Oberklässer nicht einmal „ordentlich lesen" konnte; den besten Eindruck machte Ansbach mit seinen beiden anerkannt vorzüglichen Philologen Faber und Schaefer.

Anfänge des technischen Schulwesens.

13

" ) Geheime Raths-Akten, 1807—1823. " ) In seiner Hervorhebung der abweichenden „Anlagen der Individuen" erwies sich Niethammer als psychologischer P ä d a g o g zweifellos dem ihn sonst weit überragenden Thiersch überlegen, der in der Lateinschule das Ideal einer für alle Stände gleichmäßig vorbildenden Bürgerschule zu erblicken geneigt war (Uber gelehrte Schulen mit besonderer Rücksicht auf Bayern, 3. Band, Stuttgart-Tübingen 1837, S. 9 ff.). " ) Vgl. Helmholtz, Populär-wissenschaftliche V o r t r ä g e , 1. Heft, Braunschweig 1865, S. 6 ff. Es handelt sich um die in Heidelberg am 22. November 1862 gehaltene „Akademische Festrede". u

) Am 22. Juli 1808 schreibt v . Z e n t n e r : „Ich habe diese Bemerkungen mit der sorgfältigsten Aufmerksamkeit geprüfet." '*) Das, was Jacobs in seinem Gutachten als seine Meinung ausspricht, hat zumeist Hand und Fuß; so z. B. verurteilt er auf das entschiedenste den „Kollegienzwang" der hohen Schulen. Sowohl die realistische wie die humanistische Schulbildung, fordert er, soll der Mathematik Gewicht beilegen, aber die Lehrart muß der bestehenden Verschiedenheit eingedenk bleiben. „Daher ist angewandte Mathematik, Experimentalphysik, Technologie, praktische Chemie und praktische Astronomie ein H a u p t g e g e n s t a n d der Realschule." Die Geographie sollte hauptsächlich „in Beziehung auf die Gegenstände der Naturwissenschaft gelehrt werden". " ) Paulsen, a. a. 0., S. 654 ff. " ) Schon auf Grund der Wismayrschen Schulordnung hatte man z. B. in Erlangen 1805 eine Realschule b e g r ü n d e t , die mit einem „pädagogischen Seminarium" verbunden werden und zugleich den katechetischen Übungen der theologischen Fakultät das nötige Schülermaterial liefern sollte (Engelhard, Die Universität Erlangen von 1743—1843, Erlangen s.a., S. 114 ff.). Der W u n s c h , „gebildete Manufakturisten, Kaufleute und bürgerliche Gewerbsleute" heranzuziehen, ging nicht in Erfüllung; nur ein Jahr war der jungen Anstalt vergönnt, die sich ganz von selbst wieder auflöste. 18

) Vgl. A. Wagner, Akademische Denkrede auf Gotthilf Heinrich v. Schubert, 26. März 1861.

*•) Es geht nicht an, „die kümmerlichen Gewerbeschulen" (Kluckhohn, a. a. 0 . , S. 61) als verfehlte Einrichtungen zu verurteilen. Innerhalb ihrer Sphäre haben sie Tüchtiges geleistet, und die von ihnen für die polytechnischen Schulen älterer O r d n u n g gebotene Vorbildung war durchaus keine verächtliche. Noch vor dreißig Jahren erklärte ein geachteter bayerischer Schulmann (Der Realunterricht in Preußen und Bayern; ein Beitrag zur Lösung der bayerischen Gewerbeschulfrage, München 1875, S. 34 ff.) die Agitation für nicht gerechtfertigt, welche die damals in Norddeutschland bestehenden sechskursigen Realschulen zum absoluten Vorbilde für die bayerischen Realmittelschulen genommen wissen wollte. 20

) „Die École Polytechnique" war 1794, zunächst unter dem militärischen Gesichtspunkte, ins Leben g e t r e t e n ; ihr geistiger Vater war der geniale Geometer G. Monge (1746—1818). sl

) Wien war der Sitz des ersten, diesen Namen wirklich verdienenden Polytechnikums auf deutscher Erde. Im Jahre 1814 ging das polytechnische Institut aus der tatkräftigen Initiative J. J. Prechtls (1778 — 1854), eines gebornen Unterfranken, hervor, der es dann auch 35 Jahre lang, bis zu seiner Emeritierung, mustergültig geleitet hat.

14

Siegmund Günther. 22

) Sehr a n s c h a u l i c h schildert die A n f a n g s s t a d i e n d e r auf p o l y t e c h n i s c h e Schulen a b z i e l e n d e n B e w e g u n g Kluckhohn (a. a. O., S. 58 ff.). 25

) Man vergleiche, was in dieser Festschrift an a n d e r e m Orte (in dem Aufsatz ü b e r b a y e r i s c h e s K a r t e n - und S t r a ß e n w e s e n ) über die k r a u s e Vielgestaltigkeit s t a a t s w i s s e n s c h a f t l i c h e n L e h r b e t r i e b e s b e i g e b r a c h t worden ist. " ) Geh. Raths-Acta, 1822—1826. D a s A k t e n h e f t wurde am 28. J a n u a r 1822 a n g e l e g t und t r ä g t die S p e z i a l a u f s c h r i f t : „Politechnische (sie!) Schule in München". Vom 20. D e z e m b e r 1821 s t a m m t Mitterers Memorial, nicht schlecht a b g e f a ß t , a b e r ein wenig b a n a u s i s c h und die G y m nasialbildung d e s A u t o r s nicht g e r a d e v e r r a t e n d ; das W o r t Mathematik z. B. wird zweimal falsch g e s c h r i e b e n . Für p o l y t e c h n i s c h e Schulen seien h ö h e r e M a t h e m a t i k , T e c h n o l o g i e und kommerzielle F ä c h e r ü b e r f l ü s s i g ! Ihm g e n ü g t begreiflicherweise die A u s g e s t a l t u n g seiner „Feiertagsschule". S6 ) Da diese E i n g a b e noch nicht publiziert worden zu sein scheint, so darf sie hier wohl eine Stelle finden : „ D e r U n t e r z e i c h n e t e hält es für seine Pflicht, dem h o h e n S t a a t s m i n i s t e r i u m des Inneren folgenden u n m a ß g e b l i c h e n V o r s c h l a g zu m a c h e n . Es ist s c h o n längst als a n e r k a n n t e s Bedürfniß a u s g e s p r o c h e n worden, d u r c h eine polytechnische Schule für Baiern ein Institut zu g r ü n d e n , von d e s s e n g r o ß e m und wohltätigem Einflüsse auf t e c h n i s c h e W i s s e n s c h a f t e n , Künste und H a n d w e r k d a s Beispiel m e h r e r e r N a c h b a r s t a a t e n schon m e h r e r e triftige Beweise geliefert hat. Der erste Keim einer solchen Anstalt ist nun s c h o n in der von d e m Ministerium des Inneren und der F i n a n z e n auf meinen privativen V o r s c h l a g g e g r ü n d e t e n p o l y t e c h n i s c h e n S a m m l u n g g e l e g t worden. Um aber die G r u n d s ä t z e , wonach diese S a m m l u n g angelegt, g e o r d n e t und v e r waltet werden sollte, n ä h e r zu b e s t i m m e n , war v o n beiden h o h e n Ministerien eine Commission gebildet worden, deren G e s c h ä f t e jetzt, wo die S a m m l u n g würklich b e g r ü n d e t und ihr ein D i r e k t o r e r n a n n t worden ist, a u f h ö r e n m ü s s e n . Ich g l a u b e aber dem h o h e n Ministerio des Inneren den a l l e r u n t e r t ä n i g s t e n V o r s c h l a g m a c h e n zu müssen, diese g e m e i n s c h a f t l i c h e Kommission noch fortb e s t e h e n , und von ihr einen V o r s c h l a g z u r E r r i c h t u n g von p o l y t e c h n i s c h e n Schulen b e a r b e i t e n zu lassen. Sollten sich d a n n , wie ich U r s a c h e h a b e zu glauben, alle und b e s o n d e r s die finanziellen U m s t ä n d e mit d e m allgemeinen W u n s c h e eine solche Anstalt zu g r ü n d e n vereinigen, u n d d a s h o h e Ministerium meinen a l l e r u n t e r t h ä n i g s t e n A n t r a g zu g e n e h m i g e n g e n e i g t s e i n , so wäre ich bereit, m e i n e u n m a ß g e b l i c h e n A n s i c h t e n über die Art a b z u g e b e n , in welcher ein s o l c h e r V o r s c h l a g auf commissionellem W e g e zu b e a r b e i t e n w ä r e , damit ein G a n z e s , und aus d e m R e s u l t a t e d e s s e l b e n eine Anstalt h e r v o r g i n g e , welche ohne zu weitgreifende a k t i v e und p a s s i v e Mittel d e n Keim eines e i g e n e n und inneren L e b e n s in sich trüge. In tiefer E h r f u r c h t v e r harrt L. K." — Die T a t s a c h e , daß etwas E r n s t h a f t e s im W e r k e s e i , m u ß sich rasch h e r u m g e s p r o c h e n h a b e n , denn gleich d a s n ä c h s t e Blatt des A k t e n b a n d e s enthält ein A n s u c h e n d e s „ K l a v i e r m a c h e r s g e s e l l e n " Johann Kluek, ihn bei d e m n e u e n Institute als „Modellarbeiter" a n stellen zu wollen. 26

) J. L. S p a e t h (1759—1842) war

1809, n a c h d e m seine Universität Altdorf

aufgehoben

worden, an das Lyzeum in München g e k o m m e n , um 1826 d a s O r d i n a r i a t d e r Mathematik an d e r Universität zu ü b e r n e h m e n . " ) Th. Siber (1774—1854) dozierte seit 1810 am Lyzeum, seit 1826 an der U n i v e r s i t ä t Physik u n d h ö h e r e M a t h e m a t i k .

Anfänge des technischen Schulwesens.

15

) D e r M o n t a n i s t und M i n e r a l c h e m i k e r J . N. F u c h s (1774—1856) war s c h o n s e i t 1807 als

,8

P r o f e s s o r an der Universität Landshut wirksam und siedelte mit d i e s e r 1826 n a c h M ü n c h e n über. ) Man darf wohl v e r m u t e n , daß die R e g i e r u n g z u e r s t bloß von M ä n n e r n des L e h r f a c h e s

M

s i c h b e r a t e n l a s s e n wollte und sich, e r s t als d i e s e g e s p r o c h e n hatten, an die b e i d e n weltberühmten A k a d e m i k e r wandte, die aus der P r a x i s

hervorgegangen

waren.

G. v. R e i c h e n b a c h

(1772—1826)

war damals z u g l e i c h D i r e k t o r des M i n i s t e r i a l - B a u b u r e a u s . ) D e r g r o ß e O p t i k e r J . v. F r a u n h o f e r (1787—1826) wohnte, s e i t d e m das in B e n e d i k t b e u e r n

30

b e g r ü n d e t e Institut in die R e s i d e n z v e r l e g t worden war, also seit 1823, in München als K o n s e r v a t o r des p h y s i k a l i s c h e n K a b i n e t t s der Kgl. A k a d e m i e . sl

) D i e s e zweite D e n k s c h r i f t , deren V e r f a s s e r in e r s t e r L i n i e v. R e i c h e n b a c h

war,

ihrerseits rückhaltlos mit dem philiströsen G e d a n k e n einer erweiterten H a n d w e r k e r s c h u l e .

brach Aller-

dings mußte die h ö h e r e S t e l l e den etwas h o c h f l i e g e n d e n Plan aus M a n g e l an Geld unverwirklicht lassen.

Fünfzehn P r o f e s s o r e n zu b e s t e l l e n , sah man sich in j e n e r Zeit a l l g e m e i n s t e r K a s s e n e b b e

außerstande. 3S

) V o n dieser Instanz hört man s o n s t in der früheren b a y e r i s c h e n G e s c h i c h t e nicht viel,

und es wäre d e s h a l b interessant, G e n a u e r e s ü b e r sie in Erfahrung zu b r i n g e n . a3

) Geh. R a t s - A c t a ,

1827—1828, G u t a c h t e n

gesicherten Polytechnischen „Zentralschule"

über die E i n r i c h t u n g

der im

Prinzipe

jetzt

enthaltend.

" ) Z u e r s t d a c h t e m a n daran, als M a t h e m a t i k e r entweder v. Staudt, den s p ä t e r e n g e i s t e s g e w a l t i g e n S c h ö p f e r der „ G e o m e t r i e der L a g e " , oder den A s s i s t e n t e n S c h n ü r l e i n von der S t e r n warte,

den

nachherigen

Lehrer

M e c h a n i k war S p a e t h , P h y s i k

Ludwig

Seidels,

der g e s c h i c k t e

zu

gewinnen.

Angewandte

Experimentator Kastner

Mathematik

in E r l a n g e n

a u s e r s e h e n ; die C h e m i e hätte F u c h s oder H . A . V o g e l ü b e r n e h m e n sollen.

und

vorzutragen

Die bürgerliche Bau-

kunst wollte man L. v. Klenze, die I n g e n i e u r f ä c h e r dem durch seine K a n a l p r o j e k t e b e k a n n t g e w o r denen O b e r b a u r a t v. P e c h m a n n — vielleicht a u c h dem L a n d s h u t e r I n s p e k t o r C a m m e r l o h e r — anvertrauen.

Z e i c h n e n sollte I n s p e k t o r B a r r a g a , M a s c h i n e n l e h r e S c h m i t z , der d e r e i n s t i g e

der A m b e r g e r G e w e h r f a b r i k , auf sich n e h m e n . G e y e r ( W ü r z b u r g ) und Hermann ( N ü r n b e r g ) .

Direktor

Betreffs der T e c h n o l o g i e s c h w a n k t e man z w i s c h e n L e t z t e r e r (1795—1868) wurde berufen ; er hatte zwar

am G y m n a s i u m in E r l a n g e n und N ü r n b e r g Mathematik gelehrt, v e r s t a n d s i c h j e d o c h dazu, an der n e u e n Z e n t r a l s c h u l e T e c h n o l o g i e , W a r e n - und H a n d l u n g s k u n d e

zu

dozieren;

seine

Programm-

schrift ( Ü b e r p o l y t e c h n i s c h e Institute, N ü r n b e r g 1826, 1828) mußte ihn für die ü b e r n o m m e n e Aufgabe sehr geeignet erscheinen lassen. lich a u s g e a r b e i t e t e n „Plan

Als man mit ihm in B e z i e h u n g trat, l e g t e er einen gründ-

einer t e c h n i s c h e n B i l d u n g s a n s t a l t in M ü n c h e n " vor.

Man weiß,

er 1832 die o r d e n t l i c h e P r o f e s s u r für S t a a t s w i s s e n s c h a f t und p o l i t i s c h e R e c h e n k u n s t

daß

an der Uni-

v e r s i t ä t erhielt, 1836 mit der Inspektion ü b e r die t e c h n i s c h e n L e h r a n s t a l t e n B a y e r n s betraut wurde und sich als N a t i o n a l ö k o n o m einen wohl g e r e c h t f e r t i g t e n Ruf s i c h e r t e .

Ein I m m e d i a t b e r i c h t des

Ministers Grafen A r m a n s p e r g an den M o n a r c h e n vom 3. Juli 1827 läßt es u n e n t s c h i e d e n , o b zum D i r e k t o r der Z e n t r a l s c h u l e v. U t z s c h n e i d e r , v. B a a d e r (s. o.) o d e r der in W i e n unter P r e c h t l (s. o.) herangebildete Schleißheimer scheidung

zugunsten

zwischen Vogel

und

Inspektor W i m m e r

des E r s t g e n a n n t e n . Franz

Leo

(von

gewählt

werden

solle.

Ludwig I. traf die E n t -

T e c h n i s c h e C h e m i e e r s c h e i n t in j e n e m B e r i c h t geteilt

der M i t t e r e r s c h e n

Schule),

Allgemeine

Naturgeschichte

z w i s c h e n v. S c h u b e r t und v. Kobell, und die P h y s i k war dem — r e c h t wenig b e k a n n t e n — B ü r g e r -

Siegmund Günther.

16

Anfänge des technischen Schulwesens.

schullehrer K. Egger überwiesen. Einen guten Griff tat man, als man den ehemaligen Uhrmacher J. Liebherr (1767—1840), den Gefährten eines Reichenbach und F r a u n h o f e r , zum Lehrer der praktischen Mechanik m a c h t e , und auch der Vertreter des Modellierens, Haindl, war eine tüchtige Kraft. Daß der neben Schoepf zum Professor der Zeichnungskunst berufene Mitterer seine erschöpfte Kraft dem neuen Institute nicht mehr zu widmen vermochte, haben wir oben gesehen. Als Mathematiker trat schließlich F. A. Desberger (1768—1843) ein. 3i

) Den hervorragenden Techniker und Finanzmann (1763—1840) machte K. M. v. Bauernfeind zum Gegenstande einer Monographie (Utzschneider und seine Leistungen auf staats- und volkswirtschaftlichem Gebiete, München 1880). 3a

) Vgl. v. Bauernfeind, Joh. Scharrer und seine Bedeutung für die Entwicklung der technischen Schulen und der Eisenbahnen in Bayern, Bericht über die Kgl. Technische Hochschule in München 1880-1881, S. 7 ff.

München vom Englischen Garten aus gesehen 1804. (gez. v. Dorner),

Münchener Architektur um 1806 und 1906. Von Richard Streiter. Mit 6 Tafeln,

I—VI,

und

1 Stadtplan, Tafel

VII.

D e r Anteil, den Bayern zu Beginn des X I X . Jahrhunderts an der Pflege und Entwicklung der neueren Baukunst genommen hat, beschränkt sich fast ausschließlich auf München.

Die großen freien Reichsstädte,

die um jene Zeit Bayern einverleibt

wurden (Nürnberg, Augsburg, Regensburg), hatten schon seit dem Dreißigjährigen Kriege ihre Bedeutung als wichtige Kunststätten verloren. Die fränkischen Residenzen aber, die im XVIII. Jahrhundert durch prachtliebende weltliche und geistliche Fürsten zu Mittelpunkten

einer regen

Kunstpflege, namentlich auf baulichem Gebiete,

ge-

worden waren (Ansbach, Bayreuth, Würzburg, Bamberg), wurden durch die politischen

Umwälzungen

der napoleonischen

ihres Kunstlebens beraubt.

Epoche ihrer Hofhaltungen,

damit auch

Allenthalben im Lande hatten die unruhigen, kriegerischen

Zeitläufte den Volkswohlstand schwer geschädigt, die Unternehmungslust gelähmt. Nur in der Landeshauptstadt, die durch die Vereinigung der rechtsrheinischen und pfälzischen

wittelsbachischen

Gebietsteile,

dann

durch

die

Erhebung

des

durch

weiteren Gebietszuwachs beträchtlich vergrößerten Bayern zum Königreich erhöhtes Ansehen gewonnen

und am ehesten den Bedürfnissen einer neuen Zeit Rechnung

zu tragen hatte, fehlte es nicht an einer beachtenswerten baulichen Tätigkeit. 2

Für

Richard Streiter.

18

München bezeichnet die Regierung Maximilians I. Joseph den bedeutsamen Abschnitt, in welchem aus der verhältnismäßig kleinen, durch mehrere Jahrhunderte in ihrem Umfang nicht veränderten Altstadt die im Laufe des X I X . Jahrhunderts mächtig anwachsende Großstadt sich zu entwickeln begann. Als

Lorenz v. Westenrieder

1782

seine

„Beschreibung

der

Haupt-

und

Residenzstadt München im gegenwärtigen Zustande" herausgab, stellte er eine Einwohnerzahl von 3 7 8 4 0 fest; Häuser befanden sich in der Stadt selbst 1488, auf dem Lechel, der damals einzigen Vorstadt außerhalb der Mauern, 188. festigungsanlage:

Die doppelte B e -

der innere zwiefache Mauerring mit Graben aus der Zeit Kaiser

Ludwigs des Bayern und die durch Kurfürst Maximilian I. während des Dreißigjährigen Bastionen

Krieges und

herumgelegte

äußerem

Dementsprechend

Erdumwallung

Wassergraben

umzog

mit

vorspringenden

noch

undurchbrochen

dreieckigen die

erfüllten auch die Tore noch ihre ursprüngliche Aufgabe.

lesen darüber bei Westenrieder: S o m m e r um zehn

Stadt. Wir

„Die Thore werden im Winter um neun Uhr, im

Uhr so geschlossen, daß, wer noch später ankommt, nur bey

dem sogenannten Einlaß in die Stadt kommen kann, wo dann für j e d e Person 6 kr., und für j e d e s Thier, Pferd, oder Hund, ebensoviel erlegt werden muß.

