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German Pages 270 Year 2021
Daniel Grummt Lyrische Gesellschaft
Sozialtheorie
Daniel Grummt (Dipl.-Soz.), geb. 1984, promovierte am von der DFG geförderten Graduiertenkolleg »Modell Romantik«.
Daniel Grummt
Lyrische Gesellschaft Die romantische Seite der Soziologie
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - GRK2041 - Projektnummer 250805958. Dieses Buch ist die geringfügig überarbeitete Fassung der Dissertationsschrift ››Lyrische Gesellschaft. Die ›romantische Seite‹ der Soziologie‹‹, die am 08. Oktober 2020 an der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der FriedrichSchiller-Universität Jena verteidigt wurde. (Zugl.: Dissertation, Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2020) Gutachter: Prof. Dr. Hartmut Rosa (FSU Jena) und Prof. Dr. Joachim Fischer (TU Dresden).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Dr. Alexander Stöger, Den Haag Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6027-2 PDF-ISBN 978-3-8394-6027-6 https://doi.org/10.14361/9783839460276 Buchreihen-ISSN: 2703-1691 Buchreihen-eISSN: 2747-3007 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Vorbemerkung............................................................................ 11 Vorwort ..................................................................................13 ›Ein Mensch tanzt übers Seil‹............................................................. 17 I.
Am Anfang war die Utopie ......................................................... 35
1. 1.1 1.2
Einleitung.......................................................................... 43 Soziologische Phantasie ............................................................ 44 Die Idee der ›lyrischen Gesellschaft‹ ................................................ 49
II.
Zum Verhältnis von Romantik und Soziologie ....................................... 61
1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 1: Das Gemälde Enassamishhinjijweian ..... 63 Über das Unverständnis ............................................................ 65 Vom ›Witz‹ des Bären – eine kreative Abduktion ..................................... 66 Bezugs- und Berührungspunkte zur Romantik ....................................... 68 Romantik als Modell ................................................................ 70 Was der Künstler sagen würde ...................................................... 72 Zwischenfazit ...................................................................... 74
2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt ........... 77 Flanieren im Zagreber Blau ......................................................... 78 Wa(h)lverwandtschaften oder: (Fast) jede Stadt hat ihr Tier .......................... 82 Zagreb als potentielle Stadt für Touristinnen? ....................................... 86 Die Suche nach urbaner Authentizität ............................................... 88 Gescheiterte Beziehungen .......................................................... 90 Zwischenfazit ....................................................................... 91
3.
Die Entstehung der Soziologie aus dem Geiste der Romantik....................... 95
4.
Was meint ›romantische Seite‹ der Soziologie?................................... 103
5. 5.1 5.2 5.3
Die ›romantische Seite‹ der Soziologie und ihre Elemente .........................107 Die Kippfigur der Ironie .............................................................107 Die Kippfigur der Ent- bzw. Verrätselung von Welt ................................... 116 Poesie und Soziologie ............................................................. 123
III.
Die ›romantische Seite‹ der Soziologie und die methodischen Potentiale der Lyrik ........................................127
1. 1.1 1.2
Lyrische Gesellschaft ............................................................. Eine soziologische Standortbestimmung ........................................... Literatur als Soziologie – das Beispiel der Fabel .................................... 1.2.1 Was ist eine Fabel? Versuch einer Begriffsbestimmung ...................... 1.2.2 Zwei Fabelbeispiele: Die Biene und die Bremse und Wolf und Stachelschwein ......................................................... 1.2.3 Tierfabeln im Blick der Soziologie ........................................... 1.2.4 Der Mensch in der Tierfabel ................................................. 1.2.5 Zwischenfazit .............................................................. Soziologinnen und Soziologen als Lyrikerinnen und Lyriker ......................... 1.3.1 Fallbeispiel 1: Norbert Elias.................................................. 1.3.2 Fallbeispiel 2: Georg Simmel ................................................ 1.3.3 Zwischenfazit ..............................................................
1.3
129 130 132 133 134 136 138 139 142 143 146 149
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften........................ 153 2.1 Methodologische Gesichtspunkte................................................... 153 2.2 Gedichte schreiben als Methode.................................................... 156 2.2.1 Das Gedicht im Feld......................................................... 156 2.2.2 Das Gedicht als eigenständige Erhebungsmethode............................157 2.2.3 Die Repräsentation von Daten durch Gedichte ............................... 162 2.2.4 Das Gedicht als Explorationselement ........................................ 165 2.3 Die lyrische Methode in der Praxis ..................................................167 2.3.1 Zum Wechselverhältnis von Architektur und Lyrik.............................167 2.3.2 Die Methode der Autoethnographie ........................................... 171 2.3.3 Die lyrische Autoethnographie und ein Fallbeispiel........................... 173 2.3.4 Eine kritische Reflexion der lyrischen Autoethnographie ..................... 180 2.4 Am Horizont: Möglichkeiten der Interpretation ...................................... 183 2.4.1 Gedichte schreiben zwischen »Qual« und »Lust« ............................ 184 2.4.2 Mit der Soziologie in die Tiefe: Den Emotionen auf der Spur .................. 192 2.4.3 In welchem Takt schlägt das Herz der Gesellschaft? ......................... 196
IV.
Eine kritische Replik auf das widerständige Arbeiten mit Gedichten .............. 201
1.
Eine Annäherung an den Begriff ›Widerstand‹ .................................... 203
2.
Die vier Widerstandstypen von Gedichten......................................... 205 2.1 Der Widerstand beim Er-stellen von Gedichten ............................... 205 2.2 Das Widerständige auf der Ebene der Rezeption ............................. 207 2.3 Der Inhalt von Gedichten als Ausdruck von Widerstand ...................... 209 2.4 Die Form von Gedichten als Bestandteil ihrer Widerständigkeit ................210
3.
Resümee.......................................................................... 213
V.
Schluss ............................................................................ 217
1.
Tra(u)mschlussfahrt ...............................................................219
2.
Zwei epilogische Postkarten an Arthur Rimbaud .................................. 231
Quellenverzeichnis ..................................................................... 233 Abbildungsverzeichnis ................................................................. 267
»Dichtkunst Fürchterlich ist diese Kunst! Ich spinn aus dem Leib mir den Faden, Und dieser Faden zugleich ist auch mein Weg durch die Luft.« (Hofmannsthal 2000: 120) »Was ist ein Dichter? […] Er ist ein Mensch, der zu Menschen spricht: ein Mensch freilich, der mit mehr lebhafter Sensibilität, mit mehr Enthusiasmus und Zartgefühl begabt ist, der eine größere Kenntnis der menschlichen Natur und eine auffassungsfähigere Seele hat, als man sie gewöhnlich von Menschen erwartet. Er ist ein Mensch, der Vergnügen an seinen eigenen Leidenschaften und Willensäußerungen empfindet und der sich mehr als andere Menschen an dem Geist des Lebens freut, der in ihm ist. Er ist einer, der Freude daran hat, ähnliche sich in den Vorgängen des Universums manifestierende Willensäußerungen und Leidenschaften zu betrachten, und der gewohnheitsmäßig dazu getrieben ist, sie zu schaffen, wo er sie nicht findet.« (Wordsworth 1983: 311) »Man stelle sich vor, es gäbe ein Denken, das an bestimmte, sonst nur schwer zugängliche Stellen kommt, wie Zahnseide zwischen die hinteren Backenzähne oder ein Endoskop in den Magen. Gewisse Stellen wird es überhaupt zum erstenmal [sic!] anschaulich machen, einzelne Nebengänge des unüberschaubaren seelischen Höhlensystems, das sich durch die Körper aller Menschen zieht und nur durch findige, kühn in die noch ungesicherten Stollen vorstoßende Phantasie entdeckt werden kann. Dieses Denken ist das poetische Denken, und es ist keine Domäne der Dichter und Literaten, vielmehr die Methode vieler kleiner Suchtrupps, die aus verschiedenen Richtungen aufgebrochen sind, ohne voneinander zu wissen, ein Heer von Phänomenologen, das daran arbeitet, die uns allen gemeinsame Vorstellungswelt zu erweitern.« (Grünbein 2007: 93f.)
Vorbemerkung
Um beim Forschen einen Gedanken formulieren und erproben zu können und weil das wissenschaftliche Arbeiten unabdingbar vom Austausch unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern1 lebt, sind Teile dieser Arbeit schon vorab an verschiedenen Stellen veröffentlicht worden. Die auf diese Weise publizierten Teilergebnisse sind wiederum auch Bestandteil dieser Arbeit. Es handelt sich dabei um folgende Aufsätze des Verfassers: •
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Grummt, Daniel (2016): SozialwissenschaftlerInnen und KünstlerInnen? Das Beispiel lyrischer SoziologInnen, in: Kauppert, Michael/Eberl, Heidrun (Hg.): Ästhetische Praxis, Wiesbaden: Springer VS, S. 395-419. Grummt, Daniel (2017b): To bear or not to bear, that is the Question. Anmerkungen zu Tom Uttechs Gemälde ›ENASSAMISHHINJIJWEIAN‹, in: Gestern | Romantik | Heute. Forum für Wissenschaft und Kultur, 06.03.2017, URL: www.gestern-romantik-heute.uni-jena.de/index.php?cID=268 [letzter Zugriff: 25.06.2021]. Grummt, Daniel (2018b): Zur vierfachen Widerständigkeit von Gedichten. Einige soziopoetische Implikationen, in: Bosch, Aida/Pfütze, Hermann (Hg.): Ästhetischer Widerstand gegen Zerstörung und Selbstzerstörung, Wiesbaden: Springer VS, S. 231-245. Grummt, Daniel (2020): Eine kleine Soziologie der Utopie oder Vom menschlichen Griff nach den Sternen, in: Eibl, Doris G./Winkler-Ebner, David (Hg.): Zukunft/Utopie. Reihe schneeblind. Bd. 7, Innsbruck: university press, S. 16-26.
An welchen Stellen und in welchem Umfang die genannten publizierten Texte in dieser Studie wieder zum Tragen kommen, macht der Verfasser jeweils durch einen Hinweis in einer Fußnote vor Beginn einer solchen Übernahme kenntlich. Überdies wird der Anfang und das Ende von eigenen textlichen Wiederverwendungen für 1
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit hat sich der Autor dieser Studie dazu entschieden, bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern fast durchgängig die weibliche Form zu verwenden. Dies schließt aber die männliche Form in aller Regel ausdrücklich mit ein. An einigen Stellen kommen auch beide Formen vor.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
die Leserinnen zur besseren Nachvollziehbarkeit durch folgende Symbole markiert: ┌ » « (Beginn) sowie » « (Ende). ┘
Vorwort »Das Höchste, was wir erlangen können, ist nicht Wissen, sondern eine Art Offenheit für Einsichten. Soviel ich weiß, ist dieses höhere Wissen etwas Unbestimmtes: ein völlig neues, großes Staunen, wenn wir plötzlich erkennen, wie unzulänglich alles ist, was wir bisher als Wissen bezeichnet haben, wenn wir entdecken, daß es mehr Dinge im Himmel und auf Erden gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt.« (Thoreau 2004: 72f.)
Vielleicht schreibt man nicht immer die Arbeit, die man ursprünglich schreiben wollte, aber vom ›Ende‹ her besehen ringt man dem Nichts eines anfänglich weißen Blattes schließlich doch allerhand Erstaunliches ab. Dieses ›Erstaunliche‹, das beim Verfassen oft seine eigenen (Stil-)Blüten zu treiben wusste, weil Worte z.T. ihre eigenen Sätze finden und eine gewisse Eigensinnigkeit aufweisen, liegt nun vor Ihnen und wartet darauf, gelesen und auf verschiedene Arten weitergeschrieben zu werden. Der Text hat dabei nicht die Intention, den bloßen Widerhall eines dumpfen Echos zu erzeugen, sondern hofft vielmehr auf (kritische) Resonanz durch viele unterschiedliche Stimmen seiner Leserinnen und Leser, für die sich das vorliegende Werk v.a. als ein Impuls für die Realisierung einer am Lyrischen orientierten Soziologie und als Fundgrube für Denkanstöße versteht. In den verschiedenen Lehrveranstaltungen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die ich zwischen 2011 und 2015 zu verschiedenen Themen durchführen durfte, war es jedenfalls stets mein Anspruch, die Studierenden mit möglichst vielen offenen Fragen aus den Seminaren herausgehen zu sehen, da mir dies als ein willkommenes Zeichen für wache, kritische Geister galt (und nach wie vor gilt), die es in einer demokratischen Gesellschaft m.E. mehr denn je braucht. Mein Dank gilt daher all jenen Menschen, denen ich im Rahmen meiner Dozententätigkeit in Halle (Saale) begegnen und von denen ich auf diese Weise im wechselseitigen Austausch in der Vergangenheit immer wieder neu lernen durfte.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Dies gilt insbesondere für jene Teilnehmerinnen, die sich mit mir zusammen im Sommersemester 2014 auf ein Seminar zur »Lyrischen Gesellschaft« eingelassen und mich in meinen Bestrebungen, Lyrik für die Soziologie fruchtbar zu machen, bestärkt haben. Mein herzlicher Dank gilt aber mindestens ebenso meinem Doktorvater Prof. Dr. Hartmut Rosa, der meinem Dissertationsvorhaben von Anfang an offen gegenüberstand – ohne ihn würde es diese Publikation nicht geben. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Prof. Dr. Joachim Fischer, der nicht nur die Zweitbetreuung meiner Promotion freundlicherweise übernommen hat, sondern insbesondere meine Art des soziologischen Denkens entscheidend mitgeprägt hat. Er hat in verschiedenerlei Hinsicht maßgeblich dazu beigetragen, dass die »Lyrische Gesellschaft« hiermit wieder ein Stück mehr Realität geworden ist. Des Weiteren möchte ich mich beim Jenenser DFG-Graduiertenkolleg »Modell Romantik« und dessen Verantwortlichen bedanken, insbesondere bei Prof. Dr. Stefan Matuschek und Dr. Sandra Kerschbaumer, ohne deren Entscheidung, mich als Teil des Kollegs aufzunehmen, diese Studie hätte nicht realisiert werden können. Mein Dank gilt auch meinen lieben Kolleginnen und Kollegen, also all jenen anderen Romantikerinnen und Romantikern, die mich auf dem – spannenden und herausforderungsvollen – Weg der Erstellung der Dissertation eng mit begleitet haben. Mit ihnen habe ich nicht nur intensiv über meine Gedanken und Ideen zu meiner Arbeit diskutieren können, sondern wir haben in den zurückliegenden Jahren vieles andere erlebt, dessen Dokumentation wohl allein den Umfang einer weiteren Publikation ohne weiteres füllen würde. Da ich dies an dieser Stelle nicht tun möchte, fasse ich mich kurz und danke: Dr. Ruth Barratt-Peacock, Dr. Annika Bartsch, Dr. Maria Behrendt, Marc Emmerich, Dr. Hendrick Heimböckel, Dr. Johannes Hellrich, Dr. Patricia Kleßen, Monika Ludwig, Hannah Lütkenhöner-Krahe, Dr. Mirjam Sauer, Dr. Jacob Schmidt, Dr. Alexander Stöger, Dr. Raphael Stübe und Mareike Timm. Gedankt sei darüber hinaus für seine langjährige freundschaftliche Verbundenheit und sein dauerhaftes Sprechen mit eigener Stimme: Peter Hausdorf, der mich über die gesamte Erstellungsdauer hinweg unterstützt und seine eigene Sicht auf die vorliegende Thematik in zahlreichen Gesprächen immer wieder geäußert hat. Weiterhin gedankt sei Elvira Trofymenko für ihre inspirierenden Gedanken sowie aufmunternden Worte zu meinem Projekt, die zum Glück meist dann kamen, wenn ich sie dringend brauchte. Bedanken möchte ich mich in jedem Fall auch noch bei meiner Mutter, Friederike Grummt, die mir immer die Freiräume eingeräumt hat, die notwendig waren, um Schreiben und Träumen zu können. Abschließend sei allen Interessierten dieser Arbeit noch ein Lektürehinweis mit an die Hand gegeben. Bestandteil der Dissertation ist auch ein literarischer Text (ein Fragment eines fiktiven Briefromans ›Ein Mensch tanzt übers Seil‹), der vielleicht verwundern oder gar verstören mag. Daraufhin ist er angelegt – das ist sein Ziel: (verschiedene) Emotionen durch die beschriebenen Bilder und Gedanken zu we-
Vorwort
cken. Wem dieser Bruch mit der Tradition zu gewagt erscheint, der überspringe den ›Abgrund‹ und beginne mit Kapitel I: »Am Anfang war die Utopie«. Dresden, Juli 2021 Daniel Grummt
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›Ein Mensch tanzt übers Seil‹1 »[…] gutes Schreiben aber bedeutet gerade, daß man den Panzer der Konventionen zerbricht.« (Rorty 2012: 272) »Der wahre Brief ist seiner Natur nach poetisch.« (Novalis 2015b: 401)
Der Seiltänzer2 gespannt ist ein Seil über den Grund dessen Tiefe nicht einsehbar scheint darauf tanzt er mit nichts als einer Stange gehalten in beiden Händen ins Ungewisse geht die Bewegung vorsichtig schreitend voran im Wissen, dass eine Unachtsamkeit oder ein Windstoß sein Tun jederzeit beenden kann allein die Hoffnung dass er sich vielleicht irren wird lässt ihn weitergehen
1 2
Inspiriert zu diesem (fiktiven) Briefromanfragment hat den Verfasser u.a. Sophie Mereau mit ihrem Roman Amanda und Eduard (vgl. Mereau 1993). Sofern nicht anders ausgewiesen, stammen alle Gedichte in dieser Arbeit vom Autor dieser Studie.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Liebste I,
03.12.2015
kennst du das Gefühl, an einem Ort zu sein, von dem du bisher immer dachtest, er existiere vielleicht gar nicht? Natürlich hast du immer gehofft, es müsse ihn doch geben. Irgendwo da draußen wird er schon sein. Aber sind wir doch ehrlich: Wirklich daran geglaubt hat man nicht. Frag mich, warum es so ist, und ich bin um eine Antwort verlegen. Erahne, dass es vielleicht damit zusammenhängen könnte, dass man manchmal lieber einem schönen Ge danken mit sich herumträgt, von dem man aber nicht ernsthaft möchte, dass dieser in Realität umschlägt, weil er dann aus dem Kopfe wäre und an dessen Stelle dann – zumindest für eine gewisse Zeit – Leere einzieht. Mag man sich auch oft viel zusammenträumen und phantasieren, wenn es um die wirklich zentralen Träume des Lebens geht, dann ist man doch meist entweder versucht, diesen auf ewig hinterher zu eilen (irgendwann vielleicht mache ich dies oder das…), oder aber diese tatsächlich umzusetzen. Doch dann kann es einem auch passieren, dass das Leben einfach dazwischenkommt und dann bist du inmitten dessen, wovon du zwar immer geträumt hast, aber du hast eigentlich gar nicht viel dazu getan – denkst du zumindest, bildest du dir ein. Aber irgendwie bist du doch dahin gekommen, wo du jetzt bist. Zufall? Schicksal? Wer weiß das schon so genau. Fakt ist: Du bist auf einmal da. Wenn ich es beschreiben müsste, dann wäre dies hier vielleicht ein gar treffliches Bild: Während man noch streifend durch die Wälder wandelt, den Bäumen lauscht, wie diese ächzen und stöhnen, weil der Wind in sie fährt, der Regen tropft einem auf die Stirn und die Kälte kriecht in den Körper, da erblickst du ihn auf einmal. Einen kleinen, zierlichen Vogel. Sonst kein Getier weit und breit. Du wähntest den Wald schon gänzlich einsam. Doch dann sitzt er da auf einmal und singt aus klangvoller Kehle die schönsten Lieder. Selbstredend weißt du nicht, wovon er dir kündet, aber es packt dich doch das Gefühl, dass du einzig wegen ihm durch den Wald geirrlichtert bist. Du gehst auf ihn zu, um ihn aus der Nähe zu betrachten, doch jedes Mal, wenn du dich in seine Richtung begibst, fliegt er davon. Er bleibt distanziert, bis er irgendwann ganz aus deinem Sichtfeld entschwindet. Das Merkwürdige daran ist, dass dich dieser Vorgang auf eine ganz eigentümliche Weise mit einer inneren Wärme erfasst, die du kaum in Worten zum Ausdruck bringen kannst. Seltsam, denkst du dir und fragst dich, weshalb du so empfindest, bis du für dich erkennst: das ist er! Der Ort, von dem man immer dachte, er existiere gar nicht. Wenn ich diesen Ort jetzt näher beschreiben müsste, dann fällt mir dies wahrlich nicht leicht. Nicht, weil es an ihm nichts zu beschreiben gäbe, sondern vielmehr, weil er so unglaublich wundervoll facettenreich ist. Mit einem Satz werde ich ihm demnach nicht gerecht, aber auch wenn ich endlos über ihn fort sinniere, wird es wohl nicht besser werden. Also entscheide ich mich für die erste Variante. Bringe ihn in einem Satz auf den Begriff und werde ihm damit gleichsam furchtbar ungerecht. Damit es nicht so wahnsinnig gewichtig daherkommt, stell dir vielleicht vor, wie ich ihn dir ganz leise ins Ohr flüstere – gleich einer Welle, die bei Nacht
›Ein Mensch tanzt übers Seil‹
an den Strand rauscht. Es ist so ein Ort, wo man einfach sein kann – ganz so, wie man ist. Ohne Überbau, ohne Unterbau und irgendein albernes Drumherum. Keine Verstellung, keine Verbiegung, keine Verformung und keine Angst. Wo man Worte frei aussprechen kann, ohne damit gleich zwischenmenschliche Verwerfungen auszulösen oder gar scheußlichste Kriege. An so einem Ort bin ich gerade und frage mich: Wo bist du? In Gedanken bei Dir Dein D
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
05.12.2015
Lieber D, irgendwie bin ich schon auch da, aber weißt du, was das Verrückte daran ist? Es fühlt sich dennoch so an, als hätte ich mich auf dem Weg dorthin verloren. Vermutlich willst du wissen, wie das geht, sich verlieren. Doch ehrlich gesagt: Ich habe absolut keine Ahnung. Irgendwie so von allein. Das ist wie mit Sprache, die auf einmal weg ist und wo nur Schweigen bleibt. Als hielte man den Atem an, weil gerade jemand über ein Seil tanzt. Die ganze Zeit bangt man, ob dieser tanzende Mensch sicher über den Abgrund kommen wird – oder ob er von jenem doch verschluckt wird. Hin und her geht seine Balancierstange. Oft sehe ich ihn so tanzen und erstarre dabei. Weiß nichts zu sagen, weil ich denke, dass jede Lautäußerung ihn in die Tiefe treibt. Deswegen lausche ich meist lieber und höre einfach nur zu – in der Hoffnung, irgendwann meine Sprache zurück zu bekommen. Deine I PS: Wer bist du eigentlich?
›Ein Mensch tanzt übers Seil‹
07.12.2015
Liebe I, wer ich bin, fragst du mich? Oft habe ich schon darüber nachgedacht. Lang gesinnt über die einzig wahre Antwort darauf. Doch alles, was ich dazu finde, scheint mir unendlich zu sein. Für dich aber gehe ich dennoch das Wagnis ein, und versuche es für den Moment zu fassen. Versuche zu greifen, was sich wohl nicht greifen lässt. Gebe dir einen Ausschnitt, einen Rahmen für ein Bild, das mir dennoch nicht gerecht werden wird (und von dem ich dann wiederum fürchten muss, dass du mich vielleicht nur noch nach diesem betrachten willst), weil ich so vieles bin – und doch nichts. Vor einigen Tagen, im Wald, war ich ein Beglückter, ein vom Leben Beschenkter, der sich an einem bunten Vogel erfreute, der vor ihm davonflog. Doch heute schon bin ich nichts weiter als ein Suchender, der nicht mehr länger suchen möchte, der lieber finden will oder besser noch: gefunden werden möchte. Der über sich stolpern möchte und sich im Fall zu fassen bekommt. Ein in sich wandelnder Widerspruch, den es aufzulösen, zu synthetisieren gilt. Ganz gleich, welche Anstrengungen dafür auch immer nötig sind. Ein Zweifler und ein Idiot. Ein Neuerer und ein Andersdenkender. Ein Problemlöser und Kompromissfinder. Jemand, der einen Pudding an die Wand nagelt und sich nach dem Sinn fragt. Ein vielmals Gescheiterter und dennoch stets Hoffender. Ein kraftvoller und schwacher Mensch in einem. Der ständig in und mit seinen Worten ringt, die ihn tausendfach in den Sinn kommen. Ein schier unbändiger Strom an Gedanken und Fragen, von denen er durchströmt wird. Keine Nacht und kein Tag ohne sie. Oft sich dabei selbst im Kreise drehend, bis ihm schwindelig davon wird und er sich setzen muss, damit er nicht hinfällt. Du schriebst mir von einem Menschen, der über ein Seil tanzt. Kann es sein, dass du mich damit meinst? Also jemanden, der jeden Moment Gefahr läuft, abzustürzen? Und der doch bei diesem Tun stets weiß, dass das Leben zu kurz ist, um es nicht wenigstens versucht zu haben. Seitdem will er wissen und alles verstehen, wo er doch im Grunde weiß, dass man nicht alles verstehen kann (und wohl auch nicht immer muss). Ein Handelnder wider besseren Wissens also. Ein trotz allem reichlich Gebender und sich Verschenkender mit großem, weitem Herzen, das sich irgendwo unter all dem, was man gewöhnlich ›Körper‹ nennt, tief im Fleisch vergraben hat. Einer, der redet, um zu schweigen, weil Stille ihm Angst macht. Eine Angst, von der er aber an sich ganz genau weiß, dass sie vollkommen unbegründet ist und dass es oftmals nichts Schöneres gibt, als sich mit dem oder der Richtigen anzuschweigen. Etwas, wonach er sich sehnt: Sich trotz der Kürze des Lebens dennoch den vermeintlichen Luxus zu gönnen, doch einmal nichts sagen zu müssen, weil zwischen beiden einfach alles gesagt ist – und beide dies auch so empfinden: Als einen glücklichen Moment, der einzig von Liebe beseelt ist. Kein Druck, keine Erwartungen, keine Vorstellungen, kein soziales Korsett – nur beide in sich, für sich. Vereint im Akt des Schweigens als Ausdruck ihrer innigen, aufrechten Liebe füreinander. Von Mensch zu Mensch.
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Einer, der … ich weiß es nicht. Wer bin ich? Oft habe ich ehrlich gesagt keine Ahnung davon, wer oder was ich eigentlich bin. Manchmal gefallen mir Formulierungen, mit denen ich selbst flirte. Dann sage ich mir, dass ich ein »Wesen mit poetischer Kraft« sei oder »Jemand der Spuren auslegt, denen er dann auf wundervolle Weise später folgen wird«. Aber kann ich das wirklich ernst meinen? Muss ich das? Will ich das? Will ich vor allem so sein? Irgendwie fasziniert und erschreckt mich gerade die Gewissheit, dass ich dir schon morgen sicher wieder manches anders schreiben würde. Nicht, dass ich damit nicht dazu stehe, was ich dir hier und heute geschrieben habe (im Gegenteil), aber morgen wäre ich wohl schon wieder ein Anderer oder zumindest einer, dem andere Worte für sich einfallen würden. Die Frage ist, was im Kern von alledem bleiben würde, was mich dann noch ausmacht? Wenn man mal all diese ganzen bescheuerten Worte weglässt, was würde dann von mir noch übrigbleiben? Was wäre dann wohl die Essenz dessen, wer ich bin? Was würde tatsächlich dastehen von mir unter diesem angehäuften Berg aus Buchstaben? Nichts als eine dahin gehauchte Seifenblase? Ein Baum, der seine vom Winter kahlen Äste fragend in den blauen Himmel reckt? Ich sage dir, was von mir bleiben wird, wenn man all das sprachliche Blattwerk entfernt, aber vorher möchte ich dir noch ein Märchen erzählen, das mir die Tage in den Sinn kam. (Auch dieses scheint mir wie gemacht dafür, mich einer Antwort auf deine Frage weiter voranzutasten.) Frag mich nicht, woher ich es habe. Es war auf einmal da. Müßig darüber zu spekulieren, woher es kam. Erdacht? Erfunden? Woanders gelesen und nun unwissend der eigentlichen Quelle wiedergegeben? Ich weiß es wirklich nicht. Inzwischen habe ich ein Alter erreicht, wo man nicht mehr unbegrenzt aufnimmt, dafür aber offenbar gerne vergisst (auch das ist wohl ein Teil von mir). Dies ist Segen und Fluch zugleich, aber davon will ich dir hier jetzt nicht schreiben. Vielmehr denke ich, dass sich ständig irgendwo und irgendwie irgendwelche Narrationen ereignen – oder etwa nicht? Ich erhebe folglich keinen Anspruch darauf, alleiniger Schöpfer der folgenden Erzählung zu sein, denn die meisten Geschichten handeln von Dingen, die Menschen betreffen. Von ihren Erlebnissen, Sehnsüchten, von klugen und weniger klugen Gedanken. Von Gott und der Welt, wenn du so willst. Von allem und von nichts. Alles irgendwie schon in der einen oder anderen Form dagewesen. Sicher, du magst nun einwenden, dass ich es mir dann auch eigentlich sparen könne, dir das Märchen zu erzählen, aber wie sollen wir dann weiterleben? Ohne Geschichte(n)? Davon zehren wir doch. Davon, uns ständig etwas mitteilen zu können. Einen Gegenstand zu haben, über den wir uns austauschen und verständigen können. Jede Generation auf ihre Weise, aber keine kommt ohne – große oder kleine – Erzählungen aus. Denk nur, wie schrecklich die Vorstellung ist, und einer käme auf die abstruse Idee, Geschichte sei an ihr Ende gekommen. Vermutlich würden wir in diesem völligen Stillstand wahnsinnig oder gar stumpfsinnig werden. Wir würden tippen und tippen und immer nur das Gleiche schreiben. Dabei bedeutet Leben doch vor allem eins: Veränderung. Wenn wir nicht mehr den Mut haben, etwas verändern zu wollen, dann dürfte es wahrlich schwer werden, Leben einen Sinn zu geben. Die bloße Existenz um der Existenz willen allein wird jedenfalls kaum reichen, solange diese nicht mit einer Idee vom Leben verbunden ist. Davon will und soll auch mein Märchen handeln in dessen Mittelpunkt
›Ein Mensch tanzt übers Seil‹
ein Drache steht, der jedoch kein Drache sein möchte – jedenfalls nicht so, wie ihn die anderen Drachen haben wollen. Ich erspare es mir, in die Handlung mit einem »Es war einmal…« einzusteigen, weil es ebenso gut sein kann, dass der Drache, um den es geht, nach wie vor lebt. (Nur, weil wir etwas nicht sehen können, heißt das schließlich nicht, dass es deswegen nicht doch da ist!) Mein Märchen beginnt folglich mit: Es lebte – und lebt wohl irgendwie immer noch – ein Drache, der aber kein Drache mehr sein wollte. Alles Drachenhafte war ihm nämlich von Grund auf suspekt. Ständig erwarteten die anderen Drachen von ihm, dass er Prinzessinnen entführen solle und dann die vermeintlichen Prinzen zu töten, die kommen würden, um die Prinzessinnen zu befreien. Zwischendurch sollte er immer – um entsprechend furchterregend zu wirken – Feuerspeien und in den Wäldern ein paar Bäume abfackeln. Doch in all diesen Dingen sah der besagte Drache keinen rechten Sinn. »Wozu soll ich Prinzessinnen entführen und Prinzen töten?«, fragte er immer wieder die anderen Drachen, die ihm daraufhin zu verstehen gaben: »Weil Drachen das eben so machen!«. Die älteren Feuerechsen fügten dann meist noch hinzu, dass man das doch schon immer so gemacht hätte und dies eben die Tradition der Drachen sei. Außerdem war man sich einig darüber, dass dies die Natur des Drachen kennzeichnen würde und er somit gar nicht anders könne, als sich so zu verhalten. All diese Antworten vermochten unseren Drachen jedoch eher zu verdrießen, denn es machte ihm einfach keinen Spaß, Menschen etwas gegen ihren Willen anzutun. »Entweder«, so sagte er meist zu sich selbst im Stillen, »eine Prinzessin will ganz aus freien Stücken bei mir bleiben und mit mir in meiner Höhle leben oder nicht. Aber jemanden zu etwas zu zwingen, das ist doch voll doof. Außerdem: Was habe ich denn davon, wenn ich weiß, dass sie nur bei mir ist, weil ich sie ständig bedrohe und nicht, weil sie mich vom Grunde ihres Herzens auf wirklich mag?« »Noch zumal«, fuhr er oft in seinen Gedanken fort, »wenn sie eigentlich lieber bei einem Prinzen wäre und nicht bei einem Drachen, was soll dann das ganze Theater?« Wenn er seine Bedenken den anderen Drachen mitteilte und ihnen seine Vorstellungen von aufrichtiger Liebe darlegte, so lachten diese nur über ihn und schüttelten mit den Köpfen. »Du bist doch nicht ganz gescheit!« »Eine Prinzessin, die freiwillig bei einem Drachen bleibt – niemals! So etwas gibt es nur im Märchen!« Solche Aussagen betrübten den Drachen meist sehr, so dass er sich daraufhin immer noch tiefer in seiner Höhle verkroch, um Gedichte ins Felsgestein zu ritzen. »Dafür sind meine Pranken gut«, begann er zum Beispiel zu dichten.
dafür sind meine Pranken gut: zu ritzen noch mit letzter Glut was ich nicht im Leben wolle sie zu zwingen irgendwas und ohne jeden Unterlass mit meinem drachigen Gegrolle ihr ständig Angst zu machen – ich bin ein and’rer Drachen!
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Dies so niederschreiben zu können, half ihm meist sehr dabei, seinem Unmut über die Drachengesellschaft auszudrücken. »Wieder eins mehr!«, freute er sich, als er sich das soeben entstandene lyrische Kunstwerk noch einmal durchlas. »Mit jedem Gedicht, das ich mir schreibe, komme ich meiner Vorstellung von einer Welt, in der es anders sein könnte, ein Stückchen näher. Nie wird der Tag kommen, an dem ich einen Prinzen töte oder eine Prinzessin dazu zwinge, ihr Schloss gegen meine Höhle zu tauschen! Sollen die anderen Feuerspeier doch denken, was sie wollen! Dass ich kein richtiger Drache sei, weil ich all dies ablehne; dass ich ihrer nicht würdig bin; eine Schande, wie sie sagen; sie sich für mich sogar schämen, wie sie oft bekunden; aber was für mich zählt, ist einzig, dass ich mir selbst im Spiegel noch in die Augen schauen kann; vor mir selbst weiß, dass das, was ich tue, richtig ist.« Sag, findest du nicht auch, dass unser Drache ein rührender Idealist ist? Ein Tier mit Visionen, das vielleicht mancher zum Arzt schicken würde. (Stell dir das nur mal vor: Wie er dort auf dem Stuhl im Behandlungszimmer sitzt und sich den schuppigen Körper mit einem Stethoskop abhören lässt. Und in dem Moment, wo der Arzt ihn auffordert, einmal kräftig tief ein- und wieder auszuatmen, ihm aus Versehen ein Feuerstrahl entfährt und dieser im Arztzimmer ein Loch in den Boden brennt. Das verdutzte Gesicht des Arztes wäre sicher zu köstlich in diesem Augenblick.) Lass mich dir sagen, dass ich an dieser Stelle die Märchenwelt abrupt verlassen muss. Zum einen, weil ich nicht mehr weiß, wie die Geschichte tatsächlich zu Ende ging (oder will ich mich an das Ende nicht mehr erinnern?) und zum anderen, weil es wohl sonst zu kitschig werden würde. Machen wir uns nichts vor, wir wünschen uns beide, dass der Drache in der Erzählung eines schönen Tages auf einer Lichtung im Wald zufällig einer Prinzessin begegnet, die auf einmal – ganz gegen ihre eigene anfängliche Skepsis – doch feststellen muss, dass dies das erste Untier ist, vor dem sie sich nicht wirklich fürchten muss. Sie lernen sich daraufhin besser kennen. Sie entdeckt seine Gedichte und verliebt sich in den Drachen, woraufhin beide glücklich miteinander in seinem Gesteinsloch hausen. In den Sommerferien besuchen sie fortan seine Schwiegereltern auf dem Schloss, wo sie dann für ein paar Monate alle zusammenleben. Ein Happy End á la Disney. Am Ende wird alles gut und so. Aber genau das ist das Problem. Disney vermittelt den Mädchen schon von Beginn an, dass sie möglichst Prinzessinnen werden sollen und den Jungen, dass sie alle das Zeug dazu haben, Prinzen zu werden. Versteh mich nicht falsch. Es steht mir nicht zu, dies verwerflich zu finden, aber es führt eben meist dazu, dass dadurch erst bestimmte Erwartungen erzeugt werden, die eher selten etwas mit der Realität zu tun haben. Letztlich setzt dies alles eine Logik in Gang, die sich tief in die Handlungen der Menschen eingräbt. Danach sind dann Drachen alle immer automatisch böse, Prinzen wollen Prinzessinnen – und keiner echte Mädchen (oder gar Frauen!) usw. Alle wollen irgendeinen schönen Schein und wundern sich dann, wenn es auf einmal ganz anders kommt. Dabei geht es genau darum, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie vermeintlich scheinen. Nichts steht vorher immer schon fest. Wenn ein Drache kein Drache mehr sein will (oder als solcher anders sein will), warum sollte das nicht möglich sein? Es muss die Möglichkeit geben, mit gängigen Traditionen und Vorstellungen auch brechen zu können. Das Problem ist nur: Jene, die eine andere Welt vordenken oder schon für sich leben wollen, sind meistens (tragischer Weise!) die Ersten, die nicht selten daran zerbrechen. Und
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weißt du auch, warum? Weil sie schon anders sind, als andere und die Anderen damit aber (noch) nicht zurechtkommen. Sie verstehen sie nicht. So wie die anderen Drachen unseren Gedichte an Gesteinswände schreibenden Drachen nicht verstanden haben. Vermutlich ahnst du schon, wie das Märchen vor diesem Hintergrund zu Ende gehen wird. Der Drache trifft tatsächlich eine Prinzessin auf einer Waldlichtung, sie erschreckt sich auch sogleich vor ihm, weil sie eine Prinzessin ist und sie immer von allen gesagt bekommen hat, dass Drachen nun mal böse sind und Prinzessinnen sich so zu verhalten haben (also schreckhaft gegenüber Drachen sein müssen). Der Drache kann sie jedoch beruhigen, sie kommen nett ins Gespräch miteinander. Man verabredet sich, lernt sich kennen und sie verlieben sich ineinander. Doch eines schönen Tages erfährt ein Prinz von dem Umstand, dass eine Prinzessin bei einem Drachen hause. In der üblichen Annahme, dass diese entführt worden sein müsse (denn warum sollte eine Prinzessin auch aus freien Stücken der gängigen Auffassung nach bei einem Drachen leben wollen?), schwingt er sich auf sein Pferd und reitet zur Höhle des Drachen. Er trifft ihn dort auch an. Der Drache empfängt den Prinzen recht freundlich. Der Prinz fordert die Prinzessin. Der Drache beteuert, dass es sich keineswegs um eine Entführung im vorliegenden Falle handeln würde. Die Prinzessin dies auch bezeugen könne, sie jedoch gerade im Wald sei, um frische Kräuter für das Mittagsmahl zu sammeln. Der Prinz glaubt ihm natürlich kein Wort und erschlägt den Drachen kurzerhand mit seinem Schwert. Sicher, du fragst dich jetzt, warum der Drache sich nicht gewehrt oder wenigstens dagegen verteidigt habe, als er angegriffen worden ist. Aber so war der Drache nicht. Hätte er den Prinzen – und sei es auch nur aus Notwehr – getötet, dann wäre er Zeit seines Lebens nicht mehr froh geworden. Ganz davon abgesehen, dass ein toter Prinz weitere Prinzen nach sich gezogen hätte, die darauf aus gewesen wären, ihren Bruder, Freund und Cousin zu rächen. Den anderen Drachen fehlte der Drache natürlich nicht, ihnen war es sowieso schon längst ein Dorn im Auge gewesen, dass eine Prinzessin auf einmal freiwillig bei einem von ihnen lebte. Jetzt könnte man natürlich meinen und denken, dass der Tod des poetischen Drachen vollkommen nutzlos und unnötig gewesen sei. Stimmt!, würde ich dir da sofort beipflichten. Doch mit seinem Tod war nun etwas in der Welt, was sich nicht mehr ohne weiteres aus dieser tilgen ließ. Die Prinzessin hatte nämlich, nach der Beerdigung des Drachen und nachdem der erste Schock der Trauer über den Verlust eines geliebten Tieres ein wenig nachgelassen hatte, all seine Gedichte aus der Höhle fein säuberlich abgeschrieben und solange verwahrt, bis sie diese in guter Obhut bei einer Schriftsetzerin wusste. Diese brachte dann die lyrischen Kunstwerke posthum heraus und damit waren die Ideen und Vorstellungen des Drachen in der Welt. Niemand konnte nun, vor allem von Seiten der Menschen, mehr sagen, er habe gar nicht gewusst, dass ein Drache auch Poesie verfassen könne und somit nicht ›automatisch‹ böse und schlecht sei. Und allmählich setzte das ein, wofür der Drache stets eingetreten war: Ein Prozess des Umdenkens kam schrittweise in Gang. Was meinst du, werden wir auch erst sterben müssen, damit die Welt nach uns eine bessere sein kann? Oder werden wir noch zu Lebzeiten miterleben, wie es in dieser anders kommen wird? In der wir tatsächlich das leben können, was wir immer schon sein wollten? Denn auch
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ich will kein Prinz sein, der erst einen Drachen töten muss, um eine Prinzessin zu erlangen. Genauso wenig, wie ich auch kein Drache sein will, der Prinzessinnen entführen soll. Vielleicht kann ich nicht immer eindeutig sagen, wer oder wie ich bin, aber ich weiß zumindest, was ich nicht bin und wie ich nicht sein möchte. Dennoch will ich gerne noch einmal deine Ausgangsfrage danach aufgreifen, wer ich bin und dir sagen, was nach all den Worten im Kern von mir noch übrigbleibt, wenn man die Nuss erst einmal ihrer Schale entledigt hat. Es sind vor allem die vielen Fragen, die bleiben werden, die mich bestimmen und ausmachen. Die großen nach dem Leben und der Liebe wie die kleinen nach der Farbe von Kompott oder dem Geschmack von Kaugummi. Auch das weite Herz, das tief in sich verloren scheint, wird bleiben und sich weiterhin dem Tage entgegensehnen, wo aus seinem Rhythmus endlich der liebliche Takt zweier Seelen schlägt. Dafür ist es gemacht, dafür liegt es dort, darauf wartet es. Und schließlich wird wohl auch die Poesie übrigbleiben, die mich durch das Leben trägt und zugleich Träume von einer Welt immerzu aussprechen lässt, in der alles ganz anders wäre. In Gedanken im Märchen, Dein D
›Ein Mensch tanzt übers Seil‹
15.12.2015
Liebe I, nun habe ich zwar seit meinem letzten Brief an dich nicht wieder weiter etwas von dir gehört, aber ich möchte dir dennoch ein paar Zeilen schreiben in der vagen Hoffnung, dass du diese eventuell doch lesen wirst. Allein diese Vorstellung, dass du dir die Zeit – von der auch gleich noch meine folgenden Sätze handeln werden – nimmst, um dies von mir Geschriebene zu lesen, macht es mir wohl überhaupt erst möglich, etwas zu Papier zu bringen und diesen gigantischen Gedankenstau, der sich in meinem Kopf auftut, zu kanalisieren. Diesmal treibt mich etwas um, was mich schon seit einer gefühlten Ewigkeit beschäftigt und immer wieder und wieder in mir herumschwirrt. Es geht in mir ein Gespenst um; es trägt den Namen »Dilemma«. Aber besser noch, ich steige noch einmal anders ein, indem ich dir näher davon berichte: Es fasst mich so an, dieses Sosein. Fährt in mich und kommt dann durch mich aus mir heraus. Da könnte ich manchmal echt schreien, während mir unentwegt die Tränen rinnen. Kann dir nicht sagen, ob es der Freude oder der Trauer ist. Sie kommen einfach, fließen mir die Wangen herunter, so als wollten sie sagen: Da sind wir. Nimm es hin! Einfach so, als hätten sie kein Zeitgefühl. Mitten aus dem Moment kullern sie hervor. Kennen kein Timing, fragen nicht, wohin. Sie laufen schlicht und ergreifend dem Vertrocknen entgegen. Aber gibt es das? Den richtigen Zeitpunkt für irgendetwas im Leben? Den richtigen Gedanken zur richtigen Zeit? Wie soll der aussehen? Ist das nicht bloß eine Illusion, der man sich gerne hingeben möchte? Oder ist das nur die Ausrede derer, die einfach nicht darüber verfügen? Die kein Händchen dafür oder dagegen haben. Die immer zu spät sind. Die sich verpassen. Die nicht auf den Punkt kommen, weil dieser sich ihnen entzieht oder in etlichen Mannigfaltigkeiten aufdröseln lässt. Die ständig greifen und greifen und greifen und alles, was sie zu fassen bekommen, immer wieder nichts als eine gähnende Leere ist. Ich weiß nicht, vielleicht kommt es mir auch nur so vor, aber hat Liebe nicht auch etwas mit Synchronizität – welch schreckliches Wort! – zu tun? Angenommen das Herz eines vermeintlich Liebenden beginnt, in Folge des Entdeckens eines anderen Herzens, schneller zu schlagen, dann muss das andere Herz, also jenes, das entdeckt worden ist, doch nicht genauso schlagen. Wie soll das auch gehen? Aber müsste es das nicht tun? Ist nicht Liebe, wenn zwei den gleichen Takt finden? Oder kannst du dir auch ein vor Liebe tanzendes Paar vorstellen, wo jemand im Dreivierteltakt walzt und der Partner im Viervierteltakt schreitet? Selbst wenn ich jetzt dafür alle mir zur Verfügung stehende Phantasie aufbiete, um mir das vorzustellen, komme ich doch nicht umhin, festzustellen, dass das irgendwie schief ist. Es passt nicht. Weil seine Zeit nicht ihre ist – oder von mir aus auch umgekehrt. Sie liegen, stehen oder tanzen eben auf unterschiedlichen Wellenlängen. Aber das Merkwürdige ist doch: Selbst, wenn wir einer Meinung sind, was die Sache mit dem Takt und der Zeit angeht, die jeweils unterschiedlich sind, dass sich dennoch beide in einem Moment begegnen können. Sie treffen also
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zu einem Zeitpunkt X aufeinander. Demnach muss es zumindest etwas geben, was sie in der Zeit zusammengeführt hat. Zufall? Schicksal? Das Komplizierte daran ist, dass ab diesem Zeitpunkt X irgendetwas passiert, was beide zunächst aus dem Takt zu bringen scheint, sie innehalten lässt. Wenn wir bei dem Beispiel des Tanzes bleiben, so lässt sich dies so vorstellen, dass sich beide – je für sich in ihren Rhythmen bewegend – berühren. Ihre Schulter seinen Rücken oder so. Und dann bringen sie sich erst einmal raus. Aus dem Takt und der jeweils gelebten Eigenzeit, die für einen Bruchteil einer Sekunde plötzlich stillsteht. Das ist genau der Moment, wo man das greifen kann. Wo die Chance gegeben ist, dass da vielleicht ein gemeinsamer Takt entsteht. Aber wie genau geht das? Passiert das völlig zufällig, so als würde ein Vogel auf irgendeinem x-beliebigen Ast landen oder zieht das Vöglein ein ganz bestimmter Ast unbewusst an? Gut, sicher: Man kann das alles irgendwie passieren lassen. Es geschieht, was geschieht und läuft ab, was kommen soll und so weiter und so weiter. Aber ich würde nicht fragen, wenn mich das nicht ernsthaft beschäftigen würde. Denn was mir fehlt, ist diese Berührung. Diese Berührung, wo auf einmal alles klar ist, der Vorhang aufgeht und die Bühne nur den beiden sich voreinander Erkennenden gehört. Stattdessen habe ich ständig das Gefühl, dass der Vorhang immer dann aufgeht, wenn ich gerade nicht hinsehe oder dieser vielleicht bei mir und meiner ganz persönlichen Vorstellung gänzlich defekt ist. Das Ganze ließe sich auch noch einmal anders fassen: Ich tanze und tanze und tanze, aber entweder man berührt sich nicht oder man berührt sich und es folgt daraus keine neue gemeinsame Zeit. Das Timing stimmt nicht, weil mir dieser Instinkt dafür fehlt. Denke ich zumindest. Wissen kann ich es jedoch nicht. Erinnerst du dich an den Vogel aus dem Wald, dem ich begegnet bin und der immer vor mir weggeflogen ist, wenn ich mich ihm genähert habe? Dieses Erlebnis lässt mich so ambivalent zurück. Denn einerseits ist es einfach ein schönes Gefühl, zu wissen, dass er existiert und da ist und man sich an ihm so erfreuen kann, wie er vor einem davonfliegt. (Ein ästhetisch wirklich genialer Augenblick.) Andererseits: Wie wundervoll wäre es, wenn er gar auf meiner Schulter oder meinem Kopf Platz nehmen würde und mir dort dann ein schönes Lied singt. Was ich damit sagen will, ist: Auf dem Weg zu etwas zu sein, ist etwas anderes, als das Ziel eines Weges zu erreichen. In seiner eigenen Zeit zu leben, ist etwas anderes, als diese um weitere Zeiten anderer Menschen zu erweitern beziehungsweise in dieser Erweiterung seine eigene Zeit gar gänzlich neu aufgehen zu lassen. Oder wieder anders gedacht: Wenn ich lese, dann kann ich nicht schreiben und wenn ich schreibe, dann kann ich nicht lesen. Wenn ich also über das Timing nachdenke und theoretisiere, dann weiß ich mit ziemlicher Sicherheit, dass es auch künftig nicht stimmen wird, ja überhaupt nicht stimmen kann, denn man hat seine Zeit letztlich mit diesen ganzen Gedanken an die Zeitlichkeit verschwendet (und noch dazu Zeit dabei ›verloren‹!) und ist für Momente der Berührung gar nicht mehr empfänglich. Nur: Wenn ich nicht darüber nachdenke, dann verstehe ich diese Sache mit dem Timing erst recht nicht, verstehe nicht, woran dieses meist scheitert. Ein Dilemma also. Zwischen denken und handeln. Zwischen verstehen wollen und letztlich wohl gar nicht verstehen müssen. So wie beim Schweigen, wo man sich nicht zusätzlich verstehen muss, weil man sich bereits –
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schweigend! – versteht. Nicht, dass ich da jetzt eine Weltformel von dir erwarte, die das Dilemma auflösen oder wenigstens synthetisieren würde – aber kannst du so ein winziges, kleines bisschen erahnen, was ich meine? Melancholisch Dein D […]
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24.12.2015
Liebe I, wieder und wieder habe ich deinen letzten Brief gelesen, bis er sich unter der Berührung meiner Finger aufgelöst hat. Jedes Mal wollte ich dir danach schreiben, aber ich musste feststellen, dass ich es nicht konnte. Hatte ich während der Lektüre deines Briefes noch Tausend wohlfeile Gedanken in meinem Kopf, die ich dir alle mitteilen wollte, so waren sie weg, sobald ich mich daransetzte und mit der Arbeit am Text begann. Mehr noch: Ich konnte es plötzlich nicht mehr; war wie blockiert. Wenn ich dir heute somit schreibe, so bedeutet dies nicht, dass ich die Blockade schon überwunden habe, es zeigt nur, dass ich (noch!) nicht kapituliert habe, sondern mich dazu durchgerungen habe, dir trotz allem zu schreiben. Dabei gehe ich erneut das Risiko ein, dass das, was ich dir hier schreiben werde, am Ende vielleicht wirr und alles andere als verständlich sein wird und weder von dir noch von mir je wirklich begriffen werden kann (oft sind meine Gedanken wohl intelligenter als ich es bin). Ich riskiere es somit ganz bewusst, ein Idiot zu sein, der sich nicht anders als idiotisch auszudrücken weiß. Der für sich allerdings verstanden hat, dass es keine letztgültigen Antworten auf deine und meine Fragen vermutlich jemals geben wird, der aber dennoch nicht müde wird, nach welchen zu suchen oder diese – irgendwie – zu finden. Nun kann man tatsächlich sagen, dass dies doch nutzlos sei und in höchstem Maße verschwenderisch. Man seine Worte somit vielleicht lieber sparen (als wären sie eine Anlage für etwas!), sie sich (für was auch immer) aufheben solle usw. Nur steht für mich eben fest: Das Leben des Einzelnen ist zu kurz, um nicht darüber gesprochen zu haben. Dies gilt sowohl für ein Reden über das Leben selbst als auch für seine mannigfaltigen Erscheinungen, die in diesem vorkommen – was auch den Tod miteinschließt. (Was jedoch nicht heißt, dass man deswegen immer reden muss, im Gegenteil.) Ich will mir hinterher nämlich nicht vorwerfen müssen, nur geschwiegen zu haben, weil ich zu feige war oder auf irgendeine Art und Weise Angst davor hatte, mit meinen Worten zu scheitern. Dies bringt mich zugleich zu einer ersten Antwort zu einer der im Raum stehenden Fragen. Wir sollten unbedingt kapitulieren und scheitern dürfen, wenn es angebracht ist und eben so kommen sollte. Vielleicht muss das auch jeder Einzelne wieder mehr lernen. Lernen, was es heißt, zu scheitern. Auch darin liegt halt das Risiko: Nicht nur mit den vorgebrachten Worten nicht recht verstanden zu werden, sondern ebenso mit seinen Taten nicht dorthin zu gelangen, wo man ursprünglich einmal hinwollte. Daher stimme ich dir absolut zu, dass es zum Beispiel Paare gibt, die keinen gemeinsamen Takt finden (egal, wie viel Mühe sie sich dabei auch immer geben mögen), weil dies nicht so sein soll und beide nicht für den gemeinsamen Tanz gemacht sind – dafür jedoch perfekt einen Text zusammen schreiben können. Nur braucht es dafür aber auch Spielräume, wo man sich ausprobieren kann, wo man ganz bewusst scheitern darf und wo sich problemlos feststellen lässt, was geht und was nicht geht. Es braucht eine offene Gesellschaft, in der man wirklich ernsthaft seine Sehnsüchte, Wünsche und Gedanken ganz direkt mitteilen kann, oh-
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ne dabei den jeweils anderen gleich zu verschrecken oder zu verstören. Jemanden, den man vor allem noch nicht wirklich kennt, also um einen Kaugummi zu bitten, ist das eine, ihn darum zu bitten, ob er einen nicht jetzt vielleicht einfach mal in den Arm nehmen kann oder einem das Haar durchwuschelt, ist etwas gänzlich anderes. Da kommt dann nämlich diese ganze Sache mit der Kultur durch. Mit dem Umgang und dem ganzen Gedöns, das wir uns in all den mühevollen Jahren der Sozialisation aneignen. Peinlich genau die Etikette achtend. Aber sind das dann tatsächlich noch wir? Wir als Menschen meine ich und nicht als Anstandsautomaten? Manchmal habe ich jedenfalls das Gefühl, dass in meinem Körper jemand anderes wohnt. Oder besser gesagt: Mein Körper einen anderen Ausdruck vermittelt, als mein Geist eigentlich vermitteln möchte. (Das ist vielleicht wie mit den Worten. Man sagt etwas, was für einen selbst noch total logisch und schlüssig klingt und dann im konkreten Gespräch ist es das bereits nicht mehr, weil die Worte ganz anders angekommen sind, so als seien sie beim Transfer nach draußen transformiert worden.) Im vorliegenden Fall ist es aber der Körper, der anders ankommt. Der Blick zum Beispiel, der als schlecht gelaunt oder streng interpretiert werden kann, obwohl der Geist im Inneren dies gar nicht bekunden will. Und so drücken wir und sagen wir – nicht immer, aber immer öfter – ständig Sachen und Dinge aus, die wir doch im Grunde weder sein noch sagen wollen. Aus Angst, man könnte uns als schwach (oder schlimmer noch: depressiv!) empfinden, sagen wir, dass es uns gut geht. Krasser noch: Wir stellen die Frage »Wie geht’s?«, wollen aber eine wirkliche Antwort darauf dann meist gar nicht hören. Damit ich diesbezüglich nicht missverstanden werde: Das ist sicher nicht bei jedem und bei allen so – zum Glück! Aber doch ein Großteil der Menschen, die einen so begegnen, meinen, sich – aus was für Gründen auch immer – bewusst oder unbewusst anders zu geben, als sie eigentlich sind. Auch ich muss mir da wohl an die eigene Nase fassen, denn »ich will jetzt kuscheln« habe ich so wohl direkt und unmittelbar noch nie einfach mal so formuliert. Vielleicht auch aus Angst, missverstanden zu werden oder Ablehnung zu erfahren. Denn das bringt mich nun zu der Sache mit dem Kloster. Selbstverständlich verstehe ich es sehr gut, wenn du in ein Kloster gehen willst, wie du schreibst, liebe I. Auch ich wollte das bestimmt schon mindestens zwei Mal in meinem Leben tun. Der Welt den Rücken zu kehren und in die Stille zu gehen. Ora et labora! Aber ist es das, was ich wirklich will? Beten und arbeiten? Das habe ich mich dann immer jeweils gefragt. Finde ich in einem Kloster, wonach mich sehnt? Nicht, dass es nicht auch eine Form von Liebe unter Brüdern im Kloster geben kann – die gibt es mit Sicherheit. Nur ist das eben nicht das, wonach ich suche – oder von dem ich hoffe, es zu finden. Ergo: Mir ist diese Art der Weltflucht (zumindest als Gedanke) mehr als gut vertraut, aber auch hierbei besteht im Endeffekt stets die Gefahr, im Eskapismus seine Träume und Wünsche doch nicht gänzlich zu vergessen. Wenn sie nämlich innerhalb heiliger Mauern wiederkommen, dann nützt der Gang in diese Gemäuer rein gar nichts. (Auch eine Form von ›scheitern‹ übrigens: In einem Kloster zu entdecken, dass man das nicht gefunden hat, was man sich dort eigentlich erhoffte.) Letztlich kann so eine Erkenntnis einen jedoch auch weiterbringen – jedenfalls, wenn man die richtigen Schlüsse daraus zieht. Die Frage ist halt bloß: Was sind die ›richtigen‹ Schlüsse?
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Dies bringt mich zu einem anderen Aspekt. Welche Schlüsse sollte deiner Meinung nach jemand ziehen, der nicht mal eben heute scheitert und morgen erfolgreich ist (wo das eine auf das andere fast schon in natürlicher Weise folgt), sondern der permanent scheitert. Es akzeptieren und einfach hinnehmen? Herumjammern? Es trotzdem weiter versuchen, zu ändern? So jemand kommt, denke ich mir, schon ins Grübeln, was da jedes Mal falsch- oder schiefläuft. Oder würdest du eher sagen, dass das so sein muss, dass jemand erst 99-mal scheitern muss, um dann beim 100. Mal den Jackpot zu knacken? (Und bitte sag mir jetzt nicht, dass er herumjammern soll, das fände ich nämlich wirklich sehr trostlos…) Du musst doch zumindest zugeben, dass es schwer ist, seine eigene Zeit (Stichwort: Timing) und sein eigenes Sein aufrecht zu erhalten, wenn diese jedes Mal zu früh oder zu spät an die Brandung klatschen. (Mh, jetzt habe ich hier so einen Satz hingeschrieben, der selbst für mich ein wenig sperrig daherkommt – trotz der Metapher mit der Welle. Na ja, ich lasse ihn stehen, vielleicht stolpert irgendwann ein interessierter Literaturwissenschaftler darüber und wundert sich.) Natürlich besteht die Kunst beim Surfen darin, die richtige Welle zu erwischen. Und wenn man die hat, dann braucht es auch keine Fragen danach, wie das ging und wie man das gemacht hat, dann kann man das einfach an- bzw. hinnehmen und gut ist. Aber was, wenn sie nicht kommt? Sollte man dann mit dem Surfen aufhören oder erst recht weitermachen? Wieder anders gefragt: Wann weiß man denn, dass man endgültig gescheitert ist und statt tanzen lieber zusammen einen Text schreiben sollte? Ehrlich gesagt, weiß ich das bei mir oft auch nicht, ob ich gerade wieder grandios gescheitert bin oder nicht. Weiß oft nicht, woran ich bin – und woran nicht. Zumindest bilde ich mir meist recht gerne ein, dass das genauso kommen sollte, wie es gekommen ist. (Unabhängig davon, wie man das labelt (gescheitert/nicht gescheitert).) Es ist halt – so oder so – eine Erfahrung. Vielleicht verklärt man dadurch die Ereignisse aber auch nur. Und weder das Zufällige noch das Schicksalhafte treffen zu, wie du schreibst. Aber hast du wirklich das Gefühl, dass alles (also das Leben) bloß eine beliebige Aneinanderreihung von Ereignissen ist? Bisher habe ich mir nämlich immer eingeredet, dass ich Menschen nicht nur einfach so getroffen habe, sondern dass ich diese treffen sollte. Es sollte so kommen, dass ich ihnen begegne. (Einmal habe ich in einem Gebirge – und das ist jetzt kein Witz! – an drei unterschiedlichen Tagen und auf differenten Wegen ein und denselben Mann beim Wandern angetroffen, um ihm dann am vierten Tag nochmals im Supermarkt im Tal zu begegnen. Eingedenk der Tatsache, dass es mehr als nur einen Berg und mehr als nur einen Weg dort gab und gibt (auf die Supermärkte trifft das gleiche zu), ist das eigentlich vollkommen absurd.) Jene Ereignisse, die sich mir zugetragen haben, sollten mir passieren. Wenn man beispielsweise dem Tod begegnet (bei wem und in welcher Form auch immer), dann hat dies keineswegs etwas rein Zufälliges, sondern sollte mir etwas sagen. Aber vielleicht hast du recht und ich irre mich diesbezüglich kolossal. Es ist alles völlig willkürlich – ohne Plan, ohne Absicht und dergleichen. Ein komplettes Chaos – wo man Zusammenhänge zwar herstellen und ableiten kann, aber die im Grunde bloß Konstruktionen sind. So wie dieser Text hier. Was bleibt dann noch vom Leben – außer, dass es in jedem Moment ganz plötzlich vorbei sein kann? Bisher hatte ich nämlich zumindest immer gehofft (oder mir eben eingebildet!),
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dass es da doch einen Sinn geben müsse. Ein Sinn darin bestehen müsse, wenn man schon ausgerechnet über ein Seil tanzt. Aber vielleicht gibt es den Sinn tatsächlich nicht und alles ist sinn-los. Was mich irgendwie betrübt, weil sich mir dann auch die Frage stellt, was ich hier eigentlich mache? Wofür bin ich da? Um mich zu verschwenden und hinzugeben, mit allem was ich bin und was mich irgendwie ausmacht? Mit meinen Gedanken, Ideen und Worten? Wenn man es so auffasst, dann macht es offenbar keinen Unterschied, ob man jetzt stirbt oder in 60 Jahren. Siehst du das wirklich so, I? Oder irre ich mich und ich habe dich diesbezüglich einfach nur völlig missverstanden? (Zuweilen möchte ich mich gerne irren (in Bezug auf Thesen, Menschen, Sachverhalte) und hoffe, dass alles doch anders ist, als vermeintlich angenommen – kennst du das I?) Manchmal möchte ich… mich vertun und mir vorstellen, dass ein schmales Seil mich sicher über den Abgrund tanzen lässt. Nachdenklich Dein D PS: Habe gerade noch ein Zitat gefunden, was vielleicht ganz gut zu meinen Gedanken passen könnte: »Es ist die Institution der Gesellschaft, die bestimmt, was ›real‹ ist und was nicht, was ›einen Sinn hat‹ und was keinen.« (Castoriadis 2012: 24) […]
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I. Am Anfang war die Utopie1 »I think, in fact, that the creation of Utopias – and their exhaustive criticism – is the proper and distinctive method of sociology.« (Wells 1906: 367) »Nichts ist poetischer als Erinnerung und Ahndung oder Vorstellung der Zukunft.« (Novalis 2015b: 389) ┌
Von ›Utopie‹ sei hier die Rede, aber was ist damit gemeint? Das aus dem Altgriechischen stammende Wort, das sich aus »ou« (nicht) und »tópos« (Ort) zusammensetzt, ließe sich mit »Nicht-Ort« übersetzen (vgl. Uerz 2015: 310). Demnach handelt es sich um einen Ort, den es definitionsgemäß eigentlich gar nicht gibt – nach dem Menschen aber trotzdem immer wieder streben. Das tun sie deshalb, weil ein solcher Nicht-Ort eng mit der Vorstellung verknüpft ist, dass es an diesem wie im Paradies sein müsse. Oder wenigstens so, dass die alltäglichen Dinge und die gesellschaftlichen Strukturen an diesem schöner und besser sein müssten, als sie es in den Gegenwarten der jeweiligen Utopieentwürfe sind. Eine Utopie ist die Annahme, dass es irgendwo anders ist und dass sich dieses Andere als Versprechen vielleicht irgendwann positiv in der Realität umsetzen lasse. Wenn nicht heute, so doch morgen. Sie unterscheidet sich damit von der Dystopie, bei der es nicht besser, sondern in jedem Fall schlechter kommen werde.2
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Das Kapitel (bis zum Beginn des Punktes I.1) beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser am 11.06.2018 im Literaturhaus am Inn im Rahmen eines »Montagsfrühstücks« in Innsbruck gehalten hat. Eine essayistisch gehaltene, gekürzte Version dieses Vortrages ist inzwischen auch anderenorts erschienen. Es handelt sich dabei um Grummt (2020). Für diese Studie ist der Text übernommen und an dieses Format entsprechend angepasst sowie – v.a. im Hinblick auf die Fußnoten und weitere Literaturverweise – erweitert worden. »Dystopien handeln mitunter von tragischem menschlichen Versagen, autoritärer Repression, katastrophalen Ereignissen und nihilistischen Zukunftsvisionen […]« (Stoltenberg 2016: 67f.).
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Schon anhand dieser ersten Gedanken wird ersichtlich: Die Utopie ist kein leichthin bestimmbarer Begriff – nichts, was sich einfach (soziologisch) (be)greifen ließe.3 Für sie braucht es Vorstellungskraft, Phantasie oder anders gesagt: den Griff nach den Sternen. Utopien setzen voraus, dass man sich etwas vorstellen kann, das vom wahrgenommenen Zustand im guten Sinne abweicht und das es so in aller Regel noch nicht gibt. Wenngleich das erdachte Neue natürlich, wie Karl Mannheim herausgearbeitet hat, vom »Bestehenden« (Mannheim 1952: 180) ausgeht und sich an diesem ausrichtet. Doch spätestens an diesem Punkt fangen die Schwierigkeiten mit der Utopie an. Zuerst lässt sich erwarten, dass die Frage danach, was denn ›gut‹ sei, von jedem Individuum auf unterschiedliche Weise beantwortet werden dürfte. Für den einen ist es beispielsweise ›gut‹, wenn alle ihren materiellen Wünschen nachgehen können, während es für einen anderen ›gut‹ ist, möglichst frei von jeglichem Besitz zu sein.4 Zudem ist es nicht damit getan, ›Utopie‹ lediglich von seiner etymologischen Bedeutung her als einen ›Nicht-Ort‹ zu bestimmen. Tatsächlich gibt es in der Realität der Gegenwart bereits eine ganze Reihe erlebund erfahrbarer Nicht-Orte. Marc Augé, der jenen Nicht-Orten gleich ein ganzes Buch gewidmet hat, führt in diesem Zusammenhang u.a. Bahnhöfe, Flughäfen, Shoppingmalls, Züge und Flugzeuge an (vgl. Augé 2014: 84). Es handelt sich dabei für Augé um Orte, die zwar durchaus real auffind- und begehbar sind, die aber zugleich auch austauschbar und beliebig wirken. Denn es spielt über den Wolken letztlich keine Rolle, ob sich ein Flugzeug auf dem Weg von Wien nach Buenos Aires oder von Brüssel nach Warschau befindet. Das Interieur und die sich dort vollziehenden sozialen Vorgänge sind meist die gleichen. Aber ist ein Flugzeug deswegen eine Utopie? Für die Menschen im 21. Jahrhundert mag sich mit dem Flugzeug als Fortbewegungsmittel kaum noch eine utopische Vorstellung verknüpfen. Für viele von uns ist es heute eine Selbstverständlichkeit, bei privaten oder geschäftlichen Reisen Flughäfen aufzusuchen und uns von dort aus durch den Luftraum transportieren zu lassen. Aber am Ende des 19. Jahrhunderts war Fliegen in jedem Fall noch ein utopischer Gedanke, von dem nur einige wenige zu träumen wagten – und nicht selten beim Versuch einer Konkretisierung jenes Traumes ihr Leben ließen.
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»Utopie wirkt in der Soziologie als Impuls, sie liegt ihr nicht als greifbarer ›Gegenstand‹ vor. Als theoretische Unruhe ist Utopie kritisch im Prozeß der Selbstreflexion der Sozialwissenschaften noch wirksam; vielleicht ist sie die einzige Instanz, die diesen Prozeß am Leben erhält. Und sie hält zugleich die Erinnerung an den utopischen Ursprung der Soziologie als einer ›Oppositionswissenschaft‹ (Carl Brinkmann) wach.« (Neusüss 1986: 110) Insbesondere zur Frage nach der »guten Gesellschaft« vgl. den Sammelband von Kellermann/Meyer (2013).
I. Am Anfang war die Utopie
Ersichtlich wird an diesem Beispiel des Fliegens jedenfalls, dass das Utopische keineswegs etwas ist, was allein in der Sphäre des Imaginären verbleiben muss, sondern vielmehr Wirklichkeit werden kann. Offen bleibt allerdings, ob und wenn ja, wann diese Realisierung eintreten wird. Manche Utopien beinhalten somit das Bloch’sche Potential, »konkret« zu werden (vgl. Bloch 1985a: 179). Wohingegen andere utopische Gedanken vielleicht nie eine Chance auf Umsetzung erfahren – weshalb dem Utopischen gelegentlich auch etwas Abschätziges im Sinne einer Chimäre anhaftet. Die utopischen Annahmen stecken dann entweder allein im Kopf der Utopistinnen oder finden allenthalben vielleicht noch ihren Eingang in die Literatur, wie etwa bei Thomas Morus’ Roman Utopia (vgl. Morus 2017).5 Tritt letzteres ein, so heißt dies natürlich keineswegs, dass die Utopie damit schon umgesetzt wäre. Um vom einzelnen Individuum oder vom niedergeschriebenen Text auf die gesamte Gesellschaft überzugehen, braucht es für die Verwirklichung in jedem Fall geeignete Trägerinnenschichten, welche die utopische Idee aufgreifen und diese in ihrer Alltagspraxis umsetzen. Aber selbst dann gibt es keine Garantie dafür, dass die Utopie von Dauer sein wird oder gar die Gesellschaft insgesamt dadurch verändert wird. Nicht selten verbleiben Utopien lediglich im Bereich der Literatur, ohne dass sie über dieses gesellschaftliche Teilsystem jemals hinausgelangen. Utopien besitzen somit nicht nur definitorisch, sondern auch strukturell etwas Unverfügbares.6 Sie lassen sich zwar qua Phantasie von jedem bzw. jeder ersinnen, aber nicht ohne weiteres durch- bzw. umsetzen. Ob eine Realisierung tatsächlich glückt, ist somit von vornherein nicht gewiss. Des Weiteren lässt sich im Rückgriff auf die Überlegungen von Mannheim konstatieren, dass man es in der Auseinandersetzung mit Utopien auch immer mit Ideologien zu tun bekommen kann (vgl. Mannheim 1952: 172; Mannheim 1986: 115f.). Oftmals lässt sich allerdings erst in der historischen Rückschau angeben, ob die vorliegenden Gedanken sich – im utopischen Sinne – durchsetzen ließen oder bloß zur Verschleierung der Umstände beitrugen, wie man es Ideologien unterstellt. Mehr noch: Man muss damit rechnen, dass eine Utopie jederzeit in Ideologie – oder schlimmer noch: in Barbarei – umschlagen kann. Was für den einen als utopisch-vorteilhafte Umgestaltung der Gesellschaft erscheint, ist in den Augen eines anderen nichts weiter als die Ausgeburt einer zu entlarvenden Ideologie. Die Vorstellung beispielsweise, künftig aus Gründen des Klimaschutzes auf das Kerosin gestützte Fliegen zu verzichten, ließe sich aus einer (vor-)herrschenden Perspektive als Teil einer grünen Ideologie verklären. Hieran zeigt sich das dialektische Grundverhältnis, mit dem man es in der Auseinandersetzung mit Utopien zu tun
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Zur »Utopie als literarische Gattung« vgl. Löwe (2012). Zum »utopischen[n] Roman als Soziologie-Ersatz« (Lepenies 2006: 171) vgl. Lepenies (2006). Zur soziologischen Fruchtbarmachung der Begrifflichkeit »Unverfügbarkeit« vgl. Rosa (2018).
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bekommt. Die konkrete Utopie der Gegenwart kann umschlagen in eine kommende Ideologie, deren Diktat sich dann jeder zu unterwerfen hat. Der Aufbruch in eine andere Zeit kann sich somit – insbesondere rückblickend betrachtet – als fataler Irrtum erweisen, was wiederum einen neuerlichen Anlass für utopisches Denken darstellen kann. Es kann aber ebenso dazu führen, dass dies als Ausgangspunkt zur Entwicklung dystopischer Zukunftsentwürfe genommen wird. Utopien können also in mindestens dreifacher Hinsicht scheitern oder in ihrem an sich progressiven Potential gehemmt werden. Erstens, indem sie bereits ungehört und ungelesen keinerlei relevante Resonanz entfalten. Zweitens dergestalt, dass sie sich als Ideologien entlarven lassen. Drittens dahingehend, dass aus ihnen Dystopien erwach(s)en. Aus dem Traum vom Flug mit einer Rakete auf einen anderen Stern kann der Kampf mit Raketen um »unwirkliche Räume« (Foucault 1993: 39) im Weltall werden.7 Aus einstig nicht betretbaren Orten können erschlossene Gegenden werden, die sich von nahezu jeder aufsuchen lassen. Gleichermaßen können Orte, die über einen bestimmten Zeitraum hinweg selbstverständlich erreichbar gewesen sind, wieder zu Nicht-Orten werden. Der noch unbestiegene Berg aus frühen Kindheitstagen, von dessen Erklimmen man bislang nur kühn zu träumen wagte, könnte schon morgen erwandert und übermorgen ein Ort sein, den es wieder zu meiden gilt – weil er z.B. durch intensive Nutzung und Ablagerung von Müll toxisch geworden ist. Die utopisch erscheinende Reise auf einen Planeten im All könnte in einigen Jahren vielleicht für jedermann realisierbar sein – muss sie aber nicht. Wenn dies jedoch soweit sein sollte, dann ist das Aufsuchen von Planeten nicht mehr länger nur eine Möglichkeit, die dem »kleinen Prinzen« aus Antonie de Saint-Exupérys gleichnamigen Werk oder einigen auserwählten Astronautinnen vorbehalten wäre, sondern etwas, das alltäglich wie das Fliegen auf der Erde werden würde (vgl. zum »kleinen Prinzen« Saint-Exupérys 2015). Schaut man auf diesen Aspekt vom theoretischen Standpunkt der Philosophischen Anthropologie aus, dann wird auch verständlich, warum das Weltraumreisen für uns Menschen gar nicht so unwahrscheinlich ist. So ist es doch einzig der Mensch, der qua seiner Existenz bereits über einen »utopischen Standort« verfügt, wie Helmuth Plessner in seinem Buch Die Stufen des Organischen und der Mensch (vgl. 7
Wobei eine Transformation natürlich auch umgekehrt von der Dystopie zur Utopie prinzipiell möglich ist. Dazu sei an die literarische Dystopie 1984 von George Orwell (vgl. Orwell 2005) erinnert, über die Jan Robert Bloch schreibt: »Selbst wenn im Konfliktfeld zwischen eigener Individualität und totaler Herrschaft die Rebellen untergehen, wie Winston Smith in ›1984‹, enthält das Scheitern das Unabgegoltene der ertasteten Möglichkeit, der unerfüllten Hoffnung. In der Rebellion steckt Sehnsucht nach einer besseren Welt und Heimweh nach einer Vergangenheit, die Spuren der möglichen Zukunft trägt […]« (Bloch 1997: 14). Und genau diese »Spuren« (ebd.) sind es auch, an die utopische Gedanken wiederum anschließen können.
