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German Pages 1099 [1112] Year 1998
Großkommentare der Praxis
W G DE
Löwe-Rosenberg
Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz Großkommentar 25., neubearbeitete Auflage
herausgegeben von
Peter Rieß
Erster Band Einleitung; §§ 1 - 7 1
Bearbeiter: Einleitung A - J : Einleitung K: Einleitung L:
Peter Rieß Karl Heinz Gössel Klaus Lüderssen
§§1-47: §§48-71:
Günter Wendisch Hans Dahs
W DE G_ 1999 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Erscheinungsdaten der Lieferungen: Einleitung §§1-47 §§48-71
(9. Lieferung): (1. Lieferung): (7. Lieferung):
November 1998 April 1997 September 1998
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme
Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz: StPO; Großkommentar / LöweRosenberg. Hrsg. von Peter Rieß. - Berlin; New York: de Gruyter. (Großkommentare der Praxis) Teilw. verf. von Hanns Dünnebier ... Bd. 1. Einleitung; §§ 1 bis 71 /Bearb.: Peter Rieß ... - 2 5 . , neubearb. Aufl. - 1999 (Großkommentare der Praxis) ISBN 3-11-016446-9
© Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherungen und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Satz und Druck: Druckerei H. Heenemann GmbH, 12103 Berlin Binderarbeiten: Lüderitz & Bauer GmbH, 10963 Berlin Printed in Germany
Die Bearbeiter der 25. Auflage Dr. Werner Beulke, Professor an der Universität Passau Dr. Reinhard Böttcher, Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg, Honorarprofessor an der Universität München Olaf Boll, Leitender Oberstaatsanwalt in Konstanz Ottmar Breidling, Vors. Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf Dr. Hans Dahs, Rechtsanwalt, Honorarprofessor an der Universität Bonn Dr. Ulrich Franke, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Karl Heinz Gössel, Professor an der Universität Erlangen-Nümberg, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht a. D., München Dr. Walter Gollwitzer, Ministerialdirigent im Bayerischen Staatsministerium der Justiz a. D., München Dr. Kirsten Graalmann-Scheerer, Leitende Oberstaatsanwältin in Bremen Dr. Ernst-Walter Hanack, Professor an der Universität Mainz Dr. Hans Hilger, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz Dr. Daniel M. Krause, LL.M., Rechtsanwalt in Berlin Dr. Klaus Lüderssen, Professor an der Universität Frankfurt am Main Dr. Peter Rieß, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz a. D., Honorarprofessor an der Universität Göttingen Dr. Gerhard Schäfer, Vors. Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wolfgang Siolek, Vors. Richter am Landgericht Hildesheim Günter Wendisch, Generalstaatsanwalt a. D. in Bremen Thomas Wickern, Oberstaatsanwalt in Düsseldorf
Inhaltsübersicht Vorwort Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg Abkiirzungsverzeichnis Allgemeines Schrifttumsverzeichnis
I III V XXIX
EINLEITUNG
Strafprozeßordnung
ERSTES BUCH
Allgemeine Vorschriften Erster Abschnitt.
Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
§§ 1—6a
Zweiter Abschnitt.
Gerichtsstand
§§7-21
Dritter Abschnitt.
Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen
§§22-32
Vierter Abschnitt.
Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§§ 3 3 - 4 1
Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
§§ 4 2 - 4 7
Zeugen
§§48-71
Fünfter Abschnitt. Sechster Abschnitt.
Vorwort Die 24. Auflage des L Ö W E - R O S E N B E R G , deren Hauptteil mit der Kommentierung der StPO zwischen 1984 und 1988 erschien, ist durchweg freundlich aufgenommen worden. Seine Grundkonzeption soll deshalb ebenso wie das äußere Erscheinungsbild im wesentlichen beibehalten werden. Als Großkommentar setzt er sich die Aufgabe, den Erkenntnisstand und die rechtlichen Probleme des Strafverfahrensrechts möglichst vollständig darzustellen und Wege zur Lösung auch entlegener Fragen aufzuzeigen. In einem Großkommentar der Praxis muß dabei der Praxisbezug theoretischer Streitfragen und der historischen Entwicklung deutlich werden. Der Entwicklungsgeschichte der Strafprozeßordnung und der Strafgerichtsverfassung seit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze sowie der Entstehungsgeschichte der einzelnen Vorschriften ist besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden. Die 120jährige Entwicklung des Strafprozeßrechts in Deutschland, eine namentlich in neuerer Zeit oft hektische Gesetzgebungstätigkeit sowie eine sich zunehmend verfeinernde und immer stärker ausdifferenzierende wissenschaftliche Entwicklung und Rechtsprechung bedeuten auch für dieses Rechtsgebiet eine kodifikatorische Spätzeit, in der die Grundlagen von einem fast undurchschaubaren Geflecht von Einzelheiten überlagert werden. Ein Großkommentar kann, auch wenn er mit dazu beitragen muß, den Rückgriff auf Grundprinzipien zu ermöglichen, nicht darauf verzichten, diese Ausdifferenzierung zu dokumentieren und, soweit erforderlich, zu bewerten und zu systematisieren. Die Veröffentlichungsflut, namentlich bei der Rechtsprechung, aber auch im wissenschaftlichen Schrifttum hat einen Umfang erreicht, der es nicht mehr in allen Bereichen möglich macht, den Grundsatz der vollständigen Dokumentation des Materials uneingeschränkt zu erfüllen. Bei einzelnen Vorschriften kann die Vielzahl der Veröffentlichungen und der veröffentlichten Rechtsprechung im einzelnen und in allen Verästelungen nicht mehr exakt nachgewiesen werden. Es bleibt der Verantwortung jedes Autors überlassen, ob und in welchem Umfang er eine Auswahl trifft. Während der 24. Auflage ist mit der Wiedervereinigung Deutschlands auch die Rechtseinheit im Strafverfahren und in der Strafgerichtsverfassung wieder hergestellt worden. Das im Nachtrag II der 24. Auflage erläuterte Übergangsrecht für das Beitrittsgebiet hat bis auf wenige Ausnahmen, die bei den einzelnen Vorschriften im Sachzusammenhang erläutert werden, seine aktuelle Bedeutung verloren. Das Strafprozeßrecht der DDR und das Recht der Wiedervereinigung gehören nunmehr zur Entwicklungsgeschichte des gesamtdeutschen Strafprozeßrechts. Der verdiente Senior des L Ö W E - R O S E N B E R G , Herr Senatspräsident a. D. Dr. Karl Schäfer, der dem Kommentar seit 1956 verbunden war, ist im hohen Alter von 93 Jahren während der Arbeit an der 24. Auflage verstorben. Der Kreis der Autoren ist um neue Mitarbeiter erweitert worden. Bereits während der 24. Auflage sind eingetreten: Herr Leitender Oberstaatsanwalt Olaf Boll, Konstanz, Frau Richterin am Bundesgerichtshof Monika (i)
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Harms, Berlin, Herr Ministerialdirektor Dr. Hans Hilger, Bonn, und Herr Regierungsdirektor Thomas Wickern, Köln. Für die 25. Auflage konnten als neue Autoren gewonnen werden: Herr Professor Dr. Werner Beulke, Passau, und Herr Präsident des Oberlandesgerichts Professor Dr. Reinhard Böttcher, Bamberg. Verlag, Herausgeber und Autoren werden weiterhin bemüht sein, die hohen Erwartungen zu erfüllen, die sich mit dem Kommentar seit jeher verbinden. Bonn, im Februar 1997
Peter Rieß
(H)
Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg 1. Inhalt der Kommentierung Der LÖWE-ROSENBERG kommentiert die StPO, das EGStPO, das GVG und das EGGVG mit Ausnahme der nur den Zivilprozeß betreffenden Teile, sowie — mit dem Schwerpunkt auf den strafverfahrensrechtlich besonders bedeutsamen Regelungen — die MRK und den IPBPR. Wenig bekannte oder schwer auffindbare strafverfahrensrechtliche Nebengesetze, deren Wortlaut für die Kommentierung erforderlich ist, werden bei den einschlägigen Erläuterungen im Kleindruck wiedergegeben. Die Vorschriften des Einigungsvertrages und seiner Anlagen werden, soweit sie noch von aktueller Bedeutung sind, bei den jeweiligen Vorschriften erläutert. 2. Erscheinungsweise und Stand der Bearbeitung Die 25. Auflage des LÖWE-ROSENBERG erscheint in Lieferungen, deren Reihenfolge von der des Gesetzes abweichen kann. Sie werden in der Reihenfolge ihres Erscheinens durchnumeriert; die Folge weicht von derjenigen des Gesamtwerkes ab. Einzelne Bände erscheinen, sobald die für den jeweiligen Band vorgesehenen Lieferungen vollständig erschienen sind; gleichzeitig werden für die Lieferungsbezieher die Einbanddecken mitgeliefert. Der Stand der Bearbeitung ist jeweils auf den linken Seiten unten angegeben. Die Autoren sind bemüht, besonders wichtige Änderungen und Entwicklungen auch noch nach diesem Stichtag bis zur Drucklegung der Lieferung zu berücksichtigen. 3. Bearbeiter Jeder Bearbeiter (auf jeder rechten Seite unten angegeben) trägt für seinen Teil die alleinige inhaltliche Verantwortung. Die Stellungnahmen zu Rechtsfragen, die an mehreren Stellen des Kommentars behandelt werden, können daher voneinander abweichen. Auf solche Abweichungen wird nach Möglichkeit hingewiesen. 4. Aufbau der Kommentierung Neben der umfassenden Einleitung zum Gesamtwerk sind den Untereinheiten der kommentierten Gesetze (Bücher, Abschnitte, Titel), soweit erforderlich, Vorbemerkungen vorangestellt, die das für die jeweilige Untereinheit Gemeinsame erläutern. Der den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften erforderlichenfalls vorangestellte Abschnitt Geltungsbereich enthält Hinweise auf zeitliche und örtliche Besonderheiten. Der Abschnitt Entstehungsgeschichte gibt, abgesehen von ganz unwesentlichen Änderungen, die Entwicklung der geltenden Fassung der Vorschrift vom Erlaß des jeweiligen Gesetzes an wieder. Fehlt er, so kann davon ausgegangen werden, daß die Vorschrift unverändert ist. Der Hinweis auf geplante Änderungen verzeichnet Änderungsvorschläge, die sich beim Abschlußzeitpunkt der Lieferung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren befinden. Die Erläuterungen sind nach systematischen Gesichtspunkten gegliedert, die durch Überschriften oder Stichworte hervorgehoben sind. In der Regel ist den Erläuterungen eine systematische Übersicht vorangestellt. Soweit angebracht wird sie bei besonders umfangreichen Erläuterungen durch eine alphabetische Übersicht ergänzt. Bei den (III)
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Erläuterungen selbst werden für jede Vorschrift (zur Erleichterung des Zitierens) durchlaufende Randnummern verwendet. 5. Schrifttum Der Kommentar enthält am Anfang ein allgemeines Schrifttumsverzeichnis, das nur die häufiger verwendete oder allgemeine Literatur enthält. Den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften sind Schrifttumsverzeichnisse vorangestellt, die einen Überblick über das wesentliche Schrifttum zu dem jeweils behandelten Thema geben. 6. Zitierweise Literatur, die in diesen Schrifttumsverzeichnissen enthalten ist, wird im laufenden Text im allgemeinen nur mit dem Namen des Verfassers (ggfs. mit einer unterscheidenden Kurzbezeichnung) oder der sonstigen im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Kurzbezeichnung zitiert, doch wird bei Veröffentlichungen in Zeitschriften vielfach auch die genaue Fundstelle nachgewiesen. Sonst sind selbständige Werke mit (gelegentlich verkürztem) Titel und Jahreszahl, unselbständige Veröffentlichungen (auch Beiträge in Festschriften u. ä.) mit der Fundstelle angegeben. Auflagen sind durch hochgestellte Zahlen gekennzeichnet; fehlt eine solche Angabe, so wird aus der Auflage zitiert, die im allgemeinen Schrifttumsverzeichnis angegeben ist. Hat ein Werk Randnummern, so wird nach diesen, sonst nach Seitenzahl oder Gliederungspunkten zitiert. Befindet sich beim Zitat anderer Kommentare die in Bezug genommene Stelle im gleichen Paragraphen, so wird nur die Randnummer oder (bei deren Fehlen) der Gliederungspunkt angegeben; wird auf die Erläuterungen bei einem anderen Paragraphen Bezug genommen, so wird dieser genannt. Entsprechend wird auch im LÖWE-ROSENBERG selbst verwiesen. Bei diesem wird, wenn nichts anderes angegeben ist, auf die gegenwärtige 25. Auflage verwiesen. Ist die Lieferung mit den Erläuterungen, auf die verwiesen werden soll, noch nicht erschienen, so ist, soweit dies sachdienlich erschien, in Klammern ergänzend die genaue Fundstelle in der 24. Auflage angegeben. Zeitschriften werden regelmäßig mit dem Jahrgang zitiert. Ausnahmen (Bandangabe) bilden namentlich ZStW, GA (bis 1933) und VRS; hier ist regelmäßig die Jahreszahl zusätzlich angegeben. Bei der Angabe der Fundstelle eines amtlichen Verkündungsblattes wird die Jahreszahl nur angegeben, wenn sie von der Jahreszahl der Rechtsvorschrift abweicht. Entscheidungen werden im allgemeinen nur mit einer Fundstelle angegeben. Dabei hat die amtliche Sammlung eines obersten Bundesgerichtes den Vorrang, sonst die Fundstelle, die die Entscheidung mit Anmerkung oder am ausführlichsten wiedergibt. 7. Abkürzungen Die verwendeten Abkürzungen, namentlich von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Entscheidungssammlungen, Zeitschriften usw. sind im Abkürzungsverzeichnis nachgewiesen.
(IV)
Abkürzungsverzeichnis (Stand: Februar 1997) AA a. Α aaO Abg. AbgG
AbgO abl. ABl. Abs. Abschn. AChRMV AcP AdoptG ÄndG a. F AG AGGewVerbrG
AGGVG AGStPO AHK AktG AktO
allg. Μ Alsb.E a. Μ AMRK amtl. Begr. Anh. Anl. AnwBl. AöR AO (V)
Auswärtiges Amt anderer Ansicht am angegebenen Orte Abgeordneter Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz — AbgG) vom 18. 2. 1977 i. d. F. vom 21.2.1996 (BGBl. I S. 327) s. AO ablehnend Amtsblatt Absatz Abschnitt Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und Völker vom 26.6.1981, deutsche Übersetzung EuGRZ 1990 348 Archiv für die civilistische Praxis Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) vom 2.7. 1976 (BGBl. IS. 1749) Änderungsgesetz alte Fassung Amtsgericht; in Verbindung mit einem Gesetz: Ausführungsgesetz Ausführungsgesetz zum Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. 11. 1933 (RGBl. IS. 1000) Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes (Landesrecht) Ausführungsgesetz zur Strafprozeßordnung (Landesrecht) Alliierte Hohe Kommission Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) vom 6.9. 1965 (BGBl. I S. 1089) Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften (Aktenordnung), abgedruckt bei Piller/Hermann, 1 allgemeine Meinung Die strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte, herausgegeben von Alsberg und Friedrich (1927), 3 Bände anderer Meinung Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. 11. 1969 (Pact of San Jose), deutsche Übersetzung EuGRZ 1980 435 amtliche Begründung Anhang Anlage Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Abgabenordnung vom 16. 3. 1976 (BGBl. I S. 613)
Abkürzungsverzeichnis Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 10. 8. 1967 (BGBl. I S. 877) Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. 9. 1953 i. d. F. vom 2. 7. 1979 (BGBl. IS. 2847) Archiv für Kriminologie Archiv für das Post- und Fernmeldewesen Archiv für Presserecht (Beilage zu „Zeitungs-Verlag und Zeitschriften-Verlag") Archiv des Völkerrechts Gesetz über das Asylverfahren vom 26.6.1992 (BGBl. I S . 1126) Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 23. 12. 1959 (BGBl. IS. 814) Ausländergesetz vom 9.7.1990 (BGBl. IS. 1354) Ausnahme-(Not-) Verordnung (1) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1.12. 1930(RGBl. I S . 517) (2) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6. 10. 1931 (RGBl. IS.537, 563) (3) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8.12.1931 (RGBl. I S. 743) (4) VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Rechtspflege und Verwaltung vom 14.6. 1932 (RGBl. I S . 285) Allgemeine Verfügung Außenwirtschaftsgesetz vom 28.4.1961 (BGBl. IS. 481) Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZR-Gesetz) vom 2.9. 1994 (BGBl. I S . 2265) Bundesarbeitsgericht Bundesärzteordnung vom 2. 10. 1961 i. d. F. vom 14. 10. 1977 (BGBl. IS. 1885) Bundesanzeiger Baden-Württemberg Bayern, bayerisch Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes vom 23. 6. 1981 (BayGVBl. S. 188) Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts (1802 bis 1956) Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bayerische Rechtssammlung (ab 1.1.1983) Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. 12.1946 (BayBS 13) s. BayVGHE Bayerische Verwaltungsblätter Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1905—34) Der Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz vom 14. 7. 1953 i. d. F. vom 3. 1. 1977 (BGBl. I S. 1) Brandenburg (VI)
Abkürzungsverzeichnis BDH Β DO Begr. BegrenzungsVO
BEG-SchlußG Bek. Bek. 1924 Bek. 1950 Bek. 1965 Bek. 1975 Bek. 1987 BerathG BerRehaG
BeurkG BewHi. BezG Β FH BGB BGBl. 1,11, III BGH BGH-DAT BGHE Strafs. BGHGrS BGHR BGHRZ BGHSt BGHZ BGSG
BGSNeuRegG
BinnSchiffG
BinSchiffVfG (VII)
Bundesdisziplinarhof (jetzt Bundesverwaltungsgericht) Bundesdisziplinarordnung vom 28. 11. 1952 i. d. F. vom 20. 7. 1967 (BGBl. I S . 751, ber. BGBl. I S . 984) Begründung Verordnung über die Begrenzung der Geschäfte des Rechtspflegers bei der Vollstreckung in Straf- und Bußgeldsachen vom 26.6. 1970(BGBl. IS.992) Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 14.9. 1965(BGBl. IS. 1315) Bekanntmachung Strafprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 22. 3. 1924(RGBl. IS.299,322) Strafprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 12. 9. 1950 (BGBl. S. 629) Strafprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 17. 9. 1965 (BGBl. IS. 1373) Strafprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 7. 1. 1975(BGBl. IS. 129) Strafprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 7. 4. 1987 (BGBl. IS. 1074) Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) vom 16. 8. 1980 (BGBl. I S . 689) Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz — BerRehaG) vom 23. 6. 1994 (BGBl. I S. 1314) Beurkundungsgesetz vom 24. 8.1969 (BGBl. I S. 1513) Bewährungshilfe (Zeitschrift) Bezirksgericht Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 195) Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Bundesgerichtshof Datenbank der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf CD-ROM, herausgegeben von Werner Theune Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen auf CD-ROM, herausgegeben von Mitgliedern des Gerichts Bundesgerichtshof, Großer Senat (hier in Strafsachen) BGH-Rechtsprechung in Strafsachen (Loseblattsammlung) BGH-Rechtsprechung in Zivilsachen (Loseblattsammlung) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzgesetz - BGSG) (Art. 1 des BGSNeuRegG) vom 19. 10. 1994 (BGBl. I S. 2978) Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz — BGSNeuRegG) vom 19. 10. 1994 (BGBl. I S . 2978) Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) vom 15. 6. 1895 i. d. F. vom 15.6. 1898 (RGBl. S. 868) Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrtsund Rheinschiffahrtssachen vom 27.9. 1952 (BGBl. IS. 641)
Abkürzungsverzeichnis BKrimAG
Bln. Bln.GVBl.Sb. Blutalkohol Bonn.Komm. BMI BMinG
BMJ BORA BR BRAGebO BRAK-Mitt. BranntWMonG BRAO BRat BRDrucks. BReg. Brem. BRProt. BS BSG BTag BTDrucks. BtG
BtMG
BTProt. BTRAussch. BTVerh. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BW BZRG
2. BZRÄndG
CD
Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamtes) vom 8. 3. 1951 i. d. F. vom 29. 6. 1973 (BGBl. IS. 704) Berlin Sammlung des bereinigten Berliner Landesrechts, Sonderband I (1806 bis 1945) und II (1945 bis 1967) Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und juristische Praxis Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Loseblattausgabe Bundesminister(-ium) des Innern Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (Bundesministergesetz) vom 17. 6. 1953 (BGBl. I S. 407) i. d. F. vom 27.7.1971 (BGBl. I S . 1166) Bundesminister(-ium) der Justiz Berufsordnung für Rechtsanwälte s. BRat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 26. 7. 1957 (BGBl. IS. 861) Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer (Zeitschrift) Branntweinmonopolgesetz vom 8. 4. 1922 (RGBl. I S. 405; BGBl. III 612-7) Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. 8. 1959 (BGBl. IS. 565) Bundesrat Drucksachen des Bundesrats Bundesregierung Bremen Protokolle des Bundesrates Sammlung des bereinigten Landesrechts Bundessozialgericht Bundestag Drucksachen des Bundestags Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz — BtG) vom 12. 9. 1990(BGBl. IS.2002) Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) vom 28. 7. 1981 i. d. F. vom 1. 3. 1994 (BGBl. I S. 358) s. BTVerh. Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags Verhandlungen des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. 3. 1951 i. d. F. vom 11. 8.1993 (BGBl. I S . 1637) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz) vom 18. 3. 1971 i. d. F. vom 21.9. 1984 (BGBl. IS. 1229) Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (2. BZRÄndG) vom 17.7.1984 (BGBl. IS. 990) Collection of Decisions Bd. 1 bis 46 (1960 bis 1974), Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte über die Zulässigkeit von Beschwerden (VIII)
Abkürzungsverzeichnis ChE
CR DA DAG
DAR DaR
DB DDevR DDR DERechtsmittelG
Die Justiz Die Polizei Diss. DJ DJT DJZ DNP DÖV DOGE DR DRechtsw. DRiG DRiZ DRpfl. DRsp. Drucks. DRZ DSteuerR DStR DStrZ DtBR DtZ DuD DuR DVB1. DVO DVOVereinf.VO
(IX)
Chiemsee-Entwurf (Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der Westlichen Besatzungszonen. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23.8. 1948) (1948) Computer und Recht (Zeitschrift) Dienstanweisung Deutsches Auslieferungsgesetz vom 23. 12. 1929 (BGBl. I S. 239), aufgehoben durch IRG vom 23. 12. 1982 (BGBl. I S. 2071) Deutsches Autorecht Decisions and Reports (ab 1975), Entscheidungen über die Zulässigkeit von Beschwerden, Berichte der Europäischen Kommission Menschenrechte und Resolutionen des Ministerkomitees Der Betrieb (Zeitschrift) Deutsche Devisen-Rundschau (1951 — 59) Deutsche Demokratische Republik Diskussionsentwurf für ein Gesetz über die Rechtsmittel in Strafsachen, im Auftrag der J M K vorgelegt von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Strafverfahrensreform (1975) Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Die Polizei (seit 1955: Die Polizei — Polizeipraxis) Dissertation Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik (1933—45) Deutscher Juristentag (s. auch VerhDJT) Deutsche Juristenzeitung (1896—1936) Die Neue Polizei Die Öffentliche Verwaltung Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Recht (1931 bis 1945) Deutsche Rechtswissenschaft (1936—43) Deutsches Richtergesetz vom 8. 9. 1961 i. d. F. vom 19. 4. 1972 (BGBl. IS.713) Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtspflege (1936 bis 1939) Deutsche Rechtsprechung, herausgegeben von Feuerhake (Loseblattsammlung) Drucksache Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946 bis 1950) Deutsches Steuerrecht Deutsches Strafrecht (1934 bis 1944) Deutsche Strafrechts-Zeitung (1914bis 1922) Das Deutsche Bundesrecht (Gesetzessammlung mit Erläuterungen, Loseblattausgabe) Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherung (Zeitschrift) Demokratie und Recht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Verordnung zur Durchführung der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 8.9. 1939 (RGBl. I S . 1703)
Abkürzungsverzeichnis DVOZust.VO
DWiR EAG EAGV
EB EFG EG EGBGB EGGVG EGInsO EGKS EGKSV EGMR E G M R Bd.
EGMRVerfO EGOWiG EGStGB 1870 EGStGB 1974 EGStPO EGZPO EhrenGHE EinigungsV
EinigungsVG
Einl. EJF EKMR EKMRVerfO EmmingerVO
Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sonderstrafgerichte sowie sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 13. 3. 1940 (RGBl. IS. 489) Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. 3. 1957, Ges. vom 27. 7. 1957 (BGBl. II S. 753), Bek. vom 27. 12. 1957 (BGBl. II 1958 S. 1) Ergänzungsband Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Einführungsgesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. 8. 1896 (RGBl. S. 604) i. d. F. vom 21.9. 1994 (BGBl. I S . 2494) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. 1. 1877 (RGBl. S. 77) Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5. 10. 1994 (BGBl. IS. 2911) Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der EGKS vom 18. 4. 1951 (BGBl. IIS.447) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Golsong/Petzold/Furer, Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Sammlung in deutscher Übersetzung, Band, Seite Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte i. d. F. der Bek. vom 27. 11. 1989 (BGBl. II S. 955) Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. 5.1968 (BGBl. IS. 503) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 31.5. 1870 (RGBl. S. 195) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. 3. 1974 (BGBl. I S. 469) Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung vom 1.2. 1877 Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung vom 30. 1. 1877 (RGBl. S. 244) Ehrengerichtliche Entscheidungen (der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebietes und des Landes Berlin) Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889) Gesetz zu dem Vertrag vom 31.8. 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertragsgesetz — und der Vereinbarung vom 18. 9. 1990 vom 23.9. 1990 (BGBl. II S. 885) Einleitung Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht (1951-1969) Europäische Kommission für Menschenrechte Verfahrensordnung der Europäischen Kommission für Menschenrechte i. d. F. der Bek. vom 29.5.1991 (BGBl. II S. 838) Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. 1. 1924 (RGBl. I S. 23) (X)
Abkürzungsverzeichnis ENeuOG EntlG Entw. Entw. 1908
Entw. 1909
Entw. 1919/1920
Entw. 1930
Entw. 1939
ErgBd. Erl. EuAbgG EuAlÜ EuFoltKonv.
EuG EuGH EuGHE EuGHMR EuGRAG
EuGRZ EuKomMR EuR EuRHÜ
EuUn EuUnV EWG EWGV (XI)
Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz — ENeuOG) vom 27. 12. 1993 (BGBl. I S. 2378) Gesetz zur Entlastung der Gerichte vom 11. 3. 1921 (RGBl. S. 229) Entwurf Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz nebst Begründung (1908), Ε 1908, MatStrRRef. Bd. 11 Entwürfe 1. eines Gesetzes, betreffend Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. der Strafprozeßordnung (1909), Ε 1909 RT-Verhandl. Bd. 254 Drucks. Nr. 1310 = MatStrRRef Bd. 12; Bericht der 7. Kommission des Reichstags 1909 bis 1911 zur Vorbereitung der Entwürfe 1. eines Gesetzes betreffend die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. einer Strafprozeßordnung, 3. eines zu beiden Gesetzen gehörenden Einführungsgesetzes = MatStrRRef. Bd. 13 Entwürfe 1. eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (1919), 2. eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen (1920), Ε 1919/1920, MatStrRRef. Bd. 14 Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz 1930, EGStGB-Entw. 1930, RT-Drucks. Nr. 2070 = MatStrRRef. Bd. 7 Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedens- und Schiedsmannsordnung (1939), StPO-Entw. 1939, Nachdruck 1954 Ergänzungsband Erläuterung(en) Europaabgeordnetengesetz vom 6.4.1979 (BGBl. I S. 413) Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. 12. 1957 (BGBl. II 1964 S. 1369) Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11. 1987 (BGBl. II 1989 S. 946) Europäische Gemeinschaft Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften. — Amtliche Sammlung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, s. auch E G M R Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der EG vom 22. 3. 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte vom 16. 8. 1980(BGBl. IS. 1453) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäische Kommission für Menschenrechte, s. auch E K M R Europarecht Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. 4. 1959 (BGBl. 1964 II S. 1369; BGBl. 1976 II S. 1799) Europäische Union Vertrag über die Europäische Union vom 7. 2. 1992 (BGBl. II 1992 S. 1251) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3. 1957 (BGBl. II S. 766)
Abkürzungsverzeichnis EzSt
Entscheidungssammlung zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 1983 bis 1990 (Loseblattausgabe)
f,ff FAG
folgende (Seiten) Gesetz über Fernmeldeanlagen vom 6. 4. 1892 i. d. F. vom 3. 7. 1989 (BGBl. IS. 1455) Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung vom 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Finanzgericht Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.5.1898 i . d . F . vom 20.5.1898 (RGBl. S. 771) Finanzgerichtsordnung vom 6.10.1965 (BGBl. I S. 1477) Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6. 9.1950 (BGBl. S. 448) i. d. F. vom 30. 8. 1971 (BGBl. IS. 1426) Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) vom 8. 2. 1951 1.d. F. vom 29. 10.1994 (BGBl. IS. 3140) Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Bundesrecht ohne völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der D D R Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der D D R Fernmeldeordnung i. d. F. vom 5. 5.1971 (BGBl. I S. 541) (1.) Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 (BGBl. II 1992 S. 1247) 2. Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe vom 15. 12. 1989 (BGBl. II 1992 S. 390) Festschrift, auch Festgabe usw. (angefügt Name des Geehrten) Fußnote
FamPIG FamRZ FG FGG FGO FinVerwG FIRGes. FN A
FN Β FO FP-IPBPR
2. FP-IPBPR
FS Fußn. G 10
GA
GBA GBl. GB1./DDR I, II GedS GemProt. GenG GerS Ges. GeschlkrG GeschO GewO
Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) vom 13. 8. 1968 (BGBl. IS. 949) Goltdammer's Archiv für Strafrecht, zitiert nach Jahr und Seite; (bis 1933: Archiv für Strafrecht und Strafpolitik, zitiert nach Band und Seite) Generalbundesanwalt Gesetzblatt Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I und II (1949 bis 1990) Gedächtnisschrift (angefügt Name des Geehrten) Gemeinsames Protokoll Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. 5.1889 i. d. F. vom 20. 5.1898 (RGBl. S. 369) Der Gerichtssaal (1849 — 1942) Gesetz Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23. 7. 1953 (BGBl. IS. 700) Geschäftsordnung Gewerbeordnung vom 21.6.1869 i. d. F. vom 1.1.1978 (BGBl. I S. 97) (XII)
Abkürzungsverzeichnis GewVerbrG
GG GH Series A
GKG GmbHG GMB1. GmS-OGB GnO GoltdA GrSSt Gruchot GRUR GS GSNW GSSchlH GStA GÜV
GV GVB1. GVB1. II GVG GVGA G V G Ä G 1971 G V G Ä G 1974 GVG/DDR
GVO GWB GwG
(XIII)
Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. 11. 1933 (RGBl. I S . 995) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 (BGBl. S. 1) Publications of the European Court of Human Rights, Series A: Judgements and Decisions (Urteile und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte), herausgegeben vom Europarat, Kanzlei des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Gerichtskostengesetz vom 18. 6. 1878 i. d. F. vom 15. 12. 1975 (BGBl. I S. 3047) Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20.4. 1892 i. d. F. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 846) Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gnadenordnung (Landesrecht) s. GA Großer Senat in Strafsachen Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, begründet von Gruchot Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Gesetzessammlung Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen (1945-56) Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 2 Bde. (1963) Generalstaatsanwalt Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können (Grundstoffüberwachungsgesetz — GÜV) vom 7. 10. 1994 (BGBl. I S. 2835) Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) Gesetz- und Verordnungsblatt Sammlung des bereinigten Hessischen Landesrechts Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1. 1877 i. d. F. vom 9. 5. 1975 (BGBl. S. 1077) Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher, abgedruckt bei Piller/Hermann, 9 c Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 8. 9. 1971 (BGBl. I S . 1513) Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 25.3. 1974(BGB1.1 S. 761) Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik — Gerichtsverfassungsgesetz — vom 27.9. 1974 (GBl. I S. 457), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. 7. 1990 (GBl. I S . 595) Gerichtsvollzieherordnung, abgedruckt bei Piller/Hermann, 9d Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. 7. 1957 i. d . F . v o m 24.9. 1980 (BGBl. I S. 1761) Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz - GwG) vom 25. 10. 1993 (BGBl. I S. 1770)
Abkürzungsverzeichnis Haager Abk. HalbleiterschutzG
Hamb. HambJVBl. Hans. HansGZ HansJVBI. HansOLGSt HansRGZ HansRZ
HdbVerfR HdR Hess. HESt
HGB h.M HRR HRSt
HV IAGMR i. d. F. IGH IKV ILO InsO IPBPR IPBPRG IPWSKR IRG
JA JahrbÖR JahrbPostw. JAVollzO JBeitrO JB1.
Haager Abkommen über den Zivilprozeß vom 17. 7. 1905 (RGBl. 1909 S. 409) Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen (Halbleiterschutzgesetz) vom 23. 10.1987 (BGBl. I S . 2294) Hamburg Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Hanseatisch Hanseatische Gerichtszeitung (1880 bis 1927) Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (bis 1946/47) Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Strafsachen (1879 bis 1932/33) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (1928—43), vorher: Hanseatische Rechtszeitschrift für Handel, Schiffahrt und Versicherung, Kolonial- und Auslandsbeziehungen sowie für Hansestädtisches Recht (1918 bis 1927) Handbuch des Verfassungsrechts, herausgegeben von Benda, Maihofer und Vogel, 2. Aufl. (1994) Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, herausgegeben von Stier-Somlo und Elster (1926 bis 1937) Hessen Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen (1948—49) Handelsgesetzbuch vom 10. 5.1897 (RGBl. S. 219) herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928 bis 1942) Entscheidungen zum Strafrecht, Strafverfahrensrecht und zu den Nebengebieten (Höchstrichterliche Rechtsprechung) (ab 1996) Η aupt Verhandlung Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte in der Fassung Internationaler Gerichtshof Internationale Kriminalistische Vereinigung International Labour Organisation (Internationale Arbeitsorganisation) Insolvenzordnung vom 5. 10.1994 (BGBl. I S. 2866) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12. 1966 (BGBl. II 1973 S. 1534) Zustimmungsgesetz zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 15. 11.1973 (BGBl. IIS. 1533) Internationaler Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vom 19. 12.1966 (BGBl. II 1973 S. 1570) Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. 12. 1982(BGBl. IS.2071) Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des Postwesens (1937 bis 1941/42) Jugendarrestvollzugsordnung vom 12. 8. 1966 i. d. F. vom 30.11. 1976(BGBl. IS.3270) Justizbeitreibungsordnung vom 11.3.1937 (RGBl. I S. 298) Justizblatt (XIV)
Abkürzungsverzeichnis JBIRhPf. JBlSaar JGG JIR JKassO JKostG JMB1. JMB1NRW, JMB1NW JMK JR JugStrafgG
Jura JurBüro JurJahrb. JuS Justiz JVB1. JVKostO JVollz. JW JZ Kap. KG KGJ
KJ KO KonsG KostÄndG KostMaßnG KostRÄndG 1994
KostRspr. KostVfg.
KrG Kriminalist Kriminalistik KrimJ KrimPäd. (XV)
Justizblatt Rheinland-Pfalz Justizblatt des Saarlandes Jugendgerichtsgesetz vom 4. 8. 1953 i. d. F. vom 11. 12. 1974 (BGBl. IS. 3427) Jahrbuch für internationales Recht Justizkassenordnung, abgedruckt bei Piller/Hermann, 5 Justizkostengesetz (Landesrecht) Justizministerialblatt Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Justizministerkonferenz (Konferenz der Landesjustizministerinnen und -minister) Juristische Rundschau Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (JugoslawienStrafgerichtshof-Gesetz) vom 10.4.1995 (BGBl. I S . 485) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Das juristische Büro (Zeitschrift) Juristen-Jahrbuch Juristische Schulung (Zeitschrift) Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Justizverwaltungsblatt VO über Kosten im Bereich der Justizverwaltung vom 14. 2. 1940 (RGBl. IS. 357) Jugendstrafvollzugsordnung: s. auch J AVollzO Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Kapitel Kammergericht Jahrbuch der Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881-1922) Kritische Justiz Konkursordnung vom 10. 2.1877 i. d. F. vom 20. 5.1898 (RGBl. S. 612) Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) vom 1.9. 1974 (BGBl. I S . 2317) Gesetz zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26.7. 1957 (BGBl. I S. 861) Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet des Kostenrechts vom 7.8.1952 (BGBl. IS. 401) Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 — KostRÄndG 1994) vom 24.6. 1994 (BGBl. IS. 1325) Kostenrechtsprechung (Loseblattsammlung) Kostenverfügung, Durchführungsbestimmungen in den Kostengesetzen i. d. F. vom 1. 6. 1987, abgedruckt bei Piller/Hermann, 10 Kreisgericht Der Kriminalist (Zeitschrift) Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kriminologisches Journal Kriminalpädagogische Praxis (Zeitschrift)
Abkürzungsverzeichnis KritV KronzG
KronzVerlG
2. KronzVerlG
KSZE KUP k + ν
LegPer. LG LM LMBG
L M G (1936)
LPG LRE LS LuftVG LuftVVO LV LVerf. LZ MarkenG Mat. MatStrRRef. MDR MedR MiStra. MittKV
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Gesetz zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Art. 4 des StGBÄndG 1989) vom 9. 6. 1989 (BGBl. I S . 1059) Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) vom 16.2.1993 (BGBl. I S . 238) Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (2. Kronzeugen-VerlängerungsGesetz vom 19. 1.1996(BGBl. I S . 58) Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kriminologie und Praxis (Schriftenreihe der Kriminologischen Zentralstelle) Kraftfahrt und Verkehrsrecht, Zeitschrift der Akademie für Verkehrswissenschaft Legislaturperiode Landgericht Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs (Loseblattsammlung), herausgegeben von Lindemaier, Möhring u. a. Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz) vom 15. 8. 1974 (BGBl. I S . 1945) Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen (Lebensmittelgesetz) vom 5. 7. 1927 i. d. F. vom 17. 1. 1936(RGBl. I S . 17) Landespressegesetz Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen Leitsatz Luftverkehrsgesetz vom 1. 8. 1992 i. d. F. vom 14. 1. 1981 (BGBl. I S . 61) Verordnung über den Luftverkehr i. d. F. vom 21. 8. 1936 (RGBl. I S . 659) Literaturverzeichnis, Schrifttumsverzeichnis Landesverfassung Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907 bis 1933) Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz — MarkenG) vom 25. 10. 1994 (BGBl. I S. 3082) s. Hahn Materialien zur Strafrechtsreform, herausgegeben vom B M J , Bd. 1 - 1 5 ( 1 9 5 4 - 1 9 6 0 ) (s. auch Entw.) Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht (Zeitschrift) Anordnung über Mitteilung in Strafsachen vom 15. 3. 1985 — bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/Hermann, 2 c Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (1889 bis 1914; 1926 bis 1933) (XVI)
Abkürzungsverzeichnis MOG Mot. MRG MRK
MSchrKrim. MschrKrim Psych. MStGO Muster-Entw.
MV NATO-Truppenstatut
Nds. NdsRpfl. n. F. Nieders. GVB1. Sb. I, II
NJ NJW NKrimpol. NotVO NPA NRW NStE NStZ NStZ-RR NVZ NVwZ NW Ο EG OG OpferschutzG
OstAnwBl. ÖstJZ Öster.OGH Öster.VfGH ÖstRiZ ÖV OGHSt OLGSt (XVII)
Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation vom31.8. 1972 (BGBl.IS. 1617) Begründung zur Strafprozeßordnung bei Hahn (s. dort) Militärregierungsgesetz Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950; Ges. vom 7. 8. 1962 (BGBl. II S. 685, 953), Bek.vom 15. 12. 1953 (BGBl. 1954IIS. 14) Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05 bis 1936) Militärstrafgerichtsordnung i. d. F. vom 29. 9. 1936 (RGBl. I S.755) Muster-Entwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, verabschiedet von der J M K am 10./11. 6. 1976, geändert durch Beschluß der JMK vom 25. 11. 1977 Mecklenburg-Vorpommern Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags vom 19. 6. 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (BGBl. 1961 II S. 1183, 1190), Bek. vom 16. 6. 1963 (BGBl. II S. 745) Niedersachsen Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband I und II, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Neue Justiz (bis 1990 DDR) Neue Juristische Wochenschrift Neue Kriminalpolitik (Zeitschrift) s. Ausn. VO Neues Polizei-Archiv Nordrhein-Westfalen Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ — Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift, ab 1996) Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 11.5. 1976(BGBl. IS. 1181) Oberstes Gericht der D D R Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18. 12. 1986 (BGBl. I S. 2496) Österreichisches Anwaltsblatt Österreichische Juristen-Zeitung Österreichische Oberster Gerichtshof Österreichischer Verfassungsgerichtshof Österreichische Richterzeitung s. DÖV Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen (1949/50) Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht, Loseblattausgabe (bis 1983)
Abkürzungsverzeichnis OLGSt Ν. F OrgKG
OrgStA OVG OWG/DDR
OWiG OWiGÄndG
PaßG PAuswG PlenProt. Polizei PostG PostO PostStruktG
Pr. PräsVerfG
PrGS PrG Prot. ProzeßkostenhG PrPG PrZeugnVerwG PTNeuOG
RA RAG/DDR RAHG RANotz.PrG
Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht, Neue Folge, Loseblattausgabe (ab 1983) Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.7.1992 (BGBl. I S . 1302) Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften Oberverwaltungsgericht Gesetz zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten (der Deutschen Demokratischen Republik) vom 12. 1. 1968 (GBl. I S. 101), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. 6. 1990 (GBl. I S. 526) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. 5. 1968 i. d. F. vom 19.2.1987 (BGBl. I S . 606) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 7. 7. 1986 (BGBl. IS. 977) Paßgesetz vom 19.4. 1986 (BGBl. I S . 537) Gesetz über Personalausweise vom 19. 12. 1950 (BGBl. S. 807) i. d. F. vom 21.4. 1986 (BGBl. I S. 548) Plenarprotokoll, Stenographische Berichte der Sitzungen des Deutschen Bundestages s. Die Polizei Gesetz über das Postwesen i. d. F. vom 3. 7. 1989 (BGBl. I S. 1449) Postordnung vom 16. 5. 1963 (BGBl. I S. 341) Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz — PoststruktG) vom 8.6. 1989 (BGBl. I S . 1026) Preußen Gesetz über die Änderung der Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter und der Präsidialverfassungen der Gerichte vom 26.5. 1972 (BGBl. IS. 841) Preußische Gesetzessammlung (1810—1945) Pressegesetz (Landesrecht) Protokoll Gesetz über die Prozeßkostenhilfe vom 13. 6. 1980 (BGBl. I S. 677) Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie (PrPG) vom 7. 3. 1990 (BGBl. IS. 422) Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25.7. 1975 (BGBl. I S. 1973) Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz — PTNeuOG) vom 14. 9. 1994 (BGBl. I S. 2325) Rechtsanwalt Rechtsanwaltsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 13.9. 1990 (GBl. I S . 1504) s. R H G Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24. 6. 1992(BGBl. I S . 1386) (XVIII)
Abkürzungsverzeichnis RAO RAussch. RBerG RdErl. RdJ RdK Rdn. RDStH RDStO RDV Recht recht Reg. RegBl. RegE RefE RehabG
RG RGBl., RGBl. I, II RGRspr. RGSt RGZ RheinSchA RHG RHGDVO Rh Pf. RiAA
RiG/DDR RiJGG RiStBV
RiVASt.
RKG(E) RMB1. RMilGE ROW (XIX)
Reichsabgabenordnung vom 13. 12. 1919, aufgehoben durch AO vom 16.3. 1976 Rechtsausschuß Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung vom 13.12.1935 (RGBl. I S. 1478) Runderlaß Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift) Das Recht des Kraftfahrers ( 1 9 2 6 - 4 3 , 1949-55) Randnummer Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs (1939—41) Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 1937 (RGBl. I S. 71) Recht der Datenverarbeitung Das Recht, begründet von Soergel (1897 bis 1944) Information des Bundesministers der Justiz Regierung Regierungsblatt Regierungsentwurf Referentenentwurf Rehabilitierungsgesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) von 6. 9. 1990 (GBl. I S. 1459), aufgehoben durch StrRehaG Reichsgericht Reichsgesetzblatt, von 1922 bis 1945 Teil I und II Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879 bis 1888) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revidierte Rheinschiffahrtsakte (Mannheimer Akte) i. d. F. vom 11.3. 1969(BGBl. IIS. 597) Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2.5. 1953 (BGBl. IS. 161) Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 23. 12. 1953 (BGBl. IS. 1569) Rheinland-Pfalz Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts — Richtlinien gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 BRAO vom 21. 6. 1973, abgedruckt bei Isele S. 1760 ff Richtergesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 5.7. 1990(GBl. IS.637) Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz i. d. F. vom 20. 5. 1980, bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/Hermann 2 e Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vom 1. 12. 1970 (BAnz. Nr. 17/1971), i. d. F. vom 1.9. 1977 mit spät. Änderungen, bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/ Hermann 2 Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 15. 1. 1959, i. d. F. vom 1. 10. 1978, bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/Hermann 2f Reichskriegsgericht (Entscheidungen des RKG) Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (1923-45) Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts Recht in Ost und West (Zeitschrift)
Abkürzungsverzeichnis RpflAnpG
RpflAnpÄndG Rpfleger RpflEntlG RpflG RpflVereinfG Rspr. RT RTDrucks. RTVerh. RuP RVerf. RVO
S. Sa. SaAnh. SaBremR SächsArch. SächsOLG SchiedsmZ SchiedsstG
Sehl Η SchlHA SchrR SchrRAGStrafR SchrRBRAK SchwBG SchwJZ SchwZStr. SeeAufgG
SeemG SeuffBl. SFHÄndG SFHG
Gesetz zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsgesetz — RpflAnpG) vom 26. 6.1992 (BGBl. IS. 1147) Gesetz zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes — RpflAnpG vom 7.12. 1995 (BGBl. I S. 1590) Der Deutsche Rechtspfleger Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. 1. 1993 (BGBl. IS. 50) Rechtspflegergesetz vom 5.11.1969 (BGBl. I S . 2065) Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17. 12. 1990 (BGBl. I S. 2847) Rechtsprechung Reichstag Drucksachen des Reichstags Verhandlungen des Reichstags Recht und Politik s. WeimVerf. Reichsversicherungsordnung vom 19.7. 1911 i. d. F. vom 15.12. 1924 (RGBl. I S . 779) Satz, Seite Sachsen Sachsen-Anhalt Sammlung des bremischen Rechts (1964) Sächsisches Archiv für Rechtspflege, seit 1924 (bis 1941/42) Archif für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden (1880 bis 1920) Schiedsmannszeitung (1926 bis 1945), seit 1950 Der Schiedsmann Gesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) über die Schiedsstellen in den Gemeinden vom 13. 9. 1990 (GBl. I S. 1527) Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriftenreihe Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer Schweizerisches Bundesgericht Schweizerische Juristenzeitung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt (Seeaufgabengesetz — SeeAufgG) vom 24. 5. 1965 i. d. F. vom 27.9. 1994 (BGBl. I S. 2802) Seemannsgesetz vom 26.7.1957 (BGBl. II 713) Seufferts Blätter für Rechtsan wendung (1836—1913) Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21.8.1995 (BGBl. IS. 1050) Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfe im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) vom 27.7.1992(BGBl. I S . 1398) (XX)
Abkürzungsverzeichnis SGB
SGG SGV.NW SichVG SJZ SkAufG
SortenSchG SprengG SprengstG
StA StAG/DDR
StaatsGH StaatsschStrafsG StÄG StenB StGB StGB/DDR
StGBÄndG 1976
StGBAndG 1989
St PAG 1964 (XXI)
Sozialgesetzbuch S G B I — Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil (1. Buch), vom 11. 12.1975(BGBl. I S . 3 0 1 5 ) , S G B IV — Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (4. Buch) vom 23. 12.1976 (BGBl. I S. 3845), S G B V — Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung (5. Buch) vom 20. 12. 1988 (BGBl. I S . 2482), S G B VI — Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Rentenversicherung (6. Buch) vom 18.12. 1989 (BGBl. I S. 2261), S G B VIII — Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe (8. Buch) vom 26.6. 1990 i. d. F. vom 15.3. 1996 (BGBl. I S. 477), S G B X — Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren (10. Buch) vom 18.8. 1980(BGBl. I S . 1469) Sozialgerichtsgesetz vom 3. 9. 1953 i. d. F. vom 23. 9. 1975 (BGBl. I S . 2 5 3 5 ) Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblatts für das Land Nordrhein-Westfalen (Loseblattsammlung) Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung (SichVG) vom 16.6. 1995 (BGBl. I S. 818) Süddeutsche Juristenzeitung (1946—50), dann Juristenzeitung Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz — SkAufG) vom 20.7. 1995 (BGBl. II S. 554) Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) vom 20. 5. 1968 i.d. F. vom 4.1.1977 (BGBl. I S. 105) Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz — SprengG) vom 13.9.1976 (BGBl. I S . 2737) Gesetz über explosionsgefahrliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) vom 25. 8. 1969 (BGBl. I S. 1358, ber. BGBl. 1970 I S. 224), aufgehoben durch SprengG vom 13.9. 1976 Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft Gesetz über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. 4. 1977 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5 . 7 . 1 9 9 0 (GBl. I S . 635) Staatsgerichtshof Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen vom 8.9. 1969 (BGBl. I S. 1582) s. StRÄndG Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch vom 15. 5. 1871 i. d. F. der Bekanntmachung vom 10.3.1987 (BGBl. I S. 1160) Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. 1. 1968 in der Neufassung vom 14. 12. 1988 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2 9 . 6 . 1 9 9 0 (GBl. I S. 526) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes vom 18. 8. 1976 (BGBl. I S . 2181) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9 . 6 . 1 9 8 9 ( B G B l . I S . 1059) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. 12. 1964 (BGBl. I S . 1067)
Abkürzungsverzeichnis StPAG 1972 StPÄG 1978 StPÄG 1986 StPÄG 1988 StPO StPO/DDR
StraFo. StrafrAbh. StRÄndG
Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 7. 8. 1972 (BGBl. IS. 1361) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 14. 4. 1978 (BGBl. IS. 497) Paßgesetz und Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 19.4.1986(BGBl. IS. 537) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 17. 5. 1988 (BGBl. IS. 606) Strafprozeßordnung vom 1. 2. 1877 i. d. F. vom 7. 4. 1987 (BGBl. IS. 1074) Strafprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. 1. 1968 in der Neufassung vom 19. 12. 1974(GB1.1 1975 S. 61) Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) Strafrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack Strafrechtsänderungsgesetz 1. - vom 30. 8.1951 (BGBl. I S. 739) 2. - vom 6.3. 1953 (BGBl. I S. 42) 3. - vom 4. 8.1953 (BGBl. I S. 735) 4. - vom 11.6. 1957 (BGBl. I S. 597) 5. - vom 24.6. 1960 (BGBl. I S. 477) 6. - vom 30.6. 1960 (BGBl. I S. 478) 7. - vom 1.6. 1964 (BGBl. I S. 337) 8. - vom 25.6.1968 (BGBl. IS. 741) 9. - vom 4. 8. 1969 (BGBl. I S. 1065) 10. - vom 7.4. 1970 (BGBl. I S. 313) 11. - vom 16. 12.1971 (BGBl. IS. 1977) 12. - vom 16. 12. 1971 (BGBl. I S. 1779) 13. - vom 13.6. 1975 (BGBl. I S . 1349) 14. - vom 22.4. 1976 (BGBl. I S. 1056) 15. - vom 18. 5.1976 (BGBl. IS. 1213) 16. - vom 16.7. 1979 (BGBl. I S . 1078) 17. - vom 21. 12. 1979 (BGBl. I S. 2324) 18. — vom 28. 3. 1980 (BGBl. I S. 379) - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 19. - vom 7. 8.1981 (BGBl. IS. 808) 20. - vom 8. 12.1981 (BGBl. I S. 1329) 21. - vom 13.6. 1985 (BGBl. I S . 963) 22. - vom 18.7. 1985 (BGBl. I S . 1510) 23. - vom 13.4. 1986 (BGBl. I S. 1986) 24. - vom 13. 1. 1987 (BGBl. I S. 141) 25. - vom 20. 8.1990 - § 201 StG - (BGBl. I S. 1764) 26. - vom 24.7. 1992 - Menschenhandel - (BGBl. I S . 1255) 27. — vom 23. 7. 1993 — Kinderpornographie — (BGBl. I S. 1346) 28. — vom 13. 1. 1994 — Abgeordnetenbestechung — (BGBl. I S. 84) 29. - vom 31. 5. 1994 - §§ 175,182 StGB - (BGBl. I S. 1168) 30. — vom 23. 6. 1994 — Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen — (BGBl. I S. 1310) 31. — vom 27. 6. 1994 — 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität — (BGBl. I S. 1440) 32. - vom 1.6.1995 - §§ 44,69 b StGB - (BGBl. I S. 747) (XXII)
Abkürzungsverzeichnis 1. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Straßenverkehrssicherungsgesetz) vom 19.12.1952 (BGBl. IS. 832) 2. Zweites - vom 26.11. 1964 (BGBl. IS. 921) Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum 5. StrRG (Strafrechtsreformergänzungsgesetz) vom 28. 8. 1975 (BGBl. I S.2289) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8. 3. 1971 (BGBl. I S. 157) Straffreiheitsgesetz - 1949 vom 31.12. 1949 (BGBl. I S. 37) - 1954vom 17.7. 1954(BGBl. IS.203) - 1968 vom 9.7. 1968 (BGBl. IS. 773) - 1970 vom 20.5. 1970 (BGBl. I S. 509) Gesetz zur Reform des Strafrechts 1. - vom 25.6. 1969 (BGBl. IS. 645) 2. - vom 4.7. 1969 (BGBl. I S. 717) 3. - vom 20. 5. 1970 (BGBl. IS. 505) 4. - vom 23. 11. 1973 (BGBl. I S. 1725) 5. - vom 18.6. 1974 (BGBl. IS. 1297) Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz — StrRehaG) vom 29. 10. 1992 (BGBl. I S. 1814) ständige Rechtsprechung s. StV Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz - StUG) vom 20. 12. 1991 (BGBl. IS. 2272) Staat und Recht (Zeitschrift D D R , 1950 bis 1990) Strafverteidiger (Zeitschrift) s. auch StrVert. Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. 10. 1978 (BGBl. I S. 1645) Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 (StVÄG 1987) vom 27. 1. 1987 (BGBl. IS. 475) Straßenverkehrsgesetz vom 3. 5. 1909 i. d. F. vom 19. 12. 1952 (BGBl. I S. 837) Straßenverkehrsordnung vom 16.11.1970 (BGBl. I S. 1565, ber. 1971, S. 38) Strafvollstreckungsordnung vom 15. 2. 1956 (BAnz. Nr. 42) i. d. F. vom 1. 2. 1980 (BAnz. Nr. 7); bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/Hermann 2 b Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung — Strafvollzugsgesetz — vom 16.3.1976 (BGBl. IS. 581) Strafvollzugsgesetz-Kommissionsentwurf, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zur Zeitschrift „Der Vollzugsdienst") Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. 12. 1974 (BGBl. I S. 3393) Gesetz zur Ergänzung des 1. StVRG vom 20. 12. 1974 (BGBl. I S. 3686) Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 13. 11. 1937 i. d. F. vom 15. 11. 1974 (BGBl. I S. 3193) Subventionsgesetz vom 29.7. 1976 (BGBl. I S . 2034)
Abkürzungsverzeichnis TerrorismusG
Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19. 12. 1986 (BGBl. I S . 2566)
Thür.
Thüringen
TiefseebergbauG
Gesetz zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus vom 16.8.1980 (BGBl. I S . 1457) Tierschutzgesetz vom 24.7.1972 (BGBl. I S. 1277) Telekommunikationsgesetz ( T G K ) vom 25. 7. 1996 (BGBl. I S. 1120)
TierschG TKG TKO
Telekommunikationsordnung vom 16.7.1987 (BGBl. I S. 1761)
UdG
Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
ÜberlG
Gesetz zur Überleitung von Bundesrecht nach Berlin (West) (Sechstes Überleitungsgesetz) vom 2 5 . 9 . 1 9 9 0 (BGBl. 1S. 2106) Übergangsfassung Gesetz zur Abänderung der Untersuchungshaft vom 27. 12. 1926 (RGBl. I S. 529)
ÜF UHaftÄndG 1. UnberG
Erstes Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Erstes S E D Unrechtsbereinigungsgesetz — 1. SED-UnberG) vom 29. 10. 1992 (BGBl. I S . 1814)
2. UnberG
Zweites Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Zweites SED-Unrechtsbereinigungsgesetz) vom 23. 6. 1994 (BGBl. I S. 1311)
UN-FoltKonv.
Übereinkommen (der Vereinten Nationen) gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. 12. 1984 (BGBl. II 1990 S. 246) Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. 11. 1989 (BGBl. II 1992 S. 122) s. I P B P R
UN-KindKonv. UNO-Pakt UrhG UVollzO
UWG
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9.9.1965 (BGBl. I S . 1273) Untersuchungshaftvollzugsordnung vom 12. 2.1953 i. d. F. vom 15.12. 1976, bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/Hermann 2a Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7 . 6 . 1 9 0 9 (RGBl. S. 499)
UZwG
Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. 3. 1961 (BGBl. I S . 165)
VDA
Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, Bd. 1 bis 6 (1908)
VDB
Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil, Bd. 1 bis 9 (1906)
VerbrbekG
Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetz (Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28. 10.1994 (BGBl. I S . 3186)
VerbringungsverbG
Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24.5.1961 (BGBl. I S. 607) (XXIV)
Abkürzungsverzeichnis VereinfVO
VereinhG
VereinsG VerfGH Verh. 1. VerjährungsG 2. VerjährungsG VerkMitt. VerpflichtG VerschG VersR VerwArch. VG vgl. VGH Vhdlgen VO VOB1. VOR VRS VVStVollzG VwGO VwRehaG
VwVfG VwZG WDO WehrbeauftrG WeimVerf. (XXV)
Vereinfachungsverordnung 1. —, VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und Rechtspflege vom 1.9.1939 (RGBl. I S. 1658) 2. —, VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.8. 1942 (RGBl. I S. 508) 3. —, Dritte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29.5. 1943 (RGBl. IS. 342) 4. —, Vierte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13. 12. 1944 (RGBl. IS. 339) Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. 9. 1950 (BGBl. 5. 455) Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) vom 5. 8. 1964 (BGBl. I S. 593) Verfassungsgerichtshof Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten vom 26.3. 1993 (BGBl. I S. 392) Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27.9. 1993 (BGBl. I S. 1657) Verkehrsrechtliche Mitteilungen Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) vom 2.3. 1974 (BGBl. IS. 469) Verschollenheitsgesetz vom 15. 1. 1951 (BGBl. I S . 59) Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht vergleiche Verwaltungsgerichtshof s. Verh. Verordnung; s. auch AusnVO Verordnungsblatt Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Verkehrsrechts-Sammlung Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (bundeseinheitlich) vom 1.7. 1976 Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. 1. 1960 i. d. F. vom 19. 3. 1991 (BGBl. IS.686) Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsges e t z - V w R e h a G ) vom 23.6. 1994 (BGBl. I S. 1311) VerwaltungsVerfahrensgesetz vom 25.5. 1976 (BGBl. I S. 1253) Verwaltungszustellungsgesetz vom 3.7. 1952 (BGBl. I S. 379) Wehrdisziplinarordnung vom 15. 3. 1957 i. d. F. vom 9. 6. 1961 (BGBl. IS.697) Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages i. d. F. vom 16.6. 1982 (BGBl. IS. 673) Weimarer Verfassung, Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8. 1919 (RGBl. S. 1383)
Abkürzungsverzeichnis WeinG
Wiener Übereinkommen
1. WiKG 2. WiKG WiStG
wistra WStG WM WÜD WÜK WVK
wwsuv
WWSUVG
WZG
Gesetz über Wein, Likörwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein (Weingesetz) vom 14. 1. 1971 (BGBl. IS. 893) 1. Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. 4. 1961 (Zustimmungsgesetz vom 6. 8. 1964, BGBl. II S. 957) 2. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. 4. 1963 (Zustimmungsgesetz vom 26. 8. 1969, BGBl. II S. 1585) Erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29.7. 1976(BGBl. IS.2034) Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 15. 5. 1986 (BGBl. I S. 721) Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) vom 9. 7. 1954 i. d. F. vom 3. 6. 1975(BGBl. I S . 1313) Zeitschrift für Wirtschaft, Steuern, Strafrecht Wehrstrafgesetz vom 30.3. 1957 i. d. F. vom 24. 5. 1974 (BGBl. I S.1213) Wertpapiermitteilungen s. 1. Wiener Übereinkommen s. 2. Wiener Übereinkommen Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. 5. 1969 (BGBl. II 1985 S. 926) Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. 5. 1990 (BGBl. IIS. 537) Gesetz zu dem Vertrag vom 18. 5. 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion . . . vom 25. 6. 1990 (BGBl. IIS.518) Warenzeichengesetz vom 5. 5. 1936 i. d. F. vom 2. 1. 1968 (BGBl. IS. 29)
YB
Yearbook of the European Convention of the Human Rights, the European Commission and the European Court of Human Rights/Annuaire de la Convention Europeenne des Droits de l'Homme; Commission et Cour Europeenne des Droits de l'Homme, hrsg. vom Europarat
ZAkDR ZaöRV
Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934—44) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für Strafvollzug Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zollkriminalinstitut Zollgesetz vom 14. 6. 1961 i. d. F. vom 18. 5. 1970 (BGBl. I S. 529) Zusatzprotokoll Zusatzprotokoll zur Menschenrechtskonvention 1. ZP-MRK vom 20.3.1952 (BGBl. II 1956 S. 1880) 2. ZP-MRK vom 6.5.1963 (BGBl. II 1968 S. 1112) 3. ZP-MRK vom 6. 5.1963 (BGBl. II 1968 S. 1116) 4. ZP-MRK vom 16.9.1963 (BGBl. II 1968 S. 423) 5. ZP-MRK vom 20. 1. 1966 (BGBl. II 1968 S. 1120)
ZBIJugR ZfStrVo. ZfZ ZKA ZollG ZP ZP-MRK
(XXVI)
Abkürzungsverzeichnis
ZPO ZRP ZStW ZusatzAbk. Zusatzvereinb.
ZuSEntschG zust. ZustErgG
ZustG ZustVO
ZVG
ZWehrR ZZP
(XXVII)
6. ZP-MRK vom 28.4.1983 (BGBl. II 1988 S. 662) 7. ZP-MRK vom 22. 11.1984, deutsche Übersetzung Simma/ Fastenrath Nr. 32 b 8. ZP-MRK vom 19.3.1985 (BGBl. II 1989 S. 547) 9. ZP-MRK vom 6. 11.1990 (BGBl. II 1994 S. 490) 10. ZP-MRK vom 25.3. 1992 (BGBl. II 1994 S. 490) 11. ZP-MRK vom 11.5. 1994 (BGBl. II 1995 S. 578) Zivilprozeßordnung vom 30. 1. 1877 i. d. F. vom 12. 9. 1950 (BGBl. I S. 533) Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut vom 3. 8. 1959 (BGBl. II 1961, S. 1183, 1218) Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31. 8. 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 18.9. 1990 (BGBl. II S. 1239) Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen vom 26.7.1957 i. d. F. vom 1. 10. 1969 (BGBl. I S. 1757) zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) vom 7. 8. 1952 (BGBl. I S. 407) Gesetz über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderung der Gerichtseinteilung vom 6. 12.1933 (RGBl. I S . 1037) Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2. 1940 (RGBl. I S. 405) Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) vom 24. 3. 1897 i. d. F. vom 20.5. 1898 (RGBl. S. 369,713) Zeitschrift für Wehrrecht (1936/37—44) Zeitschrift für Zivilprozeß
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis (Stand: Februar 1997) AK
AK-GG AK-StGB AK-StVollzG Albrecht Alsberg/Nüse/Meyer Aschrott
Baumann Baumann/Weber/Mitsch Baumbach/Lauterbach Beling Bender/Nack Beulke Birkmeyer Bohnert Bonn.Komm. Boos Brandstetter Bringewat Brunner/Dölling Bruns/Schröder/Tappert Burchardi/Klempahn
Calliess/Müller-Dietz Cramer
Dahs, Hdb. Dahs/Dahs (XXIX)
Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, Bd. I (§§ 1 bis 93, 1988), Bd. II 1 (§§ 94 bis 212 b, 1992), Bd. II 2 (§§ 213 bis 275, 1993), Bd. III (§§ 276 bis 477, 1996) Alternativkommentar zum Grundgesetz Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. I (§§ 1 bis 21, 1990), Bd. III (§§ 80 bis 145 d, 1986) Alternativkommentar zum Strafvollzugsgesetz, 3. Aufl. (1990) Albrecht, Jugendstrafrecht, 2. Aufl. (1993) Ahlsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. (1983) Aschrott (Hrsg.), Reform des Strafprozesses, kritische Besprechung der von der Kommission für die Reform des Strafprozesses gemachten Vorschläge (1906) Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Strafprozeßrechts, 3. Aufl. (1979) Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 10. Aufl. (1996) Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, Kurzkommentar, 55. Aufl. (1997) Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht(1928) Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 2 Bd., 2. Aufl. (1995) Beulke, Strafprozeßrecht 2. Aufl. (1996) Birkmeyer, Deutsches Strafprozeßrecht (1898) Bohnert, Beschränkungen der strafprozessualen Revision durch Zwischenverfahren (1983) Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Loseblattausgabe (ab 1950) Boos, Straßenverkehrsordnung, Kommentar, 3. Aufl. (1980) Brandstetter, Straffreiheitsgesetz, Kommentar (1956) Bringewat, Strafvollstreckung, Kommentar zu den §§ 449 bis 463 d S t P O (1993) Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Aufl. (1996) Bruns/Schröder/Tappert, Strafverfahrensrechtliches Rehabilitierungsgesetz, Kommentar (1993) Burchardi/Klempahn/Wetterich, Der Staatsanwalt und sein Arbeitsgebiet, 5. Aufl. (1982) Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 6. Aufl. (1994) Cramer, Straßenverkehrsrecht StVO-StGB, 2. Aufl. (1977)
Kommentar, Kommentar,
Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 5. Aufl. (1983) Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozeß, 5. Aufl. (1993)
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Dalcke Dallinger/Lackner Dallmayer/Eickmann Diemer/Schoreit/Sonnen Drees/Kuckuk/Werny Dreher/Tröndle
Eb. Schmidt
Eb. Schmidt, Geschichte Eb. Schmidt, Kolleg Eisenberg Eisenberg, Beweismittel Eisenberg, Beweisrecht Eisenberg, Krim. Erbs/Kohlhaas
Feisenberger Feuerich/Braun Fezer Franzen/Gast/Joecks Frowein/Peukert FS FS FS FS FS
Baumann Blau Bockelmann Bruns Doehring
FS FS FS FS
Dreher Dünnebier Engisch Ermacora
FS Faller
Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, Kommentar, 37. Aufl. (1961) Dallinger/Lackner, Jugendgerichtsgesetz und ergänzende Vorschriften, Kommentar, 2. Aufl. (1965) Dallmayer/Eickmann, Rechtspflegergesetz, Kommentar (1996) Diemer/Schoreit/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. (1995) Drees/Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht, 7. Aufl., 1992 Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 47. Aufl. (1996) Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I: Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1964), Teil II: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz (1957), Teil III: Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Einführungsgesetz (1960), Nachtrag I: Nachträge und Ergänzungen zu Teil II (1967), Nachtrag II: Nachtragsband II (1970) Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. (1965) Eberhard Schmidt, Deutsches Strafprozeßrecht, ein Kolleg (1967) Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 6. Aufl. (1995) Eisenberg, Persönliche Beweismittel in der StPO (1993) Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 2. Aufl. des Buches „Persönliche Beweismittel" (1996) Eisenberg, Kriminologie, 4. Aufl. (1995) Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Kurzkommentar, Loseblattausgabe Feisenberger, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz (1926) Feuerich, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, 3. Aufl. (1995) Fezer, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. (1995) Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht mit Steuerordnungswidrigkeiten und Verfahrensrecht, 4. Aufl. (1996) Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar(1985) Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag (1979) Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag (1978) Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring; Beiträge zum ausländischen Recht und Völkerrecht Bd. 98 (1989) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Hanns Dünnebier zum 75. Geburtstag (1982) Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte, Festschrift für Felix Ermacora zum 65. Geburtstag (1988) Festschrift für Hans Joachim Faller (1984) (XXX)
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis FS Friebertshäuser FS Gallas FS Geerds FS Geiger
FS Grützner FS Heinitz FS Helmrich FS Henkel FS Heusinger FS Hirsch FS Hubmann
FS Jahrreiß FS II Jahrreiß FS Jescheck FS JurGes. Berlin FS Arthur Kaufmann FS Kern FS Kleinknecht FS Klug FS Koch FS Lackner FS Lange FS Leferenz FS Maihofer FS Maurach FS Mayer FS FS FS FS
Mezger Middendorf Miyazawa Μ osler
FS Odersky FS Oehler FS Partsch FS Peters (XXXI)
Festgabe für den Strafverteidiger Dr. Heino Friebertshäuser (1997) Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag (1973) Kriminalistik und Strafrecht, Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag (1995) Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmende Ordnung; Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag (1989) Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag (1970) Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag (1972) Für Staat und Recht, Festschrift für Herbert Helmrich zum 60. Geburtstag (1994) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag (1974) Ehrengabe für Bruno Heusinger (1968) Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch (1968) Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung; Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 70. Geburtstag am 19. 8. 1964(1964) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 80. Geburtstag am 19. 8. 1974(1974) Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1984) Strafgerechtigkeit, Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993) Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968) Strafverfahren im Rechtsstaat, Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag (1985) Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag (1983) Strafverteidigung und Strafprozeß, Festgabe für Ludwig Koch (1989) Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag (1987) Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976) Kriminologie — Psychiatrie — Strafrecht, Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag (1983) . Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag (1988) Festschrift für Reinhard Maurach zum 70. Geburtstag (1972) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag (1954) Festschrift für Wolf Middendorf zum 70. Geburtstag (1986) Festschrift für Koichi Miyazawa (1995) Völkerrecht als Rechtsordnung, Internationale Gerichtsbarkeit, Menschenrechte; Festschrift für Hermann Mosler zum 70. Geburtstag (1983) Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung, Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag (1989) Einheit und Vielfalt des Strafrechts, Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag (1974)
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis FS II Peters FS Pfeiffer
FS Pfenniger FS Platzgummer FS Rebmann FS Reichsgericht FS Reichsjustizamt FS Remmers FS Rittler FS Rosenfeld FS Saiger
FS FS FS FS FS
Sarstedt Sauer Schäfer Schmidt Schlochauer
FS Schmidt-Leichner FS Schüler-Springorum FS Schultz FS Seidl-Hohenveldern FS Sendler FS Spendel FS Stock FS Stree/Wessels FS Triffterer FS Tröndle FS Verdross FS II Verdross FS Verosta FS Wassermann
Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren, Festgabe für Karl Peters zum 80. Geburtstag (1984) Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht, Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus den Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes (1983) Strafprozeß und Rechtsstaat, Festschrift zum 70. Geburtstag von H. F. Pfenniger (1976) Festschrift für Winfried Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 5, Strafrecht und Strafprozeß (1929) Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, Festschrift zum 100jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1. 1. 1877(1977) Vertrauen in den Rechtsstaat, Beiträge zur deutschen Einheit im Recht, Festschrift für Walter Remmers (1995) Festschrift für Theodor Rittler zu seinem achtzigsten Geburtstag (1957) Festschrift für Ernst Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag (1949) Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht und Medizin, Festschrift für Hannskarl Saiger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes (1995) Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag (1981) Festschrift für Wilhelm Sauer zu seinem 70. Geburtstag (1949) Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag (1980) Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) Staatsrecht-Völkerrecht-Europarecht, Festschrift für Hans Jürgen Schlochauer (1981) Festschrift für Erich Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag (1975) Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag (1993) Lebendiges Strafrecht. Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz (1977) Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht; Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern zum 70. Geburtstag (1988) Bürger-Richter-Staat, Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt (1991) Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag (1992) Studien zur Strafrechtswissenschaft, Festgabe für Ulrich Stock zum 70. Geburtstag (1966) Beiträge zur Rechtswissenschaft, Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag (1993) Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989) Völkerrecht und zeitliches Weltbild, Festschrift für Alfred Verdross zum 70. Geburtstag (1960) Ius humanitas, Festschrift für Alfred Verdross zum 90. Geburtstag (1980) Völkerrecht und Rechtsphilosophie, Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag (1980) Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag (1985) (XXXII)
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis FS v. Weber FS Welzel FS Würtenberger FS Zeidler Full/Möhl/Rüth GedS Geck GedS A. Kaufmann GedS H. Kaufmann GedS Küchenhoff GedS GedS GedS GedS
Meyer Noll H. Peters Schröder
Geerds Geiger Gerland Gerold/Schmidt Glaser Göhler Götz Gössel Goldschmidt Grabitz/Hilf Graf zu Dohna Grunau/Tiesler Grützner/Pötz G. Schäfer Guradze Gürtner
Hahn Haller/Conzen Hanack-Symp.
Hansens Hartmann Henkel (XXXIII)
Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag (1963) Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (1974) Kultur, Kriminalität, Strafrecht, Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Wolfgang Zeidler (1987) s. Roth, Berr, Berz Verfassungsrecht und Völkerrecht, Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck (1989) Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) Recht und Rechtsbesinnung, Gedächtnisschrift für Günter Küchenhoff (1987) Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer (1990) Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) Gedächtnisschrift für Hans Peters (1967) Gedächtnisschrift für Horst Schröder. Zu seinem 5. Todestage (1978) Handbuch der Kriminalistik, begr. von H. Groß, neubearbeitet von Geerds, 10. Aufl. (Bd. 1 1977, Bd. II 1978) Geiger, EG-Vertrag, Kommentar zu dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl. (1995) Gerland, Der Deutsche Strafprozeß (1927) Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, Kommentar, 12. Aufl. (1995) Glaser, Handbuch des Strafprozesses, in Binding, Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft (Bd. I 1883, Bd. II 1885) Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kurzkommentar, 11. Aufl. (1995) Götz, Das Bundeszentralregister, Kommentar, 3. Aufl. (1985) Gössel, Strafverfahrensrecht, Studienbuch (1977) Der Prozeß als Rechtslage (1925) Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, 2. Aufl. (1995) Graf zu Dohna, Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (1929) Grunau/Tiesler, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. (1982) Grützner/Pötz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2. Aufl. (1980 ff.) s. Schäfer Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention (1966) Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafverfahren, Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission (1938) Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung und dem Einführungsgesetz, Bd. I (1880), Bd. II (1881) Haller/Conzen, Das Strafverfahren (1995) Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege, Beiträge eines Symposions anläßlich des 60. Geburtstags von Ernst Walter Hanack (1991) Hansens, BRAGO, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 8. Aufl. (1995) Hartmann, Kostengesetze, 27. Aufl. (1997) Henkel, Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 2. Aufl. (1968)
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Henssler/Prütting Himmelreich/Hentschel von Hippel HK von Holtzendorff
IntKommEMRK
Isele Jagusch/Hentschel Jarass/Pieroth Jescheck/Weigend Jessnitzer/Frieling John Jung/Müller-Dietz
Kaiser/Kerner/Schöch Kalsbach Kammeier Katholnigg Kern/Wolf Kern/Roxin Kerner Kissel Klein/Orlopp Kleinknecht/Meyer-Goßner KK KK-OWiG KMR Koch/Scholtz Körner Kohlrausch Kramer Krause/Nehring
Henssler/Prütting (Hrsg.), Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar (1997) Himmelreich/Hentschel, Fahrverbot — Führerscheinentzug, 8. Aufl. (1995) von Hippel, Der deutsche Strafprozeß, Lehrbuch (1941) Heidelberger Kommentar zur Strafprozeßordnung, bearb. von Lemke, Julius, Krekl, Kurth, Rautenberg, Temming (1997) von Holtzendorff, Handbuch des deutschen Strafprozesses (1879) Golsong/Karl/Miehsler/Petzold/Rogge/Vogler, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention (Loseblattausgabe) Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar (1976) Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Kurzkommentar, 34. Aufl. (1997) Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschl a n d ^ . Aufl. (1995) Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996) Jessnitzer, Der gerichtliche Sachverständige, Handbuch für die Praxis, 10. Aufl. (1992) John, Strafprozeßordnung, Kommentar, Bd. I (1884), Bd. II (1888), Bd. III Lfg. 1 (1889) Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, Beiträge anläßlich des Colloquiums zum 65. Geburtstag von Gerhard Kielwein (1989) Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, Lehrbuch, 3. Aufl. (1982) Kalsbach, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar (1960) Kammeier (Hrsg.), Kommentar zum Maßregelvollzugsrecht (1995) Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 2. Aufl. (1995) s. Wolf s. Roxin Kerner, Kriminologie, Lehrbuch, 2. Aufl. (1988) Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. (1994) Klein/Orlopp, Abgabenordnung, Kommentar, 5. Aufl. (1995) Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung mit GVG und Nebengesetzen, Kurzkommentar, 42. Aufl. (1995) Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, hrsg. v. Pfeiffer, 3. Aufl. (1993) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, hrsg. von Boujong (1989) Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, bearb. von Fezer und Paulus, 8. Aufl. (1990 ff, Loseblattausgabe) Koch/Scholtz, Abgabenordnung, Kommentar, 4. Aufl. (1993) Körner, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 4. Aufl. (1994) Kohlrausch, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 24. Aufl. (1936) Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1994) Krause/Nehring, Strafverfahrensrecht in der Polizeipraxis (1978) (XXXIV)
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Krey von Kries Kroschel/Meyer-Goßner Krumme/Sanders/Mayr Kühn/Kutter/Hofmann
Krey, Strafverfahrensrecht, Bd. I (1987), Bd. II (1990) von Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts (1892) Die Urteile in Strafsachen, 26. Aufl., bearb. von Meyer-Goßner (1994) Krumme/Sanders/Mayr, Straßenverkehrsrecht, Loseblattausgabe (1970 ff) Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl. (1990) Kühne, Strafprozeßlehre, Einführung, 4. Aufl. (1993)
Kühne Kunz/Zellner, Opferentschädigungsgesetz, 3. Aufl. (1995) Kunz/Zellner Lackner/Kühl von Lilienthal Lingenberg/Hummel Lisken/Denninger LK
Löffler Löffler/Ricker
Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, Kommentar, 21. Aufl. (1995) von Lilienthal, Strafprozeßrecht, Lehrbuch (1923) Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts, 2. Aufl. (1988) Lisken/Denniger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts (1992) Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, begründet von Ebermayer, Lobe und Rosenberg, 11. Aufl., herausgegeben von Jähnke, Laufhütte und Odersky (1992 ff) Löffler, Presserecht, 2. Aufl., Bd. I Allgemeines Presserecht (1969), Bd. II Landespressegesetze, 2. Aufl. (1983) Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 3. Aufl. (1994)
von Mangoldt/Klein
von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. I (1957), Bd. II (1964), Bd. III (1974), 3. Aufl. (1985 ff) Maunz/Dürig Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl., Loseblattausgabe (1970 ff) Maurach/Zipf Maurach/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 1, 8. Aufl. (1992) Maurach/Gössel/Zipf Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 2, 7. Aufl. (1989) Maurach/Schroeder/Maiwald Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 1,8. Aufl. (1995), Teilbd. 2,7. Aufl. (1991) Meyer/Höver/Bach Meyer/Höver/Bach, Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen, Kommentar, 19. Aufl. (1995) Meyer-Ladewig/Uhink Meyer-Ladewig/Uhink, Völkerrechtliche Übereinkommen und andere Dokumente des Europarats und der Vereinten Nationen in deutscher Übersetzung (1988) Mitsch Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, Lehrbuch (1995) Müller/Sax s. KMR Mühlhaus/Janiszewski Straßenverkehrsordnung, Kommentar, 14. Aufl. (1995) Müller-Dietz Müller-Dietz, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl. (1978) von Münch/Kunig von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. I, 4. Aufl. (1992), Bd. II, 3. Aufl. (1995), Bd. III, 2. Aufl. (1983) MünchKomm Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, hrsg. von Lüke und Walchshofer, Bd. I bis III (1992) MünchKomm-BGB Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Rebmann und Säcker, 3. Aufl. (1992 ff) Niese Nipperdey/Scheuner Nowak
Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen (1950) Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, 4 Bände (1954 ff) Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, CCPR-Kommentar (1989)
Ostendorf
Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (1994)
(XXXV)
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Palandt Peters Pfeiffer/Fischer Piller/Hermann Pohlmann/Jabel/Wolf Potrykus Protokolle
Quellen
Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kurzkommentar, 56. Aufl. (1997) Peters, Strafprozeß, Lehrbuch, 4. Aufl. (1985) Pfeiffer/Fischer, Strafprozeßordnung, Kommentar (1995) Piller/Hermann, Justizverwaltungsvorschriften, Loseblattsammlung Pohlmann/Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, Kommentar, 7. Aufl. (1996) Potrykus, Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz, 4. Aufl. (1955) Protokolle der Kommission für die Reform des Strafprozesses (1905) Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, hrsg. von Schubert, Regge, Rieß und Schmid, I. Abt. — Weimarer Republik, II. Abt. NS-Zeit - Strafgesetzbuch, III. Abt. NS-Zeit Strafverfahrensrecht (1988 ff)
Ranft
Ranft, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. (1995) R e b m a n n / R o t h / H e r m a n n , Gesetz über OrdnungswidrigkeiRebmann/Roth/Hermann ten, Loseblattkommentar (ab 1968) Rebmann/Uhlig, Bundeszentralregistergesetz, Kommentar Rebmann/Uhlig (1985) Riedel/Sußbauer, Bundesgebührenordnung für RechtsanwälRiedel/Sußbauer te, 7. Aufl. (1995) Rosenberg/Schwab/Gottwald, Lehrbuch des ZivilprozeßRosenberg/Schwab/Gottwald rechts, 15. Aufl. (1993) Rosenfeld Rosenfeld, Deutsches Strafprozeßrecht (1926) Rotberg Rotberg, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kommentar, 5. Aufl., bearbeitet von Kleinwefers, Boujong und Wilts (1975) Roxin Roxin, Strafverfahrensrecht, 24. Aufl. (1995) Roxin, StrafR Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1,2. Aufl. (1994) Roxin-Symp. Bausteine des Europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium für Claus Roxin (1995) Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, Symposiuni Rudolphi-Symp. zu Ehren von Hans-Joachim Rudolphi zum 60. Geburtstag (1995) Rüping, Das Strafverfahren, 2. Aufl. (1983) Rüping Rüth/Berr/Berz, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. (1988) Rüth/Berr/Berz Sachs Sarstedt/Hamm Sauer Schäfer Schaffstein/Beulke Schätzler Schilken Schlüchter Schmidt Schmidt-Bleibtreu/Klein Schmidt-Räntsch Schneider Schölz/Lingens
Sachs, Grundgesetz, Kommentar(1996) Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 5. Aufl. (1983) Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre (1951) Schäfer, Gerhard, Die Praxis des Strafverfahrens, 5. Aufl. (1992) Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, Studienbuch, 12. Aufl. (1995) Schätzler, Gesetz über die Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen, 2. Aufl. (1982) Gerichtsverfassungsrecht, Lehrbuch, 2. Aufl. (1994) Schlüchter, Das Strafverfahren, Lehrbuch, 2. Aufl. (1983) s. Eb. Schmidt Kommentar zum Grundgesetz, 8. Aufl. (1995) Deutsches Richtergesetz, Kommentar, 5. Aufl. (1995) Schneider, Kriminologie, Lehrbuch (1987) Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, 3. Aufl. (1988) (XXXVI)
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 25. Aufl. (1996) Schorn/Stanicki Schorn/Stanicki, Die Präsidialverfassung der Gerichte aller Rechtswege, 2. Aufl. (1975) Schroeder, Strafprozeßrecht (1993) Schroeder Schulz/Berke-Müller/Händel Schulz/Berke-Müller/Händel, Strafprozeßordnung, 7. Aufl. (1983) Schwind/Böhm Schwind/Böhm, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. (1983) Schwinge Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 2. Aufl. (1960) Simma/Fastenrath, Menschenrechte. Ihr Internationaler Simma/Fastenrath Schutz, Textsammlung (1985) SK Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, bearb. von Rudolphi, Frisch, Paeffgen, Rogall, Schlüchter und Wolter, Loseblattausgabe (ab 1987) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, bearb. von SK-StGB Horn, Rudolphi, Samson, Bd. 1, Allgemeiner Teil, Bd. 2, Besonderer Teil, Loseblattausgabe (ab 1975) Stein/Jonas, Zivilprozeßordnung, bearbeitet von Grunsky, Stein/Jonas Leipold, Münzberg, Schlosser, Schumann; 21. Aufl. (1993 ff.) Schönke/Schröder
Thomas/Putzo
Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 20. Aufl. (1997)
Uhlig/Schomburg/Lagodny
Uhlig/Schomburg/Lagodny, Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Kommentar, 2. Aufl. (1992) mit Nachtr. (1995) Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar (1992)
Umbach/Clemens
Verdross/Simma Vogler/Walter/Wilkitzki Volk
Welzel Wetterich/Hamann Wieczorek/Schütze Wolf
Zipf Zöller (XXXVII)
Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984) Vogler/Walter/Wilkitzki, Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Kommentar (1983) Volk, Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht (1978)
Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969) Wetterich/Hamann, Strafvollstreckung, Hdb. der Rechtspraxis, Bd. 9, 5. Aufl. (1994) Wieczorek/Schütze, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 3. Aufl. (1995 ff.) Wolf, Gerichtsverfassungsrecht aller Verfahrenszweige, 6. Aufl. (1987)
Zipf, Kriminalpolitik, 2. Aufl. (1980) Zöller, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 20. Aufl. (1996)
EINLEITUNG
Gesamtübersicht Λ. Vorbemerkungen und Hinweise
Rdn. Al
B. Wesen, Funktion und Aufgabe des Strafverfahrens im allgemeinen I. Ziel, Zweck, Begriff und Funktionen des Strafverfahrens Β1 II. Das Strafverfahren im Rechtssystem Β 14 III. Zur Internationalisierung und Europäisierung des Strafverfahrens . . . . Β 33 IV. Verfahrensrecht und Verfahrenswirklichkeit Β 39 C. Die Quellen des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts und ihr Verhältnis zueinander I. Allgemeines C1 II. Verfassungsrecht, Völkerrecht und supranationales Recht C6 III. Rechtsquellen des einfachen Bundesrechts C 10 IV. Landesrecht C 14 V. Justizverwaltungsvorschriften . . . . C 15 D. Der persönliche, zeitliche und örtliche Geltungsbereich des deutschen Strafverfahrensrechts I. Allgemeines Dl II. Persönlicher Geltungsbereich . . . . D4 III. Räumlicher Geltungsbereich . . . . D 10 IV. Zeitlicher Geltungsbereich D 18 E. Die Entstehung und die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts und die Reformüberlegungen I. Die Entwicklung im Überblick . . . El II. Die Entstehung der Reichsstrafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes Ε5 III. Die Entwicklung im Deutschen Reich bis 1918 Ε 15 IV. Die Entwicklung in der Weimarer Zeit Ε 25 V. Die Zeit des Nationalsozialismus . . Ε 46 VI. Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtseinheit im westlichen Teil Deutschlands . . . . Ε 74 VII. Die Entwicklung in der Bundesrepublik seit 1950 Ε 88 VIII. Die Entwicklung des Strafverfahrensrechts in der DDR und die Rechtsangleichung Ε 157
Rdn. IX. Die Zukunft des Strafprozesses. Zur Frage einer Gesamtreform Ε 182 F. Zur Struktur des Strafverfahrens I. Aufbau und Ablauf des Verfahrens . II: Prozeßmodell III. Besondere Verfahrensformen . . . . G. Die Grundlagen des Strafverfahrens I. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen und ihre Auswirkungen auf das Verfahren II. Staatliche Justizgewährungspflicht und Justizförmigkeit III. Die Erforschung der materiellen Wahrheit
F1 F8 F 12
Gl G 16 G 42
H. Die sogenannten Prozeßmaximen oder Prozeßgrundsätze I. Begriff und Bedeutung der Maximen Η1 II. Klassische Prozeßmaximen Η 10 III. Verfassungsrechtliche Prozeßmaximen Η 67 I. Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander I. Verfahrensbeteiligte und Prozeßsubjekte II II. Der Bereich der richterlichen Tätigkeit 17 III. Der Bereich der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit 140 IV. Beschuldigter und Verteidiger . . . I 65 V. Der Verletzte 1111 VI. Zeugen und Sachverständige . . . . 1125 J. Verfahrensrechtliche Grundbegriffe I. Allgemeines J1 II. Prozeßhandlungen J5 III. Prozeßvoraussetzungen J 43 IV. Prozessuale Tat und Prozeßgegenstand J 57 V. Rechtskraft und Bestandskraft . . . J 73 VI. Zur Problematik nichtiger Entscheidungen, insbesondere nichtiger Urteile J 116 K. Die Beweisverbote I. Beweis und Beweisverbot II. Beweisverbote in der Rechtsprechung
Peter Rieß
Kl Κ 17
Einl.
Einleitung
Rdn. III. Ergebnis der Übersicht über die Rechtsprechung zu den Beweisverboten Κ 104 IV. Die im Schrifttum entwickelten Beweisverbotslehren Κ 113 V. Eigene Auffassung Κ 140
Rdn. II. Die Besonderheiten des Strafverfahrensrechts L 2 III. Folgerungen für die Rechtsanwendung im Strafprozeßrecht. Das Prinzip: Gleichordnung mit dem materiellen Strafrecht L 34 IV. Zusammenfassung und Ausblick: ein erweiterter Methodenbegriff . . L 75
L. Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren I. Vorbemerkung: Abhängigkeit der Methode der Rechtsanwendung von Struktur und Inhalt der Rechtsnorm
L1
Detailliertere Übersichten befinden sich vor den einzelnen Hauptabschnitten.
Alphabetische Absprachen (s. auch Vereinbarungen) Aburteilungsmonopol des Richters Abwägungserfordernis Abwägungslehre und Beweisverbote Adhäsionsverfahren
Akkusationsprinzip (s. auch Anklagegrundsatz) Amtsaufklärungsgrundsatz Analogie, Analogieverbot Anfangsverdacht
Angeklagter s. Beschuldigter Anklagegrundsatz Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft Annahmeberufung Aufzeichnungspflichten und Selbstbelastungsfreiheit Ausländische Verurteilungen, Sperrwirkung Auslegung, systematische und teleologische Auslegungskriterien Aussagefreiheit Ausschluß und Ablehnung des Richters Außerordentlicher Einspruch Beginn des Strafverfahrens Berufsgerichtliche Verfahren Besatzungsgerichte Besatzungsrecht
Rdn. G 58 ff 17 G 8, Η 58 Κ 25 ff Β 27, Ε 73, 123, F 14, I 114, 120 Η 10 ff G 46, Η 32 ff Β 24, L 41 ff F 4 , Η 14, 25, 63, J 68, L 23, 73 Η 10 Η 17 f Ε 145,J 19
Übersicht Beschleunigtes Verfahren
Beschleunigungsgrundsatz Beschuldigtenbelehrung, fehlerhafte und Beweisverbote Beschuldigter Beschuldigter als Beweismittel Beschuldigter, Begriff Beschuldigter, Einwirkungs- und Beteiligungsrechte Beschuldigter, Pflichten Beschuldigter, Schutzvorschriften Beschuldigter, Stellung Besetzungsrüge, Präklusion Besondere Senate der Bezirksgerichte Besondere Verfahrensformen Bestandskraft (s. auch Rechtskraft) Beweis, Begriff Beweisantragsrecht, Beweiserhebungsanspruch
I 96 f J 107 ff L 35 f L 34 ff I 88 ff I 16, 20 Ε 68, Ε 70 F 4 , Η 14 Β 28, J 101 f Ε 77, J 112 Ε 77 ff, 162, J 112
Beweisaufnahme im Ausland und für ausländische Behörden Beweiserhebung, rechtliche Grenzen Beweiserhebungsverbote, Einteilung Beweismethodenverbote und Beweismittelverbote Beweisrecht Beweisthemenverbote Beweisverbote in der Rechtsprechung Beweisverbote, Begriff, Einteilung
Stand: 1. 8. 1998
Rdn. Ε 43, 45, 59,70, 86, 149,F 13 G 29 ff Κ 43 ff 163 ff G 55,1 85, Κ 8 172 I 78 f I 82 f I 80 f 174 ff Ε 121 Ε 180 F 12 ff J 73, 113 ff G 51, Κ 1 ff Ε 41, 61, 70, Η 37, 178 D G Κ Κ
11, 17 50, 11 ff 118 ff
Κ 125 ff G 47 Κ 119 ff Κ 17 ff Κ 2 ff, 10 ff, 118 ff
(2)
Alphabetische Übersicht Beweisverbote, Femwirkung Beweisverbote, verfassungsrechtliche Beweisverbotslehren Beweisverwertungsverbote Bewirkungshandlungen Bezirksgericht, DDR Bundeskriminalamtsgesetz Bundeszentralregister, Strafregister Chancengleichheit Datenschutz DDR, Entwicklung des Strafverfahrensrechts DDR, Gerichtsaufbau DDR, Rechtsmittelsystem DDR, rechtsstaatliche Reorganisation DDR, Staatsanwaltschaft Dispositionsmaxime Disziplinarrecht DNA-Analyse Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen Dreistufentheorie bei Beweisverboten EGStGB 1974 Eingriffsermächtigungen Emminger-Reform Entstehung von StPO und GVG Entwicklung seit 1877, Überblick Entwurf 1908/1909 Entwurf 1919 Entwurf 1939 Entwurf EGStGB 1930 Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen Entwurf Radbruch und Heinze zur Neuordnung der Strafgerichte Ergänzungsklage Erkenntnisverfahren und Vollstrekkungsverfahren Ermittlungsverfahren
Eröffnungsbeschluß Ersatzrevision Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts und Ergänzungsgesetz Erweitertes Schöffengericht Erwirkungshandlungen Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäisierung des Strafverfahrens Europol-Übereinkommen Exterritorialität Faires Verfahren, Faimessprinzip
(3)
Rdn. Κ 92 ff Κ 60 ff Κ 113 ff Κ 7, 106 ff J 13 Ε 168 C 12 C 12, Ε 17, 105 Η 119 Β 12, Ε 152 Ε Ε Ε Ε Ε G Β
157 ff 168 f 175 178 171 ff 46, Η 32 13,
J 101 f Ε 152 J 15 Κ 72 ff Ε 111 B11,G8 Ε 36 ff Ε 5 ff Ε 2 ff Ε 19 ff Ε 30 ff Ε 64 ff Ε 41
Ε 33 J 99
J 103 ff G 53 G 53, J 52 Η 41 ff Ε 67 G 10 ff Η 120 ff D 4 ff D 10 ff
Geltungsbereich, zeitlicher Gerichtshilfe
D 18 ff I 37, 63
Gesamtreform des Strafverfahrens
Ε 19 ff, 62 ff, 91 Ε 107 Ε 187 ff Ε 170 I 13 ff
Gesamtreform durch Teilgesetze Gesamtreform, aktuelle Möglichkeit Gesellschaftliche Gerichte in der DDR Gesetzlicher Richter Gesetzlichkeitsaufsicht, der Staatsanwaltschaft in der DDR Geständnis Geständnis als Bestandteil der Urteilsabsprache Glaubhaftmachung Grundbegriffe, prozessuale, Bedeutung Grundgesetz als Rechtsquelle
Informationelle Selbstbestimmung
F 2 Ε 198, F 3, Η 13 f, 42 1 10. J 68 Ε 23, 72, 86, 98, J 48 Ε 38 Ε 112 ff Ε 37, 93 J 13 Β 37, J 106, 123 Β 36 f C 9 D 7, J 131 Η 99 ff
Rdn. Ε104
Fernmeldeüberwachung Feststellungs- und Bindungswirkung der Rechtskraft Freibeweis Freibeweis bei Prozeßvoraussetzungen Freie Beweiswürdigung Friedensrichterliches Verfahren Funktionsfähige Strafrechtspflege Fürsorgepflicht Geltungsbereich, persönlicher Geltungsbereich, räumlicher
Grundrechte Hauptverhandlung als Mittel der Gehörsgewährung Hauptverhandlungshaft Immunität, parlamentarische Immunität, völkerrechtliche und diplomatische in dubio pro reo
Ε 30 ff
Einl.
Inkulpation Inquisitionsprozeß Instruktionsmaxime Internationale Rechtshilfe Internationalisierung des Strafverfahrens Jugendgerichtsgesetz als Rechtsquelle Jugoslawien-Strafgerichtshof Justizentlastung und Verfahrensvereinfachung Justizförmigkeit Justizgewährungspflicht und Justizgewährungsanspruch
Peter Rieß
Ε 171 G 53 G 81 ff G 54 J 1 ff C 6, Ε 82, G 3 ff G 4 Η 58, 86 Ε153 D 9 D 7, J 131 Η 28 ff, 159 ff Β 11, Ε 152, Κ 88 173 Ε 1, Η 32, 166 G 46, Η 32 ff C 13, D 3 Β 33 C 11 C 8, J 110 Ε 143,156, 197 G 20 ff G 16 ff
Einl. Justizgrundrechte Justizmitteilungsgesetz Justizreform Justizverwaltung Justizverwaltungsvorschriften Kassation
Kembereichslehre Klageerzwingungsverfahren
Kleine Strafprozeßreform, StVÄG 1964 Konflikt- und Schiedskommissionen in der DDR Kontaktsperregesetz Konzentrationsmaxime Kreisgerichte, DDR Kriegssonderstrafrecht Kriminal-Justiz-System, gemeinsames Krise des Strafprozesses Kronzeuge, Kronzeugengesetz Laienbeteiligung Laienbeteiligung, Umfang der Mitwirkung Landesrecht als Rechtsquelle im Strafverfahren Laufende Verfahren, Wirkung von Rechtsänderungen Lauschangriff Legalitätsprinzip Lex fori Mehrheit von prozessualen Taten Menschenrechtskonventionen Menschenrechtsverstoß als Wiederaufnahmegrund Menschenwürde
Methodenbegriff im Strafprozeß Militärgerichtsbarkeit Mißbrauch prozessualer Befugnisse Mündlichkeit Nationalsozialismus, Bemühungen um Gesamtreform Nationalsozialismus, Entwicklung des Strafverfahrens Nationalsozialistische Auffassung vom Strafverfahren
Einleitung Rdn. Ε 82, G 3, Η 68 Ε 152 Ε 109 Β 29 C 15 f, Ε 94 Ε 163, Ε 175, Ε 181 Κ 76 ff Ε 67, 72, 93, Η 12, 27,1 10, J 114 Ε 95 ff Ε 170 Ε 119 Η 64 Ε 168 Ε 47,Ε 69 L 29 Ε 183 ff Ε 124,137, 150, Η 28 Ε 12, 128 ff 134 C 5 , C 14 D 19 Ε 153 Η 20 ff. 142 D 10 J 67 C 7,1 70 J 106, 123 F 11, G5, Η 71,1 66, 81, Κ 64 L 75 f D 4, Ε 34, 53 J 34 ff Η 55 ff Ε 62 ff Ε 46 ff Ε 50, 61
Nato-Truppenstatut Ne bis in idem Nebenklage, Nebenkläger
Rdn. D 8, Ε 94, J 112 J 83 ff Ε 126, G 36, Η 126,14, 119 188 ff J 116 ff Ε 68, 71 J 119 Ε 44 Ε 169
Nemo-tenetur-Grundsatz Nichtige Urteile Nichtigkeitsbeschwerde Nichturteile Notverordnung 1932 Oberstes Gericht, DDR Objektivitätsverpflichtung der Staatsanwaltschaft 149 ff Offenkundigkeit G51.H36, 57,80 Öffentlichkeit Η 66,1 81 Offizialprinzip Η 15 ff Opfer s. Verletzter Opferanspruchssicherungsgesetz Ε 155, 1120 Opferschutzgesetz Ε 125,155, I 115 Opportunitätsprinzip Η 21 Β 27, Ordnungswidrigkeitenrecht J 101 f Organisierte Kriminalität Ε 133,139, 154 Parteiprozeß 153 Partielles Bundesrecht C4 Personenverwechslung als Nichtigkeitsgrund? J 133 Polizei I 59 ff Präsidialverfassung Ε 54, 103, I 15 Präventive Elemente im Strafverfahren Β 13 Privatklage, Privatkläger Ε 14, 23, 34, F 13, Η 16, 124, 14, 144 Privatsphäre, Beweisverbote bei Beein- 181, trächtigung Κ 70 ff Prozeßgegenstand J 60 ff Prozeßgegenstand des Ermittlungsverfahrens J 68 Prozeßgrundsätze s. Prozeßmaximen Prozeßhandlungen, Bedeutung von Willensmängeln J 30 ff Prozeßhandlungen, bedingte J 27 f Prozeßhandlungen, Begriff und Einteilung J 5 ff Prozeßhandlungen, Bewertungskatego- J 16 ff, rien L 10 Prozeßhindernisse s. Prozeßvoraussetzungen Prozeßgegenstand J 60 ff
Stand: 1. 8. 1998
(4)
Einl.
Alphabetische Übersicht
Rdn.
Rdn. Prozeßmaximen, Begriff, Funktionen, Geltungsgnind und Bedeutung Prozeßmaximen, klassische Prozeßmaximen, verfassungsrechtliche Prozeßmodell Prozeßrechtslehre, allgemeine Prozeßrechtsverhältnis Prozeßsubjekte Prozessuale Tat s. Tatbegriff Prozessuale Überholung Prozeßverhalten, Grenzen der Würdigung Prozeßvoraussetzungen Rechtliches Gehör Rechtliches Gehör der Staatsanwaltschaft Rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren Rechtliches Gehör, Einschränkungen Rechtsangleichung nach der Wiedervereinigung Rechtseinheit, Wiederherstellung Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik, Übersicht Rechtsfrieden als Verfahrensziel Rechtsgespräch Rechtshängigkeit Rechtskraft Rechtskraft und Art. 103 Abs. 3 GG Rechtskraft von Einstellungsentscheidungen Rechtskraft, formelle Rechtskraft, Grundlagen Rechtskraft, materielle Rechtskrafteinschränkungen Rechtskrafttheorien Rechtskreistheorie und Beweisverbote Rechtsmißbrauch Rechtsmittel, Entstehung und Reformdiskussion Rechtsmittelsicherheit, Grundsatz der Rechtsmittelverzicht, Wirksamkeit Rechtspflegeentlastungsgesetz Rechtspflegeerlaß der DDR Rechtspfleger Rechtspflegerecht Rechtsquellen des Strafprozeßrechts Rechtsstaatsprinzip Rechtsstaatswidrigkeit als Verfahrenshindernis? Rechtstatsachenforschung Reformbemühungen in der Bundesrepublik Reformkommission 1903
(5)
Η 1 ff Η 10 ff Η 67 ff F 8 ff Β 15 f, L 9 J4 I 2 ff J21 192 ff J 43 ff Η 71 ff
Rehabilitierung von Opfern des SEDRegimes Rehabilitierung von Opfern von NSUnrecht Rehabilitierungsinteresse, Berücksichtigung im Strafverfahren Reichsjustizgesetze Reichsjustizministerium, Rolle im Nationalsozialismus Republikschutzgesetz, Staatsgerichtshof Richterliche Unabhängigkeit Rückwirkung im Strafprozeßrecht
Sachverständiger Schengener Durchführangsübereinkommen Schiffe und Luftfahrzeuge, Geltung des Strafverfahrensrechts Schlußgehör, staatsanwaltschaftliches Schöffengericht Schwurgericht
Η 79 Η 76 Η 77 Ε 177 ff Ε 81 ff Ε 88 ff Β4 Η 81 J 66 J 73 ff J 86 f
Selbstbelastungsfreiheit (s. auch Nemo-tenetur-Grundsatz) Sondergerichte
J 94 J 76, 78 ff J 74 J 76, 83 ff J 122 J 90 ff Κ 19 ff J 34 ff Ε 13, 21, 31,68,109 D 20 J 33 Ε 143 f, 156 Ε 165 I 38,64 Β 29 C 1 ff G5 G 25,J 53 Β 39 Ε 91, 109, 135, 182 Ε 19 ff
Sozialistische Rechtsauffassung Sozialstaatsprinzip Sperrwirkung der Rechtskraft Sperrwirkung der Rechtskraft, Grenzen Staatsanwaltschaft, Aufgaben Staatsanwaltschaft, Bindung an höchstrichterliche Rechtsprechung Staatsanwaltschaft, Entstehung und Bedeutung Staatsanwaltschaft, Funktionen Staatsanwaltschaft, staatsrechtliche Stellung Staatsanwaltschaft, Stellung in der DDR Staatsschutz-Strafsachen, Zuständigkeit Steuerstrafverfahren Strafbefehlsverfahren
Strafklageverbrauch Strafmündigkeit als Prozeßvoraussetzung
Peter Rieß
Ε 181 Ε 76, J 120 Β 10, Η 39, 177 C 10, Ε 1 ff Ε 48 Ε 35 I 13 ff Β 24, D 18 ff, L 48 ff I 130 f C 9 , J 109 D 12 ff Ε 98, 113 Ε 12,1 28 f Ε 12,33, 35, 55, 80, 85, 113, I 28 f I 88 ff Ε 35,45, 55 ff Ε 159 G5 J 83 ff J 101 I 42 ff Η 26 I 40 f 1 44 ff I 59 ff Ε 171 f Ε 103 C 12, F 14, Η 18,1 63, Ε 111,128, 145,F13, G 54, 73, 3 92 J 97 ff J 48
Einl.
Einleitung
Rdn. Strafmündigkeit, mangelnde als Nichtigkeitsgrund? J 132 Strafprozeß und Ordnungswidrigkeitenrecht, Verhältnis Β 27 Strafprozeßkommission, Große Ε 65, 96, 188 Strafprozeßlehre Β 39 Strafprozeßrecht und Polizeirecht, Verhältnis C 5, L 32 Strafprozeßrecht und Strafrecht, VerΒ 19 ff, L 3 ff, 36 hältnis Strafprozeßrecht und Zivilprozeßrecht, Verhältnis Β 16, C 13 Strafverfahren, Begriff Β8f Strafverfahren, Funktionen Β 10 ff Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 Ε 120 Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 Ε 127 Strafvollstreckung Β 32, F 2, I 11,46 Strengbeweis G 53 Struktur des Strafverfahrens F 1 ff Supranationales Recht C9 Systemwechsel und Urteilsnichtigkeit J 120 Tagebuchaufzeichungen, Beweisverbote Κ 80 ff Tatbegriff J 59 ff, J 69 ff Tatbegriff, Funktion J 60 Täter-Opfer-Ausgleich Ε 135, I 116 Teilrechtskraft J 77,J 122 Tendenzwende Ε 101, Ε 108,167 Terrorismusgesetzgebung Ε 108,117, 119, 124 J 135 Tod des Angeklagten Tonbandaufzeichnungen, BeweisverΚ 84 bote Trichtermodell des Strafverfahrens F5 Überleitungsvorschriften D 18 ff Obermaßverbot Η 93 I 13 ff Unabhängigkeit, richterliche Unmittelbarkeitsprinzip Η 60 ff Unschuldsvermutung Β 23, 175 ff Ε 40, 61, Untersuchungshaft, Haftprüfung 98, 104, 136 Unverhältnismäßigkeit als VerfahrensJ 56 hinderais? Urkundsbeamter der Geschäftsstelle 139 Urteilsabsprachen G 59 ff J 116 ff Urteilsnichtigkeit Verbrauch der Strafklage s. Sperrwir-
Rdn. Verbrechensbekämpfung, Verbrechens- Β 13, bekämpfungsgesetz Ε 147,153, 197 172 Verdächtiger Vereinbarungen im Strafverfahren G 58 ff Vereinbarungen, Inhalte und Grenzen G 72 ff Vereinbarungen, unzulässige und gescheiterte G 83 ff Vereinfachte Verfahrensarten und -formen F 13 ff Vereinheitlichungsgesetz Ε 87 ff Verfahrensbeteiligte I 1 ff Verfahrenshindernisse (s. auch Prozeßvoraussetzungen) J 94 ff Verfahrenswirklichkeit Β 39 Verfahrensziel Β 4 ff Verfahrenszwecke Β6f Verfassungsrecht, Einfluß auf den G 1 ff. Strafprozeß Κ 60 Verhältnismäßigkeit Η 92 ff Verhandlungsfähigkeit I79,J 18, 48 Verletzter I 11 1 ff Verletzter, Entwicklung der Rechtsstellung I 113 ff Verletzter, Fürsorgepflicht Η 126, I 129 Verpolizeilichung des Strafverfahrens Β 11 Verreichlichung der Justiz Ε 53 Verteidiger I 102 ff Verteidigertheorien I 107 ff Verteidigung, materielle und formelle I 101 Verwirkung des Strafanspruchs G 24 ff Verwirkung von Befugnissen J 42 Völkerrecht als Rechtsquelle im Strafverfahren C7f Volksgerichtshof Ε 55 ff Volksrichter in der DDR Ε 160 Β 18 Vorlagepflicht nach Art. 100 GG Vorlagepflicht nach Art. 177 EGVertrag C9 Voruntersuchung Ε 32, 113, 142 Waffengleichheit Η 115 ff Wahlfeststellung Ε 61, L 66 G 43 ff Wahrheitsbegriff Wahrheitserforschung, Grenzen G 48 ff Wahrheitserforschung, Mittel G 51 ff Wahrscheinlichkeitsurteile, Prognosen Η 46,49, L 63 f Ε 161, Waldheim-Prozesse J 120 f Weimarer Zeit, Entwicklung des StrafΕ 25 ff verfahrens Wiederaufnahme des Verfahrens E151.J88, 106, 123
Stand: 1 . 8 . 1998
(6)
Alphabetische Übersicht
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Wiedergutmachung Wiedervereinigung Willkür, objektive Zeugen Zeugenbeistand Zeugenbelehrung, fehlerhafte und Beweisverbote Zeugenschutz
(7)
Rdn. J 78, 81 Ε 135,155, I 116, 120 Ε 177 f G 4 I 125 ff I 129
Einl. Rdn.
Zeugnispflicht und Selbstbelastungsfreiheit Zeugnisverweigerungsrechte Zivilprozeßordnung als Rechtsquelle Zuständigkeit der Gerichte, Grundsätze Zuständigkeitskonflikte, Klärung Zweifelsgrundsatz
Κ 28 Ε 155, I 127 f
Peter Rieß
1 9 6 ff Ε 118,152, 196 ff, 126 C 13 1 2 2 ff 127 Η 28 ff, L 59 ff
Α. Vorbemerkungen und Hinweise
Die Einleitung zu diesem Kommentar hat zunächst in der 20. Auflage in der Hand von 1 Niethammer gelegen. Von der 21. bis zur 24. Auflage hat sie Karl Schäfer fortgeführt und ausgebaut. Sie ist durch die Persönlichkeit dieses Autors besonders geprägt worden. Ihm ist vor allem mit zu verdanken, daß die von Eb. Schmidt 1951 beanstandete mangelhafte Behandlung der rechtstheoretischen und rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts im Kommentarschrifttum 1 überwunden werden konnte2. Dennoch war zu bedenken, daß die Einleitung in ihrer bisherigen Konzeption, ihrem Aufbau und ihren Grundlagen mehr als dreißig Jahre zurückreicht. Für die 25. Auflage hat sie deshalb eine vollständige Neufassung mit einem auch anderen systematischen Aufbau erhalten, auch wenn sie sich weiterhin in vielen Punkten der Arbeit von Karl Schäfer verpflichtet fühlt und auf ihr aufbaut. Eine Einleitung, auch eine solche zu einem Großkommentar, ist kein Lehrbuch. Sie 2 muß ihr Schwergewicht auf die Darstellung und Erläuterung derjenigen Fragen legen, die weder bei der Kommentierung der einzelnen Bestimmungen noch in den Vorbemerkungen zu den einzelnen Abschnitten des Gesetzes zureichend behandelt werden können. Sie hat deshalb notwendiger Weise lückenhaften Charakter. Ihr Hauptgewicht liegt auf denjenigen Fragen, die übergreifender und allgemeiner Natur sind. Auch insoweit ist allerdings bei einem gewachsenen Kommentar wie dem vorliegenden dann Zurückhaltung angebracht, wenn sich bei der Einzelkommentierung Schwerpunkte gebildet haben, auf die Bezug genommen werden kann. Jedoch hat eine Einleitung auch die Aufgabe, ein mindestens skizzenhaftes Gesamtbild des Strafverfahrens zu vermitteln und einen allgemeinen Teil zu umreißen. Sie geht deshalb, soweit dies von dieser Zielsetzung her erforderlich ist, auch auf solche Fragen unter Hinweis auf die ausführlichere Einzelkommentierung kurz ein, die an anderen Stellen des Kommentar eine vertiefte Behandlung erfahren. Neben den übergreifenden rechtsdogmatischen, rechtspolitischen und verfassungs- 3 rechtlichen Fragen, bei denen besonders darauf Bedacht genommen worden ist, durch Verweisungen zu verdeutlichen, welche Ausprägungen sie im geltenden Recht gewonnen haben und welche Auswirkungen für die Auslegung und Rechtsanwendung von ihnen ausgeht, bildet — wie bisher — die Darstellung der Entwicklungs- und Reformgeschichte des Strafverfahrensrechts einen besonderen Schwerpunkt. Auch die Behandlung der Beweisverbote ist in ihren Grundlagen weiterhin in der Einleitung vorgenommen worden. Neu aufgenommen worden ist ferner ein besonderer Abschnitt, der den Methoden der Rechtsanwendung im Strafverfahrensrecht gewidmet ist. In den nachfolgenden Hauptabschnitten Β bis L sind die Randnummern und die Fuß- 4 noten jeweils gesondert numeriert. Bei Verweisungen innerhalb desselben Hauptabschnitts wird lediglich die Randnummer oder die Fußnote angegeben. Wird auf andere Hauptabschnitte verwiesen, so wird der entsprechende Buchstabe vorangestellt. Die erfor-
' Vorwort Teil I. (9)
zur
1. Auflage des
Lehrkommentars,
2
Peter Rieß
Eb. Schmidt hat dies selbst im Vorwort 2. Auflage 1964 anerkannt.
zur
Einl. A b s c h n . Α
Einleitung
derlichen Schrifttumsnachweise, bei denen überwiegend Vollständigkeit weder möglich noch angestrebt ist und bei denen jeweils ergänzend auf die Einzelkommentierungen zurückgegriffen werden muß, werden vor den einzelnen Hauptabschnitten, wo angezeigt auch bei den Unterabschnitten, gebracht.
Stand: 1. 8. 1998
(10)
Β. Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens und seine Stellung im Rechtssystem im allgemeinen Schrifttum Allgemein. Amelung Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß (1990); Bernsmann/Jansen Heimliche Ermittlungsmethoden und ihre Kontrollen - Ein systematischer Überblick, StV 1998 217; Dünnebier Zum Begriff des Verfahrens, FS Schäfer 27; Fezer Vereinfachte Verfahren im Strafprozeß, ZStW 106 (1994) 1; Geerds Strafrechtspflege und prozessuale Gerechtigkeit, SchlHA 1964 57; Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974); Hagen Elemente einer allgemeinen Prozeßlehre (1972); Henckel Prozeßrecht und materielles Recht (1970); Reinhard v. Hippel Zur Abgrenzung justizrechtlicher Sätze im Strafrecht, JR 1978 397; Arthur Kaufmann Läßt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs auffassen? in: Jung/Müller-Dietz 15; Hilde Kaufmann Strafanspruch, Strafklagerecht (1968); Klose „Jus Puniendi" und Grundgesetz, ZStW 86 (1974) 33; Köhler Prozeßrechtsverhältnis und Ermittlungseingriffe, ZStW 107 (1995) 10; Krauß Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, FS Schaffstein 411; Krauß Zur Funktion der Prozeßdogmatik, in: Jung/Müller-Dietz 1; Lambrecht Strafrecht und Disziplinarrecht (1997); Luhmann Legitimation durch Verfahren2 (1975); Lüderssen Die strafrechtsgestaltende Kraft des Beweisrechts, ZStW 85 (1973) 288; Lüderssen Die Krise des öffentlichen Strafanspruchs (1989); Marxen Straftatsystem und Strafprozeß (1984); Neumann Materiale und prozeduale Gerechtigkeit im Strafverfahren, ZStW 101 (1989) 52; Paeffgen „Verpolizeilichung" des Strafprozesses - Chimäre oder Gefahr? Rudolphi-Symp. 13; Paeffgen Hat der Strafprozeß einen Sicherungs-/Sicherheitsauftrag? DRiZ 1998 317; Peters Die strafrechtsgestaltende Kraft des Strafrechtsprozesses (1963); Rödig Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens (1973); Rogall Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht (1992); Sauer Grundlagen des Prozeßrechts (1925); Schaper Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens (1985); Schmidhäuser Zur Frage nach dem Ziel des Strafprozesses, FS Eb. Schmidt 511; Schreiber Verfahrensrecht und Verfahrenswirklichkeit, ZStW 88 (1976) 117; Stock Das Ziel des Strafverfahrens, FS Mezger 429; Volk Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht (1978); Volk Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß (1980); Volk Kriminalpolitik und Prozeßrecht, JZ 1982 90; Wolfslast Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung (1995); Wolter Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, Rudolphi-Symp. 267; Wolter Datenschutz und Strafprozeß, ZStW 107 (1995) 793; Wolter Zur Dogmatik und Rangfolge von materiellen Ausschlußgründen, Verfahrenseinstellung, Absehen und Mildern von Strafe, in: Wolter/Freund, Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem (1996) 1; weiteres Schrifttum s. vor den Abschnitten G und J. Internationalisierung und Europäisierung. Ambos/Ruegenberg Internationale Rechtsprechung zum Straf- und Strafverfahrensrecht, NStZ-RR 1998 161; Baldus Europol und Demokratieprinzip, ZRP 1997 286; Bleckmann Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention? EuGRZ 1994 149; Bull Das Europäische Polizeiamt - undemokratisch und rechtsstaatswidrig? DRiZ 1998 32; Frowein/Krisch Der Rechtsschutz gegen Europol, JZ 1998 589; Hailbronner Die Immunität von Europol-Bediensteten, JZ 1998 283; Jescheck Rechtsvergleichung als Grundlage der Strafprozeßreform, ZStW 86 (1974) 761; Jescheck Entwicklung des Strafverfahrensrechts in Europa - Orientierung an polizeilicher Effektivität oder an rechtsstaatlichen Grundsätzen, ZStW 108 (1996) 86; Jung (Hrsg.) Der Strafprozeß im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen (1990); Kinkel Der Internationale Strafgerichtshof - ein Meilenstein in der Entwicklung des Völkerrechts, NJW 1998 2650; Kühl Der Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 100 (1988) 406, 601; KUhl Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, ZStW 109 (1977) 777; Lisken Europol - ein Symptom des Verfassungswan(Π)
Peter Rieß
Einl. Abschn. Β
Einleitung
dels, DRiZ 1998 75; Meyer-Ladewig Ein neuer ständiger Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, NJW 1995 2813; Meyer-Ladewig Ständiger Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, NJW 1998 512; Nelles Europäisierung des Strafverfahrens - Strafprozeßrecht für Europa? ZStW 109 (1997) 727; Nill-Teobald Anmerkungen über die Schaffung eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs, ZStW 108 (1996) 229; Ostendorf Europol - ohne Rechtskontrolle? NJW 1997 3418; Perron Sind die nationalen Grenzen des Strafrechts überwindbar? ZStW 109 (1997) 281; Pitschas Innere Sicherheit und internationale Verbrechensbekämpfung als Verantwortung des demokratischen Verfassungsstaates, JZ 1993 857; Rüter Harmonie trotz Dissonanz - Gedanken zur Einhaltung eines funktionsfähigen Strafrechts im grenzenlosen Europa, ZStW 105 (1993) 30; Scheller Das Schengener Informationssystem - Rechtshilfeersuchen „per Computer", JZ 1992 904; Schomburg Die Rolle des Individuums in der Internationalen Kooperation in Strafsachen, StV 1998 153; Schiibel Wie gut funktioniert die Strafverfolgung innerhalb Europas? NStZ 1997 105; Sieber Memorandum für ein Europäisches Modellstrafgesetzbuch, JZ 1997 369; Stenger Gegebener und gebotener Einfluß der EMRK auf die Rechtsprechung der bundesdeutschen Strafgerichte, Diss. Gießen 1991; Trechsel Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Strafrecht, ZStW 101 (1989) 819; Vogler Der Schutz der Menschenrechte bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, ZStW 105 (1993) 3; Vogler Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992 586; Weigend Die Reform des Strafverfahrens - Europäische und deutsche Tendenzen und Probleme, ZStW 104 (1992) 486; Weigend Strafrecht durch internationale Vereinbarungen - Verlust an nationaler Strafrechtskultur? ZStW 105 (1983) 774; Werle Menschenrechtsschutz durch Völkerstrafrecht, ZStW 109 (1997) 808; weiteres Schrifttum s. Abschnitt J (Prozeßgegenstand), bei den §§ 18,19 und 20 GVG und Vor den Erl. zur MRK. Verfahrens Wirklichkeit. Blankenburg/v.Kempski/Lebrun/Morasch/Schumacher Die Rechtspflegestatistiken (1977); Dessecker/Geisler-Frank Empirische Forschungsarbeiten zum Strafverfahren und Strafverfahrensrecht (1995); Heinz Datensammlungen der Strafrechtspflege im Dienste der Forschung, in: Jehle (Hrsg.) Datensammlungen und Akten in der Strafrechtspflege (1989) 163; Peters Strafprozeßlehre - Zugleich ein Beitrag zur Rollenproblematik im Strafprozeß, GedS Hans Peters (1967), 891; Peters Strafprozeßlehre im System des Strafprozeßrechts, FS Maurach 453; Peters Strafprozeß und Tatsachenforschung, FS Henkel 253; Rieß Statistische Beiträge zur Wirklichkeit des Strafverfahrens, FS Sarstedt 253.
Übersicht Rdn.
Rdn. I. Ziel, Zweck, Begriff und Funktionen des Strafverfahrens 1. Verfahrensziel und Verfahrenszweck a) Wurzeln und Entwicklungslinien . . b) Verfahrensziel c) Verfahrenszwecke 2. Begriff des Strafverfahrens 3. Funktionen des Strafverfahrens II. Das Strafverfahren im Rechtssystem 1. Allgemeines 2. Strafverfahrensrecht als Teil des Prozeßrechts 3. Strafverfahren und materielles Strafrecht a) Gemeinsame Grundlagen und Abgrenzung b) Besonderheiten des Strafverfahrensrechts c) Wechselbeziehungen
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4. Strafverfahren und Ordnungswidrigkeitenrecht 5. Geltung des Strafverfahrensrechts für andere Rechtsgebiete 6. Strafverfahren und Justizverwaltung . . III. Zur Europäisierung und Internationalisierung des des Strafverfahrens 1. Allgemeine Entwicklungstendenzen . . 2. Internationalisierung des Strafverfahrensrechts 3. Europäisierung des Strafverfahrensrechts IV. Verfahrensrecht und Verfahrenswirklichkeit 1. Strafprozeßrecht und empirische Strafprozeßwissenschaft 2. Bedeutung der Verfahrenswirklichkeit . 3. Mittel zur Erkenntnis der Verfahrenswirklichkeit . . . .
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Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens
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I. Ziel, Zweck, Begriff und Funktionen des Strafverfahrens 1. Verfahrensziel und Verfahrenszweck a) Wurzeln und Entwicklungslinien. Mit der Existenz eines materiellen Strafrechts 1 im weitesten Sinne, also der mit einem sozialen Unwerturteil verbundenen Sanktionierung abweichenden und gemeinschaftsschädlichen Verhaltens, sind notwendigerweise Regelungen verbunden, die den Weg zur Sanktionierung bestimmen. Strafverfahrensrecht im allgemeinsten Sinne stellt die Summe derjenigen Regelungen und Bedingungen dar, unter denen das Unwerturteil der Rechtsgemeinschaft ausgesprochen wird. Es bedeutet nicht notwendigerweise ein justizförmiges, prozessuales Verfahren entsprechend dem Strafverfahrensrecht der modernen Kulturstaaten, sondern läßt sich auch in Gesellschaftsordnungen nachweisen, die das Strafrecht nicht dem Staate vorbehalten, sondern in Institutionen wie der Blutrache oder der Fehde anderen Gruppierungen überlassen, denn auch zur Verwirklichung dieser Formen der Sanktionierung bedarf es eines regelhaften Verfahrens 1 . Je mehr das Recht zu strafen dem Staate vorbehalten bleibt, desto genauer und ver- 2 bindlicher müssen die Regeln gefaßt sein, die der Durchsetzung dieses sog. staatlichen Strafanspruchs 2 oder (richtiger) des berechtigten Sanktionsverlangens der Rechtsgemeinschaft dienen. Dieses Strafverfahren im engeren Sinne hat seine Wurzel einmal in einer alten, bis in die Antike zurückreichenden Tradition insoweit, als die Verhängung der Strafe regelmäßig einem besonderen, oft gegenüber den übrigen Funktionen der Staatsgewalt herausgehobenen Verfahren überantwortet war 3 . Gerade die Strafgerichtsbarkeit, der „Blutbann", stellt ein historisch begründetes Essentiale hoheitlicher Machtausübung dar. Aus dem sich allmählich entwickelnden grundsätzlichen Verbot der Selbsthilfe, dem staatlichen Gewaltmonopol, erwächst dem strafenden Staat die Verpflichtung, die Mittel und Regelungen zu schaffen, mit denen das Sanktionsbedürfnis der Rechtsgemeinschaft in ausreichendem Maße befriedigt werden kann. Dies läßt sich unter dem Begriff der Justizgewährungspflicht 4 zusammenfassen, die die Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols darstellt. Weitere das moderne Strafverfahren konstituierende Elemente erwachsen aus der auf- 3 klärenden und rechtsstaatlichen Entwicklung des 18. und 19. Jahrhunderts, die Rechtsspruch und Machtspruch voneinander trennt. Auch die rechtsstaatlichen Fortschritte im materiellen Strafrecht bedingen entsprechende Entwicklungen im Verfahrensrecht. Mit der Entwicklung der Gewaltenteilung verbunden ist die unbestrittene Auffassung, daß die abschließende Entscheidung im Strafverfahren darüber, ob ein sozialethisches Unwerturteil auszusprechen und deshalb eine Sanktion zu verhängen ist, Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt ist. Daraus folgt allerdings nicht notwendig, daß das Strafverfahren ihr in seiner Gesamtheit angehört; dies gilt beispielsweise nicht für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft (s. Rdn. 31). b) Die Bestimmung des Verfahrensziels und der (davon zu unterscheidenden) Verfah- 4 renszwecke erscheint nur auf der Basis eines konkreten Prozeßverständnisses sinnvoll; 1
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Zur historischen Entwicklung des Prozeßrechts s. Eb. Schmidt (Geschichte), § § 2 1 ff, 64 ff, 104 ff, 185 ff, 252 ff; sowie die konzentrierten Darstellungen in den Lehrbüchern u. a. bei Henkel 23 ff; v. Hippel 13 ff; Peters 57 ff; Roxin §§ 67 ff; in den älteren Lehrbüchern ausführlich Glaser Bd. 1, S. 49 ff; v. Kries 11 ff. Zur Kritik gegen die Verwendung des Begriffs „Strafanspruch" s. namentlich Hilde Kaufmann,
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Peter Rieß
70 ff; Klose ZStW 86 (1974) 41 ff; Volk (Prozeßvoraussetzungen) 183 f; Weigend Deliktsopfer und Strafverfahren (1989) 192 Fußn. 65; vgl. aber auch, seinen Inhalt neu zu bestimmen versuchend, mit ausf. Nachw. Wolfslast 57 ff. Vgl. v. Hippel 2 (Strafrecht als „wichtigster Urbestand" des Rechts aller Völker). Dazu näher Rdn. G 16 ff.
Einl. Abschn. Β
Einleitung
eine apriorische Verfahrenszielbestimmung verspricht keinen Ertrag5. Mit einer gewissen Verwandtschaft zur materiell-rechtlichen Vorstellung der Integrationsprävention6 als dem dominanten Strafzweck erscheint es gegenwärtig sachgerecht, die (Wieder)herstellung von Rechtsfrieden als das oberste Ziel des Strafverfahrens anzusehen. Dabei handelt es sich um eine komplexe Verfahrenszielbestimmung, die eine Bezeichnung derjenigen Bedingungen erfordert, unter denen Rechtsfrieden hergestellt wird. Dazu gehört nach der gegenwärtig allen Kulturvölkern, unbeschadet der unterschiedlichen Vorstellungen über den Weg dorthin, gemeinsamen Auffassung, daß der Prozeß an Wahrheit, Gerechtigkeit und der Verwirklichung des materiellen Strafrechts orientiert ist. Ziel des Strafprozesses ist daher die Herstellung (oder Erhaltung) von Rechtsfrieden durch eine justizförmige7, den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechende, auf Wahrheitsfindung ausgerichtete und an Gerechtigkeitsvorstellungen orientierte8 optimale Realisierung des materiellen Strafrechts. 5
Diese am Rechtsfrieden orientierte Verfahrenszielbestimmung dürfte mit mancherlei Akzentunterschieden im einzelnen im neueren Schrifttum vorherrschend sein9. Das ältere Schrifttum legte dagegen, ebenfalls in unterschiedlichen Varianten, stärker bis ausschließlich den Schwerpunkt auf die Verwirklichung des sog. staatlichen Strafanspruchs oder die Durchsetzung des materiellen Strafrechts10, ohne dabei allerdings den Eigenwert der an Wahrheit und Gerechtigkeit orientierten Justizförmigkeit zu verkennen11. Weitaus enger ist die Vorstellung, die als Verfahrensziel lediglich die Herstellung von Rechtskraft versteht12 und sich dadurch der Möglichkeit einer inhaltliche Bestimmung weitgehend begibt. Davon grundsätzlich abweichend aus mehr soziologischer Sicht, aber sich ebenso inhaltlicher Aussagen weitgehend enthaltend und damit eine gewisse Beliebigkeit des Ergebnisses in Kauf nehmend, wird das Verfahrensziel in einer durch das Verfahren selbst bewirkten ausdifferenzierten Konfliktabsorption, in einer Legitimation durch Verfahren, gesehen13, oder es wird das Ziel eines „herrschaftsfreien Diskurses" postuliert14.
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Zu den verschiedenen Prozeßzweckauffassungen (auch im zivil- und verwaltungsprozessualen Schrifttum) s. die Nachweise bei Rödig 34 ff; Schaper 104 ff; Übersicht über die aktuellen Verfahrenszielbestimmungen im Strafverfahren u. a. bei Paeffgen Vorüberlegungen zu einer Dogmatik des Untersuchungshaftrechts (1986) 13 ff; Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 725 ff; Weigend Deliktsopfer und Strafverfahren (1989) 173 ff. S. ζ. B. Jescheck/Weigend § 8 II 3 a; Roxin (Strafrecht) § 3 Rdn. 26 ff. S. näher Rdn. G 16 ff. S. näher Rdn. G 42 ff. Ausführlich Schmidhäuser FS Eb. Schmidt 511 ff; Volk (Prozeßvoraussetzungen) 183 ff; Weigend Deliktsopfer und Strafverfahren (1989) 195 ff; ähnlich KK-Pfeiffer Einl. 1; Kleinknecht/MeyerGoßner"3 Einl. 4; Kühl Unschuldsvermutung, Freispruch und Einstellung (1983) 74; Geisler ZStW 93 (1981) 1130; Perron ZStW 108 (1996) 153; Ranft 2; Rieß FS Schäfer 170 f; Roxin § 1 , 2 ; Wolter G A 1985 53; auch Peters 31 dürfte unter Betonung der Bewährung der sittlichen Ordnung dieser Auffassung nahestehen; Kröpil JZ 1998 136 nimmt drei selbstndig nebeneinanderstehende Verfahrensziele an; eher kritisch Neumann ZStW 101 (1989)
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64; Paeffgen (Fußn. 5) 28; gegen Schmidhäuser Eb. Schmidt I 20 Fußn. 44. S. dazu beispielsweise LR-AT. Schäfer« Einl. 6 27; zu Dohna 4; Gerland 10; Henkel 17; v. Hippel 3; V. Kries 2, 5, 7; Niese 32; Eb. Schmidt I 24; Kolleg 7; Grunsky 10; Stock FS Metzger 430. So z . B . nachdrücklich Eb. Schmidt I 20; ferner Henkel 84; Krey I 38; zu diesen Topoi u. a. nähere Auseinandersetzung bei Krauß FS Schaffstein 411; Paeffgen (Fußn. 5) 17 ff; Weigend (Fußn. 5) 177 ff. Schaper 132 ff bezeichnet die Findung einer gerechten, an Recht und Gesetz orientierten auf Wahrheit beruhenden Entscheidung als Prozeßzweck. Lampe GA 1968 48; Goldschmidt 151 ff (allerdings vorwiegend aus zivilprozessualer Perspektive); dazu näher Weigend (Fußn. 5), 197 ff; vgl. auch Exner 8 (gerechtes Urteil als letztes Ziel des Strafverfahrens). Luhmann; dazu u. a. Schreiber ZStW 88 (1976) 136 ff; Paeffgen (Fußn. 5) 34 ff; Schaper 207 ff; Weigend (Fußn. 5) 200 ff; RUping3 21; vgl. auch Neumann ZStW 101 (1989) 69 ff. Nähere Nachweise bei Schreiber ZStW 88 (1976) 141 ff; dazu kritisch u.a. A. Kaufmann 15.
Stand: 1. 8. 1998
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W e s e n und A u f g a b e des Strafverfahrens
Einl. Abschn. Β
c) Als Verfahrenszweck, nicht als Verfahrensziel, erscheint weiter die Aufgabe eines 6 modernen Strafverfahrens, die Macht der Staatsgewalt zu bändigen und die Freiheit des einzelnen zu gewährleisten 15 . Dies geschieht dadurch, daß das Strafverfahrensrecht die Position namentlich des tatverdächtigen Beschuldigten durch die Anerkennung seiner Subjektqualität 16 und die Einräumung von Handlungsbefugnissen sichert, daß es auch den übrigen am Verfahren beteiligten Personen gesicherte Rechtspositionen einräumt und daß es die Zulässigkeit von Maßnahmen der Sachverhaltserforschung und Wahrheitsermittlung in vielfacher Weise begrenzt. Es ist, unter dem Aspekt der Machtbändigung, wie auch der Bundesgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat 17 , gerade nicht das Ziel des Strafverfahrens, daß die Wahrheit um jeden Preis erforscht werde 18 . Als Zweck verfahrensrechtlicher Detailregelungen läßt sich schließlich auch die stär- 7 ker technische Aufgabe begreifen, angesichts einer großen Zahl von Gerichten und Verfahren den geordneten und gleichförmigen Verfahrensablauf zu gewährleisten und damit zur Wahrung des Gleichheitssatzes beizutragen. Auch diese Ordnungsfunktion des Strafverfahrens, die sich beispielsweise bei der Bestimmung von Fristen manifestiert, ist allerdings nicht beliebig oder unter dem Gesichtspunkt reiner Zweckmäßigkeit erfüllbar, sondern hat auf die übergeordneten Verfahrensziele Bedacht zu nehmen. 2. Begriff des Strafverfahrens. Im Anschluß an die Arbeiten namentlich von Gold- 8 Schmidt und Eb. Schmidt wird von der heute wohl herrschenden Meinung, soweit sie sich überhaupt mit einer solchen Begriffsbestimmung befaßt, der (Straf)prozeß definiert als der rechtlich geordnete, sich von Lage zu Lage entwickelnde, durch Handlungen der Prozeßsubjekte gesteuerte Vorgang zwecks Gewinnung einer richterlichen Entscheidung über ein materielles Rechtsverhältnis 19 . Ob diese Definition in ihrer Zweckbestimmung, also dem finalen Element, heute noch in allen Einzelheiten dem Normprogramm des Straf- und Strafprozeßrechts entspricht, ist namentlich deshalb zweifelhaft, weil die neuere Entwicklung dahingeht, verfahrensbeendende prozessuale Entscheidungen unabhängig von dem Nachweis einer materiell-rechtlichen schuldhaften und rechtswidrigen Tatbestandserfüllung zu ermöglichen und dies nicht stets der gerichtlichen Entscheidung vorzubehalten. Es wäre deshalb zu erwägen, das finale Element durch die Einbeziehung anderer verfahrensund materiell-rechtlich legitimer verfahrensbeendender Entscheidungen zu ergänzen. Unverändert zutreffend erscheinen jedoch diejenigen Elemente der Begriffsbestim- 9 mung, die unter Verwendung des Begriffs der (Rechts)lage den dynamischen Charakter des Prozesses 20 und seine auf ein bestimmtes Ziel hin verlaufende Entwicklung kennzeichnen. Ihnen ist vor allem die Einsicht zu verdanken, daß für die prozeßrechtliche Dog15
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So ζ. B. zu Dohna 2; Gerland 8; Eb. Schmidt I 26 ff; Henkel 21; 88 f; v. Kries 1; Roxin § 1,2; Rieß FS Schäfer 172; Ingo Muller Rechtsstaat und Strafverfahren (1980) 197; Neumann ZStW 101 (1989) 61 ff. Ausführlich mit weit. Nachw. Rieß FS Reichsjustizamt 373 ff; näher Rdn. I 65 ff; s. auch Kahlo KritV 1997 183 ff. BGHSt 14 365; BGH NJW 1978 1426; vgl. auch BGHSt 31 304, 309; näher Rdn. G 48 ff. Zu den daraus folgenden Bezügen zum Verfassungsrecht s. näher Rdn. G 1 ff sowie zu den damit verbundenen Fragen der Beweisverbote Rdn. Κ 60 ff. Goldschmidt 146 ff; Eb. Schmidt I 56, Kolleg 42; Niese 57 ff; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 Einl. 2;
KMR-So* Einl. 1 2 ff; wohl auch Gerland 5; Peters 14. Grundsatzkritik gegen diesen Ansatz bei Rödig 23 ff; zurückhaltend auch LR-Lüderssen Einl. L 10. Anknüpfend an diese Auffassung Schroeder 21 (Strafprozeß als Kette von sukzessiven Rechtsverhältnissen). Andere Begriffsbestimmungen beschränken sich oft darauf, das Strafverfahren als die Summe der dem Verfahrensziel dienenden Regelungen zu definieren, so etwa zu Dohna 2; Henkel 17; v. Hippel 3; zur Annahme eines Prozeßrechtsverhältnisses s. Rdn. J 4. 20
Peter Rieß
Grundlegend Goldschmidt 227 ff; dazu ausführlich mit Übersicht über die verschiedenen Prozeßkonstniktionen Schaper 63 ff mit kritischer Zusammenfassung S. 79.
Einl. Abschn. Β
Einleitung
matik spezielle Wertkategorien zu entwickeln sind (s. näher Rdn. J 7 ff). Dies gilt auch dann, wenn man anerkennt, daß manche hier im einzelnen nicht zu erörternde Details der Konzeption von Goldschmidt aus heutiger Sicht anfechtbar sein mögen. 10
3. Funktionen des Strafverfahrens. Ausgehend von den Verfahrenszielen und Verfahrenszwecken lassen sich auf der Grundlage des gegenwärtigen Strafprozeßrechts mehrere Funktionen des Strafprozesses unterscheiden. Im Vordergrund steht unverändert die strafrechtliche Würdigung, also die Klärung der Frage, ob die materiell-strafrechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, jemanden strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen und mit einer Sanktion zu belegen 21 . Bejahendenfalls besteht angesichts der regelmäßig unbestimmten Strafrahmen die weitere Funktion des Strafverfahrens in der Konkretisierung der Sanktion; die Straffestsetzung im einzelnen ist ein dem Richter vorbehaltener sozialer Gestaltungsakt 22 , der wegen der vielfältigen Möglichkeiten von Nachtragsentscheidungen über die Rechtskraft des Urteils hinausreicht 23 .
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Da das Strafverfahren auf den Einsatz von Zwangsmitteln und den Eingriff in Grundrechte im Interesse einer effektiven Strafverfolgung nicht verzichten kann, besteht seine Funktion weiter darin, die hierfür erforderlichen gesetzlichen Eingriffsermächtigungen bereitzustellen; es erfüllt insoweit vielfach den Gesetzesvorbehalt des Verfassungsrechts 24 . Angesichts der gesteigerten verfassungsrechtlichen Sensibilität in diesem Bereich besteht hier gegenwärtig ein erhöhter Regelungsbedarf, ohne daß darin insoweit eine vollständig neue und zusätzliche Aufgabe des Strafverfahrens gesehen werden kann. Die nicht unproblematische Kennzeichnung der StPO als „Operativgesetz für die Strafverfolgungsbehörden" 25 bedeutet daher nicht unbedingt einen Paradigmawechsel. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß sich in bestimmten Kriminalitätsbereichen und der Art ihrer Bekämpfung eine Verschiebung zu verdeckten Ermittlungsmaßnahmen vorwiegend in der Hand der Polizei abzeichnet, die im Schrifttum teilweise als „Verpolizeilichung" gekennzeichnet wird 26 . Die verfassungsrechtliche Durchdringung und Fundierung erfordert auch aus diesen Gründen und gerade in diesem Bereich das Abwägen unter verschiedenen Leitprinzipien und deren Ausbalanzierung 27 .
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Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz Ende 198328 wird vielfach ein besonderes Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung postuliert 29 . Auch wenn man dem nicht folgt, ist seither unbestritten, daß die Erhebung personenbezogener Daten ebenso einer gesetzlichen Grundlage bedarf wie deren Verarbeitung. Für den Bereich der Strafverfolgung ist es Aufgabe der strafverfahrensrechtlichen Regelungen, hierfür die erforderlichen Ermächtigungsgrundlagen bereitzustellen und, soweit erforderlich, begrenzende Vorschriften für die Datenverarbeitung zu schaf-
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Ob auch die Rehabilitierung des nicht überführten Beschuldigten als verfahrensrechtlicher Nebenzweck anzusehen ist, ist umstritten; bejahend Kleinknecht/Meyer-Goßnet*" Einl. 8; SternbergLieben ZStW 108 (1996) 721 ff; Tiedemann FS II Peters 142; verneinend Peters 177, 613; s. auch Rdn. Η 33 und I 77. 22 Vgl. Tröndle« § 46, 12 mit weit. Nachw. 23 Näher zum „Nachverfahren" Dünnebier FS Schäfer, 33 ff. 24 Neumann ZStW 101 (1989) 61 f; Rieß FS Schäfer 172; zum Ganzen auch Köhler ZStW 107 (1995) 10 ff. 2 5 Hilger NStZ 1992 526.
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Vgl. etwa mit umf. Nachw. (auch zu den Konsequenzen) Paeffgen Rudolphi-Symp. 13 ff; ferner Bernsmann/Jansen StV 1998 217 ff; Frommel KritV 1990 279; Kahla KritV 1997 183 ff (mit umf. Nachw. in Fußn. 4-23) Schoreit StV 1989 449. Rieß FS Schäfer 172; vgl. auch Roxin § 1, 3 ff; sowie näher unten Rdn. G 4 und (zum Begriff der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege) Rdn. G 10 ff. BVerfGE 65 1 ff. Dazu u. a. kritisch mit weit. Nachw. zum Streitstand Rogall (Informationseingriff) 11 ff.
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Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens
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fen . Strafverfahrensrecht enthält insoweit auch ein bereichsspezifisches Datenschutzrecht 31 . Gegenüber der ursprünglichen Konzeption der RStPO von 1877 und teilweise in Über- 13 einstimung mit den materiell-strafrechtlichen Tendenzen und Entwicklungen sind dem Strafverfahren besondere Aufgaben und Funktionen zugewachsen, die über die ursprüngliche Vorstellung einer bloßen Durchsetzung des sog. staatlichen Strafanspruchs hinausreichen 32 . Elemente präventiver Verbrechensbekämpfung begegnen beispielsweise im Sicherungsverfahren und im objektiven Verfahren; ihnen ist aber auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a StPO) und die einstweilige Unterbringung (§ 126 a StPO) zuzuordnen. Die rechtspolitische Rechtfertigung für die Einbeziehung dieser Maßnahmen in das Strafverfahren dürfte auch darin zu finden sein, daß damit der traditionell hohe Rechtsschutzstandard des Strafverfahrensrechts wirksam gemacht werden kann. Dagegen kommt dem Strafverfahren, entgegen einigen neueren Tendenzen, kein umfassender präventiver Sicherungsauftrag zu, der über die innerprozessuale Verfahrenssicherung hinausgeht 33 ; auch aus dem Verfahrensziel der Wiederherstellung des Rechtsfriedens kann das nicht abgeleitet werden. Zivilrechtliche Ansprüche sind über das Adhäsionsverfahren (wenn auch von geringer praktischer Bedeutung) dem Strafprozeß zugewiesen worden, und aus der Konzeption des Opferschutzes ist eine stärkere Zuwendung zu den Bedürfnissen und Interessen des Verletzten erwachsen (näher Rdn. I 113 ff). II. Das Strafverfahren im Rechtssystem 1. Allgemeines. Das Strafverfahrensrecht ist im Sinne der üblichen Zweiteilung 14 Bestandteil des öffentlichen Rechts, nicht des Privatrechts. Es steht mit anderen Rechtsgebieten und Rechtsbereichen in einem unterschiedlichen Zusammenhang und vielfacher Wechselbeziehung, die eine eindimensionale Zuordnung nicht zulassen. Je nach den leitenden Einteilungsgesichtspunkten läßt es sich verschiedenen, einander überschneidenden Kreisen zuordnen. Als formelles Recht ist das Strafprozeßrecht Teil eines übergreifenden allgemeinen Prozeßrechts und insoweit mit dem Zivil- und Verwaltungsprozeßrecht verwandt (näher Rdn. 15 ff). Als S/ra/prozeßrecht gehört es zusammen mit dem materiellen Strafrecht zum Straf- oder Kriminalrecht im weiteren Sinne (näher Rdn. 19 ff). Seine Vorschriften gelten teilweise kraft Verweisung in anderen Rechtsgebieten (näher Rdn. 28). Die strafverfahrensrechtlichen Aufgaben werden zwar in ihrem Kern als Rechtsprechungsaufgaben verstanden, doch wird das Strafverfahren in seiner Gesamtheit auch durch Elemente der Justizverwaltung mit geprägt (näher Rdn. 29 ff). Über die Beziehungen des Strafverfahrensrechts zum Verfassungsrecht s. Rdn. G 1 ff. 2. Strafverfahrensrecht als Teil des Prozeßrechts. Das Strafverfahrensrecht ist Teil 15 des formellen Prozeßrechts, dem beispielsweise auch die ZPO, die VwGO, die FGO, das ArbGG, das SGG und in bezug auf die Verfassungsgerichtsbarkeit das BVerfGG zugehören. Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Herausarbeitung allgemeiner Grund-
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Vgl. zu der insoweit noch nicht abgeschlossenen gesetzgeberischen Entwicklung Rdn. Ε 133; 152. S. ausführlich mit weit. Nachw. zu der hier nicht näher zu behandelnden Problematik etwa Rogall (Informationseingriff) 71 ff; SK-Woher Vor § 151, 81 ff; Wolter ZStW 107 (1995) 793 ff; vgl. auch die Erl. zu § 160 StPO (24. Aufl. Rdn. 9).
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Dazu ausführlicher 24. Aufl. Einl. Kap. 6 34 ff. S. dazu zutreffend mit umf. Nachw. Paeffgert DRiZ 1998 317 ff; nicht uneingeschränkt zugestimmt werden kann Paeffgen (aaO S. 319 ff) in seiner Kritik an den speziellen, ausdrücklich in der StPO enthaltenen präventiv orientierten Maßnahmen.
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Einleitung
sätze bis zur Entwicklung einer allgemeinen Prozeßrechtslehre34 beziehen das Strafverfahrensrecht mit ein, auch wenn sie in ihren historischen Wurzeln wohl stärker zivilprozessual orientiert sind. Zu den spezifischen, allgemein geltenden, wenn auch möglicherweise in den einzelnen Verfahrensordnungen teilweise unterschiedlich zu handhabenden prozeßrechtlichen Instituten gehören beispielsweise die Begriffe der Prozeßhandlungen und der Prozeßvoraussetzungen, die Vorstellung vom Richter als eines unbeteiligten Dritten und damit verbunden eine zumindest formelle Parteistellung im gerichtlichen Verfahren35. 16 Strafprozeß und Zivilprozeß erscheinen insbesondere deshalb nahe verwandt36, weil sie beide, vorwiegend aus historischen Gründen, unter dem Begriff ordentliche Gerichtsbarkeit zusammengefaßt sind, im GVG eine gemeinsame Basis haben und mehr technische Regelungen der ZPO, wie etwa das Zustellungsrecht oder die Prozeßkostenhilfe, kraft Verweisung auch für das Strafverfahren anwendbar sind. Im übrigen ist die innere Verwandtschaft des Strafprozeßrechts mit dem Zivilprozeßrecht, namentlich weil in diesem weitgehend die Dispositionsmaxime und das Prinzip der sog. formellen Wahrheit37 gilt, nicht größer, sondern eher geringer als zu den öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen, die überwiegend vom Aufklärungsgrundsatz und dem Prinzip der materiellen Wahrheit geprägt sind. 17 Auch hier bestehen aber gewichtige Unterschiede, die sich als die spezifischen Besonderheiten des Strafverfahrens kennzeichnen lassen. Dazu gehört zunächst, daß sich die Konkretisierung des Sanktionsanspruchs der Rechtsgemeinschaft nur in der Form des Strafverfahrens vollziehen kann; ein freiwilliges Aufsichnehmen der Sanktion gibt es nicht. Strafverfahren setzt deshalb nicht notwendigerweise ein bestrittenes Recht voraus. Desweiteren bezieht das Strafverfahren, insoweit abweichend vom Verwaltungsprozeßrecht, die sachverhaltsaufklärende Tätigkeit vor der Herbeiführung eines gerichtlichen Verfahrens in seine Regelungen mit ein38. Daraus wiederum folgt, daß das in der Hand der Staatsanwaltschaft liegende Ermittlungsverfahren nicht in seiner Gesamtheit Teil der rechtsprechenden Gewalt ist (Rdn. 31). 18
Trotz der gemeinsamen prozeßrechtlichen Grundlagen sind die verschiedenen Gerichtszweige, auch im Verhältnis Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, selbständig, unabhängig voneinander und gleichwertig. Hieraus folgt beispielsweise, daß die Strafgerichte zivil- und verwaltungsrechtliche Vorfragen grundsätzlich selbständig zu entscheiden haben und auch bei gleichem Sachverhalt Entscheidungen der Zivil- und Verwaltungsgerichte für das Strafverfahren jedenfalls in der Regel keine Bindungswirkung entfalten, wenn auch das Strafprozeßrecht teilweise die Möglichkeit eröffnet, bis zur Klärung solcher Vorfragen das Verfahren auszusetzen (§§ 154 b, 262 StPO). Wegen der Einzelheiten und Ausnahmen ist auf die Erläuterungen zu den einzelnen Vorschriften zu verweisen. Für die Frage der Verfassungsmäßigkeit nachkonstitutionellen Rechts haben auch die Strafgerichte das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts (Art. 100 GG, §§ 80 ff BVerfGG) zu beachten (Einzelheiten zur Vorlagepflicht bei § 337, 26 ff). Meinungsverschiedenheiten über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den einzelnen Gerichtszwei34
Vgl. dazu u. a. Sauer Grundlagen des Prozeßrechts 2 (1929); Allgemeine Prozeßrechtslehre (1951); Goldschmidt; Wolf Gerichtliches Verfahrensrecht (1978). Grunsky klammert das Strafverfahren in seiner Arbeit wegen dessen Sondercharakters aus. Zurückhaltend zur Leistungsfähigkeit und Bedeutung einer allgemeinen Prozeßrechtslehre u. a. Gerland 10; Henkel 19; Peters 14; Roxin § 1, 10 f; Raping (2. Aufl.) S. 12; Schroeder 22.
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Gemeinsame Eigenschaften und Elemente des Prozesses und des Prozeßrechts bezeichnet etwa Schaper 97 ff. Zu den grundsätzlichen Unterschieden s. u. a. Peters 15 f. S. dazu auch Rdn. G 46. Näher zur Struktur des Strafverfahrens in Abschnitt F.
Stand: 1. 8. 1998
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Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens
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gen, die für das Strafverfahren keine große Bedeutung haben, sind im Verfahren nach den §§17 ff GVG zu erledigen. 3. Strafverfahren und materielles Strafrecht a) Gemeinsame Grundlagen und Abgrenzung. Das Strafverfahrensrecht läßt sich, 19 unbeschadet seiner Zugehörigkeit zu einem umfassenden Prozeßrecht, als Teil des Strafrechts im weiteren Sinne verstehen. In der historischen Entwicklung ist die deutliche, auch kodifikatorische Scheidung zwischen materiellem und formellem Strafrecht eine eher späte Erscheinung. Materielles Strafrecht und Strafprozeßrecht bilden insbesondere deshalb, und stärker als beispielsweise Zivilrecht und Zivilprozeßrecht, fast eine Einheit, weil das materielle Strafrecht nur durch den Strafprozeß realisiert werden kann 39 . Dennoch sind die Bereiche des materiellen und formellen Strafrechts (des Strafprozeß- 20 rechts) auch begrifflich deutlich voneinander zu scheiden 40 . Das materielle Strafrecht umfaßt die Summe derjenigen Regelungen, die darüber Auskunft geben, welche Handlungen unter welchen Voraussetzungen eine Straftat darstellen und welche Rechtsfolgen sich bejahendenfalls hieran knüpfen; aus ihm folgt die Berechtigung der Staatsgewalt, die Sanktion zu verhängen und die Pflicht des Täters, sie zu erdulden. Das Prozeßrecht umfaßt die Summe derjenigen Regelungen, die den Weg zur Feststellung, ob eine Straftat vorliegt und zur Bestimmung der Sanktion ordnen. Aus ihm folgt die Pflicht, mindestens die Befugnis der Staatsgewalt, diese Aufklärung vorzunehmen, und die Pflicht der Bürger, die Maßnahmen der Aufklärung und Feststellung zu dulden, sowie deren Recht, die ihnen im Prozeßrecht gewährten Handlungsbefugnisse in Anspruch zu nehmen. In der neueren Rechtsentwicklung seit der Aufklärung sind die beiden Teile des Straf- 21 rechts auch kodifikatorisch geschieden; das materielle Strafrecht ist (grundsätzlich) im StGB, das Strafprozeßrecht in der StPO und im GVG geregelt. Allerdings gilt dies nicht ausnahmslos, und die kodifikatorische Zuordnung ist in Zweifelsfällen nicht entscheidend. So regelt das JGG die Besonderheiten des Jugendstrafrechts in einem einheitlichen Gesetz sowohl für das materielle Jugendstrafrecht als auch für das Jugendstrafverfahren; die Abgabenordnung enthält das materielle Steuerstrafrecht (§§ 369 bis 384 AO) und die Besonderheiten des Steuerstrafverfahrens (§§ 385 bis 408 AO), und auch sonst enthält das Nebenstrafrecht vielfach gemeinsam materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Vorschriften. Das StGB regelt darüber hinaus Institute, die nach heute ganz h. Μ prozeßrechtlicher Art sind, so die Frage der Verjährung, des Strafantrags, der Ermächtigung und des Strafverlangens. Sie werden heute überwiegend zur prozeßrechtlichen Kategorie der Prozeßvoraussetzungen und nicht zur materiell-rechtlichen der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit gezählt 41 . b) Besonderheiten des Strafverfahrensrechts. Die dem Verfahrensrecht entsprin- 22 genden Rechte und Pflichten unterscheiden sich von denen des materiellen Rechts. Der Idee nach richtet sich das sachliche Recht nur gegen den, der alle Elemente der Straftat verwirklicht hat; seine Sanktionsdrohungen betreffen den Täter. Verfahrensrechtlich verschiebt sich der Anknüpfungspunkt. Weil die Strafverfolgungsorgane nach der Natur der Sache schon einschreiten müssen, wenn ein genügender Verdacht einer strafbaren Hand39
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Ausführlich zum Verhältnis des materiellen Strafrechts zum Strafverfahren namentlich Peters 7 ff; Eb. Schmidt I 24 ff; s. auch (teilweise abweichend) in dieser Einleitung Liiderssen Rdn. L 10 ff. Eb. Schmidt I 33 f; grundsätzlich abweichend mit dem Versuch, eine neue Einheit eines gemeinsamen „Straftatbegriffs" zu begründen Marxen;
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Zweifel an der Tragfähigkeit und Möglichkeit der herkömmlichen Unterscheidung auch bei Lüderssen in dieser Einl. (Abschnitt L Rdn. 10 bis 31). Die Fragen sind im einzelnen umstritten; vgl. dazu grundlegend Hilde Kaufmann (mit weitgehender Zuordnung der zweifelhaften Fälle zum materiellen Recht); Volk (Prozeßvoraussetzungen).
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Einleitung
lung vorliegt, und damit die Klärung der Täterschaft das Ziel des Verfahrens ist, richtet sich das Strafverfahren nicht gegen den (wirklichen) Täter, sondern gegen den der Tat (zu Recht oder zu Unrecht) Beschuldigten. Deshalb spricht das Prozeßgesetz auch nur ausnahmsweise vom Täter 42 , und zwar regelmäßig nur dann, wenn es das Ziel einer Ermittlungshandlung, den (wirklichen) Täter zu ermitteln, im Auge hat. 23
Auch die Unschuldsvermutung 43 steht dem Verfahrensrecht entsprechenden Maßnahmen gegen den Verdächtigen nicht entgegen; sie bleibt bestehen, wenn der (wirkliche) Täter nicht verurteilt wird, und sie ist widerlegt, sobald der Verdächtige (auch zu Unrecht) rechtskräftig als Verurteilter erscheint, ihm also die Täterschaft verfahrensrechtlich zugeschrieben ist. Verfahrensrechtlich begründet allein die Verurteilteneigenschaft unabhängig von der materiell-rechtlichen Lage die Vollstreckbarkeit der Sanktion, und es ist eine Frage des Verfahrensrechts, in welchem Umfang und auf welche Weise das Fehlurteil korrigiert werden kann, das durch die Abweichung seines Inhalts von der materiell-strafrechtlichen Lage gekennzeichnet ist 44 .
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Einige Besonderheiten des materiellen Strafrechts gelten für das Strafprozeßrecht (grundsätzlich) nicht; so nicht der Grundsatz „nulla poena sine lege", einschließlich des Rückwirkungs Verbots und nach überwiegender Meinung nicht das Analogie verbot45. Ferner ist die Zugehörigkeit einer Rechtsnorm zum Prozeßrecht oder zum materiellen Recht für die Frage der Revisibilität von erheblicher Bedeutung 46 .
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c) Wechselbeziehungen. Zwischen dem Strafprozeßrecht und dem materiellen Strafrecht bestehen allerdings, selbst wenn man die grundsätzliche Trennung beider Rechtsgebiete akzeptiert, weitere enge Wechselbeziehungen 47 . Einmal knüpft das Prozeßrecht bei seinen Regelungen an materiell-strafrechtliche Begriffe an, so etwa, wenn es die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen als Zuständigkeitsmerkmal oder als Anwendungsvoraussetzung prozessualer Maßnahmen verwendet. Femer hat die Entwicklung des materiellen Strafrechts vom reinen Tatstrafrecht zu einem täterbezogenen Strafrecht zur Entstehung entsprechender prozessualer Regelungen geführt 48 , und sie ist Ursache für entsprechende rechtspolitische verfahrensrechtliche Reformforderungen. Insoweit wird die „dienende Funktion" des Strafprozeßrechts gegenüber dem materiellen Strafrecht deutlich. Umgekehrt können aber auch von den Vorgaben des Prozeßrechts und den realen Bedingungen seiner Umsetzung in der Wirklichkeit strafrechtsgestaltende Wirkungen ausgehen 49 ; sei es, daß der Strafgesetzgeber dies bei der Schaffung neuer Tatbestände berücksichtigt, sei es, daß die Rechtsprechung bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Strafrechts hierauf Bedacht nimmt.
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Schließlich werden in zunehmendem Maße Bereiche deutlich, in denen aus einer funktionellen, kriminalpolitischen Betrachtungsweise heraus prozessuale und materiellrechtliche Institutionen austauschbar sind oder in einem aufeinander bezogenen Verhältnis erscheinen 50 . So wird in der neueren Gesetzesentwicklung namentlich der Bereich der mangelnden Strafwürdigkeit der Tat nicht über materiell-strafrechtliche Bagatellvor-
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Ζ. B. § 98 a Abs. 1 Satz 1, § 100 a Abs. 1 Satz 1 StPO; dazu zu Unrecht kritisch Paeffgen DRiZ 1998 320. S. näher Rdn. I 75 ff. Näher Rdn. J 88 ff. Zu den teilweise umstrittenen Einzelheiten und in manchen Punkten abweichend s. in dieser Einleitung Lüderssen Einl. L 41 ff. Einzelheiten bei § 337, 99 ff.
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Vgl. auch Peters 11; Roxin §1, 13; Neumann ZStW 101 (1989) 54 ff; Volk JZ 1982 90; dazu grundsätzlich in dieser Einleitung Lüderssen Rdn. L 15 ff. LR-K.Schäfer24 Einl. Kap 6 1 a. Vgl. dazu namentlich Peters (Strafrechtsgestaltende Kraft); Lüderssen ZStW 85 (1973) 288 ff; Volk JZ 1982 90; kritisch Naucke FS Lackner 706. Peters 11; Lüderssen (Krise); Wolter bei Wolter/ Freund.
Stand: 1. 8. 1998
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Schriften geregelt, sondern diese Aufgabe wird dem insoweit elastischeren Prozeßrecht namentlich in den Vorschriften über die Begrenzungen des Legalitätsprinzips bei Geringfügigkeit überlassen, und der weitgespannten Strafbarkeit von Auslandsstraftaten (§§ 5 bis 8 StGB) wird die strafprozessuale Korrekturmöglichkeit der Geltung des Opportunitätsprinzips (§ 153 c StPO) zugeordnet 51 . Ebenso dienen die Lockerungen von der Verfolgungspflicht dazu, materiell-rechtlichen Sanktionsverzicht in der Form des Absehens von Strafe prozessual vorwegzunehmen (§ 153 b StPO). 4. Strafverfahren und Ordnungswidrigkeitenrecht. Obwohl sich das Recht der 27 Ordnungswidrigkeiten in der Entwicklung nach 1945 vom materiellen Strafrecht und das Bußgeldverfahren vom Strafprozeßrecht getrennt hat und kodifikatorisch im OWiG selbtändig geregelt ist52, bestehen zwischen dem gerichtlichen Bußgeldverfahren und dem Strafverfahren enge Beziehungen. Viele Institute und Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechts sind dem Straf- und Strafprozeßrecht, wenn auch teilweise mit anderen Einzelheiten, nachgebildet. Das gerichtliche Bußgeldverfahren gehört als Bestandteil der ordentlichen Gerichtsbarkeit im weiteren Sinne zur Strafgerichtsbarkeit. Soweit das OWiG keine besonderen Regelungen enthält, gelten gemäß § 46 Abs. 1 OWiG die StPO und das GVG sinngemäß. Schließlich ermöglicht es das OWiG mit einer Reihe von Vorschriften, bei einer einheitlichen prozessualen Tat oder in Fällen des Zusammenhangs dem Wechsel einer Beurteilung von Ordnungswidrigkeit und Straftat im gleichen Verfahren Rechnung zu tragen 53 . So ist im Strafverfahren die verfahrensgegenständliche Tat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit zu beurteilen, und ein Bußgeldverfahren kann, wenn sich die Qualifikation als Straftat herausstellt, als Strafverfahren fortgesetzt werden. Wegen der Einzelheiten ist auf die Kommentare zum OWiG sowie auf die Erläuterungen bei den einzelnen Vorschriften zu verweisen 54 . 5. Geltung des Strafverfahrensrechts für andere Rechtsgebiete. Kraft ausdrückli- 28 eher Verweisung gilt das Strafverfahrensrecht ergänzend für die Mehrzahl der berufs- und ehrengerichtlichen Verfahren, beispielsweise für die berufsgerichtliche Ahndung von Pflichtverletzungen von Rechtsanwälten (§116 Satz 2 BRAO); allerdings sind zahlreiche Einzelheiten abweichend geregelt 55 . Dagegen ist das beamtenrechtliche Disziplinarverfahren, dem durch Verweisung 56 das Berufsrecht der Notare entspricht, ohne eine solche ergänzende Bezugnahme auf das Strafverfahrensrecht in der BDiszpO abschließend ausgestaltet 57 , wenn auch, was das gerichtliche Disziplinarverfahren angeht, mit nicht unerheblichen Anklängen an das Strafverfahren. Verbindungen zum Strafverfahren bestehen im Disziplinarverfahren jedoch insoweit, als das Disziplinarverfahren auszusetzen ist, wenn wegen des gleichen Sachverhalts die öffentliche Klage im Strafverfahren erhoben ist (§ 17 BDiszplO), und die tragenden tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils für das Disziplinarverfahren grundsätzlich bindend sind (§ 18 BDiszplO) 58 . Vgl. dazu auch mit näheren Nachw. die Erl. zu den §§ 153 ff StPO. Vgl. zur Entwicklung ausführlich LR-AT. Schäfer24 Einl. Kap. 3 93 ff; Göhler Einl. 12 ff; KK-OWiGBohnert Einl. 31 ff; zum Verhältnis des formellen Ordnungswidrigkeitenrechts zum Strafverfahren KK-OWiG-Bohnert Einl. 42; 167 ff; Vor § 1, 6; KK-OWiG-Lampe Vor § 35. § § 4 0 bis 45, 8 I b i s 83 OWiG. S. auch unten Rdn. J 101 f. Im Prinzip übereinstimmende Regelungen ζ. B. für Patentanwälte (§ 98 Satz 2 PatAO); Steuerberater (21)
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(§ 153 StBerG) und Wirtschaftsprüfer (§ 127 WiPiO). § 96 BNotO unter Bezugnahme auf die landesrechtlichen Disziplinarvorschriften für Justizbeamte. Ebenso die entsprechenden, weitgehend übereinstimmenden landesrechtlichen Bestimmungen. Wegen weiterer Einzelheiten zum Verhältnis von Straf- und Disziplinarverfahren s. LR-Schäfer 2 4 Einl. Kap. 7 13 ff; insgesamt zu den Beziehungen zwischen Straf- und Disziplinarrecht Lambrecht mit weit. Nachw.
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6. Strafverfahren und Justizverwaltung. Als Strafrechtspflege läßt sich diejenige Tätigkeit bezeichnen, die — allgemein oder im Einzelfall — darauf abzielt, Strafverfahren zu ermöglichen oder durchzuführen. Sie ist in ihrem Kernbereich, nämlich soweit es um die verbindliche Feststelllung eines strafbaren Verhaltens und die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion geht, Rechtsprechung im Sinne der Art. 92 ff GG und insoweit den Richtern anvertraut. Jedoch reicht der Umfang der Strafrechtspflege weiter; er umfaßt auch diejenigen Tätigkeiten und Aufgaben, die diese eigentliche rechtsprechende Tätigkeit erst ermöglichen, sie vorbereiten sollen oder ihr nachfolgen. Insoweit handelt es sich, weil der rechtsprechenden Tätigkeit zugeordnet, zwar um Aufgaben der Rechtspflege, und die sie bestimmenden Vorschriften lassen sich als Rechtspflegerecht bezeichnen 59 , aber nicht um Rechtsprechung, sondern um Justizverwaltungstätigkeit 60 . Strafrechtspflege in ihrer Gesamtheit setzt sich daher fast gleichrangig aus Rechtsprechung und Justizverwaltung zusammen.
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Zur Justizverwaltung gehört einmal die Bereitstellung der sachlichen und persönlichen Mittel, die zur Durchführung der Strafrechtspflege allgemein oder im Einzelfall erforderlich sind, also beispielsweise die Personalverwaltung, die Dienst- und Fachaufsicht, gegenüber Richtern nur insoweit, als sie in den Grenzen der richterlichen Unabhängigkeit zulässig ist, oder die Ausübung des Hausrechts. Auch soweit sie durch Richter wahrgenommen wird, unterliegt sie nicht den Garantien richterlicher Unabhängigkeit, diese handeln insoweit vielmehr als weisungsgebundene Organe der Justizverwaltung. Dagegen ist die gerichtsinterne Geschäftsverteilung durch die Präsidien nach den §§21 a ff GVG keine Justizverwaltungstätigkeit, sondern eine solche, die jedenfalls der Rechtsprechung verwandt ist und als richterliche Selbstverwaltung in weisungsfreier richterlicher Unabhängigkeit ausgeübt wird 61 . Wieweit die richterliche Tätigkeit im Ermittlungsverfahren materielle Rechtsprechungstätigkeit oder Amtshilfe darstellt, ist im einzelnen umstritten 62 .
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Auch die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und der ihr zugeordneten Hilfsorgane, namentlich der Polizei, soweit sie strafverfolgend tätig wird, ist Justizverwaltungs- und nicht Rechtsprechungstätigkeit. Der Staatsanwalt ist als Organ der Strafrechtspflege zwar der rechtsprechenden Gewalt zugeordnet, aber kein Teil der rechtsprechenden Gewalt; das ist heute (wieder) fast allgemeine Meinung 63 . Im wesentlichen dem Bereich der Justizverwaltung, nicht der Rechtsprechung, zuzuordnen ist damit das Ermittlungsverfahren bis zur Erhebung der öffentlichen Klage. Ausnahmen gelten nur insoweit, als in diesem Verfahrensstadium richterliche Entscheidungen in Betracht kommen, die materielle Rechtsprechungstätigkeit darstellen, wie etwa die Entscheidungen über die Untersuchungshaft oder die Anordnung, Bestätigung oder Überprüfung von Zwangsmaßnahmen aufgrund von Richtervorbehalten. Daraus folgt allerdings nicht, daß die Maßnahmen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren als Justizverwaltungsakte im Sinne der §§ 23 ff EGGVG anzusehen seien; vielmehr ist grundsätzlich das innerprozessuale Rechtsschutzsystem der StPO vorrangig. Die Einzelheiten sind bei § 23 EGGVG erläutert.
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Zur Justizverwaltung gehören ferner die Strafvollstreckung und der Strafvollzug, soweit nicht im Einzelfall den Gerichten Aufgaben zugewiesen worden sind, die als Rechtsprechungsaufgaben in richterlicher Unabhängigkeit wahrzunehmen sind, wie bei59
Vgl. zu diesem Begriff LR-Rieß 1 4 Anh. II EinigungsV, Teil A Rdn. 38; zum Verhältnis von Rechtsprechung und Rechtspflege s. etwa auch Henkel 133; Eb. Schmidt I 480 ff.
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Eb. Schmidt I 480 ff verwendet die Bezeichnung „Gerichtsverwaltung"; zum Umfang der Justizverwaltung s. auch § 4, 3 EGGVG. 61 S. näher die Erl. zu den §§ 21 a ff GVG. Μ S. die Erl. zu § 162 (24. Aufl. Rdn. 2). 63 S. näher unter Rdn. I 56 f.
Stand: 1. 8. 1998
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spielsweise die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung oder die nachträgliche Gesamtstrafenbildung.
III. Zur Europäisierung und Internationalisierung des Strafverfahrens 1. Allgemeine Entwicklungstendenzen. Ähnlich wie das materielle Strafrecht 64 ist 33 auch das Strafverfahrensrecht in seinen wesentlichen Bestandteilen traditionell nationales Recht und wird auch in der Einleitung zu diesem Kommentar in erster Linie in diesem Sinne erläutert 65 . Es ist weder zu erwarten, noch dürfte es überhaupt wünschenswert sein, daß sich in absehbarer Zeit eine die nationalen Rechtsordnungen ersetzende auch nur europäische einheitliche Gesamtstrafprozeßordnung bildet; auch die supranationale Rechtsvereinheitlichung innerhalb der EG dürfte daran mittelfristig grundsätzlich nichts ändern 66 , wenn auch die supranationalen Rechtsvorschriften auch für das Strafverfahren an Bedeutung gewinnen werden. Dennoch sind die nationalen Strafverfahrensordnungen in ihrem Zustand und in ihrer 34 Entwicklung nicht isoliert und autark nur aus ihrer nationalstaatlichen Rechtsordnung heraus zu beurteilen. Vielmehr zeigt vor allem die neuere Entwicklung eine sich intensivierende Tendenz zu einer Öffnung gegenüber internationalen und supranationalen Einflüssen. Sie sind — über die traditionellen Erkenntnisse der rechtsvergleichenden Forschung hinaus 67 — einmal für die nationale Rechtssetzung von Bedeutung, der sie Schranken auferlegen und deren Fortentwicklung sie bestimmen. Internationale und supranationale Normen erscheinen aber auch als selbständige Rechtsquellen des nationalen Strafverfahrensrechts (s. näher Rdn. C 7 ff) und sind für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts von im Einzelfall unterschiedlicher Bedeutung. Auch in der noch überwiegend nationalrechtlich ausgerichteten Strafrechtswissenschaft stößt der Gedanke einer Internationalisierung zunehmend auf Aufmerksamkeit 68 . 2. Internationalisierung des Strafverfahrensrechts. Bezogen auf die Gesamtheit der 35 Völkergemeinschaft konkretisiert sich über den traditionellen Bestand des allgemeinen Völkerrechts für auch strafprozessual bedeutsame Fragen etwa der Exterritorialität hinaus der Einfluß namentlich in der allgemeinen Anerkennung (auch) strafverfahrensrechtlicher Mindeststandards, wie sie etwa im Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte enthalten sind 69 , oder in speziellen auch von der Bundesrepublik anerkannten völkerrechtlich verbindlichen Abkommen über einzelne Fragen des Strafverfahrens zum Ausdruck kommen 70 . Mit der Einrichtung von Internationalen Strafgerichtshöfen zur 64
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Zu den hier nicht näher zu behandelnden Fragen der internationalen Rechtsangleichung im materiellen Strafrecht s. etwa, jeweils mit weit. Nachw., Kühl ZStW 109 (1977) 777 ff; Perron ZStW 109 (1997) 281 ff; Rüter ZStW 105 (1993) 30 ff; Sieber JZ 1997 369 ff; Weigemi ZStW 105 (1993) 774 ff. Zur Bedeutung der MRK und des IPBPR jedoch umfassend die Erl. hierzu im Anhang; weitere Hinweise auf aktuelle völkerrechtliche und supranationale Bezüge jeweils bei den Erläuterungen zu den einzelnen Vorschriften. S. dazu mit weit. Nachw. etwa Nettes ZStW 109 (1997) 747; Ruter ZStW 105 (1993) 30 ff; Schomburg StV 1998 153. Aktueller rechtsvergleichender Überblick über die gegenwärtigen strafprozessualen Entwicklungstendenzen mit weit. Nachw. bei Eser ZStW 108
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(1996) 86 ff; vgl. auch Weigend ZStW 104 (1992) 486 ff; ferner dort (S. 429 ff) die Beiträge zur Strafprozeßreform in Italien (Stile)·, Portugal (Figueiredo Dias) und Polen (Cieslak). Näher mit weit. Nachw. Kühl ZStW 109 (1997) 777 ff; s. auch Perron ZStW 109 (1997) 297 ff; Jung in: Jung (Hrsg.) Einl. Zu diesem näher mit Wiedergabe des Wortlauts die gemeinsamen Erläuterungen mit der MRK im Anhang, auch zur Rechtsnatur und zum Umfang der Geltung (24. Aufl. Einl. zur MRK, Rdn. 14 ff). Vgl. etwa (als Beispiel) das VN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. 12. 1984 (BGBl. II 1990 S. 246); Text auch bei den Erl. zur MRK im Anhang (24. Aufl. S. 63 ff).
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Aburteilung von Völkerstrafrecht verbindet sich einmal eine allmähliche Entwicklung auch von international praktizierten Mindeststandards einer ihren Verfahrensordnungen zugrundeliegenden Vorstellung eines fairen Verfahrens72, zum anderen wirkt ihre Tätigkeit teilweise durch ihnen eingeräumte Vorrechte unmittelbar auf das deutsche Strafprozeßrecht ein73. Gemeinsame Grundlagen auch für Strafverfahren entwickeln ferner die verschiedenen, im Rahmen der internationalen Völkergemeinschaft veranstalteten Kongresse; auch die hiermit verbundenen Erkenntnisse und Empfehlungen wirken auf die nationale Rechtssetzung und Rechtsanwendung ein74. 36
3. Europäisierung des Strafverfahrensrechts. Weitaus intensiver als die aus der allgemeinen internationalen Entwicklung herrührenden Einflüsse sind diejenigen, die den engeren gemeinsamen europäischen Kulturkreis betreffen75. Ihre Grundlagen finden sich einmal im Europarat und den ihm zuzurechnenden Aktivitäten und Institutionen, zum anderen in der Entwicklung des supranationalen Rechts der Europäischen Gemeinschaft mit ihrer zunehmend auf Integration und Rechtsvereinheitlichung gerichteten Tendenz. Aus beiden Wurzeln heraus erklären sich die Bemühungen, gemeinsame Grundsätze und Modellregelungen zu erarbeiten. Dies geschieht teilweise durch internationale Gremien, die von den Mitgliedstaaten gebildet werden, teilweise durch die Initiative privater Sachverständiger aus verschiedenen Staaten76.
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Auf der Ebene des Europarates ist vor allem auch für die Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Strafverfahrensrechts die Rechtsprechungstätigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von entscheidender Bedeutung77. Der dadurch eröffnete Individualrechtsschutz auf der Basis der in der MRK enthaltenen prozeßrechtlichen Gewährleistungen eröffnet nicht nur eine zusätzliche Kontrolle der Rechtsanwendung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte. Vielmehr befördert er zugleich, da der EGMR die Rechtsnormen und die Rechtsanwendung aller Mitgliedstaaten zu beurteilen hat, die Herausbildung einheitlicher Rechtsgrundsätze und damit der Grundlagen für ein gesamteuropäisches Strafprozeßverständnis78. 38 In der Europäischen Union sind derzeit noch mehrere Ebenen zu unterscheiden79. Die Rechtssetzungskompetenz der EU erstreckt sich derzeit noch nicht in erheblichem Umfang auf das Strafverfahrensrecht (s. näher Rdn. C 9), jedoch spielt Gemeinschaftsrecht und das dabei zu beachtende Vorlageverfahren nach Art. 177 EG Vertrag80 insoweit 71
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Dazu etwa mit weit. Nachw. Werle ZStW 109 (1997) 808 ff; s. auch Nill-Theobald ZStW 108 (1996) 229; Roggemann NJW 1994 1436; Trautwein NJW 1995 1658 mit weit. Nachw.; zur neuesten Entwicklung bei der Schaffung eines allgemeinen internationalen Strafgerichtshofs s. Kinkel NJW 1998 260. Vgl. etwa die die Stellung des Beschuldigten präzisierenden Regelungen des Jugoslawien-Strafgerichtshofs; dazu Ambos NStZ 1998 123 ff und NJW 1998 1444. Vgl. unten Rdn. C 8 Fußn. 18 und Rdn. J 109 mit Nachw.; s. auch Schomburg NStZ 1995 428 ff; Trautwein NJW 1995 1658; Werle ZStW 109 (1997) 823 f. Vgl. (nur als letztes Beispiel) den Bericht über den XV. Internationalen Strafrechtskongress (1994) in ZStW 108 (1996) 667 ff, namentlich die Berichte von Gössel (S. 679) und die Entschließungen S. 705 f.
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S. die umfassende Übersicht bei Nelles ZStW 109 (1997) 727 ff mit der Unterscheidung in Europäische Union, Schengenland und Europarat. S. etwa die Nachw. bei Nelles ZStW 109 (1997) 751 ff; Sieber JZ 1997 369, 377 ff. Zum Rechtsschutzsystem ausführlich die Erl. zur MRK im Anhang (24. Aufl., Verfahren Rdn. 9 ff); zur bevorstehenden tiefgreifenden Umwandlung Meyer-Ladewig NJW 1995 2813 ff; 1998 512. Vgl. auch Bleckmann EuGRZ 1994 149; Trechsel ZStW 101 (1989) 833; s. femer u. a. die Rechtsprechungsübersicht bei Ambos/Ruegenberg NStZ-RR 1998 161 ff. Näher Nelles ZStW 109 (1997) 727 f,732 ff; s. auch Vogler Jura 1992 586 ff. Art. 234 nach der noch nicht in Kraft getretenen neuen Zählung durch den Amsterdamer Vertrag; vgl. auch (zum Vorlageverfahren in Strafsachen und die allgemeinen Vorlagemöglichkeiten ergänzend) das (noch nicht in Kraft getretene) Gesetz
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eine zunehmende Rolle, als auch im Strafverfahren vielfach Fragen aus anderen Rechtsgebieten präjudiziell sein können, die dem Gemeinschaftsrecht unterfallen. Darüber hinaus bestehen im Rahmen des Schengener Durchführungsübereinkommens 81 (SDÜ) sowie von Europol 82 Befugnisse internationaler Behörden namentlich zum Datenaustausch auch zum Zwecke der (polizeilichen) Strafverfolgung, bei denen die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards ebenso umstritten ist 83 wie die Aufrechterhaltung der Leitungsfunktion der Staatsanwaltschaft 84 . Andererseits hat das SDÜ den Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung auf die Aburteilung in anderen Staaten ausgeweitet (näher Rdn. J 109).
IV. Verfahrensrecht und Verfahrenswirklichkeit 1. Strafprozeßrecht und empirische Strafprozeßwissenschaft. Der Strafprozeß ist 39 ein zwar von rechtlichen Regeln, dem Strafprozeßrecht, (mit)bestimmter, aber von ihnen nicht vollständig determinierter tatsächlicher Vorgang, und das Strafverfahren wird nur unzureichend erfaßt, wenn man es allein in Rechtsnormen begreift 85 . Jede Handlung im Strafprozeß hat ihre nicht nur vom Recht her bestimmbaren Ursachen 86 , und dieses Handeln hat wiederum Auswirkungen nicht nur rechtlicher, sondern auch tatsächlicher Art. Der Forschungsbereich, der sich mit der Erhellung solcher Zusammenhänge befaßt, läßt sich im Gegensatz zum Strafprozeßrecht als Strafprozeßlehre 87 oder als Rechtstatsachenforschung bezeichnen; seine Methode ist nicht juristisch-normativ, sondern vorwiegend empirisch orientiert. Die rechtstatsächlichen Erkenntnisse, die die empirische Strafprozeßwissenschaft ver- 40 mittelt, sind zunächst von rechtspolitischer Bedeutung für Änderungen im Strafverfahrensrecht, weil der Gesetzgeber Erkenntnisse darüber benötigt, welche tatsächlichen Probleme das geltende Recht aufwirft und wo Defizite bestehen, wie sich beabsichtigte Änderungen vermutlich in der Wirklichkeit auswirken werden und ob vollzogene Rechtsänderungen die mit ihnen erstrebten Wirkungen herbeigeführt haben (Gesetzesevaluation). Sie berühren aber auch die Anwendung und Auswirkung des geltenden Rechts, weil sich dies nicht im abstrakt-begrifflichen Raum vollzieht, sondern auf Wirkungen in der Realität abzielt, und die Kenntnis von den realen Auswirkungen einer bestimmten Rechtsanwendung oder Auslegung Rückwirkungen auf die zu treffende Entscheidung haben kann und haben sollte. 2. Bedeutung der Verfahrenswirklichkeit. Freiräume für eine rechtlich nicht deter- 41 minierte Verfahrenswirklichkeit bestehen im Strafprozeß überall dort in besonders großem Umfang, wo das Gesetz, wie vielfach, die Entscheidung nicht eindeutig bestimmt, sondern lediglich einen allgemeinen Rahmen vorgibt, so etwa im Ermittlungsverfahren 88
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betreffend die Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Artikel 35 des EU-Vertrages (EuGH-Gesetz) vom 6. 8. 1998 (BGBl. I S. 2035). S. näher Rdn. C 9 und J 109; ferner Nelles ZStW 109(1997) 735 ff. Näher Bull DRiZ 1998 32 ff; Nelles ZStW 109 (1997) 739; Scheller JZ 1992 904 ff; vgl. auch Rdn. C 9. S. dazu u. a. (teilw. kontrovers) jeweils mit weit. Nachw. Nelles ZStW 109 (1997) 747 ff; Baldus
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Peter Rieß
ZRP 1997 286 ff; Bull DRiZ 1998 32 ff; Frowein/ Krisch JZ 1998 589 ff; Hailbronner JZ 1998 283 ff; Lisken DRiZ 1998 75 ff; Niddecke/Szczekalla JZ 1993 291 ; Ostendorf NJW 1997 3418 ff; Pitschkas JZ 1993 861 ff; Scheller JZ 1992 904 ff; SchUbel NStZ 1997 107 ff. Ostendorf NJW 1997 3418 ff; dagegen Bull DRiZ 1998 38 f. Peters GedS Hans Peters, 893; FS Maurach 453 ff; Schreiber ZStW 88 (1976) 117. Peters GedS Hans Peters 905. So insbesondere Peters GedS Hans Peters 905 f; FS Maurach, 455 ff; s. auch Roxin § 1, 15 ff. Peters FS Maurach, 461.
Einl. Abschn. Β
Einleitung
oder bei den der Verteidigung dienenden Aktivitäten. Hier läßt sich die Wirklichkeit des Strafverfahrens regelmäßig nur unter Rückgriff auf rechtstatsächliche Erkenntnisse zutreffend erfassen. Aber auch in stärker rechtlich vorgeprägten Bereichen des Strafprozesses vermitteln vielfach nur solche Erkenntnisse Aufschlüsse über die Häufigkeit der Anwendung bestimmter prozessualer Maßnahmen und die Binnenstruktur der in Betracht kommenden Fallgestaltungen 89 . Schließlich -liefert die empirische Forschung auch Erkenntnisse darüber, daß in manchen Bereichen die Verfahrenswirklichkeit den strafprozessualen Normen einen teilweise von der ursprünglichen gesetzgeberischen Konzeption abweichenden Sinn gegeben oder außerhalb des Gesetzesprogramms, wenn nicht gar diesem widersprechend, bestimmte Verfahrensformen entwickelt hat. Auf Einzelheiten wird, soweit veranlaßt, bei den Erläuterungen zu den einzelnen Vorschriften hingewiesen 90 . 42
3. Als Mittel zur Erkenntnis der Verfahrenswirklichkeit stehen zunächst die amtlichen Statistiken der Strafverfolgungsbehörden und der Justizverwaltungen zur Verfügung, die, zusammen mit den Strafverfolgungsstatistiken und der polizeilichen Kriminalstatistik, in erster Linie Auskunft über die Häufigkeit von Strafverfahren, ihre Dauer und die Verteilung auf die verschiedenen Verfahrensarten und Instanzen sowie über die Verfahrenserledigungen geben 91 . Sie sind vielfach Grundlage für weiterführende und verknüpfende wissenschaftliche Untersuchungen. Mehr der Auslegung des geltenden Rechts oder rechtspolitischen Überlegungen gewidmete Untersuchungen enthalten nicht selten auch Hinweise auf praktische Erfahrungen, die oft Handlungsmuster und Gepflogenheiten der Praxis erkennen lassen. Aufschlußreich sind ferner die für die praktische Rechtsanwendung bestimmten Anleitungsbücher. All dies ist für die Erfassung der Verfahrenswirklichkeit von großer Bedeutung, auch wenn es nicht immer den Standards moderner empirischer Sozialforschung entspricht 92 .
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Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahrzehnten die empirische Rechtstatsachenforschung auch auf dem Gebiet des Strafverfahrens mit komplexeren, methodisch anspruchsvolleren Untersuchungen außerordentlich reich entfaltet; die Ergebnisse sind teilweise auch in die kriminologischen Lehrbücher, auf die verwiesen werden kann 93 , eingeflossen oder werden in sekundäranalytischen Zusammenfassungen 94 nachgewiesen. Wegen der entsprechenden Nachweise ist auf die Erläuterung zu den einzelnen Vorschriften zu verweisen.
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Peters FS Maurach, 455 f. Vgl. auch unten Rdn. G 58 ff (Vereinbarungen) und Rdn. F 15. Näher Eisenberg (Kriminologie) § 17; Rieß FS Sarstedt 256 f; Heinz,· Blankenburg/v. Kempski/Lebrun/Morasch/Schumacher. Vgl. zu diesen etwa die Forderungen bei Dessekker/Geisler-Frank 378; zu den Methoden der
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Prozeßbeschreibung in der Strafprozeßlehre s. auch Peters FS Maurach 456 ff und FS Henkel 262 ff. S. ζ. B. Eisenberg (Kriminologie) §§ 26 bis 31. Vor allem ausführlich Dessecker/Geisler-Frank mit Nachw. der unveröffentlichten, aber auf Datenträger verfügbaren kommentierten Bibliographie von mehr als 500 empirischen Untersuchungen.
Stand: 1. 8. 1998
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C. Die Quellen des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts und ihr Verhältnis zueinander Übersicht Rdn. I. Allgemeines 1. Überblick 2. Bundesrecht und Landesrecht II. Verfassungsrecht, Völkerrecht und supranationales Recht 1. Grundgesetz 2. Völkerrecht
3. Supranationales Recht 3
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Rdn. 9
III. Rechtsquellen des einfachen Bundesrechts 1. Hauptkodifikationen 2. Andere Bundesgesetze
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IV. Landesrecht
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V. Justizverwaltungsvorschriften
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I. Allgemeines 1. Überblick. Das Strafverfahrensrecht wurde alsbald nach der Gründung des Deut- 1 sehen Reiches 1871 im Rahmen der sog. Reichsjustizgesetze reichsrechtlich und kodifikatorisch gesetzlich geregelt1. Es gilt seither, abgesehen von 1945 bis 1949 und der Sonderentwicklung in der DDR 2 , weitgehend reichs- bzw. bundeseinheitlich. Die StPO und das GVG stellen die bei weitem wichtigste Grundlage für die Rechtsanwendung dar; doch bilden sie nicht allein die Quellen des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts. Die verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Entwicklung insbesondere nach 1945 2 hat bewirkt, daß wichtige Grundprinzipien und Elemente des Strafverfahrens auf einer (zumindest auch) übergesetzlichen Ebene verankert sind (näher Rdn. 7). Dies begrenzt die Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers ebenso, wie es vom Rechtsanwender bei der Auslegung Beachtung erfordert. Auf der einfachgesetzlichen Ebene werden die Hauptkodifikationen StPO und GVG durch eine Reihe weiterer bundes- und landesrechtlicher Vorschriften ergänzt, die teilweise unmittelbar oder kraft Verweisung Materien des Strafverfahrensrechts regeln oder deren Regelungsinhalt in einer Art Reflexwirkung auf das Strafverfahrensrecht zurückwirkt. Während das Gewohnheitsrecht nur eine geringe Bedeutung hat, sind wichtige Rechtsinstitute, wie etwa der Begriff der Verfahrensvoraussetzung, zwar durch das Gesetz anerkannt, werden aber in ihren Konturen weitgehend durch Richterrecht bestimmt. Schließlich sind auf der untergesetzlichen Ebene in nicht zu vernachlässigendem Umfang auch allgemeine Verwaltungsvorschriften zu beachten. 2. Bundesrecht und Landesrecht. Strafverfahrensrecht ist überwiegend Bundesrecht; 3 es beruht im wesentlichen auf dem die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes eröffnenden Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und schließt nach Art. 72 Abs. 1 GG grundsätzlich eine Gesetzgebungskompetenz der Länder aus, weil wegen des Charakters der StPO und (wesentlicher Teile) des GVG als Kodifikationen der Bundesgesetzgeber wie schon der Reichsgesetzgeber die Materie Strafverfahrensrecht abschließend geregelt ι Näher Rdn. Ε 5 ff. (27)
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Peter R i e ß
Dazu näher Rdn. Ε 157 ff.
Einl. Abschn. C
Die Quellen des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts
3
hat . Eine Ausnahme mit der Folge einer zunächst bestehenbleibenden Gesetzgebungskompetenz der Länder dürfte nur dann (und solange) anzuerkennen sein, wenn es sich um eine Materie handelt, deren Regelungsnotwendigkeit außerhalb der Vorstellung des historischen Gesetzgebers lag4. In solchen Fällen erlischt die Landeskompetenz frühestens dann, wenn der Bundesgesetzgeber ein Gesetzgebungsverfahren nach dem Grundgesetz beginnt. 4
Partielles Bundesrecht, also solches, das nur in Teilen des Bundesgebietes gilt, ist auch im Strafverfahrensrecht bei der deutschen Wiedervereinigung entstanden und gilt teilweise noch fort 5 . Dazu gehören einmal die nur für das Beitrittsgebiet geltenden Sondervorschriften der Anlagen zum Einigungsvertrag6, soweit sie nicht inzwischen durch die weitere Entwicklung obsolet geworden sind; ferner die §§40 bis 44 des noch von der DDR erlassenen und im EinigungsV aufrechterhaltenen 7 SchiedsstG, dessen übrige Teile als Landesrecht in den fünf neuen Ländern fortgelten und deshalb der Disposition des Landesgesetzgebers unterliegen8.
5
Im übrigen kommt Landesrecht als strafverfahrensrechtliche Rechtsquelle in Betracht, soweit das Bundesrecht eine entsprechende Öffnungsklausel (vgl. ζ. B. § 3 Abs. 2, 3, § 6 Abs. 2 EGStPO, §§ 4 a, 9 und 10 EGGVG und die dortigen Erläuterungen) oder einen Regelungsvorbehalt (vgl. ζ. B. § 380 Abs. 1 StPO, §§ 152 Abs. 2, § 153 Abs. 4 Satz 1 GVG) oder eine ausdrückliche Ermächtigung (vgl. ζ. B. §§ 58, 74 d, 78, 78 b Abs. 2, 121 Abs. 3 GVG) enthält. In der Gesetzgebungskompetenz der Länder liegt auch die Bestimmung der Gerichtsorganisation im einzelnen. Insbesondere die weitgehende Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Polizeirecht entfaltet bedeutsame Reflexwirkungen für die Ausführung und Anwendung des Strafverfahrensrechts.
II. Verfassungsrecht, Völkerrecht und supranationales Recht 6
1. Das Grundgesetz ist in unterschiedlicher Form eine wichtige Rechtsquelle auch für das Strafverfahrensrecht. Teilweise hat es konkrete strafprozessuale Normen mit Verfassungsrang ausgestattet9. Darüber hinaus enthalten insbesondere die Art. 92 ff GG und die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) wichtige Gewährleistungen auch und gerade für das Strafverfahren. Hinzu kommt die Wirkung der allgemeinen Grundrechte und schließlich hat die Verfassungsinterpretation unter der Führung des Bundesverfassungsgerichts aus der Gesamtheit der Verfassung traditionelle strafprozessualer Institutionen verfassungsrechtlich verankert und besondere verfassungsrechtliche Maßstäbe und Topoi strafprozessualer Art entwickelt. In seiner Gesamtheit erscheint das Verfassungsrecht dabei als subsumtionsfähige Norm, Auslegungsmaßstab, Abwägungsgesichtspunkt, Wertentscheidung und Grenzbestimmung 10 (näher unter Rdn. G 3).
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4
Zu den sich daraus ergebenden Bedenken gegen die teilweise in den AGGVG der Länder enthaltenen Regelungen über die Ausschließung von Staatsanwälten s. Vor § 22, 9 Fußn. 21 mit weit. Nachw. Dies könnte ζ. B. für die vom Land Berlin in den §§ 21 ff AGGVG vom 23. 3. 1992 (GVB1. S. 13) getroffenen Regelungen über Datenverarbeitung und Datenschutz anzunehmen sein, die allerdings spätestens bei Inkrafttreten der beabsichtigten bundesgesetzlichen Regelung in der StPO (s. Rdn. Ε 152) weitgehend durch diese gem. Art. 31 GG verdrängt werden würden.
5 Näher 24. Aufl. Nachtr. II Teil A Rdn. 26. 6 Einzelheiten bei Rieß/Hilger im Nachtr. II zur 24. Aufl.; s. auch Rdn. Ε 179 f. 7 EinigungsV; Anl. II Kap. III Sachgeb. Α Abschn. I Nr. 3. 8 Rieß/Hilger Nachtr. II zur 24. Aufl. Teil C Rdn. 27. 9 Namentlich Art. 13 Abs. 2 und 3 (Durchsuchungen), Art. 101 Abs. 1 Satz 2 (gesetzlicher Richter), Art. 103 Abs. 1 (rechtliches Gehör), Art. 103 Abs. 3 (ne bis in idem) und Art. 104 (Freiheitsentziehung). 1» Rieß StraFo 1995 95 f.
Stand: 1. 8. 1998
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Die Quellen des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts
Einl. Abschn. C
2. Auch das Völkerrecht, dessen allgemeine Regeln nach Art. 25 GG vorrangiger 7 Bestandteil des Bundesrechts sind, oder im Völkerrecht verankerte innerstaatliche Regelungen sind als Rechtsquellen für das Strafverfahren zu beachten 11 . Von besonderer Bedeutung sind insoweit die zugleich als innerstaatliches Recht verbindliche Europäische Menschenrechtskonvention sowie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, weil sie namentlich für das Strafverfahrensrecht wichtige und teilweise grundlegende Gewährleistungen enthalten 12 . Wegen der Einzelheiten, auch der Zusatzprotokolle und Ergänzungen und des Grades und Ranges ihrer innerstaatlichen Verbindlichkeit wird auf die besonderen Erläuterungen in diesem Kommentar 13 verwiesen. In zunehmendem Umfang gewinnen auch für einzelne Institute und spezielle Regelun- 8 gen des Strafverfahrensrechts umfassende völkerrechtliche Vereinbarungen oder bilaterale Verträge Bedeutung; nicht selten regeln hierbei auch die innerstaatlichen Zustimmungs- und Ausführungsgesetze strafverfahrensrechtliche Materien als innerstaatliches Recht auch außerhalb der StPO. Dazu gehören, den Umfang der deutschen Gerichtsbarkeit beschränkend, traditionell das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen 14 und das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen 15 sowie das NATO-Truppenstatut mit seinen Zusatzabkommen 16 . Aus neuerer Zeit sind beispielsweise das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen 17 sowie die Bildung des Internationalen Jugoslawien-Strafgerichtshofes 18 zu nennen. 3. Supranationales Recht, namentlich in der Form der verschiedenen Rechtssetzungs- 9 akte der Europäischen Union, hat bisher im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten im Strafverfahrensrecht als Rechtsquelle noch keine besonders herausragende Bedeutung erlangt. Jedoch enthält der Vertrag von Maastricht über die Europäische Union 19 im Titel VI nunmehr auch Bestimmungen, die die Grundlage für eine supranationale Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik bilden sollen 20 . Das sog. Schengener Übereinkommen 21 , dem derzeit nur ein Teil der Mitglieder der EU angehört 22 , regelt u. a. die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizeibehörden der Vertragsstaaten auch bei den polizeilichen Aufgaben der Strafverfolgung. Grundlagen für einen grenzüberschreitenden Datenaustausch namentlich der Polizeibehörden enthält ferner das Euro-
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S. auch Rdn. Β 35. Insbes. Art. 5, 6 MRK, Art. 9, 11, 14 IPBPR; s. auch Rdn. Β 37. Vgl. zunächst die Erläuterungen in der 24. Aufl. (Bd. 6 Teilbd. 2); zum Verfassungsrang der MRK s„ abweichend von der h.M bejahend, auch Bleckmann EuGRZ 1994 149 ff. Vom 18. 4. 1961 (BGBl. 1964 II S. 957): näher die Erl. zu § 18GVG. Vom 24.4. 1963 (BGBl. 1969 II S. 1585); näher die Erl. zu § 19GVG. S. neuerdings auch in Anlehnung hieran § 7 des Streitkräfteaufenthaltsgesetzes vom 20.7. 1995 (BGBl. II S. 554) betr. die Gerichtsbarkeit über Mitglieder der Entsendestreitkräfte. Vom 20. 4. 1959 (BGBl. 1964 S. 1369) mit Zusatzprotokoll v. 17. 3. 1978 (BGBl. 1990 II S. 124); vgl. auch die Übersicht bei Vogler Jura 1992 586 ff. Zu den innerstaatlichen prozessualen Auswirkungen des Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetzes vom 10. 4. 1995 (BGBl. I S. 485) näher Schom-
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Peter Rieß
burg NStZ 1995 428 f; ferner unten Rdn. J 110; Nachweis und Wiedergabe der Völkerrechtlichen Grundlagen in BTDrucks. 13 57, S. 14 ff; s. auch Nill-Theobald ZStW 108 (1996) 229; Ambos/Ruegenberg NStZ-RR 1998 167 ff mit Übersicht über die bisherige Rspr. Vom 7. 2. 1992 (BGBl. II S. 1253). S. vor allem die Art. Κ 1, Κ 6, Κ 4 und Κ. Einzelheiten ζ. Β. bei Nelles ZStW 109 (1997) 732; dort auch (Fußn. 3, 9, 33) Nachw. der beabsichtigten Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam; vollständige Textwiedergabe jetzt in der Beilage zu NJW 1998 Heft 11; zum Inhalt s. auch Hilf/Pache NJW 1998 705. Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19.6. 1990 (BGBl. II 1993 S. 1013); s. auch Rdn. Β 38, J 108 mit weit. Nachw. Nachw. bei Schomburg StV 1997 384.
Einl. Abschn. C
Die Quellen des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts
pol-Übereinkommen 23 ; die Möglichkeit der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ist ebenfalls durch ein EU-Übereinkommen geregelt 24 .
III. Rechtsquellen des einfachen Bundesrechts 10
1. Strafverfahrensrechtliche Hauptkodifikationen sind seit 1877 die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit ihren Einführungsgesetzen, die zusammen mit der ZPO sowie der KO erlassen wurden und (neben einigen weiteren Gesetzen) als Reichsjustizgesetze bezeichnet werden. Sie sind als Teile eines einheitlichen Ganzen konzipiert, namentlich bildet das Gerichtsverfassungsgesetz die gemeinsame Grundlage und eine Voraussetzung der beiden Verfahrensgesetze. Aus diesem Zusammenhang erklärt es sich auch, daß das GVG neben den Vorschriften über die Ordnung des Gerichtswesens auch Gegenstände rein verfahrensrechtlicher Art regelt, die gleichermaßen für das Zivil- und das Strafverfahren gelten sollen, wie etwa die Rechtshilfe, die Öffentlichkeit und Sitzungspolizei, die Gerichtssprache und die Beratung und Abstimmung. In ihrer inzwischen fast 120jährigen Geltung sind GVG und StPO vielfach geändert worden; auf die ausführliche Darstellung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte im Abschnitt Ε wird verwiesen.
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Das Jugendgerichtsgesetz stellt insoweit eine umfassende strafverfahrensrechtliche besondere Kodifikation dar, als es vor allem in den §§ 33 bis 81 JGG auf der Grundlage des allgemeinen Strafverfahrens- und Gerichtsverfassungsrechts die Besonderheiten des Strafverfahrens gegen Jugendliche und Heranwachsende zusammenfassend und grundsätzlich abschließend regelt.
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2. Auch in anderen Bundesgesetzen finden sich zahlreiche Regelungen, die ihrer Natur nach dem Strafverfahrensrecht zuzurechnen sind 25 . So gehören die aus eher traditionellen Gründen im StGB geregelten Materien der Verjährung 26 und der Strafantragsbefugnis 27 nach vorherrschender Meinung zum Strafverfahrensrecht. Besonderheiten des Verfahrensgangs in Steuerstrafsachen sind in der Abgabenordnung 28 geregelt. Einzelheiten über die in die Zuständigkeit des Bundes fallenden polizeilichen Aufgaben der Strafverfolgung enthält das Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG) 29 . Im Betäubungsmittelgesetz finden sich u. a. besondere, die Strafverfolgungspflicht begrenzende Ausnahmen 30 . Die Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes enthalten u. a. auch im Prozeßrecht zu beachtende Verwertungsverböte für tilgungsreife und getilgte Vorstrafen 31 . Auch im OWiG finden sich strafverfahrensrechtliche Bestimmungen insoweit, als die Behandlung von Ordnungswidrigkeiten im Strafverfahren und der Übergang ins Strafverfahren geregelt sind 32 . Wegen der als innerstaatliches Bundesrecht geltenden Regelungen, die an völkerrechtlichen Vereinbarungen anzuknüpfen oder solche umsetzen s. oben Rdn. 8. Übereinkommen über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes (Europol-Übereinkommen) vom 26. 7. 1995 und Zustimmungsgesetz hierzu (Europol-Gesetz) vom 16. 12. 1997 (BGBl. II 1997 S. 2150); s. dazu auch (auch zur Entstehung) Nelles ZStW 109 (1997) 739 f; Ostendorf NJW 1997 3419; ferner Rdn. Β 38; s. auch das Europol-Immunitätenprotokollgesetz vom 19. 5. 1998 (BGBl. II S. 974) mit Wiedergabe des entsprechenden Protokolls. Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstrekkung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen
vom 13. 11. 1991 mit Zustimmungsgesetz vom 7. 7. 1997 (BGBl. II 1997 S. 1350). Vgl. auch die Zusammenstellung bei Roxin § 3, 4. 26 Vgl. mit weit. Nachw. LK-Jähnke Vor § 78, 7 ff; J escheck/Weigend 911. 27 Näher mit weit. Nachw. LK-Jähnke Vor §§ 77, 7 ff; Jescheck/Weigend 906. 28 Insbes. § 385 bis 408 AO. 29 Neufassung anstelle des früheren BKrimAG vom 7. 7. 1997 (BGBl. I S. 1650); s. näher (auch zur Entstehungsgeschichte) Schreiber NJW 1997 2137. 30 §§ 81 ff OWiG. 31 Insbes. § § 3 5 ff BtMG. 32 i 51 ff BZRG, vgl. auch BGHSt 25 25. 25
Stand: 1. 8. 1998
(30)
Die Quellen des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts
Einl. Abschn. C
Die Zivilprozeßordnung ist insoweit auch als strafprozessuale Rechtsquelle von 13 Bedeutung, als die StPO sich in bestimmten Bereichen einer eigenen Regelung enthält und insgesamt auf die ZPO verweist, so beispielsweise für die Zustellung (§ 37 StPO) 33 . Die innerstaatlichen Vorschriften über den internationalen Rechtshilfeverkehr in Strafsachen im IRG betreffen zwar nicht unmittelbar Materien des innerdeutschen Strafverfahrensrechts, sind aber insoweit für die Strafverfolgungsbehörden wichtig, als ihnen vielfach die für die Rechtshilfe erforderlichen Maßnahmen obliegen und sie insoweit auch auf die Beachtung der strafverfahrensrechtlichen Bestimmungen verwiesen werden 34 .
IV. Landesrecht Über das allgemeine Verhältnis von Bundesrecht und Landesrecht im Strafverfahren s. 14 Rdn. 3. Die durch das EGStPO dem Landesrecht vorbehaltenen Regelungsmaterien sind derzeit ohne nennenswerte Bedeutung 35 . Soweit dem Landesrecht die Bestimmung von Regelungen zugewiesen ist, die notwendige Voraussetzung für das Funktionieren strafverfahrensrechtlicher Regelungen sind, wie bei der Bestimmung der für den Sühneversuch nach § 380 StPO erforderlichen Vergleichsbehörde 36 oder der Bestimmung der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft (§ 152 Abs. 2 GVG) 37 , wird man eine Pflicht der Länder annehmen müssen, entsprechende Regelungen zu erlassen. Eine solche Verpflichung besteht selbstverständlich nicht, soweit es dem Landesrecht lediglich überlassen bleibt, von den bundesrechtlichen Vorgaben abweichende Regelungen zu treffen, wie etwa bei Konzentrationsermächtigungen.
V. Justizverwaltungsvorschriften In der Rechtspraxis wird die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden in erheblichem 15 Umfang auch durch allgemeine Verwaltungsvorschriften bestimmt. Sie haben keine Rechtsnormenqualität. Den Richter binden sie nur, soweit er nicht rechtsprechend tätig wird, den Staatsanwalt, soweit das Weisungsrecht reicht 38 . Überwiegend handelt es sich um Vorschriften, die von den Landesjustizverwaltungen erlassen werden, teilweise in inhaltlich übereinstimmender oder gar wortgleicher Form 39 . Sofern auch die strafverfolgende Tätigkeit der Polizei betroffen ist, sind auch gemeinsame Richtlinien der Justiz- und Innenverwaltungen erlassen worden 40 . Als solche Verwaltungsvorschriften von allgemeiner und übergreifender Bedeu- 16 tung sind beispielhaft hervorzuheben: Die detaillierten Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) 41 , die Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz (RiJGG), die Strafvollstreckungsordnung 42 und die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt). Weitere Verwaltungsvorschriften, wie beispielsweise die Aktenordnung befassen sich vorwiegend mit der geschäftsmäßigen Behandlung der Strafverfahren.
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Vgl. auch § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO. S. näher KMR-Sax Einl. VII 18 ff; Kleinknechl/ Meyer-Goßner41 Einl. 215 f. S. im einzelnen die Erl. zu den §§ 3, 6 EGStPO. Zur Problematik und den Konsequenzen des Fehlens einer solchen Vergleichsbehörde BezG Meiningen NStZ 1992 404 mit Anm. Rieß, Rieß NJ 1992 245; wegen der Einzelheiten der gegenwärtigen Regelung s. die Erl. zu § 380 StPO.
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Wegen der Einzelheiten die Erl. zu § 152 Abs. 2 GVG; die Länder haben bisher stets inhaltlich weitgehend Ubereinstimmende Regelungen erlassen. Vgl. dazu die Einführung zu den RiStBV. So z.B. die RiStBV, die für seinen Geschäftsbereich auch vom BMJ erlassen werden. So etwa die Anlagen D und Ε zu den RiStBV. Abdruck ζ. B. bei Kleinknecht/Meyer-Goßner Zur Bedeutung s. näher Vor § 449, 18 f.
D. Der persönliche, örtliche und zeitliche Geltungsbereich des deutschen Strafverfahrensrechts Schrifttum. Herdegen, Matthias Die Achtung fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Strafgewalt, ZaöRV 47 (1987) 221; Klages Meeresumweltschutz und Strafrecht. Zur Ausdehnung deutscher Strafgewalt auf den Festlandsockel (1989); Mankiewicz Die Verfolgung der in einem Luftfahrzeug begangenen Straftat, GA 1961 193; Nagel Beweisaufnahme im Ausland, Rechtsgrundlagen und Praxis der Internationalen Rechtshilfe für deutsche Strafverfahren (1988); Rüping Die völkerrechtliche Immunität im Strafverfahren, FS Kleinknecht 397; Schnorr v. Carolsfeld Probleme des internationalen Strafprozeßrechts, FS Maurach 615; Schölten Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB (1995); von Weber Überleitungsvorschriften im Strafverfahrensrecht, DStR 1940 33, 75; von Weber Der Übergang zum Strafverfahren nach der StPO in der ab 1. 10. 1950 gültigen Fassung, DRiZ 1950 277; Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen (1974); Zlataric Erwägungen zum Abkommen über strafbare und bestimmte andere Handlungen an Bord von Luftfahrzeugen vom 14. September 1963, FS Grützner 160.
Übersicht Rdn.
Rdn.
I. Allgemeines
3. Berücksichtigung ausländischen Verfahrensrechts
1. Grundsätze
1. Allgemeine Grundsätze 2. Einzelfragen a) Besetzungs- und Zuständigkeitsänderungen
II. Persönlicher Geltungsbereich 1. Grundsätze 2. Ausnahmen und Einschränkungen a) Exterritorialität b) Angehörige fremder Truppen . . . c) Staatliche Funktionsträger
III. Räumlicher Geltungsbereich 1. Grundsätze 2. Schiffe und Luftfahrzeuge
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IV. Zeitlicher Geltungsbereich
2. Recht der internationalen Rechtshilfe
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b) Verfahrensvoraussetzungen . . . . c) Präklusionsvorschriften, Fristbestimmungen d) Änderungen der Zulässigkeit von Prozeßhandlungen e) Änderungen im Wiederaufnahmerecht
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I. Allgemeines 1. G r u n d s ä t z e . Die F r a g e des persönlichen, r ä u m l i c h e n und zeitlichen G e l t u n g s b e - 1 reichs des d e u t s c h e n S t r a f v e r f a h r e n s r e c h t s spielt anders als in f r ü h e r e r Zeit 1 im neueren s t r a f p r o z e s s u a l e n S c h r i f t t u m 2 keine g r o ß e Rolle u n d b e s c h ä f t i g t a u c h die R e c h t s p r e c h u n g nicht b e s o n d e r s intensiv. Mit d e r W i e d e r v e r e i n i g u n g sind f ü r den S t r a f p r o z e ß die aus d e m
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Ζ. B. Beling 17 ff; Gerland 29; Glaser 300 ff; v. Hippel 86 ff; v. Kries 78 ff; s. auch noch Henkel 73 ff; Peters 94 ff. Ausführliche Behandlung aus materiell-straf-
Peter Rieß
rechtlicher Sicht auch unter Berücksichtigung der prozessualen Bezüge ζ. B. bei Baumann/Weber/ Mitsch § 7; Jescheck/Weigend §§ 18, 19 mit weit. Nachw.
Einl. A b s c h n . D
Einleitung
Verhältnis zweier deutscher Staaten herrührenden besonderen Fragen obsolet geworden 3 ; für diesen kommt, anders als im materiellen Strafrecht, auch die Anwendung des Strafprozeßrechts der DDR grundsätzlich nicht mehr in Betracht4. Ebensowenig haben die nach 1945 erörterten Fragen der beschränkten deutschen Gerichtsbarkeit und des Vorrangs des Besatzungsrechts (s. dazu Rdn. Ε 77) heute eine nennenswerte aktuelle Bedeutung. Dagegen zeichnen sich für eine zukünftige Entwicklung Fragen der Begrenzung der deutschen Gerichtsbarkeit durch eine internationale Strafgerichtsbarkeit ab5. 2
Nach dem augenblicklichen Rechtszustand besteht kein detailliertes Kollisionsrecht für den Strafprozeß; ein solches ist auch nicht erforderlich 6 . Als Grundregel für die Tätigkeit deutscher Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte gilt, daß sie grundsätzlich das jeweils in Kraft befindliche (zeitliche Komponente) deutsche Strafverfahrensrecht (räumliche Komponente) gegenüber allen Personen (persönliche Komponente) anzuwenden haben. Diese Grundregel unterliegt gewissen Einschränkungen und Ausnahmen, die sich überwiegend aus der Natur der Sache oder aus vorrangigen staats- und völkerrechtlichen Bedingungen ergeben, namentlich aus dem Grundsatz, daß die Ausübung von Gerichtsbarkeit als staatliche Hoheitsgewalt nicht auf fremdes Territorium übergreifen und sich nicht auf ausländische Hoheitsträger bei Ausübung ihrer Hoheitsgewalt erstrekken darf 7 .
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2. Für das Recht der internationalen Rechtshilfe, das gegenüber dem Strafverfahrensrecht eine selbständige Rechtsmaterie darstellt, gelten besondere Vorschriften. Sie sind, neben zahlreichen völkerrechtlichen und zwischenstaatlichen Vereinbarungen, innerstaatlich vor allem im IRG geregelt. Für das Strafverfahren ist die internationale Rechtshilfe, die hier nicht näher zu behandeln ist8, in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Einmal müssen deutsche Strafverfolgungsbehörden, wenn sie in ein fremdes Hoheitsgebiet, etwa durch Beweisaufnahmen oder Ladungen hineinwirken wollen, die Regeln des internationalen Rechtshilfeverkehrs beachten; ferner müssen sie bei der Aburteilung eines aus dem Ausland ausgelieferten Beschuldigten die durch die Auslieferungsbewilligung gezogenen Grenzen der Befugnis zur Aburteilung gegebenenfalls entgegen § 264 StPO berücksichtigen9. Für die Rechtshilfe im Inland für einen anderen Staat haben die deutschen Strafverfolgungsbehörden vielfach das deutsche Strafverfahrensrecht zu beachten (vgl. § 77 IRG). Unter bestimmten Voraussetzungen kann nach § 71 IRG und entsprechenden und teilweise weitergehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen die Vollstrekkung aus einem deutschen Strafurteil einem ausländischen Staat übertragen werden und können die deutschen Strafvollstreckungsbehörden die Vollstreckung ausländischer Urteile übernehmen (§§ 48 ff IRG). Wegen der Einzelheiten ist auf das Spezialschrifttum zu verweisen.
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Zur früheren Rechtslage vgl. ζ. B. LR-Schäfer21 Vor § 1 RHG; LR-Hitger™ § 1, 3 EGStPO. Vgl. aber LR-Hilger» Nachtr. II (EinigungsV) C 4 ff; 30 ff (zur Einschränkung der Bestandskraft von Entscheidungen der Gerichte der DDR bei Rechtsstaatswidrigkeit); dazu auch LR-Wendisch Vor § 449, 36 ff. Vgl. dazu die übersichtliche Gesamtdarstellung bei Schölten 14 ff; s. auch oben Rdn. Β 33 ff und unten Rdn. J 109 f. Vgl. zu der teilweise anderen Lage im Zivilprozeß Stein-Jonas-Schumann2" Einl. 96 f, 731 ff; Münch-
Komm-Luke, Einl. 297 f; Wieczorek!Schütze Einl. 129 ff; vgl. auch KMR-Sar Einl. VII. 7 Ähnlich Kleinknecht/Meyer-Goßner" Einl. 208 ff; s. auch Jescheck/Weigend § 18 I; Nagel 18 ff; ausführlich, auch zu den Konsequenzen, Herdegen ZaöRV 47 (1987) 222 ff. 8 Kurze Übersicht über die Quellen bei Kleinknecht/ Meyer-Goßnez43 Einl. 214 ff; näher KMR-Sat, Einl. VII 18 ff; Nagel. 9 S. näher die Erl. zu § 264 (24. Aufl. Rdn. 70).
Stand: 1. 8. 1998
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Der Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts
Einl. Abschn. D
II. Persönlicher Geltungsbereich 1. Grundsätze. Dem allgemeinen deutschen Strafverfahrensrecht, bei Jugendlichen 4 und Heranwachsenden mit den Modifikationen durch das JGG, unterliegen grundsätzlich alle Personen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit und ohne Rücksicht auf etwaige persönliche Eigenschaften 10 . Es gibt also, anders als beispielsweise früher während der Existenz einer besonderen Militärgerichtsbarkeit, kein Sonderverfahrensrecht für bestimmte Personengruppen. Ebensowenig begründet der Umstand, daß sich eine Person im Ausland befindet, eine 5 generelle Unanwendbarkeit des deutschen Strafverfahrensrechts 11 ; er kann allerdings die Zugriffsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden beeinträchtigen 12 . So unterliegt ein im Ausland befindlicher Zeuge, soweit nicht besondere Regelungen des internationalen Rechtshilfeverkehrs eingreifen, nicht der Aussage- und Erscheinenspflicht, wenn er sich nicht freiwillig zur Mitwirkung bereit erklärt13, und gegen einen im Ausland befindlichen Beschuldigten kann zwar ermittelt und, soweit dem § 163 a StPO entsprochen werden kann, die öffentliche Klage erhoben werden, doch kann eine seine Anwesenheit erforderte Hauptverhandlung nur dann stattfinden, wenn seine Auslieferung bewirkt werden kann oder er sich freiwillig stellt14. Auf Beschuldigte findet das deutsche Strafverfahrensrecht jedoch nur insoweit 6 Anwendung, als die ihnen vorgeworfene Tat nach deutschem materiellem Strafrecht strafbar ist, also nur insoweit, als die §§ 3 bis 7 StGB zur Anwendung kommen 15 , denn der Strafprozeß dient nur der Durchsetzung des deutschen Strafrechts. Stellt sich heraus, daß die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat nicht dem deutschen Strafrecht unterfällt, so liegt (mindestens auch) ein Verfahrenshindernis vor 16 . Das Verfahren ist also, wenn das Hauptverfahren eröffnet ist, einzustellen und nicht etwa der Angeklagte freizusprechen 17 . 2. Ausnahmen und Einschränkungen a) Exterritorialität. Keine Anwendung findet das deutsche Strafverfahrensrecht, 7 soweit überhaupt die Ausübung deutscher Gerichtsbarkeit unzulässig ist, gleichviel, ob sich die betroffenen Personen im Inland oder im Ausland befinden. Unter diese sogenannte völkerrechtliche Immunität oder Exterritorialität fallen kraft allgemeinen Völkerrechts u. a. alle fremden Staatsoberhäupter, ferner aufgrund Völkervertragsrechts die von den §§ 18 bis 20 GVG erfaßten Personen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Erläuterungen der §§ 1, 18 ff GVG verwiesen 18 . Die Exterritorialität im allgemeinen endet, der von ihr Begünstige untersteht also wieder der deutschen Strafgerichtsbarkeit, wenn die Funktion, aus der sie sich herleitet, nicht mehr wahrgenommen wird, und soweit es sich 10
Henkel 77; zu den Ausnahmen s. Rdn. 7. '1 Zu Dohna 19; Exner 20; Gerland 33; v. Hippel 91; v. Kries 82 ff. 12 Dazu ausführlich mit Nachw. auch der völkerrechtl. Grundlagen Nagel 18 ff. 13 Einzelheiten u. a. bei Nagel 220. 14 Wegen der prozessualen Möglichkeiten, bei einem durchreisenden Ausländer die Durchführung des Strafverfahrens zu sichern, s. § 132 StPO und die dortigen Erl. 15 Henkeln-, Peters 95. " BGHSt 34 3; OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 509; Peters 95; Tröndle4» Vor § 3, 2; Schänke/ Schröder/Eser Vor § 3, 2; Baumann/Weber/Mitsch § 7, 34. (35)
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Peter Rieß
Einzelheiten bei Schnorr v. Carolsfeld FS Maurach 616 ff. Vgl. auch BVerfGE 96 68 ff = NJW 1998 50 mit Anm. Faßbender NStZ 1998 144 über den Umfang der diplomatischen Immunität bei Staatennachfolge; BGHSt 32 275, 286 ff (ad-hoc-Botschafter); Katholnigg §§ 18 ff; Kissel § 18, 1 ff; KMR-Sai Einl. VII 13; Peters 95; Raping FS Kleinknecht 397; Jescheck/Weigend § 19 III; M. Herdegen ZaöRV 47 (1987) 223 ff; zu den verschiedenen Formen und dem unterschiedlichen Umfang der Immunität, auch bei Bediensteten internationaler und supranationaler Organisationen s. Hailbronner JZ 1988 283 ff.
Einl. Abschn. D
Einleitung
nicht um eine Handlung handelt, die dem Bereich der Vertretung des anderen Staates zuzurechnen ist 19 . Wegen der Einzelheiten ist auf das völkerrechtliche Schrifttum zu verweisen. 8
b) Angehörige fremder Truppen. Für NATO-Angehörige und das zivile Gefolge richtet sich die Gerichtsunterworfenheit und damit die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts nach den Vorschriften des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens, die zwischen einer ausschließlichen Zuständigkeit des Entsendestaates und des Aufnahmestaates und einer konkurrierenden Zuständigkeit mit unterschiedlichem Vorrang unterscheiden 20 . Für nicht der NATO angehörende sonstige Truppenverbände, die sich aufgrund einer Vereinbarung mit der Bundesregierung in der Bundesrepublik aufhalten, enthält § 7 des SkAufG eine besondere Regelung, die den Verzicht auf die Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit gestattet. Soweit in diesen Fällen der Vorrang des Entsendestaates reicht, findet das deutsche Strafverfahrensrecht auf diese Personen keine Anwendung.
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c) Auf staatliche Funktionsträger ist das Strafverfahrensrecht grundsätzlich anwendbar, doch gelten teilweise für diese besondere Vorschriften, namentlich bei der Zeugenvernehmung 21 . Die parlamentarische Immunität, die auch für den Bundespräsidenten gilt (Art. 60 Abs. 4 GG), beschränkt die Anwendbarkeit des Strafverfahrensrechts insoweit, als die ihr unterliegenden Personen nur mit Genehmigung des Parlaments strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden dürfen. Die Einzelheiten sind bei § 152 a StPO erläutert.
III. Räumlicher Geltungsbereich 10
1. Grundsätze. Für deutsche Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ist stets das deutsche Strafverfahrensrecht maßgebend (lex fori), unabhängig davon, ob sie ihre Tätigkeit im Inland oder ausnahmsweise, etwa mit Genehmigung des ausländischen Staates, im Ausland entfalten 22 . Es ist deshalb auch ungenau, insoweit vom Territorialitätsprinzip zu sprechen 23 . Wenn beispielsweise nach einer Genehmigung durch den fremden Staat ein Gericht eine Hauptverhandlung im Ausland vornimmt 24 oder ein beauftragter Richter oder ein Staatsanwalt dort eine Vernehmung durchführt 25 , so ist dabei das deutsche Strafprozeßrecht zu beachten 26 . Ist die Genehmigung des fremden Staates an damit nicht vereinbare Bedingungen geknüpft 27 , so sind diese zu beachten, und es ist eine Frage des Einzelfalles, ob die in Frage stehende Prozeßhandlung noch fehlerfrei ist (s. auch Rdn. 17). Umgekehrt gilt das deutsche Strafprozeßrecht nicht, wenn ein ausländisches Strafverfolgungsorgan mit Genehmigung der deutschen Behörden in Deutschland im Rahmen eines ausländischen Strafverfahrens tätig wird; hier muß allenfalls durch die Genehmigung sichergestellt werden, daß prozessuale Maßnahmen unterbleiben, die mit Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts unvereinbar sind und daher gegen den ordre public verstoßen. 19 20
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Schnorr v. Carolsfeld FS Maurach 620. Einzelheiten bei den Erl. zu § 206 a (24. Aufl. Rdn. 37); ferner KMR-Sar Einl. VII 14; Kissel § 20, 20 ff. Ζ. B. §§ 49, 50 StPO. Henkel 77, 80; v. Hippel 88; Schnorr v. Carolsfeld FS Maurach 615; vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner43 Einl. 213. So ζ. B. Exner 19; Gerland 31; Glaser 302; v. Hippel 88; v. Kries 78; dagegen - und wie hier - Beling 14; Gleispach 15; vgl. auch Nagel 18.
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Zur grundsätzlichen Zulässigkeit mit weit. Nachw. Nagel 257 ff. Zu diesen Möglichkeiten und Grenzen der „selbständigen Beweisaufnahme" im Ausland ausführlich Nagel 193 ff. Zur konsularischen Tätigkeit im Ausland (innerstaatliche Rechts- und Amtshilfe) vgl. BGHSt 26 140; Nagel 5, 7; § 223, 37; sowie die §§ 2, 15, 19 KonsG. Dazu u. a. Nagel 128 f.
S t a n d : 1. 8. 1998
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Der Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts
Einl. Abschn. D
Anders liegen die Dinge, wenn die Beweisaufnahme im Ausland nicht durch ein 11 deutsches Strafverfolgungsorgan erfolgt, sondern im Wege der internationalen Rechtshilfe durch ein solches des ersuchten Staates, sei es auch in Anwesenheit von deutschen Amtsträgern 28 . Hier gilt grundsätzlich das Recht des ersuchten Staates 29 . Jedoch ist deutsches Strafverfahrensrecht insoweit von Bedeutung, als unter bestimmten Voraussetzungen das Strafverfolgungsorgan des ersuchten Staates Regelungen des deutschen Strafverfahrensrechts berücksichtigen darf 30 und in diesen Fällen die deutschen Strafverfolgungsbehörden durch entsprechende Hinweise im Rechtshilfeersuchen hierauf hinzuwirken haben 31 . Umgekehrt ist bei der Erledigung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens durch ein deutsches Gericht zwar deutsches Strafprozeßrecht maßgebend, doch kann dieses in dessen Grenzen den Wünschen des ersuchenden Staates auf Einhaltung besonderer Regeln Rechnung tragen. Landesrecht oder partielles Bundesrecht 32 ist, soweit es verfahrensrechtlicher Natur 12 ist , für diejenigen Strafverfolgungsorgane verbindlich, die zu dem jeweiligen (engeren) Rechtsgebiet gehören; auf das Verfahrensrecht des Tatortes kommt es insoweit nicht an 34 . Das Revisionsgericht beachtet dieses Recht aber auch dann, wenn es seinen Sitz nicht in diesem Gebiet hat 35 . 33
2. Schiffe und Luftfahrzeuge. Der Umfang der Geltung des deutschen Strafprozeß- 13 rechts auf Schiffen und Luftfahrzeugen, die sich nicht (mehr) im Inland, sondern außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer 36 auf hoher See oder im entsprechenden Luftraum befinden, ist noch nicht vollständig geklärt 37 . Eine allgemeine Gleichstellungsklausel wie im materiellen Strafrecht ( § 4 StGB) fehlt; § 10 StPO enthält lediglich eine Gerichtsstandsbestimmung. Da Fälle der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens oder eines vollständigen Ermittlungsverfahrens in diesem Zusammenhang kaum denkbar sind, beschränkt sich das Problem praktisch darauf, welches Regime für die Durchführung von einzelnen Ermittlungshandlungen, namentlich von Zwangsmaßnahmen maßgebend ist. Insoweit kann § 4 des SeeAufgG ein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, daß auch außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes strafprozessuale Maßnahmen in Betracht kommen 38 . Nach der hier vertretenen Auffassung der ausnahmslosen Geltung der lex fori 14 (Rdn. 10) wird davon auszugehen sein, daß die Vorschriften des deutschen Strafprozeßrechts stets maßgebend sind, wenn deutsche Strafverfolgungsbehörden auf hoher See (befugtermaßen 39 ) strafprozessual tätig werden, weil ein Tatverdacht aufzuklären ist, der ein nach deutschem materiellen Strafrecht, insbesondere den §§ 3 bis 7 StGB strafbares Verhalten zum Gegenstand hat. Insoweit ist auch unerheblich, ob es sich dabei um ein 28
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Zu dieser Möglichkeit u. a. mit weit. Nachw. § 223, 40; Nagel 177 ff. § 223, 38, ausführlich Nagel 150 ff mit weit. Nachw. Näher Nagel 160 ff mit weit. Nachw.; ausführt, mit weit. Nachw. auch Rose in der Anm. zu BGH NStZ 1996 609 in NStZ 1998 154 ff; vgl. auch zum Vhs. Deutschland/Schweiz BGHSt 42 87, 90 ff = JZ 1997 45 mit Anm. Lagodny. Näher § 223, 37 ff; § 224, 3; § 251 unter II 4. Vgl. Rdn. C 3 ff. So BGHSt 2 305 für den Fall der Verjährung. BGHSt 2 308; K M R - t o Einl. VIII 1; Kleinknecht/ Meyer-Goßner·3 Einl 205. KMR-Sar aaO; vgl. auch BGHSt 7 40.
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Peter Rieß
Zur Abgrenzung des Inlandsbegriffs s. § 10; zum Umfang des deutschen Küstenmeeres (grundsätzlich 12 Seemeilen) s. Proklamation der Bundesregierung vom 11.11. 1994 (BGBl. I S. 3428). Vgl. dazu ausführlich Wille (teilweise wohl überholt); Kleinknecht/Meyer-Goßner*1 Einl. 208. Die Vorschrift bestimmt u.a., daß außerhalb des Küstenmeeres zur Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen und Wahrnehmung völkerrechtlicher Befugnisse die Vorschriften der Strafprozeßordnung entsprechend gelten und bestimmte Personen die Befugnisse von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft haben. Dazu Wille 95 ff.
Einl. Abschn. D
Einleitung
deutsches oder ausländisches Schiff handelt. Auf der anderen Seite richtet sich die Tätigkeit ausländischer Strafverfolgungsbehörden auf einem deutschen Schiff auf hoher See nicht nach deutschem Strafprozeßrecht, und es ist keine strafprozessuale, sondern allenfalls eine völkerrechtliche Frage, inwieweit solche ausländischen Strafverfolgungsmaßnahmen zulässig sind. 15
Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn auf einem deutschen Schiff auf hoher See ohne Eingreifen ausländischer Strafverfolgungsorgane eine Straftat begangen worden und aufzuklären ist. Soweit nicht die auch der Schiffsführung zustehenden Jedermann-Rechte oder die besonderen seerechtlichen Befugnisse des Kapitäns 40 eine sachgerechte Lösung ermöglichen, wird man hier im Grundsatz von der Geltung der StPO auszugehen haben. Die Einzelheiten bedürfen insoweit weiterer, hier nicht vorzunehmender Klärung. Für Luftfahrzeuge ermächtigen die Artikel 6 ff des Tokioer Abkommens 41 den Kommandanten zur Durchführung gewisser Zwangsmaßnahmen auch zur Sicherung der Strafverfolgung bei an Bord des Flugzeuges begangenen Straftaten 42 .
16
In deutschen Hoheitsgewässern gilt die StPO gegenüber deutschen Schiffen uneingeschränkt. Grundsätzlich stehen den deutschen Strafverfolgungsbehörden die strafprozessualen Befugnisse auch gegenüber ausländischen Schiffen zu, soweit es sich nicht um solche handelt, die als Staatsschiffe den Regeln der völkerrechtlichen Immunität (Rdn. 7) unterliegen. Gewisse Einschränkungen können sich jedoch aus den völkerrechtlichen Grundsätzen des Rechts auf friedliche Durchfahrt ergeben 43 .
17
3. Eine Berücksichtigung ausländischen Verfahrensrechts für das deutsche Strafverfahren kommt dann in Betracht, wenn im Wege des internationalen Rechtshilfeverkehrs Beweisaufnahmeakte für ein deutsches Strafverfahren im Ausland vorgenommen worden sind. In diesem Fall reicht es grundsätzlich für die Verwertbarkeit aus, wenn das ausländische Rechtshilfeorgan die dort maßgebenden Rechtsvorschriften beachtet hat, soweit diese rechtsstaatlichen Mindestvoraussetzungen genügen. Wegen weiterer Einzelheiten ist auf die Erläuterungen zu § 251 StPO zu verweisen 44 . IV. Zeitlicher Geltungsbereich
18
1. Allgemeine Grundsätze. Rechtsänderungen größerer Art im Strafverfahrensrecht sind, soweit nicht ohnehin allgemein geltende Überleitungsvorschriften bestehen 45 , regelmäßig mit speziellen Überleitungsvorschriften verbunden 46 . Das ältere Schrifttum hat sich vielfach um die Bezeichnung ins einzelne gehender allgemeiner Grundsätze bemüht 47 , die 40
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«
Vgl. §§ 106, 107 SeemannsG; vgl. auch Wille 117 ff mit Vorschlag einer gesetzlichen Regelung S. 128. Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen vom 14. 9. 1963 (BGBl. II 1969 S. 121; 1970 S. 276); vgl. zur Entstehung und den Zusammenhängen u. a. Mankiewicz GA 1961 193, 200; Zlataric FS Grützner 160, 168 ff; zu den einzelnen Regelungen Wille 159 ff. Näher Wille 178 ff. Dazu eingehend Wille 74 ff. 24. Aufl. Rdn. 22 ff; s. femer Kleinknecht/Meyer-Goßnei43 Einl. 213; Nagel 298 ff; Rose NStZ 1998 154 ff. Vgl. ζ. B. § 6 EGGVG und die dort. Erl.
46
Ausführliche systematische Darstellung der älteren Regelungen und der Rspr. bei v. Weber DStR 1940 33 ff, 75 ff, der sich zugleich um die Ableitung allgemeiner Grundsätze bemüht; sowie zu den den detaillierten Vorschriften des VereinhG v. Weber DRiZ 1950 277. Seitherige Überleitungsvorschriften beispielsweise Art. 14 StPÄG 1964; Art. 157 EGOWiG; Art. 5 StaatsschStrafsG; Art. 312 EGStGB 1974; Art. 9 1. StVRG; Art. 17 1. StVRGErgG; Art. 2 StPÄG 1978; Art. 8 StVÄG 1979; Art. 12 StVÄG 1987; Art. 14 RpflEntlG sowie in Anl. I Kap. III Sachgeb. Α Abschn. III Nr. 28 Einigungsvertrag (zu diesen ausführlich LR-Hilger™ Nachtr. II C 12 ff).
47
Vgl. u. a. Beling 16; Gerland 32; Glaser 308 ff; v. Hippel 87; v. Kries 93 ff; s. auch v. Weber DStR 1940 40 f; 84.
Stand: I. 8. 1998
(38)
Der Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts
Einl. Abschn. D
indessen keine allgemeine Anerkennung gefunden haben. Beim Fehlen von Überleitungsvorschriften wird oft zu erwägen sein, frühere Regelungen für vergleichbare Situationen entsprechend anzuwenden 48 , soweit die maßgebenden Wertvorstellungen unverändert geblieben sind. Verfahrensrechtliche Rechtsänderungen haben im allgemeinen keine Rückwirkung; sie unterliegen aber auch keinem (verfassungsrechtlichen) Rückwirkungsverbot 49 . Daraus folgt, daß sich (rechtskräftig) abgeschlossene Verfahren nach altem, noch nicht begonnenen Verfahren nach neuem Recht richten50, soweit es keine davon abweichenden gesetzlichen Vorschriften gibt. Probleme können dagegen bei Verfahren entstehen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens 19 bereits begonnen, aber noch nicht abgeschlossen sind. Grundsätzlich gehen alle neueren Überleitungsvorschriften davon aus, daß die Änderungen vom Tage ihres Inkrafttretens an auch die laufenden Verfahren erfassen, soweit nichts Abweichendes geregelt ist 51 . Dieser allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozeßrechts, daß Änderungen des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Verfahren erfassen, gilt auch ohne ausdrückliche Regelung 52 . Bei einer Einschränkung der Statthaftigkeit von Rechtsmitteln führt jedoch der mit 2 0 dem Rechtsstaatsprinzip verbundene prozeßrechtliche Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit dazu, daß ohne eine hinreichend deutliche gesetzliche Übergangsregelung bereits eingelegte Rechtsmittel zulässig bleiben 53 . Doch ist dem Gesetzgeber eine engere Regelung nicht von Verfassungs wegen untersagt 54 und kann dieser (selbstverständlich) auch großzügigere Regelungen treffen, etwa dergestalt, daß die weitergehende Rechtsmittelmöglichkeit des alten Rechts auch demjenigen zugutekommt, der beim Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch kein Rechtsmittel eingelegt hat 55 , oder bestimmen, daß weitergehende Rechtsmittelbefugnisse schon dann erhalten bleiben, wenn die anzufechtende Entscheidung vor dem Inkrafttreten der Neuregelung erlassen wurde 56 . 2. Einzelfragen a) Bei Besetzungs- und Zuständigkeitsänderungen werden in den Überleitungsvor- 21 Schriften im allgemeinen Regelungen mindestens dahingehend getroffen, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits laufende Hauptverhandlungen in der bisherigen Besetzung und entsprechend den bisherigen Zuständigkeiten zu beenden sind 57 . Es liegt nahe, hierin einen allgemeinen, auch ohne ausdrückliche Regelung geltenden Grundsatz zu sehen 58 . 48
V. Weber DStR 1940 85; DRiZ 1950 277. Reling 16; Gerland 323; Henkel 82; Krey 14; teilw. a.A LR-Liiderssen Einl. L 48 ff. 50 RGSt 69 259; v. Weber DStR 1940 34, 37; sowie die in Fußn. 46 Genannten; allgemeine Meinung. 51 So die ausdrückliche Regelung in Art. 14 Abs. 1 StPÄG 1964; Art. 9 Abs. 1 l.StVRG, Art. 8 Abs. 1 StVÄG 1979; Art. 12 Abs. 1 StVÄG 1987; Art. 11 Abs. 1 OpferschG; Maßg. 28 Buchst, g zum EinigungsV. So auch schon § 8 EGStPO i. d. F von 1877. Auch soweit nur spezielle Überleitungsregelungen getroffen werden, geht der neuere Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründungen von diesem Grundsatz aus; vgl. auch Henkel 82. 52 BVerfGE 87 48, 64 mit weit. Nachw.; vgl. auch die Erl. zu § 354 a unter 3 c; Kleinknecht/MeyerGoßner
Rdn. 1
5 7 8 10 π
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17 18 19 24 25
30 34 Peter
Rdn. c) Sondergerichte und Sonderverfahren 3. Von der Emminger-Reform Anfang 1924 bis zum Versuch einer Reform durch das EGStGB 1930 a) Emminger-VO b) Die Rechtsentwicklung bis 1930 c) Reformversuche im Entwurf des EGStGB 1930 4. Die Zeit des Zusammenbmchs der Weimarer Republik (1930 bis 1932) V. Die Zeit des Nationalsozialismus 1. Die Entwicklung im Überblick a) Allgemeines b) Entwicklungslinien c) Regelungstechnik 2. Die Rechtsentwicklung von 1933 bis 1939 a) Allgemeine Gerichtsverfassung . b) Volksgerichtshof. Sondergerichte c) Allgemeines Strafverfahrensrecht 3. Die Bemühungen um eine Gesamtreform a) Allgemeines b) Erarbeitung und Grundgedanke des Entwurfs 1939 c) Inhalt des Entwurfs 4. Die Rechtsentwicklung vom Ausbmch des Krieges bis zum Zusammenbruch
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Einleitung Rdn.
VI. Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und Rechtseinheit im westlichen Teil Deutschlands 1. Überblick 2. Besatzungsrecht und Justizhoheit . . 3. Die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen 4. Die Wiederherstellung der Rechtseinheit a) Gründung der Bundesrepublik und Grundgesetz b) Vereinheitlichungsgesetz . . . . VII. Die Entwicklung in der Bundesrepublik seit 1950 1. Übersicht. Entwicklungslinien . . . 2. Die Zeit von 1950 bis Ende 1964 a) Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz b) Rechtssetzungen außerhalb von GVG und StPO 3. Die „Kleine Strafprozeßreform" durch das StPÄG 1964 a) Bedeutung und Entstehungsgeschichte b) Einzelheiten c) Wirkungsgeschichte 4. Die Entwicklung von 1965 bis 1973 a) Übersicht b) Gerichtsverfassungsrechtliche Änderungen c) Änderungen der StPO d) Rechtsänderungen außerhalb der StPO und des GVG 5. Die Entwicklung von 1974 bis 1987 a) Übersicht b) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts und Ergänzungsgesetz c) Die Entwicklung von 1975 bis 1978 d) Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 e) Die Entwicklung von 1979 bis 1986
f) Opferschutzgesetz g) Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 6. Die Entwicklung seit 1987 a) Übersicht b) Die Zeit von 1987 bis 1990 . . . c) Die Zeit von 1991 bis 1994 aa) Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität bb) Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege cc) Sonstige Gesetze dd) Verbrechensbekämpfungsgesetz d) Die Zeit von 1995 bis 1998 aa) Übersicht bb) Datenschutz und sog. informationelle Selbstbestimmung cc) Verbrechensbekämpfung . . dd) Zeugen-und Opferschutz . . ee) Justizentlastung
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95 97 101 102 103 104 105 106
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VIII. Die Entwicklung des Strafverfahrensrechts in der DDR und die Rechtsangleichung 1. Allgemeines. Übersicht 2. Die Entwicklung bis zur Gründung der DDR (1945 bis 1949) 3. Die Entwicklung während der DDR (1949 bis 1990) a) Allgemeines b) Gerichtsverfassung c) Staatsanwaltschaft d) Strafverfahren 4. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit und die Rechtsangleichung a) Allgemeines b) Übergangsregelungen IX. Die Zukunft des Strafprozesses. Zur Frage einer Gesamtreform 1. Zur gegenwärtigen Lage der Strafjustiz 2. Zur Frage einer Gesamtreform . . . 3. Ausblick
Rdn. 125 127 131 136
139 143 146 147 151
152 153 155 156
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164 166 171 174
177 179
182 187 194
I. Die Entwicklung im Überblick 1
Zusammen mit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 und im Anschluß an die Schaffung eines einheitlichen Handelsrechts1 stellen die sog. Reichsjustizgesetze, nämlich das GVG, die StPO, die KO und die ZPO, die gemeinsam am 1. 10. 1879 in Kraft traten, die ersten der Reichseinheit von 1867/1871 auf dem Gebiet des Rechts nachfolgenden, die 1
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch, 1862 von den Einzelstaaten übereinstimmend in Kraft
gesetzt und 1869 als Bundesgesetz des Deutschen Bundes übernommen; Staub HGB 4 Einl. 18 f.
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts E i n l . A b s c h n . Ε
Rechtseinheit anstrebenden Reichsgesetze dar. Insoweit sind sie (zukunftsweisend) der wichtigste Schritt zur Rechtseinheit vor dem BGB 2 und bis heute eine ihrer wichtigen Grundlagen geblieben. In der spezifischen Entwicklung des Strafverfahrensrechts und der Strafgerichtsverfassung bedeutet die StPO mit den ihr zuzurechnenden Teilen der im GVG geregelten Strafgerichtsverfassung den gemeinschaftlichen deutschen Schlußstein in der Überwindung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses zum modernen reformierten Strafprozeß. Insoweit fassen sie die partikularrechtlichen seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entstandenen, vielfach zersplitterten, wenn auch weitgehend auf einer gemeinsamen geistesgeschichtlichen Grundlage beruhenden Verfahrensordnungen 3 zusammen. In der über einhundertjährigen Entwicklung des Strafverfahrensrechts auf der 1879 2 gelegten Grundlage hat sich die Grundstruktur des Strafprozeßmodells des reformierten Strafprozesses bis in die Gegenwart weitgehend erhalten. Wesentliche und ins Gewicht fallende Strukturänderungen sind jedoch, über zahlreiche Detailänderungen hinaus, bei wichtigen Konstitutionsprinzipien der zweiten Ebene eingetreten. Sie haben das Gesicht des Strafverfahrens von heute, gemessen an dem von 1879, so erheblich verändert, daß der Eindruck entstehen kann, es mit zwei verschiedenen, wenn auch verwandten Gesetzen zu tun zu haben 4 . Diese Entwicklung ist durch eine zunächst zurückhaltende, sich dann aber seit 1920 beschleunigende und namentlich seit der Gründung der Bundesrepublik stark zunehmende Novellengesetzgebung erreicht worden, in der neben überwiegend zeitbedingten Änderungen von teilweise vorübergehendem Charakter längerfristige Entwicklungslinien deutlich werden 5 . Zu den diese Entwicklungslinien einleitenden und fortführenden Novellen und damit zu den Eckpunkten der kontinuierlichen Fortentwicklung des Strafverfahrensrechts gehören namentlich die EmmingerVO von 1924; das VereinhG von 1950, das StPÄG 1964, 1. StVRG von 1975 und das OpferschutzG von 1986. Die Novellengesetzgebung greift vielfach auf Bemühungen um eine umfassendere 3 Gesamtreform des Strafverfahrensrechts zurück, die bereits während des Kaiserreiches einsetzen, denen aber ein Erfolg bis heute versagt geblieben ist. Solchen umfassenderen Versuche einer Erneuerung des Strafverfahrens haben sowohl (1904 bis 1911) das Kaiserreich, als auch (1920 und 1930) die Weimarer Republik und (1936 bis 1939) der Nationalsozialismus unternommen. Die frühere Deutsche Demokratische Republik hat von 1952 bis zur Wiedervereinigung 1990 im Sinne ihrer sozialistischen Staatsauffassung ein eigenständiges Strafverfahrensrecht kodifiziert6. In der Bundesrepublik sind amtliche Bemühungen um eine große Strafprozeßreform bisher nicht realisiert worden7. Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf eine Hervorhebung der wesent- 4 liehen Punkte. Nähere Angaben enthalten insoweit die Aufzählung in der Einleitung zur 20. Aufl., S. 6 ff, sowie in der 24. Aufl., Kap. 3 bis 5. Zu verweisen ist ferner für die Entwicklung der einzelnen Vorschriften auf die dort jeweils mitgeteilte Entstehungsgeschichte.
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Landau FS Reichsjustizamt 161; Sellen JuS 1977 781 f. Übersicht bei Eb. Schmidt (Geschichte) 324 ff; Kern (Geschichte) 55 ff (zur Gerichtsverfassung); Glaser in v. Holtzendorff 11 ff; 65 ff.; Glaser
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(Lehrbuch) Bd. 1, 162 ff; Riiping (Strafrechtsgeschichte) § 8, 3; Schubert (GVG) 22 ff. Engelhard FS Rebmann 49 f. Engelhard FS Rebmann 50. S. näher unten Rdn. 174 ff. S. näher unten Rd. 187 ff.
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Einleitung
II. Die Entstehung der Reichsstrafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes Schrifttum. Dochow Die deutsche Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877, in: von Holtzendorff, S. 105 ff; v. Gerlach Rechtseinheit in Deutschland - 100 Jahre Reichsjustizgesetze, DRiZ 1979 308; Kissel 100 Jahre Gerichtsverfassungsgesetz, NJW 1979 1953; Landau Die Reichsjustizgesetze von 1879 und die deutsche Rechtseinheit, FS Reichsjustizamt 161; Müller, Hermann Die Entstehung des Gerichtsverfassungsgesetzes, Diss. Tübingen 1938; Schubert Die deutsche Gerichtsverfassung (1869-1877) - Entstehung und Quellen (1981); Schubert Die unveröffentlichten Quellen zu den Reichsjustizgesetzen, JZ 1978 98; Schubert/Regge Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877 (1989); Schwarze Der Reichstag und die Justizgesetze, GerS 29 (1877) 92.
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1. Zur Vorgeschichte. Die Schaffung eines einheitlichen deutschen Verfahrensrechts und (jedenfalls in den Grundlagen) einheitlichen Gerichtsverfassungsrechts war seit der gescheiterten Paulskirchenverfassung auf der Tagesordnung8. Nachdem nach der Gründung des Norddeutschen Bundes dessen Verfassung dem Reich die Gesetzgebung auch für das Strafverfahren zuwies (Art. 4 Nr. 13)9, waren die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Schaffung eines einheitlichen Strafverfahrens vorhanden; sie galten nach der Reichsgründung aufgrund der Reichsverfassung für das gesamte deutsche Reich10. Bereits der Reichstag des Norddeutschen Bundes ersuchte in einem Beschluß vom 18.4. 1868, dem der Bundesrat am l.Juni 1968 beitrat11, den Bundeskanzler, „Entwürfe eines gemeinsamen Strafgesetzbuches und eines gemeinsamen Strafprozesses sowie der dadurch bedingten Vorschriften der Gerichtsorganisation baldtunlichst vorzubereiten und dem Reichstage vorlegen zu lassen". Der Bundeskanzler übertrug nach der als vorrangig behandelten Vorlage des Strafgesetzbuches diese Aufgabe mangels einer eigenen Reichsjustizverwaltung12 mit Schreiben vom 12. Juli 1869 dem preußischen Justizministerium, in welchem der geheime Oberjustizrat und spätere preussische Justizminister Dr. Friedberg unter der Mitwirkung u. a. von Löwe die Ausarbeitung übernahm.
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Während der Entwurf des Reichsstrafgesetzbuches sich eng an das preußische Strafgesetzbuch anlehnte, wurde für die Strafprozeßordnung ein selbständiger Entwurf erarbeitet, der auf den unterschiedlichen Gesetzen der Einzelstaaten beruhte13. Zur Vorbereitung hierfür dienten neben einer vollständigen Stoffsammlung Gutachten der Regierungen der Einzelstaaten sowie rechtsvergleichender Gutachten. Aufgrund dieser umfangreichen Vorarbeiten wurden mehrere Entwürfe aufgestellt14, bis es im Januar 1873 zum Beginn der Beratungen in den gesetzgebenden Körperschaften kam.
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2. Die Quellen der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes15 sind durch eine Reihe teils neuerer Publikationen gut erschlossen16. Die Behandlung der Entwürfe im Reichstag einschließlich der Beratungen der Justizkommission und der zwischenzeitlichen Beschlußfassung des Bundesrates, die die Zeit von Oktober 1874 bis Ende
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Landau FS Reichsjustizamt 162 ff. Einzelheiten, auch zur Entstehung, bei Landau 166 ff. Art. 4 Nr. 13; zur Gerichtsverfassung s. Landau 167 f; Schubert (GVG) 55 ff. Einzelheiten bei Dochow 106; Landau 168. Das Reichsjustizamt als Vorläufer des Reichsjustizministeriums wurde erst am 1.1. 1877 gegründet; s., auch zur Tätigkeit Preußens in diesem Zusammenhang, Hattenhauer FS Reichsjustizamt 9 ff.
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Dochow 107. Abdruck des ersten Entwurfs 1870 bei Schubert/ Regge (StPO) 48 ff. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte vor allem Dochow 105 ff; Glaser (Lehrbuch) 188 ff; Landau FS Reichsjustizamt 169 ff. Zur Quellenlage auch Schubert JZ 1978 98; ein großer Teil der dort aufgeführten Quellen ist inzwischen veröffentlicht worden.
Stand: 1. 8. 1998
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1876 erfassen, ist bei Hahn dokumentiert . Die zur Entstehungszeit nur teilweise veröffentlichten Vorentwürfe 18 sind nunmehr zusammen mit den Beratungen des Bundesrates sowohl hinsichtlich der StPO 19 als auch des GVG 20 veröffentlicht. 3. Der Beratungsverlauf im einzelnen a) Strafprozeßordnung. Der im Auftrag des Reichskanzlers im preußischen Justizmi- 8 nisterium erstellte Entwurf wurde im Januar 1873 durch den Reichskanzler dem Bundesrat (nach der damaligen Reichsverfassung dem Organ der verbündeten Regierungen) zugeleitet (I. Entwurf) 21 . Dieser setzte zu seiner Begutachtung eine unabhängige Kommission ein 22 , die in der Zeit vom 17. 4. bis 2. 7. 1873 den Entwurf überarbeitete (II. Entwurf) 23 . Die daran anschließenden Beratungen im Bundesrat 24 führten, insbesondere durch die Wiedereinführung der Schwurgerichte (Rdn. 12), zu einer nicht unerheblichen Überarbeitung, bis der Bundesrat am 16. 6. 1874 den Entwurf (III. Entwurf oder Bundesratsvorlage) als Teil der dem Reichstag zuzuleitenden Reichsjustizgesetze beschloß 25 . Der Reichstag überwies nach der ersten Lesung 26 die Reichsjustizgesetze, also auch die StPO und das GVG, an eine aus 28 Mitgliedern bestehende Justizkommission 27 , die bis Herbst 1876 die Vorlage in zahlreichen Sitzungen in zwei Lesungen beriet 28 und dabei erhebliche Änderungen beschloß. Zu den schriftlich mitgeteilten Beratungsergebnissen der Kommission, soweit sie von der Bundesratsvorlage abwichen 29 , nahm noch vor den weiteren Erörterungen im Reichstag der Bundesrat teils zustimmend, teils ablehnend Stellung; die Justizkommission blieb nach erneuten Beratungen überwiegend bei ihren Vorschlägen 30 . Als sich in der 2. Lesung im Plenum des Reichstages31 andeutete, daß dieser in den 9 meisten Punkten den Bedenken des Bundesrates nicht folgte, sondern den Beschlüssen seiner Kommission beitrat, bezeichnete der Reichskanzler die Punkte, die für den Bundesrat unannehmbar seien 32 . Da nach damaliger Verfassungslage für das Zustandekommen eines Gesetzes die übereinstimmende Beschlußfassung durch Reichstag und Bundesrat erforderlich war, drohte damit das Gesetzesvorhaben zu scheitern. Das führte zu vertraulichen Beratungen zwischen einer Reihe von Reichstagsmitgliedern und Vertretern des Bundesrates, aus denen schließlich die sog. Kompromißvorschläge hervorgingen 33 , die der Reichstag in der 3. Beratung 34 annahm, worauf der Bundesrat seine Zustimmung 17
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Die gesammten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen (1879), Bd. 1, Materialien zu dem Gerichtsverfassungsgesetz; Bd. 3, Materialien zur Strafprozeßordnung (jeweils 2 Teilbände). Nachweise bei Dochow 107 ff, auch zum zeitgenössischen Schrifttum während der Entstehung. Schubert/Regge (StPO). Schubert (GVG) mit umfangreicher, auch die Institutionen betreffender Einleitung. Abdruck bei Schubert!Regge (StPO) 113 ff. Zur Stellung der Kommission Dochow 111; zur Zusammensetzung und den Beratungen Schubert/ Regge 9 ff; dort auch (S. 149 ff) Protokolle der Kommission. Abdruck bei Schubert/Regge (StPO) 293 ff. Quellen hierzu bei Schubert/Regge (StPO) 363 ff. Abdruck bei Hahn (StPO) 1 ff. Vom 24. bis 27. 11. 1874; Hahn (StPO) 497 ff; Hahn (GVG) 188 ff; über deren Verlauf und Hauptinhalt Landau FS Reichsjustizamt 184 ff. Zur Zusammensetzung Dochow 119; eingehend Schubert/Regge 21 ff; zu den wichtigsten Mit-
gliedern gehörten Bahr, Gneist, Lasker, Miquel, Reichensperger und Schwarze; zur Arbeit der Kommission Schwarze GerS 29 (1877) 93 ff. 2S Nähere Angaben bei Dochow 120 ff. 29 Abdruck bei Hahn (StPO) 1509 ff; Hahn (GVG) 925 ff. i(l Hahn (StPO) 1596 ff; Hahn (GVG) 994 ff; Quellenmaterial zu den Bundesratsberatungen bei Schubert/Regge (StPO) 605 ff. 3 > 17. bis 26. 11. 1876 (GVG); 27. 11. bis 2. 12. 1876 (StPO); Hahn (StPO) 1670 ff; Hahn (GVG) 1063 ff; Zusammenfassung bei Landau 200. 32 Schreiben vom 12. 12. 1876; Abdruck bei Hahn (StPO) 1991 ff; Hahn (GVG) 1476 ff. 33 Landau 204; s. auch Dochow 126f; Kern (Geschichte) 92; Hahn (StPO) 1995; Hahn (GVG) 1481; Schwarze GerS 29 (1877) 102 ff. 34 Vom 18. bis 21. 12. 1876; zum Inhalt Landau 207; Protokolle bei Hahn (StPO) 1997 ff; Hahn (GVG) 1485 ff.
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Einleitung
erteilte. Danach wurde das GVG am 27. 1. 1877 und die StPO am 1. 2. 1877 verkündet 35 . Gemäß § 1 EGGVG traten sie am 1. 10. 1879 in Kraft 36 . 10
b) Gerichtsverfassungsgesetz. Die ebenfalls vom preußischen Justizministerium betriebenen Vorarbeiten für ein Gerichtsverfassungsgesetz zielten zunächst auf eine umfassende Kodifikation 37 . Vorbereitende Konferenzen mit den Justizministern der größeren deutschen Bundesstaaten führten jedoch zu dem Ergebnis, daß dieser Plan nicht durchsetzbar war. Der Entwurf wurde deshalb vor seiner Zuleitung an den Bundesrat durch eine Fassung ersetzt, die dem Landesrecht größeren Spielraum einräumte 38 . Die die Strafgerichtsverfassung betreffenden Änderungen im Bundesrat (Rdn. 8) erforderten bis zur Zuleitung der Bundesratsvorlage an den Reichstag 39 eine erhebliche Umarbeitung. Der Entwurf ist hier gemeinsam mit der StPO in dem in Rdn. 8 f dargestellten Verfahren behandelt und beraten worden. Auch insoweit haben erst die Kompromißvorschläge die Verabschiedung des Gesetzes ermöglicht.
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4. Inhaltliche Kontroversen. Obwohl die Grundstruktur des reformierten Strafprozesses (Anklageprinzip, Offizialmaxime, Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung) nicht umstritten waren, wurden einige wichtige Grundfragen und viele Einzelheiten auch in der Öffentlichkeit kontrovers behandelt, blieben teilweise bis zum Schluß umstritten und führten vielfach nur im Kompromißwege zu Ergebnissen, die letztlich nicht allseits befriedigten 40 . 12 Zu den Hauptstreitpunkten gehörte die Besetzung der erstinstanzlichen Strafgerichte, namentlich die Frage, in welchem Umfang eine Laienbeteiligung erfolgen und ob dies in der Form der Schöffengerichte oder der Schwurgerichte geschehen solle 41 . Der dem Bundesrat zugeleitete ebenso wie der II. Entwurf verzichtete auf Schwurgerichte und sah in allen erstinstanzlichen Sachen (mit Ausnahme der in die Zuständigkeit des Reichsgerichts fallenden) kleine, mittlere und große Schöffengerichte und als Rechtsmittel gegen diese allein die Revision vor. Bereits die Beratungen im Bundesrat führten aber im III. Entwurf zur Wiederherstellung der Schwurgerichte und zu Schöffengerichten nur bei den Amtsgerichten. Die erstinstanzliche Strafkammer sollte ohne Schöffen in der Besetzung mit fünf Berufsrichtern entscheiden. Ein Versuch der Justizkommission des Reichstages, auch die Strafkammern mit Schöffen zu besetzen, scheiterte am Widerstand des Bundesrates. 13
In engem Zusammenhang mit der Frage der Besetzung der erstinstanzlichen Spruchkörper stand die der Rechtsmittel gegen deren Urteile 42 . Während der Bundesratsentwurf keine Berufung vorsah, sprach sich die Justizkommission des Reichstages für sie in allen Sachen, außer denen des Schwurgerichts, aus, scheiterte aber auch hier am Widerstand des Bundesrates, der sie allein gegen Urteile des Schöffengerichts, nicht aber gegen die der Strafkammer akzeptierte. Die Forderung nach der Einführung der Berufung in diesen Sachen blieb in den nächsten Jahrzehnten das zentrale Reformthema 43 . 35
Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. 1. 1877, RGBl. Nr. 4 S. 41 ff; Strafprozeßordnung vom 1. 2. 1877, RGBl. Nr. 8 S. 253 ff. 36 Eine nach § 1 EGGVG ein früheres Inkrafttreten ermöglichende Kaiserliche Verordnung ist nicht erlassen worden, so daß es bei den im Gesetz vorgesehenen spätesten Zeitpunkt verblieb. 37 Abdruck dieses umfassenden Entwurfs vom Sept. 1872 bei Schubert (GVG) 338. 38 Ausführlich Schubert (GVG) 59 ff; ferner Kern (Geschichte) 88; Landau 169 f; Glaser (Lehrbuch) 189; Dochow 115.
Μ Abdruck bei Hahn (GVG) 3 ff. Knappe Zusammenstellung der Hauptstreitpunkte und der zeitgenössischen Würdigung bei Schubert! Regge (StPO) 26 ff; ferner Landau FS Reichsjustizamt 169 ff, 184 ff. 41 Ausführlich Schubert (GVG), 205 ff; ferner Kern (Geschichte) 88 f; v. Hippel 151 ff; Rennig Die Entscheidungsfindung durch Schöffen und Berufsrichter (1993) 33 ff mit weit. Nachw. 42 Einzelheiten bei Fezer (Reform) 17 ff. 43 Rdn. 18; 21; Fezer (Reform) 23 ff. 40
Stand: 1. 8. 1998
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W e i t e r e , vielfach erst im Kompromißwege beigelegte K o n t r o v e r s e n zwischen dem eher eine liberale und beschuldigtenfreundlichere Haltung vertretenden Reichstag und dem Bundesrat betrafen u. a. den U m f a n g der Privatklage, das Klageerzwingungsverfahren, den Umfang von Zeugnisverweigerungsrechten, Durchsuchung und Beschlagnahme, den Umfang der notwendigen Verteidigung und den unüberwachten Verkehr mit dem Verteidiger 4 4 , den Beweiserhebungsanspruch in der Hauptverhandlung 4 5 sowie die Auslagenerstattung bei Freispruch. Viele dieser damaligen Kontroversen haben in der Reformdiskussion bis an die Gegenwart heran eine beträchtliche Rolle gespielt.
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III. Die Entwicklung im Deutschen Reich bis 1918 Schrifttum. Aschrott Der Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetze (1908); Aschrott (Hrsg.) Reform des Strafprozesses. Kritische Besprechungen der von der Kommission für die Reform des Strafprozesses gemachten Vorschläge (1906); Binding Der Entwurf einer neuen Strafprozeßordnung, GerS 74 (1909) 1; Binding Der Entwurf eines Gesetzes betr. Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung (1895); Bolder Der Versuch einer Reform des Strafverfahrens und der Strafgerichtsverfassung in den Jahren 1885, 1894 und 1895, Diss. Freiburg 1934; Hegler Zur Strafprozeßreform, ZStW 33 (1912) 115, 230, 545, 700, 938; v. Hippel Der Entwurf zur StrPO (1909); Intrator Inhalt, Zweck und Schicksale des gescheiterten Strafprozeßentwurfs, Diss. Freiburg 1934 Kohlrausch Die Strafprozeßreform. Ein Nekrolog, ZStW 33 (1912) 226; v. Lilienthal Der Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz nebst Begründung, ZStW 29 (1909) 1, 188, 414, 737; v. Liszt Die Reform des Strafverfahrens (1906); Nagler Die Protokolle der Strafprozeßkommission, GerS 73 (1909) 96; Oetker Das Strafverfahren gegen Jugendliche, GerS 74 (1909) Beiheft; Philipsborn Strafprozeß und Strafrecht auf dem Karlsruher Juristentag 1908, ZStW 29 (1909) 103; Preiser Die Handhabung der Strafprozeßordnung nach dem Scheitern ihrer Reform, ZStW 33 (1912) 591; Protokolle der Kommission für die Reform des Strafprozeßrechts, herausgegeben vom Reichsjustizamte 2. Bd. (1905), Nachdruck, hrsg. von Schubert (1991); Schiffer Der neueste Entwurf zur Reform des Strafverfahrens (1896); Schwarze Die Berufung in Strafsachen und die Strafprozeßordnung, GerS 35 (1883) 385; GerS 37 (1885) 1; Zacharias Die amtlichen Reformversuche zur Gerichtsverfassung seit der Entstehung der deutschen Strafprozeßordnung, Diss. Hamburg 1921. 1. Ü b e r b l i c k . In den ersten 4 0 Jahren seiner Geltung ist das Strafverfahrensrecht, abgesehen von kriegsbedingten und weitgehend auf die Dauer des Krieges beschränkten Maßnahmen 4 6 , fast unverändert geblieben. Die wenigen Änderungen 4 7 waren von untergeordneter Bedeutung (Rdn. 16). Neuregelungen, die auch für das Strafverfahren von Bedeutung sind, gab es in anderen Rechtsgebieten (Rdn. 17). R e f o r m b e m i i h u n g e n begannen dagegen früh, da das Strafverfahrensrecht w e g e n seines Kompromißcharakters verbreitet als wenig befriedigend empfunden wurde 4 8 . Sie waren besonders nach der Jahrhundertwende lebhaft und intensiv. Der Versuch einer tiefgreifenden Novellierung scheiterte 1911 nach ausführlicher parlamentarischer Behandlung (Rdn. 19).
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2. Rechtsentwicklung a) S t P O u n d G V G . 1986 wurde durch die Änderung des § 137 G V G bei Divergenzen zwischen den Zivil- und Strafsenaten des Reichsgerichts die Möglichkeit der Plenarentscheidung eingeführt 4 9 . Klarstellende und erweiternde Vorschriften über den Ausschluß 44 45 46
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Rieß FS Reichsjustizamt 405, 408 f, 411 f. Rieß FS Reichsjustizamt 423 f. Übersicht bei v. Hippel 50 f; Kern (Geschichte) 142 ff. Der Wortlaut der StPO wurde erstmals 1896 (durch
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das EGBGB) und insgesamt lediglich viermal geändert; die die Strafgerichtsverfassung betreffende Teile das GVG erfuhren fünf Änderungen. Eb. Schmidt (Geschichte) 413. Gesetz vom 17. 3. 1886 (RGBl. S. 61).
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der Öffentlichkeit (§§ 170 ff GVG) wurden 1888 geschaffen 50 . 1902 wurde in § 7 StPO dessen heute noch geltender Absatz 2 eingefügt 51 und damit der sog. fliegende Gerichtsstand der Presse beseitigt. 1905 wurde die Zuständigkeit des Schöffengerichts zu Lasten der Strafkammer geringfügig erweitert 52 . Ein Gesetz zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 21. Oktober 191753, das eine ähnliche Verordnung von 1915 ersetzte, ermöglichte es der Staatsanwaltschaft, in bestimmten an sich zur Zuständigkeit der Strafkammer gehörenden Sachen die Zuständigkeit des Schöffengerichts zu begründen und erweiterte den Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens. 17
b) Sonstige Änderungen mit strafverfahrensrechtlichen Auswirkungen. 1882 wurde durch eine Bundesratsverordnung das einheitliche Strafregister eingeführt, das erst 1971 durch das Bundeszentralregister ersetzt wurde. Die heute durch das StrEG geregelte Entschädigung wurde in engerem Rahmen durch Gesetze von 1898 (für erfolgreiche Wiederaufnahme) 54 und 1904 (für unschuldig erlittene Untersuchungshaft) eingeführt 55 . 1913 wurde für Schöffen und Geschworene erstmals neben dem Reisekostenersatz Tagegeld gewährt 56 . 3. Reformbemühungen
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a) Isolierte Reformvorstöße aus dem Parlament bis 1892, die im wesentlichen die Einführung der Berufung in erstinstanzlichen Strafkammersachen zum Gegenstand hatten, blieben erfolglos 57 . 1895 legte die Reichsregierung einen auch die Berufung in Strafkammersachen enthaltenden umfangreicheren Entwurf zur Novellierung der StPO vor 58 . Er schlug als Konsequenz aus der Einführung der Berufung den Wegfall von Garantien der ersten Instanz vor, die als Ersatz für die mangelnde Berufung angesehen wurden (u. a. Reduzierung der Besetzung der Strafkammern, Einschränkung des Zwischenverfahrens, Erweiterung des Ermessens beim Umfang der Beweiserhebung), wollte die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten erweitern, den Nacheid einführen und ein beschleunigtes Verfahren schaffen 59 . Der Entwurf scheiterte namentlich deshalb, weil der Reichstag die mit der Einführung der Berufung verbundenen sonstigen Verfahrenserleichterungen nicht zu akzeptieren bereit war 60 .
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b) Reformkommission 1903 und Entwurf 1908/1909. Das Reichsjustizamt entschloß sich deshalb zur Vorbereitung einer umfassenden Reform 61 . Die Vorarbeiten begannen 1903; die Reform scheiterte 1911. Zunächst berief das Reichsjustizamt eine Kommission, der ein detaillierter, alle aktuellen Fragen umfassender Fragenkatalog vorgegeben wurde. Der 21 Mitglieder umfassenden Kommission gehörten Richter, Staatsan50 Gesetz vom 15. 4. 1888 (RGBl. S. 133). 51 Gesetz vom 13. 6. 1902 (RGBl. S. 227). 52 Gesetz vom 5. 6. 1905 (RGBl. S. 533). 53 RGBl. S. 1067; das Gesetz war bis ein Jahr nach dem Ende des Kriegszustandes befristet, hat aber die weitere Rechtsetzung beeinflußt. 54 Gesetz betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen, vom 20. 5. 1898 (RGBl. S. 349). 55 Gesetz betreffend die Entschädigung der im Strafverfahren freigesprochenen Personen für unschuldig erlittene Untersuchungshaft, vom 14. 7. 1904 (RGBl. S. 321). 56 Gesetz vom 29. 7. 1913 (RGBl. S. 617). 57 Einzelheiten in der 24. Aufl., Einl. 4 2; ausführlich 17. Aufl. (1927) S. 22 ff; ferner Schwarze GerS 33
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(1885) 1 ff mit Wiedergabe entsprechender Anträge S. 53 ff; Fezer (Reform) 23; Kern (Geschichte) 127 ff. Entwurf eines Gesetzes betreffend Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung, Reichstagsverhandlungen 9. Legislaturperiode, 4. Session 1895/97, Aktenstück 73. Ausführlich, auch zur Beratung im Reichstag, 17. Aufl. (1927) S. 23 ff. Bericht der XI. Kommission, aaO. Aktenstück 294; Zusammenstellung der Beschlüsse des Reichstags in zweiter Lesung, Aktenstück 587; v. Hippel 65. Äußerer Anstoß war ein Beschluß des Reichstages vom 19. 11. 1902, Protokolle, Bd. I S. III.
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wälte, Rechtsanwälte und Hochschullehrer an . Sie erledigte ihre Aufgabe in 86 Sitzungen in zwei Lesungen unter beratender Mitwirkung von Beamten des Reichsjustizamtes in der Zeit vom 16. 2. 1903 bis 1. 4. 1905. Sie schlug, teilweise mit knappen Mehrheiten, mehr als 280 Änderungen des Strafverfahrensrechts einschließlich der Gerichtsverfassung vor 63 , darunter die Ersetzung der Schwurgerichte durch große Schöffengerichte bei den Landgerichten, eine durchgängige Beteiligung von Schöffen in der ersten und der Berufungsinstanz und die allgemeine Einführung der Berufung gegen alle erstinstanzlichen Urteile der Amts- und Landgerichte 64 . Die Protokolle wurden veröffentlicht. In der juristischen Öffentlichkeit Schloß sich eine lebhafte Diskussion an 65 . Auf der Grundlage dieser Vorarbeiten, wenn auch ihnen nicht in allen Punkten fol- 20 gend, legte das Reichsjustizamt im September 1908 für die Befassung des Bundesrates den Entwurf einer Strafprozeßordnung und einer Novelle zum GVG (Entwurf 1908) vor 66 , den die Reichsregierung nach der Behandlung im Bundesrat im November 1909 in nur geringfügig veränderter Form 67 dem Reichstag zuleitete (Entwurf 1909 — Reichstagsvorlage) 68 . Wegen des Umfangs der Änderungen enthielt der Entwurf eine vollständige, auch in den sachlich unveränderten Teilen redaktionell und sprachlich überarbeitete Neufassung der StPO. Von März 1910 bis Anfang 1911 beriet eine aus 28 Mitgliedern bestehende Kommission des Reichstags unter Hinzuziehung von Vertretern der Länder und des Reichsjustizamtes den Entwurf in 84 Sitzungen. Sie beschloß zahlreiche Änderungen und erstattete einen ausführlichen schriftlichen Bericht 69 . Die am 6. 2. 1911 im Reichstag begonnene 2. Lesung wurde schon während der Beratungen über das GVG wegen unüberwindlicher Meinungsverschiedenheiten über die Mitwirkung von Laien bei den Berufungsgerichten abgebrochen und nicht wieder aufgenommen 70 . Der erste und bisher einzige Versuch einer parlamentarischen Behandlung einer umfassenden Reform war damit gescheitert 71 . Der Entwurf und seine parlamentarische Beratung haben eine außerordentlich intensive Diskussion in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit ausgelöst 72 . In der damals wichtigsten Frage der Art der Laienbeteiligung und der Berufung ent- 21 schied sich der Entwurf anders als die Reformkommission für die Beibehaltung der Schwurgerichte sowie für die Mitwirkung von Schöffen bei den erstinstanzlichen Strafkammern 73 . Gegen die Urteile der Strafkammern, nicht gegen die der Schwurgerichte, 62
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Einzelheiten Protokolle Bd. I S. IV f; Kern (Geschichte) 132; Nagler GerS 73 (1909) 100 ff (auch zum Beratungsverlauf und der Bewertung der Arbeit). Synoptische Wiedergabe der Beschlüsse mit dem geltenden Recht Protokolle Bd. II 328 ff; ausführliche Wiedergabe bei Nagler GerS 7 3 (1909) 95 ff; Zusammenstellung der Beschlüsse auch bei Aschrott. Ausführliche Darstellung bei Nagler GerS 73 (1909) 127. Ausführlich und überwiegend kritisch und mit Gegenvorschlägen der von der IKV veranlaßte Sammelband von Aschrott; eher positiv Nagler aaO; weitere umfassende Nachw. durchgehend bei Hegler ZStW 33 (1912). Eine zusammenfassende Darstellung der damaligen Reformdiskussion bei Rentzel-Rothe (LV zu IV) 117 ff. Seinerzeit veröffentlicht im Verlag Otto Liebmann; Nachdruck MatStrRRef Bd. 11 (1960), sowie hrsg. von Schubert (1991).