Die kleinere

Thorsperr, nach welcher die Thore zwar noch frey gelassen, von jeder Person aber ein, und von jedem Pferd zween Kreuzer abgefordert werden, geschieht nach der zu- oder abnehmenden Jahreszeit früher oder später sogleich nach dem Gebetläuten, vor welchem eine viertel Stunde mit einer sehr vernehmlichen Glocke in der Frauenpfarr geläutet wird."

Aber nicht nur durch den ziemlich frühzeitigen Schluß der

Tore, auch sonst war der Magistrat auf die Erhaltung der Ordnung und der Nachtruhe der Bürger in löblicher Weise bedacht.

Westenrieder berichtet: „Für die öffent-

liche Sicherheit ist auf das vollkommenste gesorgt, und man hat kaum ein Beyspiel, daß auf den Straßen jemand verletzt worden.

Die Patrollen schaffen (nach unserm

Ausdruck) in den Bräuhäusern zweymal ab, und wen selbe nach zehn Uhr daselbst noch findet,

wird nach der Hauptwache geführt, und da bis den andern Morgen

behalten, wo er sodann eine Geldstrafe entrichten muß.

Wer eine Freynacht, oder

die Freyheit, Gäste die ganze Nacht zu bewirthen, verlangt, muß um selbe bey dem Platzhauptmann um Erlaubniß ansuchen.

S o rufen auch, (gewöhnlich von zehn Uhr

angefangen) alle Wachen jeden Wandrer a n ; und wer sich auf einer Rauferey, oder anderm Muthwillen

betreten

läßt, wird sofort nach der Hauptwache geführt.

Die

Laternen werden (einige Zeit im S o m m e r ausgenommen) so bald es dunkel wird, angezündet.

Es seynd ihrer über 600, und sie beleuchten die Gassen trefflich.

Von

Münchener Architektur um 1806 und 1906.

19

zehn Uhr Nachts angefangen schreien die bürgerlichen Nachtwächter (mit einem Degen und Spiese bewaffnet) die Stund aus; in stürmischen Nächten rufen sie auch, man möchte sich vor Feuer bewahren." Es ist das Bild einer patriarchalisch-spießbürgerlichen Kleinstadt, das nach dieser Schilderung vom München der Zopfzeit vor uns ersteht. Aber trotz des stark konservativen Zuges und der selbstgenügsamen Anspruchslosigkeit, die dem Altbayern überhaupt eigen sind und die damals beim Münchener Bürgertum im höchsten Maße entwickelt waren, drang doch nach der ganz Europa durchzitternden Katastrophe in Frankreich etwas von dem freiheitlichfortschrittlichen Geist auch in München ein. Die Bürgerschaft hegte das dringende Verlangen, die längst zu eng gewordenen Grenzen der Stadt auszudehnen. Nur widerstrebend willigte Karl Theodor ein. Zwar gab er 1795 die Erklärung: „München hat aufgehört, Festung zu sein." Aber 1797 erließ er an den Hofkriegsrat den Befehl, daß ohne dessen Bewilligung an den Festungswerken keine Veränderung vorgenommen werden solle. Auf den Remparts und an den ehemaligen Glacis durfte kein Neubau mehr errichtet werden, ebensowenig vor den Toren auf Kanonenschußweite. Nur an einer Stelle war die äußere Umwallung schon vorher durchbrochen worden: 1789 wurde die Bastion vor dem Neuhausertor abgetragen und der Graben davor zugeschüttet. Eine gerade Ausfahrt wurde hergestellt (früher führte die Straße schräg durch einen der Dreiecksschenkel der Bastion) und der Torbau selbst zwischen den beiden äußeren kleinen Türmen etwas umgestaltet. Bei der feierlichen Wiedereröffnung im Mai 1791 erhielt das Tor den Namen „Karlstor". In den nächstfolgenden drei Jahren wurde an das Tor außen anschließend nach einheitlichem Plan eine im Halbkreis gebogene Häuserreihe aufgeführt — das sogenannte Karlsplatz-Rondell. Sonst entstanden unter Karl Theodor noch die neuen Straßenzüge der Müllerstraße und Rumfordstraße zwischen Sendlinger- und Isartor, die aber damals noch außerhalb der Umwallung als Alleen längs des Grabens hinliefen. Zur Entwicklung eines Villenviertels, der sogenannten Schönfeldvorstadt, gab die wichtigste Schöpfung Karl Theodors zur Verschönerung Münchens, die Gründung des „Englischen Gartens", Anlaß. Die Entstehung dieses herrlichen Parkes ist bekanntlich der Anregung jenes bedeutenden Philanthropen zu verdanken, der unter Karl Theodor die Seele aller gemeinnützigen Bestrebungen und Unternehmungen war, des Generalleutnants Benjamin Thomson, nachmaligen Grafen v. Rumford. Seit dem Herbst 1789 wurde der überaus glückliche Gedanke, in nächster Nähe der Stadt eine ausgedehnte öffentliche gärtnerische Anlage zu schaffen, ins Werk gesetzt. 2*

20

Richard Streiter.

„Eine lange, dürftig angebaute Fläche auf der nördlichen Seite des Hofgartens



so lesen wir in einer vor hundert Jahren erschienenen Beschreibung Münchens



und eine den Launen der wilden Cultur überlassene Waldgegend, welche 1200 Schritte von der Stadt entfernt war, der Hirschanger,

auch die Hirschau genannt,

damahls

den Jagdgerechten ausschließlich überlassen, sollten in Eines zusammenfließen, und zu der entworfenen großen Anlage in der gefälligen Gestalt englischer Gärten nützt werden.

Die Nähe der gegen Osten vorbeiströhmenden Isar, welche, damahls

noch ungedämmt, überall wilde Eilande und verwahrlostes Erlengesträuche brachte,

be-

war zu künstlichen

Kunst zu erwarten.

Bewässerungen

hervor-

geschickt, und schien die Hilfe

der

Alles das einigte sich in dem großen Plan, und begünstigte die

Ausführung desselben. . . . Man nannte diese Anlage Theodors-Park — jetzt nicht mehr das Grab eingeschlossener müde gejagter Hirschen; Menschen, die das Freie der Schöpfung lieben." wie für die Reorganisationsbestrebungen

sondern ein Lustort für frohe

Charakteristisch für die Zopfzeit

des Grafen v. Rumford

im

Militärwesen

sind noch folgende Mitteilungen: „Die Eleven der Militär-Akademie haben nicht weit von dem Eingange in den Park, an der ersten Brücke, einen zu ihren Vergnügungen gewidmeten schönen Platz mit einem Sommergebäude in der Mitte und mancherlei gymnastischen Spielen. kalischen Übungen

Sie verschaffen

wahres Vergnügen.

den Spazirenden

durch ihre vielen musi-

Zweckmäßige Jugendbildung

spricht sich

nirgends lebhafter aus, als in dieser gut geleiteten Anstalt. Unweit davon hatte man im Jahre 1789 Militärgärten angelegt, um dem Soldatenstande eine gedeihliche B e schäftigung in müßigen Stunden zu verschaffen. Der ganze, auf sehr nassen Gründen angewiesene Bezirk, den am 8. August des angezeigten Jahres die mit Grabschaufeln und Spaten

bewaffnete Mannschaft

unter feierlicher Kriegsmusik

bezog,

war ein

länglichtes Viereck, das ein Isararm durchschnitt, von 18 Morgen, welche nach den Compagnien abgetheilt,

und wovon

auf jeden

365 Quadratschuhe zur Arbeit berechnet waren. zu seinem Genüsse bestimmt.

Soldaten

der

hiesigen

Besatzung

Das Gemüse, das er erzielte,

war

Da man mit der Zeit vielerlei Unziemlichkeiten dabei

bemerkte, so lösete sich diese Anstalt gar bald selbst auf, und unter gegenwärtiger Regirung sind diese Feldstücke theilweise an fleißige Ackersleute überlassen worden." 1 ) 1795 waren die Anlagen so weit gediehen, daß sie dem Publikum geöffnet konnten.

werden

Der P a r k , der damals bis zum Wirtshaus Kleinhesselohe sich erstreckte,

enthielt von Anfang an verschiedene dem öffentlichen Vergnügen gewidmete Gebäude, so die einst sehr beliebten Wirtschaften Chinesischen Turm und die

Paradiesgarten

und Dianabad,

daneben liegende Wirtschaft.

Der

dann

den

ehrwürdig-biedere

M ü n c h e n e r A r c h i t e k t u r um 1806 und 1906.

21

Chinesische T u r m ist ein verspäteter Nachklang der in der Rokokoperiode so beliebten „Chinoiserien", wie auch die chinesisch geschweiften Metalldächer, die dem zopfiggemütlichen Wirtschaftsgebäude ein exotisches A u s s e h e n g e b e n sollten.

Diese Bau-

lichkeiten u n d der benachbarte s o g e n a n n t e Rumford-Saal, das kleine G e b ä u d e mit den Säulenportiken 2 ),

jonischen

wurden

nach A n g a b e n des Grafen v. Rumford

durch

den Ingenieuroffizier, nachmaligen Hofkriegsrat Joh. Bapt. L e c h n e r 1791—1795 ausgeführt.

Verschiedene kleinere Schmuckbauten, wie ein Rundtempelchen

mit einer

Statue des Apollo (als Allegorie auf Karl Theodor), ein Geßner-Monument, ein „otaheitisches Schirmhüttchen", eine „chinesische L a u b e " usw., sind Jahrzehnten wieder verschwunden.

in den

nächsten

Erhalten hat sich als ein hübsches Beispiel des

Übergangsstiles vom Ende des XVIII. J a h r h u n d e r t s das Rumford-Denkmal, ein Werk des Hofbildhauers Franz S c h w a n t h a l e r (des Vaters von Ludwig v. Schwanthaler), von dem auch die am ehemaligen Eingang z u m Englischen Garten an der Galeriestraße aufgestellte Jünglingsstatue — im Volksmund „ H a r m l o s " genannt — herrührt. Der Gartenkünstler,

der

die Ideen

des Grafen v. Rumford im

einzelnen

ausgestaltete u n d in die Wirklichkeit übersetzte, Friedrich Ludwig v. S e k e i l (geb. 1750 in Weilburg a. d. Lahn, gest. 1822 in München), Meister

für die Einführung des englischen

wurde

der

Gartenstiles in g a n z

bahnbrechende Süddeutschland.

Einer alten Gärtnerfamilie e n t s t a m m e n d — der Vater Joh. Wilhelm Sckell war Hofg ä r t n e r bei d e m Fürsten von Nassau-Weilburg, später in pfalzbayerischen Diensten in Schwetzingen —, hatte Sckell seine erste Ausbildung in der Gartenkunst und der damit v e r b u n d e n e n Zivilbaukunst unter Leitung seines Vaters in Schwetzingen, dann in den Gärten von Bruchsal und Zweibrücken erhalten.

Nach einem Studienaufent-

halt in Paris und Versailles reiste er 1773 mit Unterstützung des Kurfürsten Karl Theodor

nach

England,

um den neuen Geschmack,

der damals auch im übrigen

E u r o p a den französischen Gartenstil zu v e r d r ä n g e n begann, gründlich kennen zu lernen.

Vier Jahre

später

nach Schwetzingen

zurückgekehrt,

gestaltete er einen

Teil des dortigen Gartens im Auftrage des Kurfürsten im landschaftlichen (englischen) Stile um.

Das

gute

Aufgaben zur Folge.

Gelingen

dieses Versuches hatte eine g r o ß e Zahl

ähnlicher

Es entstanden in den letzten Jahrzehnten des XVIII. J a h r h u n d e r t s

nach Sckells P l ä n e n : S c h ö n b u s c h und Schöntal bei Aschaffenburg (seit 1780), der ehemalige

Militärgarten in Mannheim, die Anlagen bei der Favorite in Mainz, in

Rohrbach und Birkenau an der Bergstraße, auf dem S c h l o ß b e r g in Landshut, Karlstal bei

Trippstadt,

a. d. H a a r d t ,

Annatal

Direnstein,

bei Blieskastel, Nekarshausen

Gärten bei

bei Z w e i b r ü c k e n ,

Ladenburg,

Hernsheim

in

Dürkheim

bei

Worms,

Richard Streiter.

22

Oppenweiler in Schwaben, Werrstadt, Amorbach, Grünstadt, Oranienstein bei Limburg a. d. Lahn.

Im August 1789 wurde Sckell zur Planung des Englischen Gartens

nach München berufen, kehrte aber nach Erledigung dieses Auftrages wieder nach Schwetzingen zurück. gestanden,

folgte

Nachdem er ein Jahr im Dienste des Markgrafen von Baden

er 1804 einem abermaligen

Hofgarten-Intendant

dauernd verblieb.

Ruf nach

München,

wo er nun als

Er gestaltete den Englischen Garten weiter

aus, legte (nach einer Stiftung des Freiherrn v. Werneck) den Kleinhesseloher S e e an und wandelte auch den Park von Nymphenburg im englischen Stile um, von der unter Max Emanuel geschaffenen französischen Anlage nur die große Mittelachse, das Blumenparterre und den Kanal mit der Kaskade beibehaltend.

Der ausgezeich-

nete Ruf des Künstlers verbreitete sich weit über Bayerns Grenzen.

Man erholte

seinen Rat für den Biebricher Schloßgarten, die Anlagen bei Baden-Baden, burg bei Wien u. a.

Laxen-

Man rühmte an Sckell, daß er sich vor dem Extrem, in das

die englischen Gartenkünstler zum Teil verfielen, einer vollständigen Regellosigkeit, wohl gehütet h a b e , indem er die ältere italienisch-französische

Gartenkunst,

er die „symmetrische"

nannte, nicht ganz verwarf. )

der neueren deutschen

Gartenkunst, die längere Zeit in seinen Bahnen sich

S o wurde er der

3

wegte, bis sie durch seine Nachfolger (den Fürsten

Pückler-Muskau

die

Schöpfer be-

u. a.) weiter

geführt wurde. 4 ) Über das am Westrande des Englischen Gartens (längs der Königinstraße) noch unter Karl T h e o d o r entstandene Garten- und Villenviertel s.chrieb L. Hübner 1805: „Eine sehr glückliche Idee war unstreitig die symmetrische Anlage von Gartengebäudchen

an der oberen Chaussee

des Parks,

das Schönfeld oder die Colonie

genannt, welche die freie, offene Aussicht nach Nordost über die ganze Anlage hat; und hinter denen sich nun eine zweite zierliche Reihe von hübschen Häuschen und Gärten heranbildet,

die immer näher

kennt hier das mähliche Werden

an

das Dorf Schwabing

einer Vorstadt?

Die meisten

rückt.

Wer

ver-

Gebäude sind von

2 Geschoßen (dem Erd- und oberen Geschoße) und von 3 oder 5 Fenstern Breite; haben französische

Dachstühle

und allerlei architektonische Verzierungen, so, daß

auch für guten Geschmack gesorgt ist." (seit 1790) die Gebäulichkeiten

An der äußeren Königinstraße wurden auch

der durch den Grafen v. Rumford ins Leben

rufenen Tierarzneischule und einer damit verbundenen Schweizerei aufgeführt. Schwabing

erwarb 1800 Max IV. Joseph

den

Edelsitz

Biederstein,

Sommeraufenthalt für die kurfürstliche Familie auszugestalten.

um

ihn

geBei zum

Das Schlößchen baute

später L. v. Klenze in einfacher Weise um, den Park legte L. v. Sckell an.

Münchener Architektur um 1806 und 1906.

23

Die unter Karl Theodor in den ersten Anfängen stecken gebliebene Stadterweiterung wurde unter Kurfürst Max IV. Joseph, Bayerns erstem König, in großem Maßstabe in Angriff genommen und durchgeführt, nachdem 1801 der Festungscharakter der Stadt endgültig aufgehoben worden war. 1802—1804 wurden die Mauern und Wälle zwischen dem Karls- und Schwabingertor abgetragen (auch das an Stelle des jetzigen Bernheimerhauses in einer Bastion gelegene Kapuzinerkloster) und nach Einfüllung der Gräben der langgestreckte Maximiliansplatz geschaffen. Für das Gelände jenseits des Platzes zwischen den nach Dachau und Schwabing führenden Straßen entwarf dann eine eigens hierfür eingesetzte Lokalbaukommission einen ausgedehnten Bebauungsplan (1808), der alsbald zu einem auf den ganzen Umkreis der Stadt sich erstreckenden Generalplan erweitert wurde. Durch diesen am 1. Dezember 1812 genehmigten Plan wurde ein großer Teil des bis gegen die Mitte des Jahrhunderts zum Ausbau gelangten Straßennetzes von Neu-München festgelegt. Vor allem die sogenannte Max-Vorstadt mit dem Karolinen-, Königs- und Stiglmaierplatz und den umgebenden Straßenzügen bis hinaus zur Schellingstraße (vgl. die rückwärts beigelegte Tafel VII). Welch ein Gegensatz zwischen diesen in starrer Geradlinigkeit endlos lang verlaufenden, im rechten Winkel sich durchkreuzenden Straßen und den schmiegsam um den innersten Kern sich krümmenden und von diesem in weichen Schwingungen ausstrahlenden Straßen der Altstadt! Der allzu regelrichtige klassizistische Geist hat hier, bei aller Anerkennung einer gewissen Großzügigkeit und Weitsichtigkeit, jene trocken-schematisch auf dem Papier ablinierende Art der Straßenplanung eingeleitet, die dann leider fast durch das ganze XIX. Jahrhundert für die Stadterweiterungen in Übung geblieben ist. Im übrigen Umkreis der Stadt griff der Generalplan von 1812 nicht so weit über die Befestigungslinie hinaus. Zwischen Karls- und Sendlingertor ergab die Beseitigung des äußeren Walles und Grabens die breite Sonnenstraße, während die jetzige Herzog-Wilhelmstraße dem Zuge der Stadtmauer und des inneren Grabens folgt. Die westwärts der Sonnenstraße sich erstreckende Ludwigs-Vorstadt, nach dem Kronprinzen benannt, kam erst unter dessen Regierung zur Ausgestaltung. Zwischen dem Sendlinger- und Isartor entstanden längs der nur sehr langsam zum Abbruch gelangenden Stadtmauer die Blumenstraße und die Frauenstraße; vom Isartor nordwärts entwickelten sich die nach dem Zuge der Stadtmauer zweimal im rechten Winkel gebrochene Herrenstraße und hinter den zur Residenz gehörigen Stallungen und Remisen, weiterhin hinter der Hofgartenkaserne und St. Annamühle, die Wurzerstraße. Die nächste Umgebung der Residenz ist im Generalplan von 1812 in ihrem alten Zustand belassen. Erst 1816

Richard Streiter.

24 fiel das Schwabingertor

mit den seitlich anschließenden Gebäuden der Pagerie und

der Residenzwache; der Wall davor wurde abgetragen, die Gräben eingefüllt.

Das

im Jahre 1817 begonnene Palais des Herzogs von Leuchtenberg (später Prinz-LuitpoldPalais) erhielt seinen Platz noch an der alten Schwabinger Landstraße, die im Zuge der jetzigen Fürstenstraße

seitlich in die Bastion vor dem Tore einmündete.