I. Am Anfang war die Utopie
Plessner 1981) festhält. Der Mensch ist, anders als etwa das Tier oder die Pflanze, nicht an einen bestimmten Lebensraum gebunden; er ist exzentrisch positioniert. Mit anderen Worten: Das menschliche Lebewesen muss seinen Standort im Leben und in seiner Welt permanent (er-)finden und sich bewusst für – oder gegen – diesen entscheiden, weil es nicht den von vornherein festgelegten Lebensraum für den Menschen gibt. Vor diesem Hintergrund wird einsichtig, warum der Mensch an so vielen unterschiedlichen Orten anzutreffen ist: auf dem Wasser, in der Luft, in Wüsten und Bergen, auf Inseln – ja selbst außerhalb des Planeten Erde z.B. in Weltraumstationen. Möglich wird dies, da der Homo Utopicus (vgl. Zyber 2007) nicht nur permanent Vorstellungen darüber entwickelt, wie das Leben an verschiedenen Orten sich umsetzen ließe, sondern auch durch den Rückgriff auf eine Vielzahl an unterschiedlichen – ebenfalls durch Phantasie hergestellten – Werkzeugen und technischen Hilfsmitteln, auf die er sich dabei zu stützen weiß. Man denke diesbezüglich nur an Raumschiffe, Eisenbahnen, Autos, Jets, Helikopter und dergleichen mehr, die das Erschließen von Nicht-Orten oft überhaupt erst ermöglichen. Gleichzeitig bildet die Besiedlung dieser Nicht-Orte wiederum Anlass, von anderen, nahen wie fernen (Noch-)Nicht-Orten zu phantasieren. Spätestens die Landung auf dem Mond 1969 inspirierte die Menschen dazu, davon zu träumen, nun auch auf den Mars zu gelangen oder sogar in andere Galaxien außerhalb der Milchstraße vorzustoßen. Saint-Exupérys »Prinz« irrt sich also, wenn er über die Menschen befindet, dass diese »einfallslos« (Saint-Exupérys 2015: 68) sein würden. Sie sind sich ihrer Fähigkeit zur Vorstellungskraft nur eben mal mehr und mal weniger bewusst. Ebenso wie es bestimmte – meist als krisenhaft wahrgenommene – Zeiten gibt, in denen das Utopische8 uns präsenter und in aller Munde ist, wohingegen es in anderen Momenten fast vergessen scheint – oder sogar unterdrückt wird.9 Es zeigt sich jedenfalls: Das Utopische gehört als zentraler Aspekt, in Form einer anthropologischen Grundkonstante, zur menschlichen Existenz dazu. Wir kommen ohne das Utopische, das ein Teil unseres Seins ist, nicht aus. Erst Utopien verhelfen dem Menschen dazu, (Über-)Lebensorte und die entsprechenden Mittel (Werkzeuge, Technik, Regeln, Normen etc.) zu entwerfen. Darüber hinaus ist, wie
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Gleiches gilt natürlich auch für Dystopien, für die es gleichermaßen Hoch- wie Tiefphasen gibt. Momentan scheinen Utopien (eingedenk ihrer theoretischen Thematisierung an dieser Stelle) wieder einen gewissen Aufschwung zu erfahren, wofür z.B. Erik Olin Wrights Studie zu »realen Utopien« ins Feld geführt werden kann (vgl. Wright 2017). Aber noch für die 1990er Jahre kam mancher zu dem Schluss, doch das »Ende der Utopie« (Kneer 1996: 51) zu verkünden.
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dargelegt, Utopien immer eine Dialektik zu Eigen, die zwischen U-Topie und Topie, zwischen Utopie und Ideologie und zwischen Utopie und Dystopie changiert.10 Weiterhin relevant ist im Zusammenhang mit dem Utopischen, ob mit diesem eine bestimmte Absicht verfolgt wird. Geht es also um die (Er-)Findung eines neuen menschlichen Habitats, das (noch) im bisherigen Niemandsland liegt und das zu einem erreichbaren Ort werden soll? Oder soll das Utopische in Form einer Negation des Bestehenden, die Schwächen und Fehler des Gegenwärtigen sicht- und dadurch im Idealfall überwindbar machen? Zugespitzt lässt sich daher fragen: Will man sich mit dem utopischen Denken für die bestehenden Verhältnisse einsetzen und für die Relevanz der Utopie als Utopie eintreten? Als einem (Nicht-)Ort, von dem man zwar träumt, aber von dem man sich nicht zwangsläufig eine Realisierung erhofft, weil dies die Utopie gegebenenfalls zerstören würde. Oder will man mit den utopischen Ideen gezielt etwas verändern – aus dem Nicht-Ort einen bestimmten, eben anderen Ort machen? Noch einmal anders gefragt: Soll der Traum, weil er so schön ist, einfach nur geträumt werden oder soll der geträumte Traum wahr werden? Beides ist in Bezug auf Utopien möglich. Aber beides hat unterschiedliche Auswirkungen. Verbleibt der »Traum« (Adorno 2015b: 52) von einer anderen Welt, wie er für Theodor W. Adorno beispielsweise in Gedichten zum Ausdruck kommen kann (vgl. ebd.) oder, wie er für die Romantikerin Bettine von Armin in ihrem Werk Dies Buch gehört dem König durch die literarische Figur der »Fr. Rat« artikuliert wird (vgl. Ar-
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Dieses Hin- und Herkippen kann z.B. auch ganz plastisch an Städten abgelesen werden, wie es Didier Eribon in Rückkehr nach Reims schildert (vgl. Eribon 2017: 34f.). Die durch den Ersten Weltkrieg stark zerstörte »Märtyrerstadt« (Eribon 2017: 34) Reims wurde nach Kriegsende z.T. durch Stadtplanerinnen beim Wiederaufbau mit »Gartensiedlungen« (Eribon 2017: 34f.) versehen, was anfänglich wie eine »Traumlandschaft« (Eribon 2017: 35) gewirkt haben muss. Allerdings konstatiert Eribon dann für die 1950er Jahre, dass seinen Großeltern beim Einzug in ebendiese Gartensiedlungen nur »heruntergekommen[er]« (ebd.) und von »Elend zerfressen[er]« (ebd.) Wohnraum zur Verfügung stand.
I. Am Anfang war die Utopie
nim 1995: 168f.),11 allein im Kopf der Träumerinnen, so kann er für diese ein willkommener Rückzugsort vor den alltäglichen Sorgen und Nöten sein, ihnen Halt und Kraft geben – gleich einem schönen Sonnenuntergang, den man zwar am Horizont genießend wahrnimmt und zu dem man sich hingezogen fühlt, von dessen Anschauung man aber schließlich lernen kann, dass es im Grunde auf das Sehnen selbst ankommt und nicht auf das Erreichen der Ferne. Dies kommt auch in dem folgenden Gedicht zum Ausdruck, welches der Autor selbst verfasst hat. Traumkopf Auf dem Weg zu sein, ist nicht dasselbe, wie den Weg zu erreichen. Etwas haben zu wollen, ist nicht dasselbe, wie es zu haben. Oft leben wir von Phantasmagorien allein und müssten diese streichen, wenn wir sie ausführen sollen, um uns daran zu laben. Oft verheißt daher der Traum an sich mehr Qualität, als wenn dieser tatsächlich in Erfüllung geht. Deswegen lebt so mancher den schönen Schein viel lieber in Gedanken, gibt es in diesem doch keine nennenswerten Schranken. So kann der Traum im Kopf ein guter Motor für den Menschen sein, bringt dieser doch das Leben wirklich erst in uns hinein. 11
Zwar weist »Fr. Rat« (dem Pfarrer gegenüber) die Behauptung zurück, dass es sich um einen Traum handelt, von dem sie spricht (vgl. Arnim 1995: 168). Sie tut dies aber nur, weil sie fest davon überzeugt ist, dass dieser durchaus (künftig) Realität werden kann. So heißt es im Werk von Arnim ausführlich: »Sie lachen Herr Pfarrer! jetzt warum lachen Sie? – ›Weil ich Ihre Geschicklichkeit, Ihre große Leichtigkeit bewundre mit der Sie sich aus dem tiefsten philosophischen Lebensprinzip erheben und wie ein flatternder Vogel von Ast zu Ast hüpfen […] und so einen engen Kreis beschreiben Ihrer Glückseligkeitslehre mit so viel Besonnenheit des Schauens, Hörens und Fühlens, die so wunderbar das ganze geistige Universum spiegelt[,] daß man gleichsam zu träumen wähnt.‹ Fr. Rat. Nein das sollen Sie nicht zu träumen wähnen; meine Wahrheiten sind kein Träumen! […] Wär die Wahrheit nun auch ein Traum, so wär sie dennoch nicht abzuleugnen, so laßt uns diesem Traum unser Genie widmen, laßt uns ein Ideen-Paradies bilden, das geistige Natursystem fordert uns auf dazu. Sie nennen Traum was mir Wirklichkeit ist […]« (Arnim 1995: 168f.; Hervor. i.O.).
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Diese Form des utopischen Traumes wird zwar an den bestehenden Verhältnissen nichts Wesentliches ändern, sie hält aber das Moment des Utopischen selbst aufrecht. Jene andere Utopie dagegen, die konkret etwas verändern will und die man mit Norbert Elias auch als gesellschaftliches »Phantasiebild von Problemlösungen« (Elias 2006: 200) interpretieren könnte, wird sich selbst durch ihre Realisierung ausliefern und gegebenenfalls zu einer »Melancholie der Erfüllung« (Bloch 1985b: 351) führen.12 Sie wird sich messen lassen müssen am durch sie intendierten Handeln und der Tatsache, ob sie wirklich imstande ist, definierte Problemlagen zu überwinden. Dabei läuft sie allerdings Gefahr, bereits bei ihrer Umsetzung zu scheitern, weil sie sich in der Praxis möglicherweise anders entwickelt als ursprünglich erhofft – oder mehr Probleme, insbesondere soziale Konflikte, hervorruft, als anfänglich erwartet. Die Utopie der Utopie (also das Utopische um seiner selbst willen) muss sich dagegen nicht bewähren. Sie existiert wenigstens als gedankliche Alternative zum Bestehenden fort. Diese Möglichkeit des wenigstens theoretischen Andersseinkönnens, das man sich auf diese Weise immer wieder von neuem bewusst machen kann, zeigt sich, um noch einmal das literarische Beispiel des »kleinen Prinzen« aufzugreifen, auch beim Betrachten des Sternenhimmels. So sinniert der Prinz über seine geliebte Rose, die er auf seinem Heimatplaneten zurückließ: »Wenn jemand eine Blume liebt, die nur auf einem einzigen unter Millionen und Abermillionen Sternen existiert, so wird er schon glücklich, wenn er die Sterne betrachtet. ›Meine Blume ist dort irgendwo‹, sagte er sich.« (Saint-Exupéry 2015: 31) Und genau diese Sehnsucht nach dem utopischen Irgendwo, wo es nicht so ist, wie es Hier und Jetzt gerade ist, reicht mitunter schon, um sich über manch trostlose Momente der Gegenwart hinwegzuretten – und sei es eben nur für einen Augenblick. ┘
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Wobei der Zusammenhang zwischen Utopie und Melancholie noch komplexer ist, da Melancholie nicht nur im Moment der Erfüllung einer Utopie auftreten kann, sondern beide stehen sich, wie Wolf Lepenies herausgearbeitet hat, sogar permanent antagonistisch gegenüber: »Der Intellektuelle klagt über die Welt, und aus dieser Klage entsteht das utopische Denken, das eine bessere Welt entwirft und damit die Melancholie vertreiben soll. Deswegen ist aus den Utopien die Melancholie verschwunden. Mehr noch: in Utopia herrscht ein rigoroses Melancholieverbot.« (Lepenies 1998: XXI) Im vorangestellten Briefroman-Fragment zu dieser Arbeit (›Ein Mensch tanzt übers Seil‹) lässt sich sowohl die gedankliche Skizze einer Utopie (in Form des Märchens über den poetischen Drachen) sowie das melancholische Moment (in Form von artikulierten Zweifeln) wiederfinden.
1. Einleitung
Im Grunde streben alle Wissenschaftlerinnen danach, einen Ort zu erreichen, an dem zuvor noch niemand war. Der Wunsch, Neuland zu betreten und von dieser Terra incognita anschließend zu berichten, gehört zum wissenschaftlichen (Selbst-)Verständnis dazu. Darauf baut auch die vorliegende Arbeit auf, die gleich in zweifacher Weise neues Terrain betritt. Einerseits wird im Folgenden auf das Wechselverhältnis von Soziologie und Romantik eingegangen werden, wobei die These vertreten wird, dass auch die Soziologie, die sich zumeist in der wissenschaftlichen Tradition der Aufklärung sieht und versteht (vgl. dazu auch Euteneuer 2011: 93), so etwas wie eine »romantische Seite« hat (vgl. Kapitel II dieser Arbeit). Andererseits soll ebenso dargelegt werden, dass ein Teil dieser »romantischen Seite« das ist, was sich mit dem Label »Lyrische Gesellschaft« fassen ließe (vgl. Kapitel III). Beide Aspekte gehören zusammen, lassen sich jedoch analytisch auch unabhängig voneinander denken und getrennt voneinander darstellen. In Kapitel IV folgt dann eine kritische Auseinandersetzung mit den Problemen und Widerständen, die beim soziologischen Arbeiten mit Lyrik auftreten können. Abschließend folgt ein Schlusskapitel, das noch einmal die zentralen Überlegungen dieses Werkes aufgreift und sie anschaulich verdichtet (vgl. Kapitel V). Um Grundsätzlich besser fassen zu können, weshalb diese Studie in ihrem Kern überhaupt auf jene beiden Themenkomplexe zu sprechen kommt, die sich auch im Titel niederschlagen: »Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie«, soll zunächst dargelegt werden, worin u.a. ihre Relevanz für die Soziologie besteht.
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1.1
Soziologische Phantasie »Es kommt nun sehr häufig vor, daß die leitende Utopie zunächst nur als Wunschtraum, Phantasie eines vereinzelten Individuums auftritt und erst später in das politische Wollen breiterer und soziologisch stets genauer bestimmbarer Schichten aufgenommen wird.« (Mannheim 1952: 180)
Wenn wir uns den nicht ganz einfachen, wenn nicht gar heiklen1 Utopiebegriff noch einmal ins Gedächtnis rufen, so könnte der Gedanke aufkommen, dass ein Nachdenken über die menschliche Phantasiebegabung womöglich der bessere Zugang gewesen wäre, um in die hier zu verhandelnde Thematik einzusteigen. Und immerhin ist doch die menschliche Kraft zur Phantasie ein wesentlicher Bestandteil des utopischen Denkens. Dem ist zu entgegnen, dass erst durch den Rückgriff auf das utopische Moment kenntlich wird, dass es nicht allein darum geht, sich etwas nur auszudenken, sondern es geht insbesondere darum, tatsächlich etwas – möglichst im positiven Sinne – zu verändern. Allerdings ist das damit verbundene Ziel der Arbeit eindeutig nicht, die Gesellschaft insgesamt umzuwälzen oder gar eine »Umwertung aller Werte« (Nietzsche 1986: 24) vorzunehmen, sondern vielmehr die Erweiterung der Soziologie um jenen bisherigen Nicht-Ort des Lyrischen.2 Das heißt für dieses Werk ganz konkret, das methodische Spektrum der soziologischen Forschung zu erweitern und plausibel zu machen, dass es sich lohnt, insbesondere in der Soziologie mit Lyrik im Forschungsalltag zu arbeiten, worauf im weiteren Verlauf der Abhandlung noch genauer eingegangen werden soll (vgl. dazu v.a. Kapitel III). Eine solche Erweiterung setzt natürlich gleichsam die Tatsache voraus, dass die »[…] aktuelle Welt fundamental veränderbar sei« (Makropoulos 1983: 143). Ob dem wirklich so ist, wird sich zukünftig noch zeigen müssen, aber der Versuch zur
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Heikel insofern, da sich mit der Utopie und dem Utopischen – dies soll nicht unerwähnt bleiben – immer auch ein »politisches Schlachtfeld« (Nida-Rümelin 2011: 29) verknüpft, wie Julian Nida-Rümelin schreibt, und dies die soziologische Auseinandersetzung mit erschwert (vgl. ebd.). Für einen umfänglicheren Überblick über verschiedene Utopiepositionen siehe beispielsweise Neupert-Doppler (2015). Demgemäß wird nicht der Anspruch erhoben, eine Utopie von größerem Zuschnitt und gesamtgesellschaftlichen Umfang zu entwickeln, sondern angestrebt wird etwas, das Michael H. Jacobson und Sophie Marshman als »Mikro-Utopie« bezeichnen und somit lediglich einen gesellschaftlichen Teilbereich (jenen der Wissenschaft und darin wiederum ebenfalls nur einen Ausschnitt, die Soziologie) umfasst (vgl. Jacobson/Marshman 2008: 813).
1. Einleitung
Veränderung bzw. Ergänzung (der Soziologie) soll mit dieser Arbeit auf den Weg gebracht werden. Für den Anfang soll es jedoch genügen, sich daran zu erinnern, was Soziologiestudierenden in aller Regel bereits im ersten Semester vermittelt wird, nämlich im Laufe ihres Soziologiestudiums möglichst »soziologische Phantasie« (Mills 2016: 26) (oder, was letztlich dasselbe meint, »soziologische[.] Vorstellungskraft« (Corsten 2011: 14)) zu entwickeln, wie es der amerikanische Soziologe Charles Wright Mills Ende der 1950er Jahre der Soziologie in ihr fachliches Stammbuch geschrieben hat. Gemeint ist damit einerseits die »Fähigkeit zum Wechsel der Perspektiven« (Mills 2016: 29), aber andererseits zugleich auch die Befähigung, anhand von Beobachtungen »Zusammenhänge« (ebd.) herzustellen.3 Damit sich auch Fachneulinge ein Bild davon machen können, wie »soziologische Phantasie« funktionieren kann, gibt Michael Corsten (2011) in seinen Grundfragen der Soziologie ein anschauliches Beispiel: »Blicken wir zurück auf das Jahr 2010. Mit etwas soziologischer Vorstellungskraft könnten wir eine Reihe von Ereignissen in Zusammenhang bringen. Das Jahr begann damit, dass in der Nacht vom 31.12.2009 auf den 1.1.2010 auf einmal die EC-Karten vieler Menschen in Deutschland nicht mehr funktionierten. Einige Wochen später ging in vielen norddeutschen Gemeinden aufgrund des lang anhaltenden Frostes das ›qualitativ hochwertige Streusalz A‹ aus, sodass die Vertreter kommunaler Verwaltungen ihre Bürger sogar davor warnten, das Haus zu verlassen […]. Die Liste dieser ›Pannen‹ ist nicht vollständig – es ließen sich etliche hinzufügen […] Mit etwas soziologischer Vorstellungskraft könnten wir die These von der Pannengesellschaft entwickeln […]. […] Mit den genannten Pannenbeispielen wird die Vorstellungskraft für einen substanziellen Aspekt der Gesellschaft geschärft – die Bedeutung gelingender oder misslingender Handlungsverkettungen.« (Corsten 2011: 15f.) Corsten entwickelt folglich mit Hilfe soziologischer Phantasie den Begriff der »Pannengesellschaft« (ebd.), um auf diese Weise sichtbar zu machen, dass es in der beschriebenen Gesellschaft ganz offenbar eine Anfälligkeit für Pannen verschiedenster Art gibt. Eine solche soziologisch inspirierte Beschreibung dient letztlich dazu, 3
In aller Ausführlichkeit schreibt Mills über die »soziologische Phantasie«: »Denn diese Phantasie ist die Fähigkeit zum Wechsel der Perspektiven: von der politischen zur psychologischen; von der Untersuchung einer einzigen Familie zum weltweiten Vergleich von Staatshaushalten; von der theologischen Lehranstalt zum militärischen Establishment; von Betrachtungen über die Ölindustrie zu Studien über zeitgenössische Poesie. Sie ist die Fähigkeit von den unpersönlichsten und fernsten Veränderungen zu den intimsten Eigentümlichkeiten des menschlichen Selbst zu wechseln – und die Zusammenhänge zwischen beiden zu sehen.« (Mills 2016: 29)
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der Gesellschaft bzw. v.a. den in dieser lebenden Individuen eine Art Spiegel vorzuhalten, aus dem ersichtlich wird, wie die Menschen miteinander zusammenleben und wie dieses Zusammenleben beschaffen ist. Dass solche Erkenntnisse über die Gesellschaft nicht unbedingt immer auf offene Augen und Ohren treffen, liegt auf der Hand, weshalb Pierre Bourdieu treffend davon spricht, dass die Soziologie »[e]ine störende und verstörende Wissenschaft« (Bourdieu 2014: 19) sei, vor deren Ergebnissen sich manche z.T. sogar »fürchten« (Bourdieu 2014: 21). Im Idealfall ist das Anliegen von Mills soziologischer Phantasie jedoch »[…] eine gesteigerte Handlungsmächtigkeit der Bürgerinnen und Bürger« (Selke 2017: 70; Hervor. i.O.) zu realisieren. Durch das Erkennen von Zusammenhängen und die Herstellung von Assoziationen, die zuvor möglicherweise so noch niemand gesehen hat, kann es gelingen, das eigene Leben (insbesondere »[p]rivate Schwierigkeiten (troubles)« (Mills 2016: 30; Hervor. i.O.)) besser zu verstehen. So lässt sich beispielsweise begreifen, dass das Nicht-Funktionieren des eigenen Autos eben Ausdruck einer Gesellschaft sein kann, in der es permanent zu Defekten (z.B. durch die geplante Obsoleszenz) kommen muss.4 Unter anderen Vorzeichen lässt sich qua soziologischer Phantasie aber gegebenenfalls ebenso der Konnex einsichtig machen, dass das Scheitern einer Zweierbeziehung – oder bereits deren Anbahnung – nicht unbedingt an einem selbst gelegen haben muss, sondern vielmehr etwas mit den z.T. komplexen und nicht immer ganz durchschaubaren Mechanismen und Wirkungsweisen auf Beziehungs- und Heiratsmärkten zu tun hat.5 Solchermaßen gewonnene soziologische Erkenntnisse über die Funktionsweise des Sozialen helfen jedenfalls mit dabei, Individuen von vermeintlicher Schuld zu entlasten und strukturelle Probleme gegebenenfalls
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Es lässt sich an einer Panne aber nicht nur ablesen, in welcher Gesellschaft man vielleicht gerade lebt, sondern an einem technischen Problem lässt sich ebenso Unverfügbarkeit erfahren, wie Hartmut Rosa schreibt: »Diese [gemeint ist die Unverfügbarkeit; Anm. D.G.] erfährt jeder, der etwa versucht, die Scheiben seines Autos herunterzulassen oder die elektronische Handbremse zu lösen, wenn die Elektronik des Wagens blockiert.« (Rosa 2018: 124) Eva Illouz schreibt dazu in ihrer soziologischen Analyse der erotischen Roman-Trilogie Shades of Grey: »Wie die Figur der Ana illustriert, hat sich Unsicherheit zu einem festen Bestandteil der Liebesverhältnisse entwickelt, weil die Begegnung der Geschlechter heute sozial in Form eines Marktes organisiert ist, auf dem Männer und Frauen in verschiedenen Dimensionen von Status, Besitz, Bildung, aber auch Schönheit und Attraktivität miteinander konkurrieren. Diese marktähnliche Wettbewerbssituation […] ist vor allem im sexuellen Bereich von ungebremster Schärfe und erzeugt damit auf sexueller Ebene eine chronische Unsicherheit und ein permanentes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.« (Illouz 2013: 52) Beschrieben wird eine Unsicherheit, wie sie implizit auch im Briefroman-Fragment ›Ein Mensch tanzt übers Seil‹ aufgerufen wird, wenn es dort heißt: »Weiß oft nicht, woran ich bin – und woran nicht.« (S. 32 in dieser Arbeit; Hervor. i.O.)
1. Einleitung
gezielt anzugehen, indem man z.B. auf bestimmte Missstände aufmerksam macht oder wenigstens für sie eine gewisse Sensibilität entwickelt.6 Der Rückgriff auf Mills’ Überlegungen zur soziologischen Phantasie erfolgt in diesem Kapitel daher keineswegs zufällig, sondern aus mindestens zwei Gründen. Das erste Argument, das für die Verwendung soziologischer Vorstellungskraft spricht, kann darin ausgemacht werden, dass sich damit gleich von vornherein eine Spur auslegen lässt, die sich wie ein roter Faden (oder um im Bild der Arbeit zu bleiben: ein Seil) durch die Studie ziehen wird. Jene Spur besteht darin, dass Mills und nach ihm andere Soziologen, wie etwa Corsten, – bewusst oder unbewusst – theoretische Anleihen daran nehmen, was unlängst in den Schriften der Romantikerinnen und Romantiker angelegt gewesen ist. Hierzu seien zwei Zitate des Frühromantikers Friedrich von Hardenberg alias Novalis wiedergegeben. Das erste nimmt Bezug auf den Aspekt der Phantasie und mag noch vergleichsweise trivial erscheinen, weil der Konnex von Romantik und Phantasie naheliegend sein mag.7 Das zweite jedoch – und darauf kommt es letztlich an – legt eine zentrale Verbindung zwischen romantischem Denken und soziologisch angeregter Denkphantasie nahe. Diese verdient deshalb Beachtung, weil daran ersichtlich wird, dass die Soziologie in ihrem Kern romantische Züge trägt oder, wie es im Titel der Studie heißt, eine »romantische Seite« hat. Das erste Zitat lautet: »›Lass es gewagt sein‹, sprach ein dritter, ›je willkürlicher das Netz gewebt ist, das der kühne Fischer auswirft, desto glücklicher ist der Fang. Man ermuntre nur jeden, seinen Gang so weit als möglich fortzusetzen, und jeder sei willkommen, der mit einer neuen Phantasie die Dinge überspinnt.« (Novalis 2015a: 187) Von der Wortwahl her darf es ruhig als übertrieben gelten, gleich von einem »überspinnt« (ebd.) zu sprechen, aber entscheidend ist, dass Corsten z.B. mit der Begrifflichkeit »Pannengesellschaft« ebenfalls ein – idealtypisches – Konstrukt qua soziologischer Phantasie geschaffen hat, von dem aus sich bestimmte Phänomene (lies: v.a. Pannen) beobachten und ›vernetzen‹ lassen. Dem sei nun noch das zweite Zitat von Novalis zur Seite gestellt, in das einige Anmerkungen seitens des Verfassers eingefügt sind. Es lautet:
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Letztlich haben wir es hier mit einem klassischen soziologischen Vorgehen zu tun, bei dem das »Elend der Welt« (vgl. Bourdieu 1998) einerseits möglichst vielen sichtbar und andererseits zugleich durch ein besseres oder anderes Verstehen erträglicher gemacht werden soll – nicht zuletzt, weil eine grundlegende Behebung von Ursachen nicht immer sofort möglich ist, sondern z.T. einen langwierigeren Änderungsprozess voraussetzt. Generell lässt sich festhalten, dass es eine »[…] Hochschätzung der Phantasie durch die Romantik […]« (Pikulik 2000: 231) und ihre Vertreterinnen gab.
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»Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen [Nichtfunktionieren von EC-Karten; Anm. D.G.] ein geheimnisvolles Ansehn [Ausdruck der ›Pannengesellschaft‹; Anm. D.G.], dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.« (Novalis 1992c: 113) Zu Lebzeiten von Novalis gab es noch keine fest institutionalisierte Soziologie mit entsprechenden Studiengängen und Lehrstühlen an Universitäten, aber hätte sie als solche im 18. Jahrhundert schon existiert, so hätte er, anstatt von »romantisiere[n]« (ebd.) zu schreiben, durchaus auch von soziologisieren sprechen oder eben: von soziologischer Phantasie als Formulierung Gebrauch machen können. Umgekehrt kann Corsten wie Mills (wie mir und anderen) mit Recht zugeschrieben werden, dass wir über Gesellschaft romantisieren. Denn mit Hilfe von soziologischer Phantasie wird »dem Gemeinen« (ebd.) und »Gewöhnlichen« (ebd.) (z.B. Pannen allerorten) ein »geheimnisvolles Ansehn« (ebd.) durch die Kreation der »Pannengesellschaft« (ebd.) verliehen. Einzelne Beobachtungsmomente werden so in einen Zusammenhang gebracht, den man zuvor nicht für möglich, nicht für sichtbar und nicht für erwartbar gehalten hat.8 Dass dies manche Sachverhalte z.T. in gänzlich anderem Licht erscheinen lassen kann, dürfte auf der Hand liegen. Gleichermaßen liegt es auf der Hand, dass diese Arbeit von vornherein offen dazu steht, Teil der »romantischen Seite« (lies: Tradition) der Soziologie zu sein. Daraus wird überhaupt kein Hehl gemacht und auch der Versuch, dies zu verschleiern, unterbleibt ganz bewusst. Ferner ist sich der Verfasser dieser Zeilen darüber im Klaren, dass seinem Werk soziologische Phantasie zugrunde liegt, auf die durch dieses Kapitel ausdrücklich hingewiesen wird. Andere Autorinnen sind sich diesem Umstand oftmals nämlich gar nicht mehr bewusst, wie Regine Herbrik anmerkt, wenn sie schreibt: »Weite Teile der soziologischen Theoriebildung haben von Beginn an, mal impliziter mal expliziter, eine Kategorie des Imaginären, der Imagination oder der Phantasie mitgeführt und tief in die soziologischen Grundbegriffe eingewoben, häufig ohne dies zu reflektieren.« (Herbrik 2013: 298)9 8
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Zum Aspekt des Unerwarteten in Bezug auf die soziologische Phantasie und die Romantik vgl. auch Alvin W. Gouldner (1984), der in Mills soziologischem Werk ebenfalls einen romantischen »Kern« (Gouldner 1984: 202) sieht: »Ich glaube, in diesen Bemerkungen ist der Kern von Mills Vorstellungen eines pluralistischen, persönlichen und erfindungsreichen Forschungsstils enthalten, der zweifellos romantisch ist.« (Ebd.) Wie im Übrigen Cornelius Castoriadis darauf hinweist, dass Gesellschaft insgesamt als »imaginäre Institution« seines Erachtens zu verstehen ist und nicht nur speziell die Soziologie und deren theoretische Annahmen über die Gesellschaft (vgl. Castoriadis 1984). Ergänzen ließe sich dazu noch mit den Worten von Inka Tappenbeck: »Gesellschaft ist daher nicht nur Ausdruck und Resultat intersubjektiver Praxis, sondern auch ein Phantasiegebilde. Soziale
1. Einleitung
Der andere Grund, warum auf Mills’ (oder eben Novalis’ Vor-)Überlegungen zur soziologischen Phantasie zurückgegriffen wird,10 ist darin zu sehen, dass sie in dieser Arbeit dazu verwendet werden soll, ebenfalls eine soziologische Fangbegrifflichkeit zu kreieren, mit der dann wiederum bestimmte Aspekte in der gegenwärtigen Gesellschaft sichtbar und besser verstehbar gemacht werden sollen. Die Rede ist dabei von der »lyrischen Gesellschaft«, auf die im folgenden Punkt nun noch näher eingegangen werden wird.
1.2
Die Idee der ›lyrischen Gesellschaft‹ »Denn Freuds Darstellung der unbewußten Phantasie lehrt uns, jedes menschliche Leben als ein Gedicht zu sehen […]« (Rorty 2012: 72) »Wenn die Poesie die Ursprache der Menschen war – oder wenn die Sprache ihrem Wesen nach ein poetisches Verfahren ist, das darin besteht, die Welt als ein Gewebe von Symbolen und deren Beziehungen zueinander zu betrachten –, dann gründet jede Gesellschaft auf einem Gedicht;« (Paz 1989: 81)
Die Idee von der ›lyrischen Gesellschaft‹, dies sei gleich vorweg betont, ist mehr als nur eine schillernd anmutende Formulierung, die sich allein soziologischer Vorstellungskraft verdankt. Denn ihr liegt mindestens ebenso das Moment geschulter soziologischer Beobachtung von Gesellschaft zugrunde. So gesehen ist die ›lyrische Gesellschaft‹ gewissermaßen das Ergebnis der Verschränkung von Beobachtung und Phantasie zusammen – ganz im Sinne von Mills soziologischer Phantasie.11 Denn einer der Ausgangspunkte für diese Arbeit speist sich aus der steten
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Beziehungen sind nicht nur Formen des aufeinander eingestellten Tuns, sondern auch Formen aufeinander bezogener Phantasien. Sie konstruieren die soziale Wirklichkeit ebenso grundlegend wie Handlungen und Gefühle.« (Tappenbeck 1999: 13) Sich auf die Schulter des (soziologischen) ›Giganten‹ Mills zu stellen, hat überdies noch den Hintergrund, dass auch Mills ein Grenzgänger war, der sich darauf verstand, »[…] sich auch innerhalb von Nachbardisziplinen zu bewegen« (Selke 2017: 73f.). Mills war also jemand, der sich zwischen den Disziplinen zu bewegen wusste, wie es auch der Verfasser dieser Zeilen für dieses Werk unternimmt, wenn er u.a. Literaturwissenschaft und Soziologie zusammenführt. Mills schreibt zum Aspekt der Beobachtung u.a.: »Es ist in Vergessenheit geraten, dass Gesellschaftsbeobachtung hohe Kompetenz und äußerste Sensibilität erfordert; dass Entde-
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Wahrnehmung der gegenwärtigen Gesellschaft, in der sich einem das ›Lyrische‹ auf vielfältige Weise tagtäglich förmlich aufdrängt. Man kommt jedenfalls kaum umhin, nicht auf dieses Phänomen in irgendeiner Weise aufmerksam zu werden. Doch bevor näher auf diese Alltagsphänomene des Lyrischen eingegangen werden soll, gilt es zwei wichtige Grundbegriffe für diese Studie näher zu erläutern. Der erste ist jener der ›Gesellschaft‹, den Soziologinnen zwar gerne verwenden und in ihren Schriften mitführen, aber nicht immer unbedingt explizit darüber aufklären, was sie eigentlich genau damit meinen. Um sich an diesem Punkt nicht dem gleichen Vorwurf auszusetzen, sei er wie folgt erklärt: ›Gesellschaft‹ meint hier, im Rückgriff auf die Definition von Heinrich Popitz (vgl. Popitz 1980), recht simpel, dass »mehrere Menschen aufeinander bezogen sind« (Popitz 1980: 1) und zwar auf eine solche Weise, dass »sie ihr Verhalten aneinander orientieren« (ebd.). Im Zusammenhang mit der lyrischen Gesellschaft erfolgt eine solche Orientierung mit, durch und über das Medium des ›Lyrischen‹, auf das gleich noch genauer eingegangen werden wird. Ganz basal heißt dies u.a. nichts anderes, als dass z.B. lyrische Aussagen Anlass und Gegenstand von Begegnungen und Gesprächen zwischen verschiedenen Individuen werden. »In any case, the point would be to use poems to start conversations, ones that might help us make visible the taken-forgranted frames of meaning within which people live.« (Schwalbe 1995: 409) Es lässt sich nun darüber streiten, wie viele Menschen dabei genau »mehrere« (Popitz 1980: 1) sind. Also ob dafür, wie Georg Simmel plausibel darzulegen weiß – und auf den sich in dieser Hinsicht im Weiteren auch argumentativ gestützt werden wird –, sinnvollerweise die Anzahl von drei Personen erforderlich ist (vgl. Simmel 2013b),12 oder ob gar der – gewagten – Ansicht des Protosoziologen Novalis zu folgen ist, wonach »[j]eder Mensch [.] eine kleine Gesellschaft [ist]« (Novalis 2015b: 368). Letzteres ergibt m.E. allerdings nur dann Sinn, wenn man die Anderen mittels Vorstellungskraft stets imaginär mitzudenken weiß. Das soll vor dem Hintergrund der lyrischen Gesellschaft heißen: Wenn man beispielsweise beim Schreiben von Gedichten sich im Klaren darüber ist, dass die Poeme für ein Publikum geschrieben werden. Das wiederum bedeutet, dass die lyrischen Kunstwerke nicht nur für den Angebeteten oder die Auserwählte oder nur für einen selbst bestimmt sind, sondern für mindestens eine weitere, dritte Person.13 Denkbar wäre aber auch, sich vorzustellen, wie jemand sich in einem Gedicht auf
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ckungen oft genau dann gemacht werden, wenn sich ein einfallsreicher Kopf selbst der gesellschaftlichen Wirklichkeit aussetzt.« (Mills 2016: 114; Fn 34) Ulrich Bröckling spitzt dies in einem Aufsatz u.a. über die Annahmen Simmels sehr schön zu, wenn er schreibt »Gesellschaft beginnt mit Drei« (vgl. Bröckling 2010). Joachim Fischer führt im Zusammenhang mit dem bzw. der Dritten und dem Aspekt der Öffentlichkeit treffend aus: »Erst im Auftreten des Dritten öffnen sich die menschlichen Verhältnisse irreversibel zum Öffentlichen, gegen das sich [.] die Zweiheit als Privatheit bewusst abhebt.« (Fischer 2000: 129)
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eine andere Person bezieht und diese Bezugnahme von einem Dritten, das lyrische Kunstwerk hörend oder lesend, wahrgenommen wird. Idealerweise14 braucht es somit einen Urheber oder eine Verfasserin für ein Poem, einen Rezipienten, eine Kritikerin oder einen Leser und mindestens noch eine dritte Person, so dass dann etwa eine triadische Figuration von Lyrikerin-Lektor-Leserinnen/-Hörerinnen oder von Forscher-Probandin-(Fach-)Publikum entsteht, wie sie auch im weiteren Verlauf der Abhandlung noch zum Tragen kommen wird (vgl. Kapitel III). Damit hätte man die triadische Idealkonfiguration der lyrischen Gesellschaft ihrem Grundprinzip nach zusammen. Zu klären wäre nun in jedem Fall noch der zweite Grundbegriff, was die Frage danach aufwirft, was mit Blick auf die Gesellschaft unter ›lyrisch‹ zu verstehen ist. Natürlich bezieht sich das Adjektiv selbst auf das Substantiv ›Lyrik‹, aber damit ist noch nichts geklärt, denn was wiederum meint dies? Rüdiger Zymner definiert ›Lyrik‹ wie folgt:15 »Lyrik ist graphische oder phonische Repräsentation von Sprache als Sprachwerk oder Sprachkunstwerk, welche als generisches Display sprachlicher Medialität fungiert und ästhetische Evidenz prozedural konstituiert.« (Zymner 2009: 140; Hervor. i.O.) Der Vorteil von Zymners Lyrik-Definition ist, dass er mit einem recht weit gefassten Verständnis des Lyrischen arbeitet, das sich nicht allein auf Gedichtanthologien und/oder eine literarische Gattung beschränken lässt, sondern vielmehr darüber hinausgreift. So heißt es bei ihm weiter: »Mir stehen nämlich nicht allein oder vornehmlich Texte einiger heute etablierter Gedichtanthologien vor Augen (also solche mit kultureller Macht durchgesetzter 14
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Es handelt sich dabei um einen Idealzustand, von dem natürlich Abweichungen durchaus möglich sind. Aber selbst das in tiefer Einsamkeit verfasste Gedicht in einem Notizbuch, auf das eine Forscherin oder ein Forscher eines Tages vielleicht zufällig stößt, weil der Nachlass des Verstorbenen geregelt werden muss, kann Teil der lyrischen Gesellschaft werden, wenn sie oder er bei einer Tagung oder in einem Aufsatz von diesem Fund berichtet. Es wäre auch möglich gewesen, auf andere Lyrik-Definitionen zurückzugreifen, wie etwa jene von Charles Taylor, der unter Lyrik eine »persönliche Äußerung« (Taylor 2017: 459) sowie einen »Gefühlsausdruck« (ebd.) versteht. Ebenso denkbar wäre es gewesen, jene Überlegungen zur Lyrik von Dirk von Petersdorff heranzuziehen, wonach es sich bei Lyrik um »Texte in Versen« (Petersdorff 2008: 7) handelt, »die nicht auf szenische Aufführbarkeit hin angelegt sind und die keinen Handlungszusammenhang enthalten« (ebd.). Allerdings haben beide Definitionen so ihre Schwächen. Denn für diese Arbeit ist es v.a. sinnvoll, einen möglichst breiten Lyrikbegriff zu haben, der möglichst viele Formen des Lyrischen selbst erfasst und mit einbezieht – und nicht etwa von vornherein gleich ausschließt. Nach der Erläuterung von Dirk von Petersdorff würden beispielsweise Poetry Slam-Darbietungen strenggenommen nicht zur Lyrik gehören, während die definitorische Fassung bei Taylor wiederum zu allgemein ist und es sich dabei genauso gut um prosaische Tagebucheinträge handeln könnte, die eben nicht unbedingt lyrisch sind.
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Kanones), wenn ich über Lyrik spreche und sie gattungstheoretisch bestimmen möchte, sondern ebenso ›nichtkanonische‹ phonische und graphische Sprachzeichenformen – von den Liedern der Eipo in West-Neuguinea über die Kirchenlieder Luthers […] bis zu den Poetry-Slam-Performances von Bas Böttcher; […]« (Zymner 2009: 143). Wenn im Folgenden somit das Wort ›Lyrik‹ oder eben das sich auf sie beziehende Adjektiv ›lyrisch‹ fällt, so meint dies stets die »graphische oder phonische Repräsentation von Sprache als Sprachwerk oder Sprachkunstwerk« (ebd.). Und solch eine »graphische oder phonische Repräsentation von Sprache als Sprachwerk oder Sprachkunstwerk« (ebd.) ist in unserer gegenwärtigen Gesellschaft auf verschiedene Arten und Weisen auffind- und erfahrbar. Jene lyrischen Kunstwerke reichen z.B. von der stabreimartigen Welterschließung bei Kleinkindern, wenn sie nach Ma-Ma oder Pa-Pa rufen,16 über gereimte (Gute-Nacht-)Geschichten,17 welche Eltern ihrem Nachwuchs abendlich zum Einschlafen vorlesen, über lyrische Sprüche, die Kinder sich in Poesiealben während ihrer Schulzeit mitgeben, weiter über Abzählreime (»Ene, mene, miste/Was rappelt in der Kiste/Ene, mene, meck/Und Du bist weg«), die im Kindergarten oder auf dem Schulhof aufgesagt werden.18 Das Lyrische ist aber an noch viel mehr Orten wahrnehmbar: Im Klassenzimmer beim Aufsagen einer Schiller-Ballade;19 auf der Toilette einer Bar oder Hochschule, in der in z.T. recht derben, vulgären Worten auf lyrische Möglichkeiten des Ausdrucks zurückgegriffen wird;20 in der Werbung, 16 17
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Simmel geht in seinem Werk sogar so weit, zu behaupten, dass wir »alle präexistenziale Dichter« (Simmel 1999: 275) seien. Hierzu ein willkürlich aus dem eigenen Bücherregal herausgegriffenes Beispiel. Es trägt den Titel »In’s Bett!« und stammt aus der Feder von Marchette Chute: »Abends heißt es: ›Du mußt schlafen./Marsch ins Bettchen, Kind! Geschwind!‹/Doch es gibt halt tausend Sachen,/Die noch zu besorgen sind.//Erst muß ich mein Handtuch finden,/Zähne putzen dann zur Nacht./Und wer will, kann mit mir balgen:/Spaß macht eine Kissenschlacht! […]« (Chute 1990: 5). Überhaupt sind Kinder dem Lyrischen recht zugewandte Wesen, wie es auch Sigmund Freud konstatiert, wenn er schreibt: »Jedes spielende Kind benimmt sich wie ein Dichter, indem es sich eine eigene Welt erschafft oder, richtiger gesagt, die Dinge seiner Welt in eine neue, ihm gefällige Ordnung versetzt.« (Freud 1969: 171) Und Jürgen Brokoff befindet ferner, dass »[…] jede Poesie [.] immer auch Spiel« (Brokoff 2009: 101) sei. Zur »Bedeutung« von Lyrik im Kontext des Schulunterrichts, insbesondere bei Achtklässlern an Waldorfschulen, siehe die Studie von Hanne Handwerk (vgl. Handwerk 2011). Wenn man genauer hinschaut, so wird überall an diesen Beispielen die weiter oben beschriebene triadische Grundkonstellation der ›lyrischen Gesellschaft‹ deutlich: Der lyrische Spruch auf einer Toilettentür besitzt einen Urheber oder eine Urheberin, von mindestens einer weiteren Person wird dieser gelesen und entweder weiter am gleichen Ort kommentiert oder beim Zurückkommen vom stillen Örtchen im Hörsaal oder in der Bar den Anderen, mit denen man sich dort getroffen hat, davon berichtet. Auch beim Vorlesen von (lyrischen) Gute-
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wo u.a. versucht wird, durch lyrische Botschaften, den Absatz eines Produktes oder einer Dienstleistung zu steigern;21 bei Abendveranstaltungen im Theater, wenn gerade wieder eine Faust-Inszenierung zu sehen ist; bei Poetry Slam-Auftritten (wie es auch Zymner in Bezug auf den Poetry Slammer Bas Böttcher anspricht (vgl. Zymner 2009: 143));22 in der Kirche beim Singen verschiedener Lieder, denen oftmals lyrische Texte zugrunde liegen;23 in städtischen Randbezirken, wo mittels Rap- oder Hip Hop-Musik Sozialarbeiterinnen versuchen, Kindern aus einkommensschwachen Familien ein kulturelles Angebot zu machen und ihnen zugleich eine Form der Artikulation ihrer Lebenswelt ermöglichen;24 beim Betreten einer Straßenbahn in Form von Gedichten an der Innenverkleidung;25 natürlich auch im Buchladen, wo – aller Digitalisierung zum Trotz – auch immer noch Gedichtbände erworben werden können.26 Selbst an Orten, wo man nicht damit rechnen mag, blitzt das Lyrische auf, wie etwa beim Wandern im Wald oder durch die Landschaft, wo man z.B. auf Wege von Dichterinnen (vgl. Abb. 1),27 lyrische Verbots- und Hinweisschilder (vgl. Abb. 2), Lyrikwege (vgl. Abb 3) und poetische Inschriften auf Häusern treffen kann.28 Woran offenbar wird: Das Lyrische ist kein rein urbanes Phänomen, sondern auch im ländlichen Raum und an entlegenen (Nicht-)Orten wahrnehmbar. Es ist auch kei-
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Nacht-Geschichten gibt es einen Verfasser des poetischen Textes, einen Vorlesenden und einen Zuhörer oder eine Zuhörerin. Vgl. zu Werbung und Lyrik insbesondere die Monografie von Urs Meyer (2010). Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Poetry Slams vgl. u.a. Ohmer (2011); Preckwitz (2002); Westermayr (2013). Dass Lieder oder eben Songs Teil des Lyrischen sind bzw. sein können, hat z.B. von Petersdorff dargelegt: »Das Lied […] stellt eine Untergattung der Lyrik dar […]« (Petersdorff 2017: 12). Zur prinzipiellen Auseinandersetzung insbesondere mit dem Phänomen des »GangstaRap« vgl. beispielsweise Marc Dietrich und Martin Seeliger (2013). Die beiden »[.] sehen Gangsta-Rap sowohl als Ausdruck als auch Voraussetzung gesellschaftlicher Verhältnisse.« (Dietrich/Seeliger 2013: 115; Hervor. i.O.) Siehe zu Gedichten in der Tram beispielsweise den Beitrag von Annegret Jacobs in der Stuttgarter Zeitung (vgl. Jacobs 2012). Christian Metz konstatiert diesbezüglich sogar, dass wir für die ersten beiden Dekaden des 21. Jahrhunderts eine regelrechte »Blütezeit« (Metz 2018: 9) – zumindest der deutschsprachigen Lyrik – erlebt haben. Ob dieser »Boom« (ebd.) jedoch weiterhin anhalten wird, ist offen. Zum Novaliswanderweg im Kyffhäuser vgl. beispielsweise auch Grummt (2017a). An einem Fachwerkhaus im hessischen Hoheneiche im Wehretal (gegenüber der evangelischen Kirche entlang des Pfades der Heiligen Elisabeth von Thüringen) steht z.B. geschrieben: »Wer den Herren fürcht und ehret des[s]en Tage er vermehret, las[s]t auch seinen Segen walten und Haus und Hof erhalten.«
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Abbildung 1: Eine Tafel zum Werk von Karl May entlang des Karl-May-Weges im saarländischen Sulzbach/Saar. Darauf zu lesen sind lyrische Zeilen über Des Waldes Seele.
Foto: Daniel Grummt.
neswegs eines, das nur allein arrivierten Lyrikerinnen vorbehalten wäre, sondern es steht dem Politiker29 wie dem Busfahrer30 wie dem Kind offen zur Verfügung. Lyrik richtet sich prinzipiell an alle und kann von nahezu allen – klassen- und schichtenübergreifend – realisiert werden. Sie ist demnach nichts, was einem elitär anmutenden Lyrikzirkel oder -kreis ausschließlich vorbehalten wäre. Hilde Domin spricht in Bezug auf Lyrik sogar davon, dass sie »[…] auf die Stärkung des Einzelnen ausgerichtet ist […]« (Domin 1993: 37) und folglich »[…] zur Voraussetzung eines Aufbaus menschlicher Gesellschaft überhaupt [wird]: also zu einer Vorbedingung aktiven Gestaltens menschlichen Miteinanders.« (Ebd.) Dabei handelt es sich um eine Aussage, die ebenso gut von den Romantikerinnen hätte stammen können. So
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Für den Typus des politischen Gedichteschreibers resp. den lyrischen Politiker sei an den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rats, Herman Van Rompuy, erinnert, der in seiner Freizeit gerne Haikus (eine fernöstliche Gedichtform) schrieb (vgl. dazu Stabenow 2010). Exemplarisch für die Figur des dichtenden Busfahrers, der nach Feierabend und in den Pausenzeiten poetische Texte verfasst, sei an Jim Jarmuschs Film Paterson erinnert, der 2016 in die Kinos kam und in der Hauptrolle mit Adam Driver als »Paterson« besetzt ist (vgl. dazu z.B. Schulz-Ojala 2016).
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Abbildung 2 (links): Ein poetischer Spruch auf einem Schild entlang des thüringischen Rennsteiges (R): »Rennt Euch,/Ihr rüstigen Renner,/in rastloser Kunst/vom rundlichen Ranzen/den ranzigen Speck«. Mit ›Renner‹ sind die Rennsteigwanderer gemeint. Abbildung 3 (rechts): Ein Lyrikwanderweg in der Nähe des hessischen Ortes Datterode (Werra-Meißner-Kreis).
Foto: Daniel Grummt.
heißt es bei Octavio Paz beispielsweise über Novalis, dass dieser eine Gesellschaft ersinnt, »[…] in der Dichtung nicht nur gemeinschaftlich rezipiert, sondern auch gemeinschaftlich hervorgebracht wird« (Paz 1989: 60) – also ganz im Sinne der lyrischen Gesellschaft, wie sie bis hierhin skizziert worden ist und auch auf den kommenden Seiten noch weiter beschrieben wird. Auch Novalis hat in diese Richtung gedacht und niedergeschrieben: »Poësie ist die Basis der Gesellschaft« (Novalis 1981: 534). Ob man gleich so weit gehen muss, die »Poësie« zur »Basis der Gesellschaft« (ebd.) zu erklären, darf bezweifelt werden. Letztlich ist sie ›nur‹ ein Teil(aspekt) von Gesellschaft – neben anderen. Es wäre demnach Unsinn, zu behaupten, wir würden gegenwärtig ausschließlich in einer ›lyrischen‹ oder eben ›poetischen Gesellschaft‹ leben, auch wenn dies natürlich treffend ins hier zu beschreibende Bild passen würde. Andere Beschreibungen der Gegenwartsgesellschaft, die auf andere Momente und Eigenschaften in dieser aufmerksam machen, haben min-
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destens ebenso ihre Berechtigung. Zu denken wäre diesbezüglich etwa an »Gesellschaft der Angst« (vgl. Bude 2014), »Die berührungslose Gesellschaft« (vgl. Thadden 2018), »Erlebnisgesellschaft« (vgl. Schulze 2005), »Risikogesellschaft« (vgl. Beck 1986), »Externalisierungsgesellschaft« (vgl. Lessenich 2016) usw. usf. Deutlich sollte bis hierhin jedoch geworden sein, dass die ›lyrische Gesellschaft‹ in diesem soziologischen Begriffsgewimmel mindestens ebenso ihre Berechtigung hat. Ferner sollten aber noch andere Aspekte bis zu diesem Punkt der Arbeit evident geworden sein. Wie etwa, dass die Termini ›lyrisch‹ und ›poetisch‹ im Folgenden relativ synonym verwendet werden, wie das Novalis-Zitat über die poetische Grundlage der Gesellschaft weiter oben zeigt. Dies geschieht v.a. deshalb, weil, wie Ernst Behler für den Romantiker August Wilhelm Schlegel herausgearbeitet hat, nach Schlegels Ansicht »[…] die Poesie ursprünglich lyrisch […]« (Behler 1992: 191) gewesen sei, bevor sie dann noch auf andere Felder, z.B. die Malerei, übertragen worden ist, die sie von da an – gewissermaßen als Oberbegriff – total zu umfassen wusste.31 An diese ›Ursprünglichkeit‹ knüpft die Studie – ganz im romantischen Sinne – wieder an. Des Weiteren dürfte ebenso deutlich geworden sein, dass das Lyrische, so wie es hier definiert worden ist, fast überall anzutreffen ist – vom Liebesbrief bis zur Grabrede – und die angeführten Beispiele mitnichten schon alle lyrischen Phänomene in der Gegenwartsgesellschaft hinlänglich sichtbar gemacht haben. Die lyrischen Exempel beanspruchen somit keine Vollständigkeit. Weitere von ihnen ließen sich mühelos finden. Z.B. die im Jahr 2016 auf medialem und diplomatischen Parkett ausgetragene Auseinandersetzung zwischen dem türkischen Präsidenten und Jan Böhmermann um dessen Satiregedicht über das Staatsoberhaupt der Türkei (vgl. Klenk 2016) oder die Debatte um die Entfernung eines Gedichtes von Eugen Gomringer von der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin im Jahr 2017 (vgl. Ritter 2017). Daran zeigt sich wiederum: Die lyrische Gesellschaft ist nichts, was frei von Konflikten ist. Im Gegenteil lässt sich über und mit Lyrik immer wieder – bis in die Gegenwart hinein – trefflich streiten. Die lyrische Gesellschaft gründet sich daher keineswegs auf einer Sehnsucht nach Harmonie oder dem Wunsch nach Konfliktfreiheit, wie es beispielsweise Ralf Dahrendorf utopischen Gesellschaftsentwürfen unterstellt (vgl. Dahrendorf 1967: 244),32 sondern die jeweilige Gestalt und die weitere Entwicklung der lyrischen Gesellschaft wird 31
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel erläutert beispielsweise, dass die Poesie eine »Totalität« (Hegel 2003: 8; Hervor. i.O.) seines Erachtens besitze, »[…] welche die Extreme der bildenden Künste und der Musik auf einer höheren Stufe, in dem Gebiete der geistigen Innerlichkeit selber, in sich vereinigt.« (Ebd.; Hervor. i.O.) »In der Tat machen sich viele Erbauer von Utopien erhebliche Mühe, um ihr Publikum zu überzeugen, daß in ihren Gesellschaften Konflikte über Werte oder institutionelle Arrangements entweder unmöglich oder schlicht unnötig sind. Utopia ist vollkommen […] und infolgedessen gibt es nichts, worüber zu streiten wäre.« (Dahrendorf 1967: 244)
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maßgeblich von Kritik, Streit und Reibung zwischen verschiedenen Positionen bestimmt. In ihr wird anerkannt und akzeptiert, dass Vergesellschaftung notwendigerweise auch über Konflikt(e) erfolgen kann, wie dies schon Simmel konstatiert hat (vgl. Simmel 2013c). Die lyrische Gesellschaft ist auch nicht frei von Klassen und/oder Schichten. Das Lyrische an sich ist zwar jeder und jedem prinzipiell frei zugänglich,33 aber das heißt nicht, dass das soziale Milieu und die jeweiligen Sozialisationserfahrungen beim Zugang zu und beim Umgang mit Lyrik keine Rolle spielen. Die soziale Lagerung, Bildung und die Erziehung haben einen maßgeblichen Einfluss. Während das Mitglied einer Straßengang Gangsta-Rap bevorzugen mag, greift der Professor für Soziologie vielleicht auf abstrakte Lyrik zurück.34 Aufgrund der Vielzahl an verschiedenen Lyrikformen und -arten,35 kann durch den jeweiligen Rückgriff auf ganz bestimmte Formen Distinktion erzeugt bzw. ein bestimmter Geschmack zum Ausdruck gebracht werden.36 Recht anschaulich schildert diesen Gesichtspunkt etwa Didier Eribon in Rückkehr nach Reims, in dem er die folgende Anekdote niederschrieb (vgl. Eribon 2017: 76): Beim Aufsagen eines englischen Weihnachtsgedichtes, das Eribon in der Schule erlernt hatte, sah er sich plötzlich dem Unmut seiner aus dem proletarischen Milieu stammenden Mutter gegenüber. Der Grund dafür war, dass sie als Französin die englische Sprache nicht beherrschte und deshalb nicht verstehen konnte, was ihr Sohn da gerade zitierte. Erst, als er es ihr übersetzte, hatte sie sich wieder beruhigt (vgl. ebd.). Ungeachtet der gerade angedeuteten gesellschaftstheoretischen Einlassungen, sei jedoch abermals betont, dass die ›lyrische Gesellschaft‹, wie sie im Folgenden weiter Verwendung finden wird, ausdrücklich nicht dazu dient, eine umfassende 33 34
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Friedrich Schlegel schreibt beispielsweise: »[W]ie aber jeder Mensch seine eigne Natur hat und seine eigne Liebe, so trägt auch jeder seine eigne Poesie in sich.« (Schlegel 1968: 284) Von Niklas Luhmann ist beispielsweise überliefert, dass dieser »am Feierabend Theorie und Lyrik las« (Stichweh 2003: 206). Dass es sich dabei um recht abstrakte Lyrik gehandelt haben dürfte, lässt sich daraus ableiten, dass er in engem Kontakt mit dem Jura-Dozenten und späteren Lyriker Friedrich Rudolf Hohl stand, der in seinen Gedichten die Systemtheorie seines Freundes Luhmann vermehrt aufgriff (vgl. Hohl/Luhmann 2012). Darüber hinaus gibt es aber ebenso bekannte Soziologen, die sogar selbst Lyrik verfasst haben, worauf im Punkt III.1.3 noch eingegangen werden wird. Zu den verschiedenen Lyrikformen und insbesondere -gattungen siehe z.B. Moennighoff (2013: 63ff.). Die Begrifflichkeit des ›Geschmacks‹ ist v.a. für das soziologische Werk von Pierre Bourdieu wichtig. In einem Interview sagt er selbst dazu: »Wenn demnach eine der zentralen Thesen meines Buches [gemeint ist Bourdieus Studie Die feinen Unterschiede; Anm. D.G.] stimmt, daß zwischen dem Raum der sozialen Positionen und dem der Lebensstile, Lebensweisen und Geschmacksrichtungen eine Korrespondenz besteht, dann muß sich zwangsläufig jede Veränderung im Bereich der sozialen Positionen auf die eine oder andere Weise innerhalb des Bereichs von Geschmack und Lebensstil niederschlagen.« (Bourdieu 2005: 34)
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Gesellschaftsanalyse der Gegenwartsgesellschaft (v.a. im Sinne einer Großtheorie) durchzuführen, bei der das Lyrische an ihr im Mittelpunkt steht. Dies ist nicht das Ziel oder der Anspruch der Studie. Stattdessen nutzt sie diese soziologische Klammer der ›lyrischen Gesellschaft‹, um zu zeigen, auf welche Weise speziell Soziologie in methodischer Hinsicht eben auch funktionieren kann – und künftig mehr noch funktionieren sollte. Dass sich mit der ›lyrischen Gesellschaft‹ gleichsam durchaus ein gewisses Potential zur Gesellschaftsanalyse und -beschreibung treffend verknüpfen mag, ist bewusst so angelegt, ja sogar gewollt, muss aber in der konkreten Ausbuchstabierung anderen Forschungsarbeiten vorbehalten bleiben. Am prinzipiellen Potential der ›lyrischen Gesellschaft‹ zur Gesellschaftsanalyse zeigt sich jedenfalls, dass Theorie und Methode stets zusammengehören und zusammenzudenken sind, auch wenn der Fokus im Folgenden eher auf den methodischen Aspekten des soziologischen Arbeitens mit Gedichten liegen wird, weil erst durch diese Vorgehensweise eine wirklich adäquate soziologische Beschreibung der lyrischen Gesellschaft und ihrer lyrischen Phänomene in geeigneter Weise möglich wird. Erst über lyrische Kunstwerke können realistische Aussagen über die lyrische Gesellschaft getroffen werden. Im Folgenden wird diese durch soziologische Vorstellungskraft generierte und zugleich aus einer soziologischen Beobachtung gewonnene begriffliche Klammer (›brace‹) v.a. dazu verwendet, scharf zu stellen, worin der Mehrwert dieser Arbeit besteht, nämlich sich auf das Lyrische in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts einzulassen und dessen Potentiale für die soziologische Forschung gezielt zu nutzen. In diesem Werk werden damit zudem nun zwei bereits vor einiger Zeit in die Debatte eingestreute Vorschläge aufgegriffen, wonach die Soziologie ein Mehr an »gelehrter Poesie« (Luhmann 2009: 200) brauche und einer »lyrischen Soziologie« der Weg geebnet werden sollte (vgl. Abbott 2007 sowie Abbott 2016). Konkret beklagte Niklas Luhmann bereits vor Jahren, dass es in der Soziologie »[…] nicht an gelehrter Prosa, sondern an gelehrter Poesie« (Luhmann 2009: 200) mangele.37 Und auch Andrew Abbott warf mit Verve in den letzten Jahren immer mal wieder ein: »We need also a lyrical sociology, by which I mean a sociology of moments and of emotional identification.« (Abbott 2016: xii)38 Daran anknüpfend heißt es bei ihm weiter: »[.] I am going to argue that sociology – indeed, social science – ought to have lyricism among its available genres, and ought to think about lyricism as a general alternative to ›story‹ thinking, broadly understood.« (Abbott
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Insofern geht Luhmann tatsächlich so weit, wie Markus Koller schreibt, dass die Wissenschaftssprache »[…] eine Sprache der Kunst sein« (Koller 2007: 267) solle, bei der es u.a. auch auf die Form ankommt (vgl. ebd.). Dass Abbotts Ruf nach einer »lyrischen Soziologie« zumindest innerhalb der deutschsprachigen Soziologie nicht gänzlich ungehört geblieben ist, macht z.B. der Beitrag von Il-Tschung Lim deutlich, der versucht diese mit der Filmsoziologie zu verschränken (vgl. Lim 2018).
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2016: 82) Selbstverständlich mögen die Ansätze von Luhmann und Abbott gänzlich verschieden sein und ihre Intentionen jeweils andere, aber mit der soeben eingeführten Formulierung der ›lyrischen Gesellschaft‹ lassen sich m.E. beide sowohl erfassen als auch zusammenbringen. Unter diesem Rubrum ist zweierlei möglich. Man kann erstens eine lyrische Soziologie im Sinne von Abbott betreiben, die bei den Leserinnen »die Erfahrung einer sozialen Entdeckung« (Karafillidis 2013: 233) anhand von einem poetischen Bild resp. Bildern39 möglich macht und den lyrisch Forschenden zugleich eine »emotionale Haltung« (Lim 2018: 95) dem Forschungsobjekt gegenüber abverlangt. Und zweitens gelingt es eben auch, eine soziologische Theorie zum »Lehrgedicht« werden zu lassen, wie es Luhmann andeutet (vgl. dazu auch Fuchs (2001: 62) sowie Lübcke/Villányi (2011: 38f.)). Es ist aber vor diesem Hintergrund ebenso gut möglich, dadurch für Soziologinnen endlich von dem »Recht« (Maffesoli 1987: 460) Gebrauch zu machen, »[…] über die gesellschaftliche Entwicklung zu poetisieren, zu ästhetisieren. D.h. ihr so nahe wie möglich zu kommen, diese Entwicklung zu fühlen, die in der ihr von der deutschen Romantik verliehenen Bedeutung viel eher an ›Wachstum‹ denn an ›Evolution‹ denken läßt.« (Ebd.; Hervor. i.O.) An dieser Forderung von Michel Maffesoli aus den 1980er Jahren, die bislang kaum Resonanz innerhalb der Soziologie gefunden hat,40 wird abermals ersichtlich, dass diese Art, Soziologie zu betreiben, in direkter Verbindung zur Romantik oder dem Romantischen gesehen wird. In der Aussage »über die gesellschaftliche Entwicklung zu poetisieren« (ebd.; Hervor. i.O.) steckt letztlich nichts anderes, als Friedrich Schlegels Vorstellungen von »romantische[r] Poesie« (Schlegel 1988: 114) als »progressive Universalpoesie« (ebd.), also einer Poesie, die sich im ständigen Werden befindet. Über diese nun führt Schlegel aus: 39
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»[.] [L]yrical writing centers on an image or images. These are viewed in different ways, through different lenses, to evoke the sources of the writer’s emotional reaction.« (Abbott 2007: 76) Genau aus diesem Grund zeigt das Buchcoverbild der vorliegenden Arbeit u.a. eine Person, die sich auf einem Seil bewegt, wie auch textlich versucht worden ist, ein ähnliches Bild durch den eingangs abgedruckten, fragmentarischen Briefroman zu schaffen, der letztlich auf die Erzeugung von Emotionen aus ist. Ausnahmen bestätigen natürlich – wie so oft zum Glück – die Regel, weshalb nicht unerwähnt bleiben soll, dass beispielsweise Robert Jende mit seinem Ansatz einer »performativen Soziologie« versucht, u.a. eine »Ästhetik des Zusammenlebens« (Jende 2017: 10; Hervor. i.O.) zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund gilt für ihn: »Das Soziale zu Ästhetisieren erscheint sinnvoll, weil in dieser Betrachtungsweise neue Formen des Zusammenlebens freigesetzt werden können.« (Ebd.) Fischer hat darüber hinaus ganz grundsätzlich versucht, das ästhetische Moment gezielt in das Zentrum der Gesellschaftsdiagnostik zu rücken (vgl. Fischer 2018). Allerdings hat er damit v.a., wie sich der Verfasser selbst bei einer Buchpräsentation überzeugen konnte, die üblichen antiästhetischen Abwehrreflexe ausgelöst, von denen schon Wolfang Eßbach berichtet (vgl. Eßbach 2001).
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»Sie [gemeint ist die progressive Universalpoesie; Anm. D.G.] will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren, und die Formen der Kunst mit gediegenem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen, und die Schwingungen des Humors beseelen.« (Ebd.; Hervor. D.G.) Die Poesie soll demnach »gesellig« (ebd.) werden und die Gesellschaft »poetisch« (ebd.). Poetisch kann eine Gesellschaft jedoch nur (erfasst) werden, wenn in ihr und über sie poetisch (lies ebenso: lyrisch) gesprochen wird, wenn, wie Maffesoli schreibt, über sie »poetisiert« (Maffesoli 1987: 460; Hervor. i.O.) wird. Woran zugleich ein weiterer Gesichtspunkt hervortritt: Das Poetische oder eben Lyrische lässt sich nur fassen mit Poesie/Lyrik selbst, z.B. in Form von Gedichten – oder wie es bei Schlegel heißt: »[…] und so läßt sich auch eigentlich nicht reden von der Poesie als nur in Poesie.« (Schlegel 1968: 285) Daraus lassen sich zwei Erkenntnisse ableiten. Erstens: Wer über die lyrische Gesellschaft schreiben möchte, muss sich unweigerlich auf das Medium des Lyrischen einlassen. Und zweitens: Wer sich mit der lyrischen Gesellschaft befasst, kommt an der Romantik und ihren theoretischen Annahmen nicht vorbei, beide sind jeweils miteinander verklammert. Soziologisch-analytisch ließe sich zwar auch losgelöst von jeglicher Romantik darlegen, wie man innerhalb des sozialwissenschaftlichen Methodenspektrums mit Gedichten arbeiten kann (wie dies auch noch in Kapitel III gezeigt werden wird), aber dies würde eben verschweigen, dass jene Forschungsperspektive auf romantischen Annahmen beruht und auf diesen gleichsam aufbaut. Ersichtlich wird dies – neben den bisherigen Einlassungen – einmal mehr an Abbotts Aussagen zur »lyrical sociology«, da sich diese explizit auf den englischen Romantiker William Wordsworth und dessen Preface to »Lyrical Ballads« beziehen (vgl. Wordsworth 1983): »Wordsworth’s text provides striking evidence of how appropriate and useful it is to invoke the concept of ›lyrical‹ with respect to sociology.« (Abbott 2007: 71) Nicht zuletzt deshalb erscheint es notwendig und geboten, sich eingehender mit der Romantik zu befassen, wie dies im nächsten Kapitel geschehen soll (vgl. Kapitel II).
II. Zum Verhältnis von Romantik und Soziologie »Man hat noch nie richtig über die Romantik geurteilt; wer hätte denn über sie urteilen sollen?« (Rimbaud 2010: 25) »Die Romantik war eine literarische Bewegung, aber auch eine Moral, eine Erotik und eine Politik. War sie keine Religion, so war sie doch mehr als eine Ästhetik und eine Philosophie: eine Art zu denken, zu fühlen, zu lieben, zu kämpfen, zu reisen.« (Paz 1989: 81)
Eine Erkenntnis, die sich beim Wandern einstellen kann, besagt: »Manchmal muss man dem Ziel den Rücken kehren, um es zu erreichen, manchmal ist man am weitesten davon entfernt, wenn man ihm am nächsten ist, und manchmal ist der lange Weg der einzige.« (Solnit 2019: 87) Daraus leitet sich für dieses Kapitel ab, dass es zunächst nicht direkt auf das Verhältnis von Romantik und Soziologie eingeht, wie es die Überschrift ankündigt, sondern erstmal einen vermeintlichen Umweg über zwei Fallbeispiele nimmt. Einen ersten über (und hinein in) ein Bild (vgl. II.1) und einen zweiten durch die Stadt Zagreb (vgl. II.2), um sich auf diese Weise dem hier in Rede stehenden Verhältnis von Romantik und Soziologie auf anschauliche Weise sowohl modelltheoretisch als auch idealtypisch zu nähern. Erst danach wird die Entstehung der Soziologie aus dem Geist der Romantik thematisiert (vgl. II.3) und auf den Aspekt der ›romantischen Seite‹ der Soziologie eingegangen werden (vgl. II.4). Zudem werden drei Bereiche nachgezeichnet, wo diese jeweils zum Tragen kommt (vgl. II.5).
1. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 1: Das Gemälde Enassamishhinjijweian1
┌ Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Allerdings sitzt diese Aussage bereits einem Trugschluss auf.2 Da Bilder im Grunde nichts sagen, weil sie selbst nicht reden. Dafür machen sie uns vielmehr auf bestimmte Sachverhalte sowie deren Beziehungen zueinander aufmerksam und »[…] zeigen etwas, ohne zu sagen, was sie zeigen.« (Gabriel 2015: 101; Hervor. i.O.) Im Zeigen also lässt sich ein Erkenntniswert von Kunst ausmachen – womit allerdings noch nicht geklärt wäre, was sie uns präsentiert. Um zu erkennen und ferner zu verstehen, was Gemälde darstellen wollen, worin also »der Witz der Sache« (Gabriel 2015: 111) besteht, braucht es zuweilen den erläuternden Kommentar sowie die textliche Auslegung darüber, was in und mit einem Bild gezeigt wird. Eine solche Bildinterpretation, die sich explizit als ein Deutungsangebot versteht, soll an dieser Stelle am Ölgemälde Enassamishhinjijweian (2009) des USamerikanischen Künstlers Tom Uttech unternommen werden (vgl. zum Gemälde auch Abb. 4).3 Uttech und sein Kunstwerk geraten deshalb in den Blick einer (kunst-)soziologischen Analyse, weil sie bisher nicht in Erscheinung getreten sind; man hat das Bild und dessen Schöpfer – zumindest in Europa – nicht auf
1
2
3
Der Verfasser weist explizit darauf hin, dass die Folgenden Sätze sowie die Kapitel II.1.1 bis einschließlich II.1.5 bereits als Online-Veröffentlichung unter dem Titel To bear or not to bear, that is the Question. Anmerkungen zu Tom Uttechs Gemälde ›ENASSAMISHHINJIJWEIAN‹ erschienen sind (Grummt 2017b). Der Text selbst ist – inklusive Fußnoten – so übernommen worden, wie er dort auch nachzulesen ist. Für diese Studie sind lediglich geringfügige Anpassungen und Überarbeitungen (insbesondere das Layout, manche Formulierungen und Querverweise betreffend) am Text vorgenommen worden. Ein Irrtum, der sich letztlich der künstlerischen »Sehnsucht« (Bätschmann 2001: 35) verdanken dürfte, wonach Künstlerinnen selbst daran glauben, dass ihre Bilder in jedem Fall »sprechen« (ebd.) können. Den Hinweis auf Tom Uttech und dessen Werk erhielt der Verfasser von Elvira Trofymenko, wofür ihr an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Gedankt sei ebenso den Verantwortlichen des Crystal Bridges Museum of American Art, Bentonville, Arkansas für die Möglichkeit, eine Fotografie des Bildes an dieser Stelle abdrucken zu dürfen.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Abbildung 4: Tom Uttech, Enassamishhinjijweian, 2009, oil on linen in artist’s frame, 103 x 112 in. Crystal Bridges Museum of American Art, Bentonville, Arkansas, 2009.19. © Tom Uttech, Courtesy Alexandre Gallery, New York.
Foto: Photography by Edward C. Robison III.
dem kunsthistorischen, geschweige denn -soziologischen Radar; beide tauchen überraschend auf.4 Es ist aber nicht nur das Moment des Unerwarteten, was zur Auseinandersetzung mit Maler und Werk hier führen mag, sondern auch die Tatsache, dass das Bild sich am überzeugendsten verstehen lässt, wenn man es im Kontext modelltheoretischer Annahmen zur Romantik kommentiert, wie es im
4
Soweit es der Verfasser recherchieren konnte, existieren bislang – jedenfalls im deutschsprachigen Raum – keine kunsthistorischen und/oder -soziologischen Arbeiten, die sich bereits eingehender mit dem besagten Kunstwerk auseinandergesetzt hätten. Sollte dies wider Erwarten nichtzutreffend sein, so wäre eine Rückmeldung selbstverständlich willkommen.
1. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 1: Das Gemälde Enassamishhinjijweian
Jenenser Graduiertenkolleg »Modell Romantik« seit 2015 getan wird.5 Dies beispielhaft plausibel zu machen, wird im Folgenden das Anliegen dieses Abschnitts sein. Die ersten beiden Punkte (II.1 und II.2) widmen sich dabei verschiedenen bildimmanenten Gesichtspunkten. Daran anknüpfend sollen die daraus gewonnenen Ausführungen in den letzten Teilen (II.3, II.4 und II.5) zunehmend anhand von Kontextinformationen validiert werden.6
1.1
Über das Unverständnis »Aber ist denn die Unverständlichkeit etwas so durchaus Verwerfliches und Schlechtes? – Mich dünkt das Heil der Familien und der Nationen beruhet auf ihr; wenn mich nicht alles trügt, Staaten und Systeme, die künstlichsten Werke der Menschen, oft so künstlich, daß man die Weisheit des Schöpfers nicht genug darin bewundern kann.« (Schlegel 2007: 113)
»Die Interpretation«, schreibt Oskar Bätschmann, »beginnt durch das Artikulieren unseres Unverständnisses in einer Reihe von Fragen.« (Bätschmann 2008: 203; Hervor. i.O.)7 Zu diesen gehört im Zusammenhang mit dem Gemälde von Uttech z.B.: Warum sitzt in der Bildmitte ein Bär? Ist er einsam? Was schaut er sich da eigentlich an? Handelt es sich am Horizont um einen Sonnenuntergang oder um einen Sonnenaufgang? Ist dies gar kein Himmelsgestirn, sondern das Zeichen einer Apokalypse ausgelöst durch den Abwurf einer Atom- oder Wasserstoffbombe? Zudem: Was ist das für eine Landschaft, die da zu sehen ist? Eine, in der alles abstirbt, worauf die umgefallenen Bäume verweisen könnten? Oder eine, die gerade im Begriff ist, aufzublühen – wofür die bunten, kräftigen Farben als Indizien ins Feld geführt 5 6
7
Vgl. zum modelltheoretischen Ansatz im Kontext der Romantik auch Kerschbaumer/Matuschek (2015) sowie Kerschbaumer (2018). »Die Validierung verfolgt nicht das Ziel, die Bedeutung als ›objektive‹ Bedeutung zu behaupten oder eine Instanz zu eruieren, die das Ergebnis bestätigen könnte.« (Bätschmann 2008: 222). Es geht bei der Überprüfung der vorgebrachten Thesen daher nicht zwangsläufig um eine Verifizierung dieser, sondern auch um die Suche nach Widersprüchen. Zwar wird im weiteren Verlauf der Bildauslegung auf das Verfahren und die Begrifflichkeiten der kunstgeschichtlichen Hermeneutik im Sinne Bätschmanns zurückgegriffen, aber es handelt sich dabei eher um eine argumentationsanleitende Bezugnahme, als um eine systematische Durchführung jener Methode. Zum methodischen Vorgehen der kunstgeschichtlichen Hermeneutik vgl. u.a. Bätschmann (2001; 2008).