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Nachw. bei Kohlrausch, ZStW 29 (1909) 669 ff; v. Hippel (Entwurf) 2. RT-Verhandl. 12. Legislaturperiode, II Session, Aktenstück Nr. 7, Nachdruck MatStrRRef Bd. 12 (1960), sowie hrsg. von Schubert (1991). Bericht der 7. Kommission des Reichstags 12. Legislaturperiode, II. Session, Aktenstück Nr. 638, Nachdruck MatStrRRef Bd. 13 (1960); sowie hrsg. von Schubert (1991). Näher Hegler ZStW 3 3 ( 1 9 1 2 ) 115. S. dazu den Beitrag von Kohlrausch ZStW 33 (1912) 226. Einen vollständigen, nach Einzelfragen gegliederten Nachweis enthält die Aufsatzreihe von Hegler ZStW 33 (1912); s. ferner u. a. die im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Beiträge von Aschrott (Entwurf), Binding, ν. Hippel, ν. Lilienthal und Oetker, zur Haltung des IKV Delaquis ZStW 29 (1909) 435 ff. Näher fem (Geschichte) 133.
Einl. Abschn. Ε
Einleitung
sollte die Berufung an besondere, mit fünf Berufsrichtern besetzte Senate bei den Landgerichten eröffnet werden. Ferner sollten die Zuständigkeiten in geringfügigen Sachen erstmals vom Schöffengericht auf den Amtsrichter als Einzelrichter verlagert werden; auch im übrigen sollte die Zuständigkeit des Schöffengerichts zu Lasten der Strafkammer vorsichtig erweitert werden. Die Justizkommission des Reichstags folgte dem im wesentlichen, war aber in der Frage der Mitwirkung von Schöffen in der Berufungsinstanz gespalten. 22
Als Vorläufer des späteren selbständigen Jugendstrafrechts schlug der Entwurf besondere Verfahrensvorschriften für Verfahren gegen Jugendliche vor 74 . Sie enthielten u. a. Sondervorschriften für das Absehen von der Klageerhebung, erweiterten den (damaligen) Umfang der notwendigen Verteidigung, ermöglichten dem Gericht die Anordnung von Erziehungs- und Besserungsmaßnahmen statt einer Bestrafung, gestatteten in erweitertem Umfang den Ausschluß der Öffentlichkeit, schrieben (als Sollvorschrift) getrennte Hauptverhandlungen gegen Jugendliche und Erwachsene vor und regelten die Stellung des gesetzlichen Vertreters. Bei den Amtsgerichten sollten besondere Abteilungen für Jugendsachen (Jugendgerichte) mit einer erheblich erweiterten sachlichen Zuständigkeit gebildet werden. Auch dies fand der Sache nach die Zustimmung der Justizkommission des Reichstags.
23
Unter den zahlreichen, das allgemeine Strafverfahren betreffenden Vorschriften 75 befanden sich mehrere von weittragender Bedeutung. Das Legalitätsprinzip sollte erstmals durch Regelungen eingeschränkt werden, die im Ansatz den heutigen §§ 153, 153 c, 154 und 154 d StPO entsprechen. Die Voraussetzungen für die Verhängung der Untersuchungshaft und die Begrenzungen für ihre Dauer sollten verschärft werden. Das Zwischenverfahren sollte vereinfacht und reduziert, der Eröffnungsbeschluß beseitigt werden. Die Einwirkungsmöglichkkeiten des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren und die Belehrungspflichten sowie die Akteneinsicht des Verteidigers und sein Anwesenheitsrecht bei Untersuchungshandlungen sollte verbessert 76 , der unüberwachte Verkehr des Verteidigers mit dem Beschuldigten auch im Ermittlungsverfahren weitgehend gewährleistet werden 77 . Im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung sollten die Möglichkeiten, ohne Angeklagten zu verhandeln, erweitert werden 78 , das beschleunigte Verfahren sollte (unter Aufnahme in die besonderen Verfahrensarten des — heutigen — sechsten Buches) ausgebaut, der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens erweitert werden. Im Beweisrecht sollte der Voreid durch den Nacheid ersetzt und die Eidespflicht eingeschränkt sowie der Umfang der Zeugnisverweigerungsrechte erweitert werden; das Beweisantragsrecht sollte unter Wegfall der Pflicht zur Verwendung präsenter Beweismittel etwa im Sinne des späteren § 244 geregelt werden 79 . Der damals noch engere Kreis der Privatklagedelikte sollte ausgedehnt werden.
24
c) Bei einer abschließenden Gesamtbewertung erscheinen die Reformansätze des Entw. 1909, sieht man von dem seinerzeit dominanten Thema der Form der Laienbeteiligung und der Berufung in Strafkammersachen ab, in vielen Punkten zukunftsweisend. Der Entwurf verfolgt, entgegen manchen zeitgenössischen Vorschlägen auch im Schrifttum und sich daher von diesem Kritik aussetzend 80 , eine eher moderate, auf Novel74
75
76 77
§ 364 bis § 376 Ε 1909; näher Oetker GerS 74 (1909) Beiheft; Aschron (Entwurf) 83 ff. Gesamtübersicht bei v. Lilienthal ZStW 29 (1909) 1 ff; ausführliche Einzeldarstellung in den späteren Heften des Bandes. Näher Rieß FS Reichsjustizamt 397 ff. Näher Rieß FS Reichsjustizamt 409.
78
Näher Rieß FS Reichsjustizamt 392 f. Näher Rieß FS Reichsjustizamt 426 f; dazu aus damaliger Sicht sehr kritisch v. Lilienthal ZStW 29 (1909) 594 ff. so V. Lilienthal ZStW 29 (1909) 2; Rieß FS Reichsjustizamt 379 f; Eb. Schmidt (Geschichte) 414 f. 79
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
Einl. Abschn. Ε
lierung und Anpassung, nicht auf Totalerneuerung gerichtete rechtspolitische Konzeption und geht insoweit nicht über eine Umgestaltung hinaus, wie sie etwa durch die umfangreichen Strafverfahrensnovellen in der Zeit von 1975 bis 1986 verwirklicht worden sind 81 . Gemessen an der damals geltenden StPO ist die Grundhaltung als rechtsstaatlich und beschuldigtenfreundlich zu kennzeichnen. In seinem Aufbau und insbesondere in seiner durch die Justizkommission des Reichstages weiter verbesserten sprachlichen Fassung dürfte der Entwurf der heute geltenden StPO überlegen sein. Trotz des Scheiterns dieses bisher einzigen parlamentarisch weitgehend durchberatenen Reformprojektes sind zahlreiche Ansätze in der weiteren Rechtsentwicklung aufgegriffen worden; andere harren noch heute der Auswertung.
IV. Die Entwicklung in der Weimarer Zeit Schrifttum. Beling Der amtliche Entwurf eines Einführungsgesetzes zu einem Allg. Deutschen StGB, DJZ 1929 1166; Bendix Die Neuordnung des Strafverfahrens, Gegenvorschläge zu den drei Regierungsvorlagen von 1920 (1921); Bumke Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924 (1924); Ebermayer Zur Kritik der Verordnung vom 4. Januar 1924 über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege, LZ 1924 49; Goldschmidt Zur Reform des Strafverfahrens (1919); Goldschmidt Die Kritiker der Strafprozeßentwürfe, ZStW 41 (1920) 569; Härtung Reform des Strafverfahrens nach dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, JW 1930 2488; v. Hippel Vorläufiger Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, ZStW 41 (1920) 2; v. Hippel Der Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen, ZStW 41 (1920) 325; Hug Strafrechtliche Sondergerichtsbarkeiten in Deutschland 1918-1932, Diss. Heidelberg 1976; Idel Die Sondergerichte für politische Straftaten, Diss. Freiburg 1935; Kern Der Einfluß der Strafrechtsreform auf Gerichtsverfassung und Strafverfahren, JW 1929 2670; Koffka/Schäfer Die Vorschriften über Strafrechtspflege in der Verordnung vom 14. Juni 19322 (1932); Klee Strafprozeßnovelle oder Reform des Strafverfahrens? GA 73 (1929) 281; Klee Aufbau und Besetzung der Strafgerichte im Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch in der Fassung der Reichsratsbeschlüse, GA 74 (1930) 337; Lucas Betrachtungen zu den Entwürfen zur Änderung des Gerichts Verfassungsgesetzes und über den Rechtsgang in Strafsachen, DJZ 1920 325; Nagler Zur Einschätzung der Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege, GerS 90 (1924) 398; Oetker Die Strafgerichts Verfassung nach der Verordnung vom 4. Januar 1924, GerS 90 (1924) 341; Rentzel-Rothe Der „Goldschmidt-Entwurf', Inhalt, reformgeschichtlicher Hintergrund und Schicksal des Entwurfs eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen (1995); Rosenberg Der neue Gesetzentwurf über den Rechtsgang in Strafsachen, DStrZ 1920 10; Schiffer Die deutsche Justiz, Grundzüge einer durchgreifenden Reform (1928); Schlegelberger Die Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechtspflege und der Verwaltung, JW 1932 1929; Schmidt Strafgerichtsverfassung und Strafverfahren nach dem Entwurf des EinfG zum StGB, GerS 99 (1930), 1; Schöllkopf Die Versuche einer Reform der Strafgerichtsverfassung in den Jahren 1919-1923, Diss. Tübingen 1937; Schubert/Regge Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, I. Abt., Weimarer Republik, Bd. 1 bis 3 (Strafgesetzbuch, hrsg. von Schubert/Regge 1995 ff); Bd. 4 (Strafprozeß - von dem Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen (1920) bis zu der Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege (lex Emminger) vom 4. 1. 1924, hrsg. von Schubert, 1998), Bd. 5 (EGStGB, hrsg. von Schubert, in Vorbereitung); v. Staff Zur Umgestaltung des Gerichtsverfassungsgesetzes, DStrZ 1920 3; Toepfer Die Verfassung des Schwurgerichts nach der Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924 und die Reform des schwurgerichtlichen Verfahrens, Diss. Leipzig 1930; Töwe/Schwarz Die strafrechtlichen Bestimmungen der NotVO vom 14. Juni 1932, DRiZ 1932 198; Vormbaum Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924 (1988); Widenmann Die Vorschriften über Gerichtsverfassung und Strafverfahren in den NotV von 1931 und 1932, Diss. Tübingen 1939.
81 S. Rdn. 106 ff. (53)
Peter Rieß
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Einleitung
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1. Überblick. Mit der Entstehung der Weimarer Republik beginnt für das Strafverfahrensrecht die bis heute andauernde Epoche kontinuierlicher, oft hektischer Novellengesetzgebung. Die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Unruhe, die sich mehrfach krisenhaft zuspitzte, schlug auch auf das Strafverfahrensrecht durch. Groß angelegte Versuche einer Erneuerung des Strafverfahrens, die ihre Wurzel in der Aufbruchstimmung des Übergangs zum parlamentarisch-demokratischen Staat fanden, standen am Anfang der Epoche (Rdn. 30 ff). Sie scheiterten ebenso wie der Versuch, am Ende der Weimarer Zeit parallel mit der Reform des materiellen Strafrechts im Entwurf des EGStGB eine grundlegende Modernisierung des Strafverfahrensrechts zu verwirklichen (Rdn. 41).
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Für die Entwicklung, die hier nur in ihren wesentlichen Zügen dargestellt werden kann 82 , gibt es unterschiedliche Ursachen. Auf der einen Seite werden durch die gesellschaftliche und politische Entwicklung Fortschritte in einer Liberalisierung und Humanisierung des Strafverfahrensrechts erreicht. Diese Entwicklung wurde jedoch überlagert und teilweise verschüttet durch Maßnahmen reaktiver Krisenbewältigung in der Zeit von 1919 bis 1924 und von 1930 bis zum Zusammenbruch der Weimarer Republik. Als Vereinfachungs- und Einsparungsmaßnahmen haben sie ihren Grund in der wirtschaftlichen Not. Die gewalttätigen bis an die Grenze des Bürgerkriegs reichenden politischen Auseinandersetzungen führen zur Einrichtung von Sondergerichten und Schnellverfahren. Die Krise des parlamentarischen Systems der Weimarer Zeit manifestiert sich auch im Strafverfahrensrecht dadurch, daß die beiden bedeutendsten und in erheblichem Umfang bis heute fortwirkenden Änderungen, nämlich die EmmingerVO von 1924 und die 4. AusnVO von 1932 nicht in Gesetzesform, sondern als Notverordnung ergingen.
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In der Entwicklungsgeschichte knüpfen auch weitgehende, im Verordnungswege durchgesetzte Entlastungsmaßnahmen, wie beispielsweise die Abschaffung der Schwurgerichte und die Lockerung des Legalitätsprinzips durch die EmmingerVO, an ältere Reformüberlegungen an. Andererseits boten manche gesetzgeberische Maßnahmen der Weimarer Zeit, etwa die Errichtung von Sondergerichten, den nationalsozialistischen Machthabern Anknüpfungspunkte für eine Nutzung und Fortentwicklung im Sinne ihrer Absichten.
28
Regelungstechnisch hat insbesondere die spätere Weimarer Zeit, nachdem aufgrund der EmmingerVO der Text vom GVG und StPO 1924 amtlich neu bekanntgemacht wurde, vielfach davon abgesehen, den Wortlaut von GVG und StPO zu ändern, sondern sie hat den Rechtszustand durch überlagernde, zeitweise zeitlich befristete Sondervorschriften verändert. 29 Wichtige, bis heute wirksam gebliebene Reformansätze mit Wirkung auch für das Strafverfahren außerhalb von StPO und GVG finden sich in der beschränkten Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strafvermerken 83 , in den steuerstrafrechtlichen Bestimmungen der Reichsabgabenordnung 84 , in der Kodifikation des Auslieferungsrechts 85 und vor allem in der eigenständigen Regelung des Jugendstrafrechts 86 .
Weitere Einzelheiten in der 24. Aufl. Einl. 3 6 bis 20; 4 4 bis 11; v. Hippel 51 ff, 161 ff; Kem (Geschichte) 153 ff; s. auch Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4, Einleitung. Gesetz vom 20. 9. 1920 (RGBl. S. 507).
84 85
86
Vom 19. 12. 1919 (RGBl. S. 1993). Deutsches Auslieferungsgesetz vom 23. 12. 1929 (RGBl. I S. 239); näher 24. Aufl. Einl. 3 14. Jugendgerichtsgesetz vom 16. 2. 1923 (RGBl. I S. 135); s. auch oben Rdn. 22.
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
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2. Die Zeit bis Ende 1923 a) Bemühungen um eine umfassende Reform begannen unmittelbar nach der Grün- 3 0 dung der Weimarer Republik; sie bauten auf den Reformbemühungen am Ende des Kaiserreichs (Rdn. 19 ff) auf, gingen aber teilweise eigene Wege und waren zunächst weniger auf Kompromiß zwischen den unterschiedlichen Auffassungen angelegt 87 . Nach einem ersten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes im November 191988 leitete die Reichsregierung Anfang 1920 dem Reichsrat den Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen zu, der zugleich in Form einer Novelle die erforderliche, an den früheren Entwurf anknüpfende Änderung des GVG enthielt (Entw. 1919)89. Der Entwurf, der die Handschrift von James Goldschmidt trägt 90 , ist bereits im Reichsrat gescheitert 91 . In der Öffentlichkeit wurde er unterschiedlich aufgenommen 92 . In seinen verfahrensrechtlichen Vorschlägen stellt er den bis heute konsequentesten Versuch einer Abkehr von den inquisitorischen Elementen der StPO in der Fassung von 1877 dar 93 . Im Gerichtsverfassungsrecht wollte der Entwurf u. a. unter Beibehaltung der 31 Schwurgerichte die erstinstanzliche Zuständigkeit der Strafkammern auf die Schöffengerichte übertragen und damit auch in den bisherigen erstinstanzlichen Strafkammersachen die Berufung eröffnen. Für die Berufungsstrafkammern der Landgerichte war eine Besetzung von zwei Berufsrichtern und drei Schöffen vorgesehen. Für die Revisionen (unter der Bezeichnung „Rechtsrüge") sollte das Reichsgericht uneingeschränkt nur bei den Urteilen der Schwurgerichte zuständig sein, bei den Urteilen der Berufungsstrafkammern anstelle der Oberlandesgerichte nur dann, wenn dies die Staatsanwaltschaft in Übereinstimmung mit dem Oberreichsanwalt beantragte 94 . Der Entwurf erstrebte ferner eine weitgehende Demokratisierung der Wahl der Schöffen und Geschworenen 95 . Die durchaus progressiven Vorschläge zum Strafverfahren 96 schlugen u. a. die Besei- 32 tigung der gerichtlichen Voruntersuchung und des Eröffnungsbeschlusses sowie eine Verbesserung der Beschuldigtenrechte im Ermittlungsverfahren vor, das stärker in der Hand des Staatsanwalts konzentriert werden sollte. Der Verfolgungszwang sollte eingeschränkt, das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers erweitert und der uneingeschränkte unüberwachte Verteidigerverkehr gewährleistet werden. Die Haftvoraussetzungen sollten verschärft und die Eidespflicht eingeschränkt werden. Für die Hauptverhandlung sollte das Unmittelbarkeitsprinzip gestärkt und die Beweisaufnahme stärker in die Hand der Parteien gelegt werden. Das Beweisantragsrecht sollte gesetzlich normiert werden. Die Privatklage sollte (unter der neuen Bezeichnung Eigenklage) erweitert und das Sühneverfahren ausgebaut werden. Nach dem Scheitern des Entw. 1919 unterblieben umfassende strafverfahrensrechtli- 33 che Reformbemühungen, jedoch unternahm die Reichsregierung nochmals den Versuch
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Abdruck eines großen Teils der Entwürfe bis zur EmmingerVO sowie weiterer Quellen bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Dazu ausführlich v. Hippel ZStW 41 (1920) 2 ff. Veröffentlicht im Verlag M. Liepmann (1920); Nachdruck in MatStrRRef, Bd. 14 (1960); bei Schubert (Quellen) Bd. 4 mit ausführlichen weiteren Quellen zur Entstehung und zum Beratungsgang; zum Entwurf und seinem Schicksal ausführlieh Rentzel-Rothe. Rentzel-Rothe 72 ff; Vormbaum 46. Näher Rentzel-Rothe 200 ff; Vormbaum 48. Nachw. der Kritik vor allem bei Goldschmidt ZStW 41 (1920) 569 ff; s. ferner Bumke 103 ff;
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v. Hippel ZStW 41 (1920) 755; Vormbaum 46 f; zusammenfassend Rentzel-Rothe 212 ff. Rentzel-Rothe 135 ff. Einen noch weitergehend den Gedanken des Parteiprozesses verwirklichenden Gegenentwurf veröffentlichte Bendix, er blieb ohne nennenswerte Resonanz. Dazu u. a. aus zeitgenössischer Sicht kritisch Ebermayer ZStW 41 (1920) 36 ff.; v. Hippel ZStW 41 (1920) 23 ff. Ausführlich mit krit. Würdigung v. Hippel ZStW 41 (1920) 16 ff. Zum Inhalt ausführlich Rentzel-Rothe 79 ff; aus damaliger Sicht mit kritischer Würdigung u. a. v. Hippel ZStW 41 (1920) 325 ff.
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Einleitung
einer tiefgreifenden Reform der Strafgerichtsverfassung 97 . Ein zunächst unter dem Justizminister Radbruch erarbeiteter, dem Reichsrat im Juni 1922 zugeleiteter Entwurf 98 erfuhr dort wesentliche Änderungen. In der neuen Fassung 99 wurde er durch Justizminister Heinze im Mai 1923 dem Reichstag zugeleitet und von diesem dem Rechtsausschuß überwiesen; zu einer Weiterbehandlung kam es nicht 100 . Beide Entwürfe hielten an dem Vorschlag fest, die Strafkammern als erstinstanzliche Gerichte zu beseitigen und sie unter Beteiligung von Schöffen allein als Berufungsgerichte einzusetzen. Beide Entwürfe schlugen darüber hinaus die Bildung von erweiterten Schöffengerichten vor. Während der Entwurf Radbruch das Schwurgericht als Typ beibehalten wollte, schlug der Entwurf Heinze unter Beibehaltung des Namens seine Umwandlung in ein großes Schöffengericht (drei Berufsrichter, sechs Geschworene) vor. Dieser Vorschlag wurde wenig später durch die EmmingerVO verwirklicht (Rdn. 36). 34
b) Die Gesetzgebung zum GVG und zur StPO beschränkte sich zunächst auf kleinere Eingriffe 101 . Die Militärgerichtsbarkeit wurde (außer in Kriegszeiten) beseitigt 102 . Die Berufe der Rechtspflege sowie die Ämter der Schöffen und Geschworenen wurde für Frauen geöffnet 103 , ein Schritt, der damals außerordentlich umstritten war 104 . In Anlehnung und Fortsetzung der Kriegsgesetzgebung (Rdn. 16) wurden die Zuständigkeiten des Amtsrichters als Einzelrichter und des Schöffengerichts sowie der Strafrahmen des Strafbefehls und der Kreis der Privatklagedelikte erweitert. Die Möglichkeit des abgekürzten schriftlichen Urteils wurde geschaffen 105 . Das Reichsgericht (noch nicht die Oberlandesgerichte) 106 erhielt die Befugnis, offensichtlich unbegründete Revisionen bei Einstimmigkeit durch Beschluß zu verwerfen 107 . § 180 GVG, der die Festsetzung einer Ordnungsstrafe wegen Ungebühr gegen Rechtsanwälte gestattete, wurde gestrichen 108 . Bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Reichsgerichts wurde eine Abgabemöglichkeit an das Oberlandesgericht eröffnet 109 . Die weiteren Änderungen im allgemeinen Strafverfahren waren untergeordneter oder vorübergehender Natur.
35
c) Sondergerichte und Sonderverfahren wurden in erheblichem Umfang zur Bewältigung von Notsituationen und zur Bekämpfung der inneren Unruhen eingesetzt 110 . Das Verfahren war teilweise summarisch, Rechtsmittel waren vielfach ausgeschlossen. Beson97
98
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Ausführlich dazu Kern (Geschichte) 158 ff; Vormbaum 49 ff; ausführliches Quellenmaterial zur Entstehung und Beratung bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Veröffentlicht im Reichsanzeiger Nr. 157 vom 19. 7. 1922; Nachdruck bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Reichstagsverhandlungen, 1. Wahlperiode, Aktenstück Nr. 5884; Nachdruck bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Zur Reichstagsdebatte Vormbaum 52 f; Abdrucke der dabei gestellten Anträge bei Schubert (Quellen) Abt. 1 Bd. 4. Übersicht bei v. Hippel 51 ff; vgl. auch Renzel-Rothe 65 ff. Gesetz betreffend Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit vom 17. 8. 1920 (RGBl. S. 1579); zur Wiedereinführung s. Rdn. 53. Gesetz über die Heranziehung von Frauen zunj Schöffen- und Geschworenenamt vom 25. 4. 1922 (RGBl. I S. 569); Gesetz Uber die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege vom 11. 7. 1922 (RGBl. I S. 573).
104 vgl. u. a. die polemische kritische Stellungnahme von v. Staff DStrZ 1920 6 ff; Nachklang der damaligen Stimmung noch bei Kern (Geschichte) 156 f; zum Ganzen Böhm DRiZ 1986 365 ff; Rosenbusch JuS 1997 1062 ff. 105 Gesetz zur Entlastung der Gerichte vom 11.3. 1921 (RGBl. S. 229); Gesetz zur weiteren Entlastung der Gerichte vom 8.7. 1922 (RGBl. I S. 569). 106 Die Erweiterung auf die Oberlandesgerichte erfolgte 1931 durch die 2. AusnVO; s. Rdn. 43. ">7 Gesetz vom 8. 7. 1922. '"8 Gesetz vom 11. 3. 1921. 109 Verordnung über die Aburteilung des Landesverrates und Spionagefälle durch die Oberlandesgerichte vom 12. 12. 1923 (RGBl. I S. 1197); die Regelung wurde durch die EmmingerVO und die Bek. 1924 als § 120 in das GVG integriert. 110 Übersicht bei Kern (Geschichte) 176 ff mit weit. Nachw.; v. Hippel 53; ausführlich Hug 5 ff, zum quantitativen Umfang 118 ff.
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
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dere Bedeutung erlangte neben den Bayerischen Volksgerichten " der zunächst durch eine NotVO des Reichspräsidenten 112 und später durch das Republikschutzgesetz 113 errichtete bis 1926 bestehende Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik 114 . Die Zuständigkeit der Strafkammer für bestimmte Straftaten, die „zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" in einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren unter Ausschluß der ordentlichen Rechtsmittel abzuurteilen waren, bestand nur kurze Zeit 115 . 3. Von der Emminger-Reform Anfang 1924 bis zum Versuch einer Reform durch das EGStGB 1930 a) EmmingerVO. Mit der verbreitet nach dem für ihren Erlaß verantwortlichen 36 Reichsjustizminister Emmingerii(> benannten Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. 1. 1924' 17 , die auf einer — für diesen Anwendungsfall umstrittenen 118 — Ermächtigung an die Reichsregierung durch Gesetz vom 8. 12. 1923119 beruhte, wurden erstmals seit dem Inkrafttreten der StPO und des GVG tiefgreifende und in wesentlichen Teilen bis heute fortwirkende Strukturveränderungen in der Strafgerichtsverfassung und weitreichende Änderungen im Strafverfahrensrecht erreicht. Unter dem vorrangigen Aspekt von Einsparungsmaßnahmen griff die Verordnung dabei in erheblichem Umfang auf Vorschläge aus den steckengebliebenen Reformentwürfen, namentlich auf den letzten Entwurf Heinze (Rdn. 33) zurück 120 . Für einen kurz bemessenen Zeitraum von weniger als drei Monaten enthielt sie darüber hinaus besondere Notmaßnahmen 121 . Der Wortlaut des GVG und der StPO wurde unter Einarbeitung der durch die EmmingerVerordnung vorgenommenen und einige weitere Änderungen im März 1924 amtlich neu bekanntgemacht 122 . Die öffentliche und wissenschaftliche Reaktion auf die EmmingerVO war überwiegend ablehnend 123 . Im Laufe der weiteren Entwicklung wurden jedoch nur einige wenige Neuregelungen, insbesondere die Beseitigung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Strafkammern, zurückgenommen; andere, so etwa die Begrenzung des Legalitätsprinzips und die Zuständigkeit des Amtsrichters als Einzelrichter, sind für die weitere Entwicklung prägend geworden und bis heute kontinuierlich ausgebaut worden. Im Gerichtsverfassungsrecht wurde die Besetzung der Senate des Reichsgerichts auf 37 fünf (bis dahin sieben) und — außer für die erstinstanzliche Hauptverhandlung — der Oberlandesgerichte auf drei (bis dahin fünf) Mitglieder reduziert. Das Schwurgericht,
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Einzelheiten bei Hug 40 ff. Verordnung zum Schutz der Republik vom 26. 6. 1922 (RGBl. I S. 521). Gesetz zum Schutz der Republik vom 21. 7. 1922 (RGBl. I S. 585). Darüber näher Kern (Geschichte) 178 f; v. Hippel 52; Hug 46 ff. NotVO des Reichspräsidenten Uber die beschleunigte Aburteilung von Straftaten vom 17. 12. 1923 (RGBl. I S. 1231), aufgehoben durch VO vom 13.1.1924 (RGBl. I S. 29) mit Wirkung vom 31. 1. 1924. Näher Vormbaum 17 f. RGBl. I S. 15. Zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt ausführlich aus damaliger Sicht Bumke 1 ff; aus heutiger Sicht unter Verwendung der Quellen Vormbaum-, Abdruck zahlreicher Quellen zur Ent-
stehungsgeschichte bei Schubert (Quellen) Abt. 1 Bd. 4. 18 Vormbaum 76 f. RGSt 58, 120. 119 Zu diesem Gesetz ausführlich Vormbaum 30 ff. 120 Einzelnachweise hierzu vielfach bei Bumke. 121 Völliger Verzicht auf Schöffen und Geschworene, Ruhen aller Privatklagen, Beschränkung der Berufung. 122 Bekanntmachung vom 2 2 . 3 . 1924 (RGBl. I S. 299). 123 Ausführliche Nachw. bei Vormbaum 74 ff; beispielhaft etwa die ausführlichen Beiträge von Nagler GerS 90 (1924) 388 ff; Oetker GerS 90 (1924) 341 ff; s. ferner v. Hippel 53 ff; 166 f; Kern (Geschichte) 163 f; aus späterer Sicht kritisch Vormbaum, 169 ff; eher positiv LR-/T. Schäfer» Einl. 3 11; 4 7; Kem 164. 1
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Einleitung
dessen Zuständigkeit gegenüber dem früheren Rechtszustand verringert wurde 124 , blieb zwar dem Namen nach als ein tagungsweise beim Landgericht zusammentretendes Gericht höherer Ordnung erhalten. Es wurde aber der Sache nach vom Typ her in ein großes Schöffengericht umgewandelt, in dem'drei Berufsrichter und sechs Geschworene gemeinsam über die Schuld- und Straffrage entschieden, und blieb in dieser Form bis 1975 erhalten 125 . Die erstinstanzliche Zuständigkeit der Strafkammern entfiel, sie ging vollständig auf die Amtsgerichte über, bei denen die Zuständigkeit des Amtsrichters als Einzelrichter erheblich erweitert und beim Schöffengericht die Möglichkeit der Hinzuziehung eines zweiten Amtsrichters auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen der Bedeutung oder des Umfangs der Sache geschaffen wurde (erweitertes Schöffengericht). Insoweit erfolgte bis 1932 eine teilweise Rückverlagerung der Sachen vom Schöffengericht auf die Strafkammer 126 . Die Strafkammern waren neben der Beschwerdezuständigkeit als kleine Strafkammern (gegen die Urteile des Einzelrichters) und große Strafkammern (gegen die Urteile des Schöffengerichts) nur noch für Berufungen zuständig; in der Hauptverhandlung wirkten (erstmals) zwei Schöffen mit. Die Unterscheidung in kleine und große Berufungsstrafkammern blieb bis 1992 erhalten 127 . Die Revisionszuständigkeit des Reichsgerichts beschränkt sich auf die Urteile der Schwurgerichte (als erstes Rechtsmittel) sowie als zweites Rechtsmittel gegen die Berufungsurteile der großen Strafkammer, wenn erstinstanzlich das erweiterte Schöffengericht entschieden hatte; im übrigen war für Revisionen das Oberlandesgericht zuständig. 38
In der Strafprozeßordnung führte die gerichtsverfassungsrechtliche Neuordnung zur Erfüllung der alten Forderung, daß, abgesehen von den Schwurgerichtssachen, die Berufung allgemein eingeführt wurde. Für geringfügige Delikte und Verurteilungen wurde sie freilich ausgeschlossen und die unmittelbare Revision eröffnet (Ersatzrevision, §313 StPO). Ferner wurde die Möglichkeit der Sprungrevision nach dem (heutigen) § 335 neu geschaffen. Für die neu in die Zuständigkeit der Amtsgerichte fallenden Sachen, wurde, da Folgeänderungen zunächst unterblieben 128 , die Beweiserhebungspflicht des Gerichts dadurch erheblich eingeschränkt, daß bei den Amtsgerichten der Umfang der Beweisaufnahme dem Ermessen des Gerichts oblag. Das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit bei Entscheidungen zu Lasten des Angeklagten (§ 263 StPO) wurde auf die Strafzumessung erweitert. Die öffentliche Zustellung wurde vereinfacht, die Möglichkeit, den Angeklagten auf seinen Antrag vom Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wesentlich erweitert, die Voraussetzung des Sühneversuchs im Privatklageverfahren ausgedehnt und der Strafrahmen in Strafbefehlsverfahren auf Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten erweitert.
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In Anknüpfung an die verschiedenen Reformentwürfe (Rdn. 23; 32) wurden mit den neuen §§ 153, 154 StPO erstmals beträchtliche Möglichkeiten des Durchbrechung des Legalitätsprinzips geschaffen 129 ; sie sind die Grundlage der seitherigen kontinuierlichen Ausweitung des Begrenzungskatalogs. Substantielle Erweiterungen auf Dauer erfolgten insoweit erst 1975.
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b)Die Rechtsentwicklung bis 1930 verlief in ruhigeren Bahnen. Ende 1925 wurde die freie Stellung des Gerichts bei der Beweisaufnahme wieder auf Übertretungen und Privatklagen beschränkt und der Umfang der Ersatzrevision eingeschränkt 130 . Ende 1926
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S. die Aufzählung bei Bumke 59; Schwurgerichte waren über die Tötungsdelikte und den durch Todeserfolg qualifizierten Delikt hinaus u. a. auch für Meineid und Richterbestechung zuständig. Zur weiteren Entwicklung s. Rdn. 113. S. Rdn. 44. S. zur weiteren Entwicklung Rdn. 144.
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Eine Anpassung an die veränderte Zuständigkeit erfolgte erst durch Gesetz vom 22. 12. 1925 (s. Rdn. 40). Wortlaut in der Entstehungsgeschichte bei § 153; zur vorangehenden Entwicklung Vormbaum 153 f; 156 ff. Gesetz zur Abänderung der Strafprozeßordnung vom 22. 12. 1925 (RGBl. I S. 425).
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wurde aufgrund eines spektakulären Einzelfalles durch umfangreiche Änderungen im Haftrecht das besondere Haftprüfungsverfahren eingeführt, ein Zeugnisverweigerungsrecht für Presseangehörige geschaffen und erstmals die Möglichkeit eröffnet, Beweiserhebungen wegen Prozeßverschleppung abzulehnen 132 . Mit dem Deutschen Auslieferungsgesetz wurden die (Jetzigen) § 154 b und 456 a StPO eingeführt. Weitere Änderungen waren im wesentlichen redaktioneller Natur 133 . c) Reformversuche im Entwurf des EGStGB 1930. Mit der zuletzt 1930 beabsich- 41 tigten umfassenden Reform des materiellen Strafrechts 134 wurde zugleich der Versuch zu Änderungen des Strafverfahrens und der Strafgerichtsverfassung unternommen, die über reine Anpassungen an die Strafrechtreform hinausgingen. Sie finden sich in den Artikeln 68, 69 und 70 des Entwurfs eines EGStGB (Entwurf 1930) 135 . Der Entwurf stellte den durch die EmmingerVO erreichten Rechtszustand nicht grundsätzlich in Frage, enthielt aber, teilweise unter Aufgreifen früherer Reformvorschläge, selbständige Änderungen, die zum Teil später in den Notmaßnahmen aufgegriffen wurden. So sollte im GVG u. a. die Zuständigkeit des Amtsrichters als Einzelrichter wieder eingeschränkt, der Ausschluß der Öffentlichkeit erweitert und die Vorlagepflicht der Oberlandesgerichte bei beabsichtigten Divergenzen eingeführt werden. In der StPO sollten u. a. die Eidespflicht eingeschränkt, der Verfolgungszwang in andersartiger Form weiter gelockert, die Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft verbessert, die Haftvoraussetzungen enger gefaßt, der gerichtliche Eröffnungsbeschluß beseitigt, das formelle Beweisantragsrecht fast ohne Einschränkungen verankert 136 , die Wiederaufnahme erweitert und das Adhäsionsverfahren eingeführt werden 137 . All diese Vorschläge sind zusammen mit der Strafrechtsreform gescheitert. 4. Die Zeit des Zusammenbruchs der Weimarer Republik (1930 bis 1932) Die Weltwirtschaftskrise führte zu einer dramatischen Verschlechterung der wirt- 42 schaftlichen Lage und zu einer zunehmenden Finanznot im Reich und in den Ländern. Sie hatte auch für das Strafverfahrensrecht massive Einsparungs- und Entlastungsmaßnahmen zur Folge. Gleichzeitig spitzte sich die politische Lage krisenhaft zu. Das Bedürfnis nach Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit führte zu weiteren legislatorischen Maßnahmen. Die Änderungen erfolgten, da der Reichstag mehr und mehr handlungsunfähig wurde, durch Notverordnungen des Reichspräsidenten nach § 48 WRV, die der Text von StPO und GVG überwiegend unverändert ließen und mit ihn überlagernden Sondervorschriften arbeiteten 138 . Auch diese Notmaßnahmen am Ende der Weimarer Zeit greifen
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Selbstmord des Reichspostministers Höfle in der Untersuchungshaft. Gesetz zur Abänderung der Strafprozeßordnung vom 27. Dezember 1926 (RGBl. I S. 529); näher 24. Aufl. Einl. 3 14. Ersetzung der Bezeichnung Gerichtsschreiber durch Geschäftsstelle oder Urkundsbeamter; Verweisung auf das Reichsministergesetz in den §§ 50, 54, 76 StPO. Nähere Nachw. in der 24. Aufl. Einl. 3 12 bis 15; v. Hippel 56. Dazu Eb. Schmidt (Geschichte) 405 ff; s. auch Schubert/Regge (Quellen) Abt. I Bd. 1, Einleitung und Bd. 3.1 Einl.; umfassende Edition der Entwürfe und der Reichstagsberatungen bei Schuberl/Regge (Quellen) Bd. 1 bis 3. Entwurf eines Einführungsgesetzes zum allgemei-
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nen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz, Reichstagsdrucksache IV. Wahlperiode, Nr. 2070, Nachdruck in MatStrRRef Bd. 7 (1954); s. auch Schubert (Quellen) Bd. 5. Rieß FS Reichsjustizamt 428 (Höhepunkt der gesamten Reformgeschichte). Näher zum Ε 1930 24. Aufl. Einl. 4 8; ausführliche Darstellung und Würdigung aus damaliger Zeit ζ. B. Härtung JW 1930 2498; Klee GA 73 (1929) 281; GA 74 (1930) 337; R. Schmidt GerS 99 (1930) 1 ff. Eine Gesamtübersicht über den Rechtszustand aufgrund der verschiedenen AusnVO (mit Textwiedergabe und Erläuterungen) bei Koffka/Schäfer, zeitgenössische Schrifttumsnachweise zu den NotVO bei Kern (Geschichte) 173.
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teilweise auf ältere Reformvorschläge zurück und enthalten einige heute noch geltende Änderungen. 43 Die Einsparungsmaßnahmen im Strafverfahren begannen Ende 1930 in eher bescheidenem Umfang in der 1. AusnVO 139 in Form von Konzentrationsermächtigungen für bestimmte Strafsachen. Weitergehende Eingriffe wurden im Oktober 1931 durch die 2. AusnVO 140 vorgenommen. Sie begründete im begrenzten Umfang die erstinstanzliche Zuständigkeit der Strafkammer wieder, indem sie die Staatsanwaltschaft ermächtigte, die Eröffnung der Hauptverfahren von der großen Strafkammer zu beantragen, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich mehr als sechs Sitzungstage in Anspruch nehmen werde. Damit entfiel zugleich in diesem Verfahren die Berufung 141 . Bei Übertretungen wurde das Opportunitätsprinzip erweitert und es wurde der (heutige) § 154 d StPO mit dem heute noch geltenden Wortlaut eingeführt. Im Privatklageverfahren wurde die Möglichkeit der Einstellung wegen Geringfügigkeit geschaffen und für diese Verfahren das Wahlrechtsmittel (Berufung oder Revision) eingeführt. Im beschleunigten Verfahren wurde die Ladungsfrist auf drei Tage mit Abkürzungsmöglichkeit auf 24 Stunden verkürzt, die Möglichkeit, in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, wurde erweitert und auch den Oberlandesgerichten die Möglichkeit eingeräumt, Revisionen als offensichtlich unbegründet durch einstimmigen Beschluß zu verwerfen. Die 3. AusnVO 142 ermöglichte im Zusammenhang mit materiell-strafrechtlichen Änderungen zur Verstärkung des Ehrenschutzes in Offizialverfahren wegen Beleidigung in erweitertem Umfang das beschleunigte Verfahren und stellte bei Anwendung dieser Verfahrensart den Umfang der Beweisaufnahme in das Ermessen des Gerichts. 44
Die Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung vom 14. Juni 1932 (4. AusnVO) 143 verwirklichte als insoweit letzter Gesetzgebungsakt der Weimarer Zeit nochmals tiefgreifende Änderungen im Strafverfahrensrecht, die für lange Zeit auch die Grundlage im nationalsozialistischen Staat bildeten 144 . Im GVG wurde in Korrektur der Entscheidung der EmmingerVO die erstinstanzliche Zuständigkeit der großen Strafkammer wiederhergestellt; das hatte den Wegfall der Berufung in diesen Sachen zu Konsequenz 145 . Das erweiterte Schöffengericht wurde beseitigt. Im Jugendstrafverfahren wurde die Entscheidung durch den Jugendrichter als Einzelrichter ermöglicht. Die Wahlperiode der Schöffen und Geschworenen wurde von ein auf zwei Jahre ausgedehnt 146 . Der Umfang der Beweiserhebung wurde in allen amtsgerichtlichen Sachen und in der Berufungsinstanz in das Ermessen des Gerichts gestellt. Die höchstzulässige Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde von 4 auf 10 Tage verlängert 147 . Gegen die Urteile der Amtsgerichte war nur noch Berufung oder Revision möglich, es wurde also das sog. Wahlrechtsmittel eingeführt. Weitere Änderungen betrafen den Verzicht auf das Haftprüfungsverfahren, die Akteneinsicht und den unüberwachten Ver-
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Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1. 12. 1930 (RGBl. I S . 517), 9. Teil. 3. Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6. 10. 1931 (RGBl. I S. 537), 6. Teil; zum Inhalt näher DörfflerW 1931 2892. Die Regelung wurde bereits im Juni 1932 durch die weitergehende Zuständigkeitsverschiebung auf die Strafkammern ersetzt; s. Rdn. 44. 4. Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schut-
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ze des inneren Friedens vom 8. 12. 1931 (RGBl. I S. 699), 8. Teil, Kapitel III. RGBl. I S. 285, ausführliche Einleitung, auch zu den Motiven, bei Koffka/Schäfer 12 ff; zur Bedeutung auch Kern (Geschichte) 174 f; Schlegelberger JW 1932 1929 („Diktatur der Armut"). Kern (Geschichte) 175. Einzelheiten bei Koffka/Schäfer 14, 19 ff. Zur Abkürzung der ersten längeren Wahlperiode nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus s. Rdn. 55. Weitergehende Unterbrechungsmöglichkeiten in § 229 StPO erst 1975 durch das 1. StVRG.
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teidigerverkehr im beschleunigten Verfahren, die V e r w e r f u n g des Einspruchs in Strafverfügungsverfahren bei unentschuldigtem Ausbleiben, den Gebührenvorschuß in Privatklageverfahren (jetzt § 379 a StPO) sowie eine B e s c h w e r d e s u m m e von 50 Mark in Kosten- und Gebührensachen. Die gesetzgeberischen M a ß n a h m e n zur Sicherung des inneren Friedens stehen 4 5 vielfach im Z u s a m m e n h a n g mit materiell-strafrechtlichen oder polizeirechtlichen Vorschriften 1 4 8 . Dabei wird einmal durch eine Reihe von Verordnungen das beschleunigte Verfahren f ü r solche Straftaten f ü r anwendbar erklärt 1 4 9 . Darüber hinaus ermächtigte die 2. A u s n V O 1 5 0 die Reichsregierung zur Bildung von Sondergerichten. Diese machte hiervon im Anschluß an die N o t V O des Reichspräsidenten gegen politischen Terror vom 9. August 1932 1 5 1 mit Verordnung vom gleichen Tage Gebrauch, indem sie f ü r bestimmte Oberlandesgerichts- und Landgerichtsbezirke für eine Reihe von Straftaten die Bildung von Sondergerichten anordnete und das Verfahren vor ihnen unter dem Gesichtspunkt der Beschleunigung, Vereinfachung und Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln regelte 1 5 2 . Diese Sondergerichte wurden mit Wirkung vom 21. 12. 1932 aufgehoben 1 5 3 . W e n i g e Wochen später, am 30. 1. 1933, brach die Weimarer Republik zusammen. Die fortbestehende Ermächtigung zur Errichtung von Sondergerichten nutzten die nationalsozialistischen Machthaber 1 5 4 .
V. Die Zeit des Nationalsozialismus Schrifttum. Boberach Richterbriefe (1975); Broszat Zur Perversion der Strafjustiz im Dritten Reich, VjZ 1958 390; Colmorgen/Godau-Schüttke Frauen vor Gericht. Die „Rechtsprechung" des Schleswig-Holsteinischen Sondergerichts wegen „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen" (1940-1945), SchlHA 1995 145; Fieberg Justiz im nationalsozialistischen Deutschland (1984); Fieberg e.a. Im Namen des Deutschen Volkes - Justiz und Nationalsozialismus, Ausstellungskatalog (1989); Gribbohm Der Volksgerichtshof, JuS 1969, 55, 109; Gruchmann Die Überleitung der Justizverwaltung auf das Reich 1933 bis 1935, FS Reichsjustizamt 119; Gruchmann Justiz im Dritten Reich 1933-1940 - Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner (1988); Gärtner (Hrsg.) Das kommende deutsche Strafverfahren, Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission (1938); Güstrow Tödlicher Alltag, Strafverteidiger im Dritten Reich (1981); Koch, Hansjoachim Volksgerichtshof. Politische Justiz im Dritten Reich (1988); Koch, Wolf-Peter Die Reform des Strafverfahrensrechts im Dritten Reich unter besonderer Berücksichtigung des StVO-Entwurfs 1939, Diss. Erlangen Nürnberg 1972; König Vom Dienst an Recht, Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus (1987); Majer Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei im Nationalsozialismus, in: Reifner/Sonnen (Hrsg.), Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich (1984) 121; Majer Justiz und Polizei im „Dritten Reich", in; Dreier/Sellert (Hrsg.) Recht und Justiz im Dritten Reich (1989) 136; Marxen Der Kampf gegen das liberale Strafrecht (1975); Marxen Das Volk und sein Gerichtshof. Eine Studie zum nationalsozialistischen Volksgerichtshof (1994); Messerschmidt/WUllner Die Wehrmachtsjustiz im Dienste des Nationalsozialismus (1987); Müller /. Das Strafprozeßrecht des Dritten Reiches, in: Reifner/Sonnen, Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich (1984) 59; Niethammer Der Einfluß der Arbeit der amtlichen Strafprozeßkommission auf Rechtsprechung und Gesetzgebung, SJZ 1948 191; Pauli Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen zwischen 1933 und 1945 und ihre Fortwir-
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ζ. B. Verordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 2 8 . 3 . 1931 (RGBl. 1 S. 70); 3. AusnVO, 8. Teil, Kap. I und II. ζ. B. § 14 der VO vom 28. 3. 1931; 8. Teil Kap. IV § 5 der 3. AusnVO; § 41 der VO über die Devisenbewirtschaftung vom 23. 5. 1932 (RGBl. I S. 231). Vom 6. 10. 1931 (RGBl. I S. 537), dort 6. Teil, Kapitel II.
15' RGBl. I S . 403. 152 Verordnung der Reichsregierung Uber die Bildung von Sondergerichlen vom 9. 8. 1932 (RGBl. I S. 404); näher Kern (Geschichte) S. 180. 153 Verordnung der Reichsregierung Uber die Aufhebung der Sondergerichte vom 19. 12. 1932 (RGBl. I S. 550). 15" S. Rdn. 58.
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Einleitung
kung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (1992); Radbruch Des Reichsjustizministeriums Ruhm und Ende, SJZ 1948 57; Regge/Schubert Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, II. Abt., NS-Zeit - Strafgesetzbuch (1988 ff); Reifner Justiz und Faschismus, in: Reifner/ Sonnen, Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich, (1984) 9; Rüping Nationalsozialistische Rechtsprechung an Beispiel der SS- und Polizeigerichte, NStZ 1983 112; Rüping „Streng, aber gerecht. Schutz der Staatssicherheit durch den Volksgerichtshof', FS Wassermann, 983, übereinstimmend JZ 1984 816; Rüping Strafjustiz im Führerstaat, GA 1984 297; Rüping Bibliographie zum Strafrecht im Nationalsozialismus (1985); Rüping Zur Praxis der Strafjustiz im Dritten Reich, in: Dreier/Sellert (Hrsg.) Recht und Justiz im Dritten Reich (1989) 180; Rüping Staatsanwaltschaft und Provinzialjustizverwaltung im Dritten Reich (1990); Rüthers Entartetes Recht, Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich 2 (1989); Schlüter Die Urteilspraxis des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs (1995); Schubert Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, III. Abt., NS-Zeit - Strafverfahrensrecht (1991 ff); Schumacher Staatsanwaltschaft und Gericht im Dritten Reich, Diss. Bremen 1985; Schumacher Kontinuität und Diskontinuität im Strafverfahrensrecht (1987); Schweling Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus (1977); Sonnen Strafgerichtsbarkeit - Unrechtsurteile als Regel oder Ausnahme, in: Reifner/Sonnen, Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich (1984) 41; Sonnen Die Beurteilung des „Volksgerichtshofes" und seiner Entscheidungen durch den Deutschen Bundestag, NJW 1985 1065; Staff Justiz im Dritten Reich - Eine Dokumentation 2 (1978); Vormbaum Strafjustiz im Nationalsozialismus - Ein kritischer Literaturbericht, GA 1998 1; Wagner, Albrecht Die Umgestaltung der Strafgerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts im nationalsozialistischen Staat (1968); Wagner, Walter Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat (1974); Wenzel Die Machtausweitung und Machtverminderung der Staatsanwaltschaft in der Zeit von 1933 bis 1945, Diss. Tübingen 1949; Werle Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich (1989); Werle Justizstrafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich, JZ 1992 221; Weinkauff Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus Ein Überblick (1968); zum Schrifttum aus der Zeit des Nationalsozialismus s. die Nachweise bei Rüping (Bibliographie) und bei Wolf-Peter Koch.
1. Die Entwicklung im Überblick 46
a) Allgemeines. Die Entwicklung der Strafrechtspflege während des Nationalsozialismus von der sog. Machtergreifung am 30. 1. 1933 bis zum Zusammenbruch des deutschen Reiches am 8. 5. 1945 wird durch eine Beschreibung der hierfür maßgebenden Rechtsnormen nicht zureichend erfaßt. Der grundstürzende Systemwechsel durch den Übergang zu einer totalitären Staatsauffassung, die am Ende zu einem Terrorsystem pervertierte, hat zur Folge, daß auch fortbestehende traditionelle Regelungen und Rechtsprechungsentwicklungen in einem anderen Funktionszusammenhang erscheinen 155 . Der Nationalsozialismus negierte eine eigenständige Funktion des Rechts in einem gewaltenteilenden Staat. Die Vorstellung eines „völkischen Führerstaates" mit dem Führer als obersten Gerichtsherrn 156 und dem Vorrang eines von der NSDAP maßgebend definierten völkischen Gemeininteresses vor den Interessen des Bürgers ließ die das Strafverfahren prägende Bedeutung der schützenden Förmlichkeiten als liberalistischen Anachronismus erscheinen, den es sowohl in der Anwendung des überkommenen Rechts als auch bei einzelnen Novellierungen als auch schließlich bei dem nicht zur Vollendung gelangten Versuch einer Gesamtreform (Rdn. 62 ff) zu überwinden galt.
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Darüber hinaus befand sich die justitielle Strafrechtspflege in einem ständigen Abwehrkampf gegenüber den Versuchen von Polizei, SS und Partei, auf sie Einfluß zu
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Vgl. zum Nachfolgenden u. a. Kern (Geschichte) 197 ff; Rüping GA 1984 297 ff; Rüping (Strafrechtsgeschichte), § 10, 1, 2 b; Rüthers 18 ff; A.
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Wagner 193 f; Weinkauff 39 ff; Werle 733 (zusammenfassend); Pauli 243. Dazu A. Wagner S. 205 f; zum „Führerwillen" als Rechtsquelle mit weit. Nachw. Rüthers 28 f.
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nehmen und ihren Machtapparat auf Kosten der Justiz zu vergrößern 157 . Es gelang der Strafrechtspflege zunehmend weniger, strafbare Handlungen der Angehörigen dieser Bereiche in der gebotenen Form aufzuklären 158 und zu ahnden. Polizei und SS erstrecken ihren Einfluß und ihre Repressionstätigkeit mehr und mehr in den ursprünglich der Strafrechtspflege vorbehaltenen Bereich 159 ; mit dem Kriegsausbruch 1939 entzog ein sich exzessiv ausdehnendes Kriegssonderstrafrecht 160 und eine Kriegsstrafverfahrensordnung der zivilen Strafrechtspflege erhebliche Bereiche der Gerichtsbarkeit auch gegenüber Zivilpersonen 161 . Selbst eine im Laufe der Zeit weitgehend gleichgeschaltete und im Sinne der Machthaber funktionierende Strafjustiz, die namentlich mit dem Volksgerichtshof und den Sondergerichten am Ende dazu diente, das Terrorsystem zu stabilisieren, stellte nur den kleineren Teil des Repressionsapparates der nationalsozialistischen Machthaber dar. Dieser in einer knappen Entwicklungsgeschichte nicht näher darzustellende zeitge- 4 8 schichtliche Hintergrund, zu dem auf das in dem Schrifttumsverzeichnis aufgeführte Spezialschrifttum verwiesen wird 162 , muß bei der Bewertung der Rechtsänderungen in der Zeit von 1933 bis 1945 stets im Auge behalten werden. Auch die Rolle, die die Strafrechtspflege zur Sicherung der nationalsozialistischen Herrschaft gespielt hat, ist Gegenstand zeitgeschichtlicher Forschung. In dieser dürfte allerdings gesichert sein, daß sich die Organe der Rechtspflege nicht als Bollwerk des Widerstandes gegen das Unrechtssystem des Nationalsozialismus, sondern in erheblichem Umfang als dessen willfahriger Vollstrecker erwiesen haben 163 , mag auch die „normale Justiz" ebenso wie bis 1939 das Reichsjustizministerium 164 nicht zu den Institutionen gehört haben, die sich an die Spitze der nationalsozialistischen Bewegung und des aus ihr folgenden Unrechtssystems setzten. b) Entwickiungslinien. In zeitlicher Hinsicht lassen sich für die nationalsozialisti- 4 9 sehe Rechtsentwicklung drei Abschnitte unterscheiden. Mit einer Reihe von Gesetzgebungsmaßnahmen bis etwa 1936 schufen die Machthaber die für die Stabilisierung des Systems auch in der Gerichtsverfasung und im Strafprozeßrecht notwendigen Voraussetzungen. In der Zeit von 1936 bis 1939 dominierte das Bemühen, durch eine Gesamtreform ein neues Strafverfahrensrecht zu schaffen. In der Kriegszeit von 1939 bis 1945 traten Vereinfachungs- und Entlastungsmaßnahmen in den Vordergrund. Sie beruhen teilweise auf der Übernahme von Einzelvorschlägen aus den Reformarbeiten; welche von diesen Maßnahmen nach der damaligen Vorstellung als zeitlich befristetes und welche als Dauerrecht gedacht waren, läßt sich heute nicht mehr zuverlässig sagen 165 . In inhaltlicher Hinsicht treten mehrere Elemente nationalsozialistischer Umgestal- 50 tung hervor. Dazu gehören Maßnahmen zu einer intensiven Lenkung der Justiz 166 , im gerichtsverfassungsrechtlichen Bereich die Errichtung des Volksgerichtshofes 167 und, 157
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Dazu u. a. ausführlich Gruchmann mit weit. Nachw.; RUping GA 1984 301 ff; RUping (Staatsanwaltschaft) 103 ff; RUping (Strafrechtsgeschichte) § 10, 3 b; A. Wagner 195 ff, 293 ff. Eingehend Gruchmann 302 ff mit weit. Nachw. Vgl. Gruchmann 535 mit weit. Nachw.; Majer in: Reifner/Sonnen, 126 ff; RUping NStZ 1983 112 (zur Rspr. der SS- und Polizeigerichte); W. Wagner 43 ff (für den Volksgerichtshof); grundlegend Werle 481 ff (zusammenfassend 724 0Übersicht bei v. Hippel 695 ff; ausf. Nachw. bei Werle. Zum Kriegssonderstrafrecht sowie zur sog. Strafverfolgung gegen „Fremdvölkische" s. u. a. A.
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Wagner 297 ff; 306 f; 339 ff; Werte 698 (zusammenfassend); W. Wagner 65 f. S. auch die Literaturübersicht bei Vormbaum GA 1998 1 ff. S. dazu z.B. Reifner 9 ff; Sonnen (Strafgerichtsbarkeit) 52 ff. Gruchmann 1113; Radbruch SJZ 1948 37 ff. Vgl. dazu die Einzelhinweise bei v. Hippel 703 ff. Boberach (Richterbriefe); Gruchmann 1091 ff; Ruping GA 1984 299; A. Wagner 210. Wolf-Peter Koch 9 f sieht in der Weimarer Zeit im Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik und den bayerischen Volksgerichten historische Wurzeln des Volksgerichtshofes; s. auch Hansjoachim Koch 40 ff.
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Einleitung
insoweit an Vorbilder der Weimarer Zeit anknüpfend, von Sondergerichten, deren Zuständigkeitsbereich im Laufe der Zeit zunehmend ausgeweitet wurde, sowie eine Beseitigung der Garantien des gesetzlichen Richters und die Abschaffung der Präsidialverfassung. Im verfahrensrechtlichen Bereich ist ein Abbau von Förmlichkeiten und eine Reduktion von Beschuldigtenrechten dominierend, die als liberalistische Relikte angesehen werden, welche der „Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit gegenüber der formalen Rechtssicherheit" hindernd im Wege stehen' 68 . Mit dem gleichen Ziel ist auch die Schaffung von Rechtsbehelfen gegen rechtskräftige Urteile (erweiterte Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten, Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlicher Einspruch) verbunden. Gestärkt werden ferner die Befugnisse der (weisungsgebundenen) Staatsanwaltschaft gegenüber dem Gericht 169 und innerhalb des Gerichts als Ausfluß des die nationalsozialistische Ideologie dominierenden „Führerprinzips" des Vorsitzenden gegen dem Kollegium 170 . 51
Neben diesen ideologisch bedingten Änderungen sind in der Zeit von 1933 bis 1945 auch Rechtsänderungen verwirklicht worden, die auf Vorschläge und Überlegungen aus der Weimarer Zeit zurückgreifen oder die sonst auf außernationalsozialistischen Gedanken beruhen. Nach dem „Anschluß" Österreichs 1938 sind auch einige aus den Österreichischen Strafprozeßrecht stammende Rechtsinstitute übernommen worden 171 .
52
c) Regelungstechnik. Wie bereits teilweise in der Weimarer Zeit (s. Rdn. 28) hat der nationalsozialistische „Gesetzgeber" vielfach durch überlagernde Sondervorschriften den Inhalt von gerichtsverfassungsrechtlichen und strafprozessualen Vorschriften verändert, ohne diese ausdrücklich zu ändern. Hinzu kommt, daß eine Normenhierarchie im heutigen Sinne des Vorrangs des Gesetzes im Nationalsozialismus nicht bestand 172 . Namentlich in der Zeit nach 1939 ist daher die Rechtslage im hohen Maße unübersichtlich. 2. Die Rechtsentwicklung von 1933 bis 1939
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a) Allgemeine Gerichtsverfassung. Unmittelbar nach der sog. Machtergreifung wurde die 1920 beseitigte 173 selbständige Militärgerichtsbarkeit mit einer besonderen Militärstrafgerichtsordnung wieder eingeführt 174 ; damit schied die Strafverfolgung gegen Militärangehörige aus der hier darzustellenden zivilen Strafjustiz aus 175 . Im Anschluß an die Beseitigung der Länderhoheit 176 wurde bis Mitte 1935 durch mehrere Gesetze 177 die gesamte Justizverwaltung auf das Reich übertragen; die Landesjustizverwaltungen wurden aufgelöst und für alle Justizangelegenheiten wurde das Reichsjustizministerium zuständig 178 . Diese, schon auf Bestrebungen aus der Weimarer Zeit zurückgehende „Vqrreichlichung der Justiz" ermöglichte der Staatsführung eine einheitliche Steuerung der Justiz; sie hatte freilich zu Beginn auch zur Folge, daß das in der Person des damaligen Reichsjustizministers Gärtner179 stärker nationalkonservativ als ausgesprochen national168
Näher Werle 721 f (zusammenfassend). Näher u. a. Majer in: Reifner/Sonnen, 124 ff. 170 Ausführlich Wolf-Peter Koch 90 ff. 171 Zur Rechtsangleichung u. a. Werle 426 ff. 17 2 Dazu u. a. A. Wagner 193; Werle 203 ff. 173 Rdn. 34. 174 Näher 24. Aufl. Einl. 3 23. 175 Ausführlich zur Rolle der Militärjustiz im Nationalsozialismus Messerschmidt/Wiillner, s. auch Rdn. 47 mit Fußn. 160, 161. 176 Gesetz zum Neuaufbau des Reiches vom 30. 1. 1934 (RGBl. I S. 75).
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Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16. 2. 1934 (RGBl. 1 S. 91); 2. Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 12. 1. 1934 (RGBl. I S. 1214); 3. Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 24. 1. 1935 (RGBl. I S. 68). Zur Vorgeschichte in der Weimarer Zeit Kern (Geschichte) 181 f mit weit. Nachw. Zum ganzen ausführlich Gruchmann FS Reichsjustizamt 119 ff. Zu Gürtner ausführlich Gruchmann 9 ff.
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
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sozialistisch geprägte Reichsjustizministerium sich gegenüber ausgeprägt nationalsozialistischen Vorstellungen durchsetzen konnte, wie sie etwa im preußischen Justizministerium unter Kerrl oder im sächsischen unter dem späteren Präsidenten des Volksgerichtshofes und (ab 1942) Reichsjustizminister Thierack vertreten wurden 180 . Obwohl die Vorschriften des GVG über die sachliche und persönliche Unabhängigkeit 5 4 zunächst im wesentlichen unverändert blieben, ermöglichte das auch auf Richter anwendbare „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. 4. 1933181 der Staatsführung die aus ihrer Sicht erforderliche personelle Umgestaltung. Bei den Schöffen und Geschworenen wurde sie dadurch ermöglicht, daß im April 1933 182 die erst am 1.1. 1933 begonnene zweijährige Amtsperiode auf den 30.6. 1933 verkürzt und eine Neuwahl vorgesehen wurde 183 . Die Präsidialverfassung der Gerichte (damals §§ 64 ff GVG) wurde mit Wirkung vom 1.12. 1937 aufgehoben 184 . Bereits vorher waren, anstelle der bis dahin vorgeschriebenen Plenarentscheidungen der Vereinigten Strafsenate oder des Plenums, durch Gesetz vom 28. Juni 1935 185 beim Reichsgericht die Großen Senate für Zivil- und Strafsachen sowie die vereinigten Großen Senate zur Entscheidung bei Divergenzen und (insoweit über das frühere Recht hinausgehend) bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung eingerichtet worden 186 . Durch das gleiche Gesetz wurde die Bindung an davorliegende Entscheidungen beseitigt 187 . b) Volksgerichtshof. Sondergerichte. Die durch die 4. AusnVO vom 14. 6. 1932 (s. 55 Rdn. 44) neu geordnete sachliche Zuständigkeit der einzelnen Spruchkörper der ordentlichen Strafjustiz blieb bis zum Kriegsausbruch 1939 im wesentlichen unverändert 188 . Die aus ihrer Sicht erforderlichen Umgestaltungen verwirklichten die nationalsozialistischen Machthaber durch die Errichtung von Sondergerichten und des Volksgerichtshofes. Wie die Pläne zur Gesamtreform des Strafverfahrens 189 zeigen, waren diese Gerichte, die Sondergerichte unter der Bezeichnung Strafkammern 190 , als Dauereinrichtungen gedacht 191 . Der Volksgerichtshof wurde durch Gesetz vom 24. 4. 1934192 geschaffen, das in sei- 56 nem materiellen Teil die Vorschriften des StGB über Hochverrat und Landesverrat erneuerte. Er war unter Wegfall der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Reichsgerichts zuständig für Hochverrats- und Landesverratssachen. Seine Errichtung war vermutlich auch eine Reaktion der Machthaber über den Ausgang des sog. Reichstagsbrandprozesses 193 .
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Zur nationalsozialistischen Ausrichtung der Landesjustizminister auch Weinkauff91 ff. RGBl. I S. 175; zur personellen „Säuberung" ausführlich Gruchmann 124 ff. Gesetz über die Neuwahl der Schöffen, Geschworenen und Handelsrichter vom 7. 4. 1933 (RGBl. 1 S. 188); dazu auch Gruchmann 944 f. Weitere, den Einfluß der Staats- und Parteiführung auf die Schöffenauswahl verstärkende Änderungen erfolgten durch das Gesetz zur Änderung des GVG vom 13. 12. 1934 (RGBl. I S. 1233); dazu Gruchmann 945 f. Gesetz über die Geschäftsverteilung bei den Gerichten vom 24. 11. 1936 (RGBl. I S. 1286); dazu Gruchmann 973 f; A. Wagner 207 ff. RGBl. I S . 844. Neuer § 131 a; Neufassung des § 136; neue §§ 137, 138 GVG; zur Entstehungsgeschichte näher Hanack Der Ausgleich divergierender Entscheidungen (1962) 31 ff mit weit. Nachw. Dazu näher Pauli 20 f.
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Peter Rieß
Zu den nicht intensiv betriebenen amtlichen Planungen zu einer umfassenden Reform des Gerichtsverfassungsrechts Gruchmann 931 ff. Vgl. unten Rdn. 68; Entw. 1939, §§ 98 bis 105; Begr. S. 3 f. Für die herkömmliche Strafkammer war die Bezeichnung „Schöffenkammer" vorgesehen. S. allerdings Gruchmann 947, wonach dies bei den Sondergerichten in der Gründungsphase nicht gelten soll. Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. 4. 1934 (RGBl. I S. 341); zu weiteren Regelungen in diesem Gesetz s. Rdn. 61; zum Inhalt aus zeitgenössischer Sicht Richter DJ 1934 604; L. Schäfer DJZ 1934 632; ausführliche Darstellung der Entwicklung des Volksgerichtshofes bei W. Wagner 17 ff; ferner Marxen (Volksgerichtshof). Gribbohm JuS 1969 56; W. Wagner 17 ff; Eb. Schmidt (Geschichte) 447; differenzierend Gruchmann 957.
Einl. Abschn. Ε
Einleitung
1936 wurde seine Zuständigkeit und Organisation näher geregelt 194 ; durch VO vom 10. 12. 1941 195 sowie durch eine Reihe anderer Rechtsvorschriften wurde seine Zuständigkeit erweitert 196 . Der Volksgerichtshof war ein außerhalb der normalen Gerichtsorganisation stehendes ständiges Gericht 197 . Er entschied erst- und letztinstanzlich durch Senate in der Besetzung von fünf Mitgliedern, von denen lediglich zwei die Befähigung zum Richteramt haben mußten. Deren Ernennung lag in der Hand des Führers 198 . Unter dem Vorsitz von Thierack und später von Freister entwickelte sich der Volksgerichtshof zu einem der wichtigsten justitiellen Repressionsinstrumente des nationalsozialistischen Unrechtssystems 199 . 57
Bereits durch VO vom 21.3.1933 2 0 0 und zunächst gestützt auf eine Ermächtigung der 3. AusnVO von 1931 wurden für jeden Oberlandesgerichtsbezirk Sondergerichte für einen zunächst engen Kreis von Straftaten errichtet. Sie entwickelten sich unter ständiger Ausweitung ihrer Zuständigkeit 201 zu einem wichtigen Instrument der nationalsozialistischen Unterdrückung. Seit 193 8 2 0 2 konnte über den Zuständigkeitskatalog hinaus die Staatsanwaltschaft durch Anklageerhebung zu ihnen die Zuständigkeit der Sondergerichte begründen, wenn die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht „wegen der Schwere oder Verwerflichkeit der Tat, wegen der in der Öffentlichkeit hervorgerufenen Erregung oder wegen ernster Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" geboten war. Die Zuständigkeit der Sondergerichte war damit praktisch bei entsprechender Anklage durch die Staatsanwaltschaft unbegrenzt. Die Sondergerichte entschieden in der Besetzung mit drei Berufsrichtern ohne Beteiligung von Schöffen 203 .
58
Das Verfahren vor den Sondergerichten war auf äußerste Vereinfachung und Beschleunigung ausgerichtet; auch insoweit diente die Sondergerichts VO von 1932 (Rdn. 45) als Vorbild 204 . Eine gerichtliche Voruntersuchung fand nicht statt, ein gesonderter Eröffnungsbeschluß erging nicht. Die Ladungsfrist betrug zunächst drei Tage und könnt auf 24 Stunden verkürzt werden 205 . Beweiserhebungen konnten abgelehnt werden, wenn das Sondergericht sie für die Aufklärung der Sache nicht für erforderlich hielt. 194
Gesetz Uber den Volksgerichtshof und über die 25. Änderung der Besoldungsgesetzes vom 18.4. 1936 (RGBl. I S. 398); zur Entstehungsgeschichte Gruchmann 959 ff. 195 RGBl. I S. 172. 196 Näher Gribbohm JuS 1969 57 f; zur Zuständigkeitsentwicklung insgesamt W. Wagner 50 ff. 197 § 1 des Gesetzes vom 18. 4. 1936 bezeichnete ihn allerdings als „ordentliches Gericht im Sinne des Gerichtsverfassungsgesetzes"; vgl. dazu BGH NJW 1954 1777; zur Gerichtsqualität ausführlich Rüping FS Wassermann 983 ff, s. auch Sonnen NJW 1985 1066; zum Verfahrensgang, zur Zuständigkeit und zur Geschäftsentwicklung insgesamt W. Wagner 29 ff, 873 ff; zur Bewertung differenzierend Marxen (Volksgerichtshof) 35 ff mit Angaben zur quantitativen und qualitativen Geschäftsentwicklung. I9» Näher Gribbohm JuS 1969 58 f; Marxen (Volksgerichtshof) 57 ff; W. Wagner 24 f (beide auch zur Zusammensetzung); vgl. auch Hansjoachim Koch 523 ff mit Liste der Richter. 199 Näher Gribbohm JuS 1965 109 ff; Gruchmann 964 ff; RUping GA 1984 304 ff und FS Wassermann 987 ff. Ausführliche Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung insgesamt bei Hansjoa-
chim Koch 101 ff, 295 ff; Marxen (Volksgerichtshof); Schlüter; W. Wagner 85 ff. 2 v O über die Bildung von Sondergerichten vom 2 1 . 3 . 1933 (RGBl. I S. 136); die Regelung entspricht in den verfahrensrechtlichen Vorschriften nahezu wörtlich der kurzfristig geltenden SondergerichtsVO am Ende der Weimarer Zeit, vgl. Rdn. 45. 201 S. die Übersicht in der 24. Aufl. Einl. 3 22, 32; Gruchmann 949 ff. 202 V O über die Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichte vom 20. 11. 1938 (RGBl. I S. 1632). 203 Zur Bewertung ihrer Tätigkeit vgl. auch Rüping GA 1984 303; Rüping (Strafrechtsgeschichte) § 10, 4 b; Nachweise Uber neuere Untersuchungen meist regionaler Art zur Praxis der Sondergerichte bei Vormbaum GA 1998 6 ff. 2 W Vgl. die §§ 8 bis 16 der VO von 1933; zusammenfassende Darstellung bei A. Wagner 257 f; s. auch W. Wagner 29 ff (zum Volksgerichtshof). 205 Durch die ZustVO vom 21. 2. 1940 (Rdn. 71) wurde die allgemeine Ladungsfrist auf 24 Stunden verkürzt und eine Aburteilung ohne Einhaltung von Fristen ermöglicht, „wenn der Täter auf frischer Tat betroffen wird oder sonst seine Schuld offen zutage liegt".
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
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Ordentliche Rechtsmittel waren nicht vorgesehen; die Wiederaufnahme des Verfahrens, über die die Strafkammer entschied, war zugunsten des Verurteilten auch zulässig, „wenn Umstände vorliegen, die es notwendig erscheinen lassen, die Sache im ordentlichen Verfahren nachzuprüfen". c) Allgemeines Strafverfahrensrecht. Die Änderungen im Strafverfahrensrecht durch 59 den nationalsozialistischen Gesetzgeber bis zum Kriegsausbruch beruhen vielfach auf spezifisch nationalsozialistischen oder zumindest autoritären Vorstellungen, teilweise nehmen sie aber auch weiter zurückliegende Anregungen auf. Oft wurden zunächst für bestimmte Kriminalitätsbereiche verfahrensrechtliche Sonderregelungen geschaffen, auf die später verallgemeinernd zurückgegriffen wurde, beispielsweise die Ausdehnung des beschleunigten Verfahrens in der Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes 206 , die Einschränkung der Voruntersuchung und der Wegfall des Eröffnungsbeschlusses in Hoch- und Landesverratssachen 207 und der Ausbau des Abwesenheitsverfahrens 208 . Von weitreichender, bis heute nachwirkender Bedeutung war das Ausfiihrungsge- 60 setz zum Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung 209 . Es enthielt die erforderlichen strafverfahrensrechtlichen Änderungen zu der Einführung der Maßregeln der Sicherung und Besserung, mit denen eine weit zurückreichende kriminalpolitische Debatte ihr Ende fand 210 . Dazu gehörten die Einführung des § 80 a und der §§ 81 a, 81 b StPO; die Schaffung des Instituts der einstweiligen Unterbringung (§ 126 a StPO) und des Sicherungsverfahrens 211 . Zu den eher ideologieneutralen Änderungen gehört eine auch das Strafverfahren betreffende Vereinfachung des Zustellungswesens mit Änderungen der §§ 35, 146 und 218 StPO 212 sowie die grundlegende Umgestaltung des Eidesrechts 213 , die den Voreid und den Nacheid ersetzte und die Eidespflicht einschränkte 214 . Den Beginn einer umfassenden Umgestaltung des Strafverfahrensrechts nach den 61 Grundsätzen der neuen Machthaber 215 bildete das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28. 6. 1935216, das in engem Zusammenhang mit der gleichzeitig 217 im materiellen Strafrecht vorgenommenen Beseitigung des Analogieverbotes stand. Das Gesetz enthielt u. a. die damit in Verbindung stehenden Vorschriften und gestattete die Wahlfeststellung 218 , beseitigte das Verbot des reformatio in peius, schränkte allgemein die Notwendigkeit der Voruntersuchung ein, schuf die neuen Haftgründe der Wiederholungsgefahr und der „Erregung der Öffentlichkeit" und ermöglichte generell die Hauptverhandlung gegen Flüchtige 219 . Im Beweisantragsrecht präzisierte es erstmals, nur für Verfahren mit einer Tatsacheninstanz 220 , die Ablehnungsgründe, eine Regelung, die bereits 1939 durch die völlige Abschaffung des 206 207
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§ 24 der VO vom 4. 2. 1933 (RGBl. I S. 35). Zunächst VO zur Beschleunigung des Verfahrens in Hoch- und Landesverratssachen vom 18. 3. 1933 (RGBl. 1 S. 131), später im Gesetz vom 24. 4. 1934 (RGBl. I S . 341). Gesetz gegen Verrat der deutschen Volkswirtschaft vom 12. 6. 933 (RGBl. I S. 360), später verallgemeinert durch das Gesetz vom 2 8 . 6 . 1935 (Rdn. 61). Vom 24. 11. 1933 (RGBl. I S. 1000). Eb. Schmidt (Geschichte) 431. Damals §§ 429 a ff, heute §§ 413 ff StPO. Gesetz zur Vereinfachung der Zustellungen vom 17. 6. 1933 (RGBl. I S. 394). Gesetz zur Einschränkung der Eide in Strafverfahren vom 24. 11. 1933 (RGBl. I S. 1008).
214
Nach weiteren Lockerungen der Eidespflicht kehrte das VereinhG zu dieser Fassung zurück. So ausdrücklich Nielhammer in der 19. Aufl. Nachtr. 1 S. 3. 216 RGBl. I S. 844; zur Einrichtung der Großen Senate s. Rdn. 54; zum Inhalt aus damaliger Sicht u. a. L. Schäfer RVwBl. 1935 869; Schwarz DJZ 1935 925. 217 Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28. 6. 1935 (RGBl. I S. 839). 218 §§ 170 a, 267 a, 267 b StPO. 2| 9 §§ 276 bis 282 b StPO; ausführlich Dünnebier FS Heinitz 674 f. 220 Mit Ausnahme der Sondergerichte, vgl. Rdn. 58. 215
Peter Rieß
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Einleitung
Beweisantragsrechts wieder beseitigt wurde 221 . Daneben enthielt das Gesetz eine Reihe weiterer, teilweise bis heute noch geltender Vorschriften. Bereits 1934 war durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens (Rdn. 56) über die Sondervorschriften gegen Hoch- und Landesverrat und die Errichtung des Volksgerichtshofes hinaus für alle Strafverfahren das besondere Haftprüfungsverfahren beseitigt und durch eine bloße Amtsprüfung der Fortdauer der Haftvoraussetzungen ersetzt worden. 3. Die Bemühungen um eine Gesamtreform 62
a) Allgemeines. Die dem Recht fremd bis feindlich gegenüberstehende nationalsozialistische Weltanschauung hatte, abgesehen von wenigen nebulösen Phrasen, bis zur Machtübernahme eine auch nur einigermaßen klare und geschlossene Vorstellung über eine Reform des Straf- und Strafverfahrensrechts nicht entwickelt 222 . Für das nationalsozialistische Führerprinzip mit der prinzipiellen Negierung von Gesetzesbindung und Gewaltenteilung stand der Gedanke einer kodifikatorischen Gesamtreform im Straf- und Strafverfahrensrechts nicht im Vordergrund der machtstabilisierenden Maßnahmen; er wurde es umso weniger, je mehr durch Einzeleingriffe die erforderlichen Strukturänderungen erreicht waren. An diesem Desinteresse der Parteispitze und nicht allein am Kriegsausbruch sind letztlich die unter Gürtner von dem eher nationalkonservativ geprägten Reichsjustizministerium bis zur Entscheidungsreife vorbereiteten umfassenden Entwürfe eines neuen Strafgesetzbuches und einer neuen Strafverfahrensordnung gescheitert 223 .
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Die Bemühungen um eine grundlegende nationalsozialistsche Erneuerung des Strafverfahrens außerhalb dem amtlichen Reformversuche blieben weitgehend folgenlos. Die Vorschläge im Schrifttum, in dem sich völkische, konservative und nationale Tendenzen mit einer Front gegen Rationalismus und Liberalismus verbanden, blieben vielfach unbestimmt 224 . Die Vorschläge des Strafrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht entfernten sich nicht allzuweit von dem Gedanken des amtlichen Entw. 1939225. Die davon radikal abweichende, maßgebend von Carl Schmitt beeinflußte 226 Konzeption des nationalsozialistischen deutschen Rechtswahrerbundes 227 fand im Schrifttum keine nennenswerte Unterstützung 228 und spielte in den weiteren Beratungen der amtlichen Strafprozeßkommission nur eine untergeordnete Rolle 229 .
64
b) Erarbeitung und Grundgedanken des Entwurfs 1939. Das Reichsjustizministerium begann alsbald nach dem Machtantritt des Nationalsozialismus damit, in zeitlich engem Zusammenhang eine umfassende Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts vorzubereiten; dies führte bis Ende 1938 zu umfassenden Gesetzentwürfen, die das StGB sowie die StPO ablösen sollten 230 . Während für das neue StGB bereits im Novem221
1. VereinfVO, s. Rdn. 69. Wolf-Peter Koch 24 ff, 79 ff; zu Überlegungen zu einer umfassenden Justizreform in der Endphase seit 1942 s. mit Nachw. A. Wagner 348 ff. 22 3 Näher Gruchmann 791 ff, 1046 ff. 224 S. dazu umfassend Wolf-Peter Koch 25 ff; bibliographische Übersicht bei Rüping (Bibliographie) 145 ff. 225 Näher Gruchmann 1016; Wolf-Peter Koch 193 ff; s. auch Schubert (Quellen) Bd. 2.1, Einl. S. X. 226 Dazu ausführlich Gruchmann 995 ff; Wolf-Peter Koch 63, 65 ff. 227 NS-Rechtswahrerbund, Neuordnung des Strafverfahrensrechts. Denkschrift zum Entwurf einer 222
228 229 230
Strafverfahrensordnung, einer Friedensrichter- und Schiedsmannsordnung und eines Gerichtsverfassungsgesetzes (1937); Abdruck der Leitsätze bei Schubert (Quellen) Bd. 1 S. XVIII; zum Inhalt Gruchmann 1002; Wolf-Peter Koch 185 ff; s. auch Schubert (Quellen) Bd. 2.1, Einl. S. IX. Nachw. bei Wolf-Peter Koch 190 ff. Gruchmann 1011. Vollständige quellenmäßige Dokumentation aller Entwürfe sowie der Protokolle der Kommissionsberatungen zum StGB bei Regge/Schubert und zum Strafverfahrensrecht bei Schubert (Quellen). Ausführlich zum Ganzen auch Gruchmann 793 ff, 980 ff.
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
Einl. Abschn. Ε
ber 1933 eine Große Strafrechtskommission eingesetzt wurde, die ihre Beratungen im Oktober 1936 abschloß231, wurde für das Strafverfahrensrecht zunächst eine kleine interne ministerielle Kommission gebildet232, die 1936 einen Entwurf vorlegte, zu dem sich u. a. das Reichsgericht233, aber auch, scharf ablehnend aus nationalsozialistischer Sicht, der nationalsozialistische Rechtswahrerbund äußerten234. Der Entwurf 1936 sowie die zu ihm abgegebenen Stellungnahmen wurden von Ende 65 1936 bis Ende 1938 von der amtlichen Großen Strafprozeßkommission235 beraten; aus diesen Beratungen ging der Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedensrichter- und Schiedsmannsordnung vom 1.5. 1939 (Entw. 1939) hervor. Der Entwurf ist, ebenso wie der Vorentwurf 1936236, vertraulich behandelt und im wesentlichen nur den Ressorts und den leitenden Parteiorganen mitgeteilt worden237. Die Öffentlichkeit wurde durch den von Gürtner unter Mitwirkung von Mitgliedern der Kommission und an der Erarbeitung beteiligter Ministerialbeamter herausgegebenen Bericht „Das kommende deutsche Strafverfahren" unterrichtet238. Zu einer Verabschiedung des Entwurfs ist es nicht gekommen, weil Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Innenministerium sowie der Polizei- und SS-Führung einerseits und dem Reichsjustizministerium andererseits nicht überwunden werden konnten und weil die Parteispitze dem Vorhaben reserviert gegenüberstand239. Der Kriegsausbruch bildete nur den äußeren Anlaß, die Arbeiten nicht fortzuführen. In der Kriegsgesetzgebung wurden jedoch zahlreiche Einzellösungen des Entwurfs realisiert240. Obwohl der Entw. 1939, gemessen an den weitaus radikaleren Vorschlägen etwa des 66 nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes, eine eher gemäßigte Konzeption verwirklichen wollte, ist seine geistig-weltanschauliche Grundhaltung eindeutig dem Nationalsozialismus verpflichtet. Er selbst verstand sich als ein geeignetes Instrument, um eine von nationalsozialistischem Geist getragene Rechtsordnung zu verwirklichen241. Aufbauend auf der traditionellen Verfahrensstruktur der StPO, die der Entwurf lediglich modifizierte, aber nicht gänzlich in Frage stellte242, war seine reformpolitische Stoßrichtung gegen die als liberalistisch und individualistisch denunzierten Elemente des überkommenen Strafprozeßrechts gerichtet, dem das Schutz- und Sühnebedürfnis der Volksgemeinschaft als Leitprinzip entgegengesetzt wurde. Der Abbau der schützenden Förmlichkeiten des Verfahrens wurde mit dem Bestreben nach materieller Gerechtigkeit begründet, und den Zielen der Vereinfachung und Beschleunigung diente u. a. eine Stärkung der Staatsanwaltschaft und der Abbau richterlicher Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten243. Obwohl der Entwurf die zentralen Prozeßmaximen wie Anklageprinzip, Legalitätsprinzip, Amtsaufklärungsgrundsatz sowie für die Hauptverhandlung Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit nicht in Frage stellte244, verschoben sich die Gewichte einschneidend 231 Näher Regge/Schubert Bd. 2 mit Kurzbiographie der Kommissionsteilnehmer s. auch Gruchmann 756 ff. 232 Einzelheiten bei Gruchmann 981; Schubert (Quellen), Bd. 1 Einl. S. VIII; Abdruck des Entwurfs bei Schubert (Quellen) Bd. 1. 233 S. dazu mit Inhaltswiedergabe Wolf-Peter Koch 178 ff; Gruchmann 1012 f. 234 S. oben Fußn. 227; Gruchmann 994 ff. 235 Zur Zusammensetzung und zum Beratungsverlauf näher Schubert (Quellen) Bd. 2.1, Einl. S. XI f; Gruchmann 1015 ff; Wolf-Peter Koch 199; Niethammer SJZ 1948 191. 236 Vgl. dazu Gruchmann 993. 237 Einzelheiten bei Gruchmann 1032 ff. (69)
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Zu den Stellungnahmen des Schrifttums hierzu vgl. Wolf-Peter Koch 207. S. dzu u. a. Gruchmann 1020 ff; 1045 ff; Schubert (Quellen), Bd. 2.1 Einl. S. IX. S. Rdn. 70. Schubert (Quellen), Bd. 1 Einl. XVII; Gruchmann 1045. Wolf-Peter Koch 222. Zu den verschiedenen Reformtopoi und ihrem Gewicht ausführlich Wolf-Peter Koch 97 ff; s. auch Gruchmann 982 ff. Dazu (und zum relativ geringen Stellenwert der Maximen in der Diskussion über den Entwurf) Wolf-Peter Koch 138 ff.
Einl. Abschn. Ε
Einleitung
in Richtung auf ein autoritäres, den Beschuldigtenschutz minimierendes und die Subjektqualität des Beschuldigten reduzierendes, die Machtmittel der Staatsgewalt und hier insbesondere der Staatsanwaltschaft maximierendes und den Gedanken der Rechtssicherheit gegenüber „Gerechtigkeitsansprüchen" vernachlässigendes Strafverfahrensrecht 245 . 67
c) Der Inhalt des Entwurfs ist in der 24. Aufl. (Einl. 4 15 ff.) ausführlich dargestellt; hierauf wird wegen der Einzelheiten verwiesen 246 . In seinem Aufbau wich der Entwurf erheblich von der StPO ab 247 . Im Vorverfahren wurde die Stellung der Staatsanwaltschaft gestärkt, die Zwangsmaßnahmen weitgehend selbständig anordnen konnte. Die gerichtliche Voruntersuchung wurde auf Ausnahmnefälle beschränkt; das Klageerzwingungsverfahren war nicht mehr vorgesehen, das Zwischenverfahren mit dem gesonderten Eröffnungsbeschluß entfiel. Ein selbständiges Beweisantragsrecht der Prozeßbeteiligten enthielt der Entwurf nicht, Zustimmungsvorbehalte der Beschuldigten bei Abweichungen vom normalen Verfahrensablauf wurden eingeschränkt. Die Stellung des Vorsitzenden im Kollegialgericht wurde verstärkt, obwohl der Entwurf an der Abstimmung bei der Urteilsfällung festhielt 248 . Privatklage und Nebenklage entfielen; statt dessen war ein besonderes friedensrichterliches Verfahren vorgesehen, in dem statt einer strafrechtlichen Sanktion nichtstrafrechtliche Maßnahmen verhängt werden konnten. Der Entwurf sah ferner die Einführung des Adhäsionsverfahrens vor und enthielt besondere Möglichkeiten zur Sicherung des Ehrenschutzes.
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Als ordentliches Rechtsmittel sah der Entwurf unter Wegfall des Verbots des reformatio in peius und der Beschränkungsmöglichkeit Berufung und Urteilsrüge vor 249 . Mit der Berufung an die Schöffenkammer beim Landgericht anfechtbar waren die Urteile des für die kleine und mittlere Kriminalität zuständigen Amtsrichters; ein zweites Rechtsmittel war nicht vorgesehen. Gegen die Urteile der für die schwere Kriminalität zuständigen Schöffenkammer beim Landgericht, die mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt sein sollte, war die Urteilsrüge an das Reichsgericht vorgesehen, die revisionsartig ausgestaltet war, aber in gewissem Umfang auch eine Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen ermöglichen sollte. Unanfechtbar waren die Entscheidungen der an die Stelle der Sondergerichte tretenden Strafkammern, der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug, des Volksgerichtshofes und des besonderen Strafsenats des Reichsgerichts. Diese Reduktion an ordentlichen Rechtmsittel kompensierte der Entwurf durch eine Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten, aber vor allem durch die Schaffung von zwei außerordentlichen Rechtsbehelfen allein in der Hand des Oberreichsanwalts, nämlich der Nichtigkeitsbeschwerde und des außerordentlichen Einspruchs 250 . 4. Die Rechtsentwicklung vom Ausbruch des Kriegs bis zum Zusammenbruch
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Mit dem Kriegsausbruch am 1. 9. 1939 begann eine intensive, bis in die letzten Monate andauernde 251 Normsetzungstätigkeit, überwiegend in der Form von Verordnungen, die GVG und StPO überlagerten 252 . Zu einem großen Teil handelt es sich um Besetzungsre245 vgl. zur Bewertung des Entwurfs auch Wolf-Peter Koch 210 ff; Eb. Schmidt (Geschichte) 451 f.
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Eingehende Darstellung u. a. auch bei Gruchmann 1032 ff; Wolf-Peter Koch 210 ff; Schubert (Quellen) Bd. 1 Einl. X ff. Näher und kritisch Wolf-Peter Koch 210 ff. Zu dieser wegen des „Führerprinzips" heiklen Frage s. Wolf-Peter Koch 90 ff. Ausführlich zur Rechtsmittelkonzeption Fezer (Reform) 41 ff; s. auch Vor § 333, 15.
252
Zur Verwirklichung dieser Vorschläge durch die Kriegsgesetzgebung s. Rdn. 70; 71. Die VO zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges (4. VereinfVO) erging am 13. 12. 1944, s. unten Rdn. 73. Zusammenstellung der bis 1941 erlassenen Vorschriften ζ. B. bei v. Hippel 694 ff; sowie die Darstellung von Hartung/Niethammer im Nachtr. II zur 19. Auflage dieses Kommentars.
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts E i n l . A b s c h n . Ε
duktionen und Vereinfachungsmaßnahmen, die ihre Ursache in den kriegsbedingten Personalmangel fanden. Die exzessive Ausweitung der Tätigkeit der Sondergerichte und des Volksgerichtshofes 253 beruht darüber hinaus auf dem bis zum Terror gesteigerten Machterhaltungsbemühen der Führung. Andererseits griff die Normsetzung auf Vorschläge und Lösungsansätze des Entw. 1939 zurück; sie verwirklichte im Rahmen der Kriegsgesetzgebung als Dauerrecht gedachte Reformvorstellungen. Im zunehmenden Umfang wurden aber auch im Laufe des Krieges die ordentliche Strafjustiz durch das Vordringen der Wehrmachtsgerichtsbarkeit, des Kriegssonderstrafrechts und polizeilicher Reaktionen auf strafbares Verhalten zurückgedrängt. Die am Tage des Kriegsausbruchs verkündete 1. VereinfVO 254 beseitigte die Mitwir- 70 kung von Laien (Schöffen und Geschworenen), ermöglichte den Einsatz von Gerichtsassessoren (auch als Vorsitzende) bei allen Gerichten, erweiterte den Zuständigkeitsbereich der Sondergerichte, reduzierte die Besetzung der Strafsenate der Oberlandesgerichte generell auf drei Richter, beseitigte die Revision als Zweitrechtsmittel gegen Berufungsurteile, reduzierte den Umfang der notwendigen Verteidigung, beseitigte das Beweisantragsrecht und erweiterte den Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens. Das Gesetz vom 16. 9. 193 9 255 ermöglichte die Verbindung von allgemeinen Strafsachen und Wehrmachtsstrafsachen vor den Wehrmachtsgerichten und führte entsprechend dem Entw. 1939 das Institut des außerordentlichen Einspruchs gegen rechtskräftige Urteile 256 durch den Oberreichsanwalt an den neu geschaffenen besonderen Strafsenat des Reichsgerichts ein 257 , zu dem der Oberreichsanwalt „wegen der Bedeutung der Sache" auch unmittelbar Anklage erheben konnte 258 . Mit der ZustVO 259 wurde die Zuständigkeit der Spruchkörper der ordentlichen 71 Gerichtsbarkeit, der Sondergerichte und des Volksgerichtshofes zusammenfassend neu bestimmt und das beschleunigte Verfahren weiter ausgeweitet. Als weiteren Rechtsbehelf gegen rechtskräftige Urteile führte die VO, ebenfalls in Anknüpfung an die Vorschläge des Entw. 1939 die Nichtigkeitsbeschwerde an das Reichsgericht ein 260 . Sie konnte vom Oberreichsanwalt gegen Urteile des Amtsrichters, der Strafkammer und des Sondergerichts, also nicht solche des Volksgerichtshofes, innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft eingelegt werden, „wenn das Urteil wegen eines Fehlens bei der Anwendung des Rechts ungerecht ist"; über sie entschied der (normale) Strafsenat des Reichsgerichts. Nach diesen innerhalb von 6 Monaten vollzogenen Einschnitten in das Strafverfahren 72 blieb die Rechtslage in der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit, von kleineren Anpassungen abgesehen, für längere Zeit unverändert. Tiefgreifende Veränderungen traten erst wieder 1942 im Anschluß an den Erlaß des Führers über die Vereinfachung der Rechtspflege 261 ein; auch hierbei griff der Normgeber in erheblichem Umfang auf den Entw. 1939 zurück.
253
Vgl. Gribbbohm JuS 1969 111; Raping FS Wassermann 990 f. 254 Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 1.9. 1939 (RGBl. I S. 1658) mit DurchführungsVO V. 8. 9. 1939 (RGBl. I S. 1703); zum Inhalt aus damaliger Sicht Freister DJ 1939 II 1537. 255 Gesetz zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, des Wehrmachtsstrafverfahrens und des Strafgesetzbuches vom 16. 9. 1939 (RGBl. I S. 1841); zum Inhalt aus damaliger Sicht Freister DJ 1939 II 1565, 1597. 256 Einzelheiten bei A. Wagner 269 ff. 257 Die gleiche Möglichkeit bestand bei Urteilen des (71)
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Volksgerichtshofes, bei denen ebenfalls ein besonderer Senat gebildet wurde. Näher v. Hippel 705 ff.; Niethammer in der 19. Aufl. Nachtr. II S. 247 f. Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 2 1 . 2 . 1940 (RGBl. I S. 405); ausführliche Erläuterungen von Nielhammer in der 19. Aufl. Nachtr. II S. 275 ff; Gruchmann 978; zum Inhalt ferner Grau DJ 1940 309. Dazu näher die Erl. von Nielhammer in der 19. Aufl. Nachtr. II S. 323 ff. Vom 21. 3. 1942 (RGBl. I S . 139).
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Einleitung
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Die 2. VereinfVO erweiterte u. a. die Strafgewalt des Amtsrichters und die Zulässigkeit des Strafbefehls, ermöglichte den Verzicht auf Beisitzer in der Hauptverhandlung der Strafkammer, des Sondergerichts und des Oberlandesgerichts und auf die Teilnahme des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung, lockerte das Legalitätsprinzip und beseitigte des Klageerzwingungsverfahren, erweiterte die Möglichkeiten der Unterbrechung der Hauptverhandlung, der Hauptverhandlung ohne Angeklagten und der Nachtragsanklage, führten für Berufung und Beschwerde das Erfordernis einer besonderen Zulassung ein und erweiterte den Anwendungsbereich der Nichtigkeitsbeschwerde. Ferner übernahm es Elemente der mit dem Entw. 1939 verbundenen friedensrichterlichen Verfahrens. Mit einer gleichzeitig erlassenen VO wurde der Eröffnungsbeschluß beseitigt 263 . 73
Weitere Vereinfachungen des Strafverfahrens, aber auch weitere Übernahmen von Vorschlägen des Entw. 1939, begannen 1943. Die Vereidigung von Zeugen wurde in das Ermessen des Gerichts gestellt 264 . Die 3. VereinfVO 265 übertrug u. a. die Entscheidung über die Richterablehnung den Dienstvorgesetzten, sah „aus wichtigen Gründen" eine generelle Verkürzung der Ladungsfrist auf 24 Stunden vor, ermöglichte die Verlesbarkeit von Niederschriften über richterliche Vernehmungen durch den durch das VereinhG aufrechterhaltenen § 251 StPO, erleichterte die Wiederaufnahme des Verfahrens und führte das Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff StPO) ein. Ferner wurde die Besetzung der Kollegialgerichte verringert 266 . Mit der am Ende der Entwicklung stehenden 4. VereinfVO 267 wurde die Besetzung der Senate des Volksgerichtshofes und des Reichsgerichts vermindert, der Erlaß des Haftbefehls sowie die Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme dem Staatsanwalt übertragen, der Verfolgungszwang weiter gelockert und es wurden die Rechtsmittel weiter eingeschränkt.
VI. Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und Rechtseinheit im westlichen Teil Deutschlands Schrifttum. Bader Die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Garantien im deutschen Strafprozeß, FS Pfenniger 1; Beckmann Rechtsgrundlagen zur Aufhebung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege, JZ 1997 922; Brauer Die Neuordnung der Strafrechtspflege in Verfahren vor den Gerichten der amerikanischen Militärregierung, NJW 1949 127; Geiger/Bülow/Dallinger Das Vereinheitlichungsgesetz, SJZ 1950 707; Gerner Rechtseinheit im Verfahrensrecht, NJW 1950 722; Kappo/Lermer/Rebentrost Der Strafprozeß vor den deutschen Gerichten und den Gerichten der Militärregierung in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands, Textausgabe nach dem Stand vom 1. 3. 1949 (1949); Kern Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 1. Aufl. (1947) (StPO); Kern Die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Strafgerichtsverfassung und des Strafverfahrens, MDR 1950 582; Niise Das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts, JR 1950 516, 553; Pauli Die Wiederherstellung der Rechtseinheit im Strafprozeßrecht in der Bundesre-
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Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13. 8. 1942 (RGBl. I S. 508); zum Inhalt aus damaliger Sicht Grau DJ 1942 597,613. VO über die Beseitigung des Eröffnungsbeschlusses im Strafverfahren vom 13. 8. 1942 (RGBl. I S. 512); zu der danach geltenden Rechtslage s. näher die Entstehungsgeschichte Vor § 198. VO zur Durchführung der VO zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue vom 29. 5. 1943 (RGBl. I S. 341).
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3. VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29. 5. 1943 (RGBl. I S. 342) mit DVO vom gleichen Tage (RGBl. I S. 345). VO zur weiteren Kräfteersparnis in der Strafrechtspflege vom 29. 5. 1943 (RGBl. I S. 346), (Befugnis des Vorsitzenden u. a. zu bestimmen, daß ein Beisitzer bei einfacher Sach- und Rechtslage die Entscheidung allein trifft, und Möglichkeit des Verzichts auf den zweiten Beisitzer in allen Sachen, beides mit Zustimmung des Staatsanwalts). Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges vom 13. 12. 1944 (RGBl. 1 S. 339).
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts E i n l . A b s c h n . Ε publik in Deutschland, DRZ 1950 461; Pauli Zur Strafprozeßordnung 1950, DRZ 1950 483; Rieß Über das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12. September 1950, FS Heimlich 127; Schänke Die Wiederherstellung der Rechtseinheit im Gerichtsverfassungsrecht und im Prozeßrecht in der Bundesrepublik Deutschland, DRZ 1950 433; Textausgabe Strafprozeßordnung und Strafgerichtsverfassungsgesetz 12 (Fassungen der amerikanischen und britischen Zone) (1949).
1. Überblick. Der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems durch die 74 bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. 5. 1945 hinterließ ein Chaos auch auf dem Gebiete des Rechtes. Das Deutsche Reich als solches wurde handlungsunfähig; die Regierungsgewalt und damit auch die Justizhoheit ging zunächst auf die Siegermächte über, die sie kraft Besatzungsrechts durch den gemeinsamen Kontrollrat, die alliierte Militärregierung sowie durch die Oberbefehlshaber der einzelnen Besatzungszonen wahrnahmen. Nach der Bildung der Länder übten diese in den Grenzen der besatzungsrechtlichen Ermächtigungen und Vorgaben die Justizhoheit sowie die Gesetzgebung auch in den der reichsrechtlichen Kompetenz unterliegenden Sachgebieten aus 268 . Eine länderübergreifende Staatsgewalt gab es zunächst nicht; sie entstand erst 1949 in der Form der beiden bis 1990 nebeneinander existierenden Teilstaaten Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik. Obwohl in den drei westlichen Besatzungszonen das Bemühen um Rechtseinheit 75 bestehen blieb und im Ansatz die reichsrechtliche StPO und das GVG aufrechterhalten blieben, entwickelte sich der Rechtszustand unterschiedlich 269 . Dazu trug auch bei, daß es nach der Auflösung des Reichsgerichts an einem gemeinsamen obersten Gericht mangelte, daß durch die Entwicklung während des Nationalsozialismus und namentlich in der Kriegszeit der Rechtszustand kaum noch überschaubar war und daß die Vorgaben der Besatzungsmächte in den einzelnen Besatzungszonen nicht voll übereinstimmten. Trotz allem blieb in den drei westlichen Besatzungszonen ein nicht unerheblicher Grundbestand an Gemeinsamkeit im Strafverfahren und in der Strafgerichtsverfassung erhalten, weil bei der Wiederherstellung des Rechts bewußt auf das gemeinsame Reichsrecht unter Anknüpfung an den Rechtszustand vor 1933 zurückgegriffen wurde. Nach der Bildung der Bundesrepublik konnte der Bundesgesetzgeber hieran anknüpfen und mit dem VereinhG mit Wirkung vom 1. 10. 1950 die volle Rechtseinheit auf dem Gebiet des Gerichtsverfassungsrechts, des Strafverfahrensrechts und des Zivilprozeßrechts wieder herstellen. Zur Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR s. unten Rdn. 157 ff. Aufgrund einer Vorgabe des Kontrollrates 270 erfolgte die Aufhebung nationalsoziali- 76 stischen Unrechts weitgehend durch verschiedenartige landesrechtliche Vorschriften, die überwiegend heute noch gelten 271 . Diese bestimmten teilweise die automatische Aufhebung solcher Urteile, die ausschließlich auf bestimmten Vorschriften nationalsozialistischen Inhalts beruhten, worüber auf Antrag eine (deklaratorische) Bescheinigung durch die Staatsanwaltschaft zu erteilen ist. Ferner ermöglichten sie in anderen Fällen die Einzelaufhebung, teilweise auch eine Änderung des Schuldspruches oder eine Reduktion der Sanktion durch gerichtliche Entscheidung 272 .
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Zur Entwicklung näher Kern (Geschichte) 284 ff. Die Unterschiede ergeben sich im einzelnen aus den Textausgaben von Kappo/Lermer/Rebentrost, sowie (ohne französische Besatzungszone) des Beck-Verlags (Textausg.); s. auch Rieß FS Heimlich 129.
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Art. 2 Nr. 5 der Proklamation Nr. 3 des Kontrollrates vom 20. 10. 1945 (Amtsbl. des Kontrollrates, S. 6). Näher Vor § 359, 180; Beckmann JZ 1997 923 ff; s. auch unten Rdn. J 120. Einzelheiten mit weit. Nachw. Beckmann JZ 1997 923 ff.
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Einleitung
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2. Besatzungsrecht und Justizhoheit. Mit der Besetzung Deutschlands wurden die deutschen Gerichte zunächst geschlossen 273 ; ihre allmähliche Wiedereröffnung erfolgte durch Entscheidungen der Besatzungsmächte oder mit deren Ermächtigung durch die einzelnen Länder. Die volle Justizhoheit kam diesen Gerichten jedoch nicht zu; die Besatzungsmächte behielten sich in unterschiedlichem Umfang und mit abnehmender Tendenz die Gerichtsbarkeit für bestimmte Sachbereiche und für bestimmte Personen, namentlich für Angehörige der alliierten Nationen und deren Verbündete, vor 274 . Sie errichteten für den vorbehaltenen Bereich eigene Besatzungsgerichte mit selbständigen Verfahrensordnungen 275 . Diese Besatzungsgerichtsbarkeit 276 , deren Umfang mit der Gründung der Bundesrepublik wesentlich reduziert wurde 277 , endete erst 1955 durch den Deutschland-Vertrag und den Überleitungsvertrag, durch die die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich die volle Justizhoheit zurückerlangte 278 ; gewisse, noch bestehengebliebene Beschränkungen 279 wurden erst im Zusammenhang mit den völkerrechtlichen Vereinbarungen bei der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands Ende 1990 beseitigt 280 . Auch soweit deutsche Gerichte (auf der Grundlage deutschen Rechts) tätig wurden, behielten sich die Besatzungsmächte anfänglich Möglichkeiten des Eingreifens vor.
78
Die Grundlagen für die Wiederherstellung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrensrechts für die deutsche Gerichtsbarkeit wurden durch eine Reihe von Rechtsakten des Kontrollrates und der Militärregierungen gelegt 281 . Die Kontrollratsproklamation Nr. 3 vom 20. 10. 1945 282 stellte Grundsätze für die Strafrechtspflege auf, namentlich das Verbot der Verurteilung auf Grund von Analogie. Sie bekräftigte die Aufhebung des Volksgerichtshofes und die Sondergerichte und verbot ihre Wiederherstellung 283 . Das Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 30. 10. 1945 284 regelte den Aufbau der deutschen Gerichte grundsätzlich in Übereinstimmung mit dem GVG i. d. F der Bek. vom 23. 3. 1924; es ordnete an, daß Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte (also nicht das Reichsgericht) wiederherzustellen waren und sich deren Zuständigkeit im allgemeinen nach dem Recht am 30. 1. 1933 richten sollte. Bereits vor diesen Kontrollratsgesetzen und parallel dazu hatten Rechtsakte der Militärregierung Einzelheiten geregelt, nationalsozialistisches Recht aufgehoben 285 oder durch Allgemeine Anweisungen an Richter 286 Grundsätze der Rechtsanwendung aufgestellt oder das anzuwendende Recht näher präzisiert.
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3. Die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen verlief im einzelnen unterschiedlich und führte in vielen Punkten zu einer erheblichen Rechtszersplitterung 287 . In 273
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S. auch Militärregierungsgesetz Nr. 2 (ABl. MReg. Nr. 2); Textausg. S. 223. S. näher Kern (Geschichte) 314 ff; Kissel· Einl. 7, 35 ff; vgl. auch Kontrollratsgesetz Nr. 4 (Fußn. 284), Art. III. Vgl. ζ. B. für die amerikanische Besatzungszone Brauer NJW 1949 127; Übersicht in Textausg. 509 f. Zur Frage des Strafklageverbrauchs besatzungsgerichtlicher Urteile s. unten Rdn. J 112; zu ihrer Tätigkeit s. auch Kempner FS Martin Hirsch (1981) 145 ff. Gesetz Nr. 13 der Alliierten Hohen Kommission über die Gerichtsbarkeit auf den vorbehaltenen Gebieten vom 25. 11. 1949 (AHK Abi. S. 54); Abdruck mit Abdruck der einzelnen DVO Textausg.13 S. 205 ff; s. auch Kem (Geschichte) 317 f. Vgl. näher Kissel Einl. 40 a.E. Kissel· Einl. 36 ff. Näher Kissel Einl. 42.
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Zusammenstellung bei Kappo/Lermer/Rebentrost S. 4 ff; dort auch Teilabdruck. AmtsBl. des Kontrollrats, S. 22, Abdruck bei Kappo/Lermer/Rebentrost S. 11; Textausg. S. 219. Ebenso Art. II des MRG Nr. 2 (Fußn. 3). AmtsBl. des Kontrollrats S. 26; Abdruck bei Kappo/Lermer/Rebentrost S. 13; Textausg. S. 221. ζ. B. Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. 9. 1945 (AmtsBl. des Kontrollrats S. 6); Militärregierungsgesetz Nr. 1 (ABl. MReg. Nr. 3); Abdruck Textausg. 231 ff; Zusammenstellung der erfaßten Rechtsvorschriften bei Beckmann JZ 1997 924 f. Allgemeine Anweisungen an Richter Nr. 1, nicht verkündet, Abdruck Textausg. 234. S. dazu etwa die verschiedenen Fassungen bei Kappo/Lermer/Rebentrost, vgl. auch die Übersicht bei Kern (StPO) 9 ff; Kern (Geschichte) 288 f. Ein Bild der Rechtszersplitterung vermittelt auch die Liste der aufgehobenen Vorschriften in Art. 8 II des VereinhG.
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
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der amerikanischen Besatzungszone erließen die Länder Bayern, Hessen, Bremen 288 und Württemberg-Baden 1946 als Landesgesetze Strafrechtspflegeordnungen, die aus einer im wesentlichen übereinstimmenden Strafprozeßordnung und einem Strafgerichtsverfassungsgesetz bestanden. Zu einem gemeinsamen obersten Gericht kam es in der amerikanischen Besatzungszone nicht 289 . In der britischen Besatzungszone wurde der maßgebliche Gesetzestext zunächst im Sommer 1945 durch die allgemeine Anweisung für die Richter Nr. 2 und durch die MilitärregierungsVO Nr. 15 mit Wirkung vom 1.10. 1945 festgestellt 290 ; hier wurde im September 1947 ein auch für Revisionen in Strafsachen zuständiger Oberster Gerichtshof für die Britische Zone mit Sitz in Köln gebildet 291 . In den Ländern der französischen Besatzungszone ergingen 1946/1947 im wesentlichen übereinstimmende „Rechtsanordnungen über Gerichtsverfassung und Verfahren" 292 nach denen für den Aufbau, die Zuständigkeit und die Besetzung der Gerichte grundsätzlich das Gerichtsverfassungsrecht in der am 30. 1. 1933 geltenden Fassung, für das Strafverfahren das am 7. 5. 1945 geltende Recht anwendbar war, soweit es nicht aufgrund besatzungsrechtlicher Anordnungen oder durch die veränderten Verhältnisse unanwendbar geworden war oder durch die Rechtsanordnung geändert wurde. Eine amtliche Neufeststellung des Gesetzeswortlauts erfolgte nicht; ein gemeinsames oberes Gericht wurde nicht gebildet. Weitere Änderungen erfolgten in den folgenden Jahren zwar innerhalb der einzelnen Besatzungszonen meist einheitlich, unter diesen aber divergierend und damit eine weitere Rechtsverschiedenheit herbeiführend. Bei der Besetzung und Zuständigkeit der Schöffengerichte, Strafkammern und 80 Schwurgerichte, die überwiegend nicht sofort, sondern durch unterschiedliche Rechtsetzungsakte der einzelnen Länder gebildet wurden, traten erhebliche Unterschiede auf 293 . In der britischen Besatzungszone 294 wirkten bei den Strafkammern keine Schöffen mit; die Zuständigkeit der in ihrer Besetzung dem seit der EmmingerVO bestehenden Recht entsprechenden Schwurgerichte (s. Rdn. 37) war erheblich ausgeweitet. In den Ländern der amerikanischen und französischen Besatzungszone 295 wurden im Laufe der Zeit auch die Strafkammern in der Hauptverhandlung mit Schöffen besetzt. Bei der Besetzung und Zuständigkeit der Schwurgerichte gab es erhebliche Unterschiede. In Hessen war das Schwurgericht mit zwei Richtern und sieben Geschworenen besetzt. In Bayern 296 wurde das aus einer getrennten Geschworenen- und Richterbank mit drei Richtern und zwölf Geschworenen bestehende Schwurgericht wieder eingeführt, bei dem die Entscheidung über die Schuldfrage allein von den Geschworenen, die über die Straffrage — insoweit abweichend von der Regelung der RStPO von 1877 bis 1924 — von den Richtern und den Geschworenen gemeinsam getroffen wurde. 4. Die Wiederherstellung der Rechtseinheit a) Gründung der Bundesrepublik und Grundgesetz. Mit dem Inkrafttreten des 81 Grundgesetzes am 23. 5. 1949 trat für die Bundesrepublik Deutschland in bezug auf die 288
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Bremen erst mit Gesetz vom 27. 6. 1947 (GVB1. S. 129) nach der endgültigen Zuordnung zur amerikanischen Besatzungszone. Wiederrichtet wurde lediglich das BayObLG (Gesetz vom 11. 5. 1948 - G V B 1 . S. 83). Näher Kern (StPO) S. 8. MilitärregierungsVO Nr. 98 vom 1. 9. 1947 (ABl. MReg. S. 572) und DurchführungsVO vom 17. 11. 1947 (VOB1.BZ S. 149); Abdruck bei Kappo/Lermer/Rebentrost S. 420 ff.
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Abdruck bei Kappo/Lermer/Rebentrost S. 427; s. auch Kern (StPO) S. 10. 293 S. näher Kern (Geschichte) 289. 294 v o zur Wiedereinführung von Schöffen und Geschworenen v. 22. 8. 1947 (VOB1. BZ S. 115). 295 Abdruck der einzelnen Landesgesetze über die Bildung, Besetzung und die Zuständigkeit der Schöffengerichte, Strafkammern und Schwurgerichte bei Kappo/Lermer/Rebentrost 362 ff. 296 v o über die Wiedereinführung der Schwurgerichte vom 14. 7. 1948 (GVB1. S. 243).
Peter Rieß
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Einleitung
Aufteilung der justitiellen Aufgaben weitgehend der Rechtszustand wieder ein, der am Ende der Weimarer Republik gegolten hatte: Abgesehen von wenigen dem Bund vorbehaltenen Kompetenzen, namentlich der Errichtung oberer Bundesgerichte (Art. 96 GG), stand die Justizhoheit und die Justizverwaltung wieder den Ländern zu. Der Bund hatte die konkurrierende Gesetzgebung für die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren, also auch für das Strafverfahren. Insoweit bestimmte die Übergangsvorschrift in Art. 125 GG, daß das nach dem Zusammenbruch von den Ländern gesetzte Recht zunächst als ggfs. partielles Bundesrecht weitergalt, soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich galt oder früheres Reichsrecht abgeändert hatte; es stand damit zur Disposition des Bundesgesetzgebers. 82
Das Grundgesetz stärkte die Stellung der Rechtsprechung (Art. 92 bis 100 GG) 297 , gewährleistete neben allgemeinen Grundrechten (Art. 2 ff. GG) eine Reihe von Justizgrundrechten, so das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG), den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 102 Abs. 1 GG), das Verbot der Rückwirkung von Strafgesetzen und den Grundsatz ne bis in idem (Art. 103 GG) sowie Verfahrensgarantien bei der Freiheitsentziehung (Art. 104 GG) und gewährleistete gerichtlichen Rechtsschutz gegen alle Maßnahmen der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG). Mit der Schaffung des Bundesverfassungsgerichts (Art. 93 GG) und der Kompetenz der Gerichte, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu überprüfen und bei Annahme der Verfassungswidrigkeit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen (Art. 100 GG), anerkannte es ein materielles richterliches Prüfungsrecht. Mit dem Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4.11.1950, der am 3.9.1953 wirksam wurde 298 , gliederte sich die Bundesrepublik Deutschland in das dort enthaltene internationale System völkerrechtlicher Mindeststandards einer rechtsstaatlichen Rechtspflege ein.
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b) Vereinheitlichungsgesetz. Durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. 9. 1950 2 " stellte der Bundesgesetzgeber die Rechtseinheit wieder her. GVG, ZPO und StPO erhielten als vom Gesetzgeber mit beschlossene Anlagen mit Wirkung vom 1. 10. 1950 eine neue Fassung. Durch Art. 8 des VereinhG wurde eine Vielzahl von Vorschriften aufgehoben, die teilweise noch in der Weimarer Zeit ergangen waren und den Rechtszustand ohne Änderung des Textes der maßgebenden Kodifikation verändert hatten. Von wenigen aufrechterhaltenen Vorschriften abgesehen war damit erstmals seit der Bek. der StPO und des GVG im März 1924 im Anschluß an die EmmingerVO das anwendbare Recht wieder vollständig im GVG und in der StPO geregelt.
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Die Vorbereitung des Gesetzes wurde vom Bundesjustizministerium mit besonderem Nachdruck betrieben. Der Entwurf wurde schon im November 1949 fertiggestellt; der BRat beschloß seine Stellungnahme am 27. 1. 1950, der Regierungsentwurf mit der Stellungnahme der Bundesregierung wurde bereits am 9. 2. 1950 dem Bundestag zugeleitet.
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Vgl. u.a. Kern (Geschichte) 292 ff mit weit. Nachw. Zustimmungsgesetz vom 7. 8. 1952 (BGBl. II S. 68); Bek. vom 15.12.1953 (BGBl. II 1954 S. 14); s. näher MRK, Einl. (24. Aufl. Rdn. 2 ff). BGBl. S. 455. Materialien: RegEntw. BTDrucks. I 530; erste Beratung 43. Sitzung des BT am 1.3.1950, Plenarprot. S. 1432; Antrag des RAusschBT. BT-Drucks. I 1138; 2. und 3. Bera-
tung, 79. Sitzung des BT am 26. und 28. 7. 1950, Plenarprot. S. 2866 ff; 3063; zum Inhalt und zur Entstehungsgeschichte s. insgesamt Gerner NJW 1950 722; Nüse JR 19S0 516, 533; zum GVG Geiger SJZ 1950 708; Schänke DRZ 1950 433; zur StPO Daliinger SJZ 1950 732; Pauli DRZ 1950 461, 483; vgl. auch Kern (Geschichte) 298 ff; ausführlich zum äußeren Ablauf und zu den Beratungen Rieß FS Heimlich 130 ff.
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
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Der Rechtsausschuß setzte zur Vorbereitung seiner Beratungen je einen Unterausschuß für das GVG, die ZPO und die StPO ein und beriet deren Vorschläge sowie weitere Änderungsvorschläge in der Zeit vom 11.5. bis 6. 6. 1950 in 9 Sitzungen. In diesen Beratungen kamen zahlreiche Änderungsvorschläge, auch solche grundsätzlicherer Art, zur Sprache, und die Beschlußempfehlung des Ausschusses, der der Bundestag im wesentlichen folgte, änderte die Regierungsvorlage in vielen Punkten ab. Abgesehen von der erst im parlamentarischen Verfahren beschlossenen Einfügung des § 136 a StPO setzten sich jedoch Bestrebungen zur Vornahme größerer Reformen im Gesetzgebungsverfahren nicht durch. Der Gesetzgeber des VereinhG war sich darüber im klaren, daß sowohl im Gerichts- 85 verfassungsrecht als auch im Strafverfahrensrecht das Bedürfnis nach einer breiter angelegten Reform bestand, sah jedoch wegen der Dringlichkeit der Wiederherstellung der Rechtseinheit von deren alsbaldiger Verwirklichung ab, weil hierfür eingehende und voraussichtlich langwierige Überlegungen, Erörterungen und Beratungen erforderlich seien. Die notwendigen Reformarbeiten, die auf dem durch das VereinhG erreichten Rechtszustand aufbauen sollten, wurden deshalb einem zweiten Reformschritt vorbehalten; jedoch hat der Gesetzgeber den Übergangscharakter des wiederhergestellten einheitlichen Rechts hervorgehoben 301 . In der Realität sind allerdings die ersten tiefergreifenden Reformen des Strafverfahrens erst 14 Jahre später durch das StPÄG 1964 vorgenommen worden (s. Rdn. 95 ff). Das VereinhG stellte grundsätzlich den Rechtszustand wieder her, der vor den Ein- 86 griffen der nationalsozialistischen Regierung bestanden hatte; er griff dabei, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in jedem Fall auf eine Regelung zurück, die bereits einmal in Deutschland rechtens war und sich bewährt hatte. Aufrechterhalten wurden aus der Zeit von 1933 bis 1945 lediglich solche Regelungen, die auf davorliegende Beratungen und Entwürfe zurückgingen und sich bewährt hatten, so etwa § 206 a und der die Verlesung von Protokollen in der Hauptverhandlung regelnde § 251. Wiederhergestellt wurde entgegen dem Rechtszustand in den drei Besatzungszonen u. a. das 1942 beseitigte Eröffnungsverfahren mit dem gerichtlichen Eröffnungsbeschluß 302 . Die gerichtliche Voruntersuchung, die später durch 1. StVRG beseitigt wurde (s. Rdn. 113) wurde in dem vor 1933 geltenden Umfang wieder eingeführt. Hinsichtlich der Untersuchungshaft kehrte der Entwurf weitgehend zum Rechtszustand von 1933 zurück, faßte jedoch die Haftvoraussetzungen präziser. Bei den bis Ende 1994303 weitgehend unverändert gebliebenen Vorschriften über das beschleunigte Verfahren (§§ 212 bis 212 b) griff das Gesetz zwar auf die Fassung aus dem Jahre 1940 zurück, stellte jedoch der Sache nach weitgehend den Zustand wieder her, der aufgrund verschiedener Verordnungen vor 1933 gegolten hatte. Nicht wieder eingerichtet wurde das mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzte, erstmals durch die EmmingerVO geschaffene erweiterte Schöffengericht 304 , eine Entscheidung, die bereits 1953 durch das 3. StrÄndG korrigiert wurde 305 . Sachliche Neuerungen, die teilweise erst während des parlamentarischen Gesetz- 87 gebungsverfahrens in den Entwurf aufgenommen wurden, betrafen in der StPO vor allem die verbotenen Vernehmungsmethoden in dem neu eingefügten § 136 a, die Verlagerung des Präklusionszeitpunktes bei der Richterablehnung auf den Zeitpunkt nach der Vernehmung des Angeklagten zur Sache (§ 25), die uneingeschränkte Geltung des BeweisanAusschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Aussch.); die Verhandlungen des Ausschusses mit den Ausschußdnicksachen sind gesondert veröffentlicht worden. BegrRegEntw. BTDrucks. I 530, S. 3; s. auch Geiger SJZ 1950 707. (77)
302
Zur Umgestaltung durch das StPÄG 1964 s. Rdn. 97. Zur Veränderung durch das VerbrbekG s. Rdn. 149. 304 vgl. BegrRegEntw. Drucks. I 530, S. 3. 305 s . unten Rdn. 93. 303
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Einleitung
tragsrechts für alle Verfahren (§ 244) sowie die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist von einer auf zwei Wochen 306 . Im GVG wurde einheitlich die Wahl von Schöffen aufgrund von Vorschlagslisten statt der Urlisten der Gemeinden eingeführt und die Vorlagepflicht der Oberlandesgerichte bei Divergenz (§121 GVG) geschaffen. Bei der in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedlich geregelten und noch im Gesetzgebungsverfahren lebhaft umstrittenen Frage, ob das polizeiliche Strafverfügungsverfahren beibehalten werden sollte, entschied sich der Gesetzgeber für die erst durch das EGStGB beseitigte Lösung der amtsrichterlichen Strafverfügung 307 .
VII. Die Entwicklung in der Bundesrepublik seit 1950 S c h r i f t t u m . Achenbach Kriminalpolitische Tendenzen in den jüngeren Reformen des besonderen Strafrechts und des Strafprozeßrechts, JuS 1980 81; Ackermann Der Anwalt und die „Kleine Strafprozeßreform", AnwBl. 1965 2; Baumann Strafprozeßreform in Raten, ZRP 1975 38; Bert Zur Reform des Strafverfahrens, FS Blau 51; Böttcher Das neue Opferschutzgesetz, JR 1987 133; Böttcher/Mayer Änderungen des Strafverfahrensrechts durch das Entlastungsgesetz, NStZ 1993 153; Brüssow Strafprozeßreform in Raten? FS Koch 57; Dahs sen. Die Kleine Strafprozeßreform, NJW 1965 81; Dahs Das „Anti-Terroristengesetz" - eine Niederlage des Rechtsstaats, NJW 1976 2145; Dahs Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. 10. 1994 - ein Produkt des Superwahljahres, NJW 1995 553; Dallinger Das Strafrechtsänderungsgesetz - Gerichtsverfassung und Strafverfahren, JZ 1951 620; Dallinger Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz - Gerichtsverfassung und Strafverfahren, JZ 1953 432; Dencker Das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus, StV 1987 117; Denninger Lauschangriff - Anmerkungen eines Verfassungsrechtlers, StV 1998 401; Diemer-Nicolaus Das geänderte Haftrecht, NJW 1972 1692; Dittrich Der „Große Lauschangriff' - diesseits und jenseits der Verfassung, NStZ 1998 401; Ebert Tendenzwende in der Straf- und Strafprozeßgesetzgebung, JR 1978 136; Fischer Die Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen, NJW 1969 449; Frister Das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zur Einführung des Großen Lauschangriffs, StV 1996 454; Göhler Zur Auslegung der neuen Kostenvorschriften der Strafprozeßordnung, NJW 1970 454; Göhler Das Einführungsgesetz zum StGB, NJW 1974 825; Gollwitzer Das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes, DRiZ 1964 393; Grünwald Die Strafprozeßreform - Sicherung oder Abbau des Rechtsstaats, Vorgänge 1975 Η 6. S. 36; Grünwald Antiliberale Tendenzwende in der Strafrechtspflege, Vorgänge 1978 H. 6 S. 12; Hamm Bürger im Fangnetz der Zentraldateien, NJW 1998 2407; Hartenbach Einführung der Hauptverhandlungshaft, ZRP 1997 227; Hellmann Die Hauptverhandlungshaft gem. § 127 b StPO, NJW 1997 2145; Herrmann Die Strafprozeßreform vom 1. 1. 1975, JuS 1976 413; Hilger Die „Kronzeugenregelung" bei terroristischen Straftaten, NJW 1979 2377; Hilger Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG, NStZ 1992 457, 523; Kanka Das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG) von 1964, MDR 1965 245; Katholnigg Die gerichtsverfassungsrechtlichen Änderungen durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978 2375; Kempf Opferschutzgesetz und Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 - Gegenreform durch Teilgesetze, StV 1987 215; Kleinknecht Das 4. Strafrechtsänderungsgesetz - Verfahrensrecht, JZ 1957 407; Kleinknecht Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG), JZ 1965 113, 153; Kohlhaas Das Gesetz über die Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutzsachen, NJW 1970 20; König/Seitz Die straf- und strafverfahrensrechtlichen Regelungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, NStZ 1995 1; Krägeloh Verbesserungen im Wiederaufnahmerecht durch das 1. StVRG, NJW 1975 137; Krahl Mißachtung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze durch die schriftliche und selbstlesende Hauptverhandlung, GA 1998 329; Krauth/Kurfess/Wulf Zur Reform des Staatsschutz-Strafrechts durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz - Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassung, JZ 1968 732; Krekeler Strafverfahrensrecht und Terrorismus, AnwBl. 1979 212; Krey/Haubrich Zeugenschutz, Rasterfahndung, Lauschangriff, Verdeckte Ermittler, JR 1992 309; Krüger Das VerbrBekGes. - Hilfe bei der Problembewältigung, Kriminalistik 1995
306 Weitere Verlängerung auf einen Monat durch das StPÄG 1964 (s. Rdn. 99).
307
S. näher 24. Aufl. Einl. 3 48; 53.
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts E i n l . A b s c h n . Ε 41; Kühl Neue Gesetze gegen terroristische Straftaten NJW 1987 737, 743; Kunert/Bernsmann Neue Sicherheitsgesetze - mehr Rechtssicherheit? NStZ 1989 449; Kurth Beschränkung des Prozeßstoffs und Einführung des Tonbandprotokolls durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978 2481; Kurth Identitätsfeststellung, Einrichtung von Kontrollstellen und Gebäudedurchsuchung nach neuem Recht, NJW 1979 1377; Lammer Terrorbekämpfung durch Kronzeugen, ZRP 1989 248; Lampe Ermittlungszuständigkeit von Richter und Staatsanwalt nach dem 1. StVRG, NJW 1975 195; Loos/Radtke Das beschleunigte Verfahren (§§ 417—420 StPO) nach dem Verbrechensbekämpfungsgesetz, NStZ 1995 569, 1996 7; Martin Zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszugs in Staatsschutz-Strafsachen, NJW 1969 713; Maul Gesetz gegen Terrorismus und Rechtsstaat, DRiZ 1977 207; Meyer, J./Hetzer Neue Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität, NJW 1998 1017; Meyer-Goßner Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987, NJW 1987 1161; Meyer-Goßner Änderungen der Strafprozeßordnung durch das Rechtspflege-Entlastungsgesetz, NJW 1993 498; Möhrenschlager Das OrgKG - eine Übersicht nach amtlichen Materialien, wistra 1992 281, 326; Müller, Ingo Neuestes und allerneuestes Strafprozeßrecht, KritJ 1978 301; Nowotsch Das neue Opferanspruchssicherungsgesetz, NJW 1998 1831; Pagenkopf Erläuterungen zum Ersten Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz), DtBR II Β 75; Pagenkopf Einführung zum Strafverfahrensänderungsgesetz 1987, DtBR II Β 6; Peters Der neue Strafprozeß (1975); Rieß Der Hauptinhalt des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts, NJW 1975 81; Rieß Die Neugestaltung der Rechtsmittel in Strafsachen, DRiZ 1976 3; Rieß Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978 2265; Rieß Die Anti-Terrorismusgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Freiheit und Sicherheit, SchrR der BZentr. für pol. Bildung, Bd. 148 (1979) 69 (TerrorismusG); Rieß Neuordnung des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, ZRP 1981 101; Rieß Über die Beziehungen zwischen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung im heutigen Strafprozeßrecht, ZStW 95 (1983) 529; Rieß Das Strafprozeßänderungsgesetz 1964 - Vergängliches und Bleibendes, FS Kleinknecht 355; Rieß Der Strafprozeß und der Verletzte - eine Zwischenbilanz, Jura 1987 281; Rieß 15 Jahre Strafprozeß in Raten - Rückblick und Bilanz, FS Pfeiffer 155; Rieß Neue Gesetze zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, NJ 1992 491; Rieß Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, in: Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, SchrR des Bundesministeriums für Justiz, Wien, Bd. 76 (1996) 193; Rieß Zeugenschutz bei Vernehmungen im Strafverfahren - Das neue Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998, NJW 1998 3240; Rieß/Hilger Das neue Strafverfahrensrecht, NStZ 1987 145, 204; Rudolph Die jüngsten Änderungen des Strafprozeßrechts und Probleme der Pflichtverteidigung, FS Schmidt-Leichner 159; Rudolphi Strafprozeß im Umbruch, ZRP 1976 165; Rudolphi Die Gesetzgebung zur Bekämpfung des Terrorismus, JA 1979 1; Schlüchter Das neue Haftrecht: Bedeutung und Auslegung für die Praxis, MDR 1973 96; Schlüchter Weniger ist mehr - Aspekte zum Rechtspflege-Entlastungsgesetz (1992) (Entlastung); Schmidt-Leichner Strafverfahrensrecht 1975 - Fortschritt oder Rückschritt? NJW 1975 417; Schreiber, Hans-Ludwig Tendenzen der Strafprozeßreform, in: Strafprozeß und Reform (1979) 15; Schreiber, Wolfgang Das Bundeskriminalgesetz vom 7. 7. 1997 - ein überfalliges Gesetz, NJW 1997 2137; Schroeder Kritische Bemerkungen zum StVÄG 1979, NJW 1979 1527; Schünemann Zur Stellung des Opfers im System der Strafrechtspflege, NStZ 1986 193; Seitz Das Zeugenschutzgesetz - ZschG, JR 1998 309; Senge Strafverfahrensänderungsgesetz - DNA-Analyse, NJW 1997 2409; Siegismund/Wickern Das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege - ein Überblick über die Änderungen der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, des Jugendgerichtsgesetzes und des Strafgesetzbuches, wistra 1993 81, 136; Stinzing/Hecker Abschreckung durch Hauptverhandlungshaft? Der neue Haftgrund des „vermuteten Ungehorsams", NStZ 1997 569; Sturm Zur Bekämpfung terroristischer Vereinigungen - Ein Beitrag zum Gesetz vom 18. August 1976, MDR 1977 6; Thomas Der Diskussionsentwurf zur Verbesserung des Rechts der Verletzten im Strafverfahren - Ein Stück Teilreform, StV 1985 431; Vogel Strafverfahrensrecht und Terrorismus - eine Bilanz, NJW 1978 1221; Wache Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht, in: de With (Hrsg.) Deutsche Rechtspolitik2 (1980) 261; Werle Aufbau oder Abbau des Rechtsstaates, JZ 1991 789; Weigend Das Opferschutzgesetz - kleine Schritte zu welchem Ziel? NJW 1987 1170; v. Winterfeld Terrorismus - „Reform" ohne Ende, ZRP 1977 265; v. Winterfeld Entwicklungslinien des Strafrechts und des Strafprozeßrechts in den Jahren 1947 bis 1987, NJW 1987 2631; Wollweber Justitias langer Arm Analyse und Kritik des Justizmitteilungsgesetzes, NJW 1997 2488; Zaczyk Prozeßsubjekte oder Störer? Die Strafprozeßordnung nach dem OrgKG - dargestellt an der Regelung des Verdeckten Ermittlers, StV 1993 490. (79)
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Einleitung
88
1. Übersicht. Entwicklungslinien. Die durch das VereinhG wiederhergestellte Rechtseinheit war retrospektiv orientiert. Sie bedeutete in weitem Umfang die Fortgeltung der RStPO von 1877, also den Rückgriff auf eine fast 70 Jahre alte Kodifikation. Die Änderungen in der Zeit des Kaiserreichs waren minimal (s. Rdn. 16) und auch die der Weimarer Zeit sind abgesehen von einigen tiefgreifenden Strukturänderungen durch die EmmingerVO (s. Rdn. 36 f) nicht sehr intensiv gewesen oder mangels praktischer Bewährung wieder rückgängig gemacht worden. Der in den intensiven und nahezu kontinuierlichen Reformüberlegungen der Vergangenheit enthaltene Fundus an Vorschlägen hatte nur zu einem geringen Teil Niederschlag in der StPO und im GVG gefunden. Allein hieraus ergab sich ein erheblicher Reformdruck. Er wurde verstärkt durch die Notwendigkeit, das Verfahrensrecht an die grundlegend veränderten verfassungsrechtlichen Grundlagen anzupassen, für die in den folgenden Jahrzehnten bis etwa 1975 realisierte Reform des materiellen Strafrechts auch passende verfahrensrechtliche Regelungen zu schaffen, den sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen sowie die teilweise stürmische Rechtsentwicklung in anderen Bereichen zu berücksichtigen und schließlich die rechtssystematischen und dogmatischen Erkenntnisse in das geltende Recht zu integrieren.
89
All dies hat in den fast 50 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik eine außerordentlich intensive Gesetzgebungstätigkeit (auch) im Strafverfahrensrecht bewirkt. Sie führt nicht nur im Hinblick auf die Änderungshäufigkeit und die Zahl der davon betroffenen Vorschriften zu dem Befund einer „flächendeckenden Geschäftigkeit" 308 , sondern hat auch das Strafverfahrensrecht inhaltlich tiefgreifend umgestaltet. Der gegenwärtige Rechtszustand unterscheidet sich, unbeschadet der weitgehend unverändert gebliebenen Grundstruktur des Verfahrens, also des Prozeßmodells und der Prozeßmaximen 3 0 9 , in wesentlichen Punkten von der Rechtslage nach dem VereinhG 3 1 0 . Die für die Zeit nach 1950 kennzeichnende Änderungsintensität zeigt sich bereits rein quantitativ: Von den Vorschriften der StPO i. d. F des VereinhG sind bis Ende 1997 lediglich 176 unverändert geblieben und 55 rein sprachlich geändert worden. Dem stehen gegenüber: 197 teilweise mehrfach inhaltlich geänderte oder neu gefaßte, 143 neu eingefügte und 52 aufgehobene Vorschriften. Vergleichbare Werte gelten auch für das GVG 3 1 1 und in besonderem Maße für das EGGVG 3 1 2 . Wegen des inhaltlichen Ertrags dieser Aktivitäten und der bestehengebliebenen Defizite s. unten Rdn. 182 ff.
90
Bei einer Gesamtbetrachtung der bisherigen Gesetzesentwicklung werden inhaltlich und formal Leitlinien und Abschnitte erkennbar, die sich zeitlich teilweise überschneiden 313 . Zunächst schließt sich an das VereinhG eine etwa bis zum Anfang der sechziger Jahre reichende Phase der weiteren Konsolidierung der Rechtseinheit an, in der der Umfang der Gesetzgebung vergleichsweise gering ist 314 . Ihr folgt, etwa von 1964 bis 1970 ein Abschnitt, der durch die Vorwegnahme dringender Teilreformen gekennzeichnet ist, durch die in erster Linie (aber nicht ausschließlich) den verfassungsrechtlichen Erfordernissen der grundgesetzlichen Ordnung Rechnung getragen werden soll, und in deren Μ Rieß FS Pfeiffer 171. 309 S. dazu Rdn. F 8 f und Η 2. 310 Vgl. die Zusammenstellung der die „konstituierenden Elemente der zweiten Ebene" betreffenden Veränderungen bei Engelhard FS Rebmann 50 f; Übersicht über die Entwicklung bis 1980 bei Wache 265 ff, 287 ff; Bewertung der Entwicklung von 1947 bis 1987 bei v. Winterfeld NJW 1987 2632 ff 311 71 Vorschriften sind unverändert geblieben oder nur sprachlich verändert worden, 53 Vorschriften
312
3,3
314
wurden inhaltlich geändert oder neu gefaßt, 23 eingefügt und 49 aufgehoben (ohne nur das Zivilverfahren betreffende Bestimmungen). Von den bei Inkrafttreten des VereinhG noch praktisch bedeutsamen 8 Vorschriften sind 3 geändert; seither sind 30 neu eingefügt worden. Ähnlich, wenn auch in den Details abweichend, AK-Schreiber Einl. I I 1 ff; s. auch Rieß ZRP 1977 68 ff. Dazu näher Rdn. 93 f.
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
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Mittelpunkt die sog. „kleine Strafprozeßreform" durch das StPÄG 1964 steht 315 . Die nachfolgende Zeit von Anfang der siebziger bis zum Ende der achtziger Jahre läßt sich formal kennzeichnen als die Epoche der „Strafprozeßreform" in Raten 316 , also als den Versuch, durch umfangreiche Novellen die Erneuerung des Strafverfahrensrechts voranzutreiben. Die inhaltlichen Schwerpunkte variieren dabei 317 ; der Gedanke der Sicherung der Effektivität und Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege spielt eine erhebliche, wenn auch durchaus nicht ausschließliche Rolle 318 . Zeitlich diese Tendenzen überlagernd fallen in den gleichen Zeitraum Maßnahmen zur reaktiven Krisenbewältigung, die als Terrorismusgesetzgebung in erster Linie der Sicherung des Rechtsstaates vor terroristischer Gefahrdung dienen sollen. Die neueste Entwicklung seit etwa 1987 dürfte sich nach einer gewissen „Konsolidierungspause" von 1987 bis 1991 319 als ein Abschnitt kennzeichnen lassen, in der neben weiteren Entlastungs- und Vereinfachungsmaßnahmen das Ermittlungsinstrumentarium der Strafverfolgungsbehörden mit dem Ziel einer effektiven Verbrechensbekämpfung ausdifferenziert wird 320 und zugleich die Konsequenzen aus den vielfach postulierten Recht auf informationelle Selbstbestimmung gezogen werden 321 ; formal tritt dabei wohl zunehmend eine kodifikationsübergreifende und problemorientierte Gesetzgebungstechnik hervor. Bei den Bemühungen um eine Reform des Strafverfahrensrecht ist es seit 1945, 91 anders als in der früheren Zeit, bisher trotz dahingehender Anstöße 322 weder zur Bildung einer amtlichen Strafprozeßkommission noch zur Aufstellung von Gesamtentwürfen gekommen. Allerdings sind amtlicherseits Teilentwürfe erarbeitet und diskutiert worden, auch haben Kommissionen der Verbände und wissenschaftliche Arbeitskreise solche Teilkonzeptionen vorgelegt. Die Erörterung von einzelnen Reformfragen, aber auch in der neueren Zeit die Darstellung von Gesamtkonzeptionen im wissenschaftlichen und rechtspolitischen Schrifttum sowie die Bemühung um die Gewinnung rechtsvergleichender und rechtstatsächlicher Erkenntnisse ist stets lebhaft gewesen 323 . Inhaltlich haben sich die Schwerpunkte im Laufe der Zeit verlagert. Standen anfangs Fragen der Umgestaltung des Strafverfahrens nach dem Vorbild des anglo-amerikanischen Verfahrens und damit verbunden eine Reform des Hauptverfahrens im Vordergrund des Interesses und spielte etwa bis 1975 die Neugestaltung des gerichtsverfassungsrechtlichen Aufbaus durch eine große Justizreform und die Reform des Rechtsmittelsystems und der Wiederaufnahme eine hervorragende Rolle, so hat sich in der neueren Zeit der Schwerpunkt auf das Ermittlungsverfahren, Formen konsensualer Verfahrenserledigung und Fragen der Wiedergutmachung sowie des Täter-Opfer-Ausgleichs und des Zeugenschutzes verlagert. Wegen der Bewertung insgesamt und der weiteren Entwicklung s. Rdn. 182 ff. Die nachfolgende Einzeldarstellung der Entwicklung von 1950 bis zum Ende der 92 13. Legislaturperiode Mitte 1998 kann angesichts des Umfangs der Änderungen nur einen konzentrierten Überblick unter Herausarbeitung der hauptsächlichen Entwicklungslinien und Elemente in ihrem zeitlichen Ablauf geben; eine vollständige Darstellung sämtlicher Änderungen oder auch nur die Aufzählung aller jeweils geänderten Vorschriften ist nicht 315 S. Rdn. 95 ff. 316 vgl. zusammenfassend zu diesem Abschnitt Rieß FS Pfeiffer 155; s. näher Rdn. 106 ff. 317 Versuch einer Bilanzierung bei Rieß FS Pfeiffer 171 ff. 318 vgl. AK-Schreiber Einl. I 16, der hierin eine eigenständige Entwicklungslinie sieht. 319 S. Rdn. 136 f. 320 Vgl. die Bezeichnung von Hilger NStZ 1992 526 von der StPO als „Operativgesetz" für die
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Strafverfolgungsbehörden; s. dazu auch Rdn. Β 11. Vgl. dazu u. a. mit weit. Nachw. Rogall Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht (1992); Wolter ZStW 107 (1995) 793 ff; s. auch Rdn. Β 12 und Ε 152. 322 Rdn. 96 a.E. 323 Vgl. die zusammenfassenden Nachw. bei Engelhard FS Rebmann 54 ff; Rieß ZStW 95 (1983) 534 f; näher unten Rdn. 188 f. 321
Peter Rieß
Einl. Abschn. Ε
Einleitung
möglich. Ergänzend ist insoweit auf die Entstehungsgeschichte zu verweisen, die jeweils bei den einzelnen Abschnitten der Gesetze und den einzelnen Vorschriften zu Beginn der Erläuterungen dargestellt wird. 2. Die Zeit von 1950 bis Ende 1964 93
a) Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz. Der Schwerpunkt der gesetzgeberischen Entwicklung in den 15 Jahren nach dem VereinhG bis zur Verabschiedung des StPÄG 1965 (Rdn. 95 ff) lag außerhalb der StPO und des GVG 324 . Dennoch brachte die Gesetzgebung einige bis heute fortwirkende Neuregelungen. Das im wesentlichen das Staatsschutzstrafrecht reformierende 1. StrÄndG 325 fügte § 74 a GVG ein und schuf dort mit der sog. Staatsschutz-Strafkammer erstmalig eine SpezialStrafkammer mit gesetzlich vorgeschriebener Zuständigkeit und örtlicher Zuständigkeitskonzentration 326 . In die StPO wurde der (heutige) § 153 b (Einstellungsmöglichkeit bei Absehen von Strafe) sowie die Gestellungsbeschlagnahme nach § 43 3 3 2 7 eingefügt. Die Möglichkeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ l i l a ) wurde 1952 geschaffen 328 und 1964 im Zusammenhang mit der Einführung des Fahrverbots erweitert 329 . Durch das 3. StrÄndG 330 wurden neben den Anpassungen an die durch dieses Gesetz neu gestaltete Strafaussetzung zur Bewährung das erweiterte Schöffengericht (§ 29 Abs. 2 GVG) mit dem Ziel wieder eingeführt, den Bundesgerichtshof zu entlasten. In der StPO wurde u. a. die Verpflichtung zur Rechtsmittelbelehrung (§ 35 a) geschaffen; die beruflichen Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote wurden erweitert 331 , die Möglichkeiten der Haftverschonung ausgeweitet (§ 117). Regelungen für die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft und das Klageerzwingungsverfahren wurden präzisiert (§§ 171, 172). Das 4. StrÄndG 332 , das im wesentlichen die im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung stehenden Straftaten gegen die Landesverteidigung einfügte, ergänzte die §§ 98, 105 für Beschlagnahme und Durchsuchungen in Anlagen der Bundeswehr und fügte den (heutigen) § 153 d (tätige Reue bei Staatsschutzdelikten) ein 333 . Das Deutsche Richtergesetz 334 übertrug unter Aufhebung der §§ 2 bis 9 und 11 das bis dahin im GVG (unvollständig) geregelte Amtsrecht der Richter entsprechend dem Verfassungsauftrag der Art. 97, 98 GG in ein selbständiges Gesetz.
94
b) Von den Rechtsetzungen außerhalb vom GVG und StPO hatte das neue Jugendgerichtsgesetz 1953 erhebliche verfahrensrechtliche und gerichtsverfassungsrechtliche Auswirkungen. Das ZustErgG 335 regelte u. a. die Fortführung oder die Wiederaufnahme von Verfahren nicht mehr bestehender Gerichte. Die Verwaltungsgerichtsordnung fügte 1960 die die Anfechtung von Justizverwaltungsakten regelnden §§23 bis 30 in das EGGVG ein; eine Lösung, die ursprünglich lediglich als Übergangsregelung gedacht 324
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Insgesamt erfuhr die StPO in diesem Zeitraum durch 8, das GVG durch 14 Gesetze Änderungen; Einzelaufzählung der Vorschriften in der 24. Aufl. Einl. Kap. 3 58 ff. Vom 30. 8. 1951 (BGBl. I S. 739); zum Inhalt Dallinger iZ 1951 620. Der Zuständigkeitskatalog ist seither vielfach verändert worden. Erste substantielle Änderung der (selten angewandten) Vorschrift durch das OrgKG, s. Rdn. 142. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. 12. 1952 (BGBl. IS. 832). 2. Straßenverkehrssicherungsgesetz vom 26. 11. 1964 (BGBl. I S. 921).
330
Vom 4. 8. 1953 (BGBl. I S. 735). Zur Entstehungsgeschichte und den materiell-rechtlichen Änderungen Dreher/Lackner JZ 1953 421; zum Verfahrensrecht Daliinger JZ 1953 432. 331 §§ 53, 53 a, 97 StPO. 332 Vom 11.6.1957 (BGBl. I S. 597); zur Entstehungsgeschichte und zum materiell-strafrechtl. Inhalt LacknerSZ 1957 401. 333 Übersicht über verfahrensrechtliche Änderungen bei Kleinknecht JZ 1957 407. 334 Vom 8. 9. 1961 (BGBl. I S. 1665); zur Entstehungsgeschichte Schmidt-Räntsch Einl. 7 f; s. auch Arndt DRiZ 1961 198; Kern JZ 1961 617; Schmidt-Räntsch DRiZ 1961 345. «5 Vom 7. 8. 1952 (BGBl. I S. 407).
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts E i n l . A b s c h n . Ε 336
war , die sich aber bis heute erhalten hat und deren vollständige Ablösung durch spezialgesetzliche Regelungen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Mit dem die ursprünglichen besatzungsrechtlichen Vorbehalte 337 ablösenden Nato-Truppenstatut und dem Zusatzabkommen, das 1963 in Kraft trat, wurde die Gerichtsbarkeit hinsichtlich der Stationierungstruppen geregelt. Ferner wurden in der Zeit von 1953 bis 1960 die wichtigten Justizverwaltungsanordnungen von den hierfür zuständigen Ländern vereinheitlicht, namentlich die Richtlinien für das Strafverfahren, die Strafvollstreckungsordnung und die Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen 338 . 3. Die „Kleine Strafprozeßreform" durch das StPÄG 1964 a) Bedeutung und Entstehungsgeschichte. Das Gesetz zur Änderung der Strafpro- 95 zeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. 12. 1964339, das am 1.4. 1965 in Kraft trat, hat eine lange und verwickelte Entstehungsgeschichte 340 . Ausgangslage war der Umstand, daß das VereinhG retrospektiven Charakter hatte und den in Jahrzehnten angewachsenen Reformstau nicht berücksichtigen konnte (Rdn. 88). Die ursprüngliche Absicht, der umfassenden Reform des materiellen Strafrechts, die 1954 mit der Bildung der großen Strafrechtskommission eingeleitet wurde, in überschaubarer Zeit eine umfassende Reform des Strafverfahrens folgen zu lassen, scheiterte an der sich unerwartet lange hinziehenden Strafrechtsreform. Deshalb begannen 1959 die Vorarbeiten für eine Novellierung, die breiter angelegt war als die bisherigen punktuellen Änderungen, die aber eine umfassende Reform nicht präjudizielle. Mit diesem erstmals realisierten „Konzept des Mittelweges" 341 gelang es, die seit dem Bestehen der StPO bestehende Pattsituation zwischen Reformdruck und der Unmöglichkeit einer auf einmal durchzuführenden Totalerneuerung des Strafverfahrens aufzulösen. Als großräumige Novellierungsgesetzgebung hat das StPÄG 1964 bis etwa 1986 gleichsam stilbildend für spätere Novellen, wie das 1. StVRG, das StVÄG 1979, das OpferschutzG und das StVÄG 1987 gewirkt, auch wenn sich inhaltlich der damalige Regelungsschwerpunkt einer „rechtsstaatlichen Liberalisierung" des Strafverfahrens auf andere Inhalte verlagert hat 342 . Der erstmals in der 3. Legislaturperiode im August 1960 und in nur wenig veränderter 96 Form in der 4. Legislaturperiode im Februar 1962 erneut eingebrachte RegEntw. 343 ist im Deutschen Bundestag außerordentlich intensiv und eingehend beraten worden; insbesondere deshalb, weil in den Erörterungen zusätzliche Änderungsvorschläge teilweise grundsätzlicher Art aufgegriffen wurden 344 . Nachdem der RAusschBT seine Beratungen zunächst abgeschlossen hatte 345 , führte eine sehr kontroverse Beratung in der 2. Lesung des Bundestages im März 1963 mit einer Vielzahl von Änderungsanträgen 346 zu der ungewöhnlichen Entscheidung, den Entwurf nochmals an die Ausschüsse zurückzuverweisen. Hier erfuhr er eine erhebliche Umgestaltung 347 , bis er im Juni 1964 in zweiter und dritter
336
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S. näher Vor § 23 EGGVG, 5 ff; Kissel § 23, 2 ff EGGVG. S. zu diesen Rdn. 77 und 24. Aufl. Einl. Kap 3 57. S. näher 24. Aufl. Einl. Kap. 3 56. BGBl. I S. 1067. Abdruck in der 21. Aufl. ErgBd. mit Nachw. der Materialien und des die Beratungen begleitenden Schrifttums sowie einer ausführlichen Einl. Zum Inhalt Ackermann AnwBl. 1965 2; Dahs sen. NJW 1965 81; Gollwitzer DRiZ 1964 393; Kanka MDR 1965 245; Kleinknecht JZ 1965 113, 153; Zusammenfassung aus der Sicht von 1985 Rieß FS Kleinknecht 355.
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S. Gollwitzer DRiZ 1964 245; Kleinknecht JZ 1965 113 f. 34 ' Rieß FS Kleinknecht 357. 342 S. dazu Rieß ZRP 1977 68 ff. 343 BTDrucks. IV 178; vorausgegangen war (BTDrucks. IV 63) ein Entw. der Regierungsparteien. 344 S. dazu u.a. Dünnebier in der 21. Aufl. ErgBd. S. 6; Kleinknecht JZ 1965 113. 345 BTDrucks. IV 1020. 346 69. Sitzung der 4. Wahlperiode vom 27. 3. 1963, Plenarprot. S. 3102 ff. 347 Vgl. BTDrucks. IV 2378.
Peter Rieß
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Einleitung 348
Lesung beschlossen wurde . Er konnte freilich wegen eines vom Bundesrat verlangten Vermittlungsverfahrens 349 erst im November 1964 endgültig verabschiedet werden 350 . Anläßlich der Verabschiedung des Gesetzes forderte der Bundestag einstimmig die Bundesregierung auf, nach dem Vorbild der großen Strafrechtskommission eine große Strafverfahrenskommission einzuberufen und Vorschläge zur Neugestaltung des Strafverfahrens alsbald vorzulegen 351 . Die Realisierungschancen wurden von Anfang an teilweise skeptisch beurteilt 352 . Zur Einrichtung einer solchen Kommission ist es bis heute aus verschiedenen Gründen 353 nicht gekommen (s. auch Rdn. 187 ff). 97
b) Die Einzelheiten des Inhalts des StPÄG 1964 sind ausführlich in der 24. Aufl. (Einl. Kap. 3 61 bis 77) sowie im ErgBd. der 21. Auflage dargestellt; hierauf wird hier verwiesen 354 . Im Mittelpunkt stand das Bestreben, die Stellung des Beschuldigten im Verfahren deutlich zu verbessern. Das Gesetz unternimmt es, auch unter Rückgriff auf den Entwürfen 1909 und 1919 entstammendes Gedankengut, die verfassungsrechtlichen Postulate einer freiheitlichen, die Menschenwürde achtenden sozialen Rechtsstaates in konkretes Verfahrensrecht umzusetzen 355 .
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Zu den Schwerpunkten des Gesetzes gehören die umfassende Neuregelung des Rechts der Untersuchungshaft und eine Verbesserung des rechtlichen Gehörs in allen Auswirkungen und Verästelungen 356 . Das auch hierin wurzelnde Rechtsinstitut der staatsanwaltschaftlichen Schlußanhörung und des Schlußgehörs bewährte sich allerdings nicht und wurde durch das 1. StVRG wieder beseitigt 357 . Die Stellung des Verteidigers wurde vor allem durch eine (maßvolle) Ausweitung der notwendigen Verteidigung 358 sowie die gesetzliche Anerkennung des Akteneinsichtsrechts im Ermittlungsverfahren 359 und die Gewährleistung des uneingeschränkten mündlichen und schriftlichen Verkehrs 360 gestärkt. Die anfänglich vielfach als unbefriedigend empfundene und im Gesetzgebungsverfahren besonders umstrittene Neugestaltung des Eröffnungsverfahrens hat sich bis heute erhalten 361 .
99
Weitere Änderungen der StPO betrafen die bessere Sicherung der Unabhängigkeit des Richters durch eine Neuregelung bei den Ausschließungs- und Ablehnungsgründen sowie bei der Zurückverweisung 362 ; die Erweiterung der Begrenzungen des Legalitätsprinzips 363 ; im Revisionsrecht neben der Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 345) eine Neuregelung der Beschlußentscheidungsmöglichkeiten durch das Revisionsgericht, die zu einer deutlichen Zunahme dieser Entscheidungsform führte und seither unverändert geblieben ist 364 ; Veränderungen im Wiederaufnahmerecht, die durch das 1. StVRG aufgenommen und weitergeführt wurden 365 , sowie kostenrechtliche Maßnah-
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1 32. Sitzung der 4. Wahlperiode vom 24. 6. 1964, Plenarprot. S. 6436. 349 v g l . BTDrucks. IV 2459. 350 1 47. Sitzung der 4. Wahlperiode vom 13. 11. 1964, Plenarprot. S. 7240 ff. 351 Wortlaut bei Engelhard FS Rebmann 47; Kleinknecht JZ 1965 117. 352 Kanka (Berichterstatter für das StPÄG 1964) MDR 1965 250; Hanack FS Gallas 339 Fußn. 2 (Feigenblattfunktion). 3 3 5 Vgl. Engelhard FS Rebmann 47 f. 354 S. auch die Nachw. in Fn. 339. 355 Rieß ZRP 1977 68. 3 « Neue §§ 33 a, 163 a, 257 a, Änderung der §§ 33, 243, 308,311,350, 369.
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§§ 169 a bis 169 c; s. dazu Rieß FS Kleinknecht 362 f. §§ 140, 141, 142. 359 Neufassung des § 147. 360 Neufassung des § 148; die Regelung war äußerst umstritten; vgl. Rieß FS Reichsjustizamt 410. 361 S. die Erl. Vor § 198; Rieß FS Kleinknecht 369. 362 Neufassung der §§ 23, 25, Einfügung des § 26 a, Änderung der §§ 26, 27, 28 und 354; zur Bewertung und zur weiteren Entwicklung Rieß FS Kleinknecht 366 ff. 363 Einführung des § 154 a und Änderung des § 153, Folgeänderungen in §§ 383, 385, 396, 397. 364 Änderung des § 349; s. dazu Rieß FS Kleinknecht 372 f. 365 §§ 269, 372; zur weiteren Entwickl. s. Rdn. 113. 358
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts Einl. A b s c h n . Ε men zur Einebnung der Unterscheidung zwischen dem Freispruch mangels Beweises und wegen fehlenden Tatverdachts, die allerdings erst durch das EGOWiG konsequenter vereinheitlicht wurden 366 . Die erweiterten Protokollierungsvorschriften für die Hauptverhandlung in Richtung auf ein allgemeines Inhaltsprotokoll bewährten sich nicht und sind seither über die Regelung vor dem StPÄG 1964 hinaus rückgängig gemacht worden 367 . Im Gerichtsverfassungsgesetz wurde das Verbot der Fernseh-, Ton- und Filmaufnah- 100 men aus öffentlichen Verhandlungen (§ 169 Satz 2) eingeführt, die Verpflichtung zur sog. kammerinternen Geschäftsverteilung (damals § 69 Abs. 2, heute § 21 g GVG) geschaffen und die Möglichkeit der örtlichen Zuständigkeitskonzentration (§ 59 GVG) erweitert. Hiervon abgesehen spielten die in der seitherigen Entwicklung intensiven Eingriffe in die Gerichtsverfassung beim StPÄG 1964 noch keine Rolle. c) In der Wirkungsgeschichte des StPÄG 1964 ist ein deutlicher Beurteilungswandel 101 erkennbar. Wurde es anfänglich verbreitet von verschiedenen Seiten kritisiert368, so galt es nach etwa einem Jahrzehnt als eine Art Höhepunkt liberales Rechtsentwicklung. Beiden Beurteilungen liegt indessen eine zu einseitige und nur einzelne Teile des Gesetzes ins Blickfeld nehmende Betrachtungsweise zugrunde 369 . Aus der Perspektive einer mehr als dreißigjährigen Entwicklung läßt sich feststellen, daß zahlreiche durch das StPÄG 1964 eingeführte Neuregelungen, auch wenn sie teilweise weiter ausgebaut oder in Details korrigiert worden sind, heute zum gesicherten Bestand des Strafverfahrensrechts gehören, und zwar selbst dort, wo ursprünglich eine alsbaldige Korrektur vorausgesagt wurde. Die Kritik einer späteren „Rückabwicklung" betrifft nur einige Teilbereiche, so beispielsweise das staatsanwaltschaftliche Schlußgehör sowie die Vorschriften über die Protokollierung in der Hauptverhandlung. Erkennbar wird aber auch, daß sich die Schwerpunkte der Reformdiskussion auf Felder verlagert haben, die für den Gesetzgeber der „kleinen Strafprozeßreform" des Jahres 1964 kaum von Bedeutung waren, und erkennbar wird heute ferner, daß sich die rechts- und kriminalpolitische Grundhaltung der Gegenwart von der tiefgreifend unterscheidet, die dem StPÄG 1964 zugrunde lag. 4. Die Entwicklung von 1965 bis 1973 a) Übersicht. In der Zeit nach dem StPÄG 1964 bis zu den tiefgreifenden Änderungen 102 des Strafverfahrensrechts im Jahre 1974 (Rdn. 110 ff) blieben die Änderungen in der StPO, abgesehen von reinen Anpassungen, verhältnismäßig gering und, obwohl zahlenmäßig häufig 370 , eher punktuell. Sie realisierten jedoch teilweise Reformansätze von nicht unerheblicher Bedeutung, auch wenn sie zu einem erheblichen Teil auf außerstrafprozessualen Anlässen beruhen. Bedeutsame Änderungen vollzogen sich in dieser Zeit im GVG 371 , namentlich durch die Präsidialverfassung und die Beseitigung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesgerichtshofes. Daneben wurden außerhalb von StPO und GVG wichtige Rechtsänderungen verwirklicht, die erhebliche Auswirkungen auch auf das Strafverfahren mit sich brachten. Während des Zeitraums bis Mitte 1968 unterblieben Gesetzesänderungen fast vollständig; der Schwerpunkt der nachfolgend zu skizzierenden Entwicklung lag in der Zeit von Mitte 1968 bis Ende 1972. Wegen der teilweise in diesem Zeitraum zurückreichenden Reformansätze s. Rdn. 109 372 . 366 Änderung des § 467; Einfügung des § 467 a; s. weiter Rdn. 104.
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Änderung des § 273; s. Rieß FS Kleinknecht 370 f. S. die Nachw. und die Auseinandersetzung damit imErgBd. 21. Aufl. S 9 f. Rieß FS Kleinknecht 359 f, 375 ff.
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Peter Rieß
Von Anfang 1965 bis Ende 1973 wurde die StPO durch 15 Gesetze geändert. Änderungen des GVG erfolgte durch 11 Gesetze. S. auch die Denkschrift des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer zur Reform des Rechtsmittelrechts und der Wiederaufnahme des Verfahrens im Strafprozeß (1971).
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Einleitung
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b)Die eigenständigen gerichtsverfassungsrechtlichen Änderungen betrafen zunächst die allgemeine Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen 373 , der eine Grundgesetzänderung (Art. 96 Abs. 5 GG) vorausging. Die bis dahin bestehende erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs (und davor des Reichsgerichts) nach § 134 GVG a. F wurde beseitigt; die erstinstanzliche Zuständigkeit ging auf die Oberlandesgerichte über (§ 120 GVG) 374 . Daraus ergab sich, daß diese Urteile nunmehr mit der Revision zum Bundesgerichtshof anfechtbar waren. Um dem Generalbundesanwalt, dessen Kompetenzen in § 142 a GVG neu geregelt wurden, die Strafverfolgung in diesen Verfahren weiterhin zu ermöglichen, wurde bestimmt, daß die Oberlandesgerichte insoweit Gerichtsbarkeit des Bundes ausübten (sog. Organleihe). Diese neue Konzeption hatte zahlreiche Folgeänderungen in der StPO und im GVG zur Folge. Das GVG-ÄndG vom 8. 9. 1971 375 führte mit dem neuen § 74 c GVG die Wirtschaftsstrafkammer ein, und zwar zunächst nur in Form einer bloßen Ermächtigung zur örtlichen Zuständigkeitskonzentration 376 , die durch das StVÄG 1979 in eine gesetzliche Spezialzuständigkeit umgewandelt wurde. Die gegenwärtige Präsidialverfassung (§§ 21 a bis 21 i GVG) wurde durch das PräsVerfG 377 verwirklicht, das darüber hinaus bei dem damals noch bestehenden Schwurgericht 378 die Bezeichnung „Geschworener" durch „Schöffen" ersetzte. Das 1. StrRG 379 begrenzte die Sanktionsgewalt des Amtsgerichts, die vorher 2 Jahre Zuchthaus betrug und bei der Gefängnisstrafe nicht begrenzt war, im Zusammenhang mit der Beseitigung dieses Unterschiedes auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren 380 und Schloß neben der Sicherungsverwahrung auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aus.
104
c) Eigenständige Änderungen der StPO erfolgten zunächst in erheblichem Umfang durch das EGOWiG 381 durch eine umfassende Neuregelung der verfahrensrechtlichen Stellung der Nebenbeteiligten (§§ 430 bis 444), eine Teilreform kostenrechtlicher Vorschriften im Anschluß an das StPÄG 1964382, Maßnahmen zur vorläufigen Sicherstellung (§§ 127 a, 132) sowie die Übertragung der Durchsicht von sichergestellten Geschäftspapieren vom Richter auf den Staatsanwalt 383 . Bei der grundlegenden Reform des Staatsschutzstrafrechts durch das 8. StrÄndG 384 wurden namentlich durch die Neufassung des (heutigen) § 153 c und die Einführung der (heutigen) §§ 153 d, 153 e die Nichtverfolgungsmöglichkeiten bei Staatsschutzdelikten erweitert. Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses 385 schuf mit den neuen §§ 100 a, 100 b die in ihrer Grundkonzeption bis heute erhaltene Rechtsgrundlage für die Fernmeldeüberwachung, bei der der Straftatenkatalog seither häufig und vielfach ausdehnend erweitert wurde. Schließlich änderte das StPÄG 1972 das Recht der Untersuchungshaft 386 , 373
Gesetz vom 8. 9. 1969 (BGBl. I S. 1582); ausführlicher 24. Aufl., Einl. Kap. 3 85; s. näher Fischer NJW 1969 449; Kohlhaas NJW 1970 20; Martin NJW 1969 713. 374 Erweiterungen der zunächst begründeten Zuständigkeit erfolgte mehrfach im Rahmen der Terrorismusgesetzgebung, s. Rdn. 119, 124. 375 BGBl. I S . 1513. 376 Als Folgeänderung neuer § 13 a StPO, der durch das StVÄG 1979 wegen der dortigen umfassenden Regelung (s. Rdn. 121) wieder aufgehoben wurde. 377 Vom 25.6. 1972 (BGBl. I S. 841); zahlreiche Folgeänderungen im GVG; zur Entstehungsgeschichte s. 23. Aufl. Vor § 21 a, 5 GVG. 378 Zu dessen Abschaffung s. Rdn. 113. 37 ' Vom 25. 6. 1969 (BGBl. I S. 645).
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Erweiterung auf vier Jahre Freiheitsstrafe durch das RpflEntlG; s. Rdn. 144. Vom 24. 5. 1968 (BGBl. I S. 503); s. näher 24. Aufl. Einl. Kap. 3 78 ff. 38 2 §§ 464 a, 465, 466, 467, 467 a, 469, 470, 472 b, 473; s. dazu Göhler NJW 1970 454. 383 § 110 StPO; Übertragung der Durchsicht aller Papiere auf den Staatsanwalt durch das 1. StVRG (s. Rdn. 113). 384 Vom 25. 6. 1968 (BGBl. I S. 741); zu den verfahrensrechtlichen Änderungen Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1972 732 ff. 38 5 Vom 13. 8. 1968 (BGBl. I S. 949) Art. 3. 386 Gesetz vom 7. 8. 1972 (BGBl. I S. 1361); näher 24. Aufl. Einl. Kap. 3 87; zum Inhalt näher Diemer-Nicolaus NJW 1972 1692; Schlüchter MDR 1973 96. 381
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
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indem die sehr engen Haftvoraussetzungen nach der Reform des StPÄG 1964 teilweise wieder erweitert und vor allem der Haftgrund der Wiederholungsgefahr als neuer § 112 a verselbständigt und ausgeweitet wurde. Die Diskussion um seine weitere Ausweitung ist seither nicht zur Ruhe gekommen. d) Rechtsänderungen außerhalb der StPO und des GVG mit Auswirkungen auf das 105 Strafverfahrensrecht enthielt das neue Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. 5. 1968 (BGBl. I S. 80), das, anders als das OWiG 1952, verfahrensrechtlich Strafund Bußgeldverfahrens stärker miteinander verzahnte 387 . Das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8. 3. 1971 (BGBl. I S. 157) ersetzte die veralteten Entschädigungsgesetze von 1898 und 1904 und bemühte sich, den Anforderungen an die Unschuldvermutung besser Rechnung zu tragen. Das Bundeszentralregistergesetz vom 18.3.1971 (BGBl. I S. 243) führte die bis dahin bei den einzelnen Staatsanwaltschaften dezentral geführten Strafregister zu einem dem Generalbundesanwalt zugeordneten zentralen Register zusammen und trägt durch detaillierte Vorschriften über die Nichtaufnahme bestimmter Verurteilungen, Verkürzung der Tilgungsfristen und ein umfassendes Verwertungsverbot nach Eintritt der Tilgungsreife dem Resozialisierungsgedanken Rechnung. 5. Die Entwicklung von 1974 bis 1987 a) Übersicht. Die gesetzgeberische Entwicklung in der 7. bis 10. Legislaturperiode ist 106 durch mehrere, teilweise einander überschneidende Linien gekennzeichnet. Ihr äußerlich hervorstechendes Merkmal ist eine außerordentlich hohe Änderungshäufigkeit 388 mit teilweise in die Struktur des Strafverfahrens und der Strafgerichtsverfassung tief eingreifenden Neuregelungen. Hinzu tritt eine sich intensivierende, teilweise auch in amtliche Entwürfe mündende Reformdiskussion (s. Rdn. 109). Mit mehreren umfangreichen Novellen, nämlich dem 1. StVRG, dem ErgG 1. StVRG, 107 dem StVÄG 1979, dem OpferschutzG und dem StVÄG 1987 hat der Gesetzgeber den Versuch einer Gesamtreform durch Teilgesetze unternommen 389 , allerdings alsbald unter deutlicher Rücknahme des auf die Gesamtreform abstellenden Akzentes 390 . Diese durch eine Reihe kleinerer Novellen ergänzte „Strafprozeßreform in Raten" 391 ist vielfach auf Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens ausgerichtet gewesen, hat aber darüber hinaus und unabhängig hiervon auch eine Reihe unter diesem Gesichtspunkt mindestens ambivalenter neuartiger Lösungsansätze und Regelungen gebracht 392 . Ihr Gesamtertrag ist wohl dahin zu würdigen, daß es gelungen ist, die Effektivität des Strafprozeßsystems trotz steigender quantitativer Belastung und vielfacher Spannungen zu erhalten, daß die damit erreichte Modernisierung des Strafverfahrens aber einer übergreifenden Gesamtperspektive ermangelt. Die Konzeption der Gesamtreform durch Teilgesetze hat damit mindestens ihre Leistungsgrenze erreicht 393 ; teilweise wird sie als gescheitert angesehen 394 . Jedenfalls ist sie in der gesetzgeberischen Entwicklung seit 1987, die andere Wege eingeschlagen hat (s. Rdn. 131 ff), nicht fortgesetzt worden.
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Dazu und zur Entwicklung ausführlich 24. Aufl. Einl. Kap. 3 93 ff. Änderung der StPO durch 27 und das GVG durch 28 Gesetze. Ausführliche Darstellung dieser Konzeption im RegEntw. 1. StVRG, BTDrucks. 7 551 S. 32; vgl. auch 24. Aufl. Einl. Kap. 4 31 ff.
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Bilanz und Würdigung des Ertrags dieser Gesetzgebung bei Rieß FS Pfeiffer 155. Baumann Z R P 1975 38 ff. Vgl. die Gruppierungen bei Rieß FS Pfeiffer 171 ff. Vgl. Engelhard FS Rebmann 51; Rieß FS Pfeiffer 174; FS Schäfer 162. So u. a. AK-Schreiber Einl. I 15; Wolter GA 1985 49 f; dagegen Engelhard FS Pfeiffer 51.
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Einleitung
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Ein zweiter Entwicklungsstrang, auf dem eine umfangreiche und teilweise hektische Gesetzgebung beruht, ist durch das Phänomen des Terrorismus und der Notwendigkeit seiner Bekämpfung gekennzeichnet 395 . Die Abgrenzung zu den die Reform des Strafverfahrens betreffenden Regelungen ist nicht immer trennscharf möglich, weil diese Entwicklung einerseits das Reformklima mit beeinflußt hat, andererseits in ihr auch allgemeine rechtspolitische und dogmatische Lösungsansätze realisiert worden sind 396 . Die Gesamtheit der Änderungen wird im Schrifttum teilweise als (illiberale) Tendenzwende gekennzeichnet 397 , eine Bewertung, die der Komplexität der gesamten Entwicklung nicht ausreichend gerecht wird 398 .
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Die Reformdiskussion ist u. a. durch mehrere amtliche Entwürfe beeinflußt worden, die nicht Gesetz geworden und überwiegend gar nicht erst in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gelangt sind. Übergreifenden Charakter hatte der Referentenentwurf eines 1. Justizreformgesetzes von Ende 1971 3 ", mit dem in erster Linie angestrebt wurde, den vierstufigen Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit durch einen dreistufigen (Eingangsgerichte, Gerichte der Mittelinstanz und Bundesgerichtshof) zu ersetzen. In Zusammenhang mit diesen Ansätzen stand der danach noch selbständig weitergeführte Diskussionsentwurf für eine Reform der Rechtsmittel in Strafsachen mit dem Ziel eines einheitlichen revisionsähnlichen Rechtsmittels 400 . Ein weiterer, Anfang 1981 vorgelegter Referentenentwurf hatte eine Neuordnung des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen zum Gegenstand 401 . Von der Wissenschaft wurden mehrere Entwürfe für einzelne Teilbereiche vorgelegt, so zur Verteidigung 402 , zur Untersuchungshaft 403 , für ein Strafverfahren mit nicht öffentlicher Hauptverhandlung im Bereich der kleineren Kriminalität 404 sowie für eine Neugestaltung der Hauptverhandlung insgesamt 405 . In zunehmendem Maße wurden rechtstatsächlich fundierte Reformansätze zur Diskussion gestellt 406 und es wurden erste konzeptionelle Ansätze für eine umfassende Gesamtreform entwickelt 407 .
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b) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts und Ergänzungsgesetz. Mit der am 1.1. 1975 in Kraft getretenen Gesetzestrias 408 des EGStGB 1974, des 1. StVRG und des 1. StVRGErgG wurden die
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Übersicht und Bewertung der Gesetzgebung insgesamt beispielsweise bei Rieß (TerrorismusG); Rudolphi JA 1979 1; Vogel NJW 1978 1217; v. Winterfeld ZRP 1977 265. Rieß FS Pfeiffer 158. Eben JR 1978 136; ähnlich u.a. Rudolphi ZRP 1976 165; vgl. auch Dahs NJW 1976 2148; Achenbach JuS 1980 88; v. Winterfeld NJW 1987 2635. Rieß ZRP 1971 71; sehr kritisch gegen diese Deutung auch (ausführlich) KMR-Sat Einl. II 3 f,7 ff. Gesetz zur Neugliederung der ordentlichen Gerichtsbarkeit; s. näher mit weit. Nachw. Kissel' Einl. 126 f; zu den rechtspolitischen Auseinandersetzungen und zum Scheitern des Entwurfs Jahn FS Wassermann 91 ff; zur neueren Entwicklung s. u. a. Faupel DRiZ 1997 69 ff; unten Rdn. I 23. Zum Inhalt Rieß DRiZ 1976 3; näher Vor § 333, 17 ff; vgl. auch Verh. 52. DJT Bd. I C, Bd. II L; Rieß ZRP 1979 193. Dazu Rieß ZRP 1981 101.
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Bemmann e.a. (Arbeitskreis Strafprozeßreform), Die Verteidigung, Gesetzentwurf mit Begründung (1979). Bemmann e.a. (Arbeitskreis Strafprozeßreform), Die Untersuchungshaft, Gesetzentwurf mit Begründung (1983); Baumann Entwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes (1981). AE-Kreis (Baumann e.a.) Alternativentwurf für ein Strafverfahren mit nicht-öffentlicher Hauptverhandlung (1980). AE-Kreis (Baumann e.a.), Novelle zur Strafprozeßreform, Reform der Hauptverhandlung (1985). S. die Nachw. bei Engelhard FS Rebmann 55 in Fußn. 47; s. auch unten Rdn. 193. Rieß FS Schäfer 155; Schünemann FS Pfeiffer 461; Wolter GA 1985 49. Kleinere gleichzeitige Änderungen auch noch durch das im wesentlichen die ZPO betreffende Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls vom 20. 12. 1974 (BGBl. I S . 3651).
Stand: 1. 8. 1998
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Entstehung und Entwicklung des Strafverfahrensrechts
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umfangreichsten Änderungen seit der Schaffung der StPO und des GVG verwirklicht 409 . Sie enthielten für die StPO insgesamt 344 Einzeländerungen, die 190 Vorschriften änderten, 36 neu faßten, 41 einfügten und 46 aufhoben, insgesamt also mehr als die Hälfte des gesamten Normenbestandes veränderten. Nicht weniger umfangreich waren die Änderungen des GVG mit 47 geänderten, 8 neugefaßten, 4 eingefügten und 15 aufgehobenen Vorschriften; der Umfang der Änderungen veranlaßte eine Neubekanntmachung der StPO 410 und des GVG 411 . Der Inhalt der drei Gesetze ist in der 24. Auflage (Einl. Kap. 5 1 bis 85) im einzelnen dargestellt; die nachfolgende Übersicht beschränkt sich auf die Schwerpunkte. Das EGStG 1974 412 , mit dem die Reform des materiellen Strafrechts, unbeschadet 111 zahlreicher späterer Änderungen, im wesentlichen abgeschlossen wurde, enthält neben einer großen Zahl von teils sprachlichen und redaktionellen, teils auch sachlichen Anpassungen auch eine Reihe bedeutsamer und eigenständiger strafverfahrensrechtlicher Neuregelungen. Hervorzuheben sind hierbei die Einführung des § 153 a, der die Einstellung nach der Erfüllung von Auflagen und Weisungen ermöglicht, die (seither mehrfach ausgeweitete) selbständige Neuregelung der Sicherungsbeschlagnahme (§§ 111 b bis 111 1), die Einführung des vorläufigen Berufsverbotes (§ 132 a), die Beseitigung des Abwesenheitsverfahrens (§§ 277 bis 284 a. F), der Wegfall der Möglichkeit, Freiheitsstrafe durch Strafbefehl zu verhängen 413 , die endgültige Beseitigung des Strafverfiigungsverfahrens (§413 a. F), eine Neugestaltung des Sicherungsverfahrens (§§413 bis 416) sowie eine tiefgreifende Umgestaltung des Strafvollstreckungsrechts mit der Einführung besonderer Strafvollstreckungskammern (§§74a, 74 b GVG). Ferner fand (§160 Abs. 3 Satz 2, § 463 d) die Gerichtshilfe gesetzliche Anerkennung. Im GVG wurden namentlich die Möglichkeiten erweitert, die Öffentlichkeit zum Schutz der Persönlichkeitssphäre auszuschließen, eine Entwicklung, die sich seither fortgesetzt hat. Mit dem 1. StVRG 414 unternahm der Gesetzgeber den Versuch, im Anschluß an die 112 Art der Realisierung der großen Strafrechtsreform durch eine Reihe aufeinanderfolgender, abgestimmter Teilgesetze in überschaubarer Zeit eine durchgreifende Erneuerung des Strafverfahrens herbeizuführen. Die Begründung des RegEntw. 415 beschrieb die Reformgründe sowie die geplante Durchführung und bezeichnete Reformschwerpunkte der folgenden Gesetze, zu denen es allerdings überwiegend nicht mehr gekommen ist. Jedoch ist dieser gesamtreformbezogene Ansatz in der Folgezeit nicht weiter verfolgt worden, obwohl noch der RegEntw. eines 2. StVRG in die parlamentarischen Beratungen gelangte (s. Rdn. 115). Die nachfolgenden größeren strafverfahrensrechtlichen Novellierungen kommen auf ihn kaum noch zurück. Aus heutiger Sicht handelt es sich deshalb bei diesem Gesetz nicht um den Beginn einer Gesamtreform, sondern um eine freilich tiefgreifende und bedeutsame Einzelnovelle, die allerdings insoweit „stilbildend" gewirkt hat, als sich ihr vorrangiges Ziel der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung bis heute fortge-
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Zusammenfassende Übersicht bei Herrmann JuS 1976 413; s. auch Achenbach JuS 1980 85 ff; Schmidt-Leichner NJW 1975 417; Grünwald Vorgänge 1975 H. 6 S. 36 ff. Vom 7. 1. 1975 (BGBl. I S. 129). Vom9. 5. 1975 (BGBl. I S . 1077). Vom 2. 3. 1974 (BGBl. I S. 469); Materialien: RegEntw. BTDrucks. 7 550; SchrBerRAusschBT BTDrucks. 7 1261; Übersicht über den Inhalt bei Göhler NJW 1974 825. Wegen weiterer Änderungen des Strafbefehlsverfahrens durch das StVÄG 1987 und das RpflEntlG
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(Wiedereinführung der Möglichkeit der Verhängung von Freiheitsstrafe in verändertem Umfang) s. Rdn. 128, 145. Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. 12. 1974 (BGBl. I S. 3393). Materialien u.a.: RegEntw. BTDnicks. 7 551; SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 7 2600; Vermittlungsaussch. BTDrucks. 7 2774; 7 2810; zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt Rieß NJW 1975 81. BTDrucks. 7 551 S. 32 ff; s. auch die Zusammenfassung in der 24. Aufl. Einl. Kap. 4 31 ff.
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Einleitung
setzt hat. Bemerkenswert ist am 1. StVRG darüber hinaus, daß es eine Reihe noch aus der Entstehungszeit-der StPO stammende Institutionen und Regelungen beseitigte. 113 Zu den wichtigsten strukturellen Änderungen durch das 1. StVRG gehört die Neuabgrenzung der Zuständigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht im Ermittlungsverfahren, durch die insgesamt die Verantwortung der Staatsanwaltschaft für diesen Verfahrensabschnitt gestärkt und verdeutlicht wurde 416 . Im einzelnen handelt es sich um die Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung, die Begründung von erzwingbaren Erscheinens- und Aussagepflichten vor der Staatsanwaltschaft (§§ 161 a, 163 a), die Übertragung weiterer Ermittlungszuständigkeiten vom Richter auf den Staatsanwalt (§§ 87, 100, 110, 159) sowie Zuständigkeitskonzentrationen für den Ermittlungsrichter (§ 98, 162). In der Gerichtsverfassung ist als einschneidende Änderung die Beseitigung des (seit der EmmingerVO allerdings vom Typ her ohnehin nur noch als Schöffengericht erscheinenden — s. Rdn. 37) Schwurgerichts hervorzuheben, das nicht mehr ein stärker besetztes, dem Landgericht nur organisatorisch angegliedertes und lediglich periodisch zusammentretendes Gericht darstellt, sondern lediglich eine Strafkammer mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Zuständigkeit (§ 74 Abs. 2) 417 . Erhebliche Änderungen mit dem Ziel einer Verbesserung der Erfolgsaussichten brachte das 1. StVRG bei der Wiederaufnahme (§§ 23, 364 a, 364 b, 367, 369 464 a StPO, § 140 a GVG) 418 . Schließlich wurde die erst durch das StPÄG 1964 geschaffene staatsanwaltschaftliche Schlußanhörung und das Schlußgehör (s. Rdn. 97) wieder beseitigt. 114
Weitere Änderungen von nicht unerheblicher Bedeutung betrafen die Neuordnung des Ladungs- und Zustellungswesens (§§ 36, 214, 221, 222), eine Lockerung des Eideszwanges (§ 61 Nr. 5), die Ausübung des Zeugnis- und Untersuchungsverweigerungsrechts bei verstandesunreifen Personen (§§ 52, 81 c), die Vorverlegung des Zeitpunktes der Verteidigerbestellung (§ 141 Abs. 3), eine selbständige Regelung für die Protokollierung im Ermittlungsverfahren und die Anwesenheitsbefugnisse bei richterlichen Ermittlungshandlungen (§§ 168 bis 168 d), die — durch spätere Gesetze mehrfach erweiterte — Möglichkeit, eine Hauptverhandlung bis zu dreißig Tagen zu unterbrechen (§§ 229, 268), eine Erweiterung der Verlesbarkeit von Sachverständigengutachten (§ 256 StPO), größere Möglichkeiten für ein abgekürztes Urteil, die Beschränkung des erst durch das StPÄG 1964 eingeführtes Inhaltsprotokolls auf amtsgerichtliche Verfahren (§ 273), die Einführung einer zwingenden, durch einen absoluten Revisionsgrund gesichertes Urteilsabsetzungsfrist (§§ 275, 338 Nr. 7), Erweiterungen der Möglichkeit, die Berufung bei unentschuldigtem Ausbleiben zu verwerfen (§§ 329, 330), Präzisierungen der Befugnisse des Nebenklägers (§§ 377, 395, 396, 397, 400, 401), die Anrechenbarkeit von Auslieferungshaft (§ 450 a), die Schaffung von Sicherungsmaßnahmen bei drohendem Widerruf der Strafaussetzung (§ 453 c) sowie im GVG eine Reihe von Änderungen bei der Auswahl, Berufung und Heranziehung der Schöffen mit dem Ziel der Vereinfachung, eine Entwicklung, die sich in den folgenden Gesetzen fortsetzte.
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Das 1. StVRGErgG 419 hat verschiedene Wurzeln; es spiegelt den Umschlag von einer Reformgesetzgebung zu reaktiven Maßnahmen zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung besonders eindrucksvoll wider. Das Gesetz beruht weitgehend auf dem RegEntw. eines 2. StVRG 420 , mit dem die Reform durch Teilgesetze fortgesetzt werden sollte. Der Gesetzgeber hat jedoch, weil nach seiner Auffassung strafverfahrensrechtliche Probleme 416
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Übersicht über diesen Teil des 1. StVRG bei Lampe NJW 1975 195. Die Wahl der insoweit mitwirkenden Laienrichter aus besonderen Listen ist erst durch das StVÄG 1979 beseitigt worden. Dazu ausfuhrlich Krägeloh NJW 1975 137.
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Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 20. 12. 1974 (BGBl. I S. 3636); zum Inhalt ausführlich Baumann ZRP 1975 38; ferner Rieß NJW 1975 93. 42 ° BTDrucks. 7 2526.
Stand: 1 . 8 . 1998
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der Terrorismusbekämpfung besonders dringlich geworden waren, diesem Zweck dienende Regelungen aufgegriffen 421 und statt dessen Reformvorschläge des RegEntw. zurückgestellt. Sie sind teilweise bisher nicht wieder aufgenommen worden 422 , teilweise erst, in veränderter Form, durch das StVÄG 1987 realisiert worden 423 . Im wesentlichen dem RegEntw. 2. StVRG entstammend, wenn auch teilweise aus 116 Bedürfnissen der Terrorismusbekämpfung verändert und in einigen Punkten durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht veranlaßt 424 , regelt das Gesetz die Gleichstellung der Bekräftigung der Wahrheit mit der Eidesleistung bei Verweigerung des Eides aus Glaubens- oder Gewissensgründen 425 , bestimmt die Voraussetzung und Folge der Ausschließung eines Verteidigers 426 , ersetzt den früheren § 146 durch ein einschränkungslos gefaßtes Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146)427 und bestimmt zum Schutz jugendlicher Zeugen deren grundsätzlich alleinige Vernehmung durch den Vorsitzenden (§ 241 a) sowie eine Erweiterung der Möglichkeit, bei ihrer Vernehmung den Angeklagten in der Hauptverhandlung abtreten zu lassen (§ 247) 428 . Aus den Bedürfnissen heraus, auf Entwicklungen in den ersten Verfahren wegen ter- 117 roristischer Gewalttaten wirksam zu reagieren, erklären sich die Gesetzesänderungen über die Höchstzahl der gewählten Verteidiger (§ 137), die Verhandlung ohne den verhandlungsunfähigen oder sich ordnungswidrig verhaltenden Angeklagten (§§ 231 a, 231 b) 429 , die Beschränkung des Erklärungsrechts nach jeder Beweisaufnahme 430 sowie im GVG die Möglichkeit der nichtöffentlichen Verkündung des Beschlusses über den Ausschluß der Öffentlichkeit (§ 174 Abs. 1 Satz 2 GVG) sowie die Erweiterung der Ordnungsmittel bei Ungebühr 431 . c)Die Entwicklung von 1975 bis 1978 war, abgesehen von Folgeänderungen ohne 118 eigene sachliche Bedeutung 432 , im wesentlichen durch die sog. Anti-Terrorismusgesetzgebung geprägt. Außerhalb dieses Zusammenhangs und sachlich eher dem 1. StVRG und dem 1. StVRGErgG zugehörig steht das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk 433 , durch das im Anschluß an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das die Zeugnisverweigerungsrechte in den Landespressegesetzen für nichtig erklärt hatte 434 , die §§ 53, 97 und 98 ergänzt und die §§ 111 m, 111 η eingefügt wurden. Im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung stehen vor allem das vielfach 119 als (erstes) Terrorismusgesetz bezeichnete StGBAndG 1976 435 , das im materiellen 421
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BTDrucks. 7 2536, BREntw. für ein Gesetz zum Schutz der Rechtspflege; s. auch SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 7 2989. So ζ. B. die Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Sozialarbeiter und Psychologen. Einfluß des Beschuldigten auf die Auswahl des Pflichtverteidigers (§ 142) s. Rdn. 128. BVerfGE 33 23 hinsichtlich der Form der Eidesleistung; BVerfGE 34 293 wegen der Rechtsgrundlage für die Ausschließung des Verteidigers. §§ 57, 66 c, 66 d StPO, § 155 StGB; entsprechende Regelungen in der ZPO und dem DRiG. §§ 138 a bis 138 d, mehrfach geändert durch die weitere Gesetzgebung, überwiegend im Zusammenhang mit der Terrorismusgesetzgebung. Präzisierung und Lockerung durch das StVÄG 1987, s. Rdn. 128. Zur weiteren Entwicklung zum Schutz vor allem kindlicher Zeugen s. unten Rdn. 155.
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Dazu ausführlich Rieß JZ 1975 265; s. auch Baumann Z R P 1975 42 f. 430 Neufassung des § 257, Streichung des durch das StPÄG 1964 eingeführten (damaligen) § 257 a. 431 Neufassung der §§ 177, 178 GVG. 432 Insbes. StrVollzG (§§ 454 a, 457 StPO, §§ 78 a. 78 b, 121 GVG, § 2 8 EGGVG); 15. StrÄndG ( § § 5 3 , 97 StPO); Adoptionsgesetz ( § § 2 2 , 52 StPO). 433 Vom 25. 7. 1975 (BGBl. I S. 1973), zum Inhalt R. Groß NJW 1975 1763; Kunen MDR 1975 885. 434 BVerfGE 36 193. « 5 Vom 18. 8. 1976 (BGBl. I S. 2181). Dem Gesetz lagen insgesamt 6 Gesetzentwürfe der Fraktionen des BT, des BR und der Bundesregierung zugrunde, s. SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 7 5401; zum Inhalt und zur Entstehungsgeschichte s. Sturm MDR 1977 6; zur Bewertung kontrovers ζ. B. Dahs NJW 1976 2145; Maul DRiZ 1977 207.
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Einleitung
Bereich den Tatbestand des § 129 a StGB schuf, verfahrensrechtlich bei solchen Straftaten die Möglichkeiten des Verteidigerausschlusses und seiner Wirkungen erweiterte 436 und die Überwachung des schriftlichen Verkehrs des Verteidigers mit dem inhaftierten Beschuldigten durch einen sonst mit der Sache nicht befaßten Richter vorschrieb 437 sowie gerichtsverfassungsrechtlich die Zuständigkeit für Straftaten nach dem durch dieses Gesetz neu geschaffenen § 129 a StGB im ersten Rechtszug dem Oberlandesgericht mit der sich daraus ergebenden Strafverfolgungskompetenz des Generalbundesanwalts zuwies (§ 120 GVG). Im Zusammenhang mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer erging am 30. 9. 1977 das sog. Kontaktsperregesetz 438 , durch das die §§ 31 bis 37 EGGVG geschaffen wurden. Das StPÄG 1978 439 präzisierte und erweiterte nochmals bei Verfahren wegen § 129 a StGB die Möglichkeiten des Verteidigerausschlusses und schrieb in § 148 Abs. 2 Trennvorrichtungen für den mündlichen Verkehr mit dem inhaftierten Mandanten vor; ferner schuf es die Rechtsgrundlagen für die Kontrollstellen (§ 111) und für Identitätsfeststellungen (§§ 163 b, 163 c) 440 . 120
d) Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 441 verfolgte in Anknüpfung an die Hauptzielrichtung des 1. StVRG in noch dominanterer Form das Ziel der Verfahrenserleichterung, setzte freilich die Akzente anders. Während das 1. StVRG schwerpunktmäßig das Ermittlungsverfahren betraf, legte das StVÄG 1979 das Hauptgewicht auf das erstinstanzliche Hauptverfahren; es hatte dabei insbesondere die Situation von Großverfahren im Auge und enthielt eine Reihe von Maßnahmen gegen vom Gesetzgeber als mißbräuchlich eingeschätzte Handhabungen von Verfahrensbefugnissen. Auch bei diesem Gesetz wurden eine Reihe von Verfahrensmaximen relativiert. Wegen der Einzelheiten des Inhalts dieses Gesetzes wird auf die ausführliche Darstellung in der 24. Aufl. Einl. Kap. 5 95 ff verwiesen 442 .
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Zu den wichtigsten Änderungen gehört die Einführung einer Besetzungsrügepräklusion in erstinstanzlichen landgerichtlichen und oberlandesgerichtlichen Verfahren, verbunden mit der Verpflichtung, die Gerichtsbesetzung rechtzeitig vor Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen 443 . Der Verringerung der Häufigkeit erfolgreicher Besetzungsrügen diente auch eine umfassende Neuregelung des Systems der Heranziehung von Schöffen 444 , die wiederum durch den Ausschluß der Revisibilität unanfechtbarer oder rechtskraftfähiger Zwischenentscheidungen (§ 336 Satz 2) ergänzt wurde. Der einfacheren Klärung von Zuständigkeitsstreitigkeiten diente eine Vielzahl von aufeinander abgestimmten Regelungen in der StPO und im GVG 445 ; dabei wurde durch die Neufassung des § 74 c GVG die bloße Konzentrationsermächtigung für Wirtschaftsstrafsachen
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Änderung der §§ 138 a, 138 c. § 148 Abs. 2, § 148 a; weitere Änderung (sog. Trennscheibe) durch das StPÄG 1979. 438 Gesetz zur Änderung des EGGVG vom 30. 9. 1977 (BGBl. I S. 1877); zur Entstehungsgeschichte und Bedeutung ausführlicher die Erl. Vor § 31 EGGVG; ferner 24. Aufl. Einl. Kap. 5 93; Kissel §31, 2 ff EGGVG; Ergänzung durch Einführung eines § 34 a durch Ges. vom 4. 12. 1985 (BGBl. I S. 2141). 439 Vom 14. 4. 1978 (BGBl. I S. 497); Gesetzentwürfe in BTDrucks. 8 322; 8 976; 8 996; 8 1283; SchrBerRAusschBT; BTDrucks. 8 1482; näherer Nachw. der Materialien in der 23. Aufl. EB S. 8. 440 Dazu näher Kurth NJW 1979 1377. "41 Vom5. 10. 1978(BGBl. IS. 1645);hauptsächliche 437
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Materialien: RegEntw. BTDrucks. 8 976; SchrBerRAusschBT BTDrucks. 8 1844; ausführlicher Nachw. der Materialien und Wiedergabe des Gesetztestextes in der 23. Aufl., ErgBd. S. 9 ff; Einzelheiten der Entstehungsgeschichte Rieß NJW 1979 2265. S. zum Inhalt insgesamt Rieß NJW 1979 2265; Rudolph! JuS 1978 864; Schroeder NJW 1979 1527; umfassende Nachw. des Schrifttums bei Rieß NStZ 1981 215; kritisch u. a. I. Müller KritJ 1978 301. §§ 222 a, 222 b, 338 Nr. 1 StPO. Dazu sowie zu den sonstigen Änderungen des GVG näher Katholnigg NJW 1978 2375. Übersicht bei Rieß NJW 1978 2266 f; Katholnigg NJW 1978 2375 ff; s. auch Meyer-Goßner NStZ 1981 168; ferner Rdn. 127.
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in eine gesetzliche Spezialzuständigkeit umgewandelt . Eingeschränkt wurde die Pflicht zur Verlesung von Urkunden durch das sog. Selbstleseverfahren des neuen § 249 Abs. 2, dessen komplizierte und enge Voraussetzungen durch das StVÄG 1987 erweitert wurden, sowie die Pflicht zur Verwendung präsenter Beweismittel durch die Neufassung des §245. Weitere Änderungen betreffen die Befugnis, die Hauptverhandlung trotz eines Ableh- 122 nungsgesuchs zeitlich begrenzt fortzusetzen (§ 29 Abs. 2), erweiterte Möglichkeiten zur Beschränkung des Prozeßstoffes bei nicht erheblich ins Gewicht fallenden Straftaten (§§ 154, 154 a), Vereinfachungen bei der Protokollierung außerhalb von Hauptverhandlungen (§§ 168, 168 a) 447 , die Möglichkeit der „Beurlaubung" eines Angeklagten bei ihn nicht betreffenden Teilen einer Hauptverhandlung (§ 231 c), Bezugnahmemöglichkeiten in den schriftlichen Urteilsgründen (§ 267j 448 , eine Einschränkung der Pflicht zur Urteilsverlesung in der Berufungshauptverhandlung (§ 324) sowie eine Beschwerdeeinschränkung gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof (§ 304). Bei gefährdeten Zeugen wurde die Möglichkeit geschaffen, in der Hauptverhandlung auf die Wohnortangabe zu verzichten (§ 68 Satz 2) 449 ; die Möglichkeit der Verhängung von Ordnungsmitteln gegen unentschuldigt ausbleibende Zeugen wurde erweitert (§51). Mehr gesetzestechnische Klarstellungen finden sich in bezug auf den Eintritt der Rechtskraft bei Beschlußentscheidungen 450 und die Möglichkeit, Strafbefehle auch im Zuständigkeitsbereich des Schöffengerichts zu erlassen 451 . e) Die Entwicklung von 1979 bis 1986 also in der 9. und 10. Legislaturperiode verlief 123 bis zum Inkrafttreten des an ihrem Ende stehenden OpferschutzG und des StVÄG 1987 (Rdn. 125 ff) im Strafverfahrensrecht verhältnismäßig ruhig. Abgesehen von mehreren, allein der sprachlichen Anpassung und der Angleichung von Zuständigkeits- und Deliktskatalogen dienenden Änderungen 452 standen die Änderungen überwiegend im Zusammenhang mit Reformen im materiellen Strafrecht, namentlich durch das 18. StrÄndG (Umweltkriminalität) 451 , durch das die Strafaussetzung zur Bewährung bei lebenslanger Freiheitsstrafe regelnde 20. StrÄndG 454 , und das die Strafaussetzung zur Bewährung insgesamt erweiternde 23. StrÄndG, durch das zugleich die strafvollstreckungsrechtlichen Vorschriften 455 angepaßt wurden. Das OWiGÄndG 1986 bestimmte durch Änderung der §§ 306, 311 als Adressaten der Beschwerde allen den judex a quo und Schloß damit die bis dahin bestehende Zuständigkeit des judex ad quem aus. Im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung standen das StPÄG 1986456, 124 das mit dem neuen § 163 d die rechtlichen Grundlagen für die Kontrollfahndung schuf, sowie das im wesentlichen das materielle Strafrecht und das Vereinsrecht betreffende TerrorismusG 457 , durch das die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts und
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Seither sind eine Reihe von Ergänzungen des Zuständigkeitskatalogs vorgenommen worden, s. die Entstehungsgeschichte bei § 74 c GVG. 447 Dazu näher Kurth NJW 1978 2481. 448 Erweiterung durch das StVÄG 1987. 449 Die Regelung findet sich jetzt in § 68 Abs. 2 Satz 2, nachdem vor allem durch das OrgKG (Rdn. 141) die Möglichkeiten des Schutzes gefährdeter Zeugen erheblich ausgebaut worden sind. 450 § 34 a mit Folgeänderung in § 450 Abs. 2. 451 §§ 407 Abs. 1, 408 StPO; die Regelung ist durch die Erweiterung der Zuständigkeit des Strafrichters durch das RpflEntlG (Rdn. 145) gegenstandslos geworden. (93)
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Näher 24. Aufl. Einl. Kap. 5 118. Einfügung des § 10 a StPO. Änderung des § 454 StPO. §§ 453, 454 a, 454b, 455, 456 a StPO sowie Wegfall des früheren § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO; Nachw. der Materialien s. 24. Aufl. Nachtr. 1 S. 5. Paßgesetz und Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 19. 4. 1986 (BGBl. I S. 537); Materialien: BTDrucks. 10 3307; 10 3128. Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19. 12. 1986 (BGBl. 1 S. 2566); Materialien: Entw. BTDrucks. 10 6286; SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 10 6295; zum Inhalt Dencker StV 1987 117; Kühl NJW 1987 737.
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Einleitung
damit die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts durch die Neufassung des § 120 Abs. 2 und des § 142 a Abs. 4 GVG erweitert wurde. Die in diesem Entwurf vorgeschlagene Einführung einer Kronzeugenregelung fand (noch) keine Mehrheit 458 ; sie wurde erst (in etwas modifizierter Form) durch das StGBÄndG 1989 geschaffen und seither mehrfach verlängert und erweitert (s. Rdn. 137, 150). 125
f) Das Opferschutzgesetz vom 18. 12. 1986 459 nahm eine seit Mitte der siebziger Jahre in internationalen kriminalpolitischen Erörterungen 460 und seit Anfang der achtziger Jahre auch in der deutschen Reformdiskussion 461 sich zunehmend intensivierende Entwicklung auf, die die Stellung des Verletzten (des Tatopfers) im Strafverfahren zum Gegenstand hatte und die (jedenfalls in ihren extremeren Formen) eine Art Paradigmawechsel von einer beschuldigtenzentrierten zu einer verletztenzentrierten Betrachtungsweise postulierte. Die in den Beratungen des 55. DJT im September 1984 462 kulminierende Diskussion führte bereits im April 1986 463 zur Einbringung eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung 464 , der nach kurzer Beratungszeit mit einer Reihe von Änderungen im Herbst 1986 vom Bundestag beschlossen wurde 465 . Das Gesetz beschränkt sich im wesentlichen auf eine Verbesserung der verfahrensrechtlichen Position des Verletzten, namentlich gegenüber Schuldzuweisungen durch den Beschuldigten. Überlegungen und Ansätze zur Verbesserung der Schadenswiedergutmachung durch den Täter und der Herbeiführung ejnes Täter-Opfer-Ausgleichs treten demgegenüber in den Hintergrund 466 . Erweiterungen und Änderungen der durch das Gesetz eingetretenen Rechtslage wurden am Ende der 13. Legislaturperiode 1998 diskutiert und teilweise realisiert (s. Rdn. 155).
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Im einzelnen enthält das OpferschutzG u. a. eine Neuregelung der Nebenklage mit dem Ziel, dieses Rechtsinstitut stärker als Schutzinstrument für solche Verletzten auszugestalten, die in höchstpersönlichen Rechtsgütern erheblich beeinträchtigt worden sind 467 ; für alle Verletzten wird darüber hinaus in den neuen §§ 406 d bis 406 h StPO ein Grundbestand an Beteiligungsbefugnissen und Informationsrechten geschaffen. Der Verbesserung der Schadenswiedergutmachung sollten Änderungen im Adhäsionsverfahren 468 dienen, die sich allerdings seither in der Rechtswirklichkeit als nicht sehr effektiv erwiesen haben, femer eine Berücksichtigung von Schadenswiedergutmachungen bei der Vollstreckung von Geldstrafen durch Gewährung von Zahlungsaufschub 469 sowie die Betonung der Strafzumessungsrelevanz des Bemühens des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten herbeizuführen 470 . Der Bloßstellung des Verletzten, insbesondere in der Öffentlichkeit, sowie einer unzumutbaren Konfrontation mit dem Beschuldigten sollen
« s Vgl. mit Nachw. Kühl NJW 1987 744; s. auch 24. Aufl. Einl. Kap. 13 32. 459 Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten in Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18. 12. 1986 (BGBl. I S . 2496), in Kraft getreten zusammen mit dem StVÄG 1987 (s. Rdn. 127) am 1. 4. 1987; zum Inhalt s. eingehender 24. Aufl. Einl. Kap. 5 120 ff; ferner Böttcher JR 1987 133; Pagenkopf DtBR II Β 75; Rieß/Hilger NStZ 1987 145; Weigend NJW 1987 1170. 4 ' So etwa Wolfslast 98 (zusammenfassend).
Stand: 1. 8. 1998
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Die Grundlagen des Strafverfahrens
Einl. Abschn. G
als verwirkungsbegriindendes Verhalten gegenüber einer späteren Strafverfolgung angesehen wird 104 . Bei dieser Argumentation wird nicht ausreichend berücksichtigt, daß sich das staatliche Handeln auf eine Vielzahl von Organen mit selbständigen Funktionsbereichen verteilt. Es ist deshalb nicht notwendig verwirkungsbegründend widersprüchlich, wenn außerhalb von konkreten Strafverfolgungsmaßnahmen im jeweiligen Verfahren staatliches Verhalten sichtbar wird, das als Tolerierung oder gar Förderung verstanden werden könnte. Anders können die Dinge nur dann liegen, wenn, wie etwa in den Fällen der Tatprovokation, der völkerrechtswidrigen Entführung oder der überlangen Verfahrensdauer, das rechtsstaatliche Defizit dem Verfahren selbst anhaftet; doch werden hier häufig die kennzeichnenden Merkmale gerade der Verwirkung nicht ausreichend zur Problemlösung beitragen. 3. Beschleunigung des Verfahrens a) Allgemeines. Wie schon die Existenz von Verjährungsvorschriften zeigt, ist der 29 Zeitablauf zwischen der Begehung der Tat und dem Zeitpunkt der Verurteilung auch von rechtlicher Bedeutung. Ihnen kann der Grundgedanke entnommen werden, daß auch unter dem Gedanken der Wiederherstellung des Rechtsfriedens eine Aufklärung des Tatvorwurfs und eine Aburteilung in einer vertretbaren zeitlichen Relation erforderlich ist 105 . Dem entspricht der Grundsatz der Beschleunigung des Strafverfahrens oder (sprachlich besser) die Pflicht zur zügigen und unverzögerten Durchführung des Verfahrens. Er ist im Schrifttum 106 und Rechtsprechung 107 allgemein anerkannt. Umstritten ist aber, welche Folgen sich daran knüpfen, wenn gegen diese Pflicht verstoßen wird. Dies ist nach fast allg. Μ mindestens ein die Sanktionsbemessung mildernd beeinflussender Faktor; darüber hinaus werden teilweise an eine der Justiz zuzurechnende erheblichen Verfahrensverzögerung weitere Konsequenzen geknüpft (näher Rdn. 38 ff). Entgegen einer verbreiteten Meinung fällt im rechtsvergleichender Sicht die gene- 3 0 relle Verfahrensdauer in Deutschland nicht negativ aus dem vergleichbaren Rahmen 108 . Soweit Verfahren erkennbar sind, bei denen dies in oft beängstigender Weise anders ist 109 , handelt es sich teilweise um Einzelfälle, die auf Pflichtverletzungen der Strafverfolgungsorgane zurückzuführen sind, teilweise um strukturelle Schwierigkeiten, die mit bestimmter Deliktskategorien und Verfahrensgruppen zusammenhängen können. Auch eine Überlastung der Strafjustiz sowie ein verändertes Prozeßklima und Prozeßverhalten wird hierfür in einem im einzelnen umstrittenen Umfang verantwortlich gemacht 110 , und hieraus wiederum resultiert die Auffassung, daß das Vordringen von Vereinbarungen in Strafverfahren (dazu Rdn. 61) auch auf das Bestreben zurückzuführen sei, der Pflicht zur
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So beispielsweise in den Fällen der sog. „Parteispendenaffäre", bei der Wolfslast (S. 162 ff) mit eingehender Begründung eine Verwirkung aus dem Gedanken des venire contra factum proprium bejaht; während die Rspr. dem kaum gefolgt ist; vgl. die Nachw. bei Wolfslast 153 ff; s. auch Rüping Die Mitverantwortung des Staates als Strafverfolgungshindemis (1987). Vgl. LK-Jähnke Vor §78, 1; Jescheck/Weigend 911. S. etwa (nur als Beispiele) K K - P f e i f f e r Einl. 11; SK-Rogall Vor § 133, 119; Peters 209; Roxin § 16, 3; Schroeder 360 (Verzögerungsverbot); Pfeiffer FS Baumann 331. Vgl. etwa BGHSt 21 81, 84; 24 289; 26 228, 232;
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35 137, 139; femer (wahrheitssichemde Funktion der schleunigen Durchführung) BVerfGE 57 250, 280. 108 Vgl. mit näheren Nachw. Perron in: Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslandes (1995) 552 ff; 599. 109 Vgl. dazu einen Teil der Fallschilderungen bei I. Roxin 46 ff; Scheffler NStZ 1997 29; weitere Beispiele etwa bei Kohlmann FS Pfeiffer 203 f; s. auch die Analyse von Nehm/Senge NStZ 1998 377 ff. 110 Dazu näher 1. Roxin 82 f; Kohlmann FS Pfeiffer 206 f; vgl. auch mit partiellen empirischen Untersuchungen Nehm/Senge NStZ 1998 378 ff; ter Ven StV 1997 374 ff sowie die Übersicht bei Barion StV 1996 690 ff.
Peter Rieß
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Die Grundlagen des Strafverfahrens
zügigen Verfahrenserledigung zu entsprechen. All diese Annahmen erscheinen derzeit noch nicht als empirisch ausreichend gesichert. 31 Das Beschleunigungsgebot hat eine doppelte Zielrichtung. Es dient einmal dem Interesse des Beschuldigten, demgegenüber eine aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Pflicht 111 zur zügigen Durchführung des Verfahrens besteht. Daraus kann sich auch ergeben, daß Zwangsmaßnahmen, etwa ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl, bei einem Verstoß hiergegen unzulässig werden können 112 . In dieser Ausprägung ist das Beschleunigungsgebot als ein Recht des Beschuldigten durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK und Art. 14 Abs. 3 Buchst, c IPBPR verbürgt. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die Erläuterungen hierzu verwiesen 113 . Daneben und unabhängig vom Interesse des Beschuldigten an einer zügigen Erledigung, ggfs. auch entgegen seinem Interesse an einer Verzögerung, hat das Beschleunigungsgebot eine gleichwertige objektive Komponente. Seine Einhaltung dient nicht nur den Belangen des Beschuldigten, sondern auch dem öffentlichen Interesse 114 . Insoweit ist es Bestandteil der staatlichen Justizgewährungspflicht und dürfte von der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Einrichtung und Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege (Rdn. 10 ff) mit umfaßt sein. 32
b) Gesetzliche Ausprägungen. Ausdrücklich und über seine allein den Anspruch des Beschuldigten schützende Verankerung in Art. 6 MRK hinaus, also als objektive Rechtspflicht, ist das Beschleunigungsgebot im geltenden Recht nicht verankert 115 . Es ist jedoch vom Gesetzgeber in der neueren Rechtsentwicklung, namentlich im 1. StVRG sowie im StVÄG 1979 und 1987 als ein Hauptziel von Gesetzesänderungen verfolgt worden 116 , und es liegt unausgesprochen jedenfalls auch einer größeren Zahl von gesetzlichen Einzelregelungen zugrunde 117 , so etwa den durchweg im Vergleich zu anderen Verfahrensordnungen kurzen Rechtsmittelfristen. Mit auf ihm beruht auch die Existenz besonderer Verfahrensarten, die eine gegenüber dem Normalverfahren schnellere Erledigung ermöglichen sollen, etwa das Strafbefehlsverfahren oder das beschleunigte Verfahren nach den §§ 417 ff StPO. Eine spezielle Ausprägung auch des Beschleunigungsgebotes findet sich auch in den die Dauer der vollzogenen Untersuchungshaft beschränkenden Vorschriften des §§ 120, 121 StPO. Insgesamt wird man nach der derzeitigen Rechtslage von einem durch eine Vielzahl von gesetzlichen Einzelregelungen gestützten Rechtsgrundsatz der zügigen Verfahrensdurchführung auszugehen haben, dessen Auswirkungen bei der Erläuterung der jeweiligen Vorschriften darzustellen sind.
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c) Adressaten des Beschleunigungsgebotes sind einmal die Justizverwaltungen. Sie haben durch eine ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Strafjustiz und ggfs. durch die Ausübung der Dienstaufsicht 118 Vorkehrungen dafür zu treffen, daß die Strafverfolgungsbehörde und Gerichte in die Lage versetzt und erforderlichenfalls angehalten werden, Strafverfahren unverzögerlich zu erledigen. Das Gebot richtet sich ferner an die Staatsanwaltschaften und Gerichte. Aus ihm ergibt sich die Amtspflicht zur Aus111
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Teilweise, so BGHSt 26 1, 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner*} Einl. 160, wird dies auch aus der gerichtlichen Fürsorgepflicht abgeleitet. BVerfGE S3 152, 156; näher mit weit. Nachw. Vor § 112, 35; § 120, 1; vgl. auch OLG Bremen StV 1997 9 (vorläufiges Berufsverbot). 24. Aufl. Art. 6 MRK, 76 ff; vgl. auch Art. 5, 113; sowie Vor § 213, 20. BGHSt 26 228, 232; 35 137, 139; BGH NStZ 1992 229; OLG Braunschweig NStZ-RR 1996 172; s. auch im Schrifttum etwa K K - P f e i f f e r Einl. 11; Roxin § 16, 3.
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Dies ist bei der Vorbereitung des 1. StVRG zwar erwogen, aber verworfen worden, s. näher BTDrucks. 7 551 S. 36 f; Rieß NJW 1975 81 f. 116 S. näher Rdn. Ε 112, 120, 127; vgl. auch mit weit. Nachw. Kohlmann FS Pfeiffer 208; Pfeiffer FS Baumann 330. 1 >7 S. näher u. a. Roxin § 16, 3 ff. 118 Vgl. § 26 Abs. 2 DRiG, wonach die Dienstaufsicht über Richter trotz ihrer Unabhängigkeit auch die Befugnis umfaßt, zur unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen; s. näher mit Nachw. Schmidt-Räntsch § 26, 27 ff.
Stand: 1. 8. 1998
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Die Grundlagen des Strafverfahrens
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Schöpfung der gesetzlichen Möglichkeiten zur zügigen Verfahrensdurchführung und zur Berücksichtigung des Beschleunigungsgedankens bei Ermessensentscheidungen 119 . Das Beschleunigungsgebot umfaßt beispielsweise die Pflicht, Ermittlungsverfahren nicht ohne vernünftigen Grund auszudehnen und bei erkennbarer Ausschöpfung der Aufklärungsmöglichkeiten einzustellen 120 , von den Stoffbeschränkungsmöglichkeiten der §§ 154, 154 a StPO Gebrauch zu machen, bei der Terminierung der Hauptverhandlung sachlich nicht gebotene Verzögerungen zu vermeiden 121 , unbeschadet des Amtsaufklärungsgrundsatzes eine Ausdehnung der Beweisaufnahme auf überschießende Gesichtspunkte zu unterlassen 122 oder bei der Urteilsabsetzung nicht nur die Höchstfristen des § 275 StPO sondern auch das Unverzüglichkeitsgebot zu beachten. Dem Beschleunigungsgebot stehen dagegen verfahrensverlängernde Maßnahmen nicht entgegen, die im Interesse einer unverzichtbaren Sachaufklärung oder im Verteidigungsinteresse, etwa nach dem Fairnessgebot oder aus Gründen der Fürsorgepflicht, sachlich gerechtfertigt, wenn nicht geboten sind. Als rechtspolitisches Postulat richtet sich das Beschleunigungsgebot auch an den 34 Gesetzgeber. Er hat durch eine sachgerechte Gestaltung des Verfahrensrechts dazu beizutragen, daß ihm Rechnung getragen werden kann. Dabei hat er jedoch einen weiten Gestaltungsspielraum, und er hat insbesondere das Spannungsverhältnis zu berücksichtigen, in dem legislatorischen Beschleunigungsbemühungen zu den Erfordernissen einer rechtsstaatlichen, die Verteidigungsbefugnisse des Beschuldigten achtenden und insgesamt fairen Verfahrensgestaltung stehen 123 . Als Hebel für eine Reduktion solcher Befugnisse, namentlich durch eine Überbetonung des mit dem Beschleunigungsgedanken nicht notwendig in Verbindung stehenden Entlastungszieles 124 , kann das Beschleunigungsgebot nicht herangezogen werden. Nach der Dominanz gerade dieser gesetzgeberischen Zielsetzung in der Gesetzgebung der letzten zwei Jahrzehnte 125 erscheint es insgesamt zweifelhaft, ob durch gesetzgeberische Maßnahmen dem Beschleunigungsgebot noch in erheblichem Umfang zusätzlich Rechnung getragen werden kann, ohne das Gesamtgefüge des Strafverfahrens zu gefährden 126 . Der Beschuldigte ist nicht Adressat des Beschleunigungsgebotes, sondern, soweit es 35 um den subjektiven verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf zügige Durchführung geht, Begünstigter. Dieser Anspruch kann allerdings eingeschränkt sein, das heißt, die Zurechenbarkeit einer Verfahrensverzögerung an die Justizbehörden mit den daraus folgenden Konsequenzen kann sich verringern oder entfallen, wenn der Beschuldigte in seinerseits zurechenbarer Weise eine Verzögerung zu verantworten hat 127 . Soweit es um die objektive Komponente des Beschleunigungsgebotes geht, ist der Beschuldigte nicht ohne weiteres verpflichtet, sein eigenes Prozeßverhalten hiernach auszurichten, und die Befugnis zur Ausübung von prozessualen Befugnissen kann nicht allein aus diesem Grunde in Frage gestellt werden. Eine andere Betrachtungsweise würde auf eine dem Beschuldigten gerade nicht obliegende Prozeßförderungspflicht hinauslaufen. Anderes 119
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Teilweise enger (soweit es auf eine sanktionierungsbedürftige „Überlänge" ankommt) Wohlers JR 1994 140. S. näher die Erl. zu § 170 (24. Aufl. Rdn. 10), vgl. auch Hilger JR 1985 95; sowie den Beschluß des Deutschen Bundestages, StraFo. 1998 15 f mit Anm. Gatzweiler, in dem dieser gem. Art. 46 Abs. 4 eine Genehmigung zur Strafverfolgung wegen verzögerten Abschlusses die Ermittlungen widerrufen hat. S. zur Beschleunigung des Hauptverfahrens näher Vor §213, 21 ff.
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Peter Rieß
Näher § 244, 57. Gollwitzer FS Rebmann 150 ff. Vgl. dazu Rieß NStZ 1994 409 f. Rieß NStZ 1994 411 f; s. auch Scheffler 56 ff. Ebenso u. a. Scheffler 70 ff; s. auch Rdn. Ε 197. BVerfG (Vorprüfungsausschuß) NJW 1984 967; weit. RsprNachw. bei Scheffler 242 Fußn. 331 ff; a. Α (mindestens einschränkend) Scheffler aaO mit Hinweis auf die gesetzlichen Möglichkeiten einer Mißbrauchsabwehr; dagegen Rieß GA 1993 185.
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gilt nur dann und nur insoweit, wenn (ausdrücklich oder in entsprechender Anwendung) auf gesetzliche Vorschriften zurückgegriffen werden kann, die die Zurückweisung solcher Prozeßhandlungen, etwa aus Gründen der Prozeßverschleppung, gestatten. 36 Dagegen dürfte der Nebenkläger, der sich an einer von der Staatsanwaltschaft erhobenen öffentlichen Klage beteiligt, grundsätzlich Adressat des Beschleunigungsgebotes sein. Wieweit sich daraus konkrete Konsequenzen ergeben können, ist allerdings zweifelhaft und hier nicht zu erörtern. 37
d) Umfang und Inhalt. Das Beschleunigungsgebot oder (umgekehrt) Verzögerungsverbot umfaßt das gesamte Strafverfahren. Es beginnt als subjektives Recht des Beschuldigten spätestens mit der Bekanntgabe des Schuldvorwurfs an ihn 128 und endet (frühestens) mit dem Eintritt der Rechtskraft. Dagegen dürfte der ebenfalls bestehende Grundsatz der Nachhaltigkeit der Strafvollstreckung 129 dem allgemeinen strafprozessualen Beschleunigungsgrundsatz auch in seiner objektiven Bedeutung nicht zuzurechnen sein. Allgemein geltende Fristen für eine angemessene Verfahrensdauer lassen sich nicht bestimmen; dies hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Maßgebend sind in erster Linie der Umfang und die Schwierigkeit der Sache, ferner wohl auch das Verhalten des Beschuldigten. Gegen den Beschleunigungsgrundsatz wird nicht verstoßen, wenn mit dem Verfahren aus rechtlichen Gründen abgewartet werden muß, etwa, solange Immunität als Verfolgungshindernis besteht 130 .
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e) Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot. Welche Rechtsfolgen sich an die überlange Dauer von Strafverfahren knüpfen, ist teilweise umstritten 131 . Dabei geht es in erster Linie um die dem Beschuldigten gegenüber bestehende Pflicht zur unverzögerlichen Erledigung. Weitgehende Übereinstimmung besteht dahingehend, daß solche Verstöße nach Möglichkeit noch im laufenden Verfahren ausgeglichen werden müssen. Daneben stehen für den Beschuldigten die Möglichkeiten der Verfassungsbeschwerde und der Menschenrechtsbeschwerde zur Verfügung. Sie setzen regelmäßig voraus, daß eine Reaktion mit den Rechtsmittelmöglichkeiten des laufenden Verfahrens erfolglos versucht, nicht möglich oder nicht ausreichend ist. Diskutiert werden auch de lege ferenda Entschädigungsmöglichkeiten aus Amtspflichtverletzung und nach dem StrEG 132 ; in Betracht kommen bei der Feststellung eines Verstoßes auch gegen die MRK auch solche nach § 50 MRK. Nur vereinzelt wird bei einer Verzögerung des Ermittlungsverfahrens die Anwendung der §§ 23 ff EGGVG in Betracht gezogen 133 .
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Außerordentlich kontrovers beurteilt wird, ob im laufenden Verfahren die überlange Verfahrensdauer ausnahmslos oder ganz überwiegend bei der Sanktionsbemessung in Betracht kommt (sog. Strafzumessungslösung) 134 , oder ob und unter welchen Umständen (daneben, stattdessen oder darüber hinaus) ein Verfahrenshindernis oder sonstiges, zur Beendigung des Verfahrens zwingendes Verfolgungsverbot anzunehmen ist 135 . Die Problematik wird mit näheren Nachweisen insb. der Rechtsprechung an anderer Stelle des 128
BGH NStZ 1982 291; Pfeiffer FS Baumann 335; /. Roxin 46. 129 Vgl. als gesetzliche Ausprägung § 456 StPO; ferner §§ 2, 3 StVollstrO. >3° BGHSt 36 372; zum Ganzen näher Vor § 213, 22; s. auch Pfeiffer FS Baumann 335 sowie (kritisch) Wohlers JR 1994 139. 131 Umfassende und grundlegende Erörterung der Problematik namentlich in den Arbeiten von I. Roxin insbes. S. 45 ff; 144 ff; sowie von Scheffler, s. auch mit umf. Nachw. SK-Rogall Vor § 133, 120; SKPaeffgen § 206 a Anh. 30; vgl. auch Pfeiffer FS
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Baumann 336 ff; Wohlers JR 1994 139 ff; LKJähnke Vor § 78, 18; grundlegend ferner Hanack JZ 1971 705. So Wohlers JR 1994 143 f; vgl. auch Scheffler 262 ff. So Kohlmann FS Maurach 501, 513; der Vorschlag hat ersichtlich keine Befürworter gefunden; vgl. Rieß FS Geerds 506 Fußn. 26, 27. So vor allem ausführlich begründet bei Scheffler 201 ff. So namentlich ausführlich begründet von I. Roxin 144 ff.
Stand: 1. 8. 1998
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Kommentars näher dargestellt ; hierauf wird unter Beschränkung auf die Grundzüge an dieser Stelle Bezug genommen. Die Rechtsprechung ist nicht einheitlich 137 . Das Bundesverfassungsgericht hat zwar 40 im konkreten Fall 138 ein Verfahrenshindernis der überlangen Verfahrensdauer nicht bejaht, hält es aber für möglich 139 . Mehrere Instanzgerichte und ein Teil der Oberlandesgerichte haben ein Verfahrenshindernis angenommen und das Verfahren deshalb eingestellt. Demgegenüber beschränkt sich der Bundesgerichtshof ganz überwiegend auf die Strafzumessungslösung, die er in neueren Entscheidungen konkretisiert und präzisiert hat. Rechtsdogmatisch noch weitgehend ungeklärt sind allerdings die strafzumessungsrechtlichen Grundlagen hierfür 140 . Nach dieser Auffassung ist unabhängig und gesondert von der allgemeinen Strafmilderungsmöglichkeit wegen der langen Zeit zwischen Tat und Verurteilung und der unvermeidbar langen Verfahrensdauer eine Strafmilderung wegen zurechenbarer Verfahrensverzögerung 141 erforderlich, deren Ursachen erforderlichenfalls im Wege des Freibeweises aufzuklären sind. Dies kann zu einer Strafrahmenverschiebung, möglicherweise auch zu einer Unterschreitung der sonst schuldangemessenen Strafe 142 , zum Absehen von Strafe oder zu einer sonst nicht möglichen Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO 143 führen. Dabei ist die vom Tatrichter vorzunehmende Strafmilderung grundsätzlich zu quantifizieren 144 . Wegen weiterer Einzelheiten ist auf die Kommentare zum materiellen Strafrecht zu verweisen 145 . Zurechenbare Verfahrensverzögerungen nach Erlaß des letzten tatrichterlichen Urteils berücksichtigt das Revisionsgericht von Amts wegen 146 . Auch eine eigene Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 StPO kommt dabei in Betracht 147 . Ob im übrigen der Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot schon auf die Sachrüge hin oder nur aufgrund einer Verfahrensrüge zu prüfen ist, ist zweifelhaft und von der Rechtsprechung noch nicht abschließend entschieden 148 . Auch das Schrifttum und die hierüber hinausgehende Rechtsprechung nehmen nicht in 41 Abrede, daß für weniger schwerwiegende Verzögerungen eine Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung geboten ist und ausreichend sein kann. Jedoch wird dies bei besonders schwerwiegenden Verstößen nicht für ausreichend gehalten, und in solchen Fällen ein aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitendes Verfahrenshindernis angenommen, das zur Verfahrenseinstellung nach §§ 206 a, 260 Abs. 3 führe 149 . Ohne Rückgriff
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Vgl. insgesamt Vor § 213, 20 ff; ferner zur Frage des Verfahrenshindemisses die Erl. zu § 206 a; sowie unten Einl. Rdn. J 54. 137 Vollständiger Nachweis der Rechtspr. mit Einzelhinweisen zu der jeweiligen Fallkonstellation namentlich bei I. Roxin 48 ff; ferner bei Scheffler 23 ff; s. auch Vor § 213, 23 f; bei Weiler GA 1994 566 ff. 138 Und auch bisher in keiner weiteren Entscheidung, vgl. etwa zuletzt BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1997 591; ferner BVerfG (Kammerentscheidung) StV 1993 352, 353. BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1984 128. 140 Dazu Scheffler 206 ff; s. auch LK-Gribbohm § 46, 237; Schroth NJW 1990 30; ablehnend mangels Strafzumessungsrelevanz Wohlers JR 1994 142. 141 Zu diesem Begriff mit weit. Nachw. Vor § 213, 22. >« Vgl. Schroth NJW 1990 30. 143 Dazu zuletzt OLG Frankfurt NStZ-RR 1998 52 (zum Fall der vom Angeklagten verweigerten Zustimmung hierzu). 144 So ausdrücklich mit weit. Nachw. der eigenen (153)
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Peter Rieß
Rechtspr. BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1997 591; femer zuletzt BGH NStZ 1997 451,452. S. etwa LK-Gribbohm § 4 6 , 231 ff; LK-Jähnke Vor § 7 8 , 18, Schönke/Schröder/Stree § 4 6 , 57; Tröndle08 BGHSt 5 261; BGHSt 13 73 s= JR 1961 31 mit Anm. Eb. Schmidt; grundsätzlich auch (wenn auch zurückhaltender) BGH NJW 1987 1203 = JR 1987 389 mit Anm. Rieß; eher zweifelnd BGH NStZ 1997 506 mit Anm. Katholnigg·, weitgehend anders jetzt BGHSt 43 37 = NStZ 1998 264. 109 Kritisch dazu Schreiber FS Welzel 945 ff; Hanack JZ 1972 314; Kissel § 30 3 f; Rüping JR 1976 272; Rennig 149 ff; Rieß JR 1987 392; LR-K.Schäfer™ Einl. 13 61 und § 30 GVG, 2 a; zum Ganzen näher die Erl. zu § 261 (24. Aufl. Rdn. 31). 110 Z.T. erheblich weitergehend die Mitwirkungsbefugnis der Schöffen nach dem Recht der DDR; vgl. § 6 GVG/DDR; Wünsche e. a. Grundlagen der Rechtspflege, 2.4.3.2. 111 Dazu neuestens kritisch Hillenkamp Die Urteilsabsetzungs- und Revisionsbegründungsfrist im Deutschen Strafprozeß (1998) 82 ff, 95.
1,2
113 1,4
115
Zu den (möglichen) Konsequenzen der neuen Rechtsprechung des BVerfG zum überbesetzten Spruchkörper (vgl. oben Rdn. 19 a. E) auf die Heranziehung der Schöffen s. Katholnigg JR 1997 284 f; zu den damit zusammenhängenden Auswahl· und Heranziehungsgrundsätzen s. monographisch Meinen (auch zur Frage der Revisibilität von Verstößen). BVerfGE 26 186, 198; 27 312, 322. Zur Frage der Entbindung des Schöffen „aus Gewissensgründen" s. OLG Karlsruhe NJW 1996 606; Lisken NJW 1997 34. Zur Abberufung von Schöffen bei „rechtsstaatswidrigem Verhalten", insbesondere im Zusammenhang mit einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der früheren DDR, s. die §§ 9 bis 11 des RANotzPrG und die Erl. hierzu in der 24. Aufl. GVG Anh. Rdn. 26 ff.
Stand: 1.8. 1998
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Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
der Geschäftsstellen, die zwar für die Effektivität der Rechtspflege von nicht unerheblicher Bedeutung 116 , hier aber nicht weiter zu erörtern ist, ist im gerichtlichen Strafverfahren der Tätigkeitsbereich anderer Amtsträger, denen ein selbständiger Aufgabenbereich eigenverantwortlich zugewiesen worden ist, anders als bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder auch im Zivilprozeßrecht, verhältnismäßig gering. Neben der im Strafverfahren sehr beschränkten Möglichkeit, nach § 10 GVG Referendaren einzelne Aufgaben zu übertragen, kommen als solche Beteiligte der Rechtspfleger, der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle oder die Gerichtshilfe (§ 160 Abs. 3, § 463 d StPO) in Betracht; hinsichtlich der letzteren wird auf die Erl. zu den einschlägigen Vorschriften Bezug genommen 117 . b) Der Rechtspfleger, der insoweit nach § 9 RpflG in sachlicher Unabhängigkeit ent- 38 scheidet und gegen dessen Entscheidungen der Rechtsbehelf der Erinnerung zulässig ist (§ 11 RpflG), ist bei den richterlichen Aufgaben des Strafverfahrens nach § 22 RpflG 118 nur zuständig für die Durchführung der Beschlagnahme nach § 111 f Abs. 2 StPO, die Vollstreckung des Arrestes nach § 111 f Abs. 3 Satz 3 StPO sowie für die Maßnahmen der Notveräußerung nach § 111 1 StPO. Von den nach den Vorschriften der StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle möglichen Erklärungen ist ihm nach § 24 Abs. 1 RpflG die Protokollierung der Begründung der Revision (§ 345 Abs. 2 StPO) und des Antrags auf Wiederaufnahme (§ 366 Abs. 2 StPO) vorbehalten. c) Dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle obliegt als eigenverantwortlicher 39 Urkundsperson die Aufgabe der Protokollierung bei richterlichen Vernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung (§§ 168, 168 a) sowie die Führung des Hauptverhandlungsprotokolls. Er ist ferner u. a. für die Aufnahme von Erklärungen zuständig, die zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden können, und er hat, als Vollstreckbarkeitsvoraussetzung nach § 451 Abs. 1 StPO, die Rechtskraft des Urteils zu bescheinigen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Erl. zu § 153 GVG verwiesen.
III. Der Bereich der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit 1. Die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Gesamtgefüge des Verfahrens a) Die Entstehung und Entwicklung der Staatsanwaltschaft und ihre Bedeutung 40 im allgemeinen. Die Entstehung der Staatsanwaltschaft in ihrer heutigen Form ist auf die Überwindung des Inquisitionsprozesses durch den reformierten Strafprozeß zurückzuführen. Ihr liegt mit der Gedanke zugrunde, durch die Aufteilung der im Inquisitionsprozeß einheitlichen Funktionen der Strafverfolgung und Aburteilung auf zwei verschiedene staatliche Organe die richterliche Unabhängigkeit und Neutralität zu sichern und durch die formale Schaffung eines Vertreters der Anklage im gerichtlichen Verfahren die Subjektqualität des Beschuldigten mit zu konstituieren 119 . Die Institution der Staatsanwaltschaft geht überwiegend auf französische Vorbilder zurück; sie hat zunächst in verschiedenen Formen und auf unterschiedlichen geistesgeschichtlichen und rechtspolitischen Grundlagen Eingang in das partikulare Strafprozeßrecht gefunden 120 .
116 Vgl. dazu ζ. B. die Untersuchungen zur Organisation der Amtsgerichte und der Kollegialgerichte von Koetz e. a in der vom BMJ herausgebenen Reihe Rechtstatsachenforschung, 1991 und 1993; Stock/ Wolff/Thünte Strukturanalyse der Rechtspflege (1966) 19 ff; Strempel/Rennig ZRP 1994 144 ff. 117
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Iis Wegen seiner Zuständigkeit für die Strafvollstrekkung s. Rdn. 64. 119
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Erl. zu § 160 Abs. 3 StPO (24. Aufl. Rdn. 70 ff); § 463 d, 3 f StPO. Peter Rieß
Vgl. ζ. B. Henkel 132; Eb. Schmidt I 93, 348; Eb. Schmidt (Geschichte) 330; ferner Gössel GA 1980 326 ff; Pfeiffer FS Rebmann 359 f. Dazu ausführlich mit umf. Nachw. Wohlers 43 ff; femer RUping GA 1992 147 ff; StV 1997 278 f; Wagner JZ 1974 212 ff.
Einl. Abschn. I
Einleitung
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Die lange Zeit vorherrschende Auffassung, daß bei der Einführung der Staatsanwaltschaft das ihr zugewiesene allgemeine Gesetzeswächteramt in erster Linie Ausprägung liberal-rechtsstaatlicher Reformen gewesen sei 121 , die insbesondere den Einfluß der Anregungen von v. Savigny und Uhden hierauf hervorhebt 122 , ist nicht mehr unzweifelhaft. Durch die neuere rechtshistorische Forschung 123 wird dies teilweise in Frage gestellt. Diese betont stärker das Interesse an einer durch die Aktivierung des Weisungsrechts möglichen Einflußnahme der Regierung auf das Strafverfahren.
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Bei der Entwicklung seit dem Inkrafttreten der StPO und des GVG sind die im GVG enthaltenen organisationsrechtlichen Vorschriften für die Stellung der Staatsanwaltschaft in den Grundlagen unverändert geblieben 124 . Jedoch hat sich ihre verfahrensrechtliche Position nicht unerheblich verändert. Dies gilt vor allem durch die Kompetenzerweiterungen im Ermittlungsverfahren, namentlich durch die Beseitigung der gerichtlichen Voruntersuchung durch das 1. StVRG. Zwar war die praktische Bedeutung dieses Schrittes deshalb gering, weil gerichtliche Voruntersuchungen schon seit längerer Zeit kaum noch vorkamen 125 ; er hat jedoch dazu geführt, daß vom konstruktiven Verständnis her der Staatsanwaltschaft die selbständige Durchführung des Ermittlungsverfahrens übertragen wurde. Für die Position der Staatsanwaltschaft ist weiter die kontinuierliche Ausweitung der Durchbrechungen des Legalitätsprinzips nach den §§ 153 ff StPO 126 namentlich deshalb von Bedeutung, weil die Anwendung dieser Vorschriften weitgehend in ihrer Hand liegt. Der Staatsanwaltschaft ist deshalb nicht mehr, wie nach der ursprünglichen Konzeption der StPO, als Anklagebehörde allein die Handhabung einer Verurteilungswahrscheinlichkeit nach dem Maßstab des hinreichenden Tatverdachts anvertraut, sondern sie hat in ihrer Abschlußverfügung in der Form des Sanktionsverzichts sanktionsähnliche Entscheidungen zu treffen 127 . Damit wird einer der tragenden Gründe für ihre Entstehung, nämlich die Trennung von inquisitorischer und entscheidener Tätigkeit zwar nicht beseitigt, aber doch in einem gewissen Umfang relativiert. Vergleichbares gilt insoweit, als durch das Vordringen konsensualer Erledigungsformen, insbesondere von Vereinbarungen in Strafverfahren (s. Rdn. G 58 ff), auch im gerichtlichen Verfahren der Einfluß der Staatsanwaltschaft auf den Entscheidungsinhalt zunimmt 128 .
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Trotz dieser Veränderungen ist die Bedeutung der Staatsanwaltschaft für die Struktur des Strafverfahrens kaum zu überschätzen 129 . Sie ist die notwendige Voraussetzung für seine gegenwärtige Gestalt, und ihre (derzeit von keiner Seite geforderte) Beseitigung oder grundlegende Umgestaltung würde Veränderungen des gesamten Strafverfahrens erfordern, deren Reichweite sich kaum übersehen läßt. Mit ihrer normativ vorgegebenen Objektivitätsverpflichtung einerseits (näher Rdn. 49 ff) und ihrer hierarchischen Struktur mit grundsätzlicher Weisungsunterworfenheit andererseits 130 ist sie Garant für eine
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So besonders ausgeprägt Günther Staatsanwaltschaft - Kind der Revolution (1973); ferner u. a. Krey I 336; Wagner NJW 1963 8. S. dazu mit weit. Nachw. Eb. Schmidt (Geschichte) 330 f; Eb. Schmidt I 95; Wohlers 101 ff; Otto Die preußische Staatsanwaltschaft, 15 ff; GA 7 (1859) 579 ff mit Teilabdruck der im übrigen bisher nicht veröffentlichten Denkschrift Savigniys über die „Prinzipienfragen . . . " ; vgl. auch Ostendorf NJW 1997 3418. Ausführlich Wohlers zusammenfassend 202; s. ferner RUping GA 1992 150 ff; StV 1997 278 f. S. dazu die Entstehungsgeschichte bei den §§ 141 ff GVG.
125 Näher Rdn. Ε 113; vgl. auch Wohlers 212 ff. 126 vgl. dazu die Entstehungsgeschichte Vor § 152 StPO sowie zu den einzelnen Vorschriften. 127 Vgl. u. a. Rieß NStZ 1981 6 f; zum Ganzen auch Kausch Der Staatsanwalt - ein Richter von dem Richter? (1980). 128 Vgl. zu diesen Zusammenhängen, wenn auch wohl die Bedeutung dieses Phänomens für die hier zu behandelnde Frage überbetonend, Wohlers 261 ff, 303 f. 129 Vgl. auch Gössel GA 1980 331 ff, der die Idee der StA mit dem Gedanken der Gewaltenteilung und der gegenseitigen Kontrolle verknüpft. 130 Näher die Erl. zu § 146 GVG.
Stand: 1 . 8 . 1998
(238)
Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
rechtsstaatliche, an der Gerechtigkeit orientierte, aber effektive Strafrechtspflege (Rdn. G 10 ff) unter Aufrechterhaltung der richterlichen Unabhängigkeit. Dabei müssen allerdings auch die Gefährdungen für ein rechtsstaatliches Strafverfahren gesehen werden, die von dieser im Prinzip unverzichtbaren Position der Staatsanwaltschaft ausgehen können und für die sowohl die Rechtsentwicklung des Nationalsozialismus als auch die Rechtslage der DDR Anschauungsmaterial enthalten 131 . b) Funktionen der Staatsanwaltschaft im Überblick. Eine zusammenfassende Auf- 44 gabenbeschreibung für die Staatsanwaltschaft, die ihre Stellung kennzeichnet, ist dem Gesetz fremd 132 . Sie hat im Strafverfahren mehrere Funktionen 133 . Sie ist zunächst die verantwortliche Leiterin des Ermittlungsverfahrens, in dem sie, mit einer eigenen originären Ermittlungskompetenz ausgestattet, die Justizförmigkeit und Rechtsstaatlichkeit gewährleisten soll 134 . In ihrer Abschlußverfügung bewirkt sie mit erheblichen eigenen Beurteilungsspielräumen und im Falle der Einstellung mit einer faktisch verfahrensbeendigenden Wirkung eine Selektion von Tatverdächtigen 135 . Mit ihrem weitgehenden Anklagemonopol (Rdn. Η 17) bestimmt sie nach dem Anklagegrundsatz das Verfahrensthema des gerichtlichen Verfahrens. Im gerichtlichen Verfahren ermöglicht und gewährleistet ihr Auftreten als Prozeßbe- 45 teiligter die Konstituierung der Subjektstellung des Beschuldigten 136 . Eine prozeßtragende Funktion kommt der Staatsanwaltschaft infolge der inquirierenden Tätigkeit des Gerichts nach dem umfassenden Amtsaufklärungsprinzip in diesem Verfahrensabschnitt aber nicht zu. Ihre Rolle ist insoweit noch nicht vollständig geklärt 137 . Sie läßt sich wohl am zutreffendsten mit einer an den Zwecken des Strafverfahrens und der Sicherung einer rechtsstaatlichen und effektiven Strafrechtspflege orientierten Kontroll- und Ergänzungsfunktion kennzeichnen 138 , auf Grund derer sie weitgespannte Äußerungs-, Einwirkungsund Mitwirkungsbefugnisse besitzt. Der Staatsanwaltschaft obliegen außerdem kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestim- 46 mung Aufgaben der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. Sie ist, soweit nicht besondere Richtervorbehalte bestehen, Strafvollstreckungsbehörde im Sinne des § 449 ff StPO 139 . Sie ist ferner nach § 36 StPO grundsätzlich Vollstreckungsbehörde für sonstige gerichtliche Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen 140 . Sie wird ferner vielfach eingeschaltet, um den Verkehr zwischen verschiedenen Gerichten, namentlich mit den Rechtsmittelinstanzen zu vermitteln 141 , und sie hat grundsätzlich die Herbeischaffung der sachlichen Beweismittel zur Hauptverhandlung zu bewirken (§214 Abs. 4 StPO). Ob und in welchem Umfang die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, während des gerichtlichen Verfahrens auf Veranlassung des Gerichts tätig zu werden, ist umstritten 142 . 131 132
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Vgl. Ruping StV 1997 278 f. Was u. a. bei Wohlers 305 bedauert wird; ähnlich auch Kintzi FS Wassermann 900. S. auch die Zusammenfassungen bei Beulke 79 f; Kleinknecht/Meyer-Goßner-»' Vor § 141 GVG, 3; Rieß FS Schäfer 194; zu weiteren Aufgaben außerhalb des Strafverfahrens s. die Erl. Vor § 141 GVG (24. Aufl. Rdn. 6 ff). Näher die Erl. Vor §158 StPO (24. Aufl. Rdn. 21 ff; 33); zum Verhältnis zur Polizei s. unten Rdn 59. Näher die Erl. zu § 170 StPO; zum Ganzen auch Bohnert Die Abschlußverfügung des Staatsanwalts (1992). Welp ZStW 90 (1978) 119.
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Peter Rieß
S. dazu ausführlich mit Nachw. zum Meinungsstand Wohlers 33 ff. Ausführlich und ähnlich Wohlers 229 ff; s. auch Peters 178 (kontrollierende, nicht treibende Kraft); näher zur Stellung und zu den Befugnissen Vor §213, 17 f. Vgl. § 451 StPO und - wegen der Einzelheiten und Ausnahmen - die dortigen Erl.; s. auch oben Rdn. 11. Wegen der Einzelheiten s. die Erl. zu § 36. § 209 Abs. 2, § 225 a Abs. 1 Satz 1, §§ 320, 321, 347 Abs. 2 StPO. Näher die Erl. zu § 202 StPO (24. Aufl. Rdn. 11 ff); zum Ganzen mit weit. Nachw. Wohlers 225 ff.
Einl. Abschn. I
Einleitung
47
c) Beziehungen zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht. Nach der ausdrücklichen, wenn auch als solche eher überflüssigen und mißverständlichen Regelung 143 des § 150 G V G ist die Staatsanwaltschaft in ihren amtlichen Verrichtungen vom Gericht unabhängig. Doch trifft dieser Satz im Detail ebensowenig zu wie seine Umkehrung. Staatsanwaltschaft und Gericht sind vielmehr zwei gleichgeordnete Organe der Strafrechtspflege, deren Beziehungen untereinander durch das Strafverfahrensrecht im Sinne vielfältiger Einwirkungen im einzelnen geregelt sind 144 . So ist die Staatsanwaltschaft (selbstverständlich) an gesetzlich vorgesehene gerichtliche Entscheidungen gebunden, die ihr eine bestimmte Verpflichtung auferlegen, wie etwa die Erhebung der öffentlichen Klage im Falle des § 175 StPO, oder deren Vollstreckung ihr obliegt. Gleiches gilt, wo bestimmte staatsanwaltschaftliche Entscheidungen, wie etwa teilweise in den Fällen der §§ 153 ff StPO, der gerichtlichen Zustimmung bedürfen, bei deren Verweigerung. Jedoch folgt aus der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft beispielsweise, daß die richterliche Anordnung von Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren trotz der üblichen Verwendung des Wortes „Befehl" für die Staatsanwaltschaft keine Verpflichtung, sondern nur eine richterliche Genehmigung darstellt, von der sie keinen Gebrauch machen muß.
48
Für die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber der Staatsanwaltschaft gelten ähnliche Einschränkungen. Generell ist das erkennende Gericht nach dem Anklagegrundsatz auf die Aburteilung derjenigen (prozessualen) Tat beschränkt, die Gegenstand der öffentlichen Klage der Staatsanwaltschaft ist, und die ermittlungsrichterliche Tätigkeit ist, von den Fällen des §§ 165, 166 StPO abgesehen, nach Art und Umfang von einem staatsanwaltschaftlichen Antrag abhängig. Auch darüber hinaus bindet das Gesetz nicht selten die Zulässigkeit bestimmter gerichtlicher Entscheidungen, namentlich solcher, die von normalen Entscheidungsprogrammen oder vom regelmäßigen Verfahrensgang abweichen, an einen besonderen Antrag oder eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft, so beispielsweise bei der Anwendung der §§ 153 ff durch das Gericht, beim Antrag auf den Erlaß eines Strafbefehls 145 , bei der Erledigung im Wege des beschleunigten Verfahrens ( § 4 1 7 StPO), bei der Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO) oder beim Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren ohne Durchführung einer neuen Hauptverhandlung (§ 371 Abs. 2 StPO). 2. Die Objektivitätsverpflichtung und die F r a g e der Parteistellung der Staatsanwaltschaft
49
a) Das Objektivitätspostulat. Ähnlich wie die Unabhängigkeit des Richters eine Grundbedingung seiner Tätigkeit darstellt (Rdn. 13), gehört die Objektivität der Staatsanwaltschaft für das gegenwärtige deutsche Strafverfahrensrecht zu den Grundbedingungen ihrer Tätigkeit. Als normative Vorgabe bedeutet das Objektivitätspostulat, daß der Staatsanwalt bei seiner gesamten Tätigkeit nicht einseitig und unter Außerachtlassen von Gegengründen nur die Überführung oder Verurteilung eines Beschuldigten betreiben darf, sondern daß er dazu verpflichtet ist, ein der Wahrheit möglichst nahekommendes, gerechtes Ergebnis anzustreben und sein Vorgehen entsprechend einzurichten. Das entspricht, mit unterschiedlichen Akzentsetzungen im Ausdruck, der einhelligen Meinung im Schrift-
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Näher die Erl. zu § 150 G V G ; vgl. auch KK-Schoreit § 150, 1 G V G (Programmsatz); Katholnigg zu § 150.
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Odersky FS Rebmann 352. § 407 Abs. 1 Satz 1, § 408 Abs. 3, § 408 a Abs. 1 StPO.
Stand: 1. 8. 1998
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D i e Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander 146
Einl. Abschn. I
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tum und ist auch in der Rechtsprechung unbestritten . Die Staatsanwaltschaft ist, wie das Gericht, auf das Prozeßziel der Herstellung von Rechtsfrieden (Rdn. Β 4) verpflichtet. Wie vom Richter eine auch innere Unabhängigkeit verlangt wird, erfordert die Tätigkeit des Staatsanwaltes eine als innere Objektivität zu bezeichnende handlungsleitende Grundeinstellung. Das Objektivitätspostulat, das dem geltenden Recht als unausgesprochenes Prinzip für 50 die gesamte Tätigkeit der Staatsanwaltschaft zugrundeliegen dürfte, findet in einer Reihe von Vorschriften seine gesetzliche Ausprägung, zunächst und vor allem in § 160 Abs. 2 SIPO, wonach die Staatsanwaltschaft bei ihrer sachverhaltsaufklärenden Tätigkeit auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln hat 148 . Dies dürfte als allgemeiner Rechtsgrundsatz zu verstehen sein, der die Staatsanwaltschaft auch bei anderen Tätigkeiten und Entscheidungen zu der gleichen Haltung verpflichtet. Ihr ist deshalb (§ 170 Abs. 2 StPO) die Erhebung der öffentlichen Klage nur gestattet, wenn dafür ein genügender Anlaß besteht; sie hat im gerichtlichen Verfahren Fehlbewertungen des Gerichts zu Lasten des Angeklagten entgegenzutreten 149 und erforderlichenfalls Freispruch zu beantragen 150 ; sie kann Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten einlegen (§ 296 Abs. 2 StPO) und zu seinen Gunsten die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Auch als Strafvollstreckungsbehörde hat die Staatsanwaltschaft nicht einseitig die Vollstreckung um jeden Preis zu betreiben, sondern auf die verschiedenen Interessen Bedacht zu nehmen und ggfs. bei Zweifeln an der Zulässigkeit der Strafvollstreckung von sich aus eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen 151 . Aus der Objektivitätsverpflichtung des Staatsanwalts ergeben sich mehrere praktische 51 Konsequenzen. Materiell-strafrechtlich folgt daraus, daß er Täter einer Rechtsbeugung gemäß § 336 StGB sein kann 152 . Ferner besteht, trotz des Fehlens einer dahingehenden gesetzlichen Regelung, grundsätzliche Übereinstimmung, daß ein Staatsanwalt, bei dem Ausschließungs- oder (spezifische) Befangenheitsgründe gegeben sind, nicht tätig sein darf; kontrovers beurteilt wird lediglich, wo die Grenzen liegen und in welcher Form dies zu berücksichtigen ist 153 . Grundsätzlich kann auch ein Staatsanwalt, der als Zeuge vernommen worden ist, in der Hauptverhandlung nicht weiter mitwirken 154 . In der Rechtswirklichkeit befolgt die Staatsanwaltschaft das normative Objektivitäts- 52 postulat weitgehend, soweit dies angesichts ihrer unterschiedlichen und nicht gänzlich friktionslos miteinander zu vereinbarenden Aufgaben psychologisch erwartet werden kann 155 . So wird die überwiegende Zahl der Ermittlungsverfahren eingestellt, und im Bereich der Durchschnittskriminalität beschränkt sich die Staatsanwaltschaft vielfach auf eine Rechtskontrolle der polizeilichen Ermittlungen, ohne eine besondere Verfolgungsintensität zu zeigen 156 . Im gerichtlichen Verfahren sind die staatsanwaltschaftlichen 146
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S. etwa AK-Schöch § 160, 20; K K - P f e i f f e r Einl. 63; Kissel § 141, 4 ff; Kleinknecht/Meyer-Goßner" Vor § 141 GVG, 8; Eb. Schmidt I 96; Henkel 134; Krey I 361; Peters 161 f; Roxin § 10, 9; Schäfer 29; Schlächter 67; Kintzi FS Wassermann 903; Odersky FS Rebmann 353 f; Wagner JZ 1974 212 (pathetisch: objektivste Behörde der Welt); aus dem älteren Schrifttum etwa Beling 139; v. Hippel 233 (beide trotz Parteistellung der Staatsanwaltschaft). Vgl. u. a. BGHSt 15 155, 159; 24 171; 30 131, 139. Näher die Erl. zu § 160 (24. Aufl. Rdn. 47 ff). Odersky FS Rebmann 353 f; s. auch Gössel GA 1980 341 f (Kontrollfunktion der StA gegenüber dem Gericht).
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Zur Aufgabe des Staatsanwalts bei den Schlußvorträgen s. die Erl. zu § 258 StPO (24. Aufl. Rdn. 16). Vgl. näher § 458, 1 ff; 7 StPO. 152 LK-Spendel·" 336, 19; Schönke/Schröder-Cramer § 336, 9; Tröndle48 § 336, 4; jeweils mit weit. Nachw. 153 Näher mit Nachw. Vor § 22, 8 ff; ferner etwa Pfeiffer FS Rebmann 359 ff. 154 S. näher, auch zu den Grenzen und Ausnahmen, Vor § 48, 39 f; § 226, 7; ferner ausführlich mit weit. Nachw. SK-Rogall Vor § 48, 46 ff. 155 Kritisch aber AK-Stern Vor § 137, 14. 156 Nachweise des empirischen Materials u. a. bei AK-Schöch Vor § 158, 29 ff; vgl. auch Gössel GA 1980 347. 151
Peter Rieß
Einl. Abschn. I
Einleitung
Anträge keineswegs stets höher als die Urteile, und der staatsanwaltschaftliche Freispruchsantrag ist keine extreme Seltenheit. Insbesondere die Revisionsstaatsanwaltschaften beantragen in erheblichem Umfang Urteilsaufhebungen aufgrund von Revisionen des Angeklagten. Freilich ist auch die Staatsanwaltschaft dem psychologischen Problem der Unvereinbarkeit von inquirierender Tätigkeit und neutraler Objektivität, das zu den „Gebrechen des Inquisitionsprozesses" gehört, in gewissem Maße ausgesetzt, und dies um so stärker, je größer im Einzelfall das für eine effektive Strafverfolgung unverzichtbare ermittelnde und strafverfolgende Engagement ist. Das Objektivitätspostulat ist deshalb auch kein Grund, auf die Gewährleistung einer effektiven Verteidigung des Beschuldigten zu verzichten oder diese auch nur einzuschränken, und es dürfte wegen seiner Bedeutung besonders sicherungsbedürftig sein 157 . 53
b) Strafprozeß als Parteiprozeß? Daß die Staatsanwaltschaft nach der gesetzlichen Regelung keine Partei im Sinne eines „parteilichen", also einseitigen Vorgehens gegen den Beschuldigten ist, folgt notwendig aus dem Objektivitätspostulat und wird nicht ernsthaft bestritten. Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, ob man ihre Stellung mit einem formalen Parteibegriff sachgerecht kennzeichnen kann, der diese Elemente der Parteilichkeit nicht enthält, sondern allein darauf abstellt, daß sie als Träger bestimmter Interessen einem anderen Beteiligten mit weitgehend gleichen Rechten in einem Dreiecksverhältnis vor einem neutralen Dritten gegenübertritt. Auch unter dieser Fragestellung verengt sich jedoch die Problematik auf das gerichtliche Verfahren, denn weder im Ermittlungsverfahren noch als Strafvollstreckungsbehörde tritt die Staatsanwaltschaft in dieser Form auf. Sie ist hier das Organ, das das Verfahren gegen den Beschuldigten oder Verurteilten betreibt, und schon deshalb nicht Partei. Die Frage nach der Partei Stellung der Staatsanwaltschaft reduziert sich also auf das gerichtliche Verfahren und fällt damit, auch wenn das im Schrifttum gelegentlich unterschiedlich behandelt wird, mit denjenigen zusammen, ob das Verfahren vor dem erkennenden Gericht als Parteiprozeß verstanden werden kann 158 .
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Von der derzeit ganz herrschenden Auffassung, der auch die Rechtsprechung folgt 159 , wird die Auffassung vertreten, daß die Staatsanwaltschaft auch in diesem beschränkten und formellen Sinne keine Partei sei 160 ; woraus folgt, daß auch der Strafprozeß vor dem erkennenden Gericht nicht als Parteiprozeß zu verstehen ist 161 . Begründet wird dies überwiegend damit, daß trotz formaler Gemeinsamkeiten in diesen Verfahrensabschnitten zwischen der Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde und dem Angeklagten erhebliche strukturelle Unterschiede bestünden, die es ausschlössen, die beiden Prozeßbeteiligten als Inhaber gleichwertiger Verfahrensrollen mit grundsätzlich gegenläufigen Interessen auf der gleichen Wertebene anzusehen 162 . Demgegenüber verweisen die Anhänger des
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Vgl. dazu Gössel GA 1980 348 ff; Rieß FS Schäfer 195 (die beide aus diesem Grunde einen gewissen Rückzug aus der eigenen Ermittlungskompetenz erwägen); dagegen Schovelt ZRP 1982 288 f. Ausführliche Nachw. zum Meinungsstand auch im älteren Schrifttum vor allem bei Eb. Schmidt I 105 ff; Henkel 105 ff und v. Hippel 224 f. So ζ. B. BVerfGE 63 45, 63; RGSt 60 190; BGHSt 15 155, 159. LR-K.Schäfer1* Einl. 9 4; LR-Boll Vor § 141 GVG (24. Aufl. Rdn. 15); Eb. Schmidt I 105 ff; Kissel § 141, 5; K K - P f e i f f e r Einl. 63, Kleinknecht/Meyer-Goßner» § 141 GVG, 8; Gössel 39; Henkel 134, Krey 1 337, 360; Peters 162; Roxin § 10, 9; Rüping'
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67; Schäfer 29; Schroeder 61; Schlüchter 129; Kintzi FS Wassermann 902; Pfeiffer FS Rebmann 362; Wendisch FS Schäfer 248; a. Α Blomeyer GA 1970 172 f; aus dem älteren Schrifttum u. a. Beling 137 f; v. Hippel 233; ob, wie verbreitet angenommen, auch Bettermann AöR 92 (1967) 514 diese Auffassung vertritt, ist zweifelhaft; Katholnigg Vor § 141, 2 hält die Frage für falsch gestellt. Henkel 105 ff; Eb. Schmidt I 106 ff (beide ausführlich); Peters 101; Roxin § 17, 5; Schlüchter 129; Kintzi aaO. So ausführlich und näher Eb. Schmidt I 105 f; LR-K.Schäfer» Einl. 9 4.
Stand: 1. 8. 1998
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Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
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Begriffs stärker auf die formalen Rollen und die konstruktiven Übereinstimmungen mit anderen gerichtlichen Verfahren, insbesondere dem Zivilprozeß, und vertreten die Auffassung, daß der Parteibegriff zur Erfassung von Gemeinsamkeiten der von dem Richter handelnden „Prozeßbeteiligten" zweckmäßig sei. Schon Eb. Schmidt hat darauf aufmerksam gemacht, daß der Streit um den Parteibe- 55 griff im Strafverfahren ein Scheinproblem ohne sachliche Bedeutung sei, bei dem im Grunde nur um Worte gestritten werde 164 . Dem ist zuzustimmen. Es wäre begriffsjuristisch, aus der Verwendung des Parteibegriffs Folgerungen abzuleiten, die sich nicht schon aus der Summe der die jeweiligen Prozeßrollen konstituierenden Befugnisse ergeben, und auch der Gesetzestext, der den Begriff der „Partei" so gut wie nicht verwendet 165 , erfordert es nicht, hierüber Überlegungen anzustellen. Es besteht deshalb kein Grund, die derzeit ganz überwiegende Meinung in Frage zu stellen, daß die Staatsanwaltschaft, für die dieser Begriff ohnehin nur für einen geringen Teil ihrer Tätigkeit tauglich wäre, nicht als Partei (im formellen Sinne) zu bezeichnen und das gerichtliche Erkenntnisverfahren (und nur dieses) nicht als (formeller) Parteiprozeß zu kennzeichnen ist. Andererseits wird man auch einräumen müssen, daß diese Begriffe, wenn sie im Bewußtsein ihrer beschränkten Reichweite verwendet werden, nicht als unzutreffend angesehen werden können. 3. Die staatsrechtliche Stellung der Staatsanwaltschaft und ihre innere Struktur a) Die Stellung der Staatsanwaltschaft im Gefüge der Staatsorgane. Die Staatsan- 56 waltschaft ist, was heute wieder allgemeine Auffassung ist 166 , nicht Teil der rechtsprechenden Gewalt im Sinne des Art. 92 GG 167 . Da ihr auch keine legislativen Befugnisse zukommen, ist sie notwendigerweise Bestandteil der Exekutive 168 . Diese Konsequenz wird freilich nicht, durchgehend akzeptiert. Aus ihrer speziellen Aufgabe, an der Verwirklichung der Ziele des Strafverfahrens mitzuwirken, wird abgeleitet, sie sei ein selbständiges Organ der Rechtspflege, das zwischen Exekutive und Rechtsprechung stehe 169 . Dem kann nur insoweit zugestimmt werden, als die besonderen Aufgaben der Staatsanwaltschaft auch in den gesetzlichen Regelungen, die ihre Stellung und Befugnisse prägen, ihren Ausdruck finden. Sie führen dazu, daß manche der für „klassische Verwaltungsbehörden" bestehenden Regelungen, namentlich solche des Verwaltungsorganisationsrechts, 163
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So vor allem v. Hippel 224 ff; ferner u. a. Beling 122 ff vgl. auch Goercke ZStW 73 (1961) 571 f (Amt in der Rolle der Partei). Im neueren Schrifttum wird der Parteibegriff für den Strafprozeß kaum noch verwendet. Eb. Schmidt I 106. Die einzige Ausnahme findet sich bezeichnenderweise in § 380 Abs. 4 StPO im Privatklageverfahren. LR-A-. Schäfer» Einl. 8 5; LR-Boll Vor § 141 GVG; Kissel § 141, 8; KK-Schoreit § 141 GVG, 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner« § 141 GVG, 5; Eb. Schmidt I 96 und MDR 1964 629 ff; Gössel 39 und GA 1980 335; Henkel 134; Roxin § 10, 8; Schäfer 29; Schlächter 55, 61.1. mit Fußn. 144; Mayer FS Odersky 237; Odersky FS Rebmann 343; Pfeiffer FS Rebmann 361; Kintzi FS Wassermann 900 f; Sarstedt NJW 1964 1753 ff; eingeschränkt auch Katholnigg Vor § 141, 1 der teilweise den IX Abschnitt des GG entsprechend anwenden will; ausführlich mit umf. Nachw. zum Streitstand Koller
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Peter Rieß
35 ff. Die Möglichkeit einer Entscheidung dieser Frage bezweifelt Bohnert 387 ff. So aber Kohlhaas (1963) 46; Görcke ZStW 73 (1961) 579 ff; 590; Wagner NJW 1963 9. Kissel § 141, 8 (jedenfalls im Sinne der Gewaltenteilung); Kleinknecht/Meyer-Goßner43 Vor § 141 GVG, 6; Krey I 338; Gössel GA 1980 336; Pfeiffer FS Rebmann 361; Koller (zusammenfassend) 382 (mit wohl überzogener verfassungsrechtlicher Ableitung), wohl auch Rüping' 67 (Justizverwaltung); a. Α Mayer FS Odersky 241 ff, der einen umfassenden Begriff der „Dritten Gewalt" verwendet und die Staatsanwaltschaft dieser, aber nicht der Rechtsprechung zuordnet; krit. auch Niemöller/ Schuppen AöR 107 (1982) 413. Roxin § 10, 8; Beulke 88 (Zwitterstellung); vgl. auch Schroeder 61 (formell Exekutive, materiell rechtsprechende Gewalt); den Doppelcharakter der StA betont auch Peters 161; Baumann 109; kritisch Gössel GA 1980 336.
Einl. Abschn. I
Einleitung
auf sie nicht anwendbar sind. Diese Besonderheiten kann man dahin zusammenfassend beschreiben und auch betonen, daß die Staatsanwaltschaft ein der Exekutive zugehörendes Organ der Rechtspflege sei 170 . Dies wiederum macht deutlich, daß sich die Strafrechtspflege nicht nur aus Rechtsprechung, sondern (fast) gleichrangig auch aus Justizverwaltung (oben Rdn. Β 30) zusammensetzt. 57 Im einzelnen lassen sich als Besonderheiten und Eigenschaften der Rechtsstellung der Staatsanwaltschaft beispielsweise bezeichnen, daß sie als Justizbehörde zum Justizministerium ressortiert 171 , daß für sie das Recht nicht die Grenze, sondern den Gegenstand ihrer Tätigkeit darstellt 172 , daß sie jedenfalls in erheblichen Teilen ihrer Tätigkeit auf die Rechtsprechung hin arbeitet 173 oder ihr zugeordnet ist 174 , daß ihre Tätigkeit stärker auf Rechtsverwirklichung und Rechtsdurchsetzung als auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet ist 175 , daß ihre Amtsträger als Staatsanwälte die Befähigung zum Richteramt besitzen müssen und daß für Disziplinarverfahren ungeachtet ihres Beamtenstatus die Richterdienstgerichte zuständig sind 176 oder daß ihre Weisungsunterworfenheit besonderen Bedingungen unterliegt, zusammengefaßt auch mit der Formulierung von Eb. Schmidt111, daß die Staatsanwaltschaft den Rechtswillen, nicht den Machtwillen des Staates repräsentiere, auch wenn dies angesichts der rechtsstaatlichen Bindungen aller vollziehenden Gewalt einiges von seinem ursprünglichen Gegensatz verloren haben mag. Berufssoziologisch betrachtet ist das Maß an gemeinschaftlicher Denkweise 178 und das Verbundenheitsgefühl zwischen Richtern und Staatsanwälten deutlich größer als zwischen Staatsanwälten und Angehörigen anderer Verwaltungen, und auch der Wechsel zwischen beiden Funktionen ist nicht nur in Ländern mit den sog. Laufbahnwechsel ein nicht ungewöhnliches Ereignis. 58
b) Aufbau und Struktur der Staatsanwaltschaft unterscheiden sich tiefgreifend von den Gerichten 179 . Die Staatsanwaltschaft ist hierarchisch aufgebaut; es gibt keinen „gesetzlichen Staatsanwalt", sondern es bestehen die Möglichkeiten der Devolution und Substitution. Auch ist der Staatsanwalt weder sachlich noch, über die normalen Gewährleistungen des Beamtenrechts und die Sonderregelung des § 122 Abs. 4 DRiG hinaus, persönlich unabhängig, sondern grundsätzlich weisungsgebunden. Wieweit sich aus der besonderen Stellung der Staatsanwaltschaft als einem der Rechtsprechung zugeordneten Organ der Rechtspflege Einschränkungen ergeben, ist umstritten; die Einzelheiten sind bei § 146 GVG erläutert. Im Grundsatz, nicht unbedingt in allen Einzelheiten der gegenwärtigen Rechtslage, sind diese Unterschiede durch die verschiedenen Aufgaben des Staatsan-
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So (mit unterschiedlichen Varianten) die jetzt vorherrschende Meinung; s. u. a. LR-Boll Vor § 141 GVG; Kleinknecht/Meyer-Goßne^ Vor § 141, 7; Kissel § 141, 9; Κ,Κ-Pfeiffer Einl. 61; Katholnigg Vor §141,2; Eb. Schmidt I 96; Krey I 338; Henkel 134; Ranft 202; Schüfer 29; Schluchter 61; Fuhrmann JR 1963 218; Koller 349; Odersky FS Rebmann 343; als Meinung des Gesetzgebers Begr. zur 1. StVRG, BTDrucks. 7 551, S. 38; aus der Rspr. vgl. BVerfGE 9 223, 228; 32 199, 216; 63 45, 63; BGHSt 24 170, 171; BVerwG NJW 1961 1496, 1497. Zur Bedeutung für die innere Haltung s. ζ. B. Peters 162; Eb. Schmidt I 95. Zur Notwendigkeit der Trennung beider Ressorts s. u. a. Röper DRiZ 1998 309 ff mit berechtigter Kritik an der 1998 in NRW vollzogenen Zusammenlegung.
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Vgl. Henkel 134 (Bindung des Staates an das Recht). Kleinknecht/Meyer-Goßner« Vor § 141 GVG, 7; Odersky FS Rebmann 343; ähnlich Eb. Schmidt I 96 (Funktionen auf die rechtsprechende Gewalt ausgerichtet). Kissel § 141, 8; K K - P f e i f f e r Einl. 61. Peters 161; ähnlich Roxin § 10, 8; Krey I 340. § 122 DRiG; vgl. zur Entstehung und Bedeutung die Erl. bei Schmidt-Räntsch § 122, 1 bis 11. Eb. Schmidt I 95 und MDR 1951 6; s. auch Krey/ Pföhler NStZ 198S 146; Schäfer 29. Schäfer 29; Sarstedt NJW 1964 1753; dazu kritisch Koller 352 f. S. dazu insgesamt näher die Erl. zu den §§ 141 ff GVG.
Stand: 1. 8. 1998
(244)
D i e Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
waltes und des Richters im Strafverfahren gerechtfertigt Grund, sie grundsätzlich in Frage zu stellen.
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Einl. Abschn. I
und deshalb besteht auch kein
4. Der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit zugeordnete Organe a) Die Aufgaben der Polizei im Strafverfahren und ihr Verhältnis zur Staatsan- 59 waltschaft. Den Beamten und Behörden des Polizeidienstes, also vor allem der sog. Kriminalpolizei, aber auch der allgemeinen Schutzpolizei 181 , weist das Strafverfahrensrecht vor allem in den §§161, 163 StPO Aufgaben der Sachverhaltserforschung im Ermittlungsverfahren zu. Dabei verpflichtet § 161 StPO die Polizei zur Sachverhaltserforschung im Auftrage der Staatsanwaltschaft, während ihr § 163 StPO eine originäre Ermittlungskompetenz zuweist, deren Reichweite im einzelnen umstritten ist 182 . Neben dem dem Polizeirecht zu entnehmenden Auftrag zur Gefahrenabwehr ist die Polizei deshalb auch Strafverfolgungsbehörde 183 und tritt insoweit in Konkurrenz mit der Staatsanwaltschaft. Anders als diese wirkt sie jedoch aufgrund ihrer strafprozessualen Kompetenzen lediglich im Ermittlungsverfahren und auch in diesem nur mit dem Ziel der Sachverhaltserforschung mit. Soweit sie bei sonstigen Maßnahmen des Strafverfahrens herangezogen wird, beispielsweise zur Sicherung von Hauptverhandlungen oder zur Ermittlung von Zeugen im gerichtlichen Verfahren, wird sie entweder aufgrund ihrer gefahrenabwehrenden Kompetenz oder im Wege der Amtshilfe tätig. Auch die Kompetenzen der Polizei im Ermittlungsverfahren sind nach dem Gesetz 60 begrenzt. Die Befugnis zur Erhebung der öffentlichen Klage steht ihr ebensowenig zu wie die zur Einstellung des Verfahrens. Außer in den Fällen des § 165 StPO kann sie sich, soweit richterliche Untersuchungshandlungen erforderlich werden, nicht unmittelbar an das Gericht wenden; der Verkehr mit diesem ist der Staatsanwaltschaft vorbehalten. Bei der Sachverhaltsermittlung sind ihr insoweit Grenzen gesetzt, als Zeugen und Sachverständige, anders als bei der Staatsanwaltschaft (§§ 161 a; 163 a Abs. 3 StPO), ihr gegenüber nicht zur Aussage verpflichtet sind und der Beschuldigte nicht bei ihr erscheinen muß. Die Befugnis zu Zwangsmaßnahmen ist unterschiedlich geregelt 184 ; sie stehen teilweise allen Beamten des Polizeidienstes uneingeschränkt zu 185 , teilweise nur solchen, und dies auch nur im Wege der Eilkompetenz, denen der Charakter von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft zukommt 186 , und der Umfang dieser Eilkompetenzen bleibt hinter denen zurück, die der Staatsanwaltschaft zustehen 187 . Diese Gesetzeslage kennzeichnet die Polizei als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft 61 im Ermittlungsverfahren 188 , und diese verdankt ihre Entstehung maßgeblich mit der
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Ι" 183
•85
Blomeyer GA 1970 166 ff, der andernfalls eine Rückkehr zu einem reformierten Inquisitionsprozeß befürchtet. Näher zu den in Betracht kommenden Behörden die Erl. Vor § 158 StPO (24. Aufl. Rdn. 27 ff); vgl. auch Beulke 101. Näher die Erl. zu § 161 (24. Aufl. Rdn. 45 ff) und § 163 (24. Aufl. Rdn. 23 ff). Näher über das Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung die Erl. Vor § 158 (24. Aufl. Rdn. 9 ff). S. etwa K K - P f e i f f e r Einl. 78; Ranft 251 f; Roxin § 10, 15 f; Schliichterl2. Vgl. etwa § 127 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 (vorl. Festnahme); § 81 b (erkennungsdienstl. Maßnahmen);
(245)
§ 163 b (Identitätsfeststellung); § 1 3 1 Abs. 2 (Steckbrief bei Flucht). Vgl. ζ. B. § 8 1 a Abs. 2; § 8 1 c Abs. 5; § 9 8 Abs. 1; § 100 d Abs. 1; § 105 Abs. 1;§ 111 Abs. 2, § l l l e Abs. 1 Satz 2; § 163 d Abs. 2 StPO. 187 Nur der StA vorbehaltene Eilkompetenzen beispielsweise in § 98 b Abs. 1; § 100 Abs. 1; § 100 b Abs. 1; § 111 e Abs. 1 Satz 1; § 1 1 1 η Abs. 1 Satz 2; § 111 ο Abs. 3; § 163 e Abs. 4 StPO; eine gestaffelte Kompetenz besteht bei der Notveräußerung (§ 111 1 Abs. 2, 3). 188 So ζ. B. Beulke § 6 (Polizei als Helfer der Staatsanwaltschaft); Henkel 149 (Hilfsorgan der Strafrechtspflege); Krey I 370; Schäfer 37 (Gehilfen der Staatsanwaltschaft).