Als

anfangs der zwanziger Jahre die Ludwigstraße angelegt wurde, gab die seitliche Stellung dieses Palais die Veranlassung zu der forumartigen Erweiterung des Odeonsplatzes. 6 ) Mit der Anlage der Max-Vorstadt (seit 1810 etwa) begann eine ziemlich rege Bautätigkeit, deren stilistisches Gepräge vornehmlich durch den führenden Münchener Architekten

unter

König

Maximilian I., durch

Karl v. Fischer,

bestimmt

wurde.

Was vorher unter Karl Theodor und in den ersten Regierungsjahren Max Josephs gebaut wurde, ist von geringer Bedeutung. Am ansprechendsten waren wohl einige Privatbauten,

vor allem jene Gartenschlößchen,

die teils auf Bastionen

der

Um-

wallung, teils in der Schönfeld-Vorstadt nach der noch sicheren Tradition des liebenswürdigen Zopfstiles errichtet wurden.

Dagegen

gaben

die wenigen

mit größter

Sparsamkeit ausgeführten öffentlichen Gebäude zwei tüchtigen Baumeistern, N. Schedel v. Greifenstein

und A. Gärtner,

Talente voll zu entfalten.

kaum genügende

Gelegenheit, ihre

Nikolaus S c h e d e l v. G r e i f e n s t e i n

bescheidenen

(geb. 1752 zu Waid-

haus i. d. Oberpfalz, gest. 1810 in München) war der Vertreter der Übergangsphase zwischen

Zopf

und

Klassizismus

in

Als Offizier

München.

des

kurbayerischen

Ingenieurkorps bis zum Hauptmann vorgerückt, wurde er dann als Stadtbaudirektor angestellt.

Ein Jahr vor seinem T o d e erfolgte n o c h ,

als staatliche

Anerkennung

seiner Verdienste, die Beförderung zum Oberbaukommissär im Kgl. Staatsministerium des Innern.

Er erbaute die alte Tierarzneischule (1790), das Allgemeine Kranken-

haus )

dem

6

vor

Sendlingertor ( 1 7 9 4 — 1 7 9 6 ) ,

dessen

Vorderfront

später

durch

K. v. Fischer etwas verändert wurde, das Feuerhaus am Anger (1795), die ehemalige Leibregimentskaserne am Hofgarten (1801 — 1 8 0 3 ) ,

das Max-Josephstor an der Aus-

mündung der Prannerstraße mit anstoßendem Wachgebäude (1805 vollendet), einige Schulhäuser, das Universitätsgebäude in Landshut.

Auch die äußere Umgestaltung

von Kirche und Kloster der Karmeliten (an der Pfandhaus- und

Karmelitenstraße),

die nach der Säkularisation Erziehungsinstituten eingeräumt wurden, rührt von ihm her (seit 1802).

Hier erfreuen neben der guten Gliederung der ganzen Baumasse

einige hübsche ornamentale Einzelheiten, die dem Stil Louis' X V I . noch nahestehen. —

Ganz

durch

die Schule

des

frühen

französischen

Klassizismus

ist

Andreas

25

Münchener Architektur um 1806 und 1906.

G ä r t n e r (geb. 1744

in Dresden, gest. 1826 in München), der Vater von Friedrich

v. Gärtner, hindurchgegangen. Tätigkeit

auf

den Gütern

künstlerischer

Nach

eines

harter

polnischen

Ausbildung nach P a r i s ,

Jugend und neunjähriger praktischer Grafen

wo er

wandte

er sich zu

als Inspektor bei

in Versailles Stellung fand und fast zehn Jahre verblieb.

weiterer

den Kgl. Bauten

Durch den letzten Kur-

fürsten von Trier, Klemens Wenzislaus, nach Koblenz als Baudirektor berufen, leitete er dort den Bau des Residenzschlosses

nach den Plänen Ixnards.

lösung des Fürstbistums Trier in den ersten Jahren

Nach der Auf-

der französischen Revolution

trat er in die Dienste des Fürstbischofs von Würzburg (als Artilleriehauptmann und Baudirektor). 1804 zum Hofbauintendanten in München ernannt, konnte der Sechziger neben dem jungaufstrebenden Talente K. v. Fischers kein rechtes Feld der Tätigkeit mehr finden.

Die Fassade des Kgl. Münzgebäudes (1809) ist das einzige in München

nachweisbare Werk des Meisters, den man im übrigen aus den Studien und Entwürfen kennen lernen muß, die Hans Moninger im Anschluß an die Sammlung von Plänen Friedrich v. Gärtners zusammengebracht unserer

Hochschule).

hat (in der

Neben trefflich gezeichneten

Architektursammlung

figürlichen Studien

und

dem

Idealentwurf eines großartigen öffentlichen Bades nach römischen Vorbildern, einem echten Akademieprojekt aus der Pariser Zeit, lassen namentlich einige Zeichnungen für das Residenzschloß in Koblenz (Schloßkapelle), Theaterprojekte für

Würzburg

und München (in Verbindung mit Konzertsälen) und Skizzen für dekorative Aufbauten bei festlichen Illuminationen eine gute Schulung, aber auch eine nicht allein durch den Zeitgeschmack bedingte Enge und Sprödigkeit der Phantasie ersehen.

Für den

Zuschauerraum

gewählt,

des einen Theaterentwurfes ist die elliptische Grundform

deren Vorzüge in einer ausführlichen schriftlichen Erläuterung begründet werden



ein bemerkenswerter Versuch für den Übergang von den als Rechteck mit abgerundeten Ecken gestalteten Theatersälen der Barockzeit zu den im überhöhten Halbkreis umschlossenen der klassizistischen Periode. Großzügiger, kräftiger war die künstlerische Art des Karl v. F i s c h e r . den von

ihm

gepflegten

napoleonischen

Klassizismus

wird

gewöhnlich

Weinbrenner in Karlsruhe als Hauptvertreter in Deutschland genannt.

Für

Friedrich

Aber

schon

Kronprinz Ludwig hat mit sicherem Urteil erkannt, daß Fischer vor Weinbrenner den Vorzug Friedrich

verdiene. 7 )

Geboren

am

19. September

1782

in Mannheim,

Karl v. Fischer, dessen Begabung und Neigung zur Baukunst

sich zeigten,

wurde

frühzeitig

1796 Schüler des kurfürstlichen Oberbaudirektors Maximilian v. Ver-

schaffelt, dem er nach München und nach dem Übertritt des Lehrers in die Dienste

26

Richard Streiter.

des Fürsten Esterhazy (1801) auch nach Wien folgte. tischen Studien

an

der Kunstakademie

Dort fand er neben theore-

auch Gelegenheit,

sich an den von Ver-

schaffelt ausgeführten Bauten praktische E r f a h r u n g e n zu erwerben. Zur weiteren Ausbildung unternahm er eine Studienreise durch Frankreich und Italien (1806—1808). Wie die B e g r ü n d e r

des Style de l'empire, Napoleons Hofarchitekten Percier u n d

Fontaine, w ä h r e n d ihres Aufenthaltes in Italien fast mehr als mit den Denkmalen der Antike mit den Bauwerken so auch Fischer.

der strengen Renaissance sich beschäftigt hatten,

Unter seinen Z e i c h n u n g e n (in der Architektursammlung u n s e r e r

Hochschule) finden sich sehr sorgfältig in g r o ß e m Maßstabe aufgetragene F a s s a d e n darstellungen der Paläste Pitti u n d Pandolfini in Florenz

und

der

Perraultschen

Ostfassade des L o u v r e , jenes m e r k w ü r d i g e n Werkes, das den Sieg des klassischen Geistes

in

der

Nach München

Pariser

Architektenschaft

zurückgekehrt,

schon

w u r d e Fischer

unter

Ludwig

XIV.

entschied.

zum Lehrer der Baukunst

an

der

Kunstakademie ernannt (1809), n a c h d e m er mit seinem ersten, noch w ä h r e n d

des

Wiener Aufenthaltes zur A u s f ü h r u n g gebrachten Bau, dem Palais des Herzoglich

Zweibrückischen

ehemaligen

Ministers Abbé von Salabert am E i n g a n g

des

Eng-

lischen Gartens, eine höchst achtunggebietende P r o b e seines Könnens abgelegt hatte. Dieses G e b ä u d e (nachmals Prinz-Karl-Palais, jetzt Sitz der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft)

mit

seiner kräftigen,

wohl

abgestimmten

und

Form-

b e h a n d l u n g im palladianischen Geiste macht noch heute am Kopfende der

langen

und breiten P r i n z r e g e n t e n s t r a ß e eine starke Wirkung.

Gliederung

D a ß der viersäulige Giebel-

vorbau in der Mitte zu der g a n z e n B a u m a s s e in einem nicht ganz befriedigenden Verhältnis steht, ist nicht Schuld d e s Architekten.

Das G e b ä u d e

war

ursprünglich

breiter geplant, w u r d e aber dann auf Wunsch des Bauherrn seitlich verkürzt, daß der Mittelbau verändert

werden

durfte.

Vorstadt hatte Fischer den Löwenanteil.

An

der

ersten B e b a u u n g

ohne

der Max-

Seit 1810 errichtete er am Karolinenplatz

u n d an den benachbarten Straßen 14 H a u p t - u n d N e b e n g e b ä u d e , die dereinst jenem Stadtteil das charakteristische G e p r ä g e verliehen.

Sie w u r d e n fast alle in neuerer

Zeit durch Umbau völlig verändert, so auch die beiden, deren G r u n d - und Aufrisse nach den Originalplänen

hier

vorgeführt werden (Palais des Freiherrn v. Asbek,

später d e m Grafen Bassenheim gehörig, am Karolinenplatz; W o h n h a u s des Grafen zu P a p p e n h e i m , jetzt vom päpstlichen Nuntius bewohnt, an der Briennerstraße). Es sind dies bezeichnende Beispiele für das Streben der klassizistischen

Architekten

nach Monumentalität auch im Wohnhausbau, wobei die Rücksichten auf und b e q u e m e

Bewohnbarkeit m a n c h m a l bedenklich

in den Hintergrund

praktische gedrängt

Münchener Architektur um 1806 und 1906.

wurden.

27

Bei dem v. Asbekschen Palais gab wohl Palladios Villa Rotonda die An-

r e g u n g zu dem kreisrunden, durch beide G e s c h o s s e hindurchreichenden Mittelraum, welchem b e r ü h m t e n Motiv die direkte Z u g ä n g ü c h m a c h u n g der meisten Z i m m e r des O b e r g e s c h o s s e s z u m Opfer gebracht wurde.

Im äußeren Aufbau bewährte Fischer

ein sicheres Gefühl für gute Verhältnisse und kräftige, edle Detailbildung,

wodurch

er seinen Bauten bei aller Beschränktheit der aufgewandten Mittel eine gewisse vorn e h m e Haltung zu geben wußte.

Wie m a n c h e r a n d e r e Künstler seiner Zeit, in der

die „noble simplicité" nicht nur als Kunstdogma, sondern auch aus wirtschaftlichen G r ü n d e n gefordert wurde, verstand es Fischer sehr wohl, aus der Not eine T u g e n d zu machen.

Die Schlichtheit dieser Kunst, aus der man den Ernst einer schweren,

keinem üppigen Luxus Raum bietenden Zeit herausfühlt, b e r ü h r t noch heute an dem im ursprünglichen Zustand erhaltenen, ehemals für den Kronprinzen Ludwig erbauten Palais Törring-Jettenbach am Karolinenplatz mit den beiden vortrefflich behandelten N e b e n g e b ä u d e n sympathisch. — Fischers Hauptwerk ist das Kgl. Hof- und Nationaltheater. Schon in Wien hatte der Meister Vorstudien zu dieser großen, seit längerem in der Luft liegenden Aufgabe 8 ) gemacht.

Er fertigte damals einen

vollständigen

Entwurf zu einem neuen Theater in München an und einen zweiten für ein neues O p e r n h a u s in Wien, Diese Pläne,

letzteren unter Leitung des Wiener Hofarchitekten v. Platzer.

d e m Minister Grafen v. Montgelas

vorgelegt,

fanden dessen

vollen

Beifall u n d trugen dem Künstler den Auftrag ein, unter beratender Mitwirkung einer hierzu eingesetzten Kommission einen neuen, für die Bedürfnisse und örtlichen Verhältnisse Münchens

b e s o n d e r s berechneten Entwurf

Ausführung angenommen

wurde.

auszuarbeiten,

Am 26. Oktober 1811

der

dann zur

legte Kronprinz Ludwig

den Grundstein auf dem Platze des nach der Säkularisation niedergelegten Franziskanerklosters, im Oktober 1818 w u r d e das G e b ä u d e seiner B e s t i m m u n g übergeben, obwohl das Äußere noch nicht vollendet war. Wenige Jahre später, am 14. Januar 1823, zerstörte

ein

nächtlicher

Brand

das

Theater

bis auf

herstellung leitete nun L. v. Klenze unter Beibehaltung

die

Die

Wieder-

der v o r h a n d e n e n

Mauern.

Mauern

im wesentlichen nach dem alten Plane. Am 2. Januar 1825 fand die feierliche Wiedere r ö f f n u n g statt.

Das Gebäude, wie es jetzt steht, ist also in der Gesamtanlage und

der Außenarchitektur Fischers Werk

mit der imposanten Säulenvorhalle am M a x - J o s e p h s p l a t z als

a n z u s e h e n 9 ) , w ä h r e n d die dekorative Ausstattung des Innern

natur-

g e m ä ß fast ganz Klenze zuzuweisen ist. — Unter den nicht zur Verwirklichung gelangten Projekten Fischers interessieren b e s o n d e r s Entwürfe z u m Tor des Botanischen Gartens, zu einer völligen Umgestaltung des Karlstores (beide in m e h r e r e n Varianten),

28

Richard Streiter.

zur Glyptothek und zur Walhalla, die letzteren entweder auf direkte Bestellung des Kronprinzen Ludwig oder gelegentlich

des Preisausschreibens entstanden, das die

Akademie der bildenden Künste auf Veranlassung des Kronprinzen im Februar 1814 hatte ergehen lassen. Der Glyptothekentwurf, eine sehr tüchtige Leistung in römischem Klassizismus,

zeigt an der Vorderfront einen korinthischen

schlossenen, ruhigen Wandflächen, sehr ähnlich bauten Kunstausstellungsgebäude.

Portikus

zwischen

ge-

dem später durch F. Ziebland er-

Die Walhalla ist als griechisch-dorischer Perip-

teraltempel geplant, wie es der Kronprinz schon 1811 ausdrücklich wünschte. 1 0 )

Die

Ausführung der beiden großen Aufgaben fiel bekanntlich Leo v. Klenze zu, der auf Betreiben des Kronprinzen Ludwig 1815 nach München berufen worden war und der nun mit der vollen Gunst des Kronprinzen fast alle vom Hofe ausgehenden Aufträge an sich zog. (1816 wurde die Glyptothek, 1817 das Leuchtenberg-Palais, 1818 die Hofreitschule und das Hofgartentor an der Ludwigstraße nach Klenzes Plänen begonnen.) Ein früher Tod — am 11. Februar 1820 — bewahrte Fischer vor der bitteren Erfahrung,

sich

mehr und mehr von dem gewandteren Nebenbuhler in den Schatten gestellt zu sehen. Es ist bezeichnend für die im damaligen Bayern verfolgten Ideen von Aufklärung und Volksbildung, daß gleichzeitig mit dem Hoftheater ein zweites Theater in München erbaut wurde, das Volkstheater vor dem Isartor (eröffnet am 10. Oktober 1812).

Das mit bescheidenen

Mitteln und wenig Kunst nach dem Plane des Kgl.

Baudirektors E. d ' H e r i g o y e n Bestimmung.

errichtete Gebäude 1 1 )

diente nur kurze Zeit seiner

1826 wurde das Theater geschlossen und später als städtisches Leih-

haus in Verwendung

genommen.

E. d'Herigoyen

erbaute noch das Tor des 1812

angelegten Botanischen Gartens und die Gewächshäuser, weichen

mußten.

Von

sonstigen

baulichen

die 1854 dem Glaspalaste

Unternehmungen

König Maximilians I. verdienen noch erwähnt zu werden:

der

Regierungszeit

die Erweiterung des (seit

1577 bestehenden) Friedhofes vor dem Sendlingertor zum Hauptfriedhof,

nachdem

1789 die Aufhebung der im Innern der Stadt (bei der Frauen-, Peters-, Salvatorund Kreuzkirche) gelegenen Kirchhöfe angeordnet worden war. gab

dem

Plane

„sinnigerweise"

die Form eines Sarges

und

Baurat J. M. V o r h e r r baute

an

gerundeten Kopfende die mageren Arkaden und die Leichenhäuser (1818).

dem

ab-

Den be-

ginnenden Militarismus des X I X . Jahrhunderts kündigten zwei weitere Kasernenbauten a n : die Kürassierkaserne an der Zweibrückenstraße (1812 beg.) und die Infanteriekaserne an der Türkenstraße

(1824 beg.), beide im ödesten „Kasernenstil"

den Militär-Oberbaumeister Franz v. T h u m Oberbaurat P e r t s c h

errichtet.

durch

Die (1820—1826) durch den

erbaute Fronfeste am Anger gehört, nach v. Rebers treffender

Münchener Architektur um 1806 und 1906.

29

Bemerkung 1 2 ), „zu den glücklichen S c h ö p f u n g e n , in welchen der schwere Stil j e n e r Zeit zur B e s t i m m u n g des G e b ä u d e s vollkommen p a ß t ; auch ist daran die Kenntnis Piranesis wie der Fortifikationsbauten Sanmicheiis u n v e r k e n n b a r " .

Viel weniger g e -

lang demselben Architekten sein zweites g r ö ß e r e s Werk, die protestantische Kirche an der S o n n e n s t r a ß e (1827—1833 erb.), deren ungeschlachte, trockene äußere Ers c h e i n u n g z u m Teil bedingt wird durch die Vortäuschung g r o ß e r glatter Q u a d e r flächen in Verputz.

Wie Pertsch und der Kgl. Baurat J. N. H i m b s e l ,

der das

B a z a r g e b ä u d e am Hofgarten (1822—1828) u n d mehrere Schulhäuser (an der Luisen-, Maffei- und Von der T a n n - S t r a ß e ) mit ziemlich einförmiger, r u n d b o g i g e r U m r a h m u n g der Fenster- und T ü r ö f f n u n g e n ausführte, reicht auch Jean M e t i v i e r (geb. 1781 in Rennes, gest. 1853 in München) mit seiner Tätigkeit in die Regierungszeit Ludwigs I. hinüber.

Dieser in Paris ausgebildete Architekt kam 1811 nach München u n d er-

freute sich als F r a n z o s e der besonderen Gunst des Ministers v. Montgelas, für den er ein Palais am Karolinenplatz ausführte (1873 im Äußern ganz verändert). a n d e r e Adelshäuser

folgten.

Westenriederstraße besteht

Einige

Die von ihm (1824—1826) erbaute S y n a g o g e an der nicht mehr.

Erhalten blieb das ehemalige Bayersdorf-

Palais an der Briennerstraße (jetzt im Besitz des Grafen Almeida) als guter Z e u g e für die elegantere Art des Künstlers, der in der Innendekoration Klenze an Feinheit übertraf. *

*

*

Mit der G r u n d s t e i n l e g u n g zur Glyptothek (1816) beginnt künstlerisch die Ära Ludwigs I., deren außerordentliche B e d e u t u n g für die bauliche Entwicklung NeuMünchens allgemein bekannt ist.

Die g r o ß e Zahl monumentaler Bauwerke, die der

kunstbegeisterte König durch seine beiden Lieblingsarchitekten Leo v. K l e n z e

und

Friedrich v. G ä r t n e r , dann durch Gg. Friedrich Z i e b l a n d und Joseph O h l m ü l l e r erstehen ließ, bietet bereits ein getreues Spiegelbild jener m e r k w ü r d i g e n W a n d l u n g , wonach die Architektur des XIX. J a h r h u n d e r t s grundsätzlich von der f r ü h e r e r Epochen sich u n t e r s c h e i d e t : an Stelle eines einheitlichen Zeitstiles trat die gleichzeitige Wiederv e r w e n d u n g des F o r m e n s c h a t z e s verschiedener Zeiten und Völker der Vergangenheit. Innerhalb weniger Jahrzehnte hatte sich dieser Zustand herausgebildet, der schon in den vierziger Jahren von deutschen Architekten viel beklagt wurde. Den B e s t r e b u n g e n , die neue Sachlage zu ändern, die Wiedererlangung eines „einheitlichen, zeitgemäßen Baustiles" herbeizuführen, wandte König Maximilian II. sein b e s o n d e r e s Interesse zu Die B e b a u u n g der von ihm (1852) geschaffenen, nach ihm benannten Straße

blieb

der im größten Maßstabe u n t e r n o m m e n e , beachtenswerteste Versuch, der in

dieser

30

Richard Streiter.