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werden könnten? Und: Warum fliegen so viele Vögel durch das Bild in ein und dieselbe Richtung? Für ein Untergangsszenario könnte sprechen, dass alle im Bild ersichtlichen Vögel von rechts nach links fliegen, weil sie durch eine Detonation aufgeschreckt worden sind. Sie fliegen um ihr Leben. Demgegenüber ließe sich aber ebenso gut argumentieren, dass die Vögel einem Aufbruch in eine neue Welt folgen. Sie ziehen beispielsweise gemeinsam gen Süden, ins gelobte Land oder an einen anderen denkbaren Ort, der jenseits des Bildausschnittes zu vermuten ist. Aber selbst wenn man sich darauf einigen könnte, dass im Gemälde eine Zeitenwende abgebildet ist, die einen radikalen Umbruch markiert, kann dies dennoch durch die natürliche Abfolge der Jahreszeiten relativiert werden. Eingedenk dieser Annahme sind dann beispielsweise die Bäume im Bildvordergrund nicht durch eine Explosion oder dergleichen zu Fall gekommen, sondern im Prozess des natürlichen Vergehens abgestorben, um auf diese Weise erneut anderen Lebewesen einen Lebensraum zur Verfügung zu stellen. Oder poetischer reformuliert: »Der Tod ist der Weg auf dem sich das Lebendige so verschenkt, dass mehr Leben entsteht.« (Weber 2014: 255) Möglich zudem, dass es sich um eine Landschaft handelt, in die das Weiß des Winters noch keinen Einzug gehalten hat oder aus der dieses vor kurzem erst entwichen ist. Fürs Erste bleibt unverständlich, was genau das Bild darstellt, so dass es erforderlich ist, sich weitergehend mit dessen Inhalt zu befassen.
1.2
Vom ›Witz‹ des Bären – eine kreative Abduktion
»Durch kreative Abduktion, d.h. durch die Erfindung von Zusammenhängen unter den Elementen und Sachverhalten im Bild, werden Konjekturen (gegründete Vermutungen) über die mögliche Bedeutung des Bildes geschaffen.« (Bätschmann 2008: 217; Hervor. i.O.) Eine dieser »Vermutungen« (ebd.; Hervor. i.O.) wäre, dass der Bär im Bild Uttechs eine Schlüsselposition einnimmt, wenn man verstehen möchte, was einem das Kunstwerk zeigen will. Einerseits, weil er in der Mitte des Bildvordergrundes platziert ist und man ihn als Betrachterin gar nicht übersehen kann; und andererseits, weil es das einzige Tier im Bild ist, das explizit nicht in Bewegung ist. Durch die Komposition wird der Bär zu einem wichtigen Motiv innerhalb des Gemäldes. Vor dem Hintergrund dieses Befundes ließe sich nun fragen, warum ausgerechnet ein Bär – und kein Mensch oder ein anderes Lebewesen? Was hat es mit dieser künstlerischen Entscheidung auf sich? Um eine mögliche Lösung für dieses Rätsel zu unterbreiten, wäre der Vorschlag, den Bären als Symbol und Metapher wortbegrifflich aus Uttechs Sprache – dem Amerikanischen – zu übersetzen und auf diese Weise zugleich zu dechiffrieren. Denn so steht ›bear‹ als Substantiv im Amerikanischen nicht nur für den Bären als Tier, sondern in Form des Verbs ›to bear‹ für viele weitere Eigenschaften, die sich mit dem gezeigten Säugetier in ein Analogie-
1. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 1: Das Gemälde Enassamishhinjijweian
verhältnis bringen lassen. ›To bear something‹ kann beispielsweise ins Deutsche übersetzt werden mit »etwas ertragen [o erdulden]« (Schmitz 2006: 104). Auch der Bär im Bild erträgt es duldsam, dass um ihn herum die Vögel fliegen, während er ruhig sitzen bleibt. Er erträgt, dass die Welt möglicherweise gerade untergeht – oder eben nur die Sonne. Und dies macht er anscheinend nicht aus einer apathischen Schockstarre heraus, sondern vielmehr aufgrund jener Tugend, die mit ›Geduld‹ überschrieben werden kann. Denn ›to bear (with somebody)‹ heißt weiterhin: »mit jdm Geduld [o Nachsicht]« (Schmitz 2006: 105) haben. Der Bär hat Langmut mit den Geschehnissen, die sich um ihn herum ereignen. Vielleicht, weil er ahnt, dass diese im nächsten Augenblick bereits vorüber sein werden und deswegen des Aufhebens nicht weiter wert sind. Oder, weil er instinktiv weiß, dass er nichts an den Ereignissen oder besser am Lauf der Natur ändern kann. An diese Überlegung lässt sich des Weiteren mit dem Gesichtspunkt anschließen, dass ›to bear (tidings)‹ meint »Neuigkeiten überbringen« (Schmitz 2006: 104). Das vermeintlich Neue in einer hektischen und chaotischen Welt wäre es, sich nicht verrückt machen zu lassen (z.B. von permanent produzierten und kommunizierten Neuigkeiten, Hiobsbotschaften, Katastrophen etc.), sondern stoisch der Dinge zu harren, die da kommen mögen. Egal, wie schrecklich manche Meldungen sind und in welcher Vielzahl die Nachrichten auf einen einströmen mögen. Das sind die ›News‹ des Bildes: Bleibe gelassen und geduldig, auch wenn die Welt aus den Fugen gerät – schon morgen wird die Sonne wieder auf- und untergehen. Insofern könnte der ›bear‹ als ein ›bearer‹, das heißt »Überbringer« (ebd.), verstanden werden, der den Betrachterinnen jene Mitteilung zuträgt, innezuhalten und möglichst mit Gelassenheit auf die Geschehnisse des Lebens zu reagieren. Selbst wenn man die soeben vorgebrachten Überlegungen nicht teilen sollte oder ihnen gar vehement widersprechen möchte, so wirft das Kunstwerk doch die Frage auf, worauf wir künftig ›zusteuern‹. Diese Sichtweise wird aber nicht allein durch eine Sprachanalogie evoziert, nach der ›to bear (down on somebody/something)‹ auch »auf jdn/etw zusteuern« (Schmitz 2006: 105) heißt, sondern auch durch die Komposition des Bildes: Die umgefallenen Baumstämme, die ins Bild hineinragen, zeigen gezielt auf die Mitte, auf die sich der Blick fokussieren soll – hin zum Horizont. Allerdings ist die Frage nach dem Zukünftigen keine, die sich der Bär stellt, denn für ihn ist sie in und mit seiner Haltung vielleicht längst entschieden (komme, was wolle, er bleibt sitzen), sondern die sich ganz konkret an die Betrachterinnen des Bildes richtet. So schaut uns die fliegende Eule über dem Bären direkt an. Wir sind beim Ansehen des Kunstwerks dazu aufgefordert, Antworten zu finden. Wir sollen uns in Bezug zu dem Bären, den Ereignissen im Bild und den Fragen, die dieses aufwirft, positionieren. Wollen wir mit der Eule und den anderen Vögeln ›davonfliegen‹ oder nehmen wir die Gegebenheiten vielmehr zur Kenntnis und halten sie so aus, wie sie sind? Oder anders gefragt: To bear or not to bear? Ertragen – oder nicht? Eine Frage, die sich übrigens immer wieder
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von neuem stellt, denn: »Wirklich am Leben zu sein bedeutet, sich mitten in der Unordnung zu befinden, über die ständig verhandelt werden muss.« (Weber 2016: 121)
1.3
Bezugs- und Berührungspunkte zur Romantik
Löst man sich nun stärker vom Bild als solchem und erweitert den Interpretationsspielraum um verschiedene Kontexte und Bezugspunkte, so wäre ein wesentlicher wohl jener, der sich mit ›Romantik‹ bezeichnen ließe. Dies schon deswegen, weil einige Motive im Gemälde an Kunstwerke der romantischen Maler Caspar David Friedrich oder Philipp Otto Runge erinnern.8 Während es bei Runge v.a. die strahlenden, bunten Farben sein dürften, die u.a. in dessen Kunstwerk Der Morgen (1808) Verwendung finden und die gewisse ästhetische Parallelen zu Uttechs Enassamishhinjijweian erkennbar werden lassen, sind die Bezüge zu Friedrich mit dem Blick in die Ferne verbunden. Allerdings sehen bei Friedrich eben Zwei Männer am Meer (1817) der Bewegung der Sonne am Horizont zu, wohingegen bei Uttech ein einzelnes Tier diesen kontemplativen Part einnimmt. Und noch ein Unterschied zu Friedrichs Werk lässt sich ausmachen: Der Bär hat nichts Heroisches oder Heldenhaftes in seiner Pose, wie etwa Der Wanderer über dem Nebelmeer (1818), auf dem ein Mann von einem bestiegenen – und damit gleichsam bezwungenen – Felsen in die Ferne schaut. Das heißt, das an sich wilde Tier steht nicht über der Natur, sondern ist ihr verletzlicher Teil. Der Bär ist Ausdruck des natürlichen Lebens, das ihn umgibt und zu dem er selbst gehört.9 Doch während das Tier in diesem Gleichgewicht leben kann, befindet sich der Mensch als »im Leben zum Leben distanziertes Lebewesen« (Fischer 2016: 362) im »Ungleichgewicht« (ebd.) und muss sich ständig neu zu seiner (instinktreduzierten) Natur und seiner Umwelt verhalten. Wie ein solcher Umgang mit der Natur aussehen kann, macht beispielsweise der Transzendentalist Henry David Thoreau in seiner Schrift Lob der Wildnis kenntlich, wenn er die Menschen bereits im 19. Jahrhundert dazu auffordert: »Öffnet all eure Poren und badet in den Gezeiten der Natur, in all ihren Flüssen und Meeren, zu allen Jahreszeiten.« (Thoreau 2014: 100) Und an anderer Stelle heißt es bei ihm weiter: »Denn die Natur ist unablässig um unser Wohlergehen bemüht. Sie existiert zu keinem anderen Zweck. Widersetzt euch ihr nicht.« (Thoreau 2014: 101) Überspitzt 8
9
Zu weiteren Künstlern und deren Werken, die sich ebenfalls der Romantik zuordnen lassen, vgl. z.B. Rataiczyk/Müller-Wenzel (2015). Erwähnt werden in der Forschungsliteratur auch Bezüge zu Malern der Hudson River School (einer amerikanischen Variante romantischer Malerei), wie etwa Frederic Edwin Church oder Albert Bierstadt (vgl. Amy 2004: 174; Lippard 2004: 15). Wobei noch angemerkt sei, dass die eingenommene Körperhaltung des Bären seiner Natur eher widersprechen dürfte, da sie in ihrer Darstellung recht menschlich daherkommt.
1. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 1: Das Gemälde Enassamishhinjijweian
und wie im Rausch möchte man fast unweigerlich einstimmen und hinzufügen: ›Gebt euch den natürlichen Abläufen hin! Versucht das Wilde und Natürliche nicht zu kontrollieren,10 sondern akzeptiert eure Lebendigkeit – so wie es der Bär vormacht‹. Wobei es so einfach dann doch nicht ist, eben weil der Mensch einerseits – zumindest soziologisch gesehen – kein Tier ist, sondern ein »Phantasielebewesen« (Fischer 2016: 365) oder ein »Mängelwesen« (Gehlen 1993: 91), und es andererseits die Wildnis genauso wenig gibt,11 wie die Natur (des Menschen). Es ist daher eine schöne Vorstellung, es dem Bären gleich zu tun, aber eben nicht mehr. Der Mensch kann sein Leben nicht leben wie ein Bär (oder andere Tiere), er muss stattdessen immer wieder neu entscheiden, wo er steht, wie er zu sich selbst steht und wie er zu dem steht, was ihn umgibt12 – auch wenn die (romantische) Sehnsucht danach bleibt, möglichst letztgültige Antworten zu finden, die für immer Bestand haben mögen. Nun könnte man dieses Spiel des Suchens und Findens von Bezugnahmen im Bild von Uttech endlos fortsetzen, aber man kann sich dabei nicht des Verdachtes erwehren, dass dies etwas Beliebiges hat. Denn zu reflektieren wäre dabei stets: Ist dies denn wirklich ›romantisch‹?13 (Oder eher surrealistisch14 usw.) Die Zentralperspektive15 beispielsweise, in der sowohl Friedrichs Zwei Männer am Meer gezeichnet ist als auch Enassamishhinjijweian, ist ein Bildgestaltungsaspekt, den es bereits vor
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Zum Aspekt der Kontrolle heißt es bei Andreas Weber sogar: »Die Welt aber wird nicht durch Kontrolle besser, sondern durch Teilnahme.« (Weber 2016: 13) Dass es die Wildnis als solches nicht gibt und es sinnvoller ist, verschiedene Formen des ›Wilden‹ zu unterscheiden, macht auch Caroline Rosenthal kenntlich, wenn sie im Zusammenhang mit Thoreaus Werk z.B. ›Wilderness‹ von ›Wildness‹ trennt. »Wilderness is the opposite of civilization and hence something man has to control. Wildness in contrast is exactly that which evades human control.« (Rosenthal 2010: 310) Ob sich etwas jedoch tatsächlich kontrollieren lässt – oder nicht –, kann man in aller Regel meist erst a posteriori erkennen – und selbst dann immer nur für einen Augenblick und nie für alle Zeiten. Ganz ähnlich lässt sich dies auch schon bei Thoreau finden, der in seinem Buch Walden über die Lebensführung schreibt: »Jeder Mensch hat die Aufgabe, das Leben selbst in seinen Einzelheiten der Betrachtung seiner höchsten und kritischsten Stunde würdig zu gestalten.« (Thoreau 2015: 141) Ebenso ließe sich danach fragen, was denn eigentlich ›Romantik‹ sei? Eine Frage, die sich zwar leichthin stellen lässt, deren Beantwortung aber schwieriger ist. Weshalb in der Forschung von manchem darauf verwiesen wird, dass die Romantik – eben, weil sie so viel meinen kann – letztlich »nichts« bedeutet (vgl. Lovejoy 1924). So heißt es z.B. bei Amy über Uttechs Werk: »Tom Uttech’s paintings of the North American wilderness offer surreal riffs on the Hudson River School.« (Amy 2004: 174) »Das zentralperspektivisch verfaßte Bild ist von einem einzigen Gesichtspunkt aus konstruiert, der mit dem Blickpunkt eines natürlichen Beobachters zusammenfällt – oder besser umgekehrt: des zentralperspektivisch verfaßte Bild simuliert oder fingiert den Blick eines natürlichen Beobachters auf die Dinge der Welt;« (Lüdemann 1999: 65).
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1800 – und damit auch vor jeglichen romantischen Ideen und Vorstellungen – gegeben hat. Diese Art der dezidierten Beobachtung von Beobachtern (einem Wanderer, einem Bären, zwei Männern usw.) beginnt schon mit der »Rekonstruktion der Zentralperspektive«, wie Susanne Lüdemann (1999: 65) schreibt, und zwar im 14. Jahrhundert. Man läuft demnach bei der Bildinterpretation Gefahr, Zusammenhänge herzustellen, die zwar zweifelsohne vorhanden und den jeweiligen Werken gemeinsam sind, die aber nichts mit der sie erklärenden Variable zu tun haben – im vorliegenden Fall mit der Romantik. Damit dieser Fehlschluss vermieden werden kann, wird für die weitere Bildauslegung dafür optiert, von einem Verständnis von ›Romantik‹ als Modell auszugehen.
1.4
Romantik als Modell »Die Schwierigkeit, Romantik zu definieren, ist notorisch. Das Skandalon, aber zugleich das Faszinosum der Romantik besteht darin, daß sie sich schwer in geläufige Kategorien einfügt.« (Klinger 1995: 68)
Mittlerweile gibt es viele Möglichkeiten und Ansätze, ›Romantik‹ und/oder das ›Romantische‹ zu fassen und zu begreifen. Z.B. als »idealtypisches Konstrukt« (Weiß 2014: 349) oder als »romantisches Vorstellungssyndrom« (Weiß 2014: 350).16 Aber recht neu17 und nicht zuletzt als Heuristik interessant erscheint dagegen der Versuch, Romantik als Modell zu verstehen, um damit »[…] die inneren Differenzen und Widersprüchlichkeiten des Vielen, was Romantik heißen kann, zu beherrschen.« (Kerschbaumer/Matuschek 2015: 145) Im Kern geht es diesem modelltheoretischen Ansatz jedoch nicht nur um eine sinnvollere Handhabung des ›romantischen‹ Facettenreichtums, sondern um das Sichtbarmachen des Subtilen und Kippfi16 17
Romantik als »Syndrom« zu verstehen und zu fassen, vgl. dazu auch Klinger (1995: 66 u. 82). Neu v.a. in insofern, da der Ansatz versucht, insbesondere die ›Romantik‹ bzw. das ›Romantische‹ damit zu erfassen (vgl. dazu auch den Sammelband Romantik erkennen – Modelle finden von Stefan Matuschek und Sandra Kerschbaumer (2019)). Prinzipiell in der Wissenschaft mit Modellen zu arbeiten, ist hingegen wesentlich älter. Ganz zentral für eine interdisziplinäre Modelltheorie sind insbesondere die Arbeiten des Mathematikers Herbert Stachowiak, der über Modelle schrieb: »Modelle sind zwar immer Modelle von etwas, Abbildungen, Repräsentationen natürlicher oder künstlicher Originale […]. Aber sie erfassen im allgemeinen nicht alle Originalattribute, sondern stets nur solche, die für die Modellbildner und/oder Modellverwender relevant sind.« (Stachowiak 1980: 29; Hervor. i.O.) Wenn man so möchte, handelt es sich folglich bei einem ›Modell‹ um einen selektiven Zugriff auf ein bestimmtes Phänomen, das man näher beschreiben möchte.
1. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 1: Das Gemälde Enassamishhinjijweian
gurenhaften, das sich mit ›Romantik‹ in Verbindung bringen lässt (vgl. ebd.). Damit verknüpft ist »das Moment der Ironie« (Kerschbaumer/Matuschek 2015: 144), wonach sich die »Einheits- und Ganzheitsperspektive« (ebd.) grundsätzlich entzieht, sowie die Tatsache, dass alles einer Relativierung unterzogen ist. Das Dargestellte bleibt unentschieden, es wechselt (oder kippt im Sinne der Kippfigur) hin und her – und bleibt dadurch stets offen. Das wäre das vorgeschlagene Modell. Wenn man dies soweit herausmodelliert hat und ›Romantik‹ auf die mögliche Formel bringt, dass man es in ihrem Zusammenhang mit einer oder mehreren Kippfiguren zu tun hat, dann bedeutet dies für die Bildanalyse, dass sie sich auch im Werk von Uttech zeigen muss, wenn es als ›romantisch‹ gelten soll. Es braucht somit den Vergleich und die Bezugnahme auf andere romantische Werke nicht zwangsläufig, sondern lediglich die Überprüfung dessen, ob es jenes Merkmal des permanenten Wechsels, das sich mit der Kippfigur in Verbindung bringen lässt, in dem Gemälde gibt oder nicht. Wie sich bereits anhand der ersten Fragen gezeigt hat, lässt es sich nicht auflösen, ob man beim Anschauen des Kunstwerks einen Sonnenuntergang oder -aufgang sieht. Mehr noch: Man weiß nicht einmal, ob es eine Sonne ist oder eine Explosion, die im Gemälde zu sehen ist.18 Das Bild changiert somit zwischen Auf- und Untergehen, zwischen Sonne und Nicht-Sonne. Ebenso wechselt die Sicht- bzw. Interpretationsweise beim Betrachten der Vögel: einheitliche Flucht aus Furcht vor einer Katastrophe oder mutiger kollektiver Aufbruch? Stirbt der Wald oder ist er Ausdruck von Leben? Wird es im Bild gerade Winter oder Frühling? Womit nur einige Fragen benannt seien, die das »Kippfigurenhafte« (Kerschbaumer/Matuschek 2015: 145) belegen. Würde man die Bildanalyse fortsetzen, so würde man voraussichtlich weitere Kippfiguren finden, so dass sich mit Rainer Maria Rilke diesbezüglich treffend konstatieren lässt: »Und alle Dinge, die man sah, waren neu, so daß mit dem Schauen sich ein fortwährendes Staunen verband und eine Freude an unzähligen Funden.« (Rilke 2016: 474) Kaum etwas im Bild scheint wirklich eindeutig zu sein – sogar der eine oder andere Stein ließe sich als Tier interpretieren. Beispielsweise könnte der große Felsbrocken unterhalb des Baumes rechts im Gemälde beim zweiten oder dritten Blick durchaus als Tier gesehen werden,19 und selbst der See in der Mitte könnte ebenso gut ein Fluss oder eine Schneefläche sein. Daher gilt zweifelsohne: »Es ist immer ein und dasselbe Bild. Doch im Auge des Betrachters kippt es zwischen den Gegensätzen hin und her.« (Kerschbaumer/Matuschek 2015: 145) Stets entzieht sich den Betrachterinnen, das, was ihnen
18 19
Ebenso denkbar wäre es ferner, in jenem kräftigen Aufscheinen in der Bildmitte etwas Göttliches zu vermuten. Wer Zweifel daran hegen sollte, dass dies vom Maler bewusst so intendiert worden ist, der sei auf eine Aussage von Uttech aufmerksam gemacht, in der er erklärt: »›I want a rock to be as alive as a bear is.‹« (Lippard 2004: 15)
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
das Bild zeigt bzw. das, was sie darin zu sehen glauben. Genau darin aber dürfte dessen Erkenntniswert liegen: Es macht deutlich oder steht dafür, dass sich das vermeintlich Eindeutige immer wieder in Uneindeutigkeit auflöst, was ein erneutes Nachdenken und Diskutieren erforderlich macht. Insofern kann das Bild als ›romantisch‹ gelten, auch wenn Uttech vielleicht nie mit romantischen Ideen, Texten und Bildern in Berührung gekommen sein mag. Er muss Friedrich und Runge nicht kennen, dennoch kann sein Werk oder zumindest dieses eine Bild romantisch sein – dies lässt sich jedenfalls im Ergebnis einer modelltheoretischen Betrachtung festhalten.
1.5
Was der Künstler sagen würde
Da »exakte Aussagen über Bildwerke« (Plessner 1967: 555) allein »nicht möglich« (ebd.) sind, ist es zumeist hilfreich, wenn man sich bei deren Interpretation zusätzlich auf Kontextinformationen stützen kann. Zum Teil ist dies schon geschehen, zum Teil soll dies aber an dieser Stelle noch einmal verstärkt werden, indem v.a. die Sichtweisen des Künstlers mit den bisherigen Auslegungen seines Bildes konfrontiert werden.20 Doch bevor auf Aussagen des Malers eingegangen wird, seien noch einige Informationen zu ihm als Person sowie zu seiner Arbeitsweise gegeben. Tom Uttech ist 1942 in Merrill, Wisconsin (USA) geboren und hat sich bei seinen Arbeiten v.a. von seinen Aufenthalten und Wanderungen im kanadischen Quetico Provinical Park inspirieren lassen (vgl. Amy 2004: 174). Seine Bilder hat er dabei jedoch meist nicht vor Ort – in der Wildnis – gemalt, sondern in seinem Atelier – »based on his memory and powers of invention« (Amy 2004: 174f.). Die Titel seiner Bilder muten zunächst etwas merkwürdig an, beziehen sich aber oftmals auf die Sprachen der Indianervölker Nordamerikas, wie etwa der Anishinabe, denen gegenüber Uttech dadurch seinen Respekt zum Ausdruck bringen möchte (vgl. Lippard 2009). Sein Werk zeichnet sich grundsätzlich durch seine Aufmerksamkeit fürs Detail aus (vgl. Amy 2004: 174), wobei Uttech bei seiner Arbeit ›handelt wie ein Jäger‹ und ›denkt wie ein Vogelbeobachter‹ (vgl. Lippard 2004: 15). Diesen Eindruck können auch die Betrachterinnen von Enassamishhinjijweian gewinnen, denn im Grunde bietet der gezeigte Bär ein ideales Opfer für Jägerinnen auf der Jagd, da 20
Bätschmann schlägt sogar vor, die erarbeitete Bilddeutung den Künstlerinnen anschließend vorzulegen – vorausgesetzt natürlich, dass diese noch am Leben sind – und sie dann nach ihrer Meinung dazu zu fragen (vgl. Bätschmann 2008: 222). Mag im ersten Moment auch nichts gegen diese Vorgehensweise sprechen, so unterstellt dies natürlich, dass die Künstlerinnen eine solche Konfrontation auch wünschen. Da im Falle von Tom Uttech diese Frage nicht abschließend geklärt werden kann, beziehen sich die weiteren Ausführungen der Einfachheit halber v.a. auf Interviewauszüge, die sich bei Lippard (2004) nachlesen lassen.
1. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 1: Das Gemälde Enassamishhinjijweian
er nach vorne schaut und nicht sehen kann, was hinter seinem Rücken passiert. Hierdurch erfährt der Gedanke, dass der Bär alles um ihn herum erduldet einen weiteren Beleg, denn es ist nicht nur die Gefahr einer möglichen Explosion, die er in Kauf nimmt. Darüber hinaus muss er auch damit rechnen, dass er beim Anblicken der Ferne hinterrücks erlegt werden kann. Einmal mehr zeigt sich, wie fragil die Existenz des Bären ist. Was jedoch offenbleibt: Weiß der Bär, der überdies ein häufiges Bildelement in Uttechs Kunstwerken ist (vgl. hierzu z.B. Andera 2004), um die Bedrohungslage oder weiß er es gerade nicht? Schätzt er als einziger die Realität falsch ein oder ist er der Einzige, der richtig liegt? Die Fragilität des Bären steht jedoch nicht nur für diesen selbst oder gar für unsere eigene Endlichkeit. Bei Lippard heißt es dazu: »To ›nature lover‹, naturalists, and ecological activists, Uttech’s images stand for more than personal encounters and nostalgia for ›pristine‹ wilderness. They stand for what we have to lose and what we have to fight for.« (Lippard 2004: 20). Wenn man diese Sichtweise mit Uttechs Aussage, dass er oft Bilder von Orten malt, an denen er gerne wäre (»where I’d like to be« (Lippard 2004: 11)), verknüpft, dann ließe sich durchaus sagen, dass es dem Künstler nicht um ein katastrophales Ende, sondern um eine Utopie und einem Aufbruch zu dieser gehen könnte (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch Kapitel I dieser Studie). Verstärkt wird dieser Gedanke des Weiteren noch durch den Titel des Bildes (Enassamishhinjijweian), der sich mit »Hoffnung« übersetzen lässt (vgl. Lippard 2009). Der ›Kampf‹ für eine hoffentlich andere Welt (oder wenigstens eine andere Sicht auf diese), in der die Interessen des Menschen nicht mehr über oder gegen Tier und Natur stehen, sondern ein verträglicher Einklang versucht wird, diese Vision hat im Gemälde von Uttech bereits begonnen: »It’s already happening« (Lippard 2004: 12). Versinnbildlicht wird dies am Flug der Vögel, denn sie sind bereits aufgebrochen und unterwegs. Wohin und mit welcher Absicht bleibt allerdings offen. Dieser utopischen Aufbruchsidee steht der Bär entgegen, der auf seinem Platz verweilt und den Aufbruch (noch) nicht wagt.21 Warum dem so ist, kann nur erahnt werden. Vielleicht wartet er noch auf etwas oder jemanden. Möglicherweise will er die ihm bekannte Welt auch nicht zugunsten von etwas Neuem, Unbekannten verlassen oder er sieht keine Notwendigkeit, die bestehende Welt in ihren Grundfesten zu verändern. Denkbar ist auch, dass ihn die Ahnung zurückhält, dass es ein endgültiges Ankommen in einer vermeintlich besseren Welt nicht geben wird, weil neue Fragen, Konflikte und Ungerechtig-
21
Es ist übrigens auch im Wechselspiel der Vögel mit dem Bären keineswegs entscheidbar, von wem eigentlich die Utopie und von wem die Dystopie ausgeht, denn man kann auch – umgekehrt – das Innehalten des Bären in einer »beschleunigten Moderne« (vgl. Rosa 2012a) durchaus als die eigentliche Utopie ansehen, die sich als Haltung dem Entfliehen der Vögel entgegenstellt. Beide Interpretationen sind denkbar und zugleich Ausdruck der erwähnten romantischen Kippfigur.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
keiten entstehen werden. Folgerichtig lässt sich die widerspruchsvolle Spannung zwischen dem Bären (verharren, verweilen, innehalten) und den Vögeln (Aufbruch, Bewegung, Unterwegssein) nicht auflösen. Darin dürfte ein Reiz dieses Gemäldes bestehen. Deshalb steht Uttechs Werk auch dafür, dass im Leben oft widersprüchliche, gegenläufige Kräfte wirken, obwohl die Sehnsucht bleiben mag, es vielleicht doch ein für alle Mal zugunsten einer Seite entscheiden zu können. Womöglich ist die Sehnsucht schließlich das entscheidende Element, das Scharnier, das beide Seiten verbindet und an dem die dargelegten Sichtweisen zum Kippen gebracht werden. ┘
1.6
Zwischenfazit
»Die romantische Kunst bildet nicht Wirklichkeiten ab, sondern bewirkt eine Veränderung des Blicks auf sie, die von den einengenden Schematisierungen alltäglicher Sichtweisen befreien soll.« (Hummelt 1999: 43) Eine solche Befreiung und Veränderung findet letztlich auch in Enassamishhinjijweian statt. Es dürfte wohl nicht der Wirklichkeit entsprechen, dass ein Bär – einem Menschen gleich – sich der kontemplativen Betrachtung hingibt. In jedem Fall befreit einen das Gemälde von der Sicht, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei und lenkt den Blick bewusst auf andere Lebewesen dieser Erde. Überdies sensibilisiert das Kunstwerk anhand der Tiere für die eigene Verletzbarkeit und dafür, wie fragil und chaotisch die Welt ist. Denn der blinde Fleck des Bären, also nicht zu sehen, was hinter ihm geschieht, ist letztlich der gleiche blinde Fleck, der sich für die Betrachterinnen ergibt, wenn sie verweilen und auf das Gemälde schauen. Das Bild lässt somit unser »Krisenbewußtsein« (Hummelt 1999: 43) erwachen und weist gleichzeitig auf die Tatsache hin, dass jeden Moment alles vorbei sein kann. Diesen Umstand gilt es auszuhalten, zu ertragen – so wie es der Bär vormacht und vermittelt. »Ein Ausweg aus der Misere wird sich nicht finden, indem wir sie (wie in der Nachhaltigkeitsszene, aber auch in der Umweltpolitik, noch allenthalben üblich) zu lösen versuchen. Sondern nur, indem wir begreifen, dass die Misere selbst nicht zum Verschwinden gebracht werden kann, sondern ausgehalten werden und verwandelt werden muss.« (Weber 2014: 222; Hervor. i.O.) Eine Transformation, wie sie v.a. durch die Kunst vonstattengeht und die als »poetischer Widerstand« (Hummelt 1999: 43) beschrieben werden kann.22 Die Kunst selbst antwortet damit auf die bestehenden Krisen unserer Zeit (z.B. auf die Klimaund Umweltkrise), allerdings nicht, indem sie diese für uns letztgültig klärt und 22
Auf den Aspekt des Widerständigen – speziell im Zusammenhang mit der Lyrik – wird in Kapitel IV dieser Arbeit noch genauer Bezug genommen werden.
1. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 1: Das Gemälde Enassamishhinjijweian
damit zum Verschwinden bringt, sondern indem sie uns diese immer wieder neu und immer wieder anders zeigt.
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2. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt »Ach! Selbst wenn ich ein Fremder wäre, Zagreb verzauberte mich wie kaum eine andere Stadt.« (Matoš 2001: 72)
Um den »Faden« (Hofmannsthal 2000: 120) »durch die Luft« (ebd.), der sich mittlerweile langsam zu einem Seil verdichten dürfte, ›fortzuspinnen‹: Städte mit für sie charakteristischen Attributen zu versehen, darf ebenfalls als eine Kunst für sich gesehen werden, wie etwa das Malen und Verstehen von romantischen Gemälden. Während manche Stadt auf eine lange Geschichte, der an sie herangetragenen Selbst- und Fremdzuschreibungen, zurückblicken kann, sind andere eher wenig bekannt und dementsprechend seltener beschrieben worden. Rom gilt im kollektiven Weltgedächtnis beispielsweise als »ewige Stadt« und Paris als »Stadt der Liebe«, aber was ließe sich vergleichbar Pointiertes über Zagreb sagen? Vielleicht, dass es eine »selbstsichere Stadt« ist, wie dies Eco nach einem Besuch von Dresden über die Stadt an der Elbe feststellte (vgl. Eco 1996)?1 Oder dass sie zu jenem Typus der »creative city« (vgl. Reckwitz 2013) gehört, von dem bei Andreas Reckwitz zu lesen ist? Auf beide Fragen ließe sich durchaus mit einem Ja antworten, aber dies trifft dennoch nicht ganz den Kern einer passenden – soziologisch inspirierten – Stadtbeschreibung. In diesem Kapitel wird vielmehr dafür optiert, mit Blick auf die kroatische Hauptstadt vom Idealtypus einer romantischen Stadt zu sprechen.2 Dies ist die These, die im Folgenden anhand von fünf zentralen Aspekten nachvollziehbar gemacht werden soll. Dabei wird die Rolle einer augenfälligen Kolorierung thematisiert (Punkt II.2.1), ebenso wie die Verwendung eines signifikanten Symbols im Zagreber Stadtraum (Punkt II.2.2). Auch auf die Bedeutung der 1
2
Eco gelangte zu dieser Einschätzung, da seiner Auffassung nach die Dresdnerinnen einen nicht danach fragen, ob einem die Stadt gefällt, stattdessen teilen sie dies jedem selbstbewusst mit (vgl. Eco 1996). Im Kontext der soziologischen Analyse von Metropolen auf die Konstruktion eines Stadttypus zu setzen, geht zurück auf die Überlegungen von Max Weber, der in seinem Werk u.a. jenen Idealtypus der »okzidentalen Stadt« herausarbeitete (vgl. Weber 1999).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Touristinnen wird dabei eingegangen werden (Punkt II.2.3), wie auch die Themenkomplexe der Authentizität (Punkt II.2.4) und das museal aufbereitete Scheitern von Beziehungen Teil dieses Kapitels sind (Punkt II.2.5). Mit dem Versuch, Zagreb als Idealtypus einer romantischen Stadt ins Spiel zu bringen, soll anderen, bereits vorhandenen kategorialen Zuschreibungen, wie etwa jene der »ostmitteleuropäischen Stadt«,3 keineswegs eine Absage hinsichtlich ihrer Analysekraft erteilt werden. Das Anliegen besteht vielmehr darin, den Forschungsblick zu erweitern und zu ergänzen – weg von einer spezifisch regionalräumlichen Verortung hin zu einem Forschungsinstrument, das sich auf verschiedene Städte der Welt (in vergleichender Absicht) anwenden lässt.
2.1
Flanieren4 im Zagreber Blau
Wenn man Städte beschreiben möchte, um diese besser zu verstehen und zu erfassen, dann ist es natürlich möglich, dies z.B. über Farben zu tun. Marrakesch gilt demnach – aufgrund rötlicher Lehmhäuser im urbanen Raum – als »rote Stadt«5 , Essen (2017) als »grüne Hauptstadt Europas« und die mexikanische Stadt Izamal wird vor dem Hintergrund der entsprechend bemalten architektonischen Baukörper auch als »gelbe Stadt« bezeichnet (vgl. Schön 2017: 32). Geht man dagegen durch das im Jahre 1094 erstmals erwähnte Zagreb, so drängt sich den Besucherinnen und Städterinnen eine Farbe in besonderer Weise auf: nämlich das allgegenwärtige Blau. Diese Kolorierung sieht man in der Stadt beispielsweise an den Straßenbahnen, die sich durch die Straßen schieben und 3 4
5
Einen guten Überblick zur Forschungsliteratur in Bezug auf die »ostmitteleuropäische Stadt« findet sich in Kohlrausch (2015). Zur prinzipiellen Idee, durch (urbane) Räume zu flanieren, um deren Vergangenheit vor Ort zu entdecken, vgl. Schlögel (2013). Die Intention, die auch in diesem Kapitel zum Tragen kommt, ist, wie Schlögel in einem anderen Werk pointiert schreibt: »Anschauung und Reflexion zwangsläufig wie zwanglos« (Schlögel 2017: 24) zusammenzubringen. Allerdings kommt man, wenn es ums Flanieren geht, nicht umhin, auch auf Walter Benjamin hinzuweisen, der sich dieser Praxis – zwar fragmentarisch, jedoch recht vielfältig – in seinem PassagenWerk gewidmet hat und dem Flaneur darin recht trefflich zuschreibt, dass dieser »[…] die gewohnte Stadt als Phantasmagorie [.]« (Benjamin 1998: 54) wahrnehme. Darüber hinaus – dies sei ebenfalls noch mit angeführt – erwähnt er den Romantiker E.T.A. Hoffmann »als Typ des Flaneurs« (Benjamin 1998: 536) und verweist diesbezüglich insbesondere auf dessen Erzählung Des Vetters Eckfenster, in der die Figur des »Vetters« – krankheitsbedingt – vom Fenster aus das bunte Treiben auf dem Platz davor studiert (vgl. Hoffmann 1986). Von einer »roten Stadt« ist auch im Kontext von Wien – zumindest historisch besehen – die Rede, wobei die Farbzuschreibung v.a. auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Stadt an der Donau von 1919 bis 1934 durch die (Stadtbau-)Politik der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs maßgeblich bestimmt war. Vgl. dazu auch: Blau (1999a).
2. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt
Abbildung 5: Blaue Straßenbahn in Zagreb.
Foto: Daniel Grummt.
einen gleichsam dazu einladen, sich von ihnen durch die Stadt (ent-)führen zu lassen (vgl. Abb. 5). Ihre blaue Farbe erhielten die Zagreber Trams, die erstmals 1910 elektrifiziert durch die Stadt fuhren, bereits im Jahre 1923 (vgl. Tatić 2017). Veranlasst hatte die Farbänderung der damals bei den städtischen Verkehrsbetrieben zuständige Ingenieur Dragutin Mandl. Er entschied, die Wagen nicht mehr in Gelb, sondern in einem blauen Gewand auf die Schienen zu schicken (vgl. Infozagreb 2007). Bei der Farbgebung dürfte sich Mandl am 1896 eingeführten Stadtwappen orientiert haben. Es zeigt u.a. vor blauem Hintergrund eine Stadt auf einem grünen Hügel mit drei weißen (Burg-)Türmen und einem offenstehenden, goldenen Tor. Mit der Einführung des Stadtwappens gewinnt die Farbe Blau in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung (vgl. Sušanj et al. 2004: 77). Hiervon zeugen nicht nur die Zagreber Straßenbahnen, sondern auch eine blaue
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Abbildung 6: Standseilbahn in Zagreb.
Foto: Daniel Grummt.
Standseilbahn. Bestehend aus zwei Kabinen, die um 1890 erstmals fuhren und sich seit 1893 in regulärem Betrieb befinden, verbindet die Bahn die Unter- mit der Oberstadt und überwindet dabei einen Höhenunterschied von gerade einmal 30,5 Metern (vgl. Abb. 6 sowie Sušanj et al. 2004: 61). Hat man die auf einem von zwei Hügeln6 gelegene Oberstadt zu Fuß oder mit Hilfe der Standseilbahn erreicht, zieht einen das Blau auch dort in seinen Bann. Einerseits sind es die zahlreichen Europafahnen, die in diesem Teil der Altstadt besonders häufig an den historischen Gebäuden angebracht sind und dadurch der Oberstadt ein blaues Antlitz verleihen.7 Und andererseits verleiht ein großes Wandgemälde (Mural) auf einem ursprünglich als Kunstgalerie konzipierten Gebäude diesem Stadtteil sein blaues Angesicht.8 Das Wandgemälde schuf
6
7
8
Zagreb bestand ursprünglich aus zwei Kernbereichen, die auf zwei Erhebungen lagen und heute noch als solche erkennbar sind. Blau führt hierzu aus: »The city’s origins were two contiguous but independent urban centers: the civil community of Gradec, and the feudal-religious community and Episcopal See, Kaptol.« (Blau 2014: 292) Vgl. Abb. 7. Die Häufung von Europafahnen ist dem Umstand geschuldet, dass sich dort auch das Kroatische Parlament (Hrvatski sabor) befindet und Kroatien seit 2013 Mitglied der Europäischen Union ist. Zur Geschichte des Gebäudes vgl. z.B. Schwalba (2012).
2. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt
Abbildung 7: Europafahne in der Oberstadt von Zagreb.
Foto: Daniel Grummt.
der französische Streetart-Künstler Etien im Jahr 2015 anlässlich des »Rendezvous«-Festivals.9 Es zeigt einen riesigen blauen Wal, auf den gleich noch näher eingegangen werden soll (vgl. zum Wal-Mural Abb. 8). Festgehalten sei jedoch zunächst, dass sich anhand der bisherigen empirischen Befunde ohne weiteres der
9
Dem Festival vorausgegangen war eine kroatische Veranstaltungsreihe in Paris im Jahre 2012, bei der kroatische Kunst und Kultur in der französischen Hauptstadt präsentiert worden war. Der französische Präsident Francóis Hollande entschied sich daraufhin für ein vergleichbares Festival mit französischem Programm in Kroatien, das dann 2015 stattfand und bei dem u.a. das Wal-Mural realisiert wurde (vgl. Bousfield 2015).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Eindruck einstellt, dass Zagreb eine blaue Stadt ist. Diese farbliche Charakterisierung von Zagreb wird durch die Phänomene jüngeren Datums (das Mural aus dem Jahre 2015 und dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union 2013) zusätzlich verstärkt, denn offenbar ließ sich diese Zuschreibung schon im letzten Jahrhundert bei einem Streifzug durch die Stadt gewinnen, wofür zwei Verse aus dem Gedicht von Nikola Polić mit dem Titel Zagreber Oberstadt ins Feld geführt werden können: »Diese blaue Stadt ist ein altes, liebes Lied,/dem der alte Meister lauschte, krankverzerrt und müd.« (Polić 2001 [1933]: 81) Auch in touristischer Hinsicht setzt man in der kroatischen Hauptstadt auf Blau. So heißt es in einem Reisebericht über die Metropole an der Save: »Es sei die Farbe der Stadt, erklärt Stadtführerin Dora Fila. Und wie auf Bestellung rumpelt eine blaue Straßenbahn um die Ecke. Selbst die Hydranten leuchten blau.« (Focus online 2009) Zusammenfassend wird hier vorgeschlagen, das blaue Stadtbild Zagrebs als ersten Ankerpunkt zu nehmen, um zu begründen, dass man in Bezug auf die kroatische Hauptstadt von einer romantischen Stadt sprechen kann. Die Farbe Blau hatte für die Romantikerinnen von Beginn an eine besondere Bedeutung, weshalb auch von »der blauen Romantik« (Müller-Funk 2000: 19) die Rede ist. Maßgeblich dazu beigetragen hat v.a. Novalis mit seinem fragmentarisch gebliebenen Roman Heinrich von Ofterdingen, in dem der Hauptfigur »Heinrich« im Traum eine blaue Blume erscheint, nach der er fortan – allerdings vergebens – zu suchen beginnt (vgl. Novalis 2013). Blau steht für die Romantikerinnen somit einerseits für etwas Unerreichbares, das in der Ferne liegt und nachdem man trotzdem immer wieder strebt, obwohl man weiß, dass es nicht erreicht werden kann. Und andererseits ist diese Farbe ein Symbol für das Auflösen und Verflüssigen von Grenzen (vgl. MüllerFunk 2000: 19). Nie ist eindeutig, ob es sich gerade um einen Traum oder um die Wirklichkeit handelt. Zwischen beiden Momenten (Realität und Fiktion) wechselt der jeweilige Zustand permanent hin und her. Er kippt, wie sich im Rückgriff auf die Überlegungen des Kapitels »Romantik als Modell« (vgl. II.1.4) erneut treffend schreiben ließe. Dieser Eindruck drängt sich auch beim Betreten der Zagreber Oberstadt auf. Steht man dem besagten blauen Wal-Mural gegenüber, dann weiß man nicht, ob man sich gerade im Blau von Meerwasser oder inmitten eines Wolkenmeeres befindet. Die Grenze zwischen Himmel und Meer scheint aufgelöst und beides beginnt im Farbton Blau ineinander zu verschwimmen.
2.2
Wa(h)lverwandtschaften oder: (Fast) jede Stadt hat ihr Tier
Die Betrachtung der Farben einer Stadt ist ein möglicher Weg, sich dem für sie Charakteristischen anzunähern. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich das Typische einer Stadt über ein (heimliches oder ganz offizielles) signifikantes Sym-
2. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt
Abbildung 8: (Blauer) Wal des französischen Streetart-Künstlers Etien auf dem Gebäude der ehemaligen Gradec Gallery.
Foto: Daniel Grummt.
bol zu erschließen. Nicht selten wird dabei, gleich einem Totem,10 auf Wesen aus der Tierwelt zurückgegriffen.11 So gehört zu Berlin der Bär, zu Krakau die Taube(n)12 und, so eine weitere These in diesem Kapitel, zu Zagreb der erwähnte Wal.13
10 11
12
13
Zur soziologischen Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit des »Totems« vgl. insbesondere Durkheim (1994). Es ist allerdings keineswegs so, dass sich nur Städte mit Totems in Verbindung bringen ließen. Wie Hans-Georg Soeffner in einer Studie über »taubenzüchtende Bergmänner« gezeigt hat, setzen manchmal ganze Berufsgruppen (ohne dies bewusst zu entscheiden) auf ein Tier (vgl. Soeffner 1992). Im besagten Fall eben auf die Taube(n), die dann für die Männer unter Tage zum »Gemeinschaftssymbol« (Soeffner 1992: 155) avanciert und u.a. zugleich für »die Träume von Freiheit« (Soeffner 1992: 154), »die Hoffnung auf Glück und Frieden« (ebd.) sowie für »die Sehnsucht nach Ungebundenheit und Weite« (ebd.) der Bergmannsgemeinschaft steht. So heißt es z.B. in einem Reiseführer für Krakau: »Die Tauben, die Blumenverkäuferinnen, die Straßenmusikanten, das stündliche Trompetensignal […], die Pferdekutschen – sie alle sind Teil der vielbeschworenen Magie des Krakauer Hauptmarktes. Doch die Tauben sollen nicht nur in einem sprichwörtlichen Sinne magisch sein, vielmehr, so will es jedenfalls die Legende, wurden sie wirklich verzaubert.« (Brand/Kalimullin 2015: 54; Hervor. i.O.). Die Verknüpfung von Walen mit Zagreb hat bereits eine längere Tradition. So fand man im 19. Jahrhundert Tierknochen, die sich einem Meeressäugetier zuordnen ließen und deren Fund als »Mesocetus agrami«, der Wal von Zagreb, in die Geschichte der Paläontologie einging.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Dies v.a. deshalb, weil er in der Stadt an zentraler Stelle zu finden ist: auf einem v.a. bei Stadtbesucherinnen sehr beliebten Platz, von wo aus man einen unverbauten Blick auf die Kathedrale von Zagreb und auf das Zentrum der City hat. Man kommt also bei einer Stippvisite der kroatischen Hauptstadt nicht umhin, auf das Walwandbild aufmerksam zu werden. Doch wieso ausgerechnet ein Wal? Worin könnte seine Bedeutung liegen? Im Rückgriff auf ein Symbollexikon lässt sich unter dem Lemma »Wal« in Erfahrung bringen, dass dieser u.a. für »Erhabenheit und Bedrohung« (Hübener 2008: 409) sowie für »künstler. Kreativität« (ebd.) steht. Die genannten Motive können einem auch beim Betrachten des Wandbildes in den Sinn kommen: Das Meeressäugetier schwebt in stattlicher Größe, majestätisch über den Betrachterinnen durch das Wolkenmeer dahin; diese fühlen sich im Vergleich dazu winzig und klein, was v.a. durch den schwarzen Schattenwurf des Tieres noch verstärkt wird. Der Anblick des Wales führt einem möglicherweise vor Augen, dass der Mensch nur über eine fragile Existenz verfügt, die maßgeblich von den Kräften der Natur abhängig ist. Dieser Gedanke ließe sich so weiterspinnen, dass es sich dabei um Naturgewalten handele, die sich nicht individuell, sondern allenfalls gemeinschaftlich kontrollieren lassen. Neben diesen existenziellen Empfindungen sind es die Fertigkeiten des Künstlers, die beeindrucken. Ihm ist es durch das Mural gelungen, der Kunst – und damit auch der Stadt – ein faszinierendes Denkmal zu setzen. Die Kunst, in Gestalt des Wales, bestimmt folglich den Platz. Von ihr werden die Blicke der Betrachterinnen angezogen. Dass diese Wirkung beabsichtigt ist, liegt auf der Hand, denn in aller Regel wird der Ort für ein Wandgemälde dieser Größenordnung »passend zu der Aussage gewählt« (Fitz 2012: 19f.), die die Künstlerinnen treffen möchten.14 Da es sich dabei meist um Auftragsarbeiten handelt, gibt es im Vorfeld der Ausgestaltung einen Dialog zwischen den Kunstschaffenden und der Stadt, bei denen die örtlichen Gegebenheiten und die jeweiligen Potentiale einer Stadt im Mittelpunkt stehen. Das Wal-Mural beantwortet die Frage, wofür Zagreb steht u.a. damit, dass hier künstlerische Kreativität großgeschrieben wird. Auch dieser Befund lässt sich zweifelsfrei mit dem romantischen Stadttypus in Verbindung bringen, da eines der »Sinnmuster« (Tripold 2012: 202) der Romantik – neben Individualität, Phantasie, Hinwendung zum Inneren des Ichs usw. – in der Kreativität liegt (vgl. ebd.). Das Zagreber Kreativitätsnarrativ ist jedoch keineswegs frei von Widersprüchen, sondern durchaus ambivalent. Denn direkt gegenüber des schwebenden
14
2016 griff die kroatische Post diesen Sachverhalt auf und veröffentlichte eigens dafür eine Briefmarke mit dem Wal (vgl. Hrvatska pošta 2016). Darin lässt sich u.a. eine Differenz zwischen Graffiti und Streetart markieren: Ein Graffito will in aller Regel »nichts mitteilen« (»außer der Tatsache, dass es gesprüht wurde und von wem« (Strehle 2008: 15; Hervor. i.O.)); Streetart dagegen hat oftmals eine Botschaft.
2. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt
Meeresbewohners können die Betrachterinnen die Kathedrale von Zagreb mit ihren zwei markanten Türmen sehen. Die (romantische) Sakralisierung der Kunst in Gestalt des Streetart-Gemäldes steht im Gegensatz zu dem Kirchenbau. Die Blicke der Betrachterinnen wechseln zwischen diesen beiden gegensätzlichen Fixpunkten. Entweder schaut man in die Richtung der Kathedrale oder zum Wal. Beides gleichzeitig zu betrachten, funktioniert nicht. Zugespitzt und mit den Worten Heinrich Heines ließe sich sogar konstatieren: »Das vortreffliche Ungeheuer hat leider keine Religion, und so ein Wallfisch [sic!] verehrt unsern wahren Herrgott, der droben im Himmel wohnt, eben so wenig wie den falschen Heidengott, der fern am Nordpol auf der Kanincheninsel sitzt, wo er denselben zuweilen besucht.« (Heine 1987: 141) Der Wal kann als frei von Religion aufgefasst werden – er steht für sich. Allerdings lässt er sich (wie Kunst generell) sakralisieren. Das heißt, er bildet seine eigene (Kunst-)Religion,15 die jener der Kirche räumlich wie inhaltlich gegenübersteht. Denn das Wandbild sagt auch: Es ist nicht Gott, der irgendwo im Wolkenmeer anzutreffen ist, sondern ein blaues Tier, das in Konkurrenz zum Schöpfer der Welt dessen Existenz negiert.16 Zugleich steckt in der Motivik des Bildes auch ein religiöses Symbol: die Sintflut, die beispielsweise laut dem ersten Buch Mose über die (sündhafte) Menschheit gekommen ist, um diese zu vernichten (vgl. Deutsche Bibelgesellschaft 1996: 8f.). Verschont blieben nur Noah und dessen Familie sowie zuvor ausgewählte Landtiere, die sich in die Arche retten konnten. Überlebt haben jedoch auch die zahlreichen Lebewesen des Meeres, zu denen der Wal dazugehört. Das dargestellte Meerestier steht mithin nicht nur für künstlerische Kreativität und eine Art Kunstreligion, sondern verweist gleichfalls möglicherweise darauf, dass zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt (wieder) eine apokalyptische Katastrophe über die Menschheit hereinbrechen kann. Oder poetischer mit den Worten von Dieter Richter gesprochen: »Das Meer überflutet die Erde, am Firmament tun sich die ›Schleusen des Himmels‹ auf und das hereinbrechende Wasser vernichtet die Menschheit.« (Richter 1998: 13) Mit dieser nicht näher bestimmbaren Gefahr gilt es, zurecht zu kommen. Trost und Hoffnung können sowohl die Kirche als auch die Kunst spenden. Besonders werden die Touristinnen vom Reiz der Widersprüche und dem Kitzel einer diffusen, keinesfalls unmittelbaren Bedrohung angezogen. Über diese Stadtbesucherinnen schreibt Zygmunt Bauman:
15 16
Zur Begrifflichkeit der (romantischen) »Kunstreligion« im urbanen Kontext vgl. z.B. Sennett (2011: 169 ff). Auch daran wird zugleich wieder der Konnex zur Romantik ersichtlich, denn Paz schreibt: »Das Thema des Todes Gottes ist ein romantisches Thema.« (Paz 1989: 66)
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
»Die Touristen wollen in das fremde und bizarre Element eintauchen (ein angenehmes Gefühl, das eine unbestimmte Gefahr mit einem Bewußtsein von Rettung verbindet –, als würde man sich von den Meereswellen schaukeln lassen) – freilich unter der Bedingung, daß sich seine lustbereitende Leichtigkeit nicht überlebt und wann immer man will abgeschüttelt werden kann.« (Bauman 1997: 156f.) Letztlich ist es aber nicht nur ein Hölderlin’sches Spiel, bei dem aus der Gefahr das Rettende (Religion und/oder Kunst) gleich mit erwächst, sondern es ist auch der Gesichtspunkt des Ästhetischen, durch den die touristische Welt »strukturiert« (Bauman 1997: 157) wird, wie Bauman ebenfalls betont. Beides sind Elemente, die sich in Walwandbild und Kirchenbau auf unterschiedliche Weise wiederfinden lassen.17 So wird aus dem vermeintlichen Gegensatz ein gemeinsames Prinzip, das insbesondere die Touristinnen zu beeindrucken vermag.
2.3
Zagreb als potentielle Stadt für Touristinnen?
Städte lassen sich anhand von treffenden Farben oder charakteristischen (Tier-)Symbolen beschreiben. Eine andere Perspektive eröffnet die Frage danach, wie attraktiv eine Stadt für die verschiedenen Benutzerinnengruppen ist. Man denke diesbezüglich z.B. an sogenannte Schlafstädte, in die Menschen (»Schläfer«) überwiegend pendeln, um dort zu schlafen und im Privatleben zu sein.18 Oder an Arbeiterinnenstädte, wo man größtenteils auf Werktätige und deren Arbeitsstätten trifft. Des Weiteren gibt es die Touristinnenstädte, die von Menschen aufgesucht werden, um sich dort zu erholen oder »das Fremde« (Bachleitner 2010: 426) kennenzulernen.19 Der Wunsch, der viele Touristinnen an unbekannte Orte zieht, besteht darin, die »fremde Umgebung als Gegenerfahrung zum Alltag zu erleben« (Hennig 1998: 8), wie Christoph Hennig schreibt. Das von Zuhause Gewohnte und Bekannte soll an einem anderen Ort aufgebrochen werden. 17
18
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Die getätigten Ausführungen sind damit keineswegs schon in ihrer Deutung erschöpfend an ihr Ende gelangt. Erwähnen ließe sich z.B. noch, dass das von Heine als »Wallfisch« (Heine 1987: 141) bezeichnete Lebewesen kein Fisch ist, sondern ein Säugetier. Diese uneindeutige Eindeutigkeit, also kein Fisch zu sein, obwohl er doch im Wasser lebt, ist für den Wal kennzeichnend. Ob es jedoch zutreffend ist, ausgerechnet bei der deutschen Bundeshauptstadt von einer »Schlafstadt« zu sprechen, wie es Philipp Oswalt und Stefanie Oswalt in ihrem Aufsatz Berlin – eine Schlafstadt tun, darüber lässt sich streiten (vgl. Oswalt/Oswalt 2011). Wie ›fremd‹ »das Fremde« (Bachleitner 2010: 426) letztlich tatsächlich ist, oder ob man nicht eher von einer »gezähmte[n] Fremde« (Bachleitner 2010: 424; Hervor. i.O.) sprechen muss, bleibt ein nachgeordneter Gesichtspunkt, da es um das Prinzip, also die Suche nach dem an sich Unvertrauten geht, das Touristinnen entdecken möchten.
2. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt
Insofern kann der »›Homo touristicus‹« (Schäfer 2015a: 56) als »ein Romantiker« (ebd.) gelten, wie Robert Schäfer festhält, der permanent nach neuen Perspektiven Ausschau hält und bestrebt ist, die alltägliche Routine zu überwinden. Unterstützt wird diese romantische Sehnsucht nach dem Anderen und Unvertrauten durch die »sinnliche Erfahrung imaginärer Welten« (Hennig 1997: 47), auf deren Suche sich Reisende begeben. Derartige Erfahrungen kann der am Fremden interessierte Städtereisende in Zagreb machen. Z.B., wenn er oder sie in der historischen Oberstadt unverhofft den überlebensgroßen, unweit der Kathedrale schwebenden blauen Wal erblickt. Wie wenige andere europäische Hauptstädte hat die kroatische Metropole nämlich noch den »Charme des Unbekannten« (Spoerr 2011), den Städtereisende aufspüren wollen. Dass Zagreb bei potentiellen Touristinnen bislang so unbekannt ist, liegt v.a. daran, dass die meisten Kroatienurlauberinnen bevorzugt an die Küste der Adria reisen und Zagreb dabei häufig übersehen (vgl. zu diesem Aspekt auch Roberson 2008: 94). Die Frage ist allerdings, wie lange dies so bleiben wird? Mag Zagreb bisher von den »Auswüchsen des Massentourismus« (Mauch 2015: 11) nicht in dem Ausmaß betroffen sein, wie etwa Barcelona, Paris oder Venedig, so kann sich dies in der Zukunft durchaus ändern, was jedoch dem romantischen Prinzip, dem Streben nach dem Neuen, zumindest auf individueller Ebene keinen Abbruch tun mag. Auf kollektiver Ebene taugen Städte, in denen bisher kaum jemand gewesen ist, eher als Projektionsfläche für Sehnsüchte, als vergleichbare Orte, die bereits bestens vertraut und hinlänglich entdeckt zu sein scheinen. Wenn Reisende sich für einen Zagreb-Besuch entscheiden, so sind sie oftmals davon überrascht, wie »›beautiful‹« (Roberson 2008: 96) die Stadt ist. In ihren Augen ist sie nicht nur schön, sondern im Vergleich zu anderen Großstädten auch »ruhiger« (Roberson 2008: 97) und »kleiner« (ebd.).20 Unabhängig davon, wie gut eine Stadt bereits touristisch erschlossen ist: In dem Moment, wo Touristinnen in einer für sie noch unbekannten Metropole ankommen, um das vermeintlich Fremde in Augenschein zu nehmen, verliert sich dieser Zauber bereits. Diese Entzauberung resultiert z.B. daraus, dass der oder die Reisende feststellen muss, dass an diesem neuen Ort doch nicht alles so anders ist, wie er oder sie sich das zuvor in den schillerndsten Farben ausgemalt hatte. Oder es ist die ernüchternde Erfahrung, dass ein zuerst magischer Sinneseindruck, so schnell wie er gekommen ist, wieder verfliegt und sich so nicht noch einmal wiederholen lässt. Kurzum: Der Tourismus »[…] zerstört, was er sucht, indem er es findet.« (Schäfer 2015a: 266) Aus dieser Enttäuschung ergibt sich wiederum, dass
20
Dass die Stadt von Besucherinnen als vergleichsweise »ruhig« empfunden wird, könnte – um auf eine Verknüpfung zur weiter oben vorgenommenen Farbbeschreibung zurückzukommen – auch am wahrgenommen städtischen Blau liegen. So schreibt beispielsweise Baudrillard, dass diese Farbe als »Zeichen der Ruhe« (Baudrillard 2007: 43) gelte.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
die touristisch Reisenden erneut beginnen, nach anderen Reisezielen zu suchen, die ihnen die Erfüllung ihrer Träume und Wünsche möglich machen sollen. Möglich wird dies erst, weil auf Touristinnen in aller Regel ein »Zuhause« (Bachleitner 2010: 426) wartet. Sie haben einen Ort, von dem aus sie freiwillig aufbrechen und an den sie wieder zurückkehren können. Auch dies lässt sich mit romantischen Gedanken in Verbindung bringen. So war es Novalis, der im Ofterdingen-Roman auf die Frage, wohin wir gehen, schrieb: »Immer nach Hause« (Novalis 2013: 164).
2.4
Die Suche nach urbaner Authentizität
Charakteristisch für Städte, die dem romantischen Stadttypus zugeordnet werden können, ist deren besonderer Anspruch auf Authentizität,21 wobei der Begriff v.a. meint, »[…] dass eine konsistente Beziehung zwischen der physischen und gebauten Umwelt und einer bestimmten historischen Epoche besteht.« (Urry 2015: 392) Es muss sich dabei also keineswegs um Gebäude aus der Ära der Romantik handeln, damit ein städtischer Raum als authentisch gelten kann. Entscheidend ist vielmehr, dass eine »historische Authentizität« (Bernhardt 2016: 83) sozial konstruiert und möglichst dauerhaft durchgehalten wird. Allerdings besteht genau darin die Crux des Authentischen, da sich dieses, vor dem Hintergrund des permanenten sozialen Wandels, mit dem sich Städte auseinandersetzen müssen, oft nicht aufrechterhalten lässt. Schaut man jedoch genauer hin, dann entziehen sich die vermeintlichen Epochenoriginale und entpuppen sich bei kritischer Überprüfung als Inszenierungen oder Simulationen von Authentizität, wie dies z.B. die Neubauten rund um die Frauenkirche auf dem Neumarkt in Dresden illustrieren. Dennoch bleibt der Grundimpuls »nach ›authentischer‹ Urbanität« (Reckwitz 2016: 173) – zumindest für romantische Städte – bestehen. Konkret auf Zagreb bezogen beruht dessen Authentizität keineswegs allein auf dem fragilen Versuch der Konservierung eines (bestenfalls altstädtischen) k.u.k.Charmes,22 der sich u.a. an Zagrebs »Grünem Hufeisen« in der Unterstadt und den zahlreichen Cafés zeigt.23 Eine andere wichtige Authentizitätsquelle ist das wei21 22
23
Auf die enge Koppelung von Romantik und Authentizität weist z.B. Thomas Tripold hin, wenn er schreibt, dass der »Authentizitätsbegriff ein Kind der Romantik« (Tripold 2012: 104) sei. In einem Reiseführer liest man diesbezüglich: »Die älteren Zagreber erzählen sich heute noch gerne: ›Wien ist die Mutter Zagrebs, Budapest die Tante, Graz und Ljubljana sind zwei liebliche Schwestern.‹ Dieses Näheverhältnis zeigt sich vor allem bei den Spaziergängen durch die Ober- und die Unterstadt.« (Mauch 2015: 64). Zum (kulturellen) Einfluss von Österreich-Ungarn u.a. auf die Stadt Zagreb vgl. etwa Blau (1999b). Beim »Grünen Hufeisen« »[.] handelt es sich um ein U-förmiges Ensemble von mehreren aneinandergereihten Parkanlagen, die im wesentlichen in der Zagreber Gründerzeit, im letzten
2. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt
ter oben bereits besprochene Wal-Mural. Diese funktioniert dergestalt, dass sich Streetart in dieser Größe nicht ohne weiteres neu platzieren lässt – und wenn doch, würde dieser Eingriff die ursprüngliche Aussage des Künstlers oder der Künstlerin zerstören oder zumindest maßgeblich verändern (vgl. Fitz 2012: 21). Bei Annika Fitz heißt es hierzu metaphorisch auch: »Die Street-Art-Bilder sind vergleichbar mit Wildblumen auf einer Wiese, weder wenn sie gepflückt oder in ein Beet umgepflanzt, noch wenn sie fotografiert werden, kann die Pracht der natürlichen Komposition, die Aura der Wiese, wie sie einem Spaziergänger offenbart wird, wieder hergestellt werden.« (Fitz 2012: 127) Das Wandbild mit dem blauen Wal funktioniert auf die beschriebene Art und Weise folglich nur in Zagreb. In einem Hinterhof in Berlin oder Wien hätte es eine ganz andere Wirkung. Nur in der Zagreber Oberstadt wirkt es so, als ob der Wal durch die Wolken gleitet. Nur dort steht er der Kathedrale gegenüber und allein an dieser Stelle dient er dazu, den Platz sowie das ehemalige Gebäude der Kunstgalerie ästhetisch aufzuwerten. Zudem muss man das Wal-Mural in Zagreb nicht lange suchen. Anders als z.B. in Brüssel, wo vergleichbare Urban-Art eher überraschend hinter Häuserwänden auftaucht und in der es sich empfiehlt, entsprechende Arbeiten ganz gezielt mit einem Themenstadtplan aufzusuchen. Man kommt am Wal, wie bereits weiter oben erwähnt, fast schon zwangsläufig vorbei, wenn man die Zagreber Oberstadt besucht. Dies deckt sich auch mit einer Einschätzung von Jürgen Hasse, der darauf aufmerksam macht, dass Authentizität oftmals an Leichtigkeit und Mühelosigkeit im Erkennen gekoppelt ist. Das Einzigartige einer Metropole zeigt sich demnach dann, »[…] wenn die Essenz des Authentischen ausdrucksstark genug ist, um sich der Wahrnehmung ohne suchende Anstrengung der Aufmerksamkeit mitzuteilen.« (Hasse 2015: 202) Das Streetartgemälde teilt sich den Betrachterinnen in jedem Fall mit – und sei es in der simplen Präsenzbotschaft: Hier schwimmt ein Wal. Dies wollen Touristinnen, als »collectors of gazes« (Urry 2002: 44), letztlich sehen: Das Einzigartige und Wahre, das bisher nie Gesehene – das insbesondere romantische Städte zu kreieren versuchen.24 Dass auch diese Suche nach Authentizität in einer Stadt scheitern kann, dürfte wenig überraschend sein. Entweder hält ein Ort nicht, was er verspricht, oder er evoziert beim Betrachten nicht die gewünschte Wirkung. Damit bricht die Sehnsucht nach dem Authentischen keineswegs ab, sondern beginnt wieder von neuem. Wenn der oder die Suchende in der einen Stadt nicht das findet, was er oder sie sich davon versprochen hat, so
24
Drittel des 19. Jahrhunderts, angelegt wurden.« (Mauch 2015: 108). Vorbild für das Zagreber Hufeisen war dabei das Wiener Ringstraßenkonzept. Zur Verknüpfung von »Einzigartigkeit« mit dem »Ideal der Authentizität« vor dem Hintergrund der Romantik siehe auch: Reckwitz (2017b: 98).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
besteht gleichsam die (unerschütterliche) Hoffnung, dies in einer anderen finden zu können. Auch hier zeigt sich wieder, dass das Suchen als solches beibehalten wird – sowohl bei Touristinnen wie bei den verantwortlichen Stadtgestalterinnen.
2.5
Gescheiterte Beziehungen
Ein ähnliches Muster kann auch für Beziehungen konstatiert werden: Eine Scheidung bedeutet nicht, dass das Prinzip der Ehe zwangsläufig in Frage gestellt werden muss. Es ist eher der Partner oder die Partnerin, über die man befindet: er oder sie waren nicht der oder die Richtige. Am romantischen Liebesideal selbst wird dagegen weiterhin festgehalten – auch wenn der Verlust des geliebten Anderen schmerzt.25 Diesem Phänomen hat Zagreb ein ganzes Museum gewidmet, das sich wenige Meter vom Walwandbild entfernt hinter dem Lotrščak-Turm befindet. Das Ausstellungshaus trägt den bezeichnenden Namen Museum of Broken Relationships (vgl. Museum of Broken Relationships o.J.). Dort befinden sich seit 2010 verschiedene Artefakte von Einsenderinnen aus aller Welt, die an das persönliche Misslingen (oder z.T. den Anfang vom Ende) von sozialen Beziehungen erinnern. Die Idee zum Museum kam dem kroatischen Künstlerpaar Dražen Grubišić und Olinka Vištic bei deren eigener Trennung im Jahr 2004. Allerdings hat es bis zur Eröffnung des Museums noch ein paar Jahre gedauert. Beide sind zunächst durch die Welt gereist, um verschiedene Trennungsobjekte und -geschichten anderer Menschen zu sammeln (vgl. Betancur 2011: 62). Zu sehen ist hier z.B. ein Gartenzwerg, der im Zuge eines Rosenkrieges als Wurfgeschoss herhalten musste und durch den Aufprall erheblich beschädigt worden ist; oder ein Brief von einem Kind an seinen Vater, der den Kontakt abgebrochen hat u.v.a.m. Die Ausstellungsgegenstände verweisen – oft auf tragische und/oder komische Weise – darauf, dass Beziehungen enden können. Sie thematisieren zugleich aber auch, dass es weitergeht und Abbrüche zum Leben dazu gehören.26 Für die Beschreibung Zagrebs als romantische Stadt ist die Existenz des Museums in zweierlei Hinsicht von Relevanz. Einerseits kann diese Art der Präsentation von Objekten zu Beziehungsenden als eine Variante dessen gelesen werden, was Gisela Mettele die »romantische Ästhetisierung des Verfalls« (Mettele 2016: 25 26
Vgl. zum Aspekt des Schmerzes im Zusammenhang mit der Liebe auch Eva Illouz (2011). Dass es auch – wiederholt – zum Scheitern von sozialen Beziehungen kommen kann, klingt auch im fragmentarischen Briefroman (›Ein Mensch tanzt übers Seil‹) an, der dieser Studie eingangs vorangestellt ist und wo es z.B. heißt: »Ein vielmals Gescheiterter und dennoch stets Hoffender.« (S. 21 in dieser Studie; Hervor. i.O.) Wie wichtig ferner das Scheitern, im Sinne einer »romantischen Kritik« (Lechner 2004: 46), prinzipiell sein kann, um sich u.a. gegen den »Machbarkeitswahn[.]« (ebd.) moderner Gesellschaften als Individuum zu stellen, darauf lenkt beispielsweise Götz Lechner den soziologischen Blick (vgl. Lechner 2004).
2. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt
16)27 nennt. Und andererseits können die Artefakte zugleich als Ausdruck individueller Authentizität in einer Stadt verstanden werden. Wobei die authentische Wirkung gerade nicht durch die Übereinstimmung mit den ehemals angestrebten Beziehungsvorstellungen (mit dem oder der Ex) entsteht, sondern gerade aus dem Hadern oder der Akzeptanz und dem Nachdenken über das Scheitern. Das Misslingen einer Beziehung offen einzuräumen, kann als authentisch empfunden werden. Wenn eine Stadt der globalen Weltgesellschaft hierfür sogar einen eigenen musealen Ort betreibt, dann kann dies als eine Form gebündelter kollektiver Authentizität wirken, die von Museumsbesucherinnen betrachtet, (über die sozialen Medien) geteilt und z.T. sogar durch eigene Trennungsgeschichten persönlich erweitert werden kann.
2.6
Zwischenfazit
Lyrisch ließen sich die gewonnenen Eindrücke über Zagreb wie folgt verdichten: durch/liebe Europa28 ein Zigarettenstummel rollt auf den Boden noch ist kein Kanonendonner zu hören dafür schiebt sich: Blau durch die Straßen eine hinter der anderen eine voller als die andere und zwei fahren im Wechsel schräg nach oben zum Turm, in die Oberstadt wo Artefakte von Enden künden Zeugnisse gescheiterter Beziehungen Kinder schreien im Chor und ein Wal – auch er ist blau – spielt in den Wolken die Glöckchen klingende Melodei 27
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Mögen bei Gisela Mettele ursprünglich eher verfallene Gebäude und das Entstehen von Ruinen im urbanen Raum gemeint gewesen sein, so schließt dies die Ästhetisierung von verklingenden zwischenmenschlichen Beziehungen in Form von Objekten in einem Museum nicht notwendigerweise aus. Dieses Gedicht schrieb der Verfasser während eines Aufenthaltes in der kroatischen Hauptstadt am 21.03.2017.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
zu singender Vögelchen Stimme bringt mich ins Schwimmen der blauen Fahnen ringsum mit ihren goldenen Sternen ein freudiges Treibenlassen in Gassen, Menschen und Sprachen so viel, so schön, so reich darf nicht untergehen eine Zagreber Mutter erklärt: durch/liebe Europa Alle hier genannten Motive, also Blau als Farbe, der Wal als Stadttotem, das Entwerfen von imaginären Bildern durch Touristinnen sowie deren Aufbruch ins Unbekannte, die permanente Suche nach Authentizität sowie die Ästhetisierung des Scheiterns von menschlichen Beziehungen, sind für sich genommen keine Alleinstellungsmerkmale von Zagreb. Aber ihre gemeinsame Präsenz an dieser Stelle machen die kroatische Hauptstadt zu einem einzigartigen, unverwechselbaren Ort, der sich als romantisch charakterisieren lässt. »Die Stadt arbeitet daran, unterscheidbar zu sein und zu werden, sich als Ort von anderen Orten deutlich und sichtbar abzugrenzen, Besonderheiten ihr Eigen zu nennen, die andere Städte nicht teilen.« (Reckwitz 2016: 181) In diesem Bestreben jedoch, sich von anderen Metropolen abzusetzen, sind die meisten Städte geeint – nicht zuletzt aus Gründen der besseren touristischen Vermarktung. Geht man von dem hier exemplarisch konstruierten romantischen Stadttypus und dessen Merkmalen aus, dann wäre es nun weitergehend lohnend, herauszuarbeiten, welche anderen Städte – explizit nicht nur in Ostmitteleuropa – sich im Kern ebenfalls als »romantisch« beschreiben ließen. Eine solche Analyse würde zudem Erkenntnisse darüber liefern, welches Gewicht die hier genannten Motive tatsächlich haben und welche Modifikationen am Konstrukt des vorgestellten Stadttypus gegebenenfalls vorgenommen werden müssten. Zuletzt würde deutlich werden, welche urbanen Räume nach gänzlich anderen Strukturprinzipien – vielleicht angelehnt an aufklärerische Sinnmuster – funktionieren. Entscheidend für romantische Städte ist scheinbar, dass bestimmte Aspekte zusammenkommen müssen. Die blaue Farbe ist hierbei ebenso zentral, wie die Momente des Verfalls oder des Scheiterns. Wichtig erscheinen zudem Authentizität und eine konkret angebbare Symbolik mit romantischen Bezügen. Auch die potentielle Anziehungskraft für Touristinnen, die sich im Falle Zagrebs aus dessen Status der noch recht unbekannten Stadt ergibt, spielt für romantische Städte offenbar eine nicht unwesentliche Rolle. Abschließend sei noch angemerkt, dass man sich beim Verwenden des romantischen Stadttypus, als eine Art Heuristik bei der Beobachtung und Beschreibung
2. Romantik und Soziologie – Fallbeispiel 2: Zagreb als romantische Stadt
von Städten, keineswegs davon abschrecken lassen sollte, dass das Verhältnis von Stadt und Romantik oft nicht eindeutig ist (vgl. Mettele 2016: 5). Dieser Gesichtspunkt sollte aber auch nicht übergangen werden. Es gilt vielmehr, das Herausfordernde und Uneindeutige, das Romantik meist impliziert, in die eigenen Überlegungen mit einzubeziehen und bei der Arbeit am konkreten Fall mit zu reflektieren. Gelingt dies, so können aufschlussreiche und spannende Stadtbeschreibungen entstehen, in denen bisher getrennt voneinander gedachte Beobachtungsmomente des Urbanen gebündelt und analytisch zusammengedacht werden. Hierzu jedenfalls soll dieser Abschnitt einen Beitrag leisten.