Peter R i e ß
Einl. Abschn. I
Einleitung
Absicht, die strafverfolgende Tätigkeit der Polizei zu begrenzen und zu kontrollieren 189 . In der Rechtswirklichkeit ist allerdings aus unterschiedlichen Gründen ein zunehmendes Vordringen der polizeilichen Tätigkeit festzustellen 190 . Die Polizei führt vielfach das Ermittlungsverfahren bis zur Abschlußreife selbständig, und sie verfügt über nicht unerhebliche Informationsvorsprünge. Dabei erweisen sich die rechtlichen Grenzen ihrer Ermittlungstätigkeit kaum als Hindernis. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei ist daher sowohl dogmatisch und konstruktiv wie auch rechtspolitisch umstritten 191 . 62
Ungeachtet dieser Entwicklung ist die Staatsanwaltschaft nach wie vor im Verhältnis zur Polizei die verantwortliche Leiterin des Ermittlungsverfahrens 192 ; die gebräuchliche Wendung, sie sei die Herrin des Ermittlungsverfahrens 193 , erscheint allerdings nicht sachgerecht 194 . Über die ihr vorbehaltene Abschlußverfügung hinaus kann sie auf die Ermittlungstätigkeit der Polizei jederzeit durch Weisungen einwirken 195 , die Verfahren an sich ziehen und an Ermittlungshandlungen der Polizei teilnehmen. Die Einzelheiten sind bei den jeweiligen Vorschriften erörtert. Organisationsrechtlich wird das Verhältnis der Polizei gegenüber der Staatsanwaltschaft teilweise als organisationsrechtliches Mandat 196 , teilweise, nach den einzelnen Aufgabenzuweisungen differenzierend, als konservierende Delegation 197 verstanden.
63
b) Andere selbständige Organträger und Behörden haben teilweise kraft ausdrücklicher gesetzlicher Befugnis in beschränktem Umfang die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren, so im Steuerstrafverfahren die Finanzbehörde, die das Strafverfahren selbständig führt 198 , oder die strafprozessualen Rechte und Pflichten der Polizei, so etwa die Steuer- und Zollfahndungsämter 199 . Wegen der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, zu denen auch solche Bediensteten gehören, die nicht der Polizei angehören, wird auf die Erl. zu § 152 GVG Bezug genommen 200 . Zur Gerichtshilfe, die nach § 160 Abs. 3 StPO bereits im Ermittlungsverfahren herangezogen werden kann, s. die Erl. zu § 160 StPO 201 ; wegen der Jugendgerichtshilfe s. § 38 JGG und die Erl. im jugendgerichtlichen Schrifttum.
64
c) Innerhalb der Staatsanwaltschaften obliegen dem Rechtspfleger nach §31 Abs. 2 RpflG grundsätzlich die Aufgaben der Strafvollstreckung, soweit sie nicht durch die BegrenzungsVO dem Staatsanwalt vorbehalten oder ihm die Akten vorzulegen sind 202 . Dieser ist ferner wie im gerichtlichen Strafverfahren (Rdn. 38) für die Durchfüh189
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193
>94 195
Dazu etwa Krey I 336; Fuhrmann JR 1964 218 f; Gössel GA 1980 326 ff; 330 ff; Rüping ZStW 95 (1983) 896 f; GA 1992 155 f. Näher Vor § 158 (24. Aufl. Rdn. 34 f); s. ferner Peters 182 f; Roxin § 10, 34; Schäfer 252; ausführlich Lilie ZStW 106 (1994) 627 ff; Rüping ZStW 95 (1983) 899 ff; s. auch Geisler ZStW 93 (1981) 1114. Näher die Erl. Vor § 158 (24. Aufl. Rdn. 37 ff). BVerwG NJW 1975 893; K K - P f e i f f e r Einl. 77; Kleinknecht/Meyer-Goßner« Einl. 41; Henkel 149; v. Hippel 257; Krey I 492; Peters 532; Schroeder 80; Bindel DRiZ 1994 165; Rüping ZStW 95 (1983) 909 f; teilw. abweichend Schröder 139 ff; dagegen Rieß GA 1998 246. KK-Pfeiffer Einl 77; Gössel 43; Krey I 492; Peters 166; Roxin § 37, 1; Schlüchter 71. Näher Vor § 158 (24. Aufl. Rdn. 22). Ganz h. Μ im strafproz. Schrifttum, vgl. etwa K K - P f e i f f e r Einl. 77; Gössel 46; Krey I 496 ff; Schlüchter 71; teilw. einschränkend Schröder 142
(nicht im Bereich des § 163 StPO und nicht in der Form von allgemeinen Weisungen); krit. Knemeyer FS Krause (1990) 471 ff. 196 Goergen 61 ff, 87 ff; ihm folgend Krey I 470; Rüping' 76 und ZStW 95 (1983) StPO; krit. Kramer 106 b. 197 So Schröder 90 ff u. passim mit problematischen Konsequenzen für eine Einschränkung der Leitungsbefugnis der StA; dagegen Rieß GA 1998 247. 19 8 Näher die Erl. Vor § 158 (24. Aufl. Rdn. 24); dazu kritisch Rüping ZStW 95 (1983) 914 f. 199 Näher die Erl. Vor § 158 (24. Aufl. Rdn. 32). 200 Zur organisationsrechtlichen Einordnung s. auch Schröder 119 ff. 201 24. Aufl. § 160, 70 ff. 2 2 ° Näher § 451, 27 ff; zum Umfang der dem Rechtspfleger im Jugendstrafverfahren übertragenen Vollstreckungsmaßnahmen s. § 31 Abs. 5 RpflG und Brunner/Dölling Vor § 82, 8 ff.
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(246)
Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
rung der Beschlagnahme, der Vollstreckung des Arrestes und die Notveräußerung zuständig (§ 31 Abs. 1 RpflG). Wegen der Zuständigkeit der Amtsanwälte und der örtlichen Sitzungsvertreter s. die Erl. zu § 142 GVG. Soweit die Staatsanwaltschaft Wirtschaftsreferenten oder sonstige Ermittlungsassistenten zur Unterstützung ihrer Tätigkeit heranzieht, können diese entweder zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bestellt, oder ohne eigene hoheitliche Befugnisse bei den Ermittlungen als Sachkundige eingesetzt werden 203 .
IV. Beschuldigter und Verteidiger 1. Stellung und Begriff des Beschuldigten im allgemeinen a) Grundsatz. Der Beschuldigte ist das Prozeßsubjekt, um das es im Strafverfahren 65 geht und auf das hin die prozeßrechtlichen Regelungen in erster Linie ausgerichtet sind 204 . Seine Stellung im Gesamtgefüge des Verfahrens erschließt sich nicht allein aus den einzelnen, ihn betreffenden Regelungen, sondern letztlich erst aus einer Analyse der rechtlichen Struktur des Verfahrens insgesamt und seiner Durchführung in der Rechtswirklichkeit 205 . Die Verfahrensstellung des Beschuldigten ist Ausdruck des Geistes einer Verfahrensordnung und des Verständnisses einer Gesellschaft über das Verhältnis vom einzelnen zum Staat 206 . Das auch in der historischen Entwicklung des Strafverfahrens wechselnde Verhältnis zwischen der Betonung der Pflichten des Beschuldigten und seinen Rechten und Handlungsbefugnissen 207 kennzeichnet das auch heute noch bestehende Spannungsverhältnis zwischen den Bedürfnissen einer hinreichend wirksamen Sachverhaltsaufklärung und Gewährleistung einer effektiven Strafrechtspflege 208 und eines möglichst wirksamen Schutzes der Beteiligten vor Machtmißbrauch, einseitiger Überführungstendenz und krassem Effektivitätsdenken. Während der Inquisitionsprozeß den Beschuldigten weitgehend als bloßes Objekt des 66 Verfahrens betrachtete 209 , erwächst aus dem reformierten Strafprozeß eine andere Betrachtungsweise. Sie hat in der Strafprozeßordnung von 1877 ihre reichseinheitliche Ausprägung erfahren. Durch den Rechtsstaat des Grundgesetzes ist sie weiterentwickelt worden. Die den Beschuldigten schützenden, seine Handlungsmacht anerkennenden und seine Verteidigungsrechte gewährleistenden Rechtspositionen sind hierbei so ausgebaut worden 210 , daß er ganz überwiegend als Subjekt des Verfahrens 211 mit eigener Handlungs- und Einwirkungskompetenz erscheint. Unvermeidbar muß er aber weiterhin als Objekt staatlichen Zwanges und als Beweismittel 212 und damit als Objekt des Verfahrens 213 oder als Passivbeteiligter gekennzeichnet werden. Er befindet sich verfahrens-
203 Näher die Erl. zu § 142 GVG (24. Aufl. Rdn. 30); s. auch Vor § 48, 49, und bei § 161a (24. Aufl. Rdn. 5); vgl. auch BGHSt 28 381; OLG Zweibrükken MDR 1979 425; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 142 GVG, 7. 204 Ähnlich SK-Rogall Vor § 133, 9 (Zentralgestalt des Strafprozesses). 205 Vgl. MUller-DietzZSiW 93 (1981) 1198 ff; SK-Äogall Vor § 133, 129. 206 Henkel 170; Eb. Schmidt I 98; Rieß FS Reichsjustizamt 375 f; vgl. auch Peters 81 ff. 207 S. dazu Henkel 170; ausführlich für die Zeit bis zum Ende des Inquisitionsprozesses Plöger. 208 S. dazu oben Rdn. G 10 ff. 2 "9 Dazu etwa Eb. Schmidt I 98; s. auch Plöger (zusammenfassend) 439 ff. (247)
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Peter Rieß
Vgl. dazu an einzelnen Problemfeldern Rieß FS Reichsjustizamt 375 ff. SK-Rogall Vor § 133, 59 ff; allg. M; dazu ausführlich mit vielen Nachw. der Versuch einer allgemein- und rechtsphilosophischen Ableitung bei Kahlo KritV 1997 189 ff. Dazu näher SK-Rogall Vor § 133, 122 mit weit. Nachw., auch zur Kritik hieran, vor allem zu den Einwänden von Prittwitz (Mitschuldiger), 197 ff; s. auch unten Rdn. 85 ff. Nachdrücklich wegen der historischen Belastung des Begriffs gegen diese Bezeichnung Eb. Schmidt I 98 Fußn. 170; ebenso Henkel 172 Fußn. 7; Peters 203; s. auch SK-Rogall Vor § 133, 62.
Einl. A b s c h n . I
Einleitung 214
rechtlich in einer Doppelrolle . In dieser weitgehend abgeschlossenen Entwicklung kommt auch für den Strafprozeß der rechtsstaatliche Fundamentalgrundsatz zum Ausdruck, daß der Staat um des Menschen, und nicht der Mensch um des Staates willen da sei 215 . Im Kern (nicht in allen Einzelheiten) ist deshalb diese heute erreichte Rechtsstellung des Beschuldigten mit seiner Subjektqualität durch das Rechtsstaatsprinzip und die Pflicht zur Achtung der Menschenwürde verfassungsrechtlich garantiert 216 . 67
Ein weiterer Ausbau der die Beschuldigtenrechte konstituierenden Regelungen oder auch nur ihre weitere Entfaltung, Ausdifferenzierung und Fortentwicklung durch die Rechtsprechung dürfte im bisherigen Umfang nicht mehr unbegrenzt möglich sein 217 . Vielmehr werden strukturelle Grenzen erkennbar, weil sonst die Gefahr besteht, daß durch eine Überbewertung der Beschuldigtenbefugnisse der ebenfalls verfassungsrechtlich begründete Anspruch auf Gewährleistung einer effektiven Rechtspflege (Rdn. G 10 ff) nicht mehr ausreichend erfüllt werden kann. Dennoch bleiben in Teilbereichen zur Abrundung der vorhandenen Befugnisse Präzisierungen und Verbesserungen, und zwar auch solche von erheblichem Gewicht, vertretbar und wünschenswert, beispielsweise im Ermittlungsverfahren, aber etwa auch im Rahmen des kompensatorischen Ausgleichs von Defiziten im gerichtlichen Verfahren, bei den Einwirkungen auf der Sachbeweis 218 oder infolge des Vordringens von heimlichen Ermittlungen und ihrer Akzeptanz durch die Rechtsprechung 219 . Noch nicht sicher abschätzbar ist trotz deutlicher Anzeichen dafür gegenwärtig auch, ob nicht bereits die grundsätzliche Einstellung der Gesellschaft zur Kriminalitätsbekämpfung eine Tendenzwende 220 sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Auslegung und Anwendung der Vorschriften erkennen läßt.
68
b) Gesetzliche Grundlagen. Hinweise. Die StPO enthält keine die Position des Beschuldigten zusammenfassend und programmatisch regelnden Vorschriften. Sie bestimmt vielmehr seine Rechte und Pflichten in einzelnen Regelungen im Zusammenhang mit den jeweiligen Bestimmungen über die einzelnen Verfahrensabschnitte oder sonstigen Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden 221 . Doch enthält das Gesetz Regelungen, denen sich Leitaussagen über die Stellung des Beschuldigten entnehmen lassen. Dazu gehören etwa die die Vernehmung des Beschuldigten regelnden Bestimmungen, insbesondere in den §§ 136, 136 a StPO 222 , die Vorschriften über den Verteidiger (§§ 137 bis 149 StPO), Regelungen, die ihm vor allem im gerichtlichen Verfahren Informations- und Einwirkungsmöglichkeiten vermitteln, auch wenn dies nur dergestalt geschieht, daß sie in objektiver Form den Gerichten lediglich Handlungspflichten auferlegen, die dem Interesse des Beschuldigten dienen 223 , so etwa die Mitteilung der Anklageschrift (§ 201 StPO), die Bestimmungen über die Ladungsfrist und das Recht zur eigenen Ladung (§§ 217, 219, 220 StPO), die grundsätzliche Gewährleistung des Anwesenheitsrechts in der Hauptverhandlung 224 , die Erklärungsrechte, insbesondere das letzte Wort (§§ 257, 258 StPO), seine
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SK-Rogall Vor § 133, 62, 129; MUller-Dietz ZStW 93(1981) 1216 f. 215 Maunz-Dürig-Herzog (1980) Art. 20 IX Rdn. 19. 216 BVerfGE 57 250, 275; 63 380, 390; 64 135, 145; 65 171, 175; 66 313, 318; BGHSt 14 358, 364 f. 217 Teilweise a . A wohl SK-Rogall Vor § 133, 65, 129; ferner Kahlo KritV 1997 199 ff. 2, 8 Ebenso SK-Rogall Vor § 133, 129. 219 Vgl. zu den insoweit durchaus gegenläufigen Entwicklungen § 136, 63 ff; § 136 a, 13 ff sowie die Erl. zu § 163.
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Zu dem seinerzeit unberechtigten Vorwurf der Tendenzwende durch die Rechtsentwicklung nach 1975 vgl. Rdn. Ε 101, 108; zur aktuellen Entwicklung und Diskussion s. etwa (beispielhaft) die ausführlichen Nachw. bei Kahlo KritV 1997 183 ff, namentlich in der Fußn. 4 bis 22; Hettinger 52 ff. 221 Dazu näher unter Rdn. 74 ff. 222 Und damit zusammenhängend § 163 a StPO und § 243 Abs. 4 StPO. 22 3 Roxin § 18, 8. 224 230 ff, 247; in diesen Zusammenhang gehören auch die §§ 168 c, 224 StPO.
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D i e Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
umfassende Rechtsmittelbefugnis mit dem Verbot der reformatio in peius 225 sowie die ihn bevorzugende Regelung der Wiederaufnahme zu seinen Gunsten (§ 359 StPO). Leitaussagen über die Stellung des Beschuldigten als Passivbeteiligter lassen sich 69 den zahlreichen Vorschriften entnehmen, die im einzelnen bestimmen, welchen Duldungspflichten er unterliegt und welchen Zwangsmaßnahmen er ausgesetzt sein kann. Sie bestimmen jeweils im einzelnen die Voraussetzungen und Grenzen solcher Maßnahmen. Hinzuweisen ist etwa auf die Möglichkeit der Untersuchungshaft 226 , auf die Zulässigkeit körperlicher Untersuchungen (§ 81 a), auf die Durchsuchung (§§ 102 ff StPO), die Überwachung des Brief- und Fernmeldeverkehrs (§§ 99 bis 100 d StPO), die Vornahme sonstiger verdeckter Ermittlungsmaßnahmen (§§ 100 c, lOOd StPO) oder die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§ 163 e StPO). Aus der Gesamtheit dieser Regelungen läßt sich die vielfach auch durch die Grundrechtsverbürgungen abgesicherte 227 gesetzgeberische Wertentscheidung ableiten, daß der Beschuldigten solchen Eingriffen und Zwangsmaßnahmen nur in den gesetzlich umschriebenen Fällen ausgesetzt sein darf; verfassungsrechtlich ist darüber hinaus gewährleistet, daß sie durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt sind (näher Rdn. Η 92 ff). Durch diese Begrenzungswirkung konstituieren auch solche, die Passivstellung betreffenden Vorschriften die Subjektqualität des Beschuldigten mit. Wichtige Leitaussagen ergeben sich ferner aus den Gewährleistungen der Menschen- 7 0 rechtskonventionen (MRK und IPBPR), die sowohl als innerstaatliches Recht verbindlich sind als auch Gesetzgebung und Rechtsanwendung völkerrechtlich binden. Hervorzuheben sind dabei namentlich die Regelungen über die Haft 228 , die Unschuldsvermutung 229 sowie die dem Beschuldigten in einem Strafverfahren ausdrücklich eingeräumten Rechte 230 . Die Bedeutung all dieser Bestimmungen für die Stellung des Beschuldigten ist nicht 71 im einzelnen an dieser Stelle zu erörtern; es wird vielmehr auf die Erläuterungen zu den jeweiligen Einzelvorschriften verwiesen. Zu verweisen ist ferner auf die verfassungsrechtlichen Prozeßmaximen, die vielfach zwar nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie die Rechtsstellung des Beschuldigten maßgebend beeinflussen, so der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Rdn. Η 71 ff); das Fairnessprinzip (Rdn. Η 99 ff) und die Fürsorgepflicht (Rdn Η 120 ff)· Wegen der zur Sicherung des Schutzes des Beschuldigten vielfach in Betracht zu ziehenden Beweisverwertungsverbote ist auf die Erläuterungen in Abschnitt Κ dieser Einleitung sowie auf die Einzelerläuterung bei den jeweiligen Vorschriften zu verweisen 231 . c) Begriff des Beschuldigten. Terminologisch verwendet die StPO die Bezeichnung 72 Beschuldigter in der Regel im umfassenden Sinne vom Beginn des Verfahrens bis zur Rechtskraft. Für den Verfahrensabschnitt von der Klageerhebung bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens wird der Begriff des Angeschuldigten und danach der des Angeklagten verwendet (§ 157 StPO); für die Zeit nach der Rechtskraft der Entscheidung meist der des Verurteilten oder des Freigesprochenen 232 . Zu trennen ist der Begriff des Beschuldigten 225 226
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§§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO. §§ 112 ff StPO; in diesen Zusammenhang gehört auch die einstweilige Unterbringung (§ 126 a) und die Unterbrechung zur Beobachtung nach § 8 1 StPO. Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2) sind hier insbes. Art. 10 und 13 sowie die Justizgrundrechte der Art. 101, 103 und 104 GG hervorzuheben.
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Peter Rieß
Art. 5 MRK; Art. 9, 10 IPBPR. Art. 6 Abs. 2 MRK; Art. 14 Abs. 2 IPBPR; s. auch unten Rdn. 75 f. Art. 6 Abs. 3 MRK; Art. 14 Abs. 3 , 5 und 7 IPBPR. Eine zusammenfassende Darstellung der Folgen der Beeinträchtigung der Schutzposition des Beschuldigten ζ. B. bei SK-Rogall Vor § 133, 158 ff. Näher die Erl. zu § 157 StPO; s. auch SK-Rogall Vor § 133, 9 f.
Einl. Abschn. I
Einleitung
nach überwiegender und zutreffender Meinung von dem des Verdächtigen 233 , da die Eigenschaft eines Beschuldigten stets einen formellen Zuschreibungsprozeß in Form eines manifesten Verfolgungsaktes durch die Strafverfolgungsbehörde voraussetzt, zu dem diese ggfs. verpflichtet sein kann (Rdn. 73). Die vollen Befugnisse des Beschuldigten kommen einem Verdächtigen nicht zu; ihm steht jedoch das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO ebenso zur Seite wie er nach § 60 Nr. 2 StPO nicht vereidigt werden darf. Eine selbständige, von der Zeugenrolle getrennte Verfahrensrolle als schweigeberechtigte Auskunftsperson 234 hat er dagegen nicht 235 . Zur Frage, in welcher Prozeßrolle Mitbeschuldigte zu vernehmen sind, s. Vor 48, 31 ff. 73
d) Beginn und Ende der Beschuldigteneigenschaft werden in diesem Kommentar eingehend bei § 136, 4 und bei § 163 a 2 3 6 StPO erörtert; hierauf wird verwiesen 237 . Nach der heute ganz überwiegenden Meinung wird die Beschuldigteneigenschaft in Anlehnung an die in § 397 Abs. 1 AO für das Steuerstrafverfahren getroffene Regelung nur (aber auch stets) durch einen manifestierten Strafverfolgungsakt der Strafverfolgungsbehörde begründet. Darunter fällt nicht nur die ausdrückliche, auch aktenmäßige Behandlung als Beschuldigter, sondern es gehören dazu auch alle sonstigen Maßnahmen, die nur gegen einen Beschuldigten zulässig sind. Grundlage dieses die Beschuldigtenstellung begründenden Inkulpationsaktes ist eine davon zu trennende, von der Stärke des Tatverdachts abhängige Inkulpationspflicht 238 . Wird sie nicht erfüllt, wird also pflichtwidrig der Inkulpationsakt unterlassen, so unterliegen die dadurch gewonnenen Erkenntnisse mindestens einem Verwertungsverbot; auch kann § 136 a StPO eingreifen. Zwangsmaßnahmen nach § 70 StPO sind, auch wenn der Betroffene unrichtigerweise als Zeuge vernommen wird, unzulässig 239 . Beschuldigter ist auch, wer in die Beschuldigtenrolle versetzt ist, obwohl ein die Inkulpationspflicht auslösender Verdacht nicht vorliegt; also beispielsweise auch ein Kind, so lange es, weil seine Strafunmündigkeit nicht feststeht, im Verfahren beteiligt ist 240 . 2. Die Befugnisse und Pflichten des Beschuldigten im Überblick
74
a) Allgemeines. Die vielfältigen Rechte und die Verpflichtungen des Beschuldigten lassen sich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten gruppieren 241 . Als Rechte finden sie ihre Wurzeln und als Pflichten ihre Grenze verfassungsrechtlich von allem in der Pflicht zur Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1) sowie im Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2); menschenrechtlich sind wesentliche Eckpositionen durch die Art. 5 und 6 Abs. 2 und 3 der MRK (Art. 9, 14 IPBPR) verbürgt. Zu den heraus-
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BGHSt 10 8, 10; 17 128, 133; 38 302, 306 = JR 1993 380 mit Anm. Rogall·, näher SK-Rogall Vor § 133, 11 ff mit weit. Nachw. auch zur Gegenmeinung; s. ferner Kleinknecht/Meyer-Goßner43 Einl. 77; Müller-Dietz ZStW 93 (1981) 1220 ff. So insbes. Helgerth 37 ff und passim; ferner Bringewat JZ 1981 289; Bruns FS Schmidt-Leichner 14 ff. Gössel 53 behandelt insoweit nur die davon zu trennende Frage der sog. informatorischen Befragung; ebenso Gundtach NJW 1980 2142. Kleinknecht/Meyer-Goßner« Einl. 73; KMR-Pawlus Vor §48, 17; SK-Rogall Vor § 133, 13 mit weit. Nachw.; Krey I 772; Rüping3 92; Schlächter 85 (S. 93); vgl. auch BGHSt 33 217, 221. 24. Aufl. Rdn. 7 bis 25, dort auch zur Frage der sog. informatorischen Befragung. .
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Ausführlich mit weit. Nachw. auch SK-Rogall Vor §133, 15 ff; s. ferner u.a. Kleinknecht/MeyerGoßner» Einl. 76; K K - P f e i f f e r Einl. 85; Roxin § 25, 10; Müller-Dietz ZStW 93 (1981) 1224; vgl. ferner zuletzt BGH NStZ 1997 398 mit Anm. Rogall. Zu dieser Unterscheidung ausführlich Fincke ZStW 95 (1983) 919 ff. BGH NStZ 1997 398 mit Anm. Rogall. Näher § 136, 6 mit weit. Nachw.; vgl. auch SK-Rogall Vor § 133, 18. Vgl. etwa die verschiedenen Einteilungen etwa bei Beulke 127 ff; Krey I 776 ff; Roxin § 18, 6; SK-Rogall Vor § 133, 59 ff.
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Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
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ragenden Leitgesichtspunkten gehören ferner die Unschuldsvermutung (Rdn. 75 ff) sowie das Verbot des Selbstbelastungszwanges (Rdn. 88 ff). b) Die Unschuldsvermutung. Nach Art. 6 Ab. 2 MRK (Art. 14 Abs. 2 IPBPR) gilt der 75 Angeklagte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig. Innerstaatlich hat diese Unschuldsvermutung als Element des Rechtsstaates Verfassungsrang 242 . Sie gilt, als subjektives Recht des Angeklagten, bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens. Ihre Adressaten sind in erster Linie der Gesetzgeber, aber auch die Gerichte und die sonstigen Organe der Strafverfolgung, die vor dem Abschluß des Strafverfahrens jedenfalls keine strafrechtlichen Schuldfeststellungen treffen dürfen. Über diesen Kernbereich hinaus ist die Reichweite der Unschuldsvermutung wenig 76 geklärt und teilweise heftig umstritten 243 . Dabei geht es, abgesehen von der Frage ihrer normlogischen Struktur 244 einmal darum, ob und wieweit die Unschuldsvermutung auch außerhalb strafrechtlicher Beurteilung, also im gesamten Rechtsleben, gegebenenfalls auch im Wege der Drittwirkung gegenüber Privaten, Geltung beansprucht, zum anderen, ob sie im strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Bereich kostenrechtliche Konsequenzen an eine Verdachtslage zu knüpfen gestattet 245 , einem Widerruf der Strafaussetzung nach § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB wegen einer noch nicht rechtskräftig festgestellten neuen Straftat entgegensteht 246 , oder verbietet, im Rahmen der Strafzumessung oder als Indiz für den Schuldnachweis noch nicht rechtskräftig abgeurteilte, wenn auch prozeßordnungsmäßig festgestellte Straftaten zu berücksichtigen 247 . Wegen der ausführlichen Behandlung der Unschuldsvermutung bei den Erläuterungen zu Art. 6 MRK 248 , auf die verwiesen wird, wird hier von einer näheren Darstellung abgesehen. Die Unschuldsvermutung verbietet keine strafprozessuale Zwangsmaßnahmen und 77 Eingriffe gegenüber dem Beschuldigten, die der Verdachtsklärung und der gerichtlichen Feststellung der Schuld dienen und deshalb notwendig an einen Tatverdacht anknüpfen müssen 249 . Allerdings setzt sie auch solchen Maßnahmen dadurch Grenzen, als sie auch einem Unschuldigen gegenüber noch legitimierbar sein müssen 250 ; dies gilt namentlich für die Voraussetzungen und die Dauer der Untersuchungshaft und anderer freiheitsentziehender Maßnahmen 251 . Aus der Unschuldsvermutung ergibt sich auch kein Anspruch
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BVerfGE 19 342, 347; 22 254, 265; 74 358, 370; 82 106; weitere Nachw. bei den Erl. zu Art. 6 Abs. 2 MRK (24. Aufl. Rdn. 105 ff); s. auch KK-Pfeiffer Einl. 32 a; SK-Rogall Vor § 133, 74 ff; umfassend dazu Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 48 ff, 544 f. S. dazu zusammenfassend Geppert Jura 1993 161; vgl. auch Meyer FS Tröndle 61 ff; umfassende Erörterung der Problematik, auch mit rechtsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden Untersuchungen, jetzt bei Stuckenberg (Unschuldsvermutung), Nachw. zum Meinungsstand insbes. 47 ff. Dazu ausführlich Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 438 ff, der sie (S. 519 ff) funktional auf das Verfahren bezieht und als „Verbot der Desavouierung des Verfahrensergebnisses" interpretiert. Vgl. BVerfGE 74 358, 370 ff; 82 106 ff; s. dazu die Erl. zu § 467 und - für das Privatklageverfahren zu § 383 StPO; ferner die Erl. zu Art. 6 MRK (24. Aufl. Rdn. 153). Vgl. EKMR StV 1992 282; BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1988 1715, 1716; NStZ 1991 30;
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s. dazu LK-Gribbohm § 56 f, 9; Tröndle« § 56 f, 3 b; ferner die Erl. zu Art. 6 MRK (24. Aufl. Rdn. 158); Kühl NJW 1988 3233, 3235 ff. Näher die Erl. zu Art. 6 MRK (24. Aufl. Rdn. 156 f); für eine (grundsätzliche) Zulässigkeit Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 570 ff. S. in der 24. Aufl. (1991) die Rdn. 103 bis 159. Allg. M, s. etwa K K - P f e i f f e r Einl. 32 a; Kleinknecht/Meyer-Goßner« Art. 6 MRK, 14; SK-Äogall Vor § 133, 76; Geppert Jura 1993 161; Roxin § 11, 4; Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 74 f (mit Nachw.). S. mit weit. Nachw. Geppert Jura 1993 161; SK-Rogall Vor § 133, 76; Roxin §11,4; Gropp JZ 1991 806 ff; kritisch Meyer FS Tröndle 68 (kein Gewinn gegenüber der Geltung des VerhältnismäBigkeitsprinzips); vgl. auch Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 557. Näher Vor § 112, 37 f; vgl. auch Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 562 f.
Einl. Abschn. I
Einleitung
auf eine möglichst günstige Erledigung, namentlich nicht auf eine umfassende Rehabilitierung, etwa durch einen Freispruch gegenüber einer bloßen Verfahrenseinsstellung 252 . 78
c) Einwirkungs- und Beteiligungsrechte auf den Gegenstand des Strafverfahrens stehen dem Beschuldigten im unterschiedlicher Weise und in weitem Umfang zu 253 . Zu ihnen gehört zunächst die Möglichkeit, sich in jede Lage des Verfahrens zum Verfahrensgegenstand äußern zu können; auch die im Gesetz vorgesehene Vernehmung des Beschuldigten dient in erster Linie seiner Verteidigung 254 . Allerdings schreibt das Gesetz nicht vor, den Beschuldigten möglichst frühzeitig darüber zu unterrichten, daß gegen ihn ermittelt wird; zwingend ist dies erst, und auch dann nicht bei Einstellung des Verfahrens, am Ende der Ermittlungen 255 . Im gerichtlichen Verfahren nach Erhebung der Anklage kann er durch Erklärungen und Anträge auf deren Zulassung und auf die Auswahl des zuständigen Gerichts einwirken 256 . Seine Stellung im Hauptverfahren entspricht durch umfassende Erklärungsrechte 257 , seine nur in Ausnahmefällen entziehbare Anwesenheitsbefugnis 258 , durch Zustimmungsvorbehalte bei Abweichungen vom normalen Verfahrenablauf 259 und eigene Gestaltungsrechte, insbesondere des im Beweisantragsrecht sich ausprägenden Beweiserhebungsanspruchs, sowie des sich im Ablehnungsrecht ausprägenden Rechts auf die Wahrung der richterlichen Neutralität, in besonderem Maße seiner Stellung als Prozeßsubjekt. Gleiches gilt für seine Rechtsmittelbefugnisse.
79
Den aktiven Beteiligungsrechten zugeordnet sind Befugnisse oder Verpflichtungen der Strafverfolgungsbehörden oder Gerichte, die deren Durchsetzung und Verwirklichung dienen. Neben dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Rdn. Η 71 ff) gehören hierzu die an verschiedenen Stellen geregelten Belehrungs- und Hinweispflichten 260 , die in der Rechtsprechung zum Teil unter Rückgriff auf das Fairnessgebot und die Fürsorgepflicht präzisiert worden sind. Hierzu gehört auch die durch die Anerkennung einer dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörde entzogenen Geheimsphäre 261 gesicherte Befugnis, sich des Beistandes eines Verteidigers bedienen zu können, wobei jedenfalls für den minderbemittelten Beschuldigten das Institut der notwendigen Verteidigung 262 eine auch dem Sozialstaatsprinzip zuzurechnende kompensatorische Funktion erfüllt. Auch die Prozeßvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit dient der Sicherung der aktiven Beteiligungsrechte; nur wenn der Beschuldigte psychisch und physisch in der Lage ist, den Verfahrenshandlungen zu folgen, ihre Bedeutung zu erkennen und auf sie sachgerecht zu reagieren, kann er seine Rolle als Prozeßsubjekt wahrnehmen 263 . Eine Versagung einer beamtenrechtlich etwa erforderlichen Aussagegenehmigung, die das Recht auf Verteidigung in seinem Wesensgehalt antasten würde, darf nach Meinung des Bundesgerichtsho252
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S. auch oben Rdn. Η 39; LR-Hanack Vor § 296, 73 (zur Problematik der Beschwer); Erl. zu Art. 6 MRK (24. Aufl. Rdn. 151); teilw. a . A Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 729 ff mit weit. Nachw. zu dieser umstrittenen Frage. Vgl. Krey 1 776, der diese Befugnisse anschaulich einem „status activus" zuordnet. Näher, auch mit Nachw. der Gegenmeinung, § 136, 35 StPO. Kritisch dazu mit weit. Nachw. u. a. Rieß FS Geerds 513 ff; vgl. auch Wolter Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007 (1991) 85. §§ 6 a, 16, 201, 202 StPO. §§ 257, 258 StPO. S. ζ. B. §§ 230, 231; aber auch §§ 231 a, 231 b, 247 StPO. S. etwa § 245 Abs. 1 Satz 2, § 251 Abs. 2 Satz 1, § 266 Abs. 1 StPO.
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S. ζ. B. neben den §§ 136, 163 a die §§ 35 a, 216 Abs. 1 Satz 1, § 228 Abs. 3, § 231 a Abs. 2, § 233 Abs. 2 Satz 3, § 243 Abs. 4 Satz 1, §247 Satz 4 und vor allem § 265 StPO. Vgl. dazu die Regelungen in § 53 und 148 StPO; s. auch BGHSt 33 347 = JR 1987 77 mit Anm. Rieß, näher die Erl. zu § 148 StPO und unten Rdn. 105. Zur Funktion der notwendigen Verteidigung insgesamt s. die Erl. zu § 140 StPO und unten Rdn. 100. Wegen der Einzelheiten s. die Erl. zu §205 (24. Aufl. Rdn. 12 bis 19); zu den Besonderheiten der Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren s. BGHSt 41 16 = JR 1995 472 f mit Anm. Rieß-, 41 72 ff; Rath GA 1997 214 ff; Widmaier NStZ 1995 361 ff; vgl. auch BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1995 1951.
Stand: 1.8. 1998
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Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
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fes entweder nicht erfolgen oder müßte zur Folge haben, daß ein Strafverfahren nicht durchgeführt werden kann, zulässig sei allenfalls eine Beschränkung in Randbereichen 264 . d) Zu den Regelungen, die dem Schutz des Beschuldigten dienen 265 , gehören seine 80 Aussagefreiheit und das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung, die unter Rdn. 88 ff gesondert erörtert werden. Dem Schutz vor Beeinträchtigung seiner Willensfreiheit bezweckt in erster Linie § 136 a StPO; auf die dortigen Erläuterungen wird verwiesen. Auch das Verbot der reformatio in peius 266 läßt sich dieser Zielrichtung zuordnen. Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Wahrung der körperlichen Integrität 267 , das durch das Verbot der Folter oder sonstigen unmenschlichen Behandlung in den Menschenrechtskonventionen 268 ergänzt wird, erklärt es sich, daß auch eine schwerwiegende Gesundheitsgefährdung durch die Durchführung eines Strafverfahrens, insbesondere der Hauptverhandlung, als Verhandlungsunfähigkeit angesehen wird 269 . Auch die Beschränkung körperlicher Untersuchungen in § 81 a Abs. 1 Satz 2 StPO auf solche, von denen kein Nachteil für die Gesundheit zu befürchten ist, gehört in diesen Zusammenhang, ebenso § 247 Satz 3 StPO, der eine Einschränkung des Anwesenheitsrechts des Beschuldigten vorsieht, wenn andernfalls erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu befürchten sind. Der Schutz der Persönlichkeit des Beschuldigten findet seine Grundlage in der 81 Pflicht zur Achtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde 270 . Seit der sog. Lebach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 271 ist grundsätzlich anerkannt, daß die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten der medialen Berichterstattung auch gegenüber der allgemeinen Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) Grenzen setzen, die durch eine Abwägung der kollidierenden Grundrechte und ihres jeweils aktuellen Gewichts zu bestimmen sind. Auch den staatlichen Strafverfolgungsorganen können hieraus entsprechende Pflichten erwachsen, etwa bei der Information der Medien 272 oder bei der massenmedialen Fahndung 273 . Dem Persönlichkeitsschutz auch des Angeklagten dient ferner die durch das OpferschutzG erweiterte Möglichkeit, die Öffentlichkeit nach § 171 b GVG auszuschließen, wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich erörtert werden. Daß Gericht und Strafverfolgungsbehörden Persönlichkeit und Menschenwürde des Beschuldigten auch im Umgang mit ihm zu achten haben, etwa in der Art, wie er vernommen oder die Verhandlung geleitet wird, ist eine selbstverständliche Rechtspflicht. e) Pflichten des Beschuldigten. Als einziger Handlungspflicht unterliegt der Be- 82 schuldigte der zum Erscheinen und zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung, soweit nicht das Gesetz hiervon Ausnahmen vorsieht 274 , sowie zum Erscheinen von dem Richter und dem Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren 275 . Er hat ferner als Duldungspflicht die ihm gegenüber gesetzlich zulässigen Zwangsmaßnahmen und sonstigen Grundrechtsein264
BGHSt 36 44 = NStZ 1989 331 mit krit. Anm. Salditt. 265 vgl. Krey I 784 „status negativus". 266 §§ 328, 358 Abs. 2, § 373 Abs. 2 StPO. 267 Dazu ausführlich mit weit. Nachw. SK-Rogall Vor § 133, 78 f. 268 Art. 3 MRK, Art. 7 IPBPR; s. die Erl. zur MRK. 269 BVerfGE 51 324, 346; vgl. auch BVerfGE 89 120 = NStZ 1993 598 mit Anm. Meurer, näher die Erl. zu § 205 StPO (24. Aufl. Rdn. 17); § 231, 18. 270 Dazu umfassend mit weit. Nachw. SK-Rogall Vor § 133, 80 ff; femer Roxin § 18, 12 ff; s. auch Krauß FS Gallas 365 ff. (253)
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BVerfGE 35 202, 219 ff; vgl. auch u. a. BVerfGE 62 230 ff; 63 132 ff; 71 206, 214. Näher die Erl. Vor § 169 GVG (24. Aufl. Rdn. 12 ff). Näher § 131, I; 31 ff. Vgl. die §§ 230 ff, femer §§ 329, 350 Abs. 2, §§ 387, 411 Abs. 2 StPO und die dortigen Erläuterungen. Vgl. §§ 133, 134 und § 163 a Abs. 3 StPO und die dortigen Erläuterungen.
Einl. Abschn. I
Einleitung
griffe hinzunehmen, also beispielsweise eine körperliche Untersuchung nach § 81 a StPO, eine Durchsuchung nach § 102 StPO oder eine vorläufige Festnahme nach § 127 StPO oder eine Freiheitsentziehung durch Untersuchungshaft. 83 Zweifelhaft ist, ob der Beschuldigte Unterlassungspflichten insoweit hat, als ihm ein Verhalten untersagt ist, durch das er sich prozessualen Sanktionen, insbesondere der Verhängung der Untersuchungshaft, aussetzt 276 . Dies würde bedeuten, daß er die prozessuale Rechtspflicht hätte, sich nicht verborgen zu halten oder dem Verfahren durch Flucht zu entziehen und keine Verdunkelungshandlungen im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO vorzunehmen; ebenso mußte man im Hinblick auf die §§ 164, 231 b StPO, 177,178 GVG wohl auch annehmen, daß er die Rechtspflicht hätte, Amtshandlungen nicht vorsätzlich zu stören und sich nicht ordnungswidrig zu benehmen. Selbst wenn man eine dahingehende Unterlassungspflicht annehmen wollte, ist zu bedenken, daß ihre Verletzung wegen der Straflosigkeit der (persönlichen) Selbstbegünstigung 277 strafrechtlich, soweit nicht andere Tatbestände verwirklicht werden, nicht sanktioniert wäre und daß prozessual als Sanktion lediglich, falls ihre besonderen Voraussetzungen vorliegen, diejenigen Maßnahmen zulässig wären, die das Gesetz ohnehin gestattet, also die Anordnung der Untersuchungshaft oder von Ordnungsmitteln. Auch wenn man deshalb eine derartige Unterlassungspflicht verneint, folgt daraus nicht, daß der Beschuldigte, sofern die Voraussetzungen für die Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft aus anderen Gründen nicht vorliegen, ein Recht auf Flucht, Sichverborgenhalten oder Verdunkelung hat. Zu der von der Struktur her ähnlich liegenden Frage, ob den Beschuldigten, wenn er sich äußert, eine Wahrheitspflicht trifft, und ob er, wenn man dies zutreffend verneint, ein Recht zur Lüge hat, s. § 136,41 ff. 84
Keine Pflichten, sondern (allenfalls) Obliegenheiten des Beschuldigten liegen in den Fällen vor, in denen das Unterlassen einer Handlung für ihn im weiteren Verlauf des Verfahrens nachteilige Rechtsfolgen zur Folge hat. Dazu gehören die verschiedenen Präklusionsvorschriften 278 . Der Beschuldigte ist (selbstverständlich) nicht verpflichtet, einen Besetzungseinwand geltend zu machen; er verliert diese Möglichkeit aber, wenn er es nicht rechtzeitig tut. Zu diesen bloßen Obliegenheiten gehört auch die Notwendigkeit, nach Einlegung der Berufung einen Anschriftenwechsel mitzuteilen, um eine öffentliche Zustellung zu vermeiden (§ 40 Abs. 3 StPO). Auch die Fälle, in denen der Angeklagte, wenn er weder erscheint noch sich vertreten läßt, die Verwerfung seiner Berufung (§ 329 Abs. 1 Satz 1) oder seines Einspruchs (§412 StPO) zu gewärtigen hat, gehören hierzu.
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f) Beschuldiger als Beweismittel. Der Beschuldigte kann auch Beweismittel sein; sein Verhalten und seine Äußerungen können als Erkenntnisgrundlage verwertet werden 279 . Allerdings bleibt er auch in dieser Eigenschaft, soweit es um seine Äußerungen geht, ein mit selbständigen Verfahrensrechten ausgestattetes Prozeßsubjekt, und er kann diese Befugnisse auch dazu nutzen, das Beweisergebnis zu beeinflussen 280 . Zu unterscheiden ist dabei, ob er, was keinen Besonderheiten unterliegt 281 , als Augenscheinsobjekt, also als Gegenstand des Sachbeweises, auch bei einer Gegenüberstellung oder aufgrund körperlicher Untersuchungen, in Betracht kommt, ob seine schriftlichen Äußerungen im 276
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Dazu ausführlich und kritisch Paeffgen Dogmatik der Untersuchungshaft (1986) 80 ff; ablehnend Eb. Schmidt Nachtr. I § 136, 20. LK-Ruß § 257, 20; § 258, 31; Tröndle« § 258, 13; vgl. auch (auch zur Strafbarkeit aufgrund anderer Tatbestände) Rogall (Beschuldigter) 37 ff. So etwa §§ 6a, 16, 25 Abs. 1, § 222 b Abs. 1 Satz 1 StPO.
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AUg. M; vgl. etwa KK-Pfeiffer Einl. 90; Henkel 172; Roxin § 25, 1; Schlächter 86; SK-Rogall Vor § 133, 122 ff; ausführlich Rogall (Beschuldigter) 31 ff; zur besonderen Problematik des Geständnisses und seiner terminologischen Hervorhebung s. Rdn. G 55 ff. SK-Rogall Vor § 133, 122; Peters 203. KK-Pfeiffer Einl. 90; SK-Rogall Vor § 133, 128; Prittwitz (Mitbeschuldigter) 197.
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Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
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Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, oder ob er durch mündliche Äußerungen entweder im Rahmen seiner prozessualen Erklärungsrechte oder bei seiner Vernehmung als Aussageperson tätig wird. Ob der Beschuldigte, soweit es um seine Äußerungen· geht, (materielles) Beweismit- 86 tel ist 282 , ist dogmatisch umstritten. Dagegen wird eingewandt, daß die Äußerungsmöglichkeit des Beschuldigten aus seinem Anspruch auf rechtliches Gehör herzuleiten sei und mit der Beweiserhebung nichts zu tun habe 283 . Für die Praxis dürfte dieser Streit bedeutungslos sein 284 . Denn nach § 261 StPO ist Entscheidungsgrundlage für das erkennende Gericht der Inbegriff der Hauptverhandlung, und zu diesem gehören auch, ganz gleich, wie man sie dogmatisch qualifiziert, die hierbei abgegebenen oder eingeführten Äußerungen des Beschuldigten. Für die Sachverhaltsermittlung in Ermittlungsverfahren gilt wegen der auch hier grundsätzlich vorgesehenen Vernehmung des Beschuldigten das gleiche. Allerdings haben gegenüber den übrigen Mitteln des Personalbeweises die Äußerun- 87 gen des Beschuldigten wegen seiner Doppelrolle einen besonderen Charakter. Es steht dem Beschuldigten frei, ob er sich freiwillig zum Beweismittel machen oder von seinem Schweigerecht Gebrauch machen will, seine Einlassung ist immer ein „freiwillig dargebotenes Beweismittel", wenn auch möglicherweise ein solches von hohem Wert 285 . Der Beschuldigte unterliegt darüber hinaus nach fast einhelliger Meinung keiner Wahrheitspflicht (§ 136, 41), und er wird mit seiner Einlassung nicht selten mehr das Interesse an einem ihm günstigen Verfahrensausgang als an einer objektiven Sachaufklärung verfolgen. Dies alles sind Umstände, die die Strafverfolgungsbehörden und das Gericht veranlassen können, bei der Bewertung besondere Sorgfalt walten zu lassen und beispielsweise auch ein Geständnis nicht unkritisch hinzunehmen (s. auch Rdn. G 55 ff, § 244, 10; 33); sie rechtfertigen es aber nicht, die Beweismittelqualität solcher Einlassungen zu negieren. Zur Bewertung des Aussageverhaltens für die freie Beweiswürdigung insgesamt s. Rdn. 93. 3. Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung a) Grundlagen. Hinweise. Die durch die Belehrungspflichten des § 136 Abs. 1 Satz 2, 88 § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO in der seit 1964 geltenden Fassung 286 eindeutig positivrechtlich geregelte, wenn auch schon seit jeher anerkannte Aussagefreiheit des Beschuldigten ist Ausfluß und Bestandteil des weitergehenden Grundsatzes, daß niemand gezwungen werden darf, durch eigenes (aktives) Tun an seiner strafrechtlichen Überführung mitzuwirken. Dieser Grundsatz „nemo tenetur, se ipsum accusare" (prodere) 287 findet seine gesetzlichen Grundlagen über die §§ 136, 243 StPO hinaus in § 55 StPO sowie in Art. 14 Abs. 3 Buchst, g IPBPR; ob er auch aus der MRK, und bejahendenfalls aus welchen Verbürgun282
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BGH 28 196, 198 (wichtige Quelle zur Erkenntnis des Sachverhalts); BGH NStZ 1984 377; KK-Herdegen § 244, 1; 2; Kleinknecht/Meyer-Goßnei43 § 244, 2; SK-Rogall Vor § 133, 124; Schlächter 443; Rogall 31; s. auch näher § 244, 9 ff. So insbesondere Prittwitz (Mitbeschuldigter), 197 ff; dazu ausführlich SK-Rogall Vor § 133, 126. Vgl. auch Dencker ZStW 102 (1990) 54 Fußn. 14, der die Frage als eine terminologische bezeichnet. So schon die Motive (Hahn 139). S. auch § 234, 16 zu der umstrittenen Frage, ob und wieweit der vertretungsberechtigte Verteidiger Sacheinlassungen für den (abwesenden) Angeklagten abgeben darf;
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dazu neuestens auch BGH StV 1998 59 mit Anm. Park mit weit. Nachw. S. Rdn. Ε 98; zur Entstehungsgeschichte und Bedeutung der Änderung s. 21. Aufl. EB § 136, 2; § 243. 7; Eb. Schmidt Nachtr. I Vor § 133,4; § 136, 1 ff, 14; § 243, 30. Zu den Wurzeln und zur Entwicklung eingehend Rogall (Beschuldigter) 67 ff; weit. Nachw. hierzu bei SK-Rogall Vor § 133, 130; s. femer Verrel NStZ 1997 361 ff; Pawlik GA 1998 379 ff; Weßlau ZStW 110 (1998) 1 ff (zu den Verbindungen zu heimlichen Ermittlungsmaßnahmen); zu seiner Bedeutung für Beweisverbote s. unten Rdn. Κ 66 ff.
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Einleitung
gen abgeleitet werden kann, ist umstritten 288 . Verfassungsrechtlich ist er in der Pflicht zur Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 2), in der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht verankert 289 und dürfte Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips sein 290 und damit zum sog. „verfassungsfesten Minimum" (Art. 79 Abs. 3 GG) gehören. 89 Über die bloße Aussagefreiheit des Beschuldigten als selbstverständlicher Bestandteil eines neuzeitlichen, rechtsstaatlichen Strafverfahrens 291 geht das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung in mehrfacher Hinsicht hinaus 292 . Es betrifft auch alle anderen Verfahrensbeteiligten, insbesondere Zeugen, bezieht sich auch auf andere Formen aktiver Mitwirkung, namentlich auf die Editionspflicht nach § 95 StPO, und erstreckt sich auch auf die strafprozessualen Auswirkungen von Mitwirkungs- und Auskunftspflichten in anderen Rechtsbereichen und außerhalb des Strafverfahrens 293 . Auch seinem Schutz dient das sich darin allerdings nicht erschöpfende Verbot des unzulässigen Zwanges in § 136 a StPO. Andererseits enthält das nemo-tenetur-Prinzip nur das Verbot des (evtl. auch indirekten) Zwanges zur (selbstbelastenden) Mitwirkung; es schließt eine freiwillige Mitwirkung nicht aus und bietet nach allerdings nicht unumstrittener Auffassung für sich allein nicht schlechthin einen Schutz gegen Täuschung und Irrtum 294 , so daß auch die heimliche Ermittlungsmethoden nicht ohne weiteres gegen diesen Grundsatz verstoßen 295 , sondern in ihrer Zulässigkeit nach anderen Vorschriften und Grundsätzen zu beurteilen sind. 90
Die vielfachen Ausstrahlungen und Auswirkungen der Aussagefreiheit und des nemo-tenetur-Grundsatzes auf das Verfahren werden in diesem Kommentar bei den jeweiligen Vorschriften behandelt; nachfolgend werden nur die wichtigsten Grundzüge dargestellt. Im übrigen wird vor allem hingewiesen zu den damit in Zusammenhang stehenden Beweisverboten auf die Erläuterungen unter Rdn. Κ 43 ff, 66 ff in dieser Einleitung, zu Vernehmungen und den Belehrungen auf die Erl. in § 136, 21 ff; zu den Grenzen der freien Beweiswürdigung auf die Erl. zu § 261 296 , zur Auslegung des § 14 Abs. 3 Buchst, g IPBPR auf die dortigen Erläuterungen bei Art. 6 MRK 297 , sowie zur Anwendung des .Grundsatzes auf Zeugen auf die Erl. zu § 55 StPO.
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b) Im eigenen Strafverfahren, also für den Beschuldigten selbst, umfaßt das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung jede Form der aktiven Mitwirkung, also neben den Aussagen auch die Herausgabe von Beweisgegenständen gemäß § 95 StPO 298 oder die Mitwirkung an Versuchen, Tests, Explorationen, die Zurverfügungstellung von Schriftproben und ähnliches 299 . Passive Duldungs- und Verhaltenspflichten werden dagegen nach der 288
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Vgl. die Erl. zu Art. 6 MRK (24. Aufl. Rdn. 248); SK-Rogall Vor § 133, 131. S. u. a. BVerfGE 38 111 ff; 55 150; 56 37 ff (sog. Gemeinschuldnerentscheidung); 65 1, 46; BGHSt 1 39; 38 214, 220; 38 263, 266. Näher zu der teilweise umstrittenen Zuordnung zum Rechtsstaatsprinzip mit weit. Nachw. SK-Äogall Vor § 133, 132; Nothhelfer 75 ff (Recht auf informationelle Selbstbestimmung); krit. zur Überbetonung der verfassungsrechtlichen Ableitungen ζ. B. Verrel NStZ 1997 364 f. Über die frühere Rechtslage bis zum Ende des Inquisitionsprozesses, die diesen Grundsatz teilweise kraß mitachtete, s. eingehend Plöger 121 ff (zusammenfassend S. 459 ff). S. SK-Rogall Vor § 133, 130. Hierzu insbesondere BVerfGE 56 37 ff (Gemeinschuldnerentscheidung) und dazu ausführlich Schäfer FS Dünnebier 11 ff; ferner Dingeldey NStZ 1984 529; Stürner NJW 1981 1757; s. auch
unten Rdn. 95; ferner BGHSt 37 340, 342 f (zur Abgabe eidesstattlicher Versicherungen nach § 807 ZPO). Zur Frage, ob dies auch von der Verbürgung in Art. 14 IPBPR umfaßt ist, s. die Erl. zu Art. 6 MRK (24. Aufl. Rdn. 252). 294 SK-Rogall, Vor § 133, 140 mit weit. Nachw. »5 BGHSt 42 139, 151 ff (GSSt) = NStZ 1996 502, 504 mit Anm. Rieß (sog. Hörfallenentscheidung); gegen diese u. a. Renzikowski JZ 1997 710 ff; Roxin NStZ 1997 18 ff; vgl. auch (jedenfalls keine Frage des nemo-tenetur-Prinzips) Verrel NStZ 1997 417 f; ausführlich und differenziert Weßlau ZStW 1998 (1998) 2 ff; ferner Pawlik GA 1998 383 ff; s. auch LR-Hanack § 136, 66; § 136 a, 37 a. 296 24. Aufl. Rdn. 73 bis 80. 29 ? 24. Aufl. Rdn. 248 bis 256. 298 Näher die Erl. zu § 95 StPO, allg. M. 299 BGHSt 8 144 ff; 14 21, 23; teilweise abweichend Verrel NStZ 1997 417 f.
Stand: 1. 8. 1998
(256)
Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
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herrschen und zutreffenden Meinung davon nicht berührt . Die gesetzlichen Vorschriften, die solche Maßnahmen gegen ihn gestatten, sie zugleich aber auch begrenzen, wie etwa §§ 81, 81 a, oder 102 StPO, werden also im Grundsatz auch durch die verfassungsrechtliche Fundierung dieses Verbots nicht in Frage gestellt. c) Würdigung des Prozeßverhaltens. Einem indirekter Zwang zur eigenen Mitwir- 92 kung an der Aufklärung wäre der Beschuldigte ausgesetzt, wenn im Rahmen der Beweiswürdigung oder der Strafzumessung an sein erlaubtes Verhalten ihm ungünstige Konsequenzen geknüpft würden; auch dies würde gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstoßen. Es ist deshalb grundsätzlich anerkannt, daß zulässiges Prozeßverhalten insoweit nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden darf; auch wenn die Einzelheiten umstritten sind 301 . Bei der Beweiswürdigung gilt das Verbot, aus dem Schweigen des Beschuldigten 9 3 Schlüsse zu ziehen, als normatives Postulat selbst dann, und insoweit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) rechtlich einschränkend, wenn es nach der Lebenserfahrung an sich zulässig wäre — was keineswegs immer der Fall ist 302 —, Schlüsse zu seinem Nachteil zu ziehen. Dieser Grundsatz ist (heute) unbestritten, soweit es darum geht, daß der Beschuldigte völlig schweigt 303 , wobei ein bloß allgemeines Bestreiten, sonstige pauschale Erklärungen oder eine nur rechtliche Stellungnahme den Bereich des völligen Schweigens noch nicht verläßt 304 . Gleiches gilt auch, wenn er (zeitweiliges Schweigen) in bestimmten Verfahrensabschnitten schweigt, sich in anderen aber äußert 305 . Darunter fällt sowohl das anfängliche Schweigen als auch das nachträgliche, etwa erst in der Hauptverhandlung oder nach Verteidigerkonsultation, gewählte. Allerdings schützt die nachträgliche Entscheidung für das Schweigen den Beschuldigten nicht davor, daß seine früheren Äußerungen durch Verlesung eines gerichtlichen Protokolls oder durch Vernehmung der Verhörspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt und damit zur Entscheidungsgrundlage des erkennenden Gerichts gemacht werden. Anders ist dies nach der Rechtsprechung 306 und wohl herrschenden zutreffenden Meinung im Schrifttum 307 bei teilweisem Schweigen, also wenn der Beschuldigte sich (bei einer prozessualen Tat 308 ) nur teilweise zur Sache, also mit näheren Angaben zum Tatvorwurf äußert. Hier steht der nemo-tenetur-Grundsatz rechtlich einer ungünstigen Beweiswürdigung nicht entgegen. Auch aus sonst zulässigem Prozeßverhalten dürfen keine negativen Schlüsse bei der 94 Beweiswürdigung gezogen werden, auch wenn dies an sich möglich wäre, so etwa, wenn 300
BVerfGE 56 3 7 , 4 2 ; BGHSt 34 39,45; KK-Pfeiffer Einl. 89 a. E; Kleinknecht/Meyer-Goßner« Einl. 80; SK-Rogall Vor § 133, 141; Eb. Schmidt Nachtr. I § 136; 19; Rogall (Beschuldigter) 54 ff; teilw. abweichend ζ. B. Wolfslast NStZ 1987 104. 3»i Dazu ausführlich SK-Rogall Vor § 133, 197 ff mit weit. Nachw.; s. auch in diesem Kommentar § 136, 25 und die Erl. zu § 261 (24. Aufl. Rdn. 73 ff). 302 S. näher § 136, 27 und bei § 261 mit weit. Nachw.; älteres Schrifttum und ältere Rspr. insgesamt zu dieser Problematik auch bei LR-Meyer23 § 136, 28 ff. 303 So in der Rspr. etwa BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1995 555; BGHSt 20 281; 25 365; 32 140, 144; 34 324; BGH StV 1989 90; kritisch Arzt (Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo [1997]) 23 ff. 304 S. ζ. B. aus der Rspr. BGHSt 25 365, 368; 34 324, (257)
326; 38 307; BGH StV 1992 548; NStZ 1998 209 (Widerruf früherer Aussagen kein pauschales Bestreiten); BayObLG MDR 1988 882; OLG Celle NJW 1974 202 f. 305 Nachw. bei § 261; femer bei SK-Rogall Vor § 133, 199; s. auch Kühl JuS 1986 118 ff. 306 BGHSt 20 298; 32 144 = NStZ 1984 377 mit Anm. Volk; näher § 136, 27 und bei § 261 (24. Aufl. 78); weit. Nachw. bei SK-Rogall Vor § 133, 200. 307 KK-Hürxtal § 2 6 1 , 41; Kleinknecht/Meyer-Goßner* § 2 6 1 , 17; Beulke 495; Henkel 177 Fußn. 20; Roxin § 15, 26; Schluchter 467; SK-Schluchter § 261, 39; Schnedes 284; Rieß JA 1980 295; a. A SK-Rogall Vor § 136, 202 ff; Eisenberg (Beweisrecht) 407 ff; Gössel 264; Rüping3 102 und JR 1974 138. a » Vgl. BGHSt 32 140, 145 = NStZ 1984 377 mit Anm. Volk-, s. näher SK-Rogall Vor § 133, 196.
Peter Rieß
Einl. Abschn. I
Einleitung
der Beschuldigte keine Entbindung von der Schweigepflicht ausspricht 309 , Beweisanträge stellt oder sie zu stellen unterläßt 310 , Ausführungen seines Verteidigers nicht entgegentritt 311 oder sein Erklärungsrecht nach den §§ 257, 258 ausübt, soweit darin keine Teileinlassung liegt 312 . 95 Vergleichbare und teilweise noch weiter gehende Grundsätze gelten für die Strafzumessung 313 ; hier spielt auch die Unterscheidung zwischen Teilschweigen und völligem Schweigen keine Rolle 314 . Bestreitet der Beschuldigte die Tat oder schweigt er, so darf ihm nicht als straferschwerendes Nachtatverhalten angelastet werden, daß er kein Bedauern über sie gezeigt, den Schaden nicht ausgeglichen oder sich beim Verletzten nicht entschuldigt hat 315 . Auch eine unwahre Einlassung kann für sich allein allenfalls ganz ausnahmsweise straferschwerend wirken 316 . Allerdings vermag dies nichts daran zu ändern, daß dem Beschuldigten, dessen Prozeßverhalten dies ausschließt, strafmildernde Vorteile des sog. Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 46 a StGB) nicht zugute kommen können 317 . Wegen weiterer Einzelheiten zum Verhältnis der Wahrnehmung der zulässigen prozessualen Möglichkeiten zum Nachtatverhalten wird auf die Kommentare zum materiellen Strafrecht verwiesen 318 . 96
d) Zeugnispflichten und sonstige Auskunfts- und Mitwirkungspflichten in einem gegen einen anderen gerichteten Strafverfahren oder außerhalb eines solchen können in erheblicher Weise den Grundsatz des Verbots der Selbstbelastung beeinträchtigen, wenn sie zur Folge haben, daß aufgrund der geschuldeten Angaben oder sonstigen Mitwirkungspflichten der Verdacht einer den Auskunftspflichtigen betreffenden Straftat aufgedeckt oder ihre Aufklärung sonst erleichtert wird. Auch in solchen Fällen erfordert es deshalb der nemo-tenetur-Grundsatz, daß in möglichst großem Umfang ein Schutz vor derartigen Selbstbelastungen existiert 319 . Anders als bei der generellen Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten in seinem eigenen Strafverfahren geht es hier um Fälle, in denen die Rechtsordnung von einer allgemein notwendigen Mitwirkungspflicht ausgeht und legitimerweise ausgehen muß. Der Beachtung des nemo-tenetur-Grundsatzes muß daher auf andere Weise Rechnung getragen werden als durch einen generellen Verzicht auf den Zwang zur aktiven Mitwirkung. Unabhängig davon, daß es auch aus Gründen der allgemeinen Handlungsfreiheit und des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angebracht sein kann, solche aktiven Handlungs-, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten zu begrenzen und daß dadurch, soweit dies möglich ist, auch dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit als Nebenfolge Rechnung getragen werden kann 320 , muß dieser entweder dadurch berücksichtigt werden, daß bei drohender Selbstbelastung die Auskunftspflicht entfällt, oder daß sie bei ihrem Bestehenbleiben durch Offenbarungs- und Verwertungsverbote ihrer strafrechtlich nachteiligen Folgen entkleidet wird (dazu Rdn. 98 f). 309
Näher § 53, 67; 72. Vgl. BGH NStZ 1990 447. 111 S. aber BGH StV 1998 59 mit krit. Anm. Park. 312 Dazu mit weit. Nachw. Dahs/Langkeit NStZ 1993 214 f. 313 SK-Rogall Vor § 133, 207 mit weit. Nachw.; s. auch § 136, 28 mit weit. Nachw. und bei § 261 (24. Aufl. Rdn. 76). 314 § 136, 27 mit weit. Nachw.; SK-Rogall aaO, der dies zu Unrecht als ein Argument gegen die h. Μ verwenden will, die das Teilschweigen bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen gestattet. 3| 5 Vgl. auch BGH NStZ-RR 1996 71 (Verschweigen der Hintermänner). 316 § 136, 42 mit weit. Nachw. 310
317
Deshalb dürfte umgekehrt zu erwägen sein, daß die in dieser Vorschrift genannten Verhaltensweisen, wenn sie von einem bestreitenden Beschuldigten stammen, im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 261 StPO nicht als Schuldindizien verwendet werden dürfen. 3| 8 S. etwa LK-Gribbohm § 46, 193 ff; Schönke/Schröder/Stree 41 f; Tröndle« § 46, 29 ff. 319 Dazu grundsätzlich BVerfGE 56 37 ff; ferner LR/f. Schäfer» Einl. 14 29 ff; SK-Rogall Vor § 133, 142; 144 ff; 161; ferner u. a. K. Schäfer FS Dünnebier 11 ff; StUrner NJW 1981 1757; Dingeldey NStZ 1984 529 ff; Franzheim NJW 1990 2049 ff; Michalke NJW 1990 417 ff. 32( > S. SK-Rogall Vor § 133, 138; 144 ff.
Stand: 1. 8. 1998
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Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
Die erste Lösungsmöglichkeit findet sich als durchgängiges Regelungsmuster als Ein- 97 schränkung der Zeugnispflicht in allen gerichtlichen Verfahrensordnungen, so auch in den §§ 55, 56 StPO 321 . Die allgemeine Pflicht zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Aussage entfällt hier insoweit, als der zur Aussage Verpflichtete sich dadurch der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung aussetzen würde. Aus der Berufung auf das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO des als Zeugen vernommenen späteren Beschuldigten dürfen im Verfahren gegen ihn, wie bei seinem eigenen Schweigerecht, keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden 322 . Die teilweise umstrittenen Einzelheiten der Reichweite dieser Vorschriften sind nicht hier, sondern bei der Einzelkommentierung zu erläutern. Auch im übrigen und in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts sehen die einschlägigen Normen vielfach vergleichbare Auskunftsverweigerungsrechte vor 323 . Sofern der Gesetzgeber aus übergeordneten Gründen im privatrechtlichen oder öffent- 98 lich-rechtlichen Bereich eine bezogen auf den jeweiligen Auskunftzweck uneingeschränkte Auskunftspflicht statuiert, ist er bei nachkonstitutionellen Normen verfassungsrechtlich gehalten, den nemo-tenetur-Grundsatz durch die Schaffung von Verwertungs- und Offenbarungsverboten für die Strafverfolgung abzusichern. Bei vorkonstitutionellen Normen 324 (und nur bei diesen) folgt ein im Einzelfall richterlich zu konkretisierendes strafprozessuales Verwertungsverbot unmittelbar aus der Verfassung 325 . Für den diese Rechtsprechung auslösenden Ausgangsfall 326 der Auskunftspflicht nach § 100 KO hat der Gesetzgeber dieser Rechtsprechung inzwischen dadurch Rechnung getragen, daß er in § 97 Abs. 1 Satz 3 der die KO mit Wirkung vom 1.1. 1999 ablösenden InsO, also einer nachkonstitutionellen Regelung, ein entsprechendes Verwertungsverbot ausdrücklich statuiert hat. Danach dürfen Auskünfte, die der Gemeinschuldner pflichtgemäß erteilt, in einem Straf- oder Bußgeldverfahren gegen ihn oder einen Angehörigen nur mit seiner Zustimmung verwendet werden. Damit ist für diesen, gesetzgeberisch wohl modellhaften Fall zugleich (argumentum e contratio) entschieden, daß die Selbstbelastungsfreiheit sich nicht auf die Gefahr einer disziplinarrechtlichen, berufsrechtlichen oder standesrechtlichen Sanktionierung bezieht, was im übrigen umstritten ist 327 . Nach der Rechtsprechung sollen solche Verwertungsverbote allerdings nur dann beste- 99 hen, wenn eine gesetzliche Auskunftspflicht besteht, dagegen nicht, wenn sie lediglich die Belastung mit einem Beweisrisiko, wie im Falle eines Asylbewerbers 328 , oder die Erfüllung einer zivilrechtlichen Obliegenheit 329 zum Gegenstand haben. Sie greifen auch nicht ein, wenn es lediglich um die Vermeidung von Vermögensnachteilen, um die Offenbarung von Geheimnissen oder eines unehrenhaften Verhaltens geht (§ 384 ZPO), denn dies hat mit dem nemo-tenetur-Grundsatz nichts zu tun 330 . 321
322
323 324 325 326
E b e n s o e t w a § 3 8 4 Nr. 2 Z P O , der f ü r das A r b G G (§ 46 A b s . 2), die F G O (§ 82), das S G G ( § 1 1 8 ) und die V w G O (§ 9 8 ) e n t s p r e c h e n d a n w e n d b a r ist; § 26 Abs. 2 Β D O ; § 116 Satz 2 B R A O ; z u m G a n zen S K - R o g a l l V o r § 133, 142; vgl. auch B G H S t 27 3 7 4 ff (zur R e i c h w e i t e insgesamt s o w i e im anwaltlichen A u f s i c h t s v e r f a h r e n ) . B G H S t 3 8 302 = JR 1 9 9 3 3 8 0 mit A n m . Rogall: O L G Stuttgart N S t Z 1981 2 7 2 ; Dahs/Langkeit N S t Z 1993 2 1 3 ff. N ä h e r S K - R o g a l l V o r § 133, 144 mit weit. N a c h w . D a z u näher Schäfer F S D ü n n e b i e r 38 ff. B V e r f G E 5 6 3 7 ff. Zu vergleichbaren Fällen und ihrer B e h a n d l u n g in der Rspr. d e r F a c h g e r i c h t e s. Schäfer FS D ü n n e b i e r 13 ff.
(259)
327
S. mit weit. N a c h w . S K - R o g a l l V o r § 133, 149; f ü r § 5 5 s. § 5 5 , 2 . » B G H S t 3 6 328, 334, 3 3 6 ; O L G H a m m N S t Z 1989 187, 188; O L G Düsseldorf StV 1 9 9 2 5 0 3 ; SK-Äogall V o r § 133, 139; a. Α O L G H a m b u r g JR 1986 167 mit abl. A n m . Meyer, Roxin § 25, 13. 329 S o f ü r die A n g a b e n g e g e n ü b e r d e m H a f t p f l i c h t v e r sicherer B V e r f G ( K a m m e r e n t s c h e i d u n g ) V R S 9 0 (1996) 8; K G N Z V 1994 4 0 3 ; dazu Geppert J u r a 1995 4 3 9 ff; ferner f ü r Ä u ß e r u n g e n g e g e n ü b e r d e m Arbeitgeber O L G Karlsruhe N S t Z 1989 2 8 7 mit A n m . Rogall-, SK-Rogall V o r § 133, 139; Roxin § 2 5 , 13; a . Α O L G Celle J R 1982 4 7 5 mit abl. A n m . Rengier; s. auch Verrel N S t Z 1997 362. 32
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Peter Rieß
SK-Rogall
V o r § 133, 150.
Einl. A b s c h n . I 100
Einleitung
Gesetzliche Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten, wie sie vielfach im öffentlichen Recht bestehen, berühren als solche das Verbot des Selbstbelastungszwanges grundsätzlich nicht, wenn ihr Hauptzweck in der Erfüllung anderer Aufgaben als der Ermöglichung einer Strafverfolgung liegt 331 . Dies soll auch dann gelten, wenn dem Verpflichteten insoweit gegenüber den Verwaltungsbehörden eine Pflicht zur Herausgabe solcher Unterlagen und zur Gewährung von Einsicht in sie obliegt 332 . Im Schrifttum wird teilweise verlangt 333 , die Weitergabe solcher Unterlagen an die Strafverfolgungsbehörde nach den Grundsätzen des Gemeinschuldnerurteils (BVerfGE 56 37) dann zu untersagen, wenn die Dokumentationspflicht auch bereits begangene Straftaten umfaßt. Uneingeschränkt zulässig ist auch nach dieser Meinung die strafprozessuale Beschlagnahme solcher Unterlagen. Für das Steuerrecht enthalten die §§ 30, 393 AO eine gesetzliche Sonderregelung 334 . 4. Verteidigung und Verteidiger
101
a) Materielle und formelle Verteidigung. Die Summe der dem Beschuldigten eingeräumten Befugnisse, die seine Eigenschaft als Prozeßsubjekt konstituieren, lassen sich auch dahin zusammenfassen, daß sie es ihm ermöglichen, sich gegen den Tatverdacht und den Schuldvorwurf zu wehren, also sich zu verteidigen. Sie umfassen insgesamt das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der materiellen Verteidigung 335 . Zu dieser gehört auch die durch § 137 StPO gewährleistete, verfassungsrechtlich garantierte 336 und als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 2 Buchst, c MRK, Art. 14 Abs. 3 Buchst, d IPBPR verbürgte 337 Befugnis, sich dabei in jeder Lage des Verfahrens, also auch schon von Beginn des Ermittlungsverfahrens an 338 , des Beistandes eines Dritten, des Verteidigers, zu bedienen.
102
Diese formelle Verteidigung durch eine dazu besonders qualifizierte Person, nämlich (§ 138 StPO) grundsätzlich einen Rechtsanwalt oder einen Hochschullehrer, steht teilweise als gewillkürte Verteidigung im Belieben des Beschuldigten; sie wird aber in erheblichem und in der Entwicklung der Strafprozeßordnung zunehmendem Umfang 339 ohne Rücksicht auf den Willen des Beschuldigten, sich verteidigen zu lassen, als notwendige Verteidigung vom Gesetz vorgeschrieben (§ 140 StPO) 340 . In diesen Fällen wiederum ist zu unterscheiden, ob sich der Beschuldigte, was grundsätzlich Vorrang hat 341 , eines von ihm gewählten Verteidiger bedient (Wahlverteidiger), oder ob ihm durch einen Hoheitsakt des Gerichts ein solcher bestellt wird (bestellter Verteidiger oder Pflichtver331
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Ausführlich mit weit. Nachw. SK-Rogall Vor § 133, 144 ff; s. femer u. a. Dingeldey NStZ 1984 534; Franzheim NJW 1990 2049; Michalke NJW 1990 417; Schäfer FS Dünnebier; 40 ff; Verrel NStZ 1997 363 f. BVerfGE 55 144 ff; vgl. auch BVerfG (Vorprüfungsausschuß) NJW 1982 568 (Fahrtenbuchauflage). SK-Rogall Vor § 133, 146 mit weit. Nachw.; Michalke NJW 1990 417, 421. Dazu ausführlich und teilweise kritisch u. a. Schäfer FS Dünnebier 18 ff; Reiß (Besteuerungsverfahren); Rüping/Kopp NStZ 1997 530 ff; Streck StV 1981 362; näher die Kommentare zur AO und zum Steuers trafrecht. Vgl. dazu und zur Abgrenzung zur formellen Verteidigung u. a. auch SK-Rogall Vor § 133, 95; Schroetter 146 ff; aus der Rspr. s. etwa BVerfGE
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341
26 66, 71; BGHSt 38 372, 374; s. ferner Gössel ZStW 94 (1982) 27 ff. BVerfGE 39 156, 164; 63 380, 390 ff; 64 135, 145; 66 313, 319; 68 237, 255. Wegen der Einzelheiten hierzu s. die Erl. bei Art. 6 MRK (24. Aufl. Rdn. 195 ff). Dazu Rieß FS Reichsjustizamt 405 f. Rieß FS Reichsjustizamt 411 ff. Weitere Fälle notwendiger Verteidigung finden sich etwa (teilweise inzidenter) in §§ 81, 117 Abs. 4 Satz 1, § 118 Abs. 2 Satz 2, § 231 a Abs. 4, § 350 Abs. 3 Satz 1; §§ 364 a, 364 b; zum Ganzen Rieß StV 1981 461 f. S. die Formulierung in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO („der noch keinen Verteidiger hat") sowie § 143 StPO; wegen der zahlreichen Einzelprobleme s. die Erl. zu den §§ 137 ff.
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teidiger ). In ihrer prozessualen Stellung unterscheiden sich beide grundsätzlich nicht voneinander. Dies gilt insbesondere für die Ausschließungsregelungen der §§ 138 a ff StPO; auch der bestellte Verteidiger kann nicht einfach bei Vorliegen eines Ausschließungsgrundes abberufen werden343. Für die Wirksamkeit und Effektivität der Verteidigung im materiellen Sinne ist unter 103 den heutigen Bedingungen des Strafverfahrens die Mitwirkung eines Verteidigers von zentraler Bedeutung. Sie dürfte im Laufe der Entwicklung wegen der zunehmenden Komplizierung und Ausdifferenzierung des formellen und materiellen Strafrechts erheblich gewachsen sein344. Nicht nur der unerfahrene und unbeholfene Beschuldigte, sondern durchaus auch der in seinen sonstigen Lebensverhältnissen erfahrene, leistungsfähige und kompetente Beschuldigte unterliegt im Strafprozeß vielfach einem strukturellen Autonomiedefizit, das nur durch die Mitwirkung eines professionellen Helfers ausgeglichen werden kann. Dessen Hilfe ist darüber hinaus auch deshalb erforderlich, weil sie gegenüber der emotionalen Befangenheit und persönlichen Betroffenheit, in der sich der Beschuldigte selbst notwendigerweise befindet, das erforderliche Gegengewicht darzustellen vermag. Wenn das Gesetz dennoch keine umfassende notwendige Verteidigung vorschreibt, so ist hierfür neben fiskalischen Gründen345 in einfach gelagerten Fällen und bei geringen Sanktionen die Anerkennung der Handlungsfreiheit des Beschuldigten maßgebend346. Auch außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle kann sich aber die Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung unmittelbar aus der Verfassung ergeben347. b) Gesetzliche Grundlagen. Hinweise. Die StPO hat über die programmatische Aus- 104 sage des § 137 StPO hinaus, daß der Beschuldigte sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen könne, die Einzelheiten seiner Wahl oder Bestellung und einen Kernbestand seiner Befugnisse in den §§137 bis 149 StPO detailliert geregelt; die Befugnisse und Handlungsmöglichkeiten des Verteidigers werden außerdem an zahlreichen Stellen besonders erwähnt348. Sie gehen teilweise, auch wenn der Beteiligte dem Beschuldigten Beistand zu leisten hat, über die Befugnisse, die diesem selbst zustehen, hinaus oder unterliegen geringeren Einschränkungen. In anderen Zusammenhängen stellt das Gesetz auf die Anwesenheit oder Mitwirkung eines Verteidigers ab, wenn es bestimmte Abweichungen vom normalen Verfahrensablauf vorsieht349; hieran anknüpfend hat gerade die neuere, nicht unumstrittene Rechtsprechung im Falle bei der Mitwirkung eines Verteidigers und von dessen Beistandsfunktion ausgehend dem verteidigten Beschuldigten zur Obliegenheit gemacht, bei Vermeidung von Rechtsnachteilen ihm schädlichen Verfahrensergebnissen rechtzeitig zu widersprechen (sog. Widerspruchslösungen)350, oder sie hält es für zulässig, daß einzelne Verfahrenshandlungen, etwa 342
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Die Bezeichnung „Pflichtverteidiger", die der StPO an sich fremd ist, wenn sie auch vielfach verwendet wird, knüpft an § 49 Β RA Ο an. So jetzt zu Recht BGHSt 42 94 = NStZ 1997 46 mit Anm. Weigend; die Frage war seit der Schaffung der AusschluBregelung umstritten. Vgl. auch AK-Stern Vor § 137, 12 (zum Aufgabenbereich); Ergebnisse der Rechtstatsachenforschung bei AK-Stern Vor § 137, 91 ff und bei Vogtherr. AK-Stern Vor § 140, 5. Zu den Tendenzen s. etwa (unterschiedlich) AKStern Vor § 140, 4 ff; Welp ZStW 90 (1978) 101; Beulke (Verteidiger) 71 ff; Rieß StV 1981 461; Überlegungen de lege ferenda hierzu etwa bei Herrmann StV 1996 3% ff.
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So BVerfGE 46 202 für die Verteidigung in der Revisionsinstanz; zum Verfassungsrang des Anspruchs auf Verteidigerbestellung s. auch BVerfGE 39 238, 243; 6 3 380, 391; 65 171, 175; 66 313, 318; zum Ganzen AK-Stern Vor § 140 4 ff; SK-Äogall Vor § 133,97. Vgl. insgesamt zu den Befugnissen des Verteidigers die Übersichten etwa bei K K - P f e i f f e r Einl. 70 ff; ferner Beulke 147 ff. Beispiele etwa §§ 234 a; 251 Abs. 1 Nr. 4; Abs. 2 Satz 1; § 407 Abs. 2 Satz 2; § 418 Abs. 4 StPO. Im Anschtuß an ähnliche Ansätze etwa bereits in BGHSt 25 325 (Beschuldigtenbelehrung in der Hauptverhandlung) s. etwa BGHSt 38 214, 226 (bei der Geltendmachung von Verwertungsverboten bei unterlassenen Belehrungen); BGHSt 39
Einl. Abschn. I
Einleitung
Beweisanträge, bei ihrer exzessiven Verwendung durch den Beschuldigten selbst nur noch über den Verteidiger vorgenommen werden dürfen 351 . Der Verteidiger wird insoweit, wenn auch in Respektierung seiner einseitigen Beistandsfunktion, durch das Gesetz oder aufgrund seiner Auslegung für eine sachgerechte Verteidigung in Pflicht genommen. 105 Die ihm selbst zustehenden Befugnisse kann der Verteidiger nach überwiegender Meinung 352 unabhängig vom Willen des Beteiligten und, soweit nicht ausdrückliche Regelungen (ζ. B. § 297 StPO) entgegenstehen, auch gegen seinen Willen prozessual wirksam ausüben. Vertreter des Beschuldigten ist er auch als Wahlverteidiger nicht ohne weiteres und kraft seiner Stellung, jedoch erkennt die StPO an, daß ihm zusätzlich eine Vertretungsbefugnis eingeräumt werden kann und knüpft an diesen Umstand besondere Rechtswirkungen 353 . Dem Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger und der strafprozessual unverzichtbaren Geheimsphäre 354 dient die Garantie des unüberwachten Verkehrs (§ 148 StPO) ebenso wie das dem Verteidiger zustehende Zeugnisverweigerungsrecht und eine damit in Verbindung stehende Beschlagnahmefreiheit. Wegen der besonderen Aufgabe der Verteidigung hat die Rechtsprechung aus den gesetzlichen Regelungen Folgerungen abgeleitet, die den Schutzbereich der Geheimsphäre deutlich erweitert haben 355 . Auf die Einzelheiten und die Bewertung dieser hier nur in groben Umrissen dargestellten Rechtslage ist hier nicht einzugehen; es wird insoweit insgesamt auf die Erl. zu den §§ 137 ff StPO sowie auf die zu den jeweiligen Vorschriften verwiesen. 106
c) Verteidiger als Prozeßsubjekt und als Organ der Rechtspflege. Ob der Verteidiger Prozeßsubjekt ist, ist trotz seiner wichtigen Funktion im Strafverfahren nicht unbestritten 356 , wobei es sich allerdings wohl mehr um eine terminologische Frage handelt. Wegen seiner Zuordnung zum Beschuldigten, dem er Beistand und Unterstützung schuldet, wird er teilweise als Prozeßsubjektsgehilfe bezeichnet 357 . Auch wenn dies zutreffend zum Ausdruck bringt, daß seine Tätigkeit der Stellung des Beschuldigten dient und ihr zugeordnet ist, verdeutlicht es doch nicht ausreichend, daß der Verteidiger mit eigenen Handlungsbefugnissen ausgestattet ist, so daß nach den hier vertretenen Abgrenzungskriterien (Rdn. 3) die Anerkennung seiner selbständigen Prozeßsubjektqualität vorzuziehen ist.
107
Davon unabhängig ist die bis heute ungeklärte und lebhaft umstrittene Frage, wie sich zusammenfassend und insgesamt die Rechtsstellung des Verteidigers im Strafverfah-
352
349, 352 = JZ 1994 686 mit Anm. fezer, 42 115; zusammenfassend Dahs StraFo. 1998 253 ff (kritisch); Maatz NStZ 1992 513 ff; Maul/Eschelbach StraFo. 1996 66 ff; Meyer-Goßner/Appl StraFo. 1998 258 ff (zustimmend); Widmaier NStZ 1992 519 ff; s. auch Dornach 160 ff und NStZ 1995 57 ff; Burhoff StV 1997 435; Feigen RudolphiSymp. 162 ff; Fezer StV 1997 57 ff; Ventzke StV 1997 543 ff. BGHSt 38 111 ff. S. die Erl. zu § 137; näher mit weit. Nachw. AKStern Vor § 137, 41; femer KK-Pfeiffer Einl. 64; LR-K. Schäfer2" Einl. 9 7; Peters 214; Roxin § 19, 8; Gössel ZStW 94 (1982) 33 f; Vehling StV 1992 88; a. A u. a. LR-Lüderssen Vor § 137 (24. Aufl. Rdn. 41 ff); AK-Stem Vor § 137, 38 ff. So etwa §§ 234, 387, 411 Abs. 2 StPO; vgl. näher die Erl. zu § 234; zur Frage, in welchem Umfang
Äußerungen des Verteidigers als Sacheinlassungen des Angeklagten verwertet werden können, s. auch BGHSt 39 305; BGH NStZ 1990447; StV 1998 59 mit krit. Anm. Park (dort auch weit. Nachw.). 154 Zur Bedeutung s. näher Welp FS Galles 391 ff vgl. auch Beulke 154. 355 Ζ. B. BGHSt 33 347 = JR 1987 75 mit Anm. Rieß (zu § 100 a StPO); BGH NJW 1973 2035; 1982 2508 (zu Beweisunterlagen, die sich nicht im Gewahrsam des Verteidigers befinden); dazu u. a. auch Dahs GedS Meyer 61 ff. 356 So die wohl h. M, etwa KK-Pfeiffer Einl. 64 ff; LR-Gollwitzer Vor § 226, 42; Henkel 117; Peters 103; Roxin § 17, 1. 357 So ζ. B. Beling 119, 148; ihn folgend Eb. Schmidt I 73; LR-K.Schäfer™ Einl. 9 7.
Stand; 1. 8. 1998
(262)
D i e Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. A b s c h n . I
358
ren kennzeichnet läßt . Sie ist allerdings mehr von theoretisch konstruktiver und dogmatischer, als von praktischer Bedeutung, denn die Stellung des Verteidigers ist primär von den vorhandenen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen und den sich daraus ergebenden Funktionen her zu bestimmen und nicht von einer bestimmten Verteidigertheorie. Es kommt bei der Entscheidung zwischen den verschiedenen Auffassungen in erster Linie darauf an, welche von ihnen die unbestrittenen Positionen und Befugnisse des Verteidigers am besten zu erklären vermag, und es ist wichtig, einseitige Konsequenzen aus der Begrifflichkeit allein zu vermeiden 359 . Die derzeit noch relevanten, einander widersprechenden Theorien führen denn auch in der praktischen Anwendung in weiten Bereichen zu identischen Ergebnissen; sie differieren vor allem, dies aber auch in eher geringem Umfang, bei der Beurteilung des Umfangs der Wahrheitspflicht des Verteidigers und des Umfangs der Weisungsgebundenheit gegenüber den Mandanten 360 . Die einhellige Meinung der Rechtsprechung 361 und die überwiegende im Schrifttum 362 1 08 kennzeichnet zusammenfassend mit unterschiedlichen Varianten 363 die Stellung des Verteidigers als die eines Organs der Rechtspflege (Organtheorie), ohne damit (jedenfalls in der Regel) seine einseitige Bestandsaufgabe in Frage zu stellen 364 . Demgegenüber vertritt die in diesem Kommentar (Vor § 137) eingehend von Lüderssen begründete Vertragstheorie 365 die Auffassung, daß sich die Stellung des Verteidigers in erster Linie aus den vertraglichen Beziehungen zu seinem Mandanten bestimmen lasse und daß er unter Ablehnung jeder Verpflichtung auf die Funktionen der Strafrechtspflege allein Vertreter der Beschuldigteninteressen sei. Sie wird teilweise, wenn auch wohl zu Unrecht, als eine Spielart der in sich wenig klaren Interessentheorie 366 verstanden. Teilweise vermeidet das Schrifttum die Festlegung auf eine der verschiedenen Theorien und beschränkt sich auf eine pragmatische Lösung von Einzelproblemen 367 . Soweit es erforderlich ist, sich für eine etikettierende Theorie über die Stellung des 109 Verteidigers zu entscheiden, verdient, abweichend von der von Lüderssen in diesem Kommentar bei § 137 vertretenen Auffassung, die Organtheorie den Vorzug. Sie bedarf freilich einer näheren und sie präzisierenden inhaltlichen Begrenzung. Aus ihr dürfen vor allem nicht, wie teilweise in der Vergangenheit und ansatzweise noch heute von einem Teil ihrer Vertreter 368 , Konsequenzen gezogen werden, die mit ihr nicht notwendig verbunden sind, sondern die lediglich die Bezeichnung nahelegt. Eine ins einzelne gehende Begründung dieser Auffassung ist an dieser Stelle nicht möglich; mehr stichwortartig ist auf folgendes hinzuweisen: Die Vertragstheorie kann viele Regelungen des geltenden 358
359 360 361
362
S. dazu zusammenfassend u. a. Roxin § 19, 2 ff; sowie ausführlich die Darstellungen bei Beulke (Verteidiger) 163 ff; Jolmes 37 ff; sowie neustens bei Domach 65 ff; 123 ff; ferner Paulus NStZ 1992 305 ff; s. auch die Darstellung Vor § 137 in diesem Kommentar (24. Aufl. Rdn. 75 ff) sowie AK-Stern Vor § 137,21 ff. Roxin (Gegenwart) unter III 2. Roxin aaO. Vgl. nur BVerfGE 38 105, 119; 39 156, 165; 53 207, 214; BGHSt 9 20, 22; 12 367, 369; 15 326; 18 397; 29 99, 102; 38 345, 347; OLG Frankfurt NStZ 1981 144; OLG Hamburg NJW 1998 621, 622; weit. Nachw. etwa bei Beulke 150 sowie, auch zur älteren Rspr., bei Bottke ZStW 96 (1984) 739 und Domach 32 ff. KK-Pfeiffer Einl. 64; KK-Laufliütte Vor § 137, 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner» Einl. 82; SK-Rogall Vor § 133, 95; Beulke 150 ff; Henkel 152; Krey I
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363 364
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Peter Rieß
536 ff; Peters 213; Ranft 384; Roxin § 19, 2 ff; Schäfer 46; Schlüchler 101; Schroeder 149; zur Entwicklung in der Literatur mit umf. Nachw. Dornach 38 ff. Dazu Dornach 40 ff. Zur generellen Kritik am Organbegriff s. u. a. die Nachw. bei Beulke (Verteidigung) 176 ff; Domach 109 ff; Jolmes 50 ff; KK-Laufhütte Vor § 137, 4; Krey I 537 Fußn. 19. Einzelheiten Vor § 137; ebenso schon Lüderssen FS Dünnebier 263 ff; dazu zustimmend Scholderer StV 1993 229; krit. (ausführlich) Domach 88 f. So vor allem AK-Stem Vor § 137, 24 mit weit. Nachw.; ferner Ostendorf NJW 1978 1349; umf. Nachw. bei Domach 65 ff. So etwa die Thesen zur Strafverteidigung des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (1982); dazu Rieß ebd. Geleitwort, S. 1. S. unten Rdn. 110 in Fußn. 370.
Einl. Abschn. I
Einleitung
Rechts, namentlich (aber nicht nur) das Institut der notwendigen Verteidigung und die Position des bestellten Verteidigers, nur unter erheblichen konstruktiven Schwierigkeiten bewältigen. Indem sie den Verteidiger an den Willen des Beschuldigten bindet und damit seine Unabhängigkeit auch diesem gegenüber reduziert, berücksichtigt sie nicht ausreichend, daß gerade das generelle und strukturelle Autonomiedefizit des Beschuldigten, das durch den Zustand des gegenwärtigen Rechts bedingt ist, die formelle Verteidigung in erheblichem Umfang mit legitimiert. Vor allem aber machen Interessen- und Vertragstheorie nicht hinreichend deutlich, daß die Mitwirkung eines Verteidigers nicht nur eine dem Beschuldigten gegenüber eingeräumte Rechtswohltat darstellt, sondern ein Essentiale eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens, von dem die Wiederherstellung des Rechtsfriedens als Ziel des Strafverfahrens entscheidend mit abhängt. 110
Mit der Organtheorie im hier verwendeten Sinne, die als formale Organtheorie gekennzeichnet werden kann, ist lediglich notwendig die Aussage verbunden, daß der Verteidiger innerhalb der Strafrechtspflege (auch) eine öffentliche Funktion wahrnimmt. Über deren Inhalt ist damit noch nichts ausgesagt. Dieser bestimmt sich aus dem Gesamtkonzept, das dem Strafverfahrensrecht als Funktion und Rolle des Verteidigers zu entnehmen ist. Der Verteidiger hat daher als Organ der Rechtspflege in strenger Einseitigkeit ausschließlich die Interessen des Beschuldigten wahrzunehmen und sich bei allen seinen Handlungen hieran zu orientieren 369 . Die Organstellung ist, entgegen einer möglicherweise teilweise bestehenden, aber mißbräuchlichen Praxishandhabung, kein Disziplinierungsmittel gegenüber Verteidigern, die die Verteidigungsbefugnisse ausschöpfen. Aus ihr ergibt sich nicht, sondern mit ihr ist eher unvereinbar, daß der Verteidiger wegen seiner Organstellung einer Inpflichtnahme unterliegt 370 , die mit seinen einseitigen Beistandsinteressen nicht zu vereinbaren wäre, wenn auch eingeräumt werden muß, daß gerade der Rückgriff auf die Organstellung nicht selten zu solchen mißverständlichen Interpretationen Anlaß gegeben hat. Auch die umstrittenen Fragen der Einzelheiten der Wahrheitspflicht des Verteidigers und der Grenze zwischen zulässiger Verteidigung und strafbarer Strafvereitelung, auf die hier nicht näher einzugehen ist, sollten nicht unter Rückgriff auf den Streit zwischen Organ- und Vertragstheorie, sondern unter Offenlegung der maßgeblichen Wertungs- und Abwägungsgesichtspunkte entschieden werden. Die Organstellung steht einem Freiraum des Verteidigers, der auch Einschränkungen der Wahrheitspflicht umfassen kann (nicht muß), ebensowenig entgegen, wie die Vertragstheorie die Befugnis zur Wahrnehmung verfahrensfremder Zwecke und zur Lüge notwendig impliziert 371 . V. Der Verletzte
111
1. Allgemeines. Hinweise. Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren ist nicht einheitlich geregelt, auch wenn die neuere Rechtsentwicklung eine dahingehende Tendenz zeigt (S. Rdn. 114). Im 5. Buch der StPO (§§ 374 bis 406 h, Beteiligung des Verletzten am Verfahren) sind eine Reihe von verschiedenen, selbständigen Rechtsinstituten und Beteiligungsformen näher bestimmt. Darüber hinaus erscheint der Verletzte auch in anderen Regelungszuammenhängen ausdrücklich teilweise als Begünstigter 372 ; teilweise 369
370
Ähnliche Ansätze bei Roxin (Gegenwart) unter III 3; und bei Vehling StV 1992 89 f. In diese Richtung etwa Beulke (Verteidigung) 88 ff; und Beulke 175; dazu ausführlich und kritisch Bottke ZStW 96 (1984) 744 ff. Auch Krey I 539 ff leitet aus der Organtheorie Beschränkungen ab; ähnlich wohl neuestens auch OLG Hamburg NJW 1998 621, 622.
371
372
So im Ergebnis auch Bottke ZStW 96 (1984) 739 ff, der ohne Rückgriff auf die Organtheorie oder eine der Gegentheorien die Wahrheitspflicht bejaht; ähnlich auch Paulus NStZ 1993 311; vgl. auch Schlüchter 101; Gössel ZStW 94 (1982) 8 ff. S. u. a. § 111 e Abs. 3, 4; § 111 g Abs. 1, 3 Satz 1; §§ 111 h, U l i , 111k, §171 Satz 2; §§172 ff StPO; §§ 171 b, 175 Abs. 2 Satz 2 GVG.
Stand: 1. 8. 1998
(264)
Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I 373
knüpfen sich an die Eigenschaft als Verletzter andere Rechtsfolgen . Die Verletzteneigenschaft kann ferner, auch wenn das Gesetz sie nicht ausdrücklich hervorhebt, erhebliche, vor allem faktische Auswirkungen auf seine Stellung als Zeuge 374 oder als Empfänger einer im Prozeßrecht 375 oder im materiellen Strafrecht 376 vorgesehenen Wiedergutmachungsleistung haben. Diese unterschiedlichen Regelungen sind im einzelnen bei den jeweiligen Vorschrif- 112 ten erläutert; hierauf wird wegen aller Einzelheiten verwiesen. Zusammenfassende und übergreifende Darstellungen finden sich namentlich zu den Befugnissen des Verletzten im Klageerzwingungsverfahren bei den Erl. zu § 172 StPO 377 , zum Verletzten im allgemeinen in den Vorbem. zum 5. Buch der StPO sowie zu den aus der Verletztenstellung erwachsenden Rechtsinstituten der Privatklage, der Nebenklage, des Adhäsionsverfahrens und der allgemeinen Verletztenbefugnisse in den Vorbem. zu den jeweiligen Abschnitten des 5. Buches der StPO. 2. Entwicklung. Rechtsgeschichtlich ist die Entwicklung der Stellung des Verletzten 113 im Strafverfahren wechselhaft verlaufen 378 . Während er im altdeutschen Verfahren als Träger der Strafverfolgungs- und Anklagefunktion eine zentrale Rolle innehatte, ist er im Zuge des Übergangs der Strafverfolgungslast auf den Staat allmählich zurückgedrängt und im Inquisitionsprozeß, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, als selbständiger Prozeßbeteiligter fast gänzlich aus dem Verfahren eliminiert worden. Anders als bei der Stellung des Beschuldigten (s. Rdn. 66) hat hieran zunächst auch der reformierte Strafprozeß ebensowenig Durchgreifendes geändert wie die Reichsstrafprozeßordnung in der Fassung von 1877. Diese hat zwar dem Verletzten in verschiedenen selbständigen Prozeßrollen, etwa als Privatkläger, Nebenkläger, Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren oder Strafantragsberechtigter bestimmte Befugnisse und Rechtspositionen verliehen 379 ; doch geschah dies unkoordiniert, ohne grundsätzliche Reflexion über seine Position im Strafverfahren, in Anknüpfung an historische Reminiszenzen oder in Form von gesetzgeberischen Augenblicksentscheidungen 380 . Daran hat sich in der Entwicklung des Strafverfahrensrechts nach 1879 zunächst 114 und trotz der Einführung des Adhäsionsverfahrens im Jahre 1943381, nur wenig geändert. Der Verletzte blieb in eine Randposition abgedrängt. Die rechtspolitische und dogmatische Diskussion über seine Stellung verzettelte sich in untergeordneten Detailfragen zu den verschiedenen Institutionen des geltenden Rechts 382 , die ihrerseits teilweise, wie etwa die Privatklage, in der Rechtswirklichkeit einem Funktionswandel dahingehend unterlagen, daß aus dem Strafverfolgungsprivileg eine kaum zumutbare Strafverfolgungslast des Verletzten wurde 383 . Teilweise erschien (und erscheint) der Verletzte als ein „homo suspectus", dessen Objektivität und Wahrheitsliebe gefährdet erscheint, so daß das Gesetz mit dieser Eigenschaft Ausschließungsgründe (§ 22 Nr. 2 bis 4 StPO) und die Möglichkeit des Absehens von der Vereidigung (§ 61 Nr. 2 StPO) verbindet; teilweise, so im Klageer-
373
374 375 376
377
S. u. a. §§ 22, 61 Nr. 2, § 372 Nr. 4; §§ 471, 472, 472 a, 473 Abs. 1 Satz 2, 3 StPO. S. näher unten Rdn. 128 und Vor § 48, 21. § 153 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO. Ζ. B. §§ 46 a, 56 b Abs. 2 Nr. 1 StGB; s. jetzt auch (darüber hinausgehend) das zivilrechtliche Opferanspruchssicherungsgesetz vom 8. 5. 1998 (BGBl. I S. 905), dazu oben Rdn. Ε 155 und unten Fußn. 413. 24. Aufl. Rdn. 48 bis 98.
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378
Dazu ausführlich mit weit. Nachw. Weigend (Deliktsopfer) 28 ff (zusammenfassend S. 167 ff); ferner Henkel 185 f; Jung ZStW 93 (1981) 1148. 379 Vgl. Rieß (Gutachten) 10 ff. 380 Weigend (Deliktsopfer) 544 f. 381 S. näher Entstehungsgeschichte und Erl. Vor § 403. 382 Rieß (Gutachten) 1; 57; s. auch KK-Pfeiffer Einl. 91 a. 383 Rieß (Gutachten) 21 ff.
Peter Rieß
Einl. Abschn. I
Einleitung
zwingungsverfahren (§ 172 ff StPO) wird sein Genugtuungsinteresse zur Sicherung des Legalitätsprinzips instrumentalisiert oder es wird das „Privatklageprivileg" als Mittel der Justizentlastung verwendet 384 . 115 Erst in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich, parallel zu internationalen Entwicklungen 385 , und mit anknüpfend an die als Teilbereich der Kriminologie sich entwickelnde Victimologie 386 , auch im deutschen Strafverfahren eine neue Betrachtungsweise durchgesetzt; die den Verletzten nicht nur in prozessualen Einzelpositionen ins Blickfeld nimmt, sondern sich um eine Gesamtbetrachtung seiner Interessen und Funktionen im Verfahren bemüht. Teilweise (und wohl überzogen) wird darin ein Paradigmawechsel von einer täterzentrierten zu einer opferzentrierten Betrachtungsweise gesehen 387 . Gesetzgeberischen Niederschlag hat diese Entwicklung Ende 1986 durch die Regelungen des Opferschutzgesetzes 388 gefunden, die, allerdings unter Anknüpfung an die vorhandenen Strukturen der Verletztenbeteiligung im geltenden Recht, eine Neubestimmung der verfahrensrechtlichen Positionen des Verletzten herbeigeführt und erstmals in einem besonderen Abschnitt Vorschriften über die allgemeinen Befugnisse des Verletzten 389 getroffen haben. Die Bewertung dieser Neukonzeption im Schrifttum ist umstritten 390 , doch dürften sich in der seitherigen Entwicklung die Befürchtungen einer substantiellen Schwächung der Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten 391 nicht bestätigt haben 392 . 116
Während das Opferschutzgesetz in erster Linie die verfahrensrechtliche Stellung des Verletzten neu bestimmt hat und dabei, ungeachtet gewisser Ansätze zur Fortentwicklung und Präzisierung und unbeschadet fortbestehender systematischer Brüche und Unzulänglichkeiten, wohl eine für längere Zeit tragfähige Grundlage geschaffen haben dürfte 393 , konzentriert sich die gegenwärtige rechtspolitische Diskussion stärker auf die in erster Linie aus der Sicht des materiellen Strafrechts zu beurteilende Frage des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Wiedergutmachung als eine die Strafe als Sanktion teilweise ersetzende Rechtsfolge der Tat 394 . 3. Begriff und Stellung des Verletzten im Überblick
117
a) Ein einheitlicher Verletztenbegriff liegt der StPO nicht zugrunde; der Gesetzgeber hat auch im OpferschutzG bewußt von einer Begriffsbestimmung abgesehen 395 . Wer als Verletzten anzusehen ist, richtet sich vielmehr nach den jeweiligen Funktionszusammenhängen, in denen die ihn betreffenden Regelungen stehen. Soweit die Verletzteneigen384
S. dazu u. a. Rieß (Gutachten) 23 f; ferner die Erl. Vor § 374. 385 Dazu näher Vorbem. zum 5. Buch StPO, Rdn. 25; Jung (Vergleich) 210. 386 Dazu näher mit weit. Nachw. ζ. B. Weigend (Deliktsopfer) 380 ff. 387 SchUnemann NStZ 1986 193 ff mit krit. Grundhaltung; gegen diese u. a. Krey II 138; zum Ganzen auch AK-Rössner Vor § 374, 12 ff. 388 Näher mit Nachw. Rdn. Ε 125 f; sowie die Entstehungsgeschichte zum 5. Buch StPO; vgl. auch Rieß Jura 1987 283 f. 389 § 406 d bis 406 h StPO; s. im einzelnen die dort Erl. 390 Scharf ablehnend vor allem Schünemann NStZ 1986 193 ff; Vorbehalte auch bei KMR-Fezer Vor § 406 d, 3; Ranft 2460; Roxin Vor § 60, 2; Riiping' 144; dagegen u. a. AK-Schöch Vor § 406 d, 20; Krey II 136 ff; Schroeder 346.
39
> So etwa Kempf StV 1987 215; Schlothauer StV 1987 356 ff. 392 AK-Rössner Vor § 374, 89; AK-Schöch Vor § 406 d, 20 mit Nachw. 393 Näher (auch mit Nachw. weiterer Reformvorschläge) Vorbem. zum 5. Buch StPO sowie die Erl. zu den einzelnen Institutionen der Verletztenbeteiligung; teilweise erweiternde Änderungen (Neufassung des § 397 a) im Zeugenschutzgesetz (s. Rdn. Ε 155); teilweise grundsätzlich abweichende Konzeption jetzt bei Nelles/OberUes. 394 S. dazu Vorbem. zu 5. Buch StPO, 21 ff; femer u. a. mit weit. Nachw. AK-Rössner Vor § 374, 4 f, 13; Dötting JZ 1992 493 ff; Roxin FS Baumann 243 ff. 395 Vgl. BTDrucks. 10 5305 S. 16; s. näher mit Nachw. Vorbem. zu 5. Buch StPO, 15 ff; zur abweichenden Situation im französischen Recht Jung (Vergleich) 213 ff.
Stand: 1. 8. 1998
(266)
Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
schaft zur Ausschließung oder zur Möglichkeit des Absehens von der Vereidigung führt (§§ 22, 61 Nr. 2 StPO), ist von der Funktion dieser Vorschriften her ein spezifischer Verletztenbegriff angebracht; wegen der Einzelheiten wird auf die Erläuterungen zu diesen Vorschriften verwiesen 396 . Bei den Regelungen, die dem Verletzten eine eigene Handlungsmacht einräumen, also namentlich in den Fällen des § 172 und der §§ 406 d ff StPO, dürfte der Inhalt des Verletztenbegriffs weitgehend deckungsgleich sein 397 ; ob er identisch ist, ist umstritten 398 . Verletzter ist danach, wer vom Schutzbereich einer zumindest mitverletzten Strafrechtsnorm derart erfaßt wird, daß diese wenigstens auch seine rechtlich anerkannten Interessen schützt. Wer durch die Straftat nur als Mitglied der Rechtsgemeinschaft betroffen ist, ist nicht Verletzter im Sinne dieser Vorschriften. Wegen der Einzelheiten der Abgrenzung wird auf die Erläuterungen zu den einzelnen Vorschriften verwiesen 399 . b) Beziehungen zum Beschuldigten. Bis zur Rechtskraft des Urteils ist es, schon als 118 Konsequenz der für den Beschuldigten streitenden Unschuldsvermutung (Rdn. 75 ff), ungewiß, ob der die Verletztenbefugnisse in Anspruch nehmende Prozeßbeteiligte wirklich verletzt ist. Die verfahrensrechtlichen Befugnisse betreffen daher stets nur einen möglicherweise Verletzten 400 ; erst das an die rechtskräftige Schuldfeststellung anknüpfende materielle Strafrecht kann von einer statischen und feststehenden Verletztenposition ausgehen 401 . Dieses vielfach vorgegebene Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Beschuldigten und des (potentiellen) Verletzten ist auch bei der Auslegung und Anwendung der einzelnen, den Verletzten begünstigenden Vorschriften zu berücksichtigen. Grundsätzlich darf die gesicherte Position des Beschuldigten, die seine materielle Verteidigung (Rdn. 101) gewährleistet, durch die Befugnisse und Handlungsmöglichkeiten des Verletzten nicht unvertretbar beeinträchtigt werden, auch wenn faktische Veränderungen der früheren Situation, die teilweise durch eine unzureichende Berücksichtigung der Verletzteninteressen gekennzeichnet war, in gewissem Umfang hinzunehmen sind 402 . Sowohl bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Vorschriften durch den Gesetzgeber als auch bei ihrer Anwendung im Einzelfall haben grundsätzlich die legitimen Beschuldigteninteressen an einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit einen höheren Stellenwert als die Interessen des Verletzten 403 . Es besteht insbesondere (im Offizialverfahren) kein Bedürfnis, die Anklagerolle durch die Gewährung umfassender Beteiligungsbefugnisse des Verletzten im gerichtlichen Verfahren doppelt zu besetzen. c) Berechtigte Verfahrensinteressen des Verletzten. Wegen des heutigen Verständ- 119 nisses von Strafrecht als einer öffentlichen Aufgabe der Rechtsgemeinschaft rechtfertigt ein Genugtuungsinteresse eine verfahrensrechtliche Sonderstellung des Verletzten in eher geringem Umfang. Es ist freilich nicht gänzlich bedeutungslos, weil sich gerade in ihm die Rechtsgutverletzung „personalisiert"; eine ihm zukommende Sonderstellung im Verfahren läßt sich mit allen derzeit anerkannten Strafzwecken vereinbaren und dürfte auch zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens als Verfahrensziel (Rdn. Β 4) beitragen
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Näher mit Nachw. § 22, 7; § 61, 7 ff. Näher Vorbem. zum 5. Buch StPO, 4, 18; ferner AK-Schöch Vor § 406 d, 9; Krey II 154. So OLG Koblenz StV 1988 332 mit Anm. Schlothauer·, Kleinknecht/Meyer-Goßner45 Vor § 406 d, 2; Beulke 602; Krey II 154; kritisch K M R - f c e r Vor § 406 d, 10. S. dazu ausführlich die Erl. zu § 172 StPO (24. Aufl. Rdn. 48 ff); ferner Vorbem. zum 5. Buch StPO, 15 ff.
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Peter Rieß
Rieß (Gutachten) 69; vgl. auch Hammerstein 7; Jung ZStW 93 (1981) 1149; Schünemann NStZ 1986 197 f. Rieß (Gutachten) 72. Insoweit a. Α (und zu rigoros) Rieß (Gutachten) 71. Rieß (Gutachten) 71.
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Einleitung
404
können . Diese Aktivrolle des Verletzten findet beispielsweise und vorrangig in Klageerzwingungsverfahren (§§ 172 ff StPO) sowie nach der gesetzgeberischen Grundkonzeption405 in der Privatklage, teilweise auch in der Nebenklage, ihren Niederschlag. 120 Stärkere gesetzliche Anerkennung verdient allerdings das Abwehrinteresse des Verletzten, sich aus einer gesicherten Rechtsposition heraus gegen unberechtigte Verantwortungszuweisungen durch den Beschuldigten wehren zu können406, das mit der durch das Opferschutzgesetz neu gestalteten Nebenklage407 sowie den im Vorfeld ihr zugeordneten Befugnissen408 in erster Linie befriedigt wird. Auch die dem Zeugenschutz dienenden Vorschriften409 kommen dem Verletzten insoweit zugute, als er typischerweise als Belastungszeuge in der Zeugenrolle auftreten muß. Anzuerkennen ist schließlich auch die strafprozessuale Berücksichtigung des materiellen Wiedergutmachungsinteresses des Verletzten jedenfalls insoweit, als dieses durch Strafirecht und Strafverfahren nicht beeinträchtigt, sondern möglichst gefördert werden sollte410. Ausprägungen dieses Grundsatzes411 sind neben dem sog. Adhäsionsverfahren (§§ 403 bis 406 c) die verschiedenen verstreuten Möglichkeiten des materiellen Strafrechts und des Prozeßrechts, die Schadenswiedergutmachung zu prämieren412, dem Verletzten den Zugriff auf sichergestellte Gegenstände zu erleichtern413 oder die die Leistungsfähigkeit des Verurteilten beeinträchtigenden Auswirkungen der strafrechtlichen Sanktion im Interesse des Verletzten zu verringern414. 121
Die unterschiedlichen legitimen Verletzteninteressen, die — mit verschiedenem Gewicht — seine Verfahrensbeteiligung rechtfertigen, lassen sich den mit der Verletztenstellung verbundenen unterschiedlichen Rechtsinstituten des geltenden Rechts, deren Beibehaltung teilweise rechtspolitisch nicht unumstritten ist415, nicht trennscharf und eindeutig zuordnen. Auch die durch das OpferschutzG neu geschaffenen allgemeinen Verletztenbefugnisse (§§ 406 d bis 406 StPO) ermöglichen dem Verletzten die Wahrnehmung unterschiedlicher Interessen. Sie gewährleisten ihm im wesentlichen Informationsbefugnisse (§§ 406 d, 406 e und 406 h StPO) und, insofern strukturell in gewissem Umfang vergleichbar mit § 137 StPO, die Möglichkeit fachkundigen Beistandes (§§ 406 f, 406 g StPO). 404
Näher ζ. B. Rieß (Gutachten) 66; Jura 1987 284; Odersky 32; zurückhaltend Weigend (Deliktsopfer) 408 ff; kritisch SchUnematm NStZ 1986, 197; s. auch Schock NStZ 1984 387 f. 405 Zur in der Rechtswirklichkeit ganz dominierenden Entlastungswirkung s. die Vorbem. zum Privatklageverfahren mit weit. Nachw. «« Vgl. Vorbem. zum 5. Buch StPO, 9, 13; Rieß (Gutachten) 70; krit. SchUnemanrt NStZ 1986 197 f (soweit daraus die Zubilligung von „Offensivrechten" hergeleitet wird). 407 Vgl. zu den Veränderungen die Nebenklage und ihrer dadurch eingetretenen neuen Legitimation u. a. Rieß Jura 1987 286 f. Die im Schrifttum teilweise (so Ranft 2439 f, vgl. auch Roxin § 62, 7) vertretene Auffassung, die Nebenklage sei lediglich erweitert worden und diene dem Genugtuungs- und Vergeltungsinteresse, sowie die daran geknüpften verfassungsrechtlichen Vorbehalte werden der neuen Rechtslage nicht gerecht. 408 So namentlich § 406 g StPO; s. die dort. Erl. "β» Ζ. Β. §§ 68, 68 a; 68 b; 247 a StPO; näher die dort. Erl.; s. auch Hammerstein 16 und unter Rdn. 127 ff.
4,0
411 4 2
'
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414 415
Eine umfassendere Konzeption der Wiedergutmachungsinteressen des Verletzten als Bestandteil einer „dritten Spur" im Sanktionensystem verfolgt beispielsweise der AE-Wiedergutmachung; dazu u. a. AK-Rössner Vor § 374,13; Roxin Vor § 6 1 , 3 ; krit. u. a. Hirsch ZStW 102 (1990) 534; Loos ZRP 1993 31 ff. Näher Vorbem. zum 5. Buch StPO, 23. Vgl. ζ. B. § 153 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO; § 46 Abs. 2 a. E; § 46 a StGB. Vgl. § 111 e Abs. 3, §§ 111 g, 111 h, l l l i , 111 k StPO; s. jetzt auch die dem gleichen Ziel dienende zivilrechtliche Regelung durch das Opferanspruchssicherungsgesetz (Rdn. Ε 155); dazu auch Nowotsch NJW 1998 1831 ff; Silverman JZ 1998 552 ff (auch rechtsvergleichend). Vgl. § 459 a Abs. 1 Satz 2 StPO. Für eine allgemeine, einheitliche Verletztenbeteiligung unter Beseitigung der Privatklage und des Adhäsionsverfahrens und unter wesentlicher Reduktion der aus der Nebenklage entspringenden Befugnisse beispielsweise Weigend (Deliktsopfer) zusammenfassend 547 f; in ähnliche Richtung auch Rieß (Gutachten) 213 ff.
Stand: 1. 8. 1998
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Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
d) Verletzter als Prozeßsubjekt? Der durch das OpferschutzG erreichte Rechtszu- 122 stand dürfte es rechtfertigen, entgegen der früher überwiegend vertretenen Auffassung416 den Verletzten in dieser Eigenschaft, also nicht nur in seiner Rolle als Privatkläger oder Nebenkläger, für die dies allgemein anerkannt ist, als Prozeßsubjekt im Sinne des hier verwendeten Begriffs (Rdn. 3) anzusehen417. Denn die Summe der ihn begünstigenden gesetzlichen Regelungen verleiht ihm die rechtlich anerkannte Möglichkeit, nicht nur im Klageerzwingungsverfahren, sondern auch durch die Wahrnehmung seiner sonstigen Befugnisse, auf das Verfahrensergebnis gestaltend einzuwirken; selbst wenn dies nur aus einer Defensivposition heraus geschieht. Allerdings ist der Verletzte, anders als etwa der Beschuldigte, oder im gerichtlichen Erkenntnisverfahren der Kläger, kein notwendiges Prozeßsubjekt. Nicht nur bei Tatvorwürfen, die nur die Allgemeinheit betreffen, also „opferlos" sind, kommt dem Prozeßsubjekt „Verletzter" keine Bedeutung zu, sondern auch dann, wenn er von seinen Befugnissen keinen Gebrauch macht, dies selbst dann, wenn er in der Zeugenrolle am Verfahren beteiligt ist. Es liegt also in der Hand des Verletzten selbst, ob und in welchem Umfang er seine Position als Prozeßsubjekt aktiviert. 4. Umgang mit dem Verletzten. Unabhängig von den rechtlichen Regelungen, die die 123 Verletztenposition in unterschiedlicher Weise konkretisieren, ist heute (fast) unbestritten, wenn es auch in der Praxis möglicherweise nicht immer beachtet wird, daß ihm im konkreten Strafverfahren mit besonderer Rücksicht und mit besonderem Einfühlungsvermögen begegnet werden sollte418. Die gerichtliche Fürsorgepflicht (vgl. Rdn. Η 126) kann gerade ihm gegenüber einen kompensatorischen Ausgleich von Benachteiligungen und Belastungen erfordern, weil seine formelle Rechtsposition (notwendigerweise, vgl. Rdn. 118) nicht die Sicherungen und Gewährleistungen enthalten kann, die für den Beschuldigten gelten. Bei der Behandlung des Verletzten im Verfahren sind daher namentlich von den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht im Rahmen der rechtlichen Handlungsspielräume diejenigen organisatorischen Möglichkeiten zu nutzen und ggfs. zu schaffen, durch die der Gefahr entgegengewirkt werden kann, daß der Verletzte das Strafverfahren als eine nochmalige Verletzung, als eine „sekundäre Victimisation" empfindet419. Noch nicht restlos geklärt ist, in welchem Umfang den Strafverfolgungsbehörden, ins- 124 besondere der Staatsanwaltschaft eine Amtspflicht obliegt, bei ihrer Tätigkeit die Interessen des Verletzten zu berücksichtigen, und ob und wieweit bei deren Verletzung Ansprüche nach § 839 BGB begründet sein können420. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte lehnt eine solche, den Verletzten begünstigende Drittbezogenheit einer bloßen Amtspflicht zur Strafverfolgung grundsätzlich ab421, anders allenfalls dann, wenn in einem bereits laufenden Ermittlungsverfahren konkrete Schutzpflichten gegenüber dem Verletz416
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LK-K.Schäfer24 Einl. 9 6; Henkel 186; Eb. Schmidt I 80 mit weit. Nachw. Ebenso u. a. LRHilger Vorbem. 5. Buch, 8 a. Ε (im weiteren Sinne); AK-Schöch Vor § 406 d, 8; Krey II 136, 143; ähnlich (Prozeßbeteiligter mit selbständigen Verfahrensrechten) u. a. KK-Engelhardt Vor § 406 d, 2; Pfeiffer/Fischer Vor § 406 d, 20; Beulke 602; Schäfer 1247; krit. Weigend (Deliktsopfer) 432 f, 503 und NJW 1987 1170; SchUnemann NStZ 1986 198. Vgl. dazu Nr. 4 c, 19 a, 130 Abs. 2, 131 a RiStBV; Odersky 34 f; s. auch Weigend (Deliktsopfer) 403 ff (mit empirischen Hinweisen zu den Opferinteressen); 437 ff (zu den Möglichkeiten des Opferschutzes und der Opferhilfe).
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Peter Rieß
Dazu u. a. mit konkreten Vorschlägen die Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes bei Kintzi DRiZ 1998 68 f; zur besonderen Situation von Kindern als Opfer von sexuellen Mißbrauchsverfahren, die in der neueren Diskussion starke Bedeutung gefunden hat, s. mit umf. Nachw. die Monographie von Keiser, s. auch mit empirischen Ergebnissen Busse/Volbert/Steller. Dazu näher mit weit. Nachw. u. a. Hörstel MDR 1994 633; Vogel NJW 1996 3401; vgl. auch Staudinger/Schäfer" §839, 560; Steffen DRiZ 1972 153. RGZ 108 249; 154 266; BGH (Z) NJW 1996 2373; OLG Düsseldorf NJW 1996 530 mit Aufs. Hörstel NJW 1996 497.
Einl. Abschn. I
Einleitung 422
ten verletzt werden . Solche konkreten Schutzaufgaben zugunsten des Verletzten können sich namentlich aus den diesem gegenüber, wenn auch weitgehend als Sollvorschriften, bestehenden Informations- und Sicherstellungspflichten ergeben, so etwa in den Fällen des § 111 e Abs. 3, §§ 111 c, 111 k, 406 h StPO. Im übrigen und hiervon abgesehen bietet aus strafprozessualer Sicht die Neubestimmung der Verletztenstellung durch die neuere Rechtsentwicklung keinen Grund, die hier nicht näher zu behandelnden Fragen der Amtspflichtverletzung gegenüber dem Verletzten abweichend von der früheren Rechtslage zu beurteilen 423 .
VI. Zeugen und Sachverständige 125
1. Allgemeines. Hinweise. Zeugen und Sachverständige sind als Träger des Personalbeweises Beweismittel und keine Prozeßsubjekte; sie erfüllen mit ihrer Aussage oder mit ihren Gutachten grundsätzlich eine, erforderlichenfalls mit Zwangsmitteln durchsetzbare staatsbürgerliche Pflicht 424 . Als Verfahrensbeteiligte (Rdn. 6) sind sie jedoch keine bloßen Objekte des Strafverfahrens, sondern Träger von Befugnissen und Rechten 425 . Ihre Pflichten sind durch das Gesetz begrenzt; sie haben ferner Anspruch auf Entschädigung für ihren Zeitaufwand und ihre Unkosten 426 . Soweit sie von gerichtlichen Entscheidungen betroffen sind, sind sie beschwerdebefugt (§ 304 Abs. 2). Ihnen stehen die Grundrechte zu, auf die sich jeder Staatsbürger gegenüber der staatlichen Gewalt berufen kann 427 . Die gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Fürsorgepflicht (Rdn. Η 126) ist auch ihnen gegenüber zu erfüllen. Die allgemeinen Abgrenzungskriterien sowie ihre Pflichten und Rechte im einzelnen sind bei den Vorschriften des 6. und 7. Abschnittes des ersten Buches der StPO näher erläutert; hierauf wird verwiesen 428 . Nachfolgend werden lediglich einige Grundsätze und übergreifende Gesichtspunkte kurz erörtert.
126
2. Zeugen haben die allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, in einem nicht gegen sie gerichteten Strafverfahren Auskunft über Wahrnehmungen zu geben 429 . Im einzelnen sind sie zum Erscheinen vor Gericht und Staatsanwaltschaft, zur wahrheitsgemäßen Aussage und ggfs. zur Beeidigung oder zur Bekräftigung der Wahrheit verpflichtet. Die Zeugeneigenschaft kann mit anderen Prozeßrollen unvereinbar sein, so mit der des Beschuldigten, des Richters und (teilw. umstritten) des Staatsanwalts 430 . Im übrigen kennt das Gesetz keine generelle, an bestimmte allgemeine Eigenschaften anknüpfende Zeugnisunfähigkeit; es genügt (ist aber auch erforderlich) die nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilende Aussagetüchtigkeit 431 . Die Aussage- und ggf. auch die Eidespflicht (nicht aber die Befugnis zur Aussage) entfällt nach den gesetzlichen Vorschriften, die im Strafverfahren enger als in den anderen Verfahrensordnungen 432 sind, in den im Gesetz geregelten Fällen der §§ 52 (Angehörigeneigenschaft), 53, 53 a (Berufsgeheimnisträger und ihre Gehilfen) und als Konsequenzen des nemo-tenetur-Grundsatzes (Rdn. 96) nach § 55 StPO (Gefahr der Selbstbelastung); sie darf bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes gemäß § 54 StPO nur aufgrund einer Aussagegenehmigung erfüllt werden. In besonders gelagerten, engen Ausnahmefällen kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Auskunftsverweigerungsrecht unmittelbar aus der Verfassung erge422
BGH NJW 1996 2373. Α. Α wohl teilweise Vogel NJW 1996 3402. 424 S. näher Rdn. 5; SK-Rogall Vor § 48, 9 f. 425 Dazu ausführlich mit umf. Nachw. SK-Rogall; Vor § 48, 66 bis 120; vgl. auch Nelles NJ 1998 449. 42 ^ Näher die Erl. zu § 71. 427 SK-Rogall Vor § 48, 67; näher zu den allgemeinen Zeugenrechten s. Vor § 48, 8.
42
» Zur Problematik des Kronzeugen s. auch die Erl. im Anh. zu § 153 e. S. näher Vor § 48, 6 ff. 430 S. näher Vor § 48, 23 ff. « ' Näher Vor § 48, 23; vgl. auch SK-Rogall Vor § 48, 30 ff. 432 Vgl. ζ. B. § 384 Nr. 2, 3 ZPO.
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Stand: 1. 8. 1998
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Die Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
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ben , und aus dem Anspruch auf Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit kann sich, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann, die Unzulässigkeit ergeben, die Aussage mit Zwangsmitteln durchzusetzen 434 . Die Notwendigkeit des Zeugenschutzes folgt aus der staatlichen Schutzpflicht gegen- 127 über Beeinträchtigungen des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, aus der Pflicht zur Achtung der Persönlichkeit sowie aus der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Fürsorgepflicht für den Zeugen. Sie umfaßt mehrere Aspekte und hat in neuerer Zeit sowohl durch den Gesetzgeber 435 als auch durch Verwaltungsvorschriften und in der Rechtsprechung und Literatur besondere Aufmerksamkeit erfahren 436 . Zeugenschutz bedeutet einmal, den Zeugen oder einen Angehörigen vor Nachteilen, insbesondere der Gefährdung seines Leben und seiner Gesundheit, zu schützen, die ihm durch rechtswidrige Angriffe außerhalb des Strafverfahrens drohen, um ihn von bestimmten Aussagen abzuhalten. Als Mittel des Zeugenschutzes kommen hier einmal (und wohl vorrangig) präventiv-polizeiliche Zeugenschutzprogramme in Betracht 437 . Verfahrensrechtlich dienen vor allem die die Offenbarungspflicht des Zeugen einschränkenden Regelungen des § 68 StPO 438 , die Maßnahmen der Sitzungspolizei, die Möglichkeit des Öffentlichkeitsausschlusses (§ 172 Nr. 1 a GVG), die Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung des Zeugen nach § 247 S. 2 StPO sowie äußerstenfalls, und soweit dies faktisch möglich ist, eine Sperrung des gefährdeten Zeugen nach den §§ 54, 96 StPO, verbunden mit der Einführung seines Wissens über Verhörspersonen als Zeugen vom Hörensagen 439 , dieser Form des Zeugenschutzes 440 . Zeugenschutz gegenüber verfahrensimmanenten Beeinträchtigungen bezweckt, 128 anders als in den in Rdn. 127 behandelten Fällen, in erster Linie den Schutz der Persönlichkeit und der Geheimsphäre des Zeugen 441 gegenüber Prozeßhandlungen anderer Prozeßbeteiligter, namentlich bei ihrer Befragung oder durch die Auswirkungen des Öffentlichkeitsprinzips. Als in besonderem Maße, aber nicht nur, schutzbedürftig werden insoweit Verletzte, namentlich die Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 442 sowie kindliche Zeugen, insbesondere als Opfer sexuellen Mißbrauchs 443 angesehen. Weitaus stärker als beim Zeugenschutz gegenüber rechtswidrigen Angriffen 433
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BVerfGE 33 374, 375; 38 312, 321; 44 353, 374; näher Vor § 48,9; ausführlich auch mit Nachw. zur Kritik SK-Rogall Vor § 48, 152 ff. BVerfGE 57 250, 284; vgl. auch BGHSt 33 70, 84; 39 141, 143; BGH NStZ 1984 31; 1993 350; näher § 70, 5; SK -Rogall Vor § 48, 72; zum Zeugenschutz insges. s. Rdn. 127. Vgl. insbes. das OrgKG (Rdn. Ε 139); sowie das Zeugenschutzgesetz (Rdn. Ε 155); s. jetzt auch § 6 BKAG V. 7. 7. 1997 (BGBl. I 1650); näher die Erl. zu § 68 sowie zu § 96 (zu den Fragen der Sperrerklärung für gefährdete Zeugen); zum Ganzen ausführlich SK-Rogall Vor § 48, 68 ff. S. auch die Antwort der BReg. auf eine Große Anfrage zum Thema „Zeugenschutz im Strafprozeß", BTDrucks. 13 8156. Zur Entwicklung des Zeugenschutzgedankens in der StPO s. auch Rieß 22. Strafverteidigertag (1998). Ausführliche Behandlung der Thematik auf dem 62. DJT 1998; s. dazu u. a. Weigend (Gutachten); femer Caesar NJW 1998 2313 ff; Dahs NJW 1998 2332 f; Jung GA 1998 313 ff; Fischer JZ 1998 816 ff; Griesbaum NStZ 1998 433 ff; Nettes NJ 1998 449 ff; Schünemann StV 1998 391 ff.
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Peter Rieß
Dazu ausführlich mit weit. Nachw. SK-Rogall Vor § 48, 70 f; ferner die Antwort der BReg. auf eine Große Anfrage zum Thema Zeugenschutz, BTDrucks. 13 8156 S. 10 ff; vgl. auch Caesar NJW 1998 2313 f; Weigend (Gutachten) C 30 ff. Dazu rechtsvergleichend u. a. Hünerfeld ZStW 105 (1993) 396 ff; näher die Erl. zu § 68 StPO. Näher die Erl. zu § 96 StPO; ausführlich mit weit. Nachw. SK-Rogall Vor § 48, 79 ff. Zum Ganzen näher mit weit. Nachw. SK-Rogall Vor § 48, 74 ff; s. auch Hilger NStZ 1992 458 f; sowie die Antwort der BReg. BTDrucks 13 8156 S. 55 ff. Dazu ausführlich mit Nachw. SK-Rogall Vor § 48, 92 ff; s. auch Weigend (Gutachten) C 45 ff mit Nachw. S. dazu auch Vor § 48, 20 f; femer u. a. Weigend (Deliktsopfer) 454 ff; Böttcher FS Kleinknecht 25 ff; Dahs NJW 1984 1921; Rieß FS Wassermann 969 ff; zur (faktischen) Strafzumessungsrelevanz einer aggressiven Befragung einer Verletzten s. auch Detter StraFo. 1997 197. Dazu ausführlich mit umf. Nachw. Keiser; erste empirische Erkenntnisse mit weit. Nachw. Busse/ Volbert/Steller (zusammenfassend S. 182).
Einl. A b s c h n . I
Einleitung
außerhalb des Strafverfahrens setzen hier die Notwendigkeiten der Wahrheitserforschung und die legitimen Verteidigungsinteressen zeugenschützenden Vorschriften ebenso Grenzen wie ihrer zeugenfreundlichen Anwendung im Einzelfall 444 . Der Zeuge muß es erforderlichenfalls grundsätzlich hinnehmen, daß er auch Tatsachen offenbaren muß, die seinen persönlichen Lebensbereich oder seine Geheimsphäre betreffen oder die ihm zur Unehre gereichen; auch ein Zeugnisverweigerungsrecht steht ihm insoweit im Strafverfahren, abgesehen von extremen Ausnahmefallen 445 nicht zu 446 . Allerdings sollen nach § 68 a StPO solche Fragen nur im Falle ihrer Unerläßlichkeit gestellt werden. Weitere Möglichkeiten des Zeugenschutzes vor Beeinträchtigungen dieser Art enthalten § 247 Satz 2, 2. Alternative StPO, die durch das Zeugenschutzgesetz (Rdn. Ε 155) eingeführten §§ 58 a, 247 a und 255 a StPO sowie die den Ausschluß der Öffentlichkeit ermöglichenden §§ 171b, 172 Nr. 2, 3 GVG. 129
Eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand kann sich, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat 447 , jeder Zeuge bedienen, nicht nur der in der Zeugenrolle befindliche Verletzte, bei dem dies inzwischen ausdrücklich gesetzlich geregelt ist 448 . Eine gesetzliche Regelung des allgemeinen Zeugenbeistandes ist bisher unterblieben 449 . In Rechtsprechung und Schrifttum ist seine Zulässigkeit im Grundsatz unumstritten. Seine zentrale Aufgabe besteht darin, den Zeugen in seiner Stellung im Verfahren zu beraten und vor Eingriffen in seine Rechte zu schützen. Deshalb ist auch die Anerkennung des Zeugenbeistandes dem Zeugenschutz zuzurechnen. Meinungsverschiedenheiten bestehen in Rechtsprechung und Schrifttum im einzelnen über den Umfang seiner Befugnisse. Lebhaft umstritten ist auch, ob, unter welchen Voraussetzungen und auf welcher Rechtsgrundlage, was nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten sein soll 450 , einem minderbemittelten Zeugen ein Zeugenbeistand auf Kosten der Staatskasse von Amts wegen bestellt werden oder ob für dessen Hinzuziehung in entsprechender Anwendung der §§ 114 ff ZPO Prozeßkostenhilfe gewährt werden kann. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darstellung in den Vorbemerkungen Vor § 48 StPO verwiesen 451 .
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3. Der Sachverständige ist, auch wenn er gelegentlich als Richtergehilfe bezeichnet wird 452 , wie der Zeuge persönliches Beweismittel. Seine Beweisfunktion besteht darin, spezifische Sachkunde, über die das Gericht nicht in ausreichendem Maße verfügt, zu übermitteln, anzuwenden oder beides zu tun. Die Pflichten und die Befugnisse des Sachverständigen stimmen weitgehend (vgl. § 72 StPO und die dort. Erl.) mit denen des Zeugen überein. Anders als bei diesem besteht jedoch eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, als Sachverständiger tätig zu werden, nur unter den Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 StPO, und im Gegensatz zum Zeugen kann der Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Ähnlich wie beim Zeugen können auch, wenn dies 444
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S. dazu auch Dahs NJW 1998 2332 f; Fischer JZ 1998 816 ff; Jung GA 1998 324 ff. BVerfGE 3 3 374; s. näher Vor § 48, 9; SK-Rogall Vor § 48, 94. SK-Rogall Vor § 48, 94; Böttcher FS Kleinknecht 36. BVerfGE 38 105 ff; Einzelheiten zum Zeugenbeistand Vor § 4 8 , 10 bis 15. §§ 406 f, 406 g; s. die dort. Erl. und oben Rdn. 121. Nur einen Teilbereich regelt der durch das Zeugenschutzgesetz (Rdn. Ε 155) eingefügte § 68 b StPO, der für bestimmte Zeugen die Beiordnung eines Beistandes für die Vernehmung ermöglicht; vgl.
auch BTDrucks. 13 8156 S. 6 f (Antwort der BReg zum Zeugenschutz). BVerfGE 38 105, 116; BVerfG NStZ 1983 374 f. « 1 Vor § 48, 13; s. auch SK-Rogall Vor § 48, 108 ff; vgl. auch (für den Sonderfall bestimmter nebenklagebefugter Verletzter auch in ihrer Rolle als Zeugen) die eine Beistandsbestellung auf Staatskosten ermöglichende Regelung in den durch das ZeugenschutzG (Rdn. Ε 155) neugefaßten §§ 397 a, 406 g StPO und dazu die Erl. bei LR-Hilger zu diesen Vorschriften. "52 S. die Nachweise Vor § 72 (24. Aufl. Rdn. 3).
Stand: 1. 8. 1998
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D i e Beteiligten des Strafverfahrens und ihr Verhältnis zueinander
Einl. Abschn. I
auch bisher geringere praktische Bedeutung erlangt haben dürfte, Maßnahmen des Sachverständigenschutzes notwendig werden und in Betracht kommen, auch wenn nicht alle zeugenschützenden Vorschriften voll auf den Sachverständigen anwendbar sind 453 . Auch die Mitwirkung eines Sachverständigenbeistandes wird man in ähnlichem Umfang wie den Zeugenbeistand für zulässig halten müssen. Die Notwendigkeit der Heranziehung eines Sachverständigen ergibt sich im allge- 131 meinen aus den Grundsätzen der Amtsaufklärung 454 . In einer Reihe von Fällen ist jedoch die Anhörung eines Sachverständigen zwingend oder jedenfalls als Sollvorschrift vorgeschrieben, teilweise wird dabei auch die Fachrichtung näher bezeichnet; so etwa nach § 81 Abs. 1 StPO (Unterbringung zur Beobachtung), § 246 a StPO (Anhörung eines Arztes in der Hauptverhandlung bei zu erwartender Unterbringung) und § 454 Abs. 1 Satz 5 StPO (Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe).
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» So sind etwa § 247 Satz 1, 2 StPO, § 171 b GVG auf den Sachverständigen wohl unanwendbar.
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Peter Rieß
S. näher vor allein § 244, 71 ff.
J. Verfahrensrechtliche Grundbegriffe Schrifttum (Auswahl) Prozefthandlungen. Amelung Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe (1976); Bindokat Zur Frage des Irrtums bei Prozeßhandlungen, NJW 1956 51; Bruns, Richard Der Begriff der Parteiprozeßhandlung, JZ 1959 204; Dencker Willensfehler bei Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelzurücknahme im Strafverfahren (1972); Dimitrijovic Handlungsbegriff und Rechtsverhältnis im Strafprozeß, FS Peters 253; Gössel Überlegungen zur „Zulässigkeit" im Strafverfahren, insbesondere im Stadium der Wiederaufnahme, GedS H. Kaufmann 977; Joachim Die Berücksichtigung von Willensmängeln bei nichtrichterlichen Prozeßhandlungen im Strafprozeß, Diss. Erlangen 1970; Kern Zur Lehre von den Prozeßhandlungen im Strafprozeß, FS Lenel (1921) 52; Lücke Betrachtungen zum Prozeßrechtsverhältnis, ZZP 108 (1995) 427; Müller Fehlerhafte prozessuale Willenserklärungen des Beschuldigten, Diss. Tübingen 1975; Niese Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen (1950); Paulus Beweisverbote als Prozeßhandlungshindernisse, GedS Meyer 209; Rieß/Thym Rechtsschutz gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, GA 1981 189; Schaper Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens (1985); Schmid Bedingte Prozeßhandlungen im Strafprozeß, GA 1982 95; Schmid Über den Zugang strafprozessualer Willenserklärungen, FS Dünnebier 101; Siegert Die Prozeßhandlungen, ihr Widerruf und ihre Nachholung (1929); Wiedemann Die Korrektur strafprozessualer Entscheidungen außerhalb des Rechtsmittelverfahrens (1980); weiteres Schrifttum s. Abschnitt Β und bei den §§ 98 und 304 StPO. Verwirkung. Mißbrauch. Deckers „Mißbrauch" von Anwaltsrechten zur „Prozeßsabotage", AnwBl. 1981 316; Fischer Rechtsmißbrauch und Überforderung der Strafjustiz, NStZ 1997 212; Jahn Kann „Konfliktverteidigung" Strafvereitelung (§ 258 StGB) sein? ZRP 1998 103; Jahn Sitzungspolizei contra „Konfliktverteidigung"? - Zur Anwendbarkeit der §§ 176 ff GVG auf den Strafverteidiger - , NStZ 1998 389; Kempf Rechtsbeugung als Mittel der Rechtspolitik, FS Friebertshäuser 83; Kempf Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StV 1996 507; Kröpil Ist eine allgemeine gesetzliche strafprozessuale Mißbrauchsklausel notwendig? ZRP 1997 9; Kröpil Zum Begriff des Mißbrauchs in §§ 241 Abs. 1, 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO, JR 1997 315; Kröpil Die Bedeutung der strafprozessualen Verfahrensziele für den Mißbrauch strafprozessualer Befugnisse, JZ 1998 135; Kühne Wer mißbraucht den Strafprozeß? StV 1996 684; Lang Der Verlust von Verfahrensrügen beim Angeklagten durch Rückgriff auf den Verwirkungsgedanken, Diss. München 1994; Malmendier „Konfliktverteidigung" - ein neues Prozeßhindernis? NJW 1997 227; Naucke „Mißbrauch" des Strafantrags? FS Mayer 565; Niemöller Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StV 1996 501; Rüping Der Mißbrauchsgedanke im Strafprozeßrecht und sein Mißbrauch, JZ 1997 865; Rüping/Dornseifer Dysfunktionales Verhalten im Prozeß, JZ 1977 417; Scheffler Gedanken zur Rechtsbeugung, NStZ 1996 67; Schlüchter Wider die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß, GedS Meyer 445; Schmid Die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß (1967); Weber Der Mißbrauch prozessualer Rechte im Strafverfahren, GA 1975 289; Weiss „Mißbrauch" von Anwaltsrechten zur „Prozeßsabotage", AnwBl.1981 321; weiteres Schrifttum s. bei § 337 StPO (zur Verwirkung). Prozeßvoraussetzungen. Arloth Verfahrenshindernis und Revisionsrecht, NJW 1985 317; Bertelsperger Einstellung des Strafverfahrens von Verfassungs wegen - Zum Strafverfahren gegen Erich Honecker, DVB1. 1993 333; Bruns „Widerspruchsvolles" Verhalten des Staates als neuartiges Strafverfolgungsverbot und Verfahrenshindernis, insbesondere bei tatprovozierenden Einsatz polizeilicher Lockspitzel, NStZ 1983 49; Bülow Die Lehre von den Prozeßeinreden und den Prozeßvoraussetzungen (1868); Dehn Verfahrenshindernis der völkerrechtswidrigen Entführung, Diss. Heidelberg 1993; Foth Kann die Anstiftung durch eine V-Person ein Verfahrenshindernis begründen? NJW 1984 221; Hanack Prozeßhindernis des überlangen Strafverfahrens? JZ 1971 705; Hertweck Erforderlichkeit (275)
Peter Rieß
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Einleitung
der Hauptverhandlung trotz Verfahrenshindernis? NJW 1968 1462; Hillenkamp Verfahrenshindernisse von Verfassungs wegen, NJW 1989 2841; v. Kries Die Prozeßvoraussetzungen des Reichsstrafprozesses, ZStW 5 (1885) 1; Mann, D. u. U. Die Anwendbarkeit des Grundsatzes „in dubio pro reo" auf Prozeßvoraussetzungen, ZStW 76 (1974) 264; Martin Prozeßvoraussetzungen und Revision (1974); Meurer Der Verfassungsgerichtshof und das Strafverfahren, JR 1993 89; Meyer, M-K. Zur Rechtsnatur und Funktion des Strafantrags (1984); Niese Prozeßvoraussetzungen und -hindernisse und ihre Feststellung im Strafprozeß, DRZ 1949 505; Oetker Zur Lehre von den Prozeß- und Urteilsvoraussetzungen im Strafverfahren, GS 104 (1935) 85; Paeffgen Wozu dient der Strafprozeß und inwieweit darf ein Landesverfassungsgericht in ihn intervenieren? NJ 1993 152; Rieß Verfahrenshindernisse von Verfassungs wegen? JR 1985 45; Rosenberg Beiträge zur Lehre von den Prozeßvoraussetzungen, ZStW 36 (1915) 522; Roxin, Imme Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße in der Strafrechtspflege 2 (1995); Rüping Die Mitverantwortung des Staates als Strafverfolgungsverbot (1987); Scheffler Rechtsstaatswidrigkeit und Einstellung des Strafverfahrens, JZ 1992 131; Schlüchter/Duttke Spionage zugunsten des Rechtsvorgängerstaats als Herausforderung für die Strafrechtsdogmatik, NStZ 1996 457 Eb. Schmidt Revisionsgericht und Verfahrenshindernisse, JZ 1962 155; Schöneborn Die Behandlung von Verfahrenshindernissen im strafprozessualen Verfahrensgang, MDR 1975 6; Schoreit Absolutes Strafverfahrenshindernis und absolutes U-Haftverbot bei begrenzter Lebenserwartung des Angeklagten? NJW 1993 881; Schumann Verfahrenshindernis beim Einsatz von V-Leuten als agents Provokateurs? JZ 1986 66; Schünemann Materielle Tatverdachtsprüfung und völkerrechtswidrige Entführung als nationalstaatliche Sprengsätze im internationalen Auslieferungsverkehr, in: 140 Jahre Goltdammers Archiv (1993) 215 (Entführung); Sternberg-Lieben Einstellungsurteil oder Freispruch, ZStW 108 (1996) 721; Sulanke Die Entscheidung bei Zweifeln und das Vorhandensein von Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernissen im Strafverfahren (1974); Taschke Verfahrenshindernis bei Anstiftung durch einen Lockspitzel, StV 1984 178; Toebbens Der Freibeweis und die Prozeßvoraussetzungen im Strafprozeß, NStZ 1982 184; Vogelgesang Verfahrenshindernis der überlangen Verfahrensdauer, NJW 1994 1845; Volk Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht. Zum Verhältnis von materiellem Recht und Prozeßrecht (1978); Volk Übermaß und Verfahrensrecht, NStZ 1995 367; Volk Verfahrensfehler und Verfahrenshindernisse, StV 1986 34; Weiler Irreparable Verletzung des Rechts des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren als Verfahrenshindernis, GA 1994 561; Wolfslast Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung (1995); Wurzer Die Prozeßvoraussetzungen, Gruchot 64 (1920) 41; Ζielinski Strafantrag - Strafantragsrecht, GedS H. Kaufmann 875; weiteres Schrifttum s. bei Abschnitt G (Beschleunigung) und bei den §§ 205, § 206a StPO. Prozeßgegenstand. Tat. Rechtskraft. Abel Rechtskraft und Feststellungswirkung des Strafurteils, Diss. Erlangen 1961; Achenbach Strafprozessuale Ergänzungsklage und materielle Rechtskraft, ZStW 87 (1975) 74; Barthel Der Begriff der Tat im Strafprozeßrecht, Diss. Saarbrücken 1972; Bauer Erneute Neubestimmung des prozessualen Tatbegriffs, wistra 1990 218; Bertel Die Identität der Tat (1970); Beulke/Fahl Prozessualer Tatbegriff und Wahlfeststellung - strafprozessuale Probleme bei alternativer Tatsachenfeststellung, Jura 1998 262; Bindokat Zur Frage des prozessualen Tatbegriffs, GA 1967 362; Bohnert Tatmehrheit, Verfahrensmehrheit und nachträgliche Gesamtstrafenbildung, GA 1994 97; Bruns Zur Feststellungswirkung des rechtskräftigen Strafurteils, FS. Eb. Schmidt 602; Büchner Der Begriff der strafprozessualen Tat, Diss. Würzburg 1976; Busch Zum Verbrauch der Strafklage bei späterer Erkenntnis anderweitiger Tatgestaltung, ZStW 68 (1956) 3; Cording Der Strafklageverbrauch bei Dauer- und Organisationsdelikten (1993); Dästner Verfahrensbeschleunigung bei Großverfahren auf Kosten des Rechtskraftbegriffs? RuP 1978 219; Dedes Die Identität der „Tat" im Strafprozeß, GA 1965 102; Detmer Der Begriff der Tat im strafprozessualen Sinn, Diss. Bonn 1989; Endriß/Kinzig Eine Straftat - zwei Strafen. Nachdenken über ein erweitertes „ne bis in idem", StV 1997 665; Erb Die Reichweite des Strafklageverbrauchs bei Dauerdelikten und fortgesetzten Taten, GA 1994 265; Fezer §§ 129, 129a StGB und der strafprozessuale Tatbegriff, in: Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, Hamburger Ringvorlesung, Hamburger Rechtsstudien Bd. 78 (1990) 126 (Ringvorlesung); Fliedner Die verfassungsrechtlichen Grenzen mehrfacher staatlicher Bestrafung aufgrund desselben Verfahrens, AöR 99 (1974) 242; Gantzer Die Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse und Verfügungen, Diss. München 1967; Geppert Gedanken zur Rechtskraft und Beseitigung strafprozessualer Beschlüsse, GA 1972 165; Gillmeister Zur normativ-faktischen
Stand: 1. 8. 1998
(276)
Verfahrensrechtliche Grundbegriffe
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Bestimmung der strafprozessualen Tat, NStZ 1989 1; Grotz Das Schengener Durchführungsübereinkommen und der Grundsatz ne bis in idem, StraFo. 1995 102; Grunsky Zur Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft im Strafverfahren, FS Kem 223; Grünwald Die materielle Rechtskraft im Strafverfahren, in: Deutsche strafrechtliche Landesreferate zum IX internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Teheran 1974, Beiheft zur ZStW 86 (1974) 94; Grünwald Der Verbrauch der Strafklage bei Verurteilungen nach den §§ 129, 129a StGB, FS Bockelmann 737; Helmken Strafklageverbrauch: Rechtssicherheit contra Einzelfallgerechtigkeit, MDR 1982 715; Herzberg Ne bis in idem - Zur Sperrwirkung des rechtskräftigen Strafurteils, JuS 1972 116; Herzog Die Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse und ihre Beseitigung, Diss. Freiburg 1971; Hruschka Der Begriff der „Tat" im Strafverfahrensrecht, JZ 1966 700; Jung Zur „Internationalisierung" des Grundsatzes „ne bis in idem", FS Schüler-Springorum 493; Keetsin Liu Der Begriff der Identität der Tat (1927); Kinnen Zum verfahrensrechtlichen Begriff der Tat, MDR 1978 545; Koucsoulis Beiträge zur modernen Rechtskraftlehre (1986); Krauth Zum Umfang der Rechtskraftwirkung bei Verurteilung von Mitgliedern krimineller und terroristischer Vereinigungen, FS Kleinknecht 233; Kröpil Die Bedeutung der Tatbegriffe für den Strafklageverbrauch, DRiZ 1986 448; Kröpil Prozessualer Tatbegriff und Wahlfeststellung NJW 1988 1188; Lagodny Teileuropäisches „ne bis in idem" durch Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ), NStZ 1997 265; Lambrecht Strafrecht und Disziplinarrecht - Abhängigkeiten und Überschneidungen (1997); Lampe Die Durchbrechung der materiellen Rechtskraft bei Strafurteilen, GA 1968 33; Lemke Probleme der strafprozessualen Vorab- und Ergänzungsklage, ZRP 1980 141; Loos Probleme der beschränkten Sperrwirkung strafprozessualer Entscheidungen, JZ 1978 592; Marxen Der prozessuale Tatbegriff in der neueren Rechtsprechung, StV 1985 472; Meyer-Goßner Die Beseitigung materiell-rechtlich widersprüchlicher Entscheidung von Strafgerichten, FS Saiger 345; Müsch Dauerdelikt und Strafklageverbrauch, MDR 1988 1005; Neuhaus Der strafverfahrensrechtliche Tatbegriff - ne bis in idem - (1985); Neuhaus Materielle Handlungseinheit und prozessuale Tatidentität, wistra 1988 67; Neuhaus der strafprozessuale Tatbegriff und seine Identität, MDR 1988 1012; 1989 213; Oehler Die Identität der Tat, FS Rosenfeld 139; Oehler Neue Verschiebungen beim prozessualen Tatbegriff, GedS Schröder 439; Pickert Verfolgungsbeschränkungen gem. § 154a StPO und das Problem des Strafklageverbrauchs (1984); Puppe Die Individualisierung der Tat in Anklageschrift und Bußgeldbescheid und ihre nachträgliche Korrigierbarkeit, NStZ 1982 230; Radtke Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozeß (1994); Radtke Materielle Rechtskraft bei der Anordnung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung, ZStW 110 (1998) 297; Schlehofer Der Verbrauch der Strafklage für die abgeurteilte Tat, GA 1997 101; Schlüchter Von der Unabhängigkeitsthese zu materiell-rechtlich begrenzter Tatidentität beim Dauerdelikt, JZ 1991 1057; Eb. Schmidt Materielle Rechtskraft - materielle Gerechtigkeit, JZ 1968 681; Schmidt Gerh. Schuldspruch und Rechtskraft, JZ 1966 89; Schomburg Internationales „ne bis in idem" nach Art. 54 SDÜ, StV 1997 383; Schomburg Strafrecht und Rechtshilfe im Geltungsbereich von Schengen II, NJW 1995 1931; Schöneborn Alternativität der Handlungsvorgänge als Kriterium des prozessualen Tatbegriffs, MDR 1974 529; Schroeder Die Rechtsnatur des Grundsatzes „ne bis in idem", JuS 1997 227; Schwarplies Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Grundsatzes „ne bis in idem" im Strafprozeß, Diss. Zürich 1970; Schwinge Identität der Tat i. S. der StPO, ZStW 52 (1932) 203; Spinellis Die materielle Rechtskraft des Strafurteils, Diss. München 1962; Stein Strafprozessualer Tatbegriff und Alternativität von Vorwürfen, JR 1980 444; Tiedemann Entwicklungstendenzen der strafprozessualen Rechtskraftlehre (1969); Trautwein Zum Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslavien, NJW 1995 1658; Trepper Zur Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse (1996); Werte Die Beteiligung an kriminellen Vereinigungen und das Problem der Klammerwirkung, JR 1979 93; Wolter Tatidentität und Tatumgestaltung im Strafprozeß, GA 1986 143; Zaczyk Bindungswirkungen eines rechtskräftigen Strafurteils für das materielle Strafrecht, GA 1988 356; weiteres Schrifttum s. bei § 264 (Tatbegriff) und Vor § 296 (Teilrechtskraft) StPO. Nichtiges Urteil. Beckmann Rechtsgrundlagen zur Aufhebung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege, JZ 1997 922; Grünberg Nichtigkeitsbeschwerde gegen offensichtliche Rechtsmängel bei rechtskräftigen Strafurteilen, Diss. Tübingen 1977; Grünwald Zur Frage der Nichtigkeit von Strafurteilen, ZStW 76 (1964) 250; Jauernig Nichturteile bei Mitwirkung von Nicht(mehr)-Richtern, DtZ 1993 173; Lampe Die Durchbrechung der materiellen Rechtskraft bei Strafurteilen, GA 1968 33; Luther Zur Nichtigkeit von Strafurteilen, insbesondere im Jugendrecht, (277)
Peter Rieß
Einl. Abschn. J
Einleitung
Z S t W 70 (1958) 87; Roeder Die Begriffsmerkmale des Urteils im Strafverfahren. Ein Beitrag zur Lehre von der sog. absoluten Urteilsnichtigkeit, Z S t W 7 9 (1969) 250; Rüping/Schwarz Sind die Urteile des Volksgerichtshofes nichtig? N J W 1985 2391; Schneider Sind nichtige Gerichtsentscheidungen möglich? M D R 1956 465; Sonnen Die Beurteilung des „Volksgerichtshofs" und seiner Entscheidungen durch den Deutschen Bundestag, N J W 1985 1065.
Rdn. I. Allgemeines 1. Bedeutung 2. Hinweise 3. Prozeßrechtsverhältnis
1 3 4
II. Prozeßhandlungen 1. Bedeutung und Begriff a) Allgemeines. Bedeutung b) Begriff der Prozeßhandlungen . . . 2. Einteilung der Prozeßhandlung a) Übersicht b) Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen c) Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen 3. Wirksamkeit von Prozeßhandlungen. Bewertungskategorien a) Übersicht b) Allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzungen c) Zulässigkeit und Begriindetheit . . . d) Prozessuale Überholung 4. Rücknahme, Widerruf, Bedingungen. Beseitigung der Wirksamkeit a) Widerruf, Rücknahme und Verzicht b) Sonstige Beseitigung der Wirkung von Prozeßhandlungen c) Bedingungen 5. Willensmängel, insbesondere Irrtum, Täuschung und Drohung a) Allgemeines. Übersicht. Hinweise . b) Gerichtliche Entscheidungen . . . . c) Sonstige prozessuale Erklärungen 6. Mißbrauch von prozessualen Befugnissen, Verwirkung und ähnliche Erscheinungen a) Allgemeines b) Mißbrauch durch private Prozeßbeteiligte. Einzelheiten c) Mißbrauch durch Strafverfolgungsbehörden d) Verwirkung
41 42
III. Prozeßvoraussetzungen 1. Entwicklung. Bedeutung. Hinweise . . 2. Begriff, Wesen und Einteilung 3. Einzelne Prozeßvoraussetzungen . . . .
43 45 48
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16 17 19 21 23 24 26 27
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34 39
Rdn. 4. Behandlung der Prozeßvoraussetzungen im Verfahrensgang 5. Bemühungen um eine Erweiterungen des Kreises der Verfahrenshindernisse a) Übersicht b) Bewertung c) Verfahrenshindemis der Unverhältnismäßigkeit? IV. Prozessuale Tat und Prozeßgegenstand 1. Bedeutung. Hinweise 2. Funktionen des Tatbegriffs a) Allgemeines b) Die einzelnen Funktionen c) Einheitlicher Tatbegriff d) Prozessuale Behandlung der Tat (Übersicht) e) Mehrheit von Prozeßgegenständen in einem Verfahren f) Prozeßgegenstand des Ermittlungsverfahrens 3. Inhalt des prozessualen Tatbegriffs (Übersicht) a) Allgemeines. Grundsätze b) Einzelne Probleme V. Rechtskraft und Bestandskraft 1. Allgemeines. Übersicht a) Grundlagen b) Überblick c) Terminologisches. Hinweise . . . . 2. Formelle Rechtskraft a) Begriff und Eintritt b) Wegfall c) Wirkungen 3. Materielle Rechtskraft a) Überblick. Gesetzliche Grundlagen. Verhältnis zu Art. 103 Abs. 3 GG. . b) Geltungsgrund und Wesen der Rechtskraft (Rechtskrafttheorien). . c) Der materiellen Rechtskraft fähige Entscheidungen d) Gegenstand und Umfang der materiellen Rechtskraft e) Feststellungs- und Bindungswirkung f) Rechtskraftdurchbrechung 4. Entscheidungen nichtdeutscher Gerichte a) Grundsatz. Allgemeine Entwicklung
Stand: 1 . 8 . 1998
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53 55 56
57 59 60 62 63 67 68
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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe b) Vertrag von Schengen und ähnliche Entwicklungen c) Gerichte der ehemaligen DDR . . . d) Besatzungsgerichte. Ausländische Streitkräfte 5. Bestandskraft anderer Entscheidungen im Überblick a) Allgemeines b) Gerichtliche Entscheidungen . . . . c) Staatsanwaltschaftliche Entscheidungen VI. Zur Problematik nichtiger Entscheidungen, insbesondere nichtiger Urteile 1. Allgemeines a) Übersicht b) Hinweise und Grundsätze c) Nichturteile und nichtige Urteile . . d) Urteilsnichtigkeit nach Systemwechsel e) Zur Bedeutung der sog. Teilrechtskraft
Rdn. 109 111 112
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116 118 119 120 122
Einl. Abschn. J Rdn.
2. Die Problematik des nichtigen Urteils im allgemeinen 3. Einzelfragen von praktischer Bedeutung a) Verstoß gegen ne bis in idem . . . . b) Fehlende Gerichtsbarkeit c) Mangelnde Strafmündigkeit . . . . d) Personenverwechslung e) Überschreitung der Grenzen der angeklagten Tat
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f) Tod des Angeklagten g) Verurteilung aufgrund nicht bestehender Strafgesetze h) Verhängung einer dem deutschen Strafrecht unbekannten Sanktion . . 4. Nichtigkeit anderer gerichtlicher Entscheidungen 5. Geltendmachung einer Nichtigkeit . .
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a) Rechtsmittel. Wiederaufnahme . . . b) Andere Formen der Geltendmachung der Nichtigkeit
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I. Allgemeines 1. Bedeutung. Während die Prozeßmaximen oder Prozeßgrundsätze die Strukturie- 1 rung des Strafverfahrens in erster Linie dadurch bewirken, daß sie rechtspolitische Leitgedanken beschreiben (Rdn. Η 1), sind die in diesem Abschnitt behandelten verfahrensrechtlichen Grundbegriffe von anderer Beschaffenheit. Sie dienen im wesentlichen der dogmatischen Erklärung des Strafverfahrens. Es handelt sich vorwiegend um allgemeine prozeßrechtliche Grundlagen für die Erfassung des Strafprozesses, die aus den Einzelregelungen des gegenwärtigen Prozeßmodells (Rdn. F 8) abgeleitet sind oder ihnen zugrundeliegen. Auch die Beschreibung und Erfassung der rechtlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Prozeßbeteiligten ließe sich jedenfalls teilweise diesem Bereich zuordnen; vorwiegend aus Gründen der Übersichtlichkeit der Darstellung erfolgt dies hier gesondert in Abschnitt I. Die prozeßrechtlichen Grundbegriffe sind überwiegend Ergebnisse der systematisie- 2 renden und rechtsfortbildenden Prozeßrechtswissenschaft und der ihr folgenden oder sie beeinflussenden Rechtsprechung, nicht Produkte des Gesetzgebers. Dieser setzt sie zwar teilweise ausdrücklich, teilweise stillschweigend voraus oder er benutzt sie als Begriffe; er regelt sie aber nicht im einzelnen. Dennoch finden auch sie im Gesetz ihre Grundlage und ihre Grenze. Sie lassen sich nur rechtfertigen, soweit sie gesetzliche Wertvorstellungen zutreffend erfassen. Für die praktische Rechtsanwendung sind sie nur sinnvoll, soweit sie zur Lösung von Anwendungs- und Auslegungsproblemen bei den Einzelvorschriften des geltenden Rechts beitragen oder übergreifende Gesichtspunkte herausarbeiten können. Insofern wirken sie wiederum auf die Einheitlichkeit der Handhabung verschiedener Einzelvorschriften, denen ein gemeinsamer Gedanke zugrundeliegt. Sie sind dagegen in der Regel keine vorgegebenen, unabhängig von der Gesetzeslage existierenden Begrifflichkeiten. Vielmehr ist ihre Reichweite und ihr Inhalt von legislatorischen Entscheidungen und anderen Entwicklungen abhängig; dies kann Veranlassung geben, sie aufzugeben, ihren Inhalt zu verändern oder neue Begriffe zu bilden. Allerdings sollte sich auch der (279)
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Einl. Abschn. J
Einleitung
Gesetzgeber, namentlich bei punktuellen Normierungen, nicht ohne Grund über die systematischen Erkenntnisse hinwegsetzen, die in diesen Grundbegriffen zum Ausdruck kommen. 3
2. Hinweise. Die prozeßrechtlichen Grundbegriffe werden teilweise an anderen Stellen erörtert und nicht stets vollständig behandelt. So finden sich die mit der Wahrheitserforschung zusammenhängenden Fragen unter Rdn. G 42 ff; die Erörterung der Rolle des Gerichts und der sonstigen Prozeßbeteiligten im Abschnitt I, die Darstellung der Beweisverbote im Abschnitt K. Femer wird in der Einzelkommentierung teilweise auch auf solche Grundbegriffe eingegangen oder sie werden dort näher entfaltet, so etwa bei der Frage der Teilrechtskraft oder der Beschwer1, oder bei den Einzelfragen der Prozeßvoraussetzungen 2 und der prozessualen Tat 3 .
4
3. Prozeßrechtsverhältnis. Namentlich die ältere und vor allem die zivilprozessual ausgerichtete Dogmatik hat sich bemüht, mit dem Begriff eines einheitlichen Prozeßrechtsverhältnisses zu einem besseren Verständnis des Prozesses vorzudringen4. Danach soll der Beginn eines Strafverfahrens ein die einzelnen Rechtsbeziehungen übergreifendes und sie erklärendes (öffentliches) Rechtsverhältnis zwischen den verschiedenen Prozeßbeteiligten begründen 5 . Daran ist sicher richtig, daß zwischen den Prozeßbeteiligten auch im Strafverfahren nicht nur tatsächliche, sondern auch rechtliche Beziehungen bestehen, die sich aus dem Strafprozeßrecht ergeben 6 . Jedoch bedarf es zu dieser Erkenntnis des Begriffs des Prozeßverhältnisses nicht, aus dem sich auch sonst jedenfalls für den Strafprozeß 7 keine weiterführenden Ergebnisse ableiten lassen8, und der es darüber hinaus erschwert, auch das Ermittlungsverfahren als Bestandteil des Strafprozesses zu verstehen. In der Strafprozeßrechtswissenschaft ist die Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis nie recht heimisch geworden 9 . Die neueren Darstellungen verwenden ihn nicht mehr 10 ; auch in diesem Kommentar wird nicht weiter auf ihn eingegangen.
II. Prozeßhandlungen 1. Bedeutung und Begriff 5
a) Allgemeines. Bedeutung. Aus der Natur des Strafverfahrens als eines kontinuierlichen, sich von Lage zu Lage entwickelnden, auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichteten Geschehens (Rdn. Β 9), das durch die Interaktion einer Mehrzahl von Personen und Stellen bestimmt wird (Rdn. I 1), ergibt sich notwendigerweise, daß der Fortgang des Verfahrens durch eine Vielzahl von (aufeinander bezogenen) Handlungen von Menschen bewirkt 1 S. Vor § 296, 31 ff; 46 ff. 2 S. die Erl. zu § 206 a StPO. ' S. die Erl. zu § 264 StPO. 4 Zur Entwicklung näher Eb. Schmidt I 43 ff; zur zivilprozessualen Entwicklung und Bedeutung Lücke ZZP 108 (1995) 428 ff; ausführliche Darstellung und Anwendung bei Schaper 35 ff (zusammenfassende Kritik 61). Der Begriff wird von den verschiedenen ihn verwendenden Autoren nicht einheitlich gebraucht. 5 So etwa Baumann Kap. 4 II 1 a, ausführlicher aus neuerer Zeit daneben nur noch Peters 99 ff. 6 Nur in diesem Sinne will etwa Henkel 114 den Begriff des Prozeßrechtsverhältnisses verstehen; ähnlich auch Peters 100.
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Zu seiner heutigen Bedeutung im Zivilprozeß s. mit weit. Nachw. Lücke ZZP 108 (1990) 433 ff. Zur Kritik vgl. vor allem Eb. Schmidt 143 ff; femer KMR-Sax Einl. I 1 f; für entbehrlich hält ihn auch SchlUchter 129. Bejahend etwa zu Dohna 45 f; v. Gleispach 2; Rosenfeld 30; zurückhaltend, wenn auch darauf eingehend, beispielsweise v. Hippel 7; ablehnend Gerland 6 f. Anders allerdings neustens Köhler ZStW 107 (1995) 19 ff, der aus dem Prozeßrechtsverhältnis eine systematische Begrenzung von Ermittlungseingriffen abzuleiten versucht; vgl. auch (Prozeßrechtsverhältnis als eine Grundlage der Unschuldsvermutung) Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 534 ff.
Stand: 1. 8. 1998
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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe
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wird, die auf die Gestaltung des Verfahrens und die Herbeiführung des Prozeßausgangs gerichtet sind oder mindestens einwirken. Insoweit ist der Begriff der Prozeßhandlung, der diese Gesamtheit aller Betätigungen erfaßt, kein normativer, sondern ein empirisch faßbarer tatsächlicher. Eine andere Frage ist jedoch, ob diese Vielfalt einzelner, das Prozeßgeschehen betref- 6 fender menschlicher Verhaltensweisen, also von Handlungen", oder eines erheblichen Teiles von ihnen, so viele Gemeinsamkeiten enthält, daß es (aus der Sicht systematisierender rechtswissenschaftlicher Betrachtung) sinnvoll erscheint, hieraus normativ-rechtlich einen Rechtsbegriff der Prozeßhandlung abzuleiten und diesem allgemeine Grundsätze und Aussagen zuzuordnen. Die StPO kennt den Begriff nicht 12 , so daß sich aus Gründen der Gesetzesauslegung und Gesetzesanwendung keine zwingende Notwendigkeit ableiten läßt, ihn zu verwenden. In der Rechtswissenschaft und — wenn auch in eher geringem Umfang — in der Rechtsprechung wird er jedoch vielfach gebraucht 13 , auch wenn über seinen genauen Inhalt ebensowenig volle Übereinstimmung besteht wie über die Einteilung der mit ihm verbundenen und aus ihm abzuleitenden Unterbegriffe und der aus ihm abzuleitenden Folgerungen 14 . Mit der Anerkennung des Begriffs der Prozeßhandlungen wird zunächst die Eigen- 7 ständigkeit der prozessualen Begriffsbildung verdeutlicht. Die Verwendung eines übergreifenden Gesamtbegriffs dieser Art, der von seinem Stellenwert her den zivilrechtlichen Zentralbegriffen der Willenserklärung oder des Rechtsgeschäfts vergleichbar ist, läßt klarer erkennen, daß auch bei faktisch ähnlichen Situationen Unterschiede in der materiell-rechtlichen (also vorwiegend zivilrechtlichen) und der prozessualen rechtlichen Betrachtungsweise bestehen können, etwa, was die Frage der Wirksamkeit, des Widerrufs oder des Einflusses von Willensmängeln anbetrifft. Allerdings darf die damit erreichbare dogmatisch-systematische Einsicht nicht dadurch wieder verschüttet werden, daß man, wie teilweise im älteren Schrifttum geschehen, aus dem Rechtsbegriff der Prozeßhandlungen einen Teil unter der Bezeichnung strafprozessualer Rechtsgeschäfte heraushebt 15 ; eine Betrachtungsweise, die derzeit zu Recht nicht mehr vertreten wird 16 . Mit diesen Einschränkungen ist strafprozessual-dogmatisch die Verwendung des 8 Begriffs der Prozeßhandlung als Rechtsbegriff mit der h. Μ im Schrifttum als grundsätzlich sinnvoll anzuerkennen. Jedoch darf dabei dessen Tragweite und Bedeutung nicht überdehnt werden. Es wäre namentlich eine begriffsjuristische Betrachtungsweise, aus speziellen Regelungen in bezug auf einzelne, den Prozeßhandlungen zuzuordnende Phänomene allgemeine Grundsätze abzuleiten und diese wiederum für alle Prozeßhandlungen zu reklamieren 17 . Allgemeine, für alle Prozeßhandlungen geltende Aussagen lassen sich deshalb nur in einem beschränkten Umfang aufstellen, und selbst wo das geschieht, ist oft zu beachten, daß gesetzliche Regelungen im Einzelfall etwas Abweichendes bestimmen
Darüber, daß der Handlungsbegriff für sich allein insoweit ohne Bedeutung ist, vgl. Paulus GedS Meyer 317. Anders die ZPO, s. etwa § 295 ZPO. Vgl. die Hinweise über die Intensität bei Nutzung des Begriffs im älteren Schrifttum bei Peters 249. Ausführlich zu ihm und zur Bedeutung Paulus GedS Meyer 309 ff. In den neueren systematischen Gesamtdarstellungen dürfte seine Bedeutung, soweit er nicht, wie etwa bei Schlüchter 130 ff, als Überschrift für die Summe von Einzelerörterungen verwendet wird, eher zurücktreten. Eine ausführliche Behandlung jedoch vor allem bei Baumann (281)
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Kap. 5 I sowie im Kommentarschriftum bei Eb. Schmidt I 202 ff; KMR-Sai Einl. X sowie bei LR-K.Schäfer^ E j n i . Kap. 10. Kritisch zum Begriff namentlich Dencker 18 ff; vgl. auch Ranft 1322 (der Begriff leiste nicht viel); Schlüchter 130; Schroeder 390 (Ergebnisse seien ziemlich unbefriedigend). So u. a. Beling 170 ff; sehr vorsichtig auch zu Dohna 76 Fußn. 1. Ablehnend etwa Eb. Schmidt I 205; LR-K.Schäfer2* Einl. 10 1 a. E; bereits früher v. Hippel 11; Gerland 5. Schlüchter 130; vgl. auch Ranft 1322.
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Einleitung
können. Auch bei der Differenzierung im einzelnen kann sich ergeben, daß bestimmte Aussagen nur einzelnen Formen von Prozeßhandlungen zuzuordnen sind und ihre Bedeutung daher auf diese zu beschränken ist. Bei der nachfolgenden Erörterung ist vielfach zu berücksichtigen, daß es sich nur um generelle Leitaussagen handelt, und bei der begrifflichen Bestimmung derjenigen Phänomene, die den Prozeßhandlungen zugerechnet werden, kann auch darauf Bedacht genommen werden, ob sie sich (didaktisch oder systematisch sinnvoll) diesem Begriff und den mit ihm (üblicherweise) verbundenen Konsequenzen zuordnen lassen. 9
b) Der Begriff der Prozeßhandlungen ist im einzelnen ebenso umstritten wie der Umfang der ihm zuzurechnenden Erscheinungen 18 . Nach der heute wohl h. Μ sind Prozeßhandlungen diejenigen prozeßgestaltenden Verhaltensweisen, die in Voraussetzungen und Wirkungen vom Prozeßrecht geregelt sind 19 . Im Hinblick auf die Möglichkeit auch doppelfunktioneller Prozeßhandlungen (Rdn. 15) kommt es allerdings nicht darauf an, daß ihre Wirkungen allein das Prozeßrecht betreffen; es genügt, daß sie auch für dieses von rechtlicher Bedeutung sind. Nicht für den Begriff, wohl aber für die Einteilung, kann es auf den Urheber der Prozeßhandlungen ankommen. Als solche kommen sowohl die Prozeßsubjekte (Rdn. I 2) als auch sonstige Verfahrensbeteiligte oder Dritte (etwa Strafantragsberechtigte) in Betracht. Ob dieser weitgespannte Begriff der Prozeßhandlung weiter einzuschränken ist, ist umstritten. Einhelligkeit besteht darüber, daß er mindestens solche Erklärungen umfaßt, die eine Rechtsfolge im Prozeß willensgemäß auslösen 20 . Teilweise werden auch Realakte, wie etwa die Aktenvorlage 21 oder das Öffnen und Schließen der Saaltüren, soweit es dabei um die Herstellung der Öffentlichkeit geht 22 , Befragungen und Vernehmungen oder Hinweise und Benachrichtigungen dazu gerechnet; jedenfalls dem letzteren wird zuzustimmen sein.
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Ebenfalls umstritten ist, ob bloße Wissenserklärungen, namentlich die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen zu den Prozeßhandlungen gezählt werden sollen 23 . Begrifflich stünde dem bei der Verwendung eines weiten Prozeßhandlungsbegriffs nichts entgegen. Es erscheint aber sachgerechter, sie deshalb auszunehmen, weil der überwiegende Teil der mit den Prozeßhandlungen verbundenen Bewertungsmaßstäbe hier nicht paßt. Prozeßhandlungen sind jedoch auch bei Zeugen und Sachverständigen die Erklärungen über die Geltendmachung von Weigerungsrechten und wohl auch die Eidesleistung, und Prozeßhandlungen werden von ihnen auch dann vorgenommen, wenn sie in einen Zwischenstreit über ihre Rechte und Pflichten verstrickt sind. Dagegen wird man die Aussage des Beschuldigten stets (auch) als Prozeßhandlung anzusehen haben, weil sie wegen seiner Doppelrolle als Prozeßsubjekt und materielles Beweismittel (Rdn. 87) einen besonderen Charakter hat 24 .
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Umfassend mit Nachw. Paulus GedS Meyer 309 ff; vgl. auch Eb. Schmidt I 205 ff; KMR-Soi Einl. X 1. Eb. Schmidt I 203 im Anschluß an Niese 85; wohl weitgehend übereinstimmend ζ. B. Gössel 159; Henkel 235; Peters 248; KK-Pfeiffer Einl. 125; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 Einl. 95; teilweise abweichend, wenn auch wohl im Kernbereich übereinstimmend KMR-Sax Einl. X 1 (Handlungen, die typischerweise das prozessuale Geschehen unmittelbar beeinflussen); Paulus GedS Meyer 316 f (Konkretisierung von Prozeßrechtsnormen). So und sich darauf beschränkend Roxin § 22, 1.
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Vgl. BGHSt 26 384, 386 (zur Frage der Verjährungsunterbrechung bei Aktenvorlage). So Beling 162; Baumann Kap. 4 1 1 a; Paulus GedS Meyer 317; a. Α etwa Peters 249. Bejahend u. a. Beling 163; Henkel 236; KMR-Sax Einl. X 1; Paulus GedS Meyer 318; verneinend u. a. LR-K.Schäfer2" Einl. 10 2; KK-Pfeiffer Einl. 125; Kleinknecht/Meyer-Goßne^' Einl. 95; Gössel 159; Peters 249. Ebenso LR-K.Schäfer™ Einl. 10 2 a. E; Eb. Schmidt I 202 Fußn. 358; a. Α KK-Pfeiffer Einl. 125; Kleinknecht/Meyer-Goßner« Einl. 95; Gössel 159; Peters 249.
Stand: 1. 8. 1998
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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe
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2. Einteilung der Prozeßhandlungen a) Übersicht Einen breiten Raum bei der Erörterung in Schrifttum nimmt wegen der 11 Vielfältigkeit der in Frage kommenden Erscheinungen die Frage nach der Gruppierung von Prozeßhandlungen ein25. Sie dient allerdings vielfach mehr der Veranschaulichung als einer weiterführenden Begriffsbildung. Auch für die Beurteilung von Wirksamkeit und Voraussetzungen ist dabei namentlich die Differenzierung nach den Handlungen der jeweiligen Entscheidungsträger (Gericht oder Staatsanwaltschaft)26 und der sonstigen Prozeßbeteiligten (vor allem solcher des Beschuldigten) von Bedeutung. Dabei erscheinen die staatsanwaltschaftlichen Prozeßhandlungen in einer unterschiedlichen Funktion. Sie sind, den gerichtlichen vergleichbar, solche von Entscheidungsträgern, soweit die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren über den Verfahrensgegenstand und (weitgehend) den Verfahrensablauf bis hin zum Verfahrensabschluß bestimmen kann, während sie nach dem Übergang der Verfahrensherrschaft auf das Gericht, also nach der Anklageerhebung oder der Eröffnung des Hauptverfahrens, eine den Prozeßhandlungen des Beschuldigten (und sonstiger Beteiligter) ähnlichen Charakter annehmen. Sie unterliegen jedoch auch hier als hoheitliche Prozeßhandlungen teilweise anderen Anforderungen und Bedingungen als solche von privaten Prozeßbeteiligten27. Ebenfalls wesentliche Strukturunterschiede werden durch die auf Peters28 zurückzu- 12 führende Unterscheidung in lediglich prozeßbegleitende und prozeßfördernde Prozeßhandlungen (also solche, die das Verfahren dem jeweiligen Prozeßziel näherzubringen geeignet und bestimmt sind) erfaßt; wobei sich unter den letzteren noch die prozeßtragenden Entscheidungen hervorheben lassen. Ihre Vornahme ist regelmäßig Voraussetzung für die (Einleitung oder) Weiterführung des Verfahrens in einem weiteren Verfahrensabschnitt; vielfach haben sie dogmatisch zugleich den Charakter von Prozeßvoraussetzungen. Zu ihnen gehören auch die Urteile oder Beschlüsse, die das Verfahren beenden. Während all diese Differenzierungen an mehr vorgegebene äußerliche Merkmale anknüpfen und sie zu systematisieren versuchen, betreffen die Unterscheidungen in Erwirkungshandlungen und Bewirkungshandlungen sowie die Anerkennung von doppelfunktionellen Prozeßhandlungen strukturelle Eigenschaften der in Betracht kommenden Phänomene. b) Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen. Diese von Goldschmidt29 begründete, 13 auch in der zivilprozessualen Dogmatik30 verwendete Differenzierung hat sich weitgehend, wenn auch nicht allgemein31, im Strafprozeß durchgesetzt32; teilweise wird daneben noch eine dritte Kategorie der Befragungen gebildet33. Die Eigenschaft von Erwirkungshandlungen besteht darin, daß sie nicht unmittelbar eine Rechtsfolge herbeizuführen in der Lage, sondern dazu bestimmt sind, einen anderen (meist, aber nicht stets den jeweiligen Entscheidungsträger) zu einem prozessual erheblichen Verhalten zu veranlassen. Dazu gehören alle Anträge, aber auch bloße Anregungen und Behauptungen. Auch prozessuale Hinweise und Befragungen wird man dazu rechnen können. Demgegenüber besteht die Eigenschaft von Bewirkungshandlungen darin, daß sie die mit ihnen verbun25
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Dazu ausfuhrlich ζ. B. Peters 250 ff; s. ferner Baumann Kap. 4 1 1 ; Eb. Schmidt 1 211 ff. Das ältere Schrifttum (so ζ. B. auch noch LR-K.Schäfer24 Einl. 10 3 a. E) spricht hier meist nur von gerichtlichen Entscheidungen, ohne den selbständigen Charakter des Ermittlungsverfahrens zu berücksichtigen. S. dazu etwa Peters 205 f. Peters 251 f; ihm folgend ζ. B. Baumann Kap. 4 I 1 a.
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Goldschmidt Prozeß als Rechtslage (1925), 364 ff; ferner Niese 82 ff. Nachw. bei Eb. Schmidt 1213 Fußn 377. Ablehnend etwa KMR-Sar Einl. X 3; kritisch auch (weil ohne praktische Bedeutung) Ranft 1324; Schäfer 115. So vor allem Eb. Schmidt I 213 ff; ferner etwa Baumann Kap. 41 1 c; Gösset 159 f; Henkel 236 ff; Peters 252 f; Roxin § 22,2; Schlüchter 135. Eb. Schmidt I 219.
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dene Rechtsfolge unmittelbar herbeiführen, also rechtsgestaltend wirken, wie beispielsweise der Rechtsmittelverzicht oder die Rechtsmittelrücknahme. In Einzelfällen kann einer Prozeßhandlung beide Eigenschaften zukommen; so liegt etwa in der Rechtsmitteleinlegung eine Bewirkungshandlung, weil sie ohne zusätzliche Entscheidung eines Dritten den Eintritt der Rechtskraft verhindert 34 ; sie ist aber zugleich eine Erwirkungshandlung, weil mit ihr der Antrag auf eine Änderung der angegriffenen Entscheidung verbunden ist35. 14
Die Einteilung in Bewirkungs- und Erwirkungshandlungen wird im Schrifttum teilweise den nichtrichterlichen Prozeßhandlungen vorbehalten 36 , während stattdessen für die letzteren die vielfach weiterhin unterteilten Kategorien der Verfahrens- oder instanzabschließenden und der prozeßleitenden Handlungen reserviert werden 37 . Doch schließt das eine das andere nicht aus, so daß auch bei den Entscheidungen des Gerichts (und der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren) beide Formen vorkommen können 38 , wenn auch, anders als bei den privaten Prozeßbeteiligten, von der Bedeutung her die Bewirkungshandlungen im Vordergrund stehen. Erwirkungshandlungen sind allerdings in der Regel nur die prozeßleitenden Maßnahmen 39 . Beispiele sind etwa der mit der Mitteilung der Anklageschrift zu verbindende Hinweis nach § 201 StPO, die Besetzungsmitteilung nach § 222 a oder der rechtliche Hinweis nach § 265 StPO. Den Charakter sowohl als Bewirkungs- als auch als Erwirkungshandlung hat etwa die Entscheidung des Oberlandesgerichts nach § 175 StPO, weil sie einerseits das selbständige Klageerzwingungsverfahren beendet, andererseits die Staatsanwaltschaft verpflichtet, die öffentliche Klage zu erheben. Auch der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft kommt, wie sich schon aus § 199 Abs. 2 StPO ergibt, dieser Doppelcharakter zu.
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c) Der Begriff der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen ist vor allem Niese zu verdanken 40 ; das wissenschaftliche Schrifttum hat ihn nur teilweise aufgenommen 41 . Damit werden diejenigen Handlungen bezeichnet, die über ihre prozessualen Wirkungen hinaus auch materiell-rechtliche Wirkungen entfalten und sich insoweit auch nach den Bewertungskriterien rechtmäßig oder rechtswidrig beurteilen lassen. Zu ihnen gehören u. a. die strafprozessualen Zwangsmaßnahmen oder Grundrechtseingriffe, wie etwa die Anordnung der Untersuchungshaft oder körperlicher Untersuchungen, Durchsuchungen Beschlagnahme u. ä. Mit der Anerkennung ihrer Doppelfunktionalität läßt sich namentlich — vor allem soweit es sich um nichtrichterliche Maßnahmen handelt — die Frage des Rechtsschutzes befriedigender lösen und einer (inzwischen weitgehend überholten) Praxis der Rechtsprechung entgegentreten, die unter Berufung auf den reinen Prozeßhandlungscharakter solcher Maßnahmen die Anwendung der §§23 EGGVG und darüber hinausgehend jeden gerichtlichen Rechtsschutz verneint hatte 42 . 3. Wirksamkeit von Prozeßhandlungen, Bewertungskategorien
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a) Übersicht. Über die Frage, unter welchen Voraussetzungen Prozeßhandlungen die mit ihnen erstrebten Wirkungen entfalten können, ob und wie sich diese systematisch und 34
§ 316 Abs. 1, § 343 Abs. 1 StPO. Vgl. OLG Köln NJW 1957 641, 642. 36 So Eb. Schmidt I 213; LR-K.Schäfer» Einl. 10 3 a. E; Schroeder 391. 37 Näher zur Differenzierung etwa Eb. Schmidt I 221 ff. 38 Ebenso etwa Gössel 160; Henkel 237; Peters 252. 39 Im Ergebnis, wenn auch nicht in der Terminologie auch Eb. Schmidt I 224, der solche Maßnahmen als 35
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„Parallelerscheinungen" zu den Erwirkungshandlungen bezeichnet. Grundlegend Niese Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen (1950), insbes. S. 48 ff, 126 ff; ihm folgend Eb. Schmidt I 36 Fußn. 74 und Kolleg 126. Zustimmend etwa LR-K.Schäfer™ Einl. 10 6 a. E; Gössel 160; Peters 254; krit. bis ablehnend KMRSax Einl. X 4; Ranft 320; Schroeder 391. Vgl. näher § 23, 42 ff; 105 ff EGGVG; ferner mit weit. Nachw. Rieß/Thym GA 1981 201.
Stand: 1. 8. 1998
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terminologisch gruppieren lassen und ob es hierbei einheitliche Grundsätze gibt, besteht keine vollständige Übereinstimmung 43 . Weitgehende Einheitlichkeit besteht heute darüber, daß die Bewertungskategorien der Rechtmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit für die prozessuale Beurteilung von Prozeßhandlungen nicht sachgerecht erscheinen 44 oder jedenfalls nicht ausreichen. Weitgehend durchgesetzt haben sich als als generelles Kriterium die Wertkategorien der Zulässigkeit und der Begründetheit. Daneben werden, der Zulässigkeit vorgeordnet oder an ihre Stelle tretend, die Bewertungsmerkmale der Gültigkeit, der Wirksamkeit oder (beides zusammenfassend) der Beachtlichkeit verwendet, doch werden sie teilweise nur für bestimmte Gruppen von Prozeßhandlungen für sinnvoll erachtet. Differenziert wird insoweit auch nach den Prozeßhandlungen der Entscheidungsträger (Gericht oder das Verfahren betreibende Staatsanwaltschaft) und hier wiederum nach den prozeßtragenden und den sonstigen Entscheidungen, sowie nach den Prozeßhandlungen der sonstigen Prozeßbeteiligten. b) Allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzungen für alle Prozeßhandlungen lassen sich 17 angesichts der Vielgestaltigkeit der in Frage stehenden Erscheinungen nur in allgemeiner Form angeben. Soweit dies geschieht, werden hierfür vielfach die Begriffe der Beachtlichkeit oder Gültigkeit verwendet. Bei gerichtlichen Entscheidungen, namentlich bei Urteilen, geht es dabei um die gesondert zu erörtende Frage ihrer Nichtigkeit (Rdn. 116 ff)- An'dere Prozeßhandlungen sollen (als Bewirkungshandlungen) dann unbeachtlich sein, wenn sie ihrem Wesen nach die erstrebte Folge nicht auslösen können, so daß es einer gerichtlichen Entscheidung über sie nicht bedarf 45 , jedoch kann und wird, wenn dies zweifelhaft ist, eine mindestens deklaratorische Entscheidung hierüber geboten sein. Als unbeachtlich werden vielfach auch solche Handlungen bezeichnet, die nur den Schein einer Prozeßhandlung annehmen, etwa bei einer prozessualen Willenserklärung eine solche, die (etwa als Entwurf) nicht vom Willen ihres Urhebers getragen wird, oder die (erkennbar) nicht erst gemeint ist. Ob darüber hinaus auch andere Erklärungen 46 , etwa solche, die nur Beleidigungen oder Beschimpfungen enthalten 47 , eine (unzulässige) bedingte Prozeßhandlung 48 oder ein vom Verteidiger gegen den Willen des Beschuldigten erklärter Rechtsmittelverzicht 49 als unbeachtlich zu bewerten sind, oder ob es sich um Fälle der (einfachen) Unzulässigkeit handelt, bei der die Unbeachtlichkeit nur eine ihrer Wirkungen darstellt, ist zweifelhaft. Welche weiteren persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit 18 von Prozeßhandlungen gegeben sein müssen, läßt sich überwiegend nicht generell beantworten, sondern ist jeweils aus den einzelnen Vorschriften und Zusammenhängen heraus zu entscheiden. Überwiegend wird für die Prozeßhandlungen Privater, soweit sie in Willenserklärungen bestehen, mindestens 50 Verhandlungsfähigkeit im weiteren Sinne zu
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Ausführlicher zur „strafprozessualen Wertelehre" namentlich Eb. Schmidt I 138 ff mit weit. Nachw.; ferner etwa Baumann Kap. 4 I 1 c und 4; Henkel 239 ff; Peters 261 ff; zusammenfassende Übersicht bei Paulus GedS Meyer 319; vgl. auch Roeder ZStW 79 (1967) 266 ff; kritisch zum Sinn dieser Diskussion etwa Gössel 160; s. auch (teilw. abweichend) LR-Lüderssen Einl. L 10. Vgl. eingehend etwa Henkel 239; Eb. Schmidt I 230; s. auch Paulus GedS Meyer 318 f; kritisch LR-Lüderssen Einl. L 10.
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Nach Henkel 240; Eb. Schmidt I 335 Fußn. 435 soll dies für Erwirkungshandlungen grundsätzlich nicht gelten. S. näher die Beispiele und Hinweise bei KMR-Sar Einl. X 5 f. So etwa OLG Karlsruhe NJW 1973 1658; 1974 915; KMR-Sar Einl. X 5. So Henkel 240. So Peters 262. Weitergehend (Geschäftsfähigkeit) etwa für die Erhebung der Privatklage; s. § 374 Abs. 2 und die dortigen Erl.
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verlangen sein ; ob eine Vertretung zulässig ist52, ist unterschiedlich zu beurteilen. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung ist es regelmäßig auch, daß die in Frage stehende Prozeßhandlung ihrer Art nach von demjenigen stammt, der sie von seiner Prozeßrolle her wahrzunehmen befugt ist; unzulässig, wenn nicht unbeachtlich wären daher beispielsweise das Rechtsmittel eines überhaupt nicht am Verfahren beteiligten Dritten, der Beweisantrag eines Zeugen, aber etwa auch eine Verurteilung durch eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft. Schließlich muß die in Frage stehende Handlung einen erkennbaren Sinn oder Erklärungswert besitzen, der erforderlichenfalls durch Auslegung zu ermitteln ist53. Unterschiedlich zu beantworten ist, ob Frist- oder Formvorschriften eingehalten werden oder ob besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sein müssen, wie etwa bei Rechtsmitteln eine Beschwer54. 19
c) Zulässigkeit und Begründetheit von Prozeßhandlungen sind jedenfalls für die praktische Rechtsanwendung in der Regel die entscheidenden Bewertungskriterien55. Dabei betrifft die Zulässigkeit (und die möglicherweise davon gesonderte Kategorie der Beachtlichkeit) die Frage, ob es gerechtfertigt (geboten, möglich) ist, sich mit der Frage zu befassen, ob die in Frage stehende Prozeßhandlung die mit ihr intendierten Wirkungen entfalten kann. Die Begründetheit beantwortet die Frage, ob sie inhaltlich gerechtfertigt ist. Zulässigkeit bedeutet in diesem Sinne demnach, daß die prozeßrechtlichen Bedingungen erfüllt sind, unter denen eine Prozeßhandlung dergestalt zugelassen ist, daß die Frage ihrer inhaltlichen Richtigkeit, Bedeutung oder Wirksamkeit gestellt und beantwortet werden darf56, mit anderen Worten, wenn das Prozeßrecht es gestattet, daß sie von diesem Urheber, zu dieser Zeit, in dieser Form und mit dieser Zielrichtung geltend gemacht werden darf. Begründet ist eine Prozeßhandlung dann, wenn sie inhaltlich gerechtfertigt ist, also nach den sachlichen Voraussetzungen des Prozeßrechts die mit ihr angestrebten Wirkungen entfalten kann. Die Bejahung der Zulässigkeit ist eine notwendige Bedingung der davon zu trennenden Prüfung der Begründetheit; sie darf deshalb methodisch nicht offengelassen werden, wenn die Begründetheit zu verneinen ist, auch wenn die Rechtspraxis gelegentlich so verfährt. Es ist daher eine dogmatische Fehlleistung des Gesetzgebers, wenn er in dem die sog. Annahmeberufung regelnden § 313 StPO die Annahme materiell von der Frage ihrer Begründetheit, also von einer Sachprüfung abhängig gemacht hat, das negative Ergebnis dieser Sachprüfung (nämlich die offensichtliche Unbegründetheit) aber zu einer Verwerfung als unzulässig führt.
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Bei einer Reihe von Prozeßhandlungen hat die Zulässigkeit jedoch eine andere Bedeutung. So ist bei allen ebenfalls den Prozeßhandlungen zuzurechnenden Zwangsmaßnahmen (oder Grundrechtseingriffen) eine solche Unterscheidung zwischen Zulässigkeit und Begründetheit nicht sinnvoll. Die Anordnung (oder Gestattung) solcher Maßnahmen ist zulässig, wenn ihre jeweiligen rechtlichen Voraussetzungen vorliegen; dazu 51
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S. näher die Erl. zu § 205; so etwa - auch zu Ausnahmen und Einschränkungen - Kleinknecht/Meyer-Coßner« Einl. 96 ff; K K - P f e i f f e r Einl. 126; Beulke 297; Roxin § 22, 4; vgl. auch RGSt 64 14; BGH NStZ 1984 329 (für den Fall des Rechtsmittelverzichts); OLG Hamm NJW 1973 1894; BayObLG NStZ 1989 131; OLG Düsseldorf StraFo. 1997 338 (begünstigende Prozeßhandlungen eines Verhandlungsunfähigen möglich); weitere Differenzierungsversuche unter dem Begriff der „Prozeßträgerschaft" und der „Prozeßverkehrsfähigkeit" bei Peters 255 f. Dazu Peters 257 f.
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Beulke 298; Peters 267 (mit Einzelbeispielen); Roxin § 22, 5. Zu den Einzelheiten für Formen und Fristen s. die Erl. Vor § 42; für Rechtsmittel Vor § 296, 20 ff; sowie bei den jeweiligen Vorschriften; sowie zusammenfassend KMR-Sar Einl. X 48 ff (auch zur Vornahme von Prozeßhandlungen durch „schlüssiges Verhalten"); zur Beschwer Vor § 296,46 ff. Paulus GedS Meyer 318 ff bestreitet, daß diese Unterscheidung dogmatisch gerechtfertigt sei; es gäbe nun die einheitliche Kategorie der „Prozeßordnungsmäßigkeit". Ähnlich, wenn auch nicht voll übereinstimmend, etwa Eb. Schmidt 1235; Henkel 240; Peters 262 f.
Stand: 1 . 8 . 1998
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gehören auch diejenigen, die eine inhaltliche Bewertung erfordern. Die Frage nach der Begründetheit beispielsweise der Anordnung einer Durchsuchung oder Beschlagnahme läßt sich daneben nicht sinnvoll stellen. In diesen Fällen fallen daher Zulässigkeit und Begründetheit zusammen. Eine andere Bedeutung hat wiederum das Zulässigkeitskriterium dann, wenn das Gesetz eine Prüfungskompetenz auf die Zulässigkeit einer Maßnahme beschränkt, wie etwa in den Fällen des § 238 Abs. 2 oder des § 162 Abs. 3 StPO. Hier bedeutet die Verwendung nur, daß sich die Prüfung nicht auf die Zweckmäßigkeit der Maßnahme erstreckt, sondern allein die Einhaltung der rechtlichen Schranken betrifft; auch dies hat mit einer Begründetheitsfrage nichts zu tun. d) Durch prozessuale Überholung kann eine an sich zulässige Prozeßhandlung unzu- 21 lässig sein oder werden 57 . Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn eine unabänderliche Verfahrenslage eingetreten ist, auf die sich die intendierten Wirkungen der in Frage stehenden Prozeßhandlung nicht mehr auswirken können, so beispielsweise, wenn eine Berufungsrücknahme erklärt wird, nachdem das Verfahren in der Berufungsinstanz in ein erstinstanzliches übergeleitet worden ist 58 , oder wenn sonst eine Rechtsmittelrücknahme erst nach der Entscheidung über das Rechtsmittel wirksam wird oder wenn (was eine an sich zulässige Prozeßhandlung darstellt) ein Strafantrag zurückgenommen wird und das Rechtsmittelgericht erst nach seiner abschließenden Entscheidung hiervon erfährt 59 , oder wenn ein Vertagungsantrag noch nicht beschieden ist, wenn der Termin bereits stattgefunden hat. Eine davon zu trennende, hier nicht zu behandelnde Frage ist die, ob die (fehlerhafte) Herbeiführung der prozessualen Lage, aus der sich die prozessuale Überholung ergibt, ihrerseits verfahrensrechtliche Konsequenzen auslöst und wie solche geltend gemacht werden können. Einen Teilbereich des Problems der prozessualen Überholung bilden die Rechtsbehelfe 22 und Rechtsmittel gegen solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt der Entscheidung vollständig erledigt sind. Bei nichtrichterlichen Maßnahmen dieser Art erfordert es nach heute ganz h. Μ und Rechtsprechung schon Art. 19 Abs. 4 GG, daß jedenfalls bei Vorliegen eines berechtigten Interesses 60 trotz prozessualer Überholung des ursprünglich gegebenen Rechtsbehelfs eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Maßnahme ermöglicht wird. Für den Fall der Beschwerde ist dies lange Zeit von der Rechtsprechung weitgehend verneint worden. Entgegen seiner früheren Rechtsprechung 61 hat jedoch 1997 das Bundesverfassungsgericht auch in diesen Fällen die Behandlung als unzulässig wegen prozessualer Überholung jedenfalls dann für mit der Verfassung nicht vereinbar erachtet, wenn die Maßnahme einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellt und nach dem typischen Verfahrensablauf üblicherweise vor der Herbeiführung einer gerichtlichen Beschwerdeentscheidung erledigt ist 62 . Die Einzelheiten werden bei den jeweiligen Vorschriften zu erläutern sein 63 .
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Die Frage spielt vor allem bei Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen eine Rolle (s. insbes. die Erl. zu den §§ 304,98 StPO sowie §§ 23,28 EGGVG) und ist dort im einzelnen darzustellen; sie ist aber darauf nicht beschränkt; zum Ganzen auch Schmid (Verwirkung) 191 ff. BGHSt 34 204. Teilw. umstritten, s. näher die Erl. zu § 206 a (24. Aufl. Rdn. 12). Vgl. §28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG; § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO; § 115 Abs. 3 StVollzG.
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BVerfGE 49 329, 337 ff. BVerfGE 96 27 ff = NJW 1997 243; dazu näher Roxin StV 1997 654 ff; Esskandari StraFo. 1997 289 ff; BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1998 2131; aus der neueren Rechtspr. etwa OLG Celle StV 1997 625; LG Neuruppin StV 1997 506 = JZ 1997 1062 mit Anm. Fezer, LG Frankenthal NStZRR 1998 146. Vgl. insbesondere die Erl. zu den § 98 und Vor § 304 sowie § 304 StPO; femer LR-Böttcher § 28, 12 EGGVG.
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4. Rücknahme, Widerruf und Bedingungen. Beseitigung der Wirksamkeit. Eine einheitliche Beurteilung aller Prozeßhandlungen ist insoweit nicht möglich. Vielfach bestehen besondere gesetzliche Vorschriften; im übrigen richtet sich die teilweise umstrittene Behandlung nach den jeweiligen strukturellen Zusammenhängen. Die für zivilrechtliche Rechtsgeschäfte maßgebenden Vorschriften finden unmittelbar ebensowenig Anwendung wie die für Verwaltungsakte geltenden; sie können jedoch eine Ausprägung allgemeiner Rechtsgedanken sein, die auch auf Prozeßhandlungen anwendbar sind. Hier kann nur eine allgemeine Übersicht gegeben werden; wegen der Einzelheiten ist auf die jeweilige Einzelkommentierung zu verweisen. Einer der maßgeblichen Gesichtspunkte dürfte darin zu finden sein, daß die tragenden Prozeßhandlungen wegen des Charakters des Prozesses als eines sich stufenförmig entwickelnden Verfahrens ein erhebliches Maß an Beständigkeit haben müssen 64 . Wegen der Behandlung von Willensmängeln s. unten Rdn. 30 ff,
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a) Widerruf, Rücknahme und Verzicht. Soweit es sich um (einfache) Erwirkungshandlungen der privaten Prozeßbeteiligten handelt, wird man von dem freilich nicht unbeschränkt geltenden Grundsatz der Widerruflichkeit so lange ausgehen können, bis ihnen entsprochen worden ist 65 ; danach beseitigt der Widerruf die Wirksamkeit der ihnen entsprechenden weiteren (gerichtlichen) Prozeßhandlung in der Regel nicht. Prozeßtragende Erklärungen sollen dagegen in der Regel unwiderruflich sein 66 ; gleiches soll für solche gelten, die das weiteren Verfahren beenden oder überflüssig machen oder sonst Verfahrenserleichterungen ermöglichen; doch ist dies wohl eine Frage des Einzelfalles. Vielfach wird angenommen, daß die Rücknahme einer Prozeßhandlung zugleich den Verzicht auf ihre Erneuerung bedeutet 67 . Gesetzlich geregelt ist beispielsweise die Befugnis zur Zurücknahme eines Rechtsmittels (§§ 302, 303 StPO), des Einspruchs (§ 411 Abs. 3 StPO), der Privatklage (§ 391 Abs. 1 StPO) sowie (nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens 68 ) der öffentlichen Klage (§ 156 StPO).
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Lediglich prozeßleitende Anordnungen des Gerichts (oder im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft) sind in der Regel rücknehmbar, doch kann dies dann Einschränkungen unterliegen, wenn sich die übrigen Prozeßbeteiligten auf die dadurch geschaffene Lage einstellen durften. Nicht mehr rücknehmbar, sondern nur im Rechtsmittelzug korrigierbar sind Urteile und grundsätzlich sonstige verfahrensbeendende Entscheidungen 69 . Mit der Beschwerde angreifbare Entscheidungen sind durch das entscheidende Gericht nicht abänderbar und damit auch nicht rücknehmbar, wenn sie der sofortigen Beschwerde unterliegen (§311 Abs. 3 StPO), können jedoch teilweise auf einen erneuten Antrag hin bei Veränderung der Sachlage geändert werden 70 . Sind sie nur mit der einfachen Beschwerde anfechtbar, so unterliegen sie, was aus § 306 Abs. 2 StPO gefolgert werden kann, der Disposition des Erstgerichts. Nicht rücknehmbar ist nach der vorherrschenden und zutreffenden Meinung der Eröffnungsbeschluß 71 . Dagegen sind — außer im Fall des § 153 a Abs. 1 Satz 3 StPO — nach der derzeit noch h. M 72 die verfahrensbeendenM 65
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Peters 264. Beulke 300; vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goßner43 Einl. 116. Ausführlich zu dieser Frage, auch mit Darstellung des älteren Schrifttums, Peters 266; ferner KMR-.SV« Einl. X 18 ff. So RGSt 63 302; Kleinknecht/Meyer-Goßner« Einl. 116; vgl. auch Beulke 300. So beispielsweise bei der Rücknahme eines Rechtsmittels, strittig, s. § 302, 28 f; ausdrückliche gesetzliche Regelung insoweit für die Privatklage
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in § 392 StPO und für den Strafantrag in § 77 d Abs. I Satz 3 StGB. Vgl. aber die Ausnahmeregelungen in den §§ 153 c Abs. 3, 153 d Abs. 2 und § 153 e Abs. 2 StPO. S. aber ζ. B. § 154 Abs. 2, § 154 b Abs. 4 Satz 2 StPO sowie für die Fälle der §§ 153, 153 a StPO die dortigen Erl.; vgl. auch Rdn. 113 ff. S. näher die Erl. Vor § 304 StPO. Näher die Erl. zu § 207 (24. Aufl. Rdn. 34 ff). Vgl. die Erl. zu § 170 (24. Aufl. Rdn. 45 ff) sowie unter Rdn. 115.
Stand: 1. 8. 1998
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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe
Einl. Abschn. J
den Entscheidungen der Staatsanwaltschaft mit der Folge frei rücknehmbar, daß das Verfahren fortgesetzt werden kann. b) Sonstige Beseitigung der Wirkung von Prozeßhandlungen. Das Gesetz kennt 26 eine Reihe von besonderen Rechtsinstituten, mit denen (auch wenn sich ihre Wirkung und Bedeutung darin nicht erschöpft) auch erreicht werden kann, daß die an sich nach dem Verfahrensfortgang unzulässige Prozeßhandlungen nachträglich noch ermöglicht werden. Dazu gehört die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 ff, 235, 329 Abs. 3 StPO) und die nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs (§§ 33 a, 311 a StPO). c) Bedingungen. Ob sich, wie teilweise behauptet, der allgemeine Grundsatz aufstel- 27 len läßt, daß Prozeßhandlungen grundsätzlich bedingungsfeindlich seien73, ist nicht unzweifelhaft. Zutreffend ist daran, daß eine Reihe von wichtigen und praktisch bedeutsamen Prozeßhandlungen, namentlich die Rechtsmittelerklärungen 74 , aber auch prozeßbeendende gerichtliche Entscheidungen, vor allem Urteile, nicht von echten Bedingungen abhängig gemacht werden können, die ihre Wirksamkeit von einer tatsächlichen, auch vom Adressaten der Erklärung nicht zu beseitigenden Ungewißheit abhängig machen; dies würde dem Grundsatz der notwendigen Beständigkeit tragender Prozeßhandlungen widersprechen 75 . Soweit dieser Gesichtspunkt nicht trägt, gibt es aber keinen Grund, die Zulässigkeit bedingter Prozeßhandlungen nicht anzuerkennen, von deren Existenz teilweise das Gesetz selbst ausgeht, so etwa — als bedingte Rechtsmitteleinlegung — in den Fällen der § 315 Abs. 2 Satz 1, § 342 Abs. 2 Satz 1 StPO 76 , oder — als bedingte Verfahrenseinstellung — in den Fällen des § 153 a Abs. 1 StPO, oder die, etwa als bedingte Beweisanträge — eine sinnvolle Verknüpfung vorausgesetzt77 —, täglich praktiziert werden, oder wenn sog. Rechtsbedingungen 78 generell für zulässig erklärt werden. Die Frage ist deshalb wohl eher auf Grund typischer Gegebenheiten und der Umstände des Einzelfalles durch die Aufstellung eines Kataloges von bedingungsfeindlichen Prozeßhandlungen zu lösen 79 . Generalisierend läßt sich die Auffassung vertreten, daß die Hinzufügung einer Bedin- 28 gung zu einer Prozeßhandlung immer dann unschädlich ist, wenn es auf deren Beständigkeit nicht entscheidend ankommt, wenn sie nicht zu einer zusätzlichen Ungewißheit der Prozeßlage für den Adressaten führt oder wenn dieser sie durch ein eigenes prozessuales Verhalten beseitigen kann und wenn die Bedingung mit dem Sinn der jeweiligen Prozeßhandlung nicht unvereinbar ist. Die Einzelheiten sind nicht an dieser Stelle, sondern im Zusammenhang mit den jeweiligen Einzelvorschriften zu erörtern. Unzulässige Bedingungen machen die Prozeßhandlung, mit der sie verbunden wer- 29 den, grundsätzlich unzulässig 80 , nicht etwa gelten sie ihrerseits als nicht beigefügt; dies So ζ. B. Beulke 299; Gössel 162; KK-Pfeiffer Einl. 129; wohl auch LR-K.Schäfer24 Einl. 10 37; Baumann Kap. 4 I 3 d; Henkel 241 (beide für Bewirkungshandlungen) KMR-Sax Einl. X 41; vgl. auch BVerfGE 40 272, 275 (allgemeiner Grundsatz des Prozeßrechts); BGHSt 5 183; femer BGHSt 29 396 (auch zu den Ausnahmen); zum Ganzen umfassend mit ausf. Nachw. Schmid GA 1982 95 ff. Dazu näher Vor § 296, 23 f. Ausführliche Nachw. zur Rechtspr. bei Schmid GA 1982 95 f. Vgl. KMR-Sojr Einl. X 43; Kleinknecht/MeyerGoßner4* Einl. 118.
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Peter Rieß
Vgl. dazu BGHSt 40 287, 289; zum Ganzen auch Niemöller StV 1992 884 ff mit weit. Nachw.; s. ferner § 244, 160 ff. Vgl. dazu auch ausführlich mit Beispielen aus der Rechtspr. Schmid GA 1992 100 f; BGHSt 25 187, 178 mit Anm. Hanack JR 1974 295; 29 396. Vgl. etwa in dieser Richtung Kleinknecht/MeyerGoßneiEinl. 118; Beispiele auch bei KMR-Sox Einl. X 44 sowie bei LR-K.Schäfer24 Einl. 10 37; weitere Hinweise bei Schmid GA 1982 99 ff; zur (umstrittenen) Möglichkeit der bedingten Rücknahme der Privatklage s. § 391, 18. BGHSt S 183, 184; Schmid GA 1982 105 mit weit. Nachw. (auch zur in der früheren Rechtspr. vereinzelt vertretenen Gegenmeinung).
Einl. Abschn. J
Einleitung
gilt namentlich für die mit Rechtsmittelerklärungen verbundene Bedingungen. Ob es generell anzunehmen ist, erscheint noch nicht vollständig geklärt. Keine unzulässige Bedingung liegt aber darin, daß eine Prozeßhandlung mit einer motivierenden Begründung versehen wird, auch wenn sie sich sprachlich in der Form einer Bedingung darstellt, beispielsweise bei der Bezeichnung eines Rechtsmittels als vorsorglich 81 . Entscheidend ist immer, ob die in Frage stehende Handlung nur für den Fall der als Bedingung erscheinenden Umstände vorgenommen werden soll, wobei bereits unaufklärbare Zweifel zur Unzulässigkeit führen sollen 82 . 5. Willensmängel, insbesondere Irrtum, Täuschung und Drohung 30
a) Allgemeines. Übersicht. Hinweise. Soweit es sich bei den Prozeßhandlungen um Willenserklärungen handelt, können sie durch (Inhalts- oder Motiv-)Irrtum, Täuschung oder Drohung beeinflußt sein, und es fragt sich, wie weit sich dies auf die Wirksamkeit solcher Erklärungen auswirkt 83 . Nach allgemeiner Meinung sind die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften, namentlich die §§ 119, 123 BGB unanwendbar, und auch davon abgesehen haben grundsätzlich Willensmängel keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der Prozeßhandlungen 84 . Ohne nennenswerte praktische Bedeutung ist dies dann, wenn die jeweilige Prozeßhandlung rücknehmbar ist, weil sie dann auf diese Weise ihrer unerwünschten Wirkungen entkleidet werden kann. In der Praxis ist das Problem, namentlich bei Verzicht oder Rücknahme von Rechtsmitteln, von Bedeutung. Wegen aller Einzelheiten wird deshalb auf die dortigen Erläuterungen verwiesen 85 und hier lediglich ein kürzerer Überblick gegeben.
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b) Gerichtliche Entscheidungen. Die Wirksamkeit gerichtlicher Entscheidungen wird durch Willensmängel des Gerichts weder in den Fällen der (arglistigen) Täuschung noch der Drohung in Frage gestellt; sie sind weder unwirksam noch allein aus diesem Grunde aufhebbar 86 . Werden sie dadurch inhaltlich unrichtig, so stehen zur Abhilfe die zulässigen Rechtsmittel oder der Weg der Wiederaufnahme zur Verfügung. Offensichtliche, auf Irrtum zurückzuführende Unrichtigkeiten können nach den dafür allgemein geltenden Grundsätzen auch außerhalb des Rechtsmittelverfahrens berichtigt werden 87 .
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c) Sonstige prozessuale Erklärungen, die auf einem Erklärungs- oder Motivirrtum beruhen, sind nach der h. Μ in der Regel ebenfalls wirksam und nicht aus diesem Grunde widerrufbar. Die Anwendung der Wiedereinsetzungsvorschriften (§§ 44 ff StPO) wird nur vereinzelt vorgeschlagen 88 und hat in der Rechtsprechung kaum Gefolgschaft erfahren 89 . 81
Vgl. BGHSt 5 183, 184 (der vor der Verwendung warnt); KMR-Sax Einl. X 42 (des dies als einen Fall einer „Rechtsbedingung" versteht); Kleinknecht/Meyer-Goßner43 Einl. 118 a. E; näher (mit Nachw. der Rechtspr.) Schmid GA 1982 107; ferner Vor § 296, 24. « Vgl. BGHSt 5 183, 184 (für den Fall der Rechtsmitteleinlegung); KMR-Sar Einl. X 41; Gössel 162; kritisch Schmid GA 1982 106 f; s. auch LR-Hanack Vor § 296, 24. 83 Die Problematik ist in der 24. Auflage (Einl. 10 23 bis 37) von K. Schäfer ausführlich behandelt worden; hierauf wird ergänzend verwiesen. 84 RGSt 57 83; 63 302; BGHSt 5 338, 341; 17 14, 18; BGH NStZ 1984 181; 1986 277, 278; st. Rspr.; KK-Pfeiffer Einl. 129; Kleinknecht/MeyerGoßner" Einl. 103; KMR-Sax Einl. X 24; Eb. Schmidt I 208; Baumann Kap 4 I 3 d; Be ulke 301;
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Gössel 161; Henkel 242; Ranft 1329; Schäfer 122; Schlüchter 649, 2; teilweise enger ζ. B. Peters 267 ff; krit. Dencker 57 ff; zurückhaltend auch Roxin § 22, 6; § 51, 27 (für den Fall des Rechtsmittelverzichts). Vor allem § 302,46 bis 58; vgl. auch § 136 a, 14. Ausführlicher LR-K.Schäfer™ Einl. 10 36; ferner Eb. Schmidt I 210; Beulke 301; Henkel 243 Fußn. 22; a. Α (für Fälle schwerer Drohungen) Peters 272. S. näher die Erl. zu § 268 (24. Aufl. Rdn. 36 bis 60) sowie zum Ganzen Wiedemann. So etwa Dencker 30 ff; 45 f und im Grundsatz auch Peters 270; dagegen Henkel 240; LR-K.Schäfer« Einl. 10 24; Schlächter 649.3. So aber (für den Fall einer unwirksamen Einspruchsrücknahme) LG Osnabrück StraFo. 1997 309,311.
Stand: 1. 8. 1998
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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe
Einl. Abschn. J
Beruht die Willenserklärung auf eine Täuschung oder Drohung so kommt eine (unmittelbare oder entsprechende) Anwendung des § 136 a StPO in der Regel selbst dann nicht in Betracht, wenn die Täuschung oder Drohung von einem Strafverfolgungsorgan ausgeht 90 , allerdings können sich aus seinem Grundgedanken Anhaltspunkte für die Lösung schwerwiegender Konfliktfälle ergeben 91 . Bei einer äußerst schwerwiegenden Drohung durch Dritte, die anders nicht abwendbar ist (ζ. B. Todesgefahr oder schwerwiegende Gesundheitsschädigung), kann jedoch ausnahmsweise eine Unwirksamkeit der durch sie motivierten Prozeßhandlung in Betracht gezogen werden 92 . Für die Fälle des Rechtsmittelverzichts (namentlich des noch in der Hauptverhand- 3 3 lung erklärten) und der Rechtsmittelrücknahme erkennt die Rechtsprechung unter Rückgriff auf das fair-trial-Prinzip und die Fürsorgepflicht die Unwirksamkeit teilweise dann an, wenn hierbei ein zurechenbares Verhalten des Gerichts mitgewirkt hat 93 . In Betracht kommen etwa krasse Fälle unzulässigen prozessualen Zwangs oder prozessualer Täuschung, objektiv unrichtiger amtlicher Sachbehandlung oder die Nichtverhinderung übereilter Erklärungen. Es erscheint erwägenswert, diese bei § 302, 49 ff näher dargestellten Grundsätze in vergleichbaren Situationen auch für andere Prozeßhandlungen Privater anzuwenden. 6. Mißbrauch von prozessualen Befugnissen, Verwirkung und ähnliche Erscheinungen a) Allgemeines. Das geltende Recht enthält eine Reihe von Vorschriften, denen der 34 Gedanke zugrundeliegt, daß die grob zweckwidrige Verwendung von prozessualen Befugnissen dazu führt, daß die mit ihnen normalerweise verbundenen Wirkungen nicht eintreten, daß sie zurückgewiesen werden können, daß die Bescheidung von Anträgen in einem vereinfachten Verfahren möglich ist, daß bestimmte Rechtspositionen entfallen oder daß bestimmte Befugnisse eingeschränkt oder entzogen werden können. Dies wird teilweise mit dem Begriff des „Mißbrauchs", teilweise mit dem der „verfahrensfremden Zwecke" verbunden, teilweise wird dieser Gedanke, wie etwa bei der Absicht der „Prozeßverschleppung" nur in einer speziellen Zielrichtung zum Ausdruck gebracht oder er liegt nach der erkennbaren gesetzgeberischen Absicht der jeweiligen Sachregelung zugrunde. Solche Regelungen finden sich in unterschiedlicher Form beispielsweise für die 35 Richterablehnung in §§ 26 a StPO, für die Ausschließung eines Verteidigers in § 138 a Abs. 1 Nr. 2 StPO, für die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten in § 230 Abs. 2, § 231 a StPO, für die Entziehung der Befugnis zur Kreuzverhör und bei einer zweckwidrigen Verwendung des Fragerechts in § 241 StPO, bei der Behandlung von Beweisanträgen in § 244 Abs. 3 insoweit, als solche aus diesem Grunde als unzulässig zu behandeln sind oder, weil zum Zwecke der Prozeßverschleppung gestellt, abgelehnt werden können, für die Möglichkeit einer Verweisung auf schriftliche Antragsbegründungen in § 257 a StPO sowie in § 266 Abs. 3 Satz 1 StPO für die Ablehnung eines offenbar mutwilligen oder nur zur Verfahrensverzögerung gestellten Vertagungsantrags nach Zulassung einer Nachtrags-
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Heute ganz überwiegende Meinung; a. Α noch Eb. Schmidt I 209 Fußn. 375; wohl auch Henkel 243. Grundlegend BGHSt 17 14, 18 = JR 1962 92 mit Anm. Eb. Schmidt = JZ 1963 226 mit Anm. Oehler, näher mit weit. Nachw. § 136 a, 14. So (als Möglichkeit) BGHSt 17 14. 18; zustimmend KMR-5ot Einl. X 36; Peters 272; LR-
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Peter Rieß
K.Schäfer2* Einl. 10 34; Gössel 161; offengelassen BGH NStZ 1986 277, 278. Vgl. die Ausgangsentscheidungen BGHSt 18 257; 19 101; zu diesen ausführlich LR-K.Schäfer" Einl. 10 30; weit. Nachw. bei § 302, 49 ff. Zur Unzulässigkeit einer auf einen Rechtsmittelverzicht gerichteten Vereinbarung s. Rdn. G 68; 86.
Einl. Abschn. J
Einleitung
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anklage . Diese Einzelregelungen, hinsichtlich deren Auslegung und Anwendung im einzelnen auf die Erläuterung zu den jeweiligen Vorschriften zu verweisen ist, lassen sich auch als Vorkehrungen gegen einen Mißbrauch von prozessualen Rechten deuten, terminologisch zusammenfassen und bezeichnen. Das Schrifttum hat, von ihnen ausgehend, weitere systematisierende Einteilungen und Kennzeichnungen unternommen95, indem es sie als dysfunktionales Verhalten bezeichnet96, oder von objektivem oder subjektivem Institutsmißbrauch97 oder nach den (durch die jeweiligen Regelungen zu verhindernden) Absichten von prozeßfremden oder prozeßwidrigen Zwecken spricht98. Teilweise wird, soweit es um mißbräuchliche Inanspruchnahme auf der Seite des Beschuldigten und seines Verteidigers geht, auch der Begriff der Konfliktverteidigung zur Kennzeichnung verwendet99; dem ist schon deshalb entgegenzutreten, weil die Austragung von Konflikten in der StPO angelegt ist100, deshalb eine zulässige Verteidigung darstellen kann und mit der Frage des Mißbrauchs in keiner Verbindung stehen muß. 36
Auch im Grundsätzlichen ungeklärt und rechtsdogmatisch umstritten ist, ob sich aus den Einzelregelungen und über sie hinausgehend für das Strafverfahren ein allgemeiner Grundsatz des Mißbrauchsverbotes ableiten läßt und wie weit er reicht. Bejahendenfalls ist strittig, wann ein solcher Mißbrauch angenommen werden kann, in welcher Form und mit welchen Mitteln ihm zu begegnen ist und ob und in welchem Umfang es möglich ist, nicht nur den einzelnen mißbräuchlichen Prozeßhandlungen ihre Beachtlichkeit oder Wirksamkeit zu versagen, sondern darüber hinausgehend die Befugnis zur Vornahme solcher Prozeßhandlungen insgesamt (ganz oder teilweise) zu entziehen101. Rechtspolitisch wird darüber hinaus die Schaffung eines allgemeinen oder gegegenständlich beschränkten Mißbrauchsverbotes, auch mit der Folge der Entziehung bestimmter Befugnisse, kontrovers diskutiert102. Unterschiedlich beantwortet wird schließlich in mehr tatsächlicher Hinsicht die Frage, welche Verhaltensweisen bereits als Mißbrauch prozessualer Befugnisse angesehen werden können und wer hierüber zu entscheiden hat103. Insoweit wird nicht zu Unrecht darauf aufmerksam gemacht, daß auch die Handlungs- und Entscheidungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte mißbraucht werden können104, und es wird darauf hingewiesen, daß die fehlende Entscheidungsmacht privater Prozeßbeteiligter, namentlich des Angeklagten, zur Folge haben kann, daß eine lediglich bis an die Grenze des Zulässigen gehende, aber noch durch legitime Prozeßziele gedeckte Ausnutzung prozessualer Befugnisse als mißbräuchlich angesehen wird105. Hieraus erwächst das 94
S. zu den vorhandenen Möglichkeiten (auch zu den von der Rspr. daraus entwickelten Ableitungen) aus neuerer Zeit mit weit. Nachw. Kröpil ZRP 1997 10; Niemöller StV 1996 502 ff. 95 Dazu vor allem Kühne StV 1996 684 ff; Niemöller StV 1996 501 ff; zum Ganzen auch Fischer NStZ 1997 212 ff. 96 Rüping/Domseifer JZ 1977 417 ff; RUping JZ 1997 868 f. 97 So etwa Weber GA 1975 295 ff. 9 » Niemöller StV 1996 502 f. 99 So Jahn ZRP 1998 104 und NStZ 1998 389 ff mit weit. Nachw. und Beispielen, die im einzelnen rechtsmißbräuchliches Verhalten darstellen können, aber dies keineswegs stets darstellen müssen; Verfahrensweisen, die auf mißbräuchliches Verhalten hindeuten, auch in der Untersuchung von Nehm/Senge NStZ 1998 377 ff. κ» Vgl. KMR-Sor Einl. X 77. 101 Dafür (grundsätzlich) u. a. LR-Gollwitzefi* Vor §226, 46; KK-Pfeiffer Einl. 22 a; Kleinknecht/
Meyer-Goßner^ Einl. 111; Kröpil ZRP 1997 10 (mit weit. Nachw. zum Streitstand, auch in der Rspr. in Fußn. 20 ff) und JR 1997 30; eher zurückhaltend etwa Niemöller StV 1996 502 ff; weitgehend ablehnend u. a. KMR-Sax Einl. X 82 ff; RUping JZ 1997 866; Fischer NStZ 1997 216; Herzog StV 1994 167; Kempf StV 1996 502 ff; Hamm NJW 1993 296; Weber GA 1975 299 f. Zur Frage, ob insoweit (bei Verteidigerverhalten) Strafvereitelung i. S. des § 258 StGB in Betracht kommt, s. (im Ergebnis verneinend) Jahn ZRP 1998 107 f. '02 Nachw. u. a. bei Kröpil ZRP 1997 8 ff; Raping JZ 1997 865 ff. Ό3 Dazu grundsätzlich Kühne StV 1996 684 ff. 104 So u. a. Kühne StV 1986 689; Rüping JZ 1997 869; ferner Fischer NStZ 1997 215 f; s. unten Rdn. 41. 105 So Kühne StV 1986 686 ff; vgl. auch (zum Mißbrauch des Beweisantragsrechts) etwa Schulz StV 1991 361 f.
Stand: 1. 8. 1998
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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe
Einl. Abschn. J
Problem eines Mißbrauchs von Mißbrauchsabwehrmöglichkeiten und seiner Sanktionierung. Auch wenn das geltende Strafprozeßrecht eine Reihe von Vorschriften enthält, denen 37 der Gedanke der Ablehnbarkeit oder Unbeachtlichkeit mißbräuchlicher Prozeßhandlungen zugrunde liegt, dürfte eine allgemeine Mißbrauchsklausel dergestalt, daß mißbräuchlich vorgenommene Prozeßhandlungen generell unzulässig sind und schon deshalb nicht beachtet zu werden brauchen oder zurückgewiesen werden können, nicht begründbar und vor allem nicht in einer brauchbaren Form rechtlich handhabbar sein106. Das gleiche gilt für die rechtspolitische Forderung, de lege ferenda solche Mißbrauchsklauseln zu schaffen. Nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand und im Hinblick auf die sorgfältig austarierten Handlungs- und Einwirkungsbefugnisse einerseits und Reaktionsmöglichkeiten andererseits wäre mit einer solchen generellen Mißbrauchsvorschrift die unvermeidbare und nicht hinnehmbare Gefahr verbunden, daß berechtigte Inanspruchnahme von Prozeßbefugnissen ohne eine genauere Prüfung ihrer Voraussetzungen und jeweiligen Ablehnungsmöglichkeiten unter Berufung auf einen Mißbrauch verhindert werden könnte107. Ein operationalisierbarer und unmittelbar anwendbarer allgemeiner Grundsatz, daß der Gebrauch eines Rechts zur Erreichung eines rechtlich mißbilligten Zieles verboten sei108, läßt sich wegen der ihm seinerseits innewohnenden eigenen Mißbrauchsgefahr auch dann nicht vertreten, wenn man ihn mit dem Hinweis verbindet, daß an sein Vorliegen und seinen Nachweis strenge Anforderungen zu stellen seien109. Die Gefährlichkeit einer de lege ferenda zu schaffenden allgemeinen Mißbrauchsklausel kann nicht mit dem Hinweis bestritten werden, es sei davon auszugehen, daß die Gerichte die Gesetze zutreffend anwenden110. Wer die Mißbrauchsmöglichkeiten durch eine Seite so gravierend einschätzt, daß er weitreichende gesetzgeberische Maßnahmen für notwendig hält, kann den Mißbrauch durch die andere Seite nicht negieren. Der unbestreitbaren Notwendigkeit, eindeutig und unzweifelhaft exzessiver und miß- 38 bräuchlicher Verwendung prozessualer Befugnisse zu begegnen, die das Verfahren unvertretbar verzögern oder seinen von der Justizgewährungspflicht geforderten Abschluß verhindern oder die sonst in schwerwiegender Weise den Verfahrensablauf oder die Rechte anderer gefährden, läßt sich weitgehend durch eine sachgerechte Auslegung und Anwendung des vorhandenen rechtlichen Instrumentariums und notfalls durch eine vorsichtige und einzelfallbezogene Analogie derjenigen gesetzlichen Vorschriften begegnen, die Regelungen für das jeweilige Sachgebiet enthalten. Dies dürfte, trotz gelegentlicher verbaler Bekenntnisse zu einem allgemeinen Mißbrauchsklausel111, wohl auch der Weg der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sein, die insgesamt eher zurückhaltend und vorsichtig verfahrt und namentlich einem Entzug von Befugnissen insgesamt mit großer Zurückhaltung gegenübersteht112. Im übrigen wäre es Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung aller Gegeninteressen offensichtlich unzureichende Einzelregelungen sachgerecht zu ergänzen. Ein unabweisbares Bedürfnis hierfür dürfte bei dem inzwischen erreichten Gesetzeszustand gegenwärtig allerdings nicht ersichtlich sein. 106
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Α. Α wohl Kröpil JR 1997 315, JZ 1998 135 ff, der (aus der Sonderregelung des § 2 4 1 Abs. 1 StPO) eine allgemeine, weitgespannte Mißbrauchsklausei bei jeder nicht verfahrenszielkonform eingesetzten prozessualen Befugnis ableiten will; ähnlieh auch Kudlich ZRP 1997 295. Das dürfte in seiner unbestimmten Weite schwerlich akzeptabel sein. Ähnlich schon Weber GA 1975 300; ferner KMR-Sax Einl. X 82; s. auch Kühne StV 1996 685.
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Peter Rieß
So z . B . Kleinknecht/Meyer-Goßner« Einl. 111; KK Pfeiffer Einl. 22 a. So LR-Gollwitzer2* Vor § 226,49. So aber Kröpil ZRP 1997 13. Vgl. etwa BGHSt 38 111, 113 = JR 1993 169 mit Anm. Scheffler, KG JR 1971 338 mit Anm. Peters', dazu auch Rüping JZ 1997 867; Maatz NStZ 1992 513; femer (generell bejahend) OLG Hamburg NJW 1998 621,622. Gesamtübersicht etwa bei Niemöller StV 1996 502 f; s. auch Kempf StV 1996 509.
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Einleitung
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b) Mißbrauch durch private Prozeßbeteiligte. Einzelheiten. Die Regelungen der Strafprozeßordnung ermöglichen vielfach, ohne daß ausdrücklich auf den Mißbrauchsgedanken zurückgegriffen werden muß, eine sachgerechte Behandlung auch solcher Anträge und sonstiger Prozeßhandlungen, die (möglicherweise) mißbräuchlich wahrgenommen werden. Dies gilt beispielsweise immer dann, wenn das Gericht über solche Anträge nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden kann. Ähnliches gilt, wenn ein Mißbrauch sich nicht in erheblicher Weise verfahrensstörend auswirken kann, etwa, wenn Präklusionsregelungen Verfahrensverzögerungen in ausreichendem Maße entgegenwirken. Schließlich gestatten auch die speziellen, dem Mißbrauchsgedanken entstammenden Regelungen wie etwa § 26 a oder § 241 Abs. 1 oder § 266 Abs. 3 Satz 1 StPO eine grundsätzlich sachgerechte, im einzelnen hier nicht zu erörternde Behandlung mißbräuchlichen Verhaltens. Darüber hinaus ist vielfach anerkannt, daß eine mißbräuchliche Zielsetzung eine (einzelne) Prozeßhandlung unzulässig machen kann 113 . Dies gilt etwa nach § 241 Abs. 2 StPO für Fragen, die den zu Befragenden lediglich herabsetzen sollen, ohne daß ihnen eine sachliche Bedeutung zukommt 114 , oder für Beweisanträge, die nach der ständigen Rechtsprechung auch dann als unzulässig zu behandeln sind, wenn mit ihrem lediglich verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden, wobei die Absicht der Prozeßverschleppung wohl einen Sonderfall darstellen dürfte 115 .
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Dabei ist jede einzelne Prozeßhandlung und jeder Antrag gesondert daraufhin zu beurteilen, ob eine auf Mißbrauch zurückzuführende Unzulässigkeit gegeben ist. Eine Entziehung der Befugnis zur Antragstellung insgesamt, insbesondere bei Beweisanträgen, ist grundsätzlich nicht zulässig 116 . Es soll aber in extremen Ausnahmefällen zulässig sein, zu bestimmen, daß weitere Beweisanträge nur noch durch den Verteidiger gestellt werden, so daß solche des Angeklagten selbst als unzulässig behandelt werden können 117 . Bei einem Mißbrauch des Fragerechts kommt zwar nicht seine vollständige Entziehung, wohl aber als ultima ratio seine Beschränkung, auch in der Form der Unzulässigkeit der weiteren Befragung einzelner Beweispersonen, in Betracht" 8 . Ob ähnliches auch für die Abgabe von Prozeßerklärungen nach § 257 StPO, für den Inhalt und die Dauer von Antragsbegründungen, bei denen notfalls auf die Möglichkeit der Verweisung auf die schriftliche Antragstellung nach § 257 a StPO zurückgegriffen werden kann, oder für Beanstandungen vor Anordnungen der Vorsitzende nach § 238 StPO gilt, ist zweifelhaft und im jeweiligen Zusammenhang dargestellt.
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c) Mißbrauch durch Strafverfolgungsbehörden. Auch Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte können, über ihre rechtliche Fehlerhaftigkeit hinaus, mißbräuchlich im Sinne eines dysfunktionalen Gebrauchs oder im Sinne eines objektiven oder subjektiven Institutsmißbrauchs sein, so etwa, wenn ein Verfahren mit einer rechtlich unhaltbaren Begründung eingestellt wird, um ein vermeintlich rechtspolitisches Bedürfnis zu artikulieren 119 , oder wenn die Untersuchungshaft entgegen ihrem Sicherungszweck zur 113
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Ausführlich dazu etwa mit umf. Nachw. Malmendier NJW 1997 228 ff; vgl. auch Jahn NStZ 1998 389 ff (zur Frage der Anwendbarkeit der §§ 176 ff GVG). Näher § 241, 22. S. näher § 244, 206 ff; vgl. auch § 245, 31. Vgl. (jeweils mit weit. Nachw.) Niemöller StV 1996 505 (Unzulässigkeit der einzelnen Prozeßhandlung); RUping JZ 1997 869. So BGHSt 38 111 ff = JR 1993 169 mit Anm. Scheffler (für den Fall der Ankündigung von mehr ais 8000 weiteren Beweisanträgen); zur dogmatisehen Fundierung aus dem Gedanken des prozes-
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sualen Notstandes Niemöller StV 1996 505 f; vgl. auch (kritisch) Fischer NStZ 1997 216; ablehnend etwa Scheffler JR 1993 107. Näher zu dieser umstrittenen Frage § 241, 22. So etwa LG Wiesbaden NJW 1995 409 = StV 1995 239 mit abl. Anm. Asbrock-, dazu näher Kempf FS Friebertshäuser 83 ff; Malmendier NJW 1997 227; Schaefer NJW 1995 1723; LG Ansbach StV 1995 287 mit Anm. Barton; zum Ganzen auch Fischer NStZ 1997 215; ferner Scheffler NStZ 1996 67 ff mit weit, (teilweise allerdings zweifelhaften) Beispielen. Als rechtsmißbräuchlich wird man auch die zur Wahrung des § 229 StPO durchgeführten
Stand: 1 . 8 . 1998
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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe
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Geständniserlangung oder als kurzfristig zu vollstreckende Sanktion eingesetzt wird, wenn eine spätere Strafaussetzung zur Bewährung voraussehbar ist, oder wenn eine Durchsuchung in der Erwartung durchgeführt wird, auf „Zufallsfunde" im Sinne des § 108 StPO zu stoßen 120 . Soweit solche Verstöße vorkommen, steht zu ihrer Korrektur das für die Behandlung fehlerhafte Maßnahmen und Entscheidungen generell vorgesehene Instrumentarium zur Verfügung' 2 1 ; insoweit unterscheidet sich die rechtliche Lage zum Teil von der beim Mißbrauch durch private Prozeßbeteiligte. Dazu gehören neben den Rechtsmitteln etwa Beweisverbote, die Nichteröffnung des Hauptverfahrens, die Ablehnung wegen Befangenheit und äußerstenfalls und bei Verfassungsverstößen die Verfassungsbeschwerde. Auch kann ggfs. und in Extremfällen ein derartiger Mißbauch einer strafrechtlichen Beurteilung als Rechtsbeugung zugänglich sein 122 . d) Verwirkung. In sachlichem Zusammenhang mit der Mißbrauchsproblematik steht 4 2 die Frage, ob die Befugnis zur Vornahme von Prozeßhandlungen im Strafprozeßrecht verwirkt werden kann. Das ist im einzelnen umstritten; überwiegend wird allerdings dem Verwirkungsgedanken insoweit jedenfalls keine zentrale Bedeutung beigemessen 123 . Teilweise wird die (ihrerseits im einzelnen streitige) Präklusionswirkung der Nichtanrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO mit dem Rechtsgedanken der Verwirkung begründet 124 , der auch als Erklärung für die Berufungsverwerfung nach § 329 StPO verwendet wird 125 . Umstritten ist aber namentlich, ob, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus die Geltendmachung von Verfahrensrügen mit der Revision dadurch verwirkt werden kann, daß der Fehler nicht rechtzeitig beanstandet oder durch ein zurechenbares, evtl. arglistiges Verhalten herbeigeführt wird. Diese Fragen werden eingehend bei § 337 erörtert 126 . Eine Verwirkung wird teilweise auch dann angenommen, wenn bei nicht fristgebundenen Rechtsbehelfen der Berechtigte ohne sachlich verständigen Grund so lange untätig bleibt, daß mit einer Anfechtung nicht mehr zu rechnen ist 127 . Zu der Frage, ob der sog. staatliche Strafanspruch mit der Folge verwirkt werden kann, daß eine Aburteilung nicht mehr möglich ist, s. Rdn. G 24 ff.
III. Prozeßvoraussetzungen 1. Entwicklung. Bedeutung. Hinweise. Die Lehre von den Prozeßvoraussetzungen 4 3 ist, aufbauend auf der vorwiegend zivilprozessual orientierten Arbeit von ßw/ow 128 und nach der ersten Übertragung dieser Erkenntnisse durch von Kries (ZStW 5 [1885] 1 ff) auf den Strafprozeß, überwiegend von der Prozeßrechtswissenschaft entwickelt worden. Die Rechtsprechung ist ihr zunächst nur zögernd gefolgt. Im Wortlaut der Strafprozeßordnung ist der Begriff des Verfahrenshindernisses, also des negativ bezeichneten Gegenstückes der Verfahrensvoraussetzung, erstmals 1942 verwendet worden 1 2 9 . Seither ist die Lehre „Scheinverhandlungen" bezeichnen müssen; vgl. dazu etwa (zuletzt) BGH StV 1998 359. 120 Vgl. auch die Hinweise bei Kühne StV 1996 689; bei Riiping JZ 1997 869 und Riiping/Dornseifer JZ 1977 420. 12' Vgl. auch Fischer NStZ 1997 215 f. 122 S. dazu Scheffler NStZ 1996 67 ff. I2 1 · Umfassend zur Verwirkung vor allem Schmid Die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß (1966); s. aus der Rspr. dazu etwa BVerfGE 32 305, 309; BGHSt 24 280, 283; 24 143, 148; 25 357, 359 (zu § 224 Abs. 1 Satz 2); s. auch KMR-Sai Einl. X 76; SK-SchlüchterVor § 213, 55 ff; Maatz NStZ 1992 515 ff; Schliichter GedS Meyer 445 ff; insbes. 460 ff. (295)
124 Näher mit Nachw. § 238, 46; 48. 125 Näher die Erl. zu § 329 (24. Aufl. Rdn. 76 f). 126 LR-Hanack § 337, 267 ff; s. auch Schluchter GedS Meyer 445 ff. 127 Näher Vor § 296, 27 und die Erl. zu § 304; s. auch BVerfGE 32 307, 309; OLG Köln NJW 1966 2229 (für den Fall der unmittelbar auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützten Anrufung des Gerichts). 128 Bülow Die Lehre von den Prozeßeinreden und den Prozeßvoraussetzungen (1868). 129 Einfügung des heutigen § 206 a StPO; s. die dortige Entstehungsgeschichte; Verwendung des Begriffs in § 260 Abs. 3 StPO erstmals durch das VereinhG. Zur Entwicklung insgesamt ausführlicher 24. Aufl. Einl. 11 1 ff; Eb. Schmidt I 114 ff.
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Einleitung
von den Prozeß- oder Verfahrensvoraussetzungen in Rechtsprechung, Schrifttum und Gesetzgebung zu einer wichtigen begrifflichen und dogmatischen Grundlage für das Strafprozeßrecht mit auch bedeutsamen praktischen Konsequenzen geworden; sie ist für die Auslegung und Anwendung des Strafprozeßrechts unverzichtbar. Trotz gewisser fortbestehender Unklarheiten darüber, nach welchen Leitgesichtspunkten die Prozeßvoraussetzungen von anderen Phänomenen abzugrenzen sind, besteht hierüber ein weitgehender praktischer Konsens, und im Großen und Ganzen ist auch ihre verfahrensrechtliche Behandlung geklärt. Neuerdings ist jedoch vor allem in der Wissenschaft lebhaft umstritten, ob der Kreis der Verfahrenshindernisse um anders geartete Umstände erweitert werden soll, die den Charakter von Verfahrensverstößen von besonderem Gewicht haben (näher Rdn. 53 ff). 44
In diesem Kommentar wird, abweichend von den bisherigen Auflagen 130 , die Lehre von den Prozeßvoraussetzungen in ihren Einzelheiten bei § 206 a StPO umfassend behandelt. Weitere ausführliche Erörterungen finden sich für die Behandlung der Prozeßvoraussetzungen in der tatrichterlichen Hauptverhandlung (§ 260 Abs. 3 StPO) bei den Erläuterungen zu § 260 131 und in der Revision bei den Erläuterungen zu § 337 StPO 132 . Hierauf wird verwiesen. Die nachfolgende Darstellung enthält nur eine kurze Übersicht über die wichtigsten Grundzüge und Streitfragen.
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2. Begriff, Wesen und Einteilung. Prozeßvoraussetzungen oder Verfahrensvoraussetzungen 133 sind diejenigen Umstände oder die Gesamtheit der Bedingungen, von denen es nach dem ausdrücklich erklärten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzes abhängt, daß in einem bestimmten Verfahren oder von einem bestimmten Abschnitt des Verfahrens an von diesem Gericht unter Mitwirkung dieser Prozeßbeteiligter eine Sachentscheidung ergehen darf 134 . Verfahrenshindernisse (Prozeßhindernisse) bedeuten, negativ ausgedrückt, das Gleiche; es sind Umstände, die es ausschließen, von einem bestimmten Zeitpunkt an über einen bestimmten Prozeßgegenstand mit bestimmten Prozeßbeteiligten mit dem Ziel einer Sachentscheidung zu verhandeln. Die entscheidende Funktion der Verfahrenshindernisse im Gefüge des Prozeßrechts besteht nach alledem darin, daß sie es untersagen, eine Sachentscheidung zu treffen und auch schon, sobald ihr Vorliegen feststeht (oder umgekehrt, das Fehlen einer Prozeßvoraussetzung bemerkt wird), mit dem Ziel einer Sachentscheidung das Verfahren fortzusetzen, so lange nicht der Mangel (soweit dies möglich ist) beseitigt ist 135 . Der Kreis der Prozeßvoraussetzungen, der nicht a-priorisch vorgegeben ist, ist im wesentlichen von dieser Funktion her zu bestimmen.
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Zur Abgrenzung der Prozeßvoraussetzungen von ähnlichen Phänomenen wird von der Rechtsprechung 136 und dem wohl überwiegenden Teil des Schrifttums 137 darauf abgestellt, es müsse sich um Umstände handeln, die so schwer wiegen, daß von ihrem Vorhan130
S. etwa in der 24. Aufl. K. Schäfer Einl. Kap. 11 und 12. '3' S. dazu in der 24. Aufl. Rdn. 94 bis 115. 132 LR-Hanack § 337, 29 bis 65. Zur Behandlung der Prozeßvoraussetzungen im Wiederaufnahmeverfahren s. Vor § 359, 42 f; 106 ff; § 359, 139 ff; § 368, 5; § 370, 6. 133 Die Begriffe werden heute überwiegend synonym gebraucht; unterschiedliche Bedeutung jedoch etwa bei Peters 275 und Baumann Kap. 4 III 1 a; dazu auch Eb. Schmidt I 118 f. 134 Vgl. aus der Rechtsprechung etwa BGHSt 10 75; 15 287, 290; 26 84, 89; BGH NStZ 1984 228; aus
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dem Schrifttum etwa Kleinknecht/Meyer-Goßner43 Einl. 142; SK-Paeffgen § 206 a Anh. 1; Gössel 130; Fezer 9/131; Henkel 230; Krey II 565; Schlächter 368; Eb. Schmidt (Kolleg) 38. So vor allem Eb. Schmidt I 119 ff; s. auch u.a. Beulke 273. So etwa BGHSt 15 287, 290; 19 273, 278; 21 81; 24 239; 26 84,91; 32 345, 350; 33 183, 186; 41 72, 75; 43 53, 56 = JZ 1998 627 mit Anm. Bernsmann. Vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner•» Einl. 143, 146; KK-Hfeiffer Einl. 131; LR-K.Schäfer™ Einl. 11 7.
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densein die Zulässigkeit des Verfahrens im ganzen nicht nur im Interesse des Angeklagten, sondern auch im öffentlichen Interesse abhängt. Es sollen aber solche Umstände ausscheiden, die weniger an objektiv feststellbare Tatsachen anknüpfen, sondern überwiegend Gegenstand wertender Betrachtung sind 138 . Demgegenüber werden im Schrifttum teilweise die Verfahrensvoraussetzungen inhaltlich dahingehend bestimmt, daß es sich um typisierte Voraussetzungen der Sicherung oder Wiederherstellung des Rechtsfriedens handele 139 . Die praktischen Unterschiede beider Auffassungen sind in bezug auf die allgemein anerkannten Verfahrensvoraussetzungen gering, und in bezug auf die Grenz- und Zweifelsfälle wird bei der Unschärfe beider Begriffsbestimmungen eine Entscheidung wohl vielfach nur pragmatisch und teilweise dezisionistisch unter Berücksichtigung der mit ihnen verbundenen prozessualen Konsequenzen getroffen werden können. Die Einteilung der Prozeßvoraussetzungen ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und 47 Anschaulichkeit, und als solche kein wissenschaftliches Problem 140 . Es handelt sich bei ihnen um Vorschriften des Prozeßrechts, die von den materiell-rechtlichen Bestrafungsvoraussetzungen, wie etwa den objektiven Bedingungen der Strafbarkeit und den persönlichen Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründen, zu unterscheiden sind. Die insoweit früher teilweise bestehenden Abgrenzungsprobleme dürften heute weitgehend geklärt oder, weil insoweit eine Doppelnatur angenommen wird, bedeutungslos sein 141 . In der praktischen Handhabung der Prozeßvoraussetzungen spielt einmal der Umstand eine Rolle, daß ein Teil von ihnen erst im Laufe des Verfahrens geschaffen wird und folglich erst danach vorliegen muß, wie etwa Anklage oder Eröffnungsbeschluß. Eine weitere, praktisch bedeutsame Differenzierung liegt darin, daß es behebbare Verfahrenshindernisse gibt, deren Fehlen zwar regelmäßig zur Einstellung des Verfahrens führt, bei denen aber ein neues Verfahren nach der Schaffung der jeweiligen Prozeßvoraussetzung möglich, wenn nicht gar geboten ist. 3. Einzelne Prozeßvoraussetzungen. Als Prozeßvoraussetzungen von im einzelnen 48 unterschiedlicher praktischer Bedeutung allgemein anerkannt 142 sind etwa: (1) Als Umstände, die die zu verfolgende Sache betreffen, die Unverjährtheit, das Vorliegen eines etwa erforderlichen Strafantrages 143 oder einer Ermächtigung, die Unberührtheit der Sache, also das Fehlen einer anderweitigen Rechtshängigkeit und der Sperrwirkung der Rechtskraft, das NichtVorliegen einer Amnestie sowie das Nichteingreifen von auslieferungsrechtlichen Verfolgungsbeschränkungen; (2) als Umstände, die die gerichtliche Tätigkeit betreffen, die Zuständigkeit der ordentlichen Strafgerichte und deren örtliche und sachliche Zuständigkeit im Einzelfall 144 , die Erhebung einer als Prozeßvoraussetzung '38 Vgl. BGHSt 32 345, 351; 36 294, 295; 41 72, 75; 43 53, 57; LR-K.Schäfer» Einl. 11 9; kritisch, aber ähnlich auf die Einfachheit der Konturen abstellend Volk (Prozeßvoraussetzungen) 215 f u n d StV 1986 36. 139 Volk (Prozeßvoraussetzungen) 204 ff; im Ansatz zustimmend Roxin § 2 1 , 1 und Schlächter 367; krit. Zielinski GedS H. Kaufmann 377. '•W Eb. Schmidt I 122 Fußn. 227; ähnlich LR-K. Schäfer» Einl. 1 1 1 5 ; K M R - S o i Einl. IX 2; Fezer 9/132. Vgl. auch die jeweils unterschiedlichen Gliederungen der einzelnen Prozeßvoraussetzungen etwa bei LR-tf. Schäfer2' Einl. 12; Eb. Schmidt I 123 bis 191; S K - P a e f f g e n Anh. § 206 a, 3 ff; Beulke 273 ff; Fezer 9/133 ff; Henkel 232 ff; Krey II 565 ff; Roxin § 21, 3 ff.
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Vgl. dazu mit weit. Nachw. K. Schäfer in der 24. Aufl., Einl. 12 74 f (Amnestie); 78 ff (Verjährung); 119 a (Strafantrag). Vgl. auch die ausführliche Darstellung bei LRK. Schäfer2* Einl. 12. Zur umstrittenen Frage der Zugehörigkeit des Strafantrags zu den Prozeßvoraussetzungen vgl. ausführlich Μ. K. Meyer (Strafantrag) und Zielinski GedS H. Kaufmann 875 ff. Ob auch die sachliche Unzuständigkeit eines Gerichtes höherer Ordnung, die nur bei willkürlicher Zuständigkeitsbegründung fur rechtsfehlerhaft gehalten wird, ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis darstellt, ist derzeit innerhalb des BGH umstritten. Bejahend BGHSt 38 172, 176; 40 120; NStZ 1992 397 (jeweils 4. StS); verneinend BGHSt 42 205 (5. StS für das Verhältnis
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Einleitung
wirksamen Klage sowie (soweit vorgeschrieben) eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses und vergleichbarer gerichtlicher Zwischenentscheidungen, sowie (3) als Umstände, die die Person des Beschuldigten betreffen, seine Strafmündigkeit, seine Gerichtsunterworferiheit, also namentlich das NichtVorliegen einer diplomatischen oder der parlamentarischen Immunität, sowie die Verhandlungsfähigkeit und das NichtVorliegen einer konkreten Lebens- oder schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung infolge der Verfahrensfortsetzung 145 . Eine nähere Darstellung der einzelnen Prozeßvoraussetzungen, auch in der Abgrenzung zu verwandten Umständen, denen diese Eigenschaft nicht zukommt, wird in den Erläuterungen zu § 206 a gegeben. 49
4. Behandlung der Prozeßvoraussetzungen im Verfahrensgang. Aus der Eigenart der Prozeßvoraussetzungen als prozessuale Bedingungen, von denen es abhängt, daß das Verfahren mit dem Ziel einer Sachentscheidung fortgeführt werden darf und bei denen es sich um solche Umstände handeln muß, die das Gesetz auch im öffentlichen Interesse verlangt, erklären sich weitgehend die Besonderheiten ihrer Behandlung im Verfahrensgang gegenüber der Behandlung anderer verfahrensrechtlicher Vorschriften. Umgekehrt sollten gerade diese Besonderheiten mit beachtet werden, wenn zu entscheiden ist, welche Umstände als Verfahrensvoraussetzungen oder Verfahrenshindernisse qualifiziert werden können. Aus dem sachentscheidungsverhindernden Charakter der Verfahrenshindernisse folgt vor allem, daß das Verfahren, sobald über ihr Vorliegen Gewißheit besteht, durch die jeweils vorgesehene Prozeßentscheidung zu beenden oder, soweit rechtlich möglich, wie etwa durch eine Verweisung an das zuständige Gericht, ein Zustand herzustellen ist, der den Mangel beseitigt. Aus ihrer Fundierung im öffentlichen Interesse ergibt sich, daß der Beschuldigte, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, über das Vorliegen von Prozeßvoraussetzungen grundsätzlich nicht disponieren kann.
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Das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen ist deshalb nach allgemeiner Auffassung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen, und bei ihrem Fehlen, also wenn ein Verfahrenshindernis besteht, ist das Verfahren grundsätzlich durch Einstellung zu beenden. Dies geschieht im Ermittlungsverfahren durch Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, im Zwischenverfahren durch Ablehnung der Eröffnung sowie nach der Eröffnung des Hauptverfahrens außerhalb einer Hauptverhandlung durch verfahrensbeendenden Beschluß nach § 206 a StPO, aufgrund einer Hauptverhandlung durch Einstellungsurteil nach § 260 Abs. 3 StPO. Einzustellen ist das Verfahren auch dann vollen Umfangs, wenn es in der Rechtsmittelinstanz aufgrund einer nur teilweisen Anfechtung oder nach einer Teilaufhebung teilweise rechtskräftig geworden ist. Einer besonderen Geltendmachung des Verfahrenshindernisses durch den Beschwerdeführer bedarf es auch im Revisionsverfahren in keinem Fall, so daß dieser auch dessen Beachtung nicht durch Beschränkung seines Rügevorbringens verhindern kann. Wegen der teilweise umstrittenen Einzelheiten wird auf die Erläuterung bei den jeweiligen Vorschriften verwiesen 146 .
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Das Gebot der Verfahrenseinstellung unterliegt einigen Ausnahmen, ohne daß deshalb die Eigenschaft als Prozeßvoraussetzung in Zweifel gezogen werden muß 147 . Zuständigkeitsmängel sind teilweise nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift 148 durch Ver-
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Strafrichter/Schöffengerieht); 43 53, 56 = StV 1998 1 = JZ 1998 627 mit abl. Anmerkung Bernsmann (1. StS, generell). Zu der durch die sog. Honecker-Entscheidung des BerlVGH (NJW 1993 515) aufgeworfenen Frage, ob ein Verfahrenshindernis auch dann vorliegt, wenn der Beschuldigte den Abschluß des Verfahrens nicht mehr erleben wird, s. die Erl. bei § 205
und § 206 a; vgl. ferner u. a. Barthperger DVB1. 1993 333 ff; Meurer JR 1993 89; Paeffgen NJ 1993 152; Schoreit NJW 1993 881; Starck JZ 1993 231. 146 Vgl. auch ausführlich und mit Nachw. K. Schäfer in der 24. Aufl., Einl. 11 17; 20 ff. 147 So aber AK-Loos § 206 a Anh. 16; S K - P a e f f g e n § 206 a Anh. 14 für die sachliche Zuständigkeit. 148 S. etwa §§ 270, 328 Abs. 2, § 355 StPO.
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Weisung an das zuständige Gericht und damit durch die Schaffung der fehlenden Prozeßvoraussetzung zu beheben. Auch im übrigen kann das Verfahren weitergeführt werden, wenn die fehlende Prozeßvoraussetzung noch beigebracht 149 oder durch eine andere ersetzt werden kann 150 . Betrifft das Verfahrenshindernis nur einen von mehreren Straftatbeständen einer einheitlichen prozessualen Tat, so bleibt lediglich dieser bei der weiteren Rechtsanwendung unberücksichtigt. Schließlich ist für die Behandlung von Verfahrenshindernissen allgemein anerkannt, daß eine sog. liquide Freispruchsreife den Vorrang hat 151 ; umstritten ist, ob darüber hinaus ein weitergehender Anspruch auf beschränkte Fortführung des Verfahrens mit dem Ziel einer günstigen Sachentscheidung besteht 152 . Ob die Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist, da es sich um verfahrensrechtliche 52 Umstände handelt, grundsätzlich im Wege des Freibeweises zu klären. Dies gilt uneingeschränkt und unbestritten für alle Sachverhaltsaufklärungen außerhalb der tatrichterlichen Hauptverhandlung, nach der Rechtsprechung und der überwiegenden, aber umstrittenen Meinung im Schrifttum aber auch für die Klärung dieser Frage in der Hauptverhandlung 153 . Muß das Revisionsgericht eine entsprechende Klärung herbeiführen, so ist es grundsätzlich ebenfalls zur freibeweislichen eigenen Ermittlung befugt (und verpflichtet); es ist aber in einem im einzelnen umstrittenen Umfang an die Feststellung doppelrelevanter, also auch für die Schuld- und Straffrage bedeutsamer Tatsachen im tatrichterlichen Urteil gebunden 154 . Umstritten ist insgesamt, wie bei tatsächlichen Zweifeln über das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen zu verfahren ist. Das Schrifttum wendet vielfach den Grundsatz in dubio pro reo an; richtigerweise ist unabhängig hiervon zu verlangen, daß das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen feststehen muß 155 . Die Rechtsprechung entscheidet einzelfallbezogen; kommt aber weitgehend zu den gleichen Ergebnissen. Die Einzelheiten sind bei § 206 a StPO erörtert 156 . 5. Bemühungen um eine Erweiterung des Kreises der Verfahrenshindernisse a) Übersicht. In neuerer Zeit sind vor allem im Schrifttum Überlegungen darüber 53 angestellt worden, auch andere Verfahrensverstöße von besonderem Gewicht, namentlich wenn durch sie in erheblichem Umfang in grundrechtlich geschützte Positionen eingegriffen wird, als Verfahrenshindernisse mit der Folge der Verfahrenseinstellung zu qualifizieren. Hieraus ist teilweise zusammenfassend und generalisierend ein Verfahrenshindernis der (irreparablen) „Verletzung des Rechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren" abgeleitet worden 157 . Diskutiert und teilweise bejaht wird dies namentlich in den Fällen der überlangen Verfahrensdauer, des tatprovozierenden Einsatzes von Lockspitzeln, der völkerrechtswidrigen Entführung oder sonstigen unfreiwilligen Verbringung, aber auch, meist aufgrund von entsprechendem Revisionsvorbringen, in anderen Fällen, etwa der öffentlichen Vorverurteilung, der Nichteinhaltung von Zusagen im Rahmen von Verein149
So etwa bei nachträglicher Stellung eines Strafantrags oder einer (zulässigen, s. dazu die Erl. zu § 207 StPO) Nachholung eines Eröffnungsbeschlusses. 150 So etwa bei den relativen Antragsdelikten die den Strafantrag ersetzende Erklärung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft; ausführlich 24. Aufl. Einl. 12 120 ff. '5' Näher die Erl. zu § 260 StPO (24. Aufl. Rdn. 100 ff); vgl. auch 24. Aufl. Einl. 11 55 ff. 152 Vgl. Rdn. Η 39; Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 721 ff. (299)
im Z.B. BGHSt 16 164, 166; 21 81; 30 215, 218; RGSt 51 72; 59 313; 62 262; Kleinknecht/Meyer-Coßner« Einl. 152; KK-Pfeiffer Einl. 133; zweifelnd Fezer 9/153; a. A u. a. Roxin § 21, 22; Volk (Prozeßvoraussetzungen) 83; Toebbens NStZ 1982 184; näher die Erl. zu den §§ 244, 260 StPO. 154 Näher § 337, 33 ff StPO. 155 Vgl. Fezer9l\65 („in dubioconra procedere"). 156 Vgl. in der 24. Aufl. Rdn. 28 ff. 157 So etwa Weiler GA 1994 561 ff mit weit. Nachw.; ähnlich Hillenkamp NJW 1989 2847 (für besonders gelagerte Ausnahmefälle).
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barungen (s. Rdn. G 58 ff) oder dem Versuch der Herbeiführung der Verurteilung um jeden Preis 158 . Soweit in besonderen Fällen die Möglichkeit einer Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs diskutiert oder anerkannt wird (s. Rdn. G 24 ff), wird für die prozessuale Umsetzung ebenfalls in der Regel das Rechtsinstitut des Verfahrenshindernisses in Anspruch genommen 159 . 54 Die Rechtsprechung vor allem des Bundesgerichtshofes vertritt nach teilweisem Schwanken, namentlich in den Fällen der Tatprovokation, in neuerer Zeit generell eine restriktive Haltung. Sie berücksichtigt die in Frage kommenden Phänomene je nach Sachlage vor allem bei der Strafzumessung, aber auch in der Annahme von Beweisverwertungsverboten, als Befangenheitsgründe oder in der Betonung einer Pflicht zur besonders sorgfältigen Beweiswürdigung. Im einzelnen ist nach der neueren Rechtsprechung die Annahme eines Verfahrenshindernisses etwa abgelehnt worden bei der Überschreitung der Grenzen der erlaubten Tatprovokation 160 , grundsätzlich bei der völkerrechtswidrigen Entführung 161 , bei der Kenntnis der Staatsanwaltschaft vom Verteidigungskonzept 162 , bei (angeblichen) Machenschaften der Polizei, um eine Verurteilung um jeden Preis herbeizuführen 163 , bei (angeblich) manipulierten Ermittlungsakten 164 oder bei Nichteinhaltung der Zusage der Staatsanwaltschaft zur Nichtverfolgung einer anderen Straftat 165 . Auch bei der der Justiz zuzurechnenden erheblichen Verfahrensverzögerung hat der Bundesgerichtshof bisher an der „Strafzumessungslösung" (Rdn. G 39 ff) weitgehend festgehalten; er hat lediglich in einem extrem gelagerten Ausnahmefall ohne nähere dogmatische Ableitung und ohne Bezugnahme auf ein Verfahrenshindernis das Verfahren in der Revisionsinstanz durch eine Einstellung beendet 166 ; die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung und die der Tatgerichte scheint hier teilweise großzügiger verfahren 167 . Das Bundesverfassungsgericht hat bisher die Nichtannahme eines Verfahrenshindernisses durchweg gebilligt, jedenfalls nicht ausdrücklich beanstandet, und lediglich in nicht tragenden Bemerkungen für Ausnahmefälle die Annahme eines Verfahrenshindemisses nicht ausgeschlossen 168 . Im Schrifttum steht der Auffassung, die in unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Intensität bei verschiedenen Fallgruppen in solchen Fällen ein Verfahrenshindernis bejaht, diejenige gegenüber, die es insgesamt oder überwiegend ablehnt 169 .
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im i« '48 BGHSt 31 296, 300.
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BVerfGE 6 389,432 ff für homosexuelle Handlungen; BayObLG NJW 1979 2624 f bei - heterosexuellem - Verkehr mit Prostituierten; zur Kritik vgl. schon Benda in: Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung (1974) 23, 30 und Lorenz GA 1992 263.
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der Verwertung von Aufzeichnungen in einem Tagebuch ohne Kundgebungszweck 150 — gleichwohl wird vom Standpunkt der damals noch vom Bundesgerichtshof vertretenen relativen Wesensgehaltstheorie erst aufgrund einer Abwägung der Strafverfolgungsinteressen mit dem Grundrechtsschutz über die staatlichen Eingriffsbefugnisse und damit die Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse entschieden (s. dazu auch oben Rdn. 48): bei Aufzeichnungen eines Verbrechers über „seine Verbrechen und Opfer" sei für Persönlichkeitsschutz kein Raum, weil das GG die Entfaltung und nicht den Verfall der Persönlichkeit schütze — Verwertbarkeit sei hier also zu bejahen, dagegen dann zu verneinen, handele es sich außerhalb des Bereichs der Schwerkriminalität um Aufzeichnungen über Liebesbeziehungen 151 . Diese Entscheidung erweckt schon deshalb erhebliche Bedenken, weil die These vom angeblich schutzlosen Verfall der Persönlichkeit in kriminelles Verhalten de facto die Existenz eines unantastbaren Kerns der Persönlichkeit jedenfalls im Bereich kriminellen Verhaltens verneint und sich damit in direktem Gegensatz zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Zugehörigkeit eines ehelichen Gesprächs über gemeinsames kriminelles Verhalten zum absolut geschützten Kernbereich 152 setzen dürfte — aber auch zu der zutreffenden Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge auch im Bereich der Schwerkriminalität der Täter „dennoch ein Glied" der Rechtsgemeinschaft bleibt „mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Schutz seiner Individualität" 153 . Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht mit einer Entscheidung aus dem 81 Jahre 1989 — ebenfalls im Gegensatz zu der soeben erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofs über den absoluten Schutz ehelicher Gespräche —judiziert, mit der schriftlichen Niederlegung seiner Gedanken in einem Tagebuch habe der Verfasser diese Gedanken aus dem absolut geschützten Kernbereich entlassen 154 — eine kaum verständliche Entscheidung, die den Kembereich letztlich auf Gefühle und Gedanken beschränkt, auf die schon faktisch niemand mehr zugreifen kann, während doch andererseits § 81 StPO den Zugriff auf das psychische Innenleben gestattet, ohne daß dies je problematisiert worden wäre (s. oben Rdn. 78): schon damit wird die Lehre von der Existenz eines absolut geschützten Kernbereichs nahezu aufgegeben, und deshalb hat auch das BayObLG entgegen dieser verfassungsgerichtlichen Auffassung den noch nicht abgesandten Brief eines Drogenabhängigen an seinen Arzt zu Recht dem absolut geschützten Kernbereich zugeordnet und deshalb ein Verwertungsverbot bejaht 155 . Im übrigen erscheint die soeben erwähnte Tagebuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch widersprüchlich: zwar wird der Grundsatz der Existenz eines absolut unantastbaren Kernbereichs der Persönlichkeit aufrechterhalten 156 , die Zuordnung eines Sachverhalts zum Kernbereich dann aber eher im Sinne der relativen Wesensgehaltstheorie nicht etwa davon abhängig gemacht, „ob eine soziale Bedeutung oder Beziehung überhaupt besteht, sondern" davon, „welcher Art und wie intensiv sie" sei. „Dies" könne „befriedigend nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Falls beantwortet werden" und sei unter anderem davon abhängig, „in welcher Art und Intensität" der jeweilige Sachverhalt „aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft" berühre 157 . In Übereinstimmung mit BGHSt 19 325, 331 wird angenommen, Aufzeichnungen oder Angaben „über die Planung bevorstehender oder Berichte über begangene Straftaten" gehörten „dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung nicht an" mit der Folge, im Strafverfahren verwertet werden zu können 158 — wird aber die Zugehörigkeit zum Gebiet des Kernbereichs von der Art der Aufzeichnungen und der Intensität der Berührung mit Be150
BGHSt 19 325, 327; im Erg. ebenso BGHSt 34 397, 399,401. •51 BGHSt 19 325, 331,333. '52 BGHSt 31 296, 300. 153 BVerfGE 35 202 233. (363)
'5" '55 '56 '5' '58
BVerfGH 80 367, 376. BayObLG MDR 1992 993. BVerfGE 80 367, 373. BVerfGE 80 367, 374. BVerfGE 80 367, 375.
Karl Heinz Gössel
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Einleitung
langen der Allgemeinheit abhängig gemacht und also von Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt, ist die absolute Wesensgehaltstheorie der Sache nach auch deshalb aufgegeben 159 . Zu bedenken ist ferner, daß die Rechtsprechung sich nirgendwo klar und eindeutig zum Verhältnis des Schutzes des Kernbereichs des Persönlichkeitsrechts zur Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG äußert 160 . 82 Hatte der Bundesgerichtshof in der oben Rdn. 78 erwähnten sog. Raumgesprächsaufzeichnung noch einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung anerkannt, so hat er im Gegensatz dazu in einer späteren Entscheidung den Kernbereich gleichwohl als Abwägungsbereich behandelt. So wurde trotz eines möglichen Eingriffs in den Kembereich des Persönlichkeitsrechts die Verwertung von Tagebuchaufzeichnungen aufgrund einer Abwägung in einem Verfahren für zulässig erklärt, in dem diese Aufzeichnungen „der Aufklärung eines Mordes, also einer der schwersten Straftaten, die das Strafgesetzbuch kennt", dienten und, obwohl nicht das einzige Beweismittel, doch „für die Entscheidung von nicht unerheblicher Bedeutung" war 161 — und in einem Verfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit, einem gegenüber Mord „deutlich weniger gewichtigein) Vergehen", wurde der Schutz des Persönlichkeitsrechts als gegenüber den Strafverfolgungsinteressen vorrangig bewertet 162 , allerdings auch deshalb, weil andere Beweismittel zur Überführung zur Verfügung standen 163 . 83
(cc) Neben den soeben Rdn. 76 ff dargelegten Abgrenzungsschwierigkeiten bereitet auch die über ein Verwertungsverbot entscheidende konkrete Einzelfallabwägung der Strafverfolgungsinteressen mit den Interessen an der Wahrung der Privatsphäre außerhalb des absolut geschützten Intimbereichs nicht unerhebliche Schwierigkeiten. 84 Den Rückgriff auf von Dritten (Privaten) heimlich hergestellte Tonbandaufnahmen 164 hält das Bundesverfassungsgericht dann für verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn dies „in Fällen schwerer Kriminalität — sei es gegen Leib und Leben anderer, sei es gegen die existentiellen Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder gegen sonstige Rechtsgüter vergleichbaren Ranges — zur Feststellung der Identität von Straftätern wie zur Entlastung zu Unrecht Beschuldigter" geschieht; eine exakte Grenze für hiernach zulässige Eingriffe in das Recht am eigenen Wort lasse sich indessen nicht ziehen 165 . In allen Fällen komme es zunächst entscheidend auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an, wobei einmal die Schwere des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Bedeutung sei, zum anderen das im Einzelfall — unabhängig von der Art der je verwirklichten Straftat — „konkrete Tatunrecht". Darüber hinaus müsse bei der notwendigen Abwägung bedacht werden, ob die jeweilige Tonbandaufnahme sich als einziges Beweismittel zur Überführung oder Entlastung erweise, aber auch, inwieweit „die auf dem Tonband festgehaltenen, für das Strafverfahren möglicherweise nicht relevanten Äußerungen . . . auf den Kreis der unmittelbar am Verfahren Beteiligten beschränkt werden" könnten — diesen Kriterien zufolge könne das Interesse an der Tataufklärung wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, des Betrugs und der Urkundenfälschung allein (insbesondere ohne Berücksichtigung des konkreten Tatunrechts) den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht rechtfertigen 166 . Die gleichen Grundsätze gelten
159
160
Lorenz GA 1997 62 hält gar das Festhalten an der Existenz eines absolut geschützten Kembereichs für bloße „Semantik", in Wahrheit liege „Abwägung in Reinform" vor; wie hier schon Lorenz GA 1992 264. Vgl. ζ. B. BVerfGE 34 238, 245: unantastbarer Bereich privater Lebensführung - „überdies" gelte das Verbot des Art. 19 Abs. 2 GG.