Richtung in Deutschland angestellt wurde. Daß dieser Versuch, dem Fr. B ü r k l e i n , E. R i e d e l u. a. ihre allerdings nicht sehr starken künstlerischen Kräfte widmeten, so wenig gelungen ist, hat seine Ursache nicht so ganz in der z u g r u n d e liegenden Idee, als vielmehr darin, daß die Idee mit e i n e m Schlage, in künstlicher Z ü c h t u n g verwirklicht werden sollte.

Und

wohl auch in der damals allgemein in Deutschland

h e r r s c h e n d e n Unsicherheit des künstlerischen Geschmackes, die namentlich Kunstg e w e r b e und Kunstindustrie in den fünfziger u n d sechziger Jahren die letzten Reste der noch in der „Biedermeierzeit" festgehaltenen, guten Tradition verlieren ließ.

Bald

wurden die Stilexperimente als aussichtslos wieder a u f g e g e b e n ; man fügte sich in die Vielsprachigkeit

der

neueren Baukunst als in eine durch den

Geist der Zeit tiefbegründete Notwendigkeit.

geschichtlichen

Nach d e m Vorgange S e m p e r s knüpfte

G. v. N e u r e u t h e r , der f ü h r e n d e Münchener Architekt unter König Ludwig II., an die italienische Renaissance wieder an, nicht mit der schweren, das Einfach-Massige b e v o r z u g e n d e n Auffassung vom Anfang des Jahrhunderts, s o n d e r n nach den Vorbildern der reich u n d fein gegliederten, festlich-heiteren Werke der Hochblüte.

In

der Profanarchitektur und im K u n s t g e w e r b e folgte rasch der Ü b e r g a n g zur deutschen Renaissance und z u m B a r o c k ; für Kirchen kamen fast ausschließlich die mittelalterlichen

Stile, zunächst

die

Gotik

oder der

Rundbogenstil

in byzantinischer

und

italienischer F ä r b u n g , später auch der nordisch-romanische Stil, zur A n w e n d u n g . Bei dieser Pflege der historischen Stile führte die außerordentliche Mehrung und

Verbreitung

kunstgeschichtlicher

Kenntnisse,

die

durch

die

Photographie

g e w o n n e n e u n a b s e h b a r e Menge objektiv richtiger, die kleinsten Einzelheiten getreulich w i e d e r g e b e n d e r Abbildungen zu immer g r ö ß e r e r Vertiefung und Verfeinerung, zu einer oft erstaunlich vollkommenen B e h e r r s c h u n g der verschiedenen

künstlerischen

Ausdrucksweisen der Vergangenheit unter Belauschung u n d Wiederverwertung intimster Züge.

In dieser Hinsicht g e r a d e nimmt das,

was Münchener Architekten

letzten Jahrzehnten geschaffen, unter den Leistungen Gegenwart eine h e r v o r r a g e n d e Stelle ein.

in den

der deutschen Baukunst

der

Die St. Annakirche von Gabriel v. S e i d l ,

die St. Bennokirche von Leonhard R o m e i s , die St. Maximilianskirche von Heinrich v. S c h m i d t ,

die St. Paulskirche von G e o r g v. H a u b e r r i s s e r ,

kirche von August T h i e r s c h , kirche von Albert S c h m i d t ,

die S y n a g o g e u n d die protestantische die Friedhofbauten von H a n s G r a s s e l

von starkem, echtem S t i m m u n g s g e h a l t gerechter Durchbildung.

die St. Ursula-

u n d sehr

gediegener,

St. Lukassind Werke

reizvoller,

material-

Aber nicht nur an Kultbauten, bei denen der enge Anschluß

an die S c h ö p f u n g e n einer glaubenskräftigen Vergangenheit nach der Natur der Aufgabe

31

Münchener Architektur um 1806 und 1906.

am nächsten liegt, auch bei der L ö s u n g neuzeitlicher, zum Teil sehr umfangreicher und verwickelter B a u p r o g r a m m e bewährte sich ein im hingebenden u n s e r e r Väter Werken gereiftes b e d e u t e n d e s

Können.

So

beim

Studium

von

Justizpalast

von

Friedrich v. T h i e r s c h mit der i m p o s a n t e n , p r ä c h t i g e n , von m o d e r n e r Eisen-GlasKuppel überdeckten Mittelhalle und feinen, phantasievollen dekorativen Einzelheiten; so beim Nationalmuseum der R a u m a n o r d n u n g

von Gabr. v. Seidl mit der unübertrefflichen A n p a s s u n g

und -ausstattung an

die aufgestellten K u n s t w e r k e ;

so beim

Künstlerhaus desselben Architekten mit den g l ä n z e n d e n , im v o r n e h m s t e n altmeisterlichen Geschmack ausgeschmückten F e s t r ä u m e n ; so beim Müllerschen Volksbad von Karl H o c h e d e r i n seiner gleich vorzüglichen praktisch-technischen wie künstlerischen A u s f ü h r u n g ; so bei dem

neuen, für den heutigen Geschmack

etwas

überladenen

gotischen Rathaus von G. v. H a u b e r r i s s e r ; so noch bei einer g r o ß e n Zahl von öffentlichen und privaten Bauten, an deren z u m Teil sehr aufwändiger D u r c h b i l d u n g der durch

den

allgemeinen

wirtschaftlichen

Aufschwung

im

geeinigten

Deutschland

g e h o b e n e Volkswohlstand sich bekundet. Es ist nicht möglich, auf das äußerst reiche und bunte architektonische Bild des heutigen gehen.

zur Halbmillionenstadt

angewachsenen

München

hier näher einzu-

Nur auf einige charakteristische G r u n d z ü g e sei in Kürze hingewiesen.

für den Erweiterungsplan ausdehnenden,

die

der

namentlich

ehemaligen

Dörfer

seit den siebziger Jahren Au,

Giesing,

Haidhausen,

Um

mächtig sich Bogenhausen,

Schwabing, Neuhausen, Sendling in sich a u f n e h m e n d e n Stadt fruchtbare, weitblickende A n r e g u n g e n zu erlangen, lud der Magistrat

zu A n f a n g der neunziger Jahre

deutsche Architektenschaft zu einem Wettbewerb ein.

die

Der an die Spitze des Stadt-

e r w e i t e r u n g s b u r e a u s berufene T h e o d o r F i s c h e r suchte s o d a n n den neuen, eigentlich alten, d. h. von alten, reizvollen Städtebildern abgeleiteten Ideen, wie sie b e s o n d e r s ü b e r z e u g e n d u n d eindringlich von Camillo Sitte (Wien) auch in München Eingang zu verschaffen. hunderts

üblichen schematisierenden,

verfochten w o r d e n

sind,

An Stelle der seit dem A n f a n g des Jahr-

an regelmäßigen geometrischen Figuren auf

dem Papier sich e r f r e u e n d e n Planungsweise trat nun die Forderung, unter möglichster Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse (der Boden-, Besitz- und

Verkehrsver-

hältnisse) auf die Erzielung von malerisch wirkenden Straßendurchsichten und Platzbildern Bedacht zu n e h m e n .

Diesen Bestrebungen kamen a n d e r e e n t g e g e n , die bei

Gestaltung der einzelnen Bauten und B a u g r u p p e n

das malerische Element

stärker

betonten, als es die klassizistische und italienisierende Richtung in der ersten Hälfte des J a h r h u n d e r t s getan hatte.

Die Steigerung des Nationalgefühls nach dem g r o ß e n

32

Richard Streiter.

Kriege u n d der G r ü n d u n g des Reiches hatte nicht wenig dazu b e i g e t r a g e n , eine Vorliebe für die deutsche Renaissance, überhaupt für die alten heimischen Bauweisen zu erwecken. und

Von den A u s w ü c h s e n der Deutschrenaissance-Begeisterung,

spielerisch-dekorativer

Überladung,

blieb München

ziemlich

Unruhe

verschont.

Hier

lenkte ein Meister mit b e s o n d e r s stark a u s g e p r ä g t e m Heimatsinn, Gabr. v. Seidl, die bürgerliche Baukunst z u m Anschluß an den s ü d d e u t s c h e n Barockstil hin, in d e m der ortsübliche

Putzbau

einst

eine

vollkommen materialgerechte Ausbildung erfahren

hatte, und dessen einfachere, behäbig-gemütliche Werke dem Charakter von und Leuten so wohl entsprechen.

Land

Ohne sich stilistisch einengen zu lassen und auf

persönliche Handschrift zu verzichten, folgten auf dieser mit Glück betretenen Bahn nach dem Ziele einer b o d e n s t ä n d i g e n , den örtlichen B e d i n g u n g e n sich a n s c h m i e g e n den Bauweise bald andere Architekten:

Emanuel S e i d l , K. H o c h e d e r , H. Grässel,

Th. Fischer, die letzteren drei namentlich an einer stattlichen Reihe von städtischen Bauten den Beweis liefernd, daß auch Nutzbauten, wie Schulhäuser, Krankenhäuser, Armenversorgungsanstalten,

Feuerhäuser,

Verwaltungs-

und

Dienstgebäude

stratischer B e h ö r d e n und Betriebswerke, die man früher in einer gewissen

magibureau-

kratisch-schablonenhaften Nüchternheit zu sehen gewohnt war, ohne erheblich g r ö ß e r e n Kostenaufwand abwechslungsreich u n d künstlerisch fesselnd gestaltet w e r d e n können. Die auch in praktischer

und

hygienischer

Hinsicht

mustergültigen,

durch

starke

örtliche Eigenart sich auszeichnenden neuen Münchener Gemeindebauten haben allenthalben die g e b ü h r e n d e A n e r k e n n u n g g e f u n d e n und sind für a n d e r e Städte vorbildlich g e w o r d e n .

bereits

Das Beispiel der f ü h r e n d e n Meister hat auch die private Bau-

tätigkeit heilsam beeinflußt, indem es vielfach zur

Abkehr von j e n e m

unsoliden,

protzig-aufgebauschten Wesen anregte, das eine Zeitlang an den Massenerzeugnissen einer hastig arbeitenden Bauspekulation sich

breit

modernen,

machte.

An

in den allzu rasch a n w a c h s e n d e n

Geschäftshäusern

hat

München

rücksichtslos konsequenten T y p e n aufzuweisen

noch wie

nicht

Städten

jene

etwa Berlin.

ist dies kaum zu b e k l a g e n ; vielmehr darf man es freudig begrüßen,

daß

ganz Es

tüchtige

Baumeister geschickte, alle neuzeitlichen A n f o r d e r u n g e n wohl erfüllende L ö s u n g e n g e f u n d e n haben, die in den schönen Straßenbildern

der Altstadt nicht als schroffe

Gegensätze zum Bestehenden die S t i m m u n g zerreißen.

D e m genius loci haben auch

jene Künstler noch Rechnung getragen, die unter Verzicht auf archäologische Strenge in der V e r w e n d u n g ü b e r k o m m e n e r Formen zu freierer, selbständigerer Gestaltungsweise fortzuschreiten sich bemühten, so Th. Fischer (prot. Erlöserkirche, Schulhäuser, Isarbrücken), Martin D ü 1 f e r (Kaimsaal, Privathäuser), Fr. v. Thiersch (Neue Börse,

33

M ü n c h e n e r A r c h i t e k t u r um 1806 und 1906.

Isarbrücken).

Neues tritt auf dem Gebiete des Theaterbaues hervor:

Das

Prinz-

regententheater von Max L i t t m a n n hat mit seiner dem Bayreuther Wagner-Theater nachgebildeten, amphitheatralischen Anlage des Zuschauerraumes den herkömmlichen Typus

verlassen, während das kleine

Münchener Schauspielhaus in seiner inneren

Ausstattung von Richard R i e m e r s c h m i d

als ein ziemlich gut gelungener Versuch

j e n e r radikalen Modernitätsbestrebungen beachtenswert ist, die jede Anleihe aus dem Formenschatz

der

älteren Kunst

ängstlich

vermeiden.

Eine

wichtige

Führerrolle

spielten und spielen noch andere Münchener Künstler in der hochbedeutsamen fortschrittlichen Bewegung, die seit einem Jahrzehnt im deutschen Kunstgewerbe, in der Wohnungskunst, den dekorativen Künsten und der Kunstindustrie sich hat.

durchgesetzt

Anfänglich stark von englischen Einflüssen abhängig und von allerlei absonder-

lichen Gärungserscheinungen

begleitet, hat diese Strömung

zur herrschenden ausgebreitet.

Gereifte,

selbständige Leistungen ihrer tüchtigsten

Vertreter haben auf den letzten Weltausstellungen landes mit hohen Ehren bestanden.

sich rasch geklärt und

auch vor den Augen

des

Hauptanteil zuzusprechen, zumal wenn man bedenkt, daß die Meister,

die seit den

siebziger Jahren dem deutschen Kunstgewerbe durch die Schule der Alten gediegenes Können, Geschmack,

Aus-

An diesen Erfolgen ist München unstreitig der

Stil gegeben

haben,

den

„Jungen" in

wieder

ähnlicher

Weise den Boden bereiteten, wie William Morris und die andern gefeierten Häupter der „modernen Renaissance" in England. Alles in allem bietet die jüngste bauliche erfreuliches Bild.

Entwicklung Münchens

ein sehr

Gewaltig ist der Abstand des gegenwärtigen Schaffens und Wollens

von dem vor 100 Jahren.

Nicht nur die Fülle und Mannigfaltigkeit

der in

kurzer

Zeit entstandenen architektonischen Gebilde, auch die Größe und Schwierigkeit zelner Aufgaben, die aufgewendeten technischen, künstlerischen wenigsten 1 — finanziellen Mittel sind bedeutend gesteigert. die großartigen wissenschaftlichen,

technischen

ein-

und — nicht zum

Es spiegeln sich darin

und sozialen Fortschritte und

Um-

wälzungen, die erstaunliche Entfaltung von Industrie und Handel, die das vergangene Jahrhundert

zu einem so merkwürdigen

gemacht haben.

Allein

die riesige,

von

leichten Eisenkonstruktionen überspannte Einfahrtshalle des Hauptbahnhofes — welche Gedankenreihen vermag sie auszulösen, welche Ausblicke zu eröffnen auf eine völlig neue, von unseren Urgroßvätern noch nicht geahnte Weltl Noch ringt die Architektur, um für die neuen technischen und sozialen Probleme den entsprechenden künstlerischen Ausdruck zu finden; noch gehen die Meinungen weit auseinander über die Frage, ob ein ruhiges Weiterarbeiten innerhalb der bewährten, zum Teil noch ausdehnungs3

34

R i c h a r d Streiter.

fähigen

Formenkreise

der Oberlieferung oder ein b e w u ß t e s

wagemutiges

Streben

nach m o d e r n e r Eigenart w ü n s c h e n s w e r t e r sei. Eines aber ist zur Gewißheit g e w o r d e n : daß ein guter Teil von dem, was der Klassizismus v e r g a ß oder als vermeintlich ü b e r w u n d e n beiseite schob u n d bekämpfte, zu frischem, kräftigem Leben wieder erwacht ist; daß die antikisierende

und

italienisierende

Richtung,

s c h ö p f u n g e n sie hervorgebracht hat, nicht geeignet u n d

so vorzügliche

Einzel-

berechtigt war, den

nach

klimatischen, landschaftlichen und volkspsychologischen B e d i n g u n g e n in Jahrhunderten herausgebildeten Charakter unserer deutschen Städte dauernd zu verändern. Nicht viele Städte können g e g e n w ä r t i g einer bürgerlichen Baukunst mit so starkem Lokalton, so glücklicher V e r k n ü p f u n g des Neuen mit dem Alten sich r ü h m e n wie München.

In Bayern hat nur N ü r n b e r g Ähnliches aufzuweisen, wo nach

dem

Vorgang von Konradin W a l t h e r eine j ü n g e r e Architektengruppe die d e m einzigartigen Stadtbild das b e s o n d e r e G e p r ä g e verleihenden Bauten aus der Zeit des E i n d r i n g e n s der Renaissance z u m Vorbild g e n o m m e n

hat.

Die unentwegt

modern

Gesinnten,

nach deren Ansicht sich das Zeitalter der Maschine auch in einem neuen aussprechen sollte, werden

hier über „rückständige

Baustil

Altertümelei" klagen.

d r u m I Die weitaus größte Mehrzahl der jetzt Lebenden und wohl noch

Sei

es

mehrerer

künftiger Generationen wird die möglichst lange Erhaltung der eigenartigen Schönheit

unserer

alten

Städte

einer

raschen,

rücksichtslosen Umgestaltung in

einem

zweifelhaften „Maschinenstil" entschieden vorziehen. So wird man für unsere b ü r g e r liche Architektur, deren künstlerischer Durchschnittswert im XIX. Jahrhundert unter der Einwirkung nivellierender, verflachender und u n g e s u n d prahlerischer T e n d e n z e n sehr g e s u n k e n ist, das Beispiel von München und

Nürnberg

Stadt und Land zur Nacheiferung empfehlen dürfen.

Bei Wiederaufnahme charakter-

auch anderwärts

in

voller heimischer Bauweisen der Vergangenheit wird durch die neuzeitlichen Aufgaben und technischen Hilfsmittel wie durch den Wandel des G e s c h m a c k e s in Kunstg e w e r b e u n d Dekoration auch der mit Recht begehrte m o d e r n e Z u g und versöhnlich sich einstellen.

ungezwungen

Münchener Architektur um 1806 und 1906.

35

Anmerkungen. ') Lor. Hübners kurzgefaßte Beschreibung der kurpfalzbayerischen Haupt- und Residenzstadt München.

München 1805. — Auch in Mannheim wurde 1789 ein Militärgarten angelegt.

In diesem soll nach einer Berechnung des Hofgärtners Sckell im Jahre 1790 Gemüse im Werte von 10000 Gulden erzeugt worden sein. Gärten versprach, siehe die Schrift:

Über die sonstigen Vorteile, die man sich von diesen

Vollständiger Bericht und Abrechnung über den Erfolg der

neu eingeführten Einrichtungen bey dem churpfalzbaierischen Militär. Von dem Generallieutenant Reichsgrafen von Rumford. 8

Verfaßt München den 1. Juny 1792.

) Als Speisesaal für den Hof gelegentlich eines im Mai 1791 bei Schwabing abgehaltenen

militärischen Übungslagers errichtet. 8

) Vgl.

Sckells W e r k :

künstler und Gartenliebhaber. 4

Beiträge

zur

bildenden Gartenkunst

) Allgemeine deutsche Biographie. — F. J. Lipowsky,

*) G. K. Nagler,

für angehende

Garten-

München 1819.

Acht T a g e in München.

Bayerisches

Künstler-Lexikon.

Wegweiser für Fremde und Einheimische.

München 1863. •) Seinerzeit berühmt war die hier nach Angaben des Medizinalrates Dr. F. X . Haeberl eingerichtete Heizungs- und Ventilationsanlage. (L. Hübner a. a. O., S. 167 ff.) ') F. v. Reber,

Die Korrespondenz zwischen dem Kronprinzen Ludwig von Bayern und

dem Galeriebeamten G. Dillis. (Sitzungsberichte der philos.-philolog. und der historischen Klasse der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften 1904 Heft III.) 8

S. 425—426.

) Eos 1820, Kunst- und Literaturblatt, S . 4 3 ff.: Fischers Künstlerleben und das große

Theater in München . . . .