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3. Die Entstehung der Soziologie aus dem Geiste der Romantik
Mal ganz davon abgesehen, wie sich Soziologie auf Romantik als soziologischen Gegenstand einzulassen oder auf ihn zu beziehen weiß, also ob sie mal qua modelltheoretischer oder idealtypischer Überlegungen zur Sprache gelangt, wie es die vorangegangenen beiden Punkte des Kapitels II.1 und II.2 zu zeigen versucht haben, so dürfte ferner eigentlich unbestritten sein, dass die Soziologie aus der Romantik hervorgegangen ist.1 Dass in diesen Abschnitt direkt mit einem ›eigentlich‹ eingeleitet werden muss, hat damit zu tun, dass dieser Fakt innerhalb der Soziologie oft übergangen oder lediglich marginalisiert dargestellt wird. Schaut man sich etwa gegenwärtige Einführungsbücher in die Fachgeschichte an, so fällt sofort auf, dass die Romantik zwar als »Nährboden« (Dimbath 2016: 60) der Soziologie (u.a. neben dem Idealismus) korrekt eingeordnet wird, um diesen dann lediglich auf die Werke der Philosophen Kant und Hegel zu verkürzen und festzustellen: »Neben diesen beiden Wegbereitern machen sich andere Einflüsse vergleichsweise gering aus.« (Ebd.)2 Mehr oder weniger unbeachtet bleibt hingegen, welche Relevanz beispielsweise die Schriften von Novalis oder Schleiermacher für die Soziologie (insbesondere jener von Georg Simmel) hatten. Der gleiche Eindruck lässt sich auch gewinnen, wenn man sich Bernhard Schäfers Buch Einführung in die Soziologie vornimmt, wo kein expliziter Verweis auf die Romantik und die Bedeutung ihrer Vertreterinnen zu finden ist (vgl. Schäfers 2016).3 Im Gegenteil: Schäfers Buch ist ein guter Beleg dafür, dass sich die Soziologie in ihrer eigenen Darstellung eher im Kontext der Aufklärung verorten möchte, was u.a. daran deutlich wird, dass der Autor dem Aufklärungsgedanken ein eigenes Kapitel widmet (vgl. Schäfers 2016: 23ff.). 1 2
3
So liest man beispielsweise bei Georg von Below: »Wir haben von der Romantik gesprochen, und zwar davon, daß die Soziologie mit ihr ihren Anfang nimmt.« (Below 1928: 26) Oliver Dimbath muss allerdings zugutegehalten werden, dass er zwar keine anderen Romantikerinnen im weiteren Verlauf seiner Abhandlung explizit nennt, aber zumindest noch kurz auf Überlegungen dieser hinweist, die später für die Soziologie von Relevanz sein werden, wie etwa »die prozessuale Denkfigur der Dialektik« (Dimbath 2016: 62; Hervor. i.O.). Abgesehen von einem Novalis-Zitat (vgl. Schäfers 2016: 55).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Es ist natürlich zutreffend, dass die Soziologie in der Tradition aufklärerischer Gedanken gesehen werden muss,4 aber das ist für die Analyse der Wurzeln dieses Fachs nicht ausreichend. Dies lässt sich auch an Schäfers Argumentation aufzeigen. Er führt für den Konnex von Soziologie und Aufklärung Friedrich Jonas’ Geschichte der Soziologie ins Feld, der das soziologische Fach in der »Aufklärungstradition« (Schäfers 2016: 23) sieht. Aber Friedrich Jonas ist es eben auch, der in seinem Werk festhält: »Die Romantik steht der empirischen Realität viel näher als die großen Theorien des 18. Jahrhunderts. Und in diesem Sinne haben G. von Below und Othmar Spann, neuerdings Spaemann, die Geburtsstunde der Soziologie hier in der Romantik gesehen.« (Jonas 1968: 162) Darüber hinaus enthält das Werk von Jonas sogar ein eigenes Romantik-Kapitel (vgl. Jonas 1968: 159ff.), woraus sich folgern lässt, dass die Fachgeschichte in der Sichtbarmachung ihrer eigenen theoretischen Quellen schon einmal weiter war. Jonas zeigt mit seinem bereits 1968 erschienenen Buch, dass neben der Aufklärung mindestens auch die Romantik zu den Ursprüngen der Soziologie zu zählen ist.5 Publikationen jüngeren Datums gehen dagegen nicht oder nur unzureichend auf die Bedeutung der Romantik für die Entstehung der Soziologie ein. Warum man sich innerhalb des Faches bevorzugt auf die Aufklärung stützt und teils sogar dazu neigt, die Relevanz der Romantik zu kaschieren, mag verschiedene Ursachen haben. Ein Grund mag darin liegen, dass sich die Soziologie innerhalb des Wissenschaftsfeldes bis in die Gegenwart hinein eher an naturwissenschaftlichen Fächern anzulehnen versucht, die von je her ihren aufklärerischen Anspruch betonen.6 Eine andere Ursache mag darauf zurückzuführen sein, dass es der Soziologie und ihren Vertreterinnen eher schwerfällt, sich auf das Ästhetische und damit zugleich Romantische einzulassen.7 Wolfgang Eßbach, der sich eingehender mit diesem Aspekt beschäftigt hat, führt dazu aus: 4
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Bei Hans Erich Bödeker heißt es diesbezüglich u.a.: »Das aufklärerische gesellschaftstheoretische Erkenntnisinteresse sollte als Beginn der vordisziplinären Geschichte der Wissenschaft von der Gesellschaft anerkannt werden. Vico, Montesquieu, Ferguson und andere begründeten den ›soziologischen Blick‹ und die ›soziologische Denkweise‹.« (Bödeker 2001: 260) Insofern verwundert es letztlich wenig, dass auch eine eigene, umfänglichere Publikation, die sich einmal nur der Geschichte und den Spuren der Romantik in der Soziologie widmen würde, bislang gänzlich fehlt. Dass diese Anlehnung der Soziologie an die Naturwissenschaften schon im 19. Jahrhundert nicht wirklich von Erfolg gekrönt war, macht beispielsweise Lepenies deutlich: »Das Problem der Soziologie liegt darin, daß sie die Naturwissenschaften zwar nachahmen, aber nicht wirklich zu einer Naturwissenschaft des Sozialen werden kann.« (Lepenies 2006: IX) Für Cornelia Klinger kommt es v.a. durch die Romantik und ihre Vertreterinnen zu einer »Wendung zur Ästhetik« (Klinger 1995: 82). Und erste Ansätze, die Kategorie des Ästheti-
3. Die Entstehung der Soziologie aus dem Geiste der Romantik
»Sucht man nach der Quelle der habituell gewordenen anti-technischen und antiästhetischen Affekte in der Soziologie, so wird man zur Geburtsstunde des Fachs im 19. Jahrhundert zurückgehen müssen und sich die Frage vorlegen: Könnte es sein, dass soziologisches Denken […] derart an die spezifische historische Situation der Erfahrung des Übergangs von traditionalen zu modernen Gesellschaften gebunden ist, dass es in seit längerem etablierten modernen Gesellschaften an den dominierenden Zeiterfahrungen vorbeigeht?« (Eßbach 2001: 124) Insofern hat jene Nichtbeachtung von Romantik durch die Soziologie oder gar ihre ausdrückliche Negierung8 auch etwas damit zu tun, dass man bereits bei der Entstehung des Fachs versuchte, sich von dieser zu emanzipieren. Es galt sich von anderen »Interpretationsangebot[en]« (Eßbach 2001: 125) der damaligen Zeit, zu denen auch die Romantik mit ihren verschiedenen Ideen und Vorstellungen gezählt werden kann, eigenständig abzugrenzen. Wenngleich, wie Eßbach weiter erläutert, »Konzepte der Reorganisation des Sozialen« (ebd.), z.B. aus dem Bereich der Kunst, schon damals durchaus vorlagen. Darüber hinaus gab es natürlich auch Angebote aus der Literatur, wie Wolf Lepenies feststellt, mit denen die Soziologie ebenfalls in ein Konkurrenzverhältnis eintrat (vgl. Lepenies 2006: VII). Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die Soziologie, um als Disziplin in den wissenschaftlichen Fächerkanon Eingang finden und sich dort selbstbewusst behaupten zu können, darum bestrebt war, eigene Begriffe, Theorien und Methoden zu entwickeln und sich nahezu von allem zu lösen versuchte, worauf sie aufbaute. Dies betraf offenbar auch ihren romantischen Nährboden. Heute ist die Soziologie zumindest in Deutschland seit mehr als 100 Jahren vergleichsweise fest an den Universitäten verankert. Deshalb ist es nun an der Zeit, sich wieder stärker mit diesen weniger sichtbaren Wurzeln der Soziologie zu befassen, anstatt den gewachsenen ›Baum‹ allein von seinem Stamm und seiner Krone her zu bewundern.9 Ein anderer Gesichtspunkt, der für die Romantik-Aversionen von Soziologinnen ebenfalls von Bedeutung sein mag, sei hier außerdem noch angesprochen. Er leitet sich aus den fatalen historischen Entwicklungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab. Demnach nehmen manche Vertreterinnen des öffentlichen Diskurses an, dass die Romantik mit dazu beigetragen hat, den Weg in den Nationalsozialismus und damit auch zum Holocaust zu ebnen (vgl. dazu z.B. Safranski 2007).10 Zuerst ist dazu festzustellen, dass es zutreffend ist, dass manch ein
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schen in der Soziologie verstärkt ernst zu nehmen, sind inzwischen vereinzelt unterbreitet worden (vgl. dazu etwa Fischer (2018); Reckwitz (2008)). Hans Freyer gelangt in seiner Abhandlung Die Romantiker z.B. zu der Conclusio: »Nicht die Romantik […], sondern die realistischen Systeme, die auf und aus Hegel folgen, sind der legitime Ursprung der deutschen Soziologie.« (Freyer 1932: 95) Zur Metapher des ›Baumes‹ in Bezug auf die (Kultur-)Soziologie siehe auch Grummt (2013). Zum Zusammenhang von Nationalismus und Romantik siehe auch Puschner (2008).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Romantiker antisemitisches Gedankengut äußerte und niederschrieb.11 Daraus jedoch zu schlussfolgern, dass die Romantik und ihre Vertreterinnen direkt mitverantwortlich sind an den schrecklichen Konsequenzen des Dritten Reiches, muss als nicht hinreichend differenzierte Betrachtung zurückgewiesen werden. Geboten erscheint vielmehr ein angemessen ausgewogener soziologisch-historischer Blick auf diesen Sachverhalt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich nämlich z.B., dass sich die jüdischen Vertreter der Kritischen Theorie, die mehrheitlich vor den Nationalsozialisten ins (US-amerikanische) Exil fliehen mussten, intensiv mit dem Gedankengut der Romantikerinnen beschäftigt haben und dieses auch Eingang in ihre theoretischen Erörterungen gefunden hat. In der Fachliteratur findet sich hierzu die bemerkenswerte Einschätzung, es habe sich bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno um »verkappte Romantiker« (Thomä 2004: 98) gehandelt. Das vorangestellte »verkappt« (ebd.) wird hier nicht geteilt, jene Aussage, dass sie »Romantiker« (ebd.) waren, hingegen schon. Immer wieder findet man in ihren Schriften romantische Bezüge.12 Das gilt aber nicht nur für die Gründerväter dieser Theorierichtung. Bis in die Gegenwart hinein besitzt die Kritische Theorie etwas, das sich als ›romantische Seite‹ beschreiben ließe. In ihren theoretischen Aussagen nimmt die Kritische Theorie immer wieder Bezug auf das Denken und die Schriften der Romantikerinnen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind (offen oder verdeckt) in ihre Theorienannahmen u.a. zur Beschreibung der Gegenwartsgesellschaft miteingeflossen. Dies kann auch am Theorie-Werk von Hartmut Rosa, einem aktuellen Vertreter der Kritischen Theorie, nachgewiesen werden, etwa wenn er sich bei der Bestimmung von Heimat und Heimweh auf Joseph von Eichendorff bezieht. »Heimat hat bei Eichendorff und überhaupt in der Romantik von Anfang an keine ›wohlig-heimelige‹ Konnotation, sondern eine zutiefst ambivalente: Die Heimat kann wehtun und erscheint als das immer schon Verlorene, das uns ruft.« (Rosa 2016: 604; Hervor. i.O.) Rosa beruft sich, um gleichsam wieder einen Bogen von der Gegenwart zurück zu den Anfängen der Soziologie zu spannen, nicht nur auf Eichendorff, sondern u.a. auch auf den romantischen Theologen Friedrich Schleiermacher (vgl. Rosa 2016: 436ff.). Dies ist insofern interessant, da insbesondere Schleiermacher, ähnlich wie Novalis, als Protosoziologe gelten kann. Ohne Schleiermachers Schrift über den Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (vgl. Schleiermacher 1984), gäbe
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Zu denken wäre beispielsweise an Clemens Brentano und u.a. dessen Abhandlung Der Philister vor, in und nach der Geschichte, mit dem sich beispielsweise Martina Vordermayer kritisch auseinandergesetzt hat (vgl. Vordermayer 1999). So gibt es allein in Adornos literatursoziologischen Arbeiten Texte über Heine, Eichendorff oder über die »Physiologische Romantik« (vgl. Adorno 2015a). Ähnliches lässt sich auch über Walter Benjamin sagen (vgl. Benjamin 1991), wobei in seinem Werk durchaus auch Kritik am romantischen Geist geübt wird.
3. Die Entstehung der Soziologie aus dem Geiste der Romantik
es vermutlich weder den für Simmels Soziologie zentralen Begriff der »Wechselwirkung« noch die Thesen, die er zur Soziologie der Geselligkeit entwickelt hat (vgl. Simmel 1998).13 Für Schleiermacher geht es im Kontext seiner Geselligkeits-Annahmen u.a. darum, dass eine solche »[…] um ihrer selbst willen gesucht wird [.]« (Schleiermacher 1984: 168) und sie sogar »[…] überall, wo die physische Möglichkeit der Gesellschaft gegeben ist, […] auch zu bilden […] ist […]« (ebd.). Ferner soll sie, wo sie schon existiert, am »Leben« (ebd.) gehalten werden. Des Weiteren hält Schleiermacher fest, dass bei einer Geselligkeit »mehrere Menschen auf einander einwirken sollen, und daß diese Einwirkung auf keine Art einseitig seyn [sic!] darf.« (Schleiermacher 1984: 169) Ausgehend davon erläutert er weiter, dass z.B. eine Theateraufführung seiner Definition von Geselligkeit nach, eigentlich keine solche ist, da es sich vielmehr um eine »gebundene[.] Geselligkeit« (ebd.) handelt. Ziel von Geselligkeit, so wie er sie versteht, ist stattdessen, »[…] daß sie eine durch alle Theilhaber [sic!] sich hindurchschlingende, aber auch durch sie völlig bestimmte und vollendete Wechselwirkung seyn [sic!] soll.« (Ebd.) Ausgehend von diesem Befund und mit einem Seitenschwenk auf die Idee einer lyrischen Gesellschaft lässt sich konstatieren, dass diese ebenfalls die Form einer »gebundenen Geselligkeit« (ebd.) im Schleiermacher’schen Sinne annehmen kann. Wie eingangs anhand verschiedener Beispiele dargelegt (vgl. Kapitel I.1.2), bringen sich die an der lyrischen Gesellschaft beteiligten Individuen nicht immer in gleichem Maße sofort und auf Augenhöhe ein. Es liegt der lyrischen Gesellschaft daher eher ein Moment von Ungleichzeitigkeit zugrunde. Eine solche Ungleichzeitigkeit kann z.B. dann entstehen, wenn ein Gedicht zuerst öffentlich vorgetragen wird und erst zu einem späteren Zeitpunkt bei den Zuhörenden eine Wirkung entfaltet. Das Gehörte regt sodann zu Diskussionen oder eigenen lyrischen Versuchen an. Nach diesem kurzen Exkurs soll noch einmal der von Schleiermacher geprägte Begriff der Wechselwirkung in den Blick genommen werden. Dieser ist auch für Georg Simmels Abhandlung zu einer Soziologie der Geselligkeit von Relevanz (vgl. Simmel 1998). Er führt aus: »Indem Geselligkeit also die […] vollzogene Abstraktion der Vergesellschaftung ist, fordert sie die reinste, durchsichtigste, am leichtesten ansprechende Art der Wechselwirkung […]« (Simmel 1998: 197). Darüber hinaus verweist Eveline Rutz noch darauf, dass sowohl Schleiermacher als auch Simmel
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Vgl. zum Begriff der »Wechselwirkung« zwischen Schleiermacher und Simmel auch Göbel (1995: 264). Zur Begrifflichkeit der »Wechselwirkung« bei Simmel siehe z.B. Simmel (1998: 199). Ferner weist der Verfasser darauf hin, dass auch Novalis jene Begrifflichkeit in seinem Werk zur Sprache bringt: »Die Welt ist auf jeden Fall Resultat einer Wechselwirkung zwischen mir und der Gottheit. Alles was ist und entsteht, entsteht aus einer Geisterberührung. Die äußere Sollizitation ist nur in Ermangelung innrer [sic!] Selbstheterogenisierung – und Berührung.« (Novalis 1992d: 129)
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betonen, dass sich die gesellig gebenden Akteurinnen darum bemühen sollten, sich an die Geselligkeit jeweils anzupassen »[…] und gegebenenfalls persönliche Charakterzüge zurück[zu]halte[n]« (Rutz 2000). An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass der dem romantischen Denken zuzuordnende Theologe und Philosoph Schleiermacher maßgeblich als Inspirationsgrundlage für Simmels Erörterungen über die Geselligkeit gedient haben dürfte und auf diesem Wege romantisches Gedankengut in die Soziologie Eingang gefunden hat. Dass Simmel nicht der einzige Fachbegründer ist, der für sein theoretisches Werk Anleihen bei der Romantik genommen hat, macht z.B. Alvin W. Gouldner sichtbar, der auf Max Weber und u.a. dessen Idee vom Idealtypus hinweist:14 »Webers Theorie multipler Perspektiven, Werte und Idealtypen läßt sich auf den romantischen Nenner bringen, daß ein jeder, anstatt nach einem allgemeingültigen Plan zu forschen, sich seine eigene Welt aufbaut und für sie kämpft. In typisch romantischer Manier wird die Kohärenz der Welt nicht durch irgend etwas außerhalb des Individuums Liegendes garantiert, sondern vielmehr durch dessen leidenschaftliches Engagement erst geschaffen.« (Gouldner 1984: 187) Mit der Aufstellung von Idealtypen wählt Weber einen methodisch-theoretischen Fokus, der sich nicht am Durchschnitt, sondern an Einzelfällen orientiert. Dabei kommt eine Vorgehensweise zur Anwendung, die von Intuition getragen ist und nicht auf »statistische[.] Induktion« (Gouldner 1984: 186) setzt. Bei Weber selbst heißt es zum Idealtypus: »Das reale Handeln verläuft nur in seltenen Fällen [.] und auch dann nur annäherungsweise so, wie im Idealtypus konstruiert.« (Weber 1984: 25) Soll nichts anderes heißen, als dass z.B. der Idealtypus einer »romantischen Stadt«, wie im Punkt II.2 dieser Studie entwickelt, in der Realität nie eins zu eins anzutreffen ist. Es ist von Weber intendiert, dass der jeweilige Idealtypus von der Realität, an die er sich annähert und anlehnt, abweicht. Nach Webers Ansicht funktioniert ein Idealtypus sogar dann am besten, umso »weltfremder« (Weber 39; Hervor. i.O.) er konstruiert ist. Eine Formulierung, die erneut an Novalis erinnert, der, wie in Kapitel I.1.1 bereits erwähnt, davon sprach, dass das »Netz« (Novalis 2015a: 187) einen begünstigteren »Fang« (ebd.) verspreche, »je willkürlicher« (ebd.) es »gewebt« (ebd.) ist. Insofern mag man bei Zagreb, um auf das weiter oben erläuterte Beispiel zurückzukommen, vielleicht eher an eine »ostmitteleuropäische Stadt« (vgl. Kohlrausch 2015) denken. Durch die idealtypische Konstruktion einer »romantischen Stadt« werden aber Aspekte sicht- und verstehbar, die ansonsten unberücksichtigt geblieben wären, wie etwa die Existenz des Museums für gescheiterte Beziehungen oder das Wal-Mural. Zudem besteht der Clou der Idealtypen14
Auf diesen Gesichtspunkt macht ebenfalls Dimitri N. Shalin aufmerksam: »Weber effectively endorsed romantic epistemology in his theory of ideal type.« (Shalin 1986: 117)
3. Die Entstehung der Soziologie aus dem Geiste der Romantik
konstruktion darin, dass ihr eine vergleichende Verfahrensweise zugrunde liegt. Sowohl die Konstruktion als auch der Einsatz eines Idealtypus erfolgt in vergleichender Absicht. Für den Typus der romantischen Stadt ließe sich deshalb fragen, welche Stadt diesem ebenfalls zugerechnet oder eben nicht zugerechnet werden kann. Wobei im Sinne Webers die Abweichungen von besonderem Erkenntnisinteresse sind. Eine erste Antwort könnte z.B. lauten, dass auch Rom eine »Romantic City« (Ferber 2010: 5) ist, wie es bei Michael Ferber heißt. Er stützt sich bei dieser Einordnung jedoch weniger auf eine idealtypische Konstruktion, sondern verweist auf die Schriften der Romantikerinnen, in denen es Rombezüge gibt (vgl. Ferber 2010: 4). Wichtig ist an dieser Stelle nicht, ob Rom nun eine romantische Stadt im Sinne des in Punkt II.2 entwickelten Idealtypus ist oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, darauf hingewiesen zu haben, dass Weber für seine Idealtypenbildung auf Intuition setzt. Diese war ein zentrales Mittel für die Romantikerinnen, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Über Novalis lässt sich beispielsweise sagen, dass für »wahre Erkenntnis« (Brucker 1992: 159) eine »Synthese zwischen Intuition und Ahnung« (ebd.) erforderlich ist. Schaut man wieder auf die Soziologie, so ist es nicht nur Weber, der für die Entwicklung seines Werks mit Intuition arbeitet.15 Gleiches lässt sich auch für Henri Bergson und an ihn anschließend für den französischen Soziologen Roger Bastide sagen. Letzterer spricht v.a. »der Lyrik die Kraft der Intuition« (Reuter 2002: 29) zu, so wie die intuitive Kraft der Lyrik die hier vorliegende Arbeit maßgeblich geprägt und das hier vertretene Argument begründet hat, den qualitativen Methodenkanon um lyrische Artefakte zu erweitern. Zuletzt sei noch auf einige weitere Romantikbezüge von Soziologinnen hingewiesen,16 die sich nicht als vollständige Geschichte der romantischen Soziologie verstehen. Eine solche Aufarbeitung muss an anderer Stelle erfolgen. Dimitri N. Shalin stellt fest, dass George Herbert Mead »[…] a lifelong student of romantic philosophy […]« (Shalin 1986: 116) war und die daraus gewonnenen Erkenntnisse auch Eingang in sein theoretisches Werk gefunden haben (vgl. Shalin 1984). Gouldner macht auf Auguste Comte (vgl. Gouldner 1984: 176), Karl Marx17 (vgl. Gouldner 1984:
15 16
17
Auch John Barron Mays hebt die grundsätzliche Bedeutung von Intuition für Soziologinnen hervor (vgl. Mays 1968: 16f.). Wobei man der Korrektheit halber natürlich eher sagen müsste: der Soziologen, denn Frauen treten im Zuge der Entstehung des Faches eher nicht in Erscheinung. Diesbezüglich hatten die Romantikerinnen mit den verschiedenen schreibenden Frauen (u.a. Bettine von Arnim, Sophie Mereau, Karoline von Günderrode) der Soziologie in jedem Fall etwas voraus. Insbesondere weil auch die männlichen Vertreter der Romantik an einer Gleichberechtigung der Frau interessiert waren (vgl. Lüthi 1985: 8). Für die Beschreibung zumindest von Teilen des Marxschen Werkes als zur Romantik zugehörig siehe auch Below (1928: 15).
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181ff.) sowie auf die Chicagoer Schule aufmerksam.18 Letztere greift Abbott für die Begründung seiner lyrischen Soziologie auf. Gleich zu Beginn zitiert er eine längere Passage aus dem Werk des Chicagoer Soziologen Harvey Warren Zorbaugh, über die er dann schreibt: »For telling a story is precisely what Zorbaugh does not do. He rather looks at a social situation, feels its overpowering excitement and its deeply affecting human complexity, and then writes a book trying to awaken those feelings in the minds – and even more the hearts – of his readers. This recreation of an experience of social discovery is what I shall here call lyrical sociology« (Abbott 2007: 70; Hervor. i.O.) Daraus lassen sich wiederum zwei Erkenntnisse gewinnen. Erstens: Eine am Lyrischen ausgerichtete Soziologie, also eine Soziologie, die sich auf Lyrik bezieht und diese in ihr methodisches Vorgehen implementiert, ist letztlich mit dem Moment des Romantischen verbunden. Und zweitens: Das Romantische ist nichts, was sich nur auf Deutschland und die hier betriebene Soziologie beschränken ließe, sondern ist auch bei ihrer Etablierung in anderen Ländern, wie etwa Frankreich (u.a. Comte) oder den USA (u.a. Chicagoer Schule), von Bedeutung.19 Daran wird erneut ersichtlich, dass bestimmte soziologische Theorieannahmen und -positionen (etwa jene der Kritischen Theorie oder von Simmel, Weber usw.) erst dann vollständig beschrieben werden können, wenn man sich auch mit ›der‹ Romantik intensiv auseinandersetzt. Sie jedenfalls zu ignorieren, wie es gegenwärtig zumeist geschieht, wäre gleichbedeutend damit, einen Teil der Fach- und insbesondere der Theoriegeschichte der Soziologie auszublenden.20
18
19
20
Über die Chicagoer Schule führt Gouldner näher aus: »Man zieht das Entlegene, den Extremfall dem Üblichen oder Durchschnittlichen vor; man bevorzugt die assoziationsträchtige ethnographische Einzelheit gegenüber leidenschaftslosen und langweiligen Taxonomien; eine die Sinne ansprechende Analyse gegenüber den trockenen formalen Untersuchungstechniken; […]« (Gouldner 1984: 192). »Sowohl die Soziologie in Frankreich als die Anthropologie in Deutschland und England entstanden als Elemente einer von der Romantik beeinflußten gesamteuropäischen Bewegung kultureller Erneuerung.« (Gouldner 1984: 175) Der romantische Einfluss auf die Soziologie lässt sich nicht nur bei den Anfängen des Fachs und in der ersten konstituierenden Phase – v.a. in Deutschland (Simmel, Weber) und den USA (Chicagoer Schule) – beobachten, sondern bleibt darüber hinaus konstitutiver Bestandteil u.a. der Theoriewerke von Karl Mannheim (vgl. Demeter 2012), C. Wright Mills (vgl. Gouldner 1984) und Niklas Luhmann (vgl. Bolz 2012) – womit die Aufzählung keinesfalls vollständig wäre.
4. Was meint ›romantische Seite‹ der Soziologie?
Die Annahmen von einer ›romantischen Seite‹ der Soziologie bauen auf dem auf, was im vorangegangenen Punkt bereits ausgeführt worden ist. »Not only are the key ideas of sociology unrelated to prior ›scientific‹ ideas; they have their closest affinity with an movement, Romanticism.« (Nisbet 1962: 71) Die Soziologie geht u.a. aus der Romantik hervor, die seit ihren Ursprüngen Bestandteil des Faches geblieben ist – und sei es eben in latenter Weise. Dieser Teil oder eben jene Seite der Soziologie liegt, wie gezeigt, mal offenkundiger und direkter vor einem und manchmal ist es wesentlich komplizierter, die romantischen Bezüge zu erkennen. Offen zu Tage tritt diese z.B. in Form von soziologisch-theoretischen Annahmen über die Gesellschaft selbst. Joachim Fischer geht beispielsweise davon aus, dass sich der Bereich des Konsums besser verstehen lässt, wenn sich eine Konsumsoziologie zuerst bewusst macht, dass der Verfasstheit der Gegenwartsgesellschaft ein »Grundmuster bürgerlicher Vergesellschaftung« (Fischer 2004: 50) zugrunde liegt, das aus einer »bürgerlichen Doppelstruktur der Kultur« (ebd.) besteht.1 Diese besteht für Fischer einerseits aus dem »Poetismus der Romantik« (ebd.) und andererseits aus dem »Rationalismus der Aufklärung« (ebd.). Ausführlich legt er hierzu dar: »In der Aufklärung wird jeder ›Sinn‹ vernünftig, eindeutig, mit rational geordneten und kritisch nachvollziehbaren Verweisungen; in der romantischen Operation wird der ›Sinn‹ zugleich Medium eines vieldeutigen Begehrens, ein bestrickendes
1
Neben Fischer wäre in jedem Fall noch Andreas Reckwitz zu erwähnen, der v.a. im Hinblick auf das moderne »Subjekt« soziologisch herausgearbeitet hat, dass dieses gewisse ›romantische Züge‹ trägt. Bei Reckwitz heißt es dazu beispielsweise: »Im Gefolge der Romantik ergeben sich weitere Versionen eines Subjektcodes der Individualität und – als ihr ›Anderes‹ – der Konventionalität. Der Individualitätscode bringt spezifische Praktiken der Individualität hervor und wird in ihnen hervorgebracht, beispielsweise in Praktiken der intersubjektiven Beurteilung der Qualität einer Person nach ihren ›nicht-konventionellen‹ Anteilen, der Multiplizität von Aktivitäten, die sie entfaltet oder ihres ›innovativen Potentials‹, wie sie sich in den postmodernen Arbeits- und Intimbeziehungen finden.« (Reckwitz 2006: 48)
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Netzwerk sich verschiebender und verdichtender Verweisungen und Verheißungen.« (Fischer 2004: 55)2 Für die Betrachtung der aktuellen Gesellschaft und der von ihr hervorgebrachten Sphäre des Konsums sind der Rückgriff auf Aufklärung und Romantik notwendig, um erklären zu können, warum diese sowohl von »Waren-Werbung« (Fischer 2004: 60) als auch von institutionalisierten »Waren-Test[s]« (ebd; Hervor. i.O.) angetrieben wird. Während die Werbung für Produkte und Dienstleistungen nach romantischen Sinnmustern operiert und versucht, auf Seiten der potentiellen Kundinnen ein möglichst sehnendes Begehren zu wecken, dient die Einrichtung des Warentests – z.B. in Form der gleichnamigen Zeitschrift – dazu, über die tatsächliche Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit der Waren und Service-Angebote aufzuklären. Die romantische Operation schafft somit ein Verlangen nach Konsum und die aufklärerische unterzieht dieses Verlangen rational begründeten Zweifeln.3 Ist dieses oder jenes Produkt wirklich geeignet für meine Bedürfnisse – oder eher nicht? Jene beschriebene »bürgerliche[.] Doppelstruktur« (Fischer 2004: 50) greift aber nicht nur im Kontext von Konsum, sondern in allen (Teil-)Bereichen der bürgerlichen Gesellschaft. Zusammen mit Peter Hausdorf hat der Verfasser an anderer Stelle schon dargelegt, dass diese auch im Kontext beispielsweise des Pokerspiels zum Tragen kommt. Dabei kann insbesondere die angestrebte Professionalisierung des Pokerspiels als Sport und dessen »bildungsbürgerlich motivierte strategische Durchdringung« (Grummt/Hausdorf 2009: 185) als Teile dessen gelesen werden, was mit der aufklärerischen Verfahrensweise in Verbindung gebracht werden kann (vgl. ebd.). Demgegenüber kann über dieses Moment der Aufklärung jedoch nicht erklärt werden, warum Menschen ihr Geld und ihre Zeit für das Spielen verschwenden. Dies wird erst vor dem Hintergrund der romantischen Seite verstehbar: »Eine vollständige Verbannung von Zufall und Risiko sind, von der romantischen Seite des Spiels aus gesehen, nicht erwünscht.« (Grummt/Hausdorf 2009: 186) Pokerspielerinnen suchen demnach bewusst den Kitzel des drohenden Kapitelverlustes sowie die »qualitative Aufladung der erlebten Spielzeit« (ebd.).
2
3
In ähnlicher Weise führt Heinz Abels, allerdings mit Blick auf die Identitätsbildung von Individuen, aus: »Während die klassische Soziologie die Welt im Inneresten nach vernünftigen Gesetzmäßigkeiten zusammengehalten sieht und deshalb die ›Normalität‹ des Individuellen aus der Gültigkeit genereller Struktur konstatiert, geht die romantische Soziologie von der unmittelbar wahrnehmbaren äußeren Erscheinung aus und würdigt das Individuelle in seiner Besonderheit und gleichen Wichtigkeit und rekonstruiert aus der engagierten Analyse des Einzelfalles seine spezifische Wirklichkeit.« (Abels 2017: 135) Die Sphäre des Konsums und die soziologische Auseinandersetzung mit ihr, hat in der Vergangenheit immer wieder sichtbar gemacht, dass man dabei um die Romantik als Bezugspunkt nicht umhinkommt. Vgl. dazu etwa die Arbeiten von Campbell (2005) und von Illouz (2014).
4. Was meint ›romantische Seite‹ der Soziologie?
Neben diesem bewussten soziologisch-theoretischen Einsatz und der expliziten begrifflichen Ausbuchstabierung der »romantischen Seite« liegt diese jedoch oftmals weniger sichtbar innerhalb der Soziologie vor. Z.B., wie nun noch gezeigt werden soll, in Form der beiden Kippfiguren »Ironie« (Punkt II.5.1) und »Ver- bzw. Enträtselung von Welt« (Punkt II.5.2), aber ebenso auch in deren Bündelung in der Poesie (Punkt II.5.3). Doch vorab sei im Zusammenhang mit der romantischen Seite noch etwas Grundsätzliches festgehalten, was speziell das Wechselverhältnis oder den vermeintlichen Antagonismus von Aufklärung und Romantik anbelangt. Es ist nämlich keineswegs so, dass Romantik allein Abgrenzung oder Opposition zur aufklärerischen Ideenwelt darstellen würde. Vielmehr kann gesagt werden, dass die Romantik »einen intimen Bezug zur Aufklärung hat« (Göbel 1995: 256). Demgemäß stellt sie sich nicht einfach gegen die Vernunft, sondern kann ebenso als deren Fortsetzung sowie Erweiterung, nur eben mit anderen »Mitteln« (Schäfer 2015b: 210) oder anders gesagt: unter anderen Vorzeichen, betrachtet werden:4 »Gerade die romantische Kritik an der rationalistischen ›Vernunftreligion‹ der westlichen Aufklärung zeigt dies besonders deutlich, da sie sich nicht einfach gegen die Vernunft stellt, sondern selbst mit deren Mitteln arbeitet. Sie kritisiert nicht die Vernunft an sich, sondern den vermeintlich irrationalen Kult um die Vernunft. Insofern ist die Romantik als erklärte Gegnerin der Aufklärung deren logische Fortsetzung […]« (ebd.) Demnach ist die romantische Seite der Soziologie nicht per se Gegnerin der aufklärerischen Tradition (auch wenn sie gerne dazu gemacht und so gesehen wird), sondern sie versucht deren Schwächen, Probleme und Mängel im Wesentlichen zu kritisieren. Sie ist, wenn man so will, das Korrektiv einer schwerpunktmäßig analytisch, rechenhaft verfahrenden Soziologie. Um nicht falsch verstanden zu werden, eine unter romantischen Vorzeichen betriebene Soziologie ist nicht besser als ihre aufklärerische Schwester, sondern beide sind letztlich aufeinander angewiesen. Nur im Zusammenwirken können sie zu sinnvollen und klugen Erkenntnissen über die Lebenswirklichkeit(en) von Individuen und ganzen Gesellschaften gelangen. Die Schwächen der einen Seite werden dabei durch die Stärken der anderen ausgeglichen resp. ergänzt und vice versa. Die vorliegende Studie versteht sich ausdrücklich nicht als ein Beitrag dazu, die romantische Seite gegen die aufklärerische Seite des Faches auszuspielen, auch wenn sie ihren Schwerpunkt auf erstere legt. Dies ist notwendig, um die romantische Seite der Soziologie wieder sichtbar zu machen und sie damit erneut in das Bewusstsein von Soziologinnen zu holen. Das 4
In ganz ähnlicher Weise beschreibt es auch Heinz Abels: »Die Romantik ist eine Parallelentwicklung zur späten Aufklärung. Auf der einen Seite nimmt sie deren Gedanken auf, auf der anderen Seite stellt sie deren Rationalitätsanspruch in Frage.« (Abels 2017: 133)
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erklärte Ziel ist es, mit dem Freilegen der romantischen Seite sowie der Beschreibung ihrer theoretischen Prämissen und Verfahrensweisen zu zeigen, wie sich das daraus erwachsende Erkenntnispotential für die Soziologie, insbesondere für eine lyrische Soziologie, noch stärker als bislang, nutzen lässt. Um es noch einmal auf andere Weise klarzustellen, diese Arbeit setzt sich nicht für eine der aufklärerischen Soziologie überlegene romantische Soziologie ein, sondern sie möchte diese zweite (oder dritte oder vierte) Seite der Soziologie sichtbar machen und für ihre gleichberechtigte Anerkennung bzw. Berücksichtigung argumentieren. Dass dies nicht überall auf Zustimmung treffen wird, und so manchen Widerstand auslösen wird, ist gewollt und kann nur fruchtbar sein für zukünftige fachinterne Debatten.
5. Die ›romantische Seite‹ der Soziologie und ihre Elemente
5.1
Die Kippfigur der Ironie »Ironie ist klares Bewußtsein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos.« (Schlegel 1967b: 263)
Dieser Punkt soll mit der Frage eingeleitet werden, die sich die Soziologin Sina Farzin nach der Lektüre und kritischen Besprechung von Hartmut Rosas ResonanzBuch gestellt hat (vgl. Rosa 2016). Diese lautet: »Zu gerne wüsste die Leserin, wie das entschiedene Plädoyer für eine ironischdistanzierende Haltung der Frühromantiker den lyrischen Soziologen Rosa herausgefordert hätte, zumindest die Möglichkeitsbedingungen der eigenen normativen Haltung deutlicher offenzulegen. […] Aber wenn man im Schlagwortverzeichnis nach Ironie sucht, findet man als letzten Eintrag Iron Maiden, dann beginnt schon das ›J‹.« (Farzin 2017: 175f.) Vielleicht, um an dieser Stelle stellvertretend eine erste Antwort darauf zu geben, liegt genau darin die Ironie. Denn nur, weil das Wort nicht eigens im Begriffsregister gelistet ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass keine Ironie in Rosas Werk vorhanden wäre. So waren es für Beda Allemann nämlich gerade die Frühromantiker, für die sich Ironie nicht aus einer »Reihung von ironischen Sätzen« (Allemann 1970: 18) ergab, sondern für die vielmehr ein »hochironischer Text« (ebd.) möglich war, in dem explizit keine »›ironische Bemerkung‹« (ebd.) fiel. Was uns mitten hineinwirft in den ironisch-soziologischen Kosmos und zu den Fragen bringt: Was ist und woran erkennt man eigentlich Ironie?1
1
Fragen, die nicht nur an dieser Stelle, sondern auch in der Literatur zum Thema vorkommen: »How do I know that the text with which I am confronted is going to be ironic or is not going to be ironic?« (Man 1996: 165)
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In der alltäglichen Kommunikation kann Ironie oftmals anhand von Gestik und Mimik identifiziert werden, etwa wenn ein Kommentar von einem Augenzwinkern flankiert wird. Wobei auch ein solches Zeichen nicht unbedingt ein eindeutiges Signal sein muss. Nichtsdestotrotz ist es bei geschriebenen Texten ungleich komplizierter, ironische Anspielungen herauszulesen. Das ist v.a. deshalb der Fall, weil ironische Texte umso ironischer sind, je gezielter sie auf solche Marker und Hinweisgeber verzichten (vgl. Allemann 1970: 20). Aus dieser Tatsache schlussfolgert Allemann, dass »[…] es eine zureichende, rein formale Ironiedefinition für die Literatur gar nicht geben kann« (Allemann 1970: 20). Dies ist nun kein Alleinstellungsmerkmal, das sich ausschließlich bei Allemann antreffen ließe, sondern begleitet die allermeisten Versuche, ›Ironie‹ – v.a. in all ihren Facetten und Formen – auf den Begriff zu bringen. Demnach kann man feststellen, dass es bereits zum Wesen der Ironie zu gehören scheint, dass sie nicht ohne weiteres erkannt und leichthin definiert werden kann.2 Will man sich über ›Ironie‹, das ursprünglich aus dem Griechischen stammt und »Verstellung« meint (vgl. Oesterreich 2003: 352), jedoch wissenschaftlich verständigen, was in diesem Kapitel beabsichtigt ist, dann braucht es zumindest eine halbwegs brauchbare Arbeitsdefinition. Eine solche lässt sich z.B. in den Schriften von Uwe Japp auffinden. Bei ihm heißt es: »Der gemeinsame Grund aller Ironien ist jene sprachliche Konfiguration, derzufolge jemand etwas sagt, aber etwas anderes – häufig das Gegenteil – meint.« (Japp 2013: 141)3 Vor dem Hintergrund dieser Aussage sollen nun weitere Aspekte beschrieben werden, die Ironie, wie sie hier verstanden werden soll, charakterisieren. Erstens: Aus soziologischer Perspektive gedacht, liegt Ironie immer eine soziale Relation zugrunde, die sich dadurch ergibt, dass eine Person in ›verstellter‹ Absicht spricht und damit mindestens eine andere Person (es kann sich auch um mehrere handeln) erreichen möchte. Ironie braucht somit in jedem Fall zwei (vgl. Oesterreich 2003: 354; Vobruba 2012: 5), also Autorin und Leser oder Sprecherin und mindestens einen Zuhörer. Ebenso bedeutsam für ironische Kommunikation ist, zweitens, ein von den Beteiligten gemeinsam geteiltes »Welt- und Signalwissen« (Fuchs 1993: 212), damit »Sinn-Inversionen« (ebd.), wie sie Peter Fuchs bezeichnet, auch entsprechend 2
3
Auf der Suche nach geeigneten Begriffsbestimmungen für ›Ironie‹ kann man sich nur verirren, was nicht zuletzt daran liegt, dass es verschiedene Varianten von ihr gibt, die z.T. doch recht Unterschiedliches meinen. (Allein die Antike kannte bereits drei Verwendungsweisen (vgl. Kemper 2017: 36) und für Friedrich Schlegel gab es später u.a. die »grobe«, die »delikate«, die »extrafeine«, die »redliche« und die »dramatische« Ironie (vgl. Schlegel 2007: 111).) Fast schon kanonisch ist daher die im Kontext von Ironie-Definitionen getätigte Bemerkung, dass es bislang keine einheitliche Beschreibung all ihrer Arten gibt (vgl. etwa Ewen 2017: 8). Auf diese Weise verschafft die Ironie jenen, die sie einsetzen, ein »Spielfeld« (Allemann 1969: 19), »[…] über das die Bezüge und Anspielungen leichtfüßig hin und her laufen.« (Ebd.)
5. Die ›romantische Seite‹ der Soziologie und ihre Elemente
erkannt und verstanden werden können. Denn nicht jedes Mal, wenn Konträres geäußert wird, handelt es sich auch tatsächlich um Ironie, weshalb es entscheidend ist, zu wissen, wann es von ironischer Relevanz ist. Eng damit verknüpft ist, drittens, der Gesichtspunkt, dass es für Ironie Reflexion braucht.4 Ein reflektiertes Nachdenken sowohl darüber, was man selbst weiß und wie man das Wissen gegebenenfalls ironisch kommunizieren kann, als auch darüber, ob der andere ebenfalls über dieses Wissen verfügt. Ist eine solche gemeinsame Wissensbasis nicht vorhanden, so führt es meist dazu, dass die ironische Aussage nicht als solche verstanden wird. Wie sich bis hierhin zeigt, ist nicht nur das definitorische Fassen von Ironie recht komplex, sondern auch die praktische Verwendung dieser oft heikel. Weshalb manch einer sogar den Ratschlag erteilt: »Machen Sie das lieber nicht!« (Kemper 2017: 37) – und damit empfiehlt, auf ironische Kommunikation besser zu verzichten.5 Was wären demgegenüber die Gründe, die für einen Ironie-Einsatz im alltäglichen Sprachgebrauch oder beim Verfassen von (wissenschaftlichen) Texten sprechen würden? Angeben ließe sich, dass der Reiz eben gerade darin besteht, mit Hilfe von Ironie Sachverhalte zu verpacken, die sich ansonsten eher schlecht ausdrücken lassen (vgl. Vobruba 2012: 6). Des Weiteren lassen sich recht »komplizierte Konstellationen« (ebd.) auch durch Ironie »komprimieren« (ebd.) und überprüfen, inwieweit kulturelle Standpunkte geteilt werden. Was damit gemeint sein könnte, sei im Folgenden anhand eines Beispiels kurz skizziert, das sich der Monografie von Eva Illouz Warum Liebe weht tut entnehmen lässt (vgl. Illouz 2011). Dort schildert eine Befragte namens »TESSA« gegenüber der Interviewerin: »[…] Ich weiß einfach nicht, was ich von einem Mann erwarten kann: Wenn ich ihm sage, warum schenkst du mir keine Blumen, oder warum schreibst du mir keine Liebesgedichte, dann habe ich das Gefühl, ich würde meine Identität als Feministin verraten, ich kann so etwas nicht fordern, weil eine befreite Frau wie ich in unserer Zeit diesen Kram nicht braucht oder jedenfalls nicht darum bitten kann. Also geht es in Wirklichkeit darum, was zu erbitten man sich berechtigt glaubt. Ein Teil von mir will bestimmte Dinge, ein anderer Teil jedoch sagt, ich sollte nicht so empfinden. Also weiß ich oft nicht mehr so richtig, was ich will oder was ich wollen sollte oder sogar, was ich fühle.« (Illouz 2011: 350)
4 5
»Daß der Ironie, wie immer sie dann näher bestimmt wird, ein Moment der Reflexion grundlegend innewohnt, ist leicht einzusehen.« (Allemann 1970: 16) Auch Georg Vobruba empfiehlt – insbesondere bei öffentlichen Auftritten – einen eher »sparsamen« Gebrauch von Ironie (vgl. Vobruba 2012: 6).
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Den Grund für das von »TESSA« beschriebene Dilemma sieht Illouz in der angestrebten Gleichheit (der Geschlechter). Sie schreibt zur zitierten Interviewpassage soziologisch erklärend: »Gleichheit löst soziale Ängste aus, weil sie Unsicherheit hinsichtlich der Interaktionsregeln hervorruft – und somit die Spontaneität abwürgt, die historisch von dichten Identitäten und ritualisierten Regeln ermöglicht wurde. Unsicherheit wiederum ruft Ironie als beherrschende rhetorische Figur zum Sprechen über Liebe auf den Plan.« (Ebd.) Was sie damit meint, soll hier mit Hilfe eines fiktiven Dialogs zwischen einem Paar ohne Personenkraftwagen (PKW) verdeutlicht werden. Dem liegen »Tessas« Auffassungen von einer gleichberechtigten Partnerschaft zugrunde. Man stelle sich dazu nun folgende Situation vor, bei der er gerade nach Hause kommt und sie ihn mit einem Augenzwinkern und den Worten begrüßt: »Hallo Schatz, der Blumenstrauß für mich liegt wohl heute noch im Auto?« Woraufhin er erwidert: »Ja, ich weiß nur nicht mehr in welchem!« Die Sehnsucht nach floralen oder lyrischen Gunstbezeugungen, die nach Auffassung der Feministin »TESSA« eigentlich nicht mehr vorhanden sein dürften, können durch die rhetorische Figur der Ironie dennoch artikuliert werden. Dabei schwingt bei potentieller ernster Nachfrage durch den anderen stets die Auswegs-Option mit, zu sagen, dass man das Gesagte doch gar nicht ernst gemeint habe und es letztlich nur ironisch gemeint gewesen sei. Insofern bietet Ironie – nicht nur Paaren6 – eine entlastende Funktion an, um Konstellationen der Unsicherheit und Unbestimmtheit zu lösen. Umgekehrt darf man im Zusammenhang mit den Gründen, die für die Aufbietung von Ironie sprechen, ebenfalls nicht außer Acht lassen, dass es auch einfach ein großer Spaß sein kann, wenn Ironie gerade nicht als solche erkannt wird (vgl. Vobruba 2012: 6). Eingedenk des geschilderten Beispiels seien die definitorischen Ausführungen zur Ironie um die für sie zentrale Komponente des unablässigen Pendelns zwischen Scherz und Ernst ergänzt (vgl. dazu auch Ewen 2017: 9). Oder noch einmal anders ausgedrückt: Wöllte man Ironie, im Sinne einer Momentaufnahme, metaphorisch in einem Bild fassen, dann wäre es jenes der bereits in Punkt II.1.4 skizzierten Kippfigur, in dem sie wohl am trefflichsten anzuschauen wäre: das Schalkhafte vereint mit dem Seriösen. Das Beispiel der vorgestellten Paarkommunikation erlaubt aber noch einen weiteren Schluss, wonach sich auf Ironie zuweilen nur mit Ironie geeignet ant-
6
Hermann Müller und Stephan Wolff beschreiben beispielsweise, wie ironische Kommunikation bei Gericht u.a. dazu beitragen kann, eine festgefahrene Befragungssituation in Bezug auf eine(n) oder mehrere Angeklagte(n) zu lösen (vgl. Müller/Wolff 1995: 463). Wohingegen Ulrich Bröckling in der Ironie generell ein »Ventil« (Bröckling 2007: 292) für die »Absurditäten« (Bröckling 2007: 291) u.a. des Büroalltags sieht (vgl. Bröckling 2007: 292).
5. Die ›romantische Seite‹ der Soziologie und ihre Elemente
worten lässt. Eine solche »Ironie der Ironie« (Schlegel 2007: 111), wie sie bereits Friedrich Schlegel beschrieben hat und die prinzipiell unendlich fortführbar wäre, ist allerdings riskant, da für sie gilt: »Die Attraktivität der Ironie, die vor allem in ihrer Abweichung und Kontrastwirkung zur Gewöhnlichkeit besteht, kann sich nämlich durch ihren unbegrenzten Gebrauch selbst zerstören.« (Oesterreich 2003: 360)7 Im ungünstigen Fall kann sie sogar in einen »Ironiezwang« umschlagen (vgl. ebd.), wodurch jegliche sinnvolle Verständigungsmöglichkeit verloren geht. Wenn man die Hintergrundfolie zur Ironie, die sich keinesfalls als eine vollständige Darstellung versteht, soweit aufgespannt hat, so ließe sich nun noch einmal genauer fragen, worin der genuine Beitrag der Romantikerinnen zur Ironie bestand (und nach wie vor besteht) und was dies wiederum mit Soziologie zu tun haben könnte. Um mit dem ersten Teil der Frage zu beginnen, sei abermals auf Japp rekurriert, der vermerkt, dass das »Neue« (Japp 2013: 144), das die Romantikerinnen der Geschichte der Ironie hinzugefügt hätten, in der »gesteigerten Positivität ihrer Bedeutung« (ebd.) gesehen werden kann. Ironie ist für die Romantikerinnen mehr als nur eine Redefigur, sondern sie ist ein wesentlicher Bestandteil u.a. von Philosophie, Literatur sowie des Lebens insgesamt (vgl. ebd.).8 V.a. für Friedrich Schlegel lässt sich, wie Petersdorff schreibt, plausibel machen, dass Ironie bei ihm »aus einer erkenntnistheoretischen Reflexion« (Petersdorff 2012: 13) heraus entspringt, die stets um die Begrenztheit der individuellen Weltauffassung weiß, und sich überdies auf die Beobachtung einer immer pluraler werdenden Gesellschaft bezieht. Die Gesellschaft besteht demnach aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Beschreibungsangeboten (wie etwa jenes der »lyrischen Gesellschaft«), die sich allesamt in einer permanenten Konkurrenzsituation befinden (vgl. ebd.). Sinn und Zweck romantischer Ironie ist daher der »Erhalt von Sprachfähigkeit« (Fritscher 1996: 42) im Angesicht einer unsagbar chaotischen Welt. D.h.: »Die Ironie entsteht aus dem Bewußtsein der Abwesenheit von Einheit, die an sich gesucht und angestrebt wird, wobei anhand der Widersprüche, in die die Reflexion sich leicht und permanent verwickelt, nur die Sehnsucht nach dem fehlenden System oder abgeschlossenen Werk erneuert und geschärft wird.« (Bubner 1987: 92) Dem Individuum kommt die Aufgabe zu, über die ausdifferenzierte Gesellschaft zu reflektieren. Dabei kann, wie gezeigt, eine ironisch-romantische Haltung hilfreich sein. Intellektuelle versuchen aus dieser distanzierten Haltung heraus, zumeist ästhetisch, z.B. in Form von (lyrischen) Kunstwerken, die Vielfältigkeit von
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Siehe zur – polemischen – Kritik an Schlegels Ironie-Konzept auch Hegel (1986a). Friedrich Schlegel schreibt dazu: »Die Philosophie ist die eigentliche Heimat der Ironie […].« (Schlegel 1967a: 152)
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Gesellschaft adäquat zum Ausdruck zu bringen. Schon im Prozess (der künstlerischen) Hervorbringung entsprechender gesellschaftlicher Einheitsbeschreibungen ist ihnen bewusst, dass das angefertigte Endresultat in jedem Fall ungenügend sein wird.9 Woraufhin das ironische Individuum erneut ansetzen wird, mit endlichen Begriffen Unendliches zu beschreiben. Das geschieht nicht zuletzt deshalb, weil »[…] eine Annäherung an diese letzten Wahrheiten dennoch erwünscht ist.« (Ewen 2017: 13) Die dadurch generierten Aussagen über die Welt lassen sich einerseits dadurch gewinnen, indem Ironikerinnen zu allem eine kritische Distanz einnehmen, und andererseits zugleich gegen das bisher Bestehende immerfort anreden – was Paz sogar dazu veranlasst, in Bezug auf Schlegels Ironie-Verständnis die Formel von der »Lust am Widerspruch« (Paz 1989: 60) zu gebrauchen. Wendet man den Blick der Soziologie zu, dann zeigt sich, dass diese selbst bisher eher wenig zur Ironie-Thematik beigesteuert hat (vgl. Vobruba 2012).10 Was insofern verwundert, da sie mit Ironie, insbesondere mit romantischer Ironie, eine gewisse Wahlverwandtschaft aufweist, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird. Schaut man sich die Literatur zum hier verhandelten Gegenstand genauer an, dann fällt auf, dass das Fehlen von Ironie – und sei es eben im Sinne eines ironischen Standpunktes – bei Soziologinnen und deren Werken entweder kritisiert wird, wie es sich exemplarisch bei der eingangs geschilderten Kritik von Farzin an Rosa zeigt. Oder – umgekehrt – manchen Fachvertreterinnen sogar als Etikett angeheftet wird. Insofern gilt z.B. Luhmann manchen als »Parade-Ironiker« (Reitz 2017: 199)11 und auch über Zygmunt Bauman erfährt man, dass er »ironist« (Tester 2007: 84) gewesen sei. Ferner kommt Ironie aber auch als ein Bestandteil von soziologischen Ergebnissen zum Tragen, wie der Buchtitel Die ironische Nation zeigt (vgl. Bude 1999). Heinz Bude hat diese Überschrift für seine zeitdiagnostische Beschreibung der Bundesrepublik Deutschland der 1990er Jahre gewählt (vgl. ebd.). Auch als rhetorische Figur in Vorträgen und Reden von Soziologinnen taucht Ironie gelegentlich auf (vgl. Reitz 2017). Wie es ferner für manche soziologische Werke, etwa jenes von Erving Goffman, charakteristisch ist, dass diese mit Ironie gespickt
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Was somit zwangsläufig auch auf die hier vorgelegte Studie selbstredend zutrifft. Ein umfassende Studie zu allen wesentlichen Gesichtspunkten zum Themenfeld Ironie/Soziologie liegt bislang nicht vor – und auch diese Arbeit kann (und will) dies nicht leisten, möchte aber zumindest einen (weiteren) Impuls zum Füllen dieser Forschungslücke geben. Die umfangreichste Auseinandersetzung mit der Thematik – dies sei keineswegs verschwiegen – findet sich bisher in einem Kapitel zur »Irony« in Richard H. Browns Buch A Poetic for Sociology. Toward a Logic of Discovery for the Human Sciences (vgl. Brown 1977: 172ff.). Auch wenn es Kritiker gibt, die Luhmann und seinem Theoriegebäude keinesfalls diese Zuschreibung des Ironischen anheften würden (vgl. Kuzmics 2007: 62), überwiegen die Stimmen derer, die sehr wohl von diesem Befund ausgehen (vgl. etwa Bolz (2012: 119); Fritscher (1996); Krafft (2002); Reitz (2017)).
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sind.12 Kurzum: »The device of irony is one that is available to the poet and the rhetorician, and it is widely used in sociology.« (Anderson/Sharrock 1983: 565) Auf die bereits angedeutete Wahlverwandtschaft von Soziologie und romantischer Ironie zurückkommend, liegt diese maßgeblich in dem für beide zentralen Moment der Reflexion begründet.13 Diese reflektierenden Überlegungen, die die Soziologinnen immer wieder vollführen (müssen), beziehen sich keinesfalls nur auf »soziologische Tatbestände« (Durkheim 1984), sondern sie schließen das eigene Fach sowie den eigenen Forschungsstandpunkt explizit mit ein. Ausgehend davon lässt sich bei der Soziologie sogar von einer »Reflexionswissenschaft par excellence« (Münch 2010: 129) sprechen, bei der kritische Fragen auch dort gestellt werden, wo andere (Wissenschaften oder Individuen) nicht einmal auf die Idee gekommen wären, dass sich dieser oder jener Sachverhalt überhaupt als relevant problematisieren ließe. Alles kann und soll in Zweifel14 gezogen werden können, selbst die hier soeben verhandelten Gedanken stellen dabei keine Ausnahme dar. Die damit verknüpfte Intention von ironischen Wissenschaftlerinnen ist klar: Sie wollen institutionelle Verkrustungen und eingeschliffene Denkgewohnheiten15 ganz bewusst aufbrechen und »die scheinbar fixierte und erstarrte Welt wieder in Bewegung setzen« (Bauman 2010: 29). Dies geschieht meist dadurch, indem Soziologinnen Gegenpositionen – auch wieder im romantischen Sinne – zum vermeintlich Erwartbaren einnehmen.16 So können, wie im Rückgriff auf Illouz demonstriert, z.B. Probleme der Gleichberechtigung sachlich kritisiert und dargestellt werden, ohne dass Bestrebungen nach mehr Gleichheit damit per se eine Absage erteilt worden wäre oder man von vornherein Antworten im Sinne einer vorherrschenden Ideologie produziert. Vielmehr sollen diese Erkenntnisse dazu dienen, einen Dialog anzustoßen. Im Gegensatz 12 13
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Vgl. zu Erving Goffmans ironischem Stil in seinen Schriften Kuzmics (2007: 59) sowie Brown (1977: 197ff.). Speziell anhand des Werkes von Niklas Luhmann konstatiert Norbert Bolz daher: »Er [gemeint ist Luhmann; Anm. D.G.] liebt aber nicht nur ironische Formulierungen, sondern er benutzt, genau wie die Frühromantiker, Ironie auch als Reflexionsform.« (Bolz 2012: 119) Eine von Soziologinnen gerne verwendete Frage, in der ein skeptischer Grundton mitschwingt, lautet daher auch: Ist das so? Ulrich Beck fordert sogar – im Kant-Sprech – dazu auf: »Habe Mut, dich deines eigenen Zweifels zu bedienen!« (Beck 1993: 253; Hervor. i.O.) Denn im »Zweifel und Irrtum« (Beck 1993: 261) erkennt er »die Maßstäbe der zu erringenden neuen Moderne« (ebd.). V a. die Abgrenzung zum vermeintlich ›gesunden Menschenverstand‹ ist sowohl für die Soziologie wie für die Ironie jeweils entscheidend. Für die Soziologie siehe Bauman (2010: 28) und für die Ironie siehe Rorty (2012: 128). Bei Digby C. Anderson und Wesley W. Sharrock heißt es dazu beispielsweise: »Essential to the practice of sociological irony, then is the contrast of the world as it is allegedly seen by the members of society with the world as it really is (which, conveniently, is assumed to be the same as it appears to the sociologist).« (Anderson/Sharrock 1983: 569; Hervor. i.O.)
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z.B. zum Zynismus, der monologisch verfährt,17 zielt die Ironie auf einen dialogischen Austausch über unterschiedliche Sichtweisen (vgl. Eyal/Szelényi/Townsley 2003: 28) und das Akzeptieren anderer Positionen bei gleichzeitiger Infragestellung der eigenen Annahmen über sie (vgl. Eyal/Szelényi/Townsley 2003: 8). Ferner gilt, dass auch Soziologinnen – mal mehr und mal weniger ästhetisch – unentwegt Annahmen und Beschreibungen über die moderne Gesellschaft verfertigen,18 bei denen sie im Grunde schon vorher wissen, dass diese nur vorläufigen Charakter haben werden. Soziologische Analysen werden stets ›blinde Flecken‹ aufweisen und können deshalb nur eine eingeschränkte Gültigkeit erlangen. Das gilt selbst dann, wenn sie bzw. ihre Urheberinnen danach streben, die absolute Formel zum begrifflichen Fassen der (Welt-)Gesellschaft schlechthin zu (er-)finden. Ebenso wie es die Romantikerinnen bereits erkannt hatten, arbeiten Soziologinnen stets vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass die Moderne komplex und nahezu alles in dieser kontingent ist. Mit dieser Kontingenz, also der ständigen Möglichkeit, dass die Dinge und Sachverhalte auch gänzlich anders sein könnten, kann u.a. mit und durch Ironie durchaus fruchtbar umgegangen werden. Ganz so, wie sich über Komplexität wohl am besten ironisch reden lässt. Erst durch dieses ironische Sprechen und der daraus abgeleiteten Erkenntnis, dass es keine »absolute truths« (Mul 1999: 10) gibt, wird es ermöglicht, in der Realität eine »fundamental changeability« zu erkennen (ebd.). Denn: »Das Ironische spielt mit den Möglichkeiten des extremen Andersseinkönnens der Rede, des Lebens oder des Seienden im Ganzen.« (Oesterreich 2003: 355) Wir Sozialwissenschaftlerinnen benutzen folglich Ironie auf der einen Seite zur distanzierten, nüchternen Beschreibung von Gesellschaften19 – was oftmals in der Formulierung von Gegenpositionen zum Gegenwärtigen ersichtlich wird – und arbeiten auf der anderen Seite zugleich mit daran, dass diese durch die Verwendung ironischer Verfahren, und der auf diese Weise neu geschaffenen Sichtweisen, möglichst eine bessere wird (vgl. dazu auch die Überlegungen in dieser Arbeit im Kapitel I).20
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Eine Kritik, die im Kontext soziologischer Ironie zumeist geäußert wird, bezieht sich darauf, dass sie Gefahr läuft, z.B. in »zynische[n] Unernst« (Reitz 2017: 206) umzuschlagen, wenn sie v.a. als »Stilvorbild« (ebd.) verwendet wird. Dies muss selbstverständlich mit reflektiert werden, wobei es eben nicht um Zynismus geht, sondern um eine Form der Ironie, die eindeutig auf Dialog – statt Monolog – setzt. Die, so sei an dieser Stelle noch angefügt, nicht immer verständlich sind. Gerade dieser nüchterne Ton, auf den sich Wissenschaftlerinnen hin und wieder berufen (vgl. Rosa 2016: 21), ist umgekehrt auch Gegenstand von Kritik, da dieser als »kalt[.]« (Noetzel 2003: 10) und »elitär« (ebd.) empfunden wird. Wobei es, wenn man Richard Rorty folgt, nicht allein um die Realisierung der besten aller Welten geht, sondern sogar das eigene Selbst verbessert werden soll: »Wir Ironiker hoffen, daß wir uns mit dieser ständigen Neubeschreibung das beste Selbst, das uns möglich ist, erschaffen.« (Rorty 2012: 137)
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Was damit gemeint sein könnte, soll nun am Ende dieses Punktes anhand des oben genannten, kritischen Zitats zu Rosas Resonanztheorie verdeutlicht werden. Natürlich sucht Rosa, wie er selbst schreibt, eine »Formel« (Rosa 2016: 13), um zumindest dem problematischen Teil der wahrgenommenen Beschleunigung etwas entgegensetzen zu können (vgl. ebd.). Und er meint, eine solche »vielleicht« (ebd.) in der soziologischen Fokussierung von Resonanz gefunden zu haben. Aber eben nur vielleicht, wodurch schon am Beginn des Buches sein eigener ironischer Vorbehalt gegenüber der Sicht auf die Welt mitschwingt. Schaut man sich sein Werk genauer an, dann findet man weitere Indizien dafür, dass er keineswegs annimmt, allein über die Wahrheit zu verfügen, sondern, im Gegenteil, betont vorsichtig und relativierend argumentiert, wie es für soziologische Ironie charakteristisch ist.21 Um dies zu verdeutlichen, sei eine längere Passage aus dem Resonanz-Werk zitiert: »Die Konturen jenes Anderen sichtbar oder wenigstens erahnbar werden zu lassen, war das eigentliche Ziel dieses Buches. Wie es indessen anzustellen sei, die elementare Form der Weltbeziehung einer gesellschaftlichen Formation zu verändern, lässt sich, wie wir gesehen haben, nicht so einfach angeben. Es gibt keine Blaupausen dafür: Hier gelangt jede Philosophie und Soziologie an ihre Grenzen. Im Begriff der Resonanz aber hoffe ich einen Schlüssel dafür gefunden zu haben, dem Umbau eine Richtungsidee zu geben, die sich aus der Sozialformation der Moderne selbst rekonstruieren lässt.« (Rosa 2016: 739) Liest man den Abschnitt aufmerksam, dann wird ersichtlich, dass Rosa mit der ›Resonanz-Formel‹ nicht meint den »Schlüssel gefunden zu haben« (Rosa 2016: 739), sondern letztlich »einen« (ebd.) unter anderen möglichen herausgearbeitet zu haben. Rosa lässt demnach Raum für weitere, andere Türöffner, die das von ihm behandelte Problem ebenso gut aufschließen könnten. Ungeachtet dessen, welcher Türöffner am Ende der Optimalste ist, so ist, wie es Richard Rorty für Ironikerinnen herausgearbeitet hat, viel entscheidender, dass diese in der Lage sind, kein »abschließende[s] Vokabular« (Rorty 2012: 127) zu formulieren. Nichts anderes macht Rosa an dieser Stelle seiner Arbeit, wenn er von einem (anstatt von dem) Lösungsansatz ausgeht – wissend, dass seine soziologische Gegenwartsbeschreibung durch andere Perspektiven wohl in jedem Fall herausgefordert werden wird. Eine solche Herausforderung erfährt die Resonanz-Theorie beispielsweise durch die Überlegungen von Reckwitz. Dieser stellt Rosas Thesen nämlich auf den ›Kopf‹, wenn er erklärt, dass die Lösung des Beschleunigungsproblems nicht in der Sensibilisierung und Hinwendung zur Resonanz liege, sondern man gegenwärtig eher von einem »Resonanzboom« (Reckwitz 2017a: 194) ausgehen müsse, dem nur mit einer »Resonanzdiät« (ebd.; Hervor. i.O.) wirklich begegnet werden könne. Hier 21
Insbesondere dieses Relativieren der eigenen Haltung kann als soziologische Ironie begriffen werden (vgl. Reitz 2017: 207).
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blitzt sie also wieder auf: Die soziologisch-romantische Ironie in ihrer »Lust am Widerspruch« (Paz 1989: 60) in Bezug auf einzelne Standpunkte, in ihrer Suche nach vorläufigen Antworten und in ihrer gelebten »Bereitschaft zum Dialog« (Eyal/Szelényi/Townsley 2003: 28).
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Die Kippfigur der Ent- bzw. Verrätselung von Welt »Wenn man mit Wenigen, in einer großen, gemischten Gesellschaft etwas heimliches reden will, und man sitzt nicht nebeneinander, so muß man in einer besondern Sprache reden. Diese besondre Sprache kann entweder eine dem Ton nach, oder den Bildern nach fremde Sprache sein. Dies letztere wird eine Tropen und Rätselsprache sein.« (Novalis 1992a: 45; Hervor. i.O.) »Die romantische Ordnung dagegen ist nicht nach Prinzipien strukturiert, die von der desengagierten Vernunft erfaßt werden können. Ihr Ordnungsprinzip ist nicht exoterisch erreichbar, sondern es ist seinerseits ein Rätsel, dem man nur ganz auf den Grund gehen kann, indem man daran teilnimmt.« (Taylor 1996: 662)
Das Kerngeschäft der Soziologie kann darin gesehen werden, über die (gegenwärtige) Gesellschaft und die in ihr vorkommenden sozialen Phänomene aufzu-klären. So heißt es beispielsweise in einem (beliebig ausgewählten) Einführungsbuch in das Fach: »Wer handelt muss wissen, was Sache ist, und was er will; aber er kann oft nicht überblicken, was Sache wird. Die Soziologie kann dem Alltagsmenschen natürlich nicht sagen, was er will. Aber sie kann ihn aufklären, indem sie von einer höheren Warte und mit allgemeineren Begriffen beschreibt, was Sache ist, und
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ihm die Augen dafür öffnet, was Sache werden kann.« (Meulemann 2006: 85; Hervor. D.G.)22 Demzufolge versteht und sieht sich die Soziologie, wie andere Wissenschaften auch, gerne in der Tradition der Aufklärung und ist daher darum bestrebt, die »Rätsel der Gesellschaft« (vgl. Seyfert 2014) zu lösen und Licht ins Dunkel des Sozialen zu bringen. Dabei fördert die Soziologie zuweilen Erkenntnisse zu Tage, die nicht unbedingt jedem und jeder gefallen dürften, denn so »konfrontiert« (Bourdieu 2014: 21) sie sowohl den, »der sie praktiziert« (ebd.), wie auch jene, die man mit soziologischen Wissensbeständen über ihre Lebenswelt aufklären möchte, »fortwährend mit höchst harten Realitäten; sie entzaubert« (ebd), was an einem Beispiel veranschaulicht werden soll. Die tägliche Fahrt mit dem Sport Utility Vehicle (SUV) zum Kindergarten drei Straßen weiter bringt im Lichtkegel einer soziologischen Taschenlampe nicht nur zum Vorschein, dass es sich hierbei um die mobile Bewältigung einer Wegstrecke von A nach B handelt, sondern macht zugleich die »latente Funktion« (vgl. Merton 1995: 59) sichtbar, dass damit ein Zeichen der Distinktion durch den Besitzer oder die Besitzerin des Wagens zum Ausdruck gebracht werden könnte. Die Botschaft jedenfalls kann sein: Wer sich auf diese Weise durch den städtischen Straßenverkehr fortbewegt, signalisiert allen anderen, dass er oder sie über ausreichendes ökonomisches Kapital verfügt, um sich dieses kostenintensive Fahrzeug leisten zu können – selbst für die kürzesten Wege. Ob jenes Kriterium der Abgrenzung von anderen beim Kauf des SUV eine bewusste Rolle gespielt hat, ist für diese Feststellung unerheblich. Deshalb kann die Situation entstehen, dass die mit diesem soziologischen Wissen konfrontierte Fahrzeughalterin irritiert darauf reagiert, da es vielleicht nicht ihre ursprüngliche Intention war, sich durch das Automobil von anderen abzugrenzen, sondern sie sich beim Erwerb vielmehr an ihren Nachbarn in der jeweiligen Vorortsiedlung orientiert hat, wo fast jede bzw. jeder ein solches Auto sein Eigen nennt.23 Soziologische Tatsachen decken sich somit nicht unbedingt mit den Ansichten und Sichtweisen des weiter oben bereits erwähnten »Alltagsmenschen« (Meulemann 2006: 85) (oder wie es bei Bauman gleich noch heißen wird: den »›Einheimischen‹«
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Denkbar wäre z.B. auch gewesen, auf Andrea Maurer und Michael Schmid hinzuweisen, in deren Werk zum Gesichtspunkt der soziologischen Aufklärung zu lesen ist: »Damit ist schon gesagt, dass wir soziale Paradoxien ebenso wie stabile soziale Beziehungen als Rätsel auffassen, deren Auflösung die vornehmste Aufgabe der Soziologie ist. Eine solche Aufklärung verlangt indes, die zugrunde liegenden Mechanismen zu identifizieren und angeben zu können, was sie in Gang setzt und hält.« (Maurer/Schmid 2010: 13; Hervor. i.O.) Ebenso denkbar wäre es, dass beim Erwerb die Ästhetik des Kraftfahrzeugs oder die Tatsache, dass man den Autohändler oder die -händlerin persönlich kennt, ausschlaggebend war.
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(Bauman 2000: 27)), sondern können oftmals eher dazu führen, dass sie diesen verstören. »Sie [gemeint ist die Soziologie; Anm. D.G.] verwirrt das bequeme, ruhige Leben, indem sie Fragen stellt, die, soweit die Erinnerung der ›Einheimischen‹ reicht, noch keiner gefragt, geschweige denn beantwortet hat. Solche Fragen verwandeln Bekanntes in Rätsel; sie machen das Vertraute unvertraut.« (Bauman 2000: 27) Die an sich rätselhafte Tatsache, warum für die (kurze) Fahrt zur Kindertagesstätte um die Ecke ausgerechnet ein großes, robustes und spritintensives Fahrzeug gewählt wird, dass man eher im unwegsamen Gelände jenseits des urbanen Raumes vermuten würde, wird auf diese Weise zum gelösten (soziologischen) Faktum der sozialen Distinktion gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft, die nicht die finanziellen Ressourcen für solch ein Fahrzeug aufbringen können. Allerdings zeigen sowohl das konstruierte SUV-Beispiel wie die Aussage von Bauman, dass es mit dem Rätselhaften und der Soziologie doch komplexer ist, als man vielleicht im ersten Moment erwarten würde. Schaut man genauer hin, so stellt sich nämlich die Frage, worin der Rätselcharakter eigentlich besteht? Finden Soziologinnen Rätsel in der sozialen Welt vor, die sie zu Gegenständen ihrer Analysen erheben, um diese zu lösen? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Soziologinnen eine Verrätselung der Alltagswelt erst vornehmen, indem sie, wie Bauman schreibt, »das Vertraute unvertraut« (ebd.) werden lassen und diese neue Sicht artikulieren? Die Antwort dieser Studie jedenfalls lautet, dass Soziologinnen in jedem Fall beides tun. Sie finden wissenschaftliche Erklärungen für vorgefundene Rätsel, z.B. machen sie verstehbar, warum Menschen bei Wikipedia kooperieren (vgl. Stegbauer 2009) oder warum sie so etwas wie den Gabentausch pflegen (vgl. Godelier 1999). Gleichermaßen zeigt sich jedoch, dass in diesen Erkenntnissen (neue) Rätsel enthalten sein können oder diese zumindest für Außenstehende als etwas Rätselhaftes wahrgenommen werden. Während man den ersten Gesichtspunkt der aufklärerischen Seite der Soziologie zurechnen kann, gehört letzterer zum romantischen Part der Soziologie. Beide Seiten sind eng miteinander verbunden und können auch, der besagten Kippfigur gleich, ineinander umschlagen, so dass aus Erklärung Verklärung wird, was v.a. mit den Eigenheiten des Rätsels selbst zu tun hat. So schreibt beispielsweise Luc Boltanski in seinem Buch Rätsel und Komplotte, dass das Rätsel eine »anormal[e]« (Boltanski 2015: 24; Hervor. i.O.) »Eigentümlichkeit« (ebd.) darstelle, dessen »Resultat« (ebd.) das »Hereinbrechen der Welt in die Realität ist.« (Ebd; Hervor. i.O.) Wobei er mit »Welt« meint, »›alles, was der Fall ist‹« (ebd.) und ebenso »alles, was der Fall sein könnte« (Boltanski 2015: 25). »Die Realität wird dagegen durch vorab festgelegte Formate stabilisiert, die von Institutionen getragen werden, welche zumindest in unseren Gesellschaften häufig juristischer oder parajuristischer Art sind.« (Ebd.) Anders gesagt: Alles, was in der Wirklichkeit
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als nicht vorab festgelegt oder definiert erscheint und in dieser somit als Anomalie gelten kann, sobald es plötzlich eintritt, kann als ein Rätsel betrachtet werden. Daran wird zugleich kenntlich, dass der mögliche Vorrat an Rätseln schier unerschöpflich – oder wie die Romantikerinnen sagen würden: unendlich – ist, da die Welt immer mehr ist und meint als die jeweilige Realität (›der‹ Gesellschaft) zu definieren gestattet. Aus diesem Rätselreservoir bedienen sich nun Soziologinnen, wenn sie Erklärungen u.a. über die Alltagswelt der Menschen abgeben. In aller Regel sind sich die auf diese Weise agierenden Wissenschaftlerinnen im Klaren darüber, dass die Auf-/Lösung eines Rätsels bedeutet, sich danach entweder einem anderen ungelösten Aspekt der Lebenswirklichkeit anzunehmen, oder aber an Rätseln weiterzuarbeiten, die sich erst aus der Aufdeckung einer vermeintlichen (Teil-)Lösung wiederum ergeben haben. Ihre Haltung ist aber meist davon geprägt, dass, wie Hegel schreibt, sich Rätsel – durch ihre Enthüllung – »zerstören« (Hegel 1986b: 510) lassen. Hegel geht dabei davon aus, dass es einen (Rätsel-)«Erfinder« (Hegel 1986b: 509) geben muss, von dem die »Bedeutung« (ebd.) des Rätsels »klar und vollständig gewußt [sic!]« (ebd.) wird. Eine solche Annahme, wie sie Hegel tätigt, mag zutreffend sein, wenn z.B. jemand ganz bewusst eine ›IDee‹24 in verrätselnder Absicht in einen Text einbaut, also versteckt, so dass diese möglicherweise nur von aufmerksamen Leserinnen gefunden und entschlüsselt werden kann. Bei der Lösung von sozialen Phänomenen (lies: bei deren Erklärung) ist es jedoch nicht unbedingt ausgemacht, worin ihr Rätsel eigentlich genau besteht und wer dieses in die »soziologischen Tatbestände« (vgl. Durkheim 1984) hineingelegt haben soll. Denn ›die‹ Gesellschaft als Antwort erscheint dabei oftmals ebenso abstrakt wie nichtssagend, um sich der sozialen Komplexität soziologisch erhellend anzunähern. Kurzum: Wenn sich Person X z.B. ein Kreuzworträtsel ausdenkt, dann wird sie auch die Lösung dafür kennen und es wird damit auch für andere zu entschlüsseln sein. Bei soziologischen Rätseln hingegen sind die Urheberinnen in der Regel 24
Um an der Stelle vielleicht mal ein Rätsel – im Hegel’schen Sinne – tatsächlich zu lösen, was von den ersten Seiten der Studie an in ihr enthalten ist (und vielleicht bislang nicht einmal als solches erkannt worden ist): Die Initialen am Ende der Briefe im literarischen Teil ›Ein Mensch tanzt übers Seil‹, also »D.« und »I.«, stehen nicht etwa für den Vornamen des Verfassers und eine andere real existierende Person, sondern markieren vielmehr den inhaltlichen Spannungsbogen. Soll heißen, im brieflichen Austausch zwischen »D« und »I« bzw. »I« und »D« entfaltet sich die »IDee« der vorliegenden Arbeit. Zugleich verweisen beide Buchstaben zusammengenommen aber auch auf die Abkürzung »I.D.«, das im englischen für Ausweisdokument (Identity Document) steht. Damit wäre gleichermaßen ein zentrales romantisches Thema benannt, um das es im literarischen Text (als Dokument) geht: um Identität und deren (Heraus-)Bildung. Abels schreibt ergänzend dazu: »Im Zentrum der klassischen Soziologie stehen Ordnung und dauerhafte Strukturen, im Zentrum der romantischen Einmaligkeit und Prozess. Und es steht ein Individuum im Zentrum der soziologischen Aufmerksamkeit, das sich seine Individualität angelegen sein lässt und sie als besonders gegen andere Individuen zum Ausdruck bringt!« (Abels 2017: 135)
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nicht eindeutig adressierbar. Gleiches gilt auch für die Antwort, die selten eindeutig ausfällt oder alleinige Gültigkeit beanspruchen kann. »Social riddles […] are perplexing questions about human society that don’t have obvious answers. They are intriguing questions that invite us to explore social life, and they often lead to surprising conclusions.« (Kanagy/Kraybill 1999: 6) Die Antworten, die Soziologinnen auf soziale Rätsel finden, so die entfaltete These dieses Punktes, sind oft eben nicht zwangsläufig sofort erhellend, sondern insbesondere für Fachfremde selbst wiederum ein Rätsel. Der Auftrag der Soziologie mag zweifelsohne darin bestehen, soziologische Wissensbestände und Erkenntnisse der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.25 Dafür steht insbesondere das Format einer »öffentlichen Soziologie«, wie sie Michael Burawoy prominent beschrieben hat (vgl. Burawoy 2012).26 Aber dieses Ansinnen gelingt in der Praxis nicht immer, da sich Soziologinnen bei der Beschreibung und Erklärung von sozialen Rätseln zu stark auf ihre soziologische Wissenschaftssprache stützen, die in aller Regel nur für Menschen verständlich ist, die selbst über soziologisches Wissen verfügen.27 Dass eine der Soziologie eigene Sprache prinzipiell notwendig ist, alleine schon, um »[…] Ambiguitäten natürlicher Sprachen zu vermeiden und ein disziplinen-spezifisches semantisches Feld abzustecken« (Mozetič 2007: 83), sollte hingegen unstrittig sein.28 Aber beim Verwenden dieser sollte man sich im Klaren darüber sein, dass jene Fachsprache nur einem exklusiven Kreis zugänglich ist (vgl. ebd.). Sie schließt folglich jene aus, die das soziologische Vokabular nicht kennen. Verstärkt wird dieser Aspekt nun noch durch die Tatsache, dass Rätsel generell jene auszuschließen wissen, die nicht zu den »Etablierten« (vgl. Elias/Scotson 2013) gehören und die Exklusion nicht allein etwas mit der Soziologiesprache zu tun hat: »The riddle challenges its receivers to prove that they may enter the group’s inner circle.« (Tucker 2011: 37) Noch einmal anders angesetzt: Soziologische Rätsel wirklich aufzuklären, bedeutet immer auch, andere zu Mitwissern zu machen und
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Was z.B. in Form eines Science Slams geschehen kann. Zum Vorschlag, aus soziologischen Lehrveranstaltungen heraus Science Slams zu initiieren, siehe auch Grummt (2018a). »Die öffentliche Soziologie zielt darauf ab, die öffentliche Debatte über moralische und politische Fragen durch das Einbringen soziologischer Theorie und Forschung zu bereichern.« (Burawoy 2012: 19) Wobei in jedem Fall angemerkt sei, dass eine fachspezifische Sprache kein Alleinstellungsmerkmal der Soziologie ist, sondern für alle Wissenschaften notwendig ist: »Es gehört zu den allgemeinen Kennzeichen der Ausbildung einer spezifischen wissenschaftlichen Disziplin, eine eigene Terminologie zu entwickeln, in der Erkenntnisse ausgedrückt werden.« (Mozetič 2007: 81) Darüber hinaus ließe sich als Argument für die Fachsprache noch anführen, dass diese ebenfalls zur Komplexitätsreduktion beiträgt, indem sie komplizierte Zusammenhänge durch Fachbegriffe zu vereinfachen versucht.