161
BGHSt 34 397,401. Wohl im Gegensatz zu BGHSt 19 325, 331. 1« BGH NStZ 1994 350. 164 Vgl. dazu Frank. i « BVerfGE 34 238, 249 f. 166 BVerfGE 34 238, 250 f; ebenso BayObLG NJW 1990 197, 198 in einem Verfahren wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung. 162
Stand: 1 . 8 . 1998
(364)
Beweisverbote
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167
auch für die Verwertung von Videokassetten ; ist hiernach ein Verwertungsverbot zu bejahen, darf der Inhalt der Aufzeichnungen auch nicht durch Vernehmung von Personen verwertet werden, die vom Inhalt der Aufzeichnung Kenntnis haben 168 . Auch der EuGHMR wägt ab, wenn auch unter leichter Akzentverschiebung: so hat dieser Gerichtshof die Verwertbarkeit eines rechtswidrig aufgenommenen Tonbandes nur für zulässig erachtet, soweit das Recht der Verteidigung gewahrt ist und die Verurteilung nicht ausschließlich auf dem rechtswidrig erlangten Beweismittel beruht 169 . Die Verwertung eines an eine andere Person gerichteten Abschiedsbriefes aus Anlaß 85 eines Suizidversuchs hat der Bundesgerichtshof nach Zuordnung zur Privatsphäre außerhalb des Kembereichs aufgrund einer Abwägung der hier widerstreitenden Interessen für zulässig erklärt: der Brief enthalte wesentliche Anhaltspunkte zur „Klärung des dem Angeklagten zur Last gelegten versuchten Mordes", und dies rechtfertige den Vorrang der Strafverfolgungsinteressen 170 . Schriftliche ärztliche Unterlagen (ζ. B. Krankenblätter) „betreffen" nach der Auffas- 86 sung des Bundesverfassungsgerichts „mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen zwar nicht die unantastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Patienten". Die Verwertung solcher Unterlagen ohne Einverständnis der je betroffenen Patienten wird folglich auch hier von einer Abwägung abhängig gemacht: die Strafverfolgungsinteressen können vorgehen, wenn „in Zeiten allgemeiner Unruhen oder um sich greifender Gewalttätigkeit" der Arzt die Identität von Personen offenbaren müsse, „die sich mit Hieb-, Stich- oder Schußverletzungen bei ihm einfinden", aber auch dann, „wenn der Arzt selbst einer Straftat beschuldigt wird oder der Teilnahme an einer strafbaren Handlung des beschuldigten Patienten verdächtig ist" und zur Aufklärung dieser Straftaten der Einblick in die Patientenkartei notwendig ist — dagegen gehe im Regelfall die Achtung der Privatsphäre vor, gehe es um die „Aufklärung von Straftaten", „die allein dem Patienten zur Last gelegt werden", auch dann, wenn sich die entsprechenden Unterlagen im Gewahrsam eines Nachfolgers des früher behandelnden Arztes befinden 171 . In ähnlicher Weise wie die Verwertung ärztlicher Unterlagen hat das Bundesverfas- 87 sungsgericht auch die Verwertung von Klientenakten einer Drogenberatungsstelle des Caritasverbandes beurteilt. Auch diese Akten betreffen zwar „nicht die unantastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Klienten" 172 . Als vorrangig sind die Interessen der Strafverfolgung anzusehen, „soweit die Bekämpfung illegaler Händler in Rede steht" oder soweit sich darin „Hinweise für die Begehung eines Kapitalverbrechens" ergeben 173 — sie treten dagegen hinter den Persönlichkeitsschutz zurück, soweit es sich um Akten einer öffentlich-rechtlich anerkannten und damit gesundheitsfürsorgerischen Zwecken dienenden Drogenberatungsstelle handelt und es nur darum geht, „den staatlichen Strafanspruch gegenüber Drogenverbrauchern zur Geltung zu bringen" 174 . e) Beweisverbote wegen Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aa) Im Jahre 1983 entwickelte das Bundesverfassungsgericht mit dem informationel- 88 len Selbstbestimmungsrecht ein neues Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (oben Rdn. 70): die auch „aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis 167 168
169 170
BGHSt 36 167, 173; BGH Μ DR 1991 885. BayObLG NJW 1990 197, 198, allerdings nur für Tonbandaufnahmen. EuGHMR NJW 1989 654 f; „Fall Schenk". BGH NJW 1995 269.
(365)
171
BVerfGE 32 373, 379. 381; hinsichtlich Straftaten des behandelnden Arztes ebenso BGHSt 38 144, 147 f. '72 BVerfGE 44 353, 372. 173 BVerfGE 44 353, 377, 379. 174 BVerfGE 44 353, 377 f.
Karl Heinz Gössel
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Einleitung
des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden" 175 . Allerdings bleibt unklar, ob das Bundesverfassungsgericht diesem Recht wie auch dem Recht am gesprochenen Wort 176 einen unantastbaren Kernbereich zuordnen will und wie es insoweit um den Schutz der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 bestellt ist. Der Entscheidungswortlaut spricht eher gegen die Anerkennung eines derartigen unantastbaren Bereichs: „Der Einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über ,seine' Daten" — er muß „Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen", soweit sie sich unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufgrund einer gesetzlichen Grundlage nach Voraussetzungen und Umfang „klar und für den Bürger erkennbar ergeben" 177 . Ein überwiegendes Allgemeininteresse könne regelmäßig „nur an Daten mit Sozialbezug bestehen unter Ausschluß unzumutbarer intimer Angaben und von Selbstbezichtigungen", und im übrigen setze ein Zwang zur Angabe personenbezogener Daten voraus, „daß der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und daß die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich" und „auf den gesetzlich bestimmten Zweck begrenzt" sind, weshalb „ein — amtshilfefester — Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erforderlich" sowie „Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten" als „weitere verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen wesentlich" 178 seien. 89
bb) Die strafverfahrensrechtliche Brisanz dieses vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Instituts wurde mit den Fortschritten in der Genomanalyse und der Entdeckung des genetischen Fingerabdrucks nunmehr unübersehbar deutlich. Die mit der Genjomanalyse erstrebte Kartierung der biologischen Grundlagen des Individuums kann dessen Recht, über seine persönlichen Daten selbst zu verfügen, offensichtlich massiv beeinträchtigen. Aber auch die im genetischen Fingerabdruck ausschließlich zur Identifizierung eines Individuums enthaltenen persönlichen Daten berühren dieses Recht.
90
Der Bundesgerichtshof hat in § 81 a StPO auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht eine ausreichende Grundlage für diesen Eingriff erblickt, was allerdings ohne nähere Begründung lediglich behauptet wurde wie ebenso die Verhältnismäßigkeit einer Blutprobenentnahme zur Herstellung des genetischen Fingerabdrucks 179 — eine angesichts der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen für zulässige Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht auch kaum begründbare Behauptung: schon das Fehlen jedweden, auch noch amtshilfefesten Schutzes gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote in § 81 a StPO zeigt dies deutlich auf, unbeschadet der — fehlenden — Wahrung der weiteren oben Rdn. 88 dargelegten Erfordernisse. Gleichwohl erscheint die Entscheidung des Bundesgerichtshof zur Zulässigkeit des genetischen Fingerabdrucks verständlich: allzu viele der auch in der StPO geregelten Ermittlungsmaßnahmen enthalten Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ohne den vom Bundesverfassungsgericht dafür in Β VerfGE 65 1, 44 aufgestellten Voraussetzungen zu genügen — man denke hier nur an das psychiatrische Gutachten über den psychischen Zustand des Beschuldigten nach § 81 StPO, welches auch noch in öffentlicher Sitzung erstattet wird 180 , ferner aber BVerfGE 65 1, 42 mit weit. Nachw.; zur Zulässigkeit von Ermittlungen unter Eingriff in dieses Recht s. Perschke 54 ff. BVerfG NJW 1992 815 zur Unverwertbarkeit von Kenntnissen über ein an einem Diensttelefon geführtes und mitgehörtes Gespräch in einem Arbeitsgerichtsprozeß.
177 178 179
180
BVerfGE 65 1,43 f. BVerfGE 65 1, 46. BGHSt 37 157, 158; vgl. auch BGHSt 38 320, 322 und BGH NStZ 1991 399, 400. Näheres vgl. ζ. B. bei SK-Rudolphi Vor § 94,42 ff; Gössel GedS Meyer 121, 143 ff und GA 1991 507 f.
Stand: 1. 8. 1998
(366)
Beweisverbote
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auch an die verdachtlose Rasterfahndung nach Art. 1 § 3 G 10 und §§1, 12 BNDGesetz 181 . Überraschenderweise hat das das Bundesverfassungsgericht § 81 a StPO ebenfalls als 91 ausreichende Grundlage zur Erhebung und Verwertung des genetischen Fingerabdrucks im Strafverfahren angesehen 182 , dabei allerdings von den in BVerfGE 65 1, 44, 46 aufgestellten Voraussetzungen jedenfalls für das Strafverfahren sehr weitgehend Abstand genommen. So wurde insbesondere auf das Erfordernis des amtshilfefesten Schutzes gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote „angesichts nur theoretischer Mißbrauchsmöglichkeit" verzichtet, und die ursprünglich verlangte bereichsspezifische präzise Bestimmung 183 sieht das Bundesverfassungsgericht durch das doch reichlich unbestimmte Merkmal der Verfahrensbedeutung (wie weit kann ζ. B. der Kreis der Betroffenen gezogen werden?) noch als gewahrt an — und dies, ohne sich auch nur ansatzweise mit entgegenstehenden gewichtigen Argumenten des Schrifttums 184 auseinanderzusetzen 185 . Erfreulicherweise hat hier aber der Gesetzgeber die Initiative ergriffen und in § 81 e StPO die nach der hier vertretenen Auffassung notwendige gesetzliche Grundlage geschaffen (Näheres s. bei den Erläuterungen zu § 81 e StPO). 5. Reichweite der Verwertungsverbote a) Fernwirkungen aa) Ob und inwieweit aus dem berechtigten Schweigen Beschuldigter oder personaler 92 Beweismittel Schlüsse gezogen werden dürfen, ist keine Frage einer Fernwirkung der die Sachverhaltsermittlung betreffenden Beweisverbote (oben Rdn. 2) 186 , sondern der Grenzen der freien Beweiswürdigung; insoweit wird auf die Erläuterungen zu § 261 StPO verwiesen (zur Bedeutung der Beweisverwertung als Beweiswürdigung s. oben Rdn. 3, 5 und unten Rdn. 127). bb) Unter der möglichen Fernwirkung von Beweisverboten wird hier allein die Fra- 93 gestellung verstanden, ob neben der Verwertung der unmittelbar unter Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot erlangten Informationen auch zudem die Verwertung aller weiteren Beweismittel verboten ist, die ohne Verstoß gegen das Verwertungsverbot nicht erlangt worden wären. Eine derartige Fernwirkung hat die Rechtsprechung bisher im Grundsatz verneint: „Nicht jeder Verfahrensfehler, der ein Verwertungsverbot eines Beweismittels herbeiführt", darf „ohne weiteres dazu führen, daß das gesamte Strafverfahren lahmgelegt wird" 187 . Ausnahmen von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung bisher nur in zwei Fällen anerkannt: einmal bei der Beschuldigtenvernehmung (unten Rdn. 94 ff), und zum andern bei der Telefonüberwachung (unten Rdn. 97 f). (1) Das Verwertungsverbot des § 136 a Abs. 3 StPO gilt dem soeben erwähnten 94 Grundsatz entsprechend nur für „die unter Verstoß gegen § 136 a Abs. 1 StPO herbeigeführt(en)" Bekundungen des Angeklagten, nicht aber für „eine spätere Aussage . . ., bei der seine Willensfreiheit nicht mehr beeinträchtigt war". Eine Art beschränkter Fortwirkung als Quasi-Fernwirkung des Verbots des § 136 a Abs. 3 StPO wird aber für jene späteren Aussagen anerkannt, bei denen der Verstoß gegen § 136 a Abs. 1 Satz 1 StPO bei der unmittelbar erlangten früheren Aussage „fortgewirkt und die Aussagefreiheit des 181 182
183 184
S. dazu BVerfG NJW 1996 114. BVerfG NJW 1996 1587, 1588; NStZ 1996 45; bestätigt von BVerfG NStZ 1996 606. BVerfGE 65 1,46. Vgl. ζ. B. Jung MschrKrim. 1989 103, 105. 107; Keller NJW 1989 2289, 2294.
(367)
'«5 BVerfG NStZ 1996 45, 46. A. A LR-A-. Schäfer» Einl. 14 38; vgl. auch LRRieß Einl. I 92 ff. 187 BGHSt 27 355, 358. 186
Karl Heinz Gössel
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Einleitung
Angeklagten in rechtserheblicher Weise beeinträchtigt hat" 188 : es kann „für die Frage der Verwertbarkeit der Aussage keinen Unterschied machen, ob in der Vernehmung selbst ein Druck ausgeübt worden ist oder ob ein vorangegangener Druck weiter wirkt" 189 . 95 Unverwertbar ist daher ζ. B. eine Aussage vor dem Ermittlungsrichter, bei der sich die „Täuschung der ermittelnden Staatsanwältin über das angebliche Auffinden der Kindesleiche . . . ausgewirkt hat" 190 und ebenso eine Aussage vor dem Haftrichter, bei der der bei der polizeilichen Vernehmung unzulässig ausgeübte Druck, den Angeklagten an die Leiche seines Kindes zu führen, noch im Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung fortwirkt 191 oder aber eine rechtswidrige Täuschung durch den zuvor vernehmenden Polizeibeamten, ohne daß der Richter den „von der Polizei hervorgerufene(n) Irrtum beseitigt oder abgeschwächt oder gar auf die mögliche Unverwertbarkeit" der früheren Angaben, etwa eines Geständnisses, hingewiesen hat 192 . Eine Fortwirkung ist dagegen zu verneinen, legt der Angeklagte in Kenntnis seines Schweigerechts und der Unverwertbarkeit seiner früheren Bekundungen vor der Polizei und damit unter Wahrung seiner Entscheidungsfreiheit gleichwohl ein Geständnis ab 193 . 96
Die Anerkennung einer Fernwirkung des ursprünglichen Verwertungsverbots in diesen Fällen beruht also darauf, daß der bei der früheren Vernehmung begangene Rechtsverstoß eben wegen dessen Fortwirkung bei etwaiger Einführung der Ergebnisse dieser fehlerhaften Vernehmung in die Hauptverhandlung letztlich bloß wiederholt worden wäre — eine bloße Quasi-Fernwirkung. 97 (2) Der grundsätzlichen Ablehnung einer Fernwirkung von Verwertungsverboten entspricht auch die Rechtsprechung zur grundsätzlichen Unverwertbarkeit der aus rechtswidrig angeordneter Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse. Wie derartige Erkenntnisse „nicht als Beweismittel im Strafverfahren verwendet werden" dürfen, so auch nicht „die unter dem Eindruck des Vorhalts" 194 der rechtswidrig erlangten Kenntnisse gewonnenen Bekundungen des Beschuldigten, auch hier allerdings, wie schon bei unter Verstoß gegen § 136 a Abs. 1 StPO gewonnenen Aussagen des Beschuldigten (oben Rdn. 94), nur bei Fortwirkung des ursprünglichen Gesetzesverstoßes, nicht aber dann, sagt der Angeklagte — „etwa weil längere Zeit verstrichen ist" 195 — unbeeinflußt vom Vorhalt freiwillig ζ. B. deshalb aus, um „sich die Taten ,quasi von der Seele zu reden' " 196 . 98
Nicht bloß eine derartige Quasi-Fernwirkung, sondern eine echte Fernwirkung hat der Bundesgerichtshof (vom Gesetzgeber nunmehr bestätigt in § 100 b Abs. 5 StPO i. d. F des OrgKG) hier deshalb anerkannt, weil die Telefonüberwachung nur zur Verfolgung jener Straftaten gegen alle Teilnehmer der überwachten Gespräche zulässig ist, die im Katalog der diesen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 GG rechtfertigenden Vorschriften (Art. 1 § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 G 10; § 100 a StPO) aufgeführt sind oder mit diesen in Zusammenhang stehen 197 — und dies gilt aufgrund einer Abwägung der Interessen der Strafverfolgung mit den betroffenen Individualinteressen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch hinsichtlich jener „Kenntnisse und Unterlagen", „zu denen die überwachten Gespräche erst den Weg weisen, die also aufgrund weiterer, außerhalb der Telefonüberwachung durchgeführter Ermittlungen gefunden werden" 198 .
188
BGH NJW 1995 2047 mit weit. Nachw.
189 BGHSt 17 364, 368. 190 BGH NStZ 1996 290, 29). 191 BGHSt 17 364, 368 f. 192 BGHSt 35 328, 332; LG 356, 358.
Dortmund NStZ 1997
193 BGHSt 194 BGHSt 195 BGHSt 196 BGHSt 197 BGHSt 198 BGHSt
Stand: 1. 8. 1998
37 32 27 35 29 29
48, 53 f. 68, 70. 355, 358. 32, 35. 23, 24 mit weit. Nachw. 244, 251. (368)
Beweisverbote
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b) Von Privatpersonen gewonnene Erkenntnisse aa) Die bloße rechtswidrige „Erlangung eines Beweismittels durch" eine Privatper- 99 son, etwa heimliche Tonbandaufnahmen entgegen § 201 StGB oder durch Erpressung oder körperliche Beeinträchtigungen erwirkte Erklärungen 199 gegenüber einem späteren Zeugen, führt „nicht ohne weiteres" zur „Unverwertbarkeit dieses Beweismittels im Strafverfahren"; dem Bundesgerichtshof zufolge ist über die Verwertbarkeit in diesen Fällen unter Anwendung der Dreistufentheorie des Bundesverfassungsgerichts zu entscheiden 200 (oben Rdn. 72 ff). Der EuGHMR hat die Frage der Verwertbarkeit solcher Beweismittel lediglich unter den Gesichtspunkten einer fairen Verfahrensführung (Art. 6 MRK) und einer Beeinträchtigung der Privatsphäre (Art. 8 MRK) beurteilt und sie der Sache nach zugelassen, wenn „die Rechte der Verteidigung nicht mißachtet wurden" und die rechtswidrig erlangte Erkenntnis „nicht der einzige Beweis war, auf dem die Verurteilung beruhte" 201 . bb) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof führt letztlich zu den Verwertungs- 100 kriterien, welche bereits bei der Frage nach einer Fernwirkung des Verwertungsverbots aus § 136 a Abs. 3 StPO bedeutsam waren (oben Rdn. 94 ff): würde die Einführung der von privater Seite rechtswidrig erlangten Erkenntnisse in die Hauptverhandlung selbst einen Gesetzesverstoß bedeuten und würde dieser zu einem Verwertungsverbot führen? Die ausdrückliche Bezugnahme auf die in BVerfGE 34 238 entwickelte Dreistufentheorie führt damit nicht zu neuen Kriterien zur Bestimmung von Verwertungsverboten — lediglich der EuGHMR stellt insoweit auf die vom Bundesgerichtshof bisher nicht erwähnten Gesichtspunkte der Wahrung der Verteidigungsrechte ab — der von diesem Gerichtshof ferner berücksichtigte Beweiswert ist ein Problem der Beweiswürdigung (s. dazu auch oben Rdn. 58). c) Möglichkeit zu rechtmäßiger Beweisgewinnung. Daß das Urteil auch auf einem 101 zum Verwertungsverbot führenden Gesetzesverstoß beruhen muß, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich verlangt (vgl. oben Rdn. 17), wenn auch nicht durchgehend. An dieser schon nach § 337 StPO notwendigen Voraussetzung fehlt es insbesondere in den Fällen, in denen der jeweilige Sachverhalt zwar unter einem Gesetzesverstoß in das Verfahren eingeführt wurde, jedoch auf gesetzmäßigem Wege hätte erlangt werden können (oben Rdn. 51 f, 69). Im Falle einer ohne richterliche Anordnung durchgeführten Telefonüberwachung jedoch wurde die Zulässigkeit dieser Argumentation verworfen: „Für eine Betrachtung unter dem Gesichtspunkt eines .hypothetischen Ersatzeingriffs' " sei kein Raum 202 . 6. Verfahrensrechtlicher Nachweis von Verwertungsverboten Ob gegen ein Beweisverbot mit der Folge der Unverwertbarkeit des Beweismittels ver- 102 stoßen ist, unterliegt den Regeln des Freibeweises 203 . Dies gilt auch für Verstöße gegen § 136 a StPO im ersten Rechtszug 204 . In der Revisionsinstanz ist der Verstoß — anders als bei der Nichtbeachtung von Verfahrenshindernissen — nicht von Amts wegen, sondern nur auf Rüge gemäß § 344 Abs. 2 StPO zu beachten 205 . 199 200 201 202
203
Vgl. dazu OLG Oldenburg NJW 1953 1237. BGHSt 36 167, 173. EuGHMR NJW 1989 654, 655 f. BGHSt 31 304, 306; vgl. dazu auch Roxin NStZ 1989 379. Ständige Rechtsprechung, vgl. ζ. B. BGHSt 42 15, 18.
(369)
204
205
BGHSt 16 164 = JR 1962 108 mit Anm. Eb. Schmidt-, h. Μ z.B. KK-Boujong § 1 3 6 a , 43; KMR-Müller § 136 a, 21; SK-Rogall § 136 a, 83; a. A Peters 339; kritisch § 136 a StPO, 68. Offengelassen in BGHSt 25 25 f.
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Einleitung
Bei der Würdigung des Ergebnisses der Ermittlungen gilt der Grundsatz „in dubio pro reo" nicht; Verfahrensfehler müssen nachgewiesen werden 206 .
III. Ergebnis der Übersicht über die Rechtsprechung zu den Beweisverboten 1. Kritik und Defizite 104
a) Der Rechtsprechung ist es bisher in verdienstvoller Weise gelungen, entscheidend wichtige Kriterien für das Vorliegen von Verstößen gegen Beweisverbote und deren Beurteilung als revisible Verfahrensverstöße herauszuarbeiten. Unbefriedigend bleiben aber insbesondere einige Widersprüche bei der Verwendung dieser Merkmale (vgl. ζ. B. oben Rdn. 31, 32, 57, 63, 66), die hin und wieder beliebig erscheinende Heranziehung der einzelnen Kriterien (vgl. ζ. B. oben Rdn. 36 f,40 f) und die nur wenig überzeugenden Ergebnisse bei der Anwendung der sog. Dreisphärentheorie (oben Rdn. 72 ff, vgl. vor allem Rdn. 78, 80 ff). Insbesondere unbefriedigend erscheinen die Unklarheiten einmal darüber, in welchen Fällen schon der Gesetzesverstoß allein über ein Verwertungsverbot entscheidet und in welchen Fällen erst eine Abwägung zwischen den mit dem staatlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung kollidierenden Individualinteressen (ζ. B. oben Rdn. 62 f), zum anderen aber auch über die Bedeutung des Beruhenselementes entweder schon als Merkmal eines Verwertungsverbotes oder aber als ein zur Verletzung eines Verwertungsverbotes über den Erfolg der Revision entscheidendes zusätzliches Merkmal (oben Rdn. 38).
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b) Die bereits oben Rdn. 14 erwähnte Unterscheidung zwischen Beweiserhebungsund -verwertungsverboten läßt es geradezu selbstverständlich erscheinen, daß die Rechtsprechung die Frage in den Vordergrund stellt, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen einem Erhebungsverbot ein Verwertungsverbot zuzuordnen ist und in welchen nicht (vgl. dazu oben Rdn. 25 f): ist allgemein anerkannt, daß nicht jeder Verfahrensverstoß die Revision begründen kann, so muß dies auch für die Sachverhaltsermittlung gelten. Damit ist die Problematik des Verhältnisses zwischen Erhebungs- und Verwertungsverbot berührt, die schon angesichts der oben Rdn. 62 f erwähnten Fälle ebenfalls als bisher nicht ausreichend geklärt erscheint. 2. Das Verhältnis zwischen Erhebungs- und Verwertungsverboten
106
a) Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Verwertungsverbote. Dencker und Rogall ist die inzwischen allgemein anerkannte Einteilung der Beweisverwertungsverbote in solche selbständiger und unselbständiger Natur zu verdanken. Danach sind Verwertungsverbote dann unselbständig, wenn sie „sich als Folge einer Verletzung von Beweiserhebungsverboten ergeben", selbständig aber, ergeben sie sich unabhängig „von einem vorangehenden Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot" 207 , so ζ. B. die Verwertung eines nach Art. 1 §§ 2, 3 G 10 in zulässiger Weise ermittelten Sachverhalts in Verfahren wegen anderer als der im Katalog dieser Vorschriften enthaltenen Straftaten 206 BGHSt 38 214, 224; a. Α LR-Hanack §§ 136 a StPO, 69: Zweifel am Vorliegen eines Verfahrensverstoßes sind dann beachtlich, wenn aus Gründen, die in der Sphäre der Justiz liegen, die Vermutung der Rechtmäßigkeit und Justizförmigkeit des staatlichen Vorgehens ernsthaft erschüttert ist; für unbeschränkte Anwendung des Satzes „in dubio pro reo" Häuf 197.
207
Rogall ZStW 91 (1979) 3 und Rudolphi-Symp. 145; so der Sache nach vorher schon Dencker 10 f,101; ebenso Dalakouras 107; Grünwald (Beweisrecht) 142; Ranft 1582; Walder 39 ff; kritisch Peres 136; Störmer 12; Herdegen (Bemerkungen) 110.
Stand: 1. 8. 1998
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Beweisverbote
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208
(Verwertungsverbot nach Art. 1 § 7 Abs. 3 G 10 ), ferner die Verwertung von in zulässiger Weise ermittelten Aussagen zeugnisverweigerungsberechtigter Zeugen, die ζ. B. erst im Berufungsverfahren ihr Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen (Verwertungsverbot aus §§ 250 Satz 2; 252 StPO 209 ). Schon damit wird es notwendig, neben der Unterscheidung von Beweiserhebungs- und -verwertungsverboten auch das Verhältnis dieser beiden Arten von Beweisverboten zueinander zu klären. b) Verwertungsverbote und Verfahrensstadium. Die (auch) in der Rechtsprechung 107 in den Vordergrund gestellte Frage, in welchen Fällen einem Erhebungsverbot ein Verwertungsverbot zuzuordnen sei, geht für den Regelfall davon aus, ein Beweisverwertungsverbot beziehe sich auf solche Tatsachen, die durch einen Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot in einem der Urteilsfällung voraufgehenden Stadium ermittelt wurden 210 . Diese Auffassung allerdings erscheint schon mit der Existenz selbständiger Verwertungsverbote nicht recht vereinbar. Im übrigen wurde bereits oben (Rdn. 3, 5) darauf hingewiesen, daß Beweisverwertung 108 Beweiswürdigung bedeutet, die schon im Ermittlungsverfahren anzustellen und nicht etwa dem gerichtlichen Erkenntnisverfahren allein vorbehalten ist (Rdn. 4 f, 13). Entsprechendes gilt aber auch für die Beweiserhebung: sie erfolgt nicht etwa bloß im Ermittlungsverfahren, sondern schon als Voraussetzung der Beweiswürdigung auch im gerichtlichen Erkenntnis verfahren (oben Rdn. 3 ff) — und dies nicht etwa nur bei der erstmaligen Beweiserhebung (ζ. B. die Aussage eines bisher unbekannt gebliebenen Zeugen in der Berufungshauptverhandlung), sondern recht häufig auch bei der Einführung eines im Ermittlungsverfahren ermittelten Sachverhalts in die Hauptverhandlung: auch der Inhalt der im Ermittlungsverfahren beschlagnahmten Urkunden wird im gerichtlichen Erkenntnisverfahren erneut durch Verlesung wahrnehmend festgestellt und also erhoben (oben Rdn. 3). Damit aber können sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im gerichtlichen Erkenntnisverfahren gleichermaßen Erhebungsverbote und Verwertungsverbote mißachtet werden. Ebenso aber kann es im gerichtlichen Erkenntnisverfahren erlaubt sein, Tatsachen oder Sachverhalte zur Urteilsgrundlage zu machen, die im Ermittlungsverfahren etwa gesetzeswidrig (ζ. B. eine Blutprobenentnahme unter Verstoß gegen § 81 a StPO) festgestellt wurden. Damit wird allerdings nicht etwa die Unterscheidung zwischen selbständigen und 109 unselbständigen Verwertungsverboten in Frage gestellt: Mindestens die Verlobung im Gerichtssaal während der Zeugenvernehmung und die sofort anschließende Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts dürfte deutlich machen, daß auch eine im Erkenntnisverfahren zulässige Beweiserhebung einem von einem vorherigen Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot unabhängigen Verwertungsverbot unterliegen kann. c) Vorauswirkungen von Verwertungsverboten aa) Wenn auch bisher wenig beachtet, so dürfte aber doch gleichwohl die schon bisher 110 in der Literatur gelegentlich vertretene Auffassung auf allgemeine Zustimmung rechnen dürfen, derzufolge von der Existenz eines etwaigen Verwertungsverbots im gerichtlichen Verfahren eine zu einem Erhebungsverbot führende Vorauswirkung für frühere Verfahrensstadien ausgehen kann: würde etwa der Verwertung eines körperlichen Eingriffs vor Gericht ein grundgesetzliches Verbot entgegenstehen, so ist schon die richterli208
Schroetter JR 1973 253; erwähnenswert erscheint insoweit auch, daß der BGH in dem sog. Raumgesprächsurteil (BGHSt 31 296 s. dazu oben Rdn. 78) die Verwertbarkeit des aufgezeichneten Gesprächs unabhängig davon veraeinte, ob die Aufzeichnung
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209 210
selbst mit den gesetzlichen Nonnen vereinbar war oder nicht. Dencker 111. Vgl. ζ. B. LR-/T. Schäfer" Einl. 14 13; Schlüchter 4.2.
Karl Heinz Gössel
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Einleitung
che Anordnung zur Vornahme dieses Eingriffs nach § 81 a StPO oder § 81 c StPO eben wegen der späteren Unverwertbarkeit unverhältnismäßig 211 . Bei der Regelung des sog. großen Lauschangriffs hat der Gesetzgeber eine derartige Vorauswirkung für bestimmte Fälle sogar ausdrücklich angeordnet (§ 100 d Abs. 3 Satz 2 StPO). 111
bb) Gibt es aber Fälle, in denen einem Erhebungsverbot kein Verwertungsverbot zugeordnet wird (oben Rdn. 107), so will schon im Hinblick auf die gerichtliche Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 StPO auch eine etwaige Vorauswirkung der Nichtexistenz eines Verwertungsverbotes bedacht sein. So sind im Jahre 1997 einige Entscheidungen veröffentlicht worden, in denen die Aufklärungsrüge oder die auf unzureichende Aufklärung gestützte Sachrüge deshalb für begründet erachtet wurden, weil in den jeweils angefochtenen Entscheidungen einem Verstoß gegen ein Erhebungsverbot zu Unrecht auch ein Verwertungsverbot zugeordnet worden war: so bei der unterbliebenen Verwertung rechtsgrundlos und deshalb rechtsstaatswidrig gewonnener Ergebnisse von Maßnahmen der Verkehrsüberwachung (s. oben Rdn. 62 f) 2 1 2 und auch bei dem zur Annahme eines Verwertungsverbotes notwendigen, aber unterbliebenen Widerspruch des Verteidigers gegen die Verwertung eines fehlerhaft erhobenen Beweises 213 . Wird nun bedacht, daß Beweisverwertung wesentlich Beweiswürdigung ist und daß damit zugleich auch die wahrnehmende Feststellung des Sachverhalts verbunden ist (Rdn. 108), so führt diese Rechtsprechung zu dem denkwürdigen Ergebnis, daß die gerichtliche Aufklärungspflicht im Rahmen der gebotenen Verwertung zu Gesetzesverstößen bei der Sachverhaltsermittlung zwingt. Dies erscheint indessen nicht bloß inakzeptabel, sondern auch widersprüchlich: wie kann dem Gericht etwas von der Rechtsordnung nach § 244 StPO geboten sein, was zu tun ihm von der Rechtsordnung in einem Beweiserhebungsverbot zu tun verboten ist? 214 — Entsprechendes gilt aber auch für das Ermittlungsverfahren, weil die für die ermittelnde Tätigkeit der Staatsanwaltschaft geltende Aufklärungspflicht aus § 160 StPO der des § 244 StPO bekanntlich entspricht.
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3. Die Fragwürdigkeit der Unterscheidung zwischen Erhebungs- und Verwertungsverbot. Das Gesetz kennt den Begriff „Beweiserhebungsverbot" ebensowenig wie den des „Beweisverwertungsverbots" — es kennt lediglich den „Gesetzesverstoß" (§ 337 StPO). Zerlegt man den Gesetzesverstoß, wenn auch nur auf dem Teilgebiet des Beweisens, in die zwei voneinander verschiedenen rechtlichen Erscheinungen einmal des Verstoßes gegen ein Erhebungs-, zum anderen des gegen ein Verwertungsverbot, so stellt sich geradezu zwangsläufig die Frage nach ihrem Verhältnis zueinander unter anderem mit den soeben Rdn. 111 aufgezeigten Folgen. Diese Erwägung aber zeigt die mögliche und auch nötige Abhilfe auf: mit den Stimmen in der Literatur, die schon bisher Bedenken gegen die Differenzierung zwischen Beweiserhebung und Beweisverwertung erhoben haben 215 , ist, dabei teilweise darüber hinausgehend, auf die Unterscheidung zwischen Beweiserhebung und -Verwertung zu verzichten und damit auch auf die Frage, ob einem Erhebungsverbot ein Verwertungsverbot zugeordnet werden kann. Stattdessen ist auf den Gesetzes211
2 2
'
213
214
Gössel GedS Meyer 130; Sternberg-Lieben NJW 1987 1242, 1243 f; vgl. auch Schmeder Strafprozeßrecht, 2. Aufl. (1997) 121. BayObLG NZV 1997 276 für den fließenden und NJW 1997 3454 für den ruhenden (vgl. dazu aber auch KG NJW 1997 2894) Verkehr. OLG Celle NStZ-RR 1997 177 - hier auf die mit mangelhafter Aufklärung begründete Sachrüge. Vgl. näher dazu Gössel NStZ 1998 126, 129. Die Möglichkeit, § 244 Abs. 2 StPO etwa als generelle Befugnisform alle gegen ein Erhebungsverbot
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verstoßenden Eingriffe in Grundrechte bei fehlendem Verwertungsverbot heilen zu lassen, scheidet schon aus den oben Fußn. 109 dargelegten Gründen aus; wer der gegenteiligen Auffassung folgt, müßte die Frage beantworten, warum § 244 Abs. 2 StPO seine etwaige befugnisgebende und heilende Kraft nicht auch in allen Fällen entfalten kann, in denen das Erhebungsverbot mit einem Verwertungsverbot gekoppelt ist. Vgl. ζ. B. Grünwald (Beweisrecht) 116 und Peres 14.
Stand: 1. 8. 1998
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Beweisverbote
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verstoß abzustellen, sowie darauf, ob der jeweils Betroffene insoweit beschwert ist, als ihm die Rechtsordnung diesen Verstoß hinzunehmen zumutet oder nicht; näher wird darauf (unten Rdn. 140 ff) jedoch erst nach einer Übersicht über die Auffassungen im Schrifttum eingegangen.
IV. Die im Schrifttum entwickelten Beweisverbotslehren 1. Wege zur Gewinnung von Beweisverbotslehren a) Funktionslehre und die Lehren von der Eigenständigkeit der Beweisverbote. 113 Neben dem von der Rechtsprechung entwickelten Funktionsansatz, „Grenzen und . . . Umfang des Revisionsrügerechts" als „entscheidende Schlüsselstelle zum Verständnis der Beweisverbote" heranzuziehen 216 und die Beweisverbote „im Hinblick auf ihre prozessuale Funktion" zu definieren und zu systematisieren (oben Rdn. 18), wurde in der Literatur von jeher versucht, Beweisverbote als eigenständige prozessuale Institute anzusehen und, vom Wesen des Beweisverbots ausgehend, ohne Rücksicht auf die verfahrensrechtlichen Folgen, systematisch geordnete Regeln und damit eine Dogmatik des Beweisverbots zu finden217. b) Die beiden Wege der Eigenständigkeitslehren. Bei den eigenständigen Beweis- 114 Verbotslehren werden im wesentlichen zwei Wege beschritten. Ausgehend von einer bestimmten Definition des Beweisverbots wird einmal versucht, auf formalem Wege durch eine Einteilung der Beweisverbote zu dem Ziel einer Beweisverbotslehre zu gelangen (unten Rdn. 115 f). zum anderen durch eine Verbindung formaler und materialer Kriterien (unten Rdn. 129 ff). 2. Die formalen Beweisverbotslehren a) Beweisverbote als Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote aa) Innerhalb der Beweisverbote wurden zunächst zwei sich gegenseitig überschnei- 115 dende Mengen unterschieden: einmal Beweisverwertungsverbote (s. oben Rdn. 14) und zum anderen Beweiserhebungsverbote (Verbote der Ermittlung bestimmter Tatsachen oder der Benutzung bestimmter Beweismittel). Diese Einteilung ist auch derzeit noch weitgehend anerkannt 218 ; zur Kritik s. oben Rdn. 111 f. bb) Auch in der Literatur wird ganz überwiegend auch derzeit noch die Frage als ent- 116 scheidend angesehen, ob der Verstoß gegen ein Erhebungsverbot stets auch ein Verwertungsverbot zur Folge hat oder nicht. Damit aber erweist es sich als notwendig, aus dem Kreis aller denkbaren Verstöße gegen die Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung diejenigen herauszufiltern, die als Verstöße gegen Beweisverwertungsverbote die Revision begründen 219 . Die hier behandelten formalen Beweisverbotslehren versuchen dies auf dem Weg über eine formale Einteilung zu erreichen, wie nunmehr dargelegt werden soll. 216
2,7
218
So die treffende Beschreibung von Rengier 291 mit weit. Nachw. Vgl. die Nachweise bei Gössel FS Bockelmann 802; NJW 1981 649 und GA 1991 483; s. ferner Bockemühl 94 f; Kelnhofer 51 ff. Vgl. z.B. KK-Pfeiffer Einl. 118 ff; KMR-Paulus § 244,486,489; Kleinknecht/Meyer-Goßner" Einl. 50; AK-Kühne vor §48, 48; Ranft 1582; Roxin §24, 16 ff; Rüping3 135; Alsberg/Niise/Meyer 431 f; Bockemuhl 92; Kelnhofer 48; Gössel JZ
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219
1984 361; Gropp 217; Rogall System 143; ablehnend dazu Peres 14; „Differenzierung überflüssig"; zweifelnd auch Grünwald (Beweisrecht) 142. Wenn auch ein nur in etwa repräsentativer rechtsvergleichender Überblick hier nicht geboten werden kann, so sei gleichwohl darauf hingewiesen, daß in einigen zum common-law Rechtskreis gehörenden Ländern (Australien, England, Irland, Kanada, Neuseeland, Schottland, USA) auch gesetzeswidrig erlangte Beweise in das Verfahren einge-
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Einleitung
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cc) Formal anknüpfend an die Unterscheidung von Beweiserhebungs- und -verwertungsverboten und ausgehend von der Annahme, Verstöße gegen Beweisverwertungsverbote setzten einen vorhergehenden Verstoß gegen Beweiserhebungsverbote voraus, hat man zunächst versucht, bestimmten Arten von Beweiserhebungsverboten ein Verwertungsverbot zuzuordnen, anderen dagegen nicht.
118
b) Einteilung der Beweiserhebungsverbote. Den wohl umfangreichsten Versuch einer systematischen Einteilung der Beweisverbote insgesamt hat Peters in seinem Gutachten für den 46. DJT unternommen und die jeweilige Art der Beweisverbote darüber entscheiden lassen, ob sie ein Verwertungsverbot darstellen oder dazu führen 220 . Von diesem auf Belings Vorarbeiten zurückgehenden Vorschlag hat die Einteilung der Beweisverbote in Beweisthemen-, Beweismittel- und Beweismethodenverbote, als Unterarten der Beweiserhebungsverbote verstanden, allgemeine Anerkennung gefunden 221 . Über einen gewissen didaktischen und systematischen Wert hinaus kann diesen Einteilungen indessen keine Bedeutung zuerkannt werden: Versuche, aus der Art eines Beweiserhebungsverbotes Merkmale zur Bestimmung von Heilungsmöglichkeiten hinsichtlich begangener Verstöße oder zur Bestimmung von Verwertungsverboten herzuleiten, dürften als gescheitert zu beurteilen sein 222 , nicht zuletzt auch deswegen, weil die eindeutige Einordnung der einzelnen Erhebungsverbote in die je vorgeschlagenen Unterarten nicht überzeugend gelungen ist, wie im folgenden dargelegt werden wird.
119
aa) Beweisthemenverboten zufolge dürfen bestimmte Sachverhalte nicht ermittelt werden: so ζ. B. die dem richterlichen Beratungsgeheimnis und der Amtsverschwiegenheit unterliegenden Gegenstände (§ 43 DRiG; § 54 StPO), ferner getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen (§ 51 BZRG). 120 Die Zugehörigkeit von Beweiserhebungsverboten zu dieser Untergruppe sagt indessen nichts darüber aus, ob bei etwaigem Verstoß ein Verwertungsverbot vorliegt. So statuiert zwar § 51 BZRG ausdrücklich ein Verwertungsverbot, jedoch nur für den Regelfall: Tat und Verurteilung dürfen entgegen §51 BZRG festgestellt werden, wenn sich der Angeklagte zu seiner Entlastung darauf beruft 223 — und während ein Verstoß gegen § 43 DRiG stets zu einem Verwertungsverbot führt 224 , kann umgekehrt die Offenbarung von
führt werden dürfen. Bis auf Kanada und die USA wird dem Richter aber das Recht zugestanden, in bestimmten schwerwiegenden Fällen Beweise auszuschließen, in England dann, wenn die Zulassung der Beweise sich unfair gegen einen Angeklagten auswirken würde (.judicial discretion to exclude evidence on the ground that the strict rules of admission would operate unfairly against an accused"), was in Fällen eines auch die Täuschung umfassenden „entrapment" (Fallenstellens) - im Gegensatz zu § 136 a Abs. 1 Satz 1 StPO - ausdrücklich verneint wird (zitiert nach: Report of the Federal/Provincial Task Force on Uniform Rules of Evidence, Carswell Ltd, Toronto 1982 S. 226). In den USA ist der Grundsatz der Zulässigkeit auch gesetzeswidrig erlangter Beweise weitgehender eingeschränkt: jeder Beweis, der unter Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte eines Bürgers erlangt wird, ist automatisch ausgeschlossen (Report S. 229 aaO). In Italien kann nur die „Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften", deren Einhaltung bei sonstiger Nichtigkeit, Unverwendbarkeit,
220
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223 224
Unzulässigkeit oder bei sonstigem Ausschluß festgesetzt ist, mit der Revision gerügt werden (Art. 606 Abs. 1 Buchst, c der italienischen Strafprozeßordnung, zitiert nach der zweisprachigen Textausgabe bei Athesia, Bozen 1991). Zur Rechtslage in Österreich s. Schmoller FS Platzgummer 283. Für ein ausnahmsloses Verwertungsverbot bei allen „unter Verletzung von Rechtsnormen gewonnene(n) Beweismittel(n)" aber Bemsmann StraFo. 1998 73 f. Peters Verh. des 46. DJT (1966) Band I 91, 99, 106 ff. LR-ÄT. SchäferEinl. 14 3 ff; K K - P f e i f f e r Einl. 119; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 51 ff; ebenso Mi-Kühne Vor § 48, 48; Roxin § 24, 14; Ranft 1583, die indessen zusätzlich noch die Gruppe der sog. relativen Beweisverbote nennen. K M R - / W i u § 244, 493; AK -Kühne vor § 48, 48; Dalakouras 107; Roger 9; Gössel GA 1991 484. BGHSt27 108, 109. Vgl. z.B. Ranft 1585.
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Dienstgeheimnissen ohne die erforderliche Genehmigung entgegen § 54 StPO die Revision und damit ein Verwertungsverbot gerade nicht begründen (s. § 54, 31 StPO). Auch über Heilungsmöglichkeiten kann die Zugehörigkeit zu der hier behandelten 121 Untergruppe von Erhebungsverboten nicht entscheiden: während eine nachträgliche Genehmigung in den Fällen des § 54 StPO zur Heilung des jeweiligen Verstoßes führen kann, dürfte sich in den übrigen Fällen die Revisibilität nur dadurch ausschließen lassen, daß der verbotswidrig ermittelte Sachverhalt bei der Urteilsfindung außer acht gelassen und also das Verwertungsverbot doch noch beachtet wird: Aussagen über Heilungsmöglichkeiten lassen sich demgemäß nur unter Beachtung der Besonderheiten des jeweiligen Verbots machen. Darüber hinaus erscheint eine eindeutige Zuordnung zu dieser Gruppe schon deshalb 122 kaum möglich, weil einerseits § 54 StPO auch dem sogleich zu erörternden Beweismittelverbot zugeordnet werden kann 225 , aber andererseits auch das Umgekehrte gilt (Vernehmung unter Verstoß gegen § 252). bb) Beweismittelverbote sollen bestimmte Beweismittel von der Wahrheitsermittlung 123 ausschließen 226 , wie ζ. B. der entgegen § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO, § 55 Abs. 2 StPO unbelehrt gebliebene Zeuge oder das schriftliche privatärztliche Gutachten über schwere Körperverletzungen als von § 256 StPO verbotener Urkundenbeweis; als „Verlängerung" oder „Ergänzung" des § 52 StPO 227 gehört auch das Verbot zur Feststellung des Inhalts der früheren Aussage des sein Zeugnisverweigerungsrecht erst später geltendmachenden Zeugen durch andere Beweismittel (Vernehmungsprotokolle, Verhörspersonen — s. dazu die Erläuterungen zu § 252 StPO) hierher. Auch hier läßt die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe von Beweiserhebungsverboten 124 keine Aussage darüber zu, ob deren Verletzung ein revisibles Verwertungsverbot zur Folge hat: ein Verstoß gegen § 256 StPO begründet die Revision (s. Erläuterungen zu § 256 StPO), ebenso die Vernehmung des nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO unbelehrt gebliebenen Zeugen, nicht aber diejenige des Zeugen, der entgegen § 55 Abs. 2 StPO nicht belehrt wurde — und zudem läßt sich eine eindeutige Abgrenzung zur Gruppe der Beweisthemenverbote schon aus den oben Rdn. 122 dargelegten Gründen nicht erreichen. Für etwaige Heilungsmöglichkeiten gelten die Ausführungen zu Rdn. 121 entsprechend. cc) Beweismethodenverbote liegen vor, ist eine bestimmte Art der Beschaffung 125 eines Beweismittels absolut oder relativ (nach den Umständen des Einzelfalles) unzulässig, während andere Methoden aber zur Verfügung stehen. Beispiele: der Ausforschungsbeweis, die Herbeiführung der Aussage des Beschuldigten oder der Bekundung eines Zeugen auf die in §§ 136 a, 69 Abs. 3 StPO verbotene Weise; die Ermittlung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten durch eine Liquorentnahme (§ 81 a StPO) unter Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei unerheblichen Straftaten 228 oder durch eine Blutentnahme durch einen Nichtarzt. Bei dieser Gruppe ist schon die Zuordnung außerordentlich problematisch: der gefol- 126 terte Zeuge könnte ebenso wie die durch den Nichtarzt entnommene Blutprobe als verbotenes Beweismittel angesehen werden, weshalb in der Literatur das Beweismethodenverbot sogar mit dem Beweismittelverbot als identisch angesehen wird 229 . Ebensowenig erlaubt die Zugehörigkeit zur Gruppe der Beweismethodenverbote Aussagen über das Vorliegen eines Verwertungsverbots als deren Wesen oder Folge 230 : während § 136 a 225 Vgl. Ranft 1592; Rengier 284 f. 226 Vgl. ζ. B. Roxin § 24, 14. 227 Vgl. ζ. B. Kleinknecht/Meyer-Goßner»
228
§ 252, 1.
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BVerfGE 16 194, 202; näher Erläuterungen zu § 8 1 a StPO. AK-Kühne Vor § 4 8 , 4 8 . Alsberg/NUse/Meyer 477.
Karl H e i n z G ö s s e l
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Einleitung
StPO in seinem Absatz 3 ein eindeutiges Verwertungsverbot normiert, hat die Rechtsprechung die Verwertung einer von einem Nichtarzt entnommenen Blutprobe (Verstoß gegen § 81 a StPO) zugelassen 231 , dagegen nicht die Liquorentnahme bei unerheblichen Straftaten 232 . Etwaige Heilungsmöglichkeiten sind auch hier nach den Besonderheiten des jeweiligen Verbots zu beurteilen (s. oben Rdn. 121). 127
dd) Weitere Einteilungen. Auch sonstige in der Literatur vorgeschlagene Einteilungen der Beweisverbote bringen keine Aufschlüsse über solche Merkmale, die Beweisverwertungsverbote eindeutig kennzeichnen könnten. Soweit mit relativen Beweisverboten die gesonderte Erfassung der nur durch bestimmte Personen anzuordnenden oder durchzuführenden Sachverhaltsermittlung vorgeschlagen wird, werden lediglich die schon oben erwähnten Gruppen der Beweismittelverbote 233 und der Beweismethodenverbote erfaßt; insoweit gelten die obigen Ausführungen zu Rdn. 123 mit 126 entsprechend.
128
Ob es sog. Beweisregelungs- oder Beweisverfahrensverbote gibt, „die aus Gründen der äußeren guten Ordnung des Verfahrens Modalitäten der Beweiserhebung regeln" 234 , aber niemals „die Gewinnung eines bestimmten Beweises verbieten oder ausschließen" können 235 , wird hier nicht für bedeutsam erachtet 236 . Entscheidend erscheint allein, ob eine bestimmte Norm die Sachverhaltsermittlung beschränkt oder nicht, und das ist auch bei jenen Vorschriften der Fall, welche die Tatsachenfeststellung an bestimmte Formen oder inhaltliche Voraussetzungen binden (oben Rdn. 11). Bedenkt man zudem, daß auch hier die Zuordnung von Verbotsnormen zu dieser Gruppe erhebliche Schwierigkeiten bereitet, wie sich etwa schon daraus ergibt, daß das Verbot der Blutentnahme durch einen Nichtarzt dieser Gruppe zugeordnet wird 237 , welches zuvor schon der Gruppe der relativen Beweisverbote und der der Beweismethodenverbote (mit Abgrenzungsproblemen zur Gruppe der Beweismittelverbote) zuzuordnen vorgeschlagen wurde, so dürften sich auch aus dieser Einteilung keine Kriterien zur Bestimmung von Beweisverwertungsverboten herleiten lassen. 3. Formal-materiale Beweisverbotslehren
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a) Wesen. Versuche, bloß aus einer formalen Einteilung der Beweisverbote Aufschlüsse über das Wesen der Beweisverbote zu erlangen, erscheinen über die soeben abgelehnten Modelle hinaus aber auch künftig schon deshalb nicht erfolgversprechend, weil einer bloßen formalen Ordnung keine inhaltlichen Kriterien zur näheren Bestimmung auch nur eines Teils der zu ordnenden Gegenstände entnommen werden können. Schon deshalb hat man zu Recht von jeher versucht, unter Übernahme der formalen Einteilung der Beweisverbote in Erhebungs- und Verwertungsverbote die zuletzt genannte Gruppe auch material nach inhaltlichen Kriterien zu bestimmen, die an das Wesen und die Zweckbestimmung der jeweiligen Beweisverbote anknüpfen, aber ebenso an die Bedeutung der hier betroffenen — und kollidierenden — Interessen.
130
Standen zunächst Versuche im Vordergrund, über das Vorliegen von Beweisverwertungsverboten nur bestimmte einzelne Merkmale entscheiden zu lassen (faktorielle Ansätze, unten Rdn. 131 f)> so folgten doch schon bald komplexe Ansätze, in denen Wesen, Funktion oder Zweck von Beweisverboten mit bestimmten Methoden zur Bestimmung von Verwertungsverboten und der dabei heranzuziehenden Merkmale verschmolzen wurden (unten Rdn. 135 f). 231 232 233 234
BGHSt 24 125. BVerfGE 16 1 94. So AK-Kühne vor § 48, 48. LR-/C. Schäfer» Einl. 14 8.
235 236 237
Rengier 283. Gegen diese Einteilung Alsberg/Nüse/Meyer LR-ÄT. Schäfer™ Einl. 14 9.
Stand: 1. 8. 1998
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Beweisverbote
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b) Faktorielle Ansätze aa) Wie insbesondere die übersichtliche Darstellung bei Rogall zeigt, gehen diejenigen 131 Autoren, die (im Regelfall mehrere) einzelne inhaltliche Merkmale über das Vorliegen von Verwertungsverboten entscheiden lassen wollen, von einer bestimmten Funktion oder einem bestimmten Zweck derjenigen Rechtsregel aus, die mit dem Erlangen oder der Verwertung der jeweiligen Erkenntnis verletzt worden war oder aber im Falle ihrer erst bevorstehenden Erlangung oder Verwertung verletzt worden wäre 238 . So wurde den Beweisverwertungsverboten ζ. B. die Funktion beigelegt, „das Opfer mit einem wirksamen Rechtsmittel aus(zu)statten" 239 , die Wahrheitsfindung des Gerichts vor der Verwendung erfahrungsgemäß fehlerträchtiger „Mittel und Wege" 240 zu bewahren, die Reinheit des Verfahrens zu erhalten 241 oder die sittliche Überlegenheit des Staates 242 zu sichern, „den Strafverfolgungsbehörden den Anreiz zur rechtswidrigen Gewinnung von Beweismitteln zu nehmen" 243 oder mögliche „Gefahren für die spezialpräventive Wirkung der Strafe" 244 wegen fehlerhaften staatlichen Verhaltens bei der Sachverhaltsfeststellung 245 ebenso abzuwenden wie solche für die generalpräventive Funktion der Strafe, die in der „Erhaltung und Schaffung des Bewußtseins sozialethischer Werte" liege 246 . So verdienstvoll und erhellend die Herausarbeitung dieser möglichen Zwecke von 132 Beweisverboten auch ist, so dürfte sich auf diese Weise dennoch eine ausreichend klare Bestimmung der Verwertungsverbote nicht erreichen lassen: führen doch letztlich alle genannten Zwecke bei jedwedem Verstoß gegen Normen über die Sachverhaltsermittlung zur Annahme eines Verwertungsverbots 247 . bb) Gleiches gilt auch für den Ansatz von Peres, der ein Verwertungsverbot immer 133 dann annehmen will, wenn „Rechte von Verfahrensbeteiligten, Rechtsgüter der Allgemeinheit oder Staatsinteressen verletzt" werden 248 : jedwede fehlerhafte Sachverhaltsermittlung verstößt gegen das Recht des Angeklagten auf eine prozeßordnungsgemäße Verfahrensweise und würde deshalb ausnahmslos zu einem Verwertungsverbot führen. Nichts anderes gilt aber auch für die sog. Schutzzwecklehren, die ein Verwertungsverbot immer dann annehmen wollen, werden die von den jeweiligen Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung verfolgten Schutzzwecke beeinträchtigt 249 . Ebensowenig überzeugt der derzeit wohl neueste Ansatz zur Charakterisierung des 134 Verwertungsverbots als Verletzung eines Informationsbeherrschungsrechts, welches durch das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Unterlassung von Informationsverarbeitung gekennzeichnet wird 250 : diese Auffassung kann einmal die Verwertung 238 239 240
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Rogall ZStW 91 (1979) 11 ff. Vgl. dazu die Übersicht bei Otto GA 1970 290. Eb. Schmidt MDR 1970 461, 464; dagegen Schöneborn MDR 1971 713, 715; für diesen Zweck in Fällen der §§ 250 ff Amelung (Informationsbeherrschungsrechte) 28. Osmer 10 ff; ähnlich Reinecke 181 ff: „Innerprozessuales Sanktionsprinzip". Eb. Schmidt^ 136 a, 21. Grünwald JZ 1966 499. So Rogall in seiner Übersicht ZStW 91 (1979) 13. Vgl. Otto GA 1970 300. Dencker (Verwertungsverbote) 60, 72; ähnlich auch Ranft FS Spendel 724: Befriedungsfunktion des Strafverfahrens. Vgl. dazu Gössel NJW 1981 650 f und GA 1991 485; grundlegende Kritik ferner ζ. B. bei Rogall ZStW 91 (1979) 11 ff und auch Dencker (Verwer-
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tungsverbote) 47 ff, der allerdings das Wesen eines Verwertungsverbots in der Störung der generalpräventiven Funktion der Strafe - 59 ff - erblickt. Peres 136. So ζ. B. Grünwald (Beweisrecht) 155; die von Grünwald insoweit anerkannte einzige Ausnahme - kein Verwertungsverbot bei irreparablen Verletzungen „von Interessen anderer Personen als des Beschuldigten, der Allgemeinheit oder des Staates", S. 152 - überzeugt deshalb nicht, weil auch bei vorhergehenden irreparablen Interessenverletzungen durch die öffentliche Verhandlung der fehlerhaft gewonnenen Tatsachen die bereits verletzten Interessen erneut betroffen wären. Stürmer 234 f im Anschluß an Amelung (Informationsbeherrschungsrechte); vgl. dazu auch Amelung (FS Bemmann) 510 ff.
Karl Heinz Gössel
Einl. A b s c h n . Κ
Einleitung
von Sachverhalten, die unter Verstoß gegen § 250 Satz 2 StPO gewonnen wurden, einem Verwertungsverbot nicht unterwerfen und zudem nicht erklären, warum Verstöße gegen Informationsbeherrschungsrechte von Zeugen (§§ 52, 53, 54 und 55 StPO) gegenüber dem Angeklagten zu einem Verwertungsverbot führen können und warum in welchen Fällen nicht 251 . 135
c) Komplexe Ansätze. Aus der Vielzahl der die Verwertungsverbote zusammenfassend nach deren Wesen, Funktion oder Zweck bestimmenden Lehren können hier nur einige wenige erwähnt werden, die bisher besondere Beachtung gefunden haben.
136
aa) Nach Dencker dienen alle Verwertungsverbote dem oben Rdn. 131 bereits erwähnten Zweck, mögliche Gefahren für die Beeinträchtigung der generalpräventiven Wirkung der Strafe abzuwenden, und im Falle ihrer Unselbständigkeit „folgen" sie „auf jeden rechtswidrigen staatlichen Beweisgewinnungsakt, bei dem ein Individualrechtsgut verletzt wird" — im Falle ihrer Selbständigkeit „finden" sie „ihre Begründung in den durch eine Verwertung drohenden Vertrauensschäden, die die Ausübung geschützter Rechte verhindern oder beeinträchtigen könnten" 252 , wobei Dencker zur Feststellung einer Rechtsverletzung auf den Schutzzweck der Norm abstellt 253 .
137
Unabhängig von den bereits oben Rdn. 131 erhobenen Bedenken gegen die von Dencker den Verwertungsverboten beigelegten Zwecken ist hiergegen indessen vorzubringen, daß ζ. B. in §§ 81 a, 81 d StPO Beweisverbote enthalten sind, die selbst wie auch deren Schutzzweck ζ. B. mit der Blutentnahme durch einen Nichtarzt bzw. der körperlichen Untersuchung durch einen Mann beeinträchtigt werden, ohne aber zugleich Verwertungsverbote darzustellen (allerdings will Dencker im Fall des § 81 a StPO ein Verwertungsverbot bejahen 254 ), während umgekehrt die Verlesung der Niederschrift einer Zeugenaussage etwa entgegen § 250 Satz 2 StPO; § 325 StPO ebensowenig eine Individualrechtsgutsverletzung erkennen läßt wie die Verlesung des Gutachtens eines privatrechtlich organisierten Krankenhauses entgegen § 256. Im übrigen erscheint auch kaum einsichtig, die Verwertung tilgungsreifer Straftaten entgegen § 51 BZRG deshalb für unzulässig zu halten, weil anders ein Vertrauensschaden entstünde, der die Ausübung geschützter Rechte auch nur beeinträchtigen könnte.
138
bb) Rogall erblickt das Wesen der selbständigen wie der unselbständigen Verwertungsverbote einheitlich darin, „Schutzinstrumente des Einzelnen gegenüber der staatlichen Strafverfolgung" zur „Durchsetzung der Individualrechtsgüter im Strafverfahren" zu sein 255 und knüpft daran die Frage nach der Feststellung eines Verwertungsverbots, die aufgrund einer Abwägung zwischen den hier kollidierenden Interessen des Individualrechtsschutzes mit den Strafverfolgungsinteressen „unter Berücksichtigung der Fehlerschwere, der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des verletzten . . . Interesses sowie des obwaltenden Strafverfolgungsinteresses zu beantworten" sei 256 , ein Verfahren, welches er als „normative Rechtsfolgenlehre" bezeichnet 257 .
139
Aber auch diesem Ansatz wird schon deshalb nicht gefolgt werden können, weil auch hier die Fälle von Verwertungsverboten ohne Individualrechtsbeeinträchtigung (oben Rdn. 137: §§ 250 Satz 2; 325, 256 StPO) nicht erfaßt werden und mangels eines beein251 252 253 254 255 256
Ablehnend auch Ackemann 183 ff. Dencker Hl. Dencker 92. Dencker 97. Rogall ZStW 91 (1979) 21. Rogall (Rudolphi-Symp.) 157 und schon früher ZStW 91 (1979) 22 ff; diesem zustimmend gegen
257
die hier vorgebrachte Kritik Bockemühl 104 ff; ähnlich auch SK-Wolter vor § 151, 196, 201 ff; vgl. auch 5. Schröder 51 ff: Abwägung nur insoweit, als sie nicht schon vom Gesetz vorgenommen wurde. JZ 1996 948.
Stand: 1. 8. 1998
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Beweisverbote 258
trächtigten Individualrechtsguts eine Abwägungssituation fehlt — aus dem gleichen Grunde kann auch den bisher vorgeschlagenen Kombinationen des Abwägungsansatzes mit anderen Kriterien nicht zugestimmt werden 259 .
V. Eigene Auffassung 1. Ausgangspunkt a) Beurteilung der bisherigen Diskussion. Die Auseinandersetzung um die Beweis- 140 verbotslehre in Wissenschaft und Praxis darf insoweit als fruchtbar bezeichnet werden, als doch mindestens die wichtigsten Gesichtspunkte zur Entwicklung einer entsprechenden Dogmatik benannt und diskutiert werden konnten. Auf einem derart schwierigen und umstrittenen Gebiet wird dies schon als ein nicht unerheblicher Erkenntnisfortschritt gedeutet werden dürfen. Gleichwohl ist das Ziel noch nicht erreicht (s. dazu auch oben Rdn. 16). Wie oben Rdn. 117 ff, 129 ff dargelegt wurde, stehen den bisher in der Wissenschaft entwickelten Ansätzen noch erhebliche Bedenken entgegen. Auch der Rechtsprechung ist es schon angesichts der Vielzahl der zur Bestimmung von Beweisverwertungsverboten verwendeten Kriterien bisher nicht gelungen, Regeln zu einer auch nur überwiegend sicheren Beurteilung des Vorliegens von Beweisverwertungsverboten zu entwikkeln 260 . Dies dürfte mindestens auch darin seine Erklärung finden, daß einmal zu Recht auf die konkrete Entscheidung im Einzelfall abgestellt wird, zum anderen aber der Komplexität der Beweisverbotsproblematik nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. Nach der hier vertretenen Auffassung müssen alle bisher entwickelten Ansätze berücksichtigt werden, wobei letztlich doch einseitige Antagonismen 261 in ihrer zumeist nur scheinbaren Gegensätzlichkeit zu erkennen und von einer übergreifenden Betrachtungsweise abzulösen sein werden. Dies soll hier unter Vermeidung einer die verschiedenen Ansätze bloß kumulativ zusammenfassenden Verfahrensweise 262 auf einem methodischen Weg versucht werden, der an anderer Stelle als Weg zur Rechtsgewinnung beschrieben wurde: in einem prozeßhaften Zusammenwirken von Natur der Sache, Normwortlaut, Gesetzessystematik und Kriminalpolitik 263 . b) Entscheidende Fragestellungen. Wer wissen will, was ein Verwertungsverbot ist, 141 muß zunächst, insoweit im Einklang mit der oben Rdn. 113 dargelegten Eigenständigkeitslehre, den Begriff der Verwertung selbst zu klären versuchen. Vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Natur der Sache unter zusätzlicher Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs der Rechtssätze läßt sich Beweisverwertung als Bewertung wahrgenommener Tatsachen als tatsächliche Entscheidungsgrundlage im Vorgang der Beweiswürdigung bestimmen (oben Rdn. 3 ff). Die daran anschließende Frage, in welchen Fällen es verboten ist, bestimmte Tatsa- 142 chen oder Sachverhalte zum Gegenstand der Beweiswürdigung und damit zur tatsächli258
259
Gegen die Abwägungslehre insbesondere und zumeist die Vertreter der Schutzzwecklehren (oben Rdn. 137), vgl. ζ. B. Grüner 39, der in bedenkenswerter Weise auf die Gefahr der Abwägungslehre hinweist, Verwertungsverbote zu Instrumenten „tatrichterlicher Billigkeitserwägungen" werden zu lassen. Vgl. dazu Beulke 663 f: Schutzzweckkriterium als vorrangiges Merkmal mit subsidiärem Einsatz der Abwägungslehre bei aus der Verfassung ableitbarer Beweismittelbeschränkung', Fezer (Grundfragen) 38 und Koriath 105: Abwägung in besonders gelagerten Fällen bei selbständigen Verwertungs-
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verboten, bei unselbständigen Verboten stets Verwertungsverbot. Kritisch zur Rechtsprechung insbesondere des BVerfG Frank 75. Etwa zwischen revisionsrechtlichem Ansatz und einer eigenständigen Beweisverbotslehre - so ζ. B. Rogall ZStW 91 (1979) 7 f - oder auch - so ζ. B. Grünwald (Beweisrecht) 155 - zwischen Schutzzweck- und Abwägungslehre. Auf diese Gefahr weist SK-Wolter Vor § 151, 197 zu Recht hin. Gössel FS Peters 41.
Karl Heinz Gössel
Einl. Abschn. Κ
Einleitung
chen Entscheidungsgrundlage zu machen (oben Rdn. 5 ff), muß sich mit zwei Problemen auseinandersetzen: einmal mit dem Verstoß gegen die rechtlichen Regeln, die Tatsachen oder Sachverhalte als (un)taugliche Gegenstände der Beweiswürdigung bestimmen, zum andern mit der Belastung regelmäßig des Angeklagten (denkbar allerdings auch eines anderen Verfahrensbeteiligten wie ζ. B. des Privatklägers, s. dazu unten Rdn. 155 f) durch diesen Verstoß. 143
aa) Die hier in Betracht kommenden Regeln finden sich nicht etwa nur in der StPO, sondern in vielen Bereichen der Rechtsordnung wie ζ. B. in § 393 Abs. 2 AO, insbesondere auch im Grundgesetz. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, einen Verstoß gegen die Rechtsordnung insgesamt als Voraussetzung eines Verwertungsverbotes anzusehen. Ob ein solcher Verstoß vorliegt, ist unter dem Gesichtspunkt des jeweiligen Regelwortlauts, des systematischen Zusammenhangs der Gesetze und der Kriminalpolitik u. a. unter Heranziehung der von den jeweiligen Regeln verfolgten Zwecke, insbesondere etwaiger Schutzzwecke, zu beurteilen, unter Umständen auch von einer Abwägung der etwa jeweils kollidierenden Interessen abhängig (unten Rdn. 146 ff).
144
bb) Die zweite Frage nach der Belastung des Angeklagten etc. durch verbotene Beweisverwertung ist mit dem Rechtsmittelrecht verknüpft; vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Natur der Sache ist hier zu berücksichtigen, ob der Angeklagte durch verbotene Beweiswürdigung in seinen Rechten beeinträchtigt ist und ob das Urteil darauf beruhen kann (unten Rdn. 154 ff). 2. Der Verstoß gegen die Rechtsordnung
145
a) Umfang. Das als Würdigungsverbot zu verstehende Verwertungsverbot bezieht sich im Vorgang der Beweiswürdigung sowohl auf die wahrnehmende Feststellung von Tatsachen als auch auf deren Bewertung (oben Rdn. 3 ff).
146
aa) Obwohl Tatsachen in der Hauptverhandlung in zulässiger Weise wahrgenommen wurden, kann deren Bewertung im Rahmen der Beweiswürdigung und damit deren Verwertung (oben Rdn. 141) verboten sein: so ζ. B. die Aussage des früheren Mitangeklagten A, der nach Verfahrensabtrennung im Verfahren gegen den übriggebliebenen Β von dem ihm jetzt zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Aber auch umgekehrt kann eine unzulässige Ermittlung von Tatsachen (polizeiliche Vernehmung des Beschuldigten ohne Belehrung über das bestehende Schweigerecht) der richterlichen Würdigung in der Hauptverhandlung und damit der urteilsrelevanten Verwertung durchaus zugänglich sein: so etwa in den Fällen, in denen der im Vorverfahren unbelehrt gebliebene und aussagende Beschuldigte sein Schweigerecht kannte oder in der Hauptverhandlung der Verwertung seiner früheren Aussagen nach Belehrung nicht widersprach (oben Rdn. 47).
147
bb) Darin zeigt sich die oben Rdn. 106 f, 112 aufgezeigte Unabhängigkeit des Verwertungsverbots von einem Erhebungsverbot ebenso wie auch darin, daß das Verwertungsverbot sich auch auf solche Tatsachen erstreckt, die ohne jeden Verstoß gegen Erhebungsverbote gar nicht erst in die Hauptverhandlung eingeführt wurden: so das bloße Sonderwissen eines Richters, welches erst in der Beratung des Richterkollegiums bekannt gegeben wird, ferner Tatsachen, die wegen Prozeßhängigkeit (Rechtshängigkeit) oder Rechtskraft oder der fehlenden Anklage nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden.
148
Dieser Unabhängigkeit wegen erscheint daher die Frage einzig sinnvoll, ob zu irgendeinem Zeitpunkt während des Strafverfahrens bei auf die Gewinnung der tatsächlichen Urteilsgrundlage abzielenden Maßnahmen gegen die Rechtsordnung verstoßen wurde. Stand: 1. 8. 1998
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Beweisverbote
Einl. A b s c h n . Κ
In welchem Verfahrensstadium, etwa im Vorverfahren, dies geschah, ist ebenso gleichgültig (oben Rdn. 108) wie die Frage, ob der Verwertung ein Verstoß gegen ein Erhebungsverbot (man denke hier nur an die unselbständigen Verwertungsverbote, s. oben Rdn. 106) vorausging oder nicht. Damit kann es für das Vorliegen eines Verwertungsverbotes weder darauf ankom- 149 men, in welchem Verfahrensstadium mit der Wahrnehmung von Tatsachen gegen ein Erhebungsverbot verstoßen wurde noch darauf, ob dies überhaupt der Fall war. Werden etwa Notizen aus dem Tagebuch des Beschuldigten zur tatsächlichen Urteilsgrundlage, so ist allein entscheidend, ob die darin liegende Verwertung gegen die Rechtsordnung verstößt (Rdn. 143) oder nicht. Es kommt nicht darauf an, ob ein Erhebungsverbot im Vorverfahren oder erst später verletzt wurde: der mit der verbotenen Wahrnehmung des Tagebuchinhalts anläßlich der Durchsicht nach § 110 StPO verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wird bei der Einführung in die Hauptverhandlung regelmäßig wiederholt werden, kann aber wegen der späteren Zustimmung des Beschuldigten auch geheilt sein — umgekehrt aber wird bei etwa unerlaubter Blutentnahme der Verstoß gegen das Erhebungsverbot des § 81 a StPO bei der Einführung des Ergebnisses der Blutuntersuchung auch dann nicht wiederholt werden, wenn das Ergebnis der Blutprobenentnahme (ausnahmsweise 264 ) unverwertbar ist. b) Feststeilung aa) Ob die Rechtsordnung der Würdigung bestimmter Tatsachen für die Urteilsfin- 150 dung entgegensteht, ist zunächst dem jeweiligen Wortlaut der je in Betracht kommenden Regeln über die Sachverhaltsermittlung zu entnehmen (so ζ. B. bei den ausdrücklichen Verwertungsverboten des § 51 Abs. 1 BZRG und des § 136 a Abs. 3 StPO, s. auch oben Rdn. 15), kann darüber hinaus aber — zumeist — erst aus dem Gesetzeszusammenhang erschlossen oder unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten entschieden werden: so ζ. B. das Verbot des Vorhalts einer früheren Aussage nach Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts (s. Erläuterungen zu § 252 StPO). Die vom Gesetz ausdrücklich normierten Verwertungsverbote mögen auch als absolute Verwertungsverbote bezeichnet werden, weil unabhängig von weiteren Erwägungen (etwa nach den Abwägungs- oder Schutzzwecklehren) mit dem bloßen Gesetzesverstoß schon ein Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot zu bejahen ist; freilich kann auch in diesen Fällen die Revision nur begründet sein, beruht das Urteil auf einer Verletzung des in diesem Sinne absoluten Verwertungsverbotes (s. dazu unten Rdn. 163 ff, 171). bb) Zumeist allerdings wird sich das (Nicht-)Vorliegen eines Verstoßes gegen die 151 Rechtsordnung erst unter zusätzlicher Berücksichtigung anderer verfassungsrechtlich oder sonst kriminalpolitisch bedeutsamer Kriterien beurteilen lassen, wobei auf die von Ipsen entwickelte Unterscheidung von Grundrecht und grundrechtlich geschütztem Rechtsgut 265 Bedacht zu nehmen sein wird. Dieses Verfahren ist insbesondere zur Beantwortung der Frage anzuwenden, ob eine konkrete Maßnahme zur Sachverhaltsfeststellung ohne eine dazu speziell ermächtigende Befugnisnorm gegen die Rechtsordnung verstößt (s. dazu oben Rdn. 62 f) 266 · Hier dürfte die wahre Bedeutung der Zweckverfolgungslehren, der Abwägungs- und der Schutzzwecklehren liegen 267 , wie auch die der Beachtung des Verhältnismäßigkeitspinzips.
264
265
Vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner« §8la, 32 ff. Ipsen Gesetzliche Einwirkungen auf grundrechtlich geschützte Rechtsgüter JZ 1997 473.
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266 267
Vgl. dazu Perschke ζ. B. 32 ff, 102 ff. Zur Verbindung der letztgenannten Lehren s. auch Beulke 663 f; Fezer (Grundfragen) 38 und Koriath 105.
Karl Heinz Gössel
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Einleitung
152
Ob etwa Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, gegebenenfalls auch mit Art. 19 Abs. 2 GG, die gerichtliche Würdigung von Tatsachen verbietet, die in einem Tagebuch des Beschuldigten verzeichnet sind, wird nach derzeitiger Rechtsprechung zu Recht erst unter Heranziehung der Dreistufentheorie des Bundesverfassungsgericht nach Ausscheidung der Aufzeichnungen aus dem Kernbereich des Persönlichkeitsrechts und deren Zuordnung zur sonst geschützten Privatsphäre aufgrund einer Abwägung der hier kollidierenden Interessen entschieden werden können (Näheres oben Rdn. 76 ff) — und dies gilt auch für die von Privatpersonen unter Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Beschuldigten oder sonstiger Personen gewonnenen Erkenntnisse (oben Rdn. 84, 99 ΟΙ 53 Gleiches gilt für die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 53 StPO: ob diese Vorschrift auch die verwertende Würdigung früherer Aussagen des damals von seiner Schweigepflicht entbundenen Zeugen verbietet, läßt sich wohl mit dem Zweck des § 53 StPO verneinen, nur einer tatsächlich bestehenden Zwangslage des Zeugen gerecht werden zu wollen (s. oben Rdn. 39). Freilich ist damit allein noch nicht für ausreichende Klarheit gesorgt: besteht doch hinsichtlich der Verletzung von Zeugnisverweigerungsrechten generell erhebliche Unsicherheit. Wie oben Rdn. 28 ff bereits dargelegt wurde, hat der Bundesgerichtshof ζ. B. den Schutzbereich des § 52 StPO einmal auch auf den Persönlichkeitsbereich des Beschuldigten ausgedehnt, andererseits aber — und später — behauptet, § 52 StPO habe allein den Schutz des Zeugen im Auge 268 . Jedoch kann durch diese Schwierigkeiten die grundsätzliche Tauglichkeit des Schutzzweckkriteriums zur Bestimmung eines Regelverstoßes nicht in Frage gestellt werden. 3. Nachteilige Beweisverwertung 154
a) Bedeutung des Revisionsrechts. Urteilsfindung und Beweiswürdigung beziehen sich notwendig auf bestimmte Personen (§ 155 Abs. 1 StPO) und dürfen deshalb nicht absolut, losgelöst von konkret betroffenen Verfahrensbeteiligten beurteilt werden: Die Beweiswürdigung ist nicht abstrakt verboten, sondern nur zum Nachteil eines bestimmten Verfahrensbeteiligten: im Regelfall des Angeklagten. 155 aa) Angesichts der Machtfülle des strafverfolgenden Staates erscheint dies in der überwältigenden Mehrheit aller Fälle auch gerechtfertigt: schon der Grundsatz einer fairen Verfahrensführung fordert eine effektive Kontrolle und Beschränkung der dem Beschuldigten gegenüberstehenden Staatsgewalt. Gleichwohl kann und darf nicht übersehen werden, daß auch andere Verfahrensbeteiligte durch eine verbotene Beweiswürdigung in ihren Rechten beeinträchtigt werden können. 156 So erscheint es mindestens in besonders gelagerten Ausnahmefällen erörterungswürdig, Verwertungsverbote zur Vermeidung von Nachteilen anderer Verfahrensbeteiligter wie der Staatsanwaltschaft, Privat- und Nebenkläger oder der Beteiligten in Verfahren wegen Einziehungen und Vermögensbeschlagnahmen anzuerkennen, etwa dann, wird eine den Angeklagten entlastende Tatsache unter Verletzung des Kernbereichs der Persönlichkeit des Privatklägers ermittelt oder unter nach § 136 a StPO, § 69 Abs. 3 StPO verbotener Gewaltanwendung gegen einen Zeugen (was zur Anwendung des Satzes in dubio pro reo führen wird). Solche Fälle werden äußerst selten sein, können aber schon angesichts der wachsenden organisierten Kriminalität nicht mehr gänzlich in den Bereich der Exotik verwiesen werden und bedürfen daher einer bisher noch ausstehenden Diskussion, die hier (auch hinsichtlich möglicher Nachteile der Staatsanwaltschaft) nur angemahnt, aber nicht geleistet werden kann. 268 Vgl. einerseits BGHSt 11 213, 216 f, andererseits BGHSt 22 35, 37 f; s. im übrigen oben Rdn. 28 f
sowie ferner Gössel NJW 1981 652 f u n d GA 1991 488 ff.
Stand: 1. 8. 1998
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Beweisverbote
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bb) Jetzt schon aber wird durch diese Überlegungen eines unübersehbar: ohne Berück- 157 sichtigung des konkret durch eine verbotene Beweiswürdigung Betroffenen läßt sich von einem Verwertungsverbot nicht sinnvoll reden. Damit aber wird es notwendig, trotz entgegenstehender bedenkenswerter Stimmen im Schrifttum (s. oben Rdn. 17), in diesem Zusammenhang auch Elemente des Rechtsmittelrechts zu berücksichtigen 269 , insbesondere solche des Instituts der Revision — im übrigen auch deshalb, um ein „Auseinanderfallen von Revisions- und Beweisverbotsrecht" zu verhindern 270 . cc) Zum Nachteil des Angeklagten kann sich eine verbotene Beweiswürdigung nur 158 unter zwei Voraussetzungen auswirken: einmal muß die Rechtsstellung des Angeklagten dadurch beeinträchtigt sein (Beschwer des Angeklagten, unten Rdn. 159), und zum andern muß die verbotene Beweiswürdigung zu einer den Angeklagten belastenden tatrichterlichen Entscheidung geführt haben (Beruhensfrage, unten Rdn. 163 ff). b) Beschwer. Bleibt die Rechtsstellung des Angeklagten durch eine verbotene 159 Beweiswürdigung unangetastet, so kann von einem Verwertungsverbot schwerlich die Rede sein: betrifft die verbotswidrig gewürdigte Tonbandaufnahme nicht den Angeklagten A, sondern ausschließlich den Mitangeklagten B, so ist kein Verwertungsverbot zum Nachteil des Α verletzt. Es bleibt das Verdienst der vom Bundesgerichtshof entwickelten Rechtskreistheorie (oben Rdn. 21 f) 271 , diesen Gesichtspunkt nachhaltig betont zu haben. aa) Hier sind wiederum kriminalpolitische Überlegungen zum Schutzzweck von 160 Bedeutung: auch wenn der Schutzzweck des § 55 StPO durch die Vernehmung des insoweit unbelehrt gebliebenen Zeugen beeinträchtigt wurde, so doch nicht zwangsläufig ein gegenüber dem Angeklagten bestehender Schutzzweck212. Wer den Zweck des § 55 StPO ausschließlich im Schutz des Zeugen vor selbstbelastenden Aussagen erblickt, kann den Angeklagten durch einen Verstoß gegen die Pflicht, den Zeugen gemäß § 55 Abs. 2 StPO zu belehren, nicht als beschwert ansehen — anders dagegen, wird der Zweck des § 55 StPO im Schutz der Wahrheitsfindung des Gerichts vor konfliktbehafteten Aussagen erblickt 273 . Endlich läßt sich auch als nicht beschwert ansehen, wer den in rechtswidriger Weise 161 ermittelten Sachverhalt gegen sich gelten lassen will oder der Verwertung nicht in zumutbarer Weise widerspricht 274 , sofern nicht die Rechtsordnung (ζ. B. § 136 a Abs. 3 StPO) die betreffende Verwertung unabhängig von Zustimmung oder Widerspruch des Beschuldigten verbietet. bb) Damit wird zugleich klar, daß nicht in allen Fällen ein prozeßordnungswidriges 162 Verfahren im Bereich der Tatsachenfeststellungen ein Verwertungsverbot zugunsten des
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Ähnlich ζ. B. Amelung FS Bemmann 509 f; Frisch 188 ff und Rudolphi 97; Grüner 26 ff sieht die Kriterien für die Revisibilität von Verfahrensnormen sogar als ausschlaggebend für die Ermittlung unselbständiger Verwertungsverbote an. So Alsberg/Nüse/Meyer 478; zu dieser Problematik im übrigen s. oben Rdn. 17 und die dort in Fußn. 17 Genannten. Zur Bedeutung der Rechtskreistheorie s. auch das Streitgespräch zwischen Bauer (NJW 1994 2530; wistra 1996 46) und Häuf (NStZ 1993 457; wistra 1995 53). Ebenso Frisch 192 f. Vgl. dazu Gössel NJW 1981 653. Zustimmend Roxin § 24, 34 zu einem Widerspruchserfordernis bei fehlerhafter oder fehlender
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Beschuldigtenbelehrung, zweifelnd aber JZ 1997 346; grundsätzlich ablehnend insoweit aber Beullce NStZ 1996 262. Für die hier vertretene Auffassung und die damit verbundene Anerkennung eines revisionsrechtlichen Filters (so Grüner 11) dürfte aber schon die gesetzgeberische Motivation sprechen (zutreffend Grüner 11 mit weit. Nachw.). Auch im US-amerikanischen Strafprozeß ist die rechtzeitige Rüge im Hauptverfahren als Voraussetzung einer Berufung auf die Verletzung der Regeln über den Ausschluß von Beweisen (exclusionary rules) durchaus anerkannt, vgl. dazu LaFave/Israel Criminal procedure (1992) § 10.2, S. 502, wobei allerdings die gegenüber dem deutschen Strafprozeß unterschiedliche Verfahrensstruktur zu bedenken ist.
Karl Heinz Gössel
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Angeklagten nach sich ziehen kann: zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens im allgemeinen ist er nicht berufen. 163
c) Beruhen. Endlich ist ein Verwertungsverbot erst dann anzunehmen, wenn die den Angeklagten beschwerende verbotene Beweiswürdigung zu einer ihn belastenden tatrichterlichen Entscheidung entweder führen kann oder schon geführt hat. Neben der Rechtsbeeinträchtigung allein durch die verbotene Beweiswürdigung ist damit eine darauf beruhende weitere (unter Umständen erst künftige) Beschwer durch das Urteil selbst zu fordern. Im Anschluß an die Lehre vom Beruhenszusammenhang, die in der Theorie der objektiven Zurechnung im materiellen Strafrecht entwickelt wurde 275 , wird hier vorgeschlagen, dieses Erfordernis dann zu bejahen, wenn zwischen der verbotenen Beweiswürdigung und dem Urteil ein nicht ausschließbarer realer Zusammenhang und auch ein solcher finaler Art besteht 276 . Solange das Urteil noch nicht gefällt ist, setzt die Beurteilung dieses Zusammenhangs allerdings eine Prognose voraus, die anzustellen aus dem materiellen Recht bekannt ist und deren Schwierigkeiten gemeistert werden können 277 .
164
aa) Ein realer Zusammenhang besteht immer dann, hat die dem Angeklagten nachteilige und gegen die Rechtsordnung verstoßende Beweiswürdigung entweder zu einem Schuldspruch oder zu einer Rechtsfolgenfestsetzung geführt, die sonst — also bei Wegfall dieser Beweiswürdigung — nicht oder für den Angeklagten günstiger ergangen wären. 165 (1) Demnach fehlt der notwendige Beruhenszusammenhang, wird der Schuldspruch ausschließlich auf die glaubwürdigen Bekundungen des Angeklagten selbst und eines Belastungszeugen gestützt, nicht aber auf die verbotswidrige und den Angeklagten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigende Würdigung von Tagebuchnotizen; Gleiches gilt, wird ein polizeiliches Protokoll über ein Geständnis unter Verstoß gegen § 254 StPO verlesen, der Schuldspruch aber allein auf die zulässige Vernehmung des betreffenden Polizeibeamten als Verhörsperson gestützt. 166
(2) Ebenso fehlt es am realen Zusammenhang, hätte der entgegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO unbelehrt gebliebene Beschuldigte in Kenntnis seines Schweigerechts nicht anders ausgesagt (oben Rdn. 47). Gleiches gilt, hätte sich die unter Verstoß gegen die Rechtsordnung ermittelte Tatsache auch ohne einen solchen Verstoß feststellen lassen: hätte der Richter auf einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme verfahrensbedeutsamer Urkunden anordnen müssen, welche die Polizei ohne Gefahr im Verzug beschlagnahmt hat, so ist die Würdigung der sich aus diesen Urkunden ergebenden verfahrensbedeutsamen Tatsachen unabhängig vom voraufgegangenen Regelverstoß 278 . 167 Hier allerdings wird stets auf den konkreten Vorgang abzustellen sein: fehlte es etwa im Zeitpunkt der jeweiligen Ermittlungshandlung an einer gesetzlichen Grundlage für deren Vornahme, wie etwa bei Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr durch private Unternehmen, so ist der reale Zusammenhang unabhängig davon zu bejahen, daß es möglich wäre, eine solche Grundlage zu schaffen — anders dagegen, hätte die privat und unerlaubt durchgeführte konkrete Geschwindigkeitsmessung von einem Polizeibeamten durchgeführt werden dürfen und auch können, was im Falle eines bewußten Mißbrauchs staatlicher Zwangsbefugnisse deshalb regelmäßig zu verneinen sein wird, weil der Mißbrauchswille die rechtmäßige Ermittlungsvariante ausschließen dürfte. 168
bb) Ein finaler Beruhenszusammenhang ist immer dann zu bejahen, soll diejenige Regel, deren Verletzung Gegenstand eines Verwertungsverbotes ist, gerade die urteilsbe-
275 276
Ähnlich auch Kelnhoferll ff, 301. Vgl. dazu Gössel NJW 1981 2218 f und Maurach/ Gössel AT § 43, 85 ff.
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Α. Α offenbar Reinecke 157. ™ Im Ergebnis ebenso S. Schröder 136 ff; a. Α aber Grüner Al.
Stand: 1 . 8 . 1998
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Beweisverbote
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deutsame Beweiswürdigung verhindern. Auch hier ist der (Schutz-)Zweck der verletzten Regel von Bedeutung. § 81 d StPO kann demnach kein Verwertungsverbot darstellen: diese Vorschrift 169 bezweckt die Verhinderung eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre der Frau, nicht aber, die bei einer Verletzung dieser Vorschrift gewonnenen Erkenntnisse von Beweiswürdigung und Urteilsfindung auszuschließen. Ähnliches gilt im Falle des § 81 a StPO bei der Blutprobenentnahme durch einen Nichtarzt: hier könnte ein Verwertungsverbot nur angenommen werden, hätte der Gesetzgeber die Entnahme durch einen Arzt mindestens auch zur Sicherung des Beweiswertes angeordnet. Auch die Frage eines Fernwirkungsverbots ist ein Problem des finalen Zusammen- 170 hangs 279 : so hat der Bundesgerichtshof zu Recht angenommen, daß Art. 1 § 7 Abs. 3 G 10 die Verwertung ausnahmslos aller durch die Telefonüberwachung ermittelten Tatsachen verbietet, die keine der im Katalog der Art. 1 §§ 2, 3 G 10 aufgeführten Straftaten betreffen (oben Rdn. 97 f)· Ob dies auch in anderen Fällen gelten kann, muß weiteren Untersuchungen zu den jeweils verletzten Regeln vorbehalten bleiben. 4. Gesetzgeberische Maßnahmen Könnte sich der Gesetzgeber zur vermehrten Normierung absoluter Verwertungs- 171 verböte (oben Rdn. 150) entschließen, würde dies nicht nur die tägliche Arbeit vor allem des Praktikers erleichtern können. Auch könnte der Gesetzgeber dadurch der Gefahr vorbeugen, Entscheidungen von grundsätzlicher kriminalpolitischer Bedeutung in unzulässiger Weise unter Verwischung der Grenzen zwischen Legislative und Judikative auf den Richter zu übertragen. Im übrigen wäre zu erwägen, einige besonders schwerwiegende Verstöße gegen absolute Verwertungsverbote auch in den Katalog der absoluten Revisionsgründe des § 338 StPO zu übernehmen.
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Im Ergebnis so auch Knoll 143, 149 trotz - S. 142 - grundsätzlicher Ablehnung revisionsrechtlicher Ansätze.
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Karl H e i n z G ö s s e l
L. Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren Schrifttum. Arzt Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo (1997); Bär Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren (1992); Baumann Der Aufstand des schlechten Gewissens (1965); Blum Strafbefreiungsgründe und kriminalpolitische Begründungen (1996); Bottke Materielle und formale Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat (1991); Brugger Konkretisierung des Rechts und Auslegung der Gesetze, AöR 1994 1; Dannecker Das intertemporale Strafrecht (1993); Degener Zu den Bedeutungen des Erfolges im Strafrecht, ZStW 103 (1991) 357; Eder Prozedurale Rationalität. Moderne Rechtsentwicklung jenseits von formaler Rationalisierung, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1986 1; Freund Normative Probleme der Tatsachenfeststellung (1987); Frisch Prognoseentscheidungen im Strafrecht (1983); Frisch/Vogt (Hrsg.) Prognoseentscheidungen in der strafrechtlichen Praxis (1994); Frister Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts (1988); Gilles Prozeßrechtsvergleichung Generalbericht zum Thema „Eigenleistung der Prozeßvergleichung" aus Anlaß des Weltkongresses der Internationalen Vereinigung für Prozeßrecht in Taormina (Sizilien) 1995 (1996); Gilles Verfahrensfunktionen und Legitimationsprobleme richterlicher Entscheidungen im Zivilprozeß - zur Kritik N. Luhmanns am Richtigkeitspostulat der sog. klassischen Prozeßrechtslehre, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung - Die deutschen Landesberichte zum VII. Internationalen Kongreß für Prozeßrecht in Würzburg 1983 (1984); Goldschmidt Der Prozeß als Rechtslage (1925); Günther Die Feststellung der Kausalität im Strafprozeß, KritV 1997 211; Hassemer Warum und zu welchem Ende strafen wir? ZRP 1997 316; Haverkate Normtext - Begriff-Telos. Zu den drei Grundtypen des juristischen Argumentierens (1996); Herdegen Beweisantragsrecht, Beweiswürdigung, strafprozessuale Revision (1995); Hilgendorf Argumentation in der Jurisprudenz (1991); Hillenkamp Beweisprobleme im Wirtschaftsstrafrecht, Recht und Wirtschaft 1985 221, Ringvorlesung im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück 1984/1985; Fritz von Hippel Zur modernen konstruktiven Epoche der deutschen Prozeßrechtswissenschaft. Gedanken zu Wemer Nieses „Doppelfunktion Prozeßhandlungen. Ein Beitrag zur allgemeinen Prozeßrechtslehre", ZZP 65 (1952) 424; Jäger Subjektive Verbrechensmerkmale als Gegenstand psychologischer Wahrheitsfindung, in: Jäger (Hrsg.) Kriminologie im Strafprozeß (1980) 173; Arthur Kaufmann Natur der Sache und Analogie (1965); Arthur Kaufmann Läßt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs auffassen? in: Jung/Müller-Dietz 15; Arthur Kaufmann Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit (1989); Hilde Kaufmann Strafanspruch, Strafklagerecht (1968); Koch/Rüßmann Juristische Begründungslehre (1982); Krauss Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, FS Schaffstein (1975) 411; Krey Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht: eine Einführung in die Problematik des Analogieverbots (1977), Krey Parallelitäten und Divergenzen zwischen strafrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Gesetzes vorbehält, FS Blau 123; Lüderssen Erfahrung als Rechtsquelle (1972); Lüderssen Die strafrechtsgestaltende Kraft des Beweisrechts, ZStW 85 (1973) 288; Lüderssen Erfolgszurechnung und „Kriminalisierung", FS Bockelmann (1979), 381; Lüderssen Die Krise des öffentlichen Strafanspruchs (1989); Lüderssen Genesis und Geltung in der Jurisprudenz (1996); Maier Die Garantiefunktion des Gesetzes im Strafprozeß (1991); Maiwald Die Bedeutung des Erfolgsunwerts im Unrecht - der Einfluß der Verletztenposition auf eine dogmatische Kategorie, in: Schöch (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafrecht, Symposion aus Anlaß des 80. Geburtstages von Friedrich Schaffstein (1987); Marxen Straftatsystem und Strafprozeß (1984); Mertens Strafprozessuale Grundrechtseingriffe und Bindung an den Wortsinn der ermächtigenden Norm (1996); Michael Der Grundsatz in dubio pro reo im Strafverfahrensrecht (1983); Müller Juristische Methodik 7 (1997); Nack Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit, Kriminalistik 1995 257; Naucke Der Nutzen der subjektiven Auslegung im Strafverfahren, FS Engisch 274; Naucke Grundlinien einer rechtsstaatlich-praktischen Straftatlehre (1979); Naucke Der Tatverdacht. Zum Verhältnis von Strafprozeßrecht und neuerer Kriminologie, in: Festschrift der Wissenschaftlichen Gesellschaft der Johann Wolfgang Goethe(387)
Klaus Lüderssen
Einl. Abschn. L
Einleitung
Universität Frankfurt am Main (1980), 293; Naucke Die Wechselwirkung zwischen Strafziel und Verbrechensbegriff (1985); Naucke Lücken im Allgemeinen Teil des Strafrechts, in: Lahti/Nuotio (Hrsg.), Strafrechtstheorie im Umbruch. Finnische und vergleichende Initiativen (1992) 269; Nehlsen-v. Stryk Prozessuales und materielles Rechtsdenken im Sachsenspiegel, FSGagner (1996) 33; Neumann Materiale und prozedurale Gerechtigkeit im Strafverfahren ZStW 101 (1989) 52; Neumann Juristische Argumentationslehre (1986); Neumann Zur Interpretation des forensischen Diskurses der Rechtsphilosophie von Jürgen Habermas, Rechtstheorie Bd. 27 (1996) 415; Niese Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen. Ein Beitrag zur allgemeinen-Prozeßrechtslehre (1950); Oevermann Kriminalistische Ermittlungspraxis als naturwüchsige Form der hermeneutischen Sinnauslegung von Spurentexten, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Perseveranz und Kriminalpolizeilicher Meldedienst (1984) 135; Paeffgen Vorüberlegungen zu einer Dogmatik des Untersuchungshaftrechts (1986); Pawlowski Methodenlehre für Juristen (1981); Pföhler Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht in dogmenhistorischer Sicht (1988); Rieß Verfassungsrecht und Strafprozeß, StraFo. 1995 S. 94; Roxin Zur richterlichen Kontrolle von Untersuchungen und Beschlagnahmen, StV 1997 654; Rückert Zu Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der juristischen Methodendiskussion nach 1945, in: Acham/Nörr/Schefold, Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste (1998) 113; Sarstedt/Hamm Die Revision in Strafsachen 5 (1983); Sax Zur Anwendbarkeit des Satzes „In dubio pro reo" im strafprozessualen Bereich, FS Stock 143; Schreiber Zur Zulässigkeit der rückwirkenden Verlängerung von Veijährungsfristen früher begangener Delikte, ZStW 80 (1968) 366; Schreiber Gesetz und Richter (1976); Simshäuser Zur Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht seit Savigny (1965); Tiedemann Die Auslegung des Strafprozeßrechts, FS Peters 131; Volckard Praxis der Kriminalprognose, Methodologie und Rechtsanwendung (1997); Volk Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht (1978); Volk Entkriminalisierung durch Strafwürdigkeitskriterien jenseits des Deliktsaufbaus, ZStW 97 (1985) 871; Wasserburg Die Funktion des Grundsatzes „in dubio pro reo" im Additions- und Probationsverfahren, ZStW 94 (1983) 914; Weigend Bewältigung von Beweisschwierigkeiten durch Ausdehnung des materiellen Strafrechts? FS Triffterer 695; Wolfslast Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung (1995); Wolter Aspekte einer Strafprozeßform bis 2007 (1991); Wolter Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, Rudolphi-Symp. 267; Ziegert Die prozessuale Wahlfeststellung - Zur alternativen Feststellung einer Verletzung verfahrensrechtlicher Normen, StV 1996 279; Zöllner Materielles Recht und Prozeßrecht, AcP 1990 471.
Übersicht Rdn.
Rdn. I. Vorbemerkung, Abhängigkeit der Methode der Rechtsanwendung von Struktur und Inhalt der Rechtsnorm II. Die Besonderheiten des Strafverfahrensrechts 1. Das Verhältnis von materiellem Strafrecht und Strafprozeßrecht a) Modelle aa) Konfundation von materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht bb) Dienende Funktion des Strafverfahrens cc) Gleichrangigkeit von materiellem Strafrecht und Strafprozeßrecht dd) Dominierende Funktion des Strafverfahrensrechts b) Reale Erscheinungsformen c) Konzeption der Gleichwertigkeit strafrechtlicher Eingriffbefugnisse .
1 2
3 4
5 6 7 12
aa) Die wesentlichen Strukturelemente der Strafverfolgung . . . bb) Ein Kriminal-Justiz-System? . 2. Das Verhältnis zwischen Strafprozeßrecht und Polizeirecht III. Folgerungen für die Rechtsanwendung im Strafprozeßrecht. Das Prinzip: Gleichordnung mit dem materiellen Strafrecht 1. Auslegung. Rechtssatzkonkretisierung a) Primär mit dem materiellen Strafrecht verbundene Kriterien b) Primär mit dem Strafprozeßrecht verbundene Kriterien aa) Zur teleologischen Auslegung . bb) Zur systematischen Auslegung 2. Geltungserweiterungen a) Analogie aa) Definition bb) Abgrenzung zur extensiven Auslegung
Stand: 1. 8. 1998
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35 36
41 42 (388)
Zur M e t h o d e der R e c h t s a n w e n d u n g i m Strafverfahren
Einl. Abschn. L Rdn.
Rdn.
b) c) d)
cc) Analogie „zuungunsten oder zugunsten" dd) Analogieverbot im Strafprozeßrecht Rückwirkungsverbot In dubio pro reo Wahlfeststellung
43
3. Anwendung a) Allgemeines . . . · b) Verfahrensabschnitte
47 48 c)
59 66
aa) Hauptverfahren bb) Ermittlungsverfahren Perception bestimmter Beweistatsachen
IV. Z u s a m m e n f a s s u n g u n d Ausblick: ein erweiterter M e t h o d e n b e g r i f f
68 72 73 74 75
I. Vorbemerkung: Abhängigkeit der Methode der Rechtsanwendung von Struktur und Inhalt der Rechtsnorm In einer Kommentierung der Strafprozeßordnung braucht die Methode der Rechtsan- 1 Wendung nicht behandelt zu werden, wenn ihre Beantwortung bereits aus der allgemeinen Methodologie der Rechtsanwendung oder jedenfalls des materiellen Strafrechts folgt. Das wäre der Fall, wenn das Strafverfahrensrecht sich nicht signifikant von anderen Rechtsgebieten, insbesondere dem materiellen Strafrecht unterschiede. Diese Frage muß also zunächst geklärt werden. Wie ein Recht angewendet wird, hängt — mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil — von dem ab, was seine spezielle Struktur oder auch inhaltliche Konzeption genannt werden kann. Zwar informieren die Abschnitte Β sowie F bis J darüber im allgemeinen. Die im vorliegenden Abschnitt zu bewältigende Aufgabe erfordert insoweit jedoch einige Ergänzungen und Präzisierungen.
II. Die Besonderheiten des Strafverfahrensrechts Sie lassen sich nicht ohne weiteres in einer Definition zusammenfassen. Vielmehr 2 bedarf es zunächst induktiver Annäherungen. 1. Das Verhältnis vom materiellen Strafrecht und Strafprozeßrecht a) Modelle aa) Konfundation von materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht. Die Vor- 3 aussetzungen, unter denen jemand strafrechtlich verfolgt werden kann, werden nicht danach unterschieden, ob sie unabhängig von dem im Einzelfall zu beurteilenden Verhalten formuliert sind oder erst ad hoc. Auch die Rechtsfolgen (ζ. B. Einsperren des Verdächtigen, Bestrafung des Überführten) sind nicht substantiell geschieden. bb) Dienende Funktion des Strafverfahrens. Das Strafverfahrensrecht hat keine 4 selbständige Funktion. Mit den Maßnahmen, die es vorsieht, wird nur das Ziel der Aburteilung nach materiellem Strafrecht (Verurteilung oder Freispruch) verfolgt. cc) Gleichrangigkeit von materiellem Strafrecht und Strafprozeßrecht. Die Mate- 5 rien werden zwar begrifflich auseinandergehalten, die Entscheidungen im Prozeß balancieren indessen die normativen Aussagen des materiellen Rechts. dd) Dominierende Funktion des Strafverfahrensrechts. Die normativen Aussagen 6 des materiellen Rechts treten im Vergleich mit den im Verfahren getroffenen Entscheidungen zurück. (389)
K l a u s Lüderssen
Einl. Abschn. L
Einleitung
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b) Reale Erscheinungsformen. Alle unter a) beschriebenen Modelle kommen vor, allerdings nicht in Reinkultur, sondern mehr oder weniger gemischt, in ständiger Entwicklung begriffen, worüber im einzelnen die Rechtsgeschichte Auskunft gibt1.
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Alteren Rechtsordnungen ist die Trennung von materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht ganz unbekannt 2 . Dabei muß man freilich berücksichtigen, daß erst mit dem Begriff vom Strafrecht, der einen öffentlichen, das heißt im Namen der Allgemeinheit über den Kopf der Opfer hinweg geltend zu machenden Strafanspruch etabliert3, sich die Bedeutung von Strafrecht und Strafverfahrensrecht, die der gegenwärtige Betrachter zugrunde legt, verbindet. Die entscheidende Zäsur bestand in der Rationalisierung des Verfahrens durch den inquisitorischen Prozeß (als Offizialverfahren mit dem Ziel der Wahrheitsfindung) 4 . Gleichwohl kam es noch nicht zu einer Aufspaltung der Materien, sondern — im Gegenteil — erst einmal zu einer besonders eindrucksvollen Integrationsleistung in Gestalt der Constitutio Criminalis Carolina (1532), mit der das öffentliche Strafrecht zu Beginn der Neuzeit einen ersten Höhepunkt erreichte.
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Die moderne Trennung von Prozeßrecht und materiellem Recht beginnt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und hat nicht nur mit Rechtspositivismus, sondern auch mit Begriffsjurisprudenz etwas zu tun; beide sind ihrerseits wiederum nicht zu trennen von der modernen Entwicklung der Naturwissenschaften in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts: begriffliche Klarheit und Abgeschlossenheit waren die Parole, das heißt, ein Forschungsgebiet mußte sich deutlich abgrenzbar von anderen definieren — das ist einer der Aspekte des Konzeptes der reinen Prozeßrechtslehre. Rechtspositivismus meint freilich auch: rechtspolitische, also gesetzgeberische Kreativität, und schließlich (im Zuge der Befreiung vom Metaphysischen) eine große Ernüchterung, die zu einer endgültigen Eliminierung tradierter Rituale den Weg für ein — sich dann verselbständigendes — zweckrationales Verfahren ebnete.
10
Die Folge dieses Trennungsdenkens war unter anderem die Ausbildung ganz neuer Begriffspaare auch im Strafprozeß: wirksam/unwirksam; zulässig/unzulässig — in Konfrontation mit: rechtmäßig/rechtswidrig. Das implizierte eine bestimmte Lehre von den Prozeßhandlungen (Bewirkungshandlungen, Erwirkungshandlungen 5 ) und nahm, nachdem — reichlich verspätet — Eberhard Schmidt in den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts (die eine gewisse Renaissance begriffsjuristischen Denkens brachten) die Verknüpfung der Strafprozeßrechtswissenschaft mit den großen Theorien des Zivilprozeßrechts hergestellt hatte 6 , jahrzehntelang in der gesamten Prozeßrechtswissenschaft 7 einen großen Raum ein (nie in der Prozeßrechtspraxis). Bald indessen begann die berechtigte Kritik daran 8 und verhalf allmählich wieder der Auffassung zur Geltung, daß am Ende auch im Prozeß doch Bewertungen den Ausschlag geben, die von dem, was man rechtmäßig oder rechtswidrig zu nennen gewohnt ist, eigentlich nicht abweichen 9 . Nur die Ideologie, 1
2 3
4
Zur fächerübergreifenden Diskussion über die Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht vgl. die von Gilles (Prozeßrechtsvergleichung) 46 ff vorgestellten sechs bis sieben Phasen; s. auch Gilles (Verfahrensfunktionen) 183 ff. Vgl. Nehlsen-von Stryk 33. Vgl. dazu Lüderssen (Krise) 25 ff; unter besonderer Berücksichtigung der schwindenden Rolle des Opfers: Weigend Deliktsopfer und Strafverfahren (1989) 59 ff. Zur Genese und zum inneren Zusammenhang Schulz Normiertes Mißtrauen 1998, Teil I (im Erscheinen).
Vgl. die Darstellung und Begründung bei Niese 88 ff; im übrigen LR-Rieß Einl. J 11 ff. Eb. Schmidt I 227 ff. Für das Strafrecht und das Strafprozeßrecht vgl. H. Kaufmann (Strafanspruch) freilich mit einem neuen Abgrenzungsversuch 132 ff. v. Hippel ZZP 65 (1952) 424 ff. Volk (Prozeßvoraussetzungen) 7 ff; Paeffgen 22 ff; auch in den neueren Gesamtdarstellungen des Strafprozeßrechts wird der Antagonismus nicht mehr so zugespitzt; s. aber LR-Rieß Einl. J 16.
Stand: 1. 8. 1998
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Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren
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wonach die Prädikate rechtmäßig/rechtswidrig lediglich für Verbotenes — im Strafrecht für strafrechtlich Verbotenes — reserviert sind, konnte jene fruchtlosen Differenzierungen begünstigen. Macht man sich aber klar, daß die Voraussetzungeil, unter denen etwas rechtmäßig oder rechtswidrig ist, und die Folgen, die sich an das Wort rechtmäßig oder rechtswidrig knüpfen, ohnehin jeweils sehr vielgestaltig sein können, dann tritt die Einheitlichkeit des Bewertungsmaßstabs deutlich hervor. So richtig es also zunächst war, im Zivilrecht das überkommene Konglomerat des aktionenrechtlichen Denkens aufzulösen, den rein materiellrechtlichen Anspruch zu „entdecken" 10 , so übertrieben war die Konsequenz, die Differenzierung der Wertgesichtspunkte gleich zur Etablierung ganz verschiedener, ständig mit ihrer Selbstbehauptung beschäftigter Rechtsgebiete heraufzustilisieren 11 . Daß im Straf- und Strafprozeßrecht die Ausgangsposition insofern anders war, hat die Übernahme dieses Trennungsdenkens aus dem Zivil- und Zivilprozeßrecht in das Strafrecht und Strafprozeßrecht nicht verhindern können, und deshalb gilt für Strafrecht und Strafprozeßrecht nichts anderes als für Zivilrecht und Zivilprozeßrecht. Nach einer Phase der künstlichen Trennung sieht man jetzt wieder das Gemeinsame. 11 Das, was vor der Modernisierung der Prozeßkategorien eine unklare Gemengelage war, ist im modernen Verhältnis von materiellem Zivilrecht und Zivilprozeßrecht eine stufenreiche, aber in einem einheitlichen Rahmen gehaltene Wertungsskala. Im Strafrecht und Strafprozeßrecht haben wir vergleichbare Entwicklungen, wenn man sich einen größeren Zeitraum vor Augen führt: vor der Etablierung des öffentlichen Strafrechts im hohen Mittelalter gibt es ein Nebeneinander von Rache, Vergeltung, Buße, vielfältigen finanziellen Ablösungsformen, Vergleichen, Verträgen und ähnlichem 12 , und jetzt, nachdem in Jahrhunderten der öffentliche Strafanspruch aufgebaut worden ist und am Schluß seine Krönung durch das Legalitätsprinzip bekommen hat, ist wiederum eine Ausdifferenzierung der Reaktionen auf rechtswidrig-schuldhafte schwere Interessenverletzungen zu registrieren, deren Stichworte sind: Wiedergutmachung, zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Alternativen zum Strafen, Konzeptionen spezieller Interventionsrechte, das alles auf der Basis von allmählich etablierten prozessualen Erledigungsmöglichkeiten verschiedenster Art, insbesondere der Verständigung 13 . Verdichtet man diese Entwicklungslinien zu einem System, so ergibt sich eine c) Konzeption der Gleichwertigkeit strafrechtlicher Eingriffsbefugnisse. Man ist 12 gewohnt, den im materiellen Strafrecht formulierten Verboten und den an sie geknüpften Sanktionen eine abstrakte Bedeutung zuzuschreiben und darauf die Behauptung zu stützen, damit sei eine klare Trennung von der nur und erst im Strafprozeß konkretisierten Funktion der Strafgesetze etabliert. Aber dieses Bild einer gleichsam als Wertetafel fungierenden Verbotsmaterie mit generalpräventivem Effekt täuscht eine Selbständigkeit nur vor. Auch die Regeln des Strafprozeßrechts existieren abstrakt und entfalten eine ganz entsprechende Wirkung, indem sie die Voraussetzungen formulieren, unter denen die bloße Existenz materiell-strafrechtlicher Verbote in — den einzelnen Menschen treffende — Sanktionen umschlägt. Damit sind sie ein Teil auch des abstrakten, an Bestrafung orientierten Normsystems. Auch die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes wären insoweit in die Gesamtperspektive einzuschließen, bleiben hier aber wegen der begrenzten Zielsetzung der Darstellung außer Betracht. 10
Über diesen Vorgang und seine Folgen informiert immer noch besonders gut Simshäuser. " Überzeugendes kritisches Resümee bei Zöllner AcP 1990 471 ff. 12 Weitzel Strafe und Strafverfahren in der Merowinger-Zeit, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für (391)
13
Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 111 (1994) 66. Noch überwiegend - pejorativ - Absprachen genannt (vgl. im übrigen LR-Rieß Einl. G 58 ff).
Klaus Lüderssen
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Einleitung
13
Wenn das richtig ist, kann aus der Perspektive der spezifischen Relevanz abstrakter Tatbestände des materiellen Strafrechts und seiner Sanktionen nicht dem Eindruck entgegengetreten werden, der bei der Anwendung des Strafrechts und des Strafprozeßrechts sich einstellt: daß wir es mit einer gleitenden Skala von Eingriffen in die Rechtssphäre der Personen, die der Strafverfolgung ausgesetzt sind, zu tun haben. Diese Eingriffe sind einander sehr ähnlich — etwa vom Beginn der Untersuchungshaft bis zur Ladung zum Strafantritt nach der Verurteilung, bleiben aber auch diesseits und jenseits davon vergleichbar: Der Verdacht gegen den Beschuldigten — der ihn nicht erst belastet, wenn er ihn kennt — wird durch die Verurteilung zur Überzeugung oder durch den Freispruch beseitigt; Strafrecht und Strafprozeß bewegen sich zusammen in einem gleichsam durch ein „Auf und Ab" geprägten Kontinuum. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie nahe diese einheitliche Betrachtung liegt, sind die jüngsten verfassungsrechtlichen Beschlüsse zur Anfechtung überholter Entscheidungen über die Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel 14 .
14
aa) Die wesentlichen Strukturelemente der Strafverfolgung. Für die Suche nach einer einheitlichen Perspektive empfiehlt sich eine Orientierung an der Struktur von Überlegungen, die typischerweise im Gesetzgebungsprozeß auftauchen und damit auch das innere Gerüst der etablierten Norm bilden. Das sind: Auswahl der Regelungsziele, Fixierung der Wege ihrer Realisierung, Kalkulation der dabei eventuell auftretenden unerwünschten Nebenfolgen (Entscheidung von Zielkonflikten).
15
(1) Die Ziele der Strafverfolgung. Das alle Erscheinungsformen potentieller wie aktualisierter Strafverfolgung beherrschende Ziel ist der Schutz von Rechtsgütern. Das ist herrschende Meinung 15 ; die — vor allem aus der Kriminalsoziologie kommende — abweichende Position, nicht Rechtsgüterschutz, sondern Etablierung und Erhaltung von Macht durch repressive Disziplinierung sei Ziel des Strafens 16 , wird hier nicht weiter verfolgt, so daß insoweit auch kein Zielkonflikt ab ovo angenommen werden kann. 16 Wohl aber könnte unter den Rechtsgütem eine primäre gleichrangige Konkurrenz entstehen, indem Schutz vor Tötung, Körperverletzung oder Vermögenseinbuße etc. durch andere Personen und die eben zu diesem Zweck aufgebotenen staatlichen Eingriffe uno actu das Bedürfnis nach Schutz vor Unberechenbarkeit, Unkontrollierbarkeit und Unverhältnismäßigkeit auslösen. Diese doppelte Zielsetzung würde dann zu einer prozeduralen, die praktische Kriminalistik einschließenden Wahrheits- und Richtigkeitskonzeption verschmelzen. 17
Bei einer so komplexen Zielvorgabe könnte dann freilich die vertraute Hierarchisierung von Ziel, Realisierung des Zieles und Vermeidung unwillkommener Nebenwirkungen entfallen. Einfacher wäre daher die Rechnung, an dem primären Zweck des Rechtsgüterschutzes festzuhalten, im Prozeß — in den der gesamte Bereich von Kriminaltaktik und -technik zur zunächst vorläufigen, dann endgültigen Klärung des Verdachtes einzube14
15
BVerfG StV 1997 393 f; dazu Roxin StV 1997 654 ff; näher LR-Rieß Einl. J 21. Manche wollen hier mehr und weniger zugleich fordern: Nur subjektive Rechte sollen geschützt werden, diese aber sehr viel entschiedener und konsequenter als die Masse der inzwischen existierenden Güter, vgl. Günther Von der Rechts- zur Pflichtverletzung. Ein „Paradigmenwechsel" im Strafrecht? in: Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, hrsg. v. Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt/M., 50. Band (1995) 445 ff; Köhler Strafrecht Allg. Teil (1997) 24 f. Auf die
16
Auseinandersetzung mit dieser Auffassung muß hier indessen verzichtet werden. Vgl. die Nachweise bei Liiderssen Kriminologie (1984). Neuerdings findet die Diskussion vor allem unter dem Gesichtspunkt der sozialen Ausschließungsfunktion der Strafe statt; vgl. ζ. B. CremerSchäfer Einsortieren und Aussortieren. Zur Funktion der Strafe bei der Verwaltung der sozialen Ausschließung, KrimJ 1995 89. Steinert Soziale Ausschließung - Das richtige Thema zur richtigen Zeit, KrimJ 1995 82.
Stand: 1. 8. 1998
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Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren
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ziehen wäre — das Mittel seiner Realisierung zu sehen und die mit der Vorantreibung des Prozesses verbundenen Beeinträchtigungen der Rechtssphären von Beschuldigten und Dritten abwägend in Beziehung zum Ausgangsziel zu setzen. Damit wäre dann das Modell der dienenden Funktion des Prozesses adaptiert. Gegen diese Deutung spricht indessen eine Reihe von Phänomenen im Zusammenspiel von materiellem Strafrecht und Strafprozeßrecht. Der auffälligste Indikator ist insofern vielleicht die schon ins allgemeine Bewußtsein 18 der Fachwelt eingegangene Wahrnehmung, daß mit Blick puf mögliche Schwierigkeiten beim Beweis der einen Straftatbestand erfüllenden Tatsachen dessen normative Voraussetzungen einschränkend formuliert werden. Umweltstraftaten und Subventionsbetrug 17 , Submissionsbetrug 18 und Korruption 19 sind die jüngsten Beispiele. Aus der Rechtsgeschichte — mit neueren Vorzeichen jederzeit reproduzierbar — sind die praesumptio doli des Hehlereitatbestands und die fortbestehende Konstruktion des § 248 b StGB 20 zu nennen; allgemeiner: Ersetzung von Verletzungsdelikten durch Gefährdungsdelikte 21 , der Verzicht auf die äußerste Individualisierung bei der Schuld 22 . Daß auch das umgekehrte Modell geläufig werden kann — Lockerung des Beweisrechts 23 —, zeichnet sich als literarische Tendenz im stark in Entwicklung begriffenen Völkerstrafrecht ab. Diese speziellen Wechselbeziehungen finden nun zunehmend ihre Entsprechung in allgemeineren Zusammenhängen. Nicht nur Beweisschwierigkeiten, sondern auch Deflnitionsprobleme verändern das 19 Verhältnis zwischen materiellem Strafrecht und Strafprozeßrecht. Kausalität als Merkmal eines Straftatbestandes etwa scheint sich einer Definition zu entziehen, die noch auf Feststellungen fixiert ist. Die Kausalität ist ein Merkmal der objektiven Tatbestände, das seinerseits bereits naturwissenschaftlich bestimmt wird, wenn man beispielsweise an die Anforderungen denkt, welche die Verteidigung in den bekannten Produkthaftungsfallen schon an die Definition dieses Merkmals gestellt hat: Die Kausalität des Produkts für einen eingetretenen Schaden ist ein naturwissenschaftlicher Vorgang, und dementsprechend muß das Beweisverfahren seine Feststellungen treffen. Nun sind, wie zahlreiche Prozesse gezeigt haben, diese Naturgesetze nicht zu finden, und die Gerichte flüchten daher ins Normative, ohne zu wissen, daß sie dabei die geradezu seherische Umkehrung der Logik praktizieren, die von dem Soziologen Paul Fauconnet stammt: „Ergibt sich die sogenannte Kausalitätsvermutung nicht gerade aus der Verantwortlichkeit, anstatt sie umgekehrt zu bestimmen?" 24 Der verfassungsrechtliche Auftrag, bei Zugriff auf einen Beschuldigten, gleichviel in 20 welchem Stadium des Verfahrens, gerecht und rechtstaatlich zu verfahren 25 , bekommt also durch dieses naturwissenschaftliche Dilemma eine neue Pointe. Es gebietet förmlich, eine neue Einheit von materiellem Recht und Strafprozeßrecht zu schaffen, in deren Rah-
17 18
19
20
Vgl. Weigend FS Triffterer 696 f. LUderssen Submissionsabsprachen sind nicht eo ipso Betrug, wistra 1995 243. LUderssen Sollen Submissionsabsprachen zu strafrechtlichem Unrecht werden? BB, Beilage 11 zu Heft 25, 1996. Ein Prokrustes-Bett für ungleiche Zwillinge, Angestelltenbestechung und Submissionsabspracen, vereinigt in einem neuen Abschnitt des Strafgesetzbuches: „Straftaten gegen den Wettbewerb", BB, Heft 49, 1996 2525. LUderssen Antikorruptions-Gesetze und Drittmittelforschung, JZ 1997 112. Hillenkamp 221 ff (225).
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25
Weigend aaO 701. LUderssen (Beweisrecht) ZStW 85 (1973) 288 ff (308); dazu auch Hillenkamp FS Wassermann 861 ff. LUderssen aaO 309; dazu auch Hillenkamp 225. Fauconnet Warum es die Institution „Verantwortlichkeit" gibt, in: Lüderssen/Sack (Hrsg.), Abweichendes Verhalten Bd. II (1975) 293 ff (308). Bis hin zur Wahrung des „Unverfügbaren" (Art. 1 Abs. 1 S. 1, 79 Abs. 3 GG) vgl. Wolter (Aspekte) 23 ff; s. femer Hettinger Entwicklungen im Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Gegenwart (1997) 43 ff.
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Einleitung
men die „politische Entscheidung über die Verteilung von Verantwortlichkeit" 26 jeweils gefällt wird. Die differenzierter gewordenen, tiefer gestaffelten empirischen Implikationen des gesetzlichen Merkmals ziehen neue Anforderungen an ihre prozessuale Feststellung nach sich, und indem man im Prozeß sieht, daß man diesen Anforderungen nicht ganz nachkommen kann, werden die zu anspruchsvoll gewordenen Merkmale wieder normativ gelockert. 21
Das ist nicht nur bei der Kausalität der Fall, sondern auch dort, wo es um bewegliche Begriffe geht, etwa bei der ^n vielen Stellen des Strafrechts heute verlangten Prognostik 27 — also etwas Prospektivem — und bei der Fixierung des Verdachts als Voraussetzung für die Einleitung von Ermittlungsverfahren oder auch einzelner Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen im Strafprozeßrecht — ein retrospektives Problem.
22
Bei den Prognose-Entscheidungen gibt es längst den Vorwurf, daß der Gesetzgeber etwas Unmögliches verlange, was unter anderem zu der Forderung nach Abschaffung der Prognoseregelungen geführt hat. Die Unmöglichkeit besteht für viele darin, daß zu den nur deskriptiven Verfahren angesichts moderner sozialwissenschaftlicher Entwicklung jetzt auch noch hermeneutische getreten sind 28 . 23 Beim Verdacht ist diese Skepsis nicht so weit gediehen, es überwiegt noch die Hoffnung, man könne von der gleichsam wertverhangenen Metapher des Verdachts irgendwann durchweg zu Merkmalen wie bestimmte Tatsachen etc. gelangen und damit eine größere Präzisierung und Sicherheit erreichen 29 . Aber die Selbsttäuschung, die in dieser rein juristischen Entwicklung liegt, ist schon vorprogrammiert, wenn auch nur mit einer, wie man wohl sagen muß, Langzeitwirkung. Vor 25 Jahren haben Soziologen die Schwierigkeiten dargelegt, in denen die sogenannte kriminalistische Erfahrung steckt, die als die Grundlage für das Verdachts urteil herangezogen wird 30 . Diese Einsichten sind in der Rechtsprechung und Literatur des Strafprozeßrechts lange nicht zur Kenntnis genommen worden, vielleicht nur deshalb nicht, weil ihnen keine wirklich verbindliche Forschung in den Sozialwissenschaften gefolgt ist. Das könnte sich aber ändern 31 . Allerdings bleibt, ähnlich wie bei der Prognoseforschung, die empirische Überforderung durch das normative Konzept. Jene bestimmten Tatsachen sind eben nicht nur Tatsachen, die alte Verdachtslehre tritt wieder in ihr Recht, jetzt aber nicht in Gestalt eines traditionell und volkstümlich gefaßten Begriffs, den jeder versteht, sondern — wiederum, wie bei der Prognose — durch die Etablierung hermeneutischer Verfahren 32 . 24
Wenn es also gerade die spezifischen sozialwissenschaftlichen Probleme, welche die Begriffe des materiellen Strafrechts wie des Strafprozeßrechts aufwerfen, sind, die jene — in der Tat ja nur von Juristen getroffene — Unterscheidung so zweifelhaft machen und eine neue Gesamtperspektive nahelegen, dann ist das Verfassungsrecht in seiner nicht nur das materielle Strafrecht, sondern vor allem auch das Prozeßrecht determinierenden Funktion aufs neue gefordert. Dort müssen also die Maßstäbe für jene Verantwortungsverteilung, die sich jetzt im freien Spiel zwischen materiellem Strafrecht und Strafprozeßrecht ergeben, gesucht werden. 25 Eine weitere Einbruchstelle in das Konzept einer scharfen Trennung zwischen materiellem Strafrecht und Strafprozeßrecht ist durch die folgende Einsicht sichtbar geworden: Das Erfordernis des eingetretenen Erfolges, das diejenigen Strafgesetze formulieren, die ein Verhalten unter der Voraussetzung unter Strafe stellen, daß es einen bestimmten zusätzlichen Erfolg zeitigt, kann systematisch nicht zum strafrechtlichen Unrecht gerech27 28
Günther KritV 1997 223. Grundlegender Überblick bei Frisch; Frisch/Vogt. Volckard 16 ff; ferner Schneider Grundlagen der Kriminalprognose (1996).
29 30 31 32
Vgl. LR-Lüderssen™ § 138 a, 16. Vgl. den Nachweis unten Fußn. 145 Vgl. die Hinweise bei Schulz aaO Teil II 2. Reichem Aufklärungsarbeit (1993).
Stand: 1. 8. 1998
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net werden. Es ist dies eine bleibende Erkenntnis der finalen Unrechtslehre, deren Verdienst, wie man jetzt weiß, weniger in der Aufdeckung ontologischer als psychologischer Bindungen des strafrechtlichen Normgebers besteht. Man kann nur Handlungen verbieten, nicht aber Erfolge 33 . Eine juristisch befriedigende Einordnung des eingetretenen Erfolges in das Deliktsystem ist bisher nicht erreicht worden. Appelle an die Sozialwissenschaften, den Juristen beizustehen in dem Versuch, die Elemente eines gut funktionierenden Kriminaljustizsystems zu kombinieren, sind ungehört verhallt, zum Teil auch von juristischer Seite kritisch zurückgewiesen worden 34 . Die Lösung des Problems könnte darin bestehen, daß der eingetretene Erfolg als 26 Beweiszeichen für ein sonst schwer beweisbares Handlungsunrecht fungiert. Dann wäre hier wieder ein Anwendungsfall dafür gegeben, daß das materielle Strafrecht Beweisfragen schon abstrakt entscheidet. Aber damit ist die Frage nach der Relevanz des Erfolgseintritts nicht erschöpfend beantwortet. Er hat offenbar auch die Funktion, die Effektivität der Strafverfolgung in dem Sinne sicherzustellen, daß sie exemplarisch bleibt. Das, was hinter dieser Devise der Präventivwirkung des Nichtwissens 35 steht, ist freilich nach wie vor nicht aufgeklärt, indessen nicht Thema dieser Einleitung. Aber daß hier jedenfalls die Unterscheidung zwischen materieller und prozessualer Betrachtung nicht weiterhilft, ist offenbar und stützt die Konzeption, daß es zwischen den Eingriffen der Strafverfolgung, seien sie abstrakt angedroht oder konkret realisiert, keine entscheidenden qualitativen Sprünge gibt. (2) Die Mittel der Strafverfolgung. Auf der Ebene der Mittel, die zur Erreichung die- 27 ser komplexen Ziele eingesetzt werden, bietet sich ein entsprechendes Bild. Daß nicht jede Kausalität für die Verletzung des Rechtsguts zur strafrechtlichen Haftung führt, sondern zusätzliche objektive (bestimmte Angriffswege) und subjektive (Intentionen, besondere Vorwerfbarkeiten) Voraussetzungen erfüllt sein müssen, ergibt sich teils aus den materiellrechtlichen Tatbeständen, teils aber auch aus prozeßrechtlichen Regelungen, die entweder schon tatbestandsausschließend (ζ. B. kein tatbestandsmäßiger Hausfriedensbruch bei einem Lauschangriff nach § 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO; keine tatbestandsmäßige Strafvereitelung bei prozessual zulässigem Verteidigerhandeln) oder rechtfertigend (§§ 81 a, 102 ff, 112, 127 StPO) wirken, oder schließlich — unspezifisch — strafaufhebend; das gilt für einen großen Teil der Überlegungen, die jenseits des Deliktsbegriffs zur Strafwürdigkeit und zum Strafbedürfnis angestellt werden 36 . (3) Nebenwirkungen. Der gleiche Befund ergibt sich schließlich bei dem Konflikt 28 zwischen erstrebten Zielen und nicht beabsichtigten Nebenwirkungen. Dieser Konflikt tritt beispielsweise auf bei den Beweiserhebungsverboten. Daß sie der Wahrheitsfindung dienen, ist trotz der falschen Geständnisse, die auf Folterung beruhen, wenigstens nicht ihre einzige Legitimation; vielmehr geht es auch und im wesentlichen um den „Schutz außerprozessualer Interessen und Rechte des Beschuldigten" 37 . Eine Verwertung freilich würde die durch die Erhebung bewirkte Verletzung der Beschuldigten-Interessen nicht steigern, und doch verzichtet die Strafprozeßordnung nicht auf das Verbot der Verwer33
34
Einzelheilen mögen umstritten bleiben. Welzel selbst hat nur für die Fahrlässigkeitsdelikte die Konsequenz gezogen, daß der Erfolg eine objektive Bedingung der Strafbarkeit sei; Armin Kaufmann und Diethart Zielinski haben dann Konsequenzen für die Vorsatzdelikte gezogen. Vgl. dazu mit Nachweisen Liiderssen (Erfolgszurechnung) 318 ff; weiterführend Degener ZStW 103 (1991) 357 ff; kritisch Maiwald 64. Maiwald aaO.
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Vgl. die inzwischen klassisch gewordene Abhandlung von Popitz Über die Präventivwirkung des Nichtwissens (1968). Liiderssen Strafrecht und „Dunkelziffer" (1972). S. dazu LR-Rieß Einl. Β 26; ferner LUderssen/Sack Abweichendes Verhalten aaO 220; Volk (Entkriminalisierung) ZStW 97 (1985) 871 ff; Blum-, NKHassemer Vor § 1 Rdn. 217 ff. Neumann ZStW 101 (1989) 52 (61).
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Einleitung
tung: hier tritt demgemäß wieder ein anderes Ziel in Konkurrenz zur Wahrheitsfindung, das man als Gebot der Fairneß des Verfahrens bezeichnen könnte38. 29
bb) Ein Kriminal-Justiz-System? Eine völlig konsistente Gleichordnung von materiellem Strafrecht und Strafprozeßrecht zu begründen, kann nicht Aufgabe dieses Abschnittes der Einleitung sein39. Allerdings muß hier so viel darüber gesagt werden, daß die für Auslegung und Anwendung des Strafprozeßrechts abzuleitenden Konsequenzen nachvollziehbar werden. Das Problem ist, daß mit der Beseitigung einer als überholt empfundenen Trennung von Phänomenen nicht automatisch eine einheitliche Grundlage gegeben ist. Die Beseitigung der Trennung stellt nicht einfach wieder etwas her. Erstens deshalb nicht, weil die Trennung zu lange angedauert hat, als daß ein einfaches Zurückgehen auf den Status quo ante überhaupt möglich erscheint. Ferner: selbst wenn man das könnte, wird man keineswegs auf eine geschlossene Konzeption stoßen, sondern lediglich auf etwas relativ ungeordnet Historisch-Gewachsenes. Für unsere Epoche und die Zukunft muß das ersetzt werden durch etwas, was man „criminal justice system" nennen könnte, und in der Tat scheint insofern die anglo-amerikanische Tradition eine günstigere Basis für die Lösung der Probleme zu bieten, von denen hier die Rede ist. Eine konzeptionelle Gleichgewichtigkeit materiellrechtlicher und prozessualer Probleme muß sui generis sein, kann nicht nur durch Verschmelzung stattfinden.
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Der Weg dahin ist schwierig und von der Gefahr bedroht, daß nunmehr das Prozessuale gegenüber dem Materiellen zu sehr betont wird, auch wenn das zunächst noch als liberale Lösung erscheint40. Kriminalsoziologisch gesehen würde das auf einen konsequenten Interaktionismus (jetzt — sozialer — Konstruktivismus genannt)41 hinauslaufen. Bemerkenswert ist, wie nahe diesen modernen Ansichten die Version vom Prozeß gewesen ist, die in den zwanziger Jahren James Goldschmidt42 präsentiert hat, klar erkannt bereits von Fritz v. Hippel43. Der Prozeß erscheint „als die übergeordnete Macht . . . die nicht dem Rechte, sondern der das Recht unterworfen ist"44. Luhmann45 hat das später „Immunisierung" getauft, damit aber im Grunde seine Diagnose nur euphemistisch verschleiert. Die Spannung zwischen materieller Richtigkeit und prozessualer Realisierung ist letztlich nicht auflösbar.
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Deshalb wird auch jene Richtung, die sich darauf beschränkt, die Auflösung der Spannung durch eine besonders strikte Anwendung des Gesetzlichkeitsprinzips zu bewirken 46 , den verschiedenen Sachlagen nicht gerecht. Erforderlich ist vielmehr eine wirklich 38
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Neumann aaO 66. Die Einbindung der Beweisverwertungsverbote in die Theorie der positiven Generalprävention (vgl. darüber Neumann aaO mit Belegen) würde an diesem Ergebnis nichts ändern; im Gegenteil: die Vertreter der positiven Generalprävention betonen ja gerade mit ihrer Behauptung, daß das faire Verfahren normstabilisierend wirke, die Einheit der beiden Rechtsgebiete (vgl. Hassemer Einige Bemerkungen Uber „Positive Generalprävention", FS Buchala (1994) 134 ff; jetzt auch NK-Hassemer, Vor § 1 Rdn. 429 ff). Grundlegende Ausführungen dazu - im Sinn der hier eingenommenen Position - aber bereits bei Naucke (Wechselwirkung) 8 ff; Naucke (Lücken) 269 (275 ff); Naucke GA 1998 263; ebenso Hassemer ZRP 1997 316 (319 f); ausführlicher und systematisch in NK-Hassemer Vor § 1 Rdn. 387 ff; besonders gründlich: Marxen 324 ff; femer Volk und Paeffgen aaO; Wolter Rudolphi-Symp. 267 ff; Wolfslast 92 ff; LUderssen ZStW 1985 aaO. Ein-
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deutige Tendenzen in dieser Richtung finden sich aber auch schon in der älteren Literatur, ζ. B. Baumann 14 ff mit weiteren Belegen. Wie etwa der Vorschlag von Günther aaO 223, angesichts jener Aporien, in die man bei der Kausalitätsfeststellung gerät, wenigstens die prozessualen Möglichkeiten des Beschuldigten auszubauen (also ζ. B. nicht nur keine Einschränkung des Beweisantragsrechts, sondern vielleicht sogar eine Erweiterung) und zusätzliche richterliche Begründungspflichten zu etablieren. Hess/Scheerer Was ist Kriminalität? KrimJ 1997 83. AaO. AaO. Goldschmidt 246. Legitimation durch Verfahren (1969). So ζ. B. Naucke Die Aushöhlung der strafrechtlichen Gesetzlichkeit durch den relativistischen, politisch aufgeladenen strafrechtlichen Positivismus, in: Institut für Kriminalwissenschaften (Hrsg.),
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in die Tiefe gehende Analyse der Situation des Beschuldigten in den verschiedenen Phasen, die er bis zur Verurteilung oder zum Freispruch erlebt, konfrontiert mit dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft und den Bedürfnissen einzelner Geschädigter. Anders ausgedrückt, es konkurriert die Unschuldsvermutung mit den Strafzwecken. Beide Materien sind in unglaublicher Bewegung. Bei den Strafzwecken ist längst der Abschied von den monolithischen Blöcken: Vergeltung und/oder Prävention eingeleitet. An die Stelle davon ist ein großes Ensemble von Reaktionen getreten. Das Bild der Unschuldsvermutung ist ähnlich komplex, insbesondere durch Rechtsvergleichung und übergreifende Rechtsordnungen bestimmt. Hinzu kommt, daß man viel reflektierter geworden ist mit Bezug auf das wissenschaftstheoretische Problem, das hinter der Dialektik von Unschuldsvermutung und Strafzwecken verborgen ist 47 . 2. Das Verhältnis zwischen Strafprozeßrecht und Polizeirecht. Die Einheit von 32 Strafrecht und Strafprozeß schließt das Polizeirecht aus. Dessen ausschließlich präventive Funktion folgt prinzipiell anderen Regeln. Die gelegentlich — in der Praxis — zu beobachtenden Überschneidungen (repressive Nutzung präventiv gewonnener Informationen) werden — freilich wohl vergebens — mit Recht kritisiert48. Ebenso verhält es sich bei den Übergängen vom Strafprozeßrecht zum Polizeirecht (präventive Nutzung repressiv gewonnener Informationen, vgl. etwa § 100 f StPO). Für die Methode der Rechtsanwendung wird hier gleichwohl insoweit von der Trennung der Materien ausgegangen. Diese Konzeption wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß sich — über die Strafzwecke — mit der repressiven Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane ein präventives Fernziel verbindet. Auch die Teile des Verwaltungsrechts, die in Verbindung mit dem Strafprozeß (ζ. B. 3 3 spezielle Rechtswegfragen) stehen, bleiben — unter Methodenaspekten — ausgeklammert. Das mag mit Blick darauf problematisch erscheinen, daß die Strafprozeßordnung, in dem Maße, wie sie die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft regelt, auch für die Exekutive gilt 49 . Indessen ändert das Zusammentreffen von Exekutive und Judikative nichts daran, daß die strafrechtstypischen Eingriffe — obwohl, wie dargelegt, äußerst komplex zusammengesetzt — eine Einheit bilden 50 .
47
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Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts (1995) 483 (495); Hamm NJW 1996 2981; Mertens aaO 87 ff; Maier 123 ff. Im einzelnen kann das hier nicht ausgeführt werden; vgl. Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1998) 519 ff; s. aber auch schon Schubarth Zur Tragweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung (1978) 27 ff unter Bezugnahme auf ältere Literatur; ferner Frisier, für das Verhältnis von Unschuldsvermutung und Verdacht vgl. Schulz aaO 1998. Teil III 1. Denninger, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts 2 (1996) 193 ff; Paeffgen „Verpolizeilichung" des Strafprozesses - Chimäre oder Gefahr? Rudolphi-Symp. 13 ff; Wolter Datenschutz und Strafprozeß. Zum Verhältnis von Polizeirecht und Strafprozeßrecht, ZStW 107 (1995) 793 ff; Liiderssen Polizei zwischen Effizienzerfordemissen und rechtsstaatlichen Kontrollbedürfnissen, in: Kühne/Miyazawa, Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich (1995) 195; Schröder Das verwaltungsrechtlich or-
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ganisierte Verhältnis der strafverfolgenden Polizei zur Staatsanwaltschaft (1996); Rieß GA 1998 246. Streitig; für die hier eingenommene Position vgl. Koller Die Staatsanwaltschaft - Organe der Judikative oder Exekutivbehörde? Die Stellung der Anklagebehörde und die Gewaltenteilung des Grundgesetzes (1997) mit Nachweisen aller vertretenen Meinungen; s. auch oben LR-Rieß Einl. I 56. Die Einheit der Materie zieht nicht die Einheit der Organisationsform nach sich. Strafverfolgung kann auf mehrere Staatsgewalten verteilt bleiben (man denke insoweit auch an den Strafvollzug); d. h. nur für einen engeren Kreis von Entscheidungen ist sie typisch richterlich. Auch auf diesem Gebiete wirkt sich der wohldurchdachte Antagonismus der Staatsgewalten fruchtbar aus. Der Strafanspruch der Allgemeinheit (eine problematisch gewordene, aber noch gültige Metapher) ist dem Staat, nicht einer seiner Staatsgewalten übertragen. Der Staat übt diesen Strafanspruch in der Weise aus, daß die Staatsanwaltschaft im Einzelfall ihre Vorstellungen über Strafgerechtigkeit konzipiert und sie dann vor seine Gerichte trägt.
Klaus Liiderssen
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Einleitung
III. Folgerungen für die Rechtsanwendung im Strafprozeßrecht. Das Prinzip: Gleichordnung mit dem materiellen Strafrecht 1. Auslegung. Rechtssatzkonkretisierung 34
a) Primär mit dem materiellen Strafrecht verbundene Kriterien. Abgesehen von den ganz allgemeinen Regeln, die für die Auslegung aller Rechtssätze gelten 51 — grammatische, (auf den Willen des Gesetzgebers bezogene) subjektive 52 , (auf die objektiven „Gesetzesmaterialien" bezogene evolutionsorientierte) historische, systematische und (auf den Sinn und Zweck der Norm hier und jetzt bezogene) teleologische Auslegung 53 —, ist für das Strafprozeßrecht auch das verbindlich, was speziell für das materielle Strafrecht entwickelt worden ist. Zunächst ist das für die unstreitigen Fragen festzuhalten, also vor allem für die besondere Akzentuierung des Bestimmtheitsgrundsatzes im Rahmen des Gesetzesvorbehalts. Er ist das funktionale Äquivalent für den „nulla poena sine crimen"Satz des materiellen Strafrechts54. Aber auch für speziell im Strafrecht streitig gewordene allgemeine Auslegungslehren, also etwa die Bevorzugung der subjektiven Methode 55 (jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Kriterienkonkurrenz), muß das Gleichordnungsprinzip beachtet werden: Wer insofern zugespitzte Fragen stellt, muß das auch im Strafprozeßrecht tun 56 .
b) Primär mit dem Strafprozeßrecht verbundene Kriterien 35
aa) Zur teleologischen Auslegung. Hier tauchen spezielle Figuren der Folgenorientierung auf, wie „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege"57, konkretisiert etwa in Grenzsituationen (ζ. B. sehr lange ganz ohne gesetzliche Grundlagen agierender verdeckter Ermittler, Umgang mit Sperrerklärungen bei V-Leuten, Reduzierung von Beweis-, ins-
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Für den Benutzer der Strafprozeßordnung zusammengestellt in AK-Loos Einleitung Rdn. 10 ff; sehr ausführlich die - parallele, auch für den Strafproz e s s u a l e n instruktive - Kommentierung der ZPO: Stein-Jonas-Schumann Einleitung I Ε (Die Anwendung des Zivilprozeßrechts) mit zahlreichen Nachweisen aus der allgemeinen methodologischen Literatur. Unberücksichtigt bleibt hier, daß von subjektiver Auslegung auch bezogen auf die Person des Interpreten gesprochen wird (s. dazu Isensee Vom Ethos des Interpreten. Das subjektive Element der Normauslegung und seine Einbindung in den Verfassungsstaat, FS Winkler 367 ff). Für den insoweit in der allgemeinen Methodenlehre erreichten Status muß es hier bei dem Hinweis auf ganz allgemeine Linien bewenden. Mit Blick auf die Zweifel an der deduktiv-analytischen Möglichkeit der Rekonstruktion des Gesetzes bzw. der Intentionen und Ausgangspunkte des Gesetzgebers spricht man eher von Konkretisierung als von Auslegung. In die Reflexion der Methoden, die den Prozeß der Konkretisierung lenken, gehen diverse philosophisch-soziologische Entwicklungen ein, für die hier nur einige Stichworte gegeben werden können. Sie bewegen sich zwischen Hermeneutik, Topik (anspruchsvoller: „Argumentationstheorie"), Systemdenken, neuer idealistischer Philosophie, Varianten der Subjektphilosophie und des Kon-
senskonzepts, aber auch Sprachanalyse, Law and Literature, Law and Economics, Beziehungen zur Rechtsgeschichte, Methodendiskussionen auf der Basis neuerer - vor allem posttotalitärer - Rechtsentwicklungen, daraus hervorgehende Auseinandersetzungen mit neuerer Literatur zum Vernunftrecht, damit konfrontiert: restriktiver Positivismus, ferner: neue Bedürfnisse der Rechtsgesellschaft, etwas rechtlich zu regeln, was bisher rechtlich nicht geregelt war, und andererseits rechtliche Regeln, dort, wo sie traditionell waren, zurückzudrängen. Neue Rechtsbegriffe (ζ. B. kommunikativ-topischer Rechtsbegriff), weitergehende Rechtsbegriffe (Einbeziehung sozialer Wertungen); die neue Oszillation zwischen Moral und Recht, Herkunft der entscheidenden Impulse für moderne Gesetzgebung, zum Teil aber auch für die Rechtsprechung aus der Moral (ζ. B. Umweltrecht), dann das Gegenteil: moralische Probleme werden nur durch das Nadelöhr des Rechts sichtbar (ζ. B. nicht legalisierbare verdeckte Ermittlungen). 54
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Die von LR-Rieß Einl. Β 24 eingenommene Position, daß für diesen Satz im Strafprozeßrecht kein Raum sei, wird in dieser Entschiedenheit hier nicht geteilt. Naucke (Nutzen) 274. Konsequent Naucke (Grundlinien) 40 ff. AK-Loos sieht hier ein Problem der Rechtsfortbildung; dazu näher LR-Rieß Einl. G 10 ff.
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besondere Beweiserhebungsverboten). Weitere hierher gehörige Begriffe 58 sind Fürsorgepflicht, Waffengleichheit, Prozeßökonomie, Rechtsmißbrauch 59 und vor allem das Verhältnismäßigkeitsprinzip. bb) Zur systematischen Auslegung. Hierher gehören speziell 36 (1) die Konkordanzprobleme (a) Strafrecht, Strafprozeßrecht: Was prozessual erlaubt ist, kann nicht strafbar sein 60 . Den Grundfall bilden die Zwangsmaßnahmen, die strafrechtlich geschützte Rechtsgüter verletzen. Aber hier gibt es viele Grenzfälle. Beispiel: Wie weit kann die Gewaltanwendung bei vorläufiger Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO gehen; aktuell: schließt § 81 a StPO die Erlaubnis zur Verabreichung von Brechmitteln bei Drogendealern ein 61 ? Umgekehrt: was nicht strafbar ist, kann prozessual unzulässig sein. Der Hauptanwendungsfall ist § 136 a StPO; auch wenn keine Rechtsbeugung gegeben ist, kann unerlaubte Täuschung etc. vorliegen. Ein besonders umstrittener Grenzfall: § 136 a Abs. 1 Satz 2 (genügt schon der objektiv unzulässige Zwang — in Gestalt unzulässiger Untersuchungshaft, etwa weil der dringende Tatverdacht oder ein Haftgrund fehlt 62 , oder muß es ein finaler Zwang sein, der freilich im Zweifel bereits Rechtsbeugung bedeutet?). (b) Strafprozeßrecht, Verfassungsrecht, EMRK und IPBPR sowie Verwaltungs- 37 Vorschriften: Was verfassungsrechtlich und völkerrechtlich verboten ist, kann im Strafprozeß nicht erlaubt sein. Verfassungskonforme Auslegung ist längst ein fester Topos 63 . Noch immer nicht erschöpfend indessen ist die Orientierung an der EMRK und am IPBPR 64 . Wenig befriedigend ist die Abklärung des Verhältnisses zu BKAG 65 , JuMiG sowie zu RiStBV 66 und MiStra. (c) Strafprozeßrecht, Europarecht: Das sind Kategorien der Zukunft. „Die Europäi- 38 sierung des Strafverfahrens ist faktisch längst im Gange. Von einer Europäisierung des Strafprozeßrec/jfi kann dagegen noch kaum gesprochen werden; noch weniger ist eine Europäische Strafprozeßordnung in Sicht" 67 . Was das Verfahren angeht, so wird auch hier die „Verpolizeilichung" beklagt 68 . (2) Das mißglückte Gesetz 69 : Diese bisher verborgene Kategorie rückt mehr und 39 mehr in den Vordergrund 70 . Vor die Wahl gestellt, einen inneren Widerspruch einer einzelnen Norm oder eines größeren Nonnzusammenhanges pragmatisch zu akzeptieren, mit der Folge ständiger Begründungsnot im Einzelfall, oder die mißglückte Systematik zu korrigieren, entscheidet sich die Praxis in der Regel für die erste, die Wissenschaft für
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Von Tiedemann 131 ff, „Zwischenbegriffe" genannt; s. dazu auch Loos S. 29 ff; ferner LR-Rieß Einl. Η 98 ff; J 34 ff. Weitgehend überholt dürften die Abstufungen nach Formvorschriften, wozu auch Belehrungspflichten gerechnet werden, und „echten" Verboten sein (so aber noch Tiedemann 135). Tiedemann 145. Dagegen OLG Frankfurt StV 1996 651; Dallmeyer StV 1997 606; kritisch Benfer Einsatz brechreizerregender Mittel bei Drogendealem? JR 1998 53; generell zu den „Begleiteingriffen" bei der Anwendung des § 81 a StPO Mertens 36 ff. So LG Bad Kreuznach StV 1993 629, dagegen BGH StV 1996 76; zustimmend LR-Hanack § 136 a, 47; krit. Anm. Fezer StV 1996 73; Paeff-
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gen Rechtsprechungsübersicht in U-Haft-Sachen, 1. Teil, NStZ 1997 75 ff. Vgl. F. Müller S. 90; Pawlowski Rdn. 557. Frister StV 1998 159; LR-Rieß Einl. Β 33 ff; C 7 ff. Dazu Schreiber NJW 1997 2137; Riegel NJW 1998 3408. Die Arbeit von Leonhardt Rechtsmittelermessen der Staatsanwaltschaft (1994) ist nach wie vor eine Ausnahme; s. im übrigen LR-Rieß, Einl. C 15 f. Neües Europäisierung des Strafverfahrens - Strafprozeßrecht für Europa? ZStW 109 (1997) 727 (730). Nelles aaO 731 ff. Vgl. die neue, unter dem gleichen Titel von Diederichsen herausgegebene Monographie (1997). Diederichsen aaO.
Klaus Lüderssen
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Einleitung
die zweite Möglichkeit. Das ist deshalb bemerkenswert, weil der Praxis die nicht miteinander zu vereinbarenden Ergebnisse eher vor Augen treten als der Wissenschaft. 40
Ein Hauptbeispiel für dieses Problem ist der Antagonismus zwischen Pflichtverteidigung und Wahl Verteidigung. Der Gesetzgeber hat diese beiden Regelungskomplexe nicht nach dem einheitlichen Prinzip gestaltet, das dem Strafprozeßrecht in Verbindung mit der Verfassung zu entnehmen ist: Der Gleichheitssatz — Art. 3 GG — fordert, daß das Recht des Beschuldigten auf Verteidigung nicht mit zweierlei Maß gemessen werden darf. Will man dieses Ergebnis vermeiden, müssen die Vorschriften über die Pflichtverteidigung so interpretiert werden, daß — bei Hintanstellung der für ihre isolierte Betrachtung maßgebenden sprachlichen und historischen Kriterien — Lösungen entwickelt werden, die nur mit Blick auf die große systematisch-teleologische Linie — die der Gesetzgeber aber nachweislich verfehlt hat — vertretbar sind 71 . Andere Beispiele lassen sich leicht finden, und zwar überall dort, wo die Anwendung eines Zwangsmittels nur möglich erscheint unter der Voraussetzung, daß man auch andere Zwangsmittel (körperliche Eingriffe, Freiheitsentziehungen) anwendet, obwohl die speziellen Voraussetzungen für ihre Zulässigkeit nicht gegeben sind. Die Praxis hilft sich hier mit dem Argument einer evidenten Implikation. Aber das ist ebenfalls ein Kunstgriff, der seine Legitimation aus der Tatsache ableitet, daß übergeordnete Gesichtspunkte den Widerspruch in casu aufheben. Wie wenig verläßlich diese Methode ist, geht allein schon daraus hervor, daß die Grenzen jener, mit der Gestattung des einen Eingriffs implizit gemeinten Gestattung anderer Eingriffe keineswegs leicht zu ziehen sind. 2. Geltungserweiterungen a) Analogie
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aa) Definition. Von einer analogen Geltung eines Rechtssatzes spricht man, wenn eine sogenannte Regelungslücke existiert (wobei planmäßige und planwidrige unterschieden werden) und Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit — oder Sicherheitserwägungen — darauf deuten, daß ein Sachverhalt, der einem Sachverhalt ähnlich ist, für dessen Behandlung eine klare Regelung zur Verfügung steht, ebenso behandelt werden soll.
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bb) Abgrenzung zur extensiven Auslegung. Dieses Problem hat die allgemeine Rechtslehre bisher vergeblich zu lösen versucht. Es taucht in allen Rechtsgebieten auf, und die Entscheidungen darüber, ob etwas erlaubte extensive Auslegung oder unerlaubte Analogie sei, ist fast immer rechtspolitisch motiviert 72 . Je mehr es bei einem Rechtssatz auf seine Bestimmtheit ankommt, um so weniger wird man die Grenze der Analogie zugunsten einer extensiven Auslegung verschieben. Da der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht eine sehr große Bedeutung hat, ist dort also besondere Vorsicht geboten; vereinzelt führt sie sogar dazu, die teleologische Auslegung ganz abzulehnen 73 ; in dem Maße, wie hier dargelegt, das Strafprozeßrecht sich in seinen Funktionen vom Strafrecht nicht unterscheidet, gilt jene Vorsicht also auch dort. Eine Reihe von Fällen, in denen die Rechtsprechung die analoge Bildung von Rechtssätzen zur Rechtfertigung von Eingriffen abgelehnt hat, wäre demgemäß unter der Devise extensiver Auslegung eventuell anders entschieden worden. Kritiker dieser Entscheidungen 74 versuchen daher zum Teil auch ein71
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Vgl. dazu Lüdensen StV 1998 353; ders. Anm. zu BVerfG StV 1998 355 (357). Guter Überblick jetzt bei Bär 160 ff. S. oben bei Naucke (Fußn. 46). Guter Überblick über die Kasuistik bei Bär 73 ff („Lügendetektor", „Alkoholtest", „Verteidigeraus-
schluß", „Zufallsfunde bei Telefonüberwachung", „Gegenüberstellung mit Zwang", „Auskunft Uber behördlich geheimgehaltenen Zeugen", „Raumgesprächsaufnahme", „Beschlagnahmeverbot bei Telefonüberwachung", „Stimmenvergleich", „Fernsehfahndung", „Haftrecht"); s. ferner die von
Stand: 1.8. 1998
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fach über die im Prinzip unstreitige extensive Auslegung ihre Ergebnisse zu verteidigen 75 . Unter der Prämisse der Gleichordnung von Strafrecht und Strafprozeßrecht ist dieser Weg freilich versperrt 76 . cc) Analogie „zuungunsten oder zugunsten . . . " . In den Fällen, die eindeutig analo- 43 gisierende Rechtssatzkonkretisierung darstellen, drängt sich die Frage nach zugunsten oder zuungunsten unter dem Aspekt auf, daß im materiellen Strafrecht analoge Strafrechtsanwendung nur zuungunsten des Angeklagten ausdrücklich verboten ist. Die Analogie zugunsten des Beschuldigten unterliegt den allgemeinen Kriterien, wobei aber auch hier mehr als in anderen Rechtsgebieten der Bestimmtheitsgrundsatz zu beachten ist 77 . Andererseits bringt gerade die moderne Gesetzgebung die Gerichte insofern in größte Nöte: Die Einführung des Instituts der Annahmeberufung 78 etwa hat sehr bald zu oberlandesgerichtlichen Entscheidungen geführt, die über die Frage zu entscheiden hatten, ob die Staatsanwaltschaft nicht nur bei geringfügigen Strafanträgen, sondern auch im Falle der Beantragung eines Freispruchs auf die Annahme der Berufung angewiesen sein sollte. Die Oberlandesgerichte haben das abgelehnt mit der Begründung, in diesen Fällen handele es sich um ein aliud, die Motive für die Beantragung eines Freispruchs hätten nicht unbedingt etwas mit der Schwere des Tatvorwurfs zu tun, sondern seien eher mit Blick auf die Beweislage zu interpretieren; die Staatsanwaltschaft habe in der Hoffnung gehandelt, in der nächsten Instanz mehr Material zur Verfügung zu haben. Die analoge Anwendung des § 313 Abs. 2 StPO wird also abgelehnt, obwohl sie eigentlich nur zugunsten des Verurteilten ausschlagen kann, weil das Risiko, daß die Berufung nicht angenommen wird, von der Staatsanwaltschaft getragen wird. Hier ist nun sehr deutlich zu erkennen, daß mit einem strengen Gesetzlichkeitsprinzip der Weg in eine Analogie abgeschnitten werden kann 79 , aber man sieht zugleich, daß ein inhaltliches, den Abwägungsprozeß zwischen „Allmacht des strafenden Staates und Ohnmacht des verdächtigten Einzelnen" — so hat Walter Sax die Aufgabe des Strafprozeßrechts einmal formuliert — zu einem überzeugenden Kompromiß führendes Kriterium dabei ganz fehlen würde. Denn es könnte ja mit Blick auf die Asymmetrie der Machtverhältnisse durchaus sinnvoll sein, die Annahme der Berufung der Staatsanwaltschaft unter strengere Voraussetzungen zu stellen als die des Beschuldigten. Mertens 24 ff behandelten Fälle (Untersuchungshaft wegen Verdachts der Wiederholung des Vollrausches - analoge Anwendung des § 112 a StPO?, Sicherungshaftbefehl bei nachträglicher Entscheidung über die Nichtaussetzung der Jugendstrafe die Analogie zu § 453 c StPO, Haft zur Erzwingung des Eides - die Analogie zu § 70 Abs. 2 StPO, Begleiteingriffe bei der Anwendung des § 81 a StPO, die Erzwingung von Identifizierungsgegenüberstellungen und von Maßnahmen zu deren Durchführung, die Personendurchsuchung des Nichtbeschuldigten); weitere Bsp. bei Brenner Die strafprozessuale Überwachung des Fernmeldeverkehrs mit Verteidigern (1994) 122 ff (Analogie zu § 108 Abs. 1 StPO, Anpassung an die spezifischen Voraussetzungen des § 100 a StPO, analoge Anwendung des § 97 Abs. 2 S. 3 StPO auf den Verteidiger, Überwachung des Anschlusses des Verteidigers nach § 100 a S. 2 Var. 1 StPO bzw. seines Anschlußüberlassers nach § 1 0 0 a S. 2 Var. 3 StPO); s. auch Baier Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der Strafprozeßordnung als Ergänzung der §§ 52 ff StPO (1996) S. 167 ff; Dencker Willensfehler bei Rechtsmittel(401)
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verzicht und Rechtsmittelrücknahme im Strafprozeß (1972) 25 ff (30 ff) (analoge Anwendung des § 136 a StPO auf Fälle von Willensfehlem bei Prozeßhandlungen). Gegen diese Praxis entschieden Mertens (dagegen wiederum im Ergebnis skeptisch Rieß GA 1998 303; Bär 63 f, 167 f. Die Kasuistik kann hier nicht im einzelnen durchgegangen werden; dort, d. h. bei den einzelnen Vorschriften, wo sie jeweils auftaucht, wären nach der hier entwickelten Grundlinie also restriktive Empfehlungen auszusprechen. Noch weitergehend - für das gesamte öffentliche Recht, insbesondere freilich für das Steuerrecht Tipke Steuerrecht 11 (1987) 57 (dazu Bär 146); ein interessanter Anwendungsfall versagter Analogie zugunsten des Beschuldigten bei Wasserburg Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens (1984) 271 ff. Dazu die Erl. zu § 3 1 3 StPO; femer Hettenbach Die Annahmeberufung nach § 3 1 3 StPO (1997) mit weiterer Literatur. Meyer-Goßner NStZ 1998 19.
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Die Achtung, die der Bestimmtheitsgrundsatz genießt, kann man im übrigen am besten ablesen an dem Umgang mit unbestimmten RechtsbegrifFen und mit Generalklauseln. Solange das Bundesverfassungsgericht 80 darin keine prinzipielle Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes sieht — auch im Strafrecht nicht —, sind insoweit keine besonderen Beschränkungen angezeigt 81 . Wie schwer im Einzelfall die Entscheidung auch fallen mag, das Terrain scheint durch die dichte Abstufung von allmählich entwickelten Prinzipien einigermaßen überschaubar.
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Keineswegs kann man das aber sagen in bezug auf die Frage, ob immer mit Sicherheit vorauszusehen ist, welche Entscheidung zugunsten und welche zuungunsten des Beschuldigten ausfällt. Der Bundesgerichtshof hat es ζ. B. abgelehnt, in analoger Anwendung des § 168 c Abs. 2 StPO auch bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten dem Beschuldigten die Anwesenheit zu gestatten 82 . Fezer hat dem widersprochen 83 . Zwar geht der Streit nur darum, ob die allgemeinen Voraussetzungen für eine Analogie vorliegen. Stillschweigend wird angenommen, daß es für den Beschuldigten günstig sei, wenn er bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten dabei ist. Indessen ist das in Einzelfallen durchaus zweifelhaft. Wenn ein Mitbeschuldigter die Tat bestreitet, der andere Mitbeschuldigte aber schon ein Geständnis abgelegt hat, kann die Konfrontation beider Mitbeschuldigten in der Verhandlung leicht dazu führen, daß der geständige Mitbeschuldigte den nichtgeständigen Beschuldigten mit Beschuldigungen konfrontiert, die seine bestreitende Position ernsthaft gefährden. Gewährt man dem geständigen Mitbeschuldigten das Recht zur Anwesenheit bei der Vernehmung des nichtgeständigen Mitbeschuldigten, so kann das also für diesen eine große Belastung bedeuten.
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Ein weiteres Problem wirft die Unterscheidung „zugunsten oder zuungunsten . . . " auf, wenn nicht nur die Beschuldigten, sondern auch Zeugen oder andere Dritte in die Erwägung einbezogen werden, ob ihre Position durch eine Verfahrensmaßnahme verbessert oder verschlechtert wird. Die aus dem materiellen Strafrecht geläufige Vorstellung, daß Belastungen oder Entlastungen sich immer nur auf den Beschuldigten beziehen, muß hier verlassen werden. Die einfachste Lösung wäre, alle Fälle „zuungunsten" gleich zu behandeln. Aber dem steht entgegen, daß eine Maßnahme oder ein Verfahrensschritt gleichzeitig zugunsten des einen Betroffenen und zuungunsten des anderen Betroffenen erfolgen kann. Im Zweifel immer für die Position des Beschuldigten einzutreten kann mit Blick auf Zeugen und auch Opferschutz (beides ebenfalls Aufgaben des Strafprozeßrechts) nicht die einzige Devise sein. Vielmehr wird es hier um schwierige Abwägungsprozesse gehen 84 .
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dd) Analogieverbot im Strafprozeßrecht. Für die den Beschuldigten belastende Analogie ergibt sich dies ohne weiteres aus der Gleichordnung des strafrechtlichen und strafprozessualen Eingriffs. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Eingriff eine Zwangsmaßnahme im Sinne des Strafprozeßrechts ist oder eine den Beschuldigten „nur" in anderer Weise belastende Verfahrensmaßnahme 85 . Auf die Frage, ob dieses Analogieverbot schon aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt für öffentlich-rechtliche Regelungen folgt 86 , kommt es insoweit also nicht an. Noch offensichtlicher ist das bei Zwangsmaßnahmen, die zu einer Freiheitsentziehung führen, also bei der Untersuchungshaft und 80 81
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Vgl. dazu die Nachweise bei Bär 151. Gleichwohl fällt auf, wie vorsichtig insoweit im materiellen Strafrecht gearbeitet wird, wenn man etwa sich vergegenwärtigt, mit welchen Schwierigkeiten ein Prinzip der übergesetzlichen Unzumutbarkeit anderen Verhaltens noch jenseits der Fahrlässigkeits-und Unterlassungsdelikte zu kämpfen hat. BGHSt 42 391 = JZ 1997 1016 ff mit Anm. Fezer
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= NStZ 1997 351 mit Anm. Rieß-, vgl. auch Kiipper/Mosbacher JuS 1998 692 ff. Fezer Anm. zu BGH JZ 1997 1016 (1019 ff); kritisch auch Rieß NStZ 1997 353. Auch sie können hier nicht im einzelnen für jede Fallkonstellation fixiert werden. S. dazu Bär 157. Vgl. dazu die Ausführungen von Bär 122 ff mit reichhaltigen Literaturnachweisen.
Stand: 1. 8. 1998
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der vorläufigen Festnahme. Hier ergibt sich das Analogieverbot direkt aus Art. 104 Abs. 1 GG. Für die den Beschuldigten nicht belastenden Maßnahmen oder Verfahrensvorgänge ist die Parallele zum materiell-strafrechtlichen Analogieverbot nicht ohne weiteres einsichtig. Hier wird man dann auf den allgemeinen Gesetzesvorbehalt zurückgreifen müssen, mit der Maßgabe, daß er im öffentlichen Recht besonders streng zu handhaben ist 87 . b) Rückwirkungsverbot. Der Grundsatz der Gleichrangigkeit strafrechtlicher und 4 8 strafprozessualer Eingriffe muß dazu führen, das Rückwirkungsverbot auch im Strafprozeßrecht durchzusetzen. Eine direkte Anknüpfung an Art. 103 Abs. 2 GG scheint dabei freilich zunächst nicht in Betracht zu kommen, denn dort ist eindeutig von der Strafbarkeit einer Tat die Rede. Eine reflektierte Wortauslegung könnte die Strafbarkeit zwar in dem hier skizzierten umfassenden Sinne deuten 88 , und auch systematisch-teleologische Erwägungen könnten dieses Ergebnis stützen, man hätte dann jedoch mit der historischen (subjektiven wie objektiven) Ausgangsposition Schwierigkeiten 89 — unter der Voraussetzung, daß bei einer derartigen Sachlage die Konkurrenz der Auslegungskriterien, die auch für das Verfassungsrecht gelten, zugunsten der historischen Auslegung aufzulösen wäre. Ein dahingehender Grundsatz existiert allerdings nicht. Hinzu kommt, daß man die Auffassungen, die sich in der Gesetzgebungsgeschichte widerspiegeln, in ihrem Selbstverständnis korrigieren muß 9 0 . Wenn der Sinn des Rückwirkungsverbots darin bestanden hat, den Bürger vor gesetzgeberischer Willkür durch eine objektive Begrenzung staatlicher Strafgewalt zu schützen, so folgt daraus, daß dieser Schutz durch das Erfordernis „allgemeiner, nicht auf bestimmte Einzelfälle rückwirkender Gesetze" auch die Einbeziehung von Prozeßgesetzen nahelegt, die den Freiheitsbereich des Betroffenen berühren 91 . Wer das in dieser Allgemeinheit nicht anerkennen möchte, dem bleibt immer noch die 4 9 Position, es vom konkreten Einzelfall abhängig zu machen, ob Rückwirkung im Prozeß möglich sei oder nicht 92 . So gesehen ist also auch verfassungsrechtlich die Argumentation offen für ein teleologisches Verständnis des Eingriffscharakters der Strafverfolgung, das Prozeßrecht und Strafrecht gleichermaßen im „Tat"begriff berücksichtigt. Daß man dabei ein „abgestuftes System" der Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots zum Strafverfahrensrecht befürwortet 93 , ist dann nicht mehr von prinzipieller Bedeutung, zumal die Geltung des Rückwirkungsverbotes im Strafverfahrensrecht auch danach sehr weit geht; es soll erst bei den Normen der Gerichtsverfahrensorganisation enden 94 . Daß 87
Einzelheiten gehören wiederum nicht hierher. Aber ergänzend ist vielleicht zu vermerken, daß das Bild, das Rechtsprechung und Literatur in bezug auf die Frage der Zulässigkeit der Analogie im Strafverfahren bietet, sehr unübersichtlich ist. In der Literatur überwiegen die Meinungen, wonach das Analogieverbot des materiellen Strafrechts nicht auf das Strafverfahrensrecht übertragen werden dürfe (vgl. Nachweise bei Bär 72 ff). In der Rechtsprechung wird generalisierend ebenso argumentiert (vgl. Nachweise bei Bär 72 ff). Daher mag es überraschen, daß in so vielen Einzelfällen die Erweiterung von Eingriffsbefugnissen abgelehnt wird. Die Erklärung hierfür mag darin liegen, daß in diesen Fällen die Rechtsprechung offenbar nicht die Frage des Analogieverbotes vor Augen hat, sondern den allgemeinen Gesetzesvorbehalt im öffentlichen Recht [so freilich auch ein Teil der Literatur, insbesondere Krey (Gesetzesvorbehalt) und Krey (Parallelitäten) 123 ff). Im Text dürfte deutlich geworden sein, daß diese Positionen zu undif-
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ferenziert sind (einen Überblick über Regeln und Praxis des Analogieverbotes im Strafverfahrensrecht in anderen Staaten gibt Bär 158). Vgl. den Tatbegriff bei Naucke (Grundlinien) und Marxen 345. Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Pföhler 185, insb. 186 ff. S. dazu die Retrospektive bei Baumann 12 ff. Schreiber (Gesetz) 220; Schreiber (Verjährungsfristen) 348; ferner in: SK-SlGB-RudolphP §1 Rdn. 9; Einschränkungen dieses Selbstverständnisses gibt es übrigens in bezug auf das Beweisrecht, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts als durchaus in den Schutzbereich des „nulla poena"-Prinzips einzubeziehen vorgeschlagen worden ist, vgl. Schreiber (Verjährungsfristen) ZStW 80 (1968) 366; dazu Dannecker 353.
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Dies ist der Standpunkt von Jakobs Strafrecht AT 2 §47. Μ Ibid. 94 Ibid.
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demgegenüber im verfassungsrechtlichen Schrifttum die — freilich im wesentlichen begründungslose — kategorische Ablehnung der Geltung des Rückwirkungsverbotes im Strafverfahrensrecht überwiegt 95 , ist ein merkwürdiger, die mangelhafte Kooperation der an der Behandlung dieses Problems beteiligten Fächer widerspiegelnder Anachronismus. 50 Etwas verzerrt wird das Bild durch die Diskussion um die rückwirkende Verlängerung von Verjährungsfristen. Der Streit darüber ist einmal belastet durch die Frage, ob Verjährungsvorschriften materiellrechtlicher oder prozeßrechtlicher Natur seien 96 . Sind sie materiellrechtlicher Natur, so greift das Rückwirkungsverbot ohne weiteres. Dies ist freilich nur die Auffassung einer Minderheit von Autoren und vor allem nicht die Auffassung der Rechtsprechung. Aber selbst dort, wo die Rechtsnatur der Verjährungsvorschriften im Prozeßrecht lokalisiert wird, gibt es — mit Blick auf die besondere rechtsstaatliche Brisanz — Meinungen, die abweichend von dem im Verfassungsrecht vertretenen allgemeineren Grundsatz der Nichtgeltung des Rückwirkungsverbotes im Strafverfahrensrecht hier ein Rückwirkungsverbot annehmen wollen 97 . 51
In der Tat ist die Verjährung eine Schnittstelle zwischen materiellem Strafrecht und Strafprozeßrecht, die das Gemeinsame der beiden Materien noch einmal besonders deutlich macht. Gerade die aktuelle Diskussion um die Verlängerung der Verjährungsfristen in bezug auf in der ehemaligen DDR begangene Taten zeigt das. Das in dieser Sache vom Bundestag verabschiedete Gesetz 98 beruht zwar auf der stillschweigenden Annahme, daß es sich um Prozeßrecht handele und daher das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes nicht gelte. In der Sache werden die Fragen dann aber doch an einem Punkt geführt, der einerseits die Tragweite des Grundsatzes der Gleichrangigkeit von strafprozeßrechtlichen und materiell-strafrechtlich formulierten Eingriffen erkennen läßt, andererseits aber auch die Schwierigkeit, zu vernünftigen Abgrenzungen in politischen Übergangszeiten zu kommen.
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Denn selbst wenn man postuliert, daß jemand, der eine Straftat begeht, zu diesem Zeitpunkt soll wissen dürfen, wie lange er dafür verfolgt wird, erhebt sich die zusätzliche Frage, wie bei nachträglichen Unterbrechungsentscheidungen zu verfahren ist. Müssen die Gesichtspunkte, unter denen eine Unterbrechung der Verjährung angenommen werden darf, ebenfalls zum Zeitpunkt der Tat feststehen? Damit ist eine weitere wichtige Besonderheit des Rückwirkungsverbotes berührt: Es kann sowohl durch Gesetzgebungsakte wie durch Rechtspraxis verletzt werden. Da man beim Rückwirkungsverbot primär an die Gesetzgebung denkt, hat sich in bezug auf die durch Änderungen der Rechtsprechung herbeigeführten Rückwirkungen keine spezifische Fragestellung entwickelt; vielmehr wird das Problem im Rahmen der allgemeinen Frage nach der Tragweite der Garantiefunktion des Strafgesetzes behandelt 99 .
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Was die generelle Seite dieser Frage angeht, so ist sie hier nicht weiter zu behandeln; zum Prozeßrecht indessen schon gehört die Entscheidung der Frage, ob ein Bürger, dem man im Prinzip zubilligt, im Vertrauen darauf, wann seine Tat verjähren wird, handeln zu dürfen, auch noch oder erst recht den Anspruch erheben darf, nicht zur Verantwortung gezogen zu werden, weil die politischen Veränderungen, die zur Unterbrechung der 95
Schmidt-Assmann in: Maunz/Diirig Art. 103 Abs. 2 Rdn. 245; Bonn.Komm.-RUping (Zweitbearb.) Art. 103 Abs. 2 , 6 2 ; AK-Wassermann Art. 103 Rdn. 50. In einigen Kommentaren wird das Problem gar nicht erwähnt, etwa in Schmidt-Bleibtreu/Klein" (1995), von Münch/Kunig1 (1996) und Leibholz/ RinckH 1993).
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Zur geschichtlichen Entwicklung des Einordnungsproblems vgl. Dannecker Das intertemporale Strafrecht (1993) 324 ff. 97 Belege bei Pföhler (Unanwendbarkeit), Rdn. 150. 9 » v. 30. 12. 1997 (BGBl. I S. 3223). 99 Hierzu Runte Die Veränderung von Rechtfertigungsgriinden durch Rechtsprechung und Lehre (1991) 285.
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Verjährung führen, nicht innerhalb des identisch bleibenden Staates passieren, sondern dadurch, daß dieser Staat seine Justizgewalt auf einen anderen Staat, in den er gleichzeitig eintritt, überträgt. Die Frage muß hier nicht endgültig beantwortet werden. Es ist aber gerade diese aktuell-politische Zuspitzung, die das zentrale Problem — wie weit ist der Kreis der den Bürger treffenden Eingriffe zu ziehen, für welche die Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG gelten soll — besonders anschaulich macht. Was die Einzelfälle jenseits des Verjährungsproblems betrifft, so ist wiederum bei 54 Freiheitsbeschränkungen, etwa durch rückwirkende Änderungen der Haftgründe (§112 Abs. 3, 112 a StPO), relativ leicht prinzipielle Einigkeit zu erzielen, wenn man auch hier Art. 104 Abs. 1 GG heranzieht 100 . Weniger spektakulär, aber strukturell gleichliegend sind die Fälle der rückwirkenden 55 Einschränkung der Einstellungsmöglichkeiten. Werden sie als materiellrechtliche Lösungen beispielsweise der Bagatellkriminalität gedeutet 101 , so gibt es kein Problem, weil auch hier wiederum eine Rolle spielt, daß jenseits des Deliktsystems Kriterien wie Strafwürdigkeit und Strafbedürfnis eine Rolle spielen 102 . Der herrschenden Meinung entspricht das nicht 103 . Auch die Abgrenzung zwischen objektiver Strafbarkeitsbedingung und Prozeßvor- 56 aussetzung entscheidet — vor jeder grundsätzlichen Überlegung — die Frage nach der Rückwirkung 104 . Was die Fälle angeht, in denen unstreitig ist, daß eine Prozeßvoraussetzung vorliegt, so gibt es hier insofern eine Einbruchstelle in der allgemeinen Ablehnung des Rückwirkungsverbotes für das Strafprozeßrecht, als die Devise ausgegeben wird, „das Zugriffsrecht des Staates auf den Täter" dürfe „nach Begehung der Tat nicht ausgedehnt werden" 105 . Mit Recht wird freilich hierzu bemerkt, aus dieser Zweckbestimmung müsse eigentlich folgen, „daß das gesamte Prozeßrecht Art. 103 Abs. 2 GG" unterliege „und Durchbrechungen im einzelnen zu legitimieren" seien 106 . Von großer Bedeutung wird in Zukunft sein, wie man mit dem Rückwirkungsverbot 57 bei der Etablierung neuer Zuständigkeiten im Bereich der internationalen Gerichtsbarkeit umgeht 107 . Eine besonders wichtige, zukunftsträchtige Position im Rahmen der Diskussion über 58 das strafprozessuale Rückwirkungsverbot bildet das Beweisrecht 108 . Hier geht es vor allem um die nachträgliche Verschärfung von Beweisverboten oder die Einführung von Beweisvermutungen 109 . Als entscheidendes Kriterium wird angeführt, ob die einschlägigen gesetzlichen Regelungen als „Neubewertung der Tat" zu verstehen sind 110 . Für die hier eingenommene Position bedarf es dieser zusätzlichen Bewertung nicht. Was die Beweisvermutungen angeht, so haben sie vor allem das Problem der nachträglichen Veränderung der Promille-Grenze hervorgebracht. Wer hier freilich eine materiellrechtlich zu ,0 Begr. BTDrucks. 8 976, S. 67. 42 Begr. BTDrucks. 8 976, S. 21. « § 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG; BTDrucks. 8 976 Begr. S. 70; Katholnigg NJW 1978 2376; K K - P f e i f f e r 10. 44 Vgl. den Gesetzestext des Absatzes 2: die Trennung der (= durch Anhängigmachen) verbundenen Strafsachen. Allg. Meinung Rdn. 38; DallingerLackner Rdn. 4; Eisenberg Rdn. 12; Grelhlein2 Anm. 2, 3 a; Potrykus3 Anm. 3; Brunner Rdn. 2, je zu § 103 JGG. - Zur Zeit dieser Kommentierungen lautete § 103 Abs. 2 Satz 1 JGG: „Die Staatsanwaltschaft erhebt die Anklage vor dem Jugendgericht, . . . " . Diese Fassung ist durch Art. 3 Nr. 8 St VAG 1979 in Wegfall gekommen. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß Strafsachen gegen Jugendliche und Heranwachsende nicht mehr durch Anhängigmachen verbunden werden könnten. Denn die Streichung ist Folge des Neuaufbaus der Vorschrift, mit der das bisher dort geregelte Schwergewichtsprinzip ersetzt worden ist (Begr. BTDrucks. 8 976, S. 70). Eine Ausnahme von § 2 JGG (Anwendung des allgemeinen Rechts, also auch des § 2 StPO) konnte dadurch nicht begründet werden. 4
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Schwurgerichtskammer (§ 74 Abs. 2 GVG) begründen würde, bei gleichzeitiger Anklage gegen einen Jugendlichen vor das Jugendgericht, also nicht zur Zuständigkeit der besonderen Strafkammer des § 74 Abs. 2 GVG gehört, auch dann, wenn die Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer auf Grund des § 74 e GVG durch die der Schwurgerichtskammer verdrängt wird 45 . 30
Danach können bei der Jugendkammer alle Strafsachen gegen Jugendliche und Erwachsene verbunden anhängig gemacht werden, die für den Jugendlichen vor den Jugendrichter (§ 34 Abs. 1 JGG) und das Jugendschöffengericht (§ 40 JGG), für den Erwachsenen aber vor die Schwurgerichtskammer gehören46. Vor der Wirtschaftsstrafkammer (§ 74 c GVG) und der sog. Staatsschutzkammer (§ 74 a GVG), die wiederum nach der Regelung des § 74 e GVG auszuwählen ist, können sie anhängig gemacht werden, wenn die Strafsache gegen den Erwachsenen zur Zuständigkeit einer dieser beiden Kammern gehört47.
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c) Welche dogmatische Bedeutung Zuständigkeiten besonderer Spruchkörper mit gesetzlich zugewiesenem Geschäftsbereich zukommt, will das Gesetz offenlassen 48 . Obwohl in der Entwurfsbegründung von Rangfolge (S. 21) und Vorrangreihenfolge (S. 67) gesprochen wird, soll damit keine Wertordnung der verschiedenen Strafkammern aufgestellt werden (S. 67). Nach § 209 a stehen die besonderen Strafkammern den Gerichten höherer Ordnung im Sinn des § 209 sowie des § 210 Abs. 2 gleich. Sie sollen wie Gerichte höherer Ordnung (Begr. S. 44), ihre Zuständigkeit aber nicht wie die sachliche Zuständigkeit behandelt werden. § 6 a regelt die Prüfung der Zuständigkeit besonderer Strafkammern — im Gegensatz zu der Prüfung der sachlichen Zuständigkeit in § 6 — nach denselben Grundsätzen wie die der örtlichen Zuständigkeit (§ 16) in der Weise, daß die Prüfung zeitlich stark eingeschränkt wird. Könnte man daraus ableiten, daß die besondere Zuständigkeit keine sachliche Zuständigkeit — wenn auch vielleicht besonderer Art — ist, so könnte aus der Stellung von Satz 2 das Gegenteil geschlossen werden. Denn die Vorschrift über das Anhängigmachen bei Strafkammern besonderer Art befindet sich im Abschnitt über die sachliche Zuständigkeit und im gleichen Absatz mit Satz 1, der von Gerichten verschiedener Ordnung der sachlichen Zuständigkeit handelt. Da die hier zu kommentierenden Vorschriften positiv-gesetzliche Regelungen enthalten, besteht kein Anlaß, an dieser Stelle die Frage zu erörtern, ob das Gesetz — das die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 Satz 2, des § 6 a und eine entsprechende Vorschrift wie § 4 Abs. 2 auch als einen la.-Abschnitt hätte einfügen können — die Art der Zuständigkeit besonderer Strafkammern in der Tat offengelassen hat und wie sie sich, wenn das zutreffen sollte, darstellt.
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d) Kritik. Wenn Strafsachen bei einer von mehreren Strafkammern verbunden werden, die gleichrangig sind, aber verschiedene Spezialmaterien behandeln und dafür — wenigstens der Idee nach; die jährliche Geschäftsverteilung kartn die Idee zunichte machen — besondere Spezialkenntnisse erworben haben, wäre es allein sinnvoll, die Sache dort zu verhandeln, wo das Schwergewicht des Verfahrens liegt, wie das früher in § 74 c Abs. 2 GVG a. F. und in § 103 Abs. 2 JGG a. F. bestimmt war. Der Gesetzgeber hat das Prinzip des Schwergewichts verworfen und das des Vorrangs, für Jugendsachen das der Spezialität gewählt 49 , weil das die für die Zuständigkeitsfrage größtmögliche Klarheit zur Folge habe (Begr. S. 21), die wiederum für die „Wahrung des Prinzips des gesetzli«
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BTDrucks. 8 976, S. 70; vgl. die Erl. zu § 209 a (24. Aufl. Rdn. 29 mit Fußn. 22); SK-Rudolphi 12; Kleinknecht/Meyer-Goßner 9. KK-Pfeiffer 10.
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KK-Pfeiffer 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner Begr. BTDrucks. 8 976, S. 22. Begr. BTDrucks. 8 976, S. 1.
Stand: 1. 10. 1996
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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
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chen Richters" (Begr. S. 22) bedeutsam sei. Wer diesen Erwägungen folgt, wird der Wahl des Gesetzgebers zustimmen. Wer die von dem Ursprungszweck weit entfernte Übersteigerung des Prinzips des gesetzlichen Richters nicht nachvollzieht, muß für § 2 die ausschlaggebende Übernahme der Regelung des § 74 e GVG als unsachgemäß ansehen, weil die Wirtschaftsstrafkammer oder — trotz § 120 GVG — die Staatsschutzkammer über bessere Spezialkenntnisse verfügen kann als die Schwurgerichtskammer und solche Spezialkenntnisse für die Wahrheitsfindung entscheidend sein können. 4. Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft kann, wenn dafür Gerichte verschiedener Ordnung zuständig sind, zusammenhängende Sachen schon im Ermittlungsverfahren — formlos durch interne Verfügung in den Sachakten — verbinden 50 . Entscheidend ist der Ermittlungszweck, die Sache so rasch wie möglich aufzuklären. Daher kann im staatsanwaltschaftlichen Verfahren mit den Ermittlungen gegen einen bekannten Täter das Verfahren gegen einen unbekannten Beteiligten verbunden werden. Solange es zweckmäßig ist, die Ermittlungen getrennt zu führen, ist eine beabsichtigte Verbindung zunächst zurückzustellen und erst durchzuführen, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Man kann aber die Sachen auch alsbald verbinden — was den Vorzug hat, sie bei einem Dezernenten zu vereinigen —, aber die Vorgänge für die einzelnen Fälle zunächst getrennt halten (Sonderakten) und erst dann zusammenfügen, wenn es zum Abschluß des Verfahrens kommt. Die vorgesetzte Staatsanwaltschaft kann die der nachgeordneten zugeteilten Sachen ohne weiteres von sich aus verfolgen oder an sich ziehen (§ 145 Abs. 1 GVG) 51 . Der Fall eines positiven Kompetenzkonflikts ist damit ausgeschlossen. Dem negativen Kompetenzkonflikt (die untere Behörde will nicht verfolgen, weil sie die obere für zuständig hält) wird durch das Weisungsrecht (§ 146 GVG) begegnet. Will eine höhere Staatsanwaltschaft Sachen einer niederen Staatsanwaltschaft aus einem fremden Bezirk übernehmen, hat sie sich mit dieser zu einigen. Kommt keine Einigung zustande, so entscheidet, weil es sich bei der Übernahme aus einem fremden Bezirk um die Regelung der örtlichen Zuständigkeit handelt, nach § 143 Abs. 3 GVG der beiden Staatsanwaltschaften gemeinsam vorgesetzte Beamte der Staatsanwaltschaft, wenn keiner vorhanden ist, der Generalbundesanwalt (§ 143 Abs. 3 GVG). Da § 143 Abs. 3 GVG nicht für Streitigkeiten über die sachliche Zuständigkeit gilt, bindet die Entscheidung des Generalbundesanwalts nicht, soweit in der Zuweisung an eine bestimmte Staatsanwaltschaft zugleich eine Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit erblickt werden könnte. Insoweit ist die Bestimmung der zufolge der Zuweisung örtlich zuständig gewordenen höheren Staatsanwaltschaft maßgebend.
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Der Frage kommt praktische Bedeutung nur in den wenigen Ländern zu, wo selbstän- 37 dige Amtsanwaltschaften bestehen. 5. Anhängigmachen. Nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens bewirkt die Staatsan- 38 waltschaft die gerichtliche Verbindung dadurch, daß sie die bei ihr verbundenen Sachen — gleichgültig, ob die Verbindung nur die sachliche oder auch die örtliche Zuständigkeit betrifft — in einer und derselben Klage bei dem Gericht der höheren Zuständigkeit anhängig macht oder, solange das Gericht das Hauptverfahren noch nicht eröffnet hat, bei dem bereits angegangenen höheren Gericht auch eine zur Zuständigkeit eines niederen 50
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Rosenmeier 27 ff; Meyer-Goßner DRiZ 1985 241; KK-Pfeiffer 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner 3 ff; SK-Rudolphi 14.
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Rosenmeier 28\ SK-Rudolphi 14.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Gerichts gehörige Sache anklagt 52 und die gemeinschaftliche Eröffnung beantragt. Es ist selbstverständlich, daß in der Klage nicht mit dem Verfahren gegen einen benannten Angeklagten zugleich auch ein Verfahren gegen Unbekannt mit anhängig gemacht werden kann 53 . 39
Klage ist (§ 170 Abs. 1) die Anklage durch Anklageschrift (§ 199 Abs. 2) oder die mündliche Anklage im beschleunigten Verfahren (§418 Abs. 3 Satz 2). Der Anklage stehen gleich der Antrag im Sicherungsverfahren (§ 414 Abs. 2 Satz 1), im objektiven Einziehungsverfahren (§440 Abs. 1), im objektiven Geldbußenverfahren gegen juristische Personen (§ 444 Abs. 3). Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls kann die Staatsanwaltschaft (§ 407 Abs. 1 S. 2) oder das Finanzamt (Hauptzollamt: § 35 AO) allerdings nur noch beim Strafrichter stellen, nachdem die originäre Zuständigkeit des Vorsitzenden des Schöffengerichts dazu nach der Neufassung des § 25 GVG durch Art. 3 Nr. 5 RPflEntlG deshalb nicht mehr gegeben ist, weil der Strafrichter nunmehr — ohne daß es auf die Bedeutung der Sache ankommt — für alle Vergehen zuständig ist, bei denen keine höhere Strafe als zwei Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist 54 . Wohl aber bleibt die Zuständigkeit des Schöffengerichts in den Fällen des Übergangs zum Strafbefehlsverfahren nach § 408 a bestehen, wenn das Verfahren wegen einer erwarteten höheren Strafe ursprünglich bei diesem Gericht angeklagt worden war.
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Für die Verbindung mehrerer Sicherungsverfahren und für die seltene, aber denkbare Verbindung von Straf- und Sicherungsverfahren gelten die Vorschriften für das Verfahren auf öffentliche Klage (§414 Abs. 2 Satz 1), doch ist diese Verbindung ausgeschlossen, wenn sich Straf- und Sicherungsverfahren gegen dieselbe Person wegen derselben Tat richten55.
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6. Prozeßlage. Aus dem Zweck der Verbindung (Rdn. 19) muß die Einschränkung hergeleitet werden, daß nur Sachen verbunden werden können, die sich in derselben Verfahrenslage befinden. Danach ist es unzulässig, zwei Sachen zu verbinden, deren eine zur Tatsachen-, deren andere zur Revisionsverhandlung ansteht, mag auch die eine Sache in der ersten Instanz vor ein niederes Gericht gehören als die andere.
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Da die Verbindung nur zu der Sache möglich ist, für welche die erstinstanzliche höhere Zuständigkeit gegeben ist, und da die untere Instanz nicht die Aufgaben der höheren übernehmen kann, ist die Verbindung einer in erster Instanz schwebenden Schöffengerichtssache mit einer Strafrichtersache, die sich in der Berufungsinstanz befindet, unzulässig 56 .
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7. Beschwerde. Beläßt es das Gericht bei der von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Verbindung, steht dem Angeklagten gegen die (verbindende) Eröffnung des Hauptverfahrens kein Rechtsmittel zu (§ 210 Abs. I) 57 . 44 Rosenmeier hält zwar das Verbunden-anhängig-Machen der Staatsanwaltschaft außer mit der Dienstaufsichtsbeschwerde für nicht anfechtbar (134), erblickt aber (135) in der Bestätigung der staatsanwaltschaftlichen Verbindung durch das Gericht eine beschwerdein BGHSt 20 221 wird das nur für den Fall des § 13 für zulässig erklärt und ein Gegensatz zu § 2 hergestellt. Die Entscheidung, die zu § 237 und dort zu dem Begriff der Anhängigkeit (im Gegensatz zur Rechtshängigkeit) ergangen ist, deutet den Unterschied zwischen § 2 und § 13 aber nur an, ohne - was nach dem Entscheidungsgegenstand auch nicht geboten war - eine Begründung zu geben.
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OLG Hamburg Alsb. Ε 1 44. OLG Stuttgart wistra 199440; Siegismund/Wickern wistra 1993 91; LR-Rieß2* Anhang zum GVG Rdn. 21; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 407, 1; § 408, 5. BGHSt 22 186; SK-Rudolphi 15. OLG Hamburg NJW 1958 1698. Bohnert 26; Kleinknecht/Meyer-Goßner 12; SKRudolphi 21.
Stand: 1. 10. 1996
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fähige Entscheidung. Die Beschwerde erachtet er entgegen § 305 Satz 1 für zulässig (169), weil die Verbindung nicht allein der Urteilsvorbereitung diene (91) 58 . Das ist indessen für Verbindung (und Trennung) zu bejahen 59 . Denn die Verbindung 45 bereitet die Hauptverhandlung vor, begrenzt den Gegenstand der Urteilsfällung und steht daher mit dieser „in innigstem Zusammenhang"60. 8. Dauer. Nachdem das Hauptverfahren eröffnet worden ist, wird die Verbindung 46 nicht dadurch wieder aufgehoben, daß der Zusammenhang erlischt, das Urteil gegen einen von mehreren Angeklagten rechtskräftig wird 61 oder die Sache, für welche das Gericht höherer Ordnung an sich zuständig ist, völlig (ζ. B. durch den Tod des Angeklagten) in Wegfall kommt 62 . Doch kann das Gericht die früher verbundenen Verfahren wieder trennen und damit die durch die Verbindung begründete Zuständigkeit beenden. 9. Staatsanwaltschaft. Für die Verbindung bei der Staatsanwaltschaft gilt der Grund- 47 satz der Fortdauer der Verbindung nicht. Wird daher das Verfahren eingestellt, das die Zuständigkeit der höheren Staatsanwaltschaft begründet hatte, so erlischt die Verbindung. Hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 145 GVG an sich gezogen, so steht es ihr frei, die Sache zu behalten oder abzugeben. Hatte die Staatsanwaltschaft das verbleibende Verfahren jedoch, weil mit der Verschiebung 48 der sachlichen Zuständigkeit zugleich eine solche der örtlichen verbunden war, im Wege der Einigung von einer auswärtigen Staatsanwaltschaft übernommen oder vom Generalbundesanwalt zugewiesen erhalten, so muß sie es, weil kein örtlich zuständiges Gericht vorhanden ist, nach dem sich ihre Zuständigkeit bestimmen könnte (§ 143 Abs. 1 GVG), an die auswärtige Staatsanwaltschaft abgeben, es sei denn, daß inzwischen, etwa durch Zuzug des Beschuldigten in den eigenen Bezirk der Staatsanwaltschaft, ihre Zuständigkeit begründet worden ist.
IV. Trennung (Absatz 2) 1. Natur der Trennung. Für die Trennung gelten im allgemeinen die Ausführungen 49 für die Verbindung (Rdn. 25) entsprechend, doch ergeben sich einige Besonderheiten aus der Natur der Trennung: Nach § 237 können bei demselben Gericht anhängige Sachen im Fall irgendeines Zusammenhangs jederzeit zum Zweck gleichzeitiger Verhandlung verbunden und auch jederzeit wieder getrennt werden. Über diese lose Verhandlungsverbindung greift die Sachverbindung der §§ 2 und 4 hinaus; sie macht die verbundenen Sachen zu einem einheitlichen Prozeß, doch umfaßt die Sachverbindung stets die Verhandlungsverbindung 63 . In dem einheitlichen Prozeß kann sich die Notwendigkeit ergeben (etwa wegen vorübergehender Erkrankung eines Angeklagten), die von der Sachverbindung 58
Dazu nimmt Rosenmeier Bezug auf OLG Hamburg JZ 1969 241 und OLG Celle NJW 1971 256, die beide nicht zu der hier erörterten Frage ergangen sind. 5« KG JW 1932 962; BayObLGSt 1952 117. 60 OLG Karlsruhe DRiZ 1931 630; ebenso Bohnert 26. 61 RGSt 48 121, BGH MDR 1955 755; OLG Köln VRS 53 (1977) 130; Kleinknecht/Meyer-Goßner 11. 62 Eb. Schmidt § 5, 6 nimmt an, daß die Auflösung des Zusammenhangs die Verbindung löse, ist aber dadurch gezwungen, in § 6 die Worte „für die Dauer der Verbindung" in „für die Dauer der Anhängigkeit" umzudeuten. Zwar führt diese Aus(17)
legung zu dem gleichen Ergebnis wie die hier vertretene Auffassung, doch wird sie dem Begriff der „Dauer der Verbindung" nicht gerecht. Vertagung, Teilverurteilung usw. mögen den Zusammenhang gelöst erscheinen lassen, heben aber die Verbindung nicht auf. Schon technisch bleiben die Sachen verbunden. Auch können Entscheidungen in bezug auf die gesamte Sache weiterhin notwendig sein (ζ. B. nach § 111 1), nachdem der Zusammenhang gelöst worden ist. BGHSt 36 349; 37 15; 38 301; 42 43; Fischer StV 1981 85; Mutzbauer NStZ 1995 214; K K - P f e i f f e r 11; näher zum Verh. von §§ 2, 4 zu § 237 OLG Stuttgart NStZ 1995 248 mit Anm. Meyer-Goßner NStZ 1996 51 = JR 1995 517 mit Anm. Wendisch.
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umfaßte Verhandlungsverbindung zu lösen, entweder mit der Absicht, sie später wiederherzustellen oder mit dem Ziele, einen Teil des Prozesses getrennt zum Abschluß zu bringen. Dieses Recht ergibt sich aus § 237, der dem Gericht mit der Befugnis zur Verbindung stillschweigend auch die gibt, sie wieder aufzuheben 64 . 50
Die Trennung nach § 2 Abs. 2 (und nach § 4 Abs. 1) ist daher mehr als bloße Verhandlungstrennung; nämlich die Auflösung der nach §§ 2, 4 herbeigeführten Sachverbindung mit der Folge, daß die abgetrennte Sache in die alte Zuständigkeit so zurückfällt, „als ob eine Verbindung . . . nicht stattgefunden hätte" 65 . 51 Mit der Möglichkeit einer solchen Wiederherstellung des Zustandes vor der Verbindung hat der Gesetzgeber zugleich eine Ausnahme von § 269 begründet. Wollte man das verneinen 66 , müßte man die Trennung als bloße Verhandlungstrennung auffassen und damit § 2 Abs. 2 (ebenso wie § 4 Abs. 1), soweit er sich auf die Trennung nach Eröffnung des Hauptverfahrens bezieht, als inhaltsleer bezeichnen. Da der Gesetzgeber die Trennung gerade auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens zugelassen hat, stellt sich die Vorschrift insoweit eindeutig als eine auch durchaus praktische Ausnahme von § 269 dar. 52 Die gegen diese systemimmanente Auslegung gerichtete Auffassung, mit dem Übergang auf das niedere Gericht als Folge der Trennung werde der Satz beeinträchtigt, daß die Sache durch keine willkürliche Maßnahme auf einen anderen als den gesetzlichen Richter verschoben werden dürfe 67 , schlägt nicht durch. Die gesetzlich zugelassene Trennung ist Gesetzesausübung und keine Willkür. Der Übergang einer Sache an ein anderes Gericht ist alltäglich 68 . Gesetzlicher Richter ist nicht nur der „von vornherein" genau bestimmte, sondern auch jeder Richter, dem durch die Anwendung des Gesetzes die Sache zufällt. Das Gericht muß sich daher stets klar entscheiden, ob es nur die Verhandlungsoder auch die Sachverbindung lösen will. Im ersten Fall gilt das bei § 237 Ausgeführte, im letzten Fall ergeben sich nachstehende Folgerungen: 53
2. Zweck und Zulässigkeit. Wie die Verbindung zusammenhängender Strafsachen, steht auch die Trennung verbundener Strafsachen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts 69 . Der Angeklagte hat keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Trennung 70 . 54 Bloße Notwendigkeiten des Verfahrens, ζ. B. die vorübergehende Erkrankung eines Angeklagten, werden es in der Regel nicht rechtfertigen, die Sachverbindung aufzuheben. Namentlich gehört nicht hierher das nach ursprünglichen Bedenken 71 zugelassene — und in Großprozessen, wenn mit Vorsicht angewendet, wohltuende — Trennen und Wiederverbinden zu dem Zweck, den Angeklagten von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn Teile verhandelt werden, die ihn und seine Tat in keiner Weise berühren 72 ; es ist nach § 237 zu behandeln 73 . Μ Mutzbauer NStZ 1995 215. John §§ 2 bis 4 Abschn. II 10; Kost 107; Mutzbauer NStZ 1995 214; KK-Pfeiffer 12; § 4, 10; KMRMüller §209; 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner 10; §4, 11; SK-Rudolphi 17; Schluchter Rdn. 18; s. auch § 4,9. 66 OLG Hamburg MDR 1970 523; OLG Stuttgart NStZ 1995 248 = JR 1995 517; Eb. Schmidt § 4, 11; Kost 110, 152; Mutzbauer NStZ 1995 214; KKEngelhardt § 269, 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 269, 5 f; Schlüchter § 269, 3; AK -V/estermann § 269, 4; anders (wie hier) KMR-Müller § 269, 3; Eb. Schmidt § 269, 4; nicht ganz eindeutig LRGollwitzer § 269 unter 6. Wegen einer weiteren Ausnahme von § 269 s. Neuhaus StV 1995 213. 6^ OLG Hamburg MDR 1970 523. 65
Beispiele Vor § 7, 24 ff. BGHSt 18 238; BGH JR 1974 429; Rogall StV 1985 354; KK-Pfeiffer 3; 12; Kleinknecht/MeyerGoßner 10. BGH GA 1968 306 = JR 1969 mit zust. Anm. von Gerlach; OLG Frankfurt StV 1983 92. RGSt 69 22. RG JW 1935 2980; RGSt 69 23; 362; BGHSt 24 257; 30 74; 32 100; KK-Pfeiffer 11; SK-Rudolphi 19. Zur vorübergehenden Abtrennung und zur Zulässigkeit der Erlaubnis, einzelnen Angeklagten nach § 231 c zu gestatten, sich während einzelner Teile der Hauptverhandlung zu entfernen vgl. BGH bei Holtz MDR 1979 807; BGH NStZ 1981 111; BGHSt 32 100.
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Früher wurde es als schlechthin zulässig erachtet, verbundene Strafsachen zu dem 55 Zweck zu trennen, den Angeklagten der einen Sache als Zeugen in der anderen zu vernehmen 74 . Die neuere Rechtsprechung kommt seit Peters' scharfer Ablehnung einer „Rollenvertauschung" 75 zu einer differenzierten Lösung: Sie hält die Trennung für zulässig, um einen Mitangeklagten zu selbständigen Anklagepunkten, an denen er nach dem Eröffnungsbeschluß nicht beteiligt war, als Zeugen zu vernehmen 76 , nicht aber zu demselben Tatgeschehen, das auch ihm als Mittäter zur Last gelegt wird 77 . Die Rechtsprechung löst das Problem des Rollentauschs nicht, sondern verschiebt es 56 auf die Trennungsfrage. Die Trennung kann aber aus anderen Gründen zulässig, ja geboten sein. Wer allein auf die Trennungsfrage abstellt, muß bei Trennung den „Rollentausch" zulassen, obwohl die gegen ihn sprechenden Gründe von der Trennung ganz unabhängig sind. So sah von Gerlach zunächst „keine rechtlichen Bedenken" gegen eine endgültige Trennung zu dem Zweck, einen Mitangeklagten als Zeugen gegen die übrigen Angeklagten zu gewinnen, und ließ nur die vorübergehende Trennung zu jenem Zweck nicht zu 78 . In Wirklichkeit sind — wie von Gerlach später richtig erkannt hat 79 — Verbindung und Trennung unerheblich. Ein Mitbeschuldigter kann, soweit die Beschuldigungen auf den gleichen Vorgang gehen, niemals Zeuge sein 80 . Von den erörterten Fällen abgesehen, kann die Trennung etwa in Betracht kommen, 57 wenn im Fall des mittelbaren Zusammenhangs der eine Angeklagte, mit anderen Angeklagten an seinem Wohnort angeklagt, nachträglich an den Tatort der allein ihn betreffenden Haupttat verzieht, wo auch die Zeugen wohnen, oder wenn bei persönlichem Zusammenhang der Verhandlung der Tat, welche die Zuständigkeit des höheren Gerichts begründet hat, Hindernisse für eine unabsehbare Zeit entgegenstehen, während eine mit ihr verbundene, an sich zur Zuständigkeit eines niederen Gerichts gehörige Sache vor diesem alsbald verhandelt werden kann. Unzulässig ist die Trennung, wenn dadurch ein Teil des geschichtlichen Vorgangs 58 i. S. des § 264 abgetrennt würde. Daher können Einzelfälle einer fortgesetzten Handlung 81 oder eines Kollektivdelikts (wenn man diese Deliktsart anerkennt) nicht abgetrennt werden. Für ein ideell konkurrierendes Delikt versteht sich das von selbst. Wegen der Ausscheidung einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen s. § 154 a. 3. Zeitpunkt und Form. Bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens kann die Staatsan- 59 waltschaft verbunden anhängig gemachte Sachen durch Klagerücknahme wieder trennen. Das Gericht trennt verbunden anhängig gemachte Sachen (§ 2 Abs. 1) dadurch, daß es 60 die eine Sache bei sich, die andere vor dem niederen Gericht eröffnet (§ 209 Abs. 1 ) 82 . Hat das Gericht das Hauptverfahren in bezug auf verbunden anhängig gemachte Sachen eröffnet, so kann es sie jederzeit, schon in dem Verfahren zur Vorbereitung der Hauptverhandlung, aber auch nachdem das Hauptverfahren eröffnet worden ist, nach Absatz 2 wieder trennen. § 270 findet keine Anwendung. 74
RG GA 36 (1888) 168; RGSt 52 140; zu dem umgekehrten Fall - Zeuge wird durch Verbindung Angeklagter - s. Rdn. 18. 75 46. DJT 1 3 A 136. 7f > BGH NJW 1964 1034. 77 Noch zögernd BGH GA 1968 306 = JR 1969 148; entschiedener BGH bei Dallinger MDR 1971 897 und bei Holtz MDR 1977 639; OLG Frankfurt StV 1981 85. Vgl. zu diesem Problem auch Hanack JR 1977 434 und K K - P f e i f f e r 11 sowie K M R - / W « i 11 (19)
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mit weiteren Literaturnachweisen und die Erläuterungen zur Zeugnisfähigkeit (IV Vor § 48, §§ 69 bis 72. NJW 1964 2397. JR 1969 151. Peters 46. DJT 1 3 A 136; Dünnebier 1, 3; zustimmend auch Rosenmeier 116. Näher dazu § 12, 17. OLG Düsseldorf NStZ 1991 145; Mutzbauer NStZ 1995 213; KK-Pfeiffer 14; KleinknechtMeyerGoßner 11.
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4. Gerichtsbeschluß, Beschwerde. Trennt man scharf zwischen der Verhandlungstrennung und der Sachtrennung, so ist bei dieser keine stillschweigende Trennung möglich 83 . Denn die Sachtrennung bewirkt, daß die abgetrennte Sache in der Lage, in der sie sich zur Zeit der Entscheidung befindet, auf dasjenige Gericht übergeht, das für sie an sich zuständig ist. Dazu ist ein Beschluß erforderlich84, wenn er auch, wie etwa bei der Eröffnung vor einem niederen Gericht, nicht ausdrücklich die Trennung auszusprechen braucht. 62 Namentlich liegt keine stillschweigende Sachtrennung, sondern nur eine Verhandlungstrennung vor bei Einstellungen nach § 205 wegen vorläufiger Abwesenheit eines von mehreren Angeklagten 85 oder bei Vertagung gegen einen von mehreren Angeklagten zum Zwecke weiterer Beweiserhebung oder bei Einstellung mit Wiederaufnahmemöglichkeit (§ 154 Abs. 2 und 5, § 154 a Abs. 2 und 3, § 154 b Abs. 4 Satz in Verb, mit § 154 Abs. 5). 63
Als Entscheidungsmöglichkeiten kommen in Betracht: Bei der Teileröffnung vor einem niederen Gericht hat die Trennung die Form des Eröffnungsbeschlusses, den der Angeklagte nicht (§210 Abs. I) 86 , die Staatsanwaltschaft wegen der Verweisung an das Gericht niederer Ordnung mit der sofortigen Beschwerde anfechten kann (§210 Abs. 2) 87 . 64 Entscheidet das Gericht nach der Eröffnung des Hauptverfahrens, sind seine Entscheidungen nicht der Beschwerde unterworfen (§ 305), doch bleibt das Recht zur Beschwerde gewahrt gegenüber Beschlüssen, die nur hemmend auf das Verfahren einwirken. Das ist denkbar bei Trennungsbeschlüssen, wenn dadurch unzweckmäßigerweise die Verhandlung verzögert wird 88 . 65
Im Beschwerdeverfahren setzt das Beschwerdegericht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Vorderrichters. Es hat daher den angefochtenen Beschluß voll und damit auch die Ermessensentscheidung nachzuprüfen 89 .
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5. Urteil. Ausnahmsweise kann die Trennung auch durch Urteil vorgenommen werden. Das ist der Fall, wenn verbundene Sachen in der Revisionsinstanz teilweise rechtskräftig werden und die nicht rechtskräftige Sache für sich allein zur Zuständigkeit eines Gerichts gehört, das demjenigen nachgeordnet ist, welches das Urteil für die verbundene erlassen hatte. In diesem Fall kann das Revisionsgericht die Sache wegen der noch in Frage kommenden Tat an das Gericht niederer Ordnung verweisen (§ 354 Abs. 3) und damit die Trennung herbeiführen.
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Mit der Revision kann nur gerügt werden, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verbindung oder für eine Trennung nicht vorgelegen hätten 90 , daß ein unzuständiges Gericht (etwa das niedere anstelle des höheren) die Verfahren verbunden habe oder daß der Beschluß nicht in der vorgeschriebenen Weise zustande gekommen sei 91 . Dagegen Fischer StV 1981 86; Kleinknecht/Meyer-Goßner 11. BGH NStZ 1982 188; Kleinknecht/Meyer-Goßner 11. OLG Frankfurt StV 1981 85 und Fischer mit allerdings unterschiedlichen Folgerungen; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 11. a. A. Rosenmeier 91; vgl. hier Rdn. 44. KK-Pfeiffer 14; SK-Rudolphi 21; Α. A. Kleinknecht/Meyer-Goßner 13: einfache Beschwerde für Staatsanwalt und betroffenen Angeklagten.
BayObLGSt 1953 86; OLG Düsseldorf MDR 1985 693; K K - P f e i f f e r 14; SK-Rudolphi 21. BayObLGSt 1953 87; OLG Düsseldorf NStZ 1991 145; OLG Frankfurt StV 1983 92; 1991 504; KKPfeiffer 14; Kleinknecht/Meyer-Goßner 13; a. A. OLG Hamm HESt 2 102: Ermessen ist nicht überprüfbar; sowie Eb. Schmidt § 4, 16; KMR-Paulus § 4, 34. RGSt 48 297; KK-Pfeiffer 15; SK-Rudolphi 22. Beispiel: Die Strafkammer trennt in einer Verhandlungspause in Beschlußbesetzung ab.
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kann — anders als im Beschwerdeverfahren (Rdn. 65) — nicht beanstandet werden, daß der Tatrichter sein Ermessen, ob er verbinden oder trennen oder die Sachen getrennt und verbunden lassen wolle, falsch ausgeübt habe 92 . Wohl aber kann Mißbrauch des Ermessens (Rdn. 27) gerügt werden93. Im übrigen ist 6 8 der Angeklagte auf die Rüge angewiesen, daß im Zusammenhang mit Verbindung oder Trennung ein anderer Verfahrensfehler begangen, namentlich § 231 oder § 261 verletzt sei94. Ist es durch unsachliche Trennung unmöglich geworden, eine Gesamtstrafe zu bilden, 69 muß das später erkennende Gericht das bei der Strafzumessung berücksichtigen 95 . Durch eine zufolge einer Trennung herbeigeführte Abwesenheit eines Mitangeklagten 7 0 allein ist ein Angeklagter in der Regel ebensowenig beschwert96 wie dadurch, daß zufolge einer Verbindung ein Zeuge Angeklagter wird (Rdn. 21; 55). Die letzte Frage ist, wie schon ausgeführt (Rdn. 56), unabhängig von Trennung und Verbindung nach der wirklichen Rolle zu beantworten, die aus der Beschuldigung oder aus der Zeugenschaft hervorgeht97.
§3 Ein Zusammenhang ist vorhanden, wenn eine Person mehrerer Straftaten beschuldigt wird oder wenn bei einer Tat mehrere Personen als Täter, Teilnehmer oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beschuldigt werden. Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift gebrauchte früher als Anknüpfungspunkt sowohl beim persönlichen als auch beim sachlichen Zusammenhang die Worte „strafbare Handlung". Durch Art. 21 Nr. 1 EGStGB 1974 wurde für den ersten Fall das Wort „Straftat" und für den zweiten das Wort „Tat" eingesetzt. 1. Zusammenhang. Der Zusammenhang muß sowohl im Fall des § 2 als auch des § 4 1 vorliegen. Der Begriff ist auch für § 13 maßgebend. Für die §§ 2 und 4 erfährt er dadurch eine Ergänzung, daß beide1 Vorschriften sich nur mit solchen zusammenhängenden Sachen befassen, die im ersten Rechtszug (§ 2, 6) einzeln zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden (§ 2 Abs. 1 ) 2 . § 3 zählt die Fälle des Zusammenhangs, die eine Verbindung nach den §§ 2 bis 4 begründen, erschöpfend auf 3 . Andere Fälle eines tatsächlichen Zusammenhangs (§ 237) rechtfertigen die Verbin- 2 dung nicht. Hat ζ. B. in der Untersuchung gegen Α der Zeuge Β einen Meineid geleistet, so besteht kein Zusammenhang im Sinn des § 3; er liegt jedoch vor, wenn Α den Β zum Meineid angestiftet hat. Handelt es sich um mehr als zwei Strafsachen, so hängt die Zulässigkeit der Verbin- 3 dung nicht davon ab, daß sie alle mit der Strafsache, für die das Gericht höherer Ordnung zuständig ist, unmittelbar zusammenhängen. Ein mittelbarer, durch eine andere Sache vermittelter Zusammenhang genügt4. Ή BGHSt 18 238; NJW 1953 836; OLG Koblenz VRS 49 (1975) 115; KK-Pfeiffer 15; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 14. 93 BGHSt 18 239; Brunner JR 1974 429; Rogall StV 1985 354. 94 RGSt 67 417; BGHSt 18 238; BGH NJW 1953 836; bei Holtz MDR 1977 639; KK-Pfeiffer 15. 95 OLG Stuttgart NJW 1960 2383. »6 RGSt 38 272. 97 Von Gerlach JR 1969 151. (21)
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RGSt 10 10. BGHSt 4 153. 3 KK-Pfeiffer 1; SK-Rudolphi 1. 4 KMR-Paulus 7; SK-Rudolphi 4. Beispiel: Hat die Staatsanwaltschaft gegen Α wegen Raubes mit Todesfolge (§ 251 StGB) und gegen Β wegen Begünstigung dazu (§ 257 Abs. 1 StGB) Anklage bei der Strafkammer als Schwurgericht (§ 74 Abs. 2 GVG) erhoben, so kann sie Β dort auch wegen Sachbeschädigung (§ 303 StGB) anklagen. 2
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2. Für eine Mehrheit von Taten kommen folgende Möglichkeiten in Betracht: Persönlicher oder subjektiver Zusammenhang liegt vor, wenn einem und demselben Beschuldigten vorgeworfen wird, mehrere Straftaten i. S. von § 264 begangen zu haben5. Tatmehrheit i. S. des § 53 StGB genügt nicht. 5 Der Fall ist nicht gegeben und die §§ 2 bis 4 sind auch nicht entsprechend anzuwenden, wenn zwei verschiedenartige Verfahren, ein (subjektives) Strafverfahren (§ 200) und ein (objektives) Sicherungsverfahren (§ 413), wegen derselben Tat gegen dieselbe Person laufen. In diesem Falle ist die Verbindung ausgeschlossen und nach § 12 zu verfahren6. 6 Sachlicher oder objektiver Zusammenhang wird durch die Beziehung zu einer und derselben Tat hergestellt, an der mehrere Personen als Täter (§ 25 Abs. 1 StGB), Anstifter (§ 26 StGB), Gehilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) oder der Begünstigung (§ 257 StGB), Strafvereitelung (§§ 258, 258 a StGB) oder der Hehlerei (§§ 259, 260 StGB) beschuldigt werden7. Soweit die mehreren Personen als Täter beschuldigt werden, können sie Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Nebentäter8 oder notwendige Beteiligte sein oder zu demselben rechtswidrigen Erfolg durch ihre Fahrlässigkeit, mag diese auch bei jedem anders gestaltet sein9, beigetragen haben. Der Begriff der Beteiligung i. S. dieser Vorschrift ist mithin nicht auf die Teilnahme i. S. des materiellen Strafrechts beschränkt; es genügt vielmehr jede strafbare, in dieselbe Richtung zielende Mitwirkung an einem geschichtlichen Vorgang10. 3. Bezugsbegriff 7
a) Nach altem Recht war ein Zusammenhang vorhanden, wenn (1.) eine Person mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt wird (persönlicher Zusammenhang) oder wenn (2.) bei einer strafbaren Handlung mehrere Personen beschuldigt werden (sachlicher Zusammenhang). Für den ersten Fall hatte Kleinknechtu wohl unwiderlegbar nachgewiesen, daß wegen des Grundsatzes der Prävention (§ 12 Abs. 1) und der umfassenden Zuständigkeit (§ 12, 17) die strafbare Handlung als Tat i. S. des § 264 angesehen werden müsse. Für den sachlichen Zusammenhang (Rdn. 6) war seine Überlegung indessen nicht zwingend, so daß dafür der Ansicht des Bundesgerichtshofs12 der Vorzug zu geben war, wegen des Grundsatzes des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) müsse als bestimmterer Begriff der des materiellen Rechts (strafbare Handlung) verwendet werden.
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b) Aufgrund der Fassungsänderung wird der Zusammenhang als vorhanden angesehen, wenn (l.)eine Person mehrerer „Straftaten" beschuldigt wird oder wenn (2.) bei einer „Tat" mehrere Personen .. . beschuldigt werden. Die Verwendung des Worts Straftat soll auf den sachlich-rechtlichen Begriff des Strafgesetzbuches der neuen Fassung Bezug nehmen, also die tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung bezeichnen, wie dies im Entwurf 196213 in § 11 Abs. 1 Nr. 1 ausdrücklich gesagt worden war14. „Es empfiehlt sich", heißt es in der Begründung zu Art. 19 (später 21) Nr. 1, „den im Strafgesetzbuch durchgängig und einheitlich verwendeten Begriff Straftat auch in der Strafprozeßordnung anstelle des älteren Begriffs strafbare Handlung zu verwenden." .. . Im übrigen soll „durch die vorgeschlagene Fassung die Streitfrage, ob bei der Anwendung Dünnebier JR 1975 2; KK-Pfeiffer 2; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 2; näher dazu Rdn. 7 ff. BGHSt 22 186; KK-Pfeiffer §4, 2; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 2. KK-Pfeiffer 3. RGSt 25 17; 34 258; 43 296. Beispiel: Verbreiten ein und desselben Korrespondenzartikels durch mehrere Redakteure (RG GA 55 (1908) 109), dage-
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gen nicht Druck und Nachdruck eines beleidigenden Artikels (RGSt 42 133). Vgl. RGSt 64 379. BGH MDR 1987 1042 = NJW 1988 150; KMRPaulus 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner 3. MDR 1958 357. BGHSt 11 133. BTDrucks. V 32, S. 119. Vgl. Begr. BTDrucks. 7 550 S. 191.
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der Vorschrift auf die Tat im Sinn des § 264 StPO oder auf die materiell-rechtliche Straftat abzustellen ist (vgl. BGHSt 11 130)" . . . im ersteren Sinn entschieden werden 15 . Wenn die Begründung auch nicht sehr einsichtig abgefaßt ist, kann doch kein Zweifel 9 sein, daß „bei der Anwendung der Vorschrift", also sowohl beim persönlichen als auch beim sachlichen Zusammenhang, die Tat i. S. des § 264 der Bezugspunkt ist16. Für den persönlichen Zusammenhang, wo kein anderes Ergebnis möglich ist, bleibt dann allerdings die Verwendung des Wortes Straftat unverständlich, wenn auch unschädlich. Denn auf jeden Fall muß man den Begriff wie bisher den der strafbaren Handlung dahin modifizieren, daß die mehreren Straftaten, wenn sie zu einer Tat i. S. des § 264 StPO gehören, schon dadurch eine Prozeßeinheit bilden 17 . c) Für den sachlichen Zusammenhang verwirft Rosenmeier (S. 25) die Begründung 10 mit der Bemerkung, es werde lediglich der auch im Strafgesetzbuch verwendete Begriff der Tat usurpiert und versucht, ihm eine andere Bedeutung unterzuschieben, denn die moderne Strafgesetzgebung verwende auch im materiellen Sinn den Begriff der Tat, ohne damit etwa ein Bekenntnis zum erweiterten prozessualen Tatbegriff ablegen zu wollen. In der Tat ist die Behauptung der Begründung 18 , daß im neuen Strafgesetzbuch 11 „durchgängig und einheitlich" anstelle des älteren Begriffs strafbare Handlung der Begriff Straftat verwendet werden soll, in dieser Form unrichtig. Vielmehr gilt, was die Begründung zum Entwurf 1962 sagt 19 : Verwendet sei der Begriff Straftat für die rechtswidrige schuldhafte Handlung, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirkliche. Lasse das Gesetz aber keinen Zweifel, daß nur ein solcher Sachverhalt gemeint sein könne, werde oft der Begriff Straftat durch den einfacheren der Tat ersetzt. Ein zweifelsfreies Beispiel dafür ist § 46 StGB, der die Grundsätze für die Strafzumessung enthält und deshalb nur von rechtswidrigen, schuldhaften Taten handeln kann, wo aber gleichwohl viermal das Wort Tat verwendet wird. d) Tat Trotz der unzutreffenden amtlichen Begründung wird deren Folgerung vom 12 Sprachgebrauch der Strafprozeßordnung getragen. Denn in dieser werden konsequent die Begriffe „Straftat" (und „rechtswidrige Tat") als solche des materiellen Strafrechts verwendet und dem prozessualen Begriff der „Tat" gegenübergestellt. Dieser hat in der Strafprozeßordnung durch § 264 StPO seit Jahrzehnten seine feste Bedeutung und mit dem Begriff der Straftat, etwa im Sinn der §§ 53, 55 StGB, „nichts gemein". Da derselbe Begriff an verschiedenen Stellen, besonders in verschiedenen Gesetzen, verschieden verwendet werden kann, kann nicht davon gesprochen werden, der Gesetzgeber habe den materiellrechtlichen Tatbegriff für die Strafprozeßordnung „usurpiert"; er hat vielmehr einen dort schon vorhandenen Begriff, der eindeutig einen anderen als den materiellrechtlichen Sinn hat, an einer neuen Stelle verwendet20 in der ausdrücklichen Absicht, durch den Wortwechsel den materiellrechtlichen Bezugspunkt für die Verbindung durch den prozeßrechtlichen zu ersetzen21.
20
(23)
BTDrucks. 7 550, S. 289; BGH NJW 1988 150; KK-Pfeiffer 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner 3. KK-Pfeiffer 2; KMR-Paulus 2; Kleinknecht/MeyerGoßner 3; SK-Rudolphi 2; für das Ordnungswidrigkeitsverfahren Göhler § 38, 3; für das SteuerStrafverfahren Hiibschmann/Hepp/Spitaler Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung § 389 AO, 9 ff; Franzen/Gasl/Samson Steuerstrafverfahren 1 § 389 AO, 9. BGHSt 36 175, 184; K K - P f e i f f e r 2; Kleinknechi/ Meyer-Goßner 3; § 4, 1. BTDrucks. 7 550, S. 289. BTDrucks. IV 650, S. 119. Gössel C II f 1; KK-Pfeiffer 3; SK-Rudolphi 3.
21
Für den sog. Sachzusammenhang wird diese Absicht dadurch besonders deutlich, daß der inzwischen überholten Entscheidung BGHSt 11 130 = MDR 1958 356 mit abl. Anm. Kleinknechu die die sachlichrechtliche Auslegung vertritt, in der Begründung (s. BTDrucks. 7 550, S. 289) ausdrücklich entgegengetreten wird. Welchen Wert im Gesetzgebungsgang unwidersprochene Begründungen auch immer haben mögen, der Wechsel zu einem traditionsreichen prozeßrechtlichen Begriff in einem Prozeßgesetz gibt die gesetzgeberische Absicht eindeutig kund, und das Argument, daß der Begriff auch im materiellen Recht vorkommt, sagt selbst dann nichts, wenn dort Tat zuweilen für Straftat verwendet wird.
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§4 13
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Verfassungsrechtlich ist es ohne Bedenken, daß der Gesetzgeber vom materiellrechtlichen Begriff der strafbaren Handlung (Straftat) zu dem etwas weiteren und leicht unbestimmteren prozeßrechtlichen der Tat übergeht 22 . Der danach ausschlaggebende Begriff Tat ist der gesamte geschichtliche Vorgang, soweit er nach der natürlichen Auffassung des Lebens eine sinnvolle Einheit bildet, gleichgültig ob sich bei der rechtlichen Würdigung des Geschehens eine oder mehrere Straftaten im Sinn des sachlichen Strafrechts ergeben 23 .
§4 (1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden. (2) 'Zuständig für den Beschluß ist das Gericht höherer Ordnung, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören. 2Fehlt ein solches Gericht, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht. Entstehungsgeschichte. In der ursprünglichen Fassung gab § 4 Abs. 1 die für den Erlaß des gerichtlichen Beschlusses maßgebende Verfahrenslage mit den Worten „nach Eröffnung der Untersuchung" an. Dadurch entstandene Zweifel beseitigte die durch Art. 3 Nr. 1 VereinhG herbeigeführte Fassung, die auf die Eröffnung der Voruntersuchung oder des Hauptverfahrens abstellte. Durch Art. 1 Nr. 1 des 1. StVRG wurde nach Abschaffung der Voruntersuchung die Bezugnahme auf diese gestrichen. Weil nach der nunmehr allein verbleibenden Eröffnung des Hauptverfahrens nur vom Angeklagten gesprochen werden kann (§ 157), hat die Bekanntmachung 1975 die in der Verwendung des Wortes „Angeschuldigter" liegende Unstimmigkeit des Wortlauts auf Grund der Ermächtigung in Art. 323 Abs. 1 EGStGB 1974 dadurch beseitigt, daß das Wort „Angeklagter" eingesetzt worden ist. Durch Art. 1 Nr. 2 StVÄG 1979 sind in Absatz 2 die Worte „Gericht, zu dessen Bezirk die übrigen Gerichte gehören" ersetzt worden durch die Worte „Gericht höherer Ordnung, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören". Der bisherige zweite Halbsatz ist Satz 2 geworden.
Rdn. 1. Gerichtliche Verbindung (Absatz 1) a) Allgemeines b) Vor Eröffnung des Hauptverfahrens . . . c) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens . . d) Von Sicherungs- und Strafverfahren . . e) Besondere Verfahrensarten f) Konsequenzen 2. Höhere Instanzen a) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs b) Kritik c) Wiederaufnahmeverfahren
Rdn.
1 3 4 6 7 8
5. Entsprechende Anwendung
28
6. Unzulässige Verbindungen
30
7. Zuständigkeit (Absatz 2) a) Bedeutung b) Klarstellung c) Anwendung bei besonderen Strafkammern d) Staatsanwaltschaft
10
8. Gemeinschaftliches oberes Gericht
11 14 18
9. Folgen
32 28 35 36 37 40
10. Trennung
42
3. Ermessen
19
11. Beschwerde
43
4. Gerichtsbeschluß
23
12. Revision
44
"
23
Dünnebier JR 1975 4.
Stand: 1.
LR-GollwitzerEr],
). 1 9 9 6
zu § 264. (24)
Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
§ 4
1. Gerichtliche Verbindung (Absatz 1) a) Allgemeines. Die Vorschrift knüpft an § 2 an; sie regelt die Verbindungsmöglich- 1 keiten nach Eröffnung des Hauptverfahrens. Wie bei § 2 ist auch hier nur die Verbindung zusammenhängender Strafsachen i. S. von § 264 zulässig, die einzeln zur sachlichen Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören 1 . Dabei kann es sich um Spruchkörper eines und desselben Gerichts2 als auch verschiedener Gerichte handeln. § 4 setzt also nicht immer die Abänderung der örtlichen, wohl aber der sachlichen Zuständigkeit voraus3. Sind mehrere Verfahren bei Gerichten gleicher Ordnung an verschiedenen Orten anhängig, geht es allein um die örtliche Zuständigkeit nach § 13 Abs. 2 4 . Ausgeschlossen ist die Anwendung des § 4, wenn sich mehrere bei verschiedenen Gerichten anhängige Strafverfahren wegen derselben Tat gegen denselben Angeklagten richten. Denn dann handelt es sich nicht um zusammenhängende (selbständige) Strafverfahren, vielmehr liegt eine von Anfang an bestehende Prozeßeinheit vor, die ohnehin in einem Verfahren abzuurteilen ist5. Klagt die Staatsanwaltschaft eine solche einheitliche Tat gleichwohl bei verschiedenen Gerichten an und zieht das höhere Gericht das andere Verfahren an sich, so liegt kein Fall des § 4 vor, vielmehr wird nur das Prozeßhindernis der doppelten Rechtshängigkeit beseitigt6. § 4 gilt für erstinstanzliche Sachen7. Daher soll seine Anwendung auf Sachen, in 2 denen bereits ein Urteil ergangen ist, grundsätzlich ausgeschlossen sein8. Unabhängig von der Frage, ob man dieser Ansicht folgt oder einen abweichenden Standpunkt vertritt9, ist eine Verbindung jedenfalls nur zulässig, wenn dadurch der Rechtszug nicht verändert und auch nicht gegen andere Verfahrensgrundsätze verstoßen wird. Es bestehen mithin keine Bedenken, eine vom Revisionsgericht zurückverwiesene Sache mit einer bei einem niederen Gericht anhängigen zu verbinden, wenn das höhere wiederum als Gericht des ersten Rechtszugs tätig wird 10 , und zwar selbst dann nicht, wenn die zurückverwiesene Sache schon im Schuldspruch rechtskräftig ist 11 . b) Vor Eröffnung des Hauptverfahrens. Solange das Verfahren noch nicht eröffnet 3 ist, ist für eine Verbindung durch das gemeinschaftliche obere Gericht kein Raum, da das Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt noch der Disposition des Staatsanwalts unterliegt, der die Anklage bis zur Eröffnung des Verfahrens noch zurücknehmen kann 12 . Eine Ausnahme ist nur für den Fall zulässig, wo das Gericht, bei dem die Staatsanwaltschaft die Anklage erhoben, dieses sie aber noch nicht zugelassen hat, die Sache auf deren ausdrücklichen Antrag oder mit ihrer Zustimmung an das gemeinschaftliche obere Gericht abgegeben hat, weil auch in diesem Fall der Zweck der Verbindung nach § 4, eine möglichst breite und umfassende Grundlage für die Beurteilung der Taten und Täter zu schaffen, erreicht wird13. c) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens — die bloße gerichtliche Anhängigkeit 4 reicht dafür nicht aus 14 — kann die Staatsanwaltschaft die Verbindung nur durch gerichtli1
OLG Düsseldorf MDR 1980 1041 = DRiZ 1981 192; OLG Karlsruhe MDR 1988 517; zum Begriff „verschiedene Ordnung" s. auch § 2, 11 ff. 1 BGHSt 25 51; Meyer-Goßner DRiZ 1985 242; KKPfeiffer 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner 2; näher dazu Rdn. 28. 3 Kleinknecht/Meyer-Goßner 1. 4 OLG Düsseldorf MDR 1985 1048; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 1. 5 BGH MDR 1976 64; Kleinknecht MDR 1958 357. 6 BGHSt 19 177, 181; BGH NJW 1958 31; NStZ 1995 352; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 3, 2. 7 BGHSt 22 185, 186; Meyer-Goßner DRiZ 1985 242. BGHSt 6 114. 15 RGSt 62 270; BGHSt 18 83. 16 BGHSt 18 290; 25 309. 17 LR-DUnnebier» § 6, 38; Eb. Schmidt § 270,4; Rieß GA 1976 15
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§6
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
der Verweisung in der Hauptverhandlung nach § 270 Abs. 1 geschlossen. Die Vorlage ist wie die nach § 209 Abs. 2 der Sache nach nur eine Anfrage, ob das Gericht höherer Ordnung das Verfahren übernehmen wolle; bedeutsam ist allein die Übernahme durch dieses Gericht. Wegen weiterer Einzelheiten s. § 225 a. 9
4. In der Hauptverhandlung. Das Gericht hat die Sache durch Beschluß an das zuständige höhere Gericht zu verweisen (§ 270 Abs. 1). Die Hauptverhandlung braucht nicht weiter geführt zu werden, als es zur Beurteilung der Unzuständigkeit erforderlich ist; u. U. kann der Verweisungsbeschluß alsbald ergehen, nachdem die Anklage verlesen worden ist 18 . Der Beschluß bindet das empfangende Gericht 19 , selbst wenn das abgebende Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint hatte 20 . Er hat den Inhalt des Anklagesatzes (§ 270 Abs. 2) und die Wirkung eines Eröffnungsbeschlusses (§ 270 Abs. 3 Satz 1). Bei der Bekanntmachung (§ 35 Abs. 1 Satz 1) hat der Strafrichter und der Vorsitzende Richter des Schöffengerichts dem Angeklagten Frist zu setzen für einen Antrag auf ergänzende Beweiserhebungen (§ 270 Abs. 4). Die Akten gehen vom überweisenden an das empfangende Gericht durch die Staatsanwaltschaft. § 209 Abs. 2 und § 348 Abs. 3 heben das besonders hervor, doch gilt das auch im Fall des § 270.
10
5. Berufungsinstanz. Hat der Strafrichter im Fall des § 25 Nr. 2 GVG eine höhere Strafe als Freiheitsstrafe von zwei Jahren ausgeworfen, so hat er, wenn er sich im Rahmen des § 24 Abs. 2 GVG (Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren) gehalten hat, seine Zuständigkeit gewahrt 21 . Ist das Amtsgericht (Strafrichter oder Schöffengericht) über diesen Rahmen hinausgegangen, hat es damit seine Zuständigkeit überschritten und die des Landgerichts in Anspruch genommen. 11 Um diesem Mangel abzuhelfen, muß die als Berufungsgericht angerufene kleine Strafkammer das erste Urteil aufheben und die Sache an die erstinstanzliche große Strafkammer verweisen 22 . Formlose Abgabe genügt nicht 23 . Unklar sind insoweit die von Kappe24 und Gössefi5 vertretenen Ansichten. Beide wollen eine schlichte „Abgabe" als ausreichend ansehen. 12
Zuständig ist, weil nur sie die erstinstanzliche Zuständigkeit hat (§ 74 Abs. 1, § 76 Abs. 1 Satz 1 erster Halbs. GVG), die große Strafkammer. 13 Hat die Staatsanwaltschaft mit dem Ziel, eine höhere Strafe zu erreichen, Berufung gegen ein Urteil des Schöffengerichts eingelegt, das seine Strafgewalt zwar innegehalten, aber fast ausgeschöpft hat, so daß damit gerechnet werden kann, daß dessen Strafgewalt überschritten werde 26 , muß die nach § 76 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. GVG zuständige kleine Strafkammer die Sache ebenfalls unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an die große Strafkammer als erstinstanzliches Gericht verweisen. Das gilt auch für den Fall, daß die große Strafkammer dann doch im Strafbann des Schöffengerichts erkennt. Sie macht die Verweisung nicht unzulässig 27 . Dagegen scheidet eine Verweisung in solchen Fällen aus, wenn die Berufung ein Urteil des Strafrichters betrifft, da die kleine Strafkammer auch für eine Berufung gegen das an sich zuständig gewesene Schöffengericht zuständig ist. 14
Eine Verweisung scheidet auch aus, wenn das Schöffengericht zwar seine Zuständigkeit im Hinblick auf die Straferwartung (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG) zu Unrecht angenommen, seinen Strafbann aber nicht überschritten hatte und Rechtsmittel nur zugunsten des 18
RGSt64 108.
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19
BGHSt 19 294. RGSt 44 395. KK-Pfeiffer J. BGHSt 10 77.
24
20 21 22
25 26 27
KMR-Paulus 9. JR 1958 210. GA 1968 359. BGHSt 21 229. BGHSt 21 231.
Stand: 1. 10. 1996
(38)
Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
§ 6
Angeklagten eingelegt ist. Hier wird zufolge § 331 die Straferwartung durch das erste Urteil begrenzt, so daß eine höhere Straferwartung im Zeitpunkt der Prüfung des Rechtsmittelgerichts nicht mehr besteht 28 . Die kleine Strafkammer entscheidet über die Berufung selbst. Gehört die Sache vor ein höheres Gericht, so hebt das Berufungsgericht das erste 15 Urteil auf und verweist die Sache durch Urteil 29 , das den Erfordernissen des § 270 Abs. 2 entsprechen muß 30 , an das zuständige Gericht (§ 328 Abs. 2). Das erstinstanzliche Urteil kommt als notwendige Folge allerdings auch dann in Fortfall 31 , wenn es im Verweisungsurteil nicht ausdrücklich aufgehoben worden ist 32 . 6. Revisionsinstanz. Hat das Amtsgericht seine Zuständigkeit Uberschritten und hat 16 das Landgericht das nicht bemerkt, dann hebt das Revisionsgericht das landgerichtliche Urteil auf und holt die vom Landgericht unterlassene Verweisung an die große Strafkammer nach 33 . Genauso ist zu verfahren, wenn erst die Berufungsstrafkammer, etwa auf Berufung der Staatsanwaltschaft oder durch Bildung einer Gesamtstrafe, die Strafgewalt des Amtsgerichts überschritten hat. Ist das Oberlandesgericht im Wege der Sprungrevision (§ 335) angegangen worden, 17 dann hebt es das amtsgerichtliche Urteil auf und verweist dabei die Sache durch Urteil an das zuständige Gericht (§ 355). Hat die Strafkammer anstelle des Oberlandesgerichts entschieden, dann hebt der 18 Bundesgerichtshof das Urteil auf und verweist die Sache durch Urteil 34 , das den Erfordernissen des § 270 Abs. 2 entsprechen muß 35 , an das zuständige Gericht (§ 355). Bleibt der tatsächliche und der rechtliche Inhalt derselbe wie im Anklagesatz, u. U. in Verbindung mit einem Änderungsbeschluß nach § 207 Abs. 2, ist es nicht erforderlich, die Taten, die in ihnen zu findenden Straftaten und die anzuwendenden Strafgesetze im Verweisungsbeschluß noch einmal anzugeben 36 . Ist das Rechtsmittel nur wegen einer Nebenstrafe oder Nebenfolge beschränkt ein- 19 gelegt, etwa zur Frage der Einziehung, kann das Rechtsmittelgericht die Sache in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 3 statt an das zuständige Gericht an dasjenige unzuständige Gericht zurückverweisen, das — unzulässigerweise — entschieden hatte 37 . Denn der Gedanke der Zuständigkeitsvorschriften, für bedeutsamere Sachen eine höhere Zuständigkeit zur Verfügung zu stellen, erheischt keine Berücksichtigung, wenn bei Rechtskraft des Schuld- und Strafausspruchs nur noch über Nebenstrafen oder Nebenfolgen Bestimmung zu treffen ist 38 . Daß in diesem Stadium das beschränkte Wahlrecht der Staatsanwaltschaft (§ 24 Abs. 1 Nr. 3, § 25 Nr. 3 GVG) nicht mehr verwirklicht werden kann, muß im Interesse der Verfahrensvereinfachung hingenommen werden. Für die Zuständigkeit der Revisionsgerichte untereinander ist § 348 maßgebend.
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7. Rechtsmittel. Lehnt ein Gericht, statt nach § 209 Abs. 2 zu verfahren, die Eröff- 21 nung des Hauptverfahrens ab, so steht der Staatsanwaltschaft gegen diesen Beschluß die sofortige Beschwerde zu (§ 210 Abs. 2). Das gleiche gilt, wenn das Gericht nach Eröffnung des Hauptverfahrens, aber vor Beginn der Hauptverhandlung einen — ersten oder neuen — Antrag der Staatsanwaltschaft ablehnt, die Sache zuständigkeitshalber einem 28 29
30 3' 32 33 (39)
Gössel GA 1968 369. RGSt 65 397; BGHSt 26 109. Vgl. RGSt 61 326; 69 157; OLG Koblenz GA 1977 374. BGHSt 21 247. Hanack JZ 1973 694. RGSt 61 326; OLG Saarbrücken JBI. Saar 1964 15.
34 RGSt61326. « RGSt 69 157. 36 BGHSt 7 28; BayObLGSt 1959 210; Daliinger MDR 1966 894. 37 BayObLGSt 1962 88. 38 BayObLGSt 1962 88; vgl. RGSt 70 342.
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Gericht höherer Ordnung vorzulegen, oder wenn das auf ihren Antrag um Übernahme ersuchte Gericht höherer Ordnung diese ablehnt (§ 225 a Abs. 3 Satz 3; § 210 Abs. 2). Gegen die Aktenvorlage nach § 209 Abs. 2 findet, weil dadurch die Entscheidung ohnehin dem höheren Gericht übertragen wird, keine Beschwerde statt. Den Verweisungsbeschluß nach § 270 Abs. 1 Satz 1 (Rdn. 9) kann der Angeklagte nicht anfechten, die Staatsanwaltschaft nur dann, wenn das Gericht die Sache abweichend vom Antrag der Staatsanwaltschaft an das niedere von zwei zuständigen höheren Gerichten (Schöffengericht statt Strafkammer) verweist (§ 270 Abs. 3 Satz 2, § 210 Abs. 2) und — im Gesetz, weil selbstverständlich, nicht erwähnt — wenn es die Sache an ein Gericht niederer oder gleicher Ordnung verweist. Lehnt das Gericht einen Antrag ab, die Sache an ein anderes Gericht zu verweisen, ist dieser Beschluß nach § 305 unanfechtbar 39 . Gegen Verweisungsurteile des Berufungsgerichts (Rdn. 11, 13) ist die Revision gegeben. Der Verweisungsbeschluß des Revisionsgerichts (Rdn. 17, 20) unterliegt keiner Anfechtung (§ 348 Abs. 2).
26
8. Fehlerhafte und fehlende Verweisungsbeschlüsse. Hat nicht das Gericht in der Hauptverhandlung, sondern der Vorsitzende Richter oder aber die Kammer in Beschlußbesetzung entschieden, dann fehlt es an einem ordnungsgemäßen Verweisungsbeschluß und wird das angegangene Gericht nicht mit der Sache befaßt 40 . Dagegen bindet der Verweisungsbeschluß das höhere Gericht, wenn das niedere das Verfahren in der Form ordnungsgemäß, in der Sache aber zu Unrecht verwiesen hat 41 . 27 Sachliche und formelle Mängel eines Verweisungsbeschlusses können mit der Revision gerügt werden, doch hat die Rüge nur Erfolg, wenn das Urteil auf einem festgestellten Mangel beruht, d. h. wenn die Fehlerhaftigkeit des Verweisungsbeschlusses den Ausfall der Entscheidung beeinflußt haben kann 42 . Das wird meist zu verneinen sein 43 . 28
Hat das unzuständige Gericht keinen Verweisungsbeschluß erlassen, sondern selbst entschieden, dann ist die Strafklage mit Rechtskraft des Urteils verbraucht, selbst wenn dem Gericht die Umstände, die seine Unzuständigkeit begründet hatten, nicht bekannt gewesen sind 44 . Wird das Urteil angefochten, so führt das regelmäßig zur Verweisung. 29 Im Fall BGHSt 1 347 war der Angeklagte wegen Raubes mit Todesfolge (§ 251 StGB) statt beim Schwurgericht bei der Strafkammer — die damals ein niederes Gericht als das Schwurgericht war — angeklagt, von dieser aber nur wegen schweren Raubs (§ 250 StGB) verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof war der Ansicht, es komme nur darauf an, ob die Strafkammer bei Urteilsfällung zuständig gewesen sei 45 ; denn in diesem Fall könne die Sache nur an dasselbe Gericht als das zuständige verwiesen werden. 30 Die Urteile mögen praktischen Bedürfnissen entsprechen, sind aber — die Änderung der Rechtslage hinsichtlich des Schwurgerichts außer acht gelassen — nicht zu billigen 46 . Weder aus § 338 Nr. 4 noch aus § 354 ergibt sich, daß die Zuständigkeitsfrage nach dem Zeitpunkt des Urteils beantwortet werden dürfe. Vielmehr folgte aus dem früheren § 79 GVG, daß das Schwurgericht nicht nur für die Entscheidung, sondern auch für die Verhandlung zuständig war. Diese Zuständigkeit, die nicht nur im Interesse des Angeklagten begründet war, hatte die Strafkammer verletzt; sie war gar nicht zuständig, die Entscheidung zu treffen, daß (nur) ein Delikt vorliege, das zu ihrer Zuständigkeit gehöre. Daher ist OLG Braunschweig GA 1959 91. BGHSt 6 113. RGRspr. 7 642; RGSt 44 395. RGSt 52 306. RGSt 62 27 f.
44 45 46
BGH NJW 1953 393. Ebenso BGH MDR 1974 54. Daliinger MDR 1952 118; Eb. Schmidt § 270, 11, 12; Frankel LM § 33 JGG, 3 zu der inzwischen überholten Entscheidung BGHSt 10 64.
Stand: 1. 10. 1 9 9 6
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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
§ 6 a
die Entscheidung des Bundesgerichtshofs GA 1962 149 vorzuziehen. Nach dieser kommt es allein auf den Verdacht in bezug auf den abzuurteilenden Vorwurf an, nicht aber auf die Feststellungen des Urteils. Auf den ursprünglichen, eine vorrangige oder höhere Zuständigkeit begründenden Verdacht kann es allerdings dann nicht ankommen, wenn das ursprünglich nicht in die Zuständigkeit des entscheidenden Gerichts fallende Delikt gemäß § 154 aus dem Verfahren ausgeschieden worden ist 47 . 9. Prüfung der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Ob die Gerichtsbarkeit der ordentli- 31 chen Gerichte begründet ist, muß in allen Instanzen von Amts wegen geprüft werden 48 . Eine Sache, die nicht vor die ordentliche Gerichtsbarkeit gehört, kann nicht auf dem Wege der Verbindung nach § 2 dorthin gebracht werden 49 . Wenn sich die Unzuständigkeit der ordentlichen Gerichte herausstellt, findet § 270 keine Anwendung, vielmehr ist das Verfahren einzustellen50. Ebenso ist zu verfahren, wenn — etwa nach dem Überleitungsvertrag — keine deutsche Gerichtsbarkeit gegeben ist51. Mit der sachlichen Zuständigkeit haben diese Fälle freilich nichts zu tun 52 .
§6a 'Die Zuständigkeit besonderer Strafkammern nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes (§ 74 Abs. 2, §§ 74 a, 74 c des Gerichts Verfassungsgesetzes) prüft das Gericht bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen. 2 Danach darf es seine Unzuständigkeit nur auf Einwand des Angeklagten beachten. 3 Der Angeklagte kann den Einwand nur bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung geltend machen. Schrifttum. Brauns Die Besetzungsrüge und ihre Präklusion im Strafprozeß, Diss. Köln 1984; Brause Die Zuständigkeit der allgemeinen und besonderen Strafkammern nach dem Strafverfahrensänderungsgesetz, NJW 1979 802; Meyer-Goßner Die Behandlung von Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen allgemeinen und SpezialStrafkammern beim Landgericht, NStZ 1981 168; Meyer-Goßner Berufungskammer als Schwurgericht? DRiZ 1989 297; Rieß Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978 2265; Rieß Zur Zuständigkeit der allgemeinen und besonderen Strafkammern, NJW 1979 1536.
Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 1 Nr. 3 StVÄG 1979. Übersicht Rdn. 1. Bedeutung 2. Prüfung (Satz 1) a) Allgemein b) Von Amts wegen 3. Verfahren a) Übersicht b) Vor Eröffnung des Hauptverfahrens c) Eröffnung des Hauptverfahrens d) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens
47 48 49
(41)
BGH StV 1987 140. RGSt 43 225. RGSt 39 132.
3 4
..
6 7 9 10
Rdn. 4. Einwand des Angeklagten (Satz 2) a) Begriff b) Berechtigter c) Zeitpunkt d) Hauptverhandlung bei abwesendem Angeklagten e) Form 5. Verlust und Verbrauch des Einwands a) Verlust b) Verbrauch c) Mehrere Beschuldigte 50 51 52
RGSt 43 228; 59 36. OLG Karlsruhe JZ 1967 419. Geppert GA 1972 168.
Günter Wendisch
12 13 15 17 18 19 20 21
§ 6 a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rdn.
6.
Rechtsmittel a) Beschwerde . b) Revision . . .
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Rdn. 7. Unzuständigkeit des Rechtsmittelgerichts a) Prüfungszeitpunkt b) Weiteres Verfahren
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1. Bedeutung. Das Gerichtsverfassungsgesetz weist drei Strafkammern unterschiedliche, grundsätzlich ausschließliche Zuständigkeiten zu. Es sind dies die Schwurgerichtskammer (§ 74 Abs. 2, § 74 d GVG), die sog. Staatsschutzkammer (§ 74 a GVG) und die Wirtschaftsstrafkammer (§ 74 c GVG). Diese Strafkammern sind mit je einem eigenen, grundsätzlich (Ausnahme § 74 c Abs. 1 Nr. 6: „soweit" . . .) geschlossenen Zuständigkeitskatalog ausgestattet. Sie sind nach § 74 e GVG untereinander derart in ein Vorrangverhältnis gesetzt, daß in erster Linie der Schwurgerichtskammer, in zweiter der Wirtschaftskammer und in dritter Linie der Staatsschutzkammer der Vorrang zukommt, der dann auch vor der allgemeinen Strafkammer (§74 Abs. 1 GVG) besteht1. Trotz der geschlossenen Kataloge können Sachen versehentlich oder rechtsirrtümlich bei einer falschen Kammer anhängig gemacht (§ 2 Abs. 1) oder verbunden (§ 4 Abs. 1) werden, oder es kann im Lauf der Verhandlung die Zuständigkeit einer vorrangigen oder nachrangigen Strafkammer hervortreten. Die Vorschrift regelt das dazu erforderliche Prüfungsverfahren nach den Grundsätzen, die für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit gelten, auch im Wortlaut fast gleichlautend mit § 162. Die Verfahren zur Bestimmung der Folgen der Unzuständigkeit dagegen lehnen sich den Regelungen bei sachlicher Unzuständigkeit (§§ 209 a, 209; § 225 a Abs. 4; § 270 Abs. 1 Satz 2) an. Wegen der dogmatischen Bedeutung ist zu bemerken: Nach der Begründung 3 soll die Zuständigkeit besonderer Strafkammern nicht wie die sachliche Zuständigkeit behandelt werden. Daraus könnte man wie bei § 2 (vgl. § 2, 31) ableiten, daß die besondere Zuständigkeit keine sachliche Zuständigkeit — wenn auch besonderer Art — ist. Indessen trifft die Erwägung nur für die beschränkte Prüfungsmöglichkeit zu. Die Stellung der Vorschrift und die Behandlung einer erkannten Unzuständigkeit, die der Prüfung bei der sachlichen Zuständigkeit folgt (Rdn. 6), könnten wieder auf das Gegenteil schließen lassen. Da auch hier positiv-gesetzliche Regelungen vorliegen, braucht — ebenso wie bei § 2 (§ 2, 31) — die dort angeschnittene Frage nicht weiter verfolgt werden. 2. Prüfung (Satz 1) a) Allgemein. Im Gegensatz zu den §§ 16 bis 18 a. F., die das Wort „prüfen" nicht enthielten, wird jetzt sowohl in § 16 (örtliche Zuständigkeit) als auch in § 6 a (Zuständigkeit besonderer Strafkammern) ausdrücklich vorgeschrieben, daß das Gericht diese Zuständigkeiten bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens und bei diesem von Amts wegen zu prüfen hat. Das galt für die örtliche Zuständigkeit allerdings auch schon, ehe das Prüfungsgebot ausdrücklich verordnet wurde 4 . In bezug auf die örtliche Zuständigkeit, den Gerichtsstand, handelt es sich um die Prüfung einer Verfahrensvoraussetzung von zeitlich vorübergehender Bedeutung. Bei der Zuständigkeit besonderer Strafkammern muß man das gleiche annehmen, auf jeden Fall diese Zuständigkeit wie eine vorübergehende ProzeßvorWegen des grundsätzlichen Vorrangs der Jugendgerichte bei verbundenen Verfahren gegen Jugendliche und Erwachsene, für die § 6 a nicht gilt (BGHSt 30 260), vgl. § 103 Abs. 2 Satz 1 JGG sowie BGH bei Holtz MDR 1980 456 und OLG Oldenburg NJW 1981 1385. Abgesehen von den aus stilistischen Gründen gewählten Abweichungen im Einleitungssatz besteht der Unterschied darin, daß nach § 16 das
Gericht seine Unzuständigkeit ausspricht (vgl. dazu § 16, 8), nach § 6 a aber (durch Verschiebung der Zuständigkeit) beachtet (vgl. Rdn. 6). Die Gesetzesfassung nimmt Rücksicht auf die verschiedenen Folgen, die in beiden Fällen aus der Feststellung der Unzuständigkeit erwachsen. BTDrucks. 8 976, S. 33. Vgl. LR-DUnnebiern § 18, 6.
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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
§ 6
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aussetzung ansehen müssen. Zugleich stellt die Gesetzesfassung klar, daß die genaue Zuständigkeit auf jeden Fall keine beständige Prozeßvoraussetzung der Art ist, daß sie — wie die sachliche Zuständigkeit (§ 6, 3) — auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen wäre 5 . b) Prüfung von Amts wegen. Das Gericht prüft neben seiner sachlichen (§ 6) und örtli- 4 chen (§ 16) Zuständigkeit auch von Amts wegen, ob es im Hinblick auf eine der in § 74 Abs. 2, § 74 a, § 74 c GVG getroffenen Regelung zuständig ist. Die Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte können die Prüfung beantragen. Das Recht und die Pflicht (Rdn. 3) des Gerichts, die Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen, dauern — anders als bei der sachlichen Zuständigkeit (§ 6, 2), aber in Übereinstimmung mit der Regelung bei der örtlichen Zuständigkeit (§ 16, 4) — bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens (Satz l) 6 . Sie umfassen dieses und gewinnen dort ihre besondere Bedeutung. Der Eröffnung des Hauptverfahrens steht diejenige des Sicherungsverfahrens (§§413 ff) gleich (§414 Abs. 1). Nach diesem Zeitpunkt ist die Prüfung nur noch auf Einwand des Angeklagten zulässig (Satz 2), wenn er diesen rechtzeitig (Satz 3) erhoben hat. Ist die Prüfungsmöglichkeit des Gerichts entfallen und hat dieses versehentlich oder rechtsirrtümlich seine Unzuständigkeit nicht erkannt, dann wird das an sich unzuständige Gericht von Rechts wegen zuständig. In den besonderen Verfahrensarten, wo das Hauptverfahren nicht ausdrücklich 5 eröffnet wird, sind der Eröffnung diejenigen gerichtlichen Akte gleichzustellen, die mit der Feststellung hinreichenden Tatverdachts oder danach den Beginn der gerichtlichen Untersuchung über die dem Verdacht zugrundeliegende Tat bezeichnen. Demzufolge stehen der Eröffnung des Hauptverfahrens gleich bei der Nachtragsanklage (§ 266 Abs. 2 Satz 1 in Verb, mit Absatz 1) der Einbeziehungsbeschluß (§ 266 Abs. 1), im objektiven Urteilseinziehungsverfahren (§ 441 Abs. 3) die Anberaumung der Hauptverhandlung7, im Beschlußeinziehungsverfahren (§441 Abs. 2) die Zulassung des Antrags aus 440. Dasselbe gilt im selbständigen Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen (§ 444 Abs. 3 Satz 1). 3. Verfahren a) Übersicht. Wenn auch das Prüfungsverfahren dem der örtlichen Zuständigkeit folgt, 6 so ist die Verfahrensweise, die das Gericht einzuschlagen hat, um eine falsche Zuständigkeit zu korrigieren, von dem bei örtlicher Unzuständigkeit verschieden; es ist vielmehr dem bei erkannter sachlicher Unzuständigkeit8 angepaßt. Danach kommt es — anders als bei der örtlichen Zuständigkeit — in keinem Fall zur Einstellung des Verfahrens, sondern, wenn die eigene Zuständigkeit nicht bejaht wird, zu einer Verschiebung der Zuständigkeit. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Verfahren bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens (Rdn. 7, 8), dem bei Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 199 Abs. 1; § 203; § 207 Abs. 1 und 2), für das die besonderen Regeln der §§ 209 a, 209 gelten (Rdn. 9), und dem Verfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens. Für dieses sind die Bestimmungen enthalten für die Zeit vor Beginn einer (nicht notwendigerweise der ersten; vgl. § 225 a) Hauptverhandlung in § 225 a Abs. 4 in Verb, mit den Absätzen 1 und 3 (Rdn. 10) und für die Zeit nach Beginn einer Hauptverhandlung in § 270 Abs. 1 Satz 2 in Verb, mit Satz 1 (Rdn. 11). Dazu kommt die Verweisungsvorschrift für das Revisionsgericht (§ 355). b) Vor Eröffnung des Hauptverfahrens. Grundsätzlich prüft das Gericht seine Zustän- 7 digkeit als besondere Strafkammer erst bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, doch sind vorher Entscheidungen des später erkennenden Gerichts möglich. Bei (vor) diesen muß das 5
Rieß GA 1976 25. OLG Köln NStZ 1981491; K K - P f e i f f e r 2. (43)
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RGSt 19 428. Rieß JR 198« 80.
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§6a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Gericht, wie bei jeder Entscheidung, seine besondere Zuständigkeit prüfen, solange nicht die Prüfungssperre des Satzes 2 eingetreten ist. Als solche Entscheidungen kommen in Betracht die Anordnung, den Beschuldigten in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus zu beobachten (§ 81 Abs. 3), und die Bestellung eines Pflichtverteidigers (§ 141 Abs. 4). Die Prüfungspflicht, ohnehin selbstverständlich, ergibt sich dafür aus Satz l 9 , doch ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, wie in jenen Fällen zu verfahren ist, wenn sich die angegangene besondere Strafkammer für unzuständig hält. Unmittelbar findet weder § 209 in Verb, mit § 209 a Anwendung, weil er nur für die Eröffnung des Hauptverfahrens, noch § 225 a Abs. 4 in Verb, mit Absatz 1, weil er nur für die Zeit nach Eröffnung des Hauptverfahrens bis zum Beginn einer Hauptverhandlung gilt10, noch § 270, der nur während der Hauptverhandlung Platz greift. Auch die §§ 14, 19 finden unmittelbar keine Anwendung, weil sie nach der Überschrift des zweiten Abschnitts für den Gerichtsstand, die örtliche Zuständigkeit, gelten. Alle genannten Vorschriften regeln zudem grundsätzlich die Zuständigkeit für das gesamte weitere Verfahren, eine Folge, die nicht angebracht ist, wenn die Zuständigkeit für regelmäßig nur eine Entscheidung im vorbereitenden Verfahren streitig ist. 8
Zu prüfen ist daher, welche Vorschrift entsprechend Anwendung findet in der Weise, daß die gerichtliche Entscheidung sich nicht auf das (gesamte) Verfahren bezieht, sondern allein auf die einzelne Anordnung der Beobachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder die Bestellung eines Verteidigers. Da das Verfahren zur Prüfung der besonderen Zuständigkeit allein in bezug auf die Beschränkung der Prüfungszeit dem bei örtlicher Zuständigkeit angepaßt ist, sonst aber der Regelung bei sachlicher Unzuständigkeit folgt, und da das zur Eröffnung des Hauptverfahrens zuständige Gericht (§ 81 Abs. 3) zu der Entscheidung berufen ist11, ist es systemgerecht, die Vorschrift über die Zuständigkeitsregelung im Eröffnungsverfahren (§ 209 in Verb, mit § 209 a) entsprechend anzuwenden12, also so, daß die nach § 74 e GVG vorrangige Strafkammer die Sache an die nachrangige zur Fällung der notwendigen Anordnung abgibt oder daß die nachrangige Strafkammer der vorrangigen die Sache zur Entscheidung über die Zuständigkeit, ggf. zum Erlaß der Anordnung, vorlegt13. Wenn auch anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber, hätte er den Fall für regelungsbedürftig erkannt, so entschieden hätte, so ist diese Auslegung doch nicht zwingend. Folgt das angegangene Gericht ihr nicht, dann muß es, wenn es sich für unzuständig hält, die beantragte Prozeßhandlung ablehnen; dagegen ist Beschwerde statthaft14, doch kann die Staatsanwaltschaft statt dessen die Prozeßhandlung nunmehr auch bei einer anderen der besonderen Strafkammern beantragen. Erklärt sich auch diese für unzuständig, dann liegt ein sog. negativer Zuständigkeitsstreit vor (§ 14, 2), über den in entsprechender Anwendung des § 14 — in der Regel auf Antrag der Staatsanwaltschaft — zu entscheiden ist15. 9
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Begr. BTDrucks. 8 976, S. 33. Für § 162 vgl. KMR-Müller § 162, 6; Eb. Schmidt § 162, 6. Das ergibt sich aus § 225 a Abs. 4 Satz 1, der klarstellt, daß nach Absatz 4 nur auf Einwand des Angeklagten zu entscheiden ist, also des Angeschuldigten, gegen den die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist (§ 157 zweite Möglichkeit). Auch der Rechtsprechung, die zu der in § 225 a nunmehr gesetzlich geregelten Rechtslage geführt hat (vgl. BTDrucks. 8 976, S. 48), spricht von dem Verfahrensabschnitt von der Eröffnung des Hauptverfahrens bis zur Hauptverhandlung (BGHSt 18 290; 25 312). Nach § 141 Abs. 4 entscheidet über die Bestellung der Vorsitzende des Gerichts, „das für das Hauptverfahren zuständig ist". Da das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht darüber zu entschei-
den hat, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist (§ 199 Abs. 1), begründet die Wortwahl keinen Unterschied in der Sache. 12 Meyer LR23 § 81, 37 will bei Zuständigkeit nach § 6 der Strafkammer die Möglichkeit geben, die Sache dem Amtsgericht mit der Begründung weiterzugeben, daß sie im Hinblick auf § 24 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 GVG das Hauptverfahren vor diesem Gericht eröffnen werde, zieht aber für den umgekehrten Fall den Weg des § 209 Abs. 3 Satz 1 a. F. (= § 209 Abs. 2 n. F.) nicht in Erwägung, sondern läßt bei Meinungsverschiedenheiten, auch wenn mehrere Gerichte sachlich zuständig sind, § 14 gelten. 13 Meyer-Goßner NStZ 1981 174. 14 Meyer-Goßner NStZ 1981 174 1. Sp.; Eb. Schmidt § 62, 14. 15 Meyer-Goßner NStZ 1981 174.
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c) Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist in § 209 geregelt. Danach kann jedes 9 Gericht (höherer Ordnung) das Hauptverfahren vor jedem Gericht niedrigerer Ordnung seines Bezirks eröffnen. Das Gericht, das die Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung, zu dessen Bezirk es gehört, für begründet hält, legt diesem die Akten zur Entscheidung vor. Nach § 209 a Nr. 1 stehen im Sinn des § 209 (und anderer Vorschriften) die besonderen Strafkammern (Rdn. 1) gegenüber den allgemeinen Strafkammern und untereinander in der in § 74 e GVG bezeichneten Rangfolge Gerichten höherer Ordnung gleich. Solchen Gerichten stehen nach § 209 a Nr. 2 auch die Jugendgerichte gleich für die Entscheidung, ob bestimmte Sachen vor diese gehören 16 . d) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens. Vor Beginn der Hauptverhandlung (dazu 10 § 225 a) kann eine besondere Strafkammer ihre Unzuständigkeit nur auf Einwand des Angeklagten beachten (Satz 3). Dazu bestimmt § 225 a Abs. 4 Satz l in Verb, mit Absatz 1, daß ein Gericht, wenn es einen Einwand des Angeklagten nach § 6 a für begründet hält und eine besondere Strafkammer zuständig wäre, der nach § 74 e GVG der Vorrang zukommt, die Akten dem vorrangigen Gericht vorlegt. Dieses entscheidet, ob es die Sache übernimmt. Kommt dem Gericht, das die Zuständigkeit einer anderen besonderen Strafkammer für begründet hält, vor dieser nach § 74 e GVG der Vorrang zu, dann verweist es die Sache an diese mit bindender Wirkung (§ 225 a Abs. 4 Satz 2) 17 . Nach Beginn einer Hauptverhandlung kann der Angeklagte den Einwand, eine 11 besondere Strafkammer sei zuständig, noch bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung (Rdn. 15) geltend machen. Dazu läßt § 270 Abs. 1 Satz 2 zu, daß das Gericht, wenn es einen rechtzeitig vorgebrachten Einwand des Angeklagten für begründet erachtet, die Sache durch Beschluß an die zuständige besondere Strafkammer verweist. Während § 270 Abs. 1 Satz 1 nur eine Verweisung „nach oben" zuläßt, kann und muß die besondere Strafkammer auch an eine Strafkammer verweisen, die ihr im Sinn des § 74 e GVG nachrangig ist18. Denn ohne diese Verweisung „nach unten" könnte dem Einwand des Angeklagten ggf. nicht stattgegeben werden. Das aber wird für erforderlich gehalten, weil — anders als bei sachlicher Unzuständigkeit — der Rechtsgedanke des § 269 nach Ansicht der Begründung 19 nicht anzuwenden ist. Der Begründung ist der Gesetzgeber durch die Formulierung des § 270 Abs. 1 Satz 2 gefolgt. Einzelheiten s. bei § 270. 4. Einwand des Angeklagten (Satz 2) a) Der Begriff Einwand ist dem Strafprozeß terminologisch und der Sache nach an sich 12 fremd (s. aber § 16 und § 222 b). In § 6 a hat er die Bedeutung eines Antrags, der nach Eröffnung des Hauptverfahrens die notwendige Voraussetzung für die Entscheidung des Gerichts bildet, daß es nach der Vorrangregelung des § 74 e GVG zuständig oder unzuständig ist; von Amts wegen darf das Gericht dann seine Unzuständigkeit nicht mehr beachten. Gleiche notwendige Anträge sind der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§44 Satz 1), der Ablehnungsantrag wegen Besorgnis der Befangenheit (§24 Abs. 3 Satz l) 20 , der Antrag, als Beistand zugelassen zu werden (§ 149), und die Anträge der 16
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Wegen der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Jugendkammer und besonderer Strafkammer s. § 2, 29 f sowie Rieß NJW 1978 2267. Einzelheiten s. bei §§ 209, 209 a. Brause NJW 1979 802. Einzelheiten s. bei §§ 209,209 a. Ebenso Meyer-Goßner NStZ 1981 171 1. Sp.; Rieß NJW 1979 1536; a. A. Brause 802; vgl. zu diesem Problem auch Bohnert 36 ff. BTDrucks. 8 976, S. 57. Über die Befangenheit eines Richters darf das Gericht
nie von Amts wegen entscheiden, auch gibt es - entgegen weitverbreiteter verwaschener Ausdrucksweise - kein Selbstablehnungsrecht des Richters (OLG Rostock GA 51 (1904) 68; § 30, 8), doch kann neben dem Ablehnungsantrag (§ 26 Abs. 1) auch die richterliche Anzeige (§ 30) die gerichtliche Pflicht auslösen, zu entscheiden, ob ein Beteiligter Befangenheit besorgen kann. § 27 Abs. 2 Satz 3 enthält ein Seibstentscheidungsrecht des Richters beim Amtsgericht, der einen Ablehnungsantrag für begründet hält.
Günter Wendisch
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Staatsanwaltschaft, daß der Richter eine Leichenöffnung anordnet (§ 87 Abs. 1 Satz 1) oder an ihr teilnimmt (§ 87 Abs. 2 Satz 1) sowie, daß Auslieferungshaft nicht angerechnet wird (§ 450 a Abs. 3 Satz 1), und hauptsächlich der, eine Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2). Der Antrag der Staatsanwaltschaft, einen Haftbefehl zu erlassen (§ 125 Abs. 1; § 128 Abs. 2 Satz 2), ist zwar im Grundsatz ebenfalls ein notwendiger Antrag, doch entfallt die Notwendigkeit, wenn kein Staatsanwalt erreichbar ist. 13
b) Berechtigt zum Einwand ist der Angeklagte, im Jugendgerichtsverfahren sowie in Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten auch der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter (§ 67 Abs. 1, § 104 Abs. 1 Nr. 9 JGG) 21 . Das Wort Angeklagter wird gebraucht, weil in Satz 2 und 3 auf den Zeitpunkt nach Eröffnung des Hauptverfahrens (Satz 2: Danach) abgestellt wird und der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt Angeklagter heißt (§ 157 zweite Möglichkeit). Da sich der Wortgebrauch aus der Fixierung eines zeitlichen Endpunkts ergibt, besagt er nichts über die Möglichkeit, den Einwand früher vorzubringen 22 . Demzufolge ist nicht ausgeschlossen, daß der Beschuldigte (Angeschuldigte) den Einwand schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens erhebt (Rdn. 16). Auf jeden Fall steht er ihm auch im vorbereitenden Verfahren zu (Rdn. 7). Denn die Zuständigkeit muß bei jeder richterlichen Handlung geprüft werden, solange das nicht gesetzlich (Satz 3) ausgeschlossen ist. Daraus folgt, daß die Unzuständigkeit immer eingewendet werden kann, sobald die Zuständigkeit zu prüfen ist. Im vorbereitenden Verfahren kann der Beschuldigte den Einwand beim rechtlichen Gehör erheben, aber auch mit der Beschwerde geltend machen 23 .
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Dem Angeklagten stehen gleich der Beschuldigte im Sicherungsverfahren (§414 Abs. 2 Satz 1 und 2), der Einziehungsbeteiligte (§ 433 Abs. 1), der Beschuldigte im selbständigen Einziehungsverfahren (§ 440 Abs. 1 und 3), der Antragsteller im Nachverfahren (§ 439 Abs. 1) sowie der Beteiligte im Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (§ 444 Abs. 1, Absatz 2 Satz 2 in Verb, mit § 433 Abs. 1). Der Staatsanwaltschaft (§ 152 Abs. 1) steht zwar der Einwand, etwa um einen Irrtum bei der Anklage zu beseitigen, nicht zu, doch kann sie die Prüfung der Zuständigkeit beantragen, solange das Gericht diese von Amts wegen anzustellen hat (Rdn. 4). Der Umstand, daß sie mit der Adressierung der Klage und dem Antrag, das Hauptverfahren vor einer von ihr bezeichneten besonderen Strafkammer zu eröffnen, die Zuständigkeit behauptet hatte, steht einem solchen Antrag nicht entgegen.
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c) Zeitpunkt. Der Beschuldigte muß den Einwand, die mit der Sache befaßte besondere Strafkammer sei nach § 74 e GVG unzuständig, spätestens als Angeklagter in der Hauptverhandlung — gemeint ist hier die erste; der Einwand ist also ausgeschlossen, wenn es nach einer Aussetzung (§ 228 Abs. 1 Satz 1) oder nach Zurückverweisung der Sache (§ 328 Abs. 2, § 354 Abs. 2) zu einer neuen Hauptverhandlüng kommt 24 — bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache geltend machen 25 , also nicht mehr — wenn auch alsbald — nach dem Beginn 26 . Die Vernehmung beginnt (§ 243 Abs. 4 Satz 2), nachdem KK-Pfeiffer 7; KMR-Paulus 9. Die Frage hat ihre Bedeutung weitgehend verloren, nachdem zufolge des Wegfalls der sofortigen Beschwerde (vgl. § 201 Abs. 2 in der Fassg. von Art. 1 Nr. 14 StVÄG 1979) die Rechtskraft der ergehenden Entscheidung weggefallen ist (§ 16, 13), der Einwand also bis zum kritischen Zeitpunkt wiederholt werden kann. Auch im Verfahren des § 8 1 Abs. 4 wird lediglich - auch in bezug auf die Zuständigkeit - für den Beobachtungsfall entschieden (s. Erl. zu § 81), so daß die Entscheidung über
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die Zuständigkeit der besonderen Strafkammer nur für die Beobachtung, nicht für das gesamte Verfahren rechtskräftig wird. Vgl. § 81 Abs. 4 für die Beobachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus; § 304 Abs. 1 für die Verteidigerbestellung. RGSt 70 241; K K - P f e i f f e r 10. BGH GA 1980 255; OLG Köln VRS 74 (1988) 13. BGHSt 30 187 = JR 1982 511 mit zust. Anm. Schliichter.
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§ 6 a
der Angeklagte sich nach dem Hinweis, es stehe ihm frei, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, zur Äußerung bereit erklärt hat 27 . Im Anschluß an diese Erklärung, aber vor jeder Aussage muß er spätestens die Unzuständigkeit der besonderen Strafkammer „einwenden". Nach dem genannten Zeitpunkt ist der Einwand selbst dann nicht mehr statthaft, wenn die Tatumstände, aus denen die Unzuständigkeit folgt, erst im Lauf der Hauptverhandlung hervortreten 28 oder wenn die Tat abweichend vom Eröffnungsbeschluß beurteilt wird 29 . Entgegen früheren Fassungen des § 1630 ist nicht bestimmt, daß der Einwand (nur) in 16 der Hauptverhandlung geltend gemacht werden könnte; dort liegt nur der Endzeitpunkt der Berechtigung. Der Beschuldigte kann daher den Einwand vorbringen, sobald feststeht, welches Gericht mit der Sache befaßt ist. Hat er den Einwand vor der Hauptverhandlung erhoben, etwa nach Zustellung der Anklage (§ 201 Abs. 1), muß er ihn in dieser wiederholen, wenn das Gericht ihn ohne besondere Begründung übergangen hat 31 . Das Gericht auf der anderen Seite ist nicht gezwungen, alsbald über den Antrag zu entscheiden. Wendet der Angeschuldigte nach Mitteilung der Anklageschrift (§ 201 Abs. 1) die Unzuständigkeit ein, so braucht die besondere Strafkammer nicht zu entscheiden, ob sie (oder eine andere besondere Strafkammer) dafür zuständig ist, über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden; sie kann die Erörterung der Zuständigkeit vielmehr dem Verfahren nach § 209 in Verb, mit § 209 a überlassen und wird wohl niemals anders verfahren. d) Hauptverhandlung bei abwesendem Angeklagten. Findet die Hauptverhandlung 17 in Abwesenheit des Angeklagten statt, dann kann 32 der Verteidiger den Einwand bis zu dem Ereignis geltend machen, das dem Beginn der Vernehmung zur Sache entspricht 33 . Findet im Sicherungsverfahren (Rdn. 14) die Hauptverhandlung ohne den Beschuldigten statt (§ 415 Abs. 1), dann tritt die Verlesung über die richterliche Vernehmung an die Stelle der Vernehmung. Im Verfahren nach § 231 a ist der Inhalt der Äußerung des Angeklagten zur Anklage (§ 231 a Abs. 1 Satz 2) zu verlesen. In beiden Fällen ist der Antrag, wenn er nicht vorher schriftlich oder bei der richterlichen Vernehmung gestellt worden ist, vom Verteidiger vor Beginn der Verlesung anzubringen. e) Form. Der Antrag ist an das mit der Sache befaßte Gericht zu richten. Da über die 18 Form eine Bestimmung fehlt, wird man Formfreiheit annehmen müssen und § 26 Abs. 1 entsprechend anwenden dürfen. Danach kann der Antrag bei Gericht in jeder Form angebracht werden, also innerhalb der Hauptverhandlung mündlich oder schriftlich und stets zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Wird der Antrag von einem abwesenden Angeklagten (Rdn. 17) während der Hauptverhandlung zu Protokoll des Urkundsbeamten gegeben, dann trägt der Angeklagte für die Behandlung des Antrags im Geschäftsgang die Gefahr allein. Sein Einwand ist verwirkt, wenn er dem Gericht zu dem kritischen Zeitpunkt (Rdn. 17) nicht vorliegt, selbst wenn das bei ordnungsgemäßer ν BGH NStZ 1984 129. 28 BGHSt 30 187: weitere Zuständigkeit der allgemeinen Strafkammer trotz § 226 StGB bei Tod des Tatopfers erst nach Vernehmung des Angeklagten zur Sache. 29 So zum gleichlautenden § 16 Satz 3 schon RG GA 59(1912) 138; RGSt65 268. 30 Nach Art. 4 Nr. 1 Buchst, h des Gesetzes zur Änderung des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28. 6. 1935 (RGBl. I 844) lautete § 16 nach (vorübergehender) Abschaffung der Voruntersuchung: Der Angeschuldigte (sie) muß den Einwand der Unzuständigkeit in der Hauptver(47)
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handlung bis zur Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens geltend machen. In der derzeitigen Fassung bezieht sich das in auf die „Vernehmung" in der Hauptverhandlung nicht auf diese. Sonst müßte die Stelle heißen: Der Angeklagte kann den Einwand nur in der Hauptverhandlung bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache geltend machen, wie ein Vergleich mit der Fassung von 1933 unzweideutig ergibt. Anders zum früheren Recht RGSt 70 240; RG JW 1933 444. Und muß, wenn er wirksam sein soll: RGSt 19 429. Kleinknecht/Meyer-Goßner 13.