„Lange hatte man nämlich in München das Bedürfniß eines neuern

größern Schauspiel- und Opernhauses neben dem einzig bestandenen Hoftheater gefühlt. Verschaffelt hatte sich daher mit eben diesem Gegenstande

beschäftigt

Von

und ein Modell ver-

fertigen lassen, das von allen Kennern einer großen und schönen Bauart mit Recht

gepriesen

ward, allein die Kosten eines solchen Baues schienen unter Karl Theodors Regierung so abschreckend, daß an die Ausführung nicht zu denken war." — Auch Andreas Gärtner einen Plan für ein neues Theater in München aus. 8

arbeitete

(Siehe oben!)

) An der Seite gegen die (damals nicht bestehende) Maximilianstraße war ursprünglich

ein großer Ausbau mit Sälen für Konzerte, Redouten usw. geplant, der nicht zur Ausführung kam. — Hoftheaterpläne, nach den Originalen Fischers von Ziebiand gezeichnet, in der MaillingerSammlung des Stadtmuseums. ,0

) v. Reber, a. a. O., S. 428.

" ) Pläne in der Maillinger-Sammlung. la

) Bautechnischer Führer durch München. Festschrift zur zweiten Generalversammlung

des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieurvereine.

München 1876.

3*

¡ggsese

Graph Kunst. At&t, i' Hubert Kahler München

E n t w u r f z u r S c h l o s s k a p e l l e in Koblenz von A n d r e a s G ä r t n e r .

Festschrift d K. Techn Hochschule München,1806-190S.

Entwurf zum U

v
h Ki;nst Ans

st v. Hubert

KöhUr,München

_ ,/mfuMrn

Mar» M>>/¿iAi*~'f '-

Festschrift d.K. Techn.Hochschule München,1806-1906.

Graph. Ku /ist. Anst. v. Hube

W.Lynen,

• ' y

:t. v Hubert Kökler, München.

Eisenbahnen nach Baader.

Taf.XU.

4.

tf.rftu/urt rwrt Uf//.'Atf>r''

Festschrift d K. Techn.Nochschule München ,l806-19fìc

rrxrr

" " "Y V|

~

—-—

"—



""""

""

"

Graph Kunst Ans

rf. i>. Hubert Höhlet, Milnihen

\\: Lyn en, Eisenbahnen nach Baader. Ta f. XVIII.

Festschrift d.K.Techn.Hochschule München, 1806-1906.

W. Lljnen, Eisenbahnen nach Baader. Taf. XIX

W. Llfnen, Eisenbahnen nach Baader.

Taf.XX.

Festschrift d K. Techn Hochschule München,1806-1906.

W.lAjnen.

Eisenbahnen nach Baader. Ta f . XXI.

•••»I^^mmmt^mMHMmmmmtmmmm^mm»MMMw^mimtmmmmmmmmmtimimmmmmiimmiiiÊÊmimiiimammmmjmÊ^mmm^^

ist• v. Hubert Köhler. Mnnchet;

Dampfzyündcr einer pfalzisehen Sclinellzuglokomotive (1905).

Die neuen Schnellzuglokomotiven

der

Pfälzischen Eisenbahnen. Von W i l h e l m

Lynen.

D e r bayerische Maschinenbau hat von jeher damit zu kämpfen gehabt, daß der Bezug von Rohstoffen, vor allem von Kohle und Eisen, für ihn viel kostspieliger und umständlicher war als für seine Wettbewerber, welche in den durch ihre Mineralschätze bevorzugten Gegenden unseres deutschen Vaterlandes, insbesondere in Rheinland und Westfalen und in Schlesien gelegen sind. Es ist daher ein richtiges Bestreben gewesen, daß der bayerische Maschinenbau stets entweder Arbeiten bevorzugt hat, welche eine besonders sorgfältige Ausführung hinsichtlich der Baustoffe und der Werkstättenarbeit verlangen, oder daß er seine Maschinen in solcher Ausführung baute,

daß sie sich

durch genaue Werk-

stättenarbeit, besonders guten Gang auszeichneten — kurz gesagt, daß er durch die Güte der Arbeit wettbewerbsfähig bleiben wollte. So haben die Betriebsdampfmaschinen der Augsburger Maschinenfabrik in der Textilindustrie des Rheinlands überall festen Fuß gefaßt. Die Gasmaschinen der 10

146

Wilhelm

Lynen.

N ü r n b e r g e r Maschinenfabrik haben sich in Lothringen

und in Westfalen, trotz

Wettbewerbs benachbarter Maschinenfabriken, eingenistet.

des

So hat auch ferner

der

Lokomotivbau in Bayern von jeher eine g r o ß e B e d e u t u n g erlangt und eine f ü h r e n d e Rolle gespielt. Bei dem Wettbewerb um Entwürfe für die

Lokomotiven

Bahn hat die Lokomotivfabrik J. A. Maffei in München Preis mit ihrer Lokomotive Bavaria e r r u n g e n .

im Jahre

der

Semmering-

1854 den

ersten

Bei Gelegenheit der Pariser Welt-

ausstellung im Jahre 1867 hat die damals kaum g e g r ü n d e t e Lokomotivfabrik Krauß & Co. mit ihrer Lokomotive Nr. 1 die große goldene Medaille erstritten und seitdem ihren Ruf hoch gehalten, so daß sie im Oktober 1905 ihre fünftausendste Lokomotive abgeliefert hat. Namentlich durch die Einführung des Krauß-Helmholtzschen Drehgestells, das in m e h r als 1500 A u s f ü h r u n g e n in fast allen Erdteilen benützt wird, hat sich die Fabrik g r o ß e Verdienste um die Steigerung der Sicherheit und der Leistungsfähigkeit der Lokomotiven erworben. Z u r K e n n z e i c h n u n g des heutigen Standes des bayerischen

Lokomotivbaues

m ö g e die Aufmerksamkeit auf die Schnellzuglokomotiven der Pfälzischen Eisenbahnen gelenkt werden, welche nicht allein in ihrer D u r c h b i l d u n g den A n f o r d e r u n g e n neuesten Zeit entsprechen, sondern sich zurzeit dadurch

auszeichnen,

der

daß sie die

stärksten Lokomotiven sind, welche im europäischen Schnellzugdienst verkehren. Bisher hatte die Lokomotivfabrik J. A. Maffei mit ihren auf den Strecken der badischen Eisenbahnen laufenden Schnellzuglokomotiven bereits diese f ü h r e n d e Rolle gespielt; mit ihren j ü n g s t an die Pfälzischen Eisenbahnen gelieferten

Lokomotiven

hat sie sich selbst überboten. Die den Rhein entlang ziehenden Eisenbahnlinien haben eine g r o ß e B e d e u t u n g für den wichtigen Verkehr von Norddeutschland, England, Holland und Belgien nach der Schweiz und Italien.

Sie haben von jeher g r o ß e Anstrengungen g e m a c h t

hin-

sichtlich der Schnelligkeit und Bequemlichkeit der B e f ö r d e r u n g der Fahrgäste,

um

den starken Strom der Reisenden, der in dieser Richtung fließt, in ihre Linien

zu

leiten und darin zu erhalten. Die Pfalz bedeutet für diesen Verkehr eine b e d e u t e n d e aber auch hindernisreiche

Abkürzung.

Das

gebirgige,

schluchtenreiche

Land

läßt

sich

nur

unter

Z u l a s s u n g g r o ß e r Steigungen und starker K r ü m m u n g e n in den Bahnlinien d u r c h q u e r e n . Die fortwährenden Steigerungen des Zuggewichtes und der F a h r g e s c h w i n d i g keiten machte die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs mit den günstiger

liegenden

rechtsrheinischen

besonders

Eisenbahnlinien

schwieriger

und

verlangte den

Bau

147

Schnellzugslokomotiven der Pfalzbahnen.

leistungsfähiger Lokomotiven, welche vor allem das Einlegen von Vorspannlokomotiven zur Zeit des starken Reiseverkehrs unnötig machten. Die neuen

Lokomotiven,

welche

Dienst der Pfälzischen Eisenbahnen

seit

stehen,

etwa

einem

zeichnen

Jahr

in

angestrengtem

sich durch eine große

Zahl

von Eigentümlichkeiten aus, so daß es sich verlohnt, sie näher zu beschreiben und die Ergebnisse von Versuchen,

die im Herbst des Jahres

1905 angestellt

worden

sind, zu besprechen. Äußerlich ist die in Fig. 1 dargestellte Lokomotive dadurch daß der Kessel hoch liegt.

gekennzeichnet,

Dies bringt einen ruhigeren Gang mit sich, ohne

die Standfestigkeit der Lokomotive ungenügend wird. keit zur Maschine gefördert.

Auch

daß

wird die Zugänglich-

Die Dampfmaschine ist als Vierzylinder-Verbundmaschine

mit Rundschiebern an allen vier Zylindern ausgeführt und wird durch

eine

eigen-

artige Heusinger-Steuerung gesteuert. Der Rahmen ist als Barrenrahmen aus Schmiedeeisen mit allseitig bearbeiteten Flächen gebaut. Die Rauchkammertür und das Führerhaus schneidenartigen

Gebilden

sind nach vorn zu kegel- bzw.

ausgestaltet worden, damit

das Durchdringen

der Luft

bei den hohen Betriebsgeschwindigkeiten von 90 bis 100 km in der Stunde leichter erfolgt.

Der Luftwiderstand hat bei großen Geschwindigkeiten weitaus den größten

Anteil am Gesamtwiderstand der fahrenden Lokomotive, und seine Verminderung ist von besonderer Wichtigkeit. Die Lokomotive ruht auf fünf Achsen bzw. zehn Rädern, damit das Gewicht von 74,3 Tonnen

ohne

Überschreitung

höchsten Raddrucks aufgenommen wird. besonderen Drehgestell untergebracht. der Dampfmaschine abgeleitet. achse, an welcher die — maschine angreifen.

des

gesetzlich

vorgeschriebenen

Die beiden ersten Achsen

sind in einem

Auf das nächste Achsenpaar wird die Kraft

Die erste der beiden großen Achsen

im Bilde schrägstehenden

Die zweite

große

Achse

ist

die



ist die Treib-

Flügelstangen

Kuppelachse,

welche

der zur

DampfUnter-

stützung der Treibachse dient und mit ihr durch die wagerechte Kuppelstange verbunden ist.

Diese beiden Achsen liegen vor der Feuerkiste der Lokomotive, so daß

die Feuerkiste breit, über die Räder seitlich hinausragend, gebaut und auf den Rahmen aufgestützt werden kann. Durch diese Bauart der Feuerkiste kann der Rost kurz gehalten und dadurch der

Dienst

des

Heizers erleichtert

Kessels erreicht werden.

werden,

auch kann eine

gute Lagerung

des

Hinter der Feuerkiste ist die fünfte Achse angeordnet, so 10*

148 daß

Wilhelm

die Lokomotive

Schwingungen

nur

wenig

über

der Lokomotive bei

Lynen.

die

hohen

Radbasis

hinausragt

Geschwindigkeiten

und

gefährliche

vermieden

werden.

Um starke K r ü m m u n g e n leicht durchfahren zu können, ist dieser Achse die Möglichkeit erteilt worden, sich um einige Zentimeter quer zur Lokomotive zu verschieben. Der wichtigste Teil der Lokomotive, der Behälter, schöpft, ist der Kessel.

aus dem

Es k o m m t darauf an, daß eine bestimmte

sie ihre Kraft Rostfläche aus-

geführt wird, so daß auf ihr die erforderliche Kohlenmenge verbrannt werden kann. Die Lokomotiven haben eine Rostfläche von 3,8 qm erhalten, wobei die Breite 2,06 m und die Länge 1,85 m ausmacht.

Dies sind die A b m e s s u n g e n einer kleinen Stube.

Auf der Fläche eines Q u a d r a t m e t e r s können infolge des Arbeitens mit künstlichem Luftzuge, der in der R a u c h k a m m e r eine L u f t v e r d ü n n u n g von 75—100 mm Wassersäule erzeugt, bis zu 500 kg Kohlen

in einer Stunde verbrannt werden.

Hieraus

kann man sich einen Begriff machen, welche Arbeit dem Heizer zufällt, wenn

die

Lokomotive mit voller Kraft die Reisenden ihrem Ziele zuführt. Der Rost bildet den Boden einer aus Kupferblech hergestellten Kammer, der sog. Feuerkiste.

Dieselbe hat eine Höhe von 1,80 m, g e m e s s e n von dem Rost bis

zu ihrer Decke.

Die kupferne

Feuerkiste ist allseitig von Wasser u m g e b e n .

steckt, wie eine Schachtel in einer anderen, in dem eisernen Feuerkistenmantel.

Sie Die

einander g e g e n ü b e r s t e h e n d e n Wände sind durch Stehbolzen g e g e n e i n a n d e r abgesteift, so daß der Druck des Wassers die Wände nicht ausbeulen kann.

Die Fuge zwischen

den beiden Kammern ist unten durch einen zwischengenieteten dicken Rahmen verschlossen.

Die Wandflächen

der

inneren Feuerkiste sind in vorzüglichster Weise

geeignet, die Wärme der über dem Rost lagernden glühenden Kohlen und der über denselben befindlichen, bis 1500° heißen Gase durch Leitung und Strahlung in sich a u f z u n e h m e n . Eine feuerberührte Fläche von 13,8 qm dem Eingang der W ä r m e darbietend, leiten sie etwa ein Drittel der durch V e r b r e n n u n g der Kohle entstehenden Wärme in das Wasser über.

Die Kessel haben eine breite und tiefe Feuerkiste. Mit

dieser Form sind sehr gute Erfahrungen gemacht worden an den von

der Firma

Krauß & Co. gelieferten Vorgeherinnen der besprochenen Lokomotiven.

Die Heiz-

gase werden aus der Feuerkiste h e r a u s g e f ü h r t , Vorderwand

derselben 285 glatte Siederohre

indem von dem oberen Teil

von 54 mm

lichter Weite

der

abgehen,

welche im Wasserraum des Langkessels liegen und in der Rauchkammer a u s m ü n d e n . Die Siederohre haben eine feuerberührte Heizfläche von 209,2 qm. Man kann rechnen, daß ein Lokomotivkessel

bei günstigen

Verhältnissen,

namentlich bei hoher Fahrgeschwindigkeit und d e m e n t s p r e c h e n d e r starker und gleich-

S c h n e l l z u g s l o k o m o t i v e n der P f a l z b a h n e n .

149

Wilhelm Lynen.

150

mäßiger Feueranfachung, 55 bis 60 kg Dampf auf den Q u a d r a t m e t e r Heizfläche in einer S t u n d e erzeugt, daß also die Lokomotive — bei einer Gesamtheizfläche von 223 qm — bei äußerster A n s t r e n g u n g stündlich bis zu 13000 kg Dampf erzeugen und ihren Wasservorrat von 20 cbm im T e n d e r in der Zeit von anderthalb Stunden verbrauchen könnte. Die Siederohre werden nicht auf ihre g a n z e Länge von 4,65 m zur Dampfbildung benützt, sondern auf eine Länge von 0,87 m sind sie in einen Pielockschen Überhitzer eingebettet. Dies ist ein allseitig geschlossener Kasten von Schmiedeeisen nach Fig. 2, durch dessen Stirnwände die Siederohre dicht hindurchgesteckt sind.

Der

im Kessel erzeugte Dampf wird vom D a m p f d o m aus durch diese Kammer hindurchgeleitet, die im Innern eine Anzahl passend aufgestellter Scheidewände enthält, durch welche der Dampf g e z w u n g e n wird, in Schlangenlinien quer über die innen von den Heizgasen durchflossenen und außen von dem Wasser entblößten Siederohre hinwegzugehen, ehe er in das Rohr gelangen kann, welches ihn den Lokomotivzylindern zuführt. Durch das Vorüberstreichen über die heißen Siederohre wird einmal die im Dampf

durch das Mitreißen von Wasserblasen beim Sieden enthaltene Feuchtigkeit

herausgetrocknet und a u ß e r d e m wird ihm noch eine gewisse W ä r m e mitgeteilt, ihn über den Sättigungszustand hinausbringt, ihn überhitzt, so daß er nicht beim Auftreffen auf kältere Metallwände schlägt.

des Dampfzylinders Feuchtigkeit

die

mehr nieder-

Durch die richtige Wahl der Einbausteile zwischen der Feuerkiste und der

R a u c h k a m m e r kann

ein bestimmter Grad der Uberhitzung erreicht werden.

erzielte D a m p f t e m p e r a t u r beträgt durchschnittlich

290 bis 300 Grad

Die

Celsius

vom

A n f a n g der Fahrt bis zum Schluß derselben. Der Pielock-Uberhitzer hat den Vorteil, daß keine besonderen Überhitzerrohre einzubauen sind.

die Lokomotive im S c h u p p e n steht, füllt man den

Ober-

hitzerkasten mit Wasser a u f , weil dadurch die Rohre im Innern desselben

Wenn

gegen

Abrosten geschützt werden.

Trotz dieser Vorsichtsmaßregel treten an den Loko-

motiven der Pfälzischen Eisenbahnen Anfressungen der Siederohre auf, soweit sie vom Dampf getroffen werden, deren Ursache noch nicht aufgeklärt ist. Die R a u c h k a m m e r ,

in welche die Siederohre

einmünden, hat eine

große

Länge, damit die Heizgase in derselben ihre Geschwindigkeit mäßigen und die mitgerissene Flugasche ablagern

können.

Auch kann sich eine beträchtliche

Asche darin ansammeln, ehe sie die unteren Reihen der Siederohre

Menge

abdeckt

und

damit unwirksam macht. Die R a u c h k a m m e r

enthält

die

Frischdampfleitungen

zu

den

Hochdruck-

zylindern und die Abdampfleitungen von den Niederdruckzylindern, welche in ein

S c h n e l l z u g s l o k o m o t i v e n der Pfalzbahnen.

B l a s r o h r a u s m ü n d e n , aus in

starken W i r b e l u n g e n

Heizgase

fortreißt

hinter sich e r z e u g t .

welchem austritt,

und

zum

der A b d a m p f

so daß er die

Schornstein

151

mit g r o ß e r G e s c h w i n d i g k e i t in

der R a u c h k a m m e r

hinaustreibt,

wodurch

er

befindlichen eine Luftleere

D i e s e Luftleere in der R a u c h k a m m e r ist die V e r a n l a s s u n g ,

frische Luft von außen

durch

den Rost

hindurchdringt

und,

durch

und

daß

die S i e d e r o h r e

z i e h e n d , die R a u c h k a m m e r wieder anfüllen will. D i e D a m p f m a s c h i n e ist als V e r b u n d m a s c h i n e ausgeführt.

Der

Arbeitsdampf

k o m m t nicht in einem e i n z i g e n Zylinder zur vollen A u s d e h n u n g , s o n d e r n in einem

Fig. 2.

kleinen Zylinder dehnt er sich bis zu einer g e w i s s e n Stufe aus, wird dann in diesem Zustand

aus diesem Zylinder entlassen

und in

einen

g r ö ß e r e n Zylinder

in w e l c h e m er s e i n e A u s d e h n u n g bis auf die Auspuffspannung Die zylinder

Arbeitsweise

ist umständlicher,

arbeiten ließe.

mit als

einem wenn

Hochdruckzylinder man

den D a m p f

und

eingefüllt,

vollendet. einem

in einem

Niederdruck-

einzigen

S i e hat aber den Vorteil, daß die T e m p e r a t u r s c h w a n k u n g e n

Metallwänden der beiden Zylinder

viel

geringer

bei j e d e m Spiel

der

Zylinder in

Kolben

den aus-

fallen, als wenn man den v o m Kessel k o m m e n d e n Dampf, der mit 15 A t m o s p h ä r e n

152

Wilhelm

Lynen.