5. Die ›romantische Seite‹ der Soziologie und ihre Elemente
sie an der jeweiligen Entdeckung ernsthaft teilhaben zu lassen – und sich nicht hinter bestimmten Begrifflichkeiten etwa zu verstecken. Noch komplizierter wird es, wenn Soziologie, wie in dieser Arbeit, sich auf Kunst einlässt. Dann, wie Adorno deutlich macht, sind nämlich »[a]lle Kunstwerke, und Kunst insgesamt, [.] Rätsel« (Adorno 1990: 182). Zum Rätselcharakter, den die Sprache (von Soziologinnen, aber nicht nur von diesen) beim soziologischen Beschreiben und Erklären von Kunst annehmen kann, kommt zusätzlich noch jener der Kunst selbst hinzu. Wenn man sich dieser Tatsache des doppelten Rätselcharakters jedoch bewusst ist und sich eingesteht, »[…] keine finalen Antworten zu liefern […]« (Bude/Dellwing 2015: 13), dann kann man bei einem entsprechend reflektierten soziologischen Deuten von Kunst, dennoch zu interessanten Erkenntnissen gelangen. Um dies an einem Beispiel deutlich zu machen, folgt nun ein Seitenblick auf das literarische Kunst-Werk des Romantikers Ludwig Tieck. In Tiecks Kunstmärchen Der blonde Eckbert geht das Rätsel aus einem Geheimnis hervor (vgl. dazu auch Tucker 2011: 79). Der Ausgangspunkt ist – zumindest für die Herleitung des Rätsels aus dem Geheimnis –, dass die Figur des »blonden Eckberts« einen Mord begangen hat, der ihn schwer belastet. »Die Ermordung seines Freundes stand ihm unaufhörlich vor Augen, er lebte unter ewigen innern [sic!] Vorwürfen.« (Tieck 2009: 21) Dennoch schöpft »Eckbert« wieder neuen Lebensmut, als er dem Ritter »Hugo« begegnet und sich mit diesem anfreundet. »Eckbert« findet aber, »[…] dass ihn Hugo nur aus einem Irrtume liebe« (Tieck 2009: 22) – eben weil er nicht wisse, dass er ein Mörder sei.29 Woraufhin er beschließt, dem Freund das Geheimnis anzuvertrauen:30 »[A]uf einem einsamen Spazierritte entdeckte er seinem Freunde seine ganze Geschichte, und fragte ihn dann, ob er wohl einen Mörder lieben könne.« (Ebd.) »Hugo« weiß »Eckbert« zunächst »zu trösten« (ebd.) und beide ziehen mit »leichterem Herzen zur Stadt« (ebd.). Allerdings beginnt »der blonde Eckbert« im weiteren Verlauf der Handlung doch an »Hugo« und dessen Freundschaft zu zweifeln, v.a. weil er meint in ihm Gesichtszüge der Person ausgemacht zu haben, die er eigentlich umgebracht hatte. »Oft dachte er [gemeint
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Den Mord mit der Armbrust begeht der »blonde Eckbert« ebenfalls schon aufgrund eines vorausgegangenen Geheimnisses (und dessen Offenbarung). Seine Frau »Bertha« hatte nämlich einem Freund (»Walther«) im Beisein von »Eckbert« davon berichtet, dass sie in ihrer Jugend einer alten Frau, bei der sie eine Zeitlang lebte, einige Edelsteine und einen Vogel geklaut hatte (vgl. Tieck 2009: 15). Den Freund wird »Eckbert« im weiteren Verlauf der Handlung schließlich deshalb umbringen, weil er meint, dass dieser sich durch die Einweihung in das Geheimnis gegen ihn wenden könnte: »Wird er sie [die Geschichte des Geheimnisses; Anm. D.G.] nicht andern mitteilen? Wird er nicht vielleicht, denn das ist die Natur des Menschen, eine unselige Habsucht nach unsern Edelgesteinen empfinden, und deswegen Plane anlegen und sich verstellen?« (Tieck 2009: 19) Wodurch nach Simmel ebenso die »Spannung«, die einem Geheimnis inhärent ist, »[…] ihre Lösung findet« (Simmel 1993: 319).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
ist der ›blonde Eckbert‹; Anm. D.G.], dass er wahnsinnig sei, und sich nur selber durch seine Einbildung alles erschaffe; dann erinnerte er sich wieder der Züge Walthers [also jener Figur, die ›Eckbert‹ getötet hat; Anm. D.G.], und alles ward ihm immer mehr ein Rätsel.« (Tieck 2009: 23) Aus dem zumindest der Protagonist »Eckbert« nicht mehr wirklich »herausfinden« (Tieck 2009: 24) wird, denn am Ende liegt er »wahnsinnig und verscheidend auf dem Boden« (Tieck 2009: 25) und hört eine »krummgebückte Alte« (Tieck 2009: 24) sprechen. Somit geht das Märchen aus, wie viele Werke der Romantik enden: Die Leserinnen sollen entscheiden, ob »Eckbert« tatsächlich wahnsinnig geworden ist und sich die »Alte« nur einbildet oder ob sie ihm tatsächlich erscheint und es stimmt, was sie so von sich gibt – u.a. z.B., dass sie »Hugo« und zugleich der ermordete Freund »Walther« gewesen sei (vgl. ebd.). Für den Fortgang dieses Punktes ist es nicht von Relevanz, diesen Schwebzustand zwischen Wahnsinn oder Nicht-Wahnsinn des »blonden Eckberts« aufzulösen. Entscheidend ist vielmehr, dass das Rätsel von »Eckbert« u.a. auf die Enthüllung eines Geheimnisses zurückgeht, woran ersichtlich wird: Oft schließt das Geheimnisvolle an das Rätselhafte an und ebenso eröffnet die Offenlegung eines Geheimnisses überhaupt erst neue Rätsel, wie anhand von Tiecks Kunstmärchen gezeigt werden konnte. Überträgt man diesen Gedanken nun auf die Soziologie, so ließe sich sagen, dass »Versprechen« der (Alltags-)Soziologie lautet: »ein Geheimnis mit Hilfe eins anderen Geheimnisses zu knacken […]« (Bude/Dellwing 2015: 13). Oder wer es nach all der Romantik lieber ein wenig klassischer, faustischer mag,31 dem sei folgender Dialog zwischen »Faust« und »Mephisto« zur Walpurgisnacht in Erinnerung gerufen: »Faust: Doch droben möcht ich lieber sein! Schon seh ich Glut und Wirbelrauch. Da strömt die Menge zu dem Bösen; Da muß sich manches Rätsel lösen. Mephistopheles: Doch manches Rätsel knüpft sich auch. Laß du die große Welt nur sausen, Wir wollen hier im stillen hausen. […]« (Goethe 1975: 135) Um welchen Vorgang es sich jeweils handelt, also um Verrätselung (»Doch manches Rätsel knüpft sich auch« (ebd.)) oder Enträtselung (»Da muß sich manches Rätsel lösen« (ebd.)), ob man gewissermaßen »Faust« ist oder »Mephisto« oder 31
Eine der interessantesten, soziologischen Faust-Interpretationen, auf welche die Leserinnen unbedingt verwiesen seien, stammt von Oskar Negt (vgl. Negt 2006).
5. Die ›romantische Seite‹ der Soziologie und ihre Elemente
umgekehrt, muss letztlich von Fall zu Fall entschieden werden – und dürfte jeweils vom Standpunkt der Betrachterinnen abhängen. Ein rätselhafter enträtselnder Vorschlag für die prinzipielle Sichtbarmachung jener Kippfigur ist in diesem Punkt jedenfalls unternommen worden.
5.3
Poesie und Soziologie
Die These des nun folgenden letzten Abschnitts im Romantik-Kapitel II dieser Arbeit ist, dass sowohl das Moment von Ironie (vgl. Punkt II.5.1) als auch der Aspekt von Ent- bzw. Verrätselung (vgl. Punkt II.5.2) insbesondere in der Lyrik vorkommen können und damit auch Bestandteil einer am Lyrischen inspirierten, poetischen Soziologie sind. Damit sei nicht behauptet, dass jegliche Form von Lyrik ironisch ist. Aber Ironie kann zweifelsohne ein »Stilphänomen« (Müller 1995: 19) von Lyrik sein. Demgemäß ist es vielleicht ein »alte[r] Hut« (Kruse 2004: 238), wenn auch an dieser Stelle darauf verwiesen wird, dass es z.B. das »Markenzeichen« (ebd.) des Romantikers Heinrich Heine gewesen ist, ironische Lyrik zu schreiben (vgl. ebd.). Wie bereits herausgearbeitet, dient die Ironie dabei v.a. dazu, in ein Distanzverhältnis zum Gesagten und/oder zu sich selbst zu treten. Am besten drückt sich dies für den Verfasser im Fragen-Gedicht von Heine in dessen »zweitem Nordseezyklus« aus (vgl. Heine 1956: 328f.): »Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer Steht ein Jüngling-Mann, Die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel, Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen: ›O löst mir das Rätsel des Lebens, Das qualvoll uralte Rätsel, Worüber schon manche Häupter gegrübelt, […] Sagt mir, was bedeutet der Mensch? Woher ist er kommen? Wo geht er hin? Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?‹ Es murmeln die Wogen ihr ew’ges Gemurmel, Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken, Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt, Und ein Narr wartet auf Antwort.« (Heine 1956: 328f.)
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Zuerst sei dazu festgehalten, dass der »Jüngling-Mann« (ebd.) selbst mit jeder Menge »Zweifel« (ebd.) dem Meer entgegentritt, was als kritisches-ironisches Moment in Bezug auf seine Lebenseinstellung gewertet werden kann. Im Gedicht heißt es zudem, dass nur ein »Narr« (ebd.) darauf »wartet« (ebd.), eine »Antwort« (ebd.) auf die gestellten Fragen zu bekommen. Jemand also, der nicht närrisch ist, weiß bereits, dass das Meer ihm keine wirkliche Auskunft geben wird – ganz gleich, wie auch immer die Frage lauten möge. Trotz dieser Erkenntnis, dennoch zu fragen (oder dies eben im Gedicht so darzustellen), kann als Ausdruck von Ironie gelesen werden. Der junge Mann am Meer ist sich folglich im Klaren darüber, dass es nicht die eine Antwort, nicht die eine Lösung für sein »qualvoll uralte[s] Rätsel« (ebd.) geben wird, sondern dass er diese vielmehr für sich selber wird finden müssen. Soll heißen, er muss sich die Fragen, die er hat, selbst beantworten. Wobei der Weg zur Lösung auf die Fragen des Lebens für die Romantikerinnen meistens darin bestand (und besteht), in sich selbst hineinzuhören. Bei Novalis heißt es dazu: »[…] [N]ach innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten – die Vergangenheit und Zukunft.« (Novalis 2015b: 362) Durch das zitierte Heine-Gedicht wird aber gleichsam ebenso evident, dass lyrische Kunstwerke auch immer einen Rätselcharakter aufweisen können. Denn letztlich bleibt offen, wie genau der junge Mann die aufgeworfenen Fragen beantworten wird.32 Weshalb Durs Grünbein zu der Schlussfolgerung gelangt, dass sich Gedichte in aller Regel durch »Etwas« (Grünbein 2007: 91) auszeichnen, »[…] das sich niemals ganz auflösen läßt« (ebd.). Seines Erachtens bleibt »[i]hr Geheimnis ihr Geheimnis … usw.« (Ebd.). Auch eine lyrische Soziologie strebt nicht an, letztgültige Antworten zu finden, sondern sie weiß darum, dass die gewonnenen Erkenntnisse stets nur vorläufigen Charakter haben, den es jedoch aufzuzeigen gilt. Bevor jedoch ausführlicher auf eine lyrische Soziologie und deren Verfahrensweisen (vgl. Kapitel III) eingegangen werden wird, sollen noch ein paar allgemeine Aspekte zwischen Soziologie und Poesie berührt werden, um die Leserinnen auf das kommende Kapitel einzustimmen.33 ┌ Bei einem ersten, flüchtigen Blick auf eine lyrische Soziologie könnte man zu dem Schluss gelangen: »poetry and sociology are hardly compatbile with one another.« (Ward 1986: 323). Das eine ist Kunst und das andere – dem eigenen Anspruch nach – Wissenschaft. Unterstützt wird diese Sichtweise beispielsweise durch das
32 33
Und selbst, wenn er die Antworten offen artikulieren würde, sie wären doch immer nur vorläufige. Die folgenden Sätze bis zum Ende des Kapitels II.5.3 sind, inklusive Fußnoten, aus Grummt (2016: 397-398) entnommen (Titel des Aufsatzes: SozialwissenschaftlerInnen und KünstlerInnen? Das Beispiel lyrischer SoziologInnen). Lediglich kleinere Ergänzungen und Anpassungen sind an dieser Stelle am gekürzten Text noch vorgenommen worden.
5. Die ›romantische Seite‹ der Soziologie und ihre Elemente
Argument, dass sowohl die Soziologie als auch die Poesie im Grunde eine andere Sprache verwenden und auch einen anderen Zugang zu dieser haben: Während Lyrikerinnen meist bestrebt sind, mit ihren poetischen, kunstvollen Wortkreationen die Sprache zu erneuern, geht es Soziologinnen in ihrer narrativen ›Wissenschaftsprosa‹ überwiegend darum, aufzudecken, wie Sprache soziale Interaktionen, soziale Konflikte oder soziale Kohärenz überhaupt erst ermöglicht (vgl. dazu auch Ward 1986: 323). Doch bereits diese Gegenüberstellung im Hinblick auf die Sprache, wie sie John Powell Ward vornimmt, trifft nicht ganz den Kern der Sache. Auch Soziologinnen kommen in ihrem Bestreben, sich von der Alltagssprache und den dort vorherrschenden Konnotationen zu lösen, immer wieder zu Wortneuschöpfungen.34 Darüber hinaus gibt es kein plausibles Argument dafür, dass Soziologinnen nicht dazu in der Lage sein sollten, sich auch einer lyrischen Sprache zu bedienen und auf diesem Wege ihre Ideen auszudrücken, wie weiter unten noch gezeigt werden soll. Schaut man sich jedoch die Realität der soziologischen Publikationen an, so trifft sicherlich nach wie vor zu, was Luhmann einst konstatiert hat: oft fehlt es uns an »gelehrter Poesie« (Luhmann 1991: 176).35 Dieser Umstand ist insbesondere deswegen verwunderlich, als beide – die Soziologie und die Lyrik – doch mindestens ein gemeinsames Ziel miteinander teilen: nämlich den Menschen zu befreien. Wie ist das zu verstehen? Im Hinblick auf die Soziologie und in den Worten Zygmunt Baumans beispielsweise so: »Die Kunst des soziologischen Denkens vergrößert [.] den Bereich, die Kühnheit und die Auswirkungen unser aller Freiheit. Ein Individuum, das diese Kunst beherrscht, ist weniger manipulierbar, kann Unterdrückung und Einschränkungen besser ausweichen und wird angeblich unüberwindlichen Kräften widerstehen.« (Bauman 2000: 29; Hervor. i.O.) Das gleiche Ansinnen, uns mindestens in Gedanken freier zu machen – und sei es eben, dass man mit Hilfe eines Gedichtes über die Vorstellung einer befreiten Welt schreibt –, vertritt letztlich auch die Poesie, wie man in Adornos Vortrag über Lyrik und Gesellschaft nachlesen kann: Das lyrische Kunstwerk »[…] spricht [.] den Traum einer Welt aus, in der es anders wäre« (Adorno 2015b: 52) und ein jeder hat außerdem das »Recht« (Adorno 2015b: 58), mit Hilfe poetischer Sprache »[…] nach dem Laut zu tasten, in dem Leid und Traum sich vermählen.« (Ebd.)36 34
35
36
Wenngleich an dieser Stelle nicht unterschlagen werden soll, dass es seit einigen Jahren offenbar ein »Desinteresse am Erfinden neuer Begriffe« (Rammstedt 2011: 5) innerhalb der Fachrichtung zu geben scheint. Diese Position vertritt nicht nur Luhmann. Bei Andrew Abbott heißt es auf ähnliche Weise: »Since explanation, which is almost inevitably narrative in character, has been so strong theme in social science methodology, we shall find that few books are explicitly lyrical.« (Abbott 2007: 73) Zum Aspekt der Befreiung durch die Lyrik siehe auch Ward (1986: 330f.).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Darin begründet steckt zugleich eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Poesie und Soziologie, und zwar jene des Trostes. Nicht immer kann ›Unterdrückung‹ unmittelbar ausgewichen und/oder ›unüberwindlichen Kräften‹ standhaft getrotzt werden, so dass es in solchen Fällen entscheidend bzw. tröstlich sein kann, entweder qua soziologischem Wissen zu verstehen (und daran anschließend sich selbst oder anderen gegenüber erklären zu können), was einem selbst bzw. allen anderen gerade widerfährt oder eben poetisch niederzuschreiben, was man in jenen als schicksalhaft wahrgenommenen Momenten empfunden hat. Auf diese Weise mag es gelingen, etwas auszudrücken, wofür es bisher noch gar keine geeigneten Worte gibt. In beiden Fällen vermögen sowohl die Soziologie wie auch die Poesie – je für sich genommen –, zu trösten.37┘ Wie eine Kombination beider Sphären konkret aussehen kann, soll nun das folgende Kapitel verdeutlichen.
37
In Anlehnung an die Schrift Trost der Philosophie des spätantiken, römischen Gelehrten Boethius könnte man somit analog vom ›Trost der Soziologie‹ sprechen (vgl. Boethius 2005), der darin bestehen könnte, die komplexen Sachverhalte der sozialen Welt zwar nicht immer verändern oder gar im eigenen Sinne beeinflussen zu können, diese aber doch – und das ist der Unterschied zu nicht soziologisch geschulten Mitmenschen – besser zu verstehen. So kann beispielsweise ein gegebener Sachverhalt auch danach beurteilt werden, ob beispielsweise »persönliche Schwierigkeiten« (Mills 2016: 24) dafür verantwortlich sind, dass jemand arbeitslos ist oder ob es sich dabei nicht vielmehr um »strukturelle[.] Veränderungen« (ebd.) handelt, für die die davon betroffene Person nichts kann (Stichwort: ›Strukturelle Arbeitslosigkeit‹). Gerade der letzte Aspekt beinhaltet schließlich die Gewissheit – und damit den Trost –, dass man selbst hierfür keine individuelle Schuld trägt.
III. Die ›romantische Seite‹ der Soziologie und die methodischen Potentiale der Lyrik »Es ist eine der wesentlichen Funktionen der Dichtung, uns die andere Seite der Dinge, das Wunderbare des Alltäglichen zu zeigen: nicht die Unwirklichkeit, sondern die wunderbare Wirklichkeit der Welt.« (Paz 1989: 74)
1. Lyrische Gesellschaft
Zurückkommend auf die Überlegungen, die bereits im Kapitel I.1.2 entfaltet worden sind, geht es in der lyrischen Gesellschaft v.a. darum, dass Individuen mit, über und durch Lyrik bzw. das Medium des Lyrischen in einen Austausch mitoder eben auch gegeneinander treten. Eine Grundkonstellation der lyrischen Gesellschaft kann demnach sein, dass jemand Gedichte oder lyrische Texte schreibt und diese sodann vor Publikum – beispielsweise bei einem Poetry Slam – vorgetragen werden. Von dieser Präsentation berichtet dann vielleicht eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer seinen Freundinnen und diese wiederum fühlen sich dazu angeregt, ebenfalls Poesie zu verfassen.1 Wir haben daher innerhalb der lyrischen Gesellschaft die personelle Grundkonfiguration vorliegen, wonach es einen Gedichteschreiber oder eine -schreiberin gibt und mindestens zwei (meist mehrere) Hörerinnen oder Leserinnen. Wie ebenfalls schon dargelegt, müssen die an der lyrischen Gesellschaft beteiligten Individuen nicht immer gleichzeitig anwesend sein. Lyrikschreibende können z.B. Bezugnehmen auf das Werk eines anderen Poeten oder einer anderen Poetin, wodurch schon ein Dialog entstehen kann, der dann wiederum – beispielsweise durch eine entsprechende Publikation – vor anderen sichtbar und damit ebenso Teil der beschriebenen lyrischen Gesellschaft wird.2 Weitere vergleichbare Konstellationen ließen sich finden. 1
2
Vor diesem Hintergrund ist es auch denkbar und möglich, dass man gemeinsam Lyrik schreibt. Der Verfasser hat dies bei verschiedenen Gelegenheiten am Romantik-Kolleg in Jena zwischen 2015 und 2018 immer mal wieder erprobt, indem er eine lyrische Textzeile und/oder den Titel vorgab und einen Zettel mit der Bitte herumgehen ließ, dass jede an der geselligen Runde Beteiligte auf diesen eine Verszeile schreiben solle, die sich am Ende auf die vorangegangene Zeile reimt. Danach sollten die Teilnehmerinnen noch eine zweite Verszeile verfassen, die sich jedoch explizit nicht auf das Ende reimt. Anschließend sollte das Blatt Papier so gefaltet werden, dass der vorangegangene Text verdeckt wird. Einzig die letzte geschriebene Zeile war für den nächsten wiederum sichtbar, der seinerseits in gleicher Weise verfuhr. Nachdem alle ihre zwei Zeilen – ohne die Kenntnis des gesamten Gedichttextes – niedergeschrieben hatten, las der Verfasser die zumeist recht lustigen und sehr schönen Kunstwerke jeweils vor. In diesem Zusammenhang sei auf das Buch von Erik Schilling hingewiesen (Dialog der Dichter. Poetische Beziehungen in der Lyrik des 20. Jahrhunderts), der darin verschiedene dialogische
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Besonders wichtig für diese Studie ist die Trias aus entweder einem Gedichteschreibenden Soziologen oder einer Soziologin (1), z.B. während eines Aufenthaltes im Forschungsfeld, und deren Sichtbarwerden innerhalb der Forschungsgemeinschaft (2) sowie darüber hinaus, bei weiteren Leserinnen oder bei einem Vortrag vor den Hörerinnen (3). Oder man denke diesbezüglich an eine Forscherin oder einen Forscher (1), die oder der im Rahmen einer Forschungsarbeit, Studienprobandinnen darum bittet (2), lyrische Texte zu einem bestimmten Thema anzufertigen, die dann (in anonymisierter Form versteht sich) an die Studienteilnehmerinnen zurückgespielt werden können, wenn man nach der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse bei einer öffentlichen Präsentation (3) gemeinsam über diese spricht. Auf beide benannten Aspekte wird in diesem Kapitel noch eingegangen werden – insbesondere in den Punkten des Kapitels III.2.2. Doch zuvor soll die Arbeit zunächst innerhalb der Soziologie verortet werden (vgl. Punkt III.1.1). Woran sich Überlegungen anschließen werden, wie sich ganz allgemein mit Literatur (verstanden als Quelle) innerhalb der Soziologie arbeiten lässt (vgl. Punkt III.1.2). Dies wird beispielhaft anhand von Fabeln aufgezeigt werden. Im Weiteren soll sichtbar gemacht werden, dass es innerhalb der Soziologie bereits seit der Begründung des Fachs so etwas wie eine lyrische Gesellschaft gegeben hat. Und zwar in Form von Soziologinnen, die Lyrik verfasst und verschiedentlich auch veröffentlicht haben. In diesem Zusammenhang wird exemplarisch auf Georg Simmel und Norbert Elias eingegangen werden (vgl. Punkt III.1.3). Beide, dies sei vorab schon erwähnt, verstanden sich darauf, in und mit Lyrik auch soziologische Aspekte zu thematisieren.
1.1
Eine soziologische Standortbestimmung
Will man diese Studie im Spektrum der soziologischen Disziplin und ihrer verschiedenen ausdifferenzierten Spezialfelder verorten, so müsste man in jedem Fall konstatieren, dass es sich um eine literatursoziologische Studie handelt, in der »Literatur als Soziologie« (Dörner/Vogt 2013: 71; Hervor. i.O.) prinzipiell begriffen wird. Dies meint nichts weniger, als »[…] das Potential literarischer Texte bei der Analyse sozialer Welten und somit als Hilfe zum Verständnis von Gesellschaft ernst zu nehmen.« (Ebd.; Hervor. D.G.) Wie eine solche soziologische Analyse von Literatur aussehen kann, wird im Folgenden noch eingehender dargelegt werden. Zunächst sei noch herausgestrichen, dass die hier vorgenommene Schwerpunktsetzung nur eine denkbare Variante neben anderen ist.
Konstellationen von Lyrikerinnen und Lyrikern für das letzte Jahrhundert aufzeigt (vgl. Schilling 2015).
1. Lyrische Gesellschaft
Ebenso wäre es plausibel, die vorliegende Arbeit im Bereich der qualitativen Sozialforschung zu verankern.3 Denn der Verfasser versteht diese Arbeit auch als Beitrag zu einer Erweiterung der Methodenvielfalt innerhalb der qualitativen Sozialforschung. Dies hat u.a. auch damit etwas zu tun, dass hier, wie bereits im Kapitel I.2 dieser Arbeit skizziert, dafür plädiert werden soll, dass nicht nur die Texte von professionellen Schriftstellerinnen von literatursoziologischer Relevanz sind, sondern dass auch andere poetische Artefakte für die sozialwissenschaftliche Forschung von Bedeutung sein können. Dass dieser Gedanke hier formuliert werden muss, hat insbesondere damit zu tun, dass die beiden österreichischen Soziologen Helmut Kuzmics und Gerald Mozetič bei ihrem »Literatur-als-SoziologiePlädoyer« (Kuzmics/Mozetič 2003b: 68) bzw. bei ihren soziologischen Literaturanalysen v.a. auf namenhafte Autoren, wie z.B. Robert Musil, Heinrich Mann oder Theodor Fontane zurückgegriffen haben (vgl. Kuzmics/Mozetič 2003a). Unberücksichtigt blieben dabei jedoch lyrische Texte, die sich ebenfalls als Literatur behandeln lassen,4 denen aber oft nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwird, wie den Arbeiten von gestandenen Autorinnen des Literaturbetriebs.5 Zu denken wäre dabei beispielsweise an lyrische Tagebucheinträge von Privatpersonen oder die Texte von Poetry-Slammerinnen. Ferner ließe sich auch an lyrische Notizen denken, die Forscherinnen im Feld vornehmen oder im Eigenverlag erstellte GedichtAnthologien von Privatpersonen usw. usf. Der Ansatz von Kuzmics und Mozetič, also »[d]ie Erkenntnismöglichkeiten der Soziologie [.] durch die analytische Auswertung von Literatur […] [zu] erweitern und [zu] verbessern« (Kuzmics/Mozetič 2003b: 67), wird mit und in dieser Studie geteilt. Die vorliegende Arbeit geht aber noch einen Schritt weiter, indem sie das Lyrische und dessen Formen weiter fasst und noch enger als bislang mit der qualitativen Sozialforschung verzahnt. Es werden demnach – ganz im romantischen Sinne der Schlegel’schen progressiven Universalpoesie (vgl. Schlegel 1988: 114) – Literaturwissenschaft mit Soziologie, aber
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4
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Weiterhin wäre es möglich, die Studie innerhalb der Kunstsoziologie zu verorten (vgl. zur Kunstsoziologie Parzer et al. 2014) oder auch im Kontext der Emotionssoziologie (wie es auch noch im Punkt III.2.4.2 skizziert werden wird). Im Sinne der wissenschaftlichen Komplexitätsreduktion und weil der ursprüngliche Impuls dieser Arbeit aus der Literatursoziologie herrührt, werden diese beiden Aspekte jedoch nicht zentral weiterverfolgt. Stefan Matuschek macht im Rückgriff auf die Überlegungen von Friedrich Schlegel bei der Frage danach, was denn Literatur sei, darauf aufmerksam, »[d]ass die Literatur keine fixe, sondern eine sich historisch verändernde Größe ist […]« (Matuschek 2010: 291), was somit alles dazugehört (und was nicht), ist stets vorläufig (vgl. ebd.). Dass die Lyrik bei soziologischen Auseinandersetzungen mit Literatur eher keinen hohen Stellenwert hat, ist ein Befund, der immer mal wieder festgehalten wird: »There is nearly no reference to poetry in most work in the sociology of literature.« (Ward 1979: 89)
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
auch Literatur und qualitative Sozialforschung zusammengeführt.6 Bevor die Bedeutung bzw. der Gewinn der lyrischen Forschungsmethode für die qualitative Sozialforschung erläutert werden soll, wird zunächst anhand der literarischen Gattung der Fabel dargestellt, wie »Literatur als Soziologie« (vgl. Kuzmics/Mozetič 2003a) konkret im Medium des Lyrischen umgesetzt werden kann.
1.2
Literatur als Soziologie – das Beispiel der Fabel7 »Ist die Fabel ›Vom Hasen und vom Igel‹ nicht eher die ›Vom Hasen und von der Ameise‹? Die eine Figur springt, rennt, hüpft, schlummert, wacht auf und schlägt einen Purzelbaum, so sicher ist sie, das Wettrennen zu gewinnen und sich die Siegprämie schnappen zu können. Doch die andere Figur schläft nie. Sie stapft mühsam weiter, beißt sich unentwegt wieder durch; sie gönnt sich keine Pause vom Graben winziger Gänge, deren Wände aus nichts als Lehm und Speichel bestehen und durch die sie vor und zurück wandert. Und dennoch: Kann man nicht fairerweise sagen, daß die Ameise, zur großen Überraschung des Hasen, gewinnen wird?« (Latour 2010: 378)
Es mag eine weitere Überraschung dieser Studie sein, dass sich nun das soziologische Interesse auf die Auseinandersetzung mit Tierfabeln richtet. Nicht nur, dass damit erneut (neben der bereits für diese Studie in Anspruch genommenen Lyrik) ein Untersuchungsgegenstand ins Visier soziologischer Analyse gerät, den man eher in der Literaturwissenschaft vermuten würde, sondern darüber hinaus konfrontiert einen diese Thematik gleich mit der grundsätzlichen Frage, warum 6 7
Oder eben romantisch reformuliert: ›zusammengemischt‹, denn »[d]er Zentralbegriff für die romantische Poesie heißt [.] nicht ›Synthesis‹, sondern: Mischung.« (Göbel 1997: 181) Die Idee der Punkte III.1.2 bis einschließlich III.1.2.4 geht zurück auf einen Vortrag, den der Verfasser am 18.06.2015 im Rahmen des Frühsommer-Workshops der DGS-Sektion Umweltsoziologie (Thema: Tiere im Blick der Soziologie) unter dem Titel Von Bienen und Stachelschweinen: Die (Tier-)Fabel im Blick der Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gehalten hat.
1. Lyrische Gesellschaft
sich Soziologinnen auf einmal mit Tieren befassen sollten, anstatt – was wohl erwartbarer wäre – mit Menschen. Schließlich gelten Tiere innerhalb der Soziologie in der Regel8 als »Usos« (Uzarewicz 2011: 333; Hervor. i.O.), also als »unbekannte soziologische Objekte« (vgl. ebd.). Vor dem Hintergrund dieser Einwände möchte dieser Abschnitt aufzeigen, dass Fabeln sehr wohl von soziologischer Relevanz sein können (und zwar nicht bloß für die Literatursoziologie) und dass speziell durch (oftmals gereimte) Tierfabeln sowohl etwas über Menschen als auch über Tiere in Erfahrung gebracht werden kann, und dass zwischen der Soziologie und den Fabeln sogar eine gewisse Wahlverwandtschaft besteht. Bevor die Argumentation zu diesen drei Punkten beginnen kann, ist es erforderlich zu bestimmen, was eine Fabel im Kern eigentlich ausmacht.
1.2.1
Was ist eine Fabel? Versuch einer Begriffsbestimmung
Zu definieren, was denn eine ›Fabel‹ sei, ist alles andere als einfach und folglich sind die meisten Versuche einer Bestimmung eher »unbefriedigend« (Leibfried 1982: 16), wie der Literaturwissenschaftler Erwin Leibfried konstatiert. Ein Grund hierfür dürfte darin liegen, dass es die Fabel als solche nicht gibt, sondern vielmehr verschiedene Varianten und Formen sowie differente Auffassungen darüber, wie eine Fabel zu sein hat.9 Dennoch braucht man für eine weitergehende (literatur-)soziologische Analyse zumindest eine geeignete Arbeitsdefinition, anhand derer man den Untersuchungsgegenstand überhaupt zu fassen oder anders gesagt: in den Blick bekommt. Betrachtet man dabei zunächst allein die Wortherkunft, so lässt sich »Fabel« aus dem lateinischen Ausdruck »fari« herleiten, der ins Deutsche übersetzt »sprechen« bedeutet (vgl. Grubmüller 1997: 555; Sternberger 1950: 8). Fragt man im Anschluss daran, wer oder was in den »erzählenden, meist einepisodischen Texten« (Grubmüller 1997: 555) denn eigentlich ›spricht‹, dann sind dies in aller Regel »nicht-menschliche Akteure« (ebd.). Damit wiederum sind insbesondere Tiere, aber auch Pflanzen und Dinge, wie etwa ein Sack,10 gemeint, die sich dergestalt verhalten, »als stünden ihnen die Möglichkeiten menschlichen Bewusstseins zur Verfügung« (ebd.). Vor dem Hintergrund der bis hierhin gefassten Begriffsbestimmung kann es folglich keine »Unterkategorie der ›Menschenfabel‹« (ebd.) – im Gegensatz zur 8
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Als Ausnahme von der Regel kann z.B. die Philosophische Anthropologie – verstanden als soziologischer Denkansatz – ins Feld geführt werden, da sie in systematischer Absicht mit einem (Pflanze-)Tier-Mensch-Vergleich operiert. Vgl. hierzu u.a. Fischer (2009) sowie ganz grundlegend Fischer (2008). Zu einer Auswahl und Zusammenstellung verschiedener Fabeln vgl. u.a. Dithmar (1988). Verwiesen sei diesbezüglich auf Wilhelm Buschs Fabel Ein dicker Sack, in der ein Getreidesack eine Rede zu den Ähren eines Getreidefeldes hält (vgl. Busch 1988: 267).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Tier- und Pflanzenfabel – geben. Soll heißen, Menschen bilden in Fabeln eher die Ausnahme.11 Bestimmendes Merkmal einer Fabel ist zudem nicht etwa, wie man vielleicht an dieser Stelle erwarten würde, eine Lehre12 oder durch diese vermittelte Moral, sondern allgemeiner formuliert: ein »demonstrative[r] Charakter« (ebd.).13 Mittels Fabel wird demnach etwas, z.B. ein Sachverhalt, ein Normbruch, ein Machtverhältnis etc., aufgezeigt, veranschaulicht oder dargelegt. Notwendig wird diese weite Fabeldefinition v.a. deshalb, weil es insbesondere im 20. Jahrhundert (aber z.T. auch schon davor, wie anhand von Fabelbeispielen noch zu zeigen sein wird) unter Fabeldichterinnen zunehmend unüblich geworden ist, den Fokus auf eine »Moraldidaxe« (Koch 1982: 262) zu legen. Unabhängig davon eint jedoch alle bisher bekannten Fabeln die Tatsache, dass das erzählte Geschehen zumeist fiktiv ist (vgl. Grubmüller 1997). Dennoch – und darin liegt nun vielleicht ein gewisser Widerspruch – ist die Fabel in der Lage, uns den »Lauf der Welt« (Sternberger 1950: 21) (oder zumindest einen Teil davon) sichtbar zu machen, wie Dolf Sternberger es in seinem Essay Figuren der Fabel formuliert (vgl. Sternberger 1950).
1.2.2
Zwei Fabelbeispiele: Die Biene und die Bremse und Wolf und Stachelschwein
Um die bis zu diesem Punkt getätigten Begriffsbestimmungen abzuschließen und um gleichsam zu veranschaulichen, was mit den verschiedenen Aspekten einer Fabel jeweils tatsächlich gemeint ist, seien hierfür zwei – bewusst kurze – Fallbeispiele gegeben.14 Es handelt sich dabei um die Fabel Die Biene und die Bremse, welche vom Dichter Johann Friedrich August Kazner (1732-1798) im 18. Jahrhundert verfasst worden ist (vgl. Kazner 1786: 103) sowie um Friedrich Haugs (1761-1829) Wolf und Stachelschwein, die er 1823 veröffentlichte (vgl. dazu Dithmar 1988: 343).
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13 14
Dennoch kann es passieren, dass Menschen – zumal in modernen Fabeltexten – vorkommen können, wie beispielsweise in James Thurbers Fabel Das kleine Mädchen und der Wolf (vgl. Thurber 1988). Gleichwohl kann eine solche Lehre in einer Fabel natürlich zuweilen enthalten sein, über die Novalis allgemein festhält: »Die Fabellehre enthält die Geschichte der urbildlichen Welt – sie begreift Vorzeit, Gegenwart und Zukunft. Die Menschenwelt ist das gemeinschaftliche Organ der Götter. Poesie vereinigt sie wie uns.« (Novalis 2015b: 383) Dies unterscheidet die Tierfabel übrigens maßgeblich vom Tiermärchen, wo nichts demonstriert wird (vgl. Grubmüller 1997: 555). Die folgenden Beispiele sind keine genuinen romantischen Fabeln. Wer sich speziell für Fabeln von Romantikerinnen interessiert, sei u.a. auf das Werk von Heinrich Heine verwiesen, wo sich z.B. Die Wahl-Esel-Fabel findet (vgl. Heine 1988). Die Auswahl hier erfolgte jedoch unter einem romantischen Gesichtspunkt, wonach »[a]lles [.] zum Zauberwerkzeug werden [kann]« (Novalis 1992c: 115).
1. Lyrische Gesellschaft
»Die Biene und die Bremse Eine Bremse war einst die Zuschauerinn der Arbeit der Bienen. hm! fieng sie endlich an zu summen; Was dieses für ein steiffes, gezwungenes, langsames Geschäft ist! Zu was nuzt es, alles so abzuzirkeln, so sorgfältig einzutheilen, so rein zu machen? Du würdest zehnmal ein- und ausfliegen können in der Zeit, die du mit dieser unnöthigen Ordnung verliehrst. Störe mich nicht mein Freund! antwortete die Biene. Unordnung scheint zu fördern, und ist am Ende der größte Zeitverlust.« (Kazner 1786: 103) »Wolf und Stachelschwein Der Wolf begann zum Stachelschein: ›Was soll dein eitles Dräu’n und Dröhnen Mit hundert Bajonetten sein? Laß ab! Wir wollen uns versöhnen.‹ – Doch jenes sprach: Herr Fuchs-Wolf, nein! Komm erst mit ausgebrochnen Zähnen; Dann zieh‘ ich meine Stacheln ein.« (Haug 1988: 250) Dass offensichtlich »nicht-menschliche Akteure« (Grubmüller 1997: 555) in beiden Fabeln auftauchen, liegt auf der Hand. In der einen Fabel sind es eine »Biene« und eine »Bremse«, die in einem kommunikativen Interaktionszusammenhang stehen und in der anderen Fabel ein »Wolf« und ein »Stachelschwein«. Beide Begegnungen dürfen zudem auf spezifische Weise als fiktiv gelten. Soll heißen, dass sich eine Biene und eine Bremse bzw. ein Wolf und ein Stachelschwein in der Natur möglicherweise sogar begegnen könnten – dies ist jedenfalls vorstellbar –, aber dass dieses Aufeinandertreffen in jener Weise erfolgt, wie es konkret geschildert wird, darf bezweifelt werden. Warum sollte auch eine Bremse einer Biene Ratschläge zu deren Arbeitsablauf und -organisation machen wollen oder ein Stachelschwein von einem Wolf verlangen, dass dieser sich die Zähne herausbrechen solle? Daran wird nun auch der dritte zentrale Gesichtspunkt einer Fabel erkennbar: In beiden Fa-
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
beln wird etwas demonstriert. Nun ließe sich im Detail natürlich darüber streiten, was jeweils veranschaulicht werden soll. An dieser Stelle sollen zwei Interpretationsvorschläge unterbreitet werden. Während es in der ersten Erzählung von der Biene und der Bremse wohl darum gehen dürfte, zu veranschaulichen, dass Ordnung, unabhängig davon, wie viel Zeitaufwand sie erfordert, effizienter ist als jede Form der Unordnung, will uns die zweite Fabel vermitteln, dass man nur dann etwas einfordern kann, wenn man selbst zu Zugeständnissen bereit ist.
1.2.3
Tierfabeln im Blick der Soziologie
Die aufgezeigten Grundmerkmale der Fabel bringen uns nun an den Punkt, Tierfabeln genauer in den Fokus der Soziologie zu rücken. Was bei der Lektüre von Tierfabeln besonders auffällt, ist, dass die Tiere, wie in der Fabeldefinition bereits erwähnt, mit »menschliche[m] Bewußtsein[.]« (Grubmüller 1997: 555) versehen werden. Anders gesagt: Sie sprechen, denken, fühlen und handeln als wären sie Menschen. Zugespitzt könnte man demnach sagen, dass man den Tieren in den fabelhaften Erzählungen Geist zugesteht, sie mit Geist ausstattet. Eine Tatsache, die insofern interessant ist, weil man Tiere ansonsten in aller Regel als geistlose Objekte und nicht als geistvolle Subjekte ansieht (vgl. Thieme 2015: 4; Buschka/Rouamba 2013).15 So behandeln wir sie oft, wie Sonja Buschka und Jasmine Rouamba ausführen, als »Nahrungs- und Kleidungsmittel, Versuchsobjekt, Haus- und Sporttier sowie als Ausstellungsstück und Prestigeobjekt« (Buschka/Rouamba 2013: 247; Hervor. i.O.). Demgegenüber bieten Tierfabeln immer schon die Möglichkeit, »Tiere als Subjekte zu gestalten« (Borgards 2012: 105). »Dazu reicht es«, wie Roland Borgards festhält, »Tiere mit menschlichen Fähigkeiten auszustatten, vor allem mit der Sprachfähigkeit« (ebd.). Die sozial konstruierte Trennung zwischen »Tier-Objekt« (ebd.) und »Mensch-Subjekt« lässt sich in den Tierfabeln somit auflösen (vgl. ebd.),16 wodurch diese literarische Gattung in ihren fiktiv anmutenden Geschichten seit Jahrhunderten unlängst vorwegnimmt, was manche – v.a. heutzutage – fordert, nämlich Tiere und Menschen »als gleichwertig« (Buchner-Fuhs 2015: 323) aufzufassen.17 Ebenso denkbar sind darüber hinaus Fabeln, in denen das Tier dem Menschen in seinen Fähigkeiten als überlegen präsentiert wird. Allerdings nehmen Tierfabeln nicht nur die Gleichberechtigung oder die Umkehr bestehender Machtverhältnisse von Menschen und Tieren literarisch-imagi15
16 17
»Bereits seit der Antike wird auf ›Geist‹ als vermeintlich natürliches Unterscheidungskriterium zwischen Menschen und Tieren rekurriert: ›Geist‹ wird als natürliches menschliches Alleinstellungsmerkmal konstruiert.« (Buschka/Rouamba 2013: 248; Hervor. i.O.) Im Übrigen gilt dies nicht nur für die Fabel. Auch die Darstellung von Tieren in Bilderbüchern weist dieses Potential prinzipiell auf (vgl. dazu auch: Buchner-Fuhs 2015). Für weitere Literaturverweise siehe dazu beispielshalber auch: Buschka/Gutjahr/Sebastian (2012).
1. Lyrische Gesellschaft
nativ vorweg, sondern verweisen ebenso dezidiert auf die Tiere als animalische Wesen. Über Fabeln lernen wir z.B., dass die Biene – um bei der erwähnten Fabel zu bleiben – auf eine aufwendige Ordnung in ihrem Bienenstock setzt. Sie fliegt nicht einfach hinein und hinaus, wie es ihr die Bremse rät, sondern »zirkelt alles ab« und »teilt ein« (vgl. Kazner 1786: 103). Was der Fabeldichter Kazner damals noch nicht in seinem genauen Ablauf wissen, aber zumindest beim Betrachten eines Bienenstocks beobachten konnte, war, dass die Bienen das Sammeln von Honig durch Tänze bewerkstelligen.18 Die Bienen teilen sich demnach tanzend und summend untereinander mit, wo es eine Futterquelle zu finden gibt, so dass eine präzisere Suche möglich wird (vgl. zur Tanzsprache der Bienen: Kirchner/Towne 1994). Wir bekommen hier also mit der Fabeldichtung auch eine Beschreibung über das natürliche Verhalten von Bienen vermittelt. Dagegen erscheint die Tatsache, dass ein Stachelschwein über Borsten zur Abwehr von Feinden verfügt, geradezu trivial – aber dennoch wird dies bei der kurzen Geschichte mit erwähnt und hat Einfluss auf unsere Vorstellung davon, wie ein Stachelschwein beschaffen ist. Ausschließlich davon auszugehen, dass das Tier lediglich anthropomorphisiert wird und menschliche Eigenschaften erhält, greift jedenfalls nach den soeben dargelegten Gesichtspunkten in der Analyse zu kurz – bzw. führt sogar in eine »sozialwissenschaftliche Sackgasse« (Buchner-Fuhs 2015: 302). Zwar ist es durchaus so, dass Tiere nicht in jeder Hinsicht biologisch korrekt dargestellt werden. Deshalb liegt die Frage auf der Hand, warum ein Wolf den Wunsch haben sollte, sich mit einem Stachelschwein zu versöhnen. Und doch wird dabei stets ein oder mehrere Körnchen Wahrheit über die Tiere, z.B. deren Aussehen, deren Verhalten, deren Habitate etc., in den fiktiven Fabeln mittransportiert. Dies wiederum beeinflusst auch unser Wissen über Tiere, unsere Einstellungen zu ihnen und die Zuschreibungen, die wir ihnen zuteilwerden lassen. Das im kollektiven Gedächtnis verankerte Bild eines Stachelschweins zeichnet dieses als ein putziges oder gar drolliges Tier, während ein Wolf vielfach Ängste und entsprechende Abwehrhaltungen auslöst. »Für die tierlichen Lebewesen in der Welt heißt das, dass sie immer auch mit Zeichen durchsetzt sind; für die tierlichen Zeichen in Texten heißt das, dass sie immer auch mit dem Leben verbunden sind.« (Borgards 2012: 105) Demgemäß sind Tiere »[…] immer Lebewesen und Zeichen zugleich – in der Welt wie in der Literatur« (ebd.). Gleichwohl muss kritisch angemerkt werden, dass die Tierfabeln zwar Tiere als handelnde Akteure darstellen und wir ihnen diesen Subjekt-Charakter zugestehen, aber die Fabeltexte sind dennoch nicht von Tieren, sondern von Menschen verfasst. 18
»Ausgehend von dieser Beobachtung kann verallgemeinernd die These vertreten werden, dass in literarischen Texten ein historisch je spezifisches Wissen vom Tier nicht nur abgebildet, sondern mit entworfen wird.« (Borgarts 2012: 95)
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Es bleibt letztlich der menschliche Blick auf die Tiere, der ihnen in tierischen Fabeln zuteilwird. Es sind nicht die jeweiligen Tiere, die selbst bestimmen, wie sie dargestellt und gesehen werden; dies bestimmt v.a. der Mensch.19 Trotz dieses berechtigten Einwands ermöglichen es die Tierfabeln, Tiere in den Mittelpunkt einer Geschichte zu stellen, auf sie hinzuweisen und sie unter anderen, nicht zwangsläufig realen Vorzeichen zu betrachten – z.B. als fühlende Lebewesen mit Geist oder als vernunftbegabte, handelnde Akteure.
1.2.4
Der Mensch in der Tierfabel
Wir erfahren in Tierfabeln jedoch v.a. etwas über die »Charakterisierung von Menschen« (Borgarts 2012: 88) und somit etwas über die Arten und Weisen, wie Menschen miteinander umgehen. Gerade das sollte ein triftiger Grund sein, sich soziologisch mit Fabeln zu befassen. Um dies zu verdeutlichen, sei noch eine weitere kurze Fabel von Kazner eingeführt: »Die Biene und die Wespe Eine Wespe strit‘ einst mit einer Biene um den Vorzug. Ich bin grösser, sprach sie, wie du. Mein Sumsen ist lauter, als das deinige, und mein Stachel wird noch mehr gefürchtet. Aber, antwortete die Biene, wo ist dein Honig?« (Kazner 1786: 100) Auch in dieser Fabel wird etwas über die Natur der Wespe und der Biene vermittelt – z.B., dass eine Biene in der Lage ist, Honig zu erzeugen und eine Wespe nicht –, aber die Fabel verrät primär etwas über den Umgang von Menschen unter- resp. miteinander, der durch die Tiere metaphorisch umschrieben wird. Es handelt sich dabei um die menschliche Neigung, sich mit anderen Menschen zu messen und zu vergleichen. Kennzeichnend dafür ist, dass Menschen sich nicht etwa willkürlich mit anderen vergleichen, sondern meist mit jenen, die ihnen am nächsten stehen, wie beispielsweise Albert O. Hirschman in seinen Thesen zum »Tunneleffekt« herausgearbeitet hat (vgl. Hirschman 1989). Es kommt somit nicht von ungefähr, dass sich die Wespe in der Fabel mit einem ihr ähnlichen Insekt vergleicht und nicht etwa mit einem Bären, was ebenso konstruierbar gewesen wäre. Die Fabel greift demzufolge protosoziologisch jener Erkenntnis des »Tunneleffekts« vor, wonach 19
Treffend bringt dies auch Frank Thieme zum Ausdruck: »Wie ein Tier zu sehen ist und wie es behandelt werden soll, das bestimmt der Mensch.« (Thieme 2015: 7)
1. Lyrische Gesellschaft
man sich in seinem Handeln bevorzugt an jenen Menschen orientiert, die einen umgeben (vgl. ebd.). Später sollte diese Feststellung Bestandteil des Wissensfundus der Soziologie werden. Auch die anderen beiden Fabeln verweisen auf den Menschen und sein soziales Handeln. Sich z.B. (nach einem vorangegangenen Streit) zu versöhnen, wie es in der Fabel der Wolf – ob nun ernst gemeint oder nicht – dem Stachelschwein vorschlägt, lässt an Simmel denken, der über die Versöhnung in seiner Schrift Der Streit schrieb: »Die Versöhnlichkeit ist eine primäre Stimmung, die, ganz jenseits objektiver Gründe, den Kampf ebenso zu beenden sucht, wie die Streitlust, nicht weniger ohne sachliche Veranlassung, ihn unterhält.« (Simmel 2013c: 262) Aus der Fabel geht nicht hervor, warum sich der Wolf versöhnlich zeigt. Die Schrift lässt zudem ganz bewusst offen, wie der Wolf auf die Antwort des Stachelschweins reagieren wird. Der Wunsch, sich auszusöhnen, kann ebenso plötzlich auftreten, wie die Lust, sich zu streiten. Die Fabel greift daher abermals sozialen Fragestellungen vor, die später bei Simmel eine eingehende soziologische Betrachtung erfahren sollten. Desgleichen ist die Frage nach dem Verhältnis von Ordnung und Unordnung, wie sie in dem Dialog der Bremse mit der Biene aufgeworfen wird, eine in höchstem Maße prominent soziologische, fragt sich doch z.B. Niklas Luhmann knapp zwei Jahrhunderte nach der Veröffentlichung der Kazner-Fabel in einem Aufsatz danach, »wie soziale Ordnung möglich ist« (vgl. Luhmann 1981). Die Fabeltiere können daher einerseits auf bestehende soziale »Werte, Normen und Rollen« (Thieme 2015: 13) an sich verweisen und damit deren Existenz für den Leser und die Leserin versinnbildlichen, andererseits aber ebenso deutlich machen, wie man mit diesen jeweils umgehen kann – oder sollte.20
1.2.5
Zwischenfazit
Mit den skizzierten Beispielen sei nicht behauptet, dass jede Fabel per se einen soziologischen Grundzug in sich tragen würde (vgl. zu diesem Aspekt auch Leibfried 1982: 14). Eine gewisse Wahlverwandtschaft zwischen der Fabeldichtung und der Soziologie und ihren Themen ist hingegen durchaus gegeben. Dabei geht es keineswegs ausschließlich um Macht- bzw. Herrschaftsverhältnisse, sondern Fabeln widmen sich ganz unterschiedlichen sozialen Thematiken (Ordnung/Unordnung, Versöhnung/Kampf usw.). Demnach kann gesagt werden, dass Fabeln mindestens so wie die Soziologie für soziale Wirklichkeiten sensibilisieren und dahinter liegende soziale Regeln und Zusammenhänge sichtbar werden lassen. Dabei greifen die
20
Eine für die Soziologiegeschichte recht bekannte und umfängliche Fabel stellt Bernard de Mandevilles Schrift Die Bienenfabel dar, in der er die (menschliche) Lasterhaftigkeit als maßgeblich für wirtschaftliche Prosperität charakterisiert (vgl. Mandeville 1957).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Dichterinnen gern auf Tierfiguren zurück. Im Mittelpunkt stehen indessen aber jeweils die Menschen und die sozialen Wirklichkeiten, die sie entstehen lassen.21 Die These von der Wahlverwandtschaft zwischen fabelhafter Erzählung und Soziologie begrenzt sich allerdings keinesfalls nur darauf, dass beide soziale Phänomene betrachten und gegebenenfalls dekonstruieren, um uns u.a. für alltägliche Sachverhalte »aufmerksamer zu machen« (Bauman 2010: 28; Hervor. i.O.), wie Zygmunt Bauman es mit explizitem Bezug zur Soziologie bemerkt. Sondern die Wahlverwandtschaft gründet auch darauf, dass sowohl die Fabel als auch soziologische Betrachtungen stets eine andere Welt als die Gegebene für denkbar halten. Während die Soziologie bestehende soziale Konstruktionen mit Vorliebe in Frage stellt, indem sie diese hinterfragt, entwirft die Fabel oftmals eine fiktive Geschichte (also eine Fiktion einer sozialen Konstruktion), die zumindest andeutet, dass etwas auch anders sein kann – und sei es eben, Tiere ganz bewusst als Subjekte oder generell mit ihnen zu denken. Beide, die Tierfabel und die Soziologie, sind somit in der Lage, bestehende Vorstellungen aufzubrechen und »Verfestigtes aufzulösen« (Bauman 2010: 29; Hervor. i.O.). Die bis hierhin vorgetragenen Gemeinsamkeiten zwischen der Soziologie und der Fabel sind damit noch nicht erschöpfend dargelegt. Eine vollständige Betrachtung dieser Wahlverwandtschaft sollte an dieser Stelle jedoch auch nicht geleistet werden, aber es sei noch darauf hingewiesen, dass es auch eine interessante Nähe zwischen den Dichterinnen von Fabeln und den Vertreterinnen der Soziologie gibt. In der Literatur heißt es: »[…] [D]er wahre Fabulist greift in die dunkle Welt, die schwirrende Erfahrung hinein, packt sie beim Schopf und bringt sie ins Bild.« (Sternberger 1950: 16) Ähnlich formuliert das Peter L. Berger für alle Soziologinnen, wenn er in seiner Einladung zur Soziologie konstatiert: »Uns geht es um die verzehrende Neugier, die jeden Soziologen vor einer verschlossenen Tür packt, hinter der menschliche Stimmen ertönen. Ein richtiger Soziologe will sie öffnen, die Stimmen verstehen. Er vermutet hinter jeder Wand ein Stück menschliches Leben, das noch kein anderer entdeckt und verstanden hat. Er kümmert sich um Angelegenheiten, die anderen sakrosankt oder zu profan sind. Die Gesellschaft von Priestern oder Prostituierten ist ihm gleich lohnend.« (Berger 1970: 28)22
21 22
Mit Blick auf die Fabel vgl. Sternberger (1950: 17); im Kontext der Soziologie vgl. z.B. Bauman (2000: 29). Nahtlos ließe sich an Peter L. Bergers Ausführungen noch mit einer Aussage von Novalis anschließen, der zwar nicht wissen konnte, wer oder was Soziologinnen sind, aber doch vorwegnahm, was ebenfalls Teil ihrer Haltung zu sein hat: »Mich muß sogar das mir Unangenehme an andern Menschen interessieren.« (Novalis 1992d: 131)
1. Lyrische Gesellschaft
Wenn dies zutreffend ist und um zum Abschluss dieses Abschnitts auch noch einmal Fabeltiere zu Wort kommen zu lassen, dann sollten sich Soziologinnen neben der Soziologie (wenigstens theoretisch und prinzipiell) auch auf das Verfassen von Fabeln verstehen können, was hiermit an einer eigens entworfenen Fabel erprobt werden soll: Der Kieselstein Das Stachelschwein lehnt an einem Baum, von dort sieht es an des Waldes Saum die Eichkatz mit dem Wiesel konversieren – hören wir ihnen zu, den kleinen Tieren: »Hey Eichhorn«, spricht das Wiesel »beschaffe mir einen Stein – am besten bitte Kiesel!« Die Eichkatz tut, wie ihr befohlen und schickt sich an, das Mineral zu holen. Nach einer Weile hat’s das gewünschte Objekt gefunden, doch das Wiesel ist vom Fleck verschwunden. Das Stachelschwein ruft sogleich von seinem Platze: »Was bist du nur für eine dumme Eichenkatze! Während du den Kiesel herzu geschafft, hat das Wiesel deinen Vorrat hinfort gebracht.« »Oh nein, das darf doch jetzt nicht sein! All die vielen, schönen Nüsse waren doch für mich allein und jetzt habe ich nur noch diesen blöden Stein!« »Ja, der Stein ist jetzt wohl dein.« »Nur kann ich ihn nicht wirklich essen…« »Aber er lässt dich auch nicht vergessen, dass du fielst auf des Wiesels Trick herein, so soll dessen Existenz dir fortan Mahnung sein, damit dir das nicht noch mal passiert und ein anderer deinen Besitz leichthin kassiert.« »Du hast Recht und ich beklaue nun den Specht!«23
23
»Durch Betrogenwerden lernt man Betrügen und wie bald ändert sich da nicht das Blatt, und der Meister wird Schüler seines Schülers. Ein dauerhaftes Glück macht nur der rechtliche Mann, und der rechtliche Staat.« (Novalis 1992a: 60)
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
1.3
Soziologinnen und Soziologen als Lyrikerinnen und Lyriker
Allein schon anhand des letzten Punktes über die Fabel(n) sollte evident geworden sein, dass Soziologinnen auch Lyrikerinnen sein können. Diese Schlussfolgerung soll auf den kommenden Seiten genauer erläutert werden. An den Anfang gestellt sei, dass sich die Idee zu dieser Arbeit einer lyrischen Entdeckung verdankt. Vor einiger Zeit stieß der Verfasser darauf, dass einige namhafte Soziologen nicht nur über ein soziologisches Werk, sondern auch über ein beachtliches Konvolut eigener lyrischer Texte verfügen. Während die soziologischen Arbeiten meist hinlänglich bekannt und erforscht sind, sind jene poetischen Teile in der Regel eher unbekannt und unerschlossen. Mit dieser Arbeit soll nun auch ein Licht auf diese unbekannte, romantische Seite von Soziologen geworfen werden.24 ┌ Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise interessant, dass der Soziologe Urs Jaeggi auch als Maler und Schriftsteller tätig gewesen ist und Horst Bosetzky – bis zu seinem Tode 2018 – nicht nur Professor für Soziologie war, sondern daneben zahlreiche (Kriminal-)Romane verfasst hat.25 Auch bei anderen Fachvertretern wird man im Hinblick auf eine außeruniversitäre schriftstellerische Tätigkeit durchaus fündig: Seit 2013 liegt z.B. das belletristische Buch Einzelgänger von Wolfgang Sofsky vor (vgl. Sofsky 2013); der Nachlass von Karl Mannheim beinhaltet auch »Ein Spiel in vier Szenen«, das den Titel Die Dame aus Biarritz trägt (vgl. Mannheim 1997); in der Autobiographie von Ralf Dahrendorf Über Grenzen. Lebenserinnerungen findet man von ihm selbst verfasste Gedichte (vgl. Dahrendorf 2002); und auch weniger namhafte – inzwischen fast vergessene – Soziologen, wie der Österreicher Gunther Falk, von dem u.a. zwei noch zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichtbände existieren, ließen sich in diesem Zusammenhang anführen (vgl. Falk 2006). Während sich die (Literatur-)Soziologie bisher meist einschlägig bekannten Werken von Literaten, wie Flaubert, Beckett, Melville, Kleist etc., zugewandt hat,26 sind die literarisch-künstlerischen Erzeugnisse von Soziologinnen, wie etwa deren
24
25 26
Die folgenden Sätze und Abschnitte sind bis zum Punkt III.2 einer bereits früher durch den Verfasser veröffentlichten Arbeit (Titel: SozialwissenschaftlerInnen und KünstlerInnen? Das Beispiel lyrischer SoziologInnen) in identischer Weise – inklusive Fußnoten – entnommen worden. Es handelt sich dabei um Grummt (2016: 395-396) sowie ab Punkt III.1.3.1 um Grummt (2016: 408-417). Lediglich kleinere Änderungen sowie Ergänzungen am Text sind für diese Studie noch erfolgt. Vgl. zum künstlerischen Werk von Urs Jaeggi z.B. Hunt (1993) und zu den Romanveröffentlichungen von Horst Bosetzky u.a. Bosetzky und Geserick (2013) sowie Bosetzky (2013). Zu Flaubert und dessen Buch Die Erziehung der Gefühle vgl. z.B.: Bourdieu (1987); zu Samuel Becketts Endspiel vgl. z.B.: Adorno (2015c); zu Melvilles Bartleby der Schreiber vgl. u.a.: Deleuze (1994); und zu Kleists Michael Kohlhaas vgl. z.B.: Kauppert (2005).
1. Lyrische Gesellschaft
geschriebene Lyrik, bislang kaum berücksichtigt worden.27 Dieses Manko soll mit dieser Arbeit – zumindest in Teilen – behoben werden. Deshalb werden sich die nun folgenden Ausführungen gezielt mit den lyrischen Kunstwerken beschäftigen, die von Soziologen hervorgebracht worden sind. Bei dieser Analyse steht die These im Vordergrund, dass Sozialwissenschaftlerinnen immer auch – wissentlich oder unwissentlich – ein künstlerisches Potential in sich tragen, da der Mensch kein nach verschiedenen, oftmals wissenschaftlich konstruierten Handlungsbereichen zu betrachtender »homo faber« (vgl. Frisch 1995), »homo ludens« (vgl. Huizinga 2006) oder »homo sociologicus« (vgl. Dahrendorf 2006) ist, sondern ebenso die Möglichkeit bzw. das Bedürfnis in sich trägt, sich künstlerisch als homo artifex – und sei es eben in Form von Gedichten – auszudrücken.28 Als Prototypen für lyrische Soziologen sind für die nächsten beiden Abschnitte Norbert Elias und Georg Simmel ausgewählt worden.29
1.3.1
Fallbeispiel 1: Norbert Elias
Einer der wohl bekanntesten lyrischen Soziologen dürfte Norbert Elias sein. Er gehört zu den wenigen Fachvertretern, zu dessen gesammelten Schriften ein ganzer Band zählt, der von ihm selbst verfasste »Gedichte und Sprüche« enthält (vgl. Elias 2004).30 Über diese umfangreiche Textsammlung schreibt Elias: »Die Gedichte dieses Bandes stammen aus verschiedenen Lebensaltern und so auch, da ich lange lebe, gewissermaßen aus verschiedenen Zeitaltern.« (Elias 2004: 11) Ein paar Seiten
27
28 29
30
Ausnahmen diesbezüglich bilden die erschienene Monografie von Tabea Dörfelt-Mathey, die sich erstmals intensiver mit den Gedichten von Norbert Elias befasst (vgl. Dörfelt-Mathey 2015), sowie die Arbeit von Monika Tokarzewska, die sich generell mit dem Verhältnis von Soziologie und Literatur im Werk von Georg Simmel auseinandersetzt (vgl. Tokarzewska 2010). Darin verbirgt sich zugleich erneut ein romantischer Gedanke, wonach z.B. Novalis forderte, dass »[j]eder Mensch [.] Künstler sein [sollte]« (Novalis 1992a: 63). Neben Simmel und Elias und den bereits zu Beginn dieses Abschnitts erwähnten Soziologen Urs Jaeggi, Ralf Dahrendorf und Gunther Falk, ist auch für Ferdinand Tönnies, Marie Jahoda, George Caspar Homans, Helmut Schelsky, Dieter Claessens und Heinrich Popitz nachweisbar, dass diese Gedichte geschrieben und z.T. sogar veröffentlicht haben. Für Tönnies vgl. z.B. Carstens (2013); für Jahoda vgl. z.B. ihre Lebenserinnerungen (Jahoda 1997); für Homans vgl. dessen Gedichtband The Witch Hazel (vgl. Homans 1988); Schelsky hat seine Gedichte in einem Privatdruck herausgegeben (vgl. Schelsky 1982); zu Claessens vgl. z.B. Reinhard (1981); und auch von Popitz existiert ein ganzer Gedichtband, der den Titel Die Quadratur des gordischen Knotens trägt (vgl. Popitz 2006). Diese Aufzählung ist damit keinesfalls vollständig, sondern versteht sich vielmehr als eine Ergebnissicherung in Bezug auf lyrische Soziologinnen und Soziologen. Weitere Hinweise auf bisher nicht erwähnte, aber für diese Thematik ebenso relevante Personen, nimmt der Verfasser jederzeit dankend entgegen. Elias war aber nicht nur selbst lyrisch aktiv, sondern hat sich zudem ebenso soziologisch mit Lyrik befasst (vgl. Elias 1987).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
weiter befindet man sich sodann direkt inmitten seiner Lyrik und kann dort z.B. lesen: »[…] Die Uhren werden begraben horch wie sie brummeln und drohn was können sie tun sie ärgern sich sie ärgern sich Die Uhren werden begraben die Raben werden verscheucht und niemand kann mehr sagen wischpetessis wischpetessis […]« (Elias 2004: 21) Es handelt sich dabei um eine Strophe des Gedichtes Kinderspiele (vgl. Elias 2004: 15), welches ursprünglich 1982 in der Zeitschrift Merkur erschienen ist und hier lediglich auszugweise wiedergegeben ist. Damit ist jedoch nicht sicher, dass der Text aus dem gleichen Jahr stammt, sondern nur, dass dieser zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht worden ist. Es lässt sich nicht exakt bestimmen, wann Elias diese Verse geschrieben hat und was der eigentliche Anlass dafür gewesen sein mag.31 Es wäre allemal interessant, dies zu erfahren, weil zumindest die Veröffentlichung zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem Elias auch erste Teile seiner Arbeit Über die Zeit (vgl. Elias 1990) publiziert hat. Die Studie, in welcher die Zeit als »ein reines Beziehungssymbol« (Treibel 2008: 44) betrachtet wird,32 das nicht automatisch existiert, sondern erst »in einem mehrjährigen Lernprozess angeeignet« (Treibel 2008: 45) werden muss, beinhaltet auch Aussagen, mit denen Elias näher auf die Uhr als ein Instrument dieses Prozesses eingeht: »Ob Sanduhr, Sonnenuhr oder Quarzuhr, Zeitmaßstäbe sind Instrumente, die sich Menschen für ganz bestimmte Zwecke geschaffen haben. Sie dienen Menschen als gemeinsame Bezugsabfolgen für die Bestimmung von Positionen im Nacheinander einer Vielfalt von oft recht verschiedenen Geschehensabläufen, von denen jeder potentiell oder aktuell sichtbar und greifbar ist, wie der Geschehensablauf der Uhren selbst.« (Elias 1990: 79) Am Wort »gemeinsame« (ebd.) lässt sich nunmehr erkennen, dass Uhren stets die Zeit einer Gruppe anzeigen, denn: »[W]enn jeder Mensch sich seine eigene 31
32
Petra Kunze, eine ehemalige Mitarbeiterin von Elias, schreibt dazu: »Im Nachhinein wird bei vielen Texten [von Norbert Elias; Anm. D.G.] jedenfalls auch schwer festzustellen sein, in welcher Reihenfolge die unterschiedlichen Fassungen entstanden sind.« (Kunze 2004: 34) Im Werk von Elias heißt es dazu beispielsweise: »›Zeit‹ und ›Raum‹ sind begriffliche Symbole für bestimmte Typen sozialer Aktivitäten und Institutionen; […].« (Elias 1990: 72f.)
1. Lyrische Gesellschaft
›Zeit‹ zurechtmachte« (Elias 1990: 99), dann würde sie ihre »Funktion als Zeitbestimmungsmittel einbüßen« (ebd.). Daraus ergibt sich weiterhin, dass sich jeder bzw. jede an die Zeit der Gruppe anzupassen, sich nach ihr zu richten hat, da dies sonst teils schwerwiegende Konsequenzen haben kann. An dieser Tatsache lässt sich deutlich der normierende, fast schon zwingende Charakter der Uhr erkennen, den sie auf das einzelne Individuum ausübt (vgl. ebd.). Man kann daher zunächst von einem »Fremdzwang« sprechen, der im Laufe der Sozialisation immer mehr zu einem »Selbstzwang« wird und der einen dazu bringt (vgl. Elias 1976), »[…] sich ständig zu fragen: ›Wie spät ist es?‹ oder ›Welches Datum haben wir heute?‹« (Elias 1990: 80) Alle diese Gesichtspunkte werden ebenso in Elias’ Gedicht thematisiert, bei dem sich, wie erwähnt, leider nicht eindeutig angeben lässt, ob es vor der »Zeit«-Studie oder danach geschrieben worden ist, so dass man weder zweifelsfrei konstatieren kann, dass das Gedicht die zentralen Thesen der Studie vorwegnimmt (im Sinne erster Forschungsnotizen und -überlegungen), noch dass es dieser – zusammenfassend – nachgestellt ist. Interessant ist nun zu sehen, wie Elias (als Verfasser der lyrischen Zeilen) seine Überlegungen zur Thematik der Zeit poetisch verdichtet. So spricht er beispielshalber nicht direkt von ›Zeit‹ oder ›Zeitlichkeit‹, sondern verwendet hierfür das Symbol der »Uhren«, die »als Verkörperungen der Zeit« (Elias 1990: 95) »begraben« (Elias 2004: 21) werden. Eingedenk dessen, was Adorno über Gedichte geschrieben hat, nämlich, dass sich in diesen der »Traum einer Welt« (Adorno 2015b: 52) ausdrückt, »in der es anders wäre« (ebd.), spricht auch Elias’ Gedicht von einem solchen Traum, der darin begründet liegt, dass es keine Uhren mehr gibt und infolgedessen sich keiner mehr fragt: »wischpetessis« (Elias 2004: 21) oder »›Wie spät ist es?‹« (Elias 1990: 79f.) Mit dem Wegfall dieser Frage würde auch der Selbstzwang, der diesbezüglich auf dem Einzelnen lastet, verschwinden – das Individuum wird (so jedenfalls die Theorie) frei und jeder Versuch, dies rückgängig zu machen oder gar das Begräbnis zu bezeugen, würde unterbunden werden: »die Raben werden verscheucht« (Elias 2004: 21). Zwar mag diese Befreiung vom Zeitdruck der Uhr eine Utopie sein, weil sich die Uhren nicht mehr aus der Welt nehmen lassen oder weil an die Stelle des Zeitdrucks ein anderer nicht weniger herausfordernder Zwang treten mag, aber Elias macht sowohl mit dem Gedicht als auch mit seinen soziologischen Ausführungen darauf aufmerksam, dass es sich bei Uhren und der Zeit um einen sozialen Gegenstand handelt, der von Menschen geschaffen wurde. Deshalb besteht jederzeit die Möglichkeit, dass das Regime der Uhrzeit durch Menschenhand verändert oder wieder abgeschafft werden könnte. Würde man die Zeitmessinstrumente abschaffen, so könnten diese von sich aus jedenfalls nichts dagegen tun (»was können sie tun?« (ebd.)) – außer vielleicht, dass man sie unter der Erde noch weiterticken hört (»horch wie sie brummeln und drohn« (ebd.)),
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
bis die Batterie leer ist.33 Das lyrische Kunstwerk und die wissenschaftliche Arbeit drücken folglich das Gleiche nur auf unterschiedliche Weise aus: Das nichts so sein muss, wie es gegenwärtig ist – oder erscheint –, und dass soziale Realitäten kontingent sind.