Günter Wendisch
§ 6 a
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n
Behandlung möglich gewesen wäre. Das gilt auch, wenn der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte, der in einem auswärtigen Bezirk verwahrt wird, dort — wozu er wegen der Formfreiheit des Einwands berechtigt ist — seine Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts des Verwahrungsorts gibt. § 299 Abs. 2 findet keine entsprechende Anwendung. 5. Verlust und Verbrauch des Einwands 19
a) Verlust. Da der Angeklagte den Einwand nur bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache geltend machen kann, ist die damit gesetzte Frist eine auf einen Prozeßabschnitt abgestellte Handlungsfrist. Als solche ist sie eine Ausschlußfrist mit der Wirkung, daß der Einwand nach Ablauf der Frist schlechthin unzulässig und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist ausgeschlossen ist (§ 42, 5). Mit der Folge des Verlusts kann nur die Frist des Satzes 3 versäumt werden. Daher ist keine Säumnis gegeben, wenn der Angeschuldigte, der nach § 201 Abs. 1 bei der Zustellung der Anklage aufgefordert wird, seine Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorzubringen, es unterläßt, den Einwand der Unzuständigkeit der besonderen Strafkammer zu erheben.
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b) Verbrauch. Aus dem Wortlaut „den Einwand", der Prozeßvoraussetzung für die Prüfung des Gerichts nach der Eröffnung des Hauptverfahrens ist, kann gefolgert werden, daß dem Angeklagten in der Zeit nach Eröffnung des Hauptverfahrens bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung der Einwand, es sei eine andere besondere Strafkammer zuständig, nur einmal zusteht und daß der Einwand mit der Entscheidung über ihn für diese Zeit verbraucht wird 34 . Hat ζ. B. der Angeklagte die Unzuständigkeit sofort nach Aufruf der Sache eingewendet, weil er keinen Augenblick vor einem unzuständigen Gericht stehen will, und hat das Gericht 35 daraufhin seine Zuständigkeit festgestellt, dann kann der Angeklagte den Einwand nicht beliebig oft bis zu seiner Vernehmung zur Sache wiederholen. Dagegen kann der Angeklagte bis zu diesem Zeitpunkt einen Einwand erneuern, der vor oder bei Eröffnung des Hauptverfahrens verworfen worden war 36 . Die Abweichung vom früheren Rechtszustand, wie er bei der örtlichen Zuständigkeit gegeben war (LR23 § 16, 29), folgt daraus, daß zufolge des Wegfalls der sofortigen Beschwerde (vgl. § 201 Abs. 2 in der Fassg. von Art. 1 Nr. 17 StVÄG 1979) die Rechtskraft der im Zwischenverfahren ergehenden Entscheidung weggefallen ist (§ 16, 15). Einem Einwand der Unzuständigkeit der besonderen Strafkammer im vorbereitenden Verfahren (Rdn. 7) kommt Verbrauchswirkung selbst dann nicht zu, wenn — wie in § 81 Abs. 4 — die sofortige Beschwerde, die natürlich auch wegen der Unzuständigkeit erhoben werden kann, gegeben ist, weil der vorläufige Stand der Ermittlungen keine endgültige Entscheidung zuläßt (Rdn. 8).
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c) Mehrere Beschuldigte. Bei Versäumung der Frist verliert nur der Säumige den Einwand. Daher ist ein Angeklagter nicht deshalb gehindert, einen ihm noch zustehenden Einwand der Unzuständigkeit zu erheben, weil ein Mitangeklagter ihn durch Säumnis verloren hat. Das kann auch durchaus von Bedeutung sein, weil der Beginn der Vernehmung der Sache bei mehreren Angeklagten notwendigerweise verschieden liegt. Dagegen muß man den beschränkten (Rdn. 20) Verbrauch des Einwands, der nach der Eröffnung des Hauptverfahrens erhoben wird, auch für einen Berechtigten annehmen, wenn er ihn selbst nicht erhoben hat, aber dadurch am Zwischenverfahren über die Zuständigkeit der beson34 35
Α. A. Meyer-Goßner NStZ 1981 170 1. Sp. Was es nicht muß; es kann die Entscheidung bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur
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Sache zurückstellen. Ebenso KK-Pfeiffer 12; Meyer-Goßner 169 r. Sp.
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NStZ 1981
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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
§ 6 a
deren Strafkammer beteiligt gewesen ist, daß er vor der Entscheidung über den Einwand eines anderen Berechtigten nach § 33 gehört worden ist. Das bedeutet: Hat auf den Einwand auch nur eines von mehreren Angeklagten, den er nach der Eröffnung des Hauptverfahrens erhoben hat, das Gericht in einem förmlichen Verfahren (§§ 33, 34, 35, 35 a) 37 seine Zuständigkeit oder die Zuständigkeit einer anderen besonderen Strafkammer ausdrücklich festgestellt, dann ist das Recht zum Einwand für alle Beteiligten, auch wenn sie die Zuständigkeit einer dritten Strafkammer behauptet haben, verbraucht, weil das Gericht nicht in bezug auf einen von mehreren Angeklagten, sondern, indem alle Beteiligten „hinsichtlich der Kompetenzfrage in lite" waren 38 , über die Zuständigkeit nach § 74 e GVG für das ganze verbundene Verfahren entschieden hat 39 . 6. Rechtsmittel a) Beschwerde. Vor Eröffnung des Hauptverfahrens ergehende Beschlüsse sind vom 22 Beschuldigten mit der einfachen Beschwerde anfechtbar 40 , wenn das nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist 41 . Das ist nach § 201 Abs. 2 Satz 2 der Fall, wenn die besondere Strafkammer den Einwand (§ 201 Abs. 2 Satz 1) des Angeschuldigten verwirft, nicht sie, sondern eine andere besondere Strafkammer sei zuständig. Der Eröffnungsbeschluß (§ 207) kann vom Angeklagten nicht angefochten werden (§210 Abs. 1). Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens ist die Beschwerde nach § 305 Satz 1 ausgeschlossen. Besonders ausgesprochen ist das für den nach Eröffnung des Hauptverfahrens, aber vor Beginn einer Hauptverhandlung ergehenden Übernahmebeschluß der vorrangigen besonderen Strafkammer (§ 225 a Abs. 4 Satz 1 in Verb, mit Absatz 1 Satz 2, Absatz 3 Satz 3) und den Verweisungsbeschluß an die nachrangige Strafkammer (§ 225 a Abs. 4 Satz 2 letzter Halbsatz) sowie für die Verweisung an die vorrangige oder nachrangige Strafkammer nach Beginn einer Hauptverhandlung (§ 270 Abs. 1 Satz 2, Absatz 3 Satz 2). Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerde überall dort, wo sie auch dem Beschul- 2 3 digten zusteht (§ 296 Abs. I) 42 , aber nur solange das Gericht die Zuständigkeit der besonderen Strafkammer prüfen kann und nach Eröffnung des Hauptverfahrens nur zugunsten des Angeklagten. Außerdem steht der Staatsanwaltschaft die sofortige Beschwerde zu: a) gegen den Beschluß, durch den abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft eine besondere Strafkammer die Verweisung an eine im Sinn des § 74 e GVG rangniedere 37
Zu den Anträgen Prozeßbeteiligter und zu der Absicht des Gerichts, von Amts wegen seine Zuständigkeit zu prüfen, sind die Staatsanwaltschaft (§ 33 Abs. 2) und alle Prozeßbeteiligten zu hören, selbst wenn die Tatsachen, über deren Tragweite für die Zuständigkeit gestritten wird, allen Beteiligten schon bekannt sind. Denn so wie einmal in jeder Instanz, muß auch in einem Zwischenstreit jeder Beteiligte ausdrücklich Gelegenheit erhalten, sich zu äußern (§ 33, 24). 38 Hahn Mat. 2 1199. 3« Vgl. RGSt 23 156. 40 OLG Rostock Alsb. Ε 1 52. 41 Hahn Mat. 1 769. 42 An sich ließe sich fragen, ob der Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel zusteht, wenn die Gerichtsentscheidung allein durch einen notwendigen Antrag (Rdn. 12) des Beschuldigten veranlaßt werden kann. Denn man könnte erwägen, daß der Staatsanwaltschaft, wenn sie kein eigenes Antragsrecht hat (für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vori(49)
gen Stand - allerdings bei dem Wortlaut: war der Antragsteller [jetzt: jemand] verhindert - vgl. RGSt 22 31; OLG Bremen GA 1957 87; LG Aachen NJW 1961 86), auch das Beschwerderecht abgeht (so in einer inzwischen aufgegebenen Rechtsprechung OLG Frankfurt a. M. GA 51 (1904) 417 betr. Beschwerde der Staatsanwaltschaft in Nebenklagesachen). Indessen wird das Recht der Staatsanwaltschaft, Rechtsmittel zugunsten des Beschuldigten einzulegen (§ 296 Abs. 2), aus ihrer Stellung als Wächter des Gesetzes (RGSt 7 409), als Hüterin der Rechtsordnung (OLG Nürnberg GA 1959 317), hergeleitet und daher ganz unabhängig von dem Initiativrecht betrachtet und behandelt (RGSt 60 190; 71 75 hinsichtlich Entscheidungen, die ausschließlich den Nebenkläger beschweren; OLG Nürnberg GA 1959 317 hinsichtlich Beschwerde nach § 305 a Abs. 1, wobei der Wortlaut, der Aniaß zu der Streitfrage gab, inzwischen geändert worden ist). Im einzelnen vgl. § 297 und Kleinknecht NJW 1961 87. Dem ist beizutreten.
Günter Wendisch
§6a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Strafkammer oder ein Jugendgericht an ein für allgemeine Strafsachen zuständiges Gericht ausgesprochen hat (§ 201 Abs. 2 in Verb, mit § 209 a); b) gegen den Beschluß, durch den eine im Sinn des § 74 e GVG ranghöhere Strafkammer nach Eröffnung des Hauptverfahrens, aber vor Beginn der Hauptverhandlung auf einen Einwand des Angeklagten an eine rangniedere Strafkammer mit bindender Wirkung verwiesen hat (§ 225 a Abs. 4); c) gegen den Beschluß, mit dem eine besondere Strafkammer nach Beginn der Hauptverhandlung auf einen Einwand des Angeklagten die Sache an eine nachrangige besondere Strafkammer verwiesen hat (§ 270 Abs. 3 Satz 2 in Verb, mit § 270 Abs. 1 Satz 2). 23a
Auch in den beiden letzten Fällen ist, weil auf § 210 verwiesen wird, die sofortige Beschwerde nur zulässig, wenn das Gericht abweichend von einem (ausdrücklichen) Antrag der Staatsanwaltschaft die Sache an eine rangniedere Strafkammer verwiesen hat 43 .
24
b) Revision. Der Angeklagte kann die mangelnde Zuständigkeit der besonderen Strafkammer mit der Revision rügen, wenn er den Einwand (Satz 2) rechtzeitig (Satz 3) erhoben hatte 44 . Er kann die Revision dabei sowohl auf ein Urteil stützen, das den Einwand, eine besondere Strafkammer sei nicht zuständig gewesen, zu Unrecht verworfen hat 45 — ein angesichts der vielfältigen Möglichkeiten der Zuständigkeitsverschiebung (Rdn. 6) sehr seltener Fall —, als auch auf Beschlüsse, die der Eröffnung des Hauptverfahrens voraufgegangen und lediglich mit der einfachen Beschwerde anfechtbar sind (§ 336 Satz 1). Auch diese Fälle werden kaum vorkommen, wenn man die im vorbereitenden Verfahren ergehenden Beschlüsse als nicht bindend ansieht (Rdn. 8). Denn in allen Fällen, wo § 201 anwendbar ist, ist die Revision nach § 336 Satz 2 erste Möglichkeit ausgeschlossen. Es handelt sich um die Entscheidungen nach § 201 Abs. 1; § 225 a Abs. 4 Satz 1 in Verb, mit Absatz 3 Satz 3; § 225 a Abs. 4 Satz 2; § 270 Abs. 1 Satz 2 in Verb, mit Absatz 3 Satz 2. Es verbleiben für die Revision daher nur der Fall eines rechtzeitig erhobenen, aber nicht beschiedenen Einwands und der seltene Fall eines unwirksamen Beschlusses 46 .
25
Die Staatsanwaltschaft kann wegen der dem Gericht in Satz 2 auferlegten Beschränkung die mangelnde Zuständigkeit der besonderen Strafkammer nicht zuungunsten des Angeklagten rügen, zu seinen Gunsten (§ 296) nur, wenn dieser rechtzeitig (Satz 3) den Einwand erhoben hatte, die besondere Strafkammer sei nicht zuständig 47 . Auf den Eröffnungsbeschluß und ihm nachfolgende Entscheidungen über die Zuständigkeit der besonderen Strafkammer nach § 225 a und § 270 (zusammengestellt Rdn. 23) kann sie die Revision nicht stützen, weil ihr die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde zustand (§ 336 Satz 2 zweite Möglichkeit) 48 .
7. Unzuständigkeit des Rechtsmittelgerichts 26
a) Prüfungszeitpunkt. Stellt sich die Frage der Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer erst in der Berufungsinstanz heraus, weil das (für diesen Fall allein in Betracht kommende) erstinstanzliche — auch: erweiterte — Schöffengericht keine derartige 43
44 45 46
Meyer-Goßner NStZ 1981 174; s. auch Erl. zu §§ 225 a und 270. Brauns β. Rieß JR 1980 Β1. Enger KK-Pfeiffer 13, der die revisionsrechtliche Nachprüfung offenbar generell ausschließen will.
47
48
Α. A. Bohnert 35; Staatsanwaltschaft hat keine zusätzliche Revisionsmöglichkeit; wie hier KMRPaulus 22. Ebenso Meyer-Goßner NStZ 1981 170 r. Sp. Das galt schon, bevor Satz 2 in § 336 eingefügt wurde; RGSt 26 342; 34 215; RG LZ 1916 335. Nachweis über die Literatur bei Dünnebier FS Dreher, S. 671 Fußn. 9; ebenso auch Meyer-Goßner 170.
Stand: 1. 10. 1996
(50)
Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
§ 6 a 49
gesetzliche Spezialzuständigkeit hat, ist § 6 a entsprechend anzuwenden . An die Stelle der Eröffnung des Hauptverfahrens (Satz 1) tritt der Beginn des Vortrags des Berichterstatters (§ 324 Abs. 1 Satz 1 ) 50 . Bis zu diesem Zeitpunkt muß die mit der Sache befaßte Berufungsstrafkammer von Amts wegen prüfen, ob gegen ein Urteil des Schöffengerichts die allgemeine Strafkammer oder die Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist. Nach diesem Zeitpunkt hängt die Prüfung von einem die Unzuständigkeit der befaßten Strafkammer rügenden Einwand ab. Meyer-Goßner will den Zeitpunkt dagegen auf das Ende des Vortrags des Berichter- 27 statters einschließlich der Verlesung oder der inhaltlichen Mitteilung des angefochtenen Urteils festlegen, weil erst in diesem Zeitpunkt alle Richter so über den Sachstand unterrichtet seien, daß sie die Zuständigkeitsfrage tatsächlich prüfen könnten (NStZ 1981 172 r. Sp.). Dem hält Rieß mit Recht entgegen, die Verlegung des Prüfungszeitpunkts auf das Ende des Vortrags des Berichterstatters führe dazu, daß der mit der Regelung des § 6 a verfolgte Zweck verfehlt werde, die Amtsprüfung vor Beginn der Hauptverhandlung zu beenden und diese nicht mit einer solchen Prüfung zu belasten51. Allerdings sollte auch seiner Erwägung nicht nähergetreten werden, als Zeitpunkt für den hier zu behandelnden Fall zeitlich noch weiter, nämlich auf die Terminierung der Sache durch den Vorsitzenden der Berufungskammer vorzuverlegen. Denn das würde — wie Rieß durchaus erkennt — u. U. ein zusätzliches „Zwischenverfahren" erforderlich machen (aaO 515). § 6 a ist nicht — auch nicht entsprechend — anwendbar, wenn es um die echte sachli- 28 che Zuständigkeit geht. Stellt sich in der Berufungsinstanz heraus, daß die Sache erstinstanzlich nicht vor das Schöffengericht, sondern vor das Schwurgericht gehört hätte, dann ist wegen § 6 nach § 328 Abs. 2 zu verfahren. § 6 a findet weder direkt noch analog Anwendung; vielmehr muß die zufolge der Berufungseinlegung mit der Sache befaßte Strafkammer das schöffengerichtliche Urteil aufheben und die Sache an das Schwurgericht verweisen52. b) Weiteres Verfahren. Hält die allgemeine Strafkammer die Wirtschaftsstrafkammer 29 für zuständig, so legt sie bis zum Beginn der Hauptverhandlung dieser die Sache zur Entscheidung über die Übernahme entsprechend § 225 a Abs. 4 Satz 1 (Rdn. 10) vor 53 . Erhebt der Angeklagte den Einwand erst nach Beginn der Berufungshauptverhandlung, kann die allgemeine Strafkammer sie an die Spezialstrafkammer mit bindender Wirkung nach § 270 Abs. 1 Satz 2, § 332 verweisen (Rdn. II) 5 4 .
49
50 51
(51)
OLG Düsseldorf JR 1982 514, mit zust. Anm. Rieß OLG Schleswig OLGSt n. F. § 6 a StPO, 1; OLG Karlsruhe MDR 1985 602 = NStZ 1985 423 mit zust. Anm. Seebode = JR 1985 521 mit abl. Anm. Mayer, KK-Pfeiffer 5; Meyer-Goßner NStZ 1981 171; KMR-Paulus § 209 a, 3; a. A. OLG München JR 1980 77, das die §§ 14, 19 entsprechend anwenden will; Schlüchter Rdn. 415 Fußn. 34; vgl. aber Rdn. 674 Fußn. 247 a, wo sie den hiesigen Standpunkt vertritt. Ebenso Rieß JR 1980 80. JR 1982 515.
52
«
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OLG Karlsruhe NStZ 1985 423 mit zust. Anm. Seebode = JR 1985 521 mit abl. Anm. Meyer, Meyer-Goßner DRiZ 1989 297; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 15; § 328, 9; a. A. OLG Celle JR 1987 34 mit abl. Anm. Seebode = JR 1987 240 mit teilw. Abl. Gössel. Rieß JR 1980 82; a. A. Meyer-Goßner NStZ 1981 173, entsprechende Anwendung von § 209 Abs. I, 2, § 209 a Abs. I. Ebenso Rieß JR 1980 83; Meyer-Goßner NStZ 1981 173.
Günter Wendisch
ZWEITER ABSCHNITT Gerichtsstand Vorbemerkungen Entstehungsgeschichte. Der zweite (in den Entwürfen erste) Abschnitt ist mehrfach geändert worden. Die Änderungen sind bei den einzelnen Bestimmungen vermerkt. Die wichtigsten sind: Die Beseitigung des „fliegenden Gerichtsstandes der Presse" durch Gesetz vom 13. 6. 1902 (§ 7 Abs. 2); die Einführung eines allgemeinen Gerichtsstandes des Ergreifungsorts (§ 9) durch Art. 4 Nr. 2 des 3. StRÄndG und für Taten, die außerhalb des Geltungsbereichs der Strafprozeßordnung begangen worden sind, die mehrfache Neuregelung des Gerichtsstands für Straftaten auf Schiffen (§ 10 Abs. 1) durch Art. 3 Nr. 6 VereinhG und Art. 21 Nr. 3 EGStGB 1974 sowie auf Luftfahrzeugen (§ 10 Abs. 2) durch Art. 4 Nr. 3 des 3. StRÄndG, die Begründung eines — subsidiären — Gerichtsstands für Umweltkriminalität auf dem Meer (§ 10 a) durch Art. 5 Nr. 1 des 18. StRÄndG, die Ausdehnung der Gerichtsstandsbestimmung (§ 13 a) zufolge Art. 4 Nr. 4 des 3. StRÄndG sowie die Zusammenfassung der Regelungen über den Einwand der Unzuständigkeit nach §§ 16 und 18 in § 16 durch Art. 1 Nr. 5 u. 6 StVÄG 1979.
Rdn. 1. Örtliche Zuständigkeit a) Grundsatz b) Weitere Vorschriften
1 2
Rdn. 5. Dauer des Gerichtsstands a) Änderungen b) Übergangsrecht
30 32
2. Weitere Gerichtsstände a) Zusätzliche Gerichtsstände b) Konzentrationszuständigkeit
5 11
6. Oberes Gericht a) Zuständigkeit; Entscheidung b) Rechtsmittel
33 36
3. Konkurrenz der Gerichtsstände
17
7. Vorbereitendes Verfahren
37
23
8. Örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft
40
9. Verfassungsmäßigkeit
41
4. Örtliche Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte
1. Örtliche Zuständigkeit a) Grundsatz. Abweichend vom Sprachgebrauch früherer Strafverfahrensordnungen 1 bezieht sich der Ausdruck „Gerichtsstand" in der Strafprozeßordnung ausschließlich auf die örtliche Zuständigkeit der Gerichte erster Instanz. Der zweite Abschnitt regelt, welche gleichartigen Gerichte verschiedener Bezirke für die Entscheidung einer Strafsache in der ersten Instanz zuständig sind. b) Weitere Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit enthalten § 388 Abs. 1 2 (Widerklage im Privatklageverfahren), § 441 Abs. 1 Satz 2 (Entscheidung über die selbständige Einziehung) und § 444 Abs. 3 Satz 2 (Entscheidung im selbständigen Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen). Für das Steuerstrafverfahren (53)
Günter Wendisch
Vor § 7
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
enthält § 388 AO eine selbständige Regelung, die auf die besonderen Verhältnisse bei der Verfolgung von Steuerstraftaten zugeschnitten ist1. 3 Die örtliche Zuständigkeit zu einzelnen Untersuchungshandlungen — (wobei zuweilen zugleich die sachliche und die funktionelle mit bestimmt werden Vor § 1, 1) — ist Gegenstand von § 98 Abs. 2 Satz 3 und 4, § 100 Abs. 4 Satz 1, § 125 Abs. 1, § 126 Abs. 1, § 128 Abs. 1 Satz 1, § 162 Abs. 1; § 157 GVG. 4 Vorschriften über die Erörterung und Feststellung der Zuständigkeit finden sich in § 201 Abs. 2 Satz 1, § 338 Nr. 4, § 355. Eine Verschiebung der örtlichen Zuständigkeit regelt § 354 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative. 2. Weitere Gerichtsstände 5
a) Zusätzliche Gerichtsstände. Über die Gerichtsstände des zweiten Abschnitts hinaus sind folgende Gerichtsstände gegeben: 6 In Jugendsachen ist — selbständig, nicht nur hilfsweise 2 — neben dem Richter, der nach dem zweiten Abschnitt zuständig ist, örtlich zuständig der Richter, dem die vormundschaftlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen; der Richter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß (§ 35, 27 f) befindliche Angeschuldigte zur Zeit der Anklage aufhält; und — solange der Verurteilte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat — der Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen (§42 Abs. 1 JGG). 7 Nach § 3 Abs. 3 in Verb, mit § 2 Abs. 3 Satz 1 Buchst, a BinnSchiffVfG ist für die Verhandlung und Entscheidung von Strafsachen, die Binnenschiffahrtssachen sind, das Amtsgericht des Tatorts ausschließlich zuständig. Liegt der Tatort auf einem Gewässer zwischen zwei deutschen Ufern, die zum Bezirk verschiedener Gerichte gehören, so sind die Gerichte beider Ufer zuständig. Fehlt es nach diesen Vorschriften an einem Gerichtsstand, dann gelten die allgemeinen Vorschriften, soweit die Landesregierung keine andere Regelung getroffen hat. Binnenschiffahrtssachen sind Strafsachen wegen Taten, die auf oder an Binnengewässern unter Verletzung von schiffahrtspolizeilichen Vorschriften begangen worden sind und deren Schwerpunkt in der Verletzung dieser Vorschriften liegt, soweit für die Strafsachen nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetz die Amtsgerichte zuständig sind (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Buchst, a BinnenSchiffVfG). Ausnahmen enthält Satz 2. 8
Nach § 14 BinnSchiffVfG ist für „Strafverfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen Schiffahrts- und Strompolizeivorschriften — nunmehr Ordnungswidrigkeiten — auf dem Rhein (Art. 34 RheinSchA) ausschließlich zuständig dasjenige Rheinschiffahrtsgericht, in dessen Bereich die „strafbare Handlung" begangen ist (Art. 35 RheinSchA), d. h. der Tatort. Die gleiche Zuständigkeitsregelung gilt nach Art. 35 Nr. 1 des Vertrags über die Schiffbarmachung der Mosel in Verbindung mit § 18 a BinnSchiffVfG für die MoselSchiffahrt. Danach ist zuständig das Amtsgericht als Moselschiffahrtsgericht. Weitere Einzelheiten siehe § 14 GVG. 9 Ist für eine nach § 7 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandsockel vom 29. 7. 1964 (BGBl. I 497) oder nach Art. 2 des Gesetzes vom 26. 9. 1969 (BGBl. II 1939) zu dem Europäischen Übereinkommen vom 22. 1. 1965 zur Verhütung von Rundfunksendungen, die von Sendestellen außerhalb der staatlichen Hoheitsgebiete gesendet werden, rechtswidrige Tat kein Gerichtsstand nach §§ 7 und 10, 13, 98 Abs. 2 Satz 3, § 128 Abs. 1, § 162 Abs. 1 oder § 165 StPO oder § 157 GVG begründet, so ist Hamburg Gerichtsstand; zuständiges Amtsgericht ist das Amtsgericht Hamburg (§ 12 1
Näher dazu Franzen/Gast/Samson3
§ 388 AO, 7.
2
BGHSt 13 210.
Stand: 1. 10. 1996
(54)
Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
Vor
§ 7
Ges. 1964; Art. 4 Ges. 1969). Hamburg ist auch Gerichtsstand für andere Straftaten, soweit diese im Bereich des Meeres außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen werden (§ 10 a, 1; 4). Örtliche Zuständigkeiten werden weiter festgelegt durch Art. I §§ 2 und 3 des Gesetzes 10 über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderung der Gerichtseinteilung vom 6. 12. 1933 (BGBl. III 300-4) für die erste Instanz und durch § 5 für die Rechtsmittelinstanzen sowie durch §§ 17 bis 19 ZustErgG. b) Konzentrationszuständigkeit. Nach § 58 GVG — § 157 Abs. 2 GVG enthält eine 11 entsprechende Regelung für Rechtshilfeersuchen — kann die Landesjustizverwaltung für den Bezirk mehrere Amtsgerichte einem von ihnen die Entscheidung in Strafsachen ganz oder zum Teil zuweisen. Am Ort dieses Amtsgerichts ist die Zuständigkeit für den ganzen auf diese Weise vergrößerten Bezirk mehrerer Amtsgerichte begründet. Ist in den Fällen dieses Absatzes der Täter ein Jugendlicher oder Heranwachsender, so ist der Jugendrichter an dem in diesem Absatz genannten Amtsgericht zuständig3. Für die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen enthält Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Buchst, η des EinigungsV eine umfassende und weitergehende Konzentrationsermächtigung (näher 24. Aufl., Nachtr. EinigungsV, Teil Β Rdn. 132 ff). Sie besteht auch nach dem Übergang zur ordentlichen Gerichtsbarkeit weiter {Rieß NJ 1996 15; a. A. Katholnigg S. 535 Rdn. 2). Durch § 4 Abs. 1 BinnSchG ist die Landesregierung ermächtigt, Binnenschiffahrtssa- 12 chen für bestimmte Binnengewässer oder Abschnitte von ihnen einem Gericht für den Bezirk mehrerer Gerichte zuzuweisen. Länder können die Zuständigkeit eines Gerichts vereinbaren. In beiden Fällen ist das bestimmte Gericht für den ganzen Bezirk allein zuständig. Die Gerichte der Konzentrationszuständigkeit sind in ihrem vergrößerten Bezirk gegenüber den anderen Gerichten gleicher Stufe dieses Bezirks ausschließlich örtlich zuständig. In Strafverfahren wegen Steuerstraftaten (§§ 369 ff AO) ist, soweit das Amtsgericht sachlich zuständig ist, örtlich zuständig das Amtsgericht am Sitz des Landgerichts, falls die Landesregierung (oder die von ihr ermächtigte Landesjustizverwaltung) keine abweichende Bestimmung erlassen hat (§ 391 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO) 4 . Diese Ermächtigung erlaubt es auch, die Zuständigkeit über die Grenzen eines Landgerichtsbezirks hinaus bei einem Amtsgericht zu konzentrieren5. Der Gerichtsstand wird nicht dadurch berührt, daß das Verfahren nicht nur Steuervergehen zum Gegenstand hat (§ 391 Abs. 4 AO). Eine gleiche Regelung wie §391 AO trifft für das Außenwirtschaftsrecht § 4 3 Abs. 1 AWG, für bestimmte Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts § 13 Abs. 1 WiStG und für das Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation (MOG) § 34 Abs. 1 MOG. Für die in § 74 a GVG aufgeführten Staatsschutzsachen ist die Strafkammer des Landgerichts, in dessen Bezirk das Oberlandesgericht seinen Sitz hat, örtlich zuständig6. Das gilt auch in Jugendsachen (§ 102 Satz 1 JGG). Strafkammern, die als Wirtschaftsstrafkammem (§ 74 c Abs. 1 GVG) oder als sog. Schwurgerichte (§ 74 Abs. 2 GVG) 3
4
5
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BGHSt 10 326; ablehnend Grethlein NJW 1957 370; zust. Kopacek NJW 1961 2147. Wegen weiterer Einzelheiten s. Hübschmann/ Hepp/Spitaler und Franzen/Gast/Samsonjeweils zu § 391 AO. In Bayern sind durch die VO vom 21. 11. 1967 (GVB1. 477) sieben Amtsgerichte für zuständig
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erklärt worden. - Gegen die Verfassungsmäßigkeit des §391 Abs. 2 Satz 1 AO (von §391 Abs. 1 Satz 1 AO abweichende Regelung der Zuständigkeit durch die Landesregierung zulässig) bestehen keine Bedenken (BVerfGE 30106 = NJW 1971 796 - noch zu dem früheren § 426 ergangen). BGHSt 13 378.
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Vor § 7
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
zuständig sind, können für den Bezirk mehrerer Landgerichte zuständig sein (§ 74 c Abs. 3, 4; § 74 d GVG). 17
3. Konkurrenz der Gerichtsstände. Der Gerichtsstand des Tatorts (§ 7 Abs. 1) wird für Pressedelikte, die im Offizialverfahren verfolgt werden, dahin eingeschränkt, daß als ausschließlicher Tatort derjenige fingiert („anzusehen") wird, an dem die Druckschrift erschienen ist; damit werden die weiteren Tatorte ausgeschaltet, die an sich dort gegeben sind, wo die Druckschrift verbreitet wird (§ 7 Abs. 2). § 7 Abs. 1 wird ergänzt durch die Gerichtsstände des Heimathafens und des nächsten Hafens (§ 10) sowie durch den Gerichtsstand wegen Straftaten gegen die Umwelt (§ 10 a). Der Gerichtsstand des Wohnsitzes (§ 8 Abs. 1) wird ergänzt durch den besonderen Gerichtsstand für Exterritoriale und für Beamte, die im Ausland angestellt sind (§ 11).
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Ohne einen solchen gedachten Zusammenhang mit den beiden Hauptgerichtsständen des Tat- und des Wohnorts sind die besonderen Gerichtsstände der Ergreifung (§ 9) und des Auftrags für den Fall, daß ein Gerichtsstand fehlt (§ 13 a). Schließlich ist für zusammenhängende Strafsachen ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das für eine der Strafsachen zuständig ist (§13 Abs. 1).
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Dem Gerichtsstand des Wohnsitzes (§ 8 Abs. 1) subsidiär ist der des gewöhnlichen, und diesem der des letzten Aufenthalts (§ 8 Abs. 2). Dem Gerichtsstand des an sich zuständigen aber verhinderten Gerichts subsidiär ist der Gerichtsstand kraft Übertragung, wenn das zuständige Gericht verhindert ist (§ 15). Dem Gerichtsstand des Tatorts in Binnenschiffahrtssachen subsidiär ist jeder der gewöhnlichen Gerichtsstände (§ 3 Abs. 3 Satz 1 BinnSchiffG).
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Sämtliche Gerichtsstände — wenn der Fall eintritt, für den sie bestimmt sind, auch die subsidiären — stehen dem Kläger zur Wahl. Wenn auch der Staatsanwalt dabei aus Zweckmäßigkeitsgründen handeln muß, so kann doch die Wahl — auch etwa eine des Privatklägers, der andere Erwägungen zugrunde liegen — nicht geprüft und beanstandet werden 7 . Jeder Gerichtsstand ist ein gesetzlicher, jedes Gericht gesetzlicher Richter i. S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 Satz 2 GVG. Wenn nicht das Verfahren unpraktisch werden soll, müssen notwendigerweise mehrere Gerichtsstände vorgesehen werden. Aus dieser Notwendigkeit und auf der Voraussetzung, daß die Rechtsprechung sämtlicher Gerichte gleichwertig ist, überläßt das Gesetz es dem Kläger im Einzelfall, unter mehreren gesetzlichen Richtern einen auszuwählen.
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Danach liegt es im Ermessen des Klägers, ob er am Gerichtsstand des Tatorts oder des untersuchenden Finanzamts, des Heimathafens oder des nächsten Hafens, den Gehilfen an seinem Wohnort oder mit dem Täter am Tatort, den Festgenommenen am Tatort oder am Ergreifungsort anklagt. Dabei ist es gleichgültig, ob an anderer Stelle schon ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist. Die Staatsanwaltschaft verständigen sich nach dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit. 22 Allerdings ist für den Gerichtsstand des Tatorts (§ 7 Abs. 1) praktisch ein Vorzug durch die Natur der Sache schon deswegen begründet, weil bei dem ersten Einschreiten häufig die Person des Täters und damit die Umstände unbekannt sind, die einen anderen Gerichtsstand auszuwählen gestatten. Zudem werden sich die Beweise meist am sichersten und schnellsten am Tatort erheben lassen. Daher wird es sich in der Regel empfehlen, die Sache am Gerichtsstand des Tatorts anhängig zu machen. Nur in zweiter Linie wird 7
BGHSt 10 392; 21 212; 247; 26 374; BayObLG NJW 1987 3031; K K - P f e i f f e r unter Hinweis auf ein unveröffentlichtes Urteil des BGH vom 18.3.
1975; Kleinknecht/Meyer-Goßner note 20.
Stand; 1. 10. 1996
10; s. auch Fuß-
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Z w e i t e r Abschnitt. Gerichtsstand
Vor § 7
der Gerichtsstand des Wohnorts zu wählen sein, wenn das aus besonderen Gründen angezeigt erscheint, namentlich wenn viele Zeugen am Wohnort des Angeklagten wohnen. Der Gerichtsstand des Zusammenhangs wird zu wählen sein, wenn dadurch die Sache besser beurteilt werden kann. Bei nicht zu erheblichen Entfernungen darf auch die Prozeßökonomie (eine statt mehrerer Verhandlungen) eine Rolle spielen, doch tritt diese Erwägung als alleiniger Verbindungsgrund zurück, wenn in einer unbedeutenden Sache einem der mehreren Angeklagten eine zu weite Reise zugemutet werden müßte. 4. Örtliche Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte. Von der erstinstanzlichen 23 Zuständigkeit hängt die örtliche Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte derart ab, daß für die Entscheidung über ein Rechtsmittel jeweils dasjenige sachlich zuständige Rechtsmittelgericht (Vor § 1 , 4 ) örtlich zuständig ist, zu dessen Bezirk das Gericht gehört, dessen Entscheidung angefochten ist. Geht die Sache im ersten Rechtszug von einem Gericht auf ein anderes über, wechselt damit ohne weiteres auch das Rechtsmittelgericht, soweit es nicht den beteiligten unteren Gerichten gemeinsam ist. Er ist stets nur ein Rechtsmittelgericht ausschließlich örtlich zuständig, und die Zuständigkeit ist von dem Gerichtsstand des Angeklagten in der Weise unabhängig, daß das Rechtsmittelgericht auch dann örtlich zuständig ist, wenn das untere Gericht seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hatte. Von dieser ausschließlichen Zuständigkeit läßt das Gesetz fünf Ausnahmen zu: Wenn 24 ein Land dem Oberlandesgericht eines anderen Landes nach § 120 Abs. 5 Satz 2 GVG die Aufgaben in Staatsschutzsachen nach § 120 Abs. 1 bis 4 GVG übertragen hat — so ζ. B. zwischen der Freien Hansestadt Bremen und der Freien und Hansestadt Hamburg: zuständig ist das OLG Hamburg, sowie zwischen den Ländern Rheinland-Pfalz und Saarland: zuständig ist das OLG Koblenz 8 —, entscheidet das Oberlandesgericht des anderen Landes auch über Beschwerden gegen Verfügungen und Entscheidungen der nach § 74 a GVG zuständigen Strafkammer des Landes, das die Aufgaben übertragen hat (§ 120 Abs. 3 Satz 1 in Verb, mit § 73 Abs. 1 GVG). Hebt das Oberlandesgericht das Urteil eines Berufungsgerichts auf und verweist es 25 dabei nach § 354 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative, die Sache an ein anderes Landgericht — was täglich geschieht —, dann entscheidet in der „anderweitigen Verhandlung" (§ 358 Abs. 1) über die Berufung ein Landgericht, zu dessen Bezirk das Gericht, dessen Urteil mit der Berufung angefochten war, nicht gehört9. Da das Gericht, an das die Sache verwiesen werden kann, zwar zu demselben Land, 26 aber nicht zu demselben Oberlandesgerichtsbezirk gehören muß, könnte nach den Wortlaut des Gesetzes das Oberlandesgericht Köln die Sache auch ans Landgericht Düsseldorf verweisen, so daß bei einer neuen Revision auch das Revisionsgericht wechseln würde. Indessen ist — wie im Fall des § 15 (§ 15, 21) — aus dem Gerichtsaufbau die Folgerung herzuleiten, daß das Gericht, an das verwiesen wird, zum Bezirk des verweisenden Gerichts gehören muß. Der Befehl des § 354 Abs. 2, die Sache im Land zu lassen, schränkt dann nur die Befugnis des Bundesgerichtshofs ein, gibt dem Oberlandesgericht aber nicht das Recht, Sachen innerhalb des Landes in fremde Oberlandesgerichtsbezirke zu verweisen. Die Beschränkung, daß die Sache nur auf ein Gericht übertragen werden könne, das zu 27 demselben Lande gehört wie das Gericht, dessen Urteil aufgehoben ist, findet nicht statt, wenn bei Verhinderung des zuständigen Berufungsgerichts die Untersuchung nach § 15 8
9
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Näher dazu die Erl. zu § 120 GVG (24. Aufl. Rdn. 12). Beispiel: Urteil des Amtsgerichts Bonn, Berufungs-
urteil des Landgerichts Bonn, aufhebendes Urteil des Oberlandgerichts Köln, neues Berufungsurteil (über das Bonner Urteil) des Landgerichts Köln.
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einem gleichstehenden Gericht übertragen wird und die Übertragung dem Bundesgerichtshof zukommt (§ 15, 19). Die größere Freiheit, die damit dem Bundesgerichtshof erwächst, trägt der Notwendigkeit Rechnung, Verhinderungen von Gerichten abzuhelfen. Das Oberlandesgericht dagegen kann auch im Fall des § 15 die Zuständigkeit nicht auf das Gericht eines ihm fremden Bezirks übertragen (§ 15, 18). 28 Der Beschränkung des § 354 Abs. 2 ist auch das Bundesverfassungsgericht nicht unterworfen, wenn es eine Sache nach § 95 Abs. 2 BVerfG zurückverweist 10 . 29 Durch Übertragung nach § 12 Abs. 2 kann schließlich auch ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit des Berufungsgerichts und des Oberlandgerichts als Revisionsgericht herbeigeführt werden (§ 12, 50). 5. Dauer des Gerichtsstands 30
a) Änderungen. Der gesetzlich begründete Gerichtsstand wird nicht dadurch berührt, daß sich die Verhältnisse ändern, die ihn begründet haben. So ändert sich der Gerichtsstand nicht, wenn der Angeschuldigte seinen Wohnsitz verlegt, nachdem die Klage erhoben worden ist (§ 8, 11). Ebenso bleibt, wenn der in § 13 bezeichnete Zusammenhang wegfällt, der nach dieser Vorschrift begründete Gerichtsstand bestehen (§ 13, 38). Auch wird das nach § 13 a bestimmte Gericht nicht dadurch unzuständig, daß nachträglich ein Gerichtsstand ermittelt wird (§ 13 a, 14).
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Wenn der Ort, auf dessen Zugehörigkeit zum Gerichtsbezirk der Gerichtsstand beruhte, nach Anhängigkeit aus dem Gerichtsbezirk ausscheidet, bleibt das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist, weiterhin zuständig. Eine Veränderung der Zuständigkeit ist in §§ 2, 3 ZustG nur für den Fall vorgesehen, daß ein Gerichtsbezirk gänzlich aufgehoben wird 11 . Entsteht wegen solcher Veränderungen unter mehreren Gerichten Streit über den Gerichtsstand, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht (§§ 14, 19). Haben mehrere Gerichte das Verfahren eröffnet, gilt § 12.
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b) Übergangsrecht. Ergänzungen des Gerichtsstands für Sachen, die bei Gerichten in wegfallenden Gebieten anhängig waren (§§ 17 bis 19 ZustErgG), bringen für Sachen, die bei anderen Gerichten anhängig waren, und für die keine Zuständigkeit in der Bundesrepublik und in Berlin (West) gegeben ist, Art. IX des BEG-Schlußgesetzes vom 14. 9. 1965 (BGBl. I 1315), beschränkt auf Zwecke der Entschädigung (§ 44 Abs. 2 des Bundesentschädigungsgesetzes vom 29. 6. 1958 — BGBl. III 251-1). In beiden Vorschriften wird die Strafkammer für zuständig erklärt. Daher kann mit der Veränderung der örtlichen zugleich die der sachlichen Zuständigkeit verbunden sein. 6. Oberes Gericht
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a) Zuständigkeit; Entscheidung. Bei der Regelung der örtlichen Zuständigkeit haben vielfach die oberen Gerichte mitzuwirken (vgl. § 12 Abs. 2, § 13 Abs. 2 und 3, §§ 14,15,19). '0 BVerfGE 12 132, 114 = NJW 1961 822; Verweisung vom LG Göttingen ans LG Düsseldorf als Berufungsgericht über ein Urteil des Amtsgerichts Einbeck. 11 Art. 1 § 1 Satz 1 ZustG. Durch jenes Gesetz ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts München (.Alsb. Ε 1 53) überholt. Dort war angenommen worden, daß für die Wiederaufnahme die Zuständigkeit wechsle, wenn ein Ort aus einem Gerichtsbezirk ausscheide und einem anderen zugelegt werde. Für den Fall des § 211 hatte das Bayerische
Oberste Landesgericht ebenfalls bei bloßer Änderung des Gerichtsbezirks einen Wechsel des Gerichtsstandes angenommen (BayObLGSt 26 123 = JW 1926 2451). Auch diese Entscheidung ist durch § 1 ZustG, der alle Nachtragsentscheidungen umfaßt, überholt. Unberührt davon ist die bei § 211 zu behandelnde Frage, ob die Staatsanwaltschaft das Verfahren auch bei dem Gericht wiederaufnehmen darf, das durch die Zulegung ebenfalls zuständig geworden ist.
Stand: 1. 10. 1996
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Obere Gerichte im Sinn dieses Abschnittes sind der Bundesgerichtshof, die Oberlan- 34 desgerichte und die Landgerichte 12 . Danach treffen die oben aufgeführten Entscheidungen: das Landgericht (§ 73 Abs. 2, § 76 GVG), wenn es sich um Strafrichter oder Schöffengerichte desselben Landgerichtsbezirks handelt13; das Oberlandesgericht (§ 122 Abs. 1 GVG), wenn es sich um Gerichte desselben Oberlandesgerichtsbezirks handelt und beteiligte Strafrichter oder Schöffengerichte verschiedenen Landgerichtsbezirken angehören; der Bundesgerichtshof (§ 139 Abs. 2 GVG), wenn es sich um Gerichte verschiedener Oberlandesgerichtsbezirke handelt. Hat das zunächst obere Gericht sich für die Übertragung als unzuständig erklärt, entscheidet das diesem vorgesetzte Gericht 14 . Wenn nicht, wie in § 13, anders vorgeschrieben, erläßt das obere Gericht seine Ent- 35 Scheidungen auf Antrag oder von Amts wegen, also auch auf Anregung eines der beteiligten Gerichte. Die Entscheidungen ergehen als Beschlüsse. Nach § 33 Abs. 2 ist die Staatsanwaltschaft des beteiligten Gerichts anzuhören. Ein Fall des § 33 Abs. 3 liegt nicht vor. Daher steht es im Ermessen des Gerichts, ob es auch andere Prozeßbeteiligte hören will. b) Rechtsmittel. Gegen die Entscheidung des oberen Gerichts findet kein Rechts- 36 mittel statt. Die Unanfechtbarkeit folgt „aus den Vorschriften über die Beschwerde; denn dieses Rechtsmittel findet ... regelmäßig nur gegen Gerichte erster Instanz statt" 15 . Das obere Gericht ist befugt, seinen Beschluß aufzuheben oder zu ändern 16 . Die Veranlassung hierzu kann auch ein gegen den Beschluß gerichteter Widerspruch eines Prozeßbeteiligten geben. Ein solcher Rücknahme- oder Änderungsbeschluß ist gleichfalls unanfechtbar 17 . 7. Für das vorbereitende Verfahren finden sich Bestimmungen über das erste und 37 zweite Buch verstreut. Die Hauptvorschrift ist § 162 Abs. 1, wonach für richterliche Untersuchungshandlungen während des Ermittlungsverfahrens das Amtsgericht des Bezirks zuständig ist, in dessen Bezirk die Handlung vorzunehmen ist, u. U. das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat. Dieses Amtsgericht ist notwendigerweise auch dann zuständig, wenn eine Untersuchungshandlung im Ausland vorzunehmen ist. Für das Haftverfahren ist eine ins einzelne gehende Regelung in den §§ 125, 126, 38 126 a enthalten, die sich sowohl auf die örtliche als auch (§ 125 Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 2 Satz 1 und 2) auf die sachliche Zuständigkeit bezieht. Das ist auch der Fall in § 81 Abs. 1 Satz 2. Weitere Vorschriften sprechen nur von dem Richter (§ 81 a Abs. 2, § 81 c Abs. 5, 39 § 98 Abs. 1, § 100 Abs. 1, § 105 Abs. 1, § 111 a Abs. 1, § 132 Abs. 2; vgl. auch §§ 12, 13 FAG), enthalten also den Vorbehalt der richterlichen Entscheidung, ohne zur Zuständigkeitsbestimmung etwas beizutragen, die dann in der Regel in § 162 Abs. 1 gesucht wird. 8. Zu der örtlichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft s. § 143 GVG. 12
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Das Bayerische Oberste Landesgericht ist kein oberstes Gericht i. S. der vorgenannten Bestimmungen (BGHSt 11 80; BayObLGSt 1957 165 = NJW 1957 1566), wohl aber war es der besondere Senat bei dem Bezirksgericht, in dessen Bezirk die Regierung eines der neuen Bundesländer ihren Sitz hat, für die übrigen Bezirksgerichte dieses Bundeslandes (BGH DAZ 1992 120; LR-Rieß" Nachtr. EinigungsV, Teil Β Rdn. 126).
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OLG Koblenz OLGSt § 14 StPO, 1. RGSt 45 70. '5 Mot. Hahn 181; BayObLG JW 1924 1778; Giesler Der Ausschluß der Beschwerde gegen richterliche Entscheidungen im Strafverfahren (1981), S. 164; a. A. Feisenberger § 12,7; wie hier Bohnert 20 ff. i" OLG Celle NdsRpfl. 1957 39. 17 OLG Schleswig SchlHA 1958 235. 14
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9. Verfassungsmäßigkeit. Für die bewegliche sachliche Zuständigkeit hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich 18 die Bindung an ein normatives Tatbestandsmerkmal verlangt (§ 4, 21). 42 Über eine Einschränkung der Wahl bei mehrfachem Gerichtsstand liegt, soweit ersichtlich, keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Auch im Schrifttum sind hierzu eindeutige Äußerungen selten. Vorwiegend Maunz/Diirig/Herzog (Rdn. 32 zu Art. 101) und Achenbach (FS Wassermann 849, 855) halten die Regelung der §§ 7 ff schlechthin für verfassungswidrig. Eb. Schmidt äußert zwar Zweifel, begründet diese aber allein mit Überlegungen, die sich auf die sachliche Zuständigkeit beziehen 19 . Hamann/Lenz erachten die §§ 7 ff, die sie im Zusammenhang mit den Vorschriften der §§ 24, 25 GVG über sachliche Zuständigkeit behandeln, als verfassungswidrig, doch stellen sie die Ansicht dadurch in Frage, daß sie durch § 35 ZPO („unter mehreren Gerichtsständen hat der Kläger die Wahl") Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als nicht berührt bezeichnen (Anm. Β 2 c, S. 628), obwohl die Grundfrage, ob es beim Gerichtsstand mehrere gesetzliche Richter gibt, im Straf- und Zivilprozeß gleich ist. 43
Die Verfassungsmäßigkeit des § 35 ZPO ist, soweit ersichtlich, nirgends bezweifelt worden. Der darin festgelegte Grundsatz, daß unter mehreren Gerichtsständen der Kläger die Wahl habe, galt seit Inkrafttreten der Strafprozeßordnung, während der Geltung der Weimarer Verfassung (Art. 105 Satz 2) und bei den Beratungen des Parlamentarischen Rats auch für den Strafprozeß. Kein Anhalt ist gegeben, daß er durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG beseitigt werden sollte, und keine zwingende Notwendigkeit dem Verfassüngstext, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden sollte, die Auslegung zu entnehmen, daß der Gesetzgeber in bezug auf den ohnehin nur kurze Zeit überprüfbaren (§16) Gerichtsstand nicht mehrere gesetzliche Richter zur Verfügung stellen dürfe 20 .
§7 (1) Der Gerichtsstand ist bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk die Straftat begangen ist. (2) 'Wird die Straftat durch den Inhalt einer im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes erschienenen Druckschrift verwirklicht, so ist als das nach Absatz 1 zuständige Gericht nur das Gericht anzusehen, in dessen Bezirk die Druckschrift erschienen ist. 2 Jedoch ist in den Fällen der Beleidigung, sofern die Verfolgung im Wege der Privatklage stattfindet, auch das Gericht, in dessen Bezirk die Druckschrift verbreitet worden ist, zuständig, wenn in diesem Bezirk die beleidigte Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Schrifttum. Dorbritz Der strafprozessuale Gerichtsstand bei Rundfunksendungen (Fernsehsendungen) mit strafbarem Inhalt, NJW 1971 1209; Dose Zur analogen Anwendung des § 7 Abs. 2 StPO (Gerichtsstand des Tatortes) auf Rundfunk- und Fernsehsendungen, NJW 1971 2212; v. Hippel Zeit und Ort der Tat, ZStW 37 (1916) 1; Kitzinger Ort und Zeit der Handlung im Strafrecht, VDA 1135.
Entstehungsgeschichte. Absatz 2 ist eingefügt durch Gesetz vom 13.6. 1902 (RGBl. 227). In Absatz 2 Satz 1 ist das Wort „Inland" ersetzt worden durch „Geltungsbe18
Ausnahme BVerfGE 20 342 = NJW 1967 100. Lehrk. I Rdn. 560 d; MDR 19S8 722. 20 Daliinger MDR 1957 114; Kleinknecht/MeyerGoßner 10; einschränkend KMR-Paulus 14: Art. 101 Abs. 1 S. 2 ist verletzt, wenn die StA von der 19
regelmäßigen Ausübung des Wahlrechts ohne besonderen Grund abweicht. Α. A. Achenbach FS Wassermann 855; Maunz/Dürig Art. 101 GG, 32; SK-Rudolphi 9.
Stand: 1. 10. 1996
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reich dieses Bundesgesetzes" durch Art. 4 Nr. 1 des 3. StRÄndG. Durch Art. 21 Nr. 2 EGStGB 1974 wurden die Worte „strafbare Handlung" durch „Straftat" ersetzt. Übersicht Rdn. 1. Gerichtsstand des Tatorts (Absatz 1) a) Tatbegehung b) Mehrheit von Begehungsorten c) Begünstigung 2. Gerichtsstand der Presse (Absatz 2) a) Inhalt
b) c) d) e) 0 g)
1 4 5 6
Rundfunk Druckschrift Erscheinungsort Presseeinhaltsdelikt Privatklagedelikte Offizialverfahren
12 14 16 19 23 27
1. Gerichtsstand des Tatorts (Absatz 1) a) Tatbegehung. Ob eine Tat begangen ist, wird erst durch das rechtskräftige Urteil fest- 1 gestellt. Das Gesetz kann daher nur auf den hypothetischen Tatort abstellen, „an dem die Tat unter der (richtigen oder falschen) Voraussetzung, daß sie begangen sei, begangen ist"1. Wo in diesem Sinn eine Straftat begangen worden ist, bestimmt das sachliche Straf- 2 recht, namentlich § 9 StGB (1) Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte. (2) Die Teilnahme ist sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist, als auch an jedem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte. Hat der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt, so gilt für die Teilnehmer das deutsche Strafrecht, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist.
Liegt der Tatort nicht im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung, findet § 7 keine 3 Anwendung. Der Gerichtsstand bestimmt sich dann nach §§ 8 bis 13 a. b) Zufolge der Regelung des § 9 StGB ergibt sich oft eine Mehrheit von Begehungs- 4 orten. Wegen der Einzelheiten muß auf die Kommentare zum Strafgesetzbuch verwiesen werden. c) Begünstigung (§ 257 StGB), Strafvereitelung (§§ 258, 258 a StGB) und Hehlerei 5 (§§ 259, 260 StGB) sind selbständige Taten und daher nicht (auch) am Ort der Vortat begangen 2 , doch ist, wenn der Vortäter angeklagt wird, nach § 13 in Verb, mit § 3 für den Begünstigter, Strafvereitler und Hehler ein Gerichtsstand auch bei dem Gericht begründet, das für die Strafsache des Vortäters örtlich zuständig ist. 2. Gerichtsstand der Presse (Absatz 2) a) Inhalt. Absatz 2 Satz 1 beseitigt den sog. „fliegenden Gerichtsstand der Presse" 3 6 und schränkt dazu die Geltung des ersten Absatzes für Erzeugnisse der Presse so ein, daß der Gerichtsstand des Begehungsorts nicht bei jedem Gericht, in dessen Bezirk das Druckwerk verbreitet worden ist, sondern grundsätzlich nur beim Gericht des Erscheinungsorts begründet ist4. Sind die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt, nimmt das Gericht, in des1 2
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Beling § 17 II 1. RGSt 43 84, OLG München StV 1991 504.
3 R G S t 23 155; BGHSt 11 59. « RGSt 36 271. Günter Wendisch
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sen Bezirk das Druckwerk erschienen ist, den Platz des nach Absatz 1 zuständigen Gerichts ein. 7 Absatz 2 gilt nur für Druckwerke, die im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung erscheinen. Für ausländische Druckschriften bewendet es bei der Grundregel des ersten Absatzes, d. h. der Gerichtsstand ist dann an jedem Ort gegeben, wo die Druckschrift verbreitet worden ist. Das ist namentlich beim selbständigen Einziehungsverfahren staatsgefährdender Schriften und pornographischer Druckwerke aus dem Ausland von Bedeutung. Allerdings wird, soweit schon die Einfuhr verboten ist (§ 86 Abs. 1, § 184 Abs. 1 Nr. 4 und 8, Abs. 3 Nr. 3 StGB), dem Gerichtsstand des Einführungsorts ein tatsächlicher Vorzug zukommen. 8
Eine Ausnahme von Absatz 2 Satz 1 greift nach Absatz 2 Satz 2 zugunsten des Privatklägers Platz (Rdn. 23), weil diesem nicht zugemutet werden soll, seine Genugtuung zu seiner Unbequemlichkeit vor einem vielleicht weit entfernten Gericht zu erlangen. 9 Die Ausnahmebestimmung des Absatzes 2 Satz 1 betrifft nur den Absatz 1 geregelten Gerichtsstand des Begehungsorts. Die sonstigen Gerichtsstände bleiben unberührt. Namentlich ist der Gerichtsstand des Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts nach § 8 auch bei Druckwerken allgemein anwendbar, durch deren Inhalt der Tatbestand einer Straftat begründet wird. 10
Bei Gefahr im Verzug kann jedes Gericht die Beschlagnahme einer Druckschrift anordnen (§ 21; für die Staatsanwaltschaft vgl. § 143 Abs. 2 GVG). Diese Ausführungen betreffen nur die Zuständigkeit; wegen der Voraussetzungen der Beschlagnahme s. §§ 97 111 m, 111 n. 11 Für das vorbereitende Verfahren gilt Absatz 2, sofern man ihn nicht entsprechend anzuwenden hat, nicht; die Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Nach diesen wird regelmäßig eine Vielzahl von Amtsgerichten zuständig sein. Um zu gewährleisten, daß Pressesachen gleichwohl einheitlich bearbeitet werden, hat der Staatsanwalt, der ein Verfahren wegen eines Druckwerks, das nicht in seinem Bezirk erschienen ist, einleitet, diese Tatsache dem Staatsanwalt des Erscheinungsorts mitzuteilen (Nr. 250 Abs. 1 Satz 2 RiStBV). Anklage erheben kann nur der für dieses Gericht zuständige Staatsanwalt. b) Rundfunk. Das Landgericht Arnsberg 5 will Absatz 2 Satz 1 auf Ton- und FernsehRundfunkanstalten entsprechend anwenden (Ausstrahlungsort) mit der Begründung: Wie der Presse sei es auch Rundfunk und Fernsehen eigentümlich, daß Darstellungen und Gedankenäußerungen durch ein Massenverbreitungsmittel ungezielt an eine unkontrollierbar große Anzahl von Menschen an verschiedenen Orten übermittelt werden. Bei den im Wesen gleichartigen Tatbeständen sei es ein Gebot der Rechtsgleichheit, daß der fliegende Gerichtsstand auch bei Funk und Fernsehen weichen müsse. 13 Ob der Erwägung zuzustimmen ist, kann dahinstehen. Denn einmal ist sie nicht vollständig, weil der „Ausstrahlungsort" keineswegs so eindeutig, wie der Erscheinungsort ist. Zum anderen berechtigt die Überlegung des Gerichts nicht zu seiner Folgerung. Daß bei ähnlicher, aber nicht gleicher Grundlage 6 für den Gerichtsstand bei der Presse und beim Rundfunk jeweils eine verschiedene Rechtslage besteht, ist jedermann, also auch dem 12
5 NJW 1964 1972 = UFITA 47 345, ebenso AG Würzburg NStZ 1990 199 mit zust. Anm. Kusch-, vgl. auch KMR-Pau/us 11; Krey JA 1984 295; Löffler § 25 LPG, 2 109; Scheer, Dt. PrR (1966) D V 2 zu § 25 Nds. PrG; Möller ArchPR 1965 520, Dose 2212; a. A. Dorbrltz 1209.
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Der Inhalt des Presseerzeugnisses und der Erscheinungsort liegen für jedermann fest, der Inhalt der Sendung muß bewiesen werden. Der Ausstrahlungsort ist oft unbekannt, nicht stets am Sitz der Fernsehanstalt (an den wohl eher anzuknüpfen wäre), oft gibt es mehrere „Ausstrahlungsorte".
Stand: 1. 10. 1996
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Gesetzgeber, seit mehreren Jahrzehnten bekannt. Wenn dieser gleichwohl bei vielen Gelegenheiten das Gesetz nicht geändert hat, muß die darin liegende Entscheidung, für den Funk (zunächst oder für bestimmte Zeit) den allgemeinen Gerichtsstand vieler Tatorte (die Tat ist an jedem Ausstrahlungsort und an jedem Empfangsort begangen) zu belassen, von der Rechtsanwendung respektiert werden7. Zudem wäre wohl eine differenzierte Regelung erforderlich, als die bloße Analogie zu Absatz 2 bieten kann8. c) Druckschrift. Absatz 2 gebraucht dieses Wort im Sinn von § 2 PreßG. Die Bestim- 14 mung ist überholt durch die neuen Begriffsbestimmungen der Landespressegesetze über Druckwerke 9 . Es ist gleichgültig, auf welchem Stoff die Vervielfältigung vorgenommen 10 oder mit welchem Mittel — etwa Öldruck oder Lichtbild — sie hervorgerufen wird 11 . Auch Gedenk- und Erinnerungsmünzen, die nicht Wertträger sind, sondern der Verbreitung der auf ihnen angebrachten Aufschriften oder Darstellungen dienen, fallen, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen, unter jenen Begriff 12 . Dagegen sind mit der Hand oder der Schreibmaschine hergestellte Abschriften oder 15 Durchschläge keine Druckschriften 13 , wohl aber Massenvervielfältigungen auf Kopiermaschinen, auch in Handbetrieb 14 . d) Erscheinungsort. Ein Druckwerk erscheint dort, wo es mit dem Willen des Verfü- 16 gungsberechtigten die Stätte der seine Verbreitung vorbereitenden Handlungen zum Zweck der Verbreitung verläßt, d. h. wo es ausgegeben wird 15 . Das ist in der Regel die Geschäftsniederlassung des Verlegers; doch kann je nach den besonderen Umständen des einzelnen Falls auch ein anderer Ort Ausgabeort sein; daraus können sich mehrere Erscheinungsorte ergeben 16 . Absatz 2 kann, weil er das Anwendungsgebiet des Absatzes 1 einschränkt, die Aus- 17 wähl nur unter Gerichtsständen treffen, in deren Bezirken die Straftat begangen worden ist; er setzt also voraus, daß die Straftat am Erscheinungsort kraft eines dort geltenden Gesetzes bestraft werden kann. Schon die Fassung, „so ist als das nach Absatz 1 zuständige Gericht nur das Gericht anzusehen, in dessen Bezirk die Druckschrift erschienen ist", ergibt, daß das Gericht des Erscheinungsorts nur zuständig sein soll, wenn auch dort eine Straftat begangen worden ist17. Absatz 2 findet keine Anwendung, wenn erst eine auf die Druckschrift bezogene nach- 18 folgende Tätigkeit die Strafbarkeit begründet 18 . e) Presseinhaltsdelikt. Die Absatz 2 einleitenden Worte haben denselben Sinn wie die 19 Eingangsworte von § 74 d Abs. 1 Satz 1 StGB und der landesrechtlichen Regelungen 19 . Der Inhalt einer Druckschrift ist strafbar, wenn sie eine Gedankenäußerung enthält und diese gegen ein strafrechtlich geschütztes Verbot oder Gebot verstößt20. 7
Im Ergebnis ebenso KK-Pfeiffer 7; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 7 unter Hinweis auf BGHZ 38 356; SK-Rudolphi 8. 8 Dorbritz 1210. 9 Löffler 2 § 7; Beisp.: § 7 PrG BaWü: Druckwerke sind alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen zur Massenherstellung geeigneten Vermittlungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung (Bayern: in der Öffentlichkeit; BGHSt 13 257: an einen größeren, nicht zu kontrollierenden Personenkreis) bestimmten Schriften, besprochenen Tonträger, bildlichen Darstellungen mit und ohne Schrift und Musikalien mit (Hessen: oder ohne) Text oder Erläuterungen. Ό OLG München DJZ 1925 351. (63)
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RGRspr. 3 445; RGSt 4 362. PrOVG JW 1928 2110. RGSt 47 244; OLG Marienwerder LZ 1918 462. Löffler 2 § 7 , 30. RGSt 40 357; 64 292; Kleinknecht/Meyer-Goßner 9; Wagner NStZ 1990 526. Wegen der Folgen s. Löffler 2 § 8, 19 bis 22. RGSt 36 258, 271; 37 20. R G G A 56 (1911)322. Beisp.: § 2 0 Abs. 2 PrG BaWü: „1st durch ein Druckwerk der Tatbestand einer mit Strafe bedrohten Handlung verwirklicht worden,...". RGSt 30 198; 36 146; 271; 40 358; 66 146; OLG Hamburg NJW 1965 2168.
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Da die Herstellung des Werks nur straflose Vorbereitung ist 21 , ist die Straftat erst dann verwirklicht, wenn zur Drucklegung noch ein weiteres Merkmal, nämlich die Kundgebung in Gestalt einer Ankündigung, Anpreisung oder Verbreitung hinzukommt 22 . 21 Wird die Strafbarkeit erst durch eine Handlung begründet, die der Kundgebung nachfolgt, ist Absatz 2 nicht anzuwenden23. Ebenso finden die allgemeinen Vorschriften Anwendung, wenn die bereits erschienene Druckschrift als Mittel benutzt wird, eine neue selbständige Straftat zu begehen, wie das der Fall ist, wenn jugendgefährdende Schriften verbotswidrig verbreitet werden24. Verletzungen des Urheberrechts fallen nicht unter Absatz 2 25 . 20
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Absatz 2 gilt nur für sog. Presseinhaltsdelikte. Ein Presseinhaltsdelikt liegt vor, wenn eine Straftat begangen wird, durch die auf eine unbestimmte Vielzahl von Lesern einwirkende Verbreitung einer Druckschrift, deren geistig wirksamer Inhalt die in dem Tatbestand erforderliche Erklärung enthält, und außerhalb ihrer diejenigen Umstände gegeben sind, von denen die Strafbarkeit der Erklärung nach dem Tatbestand sonst noch abhängt 26 . Presseordnungsvergehen 27 unterliegen § 7 Abs. 1, doch gilt bei Idealkonkurrenz wieder § 7 Abs. 2 Satz l 2 8 .
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f) Privatklagedelikte. Absatz 2 Satz 2 dehnt den in Satz 1 eingeschränkten Geltungsbereich des Gerichtsstandes des Begehungsorts zugunsten des Privatklägers wieder aus. Wird eine durch den Inhalt einer Druckschrift begangene Beleidigung nach §§185 bis 187 a und 189 StGB nach § 374 Abs. 1 Nr. 2 im Weg der Privatklage verfolgt, so ist auch das Gericht, in dessen Bezirk die Druckschrift verbreitet worden ist, zuständig, wenn in diesem Bezirk der Beleidigte zur Zeit der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt dort bereits zur Zeit der Verbreitung gehabt hat.
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Verbreitung ist diejenige Handlung, mit der die Druckschrift einem größeren Personenkreis 29 gegenständlich — daher ist Vorlesen kein Verbreiten 30 — zugänglich gemacht wird 31 . Nicht erforderlich ist, daß dieser Personenkreis eine unbestimmte Mehrheit darstellt 32 . Auch reicht die Zusendung an einen einzelnen Empfänger aus, wenn sie in der Absicht vorgenommen wird, daß diese sie einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde 33 .
Die Schrift muß im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb verbreitet werden 34 . Daher genügt es nicht, wenn der Beleidigte selbst oder ein Dritter sie an den Ort gebracht oder geschickt hat, wo der Beleidigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; vielmehr ist erforderlich, daß sie im gewöhnlichen Geschäftsgang dorthin gelangt ist. 26 Für periodische Drucksachen ist das im Reichstag anerkannt worden 35 . Nach dem Sinn der Vorschrift gilt das aber auch bei nichtperiodischen Druckschriften. Danach gehört zum Begriff des „Verbreitens" bei allen Druckschriften, daß sie im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb in den Besitz einer Person gekommen sind, die sich am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Beleidigten aufhält. Sonst liegt kein Pressedelikt vor, sondern die Beleidigung durch eine Druckschrift. 25
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g) OfHzialverfahren. Übernimmt die Staatsanwaltschaft die Verfolgung (§ 377 Abs. 2), sei es durch ausdrückliche Erklärung, sei es durch Einlegen eines Rechtsmittels, ist das Verfahren in der Lage, in der es sich befindet, nach den Vorschriften des ordentli21 22 23 24 25 26
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RGSt 35 376. RGSt 5 356; 32 70; 40 358. RG GA 56 (1911) 322. BGHSt 26 45; BayObLGMDR 1975 419. KG DJZ 1903 550. RGSt 66 147; OLG Oldenburg NJW 1960 305 ; OLG Hamburg NJW 1965 2168. Löffler2§ 21.
28
Löfflet 1 1 2 - ProzeßR-, 3. BGHSt 19 74. 30 BGHSt 18 63. 3 ' RGSt 7 114; 36 331. 32 RGSt 36 331; BGHSt 13 258. 33 RGSt 16 245. 34 Eb. Schmidt 14; KMR-Paulus 17. 35 10. Leg.-Per., 2. Session 1900/03, S. 5268. 29
Stand: 1. 10. 1996
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§8
36
chen Verfahrens fortzusetzen . Zufolge der Worte „in der Lage", die die Perpetuierung der Rechtslage verordnen, bleibt der vom Privatkläger gewählte Gerichtsstand des § 7 Abs. 2 Satz 2 bestehen und tritt derjenige des § 7 Abs. 2 Satz 1, wenn beide auseinanderfallen, zurück 37 . Diese jetzt unangefochtene Ansicht 38 widerspricht zwar sowohl der Begründung des 28 Gesetzes 39 als auch den Erklärungen im Reichstag 40 und der früheren Rechtsprechung 41 . Danach sollte das Verfahren, wenn die Staatsanwaltschaft es übernommen hatte, am Gerichtsstand des Absatzes 2 Satz 2 einzustellen und die Staatsanwaltschaft verpflichtet sein, am Gerichtsstand des Erscheinungsorts neu anzuklagen. Die neuere Ansicht folgt jedoch sowohl aus dem Wortlaut des § 377 Abs. 2 Satz 1 als 29 auch zwingend aus der Erwägung, daß die Übernahmeerklärung der Staatsanwaltschaft nicht die Macht haben kann, das bis zur Übernahme abgelaufene gerichtliche Verfahren, ja ggf. ein erstinstanzliches — wenn auch noch nicht rechtskräftiges — Urteil, zu vernichten 42 . Durch die Privatklage ist der gesetzliche Richter, in diesem Fall einer von mehreren nach der unkontrollierbaren Wahl des Privatklägers, endgültig bestimmt. Bei der Empfindlichkeit, die in Fragen des gesetzlichen Richters allgemein herrscht, 30 bleibt zu fragen, ob nicht wenigstens dann nach dem Willen des Gesetzgebers und nach der früheren Rechtsprechung zu verfahren ist, wenn das Privatklageverfahren mißbraucht wird. Beispiel: Ein beleidigter Minister, der mit Sicherheit damit rechnen kann, daß die Staatsanwaltschaft seine Privatklage ins Offizialverfahren übernehmen wird, erhebt im Gerichtsstand seines Wohnorts Privatklage, weil er der Rechtsprechung des Gerichts am Erscheinungsort „nicht traut". Die Staatsanwaltschaft übernimmt, wie erwartet, die Verfolgung. — Die Frage ist zu verneinen. Denn der Privatkläger nimmt sein Recht wahr. Daß er es zu einem anderen Zweck tut als dem, für den es ihm eingeräumt ist (Rdn. 8), muß unbeachtlich bleiben. Wollte man seine Motive erforschen, wozu das Gesetz keine Handhabe bietet, käme man letztlich auch zur Prüfung, ob ein Verlag einen bestimmten Sitz etwa gewählt hat, weil er dort eine „liberale Rechtsprechung" zum Thema Pornographie erwartet, und sich dadurch einen ihm genehmen Richter „erschleicht". Das Beispiel mag deutlich machen, auf welch ungangbare Wege gerät, wer das Benutzen einer Rechtslage als Mißbrauch deklariert und daraus Folgerungen ziehen will.
§8 (1) Der Gerichtsstand ist auch bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk der Angeschuldigte zur Zeit der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz hat. (2) Hat der Angeschuldigte keinen Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes, so wird der Gerichtsstand auch durch den gewöhnlichen Aufenthaltsort und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzteren Wohnsitz bestimmt. Entstehungsgeschichte. Durch Art. 3 Nr. 3 VereinhG ist in Absatz 2 die Wendung „Deutsches Reich" in „Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes" geändert worden. 36 37 38
39
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RGSt 41 280; 49 119; 57 349; BGHSt 11 61. BGHSt 11 61. Eh. Schmidt 15; K K - P f e i f f e r 11; KMR-Paulus 16 ff; Kleinknechl/Meyer-Coßner 10. RTDnjcks. 10. Leg.-Per., 2. Session 1900/02 Nr. 560.
40
41 42
Sten. Ber. 10. Leg.-Per., 2. Session 1900/03, S. 5144. 5268. RGSt 10 237; 29 422. RGSt 46 128.
Günter W e n d i s c h
§8
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
1. Wohnsitz. Der Begriff des Wohnsitzes ist in den §§ 7 bis 11 BGB 1 bestimmt und für den Strafrichter maßgebend 2 . Der Absicht, für immer an dem gewählten Wohnort zu bleiben, bedarf es nicht3. Hat jemand mehrere Wohnsitze (§ 7 Abs. 2 BGB), ist auch der Gerichtsstand des Wohnsitzes an mehreren Orten gleichzeitig begründet. 2 Der Berufssoldat — nicht der aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst Leistende — hat seinen Wohnsitz am Standort und, wenn er im Inland keinen Standort hat, am letzten inländischen Standort (§ 9 BGB). 3 Da der Wohnsitz zwar regelmäßig (§ 7 Abs. 1 BGB), aber nicht stets mit dem tatsächlichen Lebensmittelpunkt übereinstimmt, wird zuweilen ein „fester" Wohnsitz (§113 Abs. 2 Nr. 2, § 127 a Abs. 1, § 132 Abs. 1) oder ein (tatsächliches) Wohnen (§ 116 a Abs. 3) verlangt. 1
4
2. Gewöhnlicher Aufenthalt. Absatz 2 greift nur ein, wenn der Beschuldigte im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung keinen Wohnsitz hat, nicht aber, wenn er bei nur formalem Wohnsitz den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, an einem zweiten Ort begründet hat, wenn er sich ζ. B. dauernd in einem Landhaus aufhält. 5 Der Ausdruck „gewöhnlicher Aufenthaltsort" (richtig: gewöhnlicher Aufenthalt; vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2) ist dem Gesetz über den Unterstützungswohnsitz4 (vgl. dessen § 10) entnommen 5 , an dessen Stelle die VO über die Fürsorgepflicht6 (vgl. deren § 7 Abs. 2) und später das Bundessozialhilfegesetz7 getreten ist (vgl. dessen § 98 Abs. 1, § 103 Abs. 1). Nach der zu den beiden zuerst genannten Gesetzen ergangenen Rechtsprechung des Bundesamts für das Heimatwesen ist gewöhnlicher Aufenthalt der bis auf weiteres und nicht nur vorübergehend oder besuchsweise, wenn auch für einen bestimmten Zeitraum (Dienstvertrag auf bestimmte Zeit), als gewollter Mittelpunkt des Lebens, der persönlichen Existenz, gewählte Aufenthalt8. Für das Steuerstrafverfahren enthält § 388 Abs. 3 in Verb, mit § 9 AO eine gesetzliche Definition des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt". 6
Der Wille, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, reicht nicht aus, wenn die Umstände es nicht zulassen, den Willen zu verwirklichen. Da Wille und Umstände zusammentreffen müssen, kann ein Zwangsaufenthalt keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen 9 , wohl aber ein durch die Umstände erzwungener (Altersheim, Siechenanstalt, Flüchtlingslager), wenn der auf diese Weise Untergebrachte, seinen Willen den Umständen anpassend, den Unterbringungsort zum Mittelpunkt seiner Existenz macht.
7
Der gewöhnliche Aufenthalt wird durch freiwillige, nur vorübergehend oder besuchsweise, selbst längere, Abwesenheit nicht unterbrochen, wenn bei der Entfernung die Absicht besteht, ihn beizubehalten. 8 Da man nur einen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehung haben kann, ist ein gewöhnlicher Aufenthalt an zwei Orten — im Gegensatz zum Wohnsitz — unmöglich. Die Begründung eines neuen setzt voraus, daß der alte weggefallen ist oder gleichzeitig wegfällt 10 . Für das Steuerstrafverfahren gilt die Sonderregelung in § 388 Abs. 1 Nr. 1 in Verb, mit § 8 AO. ν. Hippel 217. KG DJZ 1915 1036. Vom 6. 6. 1870 (RGBl. 360). Begr. Hahn Mat. 1 78. Vom 13. 2. 1924 (RGBl. I 100). Vom 30. 6. 1961 (BGBl. III 2170-1). Vgl. dazu auch BGHSt 13 209; BayObLGZ 1980 52; OLG Zweibrücken FamRZ 1985 81; KG NJW 1988 649; Kleinknecht/Meyer-Goßner 2; Stein/ Jonas/Schlosser § 606, 7; Thomas/Putzo § 606, 3; Palandt § 7, 3.
Eb. Schmidt 6; KK-Pfeiffer 2; Kleinknecht/MeyerGoßner 2; a. A. für das Steuerrecht Hübschmann./ Hepp/Spitaler/Hellwig § 9 AO (Stand 1991), 15; Franzen/Gast/Samson3 § 388 AO, 37. Ebenso Kleinknecht/Meyer-Goßner 3; für das Steuerrecht Hübschmann/Hepp/Spitaler/Hellwig §9 AO (Stand 1991), 15; für das frühere Fürsorge- und jetzige Sozialhilferecht Baath/Kneip/Langlotz, Fürsorgepflicht 13 (1942) § 7 Abs. 2, III 2 a; Kergler/ Zink § 103 BSHG (Stand 1996), 40 und im Ergebnis auch Hauck/Haines § 30 SGB I (Stand 1994) 8c; wegen teilweise anderer Ansichten in diesem Bereich s. Seewald § 30 SGB 1,4 ff.
Stand: 1. 10. 1996
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§9
Der Soldat, der aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst leistet (vgl. § 9 Abs. 2 BGB), 9 wird in der Regel — wie seinen Wohnsitz — seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Familienwohnort behalten. Löst er sich jedoch anläßlich der Einberufung von der Familie, dann begründet er seinen gewöhnlichen Aufenthalt grundsätzlich am Standort seines Truppenteils. 3. Der Gerichtsstand des letzten Wohnsitzes hängt von der doppelten Voraussetzung 10 ab, daß der Beschuldigte keinen Wohnsitz im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung hat und daß sein gewöhnlicher Aufenthalt unbekannt ist. 4. Maßgebender Zeitpunkt, nach dem die drei Gerichtsstände ermittelt werden, ist 11 allein derjenige, in dem die Klage erhoben wird, d. h. bei Gericht eingeht11. Unerheblich ist es, welchen Wohnsitz oder des Ermittlungsverfahrens gehabt hat oder welchen er erwirbt, nachdem die Klage erhoben worden ist12. Erhebung der Klage sind die schriftliche Anklage (§ 199 Abs. 2 Satz 1, § 200), die 12 mündliche Anklage im beschleunigten Verfahren (§418 Abs. 3 Satz 2), die Privatklage (§ 381), der Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls (§ 407 Abs. 1) und — die Klage ersetzend — der Antrag des Finanzamts (Hauptzollamts) auf Erlaß eines Strafbefehls (§ 400 AO). Die Vorschrift ist entsprechend anzuwenden auf den Antrag im Sicherungsverfahren (§414 Abs. 2), den Antrag im objektiven Einziehungsverfahren (§ 440 Abs. 1) und den Antrag im objektiven Geldbußenverfahren gegen juristische Personen (§ 444 Abs. 3). Für die mündliche Nachtragsanklage (§ 266 Abs. 2) ist die Vorschrift ohne Bedeutung, weil stets ein Fall des § 13 vorliegt.
§9 Der Gerichtsstand ist auch bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk der Beschuldigte ergriffen worden ist. Entstehungsgeschichte. Die ursprüngliche Fassung stellte den Gerichtsstand des Ergreifungsortes als bloßen Hilfgerichtsstand auf für den Fall, daß die Straftat im Ausland begangen und kein Gerichtsstand nach § 8 begründet war. Außerdem sah § 9 Abs. 1 Satz 2 die Gerichtsstandsbestimmung durch das Reichsgericht vor, wenn keine Ergreifung stattgefunden hatte, und Absatz 2, wenn bei inländischer Tat kein Gerichtsstand nach §§ 7, 8 gegeben war. Durch die Verordnung vom 6. 5. 19401 wurde mit § 8 a der Gerichtsstand auch bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk der Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage auf behördliche Anordnung verwahrt wird. § 8 a ist durch Art. 3 Nr. 4 VereinhG aufgehoben worden. Gleichzeitig wurden durch Nr. 5 in § 9 die Wendungen „außerhalb" und „im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes" an die Stelle von „Ausland" und „Inland" gesetzt. Die gegenwärtige Fassung des § 9 beruht auf Art. 4 Nr. 2 des 3. StRÄndG. Die Änderung soll dem praktischen Bedürfnis Rechnung tragen, einen allgemeinen, nicht subsidiären Gerichtsstand des Ergreifungsortes zu schaffen 2 . Die Gerichtsstandsbestimmung durch das oberste Gericht findet sich jetzt in § 13 a. 1. Der Gerichtsstand der Ergreifung ist ein selbständiger, neben den anderen 1 Gerichtsständen gegebener, gleichwertiger Gerichtsstand. ' 1 OLG Dresden Alsb. Ε 1 50. 12 Mat. Hahn 1 78. (67)
1 2
RGBl. I 754. Begr. BTDrucks. I 3713,46.
Günter Wendisch
§9
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
2
Ergreifung ist die Handlung, durch die der Beschuldigte von einem hierzu berufenen Beamten (§ 127 Abs. 2, § 152 GVG) oder im Fall des § 127 Abs. 1 von „jedermann" zum Zweck der Strafverfolgung festgenommen wird 3 , gleichgültig, ob der Festnahme eine gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung zugrunde liegt oder nicht und gleichviel, ob der Beschuldigte gesucht wird oder sich freiwillig stellt. Das vorübergehende Festhalten eines bloß Verdächtigten im Identitätsfeststellungsverfahren nach § 163 b, 163 c ist noch keine Ergreifung im Sinn dieser Vorschrift; sie wird es aber, wenn der Verdächtige noch während seines Festhaltens zum Beschuldigten wird 4 .
3
Die Maßregeln, die der Ergreifung nachfolgen, die Inhaftnahme und die Einlieferung in die Haftanstalt, sind für die Begründung des Gerichtsstands des § 9 bedeutungslos; § 9 begründet keinen Gerichtsstand des Verwahrungsorts. Wird also ein im Bezirk Α ergriffener Täter im Bezirk Β in Untersuchungshaft genommen (etwa weil nur dort eine Krankenbehandlung möglich ist), so ist für B, wenn nicht aus anderen Gründen auch dort ein Gerichtsstand begründet ist, kein Gerichtsstand gegeben.
4
Ist einem Amtsgericht für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte die Entscheidung in Haftsachen zugewiesen (§ 58 Abs. 1 GVG), so ist dieses das Gericht des Ergreifungsorts, selbst wenn der Täter im Bezirk eines anderen von den mehreren Amtsgerichten ergriffen worden ist 5 .
5
Die Einrichtung des Gerichtsstands des Ergreifungsorts verfolgt das Ziel, „kostenspielige und sachlich unnötige Transporte" zu vermeiden 6 . Daraus folgt, daß nur sachlich gerechtfertigte Ergreifung den Gerichtsstand des § 9 begründet. Demzufolge muß die Ergreifung zum Erlaß eines Haftbefehls (§ 125, § 128 Abs. 2 Satz 2) geführt haben. Fehlt es hieran, erläßt namentlich der Richter keinen Haftbefehl, so wird durch die sachlich ungerechtfertigte Ergreifung der Gerichtsstand des § 9 nicht begründet.
6
2. Änderungen. Der durch die Ergreifung begründete Gerichtsstand wird durch spätere, die Verwahrung betreffende Entscheidungen oder Umstände nicht geändert. Namentlich bleibt die Aufhebung des Haftbefehls selbst dann ohne Einfluß, wenn der Tatverdacht, sofern er nur ursprünglich bestanden hat, später entfallen ist. Die Verhaftung wird damit nicht nachträglich zu einer ungerechtfertigten. Denn der für die Verhaftung erforderliche dringende Tatverdacht kann sehr wohl bei dieser vorliegen, auch wenn er später entfällt. Ebenso hebt die Aussetzung des Vollzugs (§ 116) oder die Flucht den Gerichtsstand des § 9 nicht wieder auf.
7
Folgerichtig wird auch durch die Wiederergreifung der einmal begründete erste Ergreifungsgerichtsstand nicht berührt. A m Ort der Wiederergreifung wird ein neuer Ergreifungsgerichtsstand begründet, der mit den Gerichtsständen der ersten Ergreifung, des Tatorts und des Wohnorts zur Auswahl des Staatsanwalts steht.
8
3. Beziehung der Ergreifung zur Straftat. Zur Begründung des Gerichtsstands des Ergreifungsorts ist es gleichgültig, wo die Straftat begangen worden ist, ob im Ergreifungsbezirk oder anderwärts, ob im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung oder im Ausland. Es ist auch nicht erforderlich, daß der Ergreifung nur diejenige Tat zugrunde gelegen hat, die dann schließlich zur Anklage gelangt 7 . Die Ergreifung wirkt auch fort, wenn sie zur Straftat geführt hat. Demzufolge wird der Gerichtsstand des Ergreifungsorts auch dadurch begründet, daß sich der Angeschuldigte bis zur Erhebung der öffentlichen 3 4
RGSt 58 154; 60 265. KK-Pfeiffer 3; K M R - / W u j 5; Kleinknecht/MeyerGoßnerT,.
5 6 7
Corves MDR 1956 335. Begr. BTDrucks. 1 3713 S. 46. RGRspr. 4 7; BGH bei Dallinger MDR 1954 336.
Stand: 1. 10. 1996
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§10
Klage zufolge Ergreifung wegen einer anderen Tat ununterbrochen in Untersuchungs- und nachfolgender Straftat befunden hat8. Ist die Ergreifung indessen beendet, so ist wegen einer neuen Tat nur die Verbindung 9 nach § 13 zulässig. Ist sie nicht möglich, etwa weil das Verfahren wegen der der Ergreifung zugrunde liegenden Tat eingestellt oder die für diese Tat ausgesprochene Strafe verbüßt ist, so ist ein Gerichtsstand nach § 9 nicht etwa allein deshalb begründet, weil der Beschuldigte irgendwann einmal im Bezirk des angegangenen Gerichts ergriffen worden ist. 4. Anwendung. Die Vorschrift soll Kosten für unnötige — nicht für nötige — Trans- 10 porte sparen helfen, damit nicht aber den Beschuldigten benachteiligen. Von dem Gerichtsstand ist daher nur dann Gebrauch zu machen, wenn der Beschuldigte geständig ist oder alsbald durch Zeugen überführt werden kann, die am Ergreifungsort vernommen werden können, ohne dorthin weite Reisen machen zu müssen. Wird das Verfahren nicht alsbald von der Staatsanwaltschaft des Ergreifungsorts 11 übernommen, ist der Beschuldigte in den Bezirk der Staatsanwaltschaft zu überführen, die ihn zur Verhaftung ausgeschrieben hatte. Denn sonst entstehen Kosten durch die Verteidigerbestellung bei der mündlichen Verhandlung zur Haftprüfung (§ 117 Abs. 1, 4, § 118 Abs. 1 bis 3). Auch sollte der favor defensionis es ausschließen, dem Angeklagten ein Verfahren 12 nach § 233 nahezulegen, wenn die Staatsanwaltschaft des Ergreifungsorts die Übernahme der Sache abgelehnt hat. Diese sollte aus dem gleichen Grund die Sache nicht übernehmen, wenn Zeugen in der Hauptverhandlung wohl vor dem Gericht des Ausschreibungsorts, wegen weiter Entfernung aber nicht vor dem des Ergreifungsorts vernommen werden können. Denn in diesem Fall käme der Verhaftete um sein Recht, die Zeugen in seiner Gegenwart aussagen zu hören und Rede und Antwort von ihnen zu verlangen (§ 224 Abs. 2)9. Handelt es sich indessen um eine liquide Sache, sollte die Staatsanwaltschaft des 13 Ergreifungsorts sie auch übernehmen. Die zur Verfolgung ausschreibende Staatsanwaltschaft kann einer Ablehnung der Übernahme dadurch begegnen, daß sie das Verfahren alsbald nach der Ergreifung anklagereif abgibt. Dazu hat sie vor der Ausschreibung auf vollständige Ermittlung bedacht zu sein. Das versteht sich eigentlich von selbst, doch bleibt zu bedauern, daß Zeugen gelegentlich erst nach der Festnahme des Beschuldigten vernommen werden, obwohl das vorher möglich gewesen wäre.
§10 (1) Ist die Straftat auf einem Schiff, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangen, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Heimathafen oder der Hafen im Geltungsbereich dieses Gesetzes liegt, den das Schiff nach der Tat zuerst erreicht. (2) Absatz 1 gilt entsprechend für Luftfahrzeuge, die berechtigt sind, das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Schrifttum. Mankiewicz Die Verfolgung der in einem Luftfahrzeug begangenen Straftat, GA 1961 193; Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen (1974). 8
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OLG München MDR 1956 566.
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Dallinger JZ 1953 441.
Günter Wendisch
§ ίο
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e Vorschriften
Entstehungsgeschichte. Nach der Reichstags vorläge von 1875 sollte mit § 10 (damals § 3) ein Gerichtsstand errichtet werden für Straftaten, die „auf einem deutschen Schiff in offener See begangen" wurden. Weil es dort an einem Gerichtsstand fehlt, sollte einer „mittels einer gesetzlichen Fiktion geschaffen" werden 1 . Da aber „bei der Verschiedenheit in der Behandlungsweise von Delikten an Bord der Handelsschiffe nach den Rechten der seefahrenden Nationen" nicht ausgeschlossen werden konnte, daß „ein im fremden Hafen auf einem deutschen Handelsschiff begangenes Delikt gänzlich ungestraft bleiben" könne, wurde in der 2. Lesung der Kommission die Wendung „auf einem deutschen Schiffe im Ausland oder in offener See" gewählt 2 . Durch Art. 3 Nr. 6 VereinhG wurde bei den Worten „Ausland" und „deutscher" Hafen jeweils auf den „Geltungsbereich dieses Gesetzes" abgestellt. Durch Art. 2 Nr. 1 EGOWiG wurden die Worte „in offener See" gestrichen. Durch Art. 21 Nr. 1 EGStGB 1974 wurden die Worte „auf einem deutschen Schiff ersetzt durch die Worte „auf einem Schiff, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen". Der zweite Absatz ist durch Art. 4 Nr. 3 des 3. StRÄndG angefügt worden. Übersicht Rdn.
Rdn.
1. Inhalt
3. Geltungsbereich der Strafprozeßordnung...
2. Berechtigung zum Führen der Bundesflagge
4. Heimathafen
7 8
5. Luftfahrzeuge (Absatz 2)
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1
1. Inhalt. Die Vorschrift hat ihren ursprünglichen Charakter, namentlich zufolge der Streichung der Worte „in offener See" (s. Entstehungsgeschichte), zum Teil geändert. Ursprünglich sollte sie einen Gerichtsstand für Delikte bereitstellen, die auf offener See begangen wurden. Mit dem späteren Zusatz „im Ausland" sollte der Gerichtsstand auch für Taten bereitgehalten werden, die auf deutschen Handelsschiffen in ausländischen Seehäfen begangen wurden.
2
Dagegen war nicht beabsichtigt, Binnenschiffe anders zu stellen als Eisenbahnen 3 . § 10 brachte also einen besonderen Gerichtsstand, wenn der Tatort auf Seeschiffen lag. Zwar wurde erkannt, daß die Fassung Anwendung auf Binnenschiffe nicht ausschließe 4 ; die mit der Bestimmung verfolgte Absicht kam aber noch im Entwurf 19305 deutlich in der Fassung zum Ausdruck: „Ist die Tat auf einem deutschen Seeschiff ... begangen." Die Entstehungsgeschichte; die Erwägung, daß man nur für Seeschiffe einen deutschen Gerichtsstand brauche; daß der Gesetzgeber bemüht war, die Gerichtsstände eingeschränkt zu halten; und die Interpretation des Wortes Ausland als „ausländischer Seehafen" zufolge der Verbindung mit Wort und Vorstellung der offenen See, zwangen zu der Folgerung, daß die Vorschrift sich allein auf Taten bezog, die auf deutschen Seeschiffen entweder in offener See oder in ausländischen Seehäfen begangen wurden.
3
Schon nachdem die Worte „in offener See" gestrichen worden waren, entfiel die hierauf bezogene Auslegung und die Beziehung zum Entwurf und zum ersten Text. Nachdem seit 1975 auf Berechtigung abgestellt wird, die Bundesflagge zu führen, gibt § 10 einen Gerichtsstand für alle Straftaten, die auf flaggenberechtigten Schiffen und Luftfahrzeugen 1 2 3
Mot. zu §§ 1 bis 3; Abs. 1; Hahn 1 78. Hahn Mm. 2 1194 f. Abg. Reichensperger, Hahn Mat. 2 1194.
4 5
Abg. Thilo, Hahn Mat. 2 1195. Art. 70 Nr. 4 EGStGB; Mat. zur StRRef. 7 12.
Stand: 1. 10. 1 9 9 6
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§10
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außerhalb der Bundesrepublik , namentlich auf offener See und in ausländischen Häfen begangen werden, stellt aber darüber hinaus in Übereinstimmung mit § 4 StGB in bezug auf die Binnenschiff- und Luftfahrt ein Privileg auf, das den sonstigen grenzüberschreitenden Verkehrsmitteln (Eisenbahn, Omnibus) nicht gewährt wird. Freilich ist die praktische Auswirkung für Straftaten, die im fremden Land begangen 4 werden, nur beschränkt. Denn mit der Vorschrift soll nicht in die ausländische Gerichtsbarkeit eingegriffen werden. Sie beantwortet nicht die Frage, ob eine deutsche Gerichtsbarkeit7 — sei es ausschließlich, sei es konkurrierend mit einer ausländischen oder einer solchen subsidiär — besteht, sondern stellt nur für den Fall, daß eine Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik „ohne Kollision mit der Jurisdiktion des fremden Landes" gegeben ist, einen Gerichtsstand im Geltungsbereich der Bundesrepublik zur Verfügung 8 . Trotz des Wortlauts („ist... zuständig" im Gegensatz zu §§ 8, 9: Gerichtsstand ist auch 5 begründet) wird durch die Vorschrift § 7 nur ergänzt, aber nicht verdrängt. Steht der Tatort, etwa bei der Fahrt auf einem Binnenschiff, fest, gilt auch § 7, wenn auch wegen der Zufälligkeit des Begehungsorts nicht mit seinem sonstigen (Vor § 7, 22) Vorzug. Auch die übrigen Gerichtsstände (§§ 8, 9, 11, 13) bleiben unberührt und stehen neben dem des § 10 zur Verfügung. 2. Die Bundesflagge zu führen, sind berechtigt: a) Seeschiffe, deren Eigentümer Deutsche sind, die ihren Wohnsitz im Geltungsbe- 6 reich des Grundgesetzes haben, also Einwohner der Bundesrepublik Deutschland, sowie Seeschiffe, deren Eigentümer gewisse Gesellschaften und juristische Personen (§ 1 Abs. 2 F1RG) oder gewisse Partenreedereien und Erbengemeinschaften sind (§ 2 Abs. 2 F1RG), ferner solche, deren Eigentümer Deutsche ohne Wohnsitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes sind (§ 2 Abs. 1 F1RG). Seeschiffe, denen das Recht, die Bundesflagge zu führen, verliehen worden ist (§§ 10, 11 F1RG). Befindet sich das Schiff in Seenot, gilt die Vorschrift auch für das Wrack sowie für Rettungsboote und Flöße9. b) Binnenschiffe, die nach § 14 Abs. 1 F1RG die Bundesflagge führen dürfen. c) Schiffe der Seestreitkräfte der Bundeswehr 10 . 3. Der Geltungsbereich der Strafprozeßordnung fällt mit dem Hoheitsbereich der 7 Bundesrepublik Deutschland zusammen. Dieser Bereich umfaßt innerhalb der Grenzen das Landgebiet, die daran anschließenden Eigengewässer (die Häfen und die die Küste bespülenden Meeresteile) und das Küstenmeer, einen Meeresstreifen, der in zwölf Seemeilen Breite den Eigengewässern vorgelagert ist". Mit dem Küstenmeer endet der deutsche Hoheitsbereich und beginnt die offene See, die außerhalb des Geltungsbereichs der Strafprozeßordnung liegt 12 . Für Straftaten, die innerhalb der Bundesrepublik Deutschland auf einem Schiff oder in einem Luftfahrzeug begangen worden sind, fehlt eine entsprechende Vorschrift. Das kann bei der Ungewißheit des Tatorts besonders auf einer Luftfahrt zu Schwierigkeiten führen, denen, wenn ein sonstiger Gerichtsstand fehlt, nur durch die Zuständigkeitsbestimmung des § 13 a begegnet werden kann (§ 13 a, 1; Wille 195). § 4 StGB; dazu Rudolf NJW 1954 219. Hahn Mat. 2 1195. Rietzsch DJ 1940 565.
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Vgl. Anordnung des Bundespräsidenten Uber die Dienstflagge der Seestreitkräfte der Bundeswehr vom 25. 5. 1956 (BGBl. III 1130-5). Daß Schiffe der Streitkräfte völkerrechtlich Boden des Heimatlandes sind (vgl. Art. 3 Abs. 1 des Internationalen Abkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität der Staatsschiffe vom 10. 4. 1926 - RGBl. 1927 II 484 -), ist für unsere Frage nur insofern von Bedeutung, als es die Zweckmäßigkeit des § 10 fur den ursprünglichen Charakter der Vorschrift unterstreicht. Prot. d. BReg. vom 11.11. 1994 (BGBl. I 3428). Wegen des Bodensees s. Dreher/Γröndle Vor § 3,54.
Günter Wendisch
§ 10 a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
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4. Heimathafen ist derjenige deutsche Hafen, von dem aus die Seeschiffahrt mit dem Schiff betrieben wird (§ 480 Abs. 1 HGB; § 4 Abs. 1 der Schiffsregisterverordnung 13 , § 3 Abs. 1 Nr. 7 der l . D V O zum Flaggenrechtsgesetz 14 . Bei Binnenschiffen kann es an einem Heimathafen fehlen; es kommt dann auf den Heimatort an (§ 4 Abs. 1 der Schiffregisterverordnung), notfalls auf den Ort der Registereintragung (§ 4 Abs. 3). Ist der Hafen, den das Schiff nach der Tat im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung zuerst erreicht, ein anderer als Heimathafen, so ist der Gerichtsstand in den Bezirken beider Häfen begründet.
9
5. Luftfahrzeuge (Absatz 2) sind solche Fluggeräte (§ 1 Abs. 2 LuftVG: Flugzeuge, Drehflügler, Luftschiffe, Segelflugzeuge, Motorsegler, Frei- und Fesselballone, Drachen, Rettungsfallschirme, Flugmodelle, Luftsportgeräte und sonstige für die Benutzung des Luftraums bestimmte Geräte, namentlich Raumfahrzeuge, Raketen und ähnliche Flugkörper), die berechtigt — meist verpflichtet — sind, nach § 2 Abs. 5 LuftVG das Staatsangehörigkeitszeichen zu führen, d. i. nach II 1, III der Anlage 1 zur Luftverkehrs-ZulassungsOrdnung die Bundesflagge und — mit Ausnahme bei Ballonen — der Buchstabe D.
10
Den Begriff des Heimatflughafens kennt das Luftverkehrsgesetz nicht. In entsprechender Anwendung von Absatz 1 und von § 480 Abs. 1 HGB ist als Heimathafen derjenige Flughafen anzusehen, bei dem das Luftfahrzeug zum Zweck seines Betriebs dauernd stationiert ist 15 . 11 Der nächste Flughafen ist nicht der räumlich nächste, weil Flugzeuge nicht überall landen können, sondern derjenige, auf dem das Flugzeug zuerst landet. Bei Notlandungen auf freiem Feld wird der Gerichtsstand erst durch die nachfolgende Landung auf einem Flugplatz begründet. Steigt das Flugzeug nach Notlandung auf freiem Feld nicht wieder auf, so muß das Gericht als zuständig angesehen werden, in dessen Bezirk das Luftfahrzeug niedergegangen ist 16 . 12
Es ist wenig sachgemäß, daß Absatz 2 sich auf eine Verweisung beschränkt. Die Vorschläge von Art. 70 Nr. 4 EGStGB 1930, die dem Gesetzgeber zum Aufbau dieser Vorschrift als Modell zur Verfügung standen, sind als Grundlage dafür weitaus klarer 17 .
§ 10 a Ist für eine Straftat, die außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes im Bereich des Meeres begangen wird, ein Gerichtsstand nicht begründet, so ist Hamburg Gerichtsstand; zuständiges Amtsgericht ist das Amtsgericht Hamburg. Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 5 des 18. StRÄndG. Durch Art. 2 des Ausführungsgesetzes — Suchtstoffübereinkommen vom 2. August 1993 — BGBl. I S. 1407 ist die Beschränkung auf Straftaten des Achtundzwanzigsten Abschnitts (§§ 324 bis 330 d) des Strafgesetzbuchs entfallen. 13
Vom 26. 5. 1951 (BGBl. III 315-18). Vom 23. 2. 1951 (BGBl. III 9514-1-1). 15 Zust. Wille 200. 16 Zust. Wille 199. 17 Dessen § 10 Abs. 2 sah folgende Fassung vor: Ist die Tat auf einem deutschen Luftfahrzeug außerhalb des Inlandes begangen, so ist das Gericht 14
zuständig, in dessen Bezirk das Luftfahrzeug nach der Tat zuerst landet oder der Wohnsitz oder Sitz des Eigentümers des Luftfahrzeugs liegt. Hat der Eigentümer keinen Wohnsitz oder Sitz im Inland, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Verzeichnis der deutschen Luftfahrzeuge (Luftfahrzeugrolle) geführt wird.
Stand: 1. 10. 1996
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§11
1. Inhalt. Die Vorschrift bestimmt Hamburg zum subsidiären örtlichen Gerichts- 1 stand für alle Straftaten, die in strafbarer Weise auf dem Meer außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen werden können (Begr. zu Art. 5 BTDrucks. 8 2382 S. 27). § 10 erfährt damit eine wichtige Ergänzung. Die neue Vorschrift verallgemeinert die in § 12 Festlandsockelgesetz1 verankerte Sonderregelung2. 2. Die Vorschrift bezieht sich, anders als die frühere Fassung, auf alle Straftaten, 2 nicht nur auf solche des 28. Abschnitts des Strafgesetzbuches (s. dazu 24. Aufl., Rdn. 2). Voraussetzungen sind, daß sie außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes im Bereich des Meeres begangen worden sind, daß die deutsche Gerichtsbarkeit sich auf sie erstreckt (s. Einl. Absch. D III 2) und daß kein anderer Gerichtsstand besteht. 3. Der Begriff Meer umfaßt hier sowohl die Hohe See wie fremde Küstengewässer 3 3 Soweit eine Straftat in inländischen Küstengewässern begangen worden ist, ist auch eine Zuständigkeit nach § 7 Abs. 1 gegeben; insoweit bedarf es mithin keines besonderen subsidiären Gerichtsstands (Vor § 7, 9). 4. Die ausdrückliche Benennung des Amtsgerichts Hamburg ist deshalb erforder- 4 lieh, weil es in der Freien und Hansestadt Hamburg neben diesem noch fünf weitere Amtsgerichte gibt.
§11 (1) 'Deutsche, die das Recht der Exterritorialität genießen, sowie die im Ausland angestellten Beamten des Bundes oder eines deutschen Landes behalten hinsichtlich des Gerichtsstandes den Wohnsitz, den sie im Inland hatten. 2 Wenn sie einen solchen Wohnsitz nicht hatten, so gilt der Sitz der Bundesregierung als ihr Wohnsitz. (2) Auf Wahlkonsuln sind diese Vorschriften nicht anzuwenden. Entstehungsgeschichte. In der ursprünglichen Fassung war von Beamten des Reichs oder eines Bundesstaats die Rede und wurde in erster Linie auf den Wohnsitz im Heimatstaat, dann auf dessen Hauptstadt abgestellt. Durch Art. 35 EGBGB wurde als weiterer Hilfsgerichtsstand Berlin bezeichnet. Die gegenwärtige Fassung beruht auf Art. 3 Nr. 7 VereinhG. 1. Exterritoriale Deutsche gibt es im Inland nicht, so daß sich die Bestimmung nur 1 auf im Ausland wohnende Personen bezieht. Der Kreis der Exterritorialen ist dem Völkerrecht zu entnehmen, das Art. 25 GG als Bestandteil des Bundesrechts anerkennt. Danach kommen als Deutsche, die das Recht der Exterritorialität genießen, namentlich die Missionschefs (Botschafter, Gesandte, außerordentliche Gesandte und Geschäftsträger), ihr 1
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Vom 24. 7. 1964 - BGBl. 1497 i.d. F. von Art. 190 Nr. 3 EGStGB - BGBl. 1974 I 591. § 12 lautet: Ist für eine Straftat nach § 7 ein Gerichtsstand nach § § 7 bis 10, 13, 98 Abs. 2 Satz 3, § 128 Abs. 1, § 162 Abs. 1 oder § 165 der Strafprozeßordnung oder § 157 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Geltungsbereich dieses Gesetzes nicht begründet, so ist Hamburg Gerichtsstand; zuständiges Amtsgericht ist das Amtsgericht Hamburg.
2
3
Die gleiche Regelung enthält Art. 4 des Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 22. Januar 1965 zur Verhütung von Rundfunksendungen, die von Sendestellen außerhalb staatlicher Hoheitsgebiete gesendet werden, vom 26. 9. 1969 BGBl. II 1939. SK-Horn StGB § 330 d, 2; Schönke/Schröder/Cramer § 324, 6; Dreher/Trondle § 324, 4.
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§ 1 2
Personal und ihre Familien in Betracht, nicht die Konsuln1. Der Gerichtsstand findet Anwendung, auch wenn der Exterritoriale oder Beamte die Tat im Inland oder in einem anderen ausländischen Staat begangen hat als dem, in welchem er wohnt. 2
2. Beamte. Da die Vorschrift für Auslandstaten deutscher Repräsentanten im Ausland, die im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung keinen Wohnsitz haben, einen Gerichtsstand schaffen will, ist der Begriff Beamter weit auszulegen, so daß auf jeden Fall auch höhere Angestellte darunter fallen. Deshalb kann § 11 den staatsrechtlichen Beamtenbegriff 2 nicht im Auge haben. In Ermangelung eines Amtsträgerbegriffs, den die Vorschrift meint3,wird man daher auf den strafrechtlichen Beamtenbegriff zurückgreifen müssen (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 Buchst, a StGB). Die Familienmitglieder der Beamten fallen nicht unter die Vorschrift.
3
Beamte sind auch die Konsuln (§ 2 KonsG), von diesen die Wahlkonsuln Ehrenbeamte i. S. des § 5 Abs. 3 BBG. Da die Wahlkonsuln meist Ausländer sind und nur eine lose Verbindung zur Bundesrepublik haben, benötigen sie keinen Gerichtsstand im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung. Daher mußten sie in Absatz 2 ausdrücklich ausgenommen werden.
4
3. Sitz der Bundesregierung ist Bonn. Nach dem Beschluß des Parlamentarischen Rats vom 10. 5. 1949 haben die leitenden Bundesorgane vorläufig ihren Sitz in der Stadt Bonn genommen (Sten. Ber. S. 264, 266). Nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit wird die Bundesregierung in absehbarer Zeit ihren Sitz in Berlin nehmen 4 . Danach ist Sitz der Bundesregierung im Sinne des Absatz 1 Satz 2 auch dann Berlin, wenn einzelne Bundesministerien ihren Sitz in Bonn behalten5.
§12 (1) Unter mehreren nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zuständigen Gerichten gebührt dem der Vorzug, das die Untersuchung zuerst eröffnet hat. (2) Jedoch kann die Untersuchung und Entscheidung einem anderen der zuständigen Gerichte durch das gemeinschaftliche obere Gericht übertragen werden. Schrifttum. Kammerer § 12 StPO • - Ein Weg zur Beseitigung der Teilrechtskraft bei Tatidentitat? MDR 1990 785. Übersicht Rdn.
Rdn. I. Vorrang (Absatz 1)
2 3
4
16 20
1. Inhalt
1
5. Wirkung
2. Mehrere Gerichte
4
II. Verfahren
3. Untersuchung a) Eröffnung b) Gegenstand 1
4. Umfassende Zuständigkeit
10 15
DaAm Völkerrecht 1315, 325, 341,369. So Eb. Schmidt 2. Wieczorek/Schütze/Hausmann § 15, 6; Zöller ΖΡΟ'3. 7
RGSt 45 168. 8 RGSt 29 179. 9 RGSt 55 187. '0 Eb. Schmidt 1 179, Anm. 308. 11 BGHSt 3 134, 139; 41 82. 12 BGHSt 13 186; OLG Karlsruhe NStZ 1991 602 = MDR 1992 178; LR -Schäfer* § 409, 38; § 141, 19; KK -W.Müller
§409, 12; KMR-MüUer
§411, 6;
13 14
15
Kleinknecht/Meyer" Einl. 60; § 156, 1; §411, 8; a. A. Mayer NStZ 1992 605; LR-Göstt-Pi § 409; 45; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 413, 19. Vgl. RGSt 45 176; BGHSt 10 392. BGH bei Holtz MDR 1977 810; bei Miebach (Bußgeldverfahren) NStZ 1991 27; Kleinknecht/MeyerGoßner 7. BGHSt 13 186; 26 374; 36 181; KK-Pfeiffer 2.
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§12
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
13
Das beschleunigte Verfahren §§ (417 ff) vereinigt als Eröffnungsverfahren die Eröffnung, das Hauptverfahren und das Urteil. Der Zeitpunkt, wann das Gericht festgestellt hat, daß hinreichender Tatverdacht vorliege, kommt im Verfahren nicht zum Ausdruck; er wird regelmäßig nach dem Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache liegen, kann aber nicht festgestellt und demzufolge nicht abstrakt festgelegt werden. Deshalb kann die Klage zurückgenommen werden, bis ein Urteil ergangen ist 16 . Dasselbe gilt für das vereinfachte Jugendverfahren (§ 76 JGG). Daher begründet in beiden Fällen erst das Urteil die Prävention 17 .
14
Handlungen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren, wie die Klageerhebung 18 — die zur Anhängigkeit, aber nicht zur Rechtshängigkeit der Sache führt —, und gerichtliche Handlungen im vorbereitenden Verfahren, namentlich ein Haftbefehl (§ 125), begründen die Prävention nicht 19 .
15
b) Gegenstand der Untersuchung ist die Tat i. S. des §264 Abs. 1, d.h. der geschichtliche Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte eine Straftat verwirklicht hat 20 .
16
4. Umfassende Zuständigkeit. Der Grundsatz der Prävention gilt nicht ausnahmslos. Das Gericht muß die angeklagte (§ 155 Abs. 1) Tat aburteilen, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt (§ 264 Abs. 1), unabhängig vom Eröffnungsbeschluß ((§ 264 Abs. 2) und von der Anklage (§ 155 Abs. 2). Fehlt dem Gericht, das das Verfahren eröffnet hat, dazu die Zuständigkeit, muß es sein Verfahren einstellen. Hier von einer Priorität zu einem Unzuständigkeitsbeschluß zu sprechen und das Gericht, das zuerst eröffnet hat, zu einem Verfahren nach § 270 zu zwingen 21 , ist gekünstelt.
17
In Wirklichkeit muß man als Ausnahme von der Regel des Absatzes 1 aus dem System der Strafprozeßordnung den Satz herleiten, daß der Grundsatz der Prävention immer dann zurücktritt, wenn das Gericht, das die Untersuchung später eröffnet hat, die Tat (§ 264) vollständiger und umfassender aburteilen kann 22 . Demzufolge gebührt dem zweiten Gericht der Vorrang, wenn dem Angeklagten im ersten Verfahren nur der unselbständige Teil eines Kollektivverbrechens (sofern man ein solches anerkennen will), im 16
17
Schwarz § 212, 2; Κ K - P f e i f f e r 2; a. A. - Rücknahme bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache - OLG Oldenburg NJW 1961 1127; LR-Rieß» § 212 a, 2; Eb. Schmidt § 212 a, 1 b; KMR-Paulus 11; §212, 16; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 418, 4. S. auch die Erl. zu §418. Α. A. LR-Rieß2* § 212 a, 13. Paulus (KMR 11) will die Rechtshängigkeit mit dem Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache eintreten lassen, hält aber § 12 für unanwendbar, weil sich die Sache zur sofortigen Aburteilung nicht eigne, wenn sich herausstelle, daß besser ein anderes zuständiges Gericht mit der Sache befaßt würde. Der Fall, den er dabei im Auge hat, ist der des Absatzes 2, wogegen an der angeführten Stelle allein die Frage zu beantworten ist, wann im beschleunigten Verfahren die Prävention eintritt und damit das Hindernis, die gleiche Sache bei einem anderen Gericht anhängig zu machen. Er entnimmt auch zu Unrecht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Satz, die Staatsanwaltschaft könne bis zur Rechtskraft des Urteils die Klage zurücknehmen. Das ist deshalb unrichtig, weil die nach § 156 entscheidende
Eröffnungswirkung in dem Eröffnungsverfahren der §§ 417 ff auf jeden Fall mit dem ersten Urteil eintritt. Denn in diesem wird der hinreichende Tatverdacht (§ 203) mit Sicherheit festgestellt. Daß diese Sicherheit für einen früheren Zeitpunkt zwar bestehen kann, aber nicht feststellbar ist, ist schon ausgeführt. Daher kann, solange das beschleunigte Verfahren ein Eröffnungsverfahren ist, mit Rücksicht auf § 156 kein anderes als das hier dargestellte Ergebnis gewonnen werden. Schwierigkeiten in der Praxis sind daraus nicht zu erwarten. Sie könnten eher eintreten, wenn man die Präventionswirkung mit der Vernehmung des Angeklagten zur Sache eintreten läßt. Denn diese Wirkung könnte bis zur Verkündung des Urteils wieder beseitigt werden (§419 Abs. 2 Satz 1). 18 RGSt 45 175. 19 BGHSt3 139. 20 BGHSt 10 397; Einzelheiten s. bei § 264. 2 ' RGSt 29 179. 22 RGSt 70 337; BGHSt 19 177; 36 181; BGH NStZ 1995 352; Rosenmeier — LV § 2 — 140; Kammerer MDR 1990 786; K K - P f e i f f e r 2; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 2.
Stand: 1. 10. 1996
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§ 1 2
23
zweiten Fall dieses selbst ; wenn im ersten Verfahren Einzelhandlungen einer fortgesetzten Handlung, die der Bundesgerichtshof durch Beschluß vom 3. 5. 1994 grundsätzlich für unanwendbar erklärt, für ganz seltene Ausnahmefälle, nämlich bei Annahme einer tatbestandsmäßig und fallbezogenen „Unumgänglichkeit" jedoch weiterhin bejaht hat 24 , im zweiten die diese Einzelhandlungen umfassende fortgesetzte Tat im ganzen 25 vorgeworfen oder wenn im ersten ein nur auf die Rechtsfolgen beschränkter Einspruch gegen einen minder gewichtigen Teilaspekt der Tat, im zweiten dagegen die schwerer wiegenden Teile umfaßt werden 26 . In einem solchen Fall kann auf den nach der StPO an sich vorgegebenen Weg der Nichteröffnung oder Einstellung des zweiten Verfahrens nach § 204 oder § 206 a und der Abgabe oder Verweisung des ersten Verfahrens nach § 225 a oder § 270 an das Gericht höhere Ordnung verzichtet werden; dieses ist nicht nur befugt sondern sogar verpflichtet, das vor dem an sich zuerst befaßten Gericht niederer Ordnung schwebende Verfahren an sich zu ziehen und die ganze Tat einheitlich und umfassend nach allen rechtlichen Gesichtspunkten abzuurteilen27. Sind ideell konkurrierende Straftaten (§ 52 StGB) getrennt bei verschiedenen 18 Gerichten angeklagt und ist für eine von ihnen allein die Zuständigkeit eines höheren Gerichts gegeben, so hat dieses den Vorrang, selbst wenn es die Untersuchung später eröffnet hat 28 ; denn nur bei ihm kann die Tat erschöpfend abgeurteilt werden. Der Einstellung des zweiten Verfahrens bei dem höheren Gericht und der Verweisung (§ 270) des ersten Verfahrens vom niederen an das höhere Gericht 29 bedarf es nicht 30 . Dagegen darf, wenn dem Angeklagten in zwei Verfahren, die bei Gerichten gleicher 19 Ordnung schweben, fortgesetzte Taten (Rdn. 17) zur Last gelegt werden, die sich teilweise decken, dem zweiten Verfahren nicht etwa deshalb der Vorrang eingeräumt werden, weil es Einzelhandlungen von größerer Anzahl oder von erheblicherem Gewicht zum Gegenstand hat 31 . Vielmehr gilt hier Absatz 1, doch kann ggf. nach Absatz 2 verfahren werden. 5. Wirkung. Das Gericht des Vorrangs ist ausschließlich zuständig 32 ; ein anderes 20 Gericht kann den Vorrang nicht dadurch hinfällig machen, daß es seinerseits die Untersuchung eröffnet. Demzufolge steht die Niederschlagung, die durch ein Straffreiheitsgesetz des Landes 21 verfügt worden ist, dem das ausschließlich zuständige Gericht angehört, der Strafverfolgung in einem anderen Bundesland entgegen. Dagegen äußert die Niederschlagung keine Wirkung, wenn in dem amnestierenden Land zwar an sich ein Gerichtsstand besteht, das Gericht eines anderen Landes aber kraft Vorrangs ausschließlich zuständig geworden ist 33 . Das nicht bevorrechtigte Gericht hat sein Verfahren einzustellen34. Die Einstellung ist 22 jedoch nicht endgültig. Sie wirkt nur so lange, bis die Rechtshängigkeit bei dem bevorzug23 24
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RGSt 41 108; 66 22. BGHSt 40 138; näher dazu Dreher/Tröndle Vor §52, 25 bis 31. RGSt 67 56; BGHSt 5 384; 36 181; BGH NJW 1953 273; GA 1970 85; OLG Stuttgart Justiz 1982 304; HUxthal DRiZ 1978 86, 8. BayObLG NStZ 1989 241; a. A. Kammerer MDR 1990 786. RGSt 70 337; BGHSt 19 177; 36 181; BGH NStZ 1995 352. RGSt 70 337; BGH NJW 1953 273; 1995 2500. Wie es RGSt 29 179 forderte.
30 31
32 33 34
RGSt 70 337. BGH NJW 53 273; ebenso K K - P f e i f f e r 3; KMRPaulus 3, der allerdings mit dieser Ausnahme die von RGSt 41 108 und 66 22 für Sammelstraftaten und von BGH NJW 1953 273 vertretene Auffassung (vgl. dazu Rdn. 17) nicht für vereinbar, vielmehr für überholt hält. BGHSt 3 138. BGHSt 3 134. BGHSt 22 233; K K - P f e i f f e r § 1, 23; SK-Rudolphi Vor § 1, 16.
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ten Gericht wegfällt, ohne daß dabei das eingestellte Verfahren erledigt worden ist 35 . Daher ergeht die Einstellungsentscheidung aufgrund der gegenwärtigen Verfahrenslage und unter dem Vorbehalt, daß sich nicht das andere Verfahren erledigt 36 . In der Entscheidungsformel wird das nicht besonders zum Ausdruck gebracht 37 . 23
Der Vorrang erlischt, wenn das bevorzugte Gericht durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt (§ 204 Abs. 1) oder das Verfahren eingestellt (§ 153 Abs. 2 Satz 1, § 153 b Abs. 2, § 153 e Abs. 2, § 206 a Abs. 1) hat. Die vorläufige Einstellung (§ 153 a Abs. 2 Satz 1, § 154 Abs. 2, § 205 Satz 1) hat diese Wirkung nicht 38 . Der Vorrang erlischt ferner, wenn das nicht bevorzugte Gericht in der gleichen Sache rechtskräftig entschieden hat 39 .
II. Verfahren 24
1. Allgemein. Voraussetzung für das „An-sich-Ziehen" ist zunächst einmal ein — wie auch immer gearteter — förmlicher und konstitutiver Verfahrensakt, regelmäßig auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Eine bloß formlose Vorlage an oder die Beiziehung der Akten des Gerichts niederer Ordnung durch das höherrangige Gericht genügt nicht. Vielmehr bedarf es eines die Rechtshängigkeit bei dem niederrangigen Gericht eindeutig beendenden und damit das Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit beseitigenden förmlich verfahrensgestaltenden Aktes 40 .
25
2. Vor Eröffnung. Stellt sich, bevor das Haupt- oder das Sicherungsverfahren eröffnet worden ist, heraus, daß das Verfahren schon bei einem anderen Gericht eröffnet ist, so hat das Gericht im Fall der Prävention (Rdn. 1) die Eröffnung abzulehnen, falls sein Verfahren aber zufolge umfassender Zuständigkeit den Vorrang hat (Rdn. 16), beim zuerst befaßten Gericht darauf hinzuwirken, daß dieses sein Verfahren einstelle. Entsprechendes gilt für den Fall des Einziehungsbeschlusses (Rdn. 12).
26
Im beschleunigten Verfahren ist die anderweite Anhängigkeit stets Ablehnungsgrund ( § 4 1 9 Abs. 1 Satz 1), selbst wenn, was praktisch kaum vorkommen wird, etwa der Fall der umfassenden Zuständigkeit (Rdn. 16) vorliegen sollte; das beschleunigte Verfahren verträgt keine Komplikationen.
27
Bei Strafbefehlen wird nach der Art der in diesen Verfahren anhängig gemachten Sachen regelmäßig nicht die umfassende Zuständigkeit vorliegen, so daß es zur Ablehnung der Anträge kommt. Liegt ausnahmsweise die umfassende Zuständigkeit vor, hat der Strafrichter, nachdem er den Strafbefehl erlassen hat, auf die Einstellung des Verfahrens beim zuerst befaßten Gericht hinzuwirken, jedoch erst dann, wenn der Strafbefehl rechtskräftig geworden oder Einspruch eingelegt und mit der Hauptverhandlung begonnen worden ist (Rdn. 12). Da auf diese Weise Komplikationen eintreten können, sollte der Strafrichter stets die Hauptverhandlung anberaumen (§ 408 Abs. 2) und alsbald nach ihrem Beginn das andere Gericht von der Rechtshängigkeit bei ihm benachrichtigen und auf die Einstellung der beim anderen Gericht anhängigen Sache hinwirken. 35
RGSt 52 264. Beispiel: Das Amtsgericht Α hat das Hauptverfahren wegen eines Diebstahls eröffnet, dieses aber mit der Begründung eingestellt, der Diebstahl sei Teil eines fortgesetzten Diebstahls, wegen dessen das Amtsgericht Β später das Hauptverfahren eröffnet hat. Das Amtsgericht Β stellt fest, daß keine fortgesetzte Handlung vorliegt, und verurteilt den Angeklagten wegen mehrerer einzelner Diebstähle, nicht aber wegen des Diebstahls,
der Gegenstand des Verfahrens beim Amtsgericht A war. RGSt 67 57. RGSt 52 264. BayObLG MDR 1989 478; OLG Düsseldorf GA 74(1930) 150. BGHSt 9 190. RGSt 67 57; K K - P f e i f f e r 5.
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3. Eröffnung. Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens heraus, daß mehrere 28 Gerichte wegen derselben Sache die Untersuchung (Rdn. 10) eröffnet haben, so hat das nicht bevorzugte Gericht sein Verfahren einzustellen und die Untersuchung dem Gericht zu überlassen, dessen Vorrang, sei es durch Prävention, sei es zufolge umfassender Zuständigkeit, begründet ist. Dessen Zuständigkeit ist, wenn nicht nach Absatz 2 eine andere Regelung getroffen wird, die ausschließliche und diejenige des ersteren erloschen 41 . Für die Überlassung bedarf es, wenn unter den beteiligten Gerichten über den Vorrang Einverständnis besteht, keiner Mitwirkung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts; fehlt das Einverständnis, greift § 14 ein. 4. Rechtsmittelinstanz. Auch das Rechtsmittelgericht hat die Einstellung zu beschlie- 2 9 ßen, wenn es über das Rechtsmittel in einem Verfahren zu entscheiden hat, das denselben Gegenstand wie ein anderweit rechtshängiges vorrangiges Verfahren hat 42 . Schwebt das vorrangige Verfahren vor dem Revisionsgericht, und betrifft das anderweit 3 0 anhängige Verfahren eine Straftat, die zu der beim Revisionsgericht anhängigen in Tateinheit steht, hat das Revisionsgericht das ideell konkurrierende Delikt mit zu berücksichtigen (§ 155 Abs. 2). Kann es das wegen fehlender Feststellung nicht, muß es grundsätzlich das in der vorrangigen Sache ergangene Urteil aufheben und die Sache zurückverweisen, weil ein zusätzliches ideell konkurrierendes Delikt — das mit oder ohne Verbindung mit der anderweit anhängigen Sache zu berücksichtigen ist — die Strafmessung beeinflussen kann. Hat nur der Angeklagte Revision eingelegt und kann somit die Strafe nicht ver- 31 schiechtert werden (§ 358 Abs. 2), ist der Angeklagte nicht beschwert, wenn eine an sich zulässige Änderung des Schuldspruchs unterbleibt. Das Revisionsgericht kann alsdann in der vorrangigen Sache entscheiden mit der Folge, daß das anderwärts anhängige Verfahren einzustellen ist und damit das ideell konkurrierende Delikt unbeachtet bleibt 43 . Das Revisionsgericht kann aber auch ausdrücklich nach § 154 a Abs. 1 und 2 verfahren 44 . 5. Ermittlungsverfahren. Für das staatsanwaltschaftliche Verfahren gilt die Vorschrift nicht 45 . Örtlich zuständig ist jede Staatsanwaltschaft, die die Sache bei dem Gericht, für das sie bestellt ist (§ 143 Abs. 1 GVG), anhängig machen kann. Fällt diese Zuständigkeit bis zum Anhängigmachen weg (etwa weil der Beschuldigte seinen Wohnsitz wechselt), so muß die Staatsanwaltschaft die Sache abgeben, entweder an diejenige, die nunmehr zuständig geworden ist, oder an eine, die schon bisher zufolge mehrfachen Gerichtsstands zuständig war. Unter mehreren Gerichtsständen hat die Staatsanwaltschaft die Wahl. Sie übt diese nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit unter Beachtung der Interessen des Beschuldigten aus. Der Umstand, daß eine Staatsanwaltschaft früher als die andere mit der Sache befaßt ist, ist nicht entscheidend, doch wird die Staatsanwaltschaft, die sich zuerst mit der Sache befaßt hat, diese nur abgeben können, wenn besondere Gründe dafür sprechen. Im Fall des — positiven wie des negativen — Zuständigkeitsstreits entscheidet der den streitenden Staatsanwaltschaften gemeinsam vorgesetzte Beamte der Staatsanwaltschaft, wenn die Staatsanwälte mehreren Ländern angehören, der Generalbundesanwalt (§ 143 Abs. 3 GVG). Die Landesjustizverwaltungen sind zur Entscheidung nicht beru41 42 43 44
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RGSt29 179; 55 178. RGSt 67 57; K K - P f e i f f e r 5. BGHSt 10 362. KK-Pfeiffer 5.
45
BGHSt 14 344; 21 215; 23 374; 36 362; BGH NJW 1990 1675; OLG Köln OLGSt § 12 StPO, 1; KK Pfeiffer 2; KMR-Paulus 5; Kleinknecht/MeyerGoßner 1; SK-Rudolphi 8 f.
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fen , können aber im Weg der Dienstaufsicht auf die ersten Beamten der Staatsanwaltschaft einwirken, so daß der Generalbundesanwalt nur angerufen werden wird, wenn zwischen Staatsanwaltschaften mehrerer Länder keine Einigung zu erzielen ist. Doch sollte es stets versucht werden und wird in der Regel möglich sein, daß die Generalstaatsanwälte eine Einigung herbeiführen.
III. Übertragung (Absatz 2) 38
1. Zweck. Absatz 2 läßt die Übertragung von dem Gericht, dem der Vorzug gebührt, auf ein anderes, an sich örtlich zuständiges Gericht zu, um das Verfahren zu erleichtern. Das obere Gericht wird von seiner Befugnis Gebrauch machen, wenn erhebliche Gründe der Zweckmäßigkeit, ζ. B. die Rücksicht auf den Wohnort der zu vernehmenden Zeugen oder auf Krankheit oder Reiseunfähigkeit eines Beteiligten, unter Wahrung der Interessen des Angeklagten die Übertragung gebieten.
39
Den Übertragungsbeschluß erläßt das gemeinschaftliche obere Gericht. Vgl. dazu Vor § 7, 34.
40
2. Voraussetzung der Übertragung ist, daß wenigstens ein Gericht das Hauptverfahren eröffnet hat. Denn Absatz 2 ist keine selbständige Bestimmung, sondern eine Ausnahme von Absatz 1 mit dem Inhalt, daß einem anderen Gericht als dem, das die Untersuchung zuerst eröffnet hat, das Verfahren übertragen werden kann. Auch kann die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage zurücknehmen, bis das Hauptverfahren eröffnet worden ist, und sie dann vor einem anderen zuständigen Gericht neu erheben. Deshalb widerspräche eine gerichtliche Übertragung vor der Eröffnung dem Geist der Strafprozeßordnung 47 .
41
In den besonderen Verfahrensarten, bei denen das Hauptverfahren nicht ausdrücklich eröffnet wird, gilt das unter Rdn. 12 Aufgeführte. 42 Da im beschleunigten Verfahren (§§ 417 ff) und im vereinfachten Jugendverfahren (§76JGG) — nicht dagegen im normalen Jugendgerichtsverfahren: hier findet § 12 Abs. 2 neben § 42 Abs. 3 JGG Anwendung 48 — die Verfügung der Staatsanwaltschaft erst durch das erste Urteil ausgeschaltet wird, ist dort eine Übertragung nach Absatz 2 ausgeschlossen 49 . 43 Im Verfahren mit Strafbefehlen ist erst der Beginn der Hauptverhandlung nach rechtzeitigem Einspruch der Eröffnung des Hauptverfahrens gleichzustellen (Rdn. 12). Daher ist erst nach diesem Zeitpunkt die Übertragung möglich 50 . Das gleiche gilt für das Bußgeldverfahren 51 . 44 Die Übertragung ist nicht von einem Antrag eines Prozeßbeteiligten abhängig. Sie kann auch von Amts wegen beschlossen werden, also auch, wenn eines der beteiligten Gerichte es anregt. 45
3. Empfanger der Übertragung ist ein Gericht, das zu den nach §§ 7 bis 11, 13 a zuständigen Gerichten gehört. Absatz 2 knüpft an Absatz 1 an, der von mehreren Gerichten handelt, die in dem Zeitpunkt zuständig sind, in dem ein Gericht das Verfahren eröffnet hat. Daraus folgt, daß auch das Gericht, dem das Verfahren übertragen werden soll, schon zuständig gewesen sein muß, als das zuerst mit der Sache befaßte Gericht sein Verfahren eröffnet hatte 52 . Dieser Gerichtsstand ist im allgemeinen unveränderlich. Α. A. Eb. Schmidt Hb. RGSt 45 174; BGHSt 10 392; K K - P f e i f f e r 7. "8 BHGSt 13 1 88 . 49 BGHSt 12 184; 15 314. 47
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BGHSt 13 186; 26 374. BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 27. RGSt 45 175; BGHSt 13 210, 217; 16 392.
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§ 12
Eine Ausnahme ergibt sich für § 13 Abs. 1. Zwar ist zuständiges Gericht i. S. des § 12 46 Abs. 2 auch das Gericht, für das bei zusammenhängenden Strafsachen ein Gerichtsstand nach § 13 Abs. 1 begründet ist. Dieser Gerichtsstand erlischt aber, wenn der Zusammenhang vor der Eröffnung des Verfahrens wieder entfällt (§ 13, 6). Da das Gericht, dem die Untersuchung und Entscheidung übertragen werden soll, auch im Zeitpunkt der Übertragung noch zuständig sein muß, ist die Übertragung auf ein Gericht, dessen Zuständigkeit, als das Verfahren bei einem anderen Gericht eröffnet worden ist, nach § 13 hätte begründet werden können, dann unzulässig, wenn im Zeitpunkt der Übertragung kein Sachzusammenhang besteht53. 4. Zulässigkeit. Das Verfahren kann in jeder Lage des ersten Rechtszugs übertragen 47 werden, solange noch kein Urteil ergangen ist 54 . Die Übertragung nach dem Urteil erster Instanz wird für unzulässig erachtet 55 , weil 48 damit der Instanzenzug durchbrochen und in die ausschließliche Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts eingegriffen würde. Indessen ist eine Verschiebung der Zuständigkeit der Berufungsgerichte der Straf- 4 9 prozeßordnung nicht fremd (Vor § 7, 24 ff), im Fall des § 15 u. U. unumgänglich und zufolge § 354 Abs. 2 (Zurückverweisung an ein anderes Berufungsgericht durch das Oberlandesgericht als Revisionsgericht) sogar alltäglich. Aus den zu § 4, 7 ff angestellten Erwägungen ist daher auch für diesen Fall die Verschiebung der Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts zu rechtfertigen. Im Hinblick auf die Vielfalt solcher Fälle (Vor § 7, 24 ff) ist die Übertragung auch dann 50 noch als statthaft anzusehen, wenn eine Strafsache, nachdem das Urteil in der Berufungs(§ 328 Abs. 2) oder Revisionsinstanz (§ 354 Abs. 2) aufgehoben, in die Vorinstanz zurückverwiesen worden ist56. Die Behauptung von Paulus (KMR 20), nach Zurückverweisung ständen nicht mehr mehrere örtlich (zu ergänzen: an sich) zuständige Gerichte zur Verfügung, entbehrt der Begründung. Die Zurückverweisung schafft keine ausschließliche Zuständigkeit. 5. Wirkung. Mit der Übertragung entfällt die Rechtshängigkeit bei dem an sich bevor- 51 zugten Gericht 57 und erlischt für die Dauer der Übertragung seine Zuständigkeit 58 .Die Rückübertragung der Sache auf das vorübergehend unzuständig gewordene Gericht ist nicht ausgeschlossen; sie macht dieses wieder zuständig. Ebenso ist es zulässig, die Sache auf ein drittes zuständiges Gericht weiter zu übertragen. Dem beauftragten Gericht wird sein Gerichtsstand durch obergerichtliche Entschei- 52 dung in der Weise bestätigt, daß es ihn von Amts wegen nicht mehr nachprüfen darf. Insoweit ist die Entscheidung des oberen Gerichts in bezug auf die örtliche Zuständigkeit für das niedere Gericht bindend. Dagegen bleibt dessen Verpflichtung unberührt, die sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (§ 6). Infolge der Übertragung geht die Sache von dem einen Gericht auf das andere in der 53 Lage über, in der es sich befindet. Die bisherigen Untersuchungshandlungen sind nicht zu wiederholen; ergangene Entscheidungen bleiben wirksam. Dagegen muß eine etwa begonnene Hauptverhandlung erneuert werden (§ 226), weil zufolge der Übertragung die Besetzung des Gerichts wechselt. 6. Wegen der Unzulässigkeit der Beschwerde s. Vor § 7, 36. 53
BGHSt 16 391. RGJW 1902 574. 55 RGSt 13 365; BGHSt 19 177; OLG Düsseldorf MDR 1985 1048 und für § 42 Abs. 3 JGG BGHSt. 10 177; vgl. § 4 , 6 . 54
(83)
56
A.A. BGHSt 18 261; BGH MDR 1985 423 (für Beschwerdeverfahren); KK-Pfeiffer 8; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 7. 57 V g i B G H NJW 1958 31. 58 RGSt 45 70.
Günter Wendisch
54
§13
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
§13 (1) Für zusammenhängende Strafsachen, die einzeln nach den Vorschriften der § § 7 bis 11 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, ist ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das für eine der Strafsachen zuständig ist. (2) 'Sind mehrere zusammenhängende Strafsachen bei verschiedenen Gerichten anhängig gemacht worden, so können sie sämtlich oder zum Teil durch eine den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechende Vereinbarung dieser Gerichte bei einem unter ihnen verbunden werden. 2 Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, so entscheidet, wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Angeschuldigter hierauf anträgt, das gemeinschaftliche obere Gericht darüber, ob und bei welchem Gericht die Verbindung einzutreten hat. (3) In gleicher Weise kann die Verbindung wieder aufgehoben werden.
Rdn. 1. Gerichtsstand des Zusammenhangs a) Inhalt b) Verschiedene Gerichte c) Auswahl des Gerichtsstands d) Rechtsmittel 2. Verbindung (Absatz 2) a) Voraussetzungen b) Anträge der Staatsanwaltschaft
1 7 10 15 17 21
c) Verfassungsmäßigkeit d) Gemeinschaftliches oberes Gericht 3. Weiteres Verfahren und Rechtsmittel a) Begründung der Entscheidung b) Ablehnung der Verbindung c) Verbindung d) Beschwerde e) Wirkung und Dauer 4. Aufhebung der Verbindung
Rdn. 25 26 30 31 32 35 38 41
1. Gerichtsstand des Zusammenhangs (Absatz 1) a) Inhalt. Der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit, zusammenhängende Sachen gemeinschaftlich zu verhandeln und zu entscheiden, tragen bei verschiedener sachlicher Zuständigkeit die §§ 2 bis 4 dadurch Rechnung, daß der Staatsanwaltschaft erlaubt wird, sie beim Gericht der höheren Zuständigkeit anzuklagen, und den Gerichten, sie dorthin durch Verbindung zusammenzubringen. Bei der örtlichen Zuständigkeit, die wegen der Vielzahl der Gerichtsstände ohnehin weniger eindeutig ist als die sachliche, bietet das Gesetz eine einfachere Lösung: Für zusammenhängende Sachen ist ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das für eine der Sachen zuständig ist. Aus der Erwähnung der §§ 7 bis 11 folgt, daß § 13 sich, obwohl das Wort „Zuständigkeit" verwendet wird, nur auf örtlich verschiedene zuständige Gerichte gleicher Ordnung 1 , also auf den Gerichtsstand bezieht. Wird durch die Verbindung zusammenhängender Sachen sowohl die örtliche Zuständigkeit als auch die sachliche geändert, finden nach allgemeiner Auffassung die §§ 2 bis 4 Anwendung (§ 2, l) 2 doch wird die Voraussetzung für die Klage zum Gericht der höheren Zuständigkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1) und für die Verbindung bei diesem (§ 4 Abs. 1), soweit dadurch auch der Gerichtsstand berührt wird, durch § 13 Abs. 1 geschaffen 3 . 1
RGSt 45 167; 48 198; BGHSt 22 234; 36 184; 37 15; BGH NStZ 1982 294; 1986 564; StV 1993 452; KK-Pfeiffer 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 3, 2; 4.
2 3
Meyer-Goßner DRiZ 1985 241. John 1 § 4, IV 3; Kombination der die örtliche und die sachliche Zuständigkeit betreffenden Vorschriften.
Stand: I. 10. 1996
(84)
Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§13
4
Wegen des Begriffs Zusammenhang gilt § 3 . Der Begriff ist also sowohl bei Tat- als 4 auch bei Tätermehrheit 5 anzuwenden (§ 3, 9). Im ersten Fall gewinnt die Vorschrift allerdings nur Bedeutung, wenn mehrere Taten, die an verschiedenen Tatorten begangen worden sind, bei dem Gericht eines der Tatorte angeklagt werden sollen. Im letzten Fall ist es für den Zusammenhang gleichgültig, ob die mehreren Sachen gegen Täter oder ob sie gegen Teilnehmer laufen. Für jeden, der an einer der mehreren zusammenhängenden Strafsachen beteiligt ist, ist der Gerichtsstand bei jedem der mehreren an sich örtlich unzuständigen Gerichte begründet, bei dem für einen der Beteiligten ein Gerichtsstand gegeben ist6. Der Gerichtsstand des § 13 ist ein gesetzlich begründeter, ursprünglicher Gerichts- 5 stand 7 ; das ergibt ein Vergleich zwischen § 2 („verbunden anhängig machen") und § 13 („ist begründet"). Zufolge des Zusammenhangs ist ein Gericht für eine Sache zuständig, die an sich zur Zuständigkeit eines anderen Gerichts gehört. Danach besteht für zusammenhängende Strafsachen mit unterschiedlicher örtlicher Zuständigkeit stets eine Mehrzahl von Gerichtsständen (§ 12). Der Gerichtsstand des § 13 Abs. 1 steht gleichberechtigt neben den anderen Gerichts- 6 ständen der §§7 bis 11, 13 a, hat aber die Eigenart, daß er wieder untergehen kann, solange er noch nicht durch Anklage 8 oder durch gerichtliche Verbindung befestigt ist9. b) Verschiedene Gerichte. Nach seinem Wortlaut findet § 13 nur Anwendung auf 7 Strafsachen, für die verschiedene Gerichtsstände nach den §§ 7 bis 11 gegeben sind, doch ergibt die Entstehungsgeschichte des § 13 a, der den Inhalt des früheren § 9 in sich aufgenommen hat, daß sowohl in § 12 als auch in § 13 neben den §§7 bis 11 auch § 13 a als Vorschrift einzusetzen ist, nachdem eine (örtliche) Zuständigkeit begründet ist. Demzufolge sind von § 13 alle Gerichtsstände erfaßt, und der Relativsatz könnte einfacher lauten: „die einzeln zur örtlichen Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden". § 13 gilt auch, wenn örtliche Sonderzuständigkeiten (Vor § 7, 16) gegeben sind, doch 8 wird der Zweck, der dazu geführt hat, Gerichte mit solchen Zuständigkeiten zu versehen, es ausschließen, Sachen, die dorthin gehören, an ein Gericht zu bringen, bei dem die erforderlichen Spezialkenntnisse nicht vorausgesetzt werden können 10 . Auch für den umgekehrten Fall wird Zurückhaltung geboten sein, um die zentralen Gerichte nicht ihrer eigentlichen Aufgabe zu entziehen, doch ist bei ihnen anzuklagen oder eine andere Sache mit einer bei ihnen anhängigen zu verbinden, wenn dies erforderlich ist, um die Täterpersönlichkeit richtig zu beurteilen, oder wenn sonst ein einheitlicher Tatkomplex zerrissen würde. Strafsachen gegen Erwachsene sollen mit solchen gegen Jugendliche und Heranwach- 9 sende nur verbunden anhängig gemacht oder nach der Klage verbunden werden, wenn das aus wichtigen Gründen, namentlich um die Wahrheit zu erforschen, geboten ist (§ 103 Abs. 1,§ 112 Satz 1 JGG) 11 . c) Auswahl des Gerichtsstands. Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft wird 10 durch diejenige des Gerichts bestimmt, für das sie bestellt ist (§ 143 Abs. 1 GVG). Ist danach der Gerichtsstand des Zusammenhangs gegeben, kann die Staatsanwaltschaft schon während der Ermittlungen die verschiedenen Sachen zusammenfassen. § 3 war im Entwurf ein Teil des § 13, damals § 7, Hahn Mat. 1 5. OLG Nürnberg MDR 1965 678. BGHSt 11 108. BGHSt 16 393. OLG München NJW 1969 149; a. A. OLG Zwei(85)
brücken NJW 1979 827, aber auch KMR-Paulus 7: erst durch Eröffnung des Hauptverfahrens. 9 BGHSt 16 393. 10 Rosenmeier - LV 2 - 8 3 . " Wegen weiterer Besonderheiten zu diesem Problem vgl. OLG Düsseldorf DRiZ 1981 192.
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§13
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e Vorschriften
11
Fällt die Zuständigkeit weg, weil kein Zusammenhang mehr besteht, muß die Staatsanwaltschaft die Sache an die nach §§ 7 bis 11, 13 a zuständige abgeben. Sie kann ein Gericht mit einer Sache, für die bei diesem kein Gerichtsstand begründet ist, nicht deshalb befassen, weil es zuständig wäre, wenn ein Sachzusammenhang, der vor der Klage bestanden hatte, nicht weggefallen wäre. Ist der Täter gestorben, bevor gegen ihn die Klage erhoben worden ist, kann gegen den Teilnehmer Klage nicht bei dem Gericht erhoben werden, das zuständig gewesen wäre, den Täter abzuurteilen, bei dem aber kein Gerichtsstand für den Teilnehmer besteht 12 .
12
Die Staatsanwaltschaft (ebenso der Privatkläger) hat unter den mehreren Gerichtsständen die Wahl (Vor § 7, 20)' 3 . Sie übt diese nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit aus; dabei beachtet sie die Interessen des Beschuldigten. Sie macht die Sachen entweder verbunden anhängig 14 oder bewirkt die Verbindung dadurch, daß sie, bevor in einer bereits anhängigen Sache das Hauptverfahren eröffnet ist, zu dieser nachträglich zusammenhängende Sachen anklagt 15 . Sie kann das auch später noch tun, solange noch kein Urteil ergangen ist. Im laufenden Hauptverfahren aber sollte Nachtragsanklage in der Regel nur erhoben werden, wenn alsbald weiter verhandelt werden kann.
13
Das Gericht, bei dem mehrere zusammenhängende Strafsachen verbunden anhängig gemacht worden sind, ist gesetzlicher Richter i. S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und des § 16 Satz 2 GVG. Daher darf es die Motive, die für die Wahl des Klägers maßgebend gewesen sind, nicht erforschen. Es ist nicht berechtigt, die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen der Sache, die ohne den Zusammenhang vor ein anderes Gericht gehören würde, mit der Begründung abzulehnen, daß es zweckmäßiger oder im Interesse des Angeschuldigten dienlicher sei, sie dort anhängig zu machen.
14
Die Rechtslage ist anders als bei § 2, wo das Gericht die von der Staatsanwaltschaft verbunden anhängig gemachten Sachen wieder trennen kann; dort wird für die verbundene Sache eine höhere Zuständigkeit begründet, hier wird von mehreren gesetzlich begründeten Gerichtsständen einer ausgewählt. Ebenso darf im umgekehrten Fall, wenn die Staatsanwaltschaft zusammenhängende Strafsachen nicht verbindet, sondern getrennt bei den zuständigen Gerichten anklagt, keines der mehreren Gerichte die Eröffnung des Hauptverfahrens deshalb ablehnen, weil Gründe der Zweckmäßigkeit naheliegen, die Sachen zu verbinden.
15
d) Rechtsmittel. Weil jedes der angegebenen Gerichte gesetzlicher Richter ist, ist auch gegen die Anklage bei dem einem und nicht bei dem anderen Gericht kein Rechtsmittel gegeben. 16 Strubel/Sprenger16 wollen trotz der tatsächlichen Zuständigkeit den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 ff EGGVG dann zur Verfügung stellen, wenn die Staatsanwaltschaft den Gerichtsstand willkürlich ausgewählt hat, um den Angeschuldigten zu benachteiligen. Beispiel: Ein Autofahrer fährt ohne Fahrerlaubnis vom Schwarzwald nach Hamburg, doch wird ein Strafbefehl im Schwarzwald beantragt, „um die Gefahr eines Einspruchs zu verringern". Das Beispiel ist ein Kathederbeispiel; zu dem böswilligen Verfahren müßten ja zwei Staatsanwaltschaften zusammenwirken, und die im Schwarzwald wird das Verfahren, wenn der Täter in Hamburg wohnt, nicht übernehmen. Wäre es aber gleichwohl so, könnten die §§23 ff EGGVG keine Anwendung finden, weil sie nur subsidiär gelten. Zu entscheiden wäre vielmehr nach § 16 StPO. Das angegangene Gericht müßte prüfen, ob eine angeblich willkürliche Auswahl ein an sich zuständiges 12 OLG München NJW 1969 148. " BGH NStZ 1987 569; Schermer Μ DR 1964 896; KK-Pfeiffer 2; KMR-Paulus § 3, 3.
14 15 16
RGSt 31 173; OLG Köln JMB1NRW 1961 220. BGHSt20 221. NJW 1972 1738.
Stand: 1. 10. 1 9 9 6
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§
13
Gericht unzuständig macht. Das wird man schon deshalb verneinen müssen, weil für Willkür, für die ohnehin kein Anhalt vorliegt, kein Beweis zu erwarten ist. 2. Verbindung (Absatz 2) a) Voraussetzungen. Sind zusammenhängende Sachen nicht schon verbunden anhängig 17 gemacht worden, können sie nachträglich von den Gerichten verbunden werden17. Voraussetzung ist, daß mehrere zusammenhängende (Rdn. 4) Strafsachen bei mehreren örtlich verschieden zuständigen Gerichten gleicher Ordnung 18 anhängig gemacht worden sind19, sachgemäße Erwägungen für eine Verbindung sprechen20 und daß der Sachzusammenhang im Augenblick der Verbindung noch besteht. Daher ist die Verbindung nicht zulässig, wenn ein Sachzusammenhang zwar früher bestanden hat, inzwischen aber weggefallen ist21. Unter Anhängigmachen sind zu verstehen, die Erhebung der öffentlichen Klage durch 18 Einreichung einer Anklageschrift (§ 170 Abs. 1, §200), die Privatklage (§381), die mündliche Anklage im beschleunigten Verfahren (§ 408 Abs. 3 Satz 2), die Nachtragsanklage (§266 Abs. 2), der Antrag, einen Strafbefehl (§407 Abs. 1) zu erlassen, der Antrag im Sicherungsverfahren (§414 Abs. 2), der Antrag im selbständigen Einziehungsverfahren (§ 440) und im selbständigen Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (§ 444 Abs. 3). Weitere Voraussetzung ist, daß sich die Verfahren in gleicher Verfahrenslage befin- 19 den, also etwa alle in der ersten Instanz — sei es auch, daß ein Teil von ihnen inzwischen in der Revisionsinstanz war, aber wieder zurückverwiesen worden ist 22 — oder im Berufungsverfahren schweben. Der Fall der Verbindung einer erstinstanzlichen Strafkammersache mit einer zweitin- 20 stanzlichen Schöffengerichtssache führt stets zugleich zu einem Eingriff in die sachliche Zuständigkeit und ist daher nach § 4 zu behandeln 23 . Bei § 13 spielt das Problem der Verbindung bei ungleicher Instanz (§ 4, 10) keine Rolle 24 . b) Anträge der Staatsanwaltschaft. Bei der Verbindung nach Absatz 2 Satz 1 müs- 21 sen mehrere Staatsanwaltschaften und Gerichte zusammenwirken. Stimmen die Anträge der beteiligten Staatsanwaltschaften überein und wollen auch die Gerichte die Verbindung, dann vereinbaren sie Abgabe und Übernahme durch übereinstimmende Beschlüsse, nachdem sie sich vorher durch Schriftwechsel der Übereinstimmung versichert haben. Kommt es nicht zu übereinstimmenden Anträgen der Staatsanwälte, können die 22 Gerichte, auch wenn sie die Verbindung für zweckmäßig halten, keine Verbindung vereinbaren, weil die dafür notwendige Voraussetzung, der übereinstimmende Antrag der Staatsanwaltschaften, fehlt 25 . Freilich steht es ihnen frei, den Staatsanwaltschaften ihre Ansicht darzulegen und diese — notfalls durch Einschaltung des gemeinschaftlichen vorgesetzten Generalstaatsanwalts — zu bitten, ihre Entschließungen zu überprüfen. Es ist schwer vorstellbar, daß, wenn alle Beteiligten das Für und Wider erörtern, eine wirklich gebotene Verbindung unterbleibt. Durch die Verbindung kommt die Sache an ein (auch) zuständiges Gericht, sie wird 23 aber zugleich einem (ebenfalls) zuständigen Gericht entzogen. Während der Kläger seine 17
Rosenmeier - LV 2 -32. BGH NStZ 1982 294; OLG Düsseldorf MDR 1985 1048. 19 BGHSt 22 232; 36 181; BGH NStZ 1982 294; 1986 564; KK-Pfeiffer 13; Kleinknecht/Meyer-Coßner § 3 , 2; 4. 2 ° OLG Nürnberg MDR 1965 678. 18
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21 BGHSt 16 393; OLG München NJW 1969 149; OLG Zweibrücken NJW 1979 827. 22 RGSt 14 396; OLG Nürnberg MDR 1965 678. 23 ßGHSt 22 234; BGH NStZ 1996 47; vgl. RGSt 45 167. 24 BGH NStZ 1982 294; KMR-Paulus 2; 5. 25 R G GA 62 (1915/16) 488; BGHSt 21 247; KG GA 74(1930)211.
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§13
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Wahl, wo er die Sache abhängig machen will, frei treffen kann (Vor § 7, 20), sind die Gerichte bei der Verbindung, weil sie damit in die Anhängigkeit einer Sache eingreifen, in ihren Erwägungen enger gebunden: Die Verbindung muß einen Zweck haben, sie muß sachgemäß sein26. In erster Linie wird der Zweck verfolgt werden, die Sachen einheitlich zu verhandeln, dadurch die Täter und ihre Motive besser zu beurteilen, Zeugen nur einmal zu vernehmen und ähnliches. 24
Die Gerichte sind aber, weil durch die Verbindung kein neuer Gerichtsstand begründet, sondern ein gesetzlicher Gerichtsstand gegen einen anderen ebenfalls gesetzlichen Gerichtsstand ausgewechselt wird, in ihren Erwägungen freier als im Fall des § 4. Lehnt ζ. B. ein Angeklagter (zwar unzulässigerweise, aber subjektiv nicht völlig unbegründet) ein ganzes Gericht ab, kann seinen Gefühlen dadurch Rechnung getragen werden, daß die Sache mit einer verbunden wird, die gegen ihn bei einem anderen Gericht schwebt.
25
c) Verfassungsmäßigkeit. Rosenmeier (s. Schrifttum zu § 2) erblickt in § 13 Abs. 2 eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil sich zufolge § 12 Abs. 1 bei Mehrfachzuständigkeit der gesetzliche Richter in dem Augenblick konkretisiere, in dem sich ein zuständiges Gericht mit der Sache befaßt habe, und die Sache nicht lediglich auf Grund einer Ermessensentscheidung an ein anderes Gericht gelangen dürfe (S. 140). Für eine solche Bedeutung des § 12 Abs. 1 und für ein solches Verhältnis zwischen § 13 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 fehlt es indessen an jedem Anhalt sowohl in der Entstehungsgeschichte als auch im Wortlaut. Wegen der Unschädlichkeit des Ermessens s. Vor § 7, 43.
26
d) Gemeinschaftliches oberes Gericht. Sowohl bei den Staatsanwaltschaften als auch bei den Gerichten können sich Meinungsverschiedenheiten darüber ergeben, ob es geboten ist, zusammenhängende Sachen zu verbinden. Die Entschließung der Staatsanwälte kann durch die der ihnen vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft ersetzt werden. Der Generalbundesanwalt ist kein vorgesetzter Beamter der Landesstaatsanwälte und daher, da § 143 Abs. 3 GVG nicht einschlägt, nicht zur Entscheidung berufen 27 . Die Landesjustizverwaltung dürfen nicht entscheiden, können aber im Weg der Dienstaufsicht auf die ersten Beamten der Staatsanwaltschaft einwirken.
27
Kommt trotz übereinstimmender Anträge der Staatsanwaltschaften keine Vereinbarung der Gerichte zustande, entscheidet auf Antrag einer der Staatsanwaltschaften (ebenso des Privat- und Nebenklägers) oder des Beschuldigten — nicht auf Antrag eines der beteiligten Gerichte oder von Amts wegen — das gemeinschaftliche obere Gericht. Dagegen ist dessen Entscheidung unzulässig, wenn die Staatsanwaltschaften nicht übereinstimmen; die Entscheidung des oberen Gerichts kann nur die mangelnde Einigung der Gerichte ersetzen, nicht aber das Fehlen übereinstimmender Anträge der Staatsanwaltschaften 28 . Das folgt aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 2, dessen Satz 2 zufolge der Worte „eine solche Vereinbarung" auf Satz 1 aufbaut und daher zu lesen ist: „Kommt eine den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechende Vereinbarung nicht zustande". Die gegenteilige Auslegung29 verstößt nicht nur gegen den Wortlaut des § 13, sondern auch gegen das System der Strafprozeßordnung. Nach diesem wählt unter mehreren Gerichtsständen der Kläger. Daher ist sein Antrag Entscheidungsvoraussetzung, wenn der zunächst gewählte Gerichtsstand nach Anhängigkeit geändert werden soll. «
OLG Nürnberg MDR 1965 678. Α. A. Kern JZ 1956 725. 28 RG GA 62 (1915/16) 489; HRR 1925 1474; BGHSt 21 247; BGH NStZ 1993 27; KG GA 74 (1930) 211; Feisenberger 7; Eb. Schmidt 9; KK27
Pfeiffer 4; KMR-Paulus 10; Kleinknecht/MeyerGoßner 6; Kern JZ 1956 724; Hanack JZ 1971 91; Rosenmeier - LV 2 - 42 ff; a. A. BGHSt 9 223. Μ BGHSt 9 222; Busch LM § 13, 1.
Stand: 1. 10. 1996
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§ 13
Anders ist es bei der sachlichen Zuständigkeit. Über diese kann der Kläger — von 28 den engen Auslegungsmöglichkeiten des § 24 Abs. 1 Nr. 3, § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG abgesehen — allein nicht verfügen. Daher kann das Gericht nach § 2 Abs. 2 einen von der Staatsanwaltschaft herbeigeführten Zusammenhang lösen und nach § 4 jederzeit von Amts wegen verbinden und trennen. Wegen des Begriffs gemeinschaftliches oberes Gericht s. Vor § 7, 34. 29 3. Weiteres Verfahren und Rechtsmittel a) Wegen Begründung und Bekanntmachung der Entscheidung s. § 4, 26.
30
b) Ablehnung der Verbindung. Lehnen die Gerichte ab, entgegen den Anträgen der 31 Staatsanwaltschaften die Sachen zu verbinden, entscheidet nach Absatz 2 Satz 2 auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten das gemeinschaftliche obere Gericht. Bei dem Antrag handelt es sich um einen besonderen vom Gesetzgeber für den konkreten Fall vorgesehenen Rechtsbehelf, der eine Beschwerde nach § 304 Abs. 1 unnötig macht und ausschließt30. Die Entscheidungsbefugnis des gemeinschaftlichen oberen Gerichts ist abschließend; auch gegen seine Entscheidung ist keine Beschwerde statthaft (Vor § 7, 36)31. c) Verbindung. Wird die Verbindung beschlossen, nachdem in der übernommenen 32 Sache zwar die öffentliche Klage durch Einreichen einer Anklageschrift (§ 170 Abs. 1, § 200) erhoben, aber das Hauptverfahren noch nicht eröffnet (§§ 203, 207 Abs. 1) worden ist, dann ist, wenn die Anklageschrift dem Angeschuldigten noch nicht mitgeteilt war, nach § 201 Abs. 1 zu verfahren. Hatte das abgegebene Gericht die Anklage schon zugestellt, konnte der Angeschul- 3 3 digte zwar Anträge stellen und Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen, doch fehlte ihm die Gelegenheit, die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts zu rügen, das die Sache erst nach Zustellung der Anklage übernommen hat. Diese Gelegenheit muß er nach Art. 103 Abs. 1 GG erhalten. Dazu hat ihn der Vorsitzende des übernehmenden Gerichts aufzufordern, Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens in bezug auf den Gerichtsstand für die übernommene Sache vorzubringen. Dann ist weiter nach § 201 Abs. 2 Satz 1 zu verfahren. Wird die Verbindung beschlossen, nachdem das Hauptverfahren eröffnet worden ist, 34 kann der Beschuldigte außerhalb der Hauptverhandlung und in dieser den Einwand der fehlenden örtlichen Zuständigkeit erheben, während der Hauptverhandlung jedoch nur bis zum Beginn der Vernehmung zur Sache (§ 6 a, 15) in dem übernommenen Verfahren (§ 16). Gegen eine Entscheidung, die den Einwand verwirft, ist ihm die Beschwerde versagt (§ 305), doch kann er mit der Revision rügen, daß bei dem Gericht, das entschieden hat, kein Gerichtsstand gegeben war (§ 338 Nr. 4). d) Beschwerde. Auf den angegebenen Wegen kann der Angeschuldigte nur rügen, daß 35 der Begriff des Zusammenhangs (§ 3) verkannt und deshalb bei dem Gericht, das das Verfahren übernommen hat, kein Gerichtsstand begründet sei (§ 16). Dagegen ist dem nach diesen Vorschriften (allein) über den Gerichtsstand entscheidenden Gericht zu prüfen versagt, ob die Verbindung zweckmäßig ist. 30
31
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Giesler, Der Ausschluß der Beschwerde (1981), 166. Bohnert 21; KMR-Pow/«j 21; Giesler, der eine Beschwerde ebenfalls für unstatthaft hält (167), stützt seine Ansicht darauf, daß durch den vom Gesetz eröffneten besonderen Rechtsbehelf des Absatzes 2 Satz 2 - insoweit anders als im Fall der
gerichtsintemen Nachprüfung nach § 12 Abs. 2 eine vorher ergangene gerichtliche Entscheidung überprüft werde; habe aber eine Überprüfung stattgefunden, sei eine nochmalige Überprüfung im Rahmen einer Beschwerde ausgeschlossen, weil diese einer (grundsätzlich unzulässigen) weiteren Beschwerde vergleichbar wäre.
Günter Wendisch
§13
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
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Daher ist es nicht recht sinnvoll, daß das Gesetz dem Angeschuldigten die (einfache) Beschwerde gegen die Beschlüsse des abgebenden und des übernehmenden Gerichts zugesteht 32 . Die damit dem Beschwerdegericht zugesprochene Befugnis, die Zweckmäßigkeit der Verbindung zu prüfen, wird der Absicht des Gesetzgebers kaum gerecht: Daß der Angeklagte dort angeklagt wird, wo einer von mehreren Gerichtsständen begründet ist, bleibt überall seinem Widerspruch entzogen. Absatz 2 Satz 2 räumt ihm ausnahmsweise das Recht ein, die Verbindung durch einen Antrag ans obere Gericht anzustreben.
37
Gleichwohl muß an der Ansicht, daß die Beschwerde statthaft ist, festgehalten werden. Denn sie entspricht dem Wortlaut des § 304 Abs. 1. Nach dem letzten Halbsatz dieser Bestimmung ist die Beschwerde nur dann unstatthaft, wenn das Gesetz (an sich beschwerdefähige) Entscheidungen einer Anfechtung entzieht. Da es an einem solchen ausdrücklichen Ausspruch des Gesetzgebers fehlt, können systematische Erwägungen nicht dazu führen, dem Angeschuldigten die Beschwerde zu versagen, es sei denn, daß das entscheidende Gericht ein erkennendes Gericht war (§ 305).
38
e) Wirkung und Dauer. Mit der Verbindung endet die Rechtshängigkeit bei dem abgebenden Gericht. Hat eines der zuständigen Gerichte in zusammenhängenden Sachen das Hauptverfahren eröffnet, nachdem die Sachen bei ihm verbunden anhängig gemacht oder durch Vereinbarung bei ihm verbunden worden sind, so erlangt es hiermit nach § 12 einen Vorzug auch hinsichtlich der nicht zu seiner ursprünglichen Zuständigkeit gehörigen Sache. 39 Sind zusammenhängende Strafsachen nach § 13 durch Klage oder gerichtlichen Beschluß — nicht aber allein durch staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen — verbunden worden, hört der durch die Verbindung geschaffene Gerichtsstand nicht von selbst auf, wenn der Grund der Verbindung wieder wegfällt 33 . Können die verbundenen Sachen wegen unerwarteter Hindernisse nicht gleichzeitig verhandelt und entschieden werden oder wird die Strafsache, die den Zusammenhang bewirkt hat, vorläufig oder endgültig erledigt, bleibt gleichwohl für die andere Sache der einmal begründete Gerichtsstand bestehen. 40
Dieser Gerichtsstand endet erst, wenn die Sachen nach § 13 Abs. 3 getrennt oder die Untersuchung und Entscheidung nach § 12 Abs. 2, §§ 14, 15, 354 Abs. 2 einem anderen Gericht übertragen werden 34 .
41
4. Aufhebung der Verbindung (Absatz 3). Absatz 3 bezieht sich nicht nur auf Absatz 2, sondern auch auf Absatz 1, gilt also nicht nur, wenn zusammenhängende Strafsachen ursprünglich bei verschiedenen Gerichten anhängig gemacht waren, dann aber durch Gerichtsbeschluß verbunden worden sind, sondern auch, wenn Sachen getrennt werden sollen, die durch Klage verbunden anhängig gemacht worden sind 35 .
42 43
Wegen der Gründe für die Trennung s. § 2, 57. Für die Form der Trennung gilt entsprechend, was für die Verbindung ausgeführt ist 36 . Danach können verbundene Sachen dadurch getrennt werden, daß das Gericht, das trennen will, die Trennung mit dem Gericht vereinbart, dem es die abzutrennende Sache übergeben will. Bei diesem Gericht muß nach den §§ 7 bis 11, 13 a ein Gerichtsstand begründet sein oder ein weiterer Gerichtsstand nach § 13 bestehen 37 . Die Vereinbarung kann nur 32
Hen-schende Ansicht: Eb. Schmidt 10; K M R - f a « lus 21; Kleinknecht/Meyer-Goßner 8; OLG Nürnberg MDR 1965 678. 33 RGSt 49 10; BGHSt 16 393; BGH NStZ 1987 569 = MDR 1987 1042.
3" RGSt 25 406; 49 10; BGHSt 16 393; BGH bei Daliinger MDR 1957 653; OLG Schleswig SchlHA 1958 115; OLG München NJW 1969 148. 35 RGSt 31 174; OLG Schleswig SchlHA 1958 115. 36 RGSt 49 9. " So auch KK-Pfeiffer 5.
Stand: 1. 10. 1996
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§13 a
zufolge eines übereinstimmenden Antrags der beiden beteiligten Staatsanwaltschaften getroffen werden. Kommt trotz der übereinstimmenden Anträge keine Vereinbarung zustande, entschei- 44 det auf Antrag eines der Staatsanwälte oder des Angeklagten — nicht eines der Gerichte oder von Amts wegen — das gemeinschaftliche obere Gericht. In beiden Fällen ist es gleichgültig, wie die Verbindung zustande gekommen war. Auch wenn das obere Gericht die Sachen verbunden hatte, können sie durch Vereinbarung der unteren Gerichte wieder getrennt werden, falls der Trennung veränderte Umstände zugrunde liegen. Den Trennungsantrag braucht nicht derselbe Prozeßbeteiligte zu stellen, der die Verbindung beantragt hatte 38 . Mit der Trennung geht die abgetrennte Sache in der Lage, in der sie sich zur Zeit der 45 Trennung befindet, auf das Gericht über, das mit dem Gericht, bei dem die Sache verbunden anhängig war, die Trennung vereinbart hatte. Wegen der Rechtsmittel gilt das zu Rdn. 32 ff Gesagte. 46
§13 a Fehlt es im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes an einem zuständigen Gericht oder ist dieses nicht ermittelt, so bestimmt der Bundesgerichtshof das zuständige Gericht. Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 4 Nr. 4 des 3. StRÄndG. In § 9 a. F. war die Gerichtsstandsbestimmung vorgesehen bei Auslandstaten, wenn keine Ergreifung stattgefunden hatte, und bei Inlandstaten, wenn ein Gerichtsstand des Tat- oder Wohnortes nicht ermittelt werden konnte. Übersicht Rdn. 1. Voraussetzungen der Gerichtsstandsbestimmung a) Konkretes Verfahren b) Fehlen eines Gerichtsstands c) Nicht ermittelter Gerichtsstand 2. Bestimmung des Gerichtsstands
1 2 3 4
3. 4. 5. 6.
Inhalt der Zuständigkeitsbestimmung Zuständiges Gericht Dauer der Bestimmung Wegfall eines deutschen Gerichtsstands...
Rdn. 9 11 14 17
1. Voraussetzungen der Gerichtsstandsbestimmung a) Konkretes Verfahren. Die Vorschrift bietet keine Grundlage für die abstrakte Klä- 1 rung von Zuständigkeitsfragen. Sie setzt vielmehr als Bezugsgegenstand des Verfahrens eine bestimmte nach Sachverhaltsmerkmalen — wie Ort, Zeit, Ausführung und Täter — konkretisierte Tat voraus'. b) Fehlen eines Gerichtsstands. An einem Gerichtsstand fehlt es, wenn die Tat außer- 2 halb des Geltungsbereichs der Strafprozeßordnung Und nicht auf einem Schiff oder Luftfahrzeug i. S. des § 10 von einem nicht unter § 11 fallenden Beschuldigten begangen worden ist, der im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, dort auch nicht ergriffen worden ist, dessen Tat auch nicht mit einer 38
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Hahn Mat. 2 1197.
1
BGH bei Kusch NStZ 1992 27; 1994 139.
Günter Wendisch
§13 a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
zusammenhängt (§ 13 Abs. 1), für die ein Gerichtsstand nach den §§ 7 bis 11 begründet ist, und wenn zudem ein Gerichtsstand nicht — wie im Fall des § 84 Abs. 2 JGG — aus Sinn und Zweck des Gesetzes abgeleitet, d. h. durch Auslegung des Gesetzes ermittelt2, werden kann 3 . 3
c) Nicht ermittelter Gerichtsstand. Die zweite Möglichkeit ist nicht schon gegeben, wenn über die den Gerichtsstand begründenden Orte Ungewißheit besteht, sondern erst dann, wenn ein solcher Gerichtsstand nicht ermittelt ist. Ebenso wie für die Eröffnung des Verfahrens der Verdacht ausreicht, daß eine Straftat begangen sei, so genügt zur Begründung des Gerichtsstands die aus den Tatumständen hergeleitete Annahme, daß die Tat an dem fraglichen Ort begangen sei usw. Daher ist der Ort, wo die Leiche eines Getöteten gefunden wird, als Tatort zu behandeln, solange kein anderer ermittelt oder festgestellt worden ist, daß der Fundort nicht der Tatort ist. Ist das der Fall (ζ. B. bei einer vom fließenden Strom angeschwemmten Leiche, die schon längerer Zeit im Wasser gelegen hat), ist die Zulässigkeit der Gerichtsstandsbestimmung nicht davon abhängig, ob vielleicht im weiteren Verlauf der Ermittlungen ein in den §§7 bis 11 vorgesehener Gerichtsstand ermittelt werden könnte. Maßgebend ist allein, daß keiner ermittelt worden ist4.
4
2. Bestimmung des Gerichtsstands. Die Behörden (Polizei, Staatsanwaltschaft), in deren Bezirk sich Spuren einer Straftat befinden, sind in erster Linie verpflichtet einzuschreiten. Ergibt sich dabei, daß der Gerichtsstand unbekannt ist, oder erfährt die Staatsanwaltschaft sonst von einer Straftat, für die kein Gerichtsstand bekannt ist, regt sie beim Generalbundesanwalt an, daß er vom Bundesgerichtshof einen Gerichtsstand bestimmen lasse. Der Bundesgerichtshof kann auch, ebenso wie der Generalbundesanwalt, von Amts wegen tätig werden, der letztere etwa aufgrund von Anregungen Privater (ζ. B. eines zur Privatklage Berechtigten) oder der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg.
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Die Bestimmung findet regelmäßig zu Beginn des Ermittlungsverfahrens statt, damit eine Staatsanwaltschaft (§ 143 Abs. 1 GVG) verpflichtet wird, sich der Ermittlungen anzunehmen 5 . Sie kann später vorgenommen werden, wenn zunächst eine unzuständige Staatsanwaltschaft (§ 143 Abs. 2 GVG) die Ermittlungen aufgenommen hatte. Ist ein Landgericht als zuständiges Gericht bestimmt worden, so umfaßt die Gerichtsstandsbestimmung nicht auch die zu seinem Bezirk gehörenden Amtsgerichte. Werden in dem Verfahren Entscheidungen erforderlich, die von einem Amtsgericht zu treffen sind, so muß der Bundesgerichtshof auch das zuständige Amtsgericht bestimmen 6 .
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Nach Anhängigkeit kann der Fall des § 13 a nur eintreten, wenn ein unzuständiges Gericht versehentlich mit der Sache befaßt worden ist, und sich herausstellt, daß ein zuständiges nicht ermittelt ist. Das ist ein höchst seltener Fall, doch sind im Vollstrekkungsverfahren Entscheidungen ausnahmsweise vorgekommen 7 . 7 Im Wiederaufnahmeverfahren (§§ 359 ff) hat die Vorschrift keine Bedeutung 8 . Denkbar wäre das nur bei einer Änderung der Gerichtseinteilung, doch sind die dabei entstehenden Zuständigkeiten durch das ZustG bestimmt. Entscheidungen, die sich auf Zuständigkeitsbestimmungen im Wiederaufnahmeverfahren beziehen, sind durch das ZustErgG und die neuere Rechtsprechung dazu (Rdn. 19) überholt. 8 Die Gerichtsstandsbestimmung verstößt nicht gegen Art. 101 Satz 2 GG 9 . BGH bei Miebach NStZ 1988 209. BGHSt 20 158; BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 27. BGHSt 10 257. BGHSt 10 257; 18 20 = JZ 1963 564 mit Anm. Jescheck.
BGHSt 32 159. BGHSt 20 157. KK-Pfeiffer 5; a. A. KMR-ftjw/«i 5. BVerfGE 20 343 = NJW 1967 100.
Stand: 1. 10. 1996
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3. Inhalt der Zuständigkeitsbestimmung. Die Aufgabe des Bundesgerichtshofs ist 9 darauf beschränkt, einen Gerichtsstand zu bestimmen, damit die Staatsanwaltschaft und das Gericht tätig werden können. Daher prüft es lediglich, ob ein Gericht, das zur Gerichtsorganisation der Bundesrepublik gehört, überhaupt allgemein für Sachen der in Betracht kommenden Art sachlich zuständig sein kann 10 , nicht aber, ob der Einleitung und Durchführung des Verfahrens ein Verfahrenshindernis entgegensteht; ob der hinreichende Verdacht einer Straftat vorliegt (§ 203); oder ob bei einem Schuldunfähigen (§ 20 StGB) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in Betracht kommt; ob die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu erwarten ist (§ 413)". Dem Verfahren der für zuständig erklärten Staatsanwaltschaften und Gerichte kann nicht vorgegriffen werden. Beschwerde ist nicht gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 1). 10 4. Zuständiges Gericht. Die Vorschrift bezieht sich auf den Gerichtsstand, auf die 11 örtliche Zuständigkeit, nicht auf die sachliche. Eine Ausnahme enthält § 17 Abs. 1 ZustErgG; dort wird neben der örtlichen zugleich 12 die sachliche Zuständigkeit in der Weise geregelt, daß die Strafkammer für zuständig erklärt wird. Die Rechtsprechung darf diese gesetzliche Ausnahme, die für eine ganz bestimmte Situation geschaffen worden ist, nicht im Weg der entsprechenden Anwendung ausdehnen. Aus diesem Grund muß im vorbereitenden Verfahren die Gerichtsstandsbestimmung 13 der Auslegungskompetenz des Staatsanwalts (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG) und der Eröffnungskompetenz des Gerichts (§ 209) dadurch Rechnung tragen, daß, wenn nicht das Oberlandesgericht oder das Landgericht zweifelsfrei zuständig ist, die Zuständigkeit „für den Ort X" bestimmt wird. 5. Dauer der Bestimmung. Mit der Bestimmung durch den Bundesgerichtshof tritt 14 der von diesem bestimmte Gerichtsstand selbständig neben die sonstigen Gerichtsstände. Er entfällt nicht dadurch, daß später ein auf den §§ 7 bis 11 beruhender Gerichtsstand ermittelt wird 12 . Wohl aber kann das nunmehr gemeinschaftliche obere Gericht die Untersuchung und 15 Entscheidung der Sache dem Gericht des ermittelten Gerichtsstandes Ubertragen. Daß § 13 a nicht in § 12 Abs. 1 aufgenommen worden ist, sagt nichts dagegen 13 . Der Gerichtsstand des § 13 a hat nicht etwa deshalb gegenüber den anderen Gerichts- 16 ständen einen Vorrang, weil er durch einen Beschluß des Bundesgerichtshofs begründet worden ist 14 . Daher bedarf es in dem Verfahren nach § 13 Abs. 2 Satz 1 keiner Zustimmung des Bundesgerichtshofs. 6. Wegfall eines bundesdeutschen Gerichtsstandes. Die Vorschrift verleiht dem 17 Bundesgerichtshof nicht die Aufgabe, auf dem Weg der Zuständigkeitsbestimmung eine fehlende Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik zu begründen 15 . Für Gerichte, an deren Sitz keine deutsche Gerichtsbarkeit mehr ausgeübt wird, 18 (§ 1 ZustErgG), und für Wehrmachtsgerichte (§ 18 Abs. 1 ZustErgG) ist die Materie abschließend in §§ 17 bis 19 ZustErgG geregelt. 10
Vgl. BGHSt 11 380; 12 326. BGHSt 18 20; zust. Jescheck 1963 565. 12 BGHSt 10 257; 32 159. •3 BGHSt 10 259; § 12, 5. 11
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>4 Schermer MDR 1964 896. '5 BGHSt 11 381; 12 326; 22 97 mit Anm. Blumenwin in JZ 1985 614 und Erwiderung Truckenbrodt DRiZ 1985 423. Günter Wendisch
§14
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Soweit in Vorschriften zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, die nach § 18 Abs. 2 Satz 2 ZustErgG von diesem Gesetz unberührt bleiben, kein Gericht im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung ermächtigt ist, Strafu.rteile zu ändern oder zu beseitigen, trifft Art. IX BEG-SchlußG Vorsorge 16 ; eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 13 a ist unzulässig 17 . 20 Ebenso bietet die Vorschrift, was selbstverständlich ist, keine Handhabe, in die Gerichtsbarkeit der früheren Besatzungsmächte 18 einzugreifen.
§ 13 b behandelte Zuständigkeitsfragen für Strafkammern, die im Hinblick auf eine nach § 74 c Abs. 1 GVG a. F. ergangene Regelung entstehen konnten. Die Vorschrift ist wegen der Neufassung des § 74 c Abs. 1 GVG n. F. überholt; die Zuständigkeitsregelung ist jetzt in § 6 a enthalten. Demzufolge ist die Vorschrift durch Art. 1 Nr. 4 StVÄG 1979 aufgehoben worden.
§14 Besteht zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständigkeit, so bestimmt das gemeinschaftliche obere Gericht, das sich der Untersuchung und Entscheidung zu unterziehen hat. 1. Voraussetzungen. Durch die Vorschrift wird das gemeinschaftliche obere Gericht damit betraut, einen Streit über die gesetzlich bestimmte1 örtliche Zuständigkeit 2 zwischen mehreren Gerichten zu entscheiden. Macht das Gesetz die Verweisung des Verfahrens an ein anderes Gericht davon abhängig, daß ein Verfahrensbeteiligter dies beantragt, so ist ein ohne Antrag ergangener Verweisungsbeschluß rechtsunwirksam 3 . Bei dem Zuständigkeitsstreit muß es sich um eine richterliche4 Tätigkeit im Rahmen der Rechtssprechung handeln. § 14 gilt daher nicht für Justizverwaltungsaufgaben, zu denen neben den Geschäften der Strafvollstreckung 5 auch die Festsetzung und Anweisung von Kosten und Gebühren gehören 6 . Er findet auch keine Anwendung auf einen Streit zwischen verschiedenen Abteilungen eines und desselben Gerichts; solche Streitigkeiten entscheidet regelmäßig das Präsidium 7 . Besteht der Streit zwischen Rechtspflegern (etwa in einem Kostenfestsetzungsverfahren), ist die Vorschrift ebenfalls nicht anzuwen-
16 BGHSt 22 364. BGHSt 11 382. 18 BGHSt 12 326. 17
1 2
OLG Frankfurt MDR 1982 599. OLG Düsseldorf DRiZ 1981 192. Zur Entscheidungszuständigkeit bei Rücknahme einer übertragenen Sache nach § 58 Abs. 3 Satz 2 JGG s. BGH NStZ 1987 87.
3 BGHSt 36 313 = NStZ 1990 205 mit krit. Anm. Volckarr, s. auch § 16, 10. 4 KK-Pfeiffer 1. 5 BGH bei Kusch NStZ 1995 218. 6 OLG Oldenburg Rpfleger 1990 408. 7 BGHSt 26 199; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 114; OLG Düsseldorf JR 1982 514 mit Anm. Rieß; Meyer-Goßner NStZ 1981 174; KK-Pfeiffer 1.
Stand: 1. 10. 1996
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den; in einem solchen Fall hat der Rechtspfleger die Sachen seinem Richter vorzulegen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 RPflG) 8 . Bei dem Streit kann es sich, wie ein Vergleich der §§14 und 19 ergibt, sowohl um den 3 positiven als auch um den negativen Zuständigkeitsstreit handeln, um den letzten allerdings nur, solange die angefochtenen Entscheidungen noch nicht rechtskräftig sind. Ein positiver Zuständigkeitsstreit besteht, wenn mehrere Gericht mit derselben Sache befaßt worden sind und keines — weil sich alle für zuständig halten, und keines den Vorzug des anderen anerkennt — sein Verfahren einstellen will, ein negativer, wenn sämtliche mit derselben Sache befaßten Gerichte sich für unzuständig erklärt haben. Wann der Zuständigkeitsstreit entsteht, ist gleichgültig. Zwar ist Voraussetzung, daß im Verfahren noch eine Entscheidung zu treffen ist, und ist danach das Verfahren grundsätzlich (s. aber Rdn. 4) bis zur Rechtskraft der Entscheidung zulässig. Doch wird der Streit in der Regel im erstinstanzlichen Verfahren zum Austrag kommen, weil für die Rechtsmittelinstanzen eindeutige, ausschließliche Zuständigkeiten gegeben sind. Allerdings findet § 14 auch Anwendung, wenn der Streit erst in einer höheren Instanz aufkommt, doch ist das wohl nur bei einer Änderung der Gerichtsbezirke denkbar. Beim negativen Zuständigkeitsstreit ist nur dann nach § 14 zu verfahren, wenn zwischen Gerichten noch Streit besteht, d. h. wenn wenigstens zwei Entscheidungen noch anfechtbar sind9; sonst gilt § 19. Die Notwendigkeit, einen jeden Zuständigkeitsstreit jederzeit durch bindende Anord- 4 nung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts zu beseitigen, erfordert es, § 14 auf Zuständigkeitsstreitigkeiten nach Rechtskraft, namentlich im Vollstreckungsverfahren 10 (§ 462 a), entsprechend anzuwenden. 2. Beschwerde. Die Vorschrift schließt nicht aus, daß die Erledigung des Zuständig- 5 keitsstreits im Weg der Beschwerde gegen die Entscheidungen der streitenden Gerichte versucht wird, hat diesen Versuch aber — weil die Beschwerde in der Hand der Prozeßbeteiligten liegt — nicht zur Voraussetzung. Bei positivem Streit wird die Beschwerde in der Regel nicht gegeben sein: Den eröffnenden Beschluß kann der Angeklagte nicht anfechten und die Staatsanwaltschaft nicht deshalb, weil ihr nachträglich das Verfahrenshindernis der anderweiten Rechtshängigkeit bekanntgeworden sei (§210 Abs. 1 und 2). Wird nach Eröffnung des Hauptverfahrens beantragt, das Verfahren nach § 206 a StPO einzustellen, so ist der Beschluß, mit dem dieser Antrag abgelehnt wird, nach § 305 Satz 1 unanfechtbar. Dagegen ist beim negativen Streit gegen den Einstellungsbeschluß (§ 206 a Abs. 1) 6 die sofortige Beschwerde statthaft (§ 206 a Abs. 2), doch wird sie sich nur empfehlen, wenn mit einiger Sicherheit erwartet werden kann, daß durch die Beschwerdeentscheidung der Streit erledigt wird. Auch hat die Frage nur dann Bedeutung, wenn das gemeinschaftliche obere Gericht nicht zugleich das für die streitenden Gerichte gemeinschaftliche Beschwerdegericht ist. 3. Entscheidung. Führt die Beschwerde nicht zum Ziel oder wird sie nicht versucht, so 7 entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht11 auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder eines anderen Prozeßbeteiligten, auf Vorlage eines der beteiligten Gerichte oder von Amts wegen. Die Gerichtsvorlage ist in der Form einer Entscheidung zu fassen. In dieser hat das Gericht seine Unzuständigkeit auszusprechen und dabei den Angeklagten und die Tat nach § 200 Abs. 1 Satz 1 zu bezeichnen. 8 BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 27. OLG Hamm VRS 58 (1980) 364. Weitere Erl. zum Verh. von § 14 zu § 19 s. bei Wendisch JR 1995 520.
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BayObLG NJW 1955 601; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1975 176, Kleinknecht/Meyer-Goßner 1. Zu diesem Begriff s. Vor § 7, 34.
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§15 8 9
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Ein Formmangel steht der Entscheidung des oberen Gerichts jedoch nicht entgegen12. Das gemeinschaftliche obere Gericht kann nur eines der streitenden Gerichte, nicht jedoch ein am Streit unbeteiligtes, bestimmen13. Hält es, falls es sich um den Bundesgerichtshof handelt, alle beteiligten Gerichte für unzuständig, weil in Wirklichkeit das zuständige nicht ermittelt ist, so entscheidet es von Amts wegen nach § 13 a. Hält es alle beteiligten Gerichte für unzuständig, aber ein anderes für zuständig, lehnt es die Gerichtsstandsbestimmung ab14. Allerdings kann es ein seiner Ansicht nach zuständiges Gericht in den Beschlußgründen nennen und der Staatsanwaltschaft so Gelegenheit geben, die Sache vor dieses Gericht zu bringen15. Erst wenn die mehreren Gerichte unanfechtbare Unzuständigkeitserklärungen abgegeben haben, greift § 19 ein (§ 19, 1).
10
Bleibt auf diese Weise oder weil etwa das obere Gericht nicht angerufen wird, der Streit unentschieden, so endet er mit dem zuerst rechtskräftig werdenden Urteil. 11 Der Beschluß des oberen Gerichts ist unanfechtbar (Vor § 7, 36).
§15 Ist das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Falle an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert oder ist von der Verhandlung vor diesem Gericht eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu besorgen, so hat das zunächst obere Gericht die Untersuchung und Entscheidung dem gleichstehenden Gericht eines anderen Bezirks zu übertragen.
Übersicht Rdn. 1. 2. 3. 4.
1
Gerichtsstand des Auftrags Verhinderung Gefährdung der öffentlichen Sicherheit Zunächst oberes Gericht
1
5. 6. 7. 8.
5 8 10
Übertragung Auswahl Beauftragtes Gericht Beschwerde
Rdn. 13 17 21 23
1. Gerichtsstand des Auftrags. Die Vorschrift — sie ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar1 — behandelt den durch Auftrag (Übertragung) des oberen Gerichts begründeten Gerichtsstand. Sie will verhindern, daß der schuldige Täter nicht bestraft oder der unschuldige Angeklagte nicht freigesprochen wird2. Durch den Auftrag wird jedes Gericht, auch ein an sich unzuständiges, zur Untersuchung und Entscheidung in der ihm übertragenen Sache zuständig. Ist der Auftrag erteilt, dann steht der Gerichtsstand des § 15 selbständig neben den anderen Gerichtsständen, doch begründet die Übertragung, wenn sie nach Rechtshängigkeit ausgesprochen wird, zugleich den Vorzug vor anderen an sich auch zuständigen Gerichten, es sei denn, daß eines von ihnen, was dem oberen Gericht unbekannt geblieben ist, schon das Verfahren eröffnet hat. In diesem Fall regelt sich der Vorzug nach § 12. 12 BGHSt 11 58; 117. '3 BGHSt 26 164; 27 333; 31 244; s. dazu auch Wendisch JR 1995 520. 14 BGHSt 27 333. 15 BGHSt 26 162; 28 351; Kleinknecht/Meyer-Goßner 9.
' BVerfGE 20 343 = NJW 1967 99; SK-Rudolphi 1. BGHSt 22 252.
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W
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§15
Voraussetzung des Auftrags ist, daß ein an sich zuständiges Gericht die Gerichtsbarkeit 2 nicht ausüben kann. An sich zuständig ist das Gericht, wenn es nach einem der in den §§ 7 bis 11, 13 bezeichneten Gerichtsstände oder zufolge Übertragung nach § 12 Abs. 2 zur Untersuchung und Entscheidung berufen ist. Der Auftrag kann also nur erteilt werden, wenn zur Zeit der Verhinderung im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung ein Gerichtsstand besteht. Fehlt es in diesem Bereich an einem zuständigen Gericht, dann ist nicht § 15, sondern § 13 a anzuwenden, doch gilt § 15 auch dann, wenn ein Gericht nach § 13 a als zuständiges Gericht bestimmt worden war, danach aber ein Verhinderungsgrund eingetreten ist. Die Vorschrift unterscheidet sich grundlegend von § 12 Abs. 2 und von § 14: In die- 3 sen beiden Fällen kann das obere Gericht nur ein zuständiges Gericht bezeichnen; im ersten Fall wählt es unter Beseitigung des Vorzugs aus mehreren an sich zuständigen Gerichten eines nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit aus, im zweiten Fall bezeichnet es das (richtigerweise allein oder ausschließlich) zuständige Gericht. § 15 hat Ähnlichkeit mit § 13 a; in beiden Fällen muß einem Notstand abgeholfen 4 werden, im letzten Fall, weil kein Gerichtsstand vorhanden oder festzustellen ist, im Fall des § 15, weil das Gericht des bekannten Gerichtsstands nicht tätig werden kann. 2. Verhinderung. Das Gericht kann aus rechtlichen oder aus tatsächlichen Gründen 5 verhindert sein. Rechtliche Verhinderung liegt vor, wenn so viele Richter — einschließlich ihrer Vertreter3 — ausgeschlossen (§ 22) oder abgelehnt (§ 24) und die Ablehnungen für begründet erklärt worden sind (§ 28 Abs. 1), daß das Gericht nicht mehr ordnungsgemäß besetzt (§ 27 Abs. 4) werden kann4. Die Gefahr allein, daß das gesamte Gericht voreingenommen sei5, genügt nicht. Tatsächliche Verhinderung ist gegeben, wenn durch Erkrankung von Richtern usw. 6 das Gericht beschlußunfähig (§ 27 Abs. 4) geworden oder wenn Stillstand der Rechtspflege 6 durch Aufruhr, Besatzung, kriegerische oder kriegsähnliche Ereignisse u. ä. eingetreten ist7. Tatsächliche (nicht rechtliche) Verhinderung des Gerichts kann auch dadurch gegeben sein, daß der Angeklagte nicht vor das an sich zuständige Gericht gestellt werden kann 8 . Zwar kann das Gericht die Hauptverhandlung außerhalb seines Bezirks durchführen 9 . Deshalb wird es nicht verhindert sein, wenn der Angeklagte sich verhandlungsfähig aber transportunfähig an einem nicht allzuweit entfernten Ort der Bundesrepublik aufhält. Eine Verpflichtung des Gerichts in jedem Fall, in dem der Angeklagte nicht vor das zuständige Gericht kommen kann, außerhalb seines Bezirks zu verhandeln, besteht aber nicht 10 . Weder rechtliche noch tatsächliche Verhinderung liegt vor, wenn das Revisionsgericht eine Sache an das Ausgangsgericht zurückverweist und bei diesem Gericht weder eine Auffangstrafkammer noch ein Rückverweisungsspruchkörper besteht und auch nicht gebildet werden kann 11 . Vielmehr ist in einem solchen Fall der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts, an das zurückverwiesen worden ist, nachträglich durch Bildung des erforderlichen Spruchkörpers zu ergänzen 12 . 3 4 5
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RGSt 40 436; 57 269. RGSt 10 381. Vgl. fürs alte preußische Recht GA 11 (1863) 862. - Allerdings sollte de lege ferenda eine Übertragung auch für den Fall erwogen werden, daß das Gericht nicht unbefangen erscheinen könnte. BGHSt 1 214. Oelker GA 49 (1903) 114; Ermel DJZ 1914 1380; Beiing ZStW 36 (1915) 649. KK-Pfeiffer Kleinknecht/Meyer-Goßner 4. BGHSt 22 250. Daher war die Übertragung auf Berliner Gerichte
11 12
ausgesprochen worden, wenn der Angeklagte sich im damaligen Berlin (West) aufhielt und nicht vor das zuständige Gericht transportiert werden konnte (BGHSt 16 87; 22 255). Doch lag keine Verhinderung vor, wenn der Angeklagte sich weigerte, nach Berlin (West) zu kommen, die Hauptverhandlung dort aber ohne seine Anwesenheit durchgeführt werden konnte (BGH NJW 1967 1046 = BGHSt 21 215, wo der letzte Absatz fehlt). OLG Oldenburg NStZ 1985 473 mit Anm. Rieß. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 204; OLG München MDR 1977 1037.
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Die Worte in einem einzelnen Falle (verhindert) sind unglücklich gewählt. Die Entwürfe wollten sie streichen13; die Motive zur Zivilprozeßordnung erwähnen den Fall des Stillstands der Rechtspflege14. Daraus kann gefolgert werden, daß auch allgemeine Verhinderung als Verhinderung „in einem einzelnen Fall" anzusehen ist. Die Fassung schließt nur aus, daß das obere Gericht durch allgemeine Bekanntmachung die gesamte Gerichtsbarkeit oder Gruppen von ihr auf ein anderes Gericht überträgt. Es muß immer ein Beschluß in jedem Einzelfall ergehen.
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3. Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit. Nicht nur wenn das zuständige Gericht verhindert ist, hat das obere Gericht ein anderes zu beauftragen, sondern auch dann, wenn von der Verhandlung vor dem zuständigen Gericht eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu besorgen ist. Die Entwürfe enthielten den Begriff der „Störung der öffentlichen Ordnung". Die Abweichung von diesem Vorschlag präzisiert den jetzt verwendeten Begriff der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit: die Übertragung ist dadurch von einer engeren Voraussetzung abhängig gemacht, daß anstelle von „Ordnung" von „Sicherheit" gesprochen wird, sie ist auf der anderen Seite dadurch erleichtert, daß das Wort „Störung" durch „Gefährdung" ersetzt worden ist.
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Daraus folgt: es muß ein erheblicher Angriff zu erwarten sein, aber keine konkrete Störung; es genügt die naheliegende Wahrscheinlichkeit, daß es zu einer solchen kommen könne. Dabei ist namentlich an Protestdemonstrationen einer aufgebrachten Bevölkerung zu denken, die wegen ihres Umfangs der Kontrolle der Polizei zu entgleiten drohen und damit die öffentliche Sicherheit zu gefährden geeignet sind. Die öffentliche Sicherheit kann aber auch durch eine Bedrohung der Gerichtspersonen, des Angeklagten oder des Verteidigers gefährdet sein, nämlich dann, wenn sie so erheblich sind, daß der Ablauf der Verhandlung ernstlich in Frage gestellt und dadurch die Funktion der Rechtspflege in einer bedeutsamen Sache oder aber auch in einer Mehrzahl minder bedeutsamer Verfahren außer Wirkung gesetzt zu werden droht.
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4. Das zunächst obere Gericht, das den Auftrag erteilt, ist gegenüber dem Strafrichter und dem Schöffengericht das Landgericht, für dieses das Oberlandesgericht und für dieses der Bundesgerichtshof15. Steht unter einem oberen Gericht nur ein einziges unteres — wenn etwa für einen Landgerichtsbezirk nur ein gemeinsames Amtsgericht (§ 58 GVG) errichtet worden ist —, tritt das nächste obere Gericht ein, doch ist zu beachten, daß die bei einem Amtsgericht gebildete Strafkammer (§ 78 GVG) eine eigene örtliche Zuständigkeit besitzt16. 11 Untersteht das Gericht, dem die Sache übertragen werden soll, nicht dem Gericht, das für das verhinderte das zunächst obere ist, so muß dasjenige obere Gericht entscheiden, das sowohl dem verhinderten als auch dem zu beauftragenden Gericht übergeordnet ist, das gemeinschaftliche obere Gericht17, u. U. der Bundesgerichtshof18. 12 Hat das zunächst obere Gericht sich zu Unrecht zu einer Übertragung für unzuständig erklärt, kann das ihm übergeordnete Gericht die Übertragung vornehmen19. 13
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Begr. zum Ε 1908, Mat. zur StRRef. 11 195; zum Ε 1909, Mat. zur StRRef. 12 63; zum Ε 1909, Mat. zur StRRef. 14 34. Hahn ZPO 1 159. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist in Strafsachen den Oberlandesgerichten nicht übergeordnet (BayObLGSt 1957 167) und daher kein zunächst oberes Gericht, wenn die streitenden
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Gerichte mehreren bayerischen Oberlandesgerichtsbezirken zugehören. RGSt 17 230; SO 160; BGH bei Daliinger MDR 1958 566. BGHSt 16 84. BGHSt 12 212; 22 251. RGSt 45 70.
Stand: 1. 10. 1996
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5. Übertragung. Liegen die Voraussetzungen des § 15 vor, muß das obere Gericht die 13 Übertragung vornehmen 20 . Die Übertragung ist in jeder Lage des Verfahrens und in allen Instanzen zulässig 21 . Dabei spielt es keine Rolle, wenn zufolge der Übertragung ein anderes Rechtsmittelgericht als das an sich allein zuständige zur Entscheidung über ein Rechtsmittel berufen wird. Die Notwendigkeit, daß eine Entscheidung auf jeden Fall möglich gemacht werden muß, zwingt dazu, den auch sonst mehrfach durchbrochenen (Vor § 7, 24 ff) Grundsatz aufzugeben, daß nur ein Rechtsmittelgericht ausschließlich zuständig ist. Die Übertragung kann sich auf die ganze Sache erstrecken, aber auch auf einzelne 14 Prozeßhandlungen, etwa auf die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch. Sie kann auch schon während des Ermittlungsverfahrens angeordnet werden, doch darf dabei nur auf die Verhinderung des Gerichts abgestellt werden, nicht auf die der Staatsanwaltschaft. Daher ist während des Ermittlungsverfahrens die Gerichtsstandsbestimmung, die zugleich die Zuständigkeit des Staatsanwaltschaft begründet (§ 143 Abs. 1 GVG), für einzelne Untersuchungshandlungen (§ 162) stets zulässig, für die gesamte Untersuchung und Entscheidung dagegen nur dann, wenn zur Zeit der Übertragung feststeht, daß das Gericht auch bei Eröffnung des Hauptverfahrens noch verhindert sein wird. Das zunächst obere Gericht ist auch dann zuständig, wenn das verhinderte Gericht 15 seine Zuständigkeit dadurch erhalten hat, daß ihm nach § 12 Abs. 2 von einem höheren Gericht als dem zunächst oberen die Untersuchung und Entscheidung übertragen worden war 22 . Die Übertragung wird von dem verhinderten Gericht, auch von dessen Verwaltung, 16 von der Staatsanwaltschaft oder vom Verteidiger angeregt, ja es ist nicht ausgeschlossen, daß am Verfahren unbeteiligte Personen oder Behörden die Anregung geben. Das Gericht entscheidet von Amts wegen. Der ergangene Beschluß ist unanfechtbar (Vor § 7, 36). 6. Auswahl. Das obere Gericht darf die Untersuchung und Entscheidung nur auf ein 17 Gericht übertragen, das dem verhinderten gleichsteht, also auf eines gleicher Ordnung; die Übertragung darf die sachliche Zuständigkeit nicht berühren. Nur scheinbar ergibt sich eine weitere Begrenzung der Auswahl daraus, daß das ausge- 18 wählte Gericht einem anderen Bezirk angehören muß. In Wirklichkeit sind die Worte „einem anderen Bezirk", da sie sich auf den Bezirk des verhinderten Gerichts beziehen, überflüssig 23 , ja, weil sie auf den Bezirk des übertragenden Gerichts bezogen werden könnten, sogar irreführend. Denn wie bei jeder Übertragung muß — und darin liegt die zweite Beschränkung der Wahlmöglichkeit — das Gericht, das die Sache erhält, dem Bezirk des übertragenden Gerichts angehören. Das Reichsgericht hat das als „selbstverständlich" angesehen 24 ; der Bundesgerichtshof läßt es „ohne weiteres" aus der durch das Gerichtsverfassungsgesetz und der Strafprozeßordnung festgelegten Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche folgen 25 . Dem ist zuzustimmen, wenn man auch wohl richtiger von einer jenen Gesetzen zu entnehmenden Abgrenzung sprechen sollte. Was danach das Gesetz sagen will, gibt Ε 1919 besser wieder mit den Worten: „... so überträgt das obere Gericht die Zuständigkeit auf ein anderes Gericht gleicher Ordnung, das zu seinem Bezirk gehört" 26 .
RGSt 45 69; KK-Pfeiffer 2. BGHSt 22 250. RGSt 45 68. K M R - f W u s 9. (99)
24 25 26
RGSt 45 69. BGHSt 16 85. § 13; Mat. zur StRRef. 14 5, Begr. S. 34; vgl. auch Begr. zu § 13 Ε 1909, Mat. zur StRRef. 12 63.
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§ 1 6
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
19
Bei der Übertragung findet, wenn der Bundesgerichtshof entscheidet, die Beschränkung des § 354 Abs. 2 Satz 2, daß die Sache nur einem zu demselben Land gehörenden anderen Gericht gleicher Ordnung übertragen werden dürfe, nicht statt27. 20 Abgesehen von den beiden dargestellten Beschränkungen ist das obere Gericht frei. Es kann die Sache ebenso auf ein anderes an sich zuständiges als auch auf ein unzuständiges Gericht übertragen. Die Übertragung auf ein unzuständiges Gericht setzt nicht voraus, daß das verhinderte Gericht das einzige an sich zuständige ist oder daß, wenn mehrere zuständige Gerichte vorhanden sind, bei ihnen allen die Voraussetzungen des § 15 vorliegen. Vielmehr kann das obere Gericht die Sache auch dann auf ein an sich unzuständiges Gericht übertragen, wenn außer dem verhinderten Gericht noch andere zuständige Gerichte vorhanden sind, die Verweisung an eines von ihnen aber unzweckmäßig wäre 28 . 21
7. Beauftragtes Gericht. Das beauftragte Gericht muß zwar neben der sachlichen Zuständigkeit (§ 6) und derjenigen besonderer Strafkammern (§ 6 a) auch, wenn der Einwand zulässigerweise erhoben worden ist (§ 16), seine örtliche Zuständigkeit prüfen. Dieser Prüfung muß es aber den Umstand zugrunde legen, daß durch die Übertragung, wenn sie nach Rechtshängigkeit ausgesprochen worden ist, die örtliche Zuständigkeit des beauftragten Gerichts und der Vorzug vor anderen an sich auch zuständigen Gerichten begründet worden sind (Rdn. 1). Aus diesem Grund kann der Einwand der örtlichen Unzuständigkeit nur Erfolg haben, wenn die Übertragung im Ermittlungsverfahren vorgenommen worden ist (und die Staatsanwaltschaft bei einem örtlich unzuständigen Gericht Anklage erhoben hat) oder wenn schon ein anderes Gericht die Untersuchung eröffnet hatte und dadurch ausschließlich zuständig geworden war. Dagegen kann nicht anerkannt werden, daß das Gericht prüfen dürfte 29 , ob das obere Gericht zu seinem Beschluß zuständig gewesen sei und innerhalb der durch § 15 gesetzten Grenzen gehandelt habe 30 . Die Zuständigkeit bleibt auch dann bestehen, wenn der Grund der Übertragung wegfällt. Sie endet, wenn die Übertragung zurückgenommen wird.
22
Der Vorzug des nach § 15 bestimmten Gerichts vor anderen auch zuständigen Gerichten tritt ein, wenn der Gerichtsstand im vorbereitenden Verfahren bestimmt wird. Dann bleibt die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft uneingeschränkt erhalten, unter mehreren Gerichtsständen, darunter auch den nach § 15 begründeten, einen auszuwählen 31 .
23
8. Wegen der Beschwerde s. Vor § 7, 36.
§16 'Das Gericht prüft seine örtliche Zuständigkeit bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen. 2 Danach darf es seine Unzuständigkeit nur auf Einwand des Angeklagten aussprechen. 3Der Angeklagte kann den Einwand nur bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung geltend machen. 21
BGHSt 22 252. Ist sowohl das Landgericht Bremen als auch die beim Amtsgericht Bremerhaven gebildete Strafkammer verhindert und steht daher dem Oberlandesgericht Bremen kein anderes zu seinem Bezirk gehörendes Landgericht zur Verfügung, so kann der Bundesgerichtshof die Sache dem Landgericht Hamburg übertragen, aber auch jedem
anderen Landgericht, wenn das aus Gründen der Zweckmäßigkeit geboten wäre. 2« RGSt 45 69; BGHSt 21 214. 29 So RGSt 10 382. 30 BVerfGE 12 124; K K - P f e i f f e r 6; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 7. 3! BGHSt 21 215; KK-Pfeiffer 1; Kleinknecht/MeyerGoßner 2; SK-Rudolphi 3; Vor § 7, 10.
Stand: 1. 10. 1996
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§16
S c h r i f t t u m . Behl V e r w e i s u n g s b e s c h l u ß g e m ä ß § 2 7 0 S t P O u n d f e h l e n d e ö r t l i c h e Z u s t ä n d i g k e i t d e s h ö h e r e n G e r i c h t s , D R i Z 1 9 8 0 182.
Entstehungsgeschichte, (ohne Berücksichtigung der Regelungen im Zusammenhang mit der früheren Voruntersuchung). Der Zeitpunkt war früher dahin bestimmt, daß der Einwand spätestens in der Hauptverhandlung bis zur Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens geltend zu machen war (Bekanntmachung vom 22. 3. 1924 — RGBl. I 322). Durch Art. 2 der VO vom 13. 8. 1942 (RGBl. 1512) wurde alsdann bestimmt, daß die an der Verlesung des Eröffnungsbeschlusses geknüpften Wirkungen nunmehr mit dem Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache eintreten. Art. 3 VereinhG bestimmte alsdann, daß der Einwand spätestens in der Hauptverhandlung geltend zu machen ist, solange mit der Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht begonnen ist. Art. 7 Nr. 1 StPÄG 1964 gab der Vorschrift wieder den Inhalt, den sie durch die VO vom 13. 8. 1942 erhalten hatte, indem er als Zeitpunkt für die Geltendmachung nunmehr die Hauptverhandlung bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache bestimmte. Art. 1 Nr. 2 des 1. StVRG ließ die Vorschrift (insoweit) unberührt. Die jetzige Fassung hat sie durch Art. 1 Nr. 5 StVÄG 1979 erhalten. Sie faßt die bisherigen §§ 16 und 18 zusammen: § 18 wird Satz 2, § 16 wird Satz 3. Satz 1 spricht den schon bisher geltenden Grundsatz ausdrücklich aus.
Rdn. 1. Inhalt
Rdn.
1
4. Einwand des Angeklagten
11
2. Prüfung der örtlichen Zuständigkeit a) Örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft b) Gerichtliche Prüfung von Amts wegen .
2 4
5. Verlust und Verbrauch des Einwands a) Reichweite b) Verlust c) Verbrauch
12 13 14
3. Verfahren a) Übersicht b) Vor Eröffnung des Hauptverfahrens . . . c) Eröffnung des Hauptverfahrens d) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens . .
6 7 8 10
6. Rechtsmittel a) Beschwerde b) Revision
16 18
7. Örtliche Unzuständigkeit des Rechtsmittelgerichts
21
I. Inhalt. Die Vorschrift enthält Bestimmungen über die Prüfung des Gerichtsstands. 1 Sie bezieht sich allein auf diesen, die örtliche Zuständigkeit, und an keiner Stelle auf die sachliche 1 . Weitere Vorschriften finden sich in § 206 a Abs. 1, § 328 Abs. 2, § 338 Nr. 4 und § 355. Der Bestimmung liegt die Absicht zugrunde, die Erörterung der örtlichen Zuständigkeit tunlichst einzuschränken, um den ungehinderten Fortgang des Verfahrens zu sichern 2 . Der Grundsatz des § 6 (Prüfung der sachlichen Zuständigkeit jederzeit von Amts wegen) ist hier nicht wiederholt. Die sachliche Zuständigkeit ist — abgesehen von der sehr beschränkt auslegbaren Zuständigkeitsregelung des § 24 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 25 Nr. 2 GVG — eindeutig, örtliche Zuständigkeit gibt es dagegen in der Regel mehrere. Daher besteht bei der örtlichen Zuständigkeit eine Wahlmöglichkeit der Kläger, der Staatsanwaltschaft und des Privatklägers. Aus diesem natürlichen Mangel an der Eindeutigkeit der örtlichen Zuständigkeit und wegen der Gleichwertigkeit der Rechtsprechung sämtlicher Gerichte gleicher Ordnung 3 erklärt sich eine gewisse Unempfindlichkeit des Gesetzgebers gegenüber der Wahl des Gerichtsstands, die in §§ 35, 39 ZPO besonders 1 2
Hahn Mat. 1 156; OLG Breslau GA 71 (1927) 64. RGSt 4 232; 36 341; 40 356; 66 268; K K - P f e i f f e r 1.
3
Hahn Mat. 1 80; 2 1199.
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zum Ausdruck gebracht wird. Um in der Folge dieser Gedanken die Prüfungsmöglichkeit zu beschränken, sind starre Fristen verordnet, die selbst dann nicht weichen, wenn sich die Unzuständigkeit als Folge einer anderen rechtlichen Würdigung erst nach dem Zeitpunkt herausstellt, der in den Sätzen 2 und 3 festgelegt ist4. Auch ist das Recht des Angeklagten, durch den örtlich zuständigen Richter abgeurteilt zu werden, weil auf den in seinem Belieben stehenden Einwand abgestellt wird (Satz 2) praktisch frühzeitig im Verfahren seinem Verzicht unterworfen. Auch für sog. ausschließliche Gerichtsstände ist keine Ausnahme vorgesehen. 2. Prüfung der örtlichen Zuständigkeit 2
a) Die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft wird durch diejenige des Gerichts bestimmt, für das sie bestellt ist (§ 143 Abs. 1 GVG), und zwar auch in den Fällen, wo bestimmte Strafsachen bei einem Gericht örtlich konzentriert sind (§§ 58, 74 a, 74 c Abs. 3 und 4, § 74 d GVG) 5 . Abgesehen von den Nothandlungen eines unzuständigen Staatsanwalts (§ 143 Abs. 2) kann daher nur der Staatsanwalt handeln, der die Sache bei einem örtlich zuständigen Gericht anhängig machen kann. Auf einen etwaigen Mangel der örtlichen Zuständigkeit hat die Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu achten. Der Beschuldigte kann dazu Anträge stellen und sich der Dienstaufsichtsbeschwerde bedienen, um sie durchzusetzen.
3
Entfällt die Zuständigkeit, etwa weil der Beschuldigte verzieht, hat der Staatsanwalt die Sache an die nunmehr zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben. Eine Fortdauer der staatsanwaltlichen Zuständigkeit gibt es nicht6. Dieser Grundsatz wird allerdings in der Praxis zur Ausnahme. So kann sich, wie selbstverständlich ist, die an den Tatort (§§ 7, 10) oder an einen fingierten Wohnsitz (§ 11) geknüpfte Zuständigkeit nachträglich nicht ändern. Aber auch die nach § 13 a begründete Zuständigkeit ist, wenn der Bundesgerichtshof das zuständige Gericht schon im Ermittlungsverfahren bestimmt hat, auch dann unveränderlich, wenn bis zur Klageerhebung ein zuständiges Gericht ermittelt wird (§ 13 a, 14). Im Fall des § 15 gilt das gleiche, wenn die Sache dem anderen Gericht nicht nur in bezug auf einzelne Untersuchungshandlungen, sondern für die gesamte Untersuchung und Entscheidung übertragen worden ist (§ 15, 1); das ist nach dem Wortlaut des § 15 (Untersuchung und Entscheidung) der Regelfall.
4
b) Gerichtliche Prüfung von Amts wegen. Das Gericht prüft von Amts wegen alle Prozeßvoraussetzungen, darunter neben seiner sachlichen Zuständigkeit (§ 6) und derjenigen besonderer Strafkammern (§ 6 a) auch seine örtliche Zuständigkeit (Satz 1). Die Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte können die Prüfung beantragen. Wie im Fall des § 6 a dauern das Recht und die Pflicht des Gerichts, den Gerichtsstand von Amts wegen zu prüfen — anders als bei der sachlichen Zuständigkeit (§ 6, 2), aber in Übereinstimmung mit der Regelung bei der Prüfung der Zuständigkeit besonderer Strafkammern (§ 6 a, 4) —, bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens, das sie mit umfassen. Der Eröffnung des Hauptverfahrens steht diejenige des Sicherungsverfahrens (§§413 ff) gleich (§414 Abs. 1). Die Prüfung von Amts wegen endet, nachdem das Gericht das Hauptverfahren eröffnet (§ 199, § 203, § 201 Abs. 1 und 2) hat. Nach diesem Zeitpunkt ist die Prüfung nur noch auf Einwand des Angeklagten zulässig (Satz 2), wenn er diesen rechtzeitig erhoben hat (Satz 3). Das dem Angeklagten zustehende Recht haben auch der Erziehungsberech4 5 6
RGSt 65 267. K K - P f e i f f e r 2. Das gilt auch, wenn der Generalbundesanwalt nach § 143 Abs. 3 GVG entschieden hat. Denn seine Entscheidung begründet keine Zuständigkeit, er
wählt nur unter mehreren bestehenden eine aus. Fällt die ausgewählte nachträglich weg, so entfällt damit die Zuständigkeit der mit der Sache befaßten Staatsanwaltschaft.
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tigte und der gesetzliche Vertreter eines Jugendlichen (§ 67 Abs. 1 JGG). Ist die Prüfungsmöglichkeit des Gerichts entfallen und hat dieses versehentlich oder rechtsirrtümlich seine Unzuständigkeit nicht erkannt, dann wird das an sich unzuständige Gericht von Rechts wegen zuständig. Wegen der besonderen Verfahrensarten, wo das Hauptverfahren nicht ausdrücklich 5 eröffnet wird, s. § 6 a, 5. Das beschleunigte Verfahren (§§ 407 ff) vereinigt als Eröffnungsverfahren Verdachtsprüfung und Urteil. Die „Eröffnung des Hauptverfahrens" findet gedanklich statt, wenn das Gericht nach Vernehmung des Angeschuldigten und ggf. eines Teils der Belastungszeugen vom hinreichenden Tatverdacht überzeugt ist und die Hauptverhandlung fortsetzt, um zu prüfen, ob sich der Tatverdacht zur Schuldfeststellung verstärkt. Da dieser Zeitpunkt nicht festgelegt werden kann, kann erst das Urteil selbst der Eröffnung des Hauptverfahrens gleichgestellt werden. Die Vernehmung des Beschuldigten zur Sache findet vor jener gedanklichen Eröffnung des Hauptverfahrens statt. Die Prüfung von Amts wegen dauert also während des gesamten beschleunigten Verfahrens an. Das dürfte der Absicht des Gesetzgebers, der das beschleunigte Verfahren ursprünglich als Eröffnungsverfahren ausgestaltet hatte (s. die Überschrift des vierten Abschnitts), am nächsten kommen. 3. Verfahren a) Übersicht. Die Verfahrensweise, die das Gericht einzuschlagen hat, wenn sich seine 6 Unzuständigkeit herausstellt, ist von der bei sachlicher Unzuständigkeit (§ 6) ebenso wie von der bei der Unzuständigkeit besonderer Strafkammern (§ 6 a) verschieden. Dort kommt es zu einer Verschiebung der Zuständigkeit (§ 6 a, 6). Da bei der örtlichen Zuständigkeit die Wahlmöglichkeit des Klägers so lange als möglich gewahrt bleiben muß, finden sich Verweisungen nur in den Rechtsmittelinstanzen (§ 328 Abs. 2; § 355). Sonst kommt es zur Ablehnung, Unzuständigkeitserklärung oder Einstellung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Verfahren bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens (Rdn. 7), dem zur Eröffnung des Hauptverfahrens (Rdn. 8) und dem Verfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens (Rdn. 10). Für dieses sind die Bestimmungen enthalten für die Zeit vor Beginn einer Hauptverhandlung in § 206 a und für die Zeit nach Beginn einer Hauptverhandlung in § 260 Abs. 3 (vgl. Erl. zu § 206 a). Dazu kommen die Verweisungsvorschriften für die Rechtsmittelinstanzen (§ 328 Abs. 2; § 355; Rdn. 9). b) Vor Eröffnung des Hauptverfahrens spielt die Zuständigkeit des Gerichts, das 7 sich örtlich „der Untersuchung und Entscheidung zu unterziehen hat" (vgl. § 14), oder des Gerichts, „das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig wäre" (vgl. § 81 Abs. 3), nur eine untergeordnete Rolle. Das Gesetz enthält in der Regel nur den Richtervorbehalt; die Zuständigkeit des im vorbereitenden Verfahren (§§ 158 bis 175) zuständigen Gerichts wird dann § 162 entnommen. Sie richtet sich nach dem Ort, wo die Handlung vorzunehmen ist, ggf. nach dem Sitz der Staatsanwaltschaft; hilfsweise ist jedes Gericht zuständig, wo ein Gerichtsstand begründet ist7. Im Fall des § 161 a ist grundsätzlich das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat 8 . Nur für die beiden § 6 a, 7 aufgeführten Fälle (§ 81 Abs. 3; § 141 Abs. 4) ist das Gericht zuständig, das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig wäre (vgl. § 6 a, 8, Fußn. 10). Hält das angegangene Gericht, im Fall des § 141 Abs. 4 der Vorsitzende, sich für unzuständig, dann lehnt es die begehrte Handlung ab. Wegen des weiteren Verfahrens s. § 6 a, 8 a. E. 7
So ausdrücklich in § 125 Abs. 1. Vgl. im übrigen die Erläuterungen zu § § 9 8 , 100, 105, HO, 111 a
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8
und 111 e. Einzelheiten s. § 161 a.
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c) Eröffnung des Hauptverfahrens. In der 23. Auflage war angenommen worden, daß das Gericht, wenn es im Eröffnungsverfahren seine Zuständigkeit verneinte, die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen habe (dort § 16, 18). Diese Auffassung wird nicht aufrechterhalten. Sie führt zu der Konsequenz, daß der Haftbefehl aufzuheben ist (§ 120 Abs. 1 Satz 2). Das aber ist nur sinnvoll, wenn der Tatverdacht verneint wird, nicht aber, wenn sich der Gerichtsbeschluß auf Unzuständigkeit stützt, der hinreichende Tatverdacht erhalten bleibt und seinetwegen bei den zuständigen Gericht alsbald wieder Anklage erhoben werden kann und in der Regel auch erhoben wird. Daher ist der Auffassung zu folgen, daß das Gericht sich für unzuständig zu erklären hat und demzufolge über die Eröffnung des Hauptverfahrens gar nicht befinden kann 9 .
9
Zufolge der Unzuständigkeitserklärung wird das Gericht — auch wenn es sich rechtsirrtümlich für unzuständig erkärt hat, dieser Beschluß aber nicht angefochten worden ist — unzuständig 10 . Das bisher durchgeführte Verfahren wird als ungeschehen behandelt. Der Eröffnungsbeschluß wird (stillschweigend) aufgehoben; er verliert seine rechtliche Wirksamkeit". Demzufolge muß das Gericht, bei dem die Klage neu erhoben wird, von neuem über die Eröffnung des Hauptverfahrens beschließen 12 . Die Klage ist bei dem unzuständigen Gericht nicht mehr erhoben. Die Wirkung des § 156 entfällt 13 . Der Staatsanwaltschaft steht es frei, ob sie die neue Klage erhebt und wo 14 , nur vor dem Gericht, das sich für unzuständig hält, darf sie es nicht tun. Sie ist durch das Legalitätsprinzip gebunden, aber nicht durch § 156. Wird die örtliche Unzuständigkeit in der Rechtsmittelinstanz festgestellt, dann bleibt das Verfahren bis zum Eröffnungsbeschluß bestehen, es wird nur die Hauptverhandlung vor dem zuständigen Gericht erneuert (§ 328 Abs. 2; § 355). Das Rechtsmittelgericht kann aber die örtliche Unzuständigkeit nur feststellen, wenn der Angeklagte den Einwand der örtlichen Unzuständigkeit in der ersten Instanz rechtzeitig erhoben hatte 15 .
10
d) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens. Außerhalb einer Hauptverhandlung stellt das Gericht das Verfahren nach § 206 a Abs. 1 durch Beschluß ein, in der Hauptverhandlung nach § 260 Abs. 3 durch Urteil 16 ; in ihr ist die Beschlußeinstellung wegen des klaren Wortlauts des § 206 a („außerhalb der Hauptverhandlung") ausgeschlossen. Ebenso ist die Verweisung nach § 270 unzulässig 17 . Dies schließt nicht nur der Wortlaut des § 270 Abs. 1 („sachliche Zuständigkeit") aus, sondern auch der Aufbau der Strafprozeßordnung: Bei der sachlichen Unzuständigkeit ist das höhere Gericht nach dem Gerichtsverfassungsgesetz bestimmt, bei der örtlichen stehen in der Regel mehrere zur Wahl. Die Wahl aber überläßt das Gesetz in erster Linie dem Kläger, bei Streit mehrerer Gerichte dem oberen Gericht (§ 14). Das hat seinen Grund darin, daß es im Strafverfahren oftmals mehrere Gerichtsstände gibt (§§ 7 ff). Da dieser Grund für das Verfahren nach 9
Vgl. dazu eingehend die Erl. zu § 204; zust. Gössel GA 1977 282; ebenso Kleinknecht/Meyer-Goßner 4. Grundsätzlich RGSt 32 51: Das Gericht hat sich für unzuständig zu erklären. Die Ablehnung der Eröffnung wegen (im entschiedenen Fall: sachlicher) Unzuständigkeit bedeutet, daß die Entscheidung in der Sache (die „meretorische Würdigung") wegen Unzuständigkeit abgelehnt wird. „Dieser Beschluß steht einer bloßen Unzuständigkeitserklärung völlig gleich." Im Ergebnis so wohl auch KKPfeiffer (4), der es allerdings für zulässig erachtet, wenn der Beschluß über die Unzuständigkeitserklärung auch die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens ausspricht; a. A. Krey II Rdn. 66: nur Ablehnung der Eröffnung.
10
BGHSt 18 1. " BGHSt 18 3; KMR-/Wu.t 16. 12 Wegen der Erhaltung einzelner Untersuchungshandlungen s. § 20. 13 Daher wird durch die Unzuständigkeitserklärung die Strafklage nicht verbraucht (RGSt 32 51). 14 Vgl. OLG Köln JMB1NRW 1962 115. '5 BGHSt 11 131. BGHSt 18 3; OLG Köln VRS 74 (1988) 32; OLG Düsseldorf VRS 80 (1991) 282; K K - P f e i f f e r 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner 4; 5; a. A. Gössel GedS Kaufmann 983: Beschluß über Unzuständigkeit. 17 OLG Hamm NJW 1961 232; JMB1NRW 1969 66; VRS 38 (1970) 346; OLG Braunschweig GA 1962 284.
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§§ 109 ff StVollzG nicht zutrifft, weil hier für jede Sache stets nur eine Strafvollstrekkungskammer zuständig sein kann, läßt der Bundesgerichtshof hier die Verweisung eines Antrags auf Vollzugslockerungen eines Strafgefangenen nach seiner endgültigen Verlegung in eine andere Vollzugsanstalt an die nunmehr zuständige Kammer im Rahmen einer lückenfüllenden Rechtsfindung zu 18 . Dieses System verbietet es, daß ein Gericht, das sich für örtlich unzuständig hält, mit bindender Wirkung den Gerichtsstand festlegt 19 . Nur in der Rechtsmittelinstanz entscheidet das Rechtsmittelgericht durch Verweisungsurteil (§ 328 Abs. 3; § 355), doch werden solche Entscheidungen nur ganz ausnahmsweise vorkommen (Einwand war rechtzeitig erhoben, aber übergangen). Alle Entscheidungen nach Eröffnung des Hauptverfahrens ergehen nicht mehr von Amts wegen, sondern nur noch auf Einwand des Angeklagten (Satz 2) und nur, wenn dieser seinen Einwand rechtzeitig (§ 6 a, 15) vorgebracht hat. 4. Einwand des Angeklagten. Hierzu gelten die Ausführungen § 6 a, 12 bis 18 ent- 11 sprechend. Die Motive begründen die gewisse Unempfindlichkeit des Gesetzgebers gegenüber der Wahl des Gerichtsstands (Rdn. 1 sowie § 6 a, 15). „Der Staat, der seine Gerichte in allen Bezirken gleichmäßig einrichtet und überall die gleiche Gewähr für die Rechtsprechung bietet, wird regelmäßig kein Interesse dabei haben, ob die Entscheidung in einer Strafsache gerade durch das vom Gesetz bezeichnete örtlich zuständige Gericht oder durch ein anderes Gericht gleicher Ordnung erfolgt" 20 . Sie bringen damit eine Wahrheit zum Ausdruck, die — und nicht nur für den Staat, sondern auch für den Angeklagten — auch heute noch gilt, wo der Begriff des gesetzlichen Richters sich von seinem berechtigten Zweck zu einem Gegenstand zuweilen zweckloser Absolutheit entwickelt hat. Wegen der Hauptverhandlung bei abwesendem Angeklagten (§ 6 a, 17) ist noch auf die bei § 6 a nicht anwendbaren Vorschriften hinzuweisen. Im Verfahren des § 233 Abs. 1 tritt die Verlesung über die richterliche Vernehmung (§ 233 Abs. 3 Satz 2) an die Stelle der Vernehmung in der Hauptverhandlung. Das gleiche gilt im Verfahren nach § 232 Abs. 1, falls eine richterliche Vernehmung stattgefunden hat (§ 233 Abs. 3); sonst ist der Einwand im Anschluß an die Verlesung des Anklagesatzes (§ 243 Abs. 3 Satz 1) anzubringen. 5. Verlust und Verbrauch des Einwands a) Reichweite. Der Verlust des Einwands durch Säumnis oder der beschränkte (§ 6 a, 12 20) Verbrauch tritt ein in Beziehung auf das mit der Sache befaßte Gericht. Reicht die Staatsanwaltschaft, nachdem das angegangene Gericht sich für unzuständig erklärt hatte, die öffentliche Klage bei einem anderen Gericht ein, bleibt es dem Angeklagten unbenommen, die örtliche Zuständigkeit des anderen Gerichts zu bestreiten. Ebenso ist es, wenn das gemeinschaftliche obere Gericht die Sache nach § 12 Abs. 2, § 13 Abs. 2 Satz 2, § 15 einem anderen Gericht überträgt oder wenn die Zuständigkeit durch Vereinbarung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 übergeht. Dasselbe ist — in Änderung der früheren Rechtslage — auch 18 19
BGHSt 36 36. Verweist ein örtlich unzuständiges Gericht in rechtsirriger Anwendung des § 270 die Sache an ein anderes Gericht, so wird dieses nicht zuständig. Der (falsche) Abgabenbeschluß kann nicht in Rechtskraft erwachsen. Das empfangende Gericht kann die Sache zurückgeben. Es ist aber nicht gehindert, das Verfahren, um es abzuschließen, deshalb einzustellen, weil es nicht bei ihm eröffnet worden ist und der unzulässige Verweisungsbeschluß den fehlenden Eröffnungsbeschluß nicht ersetzen kann (OLG Hamm NJW 1961 233). Eine solche Entscheidung stellt aber nur fest, daß das Verfahren nicht anhängig geworden
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ist; es ist, weil nur ein anhängig gewordenes Verfahren eingestellt werden kann, keine Einstellung nach §206 a (OLG Hamm VRS 38 (1970) 347). War jedoch die Staatsanwaltschaft mit der Auswahl des neuen Gerichts durch das abgebende und mit der Abgabe dorthin einverstanden, und hat das neue Gericht das Verfahren bei sich eröffnet, dann ist dieses Gericht zuständig geworden (OLG Braunschweig GA 1962 284; OLG Karlsruhe GA 1977 58; KMRPaulus 14). Denn die genannten Akten stehen der Einstellung durch das unzuständige Gericht und der Anklage bei dem zuständigen gleich. Hahn 1 80.
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der Fall, wenn es zufolge Zurückverweisung (§ 328 Abs. 2, § 354 Abs. 2) 21 , nach Vertagung (vgl. RGSt 70 241) oder nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung (§ 235) erneut zu einem Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache kommt. 13
b) Wegen des Verlusts gelten die Ausführungen § 6 a, 19 entsprechend.
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c) Verbrauch. Es ist zunächst auf § 6 a, 20 zu der Auslegung zu verweisen, daß der Angeklagte den Einwand, das Gericht sei örtlich unzuständig, in der Zeit nach Eröffnung des Hauptverfahrens bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung nur einmal gebrauchen kann und daß der Einwand mit der Entscheidung über ihn für diese Zeit verbraucht wird; daß der Angeklagte aber bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung einen Einwand erneuern kann, der vor oder bei Eröffnung des Hauptverfahrens verworfen worden war (Erl. zu § 201).
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Nach der früheren Rechtslage war der Einwand — auch für die Revision — verbraucht (24. Aufl. § 201, 25 Fußn. 28), wenn der Angeklagte ihn vor der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolglos geltend gemacht hatte und gegen die Entscheidung des Gerichts die sofortige Beschwerde gegeben war22, gleichgültig, ob der Angeklagte von ihr Gebrauch gemacht23 oder das unterlassen oder die Frist versäumt hat24. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, daß mit der Bereitstellung der sofortigen Beschwerde ein Zwischenverfahren stattfindet, in dem der in diesem behandelte Punkt endgültig rechtskräftig erledigt wird25. Nachdem durch Art. 1 Nr. 14 StVÄG 1979 die sofortige Beschwerde beseitigt worden ist, ist diese Rechtslage überholt. Der Angeklagte kann einen bereits verworfenen Einwand gegen die örtliche Zuständigkeit des Gerichts bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung wiederholen. Die in § 201 Abs. 2 ausgesprochene Unanfechtbarkeit bezieht sich nur auf Entscheidungen, die in dem Verfahren des § 201 ergehen (näher die-Erl. zu § 201); nach Eröffnung des Hauptverfahrens ergehende Entscheidungen sind der Revision zugänglich26. 6. Rechtsmittel
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a) Beschwerde. Vor Eröffnung des Hauptverfahrens ergehende Beschlüsse sind vom Beschuldigten mit der einfachen Beschwerde anfechtbar 27 , wenn das nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist 28 . Das ist nach § 201 Abs. 2 Satz 2 der Fall, wenn das Gericht den Einwand (§201 Abs. 2 Satz 1) des Angeschuldigten verwirft, es sei für die Verhandlung und Entscheidung der Sache unzuständig. Der Eröffnungsbeschluß (§ 207) kann vom Angeklagten nicht angefochten werden (§210 Abs. 1). Nach Eröffnung des Hauptverfahrens ist die Beschwerde nach § 305 Satz 1 ausgeschlossen, doch sind Einstellungsbeschlüsse nach § 206 a mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Hat das Gericht das Verfahren in der Hauptverhandlung entgegen § 260 Abs. 3 nicht durch Urteil sondern durch Beschluß eingestellt, kann der Angeklagte diese Entscheidung mit dem jeweils verfahrensmäßig statthaften Rechtsbehelfen anfechten 29 . 21 22
Vgl. RGSt 43 358. Das war der Fall, wenn vor (§ 180 Abs. 2 a. F.) oder während (§181 Abs. 1 a. F.) der Voruntersuchung oder nach Mitteilung der Anklageschrift (§ 201 Abs. 2) „der vom Angeschuldigten erhobene Einwand der Unzuständigkeit (§16) verworfen" worden war (§ 182 Abs. 1 a. F.; § 201 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz). Der Abschnitt über die Voruntersuchung ist durch Art. 1 Nr. 57 des l.StVRG aufgehoben worden; in § 201 Abs. 2 sind die Sätze 1 und 2 zufolge Art. 1 Nr. 14 StVÄG 1979 durch den Satz ersetzt worden: Die Entscheidung ist unanfechtbar.
Μ RGSt 34 215; RG LZ 1916 335. 24 RGSt 26 342. 25 RGSt 26 342; aus neuerer Zeit (für § 28 Abs. 2 Satz 1) BGH NJW 1962 261. Eingehend Dünnebier FS Dreher, S. 669, 672 f. Vgl. jetzt § 336 Satz 2. 26 So auch Begr. BTDrucks. 8 976, S. 42. 27 OLG Rostock Alsb. Β 1 52. 28 Hahn Mat. 1 769. 29 OLG Düsseldorf VRS 80 (1991) 282; K K - P f e i f f e r 8; Kleinknecht/Meyer-Goßnerl.
Stand: 1. 10. 1996
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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§ 16
Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerde dort, wo sie auch dem Beschuldigten 17 zusteht (§ 296 Abs. 1), aber nur, solange das Gericht die örtliche Zuständigkeit prüfen kann und nach Eröffnung des Hauptverfahrens nur zugunsten des Angeklagten. Die Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses wegen Eröffnung vor einem anderen Gericht — wie bei der sachlichen Zuständigkeit (vgl. Erl. zu § 210) oder der Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer (vgl. Erl. zu § 6 a, 23) — entfällt, weil das Eröffnungsgericht das Hauptverfahren nicht vor einem anderen, von ihm für zuständig erachteten Gericht eröffnen kann (Rdn. 8). Dagegen steht der Staatsanwaltschaft die Beschwerde zu, wenn das Gericht sich im Eröffnungsverfahren für unzuständig erklärt (Rdn. 8) hat (Erl. zu § 210). Die sofortige Beschwerde steht ihr zu (§ 206 a Abs. 2), wenn das Gericht nach Eröffnung des Hauptverfahrens das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung einstellt (Rdn. 9). b) Revision. Der Angeklagte kann den mangelnden Gerichtsstand mit der Revision 18 rügen, wenn er den Einwand rechtzeitig (Satz 3) erhoben hatte. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Rüge der mangelnden örtlichen Zuständigkeit ist allerdings, daß er die Tatsache der rechtzeitigen Erhebung in der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 geltend macht 30 . Dabei kann er die Revision sowohl auf das Urteil stützen, das den Einwand der örtlichen Zuständigkeit verworfen hat, als auch auf Beschlüsse, die nach Eröffnung des Hauptverfahrens ergangen, aber nach § 305 unanfechtbar sind 31 . Beschlüsse, die der Eröffnung des Hauptverfahrens vorausgegangen sind, werden vom Revisionsgericht grundsätzlich nicht geprüft (§ 336, 3). Die Staatsanwaltschaft kann wegen der dem Gericht in Satz 2 auferlegten Beschränkung die mangelnde Zuständigkeit nicht zuungusten des Angeklagten rügen, zu seinen Gunsten (§ 296) nur, wenn dieser rechtzeitig den Einwand erhoben hatte, das Gericht sei örtlich nicht zuständig. Auf den Eröffnungsbeschluß kann sie die Revision nicht stützen, weil ihr die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde zustand (§ 336 Satz 2 zweite Möglichkeit). Hat das Gericht sich zwar in der Hauptverhandlung für unzuständig erklärt, nach der 19 Unzuständigkeitserklärung aber weiterverhandelt und entschieden, dann fehlen dem Verfahren Anklage und Eröffnungsbeschluß (Rdn. 9). Das ist bei einer gegen das Urteil eingelegten Revision als Prozeßhindernis von Amts wegen zu prüfen. Das Revisionsgericht hat das Verfahren durch Urteil einzustellen 32 . Wird die Entscheidung, mit der das Gericht seine örtliche Zuständigkeit verneint hat, 20 rechtskräftig, so entfaltet sie eine Sperrwirkung in dem Sinn, daß wegen der Tat, für deren Aburteilung das Gericht sich für örtlich unzuständig erklärt hat, jedenfalls bei ihm keine Anklage mehr erhoben werden kann 33 . 7. Örtliche Unzuständigkeit des Rechtsmittelgerichts. Gelangt durch einen Irrtum 21 die Sache an ein falsches Berufungs- oder Revisionsgericht, nachdem sie in der ersten Instanz beim örtlich zuständigen Gericht anhängig war, ist § 16 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Eröffnung des Hauptverfahrens (Satz 1) tritt der Beginn des Vortags des Berichterstatters (§ 324 Abs. 1 Satz 1; § 351 Abs. 1). Die Vernehmung zur Sache (Satz 3) ist für das Berufungsverfahren in § 324 Abs. 2 geregelt; im Revisionsverfahren findet keine statt. Es wäre systemwidrig, dafür auf die Ausführungen des Angeklagten nach § 351 Abs. 2 Satz 1 abzustellen, weil diese eher den Schlußvorträgen entsprechen. Daher wird im Revisionsverfahren der Einwand nur bis zum Beginn des Vortrags des Berichterstatters (§ 351 Abs. 1) als zulässig angesehen werden können. 30
BGH GA 1980 255, MDR 1993 891; OLG Karlsruhe VRS 51 (1978) 211; OLG Düsseldorf VRS 59 (1980) 358; OLG Köln VRS 74 (1988) 33.
(107)
3
' RG JW 1933 444. BGHSt 18 3. BGHSt 18 5; BGH NStZ 1988 371.
32 33
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§19
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
§17 bestimmte, daß durch eine Entscheidung, die die Zuständigkeit für die Voruntersuchung festgestellt hatte, die Zuständigkeit auch für das Hauptverfahren festgestellt war. Die Vorschrift ist nach Wegfall der Voruntersuchung durch Art. 1 Nr. 3 des 1. StVRG gestrichen worden.
§18 bestimmte, was jetzt in § 16 Satz 2 geregelt ist. Zufolge dieser Verschiebung ist die Vorschrift durch Art. 1 Nr. 6 StVÄG 1979 gestrichen worden.
§19 Haben mehrere Gerichte, von denen eines das zuständige ist, durch Entscheidungen, die nicht mehr anfechtbar sind, ihre Unzuständigkeit ausgesprochen, so bezeichnet das gemeinschaftliche obere Gericht das zuständige Gericht. 1
1. Mehrere Gerichte. Die Vorschrift bestimmt die Entscheidungszuständigkeit des gemeinschaftlichen oberen Gerichts für den Fall, daß zwischen mehreren Gerichten — nicht verschiedenen Spruchkörpern eines und desselben Gerichts1 — ein negativer Kompetenzkonflikt über die örtliche Zuständigkeit bei unanfechtbaren Entscheidungen vorliegt. § 14 dagegen behandelt sowohl den negativen als auch den positiven Kompetenzkonflikt und setzt voraus, daß beim negativen Kompetenzkonflikt wenigstens zwei Entscheidungen noch anfechtbar sind (14, 3 a. E.). Betrifft der negative Kompetenzkonflikt die sachliche Zuständigkeit, etwa einen Streit über die Art des Rechtsmittels (Berufung oder Revision; sofortige oder Rechtsbeschwerde), kommt eine Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts dagegen regelmäßig nicht in Betracht. Eine entsprechende Anwendung der §§ 14 und 19 käme nur in Betracht, wenn anderenfalls das Verfahren zum Stillstand kommen würde, weil das zuständige Gericht nicht tätig wird. Ein solcher Fall scheidet aus, wenn — wie in den angeführten Beispielen — der Zuständigkeitsstreit auf einfachere Weise beendet werden kann. Eine solche Möglichkeit eröffnet für die genannten Fälle die entsprechende Anwendung des § 348. Sie befugt das Revisions- bzw. das Rechtsbeschwerdegericht (letzteres in Verb, mit § 79 Abs. 3 OWiG) das untere Gericht mit bindender Wirkung für zuständig zu erklären2.
2
Der Wortlaut des § 19 ist ungenau. Es kommt nicht darauf an, daß die beteiligten Gerichte (selbst) ihre Unzuständigkeit ausgesprochen haben, sondern daß ihre Unzuständigkeit rechtskräftig festgestellt ist. Die Bestimmung ist also auch anzuwenden, wenn die Unzuständigkeit entgegen der Auffassung des beteiligten Gerichts von einem Beschwerdegericht ausgesprochen worden ist3.
3
2. Zuständiges Gericht. § 19 findet nur Anwendung, wenn eines der beteiligten Gerichte nach den §§ 7 bis 11, 13 örtlich zuständig ist. Ist in Wirklichkeit ein anderes zuständig, liegt der Fall des § 19 nicht vor. Das obere Gericht hat dann den Antrag als 1 2
3
O L G Düsseldorf M D R 1982 689. B G H S t 31 184 = JR 1983 343 mit nur im Ergebnis zust. A n m . Meyer. Der Gesetzestext hat folgenden Sinn: Ist für meh-
rere Gerichte, von denen eines das zuständige ist, durch unanfechtbare Entscheidungen die Unzuständigkeit ausgesprochen, so bezeichnet das gemeinschaftliche obere Gericht das zuständige Gericht.
Stand: 1. 10. 1996
008)
Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§20
unzulässig zu verwerfen. Es darf die Sache nicht an das von ihm für zuständige erachtete Gericht verweisen, vielmehr ist es Sache der Staatsanwaltschaft (des Privatklägers), Anklage zum zuständigen Gericht zu erheben oder beim Bundesgerichtshof einen Antrag nach § 13 a zu stellen. Die Staatsanwaltschaft kann aber, wenn ihr die Zuständigkeit aller beteiligten 4 Gerichte zweifelhaft und das gemeinschaftliche obere Gericht der Bundesgerichtshof ist, mit dem Antrag aus § 19 einen aus § 13 a verbinden. 3. Nicht mehr anfechtbare Entscheidungen — für anfechtbare gilt § 144 — können 5 vorliegen, weil die Beteiligten (Staatsanwaltschaft, Angeklagter) von statthaften befristeten Rechtsmitteln (§ 206 a Abs. 2) keinen Gebrauch gemacht haben; sie können auch gegeben sein, wenn nach Gebrauch des Rechtsmittels kein weiteres mehr zulässig ist (§310 Abs. 2). Solange die Entscheidung auch nur eines der beteiligten Gerichte noch anfechtbar ist, ist das Verfahren nach § 19 unzulässig. Aus § 19 folgt, daß die Rechtskraft von Beschlüssen, durch die die Unzuständigkeit ausgesprochen wird, stets beschränkt ist und wieder beseitigt werden kann. 4. Verfahren. Da im Fall des § 19, anders als bei § 14, kein Streit zwischen mehreren 6 Gerichten besteht, kann das gemeinschaftliche obere Gericht (Vor § 7, 34) nicht durch die Vorlage eines der beteiligten Gerichte (§ 14, 7) mit der Sache befaßt werden, sondern nur durch den Antrag eines der Prozeßbeteiligten, nach der Natur der Sache regelmäßig der Staatsanwaltschaft 5 oder des Privatklägers. Das obere Gericht hat den Prozeßgegner des Antragstellers zu hören. Es entscheidet durch unanfechtbaren Beschluß (Vor § 7, 36). Das obere Gericht bezeichnet das zuständige Gericht. Es ist nicht vorgeschrieben und 7 auch nicht erforderlich, die von der Bezeichnung berührte Unzuständigkeitserklärung ausdrücklich aufzuheben. Diese tritt durch den Beschluß von Rechts wegen außer Kraft, gleichviel, welches Gericht sie erlassen hat und in welcher Lage des Verfahrens. Das gemeinschaftliche obere Gericht ist nicht gehindert, auch eine Unzuständigkeitserklärung unwirksam zu machen, die es selbst als Beschwerdegericht erlassen hatte.
§20 Die einzelnen Untersuchungshandlungen eines unzuständigen Gerichts sind nicht schon dieser Unzuständigkeit wegen ungültig. 1. Die Vorschrift enthält den allgemeinen Verfahrensgrundsatz (vgl. § 7 FGG, 1 § 22 d GVG; § 44 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG), daß von einem örtlich unzuständigen Gericht erlassene einzelne richterliche Untersuchungshandlungen wirksam bleiben. 2. Der Begriff der einzelnen Untersuchungshandlung (§ 162) bildet den Gegensatz zu 2 dem Verfahren als Ganzes. Als einzelne Untersuchungshandlung kommt namentlich in Betracht: die Vernehmung (§ 58) und Vereidigung (§ 59) von Zeugen und Sachverständigen (§ 72), die Unterbringung zur Beobachtung des Geisteszustands (§81) sowie die körperliche Untersuchung (§ 81 a) des Beschuldigten oder anderer Personen (§ 81 c), die Anordnung einer Beschlagnahme von Beweismitteln (§ 98 Abs. 1, § 100 Abs. 1) und Ein4
OLG München JR 1980 78. Weitere Erl. zum Verh. von § 14 zu § 19 s. bei Wendisch JR 1995 520.
(109)
5 Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1982 689.
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§21
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Ziehungsgegenständen (§ 111 e Abs. I) 1 , der Überwachung des Fernmeldeverkehrs (§ 100 a), der Durchsuchung (§ 105 Abs. 1), der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111 a Abs. 1) oder eines vorläufigen Berufsverbots (§ 132a). Die Anordnung einer Beschlagnahme wird also nicht dadurch hinfällig, daß das Gericht, das dieses Zwangsmittel angeordnet hat, sich nachher für örtlich unzuständig erklärt. 3
Für den Erlaß eines Haftbefehls (§ 114 Abs. 1) sowie für die weiteren richterlichen Entscheidungen und Maßnahmen (§§ 116, 116 a, 120, 126 a) gilt dasselbe, doch ist es angebracht, in einer Haftsache im Zusammenhang mit einer Unzuständigkeitserklärung ausdrücklich zu entscheiden, ob der Haftbefehl aufgehoben oder bis zur Entscheidung des zuständigen Gerichts aufrechtzuerhalten wird. Das zuständige Gericht muß, sobald es mit der Sache befaßt wird, über die Fortdauer der Untersuchungshaft entscheiden.
4
3. Unzuständigkeit. Die Vorschrift regelt den Fall, daß ein örtlich unzuständiges Gericht eine Untersuchungshandlung vorgenommen hat, weil es sich irrtümlich für zuständig gehalten hat. Die Gültigkeit der Handlungen, die ein für die Untersuchung unzuständiges Gericht in Ausübung der dem zuständigen Gericht zu leistenden Rechtshilfe (§§ 156, 157 GVG) oder bei Gefahr im Verzug nach § 21 ausgeführt hat, versteht sich, da das Gericht dafür zuständig ist, von selbst.
5
4. Wirkung der Gültigkeit. Einer Wiederholung der vom unzuständigen Gericht vorgenommenen Untersuchungshandlung bedarf es weder im vorbereitenden Verfahren nach §§ 162, 165, 166, noch für das Zwischenverfahren. Demnach kann auch für das Verfahren zur Vorbereitung der Hauptverhandlung nach §§ 223 bis 225, wenn ein unzuständiger Richter in diesem Verfahren eine Untersuchungshandlung bewirkt hat, nicht gefordert werden, daß ein zuständiger Richter die Handlung wiederhole. Soweit die §§251, 253, 254 die Verlesung von Niederschriften über richterliche Untersuchungshandlungen zulassen, können auch Niederschriften über Untersuchungshandlungen verlesen werden, die ein unzuständiger Richter ausgeführt hat.
6
Dagegen zwingt, wenn das Gericht sich in der Hauptverhandlung für unzuständig erklärt hat, das Gebot der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit dazu, die Vernehmung des Angeklagten und die Beweisaufnahme, die vor dem unzuständigen Gericht stattgefunden haben, vor dem zuständigen Gericht zu wiederholen.
7
5. Eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 20 hat die Rechtsprechung nur für den Fall anerkannt, daß die Entscheidung wegen des Ausmaßes und des Gewichts der Fehlerhaftigkeit „geradezu unerträglich wäre, weil sie dem Geist der Strafprozeßordnung und wesentlichen Prinzipien unserer rechtsstaatlichen Ordnung widerspricht" 2 .
§21 Ein unzuständiges Gericht hat sich den innerhalb seines Bezirks vorzunehmenden Untersuchungshandlungen zu unterziehen, bei denen Gefahr im Verzug ist. Entstehungsgeschichte. Der Text, in dem das letzte Wort „ist" an die Stelle von „obwaltet" getreten ist, beruht auf Art. 9 VereinhG in Verb, mit Anlage 3 zu diesem Gesetz. Inhaltlich ist die Vorschrift seit 1877 unverändert. LG Köln MDR 1996 192.
2
BGHSt 29 351; BGH NStZ 1984 279.
Stand: 1. 10. 1996
(110)
Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
§21
1. Unzuständigkeit. Im Gegensatz zu § 20, der Untersuchungshandlungen eines 1 Gerichts im Auge hat, das sich, wenn es die Handlung vornimmt, irrtümlich für zuständig hält, beauftragt § 21 ein Gericht, dem seine örtliche Unzuständigkeit bekannt ist, mit gewissen Untersuchungshandlungen. Das Gesetz macht das Gericht zuständig, diese einzelnen Handlungen vorzunehmen. 2 Die Eingangsworte müßten daher richtig heißen: „ein an sich unzuständiges Gericht". Der gesetzliche Auftrag begründet keinen Gerichtsstand. 3 2. Als Gericht kommt jedes Gericht in Betracht mit Ausnahme des Bundesgerichts- 4 hofs, der keine allgemeine Zuständigkeit für Untersuchungshandlungen hat, und daher nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auch nicht kraft Gesetzes beauftragt werden sollte, einzelne Untersuchungshandlungen vorzunehmen. In erster Linie betrifft die Vorschrift Amtsgerichte. Landgerichte und Oberlandesgerichte werden nur ausnahmsweise in die Lage kommen, auf Grund des § 21 einzuschreiten1. Es darf immer nur ein an sich örtlich unzuständiges Gericht entscheiden, das sachlich 5 auf der gleichen Ebene steht wie das örtlich zuständige Gericht. Die Vorschrift gestattet nicht, in die sachliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts einzugreifen. 3. Untersuchungshandlungen. Da für den Fall, daß die öffentliche Klage noch nicht 6 erhoben ist, die besondere Bestimmung des § 165 besteht, ist § 21 hauptsächlich auf den Fall einer bereits anhängigen Untersuchung zu beziehen. Er findet aber auch auf einzelne Untersuchungshandlungen im Strafvollstreckungs- oder Strafvollzugsverfahren Anwendung 2 . Es kommen stets nur einzelne Untersuchungshandlungen in Betracht. Das Notgericht leistet sie für das zuständige Gericht, aber nicht im Weg der Rechtshilfe sondern als eigene Aufgabe. Die Staatsanwaltschaft ist befugt und nach ihrer Amtspflicht ggf. verpflichtet, Anträge auf Vornahme schleuniger Untersuchungshandlungen zu stellen, doch ist die Verpflichtung des Gerichts, nach § 21 zu verfahren, nicht von einem Antrag des Staatsanwalts abhängig. 4. Gefahr im Verzug bedeutet nach den neueren Fassungen (§ 81 a Abs. 2, § 81 c 7 Abs. 5) die Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung, die einträte, wenn die Sache vor der Untersuchungshandlung an das zuständige Gericht abgegeben werden müßte. Der Begriff ist, wie auch an anderen Stellen der Strafprozeßordnung, rein prozessual; daß von dem Beschuldigten sonstige Gefahren, etwa für die öffentliche Sicherheit, drohen, ist ohne Bedeutung. Danach liegt Gefahr im Verzug vor, wenn ohne das Handeln des unzuständigen Gerichts die Prozeßhandlung nicht oder nur unter wesentlicher Erschwerung oder nur zu spät vorgenommen werden könnte. Weitere Verfügungen hat alsdann das zuständige Gericht zu treffen.
1
Beispiel: Die Strafkammer erklärt sich für örtlich unzuständig, erachtet es aber gleichzeitig für unum2
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gänglich, den Angeschuldigten sofort in Haft zu nehmen. B G H S t 2 7 239; 331.
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DRITTER ABSCHNITT Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vorbemerkungen Schrifttum. Arloth Zur Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts, NJW 1983 207; Bruns Ablehnung eines Staatsanwalts aus den Gründen des § 24 StPO, insbesondere wegen Besorgnis der Befangenheit? FS Grützner 42; Bruns Ungeklärte verfahrensrechtliche Fragen des Contergan-Prozesses, FS Maurach 469, 483; Bruns Inwieweit unterliegt die Mitwirkung eines als befangen abgelehnten Staatsanwalts der revisionsgerichtlichen Kontrolle — Fortentwicklung der Rechtsprechung? JR 1980 397; Buckert Der Rechtsanspruch des Bürgers auf Ablösung eines befangenen Staatsanwalts und seine gerichtliche Durchsetzung, NJW 1970 847; Dästner Bedenken gegen eine Einschränkung des Ablehnungsrechts im Strafverfahren, ZRP 1977 53; Dahs Wechsel des Staatsanwalts im Wiederaufnahmeverfahren, DRiZ 1971 83; Frisch Ausschluß und Ablehnung des Staatsanwalts, FS Bruns 385; Hilgendorf Verfahrensfragen bei der Ablehnung eines befangenen Staatsanwalts, StV 19% 50; Joos Ablehnung des Staatsanwalts wegen Befangenheit? NJW 1981 100; Kintzi Plädoyer für eine Neuordnung des Amtsrechts der Staatsanwälte, FS Wassermann 899; Krey Grundzüge des Strafverfahrensrechts (II. Teil) — Befangenheit des Staatsanwalts —, JA 1985 511; Kuhlmann Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts, DRiZ 1976 11; Müller-Gabriel Neue Rechtsprechung des BGH zum Ausschluß des „Zeugen-Staatsanwalts", StV 1991 235; Oppe Wechsel des Staatsanwalts im Wiederaufnahmeverfahren, DRiZ 1971 23; Roxin Fragen der Hauptverhandlungsreform im Strafprozeß, FS Schmidt-Leichner 145, 149; Schairer Der befangene Staatsanwalt (1983); Schneider Gedanken zur Problematik des infolge einer Zeugenvernehmung „befangenen" Staatsanwalts, NStZ 1994 457; Sessar Wege zu einer Neugestaltung der Hauptverhandlung, ZStW 90 (1978) 698, 701; Tolksdorf Mitwirkungsverbot für den befangenen Staatsanwalt (1989); Wendisch Zur Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts, FS Schäfer 243.
Entstehungsgeschichte. Nach dem alten, später durch die EmmingerVO gestrichenen § 23 Abs. 3 durfte der Berichterstatter des Eröffnungsverfahrens nicht am Hauptverfahren der Strafkammer teilnehmen. Ein Richter konnte ursprünglich nur bis zur Verlesung des Eröffnungsbeschlusses und in den Rechtsmittelinstanzen bis zum Beginn der Berichterstattung abgelehnt werden. Durch Art. 3 Nr. 9 VereinhG wurde dieser Zeitpunkt bis zum Beginn des Teils der Hauptverhandlung verschoben, der an die Vernehmung des Angeklagten zur Sache anschließt. Das StPAG 1964 hat den Kreis der Richter, die durch eine Vortätigkeit befangen erscheinen könnten, erweitert: Im Wiederaufnahmeverfahren darf kein Richter mitwirken, der bei der Entscheidung beteiligt gewesen ist, die durch die Wiederaufnahme angefochten wird (§ 23 Abs. 2)1. Der Zeitpunkt für die Ablehnung ist wieder dem Anfang der Hauptverhandlung nähergerückt worden (Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache, durch das StVAG 1987 sogar auf den Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse), hat aber praktisch seine Bedeutung verloren. Denn die Ablehnung ist, wenn dem Ablehnenden die Ablehnungsumstände erst später bekanntgeworden sind, weiterhin bis zum letzten Wort zulässig (§ 25 Abs. 2 Satz 2). 1
Vgl. Ε 1930 (EG zum ADStGB; Mat. zur StRRef. 7 51).
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Vor § 22
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Für unzulässige Ablehnungen stellt das Gesetz ein vereinfachtes Verfahren bereit (§ 26 a)2, aber auch das regelmäßige Verfahren wird für den Fall vereinfacht, daß ein Richter beim Amtsgericht, auch als Strafrichter, abgelehnt wird (§ 27 Abs. 3 Satz 3). Durch Änderung des § 28 wird die Anfechtung von Beschlüssen, die eine Ablehnung für unzulässig erklärt haben, in derselben Weise für statthaft erklärt wie bei Anträgen, die als unbegründet verworfen sind. Art. 1 Nr. 7 StVAG 1979 bringt eine Auflockerung des Verfahrens, indem er durch die Einfügung eines Absatzes 2 in § 29 die Möglichkeit eröffnet, die Entscheidung über einen erst in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsantrag bis höchstens den Beginn des übernächsten Verhandlungstages zurückzustellen, wenn anderenfalls die Fortsetzung der Hauptverhandlung (übermäßig) verzögert würde. Wegen weiterer — geringfügiger — Änderungen s. Entstehungsgeschichte zu den einzelnen Paragraphen. 1
1. Ausschließung und Ablehnung. Der Abschnitt handelt von der Ausschließung und von der Ablehnung von Berufsrichtern, Geschworenen, Schöffen und Urkundsbeamten, nicht von Staatsanwälten (Rdn. 8). Seine Vorschriften sind Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nach einem materialen, höheren Prinzip als dem formalen des „möglichst eindeutigen" Richters3 zugeordnet. Nach dem dazu vom Bundesverfassungsgericht ausgeformten Grundsatz muß gewährleistet sein, daß der Rechtsuchende nicht vor einem Richter steht, von dem er besorgen kann4, daß dieser die gebotene Distanz zum Rechtsuchenden 5 oder zur Sache 6 vermissen läßt. Dazu muß das Gesetz Vorsorge treffen, daß ein Richter, bei dem ein solcher Fall vorliegt, ausgeschlossen ist oder im Ablehnungsverfahren ausgeschlossen werden kann.
2
Zwischen Ausschließung und Ablehnung ist in bezug auf das Verfahren zu unterscheiden, was das Gesetz allerdings nur unzulänglich tut. Sachlich stehen sich die Ausschließung (§§ 22, 23) und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 24 Abs. 2), sowohl in ihren Voraussetzungen als auch in ihren Wirkungen, gegenüber. Die Ausschließungsgründe sind fest und eng umrissen. Besorgnis der Befangenheit kann aus sehr verschiedenen Anlässen entstehen. Der gleiche Umstand kann sie bei dem einen hervorrufen, bei dem anderen nicht, auch kann seine Wirkung zu verschiedenen Zeiten verschieden sein. Wenn auch Ausschließung wie Befangenheit letztlich beide dazu führen, daß der Richter ausfällt, so sind doch ihre Folgen nicht völlig gleich.
3
Der Ausschließungsgrund wirkt ohne weiteres und ohne Ausnahme kraft Gesetzes7 in der Weise, daß der Ausgeschlossene sein Amt nicht ausüben darf, gleichviel ob ihm oder einem anderen der Ausschließungsgrund bekannt oder verborgen ist; ob der Verdacht einer Befangenheit 8 besteht oder ausscheidet und ob ein Verfahrensbeteiligter der Amtsausübung widersprochen oder ihr zugestimmt hat. Denn die §§ 22, 23 sollen nicht nur verhindern, daß persönliche Empfindungen des Richters die Entscheidung beeinflussen 9 , sondern darüber hinaus, daß auch nur der Anschein eines Verdachts der Parteilichkeit ent2
Vgl. Reformkommission (Prot. 1 15; 2 200,403), Ε 1908/1909 (Mat. zur StRRef. 13 20), Ε 1919 (Reichsratsvorlage; Mat. zu StrafRRef. 14 18), Ε 1939 § 127 Abs. 1 Nr. 3. 3 Nachweise bei Schäfer LR« § 16 GVG. 4 Vgl. Arzt NJW 1971 1114. 5 BVerfGE 21 146 = NJW 1967 1124. 6 BVerfGE 30 153 = NJW 1971 1030. 7 BVerfGE 21 145 f =' NJW 1967 1123; 46 37. 8 Der Unterschied zwischen Ausschließung und Befangenheit liegt neben der sachlichen Unter-
scheidung (Rdn. 2) auch darin, daß im ersteren Fall der Ausschluß eines Richters von der Mitwirkung bei einer Entscheidung kraft Gesetzes eintritt, das Gericht mithin nur deklaratorisch feststellt, der Richter sei ausgeschlossen. Im Fall der Befangenheit ist die Entscheidung des Gerichts dagegen konstitutiv; erst ihre Feststellung macht den Richter unfähig, an weiteren Entscheidungen des Gerichts mitzuwirken (BVerfGE 46 37). BGHSt 3 69.
Stand: 1. 10. 1996
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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen
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stehe . „Gewisse Hinderungsgründe sind von der Art, daß schon die Rücksicht auf das Ansehen der Justiz die Ausschließung des Richters erheischt"1 Der Ausschließung tritt, sie ergänzend — als Auffangtatbestand 12 —, das Institut der 4 Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zur Seite. Kommt es beim Ausschluß allein darauf an, daß (objektiv) der Ausschließungsgrund besteht, und bleibt es unbeachtlich, welche Wirkungen er (subjektiv) auf den Richter und auf den Ablehnungsberechtigten hervorruft, so ist bei der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit entscheidend, daß der Ablehnende Grund hat zu besorgen, der Richter werde unter Einfluß des Ablehnungsgrundes sein Amt nicht in voller Unparteilichkeit ausüben 13 . Die Ablehnung wirkt daher immer nur in die Zukunft und macht nicht, wie die während der richterlichen Handlung oder nach ihr festgestellte Ausschließung, die Handlung rückwirkend fehlerhaft. 2. Gerichtspersonen. Der Abschnitt regelt in erster Linie die Ausschließung und 5 Ablehnung von Richtern. Unter Richtern (§§ 22 bis 26 a, § 27 Abs. 3, § 30) und richterlichen Mitgliedern (§ 27 Abs. 2) sind zu verstehen die Richter (auf Lebenszeit: § 10 DRiG; auf Probe: § 12 Abs. 1, § 19 a Abs. 3 DRiG und kraft Auftrags: § 14 DRiG), die die ordentliche (§ 5 DRiG) oder die außerordentliche (§ 7 DRiG; ordentliche Universitätsprofessoren der Rechte) Befähigung zum Richteramt haben, in Rechtshilfesachen auch die Referendare. Der Abschnitt befaßt sich nur mit Richtern, die in Ausübung ihres Richteramts handeln. Übt der Richter Maßnahmen der Justizverwaltung 14 aus, kann er ebensowenig wie 6 ein Staatsanwalt abgelehnt werden. Ist er als Richter ausgeschlossen, bleibt er zu den genannten Maßnahmen befugt. Er kann jedoch eine Entscheidung seiner Vorgesetzten darüber herbeiführen, ob er in der Amtsausübung zu ersetzen ist, und er muß das tun, wenn er Besorgnis der Befangenheit für begründet erachtet. Die für die Richter geltenden Vorschriften werden summarisch auf Schöffen und 7 Urkundsbeamte und andere als Protokollführer verpflichtete und zugezogene Personen für anwendbar erklärt (§31). Außerhalb des Abschnitts behandeln — meist durch Verweisung auf ihn — die Ablehnung von Sachverständigen § 74, von Dolmetschern 191 GVG, von Rechtspflegern § 10 RPflG — soweit diese nicht mit der Wahrnehmung von Strafvollstreckungsgeschäften betraut sind (§ 32 in Verb, mit § 10 RPflG; § 451, 85) — und die Ausschließung von Gerichtsvollziehern § 155 GVG. Auf den Bezirksrevisor finden sie keine Anwendung 15 ; sie gelten auch nicht für Konsularbeamte 16 . 3. Staatsanwalt. Der dritte Abschnitt ist auf Staatsanwälte nicht anwendbar 17 . 8 Auch den §§ 141 bis 151 GVG können keine Rechtssätze über Ausschließung oder Ablehnung von Beamten der Staatsanwaltschaft entnommen werden 18 . In den Motiven (Hahn Mat. 1 93) wird hierzu bemerkt: „Es erschien überflüssig, besondere Vorschriften hinsichtlich der Beamten der Staatsanwaltschaft zu geben. Die Organisation der Staatsan>° RGSt 28 54; 59 267; BGHSt 9 193; 14 221; 28 265. 11 Mot. Hahn Mat. 1 82. 12 Schairer 49. 13 RGSt 33 309. 14 BGHSt 3 68. 15 OLG Koblenz MDR 1985 257. OLG Düsseldorf NStZ 1983 469 = MDR 1984 70; OLG Karlsruhe GA 1975 218, LG Darmstadt GA 1970 250; KMR-Pau/us § 22, 14.
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(115)
BVerfGE 25 345 = NJW 1969 1106; RG LZ 1918 454; BGH NJW 1980 845; 1984 1907, NStZ 1991 595; bei Holtz MDR 1992 19; BayObLG GA 1983 327; OLG Hamm NJW 1969 808; OLG Stuttgart NJW 1974 1394; Hilgendorf StV 1996 50, KKPfeiffer §22, 16; KK-Schoreit §145 GVG, 11; KMR-Pau/uj 17; Kleinknecht/Meyer-Goßner 3; Kintzi 906 ff; Zuck DRiZ 1988 174; LG Köln NStZ 1985 235 mit abl. Anm. Wendisch. RGSt 4 266.
Günter Wendisch
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
waltschaft gestattet es, daß in Fällen, in denen die Ersetzung eines staatsanwaltschaftlichen Beamten durch einen anderen geboten oder wünschenswert erscheint, diese auf Antrag des Beschuldigten oder jenes Beamten selbst oder auch von Amts wegen durch die vorgesetzte Behörde bewirkt werden kann, ohne daß es eines förmlichen Verfahrens bedarf' 1 9 . 9 Demzufolge kann der Beschuldigte bei dem Vorgesetzten eines Beamten der Staatsanwaltschaft beantragen, daß dieser durch einen anderen ersetzt werde (145 Abs. 1 GVG) 20 . Der Vorgesetzte muß das auf Antrag oder von Amts wegen immer tun, wenn ein Grund vorliegt, der beim Richter (abgesehen von den meisten Fällen der „Vortätigkeit") zur Ausschließung führt, oder wenn der Beschuldigte besorgen könnte, der Staatsanwalt sei befangen. In einem solchen Fall hat der Staatsanwalt auch selbst darauf hinzuwirken, daß er ersetzt wird, und sich, bis der Vorgesetzte entschieden hat, aller Amtshandlungen zu enthalten, wenn nicht Gefahr im Verzug ist 21 . 10
Dagegen kann der Beschuldigte weder einen Ablehnungsantrag bei Gericht anbringen 22 noch die Verfügung des vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft nach §§ 23 ff EGGVG anfechten 23 ; denn einmal ist die Entscheidung nach § 145 Abs. 1 (Rdn. 9) kein Justizverwaltungsakt 24 , stellt vielmehr eine Prozeßhandlung dar, die wegen ihrer funktionalen Bedeutung für das Strafverfahren sachlich dem Bereich der Rechtsprechung zuzurechnen ist 25 . Zum anderen wird der Beschuldigte durch eine solche Entscheidung des Dienstvorgesetzten des für befangen gehaltenen Staatsanwalts nicht in seinen Rechten verletzt. Die Befugnis, mit der Wahrnehmung der Amtsverrichtungen einen anderen als den zunächst zuständigen Staatsanwalt zu betrauen, ist dem Behördenleiter im Interesse einer sachgemäßen und geordneten Durchführung der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit, d. h. im Interesse der Allgemeinheit, eingeräumt. § 145 GVG begründet mithin kein Recht eines Prozeßbeteiligten, daß der Behördenleiter seine Befugnis in einem bestimmten Sinn ausübt 26 .
11
Es wäre allerdings verfehlt, hieraus herzuleiten, die Amtshandlungen eines Staatsanwalts seien, wenn er sich in einem Verhältnis der beschriebenen Art befinde, nicht fehlerhaft. Vielmehr stellt die unzulässige Mitwirkung des Staatsanwalts einen Verfahrensverstoß dar, weil „das Gesetz" (§ 337 Abs. 1), nämlich die den §§ 23 ff zugrundeliegenden 19
Vgl. auch Bohnert 106 mit weit. Nachw.; MüllerGabriel StV 1991 236; Pfeiffer FS Rebmann 359, 363 ff; Schneider NStZ 1994457, 461. 20 BGH bei Miebach NStZ 1989 13; LG Mönchengladbach MDR 1987 693 = StV 1987 333 mit zust. Anm. Bruns-, KK-Pfeiffer § 24, 13; instruktiv auch LG Köln NStZ 1985 235 mit teilw. krit. Anm. Wendisch. 21 Weitere Einzelheiten dazu bei Wendisch FS Schäfer 2 6 0 , 2 6 8 sowie in § 145 a des RefE eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Staatsanwaltschaft von 1976, abgedruckt in VR-Schäfera § 145, 9 GVG. Ähnliche Regelungen enthalten ζ. B. § 7 NdsAGGVG vom 5. 4. 1963 - GVB1. 225 - und § 11 BWAGGVG vom 16. 12. 1975 - Gbl. 868. Wegen der Bedenken gegen die Wirksamkeit der beiden landesr. Vorschriften s. Wendisch FS Schäfer 247 mit weit. Nachw. sowie Arloth NJW 1983 208 und Bohnert 105, aber auch BGH StV 1991 546. Wegen des Verfahrens s. Schairer 165 ff; 171 ff. 22
So aber Frisch 411, 413, Arloth 209, Joos 100 und
wohl auch Kuhlmann 14; wie hier LG Mönchengladbach MDR 1987 693 = StV 1987 333 mit zust. Anm. Bruns. 23 Koffka ZStW 84 (1972) 671; OLG Hamm NJW 1969 808; OLG Karlsruhe MDR 1974 423; OLG Schleswig SchlHA 1983 10; Müller-Gabriel StV 1991 23, offengelassen von OLG Stuttgart NJW 1973 1324; Schairer 151; Kleinknecht/Meyer-Goßner 4; a. A. BUckert NJW 1970 848. 21 Vgl. OLG Hamm NJW 1965 1241,1966 6 8 4 , 1 9 6 9 808, 1973 1089; OLG Stuttgart NJW 1972 2146, 1977 2276; OLG Hamburg NJW 1972 1586; OLG Karlsruhe NJW 1976 1417,1978 1595; OLG Nürnberg GA 1968 59; OLG Koblenz GA 1975 340; Altenhain JZ 1965 757, DRiZ 1970 105; Lüke JuS 1961 208; Meyer JuS 1971 297. 25 Wendisch FS Schäfer 263. 26 Wendisch FS Schäfer 264 mit weit. Nachw. sowie Arloth 208; Bruns JR 1980 400; Bottke JA 1980 720. Mit der Verneinung einer Rechtsverletzung wird auch dem angeblichen Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG die Grundlage entzogen.