— ohne Überhitzung mit 200° C — in den Arbeitszylinder eintritt,

in

demselben

bis auf etwa 105° C heruntersinken läßt. Außerdem wird erreicht, daß der heiße Dampf nur mit den Wänden der D a m p f kanäle, Deckel, Kolben und der Kolbenlaufläche des kleinen H o c h d r u c k z y l i n d e r s in Ber ü h r u n g kommt, so daß der Vorteil sich verdoppelt: die vom Frischdampf

berührten

Flächen sind kleiner und die T e m p e r a t u r s c h w a n k u n g e n in den Flächen sind geringer. So wird an den Flächen von Hoch-

und Niederdruckzylinder

zusammen

weniger Feuchtigkeit aus dem Arbeitsdampf niedergeschlagen, als wenn der Dampf in einem einzigen Zylinder arbeitete, und es wird nicht unbeträchtlich an der D a m p f m e n g e gespart, die sonst für eine bestimmte Leistung der Lokomotive verbraucht wird. Genau denselben Zweck der D a m p f e r s p a r n i s verfolgt man mit hitzung des Dampfes, nur daß man hierbei auf den Dampf selbst, U m g e b u n g einwirkt.

der

Über-

nicht auf

seine

Am meisten ist die Überhitzung bei den Preußischen Staats-

bahnen eingeführt, die zurzeit 217 Heißdampflokomotiven aller Art im Betrieb und 270 Stück im Bau haben. Es besteht zwar die Möglichkeit, die Überhitzungswärme zu einem größeren Betrage in Arbeit u m z u w a n d e l n als die Wärme, welche dem Dampf

bis zu

seiner

Sättigung zugeführt wird, doch ist dieser Vorteil nicht so sehr von Einfluß auf die Dampfersparnis

als

die

Erscheinung,

Feuchtigkeit an den Metallwänden

daß

der

überhitzte

Dampf

viel

weniger

des Zylinders niederschlägt als der Sattdampf.

Wenn nun, wie in den Pfälzischen Lokomotiven, von beiden

vorteilhaften

Vorgängen richtiger Gebrauch g e m a c h t wird, dann kann eine beträchtliche Ersparnis an Dampf und an Kohle erreicht werden. Dies ist ganz b e s o n d e r s wichtig für Lokomotiven, einmal weil sie sich ihren Kohlen- und Wasservorrat selbst mitschleppen und hierzu einen Teil ihrer Kraft aufzehren müssen, dann aber auch,

weil sie

in ihren A b m e s s u n g e n

durch die vor-

geschriebenen Umgrenzungslinien und das Bedürfnis nach g e n ü g e n d e r Beweglichkeit in G e l e i s k r ü m m u n g e n eingeschränkt sind und heute in den A u s f ü h r u n g e n an G r e n z e n der zulässigen A b m e s s u n g e n a n g e k o m m e n s i n d , ihrer Leistungsfähigkeit

ohne

gleichzeitige V e r g r ö ß e r u n g

so daß die

die

Steigerung

ihrer A b m e s s u n g e n

und

Gewichte von der größten Wichtigkeit g e g e n ü b e r den fortwährend sich steigernden Verkehrsansprüchen ist. Es hält überaus schwer, unter gleichen B e d i n g u n g e n Vergleichsfahrten

mit

Lokomotiven zu machen, in denen der Dampf in den verschiedenen Gebrauchsweisen arbeitet, so daß das genaue Maß der Überlegenheit der A n w e n d u n g von Verbund-

S c h n e l l z u g s l o k o m o t i v e n der Pfalzbahnen.

153

und H e i ß d a m p f w i r k u n g über die früher allgemein übliche Zwillings-Naßdampfwirkung schwer a n g e b b a r ist.

Die Pfälzischen Eisenbahnen haben noch nicht das Ergebnis

ihrer Versuche festgestellt. Auf den preußischen Staatsbahnen ist vielfach eine g r ö ß e r e Leistungsfähigkeit und Sparsamkeit der Heißdampf-Zwillingslokomotiven

gegenüber

Naßdampf-Zwillings- und Verbundlokomotiven festgestellt worden. Trotz geringerer Fahrzeiten

erzielten

die Vergleichszüge

mit

Heißdampflokomotiven

eine

Kohlen-

ersparnis von 10 bis 25 v. H. und eine Wasserersparnis von etwa 35 v. H., die auch g e g e n ü b e r Vierzylinder-Verbundlokomotiven aufrecht erhalten wurde.

Wie die Kopfleiste zeigt, geordnet.

sind

Die zwei Hochdruckzylinder

die vier Dampfzylinder nebeneinander von 360 m m D u r c h m e s s e r sind zu

Stück z u s a m m e n g e g o s s e n und liegen innen.

an-

einem

Die Niederdruckzylinder von 590 mm

D u r c h m e s s e r sind außerhalb des R a h m e n s angebracht. D a d u r c h ist es möglich, den D u r c h m e s s e r

der Niederdruckzylinder

größer

a u s z u f ü h r e n , als wenn sie nach innen verlegt werden, und den K o l b e n h u b r a u m etwa 2,7 mal so g r o ß zu machen als den des Hochdruckzylinders.

Bei diesem Verhältnis

sind bei gleichen Füllungen auch die Arbeiten in den beiden Zylindern a n n ä h e r n d gleich, und dies führt zu einer einfachen Ausbildung der Steuerung, die in Fig. 3 dargestellt ist.

Nur von dem G a n g w e r k der beiden äußeren Zylinder werden Be-

w e g u n g e n abgeleitet, die auch — unter Vermittlung der kurzen Querwellen — nach den inneren Schiebern abgeleitet werden.

Infolgedessen machen die beiden Schieber

einer Lokomotivseite Ausschläge, die nur nach der G r ö ß e des H u b e s

verschieden

154

Wilhelm

Lynen.

sind; sie k o m m e n aber zu gleicher Zeit in die gleichen Endlagen.

Da die zugehörigen

Kurbeln unter 180° stehen, so gelangen die Kolben zu gleicher Zeit in die entgegengesetzten Endlagen. nach den

Nun kann aber doch mit den obigen Schiebern der Arbeitsdampf

entgegengesetzten Zylinderseiten abgeleitet werden, wenn man ihn

dem

einen Schieber von der Mitte, dem anderen Schieber von außen zuführt. Man wählt die innere E i n s t r ö m u n g auf der Hochdruckseite, weil dann

die

H o c h d r u c k s c h i e b e r außen von schwach g e s p a n n t e m Dampf umspült und die Stopfbüchsen der Schieberstangen leicht abzudichten sind. Diese wesentliche Vereinfachung der Steuerung rechtfertigt die

Verlegung

des H o c h d r u c k z y l i n d e r s in das Innere des Rahmens, trotzdem hierbei die schweren G a n g w e r k e der Niederdruckzylinder und die von ihnen verursachten Massenkräfte g r ö ß e r e Hebelarme erhalten und dadurch einen etwas unruhigeren G a n g der Lokomotive veranlassen.

Dieser Nachteil kommt aber um so weniger in Betracht, als

infolge der vier Zylinder ohnehin geringe Gegengewichte in den Lokomotivrädern angebracht sind, um den G a n g der Lokomotive befriedigend zu gestalten, wie ein Blick auf die Fig. 1 erkennen läßt. Bei der Ausbildung der S t e u e r u n g e n

für so hohe U m d r e h u n g s z a h l e n ,

sie bei den pfälzischen Lokomotiven v o r k o m m e n , ist es wichtig, daß nur

wie

geringe

Schieberreibung auftritt, weil sonst die Ableitung der Wärme und die S c h m i e r u n g der Schieber unüberwindliche Schwierigkeiten

macht.

Bei den betrachteten Loko-

motiven sind daher alle Schieber als Kolbenschieber mit doppeltem Einlaß und mit doppeltem Auslaß ausgeführt. Die Kolbenschieber verursachen geringe Reibung,

sie sind aber nicht so

leicht dicht zu halten wie die Flachschieber, und dies führt leicht zu Dampfverlusten. Durch gute Werkstättenarbeit,

namentlich

durch

eine F o r m g e b u n g

der

Schieber,

welche ein Verziehen unter dem hohen Druck und den hohen T e m p e r a t u r e n meidet, durch gut gearbeitete Dichtungsringe kann der Dampfverlust

ver-

eingeschränkt

werden, b e s o n d e r s wenn im Betrieb gutes Heißdampföl zum Schmieren verwendet und durch zeitweilige P r ü f u n g und allfallsige Nacharbeit der Dichtungszustand der Kolbenschieber gut erhalten wird. Eine wichtige Sorge bei der D u r c h b i l d u n g der Schiebersteuerungen schnell laufender Lokomotiven ist die Beachtung der Massenwirkungen der Steuerungsteile. Bei der vorliegenden Steuerung sind in der Steuerwelle und in den beiden tragungswellen

von

dem

außenliegenden Gangwerk

Bauteile eingefügt, welche unter der Schieberreibung

nach

den

Über-

inneren Schiebern

und den Massenkräften auf

S c h n e l l z u g s l o k o m o t i v e n der Pfalzbahnen.

Verdrehung beansprucht werden,

und

welche

bei

den

155

großen

n a c h g e b e n und die D a m p f v e r t e i l u n g v e r s c h l e c h t e r n k ö n n e n , vorliegenden Falle, g e m a c h t werden.

in g r o ß e n D u r c h m e s s e r n

Längen

beträchtlich

wenn sie nicht, wie im

ausgeführt und dadurch

D i e b e s o n d e r s stark belasteten G e w e r k b o l z e n

flächen und b e s o n d e r s g e e i g n e t e n Stoff in den B u c h s e n

unnachgiebig

haben g r o ß e

Lauf-

erhalten.

B e i der A n o r d n u n g der S c h m i e r g e f ä ß e , w e l c h e auf den b e w e g t e n S t e u e r u n g s teilen selbst a n g e b r a c h t werden m ü s s e n , weil bei den g r o ß e n erzeugen,

wenn

Fahrgeschwindigkeiten

die reibenden T e i l e

große Wärme

sie nicht ständig

und reichlich

geschmiert werden,

ist die Wahl der richtigen A n b r i n g u n g s s t e l l e n wichtig g e w e s e n .

Fig. 4.

Die A n o r d n u n g

der

vier Zylinder

nebeneinander

gibt

ein starres

Ganzes,

w e l c h e s den R a h m e n wirksam diagonal versteift, dem Kessel eine feste S t ü t z e bietet und eine gute V e r b i n d u n g z w i s c h e n der L o k o m o t i v e und dem vorderen D r e h g e s t e l l ermöglicht.

Die D a m p f w e g e sind kurz, und das G a n z e der Zylinder und

Schieber-

kasten hat eine v e r h ä l t n i s m ä ß i g kleine ä u ß e r e O b e r f l ä c h e und kann gut g e g e n S t r a h lung g e s c h ü t z t w e r d e n , so daß die W ä r m e gut

z u s a m m e n g e h a l t e n und der D a m p f -

v e r b r a u c h e r m ä ß i g t wird. D i e s e A n o r d n u n g der vier Zylinder steht im G e g e n s a t z

zu der

vorwiegend

an f r a n z ö s i s c h e n L o k o m o t i v e n ausgeführten A n o r d n u n g der Z y l i n d e r in zwei G r u p p e n ,

156

Wilhelm

Lynen.

S y s t e m de G l e h n , bei w e l c h e m die Dampfverteilung im Niederdruckzylinder b e l i e b i g gewählt w e r d e n kann g e g e n ü b e r dem D i e vier D a m p f k o l b e n ,

deren H u b 6 0 0 m m beträgt,

ein, w e l c h e die Fig. 4 e r k e n n e n läßt. Nickelstahl

geschmiedet.

Hochdruckzylinder. wirken

auf

eine

D i e s e Welle ist aus einem S t ü c k

Nur allerbester Baustoff

ist der

hohen

Inanspruchnahme

fähig, w e l c h e die W e l l e unter den gleichzeitig von den D a m p f k o l b e n

und von

S t ö ß e n der R ä d e r g e g e n die S c h i e n e n auftretenden Kräften auszuhalten Würde

man

nur

eine T r e i b a c h s e ,

keine K u p p e l a c h s e

Welle

Kruppschen

an

den

hat.

der

Lokomotive

h a b e n , so würden g l e i c h e Kolbenkräfte nur ein D r e h m o m e n t an der Welle e r z e u g e n , und die W e l l e n l a g e r nur die am Z u g h a k e n wirkende Kraft aufzufangen haben.

Die

Kolbenkräfte würden dann in der H a u p t s a c h e von den Kurbelzapfen, nicht von den Wellenlagern

aufgefangen

werden.

Die Kurbelzapfen k ö n n e n a b e r ,

ohne

warm zu

laufen, eine g r ö ß e r e B e l a s t u n g e r t r a g e n wie die W e l l e n l a g e r z a p f e n , weil sie mit g r ö ß e r e r G e s c h w i n d i g k e i t durch die Luft geführt und dadurch b e s s e r a b g e k ü h l t S o l a n g e auf der Fahrt in e b e n e r S t r e c k e die L o k o m o t i v e an den T r e i b r ä d e r n

auskommt,

um

mit der

den W i d e r s t a n d am Z u g h a k e n

ist dieser Vorteil auch an der ausgeführten L o k o m o t i v e

werden.

zu

Reibung

überwinden,

mit einer K u p p e l a c h s e v o r -

h a n d e n und der G a n g d e r s e l b e n ein leichter. Sobald

die K u p p e l r ä d e r

wesentlich

an

der K r a f t ü b e r t r a g u n g

beteiligt

sind,

werden die L a g e r b e l a s t u n g e n wesentlich h ö h e r , doch bleiben sie n o c h eine Kleinigkeit unter den B e t r ä g e n , w e l c h e die de G l e h n s c h e A n o r d n u n g In der Fig. 5 sind die R ä d e r der L o k o m o t i v e an ihrem unteren S c h e i t e l in einem G e l e n k g e l a g e r t , zu

bringen,

daß für den betrachteten

R e i b u n g an den S c h i e n e n festgehalten

Augenblick

veranlaßt.

so

gezeichnet,

um

auffallend

diese

als wären zum

Scheitelpunkte

sie

Ausdruck durch

die

sind.

D e r eigenartigste Teil der L o k o m o t i v e ist der in Fig. 6 dargestellte welcher

den K e s s e l

nimmt.

E r ist als s o g . B a r r e n r a h m e n ausgeführt.

und die D a m p f m a s c h i n e

trägt

Rahmen,

und die A c h s e n d e r R ä d e r auf-

D i e s e R a h m e n sind auf den

a m e r i k a n i s c h e n B a h n e n ausschließlich in G e b r a u c h .

nord-

Die Lokomotivfabrik Maffei hat

der B a y e r i s c h e n S t a a t s b a h n etwa 5 0 L o k o m o t i v e n mit B a r r e n r a h m e n geliefert, n a c h dem

diese

Verwaltung

sich

im J a h r e

1899

amerikanische

Lokomotiven

von

den

Baldwin L o c o m o t i v e W o r k s in Philadelphia hatte k o m m e n lassen, um an d e n s e l b e n ihre Studien zu m a c h e n . Mit der V e r w e n d u n g von B a r r e n r a h m e n , w e l c h e die g r ö ß t e Zufriedenheit der B a y e r i s c h e n S t a a t s b a h n erlangt und auch

bei

den Pfälzischen B a h n e n

sich

schnell

157

S c h n e l l z u g s l o k o m o t i v e n der P f a l z b a h n e n .

beliebt g e m a c h t haben, so daß auch die badische Staatsbahn bei neuen Lokomotiven B a r r e n r a h m e n bestellt hat, ist nach m e h r als 40jähriger T r e n n u n g eine Wiedervereinig u n g von zwei Wegen

erfolgt, welche zu guten Lokomotivkonstruktionen

führen.

F i g . 5.

=- =a 7 7

I

; -U -

'PZ

*

/I

F i g . 6.

Zu Beginn

des Lokomotivbaus w u r d e n

sowohl

in E u r o p a

als auch

in

Amerika

B a r r e n r a h m e n angewandt, welche in Gestalt von einfachen Gabeln um den Kessel gelegt w a r e n , an welchen die aus Blechstücken hergestellten Achshalter befestigt wurden.

Später ging man in Amerika dazu über, auch die Achshalter in

Barren-

158

Wilhelm Lynen.

stücken anzuschweißen, während man in Europa Rahmen und Achshalter aus starken Blechplatten herstellte. Der Vorzug des B a r r e n r a h m e n s liegt in der großen Übersichtlichkeit, die er bei der auf dem Geleise stehenden Lokomotive über die inneren Teile gibt. ist ein für den Betrieb

schwerwiegender

Vorteil,

besonders

bei

innen

Dies

liegenden

Dampfzylindern, da bei kurzen Aufenthaltszeiten auf Zwischenstationen eine schnelle P r ü f u n g des

Gangwerks

ermöglicht

wird.

Die geometrisch g e n a u e

Gestalt

des

Rahmens macht den Z u s a m m e n b a u der Lokomotive, den Anbau der t r a g e n d e n und führenden Teile des G a n g w e r k s und der S t e u e r u n g einfach und billig und gibt eine g r ö ß e r e Genauigkeit,

als sie beim Anpassen

und Anprobieren

an die nicht

be-

arbeiteten Seitenflächen der Plattenrahmen erzielbar ist. Der Nachteil des B a r r e n r a h m e n s besteht in dem Vorhandensein der Schweißstellen, deren Güte und Fehlerlosigkeit nicht so ohne weiteres gewährleistet ist.

Der

aus vollen

Ein

Blechen herausgearbeitete Plattenrahmen hat keine Schweißfugen.

g e b r o c h e n e r Plattenrahmen kann leichter wiederhergestellt werden als ein Barrenrahmen.

Wenn ein B a r r e n r a h m e n u n b r a u c h b a r wird, geht eine große und teuere

Werkstättenarbeit verloren. Um eine möglichst große Sicherheit zu haben in b e z u g auf den Baustoff, bearbeitet

die Firma Maffei die sämtlichen Flächen

der B a r r e n r a h m e n , auch

die

inneren, an welchen keine Maschinenteile befestigt werden und welche deshalb roh bleiben könnten.

Die Kosten der Bearbeitung dieser Flächen sind

eine Versicherungsgebühr gegen den Bruch der Rahmen.

gewissermaßen

Durch sorgfältige Pake-

tierung der Eisenblöcke, durch gute S c h u l u n g ihrer Arbeiter, durch gute Aufsicht bei der Schmiedearbeit ist es ihr gelungen, daß bis jetzt noch kein R a h m e n b r u c h v o r g e k o m m e n ist. Der Barrenrahmen fällt teurer in der Herstellung aus als ein Plattenrahmen, weil man nicht imstande ist, so viel Rahmen gleichzeitig auf einer W e r k z e u g m a s c h i n e zu bearbeiten als bei Plattenrahmen, bei denen man bis zu 12 übereinandergelegte Platten gleichzeitig fräsen oder stoßen kann. kosten

Anderseits wird ein Teil dieser Mehr-

wieder eingespart durch den leichteren Z u s a m m e n b a u der Lokomotive,

so

daß schließlich die Kosten der g a n z e n Lokomotive beim B a r r e n r a h m e n nicht höher ausfallen als beim Plattenrahmen. Der

sonst bei B a r r e n r a h m e n g e r ü g t e Nachteil,

daß die Querversteifungen

nicht g e n ü g e n d ausgebildet werden können, ist bei den vorliegenden Lokomotiven nicht vorhanden.

Die vier Dampfzylinder geben eine wirksame Versteifung ab, die

Schnellzugslokomotiven der Pfalzbahnen.

durch

eine

kräftige

unterstützt wird. träger

und

Ausbildung

des

Zugkastens

am

159

hinteren

Ende

des

Rahmens

F e r n e r sind z w i s c h e n den E n d e n des R a h m e n s n o c h die G l e i t b a h n -

Pendelbleche

für die A b s t ü t z u n g

des

Langkessels vorgesehen,

welche

auch zur Versteifung des R a h m e n s b e i t r a g e n , die bei einer etwaigen E n t g l e i s u n g der L o k o m o t i v e wichtig ist. Die L o k o m o t i v e n sind mit einer Reihe von V o r r i c h t u n g e n a u s g e r ü s t e t , damit der F ü h r e r

die V e r b r e n n u n g s v o r g ä n g e ,

die S c h m i e r u n g

das Anfahren und Halten leicht und sicher

der S c h i e b e r

und

beherrscht.