1.3.2
Fallbeispiel 2: Georg Simmel
Bewegt man sich in der Geschichte der Soziologie weiter zu den Anfängen des Faches zurück, so kann man auch über Georg Simmel – wiewohl dies weniger bekannt sein dürfte – sagen: Er war ebenfalls ein »Dichter« (Tokarzewska 2010: 13). Dass Simmel Gedichte geschrieben hat, weiß die Nachwelt allerdings nur durch dessen Sohn Hans Simmel, der dies einmal »beiläufig« (Simmel 2004b: 508) erwähnte, wie es im editorischen Bericht zum Band 17 der Georg Simmel Gesamtausgabe heißt. Veröffentlicht wurden Simmels lyrische Kunstwerke im Zeitraum von 1897 bis 1907 in aller Regel in der Zeitschrift Jugend unter den Initialen »G.S.« bzw. nur »S.« (vgl. Simmel 2004b: 509). Warum Simmel es vorzog, unter diesen Kürzeln, anstatt mit seinem vollen Namen, zu publizieren, ist nicht bekannt, so dass man lediglich darüber spekulieren kann, was dafür die Ursache gewesen sein könnte. Vorstellbar ist jedenfalls, dass es aus »einem Wunsch nach Diskretion« (Tokarzewska 2010: 20) heraus erfolgte, oder weil er befürchtete, dass »diese Art von Publikationen seinem Ruf als Wissenschaftler eventuell schaden könnte […]« (ebd.). Demgegenüber ließe sich jedoch einwenden, dass die Entzifferung, wer sich hinter den Buchstaben verbirgt, gerade für Freundinnen und Bekannte von Simmel keine besondere Schwierigkeit dargestellt haben dürfte (vgl. ebd.). Dies wird sicher auch bei dem folgenden Gedicht, das am 13.03.1901 erschienen ist und den Titel Nur eine Brücke trägt, der Fall gewesen sein: »Nur eine Brücke Im Herbst, auf ödem Wege, regengrau verhangen, Sah ich zuerst Dich gehen, still in eigner Schönheit. Dein Fuss verlangte wohl nach grünen Blumenwiesen Und Dein Gewand nach leicht bewegter Winde Spiel Und auch Dein Ohr nach still durchsonntem Sommerschweigen. Wie eine grosse Frage nach der Dinge Schönheit 33
Akustisch und optisch nachvollziehbar wird dieser Aspekt beispielsweise bei einer Taschenuhr, bei der man nicht, wie bei einer Wanduhr, sofort sehen kann, wie spät es gerade ist, sondern in aller Regel diese erst aufklappen muss, um die Zeit ablesen zu können. Solange die Taschenuhr verschlossen ist, kann man die Zeit nicht erkennen, aber man kann trotzdem das Ticken der auf dem Ziffernblatt voranschreitenden Zeiger hören.
1. Lyrische Gesellschaft
Gingst Du durch eine Welt, die keine Antwort gab Und wie in’s Leere fiel Dein Schritt und Blick und Athem. Es war ein Abgrund zwischen allem Sein und Dir, So brückenlos, – wie Ja und Nein es von einander sind, Dass Sehnsucht selbst nicht weiss, wohin die Arme strecken. Und wie Du mich erblicktest, der ich traurig ging Und liebend – und Dich ein Erröthen überkam, Der warmen Welle, die Dir auf zum Herzen stieg, Abglanz und Scham – ich wusst‘ es, ach, so gut und tief: Es war doch nur, dass plötzlich Dich die Hoffnung regte, Ich sei vielleicht die Brücke – nur die Brücke.« (Simmel 2004a: 404) Jemand oder etwas, so nimmt es die Überschrift vorweg, ist »nur eine Brücke«, wobei allerdings im Unklaren bleibt: eine Brücke für wen oder was? Eine Brücke in Bezug worauf? Sollte etwa jemand für jemand anderen eine ›Flussquerung‹ sein, dann würde sich die Frage stellen, wohin eigentlich gequert werden soll? Auf eine andere Seite? In ein neues Leben? In ein anderes Land? Ins Jenseits? Abgesehen von den Fragen, die bereits die Überschrift hervorruft, ließen sich weitere Überlegungen darüber anstellen, in welchem Kontext die drei Eingangsworte fallen könnten. Wann würde also jemand davon sprechen, dass für ihn oder sie jemand oder etwas »nur eine Brücke« ist? Möglich wäre eine Konstellation, bei der zwei Personen aus der Ferne ein Bauwerk sehen, aber noch nicht genau verifizieren können, worum es sich dabei handelt. Erst als die beiden näher an das unbekannte Objekt herankommen, können sie es sehen, so dass der eine zum anderen sagt: »Ach, es ist nur eine Brücke!« Insofern käme wohl Ernüchterung darüber auf, weil man eventuell mit etwas ganz anderem gerechnet hatte und nun enttäuscht darüber ist, dass es doch »nur eine Brücke« ist. Konstruierbar wäre jedoch auch ein anderer Kontext, wo jemand beispielsweise äußert: »Nur eine Brücke kann mich noch retten!« Eine Aussage, in der zugleich Hoffnung auf Rettung mitschwingt. Ausgehend davon, dass das Gedicht mit einem großgeschriebenen »Nur« beginnt, ist es eher unwahrscheinlich, diesem Wort andere Wörter voranzustellen, weswegen es plausibler ist, eher etwas daran anzuhängen, so dass die letztere der beiden skizzierten Lesarten am wahrscheinlichsten ist.34 Untermauert wird dieser Gedanke im weiteren Verlauf des Gedichtes durch den expliziten Verweis darauf, dass eine mit »Du« (Simmel 2004a: 404) beschriebene Person die »Hoffnung« (ebd.) »regt[.]« (ebd.),
34
Selbstverständlich würden sich vermutlich weitere Lesarten für die besagten Worte finden lassen, wie es überhaupt lohnenswert wäre, die lyrische Mitteilung des Autors Georg Simmel z.B. einer umfassenden objektiv-hermeneutischen Analyse insgesamt zu unterziehen (vgl. zum Verfahren: Garz 2010; Oevermann 1990).
147
148
Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
dass eine mit »ich« bestimmte Person »die Brücke« (ebd.) sei. Insofern finden wir auch hier wieder das Thema der Hoffnung vor, von der Adorno theoretisch sprach und wie wir sie für Elias’ Gedicht weiter oben ebenfalls herausgearbeitet haben. Allerdings bleibt, wie angedeutet, ungeklärt, inwiefern ein »ich« für ein »du« »die Brücke« sein kann? Aufschluss über diese zentrale Frage kann man am ehesten bei Simmel selbst finden, indem man andere Texte aus seinem Werk in die Hand nimmt und auf diesem Wege der Simmel’schen Lyrik die Soziologie Simmels zur Seite stellt. Es ist das gleiche Vorgehen, das bereits im vorangegangenen Punkt angewendet wurde. Elias wurde zu Elias in Bezug gesetzt und damit Poesie und Soziologie zusammengeführt. Angesichts des zentralen Brücken-Themas drängt sich dabei förmlich ein Aufsatz von Simmel auf, der gut acht Jahre nach der Veröffentlichung des Gedichtes (präziser: am 15. September 1909) in der Zeitschrift Der Tag erschienen ist. Er trägt den Titel Brücke und Tür (vgl. Simmel 1957). Darin erläutert Simmel, dass die Bücke »die Ausbreitung unserer Willenssphäre über den Raum« (Simmel 1957: 2) ist und des Weiteren als eine »zwischen zwei Punkten gespannte Linie« (Simmel 1957: 4) betrachtet werden kann, dank der es möglich wird, z.B. einen »Abgrund« (Simmel 2004a: 404), zu überwinden bzw. zu überbrücken. Die Brücke verbindet demzufolge einen Punkt A mit einem Punkt B, zwei Ufer oder zwei Menschen miteinander. Verbunden werden kann nach Auffassung von Simmel jedoch nur, was zuvor getrennt war: »[A]ls verbunden empfinden wir nur, was wir erst irgendwie gegeneinander isoliert haben, die Dinge müssen außereinander sein, um miteinander zu sein.« (Simmel 1957: 1)35 Deswegen handelt das Gedicht von einer Person, die »still in eigner Schönheit« (Simmel 2004a: 404) geht und dabei von einer anderen Person gesehen wird, die ebenfalls für sich geht. Sie werden auseinander beschrieben und dargestellt – gleich einem »Ja und Nein« (ebd.) –, um sie dadurch (so paradox dies klingt) zu verbinden. »Indem wir aus der ungestörten Lagerung der natürlichen Dinge zwei herausgreifen [z.B. ein ›ich‹ und ein ›du‹ oder ›Kunst‹ und ›Wissenschaft‹; Anm. D.G.], um sie als ›getrennt‹ zu bezeichnen, haben wir sie schon in unserem Bewusstsein aufeinander bezogen, haben diese beiden gemeinsam gegen das Dazwischenliegende abgehoben.« (Simmel 1957: 1) Das Gedicht an sich ist demgemäß die ›Brücke‹ zwischen einem ›ich‹ und einem ›du‹, zwischen einem ›ego‹ und einem ›alter‹ und nicht unbedingt der eine jeweils für den anderen – die je für sich genommen »brückenlos« (Simmel 2004a: 404) bleiben –, weil das Gedicht in dem Moment, wo die beiden Personen getrennt voneinander gezeichnet werden, dennoch beide aufeinander bezieht. Beide stehen in einem ly-
35
Wir haben es dabei wieder mit einer Aussage im Simmel’schen Werk zu tun, die doch sehr nach den Ansichten von Novalis klingt. Der Romantiker schreibt: »Was zertrennt werden soll, muß gebunden sein, was verbunden werden soll, getrennt.« (Novalis 1992c: 124)
1. Lyrische Gesellschaft
rischen Kunstwerk, das »nur die Brücke« ist und das in dieser Bezugnahme den Zugang zueinander erst ermöglicht.
1.3.3
Zwischenfazit
Abschließend stellt sich die Frage, was man von den lyrischen Soziologen Elias und Simmel lernen könnte? Eine erste Schlussfolgerung daraus lautet: Durch die Poesie gelingt ein erster Zugriff auf die soziale Welt bzw. auf darin enthaltene, wenig oder nicht beachtete Alltagsphänomene, der im Ergebnis bedenkenswerte Beobachtungen und Ableitungen in gewisser Weise vorwegnimmt, die dann später zu einem Untersuchungsgegenstand der Wissenschaften werden. Nicht selten ist die »Dichtkunst« (Feyerabend 1985: 48) dabei den (Sozial-)Wissenschaften »weit voraus« (ebd.), wie Paul Feyerabend in seiner Schrift Wissenschaft als Kunst schreibt (vgl. Feyerabend 1985).36 V.a. Simmel, dessen »literarische[.] Miniaturen Probleme und Strategien erkennen lassen, […] oft bevor sie in seinen wissenschaftlichen Texten auftauchen« (Tokarzewska 2010: 14f.), erinnert diesbezüglich an einen »Ethnologen« (Tokarzewska 2010: 15), für den seine Gedichte eine Art »›Notizheft‹« (ebd.) bei der Feldarbeit sind, in die er Alltagsbeobachtungen notiert, um sie bei passender Gelegenheit fortzuführen – wie u.a. der Aufsatz Brücke und Tür belegt (vgl. Simmel 1957). Zweitens gelingt damit nicht nur Simmel oder Elias, sondern allen Soziologinnen, die bereit sind, auf diese Weise lyrisch-soziologisch zu arbeiten, eine »›Einfühlung‹« (Maffesoli 1987: 467; Hervor. i.O.) in die soziale Welt und in die darin liegenden Phänomene. Diese Art der einfühlenden Annäherung schafft eine starke Verbundenheit, die das Analysieren und Verstehen erleichtert, denn »[g]erade die ästhetische Einstellung unterstreicht die Bedeutung des Unbedeutenden, des Details als konstituierendes Element des Ganzen.« (Maffesoli 1987: 463; Hervor. i.O.) Woran wiederum ersichtlich wird, dass diese Art zu forschen und Soziologie zu betreiben, eine große Nähe zur Romantik aufweist, da es auch den Romantikerinnen um »Einfühlung« (z.B. in Frauen als gleichberechtigte Individuen) ging – und geht (vgl. zum Einfühlungs-Aspekt Lüthi 1985: 24f.). Erst durch das Einfühlen, was übrigens auch bei einigen Methoden der qualitativen Sozialforschung (z.B.
36
Vollständig lautet die entsprechende Textstelle: »Die Dichtkunst, das Epos, das Drama entwikkeln [sic!] Mittel zur Darstellung individueller Eigentümlichkeiten und sozialer Gesetze, lange bevor die wissenschaftliche Psychologie und Soziologie sich der Sache annehmen, und sie sind diesen Disziplinen auch heute noch in der Erfassung und Darstellung der SubjektObjekt-Spannung weit voraus: nicht umsonst nennt Aristoteles die Dichtkunst philosophischer als die Geschichte.« (Feyerabend 1985: 48f.)
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
der Grounded Theory) unabdingbare Grundvoraussetzung ist,37 gelangt man zu einem besseren Verständnis für die soziale Welt, die einen umgibt. Drittens kann die Lyrik ein Schlüssel dafür sein, um die Erkenntnisse soziologischer Forschung anderen Menschen zugänglich zu machen. Mittels Lyrik ist es möglich, verschiedene Publika außerhalb der soziologischen scientific community zu erreichen und anzusprechen, die ansonsten keinen Zugang zu diesen Wissensbeständen haben oder finden. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang nochmals auf Norbert Elias verwiesen, der Gedichte offenbar dazu verwendet hat, soziologische Thesen und Überlegungen, wie erwähnt z.B. über den sozialen Gegenstand der ›Zeit‹, metaphorisch zu verdichten und lyrisch kunstvoll zu ›verpacken‹. Elias war damit, viertens, wie andere, die sich der Lyrik oder allgemeiner: der Kunst gewidmet haben, stets mehr als ein Soziologe, dem es offenbar gelungen ist, verschiedene Facetten seines Menschseins zu verbinden und zugleich (aus) zu leben.38 Denn, wie Bauman treffend bemerkt: »Man lebt nicht heute in der Politik und morgen in der Ökonomie; man bewegt sich nicht von der Soziologie zur Anthropologie, wenn man von Europa nach Südamerika reist, und genauso wenig aus der Geschichte in die Soziologie, wenn man ein Jahr älter wird. Solche Erfahrungsbereiche vermögen wir nur zu unterscheiden, von Handlungen können wir nur sagen, diese habe einen politischen und jene einen ökonomischen Charakter, weil wir gelernt haben, eine solche Differenzierung vorzunehmen.« (Bauman 2000: 14) Wir haben uns also angewöhnt, Dinge und Systeme, wie z.B. die Kunst, von anderen Dingen und Systemen, wie z.B. der Wissenschaft abzugrenzen, und befürchten zuweilen gar, dass diese sich (selbst-)entgrenzen könnten. Teils besteht sogar die Sorge, dass das eine das andere korrumpieren oder sogar obsolet machen könnte, wenn man sich stärker aufeinander einlassen oder beziehen würde. Demgegenüber hat der vorliegende Abschnitt – im Sinne einer ›Brücke‹ – versucht, klarzulegen, dass es zwar durchaus sinnvoll sein kann, hin und wieder – analytisch gesehen – zu trennen, aber nur deswegen, »[w]eil der Mensch das verbindende Wesen ist, das immer trennen muss und ohne zu trennen nicht verbinden kann […]« (Simmel 1957: 6). Sozialwissenschaftlerinnen könnten somit, falls sie es nicht sowieso schon in ihrer wissenschaftlichen Praxis vollführen, ganz bewusst vermehrt Künstlerinnen sein, wie das Beispiel lyrischer Soziologen nahe legt, da sie so »die Befangenheit im eigenen Ich« (Simmel 1997: 299) aufgeben können, »um völlig in dem Objekte
37 38
Zum Aspekt des Einfühlens ins Datenmaterial im Zusammenhang mit der Methodik der Grounded Theory siehe Strübing (2002: 332). In einem Interview mit Martin-Jochen Schulz äußerte sich Elias selbst z.B. folgendermaßen dazu: »Manches, was ich in der wissenschaftlichen Arbeit nur schwer sagen kann, kann ich gut als Lyriker sagen. Es ist gut, wenn man die Kraft hat, beides zu tun.« (Elias 2005: 349)
1. Lyrische Gesellschaft
aufzugehen, von dem [sie] nun keine Wesenszweiheit mehr trennt […]« (ebd.),39 damit es letztlich nicht so endet, wie in einem Gedicht des Verfassers, wo ein jeder sich als einzig und besonders begreift und man das Verbindende nicht mehr realisieren kann: Rose unter Tulpen Du stehst da und ich daneben. Sind uns beide völlig nah, können uns jedoch nichts geben. Denn so haben wir nicht viel gemein, nur ein jeder sein Gemüt und so lassen wir den andern sein: Eine Rose, die unter Tulpen blüht. Bist die Mitte meiner Wiese, nähren uns vom gleichen Grund, wenn man dich doch wachsen ließe, reißt mir meine Blüte wund. Deine Dornen, die verletzen, wenn ich dich umschlingen will. Resigniere daher mit Entsetzen: Produziere weiter nichts als Chlorophyll‘.
39
┘
»Denn jedes Nachbilden und jedes Verstehen eines psychologischen Objektes bedeutet, daß der Verstehende eben den seelischen Vorgang in sich zum Ablauf bringt, in dessen Erkenntnis er sich versenkt und der er – insofern das Ich in dem jeweiligen Vorstellen besteht – in diesem Augenblick wirklich ist;« (Simmel 1997: 299; Hervor. i.O.)
151
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften »Denn die Welt jenseits der Vernunft erschließt sich unserer heutigen Wissenschaft mit den ihr gängigen Theorien und Methoden der Wahrheitsfindung i.d.R. allzu wenig. Metaphorik, Poesie, ja die Künste überhaupt, erscheinen demgegenüber als alternative, d.h. erweiternde ästhetische Erkenntnisformen.« (Lübcke/Villányi 2011: 38; Hevor. i.O.)
2.1
Methodologische Gesichtspunkte
Auf den ersten Blick mag es ein Widerspruch sein, in einer an der Romantik inspirierten Arbeit einen methodologischen Abschnitt vorzufinden, weil ›das‹ Romantische eher etwas Unbestimmtes ist. Aber: »Wo alles richtig begriffen und tief erlebt wird, da gibt es keine echten Widersprüche.« (Lukács 1984: 117) Und dass es insbesondere bei der Romantik um Tiefe geht, hat z.B. Joseph Strelka konstatiert, wenn er schreibt: »Gemeinsam ist zunächst jenseits aller Verschiedenheiten den Vertretern des Romantischen das Ideal einer ›Tiefe‹ im Gegensatz zur ausschließlichen Beschränkung auf den Verstand, der in dieser Beschränkung als seicht, platt und rechnend negativ bewertet wird.« (Strelka 1968: 239) Demnach kann eine Methodologie, die sich am Romantischen ausrichtet, sich nicht allzu schematisch und schablonenhaft geben, da »[…] der durchschnittliche Romantiker uns durch seine eher feindselige Haltung gegenüber hochformalisierten und streng regelhaften Methoden auffallen würde.« (Gouldner 1984: 200) Tatsächlich gibt es aber einige methodische Aspekte, die dieser Art zu forschen eigen sind und die hier ausgeführt werden sollen. Dabei handelt es sich erstens um eine generelle »Ermutigung unmittelbarer Untersuchung vor Ort« (Gouldner 1984: 196), was nichts anderes meint, als dass romantisch zu forschen oftmals Feldforschung bedeutet (vgl. ebd.), die sich z.B. auf
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
teilnehmende oder nicht teilnehmende Beobachtung stützt.1 Zweitens verknüpft sich mit diesem Forschungsstil zugleich die Idee, »[…] das forschende Subjekt und das zu erforschende Objekt in einem Gemeinsamkeit erzeugenden unmittelbaren Kontakt zusammen[zu]führ[.]en« (Gouldner 1984: 199), was dann sogar so weit gehen kann, dass der Forscher oder die Forscherin selbst Teil des Untersuchungsgegenstandes wird bzw. dass seine oder ihre eigene Lebenswelt zu einem ebensolchen erhoben wird. Oder wie es Novalis in seinem Werk auszudrücken wusste: »Der erste Schritt wird Blick nach innen – absondernde Beschauung unseres Selbst […]. Der zweite Schritt muss wirksamer Blick nach außen – selbsttätige, gehaltne [sic!] Beobachtung der Außenwelt sein.« (Novalis 2015b: 364) Wie dies forschungspraktisch vonstattengehen kann, wird exemplarisch im Punkt III.2.3.3.2 anhand einer lyrischen Autoethnographie noch ausführlicher gezeigt werden. Drittens versucht romantisches Forschen auch für neue »›Datenquellen‹« (Gouldner 1984: 198) offen zu sein, die bislang von der soziologischen Forschung kaum oder nicht beachtet worden sind. Viertens verknüpft sich mit ›der‹ Romantik-Methode eher ein »Widerstand gegen eine quantitative Untersuchung« (Gouldner 1984: 199), weshalb sich v.a. die qualitative Sozialforschung mit ihr in Verbindung bringen lässt.2 Und fünftens legt das romantische Forschen das Augenmerk v.a. auf das »Intuitive[.] im Erkenntnisprozeß« (Gouldner 1984: 199). Damit sind die Gesichtspunkte romantischer Forschungspraxis sicher nicht vollständig abgehandelt, aber man bekommt doch eine Ahnung, worum es ihr im Kern geht und was im Folgenden noch zu erwarten sein wird. Im Übrigen strebt die romantische Forschungspraxis allumfassende Vollständigkeit explizit nicht an, sondern Unvollständigkeit wird als etwas Konstitutives, geradezu Notwendiges angesehen. Novalis führt hierzu aus: »Nur das Unvollständige kann begriffen werden, kann uns weiterführen. Das Vollständige wird nur genossen.« (Novalis 1992c: 125) Gerade jene Forschungsarbeiten, die sich der aufklärerischen Seite der Soziologie zuschlagen lassen, sind meist darum bestrebt, den jeweiligen Forschungsgegenstand möglichst allumfassend zu erklären. Romantische Forschungsarbeiten erheben diesen Anspruch ganz bewusst nicht, was auch für die vorliegende Arbeit gilt. Sie setzen darauf, dass durch die Offenheit, z.B. in der Darstellung ihrer Erkenntnisse, echte Anschluss- und Anknüpfungspunkte zur Weiterführung und -entwicklung ihrer Annahmen, Gedanken, Ideen und Thesen entstehen. Sie versuchen deshalb auch nicht, sich gegen Kritik zu immunisieren.
1 2
Ein Beispiel hierfür wird weiter unten noch gegeben werden (vgl. Punkt III.2.3.3.2). Wobei der Verfasser eine Einbeziehung auch von quantitativen Ergebnissen in romantische Arbeiten nicht per se ausschließen würde. Denn letztlich greift hierbei ebenso das Moment des alles Verbindenden und Umfassenden der Romantik: »Was zertrennt werden soll, muß gebunden sein, was verbunden werden soll, getrennt.« (Novalis 1992c: 124)
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
Stattdessen ist Kritik Teil dieser Forschungspraxis, weil sie auch im wissenschaftlichen Streit eine Quelle für neue Erkenntnisse sehen. Das bis zu diesem Punkt Gesagte beschreibt die grundsätzliche Ausrichtung romantischer Studien. Für das Arbeiten mit Gedichten muss noch auf einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt hingewiesen werden. Dabei handelt es sich um die Ich-Problematik, mit der man es im Zusammenhang mit Lyrik in aller Regel zu tun bekommt. Angenommen wird dabei zumeist, dass das Ich eines Autors nicht das Ich ist, was auch in einem Gedicht seinen Ausdruck findet, weshalb dabei gerne die Rede von einem »lyrischen Ich« ist (vgl. dazu z.B. Petersdorff 2005: 15). Es soll nun an dieser Stelle keine umfängliche Diskussion darüber eröffnet werden, wer eigentlich mit »Ich« im Gedicht gemeint ist – selbst dort, »wo kein Ich mehr auftritt« (ebd.). Entscheidend ist v.a. für diese Studie, dass für jedes lyrische Kunstwerk ein Mensch3 verantwortlich ist. Das ist derjenige, der das Poem »[…] ›macht‹ oder ›verursacht‹ und sich damit eventuell auch auf das Spiel der Literatur einläßt – sei es nun als Schrifttext, sei es als mündliche Äußerung.« (Zymner 2009: 14) Eine auf diese Weise Lyrik »verursachende« Person wird im Folgenden meist als Verfasser oder Verfasserin bzw. als Autor oder Autorin bezeichnet werden (vgl. ebd.). Dabei gilt, dass die Autorinnen selbst in den lyrischen Texten nicht »›auftauchen‹« (ebd.), »[…] aber er bzw. sie kann doch selbst in der Form eines Gedichtes sich äußern, mit der behauptenden Kraft der authentischen Äußerung ›Ich‹ schreiben oder sagen und sich authentisch über Faktisches äußern.« (Ebd.) Allein darauf kommt es an und davon wird auch bei der soziologischen Analyse von Gedichten ausgegangen. Dass das Gedicht dabei durchaus die Möglichkeit beinhaltet, bestimmte Aspekte nicht unmittelbar, sondern z.B. durch Metaphern verschlüsselt, zum Ausdruck zu bringen oder gar hinterher in ein Distanzverhältnis zum geschriebenen Text zu treten, so dass man sich als Verfasserin oder Verfasser davon freimacht, gehört zur Qualität lyrischer Erzeugnisse dazu. Denn Gedichte bieten denen, die sie zu Papier bringen, die Möglichkeit, z.T. noch Unsagbares auszudrücken und das auf eine Weise, die sie vor absoluter Unmittelbarkeit schützt. Lyrik verfügt somit über eine Schutzfunktion, die es Menschen ermöglicht, Dinge zu sagen und Gedanken zu äußern, die sie ansonsten in einem Gespräch oder Interview wohl eher nicht direkt äußern würden. Lyrik kann somit begriffen werden als »Form der Selbstaussprache« (Petersdorff 2005: 13). Sie eignet sich dementsprechend besonders für Fragen nach der Identität von Personen (vgl. ebd.). Darüber hinaus kann für das Medium des Lyrischen noch konstatiert werden: »Die Dichtung, die Kunst der Sprache, schließt zu ihrer überzeitlichen, ihrer geistigen und ästhetischen Wirklichkeit immer auch eine Schicht historischer Wirk-
3
Denkbar ist natürlich ebenso, dass auch mehrere Menschen für ein Gedicht oder einen lyrischen Text verantwortlich sind.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
lichkeit ein, ja sogar auch eine naturhaft biologische Schicht. Alle drei sind gegeben im Material der Dichtung, in der Sprache mit ihrer Bindung an den Menschen als Subjekt und Objekt. Alle drei Bereiche sind eben darum auch soziologisch relevant.« (Kuhn 1950: 622) Und gerade, weil in der Lyrik soziologisch Relevantes enthalten ist, wie Hugo Kuhn festhält, ist es sinnvoll, diese in die Soziologie, genauer: in ihr methodisches Repertoire, deutlich stärker als bisher mit einzubeziehen. Diese Empfehlung soll in den nächsten Punkten begründet werden.
2.2
Gedichte schreiben als Methode
Lyrik kann auf verschiedene Weisen Eingang in die Soziologie und deren Methodenkoffer finden.4 Nach Ansicht des Verfassers ergeben sich mindestens vier Felder, in denen sie konkret zum Tragen kommen kann. Dazu gehört zuallererst ihr Einsatz im Forschungsfeld (vgl. Punkt III.2.2.1), sodann, zweitens, die Möglichkeit, Lyrik als eigenständige Erhebungsmethode zur Generierung von Daten zu nutzen (vgl. Punkt III.2.2.2), drittens die Repräsentation von Daten durch Forschungspoeme (vgl. Punkt III.2.2.3) und schließlich, viertens, die Verwendung von Lyrik als Explorationselement (vgl. Punkt III.2.2.4).
2.2.1
Das Gedicht im Feld5
Wenn sich Forscherinnen zum Zwecke einer Studie in ein Forschungsfeld hineinbegeben, dann erstellen sie dort oder im Nachgang an den Feldaufenthalt in aller Regel Beobachtungsprotokolle, die darüber Auskunft geben, was jeweils beobachtet worden ist.6 Der Vorschlag hier ist nun, dass diese Feldnotizen nicht in prosaischer Form anzufertigen sind, sondern ein solches Festhalten von Eindrücken, Erlebnissen, aber eben auch von Gefühlen und Gedanken, ebenfalls auf lyrische Weise geschehen kann. Der Vorteil dieser poetischen Materialsammlung besteht dabei darin, dass »das eigene Verstehen von Phänomenen besser unter Beobachtung gestellt« (Grummt 2016: 407) werden kann. Auf diesem Wege ist es auch leichter, dar-
4 5 6
Siehe zu denkbaren Verwendungsmöglichkeiten lyrischer Texte innerhalb der qualitativen Sozialforschung auch Hanauer (2010: 75ff.). Erste Überlegungen dazu hat der Verfasser in Grummt (2016: 407) entwickelt. Es ist dafür übrigens unerheblich, ob es sich um eine »teilnehmende« oder »nicht teilnehmende Beobachtung« handelt, also, ob man aktiv am Geschehen des Feldes beteiligt ist oder passiv zuschaut (vgl. Diekmann 2004: 469). Letzteres macht es aber besser möglich, Beobachtungen unmittelbarer festzuhalten, da man nicht in die Geschehnisse als Akteur involviert ist (vgl. Diekmann 2004: 470).
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
über zu reflektieren, wie man etwas wahrgenommen hat. Eine zentrale Frage, auf die dabei eine Antwort gefunden werden kann, lautet demgemäß: Was hat es für einen bedeutet, Beobachtung XYZ zu machen? Wie hat man das konkret Gesehene wirklich erlebt? Damit sei nicht gefordert, dass während eines Feldaufenthalts ausschließlich lyrische Notizen angefertigt werden sollten. Aber es sollte zumindest in Betracht gezogen werden, dies ergänzend zu tun, um auch den Bedeutungsgehalt des Erlebten während eines Feldaufenthaltes miterfassen und auswerten zu können. In der Ethnologie ist dieses Verfahren durchaus bekannt und wird immer mal wieder praktiziert, aber für die Soziologie besteht in dieser Hinsicht durchaus noch Nachholbedarf.7 Eine der wenigen Ausnahmen ist Laurel Richardson, die über diese lyrische Forschung berichtet: »In writing sociological findings as poetry, I felt I had discovered a method which displayed the deep, unchallenged constructedness of sociological truth claims, and a method for opening the discipline to other speakers and ways of speaking.« (Richardson 1993: 697) Wie man sich diese Art zu forschen vorstellen muss, wird im Punkt III.2.3.3.2 anhand eines konkreten Fallbeispiels noch genauer gezeigt. Wichtig ist zunächst, sich bei Beobachtungen und deren Dokumentation auch für das Lyrische zu öffnen, um das dadurch generierte Datenmaterial, z.B. um den Aspekt der eigenen Emotionen, zu erweitern und erste Ideen darüber zu sammeln, wofür man vielleicht noch gar keine Worte hat. Mit Lyrik ist jedenfalls beides möglich.
2.2.2
Das Gedicht als eigenständige Erhebungsmethode8
┌ Anstatt Daten beispielsweise (ausschließlich) über ein qualitatives Interview und/oder über eine teilnehmende Beobachtung zu generieren, kann das Gedichte schreiben auch selbst zur eigentlichen Erhebungsmethode werden. Dabei sind zwei Möglichkeiten denkbar: Erstens kann der Forscher oder die Forscherin selbst zu einem bestimmten Thema poetische Texte schreiben und sich dabei auf den Prozess der eigenen »Selbstentdeckung« dichtend einlassen (vgl. Hanauer 2010: 79). Dies ist nicht gleichzusetzen mit dem eben beschriebenen Verfassen von
7
8
Melisa Cahnmann-Taylor und Kent Maynard schreiben über die amerikanische Anthropologie beispielsweise: »As practicing ethnographers and poets ourselves, we focus on only one of the many exuberant new styles of anthropological inquiry: ethnographic poetry. Since the mid-1980s, anthropology has become much more open to both literary theory and literary forms; and ethnographic poetry has become a more accepted […] mode of representation in anthropology« (Cahnmann-Taylor/Maynard 2010: 3). Der Verfasser weist explizit darauf hin, dass er diesen Abschnitt (also bis zum Punkt III.2.2.3) aus Grummt (2016: 402-406) entnommen hat (Titel: SozialwissenschaftlerInnen und KünstlerInnen? Das Beispiel lyrischer SoziologInnen) und an dieser Stelle – inklusive der Fußnoten – wiederverwendet. Der Text ist dafür an manchen Stellen überarbeitet, teilweise ergänzt und für das Format dieser Studie angepasst worden.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Feldgedichten. Und zweitens kann der Soziologe oder die Soziologin die Akteure des sozialen Bereichs, der untersucht werden soll, dazu auffordern, lyrische Mitteilungen zu verfassen. Das so erzeugte lyrische Datenmaterial wird dann im weiteren Verlauf mittels der bekannten qualitativen Auswertungsmethoden (Grounded Theory, objektive Hermeneutik, Inhaltsanalyse etc.) analysiert und anschließend entweder in der gängigen ›Wissenschaftsprosa‹ dargestellt oder aber, wie es gleich noch in Punkt III.2.2.3 gezeigt wird, lyrisch präsentiert. Vorteilhaft an dieser Erhebungsmethode ist z.B., dass keine langen Interviewtranskripte erstellt werden müssen, von denen für die Beantwortung der in Rede stehenden Forschungsfrage womöglich nur ein Bruchteil von Bedeutung ist. Stattdessen entstehen kurze (meist überschaubare) Lyriktexte, die rasch – falls nicht schon geschehen – digitalisiert werden können. Ein weiterer Vorteil dieses methodischen Ansatzes besteht darin, dass »marginalized voices« (Leavy 2008: 74) eine Chance darauf haben, gehört zu werden. Man denke z.B. an Tabuthemen (wie Sexualität, Krankheit, Tod usw.), zu denen sich die Probandinnen in einer faceto-face-Interviewsituation in der Regel nur ungern oder sehr zurückhaltend äußern werden. Das Gedicht ist für die Erforschung solcher Themen besser geeignet, weil es aus dem inneren Zwiegespräch des Befragten mit sich selbst entsteht und nicht in einer dialogischen Interviewsituation. Außerdem lassen sich persönliche Ansichten und Einlassungen zu heiklen Fragen in einem Gedicht sprachlich so verpacken (lies: ›verstecken‹), dass sie auf den ersten Blick kaum zu erkennen sind. Als drittes kommt das Moment der Distanzierung hinzu. Wie bereits weiter oben erwähnt, bieten Gedichte dem Verfasser bzw. der Verfasserin eine Schutzfunktion, nach der stets die Möglichkeit besteht, zu sagen: »Das bin nicht ich« (als Person), der oder die da spricht, sondern z.B. das lyrische Ich – und somit ein anderer. Ein weiterer Vorteil dieser Art der Datenerhebung besteht darin, dass jegliche Formen der »Recorderangst« (Hermanns 2007: 362) – sowohl bei der Interviewerin oder dem Interviewer als auch bei den Befragten – gar nicht erst entstehen können, weil es keine Notwendigkeit für eine Recorder gestützte Aufnahme gibt. Neben diesen Vorteilen soll aber nicht verschwiegen werden, dass der skizzierte Ansatz auch Nachteile birgt. So ist es beispielshalber schwer zu prüfen, wer das Gedicht verfasst hat. Die Frage der Autorinnenschaft kann nur dann eindeutig kontrolliert werden, wenn der Forscher oder die Forscherin während des Schreibprozesses anwesend ist. Ein solches zeitlich und persönlich kontrolliertes Setting kann die Probandinnen jedoch beim Schreiben der Gedichte (negativ) beeinflussen. Demnach gilt, was im Übrigen grundsätzlich für den Einsatz von Gedichten in den Sozialwissenschaften gesagt werden kann: »poetry is not for every researcher or every research project« (Leavy 2008: 67).9 Als Forscherin sollte man somit 9
Besonders gut eignet sich die poetische Erhebungsmethode wohl in den Bereichen der Biographie- und Identitätsforschung (vgl. dazu auch: Leavy 2008) oder allgemeiner formu-
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
zum einen eine gewisse Aufgeschlossenheit für diese poetische Methode mitbringen und zum anderen möglichst (kritisch) genau prüfen, ob diese für den jeweiligen Gegenstand der Forschung geeignet ist. Das lyrisch-methodische Verfahren bietet sich v.a. dann an, wenn man an schwer zugängliche Narrative herankommen möchte und wenn es darum geht, herauszufinden, was etwas – z.B. eine bestimmte Erfahrung oder ein konkretes Erlebnis – für jemanden bedeutet (hat). Der Einsatz von Gedichten eignet sich demzufolge insbesondere zur Erforschung von sozialen Phänomenen oder biographischen Erfahrungen, die mit starken Affekten und Emotionen verknüpft sind. Kuzmics und Mozetič machen vor diesem Hintergrund ganz allgemein auf den besonderen Wert von Literatur als soziologischem Quellenmaterial aufmerksam. Quantitative Erhebungen liefern Zahlen, Korrelationen und Signifikanzen. Diese statistischen Ergebnisse bleiben für sich genommen allerdings »stumm« (Kuzmics/Mozetič 2003b: 69). Erst mittels Literatur oder konkret durch Gedichte lässt sich herausfinden, was hinter den Zahlen, also was z.B. hinter einer Statistik über Ehescheidungen, steht. Auf diesem Wege kann jenseits der Zahlen eine Antwort darauf gefunden werden, was es für geschiedene Personen bedeutet, getrennt von jemandem zu leben (vgl. ebd.). Vergleichbares ließe sich auf andere Beispiele übertragen. Man kann quantitativ zwar feststellen, wie viele Personen alt sind und/oder in einem Pflegeheim leben, was es jedoch heißt, alt zu sein oder in dafür vorgesehenen Institutionen gepflegt zu werden, lässt sich an einer Statistik nicht erkennen. In diesem Zusammenhang können einem entsprechend durch Untersuchungsteilnehmerinnen erstellte Gedichte weiterhelfen. Um praktisch zu zeigen, welches Potential in der skizzierten lyrischen Erhebungsmethodik steckt, soll an dieser Stelle kurz auf eine eigene, kleinere Studie eingegangen werden, die der Verfasser zusammen mit Soziologie-Studierenden im Sommersemester 2014 im Rahmen eines Forschungsseminars zum Thema Lyrische Gesellschaft. Gedichte schreiben als qualitative Methode in der empirischen Sozialforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführt hat.10 Die kleine Untersuchung verfolgte zwei Anliegen. Erstens sollte die poetische Erhebungsmethode erprobt werden. Das zweite Ziel bestand darin, Antworten auf die vorab formulierte Forschungsfrage zu erhalten. Danach sollte erforscht werden, was die Se-
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liert: »Poetry writing is particularly suited for the exploration of research questions that address experiences with emotional content and where the issue under consideration includes understanding the specific ways in which something was experienced by the participant.« (Hanauer 2010: 84) Inspiriert haben den Verfasser dabei nicht nur die im Kontext des art-based researchAnsatzes angesiedelten Arbeiten von Patricia Leavy und David I. Hanauer (vgl. Leavy 2008; Hanauer 2010), sondern ebenso die Veröffentlichungen der beiden amerikanischen Soziologen James D. Miley und Frederick Samuels, die bereits in den 1980er Jahren dargelegt haben, wie man generell und auf unterschiedliche Weise mit Gedichten im Bereich der Hochschullehre arbeiten kann (vgl. Miley 1988; Samuels 1987).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
minarteilnehmerinnen am Ende ihres Bachelorstudienganges persönlich am meisten bewegt. Diese Frage ist insoweit spannend und auf individueller Ebene durchaus heikel, weil sich mit dem Ende dieses Studienabschnittes einige persönliche Entscheidungen bzw. Veränderungen verbinden können (Wechsel/Neuausrichtung des Studiengangs, ein neuer Wohnort, der Einstieg ins Berufsleben usw.), die eine Biographie möglicherweise mittel- oder langfristig prägen. Die Seminarteilnehmerinnen wurden gebeten, zu der genannten Fragestellung eine lyrische Mitteilung zu verfassen. Dies fand unter den folgenden Rahmenbedingungen statt. Die Studierenden der Lehrveranstaltung hatten insgesamt ca. vier Wochen Zeit, um ein Gedicht selbstständig zur oben genannten Thematik zu erstellen. Das Thema bzw. den Schwerpunkt dessen, was sie jeweils am stärksten beschäftigt, sollten sie selbst setzen. Zur Form des Gedichts wurden keine Vorgaben gemacht. Die fertiggestellten Gedichte sind vom Seminarleiter eingesammelt und anonymisiert worden, so dass bei der späteren gemeinsamen Diskussion keine Rückschlüsse mehr darauf gezogen werden konnten, von wem welche lyrische Mitteilung ursprünglich war. Keiner der poetischen Beiträge ist in irgendeiner Weise (Grammatik, Rechtschreibung, Form) korrigiert oder verändert worden. Auch das weiter untenstehende Gedicht ist exakt so abgedruckt, wie es eingereicht wurde. Entstanden sind dabei eine ganze Reihe recht unterschiedlicher, äußerst interessanter Gedichte, von denen im Folgenden eines zu lesen sein wird. Es wurde von einer Studentin der Soziologie verfasst und es ist für diesen Abschnitt ausgewählt worden, um das Erhebungsinstrument ›Gedicht‹ besser zu veranschaulichen:11 »zeichner weil ich dacht das es so war begann ich zu zeichnen lang ein ganzes weilchen dabei wurd mir klar ehrlich, ich sehs nich wohin geh ich… halt mal inne und schau durch die welt der blick bleibt verstellt stift und papier werden wohl weichen
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An dieser Stelle sei ausdrücklich allen Seminarteilnehmerinnen für ihre Kritik am methodischen Ansatz, die produktiven Diskussionen sowie selbstverständlich die vielfältigen lyrischen Kunstwerke gedankt, die dabei entstanden sind.
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
was wird nun reichen das einzige was ich find ehrlich, ich sehs nich vielleicht bin ich blind« Nun wird in diesem Abschnitt keine umfassende soziologische Tiefenanalyse – z.B. nach allen Regeln der Kunst objektiver Hermeneutik12 – erfolgen, aber es soll zumindest gezeigt werden, was an interessanten Informationen in lyrischen Kunstwerken stecken kann, die man als Forscherin gezielt zu einer bestimmten Fragestellung anfertigen lässt. Versucht man das Gedicht der Studentin im Gesamten zu fassen, so handelt es sich um einen »zeichner«13 (verstanden vielleicht als ein Künstler), der noch zu Beginn der Dichtung, wie offenbar zunächst gewohnt (»weil ich dacht das es so war«), mit dem »zeichnen« (ergo (s)einem vertrauten Arbeitsprozess) beginnt, um dann jedoch währenddessen festzustellen (»dabei wurd mir klar«), dass er nicht erkennt, »wohin« er dabei eigentlich ›geht‹ (wie dieser zu bewerkstelligen ist). Selbst das »innehalten« und »durch die welt« ›schauen‹, scheint keinen Aufschluss (mehr) darüber zu liefern, »wohin« man gehen bzw. für welchen Weg man sich entscheiden soll. Zu dem Umstand, dass das »ich« im Gedicht offenbar nicht weiß, welche Richtung es einschlagen soll, kommt noch der Aspekt, dass offenkundig auch »stift und papier« (bisher in jedem Fall elementare Arbeitswerkzeuge von manchem Kunstschaffenden oder eben von Studierenden in Lehrveranstaltungen) »wohl weichen« werden: Sie sind also in Auflösung, im Verschwinden begriffen. Versteht man dies als eine Metapher für die gegenwärtige Gesellschaft, dann könnte es ein Verweis auf die (rasant) zunehmende Digitalisierung und Technisierung des Alltags und der Arbeitswelt sein, die die analogen Arbeitsutensilien sukzessive überflüssig werden lassen. Derzeit weiß noch keiner, was danach kommen bzw. »reichen« wird (wodurch diese gegebenenfalls ersetzt werden): Wird es künftig, frei von Stift und Papier, nur noch ein Tippen auf Tastaturen geben oder sind das Wischen und Touchen auf smarten Geräten die typischen Bewegungen geistiger Arbeit geworden? Wie und womit wird in Zukunft wohl gearbeitet werden? Das »ich« in der lyrischen Mitteilung vermag hierauf keine Antwort zu geben, stattdessen steht am 12
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Im Übrigen wären auch andere Untersuchungsverfahren, wie z.B. jenes der »Materialen Kulturanalyse« im Anschluss an Michael Kauppert (vgl. Kauppert 2014), in diesem Zusammenhang durchaus denk- und durchführbar. Der Titel (»zeichner«) für sich genommen, ist schon recht aufschlussreich, denn so ist nicht eindeutig bestimmt, ob es sich um ›die zeichner‹ und somit die Pluralform oder den Singular handelt. Offenbar wollte sich die Verfasserin diesbezüglich nicht festlegen und es bewusst offenlassen – wobei am ehesten der Singular plausibel erscheint, da in den folgenden Zeilen stets von einem »ich« die Rede ist.
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Ende: »ehrlich, ich sehs nich/vielleicht bin ich blind«.14 Letztlich kommt in dem Gedicht zum Ausdruck, dass jemand nicht erkennen kann (»ich sehs nich«), wohin der weitere Lebensweg führen mag und was zukünftig notwendig sein bzw. aus-»reichen« wird, um die sozialen Erwartungen erfüllen zu können. Wird es genügen, einen Bachelorabschluss in Soziologie gemacht zu haben oder sollte man doch weiterstudieren oder zusätzlich eine Ausbildung machen usw.? Anhand welcher Zeichen wird ersichtlich, was ›reicht‹? ┘ Dieses Beispiel zeigt, dass lyrische Mitteilungen durchaus geeignet sind, um den Einstieg in ein bestimmtes Untersuchungsfeld zu finden. Wie hier soeben herausgearbeitet wurde, enthält dieses Gedicht eine Reihe interessanter sozialer Motive, an die sich weitere qualitative Forschungsschritte anschließen ließen. Z.B. könnten daraus konkrete Forschungsfragen entwickelt werden und darauf wiederum aufbauend könnten Leitfäden für Gruppendiskussionen und biografische Interviews mit Absolventinnen sozialwissenschaftlicher Bachelorstudiengänge entworfen werden. Eine ausführlichere soziologische Analyse eines anderen Gedichts aus der gleichen Erhebung wird im Kapitel III.2.4 vorgenommen werden.
2.2.3
Die Repräsentation von Daten durch Gedichte15
Empirische Daten mithilfe von Gedichten zu präsentieren, entspricht dem Gestus einer »critical action« (Hanauer 2010: 76), die darauf abzielt, »das Bewusstsein für die Künstlichkeit […] jeglicher Formen des Umschreibens von und das Eingreifen in Interviews zu schärfen – was mittlerweile längst etablierte und gängige Verfahren der Textinterpretation und -analyse ebenfalls mit einschließt […]« (Grummt 2016: 401). Ferner sollen die Forscherinnen dadurch eine gesteigerte Sensibilität im Umgang mit qualitativem Datenmaterial entwickeln (vgl. ebd.).16 In Anbetracht
14
15 16
Neben vielen anderen Gesichtspunkten erscheint auch das Wort »ehrlich« sowie das sich daran anschließende Komma (immerhin wird auf jegliche Form der Interpunktion an allen anderen Stellen des Gedichtes ansonsten radikal verzichtet) für eine tiefer gehende Interpretation interessant, denn mit »ehrlich« (und dem Komma, das sogar zwei Mal im Text auftaucht) wird letztlich der Authentizitätscharakter der Aussage verstärkt: Jemand meint etwas aufrichtig, ernst – er oder sie lügt nicht. Daher liegt kein ›Nicht-sehen-können‹ vor, was vielleicht in Folge von (›blindem‹) Desinteresse gegeben wäre (›es interessiert mich nicht, deshalb schaue ich nicht hin‹), sondern eines das wirklich sehen will, dem es aber partout nicht gelingt – vielleicht auch nicht (mehr) gelingen kann, weil sich die Welt um einen herum in einer derart beschleunigten Weise ständig (ver-)ändert, dass selbst ein »innehalten« nicht genügt, um wirklich noch etwas zu erkennen. Erste Überlegungen dazu finden sich auch bei Grummt (2016: 401f.). Diese kommen im Kern auch hier wieder zum Tragen, sind jedoch grundlegend erweitert und überarbeitet worden. Woran sich einmal mehr das romantische Moment dieser Art zu forschen erkennen lässt, denn dieser geht es um das »Herausspüren qualitativer Feinheiten« (Mannheim 1984: 146;
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
dieser beiden Argumente spricht sich die vorliegende Studie dafür aus, soziologische Gesichtspunkte, Ergebnisse und Erkenntnisse u.a. auch durch das Medium des Lyrischen, also z.B. durch ein Gedicht, zu veranschaulichen.17 Das Vorgehen ist dabei vergleichsweise einfach. Der Verfasser hat dies bereits schon an anderer Stelle folgendermaßen beschrieben: »Man begibt sich demgemäß zunächst ins Feld, das man untersuchen möchte, erhebt dort Daten, wertet diese z.B. mit dem methodischen Rüstzeug der Grounded Theory aus und verarbeitet die so erhaltenen Ergebnisse wiederum in einem oder in mehreren Gedichten.« (Ebd.) Bei der Erstellung von solchen Poemen kann nach Auffassung von David I. Hanauer jeweils differenziert werden zwischen »narrativer Poesie« und »lyrischer Poesie« (vgl. Hanauer 2010: 77). Während die »narrative Poesie« daraufsetzt, den zentralen Kerngedanken eines Interviews lyrisch zu vermitteln, versucht die »lyrische Poesie« einen bestimmten Aspekt am Interview hervorzuheben. Wichtig bei dieser Verfahrensweise ist, dass die ursprünglichen Aussagen der Interviewteilnehmerinnen wieder aufgegriffen werden. Wie man sich dies vorzustellen hat, soll hier anhand einer eigenen, kleineren Untersuchung demonstriert werden, die im Rahmen einer Lehrveranstaltung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Sommersemester 2013 unter dem Titel Tramsoziologie. Zur Entwicklung einer Soziologie der Straßenbahn(fahrt) anhand der Grounded Theory realisiert worden ist. Die Teilnehmerinnen des Seminars wurden in Gruppen aufgeteilt und mit dem Forschungsauftrag losgeschickt, um Hallenserinnen und Hallenser zu ihrem Verhältnis zur Straßenbahn zu befragen. Dabei sind verschiedene Interviewtranskripte entstanden, die anhand der Grounded Theory ausgewertet worden sind. Die (vorläufigen) Ergebnisse dieser Befragungen sind dann in dem bereits unter Punkt III.2.2.2 erwähnten Seminars zur Lyrischen Gesellschaft durch die Teilnehmerinnen unter erneuter Hinzuziehung der Transkripte zu Gedichten verdichtet worden. Das Arbeitsergebnis einer Studentin, der für die Anfertigung ausdrücklich gedankt sei, soll an dieser Stelle vorgestellt werden. »Würd’ ich sagen Zum Thema Straßenbahn, würd’ mich mal interessieren, was Sie so zu sagen hab’n. Mmh… ja die Bahn kommt meist recht pünktlich an – würd’ ich schon sagen. Meist überfüllt, im Winter mehr, im Sommer leer – würd’ ich schon sagen. Die Straßenbahn gehört schon sehr zum Stadtbild dazu,
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Hervor. i.O.) und um die generelle Entwicklung eines »qualitative[n] Denken[s]« (Mannheim 1984: 147; Hervor. i.O.). Wie ein solches Gedicht aussehen kann, siehe dazu auch Leavy (2008: 80f.).
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durch die rote Farbe sieht man sie im Nu – würd’ ich schon sagen. ’s schon recht dicht, das Netz, man kommt schnell von A nach B, außer im Winter – da liegt Schnee. Dann fahren viele mit der Bahn, lassen ihr Rad steh’n, müssen ja alle zur Arbeit geh’n. Da ist es meist sehr beengt, es wäre von Vorteil, würde ein Wagen angehängt – würd’ ich schon sagen. Aber sonst ist es ein bequemes Fahren, man kann schon mal einen Blick nach draußen wagen. Ich guck meistens aus dem Fenster und träum vor mich hin, dann vergesse ich schnell, wo ich bin – würd’ ich schon sagen. Ansonsten würd’ ich sagen, kann man sich nicht beklagen. Man kann schon sehr zufrieden sein, fährt die Bahn doch ziemlich pünktlich ein.« Der Text zeigt auf den ersten Blick, dass die Interviewaussagen in Verse gebracht worden sind und dass diese jeweils zentrale Aspekte zur Thematik der Straßenbahn zur Sprache bringen. Danach lässt sich festhalten, dass die befragte Person, eine zum damaligen Zeitpunkt 21-jährige Bewohnerin von Halle (Saale),18 die nach eigenen Angaben fast täglich mit der Trambahn fährt, »schon sehr zufrieden« mit dem Straßenbahnangebot der Stadt ist. Für sie gehört die Tram, v.a. durch die signifikante »rote Farbe«, die auf der Außenverkleidung zu sehen ist, »zum Stadtbild dazu«. Nur für die Wintermonate wünscht sie sich offenbar ein Mehr an Platz, da es in den Trambahnwagen zu dieser Jahreszeit offenbar recht »überfüllt« zu sein scheint. Zufrieden zeigte sich die Befragte auch mit der Pünktlichkeit der Bahn (»ja die Bahn kommt meist recht pünktlich an«) und sie schätzt es offenbar an diesem Fortbewegungsmittel, dass sie in diesem »träum[en]« kann.19 Wir finden also in sehr dichter Folge die entscheidenden Aspekte eines Interviews wieder und können diese Ergebnisse auch an Adressatinnen außerhalb der Forschungsgemeinschaft herantragen, um mit ihnen über die verschiedenen Gesichtspunkte zu sprechen. Denkbar wäre z.B., dieses Gedicht anderen Teilnehmerinnen der gleichen Studie vorzulegen und zu erfahren, was sie über die Aussagen denken, ob sie in ähnlicher Weise zufrieden sind mit der Tram in Halle (Saale) oder ob sich Widerspruch regt.20 18
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Das Interview wurde nach Auskunft der studentischen Forschungsgruppe am 04.06.2013 in Halle (Saale) durchgeführt. Das Interviewtranskript liegt dem Verfasser vor, der sich für die Teilnahme und Erstellung bei allen Beteiligten recht herzlich bedankt. Auf diesen Gesichtspunkt kommen wir in Kapitel V.1 dieser Studie noch einmal zurück. Zur Praxis, Untersuchungsteilnehmerinnen lyrische Texte während eines qualitativen Interviews vorzulegen, vgl. auch Burbaum (2007: 78).
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
Kritisch könnte man natürlich nun einwenden, dass es nicht wirklich sinnvoll sei, etwas, dass man zunächst durch soziologische Analyse bereits enträtselt hat, poetisch wieder zu verkleiden. Aber dies wird v.a. deshalb gemacht, um den Forscherinnen eine Möglichkeit an die Hand zu geben, die »Stimme« von Untersuchungsteilnehmerinnen mit den eigenen Ansichten »zusammenzulegen« (vgl. Leavy 2008: 66). Es soll also ganz (im romantischen Sinne, wonach alles miteinander verbunden sein soll) bewusst eine Verbindung zwischen Forscherinnen und Befragten hergestellt werden. Es handelt sich dabei um einen Konnex, wie er z.B. auch für Maffesoli sinnvoll erscheint, wenn es um den Gesichtspunkt des Verstehens geht. Er schreibt: »Ist er [der Soziologe; Anm. D.G.] in der Lage, die Welt zu verstehen, wenn er sie nicht in sich selbst als Mikrokosmos nachempfinden oder zumindest mit bestimmten Elementen dieser Welt, die er analysieren will, in Verbindung treten kann? Man kann sogar behaupten, daß ein bestimmtes Maß an Identifizierung überhaupt erst die ›Typifizierung‹ oder das Aufstellen von Typologien ermöglicht.« (Maffesoli 1987: 468; Hervor. i.O.)21 Wirkliches Verstehen wird demnach erst möglich, wenn man sich auf den oder die anderen – und dessen/deren Aussagen – ernsthaft einlässt, was über das Medium des Lyrischen durchaus denkbar ist.
2.2.4
Das Gedicht als Explorationselement22
┌ Alle bis zu diesem Punkt vorgestellten Einsatzmöglichkeiten für das Gedicht in den Sozialwissenschaften gehen davon aus, dass man entweder als Forscherin selbst lyrische Texte (vom ganzen Gedicht bis hin zu einzelnen Anmerkungen) verfasst oder diese von Studienteilnehmerinnen verfassen lässt. Etwas anderes ist es jedoch, wenn diese bereits vorliegen und man sie in seine methodischen und/oder theoretischen Überlegungen mit einbeziehen kann. Das Gedicht wird dann zum Explorationselement, an dem etwas veranschaulicht werden soll. Wenngleich Adorno sich dafür ausspricht, »[…] lyrische Gebilde nicht als Demonstrationsobjekte soziologischer Thesen« (Adorno 2015b: 49) zu »missbrauchen« (vgl. ebd.), sondern diese eher zu verwenden, um »an ihnen selber etwas Wesentliches, 21
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In ganz ähnlicher Weise heißt es dazu auch bei Leavy: »This kind of engagement and connection challenges readers to transgress stereotypical ways of thinking about different groups and is therefore compatible with social justice motivations.« (Leavy 2008: 70) Der Verfasser weist explizit darauf hin, dass er diesen Abschnitt (also bis zum Punkt III.2.3) aus Grummt (2016: 407-408) entnommen hat (Titel: SozialwissenschaftlerInnen und KünstlerInnen? Das Beispiel lyrischer SoziologInnen) und an dieser Stelle – inklusive der Fußnoten – wiederverwendet. Der Text ist dafür an manchen Stellen überarbeitet, teilweise ergänzt und für das Format dieser Studie angepasst worden.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
etwas vom Grund ihrer Qualität« (ebd.) zum Vorschein zu bringen, so dass man nicht von ihm hinweg, »sondern tiefer in es hinein« (Adorno 2015b: 50) gelangt, so ist es in der Praxis manchmal eine echte Gratwanderung, das eine vom anderen zu trennen. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil sich beides wohl dialektisch zueinander verhält. Entspricht also das, was man aufzeigen möchte, wirklich dem, was das Gedicht – von sich aus – einem sagen will oder zeigt es nur das, was man eigentlich selber sagen wollte, weil man es in das Kunstwerk von außen hineinlegt? Eine Frage, die sich im Übrigen auch bei der Lektüre von Adornos Vortrag aufdrängt, da er sich bei seinen Ausführungen darüber, »wie das Ganze einer Gesellschaft, als einer in sich widerspruchsvollen Einheit, im Kunstwerk erscheint« (Adorno 2015b: 51; Hervor. i.O.), auf Gedichte von Eduard Mörike und Stefan George stützt. Und weil, wie er selber schreibt, »prinzipielle Erwägungen nicht genügen« (Adorno 2015b: 60). Der Gebrauch von Poesie zu Zwecken der besseren Veranschaulichung oder zur Untermauerung von Thesen muss also in jedem Fall mit Sorgfalt und Augenmaß erfolgen. Geprüft werden sollte somit ferner am spezifischen Einzelfall, ob die Aufbietung von Poesie ›missbräuchlich‹ geschieht – oder nicht. Als ein weiteres Beispiel für den Gebrauch von Gedichten in der Soziologie kann auf Hartmut Rosas Studie Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung verwiesen werden (vgl. Rosa 2012b). Darin zeigt Rosa nämlich u.a. anhand von Gedichten von Joseph von Eichendorff und Andreas Gryphius, welche Beziehungen Menschen zur Welt haben, das heißt, ob sie sich z.B. in dieser als »[g]etragen« (Rosa 2012b: 399) oder eher als »[g]eworfen« (ebd.) begreifen. Den Rückgriff auf die Lyrik begründet Rosa an dieser Stelle folgendermaßen: »Das Gefühl existenzieller Verlassenheit und Geworfenheit lässt sich in der Lyrik oder in der Musik reiner, weil unvermittelter, zum Ausdruck bringen als in jeder Art von Prosa, und das Gleiche gilt für die Welterfahrung des affirmativen Aufgehobenseins.« (Rosa 2012b: 385) Bestimmte (Welt-)Stimmungsgehalte und Erfahrungen lassen sich somit am besten im Medium des Lyrischen wiedergeben und auf diese Weise auch von anderen erfahren. ┘ Will man alle Dimensionen des Sozialen erfassen, so braucht es also zwingend auch jene Sphäre des Lyrischen, da andernfalls insbesondere bislang unsagbare, recht emotionale, affektgeladene sowie ästhetische Gesichtspunkte von menschlichen Lebenswirklichkeiten und deren jeweilige Bedeutungen für die Individuen nicht erfasst werden können. Dies weitergehend einsichtig zu machen, ist auch der Anspruch in den kommenden Punkten des Kapitels III.
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
2.3
Die lyrische Methode in der Praxis23
Die lyrische Methode soll hier nun, so sagt es die Überschrift, einem Praxistest unterzogen werden. Dies soll exemplarisch anhand der Frage geschehen, wie sich mithilfe der lyrischen Methode ein Zugang zur »gebauten Gesellschaft« (vgl. Delitz 2010) herstellen lässt. Beantwortet werden soll diese Frage unter Verwendung des methodischen Verfahrens der Autoethnographie,24 in dessen Kontext lyrische Mitteilungen über einen Baukörper geschrieben werden. Auf diese Weise ist es möglich, zu ergründen – so die These –, was Architektur für Individuen konkret bedeuten kann. Demnach wird im Folgenden generell beleuchtet, welche Wechselwirkungen zwischen Architektur und Lyrik bestehen (Punkt III.2.3.1), bevor im Anschluss daran die Methodik der Autoethnographie25 genauer erläutert wird (Punkt III.2.3.2). Danach wird anhand eines konkreten architektonischen Fallbeispiels dargestellt, wie man mit und durch Gedichte einen Erkenntnisgewinn über Baukunst erzielen kann (Punkt III.2.3.3). Abschließend beschäftigt sich dieses Kapitel in resümierender und kritischer Absicht mit den besonderen methodischen Implikationen einer lyrischen Autoethnographie (Punkt III.2.3.4).
2.3.1
Zum Wechselverhältnis von Architektur und Lyrik »Es sind die Dichter, die mit den Mitteln der Sprache den Sinn eines Bauwerks ausdrücken.« (Kranz 1988: 14)
Das Verhältnis von Architektur und Lyrik ist vergleichsweise vielfältig.26 So gibt es beispielsweise eine eigene Kategorie, die eine Engführung beider Medien bereits im Namen trägt. Es handelt sich dabei um das sogenannte »Architekturge-
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Erste Ideen zu diesem Kapitel beruhen auf einem Vortrag, den der Verfasser am 25.11.2016 an der Universität Leipzig im Rahmen eines Workshops der AG Architektursoziologie (Empirische Methoden der Architektursoziologie) zum Thema »Ich sehe was, was du nicht siehst«. Zur autoethnographischen und soziologischen Erschließung von Architektur anhand von Lyrik gehalten hat. Für einen Überblick zur Methode der Autoethnographie vgl. z.B. Adams/Bochner/Ellis (2010). Neben dieser Schreibweise taucht in der Forschungsliteratur zur Methode auch ›Autoethnografie‹ sowie die englische Variante ›Autoethnography‹ auf. Im Folgenden wird jenes mit ›ph‹ geschriebene Wort verwendet, außer es handelt sich um Zitate. Alle drei Formen bezeichnen synonym dasselbe. Und, wie noch angefügt sei: Es ist überdies recht alt, denn lyrische Kunstwerke, die sich mit Bauwerken befassen, »gibt es seit 28 Jahrhunderten und in allen Sprachen« (Kranz 1988: 9).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
dicht« (vgl. Kranz 1988). Dieses wiederum besteht – vereinfacht gesagt – aus drei unterschiedlichen Formen.27 Erstens den Gedichten, die ein bestimmtes oder unbestimmtes architektonisches Bauwerk zum Gegenstand ihres Textes erheben.28 Zweitens gibt es sogenannte »Figurengedichte«, die der äußeren Form nach Architektur abbilden.29 Dabei müssen die Verse selbst nicht von Architektur inspiriert sein. Drittens gibt es noch jenen Gedichttypus, der Architektur sowohl inhaltlich als auch im Erscheinungsbild widerspiegelt.30 Darüber hinaus existieren Gedichtformen, die sich durch eine ausgeprägte Intermedialität zwischen Dichtkunst und verschiedenen räumlichen Künsten (Architektur, Skulptur, Plastik) auszeichnen. Beatrice Nickel bezeichnet diese auch als »Gedichtobjekte« (vgl. Nickel 2011). Der entscheidende Unterschied zwischen Architekturgedichten und Gedichtobjekten ist die Erweiterung um eine räumliche Dimension, so dass Gedichtobjekte in aller Regel dreidimensional wahrnehmbar sind, während Architekturgedichte auf die Fläche begrenzt bleiben. Diese Art von intermedialen 3D-Gedichten findet man v.a. seit 1945 verstärkt im städtischen Raum – insbesondere an unterschiedlichen Gebäuden oder als eigenständige Installationen (vgl. ebd.). Als Belege hierfür führt Nickel z.B. Joan Brossas Begehbares visuelles Gedicht in drei Zeiten sowie Ian Hamilton Finlays Brückenpfeiler im Südwesten Schottlands an, der sowohl mit einem Auszug aus Platons Politeia im Original als auch mit einer englischen Übersetzung versehen ist (vgl. ebd.). Des Weiteren lässt sich beobachten, dass sich nicht nur die Poesie von der Baukunst inspirieren lässt, sondern dass Gedichte auch den Architektinnen als Anregung dienen (vgl. hierzu auch: Krause/Zemanek 2014). Diesbezüglich sei z.B. auf den Einfluss von Paul Celan und dessen Werk auf die Arbeiten des Architekten Daniel Libeskind hingewiesen. Exemplarisch dafür steht der Innenhof des Jüdischen Museums Berlin, den Libeskind dem Dichter gewidmet hat (vgl. hierzu Al-Taie 2007). Auch die Glasarchitektur von Bruno Taut ist von den lyrischen Schriften Paul Scheerbarts mit beeinflusst worden (vgl. Krause/Zemanek 2014).31 In Briefen
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Gisbert Kranz führt in seinem Buch Das Architekturgedicht weitere »Typen« an und unterscheidet u.a. noch zwischen »fiktiven« Architekturgedichten und solchen, die er zur »Ruinenpoesie« zählt (vgl. Kranz 1988: 7). Da eine solche Ausdifferenzierung für die hier zu entfaltenden weiteren Einlassungen jedoch nicht weiter von Relevanz ist, wird an dieser Stelle im Rückgriff auf Klaus Peter Dencker sowie Beatrice Nickel ein Vorschlag unterbreitet, der lediglich drei Kerntypen von Architekturgedichten umfasst (vgl. Dencker 2011: 632f.; Nickel 2011). Kranz führt diesbezüglich verschiedene Gedichte auf, in denen z.B. die Erwähnung des Schöneberger Rathauses in Berlin oder des Doms in Köln erfolgt (vgl. Kranz 1988: 61 u. 63). Zu verschiedenen Ausprägungen des Figurengedichts vgl. z.B. Adler/Ernst (1988). Besonders augenfällig wird dies anhand von Poemen, die beispielsweise Pyramiden nachbilden und diese im Text zudem erwähnen (vgl. Kranz 1988: 16). Den Hinweis auf das Werk von Paul Scheerbart verdankt der Verfasser Raphael Stübe, dem dafür ausdrücklich gedankt sei.
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
teilten sie sich beispielsweise gegenseitig ihre Vorstellungen darüber mit, wie das Bauen mit Glas umgesetzt werden könnte. So schickte der Schriftsteller Scheerbart 1914 in einem Schreiben an Taut 28 Vorschläge für gereimte Sprüche, die ursprünglich für ein geplantes Glashaus vorgesehen waren. Beispielhaft seien an dieser Stelle zwei davon wiedergegeben: »Ohne einen Glaspalast/Ist das Leben eine Last« (Scheerbart 2012: 155) oder: »Das Glashaus bringt uns die neue Zeit;/Backsteinkultur tut uns nur leid.« (Ebd.) Wenn man wiederum die Seite wechselt, dann zeigt sich umgekehrt, wie Architektur zur Entstehung von Lyrik beizutragen vermag. Dies soll exemplarisch an einem Architekturgedicht des Schriftstellers Rudolf Georg Binding (1867-1938) skizziert werden, das den Titel trägt Das Chile-Haus in Hamburg (vgl. Binding 1925). Die Überschrift benennt, mit welchem Gebäude sich Binding lyrisch befasst hat: Mit dem 1924 eröffneten und durch den Architekten Fritz Höger realisierten ChileHaus in der Hansestadt Hamburg. Das Chile-Haus zählte bei seiner Eröffnung zu einem der ersten Hamburger Hochhäuser, das maßgeblich aus Backsteinen besteht (vgl. Müller, S. 2014). In seiner Form gleicht es einem Schiff, was durch den Architekten und dessen Auftraggeber, den Kaufmann Henry Brarens Sloman, bewusst so intendiert gewesen ist. Seit 2015 gehört das Gebäude zum UNESCOWeltkulturerbe und schon zu Bindings Lebzeiten wusste das architektonische Objekt offenbar zu faszinieren. Binding schreibt: »[…] nichts was Menschen erbaut,/soll dir an Kühnheit und Kraft verglichen werden, du junges Haus Hamburgs, dessen Hüllen und Gerüste eben fielen.« (Binding 1925)32 Wann genau Binding sein Gedicht verfasst hat, lässt sich nicht exakt bestimmen. Veröffentlicht wurde es im Jahr 1925 durch die Werkstatt Lerchenfeld zusammen mit einem Holzschnitt des Gebäudes, den Rudolf Jerchel beigesteuert hat. Mit »nichts«, so empfindet es also der Dichter Binding, lässt sich das Chile-Haus vergleichen – nicht einmal mit den »Pyramiden Aegyptens« (ebd.) oder den »Palästen[n] Roms« (ebd.), wie er gleich zu Beginn des lyrischen Textes ausführt. In seinem weiteren Verlauf kommt er dann konkret auf die Form des Gebäudes zu sprechen: »[…] gestreckt wie eine/Forelle, schlank wie ein Schiff, hinauswehend wie ein Fittich,/ununterbrochen und ungebrochen wie eine Sternenbahn, un-/heimlich leicht unheimlich stark wie die Schwungfeder/eines Adlers und sich entrollend wie eine Fahne im Wind.« (Ebd.) Daran wird ersichtlich, dass das eigentlich »schwere Kommunikationsmedium« (vgl. Fischer 2010) Architektur zumindest im lyrischen Kunstwerk von Binding auf einmal ganz leicht wird und fast zu schweben beginnt.33 Um dann später vom »gewaltige[n] Leib« (Binding 1925) zu berichten,
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Damit bei den Leserinnen keine Irritationen aufkommen: Das abgedruckte Gedicht verfügt tatsächlich über keinerlei Seitenangaben. »›Schwer‹ ist die Architektur, weil am baukörperlichen Material eine Sinnkommunikation haftet, gleich ob Holz und Stein, Stahl und Glas: schwerer als der Körper, größer, aber auf sein
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der abermals relativiert wird, wenn es gleich wieder heißt: »er [gemeint ist der ›gewaltige Leib‹ des Gebäudes; Anm. D.G.] läßt sie [eine Straße, die durch das Ensemble des Chile-Hauses verläuft; Anm. D.G.] so leicht, so selbstverständlich in sich ein, wie einen/Atemzug […]« (ebd.). »Die äußerste Kraft des Gebäudes tut sich kund: die Straße/wird bezwungen« (ebd.). Und zwar nicht irgendwie, sondern mit Hilfe »einer federnden, leichtgeschwungenen Linie« (ebd.), die Binding in Bezug auf die Häuserfront zu erkennen meint (vgl. ebd.). Es ist genau dieses Spannungsverhältnis zwischen an sich schwerem architektonischem Baukörper und jenen federleichten poetischen Beschreibungen, das in Bindings Poem über das Chile-Haus seinen Ausdruck findet. Es ist das Gedicht, das diesen Sinneseindruck des Gebäudes festhält und für die Leserinnen bzw. Hörer gleichzeitig nachempfindbar werden lässt. Im Grunde verfährt Binding als Lyriker wie ein Ethnograph, der bei der Betrachtung des Gebäudes festhält, was ihm daran aufgefallen ist, was ihm markant erscheint und ihn überdies fasziniert hat: dessen Leichtigkeit bei gleichzeitiger Schwere – immerhin befindet es sich auf einem 6.000 m² großen Grundstück (vgl. Müller, S. 2014). Es ist also keine Gartenlaube und auch kein Einfamilienhaus, sondern ein recht raumgreifendes Gebäudeensemble, das keineswegs als hässlich empfunden wird. Bei Hermann Sörgel heißt es: »Das Chilehaus ist aber nicht nur das größte Haus Hamburgs, es ist auch das schönste. Mehr noch! […] Es ist als Kulturdenkmal ersten Ranges höchster Begeisterung würdig.« (Sörgel 1988: 27) Dies ist es auch, was man anhand von Bindings Poem beim Lesen erfahren kann: ein begeistertes Schwärmen in höchsten, lyrischen Tönen. Diese kursorisch dargelegten Ausführungen zum Wechselverhältnis von Lyrik und Architektur sollen genügen, um plausibel zu machen, dass beide miteinander in einer produktiven Verbindung stehen. Es ist demnach nicht nur so, dass Lyrikerinnen in ihren poetischen Texten auf Baukunst Bezug nehmen, sondern es kommt ebenso vor, dass Architektinnen Poesie dazu verwenden, um diese in Bauvorhaben einzubinden: Entweder als Quelle der Inspiration oder indem sie Eingang in den Baukörper finden – z.B. in Form einer Installation oder als lyrische Aufschrift auf einer Außenwand. Nicht zuletzt von diesem Befund ausgehend, wäre es demnach im Sinne von Michel Butor durchaus berechtigt, von der »Stadt als Text« zu sprechen (vgl. Butor 1992) und Gebäuden generell eine »semantische Qualität« (Gomolla 2002: 6) zuzugestehen. Eine Ergänzung sei an dieser Stelle allerdings hinzugefügt: Es kann sich dabei auch um lyrischen Text handeln, der an Gebäuden und durch diese wahrnehmbar wird. Es muss sich allerdings keineswegs immer um poetische Zeichen handeln, die für das menschliche Auge direkt sichtbar sind, sondern sinnliches Erleben bezogen. Schrift und Geld lösen sich in ihren Sinnoperationen tendenziell ab von der sinnlichen Präsenz, von lokaler Kommunikation, aber sie können Baukörper nicht auflösen.« (Fischer 2010: 77)
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
z.T. ist die Poesie in die Gebäude selbst eingeschrieben. Sich daran anschließende Fragen sind nun, wie sich insbesondere die in die Baukörper inskribierte Poesie wieder aus dieser herauslesen ließe? Zudem stellt sich die Frage, ob man die poetische Wirkung von Gebäuden nicht sogar methodisch rekonstruieren kann? Der Vorschlag wäre, eine solche Rekonstruktion u.a. unter Zuhilfenahme des Forschungsprogramms der Autoethnographie zu bewerkstelligen. Diese Methode, die sich als Teil des Instrumentariums des Werkzeugkastens der qualitativen Sozialforschung versteht, soll im folgenden Punkt zunächst allgemein vorgestellt werden und anschließend in der praktischen Umsetzung im architektonischen Feld eine feldspezifische Anpassung im Hinblick auf die Verwendung von Lyrik erfahren.