Stand: 1. 10. 1996
(116)
Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen
Vor § 22
Grundsätze in Verbindung mit denjenigen über die Stellung der Staatsanwaltschaft im Prozeß, verletzt ist. Demzufolge ist die Revision zulässig27. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Es besteht Übereinstimmung, daß dem 12 Staatsanwalt grundsätzlich versagt ist, in der Hauptverhandlung weiterhin in dieser Funktion aufzutreten, nachdem er in dieser — nicht auch in einer früheren — als Zeuge benannt und vernommen worden ist 28 . Ob an dieser Ansicht festzuhalten ist, erscheint dem 1. Strafsenat des Bundesgerichtshof inzwischen fraglich 29 ; allerdings hat er die Frage noch offengelassen, weil die bisherigen Ausnahmeregelungen noch keine sofortige Entscheidung erforderten. So hat der 2. Strafsenat — mit dem Hinweis darauf, daß ein zu weitreichender Ausschluß der ständigen — (und sinnvollen) — Übung widerspreche — im Interesse einer raschen und zweckgerichteten Verfahrensgestaltung tunlichst den mit den Ermittlungen befaßten Staatsanwalt auch mit der Sitzungsvertretung in der Hauptverhandlung zu betrauen. Er hat deshalb das weitere Auftreten des als Zeuge vernommenen Staatsanwalts zugelassen, wenn sich seine Vernehmung auf Wahrnehmungen bezog, die nicht in unlösbarem Zusammenhang mit dem im übrigen zu erörternden Sachverhalt stehen und deshalb Gegenstand einer gesonderten Betrachtung und Würdigung sein können 30 . Ist das nicht der Fall, tritt der Staatsanwalt aber gleichwohl in der Hauptverhandlung 12a weiter in dieser Funktion auf, ist die darauf gestützte Revision begründet, wenn die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das Urteil auf dieser Gesetzes Verletzung i. S. des § 337 Abs. 1 beruht 31 . Das Urteil kann auf dem Mangel nur beruhen, wenn die Möglichkeit besteht, daß der Staatsanwalt das Gericht beeinflußt haben könnte 32 . Dafür wieder ist Voraussetzung, daß ein solcher Einfluß denkbar ist. Das ist in der Tat der Fall. Denn es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft — wie auch des Angeklagten und des Verteidigers —, Einfluß auf das Gericht auszuüben, damit dieses aufgrund der verschiedenen Einflüsse um so sorgfältiger die Tatsachen würdigen und das Recht anwenden kann. Demzufolge ist es als ein — zur Aufhebung des Urteils führender — Mangel angesehen worden, wenn der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung es unterlassen hat, einen Schlußantrag zu stellen 33 . Der Schlußantrag aber ist wiederum nur von Wert und der legale Einfluß von Mängeln frei und im Sinn des Gesetzes, wenn der Staatsanwalt unbefangen ist. Ist der Staatsanwalt der Vater des Angeklagten, wird er, wenn er korrupt ist, die Tat 13 beschönigen; meist wird ihn die Furcht, nicht objektiv zu sein, zu unangebrachter Härte verführen. Die Sache unbefangen zu würdigen, wird er nicht in der Lage sein. Freilich wird dieser Fall nicht vorkommen, aber Fälle ähnlicher Befangenheit sind denkbar. Amtiert der Staatsanwalt dann gleichwohl, kann das Urteil ebensowenig Bestand haben wie in dem Fall, wo der als Zeuge vernommene Staatsanwalt nicht als Anklagevertreter ausgeschieden ist 34 . Aus diesem Grund muß man dem Gericht einen Einfluß auf die 27
28
29 30
OLG Stuttgart NJW 1974 1394. Ebenso Frisch 385, 414; Kuhlmann 11; Schäfer 116; wohl auch Schairer 71; a. A. Bohnert 115; Tolksdorf 28. Zur allgemeinen Frage der Befangenheit des Staatsanwalts vgl. im übrigen BVerfG JR 1979 28; BGH NJW 1980 845 = JR 1980 431; BayObLG GA 1983 328 sowie Bruns JR 1979 31 und JR 1980 397. RGSt 29 236; BGHSt 21 85, 89; BGH NStZ 1994 194; Schairer 100; Müller-Gabriel StV 1991 236; Schneider NStZ 1994 458. BGH NStZ 1989 583. BGHSt 21 89 = JR 1967 228 mit abl. Anm. Hanack; bei Daliinger MDR 1957 16 (zu §§ 48 ff); Schairer
31
32 33
34
(117)
95; Dose NJW 1978 349, 352 ff; Schneider NStZ 1994 458; krit Schlächter Rdn. 66 Fußn. 1. RGSt 29 236; RG GA 67 (1919) 437; 71 (1927) 93; JW 1924 1761; 1925 1402, beide mit Anm. Alsberg; JW 1933 523 mit Anm. Drucker, BGHSt 14 265; BGH NJW 1980 845 = JR 1980 431; NStZ 1983 135; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 14; bei Miebach NStZ 1990 24; K K - P f e i f f e r 16 d; Schairer 182; Müller-Gabriel StV 1991 235; Schneider NStZ 1994 457 f; a. A. Eb. Schmidt 3; Bohnert 111,115. Drucker JW 1933 523. OLG Düsseldorf NJW 1963 1167; vgl. auch OLG Köln GA 1964 156. Bruns FS Grützner 46.
Günter Wendisch
Vor § 22
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Staatsanwaltschaft einräumen. Zwar ist es Sache des Staatsanwalts, dafür Sorge zu tragen, daß er ersetzt wird. Aber der Vorsitzende kann bei dem vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft auf die Ersetzung hinwirken. Denn es kann dem Gericht nicht zugemutet werden, ohne Abhilfe zu versuchen, eine Hauptverhandlung durchzuführen, die auf Rüge des Angeklagten wiederholt werden müßte. 14 Eine Befugnis, den Staatsanwalt zu entfernen 35 , hat der Vorsitzende allerdings nicht 36 . Sie wäre auch zwecklos, weil ihm die Möglichkeit fehlt, einen neuen Staatsanwalt einzusetzen. Ein — vermeidbarer — Streit ist mit den Mitteln der Dienstaufsicht auszutragen. Dazu muß das Gericht ggf. die Sache vertagen 37 . Gelingt es nicht, den Staatsanwalt zu ersetzen, ist die Hauptverhandlung allerdings fortzusetzen mit dem Risiko, daß sie nach erfolgreicher Revision wiederholt werden muß 38 . 15
Wenn auch Takt und Objektivität der Staatsanwälte Beschwerden, daß sie befangen seien, weitgehend verhindert haben, so sollte man sich hüten, aus dem geringen Umfang der neueren Rechtsprechung zu dieser Frage den Schluß zu ziehen, daß fast nie ein Anlaß bestanden hätte, einen Staatsanwalt auszuschließen oder abzulehnen. Denn die Verteidigung kann es auch unterlassen haben, Revisionsrügen anzubringen, weil sie nach dem Stand der Rechtsprechung erfolglos erschienen. De lege ferenda ist jedenfalls zu fordern, den Gegenstand gesetzlich zu regeln. Einen ersten Vorschlag enthielt § 132 Ε 193939. Eine konkrete Regelung sah auch § 145 a des Referentenentwurfs 1976 (Rdn. 9 mit Fußn. 21) vor; voll befriedigen vermag auch sie noch nicht 40 .
16
4. Reform. Der Katalog der Ausschließungsgründe des § 22 ist umfassend, doch sollte der Ausschluß eines mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten verlobten Richters eingefügt werden 41 . 17 § 23 erklärt den Richter für ausgeschlossen, der in der Sache schon tätig gewesen war. Hieran haben sich immer Reformwünsche geknüpft, den Richter der Ursprungssache nach Wiederaufnahme und nach Zurückverweisung aus der höheren Instanz sowie den Eröffnungsrichter auszuschließen. Der ersten Forderung hat das StPÄG 1964 mit Recht stattgegeben. Denn wenn auch die Kenntnis, die der frühere Richter vom Verfahren hat, für das wiederaufgenommene von Vorteil sein kann, so kann sie ihn doch ebenso belasten, den neuen Beweisen und ihrem Zusammenhang mit den alten unbefangen gegenüberzutreten; wenigstens kann — und darauf stellt das Recht der Ausschließung und Ablehnung ab — der Beschuldigte besorgen, daß das so sei. 18
Das ist bei der Zurückverweisung nicht immer der Fall, kann es aber oft sein (§ 23, 33). Indessen war es wohl nicht diese Verschiedenheit, die den Gesetzgeber bestimmt hat, den ersten Richter nicht auszuschließen, sondern sich mit der Anordnung ans Revisions35 Schairer 45; 153. 36 BGH NJW 1980 845; OLG Stuttgart NStZ 1992 99; Schneider NStZ 1994 459 (zugleich mit Hinweisen, wie bei Ablösung des Zeugen-Staatsanwalts gleichwohl eine wirksame Fortführung seitens der Staatsanwaltschaft erreicht werden kann); ähnlich auch Schlüchter 66, 2; Bedenken dagegen TolksdorfS. 118 f. " OLG Düsseldorf NJW 1963 1167. 18 Frisch 414; Wendisch FS Schäfer 266; OLG Stuttgart NStZ 1992 99; a. A. Arloth 210: Gericht muß schon in der Hauptverhandlung die Befugnis haben, von Amts wegen einen Beschluß über das Vorliegen eines Ausschließungs- oder Befangenheitsgrundes zu erlassen, mit der Folge, daß die
Stand: 1.
39
40
41
Staatsanwaltschaft alsdann nicht mehr ordnungsgemäß vertreten sei. Danach sollte der Staatsanwalt ausgeschlossen sein, wenn er vom Richteramt ausgeschlossen wäre oder in der Sache als Richter, Verteidiger, Beistand oder Anwalt des Verletzten oder des Einziehungsbeteiligten tätig gewesen war. Von einer kritischen Würdigung muß im Rahmen dieser Kommentierung schon deshalb abgesehen werden, da dieser Entwurf leider nicht weiter verfolgt worden ist, erlaubt sei aber insoweit der Hinweis auf Wendisch FS Schäfer 267 ff. Weitere Anregungen gibt LR-Diinnebier 23 Vor § 22, 13 Fußn. 4. Vgl. Ε 1930, Mat. zurStRRef. 7 51.
10.1996
dl«)
Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen
Vor § 22
gericht zu begnügen, die Sache an eine andere Abteilung, an eine andere Kammer oder an ein anderes Gericht (§ 354 Abs. 2) zurückzuverweisen. Denn ursprünglich sollte ein Zwang bestehen, die Sache stets an ein anderes Gericht zurückzuverweisen, und nur wenn das nicht möglich ist, an eine andere Abteilung oder Kammer 42 . Als die Verweisung an die andere Kammer zum Regelfall gemacht wurde 43 , ist wohl übersehen worden, dafür einen Ausschließungsgrund zu schaffen. Absicht des Bundestags war nämlich, die Richter auszuschließen, weil Befangenheit 19 besorgt werden könne 44 . Der gleiche Grund hat Veranlassung gegeben, im Wiederaufnahmeverfahren die Richter des Ursprungsverfahrens auszuschließen, obwohl kraft Gesetzes die Zuständigkeit einer anderen Abteilung oder Kammer oder eines anderen Senats begründet worden ist (140 a GVG). Indessen ist die ähnliche Frage bei der Zurückverweisung ausdrücklich anders geregelt als bei der Wiederaufnahme. Das ist verbindlich, sollte aber de lege ferenda im Sinn der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers geregelt werden. Der Bundestag hatte vorgesehen, den Richter des Eröffnungsverfahrens in bestimm- 20 ten Fällen auszuschließen 45 . Die Frage ist einer (wohl kaum bald zu erwartenden) großen Prozeßreform vorbehalten worden 46 . Wird sie einmal gelöst werden, darf man nicht verkennen, daß die Eröffnung des Hauptverfahrens wichtiger als alle anderen Vorentscheidungen im Verfahren ist und daher am ehesten beim Angeklagten die Besorgnis erregen kann, der Richter, dem er „hinreichend verdächtig erscheint" (§ 203), trete ihm nicht unbefangen entgegen. Schließt der Gesetzgeber daher den Eröffnungsrichter aus, bringt er nur zum Ausdruck, daß er dem Gefühl des Angeklagten Rechnung trägt, nicht aber, daß er dessen Besorgnis teile oder gegen die Richter Mißtrauen hege 47 . Die praktischen Schwierigkeiten, die namentlich für kleinere Gerichte befürchtet 21 werden, sind zu überwinden, wenn man lediglich die Mitglieder von Kammern und Senaten ausschließt, die das Hauptverfahren eröffnet haben. Mängel des amtsgerichtlichen Verfahrens dagegen können grundsätzlich mit der — begründungsfreien — Berufung angefochten werden; dem Angeklagten, der den Strafrichter durch die Eröffnung als befangen ansieht, ist anzusinnen, sich vor der Berufungskammer Recht zu holen. Der Ausschluß wenigstens des Berichterstatters der Eröffnungskammer war 45 Jahre lang geltendes Recht und ist durch eine Ausnahmeverordnung der Reichsregierung beseitigt worden. Ablehnung und Ausschließung des Staatsanwalts sind nach Voraussetzung, Verfah- 22 ren und Anfechtungsmöglichkeit gesetzlich zu regeln. Auch wird zu prüfen sein, ob nicht die Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters am Urteil wie in § 579 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zum Wiederaufnahmegrund erhoben werden sollte48. Das erscheint wenigstens für den Fall unabweislich, daß der Ausschließungsgrund erst nach Rechtskraft des Urteils bekanntgeworden ist. Bei der vom Bundestag in Aussicht gestellten „großen Prozeßreform" 49 sollte der 23 Abschnitt auch anders aufgebaut werden. Es ist unglücklich, das Verfahren bei Ausschließung und das bei Ablehnung übereinstimmend zu behandeln, obwohl Voraussetzungen und Folgen bei beiden verschieden sind. « 43 44
45 46
(Π9)
BTDrucks. IV 2378,69. BTVerh. IV 132, 6506 B, 6472 A. BTVerh. IV 6470 A: die Sache soll an andere Richter gehen; 6471 C: der Angeklagte soll nicht vor demselben Richter stehen (s. auch § 23, 33). BTDrucks. IV 2378, § 23 Abs. 1, S. 42. BTVerh. IV 132, S. 6475 B.
47
48 49
Vgl. die Ausführungen der Abgeordneten Jahn und Gude, BTVerh. IV 69, S. 3126 D, 3132 C; vgl. zu diesem Problem auch Rieß FS Kleinknecht 367 sowie die Erl. Vor § 198 (24. Aufl. Rdn. 19). v. Hippel § 25 IV 3 Anm. 7. BTVerh. IV 6475 B; s. aber auch Einl. Ε IX.
Günter Wendisch
§ 2 2
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n § 2 2
Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen: 1. wenn er selbst durch die Straftat verletzt ist; 2. wenn er Ehegatte, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist; 3. wenn er mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war; 4. wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist; 5. wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist. S c h r i f t t u m . Cuno D i e A u s s c h l i e ß u n g d e s R i c h t e r s in d e n F ä l l e n d e s § 2 3 S t P O , D i s s . F r e i b u r g 1934; Müller U n t e r w e l c h e n V o r a u s s e t z u n g e n ist j e m a n d als R i c h t e r w e g e n f r ü h e r e r B e f a s s u n g m i t d e r S a c h e a u s g e s c h l o s s e n ? N J W 1 9 6 1 102; W. Schmid R i c h t e r a u s s c h l u ß (§ 2 2 N r . 5 S t P O ) d u r c h „ d i e n s t l i c h e Ä u ß e r u n g e n " ? G A 1 9 8 0 2 8 5 ; Schorn D i e A u s s c h l i e ß u n g e i n e s R i c h t e r s i m S t r a f p r o z e ß in R e c h t s p r e c h u n g u n d S c h r i f t t u m , G A 1 9 6 3 2 5 7 .
Entstehungsgeschichte. Durch Art. IV des Gesetzes über die Zulassung der Frauen zu Ämtern und Berufen der Rechtspflege vom 11.7. 1922 (RGBl. I 573) wurde in Nr. 2 das Wort „ E h e g a t t e " an die Stelle des Wortes „Ehemann" gesetzt. Durch Art. 7 § 19 des Gesetzes zur Reform der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz — BtG) vom 12. 9. 1990 (BGBl. I 2002) ist das Wort „Betreuer" eingefügt worden. Durch Art. 21 Nr. 4 EGStGB 1974 wurden in Nr. 1 die Worte „strafbare Handlung" durch das Wort „Straftat" ersetzt. Durch Art. 7 Nr. 3 Buchst, a AdoptG sind die Worte „oder durch Annahme an Kindes Statt verbunden" gestrichen und ist der letzte Satzteil „auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht" durch die Worte „oder war" ersetzt worden.
Rdn.
Rdn. I. Ausschließung als Verletzter oder wegen Beziehung zum Beschuldigten oder Verletzten (Nr. 1 bis 3)
II. Ausschließung wegen nichtrichterlicher Vortätigkeit (Nr. 4 und 5) 1. Begriff der Sache
23
1. Straftat
1
2. Begriff der Tätigkeit
2. Gegenstand des Verfahrens
4
3. Beamte der Staatsanwaltschaft
3. Begriffe Beschuldigter und Verletzter a) Beschuldigter b) Verletzter
6 7
4. Polizeibeamte
37
5. Anwalt und Verteidiger
40
6. Zeuge und Sachverständiger
42
(§ 146 GVG)
30 35
4. Ausschließungsfälle a) Verletzter Richter (Nr. 1) b) Ehegatte, Vormund, Betreuer (Nr. 2) c) Verwandter oder verschwägerter Richter (Nr. 3)
11
5. Einzelfälle a) Vermögensdelikte b) Beleidigung
16 20
4. Revision
59
6. Richter als Beschuldigter
21
5. Eröffnungsbeschluß
62
9
III. Wirkungen und Folgen
10
S t a n d : 1.
1.1996
1. Wirkungen
45
2. Verfahren
49
3. Folgen a) Prozeßhandlungen b) Hauptverhandlung
51 55
020)
Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen
Alphabetische
Übersicht Rdn.
Rdn. Tätigkeit - Leitender Beamter
A. Ausschließung aufgrund persönlicher Beziehungen Ausschlußgrunde
1-21
Adoption
12
Beleidigung
20
Beschuldigter - allgemein - als Richter Betreuer Ehegatte Einheitliches Strafverfahren Gegenstand des Verfahrens Richter als Täter Sache
6 21 10 10 5 4 22 2
Verletzter Richter
I,3 7,8 9
Vermögensdelikte
16-19
Verwandter, Verschwägerter
II, 13-15
Straftat Verletzter
Verteidiger Zeuge - Benennung - Ladung - Vernehmung - Vorhalt C. Wirkungen und Folgen
B. Nichtrichterliche Tätigkeit Anwalt
40
Beamter der Staatsanwaltschaft
35
Dolmetscher
44
Polizeibeamter
37, 38
Sachbegriff
§ 2 2
30 33 40 42-44 43 43 42 44
Ausschluß kraft Gesetzes
45
Beweisverbot
53
Entscheidung
50
Ergänzungsrichter
55
Eröffnungsbeschluß - fehlerhafter - Mitwirkung des ausgeschlossenen Richters Hauptverhandlung, Bekanntwerden in der Irrtümliche Verneinung Prozeßhandlungen - Beschlüsse - Haftbefehle - Ladung - Urteile
62 63
59-61 59 60
64 55-58 46 51 52 51 51 54
23-29
Revision - Verfahrensmangel - Verhinderungsgrund
Sachverhaltserforschung
32
Umfang
47, 48
Sachverständiger
42,44
Verfahren
49
I. Ausschließung als Verletzter oder wegen Beziehung zum Beschuldigten oder Verletzten (Nr. 1 bis 3) 1. Straftat. Die Ausschließung hängt, wie in Nr. 1 ausdrücklich gesagt wird, wie aber 1 auch in Nr. 2 und 3 zu ergänzen ist, davon ab, daß der Richter selbst oder ein mit ihm in besonderer Beziehung Stehender durch die Straftat verletzt ist, oder davon, daß der Richter zu den in Nr. 2 und 3 Genannten in einem besonderen, meist nahen, Verhältnis steht oder stand. Das Wort Straftat ersetzt den früheren Begriff der strafbaren Handlung und begreift die tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung im Sinn des materiellen Strafrechts1. Den Gegensatz bildet die Tat im Sinn des § 2642. In Nr. 4 und 5 dagegen wird von der Sache gesprochen, worunter das Strafverfahren 2 wegen derselben Tat im Sinn des § 264 gegen dieselbe Person zu verstehen ist (Rdn. 28). Der Anknüpfungspunkt für den Ausschluß kann aber in den einzelnen Nummern nicht verschieden sein3. Der durch eine nicht angeklagte Straftat, eine mitbestrafte, konsumierte oder subsidiäre Straftat verletzte Richter, muß ebenso kraft Gesetzes als befangen angesehen werden wie deijenige, der in irgendeinem, auch später etwa nicht angeklagten Punkt der Sache, soweit sie zur Tat i. S. des § 264 gehört, ermittelt hat. 1 2
Begr., BTDrucks. VI 3250, S. 181. Begr. zu Art. 19 Nr. 1 EGStGB 1974, BTDrucks. 7 550, S. 275.
(121)
3
BGHSt 14 221.
Günter Wendisch
§ 2 2
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e Vorschriften
3
Das Wort Straftat bleibt daher, ebenso wie früher der Begriff der strafbaren Handlung, hinter dem zurück, was das Gesetz meint; es ist als Tat zu lesen. Die Verletzung braucht nicht durch die Straftat bewirkt zu sein, wegen der der Angeklagte angeklagt worden ist; es genügt die Verletzung durch einen Teil des gesamten geschichtlichen Vorgangs, dem das in der zugelassenen Anklage aufgeführte Tun des Angeklagten entnommen ist, soweit dieser Vorgang nach der Auffassung des Lebens eine sinnvolle Einheit bildet.
4
2. Gegenstand des Verfahrens. Auch damit ist der Anknüpfungspunkt für die Ausschließung noch nicht umfassend genug bezeichnet. Nach den §§ 2 bis 4 können zusammenhängende Strafsachen verbunden anhängig gemacht oder nach Eröffnung des Hauptverfahrens verbunden werden. Nach § 13 können zusammenhängende Strafsachen am gleichen Gerichtsstand angeklagt oder dorthin verbunden werden. Ist das geschehen, verliert die einzelne Strafsache für die Dauer der Verbindung ihre Selbständigkeit; es liegt nur noch ein einheitliches Strafverfahren vor.
5
Daraus ist zu Recht gefolgert worden, daß der durch eine Tat begründete Ausschluß eines Richters für die sämtlichen verbundenen Strafsachen, d. h. für das gesamte durch die Verbindung entstandene einheitliche Strafverfahren, wirksam ist4. Der Richter ist daher ausgeschlossen, wenn sich im Fall der Nr. 1 die Verletzung, in den Fällen der Nr. 2 und 3 die Beziehung zu dem Beschuldigten oder Verletzten auf den Gegenstand des Strafverfahrens bezieht, freilich vielleicht nur auf einen Teil von diesem, selbst wenn dieser bis zur Aburteilung — etwa durch Einstellung nach §§ 153 bis 153 e, 154, 154 a — wieder weggefallen ist5. Entscheidend ist allein, ob der Richter in irgendeinem Punkt durch die Straftat verletzt ist, unabhängig davon, ob der Beschuldigte (Angeklagte) deswegen noch zur Rechenschaft gezogen werden soll oder kann 6 . 3. Begriffe Beschuldigter und Verletzter
6
a) Der Begriff Beschuldigter bedarf hier kaum der Erläuterung. Soweit er den Angeschuldigten und den Angeklagten erfaßt — die Hauptfälle, wo die Ausschließung eine Rolle spielt —, ist die Abgrenzung 157 zu entnehmen. Die bei den § 136, 163 a erörterte, von der Redaktionskommission des Reichstags nicht geklärte7 Frage, von wann an ein Verdächtiger (§ 160 Abs. 1: „Verdacht" einer Straftat) anfängt, Beschuldigter zu werden, kann kaum streitig werden, weil ein Richter im vorbereitenden Verfahren (§ 26 a Abs. 2 Satz 3) erst in Anspruch genommen wird, wenn feststeht, daß die Staatsanwaltschaft jenen einer Straftat beschuldigt.
7
b) Der Begriff Verletzter findet sich in der Strafprozeßordnung an vielen Stellen (ζ. B. §61 Nr. 2, § 111 e Abs. 3, 4, § 111 g Abs. 1, § 111 h Abs. 1, § 111 i, § 111 k Abs. 1; § 172 Abs. 1, § 272 Nr. 4, § 374 Abs. 1, § 388 Abs. 1 und 2, § 395 Abs. 1 und 2, §§ 403 ff, § 472 a), doch sind ihm nicht überall dieselben Grenzen gezogen 8 ; er ist vielmehr nach dem Zweck der einzelnen Vorschrift bald enger, bald weiter auszulegen. Für § 22 muß wegen der Anfechtbarkeit der Handlungen eines ausgeschlossenen Richters (Rdn. 59) ein fest umgrenzbarer Begriff gefordert werden. Dieser Forderung kann eine mittelbare Verletzung9 nicht genügen, weil die Grenzen des Mittelbaren verfließen 10 . Verletzt i. S. des § 22 ist daher, wer durch die abzuurteilende Tat unmittelbar betroffen ist, 4
BGHSt 14 222. 5 BGHSt 14 222; KG StV 1981 13. 6 BGHSt 14 219; BGH MDR 1954 628; KG StV 1981 14. 7 Hahn Mat. 2 1974.
8 BGHSt 4 203; 5 87; 29 355 = JR 1981 377 mit Anm. Meyer-Goßner. 9 So Eb. Schmidt 6; Peters § 20 II 1; Schorn 261. 10 BGHSt 1 299.
Stand; 1. 10. 1 9 9 6
(122)
Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen
§ 22
d. h. bei Straftaten gegen das Vermögen durch die Straftat einen unmittelbaren Nachteil an seinem Vermögen erleidet 11 . Auch die mittelbare Verletzung kann, und das wird oft naheliegen, die Befangenheit 8 des Richters begründen. Dann sind die Wege der §§24 und 30 zu wählen. Die Verletzung wird nicht dadurch beseitigt, daß das auf die Hauptverhandlung ergehende Urteil die verletzende Straftat nicht feststellt; es kommt vielmehr allein darauf an, daß dem Angeklagten durch die Anklage eine Tat zur Last gelegt wird, aus der, wenn sie als begangen festgestellt wird, sich die Verletzung ergäbe 12 . 4. Ausschlußgriinde a) Verletzter Richter (Nr. 1). Nach dem selbstverständlichen Grundsatz, daß nie- 9 mand Richter in eigener Sache sein kann, ist der durch den Gegenstand des Strafverfahrens verletzte Richter ausgeschlossen. Wird der Richter durch eine Straftat verletzt, die nicht Gegenstand des Verfahrens ist, findet die Vorschrift keine Anwendung 13 . Der Richter wird also nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angeklagte ihn während der Verhandlung bestiehlt oder beleidigt. Allerdings kann der Fall des § 24 oder des § 30 vorliegen, aber nicht regelmäßig, wie sich schon aus § 178 GVG („vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung") ergibt. b) Ehegatte, Vormund, Betreuer (Nr. 2). Der Richter ist auch ausgeschlossen, wenn 10 er zum Beschuldigten oder Verletzten in einem besonderen Verhältnis steht, ζ. B. dessen Ehegatte — nicht der oder die Verlobte —, Vormund (§ 1773 BGB) oder Betreuer (§ 1896 BGB) ist. Das erstere Verhältnis setzt voraus, daß eine im Inland oder auch im Ausland geschlossene, nach dem Recht der Bundesrepublik als gültig anzuerkennende Ehe, besteht oder früher bestanden hat. Gleichgültig ist dabei, aus welchem Grund — Scheidung, Aufhebung oder Nichtigkeitserklärung — das Eheverhältnis beendet worden ist 14 . Die Eigenschaft als Ehegatte ist allerdings zu verneinen, wenn eine formgültige Ehe überhaupt nie bestanden hat (Nichtehe). Die Eigenschaft als Vormund (§ 1773 BGB) umfaßt auch die Gegenvormundschaft (§ 1792 BGB) 15 , nicht aber die Pflegschaft (§ 1909 BGB), die Aufgaben des Betreuers ergeben sich aus den §§ 1896 bis 1908 i BGB. c) Verwandter oder verschwägerter Richter (Nr. 3). Auf die in Nr. 3 aufgeführten 11 Verwandschaften und Schwägerschaften finden nach Art. 33 EGBGB die Vorschriften des bürgerlichen Rechts Anwendung, d. s. § 1589 BGB für die Verwandschaft und § 1590 BGB für die Schwägerschaft. Ausgeschlossen ist ein Richter, wenn er in gerader Linie mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten verwandt ist. Ein solches Verhältnis besteht zwischen Personen, deren eine von der anderen abstammt (Eltern, Kinder), und zwar ohne Rücksicht auf den Grad ihrer Verwandtschaft. In der Seitenlinie verwandt sind Personen, die von derselben dritten Person abstammen (§ 1589 Satz 2 BGB), in erster Hinsicht also Geschwister. Da sich der Grad der Verwandtschaft nach der Zahl der zu vermittelnden Geburten (§ 1589 Satz 3 BGB) bestimmt, ist ein Richter wohl gegenüber volloder halbbürtigen Geschwistern und Geschwisterkindern (Neffen, Nichten) im Verfahren gegen die eigenen Geschwister oder die Geschwister ihrer Eltern (und umgekehrt), nicht aber gegenüber Geschwisterkindern (Vettern, Basen) im Verfahren gegen eines von ihnen ausgeschlossen. Für nichteheliche Kinder bestehen nach der Aufhebung des § 1589 Abs. 2 BGB durch das Gesetz vom 19. 8. 196916 keine Besonderheiten, da auch die nicht11
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RGSt 2 4 3 4 2 ; 25 170; 37 145; 67 2 1 9 ; 6 9 127; BGHSt 1 2 9 8 ; BayObLG NJW 1 9 9 3 2630. RGRspr. 8 582. BGHSt 14 222; BayObLG M D R 1 9 9 3 370.
»
Vgl. RGSt 18 4 2 ; 41 113; 4 7 2 8 7 ; 5 6 4 2 7 ; BGHSt 9 37. RGSl 11 223. ι* BGBl. I 1243.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
eheliche Geburt Verwandtschaft vermittelt. Mehrere nichteheliche Kinder derselben Mutter und desselben Erzeugers sind vollbiirtige Geschwister. Wird das nichteheliche Kind auf Antrag des Vaters für ehelich erklärt (§ 1723 BGB), so erstrecken sich diese Wirkungen auch auf die Verwandten des Vaters. 12
Seit der Neuordnung des Adoptionsrechts durch das AdoptG vom 2. 7. 1976 erlangt das angenommene minderjährige Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des oder der Annehmenden (§ 1754 BGB). Die Adoption begründet bei Annahme eines minderjährigen Kindes die volle Verwandtschaft zwischen Kind und Annehmendem samt dessen Verwandten sowie die entsprechenden Schwägerschaften, während die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse grundsätzlich (Ausnahme § 1756 BGB) erlöschen (§ 1755 BGB). Diese Rechtsfolgen sind auch für die Ausschließung maßgebend. Die Annahme eines Volljährigen begründet dagegen nur die Verwandtschaft zum Annehmenden selbst (§ 1770 BGB), erstreckt sich nicht auch auf dessen Verwandtschaft, es sei denn, daß das Vormundschaftsgericht nach § 1772 BGB etwas anderes bestimmt; sie begründet die Ausschließung mithin auch nur in diesen Fällen.
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Schwägerschaft (§ 1590 BGB) besteht zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen; sie ist mithin gegeben im Verhältnis zu den Schwiegereltern (aufsteigende Linie), den Kindern des anderen Ehegatten (Stiefkinder, absteigende Linie) und den in der Seitenlinie mit seinem Ehegatten Verwandten. Zufolge Aufhebung von § 1589 Abs. 2 BGB sind auch das nichteheliche Kind und seine Verwandten mit der Ehefrau seines Vaters und deren Verwandten, aber auch die Ehefrau des nichtehelichen Kindes mit dessen Vater und seinen Verwandten verschwägert. Keine Schwägerschaft besteht zwischen den Ehegatten selbst, den Verwandten eines mit den Verwandten des anderen Ehegatten, den Verschwägerten eines Ehegatten mit dem anderen, dem Ehegatten des Annehmenden mit dem Angenommenen, wohl aber zwischen dem Ehegatten des Kindes mit dem Annehmenden (§ 1754 BGB). Voraussetzung der Schwägerschaft ist aber auch hier, daß eine gültige Ehe besteht oder früher bestanden hat (Rdn. 10). Auch hier braucht die Ehe, durch welche die Schwägerschaft vermittelt worden ist, nicht mehr zu bestehen und ist es auch bedeutungslos, aus welchem Grund das Eheverhältnis beendet worden ist.
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Für Verwandte in gerader Linie gilt der Ausschlußgrund ohne Einschränkung (Rdn. 11), für Verwandte in der Seitenlinie bis zum dritten Grad, für Verschwägerte nur bis zum zweiten Grad; er schließt diese Grade ein. 15 Die Verwandtschaft oder Schwägerschaft des Richters mit einem anderen mitwirkenden Richter, mit dem Beamten der Staatsanwaltschaft, dem Urkundsbeamten, dem Verteidiger des Beschuldigten oder dem Anwalt des Privatklägers oder Verletzten oder mit einem Zeugen oder Sachverständigen fällt nicht unter die Vorschrift 17 , doch kann ggf. Befangenheit des Richters zu besorgen sein (§ 24 Abs. 2, § 30). 5. Einzelfälle 16
a) Vermögensdelikte. Beim Diebstahl ist sowohl der Gewahrsamsinhaber als auch der Eigentümer verletzt18. Beim Betrug ist verletzt, wer an seinem Vermögen beschädigt, dagegen nicht, wer getäuscht, aber ein anderer als der Geschädigte ist19. Konkursdelikte verletzen jeden Konkursgläubiger, der wegen Unzulänglichkeit der Masse nicht voll befriedigt wird 20 ; nachträgliche Befriedigung beseitigt die Eigenschaft als Verletzter nicht21. Dagegen verletzt eine Tat zum Nachteil der Konkursmasse den Konkursverwalter nicht22. 17 18 19
BGH bei Daliinger MDR 1974 547; Eb. Schmidt 12. Vgl. RGSt 10 210; 19 378; 50 46; Schmidt!. RGSt 74 170; BGH bei Daliinger MDR 1971 363.
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RGSt 11 233; 33 309. RGSt 21 291. RG HRR 1938 636.
Stand: 1. 10. 1996
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Verwirklicht sich der schädliche Erfolg am Vermögen einer Gesellschaft, so kommt 17 es für die Frage, ob die Gesellschafter unmittelbar geschädigt sind, auf die Gesellschaftsform an: Bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts steht das Eigentum am Gesellschaftsvermögen der Gesamtheit der Gesellschafter zu (§ 718 Abs. 1 BGB). Daher nimmt jeder Gesellschafter unmittelbar an dem Schaden teil, der das Geschäftsvermögen trifft. Dasselbe trifft auf die offene Handelsgesellschaft zu, da sie, wenn ihr auch § 124 Abs. 1 HGB in gewissen Grenzen eine rechtliche Selbständigkeit einräumt, doch keine juristische Person, die rechtliche Stellung ihrer Gesellschafter vielmehr so geordnet ist, daß diese in ihrer jeweiligen Vereinigung Eigentümer des Gesellschaftsvermögens sind 23 . Es gilt auch für den nicht rechtsfähigen Verein und die Kommanditgesellschaft 24 . Anders verhält es sich mit dem eingetragenen Verein (§ 21 BGB), der eingetragenen 18 Genossenschaft (§ 1 Abs. 1 GenG) 25 , der Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG), der Kommanditgesellschaft auf Aktien (§ 278 Abs. 1 AktG) 26 und mit der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 18 Abs. 1 GmbHG). In diesen Fällen liegt eine von ihren Gesellschaftern verschiedene Rechtspersönlichkeit vor. Dieser gehört das Vermögen; wird es verringert, bewirkt das für die Beteiligten nur einen mittelbaren Schaden 27 , der sich wegen des Umfangs des Vermögens, der inneren Ausgleichsmöglichkeiten, der Limitierung der Dividenden und anderer Faktoren auf das Vermögen des Gesellschafters oder Mitglieds nicht auszuwirken braucht, jedenfalls in der Regel als Einzelschaden nicht meßbar und nicht mit Sicherheit feststellbar ist. Demzufolge nimmt auch der Prokurist einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung an dem Schaden, der dieser widerfährt, selbst dann nicht unmittelbar teil, wenn er Anteil am Gewinn der Gesellschaft hat 28 . Wird eine Stadtgemeinde, eine Kirchengemeinde oder eine andere Körperschaft des 19 öffentlichen Rechts geschädigt, so trifft der Schaden unmittelbar weder die Mitglieder noch die verfassungsmäßigen Vertreter29, auf keinen Fall die Mitglieder willensbildender Organe, wie Kreistagsabgeordnete eines geschädigten Landkreises 30 . b) Beleidigung. Der in einem voraufgegangenen Verfahren durch eine Beleidigung 20 verletzte Richter ist wegen seiner Verletzung ausgeschlossen, diese Beleidigung abzuurteilen. Dabei ist es gleichgültig, ob er selbst oder ob der die Dienstaufsicht Führende Strafantrag gestellt hat 31 . Dagegen ist der die Dienstaufsicht führende Richter niemals ausgeschlossen, mag er (§ 77 a Abs. 2 Satz 1 StGB) den Strafantrag gestellt 32 oder mag der Richter das selbst getan haben 33 , doch kann in dem ersten Fall Besorgnis der Befangenheit begründet sein 34 . Durch die Beleidigung des gesamten Richterstands 35 oder sämtlicher Richter eines Landes 36 werden nicht sämtliche Richter, sondern nur diejenigen verletzt, die persönlich getroffen werden sollen und gegen die damit die beleidigende Kundgebung unmittelbar gerichtet ist 37 . 6. Richter als Beschuldigter. Die Nummern 2 und 3 schließen den Richter sowohl 21 aus, wenn er zu dem Beschuldigten als auch wenn er zu dem Verletzten in einem besonderen Verhältnis steht. In Nr. 1 dagegen ist nur auf seine Verletzung durch die Straftat abgestellt. Den Parallelfall hierzu, daß der Richter selbst Beschuldigter ist, erwähnt das Gesetz nicht. Denn es ist selbstverständlich, daß niemand Richter über sich selbst sein kann.
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RGSt 46 77. KK-Pfeiffer 6. RGSt 3 362. RGSt 37 415; 69 128. RGSt 37 415; 69 128; anders bei § 60 Nr. 2: BGHSt 4 202. BGHSt 1300. RGSt 67 220.
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BGH bei Daliinger MDR 1955 145. BGH MDR 1954 628. RGRspr. 4 209; RGSt 3« 125. RGRspr. 5 333. RGSt 30 124. Vgl. RGSt 4 342. RGSt 25 179; KG JR 1978 422. RGJW 1912 942.
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Daher ist der Richter nicht nur ausgeschlossen, wenn er Angeklagter ist, sondern auch, wenn er zufolge einer Anzeige als Beschuldigter geführt wird 38 . Der Richter ist aber nicht nur ausgeschlossen, wenn er als Beschuldigter geführt wird, sondern auch, wenn er, ohne beschuldigt worden zu sein, Täter ist, gleichviel ob er das weiß oder nicht. 22
Unter den Begriff des Täters fällt der Richter, der der wirkliche Alleintäter ist oder sich an der Tat als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Nebentäter, Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) beteiligt oder sich einer Begünstigung (§ 257 StGB) oder Strafvereitelung (§ 258 StGB) in bezug auf den Täter der abzuurteilenden Straftat oder einer Hehlerei (§ 259 StGB) in bezug auf den Gegenstand der abzuurteilenden Tat schuldig gemacht hat; ein seltener Fall, der zudem, wenn er einmal vorliegen sollte, kaum bis zur Revision (§ 338 Nr. 2) aufgedeckt werden wird. Einen Wiederaufnahmegrund (§ 359) enthält er nach geltendem Recht nicht. II. Ausschließung wegen nichtrichterlicher Vortätigkeit (Nr. 4 und 5)
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1. Begriff der Sache. Im Unterschied zu § 23, der die Ausschließung bei richterlicher Vortätigkeit regelt, handeln die Nr. 4 und 5 vom Ausschluß, wenn der Richter in bestimmter Weise nichtrichterlich tätig geworden oder in der Sache vernommen worden ist. Im früheren § 23 Abs. 3 (s. EntstehungsG) war als Mitglied des erkennenden Gerichts der Untersuchungsrichter in der Sache ausgeschlossen, in der er die Voruntersuchung geführt hatte. Zu Unrecht wurde der Begriff Sache in beiden Vorschriften unterschiedlich ausgelegt; dabei ist die Auslegung, die er zu § 22 gefunden hatte, aus folgenden Erwägungen zu verwerfen.
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Zu der hier behandelten Bestimmung wurde dabei vor allem 39 auf die Vortätigkeit als Staatsanwalt abgestellt: Nach § 23 Abs. 3 sollte der Untersuchungsrichter als erkennender Richter nur ausgeschlossen sein, wenn er die Voruntersuchung wegen derselben Straftat i. S. des 264 und gegen dieselbe Person geführt hatte40. Im Fall des § 22 Nr. 4 dagegen sollte es beim Staatsanwalt ohne Rücksicht auf die verfolgten Personen allein auf die Tat i. S. des § 264 ankommen 41 , ja es sollte die Sachgleichheit noch umfassender als die nach § 264 zu bestimmende Tatgleichheit verstanden werden 42 . Demgegenüber faßt Eb. Schmidt (14) den Sachbegriff in beiden Fällen i. S. des § 264 auf „ohne Rücksicht auf die in den verschiedenen Verfahrensstadien ins Auge gefaßten Personen", v. Beling43 dagegen will — zu Recht — den für den Untersuchungsrichter gewonnenen eingeengten Begriff (Personenidentität) auch auf den Staatsanwalt, den Polizeibeamten und den Verteidiger anwenden.
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Zwar hat der gleiche Begriff an verschiedenen Stellen des Gesetzes oft verschiedene Bedeutung. Wenn er aber in zwei eng zusammenhängenden, einander unmittelbar folgenden und sich ergänzenden Vorschriften gebraucht wird, wie dies bisher der Fall war, liegt die Annahme nahe, daß er wenigstens insoweit den gleichen Inhalt hat, als er einen jetzt erkennenden Richter betrifft, der vor dem Hauptverfahren eine ermittelnde Tätigkeit, sei es als Staatsanwalt, sei es als Untersuchungsrichter, ausgeübt hat. In der Tat schlagen die für die Differenzierung durchgeführten Argumente nicht durch. 38
Beispiel: Ein Richter des Strafsenats des Oberlandesgerichts ist wegen Rechtsbeugung angezeigt; das Verfahren wird eingestellt (§ 171), die Beschwerde gegen die Einstellung zurückgewiesen. Im Anklageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 2) ist der Richter ausgeschlossen (OLG Stuttgart MDR 1971 67).
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Wenn auch nicht immer: RGSt 7 237. RGSt 54 316; 62 314; 68 377; BGHSt 9 194; BGH GA 1968 280; vgl. auch BGHSt 31 358. 41 RGSt 28 53; 57 275; BGH GA 1968 280. 42 BGHSt 9 195. « JW 1929 1039. «
Stand: 1. 10. 1996
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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen
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Die Auffassung, § 22 Nr. 4 verfolge ein weiteres Ziel als § 23 Abs. 3, weil er das 26 Strafverfahren nicht nur gegen Voreingenommenheit schützen, sondern schon den Verdacht der Parteilichkeit vermeiden wolle 44 , ist unrichtig. Denn dieser Zweck liegt allen Ausschließungsvorschriften zugrunde. So erklären die Motive 45 zu der Unterscheidung zwischen Ausschließungs- und Ablehnungsgründen: „Gewisse Hinderungsgründe sind von der Art, daß schon die Rücksicht auf das Ansehen der Justiz die Ausschließung des Richters erheischt." Damit ist der Gegensatz zu § 24 gekennzeichnet; auf § 23 treffen die Motive in gleicher Weise wie auf § 22 zu. Auch die Erwägung, der frühere § 23 Abs. 3 sei, anders als § 22 Nr. 4, eine Ausnahme 27 von dem Grundsatz gewesen, daß eine richterliche Tätigkeit in der Sache, die der Mitwirkung als erkennender Richter vorausgehe, keine Befangenheit begründe 46 , war nicht stichhaltig. In beiden Fällen ist zunächst die innere Freiheit des erkennenden Richters zu beurteilen; dabei kann die Frage, ob er aus einer Vortätigkeit befangen ist, nicht verschieden beantwortet werden, je nachdem ob er als Richter, als Beamter oder als Anwalt mit der Sache befaßt war. Denn es kommt nicht darauf an, welche Eindrücke er früher empfangen hat, sondern allein darauf, wie er sich jetzt von ihnen freihalten kann. Zweifelhaft konnte nur die weitere Frage gewesen sein, ob der Beteiligte eher annehmen konnte, der Richter, der in der Sache Staatsanwalt oder Verteidiger gewesen sei, erscheine ihm befangener als einer, der in der Sache die Voruntersuchung geführt hat. Läßt man bloße unbegründete Gefühle beiseite, die ja auch die Ablehnung wegen Befangenheit nicht rechtfertigen (§ 24, 6), so ist eine solche Befürchtung nicht anzuerkennen. Aus zwei Gründen schlägt auch die Begründung nicht durch, der Staatsanwalt 28 ermittle gegen alle Personen, die als Tatbeteiligte in Betracht kommen 47 , der Untersuchungsrichter aber sei nur gegen die Personen vorgegangen, die der Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung erfaßt habe 48 . Denn einmal regte der Untersuchungsrichter, wenn der Verdacht gegen einen weiteren Beschuldigten auftauchte, an, die Voruntersuchung auch auf diesen auszudehnen, wozu er in dringenden Fällen von Amts wegen tätig werden mußte 49 . Zum anderen ist nicht einzusehen, warum der erkennende Richter in der Verhandlung gegen Β soll befangen erscheinen können, wenn er gegen Α als Staatsanwalt ermittelt hat, ohne zu wissen, daß Β beteiligt war 50 , während keine solche Befangenheit sollte auftreten können, wenn er in der gleichen Lage das gleiche als Untersuchungsrichter getan hatte 5 '. Danach ist der Begriff „Sache" in § 22 Nr. 3 in bezug auf den als Staatsanwalt tätig gewesenen Richter genauso aufzufassen, wie er es früher in 23 Abs. 3 war, nämlich als das Strafverfahren wegen derselben Tat i. S. des § 264 gegen dieselbe Person 52 . Für den Polizeibeamten muß dasselbe gelten. Zur Sache gehört das gesamte Verfahren von den Ermittlungen an über die Hauptver- 29 handlung 53 , die Strafvollstreckung nach §§ 453 ff 5 4 bis zum Wiederaufnahmeverfahren 55 , nicht aber auch ein anschließendes Verfassungsbeschwerdeverfahren nach Art. 93 44
RGSt 28 54; 59 267; RG GA 40 (1892) 447; BGH NJW 1952 1149; BGHSt 9 195; 14 219; 28 265; BayObLG NStZ 1988 286. 45 Hahn Mat. 1 82. 4 BGHSt 9 194; BGH GA 1968 280. 47 RGSt 57 276; 68 377; BGH GA 1968 280. 48 RGSt 62 316. 49 RGSt 68 377. 50 RGSt 57 275. 51 RGSt 62 314. 52 A.A. K M R - / W u i 13. 53 RGSt 17 174; 30 70; 57 275; BGHSt 28 263. 54 BayObLG NStZ 1988 286; OLG Hamm MDR (127)
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1957 760; OLG Koblenz GA 1978 156; OLG Düsseldorf StV 1983 361; OLG Karlsruhe Justiz 1983 26; OLG Stuttgart NStZ 1988 376 = GA 1989 38; KMR-Paulus 14; Kleinknechl/Meyer-Goßner 4. RGSt 30 71. Im Fall BGHSt 9 193 war kein Ausschließungsfall gegeben. Die Umdeutung der Worte „in der Sache" in „in der Urspmngssache" verläßt unnötigerweise den Wortlaut des Gesetzes. Abhilfe mußte mit § 30 gefunden werden: Der Richter hätte, da seine Ablehnung begründet war, nach § 30 Anzeige machen, das Gericht hätte ihn wegen Besorgnis der Befangenheit ausschließen müssen.
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§ 2 2
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n
Abs. 1 Nr. 4 a GG in Verb, mit § 13 Nr. 8 a BVerfGG. Für dieses Verfahren ist die Ausschließung besonders geregelt. Zwar enthält § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG eine dem Wortlaut des § 22 Nr. 4 ähnliche Regelung; jedoch läßt sich ein allgemeiner, verfahrensübergreifender Rechtssatz in bezug auf die Auslegung des dort durch die höchstrichterliche Rechtsprechung in Strafsachen festgelegten weiten Anwendungsbereichs auf das Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde schon wegen der besonderen Eigenart dieses Verfahrens nicht herleiten. Für die Auslegung des Begriffs „dieselbe Sache" im Sinn von § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG sind deshalb allein die Vorschriften des Verfassungsprozeßrechts maßgebend. Sie gebieten es, den Begriff in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinn auszulegen. Es genügt nicht, daß der Richter in seiner früheren amtlichen oder beruflichen Eigenschaft in einem mit dem anhängigen verfassungsgerichtlichen Verfahren in irgendeinem Zusammenhang stehenden Verfahren tätig geworden ist. Zu seinem Ausschluß kann regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren führen 56 . Wegen der Bedeutung des Begriffs, wenn die Vortätigkeit als Anwalt und als Verteidiger entfaltet worden ist, s. Rdn. 41; wenn der Richter als Zeuge vernommen worden ist, s. Rdn. 44. 30
2. Begriff der Tätigkeit. Der Richter ist nach Nr. 4 ausgeschlossen, wenn er in der Sache in einer bestimmten Eigenschaft tätig geworden ist. Nach § 23 Abs. 3 war der Untersuchungsrichter in Sachen ausgeschlossen, in denen er die Voruntersuchung „geführt" hatte. 31 Auch diesen Begriffen gab die Rechtsprechung — zu Unrecht — verschiedenen Inhalt: Bei § 22 Nr. 4 soll jede — auch nur formelle — Tätigkeit 57 zum Ausschluß führen, bei 23 Abs. 3 a. F. dagegen sollte das nur bei wesentlichen Untersuchungshandlungen der Fall sein 58 . Die Begründung, Nr. 2 bezwecke, alle Personen vom Richteramt auszuschließen, bei denen auch nur die Möglichkeit einer Voreingenommenheit bestehe, gibt in Wirklichkeit keinen Unterschied zu 23 Abs. 3 a. F. ab (Rdn. 26). Vielmehr ist der Begriff der Tätigkeit und des Führens (der Voruntersuchung) inhaltlich gleich aufzufassen. Denn in dem Hauptfall, der Vortätigkeit des Staatsanwalts, besteht zu der, die früher dem Untersuchungsrichter zufiel, kein Unterschied in der Sachbehandlung. 32
Aus diesen Erwägungen umfaßt der Begriff der Tätigkeit jede Art amtliches Handeln in der Sache, das geeignet ist, den Sachverhalt zu erforschen oder den Gang des Verfahrens zu beeinflussen59. Danach ist der Begriff Tätigkeit weit zu fassen. Dennoch fällt die Tätigkeit als Gnadenbeauftragter der Landesjustizverwaltung nicht darunter, da sie nicht Sache i. S. von Absatz 1 Nr. 4 sein kann 60 . Demzufolge ist als Richter ausgeschlossen, wer als Beamter der Staatsanwaltschaft eine Verfügung entworfen 61 und die von einem nicht zeichnungsberechtigten Dezernenten entworfene Verfügung in Vertretung des Abteilungsleiters unterzeichnet hat 62 . Nicht ausgeschlossen ist dagegen, wer Akten abgegeben, nachdem er seine Unzuständigkeit — und zwar schon aufgrund der Buchstabenzuteilung — festgestellt hat. Konnte er diese erst erkennen, nachdem er geprüft hat, ob der Verdacht eines bestimmten Delikts besteht, war er aufgrund dieser Prüfung in der Sache tätig 63 und deshalb ausgeschlossen. Dagegen ist ein Ausschlußgrund selbst dann zu verneinen, wenn ein Richter, der in einem früheren Verfahren gegen denselben Angeklagten als Staatsan56
BVerfGE 47 108 = MDR 1978 553. 5 ? RGSt 28 53; 55 113; BGH NJW 1952 1149; RG GA 4« (1892) 447; vgl. auch Schairer 85. 58 RGSt 61 415. 5 » RGSt 59 268; 70 162; BGHSt 9 193; BGH bei Holtz MDR 1982 281 = NStZ 1982 78.
60 61 62 63
OLG Düsseldorf NStZ 1987 571. R G S t 7 236. BGH NJW 1952 1149. RGSt 55 113.
Stand: 1. 10. 1 9 9 6
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Dritter Abschnitt. A u s s c h l i e ß u n g und A b l e h n u n g der Gerichtspersonen
§22
wait tätig gewesen war, die in jenem Verfahren (von einem anderen Richter) verhängte Strafen in einem neuen Verfahren in die zu bildende Gesamtstrafe einbeziehen muß 64 . Der leitende Beamte der Staatsanwaltschaft, der „erste Beamte" (§ 144, § 145 Abs. 1 3 3 GVG), der mit der Sache selbst nicht befaßt gewesen ist 65 , ist mangels Tätigkeit nicht ausgeschlossen, wohl aber ist er es, wenn er auf die Sache selbst Einfluß genommen hat, indem er ζ. B. die Beweisergebnisse oder Rechtsfragen mit dem Dezernenten oder Abteilungsleiter, wenn auch nur mündlich, erörtert und dadurch, auch ohne Weisungen zu erteilen, auf dessen Entschließung eingewirkt hat, wenn auch nur in der Weise, daß er dessen Ansicht bekräftigt hat. Nicht ausgeschlossen ist wiederum der (vorgesetzte) Staatsanwalt, der nur den Sitzungsdienst eingeteilt 66 oder — ohne Anordnungen in der Sache zu treffen — nur verfügt hat, daß die Akten dem Dezernenten nach Rückkehr aus dem Urlaub vorzulegen seien, und zwar selbst dann nicht, wenn er die prozessualen Fragen des Falls mit einem Referendar zu dessen Ausbildung besprochen hatte 67 . Die Rücknahme eines Steckbriefs macht nur dann befangen, wenn sie auf eigener 34 Beurteilung des Sachverhalts beruht. Ist sie nur die Konsequenz einer von einem anderen Staatsanwalt beschlossenen Einstellung, stellt sie eine unausweichliche und allein technische Entscheidung dar, die keine Einwirkung auf die Sache in sich schließt. Ebenso ist die Anordnung, gerichtliche Ladungen und Entscheidungen zuzustellen68, bloß technische Ausführung des Gesetzes. Daher kann sie den Richter nicht als befangen erscheinen lassen, mithin auch keinen Ausschluß begründen. 3. Beamte der Staatsanwaltschaft (§ 146 GVG) sind die Bundesanwälte (einschließ- 35 lieh der Oberstaatsanwälte bei der Bundesanwaltschaft), die Staatsanwälte (einschließlich der nach § 19 a Abs. 3 DRiG) und die Amtsanwälte (§ 142 Abs. 1 Nr. 3 GVG) — in beiden Fällen unabhängig von der Dienstbezeichnung — sowie die mit der Wahrnehmung staatsanwaltschaftlicher Aufgaben beauftragten Richter auf Probe 69 , die mit der Wahrnehmung amtsanwaltlicher Aufgaben beauftragten Referendare (§ 142 Abs. 3 GVG) 70 und Angehörige des gehobenen Dienstes (unabhängig von der Dienstbezeichnung, meist Inspektoren). Beamte der Staatsanwaltschaft sind auf jeden Fall nach dem Sinn der Vorschrift auch die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG). Freilich werden sie in der Regel zugleich Polizeibeamte (Rdn. 37) sein. Führen die aufgeführten Beamten der Staatsanwaltschaft Geschäfte der allgemeinen 36 Justizverwaltung, wie die Bearbeitung von Dienstaufsichtsbeschwerden, so wird dadurch die Fähigkeit für eine spätere Richtertätigkeit in einer Strafsache, auf die die Aufsichtsbeschwerde Bezug hatte, nicht gehindert 71 . 4. Polizeibeamte, die in einer Strafsache aus eigener Entschließung tätig geworden 37 sind (§ 163 Abs. 1), sind in derselben Sache als Richter ausgeschlossen 72 , nicht jedoch Polizeibeamte, die ohne eigene Ermittlungen bloß eine Anzeige nach § 159 Abs. 1 erstattet haben 73 . Beschließt ein Bürgermeister nach eigener Prüfung, von weiteren Ermittlungen bis zur Entschließung der Staatsanwaltschaft abzusehen, so ist er damit in der Sache tätig geworden 74 . Als Polizeibeamter ist auch anzusehen, wer ohne als solcher angestellt Μ BGHSt 28 262. 65 RGSt 70 163. 66 Beting JW 1925 2779. Μ RGSt 59 267. 68 RGSt 28 54. 69 RGSt 7 236. Nicht aber auch der Richter beim Amtsgericht, der wegen Gefahr im Verzug und Nichterreichbarkeit eines Staatsanwalts als „Not(129)
70 71 72 73 74
staatsanwalt" nach § 165 tätig geworden ist (RGSt 68 377; BGHSt 9 235; a. A. Gössel GA 1980 347). OLG Düsseldorf JMB1NRW 1965 103. Beling JW 1925 2779. RGSt 17 422. RG GA 49 (1903) 118. RGSt 55 251.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
zu sein, polizeiliche Dienste der Strafverfolgung leistet, ζ. B. der Richter, der — etwa um die polizeiliche Praxis und die dabei verwendeten Geräte kennenzulernen — an einer Geschwindigkeitskontrolle der Verkehrspolizei teilgenommen und selbst die Geschwindigkeit des Fahrzeugs gemessen hat, dessen Fahrer wegen der dabei festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung von ihm abzuurteilen wäre 75 . 38 Polizeibeamte, die nicht zur Sicherheitspolizei gehören, sind nur ausgeschlossen, wenn sie in der Sache eine Tätigkeit in der Strafrechtspflege ausgeübt, namentlich eine mit Strafe bedrohte Handlung oder Unterlassung erforscht haben 76 ; sonst begründet die Tätigkeit innerhalb eines anderen Zweigs der Polizei, etwa der Wohlfahrts- 77 öder der Gesundheitspolizei 78 , nicht die Ausschließung. Ebenso genügen Transport oder Bewachung eines Gefangenen nicht. Auch war nicht „als" Polizeibeamter tätig, wer als Kriminalbeamter ein kriminaltechnisches Gutachten erstattet hat 79 ; doch kann er mit Erfolg als befangen (§ 24) abgelehnt werden und hat, wenn das nicht geschieht, nach § 30 zu verfahren. 39
Die Begriffe Sache und Tätigkeit können bei Polizeibeamten nicht anders als bei Staatsanwälten aufgefaßt werden.
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5. Anwalt und Verteidiger. Unter Anwalt des Verletzten ist nur der Rechtsanwalt zu verstehen 80 . Dabei ist es gleichgültig, ob er den Verletzten nur beraten, eine Anzeige für ihn aufgesetzt oder erstattet, ihn im Beschwerde- oder Anklageerzwingungsverfahren (§ 172) vertreten oder im Privatklageverfahren (§ 378) oder als Nebenkläger (§ 397) vertreten oder Beistand geleistet hat. Verteidiger sind die Wahlverteidiger (§ 138 Abs. 1), auch die „anderen Personen" des § 138 Abs. 2, und die Pflichtverteidiger (§ 142 Abs. 1) einschließlich der zum Verteidiger bestellten Rechtskundigen 81 .
41
Der Begriff der Sache gilt auch hier in dem zu Rdn. 29 festgestellten Umfang der Personenidentität: Er betrifft das Strafverfahren wegen derselben Tat gegen dieselbe Person 82 . Denn der Anwalt verteidigt die Person 83 ; Art und Maß der Tätigkeit sind unerheblich. Auch wer den Antrag, die Verteidigung zu übernehmen, ablehnt, kann damit als Verteidiger tätig sein, nämlich dann, wenn er die Sache zur Kenntnis genommen oder die Handakten des bisherigen Verteidigers eingesehen hat 84 , nicht jedoch, wenn er überhaupt keine Verteidigungen übernimmt und nur aus Höflichkeit eine kurze Unterhaltung geführt hat, ohne sich geistig mit der Sache zu befassen.
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6. Zeuge und Sachverständiger. Nach Nr. 5 ist der Richter nur ausgeschlossen, wenn er in der Sache (Rdn. 29) 85 gerichtlich, polizeilich oder von der Staatsanwaltschaft, einem Finanz- oder Hauptzollamt oder einer Zollfahndungsstelle als Zeuge oder Sachverständiger mündlich vernommen worden ist, gleichviel ob er Bekundungen gemacht oder die Erklärung abgegeben hat, von der Sache nichts zu wissen. Der mündlichen Vernehmung steht die von einem Richter (nicht Beamten) angeordnete Abgabe eines schriftlichen Sachverständigengutachtens im vorbereitenden Verfahren (§§ 158 bis 177) gleich (§ 82). 43 Abgesehen von diesem Fall genügen schriftliche Erklärungen, etwa des Richters der Ursprungssache, zu einer daraus entstandenen neuen Meineidssache über den Inhalt der Aussage in der ersten Sache, mögen sie auch im Einzelfall die Ablehnung wegen Besorg" OLG Karlsruhe VRS 39 (1970) 109. « RGSt 17 424; RG JW 1892 199. 77 RGSt 17 419. 78 RGSt 35 320. 79 BGH MDR 1958 785. so RGGA47(1900) 377. 7
81 82 83 84 85
Vgl. Dünnebier JR 1973 367 Fußn. 2. RG LZ 1918 452; Beling JW 1929 1039. Vgl. RGGA 47 (1900) 377. RG GA 40 (1892) 447. Weitergehend auch hier der Bundesgerichtshof; vgl. BGHSt31 359.
Stand: 1. 10. 1996
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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen
§22
nis der Befangenheit begründen, nicht zur Ausschließung; denn Vernehmung ist nur persönliches Anhören, in der Regel zu Protokoll 86 . Erst recht wird der Richter nicht dadurch ausgeschlossen, daß er als Zeuge benannt wird 87 . Deshalb kann der als Zeuge benannte Richter auch über den gestellten Beweisantrag mitentscheiden 88 . Andernfalls hätte es der Angeklagte in der Hand, durch bloße Benennung des Richters als Zeugen, jedes Gericht ohne sachlichen Grund an der Ausübung seines Amts zu hindern und damit eine geordnete Rechtspflege unmöglich zu machen 89 . Einen Ausschluß bewirkt auch die Ladung nicht 90 , doch verhindert sie den Richter, wenn er zur Hauptverhandlung als Zeuge und nicht als Richter erscheint 91 , an ihr als Richter teilzunehmen, und zwar selbst dann, wenn er als Zeuge nicht vernommen wurde 92 . Sagt der Richter aus, ζ. B. dadurch, daß er privates Wissen kundgibt, sei es in der Verhandlung, sei es unzulässigerweise nur in der Beratung, dann verläßt er damit die Stellung des Richters, nimmt die eines Zeugen ein und ist dadurch als Richter ausgeschlossen 93 . Ein bloßer Vorhalt, ζ. B. ob eine Örtlichkeit nicht dieser oder jener Beschaffenheit sei, 44 ist ebensowenig Zeugenaussage wie der Umstand, daß der Richter allgemeinkundige Tatsachen, etwa Straßenverhältnisse, in der Hauptverhandlung zum Gegenstand der Verhandlung macht. Ist der Richter vernommen worden, darf er das Richteramt selbst dann nicht ausüben, wenn sich seine Aussage als bedeutungslos erweist 94 . Die Vernehmung schließt ihn auch für ein Wiederaufnahmeverfahren aus 95 , nicht aber für Teile des Verfahrens, in denen zufolge Abtrennung die frühere Aussage keine Rolle mehr spielt96. Der Dolmetscher gehört nicht zu den Sachverständigen i. S. der Nr. 5.
III. Wirkungen und Folgen 1. Wirkungen. Liegt ein Ausschließungsgrund vor, ist der Richter „ohne Anregung 45 von Seiten der Parteien und unabhängig von einem etwaigen Verzicht derselben eo ipso, also kraft des Gesetzes" 97 , ausgeschlossen, das Richteramt auszuüben. Er steht einer Person außerhalb der Gerichte gleich 98 . Ob der Richter oder einer der Beteiligten den Ablehnungsgrund kennt, ist — anders als bei der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit — gleichgültig 99 . Aus dem Grundsatz, daß der Ausschließungsgrund den Richter ausschließt, folgt zwei- 46 erlei: Grundsätzlich bedarf es keiner Entscheidung, sondern nyr im Zweifelsfall. Eine irrtümliche Entscheidung, der Richter sei nicht ausgeschlossen, ändert nichts an dem kraft 86
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RGSt 12 180; 58 286; RG JW 1913 1001; a. A. KMR-Pau/ui 20. Bedenken dagegen erhebt W. Schmid (GA 1980 285), soweit die Vernehmung durch eine dienstliche Äußerung des Richters ersetzt wird. Für diesen Fall unterscheidet er: Kein Richterausschluß, wenn der jetzt amtierende Richter im Zusammenhang mit einem Beweisantrag nur sein „Nichtwissen" versichert oder wenn er sich nur zu prozessual erheblichen Umständen dienstlich geäußert hat; Ausschluß dagegen, wenn er sich in der dienstlichen Äußerung über sachlich erhebliche Umstände erklärt hat (298). Zur Frage der Einführung von Beobachtungen des beauftragten Richters zur Glaubwürdigkeit des kommissarisch vernommenen Zeugen in der Hauptverhandlung vgl. Foth MDR 1983 716. RGSt 42 2; GA 59 (1912) 126; BGHSt 11 206; 14 219; BGH bei Hollz MDR 1977 107; NStZ 1994 80 mit Anm. Bottke.
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BGH aaO. Ebenso zu §41 Nr. 5 ZPO BVerwG DÖV 1980 142; in dieser Entscheidung wird außerdem klargestellt, daß dienstliche Äußerungen zu einem unter Beweis gestellten Sachverhalt keine Zeugenaussagen sind. 89 BGHSt 7 331 = JR 1955 391 mit Anm. Niese = JZ 1956 31 mit Anm. Kleinknecht; KK-Pfeiffer 14; KMR-Paulus 20. 90 BGHSt 14 220; BGH StV 1993 507. 91 RGSt 42 3. 92 BGHSt 7 46. 93 RGSt 26 273; vgl. IV. Schmid 294. 94 RGSt 12 181. 05 RGRspr. 6 161; RGSt 30 70. *> RGSt 17 173. 97 RGSt 2 211. 98 BVerfGE 4 417 = NJW 1956 545. 99 RGSt 33 309.
Günter Wendisch
§ 2 2
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e Vorschriften
Gesetzes eingetretenen Ausschluß. Der Grundsatz, daß bei einer auf Verfahrensirrtum beruhenden gesetzwidrigen Besetzung Art. 101 Abs. 1 Nr. 2 GG nicht angenommen werden kann, gilt nicht für den ausgeschlossenen Richter 100 ; für den umgekehrten Fall, daß ein Richter irrtümlich als ausgeschlossen angesehen worden ist, s. Rdn. 60. 47 Der Ausschluß bezieht sich auf den gesamten Verfahrensgegenstand. Sind mehrere Sachen miteinander verbunden, so wirkt die Ausschließung, die zufolge der Beziehung zu der einen Sache begründet ist, für alle Sachen 101 . Diese umfassende Ausschließung wird auch nicht dadurch beseitigt, daß das Verfahren wegen der Tat, auf der die Ausschließung beruht, sich — etwa durch Einstellung nach §§ 153 bis 153 e, 154, 154 a 1 0 2 oder durch Teilrechtskraft — erledigt, im übrigen aber fortgesetzt wird. Ob das auch für den mit Erfolg abgelehnten Richter gilt, kann zweifelhaft sein. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Frage in der Entscheidung vom 7. 11. 1979 103 offengelassen. Auch für unaufschiebbare Handlungen und bei Gefahr im Verzug gilt keine Ausnahme 104 ; lediglich das jedermann zustehende Festnahmerecht nach 127 Abs. 1 bleibt unberührt. 48
Der Richter ist nicht nur von Entscheidungen, sondern von jeder richterlichen Tätigkeit im Verfahren schlechthin ausgeschlossen. Daher bezieht sich der Ausschluß auch auf Entscheidungen nach § 458 105 oder nach den §§ 462 und 463 106 . Allerdings erstreckt sich der Ausschluß nur auf richterliche Handlungen. Er beginnt in dem Zeitpunkt, wo der Ausschlußgrund entsteht. Dieser Zeitpunkt wird regelmäßig vor Beginn der richterlichen Handlung liegen, kann aber ausnahmsweise, namentlich im Fall der Nummer 5, auch erst während des Verfahrens eintreten. Für Maßnahmen der Justizverwaltung 107 gibt es keinen Ausschluß.
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2. Verfahren. Sobald der Richter von einem Ausschließungsgrund Kenntnis erhält, hat er sich jeder Ausübung des Richteramts zu enthalten. Auch darf er nicht außerhalb von Diensthandlungen auf die Sache einwirken, etwa die Terminbestimmung durch seine Autorität beeinflussen 108 . Er ist verhindert i. S. von 21 f Abs. 2 GVG — so daß ein Vertretungsfall (21 e Abs. 1 Satz 1, § 22 b Abs. 2, 3 GVG) vorliegt — und i. S. des § 192 Abs. 2 GVG (Eintritt des Ergänzungsrichters).
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Einer Entscheidung des Gerichts bedarf es nicht, wenn der Ausschließungsgrund offensichtlich ist, wie regelmäßig in den Fällen des § 22 Nr. 4 und 5 und meist im Fall der Verwandtschaft mit dem Beschuldigten (§ 22 Nr. 3). Dann scheidet der verhinderte Richter aus und wird durch seinen nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter ersetzt. Das ergibt sich aus der Ausschließung kraft Gesetzes sowie zusätzlich aus § 30, der die Entscheidung über Ausschließungsgründe nur für den Fall vorschreibt, daß Zweifel darüber bestehen, ob sie vorliegen. Hat ein Richter solche Zweifel, muß er die Entscheidung des Gerichts nach § 30 herbeiführen, entstehen bei Gericht Zweifel, hat es von Amts wegen zu entscheiden (§ 30). Die Entscheidung kann jeder Prozeßbeteiligte jederzeit während des ganzen Verfahrens anregen 109 . Anspruch auf Entscheidung und Bescheidung hat er jedoch nur, wenn er das Verfahren nach § 24 Abs. 1, § 26 Abs. 1 und 2 betreibt (§ 24, 2), für das die zeitliche Grenze des § 25 nicht gilt (§ 25, 8).
' BVerfGE 30 167 = NJW 1971 1033. 101 BGH GA 1979 311 = bei Holtz MDR 1979 281 zu § 24 Abs. 2; BGHSt 28 264. !02 BGHSt 14 219; Rosenmeier - LV zu § 2 - 85; Hanack JZ 1971 90. 103 BGH GA 1979 311. 104 RGSt 30 71.
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OLG Hamm MDR 1957 760. ' ' OLG Hamburg NJW 1963 874.
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OLG Hamm JZ 1951 756; OLG Celle NJW 1951 415. BayObLGSt 34 (1934) 109. Gantzer 24 Β 1; KMR-Paulus Vor § 33, 29. OLG Hamm NJW 1962 1734.
Stand: 1. 10. 1996
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§33
formel der Verkündungsakt — etwa wegen Erkrankung des Vorsitzenden — beendet werden mußte und daher die Gründe überhaupt nicht oder nur teilweise eröffnet werden konnten. Bis zu diesem Abschluß steht es dem Gericht frei, von der beschlossenen Entscheidung wieder abzugehen und sie durch eine andere zu ersetzen16, selbst wenn die ursprüngliche Entscheidung niedergeschrieben und die Niederschrift unterzeichnet ist; vor der Verkündung hat die Niederschrift nur die Bedeutung eines Entwurfs. Nach der Verkündung kann die Entscheidung nie geändert werden; nur offensichtliche Schreibfehler dürfen berichtigt werden. Auch im Verlauf anderer richterlicher Untersuchungshandlungen kann eine Ent- 11 Scheidung mündlich erlassen werden, jedoch nur, wenn der von ihr Betroffene bei der Verkündung anwesend ist. Als Beispiele sind die Entscheidungen am Schluß der mündlichen Verhandlung bei der Haftprüfung (§ 118 a Abs. 4 Satz 1), bei der Ausschließung eines Verteidigers (§ 138 d Abs. 5 Satz 1), die Maßnahmen, die der Richter im vorbereitenden Verfahren oder der beauftragte oder ersuchte Richter nach § 70 bei gesetzwidriger Verweigerung des Zeugnisses oder der Eidesleistung ergreift, sowie die auf § 180 GVG beruhenden Maßregeln zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu erwähnen. In Fällen dieser Art ergeht die Entscheidung wie in der Hauptverhandlung durch die Verkündung; auf den Zeitpunkt, in dem sie schriftlich abgefaßt wird, kommt es nicht an. c) Schriftlicher Erlaß. Sonstige Entscheidungen, die außerhalb der Hauptver- 12 handlung ergehen, sind erlassen, wenn sie, schriftlich abgefaßt und unterschrieben, auf Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1), diese ausgeführt von der Geschäftsstelle (§ 36 Abs. 1 Satz 2), an eine Person außerhalb des Gerichts bekanntgegeben werden 17 ; Ausnahmen sind nur für Beschlüsse anzuerkennen, die — wie der Beschluß nach § 349 Abs. 2 — nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführen (§ 34 a, 9). Diese sind bereits dann mit Außenwirkung erlassen und damit der Abänderung durch die entscheidenden Richter entzogen, wenn sie mit deren Unterschrift versehen und in den Geschäftsgang gegeben werden 18 . Das soll auch für die Festlegung des Zeitpunkts der früheren Verurteilung bei Einbeziehung einer durch Strafbefehl erkannten Strafe in eine Gesamtstrafe gelten. Auch in diesem Fall soll die Wirksamkeit des Strafbefehls schon mit der Unterzeichnung durch den Richter, nicht erst mit der Zustellung an den Beschuldigten eintreten 19 . Für alle sonstigen Fälle muß es bei dem Grundsatz verbleiben, daß eine Entscheidung, die nicht in der Hauptverhandlung getroffen wird, erst mit der Bekanntgabe an eine Person außerhalb des Gerichts erlassen ist, nicht schon dann, wenn sie zur Bekanntgabe an eine solche Person bestimmt wird 20 . Bis zur Bekanntgabe stellt die Entscheidung nur einen 16 17
BGH NJW 1953 155; Gantzer 24 Β 1. OLG Bremen NJW 1956 435; OLG Frankfurt MDR 1962 744; OLG Hamburg NJW 1963 874; OLG Koblenz VRS 42 (1971) 376; 48 (1975) 376; OLG Karlsruhe Justiz 1974 436; OLG Düsseldorf AnwBl. 1981 288; vgl. auch BGHSt 25 187 - allerdings nimmt die Entscheidung nur zur Frage der UnterZeichnung Stellung, ohne auf die Frage der Unabänderbarkeit, etwa zufolge Herausgabe in den Geschäftsgang, einzugehen. Wie hier auch Dalcke/ Fuhrmann 1; Pohlmann/Jabel" StVollStrt) § 13, 10; Geppen GA 1972 166; vgl. auch BayVerfGH MDR 1963 376; HessVGH DRiZ 1983 238 und Sieg NJW 1975 530. Wegen der verschiedenen Theorien zu dieser Frage - Äußerungs- oder Kreationstheorie, Entäußerungs- oder Emissionstheorie, modifizierte Entäußerungstheorie, (Nieses) Emissionstheorie (JZ 1971 757) und Zugangstheorie - vgl. Gantzer 25 bis
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35 sowie KMR-Paulus Vor § 33, 19 bis 27 und neuerdings Laubenthal NStZ 1991 402. Sonderregelungen enthalten § 78 c Abs. 2 Satz 1 StGB und § 33 Abs. 2 Satz 1 OWiG für die Veijährungsunterbrechung sowie § 34 a für die Strafzeitberechnung. >« BGH NStZ 1994 97. 19 BGHSt 33 230. 20 So RGSt 56 359; 66 122; OLG Hamburg HESt 1 161; OLG Köln NJW 1954 1738; JR 1976 514; OLG Hamm GA 1959 287; JZ 1967 185; Eb. Schmidt 12; KMR-Paulus Vor § 33, 28. Nach OLG Düsseldorf NJW 1950 760, Franzen/Gast/Samson Steuerstrafrecht §386 AO, 22 a; HUbschmann/Hepp/Spitaler FO und FinGerO § 386, 86; und auch Karstendiek 277 soll es auf den durch das Beschlußdatum ausgewiesenen Tag der unterzeichneten Entscheidung, nach OLG Köln JR 1976 514 auf den Zeitpunkt der Übergabe an die Geschäftsstelle ankommen.
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§33
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Entwurf dar, den das Gericht, wie in der Hauptverhandlung bis zur Verkündung noch ändern kann 21 , wenn auch nach den Umständen des Falls, ζ. B. beim Auftrag an die Post, praktisch die Möglichkeit, auf die Entscheidung einzuwirken, schon früher enden kann. Aus diesem Grund stellen einige Gerichte 22 , aber auch Kommentatoren 23 auf den Zeitpunkt ab, an dem die Entscheidung zum Zweck ihrer Bekanntgabe dadurch aus dem räumlichen Geschäftsbereich des Gerichts gelangt, daß der zuständige Geschäftsstellenbeamte sie an eine Person, die Staatsanwaltschaft oder eine sonstige Behörde herausgibt 24 . Im übrigen sind Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergehen, namentlich solche, die der Vollstreckung durch die Staatsanwaltschaft bedürfen (§ 36 Abs. 2 Satz 1), erlassen, sobald sie im regelmäßigen Geschäftsgang — d. h. aufgrund der Anordnung des Vorsitzenden 25 , die Entscheidung der Staatsanwaltschaft durch Vorlegung der Urschrift des Schriftstücks zuzustellen (§ 41 Satz 1) — bei dieser eingegangen sind 26 . 13
4. Beurkundung. Über die Beurkundung gerichtlicher Entscheidungen enthält die Strafprozeßordnung Bestimmungen nur für Urteile (§§ 271, 273 Abs. 1, § 275 Abs. 1), jedoch nicht für andere gerichtliche Entscheidungen. Gleichwohl ist anerkannt, daß auch der Erlaß eines Beschlusses — etwa nach § 454 Abs. 1 — in der Regel durch die Unterschrift des oder der mitwirkenden Richter beurkundet wird und erst auf dieser Grundlage wirksam werden kann 27 . Eine andere Frage ist, ob es zulässig ist, gegen einen schriftlich zugestellten „Beschlußentwurf' wegen des damit verbundenen Rechtsscheins einer wirksamen Entscheidung, ein Rechtsmittel einzulegen 28 . Selbst wenn man dieser Ansicht folgt, ist darauf hinzuweisen, daß die zufolge des Rechtsscheins veranlaßte Rechtsmitteleinlegung ihre Grundlage verliert, wenn das Gericht seinen Fehler bemerkt und durch nachträgliche Unterzeichnung des Beschlusses und erneute Zustellung selbst beseitigt. Denn mit der Beseitigung entfällt auch die Zulässigkeit des vor dem rechtswirksamen Erlaß eingelegten Rechtsmittels. Sie macht mithin seine erneute Einlegung erforderlich 29 . Entscheidungen, die der Richter in vorbereitenden Verfahren, der beauftragte oder ersuchte Richter im Verlauf einer Untersuchungshandlung erläßt, werden durch die Verhandlungsniederschrift beurkundet.
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In den beratenden Sitzungen der Gerichte bedarf es keiner Niederschrift über den Hergang und das Ergebnis der Beratung; die in ihnen gefaßten Beschlüsse werden beurkundet, indem ein mitwirkender Richter, ein zur Ausbildung beschäftigter (§ 193 GVG) Referendar (§ 5 b DRiG) oder eine nach Abschluß der Beratung zugezogene Hilfskraft (nicht notwendigerweise ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle) sie niederschreibt. Daß alle mitwirkenden Richter unterschreiben, ist zwar zweckmäßig, aber, weil das Gesetz die für die Urteile gegebene Vorschrift des § 275 Abs. 2 nicht auf Beschlüsse erstreckt, nicht
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OLG Düsseldorf NJW 1970 1949; OLG Celle MDR 1976 508. OLG Hamburg MDR 1970 1949; KG JR 1970 72; OLG Celle MDR 1976 508; BayObLG MDR 1977 778; 1980 366; OLG Köln NJW 1993 608. Meyer JR 1976 516; Meyer-Goßner JR 1986 472; KK-Maul 4; KMR-Paulus 31; Kleinknecht/MeyerGoßner Vor § 33, 9; Schlächter Rdn. 161; für den Strafbefehl Remmele NJW 1974 486. Laubenthal NStZ 1991 402 - allerdings beschränkt auf die Frage der Anfechtungsmöglichkeiten ebenso Kleinknecht/Meyer-Goßner - läßt die rechtliche Existenz schon mit dem aktenmäßigen Erlaß eintreten. Ähnlich Schneider MDR 1979 2: sieht den Beschluß mit der Absendung als existent =
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erlassen an, seine Wirksamkeit dagegen erst mit der Zustellung eintreten. BayObLGSt 1963 140 = MDR 1963 868; 1972 23 = VRS 43 (1972) 58. Α. A. Remmele NJW 1974 486 sowie BayObLG NJW 1981 2589, wonach eine Entscheidung auch dann erlassen und nicht mehr abänderbar sein soll, wenn sie ohne richterliche Verfügung Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht worden ist. OLG Schleswig SchlHA 1976 186. So LG Hildesheim NStZ 1991 401. So Laubenthal NStZ 1991 402; s. zu diesem Problem auch BVerfG NJW 1985 788; KMRPaulus Vor § 296, 41; Kleinknecht/Meyer-Goßner §410, 1.
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§ 33
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unerläßlich . Sie müssen allerdings, damit der Beschluß wirklich erlassen ist, im Zeitpunkt der Vorlage der schriftlichen Fassung zur Unterschrift noch mitwirkungsfähig sein 31 . Unterschreiben nur 32 der Vorsitzende und der Berichterstatter oder unterschreibt der Vorsitzende allein, dann ist es zweckmäßig, die Mitwirkung der übrigen Richter dadurch zu beurkunden, daß im Rubrum im Anschluß an die Gerichtsbezeichnung die Namen der Richter in derselben Weise wie bei Urteilen aufgeführt werden. Diese Form liegt nahe, wenn ein Richter auf Probe, ein Richter kraft Auftrags oder ein abgeordneter Richter an der Entscheidung mitwirkt. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Angabe der Dienstbezeichnung — auch bei der Unterschrift — allerdings nicht. § 29 Satz 2 DRiG verlangt nur, daß ein solches Richterverhältnis im Geschäftsverteilungsplan kenntlich gemacht ist33.
II. Im Laufe einer Hauptverhandlung ergehende Entscheidungen (Absatz 1) 1. Begriff. Die gerichtlichen Entscheidungen ergehen teils auf Grund einer mündli- 15 chen Verhandlung, die vor dem entscheidenden Gericht stattfindet, teils auf Grund des Inhalts der Akten. Die mündliche Verhandlung wird Hauptverhandlung genannt, wenn sie während des Hauptverfahrens stattfindet; sonst wird der erste Ausdruck statt des letzten gebraucht (§§ 118, 118 a, 138 d; vgl. § 309 Abs. 1, § 462 Abs. 1), zuweilen allerdings auch, obwohl eine mündliche Verhandlung in Rede steht, absichtlich vermieden (§ 124 Abs. 2 Satz 3). Die Begriffe Hauptverhandlung und Urteil stehen zueinander in Wechselbeziehung: 16 Einerseits kann ein Urteil regelmäßig nur in einer Hauptverhandlung erlassen werden; diese Regel erleidet eine Ausnahme nur durch § 37 1 34 . Andererseits findet die Hauptverhandlung zwar zum Zweck der Urteilsfällung statt, doch kann das erkennende Gericht im Laufe der Hauptverhandlung auch andere Entscheidungen erlassen, ζ. B.: daß der Beschuldigte, um ein Gutachten über dessen psychischen Zustand vorzubereiten, in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus gebracht, daß ein als Beweismittel dienlicher Gegenstand nach § 94 in Verwahrung genommen oder daß der Angeklagte auf Grund des § 112 verhaftet werde. Auch die Beschlüsse, durch die das Gericht die Öffentlichkeit gemäß § 173 Abs. 2 GVG für die Verkündung der Urteilsgründe ausschließt, gehören zu den hier in Betracht kommenden Entscheidungen 35 . 2. Anhören der Beteiligten. Daß alle Beteiligten 36 sich äußern — oder wenigstens die 17 Möglichkeit haben, das zu tun —, bevor eine gerichtliche Entscheidung ergeht, ist das wünschenswerte Ideal. Es läßt sich verwirklichen für die Hauptverhandlung, weil in ihr regelmäßig alle Beteiligten anwesend sind. Aus dieser Grundlage für das Gesetz ergibt sich auch die Ausnahme: In der Hauptverhandlung müssen nur die Beteiligten gehört werden, die anwesend sind 37 . Ermöglicht wird ihnen die Anwesenheit durch den Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1). Wird ein Beteiligter durch den unzulänglichen Aufruf der Sache gehindert, an der Verhandlung teilzunehmen, ist der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt38. 30
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RGSt 1 210, 402; 43 218; RGRspr. 1 362, 697; RG JW 1901 247; GA 63 (1916/17) 437; LZ 1916 1384; OLG Köln NJW 1954 1738; OLG Hamm NJW 1957 802. HessVGH DRiZ 1983 238. Wie dies ζ. B. nach § 14 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesgerichtshofs vom 3. 3. 1952
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(BAnz. Nr. 83 - DRiZ 1963 152) i. d. F. vom 21. 6. 1971 (BAnz. Nr. 114) zulässig ist. Schmidt-Räntsch DRiG § 29, 7. RGSt 47 166. RGSt 69 176,401. Zum Begriff s. Einl. Abschn. I. OLG Celle JR 1957 72. BVerfGE 42 364, 369 = DRiZ 1977 54.
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§44
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Die Neuregelung am 1. 1. 1975 trägt dieser Entwicklung nunmehr Rechnung, indem sie Wiedereinsetzung schon zuläßt, wenn .jemand ohne sein Verschulden verhindert (war), eine Frist einzuhalten". Damit hat der Gesetzgeber auch für das Strafverfahren eine Regelung getroffen, für die er sich in den neueren Verfahrensordnungen — so in § 60 Abs. 1 VwGO, § 56 Abs. 1 FGO, § 67 Abs. 1 SGG, § 22 Abs. 2 FGG und § 26 Abs. 2 EGGVG — schon wiederholt entschieden hat. Sie gilt in gleicher Weise für Rechtsbehelfe nach dem Strafvollzugsgesetz (§112 Abs. 2 StVollzG) und ist durch Art. 1 Nr. 20 des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle) vom 3. 12. 1976 auch für das Zivilverfahren (§ 233 ZPO) übernommen worden. 6
2. Versäumung. Wiedereinsetzung setzt voraus, daß eine Frist versäumt ist. Das ist daher zunächst festzustellen. Läuft die Frist in Wahrheit noch, ist der Antrag unzulässig, weil er eine unmögliche Rechtsfolge begehrt4. Dieser Fall kann sowohl bei Irrtümern über den Fristenlauf eintreten, als auch besonders, wenn eine Zustellung unwirksam ist. Denn unwirksame Zustellungen eröffnen den Fristenlauf nicht (Rdn. 34; § 37, 66). Umgekehrt ist der Antrag auch unzulässig, wenn der Betroffene ein ihm an sich zustehendes Rechtsmittel durch ausdrücklich erklärten Rechtsmittelverzicht verloren hat, weil es alsdann ebenfalls an der Versäumung einer Frist mangelt 5 . — Wegen der Fristen s. Vor § 42, 1 ff, wegen der Wahrung und Versäumung der Fristen Vor § 42, 6 ff, 30.
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3. Fristen i. S. des § 44 sind, wie sich aus den §§ 45 und 46 ergibt, prozessuale, notwendigerweise bei Gericht wahrzunehmende Fristen6, gleichgültig ob sie gesetzliche oder richterliche und im letzten Fall ursprüngliche oder verlängerte (ζ. B. nach § 201 Abs. 1) sind. Wegen der Besonderheit bei der Versäumung dieser Erklärungsfrist vgl. § 201, II 5. 8 Unter diesen Begriff fallen nicht die Fristen zur Veröffentlichung eines Urteils7 und zum Widerruf eines Vergleichs in einer Privatklagesache8. Die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Hauptverhandlung ist abschließend geregelt (Vor § 42, 34). Demzufolge bietet § 44 keine Möglichkeit, die Wiedereinsetzung bei der Versäumung einer Hauptverhandlung im Fall des §231 9 oder derjenigen vor dem Revisionsgericht 10 zu gewähren. Fristen i. S. des § 44 sind auch nicht die Vor § 42, 3 genannten Handlungsfristen. Daher ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich, wenn die Frist zur Wahl abgelaufen ist, ob ein zunächst ohne nähere Bezeichnung eingelegtes Rechtsmittel als Revision bezeichnet w i r d 1 D a s gilt selbst dann, wenn der Angeklagte bei der Rechtsmittelbelehrung nicht auf die Möglichkeit der Revisionseinlegung hingewiesen worden ist 12 . Wohl aber zählt zu den Fristen des § 44 die in § 45 bestimmte Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung 13 ; das gleiche gilt für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 Satz l 1 4 . 4
B G H S t 1-7 96; B a y O b L G S t 1971 229 = N J W 1972 1098; O L G Karlsruhe N J W 1981 471 = JR 1981 130; Kleinknecht/Meyer-Goßner 2. 5 O L G H a m m M D R 1974 1035. 6 O L G Bremen G A 1956 185; Bischof N J W 1986 2097; Saenger JuS 1991 842. B a y O b L G S t 10 145. O L G Oldenburg J W 1931 2389 = HRR 1932 299; LG Würzburg N J W 19S4 768. O L G Breslau Alsb. Ε 1 106. O L G Dresden Alsb. Ε 1 105, O L G Köln N J W 1957 74. B a y O b L G S t 1970 159 = JR 1971 120; B a y O b L G bei Rüth D A R 1972 204; M D R 1983 1045; O L G
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H a m m N J W 1956 1168; O L G Stuttgart Justiz 1974 99; O L G Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 106; O L G Zweibrücken V R S 66 (1984) 138; KK-Maul 7; KK-Pikart § 335, 6; KMR-Paulus 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner 3; a. A. O L G Düsseldorf N S t Z 1983 442; L R - H a n a c k § 335 unter 3 c. KG JR 1 9 7 7 81. Mat. Hahn 2 1779; Beling § 45 III 1 Abs. 2; O L G H a m m N J W 1958 1104; O L G Düsseldorf N J W 1 9 8 2 61. O L G Celle G A 1977 150; vgl. dazu auch Rdn. 12 ff.
Stand: 1. 10. 1996
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
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denen dem Angeklagten das letzte Wort gebührt (§ 258 Abs. 2, § 326 Satz 2 und § 351 Abs. 2 Satz 2), und die Bestimmung, daß der verteidigte Angeklagte auch selbst sprechen darf und zu befragen ist, ob er das will (§ 258 Abs. 3), erweitern § 33 ebenfalls 48 , allerdings mehr im Technischen als im Prinzip. Alle in diesem und im vorhergehenden Absatz angeführten Bestimmungen sind neben § 33 sinnvoll und zweckmäßig. § 265 Abs. 1 und 2 verlangt über § 33 hinaus, daß der Angeklagte auf die Verände- 23 rung des rechtlichen Gesichtspunkts hingewiesen werde. Es handelt sich um eine der Verallgemeinerung nicht zugängliche Sondervorschrift 49 . Weder nach § 33 noch nach Art. 103 Abs. 1 GG haben die Verfahrensbeteiligten einen Anspruch, daß das Gericht seiner Entscheidung bloß solche rechtlichen Erwägungen zugrunde legt, auf die das Gericht sie hingewiesen hat, wenn die rechtliche Beurteilung im Rahmen dessen liegt, was nach Lehre und Rechtsprechung zu erwarten ist. Das Gericht ist nicht verpflichtet, ein Rechtsgespräch mit den Prozeßbeteiligten zu führen 50 . Das Recht auf Gehör ist daher nicht verletzt, wenn das Gericht aus Angaben des Angeklagten andere Folgen zieht, als der Angeklagte es gewünscht hatte 51 , sofern diese Folge im Rahmen dessen lag, was ein vernünftiger Angeklagter (noch) erwarten konnte. Dagegen muß das Gericht die Beteiligten auf eine Rechtsansicht hinweisen, die sie 24 nicht voraussehen können52, sei es, daß das Gericht von seiner eigenen Rechtsprechung abweicht, sei es, daß es eine den Parteien bekanntgegebene Rechtsauffassung verläßt, sei es endlich, daß es dem Gesetz eine völlig neue Auslegung gibt. Demzufolge braucht das Gericht im Anklageerzwingungsverfahren den Anzeigeerstatter nicht darauf hinzuweisen (wenn es das auch besser doch tun sollte), daß er und die Staatsanwaltschaft die Verjährung übersehen haben, wohl aber müßte der Angeklagte ζ. B. belehrt werden, wenn ein Gericht ihn — was niemand zu erwarten hat 53 — etwa deshalb wegen Verkehrsunfallflucht verurteilen wollte, weil er zwar nicht, wie die Anklage angenommen hatte, sich von der Unfallstelle entfernt, wohl aber nach dem Unfall Alkohol getrunken hatte, um seinen Blutalkoholgehalt zu verschleiern. Endlich sind die Beteiligten stets zu allen Zwischenentscheidungen zu hören (Rdn. 6), auch wenn es dabei nur auf Rechtsfragen ankommt und nicht auch auf Tatsachen und Beweisergebnisse, zu denen sie noch nicht gehört worden sind. 4. Revision. Der Angeklagte kann die Revision auf unterlassenes Gehör stützen54. Da 25 kein Fall des § 338 Nr. 8 vorliegt — denn es fehlt, wenn der Beteiligte schlicht nicht gehört worden ist, an einem Beschluß, daß das rechtliche Gehör versagt werde —, kommt es darauf an, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Das kann auf doppelte Weise der Fall sein: Einmal könnte das Gericht auf Grund der Äußerung des Angeklagten die Entscheidung nicht oder anders erlassen haben. Zum andern könnte der Angeklagte, wenn er sich vor der Entscheidung hätte äußern können, zufolge einer anschließenden Erörterung mit dem Gericht den Sinn der Entscheidung anders erkannt und alsdann weitere Entscheidungen beantragt haben. Immerhin wird von Bedeutung sein, ob der Angeklagte die ohne sein Gehör beschlossene Maßnahme beanstandet hat. Hat er sie gebilligt, wird es einleuchtender Ausführungen bedürfen, um das Gericht zu überzeugen, daß das Urteil auf dem Unterlassen des Gehörs beruht. So haben das Reichsgericht55 und der Bundesgerichtshof 56 ein Beruhen für den Fall der Verletzung rechtlichen Gehörs 48
Vgl. BVerfGE 54 140 = MDR 1980 909. BayVerfGH NJW 1959 285; zust. Röhl. so BGHSt 22 339 mit weiteren Nachw.; BGH NJW 1989 2403, 2407; BayVerfGH JZ 1963 64 mit abl. Anm. Ad. Arndt; Rüping Rechtliches Gehör, 140, 151, 157. 51 BGH bei Daltinger MDR 1972 925.
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Μ BGH NJW 1989 2403, 2407; Dahs 35. 53 BGHSt 17 144; durch den Tatbestand des § 142 StGB nicht erfaßt. 54 RGSt 69 404. 55 RGSt 24 14. 56 BGHSt 21 85; BGH StV 1982 457.
Günter Wendisch
§44
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
schwerdefrist des § 172 Abs. 1 die Wiedereinsetzung entweder in unmittelbarer 23 oder entsprechender 24 Anwendung der §§44 ff oder der verwaltungsrechtlichen Vorschriften über die Wiedereinsetzung nach § 70 Abs. 2 in Verb, mit § 60 Abs. 4 VwGO bzw. § 32 VwVfG 25 oder durch Anerkennung eines in Allgemeingültigkeit erwachsenen Rechtsgedankens der Wiedereinsetzungsmöglichkeiten gegen die schuldlose Versäumnis prozessualer Fristen auf allen Rechtsgebieten 26 für zulässig hält. Wird die Wiedereinsetzung danach — wenn auch mit unterschiedlicher Begründung — bejaht, so ist indes umstritten, wer für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung zuständig ist, namentlich ob die Entscheidungskompetenz dafür ausschließlich und stets dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft, also dem Generalstaatsanwalt, oder, und zwar wiederum stets oder je nach dem Stand des Verfahrens, dem Oberlandesgericht zusteht; Während hier (Rdn. 13 f) von der ausschließlichen Zuständigkeit des Generalstaatsanwalt ausgegangen wird 27 , sprechen sich Rechtsprechung und Lehre überwiegend für eine gerichtliche Entscheidungskompetenz aus. Den weitesten Standpunkt nimmt insoweit Rieß ein; er hält das Oberlandesgericht stets für zuständig 28 . Die übrige Lehre und Rechtsprechung nehmen dagegen einen differenzierteren Standpunkt ein. Auch sie meinen zwar, daß der Verletzte auf jeden Fall zu einer gerichtlichen Kontrolle kommen müsse, weil anderenfalls die gerichtliche Kontrolle des Legalitätsprinzips entfalle und begründen ihren Standpunkt darüber hinaus damit, daß die Frist des § 172 Abs. 1 Satz 1 „faktisch bereits Teil des Klageerzwingungsverfahrens" und daher „unmittelbar als eine gerichtliche Frist" 29 , die Frist mithin „funktionell als gerichtliche Frist" 30 anzusehen sei; und daß derjenige entscheiden müsse, „dessen Sachprüfungskompetenz von der Einhaltung der Frist abhänge" 31 . Sie machen die Entscheidungskompetenz allgemein von der Frage einer noch nicht oder schon getroffenen Sachentscheidung über die Beschwerde abhängig. Solange der Generalstaatsanwalt die verspätete Beschwerde noch nicht sachlich beschieden hat, soll die Entscheidungskompetenz ihm 32 , nach Erlaß des Beschwerdebescheides dagegen dem Oberlandesgericht zustehen 33 . Nach Ansicht der OLG Nürnberg und Stutt23
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OLG Koblenz GA 1981 325; Kirstgen Das Klageerzwingungsverfahren, Diss. Bonn 1986, 132; Kühne MSchrKrim 69 (1986) 377; Kleinknecht MDR 1972 69; Fuhrmann JR 1972 166; LRMeyer-Goßner» § 172, 24; Eb. Schmid 3 und Nachtr. I § 44,2. OLG Oldenburg NJW 1967 1814; OLG Nürnberg MDR 1972 67; OLG Köln MDR 1972 623; OLG Hamm NJW 1973 1055; OLG Stuttgart NJW 1977 61; OLG München NJW 1977 2365; OLG Celle NdsRpfl. 1980 37 = MDR 1980 335; OLG Koblenz GA 1981 324; MDR 1985 75; KG JR 1982 209; OLG Düsseldorf OLGSt § 172 StPO Nr. 3; JMB1NRW 1983 52; OLGSt § 44 StPO Nr. 12 mit Anm. Wendisch; Kalthoener 21 ff; Kleinknecht MDR 1972 69. LR-Meyer-Goßner» § 172, 19 f; LR -Rieß § 172 unter V 3; KMR-Pau/uj Vor § 42, 35; KMR-Miiller § 172, 14; Kleinknecht/MeyerGoßner § 172, 17; fii.sc/io#NJW 1986 2097. Dieser Ansicht dürfte deshalb der Vorzug zu geben sein, weil die verwaltungsrechtliche Regelung am klarsten ist und namentlich keine Probleme in bezug auf die noch zu erörternde Frage aufwirft, wer über die Wiedereinsetzung zu entscheiden hat. Das OLG Celle NJW 1971 1374 = MDR 1972 68 mit Anm. Kleinknecht = JR 1972 164 mit Anm. Fuhrmann will sowohl diese als auch die Möglich-
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keit über § 44 zulassen; s. auch OLG Hamm NJW 1973 1055; OLG München NJW 1977 2365. Eb. Schmidt 3 und Nachtr. 1 § 44, 2. OLG Oldenburg NJW 1967 1814; OLG Celle MDR 1972 67; OLG München NJW 1977 2365; zum Gesamtproblem eingehend Wendisch in Anm. zu OLG Düsseldorf OLGSt § 44 StPO Nr. 12 S. 4 ff; a. A. LR-Rieß § 172 unter V 3 (24. Aufl. Rdn. 132 ff) mit ausführlicher Begründung der Gegenansicht. LR-Rieß aaO.; ebenso schon KG JR 1982 210; dagegen Wendisch Anm. zu OLG Düsseldorf OLGSt § 44 StPO Nr. 12 s. 10 ff. OLG Nürnberg MDR 1972 67. Kleinknecht/Meyer-Goßner Vor § 42, 7. OLG Stuttgart NJW 1977 62; ähnlich OLG Köln MDR 1973 623; OLG Koblenz GA 1981 324. OLG Oldenburg NJW 1967 1814; OLG Celle MDR 1972 67; OLG München NJW 1977 2365; OLG Düsseldorf OLGSt § 44 StPO Nr. 12, S. 2 I; Bischoff NW 1986 2098; offengelassen von OLG Köln MDR 1972 623. OLG Köln MDR 1972 623; OLG Celle MDR 1980 335; OLG Koblenz GA 1981 324;; MDR 1985 75; OLG München NJW 1977 2365; OLG Düsseldorf OLGSt § 172 StPO Nr. 3; § 44 StPO Nr. 12 S. 2 II; Bischoff NJW 1986 2098; LR-Meyer-Goßner* § 172, 124; KK-Walde §172, 11; Kleinknecht/ Meyer-Goßner § 172, 17.
Stand: 1. 10. 1996
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche E n t s c h e i d u n g e n und ihre B e k a n n t m a c h u n g
§33
wohnen, muß aber, wenn er seine Ansicht mündlich dargelegt hat, die Sitzung verlassen, bevor das Gericht berät und abstimmt 59 . 3. Weitere Vorschriften. Schwerer einzuordnen sind dagegen § 453 Abs. 1 Satz 2 30 (Gehör der Staatsanwaltschaft vor Nachtragsentscheidungen über die Strafaussetzung), § 454 Abs. 1 Satz 2 (Gehör der Staatsanwaltschaft vor Aussetzung des Strafrestes) und § 462 Abs. 2 Satz 1 (Gehör der Staatsanwaltschaft vor Entscheidungen, die bei der Strafvollstreckung und der nachträglichen Gesamtstrafenbildung notwendig werden). Die Aufnahme dieser Bestimmungen erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte: In der ersten Lesung der Kommission waren aus § 33 (damals § 27) die Vorschriften entfernt worden, die sich auf Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung bezogen; es blieb nur das Gehör während der Hauptverhandlung geregelt 60 . Demzufolge erschien es notwendig, in § 462 (§ 415) das Gehör besonders anzuordnen 61 . Als in § 33 dann das Gehör der Staatsanwaltschaft auch außerhalb der Hauptverhandlung bestimmt wurde, ist wohl übersehen worden, in § 462 Abs. 2 die Anordnung, die Staatsanwaltschaft zu hören, wieder zu streichen. Die §§ 453 und 454 sind als spätere Einfügung dem Vorbild des § 462 nachgebildet worden. — Alle drei Bestimmungen sind wegen des über Absatz 3 hinausgehenden Gehörs des Beschuldigten bedeutsam, lassen aber keinen Rückschluß zu, § 33 Abs. 2 einschränkend auszulegen; er gilt vielmehr für sämtliche Entscheidungen, die nach der Strafprozeßordnung ergehen. Für das Beschwerdeverfahren wird § 33 durch § 309 Abs. 1 letzter Halbsatz durch- 31 brochen. Die Einschränkung, die Absatz 2 dadurch erfährt, entspricht weder der Rolle der Staatsanwaltschaft im Verfahren noch der Bedeutung, die das Gehör aller Beteiligten nicht nur für diese, sondern auch für das Gericht selbst hat. Die Beschwerdegerichte wenden daher § 33 Abs. 2 regelmäßig an, d. h. sie betrachten alle Beschwerdesachen als geeignet, erst nach Gehör der Staatsanwalt entschieden zu werden 62 .
IV. Gehör anderer Beteiligter (Absatz 3) 1. Allgemein. Im Gegensatz zum Verfahren in der Hauptverhandlung sind außerhalb 32 einer solchen — abgesehen von der Staatsanwaltschaft (Absatz 2) — nicht alle anderen Beteiligten vor allen gerichtlichen Entscheidungen zu hören, wohl aber die, zu deren Nachteil die Entscheidung ergehen könnte. Das wird auch bei einem Verweisungsbeschluß 63 nach § 225 a Abs. 4, §§ 348, 355 regelmäßig der Fall sein 64 . Selbst die anderen Beteiligten haben, soweit nicht Einzelvorschriften weitergehende Anordnungen treffen, nur einen beschränkten Anspruch: Sie brauchen nur gehört zu werden, wenn bei der bevorstehenden Entscheidung Tatsachen oder Beweisergebnisse zu ihrem Nachteil verwertet werden könnten, zu denen sie noch nicht gehört worden sind. Ausführungen, die nur Rechtsansichten enthalten, gehören nicht dazu; insoweit bedarf es mithin auch keiner Gewährung rechtlichen Gehörs 65 . Das Gehör ist darüber hinaus immer erforderlich, wenn der etwa benachteiligte Beteiligte sonst überrascht würde und bei allen Zwischenentscheidungen (Rdn. 24). Ergeht die Entscheidung außerhalb einer Hauptverhandlung, aber in einer mündlichen Verhandlung (Beisp.: § 118 a, § 124 Abs. 2 Satz 3, § 138 d), gilt wegen der Art und Weise der Anhörung das zu Rdn. 17 ff Ausgeführte entsprechend. 59 Hahn Mat. 1 95. 60 Hahn Mat. 1 573. Hahn Mat. 1 1143. 62 Zum Charakter dieses Gehörsrechts s. KMR-Ρακlus 12. 63 BVerfGE 61 37 = NJW 1982 2367 zu § 281 ZPO. < 235 )
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BGH NJW 1989 2403, 2407. OLG Hamm MDR 1956 687; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) 192; KG StV 1993 370; KMR-fti«lus 16; Rilping Bonn. Komm. Art. 1 Abs. 3, 28; offengelassen BVerfGE 19 32, 36; 55 95, 96.
Günter W e n d i s c h
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Im schriftlichen Verfahren sind dem Beteiligten das Thema der anstehenden Entscheidung sowie die Tatsachen und Beweisergebnisse mitzuteilen. Sie werden in einem Schreiben aufgeführt, oder es werden Abschriften übersandt. Der Beteiligte kann auch von einem Richter oder Beamten (etwa in der Strafanstalt) zu Protokoll gehört werden. Dem Verteidiger können die Akten übersandt werden. Es ist nicht erforderlich, daß das Gehör von einem Richter veranlaßt wird. Auch der Staatsanwalt kann es vornehmen, bevor er dem Gericht seine Stellungnahme abgibt. Nur muß dem Beteiligten erkennbar sein, daß er vor einer richterlichen Entscheidung gehört wird. Werden ihm Tatsachen und Beweisergebnisse mitgeteilt, ist ihm gleichzeitig Gelegenheit zu geben, zu ihnen Stellung zu nehmen. Zweckmäßigerweise wird dabei eine Frist genannt, nach deren Ablauf entschieden — oder wenn das Gehör von der Staatsanwaltschaft ausgeht, die Sache dem Gericht zur Entscheidung übergeben — werden wird, auch wenn keine Stellungnahme eingegangen sein sollte. Der Beteiligte wird sich in der Regel (wenn überhaupt) schriftlich äußern. Es hat keinen Anspruch, seine Erklärungen vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abzugeben, doch sollte sie dieser von ungewandten Beteiligten entgegennehmen. Wegen des rechtlichen Gehörs im Verfahren mit Strafbefehlen s. § 407 Abs. 3.
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2. Beispiele. Der Rechtsprechung sind zu Bestimmungen, die nicht zur Sicherung des rechtlichen Gehörs geändert worden sind, folgende Beispiele entnommen: Vor der Entscheidung nach § 67 e StGB (Überprüfung der weiteren Vollstreckung einer Unterbringung) in Verb, mit § 463 Abs. 1, § 462 Abs. 1 und 2 StPO ist der Verurteilte zu Beweisergebnissen, namentlich zu einer Äußerung der Anstalt zu hören. Die darin enthaltenen Werturteile werden sich dabei von Tatsachenmitteilungen in der Regel nicht trennen lassen 66 . Das gleiche gilt bei Entscheidungen nach § 56 f Abs. 1, § 56 g Abs. 2 (Widerruf der Strafaussetzung bzw. des Straferlasses) in Verb, mit § 453 Abs. 1 Satz 2 StPO 67 und nach § 57 Abs. 1 und 2 StGB (Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe) in Verb, mit § 454 Abs. 1 Satz 2 StPO 68 . Das Gehör ist nicht nur erforderlich, wenn das Gericht die Äußerung als entscheidungserheblich ansieht 69 ; das Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet vielmehr die Möglichkeit, sich zu den Tatsachen in der Form zu äußern, wie sie dem Gericht zur Beurteilung vorliegen 70 . Daher ist es geboten, dem Verurteilten die Stellungnahme der Vollzugsanstalt 71 bekanntzugeben 72 .
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Beabsichtigt das Gericht, eine Beschwerde aus formellen Gründen zu verwerfen, so hat es dem Beschwerdeführer jedenfalls dann Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn ein angenommener Verfahrensmangel vielleicht nicht vorliegt oder behoben werden kann 73 . — Bevor über eine zeitweilige Entfernung des Angeklagten oder über den Ausschluß der Öffentlichkeit befunden wird, sind die Beteiligten anzuhören 74 . — Eine Privatklage darf nicht zurückgewiesen 75 , ein Privatklageverfahren nicht eingestellt (§ 383 Abs. 2) werden 76 , bevor dem Privatkläger erhobene Beweise bekanntgegeben worden sind. Ebenso darf ein Strafverfahren nicht nach § 153 Abs. 2 oder nach § 153 a Abs. 2 eingestellt werden, ehe über den Antrag des im Anklageerzwingungsverfahren erfolgreichen Anzeigeerstatters, ihn als Nebenkläger zuzulassen (§ 395 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2), entschie& BVerfGE 17 143 = NJW 1964 293; OLG Hamm JMB1NRW 1962 199; OLG Köln JMB1NRW 1962 199; H.-W. Schmidt MDR 1961 195; NJW 1965 1318; a. A. Schütz NJW 1961 583. 67 BVerfGE 7 340. 68 OLG Hamm MDR 1960 424. 6» OLG Hamburg NJW 1964 2315.
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Nöldeke MDR 1972 480; a. Α. KK-Maul 8. BVerfGE 19 201; OLG Hamm MDR 1960 424. KK-Maul 10. OLG Köln JMB1NRW 1962 282. BGH NJW 1968 167. BVerfGE 8 184 = NJW 1958 1723. BVerfGE 8 208.
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den worden ist . — Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn der Angeklagte weder erschienen noch vertreten ist, und ein ihm nicht angekündigter Beweis erhoben und zu seinen Ungunsten verwertet worden ist 78 , wenn das Gericht eine offenkundige 79 oder gerichtsbekannte 80 Tatsache zum Nachteil des Betroffenen zugrunde gelegt hat, ohne diesem vorher Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern. Zwar bedürfen solche Tatsachen keines Beweises; jedoch enthebt dieser Umstand das Gericht nicht der Pflicht, die als offen- oder gerichtskundig behandelte Tatsache dadurch in den Prozeß einzuführen, daß es dem Betroffenen Kenntnis davon gibt. — Das rechtliche Gehör ist auch verletzt, wenn ein bei dem Gericht eingegangener, aber — wenn auch versehentlich — nicht zu den Akten gelangter Schriftsatz bei der Entscheidung unberücksichtigt geblieben ist 81 oder wenn der dazu Berechtigte eine Frist erbeten, aber keine oder keine ausreichende 82 oder, obwohl er damit rechnen konnte, keinen Bescheid erhalten 83 oder, wenn das Gericht zwar eine Frist gewährt, ihren Ablauf — wenn auch versehentlich 84 — aber nicht abgewartet hatte 85 . Dagegen ist keine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG angenommen worden bei 3 6 Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1: Der Angeklagte kann sich mit dem Rechtsmittel der Revision oder mit dem Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 329 Abs. 3) rechtliches Gehör verschaffen 86 . Die Gehörsvorschrift ist nicht verletzt, wenn der Beteiligte sich ihm das nicht ausdrücklich eingeräumte rechtliche Gehör selbst verschafft hatte 87 . Ein Verstoß ist auch nicht darin zu sehen, daß die Ladung des Verteidigers des Betroffenen versehentlich unterblieben ist und die Hauptverhandlung ohne den Verteidiger stattgefunden hat. Denn Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet das rechtliche Gehör grundsätzlich nur als solches, nicht unbedingt durch die Vermittlung eines Rechtsanwalts 88 . Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht geltend machen, wer die prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, nicht wahrnimmt 89 oder gar eine Anhörung vereitelt 90 . Endlich ist das Gehör des Beschwerdegegners nicht erforderlich, wenn ohne weiteres zu seinen Gunsten entschieden werden soll 91 . Rechtliches Gehör ist nicht notwendig bei sitzungspolizeilichen Maßnahmen nach 3 7 § 175 Abs. 1, § 176 GVG 9 2 ; anders grundsätzlich bei Ordnungsmitteln nach § 178 GVG, es sei denn, eine Anhörung würde nur Anlaß zu weiteren Störungen und Ausfällen geben (s. § 178 GVG, 26). Es soll nicht erforderlich sein bei Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags zuungunsten des Verurteilten (§ 367) 93 ; eine Entscheidung, die sowohl in der Sache als auch in der Begründung nicht unbedenklich ist 94 . 77 78
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BVerfGE 14 323 = NJW 1962 2248. BayObLGSt 1972 251 = Rpfleger 1973 61 für Ordnungswidrigkeiten. BVerfGE 48 209. BVerfGE 10 182 = NJW 1960 31; 12 113. BVerfGE 46 185 = MDR 1978 201. BVerfGE 4 193 = NJW 19S5 1145; 8 90 = NJW 1958 1436. OLG Oldenburg NdsRpfl. 1973 53. BVerfGE 42 243, 247 = NJW 1976 1837. BVerfGE 12 113; 49 215; nach BVerwG NJW 1979 1619 soll die Garantie des rechtlichen Gehörs es gebieten können, auch bei verspätetem (vorher angekündigtem) Eintreffen eines Verfahrensbeteiligten mit der Eröffnung, Fortsetzung oder Schließung der mündlichen Verhandlung zu warten.
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wenn und solange dies mit dem Interesse an der Einhaltung des Sitzungsplans (Tagesordnung) vereinbar ist. BayObLGSt 1966 58 = MDR 1966 941; OLG Hamm NJW 196S 410; OLG Frankfurt NJW 1968 218. BVerfGE 7 329. OLG Köln VRS 59 (1980) 247. BVerfGE 5 10 = NJW 1956 985; 15 267; OLG Düsseldorf JR 1989 167 mit zust. Anm. Wendisch. OLG Köln NJW 1963 875. KG NJW 1954 1411. Woesner 866. BVerfGE 15 307 = NJW 1963 758; OLG Bamberg HESt 3 5; Eb. Schmidt 6; KMR-Pau/us 20. Bedenken bei Peters Fehlerquellen 3 140.
Günter Wendisch
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Erstes B u c h . A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n
V. Sonstige Regelungen der Anhörung von Beteiligten (Absatz 4 Satz 2) 38
Über das Gehör der Beteiligten finden sich in vielen Bestimmungen weitere Vorschriften: § 81 Abs. 1 Satz 1 (Gehör des Verteidigers vor der Beobachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus); § 111 1 Abs. 4 (Gehör des Beschuldigten, des Eigentümers und anderer, denen Rechte an der Sache zustehen, vor der Notveräußerung); § 118 a Abs. 3 Satz 1 (Gehör der anwesenden Beteiligten im mündlichen Haftprüfungsverfahren); § 122 Abs. 2 Satz 1 (Gehör des Beschuldigten und des Verteidigers im Prüfungsverfahren des Oberlandesgerichts); § 124 Abs. 2 (Gehör des Beschuldigten und des Bürgen vor der Entscheidung, daß eine Sicherheit verfallen ist); § 138 c Abs. 2 Satz 3 (Beteiligung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer im Ausschließungsverfahren gegen einen Verteidiger, der Rechtsanwalt ist); § 175 Satz 1 (Gehör des Beschuldigten vor Anordnung der Klage im Klageerzwingungsverfahren); § 201 Abs. 1 (Gehör des Beschuldigten vor der Eröffnung des Hauptverfahrens); § 216 Abs. 2 Satz 2 (Befragung des nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten bei der Ladung zur Hauptverhandlung, welche Anträge er zu seiner Verteidigung zu stellen habe); § 225 a Abs. 2 Satz 1 (Hinweis an den Angeklagten auf die Möglichkeit, bei dem Vorsitzenden des um Übernahme ersuchten Gerichts die Vornahme einzelner Beweiserhebungen zu beantragen); § 308 Abs. 1 Satz 1 (Gehör des Gegners des Beschwerdeführers, bevor die angefochtene Entscheidung zu seinem Nachteil geändert wird); § 349 Abs. 3 Satz 1 (Mitteilung des Antrags der Staatsanwaltschaft an den Angeklagten, mit dem sie beantragt, seine Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen); § 453 Abs. 1 Satz 2 (Gehör des Angeklagten vor Nachtragsentscheidung über die Strafaussetzung); § 453 Abs. 1 Satz 3 (Mündliche Anhörung des Verurteilten vor Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen); § 454 Abs. 1 Satz 2 und 3 (Gehör des Verurteilten vor Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes); § 462 Abs. 2 (Gehör des Verurteilten vor Entscheidungen, die bei der Strafvollstrekkung und der nachträglichen Gesamtstrafenbildung notwendig werden).
39
Alle diese Bestimmungen erweitern § 33 Abs. 3; sie werden durch ihn nicht berührt. Das Gehör hat — in den Fällen des § 308 unter der dort angegebenen Voraussetzung — stets stattzufinden, gleichviel ob Tatsachen und Beweisergebnisse in Rede stehen oder Rechtsfragen, und gleichviel ob, wenn Tatsachen und Beweisergebnisse verwertet werden sollen, diese Verwertung zum Nachteil des Beschuldigten in Aussicht genommen ist oder zu seinem Vorteil.
VI. Mit dem Prozeßzweck nicht zu vereinbarendes Gehör (Absatz 4 Satz 1) 40
1. Wegfall des Gehörs. Das in Absatz 3 vorgeschriebene Gehör entfällt, wenn die vorherige Anhörung den Zweck der Anordnung gefährden würde 95 . Der Zweck der Anordnung wäre gefährdet, wenn der von ihr Betroffene sie, wüßte er vorher von ihr, vereiteln könnte. Das kommt in Betracht bei Anordnung der Untersuchungshaft (§ 114) durch Flucht und — entsprechend — für das Haftbeschwerdeverfahren bei Bekanntgabe des Haftbefehls an den Verteidiger eines flüchtigen Beschuldigten, weil dabei über Rechtmäßigkeit der Anwendung der Untersuchungshaft entschieden wird 96 , bei der Beschlagnahme (§ 98 Abs. 1 Satz 1, § l i l a Abs. 1 Satz 1), der Anordnung der Hausdurchsuchung (§ 105 Abs. 1) oder der Postbeschlagnahme (§ 100 Abs. 1) durch Vernichten oder Ver95
Zum - schwächer ausgestalteten - rechtlichen Gehör durch Akteneinsicht vgl. Erl. zu § 147 96
Abs. 2; dort genügt für ihre Verweigerung, daß „sie den Untersuchungszweck gefährden kann". OLG Stuttgart bei PaeffgenNStZ 1990 430.
Stand: 1. 10. 1 9 9 6
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§ 33
stecken; bei der Anordnung, den Fernmeldeverkehr zu überwachen und aufzunehmen (§§ 100 a, 100 b), durch Unterlassen dieses Verkehrs. Es entfällt auch in den Fällen des maschinellen Abgleichens und der Übermittlung personenbezogener Daten nach §§ 98 a ff, bei Maßnahmen, die nach § 100 c ohne Wissen des Betroffenen angeordnet werden dürfen, im Zusammenhang mit dem Einsatz verdeckter Ermittler nach §§ 100 a ff sowie bei einer Kontrollfahndung nach § 163 d und der Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung nach § 163 e. Die Vorschrift ersetzt bei gewissen Gruppen von Maßnahmen das vorherige Gehör durch das nachträgliche (vgl. §§ 101, 110 d, 163 d Abs. 5). Das erscheint dem Gesetzgeber gerechtfertigt, weil es sich in keinem Fall um endgül- 41 tige Entscheidungen handelt; weil die Anordnungen in der Regel rasch ergehen müssen; und weil ihnen nach ihrem Inhalt leicht entgegengetreten werden kann. Nach diesem Sinn der Vorschrift ist keine zu weitgehende Abwägung im Einzelfall zu verlangen, ob die Persönlichkeit des Betroffenen und die Umstände des Einzelfalls eine Gefährdung nahelegen; sie wird vielmehr nach der Lebenserfahrung in der Regel anzunehmen sein, wenn nicht die Umstände des Einzelfalls die allgemeine Vermutung widerlegen. Ist eine Entscheidung nach § 33 Abs. 4 Satz 1 ohne vorherige Anhörung des Beteilig- 42 ten ergangen, so ist diesem nachträglich nach § 33 a Gehör zu gewähren 97 , sobald die Gefährdung der Anordnung entfallen ist; spätestens ist das nach Vollzug der Anordnung der Fall, ggf. aber schon früher 98 . Über das Recht, nachträglich gehört zu werden, ist der Beteiligte zu belehren 99 . Stets kann vom Gehör nur abgesehen werden, wenn der Zweck der Anordnung tatsächlich gefährdet würde 100 . Ist das nicht zu erwarten, muß der Beteiligte gehört werden, bevor zu seinem Nachteil Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet werden, zu denen er noch nicht gehört worden ist 101 . 2. Beschwerde. Steht dem Beteiligten, der nicht gehört worden ist, die Beschwerde zu, so 4 3 kann er mit ihr auch die unterbliebene Anhörung geltend machen. Dabei kann er alles vorbringen, was er geäußert hätte, wenn er gehört worden wäre. Sind ihm Tatsachen oder Beweismittel, die zu seinem Nachteil verwertet worden sind, noch unbekannt, und kennt das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, diesen Umstand, dann hat es ihm die Tatsachen bekanntzugeben. Denn das Gericht hat einer begründeten Beschwerde abzuhelfen (§ 306 Abs. 2, erster Halbs.; § 311 Abs. 3 Satz 2), dazu gehört, daß einem Mangel abgeholfen wird, auch wenn das schließlich nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Unterläßt das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, das nachträgliche 44 Gehör, dann hat es das Beschwerdegericht zu gewähren, für das Absatz 3 ebenfalls gilt. Das Beschwerdegericht hat dann in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden. Lag kein Fall des Absatzes 4 Satz 1 vor und sind auf die Äußerung der Beteiligten umfängliche Ermittlungen zu veranlassen, zu denen er dann wieder zu hören ist, dann kann das Beschwerdegericht ausnahmsweise auch die angefochtene Entscheidung aufheben und dem ersten Richter das Weitere überlassen, wenn die angegriffene Entscheidung ohne Beeinträchtigung des Verfahrens zunächst wegfallen kann. 97 98
BGHSt 26 127; 36 311. Beispiel: Der Ermittlungsrichter hat eine Durchsuchungsanordnung (§ 103 Abs. 1) erlassen, ohne den unbeteiligten Betroffenen anhören zu können. Hier wird es die Achtung vor der Unverletzlichkeit der Wohnung eines Unbeteiligten gebieten, daß ihm der die Durchsuchung durchführende Beamte oder Staatsanwalt vor der Durchsuchung Gelegenheit gibt, sich zwecks Anhörung an den zuständigen Richter zu wenden, wenn dieser alsbald zu erreichen ist und
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sichergestellt werden kann, daß der Betroffene den Zustand der Wohnung unverändert läßt. BVerfGE 9 107 = NJW 1959 430; 18 604 = NJW 1965 1172. 100 Weitergehend KMR-Paulus 22, wonach die Gewährung bereits unterbleiben darf, wenn der dafür erforderliche Aufwand zum Strafverfolgungsinteresse außer Verhältnis stände. 101 BayVerfGH JR 1963 477; OLG Hamm JMB1NRW 1960 118. 99
Günter Wendisch
§33 a
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e Vorschriften
§33 a 'Hat das Gericht in einem Beschluß zum Nachteil eines Beteiligten Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen er noch nicht gehört worden ist, und steht ihm gegen den Beschluß keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf zu, so hat es, sofern der Nachteil noch besteht, von Amts wegen oder auf Antrag die Anhörung nachzuholen und auf einen Antrag zu entscheiden. 2 Das Gericht kann seine Entscheidung auch ohne Antrag ändern. S c h r i f t t u m . Hohmann D i e G e g e n v o r s t e l l u n g — „Stiefkind" d e s Strafverfahrens? JR 1 9 9 1 10; Matt D i e G e g e n v o r s t e l l u n g i m Strafverfahren — A b g r e n z u n g zu anderen R e c h t s b e h e l f e n der StPO, M D R 1992 8 2 2 .
Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 8 Nr. 2 StPÄG 1964.
Übersicht Rdn. 1. Inhalt a) Verhältnis zu § 311 a b) Anwendungsbereich c) Vereinbarkeit mit Prozeßzweck
1 2 3
2. Beschluß
Rdn. b) Genereller Anfechtungsausschluß... c) Entscheidungen erkennender Gerichte
10 12
4
6. Nachteil a) Grundsatz b) Ausnahme
13 14
3. Beteiligter
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7. Verfahren
17
4. Verwertung von Tatsachen
7
5. Abhilfe durch Rechtsmittel a) Einschränkung
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8. Beschwerde a) Unstatthaft b) Statthaft
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1. Inhalt 1
a) Verhältnis zu § 311 a. Vor Erlaß des StPAG 1964 bestand Streit, ob die Verletzung rechtlichen Gehörs im Beschwerdeverfahren (§ 308 Abs. 1) entgegen dem Wortlaut des § 310 Abs. 2 die weitere Beschwerde eröffne. Diese Streitfrage ist durch Einfügung der §§ 33 a, 311 a überholt 1 · 2 . Sie ist durch § 311 a dahin geregelt, daß dem Beschwerdegegner nachträglich rechtliches Gehör zu gewähren (und ggf. die Entscheidung zu ändern) ist, wenn das Beschwerdegericht ihm die Beschwerde nicht zur Gegenerklärung mitgeteilt (§ 308 Abs. 1 Satz 1), gleichwohl aber der Beschwerde stattgegeben hatte. § 311 a gilt also, anders als § 33 a, der die Verwertung von Tatsachen und Beweisergebnissen behandelt, auch dann, wenn mit der Beschwerde nur Rechtsirrtümer gerügt worden waren. Auf der anderen Seite bringt er keine Abhilfe, wenn das Gericht, nachdem es zufolge der Beschwerde Ermittlungen angestellt hatte (§ 308 Abs. 2), den Beschuldigten zu den dabei gewonnenen Tatsachen oder Beweisergebnissen vor der Entscheidung nicht gehört hat; insoweit greift § 33 a auch für das Beschwerdeverfahren Platz.
2
b) Anwendungsbereich. Die Vorschrift ist so auszulegen und anzuwenden, daß sie jeden Verstoß gegen § 33 Abs. 3 und damit Art. 103 Abs. 1 GG in den Beschlußverfahren,
1 2
OLG Karlsruhe NJW 1972 653. BVerfGE 33 182 = NJW 1972 1227; 42 250 = NJW 1976 1837; 74 359 = NJW 1987 2429;
BVerfG NStZ 1994 498; ner Einl. 234, § 33 a, 1.
Stand: 1. 10. 1 9 9 6
Kleinknechl/Meyer-Goß-
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§ 33 3
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auf die sie anwendbar ist, erfaßt . Sie übernimmt damit die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Abs. 1 GG für das einfache Recht4, die dieses Gericht in einer Vielzahl von Entscheidungen nach seinem Grundsatzbeschluß vom 25. Oktober 19565 getroffen hat, wonach „das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verlangt, daß einer gerichtlichen Entscheidung ... nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten 6 . Diese Bezugnahme macht deutlich, daß das Bundesverfassungsgericht mit seinem Hinweis, Maßstab jeder Auslegung des § 33 a sei Art. 103 Abs. 1 GG, den Anwendungsbereich des § 33 a nicht erweitern wollte. § 33 a erfaßt weiterhin keine Rechtsfragen 7 . c) Vereinbarkeit mit Prozeßzweck. Ferner war durch die Rechtsprechung des Bundes- 3 Verfassungsgerichts klargestellt worden, daß das rechtliche Gehör — auch im Beschwerdeverfahren — unterbleiben könne, wenn es mit dem Prozeßzweck unvereinbar sei; daß der Betroffene dann aber nachträglich gehört (und ggf. die Entscheidung geändert) werden müsse8. Dieser Fall findet seine Regelung in § 33 a, der darüber hinaus aber auch alle Fälle umfaßt, in denen dem Beschuldigten vor einer Entscheidung irrtümlich oder versehentlich die Gelegenheit versagt worden ist, zu ihm unbekannten Tatsachen oder Beweisergebnissen Stellung zu nehmen. Praktisch umfaßt § 33 a die Hauptfälle des § 311 a unmittelbar. Dieser hat selbständige Bedeutung nur für den Fall, daß der Gegner des Beschwerdeführers nicht zu Rechtsausführungen der Beschwerdeschrift Stellung nehmen konnte. 2. Beschluß. Die Vorschrift gilt, wie § 311 a, nur für Beschlüsse9, nicht für Urteile10. 4 Bei diesen kann der Fall des § 33 a nicht eintreten, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung regelmäßig anwesend ist (§ 226, § 230 Abs. 1), im Fall seiner Abwesenheit aber Rechtsbehelfe (§ 235 Satz 1, § 329 Abs. 3) und in jedem Fall das Rechtsmittel der Revision hat. Bei Urteilen oder Beschlüssen der Revisionsgerichte nach § 349 Abs. 2 " kann die Verwertung unbekannter Tatsachen oder Beweisergebnisse nicht vorkommen (§ 337) 12 . Wohl aber kann das Revisionsgericht einen Beschluß nach § 349 Abs. 2 dann nach § 33 a überprüfen, wenn es bezüglich des Vortrags von Verfahrensrügen das rechtliche Gehör verletzt13. Auf Sachrügen ist dieser Satz nicht übertragbar 14 . § 33 a spricht von Beschlüssen, § 304, auf den er sich bezieht, von Beschlüssen und Verfügungen, § 33, den er ergänzt, von Entscheidungen (Absatz 1 bis 3) und Anordnungen (Absatz 4). Da § 33 a gerade auch wegen der Fälle des § 33 Abs. 4 eingefügt worden ist, umfaßt der Ausdruck „Beschlüsse" auf jeden Fall auch die Anordnungen des § 33 Abs. 4, wegen seiner Beziehung zu § 33 ist er aber in dem Sinn auszulegen, der dort dem Begriff „Entscheidung" zukommt (§ 33, 6 ff). Wegen der Beschlüsse des erkennenden Gerichts s. Rdn. 12. 3. Beteiligter. Wegen des Begriffs s. § 33, 18. Nach dem Zweck des § 33 ist Beteiligter 5 i. S. des § 33 Abs. 1 (Gehör in der Hauptverhandlung) auch der Staatsanwalt. Das folgt aus 3
BVerfGE 42 243 = NJW 1976 1837; BayObLG VRS 86 (1994) 348; OLG Düsseldorf NStZ 1985 277; NJW 1989 312; MDR 1993 786; OLG Köln VRS 87 (1994) 302; Matt MDR 1992 823; KKMaul 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner 1. Wegen der entsprechenden Anwendung zur Nachholung einer Kostenentscheidung zugunsten des Nebenklägers, wenn das Revisionsgericht den Ausspruch unterlassen hat, s. KG JR 1989 393; OLG Düsseldorf VRS 84 (1993) 446; im Ergebnis ebenso Weber MDR 1986 74 im Fall der Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153 a, 154 b Abs. 4, §383 Abs. 2.
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So auch Goerlich JZ 1977 23. BVerfGE 6 12, 14 = NJW 1957 17. 6 BVerfGE 42 250 = NJW 1976 1839. 7 So aber Goerlich JZ 1977 24. 8 BVerfGE 9 89 = NJW 1959 427. 9 Geppert G A 1972 165, 176. Ό BGH bei Kusch NStZ 1992 27; KK-Maul 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner 1. " BGH GA 1988 471. 12 Goerlich JZ 1977 24. 13 BGH bei Holtz MDR 1976 634 und MDR 1979 108; Hanack JZ 1977 779. 14 BGHSt 23 102. 5
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§33 a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
§ 33 Abs. 2, wonach der Staatsanwalt auch außerhalb der Hauptverhandlung — im Gegensatz zu den anderen Beteiligten — stets zu hören ist. Ist das außerhalb der Hauptverhandlung notwendig, so ist es in ihr erst recht geboten. Da aber in § 33 Abs. 1 der Staatsanwalt nicht besonders aufgeführt ist, muß er in dem Begriff „Beteiligter" enthalten sein. 6 Für § 33 a dagegen muß man den Staatsanwalt von dem Begriff des Beteiligten ausnehmen. Zwar könnte man vielleicht davon sprechen, daß Beweisergebnisse auch „zu seinem Nachteil" verwertet werden, obwohl ein solcher Sprachgebrauch in bezug auf den Staatsanwalt ungewöhnlich und kaum zutreffend wäre. Mit Sicherheit wird er aber durch die Motivation der Vorschrift ausgeschlossen: Mit ihr sollte dem Grundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG Genüge getan werden. Das aber steht nur dem Staatsbürger gegenüber dem Staat, nicht der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Gericht zur Verfügung. Zudem schließt der Gerichtsgebrauch zu § 309 Abs. 1 (§ 33, 31) es aus, daß die Staatsanwaltschaft mit Entscheidungen überrascht wird, deren Beweisgrundlage sie nicht kennt. 7
4. Verwertung von Tatsachen. Das Verfahren findet statt, wenn zum Nachteil eines Beteiligten Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet werden, zu denen er noch nicht gehört worden ist. Das Gericht darf mithin von ihm eingeholte Äußerungen von Behörden regelmäßig nicht verwerten, ohne sie dem Betroffenen zuvor zur Kenntnis zu bringen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben 15 . Drei Ausnahmen bleiben gleichwohl zulässig: Der Beteiligte braucht nicht gehört zu werden, wenn a) zwar nachteilige Tatsachen oder Beweisergebnisse bekanntgeworden sind, das Gericht sie aber nicht „verwertet", d. h., etwa aus Rechtsgründen aus ihnen keine nachteiligen Folgen hergeleitet, sondern die Entscheidung allein auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt hat, zu denen der Beteiligte gehört worden ist; b) Beweismittel oder Tatsachen behauptet werden, mit denen der Angeklagte in dem Rechtsmittelzug ohnehin nicht mehr gehört werden kann 16 . Ferner kann das Unterlassen rechtlicher Erörterungen (§ 33, 23 0 nicht zu Anträgen nach § 33 a Anlaß geben 17 .
8
Aus welchem Grund § 33 verletzt worden ist, spielt keine Rolle. Immer ist, von Amts wegen, nachträglich Gehör zu gewähren, wenn es nach § 33 Abs. 4 unterblieben war. Darüber hinaus gilt § 33 a aber auch dann, wenn das Gericht aus Irrtum — es hielt die Beweisergebnisse nicht für entscheidungserheblich; es glaubte, der Beteiligte sei schon gehört worden, die dem Beteiligten gesetzte Frist sei schon abgelaufen — oder aus bloßem Versehen das Gehör unterlassen hat. Die Vorschrift ist so auszulegen und anzuwenden, daß sie jeden Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG in den Beschlußverfahren erfaßt, auf die sie anwendbar ist 18 , mithin auch für das Beschlußverfahren der Revisions- und Rechtsbeschwerdegerichte 19 . Schließlich erfaßt die Vorschrift selbstverständlich auch Fälle willkürlicher oder absichtlicher Gehörs Verweigerung; allerdings dürften sie in der Praxis keine Rolle spielen. 5. Abhilfe durch Rechtsmittel
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a) Einschränkung. § 33 a ist eine ergänzende, subsidiäre Vorschrift. Sie greift daher nur ein, wenn der Beteiligte das (nachträgliche) rechtliche Gehör nicht durch Rechtsbehelfe (ζ. B. Wiedereinsetzung) oder Rechtsmittel (ζ. B. Beschwerde) erzwingen kann 20 ; sie gilt mithin nur für Beschlüsse, die kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (Bei15 BVerfG DAR 1976 239 = BayVerwBl. 1976 688. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 204. 17 OLG Schleswig OLGSt N. F § 33 a StPO, 1. 18 BVerfGE 42 243 = NJW 1976 1837 = MDR 1977 277; vgl. auch Rdn. 16. 16
19 20
BVerfG DAR 1976 239 = BayVerwBl. 1976 688. OLG Stuttgart NJW 1974 284; NStZ 1992 104; a. Α. KK-Maul 6.
Stand: 1. 10. 1996
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spiele Rdn. 10) von jeder Anfechtung ausgeschlossen sind. Das ist immer der Fall bei erstinstanzlichen Entscheidungen der Strafsenate mit Ausnahme besonders eingreifender Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug (§ 304 Abs. 4) und bei allen Beschwerdeentscheidungen, sofem nicht die in §310 Abs. 1 genannten Ausnahmen (Haftsachen) vorliegen (§310 Abs. 2), aber auch bei Entscheidungen der Oberlandesgerichte im Klageerzwingungsverfahren. Dieses ist ein prozessual selbständiges Verfahren, so daß der Beschuldigte nicht darauf verwiesen werden kann, seine Einwendungen und Beweisanträge im Verfahren über die Eröffnung des Hauptverfahrens oder im nachfolgenden Hauptverfahren geltend zu machen 21 . Hat der Strafsenat versäumt, den Beschuldigten anzuhören, bevor er eine diesem ungünstige Entscheidung getroffen hat, findet mithin § 33 a Anwendung. Ist die Anhörung unterblieben, weil der Strafsenat die sofortige Beschwerde irrtümlich als verspätet angesehen hat, muß er — da gegen den Senatsbeschluß kein Rechtsmittel gegeben ist — die sachliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung in entsprechender Anwendung des § 33 a nachholen 22 . Andererseits entfällt eine Nachholung, wenn das Beschwerdegericht auf eine angekündigte Begründung der sofortigen Beschwerde eine angemessene Zeit gewartet und diese alsdann verworfen hat. Denn die Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet nicht, dem Beschwerdeführer in einem solchen Fall eine besondere Begründungsfrist zu setzen23. Eine solche Pflicht ist auch nicht aus der allgemeinen Fürsorgepflicht oder dem Gebot fairen Verfahrens herzuleiten. Zumindest bei einem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer darf das Gericht erwarten, daß dieser wegen des im Verfahren auf sofortige Beschwerde geltenden Beschleunigungsgrundsatzes seine Begründung nicht mehrere Wochen oder sogar Monate hinausschiebt, sie vielmehr alsbald nachreicht (vgl. auch Rdn. 18)24. Wegen der entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf Widerrufsbeschlüsse von Strafaussetzungen, die zufolge wirksamer öffentlicher Zustellung rechtskräftig geworden sind, s. § 453, 40 ff. b) Genereller Anfechtungsausschluß. Die Strafprozeßordnung enthält darüber hin- 10 aus in den verschiedenen Verfahrensabschriften Bestimmungen, wonach Beschlüsse der Anfechtung schlechthin entzogen oder nur aus bestimmten Gründen zugänglich sind (§ 138 d Abs. 6 Satz 3, § 210 Abs. I 25 , § 270 Abs. 3 Satz 2, § 304 Abs. 3, § 305 a Abs. 1 Satz 2, § 348 Abs. 2, § 453 Abs. 2 Satz 2, § 463 Abs. 2 in Verb, mit § 453 Abs. 2 Satz 2; sowie nur für den Nebenkläger bedeutsam: § 46 Abs. 2, § 153 Abs. 2 Satz 4, § 153 a Abs. 2 Satz 4, § 153 b Abs. 2 in Verb, mit § 397 Abs. 2, § 202 Satz 2); oder nur „zusammen mit dem Urteil angefochten werden" können. So ist der Ausschluß der Beschwerde in § 28 Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich begründet, doch ist das der Grund allgemein für die Versagung der Beschwerde gegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte (§ 305 Satz 1, § 336) mit den bedeutsamen Ausnahmen des § 305 Satz 2, nach dem Beschwerde statthaft ist gegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, das vorläufige Berufsverbot und die Festsetzungen von Ordnungs- oder Zwangsmitteln sowie gegen alle Entscheidungen, durch die dritte Personen betroffen werden. Für die Fälle des § 305 Satz 2 gelten keine Besonderheiten: Der Beteiligte hat 11 Abhilfe mit der Beschwerde zu suchen; wird im Beschwerdeverfahren § 33 verletzt, gilt § 33 a. Weiter gewährt § 311 a Abhilfe bei Verletzungen des § 308, die nicht in der Vor21 22 23
BVerfGE 42 175 = NJW 1976 1629. OLG Düsseldorf MDR 1985 956. OLG Karlsruhe MDR 1983 250; OLG Köln MDR 1984 1083.
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OLG Bamberg MDR 1991 665. 25 OLG Hamburg NJW 1965 2417; Kohlhaas NJW 1968 26.
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enthaltung neuer Tatsachen und Beweisergebnisse bestehen. Daß die übrigen oben aufgeführten Fälle der nicht oder nur beschränkt anfechtbaren Entscheidungen von § 33 a erfaßt sind, ist nach dessen Wortlaut zweifelsfrei 26 . 12
c) Entscheidungen erkennender Gerichte. Zweifel könnten nur bestehen in bezug auf die Entscheidungen der erkennenden Gerichte (§ 305 Satz 1) und die einen erkennenden Richter betreffende Ablehnungsentscheidung (§ 28 Abs. 2 Satz 2). Indessen wird man anerkennen müssen, daß sie zu den in § 33 a genannten Beschlüssen gehören27. Dafür spricht einmal der Wortlaut; denn die Urteilsanfechtung ist weder eine Beschwerde noch ein Rechtsbehelf. Zum anderen spricht gegen eine Ausnahme die Erwägung, daß in § 33 a das gleiche Gericht entscheidet, das den Fehler gemacht hat 28 , so daß der Grund für den Ausschluß der Beschwerde gegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte, das Verfahren nicht durch Zwischenentscheidungen höherer, oft entfernter, Gerichte zu stören, für das Verfahren nach § 33 a nicht zutrifft. Die verbleibende Störung durch neue Beratung (und ggf. Entscheidung) während der Hauptverhandlung tritt zurück hinter den Gesichtspunkten des fairen Verfahrens, der freien Verteidigung und der umfassenden Sachaufklärung, denen der Grundsatz des rechtlichen Gehörs dient. Mit Recht wird auch darauf hingewiesen29, daß selbst bei anfechtbaren Beschlüssen die Beteiligten vom Gericht immer die Prüfung einer fehlerhaft herbeigeführten Entscheidung verlanget! können. 6. Nachteil
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a) Grundsatz. Das Verfahren findet nur statt, wenn der Nachteil noch besteht. Der Nachteil ist nicht der Verlust des rechtlichen Gehörs, sondern die Folge dieses Verlusts, die nachteilige Entscheidung (§ 33 Abs. 3), für die Tatsachen und Beweisergebnisse kausal gewesen sind30, zu denen der Beteiligte nicht gehört worden ist. Darauf, ob die Entscheidung richtig oder falsch ist und ob sie bei Gehör des Beteiligten anders ergangen wäre, kommt es nicht an, vielmehr ist allein ausschlaggebend, ob in die Rechtsposition des Betroffenen eingegriffen, mit anderen Worten, ob er beschwert ist31.
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b) Ausnahme. Ist die Beschwer, etwa durch durch Aufhebung eines Haftbefehls oder eines Beschlagnahmebeschlusses, entfallen, so ist das Verfahren unzulässig, auch wenn der Nachteil zunächst bestanden hatte (arg.: „noch besteht")32. Ziel ist nicht, wie bei der Verfassungsbeschwerde, die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines — selbst gegenstandslos gewordenen — Beschlusses33, sondern die Beseitigung des prozessualen Nachteils. Daraus muß aber weiter gefolgert werden, daß das Verfahren nicht mehr zulässig ist, wenn der Nachteil nicht mehr beseitigt werden kann (prozessuale Überholung)34, ζ. B. die richterliche Anordnung einer Untersuchung nach § 81 a oder § 81 c vollständig durchgeführt, eine richterliche Durchsuchungsanordnung nach §§ 102, 103, 105 Abs. 1 Satz 1 erster Halbs, abgeschlossen, ein Vorführungsbefehl nach § 134 Abs. 1 vollzogen35, Untersuchungshaft in Strafhaft übergegangen, die Hauptverhandlung ohne Mitteilung der Ankla26
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OLG Hamburg NJW 1965 2417; Kohlhaas NJW 1968 26. Wegen der Geltung der Vorschrift im Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten vgl. BayObLGSt 1971 63 = NJW 1971 1709; NJW 1973 1140; OLG Zweibrücken VRS 56 (1979) 40; OLG Hamm VRS 62 (1982) 449, die - wie auch Göhler § 72, 75 sowie NStZ 1982 13 - die Anwendung des § 33 a bei mangelnder Gewährung rechtlichen Gehörs im Beschlußverfahren nach § 72 OWiG im Gegensatz zu BayObLG VRS 53 (1977) 285 bejahen. KK-Maul 2; KMR-Paulus 3.
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» OLG Celle NJW 1973 2306; OLG Koblenz MDR 1976 598. Kleinknecht/Meyer-Goßner 6. 30 BVerfGE 42 257 = NJW 1976 1839; OLG Koblenz NJW 1987 856; OLG Düsseldorf MDR 1993 1001. 31 Kleinknecht/Meyer-Goßner7. 32 Hohmann JR 1991 11. 33 BVerfGE 9 93; 18 404. 34 Hohmann JR 1991 II. 35 BVerfGE 49 338 = NJW 1979 154; OLG Celle JR 1973 341; OLG Düsseldorf MDR 1993 1001; KKMaul 4. 29
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geschrift eröffnet und durchgeführt worden ist, aber auch, wenn der Verurteilte die Restfreiheitsstrafe nach Widerruf der Aussetzung des Strafrestes voll verbüßt hat 36 . Dann kann der Beteiligte das prozessuale Unrecht nur mit den zulässigen Rechtsmitteln, namentlich der Revision (§ 338 Nr. 8), rügen oder die Grundrechtswidrigkeit im Wege der Verfassungsbeschwerde feststellen lassen. Ein abstraktes Feststellungsverfahren nach dem Muster des § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG stellt das Gesetz nicht zur Verfügung 37 . Kann dagegen das prozessuale Unrecht noch beseitigt, können ζ. B. zu Unrecht beschlagnahmte Urkunden herausgegeben, zu Unrecht gewonnene Ergebnisse der Überwachung des Fernmeldeverkehrs vernichtet werden, dann besteht der Nachteil noch und findet das Verfahren statt. Die Gegenvorstellung kann auch — mit der im nächsten Absatz zu behandelnden Aus- 15 nähme — nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verschaffen mit der Folge (§ 46, 11 ff), daß der Fortgang des Verfahrens und die Rechtskraft von Urteilen beseitigt werden. § 33 a eröffnet nur eine beschränkte Befugnis; sie ist möglich, solange der Schaden nach der Prozeßlage noch behoben werden kann 38 . Dagegen steht die Rechtskraft von Beschlüssen dem Verfahren nicht entgegen. Dieses ist vielmehr gegeben, um sie, soweit noch möglich, zu beseitigen 39 . Ist durch das Verfahren nach § 33 a die bereits eingetretene Rechtskraft eines Beschlusses nachträglich wieder beseitigt und das Verfahren fortgesetzt worden, dann beginnt für die ihm zugrunde liegende Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine neue Verfolgungsverjährung 40 . Davon gilt auch für Beschlüsse nach § 322 Abs. 1 und § 349 Abs. 1 und 2, mit deren 16 Erlaß das angefochtene Urteil rechtskräftig wird, keine Ausnahme (Rdn. 8; vgl. auch Prot, des RAussch. IV 41 17 und Anl. 4). Diese Ansicht teilt nunmehr auch der Bundesgerichtshof. Während er zunächst noch unentschieden gelassen hatte, ob § 33 a in Verfahren nach § 349 Abs. 1 und 2 einschlägt, soweit bezüglich des Vortrags von Verfahrensrügen der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt wäre 41 , hält er jetzt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts42 die nachträgliche Anhörung für erforderlich43. Sie entfällt aber weiterhin in diesen Verfahren, wenn der Revisionsführer nur die Sachrüge erhoben hat, weil dann eine Verletzung des Gehörs ausgeschlossen ist. Daß der nicht fristgebundene Antrag nach § 33 a, soweit er nach Rechtskraft des angefochtenen Urteils gestellt wird, zu Unzuträglichkeiten führen kann, ist bedauerlich. Insoweit Abhilfe könnte und sollte der Gesetzgeber dadurch schaffen, daß er einen Antrag nach § 33 a an eine Frist bindet, die mit dem Tag beginnt, an dem der Beteiligte von der Verletzung des § 33 Abs. 3, etwa durch Zustellung des ihm nachteiligen Beschlusses, Kenntnis erlangt. 7. Verfahren. In den Fällen des § 33 Abs. 4 und wenn das Gericht bemerkt, daß es das 17 rechtliche Gehör versehentlich unterlassen 44 oder der Beschuldigte schuldhaft seine Anhörung vereitelt hatte 45 , holt es die Anhörung von Amts wegen nach und entscheidet 36
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LG Krefeld NJW 1977 642. Wegen allgemeiner Bedenken gegen die Grundkonzeption der Anwendung der Lehre von der prozessualen Überholung vgl. Rieß/Thym GA 1981 197; s. auch Geppert DRiZ 1992 405,412. BVerfGE 49 342 = NJW 1979 155. Vgl. auch BGHSt 28 57: Zur Zulässigkeit eines Antrags auf richterliche Entscheidung gegen eine schon vollzogene staatsanwaltschaftliche Durchsuchungsanordnung und BGH NJW 1978 1815 = MDR 1979 69: Zur Zulässigkeit einer Beschwerde gegen eine die Durchsuchungsanordnung des Generalbundesanwalts bestätigende Entscheidung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs. Braun NJW 1984 348.
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Geppert GA 1972 176; so wohl auch, wenn auch nicht ausdrücklich ausgesprochen, BVerfGE 33 195 = NJW 1972 1227. OLG Frankfurt MDR 1978 513 mit weit. Entscheidüngen. BGHSt23 103. BVerfGE 33 192 = NJW 1972 1227. BGH bei Holtz MDR 1976 635; OLG Köln MDR 1979 603 = VRS 57 (1979) 201; OLG Stuttgart MDR 1990 272; vgl. aber BayObLG MDR 1983 689. BGH bei Holtz MDR 1976 634; 1979 105; BayObLG VRS 86 (1994) 348. BGHSt 26 127; OLG Düsseldorf JMB1NRW 1982 141.
Günter Wendisch
§ 33 a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
aufgrund der neuen Einlassung — förmlich, nicht stillschweigend — 4 6 neu. Dabei kann es die alte Entscheidung auch ohne Antrag des Beteiligten von Amts wegen ändern oder aufheben. Die (neue) Entscheidung kann aber auch dahin gehen, daß das Gericht trotz der Erklärung des Beteiligten — oder auch, weil er eine solche unterlassen habe — keinen Anlaß finde, die (alte) Entscheidung zu ändern. 18 Im übrigen ist das Gericht auf einen Antrag des Beteiligten angewiesen, der so lange zulässig ist, als es noch mit der Sache befaßt ist und den Nachteil beseitigen kann. Der Antrag muß die Voraussetzungen des § 33 a darlegen, d. h. dartun, welche Tatsachen oder Beweisergebnisse das Gericht verwertet hat, ohne daß dem Betroffenen dazu rechtliches Gehör gewährt wurde. Schließlich bedarf es des Nachweises, daß die getroffene Entscheidung auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht oder — zumindest — beruhen kann 47 . Fehlt es daran, ist der Antrag als unzulässig zu verwerfen. So lautet die Entscheidung auch dann, wenn kein Nachteil mehr besteht oder trotz bestehenden Nachteils keine Abhilfe mehr geschaffen werden kann. Schließlich kann der Antrag auch durch Zeitablauf unzulässig werden. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Berechtigte unter Umständen untätig geblieben ist, bei deren Vorliegen er normalerweise etwas zur Wahrung seines Rechts zu unternehmen pflegt. Unterläßt er das, verlangt das öffentliche Interesse an der Wahrung des Rechtsfriedens, den verspäteten Antrag als unzulässig zu verwerfen 48 . Der Berechtigte verstößt gegen Treu und Glauben, wenn er erst nach zwei Jahren und drei Monaten auf eine nachträgliche Anhörung anträgt. Wer so lange wartet, obwohl von ihm ein Tätigwerden erwartet werden konnte, hat seinen Anspruch verwirkt 49 . Der Antrag auf nachträgliches Gehör wird in der Regel mit einem Antrag verbunden sein, die Entscheidung zu ändern, doch kann das Gericht das auch ohne Antrag tun. Wegen der Frage, ob trotz abschließender Regelung der §§ 33 a und 311 a die Korrektur einer Versagung rechtlichen Gehörs aufgrund eines gleichzeitigen Verstoßes gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ausnahmsweise zuzulassen sei, vgl. die umstrittene Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth 50 , mit der das Gericht einen Eröffnungsbeschluß trotz einer stattgefundenen aber inzwischen ausgesetzten Hauptverhandlung wegen unvollständiger Aktenvorlage nachträglich wieder aufgehoben hat 51 . 19
Die Entscheidung ist zu begründen (§ 34) und bekanntzumachen (§ 35). Rechtsmittelbelehrung ist nicht vorgeschrieben, da die beschränkt zulässige Beschwerde (Rdn. 20 ff) kein befristetes Rechtsmittel (§ 35 a) ist.
8. Beschwerde 20
a) Unstatthaft. Der Betroffene kann die neue Entscheidung, die ergeht, nachdem er nachträglich gehört und das Beweismaterial geprüft worden ist (Uberprüfungsentscheidung), nicht mit der Beschwerde anfechten, gleichviel ob sie die alte Entscheidung auf46
BayObLGSt 1973 44 = NJW 1973 1140. BGH NStZ 1993 552; Hohmann JR 1991 11. •»8 BVerfGE 32 305 = NJW 1972 675; vgl. LRHanack Vor § 296, 27. « OLG Koblenz wistra 1987 357; MDR 1985 344; Hohmann JR 1991 11. 50 NStZ 1983 136. 51 Rieß (NStZ 1983 247; ebenso LR -Rieß"· § 207, 36) erachtet - zu Recht - weder die unmittelbare noch die analoge Anwendung des § 33 a für den Fall des Erlasses eines Eröffnungsbeschlusses aufgrund 47
unvollständiger Akten für zulässig und folgerichtig die Rücknahme des Eröffnungsbeschlusses selbst für den Fall für ausgeschlossen, daß die vorenthaltenen Aktenteile ergeben, daß kein hinreichender Tatverdacht bestehe; Meyer JR 1983 258 hält den Beschluß für eine „indiskutable strafprozessuale Fehlentscheidung", für „einen krassen Verstoß gegen das Gesetz, an das die Strafkammer nach Art. 20 Abs. 3, § 1 GVG gebunden war", die - weil sie in keiner Weise den Vorschriften und dem Geist der StPO entspreche - unwirksam sei.
Stand: 1. 10. 1996
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hebt, ändert oder dadurch bestätigt, daß sie zum Ausdruck bringt, es bestehe kein Anlaß, die alte Entscheidung zu ändern 52 . Das ergibt sich daraus, daß § 33 a nur von Beschlüssen handelt, die nicht mit Beschwerde oder einem anderen Rechtsbehelf anfechtbar sind. Dann kann es die auf Gegenvorstellung ergehende Entscheidung auch nicht sein 53 . Dagegen kann der Mangel bei der Anfechtung des Urteils mit den zulässigen Rechtsmitteln, namentlich mit der Revision (§ 338 Nr. 8), gerügt werden. Wegen der Unanfechtbarkeit der Überprüfungsentscheidung auch bei entsprechender Anwendung des § 33 a in den Fällen des Widerrufs einer Strafaussetzung und der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Aufhebungsbeschluß s. § 453, 40 ff. b) Statthaft. Die Beschwerde ist aber statthaft, wenn sie sich nicht gegen die Nach- 21 tragsentscheidung, sondern dagegen richtet, daß das Gericht sie nicht treffen will, so wenn das Gericht das Nachholverfahren ablehnt, sei es, weil es dann Antrag für unzulässig (Gehör gewährt; keine Abhilfe mehr möglich), sei es, weil es ihn für unbegründet hält (Beweisergebnis war in der Entscheidung nicht verwertet). Denn hier handelt es sich nicht um die sachliche Auswertung des Beweisergebnisses, sondern um die prozeßrechtliche Frage, ob eine solche Auswertung stattfinden muß oder unterlassen werden darf 54 . Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs kann der Beteiligte erst erheben, nachdem er zuvor den Antrag nach § 33 a gestellt hat 55 . Ein Mangel ist es, daß die Beschwerde an keine Frist gebunden ist. Solange der 22 Gesetzgeber die Beschwerde aber nicht als eine sofortige ausdrücklich bezeichnet, bleibt sie eine einfache Beschwerde 56 .
§34 Die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie die, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, sind mit Gründen zu versehen.
Übersicht Rdn.
Rdn.
1. Anfechtbare Entscheidungen
1
4. Beurkundung
2. Ablehnende Entscheidungen
4
5. Fehlen von Entscheidungsgründen .
3. Inhalt
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52 KG NJW 1966 991; OLG Karlsruhe MDR 1974 685; GA 1975 284; OLG Hamburg NJW 1972 219; OLG Hamm NJW 1977 61; OLG Celle NJW 1973 2306 = JR 1974 112; NdsRpfl. 1983 71 = VRS 64 (1983) 440; OLG Düsseldorf MDR 199« 1034; VRS 83 (1993) = JR 1993 125; Hanack JR 1974 114; KK-Maul 11; Kleinknecht/Meyer-Goßner 10; offengelassen BGHSt 26 127, 131; a . A . OLG Braunschweig NJW 1971 1710; Kallmann NJW 1972 1479. 53 OLG Hamburg NJW 1965 2417; 1972 219; KG NJW 1966 992; OLG Celle NJW 1973 2306 = JR 1974 112; OLG Karlsruhe MDR 1974 686; GA 1975 284; OLG Koblenz GA 1975 315; OLG Hamm NJW 1977 61; OLG Düsseldorf MDR 1985 956; Hanack JR 1974 113. Vgl. zu § 4 4 : OLG Braunschweig NJW 1971 1711, dazu: § 44,41. 54 OLG Hamburg NJW 1972 219; OLG Karlsruhe (247)
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MDR 1974 685; GA 1975 284; Justiz 1985 319; OLG Hamm NJW 1977 61; Burmann Der Sicherungshaftbefehl gemäß § 453 c StPO (1984) 85; KK-Maul 14 f; Kleinknecht/Meyer-Goßner 10; KMR-Paulus 22; weitergehend Hanack (JR 1974 115), der die Beschwerde zur Nachprüfung des Verfahrens auf die Frage erstrecken will, ob von dem nach § 33 a zuständigen Gericht „eine echte Nachgewährung des rechtlichen Gehörs überhaupt erfolgt ist"; a. A. OLG Braunschweig NJW 1971 1711; Kallmann NJW 1972 1478. Für den ähnlichen Fall des § 46 Abs. 3 vgl. KG NJW 1966 992; a. A. - die besondere Art des Verfahrens schließt einen weiteren Rechtszug aus - OLG Celle NJW 1968 1391. « 56
BVerfGE 33 192 = NJW 1972 1237; 42 243, 251 = NJW 1976 1837, 1839; NStZ 1985 277. Vgl. BayObLGSt 1955 154 = NJW 1956 32.
Günter W e n d i s c h
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
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1. Anfechtbare Entscheidungen. § 34 verlangt in seiner ersten Alternative die Angabe von Gründen für Entscheidungen, die durch ein Rechtsmittel — Beschwerde (§ 304), Berufung (§ 312), Revision (§ 333) — anfechtbar sind. Nach dem Zweck der Vorschrift ist sie jedoch teils weiter, teils enger aufzufassen, als ihr Wortlaut angibt. Die Begründung der Entscheidung hat den Zweck, die Ansichten und Absichten des Gerichts zu beurkunden, damit die Prozeßbeteiligten ihr Verhalten darauf abstellen und das Rechtsmittelgericht die Entscheidung prüfen kann1. Bei anfechtbaren Urteilen ist das besonders vorgeschrieben (§ 267, § 338 Nr. 7, erster Halbsatz), doch erheischt unabhängig von diesen Zwecken die Bedeutung von Urteilen auch im Hinblick auf das Wiederaufnahme- und Gnadenverfahren stets eine Begründung. Demzufolge sind auch Urteile der Revisionsgerichte zu begründen2.
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Stets zu begründen sind Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergehen und den Angeklagten nicht — wie die Verteidigerbestellung — lediglich begünstigen3. Nicht zu begründen sind die unanfechtbaren Entscheidungen (§ 33 a, 4), soweit nicht, was oft der Fall sein wird, die zweite Alternative einschlägt, sowie Beschlüsse, durch die eine Revision als offensichtlich unbegründet verworfen wird4; denn was offensichtlich ist, bedarf keiner Begründung5. Von der Begründungsfreiheit der unanfechtbaren Beschlüsse ausgenommen und mit Gründen zu versehen sind die Beschlüsse des erkennenden Gerichts, die zwar nicht der Beschwerde, aber der Beurteilung des Gerichts der höheren Instanz unterliegen (§ 305 Satz 1, § 336) und das Prozeßverhalten der Beteiligten beeinflussen. Denn auch sie sind, wenn auch erst mit dem Urteil, durch Rügen der Verletzung des Prozeßrechts, anfechtbar. Das gilt allgemein, wenn es auch nur vereinzelt noch besonders angeordnet wird (§ 64), zuweilen nur durch das Verlangen nach einem Beschluß (§ 244 Abs. 6).
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Andererseits versteht § 34 unter anfechtbaren Entscheidungen nur Sachentscheidungen, nicht aber Verfügungen, die lediglich den Gang des Verfahrens bestimmen 6 , obwohl auch diese nach § 304 Abs. 1 mit der Beschwerde angefochten werden können. Denn es läuft dem Zweck der Begründung zuwider, bei jeder Verfügung dieser Art, zum Beispiel bei derjenigen, mit der die Ladung eines Zeugen angeordnet wird, die Angabe von Gründen zu erfordern 7 .
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2. Ablehnende Entscheidungen. Die Vorschrift bezieht sich in ihrer zweiten Alternative nach ihrem Wortlaut nur auf Entscheidungen, die einen Antrag voraussetzen, nicht auf solche, die von Amts wegen zu treffen sind8. Sie bereitet keine Schwierigkeiten für schriftliche Entscheidungen, bei denen ausführliche Begründungen ohnehin der Gerichtspraxis entsprechen. Sie erfordert vor allem sorgfältige Beachtung bei den mündlichen Entscheidungen in der Hauptverhandlung, die alle schon nach der ersten Alternative begründet werden müssen (Rdn. 1). Namentlich sind Beschlüsse, die einen Beweisantrag9, eine beantragte Vereidigung oder die Aussetzung einer Hauptverhandlung 10 ablehnen, zu begründen. Das gleiche gilt für den Vorlagebeschluß, durch den ein Richter im Kostenfestsetzungsverfahren einer Erinnerung nicht abhilft, sie vielmehr dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorlegt1 RGSt 75 13; OLG Oldenburg NJW 1971 1098; KG StV 1986 142; OLG Köln StV 1988 335; OLG Düsseldorf StV 1991 521 mit Anm. Schlothauer, VRS 86 (1994) 446. Krehl GA 1987 172. Beispiel: Einweisung in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus nach § 81 (OLG Oldenburg NJW 1961 981). Jagusch NJW 1960 75. Dahs NStZ 1981 206. Krehl GA 1987 173 ff hält gleichwohl einen völligen Begründungsverzicht nicht für gerechtfertigt.
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Ι
RGRspr. 4 324; KK-Maul 4; YMR-Paulus 3. Graf zu Dohna 84. BGHSt 15 253; Kleinknecht/Meyer-Goßner9·, a. A. KK-Maul 5, KMR-Paulus 4 ff; vgl. auch Hanack JZ 1971 92. J. Schulz (GA 1981 301) bejaht - entgegen der ganz herrschenden Meinung - eine Begründungspflicht auch in bezug auf die Ablehnung eines Beweisermittlungsantrags. OLG Celle NJW 1961 1319. OLG München AnwBl. 1980 122.
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche E n t s c h e i d u n g e n und ihre B e k a n n t m a c h u n g
§
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Ob auch dann eine Ablehnung vorliegt, wenn das Gericht dem Antrag eines Beteiligten gegen den Widerspruch eines anderen Beteiligten entspricht, ist streitig12. Der verneinenden Ansicht ist zuzustimmen, wenn der Widerspruch nur eine unmotivierte Gegenvorstellung gegen eine von Amts wegen zu treffende Entscheidung ist, die nach § 238 Abs. 1 die Zuständigkeit vom Vorsitzenden aufs Gericht überträgt 13 . Wird der Widerspruch jedoch mit der Berufung auf eine Gegennorm begründet, so ist er wie ein Antrag zu behandeln. Denn es kann nicht von dem Geschick des Widersprechenden abhängen, ob er seinen Widerspruch in die Form eines Antrags zu kleiden versteht14. 3. Inhalt. § 34 gilt nicht nur für die schriftliche Abfassung der Entscheidungen, sondern auch für deren Bekanntmachung, die sich, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt, auch auf die Gründe erstrecken muß. Die Gründe müssen den Prozeßbeteiligten in die Lage versetzen, sein weiteres Verhalten auf die Meinung und die Absicht des Gerichts einzustellen, und das Rechtsmittelgericht, nachzuprüfen, ob das Gericht von zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist15. Namentlich muß die Entscheidung eindeutig erkennen lassen, ob und inwieweit sie auf rechtlichen oder auf tatsächlichen Gründen beruht. Innere Gründe, wie die Absicht der Verschleppung (§ 244 Abs. 3 Satz 2), sind besonders sorgfaltig zu begründen 16 . Die Begründung muß die wahren Gründe angeben; es ist unzulässig, Gründe, die im Beschluß nicht dargelegt sind, im Urteil nachzuschieben 17 . Es reicht grundsätzlich nicht aus, daß nur der Gesetzeswortlaut wiedergegeben wird 18 . Die Begründung, daß ein Antrag unerheblich sei, ist ungenügend 19 , der Hinweis auf das künftige Urteil unzulässig 20 . Hängt die Entscheidung lediglich vom Ermessen ab, so mag aus der Ablehnung des Antrags die Begründung entnommen werden, daß das Gericht es nicht für angemessen erachtet habe, dem Antrag stattzugeben21. Eine solche Begründung genügt aber nicht, wenn sie nicht erkennen läßt, ob der Fall einer Ermessensentscheidung vorliegt22; welchen Fall, für den das Gesetz eine Ermessensentscheidung zuläßt, das Gericht angenommen hat23; ob das Gericht überhaupt erkannt hat, daß es ein Ermessen auszuüben habe24, und ob es ein ihm eingeräumtes Ermessen nicht mißbraucht hat. Sorgfältige Begründung macht dem Gericht den Gang seiner Überlegungen klar und ist daher am sichersten geeignet, gefühlsmäßige Entscheidungen zu vermeiden. Sorgfalt ist aber nicht mit Weitschweifigkeit zu verwechseln. Vielmehr muß das Gericht bei Ermessensentscheidungen die zur Entscheidung zu erwägenden tatsächlichen Feststellungen kurz und auf das Wesentliche beschränkt wiedergeben und die Erwägungen gedrängt, aber klar darlegen, nach denen es sein Ermessen ausgeübt hat25. Das gilt auch für Nebenentscheidungen über Kosten, Auslagen und Entschädigungen26. Sondervorschriften über den Inhalt der Begründung enthält die Strafprozeßordnung bei gewissen Ablehnungsentscheidungen (§ 26 a Abs. 2 Satz 2), für das Urteil (§ 267), den Haftbefehl (§ 114 Abs. 2 und 3), für die Beschlüsse, mit denen das Hauptverfahren eröffnet (§ 207 Abs. 1 und 2) oder die Eröffnung abgelehnt wird (§ 204 Abs. 1), für Vorlage- (§ 225 a Abs. 3) sowie Verweisungsbeschlüsse (§ 270 Abs. 2). 12
Bejahend RGRspr. 4 324; verneinend RGRspr. 3 295; RG GA 59 (1912) 454; BGHSt 15 253. 13 R G G A 4 0 ( 1 8 9 2 ) 158. 14 Eb. Schmidt 5 a; kritisch Frankel LM § 34, 2 und Hanack JZ 1971 92. •5 RGRspr. 4 324; RGSt 67 98; 75 13; OLG Hamm NJW 1951 166; KG StV 1986 142; OLG Celle StV 1989 254; vgl. auch tR-Hilger § 117, 28. 16 RGSt 74 154. 17 BGH NJW 1951 368.
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OLG Hamm NJW 1951 166; BayObLGSt 1952 258 = NJW 1953 233; OLG Schleswig SchlHA 1955 228. 19 RG JW 1932 2040. 20 RG JW 1929 259. 2 > RGSt 57 44; 77 332. 22 OLG Celle NJW 1961 1319. 23 BGHSt 1 177. 24 OLG Stuttgart MDR 1987 164; KK-Maul 7. 25 OLG Köln JMB1NRW 1971 223. 26 SeierGA 1980413.
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4. Beurkundung. Werden die Gründe der Entscheidung eines Kollegialgerichts nicht in der Sitzung niedergeschrieben, sondern erst später durch einen mitwirkenden Richter abgefaßt, so hat zwar der Vorsitzende die Niederschrift auf ihren Inhalt und ihre Form zu prüfen, doch darf er sie nicht einseitig inhaltlich ändern 27 . Er hat beim Abfassen der Entscheidungsgründe nur dasselbe Stimmrecht wie beim Beschluß über den mit der Entscheidung zu fällenden Spruch; er darf weder einen von der Kammer oder dem Senat gebilligten, ihm selbst aber nicht genehmen Entscheidungsgrund beseitigen noch einen Grund, den die Mehrheit nicht gutgeheißen hat, nach seinem Gutdünken hinzufügen 28 .
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5. Das Fehlen von Entscheidungsgründen ist bei Urteilen absoluter Revisionsgrund (§ 338 Nr. 7, erster Halbsatz). Ebenso werden schriftliche, außerhalb einer Hauptverhandlung ergehende Beschlüsse in der Regel 29 aufzuheben sein, wenn ihnen die Begründung fehlt. Bei der Festsetzung eines Ordnungsmittels nach § 178 GVG ist das Fehlen bzw. die Abgabe einer unzureichenden Begründung nur dann unschädlich, wenn nach der Darstellung im Protokoll die Gründe der Entscheidung für den Betroffenen außer Zweifel stehen und auch für das Beschwerdegericht die Möglichkeit der Nachprüfung anhand der Darstellung besteht 30 . Fehlen die Gründe, ist es auch regelmäßig unangemessen, daß das Beschwerdegericht in der Sache entscheidet (§ 309 Abs. 2). Es hat vielmehr die unbegründete Entscheidung aufzuheben und die Sache an den judex a quo zur ordnungsmäßigen Behandlung zurückzuverweisen, weil sonst dem Beschwerdeführer eine Instanz genommen würde 31 . Immerhin sind Ausnahmen hiervon denkbar, ζ. B. wenn ein privatschriftliches Wiederaufnahmegesuch ohne Begründung verworfen worden ist; hier wäre eine Zurückverweisung sinnlos; es genügt, wenn der Beschwerdeführer durch die Beschwerdeentscheidung über den Formmangel aufgeklärt wird.
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Fehlt einem vom erkennenden Gericht erlassenen Beschluß die Begründung, so ist das zwar bei ablehnenden Beschlüssen „unter allen Umständen unzulässig und mit Revision anfechtbar" 32 , doch führt der Mangel nicht zur Aufhebung des auf seiner Grundlage ergangenen Urteils, wenn ersichtlich ist, daß der Beschwerdeführer über die Gründe nicht hat im Zweifel sein können 33 .
§34 a Führt nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels ein Beschluß unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbei, so gilt die Rechtskraft als mit Ablauf des Tages der Beschlußfassung eingetreten. Schrifttum. Pohlmann Welche Bedeutung hat § 34 a StPO für die Strafzeitberechnung? Rpfleger 1979 126.
Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 1 Nr. 8 StVÄG 1979. 27
OLG Düsseldorf MDR 1985 866. 28 RGSt 24 118; 28 56; 44 121; Sachse GA 70 (1926) 161. 29 Weitergehend - stets - OLG Köln JMB1NRW 1960 44. 30 OLG Celle MDR 1958 265; OLG Hamm MDR 1978 780; OLG Koblenz MDR 1989 174. 11 OLG Bremen NJW 1951 84; BayObLGSt 1953
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167 = NJW 1954 123; OLG Köln JMB1NRW 1960 44; OLG Oldenburg NJW 1971 1068; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchIHA 1982 118; LG Kleve AnwBl. 1978 356; LG Konstanz AnwBl. 1978 357. RGSt 69 98. RG GA 64 (1917) 373; RG JW 1931 2504; OLG Hamburg VRS 56 (1979) 458.
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Übersicht Rdn. 1. Zweck der Vorschrift
I
2. Weitere Bedeutung
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3. Angefochtene Entscheidung
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Rdn. 4. Anwendungsbereich a) Keine Anwendung b) Anwendung 5. Tag der Beschlußfassung
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1. Zweck der Vorschrift. Die Strafprozeßordnung enthält keine ausdrückliche allge- 1 meine Regelung über den Eintritt der Rechtskraft von Entscheidungen. Einigkeit in Rechtsprechung und Lehre besteht nur darin, daß für den Anfechtungsberechtigten die formelle Rechtskraft von anfechtbaren Entscheidungen in dem Zeitpunkt eintritt, wo dieser auf die Einlegung des Rechtsmittels verzichtet hat oder die dafür vorgesehene Rechtsmittelfrist abgelaufen ist. Entscheidungen, gegen die kein Rechtsmittel (mehr) gegeben ist, werden mit ihrem Erlaß rechtskräftig. Zu letzteren zählen namentlich solche, über die durch nicht mehr anfechtbaren Beschluß auf ein rechtzeitig eingelegtes Rechtsmittel hin entschieden wird1. Streitig ist, wann ein solcher Beschluß erlassen ist. Nach der hier vertretenen Ansicht 2 (§ 33, 12) ist eine Entscheidung, die außerhalb der Hauptverhandlung ergeht, erlassen, wenn sie, schriftlich abgefaßt und unterschrieben, auf Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1), diese ausgeführt durch die Geschäftsstelle (§ 36 Abs. 1 Satz 2), an eine Person außerhalb des Gerichts bekanntgegeben 2 oder der Staatsanwaltschaft durch Übersendung der Akten mit der in ihnen enthaltenen unterschriebenen Entscheidung (§ 36 Abs. 2 Satz 1; § 36, 18) übergeben wird3. Nach anderer Ansicht soll der Beschluß schon mit der förmlichen Anordnung des Vorsitzenden zur Herausgabe des Beschlusses aus dem inneren Geschäftsgang erlassen sein4. Nach OLG Düsseldorf 5 und Kastendiek soll es auf den durch das Beschlußdatum ausgewiesenen Tag der unterzeichneten Entscheidung, nach OLG Köln7 auf den Zeitpunkt der Übergabe an die Geschäftsstelle ankommen 8 . § 34 a enthält sich einer Entscheidung zu dem dogmatischen Streit über den tatsächli- 3 chen Eintritt der Rechtskraft. Er sieht statt dessen eine allgemeine Regelung vor, wonach der Eintritt der Rechtskraft bei Entscheidungen, über die durch nicht mehr anfechtbaren, auf ein rechtzeitig eingelegtes Rechtsmittel hin ergehenden Beschluß entschieden wird, als mit Ablauf des Tages der Beschlußfassung eingetreten gilt9. Die Regelung baut auf dem durch Art. 1 Nr. 32 StVÄG 1979 aufgehobenen § 450 Abs. 2 auf, wonach für die Berechnung der Strafzeit — in Form einer gesetzlichen Fiktion 10 — die Rechtskraft des Urteils rückwirkend als zu Beginn des Tages der Beschlußfassung eingetreten galt. Obwohl die Regelung in § 450 Abs. 2 den Anforderungen der Praxis in vollem 4 Umfang gerecht geworden ist, hat der Gesetzgeber sie für die — nunmehr allgemein geltende — Regelung des § 34 a nicht übernommen. Entscheidend dafür war u. a., daß sie in den Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen führen muß, in denen etwa ein Berufsverbot 1
Vgl. Begr. zu Art. 1 Nr. 8 BTDrucks. 8 976, S. 35. OLG Bremen NJW 1956 435; OLG Frankfurt (Z) MDR 1962 744; OLG Hamburg NJW 1963 874; OLG Koblenz VRS 42 (1972) 376, 48 (1975) 291; OLG Karlsruhe Justiz 1974 436; OLG Düsseldorf AnwBl. 1981 288; Dahlke/Fuhrmann § 33, 1; Eb. Schmidt Nachtr. II § 33, 9 a unter Aufgabe von II § 33, 12; Pohlmann/Jabel« StVollStrO § 13, 10; Geppert GA 1972 166; vgl. auch BayVerfGH MDR 1963 376 und Sieg NJW 197S 530; a. A. Kleinknecht/Meyer-Goßner Vor § 33, 8. 3 OLG Celle NJW 1951 415, JZ 1955 124.
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RGSt 56 360; 66 122; OLG Hamburg HESt 1 161; OLG Köln NJW 1954 1738; JR 1976 514; OLG Hamm GA 1959 287; JZ 1967 185; KMR-/Wu.s Vor § 33, 28. NJW 1950 760 zu § 349 Abs. 2, § 449. DRiZ 1977 276. JR 1976 514. Wegen der verschiedenen Theorien zu dieser Frage s. §33, 12 Fußn. 17 Satz 2. Begr. zu Art. 1 Nr. 8 BTDrucks. 8 976, S. 36. OLG Hamm NJW 1956 274.
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§34 a
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
gegen Beamte oder Notare rechtskräftig wird, die noch am Tag der Beschlußfassung Handlungen vorgenommen haben, die Dritten gegenüber Rechtswirkungen entfalten und bei einer Rückwirkung auf den Beginn des Tages der Beschlußfassung unwirksam sein würden. „Entsprechend der Regelung des § 187 Abs. 1 BGB sollen die durch die Rechtskraft bedingten Wirkungen der angefochtenen Entscheidung daher erst mit Ablauf des Tages der Beschlußfassung eintreten, wobei sich bei der Strafzeitberechnung nur in den sehr seltenen Fällen eine Schlechterstellung um einen Tag ergibt, in denen nach der engen Ausnahmevorschrift des § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB die Untersuchungshaft nicht auf die erkannte Strafe angerechnet wird" 11 . Auch für die Berechnung der Strafzeit gilt nunmehr § 34 a 12 . 5
2. Weitere Bedeutung. Abgesehen von dem im vorigen Absatz behandelten Fall der Strafzeitberechnung 13 hat die Frage des Eintritts der Rechtskraft besondere Bedeutung für folgende Fälle: Wirksamkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 Abs. 3 Satz 1 StGB; LK § 69, 53) sowie der Anordnung des Berufsverbots (§ 70 Abs. 4 Satz 1 StGB; Dreher/ Tröndle § 70, 15); Zeitpunkt des Verlusts der in § 45 StGB bezeichneten Fähigkeiten, Rechtsstellungen und Rechte (§ 45 a Abs. 1 StGB; LK § 45 a, 43); die Frage der rechtskräftigen Aburteilung von Teilakten einer fortgesetzten Handlung (soweit deren Voraussetzungen trotz der grundsätzlichen Unanwendbarkeit dieses Rechtsinstituts ausnahmsweise gleichwohl bejaht werden können); die Ausfüllung der Strafnachricht an das Bundeszentralregister, zu Unrecht entfernte Eintragungen in das Bundeszentralregister (§ 24 BZRG; Götz BZRG § 24, 4; 5; § 46, 5 jeweils in Verb, mit § 1, 7; 8); Beginn der Bewährungszeit (§ 56 a Abs. 2 Satz 1 StGB) 14 , der Führungsaufsicht zufolge Anordnung (§ 68 c Abs. 2 Satz 1 StGB; LK § 68 c, 12 ff) im Gegensatz zur gesetzlichen nach § 67 d Abs. 4 StGB und § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB (LK § 68 c, 15) und Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (§ 69 a Abs. 5 Satz 1 StGB; LK § 69 a, 25).
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3. Die angefochtene Entscheidung, deren Rechtskraft der Beschluß herbeiführt, ist regelmäßig ein Urteil im Straf- oder Bußgeldverfahren; sie kann auch ein Beschluß sein, der der Rechtskraft fähig ist. Auf jeden Fall muß es sich um eine Entscheidung handeln, gegen die ein befristetes Rechtsmittel, nämlich Berufung, Revision, Rechtsbeschwerde oder sofortige Beschwerde statthaft und rechtzeitig eingelegt worden ist. Wird die Entscheidung nicht rechtzeitig angefochten, wird sie mit dem Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtskräftig 15 . Das gilt auch in bezug auf die sofortige Beschwerde. Zwar hemmt eine solche grundsätzlich nicht die Vollstreckung des angefochtenen Beschlusses (§ 307 Abs. 1); jedoch läßt dieser Umstand den Eintritt der Rechtskraft unberührt. Unmittelbar führt der Beschluß die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbei, wenn er selbst nicht mehr angefochten werden kann (Rdn. 9). 4. Anwendungsbereich
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a) Keine Anwendung. Die Vorschrift gilt nicht für Entscheidungen — Urteile oder Beschlüsse —, die im Lauf einer Hauptverhandlung ergehen (§ 33 Abs. 1) und auch nicht für Entscheidungen in anderen mündlichen Verhandlungen, wenn der von ihr Betroffene bei der Verkündung der Entscheidung anwesend war. Diese werden durch (mündliche) Verkündung erlassen und damit zugleich wirksam (§ 33 Abs. 1, § 35 Abs. 1 Satz 1; § 33, 10 f) 16 · ' 1 Begr. zu Art. 1 Nr. 8 BTDrucks. 8 976, S. 36. 12 Begr. zu Art. 1 Nr. 33 BTDrucks. 8 976, S. 61. 13 Wegen der Anrechnung von Untersuchungshaft vgl. die Erläuterungen zu § 450 Abs. 1.
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OLG Düsseldorf MDR 1973 426; OLG Hamm - 2. StS-MDR 1974 947 und - 4. StS-NJW 1978 2208. KK-Maul 6; KMR-Pau/us 15; Kleinknecht/MeyerGoßner 6. Kleinknecht/Meyer-Goßner 1, 10.
Stand: 1. 10. 1996
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§35
§ 34 a gilt aber auch nicht für solche Beschlüsse, durch die ein Rechtsmittel wegen ver- 8 späteter Einlegung als unzulässig verworfen worden ist, wie aus der Formulierung „nach rechtzeitiger Einlegung" folgt. Sie findet mithin keine Anwendung auf Beschlüsse nach § 319 Abs. 1 (Verwerfung der Berufung durch das Gericht des ersten Rechtszugs als unzulässig; dagegen: Antrag auf Entscheidung des Berufungsgerichts nach Absatz 2); nach § 322 Abs. 1 (Verwerfung der Berufung als unzulässig durch das Berufungsgericht; dagegen: sofortige Beschwerde nach Absatz 2); nach § 346 Abs. 1 (Verwerfung der Revision als unzulässig durch das Gericht, dessen Urteil angefochten wird; dagegen: Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach Absatz 2 Satz 1); nach § 349 Abs. 1 (Verwerfung der Revision als unzulässig durch das Revisionsgericht); in den letzten drei Fällen allerdings nur, soweit die verspätete Einlegung des Rechtsmittels der Grund der Verwerfung ist. In diesen Fällen tritt die Rechtskraft mit dem ungenutzten Ablauf der Rechtsmittelfrist ein17. b) Anwendung. Zu den Beschlüssen, die — sobald sie selbst Wirksamkeit erlangt 9 haben — die Rechtskraft im Sinn der neuen Vorschrift unmittelbar herbeiführen, gehören einmal die Beschlüsse nach § 322 Abs. 2, § 346 Abs. 2 und § 349 Abs. 1, soweit sie das Rechtsmittel aus anderen Gründen als wegen verspäteter Einlegung verwerfen 18 . Als Hauptanwendungsfalle sind jedoch zu nennen: der Beschluß, durch den die Revision nach § 349 Abs. 2 als offensichtlich unbegründet, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG und der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, einstimmig verworfen wird. Alle diese Entscheidungen führen die Rechtskraft unmittelbar herbei, weil sie unanfechtbar sind. Dagegen fallen alle Beschlüsse, durch die das Rechtsmittelgericht die Berufung nach § 322 Abs. 1 oder die Revision nach § 346 Abs. 1 als unzulässig verworfen hat, wie in Rdn. 6 ausgeführt, nur dann unter § 34 a, wenn ihre Rechtskraft nicht schon zufolge ungenutzten Ablaufs der Beschwerde- oder Antragsfrist, sondern erst durch die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts eingetreten ist19. Unter dem Tag der Beschlußfassung ist der Tag zu verstehen, der in dem Beschluß 10 angegeben ist 20 . Es kommt also nicht darauf an, daß die Verwerfung der Revision schon früher in mündlicher Beratung beschlossen wurde, wenn der Beschluß erst später, weil mit kurzer Begründung versehen, abgesetzt und unter dem Tag der Unterzeichnung zu den Akten gebracht wird; denn es ist ja gerade Sinn der Regelung, Zweifel jeder Art durch eindeutige Festlegung des für den Eintritt der Rechtskraft und in dem angeführten Beispiel des für den Beginn der Strafzeitberechnung maßgebenden Zeitpunkts auszuschließen.
§35 (1) 'Entscheidungen, die in Anwesenheit der davon betroffenen Person ergehen, werden ihr durch Verkündung bekanntgemacht. 2 Auf Verlangen ist ihr eine Abschrift zu erteilen. (2) 'Andere Entscheidungen werden durch Zustellung bekanntgemacht. 2 Wird durch die Bekanntmachung der Entscheidung keine Frist in Lauf gesetzt, so genügt formlose Mitteilung. " RGSt 53 236; BGHSt 22 219; KG GA 71 (1927) 43 = DJZ 1926 458; OLG Düsseldorf JMB1NRW 19S1 60; OLG Neustadt GA 1955 185; OLG Hamburg NJW 1963 265; Niese JZ 1951 757; 1957 77; Küper GA 1969 364; nunmehr auch Kleinknecht/ Meyer-Goßner 6 unter Aufgabe der früheren teil(253)
weise abweichenden Ansicht; vgl. auch Begr. zu Art. 1 Nr. 8 BTDrucks. 8 976, S. 36. '8 BGH NJW 1976 373. 19 Vgl. dazu die Erläuterungen zu §§ 346, 349. 20 OLG Frankfurt NJW 1965 1725.
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§35
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
(3) Dem nicht auf freiem Fuß Befindlichen ist das zugestellte Schriftstück auf Verlangen vorzulesen. Entstehungsgeschichte. Satz 2 des Absatzes 2 ist eingefügt durch Art. IV Nr. 1 der VO zur Vereinfachung der Zustellungen vom 17. 6. 1933 (RGBl. I 394). Seine jetzige Fassung beruht auf Art. 1 Nr. 2 StVÄG 1987. Durch ihn ist die frühere Ausnahmeregelung in Absatz 2 Satz 2 letzter Satzteil beseitigt worden, wonach die formlose Mitteilung von Urteilen ausgeschlossen war. Ubersicht Rdn.
Rdn.
1. Zweck
1
8. Kosten
15
2. Entscheidungen
2
9. Zustellungen a) gerichtliche (Absatz 2 Satz 1) b) staatsanwaltschaftliche
17 18
3. Betroffener
3
4. Verkündung (Absatz 1 Satz 1)
5
5. Abschrift (Absatz 1 Satz 2)
10. Formlose Mitteilung (Absatz 2 Satz 2 ) . .
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6. Zeitpunkt
11
11. Vorlesen (Absatz 3)
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7. Zuständigkeit
13
12. Nicht auf freiem Fuß Befindliche
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1
1. Zweck. Die Vorschrift bezweckt wie §§ 33, 34 die Sicherung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Strafverfahren. Durch die — mündliche oder schriftliche — Unterrichtung über Ergebnis und Begründung der ergangenen Entscheidung wird der betroffenen Person die Möglichkeit eröffnet, ihr weiteres prozessuales Vorgehen, namentlich die Frage abzuwägen, ob sie ein Rechtsmittel einlegen solle1.
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2. Entscheidungen. Zu dem Begriff s. § 33, 4 ff, doch fallen hier auch die prozeßleitenden Verfügungen unter den Begriff 2 . Demzufolge gehören hierher u. a. auch Beschlüsse, durch die ein Beweisantrag 3 oder ein Vertagungsantrag4 abgelehnt wird, sowie Beschlüsse über die Entbindung des Angeklagten vom Erscheinen in der Hauptverhandlung 5 und über die Anordnung und die Fortdauer der Untersuchungshaft 6 .
3
3. Wer Betroffener ist, muß in jedem einzelnen Fall nach den Grundsätzen der Strafprozeßordnung und der Bedeutung der einzelnen Vorschrift beantwortet werden. Die Bemerkung des Kammergerichts7, der Begriff des Betroffenen sei enger als der des Prozeßbeteiligten (§ 33, 18), ist im Grundsatz richtig. So ist ζ. B. von einem Beschluß, der die Ablehnung für unbegründet erklärt (§ 28 Abs. 2), nur betroffen, wer die Ablehnung angebracht hatte (§ 28, 6). Gleichwohl trifft die Ansicht des Kammergerichts in dieser Allgemeinheit nicht zu. Denn grundsätzlich ist von einer Entscheidung jeder Prozeßbeteiligte betroffen, den ihre Auswirkung berühren kann, gleichgültig ob er von ihr beschwert oder begünstigt ist8, also ζ. B. auch der Nebenkläger9. Da die Möglichkeit einer Auswirkung in der Regel bei jedem Prozeßbeteiligten besteht, wird dieser Begriff meistens mit dem des Beteiligten zusammentreffen. Die Staatsanwaltschaft ist, da sie auch zugunsten des Beschuldigten Rechtsmittel einlegen kann (§ 296 Abs. 2), im Offizialverfahren stets betroffen 10 . 1
Vgl. B V e r f G E 36 88 = N J W 1974 133; BGHSt 27 88; KK-jMaul 1. 1 RGRspr. 1 543; RGSt 1 346; O L G Braunschweig JZ 1953 640; O L G H a m m VRS 66 (1984) 44; Kleinknecht/Meyer-Goßner 1. 3 RGSt 1 3 6 . 4 RGSt 2 3 137.
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RGSt 15 203; 44 48. & Dörr BayZ 2 115. 7 G A 59 (1912) 476. 8 O L G Braunschweig J Z 1953 641. 9 O L G Hamburg HRR 1932 1529. '0 KK-Maul 4; KMR-Paulus 17.
Stand: 1. 10. 1996
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§ 35
Für gewisse Fälle gibt das Gesetz besondere Vorschriften, die in der Regel den Kreis 4 der Beteiligten einengen, so in § 114 a über die Bekanntmachung des Haftbefehls bei der Vollziehung oder unmittelbar danach, in § 201 Abs. 1 über die Mitteilung der Anklageschrift, in § 316 Abs. 2, § 343 Abs. 2 über die Zustellung von Urteilen. Ferner bestimmt § 54 Abs. 2 JGG, daß die Urteilsgründe dem Angeklagten nicht mitgeteilt werden, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu besorgen sind, und § 67 Abs. 2 JGG, daß eine Mitteilung, die an den Beschuldigten vorgeschrieben ist, an den Erziehungsberechtigten und an den gesetzlichen Vertreter gerichtet werden soll". 4. Durch Verkündung (Absatz 1 Satz 1) werden den Beteiligten oder sonst Betroffenen 5 Entscheidungen bekanntgemacht, die in ihrer Anwesenheit ergehen. Wegen der Verkündung früher erlassener Entscheidungen in einem späteren Termin s. Rdn. 21. Die Verkündung greift Platz nicht nur bei Entscheidungen, die in einer Hauptverhandlung ergehen, sondern auch bei denjenigen, die ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein beauftragter oder ersuchter Richter bei einer Vernehmung oder einem Augenschein erläßt. Für die Verkündung des Urteils ist § 268 Abs. 2 maßgebend. Eine Bekanntgabe des Zeitpunkts der Urteilsverkündung ist nur geboten, wenn die Verkündung ausgesetzt wird, nicht aber dann, wenn die Beratung sich an die Verhandlung anschließt12. Für Beschlüsse gilt § 268 nicht; sie brauchen nicht verlesen zu werden; es genügt, wenn dem Betroffenen der wesentliche Inhalt mitgeteilt wird13. Lehnt das Berufungsgericht in der Hauptverhandlung einen Antrag des insoweit bevollmächtigten Verteidigers in dessen Anwesenheit ab, den nicht erschienenen Angeklagten nach § 233 Abs. 1 vom Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, so braucht der Beschluß dem Angeklagten selbst nicht bekanntgemacht zu werden14. Die Verkündung ist eine richterliche Handlung. Sie obliegt regelmäßig dem Vorsit- 6 zenden als Verhandlungsleiter (§ 238 Abs. 1), ausnahmsweise einem anderen Richter des erkennenden Gerichts. Ein nichtrichterlicher Beamter (Protokollführer) darf sie nicht vornehmen. Einem Referendar darf die Verkündung nicht übertragen werden, wohl aber aus besonderen Gründen einem anderen richterlichen Mitglied 15 . Der Richter muß die Entscheidung selbst dann verkünden, wenn der, den sie angeht, der deutschen Sprache nicht mächtig ist; die verkündete Entscheidung ist alsbald danach durch den Dolmetscher in die fremde Sprache zu übertragen. Die Verkündung ist im Protokoll zu beurkunden. Ist die Entscheidung in einer Haupt- 7 Verhandlung ergangen, dann kann der Beweis, daß sie verkündet worden ist, nach § 274 nur durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung erbracht werden. Ist die Entscheidung in einer dem Gesetz nicht genügenden, also rechtlich unwirksamen Weise verkündet oder fehlt es am Beweis der Verkündung, so kann der Mangel bei Beschlüssen durch Zustellung geheilt werden. Bei Urteilen ist er unheilbar. Die Hauptverhandlung ist nicht zu Ende geführt. Sie muß, soweit das noch möglich ist (§ 229), durch Verkündung zu Ende gebracht, sonst wiederholt werden. 5. Abschrift (Absatz 1 Satz 2). Das Recht auf eine Abschrift besteht kraft Gesetzes 8 aus dem staatlichen Interesse, den Betroffenen klar zu unterrichten. Das bedeutet allerdings nicht, daß einem der deutschen Sprache nicht hinreichend kundigen Ausländer auf Verlangen auch eine kostenfreie Übersetzung des Urteils auszuhändigen wäre 16 . Der 11
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Vgl. BayObLGSt 1954 51 - Leitsatz a = NJW X954 1378. RG JW 1933 434. RGSt 44 54. BGHSt 25 281. OLG Oldenburg NJW 1952 1310. BVerfGE 64 135 = JZ 1983 659 mit zust. Anm. Rüping. So schon früher OLG Hamburg NJW 1978
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2462; OLG Frankfurt NJW 1980 1238; OLG Stuttgart NStZ 1981 225; Kleinknecht/Meyer« § 35, 11; Art. 6 MRK, 18; LR-Schäfer* § 184 GVG, 3; Kissel § 184 GVG, 10; KK-Mayr § 184 GVG, 3; KMR § 184 GVG, 8; differenzierend Römer NStZ 1981 474; a. A. KK-Schikora § 464 a, 4; Strate AnwBl. 1980 16; Sieg MDR 1981 281; Heldmann StV 1981 253; vgl. auch LR-SchäferAVickern § 184 GVG, 11.
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§35
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Betroffene braucht sein Interesse an der Abschrift und den Zweck, den er etwa mit ihr verfolgt, nicht darzulegen. Er kann durchaus das private Interesse haben, einen Vertrauten (etwa auch später vor einer Heirat) über die Tat aufzuklären oder Unterlagen für eigene Aufzeichnungen zu erlangen. Ein Zusammenhang mit strafrechtlichen Zwecken darf daher nicht gefordert werden 17 . 9
Mehr als eine Abschrift kann der Betroffene nicht verlangen, doch werden vernünftige Wünsche auf mehrere Abschriften nicht abzulehnen sein. Abschriften sonstiger Aktenteile 18 , namentlich des ganzen Hauptverhandlungsprotokolls 19 können aufgrund des § 35 nicht begehrt werden. 10 Das Recht auf eine Abschrift muß u. U. höheren Interessen gegenüber zurückstehen, namentlich wenn sich das Schriftstück mit Vorgängen und Nachrichten befaßt, die im Staatsinteresse geheimzuhalten sind 20 . Grundsätzlich ist wenigstens dem Verteidiger die Abschrift mit Geheimverpflichtung auszuhändigen 21 . Ist das in besonderen Fällen ausnahmsweise nicht möglich, ist namentlich bei Urteilen dem Angeklagten zu seiner Verwendung wenigstens eine gekürzte Abschrift auszuhändigen. Ist auch das nicht angängig, so ist, wie auch für weggelassene Teile, großzügig — unter Beachtung der Geheimhaltungsvorschriften (Nr. 213 RiStBV) — Akteneinsicht zu gewähren, um die Rechtsbeeinträchtigung soweit wie möglich auszugleichen. 11
6. Zeitpunkt. Die Abschrift muß, damit der Angeklagte in seinen prozessualen Rechten nicht beeinträchtigt wird, sobald als möglich 22 erteilt werden. Zwar kann der Angeklagte nicht verlangen, daß die Sitzung unterbrochen wird, damit ihm Abschrift etwa der Anordnung erteilt werde, das Gericht wolle von einem präsenten Beweismittel (§ 245) Gebrauch machen. Jedoch kann der Ansicht 23 nicht beigepflichtet werden, daß während der Hauptverhandlung keine Abschrift eines in ihr verkündeten Beschlusses verlangt werden könne, wenn dadurch der Fortgang der Verhandlung gehemmt würde 24 . Einer solchen Auslegung steht der Zweck der Abschrift entgegen, dem Beteiligten eine klare, unverrückbare Unterlage für seine weiteren Prozeßhandlungen in die Hand zu geben 25 . Der Ablehnung von Beweisanträgen kann der Angeklagte ohne schriftliche Unterlage schwer entgegentreten; die Beschwerde gegen ein Ordnungsmittel (§181 Abs. 1 GVG) ist in der Regel ohne Kenntnis des Protokoll- und Beschlußwortlauts nicht sachgemäß zu begründen. Demzufolge sind alle bedeutsameren Beschlüsse alsbald abzusetzen und später dem Protokoll als Anlage beizufügen 26 . Bedenken gegen dieses Verfahren bestehen nicht 27 . Auf diese Weise wird der Anspruch der Beteiligten, alsbald eine Entscheidungsabschrift zu erhalten, wirksam gewährleistet.
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Die Abschrift kann nicht nur unmittelbar nach der Verkündung, sondern auch zu jedem späteren Zeitpunkt verlangt werden 28 , solange die Akten im Gewahrsam der Justiz sind.
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7. Zuständigkeit. Über den Antrag, eine Abschrift zu erteilen, entscheidet das Gericht, das die Entscheidung, von der die Abschrift begehrt wird, erlassen hat 29 . Wird der Antrag nach Rechtskraft gestellt, trifft die Entscheidung die Justizverwaltungsbehörde, welche die Akten verwahrt 30 , also die Staatsanwaltschaft.
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KK-Maul 9; a. A. KG JR 1960 352; KMR-Paulus 20; Kleinknecht/Meyer-Goßner 9. OLG Rostock Alsb. Ε 1 107. OLG Breslau GA 51 (1904) 69; BayObLGSt 1953 29 = JR 1953 464. BayObLGSt 1932 178 = JW 1933 527. BGHSt 18 369. KK-Maul 10 und KMR-Paulus 23: unverzüglich. RGSt 44 54.
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KK-Maul 10; KMR-Paulus 23; einschränkend Kleinknecht/Meyer-Goßner 6. Eb. Schmidt 11; Bendix GS 39 (1887) 1. Dünnebier 41. DJT II G 16. RGSt 2 38; 25 250. KG JR 1960 352. BayObLGSt 5 (1905) 237. BayObLGSt 32 (1932) 177 = JW 1933 527; KG JR 1960 352; Nr. 183 lit. c RiStBV.
Stand: 1. 10. 1996
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§35
Die Abschrift erteilt die Geschäftsstelle der Behörde, die über den Antrag bejahend ent- 14 schieden hat. Sind die Akten nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist nicht vernichtet, sondern ans Staatsarchiv abgeliefert worden, dann entscheidet dieses nach seinen Vorschriften. 8. Kosten. Für die Abschriften werden keine Kosten, wohl aber Schreibgebühren als 15 Auslagen erhoben (§ 56 GKG). Auslagenvorschuß wird nicht erfordert (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG). Die erste Ausfertigung oder Abschrift jeder Entscheidung, die einem Beschuldigten erteilt wird, ist auslagenfrei (Kostenverzeichnis — Anl. 1 zu § 11 Abs. 1 GKG — 1900 Nr. 2). Damit erledigt sich, weil nach § 35 Abs. 1 nur eine Abschrift verlangt werden kann, auch 16 die Frage, ob einem freigesprochenen Angeklagten eine kostenfreie Urteilsabschrift zusteht. Nr. 140 Satz 1 RiStBV schreibt ausdrücklich vor, daß von einem rechtskräftigen Urteil sowie von einem Beschluß über Strafaussetzung zur Bewährung (§ 268 a) dem Angeklagten ohne Antrag eine Abschrift zu übersenden ist. Das Gericht ist aber auch sonst befugt, die Zusendung von Abschriften ohne Antrag anzuordnen, wenn es erforderlich ist, den Zweck der Strafe zu erreichen. Das kann namentlich bei verurteilenden Erkenntnissen der Fall sein, wenn sie ernste Warnungen für einen Rückfall enthalten, namentlich die Ankündigung der Sicherungsverwahrung oder sonstiger freiheitsentziehender Maßregeln. 9. Zustellungen a) gerichtliche (Absatz 2 Satz 1). Zustellung ist der in gesetzlicher Form zu bewirkende 17 und zu beurkundende Akt, durch den dem Adressaten Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks verschafft wird31. Sie dient dem Interesse sowohl des Anordnenden wie auch des Adressaten. Ersterer kann mit Hilfe der Zustellungsurkunde den Nachweis erbringen, daß der auf ihr bezeichnete Empfänger von dem zugestellten Schriftstück Kenntnis nehmen konnte. Für letzteren sichert sie auch die Verwirklichung des rechtlichen Gehörs, indem sie gewährleistet, daß der Adressat Kenntnis von dem zugestellten Schriftstück nehmen und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einstellen kann32. Zustellungen dienen daher als Mittel der Gewährung und der Kontrolle rechtlichen Gehörs33. Sie finden statt bei Entscheidungen, die in Abwesenheit der von ihnen Betroffenen ergehen, wenn durch ihre Bekanntmachung eine Frist in Lauf gesetzt wird. Sonst genügt formlose Mitteilung (Rdn. 21). Auch wo sie ausreicht, kann jedoch Zustellung geboten sein." Hängt bei Entscheidungen, die auf Antrag ergangen sind, das weitere Verhalten des Betroffenen davon ab, ob dem Antrag stattgegeben ist, so wird Zustellung zu wählen sein, wenn das Gericht aus dem weiteren Verhalten Folgerungen ziehen, etwa eine Berufung verwerfen34 oder einen Beschluß über die Aussetzung des Strafrestes widerrufen will35. Die Zustellung ist auch vorzuziehen, wenn die Entscheidung von besonderer Bedeutung ist oder der Nachweis der Mitteilung als Grundlage für gerichtliche Maßnahmen oder erneuter Strafbarkeit (vgl. § 111 a in Verb, mit § 21 StVG) dienen kann. Demzufolge soll allen Beteiligten, auf jeden Fall aber dem Angeklagten, die Ladung zur Hauptverhandlung zugestellt werden (Nr. 117 Abs. 1 Satz 1 RiStBV). Dasselbe gilt von dem Beschluß, durch den der Angeklagte von der Verpflichtung entbunden wird, zur Hauptverhandlung zu erscheinen (§ 233 Abs. I) 36 oder durch den außerhalb der Hauptverhandlung Termin zu ihrer Fortsetzung anberaumt wird37. 31
Rosenberg/Schwab" § 73 I 1. BGHZ 12 96; BGH (Z) NJW 1978 1858 = JR 1978 377; Kleinknecht/Meyer-Goßner 10. 33 BVerfGE 36 88 = NJW 1974 133; BGHSt 27 88; KK-Maul 15. 34 RGSt 59 279. 35 OLG Schleswig SehlHA 1979 87.
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RGSt 15 202; 29 70; 62 259; Eb. Schmidt 13; KKMaul 18. BGH NStZ 1984 41 mit krit. Anm. Hilger. Brauns - LV zu § 6 a - (104, 108) hält auch die vorgezogene Mitteilung über die Besetzung des Gerichts nach § 222 a für zustellungspflichtig; ähnlich LRGollwitzer§ 222 a, 8; KMR-ftju/us § 222 a, 19.
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b) staatsanwaltschaftliche. Für das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gilt § 35 nicht. Denn — wie schon aus der amtlichen Überschrift des vierten Abschnitts des ersten Buches der StPO ersichtlich — gelten dessen Vorschriften nur für gerichtliche Entscheidungen 38 . Allerdings wird sich oftmals empfehlen, § 35 Abs. 2 auf die Bekanntmachung staatsanwaltschaftlicher Einstellungsbescheide sinngemäß anzuwenden. Eine förmliche Zustellung sollte namentlich dann erwogen werden, wenn damit zu rechnen ist, daß der Verletzte wegen des Gewichts des Tatwurfs, nicht einfacher Beweiswürdigung, schwieriger Rechtsfragen oder aus sonstigen Gründen einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen wird (vgl. Nr. 91 Abs. 2, Nr. 105 Abs. 5 Satz 2 RiStBV) 39 . Wenn die förmliche Zustellung in solchen Fällen an sich allein zweckmäßig und geboten ist, so kann sie gleichwohl nicht erzwungen werden. Denn da sie nur dem sicheren Nachweis des Zugangs des Einstellungsbescheides dient, findet auch § 187 Abs. 2 ZPO, der über § 37 Abs. 1 die Heilung von Zustellungsmängeln bei Notfristen ausschließt, keine Anwendung 40 .
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Obwohl der abschlägige Bescheid der Staatsanwaltschaft auf die Strafanzeige eines Verletzten durchaus vergleichbare Parallelen zu dem abschließenden Verwaltungsakt einer öffentlichrechtlichen Behörde aufweist, kommt eine entsprechende Anwendung des § 41 Abs. 2 VwVfG, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, regelmäßig mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgemacht gilt, nicht in Betracht 41 . Denn abgesehen davon, daß § 2 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG die unmittelbare Anwendung dieses Gesetzes für die Strafverfolgung ausschließt, scheidet seine entsprechende Anwendung auch deshalb aus, weil § 37 Abs. 1 eine eigene — wenn auch nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung — Zustellungsregelung enthält 42 .
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Macht die Staatsanwaltschaft von der förmlichen Zustellung Gebrauch, dann beginnt der Fristenlauf, wie auch sonst, mit der Zustellung oder Ersatzzustellung, gleichviel wann der Empfänger den Brief in seine Hand bekommt 43 . Wird der Einstellungsbescheid dagegen durch formlose Mitteilung bekanntgemacht, etwa durch einfachen oder eingeschriebenen Brief, auch gegen Empfangsbekenntnis oder Rückschein, so richtet sich der Fristbeginn nach § 130 BGB. In diesem Fall kommt es also auf den Nachweis an, daß der Bescheid in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist und dieser damit unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit gehabt hat, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen 44 .
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10. Formlose Mitteilung (Absatz 2 Satz 2) genügt, wenn durch die Bekanntmachung der Entscheidung keine Frist in Lauf gesetzt wird. Bis zum 31.3. 1987 spielte diese Art der Bekanntmachung gleichwohl nur eine untergeordnetere Rolle. Ihre Anwendung war vornehmlich auf die Benachrichtigung von Terminen, ζ. B. im Fall des § 224, sowie auf unanfechtbare Beschlußentscheidungen — nicht aber auf Urteile — beschränkt. Diese 38
OLG Düsseldorf MDR 1960; Nöldeke NStZ 1991 52; H. J. Wagner NStZ 1991 201; KK-Maul 2; KMR-Paulus 2; LR-Rieß Erl. zu § 171; KMR-A/ü/ler §171,6. 39 OLG Bremen GA 1958 307; OLG Celle NStZ 1990 505; letzteres allerdings unter Verkennung der Bedeutung der RiStBV als bloße VerwaltungsvorSchriften ohne Gesetzeskraft; Nöldeke NStZ 1991 52; Kleinknecht/Meyer-Goßner §171, 5; a.A. OLG Düsseldorf MDR 1960 603. "0 Nöldeke NStZ 1991 52; LR-Rieß § 172 IV 4. 41 Für eine entsprechende Anwendung s. H. J. Wag-
42 43
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ner NStZ 1991 201; und zwar auch unter dem Gesichtspunkt, daß das modernere VerwaltungsVerfahrensgesetz den heutigen Bedingungen bei der Bekanntgabe von Einstellungsbescheiden besser Rechnung trage als die StPO. OLG Celle NStZ 1990 505. OLG Hamm JMB1NRW 1954 206; 1963 109 = JR 1963 271; OLG Hamburg JR 1955 193 mit Anm. Kohlhaas·, LR-Rieß § 172 unter IV 4; KMR-Müller § 171, 11. Nöldeke NStZ 1991 52; LR-Rieß § 172 unter IV 4.
Stand: 1. 10. 1996
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§35
waren stets zuzustellen, also auch dann, wenn durch ihre Bekanntmachung — wie das bei Revisionsurteilen der Fall ist — keine Frist in Lauf gesetzt wurde. Mit dem Fortfall dieser Ausnahmeregelung 45 sind nunmehr alle unanfechtbaren Urteile den sonstigen Gerichtsentscheidungen gleichgestellt. Es reicht also regelmäßig aus, wenn Revisionsurteile und andere Urteile, durch deren Bekanntmachung ausnahmsweise keine Frist in Lauf gesetzt wird, den Betroffenen durch einfachen Brief mitgeteilt werden. Soweit ersichtlich, hat die Neuregelung zu keinen Unzuträglichkeiten geführt. Das war auch nicht zu erwarten, zumal da die schon nach früherem Recht zulässige formlose Mitteilung von Beschlußentscheidungen nach § 349 keine Schwierigkeiten offenbart hat. Im übrigen schließt die Neuregelung auch künftig nicht aus, in besonderen Fällen gleichwohl die Zustellung eines unanfechtbaren Urteils anzuordnen. Jedoch wird das regelmäßig nur zu erwägen sein, wenn ausnahmsweise einmal der Zeitpunkt der Kenntnisnahme deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil an die Rechtskraft des Urteils sanktionsbewehrte Pflichten anknüpfen (etwa nach §§ 145 a, 145 c StGB) 46 . Der Neuregelung steht auch nicht entgegen, daß gegen Revisionsurteile Verfassungs- 22 beschwerde zulässig sein kann. Zwar ist eine solche binnen einem Monat nach Zustellung oder formloser Mitteilung der Entscheidung einzulegen (§ 93 Abs. 1 BVerfGG); jedoch handelt es sich bei dieser Frist nicht um eine Frist nach § 35 Abs. 2 Satz 2. Die dortige Formulierung „keine Frist in Lauf gesetzt" bezieht sich nur auf strafprozessuale Fristbestimmungen 47 . Die formlose Mitteilung besteht darin, daß eine Ausfertigung oder Abschrift der Ent- 2 3 Scheidung übersandt, in geeigneten Fällen auch ihr Inhalt schriftlich 48 mitgeteilt wird. Fraglich ist, ob auch die Ladung des Angeklagten zu einem außerhalb der Hauptverhandlung bestimmten Fortsetzungstermin stets einer schriftlichen Bekanntmachung bedarf. Das ist zu bejahen, wenn die Mitteilung unmittelbar an den Angeklagten gerichtet ist, gilt jedoch nicht für den Fall, daß die Ladungsmitteilung an den Verteidiger gerichtet ist, da § 145 a insoweit eine besondere Regelung enthält, die auch eine telefonische Mitteilung nicht ausschließt 49 . Auch die mündliche Eröffnung und Beurkundung durch den Urkundsbeamten sind zulässig 50 , aber in der Regel wenig zweckmäßig. Eine früher erlassene Entscheidung kann in einer späteren Verhandlung verkündet werden 51 , wenn weder ihre Verkündung noch ihre Zustellung notwendig war. Alsdann ersetzt die Verkündung die formlose Mitteilung 52 , die in jeder Form, also auch derjenigen der Verkündung zulässig ist. 11. Das Vorlesen (Absatz 3) ist ein von der Zustellung verschiedener Vorgang; es 24 folgt dieser nach und kann sie nicht ersetzen. Die formrichtige Zustellung bleibt auch dann wirksam, wenn das Vorlesen unterlassen wird, obwohl seine Voraussetzungen erfüllt sind. Jedoch kann das Unterlassen u. U. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen. Das Vorlesen obliegt dem Zustellungsbeamten, einem Anstaltsbeamten oder dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk die Anstalt liegt. Entstehen Zweifel, hat das Gericht, dessen Entscheidung zugestellt wird, darüber zu bestimmen, kann mit dem Vorlesen aber, wenn ihm das Landesrecht nicht andere Beamte dazu zur Verfügung stellt, nur einen Gerichtsbeamten beauftragen. « Durch Art. 1 Nr. 2 StVÄG 1987. 46 Rieß/Hilger NStZ 1987 153 Nr. 4. 47 So ausdrücklich die Begr. zu Art. 1 Nr. 3 BTDrucks. 10 1313 S. 17. 48 Wegen der ausnahmsweise zulässigen mündlichen (telefonischen) Ladung zu einem in der Hauptverhandlung nicht verkündeten Fortsetzungstermin vgl. die nicht völlig übereinstimmenden Ansichten (259)
49 50
51 52
des 4. und 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs NStZ 1984 41 und MDR 1992 701 sowie BVerfG NJW 1993 90. BGH NStZ 198441;BGHSt38271,273. Offengelassen von OLG Hamm VRS 57 (1979) 125; a. A. Kleinknecht/Meyer-Goßner 12. Feisenberger 3; KMR-Paulus 11. BGHSt 15 385.
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§35
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
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Nach dem Wortlaut des Absatzes 3 ist das Vorlesen nur für den Fall der förmlichen Zustellung (Absatz 2 Satz 1) vorgeschrieben. Da aber Absatz 2 Satz 2, der die formlose Mitteilung betrifft, erst später eingesetzt worden ist, liegt es nahe, ein Redaktionsversehen dahin anzunehmen, daß in Absatz 3 die Ausdehnung auf die formlosen Mitteilungen versehentlich unterblieben ist. Wenn der Gesetzgeber eine Fürsorge für Analphabeten oder sehschwache Menschen für angebracht hält, besteht sie bei allen gerichtlichen Entscheidungen, jedenfalls wenn der Verwahrte selbst der Zustellungsempfänger ist. Wird er nur von einer Zustellung an den Verteidiger unterrichtet (§ 145 a Abs. 3 Satz 1), besteht die Verpflichtung nach § 35 Abs. 3 nicht.
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In Wirklichkeit ist die Vorschrift überholt; in der Praxis wird kein Vorlesen verlangt. Dieses Verlangen ist aber neben der Verwahrung Voraussetzung für die Notwendigkeit des Vorlesens. Eine Belehrung ist nicht vorgeschrieben und bei der überholten Vorschrift nicht zweckmäßig. Die Anstaltsleitung wird von Amts wegen und nicht nur auf Antrag dafür Sorge zu tragen haben, daß in den wenigen Fällen, wo die Notwendigkeit dazu besteht, einem kranken, blinden, des Lesens nicht kundigen oder sonst behinderten Empfänger eingehende Schriftstücke verlesen werden. Zusätzlich wird sie — auch über Art. 6 Abs. 3 Buchst, a und b MRK hinaus — die Übersetzung zu veranlassen haben, wenn der Verwahrte (Rdn. 24) der deutschen Sprache nicht so mächtig ist, daß er auch das oft schwer verständliche Amtsdeutsch verstehen kann. Dafür hat — auch ohne besondere Vorschrift — ebenfalls das Gericht zu sorgen, wenn ihm dieser Umstand bekannt ist. Hat der Verwahrte dauernd Beistand der Vertretung seines Landes, kann die Übersetzung unterbleiben, wenn nicht ein Fristverlust droht.
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12. Nicht auf freiem Fuß Befindliche. Ein Schriftstück muß dem Zustellungsempfänger bei der Zustellung auf Verlangen nur dann vorgelesen werden, wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet. Dieses Verhältnis, von dem sonst noch § 148 Abs. 2, § 216 Abs. 2, § 299 Abs. 1 und § 350 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 sprechen, während in § 168 c Abs. 4 und § 224 Abs. 2 die Formel „nicht in Freiheit befindlich" gebraucht wird, ist, soweit mit den Vorschriften ein Fürsorgezweck verfolgt wird (§§ 35, 216, 299), bei jeder Freiheitsentziehung im weitesten Sinn gegeben53.
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Eine solche Freiheitsentziehung liegt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch vor, wenn dem Zustellungsempfänger die Freiheit durch behördlichen Akt der öffentlichen Gewalt wider seinen Willen oder wider den Willen des Inhabers der elterlichen Gewalt entzogen ist. Beruht die Freiheitsentziehung auf dem Willen des Vormunds eines Volljährigen oder Minderjährigen oder des Betreuers eines Volljährigen, so treten zufolge der Notwendigkeit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung (§§ 1631 b, 1906 b Abs. 2 BGB) die öffentlich-rechtlichen Elemente der Vormundschaft so in den Vordergrund, daß auch eine solche Unterbringung als Freiheitsentziehung anzusehen ist54. Demzufolge geht der Begriff „nicht auf freiem Fuß" über die Begriffe des Gefangenen und auf behördliche Anordnung Verwahrten (§§ 120, 121 StGB) hinaus und deckt sich mit dem Begriff des von einer Freiheitsentziehung Betroffenen i. S. des Art. 104 GG.
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13. Einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer muß die verkündete Entscheidung durch einen Dolmetscher übersetzt werden (Art. 6 Abs. 3 e MRK) 55 . Wegen der Form der Rechtsmittelbelehrung gegenüber Ausländern vgl. § 35 a, 21. 53 BGHSt 4 309; 13 2 12. 54 Vgl. für den Zustand vor dem Familienrechtsänderungsgesetz BVerfGE 10 324 = NJW 1960 813; OLG Hamm NJW 1960 2239.
55
EuGH NJW 1978 477.
Stand: 1. 10. 1996
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§ 35 3
§35 a 'Bei der Bekanntmachung einer Entscheidung, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden kann, ist der Betroffene über die Möglichkeiten der Anfechtung und die dafür vorgeschriebenen Fristen und Formen zu belehren. 2Ist gegen ein Urteil Berufung zulässig, so ist der Angeklagte auch über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 und der §§ 329,330 zu belehren. Schrifttum. Heldmann Ausländer und Strafjustiz, StV 1981 251; Nöldeke Plädoyer für eine ausführliche Rechtsmittelbelehrung im Falle der Verwerfung einer verspäteten oder nicht formgerechten Revision nach §§ 346 I, 349 I StPO, NStZ 1991 70; Schräder Wiedereinsetzung und Rechtsmittelbelehrung (§§ 35 a, 45 StPO), NStZ 1987 447; Warda Um die Rechtsmittelbelehrung im Strafprozeß, MDR 1957 717.
Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 4 Nr. 5 des 3. StRÄndG zugleich mit der Streichung von § 268 Abs. 4 (Rechtsmittelbelehrung bei Urteilen) durch Art. 4 Nr. 31. Durch Art. 1 Nr. 3 StVÄG 1987 ist der Paragraph um Satz 2 ergänzt worden. Übersicht 1. Sinn und Zweck 2. Begriffserläuterungen (Satz 1) a) Bekanntmachung b) Entscheidung c) Freisprechende Urteile d) Beschlüsse e) Rechtsbehelfe 3. Betroffener 4. Gesetzlicher Vertreter 5. Erziehungsberechtigter 6. Belehrung a) Grundsatz b) Erweiterung bei öffentlicher Zustellung (Satz 2)
Rdn. 1
7. Form der Anfechtung 8. Form der Belehrung a) Allgemein b) Mündlich c) Schriftlich d) Unklarheiten e) Ausländer 9. Beweisvermutung 10. Belehrungsmängel a) Unterbliebene b) Unvollständige c) Falsche
2 3 4 5 6 7 9 10 13
Rdn. 18 21 23 24 25 26 27 28 30 32
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1. Sinn und Zweck. Durch Satz 1 soll dem Betroffenen ein möglichst effektiver 1 Rechtsschutz gewährt 1 , er namentlich vor nachteiligen Folgen seiner Rechtsunkenntnis geschützt werden2. Die Regelung greift daher nicht Platz, wenn der Betroffene die Erteilung der Rechtsmittelbelehrung bewußt vereitelt, weil ein solches Verhalten einem wirksamen Verzicht auf die Belehrung gleichkommt 3 . Eine weitere Erweiterung enthält Satz 2, durch den in Verfahren über eine Berufung des Angeklagten die Zulässigkeit einer öffentlichen Zustellung erweitert wird (§ 40). Mit dieser Erweiterung wird der Angeklagte dazu angehalten, in einer von ihm selbst eingelegten Berufung darum besorgt zu sein (Mitwirkungsobliegenheit), daß ihm Ladungen zur Berufungshauptverhandlung oder andere Entscheidungen unter einer bestimmten Anschrift zugestellt werden können, wenn er nicht eine öffentliche Zustellung nach § 40 Abs. 3 in Kauf nehmen will. Um den Angeklagten nicht mit einer solchen für ihn nachteiligen Möglichkeit zu überraschen, ist es aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich, ihn darüber zu belehren4. 1
2 3
BVerwG MDR 1976 604; Schräder NStZ 1987 448; KK-Maul 1. Warda MDR 1957 717. OLG Düsseldorf MDR 1990 652.
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BTDrucks. 10 1313 (Begr. zu Art. 1 Nr. 4 und 5 ί 35 a, 40 StPO), S. 18 r. Sp., 2. Absatz; LR-K. Schäfer24 Einl. Kap. 5 141; Kleinknechl/Meyer-
Goßner 16; § 40, 5.
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§35 a
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2. Begriffserläuterungen 2
a) Bekanntmachung ist die Verkündung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 (§ 35, 5 ff) und die Zustellung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 (§ 35,17).
3
b) Der Begriff Entscheidung knüpft an § 33 (§ 33, 15 ff), § 34 (§ 34, 1 ff; 4 f) und § 35 (§ 35, 2) an, wird aber dadurch eingeschränkt, daß die Vorschrift sich nur auf solche Entscheidungen bezieht, die durch ein befristetes Rechtsmittel (§ 34 betrifft auch unbefristete) angefochten werden können. Derartige Entscheidungen sind erstinstanzliche Urteile des Strafrichters und der Schöffengerichte (§ 312), der Strafkammern, auch als Schwurgerichte (§ 333), und der Oberlandesgerichte (§ 120 Abs. 1 und 2 GVG) sowie Berufungsurteile der Strafkammern (§ 74 Abs. 2 GVG, § 33).
4
c) Freisprechende Urteile sind mit sofortiger Beschwerde anfechtbar, wenn die dem Angeklagten erwachsenen Kosten und notwendigen Auslagen nicht der Staatskasse (§ 467 Abs. 1) auferlegt worden sind (§ 464 Abs. 3). Dabei kann nur falsche Anwendung des § 467 Abs. 2 und 3 gerügt, nicht aber, wenn das Gericht den Angeklagten als nicht überführt angesehen hat, Freispruch wegen dargetaner Unschuld5 und bei Freispruch wegen Schuldunfähigkeit zufolge seelischer Störungen (§ 20 StGB) ein solcher wegen fehlender Tatbestandserfüllung (BGHSt 16 374) begehrt werden. Auch der Freispruch wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) kann nicht angefochten werden6. Alle diese Beschränkungen verletzen keine Grundrechte7.
5
d) Beschlüsse. Mit befristetem Rechtsmittel anfechtbar sind ferner von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassene Beschlüsse und Verfügungen des Vorsitzenden, des Strafrichters und eines beauftragten oder ersuchten Richters und des Richters im vorbereitenden Verfahren (§ 304 Abs. 1), gegen die das Gesetz ausdrücklich die sofortige Beschwerde (§311) zuläßt8. Dazu zählt auch der binnen einer Notfrist von zwei Wochen anfechtbare Kostenfestsetzungsbeschluß (§ 464 b Abs. 1 Satz 3, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
6
e) Rechtsbehelfe. Keine Rechtsmittel sind der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand9, der Antrag auf Entscheidung des Rechtsmittelgerichts bei Verwerfung einer verspäteten Berufung (§319 Abs. 2 Satz 1) oder Revision (§ 346 Abs. 2 Satz 1) sowie der Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 410 Abs. 1 Satz 1). Doch ist in den Hauptfällen § 35 a entsprechend anzuwenden (vgl. § 235 Satz 2, § 319 Abs. 2 Satz 3, § 409 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7)10. In Haftsachen ist eine besondere Rechtsbehelfsbelehrung vorgeschrieben (§115 Abs. 4).
7
3. Betroffener ist, wer gegen eine Entscheidung, die ihm bekanntzumachen ist, ein Rechtsmittel einlegen kann. Es ist gleichgültig, ob der Betroffene durch einen Anwalt ver5
BVerfGE 6 7 = NJW 1956 1833; BGHSt 7 153; 13 177. « BVerfGE 28 159; BGHSt 5 268; 16 378. 7 BVerfGE 6 12 = NJW 1956 1833. 8 § 28 Abs. 2 Satz 1, § 46 Abs. 3, § 81 Abs. 4 Satz 1, § 111 g Abs. 2 Satz 2, § 124 Abs. 2 Satz 2, § 138 d Abs. 6, § 206 a Abs. 2, § 206 b Satz 2, § 210 Abs. 2, §225 a Abs. 3 Satz 3 in Verb, mit §210 Abs. 2, § 231 a Abs. 3 Satz 3, § 270 Abs. 3 Satz 2 in Verb, mit § 210 Abs. 2, § 322 Abs. 2, § 372 Satz 1, § 379 a Abs. 3 Satz 2, § 383 Abs. 2 Satz 3, § 408 Abs. 2 Satz 2 in Verb, mit §210 Abs. 2, §411 Abs. 1 Satz 1, §431 Abs. 5 Satz 2, §441 Abs. 2, §453 Abs. 2 Satz 3, §454 Abs. 2 Satz 1, §462 Abs. 3,
§ 463 Abs. 2 in Verb, mit § 453 Abs. 2 Satz 3, § 463 Abs. 3 in Verb, mit §454 Abs. 2 Satz 1, §464 Abs. 3 Satz 1, § 464 Abs. 3 Satz 1 erster Halbs., § 181 Abs. 1 GVG, zu dieser Vorschrift zustimmend OLG Hamm NJW 1963 1791. 9 OLG Hamm VRS 63 (1982) 362; OLG Bremen GA 1957 87; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 44, 1. 10 Nöldeke NStZ 1987 71; KK-Maul 4; KMR-Paulus 6; a. A. Heyland JR 1977 404 (unter Bezugnahme auf die Berliner Praxis), jedoch dürfte ihr Standpunkt seit der Neufassung der RiStBV vom 1. 4. 1984 überholt sein. Schräder (NStZ 1987 447) hält die fehlende Belehrung in § 45 für ein Redaktionsversehen.
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
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treten ist; er soll sich selbst ein Bild von seinen Möglichkeiten machen können. Auch die Tatsache, daß der Betroffene im Einzelfall als gesetzeskundig bekannt ist, befreit nicht von der Belehrungspflicht, kann aber der Wiedereinsetzung entgegenstehen (§ 44, 65). Eine Einschränkung ergibt sich aus § 44 Satz 2: Wenn die Belehrung unterbleibt, ist die Versäumung als unverschuldet anzusehen mit der Folge, daß dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn er durch das Unverschulden verhindert ist, die Frist einzuhalten. Eine solche Kausalität ist undenkbar bei der Staatsanwaltschaft, dem Bundespräsidenten (§ 90 StGB) und den in § 90 b StGB genannten Verfassungsorganen oder deren Mitgliedern (§ 395 Abs. 2 Nr. 2). Sie zu belehren ist nicht nur unnötig, sondern sogar unangebracht; wohl aber besteht eine Belehrungspflicht gegenüber der zur Einlegung von Rechtsmitteln im Bußgeld verfahren berechtigten Verwaltungsbehörde 11 . Danach sind — unter Beachtung der genannten Ausnahmen — Betroffene: der Privat- 8 kläger (§ 390 Abs. 1 Satz 1), der Nebenkläger (§ 401 Abs. 1 Satz 1), der Beschuldigte, Angeschuldigte und Angeklagte, der Einziehungsbeteiligte (§431 Abs. 5 Satz 2; §433 Abs. 1, § 439 Abs. 1, § 440 Abs. 3), die juristische Person oder Personenvereinigung bei Festsetzung von Geldbußen (§ 444 Abs. 1 Satz 1), wer für den Angeklagten Sicherheit geleistet hat und nach § 124 Abs. 2 Satz 1 gehört ist, Zeugen, Sachverständige und bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, gegen die ein Ordnungsgeld oder Ordnungshaft verhängt worden ist (§ 178 GVG). 4. Gesetzlicher Vertreter. Da die Rechtsmittelbelehrung nur im Zusammenhang mit 9 einer Bekanntmachung zu ergehen hat, entfällt sie gegenüber dem gesetzlichen Vertreter (§ 298), solange ihm die Entscheidung nicht bekanntzumachen ist. Dieser Fall tritt erst ein, wenn er sich durch Einlegen von Rechtsmitteln am Verfahren beteiligt hat. Alsdann wird er Betroffener i. S. des § 35 a. 5. Für den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter von Jugendlichen 10 (§ 67 Abs. 2 JGG) gilt nichts Abweichendes. Er erhält zwar entsprechende Mitteilungen wie der Jugendliche, wird aber Verfahrensbeteiligter erst, wenn er von seinen besonderen Rechten (§ 67 Abs. 1 und 3 JGG) Gebrauch macht. Ist er bei der Urteilsverkündung anwesend, so ist er über das Rechtsmittel des Jugendlichen und über sein eigenes Rechtsmittel zu belehren. Ist der Jugendliche abwesend, dann ist ihm, dem gesetzlichen Vertreter und dem Erziehungsberechtigten das Urteil mit Rechtsmittelbelehrung zuzustellen. Dabei ist der Erziehungsberechtigte darauf hinzuweisen, daß er nur innerhalb der für den Angeklagten laufenden Frist von ihm Gebrauch machen kann (§ 67 Abs. 3 JGG in Verb, mit § 298 Abs. 1). Ist nur der Jugendliche anwesend, so wird dieser belehrt, und es ist Sache des Erzie- 11 hungsberechtigten, sich um die Rechtsmittelmöglichkeiten zu kümmern. Das wird er tun, wenn er zwar Interesse an der Verhandlung hatte, aber verhindert war, ihr beizuwohnen. Ist er aus Interesselosigkeit ausgeblieben, besteht kein Anlaß, ihn zu belehren 12 . Teilt allerdings das Gericht dem Erziehungsberechtigten das in Gegenwart des Jugendlichen verkündete Urteil mit, wozu nach § 67 Abs. 2 JGG keine Verpflichtung besteht 13 , dann wird der Erziehungsberechtigte durch die Mitteilung Betroffener und ist über das dem 11 12
BayObLGSt 1966 90 = NJW 1967 123. BGHSt 18 25; OLG Stuttgart NJW 1960 2353; KK-Maul 7; K M R - / W « 8; Potrykus NJW 1954 1836; zu § 67 JGG: Dallinger/Lackner 11, Brunner 10; nicht ganz eindeutig Eisenberg 22 a 2. Abs.;
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a. A. - gesetzliche Vertreter und Erziehungsberechtigte sind stets Betroffene - Eb. Schmidt 8; BayObLGSt 1954 51 = NJW 1954 1378; Ostendorf § 67, 8. 13 BayObLG DRiZ 1928 196.
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Jugendlichen und über das ihm selbst zustehende Rechtsmittel zu belehren. Die Belehrung hat jedoch zu unterbleiben, wenn sie deshalb sinnlos ist, weil die Rechtsmittelfrist bei Mitteilung des Urteils schon verstrichen ist. Erachtet das Gericht es in einer zweifelhaften Sache für erwünscht, daß der in der Hauptverhandlung abwesend gebliebene Erziehungsberechtigte auf jeden Fall von dem Urteil Kenntnis erhalte und die Einlegung eines Rechtsmittels erwäge, so wird es ihm das Urteil rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zustellen oder wenigstens den Tenor mitteilen und ihn dabei über das Rechtsmittel belehren. 12
Es ist selbstverständlich, daß eine etwa dem Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreter zu erteilende Rechtsmittelbelehrung entfällt, wenn der Jugendliche volljährig geworden ist 14 . 6. Belehrung
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a) Grundsatz. Die Belehrung muß klar, unmißverständlich und vollständig sein 15 . Sie gibt die Art des Rechtsmittels — sofortige Beschwerde, Berufung, Revision —, bei Wahlmöglichkeit (§ 335 Abs. 1) diese und die zur Wahl stehenden Rechtsmittel an. Die Belehrung ist daher unvollständig, wenn das Gericht den Angeklagten nur über das Rechtsmittel der Revision, nicht aber auch der Berufung, belehrt hat, obwohl auch diese zulässig war 16 oder umgekehrt 17. Auf die Möglichkeit, das Urteil zunächst nur anzufechten und nach Zustellung des Urteils innerhalb der Revisionsbegründungsfrist endgültig zu wählen 18 , braucht, da nicht gesetzlich geregelt, nicht hingewiesen zu werden, doch ist eine Belehrung darüber — selbstverständlich — zulässig. Ist die Revision statthaft, so ist auch über die Notwendigkeit der Begründung (§ 344) zu belehren.
14
Anzugeben sind das für die Einlegung zuständige Gericht (Rdn. 29) 19 , die gesetzliche Frist und der Tag ihres Beginns oder Endes (entweder: binnen der Frist von einer Woche, die am Tag nach der Zustellung beginnt, oder: binnen der Frist von einer Woche, die mit dem Tag endet, der durch seine Benennung dem Tag der Zustellung entspricht), der Hinweis, daß das Rechtsmittel innerhalb der Frist bei Gericht eingegangen sein muß 20 , und die Form, in der das Rechtsmittel einzulegen ist 21 . Die konkrete Berechnung des Fristlaufs bleibt dem Betroffenen überlassen. Dieser hat dabei § 43 Abs. 2 (Fristende an Sonnabenden, Sonntagen und allgemeinen Feiertagen) in seine Berechnung selbst einzubeziehen. Er braucht nicht darüber belehrt zu werden, daß sich durch jene Bestimmung die Frist verlängert22. Es bestehen aber auch keine Bedenken, das zu tun. Wenn auch die mündliche Belehrung dadurch wohl zu unübersichtlich würde, sollte doch in die Belehrungsvordrucke § 43 Abs. 2 mit einer geringfügigen Änderung („Fällt danach das Ende der Frist...") wörtlich übernommen werden.
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b) Erweiterung bei öffentlicher Zustellung (Satz 2). Satz 2 soll sicherstellen, daß § 40 Abs. 3 nur nach entsprechender Belehrung anwendbar ist. Das Gesetz verzichtet dar14
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BGH NJW 1956 1607. BVerfG StV 1994 113; BGHSt 24 25. BayObLG NJW 1956 1368. Insoweit a. A. KG JR 1977 81; weitere Beispiele s. Rdn. 29. BGHSt 2 63. BayObLG VRS 50 (1976) 430; OLG Hamburg GA 1962 218. BGHSt 8 106; BVerwG NJW 1970 484; OLG Hamburg GA 1963 348; OLG Saarbrücken NJW 1986 471; KK-Maul 9; Nr. 142 RiStBV. OLG Hamm NJW 1956 1571; vgl. auch Rdn. 29.
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BVerfGE 31 390 = NJW 1971 2217. Α. A. - § 43 Abs. 2 gehört zur Definition des gegebenen Fristbegriffs, etwa „Woche", und ist in die Belehrung aufzunehmen - Weihrauch NJW 1972 243. Das Verlangen Weihrauchs greift als Forderung - als Fürsorge ist es im Text empfohlen - zu weit. Die abgewogene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geht von einem mündigen Bürger aus, der Abweichungen vom Normalen sieht und sich darum kümmert, ob sich daraus Folgen für ihn ergeben.
Stand: 1. 10. 1996
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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§ 35
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auf, ausdrücklich festzustellen, daß die öffentliche Zustellung erst angeordnet werden darf, wenn der Angeklagte belehrt worden ist. Das ist deshalb unschädlich, weil sich aus dem Gesamtzusammenhang der §§ 35 a und 40 Abs. 3 eindeutig ergibt, daß die (stattgefundene) Belehrung Zulässigkeitsvoraussetzung einer Maßnahme nach § 40 Abs. 3 ist 23 . Aufgrund der umfassenden Belehrung über diese sowie die Rechtsfolgen der §§ 329, 330 kann der Angeklagte sein Verhalten auf diese Folgen einstellen. Um sicherzustellen, daß sich der Angeklagte über diese Rechtsfolgen im klaren ist, erscheint es auch sachgerecht, ihn auch auf die Folgen der §§ 329, 330 schon im Rahmen der allgemeinen Rechtsmittelbelehrung und nicht erst in der öffentlichen Zustellung hinzuweisen 24 . Trotz der Erweiterung der allgemeinen Belehrungspflicht sind dadurch keine Verfah- 16 rensverzögerungen zu befürchten, weil dem Angeklagten bei Belehrungen nach § 35 a regelmäßig ein Merkblatt ausgehändigt wird, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen werden kann (Nr. 142 Abs. 1 RiStBV). Die Belehrungspflicht nach § 323 Abs. 1 Satz 2 (Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens in der Berufungshauptverhandlung) bleibt durch die Neufassung unberührt. Führen Fehler beim Zustellungsversuch — etwa im postalischen Zustellungsverfah- 17 ren — dazu, daß das Gericht irrtümlich angenommen hat, die Voraussetzungen des § 40 Abs. 3 lägen vor, ist dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 44, 329 Abs. 3), wenn nicht die öffentliche Zustellung mangels Vorliegens ihrer Voraussetzungen ohnehin unwirksam ist 25 . Wegen weiterer Wiedereinsetzungsgründe s. Rdn. 28. 7. Form der Anfechtung. In bezug auf die Form ist auf die Möglichkeiten hinzuwei- 18 sen, die Rechtsmittel schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 306 Abs. 1, §314 Abs. 1, § 341 Abs. 1) einzulegen 26 . Bei der Revision ist über die Form der Begründung allein durch einen Rechtsanwalt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 345 Abs. 2) zu belehren. Zur Form gehört die Angabe des Gerichts, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist (§ 306 Abs. 1 Satz 1, § 314 Abs. 1, § 341 Abs. 1) oder bei dem es wahlweise auch eingelegt werden kann. Das Gericht ist nach Ort, Straße und Hausnummer zu bezeichnen. Befindet sich ein Beschuldigter, dem zugestellt werden soll, kraft behördlicher Anordnung nicht auf freiem Fuß, so ist er über die Möglichkeit zu belehren, seine Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts abzugeben, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, in der er verwahrt wird, und daß die Frist gewahrt ist, wenn das Protokoll innerhalb der Frist aufgenommen wird 27 . Der Betroffene ist, wie der Zusammenhang der Vorschrift ergibt, über die Möglichkei- 19 ten, Formen und Fristen der Anfechtung durch ein Rechtsmittel zu belehren. Daher braucht sich bei Urteilen, die bei Ausbleiben des Angeklagten (§ 232 Abs. 1, § 329 Abs. 1, § 412 Satz 1) oder des Privatklägers (§ 391 Abs. 3) ergehen, die Rechtsmittelbelehrung nicht auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erstrekken. Da indessen in den genannten Fällen der richtige Gebrauch der Rechtsmittel von der Kenntnis der Wiedereinsetzungsmöglichkeit abhängt, ist es wünschenswert, den Ange23
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Wegen weiterer Einzelheiten dazu s. Wendisch NStZ 1988 376. BTDrucks. 10 1313, Begr. S. 18 r. Sp„ letzter Absatz. BTDrucks. 10 1313, Begr. S. 18 r. Sp„ zweiter Absatz a. E.: s. auch OLG Frankfurt NStZ 1988 376 mit Anm. Wendisch-, OLG Stuttgart Justiz 1988 215: Wiedereinsetzung bei Verfahrensfortsetzung nach vorläufiger Einstellung gem. § 153 a Abs. 2.
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Nach BGHSt 29 173 soll gegen einen Bußgeldbescheid auch die telefonische Einlegung des Einspruchs zulässig sein. Das LG Münster folgert daraus, daß dann auch die Belehrung einen entsprechenden Hinweis enthalten muß (MDR 1986 1047). § 299; OLG Bremen MDR 1979 517.
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klagten auf diese hinzuweisen 28 . Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren empfehlen das in Nr. 142 Abs. 3 Satz 2. 20 Die Belehrung ergeht zwar auch im öffentlichen Interesse an einem fairen Prozeß, in dem die Beteiligten dem rechtsgelehrten Staatsanwalt nicht unterlegen sein sollen. Sie liegt aber hauptsächlich im privaten Interesse der Beteiligten und unterliegt daher ihrem Verzicht 29 . Erklären kann ihn auch der Verteidiger des Angeklagten, wenn die ihm erteilte Vollmacht den Verzicht auf Rechtsmittel umfaßt 30 . Unter dieser Voraussetzung kann als Verzicht sogar dessen Erklärung angesehen werden, er übernehme die Rechtsmittelbelehrung 31 . Von sich aus sollte das Gericht auf einen solchen nicht hinwirken. Es entspricht auch nicht der Würde des Gerichts, der Rechtsmittelbelehrung Formeln anzufügen, die zu einer Überlegung vor Gebrauch des Rechtsmittels ermahnen 32 . Daß die Rechtsmittelbelehrung in manchen Fällen zu unbegründeten Rechtsmitteln anreizt, hat der Gesetzgeber gewußt, als er die Vorschrift einfügte. Er hat den Nachteil um der von ihm verfolgten Ziele willen in Kauf genommen. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung wird durch eine klare Belehrung ohne Vorbehalte und Ermahnungen Genüge geleistet. Der Verzicht auf die Belehrung ist zu protokollieren 33 . 8. Form der Belehrung 21
a) Allgemein. Die Belehrung ist Sache des Gerichts, das die bekanntzumachende Entscheidung erlassen hat 34 , nicht der Staatsanwaltschaft. § 35 a sagt nichts über die Art und Weise der Belehrung; daher steht sie dem Richter frei 35 . Da sie jedoch mit der Bekanntmachung (§ 35) verbunden ist („bei der Bekanntmachung"), wird sie dieser in der Form regelmäßig, wenn auch nicht notwendigerweise, folgen. Daher wird bei Entscheidungen, die in Anwesenheit des Betroffenen ergehen, in der Regel mündlich belehrt werden, sonst schriftlich. Ist mündliche Bekanntmachung vorgesehen, muß die Belehrung auch dann erteilt werden, wenn sich der Betroffene (Angeklagte, Privatkläger) zwar nach der Urteilsverkündung, aber vor der Rechtsmittelbelehrung entfernt hat.
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Das OLG Koblenz meint, daß in einem solchen Fall eine mündliche Belehrung entfalle, das Gericht aber verpflichtet sei, die Belehrung schriftlich nachzuholen 36 . Dieser Ansicht kann nur für Verfahren zugestimmt werden, in denen neben dem Staatsanwalt nur ein weiteres Prozeßsubjekt, nämlich der Angeklagte, beteiligt ist und das Gericht wegen der Entfernung des Angeklagten auf eine Belehrung verzichtet hat. Richtet sich das Verfahren gegen mehrere Angeklagte oder sind an ihm andere Personen (Privat- oder Nebenkläger) beteiligt, ist eine mündliche Rechtsmittelbelehrung schon deshalb erforderlich. Sie äußert alsdann auch voll ihre Wirkung mit der Folge, daß der Angeklagte nicht mit der Behauptung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verlangen kann, er habe keine Rechtsmittelbelehrung erhalten 37 . Wer die Kenntnisnahme einer tatsächlich stattgehabten Belehrung dadurch verhindert, daß er sich vor ihrer Bekanntgabe entfernt, muß sich die Unkenntnis als eigenes Verschulden zurechnen lassen. « OLG Hamm VRS 63 (1982) 362 (zu § 319); Schräder NStZ 1987 447; KK-Maul § 46, 18. Wegen der vergleichbaren Wahl zwischen Wiedereinsetzung und Entscheidung des Revisionsgerichts s. Nöldeke NStZ 1991 70. 29 OLG Hamm NJW 1956 1330; OLG Stuttgart MDR 1990 74; KK-Maul 13. 30 OLG Zweibrücken MDR 1978 861. 31 OLG Hamm MDR 1978 337 = VRS 54 (1978) 356.
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Die Beschwerde ist, „wenn Sie eine solche einlegen wollen" - oder gar „wenn Sie sich davon Erfolg versprechen" - innerhalb der Frist von ... einzulegen. 33 OLG Hamm OLGSt § 35 a StPO, 9. 34 OLG Schleswig SchlHA 1955 227; OLG Hamm NJW 1954 812. 3 5 OLG Stuttgart MDR 1990 74. 36 NStZ 1991 42 unter Bezugnahme auf Kleinknecht/ Meyer™ § 35 a, 7. 37 KG NJW 1955 565.
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b) Wird der Betroffene mündlich belehrt, kann der Vorsitzende wegen der Einzelhei- 2 3 ten auf ein Merkblatt verweisen, das jenem ausgehändigt wird (Nr. 142 Abs. 1 Satz 2 RiStBV); doch macht das Merkblatt die Belehrung nicht überflüssig. Ist der zu Belehrende ohne Anwalt, sollte die mündliche Belehrung stets durch ein Merkblatt ergänzt werden 38 . Denn der Beteiligte ist durch Verhandlung und Urteilsspruch oft aufgeregt und dadurch behindert, das gesprochene Wort zu verstehen und aufzunehmen. Die Belehrung wird im Hauptverhandlungsprotokoll vermerkt (Nr. 142 Abs. 1 Satz 3 RiStBV) 39 . Wird zusätzlich ein Merkblatt ausgehändigt, sollte das — da es mehrere Merkblätter gibt, mit der Bezeichnung (Umdrucknummer) des Merkblatts — ebenfalls im Protokoll angegeben werden. c) Die schriftliche Belehrung wird am zweckmäßigsten in den Text der Entscheidung 24 eingefügt, entweder hinter den Tenor oder mit der besonderen Überschrift Rechtsmittelbelehrung im Anschluß an die Gründe. Es ist zulässig, Merkblätter zu verwenden. Geschieht das, muß das Merkblatt mit seiner Bezeichnung (Umdrucknummer) als Gegenstand der Zustellung dergestalt in der Zustellungsurkunde aufgeführt werden 40 , daß der Nachweis über den Inhalt der Belehrung geführt werden kann 41 . d) Unklarheiten. Ergibt sich aus einer Erklärung des Betroffenen, daß er die Beleh- 25 rung falsch verstanden hat, dann kann die allgemeine Fürsorgepflicht des Gerichts es gebieten, diese, namentlich eine mündlich erteilte, schriftlich zu wiederholen 42 . Der Richter braucht sich aber nicht zum Vormund eines Erwachsenen aufzuwerfen; er hat auch nicht die Pflicht, einer erkennbaren Sorglosigkeit abzuhelfen. In der Regel wird daher ein Hinweis auf den Irrtum und auf bestehende Unterrichtungsmöglichkeiten angemessen sein. e) Ausländer. Nach Art. 6 Abs. 3 Buchst, e MRK hat der Angeklagte, wenn er die 26 Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht, das Recht, zu verlangen, daß unentgeltlich ein Dolmetscher beigezogen wird 43 . Wird einem Ausländer zugestellt und enthalten die Akten nicht den Vermerk, er verstehe deutsch auch ohne Dolmetscher (Nr. 181 Abs. 1 RiStBV), so muß mindestens die Rechtsmittelbelehrung in seiner Sprache beigefügt werden mit dem Hinweis, daß er die Übersetzung des gesamten Schriftstücks verlangen könne 44 , aber auch, daß die schriftliche Rechtsmitteleinlegung in deutscher Sprache zu erfolgen hat 45 . Das gilt namentlich bei Entscheidungen, die, wenn sie unangefochten bleiben, das Verfahren rechtskräftig abschließen 46 . Der Dritte Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts 47 und das Bundesverwaltungsgericht 48 halten das bei öffentlichrechtlichen Verfahren mit dem Hinweis auf § 184 GVG und § 23 Abs. 1 VwVfG — „die Gerichts-(Amts-)Sprache ist Deutsch" — nicht für erforderlich und lehnen es auch ab, in der Regelung des Art. 6 Abs. 3 Buchst, a und e MRK sowie der Nr. 181 RiStBV einen über das Strafverfahrensrecht hinausgehenden allgemeinen Grundsatz zu sehen 49 . 38
OLG Hamm VRS 59 (1980) 347; OLG Köln OLGSt § 35 a StPO, 1; OLG Zweibrücken OLGSt § 44 StPO, 51; KG VRS 82 (1992) 194; Wendisch NStZ 1986 234; KK-Maul 10; Warda MDR 1957 720; einschränkend OLG Stuttgart MDR 1990 74; zur Vereitelung der Rechtsmittelbelehrung durch den Betroffenen s. OLG Düsseldorf MDR 1990 652. 39 OLG Hamm VRS 59 (1980) 347. 40 KK-Maul 12. 41 OLG Düsseldorf NStZ 1986 233 mit zust. Anm. Wendisch. 42 OLG Neustadt GA 1956 92; OLG Hamm JMB1NRW 1963 147; OLG Koblenz MDR 1977 425; KK-Maul 11. (267)
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So auch J. Meyer ZStW 93 (1981) 514; enger OLG Schleswig bei Lorenzen/Görl SchlHA 1990 113; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 44, 13. 44 J. MeyerZStW93(1981)514. 45 OLG Frankfurt StV 1987 518. 46 Ζ. B. § 319 Abs. 1, § 322 Abs. 1, § 329 Abs. 1 Satz 1, § 346 Abs. 1, § 349 Abs. 1 und 2, § 379 a Abs. 3 Satz 1, § 391 Abs. 3, § 410, § 412 Abs. 1 Satz 1; vgl. LG München NJW 1972 416. 47 NJW 1977 1596. 4 « DVB1.1978 888. 49 OLG Hamburg NJW 1978 2462; OLG Köln VRS 67 (1984) 251; KK-Maul § 35, 23; § 35 a, 8; KMRPaulus §35, 12; § 35 a, 13; Kleinknecht/MeyerGoßner 7.
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9. Beweisvermutung. Die Belehrung gehört — was trotz der unsachgemäßen Folgen nicht bezweifelt werden kann — zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung. Daraus folgt nach § 274: Fehlt die Beurkundung, ist damit der Beweis geführt, daß die Belehrung — auch wenn sie tatsächlich erteilt worden ist — unterblieben ist. Freilich muß der Beschwerdeführer das Unterbleiben der Belehrung behaupten (§ 344 Abs. 2 Satz 2), wobei der Anwalt der Wahrheitspflicht unterliegt50. Ist die Belehrung beurkundet, gilt sie — und zwar gegenüber allen Verfahrensbeteiligten, mithin auch dem Nebenkläger51 — als erteilt, auch wenn sie tatsächlich unterblieben ist. Gilt die Belehrung als erwiesen, so muß man daraus aber auch die weitere Folge ziehen, daß mit der Protokollierung der Beweis der Vollständigkeit und Richtigkeit der Belehrung erbracht ist. Denn die Beurkundung, der Vorsitzende habe den Angeklagten über das Rechtsmittel belehrt, kann nicht wohl einen anderen Sinn haben als den, daß er das so getan habe, wie das Gesetz es vorschreibt. 10. Belehrungsmängel
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a) Die unterbliebene Belehrung ist, anders als in § 172 Abs. 1 Satz 3 und im Verwaltungsverfahren (§ 58 Abs. 1 VwGO), auf den Fristablauf und auf die Wirksamkeit der Entscheidung ohne Einfluß 52 . Die Folgen einer Fristversäumnis können nicht dadurch beseitigt werden, daß die Entscheidung demselben Zustellungsempfänger nochmals bekanntgemacht und dabei die Rechtsmittelbelehrung nachgeholt wird; die Gegenansicht 53 wird durch § 44 Satz 2 widerlegt54.
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Der Umstand, daß die Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist, begründet aber unwiderlegbar die Annahme einer unverschuldeten Versäumung (§ 44 Satz 2) und gibt damit dem Betroffenen das Recht, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, wenn ihn das Fehlen der Belehrung gehindert hat, die Frist einzuhalten (§ 44, 64 ff) 55 . Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn die zunächst unterbliebene Rechtsmittelbelehrung dem Betroffenen nachträglich, aber noch innerhalb der Rechtsmittelfrist zugestellt wird. Wiedereinsetzung ist ihm selbst dann zu gewähren, wenn er die Rechtsmittelfrist bei telegrafischer oder telefonischer Rechtsmitteleinlegung (Vor § 42, 26 ff) noch hätte einhalten können 56 . Wiedereinsetzung kann dagegen nicht beanspruchen, wer ungeachtet der fehlenden Belehrung die Frist gekannt, aber aus anderen Gründen versäumt hat 57 , doch wird Beweis darüber nur erhoben werden, wenn besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß das Unterlassen der Belehrung für die Versäumung der Frist nicht kausal war. Die Frist ist auch dann versäumt, wenn das Rechtsmittel zwar fristgemäß, aber formfehlerhaft eingelegt ist; der Betroffene hat dann die Frist mit dem vorgeschriebenen Rechtsmittel versäumt. Es begründet daher die Wiedereinsetzung auch, wenn keine Belehrung über die Form des Rechtsmittels stattgefunden hat und dieses aus diesem Grunde in unzulässiger Form eingelegt worden ist58.
30
b) Die unvollständige Belehrung steht der unterbliebenen gleich, wenn die Unvollständigkeit das Fehlen der Belehrung über einen für das Rechtsmittel wesentlichen Punkt herbeiführt, wenn also nur über die Frist und nicht über die Form und umgekehrt belehrt 50
Siehe dazu die ausführlichen Erläuterungen Vor § 137 . 1 5 OLG Düsseldorf JZ 1989 - Entsch. in Leits. 29. 52 BGH NStZ 1984 181; BayObLGSt 1957 157; 1967 68 = GA 1968 55; OLG Frankfurt NJW 1953 1725; OLG Hamm NJW 1955 433; 1963 1791; OLG Saarbrücken NJW 1964 1634; OLG Schleswig SchlHA 1976 28; OLG Bremen MDR 1977 598; OLG Düsseldorf VRS 78 (1990) 460; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 13. " OLG Neustadt GA 1955 185.
54 55 56 57
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OLG Saarbrücken NJW 1964 1633. OLG Bremen MDR 1977 597; 1979 517. OLG Stuttgart NJW 1976 1279. BGH GA 1968 469; BayObLGSt 1967 69 = GA 1968 55; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1968 196; OLG Celle NdsRpfl. 1972 70; OLG Frankfurt MDR 1974 159; NStZ 1988 377; OLG Bremen MDR 1977 597; 1979 517; OLG Köln VRS 67 (1984) 251; OLG Düsseldorf MDR 1984 71; KKMaul 15; KMR-Paulus 15; näher dazu § 44, 65. OLG Hamm 1956 1572.
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worden ist; wenn nicht angegeben ist, bei welchem Gericht — für den Fall des § 299 (OLG Bremen MDR 1979 517) — das Rechtsmittel59 oder der Antrag auf Entscheidung des Revisions- oder Rechtsbeschwerdegerichts60 angebracht werden kann; wenn der Hinweis fehlt, daß das Rechtsmittel innerhalb der Frist bei Gericht eingegangen sein muß 61 ; oder wenn bei Wahlmöglichkeit nur über die Berufung, nicht aber über die Revision belehrt worden ist62; wenn im Verfahren nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG der Amtsrichter die Rechtsmittelbelehrung nur auf die Kosten-, nicht aber auf die sachliche Entscheidung erstreckt hat, und zwar gleichgültig, ob die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5 OWiG ein Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung statthaft ist63; oder wenn bei der Rechtsmittelbelehrung eines Ausländers der Hinweis unterblieben ist, daß die schriftliche Rechtsmitteleinlegung in deutscher Sprache vorgenommen werden muß 64 . Bezieht sich die Unvollständigkeit nicht auf einen wesentlichen Punkt, ist im Einzel- 31 fall zu prüfen, ob es dem Betroffenen nicht möglich war, die Unvollständigkeit durch zumutbares eigenes Tätigwerden zu beseitigen 65 . So gehören zwar zur Rechtsmittelbelehrung die Angaben von Ort, Straße und Hausnummer des zuständigen Gerichts. Das Gesetz will aber die Menschen nicht unmündig machen; wer eine Fristversäumnis wegen fehlender Anschriftsangabe behauptet, wird daher glaubhaft zu machen haben, daß er keine Möglichkeit gehabt hat, die Anschrift von dem Augenblick an, wo er das Rechtsmittel hat einlegen wollen, bis zum Fristablauf zu ermitteln. c) Die falsche Belehrung ist nach den gleichen Grundsätzen zu behandeln wie die 32 unvollständige. Eine falsche Belehrung liegt auch vor, wenn neben einer mündlichen Belehrung ein Merkblatt ausgegeben wird, das die richtig erteilte mündliche Belehrung falsch wiedergibt. Denn der Belehrte kann davon ausgehen, daß er die mündliche Belehrung in der Erregung falsch aufgefaßt habe und sich nach der schriftlichen richten müsse 66 . Ist eine Belehrung in wesentlichen Punkten falsch, liegt insoweit keine Belehrung und damit der Fall der unterbliebenen Belehrung vor 67 . Anders ist es bei unwesentlichen Punkten 68 . Wenn ζ. B. bei der Belehrung über die 33 Berufung fälschlich eine Begründung verlangt worden ist, wird der Betroffene glaubhaft zu machen haben, daß er gerade zufolge dieses Umstands die Frist unverschuldet versäumt hat. Ebenso ist es, wenn etwa nach einem Umzug des Gerichts ein Formular mit der alten Anschrift verwendet wird, dem Betroffenen aber der Umzug bekannt und ihm möglich war, das Versehen zu erkennen und die neue Anschrift festzustellen. Die Vorschrift ist kein Freibrief für Gleichgültigkeit und Trägheit.
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OLG Hamburg GA 1962 218. BayObLGSt 1976 19 = JR 1976 217. ' OLG Hamburg GA 1963 348. 62 LG München NJW 1956 1368. « OLG Koblenz VRS 56 (1579) 32. Μ BGHSt 30 182; KG JR 1977 129; OLG Düsseldorf MDR 1982 866 = JMBINRW 1982 187; Kleinknecht/ Meyer-Goßner 3; vgl. auch Heldmann StV 1981 253. 65 BayObLG VRS 88 (1995) III-, Kleinknecht/ Meyer-Goßner § 44, 23. 60
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OLG Saarbrücken NJW 1965 1031. « OLG Hamm Rpfleger 1961 80. Weitere Beispiele BVerwG NJW 1979 1670; Hinweis, das Rechtsmittel könne nur schriftlich eingelegt werden, obwohl es auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden kann; LG Münster VRS 73 (1987) 368; Unterbliebener Hinweis auf die Möglichkeit des telefonischen Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid. 68 A.A. K M R - t o t o 18
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(1) 'Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an. 2 Die Geschäftsstelle sorgt dafür, daß die Zustellung bewirkt wird. (2) 'Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlagt. 2 Dies gilt nicht für Entscheidungen, welche die Ordnung in den Sitzungen betreffen. Schrifttum. Barre Hat das Gericht oder die Staatsanwaltschaft die Revisionsschrift zuzustellen (§ 387 StPO)? GA 38 (1891) 15; Doller Zustellung von Straf- und Bußgeldentscheidungen (§ 36 StPO n. F.), DRiZ 1975 280; Doller Entlassung des Verurteilten vor Rechtskraft des Aussetzungsbeschlusses, NJW 1977 2153; Frenzel Die Anordnung der Zustellung gerichtlicher Entscheidungen, DRiZ 1982 220; Wendisch Zustellung von Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, JR 1978 445; Wessels Zur Vollstreckung von Ordnungsstrafen und Erzwingungshaftbeschlüssen in Strafsachen, FS Mayer 587.
Entstehungsgeschichte. Durch Art. 9 § 1 Abs. 1 der 2. VereinfVO ist in dem früheren Absatz 2 — jetzt Absatz 1 — das Wort „Amtsrichter" durch „Vorsitzer des Gerichts" ersetzt worden, um damit eine Gerichtspraxis1 zu legalisieren. Art. 3 Nr. 14 VereinhG hat das Wort „Vorsitzer" durch „Vorsitzender" ersetzt. Durch Art. 1 Nr. 7 des 1. StVRG ist die Vorschrift neu gefaßt worden. Sie stellt nunmehr eindeutig klar, wann das Gericht und wann die Staatsanwaltschaft Zustellung und Vollstreckung zu veranlassen haben, indem die Zuständigkeit für die Zustellung von der für die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen getrennt wird: die Zustellung obliegt dem Gericht, die Vollstreckung der Staatsanwaltschaft 2 . Übersicht Rdn. I. Gerichtliche Zustellung von Entscheidungen (Absatz 1) 1. Inhalt und Zweck 2. Entscheidungen 3. Zustellung 4. Richterliche Anordnung (Satz 1) 5. Zuständigkeit des Staatsanwalts 6. Ausführung der Anordnung (Satz 2) . 7. Zusammenfallen von Anordnung und Ausführung II. Zu vollstreckende Entscheidungen (Absatz 2 Satz 1) 1. Inhalt 2. Vollstreckung 3. Beispiele
1 3 4 5 10 •,
4. Übergabe an die Staatsanwaltschaft .
Rdn. 22
5. Veranlassen des Erforderlichen . . . .
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III. Richterliche Vollstreckung 1. Ordnung in der Sitzung (Absatz 2 Satz 2) 2. Weitere Zuständigkeiten a) Grundsatz b) Vollstreckung von Erzwingungshaft c) Anordnung von Beweiserhebungen d) Ladungen e) Zustellung der Revisionsbegriindung der Staatsanwaltschaft . . . . IV. Anfechtung
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I. Gerichtliche Zustellung von Entscheidungen (Absatz 1) 1
1. Inhalt und Zweck. Das frühere Recht ging davon aus, daß es grundsätzlich Sache der Staatsanwaltschaft sei, die Zustellung und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu veranlassen. Die Regelung beruhte auf der Erwägung, die Gerichte soweit wie möglich von allen Aufgaben zu entlasten, die außerhalb ihres Hauptaufgabengebietes, der Rechtsprechung, lagen. Ausgenommen waren solche Entscheidungen, die nur den inneren 1
RGRspr. 4 323; RGSt 6 179.
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Begr. BTDrucks. 7 551, S. 58.
Stand: 1. 10. 1996
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Dienst oder die Ordnung in den Sitzungen betrafen. Allerdings konnte der Vorsitzende auch in allen sonstigen Fällen die Zustellung und Vollstreckung seiner Entscheidungen unmittelbar veranlassen; bei Entscheidungen des Strafrichters, aber auch des Vorsitzenden des Schöffengerichts, war das zum Teil schon überwiegend die Regel. Die seit dem Inkrafttreten des 1. StVRG geltende Regelung gibt diesen Grundsatz im 2 Interesse einer klaren Zuständigkeitsregelung auf. Diese ist schon deshalb zu begrüßen, weil sie eine Zeitersparnis zur Folge hat. Die Entscheidungen (Vor § 33, 2) — das gleiche gilt für Ladungsanordnungen (§ 214 Abs. 1 Satz 1) — trifft stets der Richter. Für ihn bedeutet es keine Erschwernis, wenn er die nach seiner Entscheidung erforderlichen Maßnahmen selbst veranlaßt. Eine erhebliche Vereinfachung des Verfahrens tritt namentlich dann ein, wenn ein Hauptverhandlungstermin aufzuheben oder zu verlegen ist oder wenn der Angeklagte oder sein Verteidiger weitere Zeugen oder Sachverständige benennen, über deren Ladung der Richter zu entscheiden hat. Durch die neue Zuständigkeitsverteilung wird vermieden, daß die Akten zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft — ohne Grund — hin- und hergesandt werden3. Der damit verbundene Zeitaufwand wird vermindert und damit zugleich der Forderung nach einem ökonomischen und zügigen Abschluß des Verfahrens Rechnung getragen4. 2. Entscheidungen, die einer Zustellung bedürfen, sind solche, durch deren Bekannt- 3 gäbe eine Frist in Lauf gesetzt wird (§ 35, 17). Formlose Zustellungen fallen nicht darunter, es sei denn, daß das Gericht im Einzelfall die Zustellung gleichwohl für erforderlich hält (vgl. dazu § 35, 17 a. E.). 3. Zustellung. Der Begriff Zustellung ist mehrdeutig, der Wortgebrauch leider unein- 4 heitlich. In erster Linie erfaßt der Begriff jedoch die „Bewirkung" der Zustellung (§ 40 Abs. 1; § 167 Abs. 2 ZPO), auch Vollzug genannt (§ 212 b Satz 1 ZPO), d. h. den Zustellungsakt selbst, dessen Hauptfall die Übergabe einer Ausfertigung oder einer beglaubigten Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks ist (§ 170 Abs. 1 ZPO). Dem Zustellungsakt gehen in der Regel zwei weitere Akte voraus: die richterliche Anordnung der Zustellung (Rdn. 5 ff) und die Ausführung der Anordnung (Rdn. 11 ff). 4. Richterliche Anordnung (Satz 1). Ursprünglich stand die Befugnis, Zustellungen 5 (und Vollstreckungen) unmittelbar zu veranlassen, dem Untersuchungsrichter und dem Amtsrichter —jetzt: Richter beim Amtsgericht — zu. Jedoch wurde die Vorschrift gleichwohl so ausgelegt, daß auch der Vorsitzende einer Strafkammer oder eines Strafsenats befugt sei, eine Zustellung oder die Vollstreckung einer Entscheidung ohne Vermittlung durch die Staatsanwaltschaft herbeizuführen, wenn der Weg über diese zur Folge haben könnte, daß die beschlossene Maßnahme verzögert oder vereitelt wird, oder wenn sich eine Entscheidung kurzerhand vollstrecken läßt, ohne daß es einer außerhalb der Gerichtsstelle vorzunehmenden Handlung bedarf. In der Rechtsprechung wurde deshalb anerkannt, daß eine vom Vorsitzenden der Strafkammer unmittelbar veranlaßte Zustellung wirksam ist und die gesetzliche Frist in Lauf setzt5. Mit Art. 9 § 1 Abs. 1 der VO vom 13. 8. 1942 sollte die von der Rechtsprechung gebilligte Rechtsanwendung legalisiert werden; er wollte das Anwendungsgebiet der Vorschrift erweitem; nicht etwa einschränken. Dieser nach der Entstehungsgeschichte nicht zweifelhafte Wille zur Erweiterung schließt die Annahme aus, daß die neue Fassung dem Amtsrichter die Befugnis zum unmittelbaren Vorgehen, die ihm bis dahin eingeräumt worden war, habe nehmen wollen. Sie sollte ihm weiterhin zustehen, auch wenn er nicht als Vorsitzender eines erkennenden 3 Herrmann NJW 1978 653. OLG Frankfurt GA 1980 475.
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RGRspr. 4 323; RGSt 6 179.
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Gerichts handelt . Die vorstehende Rechtsansicht ist nie in Zweifel gezogen worden. Auch die Neufassung durch Art. 1 Nr. 7 Abs. 1 StVRG hat sie insoweit unberührt gelassen. Für die richterliche Anordnung sind daher wie bisher neben dem Vorsitzenden auch der Strafrichter, der Richter beim Amtsgericht im vorbereitenden Verfahren und der beauftragte oder ersuchte Richter (§ 223 Abs. 1) zuständig. 6
Die richterliche Anordnung gilt für jede Art der Bekanntmachung nach § 35 Abs. 1 oder 2 7 . Das kann nicht zweifelhaft sein, soweit bei Anwesenheit der betroffenen Person die Entscheidung durch Verkündung bekanntgemacht wird, gilt aber ebenso, wenn bei Abwesenheit der betroffenen Person die Entscheidung durch Zustellung oder formlose Mitteilung bekanntgemacht wird. Nach § 35 Abs. 2 Satz 1 ist die Zustellung von Entscheidungen ein Unterfall der in § 35 Abs. 1 Satz 1 geregelten Bekanntmachung. Wenn dem Richter die Anordnung der Zustellung übertragen wird, die zuweilen einer Vollstreckung schon recht nahekommt, muß ihm eine solche Befugnis bezüglich der Mitteilung einer Entscheidung, die regelmäßig in einem entfernteren Verhältnis zur Vollstreckung steht, erst recht zukommen. Absatz 1 Satz 1 kann daher nur als eine Teilregelung der (drei) Fälle von Bekanntmachungen aufgefaßt werden. Eine weitergehende Regelung war auch wohl deshalb nicht erforderlich, weil die Bekanntmachung in der Form der bloßen Mitteilung schon nach früherem Recht kaum je der Staatsanwaltschaft überlassen worden ist. Absatz 1 Satz 1 ist daher in dem Sinn zu lesen, daß der Vorsitzende die Bekanntmachung von Entscheidungen, namentlich deren Zustellung, anordnet.
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Die Anordnung 8 der Zustellung entspricht dem Zustellungsauftrag der Partei (§ 167 ZPO). Das Reichsgericht bezeichnete sie auch als Auftrag 9 und Anweisung 10 , die selbst stillschweigend erteilt werden könne. Hat der Vorsitzende die Anordnung nur mündlich getroffen, muß sie — das kann auch durch die Geschäftsstelle geschehen — in einem schriftlichen Vermerk festgehalten werden, und zwar spätestens im Zeitpunkt der Zustellung 11 . Die Anordnung umfaßt nicht nur die Befugnis, darüber zu entscheiden, daß und wann zugestellt werden soll, sondern muß auch eindeutig klarstellen, wem und in welcher Form zugestellt werden soll 12 . Die generelle Anordnung des Vorsitzenden an die Geschäftsstelle, alle in seinem Spruchkörper getroffenen Entscheidungen zuzustellen, soweit nicht die Staatsanwaltschaft dafür zuständig sei, genügt daher nicht 13 , wohl aber kann eine für einen Einzelfall getroffene — auch allgemein gehaltene — Anordnung ausreichen, wenn sie zweifelsfrei ergibt, wann und wem zugestellt werden soll14. Wegen der Folgen bei Nichtbeachtung vgl. im übrigen Rdn. 8.
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Die Befugnis des Richters, die Zustellung anzuordnen, könnte auf den Rechtspfleger übertragen werden 15 ; eine solche Übertragung hat aber nicht stattgefunden. Die Übertragung richterlicher Geschäfte auf die Geschäftsstelle ist unzulässig; wo sie etwa stattgefunden hat, ist das ohne rechtliche Wirksamkeit. Ohne richterliche Anordnung ausge6 Grau DJ 1942 615. 7 OLG Saarbrücken NStZ 1986 470 mit insoweit zust. Anm. Wendisch. » RGSt 47 115. « RGRspr. 9 42. 10 RGZ90 297. ι> OLG Saarbrücken NStZ 1986 470. 12 BGH NStZ 1986 230; BayObLGSt 1982 12 = MDR 1982 600; 1989 665; OLG Stuttgart Rpfleger 1976 65; OLG Celle MDR 1977 67; NdsRpfl. 1984 173; OLG Düsseldorf NJW 1982 590; MDR 1983 339; OLG Hamm - 6. StS - NStZ 1982 479; OLG Koblenz NStZ 1972 194; a. A. OLG Hamm -
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5. StS - GA 1976 27; - 1. StS - NStZ 1982 479; KG JR 1977 521. KK-Maul 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner 5; KMRPaulus 4. BGH NStZ 1983 325. Dem Vorschlag Dollers DRiZ 1975 281, de lege ferenda die Zustellung im Regelfall auf den Rechtspfleger zu übertragen, sollte gleichwohl nicht nähergetreten werden, weil die durch die Einschaltung eines weiteren Rechtspflegeorgans notwendig bedingte Verzögerung des Verfahrensablaufs erheblich über die Zeitersparnis hinausginge, die mit einer etwaigen Entlastung des Richters verbunden wäre.