Um das namentlich auf B a h n h ö f e n lästige Q u a l m e n zu v e r m e i d e n , L o k o m o t i v e n mit R a u c h v e r b r e n n u n g s a p p a r a t e n

nach Staby versehen.

tritt ein, w e n n

ihre

ausstoßen

die frisch

und

zu

vorhanden ist.

aufgelegten Kohlen

deren V e r b r e n n u n g

leicht

nicht g e n ü g e n d

Das

vergasenden Luft

sind

in der

dem F o r t s c h r e i t e n

in der E n t g a s u n g der Kohlen einzutreiben, wird

b e s o n d e r e s Ventil geöffnet, w e l c h e s hälter einläßt, bis

Qualmen

Rauchkammer und mit

a b n e h m e n d e L u f t m e n g e über dem

beim ö f f n e n

der Feuertür

selbsttätig

so lange K e s s e l d a m p f in einen b e s o n d e r e n

die F e u e r t ü r wieder

die

Bestandteile

Um nun eine nach dem Aufwerfen von K o h l e n g e n ü g e n d e

R o s t in die F e u e r k i s t e

Kolben,

geschlossen

wird.

Dieser Dampf

tritt

ein Benach

S c h l u ß der F e u e r t ü r durch drei D ü s e n in die Feuerkiste ein und reißt Luft mit sich, w e l c h e die R a u c h m a s s e n durchdringt und dem

Behälter

entwichen

ist,

desto

mehr

sie v e r b r e n n t . läßt

die

einblasen nach, und die G r ö ß e des D a m p f b e h ä l t e r s

Je

mehr

der D a m p f

Düsenwirkung

und

ist so b e m e s s e n ,

das

daß

aus Luft-

ungefähr

g l e i c h z e i t i g die E n t g a s u n g der K o h l e n und das Einblasen der Luft aufhören. Während breit

ausgeführt

der und

Fahrt mit

ist

zwei

es

von g r o ß e r Wichtigkeit, daß

Feuertüren

v e r s e h e n ist.

Durch

die

Rauchkammer

das

abwechselnde

S c h ü r e n gibt es i m m e r eine gut d u r c h g e b r a n n t e Feuerhälfte, in w e l c h e r ein g e w i s s e r L u f t ü b e r s c h u ß vorhanden ist, so daß der aus der frisch b e d e c k t e n , s c h w a r z e n Hälfte aufsteigende Rauch z u m Teil auch mit Hilfe der heißen, luftgetränkten F l a m m e n rotglühenden Hälfte verminderers

des

Feuers

v e r b r a n n t wird, wodurch

in e r w ü n s c h t e r W e i s e

unterstützt

wird,

der

die W i r k u n g des R a u c h -

wenn

die

Kohlen

in

großen

Z u r V e r m i n d e r u n g des F u n k e n a u s w u r f s aus dem S c h o r n s t e i n ist ein

Sturm-

M e n g e n und in kurzen P a u s e n aufgeworfen werden m ü s s e n . . scher

Funkenfänger

in die

Rauchkammer

eingebaut.

An

demselben

ist die

An-

b r i n g u n g von zwei b e w e g l i c h e n G i t t e r w ä n d e n e i g e n t ü m l i c h , die mit Hilfe e i n e s kleinen D a m p f z y l i n d e r s mit K o l b e n g e s c h l o s s e n werden, sobald Arbeitsdampf in die S c h i e b e r kasten der L o k o m o t i v e e i n g e l a s s e n

wird.

Wilhelm Lynen.

160

Wenn der Dampf von den Schieberkasten abgesperrt wird — also bei Stillstand der Lokomotive

im Bahnhof

oder

im Schuppen, oder bei einer Talfahrt —

öffnen sich diese Gitterklappen von selbst, so daß der S c h o r n s t e i n z u g nicht durch die Maschen der Gitter behindert wird. die Gitterwände

beim Schließen

der

mehr

Durch den leichten Schlag, mit dem

Klappen

an

ihren Sitz anprallen,

tritt

eine

Selbstreinigung der Maschen von darin festgehaltener Asche ein, die fiir die Z u g e r z e u g u n g erwünscht ist. Bei der selbsttätigen Schieberschmierung, Bauart Mildenberger, ist die

den

vier Kolbenschiebern zugeführte ö l m e n g e abhängig vom Dampfdruck im Schieberkasten.

Wenn die Maschine mit voller Kraft fährt, wird

am stärksten g e s c h m i e r t ;

wenn sie ohne Dampf läuft, hört die S c h m i e r u n g von selbst auf.

Der D a m p f d r u c k

im Schieberkasten wirkt auf einen Dampfkolben in einem besonderen Zylinder.

Der

Dampfkolben ist durch eine Kolbenstange

von

kleinerem preßt. kann

Durchmesser verbunden,

Das ö l nur

dann

ist von in

die

den

der

direkt auf

das

Schmierleitungen

Leitungen

mit

übertreten,

einem

zweiten

Schmieröl

durch wenn

Kolben

in einem

einen

Hahn

das von

der

ölzylinder

getrennt Kulisse

und der

Schiebersteuerung bewegte H a h n k ü k e n seine B o h r u n g e n mit den Schmierleitungen in V e r b i n d u n g setzt. Auf diese Weise wird eine sparsame und doch betriebssichere S c h m i e r u n g erreicht. Eine Besonderheit aller Verbundlokomotiven sind die sog. Anfahrvorrichtungen, welche d a d u r c h notwendig werden, daß die Lokomotive in einer Stellung zum Halten k o m m e n kann, in welcher einer der beiden Hochdruckkolben in einer Totlage steht, wodurch der auf ihn drückende Dampf wirkungslos ist.

Der D a m p f d r u c k auf

den

anderen Hochdruckkolben ist dann zu schwach, um den an der Lokomotive h ä n g e n d e n Z u g anzuziehen. In einem

solchen Fall

m u ß der Kesseldampf,

allerdings mit verminderter

S p a n n u n g , zum Druck auf die großen Niederdruckkolben gebracht w e r d e n , bis daß die Maschine in G a n g g e k o m m e n ist, worauf dann die Anfahrvorrichtung abgestellt und die Verbindung des Kessels mit den Niederdruckzylindern aufgehoben wird. Um bei nassem Wetter und glatten Schienen das sog. Schleudern der Triebräder, das Drehen ohne gleichzeitiges Fortrollen

über

die Schienen,

zu

verhüten,

sind die Lokomotiven mit einem Sandstreuer ausgerüstet, welcher gestattet, trockenen Sand zwischen die Triebräder und die Schienen zu blasen, damit die Räder auch bei glatten Schienen kräftig fassen.

Dieser Sand wird vermittelst einer durch Druckluft

gespeisten Düse nach der Bauart B r ü g g e m a n n ausgeblasen.

Durch die A n w e n d u n g

S c h n e l l z u g s l o k o m o t i v e n der Pfalzbahnen.

161

von Druckluft wird das Nässen und Zusammenballen des S a n d e s in der Sandleitung und das Vereisen der D ü s e im Winter verhindert. Die Druckluft kann auch dazu benützt werden, den Sand in dem oben auf dem Kessel befindlichen Sandkasten aufzuwühlen, falls er feucht ist.

Dadurch wird

er schneller getrocknet. Die in der Fahrt befindliche Lokomotive treibt einen Geschwindigkeitsmesser, Bauart Hausshälter,

an, mit Hilfe dessen die Fahrgeschwindigkeit der

Lokomotive

durch einen Zeiger dem Lokomotivführer angezeigt und für die Betriebsaufsicht unter gleichzeitiger A n g a b e der Aufenthalte auf einem Papierstreifen aufgezeichnet wird. Auf diese Weise soll verhütet w e r d e n ,

daß der Lokomotivführer

in Strecken,

die

mit verminderter Geschwindigkeit durchfahren werden müssen, zu schnell fährt, um etwa eine Z u g v e r s p ä t u n g einzuholen. Z u m Bremsen der Lokomotive und des angehängten Z u g e s ist eine Luftdruckbremse, Bauart Schleifer, auf der Lokomotive eingebaut.

Diese Bremse, die in

Deutschland gebaut wird, ist auf den Pfälzischen Bahnen und auch sonst in Deutschland eingeführt u n d ist in erfolgreichen Wettbewerb mit der aus Amerika s t a m m e n d e n Westinghouse-Luftdruckbremse eingetreten. Wie bei Westinghouse drückt

ein auf

kompressor Luft in einen Vorratsbehälter entlang g e h e n d e Druckluftleitung und

der Lokomotive angeordneter Luft-

hinein,

eine

Reihe

aus

dem

von

Hilfsluftbehältern

werden, die in der Nähe der zu betätigenden B r e m s e n sind. führer die Druckluft aus der Leitung ausströmen,

eine den ganzen Z u g

so wird

gespeist

Läßt der Lokomotivbei jeder B r e m s e

ein

sogenanntes Steuerventil so verstellt, daß die Druckluft aus den Hilfsbehältern in die zugehörigen Bremszylinder eintritt, wodurch sie den darin befindlichen Kolben verschiebt und damit die Bremsen anzieht. Läßt der Führer wieder Druckluft aus dem Vorratsbehälter in die Druckluftleitung einströmen, so wird das Steuerventil wieder zurückgebracht, w o d u r c h die Bremsluft aus den Bremszylindern

ins Freie gelassen

u n d der z u g e h ö r i g e Hilfsluftbehälter wieder mit frischer Druckluft gespeist wird. In Gefahrfällen m u ß die Druckluft b e s o n d e r s schnell aus der Leitung herausgelassen w e r d e n . Die Steuerventile müssen so empfindlich gebaut sein, daß alle Wagen, vom ersten bis z u m letzten hin, fast gleichzeitig und gleichmäßig stark g e b r e m s t w e r d e n , w ä h r e n d die Lokomotive anfänglich etwas weniger stark

g e b r e m s t wird.

Dadurch

kommt der ganze Z u g gestreckt zur Ruhe und es werden Z e r r u n g e n der einzelnen 11

162

Wilhelm Lynen.

Zugteile

gegeneinander

Schnellzugslokomotiven der Pfalzbahnen.

vermieden.

Die Schleifer-Bremse

wird

in hohem

Maße

den hohen Anforderungen gerecht, die an eine Luftdruckbremse gestellt werden. Aus der Betrachtung des Baues der Lokomotive und ihrer Ausrüstung ersieht man, daß sie eine kleine in sich geschlossene Welt ist. Der anscheinend so einfache Vorgang der Fortbewegung eines Eisenbahnzuges

macht wegen

der großen

Ge-

schwindigkeiten und der großen bewegten Massen eine Anhäufung der scharfsinnigst erdachten Einrichtungen notwendig, um die großen Gefahren, die eintreten können, zu vermeiden. Eine solche Lokomotive ist als ein bewunderungswürdiges Meisterwerk zusehen :

an-

mit starker Kraft setzt sie den angehängten Zug in Bewegung, mit großer

und doch leicht gezügelter Geschwindigkeit und mit zäher Ausdauer bringt sie ihn über B e r g und Tal, mit unbedingter Sicherheit setzt sie die gewaltigen Massen aus der schnellsten Bewegung in Ruhe — dabei sind ihr aber enge Grenzen hinsichtlich ihrer Abmessungen gesteckt, welche die Entfaltung dieser Eigenschaften Richtungen erschweren.

nach allen

Ein Meisterwerk im Bau von W a s s e r k r a f t m a s c h i n e n . V o n Rudolf

Camerer.

W e r von dem herrlich gelegenen Berchtesgaden nach Reichenhall marschiert und nicht die Straße über Hallturm entlang der neuen Bahnlinie, sondern den viel großartigeren Weg in südöstlicher Richtung durch die Ramsau einschlägt, der trifft in etwa einer Stunde

nach Verlassen

von Berchtesgaden bei dem Orte Ilsank

ein Brunnhaus, in dem ein sowohl historisch

als auch

Meisterwerk menschlichen Könnens zu sehen ist. er erfährt, daß

auf

technisch bemerkenswertes

Der Besucher wird staunen, wenn

die hier aufgestellte Maschine durch Wasser,

welches unter einem

Druck von 112 m Wassersäule steht, in Bewegung gesetzt wird und die zu hebende Salzlösung auf eine Höhe von 356 m in ein auf dem durch seine herrliche Aussicht berühmten Söldenköpfl befindliches Reservoir drückt. führte, etwas kleinere Maschine

dieser

München aufgestellt und in Fig. 1 wiedergegeben. Vergnügen

den trotz

der gewaltigen

Eine

Art ist in dem

genau

ähnlich

Deutschen

ausge-

Museum

zu

Bemerkt der Beschauer schon mit

auftretenden

Kräfte spielenden und fast ge-

räuschlosen Gang, die unübertrefflich einfache Kraftübertragung von dem Treib- auf den Pumpkolben

(s. Fig. 2) und die meisterhafte Anordnung

der Steuerung, ll*

was

Rudolf C a m e r e r .

164

ihn g l a u b e n m a c h e n könnte hier ein Meisterwerk m o d e r n ster T e c h n i k

vor

sich

zu

haben, so w ä c h s t seine B e w u n d e r u n g für den genialen Schöpfer aufs

dieser

Maschine

h ö c h s t e , wenn

er

er-

fährt, daß sie vor bald hundert

Jahren

gebaut

wurde

und, w a s als fast einzig dastehend

im

Maschinenbau

hervorgehoben

zu

werden

verdient, in d i e s e r l a n g e n Z e i t unermüdlich und ohne nenn e n s w e r t e Reparatur ihre g e waltige Arbeit verrichtet hat. Die W a s s e r h e b e m a s c h i n e zu llsank

ist

eine

Schwester-

m a s c h i n e von zwölf g l e i c h artigen M a s c h i n e n , die s ä m t lich

dem

Zwecke

dienten,

die S o l e aus den b a y e r i s c h e n S a l z b e r g w e r k e n in B e r c h t e s gaden und Reichenhall weiter ins Land hinein in die waldreichen G e b i e t e von T r a u n stein und schließlich bis R o s e n h e i m fortzuleiten, da der Holzreichtum legenen

der

Wälder

nahege-

zum

Ein-

dampfen der S o l e nicht a u s reichte

und die

kosten

der

Transport-

letzteren natur-

g e m ä ß viel g e r i n g e r ausfallen mußten, als die des entspreFig. 1.

E i n M e i s t e r w e r k im B a u von

chenden Heizmaterials.

Einfachwirkende Reichenbach sehe Wassersaulenmaschine

Es ist das

Verdienst des auch an anderen Stellen dieser Festschrift rühmlichst genannten damaligen bayerischen rates

Georg

Salinen-

v. Reichenbach,

großartige Werk

165

Wasserkraftmaschinen.

durchgeführt

das und

Aufzieh-Cyllnder

durch seine geniale Konstruktion er-

Aulziehkolben Druckwasser zufluss.

möglicht zu haben. Die ersten dieser Maschinen wurden im Jahre 1808 in Betrieb gesetzt

und

förderten

Traunstein.

die

Sole

bis

Wässeräuslass

1809 geschah die Fort-

setzung bis Rosenheim und der glück-

Treib-Cylinder

liche Erfolg dieser neuen Anlage führte im

Jahre

1817

schließlich

Treibkolben

auf die

Überleitung der Sole von Berchtesgaden nach Reichenhall, wobei

die

zur Umgehung der damaligen österreichischen

Grenze

unüberwindlich

scheinenden Gefällsdifferenzen insbesondere durch die

hervorragendste

Maschine in Ilsank in der glücklichsten Weise überwunden wurden. Der Situationsplan der Gesamtanlage zeigt sich im Titelbild, ein Dispositionsplan der Soleförderung zwischen Berchtesgaden und Reichenhall ist in Fig. 3 wiedergegeben. Die Wirkungsweise der Reichenbachschen Wassersäulenmaschine erhellt aus Fig. 2.

Fig. 2.

Man erkennt

darin an oberster Stelle den kleinen Aufziehkolben, der berufen ist, das Gewicht der anhängenden Treib- und Pumpkolben Öffnung des unteren Ventils anzusaugen. Stellung,

so

kommt

der

Druck

auf

zu heben und zugleich

die Sole

unter

Befinden sich die drei Kolben in höchster

den

Treibkolben

zur Wirkung

und

drückt,

Ein Meisterwerk im B a u von Wasserkraftmaschinen.

vermittelt durch Kolbenstange und Pumpenkolben, obere Ventil in das Hochreservoir.

167

die angesaugte Sole

durch

das

Das Spiel beginnt von neuem und man erkennt,

daß man es hier mit einer einfach wirkenden Wassersäulenmaschine zu tun hat.

Es

sei erwähnt, daß Reichenbach auch doppeltwirkende Wassersäulenmaschinen gebaut hat, sowie, daß eine kleinere Wassersäulenmaschine mit zwei seitlich vom Treibzylinder angeordneten

Pumpenzylindern,

die sich im Deutschen

nach Ansicht der Museumsverwaltung

Museum

befindet (Fig. 4)

gleichfalls

unzweifelhaft Reichenbach zugeschrieben werden muß. Es erübrigt noch der sinnreichen Steuerung einige Aufmerksamkeit zu schenken.

Zwei

an der Kolbenstange befindliche Ringe verschieben jeweils beim Ende des Hubes den Hebel zur Vorsteuerung.

Die Hauptsteuerung wird durch das

Druckwasser selbst in Bewegung gesetzt, welches durch den kleinen Kolbenschieber der Vorsteuerung in Verbindung mit dem Differentialkolben der Hauptsteuerung den Kolbenschieber der letzteren bewegt (s. Fig. 2).

Die ganze Maschine ist aus

Rotguß hergestellt und verdankt neben der sinnreichen Konstruktion auch diesem Umstand ihre hohe Lebensdauer. Es ist erfreulich zu bemerken, daß schon

Fig. 4.

zur Zeit ihrer Aufstellung die Bedeutung der neuen Schöpfung

von

1. C. Jordan reise

im

Berlin

den Zeitgenossen

im Anschluß

Archiv für

an

voll

und ganz

eine 1822

anerkannt

nach Bayern

wurde.

So

schreibt

unternommene Inspektions-

Geographie, Geologie, Bergbau und Hüttenkunde (10. Band,

1837) über Reichenbach:

„dessen

ausgezeichnete Leistungen

in

der

tech-

nischen Mechanik als ruhmwürdige Denkmäler seines tatkräftigen Erfindungsgeistes und

zum

bisson

Nutzen

de Voisins

der

Nachkommen

noch

lange

fortbestehen

werden".

D'Au-

„un

gigantesque

ouvrage" und Reichenbach „un homme de génie, un des plus habiles

mécaniciens

de notre époque".

nennt die besprochene Wassersäulenmaschine

Das höchste Lob aber spendet ihm der damalige Ingénieur des

mines Junker, der bei Gelegenheit der Neuanlage der Radkünste in Huelgoat in der Bretagne nach Bayern reiste, um Reichenbachs Rat einzuholen.

Er schreibt in den

168

Rudolf C a m e r e r .

Annales des mines 3. série, Paris 1835: „M. de manière

Reichenbach

la plus étonnante pour les arts mécaniques."