2.3.2
Die Methode der Autoethnographie
Um es gleich in aller Deutlichkeit vorweg zu sagen: »Autoethnographie provoziert« (Ploder/Stadlbauer 2013: 380). Denn: »Autoethnografie ist ein Forschungsansatz, der sich darum bemüht, persönliche Erfahrung (auto) zu beschreiben und systematisch zu analysieren (grafie), um kulturelle Erfahrung (ethno) zu verstehen.« (Ellis/Adams/Bochner 2010: 345; Hervor. i.O.) Nun könnte man meinen, dass diese Verquickung von Forscherinnenbiographie und Ethnographie an sich schon ungewöhnlich genug wäre, aber die Autoethnographie geht noch einen Schritt weiter, indem sie gezielt »kanonische Gepflogenheiten, Forschung zu betreiben und zu präsentieren« (ebd.) hinterfragt und »Forschung als einen politischen und sozialen Akt« (ebd.) versteht. Letzteres insofern, als dass Autoethnographinnen durch ihre Arbeiten oft ganz dezidiert dazu beitragen wollen, einen »breiteren Blick auf die Welt« (Ellis/Adams/Bochner 2010: 346) zu erzeugen, der sich lossagt von einer allzu rigiden Vorstellung, wonach Wissenschaft von einem vermeintlich »neutralen und objektiven Standpunkt aus« (ebd.) realisiert werden könne. Vielmehr wird akzeptiert, dass es unterschiedliche Menschen mit differenten Ansichten von Welt und folglich auch mit mannigfaltigen Sprachverwendungen, Glaubensvorstellungen, Bewertungsmaßstäben usw. gibt, die möglichst in all ihren Facetten und in ihrer Vielstimmigkeit sichtbar gemacht werden sollen. Damit möchte man sich – zumindest dem prinzipiellen Anspruch nach – von einer Wissenschaft befreien, die eine zumeist »weiße, maskuline, heterosexuelle, christliche und nicht-behinderte Perspektive der Mittel- und Oberschicht« (ebd.) vertritt. Gleichzeitig wird nach Auffassung von Adams, Bochner und Ellis das eigene Wissenschaftsverständnis als Akt von »Teilhabe an sozialer Gerechtigkeit« (Adams/Bochner/Ellis 2010: 353) interpretiert. Wobei sich hier natürlich darüber streiten lässt, ob dieses Ziel im-
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mer und überall auch tatsächlich eingelöst werden kann.34 Das Anliegen autoethnographischer Forschung ist somit, »analytische und zugängliche Texte zu verfassen« (Adams/Bochner/Ellis 2010: 353; Hervor. i.O.), welche die Welt »zum Besseren« (ebd.) verändern sollen.35 Autoethnographien geben einerseits Erfahrungen wieder, andererseits verweisen sie auf ein »zukünftiges Werden« (Geimer 2011: 309), das in einer kritischen Auseinandersetzung mit den im Feld künstlerisch generierten Daten erst noch hergestellt werden muss. Um dies zu realisieren, stützen sich die Autoethnographinnen bei ihrer Arbeit z.B. auf Artefakte, Beobachtungen, Feldnotizen, Tagebucheinträge, Gedichte, Briefe, Fotos, Zeichnungen oder Interviews, die während des Feldaufenthalts gesammelt und erstellt werden. Dieser Fundus dient wiederum als Grundlage, um daraus möglichst »dichte Beschreibung[en]« (Geertz 1999: 15) über die untersuchte Kultur und/oder bestimmte kulturelle Praktiken zu entwickeln (vgl. Adams/Bochner/Ellis 2010: 348; Ploder/Stadlbauer 2013: 376f.). Die Ausgangspunkte dieses Forschungsansatzes sind die jeweiligen Wissenschaftlerinnen selbst und ihre eigenen Erfahrungen, die für Außenstehende möglichst gut nachvollziehbar dargestellt werden sollen. Daraus lassen sich wiederum fünf weitere wichtige Bestandteile der autoethnographischen Methode ablesen. Erstens: Die auf diesem Wege entstandenen »dichten Beschreibungen« sollen zu Denkanstößen, Kritik und letztlich sogar zu »Widerstand« (Geimer 2011: 302) anregen. Deshalb sind es v.a. die Leserinnen oder ein Publikum, die die wissenschaftlich-künstlerischen Beiträge der Autoethnographinnen durch Kommentierungen und Diskussionen fortschreiben. Nicht zuletzt eingedenk dieser Tatsache, müssen sich Autoethnographinnen, zweitens, danach fragen: »Wer liest unsere Arbeiten, wie sind die Leser/innen davon betroffen und wie halten die Arbeiten das Gespräch/Diskurse in Gang?« (Adams/Bochner/Ellis 2010: 353) Je nachdem, welche Beantwortung diese Fragen erfahren, muss man sich, drittens, auch damit auseinandersetzen, dass die geschilderten Eindrücke tatsächlich möglich und für Außenstehende glaubhaft sind, da sich die Frage nach der Validität von autoethnographischer Forschung – falls man die Gütekriterien wissenschaftlichen Arbeitens bei dieser Methode überhaupt anwenden kann – auf die prinzipielle Wahrscheinlichkeit der Inhalte konzentriert (vgl. Adams/Bochner/Ellis 2010: 352). Ähnlich verhält es sich, viertens, mit dem Aspekt der Generalisierbarkeit der auf diese Weise gewonnen Ergebnisse, da es die Leserinnen oder –
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Der Verfasser reklamiert dies für die weiter untenstehende Autoethnographie jedenfalls nicht. Er verweist jedoch darauf, dass dieses Potential mit dieser Art zu forschen prinzipiell verknüpft wird. Es muss gar nicht immer die Welt in toto sein, die zwangsläufig eine Veränderung erfahren soll. Gelegentlich wird das autoethnographische Schreiben auch zum besseren Verständnis eigener Erfahrungen genutzt (vgl. Adams/Bochner/Ellis 2010: 350).
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
bei Aufführungen vor Publikum – die Hörerinnen sind, die darüber befinden, ob die mitgeteilten Erfahrungen an eigene Erinnerungen – oder mittelbar durch Dritte gewonnene Einsichten – anschlussfähig sind (vgl. ebd.). Es kommt im Kontext der Glaubwürdigkeit aber nicht nur auf die mitgeteilten Inhalte an sich an, sondern die Forscherinnen selbst müssen als authentisch (lies: ›reliabel‹) eingestuft werden, was sich maßgeblich daran knüpft, wie schließlich, fünftens, persönliche Daten öffentlich präsentiert werden. Welche Form (wissenschaftlicher Vortrag oder literarische Lesung) wird z.B. gewählt? Oftmals setzen Autoethnographinnen auf eine »Aufführung vor Publikum« (Winter 2011: Absatz 33).36 Die Bereiche, in denen die Autoethnographie inzwischen zum Einsatz kommt, sind verschieden und hängen von den jeweils gegebenen biographischen Bezügen der Forscherinnen ab. Autoethnographische Arbeiten reichen daher vom Umgang mit Trauer, über Suchterkrankungen, wie etwa Alkoholismus, über das Thematisieren von Rassismus, bis hin zum Feld der Wissenschaft (vgl. zu einem Überblick zu bisherigen Untersuchungen auch Geimer 2011: 302). Auch mit Blick auf die Architektur gibt es mindestens zwei Arbeiten, die auf den vorgestellten Forschungsansatz zurückgreifen. Darunter ist eine Arbeit von Liz M. Rush, mit der sie untersucht hat, welche Wirkung ein kleinerer Platz im Zentrum von Madrid (Fuencarral 43) auf sie selbst ausübt. Dazu zählt außerdem eine Analyse von Roy Brockington und Nela Cicmil zu architektonischen Bauten im Stile des »Brutalismus« (vgl. Brockington/Cicmil 2016; Rush 2012). Die beiden genannten wissenschaftlichen Abhandlungen setzen bei der Darstellung ihrer subjektiven Ansichten jeweils auf prosaische Beschreibungen. Demgegenüber soll an dieser Stelle ein Weg eingeschlagen werden, der sich auf das Schreiben von lyrischen Feldnotizen konzentriert, was im Folgenden näher erläutert werden soll.
2.3.3
Die lyrische Autoethnographie und ein Fallbeispiel
Grundsätzlich ist es nicht unüblich, beim Verfassen von Feldnotizen auf Lyrik zurückzugreifen37 (siehe hierzu auch Kapitel III.2.2.1),38 dennoch soll hier kurz auf diese Besonderheit autoethnographischen Schreibens eingegangen werden, um zu 36 37 38
Alexander Geimer spricht in diesem Zusammenhang deswegen auch von »Performance Ethnography« (vgl. Geimer 2011). Für Beispiele der Verknüpfung von Autoethnographie und Lyrik siehe z.B. Hanauer (2010: 79ff.). Ethnologinnen hielten aber nicht nur mittels Lyrik Beobachtungen für ihre Studien fest, sondern nutzten die Technik des Verfassens von Poesie z.T. auch über ihre Tätigkeit als Wissenschaftlerinnen hinaus. So schreibt Silvy Chakkalakal beispielsweise über drei USamerikanische Ethnologinnen: »Alle drei – Benedict, Sapir und Mead – schrieben Gedichte, kommentierten diese untereinander und publizierten auch in bekannten Lyrikmagazinen der Zeit.« (Chakkalakal 2015: 342)
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beleuchten, was eigentlich prinzipiell für die wissenschaftliche Verwendung von Dichtkunst spricht, bevor diese dann an einem ausgewählten architektonischen Beispiel noch in konkretisierender Abicht veranschaulicht werden soll.
2.3.3.1
Zur lyrischen Autoethnographie
Zuerst soll noch einmal daran erinnert werden: »poetry is not for every researcher or every research project« (Leavy 2008: 67). Im Falle der Autoethnographie bietet sich Poesie jedoch an, um »das Bruchstückhafte und Nicht-Verstehbare« (Chakkalakal 2015: 343) sowie z.T. auch das eigentlich Unsagbare zum Ausdruck zu bringen und insbesondere, um emotionsgeladene Beobachtungen sowie persönliche Innenansichten festzuhalten (vgl. hierzu auch: Hanauer 2010: 81f.). Des Weiteren bieten sich Gedichte als Form für autoethnographisch entstandene ›dichte Beschreibungen‹ deshalb an, weil sie das verdichtende Moment bereits enthalten. Dabei handelt es sich weniger um ein Wortspiel, das sich etwa auf Dichtkunst oder Dichtung bezieht, sondern vielmehr um eine strukturbildende Tatsache, die im Kern darin besteht, dass Lyrik in aller Regel kurz und prägnant sein sollte. Das heißt, dass Gedichte geradezu danach verlangen, dass man die wahrgenommenen Erlebnisse und Eindrücke, die man als Forscherin – z.B. beim Betrachten eines Gebäudes – gewinnt, pointiert und möglichst treffend wiedergibt. Das in Punkt III.2.3.1 erwähnte Gedicht von Binding über das Hamburger Chilehaus leistet genau dies. Verknüpft ist dieser Aspekt mit dem Umstand, wonach lyrische Kunstwerke bei den Lesern und/oder Hörerinnen – zumindest im Idealfall – Emotionen wecken sollen. Lyrische Schriften wollen berühren, bewegen und Diskussionen auslösen. Das Berühren-Wollen resultiert aus bestimmten Elementen, die für Lyrik typisch sind, wie etwa die Verwendung von Versen, Reimen und unterschiedlichen Metren, die dem Gedicht z.B. Klang und Rhythmus verleihen.39 All diese Eigenheiten von lyrischer Sprache verschaffen Gedichten einen semantischen und sinnlichen »Mehrwert« (Chakkalakal 2015: 343), der anderen Textformaten nicht auf vergleichbare Art und Weise gegeben ist. Poeme können z.B. wiedergeben, wie etwas auf jemanden gewirkt hat oder gewirkt haben muss, was die Person beim Anschauen von etwas empfunden und was es für sie bedeutet hat. Dies den Leserinnen zu vermitteln, mehr noch: es bei der Lektüre oder dem Hören von Gedichten möglichst zu erzeugen, ist das Anliegen von Dichterinnen – oder eben von Wissenschaftlerinnen, die mit Lyrik arbeiten.
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Verstärken lässt sich der Aspekt des Berühren-Wollens durch Lyrik noch, wenn dieser in einem Gedicht selbst thematisiert wird. In einem Gedicht des Verfassers (Titel: Berührung) klingt dies dann beispielsweise so: berührt will sein/ein mensch/bevor er geht/in jener tiefe/seines wesens/in der ein and’rer es versteht/vertrauend blind zu lesen/welch innigstes gefühl/er findet erst/im nächsten.
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
In Rückschau auf die bisherigen Ausführungen können für das lyrische Schreiben im Feld vier Fragen benannt werden, die den Arbeitsprozess anleiten können: 1. Was wird überhaupt beobachtet? Im hier gewählten Beispiel ist dies eindeutig, da die Architektur in den Analysefokus gerückt wurde. 2. Was lässt sich an dem, was zu beobachten ist, entdecken? Oder anders und mit den Worten des Dichters Peter Balakian formuliert: »One of my tasks as a poet is to discover the artifact, to find out what the artifact might mean. What buried life lies in it.« (Balakian 1997: 35) 3. Wie lässt sich das Beobachtete lyrisch festhalten? In situ oder erst im Nachgang an den Beobachtungsvorgang? Und schließlich: 4. Wie kann das Erlebte gleichsam so vermittelt werden, dass es bei den Leserinnen oder Hörern möglichst genauso nacherlebt werden kann, wie es der Forscher oder die Forscherin selbst empfunden hat? Auf alle diese Fragen sollte, wenn man im Feld in sozialwissenschaftlicher Absicht mit Lyrik arbeiten möchte, eine Antwort gefunden werden.
2.3.3.2
Das ausgewählte Fallbeispiel: Ein Wohnblock in Jena Lobeda-Ost
Ein Argument, das dafürspricht, bei der Analyse von Architektur auch mit der lyrischen Methode zu arbeiten, liefert Jürgen Hasse: »Räume persönlichen Aufenthalts sind immer auch persönlich bedeutsam. Sie berühren uns affektiv und deshalb können wir sie gar nicht in einer rein rationalen Haltung wahrnehmen.« (Hasse 2015: 203) Für eine wirkliche Wahrnehmung und Erfassung braucht es demnach andere, als bislang übliche, Methoden – wie eben jene, die sich auf Lyrik beziehen. Maßgeblich inspiriert wurde dieser Abschnitt jedoch weniger von einem theoretischen Argument, als vielmehr von einem Text, der an einem Hochhaus im Jenaer Stadtteil Lobeda-Ost40 zu lesen ist und der dem Verfasser immer wieder bei seiner Fahrt mit der Straßenbahn ins Büro begegnete und das selbst spätabends noch, dann sogar illuminiert. Es handelt sich dabei um die Aufschrift »Ich sehe was, was du nicht siehst«,41 die als eine Kunstinstallation anlässlich der EXPO 2000 konzipiert worden war – und manch einen vielleicht an das gleichnamige Spiel erinnert,42 das v.a. von Kindern recht gern praktiziert wird. Bei diesem spielerischen Zeitvertreib geht es darum, sich einen im Raum befindlichen Gegenstand auszuwählen, diesen jedoch den Mitspielerinnen nicht zu verraten, sondern lediglich dessen Farbe mitzuteilen. So entstehen typische Aussagen, wie »Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist grün«, und alle am Spiel Beteiligten sind dazu aufgefor-
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41 42
»Das Wohngebiet Jena-Lobeda ist das größte Neubau- bzw. Plattenbaugebiet im Süden der Stadt. […] Das Wohngebiet wird nach Süden von der Bundesautobahn A4, im Westen durch die Saale begrenzt. Nach Norden grenzt es unmittelbar an den historischen Ortskern von ›Alt-Lobeda‹.« (Ziege 2002: 136; Hervor. i.O.) Abbildung 9 zeigt das Gebäude mit dem Text. Es befindet sich an der Stadtrodaer Straße. Manch einem kommt die Formulierung vielleicht auch im Zusammenhang mit einer Achtsamkeitspraktik bekannt vor (vgl. dazu Metzner 2013: 132).
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Abbildung 9: »Ich sehe was, was du nicht siehst« – Wohnblock an der Stadtrodaer Straße in Jena Lobeda-Ost.
Foto: Daniel Grummt.
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
dert, solange grüne Gegenstände im Raum aufzuzählen, bis diesen jemand richtig erraten hat. Was soll diese Textinstallation an dem Hochhaus in Jena-Lobeda den Betrachterinnen mitteilen und/oder bei ihnen auslösen? Möglicherweise richtet der Text sich an diejenigen, die sich im Bus oder Auto sitzend in Richtung A4 aus dem Jenaer Zentrum herausbewegen und somit die Stadt, die nunmehr hinter ihnen liegt, nicht mehr wahrnehmen können, während man diese vom Hochhaus aus noch gut sehen kann. Sodann sieht man von der Höhe des Schriftzugs aus nicht nur die Stadt, sondern auch die grüne Landschaft, welche die Plattenbausiedlung Jena-Lobeda umschließt, die sich allerdings von unten, also aus der Perspektive von Fußgängerinnen und Autofahrern, nicht in ihrer gesamten Ausdehnung erkennen lässt. Denkbar ist auch, dass der Spruch auf einen Reiseführer rekurriert, in dem es über die einstige Wirkungsstätte der Frühromantikerinnen heißt: »Jena ist die Stadt auf den zweiten Blick.« (Oebser 2012: 5) Demnach muss oder soll genauer hingeschaut werden, wenn man die Saalestadt wirklich kennen(-lernen) möchte. In einer dritten Überlegung könnte die Redewendung aber ebenso eine Anspielung auf den »unsichtbaren und sichtbaren Strukturwandel« (Ballheim 2000: 15) des Stadtteils sein, den dieser seit Anfang der 1990er Jahre vollzogen hat. So wurde in einer Begleitbroschüre zu den Projekten zur EXPO 2000 in Hannover, die der Freistaat Thüringen damals im Rahmen von »Weltweite Projekte« vorgestellt hat, u.a. die Idee formuliert, aus der ehemaligen DDR-Plattenbausiedlung Jena-Lobeda künftig einen »grünen Universitätsstadtteil zu schaffen« (Ballheim 2000: 12) und »im besten Sinne ›normalen‹ Lebensraum entstehen zu lassen.« (Ebd.) Ob eine solche Umsetzung mittlerweile (nach gut 20 Jahren) geglückt ist oder nicht,43 soll in dieser Arbeit nicht weiter besprochen werden. Stattdessen soll das von Gebäude und Aufschrift angestoßene Spielprinzip aufgegriffen werden und ca. 800 m Luftlinie entfernt davon, mit mehr persönlichen Bezug zur ehemaligen Wohnsituation des Verfassers, fortgeführt werden. An dieser Stelle stellte sich die Frage: Was ist eigentlich zu sehen, was andere gegebenenfalls nicht sehen können, wenn man vom eigenen Balkon in Jena-Lobeda Ost aus in die Umgebung schaut? Was sieht man v.a., wenn man sich beim Schauen von diesem Standort aus hauptsächlich auf andere architektonische Gebäude und deren Erscheinung konzentriert? Um diese Fragen zu beantworten, hat sich der Verfasser auf seinen eigenen Balkon begeben, der sich im achten Stock eines elfgeschossigen Hochhauses befunden hat. Dieses liegt in der Nähe zur Erlanger Allee und man kann von dort aus insbesondere ein Gebäude recht gut in den Blick nehmen, das davor
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Zumindest im Jahr der EXPO 2000 und damit zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es noch skeptische Stimmen, die in dem Schriftzug ›Ich sehe was, was du nicht siehst‹ eher ein »Leuchtschrift-Menetekel« (Baake 2000: 23) erkannten, anstatt einer sich realisierenden Vision.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
in der Ernst-Schneller-Straße steht. Diesen Baukörper hat der Verfasser für die Durchführung der Autoethnographie ausgewählt und lyrische Feldnotizen zu ihm angefertigt, die in verschiedene Gedichte Eingang gefunden haben, von denen hier lediglich eines beispielhaft wiedergegeben werden soll. Abbildung 10: Wohnblock in Jena Lobeda-Ost (Ernst-Schneller-Straße).
Foto: Daniel Grummt.
Das schlafende I ohne Punkt44 ich sehe: eingedrückte graue Fläche an deren Rändern Tauben sitzen und aus welcher eigenwillig Spitzen stehen sich umgebend mit einer Gesellschaft von weißen Wölbungen dazwischen Miniaturen von winzigen Kirchen – so scheint’s – aber es fehlt die Spitze, die Türen, die Glocken ein willkürliches, figürliches Arrangement warum keine Wiese? wieso diese speziellen Aufsätze die den Blick auf sich zieh’n? hässlich ihn schneiden wenn dieser aus seiner Rolle entflieht und es ihn sehnsüchtig nach dem Horizonte hinzieht 44
Zu sehen ist das Gebäude in Abbildung 10 links im Bild.
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
sind nicht zu beneiden – einfach im Weg auf diesem Steg ohne die es fast eine Landebahn wär’ darunter im Kontrast: Schaufenster an Schaufenster viel verhangenes Glas das nachts manchmal leuchtet mal im warmen, mal im kalten Licht wenn doch nur irgendetwas an ihm besticht! das Auge sucht die Details nein, keinesfalls will es dabei müde werden es muss sie doch geben an dem schlafenden I wo sind die Punkte, die zum Verweilen einladen? wo hat sie das I nur versteckt? die Tüpfelchen, in denen Leben … wo sind die verspielten Ornamente die aus der aufgemalten, bunten Fläche ragen? hey Wand, was willst du mir denn sagen? beige Würfel, gelbe Quader nichts als bloß Kosmetik-Hader was willst du damit denn kaschieren? dass du aus einer andren Zeit? na, immerhin: du bist nicht grau wie manch andrer Plattenbau in dieser Republik aber chic? nee, so sehe ich dich nicht Im Grunde wäre es nun an den Leserinnen, diesen lyrischen Text zu kritisieren, zu erweitern, ihm vehement zu widersprechen und ihn v.a. hinsichtlich seiner Plausibilität und Wirkung zu beurteilen. Um die aufgebotene Dichtkunst von Seiten des Verfassers nicht gänzlich unkommentiert zu lassen, seien noch ein paar Anmerkungen dazu vorgenommen. Das Gedicht, wie es für autoethnographische Arbeiten kennzeichnend ist, beschreibt nicht nur einen Häuserblock, der zu einem ›umgefallenen I ohne Punkt‹ metaphorisiert wird, und bringt seine Empfindungen dabei zum Ausdruck (»hässlich«, »Kosmetik-Hader«), sondern macht zugleich Vorschläge, wie der Baukörper eventuell anders gestaltbar wäre. Etwa durch das Anlegen einer »Wiese« auf dem Dach oder indem zumindest die von oben sichtba-
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ren Bestandteile der Entlüftungsanlagen so umgestaltet werden würden, dass es eine Fläche in Form einer glatten »Landebahn« ergeben würde. Des Weiteren wird darin die Empfehlung unterbreitet, die Fassade mit Ornamenten zu versehen, die das Auge zum Betrachten des Gebäudes einladen würden.45 Bunte Flächen in Form von Quadraten allein reichen dafür jedenfalls nicht aus und wirken zudem eher so, als wolle man Vergangenes mit dem Anbringen von Farbe lediglich »kaschieren«. Es verwundert daher wenig, dass der Blick, auch wenn er sich bewusst auf das Gebäude und dessen Beobachtung konzentrieren soll, abschweift und sich den grünen Wiesen sowie dem Wald am Horizont zuwendet. Der Häuserblock lädt nicht zum Betrachten, sondern eher zum Übersehen ein. Das Gedicht selbst beschreibt dagegen nicht nur den Baukörper, sondern thematisiert zudem – zumindest implizit – dessen Geschichte (»dass du aus einer andren Zeit«) und kritisiert diesen auch, was typisch ist für Architekturgedichte, die darum bemüht sind, Gebäude meist »im Zusammenhang des Lebens« (Kranz 1988: 82) darzustellen.46
2.3.4
Eine kritische Reflexion der lyrischen Autoethnographie
Das Hauptproblem der Autoethnographie dürfte darin bestehen, dass diese in einem Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft operiert, der den Künstlerinnen zu wenig künstlerisch und den Wissenschaftlerinnen nicht hinlänglich wissenschaftlich genug erscheinen mag (vgl. Adams/Bochner/Ellis 2010: 352). Man steht mit dieser Art zu forschen in gewisser Weise innerhalb einer Utopie bzw. einem Nicht-Ort zwischen Kunst und Wissenschaft (vgl. zu diesem Aspekt auch Kapitel I dieser Studie). Beide Teilsysteme dürften auf denjenigen oder diejenige, der oder die damit arbeitet, Druck ausüben, sich entweder stärker in die Kunst oder die Wissenschaft zu integrieren oder sich deutlicher davon abzugrenzen. Aber jenen Kritikerinnen sei entgegengehalten, dass es v.a. Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen sind, die durch ihre jeweilige Praxis immer wieder neu bestimmen, was zu ihren Feldern dazugehört. Es ist demnach keineswegs von vornherein ausgemacht, welche Methode sich durchsetzen wird und welche nicht. Darauf machen autoethnographische Untersuchungen aufmerksam und fordern zugleich dazu auf, über Grenzen und den Umgang mit ihnen stets von neuem nach45
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Andreas Reckwitz macht beispielsweise darauf aufmerksam, dass für ihn die »organisierte Moderne« folgende Gesichtspunkte hinsichtlich der Stadtgestaltung besitzt: »Das funktionalistische, städtebauliche Ideal ist das der ›Serie‹, d.h. der Reproduktion eines Prototyps, sei es im Wohnblock, sei es im Einfamilienhaus und ihr ästhetisches Prinzip das eines antiornamentalen Purismus, der sich bis in die Gestaltung der Innenarchitektur der ›Wohnmaschinen‹ fortsetzt.« (Reckwitz 2016: 170) »Es [Das Gedicht; Anm. D.G.] leistet poetische Verwandlung des Statischen ins Dynamische, des reglos Steinernen ins Wachstümliche, des Räumlichen ins Zeitliche, kurz imaginative Beseelung des Unbeseelten.« (Kranz 1988: 82)
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
zudenken. Das kann im Ergebnis dazu führen, dass sich die Konturen eines Faches verändern, wofür auch mit dieser Arbeit ein Beitrag geleistet werden soll.47 Der Vorteil von autoethnographischen Studien besteht daher nicht in ihrer wissenschaftlichen »Exaktheit« (Adams/Bochner/Ellis 2010: 353), die sie absichtlich nicht erbringen möchten (und wohl auch gar nicht leisten können), sondern vielmehr in ihrem Potential zu – im besten Fall ergiebigen – »Irritationen« (Geimer 2011: 313). Grundlegend sinnvoll wäre es demnach, nicht nur Autoethnographie zu betreiben, sondern beispielsweise weitere Verfahren qualitativer Sozialforschung auf den ausgewählten architektonischen Gegenstand anzuwenden (Stichwort: Methodentriangulation).48 Erst dadurch würde ersichtlich werden, was die verschiedenen Verfahren im Stande sind, zu leisten und überdies würde eine umfassendere Erforschung des zu untersuchenden Gegenstands möglich werden. Der Vorschlag wäre daher, eine Vielzahl an Forschungsmethoden auf ein und denselben Gegenstand anzuwenden – ähnlich, wie dies etwa Fischer und Makropoulos mit differenten soziologischen Theorien für den Potsdamer Platz in Berlin bereits erprobt haben (vgl. Fischer/Makropoulos 2004). Dass Autoethnographien »keine fertigen Analysen und Forschungs-›Ergebnisse‹« (Ploder/Stadlbauer 2013: 376) liefern, sollte nicht zuerst als Defizit gesehen werden. Stattdessen liegt darin ein Potential, auf dem im konkreten Fall die weitere Forschung aufbauen kann. Die Autoethnographie zielt bei ihren Analysen auf offene Interpretationen des jeweiligen Gegenstands, so dass die Ergebnisse jeweils so beschaffen sind, dass sie als Denkanstöße oder als Heuristiken weitere Forschungen anregen können. Die Leserinnen (bzw. Hörerinnen) werden also explizit dazu aufgefordert, den Text schriftlich oder assoziativ in deutender Absicht fortzuschreiben. Erst bei den im Zuge von Lektüre oder öffentlicher Präsentation angeschobenen Diskussionen und Reflexionen über die autoethnographischen 47
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An dieser Stelle wird einmal mehr evident, weshalb im dieser Studie vorangestellten fragmentarischen Briefroman das Bild des Seiltänzers bemüht worden ist, denn sich zwischen den (Wissenschafts-)Disziplinen zu bewegen, ist oft genau das: Ein Seiltanz, bei dem man jederzeit abstürzen kann – und man damit weder der einen Seite (etwa der Soziologie) noch der anderen (etwa der Literaturwissenschaft oder der Kunst) wirklich gerecht wird. Vorstellbar wäre es z.B., den hier skizzierten autoethnographischen Ansatz mit jenem methodischen Vorgehen einer »Spaziergangswissenschaft« (im Englischen übersetzt mit »Strollology«) zu kombinieren (vgl. Burckhardt/Ritter/Schmitz 2015). »Strollology’s task, therefore, is to gather impressions and string them together, to create impressive image sequences without renouncing traditional metaphors, for the latter alone make the images thus obtained communicable; […] Strollology is hence a tool with which previously unseen parts of the environment can be made visible as well as an effective means of criticizing conventional perception itself.« (Burckhardt/Ritter/Schmitz 2015: 238) Der poetische Blick vom Balkon auf das im Punkt III.2.3.3.2 beschriebene Gebäude würde auf diese Weise ergänzt werden durch die Schilderung dessen, was man wahrnimmt, wenn man um diesen architektonischen Baukörper herumgeht.
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Beschreibungen entsteht das, was man als Erkenntnisabsicht bezeichnen könnte. So gesehen ist die vielleicht zunächst empfundene und z.T. in der Forschungsliteratur kritisierte Theorieferne von autoethnographischen Arbeiten etwas, was sich beheben ließe, indem man nachträglich Theorien aus dem erhobenen Material entwickelt oder dieses zumindest mit gängigen Theorieannahmen konfrontiert. Auch andere, insbesondere qualitative Verfahren (zu denken wäre beispielsweise an die Grounded Theory (vgl. Strübing 2008)), setzen schließlich darauf, Theorien erst aus den Daten heraus zu entwickeln oder diese in Bezug zu theoretischen Annahmen zu stellen. Solch eine Option der Verquickung von Empirie und Theorie ist somit durchaus gängige Forschungspraxis. Schwerer wiegen dagegen die folgenden Kritikpunkte am vorgestellten methodischen Ansatz, weil diese sich weniger leicht argumentativ von der Hand weisen lassen. Hierzu zählen u.a.: (1) Die Fokussierung auf das Forschungssubjekt, dessen autoethnographische Darlegungen im ungünstigsten Fall zur »narzisstischen Nabelschau« (Ploder/Stadlbauer 2013: 381) verkommen können. (2) Die Tatsache, dass es keinerlei eindeutig bestimmbare Kriterien dafür gibt, wann eine autoethnographische Darbietung wirklich als ›gelungen‹ angesehen werden kann (dies schließt im Übrigen die hier vollzogene mit ein). (3) Kritisiert wird zudem, dass die Biographie des Forschungssubjekts als Kapital verwendet wird, das nun auch noch »akademisch verwertet« (Ploder/Stadlbauer 2013: 389) werden soll. (4) Zuletzt muss konstatiert werden, dass diese Art, zu forschen, nicht jeder oder jedem liegen dürfte, was es zu akzeptieren gilt. Da man diese Probleme bei der Arbeit an und mit dieser Methode nicht wegdiskutieren kann, ist es erforderlich, diese kritischen Aspekte stets selbstkritisch zu reflektieren und gegebenenfalls im konkreten Fall offen zu legen. Wird dies berücksichtigt, so können spannende und wissenschaftlich gehaltvolle Beschreibungen von Kulturen und/oder von kulturellen Praktiken entstehen, die auch die Sichtweisen und Werthaltungen der jeweils betroffenen Akteure mit einschließen.
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
2.4
Am Horizont: Möglichkeiten der Interpretation »Der Autor ist der erste Leser seines Gedichts, und mit seiner Lektüre beginnt eine Reihe von Interpretationen und Neuschöpfungen. Jede Lektüre schafft ein anderes Gedicht.« (Paz 1989: 203) »Der wahre Leser muss der erweiterte Autor sein.« (Novalis 2015b: 389)
Ein Ergebnis des lyrisch-methodischen Arbeitens kann bereits sein, dass am Ende ein Gedicht entsteht (oder sogar mehrere lyrische Kunstwerke), das(/die) sich, wie im Punkt III.2.3.3.2 dargelegt, vorzeigen lässt (bzw. vorzeigen lassen), um einen poetisch vermittelten Eindruck von einem bestimmten Untersuchungsgegenstand zu erhalten. An die auf diese Weise generierten lyrischen Kunstwerke können sich sodann Interpretationen und daraus abgeleitete, weitere Fragestellungen anschließen, so dass die Gedichte als Reflexionen auf den eigentlichen Untersuchungsgegenstand zum Ausgangspunkt für (erste) Forschungshypothesen werden. Möglich ist es aber ebenso, die vorliegenden Poeme mit bereits etablierten Auswertungsverfahren genauer zu analysieren und zu interpretieren, um so ein nuancierteres soziologisches Bild zu einer Thematik zu bekommen. Im Hinblick auf die Auswertung von Gedichten kommen dabei sowohl literaturwissenschaftliche wie sozialwissenschaftliche Analyseinstrumente infrage.49 Auch eine Kombination aus beiden ist denkbar und sollte künftig stärker noch – als bislang – weiterverfolgt werden. Ferner ist es vorstellbar, mehrere verschiedene Verfahren der Interpretation auf ein Poem anzuwenden, um möglichst viele Erkenntnisse über die zu erforschende Thematik zu erzielen. Letztlich kommt es bei der Interpretation bzw. den Interpretationen nicht darauf an, die eine Sichtweise zu finden, sondern jene, die am plausibelsten sind. Welches Interpretationsverfahren gewählt werden sollte, lässt sich vorab nicht immer angeben. Die Entscheidung darüber, auf welche Auswertungsmethode man sich stützt, sollte vielmehr von Fall zu Fall neu entschieden werden und ist letztlich v.a. vom jeweiligen Untersuchungsgegenstand abhängig. Es sei auch davor gewarnt, anzunehmen, man 49
Für literaturwissenschaftliche Verfahren zur Gedichtanalyse vgl. z.B. Burdorf (1997); Lamping (2011); Strobel (2015). Im Zusammenhang mit sozialwissenschaftlichen Analyseverfahren, die sich auf lyrische Kunstwerke anwenden ließen, sei u.a. an die (Systematische) Metaphernanalyse (vgl. Schmitt 2017), die Objektive Hermeneutik (vgl. z.B. Oevermann 1990) oder die Grounded Theory (vgl. z.B. Strübing 2008) gedacht.
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könne gerade Gedichte allzu schematisch bearbeiten, um ihnen auf diese Weise ihre enthaltene Botschaft zu entlocken. Hierfür braucht es v.a. Ernsthaftigkeit, Einfühlung, Geduld50 und eine Offenheit dem zu untersuchenden Material gegenüber.51 Wichtig bei der Auslegung von Lyrik ist es, insbesondere darauf zu achten, was gesagt wird und wie es dargestellt wird. Auf dieses Wechselspiel von Form und Inhalt gilt es, ein besonderes Augenmerk zu legen. In diesem Kapitel wird nicht für eine bestimmte Auswertungsmethode geworben und es wird auch nicht erklärt, wie sich diese schablonenhaft auf alle möglichen lyrischen Kunstwerke übertragen ließe. Stattdessen zielen die folgenden Ausführungen darauf ab, zu zeigen, wie durch das Ernstnehmen und sensible Deuten eines Poems ein lyrisch-soziologisches Bild entstehen kann, das wertvoll ist für das weitere Verständnis einer bestimmten Forschungsthematik. Es wird demnach nicht behauptet, dass dies die einzige Lesart sei, die im exemplarisch ausgewählten Gedicht steckt, aber eine, die sich aufdrängt, wenn man sich ihm intensiv genug hingibt.52 Als Hintergrundfolie der Gedichtinterpretation dient im Folgenden zunächst Horst J. Franks »methodische Anleitung« zur Analyse von lyrischen Kunstwerken (vgl. Frank 1998), die jedoch keine rigide, sondern eher eine lockere Anwendung erfährt, um das Gedicht möglichst nicht in ein Prokrustesbett zu zwingen.53 Aufbauend auf diesem ersten Interpretationsansatz, werden v.a. soziologische Annahmen hinzugezogen (vgl. die Punkte III.2.4.2 und III.2.4.3), um zu einem tieferen Verständnis der im Gedicht enthaltenen Mitteilung(en) zu gelangen.
2.4.1
Gedichte schreiben zwischen »Qual« und »Lust«
Für die folgende Gedichtinterpretation, die sich explizit als ein Deutungsangebot neben anderen versteht, wurde ein Poem ausgewählt, das eine Studentin (Alter damals: 23) in einem Seminar des Verfassers (Lyrische Gesellschaft. Gedichte schreiben
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Im Zusammenhang mit dem »Entspiegeln« (Fuchs/Luhmann 1992: 170), wie Peter Fuchs und Niklas Luhmann das Verstehen von Gedichten begreifen, muss man v.a. »geduldig« (ebd.) sein – denn dies braucht oft Zeit. Bei Christoph Hönig liest man zur offenen Einstellung dem Gedicht gegenüber als Lektüreempfehlung beispielsweise: »Am besten, Sie richten gar keine bestimmten Erwartungen an den Text, der vor Ihnen liegt, und haben keine festen Vorstellungen von dem, was da auf Sie zukommt.« (Hönig 2008: 187) Zum (soziologisch-methodischen) Konzept der »Hingabe« siehe Wolff (1968). Frank führt insgesamt zwölf Themenfelder an, die sich bei der methodischen Analyse von Gedichten berücksichtigen lassen. Dazu gehören: Die Thematik des Gedichtes (1); die Entstehung des Poems (2); die Rolle der Metrik (3); die Wortwahl (4); der Satzbau (5); der Klang (6); die Bildlichkeit (7); die Perspektive (8); die Zeit (9); der Raum (10); der Aufbau (11); und schließlich der Zusammenhang zwischen allen genannten Bereichen (12) (vgl. Frank 1998).
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
als qualitative Methode in der empirischen Sozialforschung) im Sommersemester 2014 erstellt hat.54 Allen Studierenden war von vornherein bewusst, dass sie ein Gedicht verfassen sollten, das anschließend durch den Dozenten anonymisiert und von allen Teilnehmerinnen mit dem sequenzanalytischen Verfahren der objektiven Hermeneutik gemeinsam ausgewertet werden würde. Die Thematik, zu der sich die Teilnehmerinnen lyrisch äußern sollten, war, wie bereits in Punkt III.2.2.2 erläutert, recht offen gewählt, um u.a. zu testen, wie die Idee, mit Lyrik in der Soziologie zu arbeiten, ganz allgemein aufgenommen wird. Gefragt wurde danach, was die Studierenden am Ende ihres Bachelorstudiums am vordringlichsten bewegt. Der Rückgriff auf den lyrischen Text der Studentin erfolgt, da dieser zu den wenigen Poemen der Lehrveranstaltung zählt, die – zumindest auf den ersten Blick – das Gedichte schreiben selbst zum Gegenstand haben. Insgesamt sind in diesem Kontext sieben Poeme entstanden, von denen dieses eine hier nun so wiedergegeben wird, wie es abgegeben wurde. Auf Korrekturen, z.B. von Grammatik und Rechtschreibung, die gleichsam einen Eingriff in das lyrische Kunstwerk dargestellt hätten, ist bewusst verzichtet worden, um das Gedicht an dieser Stelle möglichst authentisch so wiederzugeben, wie es in digitaler Form eingereicht worden ist: »Gedichte schreiben ist ne Qual Gedichte schreiben ist ne Qual, doch leider hab ich keine Wahl. Hab mich drauf eingelassen, muss jetzt also was verfassen. Seufzen, weinen, pöbeln hat jetzt keinen Sinn, aufs Blatt gehören ein Paar Reime hin. So ist es nun mal auf der Welt, von einem wird erwartet, dass man eben sein Versprechen hält. Und um dieses nicht zu brechen, fang ich zügig an zu dichten. Während ich diese Zeilen schreibe zähl ich nicht auf Ruhm, versuch mich zu erkunden und das Ergebnis auf lyrische Art und Weise auf dem Blatt hier kund zu tun.
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Damit wäre bereits ein Aspekt benannt, der über die Entstehung des Gedichtes Auskunft gibt (vgl. Frank 1998).
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Ich leg nun hier die Seele offen in ihrer ganzen Weite, das Nichtwollen wird endgültig überwunden, aufgepasst, jetzt kommt meine poetische Seite. So schlimm ist das sich-lyrisch-austoben wirklich nicht, kommen wir jetzt also endlich zum Gedicht. Schon mehrmals angefangen, Um ernste Themen war das Herz bemüht, Doch der Kopf, der will nicht hören, Macht seine eignen Reime die mich manchmal arg verstören. Diese zwei gehen selten Hand in Hand, Das eine will, der andre verzagt. Der eine sagt, das andre muss sich fügen Und sich hin und wieder mal belügen, dass alles bestens ist und dass das Glück in vollen Zügen es erfüllt. Man würde meinen, zwei gleichgestellte Partner, Doch wenn es drauf ankommt, kneift das Herz und lässt sich führen, Denn der Kopf, der lässt sich nicht beirren. Ein wahrer Meister der Entscheidung, ein kampferprobter Krieger. Wie soll da nur das Herz mithalten, das auch Entscheidungen traf und sich dafür hat schelten lassen, denn meistens führten diese in verlassne dunkle Gassen? Der Kopf – der denkt in die Zukunft. Das Herz – das lebt für den Moment. Ein Moment erfüllt mit höchstem Glücke, freudetrunknen Erlösung, Freiheit, Schwerelosigkeit. Die Nacht verführt uns dazu das Herz entscheiden zu lassen mit Leichtigkeit, Doch wie Coldplay sangen ›Night makes a fool of us in the daylight‹ Und der Kopf der wird nicht müde Uns dran zu erinnern und sagt gleichzeitig er sei doch gar nicht prüde. Meistens ist es gut so, dass der Kopf die Richtung weist, Doch manchmal denk ich, dass mein Leben so viel abenteuerlicher wäre, säße das Herz öfter mal am Steuer.
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
Es ist weit nach Mitternacht, doch keiner schläft, der Kopf, der wacht, Das Herz ist auch munter, alles geht im Körper drüber drunter. Es wird heftig diskutiert wovon denn der Körper am meisten profitiert. Das Herz will von Gefühlen sprechen, Der Kopf will Reime, die nicht zu viel versprechen Und bloß kein Stück des Intimsten herausbrechen, Denn er muss am Ende dafür blechen. Das Herz sagt, lass es raus, Gefühle müssen fließen, Sonst kann der Frühling in deiner Seele gar nicht sprießen. Der Kopf ist da andrer Meinung und rät ›Schön oberflächlich bleiben, denn Gedichte gehen‹, meint er, ›Eindrücke bleiben‹. Es lässt sich rückwirkend nichts kaschieren, außerdem will das womöglich keiner hören. Am Ende sehen die Menschen eh nur was sie sehen wollen, Es ist im Grunde egal wie man sich verhält oder was man so erzählt, Alles wird vergessen, und obwohl das so ist, Scheint es mir unangemessen über meine Gefühle zu dichten Und meine Erlebnisse und Eindrücke lyrisch herzurichten Damit jemand darüber später ganz im Sinne der objektiven Hermeneutik zu richten vermag. Langsam nähern wir uns dem Ende, Fast alles ist gesagt, Nur eine Frage hätt‘ ich noch: Dieses Reimen, das macht tierisch Bock, warum hab ich nicht schon früher das für mich entdeckt?« Wendet man sich unmittelbar dem Inhalt des Gedichtes zu, dann scheint ein erstes, augenscheinliches Thema, wie bereits angedeutet, die Reflexion über das Schreiben von lyrischen Botschaften zu sein. Bereits der Titel erklärt, dass das Verfassen von Gedichten als »ne Qual« empfunden wird, von der auch noch einmal direkt in der ersten Zeile des Poems die Rede ist – in Form einer Wiederholung der Überschrift. Dadurch wird die Empfindung, wonach das Schöpfen von lyrischen Kunstwerken als ›qualvoll‹ wahrgenommen wird, verstärkt. Flankiert wird dieser Gesichtspunkt durch ein wiederholtes Ansetzen der Verfasserin, doch »jetzt« »endlich« zum »Ge-
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dicht« zu kommen und ihre »poetische Seite« zu offenbaren. Betont wird in diesem Zusammenhang, dass man dazu »[s]chon mehrmals angefangen« habe. Der überwiegende Teil des Gedichtes beschäftigt sich folglich damit, zu beginnen (»fang ich zügig an zu dichten«). Daran wird ersichtlich, dass es der Verfasserin nicht leichtgefallen ist, das Gedicht zu erstellen – zu dem sie sich aber offenbar verpflichtet fühlte: »Hab mich drauf eingelassen,/muss jetzt also was verfassen.« Zwar ist es zutreffend, dass mit der Teilnahme an der Lehrveranstaltung auch das Erstellen eines lyrischen Kunstwerks für die Studierenden verbunden war, aber es bestand keinerlei Zwang, das Seminar zu besuchen. So gab es im gleichen Modul, in dem dieses angeboten worden ist, auch andere Lehrangebote, bei denen es nicht erforderlich gewesen wäre, ein Gedicht zu schreiben. Es ist also nicht so, dass die Studentin »keine Wahl« gehabt hätte, wie sie schreibt, denn diese gab es zumindest bei der Auswahl des Seminars. Aber offensichtlich hat sie die Aufgabe im Vorfeld unterschätzt und erst bei der Anfertigung des Gedichts gemerkt, dass man es mit etwas Widerständigen zu tun bekommen kann. Es ist eine sehr häufig gemachte Erfahrung, dass man, um Gedanken und Empfindungen in Worte zu fassen, also um etwas zu Papier bringen zu können, erst einen Widerstand (manchmal auch mehrere) überwinden muss.55 Dies gelingt der Studentin schließlich auch, denn sie hat am Ende nicht nichts abgegeben, sondern ein interessantes lyrisches Zeugnis über das Ringen mit dem poetischen Stoff. Nachdem der Widerstand »überwunden« ist, empfindet es die Verfasserin sogar als lustvoll (»tierisch Bock«),56 sich auf diese Weise auszudrücken. Zu ihrer eigenen Verwunderung stellt sie sich am Ende gar die Frage, warum sie das lyrische Schreiben nicht schon »früher« »entdeckt« habe? Das Gedicht zeigt das Spannungsverhältnis, das sich aus dem Schreibprozess und der tatsächlichen Realisierung in konkreten Worten bzw. Versen ergeben kann. Die Spannung resultiert aus der anfänglichen Unlust (»Nichtwollen«, »Qual«), dem Widerstand, den es zu überwinden gilt und dem Lustgewinn (»tierisch Bock«), der sich aus dem Gefühl, mithin dem ›Flow‹ ergibt, wenn das anfängliche Hindernis aus dem Weg geräumt ist und die Gedanken und Worte sprichwörtlich fliegen. Spätestens in der fünften Strophe
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Dass man es nicht nur beim Verfassen von Gedichten mit einem Widerstand zu tun bekommen kann, hat der Verfasser sowohl an anderer Stelle schon dargelegt (vgl. Grummt 2018b) als auch noch einmal in das Kapitel IV dieser Studie mit eingebunden. Diese Deutung des Lustvollen in Bezug auf das Wort »Bock« erscheint insofern plausibel zu sein, da »Bock auf etwas haben« nicht nur in der Jugendsprache mit »Lust« verbunden wird, sondern auch rein vom Symbolgehalt her mit Sexualität in Zusammenhang steht. In einem Symbollexikon heißt es zum »Ziegenbock«: »Symbol der nährenden Natur und des (bescheidenen) Wohlstandes, der Hinterlist und Bosheit, der unkontrollierten Sexualität und des Rauschhaft-Dionysischen sowie der unschuldig leidenden Kreatur und des (gläubigen) Christen.« (Stenzel 2008: 436)
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
wird die anfänglich ausgemachte »Qual« zudem wieder relativiert, wenn es heißt, dass das »sich-lyrisch-austoben« »wirklich nicht« »so schlimm« sei. Thematisiert werden neben dem Nachdenken über das lyrische Schreiben auch Konventionen, die Einfluss haben auf den Schaffensprozess. Zum einen jene, die besagt, dass man ein »Versprechen hält«, und jene andere, nach der das Lyrische eng damit verbunden ist, das, was man aufschreiben möchte, in Reimform zu bringen: »aufs Blatt gehören ein Paar Reime hin«.57 Interessant daran ist, dass diese Vorstellung zwar für das Abfassen des Poems prinzipiell eine Rolle gespielt haben mag – als Orientierung gewissermaßen –, aber dass das (End-)Reimprinzip letztlich doch recht willkürlich zur Anwendung gekommen ist. Während die ersten zwei Strophen noch in Endreimformen verfasst sind (z.B. »eingelassen«/»verfassen«), wird dies mit der Ankündigung »fang ich zügig an zu dichten« in der dritten Strophe durchbrochen, da auf »brechen« in der nächsten Zeile das Verb »dichten« folgt. Dies ist insofern ein relevanter Gesichtspunkt, da mit und durch Lyrik spielerisch der Regelbruch dargestellt werden kann.58 Meint man anfänglich noch, dass man es hier durchgängig mit einem Endreimschema zu tun bekommen wird, so löst sich diese Erwartung der Leserinnen59 mit dem Ende der dritten Strophe nicht mehr ein. Auch die Länge der Strophen folgt keineswegs einem einheitlichen Muster, das sich identifizieren ließe. Ebenso wird mit harmonischen Einheitsvorstellungen gebrochen: Die erste Strophe besteht aus vier Zeilen, die zweite aus zwei, die dritte wieder aus vier, die vierte aus sechs, die fünfte aus zwei usw. Die Studentin hält zwar ihr (sich selbst) gegebenes »Versprechen«, ein Gedicht zu erstellen, ist aber ansonsten auffällig um eine bewusste Negation von Lyrikkonventionen bemüht. Auch die Zeilenlänge folgt keiner eindeutigen Logik. Man kann dies ästhetisch als ›störend‹ auffassen, weil es mit dem ›gängigen Blick‹ auf Lyrik bricht, aber man sollte es nicht marginalisieren. Denn dahinter steckt durchaus eine Intention, die darin gesehen werden kann, sich den allgemeinen Vorstellungen von Lyrik – auf
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Auch im weiteren Verlauf des Gedichtes wird nochmals explizit auf das »Reimen« Bezug genommen: »Dieses Reimen, das macht tierisch Bock«. Zu dieser Vorstellung, dass Gedichte mit dem Reim in Verbindung stehen, tragen auch Lyrikerinnen gelegentlich bei. So schreibt Robert Gernhardt beispielsweise: »Den Begriff ›Gedicht‹ verwende ich im verbreitetsten und plattesten Sinne: als sprachliche Mitteilung, die sich am Ende reimt. Ich weiß natürlich, daß es auch reimlose Gedichte gibt und andere Reime als den Endreim, doch zumindest in unserem Sprachraum ist er seit gut tausend Jahren das vorherrschende Prinzip, nach welchem sich Worte dergestalt organisieren lassen, daß jeder Erwachsene ›Ein Gedicht!‹ sagt und jedes Kind begreift, wie es gemacht wird […]« (Gernhardt 2009: 204). Ausgehend von diesem Befund und der Tatsache, dass Gedichte oftmals aus Versen bestehen, die ebenfalls einen Zeilenumbruch markieren, ließe sich Lyrik auch als Lust am Bruch begreifen. Gleiches gilt bei einem Vortrag des Gedichtes natürlich auch für die Hörerinnen.
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lyrische Weise – zu entziehen. Es ist kein bequemes Gedicht. Kein lyrisches Kunstwerk, welches das Auge umschmeichelt. Den Leserinnen soll vielmehr das Gefühl einer durchlittenen Qual beim Erstellen des lyrischen Textes über die äußere, sichtbare Form des Aufgeschriebenen mitgegeben werden. An nichts soll man sich bei der Lektüre gewöhnen: kein Reimschema, keine Strophenstruktur, keine Erwartbarkeit in Bezug auf die für Gedichte typischen Umbrüche an den immer gleichen Stellen – alles soll möglichst chaotisch und unberechenbar sein. Das Gedicht selbst wirkt so, wie es in Strophe fünf heißt, als hätte sich jemand »lyrisch-aus[ge]tob[t]«. Es gibt also nicht nur ein thematisiertes Spannungsverhältnis zwischen Lust und Unlust an der Lyrik, sondern auch eines zwischen Konvention und dem (spielerischen) Bruch mit dieser.60 Darüber hinaus lässt sich noch ein drittes Spannungsverhältnis im Gedicht ausmachen. Dieses vollzieht sich zwischen »Kopf« und »Herz«. Beide Körperteile, die im Gedicht explizit benannt werden, gehen nach Ansicht der Verfasserin »selten Hand in Hand« – es fehlt ihnen der harmonische Gleichklang. Folglich werden beide auch unterschiedlich beschrieben. Das Herz: »[m]acht seine eignen Reime«, »lebt für den Moment«, »fügt sich«, »lässt sich belügen«; es führt in »verlassne dunkle Gassen« oder anders gesagt: in die Irre; es steht für das »raus«-lassen von Gefühlen.61 Der Kopf dagegen: »denkt in die Zukunft«, »er lässt sich nicht beirren«, er ist ein »Meister der Entscheidung, ein kampferprobter Krieger«; er »weist« »die Richtung« und »rät« »[s]chön oberflächlich bleiben«; »er wacht« – passt also auf. Kurzum: »Kopf« und »Herz« werden als zwei sich gegenüberstehende Antagonisten beschrieben, wobei der »Kopf« ausschlaggebender zu sein scheint, da er »die Richtung« vorgibt und in aller Regel die »Entscheidungen« trifft. Der Kopf ist im Kampf ›erprobt‹ – das Herz offenbar nicht. Aber gerade, weil dies so empfunden wird, drückt sich im Gedicht der Wunsch danach aus, dass doch das »Herz öfter mal am Steuer« sitzen sollte, da das Leben dann »abenteuerlicher« wäre. Betrachtet man den »Kopf« als Symbol für den Verstand, für alles Rationale im Leben und das »Herz« als Sinnbild für menschliche Gefühle (die mit dem Irrationalen assoziiert werden), dann offenbart sich im lyrischen Kunstwerk der Studentin die Sehnsucht nach einem »Moment« »erfüllt mit höchstem Glücke,/freudetrunknen Erlösung, Freiheit, Schwerelosigkeit«. Es ist somit von einer »Freiheit« (des
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Weiterhin interessant daran ist, dass gerade die vollzogenen Brechungen ihre Wirksamkeit erst wirklich zu entfalten wissen, wenn man weiß, dass dahinter Konventionen stehen. Der Versuch der Durchkreuzung dieser führt somit – negativ – zu deren Kontinuität. Christoph Reinfandt beobachtet diese mitlaufende »Normenkontinuität« (Reinfandt 2003: 94), wie er es nennt, z.B. auch für die englische Lyrik (v.a. für deren Metrik) (vgl. ebd.). Im Metzler Lexikon literarischer Symbole steht zum »Herz«: »Symbol des Menschen, der Kraft, des Lebens, der gesammelten Energie von Denken und Fühlen, des tieferen Wissens, der Schöpferkraft und der Liebe.« (Renger 2008: 153)
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Herzens) die Rede, offen über »Gefühle« sprechen zu können, ohne dass man dafür »blechen« (lies: ›(be)zahlen‹) muss. Hierin begründet liegt zugleich die Angst, einerseits mit den vorgebrachten Gefühlen kein Gehör zu finden (»außerdem will das womöglich keiner hören«) und andererseits einen ›Eindruck‹ zu vermitteln, der »bleiben« könnte. Die Studentin erachtet das Vorbringen von Gefühlen durchaus als wichtig (»lass es raus, Gefühle müssen fließen«), aber hegt zugleich die Sorge, durch andere für das Aussprechen ›gerichtet‹ zu werden. Deswegen »kneift das Herz und lässt sich führen«, wie es im Gedicht heißt. Diesen inneren Konflikt (im »Körper«) bringt das lyrische Kunstwerk eindrücklich nach außen: Die Erkenntnis, dass Gefühle »fließen« »müssen«, weil dies doch wichtig für den »Frühling« (lies: das Erwachen oder auch: Aufblühen) der »Seele« sei, und die Angst davor, dass genau dies einen in »verlassne dunkle Gassen« führt oder anders ausgedrückt, dass man für das Zeigen von Gefühlen stigmatisiert wird, weshalb man schließlich einsam und allein dasteht. Eine »Qual« mag es auf einer ersten Ebene sein, aus dem Nichts auf einem weißen Blatt etwas entstehen lassen zu müssen, dass man seinen Gedanken erst mühevoll – und dann lustvoll – abringen musste. Aber die auf einer anderen Ebene verortbare »Qual« besteht v.a. darin, zu wissen, dass die Entäußerung von Gefühlen zwar ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Lebens ist. Gleichzeitig besteht jedoch die Angst davor, dafür ausgegrenzt oder auf das Gefühle-Zeigen reduziert zu werden. Diese Sorge mündet darin, solche Empfindungen gar nicht erst zuzulassen bzw. zu unterdrücken.62 Nicht in die emotionale Tiefe soll es gehen, sondern »[s]schön oberflächlich bleiben«. Der lyrische Text bringt somit zum Ausdruck, was sich nach Arlie Hochschild mit der Begrifflichkeit »Emotionsarbeit« umschreiben lässt (vgl. Hochschild 1990). Die Emotionen müssen danach durch den Verstand (den »Kopf«) kontrolliert (›geführt‹) und bearbeitet werden und dürfen nicht frei »fließen«.
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Dies ist notabene ein Gesichtspunkt, wie er ebenso im Briefroman-Fragment ›Ein Mensch tanzt übers Seil‹ zum Ausdruck kommt, wenn dort etwa über einen (gar zu utopischen?) Ort geschrieben wird, an dem »[…] man einfach sein kann – ganz so, wie man ist. Ohne Überbau, ohne Unterbau und irgendein albernes Drumherum. Keine Verstellung, keine Verbiegung, keine Verformung und keine Angst. Wo man Worte frei aussprechen kann, ohne damit gleich zwischenmenschliche Verwerfungen auszulösen oder gar scheußlichste Kriege.« (S. 19 in dieser Arbeit; Hervor. i.O.)
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2.4.2
Mit der Soziologie in die Tiefe: Den Emotionen auf der Spur »Denn alle gute Dichtung ist das spontane Überfließen mächtiger Gefühle.« (Wordsworth 1983: 307)
Ohne dem lyrischen Kunstwerk eine Soziologie überstülpen zu wollen, so lassen sich doch aus dem Gedicht soziologische Erkenntnisse gewinnen und dieses mit soziologischen Annahmen konfrontieren. Im Grunde zeigt sich in dem Gedicht ein Dilemma, das darin besteht, dass es einerseits notwendig ist, Emotionen zuzulassen (»Gefühle müssen fließen«), und dass andererseits ein empfundener Druck dazu besteht, diese zu unterdrücken (»nicht zu viel versprechen«). Obwohl das lyrische Kunstwerk selbst ein menschliches Bedürfnis nach Emotionen einräumt und es »im Grunde egal« ist, »wie man sich verhält oder was man so erzählt«, da »[a]lles« angeblich »vergessen« wird, wird es trotzdem als »unangemessen« empfunden, »über Gefühle zu dichten«. Hierbei handelt es sich um eine gefühlte ›Unangemessenheit‹, von der angenommen wird, dass man »am Ende« »dafür blechen« müsse, also in irgendeiner Weise die (sozialen) Kosten dafür tragen muss. Des Weiteren transportiert das Gedicht die Sorge, dass das Zeigen von Gefühlen möglicherweise zu einem falschen ›Eindruck‹ bei den anderen führen könnte. Eine Fremdwahrnehmung, die so stark ist, dass sie sich festsetzen oder »bleiben« könnte – und dies obgleich doch »[a]lles« »vergessen« wird und »Menschen eh nur« »sehen«, »was sie sehen wollen«, wie es im Poem ebenfalls heißt. Wenn es jedoch »egal« ist, warum dann nicht zu seinen Emotionen stehen und sie frei mitteilen? Gerade für Frauen stellt sich dieser Sachverhalt, wie Hochschild in ihrer soziologischen Analyse Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle herausgearbeitet hat, als ambivalent dar (vgl. Hochschild 1990). Auf der einen Seite sind insbesondere Frauen für die Gefühlsarbeit zuständig, auf der anderen Seite haben sie aber »stärker unter deren persönlichen Kosten zu leiden.« (Hochschild 1990: 35) Erwartet wird von ihnen in aller Regel eine »Oberflächendarstellung« des »›ernsthaften‹ guten Mädchen[s]« (Hochschild 1990: 135) – was auch im Gedicht der Studentin implizit zur Sprache kommt: »[s]chön oberflächlich bleiben«.63
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Wie aktuell Hochschilds Befund auch noch für das 21. Jahrhundert zu sein scheint, macht die feministische Bloggerin Laurie Penny kenntlich, wenn sie kritisch über die Erwartungshaltung, die bis dato an Frauen herangetragen wird, schreibt: »Mach dich schön. Mach dich neu. Spiel das Frauenspiel, und spiel es besser als deine Freundinnen. Du bestehst nur aus Oberfläche, da machst du die Oberfläche am besten interessant, modern und frisch, denn darunter ist ja nur eine Frau mit läppischen Problemen und ihren faden Gefühlen.« (Penny 2016: 49) Es ist gerade dieses beschriebene »Frauenspiel« (ebd.), gegen das Penny anzuschreiben versucht, um es zu durchbrechen.
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Das eigentlich Leichte (die »Schwerelosigkeit«) wird somit als »unangemessen« empfunden, als etwas, dass nicht sein darf und dass man sich selbst nicht zugestehen möchte – oder vielleicht auch nicht zugestehen kann, weil es die ansozialisierten Konventionen verbieten. So wird das Zeigen von Gefühlen als etwas erachtet, das in sozialen Interaktionen möglicherweise Nachteile mit sich bringen kann.64 Hochschild gibt diesbezüglich ein Beispiel: »Zeigt ein Mann seine Wut, hält man sie für ›vernünftig‹ oder verstehbar und nicht für ein Zeichen von Charakterschwäche; man begreift sie vielmehr als Ausdruck seiner festen Grundsätze. Zeigen Frauen ein vergleichbares Ausmaß an Wut, wird sie eher als Zeichen mangelnder persönlicher Stabilität aufgefaßt. Man glaubt, daß Frauen emotionaler sind, und dieser Glaube bedingt die Abwertung ihrer Gefühle.« (Hochschild 1990: 143)65 Wir haben es dabei mit einem Paradoxon zu tun, wie es auch in dem hier verhandelten lyrischen Kunstwerk artikuliert wird: »Gefühle müssen fließen« vs. »bloß kein Stück des Intimsten herausbrechen«. Die antizipierte Herabsetzung insbesondere weiblicher Gefühle durch andere (Frauen wie Männer) hat zur Folge, dass sie diese selbst als wertlos erachten.66 Es verstetigt sich auf diese Weise eine Haltung, wonach Gefühle von Frauen »weniger Gewicht« (Hochschild 1990: 141) haben, als jene von Männern. Hierbei handelt es sich um eine Sichtweise, die nicht selten von Frauen selbst geteilt wird. Im Gedicht ist von der Annahme die Rede, dass diese »womöglich keiner hören« will – ganz so, als seien Gefühle nicht von Belang und deren Mitteilung nicht weiter von Relevanz. Das lyrische Kunstwerk der Studentin legt somit dar, was ansonsten oftmals für das menschliche Auge verborgen bleibt: Wie schwer es ist (gerade für eine Frau), tatsächlich jene Gefühle zuzulassen, die jemand wirklich empfindet. Nicht selten kommt es dabei zu einem »[B]elügen« des eigenen Selbst, da Frau nach außen hin eine Emotion mitteilt, die nicht gefühlt, aber doch »erwartet« wird. Emotionen zu offenbaren, die entweder tatsächlich verspürt oder die in einem bestimmten sozialen Setting eingefordert werden, bedeuten Arbeit, die einem (qualvollen) Kampf zu gleichen scheint, bei dem das »Herz« letztlich oft »kneift« (lies: unterliegt). »In
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Umgekehrt werden Gefühle allerdings auch dazu verwendet, um sich vermeintliche Vorteile zu verschaffen oder bestimmte Ziele zu erreichen (vgl. Hochschild 1990: 137). Daran zeigt sich, dass es für die Geschlechtergleichberechtigung in Bezug auf Emotionen auf zweierlei ankommen würde. Einerseits dürften Frauen, wie u.a. von Margarete Stokowski gefordert, ihre Wut nicht »verlernen« (Stokowski 2016: 41), andererseits müsste jedoch auch eine Akzeptanz für weibliche Wut vermehrte gesellschaftliche Anerkennung (insbesondere bei Männern) finden. Wobei dies nicht allein Frauen betrifft, sondern generell für Menschen gilt, die einen geringen gesellschaftlichen Status innehaben (vgl. Hochschild 1990: 142).
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diesem Sinn sind Gefühle auch ein ›bewußtes Konstrukt‹, Produkt inneren Aushandelns, d.h. zum Teil auch vom Kopf gesteuert.« (Beck-Gernsheim 1990: 9) Damit entkräftet das Gedicht zwar nicht die Annahme von Hermann Schmitz, dass Gefühle durch »Atmosphären« bedingt und von diesen evoziert sein können (vgl. Schmitz 1969: 98f.), aber es legt entgegen seiner These nahe, dass Gefühle in uns, im »Körper«, zwischen »Herz« und »Kopf«, ausgehandelt werden, bevor sie vermittelt werden. »Sie [die Gefühle; Anm. D.G.] kommen von Herzen (oder vielleicht auch, nach neueren Versionen, aus dem Bauch).« (Beck-Gernsheim 1990: 9) Welche Gefühle schlussendlich von innen nach draußen transferiert werden, hängt jedoch entscheidend mit davon ab, welche sozialen Erwartungen in verschiedenen sozialen Interaktionen bestehen. Wenn in immer mehr Lebenszusammenhängen bestimmte Gefühle erwartete werden (z.B. wird von Flugbegleiterinnen erwartet, unter allen Umständen nett und freundlich zu sein67 ), dann haben die eigentlichen Gefühle kaum noch eine Chance auf Momente der spontanen Realisierung. Das »Herz« ist dann, um die Begrifflichkeit von Hochschild zu verwenden, »geraubt« (vgl. Hochschild 1990: 45).68 Verloren geht bei diesem Management der Emotionen das, was sich mit »Signalfunktion« (Hochschild 1990: 45) beschreiben ließe: Gefühle fungieren demnach als Hinweisgeber »auf verborgen wirksame Wahrheiten« (Hochschild 1990: 50), die uns z.B. vor Gefahren schützen sollen oder für tieferliegende Lebenszusammenhänge sensibilisieren können.69 Nicht umsonst lehrt schließlich der »Fuchs« im »Bildungsroman«70 Der kleine Prinz von Saint-Exupéry den Protagonisten: »Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.« (SaintExupéry 2015: 81) Gefühle verschaffen den Akteuren demnach eine Sicht auf die Welt, die sie ohne sie nicht hätten. Entwickelt man in einer Situation beispielsweise eine Empfindung des Unbehagens, so wäre es meist sinnvoller, diesem Gefühl nachzugehen und die Situation zu verlassen. Allerdings ist dies keinesfalls immer ohne weiteres möglich, wie ein Beispiel illustrieren soll: Ein sexistischer Witz in
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Statt auf Flugbegleiterinnen ließe sich natürlich auch auf andere Berufsgruppen verweisen, wie Verkäuferinnen in der Dienstleistungsbranche. Hierbei handelt es sich um ein Motiv, das sich in ähnlicher Weise auch schon zu Zeiten der historischen Romantik finden lässt. In Wilhelm Hauffs Märchen Das kalte Herz (1827) verkauft der Protagonist »Peter« an den bösen Waldgeist »Holländermichel« sein Herz, um seine Schulden damit zu tilgen, woraufhin dieser ihm dafür einen Stein an die Stelle des Herzens einsetzt, so dass »Peter« fortan nichts mehr fühlen kann (vgl. Hauff 1986). Dass es (tief) im Inneren offenbar eine verborgene »Wahrheit« gibt, wird auch von Sennett konstatiert (vgl. Sennett 2011: 27). Die Schrift Der kleine Prinz als »Bildungsroman« zu klassifizieren, kann einem Nachwort einer Neuübersetzung des Textes von Peter Sloterdijk entnommen werden (vgl. Sloterdijk 2015: 101).
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
einer männlich dominierten Vorstandsrunde wird mindestens unter den anwesenden Frauen zu innerem Unmut und Protest führen. Dieser aber dürfte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht offen nach außen kommuniziert werden, weil die Angst besteht, sich innerhalb der Runde verletzlich, lächerlich oder angreifbar zu machen. »Lebenskrisen, Liebe und Leid – alles wird in Fertigteile zerlegt und handlich gezähmt. Geliefert werden die vorfabrizierten Gefühle, ein wohlsortiertes Programm für jede Lebenslage, jedes Alter, jeden Geschmack.« (Beck-Gernsheim 1990: 22) Auf dem Spiel steht bei der Kontrolle der Gefühle folglich nichts Geringeres als unser »Bezug zur Welt« (Beck-Gernsheim 1990: 10). »Was bleibt«, schreibt Beck-Gernsheim weiter, »ist das ›falsche Selbst‹.« (Ebd.) Insofern dürfte einsichtig geworden sein, dass Lyrik mit dazu beitragen kann, alltäglich erfahrene und erlebte Stigmatisierungen71 und Unterdrückungen von Gefühlen (wieder) artikulierbar und dadurch sichtbar zu machen.72 Das Gedicht der Studentin selbst ist jedenfalls auf der Ebene der Form und vom Inhalt her ein Beleg dafür, dass frau wie man(n) sich in diesem Medium (kreativ) ›austoben‹ kann. Es ist möglich, Unmut (»das Nichtwollen«) ebenso wie innere Gefühlskonflikte mitzuteilen sowie die »Seele« »in ihrer ganzen Weite«73 »offen« zu legen.74 Dadurch wird das Leben, wie es im Gedicht steht, nicht nur »abenteuerlicher« – worauf gleich noch näher eingegangen werden soll –, sondern freier. Mittels Lyrik, hier verstanden als Artikulationsraum für Gefühle, lassen sich Emotionen noch ausund nacherleben – und sei es für den Moment des Schreibens (und später beim Lesen). Im lyrischen Kunstwerk werden aber auch philosophisch-soziologische Überlegungen evident, die anschlussfähig sind, um sie z.B. mit Annahmen von Georg Simmel weiterführend zu interpretieren. So verweisen zwei Verse darauf, dass das Leben »so viel abenteuerlicher wäre,/säße das Herz öfter mal am Steuer« – jenes 71 72
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74
Zur grundsätzlichen soziologischen Auseinandersetzung mit dem Thema Stigma und Stigmatisierung siehe Goffman (1975). Die in dieser Studie entwickelten (methodischen) Überlegungen zum Arbeiten mit Lyrik in der Soziologie erweisen sich demnach u.a. anschlussfähig an jene »relativ junge Subdisziplin innerhalb der Soziologie« (Senge 2013: 12), welche den Namen »Emotionssoziologie« trägt. So heißt es in einem der wohl schönsten Gedichte des Eichendorff’schen Werkes mit dem Titel Mondnacht in der dritten Strophe ganz ähnlich: »Und meine Seele spannte/Weit ihre Flügel aus,/Flog durch die stillen Lande/Als flöge sie nach Haus.« (Eichendorff 1969: 106) Erst das Medium der Lyrik vermag – sowohl bei Eichendorff wie bei der anonymen Hallenser Studentin – die Seele wahrlich »Weit« (ebd.) zu machen und gibt ihnen das Gefühl, (scheinbar) irgendwo anzukommen. Wobei einschränkend hinzugefügt sei, dass ›Weite‹ insofern relativ ist, da es, wie Simmel herausgearbeitet hat, einen »tiefsten Individualitätspunkt« (Simmel 2013a: 33) im Inneren eines jeden Individuums gibt, an den sich – wenn überhaupt – immer nur Näherungsweise herankommen lässt: »[…] das vollkommene Wissen um die Individualität des andern [ist] uns versagt« (ebd.).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
»Herz«, das im gleichen Poem dadurch näher charakterisiert wird, dass es v.a. »für den Moment« »lebt«. Schon Simmel arbeitete in seiner Schrift Das Abenteuer heraus, dass die »Atmosphäre« (Simmel 1986: 35) des Abenteuerlichen durch »unbedingte Gegenwärtigkeit« (ebd.) gekennzeichnet sei, der es um das »Hier und Jetzt« (ebd.) gehe. Des Weiteren wird im Abenteuer-Text dargelegt, dass ein abenteuerlicher »Inhalt« (Simmel 1986: 32) (»vor allen anderen« (ebd.)) sich in die »Form« des Erotischen »kleide[.]« und zwischen beiden, also Abenteuer und Erotik, ein ausgeprägter Zusammenhang bestehe (vgl. ebd.). Überdies führt Simmel aus, dass das Abenteuer mit »Spannungen« (Simmel 1986: 38) einhergehe. Dass das Gedicht insbesondere am Ende eine erotische Komponente enthält, kann aus der geäußerten Anziehungskraft des Reimes abgeleitet werden, wo es heißt: »Dieses Reimen, das macht tierisch Bock«. Aber es ist nicht nur der Reim, der dem Vernehmen nach zu affizieren weiß, sondern auch an anderen davorliegenden Stellen werden – allerdings subtiler – Aspekte des Ver-führenden und Sexuellen genutzt, um den Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen.75 So ist z.B. die Rede davon, dass sich das »Herz« »führen« »lässt« und es wird geäußert, dass der »Kopf« »nicht prüde« sei. Diese Anspielungen und -deutungen stehen, wie im vorangegangenen Punkt dargelegt, in einem Spannungsverhältnis zur »Qual«, die für das Schreiben von Gedichten konstatiert wird. Gleichsam wird durch das Aufmachen dieser Grundspannung ein weiterer (positiver) Reiz deutlich, den offenbar auch Laien bereits beim erstmaligen Schreiben eines Gedichts erfahren können. Der Verfasserin öffnet sich ein Freiraum, den sie sonst möglicherweise nicht zu betreten wagt. Sie experimentiert und geht ein (lyrisches) Abenteuer ein.
2.4.3
In welchem Takt schlägt das Herz der Gesellschaft? »Das Herz ist der Schlüssel der Welt und des Lebens.« (Novalis 1992b: 86)
Das Gedicht der Studentin enthält allerdings noch mindestens einen weiteren wichtigen Gedanken, der nicht unterschlagen werden soll. Im mit lyrischen Mitteln beschriebenen Ringen zwischen »Herz« und »Kopf« tritt erkennbar ein Phänomen hervor, das Helmuth Plessner in seinem Werk Grenzen der Gemeinschaft mit der Be-
75
Damit wird durchaus die These von Julia Vomhof gestützt, wonach es zuweilen einen eindeutigen Konnex zwischen dem Lyrischen und dem Aspekt der Verführung geben kann. Bei ihr heißt es dazu: »Verführung ist, etwa neben der Unterhaltung oder Information, eine potentielle Qualität des Tuns von Lyrik […]« (Vomhof 2017: 12). Woran zugleich ersichtlich wird, dass sich literaturwissenschaftliche Annahmen durch soziologische Empirie in geeigneter Weise untermauern lassen.
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
grifflichkeit »Takt«76 treffend auf den Punkt bringt (vgl. Plessner 2002).77 Eruiert wird in dem metaphorischen ›Kampfgeschehen‹ der beiden Körperteile, was im Hinblick auf die Mitteilung von Emotionen statthaft ist und was demgegenüber als »unangemessen« empfunden wird. Bei Plessner heißt es: »Takt ist das Vermögen der Wahrnehmung unwägbarer Verschiedenheiten, die Fähigkeit, jene unübersetzbare Sprache der Erscheinungen zu begreifen, welche die Situationen, die Personen ohne Worte in ihrer Konstellation, in ihrem Benehmen, ihrer Physiognomie nach unergründlichen Symbolen des Lebens reden. Takt ist die Bereitschaft, auf diese feinsten Vibrationen der Umwelt anzusprechen, die willige Geöffnetheit, andere zu sehen und sich selber dabei aus dem Blickfeld auszuschalten, andere nach ihrem Maßstab und nicht dem eigenen zu messen. Takt ist der ewig wache Respekt vor der anderen Seele und damit die erste und letzte Tugend des menschlichen Herzens.« (Plessner 2002: 107) Gerade menschliche Geselligkeiten (und Seminare an Universitäten können zuweilen als solche gelten) erfordern für Plessner einen Takt, bei dem man sowohl die fremde als auch die eigene Individualität achtet und respektiert – und zwar durch »Gedämpftheit im Ausdruck« (Plessner 2002: 110), »Fernfühlung« (ebd.) und »Ferntastung« (ebd.). Das lyrische Kunstwerk stellt somit – bildlich formuliert – einen ›Versuchsballon‹ dar, der in den Himmel aufsteigt,78 um von oben, aus der Entfernung, zu erkunden, was man überhaupt im Rahmen eines Poems an Gefühlen zum Ausdruck bringen kann, ohne dabei die Empfindungen anderer zu verletzen. Deswegen wird im Gedicht die Wichtigkeit der Äußerung von Emotionen zwar hervorgehoben (»Gefühle müssen fließen«), gleichzeitig wird allerdings ebenso erklärt, dass dies doch »keiner hören« wolle und zudem »manchmal arg verstör[t]«. 76
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78
Die Frage nach dem ›richtigen Takt‹ wird, daran sei erinnert, auch bereits im, dieser Arbeit vorangestellten, fiktiv-fragmentarischen Briefroman-Teil aufgeworfen (vgl. ›Ein Mensch tanzt übers Seil‹). Neben dem »Takt« gibt es für Plessner noch »Diplomatie«. Beide lassen sich wie folgt voneinander scheiden: »Diplomatische Beziehungen spielen zwischen irrealisierten Personen, Funktionären, ›Beamten‹, Geschäftsleuten irgendwelcher Art. Taktbeziehungen spielen zwischen natürlichen Personen.« (Plessner 2002: 109) Der Vollständigkeit halber sei diese von Karl Krolow inspirierte Metaphorik hier in ihrer Gänze wiedergegeben: »Es ist sicherlich mehr als eine vergnügliche Ballonreise durch einen imaginierten Himmel, eine heitere Hetzjagd von Worten, wiewohl Ballonfahrten und Hetzjagden gewiß nicht ausgeschlossen bleiben. Es ist ja immer ein Sich-in-die-Luft-Erheben dabei, ein Ballastabwerfen, ein sanfter Übermut, das Leichte, das Vorlaute schöner Augenblicke, das dem Augenblick gilt und glücklicherweise keine Vorsorge für das trifft, was solchen Augenblicken folgt. Stets wird es sich beim ›spielenden‹ Poeten um jemanden handeln, der sich gern mit Montgolfieren über Baumkronen erheben oder Singvögel unter seinem Hut halten möchte, die er dann im rechten Augenblick in einen ihm rechten Himmel entweichen ließe.« (Krolow 1963: 109f.)