Stand: 1. 10. 1996
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führte Zustellungen sind unwirksam . Eine nicht vom Vorsitzenden (Richter) angeordnete Zustellung des angefochtenen Urteils setzt deshalb die Frist zur Begründung der Revision nicht in Lauf; die nur von dem Geschäftsstellenbeamten angeordnete Zustellung ist dazu in keinem Fall geeignet 17 . Wegen der Zustellung gerichtlicher Entscheidungen an die Staatsanwaltschaft 9 s. §41. 5. Zuständigkeit des Staatsanwalts. Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift wird man 10 hilfsweise eine Zuständigkeit des Staatsanwalts für die Fälle annehmen dürfen, in denen der Richter die Anordnung unterlassen hat 18 . Denn auch die Staatsanwaltschaft ist, wie sich aus Absatz 2 ergibt (Rdn. 14) eine Zustellungsbehörde. Es würde dem Rationalisierungs- und Beschleunigungseffekt widersprechen, wenn der Staatsanwalt in einem solchen Fall die Akten an das Gericht zurückgeben müßte, damit die Anordnung nachgeholt wird. Um eine — zeitraubende — Aktenversendung zwischen Staatsanwaltschaft, Gericht und wieder Staatsanwaltschaft zu vermeiden, werden keine Bedenken dagegen erhoben werden können, daß alsdann der Staatsanwalt die Anordnung für den an sich zuständigen Richter trifft. 6. Die Ausführung der Anordnung (Satz 2) — nicht der Zustellung — obliegt der 11 Geschäftsstelle. Sie besteht darin, daß die Geschäftsstelle den Zustellungsbeamten oder die Post beauftragt, den Zustellungsakt vorzunehmen (§ 211 Abs. 1 Satz 1 ZPO), mithin „dafür sorgt, daß die Zustellung bewirkt wird". Die Ausführung der Anordnung ist nur dann rechtswirksam, wenn sie sich im Rahmen der Anordnung, des Auftrags (Rdn. 7), hält 19 . Das ist nicht der Fall, wenn das anwaltliche Empfangsbekenntnis ausweist, daß die vom Vorsitzenden an den Pflichtverteidiger verfügte Urteilszustellung nicht an diesen, sondern an einen Sozius des Pflichtverteidigers 20 oder den Betroffenen bewirkt worden ist. Denn es ist kein Grund ersichtlich, die Handlung der Geschäftsstelle, die sich über eine Verfügung des Richters hinwegsetzt, anders zu behandeln als eine ohne Anordnung des Vorsitzenden selbst veranlaßte Zustellung 21 . Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist jedoch für den Fall anzuerkennen, wo die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung nur teilweise ausgeführt, ζ. B. die Zustellung nur an den Verteidiger bewirkt hat, obwohl sie auch an den Betroffenen angeordnet war. Denn dann liegen bezüglich der Zustellung an den Verteidiger alle für deren Wirksamkeit bedeutsamen Voraussetzungen, Anordnung durch den Richter und Bewirkung durch die Geschäftsstelle, vor 22 . Die damit verbundenen Rechtsfolgen können nur unter den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beseitigt werden. RGSt 47 114; OLG Köln NJW 1962 1929; OLG Hamm - 4. BS - VRS 49 (1975) 430 = MDR 1976 66; - 6. StS - NStZ 1982 479; OLG Stuttgart MDR 1976 245; OLG Schleswig SchlHA 1976 187, StV 1985 23; OLG Celle NdsRpfl. 1977 26 = MDR 1977 67; OLG Düsseldorf NJW 1982 590; MDR 1983 339; OLG Zweibriicken VRS 53 (1977) 278; OLGSt § 36 StPO Nr. 1; Doller 281; KK-Maul 2; KMR-Paulus 10; 12; a. A. OLG Hamm - 5. BS GA 1976 2 7 ; - 1 . S t S - N S t Z 1982 479 und-nunmehr auch - KG JR 1977 521 sowie Kleinknecht/ Meyer-Goßner 12. BGH - 3. StS - bei Holtz MDR 1976 814; BayObLGSt 1982 12 = MDR 1982 600; OLG Stuttgart MDR 1976 245; OLG Celle NdsRpfl. 1977 26 = MDR 1977 67 unter Aufgabe seiner im Vorlagebeschluß vom 13. 3. 1976 NdsRpfl. 1976 138 = MDR (273)
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1976 598 vertretenen, teilweise abweichenden Auffassung. Mit der Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs dürfte auch der Vorlagebeschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 8. 4. 1976 (VRS 51 [1976] 41) seine Erledigung gefunden haben, in welchem das Gericht darauf verzichtet hatte, Ausführungen dazu zu machen, welcher der einander widersprechenden Entscheidüngen in der Sache der Vorzug zu geben sei. OLG Schleswig bei Emesti/Lorenzen SchlHA 1982 116; KMR-Paulus 4, 10; Kleinknecht/MeyerGoßner 10; a. A. OLG Düsseldorf NStZ 1988 150. RGRspr. 9 42, RGSt 47 115; OLG Köln NJW 1962 1929. BGH StV 1981 12. OLG Zweibrücken VRS 53 (1977) 277. OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 270.
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Die Auffassung, daß die Geschäftsstelle die Zustellung ohne Anordnung zu veranlassen habe 23 , kann für den Strafprozeß nicht übernommen werden. Im Zivilprozeß steht der Zustellungsempfänger durch § 176 ZPO fest. Fürs Strafrecht gilt diese Vorschrift nicht (§ 145 a Abs. 1); meist stehen mehrere Zustellungsempfänger zur Auswahl (vgl. §37 Abs. 2; § 145 Rdn. 4 f). Alsdann verbietet die (nur) entsprechende Anwendung (§ 37 Abs. 1) der Vorschriften der Zivilprozeßordnung die Übernahme einer Regelung, deren Voraussetzungen im Strafprozeß nicht vorliegen 24 . Daher darf die Geschäftsstelle Zustellungen nicht anordnen, sondern nur Anordnungen des Richters ausführen.
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7. Zusammenfallen von Anordnung und Ausführung. Anordnung und Ausführung können in einer Hand liegen, ζ. B. dann, wenn der Richter eine ausländische Behörde ersucht, die Zustellung vorzunehmen (§ 199 ZPO). Ausführung der Anordnung und Bewirken der Zustellung können zusammenfallen, ζ. B. wenn das zu übergebende Schriftstück an der Amtsstelle dem ausgehändigt wird, an den die Zustellung zu bewirken ist (§ 212 b Satz 1 ZPO).
II. Zu vollstreckende Entscheidungen (Absatz 2 Satz 1) 14
1. Inhalt. Absatz 2 Satz 1 regelt einen Ausnahmefall von Absatz 1, nämlich die Bekanntmachung von Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen 25 . In bezug auf die Entscheidungen umfaßt er an sich den gleichen Kreis wie Absatz 1 (Rdn. 6), also solche, die nach § 35 Abs. 2 entweder durch Zustellung (Satz 1) oder durch formlose Mitteilung (Satz 2) bekanntzumachen sind; jedoch gilt die Ausnahmeregelung nur für letztere und schränkt diese insoweit noch weiter ein, als es sich dabei um Entscheidungen handeln muß, die der Vollstreckung bedürfen. Satz 1 ist daher mit folgendem Inhalt zu lesen: „Die Bekanntmachung (in Form der formlosen Mitteilung) von Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, ordnet der Vorsitzende nicht an; solche Entscheidungen sind vielmehr der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die alsdann das Erforderliche veranlaßt." Dieser Schluß, nämlich ausnahmsweise keine Anordnung der Bekanntmachung durch den Vorsitzenden, ist die Folge des Gebots, solche Entscheidungen der Staatsanwaltschaft zu übergeben.
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Andere — ζ. B. in Anwesenheit der betroffenen Person ergangene (§ 35 Abs. 1), aber auch rechtskräftige — Entscheidungen fallen nicht darunter. Erstere werden durch Verkündung bekanntgemacht (§ 35, 5 ff); letztere bedürfen in keinem Fall einer Zustellung. Soweit rechtskräftige Entscheidungen zu vollstrecken sind, gilt dafür der Erste Abschnitt des Siebenten Buchs (Vor § 449, 1 ff). Zwar spricht § 449 nur von Strafurteilen; jedoch ist der Begriff Strafurteil hier nicht im formellen Sinn zu verstehen; er umfaßt auch (vgl. dazu § 449, 1) Urteilssurrogate wie Strafbefehl, Entscheidungen nach §§ 460, 462 sowie Entscheidungen, in denen in einem Nachverfahren einem Strafurteil die ihm zunächst fehlende Vollstreckbarkeit erst oder die ihm entzogene Vollstreckbarkeit wieder verschafft wird, wie der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, der Aussetzung des Strafrestes sowie des Straferlasses (§ 453 Abs. 2 Satz 3, § 454 Abs. 3 Satz 1).
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Mit diesem Inhalt ist die Ausnahme von Absatz 1 nicht nur zweckmäßig, sondern unabweisbar. Umfangmäßig wird sie — wie in § 33 Abs. 4 Satz 1 — auf die Fälle beschränkt, wo anderenfalls der mit der Entscheidung verfolgte Zweck gefährdet wäre oder gar vereitelt würde. Eine Gefährdung ist anzunehmen, wenn der von ihr Betroffene 23 24 25
Baumbach/Lauterbach § 269, 1. Α. A. OLG Celle MDR 1976 599. Rieß NJW 1975 86; Dotier DRiZ 1975 280; Wendisch JR 1978 445; KK-Maul 12; KMR-Paulus 15;
Kleinknecht/Meyer-Goßner 10; a. A. OLG Saarbrücken NStZ 1986 471: gerichtliche Zuständigkeitskompetenz gilt auch für diesen Fall - mit insoweit abl. Anm. Wendisch.
Stand: 1. 10. 1996
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die Anordnung in der Entscheidung, wüßte er vorher von ihr, vereiteln könnte (§ 33, 40). Um das zu verhindern, dürfen zahlreiche vollstreckungsbedürftige Entscheidungen wie Haft- und Unterbringungsbefehle, Beschlagnahme-, Durchsuchungs- oder Überwachungsanordnungen vor ihrer Vollstreckung dem Betroffenen nicht bekannt werden und müssen Bekanntmachung und Vollstreckung zusammenfallen; sichergestellt werden kann das nur, wenn beides in einer Hand liegt 26 . Da die Vollstreckung Sache der Staatsanwaltschaft ist, ist es folgerichtig, diese auch für die Bekanntmachung vollstreckungsbedürftiger Entscheidungen i. S. dieses Absatzes für zuständig zu erklären. Wer gleichwohl meint, der Gesetzgeber habe an dem früheren Zustand nichts ändern 16 wollen, wonach die Zustellung deshalb der Staatsanwaltschaft übertragen worden sei, um das Gericht von nichtrichterlichen Aufgaben zu entlasten, verwechselt die Institution des Gerichts mit der des Richters. Die Zuweisung der Zustellung an die Staatsanwaltschaft beruhte zur Zeit der Einführung der Staatsanwaltschaft, aber auch der Verkündung der Strafprozeßordnung, darauf, daß die Gerichte nur kleine und unvollkommen ausgestattete Geschäftsstellen hatten und der damalige Amtsrichter viele Aufgaben selbst erledigen mußte, die heute dem Rechtspfleger oder der Geschäftsstelle obliegen. Diese Zeit ist längst vorbei; die Gerichte haben große Geschäftsstellen, die ohne weiteres die Aufgaben übernehmen können, die früher von der Staatsanwaltschaft — notgedrungen und aushilfsweise — durchgeführt werden mußten. Der Richter wird durch die Anordnung der Zustellung auch nicht sonderlich belastet, weil er sich dabei in der Regel bestimmter Verfügungsmuster bedient. Eine auf diese Weise einfach gestaltete Anordnung der Zustellung wöge — wenn sie überhaupt als Belastung anzusehen wäre — die Vorteile nicht auf, die durch die gesetzliche Neuregelung einer Konzentrierung beim Richter erreicht worden ist. 2. Vollstreckung. Nach dem Wortsinn des Begriffs Vollstreckung umfaßt dieser die 17 Befugnis des für die Vollstreckung zuständigen Organs, erforderlichenfalls 27 , d. h. dann Gewalt anzuwenden, wenn anderenfalls der mit der Entscheidung erklärte Wille des Gerichts nicht durchzusetzen wäre. Vollstreckung im Sinn von § 36 Abs. 2 setzt die Möglichkeit voraus, die Entscheidung notfalls unter Anwendung von physischem Zwang gegen Personen oder Sachen zu erzwingen 28 . Nur diese Entscheidungen bedürfen einer Vollstreckung, nicht auch solche, bei denen eine zwangsweise Durchführung von vornherein ausscheidet. Der Ausdruck Vollstreckung ist daher nicht in dem weiteren Sinn von Ausführung, sondern in dem gewöhnlichen Wortsinn von zwangsweiser Durchführung zu verstehen 29 . Das war bis zum Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrens nicht zweifelhaft und sollte es auch in Zukunft nicht sein, wenn auch — allerdings nur vereinzelt — versucht wird, einer weiten Auslegung das Wort zu reden 30 . Zu den Anhängern einer weiten Auslegung gehören Kleinknecht (bis zur 35. Aufl.), 18 Schätzler und Meyer31. Alle drei sprechen sich für eine sehr weite Auslegung aus. Nach Kleinknecht (12) soll Absatz 2 Satz 1 schon dann Anwendung finden, wenn „zur Durchsetzung der Entscheidung etwas zu veranlassen ist, was über eine bloße Anordnung der «> OLG Düsseldorf NStZ 1988 150; Rieß NJW 1975 85; Doller DRiZ 1975 280; NJW 1977 2153. 27 OLG Karlsruhe Rpfleger 1968 288. 28 RGSt 41 88. 29 So schon die früheste Rechtsprechung: OLG Celle GA 37 (1889) 73; 59 (1912) 366; OLG Kassel GA 40 (1892) 357; in neuerer Zeit OLG Karlsruhe Rpfleger 1968 288; OLG Hamm JMB1NRW 1977 235 - aufgegeben NJW 1978 175. Wie hier Rieß NJW 1975 86; Dotier NJW 1977 2153; Herrmann
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NJW 1978 653; KK-Maul 13; Kleinknecht/MeyerGoßner 10; Siewert/Mattheus DRiZ 1993 355. Wegen weiterer Einzelheiten zu diesem Problem s. Wendisch JR 1978447. Zu ihnen muß wohl auch Paulus gezählt werden, der die Zuständigkeit von der Vollstreckungsfähigkeit abhängig machen will. Sie soll - mit der Folge, daß alsdann die Staatsanwaltschaft Zustellungsbehörde wäre - immer dann zu bejahen sein, wenn die gerichtliche Entscheidung ohne weiteres zu vollziehen sei (KMR 17); dagegen zu Recht KK-Maul 13.
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Beendigung eines Freiheitsentzugs hinausgeht". Schätzler will zu den vollstreckungsbedürftigen Entscheidungen alle Fälle rechnen, in denen etwas zu veranlassen, auszuführen oder zu vollziehen ist, was in die Kompetenz der Staatsanwaltschaft gehört 32 . Den gleichen Standpunkt vertreten die Oberlandesgerichte Zweibrücken 33 , Hamm 34 und Celle 35 . Nach OLG Zweibrücken soll zu den Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, auch der Beschluß gehören, durch den — wie beim Aussetzungsbeschluß — die Rückgängigmachung eines Eingriffs angeordnet wird. Das OLG Hamm will unter Vollstreckung all das erfaßt sehen, was „über die Zustellung hinaus zur Durchsetzung der Entscheidungen geboten ist". Eine überzeugende Begründung ihrer Ansicht bleiben alle schuldig. Sie ist namentlich bei Aussetzungsbeschlüssen nicht zu führen, zumal da es bei ihnen nichts zu vollstrecken gibt. 19
Den Vertretern einer weiten Auslegung des Begriffs Vollstreckung ist weiter entgegenzuhalten, daß der Gesetzgeber die bisherige Praxis ausdrücklich aufgeben wollte, die — obwohl gesetzlich nicht geregelt war, in welchen Fällen die Staatsanwaltschaft und unter welchen Voraussetzungen das Gericht Zustellungen und Vollstreckungen zu veranlassen hatte — aufgrund der früheren Fassung des § 36 davon ausging, daß die Zustellung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen grundsätzlich Sache der Staatsanwaltschaft sei 36 . Er hielt eine klare und einfache Regelung, nämlich die Trennung der Zuständigkeit für die Zustellung von der für die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen auch deshalb für erforderlich, weil die bisherige Regelung gelegentlich zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten geführt hatte. Um das zu vermeiden, entschied er: „Die Zustellung obliegt dem Gericht, die Vollstreckung ist grundsätzlich Sache der Staatsanwaltschaft." 37 Dieser eindeutige Standpunkt trägt darüber hinaus dem Grundsatz Rechnung, daß die Anordnung der Zustellung von Entscheidungen grundsätzlich demjenigen obliegen sollte, der sie erlassen hat. Auch für den Empfänger dürfte es einleuchtender sein, wenn er eine Entscheidung unmittelbar von dem Rechtspflegeorgan erhält, das sie erlassen hat. Für gerichtliche Entscheidungen bedeutet das, daß grundsätzlich der Richter die Zustellungen anzuordnen hat 38 . Diese Regelung ist zweckmäßig. Sie hält den Richter auch nicht von seiner eigentlichen Aufgabe fern, Recht zu sprechen; denn es bringt für ihn keine wesentliche Mehrarbeit, wenn er die Zustellung seiner Entscheidung selbst veranlaßt (Rdn. 2; 16).
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3. Beispiele. Zu den Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, zählen: Ordnungsgeld· oder Ordnungshaftbeschlüsse nach § 51 Abs. 1 Satz 2 und 3 gegen trotz ordnungsgemäßer Ladung ausgebliebene Zeugen; nach § 70 Abs. 1 Satz 2 bei grundloser Zeugnis- oder Eidesverweigerung von Zeugen 39 ; Ordnungsgeldbeschlüsse nach § 77 Abs. 1 Satz 2 gegen Sachverständige, die zur Erstattung eines Gutachtens verpflichtet sind, wenn sie trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen sind, oder wenn sie sich weigern, ein Gutachten zu erstatten; Anordnungen nach § 81 a Abs. 2 (Entnahme von Blutproben, Vornahme anderer körperlicher Eingriffe); nach § 81 c Abs. 5 (Untersuchung anderer Personen als Beschuldigte, § 81 c) 40 ; Beschlagnahmebeschlüsse nach § 98 Abs. 1 (für die Untersuchung bedeutsame Beweismittel), nach § 100 Abs. 1 in Verb, mit § 99 (Postbeschlagnahme) sowie — an sich auch — nach § 111 b (Gegenstände und Vermö32 33 34
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JR 1977 294. JR 1977 293 mit A n m . Schälzier. N J W 1978· 175 - mit abl. A n m . Herrmann N J W 1978 6 5 3 - unter A u f g a b e seiner früheren Ansicht in JMB1NRW 1977 235. M D R 1978 71, nur Leitsatz. BTDrucks. 7 551, S. 46 r, 57 r; Rdn. 1. Vgl. Begr. BTDrucks. 7 551, S. 58 1.
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» Rieß N J W J975 86. W e g e n der A u s n a h m e bei Erzwingungshaft nach § 70 Abs. 2 und der Herausgabe von Beweismitteln nach § 95 Abs. 2 in Verb, mit § 70 Abs. 2 vgl. § 36 Abs. 2 Satz 2 (Rdn. 28). 40 Wegen des Ausschlusses der Anordnung einer Beobachtung nach § 81 Abs. 1 vgl. Rdn. 21. 39
Stand: 1. 10. 1996
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gensvorteile, die der Einziehung unterliegen oder deren Verfall das Gericht angeordnet hat) 41 , nach § 111 η Abs. 1 (periodische Druckwerke), Beschlüsse nach § 111 ο Abs. 1 und 3 (Anordnung des dinglichen Arrests wegen Vermögensstrafe) und § 111 ρ Abs. 1 und 4 (Vermögensbeschlagnahme), aber auch der nach § 111 a Abs. 3 als Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins wirkende Beschluß über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis sowie — bei Ausländern — der darüber anzubringende Vermerk in dem ausländischen Fahrausweis (§ 111 a Abs. 6 Satz 1); Beschlüsse nach § 100b Abs. 1 Satz 1, mit denen die Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs auf Tonträger nach § 100 a angeordnet worden ist; Durchsuchungsbeschlüsse nach § 105 Abs. 1 in Verb, mit §§ 102 bis 104; Haftbefehle (§ 114)42, auch solche nach § 230 Abs. 2, § 236, 329 Abs. 4 und § 453 c; der Widerruf des Aussetzungsbeschlusses durch Anordnung des (erneuten) Vollzugs nach § 116 Abs. 4; vorläufige Unterbringungsbefehle (§ 126 a); Steckbriefe aufgrund eines Haftbefehls (§ 131) und Vorführungsbefehle (§ 134), auch wiederum nach § 230 Abs. 2, § 236 und § 329 Abs. 4. Wegen der Durchführung der Vollstreckung vgl. Rdn. 22. Keiner Vollstreckung im Sinn dieser Vorschrift bedürfen: der Beschluß, durch den 21 ein Haftbefehl nach § 120, § 121 Abs. 2 oder § 122 a aufgehoben oder sein Vollzug nach § 116 Abs. 1 bis 3 ausgesetzt wird, sowie der Beschluß, durch den ein Unterbringungsbefehl nach § 126 a Abs. 3 aufgehoben wird; die Anordnung einer Beobachtung in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus oder in einer sozial-therapeutischen Anstalt nach § 81 Abs. 1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft auch eine solche Anordnung zu vollstrecken; jedoch unterliegt sie gleichwohl nicht der Regelung des § 36 Abs. 2 Satz l 4 3 , weil die Vollstreckung erst nach Rechtskraft der Entscheidung zulässig ist (§ 81 Abs. 4 Satz 2) 44 . Dieser Umstand sowie die Schwere des Eingriffs rechtfertigt es, daß dieser Fall wie die Vollstreckung eines Strafurteils oder eines ihm entsprechenden Beschlusses behandelt wird. Nicht vollstreckungsbedürftig sind, und zwar selbst dann, wenn man auch rechtskräftige Entscheidungen der Regelung des § 36 Abs. 2 Satz 1 unterstellen will, Urteile, durch die das erkennende Gericht die erkannte Strafe nach § 56 StGB, oder Beschlüsse, durch die die Strafvollstreckungskammer (§ 462 a Abs. 1) oder das Gericht des ersten Rechtszugs (§ 462 a Abs. 3) den Strafrest nach § 454 in Verb, mit § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt hat 45 . Denn das auf Strafaussetzung zur Bewährung lautende Urteil oder der Beschluß, durch den ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird, enthält zunächst noch keinen vollstreckbaren Strafausspruch. Die Vollstreckbarkeit wird beiden erst durch den gestaltenden Akt des Widerrufs der Aussetzung beigelegt, der nach dem Grundgedanken des § 449 den Strafausspruch erst (oder erst wieder) vollstreckungsfahig macht, wenn der Widerrufsbeschluß rechtskräftig geworden ist (§ 453) 46 . 4. Die Übergabe an die Staatsanwaltschaft wird dadurch bewirkt, daß das Gericht 22 die Akten — regelmäßig auf Anordnung des Vorsitzenden — mit der in ihnen enthaltenen unterschriebenen Entscheidung übersendet. Das Gericht hat keinen Einfluß auf den Vorgang der Vollstreckung. Die Staatsanwaltschaft, der die Entscheidung übergeben wor41
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Sie unterliegt nur deshalb nicht der Regelung des §36 Abs. 2 Satz 1, weil sie ihre - wenn auch inhaltsgleiche - besondere Regelung in §111 f erfahren hat. Die Feststellung des Verfalls der Sicherheit nach § 124 unterliegt deshalb nicht der Regelung des § 36 Abs. 2 Satz 1, weil der Eintritt des Verfalls regelmäßig keine besondere Vollstreckung erfordert (§ 116 a, 6). Α. A. LR-Meyer2i § 81, 41; BayObLGSt 3 411;
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OLG Düsseldorf GA 58 (1911) 257; OLG München Alsb. E l 183. OLG Nürnberg OLGSt § 81 StPO, 9. Α. A. OLG Hamm NJW 1978 175; OLG Frankfurt GA 1980 375; Mrozynski JR 1983 140. Α. A. OLG Zweibrücken MDR 1977 293; OLG Hamm NJW 1978 175; OLG Schleswig SchlHA 1978 87; Kleinknecht" 12; Schätzler SR 1977 294; wie hier OLG Hamm JMB1NRW 1977 235; OLG Frankfurt G A 1980475; Dolter NJW 1977 2153.
Günter Wendisch
§36
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e Vorschriften
den ist, führt die Vollstreckung nach dem Inhalt der Entscheidung ggf. mit Hilfe der Polizei (Verhaftung) durch, bei Vollstreckung von Ordnungs- oder Erzwingungshaft (§§51, 70, 95) nach § 87 Abs. 1 StVollstrO, bei Vollstreckung derartiger Ordnungsgelder nach §§ 3 ff der Einforderungs- und Beitreibungsanordnung (EBAO) vom 20. 11. 1974 in der Fassung vom 10. 7. 197947. Dabei obliegt ihr ggf. die Bewilligung von Ratenzahlungen48. Die Zuständigkeit richtet sich allein nach § 36, nicht nach § 2 EBAO. 23
Zuständig ist die Staatsanwaltschaft bei dem Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, doch kann die höhere Staatsanwaltschaft einer ihr unterstellten die Zustellung übertragen49. Davon wird zweckmäßig Gebrauch gemacht, wenn die Akten, etwa nach Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichts, ohnehin vom Generalstaatsanwalt an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht zurückgehen und dort weitere Verfügungen getroffen werden müssen. Dagegen scheidet eine Übertragung aus, wenn die nachgeordnete Staatsanwaltschaft am Verfahren nicht beteiligt ist, ζ. B. bei Strafsachen, die in erster Instanz von dem Oberlandesgericht entschieden werden (§ 120 Abs. 1 GVG).
24
5. Veranlassen des Erforderlichen. Außer der Zustellung hat die Staatsanwaltschaft auch das Erforderliche zu veranlassen. Diese Regelung beruht auf der Erkenntnis, daß „die sachgerechte Veranlassung von Vollstreckungsmaßnahmen und deren Ausführung eher durch den Einsatz der vorzugsweise der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehenden Mittel zu verwirklichen sind"50.
25
Die Befugnis, das Erforderliche zu veranlassen, hat nur der Staats- oder Amtsanwalt. Daher darf die Geschäftsstelle die Zustellung vollstreckbarer Entscheidungen nicht anordnen, sondern nur Anordnungen des Staats- oder Amtsanwalts ausführen. Die Auffassung, bei der Staatsanwaltschaft könne die Anordnung der Zustellung der Geschäftsstelle übertragen werden51, ist abzulehnen, weil die Strafprozeßordnung, wenn sie von Staatsanwaltschaft spricht, immer den Staatsanwalt und Amtsanwalt meint (§ 142 GVG), die Übertragung daher einer — nicht vorhandenen — gesetzlichen Grundlage bedürfte. Dagegen können die Länder bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Anordnungen des Staatsanwalts Beamte des gehobenen oder — wie es regelmäßig der Fall ist — des mittleren Dienstes auszuführen haben.
III. Richterliche Vollstreckung 26
1. Ordnung in der Sitzung (Absatz 2 Satz 2). Entscheidungen, welche die Ordnung in den Sitzungen betreffen, vollstreckt der Richter selbst. Von der Ordnung in den Sitzungen handeln die §§ 176 bis 183 GVG; § 179 GVG schreibt vor, daß der Vorsitzende die Vollstreckung der zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung verhängten Ordnungsstrafen unmittelbar zu veranlassen hat. Die Staatsanwaltschaft ist zur Vollstreckung nicht befugt 52 , wohl aber verpflichtet, auf eine versehentlich unterbliebene Vollstreckung hinzuwirken. Der Richter ist nicht berechtigt, die Vollstreckung zu unterlassen, kann aber einen Gnadenerweis anregen. 2. Weitere Zuständigkeiten
27
a) Grundsatz. Nach früherem Recht konnte der Richter die Vollstreckung von Beschlüssen und Verfügungen stets unmittelbar veranlassen. Dafür enthält die neue Fas47 48 49
Pohlmann/Jabel» § 33, 1. OLG Hamm GA 1960 318; JMB1NRW 1971 274. KK-AW11.
50
Begr. BTDrucks. 7 551, S. 158 links; Meyer-Goßner 13, 14. Müller-Sai* 2. 52 RGSt 15 230.
Kleinknecht/
51
Stand: 1. 10. 1 9 9 6
(278)
Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§ 3 6
sung keine Grundlage mehr. Gleichwohl muß man dem Richter weiterhin die Befugnis und gegebenenfalls die Pflicht einräumen, auch Entscheidungen zu vollstrecken, die nicht nur die Ordnung in den Sitzungen betreffen. Für diese Ansicht spricht einmal, daß der Gesetzgeber — wie die Regelung des Satzes 2 bestätigt (Rdn. 26) — den Richter nicht schlechthin als Vollstreckungsbehörde ausschließt. Sie wird zusätzlich durch die Erwägung gestützt, daß mit den neuen Zuständigkeitsregelungen zugleich erreicht werden sollte, die Verfahren insgesamt zu beschleunigen und ein sachlich nicht gebotenes oder gar unsinniges Hin- und Hersenden der Akten zu vermeiden. b) So muß der Richter auch künftig die Haft zur Erzwingung einer Zeugenaussage 28 (§ 70 Abs. 2) oder zur Herausgabe von Beweismitteln (§ 95 Abs. 2 in Verb, mit § 70 Abs. 2) selbst vollstrecken. Das erscheint schon deshalb unumgänglich, weil jederzeit ein Vollstreckungshindernis eintreten kann (Aussage des Zeugen, Geständnis oder Tod des Beschuldigten, Amnestie, Bekanntwerden von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen, die beim Beschuldigten liegen), das allein der Richter berücksichtigen kann 53 ; eine Trennung zwischen Richterspruch und dessen Vollstreckung ist nicht durchführbar 54 . Eine Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn die Erzwingungshaft gegen einen Zeugen angeordnet worden ist, den die Staatsanwaltschaft in eigener Zuständigkeit vernehmen will. In diesem Fall obliegt ihr auch die Vollstreckung der Erzwingungshaft sowie die Entscheidung über etwaige Vollstreckungshindernisse55. Allerdings hat der auf richterliche Entscheidung inhaftierte Zeuge aufgrund entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 jederzeit das Recht, den Ermittlungsrichter anzurufen. c) Auch die Anordnungen einzelner Beweiserhebungen wird — wie bisher — das 29 Gericht 56 oder sein Vorsitzender 57 durchzuführen haben, sofern nicht Maßnahmen in Betracht kommen, für die es den Gerichten an einer besonderen gesetzlichen Grundlage fehlt, während sie für die Staatsanwaltschaft gegeben ist58. Das ist bei der Durchführung polizeilicher Ermittlungen der Fall. Bei diesen ist das Gericht auf die allgemeine Rechtshilfe angewiesen, die Staatsanwaltschaft hat dagegen ein Anordnungs- (§ 152 Abs. 1 GVG) und Auftragsrecht (§ 161 Satz 2). d) Wegen der Anordnung und Ausführung von Ladungen — auch in Privatklagesa- 30 chen — s. § 214 Abs. 1; wegen sonstiger Zustellungen und Vollstreckungen in Privatklagesachen s. § 385 Abs. 1 (allgemein) und § 390 Abs. 3 Satz 2 (Zustellung von Rechtsmitteln). e) Zustellung der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft. Die Zustellung der 31 Revisionsanträge der Staatsanwaltschaft und ihre Begründung obliegt ebenfalls dem Vorsitzenden. Absatz 1 steht dieser Auffassung schon deshalb nicht entgegen, weil dieser nur gerichtliche Entscheidungen betrifft 59 . Eine Pflicht der Staatsanwaltschaft, ihre Revisionsbegründung selbst zuzustellen, besteht nicht. Sie kann namentlich nicht aus § 320 hergeleitet werden, nach dessen Satz 2 die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten die Berufungsschrift selbst zustellen muß, wenn sie dieses Rechtsmittel eingelegt hat. Eine dieser Vorschrift entsprechende Regelung gibt es nicht. Die Anordnungszuständigkeit des Vorsitzenden ist nicht nur zweckmäßig, sondern 32 wegen der Besonderheiten des Revisionsverfahrens auch notwendig. Der Staatsanwalt muß die Revisionsbegründung — aus den Handakten — binnen bestimmter Frist (§ 345 53 Wessels FS Mayer 600; LR-Da/ij § 7 0 unter V; KK-Maul 17; Kleinknecht/Meyer-Goßner 14; § 70, 19. 5" VerfGH NRW OVGE 20 311, 315. 55 BGH - ErmR - NStZ 1989 280. 56 OLG Kassel GA 40 (1892) 357. (279)
57
OLG Celle GA 37 (1889) 73. OLG Celle GA 59 (1912) 366. 59 OLG Düsseldorf GA 58 (1911) 258; OLG Celle GA 60 (1913) 302; Barre GA 39 (1891) 15; KKMaul 11.
58
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§37
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Abs. 1) bei dem Gericht anbringen, dessen Urteil er angefochten hat und bei dem sich auch die Akten befinden. Die Revisionsbegründung muß dem Gegner zugestellt (§ 347 Abs. 1 Satz 1) und alsdann noch eine einwöchige Frist (§ 347 Abs. 1 Satz 2) zu einer etwaigen Gegenerklärung abgewartet werden, ehe die Akten der Staatsanwaltschaft zur Weiterleitung an das Revisionsgericht übergeben werden. Die Gegenerklärung kann der Revisionsgegner aber auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts abgeben. Bei diesem Verfahrensablauf wäre es außerordentlich unpraktisch, wenn nicht das Gericht, bei dem sich die Akten ohnehin befinden, die Zustellung der Revisionsbegründung anordnen würde, die Akten vielmehr hin und her wandern müßten. Es ist daher — wie schon immer — davon auszugehen, daß die Zustellung der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft ausnahmslos dem Gericht obliegt 60 . Gleichwohl ist auch die Zustellung der eigenen Revisionsbegründung durch die Staatsanwaltschaft wirksam 61 .
IV. Anfechtung Soweit der von einer Vollstreckung Betroffene durch diese selbst, nicht durch die ihr zugrunde liegende Anordnung, in seinen Rechten verletzt ist, kann er Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff EGGVG stellen62. § 23 EGGVG schließt insoweit eine Lücke in der Strafprozeßordnung bezüglich des Rechtsschutzes gegen Vollstreckungsmaßnahmen der Strafverfolgungsorgane 63 .
§ 3 7
(1) 'Für das Verfahren bei Zustellungen gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend. 2 Als Notfristen im Sinne des § 187 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten die gesetzlichen Fristen. (2) Eine Zustellung im Ausland kann auch durch Einschreiben mit Rückschein bewirkt werden, soweit aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen Schriftstücke unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen. (3) Wird die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt, so richtet sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung. Schrifttum. Arnold Zustellungen, Ladungen, Vorführungen in der Bundeswehr, NJW 1957 1220; Blaese/Wielop Die Förmlichkeiten der Revision in Strafsachen (1982), hier: Die Urteilszustellung, S. 76 ff; Blankenheim Zustellung des Strafbefehls an Nichtseßhafte, MDR 1992 926; Böttcher/ Mayer Änderungen des Strafverfahrensrechts durch das Entlastungsgesetz, NStZ 1993 153 (zu § 37 Abs. 2); Dünnebier Fristberechnung bei mehrfacher Zustellung (§ 37 Abs. 2 StPO), JZ 1969 94; Kohlhaas Mehrfache Zustellung nach § 37 StPO, NJW 1967 24; Kunz Die Rechtskraft bei Zustellung an Minderjährige, MDR 1979 723; H. W. Mayer-Rang Der Lebensgefährte — untauglicher Empfänger einer Ersatzzustellung? NJW 1988 811; Meyer-Goßner Änderungen der Strafprozeßordnung durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz, NJW 1993 499 (zu § 37 Abs. 2); Scheld/Ledigbund, Ersatzzustellung, Zwangsvollstreckung, DGVZ 1983 65; Schweckendiek Die ordnungsgemäße Ladung von jugendlichen Angeklagten und minderjährigen Zeugen zur Hauptverhandlung, NStZ 1990 170; Sie60
OLG Düsseldorf GA 58 (1911) 258. 6' OLG Breslau Alsb. Ε 1 87. BGHSt 28 208. 63 BayVerfGH NJW 1969 229; OLG Stuttgart NJW 1972 2146; 1977 2276; OLGSt §23 EGGVG 85; 62
OLG Koblenz JVB1. 1961 237; OVG Hamburg NJW 1970 1699; Altenhain DRiZ 1970 106; Strubel/ Sprenger NJW 1972 1732; KK-Maul 18; Kleinknecht/Meyer-Goßner 15; kritisch Lisken NJW 1979 1992; a. A. wohl OLG Karlsruhe NJW 1976 1417.
Stand: 1. 10. 1996
(280)
Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§ 37
gismund/Wickem D a s Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege — ein Überblick über die Änderungen der StPO, des G V G , des JGG und des S t G B (Teil 1), wistra 1 9 9 3 81 (zu § 37 Abs. 2).
Entstehungsgeschichte. Obwohl § 37 zunächst nicht geändert wurde, ist doch das strafrechtliche Zustellungsverfahren durch vorübergehende Kriegsvereinfachungsmaßnahmen und durch Änderungen der Zivilprozeßordnung beeinflußt worden. Die bedeutsamste Änderung ist die über die Heilung von Zustellungsmängeln (§ 187 ZPO) durch Abschn. 2 Nr. 2 ZustVO, beibehalten durch Art. 2 Nr. 20 VereinhG. Satz 2 ist angefügt durch Art. 4 Nr. 6 des 3. StRÄndG, weil auch bei den gesetzlichen Fristen der Strafprozeßordnung ebenso wie bei den Notfristen der Zivilprozeßordnung der Nachweis der formgerechten Zustellung unerläßlich erschien (Begr. BTDrucks. I 3713, S. 46). Durch Art. 2 Nr. 1 RpflEntlG ist ein neuer Absatz 2 eingefügt und der bisherige Absatz 2 nunmehr Absatz 3 geworden. Zufolge des neuen Absatzes 2 können Zustellungen im Ausland künftig auch durch Einschreiben mit Rückschein bewirkt werden, wenn aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen Schriftstücke unmittelbar durch die Post versandt werden dürfen. Der frühere Absatz 2 —jetzt Absatz 3 — ist unverändert geblieben. Er war durch Art. 10 Nr. 1 StPÄG 1964 eingefügt worden. Das wurde notwendig, weil durch Art. 3 Nr. 4 (§ 145 a) die Zustellung an den Verteidiger neu geregelt worden und dadurch die Gefahr gewachsen ist, daß mehrere Zustellungen vorgenommen werden. Dem dadurch möglicherweise entstehenden Zweifel, wann die Frist beginnt (Rdn. 72), soll durch Absatz 3 begegnet werden.
Übersicht Rdn. I. Zustellungsverfahren (Absatz 1) 1. Allgemein
5 6 7 8 9 10
3. Beschränkt anwendbare Vorschriften a) §§ 167, 170 Abs. 2 ZPO b) § 190 ZPO c) §§ 203 bis 207 ZPO
11 12 13
4. Anwendbare Vorschriften a) Allgemein b) § 170 Abs. 1 ZPO c) Ort der Zustellung (§ 180 ZPO) . . d) Zustellung zur Nachtzeit ( § 1 8 8 ZPO) e) Inhalt der Zustellungsurkunde (§ 191 ZPO) f) Zustellung durch die Post (§§ 192 bis 195 ZPO) g) Zustellung im Ausland (§§ 199, 200, 202 ZPO) h) Zustellung von Amts wegen (§§208 bis 210, 211,212 b ZPO). i) Zustellung an Anwalt (§212 a ZPO) (281)
1
2. Nicht anwendbare Vorschriften a) §§ 166, 168, 169 ZPO b) § 171 ZPO c) §§ 173 bis 175; § 192, §§213, 213 a ZPO d) §§ 176 bis 178 ZPO e) § 189 ZPO f) § 195 a ZPO g) §§ 196 bis 198 ZPO h) § 210 a ZPO
3 4
14 15 18 19 20 21 22 23 24 Günter W e n d i s c h
Rdn. 5. Ersatzzustellung (§§181 bis 186 ZPO) a) Grundsätzliche Anwendung b) § 181 ZPO aa) Wohnung bb) Familie cc) Minderjährigkeit dd) Dienende Person ee) Hauswirt c) § 182 ZPO d) § 183 ZPO e) §§ 184, 185 ZPO f) Zustellung durch Übergabe (§ 170 Abs. 1 ZPO) g) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 6. Zustellungsbevollmächtiger a) Grundsatz b) Keine Ausnahmen? 7. Zustellung in geschlossenen Unterkünften a) Allgemein b) Strafanstalten c) Bundeswehr d) Krankenhäuser e) Kommissarische Gerichtswachtmeister 8. Zustellungen im Ausland a) Grundsatz b) Vereinfachte Zustellung (Absatz 2) aa) Entwicklungsgeschichte
26 27 30 35 36 37 38 40 41 42 44 45 47
51 52 53 54 55 56
58
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
§37
Rdn. bb) Schengener Durchführungsabkommen cc) Ausschluß c) Weitere Zustellungsmöglichkeiten
Rdn. II. Mehrfache Zustellung (Absatz 3)
60 61 62
9. Zustellungsmängel a) Heilung b) Unwirksamkeit
63 67
Alphabetische
1. Inhalt
71
2. Rechtskraft
73
3. Empfangsberechtigte
75
4. Zustellung
77
Übersicht
Rdn.
Rdn.
1, 14, 15
Lebensgefährte Letzte Zustellung
72
23
Mängel
63
Anwendbare Vorschriften
14-24
Mangel
17
an Anwalt
24, 25
Mehrfache Zustellung
71
Ausfertigung, Abschrift
16
Minderjährigkeit
35
Ausschluß
61
Nachtzeit
im Ausland
22, 56, 57
Nicht anwendbare Vorschriften
19 3-10
Niederlegung bei der Post
38
Begriff der mehrfachen Zustellung
71
Notfrist
64
Behörde
35,41
Beschränkt anwendbare Vorschriften Bevollmächtigter
11-13
Beweis
Allgemeine Zustellungsregeln von Amts wegen
31-34
Ort
18
Persönliche Zustellung
71
39
Pflegekinder
30
51
durch die Post
21
Beurkundete Übergabe
69
Rechtshilfeersuchen
56
Bundeswehr
53
Rechtshilfe in Strafsachen (EURHÜbK) 1
Deutsche Auslandsvertretung
57
Rechtskraft
73,74
Dienende Person
36
Schengener Durchführungsabkommen
58-60
Einheitliche Frist
72
Einschreiben mit Rückschein
Schiffahrt
66
59
Sofortige Beschwerde
64
Empfangsberechtigte
75
Strafanstalten
52
Ersatzzustellung
26-44
Strafgefangene
29
Familie
30-34 40
durch Übergabe Unmittelbare Ladung
42
51-55
Untersuchungsgefangene
61 29
Gewohnheitsrecht
66
Unwirksamkeit
67-69
Haager Abkommen
1
Urkunde
20
Hausgenosse
30
Vereinfachte Zustellung
58, 59
Hauswirt
37
an Verteidiger
49
Heilung von Mängeln
63
Vorübergehende Abwesenheit
28
Inhalt der Zustellungsurkunde
20
Weitere Möglichkeiten
62
Internationaler Postverkehr
Wiedereinsetzung bei Ersatzzustellung
44
Kommissarischer Gerichtswachtmeister
59 55
Wirksamkeit
39,70
Konkursverwalter
42
Krankenhäuser
54
Ladung
64
Geschäftsraum Geschlossene Unterkunft
Wohnung Zustellungsbevollmächtigter ZPO-Normen
Stand: 1. 10. 1996
27-29 45-50, 71 3 ff.
(282)
V i e r t e r A b s c h n i t t . G e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g e n u n d ihre B e k a n n t m a c h u n g
§37
I. Zustellungsverfahren (Absatz 1) 1. Allgemein. § 37 verweist auf die Vorschriften der Zivilprozeßordnung. Kein Teil 1 von ihr ist das Haager Abkommen über den Zivilprozeß. Art. 1 dieses Abkommens ist daher für die Zustellung in Strafsachen nicht maßgebend 1 . Wohl aber ist bei Zustellungen im Ausland das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRHÜbK) 2 anzuwenden. Dessen Art. 7 Abs. 2 enthält gegenüber dem bisherigen Recht insoweit eine Erleichterung des Nachweises der Zustellung (vgl. dazu Rdn. 22), als nunmehr auch im Strafverfahren — wie nach Art. 5 HaagerAbK für Zivilverfahren — die Zustellung durch schriftliches Empfangsbekenntnis des Zustellungsadressaten nachgewiesen werden kann 3 . Da § 37 nur die entsprechende Anwendung der Vorschriften der Zivilprozeßordnung 2 vorschreibt, muß für jede einzelne von ihnen geprüft werden, ob sie sich nach ihrem Inhalt für die Anwendung im Strafverfahren eignet. Soweit das zutrifft, müssen die Vorschriften auch bei der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach § 41 beachtet werden4. In der Zivilprozeßordnung handeln von der Zustellung die §§ 166 bis 213 a. 2. Nicht anwendbare Vorschriften a) §§ 166,168,169 ZPO. Eine Zustellung auf Betreiben der Parteien wäre allenfalls 3 im Privatklageverfahren denkbar, findet aber dort nicht statt (§§ 382, 384 Abs. 1). Für das Verfahren bei unmittelbarer Ladung von Zeugen und Sachverständigen (§ 220 Abs. 1 Satz 1, § 386 Abs. 2, § 397 Abs. 1) entspricht § 38 dem § 166 Abs. 1 ZPO und sind § 166 Abs. 2, §§ 168, 169 ZPO anwendbar. b) § 171 ZPO. Der dem bürgerlichen Recht eigentümliche Begriff der Prozeßfähig- 4 keit hat keine Bedeutung für den Beschuldigten5. Im Verfahren bei Zustellungen wird weder zwischen dem volljährigen und minderjährigen 6 noch zwischen dem geistig gesunden Beschuldigten und dem geisteskranken Antragsgegner unterschieden. Bedeutsam ist nur die Unterscheidung zwischen verhandlungsfähigen und verhandlungsunfähigen Beschuldigten. Auf Privatkläger und Nebenkläger ist der Begriff der Prozeßfähigkeit zwar anwendbar. Wenn sie jedoch gesetzlich vertreten werden, steht der Vertreter an Stelle des Vertretenen und ist daher selbst Zustellungsempfänger. Für den Privatkläger folgt das unmittelbar aus § 374 Abs. 3. Für den Nebenkläger ergab sich diese Folgerung bis zum Inkrafttreten des OpferschutzG am 1. April 1987 aus der Globalverweisung des § 395 Abs. 1 auf die Rechte des Privatklägers. Obwohl die Globalverweisung nunmehr durch einen Enumerativkatalog ersetzt worden ist, in dem eine dem § 374 Abs. 3 entsprechende Vorschrift fehlt, hat sich an der Notwendigkeit einer Gleichbehandlung dadurch nichts geändert. Denn es ist selbstverständlich, daß — wenn die Voraussetzungen für den Anschluß bei einem Prozeßunfähigen vorliegen — dessen Rechte nur durch seinen gesetzlichen Vertreter wahrgenommen werden können. c) §§ 173 bis 175, § 192, §§ 213, 213 a ZPO. Die Art des Strafprozesses verlangt, daß 5 wider den Willen des Beteiligten nicht einem anderen als ihm selbst zugestellt wird; ein 1 2
RGSt 67 225; BayObLG GA 1981 574. Das Übereinkommen vom 20.4. 1959 (BGBl. 1964 II 1386) ist nach Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes vom 3. 11. 1964 (BGBl. II 1369) in Verb, mit Art. 27 Abs. 3 des Übereinkommens aufgrund der Bekanntmachung vom 8. 11. 1976 (BGBl. II 1799) für die Bundesrepublik Deutschland am 1. 1. 1977 in Kraft getreten. Es ist als (partikulares) Völkerrecht
(283)
3 4 5
6
nach Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts geworden. BayObLG GA 1981 574. RGSt 72 318. OLG Düsseldorf MDR 1993 70; Schweckendiek NStZ 199« 170; KK-Maul 2; KMR Paulus 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner 5; AK-Kirchner 1. RG GA 41 (1893) 401; JW 1893 583.
Günter Wendisch
§37
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Bevollmächtigter kann ihm nicht aufgezwungen werden, soweit der Gesetzgeber nicht ausdrücklich, wie in § 116 a Abs. 3, § 127 a Abs. 2, § 132 Abs. 1 Nr. 2 und in § 145 a Abs. 1, eine besondere Regelung getroffen hat. Der Ausschluß der §§173 bis 175 ZPO macht es indessen nicht unmöglich, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen (Rdn. 45 ff). 6
d) §§ 176 bis 178 ZPO. Die Vorschriften sind unanwendbar, weil es im Strafprozeß keine Prozeßbevollmächtigten gibt. Vergleichbare Sonderregelungen enthalten § 145 a, § 378 Satz 2, § 397 Abs. 1 Satz 2, § 434 Abs. 1 Satz 2.
7
e) § 189 ZPO (Zustellung für mehrere Beteiligte) findet keine Anwendung, weil im Strafverfahren die Verteidigung mehrerer Beschuldigter, aber auch die Vertretung mehrerer Einziehungsbeteiligter nicht mehr zulässig ist (§§ 146,434 Abs. 1 Satz 2), und für alle sonstigen denkbaren Anwendungsfälle, so ζ. B. für den Beistand für mehrere Privat- oder Nebenkläger sowie deren Vertretung, Sondervorschriften (§§ 378, 397 Abs. 1) bestehen.
8
f) § 195 a ZPO ist wegen der bloßen Fiktion einer Zustellung für das Strafverfahren unanwendbar. Da keine Benachrichtigung stattfindet, ist er auch mit § 182 ZPO nicht zu vergleichen.
9
g) §§ 196 bis 198 ZPO. Die Zustellung unter Vermittlung der Geschäftsstelle (§ 196 ZPO) und von Anwalt zu Anwalt (§ 198 ZPO) kommt im Strafverfahren nicht vor. Bei der unmittelbaren Ladung (§ 38) ist der Gerichtsvollzieher zu beauftragen, so daß deshalb § 197 ZPO ausscheidet.
10
h) § 210 a ZPO (Zustellung einer Rechtsmittelschrift) gilt, weil auf den Parteibetrieb des Zivilprozesses abgestellt, nicht für das Strafverfahren. 3. Beschränkt anwendbare Vorschriften
11
a) §§ 167, 170 Abs. 2 ZPO haben Bedeutung nur bei der unmittelbaren Ladung (§ 38), doch sind in § 167 Abs. 1 ZPO die Worte „die Geschäftsstelle zur Beauftragung eines Gerichtsvollziehers mit der Zustellung" (zu ermächtigen) unanwendbar, weil es im Strafverfahren keine Zustellung unter Vermittlung der Geschäftsstelle gibt.
12
b) § 190 ZPO findet wegen der Sonderregelung in den §§ 212 ff ZPO im allgemeinen keine Anwendung, hat aber für die unmittelbare Ladung (§ 38) Bedeutung.
13
c) §§ 202 bis 207 ZPO. Da § 40 eine Sondervorschrift für die öffentliche Zustellung an den Beschuldigten enthält, die für den Einziehungsbeteiligten entsprechend gilt (§ 433 Abs. 1), beschränkt sich die entsprechende Anwendbarkeit der die öffentliche Zustellung betreffenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung im Strafverfahren auf die Zustellung an Beteiligte, die für den Beschuldigten Sicherheit geleistet haben (§124 Abs. 2 und 3), an Privatkläger und Nebenkläger. Die Zustellung hat das Gericht zu bewilligen, bei dem die Sache anhängig ist. Über den Antrag der Staatsanwaltschaft, die öffentliche Zustellung an den Nebenkläger, der Revision eingelegt hat, zu bewilligen, hat das Gericht, dessen Urteil der Nebenkläger angefochten hat, so lange zu entscheiden, bis die Akten dem Revisionsgericht übersandt worden sind7. 4. Anwendbare Vorschriften
14
a) Allgemein. Die §§166 bis 213 a ZPO gelten nicht unmittelbar, sondern nach Absatz 1 Satz 1 entsprechend, also mit den Einschränkungen und den Modifikationen, die sich aus den Notwendigkeiten des Strafverfahrens ergeben. Eine weitere Komplikation 7
BayObLG DRiZ 1932 144.
Stand: 1. 10. 1996
(284)
Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung
§37
ergibt sich, weil die §§166 bis 207 ZPO (Zustellung auf Betreiben der Parteien) ein zweites Mal nur entsprechend anzuwenden sind, nämlich nur insoweit, als sich nicht aus dem Charakter der Zustellung, als einer von Amts wegen, Abweichungen ergeben. Danach sind im einzelnen anwendbar: b) § 170 Abs. 1 ZPO in Verb, mit § 207 ZPO enthält die allgemeine Zustellungsre- 15 gel. Die Vorschrift sagt nicht, wem die Ausfertigung oder Abschrift zu übergeben ist, doch ergibt § 181 Abs. 1 ZPO, daß „die Person, der zugestellt werden soll" gemeint ist. Ausnahmen von der Regel enthalten die §§181 bis 184 ZPO in bezug auf den Zustellungsempfänger und § 186 ZPO in bezug auf den Akt der Aushändigung. Die Strafprozeßordnung spricht nur in § 275 Abs. 4 von der Ausfertigung, in § 451 16 Abs. 1 dagegen von der beglaubigten Abschrift. Beide stehen einander gleich 8 . Die Gültigkeit einer Zustellung wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß an Stelle einer Ausfertigung eine beglaubigte Abschrift oder statt einer beglaubigten Abschrift eine Ausfertigung oder die Urschrift zugestellt wird 9 . Dagegen genügt eine einfache Abschrift nicht 10 . Die Zustellung ist auch dann wirksam, wenn der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft die Urteilsabschrift beglaubigt hat' 1 . Eine Urteilsausfertigung dagegen ist dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts vorbehalten. Weitere Voraussetzung für eine wirksame Zustellung ist schließlich, daß der Urteils- 17 ausfertigung oder beglaubigten Abschrift kein erheblicher Mangel anhaftet 12 . Ein solcher Mangel ist zu bejahen, wenn etwa ein nicht ganz unwesentlicher Teil der Urteilsformel fehlt 13 . Zwar ist anerkannt, daß kleine Fehler nicht schaden, wenn der Zustellungsempfanger aus der Ausfertigung oder Abschrift den Inhalt der Urschrift genügend entnehmen kann. Beim Fehlen einer Seite mit dem Großteil der Urteilsformel ist der Mangel jedoch als so erheblich anzusehen, daß eine Heilung durch Ergänzung des Urteilssatzes aus den Gründen ausgeschlossen ist. Die Urteilsformel entfaltet eine stärkere Kraft als die Entscheidungsgründe; ihre Berichtigung ist nur unter engeren Voraussetzungen möglich als die der Urteilsgründe. Fehler der Urteilsformel wiegen deshalb regelmäßig so schwer, daß die Zustellung einer solchen fehlerhaften Ausfertigung regelmäßig keine Frist in Lauf setzen kann 14 . Weitere Beispiele s. Rdn. 64 ff. c) Ort der Zustellung (§ 180 ZPO). Die Vorschrift hat eine doppelte Bedeutung. Sie 18 besagt einmal, daß die Zustellung nicht nur am Wohnsitz des Empfängers, sondern in jeder Ortschaft ausgeführt werden kann, wo er sich aufhält. Der andere Sinn ist aus der Streichung des früheren Absatzes 2 dieser Vorschrift zu entnehmen. Danach konnte, wer Wohnung oder Geschäftslokal am Ort hatte, die Annahme der Zustellung außerhalb dieser Stätten verweigern. Die Streichung legt dem Wort Ort die Bedeutung von Stelle bei und macht klar, daß Zustellungen auf der Straße, auf dem Feld, bei einem Obdachlosen, auf dem Arbeitsamt usw. zulässig sind. Ausnahmen hiervon enthalten die §§181 bis 183 ZPO (Rdn. 27 ff), die den Ort der Ersatzzustellung genau begrenzen. d) Zustellung zur Nachtzeit (§ 188 ZPO). Bei einer von der Staatsanwaltschaft ver- 19 anlaßten Zustellung (§ 36 Abs. 2 Satz 1) kann die Erlaubnis zur Zustellung an den ausgenommenen Zeiten neben dem Richter auch der Staatsanwalt erteilen. e) Inhalt der Zustellungsurkunde (§ 191 ZPO). Die Vorschrift gewinnt für § 195 20 Abs. 2, § 211 Abs. 1, § 212 ZPO Bedeutung. 8 RGSt 9 274. BGHSt 26 140. Ό OLG Köln GA 1955 126. 11 BGH bei Herlan GA 1973 135; BGHSt 26 141. 9
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12 BGH MDR 1967 834. 13 BGH NJW 1978 60. BGH NJW 1978 60.
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f) Zustellung durch die Post (§§ 193 bis 195 ZPO). Die Vorschriften finden im Strafverfahren Anwendung mit den Änderungen und Einschränkungen, die sich aus den §§ 209 bis 212 ZPO für die Zustellung von Amts wegen ergeben.
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g) Zustellung im Ausland (§§ 199, 200, 202 ZPO). Das in § 202 ZPO vorgesehene Ersuchensschreiben hat die Behörde zu erlassen, die nach § 36 die Zustellung veranlaßt. Das Zeugnis nach § 202 Abs. 2 ZPO vertritt die Zustellungsurkunde des Gerichtsvollziehers. Es kann nunmehr auch durch ein Empfangsbekenntnis des Empfängers ersetzt werden (Art. 7 Abs. 2 EuRHÜ; Rdn. 1). Die Zustellung im Ausland wird, falls nicht ein datiertes, vom Empfänger unterschriebenes Empfangsbekenntnis vorliegt, durch ein schriftliches Zeugnis der ersuchten Stelle, daß die Zustellung vorgenommen worden sei, nachgewiesen, nicht schon durch die Urkunde, die der Zustellungsbeamte über den Zustellungsvorgang aufgenommen und die das (ausländische) Zustellungsorgan an die ersuchende (deutsche) Stelle übersandt hat 15 . Wegen weiterer Möglichkeiten zufolge Einfügung des neuen Absatzes 2 s. Rdn. 56 ff.
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h) §§ 208 bis 210, 211, 212 b ZPO. Diese Vorschriften behandeln die Zustellung von Amts wegen. Ihnen kommt, weil im Strafverfahren, von geringfügigen Ausnahmen abgesehen (§ 38), alle Zustellungen von Amts wegen bewirkt werden, besondere Bedeutung zu. Wird nach § 36 Abs. 2 verfahren, dann hat die Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft, wird nach § 36 Abs. 1 verfahren, die Geschäftsstelle des Gerichts für die Zustellung Sorge zu tragen (§ 209 ZPO) und die Abschriften zu beglaubigen (§ 210 ZPO). Doch ist es unschädlich, wenn die Ausfertigung eines Gerichtsbeschlusses anstelle des gerichtlichen der staatsanwaltschaftliche Urkundsbeamte beglaubigt hat16 und umgekehrt. Nur Urteilsausfertigungen kann allein der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts unterschreiben (§ 275 Abs. 4).
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i) Zustellung an Anwalt (§ 212 a ZPO). Zu einer von Amts wegen zu bewirkenden Zustellung an einen Rechtsanwalt — nicht auch an einen Rechtsbeistand17 — nach dieser Vorschrift gehören als unabdingbare Voraussetzungen neben der tatsächlichen Übermittlung des zuzustellenden Schriftstücks auf Seiten der Geschäftsstelle (§ 209 ZPO) der Wille, das Schriftstück zuzustellen, und auf Seiten des Empfängers die Kenntnis von dieser Zustellungsabsicht und der Wille, das in seinen Gewahrsam gelangte Schriftstück als zugestellt anzunehmen, sowie die Ausstellung eines mit Datum und Unterschrift versehenen Empfangsbekenntnisses18. Wenn auch grundsätzlich anzunehmen ist, daß Behörden und Anwälte diesen Willen alsbald nach Eingang des Schriftstücks haben und durch Datierung und Unterschrift beurkunden19, so ist die Zustellung gleichwohl erst zu dem Zeitpunkt bewirkt, in dem der Rechtsanwalt tatsächlich persönlich Kenntnis von seinem Gewahrsam an dem ihm übersandten Schriftstück hat und den Willen äußert, das Schriftstück als ihm zugestellt anzunehmen. Das gilt selbst dann, wenn das von dem Rechtsanwalt unterzeichnete Empfangsbekenntnis schon bei Eingang des Schriftstücks von einer Angestellten mit dem damaligen Datum gestempelt worden ist, der Rechtsanwalt aber erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erhält und das — mit dem früheren Datum versehene — Empfangsbekenntnis unterzeichnet20. Unschädlich ist dabei auch, wenn er — einer langjährigen Übung entsprechend — das Datum bewußt nicht berichtigt, weil er irrtümlich glaubt, der Tag des Eingangs des Schriftstücks bei seiner Kanzlei sei der Tag der Zustellung21. '5 BayObLG GA 1981 573. 16 OLG Bamberg HESt 3 3; BGH bei Daliinger MDR 1973 19 sowie BGHSt 26 140. 17 BayObLG JR 1988 304 mit im Erg. zust. Anm. Wendisch; Kleinknecht/Meyer-Goßner 19. 18 BGHZ 30 335 = MDR 1959 996; BGH NJW 1974 1469; 1979 2566; 1991 709; OLG Karlsruhe MDR
1984 71; OLG Düsseldorf StV 1990 345; KK-Maul 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner 19. 19 BGH - Ζ - MDR 1975 837; 1981 302. 20 BGH NStZ 1991 49; BayObLG NJW 1967 1976; OLG Karlsruhe MDR 1984 71; KK-Maul 8; KMRPaulus 7; Kleinknecht/Meyer-Goßner 19. 21 BGH - Ζ - JZ 1979 571.
Stand: 1. 10. 1996
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Da diese Zustellungsform die billigste ist — zumal wenn die Briefe nicht durch die 25 Post übersandt, sondern durch Boten ins Fach der Anwaltszentrale gelegt werden —, sollte von ihr so oft Gebrauch gemacht werden, als das möglich ist. Ergeben sich bei der Datierung des Empfangsbekenntnisses Zweifel, kann ganz regelmäßig nicht festgestellt werden, daß der Annahmewille vor der Datierung bestanden hat. Es bleibt nur übrig, wenn sich solche Fälle wiederholen, bei dem Zustellungsempfänger die förmliche Zustellung zu wählen 22 . In der Praxis hat dazu kaum je Anlaß bestanden. 5. Ersatzzustellung (§§ 181 bis 186 ZPO) a) Grundsätzliche Anwendung. Die wichtigste Form der Sonderzustellung ist die 26 Ersatzzustellung. Die sie regelnden §§181 bis 186 gehören zu den in Rdn. 14 bis 24 behandelten Bestimmungen, die grundsätzlich auch im Strafverfahren anzuwenden sind. Soweit die Ersatzzustellung zulässig ist, hat sie zur Folge, daß die auf diese Weise zugestellte Entscheidung auch dann wirksam zugegangen ist, wenn der Betroffene von ihr keine Kenntnis erlangt hat 23 . Mit ihr wird auch das Recht des Betroffenen, sich im weiteren Verfahren rechtliches Gehör zu verschaffen, nicht berührt 24 . b) § 181 ZPO aa) Wohnung i. S. des § 181 ZPO ist ohne Rücksicht auf den Wohnsitz diejenige Räum- 27 lichkeit, die der Zustellungsempfänger zum Wohnen und nicht nur zum Aufenthalt benutzt25. §181 ZPO findet nur Anwendung, wenn der Empfänger die Wohnung zur Zeit der Zustellung tatsächlich innehat. Es kommt daher nicht darauf an, ob diese Räumlichkeit mit dem Wohnsitz des Adressaten i. S. von § 7 BGB übereinstimmt oder ob der Adressat in dieser Wohnung polizeilich gemeldet ist26; wesentlich ist vielmehr, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt, wofür ein Indiz sein kann, daß er dort schläft27. Demzufolge sind Wohnwagen, Schiffe, Sommer- und Wochenendhäuser Wohnungen und kann ein Mensch mehrere Wohnungen haben und trotz Anmeldung und Belassen von Hausrat in einer Wohnung nicht wohnen, wenn er diese für längere Zeit verlassen hat, ohne die Absicht28 oder bei bestehender Absicht die Möglichkeit zu haben, jederzeit dorthin zurückzukehren. Andererseits wird die Beziehung zur Wohnung nicht durch die vorübergehende Ent- 28 fernung (Besuchs-, Urlaubs-, Geschäftsreisen) und selbst nicht durch eine vorläufige Festnahme 29 aufgehoben. Sie geht erst verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustellungsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert 30 . Ob das der Fall ist, läßt sich regelmäßig nur nach den Umständen des Einzelfalls entscheiden. Geeignete Gesichtspunkte für eine solche Prüfung können die Dauer der Abwesenheit, ζ. B. zufolge einer mehrmonatigen Urlaubsreise 31 , das Vorhandensein einer neuen festen und dauerhaften Unterkunft 32 , aber auch die Absicht und die Möglichkeit der Rückkehr sein. Ist letztere zufolge Verhaftung mit an Sicherheit grenzen22
OLG Düsseldorf StV 1990 345. BGHSt 27 88, wonach gegen die Rechtsgültigkeit einer durch Übergabe an die Ehefrau des Betroffenen ausgeführten Zustellung nach § 181 Abs. 1, § 195 Abs. 1, § 208 ZPO in Verb, mit § 37 keine Bedenken bestehen. 24 BVerfGE 25 165 = NJW 1969 1531; 42 246 = NJW 1976 1838; BGHSt 27 88; BVerwG NJW 1980 1480; Kleinknecht/Meyer-Goßner 17. 25 BGH NJW 1978 1858; BayObLGSt 1961 79 = JR 1961 271; OLG Koblenz MDR 1981 1036, OLG Düsseldorf MDR 1983 339; StV 1987 378; 1993 400; VRS 89 (1996) 462. 23
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BGH - Ζ - NJW 1978 1859 = JR 1978 377; OLG Düsseldorf StV 1993 401; LG Ellwangen StV 1985 496. 27 BGH LM BGB § 328 Nr. 15. 28 BayObLGSt 1961 79 = JR 1961 271. 29 OLG Hamm NJW 1962 264. 30 BGH - Ζ - NJW 1978 1858; BayObLG MDR 1961 785; OLG Düsseldorf StV 1987 378; 1993 401; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 209; KK-Maul 13. 31 LG Berlin MDR 1992 791. 32 BayObLGSt 1971 95 = VRS 41 (1971) 282.
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der Wahrscheinlichkeit auszuschließen, entfällt damit die Beziehung zur Wohnung mit der weiteren Folge, daß unter ihrer Anschrift jede Ersatzzustellung ausgeschlossen ist33. Allerdings folgt aus dieser Auslegung auch, daß ein Beschuldigter, der sich außerhalb seiner Wohnung vor strafrechtlicher Verfolgung verbirgt, dadurch allein nicht ohne weiteres die Beziehung zu seiner Wohnung aufhebt (RG HRR 1932 2327). 29 Ist jemand verzogen, kann nicht an den Hauswirt der alten Wohnung 34 oder an einen in der Wohnung verbliebenen Familienangehörigen35 oder durch Niederlegung bei der Post 36 zugestellt werden, selbst wenn er die Abmeldung am alten Wohnort unterlassen hat 37 . Nichts anderes gilt für einen Angeklagten, der vor Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung aufgrund einer gegen ihn ergangenen Ausweisungsverfügung aus der Bundesrepublik ausgereist ist, weil der Angeklagte dann keine Wohnung mehr unter der ehemaligen Zustellungsanschrift hat38. Ebensowenig ist die Ersatzzustellung in der Wohnung eines Straf- 39 oder Untersuchungsgefangenen40, eines für mehrere Monate ununterbrochen in einer Therapieeinrichtung befindlichen Suchtkranken41, eines an einem anderen Ort dienenden Angehörigen der Bundeswehr42 oder — bei Studenten — während des Semesters in der Wohnung der Eltern anstatt am Studienort43 wirksam. 30
bb) Familie. Nach § 181 Abs. 1 ZPO kann bei (vorübergehender) Abwesenheit des Zustellungsadressaten die Zustellung in der Wohnung an einen zur Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen oder an eine andere in der Familie dienende erwachsene Person erfolgen. Streitig ist dabei die Frage, ob die Familienzugehörigkeit nach rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, obwohl die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift eindeutig für ersteren Standpunkt spricht: Danach sollten als Zustellungsempfänger nur Familienangehörige i. S. des Familienrechts in Betracht kommen44. An dem Begriff der rechtlichen Familienzugehörigkeit haben Rechtsprechung und Lehre mehr als fünfzig Jahre festgehalten. Soweit ersichtlich hat erstmalig der 6. Zivilsenat des Reichsgerichts ihn insofern erweitert, als er die Ersatzzustellung an die ständig anwesende Haushälterin auch für den Fall zugelassen hat, daß — was nun einmal bei einem Junggesellen zutrifft — keine Familie vorhanden ist. Denn Sinn und Zweck der Vorschrift erfordere es nicht, den Begriff Familie ausnahmslos in rein wörtlichem Sinn auszulegen45. Inzwischen werden auch Pflegekinder zur Familie gezählt und als berechtigte Empfänger einer Ersatzzustellung anerkannt46 und läßt der Bundesfinanzhof die Ersatzzustellung an jeden Dritten zu, wenn dieser als Hausgenosse in den Familienverband aufgenommen worden ist47.
31
Nicht zur Familie rechnet trotz einer im Wandel begriffenen Bestimmung der Begriffe Ehe und Familie48 die geschiedene Ehefrau, und zwar selbst dann nicht, wenn 33
OLG Düsseldorf StV 1987 378; KK-Maul 14,23. OLG Neustadt GA 1955 348. " OLG Hamm JMB1NRW 1959 161; OLG Bremen MDR 1960 244. 36 OLG Koblenz VRS 44 (1973) 209; vgl. auch MDR 1981 1036; OLG Karlsruhe NJW 1981 471 = JR 1981 132. OLG Koblenz VRS 44 (1973) 209; OLG Köln NJW 1980 2720. 38 OLG Köln StV 1992 457. 39 BGH NJW 1951 931; 1978 1858; OLG Karlsruhe NJW 1973 1515; OLG Koblenz OLGSt § 37 StPO 11; OLG Hamm Rpfleger 1977 177; LG Hagen NJW 1980 1703. 40 OLG Oldenburg MDR 1968 941; OLG Karlsruhe StV 1985 291. 41 OLG Hamm NStZ 1982 552. 34
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BayObLGSt 1967 165 = NJW 1968 513; 1971 95 = VRS 41 (1971) 282. LG Ellwangen StV 1985 496. Wegen näherer Einzelheiten zur Entstehungsgeschichte s. BGHSt 34 250 = NStZ 1987 469 mit Anm. Wendisch-, BGH - Ζ - JZ 1990 760 unter II 2 a; OLG Stuttgart NStZ 1988 379. RG JW 1937 1663; BayVerfGH Rpfleger 1964 75. OLG Celle FamRZ 1983 202; OVG Hamburg NJW 1988 1807; Stein/Jonas/Schumann ZPO § 181, 12; Baumbach/Laulerbach/Hartmann ZPO § 181 Anm. 1 Β a aa. NJW 1982 2895; s. auch OLG Düsseldorf StV 1993 401. Vgl. dazu Lieb Gutachten Α „Empfiehlt es sich, die rechtlichen Fragen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gesetzlich zu regeln?" in Verh. des 57. DJT Bd. 1, Mainz 1988.
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sie nach der Scheidung weiterhin oder wieder mit ihrem früheren Ehemann zusammenlebt, den gemeinsamen Haushalt versorgt und die gemeinsamen Kinder betreut 49 . Auch der Lebensgefährte des Zustellungsempfängers bildet mit diesem keine Familie im rechtlichen Sinn; die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird daher auch nicht wie eine eheliche behandelt 50 . Das hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluß vom 8. 1. 1987 für den Fall entschieden, daß beide Partner allein in eheähnlicher Gemeinschaft leben, und hat das OLG Stuttgart auch für den Fall bejaht, daß die Lebensgefährten mit ihren gemeinsamen Kindern in der Wohnung des Zustellungsadressaten leben. Denn wenn die Mutter mit ihrem sowie der alleinerziehende Vater mit seinem nichtehelichen Kind eine Familie bilden könnten, so könne das gleichwohl für die Gesamtheit dieser Personen nicht gelten 51 . Daß nach dieser Auslegung die Partner einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft keine Familie i. S. des § 181 Abs. 1 ZPO bilden können und der eine nicht als Hausgenosse zur Familie des anderen gehört, ist kaum zu bezweifeln 52 . Zur Begründung ihrer Standpunkte haben der Bundesgerichtshof und das OLG Stutt- 32 gart auf die Zielsetzung des § 181 Abs. 1 ZPO verwiesen. Sein Zweck sei es, eine möglichst zuverlässige Ersatzzustellung für den Fall zu eröffnen, daß der Adressat nicht selbst in der Wohnung angetroffen werde: Diese notwendige Sicherheit werde nur dann erreicht, wenn man an den rechtlichen Begriff der Familienzugehörigkeit anknüpfe. Für diesen Standpunkt spreche auch, daß diese Auslegung dem Zustellungsbeamten die Feststellung der Familienzugehörigkeit durch äußerlich erkennbare Kriterien erleichtere, was bei einem gewöhnlichen Zusammenleben ohne u. U. peinliche Befragungen über das Verhältnis des Adressaten zum (Ersatz)empfänger ausgeschlossen sei53. Richtig ist sicher, daß die beiden obergerichtlichen Entscheidungen den Vorstellungen 33 des seinerzeitigen Gesetzgebers entsprechen. Gleichwohl kann nicht geleugnet werden, daß diese mit den heutigen Auffassungen menschlichen Zusammenlebens nur schwer in Einklang zu bringen sind. Der 8. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs lehnt sie deshalb mit folgender Begründung ab: Schon der Wortlaut des § 181 Abs. 1 ZPO schließe nicht aus, auch den nichtehelichen Lebensgefährten als einen zur Familie gehörenden Hausgenossen anzusehen, wenn das Merkmal der Familienzugehörigkeit nicht im Sinn einer familienrechtlichen, sondern tatsächlichen Verbundenheit des Hausgenossen mit dem Zustellungsadressaten verstanden wird. Zwar sei der damalige Gesetzgeber von dem rechtlichen Familienbegriff ausgegangen, jedoch sei dabei zu berücksichtigen, daß das Zusammenleben mehrerer Personen im selben Haus, die nicht durch Ehe oder Verwandtschaft miteinander verbunden seien, ein seltener und daher nicht regelungsbedürftiger Sachverhalt gewesen sei. Eine ausschließlich an der Entstehungsgeschichte orientierte Auslegung des § 181 Abs. 1 ZPO könne daher den seit Inkrafttreten der ZPO gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen und veränderten Ansichten zu Lebensgemeinschaften nicht in erforderlichem Maße Rechnung tragen. Dem Merkmal der familienrechtlichen Verbundenheit sei keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen, zumal da Sinn und Zweck des § 181 Abs. 1 ZPO das nicht erfordere. Sein Ziel sei es, den Zugang zustellungsbedürftiger Schriftstücke durch Aushändigung an solche Personen zu ermöglichen, von denen nach der Lebenserfahrung zu erwarten sei, daß sie wegen ihres nach außen zum Ausdruck gebrachten Vertrauensverhältnisses zum Empfänger die Sendung diesem auch aushändigen werden. Darauf «
BVerwG DVB1. 1958 208; OLG Hamm JMB1NRW 1981 143 = MDR 1981 602; OLG München MDR 1986 162; OLG Schleswig SchlHA 1983 123; LG Hagen MDR 1968 765. so Α. A. OLG Celle FamRZ 1983 202. " A. A. FG Hamburg NJW 1985 512. 52 BFH NJW 1982 2895; BVerwG DVB1. 1958 208; (289)
"
OLG Hamm JMB1NRW 1981 143 = MDR 1981 602, OLG München MDR 1986 162; a . A . OVG Hamburg NJW 1988 1807; Scheid DGVZ 1983 70; Roth JZ 1990 r. Sp. Wegen Bedenken dagegen vgl. Wendisch NStZ 1987 471 1. Sp.; H-W Mayer/Rang NJW 1988 811; Scheid DGVGZ 1983 70; Roth JZ 1990 762 r. Sp.
Günter Wendisch
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komme es an; von geringerer Bedeutung sei die Frage, ob das Verhältnis eine familienrechtliche Grundlage habe. Entgegen der Ansicht des 1. Strafsenats könne nicht festgestellt werden, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht die gleiche Gewähr wie die rechtliche Familiengemeinschaft biete. Dieser Auffassung stehe auch die weitere Voraussetzung der leichten Erkennbarkeit der Zugehörigkeit nicht entgegen. Denn die dafür u. U. notwendige Befragung nach dem Beziehungsverhältnis unterscheide sich in beiden Fällen, soweit es auf die Zumutbarkeit einer solchen Befragung ankomme, kaum voneinander. 34 Leider sichert auch die begrüßenswerte Entscheidung noch keine einheitliche Auslegung des Begriffs Familie i. S. von § 181 Abs. 1 ZPO. Am einfachsten könnte sie der Gesetzgeber schaffen, und zwar entweder dadurch, daß sich der Kreis der Ersatzpersonen i. S. dieser Vorschrift allgemein auf mit der Familie zusammenlebende Hausgenossen erstreckt oder aber — wie es die Rechtsprechung beim Junggesellen getan hat — durch einen neuen Begriff der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Haushalt ersetzt wird54. 35 cc) Die Minderjährigkeit des unmittelbaren Zustellungsempfängers eines zur Familie des Angeklagten gehörenden Hausgenossen steht der Rechtswirksamkeit der Ersatzzustellung grundsätzlich nicht entgegen55, zumal da sich eine klare Grenzlinie zwischen erwachsenen und noch nicht erwachsenen Personen mangels irgendwelcher gesetzlicher Anhaltspunkte nicht ziehen läßt: Entscheidend ist daher die Auffassung und der Sprachgebrauch des täglichen Lebens56. Davon ist der Gesetzgeber bei Unterlassen einer näheren Bestimmung dieses Begriffs ersichtlich auch ausgegangen57. Erwachsen ist daher nicht gleichzusetzen mit volljährig58; es bedeutet: körperlich genügend entwickelt59. Gleichwohl wird man einen Elfjährigen60 oder Vierzehnjährigen61 regelmäßig noch nicht als erwachsenen Hausgenossen ansehen können, wohl aber schon einen Fünfzehnjährigen62. 36
dd) Dienende Person i. S. des § 181 Abs. 1 ZPO kann auch eine Verwandte sein, die regelmäßig für längere Zeit aus Gefälligkeit etwa zwei Stunden täglich im Haushalt des Zustellungsempfangers tätig ist63; die Lebensgefährtin ist keine dienende Person64. 37 ee) Hauswirt i. S. des § 181 Abs. 2 ZPO ist auch dessen Vertreter gegenüber den Mietern (Verwalter, Hauswart, Hausvertrauensmann bei Genossenschaften). Den Ehefrauen der Genannten kann — auch mit ihrer Einwilligung — nicht zugestellt werden65, es sei denn, daß sie, was die Regel sein wird, diese in ihrer Funktion vertreten. Vermieter ist auch, wer einer Hausangestellten aufgrund des Dienstverhältnisses Wohnung gewährt66. 38
c) § 182 ZPO. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt (§ 182 ZPO) ist nicht deshalb unwirksam, weil der verreiste Zustellungsempfänger vor der Abreise die Post beauftragt hatte, während seiner Abwesenheit eingehende Postsendungen an den Absender zurückgehen zu lassen67 oder an ihn unter der Reiseanschrift nachzusenden68. Unwirksamkeit der Ersatzzustellung liegt auch nicht vor, wenn der Postbeamte die Postsendung zufolge Änderung der Organisation des postalischen Zustellungswesens nicht bei dem für den Zustellungsempfänger nächsten, sondern bei einem dafür besonders eingerichteten zentralen Postamt niedergelegt hat69. 54
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Wendisch NStZ 1987 471 1. Sp. a. E.; ähnlich Roth JZ 1990 762 r. Sp. OLG Hamm NJW 1974 1150: 17jähriger Sohn; VGH Mannheim MDR 1978 519. Wieczorek2 ZPO § 181 Anm. Β III a 1; Baumbach/ Lauterbach ZPO § 181 Anm. 1 B. RGSt 47 375. BVerwG NJW 1962 70. BGH VersR 1973 156; OLG Hamm NJW 1974 1150. OLGSt § 37 StPO, 1.
61 OLG Schleswig SchlHA 1980 214. Μ BSG MDR 1977 22; a. A. OLG Hamm OLGSt § 37 StPO, 1. 63 OLG Hamm MDR 1982 516; RG JW 1937 1663. Μ BGHSt 34 250; H-W. Mayer/Rang NJW 1988 811. « RGRspr. 2 255. 66 RGSt 64 243. °5 OLG Hamm GA 1972 88 = VRS 42 (1972) 283.
Hans Dahs
§ 51 Anh.
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ben hat, trägt nicht die Staatskasse, sondern analog § 473 Abs. 1 der Angeklagte die notwendigen Auslagen des Zeugen (OLG Düsseldorf wistra 1994 77).
VII. Revision 33
Auf Rechtsverstöße in dem Verfahren, das die Ungehorsamsfolgen betrifft, kann die Revision nicht gestützt werden 106 . Auch das Unterlassen der Festsetzung eines Ordnungsgeldes oder der Ordnungshaft ist für den Angeklagten, da er hierdurch nicht beschwert ist, kein Revisionsgrund 107 . Die Revision kann aber darauf gestützt werden, daß das Gericht die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) verletzt hat, weil es nicht versucht hat, den ungehorsamen Zeugen zum Erscheinen zu zwingen (Kleinknecht/Meyer-Goßner 43 30).
VIII. Abgeordnete, Exterritoriale und Ausländer 34
Art. 46 Abs. 2 GG und die entsprechenden Bestimmungen der Länderverfassungen verbieten nicht die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung des Ordnungsgeldes (.Kleinknecht/Meyer-Goßner43 31). Das gilt auch für die Anordnung der Ordnungshaft und die Vorführung 108 . Nur die Vollstreckung der Haft und des Vorführungsbefehls bedarf der Genehmigung des Parlaments 109 (vgl. Erl. zu § 152 a).
35
Exterritoriale Personen sind den Ordnungsmaßnahmen des § 51 nicht unterworfen, weil sie nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterstehen (vgl. die Erläuterungen zu § 18 GVG). Auf sonstige Ausländer, die sich im Inland aufhalten, findet § 51 Anwendung, auf im Ausland befindliche Ausländer jedoch nur dann, wenn sie auf diese Weise ihrer Zeugenpflicht zu entgehen versuchen 110
Anhang zu § 51 Ordnungs- und Zwangsmittel (Art. 6 ff EGStGB) 1
Vorbemerkung. Allgemeine Vorschriften über Ordnungsstrafen und Ordnungshaft wurden erstmals durch Art. II und III Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über Vermögensstrafen und Bußen vom 6. 2. 1924 (RGBl. I 44) erlassen. Diese Verordnung ist durch Art. 287 Nr. 26 EGStGB aufgehoben worden. Nunmehr enthalten die Art. 6 bis 9 EGStGB ausführliche Bestimmungen über die Ordnungs- und Zwangsmittel. Solche Maßnahmen sind in zahlreichen Verfahrensvorschriften vorgesehen und zugelassen. Im Strafverfahren kommen die §§ 51, 70, 77, 81 c Abs. 6, § 95 Abs. 2, § 161 a Abs. 1 Satz 2 StPO, §§ 56, 187 GVG in Betracht. Durch die Benutzung der Worte Ordnungsgeld und Ordnungshaft wird klargestellt, daß es sich nicht um Kriminalstrafen handelt.
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Kleinknecht/Meyer-Goßner4'* 30; KMR-Paulus 52; Erläuterungen zu § 70. Vgl. RGSt 57 30; 59 250; 73 34, Kleinknecht/Meyer-Goßner4* 30. Eb. Schmidt 13; von Mangoldt/Klein Art. 46 GG, IV A; Maunz/DUrig/Herzog Art. 46 GG, 40; Kleinknecht/Meyer-Goßnern 31. Kleinknecht/Meyer-Goßner4* 31; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 5 a; Maunz/Dürig/Herzog Art. 46
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GG, 56; Bockelmann (Die Unverfügbarkeit von Abgeordneten) 60. OLG Hamburg MDR 1987 686; Kleinknecht/Meyer-Goßner4* 31; KK-Pelchen 24; KMR-AWmj 2; offengelassen bei OLG Düsseldorf MDR 1992 178; a. A SK-Rogall 11; auch in diesen Fällen keine Sanktionsbefugnis.
Stand: 1. 5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§ 51 Anh.
Art. 6 EGStGB Mindest- und Höchstmaß von Ordnungs- und Zwangsmitteln (1) 'Droht das Bundesgesetz Ordnungsgeld oder Zwangsgeld an, ohne dessen Mindest- oder Höchstmaß zu bestimmen, so beträgt das Mindestmaß fünf, das Höchstmaß tausend Deutsche Mark. 2 Droht das Landesgesetz Ordnungsgeld an, so gilt Satz 1 entsprechend. (2) 'Droht das Gesetz Ordnungshaft an, ohne das Mindest- oder Höchstmaß zu bestimmen, so beträgt das Mindestmaß einen Tag, das Höchstmaß sechs Wochen. 2 Die Ordnungshaft wird in diesem Fall nach Tagen bemessen. 1. Ordnungsgeld. Für die Bemessung des Ordnungsgeldes setzt Art. 6 Abs. 1 Satz 1 2 einen Mindestbetrag und einen Höchstbetrag für den Fall fest, daß die Vorschrift, die das Ordnungsgeld androht, keine abweichende Regelung trifft. Innerhalb dieses Rahmens bestehen keine Beschränkungen. Das Ordnungsgeld muß nicht unbedingt so festgesetzt werden, daß es durch fünf oder zehn teilbar ist; allerdings empfiehlt sich diese Art der Bemessung schon wegen der ersatzweise festzusetzenden Ordnungshaft. Die Bemessung des Ordnungsgeldes hängt im übrigen davon ab, welcher Ungehorsam mit ihm geahndet wird. Allgemeine Grundsätze lassen sich nicht aufstellen. (Für § 51 vgl. dort Rdn. 19). 2. Zwangsgeld wird in der Strafprozeßordnung nur in § 463 c (unter Bestimmung 3 eines Höchstbetrages) und im Gerichtsverfassungsgesetz gar nicht angedroht. 3. Ordnungshaft. Wenn nichts anderes bestimmt ist, beträgt sie mindestens einen Tag 4 und höchstens sechs Wochen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1); sie muß dann nach Tagen bemessen werden (Art. 6 Abs. 2 Satz 2). Ordnungshaft wird im Strafverfahren, ausgenommen § 178 GVG, nur für den Fall angedroht, daß das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann (§§ 51, 70 StPO). Diese Ersatzhaft ist schon in dem Ordnungsgeldbeschluß festzusetzen, nicht erst, wenn sich herausstellt, daß die Geldzahlung nicht zu erlangen ist. Die nachträgliche Festsetzung ist aber möglich (Art. 8 Abs. 1). Es empfiehlt sich, die Ersatzhaft so zu bemessen, daß ein Tag Haft mindestens fünf 5 DM entspricht; unbedingt geboten ist das allerdings nicht (vgl. BGHSt 16 300 für die Geldstrafe). In dem Ordnungsgeldbeschluß wird die Ersatzhaft üblicherweise mit ihrer gesamten Höhe bezeichnet (ζ. Β Ordnungsgeld von 500 DM, ersatzweise zehn Tage Ordnungshaft), einen Umrechnungsmaßstab für die Ersatzhaft braucht der Beschluß nicht zu enthalten (vgl. OLG Hamburg HESt 1 30 für die Geldstrafe). Ein solcher Umrechnungsmaßstab (ζ. Β ein Tag Ordnungshaft für jeweils 50 DM Ordnungsgeld) ist aber zulässig, sofern die Teilung des gesamten Ordnungsgeldes durch den als Maßstab angegebenen Betrag eine ohne Rest errechenbare Zahl von ganzen Tagen ergibt (vgl. BayObLGSt 1959 359). Ist das Ordnungsgeld nur teilweise uneinbringlich, so muß der getilgte Teil im Verhältnis zu dem uneinbringlichen Teil quotenmäßig berechnet werden (vgl. OLG Hamburg HESt 131 für die Geldstrafe). Entspricht der noch geschuldete Betrag nach dem Umrechnungsmaßstab der Ersatzhaft nicht einem Zeitraum von einem Tag, so bleibt der Bruchteil eines Tages für die Vollstreckung der Ersatzhaft außer Betracht (vgl. § 459 e Abs. 3 StPO für die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe). Die Vollstreckung der Ersatzhaft setzt voraus, daß das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann. Mehr als ein einziger Vollstreckungsversuch braucht aber nicht unternommen zu werden.
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Hans Dahs
§ 51 Anh.
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Art. 7 EGStGB Zahlungserleichterungen bei Ordnungsgeld (1) 'Ist dem Betroffenen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, das Ordnungsgeld sofort zu zahlen, so wird ihm eine Zahlungsfrist bewilligt oder gestattet, das Ordnungsgeld in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen. 2Dabei kann angeordnet werden, daß die Vergünstigung, das Ordnungsgeld in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen, entfällt, wenn der Betroffene einen Teilbetrag nicht rechtzeitig zahlt. (2) 'Nach Festsetzung des Ordnungsgeldes entscheidet über die Bewilligung von Zahlungserleichterungen nach Absatz 1 die Stelle, der die Vollstreckung des Ordnungsgeldes obliegt. 2Sie kann eine Entscheidung über Zahlungserleichterungen nachträglich ändern oder aufheben. 3Dabei darf sie von einer vorausgegangenen Entscheidung zum Nachteil des Betroffenen nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel abweichen. (3) 'Entfallt die Vergünstigung nach Absatz 1 Satz 2, das Ordnungsgeld in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen, so wird dies in den Akten vermerkt 21)cm Betroffenen kann erneut eine Zahlungserleichterung bewilligt werden. (4) Über Einwendungen gegen Anordnungen nach den Absätzen 2 und 3 entscheidet die Stelle, die das Ordnungsgeld festgesetzt hat, wenn einer anderen Stelle die Vollstreckung obliegt. 6
1. Zahlungserleichterungen. Art. 7 Abs. 1 sieht wie die gleichlautenden § 42 StGB, § 18 OWiG als Zahlungserleichterungen für das Ordnungsgeld, nicht aber für die dem Betroffenen auferlegten Kosten, die Stundung (Zahlungsfrist) und die Bewilligung von Teilzahlungen vor. In beiden Fällen ist die Vergünstigung so zu wählen, daß der Betroffene voraussichtlich in der Lage sein wird, das Ordnungsgeld in der erleichterten Weise zu zahlen 1 . Ob dazu die Stundung erforderlich ist oder ob die Bewilligung von Teilzahlungen genügt, hängt von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen ab.
7
Für die Zahlungsfrist besteht keine zeitliche Grenze. Das ergibt sich schon daraus, daß die Vollstreckungsverjährung ruht, solange die Frist läuft (Art. 9 Abs. 2 Nr. 3). Der Teilzahlungsklausel kann nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 eine Verfallklausel zugefügt werden; das empfiehlt sich, wenn Zweifel daran bestehen, daß der Betroffene die Ratenzahlungen einhalten wird. Die Vergünstigung entfallt dann bei Verzug, auch mit nur einer Rate, von selbst, ohne daß es einer besonderen Widerrufsentscheidung bedarf. Erforderlich ist lediglich ein Aktenvermerk, daß die Vergünstigung fortgefallen ist (Art. 7 Abs. 3 Satz 1). Der Vermerk hat nach außen keine Wirkung. Er soll lediglich sicherstellen, daß die Vollstrekkungsbehörde das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 prüft 2 . Der Ansicht, daß in dem Vermerk nicht nur das Ausbleiben der Rate, sondern auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen klargestellt werden müssen (so Rotberg § 18, 6), kann nicht zugestimmt werden. Denn wenn der Betroffene die Ladung zum Antritt der Ersatzhaft erhält, wird er seine wirtschaftlichen Verhältnisse von selbst darlegen, sofern er erneut eine Zahlungserleichterung erstrebt. Die Vollstreckungsbehörde kann sie erneut bewilligen (Art. 7 Abs. 3 Satz 2), insbesondere wenn der Betroffene seine unpünkliche Zahlung nachträglich entschuldigt. Sie darf auch die in dem Ordnungsgeldbeschluß gewährten Zahlungserleichterungen nachträglich ändern und aufheben (Art. 7 Abs. 2 Satz 2).
Tröndle,i § 42, 3.
2
Göhler 6; Rebmann/Roth/Herrmann § 18 OWiG.
Stand: 1 . 5 . 1998
7: beide zu
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Sechster Abschnitt. Z e u g e n
§ 51 Anh.
2. Bewilligung im Ordnungsgeldbeschluß. Die Vorschrift hat nur Bedeutung für den 8 Fall, daß bei der Bemessung des Ordnungsgeldes die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen hinter anderen Bemessungserwägungen zurückgestellt worden sind. Regelmäßig wird dazu kein Anlaß bestehen; die Bewilligung von Zahlungserleichterungen in dem Ordnungsstrafbeschluß wird daher kaum in Betracht kommen. Ist dem Betroffenen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, das Ordnungsgeld sofort zu zahlen, so können ihm in dem Ordnungsgeldbeschluß von Amts wegen oder auf Antrag Zahlungserleichterungen gewährt werden. Unzumutbar ist die Zahlung, wenn sie der Betroffene nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen selbst beim besten Willen nicht leisten könnte oder wenn er dazu zwar imstande wäre, dann aber die Erfüllung seiner Bedürfnisse oder Verpflichtungen in einer nicht zumutbaren Weise zurückstellen müßte ('Göhler § 18, 3). Wenn eine Zahlungserleichterung keinen Erfolg verspricht, weil nicht zu erwarten ist, daß der Betroffene in absehbarer Zeit überhaupt etwas zahlen wird, darf die Vergünstigung unterbleiben3. 3. Nachträgliche Bewilligung von Zahlungserleichterungen. Art. 7 Abs. 2 ent- 9 spricht § 459 a Abs. 1 und 2 StPO und § 93 Abs. 1 und 2 OWiG. Die Vorschrift sieht Zahlungserleichterungen nach Rechtskraft des Ordnungsgeldbeschlusses vor. Bis zur Rechtskraft ist die Stelle zuständig, die den Ordnungsgeldbeschluß erlassen hat (Göhler § 18, 4); sie kann Zahlungserleichterungen insbesondere im Wege der Abhilfe einer gegen den Beschluß eingelegten Beschwerde bewilligen. Nach Rechtskraft des Beschlusses ist die Vollstreckungsbehörde zuständig (Art. 7 Abs. 2 Satz 1), im Strafverfahren also regelmäßig die Staatsanwaltschaft (§ 36 Abs. 2 Satz 1 StPO), für die wie bei der Vollstreckung der Geldstrafe nach § 459 c StPO der Rechtspfleger tätig wird (§ 31 Abs. 2 und 4 RpflG), ausnahmsweise nach § 179 GVG der Vorsitzende des Gerichts, an dessen Stelle nach § 31 Abs. 3 RpflG ebenfalls der Rechtspfleger zuständig ist. Die Vollstreckungsbehörde ist nicht nur berechtigt, erstmals Zahlungserleichterungen 10 zu gewähren, sondern auch befugt, die Entscheidung des Gerichts in dem Ordnungsgeldbeschluß oder die Ordnungsgeldverfügung der Staatsanwaltschaft nachträglich zugunsten oder zuungunsten des Betroffenen zu ändern (Art. 7 Abs. 2 Satz 2). Zugunsten des Betroffenen darf von dem Ordnungsgeldbeschluß auch abgewichen werden, wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert haben, die Vollstreckungsbehörde Zahlungserleichterungen aber für angebracht oder vertretbar hält. Der Rechtspfleger sollte sich dabei aber keine besseren Beurteilungsmöglichkeiten zutrauen als das Gericht oder die Staatsanwaltschaft und daher nach § 31 Abs. 6 Satz 2 RpflG Weisungen einholen, wenn er von der gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Entscheidung abweichen will. Ist in einer vorausgegangenen Entscheidung des Gerichts oder der Vollstreckungsbehörde eine für den Betroffenen günstige Entscheidung getroffen worden, so darf die Vollstrekkungsbehörde hiervon zu seinem Nachteil nur abweichen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen (Art. 7 Abs. 2 Satz 3). Dabei muß es sich um Tatsachen oder Beweismittel handeln, die der zuvor entscheidenden Stelle noch nicht bekannt waren (Kleinknecht/Meyer-Goßner43 § 459 a, 5). Sie müssen allein oder in Verbindung mit den schon früher bekannten Tatsachen geeignet sein, die Grundlagen der früheren Entscheidung zu beseitigen 4 . Das wird etwa der Fall sein, wenn nachträglich bekannt wird, daß der Betroffene Nebeneinnahmen hat, wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse gebessert haben oder wenn er sich böswillig der Zahlung entzieht (vgl. Göhler § 93, 3).
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Vgl. BGHSt 13 356; Lackner § 42, 2; Göhler § 18, 1.
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Hans Dahs
Göhler § 18, 1; Rebmann/Roth/Herrmann berg 3; alle zu § 93 OWiG.
5; Rot-
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
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Eine erneute Aufforderung an den Betroffenen zur Zahlung oder Offenbarung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse setzt Art. 7 Abs. 2 vor der Entscheidung über Zahlungserleichterungen, deren Änderungen oder Wegfall nicht voraus. Praktisch wird die Entscheidung aber nicht ergehen können, bevor der Betroffene gemahnt worden ist und, falls er Zahlungserleichterungen begehrt, Gelegenheit hatte, die Gründe seiner Zahlungsunfähigkeit darzutun.
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4. Anfechtung. Wegen der Anfechtung des Ordnungsgeldbeschlusses, der Zahlungserleichterungen gewährt oder verweigert, vgl. die Erläuterungen zu den einzelnen Vorschriften, die Ordnungsmittel anordnen oder zulassen. Über die Einwendungen des Betroffenen gegen Maßnahmen des Rechtspflegers im Vollstreckungsverfahren entscheidet der Richter oder Staatsanwalt, an dessen Stelle der Rechtspfleger tätig geworden ist (§ 31 Abs. 6 Satz 1 RpflG). Vollstreckt die Staatsanwaltschaft nach § 36 Abs. 2 Satz 1 StPO gerichtliche Ordnungsgeldbeschlüsse, so können auch gegen ihre Entscheidungen Einwendungen erhoben werden; über sie entscheidet nach Art. 7 Abs. 4 das Gericht, das den Ordnungsgeldbeschluß erlassen hat. Hiergegen ist die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 und 2 StPO zulässig, sofern nicht das Oberlandesgericht entschieden hat (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO). Die weitere Beschwerde ist ausgeschlossen (§310 StPO). Wenn die Staatsanwaltschaft ihre eigenen Ordnungsgeldverfügungen vollstreckt, ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 161 a Abs. 3 StPO zulässig. Art. 8 EGStGB Nachträgliche Entscheidungen über die Ordnungshaft (1) 'Kann das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden und ist die Festsetzung der für diesen Fall vorgesehenen Ordnungshaft unterblieben, so wandelt das Gericht das Ordnungsgeld nachträglich in Ordnungshaft um. 2 Das Gericht entscheidet nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluß. (2) Das Gericht ordnet an, daß die Vollstreckung der Ordnungshaft, die an Stelle eines uneinbringlichen Ordnungsgeldes festgesetzt worden ist, unterbleibt, wenn die Vollstreckung für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre.
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1. Umwandlung des Ordnungsgeldes in Ordnungshaft (Absatz 1). Hier handelt es sich um eine spezialgesetzliche Regelung für den Fall der nachträglichen Umwandlung des Ordnungsgeldes in Ordnungshaft, die im Jahre 1974 in das Gesetz eingefügt worden ist. (Zum früheren Rechtszustand vgl. die 23. Aufl.). 14 Die nachträgliche Umwandlung ist ohne Rücksicht darauf zulässig, ob das Gericht die Festsetzung der Ersatzhaft bewußt oder nur versehentlich unterlassen hat. Es kommt nur darauf an, daß sie unterblieben ist (vgl. BTDrucks. 7 550 S. 203). Die Entscheidung trifft bei staatsanwaltschaftlichen Ordnungsgeldverfügungen das nach § 161 a Abs. 2 Satz 2 StPO zuständige Gericht, sonst das Gericht, das den Ordnungsgeldbeschluß erlassen hat, auch wenn es mit der Strafsache nicht mehr befaßt ist, ζ. Β weil das Verfahren gegen den Beschuldigten inzwischen eingestellt worden oder weil die Sache in einen höheren Rechtszug gelangt ist. Es ist dann nicht Aufgabe des Rechtsmittelgerichts, das Versäumnis des unteren Gerichts nachzuholen. Das Gericht ist auch nach Rechtskraft des Verfahrens noch zuständig; die Staatsanwaltschaft darf Ordnungshaft nicht festsetzen (vgl. § 161 a Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Entscheidung ergeht durch Beschluß nach Anhörung der Beteiligten (Art. 8 Abs. 1 Satz 2). Außer dem Betroffenen ist im Strafverfahren die Staatsanwaltschaft, nicht aber der Beschuldigte, gegen den das Ordnungsmittel nicht festgesetzt worden ist, beteiligt und zu hören. Gegen den Beschluß können der Betroffene Stand: 1.5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
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und die Staatsanwaltschaft nach § 304 Abs. 1 und 2 StPO Beschwerde einlegen, sofern sie nicht durch § 304 Abs. 3 oder 4 StPO ausgeschlossen ist. Das Rechtsmittel kann auf die Höhe der ersatzweisen Ordnungshaft beschränkt werden. Weitere Beschwerde ist ausgeschlossen (§ 310 StPO). 2. Wegfall der Vollstreckung der Ordnungshaft (Absatz 2). Die Vorschrift ent- 15 spricht § 459 f StPO. Sie schreibt zwingend vor, daß die Vollstreckung der Ersatzhaft unterbleiben muß, wenn sie für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn er unverschuldet außerstande ist, das Ordnungsgeld, auch bei äußerster Anstrengung oder mit den in Art. 7 Abs. 1 vorgesehenen Erleichterungen, zu zahlen. Hinzukommen muß vielmehr, daß mit der Vollstreckung eine außerhalb des Strafzwecks liegende Härte verbunden wäre (HK-Lemke 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 2; KMR-föw/ws 5, alle mit Nachw.). Der Wegfall der Vollstreckung ist ausgeschlossen, wenn eine ungünstige Täterprognose eine nachhaltige Einwirkung auf den Täter erfordert (HK-Lemke 2; Kleinknecht/Meyer-Goßneλ43 2; KMR-Paulus 5, alle mit Nachw.). Ein Antrag ist nicht erforderlich, wird aber regelmäßig gestellt werden müssen, weil sonst nicht beurteilt werden kann, ob die Vergünstigung geboten erscheint. Den Antrag können die Staatsanwaltschaft und der Betroffene stellen. Der Betroffene muß die Umstände, die die unbillige Härte begründen, glaubhaft machen. Das Gericht kann Ermittlungen anstellen. Zuständig für die Anordnung nach Art. 8 Abs. 2 ist das Gericht, das den Ordnungsgeldbeschluß erlassen oder die Haft nach § 161 a Abs. 2 Satz 2 StPO festgesetzt hat, gleichgültig, welches Gericht zur Zeit der Entscheidung mit der Strafsache befaßt ist. Die Anordnung erfolgt durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft ist vor der Entscheidung zu hören (§ 33 Abs. 2 StPO), wenn der Antrag nicht von ihr selbst stammt. Lehnt das Gericht den Antrag ab, so ist hiergegen die Beschwerde zulässig (vgl. oben Rdn. 14). Die gerichtliche Anordnung bringt das Vollstreckungsverfahren endgültig zum Abschluß, bedeutet aber keinen Verzicht auf das Ordnungsgeld. Innerhalb der Verjährungsfrist kann die Vollstreckung daher wieder aufgekommen werden, wenn bekannt wird, daß sich die Verhältnisse des Betroffenen so gebessert haben, daß die Zahlung von ihm verlangt werden kann (.Kleinknecht/Meyer-Goßnef43 § 459 f, 3).
Art. 9 EGStGB Verjährung von Ordnungsmitteln (1) 'Die Verjährung schließt die Festsetzung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft aus. 2 Die Verjährungsfrist beträgt, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, zwei Jahre. 3 Die Verjährung beginnt, sobald die Handlung beendet ist. 4 Die Verjährung ruht, solange nach dem Gesetz das Verfahren zur Festsetzung des Ordnungsgeldes nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann. (2) 'Die Verjährung schließt auch die Vollstreckung des Ordnungsgeldes und der Ordnungshaft aus. 2 Die Verjährungsfrist beträgt zwei Jahre. 3 Die Verjährung beginnt, sobald das Ordnungsmittel vollstreckbar ist. 4 Die Verjährung ruht, solange 1. nach dem Gesetz die Vollstreckung nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann, 2. die Vollstreckung ausgesetzt ist oder 3. eine Zahlungserleichterung bewilligt ist. 1. Allgemeines. Die Verjährung der Festsetzung und Vollstreckung von Ordnungsmit- 16 teln war bis 1975 gesetzlich nicht bestimmt. (Zum früheren Rechtszustand vgl. die 23. (55)
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Erstes B u c h . A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n
Aufl.). Nunmehr regelt Art. 9 in Anlehnung an die §§ 78 ff StGB, §§ 431 ff OWiG die Verjährung. 2. Verjährung der Festsetzung 17
a) Dauer der Verjährungsfrist. Die Verjährungsfrist beträgt nach Art. 9 Abs. 1 Satz 2, soweit das Gesetz im Einzelfall nichts anderes bestimmt, zwei Jahre. Eine Unterbrechung der Verjährung sieht das Gesetz nicht vor. Für die Fristberechnung gilt nicht § 43 StPO, sondern § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB. Die Frist endet daher mit dem Beginn des ihrem Anfang entsprechenden Kalendertages, bei Fristbeginn am 1. April also am 31. März (vgl. Tröndle48 § 78 a, 12 mit Nachw.).
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b) Beginn der Verjährungsfrist. Die Frist beginnt wie nach § 78 a Satz 1 StGB, § 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG, sobald die Handlung beendet ist (Art. 9 Abs. 1 Satz 3). Im Fall des § 178 GVG ist daher der Verhandlungstag maßgebend, an dem die Ungebühr begangen worden ist. Bei der Weigerung, staatsbürgerliche Pflichten zu erfüllen (§§ 51, 70, 81 c Abs. 6, § 95 Abs. 2, § 161 a Abs. 2 Satz 1 StPO, § 56 GVG), beginnt die Frist wie bei den echten Unterlassungsdelikten des sachlichen Rechts grundsätzlich erst, wenn die Pflicht zum Handeln entfällt 5 . Beim Nichterscheinen (§ 51 StPO, § 56 GVG) und bei der Zeugnis- und Eidesverweigerung (§ 70 StPO) ist jedoch nur der Tag der Verhandlung maßgebend, in der der Zeuge ausgeblieben ist oder nicht ausgesagt oder geschworen hat; denn nur der Ungehorsam an diesem Tag wird mit den Ordnungsmitteln geahndet. In dem Fall des § 81 c Abs. 6 StPO wird die Festsetzung von Ordnungsgeld nach längerem Zeitablauf nicht in Frage kommen, so daß Verjährungsfragen nicht entstehen können. Bei der Weigerung, Beweismittel herauszugeben (§ 95 Abs. 2 StPO), beginnt die Verjährung an dem Tag, an dem die Herausgabepflicht erfüllt wird oder entfällt (vgl. Erl. zu § 95).
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c) Ruhen der Verjährung. Nach Art. 9 Abs. 1 Satz 4 ruht die Verjährung, solange nach dem Gesetz das Festsetzungsverfahren nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann. Die Vorschrift entspricht wörtlich den § 78 b Abs. 1 Satz 1 StGB, § 32 Abs. 1 Satz 1 OWiG. Da ein Ruhen der Verjährung im Verfahren zur Festsetzung von Ordnungsmitteln kaum eintreten wird, kann hier auf die Kommentare zu diesen Vorschriften verwiesen werden. 3. Verjährung der Vollstreckung
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a) Dauer und Beginn der Verjährungsfrist. Bei der Vollstreckungsverjährung beträgt die Frist nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 ebenfalls zwei Jahre. Wegen der Berechnung vgl. oben Rdn. 17. Die Verjährung beginnt, sobald das Ordnungsmittel vollstreckbar ist (Art. 9 Abs. 2 Satz 3). Im Gegensatz zu den Vorschriften der § 79 Abs. 6 StGB, § 34 Abs. 1 OWiG kommt es auf die Rechtskraft der Entscheidung grundsätzlich nicht an. Da eine Beschwerde gegen den Ordnungsgeldbeschluß dessen Vollstreckung nicht hemmt (§ 307 Abs. 1 StPO), beginnt die Vollstreckungsverjährung mithin an dem Tag, an dem der Beschluß erlassen wird. Eine Ausnahme gilt nur, wenn Ordnungsmittel nach § 180 GVG außerhalb der Sitzung festgesetzt worden sind. Für diesen Fall schreibt § 181 Abs. 2 GVG ausdrücklich die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vor. Die Vollstreckbarkeit beginnt dann erst mit der Rechtskraft des Beschlusses, d. h. mit dem Tag, an dem der
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Vgl. RGSt 9 157; 65 362; BayObLGSt 1956 239; 1962 302; OLG Hamm NJW 1968 1249; VRS 31 (1966) 312; 36 29; OLG Saarbrücken JB1. Saar
1964 33; OLG Stuttgart VRS 33 (1967) 273; Tröndle« § 78, 8.
Stand: 1. 5. 1 9 9 8
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Beschwerdebeschluß erlassen worden ist, oder, wenn keine Beschwerde eingelegt wird, nach Ablauf von einer Woche seit Verkündung oder Zustellung des Beschlusses 6 . b) Ruhen der Verjährung. Nach Art. 9 Abs. 2 Satz 4, der den § 79 a StGB, § 34 21 Abs. 4 OWiG nachgebildet ist, ruht die Verjährung nicht nur, wie bei der Festsetzung von Ordnungsmitteln (oben Rdn. 19), wenn die Vollstreckung nach dem Gesetz nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann, sondern auch, wenn die Vollstreckung (im Gnadenwege) ausgesetzt oder eine Zahlungserleichterung nach Art. 7, also eine Zahlungsfrist oder Teilzahlungen, bewilligt worden ist.
§ 5 2
(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt 1. der Verlobte des Beschuldigten; 2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht; 3. wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war. (2) 'Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. 2 Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht. (3) 'Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. 2Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen. Schrifttum. Baier Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der Strafprozeßordnung als Ergänzung der §§ 52 ff StPO (1996); Baumann u. a. Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte (1996); Bienwald Betreuungsgesetz (1992); Bosch Grundfragen des Beweisrechts (1963); Brenner Versäumte Vernehmungs-Belehrung und die Folgen, Deutsche Polizei 1976 18; Buchwald Die berechtigte Zeugnisverweigerung als Gegenstand freier Beweiswürdigung? SJZ 1949 360; Busch Zum Zeugnis- und Untersuchungsverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten, FS Eb. Schmidt 569; Dahs/Langkeit Demontage des Zeugnisverweigerungrechts? StV 1992 492; Danzer Das Recht der Zeugnisverweigerung im Strafprozeß, Diss. Würzburg 1930; Fischer Die Fortwirkung von Zeugnisverweigerungsrecht nach Verfahrenstrennung, JZ 1992 570; Füllkrug Der Verlobte im Strafprozeß, StV 1986 37; Gössel Kritische Bemerkung zum gegenwärtigen Stand der Lehre von den Beweisverboten im Strafverfahren, NJW 1981 649; von Godin Die berechtigte Zeugnisverweigerung als Gegenstand freier Beweiswürdigung? SJZ 1949 657; Gossrau Unterlassen der Zeugenbelehrung als Revisionsgrund, MDR 1958 468; Η. P. Hauser Das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren, Diss. Basel 1957; Himmelreich Auflage eines Fahrtenbuches unter besonderer Berücksichtigung des Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechtes, NJW 1975 1199; Hoffmann Zum Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen eines Verstorbenen, MDR 1990 112; Karitzky Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, Diss. Heidelberg 1959; Kohlhaas Wie weit darf bei der 6
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Vgl. Pohlmann/Jabel
§ 88, 3.
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§52
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Verwertung des Verhaltens einer zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Auskunftsperson gegangen werden? JR 1955 43; Kroth Die Belehrung des Beschuldigten im Strafverfahren über sein Recht, die Aussage zu verweigern, Diss. München 1976; Kühl Freie Beweiswürdigung des Schweigens des Angeklagten und der Untersuchungsverweigerung eines angehörigen Zeugen - BGHSt 32 140, JuS 1986 115; Leipold Zulässige Einwirkung und Belehrung von Zeugen durch den Verteidiger, StraFo. 1998 79; Lindenau Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, RpflBl. 1988 74; Mehner Die Vernehmung von Verhörspersonen im deutschen Strafprozeß (1975); Meier-Scherling Die eheähnliche Lebensgemeinschaft, DRiZ 1979 296; Meuthien Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, Diss. Hamburg 1954; Michaelis Zum Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren, NJW 1969 730; Nagel Das Zeugnisverweigerungsrecht in der DDR, JR 1977 500; Orlowsky Die Weigerungsrechte der minderjährigen Beweisperson im Strafprozeß, Diss. Tübingen 1973; Otto Das Zeugnisverweigerungsrecht des Angehörigen (§ 52 StPO) im Verfahren gegen mehrere Beschuldigte, NStZ 1991 220; Peters Die Strafprozeßordnung und das Zeugnisverweigerungsrecht, das Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot, Strafrechtlicher Schutz der Informationsquellen (1975); Petry Beweisverbote im Strafprozeß (1971); Plonka Das Fahrtenbuch und das Zeugnisverweigerungsrecht, DNP 1979 173; Prittwitz Das Zeugnisverweigerungsrecht des Angehörigen und seine Wirkung für Mitbeschuldigte, NStZ 1986 64; Proskauer Die Bewertung der Zeugnisverweigerung eines Angehörigen im Strafprozeß, NJW 1953 49; Rengier Die Zeugnisverweigerung im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht (1979); Rengier Grundlegende Verwertungsprobleme, Jura 1981 299; Richter 11 Aussageverweigerungsrechte von Zeugen als Bestandteil der Verteidigungsstrategie, StraFo. 1990 87; Roestel Das Kind als Zeuge im Strafverfahren gegen einen Angehörigen, SchlHA 1967 161; Roestel Das Zeugnisverweigerungsrecht des Kindes im Strafverfahren gegen einen Angehörigen, NJW 1967 967; Rogall Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977); Rogall Gegenwärtiger Stand und Entwicklungstendenzen der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91 (1979) 36; Schaub Zur Strafverfahrensproblematik bei minderjährigen Zeugen und Beschuldigten aus vormundschaftlicher Sicht, FamRZ 1966 134; Schimansky Der Ausschluß des nicht beschuldigten Elternteils nach § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO, FS Pfeiffer 297; P. Schmitt Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte nach §§ 52, 53 StPO bei den auf Beweisgewinnung gerichteten Zwangsmaßnahmen, Diss. Bonn 1993; H.-W. Schmitz Tatgeschehen, Zeugen und Polizei. Zur Rekonstruktion und Beschreibung des Tathergangs in polizeilichen Zeugenvernehmungen, BKA-Forschungsreihe Bd. 9 (1978); Schneider Beweisverwertungsverbot der Zeugnisverweigerung eines Angehörigen gegen den Angeklagten, JuS 1970 271; Schneider Die strafprozessuale Beweiswürdigung des Schweigens von Beschuldigten und angehörigen Zeugen, Jura 1990 572; Schoene Das Zeugnisverweigerungsrecht des Kindes und das gesetzliche Vertretungsrecht der Eltern, NJW 1972 930; Schöneborn Das Problem der Rollenvertauschung und das Zeugnisverweigerungsrecht bei mehreren Beschuldigten in vergleichender Betrachtung, ZStW 86 (1974) 921; Schöneborn Zeugnisverweigerung bei mehreren Mitbeschuldigten und Rechtskreistheorie, NJW 1974 535; Schöneborn Beweisverbotsproblematik der §§ 52 Abs. 2, 55 Abs. 2 StPO im Lichte des § 68 Abs. 2 StPO, MDR 1974 457; Schubarth Neue Formen der Lebensgemeinschaft und ihre Auswirkungen auf das Zeugnisverweigerungsrecht, FS Hinderling (1976) 231; Seelmann Revision wegen des Unterlassens der Belehrung über das Recht zur Aussageverweigerung - BGHSt 25, 325 - , JuS 1976 157; Skwirblies Nichteheliche Lebensgemeinschaft und Angehörigenbegriff im Straf- und Strafprozeßrecht (1990); Spelthahn Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten (1997); Thien Zeugenvernehmung im Ausland. Zur Problematik der Verwertbarkeit im deutschen Prozeß, Diss. Köln 1979; Vetter Probleme des Zeugnisverweigerungsrechtes, Diss. Zürich 1954; Wach Das Recht der Zeugnisverweigerung, GerS 66 (1905) 1; von Weber Die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes im Strafprozeß durch einen Stellvertreter, MDR 1962 169; Weinmann Die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen des Beschuldigten bei Zeugnisverweigerungsberechtigten - Rückschau und Ausblick, FS Dünnebier 199; de Witt/Huffmann Nichteheliche Lebensgemeinschaft (1983); Zottmann Das Zeugnisverweigerungsrecht in den deutschen Verfahrensgesetzen, Diss. Erlangen 1960.
Entstehungsgeschichte. Bis 1924 wurde das Zeugnisverweigerungsrecht für Angehörige unter § 51 geführt. Absatz 2 lautete ursprünglich: „Die bezeichneten Personen sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zur Verweigerung des Zeugnisses zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen." Durch Stand: 1.5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§ 5 2
Art. 1 Nr. 13 des 1. StVRG wurden an seiner Stelle die Absätze 2 und 3 eingefügt. Durch Art. 7 Nr. 3 AdoptG wurden in Absatz 1 Nr. 3 die Worte „oder durch Aufnahme an Kindes Statt verbunden" gestrichen und der letzte Satzteil („auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht") durch die Worte „oder war" ersetzt. Eine erneute Änderung erfuhr Absatz 2 durch Art. 7 § 19 des Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz — BtG) vom 12. 9. 1990, wobei Satz 1 der Terminologie des BtG — „Betreuung" statt „Entmündigung" — angepaßt wurde. Die hier verwendeten Begriffe sind im wesentlichen auf die Ausführungen der sog. Nomenklatur-Kommission der sog. Psychiatrie-Enquete (BTDrucks. 7 4201) zurückzuführen. Bezeichnung bis 1924: § 51. Übersicht I. Allgemeines II. Zeugnisverweigerungsrecht 1. Weigerangsberechtigte a) Allgemeines b) Verlobte c) Ehegatten d) Verwandte e) Verschwägerte f) Durch Adoption verbundene Personen g) Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts auf weitere Personen . 2. Voraussetzungen des Weigerungsrechts a) Beziehungen zu dem Beschuldigten b) Beziehungen zu einem von mehreren Beschuldigten 3. Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts a) Allgemeines b) Zeugen ohne ausreichende Verstandesreife oder -kraft 4. Verzicht auf das Weigerungsrecht . . . 5. Widerruf der Erklärungen
Rdn. 1
4 5 9 10 12 14 17 lg 20
23 26 34
a) Verzicht auf das Weigerungsrecht b) Zeugnisverweigerung 6. Folgen der Zeugnisverweigerung a) Wegfall des Beweismittels . . . . b) Wegfall des Beweisantragsrechts . c) Beweiswürdigung III. Belehrung 1. Allgemeines 2. Zu belehrende Personen 3. Person des Belehrenden 4. Zeitpunkt 5. Art der Belehrung 6. Wiederholung 7. Protokoll 8. Heilung des Unterlassens
Rdn. 35 36 39 41 42 45 46 47 48 49 51 52 53
IV. Verwertungsverbot bei unterlassener Belehrung V. Revision 1. Unterlassene Belehrung 2. Unrichtige Belehrung 3. Unterlassene Einholung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters . . .
54 55 56 57
Alphabelische Übersicht Anhörung, informatorische Auskunftsperson Auslandsehe Beanstandung Behinderte Belehrung, Nachholung Belehrungsvordruck eheähnliche Beziehung Ehescheidung Enkel Erscheinenspflicht Freundschaft Geschwisterkinder gleichgeschlechtliche Partnerschaft (59)
Rdn. 3 3 9 50 26, 29, 46 47,48 52 9 6 13 24 17 10 17
Großeltem in dubio pro reo Indizwirkung Irrtum Konflikt Konfliktlage Lebensbeziehung, andere Mindeij ährige Nebenkläger nichteheliche Lebensgemeinschaft Nottrauung Pflegeeltern Pflegekinder
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Rdn. 13 8 42 34,41,49, 56 54 1 1 27,28 18 17 9 4, 16 4, 16
§52 Privatkläger Protokoll Psychische Beeinträchtigung Rechtskreistheorie Reflexwirkung Rückschlüsse Sachverständige Scheinehe Sinti-Ehe Stiefkinder Teilaussage
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rdn. 18 45,52 29 54 23 42 f. 47 9 9 10 36,42,43
Urgroßeltern Verfahrensriige Vertretung Verwertungsverbot Widerruf Zeitpunkt der Erklärung Zeugnisverweigerung, Verpflichtung zur Zusammenhang, prozessualer Zwangslage
Rdn. 10, 13 44 23 39 f., 54 35, 36, 37, 38, 39 24 1,2 22 1
I. Allgemeines 1
Die Zeugnisverweigerungsrechte nach den §§52 bis 53 a sind Ausnahmen von der grundsätzlichen Pflicht des Zeugen, vor Gericht (vgl. Vor 48, 6) und Staatsanwaltschaft (§ 161 a Abs. 1 Satz 1) auszusagen; wobei die §§ 53, 54 bei fehlender Aussagegenehmigung streng genommen keine VerweigerungsrecÄte sind, da Zeugen in diesen Fällen zur Zeugnisverweigerung verpflichtet sind (Fezer 15/2), wenn sie zu dem in § 203 StGB genannten Personenkreis gehören. Sie schließen die Anwendung der in § 70 bezeichneten Ordnungsmittel und Beugemaßnahmen zur Erzwingung des Zeugnisses aus. § 52 berücksichtigt die Zwangslage eines Zeugen, der verpflichtet ist, bei seiner Vernehmung die Wahrheit zu sagen, aber befürchten muß, dadurch einen seiner Angehörigen zu schädigen 1 . Darüber hinaus führt der Bundesgerichtshof (BGHSt 11 216; 38 99) zusätzlich den Familienfrieden an. In diesem Fall läßt das Gesetz das öffentliche Interesse an möglichst unbehinderter Strafverfolgung hinter das persönliche Interesse des Zeugen zurücktreten, nicht gegen einen Angehörigen aussagen zu müssen 2 . Das Zeugnisverweigerungsrecht besteht aber allgemein, nicht nur für belastende Aussagen 3 . Dabei genügt es, daß eine Konfliktlage objektiv vorliegt. Ob der Zeuge den Widerstreit empfindet, ist ohne Bedeutung 4 . § 52 ist daher auch auf Zeugen anzuwenden, die wegen Fehlens der Verstandesreife oder -kraft keine Vorstellung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts haben (§ 52 Abs. 2). Die Vorschrift dient aber nur dem Schutz des Zeugen und seiner familienrechtlichen Beziehungen zu dem Angeklagten (zur Anwendung auf andere Lebensbeziehung Rdn. 17); sie bezweckt nicht den Schutz der Wahrheitsfindung 5 oder des Angeklagten vor der Verwertung eines „konfliktbehafteten" und daher in seinem Wert vielleicht fragwürdigen Beweismittels 6 ; sie ist auch nicht aus dem nemo-tenetur-Grundsatz abzuleiten 7 . Das Zeugnisverweigerungsrecht besteht daher auch, wenn der Zeuge auf Antrag des 1
BGHSt 2 354; 11 217; 17 327; 22 36; BGH NJW 1961 1484; BGH bei Daliinger MDR 1966 384; RGSt 9 39; 12 145; 40 47; SO 20; 62 144; 68 277; Kleinknecht/Meyer-Goßneζ43 1; Hoffmann MDR 1990 112; weiter Rengier 8 ff: Schutz der ganzen Familie. 2 BGHSt 3 152, 216; 12 239 - GSSt. 3 BGHSt 38 100; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 1; R. Hauser 180; mißverständlich RGSt 55 20. 4 BGHSt 12 239; BGH NJW 1981 2825; Eb. Schmidt Nachtr. I 5 und JR 1959 369; Henkel 207, 2; Busch FS Schmidt 570; Orlowsky 46. 5 KK-Pelchen 1; SK-Rogall Vor 48, 140; a. Α Rengier 11, 56 ff; siehe auch AK-Kühne 1; Ranft 99.
« BGHSt 11 215 - GSSt; 22 37 f; 27 142; Schöneborn MDR 1974 457; a. Α noch BGHSt 10 394; Eb. Schmidt 1 und JZ 1958 600; Busch JZ 1953 703; Gossrau MDR 1958 468; Michaelis NJW 1969 730; Niese JZ 1953 223; Orlowsky 180; Wegner JW 1925 370; vgl. auch Grünwald JZ 1966 497. 7 Rengier 11 f; Schmitt 45 ff, 67; a. A Petry 45 ff; SK-Rogall Vor 48, 140 f, der die ratio des § 52 nicht im Schutz der familienrechtlichen Beziehung sieht - sog. institutionelle objektiv-rechtliche Sicht, sondern von einer subjektiven Rechtsgewährung an den Zeugen ausgeht und § 52 als eine Ausformulierung des nemo-tenetur-Prinzips versteht.
Stand: 1. 5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§52 8
Beschuldigten vernommen werden soll, dessen Angehöriger er ist . Der Beschuldigte kann auf die Beachtung des § 52 nicht wirksam verzichten. Der Angehörige darf die Aussage zur Sache, nicht jedoch die Angaben zur Person 2 nach § 68 Satz 1, vor Gericht in allen Verfahrensabschnitten, vor der Staatsanwaltschaft (§ 161 a Abs. 1 Satz 2) und vor der Polizei (vgl. § 163 a Abs. 5) ohne Angaben von Gründen (unten Rdn. 24) verweigern. Das gilt auch, wenn er selbst den nach dem Gesetz erforderlichen Strafantrag gestellt oder die Strafanzeige erstattet hat (R. Hauser 179). Solange er die Weigerung nicht erklärt hat, ist er ein zulässiges Beweismittel; er muß vor Gericht erscheinen9, und die Prozeßbeteiligten können seine Vernehmung beantragen10. Verpflichtet zur Zeugnisverweigerung ist er aber nicht. Wenn er aussagt, verletzt er damit nicht die Rechte der Prozeßbeteiligten". Der Zeuge, der auf sein Recht nach § 52 verzichtet, ist aber berechtigt, wenigstens die Beeidigung des Zeugnisses zu verweigern (§ 63). Die Vorschrift des § 52 wird ergänzt durch § 81 c Abs. 3 für Untersuchungen und Blutprobenentnahmen und durch § 97 Abs. 1 Nr. 1 für die Beschlagnahme von schriftlichen Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und dem zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen. Sie gilt nach § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren. Das Zeugnisverweigerungsrecht haben nur Zeugen. Auch wer zuvor nur als „Aus- 3 kunftsperson" oder „informatorisch" (vgl. § 59, 5) gehört wurde, ist Zeuge. Stehen Mitbeschuldigte in einem Angehörigenverhältnis, so steht ihnen nicht deshalb das Recht zu, Angaben zur Sache zu verweigern (BGHSt 3 149)12. Da sie aber ohnehin als Beschuldigte nicht zur Aussage verpflichtet sind (§ 136, 21 ff), ist die Frage rechtlich nicht von besonderer Bedeutung. Fuchs (NJW 1959 14) hält die Entscheidung BGHSt 3 149 deshalb für bedenklich, weil nach seiner Ansicht aus dem Schweigen des Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen werden dürfen; das trifft aber nicht zu (§ 136, 26 f)· II. Zeugnisverweigerungsrecht 1. Weigerungsberechtigte a) Allgemeines. Zur Verweigerung des Zeugnisses sind nach § 52 die Angehörigen 4 des Beschuldigten berechtigt. Der strafprozessuale Angehörigenbegriff stimmt mit dem des Strafgesetzbuchs (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB) nicht überein. Er ist teils enger, weil Pflegeeltern und Pflegekinder zwar nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchst, c StGB, nicht aber nach § 52 Abs. 1 zu den Angehörigen zählen (unten Rdn. 16), teils weiter, weil Verwandte der Seitenlinie bis zum dritten Grad nach § 52 Abs. 1 zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind, aber nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchst, a StGB nur Geschwister, nicht Geschwisterkinder, als Angehörige gelten. Für die Entstehung eines Zeugnisverweigerungsrechts kommt es beim Verlöbnis darauf an, ob dieses im Zeitpunkt der Vernehmung besteht, bei Ehe und Schwägerschaft nur darauf, ob sie irgendwann einmal bestanden haben oder noch bestehen. Der Zeitpunkt der Wahrnehmung des zu bekundenden Ereignisses ist demgegenüber nicht entscheidend (Ranft 507 f)· b) Verlobte. Bei dem Zeugnisverweigerungsrecht der Verlobten ist auf die besonderen 5 Bedürfnisse der Strafrechtspflege abzustellen; das Verlöbnis muß nicht nach bürger-
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RGSt 20 187; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 1; Eb. Schmidt 1; G. Schäfer § 65 II 1 a; Schlüchler 484. Kleinknecht/Meyer-Goßner» 2; Eb. Schmidt Nachtr. I Vor § 52, 13; vgl. auch § 5 1 , 5 . RGSt 40 345; Eb. Schmidt Nachtr. I Vor 52, 15; Alsberg/Nüse/Meyer 453.
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Vgl. RGSt 48 270; 71 21; RG JW 1936 3009; Eb. Schmidt Nachtr. I Vor 52, 11. Ebenso Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 5; Schutz NJW 1959 975.
§ 5 2
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
lich-rechtlichen Maßstäben gültig sein 13 . Auch das Eheversprechen eines Minderjährigen ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters berechtigt daher zur Zeugnisverweigerung 14 . Im übrigen erfordert das Verlöbnis im Sinne der Strafprozeßordnung ebensowenig wie das nach bürgerlichem Recht 15 die Beobachtung bestimmter äußerer Förmlichkeiten 16 . Insbesondere wird die Bekanntmachung des Eheversprechens nicht gefordert 17 . Ein Eheversprechen, das von einer Bedingung abhängig gemacht ist, begründet kein Verlöbnis 18 . 6
Ein wirksames Verlöbnis setzt ein gegenseitiges Eheversprechen voraus; ein bloßes Liebesverhältnis genügt nicht 19 . Das Eheversprechen muß von beiden Seiten ernst gemeint sein 20 . Unwirksam ist daher das Eheversprechen eines Heiratsschwindlers 21 . Das Eheversprechen darf auch nicht gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßen 22 . Gegen die guten Sitten verstößt es bei noch bestehendem anderweitigen Verlöbnis 23 und insbesondere bei noch bestehender Ehe 24 . Aus Gründen der Rechtssicherheit und im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG ist eine Ausnahme auch nicht für den Fall anzunehmen, daß die Scheidung zwar bereits betrieben wird, eventuell sogar im ersten Rechtszug geschieden wurde (LG Nürnberg-Fürth MDR 1956 605), aber noch kein rechtskräftiges Scheidungsurteil ergangen ist 25 . Ob die Rspr. in Zukunft Ausnahmen von diesem Grundsatz anerkennen wird, ist offen 26 . Ein Ehehindernis für die künftige Ehe macht das Verlöbnis nicht unwirksam 27 .
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Das Verlöbnis berechtigt nur dann zur Zeugnisverweigerung, wenn es noch zur Zeit der Vernehmung besteht; daß es zur Tatzeit bestanden hat, ist weder erforderlich noch ausreichend 28 . Ob es zur Zeit der Tat oder einer früheren Vernehmung bestanden hat, ist unerheblich. Mit der Auflösung des Verlöbnisses entfällt daher das Zeugnisverweige13 RGSt 10 119; 24 156; 35 49; 38 243; RGRspr. 6 50, 54; OLG Düsseldorf DRiZ 1934 Nr. 357; Eb. Schmidt 12. 14 BGH LM Nr. 25 zu § 222 StGB; RGSt 38 242; Eb. Schmidt 12; Peters 292. •5 Dazu BGH FamRZ 1961 362; RGZ 61 272. 16 RGSt 10 117; RG JW 1893 48 1; RG GA 40 (1892) 152; 56 (1909) 318. " BGH NJW 1972 1334; RGRspr. 9 130; RG JW 1928 3047; Eb. Schmidt 12; Dalcke/Fuhrmann/ Schäfer 4. 18 RG GA 49 (1903) 266; K M R - f t i u / i « 9; Dalcke/ Fuhrmann/Schäfer 4; a. Α RG GA 40 (1892) 152. 19 RGSt 24 156; 35 49; RGRspr. 2 182; RG JW 1928 3047. 20 BGHSt 3 216 f; 29 57; BGH NStZ 1986 84; NJW 1972 1334; RGSt 24 156; 35 49; 75 290; RG DR 1941 1451 L; RG Recht 1921 Nr. 2487 a; OLG Hamburg LZ 1928 511; OLG Koblenz NJW 1958 2028; allg. Meinung im Schrifttum, ζ. Β KMRPaulus 9; KK-Pelchen 10. 21 BGHSt 3 215; BGH wistra 1989, 57; RG HRR 1939 1070; OLG Düsseldorf DRiZ 1934 Nr. 357; HK-Lemke 11; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 4; KMR-Paulus 9; KK-Pelchen 10; Pfeiffer/Fischer 2; Eb. Schmidt Nachtr. I 2; a. Α Bruns MDR 1953 458. 22 BGH VRS 36 (1969) 22; RGSt 10 117; 38 243; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 4; KMR-Paulus 9; Eb. Schmidt 12. " RGSt 71 154; RGZ 105 245; Kleinknecht/MeyerGoßner^i 4; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 4.
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BGH NStZ 1983 564 mit Anm. Pelchen; VRS 36 (1969) 22; BGH NJW 1987 2807; RGSt 14 7; 24 155; 53 215; 61 270; 75 290; RGRspr. 6 53; RG Recht 1921 Nr. 2471, 2487 a; OLG Karlsruhe Justiz 1967 289; Kleinknecht/Meyer-Goßner4; K M R - / W « j 9; Erman Vor § 1297 BGB, 15; Palandt/Diederichsen V o r § 1297 BGB 1; krit. Beulke 191, der nur auf die psychische Konfliktsituation der Zeugen abstellt.
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BGH NStZ 1983 564 mit Anm. Pelchen; OLG Celle MDR 1983 1045; BayObLG NJW 1983 831 = JR 1984 125 mit krit. Anm. Strätz; KK-Pelchen 10, Kleinknecht/Meyer-Goßner43 4; Eb. Schmidt II 12; a. Α LG Duisburg NJW 1950 714 bei schwerwiegenden Trennungsgründen; LG Heidelberg StV 1981 616; KMR-Paulus 9; Füllkrug StV 1986 37, der jedoch eine dreijährige Trennung verlangt. 26 Nicht ausgeschlossen in BGH NStZ 1983 564; offengelassen bei BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 1 Verlobte 1; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986 206. 27 Vgl. RGSt 40 420; RG GA 56 (1909) 318; KK-Pelchen 10; KMR-Paulus 9; Eb. Schmidt 12. Μ BGHSt 23 17; RG JW 1894 539; RG Recht 1930 Nr. 479; OGHSt. 2 173; KK Welchen 12; KMRPaulus 9; Pfeiffer/Fischer 2; Eb. Schmidt 12; Dalkke/Fuhrmann/Schäfer 4. 29 BGHSt 23 17; BGH bei Dallinger MDR 1954 336; RGSt 31 142; 71 154; Kleinknecht/Meyer-Goßnet^ 4; KK-Pelchen 12; KMK-Paulus 9; Eb. Schmidt 12.
Stand; 1. 5. 1998
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rungsrecht . Die Auflösung tritt bereits ein, wenn einer der Verlobten den Heiratsentschluß aufgibt, auch wenn er das dem anderen nicht erkennbar macht 30 . Behauptet der Zeuge, mit dem Beschuldigten verlobt zu sein, so hat der Richter nach 8 pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden, ob tatsächlich ein Verlöbnis vorliegt31. Auf die Meinung des Zeugen kommt es nicht an 32 . Das Gericht darf von den Angaben des Zeugen als richtig ausgehen, wenn niemand widerspricht 33 , kann aber auch eine Glaubhaftmachung nach § 56 verlangen 34 . Das ist vor allem dann geboten, wenn das Gericht Zweifel an den Angaben des Zeugen hat 35 . Die Maxime „in dubio pro reo" findet keine Anwendung (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 354). Im Urteil brauchen ausdrückliche Feststellungen über das Bestehen des Verlöbnisses nicht getroffen zu werden; ihr Fehlen begründet daher nicht die Revision 36 . c) Ehegatten. Voraussetzung des Zeugnisverweigerungsrechts ist, daß im Zeitpunkt 9 der Vernehmung, nicht notwendig schon bei Begehung der Tat (Kleinknecht/MeyerGoßner43 5), eine im Inland wirksam geschlossene oder eine im Ausland geschlossene, nach dem Recht der Bundesrepublik als gültig anzuerkennende Ehe besteht 37 oder daß sie früher bestanden hat 38 . Ob Nichtigkeits- oder Auflösungsgründe vorliegen, ist ohne Bedeutung 39 ; dies gilt auch für eine nur zum Schein geschlossene Ehe (BayObLG NStZ 1990 187). Das Zeugnisverweigerungsrecht bleibt bestehen, auch wenn die Ehe geschieden 40 , für nichtig erklärt41 oder aufgelöst ist. Nur wenn eine formgültige Ehe überhaupt nie bestanden hat, ζ. Β Nichtehe oder Eheschließung nach „Sinti-Art" (BVerfG NStZ 1993 349 zu § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO), besteht kein Recht zur Zeugnisverweigerung (zu beachten ist aber das Gesetz über die Anerkennung von Nottrauungen vom 2. 12. 1950, BGBl. I 778). In diesem Fall ist zu prüfen, ob ein Verlöbnis vorliegt; auch daran fehlt es aber, wenn der Wille, im Inland eine rechtswirksame Ehe zu schließen, nicht festgestellt werden kann 42 . Zur eheähnlichen Beziehung vgl. unten Rdn. 17. d) Verwandte. Nach Art. 51 EGBGB ist die Vorschrift des § 1589 BGB maßgebend 10 (BGHSt 9 38). In gerader Linie verwandt sind danach Personen, deren eine von der anderen abstammt — Eltern, Kinder, Stiefkinder (BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 2). Nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 gilt das Zeugnisverweigerungsrecht für alle in dieser Weise Verwandten ohne Rücksicht auf den Grad ihrer Verwandtschaft. Zeugnisverweigerungsberechtigt sind daher ζ. Β auch Urgroßeltern und Urenkel. In der Seitenlinie verwandt sind nach § 1589 Satz 2 BGB Personen, die von derselben dritten Person abstammen, in erster Hinsicht also Geschwister. Nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 haben aber nur die in der Seitenlinie bis zum dritten Grad Verwandten das Zeugnisverweigerungsrecht. Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten (§ 1589 Satz 3 BGB). Zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind demnach nur voll- oder halbbür30
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BGHSt 3 215; RGSt 75 290; OLG Koblenz NJW 1958 2027; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 4; a. A RGSt 71 154; OLG Kiel DStR 193 7 62. RG JW 1934 3206 mit Anm. Fraeb; OGHSt 2 173. RGSt 14 7; RGRspr. 2 182; 6 52; RG GA 40 (1892) 152; 49 (1903) 266; vgl. auch BGH NStZ 1986 34. BGH NJW 1972 1334; OGHSt 2 174; Kleinknecht/ Meyer-Goßner» 4; KK-Pelchen 13; Eb. Schmidt 12. BGH NJW 1972 1334; bei Spiegel DAR 1977 178; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 205; OGHSt 2 173; vgl aber BGH NStZ 1986 84; siehe auch §56,2. BGH aaO; KK-Pelchen 13; KMR-Paulus 10, der in der Regel die Glaubhaftmachung verlangt.
» OGHSt 2 174; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 4. KK-Pelchen 14; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 5. Dies gilt auch in Beziehung auf - abgetrennte Mitangeklagte und frühere Mitbeschuldigte: BGH bei Miebach NStZ 1990 226. 39 BGHSt 9 38; RGSt 18 42; 41 114; 56 427; Kleinknecht/Meyer-Goßner*3 5; KK-Pelchen 14; KMRPaulus § 22, 9; Eb. Schmidt 13. 40 BGHSt 29 1; 30 196; 36 199; RGSt 47 287; RG Recht 1925 Nr. 2113; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 5. 4 ' BGHSt 9 37; RGSt 47 287; RG GA 54 (1907) 294; KK-Pelchen 14; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 5; Eb. Schmidt Nachtr. I 3. 42 RG HRR 1930 1896. 37
38
Hans Dahs
§52
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n
tige Geschwister (BGH StV 1988 89) und Geschwisterkinder (Neffen, Nichten) im Verfahren gegen die eigenen Geschwister oder die Geschwister ihrer Eltern (und umgekehrt), nicht aber Geschwisterkinder (Vettern, Basen) im Verfahren gegen eines von ihnen. 11 Für nichteheliche Kinder bestehen nach der Aufhebung des § 1589 Abs. 2 BGB durch das Gesetz vom 19. 8. 1969 (BGBl. I 1243) keine Besonderheiten. Sie sind im Verfahren gegen ihren Vater und dessen Verwandte zur Zeugnisverweigerung berechtigt; dasselbe gilt im umgekehrten Fall. Trotz blutsmäßiger Abstammung ist jedoch ein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich des Vaters vor bürgerlich-rechtlicher Feststellung der — nichtehelichen — Vaterschaft zu verneinen (BVerfG U v. 08. 02. 1990 — 2 BvR 1796/89 —). Mehrere nichteheliche Kinder derselben Mutter und desselben Erzeugers sind vollbürtige Geschwister 43 . Änderungen können sich durch das am 1.7. 1998 in Kraft tretende Kindschaftsreformgesetz ergeben, durch das die nichtehelichen Kinder den ehelichen gleichgestellt werden. 12
e) Verschwägerte. Maßgebend ist nach Art. 51 EGBGB die Vorschrift des § 1590 BGB 44 . Verschwägert sind demnach die Verwandten eines Ehegatten mit dem anderen Ehegatten (§ 1590 Abs. 1 Satz 1 BGB). Voraussetzung ist eine gültige Eheschließung 45 ; Schwägerschaft wird aber auch durch eine anfechtbare oder nichtige Ehe begründet 46 . Das Zeugnisverweigerungsrecht besteht auch, wenn die Schwägerschaft erst nach Begehung der Tat begründet worden ist, zu der der Zeuge aussagen soll. Ferner kommt es für das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 ebensowenig wie nach § 1590 Abs. 2 BGB darauf an, ob die die Schwägerschaft begründende Ehe noch besteht. Aus welchen Gründen sie weggefallen ist, spielt keine Rolle 47 . Das an Kindes Statt angenommene minderjährige Kind ist mit dem Ehegatten des Annehmenden verschwägert (bei gemeinschaftlicher Annahme durch beide Ehegatten entsteht ein Verwandtschaftsverhältnis), nicht aber der als Volljähriger Angenommene (§ 1770 Abs. 1 Satz 2 BGB) (Rdn. 14). Endet das Annahmeverhältnis durch Auflösung, so bleibt das Zeugnisverweigerungsrecht auch gegenüber den Verschwägerten bestehen.
13
Die Schwägerschaft begründet nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 das Zeugnisverweigerungsrecht nur, wenn sie in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum zweiten Grad besteht. Der Ehegatte des Beschuldigten hat daher ein Zeugnisverweigerungsrecht im Hinblick auf dessen Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, nicht von ihm stammende Kinder, Enkel, Urenkel (und umgekehrt). In der Seitenlinie sind nur die Geschwister des Ehegatten des Beschuldigten verweigerungsberechtigt 48 , also Schwager und Schwägerin (und umgekehrt), nicht aber deren Kinder. Das zwischen dem Ehegatten und dem Ehegatten des Blutsverwandten, ζ. Β zwischen den Ehemännern zweier Schwestern, bestehende Verhältnis begründet keine Schwägerschaft 49 .
14
f) Durch Adoption verbundene Personen. Aufgrund des AdoptG vom 2. 7. 1976 erlangt das angenommene minderjährige Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des oder der Annehmenden (§ 1754 BGB). Dementsprechend haben die als Minderjährige angenommenen Kinder gegenüber den Annehmenden und deren Verwandten das Zeugnisverweigerungsrecht in demselben Umfang wie eheliche Kinder (Rdn. 10). Sind Volljährige als Kind angenommen worden, so haben sie ebenfalls gegenüber den Annehmenden das Zeugnisverweigerungsrecht wie eheliche Kinder (§§ 1767 Abs. 2, 41 44
« 46
Palandt/Diederichsen § 1589,3. BGHSt 9 38; RGSt 41 114. RGSt 60 248. RGSt 41 113; BGHSt 9 3 8 .
47
48 49
BGHSt 9 37; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 7; YMR-Paulus § 22, 12; Eb. Schmidt Nachtr. I 3. RG GA 51 (1904) 47. RGSt 15 78; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 7; KMR-Λικ/κ.ϊ § 22, 12; Eb. Schmidt 14.
Stand: 1. 5. 1 9 9 8
(«)
Sechster Abschnitt. Zeugen
§ 5 2
1754 BGB). Im Verfahren gegen die Verwandten des Annehmenden besteht jedoch kein Zeugnisverweigerungsrecht, da sich die Wirkungen der Annahme auf diese Personen nicht erstrecken (§ 1770 Abs. 1 Satz 2 BGB). Anders ist es, wenn das Vormundschaftsgericht nach § 1772 BGB bestimmt hat, daß sich die Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften der §§ 1754 bis 1756 BGB richten. Entsprechendes gilt für das Zeugnisverweigerungsrecht der Annehmenden und ihrer Verwandten im Verfahren gegen das angenommene Kind. Das Zeugnisverweigerungsrecht bleibt nach Aufhebung des Annahmeverhältnisses bestehen. Gegenüber den bisherigen Verwandten behalten die als Kind Angenommenen trotz der 15 in § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmten Auflösung des Verwandtschaftsverhältnisses das Zeugnisverweigerungsrecht. Das gleiche gilt für die Abkömmlinge der als Kind Angenommenen, die bereits bei der Begründung des Annahmeverhältnisses geboren waren. Die später geborenen Abkömmlinge waren mit den früheren Verwandten des als Kind Angenommenen niemals verwandt; für sie besteht daher insoweit kein Zeugnisverweigerungsrecht. In den Sonderfällen des § 1755 Abs. 2 BGB (Annahme des nichtehelichen Kindes eines Ehegatten durch den anderen Ehegatten), § 1756 Abs. 1 BGB (Verwandtschaft oder Schwägerschaft zwischen Annehmenden und Kind) und § 1756 Abs. 2 BGB (Annahme des ehelichen Kindes des Ehegatten, dessen frühere Ehe durch Tod aufgelöst ist, durch den anderen Ehegatten) tritt das Erlöschen des Verwandtschaftsverhältnisses nur im Verhältnis zu einem Teil der Verwandten ein. In diesem Umfang haben auch die Abkömmlinge des als Kind Angenommenen gegenüber dessen Verwandten das Zeugnisverweigerungsrecht. Dies alles gilt entsprechend für das Zeugnisverweigerungsrecht der bisherigen Verwandten des als Kind Angenommenen und ihre Abkömmlinge in einem gegen diese Person gerichteten Strafverfahren. Das Verhältnis zwischen Pflegekindern und Pflegeeltern steht dem Adoptionsverhält- 16 nis nicht gleich und begründet daher kein Zeugnisverweigerungsrecht 50 . g) Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts auf weitere Personen 51 . In Zeiten 17 neuer Lebensformen stellt sich die Frage, ob der Schutzbereich des § 52 wirklich nur familienrechtlich legalisierte Beziehungen erfassen muß oder auf andere Verhältnisse vergleichbarer persönlicher Nähe mit besonderen Gewissenskonflikten (ζ. Β nichteheliche Lebensgemeinschaften, gleichgeschlechtliche Partnerschaften) auszudehnen ist, wofür gewichtige Gründe angeführt werden 52 . Indes ist zu beachten, daß die Zeugnisverweigerungsrechte in einem Spannungsverhältnis zu dem verfassungsrechtlichen Gebot (Art. 20 Abs. 3 GG) der Gewährleistung einer effektiven Strafrechtspflege, dem Gebot umfassender richterlicher Sachaufklärung und der Praktikabilität der strafprozessualen Beweisaufnahme stehen. Der Gesetzgeber hat deshalb aus gutem Grund die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen mit den jeweils die Weigerung rechtfertigenden Gründen in der Form eines numerus clausus in den §§ 52 ff zusammengefaßt und in Anknüpfung an formalisierende Rechtsakte und Strukturen genau umschrieben und abgegrenzt. Die danach maßgebenden prozessualen Kriterien sind für die Gerichte leicht feststellbar (mit Ausnahme des heute ohnehin seltenen Verlöbnisses) und werfen in der Regel auch keine Auslegungsprobleme auf. Die Fassung der gesetzlichen Vorschriften gibt für eine analoge Anwendung keinen Ansatzpunkt. Daß ζ. Β eine enge Freundschaft bei einer Vernehmung als Zeuge zu weitaus größeren Gewissenskonflikten führen kann, als eine (seit Jahrzehnten) nicht mehr bestehende Ehe, ist auch dem historischen Gesetzgeber bekannt gewesen. Von verfassungsrechtlich anerkannten Einzelfällen abgesehen (vgl. Vor 48, 9) 50
51 («)
Kleinknecht/Meyer-Goßnet41 9; K M R - f t j u / ι « § 22, 1 2 ; Eb. Schmidt 14. Dazu demn. K K - S e n g e 1 1 ; HYL-Lemke 1 1 , 1 4 .
52
Hans Dahs
D R i Z 1979 N S t Z 1 9 9 5 35. Meyer-Scherling 236; Skwirblies Nichteheliche LebensgemeinSchaft (1990).
Hauf
§ 52
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
muß daher eine Ausdehnung auf vergleichbare personale Beziehungen dem Gesetzgeber überlassen bleiben 53 , der dazu aufgerufen ist, die Anpassung überkommener Rechtsvorschriften an (erheblich) geänderte Lebensverhältnisse zu prüfen. 2. Voraussetzungen des Weigerungsrechts 18
a) Beziehungen zu dem Beschuldigten. Ein Zeugnisverweigerungsrecht haben nach § 52 nur die Angehörigen des Beschuldigten. Gleichartige Beziehungen zu anderen Prozeßbeteiligten, insbesondere zum Privatkläger und zum Nebenkläger, sind ohne Bedeutung 54 . Wenn allerdings der Privatkläger infolge einer Widerklage zugleich Angeklagter ist, besteht das Zeugnisverweigerungsrecht auch für seine Angehörigen 55 . 19 Beschuldigter ist nur der Tatverdächtige, gegen den zur Zeit der Vernehmung des Zeugen wenigstens schon ein Ermittlungsverfahren betrieben wird 56 . b) Beziehungen zu einem von mehreren Beschuldigten 20
aa) Einheitliche Tat. Wenn das Verfahren gegen mehrere Beschuldigte gerichtet ist und der Zeuge nur zu einem von ihnen in einem Angehörigenverhältnis nach § 52 Abs. 1 steht, ist er zur Verweigerung des Zeugnisses hinsichtlich aller Beschuldigten berechtigt, sofern der Sachverhalt, zu dem er aussagen soll, auch seinen Angehörigen betrifft 57 . Das Zeugnisverweigerungsrecht ist dann nicht teilbar. Es besteht auch in solchen Fällen, in denen das Verfahren gegen den Angehörigen abgetrennt 58 , nach § 170 Abs. 2 59 oder § 205 60 eingestellt worden ist. Für den Fall der Einstellung nach §§ 153 ff kann nichts anderes gelten. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes 61 , die sich von der seit dem Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen Ansicht distanziert, erlischt es jedoch, wenn der Mitbeschuldigte, dessen Angehöriger der Zeuge ist, bereits verstorben 62 , rechtskräftig verurteilt 63 , rechtskräftig freigesprochen 64 ist 65 . Die gegen die 53
Abi. auch Pelchen FS Pfeiffer 287, 295; Eisenberg (Beweisrecht) 1244; vgl. auch Kleinknecht/MeyerGofiner4' 5; a. Α KK-Paulus 9 für nichteheliche Lebensgemeinschaften; Meier-Scherling DRiZ 1979 299; Skwirblies 201 ff. 54 Kleinknecht/Meyer-Goßner^ 10; KMR-Paulus 3; Eb. Schmidt 11. 55 BayObLG JW 1927 1495 L; DRiZ 1927 Nr. 77; Kleinknecht/Meyer-Goßne^ 10; Eb. Schmidt 11. 6 5 BGHSt 38 228; RGSt 16 154; 27 314; 32 73; KK-Pelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner10; Eb. Schmidt 4; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 5; Rogall NJTW 1978 2537; vgl. § 136,4. 5 7 BGHSt 7 194; BGH NStZ 1978 280; 1982 389; 1984 176; 1987 287 mit Anm. Pelchen; NJW 1986 2121; StV 1988 89; wistra 1989 308; bei Holtz MDR 1979 953; MDR 1987 249; RGSt 3 161; RGRspr. 5 239, 599; 10 59; RG JW 1925 370 mit Anm. Wegner, RG JW 1928 2247 mit Anm. Oetken RG GA 38 (1891) 343; 68 (1920) 352; BayObLG DRiZ 1927 Nr. 77; Ä. Hauser 136 ff; Schöneborn NJW 1974 536; Kleinknecht/Meyer-Goßner** 11; KMR-Paulus 5 ff; KK-Pelchen 6 ff; Pfeiffer/ Fischer 5; a. A Beling 306 und JW 1925 1002; Fuchs NJW 1959 17 ff; Otto NStZ 1991 220. 58
BGH bei Daliinger MDR 1973 902; bei Holtz MDR 1978 280; MDR 1979 953; BGH bei Pfeiffer/ Miebach NStZ 1988 18; RGSt 27 272; RG JW
1896 493; Schöneborn ZStW 86 (1974) 921 und NJW 1974 535; a. Α Fischer JZ 1992 570; vgl. auch BGH StV 1988 185. 59 BGH bei Holtz MDR 1979 953; 1978 280; NJW 1980 67; NStZ 1984 176; StV 1988 89; BGH U. v. 2 . 5 . 1 9 8 9 - 1 StR 1997/89. 60 BGHSt 27 139. 61 BGHSt 38 96; NStZ 1992 = JR 1993 213 mit im wesentlichen rust. Anm. Gollwitzer = JuS 1992 706 mit Anm. Hassemer, NJW 1993 2326; StV 1992 1. 62 Zur früh. Rspr. BGH bei Holtz MDR 1978 280; MDR 1979 953; BGH bei Pfeiffer NStZ 1982 188; BGH NStZ 1984 405; StV 1981 117; RGSt 33 350; 48 359; RG Recht 1922 Nr. 1030; KMR-Paulus 8; Eb. Schmidt 8. « Zur früh. Rspr. BGH bei Holtz MDR 1978 280; BGHSt 38 96; RGSt 1 207; 27 272; RGRspr. 5 809; 10 59; RG JW 1925 1001 mit abl. Anm. Beling; RG Recht 1930 Nr. 2139; OLG Hamm NJW 1959 1277. 64 Zur früh. Rspr. RG JW 1932 2730 mit Anm. Jonas; RG HRR 1933 262; BGH NStZ 93 500; Dalcke/ Fuhrmann/Schäfer 5. 65 Zust. Kleinknecht/Meyer-Goßnet43 11; Grünwald (Beweisrecht) 24; Dokumentation Widmaier NStZ 1992 200.
Stand: 1.5. 1998
(66)
Sechster Abschnitt. Zeugen
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neue Rechtsprechung geäußerten Bedenken bei Dahs/Langkeit, StV 1992 492 ff, bestehen fort (vgl. auch Beulke 192). Ausreichend, aber auch stets erforderlich (vgl. unten Rdn. 21) ist, daß früher einmal in irgendeinem Verfahrensabschnitt, wenn auch nur im Ermittlungsverfahren, ein gegen die mehreren Beschuldigten gerichtetes zusammenhängendes einheitliches Strafverfahren bestanden hat 66 . Daß das Verfahren gegen die anderen Beschuldigten vor verschiedenen Gerichten, insbesondere vor Gerichten verschiedener Ordnung fortgesetzt wird, spielt keine Rolle 67 . bb) Mehrere sachlich unabhängige Straffalle. Umfaßt das gegen mehrere Beschul- 21 digte gerichtete Verfahren mehrere sachlich voneinander unabhängige Straffälle und soll der Zeuge auch oder nur zu einem Fall vernommen werden, an dem sein Angehöriger nicht beteiligt ist, so hat er insoweit kein Zeugnisverweigerungsrecht (BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 5). Denn durch eine Trennung der verbundenen Sachen könnte es ohne weiteres beseitigt werden 68 . Sachlich voneinander unabhängig sind zwei Straffälle immer dann, wenn jede Beziehung der den einen Fall betreffenden Aussage auf den anderen und jede Verwertung bei der Urteilsfindung ausgeschlossen ist69. Entscheidend ist, ob eine einheitliche Tat in dem verfahrensrechtlichen Sinn des § 264 vorliegt, ob es sich also um dasselbe geschichtliche Ereignis handelt 70 . Hehlerei 71 , Begünstigung und Strafvereitelung (Eb. Schmidt 10) und alle Teilnahmeformen wie Beihilfe und Anstiftung 72 sind im Verhältnis zu der Haupttat unselbständig 73 . Im Privatklageverfahren kann die Frage des Zeugnisverweigerungsrechts für Klage und Widerklage nicht getrennt behandelt werden 74 . cc) Nicht verbundene Strafverfahren. Das Zeugnisverweigerungsrecht besteht nicht 22 schon deshalb, weil der Angehörige des Zeugen die Tat gemeinschaftlich mit dem Beschuldigten begangen hat, in dessen Verfahren er als Zeuge aussagen soll. Denn es kommt nicht auf die Teilnahme an ein und derselben Straftat an, sondern auf die Einleitung eines einheitlichen Verfahrens gegen die mehreren Beschuldigten. Angehörige und Angeklagte müssen — und sei es nur im Ermittlungsverfahren und vorübergehend — „förmlich" Mitbeschuldigte gewesen sein 75 . Im Ermittlungsverfahren kann der prozessuale Zusammenhang allerdings nur durch eine ausdrückliche Entscheidung der Staatsanwaltschaft begründet werden 76 . Allein die Gleichzeitigkeit der Ermittlungen vermag den prozessualen Zusammenhang nicht zu begründen 77 . Wird gegen den Angehörigen des Zeugen überhaupt kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, so hat der Zeuge in dem Verfah66
BGHSt 32 29; 34 138; BGH NStZ 1984 176; 1985 419; bei Pfeiffer NStZ 1982 188; 1982 389; NJW 1974 758; 1980 67; bei Haitz MDR 1978 280; vgl. auch BGH StV 1982 557; RGSt 32 73; 3 3 350; RG JW 1900 709; 1925 369 mit Anm. Löwenstein·, RG GA 49 (1903) 281; OLG Hamm Recht 1899 Nr. 25; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 11; KMRPaulus 6; KK-Pelchen 6; Dalcke/Fuhrmann/Schä/ e r 5; von Gerlach JR 1969 150; a. A RGSt 27 312; RG GA 45 (1897) 366. 67 RGSt 27 272. 68 RGSt 16 154; 27 272; RGRspr. 5 239; 10 24, 59; RG GA 38 (1891) 343; 45 (1897) 286; Kleinknecht/Meyer-Goßner12; KMK-Paulus 6; KKPelchen 8; Eb. Schmidt 9; Dalcke/Fuhrmannn/ Schäfer 5. » BGH StV 1984 1; RG GA 68 (1920) 352. 70 BGH NStZ 1984 177; NJW 1974 758; RG GA 45 (1897) 286; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 12; KMR-Paulus 8. (67)
7
' RGRspr. S 239; RG GA 38 (1891) 343; 68 (1920) 352; Kleinknechl/Meyer-Goßner*> 12. RG JW 1928 2247 mit Anm. Oetker, Kleinknecht/ Meyer-Goßnef 12. 73 KK-Pelchen 8; KMR-Pau/us 6. 74 BayObLG JW 1927 1495 L; DRiZ 1927 Nr. 77; Kleinknecht/Meyer-Goßner^ 12; KMR-Pau/ui 2; Eb. Schmidt 11. 75 BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 8; BGHSt 32 25 ff; 34 138, 215 f = EzSt Nr. 8 mit abl. Anm. Moschüring; BGH wistra 1989 308; a. A Prittwitz NStZ 1986 64. 76 BGHSt 34 215; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 11; a. Α Rengier StV 1988 465. 77 BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 8; BGHSt 34 138, 141; BGH NStZ 1985 419; 1987 83; krit. Pelchen NStZ 1987 287. 72
Hans Dahs
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
ren gegen den Mittäter daher kein Zeugnisverweigerungsrecht 78 . Das gleiche gilt, wenn das Ermittlungsverfahren gegen den Mittäter erst eingeleitet wird, nachdem das gegen den Angehörigen schon rechtskräftig abgeschlossen war 79 . Werden also gegen Teilnehmer an derselben Tat selbständige Verfahren geführt, so haben die Verwandtschaftsverhältnisse der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Art keine Bedeutung, wenn die Vernehmung in einem nicht gegen den Angehörigen gerichteten Verfahren stattfindet 80 . 3. Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts 23
a) Allgemeines. Das Recht, das Zeugnis zu verweigern, ist ein höchstpersönliches Recht 81 , auf dessen Ausübung die Verfahrensbeteiligten keinen Anspruch haben (oben Rdn. 2). Es dient nur den persönlichen Belangen des Zeugen, wenn es auch Reflexwirkungen zugunsten des Angeklagten hat (BGHSt 27 142); diese haben aber keine Rechtsqualität. Eine Vertretung im Willen ist ausgeschlossen (BGH bei Holtz MDR 1979 989). Auch der minderjährige Zeuge übt das Zeugnisverweigerungsrecht selbständig aus, wenn er nicht verstandesunreif im Sinne des § 52 Abs. 2 ist; seine gesetzlichen Vertreter wirken nicht mit (Kleinknecht/Meyer-Goßner 43 14J; das folgt aus einem Umkehrschluß aus § 52 Abs. 2. Die Aussage kann ganz oder teilweise und in jedem Verfahrensstadium verweigert werden 82 . Der Zeuge darf aber, wenn er sich zur Aussage bereit erklärt, nicht wahrheitswidrig aussagen, er wisse nichts 83 , und er darf nicht einfach wesentliche Tatsachen verschweigen (KK-Pelchen 2). Wenn er sich nicht der Bestrafung nach den §§ 153 ff StGB aussetzen will, muß er vorher eindeutig erklären, daß er über bestimmte Tatsachen keine Auskunft geben wolle (vgl. BGHSt 7 127).
24
Die Zeugnisverweigerung kann schon vor dem Vernehmungstermin nach Erhalt der Ladung erklärt werden. Die Pflicht zum Erscheinen wird dadurch aber nicht beseitigt (§51, 5). Von dem Recht auf Zeugnisverweigerung kann der Zeuge auch noch während der Vernehmung Gebrauch machen. Über die Gründe für seine Weigerung braucht er keine Auskunft zu geben 84 ; insbesondere muß er nicht erklären, ob er die Aussage zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten verweigert 85 . Der Richter darf ihn nach seinen Beweggründen nicht fragen 86 . Stellt ein Prozeßbeteiligter solche Fragen, so sind sie nach § 241 Abs. 2 als ungeeignet zurückzuweisen 87 . Die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 kann aber dazu zwingen, einen Zeugen, der schriftlich erklärt hat, er mache von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, vor Gericht zu laden, um ihn darüber zu belehren, daß seine Ansicht, die Verweigerung schließe die Verwertung der früher gemachten Aussage völlig aus, auf Rechtsirrtum beruht 88 .
25
Die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts bedeutet nur, daß der Zeuge es ablehnt, Aussagen zur Sache zu machen, d. h. zu dem gesamten historischen Ereignis, das Gegenstand der angeklagten Tat ist (BGH NStZ 1983 564). Das schließt nicht aus, daß er bereit ist, in anderer Weise bei der Sachaufklärung mitzuwirken, etwa durch seine bloße 78
RGSt 27 312; vgl. Rdn. 18 ff. RGSt 32 72; RG LZ 1971 1361. 80 BGHSt 7 194; BGH StV 1982 557; BGH NJW 1974 758; RGSt 1 207; 27 270; RG GA 46 (1898/ 99) 322; 49 (1903) 281; KK-Pelchen 7; KMR-ftju· lus 6; Eb. Schmidt 8; Schöneborn ZStW 86 (1974) 931. 8> BGHSt 21 305; HK-Lemke 21; Kleinknecht/MeyerGoßner·» 14; Orlowsky 60; Roestel NJW 1967 967. 82 Vgl. RGSt 48 271; KMR-Paulus Vor 48, 83; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 11. 83 KMR-Paulus Vor 48, 84; Beling 307. 79
84
BGH NJW 1980 794; JR 1981 432 mit Anm. Hanack; StV 1983 353; NJW 1984 136; RG JW 1930 926 mit Anm. Alsberg·, Kleinknecht/MeyerGoßner« 16. 85 OLG Frankfurt StV 1982 65; Kleinknecht/MeyerGoßner4316. 86 BGHSt 6 279; OLG Frankfurt StV 1982 68; NStZ 1989 440; Kleinknecht/Meyer-Goßner 16; Kohlhaas JR 1955 43; Proskauer NJW 1953 50. 87 Vgl. RG JW 1930 926 mit Anm. Alsberg. 88 BGHSt 21 12 = NJW 1966 742 mit Anm. Seydel·, OLG Hamm MDR 1973 427.
Stand: 1. 5. 1998
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Anwesenheit bei der Vernehmung eines anderen Zeugen . Gegebenenfalls ist der Zeuge zu belehren, daß er auch zu dieser Mitwirkung nicht verpflichtet ist90. b) Zeugen ohne ausreichende Verstandesreife oder -kraft aa) Allgemeines. Das Zeugnisverweigerungsrecht steht jedem Zeugen ohne Rücksicht 26 darauf zu, ob er die Konfliktlage empfinden kann, die eintritt, wenn er zu einem Beweisakt gegen einen nahen Angehörigen veranlaßt werden soll (oben Rdn. 1). Es ist auch nicht erforderlich, daß er Bedeutung und Tragweite seiner Rechte erkennen kann. Verstandesunreife und verstandesschwache Personen sollen aber auch davor geschützt werden, daß sie aus Mangel an Verständnis eine den Beschuldigten belastende Aussage machen und sich dadurch später nach Eintritt der Verstandesreife oder nach Rückkehr der Verstandeskraft möglicherweise seelisch belastet fühlen 9 '. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 dürfen daher minderjährige und geistig oder seelisch behinderte Zeugen, die von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung haben, nur vernommen werden, wenn nicht nur sie selbst — nach entsprechender Belehrung, Rdn. 45 — zur Aussage bereit sind, sondern auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Das wurde schon vor der Gesetzesänderung von 1974, mit der § 52 Abs. 2 eingefügt wurde, überwiegend in Rechtsprechung und Schrifttum angenommen 92 . Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters ersetzt aber nicht, wie nach § 81 c Abs. 3 Satz 1 bei der Untersuchung und bei der Blutprobenentnahme (vgl. BGH NStZ 1995 198; vgl. Erl. zu § 81 c), die Entscheidung des verstandesunreifen oder verstandesschwachen Zeugen vollkommen. Da das Zeugnisverweigerungsrecht ein höchstpersönliches Recht ist (oben Rdn. 23), darf auch die Entscheidung eines solchen Zeugen, ob er von ihm Gebrauch machen oder darauf verzichten will, nicht durch einen Dritten als Vertreter im Willen getroffen werden 93 . Der gesetzliche Vertreter ist nur befugt, durch die Verweigerung seiner Zustimmung zu verhindern daß der Zeuge aussagt; insoweit darf er (vgl. § 52 Abs. 3 Satz 1) über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts entscheiden. Stimmt er dem Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht zu, so bindet das den Zeugen aber nicht. Der Zeuge kann dann immer noch selbst entscheiden, ob er aussagen oder die Aussage verweigern will (BGH NJW 1979 1722; 1991 2432). Darüber muß er belehrt werden 94 . bb) Fehlende Verstandesreife. Der minderjährige Zeuge hat die notwendige Verstan- 27 desreife, wenn er den Widerstreit, in den er durch seine familiären Beziehungen zu dem Beschuldigten gestellt wird, verstandesmäßig erfassen kann; er muß erkennen können, daß dem Beschuldigten vorgeworfen wird, etwas Unrechtes getan zu haben, daß ihm hierfür Strafe drohen kann und daß die Zeugenaussage möglicherweise zu dieser Bestrafung beitragen kann 95 . Die Frage, ob der minderjährige Zeuge die erforderliche Verstandesreife hat, muß der 28 Tatrichter prüfen und entscheiden (BGHSt 13 397; 14 160). Nur auf seine Überzeugung kommt es an (OLG Stuttgart NJW 1971 2238). Im Zweifelsfall ist so zu verfahren, als fehle die Verstandesreife 96 . Der Tatrichter muß dartun, daß er die Prüfung vorgenommen hat, wenn die Umstände die Annahme fehlenden Verständnisses für die Bedeutung des 8' BGH NJW 1960 2156; Kleinknecht/MeyerGoßner«' 15; KK-Pelchen 44; hiergegen Eb. Schmidt Nachtr. I Vor 52, 21, der aber irrig anzunehmen scheint, der BGH wolle den Zeugen zu dieser Mitwirkung zwingen. 90 BGH NJW 1960 2157; KK-Pelchen 44. " Vgl. BGHSt 14 160; 19 86. 92 Vgl. BGHSt 12 235; 14 159; 19 85; 21 303; 23 222; BGH NJW 1967 360; BGH GA 1962 147;
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OLG Stuttgart NJW 1971 2238; Eb. Schmidt Nachtr. 15. 93 BGHSt 21 305; 23 222; KK-Pelchen 22; mißverständlich BGHSt 19 86; BGH NJW 1967 360. BGHSt 21 303; 14 159; BGH StV 1981 4; bei Miebach NStZ 1990 25; Gössel § 2 5 I I b 2; S c h l ü c h t e r n unten Rdn. 45. »5 BGHSt 14 162; BGH NJW 1967 360. *> BGHSt 19 86; 23 222; NJW 1979 1722.
Hans Dahs
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Zeugnisverweigerungsrechts nahelegen (BGH NJW 1967 360). Eine feste Altersgrenze, von der ab anzunehmen ist, daß die Verstandesreife vorliegt, gibt es nicht97. Bei einem 7jährigen Kind wird sie in der Regel fehlen (BGHSt 14 162), bei 14jährigen mit normaler Intelligenz (BGHSt 20 235), bei 15jährigen (BGH VRS 36 [1969] 23), bei 16jährigen (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 493) und bei 17jährigen (BGHSt 14 24) wird sie vorhanden sein98. 29
cc) Psychische Beeinträchtigungen. Durch das BtG vom 12. 9. 1990 (BGBl. I 2002) ist die Formulierung „wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigte Personen" durch die Formulierung „Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung" ersetzt worden. Die in Absatz 2 verwendeten Begriffe entsprechen gegenwärtiger Fachterminologie, wobei die Begründung des Regierungsentwurfs (BTDrucks. 11 4528 S. 116) folgendes darunter versteht: Psychische Krankheiten sind endogene (körperlich begründete) und exogene (körperlich nicht begründbare) Psychosen, seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von anderen Krankenheiten, Abhängigkeitskrankheiten (Alkohohl- und Drogenabhängigkeiten), Neurosen und Persönlichkeitsstörungen (Psychopathien). Als geistige Behinderungen sind angeborene oder frühzeitig erworbene Intelligenzdefekte verschiedener Schweregrade anzusehen. Seelische Behinderungen sind bleibende psychische Beeinträchtigungen als Folge psychischer Krankheiten. Näher zur Begrifflichkeit und Entstehungsgeschichte des BtG Bienwald BetreuungsG 121 f. Es ist Aufgabe des Tatrichters, bei so behinderten Personen im Einzelfall festzustellen, ob sie das genügende Verständnis für die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts haben. Daß eine 14jährige Zeugin an Schwachsinn leidet, schließt die Annahme eines hinreichenden Verständnisses nicht aus (BGH NJW 1967 360); ggfs. muß sachverständige Hilfe in Anspruch genommen werden. In Fällen dieser Art muß das Urteil in der Regel Ausführungen darüber enthalten, daß die Frage, ob behinderte Zeugen die Bedeutung der Belehrung erfaßt haben, geprüft und bejaht worden ist (vgl. BGHSt 14 159).
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dd) Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 ist Voraussetzung für die Vernehmung des Betroffenen, daß der gesetzliche Vertreter der Vernehmung zustimmt. Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters ist vor der Vernehmung des Zeugen einzuholen und zu erteilen. Sie kann aber auch nachgeholt werden, insbesondere wenn sich erst während oder nach der Beendigung der Vernehmung des Zeugen Bedenken gegen seine Verstandesreife oder -kraft ergeben. Hat der Zeuge inzwischen bei einer erneuten Vernehmung in der Hauptverhandlung seine Aussagebereitschaft widerrufen, so macht die nachträgliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu dem Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht in der früheren Hauptverhandlung die Aussage auch durch Vernehmung der Verhörsperson nicht mehr verwertbar (BGHSt 23 222). 31 Wer gesetzlicher Vertreter ist, bestimmt sich nach bürgerlichem Recht. Für psychisch kranke und geistig oder seelisch behinderte Volljährige ist es der für seinem Aufgabenbereich vom Vormundschaftsgericht bestellte Betreuer (§§ 1896, 1902 n. F. BGB, vor dem 12. 9.1990: Gebrechlichkeitspfleger) oder ein anerkannter Betreuungsverein (§ 1900 n. F. BGB). Für Minderjährige, bei denen die Voraussetzungen des § 1773 BGB vorliegen, ist es der nach § 1789 BGB bestellte Vormund, nicht aber der Gegenvormund (§ 1792 BGB), in Ausnahmefällen nach § 1846 BGB das Vormundschaftsgericht99. Sonst stehen eheliche Kinder regelmäßig unter der elterlichen Sorge beider Elternteile (§ 1626 Abs. 1 BGB), 97
Kleinknecht/Meyer-Goßner« 18; Kohlhaas NJW 1960 5; a. Α Bosch 72, der die Prozeßhandlungsfähigkeit mit 14 Jahren beginnen lassen will.
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Vgl auch Kohlhaas NJW 1960 5; Roestel SchlHA 1967 163. RGSt 75 146; OLG Schleswig SchlHA 1955 226.
Stand: 1. 5. 1998
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nichteheliche grundsätzlich unter der der Mutter (§ 1705 BGB). Nach Scheidung der Ehe kommt es darauf an, welchem Elternteil nach § 1671 Abs. 1 BGB die elterliche Sorge übertragen worden ist; dieser ist allein vertretungsberechtigt. Ist nach § 1671 Abs. 4 BGB einem Elternteil die Personensorge, dem anderen die Vermögenssorge übertragen worden, so ist derjenige vertretungsberechtigt, dem die Personensorge obliegt 100 . Sind mehrere gesetzliche Vertreter, etwa mehrere Vormünder (§ 1797 BGB) oder 32 Betreuer (§ 1899 n. F BGB), vorhanden, so ist die Einwilligung eines jeden von ihnen erforderlich. Insbesondere bedarf es nach § 1626 Abs. 2, § 1627 BGB der Einwilligung beider Elternteile 101 ; dabei reicht es aus, wenn einer von ihnen im Einverständnis des anderen die Einwilligung erteilt und der andere zustimmt 102 . Die Einwilligungserklärung eines Elternteils genügt, wenn die elterliche Sorge des anderen nach §§ 1673, 1674 BGB ruht oder (§ 1678 BGB) wenn der andere Elternteil tatsächlich verhindert ist, die Erklärung abzugeben 103 , wenn er für tot erklärt (§ 1677 BGB) oder gestorben ist (§ 1681 BGB). Verweigert auch nur ein Elternteil die Einwilligung, so ist die Vernehmung unzulässig 104 ; eine zuvor gemachte Aussage wird durch die Verweigerung unverwertbar (Kleinknecht/ Meyer-Goßnet43 19). Ist in anderen Fällen der gesetzliche Vertreter aus tatsächlichen Gründen verhindert, die Entscheidung zu treffen, so muß dem Betroffenen ein Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB bestellt werden. ee) Ausschluß des gesetzlichen Vertreters. Nach § 52 Abs. 2 Satz 2 darf der gesetzli- 3 3 che Vertreter, der in dem Ermittlungs- oder Strafverfahren, in dem die Vernehmung stattfinden soll, selbst Beschuldigter ist (gleichgültig, ob der Betroffene das Opfer seiner Tat ist oder ein anderer), über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden 105 . Wenn die gesetzliche Vertretung beiden Elternteilen zusteht, ist auch eine Entscheidung durch den nicht beschuldigten Elternteil ausgeschlossen 106 . Steht die gesetzliche Vertretung nur einem Elternteil zu, dann ist dieser von der Entscheidung auch dann nicht ausgeschlossen, wenn sein Ehegatte (Stiefvater oder -mutter des Zeugen) der Beschuldigte ist 107 . Ist der gesetzliche Vertreter ausgeschlossen, so muß das Vormundschaftsgericht einen Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB bestellen 108 . Den Antrag stellt der Strafrichter, wenn der Zeuge richterlich vernommen werden soll, sonst die Staatsanwaltschaft 109 . Das Vormundschaftsgericht ist an deren Ansicht gebunden, daß der gesetzliche Vertreter ausgeschlossen ist und daß dem Zeugen die genügende Verstandesreife oder -kraft fehlt 110 . Demgegenüber ist das Gericht an die vom Vormundschaftsgericht
" » BGHSt 6 156; BGH JZ 1952 46 L; BGH bei Dallinger MDR 1953 596; RG DR 1944 767; OLG Hamm VRS 13(1957)212. 101 Vgl. BGH FamRZ 1960 177; BGH bei Daliinger MDR 1972 923; BayObLGSt 1956 159 = NJW 1956 1608 mit Nachw.; OLG Hamm FamRZ 1958 377; OLG Stuttgart NJW 1971 2238; Bosch 92 1952 76; HK-Lemke 27; Kohlhaas NJW 1960 4; JR 1972 326; Orlowsky 147. 102 Vgl. BGH MDR 1957 52; BayObLGSt 1956 8 = NJW 1956 521; BayObLGSt 1960 268 = JR 1961 73; LG Kassel NJW 1960 62. '03 Vgl. BGH NJW 1967 942 = JR 1967 303 mit Anm. Schröder, BGH bei Dallinger MDR 1972 923; OLG Stuttgart NJW 1971 2237. Orlowsky 153; a. A Roestel SchlHA 1967 164, der dann die Anrufung des Vormundschaftsgerichts für zulässig hält.
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105 Die Frage war früher streitig, vgl. die Nachweise in der 23. Auflage Rdn. 32. 106 Auch diese Frage war früher streitig, vgl. die Nachweise in der 23. Auflage Rdn. 32; HK-Lemke 28. 107 Kleinknecht/Meyer-Goßner43 20; dagegen KMRPaulus 25; Schimansky FS Pfeiffer 297, 303; Rieß NJW 1975 83 Fußn. 42, der eine „vorsichtige Analogie" für erwägenswert hält; zust. KK-Pelchen 29; offengelassen in BGH NStZ 1991 398; MDR 1987 444. Ό8 BGHSt 12 241 - GSSt.; Bosch (Grundfragen) 53. 109 Vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner*! 20. 110 OLG Stuttgart MDR 1986 58; LG Memmingen MDR 1982 145; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 20; KMR-Paulus 24; Schimansky FS Pfeiffer 303; a. A Schaub FamRZ 1966 136, dessen Ansicht aber dazu führt, daß der Vormundschaftsrichter einen unzulässigen Einfluß auf das Strafverfahren nimmt.
Hans D a h s
§52
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n
angeordnete Betreuung gebunden 111 . Die Betreuung wird in der Regel davon abhängig gemacht, daß der Zeuge sich zuvor zur Aussage bereiterklärt hat (OLG Stuttgart MDR 1986 58). 34
4. Verzicht auf das Weigerungsrecht. Aus § 52 Abs. 3 Satz 2 ergibt sich, daß auf das Recht, das Zeugnis zu verweigern, verzichtet werden kann. Der Verzicht muß nicht ausdrücklich erklärt werden. Er kann stillschweigend darin liegen, daß der Zeuge nach der Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht aussagt 112 . Der Verzicht kann beschränkt werden, indem der Zeuge sich bereit erklärt, teilweise zur Sache auszusagen oder einzelne Fragen zu beantworten (Kleinknecht/Meyer-Goßner 43 21; vgl. Rdn. 23). Sagt der Zeuge aber in vollem Umfang aus, so kann er nicht den Umfang der Verwertbarkeit seiner Bekundungen bestimmen. Das Gesetz gibt ihm nur die Befugnis, von dem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen oder auf dieses Recht zu verzichten; ein Drittes gibt es nicht 113 . Ein Irrtum des Zeugen darüber, daß seine Aussage den Angeklagten belastet, ist ohne Bedeutung (KG JR 1967 347). 5. Widerruf der Erklärungen
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a) Verzicht auf das Weigerungsrecht. Die Erklärung des Zeugen, er wolle von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch machen, ist nicht bindend. Der Verzicht kann jederzeit, also sowohl bei jeder neuen als auch im Laufe ein und derselben Vernehmung und sogar noch in der Hauptverhandlung (vgl. § 252) bis zur Beendigung der Vernehmung (§ 52 Abs. 3 Satz 2), widerrufen werden. Ist die Vernehmung nur vorläufig beendet und der Zeuge noch nicht vereidigt oder über seine Vereidigung noch nicht entschieden worden, so ist der Widerruf noch möglich. Ein in der Hauptverhandlung nach vollständiger Beendigung der Vernehmung erklärter Widerruf ist aber wirkungslos (vgl. auch BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 13; Gössel § 25 II b 2).
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Der Widerruf bewirkt, daß die Vernehmung nicht durch- oder nicht weitergeführt werden darf. Erfolgt der Widerruf in der Hauptverhandlung, so sind die früheren Aussagen nach Maßgabe des § 252 unverwertbar (vgl. die Erläuterungen zu dieser Vorschrift). Hatte der Zeuge aber in der Hauptverhandlung zunächst ausgesagt und erst im Laufe der Vernehmung den Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht widerrufen, so ist die in der Hauptverhandlung vor dem Widerruf geleistete Aussage verwertbar; der Widerruf hat dann keine rückwirkende Kraft 114 . Eine Beeidigung der vor der Zeugnisverweigerung gemachten Teilaussage kommt nicht in Betracht (BGH NJW 1988 716). Das gilt jedoch nicht für Aussagen, die der Zeuge in früheren Hauptverhandlungen im selben (vgl. BGHSt 13 394; 23 223) oder in einem früheren Rechtszug (Petry Beweisverbote 192) gemacht hat (vgl. Erl. zu § 252).
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Auch der gesetzliche Vertreter kann die nach der erforderlichen Belehrung erteilte Zustimmung widerrufen, solange die Vernehmung noch nicht beendet ist (§ 52 Abs. 3 Satz 2).
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BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1988 17; vgl. auch BGH MDR 1987 444. RGSt 3 325; 12 404. BGHSt 17 328; KG JR 1967 347.
11" BGHSt 2 107; BGH - GSSt - NJW 1959 445 für § 8 1 Abs. 2; BGH NJW 1988 716; Kleinknecht/ Meyer-Goßner« 22; KK-Pelchen 42; Grünwald (Beweisrecht) 23; G. Schäfer § 65 II 1 e; a. A Eb. Schmidt 26.
Stand: 1. 5. 1 9 9 8
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b) Zeugnisverweigerung. Nach allgemeiner Ansicht kann auch die Erklärung des 38 Zeugen, er wolle nicht aussagen, jederzeit, auch in einem späteren Verfahrensabschnitt, widerrufen werden 115 . 6. Folgen der Zeugnisverweigerung a) Wegfall des Beweismittels. Zeugen, die nach § 52 die Aussage verweigert haben, 39 verlieren die Fähigkeit, in dem Verfahren als Beweisperson vernommen zu werden. Sie sind kein zulässiges Beweismittel mehr 116 . Das schließt aber nicht aus, sie mittels Augenscheinseinnahme zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen 117 ; der Augenscheinsbeweis darf aber nicht das Verhalten des Zeugen bei der Verweigerung einbeziehen (Alsberg/Nüse/Meyer 456). Frühere Aussagen des Zeugen sind nicht völlig unverwertbar. § 252 bestimmt zwar, daß die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, nicht verlesen werden darf; ein absolutes Verwertungsverbot enthält die Vorschrift aber nicht (Erl. zu § 252). Wegen der Verwertung der in der Hauptverhandlung vor dem Widerruf des Verzichts 40 auf das Zeugnisverweigerungsrecht gemachten Angaben vgl. oben Rdn. 35 f. Angaben, die der Zeuge außerhalb des Strafverfahrens Dritten gegenüber gemacht hat, dürfen durch deren Vernehmung in das Verfahren eingeführt werden (vgl. dazu Ranft 503 mit weit. Nachw. und die Erl. zu § 252). b) Wegfall des Beweisantragsrechts. Da ein Zeuge, der von seinem Zeugnisverwei- 41 gerungsrecht Gebrauch gemacht hat, als Beweismittel nicht mehr zur Verfügung steht, ist die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 nicht verletzt, wenn er zur Hauptverhandlung nicht geladen wird 118 . Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten, ihn zu vernehmen, darf nach § 244 Abs. 3 Satz 1 als unzulässig 119 , nach anderer Ansicht wegen Ungeeignetheit des Beweismittels 120 abgelehnt werden. Das gilt aber nur, wenn die Sachlage, aufgrund deren sich der Zeuge zur Verweigerung der Aussage entschlossen hatte, unverändert fortbesteht 121 , also nicht, wenn der Angeklagte im ersten Rechtszug, in dem der Zeuge die Aussage verweigert hatte, verurteilt worden ist und der Zeuge nunmehr im Berufungsrechtszug vernommen werden soll 122 . Der Beweisantrag darf auch dann nicht wegen der früheren Zeugnisverweigerung abgelehnt werden, wenn vorgetragen wird, der Zeuge wolle nunmehr aussagen 123 oder seine frühere Verweigerung sei durch Irrtum beeinflußt 115
BGH NJW 1961 1484; RGSt 2 53; 38 256; 40 346; 63 302; RGRspr. 6 210; RG JW 1931 1596 mit Anm. Alsberg; AK-Kühne 12; Kleinknecht/MeyerGoßner« 22; KMR-ftiuius Vor 48, 86; Eb. Schmidt Nachtr. I Vor 52, 14; Dalcke/Fuhrmann/ Schäfer 2. 116 RGSt 41 32; KK-Pelchen 43; Kleinknecht/MeyerGoßner» 23; KMR-Paulus Vor 48, 90; Eb. Schmidt 34; Alsberg/Nüse/Meyer 452. 1,7 OLG Schleswig bei Errtesti/Jürgensen SchlHA 1972 160; OLG Hamm MDR 1974 1036; OLG Karlsruhe DAR 1983 93; KK-Pelchen 44; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 23; KMR-Paulus Vor 48, 90; Niise JR 1966 283; a. A Rogall 233 u. MDR 1975 813; BGH GA 1965 108 hält die Verwertung ihres äußeren Erscheinungsbildes bei der Beweiswürdigung offenbar sogar ohne förmliche Augenscheinseinnahme für zulässig. "8 OLG Hamm JMB1NRW 1953 165. (73)
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RGSt 38 256; 41 32; RG JW 1890 431; 1931 949 mit Anm. Alsberg; RG JW 1937 553; RG HRR 1937 615; 1939 1566; RG Recht 1930 Nr. 2139; Kleinknecht/Meyer-Goßnet23; Eb. Schmidt § 244, 34; Alsberg/Nüse/Meyer 452. BGHSt 21 13 = NJW 1966 742 mit Anm. Seydel·, BGH NStZ 1982 126; RG HRR 1937 615; Hanack JZ 1972 115; vgl. § 244,270,290; offengelassen in BayObLGSt 1967 49 = JR 1967 346. BGHSt 21 12; RG JW 1935 3110 mit Anm. Siegen-, RG HRR 1939 1566; Alsberg/Nüse/Meyer 452; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 24. RG JW 1931 1815 mit Anm. Alsberg; RG JW 1932 3100 mit Anm. Hirsch; BayObLGSt 1962 49 = JR 1967 346; Alsberg/Nüse/Meyer 454; vgl. Erl. zu §244. Vgl. RGRspr. 6 337; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 24; K M R - / W u i Vor 48,91; Eb. Schmidt Nachtr. I Vor 52, 15.
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gewesen . Dabei genügt jedoch nicht die bloße Behauptung, sondern es muß dargetan werden, welche Kenntnis der Antragsteller von dem Sinneswandel des Zeugen hat (.Alsberg/Nüse/Meyer 453). 42
c) Beweiswürdigung. Rechtsprechung und Schrifttum hielten es lange Zeit für zulässig, aus der berechtigten Weigerung eines Zeugen, zur Sache auszusagen, bei der Beweiswürdigung Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten zu ziehen 125 . Die jetzt herrschende Ansicht lehnt das mit Recht ab 126 . Denn aus der Zeugnisverweigerung lassen sich Schlüsse gegen den Angeklagten denkgesetzlich nur ziehen, wenn als Beweggrund für das Verhalten des Zeugen ermittelt worden ist, daß er bei wahrheitsgemäßen Angaben seinen Angehörigen zu belasten fürchtet. Das wird zwar oft so sein; die Zeugnisverweigerung kann jedoch auch auf bloßer Gleichgültigkeit beruhen oder sogar darauf zurückzuführen sein, daß der Angehörige mit dem Beschuldigten verfeindet ist und ihn daher nicht entlasten möchte (R. Hauser 160); auch geschiedene Ehegatten haben ja das Zeugnisverweigerungsrecht. Dem Richter ist es untersagt, die Beweggründe des Zeugen zu erforschen (oben Rdn. 24). Daraus folgt zwangsläufig, daß er aus der Zeugnisverweigerung nicht den Schluß ziehen darf, der Zeuge sage nur deshalb nicht aus, weil er sonst seinen Angehörigen belasten müßte 127 . Das Zeugnisverweigerungsrecht würde auch weitgehend entwertet werden, wenn jeder Angehörige damit rechnen müßte, daß das Gericht seine Aussageverweigerung zum Nachteil des Beschuldigten berücksichtigt. Der Zeuge könnte dann von seinem Recht nicht frei und unbefangen Gebrauch machen 128 . Das Verbot, Schlüsse gegen den Angeklagten zu ziehen, gilt auch dann, wenn der Zeuge im ersten Rechtszug aussagt und erst vor dem Berufungsgericht das Zeugnis verweigert hat 129 ; ebenso wenn der Angehörige nach anfänglicher Zeugnisverweigerung später doch noch aussagt 130 , seine Aussage auf bestimmte Themen hätte beschränken können (BGH NJW 1997 171) oder nur Angaben macht, die für die Tatfrage ohne Bedeutung sind und sich im übrigen auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft 131 . Das alles setzt aber eine berechtigte Zeugnisverweigerung voraus. Verweigert der Zeuge die Aussage ohne rechtlichen Grund, so darf das bei der Be weis Würdigung berücksichtigt werden 132 .
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Wie bei dem Beschuldigten (§ 136, 27 f) wird man es auch beim Zeugen, der sich für den Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht entschieden hat, für zulässig halten müssen, aus der Verweigerung der Antwort auf einzelne Fragen oder auf die Erklärung, zu bestimmten Tatsachen nicht aussagen zu wollen, im Rahmen der freien Beweiswürdigung 12" BGHSt 21 12; NStZ 1982 126. BGHSt 2 351; 6 280; RGSt 55 20; RGRspr. 8 502; RG JW 1931 1596 mit abl. Anm. Alsberg-, RG HRR 1939 729; OLG Hamm JMB1NRW 1950 62 = HESt 3 44; JMB1NRW 1953 165; vgl. auch die Nachw. bei KMR-/Wits Vor 48, 91; Dalcke/ Fuhrmann/Schäfer 2. 126 BGH StV 1985 485; 1990 450; 1992 97; KK-Pelchen 45; KMR-Paulus Vor 48,93 mit weit. Nachw. 127 BGHSt 22 113; 32 141; NJW 1980 794; JR 1981 157 mit Anm. Hanack; KG NJW 1966 605 mit Anm. Ad. Arndt NJW 1966 869; OLG Karlsruhe GA 1975 182; Kleinknecht/Meyer-Goßner« § 261, 20; KK-Pelchen 45; Eb. Schmidt Nachtr. I 20; Sarstedt/Hamm 235; Buchwald SJZ 1949 360; Kohlhaas JR 1955 43; Niese JZ 1953 223; Nüse JR 1966 283; Proskauer NJW 1953 49; vgl. auch Erl. bei §261. 128 BGHSt 22 113 mit abl. Anm. Ostermeyer NJW 1968 1789 und krit. Stellungnahme Schneider JuS
1970 271; OLG Hamm MDR 1970 162; VRS 46 (1974) 364; Eb. Schmidt Nachtr. I Vor 52, 20; Henkel 211 Fußn. 6; Ditzen Dreierlei Beweis 53 ff; von Godin SJZ 1949 657; Goldschmidt DJZ 1925 329; R. Hauser 158 ff. 129 BayObLGSt 1968 83 = NJW 1969 200; Kleinknecht/Meyer-Goßner« § 261, 21; a. A R. Hauser 160; zum Verwertungsverbot für frühere Beschuldigtenaussagen eines das Zeugnis verweigernden Angehörigen vgl. BGH StV 1992 308; 1992 500; auch 1990 145 u. Erl. zu § 252. 130 BGH MDR 1979 1040; NJW 1980 794; NStZ 1985 87; 1989 281; BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 10; KK-Pelchen 45. '31 BGH JR 1981 432 mit Anm. Hanack·, dazu Dencker NStZ 1982 460; Kleinknecht/Meyer-Goßner« § 261, 20; KK-Pelchen § 261, 42. 132 BGH NJW 1966 211; Kleinknecht/Meyer-Goßner* § 261, 19; vgl. § 70, 2.
Stand: 1 . 5 . 1998
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Schlußfolgerungen zu ziehen . Gleiches muß gelten, wenn ein zur Sachaussage bereiter Zeuge sich im Ermittlungsverfahren, ohne sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend zu machen, lediglich zu bestimmten entlastenden Sachpunkten (ζ. Β Alibi) nicht äußert, diese dann aber in der Hauptverhandlung (entlastend) bekundet134. Anders liegt der Fall, wenn der Zeuge — ob aussagebereit oder nicht ist unerheblich — vor seiner entlastenden Sachaussage in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache macht, d. h. geschwiegen hat135. Vom Revisionsgericht wird ein Verstoß gegen diese Grundsätze auf Verfahrensrüge 44 (§ 261) beachtet136. Näheres bei § 337.
III. Belehrung 1. Allgemeines. § 52 Abs. 3 Satz 1 schreibt vor, daß die Zeugnisverweigerungsberech- 45 tigten vor jeder Vernehmung 1 137 über ihr Recht zu belehren sind. Die Bestimmung gilt bei staatsanwaltschaftlichen (§ 161 a Abs. 1 Satz 2) und polizeilichen Vernehmungen (§ 163 a Abs. 5) entsprechend. Wird eine (mit Belehrung) begonnene Vernehmung in demselben Verfahrensabschnitt fortgesetzt oder ergänzt, so ist eine erneute Belehrung nicht erforderlich138. Andererseits kann ein Zeuge, der bei seiner früheren Vernehmung noch nicht Angehöriger war, es bei einer späteren Vernehmung sein. Er muß dann nochmals nach Belehrung vernommen werden139. Die Anwendung der Bestimmung setzt voraus, daß das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 feststeht; seiner Feststellung dient die Befragung nach § 68 Satz 2. Hat der Zeuge ein Aussageverweigerungsrecht gegenüber mehreren Beschuldigten, so muß er Uber alle Verweigerungsrechte belehrt werden140. Steht ihm sowohl ein Zeugnisverweigerungsrecht als auch ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 zu, muß das Gericht — von besonderem Verfahrensgang abgesehen — ihn über beide Verweigerungsrechte jeweils gesondert belehren (BGH NStZ 1988 561). Die Belehrungspflicht gilt, soweit die Einheitlichkeit des Verfahrens reicht (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1988 18). Die Belehrung ist auch erforderlich, wenn der Zeuge nur uneidlich vernommen werden soll141; sie kann aber unterbleiben, wenn er von sich aus erklärt, daß er sein Recht auf Zeugnisverweigerung kennt142. Auf die Möglichkeit, die getroffene Entscheidung zu widerrufen, braucht sie sich nicht zu erstrecken143. Die Tatsache der Belehrung ist im Protokoll zu beurkunden (KK-Pelchen 33).
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So auch AK-Kühne 20; Kleinknecht/MeyerGoßner43 § 261, 21; Petry Beweisverbote 49; a. A bzgl. des Beschuldigten Rogall (Beschuldigte als Beweismittel) 32; Schneider Jura 1990 572, der jegliches Schweigen mit einem Beweisverwertungsverbot belegen will; Kühl JuS 1986 115 für nachteilige Schlußfolgerungen. 134 BGH NStZ 1987 373 = JR 1988 79 mit krit. Anm. J. Meyer. ' 3 5 BGH NStZ 1987 373; 1989 281; StV 1987 51, 188; 1992 97; 1993 61; vgl. auch BGH StV 1987 5. 134 BGH StV 1983 321; StV 1994 143; OLG Karlsnihe GA 1975 182; § 337, 67 u. Fußn. 104; Dahs/ Langkeit NStZ 1993 213, 215; Kleinknecht/MeyerGoßner** § 261, 38; Sarstedt/Hamm 235; Dahs/ Dahs 272; Wagner ZStW 10« (1994), 259, 286; a. Α BGH NStZ 1992 443.. 137 Zur Abgrenzung zwischen spontaner ZeugenäuBerung und förmlicher Vernehmung vgl. OLG Hamburg StV 1990 535; OLG Frankfurt StV 1994 391. (75)
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BGH JR 1954 229; GA 1980 420; NStZ 1984 418; 1987 373; bei Miebach 1990 25; vgl. auch NJW 198« 2121; BayObLG bei Rüth DAR 1977 205; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 29. Vgl. BGHSt 22 220; 27 231; BGH NJW 1972 1334,1977 2365; 1980 68; BayObLGSt 1965 81 = NJW 1966 117 mit Anm. Michaelis-, Kleinknecht/ Meyer-Goßner*1 10; R. Hauser 183; vgl. auch die Erl. zu § 252. RG JW 193« 3009; KK-Pelchen 32; R Hauser 141. RGSt 2 228; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 9. RG Recht 1902 Nr. 1651; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 10. BGHSt 32 31; BGH bei Daliinger MDR 19«9 194; RG JW 1936 3548 mit Anm. Rilk, RG LZ 1921 421; KK-Pelchen 33; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 9, a. Α offenbar RGSt 62 144 für Ausnahmefälle auch KMR-ZWi« 30.
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2. Zu belehrende Personen. Zu belehren ist grundsätzlich nur der Betroffene selbst, auch wenn er minderjährig oder aus anderen Gründen nicht geschäftsfähig ist (BGHSt 14 24; BGH NStZ 1991 398). Nur wenn die Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 vorliegen, muß auch der gesetzliche oder der sonst zur Abgabe der Erklärung befugte Vertreter belehrt werden (§ 52 Abs. 3 Satz 1). Sind mehrere Vertreter vorhanden, so müssen alle belehrt werden (oben Rdn. 30 ff). Daneben ist aber stets die Belehrung des Zeugen selbst erforderlich, auch wenn er wegen Verstandesunreife oder -schwäche nicht imstande ist, den Sinn der Belehrung wirklich zu begreifen. Das ergibt sich klar aus dem Wortlaut der Vorschrift („auch... deren... Vertreter") und wurde schon früher in der Rechtsprechung angenommen 144 . Die Belehrung darf sich in diesen Fällen nicht darauf beschränken, daß der Zeuge nicht auszusagen braucht; er muß, weil darüber sonst Mißverständnisse entstehen können, auch darauf hingewiesen werden, daß ihn die Zustimmung seines Vertreters nicht zur Aussage verpflichtet (BGHSt 21 306; 23 223). Hat der Vertreter bereits die Zustimmung verweigert, so ist die Belehrung des Zeugen natürlich überflüssig; denn seine Vernehmung ist dann nicht zulässig.
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3. Person des Belehrenden. Die Belehrung ist Aufgabe des Richters, bei Kollegialgerichten des Vorsitzenden; er darf sie nicht durch einen anderen erteilen oder vervollständigen lassen 145 . Die Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 kann auch nicht einem Sachverständigen übertragen werden 146 . Stellt der Sachverständige vor der Exploration fest, daß die gesetzlich gebotene Belehrung unterblieben ist, so hat er ihre Nachholung durch die zuständige Stelle zu veranlassen 147 . Das schließt jedoch nicht aus, daß dem Zeugen der Hinweis gegeben wird, er möge sich vor seiner Entscheidung von einem Dritten beraten lassen (KMR-Paulus 30), etwa von dem Beistand, den er zu seiner Vernehmung herangezogen hat (Vor § 48, 10 ff). Bei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft hat diese die Belehrung zu erteilen (§ 161 a Abs. 1 Satz 2), bei polizeilichen Vernehmungen der Polizeibeamte (§ 163 a Abs. 5).
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4. Zeitpunkt. Ob die Belehrung vor oder nach der Vernehmung zur Person (§ 68 Satz 1) erteilt wird, ist gleichgültig 148 ; jedenfalls muß sie vor der Vernehmung zur Sache erfolgen. Die Vernehmung muß der Belehrung nicht unmittelbar nachfolgen 149 . Stellt sich erst nach Beginn der Vernehmung heraus, daß ein Zeugnisverweigungsrecht besteht, so ist die Belehrung sofort nachzuholen 150 .
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5. Art der Belehrung. Die Belehrung muß mündlich erteilt werden (für grundsätzliche Formfreiheit AK-Kühne 16). Der Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht in der Ladung, der nicht vorgeschrieben ist, aber im Einzelfall zweckmäßig sein kann (§ 48, 6), macht sie nicht entbehrlich. Dem Richter bleibt es überlassen, wie er die Belehrung vornimmt 151 . Sie muß für den juristisch nicht vorgebildeten Zeugen verständlich, eindeutig und eindringlich sein 152 . Dem Zeugen muß die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts so begreiflich gemacht werden, daß er das Für und Wider seiner Entscheidung 144
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BGHSt 21 306; RGSt 4 398; in der neueren Rspr. ζ. Β BGH NStZ 1991 295. BGHSt 9 195; BGH StV 1984 405; Kleinknecht/ Meyer-Goßner" 27; KMR-Pau/uj 27; KK-Pelchen 30; Eb. Schmidt Nachtr. 16. BGH NStZ 1991 295; vgl. auch BGH NStZ 1989 485; JZ 1990 47 mit Anm. Weigend. BGHR StPO § 52 Abs. 3 S. 1 Belehrung 4; BGH StV 1997 231; KK-Pelchen § 81 c, 12; anders anscheinend BGH StV 1988 419, wonach er selbst belehren kann; im übrigen vgl. die Erl. zu § 81 c.
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BGH StV 1984 405 mit zust. Anm. Peters-, vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goßner« 29, die aber eine Belehrung vor einer Vernehmung zur Person für unzweckmäßig erachten; ähnlich KMR-Paulus 29; a.A RGRspr. 10 516; RG GA 39 (1891) 419; KK-Pelchen 31; Sieg StV 1985 130. RGRspr. 5 99; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 10. RGSt 25 262; KK -Pelchen 31; KMR-/>au/ui 29. BGHSt 6 280; BGH StV 1984 405 mit Anm. Peters. KMR-Paulus 30; KK-Pelchen 33; Seibert NJW 195« 1082.
Stand: 1.5. 1998
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abwägen kann . Die Frage an den Zeugen, ob er aussagen wolle, genügt dazu nicht 154 . Auf die Entschließungsfreiheit des Zeugen darf bei der Belehrung seitens der Verhörsperson nicht eingewirkt werden 155 . So ist es unzulässig, daß der Zeuge in die irrige Vorstellung versetzt oder in ihr gelassen wird, die Zeugnisverweigerung werde zu Lasten des Angehörigen gewertet. Dagegen ist es zulässig, daß der Richter den Zeugen über Rechtstatsachen (etwa über die Verwertbarkeit seiner früheren richterlichen Aussage durch Vernehmung der Verhörsperson) unterrichtet, die für die Entscheidung des Zeugen von Bedeutung sein können 156 . Seitens dritter Personen wird die Entschließungsfreiheit des Zeugen nur dann unzulässig beeinträchtigt, wenn Mittel angewendet werden, die nach § 69 Abs. 3, § 136 a verboten sind (vgl. BGHSt 10 394). Die Prozeßbeteiligten haben kein Recht, auf die Art der Belehrung Einfluß zu neh- 50 men. Sie können sie aber als Maßnahme der Sachleitung nach § 238 Abs. 2 beanstanden, wenn sie den rechtlichen Anforderungen nicht entspricht oder ζ. Β in einer Form erfolgt, die der Zeuge als Druck empfinden muß. Der Richter darf Verfahrensbeteiligten aber Vorhaltungen an den Zeugen zur Belehrung über Gegenstand und Bedeutung der Aussage gestatten (Feisenberger 13). 6. Wiederholung. Die Belehrung muß vor jeder Vernehmung ohne Rücksicht auf eine 51 frühere Belehrung erneut erfolgen (BGHSt 13 399), und zwar auch dann, wenn der Zeuge in einer früheren Vernehmung auf sein Weigerungsrecht ausdrücklich verzichtet hatte 157 . Das gilt nicht nur bei Vernehmungen in verschiedenen Verfahrensabschnitten, sondern auch bei Vernehmungen nach einer Aussetzung der Hauptverhandlung, die über die Dauer des § 229 hinausgegangen ist. Auch bei Fortsetzungsverhandlungen innerhalb dieser Frist ist die erneute Belehrung erforderlich, wenn der Zeuge bereits entlassen war und für einen anderen Verhandlungstag neu geladen worden ist 158 . Jedoch wird das Unterlassen der Belehrung regelmäßig unschädlich sein, weil der Zeuge wohl kaum annehmen wird, daß er nunmehr zur Aussage verpflichtet sei. Entbehrlich ist eine erneute Belehrung, wenn der Zeuge nach seiner Entlassung weiter der Hauptverhandlung beiwohnt und am selben Tag 1 159 oder am folgenden Tag ergänzend vernommen wird (BGH bei Miebach NStZ 1990 25). Eine Ausnahme muß indes gelten, wenn die Gefahr besteht, daß der Zeuge — trotz ununterbrochener Anwesenheit — sich seines Zeugnisverweigerungsrechts nicht mehr bewußt ist. Ist sonst die Belehrung bei einer nochmaligen Vernehmung in derselben oder in einer neuen Hauptverhandlung desselben Rechtszugs unterlassen und der Mangel nicht geheilt worden (Rdn. 53), so ist zwar deren Inhalt unverwertbar, nicht aber das, was der Zeuge bei einer früheren Vernehmung in der Hauptverhandlung nach ordnungsgemäßer Belehrung ausgesagt hat 160 . 7. Protokoll. Die Belehrung ist eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne der § 168 a 52 Abs. 1, § 273 Abs. 1. Sie muß daher im Protokoll beurkundet werden 161 . Der Vermerk: 153
BGHSt 9 197; BGH NStZ 1990 188; KMR-Paulus 30; KK-Pelchen 33; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 10. '54 RG JW 1924 1609; 1935 958; RG DJ 1935 940; K M R - / W u i 30; KK-Pelchen 33; Eb. Schmidt Nachtr. 16; Feisenberger 13. '55 BGHSt 1 37; 9 197; 10 394; 21 13 = NJW 1966 742 mit Anm. Seydel·, BGH NStZ 1989 440; KMRPaulus 30; KK-Pelchen 34; vgl. auch AK-Kühne 18. 156 BGHSt 21 13 = NJW 1966 742 mit Anm. Seydel; BGH bei Spiegel DAR 1979 189; OLG Hamm MDR 1973 427. (77)
157
RGSt 2 192; RG JW 1934 2914. '58 BGH StV 1984 318; RGSt 12 406; RG JR Rspr. 1926 Nr. 882. 159 BGH JR 1954 229; BGH GA 1980 421; BGH bei Miebach NStZ 1987 373; 1990 25; RG HRR 1928 1385; RG LZ 1920 929; BayObLG bei Ruth DAR 1977 205; Kleinknecht/Meyer-Goßner* 29; KMRPaulus 31; KK-Pelchen 35; Eb. Schmidt 24. 160 Anders offenbar Eb. Schmidt 24. 161 RGRspr. 2 217; AK-Kühne 15; Kleinknecht/MeyerGoßneι** 30; Eb. Schmidt 18.
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„Zum Zeugnis bereit", läßt nicht erkennen, ob der Zeuge ordnungsgemäß belehrt worden ist162. Zu vermerken ist auch die auf die Belehrung abgegebene Erklärung des Zeugen: „Ich will aussagen", oder: „Ich verweigere die Aussage". Entsprechendes gilt für die Belehrung des gesetzlichen Vertreters und für seine zustimmende oder die Zustimmung verweigernde Erklärung. Hat der Vertreter außerhalb der Hauptverhandlung oder schriftlich zugestimmt, so empfiehlt sich ein Hinweis hierauf in der Sitzungsniederschrift. Die in der Praxis teilweise übliche Übersendung eines Belehrungsvordruckes anläßlich der Ladung163 ersetzt den Protokollvermerk nicht. 53
8. Heilung des Unterlassens. Bemerkt das Gericht in der Hauptverhandlung, daß der Angehörige ohne die nach § 52 Abs. 3 Satz 1 erforderliche Belehrung vernommen worden ist, so muß es den Verfahrensmangel heilen (BGH NStZ 1989 484). Dazu reicht weder die bloße Nachholung der Belehrung noch die nachträgliche Belehrung über das Recht zur Eidesverweigerung nach § 63 aus164. Dagegen ist der Mangel behoben, wenn der Zeuge auf entsprechende Befragung in der Hauptverhandlung erklärt, daß er auch nach Belehrung von seinem Recht auf Zeugnisverweigerung keinen Gebrauch gemacht hätte165. Für die nach § 52 Abs. 2 erforderliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters gilt das entsprechend (Kleinknecht/Meyer-Goßner43 31; KK-Pelchen 36). Sie kann daher noch nach der Vernehmung des Zeugen eingeholt werden. Eine Wiederholung der Zeugenaussage ist nicht erforderlich166. Erklärt der Zeuge, er hätte bei ordnungsmäßiger Belehrung nicht ausgesagt, oder ist eine Erklärung nicht mehr zu erlangen (etwa weil der Zeuge inzwischen gestorben oder weil er nicht mehr auffindbar ist), so kann der Mangel nur dadurch behoben werden, daß die Aussage bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt bleibt und das in dem Urteil ausdrücklich festgestellt wird167. Den Verfahrensbeteiligten muß die Nichtberücksichtigung der Aussage so rechtzeitig mitgeteilt werden, daß sie sich auf die neue Beweislage einrichten und gegebenenfalls weitere Anträge stellen können. Die Belehrung nach § 55 Abs. 2 ersetzt die Belehrung nach § 52 nicht168.
IV. Verwertungsverbot bei unterlassener Belehrung 54
Nach allgemeiner Ansicht ist die Aussage des Zeugen unverwertbar, wenn die Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 unterblieben ist169. Das gleiche gilt, wenn die nach § 52 Abs. 2 erforderliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht eingeholt worden ist. Der Bundesgerichtshof begründet die Nichtverwertbarkeit der Aussage mit der von ihm entwickelten Rechtskreistheorie (BGHSt 11 213, 216; näher Ranft 513 ff und Erl. zu § 337), wonach das Zeugnisverweigerungsrecht nicht nur dazu dient, dem Zeugen einen Gewissenskonflikt zu ersparen (vgl. Rdn. 1), sondern auch der schonenden Rücksicht auf Familienbande, die den Angeklagten mit dem Zeugen verknüpft170 (anders die Rspr. zu 162
R G J W 1935 958. ' « Dazu Sieg StV 1985 130 164 R G J W 1916 1539. 165 Vgl. BGHSt 12 242 - GSSt; BGHSt 20 234; vgl. auch BGH NJW 1985 1470; NStZ 1989 484; RGSt 25 262; RG JW 1928 1306; Kleinknecht/MeyerGoßner41 31; KMR-Paulus 32; KK-Pelchen 36; Eb. Schmidt 21; von Kries 358; Sarstedt/Hamm 233. a. Α KMR-Paulus 32; R. Hauser 154 ff; vgl. auch RGSt 25 264, das die erneute Vernehmung für empfehlenswert hält. BGHSt 13 399; RGSt 29 351; RG JW 1902 575; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 31; Eb. Schmidt 21; W. Schmid JZ 1969 761.
>«< BGH NJW 1980 68; NStZ 1982 389; 1984 176; bei Miebach NStZ 1988 210. 169 BGHSt 14 160; 23 223; BGH StV 1981 4; bei Miebach NStZ 1990 25; StV 1992 308; bei Rüth DAR 1969 236; HK-Lemke 38; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 32; Kleinknecht NJW 1966 1537; KMR-Paulus 37; Pfeiffer/Fischer 8; Rogall ZStW 91 (1979) 36; Roxin § 24, 24; Sarstedt/Hamm 233; Grünwald JZ 1966 497; vgl. auch Einl. Absch. K. 170 BGHSt 11 216; BGH StV 1992 308; Müller JA 1987 65; näher zur Rechtskreistheorie des BGH bei § 337 (24. Aufl. Rdn. 95).
Stand: 1 . 5 . 1998
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§ 55, siehe die Erl. dort). Das Verwertungsverbot entfällt jedoch, wenn feststeht, daß der Zeuge seine Rechte gekannt hat und auch nach entsprechender Belehrung ausgesagt hätte (BGH NStZ 1990 549); ein absolutes Verwertungsverbot besteht also nicht. Im übrigen ist zu unterscheiden: Erscheint der Zeuge in der Hauptverhandlung und verzichtet er nach entsprechender Belehrung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, so dürfen ihm aus einer früheren Vernehmung selbst dann Vorhalte gemacht werden, wenn er nicht zuvor belehrt worden war. Die Vernehmungsniederschrift darf nach § 253 verlesen werden. Verweigert der Zeuge jedoch in der Hauptverhandlung die Aussage, so darf der Inhalt seiner früheren Aussage, die ohne die notwendige Belehrung zustande gekommen ist, auch nicht durch die Vernehmung der richterlichen Verhörsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden171. Ist der Zeuge vor der Hauptverhandlung verstorben, so darf die Niederschrift über seine frühere Vernehmung nach § 251 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 auch dann verlesen werden, wenn die Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 unterblieben war172. Gleiches soll auch gelten, wenn der Aufenthalt des Zeugen nicht ermittelt werden kann173. Kann er aus anderen Gründen in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden, so ist die Verlesung der Niederschrift einer ohne vorherige Belehrung gemachten Aussagen unzulässig (vgl. die Erl. zu § 251). Ist die Belehrung des Zeugen oder die Einholung der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters erst in der Hauptverhandlung unterlassen worden, so muß der Mangel noch vor Urteilserlaß geheilt werden (oben Rdn. 53). Wenn das unterlassen wird, liegt ein Revisionsgrund nach § 337 vor (unten Rdn. 55). Eine Fernwirkung in dem Sinne, daß die Aussage nicht nur als Beweismittel unverwertbar ist, sondern auch nicht dazu führen darf, daß aufgrund der Angaben des Zeugen weitere Ermittlungen angestellt und andere Beweise aufgefunden werden, hat das Unterlassen der Belehrung und der Einholung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters hier nicht zur Folge174. V. Revision 1. Unterlassene Belehrung. Ist die durch § 52 Abs. 3 Satz 1 vorgeschriebene Beleh- 55 rung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters175 unterblieben, so begründet das die Revision, wenn der Zeuge ausgesagt hat und das Urteil auf seinen Bekundungen beruht176. Ob dem Gericht das Angehört gen Verhältnis überhaupt bekannt war, spielt keine Rolle177. Auf dem Unterlassen der Belehrung kann das Urteil nicht beruhen, wenn der Mangel noch in der Hauptverhandlung geheilt worden ist (oben Rdn. 53) oder wenn der Zeuge oder der gesetzliche Vertreter sein Recht zur Verweigerung des Zeugnisses gekannt hat178. Auf der unterlassenen Belehrung nach § 52 beruht das Urteil je nach Lage des Fal171
Zur Verwertbarkeit einer früheren polizeilichen Beschuldigtenvemehmung des Zeugen BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 9; einer früheren richterlichen Vernehmung eines das Zeugnis verweigernden Zeugen BGH MDR 1994 764; NStZ 1993 294; einer früheren Vernehmung durch einen Sachverständigen BGHR StPO § 252 Verwertungsverbote 2; BGH NStZ 1990 349 mit Anm. Hassemer JuS 1990 1023; einer früheren Aussage gegenüber einem V-Mann BGH NStZ 1994 593 mit Anm. Schlüchter/Radbruch NStZ 1995 354; ausführlich dazu die Erl. zu § 252.
172
BGHSt 22 35 = JR 1968 429 mit abl. Anm. Peters-, BGH bei Dallinger MDR 1966 384; OLG Nürnberg HESt 3 40; Dahs/Dahs 272; a. A Roxin § 24, 24; Gössel § 25 II b 2; Michaelis NJW 1969 730; Fezer JuS 1978 330.
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BGHSt 25 176; KK-Mayr § 252; 11; Hanack JR 1977 433. 174 Kleinknecht/Meyer-Goßner« 32; Alsherg/Nuse/ Meyer 488; NUse JR 1966 283; a. Α Henkel 271 Fußn. 41; Sehwarze GerS 21 (1869) 71; zum Problem der „Femwirkung" vgl. i. ü. § 136, 74 f. 17 5 Vgl. BGHSt 12 243 - GSSt; 14 160; a. Α für den gesetzlichen Vertreter: Orlowsky 181. 176 BGHSt 6 280; 9 39; RGSt 2 192; 9 386; 18 42; 20 187; RGRspr. 2 217; RG JW 1936 3009; 1938 2270; DJ 1940 940; DR 1939 988; HRR 1940 653; KMR-Pau/us 37; KK-Pelchen 46; Gössel § 25 II a 2; Dahs/Dahs 272; Gossrau MDR 1958 470. 177 BGH StV 1988 89; RGRspr. 7 346; 9 129; RG Recht 1920 Nr. 525; K M R - f t j u i u s 34; KK-Pelchen 46; Eb. Schmidt 21; von Kries 358; Sarstedt/Hamm 233; a. Α RGSt 16 214.
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les auch dann nicht, wenn der Zeuge nach § 55 belehrt worden ist und trotzdem ausgesagt hat (vgl. BGH NStZ 1984 464). Den Rechtsfehler kann auch ein Mitangeklagter geltend machen, zu dessen Ungunsten die Aussage verwertet worden istl 1 7 9 (vgl. aber oben Rdn. 20). 56
2. Unrichtige Beiehrung. Wenn der Zeuge die Aussage verweigert hat, kann die Revision darauf gestützt werden, daß das Gericht ihn irrtümlich für weigerungsberechtigt gehalten und entsprechend belehrt hat 180 . War der seine Aussage verweigernde Zeuge bei der Hauptverhandlung anwesend, ist § 245 verletzt 181 , sonst § 244 Abs. 2. Sagt der Zeuge trotz der falschen Belehrung aus, so ist der Verfahrensverstoß unschädlich (BGH bei Holtz MDR 1979 806). In dem umgekehrten Fall, daß der Zeuge irrtümlich darüber belehrt worden ist, er habe kein Weigerungsrecht, ist die Revision begründet, wenn die Aussage des Zeugen in dem Urteil verwertet worden ist 182 . Ein Irrtum des Gerichts über die Grundlagen des Zeugnisverweigerungsrechts (etwa Verwandtschaft statt Schwägerschaft) ist unschädlich, wenn die Belehrung beide Verweigerungsgründe deckt 183 . In den Fällen der falschen Belehrung ist die Revision auch dann möglich, wenn der Beschwerdeführer gegen die Belehrung durch den Vorsitzenden nicht nach § 238 Abs. 2 das Gericht angerufen hat (KMR-Paulus 39). Denn der Mangel liegt nicht in der unrichtigen Belehrung, sondern darin, daß das Gericht die durch den Verfahrensverstoß gewonnene Aussage bei der Entscheidung berücksichtigt hat 184 .
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3. Unterlassene Einholung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Die Revision kann darauf gestützt werden, daß der Richter die Prüfung unterlassen hat, ob nach § 52 Abs. 2 die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich ist 185 . Hat der Tatrichter die Prüfung vorgenommen, so prüft das Revisionsgericht sie nur auf Rechtsfehler (BGHSt 22 266). Die Ermessensentscheidung, ob der Zeuge die erforderliche Verstandesreife oder -kraft hat, ist nicht nachprüfbar 186 .
RG JW 1934 2914; OLG Oldenburg MDR 1967 607; KK-Pelchen 46; Pfeiffer/Fischer 9 ; a. A R. Hauser 153. BGHSt 7 196; 27 141; BGH bei Dallinger MDR 1973 902; 1979 953; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 354; NJW 1984 136; StV 1988 89; RGSt 16 154; RG JW 1936 3009; RG HRR 1933 262; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 34; KK-Pelchen 49; KMRPaulus 36; Gössel § 25 II b 2; Schöneborn NJW 1974 535. RGSt 32 157; RG Recht 1928 Nr. 213; OGHSt 2 174; KMR-Paulus 37; KK-Pelchen 47; Eb.
Schmidt 22; Sarstedt/Hamm 234; Schlüchler 487; Dahs/Dahs 272. BGH StV 1993 235 mit weit. Nachw.; Kleinknecht/ Meyer-Goßner« 35 u. Erl. zu § 245. 182 RGSt 57 64; Eb. Schmidt 22; Dahs/Dahs 272. 183 KMK-Paulus 37; Eb. Schmidt 22. 184 BGHSt 42 77; Rilk JW 1937 886; a. A RGSt 71 21. 185 BGHSt 14 161; BGH StV 1997 169 zur Frage des Revisionsvorbringens; Kleinknecht/Meyer-Goßner>3 34; Orlowsky 180. 186 OLG Stuttgart NJW 1971 2238; a. Α AK-Kühne 2 seinerseits mit unzutreffendem Verständnis von OLG Stuttgart NJW 1971 2238. 181
Stand: 1.5. 1998
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(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt 1. Geistliche über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden ist; 2. Verteidiger des Beschuldigten über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist; 3. Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, Arzte, Zahnärzte, Apotheker und Hebammen über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist; 3 a. Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist; 3 b. Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit in einer Beratungsstelle, die eine Behörde oder eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt oder bei sich eingerichtet hat, über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist; 4. Mitglieder des Bundestages, eines Landtages oder einer zweiten Kammer über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieser Organe oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben sowie über diese Tatsachen selbst; 5. Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von periodischen Druckwerken oder Rundfunksendungen berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben, über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmanns von Beiträgen und Unterlagen sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt. (2) Die in Absatz 1 Nr. 2 bis 3 b Genannten dürfen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. Schrifttum. Amelung Grenzen der Beschlagnahme notarieller Unterlagen, DNotZ 1984 195; Badewitz Der Zeugniszwang gegen die Presse (1952); Baier Strafprozessuale Zeugnis verweigerungsrechte außerhalb der Strafprozeßordnung als Ergänzung der §§ 52 ff StPO (1996); Bappert Das Zeugnisverweigerungsrecht des Redakteurs, ArchPR 1961 165; Bartsch Ärztliche Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht im Strafprozeß - eine Darstellung der Verhältnisse der materiellen zu den prozessualen Vorschriften, Diss. München 1972; Baumann Die Auseinanderentwicklung des Prozeßrechts, dargestellt am Beispiel der Beachtung der Verschwiegenheitspflicht bei der Zeugenvernehmung, FS Baur 187; Baumann Et respice finem - Ein Beitrag zum Zeugnisverweigerungsrecht von Geistlichen nach § 53 I Nr 1 StPO - BGH NJW 1990, 3283, JuS 1991 466; Bauwens Beschlagnahme von Buchführungsunterlagen beim Steuerberater, wistra 1985 179; Berg Fahndung und Ermittlung mit Hilfe der Medien, AfP 1989 445; Bergmann Anmerkung zu BVerfG 15. 1. 75 (Kein Zeugnisverweigerungsrecht für Tierärzte) DÖV 1975 637; Blau Schweigepflicht und Schweigerecht der Fachpsychologen, NJW 1973 2234; Bockelmann Strafrecht des Arztes (1968); Bosch Grundsatzfragen des Beweisrechts (1963); Brauns Strafverfahrensrecht - Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts des Arzthelfers - Begleitumstände der Krankenhausaufnahme eines Patienten - geschützter Personenkreis - Revisionsrüge des Nicht-Patienten, JA 1985 548; Brenner Die Bedeutung der Rechtsprechung für das steuerrechtliche Ermittlungsverfahren, StW 1987 57; Bringewat Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeprivileg des Verteidigers, NJW 1974 1740; Cramer Das Zeugnisverweigerungsrecht von Presse und Rundfunk (1968); Dahs Die Entbindung des Rechtsanwalts von der Schweigepflicht im Konkurs der Handelsgesellschaft, FS Kleinknecht 63; Daner Das Recht der Zeugnisverweigerung im Strafprozeß, Diss. Würzburg 1930; Delitz Zeugnisverweigerungsrecht und (81)
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Beschlagnahmeprivileg der Presse unter besonderer Berücksichtigung des anglo-amerikanischen Rechts, Diss. München 1976; Delitz Zweifelsfragen zum neuen Zeugnisverweigerungsrecht der Presse, ArchPR 1976 106; Dencker Bemerkung zu Geppert DAR 1981 301 (Beschlagnahme von Schadenakten privater Haftpflichtversicherer im Strafprozeß), NStZ 1982 459; Dencker Bemerkung zu Kühne in JZ 1981 467 (Die begrenzte Aussagepflicht des ärztlichen Sachverständigen vor Gericht nach § 53 I Nr. 3, § 203 I Nr. 1 StPO), NStZ 1982 460; Ebermayer Arzt und Patient (1924); Erkel Der Bundesgesetzgeber und das Zeugnisverweigerungsrecht, Strafrechtlicher Schutz der Informationsquellen, München (1975); Eser/Schumann/Gollner Forschung im Konflikt mit Recht und Ethik. Zur Problematik des Zeugnisverweigerungsrechts - Strafrechtliche Immunität und freier Datenzugang des Forschers (1976); Fezer Grundfälle zum Verlesungs-und Verwertungsverbot im Strafprozeß, JuS 1978 472; Foth Zur Schweigepflicht der freien Sozialdienste im Strafprozeß, JR 1976 7; Freund Verurteilung und Freispruch bei Verletzung der Schweigepflicht eines Zeugen, GA 1993 49; Frey Zur Frage des ärztlichen Zeugnisverweigerungsrechtes, FS Pfenninger 41; Fuss Pressefreiheit und Geheimnisschutz, NJW 1962 2225; Gabrian Das Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten, Diss. Köln 1953; Gehrhardt Vermeintliche und wirkliche Mängel des neuen Zeugnisverweigerungsrechts, ArchPR 1975 892; Gehrhardt Das neue Zeugnisverweigerungsrecht der Publizisten, ArchPR 1975 893; Gehrhardt Zur Unbeschränktheit des Zeugnisverweigerungsrechtes der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk, MDR 1976 461; Gehrhardt Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts der Publizisten durch die Rechtsprechung, ArchPR 1979 234; Gehrhardt Grundgesetz und publizistisches Zeugnisverweigerungsrecht - zum Problem des Ausschluß des Zeitungsartikels aus dem Zeugnisverweigerungsrecht, Film und Recht 1975 154; Geppert Der Zeugenbeweis (Schluß), Jura 1991 132; Geppert Die ärztliche Schweigepflicht im Stafvollzug (1983); Giesen Der Zeugniszwang gegen die Presse (1906); Glauben Beschlagnahme von Filmmaterial für polizeiliche Ermittlungen, DRiZ 1988 352; Göppinger Die Entbindung von der Schweigepflicht und die Herausgabe oder Beschlagnahme von Krankenblättern, NJW 1958 241; Gössel Medienfreiheit und Strafverfolgung, Schriftenreihe des Instituts für Rundfunkrecht an der Universität Köln Band 38 (1985); Gollner Aussageverweigerungsrecht und Immunität. Forschung in Konflikt mit Recht und Ethik, 1976 241; Greiner Wohnortangabe von Polizeibeamten als Zeugen vor Gericht, Kriminalistik 1979 522; Grohmann/ Schulz Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht, DAR 1980 74; K.-H. Groß Verteidiger, Abgeordnete und Journalisten als verbotene unfreiwillige Medien zur strafprozessualen Aufklärung; StV 1996 559; R. Groß Zum Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk, FS Schiedermair 223; Gross Zum journalistischen Zeugnisverweigerungsrecht, Kriminalistik 1964 121; Gross Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeprivileg, ArchPR 1965 542; Gross Neuregelung des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts, NJW 1975 1763; Grünwald Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1966 489; Gülzow Beschlagnahme von Unterlagen der Mandanten bei deren Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, NJW 1981 265; Haars Das Verhältnis zwischen Gutachter und Beschuldigtem im Vergleich zum Arzt-Patient-Verhältnis, Diss. Kiel 1978; Haas Zeugnisverweigerungsrecht des Geistlichen, NJW 1990 3253; Händel Zeugnisverweigerungsrecht für Betriebsräte (Anm. zu BVerfG 19. 1. 79), DNP 1979 224; Hackel Drittgeheimnisse innerhalb der ärztlichen Schweigepflicht, NJW 1969 2257; Haffke Schweigepflicht, Verfahrensrevision und Beweisverbot, GA 1973 65; Hass Die Grenzen des anwaltlichen Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, NJW 1972 1081; Hass Bemerkungen zum ärztlichen Zeugnisverweigerungsrecht nach der StPO, SchlHA 1973 42; Hass Bemerkungen zum Zeugnisverweigerungsrecht des Geistlichen nach der StPO, SchlHA 1973 164; Hassemer Rechtsprechungsübersicht - Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten, JuS 1990 503; Hassemer Beschlagnahme selbstrecherchierten Materials beim Rundfunk, JuS 1988 491; Hassemer Das Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwalts, wistra 1986 1; Hauber Der Jugendgerichtshelfer als Sozialanwalt des jugendlichen Straftäters? ZBIJugR 1980 509; Η. P. Hauser Das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren, Diss. Basel 1957; Helgerth Der „Verdächtige" als schweigeberechtigte Auskunftsperson und selbständiger Prozeßbeteiligter neben dem Beschuldigten und dem Zeugen, Diss. Erlangen/Nürnberg 1976; Helm Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten im amerikanischen und deutschen Recht, Diss. Erlangen/Nürnberg 1980; Hennemann Pressefreiheit und Zeugnisverweigerungsrecht, Berliner Abhandlungen zum Presserecht H. 23, Diss. Heidelberg 1977/78; Heublein Das Zeugnisverweigerungsrecht für Suchtberater (1991); Hiendl Darf bei Alkoholverkehrsdelikten der die Blutprobe entnehmende Arzt vor dem Gericht die Aussage über den Stand: 1.5. 1998
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klinischen Befund verweigern? NJW 1958 2100; Hörster Die soziale Gerichtshilfe zur Persönlichkeitserforschung, JZ 1982 92; Holtmeier Presse und Rundfunkfreiheit: Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahme- und Durchsuchungsfreiheit bei selbstrecherchierten Material? Diss. Freiburg/Br. 1992; Huppertz Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot zugunsten des Rundfunks im Strafprozeß (1971); Jarass Konflikte zwischen Polizei und Demonstranten, JZ 1983 280; Jung Umfang des ärztlichen Zeugnisverweigerungsrechts, JuS 1993 698; Kaiser Zeugnisverweigerungsrecht der Diplompsychologen, NJW 1971 491; Kaiser Gesellschaft, Jugend und Recht (1977); Klose Die richterliche Kontrolle des Zeugnisverweigerungsrechts der Berufsgeheimnisträger am Beispiel des Arztes, Diss. Marburg 1976; Klug Presseschutz im Strafprozeß (1965); Kohlhaas Das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten, NJW 1958 41; Kohlhaas Strafrechtliche Schweigepflicht und prozessuales Schweigerecht, GA 1958 65; Kohlhaas Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes nach Entnahme einer Blutprobe? DRiZ 1959 246; Kohlhaas Zum Zeugnisverweigerungsrecht der Presse, ArchPR 1963 395; Kohlhaas Zur Schweigepflicht der Psychologen, NJW 1969 1566; Kohlhaas Das Zeugnisverweigerungsrecht des Journalisten, Presserecht und Pressefreiheit 1980 143; Krämer Das „Verteidigungsprivileg" der §§ 97, 53 StPO im Ermittlungsverfahren nach dem GWB aus verfassungsrechtlicher Sicht, BB 1975 1225; Krauß Schweigepflicht und Schweigerecht des ärztlichen Sachverständigen im Strafprozeß, ZStW 97 (1985) 81 \ Kreuzer Aids und Strafrecht, ZStW 100 (1988) 786; Kreuzer Ist das Zeugnisverweigerungsrecht von Drogenberatern brüchig? Sucht 41 (1995) 293; Kribs/Drees Grenzen prozessualer Aussageverpflichtung des im Strafverfahren als Zeugen vernommenen, nach § 53 II StPO von der Schweigepflicht entbundenen Geheimnisträgers, Deutsche Steuerzeitung 1978 51; Kühne Zeugnisverweigerungsrecht im Strafprozeß - neue Wege für die Anwendung von Grundrechten? JuS 1973 685; Kühne Die begrenzte Aussagepflicht des ärztlichen Sachverständigen vor Gericht nach §§ 53 I Nr. 3 StPO, 203 I Nr. 1 StGB, JZ 1981 647; Kühne und Hoffmann Nochmals: Zeugnisverweigerungsrecht von nicht in § 53 StPO erwähnten Personengruppen, insbesondere von Diplompsychologen, NJW 1971 1438; Kube/Leineweber/Banscherus Polizeibeamte als Zeugen und Sachverständige2 (1980); Kurth Zeugnispflicht und Postgeheimnis, NStZ 1983 541; Kunert Das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk, MDR 1975 885; Lang Das angestrebte Zeugnisverweigerungsrecht für staatlich anerkannte Sozialpädagogen aus strafrechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht, Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 1981 319; Leineweber Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk, Deutsche Polizei 1976 24; Leineweber Nochmals: Das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse, ArchPR 1964 405; Lenckner Ärztliches Berufsgeheimnis, in Arzt und Recht (1966) 159; Lenckner Aussagepflicht, Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht, NJW 1965 321; Leonhard Das Beichtgeheimnis, seine Stellung im Strafprozeß und Strafvollzug, ZStW 26 (1906) 405; Lisken Pressefreiheit und Strafprozeß, ZRP 1988 193; Löffler Das neue Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmerecht im Presse- und Rundfunkbereich, ArchPR 1978 84; Löffler Lücken und Mängel im neuen Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmerecht von Presse und Rundfunk, NJW 1978 913; Löffler Das neue-Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmerecht im Presse- und Rundfunkbereich, NJW 1978 1617; Löffler Der Zeugniszwang gegen Presse und Rundfunk, NJW 1958 1215; Lohmeyer Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht des Steuerberaters, Der Steuerberater 1975 256; Lohmeyer Das Auskunftsverweigerungsrecht zum Schutz bestimmter Berufsgeheimnisse, Deutsche Steuerzeitung 1979 347; Lohmeyer Die steuerlichen Auskunfts- und Verschwiegenheitspflichten, RWP 1990 1196; D. Meyer Zeugnisverweigerung analog §§ 53, 53 a StPO auch für private Haftpflichtversicherer? MDR 1973 812; D. Meyer Noch einmal: Zur Frage einer Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts der §§ 53, 53 a StPO auf private Haftpflichtversicherer, MDR 1975 896; J. Meyer Zur Beschlagnahme selbstrecherchierten Materials von Journalisten, FS Tröndle 837; Möhl Das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse im Straf- und Disziplinarverfahren (1963); Möllering Schutz für den Forscher und sein Objekt - Zeugnisverweigerungsrecht für Soziologen, ZRP 1977 7; Momberg Die Ermittlungstätigkeit der Jugendgerichtshilfe und ihr Einfluß auf die Entscheidung des Jugendrichters, Diss. Göttingen 1982; Müller/Pieroth/Rottmann Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit (1973); Müller-Dietz Juristische Grundlagen und Dimensionen der Schweigepflicht des Arztes, Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts (1989); Noll Geheimnisschutz und Zeugnispflicht, FS Gerwig (1960) 153; Ollendorf Der Schutz der Recherche im strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden in der BRep Deutschland, Diss. Freiburg/Br. 1991; Paulus Dogmatik der Verteidigung, NStZ 1992 (83)
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305; Peters Seelsorge und Strafvollzug, JR 1975 402; Rehmann Beschlagnahme von terroristischen „Bekennerschreiben" bei Presseunternehmen, FS Pfeiffer 230; Rehmann/Ott/Storz Das baden-württembergische Gesetz über die Presse (1964); von Rechenberg Die Aussagepflicht des Anwalts, Kriminalistik 1956 105; Rehbinder Das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten im Recht der Vereinigten Staaten, Gesetzgebung und richterliche Entscheidungen, Film und Recht 1976 289; Rehbinder Rechtspolitisches zum Quellenschutz der Medien durch Zeugnisverweigerungsrecht im Strafprozeß; FS Oehler 418; Rengier Kein Zeugnisverweigerungsrecht für Suchtkrankenstelle (Kurzberichte), Kriminalistik 1977 424; Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Recht (1979); Rengier Zum strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrecht des Betriebs- und Personalrats, BB 1980 231; Rengier Beschlagnahme von Buchungsunterlagen bei Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern (Kurzberichte), Kriminalistik 1981 465; Roxin Das Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwalts, NJW 1992 1129; Ruth Das Zeugnisverweigerungsrecht der Ärzte nach der StPO und der ZPO, DJZ 1913 1198; Sauter Das Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz (1910); Selmer Steuerrecht und Bankgeheimnis (1981); Schäfer Bemerkungen zur ärztlichen Schweigepflicht, DStR 1937 197; Schäfer Die Beschlagnahme von Handelsbüchern beim Steuerberater, wistra 1985 210; Schalt Auskunft und Zeugnisverweigerung im Strafverfahren Suchtkranker, Suchtgefahren 1989 136; Scheer Deutsches Presserecht (1966); Scheffler Strafvereitelung und die Grenzen des Zeugnisverweigerungsrechtes des Verteidigers, StV 1992 299; Schilling Strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Psychologen? JZ 1976 617; Eb. Schmidt Der Arzt im Strafrecht (1939); P. Schmitt Probleme des Zeugnisverweigerungsrechts bei Beratern juristischer Personen - zugleich ein Beitrag zu der Entbindungsbefugnis des Konkursverwalters, wistra 1993 9; P. Schmitt Die Berücksichtigung der Zeugnis verweigerungsrechte nach §§ 52, 53 StPO bei den auf Beweisgewinnung gerichteten Zwangsmaßnahmen, Diss. Bonn 1993; Schmitz Erläuterte Entscheidungen - StPO - Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten, JA 1990 95; Schneider Zeugnisverweigerungsrecht der Geistlichkeit, DR 1937 332; Schulenberg Anmerkung zu BGH, Beschluß vom 20. November 1989 2 BGs 355/89 - Journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht, ZUM 1990 466; Schwalb Beichtgeheimnis und Zeugnispflicht (1896); Simonson Das Berufsgeheimnis der Ärzte und deren Recht zur Zeugnisverweigerung, DJZ 1904 1014; Solbach Kann der Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden werden, wenn sein Patient verstorben oder willensunfähig ist? DRiZ 1978 204; Stascheit Zeugnisverweigerungsrecht nur für die Sozialarbeiter der Reichen? KJ 1975 176; Stein Das strafprozessuale Schweigerecht von Seelsorgehelfern, Zeitschrift für Ev. Kirchenrecht 1976 418; Stromberg Über das Zeugnisverweigerungsrecht und die Genehmigungsbedürftigkeit von Zeugenaussagen kirchlicher Bediensteter - mit einem Ausblick auf die zu erwartende Erweiterung des § 53 StPO, MDR 1974 892; Timm Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht (1988); Vogel Zeugnisverweigerung in der Psychotherapie, NJW 1972 2209; Wach Das Recht der Zeugnisverweigerung, GerS 66 (1905) 1; Wälder Zeugnisverweigerungsrecht und Aussagepflicht des Anwaltes, Kriminalistik 1958 32, 220; Walter Die ermittelnden, berichtenden und beratenden Aufgaben der Jugendgerichtshilfe, ZB1. 1973 485; Walter Zur Auskunftspflicht der Sozialarbeiter und Arbeitsämter in Ermittlungs- und Strafverfahren, NJW 1978 868; Weihrauch Zur Entbindungsbefugnis des Konkursverwalters von der Schweigepflicht, JZ 1978 300; Weis Die Ausnutzung der Beforschten und das Zeugnisverweigerungsrecht des Forschers, Forschung im Konflikt mit Recht und Ethik (1976) 220; Welp Die Geheimsphäre des Verteidigers in ihren strafprozessualen Funktionen, FS Gallas 391; Wex Diskretionspflicht und Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes, DJZ 1905 310; Wiirtenberger Der Schutz des Berufsgeheimnisses und das Zeugnisverweigerungsrecht des Sozialarbeiters, GedS für Hans Peters 923; Zottmann Das Zeugnisverweigerungsrecht in den deutschen Verfahrensgesetzen, Diss. Erlangen 1960.
Entstehungsgeschichte. Die ursprüngliche Fassung der Vorschrift enthielt nur die Verweigerungsgründe des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 und die der Nummer 3 mit der Beschränkung auf Rechtsanwälte und Ärzte. Durch Abschnitt A Nr. 1 des Gesetzes zur Abänderung der Strafprozeßordnung vom 27. 12. 1926 (RGBl. I 529) wurde als Absatz 1 Nr. 4 das Zeugnisverweigerungsrecht für Redakteure, Verleger und Drucker eingefügt. Diese Vorschrift wurde durch Art. 3 Nr. 17 VereinhG geändert. Art. 4 Nr. 9 des 3. StRÄndG faßte § 53 völlig neu. Dabei wurde das Zeugnisverweigerungsrecht in Absatz 1 Nr. 3 auf andere Personen als Rechtsanwälte und Ärzte erweitert und das ZeugnisverweiStand: 1.5. 1998
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gerungsrecht für Abgeordnete (Absatz 1 Nr. 4) und Rundfunkangehörige (Absatz 1 Nr. 6) eingeführt. Die bisherige Nummer 4 des Absatzes I wurde als Nummer 5 neu gefaßt. Art. 10 Nr. 2 StPÄG 1964 erweiterte Absatz 1 Nr. 3 auf Steuerbevollmächtigte. Durch Art. 6 Nr. 1 des 5. StrRG wurde in Absatz 1 die Nummer 3 a eingefügt und Absatz 2 entsprechend ergänzt. Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. 7. 1975 (BGBl. I 1973) faßte in Absatz 1 die Nummer 5 neu und strich die Nummer 6. Nachdem das Bundesverfassungsgericht das 5. StrRG teilweise für nichtig erklärt hatte (BVerfGE 39 1), wurden die §§ 218 ff StGB durch das 15. StrÄndG neu gefaßt. Dadurch wurde eine Änderung des § 53 Abs. 1 Nr. 3 a erforderlich, die jedoch lediglich in einer Anpassung an den Gesetzes Wortlaut des § 218 b Abs. 2 Nr. 1 StGB und in der Streichung der Bezugnahme auf die nach § 219 StGB a. F zuständige Stelle bestand. Mit Beitritt der DDR 1990 mußte Absatz 1 Nr. 3 a erneut geändert werden. Im Hinblick auf die verfassungswidrige Fristenregelung der Beitrittsländer wies der Einigungsvertrag den Gesetzgeber an, bis zum 31. 12. 1992 eine für Gesamtdeutschland geltende, den Lebensschutz verbessernde Neuregelung zu schaffen. Durch Art. 14 Nr. 1 des daraufhin beschlossenen Schwangeren- und Familienhilfegesetzes (SFHG) vom 27. 7. 1992 wurde in Abs. 1 Nr. 3 a die Angabe „§ 218 b Abs. 2 Nr. 1 des Strafgesetzbuches" durch den Verweis auf § 3 des Gesetzes über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung vom 27. 7. 1992 ersetzt. Da das BVerfG auch das SFHG teilweise für nichtig erklärte (BVerfGE 86 396; 88 203), wurde § 53 Abs. 1 Nr. 3 a nochmals geändert durch Art. 9 Abs. 2 des SFHÄndG vom 21. 8. 1995. Die 1992 vorgenommene Ersetzung wurde gestrichen und statt dessen auf die §§3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG = geändertes Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung) verwiesen. Mit Einfügung des Absatz 1 Nr. 3 b wurde der langjährigen Forderung Rechnung getragen — vgl. den von der Bundesregierung schon 1974 mit dieser Zielsetzung eingebrachten Gesetzesvorschlag (BRDrucks. 384 74), ein Zeugnisverweigerungsrecht auch für Drogenberater gesetzlich zu normieren (Art. 1 des Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit vom 23. 7. 1992). Bezeichnung bis 1924: § 52. Geplante Änderungen. Nach dem Gesetzentwurf des Bundesrates für ein Gesetz zur Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechtes für Mitarbeiter/-innen von Presse und Rundfunk... (BTDrucks. 13 195) soll § 53 Abs. 1 Nr. 5 folgende Fassung erhalten: „5. Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von periodischen Druckwerken, anderen der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Druckwerken, Filmberichten oder Rundfunksendungen berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben, über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen, Unterlagen und ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, über deren Inhalt sowie über den Inhalt selbst erarbeiteter Unterlagen; dies gilt nur, soweit es sich um Beitrage, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt."
In Absatz 2 soll folgender Satz 2 angefügt werden: „Die Berechtigung zur Zeugnisverweigerung über den Inhalt selbst erarbeiteter Unterlagen entfällt, wenn Gegenstand der Untersuchung 1. ein Mord, ein Totschlag oder ein Völkermord (§§ 211, 212, 220 a des Strafgesetzbuches), 2. eine beabsichtigte schwere Körperverletzung oder eine Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 225, 226 des Strafgesetzbuches), 3. ein besonders schwerer Fall des sexuellen Mißbrauchs von Kindern, ein sexueller Mißbrauch von Kindern mit Todesfolge, eine Vergewaltigung oder eine sexuelle Nötigung (§ 176 Abs. 3 und 4, §§ 177, 178 des Strafgesetzbuches), 4. ein Menschenhandel (§181 des Strafgesetzbuches), 5. eine Straftat gegen die persönliche Freiheit in den Fällen der §§ 234, 234 a, 239 a, 239 b des Strafgesetzbuches, (85)
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6. ein Raub in den Fällen der §§ 250, 251 oder eine räuberische Erpressung nach § 255 in Verbindung mit §§ 250, 251 des Strafgesetzbuches, 7. eine gemeingefährliche Straftat in den Fällen der §§ 306, 307, 310 b Abs. 1 bis 3, § 311 Abs. 1 bis 3, § 311 a Abs. 1 bis 3, §§ 311 b, 312, 315 Abs. 3, § 315 b Abs. 3, §§ 316 a, 316 c, 319 des Strafgesetzbuches, 8. eine schwere Umweltgefährdung oder eine schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften (§ 330 Abs. 1 bis 4, § 330 a Abs. 1 des Strafgesetzbuches), 9. eine Straftat des Friedensverrats, des Hochverrats, des Landesverrats oder der Gefährdung der äußeren Sicherheit in den Fällen der §§ 80, 81 bis 83, 94 bis 96, 97 a, 100 des Strafgesetzbuches, 10. eine Straftat gegen die öffentliche Ordnung in den Fällen der §§129 bis 130 des Strafgesetzbuches, 11. eine Straftat nach § 52 a Abs. 1 bis 3, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 des Waffengesetzes oder nach § 16 Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen, 12. eine Straftat nach § 29 Abs. 3 Nr. 1, 4 oder § 30 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder eine gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande begangene Straftat nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 des Betäubungsmittelgesetzes, 13. eine gewerbsmäßige Hehlerei (§ 260 des Strafgesetzbuches) oder 14. eine Straftat, wegen der eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist, und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre." Ferner soll folgender neuer Absatz 3 angefügt werden: „(3) Soweit die in Absatz 1 Nr. 5 genannten Personen von ihrem Recht zur Verweigerung des Zeugnisses über den Inhalt selbst erarbeiteter Unterlagen Gebrauch machen, darf Beweis über Aussagen, die diese Personen in anderen als strafgerichtlichen Verfahren gemacht haben, nicht erhoben werden." Nach dem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Presse, Rundfunk und Film (BTDrucks. 13 5285) soll § 53 Abs. 1 Nr. 5 folgende Fassung erhalten: „5. Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen oder Filmberichten mitwirken oder mitgewirkt haben, über das, was ihnen im Rahmen dieser Tätigkeit anvertraut oder bekanntgeworden ist, soweit es sich um Beiträge Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt." Ferner soll folgender neuer Absatz 3 angefügt werden: „(3) Soweit die in Absatz 1 Nr. 5 genannten Personen von ihrem Recht zur Verweigerung des Zeugnisses Gebrauch machen, darf Beweis über Aussagen, die diese Personen in anderen als strafgerichtlichen Verfahren gemacht haben, nicht erhoben werden." S. ggfs. die Erläuterungen im Nachtrag zur 25. Auflage.
Übersicht Rdn. I. Allgemeines 1. Zweck der Vorschrift 2. Keine Anwendung auf andere Berufe 3. Ausländische Zeugnisverweigerungsrechte II. Verhältnis zu § 203 StGB 1. Allgemeines 2. Befugte Offenbarung von Berufsgeheimnissen 3. Entscheidungsbefugnis des Zeugen 4. Verwertbarkeit III. Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts 1. Allgemeines
2. Anvertraute Tatsachen 3. Bekanntgewordene Tatsachen . . . . 4. Zeitliche Dauer
l 3 5 7 9 13 14
15
IV. Zur Zeugnisverweigerung berechtigte Personen 1. Geistliche (Absatz 1 Nr. 1) a) Allgemeines b) Personenkreis c) Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts 2. Verteidiger (Absatz 1 Nr. 2) a) Personenkreis b) Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts
Stand: 1.5. 1998
Rdn. 16 18 19
20 23 24 27 28 (86)
Sechster Abschnitt. Zeugen
§ 5 3 Rdn.
Rdn. 3. Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte (Absatz 1 Nr. 3) a) Personenkreis b) Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts 4. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Hebammen (Absatz 1 Nr. 3) a) Personenkreis b) Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts c) Ärztliche Sachverständige . . . . 5. Mitglieder oder Beauftragte von Schwangerschaftsberatungsstellen oder -begutachtungssteilen (Absatz 1 Nr. 3 a) a) Personenkreis b) Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts 6. Berater fur Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit in einer Beratungsstelle (Absatz 1 Nr. 3 b) a) Personenkreis b) Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts 7. Abgeordnete (Absatz 1 Nr. 4) a) Allgemeines
b)
30 31
33 34 35
VI. Belehrung 37 38
39 40
Ausländer Ausnahmen Bankangestellte Bankmitarbeiter Beschlagnahme Betriebsräte Bewährungshelfer Bilanz Bildschirmtexte Buchhaltung Bußgeldverfahren Diplom-Psychologen Drittgeheimnis Drogenberater E-Mail eigene Recherchen Eheberater Einsender Einwirkung Erpressung Erscheinenspflicht (87)
43
44 46 56
64 65 66 67 68 69
VII. Entbindung von der Schweigepflicht 1. Allgemeines 2. Zur Entbindung berechtigte Personen 3. Erklärung 4. Vertretung 5. Wirkung 6. Widerruf VIII. Revision
70 71 73 74 75 76 77
41
Alphabetische Abgrenzungsfragen AIDS-Berater Amtsarzt Anbahnung
Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts 8. Mitarbeiter von Presse und Rundfunk (Absatz 1 Nr. 5) a) Allgemeines b) Personenkreis c) Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts V. Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts 1. Allgemeines 2. Verzicht auf das Weigerungsrecht . . 3. Widerruf der Erklärungen 4. Protokoll 5. Folgen der Zeugnisverweigerung . .
Rdn. 27 4 34 15, 28,31, 34 5,30 56 4,5 5 2 4 4 32 48 32 2 4 72 39 49 28 4 59 13,69, 77 25,31 2
Übersicht EU-Gebiet Fernsehen Film funktionsfähige Rechtspflege Geheimhaltung Geheimnisse Verstorbener Gelegenheitserkenntnisse Gewährsmann Globalisierung Hebamme Heilpraktiker Herstellung Hochschullehrer in dubio-Grundsatz Indiskretion Informationsinhalt Interessenabwägung Internet Irrtum Jugendgerichtshilfe Jurist Kirchenrecht Krankenpfleger Mißbrauch
Hans Dahs
Rdn. 6, 33 47 47 3,45 17 8, 18, 19, 74 25, 30, 43 60 5 33 33 54 27 31 43 61 65 49 36,66, 76, 77 4 37 20 ff. 33 29
§53
Naturheilkundiger Notar Patentanwalt Personalräte Personenkreis Pflichtenwiderstreit Protokoll Psychologe Rechtfertigungsgrund Rechtsbeistand Referendar Religionsgemeinschaft Sachverständiger Schiedsmänner Schweigepflicht Seelsorger Selbstrecherchiertes Material Sozialarbeiter Sozialpädagogen
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rdn. 4,33 30 30 4 51 f. 1,3,45 67 33,37 10 ff. 4,30 27 23 35 f. 4 6,9 37 62 4,37 4
Sprecher Steuerberater Steuerbevollmächtigte Straftäter Syndikusanwalt Tierärzte Truppenarzt Verbreitung Vereidigter Buchprüfer Verfasser Versicherungen Verwertungsverbot Vorbereitung Werbung Wirtschaftsprüfer Würdigung Zahnarzt Zweifelsfälle
Rdn. 57 27, 30, 32 30, 32 44 30 4 34 55 30 58 4 11, 14 53 49, 63 30, 32 13,68,70, 75 33 32
I. Allgemeines 1
1. Zweck der Vorschrift. § 53 gibt den Angehörigen bestimmter Berufe ein Zeugnisverweigerungsrecht mit Rücksicht auf das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und denjenigen, die sich ihrer Hilfe und Sachkunde bedient haben 1 . Dieses Vertrauensverhältnis soll, auch im Allgemeininteresse2, nicht durch die Besorgnis behindert werden, daß der Geistliche, Rechtsanwalt, Arzt usw. später einmal als Zeuge darüber vernommen werden könnte, was ihm anvertraut oder bekanntgeworden ist (BVerfGE 38 323). Die in § 53 genannten Personen sollen auch aus der Zwangslage eines Pflichtenwiderstreits (Wahrung des Vertrauens oder Berücksichtigung des allgemeinen Interesses an der Aufklärung einer Straftat) befreit werden 3 . Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 ist aber weniger umfassend als das der Angehörigen nach § 52. Es erstreckt sich in den Fällen des § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 a nur auf Tatsachen, die dem Zeugen in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut oder bekanntgeworden sind; in den anderen Fällen ist es ebenfalls begrenzt. Jedoch erlaubt § 53 Abs. 2 dem Beschuldigten in gewissem Umfang, die Zeugnisverweigerungsberechtigten von ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit zu entbinden und sie dadurch zur Aussage zu zwingen. Von der Zeugnispflicht des Geheimnisträgers ist das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 nicht abhängig; es besteht daher auch, wenn derjenige, der von der Schweigepflicht entbinden könnte, als Zeuge vernommen wird und unbeschränkt aussagen muß (BGH bei Dallinger MDR 1969 723).
2
Die Pflicht, vor Gericht zu erscheinen, wird durch § 53 nicht berührt4. Ein Antrag auf Ladung des Zeugen darf daher nicht unter Hinweis auf dessen Zeugnisverweigerungs1 BGHSt 9 59; OLG Hamburg DStR 1936 438 mit Anm. Henkel; OLG Koblenz NStZ 1985 426 ff; LG Köln NJW 1959 1598; AK-Kühne 1; HK /^mke 1; KMR-Paulus Vor § 48; KK-Pelchen 1; Pfeiffer/Fischer 1; Eb. Schmidt 3; Fezer 15/13; Rilk JW 1937 886. 2 Cramer 31; R. Hauser 205; Lenckner NJW 1965 322; Schlächter 489.1; Geppert Jura 1991 135. 3 BGHSt 9 61; vgl. aber auch SK-Rogall Vor 48, 145, der einen einheitlichen Schutzzweck verneint
4
und sich für drei Gruppen eines berufsbezogenen Zeugnisverweigerungsrechts - Angehörige der Beratungs- und Heilberufe, von Legislativorganen, der Presse - mit unterschiedlicher Zielrichtung ausspricht; ähnlich Schmitt Zeugnisverweigerungsrechte 118, 134, die u. a. den Begriff „Pflichtenwiderstreit" durch „Gewissenskonflikt" ersetzen will. Kleinknecht/Meyer-Goßner° 1; YMR-Paulus Vor § 48,79; Eb. Schmidt Nachtr. I Vor § 52, 13.
Stand: 1. 5. 1998
(88)
Sechster Abschnitt. Z e u g e n
§53
5
recht abgelehnt werden . Die Vorschrift führt lediglich dazu, daß das Zeugnis nicht nach § 70 erzwungen werden darf. Das Recht, den Eid zu verweigern, sieht das Gesetz für den in § 53 bezeichneten Personenkreis nicht vor. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsträger dehnt § 53 a auf ihre Gehilfen aus. § 53 gilt nach § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren. Für das Beschlagnahmeverfahren wird die Vorschrift durch § 97 dahin ergänzt, daß die Schriftstücke und Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht, grundsätzlich auch nicht beschlagnahmt werden dürfen. 2. Keine Anwendung auf andere Berufe. § 53 enthält eine allgemeine Aussage dar- 3 über, bei welchen Berufen der Schutz des Vertrauensverhältnisses das Allgemeininteresse an der Aufklärung von Straftaten überwiegt. Im Einzelfall kann ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus dem Grundgesetz herzuleiten sein, wenn die Vernehmung des Zeugen unabhängig von seiner Berufszugehörigkeit wegen des Beweisthemas in den durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung des einzelnen eingreifen würde 6 (vgl. auch Vor 48, 9). Jedoch wird allein die Tatsache, daß bestimmte Berufsgruppen auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihren Kunden und Auftraggebern angewiesen sind, zu einer Erweiterung der in § 53 bestimmten Zeugnisverweigerungsrechte nicht führen können (vgl. OLG Köln VRS 84 [1993] 101). Der Gesetzgeber hat aus gutem Grund nicht allen nach § 203 StGB zur Wahrung ihrer Berufsgeheimnisse verpflichteten Personen7, sondern nur den Vertretern solcher Berufe eine Aussageverweigerungsbefugnis verliehen, in denen sich feste, von der Gemeinschaft gebildete Maßstäbe dafür entwickelt haben, wie ein Berufsgeheimnis besteht und inwieweit es Schweigen gebietet. Das Verweigerungsrecht in entsprechender Anwendung des § 53 auf andere Berufsgruppen auszudehnen, ist den Gerichten schon deshalb verwehrt, weil nicht einmal der Gesetzgeber den Kreis der aus Berufsgründen zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen nach Belieben erweitern darf; denn die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Notwendigkeit, eine funktionsfähige Rechtspflege zu erhalten, zwingt dazu, diesen Kreis auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken 8 . In der Rechtsprechung und im Schrifttum ist die Ausdehnung des Zeugnisverweige- 4 rungsrechts des § 53 auf Angehörige anderer Berufe durchweg abgelehnt worden, so für Bankangestellte 9 , zumal ein strafrechtlich wirkendes „Bankgeheimnis" im deutschen Strafprozeß auch sonst grds. nicht anerkannt ist 10 ; Betriebsräte"; Diplom-Psycholo-
5
Kleinknecht/Meyer-Goßner43 1; Alsberg/Nuse/Meyer 452 f; Welp FS Gallas 407; vgl. § 52,2. 6 BVerfGE 33 374 ff = JZ 1973 780 mit Anm. Würtenberger, BVerfG NStZ 1988 418; vgl. auch BVerfGE 76 363, 387; HK-Lemke 3; Pfeiffer/Fischer 1; SK-Rogall Vor 48, 142, 152 ff mit einer Dokumentation der dazu ergangenen BVerfGRspr.; krit. AK-Kühne 7; Rengier 107; LG Hamburg NStZ 1983 182 mit Anm. Dahs-, Rüping 56 mit Hinweis auf die Unpraktikabilität einer Ausweitung; vgl. auch Geppert Jura 1991 135 ff mit weit. Nachw. und Problemfallen. 7 8
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Rengier 174; krit. Foth JR 1976 7. BVerfGE 33 367 = JZ 1973 380 mit Anm. Würtenberger, BVerfGE 38 321 = NJW 1975 588 = DöV 1975 637 mit Anm. Bergmann; vgl. auch BVerfGE 36 211 = NJW 1974 359; eingehend zu dem gesamten Problemkreis Rengier 127 ff, 173 ff.
9
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11
Hans D a h s
LG Hamburg NJW 1978 958; LG Frankfurt NJW 1954 690 mit Anm. Sichlermann·, KMR-Paulus 5; KK-Pelchen 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 2 f; Schlächter 489. 4; Lohmeyer JR 1970 251; R. Malier NJW 1963 836; Selmer 61; Hass SchlHA 1974 197; vgl. aber auch BFH NJW 1993 2831 mit Anm. Marxen EWiR 1993 637, wonach Angestellte einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse im finanzgerichtlichen Verfahren ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. LG Hamburg NJW 1978 958; G. Schäfer § 65 III 3; Roxin § 26, 27; krit. Locher WuB I B. 3 Bankgeheimnis 2.85. BVerfG NJW 1979 1286 mit Anm. Rengier BB 198« 321; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 3; KMRPaulus 5; KK-Pelchen 2; Schlüchtern4; weitergehend Peters § 42 III 2 bb a.
§ 5 3
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gen ; Angehörige von AIDS-Beratungssstellen (für eine Gesetzesänderung aber Kreuzer ZStW 100 [1988] 786 ff); Eheberater 13 ; Angehörige der Gerichtshilfe nach § 160 Abs. 3 Satz 2 und § 38 JGG (Eisenberg § 38 JGG, 30), Jugendgerichtshilfe sowie Bewährungshelfer 14 ; Mitarbeiter von privaten Haftpflichtversicherungen 15 ; öffentlichrechtlichen Versicherungen und Verrechnungsstellen (Rengier (Zeugnisverweigerungsrecht) 181 ff); Naturheilkundige 16 ; Personalräte 17 ; Rechtsbeistände (Rechtsberater, Prozeßagenten) 18 ; Schiedsmänner 19 ; Sozialarbeiter20; Sozialpädagogen 21 ; Tierärzte 22 . Der Vorschlag der Bundesregierung, staatlich anerkannte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen sowie Psychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlußprüfung in gewissem Umfang von der Zeugnispflicht freizustellen (Art. 1 Nr. 1 des Entwurfs eines 2. StVRG — BTDrucks. 7 2526) ist von dem zuständigen Ausschuß des Bundestages nicht weiter erörtert worden 23 . Es ist jedoch möglich, daß ihnen in Einzelfällen eine Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 a zusteht, sofern sie als Berufshelfer in einer Klinik bei der ärztlichen Untersuchung und Heilbehandlung mitwirken (Schalt Suchtgefahren 1989 136; § 53 a, 6). 5
3. Ausländische Zeugnisverweigerungsrechte. Bisher war es einhellige Auffassung, daß auf Ausländer, die nach dem Recht ihres Staates ein berufliches Zeugnisverweigerungsrecht haben, § 53 generell nicht analog angewendet werden kann (vgl. die 24. Aufl. Rdn. 1, 29, 31). Dagegen hat Schubarth (ZStW 105 [1993] 367) Kritik angemeldet: Geht es an, in einer Zeit, wo Strafverfahren mit internationalen Bezügen immer bedeutender werden, das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 davon abhängig zu machen, daß die Zeugen nach deutschem Recht zu den jeweiligen Berufen gehören? Damit yard etwa dem ausländischen Arzt, Rechtsanwalt und Redakteur das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 versagt, wenn er vor einem deutschen Gericht vernommen wird. Die Frage wird durch die im Gebiet der EU geltende grundsätzliche Niederlassungsfreiheit bzw. die Erlaubnis, in anderen Staaten berufsbezogene Dienstleistungen zu erbringen, sowie im Hinblick auf Staaten, die ein „verwandtes" Rechtssystem haben, ζ. Β die Schweiz (ζ. Τ Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiter von Banken), noch verschärft. Es könnte daher ζ. Β daran gedacht werden, dem Tatrichter die Prüfung aufzuerlegen, ob der berufliche Status, den die nach ausländischem Recht zeugnisverweigerungsberechtigte Person für sich in 12
KMR-Paulus 5; KK-Pelchen 17; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 3; Gössel § 25 III a 2; G. Schäfer § 65 III 3; Kaiser NJW 1971 491; Lenckner Arzt und Recht 167; Blau NJW 1973 2234; Vogel NJW 1972 2209; a. Α Kohlhaas NJW 1969 1567; Kühne NJW 1971 1438; Schumacher NJW 1970 1949; Schlächter 4H9. 4. '3 BVerfGE 33 367. 14 Brunner § 38, 14; Dallinger/Lackner § 38, 36 bis 38; KMR-Paulus 5; Hauber ZBUugR. 1980 513 f; Kaiser 134 f; Momberg 323/325; Sontag NJW 1976 1436; Schaffslein 151 Fußn. 4; Walter ZB1 JugR. 1973 495; Walter GA 1985 90. 13 BVerfG NJW 1985 640; KMR-ftju/ι« 5; Schlächter 489. 4; Gössel § 25 D III a; D. Meyer MDR 1973 812; MDR 1975 896; Geppert DAR 1981 301; zust. Dencker NStZ 1982 459; a. Α Bruns FS Maurach 484; Meeger VersR 1974 945; mit Einschränkungen auch OLG Celle NStZ 1982 393; Rengier 181 will ein Zeugnisverweigerungsrecht mit Hilfe einer „großzügigen Auslegung des § 53 a" begründen.
' KMR-Paulus 5- KK-Pelchen 17. LG Hannover NdsRpfl. 1962 40; KMR-Paulus 5. Kleinknecht/Meyer-GoßneR" 3; K M R - / W h s 5; KK-Pelchen 15; Buhrow NJW 1966 2152. 19 BVerwGE 18 58; K M R - / W u s 5; KK-Pelchen 2; a. Α AG Werne MDR 1965 599. 20 BVerfGE 33 367 = JZ 1973 780 mit Anm. Würtenberger, KMR-Paulus 5; KK-Pelchen 2; Roxin § 26, 23; Schlächter 489. 4; weitergehend Peters § 4 2 III 2 c bb; krit. Kahne JuS 1973 685; Foth JR 1966 7; Würtenberger GedS H. Peters 923; Blau NJW 1973 2234; Jung MSchrKrim. 1974 258; Schilling JZ 1976 617; Stascheit KJ 1975 176. 2' BVerfG NStZ 1988 418; LG Hamburg NStZ 1983 182 mit Anm. Dahs; KK-Pelchen 2; K M R - / W m j 5; Schlüchter 489; Schilling JZ 1976 617. 22 BVerfGE 3 8 312 = DÖV 1975 637 mit Anm. Bergmann-, KMR-Paulus 5; KK-Pelchen 2, 17; Kleinknecht/Meyer-GoßneR43 3; Rengier 175. 23 Dazu Schilling JZ 1976 617; Rengier 138; Geppert Jura 1991 135 ff. 17 18
Stand: 1. 5. 1998
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Sechster Abschnitt. Z e u g e n
§53
Anspruch nimmt, dem entsprechenden deutschen Beruf gleichsteht oder jedenfalls ein im wesentlichen gleichgewichtiges und schützenswertes berufsbezogenes Vertrauensverhältnis mit sich bringt. Dabei darf indes nicht übersehen werden, daß das Kriterium einer vom Einzelfall abhängigen Gleichwertigkeit der Berufe Inhalt und Grenzen des Zeugnisverweigerungsrechts verwischen würde. Der Gesetzgeber hat ähnlich wie bei § 52 (vgl. dort Rdn. 17) das Privileg der den Strafprozeß notwendig hemmenden Verweigerung des Zeugnisses in § 53 an weitgehend formalisierte Voraussetzungen geknüpft, die von jedem Gericht leicht festgestellt werden können und keine Überzeugungsbildung, Abwägung und Bewertung erfordern. Auch sollte nicht übersehen werden, daß die Zahl einschlägiger Fälle in der Praxis sehr gering ist; ausländische Berufsgeheimnisträger kommen nur äußerst selten in die Situation, vor einem deutschen Gericht als Zeugen aussagen zu müssen; in aller Regel wird ihre Vernehmung im Wege der Rechtshilfe durch das ausländische Gericht erfolgen, wo sie ihre berufsbedingten Rechte geltend machen können. Insgesamt erscheint die „Globalisierung" der in § 53 angesprochenen Vertrauensberufe (noch) nicht so weit fortgeschritten, daß entweder gesetzgeberische Aktivitäten oder generell eine analoge Anwendung des § 53 postuliert werden müßte. Anders erscheint die Situation, soweit aufgrund von Vorschriften der Europäischen 6 Gemeinschaften und deutschen Rechts Berufsgeheimnisträger, ζ. Β Rechtsanwälte (Rdn. 29), unter bestimmten Voraussetzungen Dienstleistungen in den Mitgliedsländern der EU erbringen können. Die insoweit maßgebenden Kriterien sind u. a. im Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz vom 16.08.1980 und in den §§ 206, 207 BRAO so formalisiert, daß sie von jedem deutschen Gericht ohne weiteres, ggfs. durch Einholung einer Auskunft bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer, nachvollzogen werden können. Die gesetzlich ausformulierte — wenn auch eingeschränkte — Gleichstellung der ausländischen mit den inländischen Berufsgeheimnisträgern gebietet eine entsprechende Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 3 jedenfalls für den im Inland ausgeübten Tätigkeitsbereich. Es wäre auch widersinnig, wenn dem deutschen Rechtsanwalt, in dessen Einvernehmen der ausländische Rechtsanwalt einen Klienten vertritt, nach § 4 RADG, das Zeugnisverweigerungsrecht zustehen würde, dem gemeinsam mit ihm dieselbe Sache für denselben Klienten bearbeitenden ausländischen Kollegen hingegen nicht. Insoweit dürfte auch Art. 3 Abs. 3 GG für die Gleichbehandlung streiten. Entsprechendes gilt für Ärzte (Rdn. 32), denen nach § 2 Abs. 2 bis 4 BÄO die Erlaubnis zur vorübergehenden Berufsausübung in Deutschland erteilt ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner 43 15, 17; weitergehend Schubarth ZStW 105 [1993] 367).
II. Verhältnis zu § 203 StGB 1. Allgemeines. Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 steht im Zusammenhang 7 mit der Schweigepflicht, deren Verletzung bei bestimmten Berufsangehörigen nach § 203 StGB bestraft wird. Beide Vorschriften stimmen aber weder in ihren Voraussetzungen noch in ihren Wirkungen überein. § 203 StGB droht Strafe für den Bruch eines dem Berufsausübenden anvertrauten oder bekanntgewordenen Geheimnisses an; § 53 ermächtigt zur Verweigerung des Zeugnisses über die dem Zeugen bei seiner Berufsausübung bekanntgewordenen Tatsachen ohne Rücksicht darauf, ob sie geheim, also höchstens einem beschränkten Personenkreis bekannt sind 24 . Unterschiedlich ist vor allem der betroffene Personenkreis. Es gibt ein Zeugnisverweigerungsrecht ohne strafrechtlich 24
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AK-Kühne 5; HK-Lemke 4; Kleinknecht/MeyerGoßner« 4; KK-Pelchen 3; Welp FS Gallas 399; a. A Lenckner Arzt und Recht 190. Hans D a h s
§53
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
durchsetzbare Verschwiegenheitspflicht (Geistliche, Abgeordnete, Mitarbeiter von Presse und Rundfunk), und es gibt Schweigepflichten ohne Zeugnisverweigerungsrechte. Denn § 203 StGB faßt den Kreis der zur Verschwiegenheit verpflichteten Personen erheblich weiter als § 53 den der Zeugnis verweigerungsberechtigten, weil der Schutz vor Verletzung beruflicher Verschwiegenheitspflichten sachlichrechtlich umfassender sein kann als das Recht zur Zeugnisverweigerung, das zum Wegfall von wichtigen Beweismitteln für die Sachaufklärung und daher zu einer ernstlichen Behinderung der Strafrechtspflege führen kann25. Die Ansicht von Foth (JR 1976 7), aus der sachlichrechtlichen Schweigepflicht folge ohne weiteres das Zeugnisverweigerungsrecht, kann sich auf das geltende Recht nicht stützen. 8
In § 53 ist ein Zeugnisverweigerungsrecht auch für diejenigen nicht ausdrücklich vorgesehen, die nach dem Tod der zur Geheimhaltung verpflichteten und zur Zeugnisverweigerung berechtigten Person das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlaß erlangt und daher nach § 203 Abs. 3 Satz 2 StGB eine Verschwiegenheitspflicht haben. In solchen Fällen hält das BVerfG bei verfassungskonformer Auslegung des § 97 ein Beschlagnahmeverbot für gegeben (BVerfGE 32 381). Im selben Umfang wird man ein Zeugnisverweigerungsrecht anerkennen müssen (zust. KK-Pelchen 5). 9 2. Befugte Offenbarung von Berufsgeheimnissen. Ein Zeuge, der nach § 203 StGB zur Wahrung eines Berufsgeheimnisses verpflichtet, aber nicht nach § 53 zur Aussageverweigerung berechtigt ist, muß im Strafverfahren wie jeder andere Zeuge aussagen; der Gesetzgeber hat hier der Zeugnispflicht den Vorrang vor der Schweigepflicht gegeben (Grünwald [Beweisrecht] 30). Wenn er vor Gericht Geheimnisse offenbart, handelt er nicht unbefugt im Sinne des § 203 StGB26. Das gleiche gilt ohne Einschränkung für die nach § 53 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, wenn und soweit sie nach § 53 Abs. 2 von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind27. 10
Problematisch ist der Fall, wenn ein Zeuge, der einer in § 203 StGB genannten Personengruppe angehört und zugleich ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 besitzt, aussagen will. Im älteren Schrifttum wurde angenommen, die Aussage vor Gericht sei stets eine im Sinne des § 203 StGB (früher § 300 StGB) befugte Offenbarung von Berufsgeheimnissen28. Dabei wurde das Verhältnis, in dem die Vorschriften der § 203 StGB und § 53 StPO zueinander stehen, aber verkannt. Das Schwergewicht liegt nicht auf dem Recht zur Zeugnisverweigerung, sondern auf der Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 203 StGB. Der Zeugniszwang, der als Rechtfertigungsgrund für den Bruch dieser Schweigepflicht in Betracht kommt, ist durch das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 ausdrücklich aufgehoben worden. Der Geheimnisverrat verliert seine Rechtswidrigkeit daher nicht schon deshalb, weil er durch eine Zeugenaussage begangen worden ist. Wer nach § 53 Abs. 1 zur Zeugnis Verweigerung berechtigt ist, darf im Gegensatz zu den anderen in § 203 StGB genannten Personen ohne Verstoß gegen diese Vorschrift vor Gericht nur dann als Zeuge aussagen, wenn er dafür einen Rechtfertigungsgrund — ζ. Β § 34 StGB (Fezer 15/56; JuS 1978 472) — besitzt, auch etwa eigene Interessen zu wahren hat29, insbesondere aber, wenn das Interesse des Geheimnisträgers an der Geheimhaltung der Tatsachen geringer ist 25
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K M R - / W u j 53; Rengier 174; vgl. auch Fezer 15/ 21. KK-Pelchen 4; Lenckner NJW 1965 323; Welp FS Gallas 401 Fußn. 35; Schönke/Schröder/Lenckner § 203, 29; SK-Samson § 203,49; Tröndle« § 203, 30. RGSt 57 64; Bendix GA 52 (1905) 13; Lenckner NJW 1965 324; Rdn. 63.