„admirables de simplicité,

de perfection

et de

Er

était

nennt

hardiesse",

das

organisé seine

de la

Maschinen

Unternehmen

ein

„gigantesque entreprise", und fügt bei: „Je dirai seulement que tout y est parfait, et que partout, dans ces magnifiques salines, à côté des plus ingénieuses conceptions, on reconnaît

la sagesse,

l'esprit d'ordre et de

conservation

Allemands et font traverser les siècles à leurs entreprises".

qui

caractérisent

les

Sein uneingeschränktes

Lob, das im Munde des Ausländers doppelt bedeutungsvoll erscheinen muß, schließt mit folgenden Worten, die durch jeden Zusatz nur abgeschwächt

werden

könnten:

„Ces innovations constituent un progrès tellement remarquable, qu'on peut dire que c'est du moment où on a pu mettre en œuvre des colonnes d'eau formidables

que

date l'application utile du grand et simple principe de notre immortel Pascal. M. de Reichenbach fera oublier Höell, Winterschmidt, et tous ceux qui, avant lui, ont construit, essayé ou projeté des machines de cette e s p è c e ; comme du condenseur, du modérateur à force centrifuge,

Watt, par l'emploi

du parallélogramme,

oublier les Newkomen, les Savery, Papin même, et tous ceux

qui

etc.,

a fait

se disputent

la

merveilleuse invention des machines à vapeur." „A Dieu ne plaise que j e veuille établir la moindre comparaison

entre

les

services réels rendus à la société par ces deux illustres mécaniciens, ni même entre le mérite de leurs inventions ; mais au moins puis-je croire que M. de Reichenbach serait devenu le Watt de sa patrie, si l'Allemagne avait été aussi avancée en industrie que l'Angleterre, et si les mêmes questions se fussent agitées à la même

époque

dans les deux pays.

Literaturangaben. M. J u n k e r , Mémoire sur les machines à colonne d'eau de la mine d'Huelgoat.

Annales

des mines, 3. série, Paris 1835. D ' A u b i s s o n d e V o i s i n s , Traité d'hydraulique.

Paris 1840.

R i i h l m a n n , Allgemeine Maschinenlehre, B r a u n s c h w e i g 1875. v. L o s s o w , Die g e s c h i c h t l i c h e Entwicklung der Technik schrift des Vereines deutscher Ingenieure, J a h r g a n g 1903.

im südlichen

S. 1949 u. f.

Bayern.

Zeit-

U t z s c h n e i d e r , F r a u n h o f e r , R e i c h e n b a c h und G. M e r z .

(Nach e i n e m G e m ä l d e von Rudolf W i m m e r . )

Feinmechanik in Bayern. Von Ernst Voit.

E i n e Geschichte der Feinmechanik in Bayern während des X I X . Jahrhunderts kann einen so hervorragenden Mann wie Georg Friedrich Brander in Augsburg nicht unerwähnt lassen, obwohl seine Werkstätte schon in der Mitte des vorausgehenden Jahrhunderts in voller Blüte stand und nur die späteren Erzeugnisse derselben noch in den Beginn des X I X . Jahrhunderts reichen. Im XVIII. Jahrhundert hatten besonders englische Künstler den astronomischen Instrumenten

einen hohen Grad der Vollkommenheit g e g e b e n ,

Markt für die Feinmechanik

fast ausschließlich

in den Händen

so daß damals der der Engländer

lag.

170

E r n s t Voit.

In Deutschland war es nur der genannte G. F. Brander, welcher mit den Engländern nach mehrfacher Richtung in erfolgreiche Konkurrenz trat. Brander w u r d e im Jahre 1713 zu R e g e n s b u r g geboren, er hatte von Jugend auf eine entschiedene Neigung zur Mechanik, der er sich auch nach

dem

Tode

seines Vaters, eines Materialhändlers, unter der Leitung geschickter Mathematiker zu N ü r n b e r g und Altdorf, insbesondere unter Prof. Doppelmayer, widmete. burg

übergesiedelt,

anderen fertigen.

unterstützt,

begann

er dort

chirurgische

Nach A u g s -

im Jahre 1734, v o m Bankier v. Halder

und bald

auch

mathematische

Instrumente

1737 brachte er die ersten Teleskope in Deutschland zustande, und

und zu nach

wenigen Jahren wetteiferten seine Kunstwerke, b e s o n d e r s seine geometrischen, physikalischen und a s t r o n o m i s c h e n , mit den besten englischen.

Selbst König G e o r g III.

ließ für die Instrumente seines Privatobservatoriums zu Richmond-Park Glasmikrometer kommen.

Brandersche

(eine unserem L a n d s m a n n eigentümliche Erfindung) nach England

Die ersten Höfe, Akademien und Sternwarten D e u t s c h l a n d s , Italiens und

Frankreichs schafften sich Brandersche Instrumente an.

Die Akademie zu Kopen-

hagen krönte im Jahre 1779 Branders Preisschrift und den dazu verfertigten Distanzmesser mit einer goldenen Medaille.

Schon im Jahre 1740 ward er unter den vor-

teilhaftesten Anträgen nach Wien, im Jahre 1753 nach Paris und P e t e r s b u r g und im Jahre 1760 nach München berufen.

Er verblieb jedoch in A u g s b u r g , wo er auch

am 1. April 1783 im 71. Jahre starb und als Erben seiner Kunst seinen Schüler und Tochtermann Kaspar Hoeschel zurückließ.

Die von Brander gefertigten Instrumente

zeichnen sich meist durch eigentümliche, zweckmäßige Konstruktion, durch Form und häufig durch künstlerische A u s s c h m ü c k u n g aus.

schöne

Zahlreiche Instrumente

Branders befinden sich in der mathematisch-physikalischen S a m m l u n g des bayerischen Staates, die nun in d e m M u s e u m von Meisterwerken ihre Aufstellung g e f u n d e n hat. Aus d e m reichen Schatze dieser S a m m l u n g ist der in n e b e n s t e h e n d e r Figur dargestellte Q u a d r a n t (Fig. 1), ferner die L u f t p u m p e (Fig. 2), Inklinatorium (Fig. 3) und Nivellierinstrument (Fig. 4).

In

den späteren J a h r e n ,

als die

Firma

den Namen

Brander & Hoeschel a n g e n o m m e n , scheint Brander selbst nicht m e h r vollen Einfluß auf die Werkstätte gehabt zu haben, wenigstens sind die A u s f ü h r u n g e n von damals nicht m e h r so exakt und schön wie die anfänglichen; noch weniger befriedigen die unter dem Namen Hoeschel gefertigten Instrumente. der R u h m der A u g s b u r g e r Werkstätte, Zeiten in Bayern bedingt sein mag.

was

mit

Es verflüchtigte sich auch bald durch

die

damaligen

unruhigen

F e i n m e c h a n i k in B a y e r n .

Fig. 1.

171

Fig. 2.

F e i n m e c h a n i k in B a y e r n .

173

Erst mit dem Beginn des XIX. Jahrhunderts trat abermals eine Blüte der Feinmechanik

in

Bayern

ein.

Utzschneider

schildert

in der

Lebensbeschreibung

Fig. 3.

Fraunhofers diese zweite Blütezeit mit folgenden W o r t e n :

„Als im Jahre 1801 die

französische Konsularregierung zu Paris eine militärisch-topographische Karte von Bayern

verlangte und der französische Oberst und Ingenieur-Geograph

Messungen wirklich b e g a n n , fehlte es an guten Meßinstrumenten.

Bonne die

Diesem Mangel

abzuhelfen, entschloß sich der bayerische Artilleriehauptmann G e o r g Reichenbach,

174

Ernst Voit.

solche Instrumente herzustellen.

Er hatte auf Antrag Rumfords eine Unterstützung

des Kurfürsten Karl Theodor zu einer Reise nach England

erhalten und dort ver-

schiedene Werkstätten zur Verfertigung mathematischer Instrumente besucht.

Kurz

nach seiner Rückkehr verband er sich mit dem Uhrmacher und Mechaniker Joseph Liebherr,

um

in München

eine Werkstätte für mathematische Instrumente zu

be-

JOCm Fig. 4.

gründen, und veranlaßte sodann auch Utzschneider, seinem Unternehmen beizutreten. Am 20. August 1804 wurde ein Vertrag abgeschlossen,

um sofort

stitut R e i c h e n b a c h - U t z s c h n e i d e r - L i e b h e r r

von

die

Fertigung

beginnen und deren Teilungen auf der neukonstruierten Teilmaschine (Fig. 5) anzufertigen.

durch das In-

Meßinstrumenten

zu

Reichenbach-Liebherrschen

Nur die Gläser der Instrumente, die damals fast

175

Feinmechanik in Bayern.

ausschließlich von England bezogen w u r d e n , fehlten, da diese de'r Kontinentalsperre wegen nicht erhältlich waren.

Utzschneider kam deshalb zu dem Entschlüsse, auch

das optische Glas selbst herzustellen."

Peter Ludwig Guinand aus Brenet in Neuf-

chätel, welcher schon seit 1775 Versuche zur Herstellung optischen Glases g e m a c h t hatte, mußte von der Absicht Utzschneiders Kenntnis erhalten haben, denn er sendet

Fig. 5.

am 25. Juni 1804 an Utzschneider eine Denkschrift ü b e r : „Herstellung von optischem Glas", um dieselbe der Kgl. Bayerischen Akademie in München vorzulegen.

Guinand

schilderte darin seine Glasschmelzversuche, welche er in den Jahren 1775—1787 mit kleinen Proben von 3—4 Pfund, später jedoch mit solchen von 200 P f u n d ausführte, und macht den Vorschlag, die Herstellung von Spiegelglas und optischem Glas in Bayern zur Einführung zu bringen.

Es war dies die Veranlassung, daß Utzschneider,

welcher im Jahre 1805 eine Reise u n t e r n a h m ,

um

alle in der Nähe

befindlichen

Glasfabriken und deren Erzeugnisse kennen zu l e r n e n , persönlich mit Guinand in Aarau zusammentraf.

Als später einige von Guinaud eingesendete Glasproben

als

brauchbar sich erwiesen, wohnte Utzschneider im A u g u s t 1805 einer Glasschmelze in Brenet bei und veranlaßte infolge davon Guinand zur Übersiedlung nach Bene-

176

E r n s t Voit.

diktbeuern, was auch Ende September 1805 erfolgte.

Über die Tätigkeit G u i n a n d s

spricht sich Utzschneider dahin aus, daß derselbe erst durch die Versuche in Benediktbeuern brauchbares Glas zu schmelzen lernte und dabei einige Glasplatten erhielt, welche zu Objektiven für die bereits geteilten Meßinstrumente des

mathematisch-

mechanischen Instituts verwendet werden konnten. Als Utzschneider im Jahre 1807 in den Staatsdienst eintrat und deshalb die Glasschmelzen in Benediktbeuern nicht mehr selbst überwachen konnte, ü b e r t r u g er dem schon früher als Optiker in das Mathematisch mechanische Institut a u f g e n o m menen Fraunhofer, dessen Porträt im Titelbild (oben S. 171) wiedergegeben, auch die Aufsicht über die Glasschmelzen. Bald darauf wurde der Hauptteil der optischen Arbeiten des Münchener Institutes nach Benediktbeuern verlegt und dieser Abteilung durch die im Jahre 1809 erfolgte G r ü n d u n g des optischen Institutes Utzschneider-ReichenbachFraunhofer eine größere

Selbständigkeit

verliehen.

Fraunhofer

gelang

es

rasch,

Guinand in der A u s f ü h r u n g der Glasschmelzen zu übertreffen, so daß letzterer im Jahre 1814 Benediktbeuern verläßt und auch später, als er sich von Brenet aus im Jahre 1816 erbietet, neue Erfahrungen bezüglich der Herstellung optischen Glases in Benediktbeuern zu verwerten, von Utzschneider abgewiesen wird.

Utzschneider

gibt bei dieser Gelegenheit an, daß Guinand nach den in seinem Schreiben gemachten B e m e r k u n g e n auch damals mit der G l a s e r z e u g u n g für optische Zwecke noch

nicht

im reinen war, und ferner, daß das Glas, welches unter Aufsicht Guinands in Benediktbeuern erzeugt wurde, hinter dem unter Fraunhofer hergestellten weit zurückblieb. An einer anderen Stelle schildert er die Verdienste beider sehr eingehend. „Guinand ist der erste, der eine gleichmäßige Mischung der Glasmasse während des S c h m e l z e n s durch eine mechanische M e n g u n g ausführt, um die Bildung von Schlieren zu vermeiden.

Fraunhofer hat aber mit g r ö ß e r e r Sorgfalt die Reinheit der Rohmaterialien

und die einzuhaltende T e m p e r a t u r e n beachtet, er hat systematische Versuche angestellt, um die Verunreinigung des Glases durch Rauch und durch die Metalle des Rührapparates sowie durch die Tiegelsubstanz zu vermeiden und die beim Einschmelzen des Glases in die Linsenform, beim Ramollieren, auftretenden optischen Fehler zu verhüten." Bei der Schwierigkeit, welche damals bestand, gleichmäßige und reine Rohmaterialien für die Glasbereitung zu erhalten, Chemiker dem Techniker liefern konnten,

der nur geringen Beihilfe,

welche

und der wenig ausgebildeten F e u e r u n g s -

technik darf es noch als ein vorzügliches Resultat bezeichnet werden, daß Fraunhofer von

1811 —1825

60 Flintglas- und 35 Kronglasschmelzen,

durchschnittlich 6—7 Glasschmelzen

also

in

einem

Jahre

von je 450 — 500 P f u n d Gewicht abführte und

F e i n m e c h a n i k in B a y e r n .

177

dabei von den F l i n t g l a s s c h m e l z e n nahe 27 °/0 und von den K r o n g l a s s c h m e l z e n als v o l l k o m m e n g e l u n g e n b e z e i c h n e n

29%

konnte.

Nicht allein die Herstellung des optischen G l a s e s

s o n d e r n auch die übrigen

Z w e i g e der a n g e w a n d t e n Optik hat F r a u n h o f e r auf ein weit h ö h e r e s Niveau

gehoben,

als es bisher von anderen in D e u t s c h l a n d oder dem Auslande erreicht war.

Fraun-

Fig. 6.

hofer v e r b e s s e r t e

die S c h l e i f -

und

Poliermaschinen,

Gestaltfehler der optischen G l ä s e r n a c h z u w e i s e n durch

Rechnung

die F o r m

fehlerfreier

und

erfand M e ß m e t h o d e n , ermöglichte

Linsenkombinationen

es

um

die

insbesondere

festzustellen.

Haupt-

sächlich war es die B e s t i m m u n g des B r e c h u n g s - und F a r b e n z e r s t r e u u n g s - V e r m ö g e n s verschiedener Glasarten rohre, machte

welche

in b e z u g

bahnbrechend

Fraunhofer

für

anfänglich

später j e d o c h sind dieselben ierten Apparat ausgeführt

auf

die V e r v o l l k o m m n u n g

die

rechnende

mit

einem

mit dem

Optik

einfachen

achromatischer

wurde.

Diese

theodolitartigen

in Fig. 6 w i e d e r g e g e b e n e n

von G l a s p r i s m e n untersucht

Instrumente,

trefflich

und damit i n s b e s o n d e r e die in Fig. 7 g e z e i g t e

Fern-

Messungen konstru-

Sammlung

worden. 12

Ernst

178 Während

so

die

Voit.

unter Fraunhofer

gefertigten Instrumente

o p t i s c h e n Teiles die E r z e u g n i s s e aller d a m a l i g e n W e r k s t ä t t e n

hinsichtlich

im In- u n d

des

Auslande

weit hinter sich z u r ü c k l i e ß e n , w a r e n a u c h die m e c h a n i s c h e n Teile in m u s t e r g ü l t i g e r Weise a u s g e f ü h r t .

Nach

d e m Austritte R e i c h e n b a c h s (1814)

standen Liebherr

und

s p ä t e r M a h l e r d e r m e c h a n i s c h e n W e r k s t ä t t e vor, u n d z e i c h n e t e n sich dieselben ins-

FÍR.

besondere durch hervorragende Ausführung

der

den

astronomischen

Instrumenten

beigegebenen Uhren aus. Von den vielfachen I n s t r u m e n t e n

des

F r a u n h o f e r s c h e n Institutes

sind

noch

ein g r o ß e s M i k r o s k o p mit m i k r o m e t i s c h e r V e r s t e l l u n g d e s O b j e k t t i s c h e s (Fig. 8) u n d ein T e l e s k o p (Fig. 9) hier d a r g e s t e l l t . Eine n u r n a c h a u ß e n b e m e r k l i c h e Ä n d e r u n g trat im J a h r e 1819 d a d u r c h ein, daß auch wurde,

d a s o p t i s c h e Institut

dort

mit d e m

von B e n e d i k t b e u e r n

mathematisch-mechanischen

Institute U t z s c h n e i d e r - F r a u n h o f e r

wieder

nach München

zu einer Anstalt,

dem

verlegt optischen

vereinigt u n d u n t e r d i e s e m N a m e n bis z u m

F r a u n h o f e r s im J a h r e 1826 f o r t g e f ü h r t w u r d e .

Tode

F e i n m e c h a n i k in B a y e r n .

179

Ernst Voit.

180 Ganz München.

selbständig

entwickelte

sich

die

zweite

mechanische Werkstätte

R e i c h e n b a c h hatte nach seinem Austritt aus den Instituten

Reichenbach-Liebherr

und

Utzschneider-Reichenbach-Fraunhofer

in

Utzschneider-

im J a h r e

1814

in

F i g . 9.

Gemeinschaft

mit T r a u g o t t Ertel

Institut R e i c h e n b a c h & Ertel

eine neue Anstalt,

begründet.

Es

waren

das

mathematisch-mechanische

insbesondere

geodätische

und

a s t r o n o m i s c h e M e ß i n s t r u m e n t e , welche hier zur Ausführung k a m e n , und die sich wie die E r z e u g n i s s e der S c h w e s t e r a n s t a l t einen Weltruf

erwarben.

D i e s e beiden M ü n c h e n e r Anstalten bildeten auch eine Pflanzschule für Optiker und M e c h a n i k e r , w e l c h e nicht nur in M ü n c h e n sondern auch im A u s l a n d e befruchtend

Feinmechanik in Bayern.

wirkten.

E s sei vor allem erwähnt,

nachweislich beuern

direkt

oder

hervorgegangen

indirekt sind.

181

daß alle älteren Fabriken aus

von optischem G l a s

der U t z s c h n e i d e r s c h e n

In Benediktbeuern

selbst

Fabrik in Benedikt-

wurden

F r a u n h o f e r s noch zahlreiche S c h m e l z e n von Flint- und K r o n g l a s ausgebildeten Methode optischen Institutes;

abgeführt, j e d o c h

anfänglich

Merz und d e s s e n Söhne. Brenet z u r ü c k g e k e h r t ,

immer

unter Leitung

nur

nach

dem

Tod

mit der von

ihm

für den Bedarf

von Utzschneider,

G u i n a n d war, wie schon

erwähnt,

d e s eigenen

dann

von

Georg

im J a h r e 1814

nach

und z w a r mit dem Gelöbnis, nicht weiter optisches G l a s zu

s c h m e l z e n und d a s Benediktbeurer Verfahren g e h e i m zu halten.

Von dieser A u f l a g e

entband ihn Utzschneider auf sein Bitten im J a h r e 1816, w o g e g e n er auf die bisher erhaltene jährliche Pension verzichtete.

B a l d darauf setzte dann Guinand seine Ver-

s u c h e zur Glasfabrikation in L o c l e fort.

Vergeblich war er bestrebt, Verbindungen mit

der französischen R e g i e r u n g anzuknüpfen und e b e n s o sein Verfahren an die A s t r o n o mische Gesellschaft

in L o n d o n zu verkaufen.

Guinands

älterer S o h n A i m é

führte

noch zu Lebzeiten seines Vaters und mit d e s s e n Beihilfe einige S c h m e l z e n optischen G l a s e s in Brenet a u s , später verlegte dann D a g u e t diese Fabrikation nach F r e i b u r g in der Schweiz. schaft

Von dem zweiten S o h n G u i n a n d s

mit dem Optiker L e r e b o u r s ,

d e s Vaters,

erwarb B o n t e m p s

nach dem 1824

im Jahre 1826 die Kenntnis

erfolgten T o d

in G e m e i n -

P. L. G u i n a n d s

des Guinand-Fraunhoferschen

Verfahrens.

Während es G u i n a n d jun. selbst anfänglich nicht g e l u n g e n war, g u t e S c h m e l z e n

zu

erzielen, erhielt B o n t e m p s in Choisy-le-Roy bald b e s s e r e Resultate; er verläßt j e d o c h 1848 die f r a n z ö s i s c h e Fabrik und siedelt nach E n g l a n d über, wo er die Herstellung des

optischen

Glases

in

Birmingham

bei

Chance

B r o t h e r s