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Es geht der Studentin somit darum, den Takt der Geselligkeit zu wahren, ohne exakt angeben zu können, woran dieser sich in Bezug auf Lyrik im universitären Lehrveranstaltungsbetrieb eigentlich bemisst. Darin liegt die Schwierigkeit, welche das Gedicht wiedergibt: Zwischen »sprechen« und »versprechen«, zwischen »gehen« und »bleiben«, den angemessenen Takt auszuloten und diese »Kunst der inneren sozialen Differenzierung« (Plessner 2002: 109), die ansonsten im Verborgenen bleiben würde, sichtbar zu machen.79 Aber darin steckt eben auch die Gefahr, eventuell »zu viel« preiszugeben – und in einem unachtsamen Moment (um im Gesamtbild dieser Arbeit zu bleiben) vom ›Seil‹, auf dem man tanzt, in einen Abgrund zu stürzen.80 Aber genau danach verlangt uns zuweilen, wie Plessner schreibt: »Jede Schicht unseres Wesens ruft nach Spiel und Gefahr.« (Plessner 2002: 112) Allerdings ließe sich einwenden: Ist die Gefährdung, die mit einer vermeintlichen Selbstpreisgabe, z.B. in Form der Artikulation von Gefühlen qua Lyrik, einhergeht, wirklich so hoch oder ist der Gewinn, den man dadurch erfahren kann, nicht mindestens genauso groß?81 Richard Sennett, der in seinem Werk Civitas ein Plädoyer für eine Kultur der »Selbstpreisgabe« hält, schreibt über sie: »Indem wir uns anderen preisgeben, könnten wir lernen zu beurteilen, was wichtig ist und was nicht.« (Sennett 2011: 16). Ferner folgert er: »Unsere Kultur braucht eine Kunst der ›Selbstpreisgabe‹; diese Kunst wird nicht den einen zum Opfer des anderen machen, sie wird aus jedem von uns Erwachsene machen, die besser imstande sind, ihr Gleichgewicht zu halten, mit Komplexität umzugehen und aus ihr zu lernen.« (Sennett 2011: 17) Ein (für offene Gesellschaften) notwendiges »[L]ernen« (Sennett 2011: 16) anhand von Komplexität, das sich durch die bewusste Wahrnehmung eines (fremden) Anderen erst ergibt – nicht nur im Medium der Lyrik, sondern auch beim Gang durch eine Stadt, wo man ebenso Erfahrungen der Fremdheit machen kann. Erst über jenen Anderen erkennt man sich selbst. »Ohne Befremdung kein Verständnis, es ist der Umweg zur Vertrautheit, das Repoussoir, gegen das diese sich als Szene und Hintergrund abhebt und begreiflich wird« (Plessner 1982: 170), wie es sich aus
79 80
81
Ein Vorteil des methodischen Arbeitens mit Gedichten in der Soziologie kann demnach u.a. in der Sichtbarmachung des von Plessner beschriebenen sozialen Taktes gesehen werden. Dies ist übrigens – im wahrsten Sinne des Wortes – ein abenteuerliches Bild, wie sich mit Simmel konstatieren lässt: »Im Abenteuer verfahren wir direkt entgegengesetzt: gerade auf die schwebende Chance, auf das Schicksal und das Ungefähr hin setzen wir alles ein, brechen die Brücken hinter uns ab, treten in den Nebel, als müßte der Weg uns unter allen Umständen tragen.« (Simmel 1986: 31) »Erst wenn man sich in die Gefahr begibt, andere zu verletzen und von anderen verletzt zu werden, erst wenn man diese Schwierigkeiten zu meistern versteht, fühlt man die Frage.« (Plessner 2002: 106)
2. Eine ›romantische‹ Methode für die Sozialwissenschaften
Plessners Text Mit anderen Augen entnehmen lässt. Das lyrische Kunstwerk ermöglicht es daher, dass sich sowohl die Verfasserin selbst – im Abstand von und zu sich selbst – mit anderen Augen über den lyrischen Text erkennen kann, als auch von anderen zugleich wahrgenommen wird. Dies ist, wie in Punkt III.2.4.1 bereits dargelegt, zwar ›qualvoll‹ oder sogar schmerzlich und es ist sicher auch zutreffend, dass man dafür nicht unbedingt mit »Ruhm« rechnen kann, wie es im Gedicht heißt, aber erst dieser Prozess führt zur (Selbst-)Erkenntnis: »Der Schmerz ist das Auge des Geistes.« (Plessner 1982: 172)
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IV. Eine kritische Replik auf das widerständige Arbeiten mit Gedichten1 ┌ »Wer schreibt, setzt Widerstand.« (Jaeggi 1972: 74)
Die Lyrikerin Hilde Domin schreibt in einem Buch mit dem Titel Wozu Lyrik heute bereits Ende der 1960er Jahre, dass Poeten »nur Widerständler« (Domin 1993: 36) sein können. Aber wie lässt sich dies verstehen? Sind Lyriker und Lyrikerinnen an sich bereits Widerständler und Widerständlerinnen (also qua Berufsstand) oder ist es nicht vielmehr die Gattung der Lyrik, für deren Hervorbringen Dichterinnen verantwortlich gemacht werden können, die den Charakter des Dagegenseins im Grunde ausmacht? Zudem ist zu fragen, was überhaupt mit »Widerstand« in Bezug auf Lyrik gemeint sein könnte? Diesen Fragen soll im vorletzten Teil der Arbeit noch nachgegangen werden, wobei die These ist, dass man es im Kontext der Dichtkunst mindestens mit einer vierfachen Widerständigkeit zu tun bekommen kann, deren einzelne Typen z.T. ineinandergreifen und sich gegenseitig stützen und verstärken und die es beim Arbeiten mit Lyrik in der Soziologie stets mit zu bedenken gilt. Zu den vier Widerstandsformen gehören: Eine, die sich auf das Herstellen lyrischer Kunstwerke bezieht; eine zweite, die häufig beim Rezipieren von Gedichten auftritt; eine dritte, die auf der inhaltlichen Ebene zum Tragen kommt; und schließlich eine vierte, die sich auf die jeweilige Form der Poeme bezieht. Diese vier idealtypisch gedachten Hauptformen des Widerstands von Gedichten sollen im Folgenden noch entfaltet werden, bevor im Anschluss daran ein Resümee anhand eines lyrischen Fallbeispiels gezogen werden soll, um das Kapitel abzurunden. Zunächst gilt es jedoch zu klären, was sich unter »Widerstand« im Fokus literarisch-lyrischer Betrachtungen verstehen lässt.
1
Dieses Kapitel ist bereits an anderer Stelle, so wie es hier zu lesen ist, unter dem Titel Zur vierfachen Widerständigkeit von Gedichten. Einige soziopoetische Implikationen erschienen (Grummt 2018b: 231-245). Lediglich kleinere Änderungen, insbesondere die Formatierung, manche Formulierungen und Querverweise auf andere Kapitel dieser Arbeit betreffend, hat der Verfasser für diese Studie noch vorgenommen, ansonsten wird der Text hier – inklusive Fußnoten – in identischer Weise (wie am benannten Ort) wiederverwendet.
1. Eine Annäherung an den Begriff ›Widerstand‹
Nach der Auffassung des Schriftstellers Hans Joachim Schädlich, der sich bei seinen definitorischen Überlegungen in einem Aufsatz über Literatur und Widerstand (2005) auf das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm stützt, lässt sich unter »Widerstand« eine passive »Weigerung« (Schädlich 2005: 11) verstehen, ebenso wie ein generelles »Widerstreben«1 (ebd.) oder sogar eine aktive »Behinderung« (ebd.) und gezielte »Gegenwehr« (ebd.) in Bezug auf Handlungen anderer. Widerstand bezieht sich folglich auf jemanden (eine Person2 oder eine Gruppe von Personen) oder etwas (z.B. einen Gegenstand), gegen die oder den er sich richtet. Widerstand lässt sich ferner bewusst intendieren oder kann sich auch unbewusst einstellen, indem z.B. die Entscheidung einer Person – aus einer Gewohnheit oder Vorliebe heraus – bei einem anderen Menschen auf Ablehnung stößt.3 Schaut man nun wiederum genauer auf das Dagegensein in der Literatur, so lässt sich zudem konstatieren, dass auch das »Beharren auf einem Stoff« (Schädlich 2005: 13) als Akt von Widerständigkeit aufgefasst werden kann. Man widersetzt sich also ganz bewusst dem Gängigen, dem vermeintlich Bequemen und nimmt damit ein »mehrfaches Risiko« (Schädlich 2005: 13) in Kauf, politisch, menschlich, kommerziell usw. zu scheitern (vgl. Schädlich 2005: 13). Metaphorisch ausgedrückt schwimmt man daher entweder aktiv gegen den Strom oder man versucht, passiv an ein und dersel1
2
3
Man denke in diesem Zusammenhang nur an die berühmte bartlebysche Formel »I would prefer not to«, die der Protagonist in Herman Melvilles Erzählung Bartleby the Scrivener zu äußern pflegt, um an ihn herangetragene Arbeiten abzulehnen, die über das übliche Kopieren hinausgehen (vgl. Melville 2004). Diese Person muss nicht unbedingt eine andere sein, sondern kann auch jeden selbst betreffen. Harald Welzer macht dies z.B. mit Bezug auf die Frage nach dem »guten Leben« kenntlich: »Das gute Leben muss man leider auch gegen sich selbst erkämpfen, gegen die Trägheit des Gewohnten, des gefühlten Menschenrechts auf ›bitte immer so weiter‹. Wenn es um Widerstand geht, bedeutet das immer auch: Widerstand gegen sich selbst« (Welzer 2015: 188). Widerstand ist somit auch vom Kontext abhängig, in dem er sich vollzieht. Ein Gedicht z.B. laut im Durchgangsbereich eines Zuges vorzutragen, kann von Mitreisenden als Störung (u.a. der Ruhe) empfunden werden. Die gleiche Handlung jedoch auf der Bühne bei einem Poetry Slam zu vollziehen, dürfte in aller Regel weniger problematisch sein.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
ben Stelle im Wasser stehen zu bleiben – beides kann als Widerstand aufgefasst werden. Grundsätzlich kritischer und dezidiert auf die Dichtkunst bezogen äußert sich dagegen der Lyriker Durs Grünbein, wenn er schreibt: »Soviel steht fest: Dichter, mit ihren leicht überschaubaren Wortmengen bekanntlich am ehesten überführbar, würden sich verdächtig machen, gingen sie mit Paradeworten wie diesem [gemeint ist der Widerstand; Anm. D.G.] hausieren« (Grünbein 1996b: 55). Und weiter heißt es bei ihm: »Je mehr davon die Rede ist, um so stärker der Verdacht, es könnte gestohlen sein oder irgendein Unglück, ein Defizit kompensieren« (Grünbein 1996b: 56). Grünbein geht es weniger um die explizite Thematisierung von Widerstand in Gedichten, da dies als »verdächtig« erscheinen könnte, als vielmehr um das »Prinzip« (Grünbein 1996b: 57) der lyrischen Sprache selbst, das nach elektrotechnischen Gesichtspunkten verfährt: »Speicherung und Entladung, Widerstand und Kondensator« (Grünbein 1996b: 57). Möglich wird dies nach der Ansicht Grünbeins, weil Lyrik sich vom »gefolgsame[n] Gemurmel« (Grünbein 1996b: 59) der Alltagssprache abzuheben versucht und bestrebt ist, möglichst ungewöhnliche Relationen zwischen ansonsten unverbundenen sozialen Phänomenen und Diskursen herzustellen (vgl. dazu auch Berg 2007: 50). Die Dichtkunst bringt somit einzelne Buchstaben und ganze Worte zusammen (und gelegentlich auch durcheinander), die ansonsten in aller Regel nichts miteinander zu tun haben, so dass z.B. »Mond« und »Katze« in einem Poem stehen können (vgl. Grünbein 1996b). Dichtung »sprengt« (Grünbein 1996b: 57) die bestehenden Erwartungen, die man aus der Alltagssprache oft an lyrische Kunstwerke heranträgt. Darin sieht Grünbein den maßgeblichen Aspekt des Widerständigen in lyrischen Texten, der diesen »inhärent« (Müller 2014: 75) ist. Weshalb sich pointiert vermerken lässt, dass Lyrik zwangsläufig widerständig sein muss, wenn sie besonders wirksam (anders gesagt: reizvoll) sein will. Es besteht mithin ein gewisses Näheverhältnis zwischen Dichtkunst und Widerstand, das noch eingehender erörtert werden muss, wenn man den Zusammenhang zwischen beiden besser verstehen will.
2. Die vier Widerstandstypen von Gedichten
Zunächst die Widerstände beim Erstellen und Lesen: Während beim Schreiben von Gedichten Dichter und Dichterinnen oft mit sich und dem, was sie schreiben wollen, ringen, es sich also nicht ohne weiteres fassen und aufs Papiers bringen lässt, sondern sie vielmehr vom Vorgang selbst erfasst werden müssen, um den Widerstand des weißen Blattes brechen zu können, leisten Gedichte selbst, sind sie schließlich geboren, weiteren Widerstand gegen das simple Gelesen- und Begriffenwerden. Sie entziehen sich meist dem Verstehen, verhalten sich ihm gegenüber widerständig, wie ein stacheliger, zusammengerollter »Igel« – so eine treffende Bezeichnung von Derrida in seiner Abhandlung Was ist Dichtung? (vgl. Derrida 1990). Gedichte verfügen jedoch nicht nur während des Erstellens und Lesens über das Potential zum Widerstand, sondern auch inhaltlich, wenn sie beispielsweise explizit oder implizit gesellschaftliche Normen und Werte in Frage stellen (vgl. hierzu auch Müller 2014: 75).1 Darüber hinaus kann schließlich die Form eines Gedichtes einen Bruch mit bestehenden Vorstellungen, Konventionen und Traditionen markieren, so dass sich – wie zu Beginn des Kapitels angedeutet – vom vierfachen Widerstandspotential lyrischer Kunstwerke sprechen lässt.
2.1
Der Widerstand beim Er-stellen von Gedichten
Gedichte schreibt man nicht, sie stellen und überfallen einen. Man wird von ihnen getroffen – wie aus heiterem Himmel ein Blitz einen Baum trifft. Deswegen schreibt Jacques Derrida, dass das Gedicht ein »Unfall« (vgl. Derrida 1990) sei, der einen plötzlich und vollkommen unerwartet ereilt: Das Gedicht stößt einem zu oder man findet es auf (vgl. auch: Heißenbüttel 1981: 16). Will man also ein Poem bewusst ver-fassen, so kann es einem passieren, dass es partout nicht zum Vorschein kommt, da es sich zu entziehen weiß – oft selbst dann noch, wenn man die Regeln des Dichterhandwerks seit Jahren souverän beherrscht. Es weiß sich
1
Das Infragestellen von gesellschaftlichen Normen und Werten kann z.B., wie das Kapitel III.1.2.4 gezeigt hat, auch über Fabeln erfolgen.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
somit schon bei seiner Entstehung zu widersetzen – den Geübten wie den weniger Versierten. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass man nicht dennoch das lyrische Schreiben ebenso trainieren und dadurch sogar verbessern kann, wie andere Arten des literarischen Schreibens auch. Denn letztlich gilt: »Literatur ist eben auch ein Handwerk, das eingeübt werden muss, ist Arbeit, immer erneutes Probieren, Variieren, Verwerfen und Neubeginnen« (Petersdorff 2013: 9).2 Eine intensive Auseinandersetzung mit den Techniken des Dichtens kann jedenfalls dazu führen, die Wahrscheinlichkeit eines Musenkusses zu erhöhen und den Widerstand beim Erzeugen von Dichtkunst besser in den Griff zu bekommen. Man kann lernen mit dem Widerstand umzugehen, allerdings lässt er sich nie gänzlich auflösen.3 Was jedoch erlernt werden kann, ist eine offene Einstellung gegenüber dem Lyrischen (vgl. Heißenbüttel 1981: 16). Man sollte prinzipiell immer davon ausgehen, dass es überall möglich ist, einem »Igel« zu begegnen – v.a. in solchen Momenten, in denen man es am wenigsten erwartet: im größten menschlichen Gewühl eines Einkaufsparks wie beim Spaziergang durch einen verregneten Wald oder auf dem nächtlichen Nachhauseweg. Nicht selten entstehen Gedichte übrigens auch zu unserem Schutz, z.B. wenn eine Bedrohung von außen besteht, bei der wir nicht wissen, wie mit ihr adäquat zu verfahren ist. In solchen Augenblicken entstehen Gedichte aus einer »Reizabwehr« (Grünbein 1996a: 21) heraus, die sich gegen eine wahrgenommene Widrigkeit richtet, die das Individuum in seiner Existenz bedroht. Dies kann eine Lebenskrise (z.B. nach dem Verlust eines Angehörigen) sein, aber auch eine schlichte Abwehrreaktion gegen die alltäglichen neurasthenischen Erlebnisse in einer Großstadt – von denen schon Georg Simmel Anfang des 20. Jahrhunderts berichtet hat (vgl. Simmel 1995). In solchen Momenten entstehen lyrische Kunstwerke als Widerstand gegen Unbill. Nicht selten verschiebt sich dabei das Widerständige vom eigentlichen Entstehungsprozess weg, hin zur Bewältigung der Krise, der lyrisch etwas entgegengesetzt werden soll. Unabhängig jedoch davon, aus welchen Gründen Lyrik er-stellt wird, ob aus rein poetischer Lust oder aus Gründen des Selbst-Schutzes oder als Teil eines Forschungsvorhabens, stets ist dabei etwas Widerständiges mit im Spiel, auf das man sich ein-stellen muss und aus dem folgende Schlussfolgerungen abgeleitet werden können: Gedichte lassen sich nicht einfach warenförmig am Fließband produzieren und her-stellen. Sie brauchen (im ökonomischen Sinne: ungeheuerlich viel) Zeit, eine offene Einstellung und schließlich auch eine gewisse Kraftanstrengung – und
2 3
Vgl. zum Handwerksaspekt der Lyrik auch Domin (1993: 37 sowie 43). Es dürfte sogar als ausgemacht gelten, dass es einen solchen Widerstand beim Schreiben von Lyrik offenbar grundsätzlich braucht. So macht dieser es wohl erst möglich, dass das Gedicht seine letztendliche Gestalt erhält, die sich aus dem Abarbeiten am widerständigen poetischen Stoff ergibt.
2. Die vier Widerstandstypen von Gedichten
selbst wenn all diese Voraussetzungen erfüllt sein sollten, so ist dies keine Garantie dafür, dass sich tatsächlich ein Poem blicken lässt.
2.2
Das Widerständige auf der Ebene der Rezeption
Ist das Gedicht in niedergeschriebener oder anders visualisierter4 Weise sicht- und wahrnehmbar, so wird der Widerstand beim Erstellen durch jenen abgelöst, der sich beim Lesen des Gedichtes ergeben kann. Denn die lyrische Sprache ist oftmals gekennzeichnet durch eine ihr eigene »›Undurchsichtigkeit‹« (Thamm 1985: 141), die dazu führt, dass man Gedichte nicht immer (sofort) – und manche von ihnen sogar niemals oder immer wieder anders – versteht. Besonders augenfällig ist dies bei hermetischer Lyrik, die gezielt auf eine »Verstörung und Beunruhigung« (Korte 2004: 47) des Lesepublikums setzt und damit zugleich einen generellen »Einspruch gegen den instrumentellen Gebrauch« (Korte 2004: 49), z.B. durch Systeme und Maschinen, erhebt. Grünbein sieht in jenem Widerstandsmoment, der sich als eine Art »Unverfügbarkeit« (vgl. Rosa 2018) definieren ließe, sogar den eigentlichen Wesenskern der Lyrik, da erst dieser ihr Fortexistieren überhaupt sicherstellen kann. So heißt es in einem Text zum Thema Das Gedicht und sein Geheimnis bei ihm pointiert: »In ihrer Unfaßbarkeit [sic!] liegt die wahre Ursache für das Überleben der Poesie« (Grünbein 2007: 90). Lyrische Kunstwerke brauchen also einen Widerstand, um überdauern zu können. In dem Moment, wo dieser gänzlich und ein für alle Mal gebrochen werden würde, wären sie wohl nichts weiter als gereimte Werbebotschaften – oder die reizlose Simulation dessen, was man vormals unter einem Gedicht verstand. Allerdings ist damit nicht gemeint, dass gereimte oder relativ einfach strukturierte Gedichte zwangsläufig widerstandslose Worthülsen sein müssen, die einem eine Als-ob-Lyrik vorgaukeln sollen. Gerade solche Gedichte, die einfach erscheinen, changieren meist zwischen Sinn und Unsinn. Sie verkörpern ferner jene ironische Haltung,5 an der den Leserinnen nicht eindeutig ersichtlich wird, wie das angetroffene nun eigentlich aufzufassen ist: als etwas Ernstes oder gar zu Komisches? Als das tatsächlich Bedeutende oder als Chiffre und Symbol für etwas anderes, ja vielleicht auch als ein Verweis auf sein Gegenteil? Selbst Dichterinnen kann es passieren, dass sich ihnen ihr Gedicht entzieht – umso mehr, je 4
5
Gedichte müssen nicht immer nur auf Papier (und sei es eben virtuell) wahrnehmbar sein, sie können ebenso z.B. in Verbindung mit Architektur im städtischen Raum – an Gebäuden oder in Gestalt einer ganzen Brückensäule – zur Realisierung kommen (vgl. hierzu Nickel 2011 sowie zum Konnex von Lyrik und Architektur Kapitel III.2.3.1 dieser Arbeit). Ganz allgemein zur Ironie der Poesie schreibt Berardi: »Die Poesie ist die Erneuerung des Unbestimmten, sie ist der ironische Akt des Hinausschießens über die einmal beschlossene Bedeutung der Worte« (Berardi 2015: 173). Gedichte versuchen daher oftmals mit der ihnen vermeintlich beigemessenen Bedeutung ganz bewusst zu spielen und diese dadurch wiederum ständig zu brechen. Vgl. zum Ironie-Aspekt auch Kapitel II.5.1 in dieser Studie.
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mehr Sinn man von vornherein einem Gedicht beimessen möchte (vgl. Gernhardt 2009: 209f.). Halten wir daher bis zu diesem Punkt die Gedanken für einen Augenblick fest. Zwar ist es zutreffend, dass auch die Lyrik – wie andere Kunstformen – »bloßes Mittel im ökonomischen Verwertungsprozeß [sic!]« (Menke 2014: 11) sein kann (beispielsweise bei der Bewerbung von Produkten oder als geistiger Freizeitspaß bei der Regenerierung der Arbeitskraft), aber das ist weder gewiss noch funktioniert es zuverlässig. Sich hinzusetzen und möglichst offen zu hoffen, dass dadurch bereits ein Gedicht entsteht, ist ebenso idiotisch wie riskant.6 Genauso könnte man meinen, eine lyrische Werbebotschaft reiche schon aus, um mehr Produkte zu verkaufen. Gedichte lassen sich weder herbeibefehlen noch kann man beim Ver-fassen solcher wissen, welche Wirkung sie tatsächlich haben werden. In dem Moment, in dem ein Dichter oder eine Dichterin auf ein Gedicht trifft und es anschließend in die Öffentlichkeit gelangt, ist es schon nicht mehr allein das Kunstwerk der mit ihr vermeintlich verknüpften Person. Zwar mag das Poem noch den Namen des Dichters oder der Dichterin tragen, aber es wird fortan seinen eigenen Weg gehen (durchaus auch gegen die Erwartungen und Hoffnungen, welche die Erstellerinnen ursprünglich mit dem Gedicht geteilt haben mögen). In diesem Sinne spricht Paul Celan davon, dass das Gedicht wie eine »Flaschenpost« (Celan 1983: 186) ist, die man in einen Fluss oder ins Meer wirft und bei der man nicht sagen kann, wann und wo (falls überhaupt) sie jemals ankommen wird, wer sie finden, sie lesen oder gar darauf antworten wird. Auf ein Gedicht zu treffen, es gegen Widerstände hervorzubringen, bedeutet somit nicht nur »Begegnung mit uns selbst« (Domin 1993: 26) und dem anderen, sondern zugleich stets Abschied zu nehmen und loszulassen – wie es hier durch eines meiner eigenen Gedichte nachempfindbar werden soll.7 Das gegangene Gedicht Das Gedicht, was ich schreiben wollte, mir aber nicht schrieb, weil ich es nicht konnte, ging so: 6
7
Umgekehrt und von einem Standpunkt der »poetischen Logik« (Rinck 2015: 26) aus gesehen, ist es jedoch mindestens ebenso »idiotisch« (ebd.), dieses Risiko, sich auf Lyrik einzulassen, gar nicht erst einzugehen. Denn das Glück, unerwartet einem lyrischen Kunstwerk (einem Igel) zu begegnen, lohnt die damit verbundenen Anstrengungen allemal. Dies stellt natürlich eine Untertreibung dar, da das Gedicht im Beitrag nicht allein zur Nachempfindung des Abschiednehmens auftaucht, sondern v.a. deswegen da ist, um gleichsam ästhetischen Widerstand gegen die üblichen Kriterien prosaischer Wissenschaftstexte zu leisten.
2. Die vier Widerstandstypen von Gedichten
So ging das Gedicht, was ich schreiben wollte, mir aber nicht schrieb, weil ich es nicht konnte. Konnte es nicht, weil es – das Gedicht, was ich schreiben wollte – nicht ging. Seitdem steht es hier und ergibt keinen Sinn. Beweg dich doch!, schrie(b) ich es an. Und seitdem ging es, das Gedicht, was ich schreiben wollte. Und ich sah’s nicht mehr wieder, weil es einfach so ging.
2.3
Der Inhalt von Gedichten als Ausdruck von Widerstand
Der Widerstand, der beim (Sinn-)Verstehen von Gedichten erfahren werden kann, lässt sich erweitern um jenen, der das Widerständige in Lyrik inhaltlich vorzugsweise zum Thema macht und/oder dazu verwendet wird, um sein Dagegen zum Ausdruck zu bringen. Zwar ließen sich beide Aspekte, konkrete Thematisierung und Darstellung von Widerstand einerseits und Lyrik als generelles Ausdrucksmedium des Widerständigen andererseits, noch einmal analytisch voneinander trennen, aber dies wäre widersinnig, weil beides sowohl zum Gehalt von Gedichten gehört als auch sich gegenseitig bedingen kann. Indem man z.B. den Widerstand, den Menschen gegen die Barbarei der Nationalsozialisten geleistet haben, in einem lyrischen Kunstwerk thematisiert, hält man den jeweiligen Akt des Dagegenseins gegen verbrecherische Regime nicht nur fest, sondern nutzt auch das Medium Lyrik, um sich gegen ein Vergessen der Vergangenheit in der Gegenwart zu wehren.8
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Exemplarisch sei diesbezüglich auf das Werk von Lily Brett verwiesen, die u.a. in ihren Auschwitz Poems die schrecklichen Erfahrungen und Geschehnisse lyrisch zu fassen versucht, die ihren Eltern und anderen Betroffenen im Holocaust widerfahren sind (vgl. Brett 2004). Einmal mehr wird damit zugleich das (missverständliche) Diktum von Adorno widerlegt, wonach es »barbarisch« sei, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben (vgl. zur Diskussion darüber Kiedaisch 1995). Ansonsten gilt zu dieser Thematik, was Wolff treffend so ausgedrückt hat: »Es ist uns moralisch auferlegt, nach, trotz und im Angesicht von Auschwitz Ge-
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Aber unabhängig davon, ob man eine konkrete Widerstandshandlung lyrisch aufgreift oder das Widerständige generell zum Ausdruck bringen möchte, bietet der Inhalt eines Gedichts in jedem Fall Raum für das Widerständige an. Gedichte widersetzen sich somit – negativ gedacht – dem Bestehenden. Man kann es aber auch positiv formulieren und erkennen, dass sie in der Lage sind, gleichzeitig andere Welten zu entwerfen. Sie grenzen sich nicht nur ab, sondern erzeugen auch neue Wirklichkeiten, die sonst vielleicht nicht einmal eine Chance auf Artikulation gehabt hätten. In Poemen kann somit das Sehnen nach einer anderen Daseinsweise aus- und angesprochen werden.9 Lyrische Kunstwerke können darauf verweisen, dass die Welt nicht so bleiben muss, wie sie ist oder uns gegenwärtig erscheint. Die Realität ist prinzipiell anders möglich und als unzumutbar ausgemachte Verhältnisse sind durchaus (ver-)änderbar. »Immer von neuem registriert er [gemeint ist der Dichter; Anm. D.G.] den Riß [sic!] zwischen dem, was ›ist‹, und dem, was sein ›sollte‹ und vielleicht sein könnte, um ihn zur Sprache zu machen, ihn zu benennen« (Domin 1993: 43). Dieser »Riss« lässt sich einerseits in Gedichten festhalten, aber andererseits auch – in der Absicht, den Status quo überwinden zu wollen – poetisch anders entwerfen (lies: überbrücken). Ergo: Das Neue hat in Gedichten ebenso Platz wie das bereits Existierende. Während ersteres in Opposition zum Bestehenden geht, indem es der gegenwärtigen Welt gegenüber eine neue kreiert, setzt die Benennung und das Aufzeigen des Ist-Zustandes auf den Effekt, bisher Ungesehenes und Ungesagtes deutlich sicht- und sagbar zu machen.
2.4
Die Form von Gedichten als Bestandteil ihrer Widerständigkeit
Eng mit dem Inhalt verwoben ist die jeweilige Form, die Gedichte haben und die durch Kategorien wie Reimschema, Versmaß und Metrum maßgeblich mitbestimmt wird. Auch sie kann Widerstand erkennen lassen. Interessanterweise kann förmlicher Widerstand in zweierlei Hinsicht verortet werden: Einmal, indem man die Erwartungen an die Konventionen der Gedichtgestalt bewusst bricht, und ein anderes Mal, indem man diese wiederum vorbildlich erfüllt. Dass das Brechen gängiger Regeln als Widerstandsakt gewertet werden kann, der sich der etablierten Lyriktradition zu widersetzen versucht, liegt auf der Hand. Mehr noch: Es ist womöglich sogar unabdingbar, wenn Lyrik fortbestehen will, dass sie sich immer wieder neu erfinden muss. Ein Spiel mit der Form gehört also zum guten Ton – auch wenn dies nicht immer Anklang finden mag. Demgegenüber kann aber auch das Einhalten der »Regelsysteme« (Gernhardt 2009: 210) beim
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dichte zu schreiben, wenn wir nicht nur mit unserer Unwissenheit oder unserem Überleben zurechtkommen, sondern auch unsere Würde behalten wollen.« (Wolff 1998: 13) Vgl. hierzu auch Adornos Rede über Lyrik und Gesellschaft, in der explizit vom »Traum« (Adorno 2015b: 52) einer ›anderen Welt‹ gesprochen wird, der sich in Gedichten zu artikulieren weiß.
2. Die vier Widerstandstypen von Gedichten
poetischen Schreiben als »Widerstand und Wegweiser« (Gernhardt 2009: 211) gewertet werden, wenn es beispielsweise darum geht, komische Lyrik zu verfassen, über die Robert Gernhardt ausführt: »Sich heute noch ernsthaft auf das uralte Reim- und Regelspiel einzulassen, ist, meine ich, schon mal per se komisch« (ebd.). Er hätte auch schreiben können: anachronistisch, denn auf den Reim zu setzen, scheint aus der Mode gekommen zu sein. Es dennoch zu tun, bedeutet Widerstand zu demonstrieren gegen modernere Auffassungen von Lyrik. Das absichtliche Verwenden von älteren Regeln führt in diesem Fall zum Bruch mit den jüngeren Vorstellungen von lyrischer Kunst. Demgegenüber kann der Rückgriff auf poetische Regelsysteme auch zur Herstellung einer Ordnung führen, die bestrebt ist, sich Chaos und Willkür zu widersetzen. Einen solchen Fall schildert recht eindrücklich Carolin Emcke in ihrem Buch Weil es sagbar ist (vgl. Emcke 2015). Darin berichtet sie vom Schicksal der KZGefangenen Ruth Klüger, der im Lager von Auschwitz-Birkenau das Aufsagen von Schiller-Balladen half, das stundenlange Verharren auf dem Appellplatz überhaupt durchstehen zu können. »Dabei ist es nicht unbedingt der Inhalt der Gedichte, der das junge Mädchen ermutigt oder auch nur beschäftigt. Sondern es ist vor allem die Form der Verse, ›die gebundene Sprache‹, […] die stabilisierend wirkt« (Emcke 2015: 57f.). Die auf formalen Strukturregeln basierende Ordnung der Gedichte, die beim Aufsagen erklingt, stiftet Halt in einer lebensfeindlichen Realität aus Verrohung und Despotismus.
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3. Resümee
Alle vier Aspekte des Widerständigen in der Lyrik lassen sich exemplarisch in und an einem Gedicht wiederfinden, das ebenfalls im Sommersemester 2014, im bereits an anderer Stelle dieser Studie erwähnten Soziologieseminar zur Lyrischen Gesellschaft, entstanden ist (vgl. dazu die Punkte III.2.2.2 sowie III.2.4.1). Ein Auszug aus einem der dort entstandenen lyrischen Kunstwerke soll dieses Kapitel beschließend noch wiedergegeben werden. Es wurde von einer Studentin der Soziologie (Alter: Mitte Zwanzig) eingereicht. Sie thematisiert darin auf eindrückliche und bewegende Weise unter dem Titel Miste-Kiste ihre Essstörung, mit der sie in ihrem Alltag permanent konfrontiert ist. Das Gedicht wird dabei exakt so wiedergegeben, wie es abgegeben worden ist:1 »[…] Du bist die Macht die in mir schreit und tobt, halt dich ja ans Essverbot. Meine Schwäche ist deine Nahrung, deshalb bist du stets erpicht auf jene Wahrung. Mit Absicht forderst du so hohe Tribute, willst doch einfach nicht das Gute. Du brauchst mich schwach und verletzt, weil es dich besonders in Szene setzt. Du bist du und ich bin ich, bin ich Tod, dann hast du mich. Ein Stück meiner Seele hast du schon endgültig erworben, der Teil in mir ist nun abgestorben. Ein Glück sind wir beide nicht allein, ganz tief hör ich noch jemanden schreien. Das schreiende Kind in mir wird bald verrückt wenn ich weiter meine Gefühle unterdrück. Das Liebenswerte in ihm zu sehen, ohne dabei nach Leistung zu gehen ist das was es braucht bevor es eigenständig ins Leben taucht. Leistung bringen ist schon wichtig jedoch, definiert es keinen Menschen richtig. Nicht zu essen heißt auch nichts zu fühlen und auch nicht in Erinnerung zu wühlen. […]« 1
Die schonungslose Offenheit und Ehrlichkeit, die im Gedicht zutage treten, haben den Verfasser überrascht und tief beeindruckt (v.a. wohl, weil damit bei freier Themenwahl für die Gedichte nicht unbedingt zu rechnen war). Auf eine Korrektur u.a. der Satzzeichen ist im Poem ganz bewusst verzichtet worden. Nicht zuletzt deswegen, weil sich auch nicht immer eindeutig angeben lässt, ob dies mit Absicht oder aus Versehen so geschrieben worden ist und ein Eingriff überdies sich gegen die künstlerische Freiheit der Autorin richten würde.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Die Überlegungen zu Lyrik und Widerstand rückwärts rekapitulierend fällt auf, dass die Form des lyrischen Kunstwerks nicht unbedingt dem entspricht, was man im Zusammenhang damit wohl erwarten würde. Der Text wirkt eher prosaisch und weist auch nicht die sonst üblichen Brüche im Schriftbild auf, an die man bei Gedichten in aller Regel denkt. Vielmehr ist v.a. viel (schwarzer) Text vorhanden und wenig weiße Fläche, so dass Zeilen und Verse nicht unmittelbar ersichtlich sind.2 Beide Vorstellungen, die man an die Form eines Gedichtes haben mag, werden somit nicht eingelöst. Dafür – und dies lässt es durchaus zu einer lyrischen Mitteilung werden – verfügt es über gereimte Wörter, die sich aufeinander beziehen (z.B. »Nahrung/Wahrung« oder »sehen/gehen« usw.). Der Reim, der sich meist auf das jeweilige Ende der Sätze sowie Teilsätze konzentriert, gibt dem gesamten Text seine Struktur – und der Verfasserin einen entsprechenden Halt beim Entfalten ihrer Gedanken. Das zentrale Lebensthema, über das sie schreibt, ist das problematische Verhältnis zur Essensaufnahme. Es fordert oftmals »hohe Tribute« von ihr und »tobt« auch ansonsten recht bestimmend durch ihren Alltag. Dagegen gibt der Reim ihr eine klare Struktur nicht nur beim Aufbau des Gedichtes, sondern auch beim Fassen und Sammeln der eigenen Gedanken. Auch vom Inhalt her zielt das Gedicht darauf ab, den inneren Gefühlen, deren Unterdrückung sie fast »verrückt« zu machen scheint, einen Ausdruck zu verleihen und es der Sphäre des eigentlich Unsagbaren zu entziehen. Überdies sollen qua Gedicht Zeichen gesetzt werden: Einerseits gegen das Vergessen des eigentlichen Menschen (der trotz der »Macht« der Krankheit natürlich immer noch da ist) und andererseits richtet sich das Beschreiben der Krankheit gegen die damit verbundene gesellschaftliche Tabuisierung. Im Gedicht wird die Erkrankung schließlich öffentlich. Trotz aller Bemühungen das Gedicht verstehen zu wollen, wird dies nur immer in gewissen Grenzen und unter Abstrichen möglich sein. Erste Ansätze dazu sind hier zwar unterbreitet worden, aber sie können und sollen lediglich als Denkanstöße für eine weitere Beschäftigung mit dem Sachverhalt dienen. Denkt man nämlich genauer über die Verwendung einzelner Worte nach, dann fällt auf, dass z.B. unklar bleibt, was eigentlich mit »das Gute« im Gedicht gemeint ist: Ist damit ein normales Leben ohne die Essstörung gemeint oder steht es für etwas gänzlich anderes? Der Text bleibt somit widerständig – und seine Lektüre mag einem zwar im ersten Moment verhältnismäßig leichtfallen, das tatsächliche Begreifen jedoch nicht. Zuletzt sei noch erwähnt, dass die Verfasserin auch gewisse Probleme mit der lyrischen Mitteilung und deren Erstellung hatte – aber wer will ihr dies schon verdenken? Oft verstehen Betroffene selbst nicht, was sie erfahren und erlebt haben, 2
»Unser Auge sagt uns schnell, was Verse sind. Wenn auf einer Seite um das Gedruckte herum viel weißer Raum ist, dann haben wir es gewiß [sic!] mit Versen zu tun« (Kayser 1992: 9).
3. Resümee
so dass es ihnen schwerfällt, dafür überhaupt Worte zu finden. Ein Gesichtspunkt, den man zuweilen übersieht, wie Emcke schreibt: »In digitalen, bildlastigen Zeiten, in denen es selbstverständlich scheint, das Erlebte festzuhalten und mitzuteilen, noch bevor es eigentlich erfahren ist, […] droht die selbstkritische Skepsis, ob es auch Erlebnisse gibt, die sich nicht gar so leicht erzählen lassen, zu verschwinden« (Emcke 2015: 21). Die Arbeit insgesamt kann daher als ein Teil des Widerstandes gelesen werden, der sich gegen das gesellschaftliche Vergessen und Verdrängen u.a. von Essstörungen, wie Bulimie und Magersucht, stellt und zugleich generell versucht, dem an sich Unsagbaren eine Stimme zu geben. ┘
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V. Schluss
1. Tra(u)mschlussfahrt »Wer von uns auf der Straßenbahn fährt, hat – wenn er nicht Fachphysiker ist – keine Ahnung, wie sie das macht, sich in Bewegung zu setzen. Er braucht auch nichts davon zu wissen. Es genügt ihm, daß er auf das Verhalten des Straßenbahnwagens ›rechnen‹ kann, er orientiert sein Verhalten daran; aber wie man eine Trambahn so herstellt, daß sie sich bewegt, davon weiß er nichts.« (Weber 1988: 593)
Zum Schluss dieser Arbeit gehen wir raus auf die Straße und nehmen – dies mag nun vielleicht abermals (oder nach all dem vermeintlich Unerwarteten inzwischen vielleicht auch nicht mehr)1 überraschen – die Straßenbahn.2 Wo wir entlangfahren, spielt zunächst keine Rolle. Es könnte erneut eine Fahrt durch Zagreb sein, wie in II.2.1 angedeutet, aber ebenso gut eine Fahrt durch Halle (Saale), Dresden, Jena, Berlin, Zürich oder einen anderen Ort dieser Welt, an dem es Trambahnen gibt.3 Diese Fahrt treten wir an, weil dieses Fortbewegungsmittel »[…] gleicherma-
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In »Irritation, Überraschung und Frappanz« (Göbel 1997: 180) liegt, wie Göbel festhält, letztlich der »Zweck« (ebd.) romantischer Werke begründet – zu denen auch die vorliegende Studie gezählt werden darf. Diese Praxis, also das Aufsuchen der Straßenbahn, um dort zu denken und theoretische Überlegungen zu entwickeln, hat eine gewisse soziologisch-philosophische Tradition. So ist beispielsweise von Ernst Cassirer überliefert, dass ihm die Idee für die Philosophie der symbolischen Formen in der Straßenbahn gekommen sein soll (vgl. Peplow 1998: 66). Und Heinz Bude erwähnt in der Danksagung zu seinem Buch Gesellschaft der Angst seine Tochter (vgl. Bude 2014: 168). Mit ihr fuhr er zur Erörterung seiner Thesen mehrfach mit der Trambahn (vgl. ebd.). Die Aufzählung der Trambahnstädte ist damit natürlich nicht vollzählig – was sie auch gar nicht sein kann, denn bis dato werden immer wieder neue Strecken in urbanen Räumen eröffnet. Zur Renaissance der Straßenbahn (so auch der Titel seines Buches) vgl. u.a. Burmeister (2012).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
ßen Auslöser und Möglichkeit der Versinnlichung bestimmter Inhalte« (Porombka 2013: 17) ist und weil eine Straßenbahn »Aufschluss über die Gesellschaft« (Rolshoven 1998: 218) geben kann, in der sie fährt. An dieser Straßenbahnfahrt lässt sich nämlich pars pro toto nochmals zeigen, was das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist. Bevor wir in die Straßenbahn einsteigen, sei daran erinnert, was in Kapitel I herausgearbeitet worden ist: Auch bei diesem Verkehrsmittel handelt es sich um eine Utopie, also um einen Nicht-Ort, wie sich im Rückgriff auf die Überlegungen von Augé konstatieren ließe (vgl. Augé 2014: 84).4 Es ist, wie sich an der (unvollständigen) Auflistung der verschiedenen Tramstädte bereits erahnen lässt, ein austauschbarer Ort, der dennoch jeweils konkret begehbar werden kann. Für den aber jeweils auch gilt, dass an ihm ein Dazwischen erfahrbar wird. Denn in dem Moment, wo man in eine Elektrische einsteigt und sich die Türen hinter einem schließen, befindet man sich in einem Dazwischen,5 dem man sich nicht ohne weiteres entziehen kann: zwischen einer Haltestelle und der nächsten sowie »[…] zwischen privatem und öffentlichem Stadtraum« (Rolshoven 1998: 219). Man ist permanent nicht mehr da, wo man war, aber auch noch nicht dort, wo man gegebenenfalls eigentlich hinmöchte (z.B. zum Arbeitsplatz, in den Hörsaal zu einem Poetry Slam usw.). Auch die Idee der ›lyrischen Gesellschaft‹, wie sie auf den zurückliegenden Seiten bis hierher entfaltet worden ist, hat sich ein Stück in die intendierte Fahrtrichtung bewegt und ist dadurch (an-)greifbarer geworden, aber sie ist längst noch nicht dort, wo sie, insbesondere innerhalb der Soziologie,6 hinkommen könnte. Für ihre weitere Entwicklung in der Fachdisziplin braucht sie mehr als einen Fahrgast und einen Straßenbahnfahrer in Personalunion. Was sie künftig brauchen wird, sind viele (möglichst verschiedene) kritische Fahrgäste, Fahrerinnen und Streckenplanerinnen, die sich möglichst mit Hingabe7 und Verve auf sie 4
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Menschen, die Wert auf Details und Wortspiele legen, seien darauf aufmerksam gemacht, dass es – ähnlich wie auch bei Utopie und Topie – lediglich der Buchstabe »u« ist, der die Tram vom Traum zu trennen weiß. In einem Lied (Bordsteinkantenleben) des Sängers Philipp Poisel heißt es daher sehr treffend in einer Songzeile: »Menschen träumen in der Straßenbahn« (vgl. Poisel 2019). Die Tram ist somit ein geeigneter Ort zum Träumen – gewissermaßen eine Traummaschine. Es ließe sich sogar im Sinne von Bude davon sprechen, dass es auch hier ein angsterfülltes »Dazwischen« ist (vgl. Bude 2014: 157), mit dem es die Fahrgäste zu tun bekommen, schließlich wissen sie nie, ob und wann die Türen tatsächlich wieder aufgehen werden. Um das Lyrische resp. die ›lyrische Gesellschaft‹ außerhalb des Faches der Soziologie muss man sich keinerlei Sorgen machen, denn dort wird es bzw. sie – komme, was wolle – fortexistieren. Dies darf durchaus auch im Rückgriff auf Wolff verstanden werden: »Unter Hingebung verstehe ich die größtmögliche ›Aufhebung‹ der Tradition, denn sich einem Problem, einem Gegenstand, einer Situation, einem Menschen hinzugeben bedeutet, ihm so unvermittelt wie nur irgend möglich zu begegnen.« (Wolff 1998: 8f.; Hervor. i.O.)
1. Tra(u)mschlussfahrt
einlassen und sie weiterentwickeln. Eine solche Weiterentwicklung – ganz gleich in welche Fahrtrichtung – ist aus Sicht des Verfassers mehr als nur wünschenswert. Aber unabhängig davon, wie es mit der lyrischen Gesellschaft letztlich weitergehen mag, an der soeben betretenen Tram zeigt sich ihre Existenz bereits in der Gegenwart auf mannigfaltige Weise. Sei es, dass Gedichte an ihrer Innenverkleidung zur Lektüre für die Fahrgäste zur Erscheinung kommen, wie bereits in Kapitel I.1.2 erwähnt, oder sei es, dass auf ihrer äußeren Hülle qua lyrischem Text Menschen im öffentlichen Raum auf etwas aufmerksam gemacht werden sollen (z.B. ein Produkt, eine Veranstaltung oder dergleichen mehr). Darüber hinaus gibt es sogar Städte, die extra eine Poetenbahn fahren lassen, wie es z.B. am 21.03.2017 – dem Welttag der Poesie – in Wien der Fall war.8 Es braucht aber nicht erst eine eigens als solche ausgewiesene »Poetram« (vgl. o.A. 2017), um die lyrische Gesellschaft erfahren zu können, denn diese ist auch in jeder gewöhnlichen Straßenbahn auffindbar: In den Dialogen und Gesprächen, welche die Menschen dort (vor anderen) miteinander führen; in den (z.T. gereimten) Kinderbüchern oder den Liedern, die Eltern ihren Kindern hier vorlesen bzw. mit ihnen singen; in Form des musikalischen Gesangs, der aus den Kopfhörern der Fahrgäste (teilweise recht laut) nach draußen dringt;9 oder eben in der Verdichtung des wahrnehmbaren Raumes selbst mit all seinen Zeichen. Letzteres meint nichts anderes, als dass sich auch hier, versteht man das Innere wie das Äußere einer Straßenbahn als Feld teilnehmender Beobachtungen,10 die jeweils empfundenen wie erlebten Eindrücke lyrisch festhalten lassen, wie es in der Arbeit im Kapitel III dargelegt worden ist. Für die lyrisch verdichtete Außenperspektive, die sich beispielsweise beim Fahren mit der Straßenbahnlinie 7 vom Markt in Halle (Saale) bis zur Kröllwitzer Brücke (einer Querung über die Saale an der Burg Giebichenstein, wo schon der Romantiker Joseph von Eichendorff geweilt
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Aufgerufen waren Wiener und Wienerinnen sowie Gäste der Stadt, die Straßenbahn zu nutzen, um dort einen Kaffee zu trinken und diesen, anstatt mit Geld, mit einem Gedicht zu bezahlen (vgl. o.A. 2017). Woran sich einmal mehr ablesen lässt: Die lyrische Gesellschaft oder besser: manche Formen ihrer konkreten Ausgestaltung, wie etwa das Hören lauter Rap-Musik in einem öffentlichen Verkehrsmittel, kann von anderen Fahrgästen auch als etwas Störendes empfunden werden. Goffman beschreibt ein solches Verhalten als die Beanspruchung von »zuviel Lautraum« (Goffman 1982: 77). Genau genommen lässt sich in Straßenbahnen par excellence das erfahren, was für Niklas Luhmann die »Beobachtung zweiter Ordnung« (Luhmann 1992: 22) ausmacht: die »Beobachtung von Beobachtern« (Hüttermann/Minas 2015: 70) – was die jeweils eigene Beobachtung, z.B. über die Fensterscheiben der Bahn, die bei entsprechendem Lichteinfall als Spiegel dienen, mit einschließt, wie es in der Feldstudie Mit der Straßenbahn durch Duisburg von Jörg Hüttermann und Tino Minas herausgearbeitet worden ist (vgl. Hüttermann/Minas 2015: 68).
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
haben soll)11 und weiter nach Halle-Kröllwitz einstellen kann, sei exemplarisch folgendes Gedicht des Verfassers wiedergegeben: Aus Sieben wird Vier am Händel beginnt die Reise hinein in die Sieben und dann trägst du mich ratternd und auf deine Weise an den Theatern der Stadt vorbei Fenster um Fenster schauend bin ich gespiegelt stets dabei wir halten am Moritzburgring nahe der Universität wo weitere Menschen in dich dring‘ Hermannstraße – mit Verweis auf den Roten Ochsen ohne drängeln, schieben und boxen hin zum Reileck bei Rot haltend ein Mensch zum Gruß die Lanze reckt welch‘ Geschichte wohl dahintersteckt doch kaum gefragt lässt schon die Sieben links die Himmelsscheibe liegen driftet ab durch enge Häuserschluchten erhasche gerade noch zwei Figuren auf einem blauen Straßenschild bevor der Burg aus Stein nun mein nächstes Interesse gilt jedoch auch hier verweilen wir nicht lange und so ziehst du mich über eine Saalebrücke geradewegs hinab ins Tal bis hinan nach Kröllwitz raus dort wechselst du dann deine Nummer und zu meinem Kummer wird aus der Sieben eine Vier Wer sich mehr für die Abläufe im Inneren während einer Tramfahrt interessiert, dem sei ein Gedicht dargeboten, das beim Verweilen in einer Straßenbahn in Jena entstanden ist und festzuhalten versucht, was zwischen den einzelnen Halten passiert. 11
Zur Burg Giebichenstein gibt es von Eichendorff auch ein Gedicht (Bei Halle), von dem als kleine Impression lediglich die ersten beiden Strophen wiedergegeben seien: »Da steht eine Burg überm Tale/Und schaut in den Strom hinein,/Das ist die fröhliche Saale,/Das ist der Gi[e]bichenstein.//Da hab‘ ich so oft gestanden,/Es blühten Täler und Höh’n,/Und seitdem in allen Landen/Sah ich nimmer die Welt so schön! […]« (Eichendorff 1969: 64).
1. Tra(u)mschlussfahrt
Der Halt es füllt sich und Füße gehen über den Boden selbst auf der Stelle auf, ab sie fliegt um eine Kurve und jemand erzählt von seiner Schwester eben konnte sie noch durch die Scheibe sehen nun steht jemand davor was bleibt ihr übrig der Griff zur Weltreichweitenvergrößerung das machen alle so oder sie schauen irgendwo hin hängen ihre Blicke auf12 an etwas um keinen zu sehen nur ich, ich sehe euch schauen und stehen erzählen und wischen und halte es fest Als diese poetischen Zeilen entstanden sind, hatte der Verfasser noch keine Kenntnis davon, dass es ein ähnliches methodisches Vorgehen – zumindest als Vorschlag – bereits für das ethnographische Arbeiten gibt. Dabei geht es darum, in der Metro sogenannte »Metropoems« zu verfassen (vgl. Linstead/Maréchal 2010). Linstead und Maréchal führen diesbezüglich aus: »The poet has a journey to make and a train to catch and must move and write within the real-world constraints of everyday urban existence. Metropoems, therefore, have the potential to be deployed in ethnography, the outcome of the application of a set of ›usable constraints‹ that the poet finds in the ethnographic setting – just as the everyday members of and participants in that setting themselves find them.« (Linstead/Maréchal 2010: 72)
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Das Phänomen des ›Aufhängens von Blicken‹ lässt sich, wie Stefan Hirschauer in einer Studie herausgearbeitet hat, auch während der Fahrstuhlfahrt in Bezug auf das Blickverhalten der Aufzuginsassinnen gut studieren: »Die meisten Fahrstühle fangen die suchenden Blicke mit einer besonderen Vorrichtung auf: der Stockwerkanzeige über dem Eingang. Hier hängt man sie auf wie an den einzigen freien Kleiderhaken.« (Hirschauer 1999: 233)
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Allerdings ist es m.E. eher weniger sinnvoll, wie es der Schriftsteller Jacques Jouet, der Urheber der Metropoeme, vorschlägt, Metrogedichte strikt von Haltestelle zu Haltestelle zu schreiben, so dass jede Zeile im Gedicht für einen Halt der Bahn steht (vgl. Jouet/Monk 2001: 64).13 Praktikabler ist es dagegen – v.a. für Tramgedichte –, sich für verschiedene Formen von Lyrik, einschließlich ihrer differenten Gedichtlängen, offen zu zeigen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die lyrischen Kunstwerke zu schematisch daherkommen und den wahrgenommenen, vielfältigen Eindrücken einer Straßenbahnfahrt nur bedingt entsprechen. Spätestens an dieser Stelle stolpert der oder die Tramreisende nun vielleicht über den Aspekt des Romantischen, weil er oder sie feststellt, dass die Bahn mittlerweile länger an der Haltestelle steht, als an der letzten. Denn obzwar, wie bereits Weber im Eingangszitat betont, sich auf und mit der Straßenbahn »›rechnen‹« (Weber 1988: 593) lässt, v.a. weil sie nach einem strikten Fahrplan fährt, so verknüpft sich mit ihr doch ebenso »etwas Arglistiges« (Porombka 2013: 21), das oftmals nicht unseren Erwartungen entspricht, um das Wort vom vorangegangenen Absatz noch einmal aufzugreifen. Steht beispielsweise ein Auto auf den Gleisen, so kommt die Straßenbahn auch gerne mal zu spät oder verpasst man es als Fahrgast, rechtzeitig den Haltewunschtaster zu betätigen, so fährt sie auch schon mal an der Wunschhaltestelle vorbei. Die Straßenbahn und eine Fahrt mit ihr weisen somit gewisse Tücken auf, die sie bei aller Berechnung dann doch in gewisser Weise unkontrollierbar werden lässt (vgl. ebd.). Allerdings lässt sich vor einem Fahrtatritt nicht feststellen, ob ein unvorhergesehenes Ereignis eintreten wird oder nicht. Denn genauso schnell, wie eine Störung (z.B. ein Türdefekt) eintreten kann, ist diese manchmal auch wieder behoben. Soll heißen, es ist offen, ob man sein Ziel im Plan erreicht oder nicht. Manchmal kann eine Verspätung wieder aufgeholt werden – manchmal allerdings auch nicht. Die Straßenbahn kippt folglich zwischen dem Planvollen14 und ungeplanten Momenten hin und her. Dieses Fortbewegungs13
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Vielleicht sind die Verkehrsmittel, Metro und Tram, aber auch tatsächlich zu verschieden, so dass Gedichte, die in diesen geschrieben werden, auf völlig unterschiedliche Weise verfasst werden müssen. Hierüber würde allerdings erst ein Vergleich der methodischen Vorgehensweisen (schematisch von Halt zu Halt vs. offenes Gestaltungsprinzip) – jeweils realisiert in beiden Vehikeln – wirklichen Aufschluss geben können. Dass jedoch beide Fortbewegungsmittel definitiv unterschiedlich sind, darüber besteht keinerlei Zweifel. Lutz Joachim Bartsch und Reinhart Köstlin führen hierzu u.a. aus: »Schließlich wirkt die Teilhabe am städtischen Geschehen für den Fahrgast in der Straßenbahn als ›zivilisatorische Klammer‹, während in einer U-Bahn der Raum zwischen Wohnung und Arbeitsplatz allmählich zu einer unbekannten Größe wird.« (Bartsch/Köstlin 1987: 28) Das Planvolle an der Straßenbahn lässt sich nicht nur am Fahrplan festmachen, nach dem eine Tram unterwegs ist, sondern kann auch am recht starren Streckennetz nachvollzogen werden, das meist über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg konstant bleibt. Bei einem Linienbus ist dies nicht in gleichem Umfang der Fall, da dessen Routenverlauf sich schneller ändern lässt – wie generell zu konstatieren ist, dass mit dem Bus, insbesondere auf unvor-
1. Tra(u)mschlussfahrt
mittel ist somit Ausdruck der in Kapitel II (insbesondere im Unterpunkt II.1.4) herausgearbeiteten romantischen Kippfigur, mit der seit 2015 in Jena – modelltheoretisch – operiert wird. Das Romantisch-Kippfigurenhafte einer Trambahn zeigt sich überdies noch an anderen Eigenschaften. Betritt ein Fahrgast die Bahn, so ist er gefangen. Erst am nächsten Halt kann er oder sie wieder in Freiheit gelangen. Eine Straßenbahn ist wiederkehrend für wenige Minuten eine Art Kurzzeitgefängnis, aus dem eine Befreiung erst am nächsten Halt, nach einer vom Fahrplan vordefinierten Zeitspanne, möglich ist. Die Fahrgäste können somit die Erfahrung von gefangen/nicht gefangen permanent während einer Tramfahrt machen. Ferner existiert in einer Straßenbahn eine ihr eigentümliche Gelöstheit, die gleichermaßen mit Momenten des Angespanntseins einhergeht. »Da ist [.] der demonstrative Blick ins urbane Rauschen, der still auf einen fernen Punkt gerichtet ist und den das geistige Auge fixiert, um endlich ruhen oder eben träumen zu können.« (Hüttermann/Minas 2015: 69) Gleichzeitig kann es aber auch zu jeder Zeit passieren, dass das Träumen unterbrochen wird. Sei es, weil die Sitznachbarin aussteigen möchte und man diese vorbeilassen muss oder sei es, weil eine ältere Person in der Nähe erblickt wird, der man höflicherweise den eigenen Sitzplatz anbietet. Auch ein abruptes Bremsen, ein lautes Klingeln oder ein ungeplanter Halt können dem Träumen ein schnelles Ende setzen. Das Träumen in einer Bahn ist somit nie völlig gelöst, sondern steht immer unter dem Vorbehalt der unerwarteten Unterbrechung. Wie die Arbeit ebenfalls gezeigt hat, kann das Romantische nicht nur modellhaft anhand der Kippfigur beschrieben und analysiert werden, sondern – dies hat das Fallbeispiel 2 in Kapitel II.2 über die romantische Stadt Zagreb zu skizzieren versucht – ebenso über eine (oder mehrere) idealtypische soziologische Konstruktion(en). Vor diesem Hintergrund ließe sich die Straßenbahn als ein romantisches Gefährt bezeichnen. Nimmt man diese Denkperspektive ein, so kommen andere Straßenbahn-bezogene Beobachtungsmomente in den Fokus, die sich nicht oder nicht so leicht über die Kippfigur einrahmen lassen. Da ist z.B. der schlichte Aspekt des elektrischen Antriebs. Ohne Strom kommt eine Tram heute in aller Regel nicht in Fahrt (zumindest seit der Abschaffung von Pferdebahnen), weshalb sie oft salopp als ›Elektrische‹ bezeichnet wird. Bereits diese Bezeichnung rückt die Tram in die Nähe des Romantischen, da insbesondere Novalis in der Elektrizität »eine Art physikalische Universalpoesie« (Koppenfels 2007: 308) sah, wie Martin von Koppenfels schreibt. Mit deren Hilfe sollten »alle Bereiche der Natur miteinander in Verbindung« (ebd.) gebracht werden – insbesondere das Leben wie die
hergesehene Ereignisse, flexibler reagiert werden kann. Ereignet sich auf dem vordefinierten Fahrweg eines Busses z.B. ein Unfall (in den dieser selbst nicht involviert ist), so kann dieser gegebenenfalls gesperrte Straßen umfahren. Eine Straßenbahn hingegen kann darauf oftmals nur mit Stillstand oder großräumigen Umleitungen reagieren.
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Poesie selbst. Grundgelegt wird dieser Gedanke in Novalis’ Werk Heinrich von Ofterdingen, wo die Figur der »Fabel«,15 im Rückgriff auf ihre »Begleiter[.] Gold und Zink« (Novalis 2013: 146), eine elektrochemische Reaktion herbeiführt,16 die eine andere Romanfigur wieder zum Leben erweckt (vgl. ebd.). Nun vermögen Straßenbahnen nicht unbedingt Menschen zum Leben zu erwecken, aber doch bringen sie durch die Tatsache, dass sie mit elektrischem Strom in Bewegung versetzt werden, tagtäglich Menschen und, wie dargelegt, auch die Poesie zusammen. Durch Reibungs- und Kontaktpunkte, die z.B. im dichten Gedränge einer Bahn zwischen Fahrgästen entstehen können, kommt man dem einen oder auch den Anderen wieder Nahe, unabhängig davon, ob man dies gerade möchte oder nicht.17 In einer Elektrischen lässt sich somit »[d]ie Erfahrung des Sich-Ergreifen-Lassens und des Berührt-Werden-Könnens […]« (Jende 2017: 9) immer wieder von Neuem erleben. Und dies v.a. deshalb, weil der Strom die Bahnen antreibt und das Leben der Menschen im Takt hält. Fällt dieser aus, so verlassen die Menschen die Tram und versuchen, auf anderen Wegen individuell weiterzukommen. Wem dieser Konnex von Elektrizität, Poesie, Romantik und Trambahn noch nicht ausreicht, der lässt sich vielleicht durch einen weiteren Ankerpunkt, der im Mechanischen liegt, überzeugen. Von hier aus können einmal mehr verschiedene Verbindungslinien zur Romantik gezogen werden. Dass die Straßenbahn aufgrund verschiedenster physikalischer Mechaniken funktioniert, hat Weber mit seinem Verweis auf den »Fachphysiker« (Weber 1988: 593) bereits vorweggenommen. Es dürfte unstrittig sein, dass eine Straßenbahn eine Maschine ist. Und genau für solche Maschinen(-Wesen) entwickelte die Romantik eine gewisse »Obsession« (Müller-Funk 1996: 486). Beispielhaft dafür ist E.T.A. Hoffmanns Kunstmärchen Der Sandmann und die dort beschriebene Automaten-Puppe »Olimpia« (vgl. Hoffmann
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Jene Figur der »Fabel« kann nach Ansicht von Koppenfels als »Allegorie der Dichtung« (Koppenfels 2007: 307) gelesen werden. Dass sich die Romantikerinnen u.a. für Galvanismus und Elektrizität interessierten, macht auch Göbel kenntlich: »Die romantische Naturphilosophie um 1800 profiliert gegen die mechanistische Naturauffassung des Rationalismus ein holistisches Naturverständnis, das sich vor allem durch neuere Forschungen auf den Gebieten des Magnetismus, des Galvanismus und der Elektrizitätslehre sowie durch die sich fachwissenschaftlich konstituierenden Bereiche der Biologie und der Chemie anregen und faszinieren läßt.« (Göbel 1995: 257) Dass diese Nähe im äußersten Extremfall auch erheblich unangenehm werden kann, schildert beispielsweise Ursula Krechel in ihrem Roman Landgericht für eine Straßenbahnfahrt der Hauptfigur »Richard Kornitzer« auf Kuba in den 1940er Jahren: »Jeden Tag, wenn Kornitzer in die Rechtsanwaltskanzlei fuhr, sah er Männer, junge, alte, die, kaum daß sie in eine Straßenbahn eingestiegen waren, offenbar an nichts anderes mehr denken konnten, als eine Frau ausfindig zu machen, vorzugsweise eine hübsche, ersatzweise auch eine unscheinbare, um die drangvolle Enge zu nutzen und sich an ihr zu reiben.« (Krechel 2012: 332f.)
1. Tra(u)mschlussfahrt
2000). An dieser Stelle sei auch auf Mary Shelleys Roman Frankenstein (vgl. Shelley 1983) hingewiesen. Das romantische Interesse am Mechanischen ist bzw. war durchaus ambivalent. Einerseits fürchteten die Romantikerinnen selbst zu einer Maschine zu werden (vgl. Müller-Funk 1996: 490) und dadurch im PhilisterhaftAlltäglichen »seelenlos« (Müller-Funk 1996: 492) gefangen zu sein (vgl. ebd.), andererseits erkannten sie, dass in der Erfindung von Maschinen auch eine unheimlich beeindruckende »schöpferische Qualität« (Müller-Funk 1996: 504) steckt, die man sich erst einmal – Genie gleich – erdenken muss.18 Überträgt man diese Gedanken auf die Straßenbahn und ihre Insassinnen (Fahrerinnen wie Fahrgäste) und verknüpft sie zugleich mit Bruno Latours19 Thesen zur Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT),20 so sind einesteils die schlimmsten Befürchtungen der Romantikerinnen durchaus wahr geworden: Der Mensch ist Teil der Tram, wie die Tram Teil des Menschen geworden ist. Dies wird u.a. daran ersichtlich, da die Menschen in den Körper der Straßenbahn hineingehen. Sie verschwinden auf diese Weise im Inneren der Maschine. Entstanden ist dadurch ein Mensch-Tra(u)m(-maschine)-Netzwerk, das allerdings weder reine Technik noch allein Mensch ist.21 Es ist etwas dazwischen und das nicht nur, weil die Menschen ins Innere der Maschine bzw. der Tram eindringen und sie von dort aus gesteuert, benutzt oder mithin durchseelt wird, sondern weil sie etwas vom Menschen Gemachtes ist, das sich von seinem Erbauer in gewisser Weise emanzipiert hat. Insofern dürfte der Mensch, was die Romantikerinnen vielleicht beruhigen würde, nie gänzlich Maschine sein (oder jemals werden). Die Faszination an der
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Diese Ambivalenz drückt sich z.B. auch in Hans Christian Andersens Werk Sein oder Nichtsein. Roman in drei Theilen aus (vgl. Andersen 2011). Dort heißt es in einem Dialog zwischen den Protagonisten »Niels Bryde« und »Japetus Mollerup« über die Eisenbahnen und Dampfschiffe: »›Das sind die Wunder der Gegenwart‹, rief Niels. ›Sie sehen fast wie solche aus,‹ versetzte der alte Japetus, ›aber es sind Menschenwerke; legen wir ihnen keine heilige Namen bei!‹« (Andersen 2011: 91) Latour wäre für eine weitergehende Erforschung des Wechselverhältnisses zwischen Soziologie und Romantik ebenfalls ein interessanter Kandidat (neben jenen, die bereits in den Kapiteln II.3 und II.4 zur Sprache gekommen sind), wimmelt es doch in seinem Werk voller Märchenanspielungen (»In einem Märchen mag das plötzliche Erscheinen des Helden ganz verschiedenen Ursachen zugeschrieben werden […]« (Latour 1998: 36)) und romantisch-literarischen Figuren, wie etwa »Frankenstein« (vgl. Latour 1998: 58). »Mit Akteur-Netzwerk beschreibt man etwas, das überhaupt nicht wie ein Netzwerk aussieht – einen momentanen Geisteszustand, ein Stück Maschine, einen fiktionalen Charakter; umgekehrt können sie ein Netzwerk beschreiben – U-Bahn, Kanalisation, Telefon –, das überhaupt wie ein Akteur-Netzwerk gezeichnet ist. Man verwechselt einfach den Gegenstand mit der Methode. ANT ist eine Methode und außerdem meistens eine negative; sie sagt nichts aus über die Gestalt dessen, was mit ihr beschrieben wird.« (Latour 2010: 246; Hervor. i.O.) Latour geht sogar so weit zu konstatieren: »Niemand hat je reine Techniken gesehen – und niemand je reine Menschen.« (Latour 1996: 21)
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Lyrische Gesellschaft. Die romantische Seite der Soziologie
Straßenbahn-Technik ist jedenfalls weiterhin ungebrochen, wovon die verschiedenen Straßenbahnmuseen in den diversen Tramstädten ein beredtes Zeugnis abzulegen wissen.22 Dort wird für alle Interessentinnen dargestellt, welche Ingenieurskunst über die Jahrhunderte hinweg in die Trambahnen Eingang gefunden und wie sich die Elektrische über Generationen weiterentwickelt hat, wobei ein Ende dieser Entwicklung noch nicht absehbar ist. Apropos Technikgeschichte: Latour ist es auch, der an anderer Stelle davon berichtet, dass technische Innovationen auch scheitern können, obwohl sie ihre Passagiere manchmal regelrecht zum Einsteigen einladen (vgl. Latour 1998: 57). Als Beispiel dafür führt er das nicht umgesetzte Projekt einer automatischen U-Bahn ohne Fahrerinnen für Paris an, das sich »Aramis« nannte (vgl. ebd.). Gescheitert ist das (utopische) Vorhaben damals letztlich u.a. am Widerstand der FahrerinnenGewerkschaft (vgl. Latour 1998: 59), so dass es sich »[…] zurück vom Prototypen zum Projekt, vom Projekt zur Fiktion und von der Fiktion zur Utopie« (ebd.) entwickelt hat. Damit sei einerseits nochmal darauf hingewiesen, wie wichtig für Projekte die Unterstützung anderer Personen ist, und andererseits v.a. hervorgehoben, dass Vorhaben es oftmals mit (internen wie externen) Widerständen zu tun bekommen können. Für das Projekt der ›lyrischen Gesellschaft‹ und konkret das Arbeiten mit Gedichten in der Soziologie ist dies in Kapitel IV thematisiert worden. Die aufgezeigten Widerstände sollten aber kein Hinderungsgrund dafür sein, um mit lyrischen Kunstwerken in der Soziologie zu arbeiten, sondern sie sollten bei der Verwendung des lyrisch-methodischen Verfahrens stets mitberücksichtigt werden. Diese Widerstände gilt es nicht nur auszuhalten, sondern aus der Kritik sollten neue Ideen und Methoden geschöpft werden. Mit diesen abschließenden Hinweisen können wir uns nun dafür entscheiden, die Straßenbahn entweder zu verlassen und am nächsten Halt wieder auf die Straße zu treten, um zu Fuß weiter über die Brücke mit dem Fluss darunter und schließlich den Berg hinan – auf dem vielleicht eine Standseilbahn verkehrt – nach Hause zurückzukehren. Oder wir können beschließen, einfach weiter durch die Nacht zu fahren, um vielleicht noch ein wenig zu träumen, Lyrik zu schreiben oder andere Menschen zu beobachten. Bevor jedoch eine Entscheidung diesbezüglich getroffen werden wird, soll das (vorläufig) letzte Wort Walter Benjamin erhalten: »Wenn ich im Dunkeln nachts erwachte, war die Welt nichts mehr als eine einzige stumme Frage. Mag sein, daß diese Frage, ohne daß ich es damals ahnte, in den Falten des Plüschvorhangs saß, welcher vor meiner Tür, um die Geräusche abzuhalten, hing. Es mag auch sein, daß ein Reflex ihr Keim war, der manchmal in den Messingkugeln saß, die das Fußende meines Betts bekrönten. Vielleicht
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Zu einer Übersicht über verschiedene Straßenbahnmuseen vgl. etwa Wikipedia (o.J.).
1. Tra(u)mschlussfahrt
war sie auch nur der Rückstand eines Traums, der sich im Erwachen verfestigt hatte.« (Benjamin 2008: 32; Hervor. D.G.)
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2. Zwei epilogische Postkarten an Arthur Rimbaud1
Geschätzter Arthur Rimbaud, war es das? Sind wir nun fertig? Ist die »lange, immense und überlegte Zügellosigkeit aller Sinne« (Rimbaud 2010: 27; Hervor. i.O.) vorbei? Offen gestanden: Ich habe daran meine Zweifel. Vielmehr scheint mir, wir fangen gerade erst wieder an, einen neuen poetischen Text zu erschaffen. Was meinen Sie? Herzlichst Ihr D. Grummt
Abbildung 11: Collagierte (fiktive) Postkarte an Arthur Rimbaud
Foto: eigene Aufnahme.
1
Es sei dem Leser und der Leserin überlassen, welche Postkarte er oder sie letztlich an Rimbaud abschicken möchte (bzw. ob er oder sie überhaupt eine der beiden ›Karten‹ abschicken möchte): Jene in reiner Textform oder jene eigens in poetischer Form collagierte Karte, auf der zu lesen ist: »Gezielt/Die Zeit/Gemeinsam/Überwinden/Glücklich/Über Fehler/Falten/schätzen lernen« (vgl. Abb. 11).
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Eine Tafel zum Werk von Karl May entlang des Karl-May-Weges im saarländischen Sulzbach/Saar. Darauf zu lesen sind lyrische Zeilen über Des Waldes Seele (Foto: Daniel Grummt), S. 54. Abb. 2: Ein poetischer Spruch auf einem Schild entlang des thüringischen Rennsteiges (R): »Rennt Euch,/Ihr rüstigen Renner,/in rastloser Kunst/vom rundlichen Ranzen/den ranzigen Speck«. Mit ›Renner‹ sind die Rennsteigwanderer gemeint. (Foto: Daniel Grummt), S. 55. Abb. 3: Ein Lyrikwanderweg in der Nähe des hessischen Ortes Datterode (WerraMeißner-Kreis) (Foto: Daniel Grummt), S. 55. Abb. 4: Tom Uttech, Enassamishhinjijweian, 2009, oil on linen in artist’s frame, 103 x 112 in. Crystal Bridges Museum of American Art, Bentonville, Arkansas, 2009.19. © Tom Uttech, Courtesy Alexandre Gallery, New York. Photography by Edward C. Robison III., S. 64. Abb. 5: Blaue Straßenbahn in Zagreb (Foto: Daniel Grummt), S. 79. Abb. 6: Standseilbahn in Zagreb (Foto: Daniel Grummt), S. 80. Abb. 7: Europafahne in der Oberstadt von Zagreb (Foto: Daniel Grummt), S. 81. Abb. 8: (Blauer) Wal des französischen Streetart-Künstlers Etien auf dem Gebäude der ehemaligen Gradec Gallery (Foto: Daniel Grummt), S. 83. Abb. 9: »Ich sehe was, was du nicht siehst« – Wohnblock an der Stadtrodaer Straße in Jena Lobeda-Ost (Foto: Daniel Grummt), S. 176. Abb. 10: Wohnblock in Jena Lobeda-Ost (Ernst-Schneller-Straße) (Foto: Daniel Grummt), S. 178. Abb. 11: C ollagierte (fiktive) Postkarte an Arthur Rimbaud (eigene Aufnahme), S. 231.
Soziologie Michael Volkmer, Karin Werner (Hg.)
Die Corona-Gesellschaft Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft 2020, 432 S., kart., Dispersionsbindung, 2 SW-Abbildungen 24,50 € (DE), 978-3-8376-5432-5 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5432-9 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5432-5
Gabriele Winker
Solidarische Care-Ökonomie Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima März 2021, 216 S., kart. 15,00 € (DE), 978-3-8376-5463-9 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5463-3
Wolfgang Bonß, Oliver Dimbath, Andrea Maurer, Helga Pelizäus, Michael Schmid
Gesellschaftstheorie Eine Einführung Januar 2021, 344 S., kart. 25,00 € (DE), 978-3-8376-4028-1 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4028-5
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Soziologie Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)
Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft 2020, 320 S., Klappbroschur, Dispersionsbindung, 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9
Detlef Pollack
Das unzufriedene Volk Protest und Ressentiment in Ostdeutschland von der friedlichen Revolution bis heute 2020, 232 S., Klappbroschur, Dispersionsbindung, 6 SW-Abbildungen 20,00 € (DE), 978-3-8376-5238-3 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5238-7 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5238-3
Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018 2019, 246 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4474-6
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