2« Frank f 300 StGB, III 2 c; Gerland 544; Sauler 247 ff; Kahl ZStW 29 (1909) 358; Ruth DJZ 1913 1198; Wach GerS 66 (1905) 24; ebenso wohl auch RGSt 19 364; offengelassen in RGSt 48 270. 29 Vgl. BGHSt 1 366; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 5; Fezer JuS 1978 472.
Stand: 1.5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§ 53
als das Allgemeininteresse an ihrer Offenbarung. Das entspricht heute einhelliger Ansicht30. Umstritten ist jedoch die Frage, ob das Gericht in den Fällen, in denen die Vorausset- 11 zungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht vorliegen, den verweigerungsberechtigten, aber aussagebereiten Zeugen vernehmen darf. Der Bundesgerichtshof31 bejaht die Zulässigkeit der Vernehmung und die Verwertbarkeit einer solchen Aussage auch dann, wenn sich der Zeuge nach § 203 StGB strafbar macht. Das strafrechtliche Verbot des Geheimnisbruchs hat danach auf die verfahrensrechtliche Behandlung der Offenbarung eines Berufsgeheimnisses durch einen zu dessen Verschweigen berechtigten Zeugen keinen Einfluß (BGHSt 9 61). In der Literatur wird dagegen zum Teil ein Vernehmungs- und daran anknüpfend ein Verwertungsverbot für diese Fälle bejaht32. Gegen diese vor allem von dem Wunsch nach Harmonisierung des materiellen und formellen Rechts getragene Ansicht33 spricht, daß der vernehmende Richter die mitunter schwierige Frage, ob der Zeuge sachlichrechtlich befugt oder unbefugt aussagen wird oder ausgesagt hat, nicht immer „rasch und sicher genug" entscheiden kann (BGHSt 9 62; vgl. auch Lenckner aaO, der diese Schwierigkeiten anerkennt). Darüber hinaus hat es der über sein Zeugnisverweigerungsrecht informierte, um seine Verschwiegenheitspflicht wissende Zeuge selbst in der Hand, ob er aussagen will oder nicht. Ist der Zeuge aber in seiner Entscheidung frei, besitzt also ein Selbstbestimmungsrecht, dann ist — auch auf der Grundlage der Rechtskreistheorie — keine Notwendigkeit ersichtlich, ein Vernehmungs- oder Verwertungsverbot anzuerkennen. Die Bedeutung des § 53 liegt mithin für den dort bezeichneten Personenkreis darin, 12 daß ihnen die Vorschrift die Wahrung der sachlich-rechtlichen Schweigepflicht nach § 203 StGB im Strafverfahren ermöglicht34 und sie darüber hinaus ermächtigt, das Zeugnis selbst dann ohne Angabe von Gründen zu verweigern, wenn der Geheimnisbruch nach § 203 StGB gerechtfertigt wäre35. § 172 Nr. 3 GVG ergänzt die Vorschrift dahin, daß der Ausschluß der Öffentlichkeit zulässig ist, wenn ein privates Geheimnis erörtert wird, dessen unbefugte Offenbarung nach § 203 StGB oder einer anderen Vorschrift mit Strafe bedroht ist. 3. Entscheidungsbefugnis des Zeugen. Die Entschließung, ob die Abwägung der 13 Interessen die Ausübung des ihm nach § 53 zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts gebietet oder einen Verzicht darauf rechtfertigt, hat der Zeuge unter eigener Verantwortung zu treffen36. Der vernehmende Richter muß ihm hierzu Gelegenheit geben (BGHSt
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BGHSt 9 61; 18 147; OLG Hamburg DStR 1936 437 mit Anm. Henkel·, KK-Pelchen 4; Kleinknecht/ Meyer-Goßner« 5; Eb. Schmidt 25; NJW 1962 1749 und Arzt im Strafrecht 56 ff; Roxin § 26, 22; von Kries 287; Alsberg/Nüse/Meyer 497; Tröndle48 § 203, 24; Lackner § 203, 30; Schönke/Schröder/ Lenckner § 203, 21 ff; SK-Samson § 203, 46; Bosch 82; Flor JR 1953 371; Frey FS Pfenninger 43 Fußn. 7; Haffke GA 1973 68; Hippe GA 46 (1898/99) 291; Kallfelz JW 1936 1346; Kohlhaas GA 1958 72; Lenckner NJW 1965 324 und Arzt im Recht 190; Schäfer DJ 1936 376; Simonson DJZ 1904 1014; Welp FS Gallas 398; I V « DJZ 1905 309; Woesner NJW 1957 694; vgl. auch RG 53 315. 31 BGHSt 9 59; 15 200; 18 146 für einen Arzt als Zeugen. (93)
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ζ. Β Grünwald (Beweisrecht) 30 ff, 34; Lenckner NJW 1965 325 ff.; Anklänge auch bei Roxin § 26, 22, der sich auf die gerichtliche Fürsorgepflicht beruft. Vgl. Lenckner NJW 1965 326. Bendix GA 52 (1905) 13; Bringewat NJW 1974 1741; Welp FS Gallas 400. Bringewat NJW 1974 1742; Kohlhaas DAR 1957 345; Lenckner NJW 1965 327 und Arzt im Recht 194; Welp FS Gallas 402; a. Α Henkel DStR 1936 440; Rilk JW 1937 887, die dann eine Aussagepflicht für gegeben halten. BGHSt 15 202; bei Dallinger MDR 1957 527; KKPelchen 7; KMR-Paulus 54; Eb. Schmidt 24; Henkel 204 Fußn. 4; Grünwald JZ 1966 498; Haffke GA 1966 75; Fezer JuS 1978 472; Kurth NStZ 1983 542.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
15 200), darf aber auf ihn nicht dahin einwirken, daß er sich nach der einen oder anderen Richtung entscheidet, insbesondere ihn nicht unter Hinweis auf einen Rechtfertigungsgrund zur Aussage veranlassen 37 . Der Zeuge entscheidet immer allein, auch wenn es von seiner Aussage abhängt, ob ein schwerer Schaden von einem Dritten oder von der Allgemeinheit abgewendet werden kann 38 . Der Richter darf die Entscheidung des Zeugen weder prüfen, übergehen noch werten (Rdn. 68). Macht der Zeuge von seinem Verweigerungsrecht keinen Gebrauch, so muß er daher vernommen werden 39 , auch wenn diese Entscheidung nach Ansicht des Gerichts im Hinblick auf die Strafvorschrift des § 203 StGB bedenklich ist. Es bleibt immer dem Zeugen selbst überlassen, ob er sich durch die Aussage der Gefahr einer Strafverfolgung nach § 203 StGB aussetzen will 40 . Auch die Verfahrensbeteiligten haben kein verfahrensrechtliches Mittel, den Zeugen an der Aussage zu hindern 41 . 14
4. Verwertbarkeit. Ein Verstoß des Zeugen gegen die Verschwiegenheitspflicht nach § 203 StGB führt nach herrschender Auffassung zu keinem Verwertungsverbot 42 . Dem ist zuzustimmen; denn der vernehmende Richter könnte die Frage, ob der Zeuge sachlich rechtlich befugt oder unbefugt ausgesagt hat, mitunter gar nicht sicher entscheiden (BGHSt 9 62).
III. Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts 15
1. Allgemeines. In den Fällen des § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 a erstreckt sich das Zeugnisverweigerungsrecht nicht, wie das nach § 52, auf alles, was der Zeuge über den Beschuldigten weiß, sondern nur auf Tatsachen, die ihm bei seiner Berufsausübung anvertraut oder bekanntgeworden sind. Die Begriffe stimmen mit den in § 203 StGB verwendeten überein 43 und sind ausdehnend auszulegen (KK-Pelchen 16). Anlaß für die Erlangung des Wissens muß immer die berufliche Beziehung zu dem Beschuldigten sein. Die Mitteilung an den Berufsträger muß in dessen Berufsausübung fallen oder wenigstens mit ihr zusammenhängen (Eb. Schmidt 6). Dazu gehört ggfs. auch die Anbahnung des Vertragsverhältnisses (BGHSt 33 148, 150 f = BGH NStZ 1985 372 mit Anm. Rogall für den Arzt und sein Hilfspersonal; BGHSt 36 301 sogar für den Personenkreis von Nr. 5). Wenn ein Rechtsanwalt oder Arzt die Praxis eines Kollegen übernommen hat, werden ihm die in den Akten oder Karteien seines Vorgängers festgehaltenen Tatsachen in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt (BVerfGE 32 382). Was dem Zeugen nur gelegentlich seiner Berufsausübung bekanntgeworden ist, mit ihr also nur in mittelbarem Zusammenhang steht, darf
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BGHSt 20 299; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 6; KK-Pelchen 7; K M R - / W « i 54; AIsberg/NUse/ Meyer 797. Lenckner NJW 1965 327 und Arzt und Recht 194; a. Α Henkel DStR 1936 440. RGSt 57 64. BGHSt 9 61; 15 202; 18 147; RGSt 19 364; 57 64; BGH bei Holtz MDR 1980 815; OLG Hamm NJW 1968 1203; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 6; KKPelchen 7; KMR-Paulu.s 54 (Befugnis zum Hinweis auf ZVR, nicht Verpflichtung; Hippe GA 46 (1898/99) 291; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht 57; a. A Haffke GA 1973 74; Lenckner NJW 1965 326. BGHSt 9 61; 18 147; RGSt 48 270; 57 64; 66 275; 71 21 = JW 1937 886 mit zust. Anm. Rilk\ KMRPaulus Vor § 48, 88; KK -Pelchen 7; Henkel 208 Fußn. 4.
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BGHSt 9 62; BGHR StPO § 53 Schweigepflicht; 15 202; Kleinknecht/Meyer-Goßner} 6; KMR-Αω/κί 7; Eb. Schmidt Nachtr. II 6. KK-Pelchen 6; KMR-/WHJ 7; Eb. Schmidt Nachtr. II 8. KK-Pelchen 6; von Weber JZ 1953 297; Eb. Schmidt Nachtr. II 7; KMR-Paulus 7. BGHR § 55 Abs. 1 Verfolgung 3; BGH NStZ 1994 499, 500; OLG Hamm StraFo. 1998 119; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner•» 6; KMR-PÖHlus 7; Geerds FS Stock 174; Hauser 173; a.A
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Peters § 42 III 2 c cc, der nur die Gefahr eines gerichtlichen Strafverfahrens für ausreichend hält. BGH NStZ 1994 499 = JuS 1995 82 mit Anm. T. Schmidt; BGHR § 55 I Verfolgung 2; LG Hamburg VRS 74 (1988) 442; LG Trier NJW 1987 2826; vgl. auch BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 93; NJW 1989 2703. RG LZ 1929 954. KK-Pelchen 10; KMR-Paulus 8. BGH StV 1987 328; vgl. auch BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 1; OLG Celle StV 1988 99; Sommer StraFo. 1998 8.
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C40)
Sechster Abschnitt. Zeugen
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dem Zeugen eine beweisqualitative Verschlechterung seiner Verfahrensposition droht. Dies kommt bei allen Verfahrenskonstellationen in Betracht, in denen Angaben über strafrechtlich abgeschlossene Vorgänge sich als Indizien in einem anderen, anhängigen Verfahren auswirken können. Beispiel: Ein Strafbefehl oder Bußgeldbescheid ist von dem bestreitenden Beschuldigten „hingenommen" worden; als Zeuge müßte er die Tat im einzelnen eingestehen und würde damit beweiskräftige Indizien (ζ. Β ein individuell-systematisches Tatverhalten) für das anhängige Ermittlungsverfahren schaffen. Dies gilt auch, wenn aus Angaben über verjährte Straftaten solche Indizien entnommen werden könnten oder gegen den Zeugen bisher nur Verdachtsmomente bestehen, die allein für einen Anfangsverdacht (§ 152) noch nicht ausreichen. cc) Grundsatz der früheren Tat. Die Verfolgungsgefahr muß grundsätzlich wegen 12 einer früheren Tat drohen 38 . Die Gefahr, daß sich der Zeuge erst durch die Aussage in der Hauptverhandlung einer strafbaren Handlung, ζ. Β wegen Geheimnisverrats, schuldig machen könnte, reicht für § 55 nicht aus (KK-Pelchen 9; vgl. aber Rdn. 13). Auch das Risiko, wegen der Zeugenaussage selbst nach §§ 153 ff StGB strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, wird vom Gesetz jedem Zeugen auferlegt. Eine Ausnahme soll nach Ansicht des BVerfG (NStZ 1985 277) auch dann nicht in Betracht kommen, wenn der Zeuge durch die Wiederholung einer in einem anderen Verfahren als Beschuldigter gemachten und von dem Gericht seinerzeit als widerlegt angesehenen Aussage sich mit den Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils in Widerspruch setzen und deshalb zwangsläufig mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen müßte 39 . Das erscheint bedenklich. Denn in diesem Fall muß der Zeuge nur wegen des von ihm nicht verschuldeten Wechsels von der Beschuldigten- in die Zeugenrolle mit einem Strafverfahren allein wegen der künftigen (und nicht auch wegen der inhaltsgleichen vergangenen) Aussage rechnen — anders, wenn der Zeuge auch im früheren Verfahren Zeuge und nicht Beschuldigter war (OLG Zweibrücken NJW 1995 357). Die Gegenmeinung mutet dem Zeugen zu, unter dem Druck der Strafdrohung der §§ 153 ff StGB evtl. wahrheitswidrig seine Aussage aus Gründen des Selbstschutzes an der gerichtlich festgestellten „Wahrheit" zu orientieren. Vor diesem Konflikt sollte der Rechtsstaat den Zeugen bewahren (Art. 20 Abs. 3 GG) 40 . Aus den gleichen Gründen hat der Zeuge ein Auskunftsverweigerungsrecht, wenn ihm die Gefahr droht, wegen einer als Beschuldigter — in einem nun bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren — gemachten Aussage nach § 164 StGB (falsche Verdächtigung) verfolgt zu werden 41 . Eine weitere Ausnahme von dem Grundsatz der früheren Tat gilt hinsichtlich der Ver- 13 letzung ausländischer Strafvorschriften durch die Zeugenaussage, die die Gefahr der Strafverfolgung im Ausland begründet unabhängig davon, ob der Zeuge Deutscher oder Ausländer ist. Werden nämlich durch eine andere Rechtsordnung Geheimhaltungspflichten strafrechtlich geschützt (ζ. Β Art. 273 SchweizStGB), die mit keinem der Zeugnisverweigerungsrechte des deutschen Rechts korrespondieren, befindet sich der Zeuge in einem unlösbaren Konflikt, vor dem ihn § 55 gerade schützen soll (Odenthal NStZ 1985 117; 1993 52). Die Anwendung des § 55 ist dann aufgrund der Pflicht zu fairer Verfahrensgestaltung geboten 42 . Anderenfalls würden das Recht des Zeugen auf ein faires Verfahren 38 BGH bei Dallinger MDR 1958 14; OLG Düsseldorf NStZ 1982 257 = StV 1982 mit Anm. PrittWitz-, KK-Pelchen 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner* 4; SchlUchter 493 Fußn. 302 a; vgl. auch BVerfG NStZ 1985 277; a. A KMR-Paulus 8. 39 So auch OLG Düsseldorf StV 1982 344 mit abl. Anm. Prittwitz: KK-Pelchen 9.
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Wie hier Kleinknecht/Meyer-Goßner13 7; KMRPaulus 8; Prittwitz StV 1982 344. LG Berlin StV 1991 297; vgl. auch OLG SchlHA 1991 121. LG Freiburg NJW 1986 3036; Odenthal NStZ 1985 117; 1993 52; a. Α LG Stuttgart NStZ 1992 454; anscheinend widersprüchlich Kleinknecht/ Meyer-Goßner43 4, 7.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
und das Verbot, ihn als bloßes Objekt des Verfahrens zu behandeln, die Begründung eines Auskunftsverweigerungsrechts unmittelbar aus der Verfassung rechtfertigen (Art. 20 Abs. 3,2 Abs. 1, 3 Abs. 3 — BVerfGE 38,105,112,115). Mißbräuche können durch eine genaue Prüfung der konkreten Verfolgungsgefahr (Rdn. 10, 12) mit den Mitteln des Freibeweises vermieden werden. 14
dd) Einzelfälle. Die Gefahr der Verfolgung droht nicht, wenn sie zweifellos ausgeschlossen ist43. Das ist trotz Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit der Fall, wenn ersichtlich Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe vorliegen, die einer Verfolgung entgegenstehen44. Die Gefahr der Verfolgung droht ferner nicht, wenn der Angehörige, dem sie gedroht hat, inzwischen verstorben ist45; wenn der Zeuge oder der Angehörige bei Begehung der Tat strafunmündig war 46 ; wenn die Rechtsfolge der Tat im Gnadenweg endgültig erlassen oder wenn die Verfolgung im Straf- oder Bußgeldverfahren wegen eines nicht mehr behebbaren Verfahrenshindernisses ausgeschlossen ist47, insbesondere wenn Verjährung 48 oder Straffreiheit eingetreten ist49; wenn dem Zeugen versichert wird, daß gegen ihn kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird bzw. worden ist (BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 93). Ein Weigerungsrecht besteht auch nicht, wenn der Zeuge bereits rechtskräftig verurteilt wurde50, auch wenn die Strafe oder Geldbuße noch nicht vollstreckt ist, es sei denn, daß nach Versäumung der Rechtsmittelfrist mit einer Wiedereinsetzung gerechnet werden muß (OLG Celle NStZ 1983 377) oder wenn zwar der Schuldspruch rechtskräftig ist, über den Schuldumfang jedoch noch nicht entschieden wurde (LG Darmstadt StV 1988 101). Anders ist es, wenn der Zeuge wegen „fortgesetzter Handlung" rechtskräftig verurteilt worden ist und die Gefahr besteht, daß wegen bisher nicht bekannter und nicht verjährter „Teilakte" Ermittlungen eingeleitet werden. Das Auskunftsverweigerungsrecht besteht auch, wenn durch eine wahrheitsgemäße Aussage die Glaubwürdigkeit eines in einem anderen Verfahren gegen den Zeugen auftretenden Belastungszeugen gestärkt würde. Nimmt der Zeuge § 55 wegen Gefahr ausländischer Strafverfolgung in Anspruch, so sind ihre Voraussetzungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu untersuchen. Wenn nach der Rechtslage des ausländischen Staates die Gefahr der Verfolgung besteht, kommt es darauf an, ob faktisch die Möglichkeit ausgeschlossen werden kann, daß der Zeuge (ζ. Β durch Auslieferung oder Reisen) in den Machtbereich der ausländischen Strafverfolgungsbehörden gelangen könnte. Dabei ist das Recht des Zeugen auf Freiheit und das Grundrecht auf räumliche Bewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG — Maunz/Dürig/Herzog Art. 2, 34) zu beachten.
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Entscheidungen der Staatsanwaltschaften und Gerichte, ζ. Β die rechtskräftige Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens51 und die rechtskräftige Freisprechung52 « BGHSt 9 35; BGH bei Dallinger MDR 1974 16; bei Holtz MDR 1981 632; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1981 93; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/MeyerGoßner« 8; K M R - / W i « 10. 44 KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 8; KMR-Paulus 10; Geerds FS Stock 176. 45 KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 8; KMR-Paulus 10; Eb. Schmidt Nachtr. II 10. 46 KK-Pelchen 4; KMR-Pau/u.s 10; Eb. Schmidt Nachtr. II 1 0. 47 Kleinknecht/Meyer-Goßner» 8; Eb. Schmidt Nachtr. II 10. 18 BVerfG DB 1975 1936; BGH bei Dallinger MDR 1958 141; OLG Oldenburg NJW 1961 1225; KKPelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 8; KMRPaulus 8; vgl. aber auch BGH StV 1991 145 mit Anm. Wächtler.
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BGHSt 4 131; 9 35; BGH bei Dallinger MDR 1953 402; BayOblG VRS 78 (1990) 49 für eine endgültige Einstellung nach § 153 a; Kleinknecht/MeyerGoßne^ 8; KMR-Paulus 10; Eb. Schmidt Nachtr II 10; vgl. auch LG Traunstein StV 1989 474. OLG Celle NJW 1962 2315; NStZ 1983 377; KKPelchen 4; KMR-Paulus 10; Kleinknecht/MeyerGoßne8; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 4; vgl. auch BVerfG NStZ 1985 277. BGH bei Dallinger MDR 1953 402; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 9; K M R - / W « i 11. BGH StV 1984 408; KK-Pelchen 4; K M R - / W i « 11; Eb. Schmidt Nachtr. II 10; Dalcke/Fuhrmann/ Schäfer 4; G. Schäfer § 65 V I; Stern GerS 63 (1904)210.
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stehen der Annahme der Verfolgungsgefahr nicht entgegen, wenn die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach den §§ 211, 362 gegeben ist53. Ebenso bleibt die Gefahr der Strafverfolgung bestehen, wenn die Staatsanwaltschaft zwar nach § 45 Abs. 1 Satz 3 JGG von der Verfolgung abgesehen hat, aber durch die wahrheitsgemäße Aussage des Zeugen neue belastende Tatsachen offenbart würden, die die Weiterführung des Verfahrens veranlassen können 54 , oder wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach §§170 Abs. 2, 153, 154, 154 a eingestellt hat und es daher jederzeit wieder aufgreifen kann 55 . Bei Einstellung des Verfahrens nach § 153 a ist das Auskunftsverweigerungsrecht gegeben, wenn durch die Aussage die Gefahr einer Verfolgung der Tat als Verbrechen möglich ist. Das Recht auf Auskunftsverweigerung geht auch nicht dadurch verloren, daß das Strafverfahren wegen dauernder Verhandlungsfähigkeit eingestellt worden ist, wenn die Möglichkeit der Einleitung eines neuen Verfahrens besteht (BGH NStZ 1986 181). 3. Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts a) Erklärung. Die Entscheidung, ob er Auskunft erteilen will, trifft der Zeuge selbst 16 (vgl. § 52, 23). Er kann sich insoweit eines anwaltlichen Rechtsbeistandes bedienen 56 (vgl. oben Rdn. 4 und Vor 48, 10 ff.). Auch Zeugen, die verstandesunreif oder verstandesschwach sind, entscheiden allein, ob sie sich durch die Aussage belasten; § 52 Abs. 2 wird aber entsprechend anzuwenden sein, wenn Angehörige belastet werden könnten 57 . Solange der Zeuge die Auskunftsverweigerung nicht erklärt hat, steht er als Beweismittel zur Verfügung. Das Gericht darf daher mit der Begründung, der Zeuge könnte sich der Gefahr der Verfolgung aussetzen, weder einen Beweisantrag ablehnen 58 , noch eine Frage an ihn nach § 241 Abs. 2 zurückweisen 59 . Der Zeuge muß die AuskunftsVerweigerung ausdrücklich erklären. Das Nichterschei- 17 nen des Zeugen allein darf nicht als Verweigerung jeder Auskunft gewertet werden (BGH StV 1989 140). Er darf, wenn er sich nicht nach §§ 153 ff StGB strafbar machen will, die Tatsachen nicht einfach bei seiner Vernehmung verschweigen 60 . Die Auskunftsverweigerung ist bis zum Abschluß der Vernehmung zulässig 61 . Vor Geltendmachung eines umfassenden Aussageverweigerungsrechts (vgl. oben Rdn. 6) muß der Zeuge jedoch grds. abwarten, welche Fragen an ihn gestellt werden, da sich erst dann zeigt, ob ein solcher Ausnahmefall gegeben ist (BGH wistra 1988 358). Je nach Lage des Falles wird aber häufig schon angesichts des Prozeßgegenstandes und der Aktenlage die Berechtigung zur vollständigen Auskunftsverweigerung auf der Hand liegen. Hat der Zeuge — etwa wegen fehlender Rechtskenntnisse — Zweifel, ob ihm das Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, und können diese in der Verhandlung nicht behoben werden, so gebieten richterliche Fürsorgepflicht und Fairneß des Verfahrens die Beiziehung eines anwaltlichen Rechtsbeistandes, ggfs. unter Anwendung des neuen, durch das ZeugenschutzG eingeführten § 68 b. § 56 greift hier nicht. Eine wahrheitswidrige Aussage kann der Zeuge bis zum Abschluß seiner Vernehmung widerrufen und von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55
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BGH StV 1991 145 bei Einstellung mangels Beweises und Verjährung. BGHSt 10 104; KK-Pelchen 4; KMR-Poh/hj 11; Eb. Schmidt Nachtr. II 5. G. Schäfer § 65 V l ; a . A im Einzelfall KK-Pelchen 4. BVerfGE38 105. KK-Pelchen 12; KMR-Paulus 14; Orlowskx 129 ff. RG JW 1931 3560 mit Anm. Bohne; KK-Pelchen 12; KMR-Paulus 14; vgl. Alsberg/NUse/Meyer452.
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RGSl 9 426; KK-Pelchen 12; KMR-Paulus 14. BVerfGE 38 113 = NJW 1975 103; BGHSt 7 127; RGSt 57 153; RGRspr. 5 372; KK-Pelchen 12; Kleinknecht/Meyer-GoßneR» 11; KMR-Paulus 22; Eb. Schmidt Nachtr. I 13; vgl. auch § 52, 23. BGH NStZ 1982 431; OLG Celle NJW 1958 74; OLG SchlHA 1991 121; KK-Pelchen 14; Kleinknecht/Meyer-Goßne^ 11; a.A offenbar BGHSt 11 217 - GSSt.
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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften 62
Gebrauch machen ; die bisherige Aussage wird damit gegenstandslos und kann nicht gegen den Zeugen oder seine Angehörigen verwertet werden 63 . Ein Verzicht auf das Weigerungsrecht ist jederzeit möglich (vgl. im einzelnen § 52, 34). Sowohl die Auskunftsverweigerung als auch der Verzicht darauf 64 können widerrufen werden (vgl. § 52, 35 ff). 18
b) Entscheidungsbefugnis des Gerichts: Ob die Gefahr der Strafverfolgung hinsichtlich der in Frage stehenden Auskunft tatsächlich besteht und der Zeuge sich auf § 55 berufen kann, ist eine Rechtsfrage, die das Gericht — nicht der Zeuge, erst recht nicht der Angeklagte (OLG Hamburg NJW 1984 1635) —• nach pflichtgemäßen Ermessen prüft 65 . Dabei sind der Akteninhalt, die anderweitigen Ergebnisse der Beweisaufnahme in Verbindung mit den Fragen der vorgesehenen Vernehmung freibeweislich auszuwerten. Seinem freien Ermessen ist es überlassen, ob es eine Glaubhaftmachung nach § 56 verlangt 66 . Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles 67 . Es kann dabei nur von der an den Zeugen gerichteten Frage ausgegangen werden (KK-Pelchen 8), wobei die Möglichkeit ihrer Bejahung und ihrer Verneinung in gleicher Weise in Betracht zu ziehen sind. Bringt auch nur eine dieser Möglichkeiten den Zeugen oder dessen Angehörigen in die Gefahr einer Strafverfolgung, wird das Gericht i. d. R ein Recht auf Auskunftsverweigerung anerkennen müssen (RGSt 36, 114, 117; BGH StV 1993 340; KK-Pelchen § 55, 8; Richter II StV 1996 458). In der Hauptverhandlung entscheidet zunächst der Vorsitzende, das Gericht, wenn die Entscheidung nach § 238 Abs. 2 beanstandet wird 68 . Der Zeuge braucht die Tatsachen, die sein Auskunftsverweigerungsrecht begründen, nicht anzugeben, wenn er schon damit in Gefahr gerät. Daß solche Tatsachen vorliegen, wird dann ggfs. Gegenstand der Glaubhaftmachung (§ 56) 69 . 4. Folgen der Auskunftsverweigerung
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a) Allgemeines. Macht der Zeuge von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch, so darf er über die in Betracht kommenden Punkte nicht weiter befragt werden. Dennoch gestellte Fragen können nach § 241 Abs.l wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen werden 70 . Beweisanträge auf Vernehmung eines Zeugen, der berechtigt von seinem (umfassenden) Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht, sind nach § 244 Abs. 3 zurückzuweisen, weil der verweigernde Zeuge ein ungeeignetes Beweismittel ist 71 ; anders kann es sein, wen Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Zeuge seine Entscheidung geändert hat (§ 244 Abs. 2) 72 . Was er bis dahin ausgesagt hat, ist verwertbar 73 , auch wenn der Zeuge die Auskunftsverweigerung ausdrücklich auf seine bisherigen Angaben bezogen «
RGSt 44 44; GA 62 (1915/16) 319; KK-Pelchen 14; Kieinknecht/Meyer-Goßner43 11. 63 BGH NStZ 1982 431; RGSt 44 44; RG GA 62 (1915/16) 319; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 3; a. A demn. KK-Senge 14 m. N. 64 RGSt 63 302 65 OLG Oldenburg NJW 1961 1295; OLG Stuttgart Justiz 1972 123; KK-Pelchen 13; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 10; K M R / W u s 12. «> BGH bei Dallinger MDR 1971 188; BGHR StPO § 7 0 Weigerungsgrund 1; RG-Rspr. 2 305; RG Recht 1928 Nr. 213; LG Hamburg VRS 74 (1988) 442; KK-Pelchen 13; vgl. § 56, 2 ff. « BGHSt 1 39; 10 104; RG Rspr. 2 305; RG GA 39 214; OLG Frankfurt NJW 1951 614; OLG Hamburg NJW 1984 1636; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/ Meyer-Goßne^ 10; KMR-Pawto 10.
KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 10; K M R - / W i « 10. 69 Richter II StV 1996 461. 70 Kleinknecht/Meyer-Goßner 12. " Str: wie hier BGHSt 21 12 mit Anm. Seydel NJW 1966 742; BGH NStZ 1982 126; NJW 1984 136; NStZ 1986 181; Hanack JZ 1972 1215; a. Α (unerreichbares Beweismittel) BGH bei Holtz MDR 1980 987 (für § 54); OLG Hamm MDR 1976 1040; KK-Pelchen § 54 20; a. Α (unzulässig) RGSt 38 256; 41 32; 44 293; JW 1931 949; 1937 553; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 12; KMR-Paulus Vor § 48 91; Alsberg/Nüse/Meyer 253 ff, 456, 825. 72 RG 6 337; BGH NStZ 1982 126; KMR-Paulus 91; Alsberg/Nüse/Meyer 453. 73 KK-Pelchen 15; Kleinknecht/Meyer-Goßne/-» 12; KMR-Paulus 25; a. Α Schutz 92 unter unzutreffender Bezugnahme auf RGSt 44 44.
Stand: 1.5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
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wissen will (BGH NStZ 1998 46 m. Anm. Rengier). § 252 ist nicht anwendbar; auch die Angaben, die der Zeuge vor der Hauptverhandlung gemacht hat, dürfen daher verwertet werden 74 . Insbesondere ist die Befragung der Verhörspersonen über den Inhalt früherer Vernehmungen zulässig 75 . Dem Angeklagten dürfen aus den Vernehmungsprotokollen Vorhalte gemacht werden 76 ; auch die Verlesung der Vernehmungsprotokolle ist unter den Voraussetzungen des §251 zulässig 77 . Schriftliche Erklärungen des Zeugen (ζ. Β Geständnis) sind trotz § 250 Satz 2 nach § 249 ebenfalls verlesbar 78 . Die Aussage darf aber weder nach § 251 Abs. 1 Nr. 4 noch nach § 251 Abs. 2 verlesen werden, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung erscheint und von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht 79 . Die Gegenansicht 80 verkennt, daß der Zeuge, auch wenn er von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht hat, strafprozessual als „vernommen" anzusehen ist. Eine Verlesung seiner Aussage würde daher eine Umgehung des § 55 sowie einen Verstoß gegen den Grundatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bedeuten. Das Unterlassen der Belehrung nach § 55 Abs. 2 hat dagegen auf die Verwertbarkeit früherer Aussagen keinen Einfluß 81 . Bedenken unter dem Aspekt des fairen Verfahrens können aber entstehen, wenn eine Aussage verwertet werden soll, die der Angeklagte in einem anderen Verfahren als Zeuge ohne Belehrung nach § 55 Abs. 2 gemacht hat 82 . Der Zeuge ist, auch wenn er von dem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch 2 0 gemacht hat, zur Eidesleistung verpflichtet 83 . Auch eine Teilvereidigung ist möglich (vgl. § 59, 6). Häufig wird aber von der Vereidigung nach § 60 Nr. 2 abzusehen sein. Die Vereidigung scheidet natürlich aus, wenn der Zeuge die Auskunft in vollem Umfang (Rdn. 6) verweigert hat. b) Beweiswürdigung. Die Tatsache, daß der Zeuge über bestimmte Fragen keine Aus- 21 kunft gegeben hat, unterliegt der freien Beweiswürdigung (§ 261). Nachteile für den Zeugen dürfen damit aber nicht verbunden sein: Die Auskunftsverweigerung allein darf nicht zum Anlaß eines Ermittlungsverfahrens genommen werden 84 . Sie darf in einem Strafverfahren gegen den Zeugen nicht zu seinem Nachteil verwertet werden (OLG Stuttgart NJW 1981 1223), noch kann die Ausübung des Auskunftsverweigerungsrechts durch die Auferlegung von Kosten sanktioniert werden (LG Braunschweig AnwBl. 1979 41). Gegen den Angeklagten sollen Schlüsse aus der Auskunftsverweigerung gezogen werden dürfen 85 . 74
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BGHSt 6 211; 17 245; 17 350; MDR 1951 180; BGH bei Dallinger MDR 1968 202; BayObLG NJW 1984 1246; KK-Pelchen 15; Kleinknecht/ Meyer-Goßner43 12; Alsberg/Nüse/Mexer 467; a. A KMR-Paulus § 252, 10; Gössel § 25 D V c; Eb. Schmidt Nachtr. I Vor § 48, 9; Dalcke/Fuhrmann/ Schäfer 3; Geerds FS Stock 179; Hanack JZ 1972 238; Hanack FS Schmidt-Leichner 92; Rogall NJW 1978 2538; Schütz 93; Rengier 236; weit. Nachw. bei § 252. BGHSt 6 211; 17 245; BGH MDR 1951 180; BGH bei Dallinger MDR 1973 19; BGH StV 1982 405; OLG Celle NJW 1957 194 L; AK-Kühne 8; KKPelchen 15; Kleinknecht/Meyer-GoßneΛ" 12; KMR-ZWus 25; Sarstedt/Hamm 236; Dölling NStZ 1988 9; Paulus JuS 1988 877 Fußn. 54; a. A Eb. Schmidt Nachtr. I Vor §§ 52-56; Rengier 236; zur Gegenansicht vgl. auch Mitsch JZ 1992 174 Fußn. 1. KK-Pelchen 15; Kleinknecht/Meyer-Goßne^ 12; KMR-Paulus 25. BGHSt 10 190; KK-Pelchen 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 12; KMR-Paulus 25; a. Α Schütz 92.
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BGH NJW 1987 1093 = JR 1987 523 mit abl. Anm. K. Meyer. Dölling NStZ 1988 6. BGH NJW 1977 158; NStZ 1982 342; StV 1982 405; 1983 353; NStZ 1996 96 LG Düsseldorf MDR 1981 249; KK-Pelchen 15; Kleinknecht/MeyerGoßne^ 12; KMR-Paulus 25; Dölling NStZ 1988 10; Paulus JuS 1988 877 Fußn. 54; Langkeit/Cramer StV 1996 230 ff. 80 G. Schäfer § 65 V 5; D. Meyer MDR 1977 543; Mitsch JZ 1992 174 für eine analoge Anwendung des § 251 Abs. 1 u. 2. 81 BGHSt 11 218 - GSSt; BayObLGSt 1953 92 = JR 1953 703 mit abl. Anm. Busch, KK-Pelchen 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner4' 12; Alsberg/NUse/ Meyer 489; Sarstedt/Hamm 236. 82 BayObLG StV 1984 192. 83 BGHSt 6 383; RGSt 12 193; 17 118; 29 34; 50 166; RG JW 1902 576; Kleinknecht/Meyer-Goßne^ 13 84 Peters § 42 III 2 c cc; vgl. aber OLG Stuttgart Justiz 1972 122. 85 BGH StV 1984 233; KK-Pelchen 16; Kleinknecht/ Meyer-Goßner41 § 261, 20. 79
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Dagegen steht die Überlegung, daß — von Ausnahmefällen abgesehen — das Gericht nicht feststellen kann, welche Motive den Zeugen zur Auskunftsverweigerung veranlaßt haben86. Die Rechtskreistheorie entfaltet in diesem Zusammenhang keine Relevanz (a. A KK-Pelchen Rdn. 16). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Angeklagte als Zeuge in einem anderen, den gleichen Tatkomplex betreffenden Strafverfahren die Auskunft verweigert hat. Dies ist jedenfalls dann zulässig, wenn der Angeklagte sich bis dahin außer generellem Bestreiten nicht zur Sache geäußert hat 87 . Hat der Zeuge in einem früheren, inszwischen eingestellten Verfahren die Auskunft verweigert, darf ein entsprechender Beweisantrag in dem laufenden Verfahren nicht ohne vorherige Aufklärung abgelehnt werden (BayObLG VRS 78 [1990] 49). 22
Verweigert der Zeuge die Aussage wissentlich ohne rechtlichen Grund bzw. ohne sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht zu berufen, können in jedem Stadium des Verfahrens Ordnungsmittel (§ 70) gegen ihn angeordnet werden88.
V. Belehrung 23
Die Belehrung des Zeugen über sein Auskunftsverweigerungsrecht ist zwingend vorgeschrieben89. Die Unterlassung der Belehrung stellt einen selbständigen und gewichtigen Strafmilderungsgrund bei einer Verurteilung wegen eines Aussagedeliktes dar90. Nach § 161 a Abs. 1 Satz 2 ist auch die Staatsanwaltschaft, nach § 163 a Abs. 5 die Polizei zur Belehrung verpflichtet. Die Belehrungspflicht entsteht erst, wenn der Richter oder die andere Verhörsperson Grund zu der Annahme hat, der Zeuge könne sich oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden91. Eine bloß theoretische Möglichkeit genügt nicht92. Die Verfahrensbeteiligten können die Belehrung anregen, einen Anspruch auf ihre Durchführung haben sie nicht. Es muß auch nicht etwa jeder Zeuge vor seiner Vernehmung nach § 55 Abs. 2 belehrt und ihm dadurch zu verstehen gegeben werden, daß man ihm oder seinen Angehörigen die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zutraut93. Unzulässig ist das aber nicht94, denn die Belehrung ist nie gesetzwidrig95.
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Steht dem Zeugen sowohl ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 2 als auch das Auskunftsverweigerungsrecht zu, muß das Gericht ihn über beide Verweigerungsrechte kumulativ belehren (BGH NStZ 1988 561; vgl. § 52, 45); die Belehrung nach § 55 ersetzt die nach § 52 nicht (BGH NJW 1980 67). Wenn jedoch der Zeuge bereits nach § 52 Abs. 3 Satz 1 belehrt worden ist und wenn nur in Betracht kommt, daß er mit seiner Aussage den beschuldigten Angehörigen belasten könnte, entfallt die Belehrungspflicht nach § 55 Abs. 2 (vgl. Rdn. 3). In besonderen Verfahrenslagen kann es geboten sein, bei gleichzeitigem Bestehen der Rechte aus § 52 und § 55 die Belehrung zunächst auf § 52 zu beschränken und die weitere Belehrung nach § 55 bis zur Entschließung des Zeugen über 8f
> KMR-Paulus 26; Geerds FS Stock (1966) 180; insbesondere Richter II StV 1996 4 5 7 , 4 6 1 . 87 BGH 38 302; Dahs/Langkeit NStZ 1993 213; Rogall JR 1993 380; im Ergebnis zust. Heymann JA 1993 32. 88 BGHR StPO 70 Erzwingungshaft 4; BGH StPO 70 Erzwingungshaft 1; BGHSt 36 155; BGHR StPO Weigerungsgrund 1 und 4; Näheres bei § 70. 89 KK-Pelchen 17; Kleinknecht/Meyer-Goßne^ 14; Pfeiffer/Fischer 3; Sarstedt/Hamm 236; Schulz 57; a. A Koffka JR 1968 30, die § 55 Abs. 2 für eine Sollvorschrift hält. 90 BGH StV 1986 341; 1988 427; 1995 249.
91
Für eine frühzeitige Belehrung Eser ZStW 86 (1974) Beih. 165; Montenbruck ZStW 89 (1977) 883; Rogall 189; NJW 1978 2537. 92 BGH bei Daliinger MDR 1954 402; OLG Frankfurt NJW 1951 614; KK-Pelchen 17; KMR-Paulus 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner*3 14; Eb. Schmidt Nachtr. II 14; Peters § 42 III 2 c cc; Schütz 87. 93 Koffka JR 1968 30; a. Α Geerds FS Stock 188. 94 KK-Pelchen 17; Kleinknecht/Meyer-GoßneΛ» 14; KUR-Paulus 16; Schütz 88. 9 5 BGH bei Daliinger MDR 1953 402; OLG Oldenburg NJW 1961 1225.
Stand: 1.5. 1998
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die Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts zurückzustellen (BGH NStZ 1988 561). Die Belehrung wird demnach, wenn schon zu diesem Zeitpunkt die Annahme begrün- 25 det ist, daß die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 vorliegen, vor der Vernehmung, sonst erst dann erteilt, wenn der Zeuge erkennbar beginnt, über Tatsachen zu sprechen, bei denen nach der Auffassung des Richters die Gefahr der Selbstbelastung oder der Belastung naher Angehöriger bestehen könnte 96 oder wenn ihm Fragen gestellt werden, die diese Gefahr in sich bergen. Die Belehrung muß in der Weise erfolgen, daß der Vernehmende dem Zeugen sagt, auf welche Fragen er die Auskunft verweigern kann 97 . In der Praxis erfolgt die Belehrung häufig nicht rechtzeitig oder in einer für den Zeugen nicht verständlichen Form 98 . Es ist aber Aufgabe der Vernehmungsperson, die Rechte des Zeugen umsichtig und für diesen verständlich zu wahren (BGH bei Daliinger MDR 1953, 402). In besonderen Fällen kann es deshalb auch geboten sein, für einen anwaltlichen Rechtsbeistand des Zeugen Sorge zu tragen 99 (Vor 48 Rdn. 10 ff). Falls die Voraussetzungen dafür in Betracht kommen (oben Rdn. 4), ist der Zeuge auch dahin zu belehren, daß er berechtigt ist, die ganze Aussage zu verweigern 100 . Daß er möglicherweise durch seine Aussage eine Straftat begehen könnte, muß dem Zeugen nicht mitgeteilt werden 101 . Die Entscheidung über die Belehrungspflicht und die Art ihrer Durchführung trifft der 26 Vorsitzende; erst im Fall der Beanstandung nach § 238 Abs. 2 obliegt sie dem Gericht 102 . Mit der Belehrung darf nicht ein Dritter beauftragt werden (vgl. § 52, 47). Das Unterlassen der Belehrung begründet nicht die Revision (unten Rdn. 28). VI. Revision 1. Allgemeines. Der Angeklagte kann keinerlei Rechte daraus herleiten, daß der Zeuge 27 von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat; insbesondere kann er die Revision hierauf nicht stützen 103 , auch nicht mit der Begründung, der Zeuge habe sein Recht nach § 55 Abs. 1 überhaupt nicht begriffen. Auf die Behauptung, der Zeuge sei nicht zur Auskunftsverweigerung berechtigt gewesen, kann die Revision nur gestützt werden, wenn geltend gemacht wird, das Gericht habe aus Rechtsirrtum, etwa weil es den Begriff des Angehörigen oder der Gefahr der Strafverfolgung 104 verkannt hat, die Verweigerung hingenommen und dadurch gegen seine Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) verstoßen 105 . Die tatsächliche Beurteilung durch den Tatrichter kann dagegen nicht angegriffen werden; an sie ist das Revisionsgericht gebunden 106 . Der Antrag auf Vernehmung eines Zeugen, dem ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 zusteht, darf grundsätzlich nicht wegen „Unerreichbarkeit" des Zeugen abgelehnt werden (BGH StV 1984 408).
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Kleinknecht/Meyer-Goßner» 10; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 5. BGH bei Dallinger MDR 1953 402; Kleinknecht/ Meyer-Goßner^ 14. Dazu Richter 11 StV 1996 4 5 7 , 4 6 1 . OLG Stuttgart NStZ 1992 340 mit Anm. Pasner NStZ 1993 201 OLG Düsseldorf GA 1993 460. BGH bei Dallinger MDR 1953 402; RG GA 62 (1915/16) 319; RG Recht 1914 Nr. 2954; OLG Stuttgart NJW 1950 760; KK-Pelchen 18; Kleinknecht/Meyer-Goßne/*>' 14; KMR-Paulus 17. BGH bei Dallinger MDR 1958 14; KK-Pelchen 18.
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KK-Pelchen 17; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 15; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 5; Schütz 87. RGSt 38 320; 48 270; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 16; Pfeiffer/Fischer 4. 'M R G J W 1902 575. 105 RG Recht 1909 Nr. 2761; Schluchter 493. 106 BGHSt 10 105; BGH MDR 1981 632; MDR bei Holtz 1986 978; BGHR StPO § 55 Abs. 1 Auskunftsverweigerung 2 = StV 1986 515; RG Recht 1928 Nr. 213; 1930 Nr. 1387; OLG Oldenburg NJW 1961 1225; KK-Pelchen 21; KMR-Paulus 29; Alsberg/Nüse/Meyer 161. 103
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2. Unterlassene Belehrung. Da § 55 kein Schutzrecht für den Angeklagten begründet (oben Rdn. 1), berührt es dessen Rechtskreis, anders als bei § 52 Abs. 2, nicht 107 (näher zur Rechtskreistheorie Ranft 513 ff und Erl. zu § 337), wenn der Zeuge ausgesagt hat, ohne daß er nach § 55 Abs. 2 belehrt worden ist 108 . Die Gegenmeinung beruht teils auf der Auffassung, jeder Verstoß gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Methoden der Wahrheitsfindung berühre den Rechtskreis des Angeklagten109, teils auf der Annahme, die Vorschrift des § 55 diene auch dem Interesse des Angeklagten, weil sie Falschaussagen des Zeugen verhindern soll 110 . Die Staatsanwaltschaft soll das Unterlassen der Belehrung ebenfalls nicht rügen können, weil der Gesetzesverstoß die Sachaufklärung nicht erschwert haben kann (Kleinknecht/Meyer-Goßnet 43 17). Das erscheint jedenfalls dann nicht zwingend, wenn der Zeuge wegen des Interessenkonflikts falsch ausgesagt hat. In diesem Fall könnte die der freien Beweiswürdigung zugängliche Auskunftsverweigerung (Rdn. 21) besser zur Sachaufklärung und richterlichen Überzeugungsbildung beitragen.
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3. Unrichtige Belehrung. Wird der Zeuge fälschlich dahin belehrt, daß er nicht zur Auskunftsverweigerung berechtigt sei, und sagt er daraufhin aus, so kann das der Angeklagte, da der Verfahrensmangel seinen Rechtskreis nicht berührt (oben Rdn. 28), nicht mit der Revision r ü g e n 1 1 I n dem umgekehrten Fall, daß der Zeuge aufgrund der unrichtigen Belehrung, ihm stehe das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 zu, einzelne Fragen nicht beantwortet, kann die Revision begründet sein. Jedoch kann nicht allein die Verletzung des § 55 zur Urteilsaufhebung führen, sondern nur die des § 245' 12 oder des § 244 Abs. 2 113 . Die unrichtige Belehrung kann auch dann zur Urteilsaufhebung führen, wenn der Zeuge gleichwohl ausgesagt hat, aber zu besorgen ist, daß die Belehrung zu unrichtigen Vorstellungen über seine Zeugenpflichten geführt und ihn zu einer unwahren Aussage veranlaßt hat 114 (Vgl. Rdn. 28 a. E). Wird der Zeuge aber über ein nicht bestehendes Auskunftsverweigerungsrecht belehrt, so schadet dies nicht, wenn er gleichwohl aussagt (BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 93).
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BGHSt 11 213, 216; 38 302, 304; Kleinknecht/ Meyer-Goßner>} 17; a. A KMR-Paulus 19; Roxin § 24, 26; Peters 353; Schluchter 494.2; Geppert Jura 1991 139; gegen die Rechtskreistheorie; Eb. Schmidt JZ 1958 596 ff; Rudolphi MDR 1970 93 ff; Rengier 289 ff; Hanack JZ 1971 127 ff. BGHSt 1 39; 11 213 - GSSt; BGH NJW 1955 1146; BGH VRS 15 (1958)113; 34 (1968) 218; 36 (1969) 23; BGH bei Pfeiffer/Mielbach NStZ 1983 354; 1 9 8 5 493; RG JW 1 9 3 1 1596 mit Anm. Alsberg·, BayObLGSt 1966 184 = JR 1968 29 mit Anm. Koffka\ OLG Koblenz VRS 46 (1974) 451; OLGSt § 5 5 , 11; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1954 176; AK-Kühne 7; KK-Pelchen 19; Kleinknecht/ Meyer-Goßner*" 17; Alsberg/Nüse/Meyer 489; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 5; Kleinknecht NJW 1966 1537; Dencker Verwertungsverbote im Strafprozeß (1977) 94; G. Schäfer § 65 V 4; Grünwald JZ 1966 499; nur dem Ergebnis zust. Sarstedt/Hamm 236; Bauer NJW 1994 2531; vgl. auch Einl. Absch K.
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§ 2 4 , 20; Rengier 314 ff; Häuf NStZ 1993 457; ähnlich Schlächter 494.2. OLG Frankfurt NJW 1951 614; Henkel 211; Gössel § 25 DV c; Roxin § 24, 20; Peters § 42 III 2 c cc; Busch JZ 1953 703; GA 1959 84; Geerds FS Stock 188; Niese JZ 1953 223; Petry, Beweisverbote im Strafprozeß (1971) 105, 191; Häuf NStZ 1993 458; Rudolphi MDR 1970 98; Schutz 76 ff. BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 93; RGSt 38 320; RG DRiZ 1930 Nr. 354; ΚK-Pelchen 19; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 5; a. A Koffka JR 1968 31; Sarstedt/ Hamm 236. BGH bei Daliinger MDR 1974 16; OLG Celle NJW 1962 2315; OLG Zweibrücken NJW 1995 1301; KK-Pelchen 20; KMR-Paulus 29; Schütz 77. BGH bei Daliinger MDR 1953 402; RG GA 43 (1895) 242; OLG Zweibrücken NJW 1995 1301; Schütz 77. RG Recht 1909 Nr. 2761; KK-Pelchen 19; KMRPaulus 29.
KMR-Paulus Vor § 48, 99; Eb. Schmidt Nachtr. II 14 und JZ 1956 596; Peters § 42 III 2 c cc; Roxin
Stand: 1.5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§56
§56 1 Die Tatsache, auf die der Zeuge die Verweigerung des Zeugnisses in den Fällen der §§ 52, 53 und 55 stützt, ist auf Verlangen glaubhaft zu machen. 2 Es genügt die eidliche Versicherung des Zeugen.
Entstehungsgeschichte. Die in Satz 1 ursprünglich enthaltenen Paragraphenbezeichnungen wurden durch die Bek. 1924 geändert. Bezeichnung bis 1924: § 55.
Übersicht Rdn. 1. Allgemeines 2. Verlangen der Glaubhaftmachung . 3. Gegenstand der Glaubhaftmachung
1 2 4
Rdn. 4. Art der Glaubhaftmachung a) Allgemeines b) Eidliche Versicherung 5. Revision
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1. Allgemeines. Die Vorschrift ergänzt die §§ 52, 53 und 55. Auf § 54 bezieht sie sich 1 nicht; denn im Fall der Aussageverweigerung nach dieser Bestimmung kann und muß das Gericht selbst beurteilen, ob der Zeuge zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. § 56 Satz 1 gilt auch bei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft (§ 161 a Abs. 1 Satz 2); die eidliche Versicherung nach § 56 Satz 2 darf der Staatsanwalt jedoch nicht entgegennehmen (§ 161 a Abs. 1 Satz 3). Wird ein Zeuge durch die Polizei vernommen, so ist er zur Aussage ohnehin nicht verpflichtet. Er darf daher die ganze Aussage oder die Auskunft auf einzelne Fragen verweigern, ohne dafür Gründe angeben oder gar glaubhaft machen zu müssen 1 . 2. Verlangen der Glaubhaftmachung. Wenn ein Zeuge die Aussage unter Berufung 2 auf § 52 oder § 53 (dem der Fall des § 53 a gleichsteht) verweigert, kann der Richter seiner Erklärung, daß die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften vorliegen, ohne weiteres glauben, insbesondere wenn niemand widerspricht2. Häufig werden Anhaltspunkte sich auch aus den Akten ergeben. Im Urteil braucht darüber nichts ausgeführt zu werden (OGHSt 2 174). Das gleiche gilt für die Auskunftsverweigerung des Zeugen nach § 55, die in § 56 Satz 1 fälschlich als Zeugnisverweigerung bezeichnet wird (vgl. § 55, 5). Auch hier liegt es im Ermessen des Gerichts, ob es sich mit der Behauptung des Zeugen begnügen will, er werde, wenn er aussagen müßte, sich oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (vgl. §55, 18; unten Rdn. 5). Nach § 56 Satz 1 kann aber verlangt werden, daß der Zeuge die Tatsachen glaubhaft 3 macht, auf die er in den Fällen der §§ 52,53 und 55 die Zeugnis- oder Auskunftsverweigerung stützt. Da es im Ermessen des Gerichts steht, das Zeugnisverweigerungsrecht auch ohne Glaubhaftmachung anzuerkennen, kann mit dem „Verlangen" nach Glaubhaftmachung in § 56 Satz 1 nur das Verlangen des Gerichts gemeint sein (BGH bei Dallinger MDR 1971 188). Hierbei handelt es sich um eine Maßnahme der Sachleitung nach § 238 Abs. 1; es entscheidet daher zunächst der Vorsitzende, ob eine Glaubhaftmachung erfor1 2
Kleinknecht/Meyer-Goßner« 2; KK-Pelchen 1. BGH NJW 1972 1334; BGH bei Dallinger MDR 1971 188; RGSt 54 39; RGRspr. 2 156; RG JW 1928 414 mit Anm. Mamroth; RG JW 1929 861
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Hans Dahs
mit Anm. Alsberg-, RG HRR 1930 1076; OGHSt 2 173; KK -Pelchen 4; KMR-Paulus 7; Eb. Schmidt 4; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 1.
§ 56
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften 3
derlich erscheint . Beanstandungen führen zu einem Gerichtsbeschluß nach § 238 Abs. 2. Die Prozeßbeteiligten haben keinen Anspruch darauf, daß der Zeuge seine Behauptungen glaubhaft macht 4 ; darauf gerichtete Beweisanträge darf das Gericht ohne Bindung an die gesetzlichen Ablehnungsgründe ablehnen (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer 147). Die Ablehnung muß aber stets begründet werden (§ 34) 5 . Bezweifelt der Richter die Angaben, auf die der Zeuge die Verweigerung des Zeugnisses stützt, ist in aller Regel geboten, ihn die Richtigkeit der Tatsachen eidlich versichern zu lassen, bevor Ordnungsund Zwangsmittel verhängt werden (§ 70). Eine Ausnahme gilt, wenn die Unrichtigkeit der für die Zeugnisverweigerung vorgebrachten Gründe bereits erwiesen ist (BGH NJW 1972 1334). Die Pflicht des Zeugen, auf Verlangen des Gerichts die Tatsachen glaubhaft zu machen, auf die er sein Auskunftsverweigerungsrecht stützt, findet dort ihre Grenze, wo er sich schon durch die Angabe der Tatsachen der Verfolgungsgefahr aussetzen kann (BGH StV 1986 282; 1987 328). 4
3. Gegenstand der Glaubhaftmachung ist die Tatsache, auf die der Zeuge die Verweigerung des Zeugnisses stützt (§ 56 Satz 1). In den Fällen des § 52 handelt es sich um die Tatsache, die das Angehörigenverhältnis begründet. Die Frage, ob der Zeuge der Ehegatte oder ob er mit dem Beschuldigten verwandt oder verschwägert ist, wird im allgemeinen zu Zweifeln keinen Anlaß geben. Wenn die Frage, ob der Zeuge mit dem Beschuldigten verwandt ist, Gegenstand der Vernehmung zur Sache ist, darf der Zeuge, der sich auf sein Weigerungsrecht nach § 52 beruft, nicht veranlaßt werden, das Verwandtschaftsverhältnis näher glaubhaft zu machen 6 . Bezeichnet sich der Zeuge als Verlobter des Beschuldigten, so wird das Gericht die Richtigkeit dieser Erklärung gelegentlich von vornherein aufgrund der bereits feststehenden Tatsachen für widerlegt halten dürfen. Häufig kann es aber die allein von der inneren Willensrichtung der Verlobten abhängige Ernsthaftigkeit ihres Heiratsversprechens nur beurteilen, wenn die tatsächlichen Grundlagen genügend glaubhaft gemacht sind (BGH NJW 1972 1334). In den Fällen des § 53 ist glaubhaft zu machen, daß dem Zeugen die Tatsachen, über die er aussagen soll, bei der Ausübung seines Berufs anvertraut oder bekanntgeworden sind und daß er von ihnen nicht auch auf andere Weise Kenntnis erlangt hat.
5
In den Fällen des § 55 darf der Richter ohne weiteres auf der Auskunft bestehen, wenn die Beantwortung der Frage offensichtlich nicht geeignet sein kann, die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Vielfach wird aus dem Zweck und Inhalt der Frage und aus den bereits bekannten Umständen klar hervorgehen, daß der Zeuge die Auskunft nicht geben kann, ohne sich oder einen nahen Angehörigen einer solchen Gefahr auszusetzen. In Zweifelsfällen darf aber von dem Zeugen nicht verlangt werden, daß er über den Sachverhalt der Tat, derentwegen er oder seine Angehörigen verfolgt werden könnten, irgendwelche Angaben macht. Denn dadurch würde er die Gefahr gerade herbeiführen, vor der ihn das Gesetz schützen will (so mit Recht schon Mamroth JW 1928 414). Das Gericht wird daher nähere tatsächliche Angaben nicht fordern dürfen, sondern sich damit begnügen müssen, daß der Zeuge nach Unterrichtung über den Gegenstand des Verfahrens und seiner Vernehmung beschwört, er nehme nach bestem Wissen an, daß durch die Auskunft er selbst oder einer der in § 52 Abs. 1 bezeichneten nahen Angehörigen der Verfolgungsgefahr wegen einer Straftat oder Ordnungswid-
3
4
BGH bei Daliinger MDR 1971 188; KK-Pelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßnet4! 1; KMR-Paulus 6. KK-Pelchen 4; K M R - / W u s 6; Eb. Schmidt 4.
5
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vgl. Alsberg/Nüse/Meyer 149; a.A Kleinknecht/ Meyer-Goßner« 1; KMR-Azu/ui 6 RG HRR 1928 494; KK-Pelchen 4.
Stand: 1. 5. 1998
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Sechster Abschnitt. Z e u g e n
§ 5 6
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rigkeit ausgesetzt würde . Eine Glaubhaftmachung von Tatsachen i. S des § 56 ist deshalb bei der Gefahr einer Selbstbelastung des Zeugen entbehrlich (BGH StV 1987 328). 4. Art der Glaubhaftmachung a) Allgemeines. Da es sich um die Entscheidung über eine verfahrensrechtliche Frage 6 handelt, bedarf es für den Nachweis des Zeugnisverweigerungsrechts keiner an die strengen Formen gebundenen Beweisaufnahme, wie sie für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage vorgeschrieben sind. Es gelten vielmehr die Grundsätze des Freibeweises 8 . Darüber hinaus läßt § 56 Satz 1 die Glaubhaftmachung genügen. Ein Nachweis zur vollen Überzeugung des Gerichts ist daher nicht erforderlich. Es reicht aus, daß dem Gericht die Richtigkeit der behaupteten Tatsachen in einem Maße wahrscheinlich gemacht wird, das nach Lage der Dinge vernünftigerweise als hinreichend anzusehen ist 9 . Bei der Entscheidung, ob die ein Zeugnisverweigerungsrecht begründenden Tatsachen glaubhaft gemacht sind, gilt der Grundsatz in dubio pro reo nicht 10 . Während in anderen Vorschriften der Eid als Mittel der Glaubhaftmachung ausge- 7 schlossen ist (§ 26 Abs. 2 Satz 2, § 74 Abs. 3 Halbsatz 2), ist er in § 56 Satz 2 ausdrücklich zugelassen. Mehr als diese eidliche Versicherung (dazu unten Rdn. 8) darf das Gericht in keinem Fall verlangen". Es kann sich auch mit der Glaubhaftmachung durch eine eidesstattliche Versicherung begnügen 12 . Versucht der Zeuge, die Glaubhaftmachung durch andere Mittel als den Eid oder eine eidesstattliche Versicherung, so hat der Richter über deren Wert nach freiem Ermessen zu entscheiden. Auch die Leistung des Eides oder die Versicherung an Eides Statt schließt aber eine freie Beweiswürdigung keineswegs aus. Das Gericht braucht dem Zeugen keinen Glauben zu schenken, wenn andere Tatsachen die Unrichtigkeit seiner eidlichen oder an Eides Statt versicherten Angaben klar erweisen 13 . b) Eidliche Versicherung. Unter der eidlichen Versicherung nach § 56 Satz 2 ist nicht 8 eine eidesstattliche Versicherung im Sinne des § 156 StGB, sondern die Ableistung des körperlichen Eides (§ 66 c) oder die Bekräftigung nach § 66 d zu verstehen 14 . An die Stelle der Norm des Zeugeneides oder der Bekräftigung tritt die Tatsache, die glaubhaft gemacht werden soll (ζ. B: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie und der Angeklagte einander ernsthaft die Ehe versprochen haben") (vgl. aber auch oben Rdn. 5). Im Fall des § 67 kann die eidliche Versicherung unter Berufung auf den geleisteten Eid abgegeben werden. Wird die Aussage nur teilweise verweigert, im übrigen aber von dem Zeugen beeidet, so kann der Zeugeneid zugleich auf die Erklärung bezogen werden, die den Weigerungsgrund des Zeugen betrifft 15 . Hierüber ist der Zeuge zu belehren; sowohl die Tatsache der Belehrung als auch die Ausdehnung des Eides auf den Grund der Zeugnisverweigerung muß in das Protokoll aufgenommen werden 16 . 7
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BGH StV 1986 282; LG Hamburg VRS 74 (1988) 442; RGRspr. 2 305, RG JW 1929 414; KK-Pelchen 4; KMR-Paulus 3; Eb. Schmidt 3; Hammerstein NStZ 1981 125; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 2 (für § 55); Geerds FS Stock 193 hält die Regelung des § 56 für den Fall des § 55 für rechtspolitisch absolut unbefriedigend; BGH StV 1987 328 scheint die Ansicht zu vertreten, daß es in solchen Fällen keiner Glaubhaftmachung bedarf. Alsberg/Niise/Meyer 109 ff; Kleinknecht/MeyerGoßner» 3. BGHSt 21 350; RGSt 28 10; vgl. auch W. Schmid SchlHA 1981 73; vgl. 24. Aufl. § 45, 21.
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BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 354; Alsberg/Niise/Meyer 152. YMR-Paulus 5; Eb. Schmidt 2. 12 RGSt 28 10; 58 147; RG Recht 1928 Nr. 214; BGH StV 1987 328; KK-Pelchen 6; Kleinknecht/MeyerGoßner·» 3; a. Α Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 3. 13 BGH NJW 1972 /334; Ditzen Dreierlei Beweis im Strafverfahren (1926) 10;A/ibergJW 1929 861. 14 KK-Pelchen 6; Eb. Schmidt 1. 15 KMR-Paw/uj § 59, 12; Eb. Schmidt 1. 16 KMR-PÖU/mj § 59, 12. 11
Hans D a h s
§57
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
9
Die in § 56 Satz 2 vorgesehene eidliche Versicherung des Zeugen kann in jedem Abschnitt des Verfahrens gefordert werden. Die Beschränkungen des § 65 gelten nicht 17 . Fehlt dem Zeugen die Eidesmündigkeit (§ 60 Nr. 1), so ist auch die eidliche Versicherung nach § 56 Satz 2 unzulässig 18 . Das Vereidigungsverbot des § 60 Nr. 2 besteht aber nicht; andernfalls wäre die Glaubhaftmachung, die § 56 gestattet, im Fall des § 55 praktisch unmöglich 19 . Die §§ 61 und 62 sind für die eidliche Versicherung nach § 56 Satz 2 ohne Bedeutung.
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5. Revision. Hat zunächst der Vorsitzende ausdrücklich oder stillschweigend darüber entschieden, daß eine Glaubhaftmachung nicht verlangt wird (oben Rdn. 3), so kann eine Revisionsrüge nur erhoben werden, wenn die Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 herbeigeführt worden ist 20 . Wenn das Gericht der Erklärung des Zeugen über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts glaubt, kann die Revision gegen das Urteil nicht auf die Behauptung gestützt werden, das Gericht habe zu Unrecht angenommen, daß das Zeugnisverweigerungsrecht genügend glaubhaft gemacht worden sei (KMR-Paulus 8). Auch die Behauptung der Revision, die Erklärung des Zeugen sei unwahr, kann das Revisionsgericht nicht beachten. Auf die Anerkennung des Zeugnisverweigerungsrechts kann die Revision vielmehr nur gestützt werden, wenn die Entscheidung erkennbar auf Rechtsirrtum beruht 21 . Denkbar erscheint auch eine Aufklärungsrüge (§244 Abs. 2), wenn trotz Fehlens jeglicher tatsächlichen Anhaltspunkte für § 55 das Gericht eine Glaubhaftmachung (etwa ohne Begründung) ablehnt.
§57 'Vor der Vernehmung sind die Zeugen zur Wahrheit zu ermahnen und darauf hinzuweisen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliegt. 2Hierbei sind sie über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren. Entstehungsgeschichte. Ursprünglich bestimmte § 59 (nach der Neubekanntmachung von 1924: § 60), daß der Richter den Zeugen vor der Leistung des Eides „in angemessener Weise auf die Bedeutung des Eides hinzuweisen" hat. Art. 1 des Gesetzes zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24. 11. 1933 (RGBl. I 1008) fügte stattdessen den § 57 ein; der bisherige § 57 wurde § 60. Art. 4 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue vom 29. 5. 1943 (RGBl. I 341) paßte die Vorschrift der gleichzeitigen Änderung des § 59 an. Art. 3 Nr. 20 VereinhG stellt im wesentlichen die Fassung von 1933 wieder her. Durch Art. 1 Nr. 1 des 1. StVRErgG erhielt Satz 2 unter Einführung der Belehrungspflicht über die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser Beteuerung und ohne diese Beteuerung die geltende Fassung. 17 18 19 20
KK-Pelchen 6; KMK-Paulus 4; Eb. Schmidt 5. KK-Pelchen 6; K M R - / W « j 4; Eb. Schmidt 6. KK -Pelchen 6; KMR-ftiu/us 4; Eb. Schmidt 6. RG JW 1929 861 mit Anm. Alsberg-, HK-Lemke 3; KK-Pelchen 7; KMR-/W1« 8.
21
RG JW 1928 414 mit Anm. Mamroth; RG JW 1929 861 mit Anm. Alsberg; RG HRR 1928 494; 1930 1076; OGHSt 2 174; Alsberg/NUse/Meyer 161; KK-Pelchen 7; W. Schmid SchlHA 1981 74.
Stand: 1 . 5 . 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§57
Geplante Änderungen. Nach Art. 2 Nr. 4 des Entwurfs eines zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich) (BTDrucks. 13 4541) soll § 5 7 Satz 1 folgende Fassung erhalten: „Vor der Vernehmung wird der Zeuge zur Wahrheit ermahnt und darauf hingewiesen, daß er in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen unter Umständen seine Aussage zu beeidigen habe." S. g g f s . d i e Erläuterungen i m N a c h t r a g zur 2 5 . A u f l a g e .
Übersicht 1. Allgemeines 2. Belehrung a) Zeitpunkt b) Inhalt
Rdn. 1
c) Form d) Wiederholung e) Protokoll 3. Revision
3 4
Rdn. 6 7 8 9
1. Allgemeines. Die Vorschrift sieht sowohl eine Ermahnung des Zeugen zur Wahrheit 1 als auch eine Belehrung über die Bedeutung des Eides, die möglichen Formen der Eidesleistung und die strafrechtlichen Folgen einer Falschaussage vor (Nr. 130 RiStBV). Das Gesetz erwähnt nicht ausdrücklich, daß die Belehrung mündlich erteilt werden muß. Das versteht sich jedoch von selbst. Eine schriftliche Belehrung, etwa in dem Ladungsvordruck, ist zwar nicht unzulässig (sondern wünschenswert), macht aber die mündliche Belehrung vor der Vernehmung nicht entbehrlich 1 . Bei einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft ist § 57 entsprechend anzu- 2 wenden (§ 161 a Abs. 1 Satz 2). Da aber der Staatsanwalt den Zeugen nicht vereidigen darf (§ 161 a Abs. 1 Satz 3) und da die uneidliche Falschaussage vor der Staatsanwaltschaft, wie sich aus § 153 StGB ergibt, nicht strafbar ist, kommt insoweit nur die Ermahnung zur Wahrheit in Betracht. Auch bei polizeilichen Vernehmungen darf diese Ermahnung ausgesprochen werden 2 . Es entspricht im übrigen dem Rechtsgedanken des § 57, wenn Staatsanwaltschaft und Polizei den Zeugen darüber belehren, daß er sich durch eine falsche Aussage nach §§ 145 d, 164, 257, 258 StGB strafbar machen kann.
2. Belehrung a) Zeitpunkt. Die in § 57 vorgesehene Ermahnung und Belehrung muß vor der Ver- 3 nehmung des Zeugen erfolgen. Die Vorschrift verlangt aber nicht, daß sich die Vernehmung unmittelbar an die Belehrung anschließt. Es ist daher zulässig, alle erschienenen Zeugen gemeinsam vor der Vernehmung des ersten Zeugen zu belehren 3 . In der Praxis ist dieses Verfahren allgemein üblich. Unzulässig ist es dagegen, den Zeugen zunächst „informatorisch" über sein Wissen zu befragen und die Belehrung erst vorzunehmen, wenn sich abzeichnet, daß er förmlich als Zeuge vernommen werden muß 4 . b) Inhalt. Der Zeuge muß zunächst zur Wahrheit ermähnt und darauf hingewiesen 4 werden, daß er voraussichtlich vereidigt wird. Die Belehrung nach §§ 53 Abs. 2, 64 Abs. 2 BZRG muß bei Fragen im Rahmen des § 68 a Abs. 2 zusätzlich und ausdrücklich erfolgen (OLG Düsseldorf StV 1983 446). Sodann ist er über die Bedeutung des Eides, über die Möglichkeit der Wahl zwischen der Eidesleistung in religiöser Form und ohne religiöse Beteuerungsformel und über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder 1
2
KK-Pelchen 2; Kleinknechl/Meyer-Goßnet•» insbes. Lorenz DRiZ 1965 158. KK-Pelchen 1; Eb. Schmidt 1.
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1;
3
4
HansDahs
RG JW 1900 709; KK-Pelchen 2. Kleinknecht/ Meyer-Goßner43 1; K M R - / W u i 3; Eb. Schmidt 5. RGSt 67 288; KK-Pelchen 2; K M R - W u s 5.
§57
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
unvollständigen Aussage zu belehren. Dazu gehört die Belehrung, daß auch die Angaben zur Person wahrheitsgemäß sein müssen und von dem Eid umfaßt werden 5 , daß sowohl die mit dem Eid bekräftigte vorsätzliche Falschaussage (§ 154 StGB) als auch der fahrlässige Falscheid (§ 163 StGB) und die uneidliche Falschaussage (§ 153 StGB) unter Strafandrohung stehen. Eine Belehrung darüber, daß der Zeuge dem Eid nach § 66 c Abs. 3 eine Beteuerungsformel anfügen kann, ist nicht vorgeschrieben. § 57 sieht auch eine Belehrung darüber nicht vor, daß ein Zeuge, der aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten will, nach § 66 d die Wahrheit der Aussage ohne Eidesleistung bekräftigen kann. Das Gesetz geht davon aus, daß ein Zeuge, dem sein Glaube oder Gewissen den Eid verbietet, das auch ohne äußeren Anstoß erklären wird6. 5
Die Belehrung muß den Besonderheiten des Verfahrens und den besonderen Eigenschaften des Zeugen angepaßt werden. Im Vorverfahren unterbleibt der Hinweis auf die . Notwendigkeit der Vereidigung und die Belehrung über die Bedeutung des Eides usw., wenn nach § 65 keine Vereidigung in Betracht kommt; erforderlichenfalls ist die Belehrung vor der Vereidigung nachzuholen. Der Zeuge darf aber bei der Vernehmung im Vorverfahren auf die Strafbarkeit der uneidlichen Falschaussage und darauf hingewiesen werden, daß er seine Aussage voraussichtlich in der Hauptverhandlung beschwören muß (vgl. auch Rdn. 2 a. E). Bei der Vernehmung eidesunmündiger Zeugen (§ 60 Nr. 1) und von Zeugen, deren Vereidigung nach § 60 Nr. 2 von vornherein ausgeschlossen ist, hat sich der Richter ebenfalls auf die Ermahnung zur Wahrheit und die Belehrung über die Strafbarkeit einer uneidlichen Falschaussage zu beschränken 7 . Die in § 57 vorgesehenen Ermahnungen und Belehrungen wären leere Förmlichkeiten, wenn ein Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt als Zeuge zu vernehmen ist. Sie können dann, da § 57 nur eine Ordnungsvorschrift ist (unten Rdn. 9), unterbleiben (enger KMR-Paulus 4).
6
c) Form. Die Gestaltung des Hinweises und der Belehrung steht im Ermessen des Richters. Sie müssen angemessen und wirkungsvoll sein (Peters § 42 V 2); es entspricht nicht der Würde und der Fürsorgepflicht des Gerichts, sie in überhastetem oder gleichgültigem Ton herunterzusprechen (vgl. Hülle DRiZ 1953 89). Durch den Hinweis auf die Wahrheitspflicht darf auch nicht der Eindruck erweckt werden, das Gericht traue dem Zeugen von vornherein eine unwahre Aussage zu. Es empfiehlt sich daher die einleitende Bemerkung, daß das Gericht bei der Wahrheitsfindung auf die Unterstützung des Zeugen angewiesen ist, zu einem gerechten Urteil aber nur gelangen kann, wenn der Zeuge wahrheitsgemäß aussagt und nichts Wesentliches verschweigt. Die Belehrung über die Eidespflicht und die strafrechtlichen Folgen einer Falschaussage sollte nicht so erteilt werden, daß sie ehrkränkend oder einschüchternd wirkt. Sie sollte daher mit dem Hinweis darauf erteilt werden, daß sie nur erfolgt, weil das Gesetz sie vorschreibt (KMR-Paulus 4). Besteht nach dem Inhalt der Zeugenbekundungen dazu Anlaß, so kann die Belehrung während der Vernehmung immer noch in nachdrücklicherer Weise wiederholt werden.
7
d) Wiederholung. Ergeben sich während der Zeugenvernehmung Zweifel an der Richtigkeit der Aussage, so dürfen die Ermahnung und die Belehrung wiederholt und mit eindringlichen Vorhalten verbunden werden. Denn der Richter ist zur Erforschung der Wahrheit verpflichtet (§ 244 Abs. 2) und muß daher einer unrichtigen Zeugenaussage mit allen erlaubten Mitteln, zu denen insbesondere Hinweise, Ermahnungen und Warnungen gehören, entgegenwirken 8 . Der Zeuge darf auf seine früheren Aussagen und auf die Aus5 6 7
RGSt 60 408; KK-Pelchen 3; KMR-Paulus 3. Vgl. BTDrucks. 7 2526 S. 19. HK-Lemke 3; KK-Pelchen 3 („bedarf es nicht"); Kleinknecht/Meyer-Goßnet43 2 („können unterbleiben").
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BGHSt 3 199; RGSt 54 297; KK-Pelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 3; KMR-Paulus 6.
Stand: 1 . 5 . 1 9 9 8
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§58
sage anderer bereits vernommener Zeugen hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht werden, daß seine Bekundungen zu ihnen in unüberbrückbarem Gegensatz stehen 9 . Zulässig ist auch die Anordnung der vollständigen Niederschrift der Aussage nach § 273 Abs. 3 und der Hinweis an den Zeugen, daß die Niederschrift zur Grundlage eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Falschaussage gemacht werden kann. In Betracht kommt schließlich die Belehrung des Zeugen über die Strafbarkeit der Begünstigung und Strafvereitelung nach den §§ 257, 258 StGB. Bei alldem muß der Vorsitzende aber darauf bedacht sein, daß seine Vorhaltungen, Belehrungen und Hinweise den Zeugen nicht zu einer bestimmten, womöglich sogar unwahren Aussage drängen (KMR-Paulus 6). e) Protokoll. Die Belehrung nach § 57 gehört nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne der § 168 a Abs. 1, § 273 Abs. 1, wird aber üblicherweise in die Vernehmungs- oder Sitzungsniederschrift aufgenommen. Die Beweisvermutung des § 274 gilt nicht 1 0 . 3. Revision. Nach allgemeiner Ansicht ist § 57 eine Ordnungsvorschrift, die nur im Interesse des Zeugen, nicht des Angeklagten, erlassen ist und daher seinen Rechtskreis nicht berührt (dazu Erl. zu § 337). Ihre Verletzung begründet daher nicht die R e v i s i o n " .
§58
(1) Die Zeugen sind einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen zu vernehmen. (2) Eine Gegenüberstellung mit anderen Zeugen oder mit dem Beschuldigten im Vorverfahren ist zulässig, wenn es für das weitere Verfahren geboten erscheint. Schrifttum. Artkämper Gegenüberstellungen - Erkenntnisquelle mit Kautelen, Kriminalistik 1995 645; Burghard Gegenüberstellungen im Ermittlungsverfahren, Taschenbuch für Kriminalisten XXVI 87; Burgdorf/Ehrentraut/Lesch Die Identifizierungsgegenüberstellung gegen den Willen des Beschuldigten - Eine unzulässige Ermittlungsmaßnahme? GA 1987 106; Dahs Zum Persönlichkeitsschutz des „Verletzten" als Zeuge im Strafprozeß, NJW 1984 1921; Engelhardt Konfrontationen, ArchKrim. 105 (1939) 140; Geerds Strafprozessuale Personenidentifizierung Juristische und kriminalistische Probleme der §§ 81 b, 163 b, 163 c StPO, Jura 1986 7; Geppert Zum strafrechtlichen „Rechtmäßigkeits"- Begriff (§113 StGB) und zur strafprozessualen Gegenüberstellung, Jura 1989 274; Griech/Stadler Die Wahlgegenüberstellung Methodische Probleme des kriminalistischen Wiedererkennungsexperiments, StV 1981 565; Görling Täteridentifizierung per Video-Gegenüberstellung, Kriminalistik 1985 58; Grünwald Probleme der Gegenüberstellung zum Zwecke der Wiedererkennung, JZ 1981 423; Hammelmann/Williams Wiedererkennen eines Verdächtigen aus einem gegenübergestellten Personenkreis, ZStW 78 (1966) 737; Heindl/Gerphe Wie bei der Anfertigung von Steckbriefen und bei Gegenüberstellungen zum Zwecke der Identifizierung zu verfahren ist, ArchKrim. 89 (1931) 60; Hellwig Über die Technik von Gegenüberstellungen zur Feststellung der Personengleichheit, Zeitschrift für angewandte Psychologie 34 (1930) 213; Hellwig Psychologie und Vernehmungstechnik bei Tatbestandsermittlungen4 (1951); Hirschberg 9
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BGHSt 3 199; RGSt 54 197; Kleinknecht/MeyerCoßner43 3; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 1. BGH bei Martin DAR 1958 99; RGSt 56 66; KKPelchen 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner*'s 5; a. A KMR-Pou/UJ 7. BGH VRS 22 1962) 144; 36 (1969) 23; BGH bei Martin DAR 1958 99; BGH bei Spiegel DAR 1981
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Hans Dahs
197; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 354; RGSt 6 267; 40 158; 56 66; RG JW 1903 216; 1937 2423 L; RG HRR 1934 1644; KK-7; Kleinknecht/ Meyer-Goßner43 6; Pfeiffer/Fischer 2; Eb. Schmidt 4; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 2; Henkel 210 Fußn. 2; Dahs/Dahs 272; einschränkend KMR-Pawlus 8: Aufkläningsrüge; Rudolphi MDR 1970 99.
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Das Fehlurteil im Strafverfahren (1960); Kalleicher/Grimm Die Gegenüberstellung als kriminalistische Maßnahme, Grundlagen der Kriminalistik 11 327; Lieb Die Gegenüberstellung, Kriminalistik 1951 19; Nöldeke Zum Wiedererkennen des Tatverdächtigen bei Gegenüberstellung und Bildvorlage, NStZ 1982 193; Odenthal Die Gegenüberstellung im Strafverfahren 2 (1992); Odenthal Die Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985 433; Peters Fehlerquellen im Strafprozeß, Band 2 (1972); Philipp Die Gegenüberstellung (1981); Rieder Die Gegenüberstellung zur Identifizierung des Beschuldigten, Kriminalistik 1977 111; G. Schmidt Zeugenbeweis mit all seinen Schwächen - Täteridentifizierung per Video-Gegenüberstellung, Kriminalistik 1985 239; Schroth Die Wahlgegenüberstellung im englischen Strafverfahren, ZStW 8 9 (1977) 849; Schweling Das Wiedererkennen des Täters; Beweiswert und Revisibilität, MDR 1969 177; Steinke Die Problematik der Wahlgegenüberstellung, Kriminalistik 1978 505; Wieczorek Oft genug von nur geringem Beweiswert - Anforderungen an eine Wahlgegenüberstellung, Kriminalistik 1984 545.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift erhielt durch die Neubekanntmachung im Jahre 1924 die Bezeichnung § 59. Durch Art. 1 des Gesetzes zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24. 11. 1933 (RGBl. I 1008) wurde sie in veränderter Fassung, aber ohne sachliche Änderungen wieder als § 58 eingefügt; der bisherige § 58 Abs. 1 wurde in § 61 Abs. 3 aufgenommen, § 58 Abs. 2 wurde § 63. Übersicht 1. Allgemeines 2. Einzelvernehmung 3. Abwesenheit der später anzuhörenden Zeugen a) Allgemeines b) Geltungsbereich c) Abwesenheit vor der Vernehmung . . . d) Nach der Vernehmung 4. Reihenfolge der Vernehmungen 5. Anwesenheitsrechte
Rdn. 1 2
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Alphabetische Adhäsionskläger Anwaltlicher Rechtsbeistand Anwesenheit nach Vernehmung Anwesenheitsrecht Aufklärungspflicht Augenschein Beistand Beweiswert Einziehungsbeteiligter Entlassung Ermessensmißbrauch Erziehungsberechtigter Fragerecht Fürsorgepflicht Gesetzlicher Vertreter Geständnis Gruppenverhör
Rdn. 4 4 7 9 8, 10, 11, 18 12 8 14, 15, 16, 18 4 7 18 4,8 11 8, 18 4,8 16 2
Rdn. 6. Gegenüberstellungen (Abs. 2) a) Allgemeines b) Vernehmungsgegenüberstellung . . . . c) Identifizierungsgegenüberstellung . . . d) Durchführung der Gegenüberstellung . e) Lichtbildvorlage f) Stimmenvergleich g) Wiederholtes Wiedererkennen, Rekonstruktion der Gegenüberstellung in der Hauptverhandlung 7. Revision
10 11 12 13 14 15
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Übersicht Kind Lichtbild Mitwirkungspflicht Nebenkläger Öffentlichkeit Sachaufklärung Sachverständiger Sachverständiger Zeuge Sitzungspolizei Stimme Untersuchungszweck Verhandlungspause Verhörsperson Verteidiger Vorverfahren Wiedererkennen - wiederholt Wiedererkennungsexperiment Zuhörer
Stand: 1. 5. 1998
Rdn. 3 14 12 4,8 5 10 4 4 5 15 9 3 8 9, 10 13 16 17 6 (156)
Sechster Abschnitt. Zeugen
§58
1. Allgemeines. § 58 Abs. 1 gilt in allen Verfahrensabschnitten, auch in der Hauptver- 1 handlung. § 58 Abs. 2 ist dagegen eine Sondervorschrift für das Vorverfahren. Bei staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen ist die Vorschrift entsprechend anzuwenden (§ I6l a Abs. 1 Satz 2); auch bei Vernehmungen durch die Polizei ist sie zu beachten. 2. Einzelvernehmung. Die durch § 58 Abs. 1 vorgeschriebene Einzelvernehmung des 2 Zeugen ist schon aus Gründen der kriminalistischen Zweckmäßigkeit jeder anderen Form der Vernehmung vorzuziehen. Gruppenverhöre mit mehreren Zeugen kommen daher nicht in Betracht. Eine Ausnahme gilt für Gegenüberstellungen, die aber immer erst vorgenommen werden dürfen, wenn jeder der gegenüberzustellenden Zeugen vorher einzeln vernommen worden ist und nur noch strittige Fragen zu klären sind. 3. Abwesenheit der später anzuhörenden Zeugen a) Allgemeines. Die Vorschrift des § 58 Abs. 1 ist vor allem für die Hauptverhandlung 3 von Bedeutung. Sie verlangt, daß von den mehreren Zeugen, die zum selben Zeitpunkt erschienen sind, nach erfolgter Eidesbelehrung (§ 57) alle bis auf denjenigen, der zuerst vernommen werden soll, den Sitzungssaal verlassen müssen. Die Zeugen sollen, damit ihre Unbefangenheit und die Selbständigkeit ihrer Darstellung gewahrt bleiben, ihre Aussage ohne Kenntnis dessen machen, was der Angeklagte und die anderen Zeugen aussagen 1 . In besonderen Ausnahmefällen, ζ. Β wenn bei der Vernehmung eines Kleinkindes die Anwesenheit ihrer noch nicht als Zeugin vernommenen Mutter zweckdienlich erscheint, kann hiervon abgewichen werden (KMR-Paulus 5). Daß der noch nicht vernommene Zeuge sich während einer Verhandlungspause mit dem Angeklagten oder mit den bereits vernommenen Zeugen unterhält, kann und soll durch § 58 nicht verhindert werden (BGH NJW 1962 260). b) Geltungsbereich. § 58 Abs. 1 gilt grundsätzlich für alle Zeugen, insbesondere auch 4 für den sachverständigen Zeugen 2 , den anwaltlichen Rechtsbeistand des Zeugen (BVerfGE 38 105, 116) und für den als Zeugen zu vernehmenden Beistand nach § 1493. Abweichend von § 58 Abs. 1 haben jedoch das Recht zur Anwesenheit während der ganzen Hauptverhandlung, auch wenn sie als Zeugen vernommen werden sollen, der Einziehungsbeteiligte (vgl. § 243, 28), der Antragsteller im Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff (vgl. die Erl. zu § 404), der Nebenkläger 4 und, sofern durch ihre Gegenwart die Wahrheitsfindung nicht beeinträchtigt wird5, die nach § 67 JGG beteiligten Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter6. Wegen des Verteidigers vgl. Vor 48, 45, wegen des Sachverständigen Erl. zu § 80. c) Abwesenheit vor der Vernehmung. Der erschienene Zeuge untersteht bis zu seiner 5 Entlassung der Ordnungsgewalt des Gerichts und seines Vorsitzenden (vgl. § 248). Gehorcht er der Weisung des Vorsitzenden nicht, bis zu seiner Vernehmung den Sitzungssaal zu verlassen, so kann er mit Gewalt entfernt werden· (KMR-Paulus 6). Auch ein Vgl. BGHSt 3 388; BGH bei Dallinger MDR 1955 396; RGSt 22 434; 52 161; BayObLGSt 1951 50; Kleinknecht/Meyer-Goßnef" 2; KK-Pelchen 1; KMR-Paulus 1; Eb. Schmidt 2. BGH NJW 1987 3088; KK-Pelchen 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner13 3; vgl. auch § 243, 29 sowie 24. Aufl. § 85, 12; a. Α Häger GedS Meyer 182.
BGHSt 4 205; RGSt 22 199; 59 353; KK-Pelchen 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner* 3; K M R - / W u i 5; Schorn GA 77 (1933) 258. (157)
Hans Dahs
BGH LM Nr. 1 zu § 396; BGH VRS 48 (1975) 18; BGH bei Dallinger MDR 1952 532; RGSt 2 388; 25 177; 59 354; RG JW 1891 55; 1931 2505 mit abl. Anm. Beling; OLG Dresden JW 1932 964; KK-Pelchen 2; Kleinknecht/Meyer-Goßnei3; KMR-Paulus 5; Gerland 132; a. Α Schorn GA 77 (1933) 258. Vgl. § 51 Abs. 2 JGG; BGH LM § 67 JGG Nr. 1. BGH NJW 1956 520; KK-Pelchen 2; Kleinknecht/ Mever-Goßner" 3; KMR-Pau/us 5; Brunner § 67, 9.
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Zuhörer kann durch eine sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden nach §§ 176, 177 GVG aus dem Zuhörerraum entfernt werden, wenn einer der Prozeßbeteiligten beantragt, ihn als Zeugen zu vernehmen, oder einen Solchen Antrag ankündigt oder wenn das Gericht selbst die Vernehmung für erforderlich hält; eine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit liegt darin nicht7. 6 Die Bestimmung, daß die später abzuhörenden Zeugen bei der Zeugenvernehmung nicht anwesend sein dürfen, bedeutet nicht, daß ein Zeuge, der aus irgendwelchen Gründen der Vernehmung anderer Zeugen beigewohnt hat, ein ungeeignetes Beweismittel ist und daher als Zeuge nicht vernommen werden darf. Es ist insbesondere zulässig, jemanden, der vorher als Zuhörer im Sitzungssaal anwesend war, als Zeugen zu vernehmen8. Ein Beweisantrag auf Zeugenvernehmung darf daher nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der Zeuge sei vorher Zuhörer gewesen9. Daß der Zeuge vor seiner Vernehmung an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, kann sich aber bei der Beweiswürdigung auswirken. 7
d)Nach der Vernehmung hat sich der Zeuge bis zu seiner Entlassung (Nr. 135 RiStBV) zur Verfügung des Gerichts zu halten (§ 248). Ob er der Vernehmung der weiteren Zeugen beiwohnen darf, ist gesetzlich nicht bestimmt. Denn § 58 Abs. 1 ist nicht dahin zu verstehen, daß die Vernehmung eines Zeugen in Anwesenheit der bereits gehörten Zeugen erfolgen muß10. Das Gericht entscheidet daher nach pflichtgemäßem Ermessen' 1 . Regelmäßig werden keine Bedenken dagegen bestehen, dem vernommenen Zeugen die Anwesenheit im Sitzungssaal zu gestatten. Anders ist es, wenn beabsichtigt ist, ihn noch einmal ergänzend zu hören oder anderen Zeugen gegenüberzustellen, oder wenn zu besorgen ist, daß der Angeklagte oder ein anderer Zeuge in seiner Gegenwart nicht wahrheitsgemäß aussagt12. In diesen Fällen kann der Vorsitzende anordnen, daß der Zeuge den Sitzungssaal verlassen muß13. Einen Anspruch daraufhat der Angeklagte aber nicht14.
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4. Reihenfolge der Vernehmungen. Grundsätzlich steht es im Ermessen des Gerichts, in welcher Reihenfolge es die Zeugen vernimmt und ergänzend hört15. Fürsorge- und Aufklärungspflicht können aber eine bestimmte Reihenfolge erforderlich machen. So sollten Kinder und Jugendliche möglichst vor den erwachsenen Zeugen vernommen und dann entlassen werden16. Der Beistand nach § 149 hat zwar keinen Rechtsanspruch darauf, als erster Zeuge vernommen zu werden17; damit er seine Rechte wahrnehmen kann, wird es jedoch regelmäßig geboten sein, daß der Vorsitzende ihn nicht erst am Schluß der Beweisaufnahme vernimmt (BGHSt 4 205). Auch Nebenkläger, Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter sollten, weil sie vor ihrer Vernehmung zur Anwesenheit berechtigt BGHSt 3 388; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/MeyerGoßner« 5; KMR-Paulus 6; Eb. Schmidt Nachtr. I 1; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 1; Hilger NStZ 1983 343. RGSt 2 54; RG JW 1934 3286 L; RG GA 54 (1907) 386; OGHSt 2 21; OLG Dresden JW 1931 88 mit Anm. Alsberg; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/ Meyer-Goßner« 5; K M R - / W « i 8; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer\ , Henkel 2 1 2 F u ß n . 11; Schorn GA 77 (1933) 252; vgl. auch § 243, 27. RGSt 1 366; RGRspr. 3 295; KG VRS 38 (1970) 56; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 5; Eb. Schmidt 2. BGH bei Dallinger MDR 1955 396; RGSt 48 211; Eb. Schmidt 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner>i 6.
i> BGH NJW 1962 260; BGH bei Daliinger MDR 1955 396; RGSt 48 211; RG LZ 1915 631; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 6. 12 KK-Pelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner* 6; a. Α Schneiders StV 1990 91. 13 RG Recht 1910 Nr. 252; KK-Pelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 6; KMR-Paulus 7; vgl. auch § 243, 32. 14 RGSt 48 211; RG GA 43 (1895) 51; KMR-Paulus 7; Eh. Schmidt 3. 15 BGHSt 2 111; 4 206; BGH NJW 1962 260; KKPelchen 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 4; KMRPaulus 9. KK-Pelchen 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 4; KMR-Paulus 9. 17 BGHSt 4 205; KK-Pelchen 3; Kleinknecht/MeyerGoßne^ 4; KMR-Paulus 9.
Stand: 1. 5. 1998
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sind (oben Rdn. 4), als erste Zeugen vernommen werden. Verhörspersonen, die einen nach § 52 ff zur Aussageverweigerung berechtigten Zeugen vernommen haben, dürfen über die von ihnen entgegengenommenen Bekundungen dieses Zeugen erst gehört werden, nachdem sich das Gericht vergewissert hat, daß er auf sein Aussageverweigerungsrecht verzichten werde 18 . 5. Anwesenheitsrechte. Im Vorverfahren richtet sich die Befugnis zur Anwesenheit 9 bei der Vernehmung von Zeugen nach § 168 c Abs. 2; danach ist der Staatsanwaltschaft, dem Verteidiger und regelmäßig auch dem Beschuldigten die Anwesenheit zu gestatten. Für einen inhaftierten Beschuldigten gelten die Einschränkungen des § 168 c Abs. 4. Bei Gefährdung des Untersuchungszweckes kann der Richter den Beschuldigten nach § 168 c Abs. 3 von der Verhandlung ausschließen, nicht aber seinen Verteidiger (BGHSt 29 5). Die Benachrichtigungspflicht regelt § 168 c Abs. 5; wenn der Untersuchungserfolg, d. h. die Gewinnung einer wahrheitsgemäßen Aussage (BGHSt 29 3) gefährdet würde, darf die Benachrichtigung unterbleiben. Erscheint der Verteidiger gleichwohl, ist er nach BGHSt 29 5 zuzulassen; vgl. näher die Erl. zu § 168 c. Bei Zeugenvernehmungen durch die Staatsanwaltschaft und die Polizei haben weder der Beschuldigte noch der Verteidiger ein Anwesenheitsrecht; das ergibt sich daraus, daß die entsprechende Anwendung des § 168 c weder in § 161 a noch in § 163 a Abs. 5 bestimmt ist (KMR-Paw/wi 10). Auch wenn ein Rechtsanspruch nicht besteht, ist die Mitwirkung des Verteidigers doch nicht verboten und kann im Interesse der Sache zweckmäßig sein. Der Staatsanwalt ist jederzeit befugt, bei polizeilichen Zeugenvernehmungen anwesend zu sein. 6. Gegenüberstellungen (Abs. 2) a) Allgemeines. Nach § 58 Abs. 2 ist die Gegenüberstellung des Zeugen mit anderen 10 Zeugen oder mit dem Beschuldigten schon im Vorverfahren zulässig, wenn sie für das weitere Verfahren geboten erscheint. Das ist immer der Fall, wenn sie der Sachaufklärung dienen kann; sie braucht dazu nicht das einzige oder das nächstliegende Mittel zu sein (KK-Pelchen 6). Durch eine richterliche Anordnung kann der Zeuge angewiesen werden, an einer Gegenüberstellung bei der Polizei teilzunehmen (LG Hamburg MDR 1985 72). In der Hauptverhandlung steht der Zeuge dem Angeklagten regelmäßig gegenüber; denn in Abwesenheit des Angeklagten darf sie nur ausnahmsweise stattfinden (Eb. Schmidt 5). Die Gegenüberstellung von Zeugen in der Hauptverhandlung ist gesetzlich nicht besonders geregelt, weil sie bereits durch die Pflicht des Gerichts, die Wahrheit zu erforschen (§ 244 Abs. 2), gerechtfertigt ist. Zu unterscheiden sind Vernehmungs- und Identifizierungsgegenüberstellung: b) Vernehmungsgegenüberstellung. Gegenüberstellungen können den Zweck verfol- 11 gen, Widersprüche zwischen der Aussage des Zeugen und den Angaben des Beschuldigten oder anderer Zeugen aufzuklären. Dabei handelt es sich um eine besondere Art der Vernehmung, bei der der Richter auch unmittelbare Fragen einer der beteiligten Personen an die andere gestatten kann 19 . Einen Anspruch, daß mehrere Zeugen einander gegenübergestellt werden, hat der Angeklagte nicht20. Soweit der Angeklagte aber sein Ziel dadurch erreichen kann, daß er einem Zeugen in Gegenwart eines anderen Zeugen Fragen stellt
'8 BGHSt 2 110; OGHSt 1 303; KK-Pelchen 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 4; KMR-Paulus 9. " RG JW 1931 2818; RG GA 50 (1903) 274; KK-Treier § 240, 4.
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BGH 2. 6. 1955-4 StR 162/55; BGH bei Dallinger MDR 1974 724; bei Dallinger MDR 1976 17; bei Spiegel 1979 190; bei Pfeiffer NStZ 1981 96; KKPelchen 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 8; KMRPaulus 11.
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oder ihm die Aussage des bereits gehörten Zeugen vorhält, hat er durch sein Fragerecht die Möglichkeit, die Gegenüberstellung herbeizuführen {Alsberg/Nüse/Meyer 93). Auch muß das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag prüfen, ob eine Gegenüberstellung zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist 21 . 12
c) Identifizierungsgegenüberstellung. Eine andere Art der Gegenüberstellung dient dem Wiedererkennen einer oder mehrer Personen durch einen Zeugen. Der Gegenübergestellte muß sich vom Zeugen im Rahmen einer passiven Mitwirkungspflicht in Augenschein nehmen lassen, unabhängig davon, ob er sich zur Sache einlassen will 22 oder von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht 23 . Er kann auch gegen seinen Willen anderen Personen zum Zwecke des Wiedererkennens gegenübergestellt werden 24 . Für den Zeugen ist sie Teil seiner Vernehmung, die er ggfs. gemäß § 52 verweigern kann 25 . Rechtsgrundlage einer Idenfizierungsgegenüberstellung ist nach wohl zutreffender Ansicht 26 § 81 a, nach anderer Ansicht 27 § 81 b. § 58 Abs. 2 kann entgegen anderer Auffassung 28 die zwangsweise Gegenüberstellung des Beschuldigten nicht rechtfertigen, weil er keine Eingriffsermächtigung enthält und nach seiner Entstehungsgeschichte allein die Vernehmungsgegenüberstellung regelt 29 . Die Rechtsgrundlage ist nicht lediglich ein dogmatisches Problem, sondern wegen der unterschiedlichen Anordnungskompetenz bei §§ 58 Abs. 2, 81 a, 81 b von praktischer Bedeutung (näher dazu die Erl. bei § 81 a).
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d) Durchführung der Gegenüberstellung. Die Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens erfolgt regelmäßig schon im Vorverfahren. Dem Zeugen, der den Täter identifizieren soll, sind mehrere Personen, nicht der Beschuldigte allein, gegenüberzustellen (Nr. 18 RiStBV: Wahlgegenüberstellung; zur sequentiellen Wahlidentifizierung vgl. Artkämper Kriminalistik 1995 645 ff). Die Vergleichspersonen müssen dem Beschuldigten sowohl in ihrer äußeren Erscheinung (Haartracht, Haarfarbe, Brille, Bart, Kleidung), in Größe, Gestalt und Alter als auch hinsichtlich der vom Zeugen beschriebenen besonderen Tätermerkmale ähneln 30 . Fehler bei der Durchführung der Gegenüberstellung — ζ. Β Einzelgegenüberstellung31 — führen zwar nicht zu einem rechtlichen Verbot der Verwertung des Beweismittels. Sie beeinträchtigen aber den Beweiswert des Wiedererkennens und müssen bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden 32 . Eingehend zu
21
BGH NJW 1960 2156; RG JW 1903 92; RG GA 60 (1903) 93; OLG Hamm NJW 1957 921; KK-Pelchen 12; Alsberg/Nüse/Meyer 93; Kleinknecht/ Meyer-Goßner43 8. 22 BGHSt 34 49; OLG Bremen MDR 1970 165; KG NJW 1979 1668; JR 1979 347; AK-Kühne 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner>'> 9; Rogall 57. 2 ' Kleinknecht/Meyer-Goßner» 9; KMR / W i « 13; a. A KK-Pelchen 8. 24 BGHSt 34 39; KG NJW 1979 1669; KG JR 1979 348; KK-Pelchen 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 6; K M R - t o t e 13; a . A Grünwald JZ 1981 426; Burgdorf/Ehrentraut/Lesch GA 1987 106 ff. 25 BGH NJW 1960 2156; HK-Lemke 6 f; KK-Pelchen 8; Rogall MDR 1975 814; KMR-Paulus 13. 26 K M R - / W h j
§ 81 a,
5;
Κ ratsch
JA
1981
617;
Odenthal 64 ff; ders. NStZ 1985 434; vgl. auch OLG Bremen MDR 1970 165; OLG Düsseldorf VRS 27
80(1991)458.
Geerds Jura 1986 9; Geppert Jura 1989 278; Oehm MDR 1986 100; Reitberger Kriminalistik 1968 349; Roxin § 33, 17; Schltichter 185.
28 BGHSt 34 49; BGH U. v. 20. 7. 1970 - 1 StR 653/ 70; KG JR 1979 348; KK-Pelchen 8; Kleinknecht/ Meyer-GoßneH3 9; ablehnend Welp JR 1994 37, der eine Gesetzeslücke annimmt. 29 Hahn I 592; von Hippel 406; Grünwald JZ 1981 425; ausführlich dazu Odenthal 65 f. so BGHSt 40 66, 68 mit weit. Nachw.; BGH StV 1993 627; OLG Karlsruhe NStZ 1983 377 mit Anm. Odenthal NStZ 1984 137; LG Köln NStZ 1991 202; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 11; Burghard 94; Hellwig 293; Hirschberg 45; Philipp 21; Schweling MDR 1969 177; Stern D J Z 1 9 0 9 409.. 31 OLG Schleswig bei Ernesti/JUrgensen SchlHA 1971216. 32 BGH 40 66 f; BGH bei Spiegel DAR 1976 94; OLG Schleswig bei Ernesti/JUrgensen SchlHA 1971 216; KG NStZ 1982 215; AG Unna StV 1982 110 mit Anm. Budde-, KK-Pelchen 9; Pfeiffer/Fischer 2; Odenthal NStZ 1984 137; vgl. auch BGHSt 16 207; 28 311.
Stand: 1. 5. 1998
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Problemen bei der Identifizierung von Personen bzw. Personenmerkmalen Eisenberg (Beweismittel) 1383 ff. e) Lichtbildvorlage. Ist zur Ermittlung eines noch unbekannten flüchtigen Tatver- 14 dächtigen die Vorlage von Lichtbildern unerläßlich, sind dem Zeugen mehrere ähnliche (oben Rdn. 13) Photographien zur Auswahl vorzulegen (vgl. AG Bremen StV 1992 414). Die Anerkennung nur eines Lichtbildes hat keinen ausreichenden Beweiswert 33 . Da es sich um Bestandteile der Vernehmungsprotokolle handelt, sind die vorgelegten Lichtbilder zu den Ermittlungsakten zu nehmen, damit das mit der Sache befaßte Gericht den Beweiswert der Lichtbildidentifizierung beurteilen kann 34 . Auch die erfolglose Lichtbildvorlage ist als Beweisergebnis in den Akten zu dokumentieren. Denn nach einer vorangegangenen Lichtbildvorlage ist der Zeuge bei einer persönlichen Gegenüberstellung nicht mehr unvoreingenommen 35 . Dies muß das Gericht bei der Beweiswürdigung berücksichtigen, wie überhaupt allen Widersprüchen zwischen der Aussage des Zeugen bei der Lichtbildvorlage und bei der persönlichen Gegenüberstellung nachgegangen werden muß 36 . f) Stimmenvergleich. In manchen Fällen kann für die Identifizierung eines Tatver- 15 dächtigen ein Stimmvergleich hilfreich sein, wobei die für die Gegenüberstellung mit einem Augenzeugen anerkannten Grundsätze entsprechend gelten 37 . Es muß daher sichergestellt werden, daß der Zeuge die Stimme des Tatverdächtigen nicht isoliert, sondern mit mehreren anderen Stimmen vorgespielt bekommt. Die Vergleichsstimmen müssen eine gewisse Klangähnlichkeit — Stimmlage, Dialekt, fremdländischer Akzent — aufweisen (BGHSt 40 66, 69). Fehler beim Stimmenvergleich führen zwar nicht notwendig dazu, daß die Identifizierung durch den Zeugen jeden Beweiswert verliert. Wie bei einer mangelhaften visuellen Gegenüberstellung muß sich jedoch der Tatrichter des eingeschränkten Beweiswertes einer solchen Identifizierung bewußt sein (BGH NStZ 1994 598 mit Anm. Eisenberg). Der durch ein heimliches Abhören des Tatverdächtigen ermöglichte Stimmenvergleich ist jedoch nicht zulässig (AG Freiburg StV 1988 383). g) Rekonstruktion der Gegenüberstellung. Hat der Zeuge den Tatverdächtigen im 16 Rahmen einer Gegenüberstellung, einer Lichtbildvorlage oder eines Stimmvergleichs wiederholt wiedererkannt, so kommt diesem wiederholten Wiedererkennen als solchem kein, allenfalls ein begrenzter Beweiswert zu, weil das jeweilige Wiedererkennen i. d. R durch das vorangegangene Erkennen beeinflußt ist38. Aus diesem Grund muß die im Ermittlungsverfahren vorgenommene Beweiserhebung in der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung im einzelnen nachvollzogen werden 39 . Es müssen sämtliche für die 33
OLG Köln StV 1992 412; LG Köln NStZ 1991 202; Burghard 106; Kalleicher/Crimm 332; Nöldeke NStZ 1982 194; Philipp 39. 34 OLG Karlsruhe NStZ 1983 377 mit Anm. Odenthal NStZ 1984 137; OLG Köln StV 1992 412; Nöldeke NStZ 1982 194; Philipp 40; vgl. auch LG Frankfurt StV 1986 291 zum Beweiswert fehlerhafter Lichtbildvorlagen. 3 5 Vgl. BGH NStZ 1987 288; LG Köln NStZ 1991 202. 36 BGH StV 1981 55; 1981 114; OLG Frankfurt 1988 10; LG Bremen StV 1994 647 zur Überzeugungsbildung bei Wiedererkennung nach mehrfach vergeblichen Identifizierungsversuchen; KG NStZ 1982 215.
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BGHSt 40 68 mit Nachw. zur kriminalistischen Literatur; BGH NStZ 1982 342; 1994 598 mit Anm. Eisenberg·, StV 1993 627; OLG Karlsruhe NStZ 1983 377. BGHSt 16 204 mit Anm. Kohlhaas LM § 261 StPO Nr. 36; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1971 216; OLG Celle StV 1987 429; OLG Düsseldorf NStZ 1990 506; StV 1991 509; OLG Frankfurt NStZ 1988 41; StV 1988 10; OLG Köln StV 1986 12; 1992 412; 1994 67; LG Köln NStZ 1991 202; AG Unna StV 1982 110; Schweling MDR 1965 177; Nöldeke NStZ 1982 194. OLG Karlsruhe NStZ 1983 377 mit Anm. Odenthal NStZ 1984 137; LG Köln NStZ 1991 202; Nöldeke NStZ 1982 194; Peters (Fehlerquellen II) 91; Schweling MDR 1969 179.
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Beurteilung des Wiedererkennens maßgeblichen Umstände für das erkennende Gericht in möglichst umfassender Weise festgehalten und insbesondere Lichtbilder oder ein Videofilm 40 über den Hergang der Gegenüberstellung aufgenommen werden. Nur so kann überprüft werden, ob der Angeklagte mit den Beweiswert des Wiedererkennens entwertenden Signalen ausgestattet war 41 . Entscheidend für die Würdigung einer Identifizierung sind dabei auch die Wahrnehmungsfähigkeit, die Sorgfalt als auch die Zuverlässigkeit des Zeugen 42 . In den Fällen, in denen sich das Wiedererkennen nicht mit einem glaubhaften Geständnis oder einer überzeugenden Beweiskette verbindet, bedarf es außerdem einer Untersuchung der Verhältnisse, unter denen die Personenbeobachtung gemacht wurde 43 . 17
Wenn Zweifel an der Wiedererkennungsfähigkeit des Zeugen bestehen, oder wenn zwischenzeitlich dem Angeklagten ähnlich sehende Verdächtige ermittelt worden sind, kann durch ein Wiedererkennungsexperiment die Beeinflußbarkeit des Zeugen getestet werden 44 . Einen Anspruch darauf hat der Angeklagte nicht 45 , es sei denn, durch eine erstmalige Gegenüberstellung soll eine Personenverwechslung geklärt werden 46 .
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7. Revision. § 58 Abs. 1 ist trotz seines scheinbar entgegenstehenden Wortlauts lediglich eine Ordnungsvorschrift 47 . Die Revision kann nur auf Ermessensmißbrauch oder auf Verletzung der Fürsorgepflicht gestützt werden. In beiden Fällen muß sie einen Verstoß gegen die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2) rügen (BGH NJW 1987 3088, 3090; Dahs/Dahs 272), so etwa, wenn das Gericht die Entfernung eines bereits vernommenen Zeugen bei der Vernehmung eines anderen Zeugen zu Unrecht für unzulässig hielt und die Möglichkeit besteht, daß der andere Zeuge in Abwesenheit des ersten Zeugen eine andere Aussage gemacht hätte (BGH bei Dallinger MDR 1955 396). Auch das Unterlassen der Gegenüberstellung nach § 58 Abs. 2 rechtfertigt die Revision nur, wenn dadurch gegen § 244 Abs. 2 verstoßen worden ist 48 . Verstöße gegen Grundsätze bei der Würdigung des Beweiswerts des Wiedererkennens — unzureichende Beweiswürdigung — kommen dagegen nicht selten vor und können die Revision begründen 49 . Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, daß sich der Tatrichter bei einer fehlerhaften Gegenüberstellung, Lichtbildvorlage oder einem mangelhaften Stimmenvergleich des besonderen Risikos einer Falschidentifizierung bewußt war (vgl. BGHSt 40 66).
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BVerfG NStZ 1983 84; zur Verwendung von Videotechnik in der kriminalpolizeilichen Fahndung vgl. auch C. Schmidt Kriminalistik 1985 239; Görling Kriminalistik 1985 58 ff. 41 OLG Karlsruhe NStZ 1983 377 mit Anm. Odenthal NStZ 1984 137; AG Unna StV 1982 110; Burghard 101; Kalleicher/Grimm 340; Nöldeke NStZ 1982 194; Philipp 19; zur Zulässigkeit der Aufzeichnung auf Videofilm BVerfG NStZ 1983 84. 42 LG Köln NStZ 1991 202. 43 Hirschberg 45; Peters (Fehlerquellen II) 99. 44 RG JW 1896 555; RG DR 1907 2844; RGSt 60 179 = JW 1926 2194 mit Anm. Beling; Nöldeke NStZ 1982 194. « RGSt 48 20 1; Alsberg/Nuse/Meyer 98. « RG DR 1917 1198; RGSt 58 80; KK-Herdegen § 244, 17; KMR-Paulus 15; einschränkend RG JW 1916 1027 mit Anm. Alsberg- RG JW 1927 911 = GA 71 (1927) 131 mit Anm. Alsberg.
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BGH NJW 1962 260; BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 93; RGSt 1 367; 40 158; 54 297; RG JW 1931 2818; 1934 3286; 1935 541; RG GA 67 (1919) 437; BayObLGSt 1951 50; KG VRS 38 (1970) 56; HK-Lemke 9; KK-Pelchen 11; Kleinknecht/MeyerGoßnef" 15; KMR-Paulus 16; Eb. Schmidt 1; Dalkke/Fuhrmann/Schäfer 1; Dahs/Dahs 272; Pfeiffer/Fischer 3; a. Α Peters § 42 V I und in FS v. Weber 381 I Fußn. 18; Rudolphi MDR 1970 99. BGH bei Dallinger MDR 1974 724; KK-Pelchen 12; Kleinknecht/Meyer-Goßner41 15; KMR-PWuj 16; Eb. Schmidt 8. Vgl. BGHSt 16 204; BGH 21. 2. 1979-2 StR 749/ 78, insoweit in BGHSt 28 310 nicht abgedruckt; BGH StV 1981 55; 114; 165; NStZ 1982 342; OLG Schleswig bei Emesti/Jürgensen SchlHA 1971 216; KG StV 1983 95; Schweling MDR 1969 179; Erl. zu § 337 (24. Aufl. Rdn. 170 ff); vgl. auch die Erl. zu §261.
Stand: 1.5. 1998
(162)
Sechster Abschnitt. Zeugen §58
§58 a
a
(1) 'Die Vernehmung eines Zeugen kann auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet werden. Sie soll aufgezeichnet werden 1. bei Personen unter sechzehn Jahren, die durch die Straftat verletzt worden sind, oder 2. wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. (2) 'Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke der Strafverfolgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 2 § 100 b Abs. 6, §§ 147 und 406 e finden entsprechende Anwendung. Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift ist eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 des Zeugenschutzgesetzes vom 8. Mai 1998 (BGBl. I S. 820). Sie tritt nach Art. 3 dieses Gesetzes am 1. Dezember 1998 in Kraft. S. auch Einl. Rdn. Ε 155. Hinweis. Die Vorschrift enthält eine Ermächtigung zur Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen auf Bild-Ton-Träger (Video-Vernehmung) und zugleich für bestimmte Fallgruppen eine als Sollvorschrift ausgestaltete Verpflichtung hierzu; ferner regelt sie einige Verwendungsbeschränkungen. In enger Verbindung mit ihr steht der durch das gleiche Gesetz eingefügte § 255 a, der die Verwendung solcher außerhalb der Hauptverhandlung gewonnener Video-Aufzeichnungen in der Hauptverhandlung regelt. Weitere Verbindungen bestehen zu den durch das Zeugenschutzgesetz neu eingefügten §§ 168 e und 247 a, die unter den dort genannten Voraussetzungen eine Vernehmung von Zeugen unter Ausschluß der Anwesenheitsberechtigten oder in der Hauptverhandlung außerhalb des Sitzungssaales gestatten und hierbei teilweise die Anwendung des § 58 a vorschreiben. Die Vorschrift wird im Nachtrag zur 25. Auflage im einzelnen erläutert werden. §59
'Die Zeugen sind einzeln und nach ihrer Vernehmung zu vereidigen. 2 Die Vereidigung erfolgt, soweit nichts anderes bestimmt ist, in der Hauptverhandlung. Schrifttum. Boehringer Die Eidesreform im Strafprozeß und Strafrecht (1939); Dahs Der Eid noch ein zeitgemäßes Instrument zur Wahrheitsermittlung im Strafprozeß? FS Rebmann 161; Grünwald Zur Problematik des Zeugeneides, FS Schmitt (1992) 311; Günter Die zur Regel werdende Ausnahmevorschrift des §61 Nr. 5 StPO, DRiZ 1978 273; Hegler Die Eidesreform (1930); Heimann-Trosien Zur Beibehaltung und Fassung des Eides, JZ 1973 609; R. von Hippel Zeugeneid, Beweismittel, Beweisrecht, Festgabe für Ernst von Hippel (1965) 117; Hirsch Über die Gesellschaftsbezogenheit des Eides, FS Heinitz 139; Hirzel Der Eid. Ein Beitrag zu seiner Geschichte (1902); Hülle Die Vereidigung des Zeugen in der Hauptverhandlung, DRiZ 1954 118; Kuckuk Fragen der Vereidigung von Zeugen im Bußgeldverfahren, MDR 1976 723; Lange Zur Problematik der Eidesverweigerung, FS Gallas 427; Lehmann Der Eid im Strafprozeß, DJ 1933 372; Schellenberg Zum Regeleid der Zeugen im Strafprozeß, NStZ 1993 372; Schorn Vereidigung und Nichtvereidigung der Zeugen im Strafprozeß, NJW 1966 1014; Schröder Der Eid als Beweismittel, ZZP 1951 216; Schwan Der Eid im Strafrecht, ZRP 1970 79; Strathmann Ist der gesetzliche Eid noch haltbar? FS von Zahn (1928) 55; Woesner Der Gerichtseid als Fremdkörper in der verfassungsmäßigen Ordnung, NJW 1973 169.
Entstehungsgeschichte. Ursprünglich bestimmte § 6 0 (nach der Bek. 1924: §61): , Jeder Zeuge ist einzeln und vor seiner Vernehmung zu beeidigen. Die Beeidigung kann jedoch aus besonderen Gründen, namentlich wenn Bedenken gegen ihre Zulässigkeit (163)
Hans Dahs
§59
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n
obwalten, bis nach Abschluß der Vernehmung ausgesetzt werden." Die Vorschrift, daß die Zeugen grundsätzlich erst in der Hauptverhandlung zu vereidigen sind, befand sich zuerst in § 65 Abs. 1 (nach der Bek. 1924: § 66 Abs. 1). Art. 1 des Gesetzes zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24. 11. 1933 (RGBl. I 1008) fügte statt: dieser Vorschriften den § 59 ein; der bisherige § 59 wurde § 58. Art. 4 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpenund Donau-Reichsgaue vom 29. 5. 1943 (RGBl. I 341) änderte die Vorschrift dahin, daß das Gericht in allen Fällen nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheidet, ob ein Zeuge zu vereidigen ist. Art. 3 Nr. 21 VereinhG stellte den Text von 1933 wieder her. Geplante Änderung. Nach Art. 2 Nr. 5 des Entwurfs eines zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich) (BTDrucks. 13 4541) soll § 59 folgende Fassung erhalten: §59 ( 1 ) Z e u g e n k ö n n e n nach d e m E r m e s s e n d e s Gerichts w e g e n der B e d e u t u n g der A u s s a g e oder zur Herbeiführung einer w a h r e n A u s s a g e vereidigt werden. (2) Im Falle der V e r e i d i g u n g w e r d e n die Z e u g e n e i n z e l n und nach ihrer V e r n e h m u n g vereidigt. D i e V e r e i d i g u n g erfolgt, s o w e i t nichts anderes b e s t i m m t ist, in der Hauptverhandlung.
S. ggfs. die Erläuterungen im Nachtrag zur 25. Auflage.
1. 2.
3. 4. 5. 6.
Allgemeines Vereidigungspflicht a) Allgemeines b) Keine Erweiterung der gesetzlichen Ausnahmegründe c) Informatorische Befragungen Teilvereidigung Zeitpunkt der Vereidigung Einzelvereidigung Umfang des Eides
Rdn. 2 2 3 5 6 8 10 11
Alphabetische Abwesenheit des Angeklagten Anhörung, „informatorische" Augenscheinsgehilfen Ausnahme Entscheidung - ausdrücklich - konkludent Förmlichkeit Freibeweis Informatorische Auskünfte Irrtum
1
Rdn. 21 20 1 2 14,20 14 14 19 5 5
Rdn. 7. Entscheidung a) Zeitpunkt b) Vorabentscheidung des Vorsitzenden . c) Anträge der Prozeßbeteiligten . . . . 8. Begründung 9. Protokoll 10. Revision a) Unterbliebene Vereidigung b) Unzulässige Vereidigung
12 13 17 18 19 20 21
Übersicht Kommissarische Vernehmung Nacheid Nebenkläger Nebenpunkt Privatklageverfahren Sachverständiger Schwierigkeit Unterlassung Vereidigungsverbot Zeugnisverweigerungsrecht
Rdn. 2 9 1 20 2, 18 1 3 4 20 11
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1. Allgemeines. Die Vorschrift bestimmt zwar ausdrücklich nur, wann und in welcher Weise die Zeugen zu vereidigen sind. In Verbindung mit § 60 ist ihr aber darüber hinaus der allgemeine Grundsatz zu entnehmen, daß jeder Zeuge vereidigt werden muß, wenn Stand: 1 . 5 . 1 9 9 8
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Sechster Abschnitt. Zeugen
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nicht Ausnahmen vorgeschrieben (§§ 60, 62, 63, 65 StPO, § 49 Abs. 1 JGG) oder zugelassen (§§ 61 StPO, 48 OWiG) sind 1 . Das gilt auch für den als Zeugen vernommenen Nebenkläger 2 , Sachverständigen 3 und Augenscheinsgehilfen 4 . Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§261) ist es dem Richter zwar nicht verwehrt, sein Urteil auch auf unbeeidete Zeugenaussagen zu stützen (Schellenberg NStZ 1993 375). Wo es aber an einem gesetzlichen Grund für die Nichtvereidigung fehlt, darf die Vereidigung der Zeugen nicht unterbleiben. Denn das Gesetz geht, insbesondere wegen der an den Meineid geknüpften strengeren Rechtsfolgen (§ 154 StGB), davon aus, daß eine beschworene Aussage gewichtiger ist als eine unbeeidete 5 , und der Richter darf kein gesetzliches Mittel, die Wahrheit zu erforschen, unbenutzt lassen. Es muß jedoch die Frage gestellt werden, ob ein Zeuge sich heute noch durch religiöse Erwägungen oder Furcht vor Strafe von einer Falschaussage abhalten läßt, oder ob nicht vielmehr das Bewußtsein um den gesteigerten Beweiswert einer vereidigten Aussage ihn geradezu in einen Meineid treibt 6 . Der Eid als ein zeitgemäßes Instrument zur Wahrheitsermittlung ist unter diesen Gesichtspunkten zweifelhaft 7 . Zur Entwicklungsgeschichte der förmlichen Bekräftigung vgl. Grünwald (Beweisrecht) 43 ff.
2. Vereidigungspflicht a) Allgemeines. Der Grundsatz, daß alle Zeugen zu vereidigen sind, gilt nur in dem 2 von Amts wegen geführten Strafverfahren, und dort auch nur für die Hauptverhandlung und für kommissarische Vernehmungen (§ 223) nach Erhebung der öffentlichen Klage. Im Privatklageverfahren sind die Zeugen regelmäßig uneidlich zu vernehmen (§ 62). Die grundsätzliche Vereidigungspflicht wird aber auch für das Amtsverfahren durchbrochen. Nach § 60 dürfen bestimmte Zeugen nicht vereidigt werden, weil von vornherein nicht anzunehmen ist, daß der Beweiswert ihrer Aussage durch den Eid erhöht werden kann. Die Vorschrift des § 61 stellt es in das Ermessen des Gerichts, von der Vereidigung des Zeugen abzusehen, wenn es auf seine Aussage nicht ankommt oder wenn die Eidesleistung aus anderen Gründen entbehrlich oder unangebracht erscheint. § 61 Nr. 5 läßt eine Ausnahme von der Vereidigungspflicht auch für den Fall zu, daß alle Prozeßbeteiligten auf eine Vereidigung verzichten. Da ein solcher Verzicht in der Praxis mittlerweile die Regel ist, ist der Grundsatz des § 59 zur Ausnahmeregelung geworden 8 . Eine Ergänzung der Ausnahmebestimmungen der §§ 60 ff ergibt sich aus § 70. Da es nach dieser Vorschrift im Ermessen des Gerichts steht, ob es einen Zeugen, der grundlos den Eid verweigert, durch die Anordnung der Beugehaft zur Eidesleistung zwingt (§ 70, 17), ist es zulässig, allein wegen der Eidesverweigerung die Aussage der Beweiswürdigung unbeeidet zugrunde zulegen 9 .
1 RG JW 1935 2976; DRiZ 1934 Nr. 241; HRR 1935 909; OLG Karlsruhe JZ 1980 36; krit. zur Vereidigungsregelung KMR-Paulus 1 bis 4. 2 BGH bei Dallinger MDR 1952 659; RGSt 3 49; RG LZ 1922 415; OLG Hamburg StV 1990 153; KK-Pelchen 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 1. 3 BGH NStZ 1982 256; 198« 323; vgl. aber auch KK-Pelchen 5. 4 Alsberg/Nüse/Meyer 228; Hanack JZ 1970 563. 5 Heimann-Trosien JZ 1973 609; Lange FS Gallas 436; a. Α Vi oesner NJW 1973 170; Zip/ FS Maurach 421; KMR-Paulus 4; vgl. auch Domsch GerS 36 (1884) 590 ff; Peters § 42 III 3 a. (165)
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Dahs FS Rebmann 177 f; Grünwald FS Schmitt 318 ff; Roxin § 26, 33; SK-Rogall Vor 48, 130. Näher dazu Dahs FS Rebmann 173 ff; vgl. auch AK-Wassermann Vor § 59, 3 ff, 6; KMR-Paulus 3; SK-Rogall 130; Eisenberg (Beweismittel) 1133; Grünwald FS Schmitt 311 ff; vgl. auch BGH StV 1997 398. 8 Dahs FS Rebmann 161 ff; 173 ff; Schellenberg NStZ 1993 372; Eisenberg (Beweismittel) 1195; mißbilligend Günter DRiZ 1978 273. « BGH GA 1968 307; OLG Koblenz NJW 1952 278; Alsberg/Nüse/Meyer 787; vgl. § 70, 11. 7
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b) Keine Erweiterung der gesetzlichen Ausnahmegründe. Die §§ 60 ff zählen die Gründe, aus denen von der Vereidigung abgesehen werden muß oder darf, erschöpfend auf 10 . Das Interesse des Zeugen am Ausgang des Strafverfahrens 11 rechtfertigt daher, wenn nicht die Voraussetzungen des § 60 Nr. 2 vorliegen, die Nichtvereidigung ebensowenig wie der Umstand, daß der Zeuge die Strafanzeige erstattet oder den Strafantrag gestellt hat und offensichtlich voreingenommen ist. Auch Schwierigkeiten bei der Vereidigung, wie Schwerhörigkeit des Zeugen, lassen die Vereidigungspflicht unberührt. Ob der Zeuge wegen geistiger Gebrechen (Gedächtnis- oder Geistesschwäche) unvereidigt bleiben darf, bestimmt sich ausschließlich nach § 60 Nr. 1.
4
Die Vereidigung darf, sofern nicht die Voraussetzungen des § 61 Nr. 3 gegeben sind, auch dann nicht unterbleiben, wenn der Zeuge erklärt, er wisse über das Beweisthema nichts (KK-Pelchen 6); oder wenn es für die Entscheidung des Gerichts nicht weiter darauf ankommt, ob der Zeuge seine Aussage beschwört. Von der Vereidigung darf daher nicht abgesehen werden, weil der Richter der Aussage auch ohne Eid glauben will 12 oder wenn sie völlig unglaubhaft ist und auch durch den Eid nicht glaubhafter werden würde 13 . Auch wenn der Zeuge in einem anderen Strafverfahren bereits eine bestimmte Aussage beschworen hat, darf in dem neuen Verfahren, in dem er sie nur wiederholt, von der Vereidigung nicht abgesehen werden 14 ; anders bei einem früheren Eid in demselben Verfahren (§ 67). Ein einseitiger Verzicht des Angeklagten oder der Staatsanwaltschaft auf die Vereidigung des Zeugen ist unbeachtlich 15 ; nur wenn alle Prozeßbeteiligten auf die Vereidigung verzichten, darf der Zeuge nach dem Ermessen des Gerichts unvereidigt bleiben (§ 61 Nr. 5). Der Zeuge muß schließlich auch dann vereidigt werden, wenn nach seiner Vernehmung allseitig auf die Verwertung seiner Aussage verzichtet wird; denn die Aussage selbst wird dadurch nicht ungeschehen gemacht 16 . Allerdings wird in diesem Fall regelmäßig auf einen förmlichen Verzicht der Prozeßbeteiligten auf die Vereidigung nach § 61 Nr. 5 hinzuwirken sein.
5
c) Informatorische Befragungen. Das Gesetz macht keinen Unterschied zwischen Vernehmungen zum Zweck bloßer Information (vgl. aber für das Ermittlungsverfahren § 136, 7 und Erl. bei § 163 a) und solchen, die zu Beweiszwecken stattfinden 17 . Jedoch ist die Anhörung von Personen, die zwar als Zeugen in Betracht kommen, bei denen man aber erst feststellen will, ob sie überhaupt Angaben zur Sache machen können, keine Vernehmung, die der Zeuge beeiden muß 18 . Das gleiche gilt für informatorische Auskünfte, die die eigentliche Vernehmung erst vorbereiten sollen, ζ. Β über Tatsachen, die für die Identität oder das Zeugnisverweigerungsrecht der Zeugen von Bedeutung sind 19 . Gelegentliche Auskünfte, die ein Zeuge ohne Verbindung mit seiner Vernehmung abgibt, müssen ebenfalls nicht beeidet werden. So braucht ein Zeuge, der vor oder nach Abschluß seiner Vernehmung gefragt wird, ob ihm der Aufenthalt eines anderen Zeugen bekannt sei,
BGHSt 1 10 = MDR 1951 242 mit Anm. Daliinger; Roxin § 26, 36. RG JW 1937 761 L; OLG Karlsruhe JZ 1980 36. '2 RGRspr. 1 359. 13 RGSt 66 115; Kleinknecht/Meyer-Goßne^ 1; Eb. Schmidt 7. 14 RGSt 68 311; Schmidt 6. 15 37 194; 57 263, 66 115; RGRspr. 1 400; Eb. Schmidt 5. RGSt 37 194; RG HRR 1932 1804; RG Recht 1910 2424; Feisenberger DJZ 1932 454. 17 BGH bei Dallinger MDR 1974 369; RGSt 42 219; 66 113; 67 288; RG GA 52 (1905) 387; OLG Köln 11
StV 1988 389; AK-Wassermann 2; KK-Pelchen 6; HK-Lemke 3; Beling JW 1924 973; Feisenberger DJZ 1932 454; vgl. auch Vor 48, 2. '8 RGSt 2 267; RG JW 1924 973 mit Anm. Beling-, BayObLGSt 1953 137 = NJW 1953 1524; KK-Pelchen 7; Kleinknecht/Meyer-Goßner*> 2; KMR-Pa«lus 11; Eb. Schmidt 9; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 3; Pfeiffer/Fischer 1; Alsberg/NUse/Meyer 145; vgl. auch Feisenberger DJZ 1932 454; a. A 22 LR-Kohlhaas 1. 19 RGSt 2 268; 22 54; KK-Pelchen 7; Kleinknecht/ Meyer-Goßnet« 2; KUR-Paulus 11; Eb. Schmidt 9; Alsberg/Nüse/Meyer 145; Henkel 200 Fußn. 5.
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auf die Antwort nicht vereidigt zu werden . Die Vereidigung ist ferner entbehrlich, wenn bei einer Augenscheinseinnahme durch das erkennende Gericht ortskundige Zeugen über die Örtlichkeit befragt werden und die Auskunft mit dem Gegenstand ihrer Vernehmung nicht im Zusammenhang steht21. Der Vereidigungszwang und das Verbot informatorischer Anhörungen gelten im übrigen nur für die Beweisaufnahme zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage, nicht für Ermittlungen im Freibeweis, die sich auf verfahrensrechtliche Maßnahmen, insbesondere auf die Prozeßvoraussetzungen, beziehen 22 . 3. Teilvereidigung. Sie ist zulässig, wenn der Zeuge über verschiedene Vorfälle aus- 6 sagt und wenn er wegen der Aussage über einen oder mehrere dieser Vorfälle unvereidigt bleiben muß oder darf. So ist die Teilvereidigung geboten, wenn der Zeuge nur hinsichtlich eines Teils der Vorgänge, über die er aussagt, in einer Beziehung zu der Tat steht, die seine Vereidigung nach § 60 Nr. 2 ausschließt 23 , oder wenn er in einem Verfahren gegen mehrere Beschuldigte vernommen wird, zu einem von ihnen in einem Angehörigenverhältnis nach § 52 Abs. 1 steht und insoweit von seinem Eidesverweigerungsrecht nach § 63 Gebrauch macht (§ 63, 1). Eine Teilvereidigung kommt ferner in Betracht, wenn von der Vereidigung des Zeugen nur teilweise nach § 61 Nr. 2 oder 3 abgesehen werden darf und das Gericht insoweit die Vereidigung nicht für erforderlich hält (§ 61, 13; 17, 25). Wegen des Inhalts der Sitzungsniederschrift in diesen Fällen vgl. Rdn. 19. Die Teilvereidigung setzt immer voraus, daß sich die Aussage auf mehrere Straflalle 7 im Sinne des § 264 bezieht; daß mehrere in sachlichrechtlichem Sinn (§ 53 StGB) selbständige Straftaten Gegenstand der Aussage sind, reicht nicht aus 24 . Es ist aber unzulässig, die Aussage in zeitlich verschiedene Tatsachenkomplexe aufzuteilen und die Vereidigung auf einzelne von ihnen oder auf die Bekundungen zu Tatsachen zu beschränken, die sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ereignet haben 25 . Der Zeuge darf auch nicht unter Beschränkung auf denjenigen Teil seiner Aussage vereidigt werden, der Tatsachen zum Gegenstand hat, an die er sich noch genau erinnert 26 . Widerruft ein Zeuge während der Vernehmung zu demselben Tatgeschehen den Verzicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, darf der Zeuge auf seine zuvor gemachten Teilaussage nicht vereidigt werden (BGH NStZ 1988 35). 4. Zeitpunkt der Vereidigung. Nach § 59 Satz 2 erfolgt die Vereidigung, wenn nichts 8 anderes bestimmt ist, erst in der Hauptverhandlung. Die Voraussetzungen, unter denen sie schon im Vorverfahren, Zwischenverfahren (§65, 1) oder im Hauptverfahren vor der Hauptverhandlung zulässig ist, bestimmen die §§ 65, 223 Abs. 3, § 286 Abs. 2. Die Zeugen sind nach § 59 Satz 1 einzeln nach ihrer Vernehmung zu vereidigen. Das 9 bedeutet nicht, daß die Eidesleistung sich unmittelbar an die Vernehmung anschließen muß (unten Rdn. 12). Der Nacheid ist aber zwingend vorgeschrieben; er ist nach dem endgültigen Abschluß der Vernehmung zu leisten 27 und umfaßt nicht die Bekundungen des Zeugen bei einer nochmaligen Vernehmung 28 . Wird der Zeuge nach der Vereidigung 20
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RG GA 40 (1892) 305; KK-Pelchen 7; KMR-Paulus 11. RG JW 1927 2044 mit Anm. Mannheim-, KMRPaulus 11. RGSt 66 113; KMR-Paulus 11; Alsberg/Nuse/Meyer 145; Henkel 200 Fußn. 5; vgl. auch RGSt 56 102. BGH NStZ 1987 516 mit Anm. Dahs; KK-Pelchen 4; KIeinknecht/Me\er-Goßner« 5; KMR-Paulus 13; §60, 51. KK-Pelchen 4; K M R - f W u j 13.
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5 BGH bei Dallinger MDR 1958 141; BGH GA 1968 149; BGH NJW 1967 454; RG GA 54 (1907) 81; KK-Pelchen 4; KMR-Paulus 13. 26 KMR-Paulus 13; Eb. Schmidt 10. 27 BGHSt 8 310; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 444; KK-Pelchen 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 3; KMR-Paulus 9; Eb. Schmidt 4. 28 BGH bei Spiegel DAR 1981 195; BayObLGSt 1956 245 = GA 1958 113; OLG Koblenz VRS 44 (1973)444.
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§ 5 9
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erneut befragt, so muß daher abermals über die Eidesleistung entschieden und der Zeuge, wenn keine gesetzlichen Gründe für das Absehen von der Vereidigung vorhanden sind, vereidigt oder es muß nach § 67 verfahren werden; dabei ist die Aussage in ihrer Gesamtheit zu würdigen 29 . 10
5. Einzelvereidigung. Das Gebot des § 59 Satz 1, daß die Zeugen einzeln zu vereidigen sind, bedeutet nicht, daß sie einzeln vor den Richter treten müssen 30 . Es ist zulässig und vielfach üblich, mit der Zeugenvereidigung bis zum Schluß der Beweisaufnahme zu warten und die Zeugen dann gemeinsam vorzurufen und zu vereidigen. Dabei darf der Richter die die Eidesnorm enthaltenden Worte an alle Zeugen gemeinsam richten; unzulässig ist es nur, die Zeugen die Eidesformel im Chor nachsprechen zu lassen (Kleinknecht/Meyer-Goßner43 § 66 c, 2). Wegen der Einzelheiten vgl. § 66 c, 3.
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6. Umfang des Eides. Der Zeugeneid umfaßt alle Angaben des Zeugen, auch die zur Person und zu den Generalfragen nach § 68 31 . Hat der Zeuge die Aussage teilweise verweigert, so erstreckt sich der Eid jedoch nicht ohne weiteres auf die Angaben, die er zur Erläuterung seines Zeugnisverweigerungsrechts gemacht hat (vgl. § 56, 8). 7. Entscheidung
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a) Zeitpunkt. Ob der Zeuge vereidigt wird oder nach den §§ 60, 61 unvereidigt bleibt, hat das Gericht von Amts wegen zu entscheiden 32 . Es kann darüber sofort nach der Vernehmung des Zeugen entscheiden oder, insbesondere wenn erst die weitere Beweisaufnahme abgewartet werden muß, um Klarheit über das Vorliegen der Gründe der §§ 60, 61 zu gewinnen, die Entscheidung bis zum Schluß der Verhandlung zurückstellen 33 . Maßgebend für die Entscheidung, ob ein Zeuge wegen Beteiligungsverdachts unvereidigt zu bleiben hat, ist der Zeitpunkt der Urteilsverkündung 34 .
13
b) Vorabentscheidung des Vorsitzenden. Die Entscheidung darf zunächst der Vorsitzende des Gerichts treffen; dadurch werden überflüssige Beratungen vermieden. Das gilt bei den Ausschlußgründen des § 60 (vgl. dort Rdn. 49 f) ebenso wie bei den Ermessensgründen des § 61 (vgl. dort Rdn. 41). Verpflichtet zu dieser Vorabentscheidung ist der Vorsitzende aber nicht. Er kann sofort das Gericht entscheiden lassen (KK-Pelchen 9). Die Verfahrensbeteiligten können dazu eine Stellungnahme abgeben, ohne daß aber eine vorherige Anhörung vorgeschrieben ist35. 14 Die Entscheidung über die Vereidigung muß in aller Regel ausdrücklich getroffen werden. Nur dadurch erhalten alle Verfahrensbeteiligten die erforderliche Klarheit darüber, was der Vorsitzende in der Frage der Vereidigung beabsichtigt. Es muß ihnen Gelegenheit gegeben werden (auch dem unverteidigten Angeklagten), zu der Absicht des Vorsitzenden Stellung zu nehmen, etwa Einwendungen zu erheben und das Gericht anzuru-
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BGHSt 1 348; 4 140; RGSt 19 84; RG JW 1930 3416; BayObLGSt 1956 245 = GA 1958 113; KG JR 1965 267; OLG Saarbrücken VRS 23 (1962) 53; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 444; KK-Pelchen 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 3; KMR-Paulus 9; Eb. Schmidt Nachtr. I 2; Dahs/Dahs 273. 30 KK-Pelchen 2; KMR-Ρακ/ι« 8; a. A Eb. Schmidt 2. 3' RGSt 6 267; 60 407; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 4; KK-Pelchen 5; K M R / W u j 12; Eb. Schmidt 8; Schlund NJW 1972 1035; vgl. auch § 66 c, 8.
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RGSt 56 95; OGHSt 2 156; OLG Köln NJW 1954 1820; MDR 1955 311. BGHSt 1 348; KK-Pelchen 9; Eb. Schmidt 2; vgl. auch oben Rdn. 10. BGH NStZ 1981 110; Kleinknecht/MeyerGoßner* 6; Dahs/Dahs 273; Roxin § 26, 36. RG GA 38 (1891) 194; OLG Dresden DRiZ 1929 Nr. 546; OLG Hamm VRS 41 (1971) 124; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 7; KK-Pelchen 9, Dahs/ Dahs 273; vgl. aber auch KMR-Paulus 17, der eine Anhörungspflicht annimmt.
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fen. Eine eindeutige Willensbekundung erfordert auch die Bedeutung der Entscheidung für den Zeugen, der seine Aussage jetzt noch korrigieren kann, sowie für den Bestand des Urteils (unten Rdn. 20). Zu Recht wird daher geltend gemacht, daß die Entscheidung über die Vereidigung eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens sei, die im Protokoll niederzulegen ist 36 . Die Anordnung der Vereidigung soll konkludent in der Abnahme des Zeugeneides zum Ausdruck kommen, ohne daß eine ausdrückliche Entscheidung und ihre Protokollierung gefordert wird (KMR-Paulus 18; OLG Düsseldorf VRS 84 [1993] 228). Für die Entscheidung über die Nichtvereidigung kann dies schon im Hinblick auf § 64 nicht gelten. Gleichwohl wird es aber nicht für ausgeschlossen gehalten, die Entlassung des Zeugen (§ 248) im allseitigen Einverständnis jedenfalls dann als konkludente Entscheidung der Nichtvereidigung zu werten, wenn dies für alle Verfahrensbeteiligten offenkundig war 37 . Das Schweigen des Protokolls (unten Rdn. 19) im Einzelfall wird indes durchweg als hinreichender Beweis der rechtsfehlerhaft unterlassenen Entscheidung angesehen 38 . Hat der Vorsitzende eine Vorabentscheidung über die Vereidigung getroffen, so wird 15 eine Entscheidung des Gerichts nur erforderlich, wenn ein Mitglied des Gerichts oder ein Verfahrensbeteiligter sie beantragt. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 39 . Denn bei der Verhandlungsleitung nimmt der Vorsitzende eine ihm gesetzlich (§ 238 Abs. 1) übertragene Aufgabe wahr; die Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 ist dann eine Art Zwischenrechtsbehelf (Kleinknecht/MeyerGoßner43 8). Bei der Vorabentscheidung über die Vereidigung handelt der Vorsitzende hingegen ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung anstelle des an sich zuständigen Gerichts 40 . Die Anrufung des Gerichts bedeutet daher nur, daß die Entscheidung des nach dem Gesetz zuständigen Spruchkörpers verlangt wird, und setzt nicht voraus, daß die Vorabentscheidung des Vorsitzenden als unzulässig beanstandet wird 41 . Findet die Verhandlung vor dem Strafrichter (Einzelrichter) statt, so kommt eine 16 Anrufung des Gerichts selbstverständlich nicht in Betracht 42 . c) Anträge der Prozeßbeteiligten. Bei einem Kollegialgericht liegt in dem Antrag, 17 den Zeugen zu vereidigen oder nicht zu vereidigen, das Verlangen nach Entscheidung des ganzen Gerichts. Hierüber muß das Gericht alsbald, jedenfalls rechtzeitig vor der Urteilsberatung entscheiden, damit der Antragsteller seine weitere Prozeßführung auf die Entscheidung ausrichten kann 43 . Das gilt jedoch nicht, wenn der Antrag nur hilfsweise gestellt ist; denn ebenso wie bei einem Beweisantrag (vgl. § 244, 160 ff) liegt in der nur
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Ausdrücklich BGHR § 59 StPO Entscheidung, fehlende 2; offengelassen in StV 1988 472; KK-Pelchen 16; KMR-Paulus 20; wohl auch BGHSt 1 346, 348 f. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1988 18; StV 1988 472; bei Miebach NStZ 1990 226; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1957 249; OLG Hamburg MDR 1979 74 mit Anm. Strafe: KK-Pelchen 10; a. Α BGHR § 59 StPO Entscheidung, fehlende 5; KG JR 1965 267; OLG Hamm NJW 1972 1531; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 7; KMR-Paulus 18. BGH NStZ 1981 71; 1984 371; StV 1988 472; bei Miebach NStZ 1990 226. Alsberg/Nüse/Meyer 104; Kleinknecht/MeyerGoßner» 8; Peters 333; Fuhrmann JR 1962 324 Fußn. 39; GA 1963 78; NJW 1963 1235; a. Α BGH NJW 1952 233; BGH bei Daliinger MDR 1958 14;
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RGSt 3 370; 57 263; 68 396; KMR-Pau/us 17; offengelassen in RGSt 44 65 und wohl auch von KKPelchen 11. Vgl. RGSt 44 65; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 8; Fuhrmann GA 1963 78; Peters 333, der daraus die Folgerung zieht, daß die Revision nicht die vorherige Anrufung des Gerichts voraussetzt; a. A BGHSt 1218; RGSt 3 46; 19 355, die auch darin einen Akt der Verhandlungsleitung nach § 238 Abs. 1 sehen. RGSt 44 67; Fuhrmann GA 1963 78. OLG Köln MDR 1955 311; vgl. auch BayObLG VRS 24 (1963) 300. BGHSt 15 253; RGSt 57 263; RG Recht 1929 Nr. 2534; KG HRR 1931 1498; Eb. Schmidt Nachtr. I § 60, 1.
§59
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
hilfsweisen Stellung eines Antrags zur Vereidigungsfrage der Verzicht auf die Entscheidung vor der Urteilsberatung 44 . 18
8. Begründung. In dem von Amts wegen geführten Strafverfahren ist die Vereidigung der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen die Regel (§ 59). Wird der Zeuge entsprechend dieser Regel vereidigt, so bedarf das keiner Begründung 45 . Das gilt selbst dann, wenn ein Prozeßbeteiligter die Nichtvereidigung beantragt 46 . Die Vereidigung braucht auch in den Urteilsgründen nicht gerechtfertigt zu werden 47 . Anders ist es, wenn der im Urteil festgestellte Sachverhalt es naheliegend erscheinen läßt, daß einer der Gründe vorliegt, aus denen die Vereidigung nach § 60 verboten 48 oder die Möglichkeit der Nichtvereidigung nach § 61 gegeben ist 49 . Der Tatrichter sollte dann in dem Urteil zum Ausdruck bringen, daß er die Frage, ob von der Vereidigung abgesehen werden muß bzw. kann, erkannt und geprüft hat (BGH NStZ 1985 183; vgl. i. ü. § 60, 50). Wegen der Begründung der Nichtvereidigung vgl. § 64. Im Privatklageverfahren ist die Nichtvereidigung der Zeugen die Regel (§ 62); dort muß daher die Vereidigung begründet werden (anders die herrschende Ansicht; vgl. § 62, 13).
19
9. Protokoll. Sowohl die Entscheidung über die Vereidigung (oben Rdn. 14) als auch die Durchführung der Vereidigung sind wesentliche Förmlichkeiten im Sinne der § 168 a Abs. 1, § 273 Abs. I 50 . Sie müssen daher im Vernehmungsprotokoll und in der Sitzungsniederschrift beurkundet werden. Ein Verzicht des Angeklagten auf die Vereidigung eines Zeugen muß ebenfalls als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens i. S von § 273 Abs. 1 protokolliert werden (OLG Koblenz StV 1992 263). Sind mehrere Zeugen vernommen worden, so muß aus dem Protokoll klar hervorgehen, welche von ihnen vereidigt worden sind. Dabei ist die Vereidigung jedes Zeugen einzeln zu beurkunden 51 . Wenn ein Zeuge nur teilweise vereidigt wird (oben Rdn. 6), muß die Sitzungsniederschrift eindeutig ergeben, welcher Teil der Aussage beschworen worden ist und welcher nicht 52 . 10. Revision
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a) Unterbliebene Vereidigung. Die Entscheidung des Gerichts über die Nichtvereidigung des Zeugen kann mit der Revision geltend gemacht werden, wenn sie zuvor nach § 238 Abs. 2 beanstandet worden ist 53 . Voraussetzung ist allerdings, daß der Verfahrens-
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RGSt 58 372 = JW 1926 594 mit Anm. Themel·, RG JW 1930 1066 mit Anm. Alsberg- RG LZ 1919 907; Alsberg/Niise/Meyer 105; a. A RGSt 57 263; RG JW 1926 1225 mit abl. Anm. Beling für den Fall des § 60 Nr. 2. 45 BGHSt 4 255; 15 253; 17 187; BGH VRS 25 (1963) 40; NJW 1985 638; RG JW 1935 2817; RG GA 40 (1892) 158; RG Recht 1929 Nr. 1731; OGHSt 2 98; BayObLGSt 1953 151 = JR 1954 113 mit Anm. Sarstedt = MDR 1954 121 mit Anm. Mittelbach·, OLG Celle VRS 19 (1960) 51; OLG Hamburg VRS 31 (1966) 204; OLG Hamm GA 1969 316; KK-Pelchen 12; Kleinknecht/MeyerGoßneΛ» 9; KMR-Paulus 19; Schorn NJW 1966 1014. «> BGHSt 15 253; RGSt 2 109; 56 378; RG GA 40 (1892) 158; KK-Pelchen 12; Kleinknecht/MeyerGoßne^ 9; Schorn NJW 1966 1014; a. A KMRPaulus 19; Hanack JZ 1971 92.
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BayObLG JR 1954 113 mit Anm. Sarstedt = MDR 1954 121 mit Anm. Mittelbach; NStZ 1992 293; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 7. 48 BGH NJW 1985 638. 49 BGH GA 1980 421; NStZ 1992 292. 50 RG DRiZ 1934 Nr. 241; OLG Hamm NJW 1972 1531; OLG Saarbrücken VRS 48 (1975) 439; AKWassermann 10; K M R - / W U J 20; KK-Pelchen 13. 51 RGRspr. 1 814; BayObLGSt 1953 137 = NJW 1953 1524; OLG Koblenz OLGSt § 59 S. 3; KMRPaulus 20; a. Α KK-Pelchen 13. 52 RG JW 1935 2436; KK-Pelchen 13; Kleinknecht/ Meyer-Goßner^ 10. 53 RGSt 71 21; BayObLGSt 1949 79; OLG Celle VRS 36 (1969) 211; OLG Hamm VRS 41 (1971) 123; OLG Koblenz VRS 42 (1972) 29; OLG Hamburg MDR 1979 74; KK-Pelchen 14; Kleinknecht/ Meyer-Goßner4' 11; KMR-Paulus 28; offengelassen in BGH NJW 1978 1815.
Stand: 1.5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
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beteiligte oder sein Verteidiger bzw. Rechtsvertreter das Recht zur Anrufung des Gerichts kannte (BGH NJW 1978 1815; OLG Koblenz StV 1992 263). Der Anrufung des Gerichts bedarf es nicht, wenn überhaupt keine Entscheidung über die Vereidigung getroffen wurde 54 . Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn das erkennende Gericht es unterläßt, die Frage der Vereidigung eines Zeugen erneut zu prüfen, nachdem ein Vereidigungsverbot offensichtlich entfallen ist (BGH NStZ 1995 244 zu § 60 Nr. 2). Das gleiche gilt für den Fall, daß der Zeuge, nachdem er bereits vereidigt worden war, nochmals vernommen worden ist und nunmehr weder die Nichtvereidigung angeordnet noch nach § 67 verfahren wird 55 . Das Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehler kann nicht mit der Erwägung ausgeschlossen werden, der Zeuge habe bei seiner erneuten Vernehmung mit der Vereidigung rechnen müssen und würde auch dann keine andere Aussage gemacht haben (BGH StV 1987 282). Ist der Zeuge unvereidigt geblieben, ohne daß eine Anordnung über die Nichtvereidigung nach den §§ 60, 61 ergangen ist, so verstößt das Verfahren nicht gegen § 59, sondern gegen § 64 (vgl. dort Rdn. 7). § 59 ist dagegen verletzt, wenn die Gründe für die Nichtvereidigung rechtsfehlerhaft sind und der Zeuge hätte vereidigt werden müssen. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß eine „informatorische" Anhörung des Zeugen zu Unrecht nicht als Vernehmung gewertet und deshalb keine Entscheidung über die Vereidigung getroffen worden ist 56 . Ob der Zeuge unter Eid anders ausgesagt hätte als bei seiner uneidlichen Vernehmung, wird vom Revsionsgericht grds. nicht nachgeprüft (BGH NStZ 1984 317); es läßt sich jedoch im allgemeinen nicht ausschließen 57 . Auf dem Verfahrensverstoß beruht das Urteil, wenn die Aussage des Zeugen bei der Beweiswürdigung herangezogen worden ist 58 . Anders ist es, wenn der Zeuge nur zu Nebenpunkten ausgesagt hat (BGH v. 26. 9. 78 — 1 StR 293/78 — unv.) oder der Angeklagte zu den vom Zeugen bekundeten Tatsachen (weitestgehend) geständig war. Die Revision greift nicht durch, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, daß das Gericht die Aussage des unvereidigt gebliebenen Entlastungszeugen irrtümlich als eidliche gewertet hat; der Angeklagte ist hierdurch nicht beschwert 59 . Bedenklich ist die Ansicht, das Urteil beruhe auch dann nicht auf dem Unterlassen der Vereidigung, wenn offensichtlich sowohl das Gericht als auch der Zeuge irrtümlich davon ausgegangen sind, daß sie erfolgt ist60; das Revisionsgericht wird meist nicht feststellen können, ob der Zeuge irrtümlich angenommen hat, er sei vereidigt worden (vgl. auch § 67, 23). Die Verletzung der §§ 59, 64 führt dann ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, wenn aufgrund einer eindeutigen Sachlage oder Verfahrensganges alle Verfahrensbeteiligten den Grund der Nichtvereidigung erkennen konnten (BGH NStZ 1989 128 mit weit. Nachw.). b) Unzulässige Vereidigung. Wenn dem Zeugen entgegen § 59 Satz 1 statt des Nach- 21 eides der Voreid abgenommen wird, steht das der Nichtvereidigung gleich. Auf den Ver-
54
BGHSt 1 269, 273; NJW 1986 1999 f; NStZ 1984 371; 1987 374, bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1988 18; bei Miebach NStZ 1990 226; StV 1992 146; BGHR StPO §59, 1, Entscheidung, fehlende 2; OLG Köln StV 1988 289; OLG Düsseldorf VRS 84 (1993) 228; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 11; KMR-Pa«/«i 24; KK-Pelchen 16; 55 BGHSt 1 348; BGH NStZ 1989 128; RGSt 68 396; KG NJW 1968 808; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 444. 56 OLG Köln StV 1988 289; Kleinknecht/MeyerGoßner·» 11; vgl. aber auch KK-Pelchen 18. 57 BGH StV 1990 6; StV 1988 472; RGRspr. 2 489; OLG Koblenz VRS 67 (1984) 248, 250; Klein(171)
knecht/Mever-Goßner« 11; Sarstedt/Hamm 238; a. Α vgl. aber auch BGH NJW 1986 1999 f; NStZ 1986 323; OLG Dresden JW 1928 3063, nach dessen Ansicht das Urteil nicht auf dem Mangel beruht, wenn es ergibt, daß das Gericht auch der uneidlichen Aussage geglaubt hat. 58 BGHSt 1 274; RGRspr. 1 632; BayObLGSt 1956 247 = GA 1958 113; OLG Freiburg DRZ 1947 382; OLG Köln HRR 1936 510; MDR 1955 311; KMR-Paulus 2T, Dahs/Dahs 273. 59 OLG Hamm NJW 1972 1531; Kleinknecht/MeyerGoßner» 11; a. A BayObLG StV 1988 145. «> So RG DRiZ 1934 Nr. 241; OLG Koblenz OLGSt § 59 S. 3.
Hans Dahs
§60
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
fahrensfehler kann daher die Revision gestützt werden 61 . Die Rüge, der Zeuge hätte nach § 60 nicht vereidigt werden dürfen, betrifft nur diese Vorschrift, nicht den § 59. Auf die Behauptung, nach § 61 hätte von der Vereidigung abgesehen werden müssen, kann die Revision gestützt werden (vgl. § 61, 43); anders bei § 62 (§ 62, 16). Wegen des Verstoßes gegen das Gebot der Einzelvereidigung vgl. § 66 c, 3. Unzulässig ist eine Zeugenvereidigung auch, wenn sie in Abwesenheit des nach § 247 aus dem Sitzungssaal entfernten Angeklagten vorgenommen wird. Sie begründet einen absoluten Revisionsgrund auch dann, wenn der Angeklagte zur Verhandlung über die Vereidigung hinzugezogen wird und die Vereidigung auf seinen Antrag hin erfolgt 62 .
§ 6 0
Von der Vereidigung ist abzusehen 1. bei Personen, die zur Zeit der Vernehmung das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben; 2. bei Personen, die der Tat, welche den Gegenstand der Untersuchung bildet, oder der Beteiligung an ihr oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig oder deswegen bereits verurteilt sind. Schrifttum. Bendix Nichtbeeidigung von Zeugen wegen Verdachts der Beteiligung, Recht 1916 623; Delventhal Die strafprozessualen Vereidigungsverbote unter besonderer Berücksichtigung des offensichtlich falsch aussagenden Zeugen, Diss. Hamburg 1990; Eckert Vereidigung eines in der Hauptverhandlung offensichtlich falsch aussagenden Zeugen? N J W 1963 846; Fraeb Das Problem der Vereinigung von Partei- und Zeugenstellung und der Entwurf einer Strafprozeßordnung, GerS 8 0 (1913) 88; Hülle Die Vereidigung des Zeugen in der Hauptverhandlung, DRiZ 1954 118; Krekeler Das Vereidigungsverbot beim tatverdächtigen Zeugen (§ 60 Nr. 2 StPO), Z A P Fach 22, 1-6; Lenckner Begünstigung, Strafvereitelung und Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 2 StPO, NStZ 1982 401; M. Müller Sinn und Wirkung der strafprozessualen Vereidigungsverbote, Diss. Köln 1961; Niethammer Das unbeeidigte Zeugnis, JR 1935 13; Schläger Nichtbeeidigung eines Zeugen wegen Teilnahme an der Straftat, JR 1932 28; W. Schmid Zur Korrektur von Vereidigungsfehlem im Strafprozeß, FS Maurach 535; Schorn Vereidigung und Nichtvereidigung der Zeugen im Strafprozeß, N J W 1966 1014; Seibert Verdächtige Zeugen (§ 6 0 Ziff. 3 StPO), N J W 1963 142; Strate Der Verzicht auf die Vereidigung - eine schädliche Unsitte! StV 1984 42; TheuerkaufOaif der in der Hauptverhandlung offensichtlich falsch aussagende Zeuge unvereidigt bleiben? M D R 1964 204; Wutscher Der Verdacht der Beteiligung an der Tat in § 57 Ziffer 3 RStPO, Diss. Breslau 1932.
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift trug ursprünglich die Bezeichnung § 56; durch die Bek. 1924 wurde sie § 57. Art. 1 des Gesetzes zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24. 11. 1933 (RGBl. 1 1008) stellte sie mit der Änderung, daß in Nummer 3 (jetzt Nummer 2) der Verdacht der Tatbegehung ausdrücklich neben dem der Beteiligung aufgeführt wurde, als § 60 ein; der bisherige § 60 wurde § 57. Durch Art. 9 Nr. 1 des 1. StrRG wurde die Nummer 2 der Vorschrift („bei Personen, die nach den Bestimmungen der Strafgesetze unfähig sind, als Zeugen eidlich vernommen zu werden") gestrichen; die bisherige Nummer 3 wurde Nummer 2. Art. 21 Nr. 6 EGStGB fügte in Nummer 61
BGH bei Dallinger MDR 1972 198; KMR-Paulus 27; Pfeiffer/Fischer 4; Eb. Schmidt 3; Dahs/Dahs 273.
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BGH NStZ 1986 133; vgl. auch BGH NStZ 1987 519.
Stand: 1 . 5 . 1998
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§ 6 0
2 hinter dem Wort „Begünstigung" das Wort „Strafvereitelung" ein. § 60 Nummer 1 mußte im Hinblick auf Art. 7 § 19 des Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft (Betreuungsgesetz — BtG) vom 12.9. 1990 geändert werden, wobei der Begriff „Verstandesschwäche" durch „psychische Krankheit" und „geistige oder seelische Behinderung" ersetzt wurde. Übersicht Rdn. 1
I. Allgemeines II. Eidesunmündige Zeugen (Nr. 1 Unterfall 1) 1. Personen unter 16 Jahren 2. Maßgebender Zeitpunkt 3. Entscheidung 4. Begründung
3 4 5
6
III. Eidesunfähige Zeugen (Nr. 1 Unterfall 2) 1. Fehlende Verstandesreife und - k r a f t . . 2. Entscheidung 3. Begründung IV. Tat- und teilnahmeverdächtige Zeugen (Nr. 2) 1. Allgemeines 2. Tat 3. Beteiligung a) Begriff b) Mitwirkung in strafbarer Weise . aa) Allgemeines bb) Verfahrenshindemisse . . . cc) Rechtfertigungsgründe . . . dd) Schuldausschließungsgründe ee) Persönliche Strafausschließungs-und Strafaufhebungsgründe c) Mitwirkung in derselben Richtung aa) Mittelbare Tatbeteiligung . . . bb) Bloßer Zusammenhang mit der Tat des Beschuldigten . . . . cc) Gegen den Zeugen gerichtete Tat dd) Mitwirkung bei Fahrlässigkeitstaten d) Begünstigung. Strafvereitelung . .
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Alphabetische Alkoholkonsum Alternativtäter Beweiswürdigung Drogenkonsum Entmündigung Freibeweis Gesamtgeschehen Heilung (173)
e) Hehlerei 4. Einzelfälle a) Abbruch der Schwangerschaft . . b) Anstiftung. Versuch der Beteiligung c) Begünstigung d) Beihilfe e) Bestechung.Vorteilsannahme. . . f) Betäubungsmittelvergehen . . . . g) Brandstiftung h) Falschaussage i) Hehlerei j) Nichtanzeige geplanter Straftaten . k) Notwendige Teilnahme 1) Üble Nachrede m) Unterlassene Hilfeleistung . . . . 5. Tat- oder Teilnahmeverdacht 6. Bereits wegen Tatbeteiligung verurteilte Zeugen 7. Teilvereidigung 8. Entscheidung 9. Begründung 10. Nachholen der Vereidigung
Rdn. 9 14 2, 13,57, 62 9 8 5,7 51 63
V. Heilung des Verstoßes gegen § 60 . . . . VI. Revision 1. Allgemeines 2. Verstoß gegen § 60 Nr. 1 Unterfall 1 . 3. Verstoß gegen § 60 Nr. 1 Unterfall 2 . 4. Verstoß gegen § 60 Nr. 2 a) Unterlassene oder rechtsfehlerhafte Prüfung b) Unzulässige Nichtvereidigung . . c) Unzulässige Vereidigung d) Mangelhafte Begründung
Übersicht Hinweispflicht Irreführung Lockspitzel Meineid Mitwisser Offenbarung der Tat Pflegschaft Rechtsschein Rücktritt
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Rdn. 57, 63 63 17 12 17 21 8 63 21
Rdn. 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 50 51 52 53 56 57 58 59 60
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§ 60 Rüge Schwachsinn Strafantrag Straffreiheitsgesetz Tat - einheitliche - selbständige Tatopfer
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rdn. 61 8 18 18 51 51 51 24
Unbefangenheit Ünterlassene Hilfeleistung Verfahrensfehler Verjährung Vernehmung, mehrfache Vortat Zweifel
Rdn. 12 22, 23 63 18 29 22 ff, 27 5,7
I. Allgemeines 1
Von der in § 59 bestimmten grundsätzlichen Eidespflicht schreibt § 60 Ausnahmen für den Fall vor, daß der Zeuge wegen seines jugendlichen Alters oder wegen seiner geringen geistigen Fähigkeiten keine genügende Vorstellung von der Bedeutung des Eides hat oder daß er an der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat beteiligt gewesen ist. Das Vereidigungsverbot ist zwingend. Stellt der Tatrichter die Frage nach dem Vereidigungsverbot trotz entsprechender Anhaltspunkte nicht, ist die Vereidigung fehlerhaft (BGH StV 1988 325; vgl. unten Rdn. 58). Die Zeugen dürfen auch dann nicht vereidigt werden, wenn alle Prozeßbeteiligten zustimmen oder die Eidesleistung sogar verlangen.
2
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261) wird durch das Vereidigungsverbot nicht berührt. Das Gericht ist nicht gehindert, auch der Aussage des unvereidigt gebliebenen Zeugen zu glauben1.
II. Eidesunmündige Zeugen (Nr. 1 Unterfall 1) 3
1. Personen unter 16 Jahren sind nicht eidesmündig; es ist nicht anzunehmen, daß sie bereits ein genügendes Verständnis von der Bedeutung des Eides haben und daß der Beweiswert ihrer Aussage durch die Eidesleistung erhöht werden kann2. Sie dürfen daher nicht vereidigt werden. Das Lebensalter wird nach § 187 Abs. 2 BGB berechnet. Die Eidesunmündigkeit besteht mithin bis zu dem Beginn des Tages, an dem der Zeuge 16 Jahre alt wird3. Feststellungen darüber, ob der Zeuge eidesunmündig ist, werden nach den Regeln des Freibeweises (vgl. § 244, 3 ff) getroffen 4 . Jugendliche über 16 Jahren können nach § 61 Nr. 1 unvereidigt bleiben.
4
2. Maßgebender Zeitpunkt ist grundsätzlich der Tag, an dem der Zeuge vernommen wird. Er darf daher nicht unvereidigt bleiben, weil er zur Zeit der Wahrnehmungen, über die er aussagen soll, noch nicht 16 Jahre alt war5. Dauert die Hauptverhandlung länger an und wird der Zeuge in der Zeit zwischen seiner Vernehmung und dem Erlaß des Urteils eidesmündig, so ist die Vereidigung nachzuholen, sofern sie noch möglich ist und keiner der Gründe der §§ 61, 62 vorliegt (KK-Pelchen 4). Denn der Grundsatz der Zeugenvereidigung nach § 59 erleidet keine Ausnahme für den Fall, daß die Eidesleistung vor der Urteilsberatung rechtlich zulässig wird. Aus demselben Grund muß die Vereidigung nach1
2
BGHSt 17 128; BGH bei Daliinger MDR 1971 17; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 354; RGSt 6 156; S3 136; 57 189; KK-Pelchen 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner13 1; K M R / W i « 1; vgl. auch Rdn. 13. RGSt 6 156; 70 22; WK-Lemke 4; Peters § 42 III 3 b aa.
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Vgl. RGSt 22 29; 35 37; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 4; KMR -Paulus 4; Schlechter 518.1 Fußn. 391; Eb. Schmidt 10. RGSt 56 102; Kleinknecht/Meyer-Goßneι* 1; KKPelchen 3; Alsberg/Niise/Meyer 128. KK-Pelchen 4; Eb. Schmidt 10.
Stand: 1. 5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
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geholt werden, wenn die Niederschrift über die Aussage des bei der Vernehmung eidesunmündigen Zeugen nach § 251 6 oder nach § 325 7 zu einem Zeitpunkt verlesen wird, in dem der Zeuge eidesmündig geworden ist. 3. Entscheidung. Über die Vereidigung entscheidet zunächst der Vorsitzende. Gegen 5 seine Entscheidung kann das Gericht angerufen werden8. Besteht über die Voraussetzungen des § 60 Unklarkeit, so ermittelt das Gericht die Fakten im Freibeweis ohne förmliche prozeßordnungsmäßige Beweiserhebung (AK-Lemke 3; vgl. auch RGSt 51 70; 56 103). Bei verbleibenden Restzweifeln ist i. d. R im Fall des § 60 Nr. 1 von der Vereidigung abzusehen, während bei § 60 Nr. 2 der Zeuge zu vereidigen ist (HK-Lemke mit weit. Nachw.). 4. Begründung. Wenn ein eidesunmündiger Zeuge unvereidigt bleibt, genügt in der 6 Sitzungsniederschrift die Anführung der Gesetzesstelle; denn das Alter des Zeugen ergibt sich aus seinen Antworten auf die Personalfragen, die üblicherweise in die Sitzungsniederschrift aufgenommen werden9.
III. Eidesunfähige Zeugen (Nr. 1 Unterfall 2) 1. Fehlende Verstandesreife und -kraft. Mangelnde Verstandesreife, psychische 7 Krankheit oder eine geistige oder seelische Behinderung schließt nach § 60 Nr. 1 die Vereidigung nur aus, wenn der Zeuge keine genügende Vorstellung vom Wesen und von der Bedeutung des Eides besitzt (krit. AK-Lemke 7). Daß diese Ausnahmegründe vorliegen, muß feststehen; bloße Zweifel rechtfertigen die Anwendung der Vorschrift nicht 10 . Die erforderlichen Feststellungen werden im Wege des Freibeweises (vgl. § 244, 3 ff) getroffen". Wegen mangelnder Vorstellung von der Bedeutung des Eides, die auf anderen Grün- 8 den, insbesondere auf Unwissenheit oder Unglauben, beruht, darf die Vereidigung nicht unterbleiben 12 . Auch eine sonstige Geistesschwäche, ζ. Β eine Gedächtnisschwäche, ein Nervenleiden 13 , schließen die Vereidigung nicht aus, wenn dadurch die Vorstellung des Zeugen vom Wesen des Eides nicht wesentlich beeinträchtigt wird 14 . Daher zwingt auch die Tatsache, daß der Zeuge wegen geistiger Gebrechen i. S des BtG betreut (vor dem 12. 9. 1990 nach § 1910 Abs. 2 BGB unter Pflegschaft gestellt15 bzw. entmündigt 16 ) oder als früherer Mitangeklagter nach § 20 StGB wegen Schwachsinns freigesprochen worden ist (vgl. OLG Hamm GA 1969 316), für sich allein nicht dazu, ihn unvereidigt zu lassen. Vorübergehende Beeinträchtigungen der Geistestätigkeit, insbesondere infolge von 9 Alkohol- oder Drogenkonsum, führen zur Verschiebung der Vereidigung (in aller Regel
6
RGJW 1910 203 RG JW 1930 937 mit Anm. Mamroth. KK-Pelchen 5; KMR-Paulus 29; vgl. unten Rdn. 52 und § 59, 13 ff. » BGH VRS 22 (1962) 148; 41 (1971)186; KK-Pelchen 7; Eb. Schmidt 7; Schorn NJW 1966 1014. 10 RGSt 47 297; RG HRR 1934 453; OLG Marienwerder HRR 1928 2243; KK-Pelchen 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner*> 1; KMR-Paulus 5. " RGSt 56 102; KK-Pelchen 3; Alsberg/Nüse/Meyer 128; Eb. Schmidt 11, 12 RGSt 28 89; RG DJZ 1903 550; RG JZ 1916 469; KK-Pelchen 5; KMR-Pau/uj 5; Eb. Schmidt 11; 7 8
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a. Α Peters § 42 III 3 b aa, der auch andere als intellektuelle Mängel als Grund für die Nichtvereidigung anerkennen will. " OLG Marienwerder HRR 1928 2243. 14 RGSt 20 60; 33 393; 58 396; KK-Pelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner·» 4; KMR-Paulus 5; Eb. Schmidt 11. " RG Recht 1930 Nr. 2355. BGHSt 22 266; RGSt 33 393; RG DJZ 1903 550; RG GA 50 (1903) 398; RG Recht 1915 Nr. 153; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 4; KMR-Paulus 5.
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auch der Vernehmung) bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge wieder nüchtern ist, rechtfertigen aber nicht das Absehen von der Vereidigung17. 10
2. Entscheidung. Ob der Zeuge vom Wesen und von der Bedeutung des Eides eine genügende Vorstellung hat, entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen18. Wenn Anhaltspunkte für mangelnde Verstandesreife oder -kraft des Zeugen bestehen, ist das Gericht zu der Prüfung verpflichtet, ob die Vereidigung nach § 60 Nr. 1 unzulässig ist. Eine solche Prüfung ist insbesondere bei einem i. S des BtG Betreuten (vor dem 12. 9. 1990 „Entmündigten")19 und bei einem in demselben Verfahren nach § 20 StGB freigesprochenen Zeugen unerläßlich20. Da die Prüfung und die Entscheidung über die Eidesfähigkeit des Zeugen immer nur der vernehmende Richter vornehmen kann, obliegt sie auch dem ersuchten Richter; auf dessen Feststellungen kann sich das erkennende Gericht stützen, wenn die Niederschrift über die Vernehmung nach § 251 verlesen wird21. In der Hauptverhandlung entscheidet zunächst der Vorsitzende, bei Beanstandungen das Gericht22.
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3. Begründung. Bleibt ein Zeuge wegen Eidesunfähigkeit unvereidigt, so muß das Gericht zum Ausdruck bringen, ob er wegen fehlender Verstandesreife oder wegen Verstandesschwäche nicht vereidigt worden ist23. Die allgemeine Angabe, daß der Zeuge von der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung hat24 und der allgemeine Hinweis auf den Gesundheitszustand des Zeugen25 reichen nicht aus. Die Tatsachen, aus denen das Gericht auf diesen Mangel schließt, brauchen aber nicht mitgeteilt zu werden. Zu der Frage, ob das Urteil auf der mangelhaften Begründung beruht, vgl. Rdn. 60 und § 64, 7. IV. Tat- und teilnahmeverdächtige Zeugen (Nr. 2)
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1. Allgemeines. § 60 Nr. 2 verbietet die Vereidigung eines Zeugen, der der Begehung der Tat, die dem Beschuldigten vorgeworfen wird, oder der Beteiligung an ihr verdächtig oder deswegen bereits verurteilt worden ist, aus zwei Gründen: Ein solcher Zeuge hat nicht die Unbefangenheit gegenüber dem Angeklagten, die eine einwandfreie Aussage voraussetzt, sondern empfindet seine Stellung ähnlich der eines Beschuldigten26. Außerdem wird der Beweiswert solcher Zeugenaussagen erfahrungsgemäß durch die Vereidigung nicht erhöht27. Eine Schutzvorschrift zugunsten des Zeugen ist § 60 Nr. 2 nicht; die Vorschrift bezweckt nicht, ihn vor einem Meineid zu bewahren28. Liegen die Voraussetzungen des § 60 Nr. 2 vor, so ist die Vereidigung des Zeugen schlechthin unzulässig, also 17
RGSt 34 283; 53 136; KK-Pelchen 5; Kleinknecht/ Meyer-Goßnet43 4; KMR-Pau/us 5; Eb. Schmidt 11. '8 BGHSt 22 266; RGSt 33 395; KK-Pelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 5; KMR-Paulus 27; Alsberg/Nüse/Meyer 159; Schlüchter 520. 19 Noch für „Entmündigte": BGHSt 22 266; RG GA 50(1903) 398. 20 OLG Hamm GA 1969 316. 21 RGSt 26 97. 22 KK-Pelchen 6; vgl. Rdn. 52 und § 59, 13 ff. 23 RG GA 50 (1903) 398; RG JZ 1916 469; RG Recht 1919 Nr. 840; OLG Marienwerder HRR 1928 2243; KK-Pelchen 1. 24 RGSt 53 136; RG J Z 1916 469; KK-Pelchen 7; Kleinknecht/Meyer-Goßner•» 6; KMR-Paulus 29; Schorn NJW 1966 1014. 25 RG HRR 1934 453.
*
Vgl. BGHSt 1 363; 4 371; 6 382 = J Z 1955 343 mit Anm. Henkel·, BGHSt 10 67; 17 134; BGH NJW 1952 273; RGSt 8 300; 50 158, 166; 57 186; 77 204; BayObLGSt 1960 279 = NJW 1961 616; KG VRS 10 (1956) 301; OLG Hamm NJW 1954 1659; OLG Stuttgart MDR 1970 163; Justiz 1972 122; KK-Pelchen 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner8; KMR- Paulus 7; Eb. Schmidt 16; Gössel § 25 IV a 2; Seibert NJW 1963 143.
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BGHSt 4 257, 371; 10 67; RGSt 7 332; 14 26; 19 392; BayObLGSt 1960 279 = NJW 1961 616; KKPelchen 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 8; KMRPaulus 6; G. Schäfer § 66 II 1; Lenckner NStZ 1982 402. OLG Stuttgart MDR 1970 163; Honig JW 1929 1808; a . A OLG Stuttgart NJW 1978 713; HKLemke 9.
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Stand: 1. 5. 1998
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auch dann, wenn er nicht über seine eigene Beteiligung an der Tat, sondern über Tatsachen vernommen wird, bei denen für ihn kein Grund besteht, mit der Wahrheit zurückzuhalten (KMR-Pau/ui 6). Ein Verstoß gegen das Vereidigungsverbot ist bei einer Bestrafung des Zeugen wegen Meineids strafmildernd zu berücksichtigen 29 . Das gilt auch dann, wenn dem vereidigenden Richter entsprechende Verdachtsmomente im Zeitpunkt der Vereidigung nicht bekannt waren (BGH StV 1995 249). Wegen der Möglichkeit der Teilvereidigung vgl. Rdn. 51. Das Vereidigungsverbot des § 60 Nr. 2 wirkt sich auf die Beweiswürdigung insofern 13 aus, als der Erfahrungssatz zu beachten ist, daß Aussagen der wegen ihrer Beziehung zu dem Gegenstand des Verfahrens unvereidigt gebliebenen Zeugen nicht selten nur einen geringen Beweiswert haben (BGHSt 17 134). Ein Verbot, dem Zeugen zu glauben, besteht jedoch nicht 30 ; andernfalls stünde das Vereidigungsverbot in seiner Wirkung einem Vernehmungsverbot gleich 31 . Jedoch muß aus dem Urteil ersichtlich sein, welche Gründe den Tatrichter bewogen haben, die Verurteilung des Angeklagten auf die Aussage des wegen seiner Tatbeteiligung unvereidigt gebliebenen Zeugen zu stützen 32 . 2. Tat. Bei der Gesetzesänderung von 1933 wurde § 60 Nr. 2 dahin ergänzt, daß nicht 14 nur der Verdacht der Tatbeteiligung, sondern auch der Verdacht der Tatbegehung die Vereidigung ausschließt. Die Rechtsprechung hatte diese Auffassung schon vorher einhellig vertreten. Der den Gegenstand der Untersuchung bildenden Tat ist der Zeuge verdächtig, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß er die Tat begangen hat, die dem Angeklagten zur Last gelegt wird, wenn also seine Täterschaft die des Angeklagten ausschließt 33 („Altemativtäter"). Welche Tat den Gegenstand des Verfahrens bildet, richtet sich nicht nach der zugelassenen Anklage, sondern nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung 34 . Den Begriff Tat verwendet § 60 Nr. 2 nicht in materiell-rechtlichem Sinne. Ob Tatein- 15 heit (§ 52 StGB) oder Tatmehrheit (§ 53 StGB) vorliegt, ist daher nicht entscheidend 35 . Maßgebend ist vielmehr der verfahrensrechtliche (§ 264) Tatbegriff. Er umschließt den gesamten geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Tatbestand verwirklicht worden ist 36 .
29
BGHSt 8 187; 23 30; 27 75; BGH bei Pfeiffer/ Miebach NStZ 1988 18; NStZ 1991 280; BGHR StGB § 154 Abs. 2 Vereidigungsverbot 1 u. 2; BGHR StGB § 46 Abs. 3 Meineid 1; NStE Nr. 4 zu § 154 StGB; BGH JR 1977 74 mit Anm. Lenckner, 1981 248; BGH StV 1981 269; 1982 521; 1995 250; wistra 1993 258; OLG Hamm MDR 1977 1034; OLG Stuttgart NJW 1978 710; OLG Karlsruhe MDR 1993 368; Tröndle4» § 154, 27. Μ BGHSt 10 70; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 354; RG JW 1925 998 mit Anm. Beling; KG VRS 10 (1956) 301; KK-Peichen 8; Kleinknecht/ Meyer-Goßnet" 8; Seiben NJW 1963 144. 31 BGH bei Daliinger MDR 1971 17; Kleinknecht/ Me\er-Goßneri's 1. 32 RG DR 1942 1973. 33 BGH MDR 1961 1031; RGSt 5 362; 8 300; 11 302; 31 220; 50 163; RGRspr. 4 237; RG JW 1930 927; RG Recht 1915 Nr. 154; 1928 Nr. 1208; 1929 Nr. 935; BayObLG JW 1931 1972; OLG Celle VRS 19 (1960) 52; Eb. Schmidt Nachtr. I 8; Schläger SR 1932 30.
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34
BGH VRS 14 (1958) 60; BGHSt 13 320 = NJW 1960 110; RGSt 11 4; 14 25; 31 220; RGRspr. 5 469; KG VRS 10 (1956) 299; KK-Pelchen 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 8; KMR-/Wws 8. 35 BGHSt 4 371; 6 382 = JZ 1955 343 mit Anm. Henkel·, RGSt 36 310; RGRspr. 1 523; Pfeiffer/Fischer 2.
36 BGHSt 1 363; 4 255, 368; 6 382 = JZ 1955 343 mit Anm. Henkel; BGHSt 21 148; BGH VRS 14 (1958) 60; 25 (1963) 40; BGH bei Dallinger MDR 1951 538; 1975 725; bei Holtz MDR 1980 630 = GA 1980 420; bei Pfeiffer NStZ 1981 93; BGH StV 1984 105, OLG Hamm StV 1984 105; KKPelchen 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 9; KMRPaulus 8; G. Schäfer § 66 II 1; Roxin § 26, 37; Gössel § 25 IV a 2; Eb. Schmidt 23; Bindokat GA 1967 365. Diese Ansicht wird auch in zahlreichen weiteren Entscheidungen des Reichsgerichts und der Oberlandesgerichte vertreten: RGSt 7 331; 8 301; 11 300; 17 102, 119; 29 34; 31 219; 32 32; 36 310; 48 85; 50 163; 53 169, 266; 54 321; 56 150; 57 157; 59 378; 64 378; RG JW 1917 171; RG DJ 1935 1462; RG GA 68 (1920) 353; RG JR Rspr.
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3. Beteiligung 16
a) Begriff. Auch der Begriff Beteiligung ist in weitestem Sinne auszulegen. Auf die Teilnahmeformen der §§ 25 ff StGB ist er nicht beschränkt 37 . Als Tatbeteiligter im Sinne des § 60 Nr. 2 ist daher jeder anzusehen, der bei dem zur Aburteilung stehenden Vorgang in strafbarer Weise (Rdn. 17 ff) und in derselben Richtung wie der Beschuldigte (Rdn. 22 ff) mitgewirkt hat 38 . b) Mitwirkung in strafbarer Weise
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aa) Allgemeines. Das Vereidigungsverbot des § 60 Nr. 2 besteht nur, wenn der Zeuge an der Tat des Angeklagten in strafbarer Weise mitgewirkt hat 39 . Der „notwendige" Teilnehmer muß daher vereidigt werden, wenn er nicht der strafbaren Anstiftung des Täters oder der Beihilfe verdächtig ist (vgl. HK-Lemke 15 und unten Rdn. 43). Das gleiche gilt für den an der Tat mitwirkenden polizeilichen Lockspitzel, soweit dessen Beteiligung nicht strafbar ist 40 . Wenn dem Zeugen nur der Vorwurf zu machen ist, daß er die Tat des Angeklagten nicht verhindert hat, kommt es darauf an, ob er hierzu rechtlich verpflichtet war. Bestand keine Rechtspflicht zum Handeln, so darf die Vereidigung nicht unterbleiben 41 . Daß er Mitwisser war, rechtfertigt die Anwendung des § 60 Nr. 2 nicht. Andererseits genügt es, daß die Tatbeteiligung überhaupt zur Bestrafung führen kann; daß eine Verurteilung des Zeugen aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, steht der Anwendung der Vorschrift nicht entgegen 42 . Hierzu gilt im einzelnen folgendes:
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bb) Verfahrenshindernisse lassen das Strafwürdige des Verhaltens unberührt und schließen daher die Anwendung des § 60 Nr. 2 nicht aus 43 . Der Zeuge darf daher auch dann nicht vereidigt werden, wenn er der Tatbeteiligung verdächtig, seine Bestrafung aber gehindert ist durch das Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit44 oder des Strafantrags 45 ,
37
38
1925 Nr. 637; RG JZ 1916 811, 1014; BayObLGSt 1957 240 = NJW 1958 231; KG VRS 10 (1956) 301; OLG Celle NdsRpfl. 1960 164 = VRS 19 (1960) 52; OLG Hamm NJW 1957 1411; 1969 2297; OLG Neustadt NJW 1953 1197; OLG Stuttgart Μ DR 1970 163. BGHSt 1 363; 4 371; 10 67; BGH LM Nr. 2 zu § 68 a; BGH NJW 1951 324; BGH bei Holtz MDR 1975 725; 1980 630 = GA 1980 420; BGH StV 1982 342; BGH NStZ 1983 516; HK -Lemke 12; KK-Pelchen 13; Kleinknecht/Meyer-Goßne^ 12; KMK-Paulus 9; Schlüchter 518.1; Pfeiffer/Fischer 3; Roxin § 26, 38; Gössel § 25 IV a 2; Eb. Schmidt 23; ebenso RGSt 31 220; 50 163; 64 378; RG JW 1922 1031 mit Anm. Mamrotk, RG DR 1940 689; RG GA 48 (1901) 444; RG JZ 1919 439; OLG Celle VRS 19 (1960) 52; OLG Hamm NJW 1954 1659; 1957 1411; 1969 2297; VRS 11 (1956)448. BGHSt 4 255, 371; 6 382 = JZ 1955 343 mit Anm. Henkel; 10 67; BGH NJW 1951 324; 1952 1103; BGH GA 1962 370; bei Daliinger MDR 1951 538; bei Holtz 1975 725; 1982 626; BGH StV 1983 354; BayObLG StV 1983 142. Ebenso RGSt 8 300; 11 300; 17 102, 119; 44 172; 50 163; 53 169; 57 157, 186; 64 298, 378; 74 188; 77 204; RG DJZ 1925 259; 1926 597; RG DR 1940 689; RG DRiZ 1932 Nr. 219; RG JR Rspr. 1925 Nr. 637; RG Recht 1928 Nr. 1208; OGHSt 2 100, 156; BayObLGSt 33
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139; BayObLGSt 1957 240 = NJW 1958 231; KG VRS 10 (1956) 299; 14 (1958) 289; OLG Kiel SchlHA 1948 128; OLG Saarbrücken OLGSt § 60, 7. BGHSt973; RGSt 19 391; 22 100;31220;44 174; 57 186, 417; RGRspr. 9 312; KG VRS 31 (1966) 273; KK-Pelchen 13; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 13; KMR-Paulus 9; Eb. Schmidt 19; Dalcke/FuhrmannJSchäfer 6; a. Α OLG Dresden JW 1928 808 mit abl. Anm. Honig. BGH NStZ 1982 127; 1990 193; BGH NJW 1981 1626; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßne 13; Roxin §26, 38; Schoreit NStZ 1982 66; Schmidt MDR 1982 886. BGHSt 4 255; BGH bei Holtz MDR 1982 626; BGH NJW 1951 324; OGHSt 2 101; KK-Pelchen 16; Kleinknecht/Meyer-Goßner41 13; K M R - / W « i 10; Eb. Schmidt 24. RGSt 64 377; OLG Köln NJW 1957 1373; KKPelchen 19; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 14; KMR-/Wk.v 11; Gössel §25 IV a 2; vgl. auch BGH StV 1993 57. BGHSt 4 131; RG HRR 1940 966; KK-Pelchen 19; K M R / W u i 11 ;Eb. Schmidt 22. RGSt 48 86. BGH bei Daliinger MDR 1968 896; RGSt 64 377; RG Recht 1920 Nr. 2729; Bay ObLGSt 1957 240 = NJW 1958 231; KK-Pelchen 19; KMR-Paulus 11.
Stand; 1. 5. 1998
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durch die Niederschlagung des Verfahrens aufgrund eines Straffreiheitsgesetzes durch die Verjährung der Strafverfolgung 47 .
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oder
cc) Rechtfertigungsgründe. Ist die Tatbeteiligung des Zeugen nach §§ 32 ff StGB 19 oder aus anderen Gründen nicht rechtswidrig, so entfällt die Strafbarkeit und damit auch das Vereidigungsverbot 48 . Das ist ζ. Β der Fall bei Handeln in Notwehr 49 oder in berechtigter Erfüllung von Dienstpflichten 50 und bei wirksamer Einwilligung des Verletzten (KMR-Paulus 10). dd) Schuldausschließungsgründe, wie das Fehlen der Schuldfähigkeit nach § 20 20 StGB (OLG Hamm GA 1969 316) oder die Notwehrüberschreitung nach § 33 StGB schließen die Strafbarkeit und daher auch die Anwendung des § 60 Nr. 2 aus 51 . ee) Persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe lassen die Straf- 21 barkeit der Beteiligung grundsätzlich bestehen und sind daher für die Frage der Vereidigung ohne Bedeutung 52 . Die Vereidigung ist insbesondere unzulässig, wenn der Zeuge wegen Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB 53 oder nach § 31 StGB 54 , wegen jugendlichen Alters nach § 173 Abs. 3 StGB 55 , wegen freiwilliger Offenbarung der Tat nach § 31 BtMG (BGH NStZ 1983 516), wegen Strafvereitelung gegenüber einem Angehörigen nach § 258 Abs. 6 StGB 56 oder wegen Einstellung des Verfahrens nach § 153 a Abs. 2 (BGH bei Holtz MDR 1994 1072) nicht bestraft werden kann. Das Vereidigungsverbot entfällt auch dann nicht, wenn der Zeuge eine den Angeklagten begünstigende Aussage noch in der Hauptverhandlung richtigstellt57. c) Mitwirkung in derselben Richtung aa) Mittelbare Tatbeteiligung. Die Vereidigung ist nach § 60 Nr. 2 nur ausgeschlos- 22 sen, wenn der Zeuge verdächtig ist, an der Tat, die Gegenstand des Verfahrens gegen den Beschuldigten ist, in derselben Richtung wie der Beschuldigte mitgewirkt zu haben 58 . Da der Anwendung der Vorschrift der verfahrensrechtliche Tatbegriff zugrundezulegen ist (Rdn. 15), kommt es aber nicht darauf an, ob der Zeuge unmittelbar an der Straftat des Angeklagten beteiligt gewesen ist; es ist auch gleichgültig, ob er bewußt und gewollt mit diesem zusammengewirkt hat (BGH NStZ 1983 516). Daher ist auch in den Fällen, bei denen nach BGHSt 40 138 die fortgesetzte Handlung ausnahmsweise noch vorliegt (vgl. Tröndle48 Vor 52, 25 ff), auch derjenige als Teilnehmer anzusehen, der bei anderen Einzelakten beteiligt gewesen ist als der Angeklagte 59 . Entsprechendes gilt für die Mitwirkung an einer zusammengesetzten Tat, die im Rechtssinne eine natürliche Handlungseinheit ist (OLG Saarbrücken OLGSt § 60 S. 7). Die von dem Beschuldigten und dem Zeu46
BGHSt 4 131; RGSt 55 233; RG JW 1937 3024 L; KK-Pelchen 19. 47 BGH NJW 1952 1146; BGH VRS 14 (1958) 60; RGSt 22 100; 64 378; 77 206; RGRspr. 8 34; KKPelchen 19; KMR-Paulus 11; Kleinknecht/MeyerGoßner« 14. 4 » KK-Pelchen 18; KMR-Paulus 10; Kleinknecht/ Meyer-Goßner** 14; Eb. Schmidt 17. 49 RGSt 31 219; KK-Pelchen 18; KMR-Paulus 10. 50 RGSt 37 218. 51 HK-Lemke 14; KK-Pelchen 18; K M R - / W u s 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 14; Eb. Schmidt 18. 52 BGH NStZ 1982 78; 1983 516; RGSt 22 99; 64 378; RG Recht 1920 Nr. 2729; KK-Pelchen 19; Kleinknecht/Meyer-Goßner** 14; K M R - f W u i 11. 5·1 BGH NStZ 1982 78; 1992 105; JR 1991 246 mit zust. Anm. Dahs; RGSt 14 25; 22 100; 56 150; (179)
KK-Pelchen 20; KMR-Paulus 11; Eft. Schmidt 20; a . A OLG Dresden JW 1929 1808 mit abl. Anm. Honig; BayObLG NStZ 1991 203. 54 BGH GA 1962 370; BGH bei Daliinger MDR 1973 191; KK-Pelchen 20. 55 RGSt 19 391; KK-Pelchen 20; Eb. Schmidt 20; Tröndle« § 173, 8. 56 BGHSt 9 73; RGSt 28 112; BayObLGSt 1951 78 = HESt 3 14; KK-Pelchen 20; Eb. Schmidt 20. 57 BGH bei Pfeiffer NStZ 1982 118; BGH NStZ 1982 78; BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 94; a. A Roxin § 26, 36; vgl. auch BGH JZ 1982 434. 58 BGHSt 4 256; 4 370 f; BGH NStZ 1983 516. 59 BGHSt 21 147; RG Recht 1910 Nr. 450; Kleinknecht/Meyer-Goßner13 15.
Hans Dahs
§60
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
gen begangenen Straftaten müssen auch nicht gleichartig sein. Es ist daher unerheblich, ob das Verhalten des Zeugen ein anderes Strafgesetz verletzt als das des Angeklagten 60 . So besteht eine die Vereidigung ausschließende Mitwirkung des Zeugen darin, daß er die von dem Angeklagten geplante Straftat entgegen § 138 StGB nicht angezeigt (unten Rdn. 42), daß er sich als Beifahrer des Unfallverursachers der unterlassenen Hilfeleistung nach § 323 c StGB schuldig gemacht (unten Rdn. 45), oder daß er die Tat durch pflichtwidriges Unterlassen unterstützt hat (BGH bei Holtz MDR 1982 626). Die Beteiligung muß sich nicht einmal auf die den Gegenstand des Verfahrens bildende Tat, sondern kann sich auf deren Vortat beziehen, ζ. Β bei Hehlerei, Begünstigung und Strafvereitelung 61 . Der Verdacht der Beihilfe zu einer strafbaren Vorbereitungshandlung begründet ebenfalls ein Vereidigungsverbot (BGH bei Holtz MDR 1983 201). 23
bb) Bloßer Zusammenhang mit der Tat des Beschuldigten. Das Vereidigungsverbot besteht nicht, wenn der Zeuge an einer ähnlichen oder gleichartigen Tat des Beschuldigten beteiligt war, die nicht Gegenstand des Verfahrens ist 62 , oder wenn er unabhängig von dem Angeklagten eine gleichartige, insbesondere gegen denselben Verletzten 63 oder gegen den Angeklagten 64 gerichtete Tat verübt hat. Der Zeuge muß daher vereidigt werden, wenn er zwar verdächtig ist, an derselben kriminellen Vereinigung beteiligt gewesen zu sein wie der deswegen nach § 129 StGB Angeklagte, wenn er aber aus der Vereinigung ausgeschieden ist, bevor der Angeklagte sich an ihr beteiligte65, anders bei gleichzeitiger Mitgliedschaft. Ebensowenig ist § 60 Nr. 2 anwendbar, wenn der Zeuge nur bei Gelegenheit der Tat des Angeklagten, wenn auch im Zusammenhang mit ihr, eine andere selbständige Tat begangen hat 66 , ζ. Β unterlassene Hilfeleistung (§ 323 c StGB) bei einem Unglücksfall, an dem er nicht beteiligt war (Rdn. 45). Ferner hindert es die Vereidigung nicht, daß zwischen dem Verhalten des Zeugen und der zur Untersuchung stehenden Tat ein tatsächlicher Zusammenhang derart besteht, daß für die Feststellung beider Taten dieselben Beweismittel von Bedeutung sind 67 . Die objektive Förderung der Tat ohne Gehilfenvorsatz begründet kein Vereidigungsverbot (BGH bei Holtz MDR 1980 630).
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cc) Gegen den Zeugen gerichtete Tat. In derselben Richtung wie der Angeklagte nimmt der Zeuge an der Tat nicht teil, wenn sie gegen ihn selbst gerichtet ist 68 ; in diesem Fall kann von der Vereidigung nur nach § 61 Nr. 2 abgesehen werden. Das Vereidigungsverbot des § 60 Nr. 2 besteht insbesondere nicht, wenn der Zeuge das Opfer der von dem Angeklagten begangenen Nötigung ist69, wenn der Angeklagte ihn zu erpressen versucht hat, auch wenn sich diese Erpressung auf einen von dem Zeugen begangenen Diebstahl bezieht 70 , wenn der Zeuge von dem Angeklagten beleidigt worden ist, auch wenn er die Beleidigung auf der Stelle erwidert hat 71 , und wenn er durch die Körperverletzung des «> BGH VRS 14 (1958) 60; RGSt 11 302; 17 119; 64 379; RG DJ 1935 1462; KG VRS 10 (1956) 299. 61 BGHSt 1 360 = MDR 1951 564 mit Anm. Dallinger, BGHSt 6 382 = JZ 1955 343 mit Anm. Henkel·, BGHSt 21 147; RGSt 2 217; 42 248; 58 373; OLG Hamm NJW 1969 2297; KUR-Paulus 14. 62 BGH bei Dallinger MDR 1969 535; RGSt 59 166 = JW 1925 1510 mit Anm. Mamrotlr, OLG Hamm NJW 1957 1411; KMR-Paulus 17. « BGH bei Dallinger MDR 1969 535; RGSt 5 362; 59 166; KK-Pelchen 21; KMR-PmWus 17; Schläger }R 1932 30. « RG JW 1892 261; 1922 1032. 65 BGH 3 StR 2/72 I vom 28. 2. 1973; KK-Pelchen 2\. BGHSt 6 383 = JZ 1955 343 mit Anm. Henkel·, RGSt 6 286; 11 302; 12 190; 17 120; 50 165; 57
186; 77 205; RGRspr. 3 686; 9 234; RG JW 1928 2142; RG DStrZ 1920 375; RG GA 48 (1901) 444; RG Recht 1928 Nr. 1208; BayObLG GA 74 (1930) 164; KG VRS 10 (1956) 299; OLG Hamm NJW 1957 1411; KK -Pelchen 21; KMR-Paulus 17; Schläger JR 1932 30. RGSt 29 32; OLG Hamm NJW 1957 1411. RGSt 17 120; 50 165; RG JW 1917 171; BayObLG GA 74 (1930) 164; KMR-Pau/us 16; Eb. Schmidt 25. RGSt 11 300. RGSt 12 192; 17 121; KK -Pelchen 22; KMR-Paulus 16. RGSt 17 121; RG JW 1892 261; KK-Pelchen 22; KMR-ftiH/i« 16; Eb. Schmidt 25.
Stand: 1. 5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§60
Angeklagten geschädigt ist, selbst wenn er bei demselben Vorgang den Angeklagten seinerseits mißhandelt hat 72 . Auch bei Fahrlässigkeitstaten (dazu Rdn. 25) ist der Geschädigte zu vereidigen, wenn er an der Tat nicht in strafbarer Weise mitgewirkt, sich ζ. Β dem betrunkenen Fahrer nur als Fahrzeuginsasse anvertraut hat 73 . Wegen der notwendigen Teilnahme vgl. Rdn. 43. Die Vorschrift des § 60 Nr. 2 ist aber anzuwenden, wenn der Zeuge bei der dem Angeklagten vorgeworfenen Schlägerei nach § 231 StGB, auch auf der Gegenseite, mitgewirkt hat 74 . Unvereidigt muß auch der durch den Unfall verletzte Fahrzeuginsasse bleiben, wenn er dem führerscheinlosen Angeklagten das Kraftfahrzeug, dessen Halter er war, zur Verfügung gestellt hatte 75 . Selbst die Strafvereitelung zugunsten des Nebenklägers kann das Vereidigungsverbot begründen (OLG Hamm MDR 1982 690). dd) Mitwirkung bei Fahrlässigkeitstaten. Die Mitwirkung des Zeugen an der Tat 25 des Angeklagten in derselben Richtung setzt kein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken voraus (BGH StV 1983 354). Daher kommt eine Teilnahme im Sinne des § 60 Nr. 2 auch bei Fahrlässigkeitstaten in Betracht 76 . Die Vereidigung des Zeugen wegen Teilnahmeverdachts ist schon dann ausgeschlossen, wenn er durch seine Fahrlässigkeit, mag die Art der Tatbegehung und die Beteiligung auch anders gestaltet sein als bei dem Beschuldigten, zur Herbeiführung desselben rechtswidrigen Erfolges beigetragen hat 77 . Es ist nicht erforderlich, daß sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge durch ihre Fahrlässigkeit die Verletzung eines Dritten verursacht haben; das Vereidigungsverbot besteht auch, wenn überhaupt kein unbeteiligter Dritter in Mitleidenschaft gezogen oder wenn der Zeuge selbst verletzt worden ist 78 . Der als Zeuge vernommene Verkehrsteilnehmer muß aber vereidigt werden, wenn er nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung an der durch den Zusammenstoß bewirkten Verkehrsbeeinträchtigung offensichtlich oder nachweisbar in keiner Weise schuldhaft beteiligt war 79 . d) Begünstigung. Strafvereitelung. Das Vereidigungsverbot des § 60 Nr. 2 gilt nicht 26 nur für Zeugen, die an der Tat des Beschuldigten teilgenommen haben, sondern auch für diejenigen, die verdächtig sind, sich nach Beendigung der Tat der Begünstigung (§ 257 StGB) oder der versuchten oder vollendeten Strafvereitelung nach §§ 258, 258 a StGB schuldig gemacht zu haben. Daß bei der Begünstigung eine vollendete Tat Voraussetzung ist, während bei der Strafvereitelung schon eine versuchte Tat ausreicht, liegt darin begründet, daß bei Neufassung dieser Vorschriften schon der Versuch der Strafvereitelung unter Strafe gestellt wurde (§ 258 Abs. 4 StGB). Die Vorschrift des § 60 Nr. 2 ist 72
RGSt 17 121; 27 267; RGRspr. 9 234; RG JW 1922 1032; RG DStrZ 1920 375; RG GA 43 (1895) 129; RG Recht 1911 Nr. 1682; 1929 Nr. 1731; a. A RGSt 7 331. ™ KG VRS 31 (1966) 273. 74 RGSt 17 121; RGRspr. 9 234; RG GA 55 (1908) 329; RG DStrZ 1920 375; KK-Pelchen 22; vgl. auch RGSt 9 380. " KG VRS 14 (1958) 288. ™ BGH NJW 1952 1103; BGH VRS 10 (1956) 141; RGSt 8 299; RGRspr. 9 414; RG DJZ 1925 259; 1926 596; RG DRiZ 1932 Nr. 219; RG DStR 1938 323; RG JR Rspr. 1925 Nr. 1476; RG Recht 1906 Nr. 2047; 1928 Nr. 1208; 1929 Nr. 935; BayObLG JW 1931 1972; GA 74 (1930) 164; KG DJZ 1929 924; KK-Pelchen 23; KMR-Paulus 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 18; Eb. Schmidt 24; Fincke GA 1975 176; Schläger JR 1932 29. 77 BGHSt 1 0 6 8 ; BGH VRS 10(1956) 141; 14(1958) 60; 28 (1965) 421; RGSt 64 377; KG VRS 10 (181)
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(1956) 299; OLG Celle NdsRpfl. 1960 164 = VRS 19 (1960) 52; OLG Hamm JMB1NRW 1974 20; OLG Hamm MDR 1982 690; OLG Köln VRS 5 (1953) 622; OLG Stuttgart Justiz 1972 122; KKPelchen 23; KMR-Paulus 14; Kleinknecht/MeyerGoßner1 34; KMR-Pau/u.t 33. RG Recht 1913 Nr. 1952; BGH GA 1980 57; Kleinknecht/Meyer-Goßne!43 34. BGHSt 17 186; vgl. § 64,4. BGH bei Daliinger MDR 1951 275. BGHSt 8 155; BGH NStZ 1981 110 = StV 1981 115 mit Anm. Stratz', 1991 196; StV 1991 196; RGSt 31 220; 64 377; OLG Celle VRS 19 (1960) 51; OLG Saarbrücken OLGSt § 60 S. 7; KK-Pelchen 33; Kleinknecht/Meyer-Goßne^' 27; KMRPaulus 23; Peters § 42 III 3 b aa; Schlächter 518 Fußn. 394; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 8; unklar BGHSt 10 58 für den Fall der Verfahrenstrennung.
§ 6 0
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Urteilsberatung muß die Vereidigungsfrage daher stets nochmals geprüft werden 1 6 4 . Kommt das Gericht dann zu der Uberzeugung, daß entgegen der früheren Ansicht kein Tat- oder Teilnahmeverdacht besteht, so muß die Vereidigung nachgeholt werden, sofern das noch möglich ist 1 6 5 . Die Nachholung ist natürlich überflüssig, wenn von der Vereidigung aus anderen Gründen als denen des § 60 Nr. 2 abgesehen werden muß oder kann 1 6 6 . Ist die Nachholung nicht möglich, etwa weil der Zeuge in zwischen verstorben oder unauffindbar geworden ist, so muß der Mangel bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden 1 6 7 .
V. Heilung des Verstoßes gegen § 60 57
Wenn sich bei der Urteilsberatung ergibt, daß ein Zeuge entgegen dem Verbot des § 60 Nr. 1 oder 2 vereidigt worden ist, muß das Gericht den Verfahrensmangel heilen. Es darf davon nicht deshalb absehen, weil es meint, auf dem Fehler könne das Urteil nicht beruhen. Der Verfahrensverstoß muß in der Weise geheilt werden, daß die Aussage bei der Beweiswürdigung als uneidliche gewertet wird 1 6 8 . Das darf jedoch nicht stillschweigend geschehen. Die Verfahrensbeteiligten müssen sich auf die veränderte Beweislage einrichten und gegebenenfalls weitere Beweisanträge stellen können. Das Gericht muß ihnen daher, notfalls nach Wiedereintritt in die Verhandlung, bekanntgeben, daß es die Aussage nur als uneidliche würdigen werde 1 6 9 . Es genügt also nicht, daß das Gericht in dem Urteil ausführt, es hätte dem Zeugen auch ohne Eid geglaubt 1 7 0 . Die Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten ist in der Sitzungsniederschrift zu vermerken 1 7 1 .
VI. Revision 58
1. Allgemeines. Ist der Zeuge auf Anordnung des Vorsitzenden vereidigt worden (oben Rdn. 52), so kann mit der Revision die Verletzung des § 60 auch dann gerügt werden, wenn der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung nicht die Entscheidung des Gerichts herbeigeführt hat. Denn der Rechtsfehler liegt nicht nur in der unzulässigen Vereidigung, sondern vor allem darin, daß das Gericht die Aussage bei der Beweiswürdigung
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W. Schmid FS Maurach 538. BGHSt 8 155; BGH bei Daliinger MDR 1958 14; NStZ 1981 110 = StV 1981 115 mit Anm. Stratz; bei Holtz MDR 1991 484; StV 1991 196; RGSt 31 220; RG JW 1917 171; 1922 1031 mit Anm. Mamroth; RG JW 1915 1266; 1939 88; RG DJZ 1925 259; 1926 596; RG JZ 1932 967; RG Recht 1903 Nr. 1525; 1920 Nr. 2734; 1926 Nr. 2621; BayObLG JW 1931 225; OLG Celle MDR 1966 605; OLG Hamburg JZ 1928 429; KK-Pelchen 33; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 29; KMR-ftw/iu § 59, 20; W. Schmid JZ 1969 760; Seibert NJW 1963 143.
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BGHSt 8 155; BGH NStZ 1981 110; NStZ 1993 341; KK-Pelchen 33; Kleinknecht/Meyer-Goßner11 29; W. Schmid FS Maurach 541; Seibert NJW 1963 143. 167 Kleinknecht/Meyer-Goßner« 29; W. Schmid JZ 1969 761 und FS Maurach 542. If, 8 BGHSt 4 130; BGH NJW 1952 1103, 1146; BGH bei Dallinger MDR 1970 383; 1975 725; 1986 158; BGH bei Holtz MDR 1979 108; BGH NStZ 1981 309; RGSt 6 155; 36 310; 56 94; 72 219; RGRspr. 5 122; 6 370; 7 89; RG JW 1891 323; 1892 141;
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1925 795 mit Anm. Löwenstein; RG JW 1927 391 mit Anm. Stern; RG JW 1931 1599 mit Anm. Alsberg; RG JW 1933 2838; 1939 88; RG Recht 1919 Nr. 842; 1920 Nr. 2733; 1921 Nr. 2288; OLG Braunschweig NJW 1957 513; OLG Düsseldorf HESt 3 74 = SJZ 1950 59 mit Anm. Niethammer; KK-Pelchen 34; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 30; KMR-Paulus § 5 9 , 21; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 8; W. Schmid FS Maurach 542; kritisch dazu Sarstedt/Hamm 238. BGHSt 4 130; BGH NJW 1954 1656; bei Daliinger MDR 1975 725; NStZ 1986 230; RGSt 72 219; BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 94; 1981 309; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 109; OLG Bremen StV 1984 369; RG JW 1892 141; KK-Pelchen 34; Kleinknecht/Meyer-Goßner41 30; KMR-Pau/us § 5 9 , 21; Eb. Schmidt 9; Sarstedt/ Hamm 238; Dahs/Dahs 273; SchlUchter 519; Seihen NJW 1963 143; Schlothauer StV 1986 226; vgl. aber auch RG JW 1927 391 mit Anm. Stern. BGH NJW 1954 1655; Seibert NJW 1963 143. BGHSt 4 130; RGSt 72 219; KK-Pelchen 44; Kleinknecht/Meyer-Goßner4^ 30; W. Schmid JZ 1969 758 und FS Mäurach 547.
Stand: 1.5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§ 6 0 172
als eidliche gewertet hat, obwohl der Zeuge nicht hätte vereidigt werden dürfen . In dem umgekehrten Fall, daß der Zeuge auf Anordnung des Vorsitzenden unvereidigt geblieben ist, kann jedoch der Beschwerdeführer, der die Entscheidung des Gerichte nach § 238 Abs. 2 nicht beantragt hat, mit der Revision nicht das fehlerhafte Unterlassen der Vereidigung rügen 173 . Hat der Angeklagte den Antrag auf Entscheidung des Gerichts gestellt, ist sie aber unterblieben und der Zeuge vereidigt worden, so kann auch das Unterlassen des Gerichtsbeschlusses (§ 338 Nr. 8) gerügt werden 174 . Nicht dagegen kann gerügt werden, daß der Zeuge statt nach § 60 Nr. 2 gemäß § 61 unvereidigt geblieben ist (BGH bei Miebach NStZ 1991 227 für § 61 Nr. 5). 2. Verstoß gegen § 60 Nr. 1 Unterfall 1. Ist ein Eidesunmündiger vereidigt worden, 59 so begründet das auch dann die Revision, wenn das Gericht sich über das Alter des Zeugen geirrt hat 175 . 3. Verstoß gegen § 60 Nr. 1 Unterfall 2. Ein Revisionsgrund kann darin liegen, daß 60 das Gericht die Voraussetzungen des § 60 Nr. 1 nicht geprüft hat, obwohl dazu nach der Sachlage Anlaß bestand 176 . Ob das Gericht diese Umstände gekannt hat, spielt keine Rolle (BGHSt 22 266). Hat das Gericht die Frage erörtert, so kann das Revisionsgericht das aber nur auf Rechtsfehler prüfen 177 . Eine Begründung, die nicht klar erkennen läßt, ob der Zeuge wegen Verstandesunreife oder wegen Verstandesschwäche unvereidigt geblieben ist, führt nur zur Aufhebung des Urteils, wenn die Sachlage einen Anhalt dafür bietet, daß der Tatrichter irrig ein auf anderen Gründen beruhendes Fehlen der genügenden Vorstellung vom Wesen und der Bedeutung des Eides für ausreichend gehalten hat, um die Nichtvereidigung zu rechtfertigen 178 . 4. Verstoß gegen § 60 Nr. 2 a) Unterlassene oder rechtsfehlerhafte Prüfung. Ergibt das Urteil tatsächliche 61 Anhaltspunkte dafür, daß gegen den Zeugen ein Tat- oder Teilnahme verdacht bestehen könnte, so ist es rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht die Frage nicht geprüft oder sie rechtsfehlerhaft beantwortet hat und kann mit der Revision gerügt werden 179 . Der Umstand, daß weder die Sitzungsniederschrift noch die Urteilsgründe erkennen lassen, warum § 60 Nr. 2 nicht angewandt worden ist, begründet zwar für sich genommen noch keinen 172
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BGHSt 20 99; BGH GA 1962 370; 1969 348; BGH bei Daliinger MDR 1958 14; BGH bei Seibert NJW 1963 144; OLG Braunschweig NJW 1957 513; OLG Köln NJW 1957 1373; OLG Schleswig OLGSt § 6 1 S. 3; KK-Pelchen 38; Kleinknecht/ Meyer-Goßner« 31; Schlächter 519; Datcke/Fuhrmann/Schäfer 1; Strafe StV 1984 45; a . A Eb. Schmidt Nachtr. I 1. BGH StV 1988 325; BGHR StPO § 60 Nr. 2 Rügevoraussetzungen 2 für den Fall der Nichtvereidigung wegen Beteiligungsverdachts; BGHR § 60 Nr. 2 Tatbeteiligung 2; OLG Koblenz VRS 42 (1972) 30; OLG Hamburg MDR 1979 74; KK-Pelchen 37; Kleinknecht/Meyer-Goßner31; a.A Widmaier NStZ 1992 522. RG GA 40 (1892) 158; OLG Hamburg NJW 1953 434. RGSt 20 163; KK-Pelchen 39; Kleinknecht/MeyerGoßner" 32; KMR-Pau/ui 33; Schlüchtern, Eb. Schmidt Nachtr. 1 3 a; vgl. auch BGHSt 20 98.
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BGHSt 22 266; OLG Hamm GA 1969 316; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 33; K M R - f m t e 33. BGHSt 22 267; RGSt 26 99; BGH GA 1980 257; StV 1982 251 f; 1982 342; RG HRR 1934 225; KK-Pelchen 39; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 21; Alsberg/Niise/Meyer 158 ff; Dahs/Dahs 274; Schlächter 520. ™ RGSt 53 136; RG JZ 1916 469; KK-Pelchen 7. 179 BGHSt 4 255; 21 148; BGH NJW 1952 1103; StV 1994 356 für eine versuchte Strafvereitelung; VRS 15 (1958) 113; JR 1991 246 mit zust. Anm. Dahs\ GA 1980 256; bei Holtz MDR 1983 281; bei Holt ζ MDR 1991 107; NStZ 1985 183; OGHSt 2 153; OLG Celle VRS 19 (1960) 51; OLG Hamburg VRS 31 (1960) 203; OLG Hamm NJW 1969 2297; StV 1984 105; KK-Pelchen 40; Kleinknecht/Meyer-Goßner>* 34; KMR-Paulus 33; Dahs/Dahs 274. 177
Hans Dahs
§60
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Rechtsfehler (BGH JR 1991 246 mit Anm. Dahs). Im Zusammenhang mit naheliegenden Anhaltspunkten kann aus dem Fehlen jeglicher Begründung aber geschlossen werden, daß der Tatrichter die Frage eines Vereidigungsverbots nach § 60 Nr. 2 nicht erwogen hat 180 . § 344 Abs. 2 Satz 2 ist bei der Rüge eines Verstoßes gegen § 60 Nr. 2 nur genügt, wenn zugleich mit der Rüge vorgetragen wird, wer die Entscheidung über die Nichtvereidigung getroffen hat (BGH StV 1988 325). 62
b) Unzulässige Nichtvereidigung. Die Ermessensentscheidung des Tatrichters, ob Tat- oder Teilnahmeverdacht besteht, kann nur darauf überprüft werden, ob sie auf Rechtsfehlern beruht, insbesondere ob die Rechtsbegriffe der Beteiligung und des Verdachts verkannt worden sind 181 . Das kann sich aus dem Urteil ergeben, dessen Gründe zu dem die Nichtvereidigung begründenden Beschluß nicht in Widerspruch stehen dürfen 182 . Das Urteil beruht auf dem Verstoß, wenn das Gericht die Aussage bei der Beweiswürdigung berücksichtigt hat 183 oder wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Verteidigung durch die unterbliebene Nachholung der Vereidigung eines Belastungszeugen „irregeführt" worden ist und deshalb weiteres Vorbringen und weitere Anträge unterlassen hat (vgl. BGH StV 1991 196). Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Gericht die Aussage im Fall der Beeidigung nicht anders gewürdigt hätte (Kleinknecht/Meyer-Goßner 34). Das wird indes nicht ohne weiteres angenommen werden dürfen.
63
c) Unzulässige Vereidigung. Verstößt die Vereidigung gegen § 60 Nr. 2, so ist ein revisibler Verfahrensfehler gegeben, wenn nicht das Gericht die Aussage im Urteil als uneidliche gewürdigt hat 184 . Das Urteil beruht grundsätzlich auch auf dem Verfahrensverstoß, wenn das Gericht es unterlassen hat, die Verfahrensbeteiligten darauf hinzuweisen, daß es die rechtsfehlerhaft beeidete Aussage als uneidliche wüdigen werde 185 (Rdn. 57). Durch die anderweitige Würdigung i. V. m. einem solchen Hinweis wird der Verfahrensfehler „geheilt". Das Beruhen entfällt auch, wenn das Gericht trotz Vereidigung im weiteren für alle Prozeßbeteiligten erkennbar vom Vorliegen des § 60 Nr. 2 ausgegangen ist und die Verteidigung daher nicht „irregeführt" ist. Hier bedarf es auch keines entsprechenden Hinweises seitens des Gerichts 186 . Ebenso wenn die Beteiligten sich ohne richterlichen Hinweis in ihrem Prozeßverhalten erkennbar, ζ. B. durch entsprechende Anträge, auf die geänderte Eidessituation eingestellt haben. Allein der Umstand, daß das Gericht einen entsprechenden Hinweis unterlassen und somit den Verstoß gegen § 60 Nr. 2 nicht geheilt 180
181
BGHSt 39 199 = BGH NJW 1993 672; BGH StV 1988 510; BGH JR 1991 246 mit zu st. Anm. Dahs\ BGH NStZ 1992 184. BGHSt 4 255, 369; 9 72; 21 148; 39 199 f; BGH NJW 1952 273; 1983 356; 1985 638; 1991 2844; VRS 15 (1958) 112; GA 1980 256; BGH StV 1982 251; 1982 342; 1983 138; 1994 356; BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 227; RGSt 57 187; 59 168; RG JW 1922 35 mit Anm. Löwenstein·, RG DJ 1935 1462; RG DR 1940 689; OGHSt 2 100, 156; BayObLGSt 1951 77 = HESt 3 13; BayObLGSt 1953 151 = JR 1954 113 mit Anm. Sarstedt = MDR 1954 121 mit Anm. Mittelbach; KG VRS 10 (1956) 299; 31 (1966) 274; OLG Celle NdsRpfl. 1960 164 = VRS 19 (1960) 50; OLG Dresden JW 1929 1808 mit Anm. Honig-, OLG Hamburg VRS 31 (1966) 204; OLG Hamm MDR 1953 55; NJW 1969 2297; OLG Koblenz VRS 45 (1973) 188; OLG Saarbrücken OLGSt § 60 S. 5; OLG Düsseldorf GA 1985 511; KK-Pelchen 40; Kleinknecht/ Meyer-Goßner» 34; KMR-Paulus 33; Alsberg/
Nüse/Meyer 158 ff; Dahs/Dahs 274; a. A Eb. Schmidt 337, 1 1 ff. RG JW 1922 1031 mit Anm. Mamroth\ RG JW 1939 88; BayObLG JW 1931 225. 183 BGHSt 8 158; BGH StV 1990 193. 184 BGHSt 4 130; BGH NJW 1952 1103, 1146; RGSt 6 155; 28 111; 31 221; 36 310; 44 256; 72 219; RGRspr. 6 370; 7 89; OGHSt 2 156; Kleinknecht/ Meyer-Goßner34. 185 BGHSt 4 132; BGH bei Daliinger MDR 1975 725; BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 94; BGH StV 1981 329; OLG Hamm VRS 27 (1964) 133; OLG Bremen StV 1984 369; vgl. auch RGSt 72 219; KKPelchen 42; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 34; Sarstedt/Hamm 238; Strate StV 1984 44; einschränkend BGH NJW 1986 266 = StV 1986 89 mit abl. Anm. Schlothauer. 18 BGH NJW 1986 266 mit abl. Anm. Schlothauer, der den Hauptzweck des § 60 Nr. 2 in einer Warnfunktion (Hinweis auf eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung) sieht; dsgl. in StV 1986 226. 182
Stand: 1.5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§60
hat, begründet also für sich genommen keinen selbständig revisiblen Verfahrensverstoß. Das Urteil kann nur auf dem fortwirkenden Gesetzesverstoß (der Vereidigung des Zeugen entgegen § 60 Nr. 2) beruhen, nicht auf der unterbliebenen Heilung, d. h. auf dem Fehlen des zu diesem Zweck erforderlichen Hinweises 187 . Für die Frage des Beruhens ist entscheidend, ob das Urteil anders gelautet hätte, wenn das Gericht nicht gegen § 60 Nr. 2 verstoßen hätte. Ein Beruhen ist daher grundsätzlich anzunehmen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß das Gericht der Zeugenaussage im Hinblick auf ihre (fehlerhafte) Beeidigung größere Glaubhaftigkeit beigemessen hat als es sonst getan hätte 188 . Anders, wenn das Gericht erkennbar auch dem (zu Recht) vereidigten Zeugen nicht geglaubt hätte (Kleinknecht/Meyer-Goßner 34). Umstritten ist die Frage, ob das Urteil auch dann auf dem Verstoß gegen § 60 Nr. 2 beruht, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Verteidigung wegen des unterlassenen Hinweises von (Beweis-) Anträgen zugunsten des Angeklagten abgesehen hat 189 . Ob durch die (fehlerhafte) Nichtvereidigung ein verfahrensrechtlich relevanter „Rechtsschein" oder ein „Vertrauenstatbestand" begründet wird, kann dahinstehen. Jedenfalls muß davon ausgegangen werden, daß die Verfahrensbeteiligten aus der Vereidigung den Schluß ziehen, die Glaubhaftigkeit beeinträchtigende Gründe i. S. des § 60 Nr. 2 lägen nicht vor und sich darauf einstellen. Eine Abweichung vom Inhalt der richterlichen Entscheidung zu §§ 59, 60 Nr. 2 entspricht der Prozeßsituation, in der nach § 265 Hinweise zur Änderung der Rechts- oder Sachlage zu geben sind 190 , um dem Angeklagten bzw. der Verteidigung zu ermöglichen, sich auf die geänderte Prozeßlage einzurichten und gegebenenfalls weitere Anträge zu stellen, die das Urteil noch zugunsten des Angeklagten hätten beieinflussen können 191 . Der Hinweis ist auch ein Gebot fairer Verfahrensgestaltung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1,3 b MRK). Eine Darlegung, welche Anträge bei rechtzeitigem Hinweis noch gestellt worden wären, wird für die Revision nicht verlangt 192 . d) Mangelhafte Begründung. Siehe die Erl. bei § 64, 7.
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BGH NStZ 1986 130; bei Kusch NStZ 1994 227 mit weit. Nachw.; dagegen Schlothauer StV 1986 90; 199« 226. Vgl. BGHSt 4 257; bei Holtz MDR 1983 281; RGSt 6 155; 56 94; 72 219; OLG Hamm VRS 27 (1964) 133; KK-Pelchen 42; Kleinknecht/MeyerGoßner« 34; Eb. Schmidt 9; Strafe StV 1984 44. bejahend BGH NJW 1982 1602 mit weit. Nachw.; BGH StV 1988 325; BGH NStE 14 zu § 60; BGH StV 1991 196 mit weit. Nachw.; Schlothauer StV 1996 226; dagegen BGH NStZ 1986 130; bei Kusch 1994 227.
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Hans Dahs
Vgl. nur Kleinknecht/Meyer-Goßner« § 265, 1, 22, 23 mit Nachw. Für § 60 Nr. 2 BGH NJW 1982 1601 mit weit. Nachw.; vgl. auch BGHR StPO § 60 Nr. 2 Strafvereitelung, versuchte 3; BGHR StPO § 60 Nr. 2 Teilvereidigung 5; BGH StV 1988 325; BGHR StPO § 60 Nr. 2 Strafvereitelung 1; BGH NStE 14 zu § 60. BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 94; BGH StV 1981 329.
64
§61
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften § 6 1
Von der Vereidigung kann nach dem Ermessen des Gerichts abgesehen werden 1. bei Personen, die zur Zeit der Vernehmung das sechzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben; 2. beim Verletzten sowie bei Personen, die im Sinne des § 52 Abs. 1 Angehörige des Verletzten oder des Beschuldigten sind 3. wenn das Gericht der Aussage keine wesentliche Bedeutung beimißt und nach seiner Überzeugung auch unter Eid keine wesentliche Aussage zu erwarten ist; 4. bei Personen, die wegen Meineids (§§ 154, 155 des Strafgesetzbuches) verurteilt worden sind; 5. wenn die Staatsanwaltschaft, der Verteidiger und der Angeklagte auf die Vereidigung verzichten. Schrifttum. Bauer Zum Begriff des Verletzten in der StPO, JZ 1953 298; Dahs sen. Die Vereidigung der Zeugen im Strafprozeß. Zur Anwendung des § 61 Ziff. 3 StPO, NJW 1950 887; Dahs Zum Persönlichkeitsschutz des „Verletzten" als Zeuge im Strafprozeß, NJW 1984 192; Dahs Der Eid noch ein zeitgemäßes Instrument zur Wahrheitsermittlung im Strafprozeß? FS Rebmann 161; Delventhal Die strafprozessualen Vereidigungsverbote unter besonderer Berücksichtigung des offensichtlich falsch aussagenden Zeugen, Diss. Hamburg 1990; Eckert Vereidigung eines in der Hauptverhandlung offensichtlich falsch aussagenden Zeugen? NJW 1963 846; Gollwitzer Die Befugnisse des Mitangeklagten in der Hauptverhandlung, FS Sarstedt 26; Hamm Wert und Möglichkeit der „Früherkennung" richterlicher Beweiswürdigung durch den Strafverteidiger, FS Peters II 169; Kelz Die Einschränkung der Eide im Strafverfahren, JW 1934 129; Kohlhaas Zur Beeidigung Meineidiger, NJW 1970 649; Lehmann Der Eid im Strafprozeß, DJ 1933 872; Lehmann Das Ermessen des Strafrichters beim Absehen von der Vereidigung, DJ 1936 1008; Niethammer Das unbeeidigte Zeugnis, JR 1935 13; Rieß Der Hauptinhalt der Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) NJW 1975 81; W. Schmid Zur Korrektur von Vereidigungsfehlern im Strafprozeß, FS Maurach 535; Schorn Vereidigung und Nichtvereidigung der Zeugen im Strafprozeß, NJW 1966 1014; Strafe Der Verzicht auf die Vereidigung - eine schädliche Unsitte! StV 1984 42; Theuerkauf Darf der in der Hauptverhandlung offensichtlich falsch aussagende Zeuge unvereidigt bleiben? MDR 1964 204.
Entstehungsgeschichte. Die Möglichkeit, von der Vereidigung eines Zeugen aus Ermessensgründen abzusehen, war ursprünglich in § 57 Abs. 1 (nach der Bek. von 1924: § 58 Abs. 1) nur für Angehörige des Beschuldigten vorgesehen. Der diese Möglichkeit erheblich erweiternde § 61 wurde eingefügt durch Art. 1 des Gesetzes zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24. 11. 1933 (RGBl. I 1008); der frühere § 61 wurde als § 59 neu gefaßt. In seiner ersten Fassung erlaubte § 61 das Absehen von der Vereidigung aus den Gründen der jetzigen Nummern 1, 2, 3 und 5 sowie für den Fall, daß der Zeuge Auskunft auf Fragen gibt, die ihm oder seinen Angehörigen die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen oder zur Unehre gereichen konnten. Nummer 5 (jetzt Nummer 3) lautete ursprünglich: „wenn alle Mitglieder des Gerichts die Aussage für unerheblich oder für offenbar unglaubhaft halten, und wenn nach ihrer Uberzeugung auch unter Eid eine erhebliche oder eine wahre Aussage nicht zu erwarten ist". Nummer 6 entsprach wörtlich der Nummer 5 der geltenden Fassung. Durch Art. 4 Nr. 3 der Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue vom 29. 5. 1943 (RGBl. I 341) Wurde § 61 aufgehoben; die gleichzeitige Umgestaltung des § 59 zu einer Ermessensvorschrift machte ihn überflüssig. Art. 3 Nr. 22 VereinhG fügte die Vorschrift in eingeschränktem Umfang wieder ein: Nummer 1 blieb unverändert, Nummer 2 faßte die früheren Nummern 2 und 3 zusammen, Nummer 5 wurde als Nummer 3 neu gefaßt, die übrigen Nummern entfielen. Durch Art. 9 Nr. 2 des
Stand: 1.5. 1998
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§61
Sechster Abschnitt. Z e u g e n
1. StrRG wurde Nummer 4, durch Art. 21 Nr. 7 EGStGB die Klammerverweisung in Nummer 4 und durch Art. 1 Nr. 14 des 1. StVRG die Nummer 5, die mit Nummer 6 der Fassung von 1933 wörtlich übereinstimmt, eingefügt. Geplante Änderung. Nach Art. 2 Nr. 6 des Entwurfs eines zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich) (BTDrucks. 13 4541) soll § 61 als Folge der zu § 59 geplanten Änderung (s. dort) aufgehoben werden. S. ggfs. die Erläuterungen im Nachtrag zur 25. Auflage. Übersicht I. Allgemeines II. Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren (Nr. 1) 1. Allgemeines 2. Ermessensentscheidung 3. Begründung III. Verletzte (Nr. 2 Unterfall 1) 1. Allgemeines 2. Verletzter a) Begriff b) Einzelfälle 3. Teilvereidigung 4. Ermessensentscheidung 5. Begründung IV. Angehörige des Beschuldigten oder Verletzten (Nr. 2 Unterfall 2) 1. Allgemeines 2. Teilvereidigung 3. Ermessensentscheidung 4. Begründung V. Unwesentliche Aussage (Nr. 3) 1. Allgemeines 2. Voraussetzungen für das Absehen von der Vereidigung a) Keine wesentliche Bedeutung . . b) Keine Erwartung einer wesentlichen Aussage 3. Nachholen der Vereidigung
Rdn. 1
3 4 5 6 7 10 13 14 15
16 17 18 19
Beweiswürdigung Eidesdruck Freibeweis Mehrere Vernehmungen Protokoll
VI. Wegen Meineids verurteilte Zeugen (Nr. 4) 1. Allgemeines 2. Verurteilung 3. Getilgte oder tilgungsreife Strafen . . 4. Ermessensentscheidung 5. Begründung VII. Verzicht auf die Vereidigung (Nr. 5) 1. Allgemeines 2. Verzicht a) Erforderliche Erklärungen . . . . b) Verzichtserklärung 3. Ermessensentscheidung 4. Begründung VIII. Entscheidung 1. Zuständigkeit 2. Erforderlichkeit
21 23 24
28 29 31 32 33 34 35 36 39 40 41 42
IX. Revision 1. Allgemeines 2. Einzelne Rechtsverletzungen a) § 61 Nr. 2 b) § 61 Nr. 3 c) § 6 1 Nr. 4 d) § 61 Nr. 5
20
Alphabetische Rdn. 22, 23 28 ff 36 42 36
Rdn. 25 26 27
4. Teilvereidigung 5. Ermessensentscheidung 6. Begründung
43 45 46 47 48
Übersicht Rechtsgefährdung Reichweite Verfahrensbeschleunigung Widerruf Zeitpunkt
Rdn. 8 37 34 38 9
I. Allgemeines Die Vorschrift sieht für bestimmte Fälle eine Ausnahme von dem Vereidigungsgebot 1 des § 59 vor. Sie war im Jahre 1933 vor allem deshalb eingefügt worden, weil der Mißstand behoben werden sollte, daß das Gericht einen Zeugen trotz der klaren Erkenntnis (I95)
Hans D a h s
§61
Erstes B u c h . A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n
von seiner Verstrickung in offenbare Unwahrheiten vereidigen mußte (vgl. RGSt 68 311); ferner sollte durch die den Verfahrensbeteiligten eröffnete Möglichkeit, auf die Vereidigung des Zeugen zu verzichten, dem Übermaß der Eide entgegengewirkt werden. Diese Zwecke der Vorschrift bestehen nach wie vor und sind daher bei der nach § 61 zu treffenden Ermessensentscheidung im Auge zu behalten. Allerdings sind Voreingenommenheit und Unglaubwürdigkeit des Zeugen nicht die einzigen Gründe, die das Absehen von der Vereidigung rechtfertigen (BGH StV 1986 283). Auch die Jugend des Zeugen, die Geringfügigkeit der Tat, die Bedeutung der Aussage für das Urteil, die Gefahr, daß der Zeuge einer Meineidsanzeige ausgesetzt wird, können berücksichtigt werden (KK-Pelchen 1). Zu einer einschränkenden Auslegung des § 61 besteht kein Grund, denn nach § 153 StGB ist auch die uneidliche Falschaussage vor Gericht strafbar. Die Neigung des Reichsgerichts, die Anwendung des § 61 in Grenzen zu halten, erklärt sich daraus, daß bis zur Einfügung des § 153 StGB im Jahre 1943 nur der Meineid mit Strafe bedroht war. Der Eid darf aber nach wie vor zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage benutzt werden; das ergibt sich insbesondere aus § 61 Nr. 3 und aus § 62. Sagt ein Zeuge offensichtlich falsch aus, so muß das daher nicht stets ein Grund sein, von seiner Vereidigung abzusehen. In der Praxis ist heute der allseitige Verzicht auf die Vereidigung der Regelfall geworden. Dahinter steht die Erfahrung, daß der Eid seine wahrheitsfördernde Kraft weitgehend verloren und deshalb an Bedeutung für die richterliche Beweiswürdigung viel eingebüßt hat (Dahs FS Rebmann, 161 ff) (§ 59, 1). Ein Indiz für eine bestimmte Würdigung der Aussage ist daher der Verzicht auf die Vereidigung nicht. 2
Wird nach § 61 Nr. 1 bis 4 von der Vereidigung des Zeugen abgesehen, so hat das keinen unmittelbaren Einfluß auf die Beweiswürdigung. Das Gericht ist nicht gehindert, den unvereidigt gebliebenen Zeugen als voll glaubwürdig anzusehen 1 . Bei Nummer 5 ist die volle Glaubwürdigkeit des Zeugen sogar ein zulässiger — und häufiger — Grund für die Nichtvereidigung (unten Rdn. 40).
II. Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren (Nummer 1) 1. Allgemeines. Jugendliche, die zur Zeit ihrer Vernehmung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, dürfen nach § 60 Nr. 1 nicht vereidigt werden. Dasselbe gilt für alle anderen Zeugen, die wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandesschwäche vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben. § 61 Nr. 1 gibt dem Richter darüber hinaus die Möglichkeit, auf den Stand der geistigen Entwicklung und der sittlichen Reife eines noch nicht 18 Jahre alten Zeugen Rücksicht zu nehmen, der nicht schon nach § 60 Nr. 1 eidesunmündig ist. Steht der Zeuge in dieser Entwicklung und Reife noch einem Jugendlichen unter 16 Jahren gleich, so darf von seiner Vereidigung abgesehen werden 2 . Zur Berechnung des Lebensalters und zum maßgebenden Zeitpunkt s. § 60, 3 ff. 2. Ermessensentscheidung. Die Entscheidung des Gerichts, ob der Jugendliche uneidlich oder eidlich vernommen werden soll, hängt davon ab, ob dem Zeugen nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung des Eides hinreichend bewußt ist (RGSt 70 23). Wenn das der Fall ist, gilt § 59, jedenfalls auch § 61 Nr. 5. Auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen kommt es dabei nicht entscheidend an 3 . Denn die Unglaubwürdigkeit BGHSt 1 175 = JZ 1951 650 mit Anm. Niethammer, BGHSt 3 230; BGH NJW 1952 192; RGSt 68 312; RG DRiZ 1935 Nr. 679; OLG Hamburg JR 1955 433 mit Anm. Sarstedt; Kleinknecht/MeyerCoßnet1; KMR-Paulus 2.
2 3
KK-Pelchen 3; Lehmann DJ 1936 1010. BGHSt 3 231; RGSt 70 24; K M R - P a u / u j 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 2; Eb. Schmidt 3; Dalcke/ Fuhrmann/Schäfer 2.
Stand: 1. 5. 1 9 9 8
i 9; § 240.
§ 6 9
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften § 6 9
(1) 'Der Zeuge ist zu veranlassen, das, was ihm von dem Gegenstand seiner Vernehmung bekannt ist, im Zusammenhang anzugeben. 2Vor seiner Vernehmung ist dem Zeugen der Gegenstand der Untersuchung und die Person des Beschuldigten, sofern ein solcher vorhanden ist, zu bezeichnen. (2) Zur Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage sowie zur Erforschung des Grundes, auf dem das Wissen des Zeugen beruht, sind nötigenfalls weitere Fragen zu stellen. (3) Die Vorschrift des § 136 a gilt für die Vernehmung des Zeugen entsprechend. Schrifttum. Geerds Über Vorhalt und Urkundenbeweis mit Vernehmungsprotokollen, FS Blau 77; Krehl Die Erkundigungspflicht des Zeugen bei fehlendender oder beeinträchtigter Erinnerung und möglichen Folgen ihrer Verletzung, NStZ 1991 416; Prüfer Der Zeugenbericht (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StPO), DRiZ 1975 334; Schünemann „Dienstliche Äußerungen" von Polizeibeamten im Strafverfahren, DRiZ 1979 101.
Entstehungsgeschichte. Absatz 3 wurde durch Art. 3 Nr. 30 VereinhG eingefügt. Bezeichnung bis 1924: § 68.
1. Allgemeines 2. Anwendungsbereich der Vorschrift 3. Unterrichtung über den Untersuchungsgegenstand 4. Vernehmung zur Sache a) Mündliche Vernehmung b) Veranlassung zum zusammenhängenden Bericht c) Zusätzliches Verhör
Rdn. 1 2 3 4 6 8
d) Vernehmungshilfen 5. Unzulässige Vernehmungsmethoden . . . . 6. Protokoll 7. Revision a) Allgemeines b) Verletzung des § 69 Abs. 1 Satz 1 . . . c) Verletzung des § 69 Abs. 1 Satz 2 . . . d) Verletzung des § 69 Abs. 2 e) Verletzung des § 69 Abs. 3
Rdn. 9 12 13 15 16 17 18 19
1
1. Allgemeines. Auf die Vernehmung des Zeugen zur Person (§ 68 Satz 1) folgt erforderlichenfalls die Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 oder nach § 55 Abs. 2. Sodann wird der Zeuge, wenn er kein Zeugnisverweigerungsrecht hat oder wenn er auf dieses Recht verzichtet, über den Untersuchungsgegenstand unterrichtet (§ 69 Abs. 1 Satz 2) und zur Sache vernommen. Die Zeugenvernehmung unterteilt sich in die Entgegennahme des zusammenhängenden Berichts des Zeugen (§ 69 Abs. 1 Satz 1) und das Verhör (§ 69 Abs. 2). Die Frage, was Gegenstand der Zeugenvernehmung sein kann, ist Vor 48, 2 ff erörtert. Zu „informatorischer Anhörung" von Zeugen vgl. § 59, 5.
2
2. Anwendungsbereich der Vorschrift. § 69 gilt für alle richterlichen Vernehmungen von Zeugen in und außerhalb der Hauptverhandlung, auch für Vernehmungen durch den beauftragten oder ersuchten Richter1. Für Zeugenvernehmungen durch den Staatsanwalt bestimmt § 161 a Abs. 1 Satz 2 die entsprechende Anwendung der Vorschrift. Ihre Grundregeln sind auch bei polizeilichen Vernehmungen zu beachten; sie bezeichnen die zweckmäßigste, jedenfalls die vom Gesetzgeber gewollte Art der Vernehmung von Zeugen 2 . 1
BGH NJW 1953 231; RGSt 74 35; OLG Braun-
2
Kleinknecht/Meyer-Goßner"
1; K M R - / W u j 1.
schweig NJW 1952 119; KK-Pelchen 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner1; Dalcke/Fuhrmann/ Schäfer 1. Stand: 1. 5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
§69
Die Vorschrift gilt auch beim Kreuzverhör (§ 239) sowie dann, wenn der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten die Vernehmung überläßt, was ζ. Β bei präsenten Zeugen (§ 245) nicht selten geschieht. Die Vorschrift gilt nicht für Vernehmungen durch Konsulate und ausländische Gerichte, denen regelmäßig ein eingehender Fragenkatalog zugrunde liegt3. 3. Unterrichtung über den Untersuchungsgegenstand. Nach § 69 Abs. 1 Satz 2, der 3 Satz 1 sachlogisch vorgeht, müssen dem Zeugen vor seiner Vernehmung der Gegenstand der Untersuchung und die Person des Beschuldigten bekanntgegeben werden. Die Vorschrift soll zwar eine bloße Ordnungsvorschrift sein (unten Rdn. 17), ist aber für eine nachvollziehbare und faire Sachaufklärung von hoher Bedeutung. Die Unterrichtung kann entfallen, wenn dem Zeugen der Untersuchungsgegenstand und der Beschuldigte bereits bekannt sind4. Die Kenntnis des Untersuchungsgegenstandes schon bei Beginn der Vernehmung ist erforderlich, weil der Zeuge von Anfang an wissen muß, worüber er vernommen werden soll. Über die Person des Beschuldigten muß er unterrichtet werden, wenn ein Beschuldigter namentlich bezeichnet werden kann, also nicht schon, wenn sich das Verfahren zwar bereits gegen eine bestimmte Person richtet, diese aber noch nicht identifiziert ist. Ein bloßer Verdacht macht die Benennung des Verdächtigen nicht erforderlich 5 . Wenn sich aber das Verfahren gegen eine bestimmte Person richtet, muß sie dem Zeugen ohne Rücksicht darauf benannt werden, ob der Beschuldigte bereits vernommen worden ist. Bei mehreren Beschuldigten kann eine exakte Umschreibung des Personenkreises ggfs. ausreichen, ζ. Β die drei Geschäftsführer der GmbH. 4. Vernehmung zur Sache a) Mündliche Vernehmung. Der Zeuge ist, wenn nicht der Ausnahmefall des § 186 4 GVG (Vernehmung von stummen oder tauben "Personen) vorliegt, mündlich zu vernehmen (vgl. aber unten Rdn. 5). Keine mündliche Zeugenvernehmung ist die Entgegennahme oder die Verlesung schriftlicher Erklärungen 6 oder die Entgegennahme der mündlichen Erklärung, der Zeuge nehme Bezug auf eine bereits bei den Akten befindliche schriftliche Äußerung 7 oder auf eine von einem anderen als dem Vernehmenden, ζ. Β von ihm selbst oder dem anwaltlichen Rechtsbeistand (Vor 48, 10), vorbereitete Niederschrift 8 . Wenn der Zeuge mehrmals vernommen wird, gilt das Verbot der Verlesung für jede Vernehmung. Es ist daher unzulässig, dem Zeugen bei der späteren Vernehmung vor seiner Aussage die Niederschrift über seine frühere Aussage vorzulesen und ihn nur deren Richtigkeit bestätigen zu lassen9. Anders ist es, wenn außerhalb oder in der Hauptverhandlung nur die Vereidigung nachgeholt werden soll; in diesem Fall genügt die Verlesung der früheren Aussage des Zeugen 10 . Wegen der Erleichterung der Protokollaufnahme in dem Fall, daß der Zeuge seine frühere Aussage im wesentlichen wiederholt, vgl. Rdn. 14.
3 BGH GA 1982 40; bei Holtz MDR 1981 632, bei Daliinger MDR 1971 897; KK-Pelchen 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner41 1. 4 Kleinknecht/Meyer-Goßner« 2; KMR-Paulus 2. 5 Anders offenbar Eb. Schmidt 8. 6 RGSt 37 330; KK-Pelchen 3; Kleinknecht/MeyerGoßner** 4; KMR-ftm/us 5; Hauser 290. 7 OLG Rostock Alsb. Ε 1 Nr. 189. 8 RGSt 65 273; RG JW 1933 1729 mit Anm. Lang. 9 BGH NJW 1953 35 = JZ 1953 121 mit Anm. Lay, bei Holtz MDR 1981 632; RGSt 62 147 = JW 1928 (255)
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2144 mit Anm. Mezger, RGSt 74 35 = DR 1940 444 mit Anm. Fraeb; RGRspr. 10 280; RG JW 1916 602; 1934 173; 1938 658 mit Anm. Rilk; OLG Braunschweig NJW 1952 119; OLG Colmar Alsb. Ε 1 Nr. 188; OLG Hamm JMB1NRW 1953 44; OLG Köln DAR 1953 218; OLG Stuttgart DAR 1955 68; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 4; KK-Pelchen 4; KMR-Paulus 5; Eb. Schmidt 3; Henkel 211 Fußn. 8. BGH NJW 1953 231; KMR-Paulus 6.
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Das grundsätzliche Gebot, Zeugen mündlich zu vernehmen, schließt nicht aus, im Vorverfahren einen Zeugen aufzufordern, dem Gericht schriftliche Mitteilungen über Beweisfragen zu machen, ζ. Β wenn der Zeuge weit entfernt oder im Ausland wohnt 11 oder wenn für die Aussage Akten, Geschäftsbücher oder andere umfangreichen Schriftstücke benötigt werden (Nr. 67 RiStBV). Das gilt auch in anderen Verfahrensabschnitten für Feststellungen, die im Wege des Freibeweises (§ 244, 3 ff) getroffen werden dürfen.
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b) Veranlassung /um zusammenhängenden Bericht. § 69 Abs. 1 Satz 1 schreibt zwingend und unverzichtbar vor (unten Rdn. 16), daß der Zeuge zu veranlassen ist, seine Aussage im Zusammenhang zu machen. Der Bericht ist nicht nur Pflicht, sondern auch Recht des Zeugen, der seine Aussage nur verantworten kann, wenn er vollständig gehört worden ist 12 . Das gilt nicht nur für die erste, sondern auch für alle weiteren Vernehmungen eines Zeugen in derselben Strafsache 13 . Bei seiner Vernehmung muß erkennbar sein, was er aus lebendiger Erinnerung zu berichten weiß und was er erst mit Nachhilfe durch das Gericht bekunden kann (BGHSt 3 284). Nur dann können die Zuverlässigkeit des Zeugen und der Beweiswert seiner Aussage richtig beurteilt werden. Der Zeuge soll sein Wissen über den Gegenstand der Vernehmung daher unbeeinflußt durch Fragen, Vorhalte oder frühere Aussagen selbständig und zusammenhängend wiedergeben 14 . Das schließt es aus, den Zeugen sogleich anderen Personen zum Zwecke der Vernehmung gegenüberzustellen. Die bloße Bestätigung der Richtigkeit früherer Aussagen, die ihm vorgelesen werden, genügt ebenfalls nicht (oben Rdn. 4).
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In dieser Weise läßt sich, die Zeugenvernehmung aber nicht immer 15 durchführen. Denn viele Zeugen sind wegen Befangenheit oder Gedächtnisschwäche, aus Mangel an Intelligenz, verbaler Ausdrucksfähigkeit oder aus Altersgründen zu einer zusammenhängenden Schilderung ihrer Wahrnehmung gar nicht imstande. Dann ist dem Gesetz genügt, wenn wenigstens der Versuch gemacht wird, den Zeugen zu einer zusammenhängenden Darstellung zu veranlassen 16 . Die Vernehmung muß nicht etwa daran scheitern, daß es unmöglich ist, dem Gebot des § 69 Abs. 1 Satz 1 zu entsprechen 17 . Auch sonst schließt die Vorschrift nicht aus, daß der Zeuge während seiner Schilderung durch Zwischenfragen, Vorhalte von früheren Aussagen, Angaben anderer Personen, Urkunden, Erfahrungstatsachen oder allgemeinkundigen Tatsachen und durch lenkende Hinweise unterbrochen wird 18 . Sie verlangt nicht, daß der Richter, nur um die zusammenhängende Schilderung des Zeugen nicht zu unterbrechen, Weitschweifigkeiten, Nebensächlichkeiten, Ungereimtheiten und offenbare Unwahrheiten in der Darstellung des Zeugen zunächst unwidersprochen hinnehmen muß 19 . Zulässig ist auch die punktweise Vernehmung des Zeugen zu einzelnen Geschehensabschnitten 20 , insbesondere wenn der Zeuge zu unterschiedlichen Anklagepunkten vernommen wird 21 . Unzulässig ist es aber, die Vernehmung von vornherein nur in Frage-Antwort-Form zu führen.
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YMR-Paulus 5. B V e r f G E 3 8 105; RGSt 74 35; Gössel § 25 c II b; Schlüchter 483; Peters § 42 IV 1; Roxin § 26, 50; Humborg JR 1966 448. '3 RGSt 62 147 = JW 1928 2144 mit Anm. Mezger. 14 RGSt 74 35 = DR 1940 444 mit Anm. Fraeb. 15 Hauser 288 meint sogar: nur in seltenen Ausnahmefällen. 16 BGH bei Dallinger MDR 1966 25; RGSt 74 35; RG Recht 1912 Nr. 348; OLG Hamm JMB1NRW 1953 44; Dalcke/F'uhrmann/Schäfer 2. 17 Eb. Schmidt 6. 12
18 B G H bei Dallinger MDR 1966 25; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 5; KMR-Paulus 10; Dahs/Dahs 272. 19 Kleinknecht/Meyer-Goßnet"3 5; vgl. aber Prüfer DRiZ 1975 334, der die Unterbrechung und Verkürzung abschweifender Berichte für verfehlt hält, weil gerade solche Berichte wichtige Anhaltspunkte für die Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit des Zeugen ergeben. 20 B G H bei Dallinger MDR 1966 25; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner5; K M R - / W u j 12. 21 K M R - / W h j 12; Eb. Schmidt 4.
Stand: 1. 5. 1998
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Sechster Abschnitt. Zeugen
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c) Zusätzliches Verhör. Nach § 69 Abs. 2 ist der Vernehmende stets berechtigt, nöti- 8 genfalls weitere Fragen an den Zeugen zu stellen, sei es, daß die Vervollständigung der Aussage oder die Beseitigung von Unklarheiten und Widersprüchen erforderlich ist, sei es, daß die Gründe erforscht werden sollen, auf denen das Wissen des Zeugen beruht. Diese Gründe sind von Bedeutung, damit nicht Tatsachen, von denen der Zeuge nur durch Mitteilungen anderer Personen Kenntnis erlangt hat, irrtümlich als von ihm selbst wahrgenommen, behandelt werden 22 . Es muß auch verhindert werden, daß der Zeuge Schlüsse und Folgerangen, die er aus bestimmten Tatsachen gezogen hat, mit den Wahrnehmungen selbst verwechselt. d) Vernehmungshilfen. Der Zeuge ist stets verpflichtet, wahrheitsgemäß auszusagen, 9 ohne etwas hinzuzufügen oder zu verschweigen. Kann er dieser Forderung allein mit Hilfe seines Gedächtnisses nicht nachkommen, hat er nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich bei seiner Vernehmung Hilfmittel (ζ. Β schriftlicher, ggfs. umfangreicher Unterlagen, eigener Aufzeichnungen) zu bedienen, um damit sein Erinnerungsbild aufzufrischen und gegebenenfalls zu berichtigen 23 . Diese allgemeine Nachforschungs- und Vergewisserungspflicht besteht für „gewöhnliche" Zeugen nicht von Anfang an, sondern erst mit Beginn der Vernehmung 24 . Etwas anderes gilt für Zeugen, die ihre Wahrnehmungen in amtlicher Eigenschaft gemacht haben (§ 68, 7); sie haben eine sog. Vorbereitungspflicht 25 . Der Zeuge darf dabei die Unterlagen nur unterstützend heranziehen, nicht aber seine Aussage verlesen 26 . Aufgabe des Gerichts ist es, den Zeugen bei der wahrheitsgemäßen und vollständigen Wiedergabe seines Wissens in geeigneter Weise zu unterstützen 27 . Befinden sich die Unterlagen in den Händen des Gerichts, so ist es daher verpflichtet, sie dem Zeugen vorzuhalten, vorzulesen oder zur Einsicht vorzulegen, wenn andernfalls eine ordnungsmäßige, insbesondere eindeutige Aussage nicht zu erreichen ist 28 . Es ist statthaft, einen als Zeugen gehörten Vernehmungsbeamten zur Auffrischung seines Gedächtnisses Einsicht in Protokolle nehmen zu lassen, die er selbst aufgenommen hat, oder ihm diese Protokolle vorzuhalten oder vorzulesen 29 . Eine ausdrückliche Erklärung des Zeugen, daß er sich der Tatsachen nicht mehr erinnere, ist dazu nicht erforderlich (BGHSt 3 284). Ferner darf dem Zeugen die Einsicht in amtliche Berichte und eigene dienstliche Äußerungen 3 0 gestattet werden, die er selbst erstellt hat 31 . Vorhalte aus einem polizeilichen Protokoll dürfen dem Zeugen auch in den Fällen gemacht werden, in denen die Verlesung des Protokolls untersagt ist 32 . Erinnert sich der Zeuge auch nach Benutzung solcher Vernehmungshilfen bestimmter Tatsachen nicht mehr oder lassen sich Widersprüche mit seinen früheren Aussagen anders nicht beheben, so verfährt das Gericht nach § 253.
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KK-Pelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 6; Eb. Schmidt 9; Döhring 109. BGHSt 1 8; RGSt 8 110; 35 7; 36 53; RGRspr. 10 15; KK-Pelchen 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner8; KMR-Paulus 7; Alsberg/Nüse/Meyer 281; Hanack FS Schmidt-Leichner 93; Eb. Schmidt 11; eingehend zum Problemkreis Krehi NStZ 1991 417. Krehl NStZ 1991 417. Kleinknecht/Meyer-Goßner13 8; Geerds FS Blau 77 ff. Schlächter 483; Gössel § 25 c II b. RGSt 35 7. BGHSt 1 8; LG Essen StV 1991 104; KK-Pelchen 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 8; KMR-Paulus 1. BGHSt 1 8, 339; 3 283; 14 340; RGSt 36 53; RGRspr. 8 722; 9 475; RG JW 1922 1036; RG GA
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37 (1889) 185; 42 (1894) 240; RG Recht 1910 Nr. 4223; 1925 Nr. 2363; KMR-iWus 7; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 8; Alsberg/Nüse/Meyer 281; Eb. Schmidt 12; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 2; Hanack FS Schmidt-Leichner 93; a. A RG Recht 1917 Nr. 2113; 1918 Nr. 1643; bedenklich ist die Entscheidung RGSt 20 105, wo die bloße Erklärung des Zeugen, die Verlesung sei seine Aussage, für zulässig gehalten wird. •10 Kleinknecht/Meyer-Goßner43 8; einschr. Schünemann DRiZ 1979 106. " RGRspr. 9 379. 32 RG DJZ 1913 867; vgl. auch Erl. bei § 253.
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Ebenso wie dem Zeugen zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen und vollständigen Aussage Schriftstücke und Protokolle vorgehalten und vorgelesen werden dürfen, ist auch die Verwendung von Lichtbildern, Skizzen, und Zeichnungen33 als Vemehmungshilfen zulässig (vgl. 24. Aufl, § 86, 8). Auch Tonbänder dürfen abgespielt werden, wenn die Wiedergabe des dort Aufgezeichneten erforderlich und geeignet ist, das Gedächtnis des Zeugen zu stützen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs wird der Inhalt des Tonbands dann sogar Bestandteil der Zeugenaussage34. 11 Wenn es sich um Aussagen über den Inhalt eigener Notizen handelt, der im Gedächtnis schwer festzuhalten ist, etwa weil er aus umfangreichem Zahlenmaterial besteht, darf der Zeuge seine Aufzeichnungen verlesen und, soweit nötig, erläutern. Dem steht § 250 nicht entgegen. Denn der Grundsatz, den diese Vorschrift für die Hauptverhandlung aufstellt, verbietet nur, die mündliche Vernehmung eines Zeugen durch Verlesung des über seine Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung zu ersetzen. Dagegen besteht kein gesetzliches Verbot, die mündliche Vernehmung durch Verlesung früherer Erklärungen oder Aufzeichnungen des Zeugen zu ergänzen35. 12
5. Unzulässige Vernehmungsmethoden. Nach § 69 Abs. 3 gilt § 136 a für die Vernehmung von Zeugen entsprechend. Das Verbot dieser Vorschrift, eine durch unerlaubte Mittel herbeigeführte Aussage zu verwerten, gilt daher auch beim Zeugen und für alle Vernehmungen, also auch im Ermittlungsverfahren36. Sein Verzicht auf die Einhaltung dieser Vorschrift ist ohne Bedeutung. Vgl. im übrigen die Erl. zu § 136 a.
13
6. Protokoll. Bei richterlichen Vernehmungen im Vorverfahren ist ein Urkundsbeamter zuzuziehen (§ 168) und ein Protokoll herzustellen, in das die Angaben des Zeugen aufgenommen werden (§ 168 a). Bei staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen soll ebenfalls ein Protokoll aufgenommen werden; zwingend vorgeschrieben ist das aber nicht (§ 168 b). Für polizeiliche Vernehmungen bestehen keine gesetzlichen Vorschriften. Üblicherweise werden alle Vernehmungen im Vorverfahren protokolliert und die Vernehmungsprotokolle dem Zeugen zum Unterschreiben vorgelegt. Ist der Zeuge dazu in der Lage, kann ihm gestattet werden, seine Aussagen selbst in das Protokoll zu diktieren. Mit dem Einverständnis des Zeugen darf seine Aussage auch auf Tonband aufgenommen werden. Zur Zulässigkeit von Video-Aufzeichnungen (Aufzeichnung auf Bild-Ton-Träger) s. den durch das ZeugenschutzG vom 8. 5. 1998 (BGBl. I S. 820) neu eingefügten § 58 a. Die Niederschrift der Tonaufnahme ist von dem Zeugen zu unterzeichnen; zu diesem Zwecke — und zu evtl. Korrekturen — kann sie ihm auch übersandt werden. In der Hauptverhandlung gilt § 273 Abs. 2 und 3. Einen Rechtsanspruch auf eine Kopie des Protokolls über seine Vernehmung hat der Zeuge nicht.
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Der Niederschrift über die Vernehmung des Zeugen (§ 168 a) muß in jedem Fall zunächst zu entnehmen sein, daß der Zeuge vor dem Richter eine eigene zusammenhängende Darstellung seines Wissens gegeben hat oder daß ihm hierzu Gelegenheit gegeben worden ist. Wenn sich bei dieser zusammenhängenden Äußerung ergibt, daß der Zeuge ganz oder teilweise dasselbe aussagt wie früher, dürfen ihm zur Erleichterung der Niederschrift die früheren Protokolle vorgelesen und darf in der Niederschrift auf sie Bezug
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BGHSt 18 51; RGRspr. 9 89; BayObLGJZ 1965 771; Kleinknecht/Meyer-Goßner*> 9; KMR-Pawii« 7. BGHSt 14 340; hiergegen Roxin § 28, 9.
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RGRspr. 9 379; 10 15; HK-Lemke 4; vgl. auch Wömpner NStZ 1983 293 ff. Peters §A\ II 2 a.
Stand: 1.5. 1998
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genommen und ihre Richtigkeit bestätigt werden . Dies muß sich im einzelnen aus der Niederschrift ergeben. 7. Revision a) Allgemeines. Rechtssätze, deren Verletzung mit der Revision gerügt werden kann, 15 sind nicht die allgemeinen Erfahrungsregeln über die zweckmäßige Gestaltung der Zeugenvernehmung 38 . In Betracht kommen nur Verstöße gegen § 69. b) Verletzung des § 69 Abs. 1 Satz 1. Die Vorschrift ist zwingendes Recht 39 . Ihre 16 Verletzung kann gerügt werden, auch wenn gegen die unzulässige Vernehmung in der Hauptverhandlung kein Widerspruch erhoben worden ist (Dahs/Dahs 272). Wird gegen die Bestimmung zum Nachteil des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung verstoßen, so ist die Revision aber nur begründet, wenn zugleich ein Verstoß gegen § 244 Abs. 2 vorliegt40. Anders ist es, wenn der Zeuge im Vorverfahren oder kommissarisch unter Verletzung des § 69 Abs. 1 Satz 1 vernommen und die Niederschrift darüber in der Hauptverhandlung nach § 251 verlesen worden ist. Der Verfahrensfehler begründet dann die Revision, sofern das Urteil auf ihm beruhen kann 41 . Ein Verzicht auf die Einhaltung des § 69 Abs. 1 Satz 1 ist unzulässig und unbeachtlich 42 . c) Verletzung des § 69 Abs. 1 Satz 2. Die Vorschrift ist nur eine Ordnungsvorschrift. 17 Ihre Verletzung begründet daher i. d. R nicht die Revision 43 . Eine Ausnahme kommt bei Verletzung des § 244 Abs. 2 in Betracht. d) Verletzung des § 69 Abs. 2. Da das Revisionsgericht nicht feststellen kann, welche 18 Fragen an den Zeugen gestellt worden sind, kann die Revision nicht darauf gestützt werden, daß der Zeuge nicht nach § 69 Abs. 2 befragt worden ist 44 . e) Verletzung des § 69 Abs. 3. Insoweit gelten die Erläuterungen § 136 a, 61 f ent- 19 sprechend.
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BGH NJW 1953 35 = JZ 1953 121 mit Anm. Lay, RGSt 74 35; RG DJ 1934 1244; OLG Stuttgart DAR 1955 68; Kleinknecht/Üeyer-Goßne11; KMR-Paulus 6; Eb. Schmidt 5; vgl. auch BGH GA 1964 275 und § 136,37. 38 BGH bei Dallinger MDR 1966 25; BayObLG bei Bär DAR 1989 368; KK-Pelchen 8; Kleinknecht/ Meyer-Goßner*3 12; KMR-Pau/us 16. 39 BGH NJW 1953 35 = JZ 1953 121 mit Anm. Lay; BGH NJW 1953 231; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 212; BGH StV 1981 269; RGSt 62 147; 74 35; RGRspr. 10 280; RG JW 1934 173; OLG Braunschweig NJW 1952 119; OLG Hamm JMB1NRW 1953 44, OLG Köln DAR 1953 218; KKPeichen 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 13; KMRPaulus 17; Eb. Schmidt 2; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 2; G. Schäfer § 21 III 3; Schlächter 483; Roxin § 26, 45; Pfeiffer/Fischer 4; a. Α offenbar RGSt 6 267. (259)
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BGH bei Dallinger MDR 1951 658; Kleinknecht/ Meyer-Goßner« 13; KMR-Pau/us 17; a. A HKLemke 9; KK-Pelchen 8. BGH NJW 1953 35 = JZ 1953 121 mit Anm. Lay, BGH bei Holtz MDR 1981 632; RGSt 37 330; RG JW 1916 602; 1933 1729 mit Anm. Lang; Kleinknecht/Meyer-Goßner43 13; KMR-Paulus 17; a. A KK-Pelchen 8. RG JW 1934 175; 1938 658 mit Anm. Rilk; OLG Braunschweig NJW 1952 119; Kleinknecht/MeyerGoßner« 13. Ohne Einschränkung RGSt 6 267; KK-Pelchen 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 14; KMR-Paulus 16; a. A Eb. Schmidt 7; Peters § 42 V I; Schlächter 483; HK-Lemke 9. BGHSt 17 351; OGHSt 3 59; KK-Pelchen 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 16; KMR-Paulus 16; Schlächter 483; Pfeiffer/Fischer 4.
§70
Erstes Buch. A l l g e m e i n e Vorschriften
§70 (1) 'Wird das Zeugnis oder die Eidesleistung ohne gesetzlichen Grund verweigert, so werden dem Zeugen die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt. 2 Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt. (2) Auch kann zur Erzwingung des Zeugnisses die Haft angeordnet werden, jedoch nicht über die Zeit der Beendigung des Verfahrens in dem Rechtszug, auch nicht über die Zeit von sechs Monaten hinaus. (3) Die Befugnis zu diesen Maßregeln steht auch dem Richter im Vorverfahren sowie dem beauftragten und ersuchten Richter zu. (4) Sind die Maßregeln erschöpft, so können sie in demselben oder in einem anderen Verfahren, das dieselbe Tat zum Gegenstand hat, nicht wiederholt werden. S c h r i f t t u m . Krehl D i e Erkundigungspflicht des Z e u g e n bei fehlender oder beeinträchtigter Erinnerung und m ö g l i c h e Folgen ihrer Verletzung, N S t Z 1 9 9 1 4 1 7 ; Krey Probleme des Zeugenschutzes im Strafverfahrensrecht G e d S M e y e r 2 5 8 ; Michel Zweifelsfragen bei einer B e e n d i g u n g der B e u g e haft, M D R 1 9 9 5 7 8 4 ; Sommermeyer Bereitschaftserklärung als Beendigungsgrund für die Beugehaft? N S t Z 1 9 9 2 2 2 2 ; Welp Z w a n g s b e f u g n i s s e für die Staatsanwaltschaft ( 1 9 7 6 ) .
Entstehungsgeschichte. In ihrer ursprünglichen Fassung sah die Vorschrift in Absatz 1 Geldstrafe bis 300 RM und Haft bis zu sechs Wochen vor. Absatz 5 regelte die Festsetzung und Vollstreckung der Strafe gegen Militärpersonen; dieser Absatz wurde durch § 14 des Gesetzes betreffend die Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit vom 17. 8. 1920 (RGBl. 1 1579) aufgehoben. Bei der Bek. 1924 wurde Absatz 1 dem Art. II der Verordnung über Vermögensstrafen und Bußen vom 6. 2. 1924 (RGBl. I 44) angepaßt. Durch Art. 21 Nr. 10 EGStGB 1974 wurde Absatz 1 der Vorschrift ohne sachliche Änderungen (das Wort „Ordnungsstrafe" wurde durch das Wort „Ordnungsgeld", die Worte „Strafe der Haft bis zu sechs Wochen" durch das Wort „Ordnungshaft" ersetzt, der Inhalt des bisherigen Satzes 1 in die Sätze 1 und 2 aufgeteilt) geändert; in Absatz 2 wurden die Worte „und bei Übertretungen nicht über die Zeit von sechs Wochen" gestrichen. Art. 1 Nr. 17 des 1. StVRG strich in Absatz 3 die Worte „auch dem Untersuchungsrichter" und ersetzte das Wort „Amtsrichter" durch das Wort „Richter". Bezeichnung bis 1924: § 69. Ubersicht I. Allgemeines II. Voraussetzungen der Maßnahmen des §70 1. Schuldfähigkeit 2. Verweigerung des Zeugnisses a) Allgemeines b) Teilverweigerung c) Unwahre Aussage 3. Verweigerung der Eidesleistung . . . III. Ungehorsamsfolgen 1. Auferlegung der Kosten (Absatz 1 Satz 1) 2. Festsetzung von Ordnungsgeld (Absatz 1 Satz 2) a) Festsetzung b) Bemessung c) Aufhebung
Rdn. 1
3. Ordnungshaft (Absatz 1 Satz 2) . . . 4. Beugehaft (Absatz 2) a) Verhältnis zu den Ordnungsmitteln der §§ 51 Abs. 1, 77 Abs. 1 . b) Ermessensentscheidung c) Dauer d) Aufhebung e) Aussetzung des Verfahrens . . . 5. Wiederholung der Maßnahmen (Absatz 4) a) Allgemeines b) Identität der Tat
4 5 7 8 9
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13 14 15
IV. Verfahren 1. Zuständigkeit 2. Gerichtsbeschluß 3. Abänderung
S t a n d : 1. 5. 1998
Rdn. 16
17 18 19 20 29
30 33 34 37 38
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Sechster Abschnitt. Zeugen Rdn. 39 40 41
V Vollstreckung VI. Anfechtung VII. Revision
VIII. Abgeordnete IX. Entschädigung
Alphabetische Anrechnung anwaltlicher Rechtsbeistand Bedenkzeit Belehrung Berufungsgericht Beschwerde Beweiswürdigung Einstellung wegen Geringfügigkeit Ermessen ersuchter Richter Gewissensgründe Grundrecht Intimsphäre
Rdn. 1 6 19 1 31f 40 2, 11 38 13, 19, 36 36, 40 9 5, 9, 18 5
§70 Rdn. 43 44
Übersicht Kinder Lücken Notstand rechtliches Gehör Staatsanwaltschaft Unverwertbarkeit Vernehmung, richterliche Vollstreckung Vorbotsirrtum Vorverfahren Zwang
Rdn. 4 7 5 6, 37 1,35,39 3,8 1 16, 17, 39 6 1, 17, 28, 35 3, 8, 17,4
I. Allgemeines Die Vorschrift gilt für alle richterlichen Vernehmungen, auch im Vorverfahren. Sie 1 ergänzt § 51 für den Fall, daß der Zeuge zwar erscheint, aber die Aussage oder die Eidesleistung ohne gesetzlichen Grund verweigert. § 70 Abs. 1 gestattet dann die Ahndung des Ungehorsams durch die Festsetzung von Ordnungsgeld, § 70 Abs. 2 die Erzwingung der Aussage oder des Eides durch die Anordnung und Vollziehung der Beugehaft. Die Ordnungsmittel des § 70 dürfen aber nur verhängt werden, wenn der Zeuge zuvor vom Vorsitzenden umfassend und verständlich über Inhalt und Anwendungsbereich der Zeugnisverweigerungs-, Auskunftsverweigerungs- und Eidesverweigerungsrechte belehrt worden ist (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 169). Von den in § 51 vorgesehenen Maßregeln sind die nach § 70 nicht abhängig. Eine Anrechnung der nach § 51 festgesetzten Ordnungsmittel auf das nach § 70 verhängte Ordnungsgeld oder auf die Beugehaft ist daher nicht zulässig1, und zwar selbst dann nicht, wenn der Zeuge gerade wegen der vermeintlichen Berechtigung zur Verweigerung des Zeugnisses ausgeblieben war. Der Staatsanwaltschaft steht nach § 161 a Abs. 2 nur die Befugnis zu, gegen die von ihr zur Vernehmung geladenen Zeugen ein Ordnungsgeld zu verhängen; Haft darf nur der Richter anordnen. Weigert sich ein Zeuge ohne gesetzlichen Grund, auszusagen oder den Eid zu leisten, 2 so darf das bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden 2 , ohne daß zunächst die Mittel des § 70 benutzt werden müssen. Dem steht nicht entgegen, daß aus der Zeugnisverweigerung grundsätzlich keine dem Angeklagten nachteiligen Schlüsse gezogen werden dürfen (§ 52, 42 f). Denn im Gegensatz zu der berechtigten Aussageverweigerung nach §§ 52 ff liegt bei der Verweigerung ohne gesetzlichen Grund der Schluß nahe, daß der Zeuge nur deshalb nicht aussagt, weil er den Angeklagten bei wahrheitsgemäßer Aussage belasten müßte. 1
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KK-Pelchen 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner» KMR-Pau/us 2; Eb. Schmidt 10.
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BGH NJW 1966 211 mit Anm. Meyer JR 1966 351; Kleinknecht/Meyer-Goßner« §261, 19; KMR-Paulus 4.
§70 3
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
War ein Zeuge mit den Maßregeln des § 70 zur Aussage oder zur Eidesleistung gezwungen worden, obwohl das unzulässig war, so ist die Aussage nach § 69 Abs. 3, § 136 a Abs. 3 Satz 1 unverwertbar3. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Aussage richtig oder falsch war (§ 136 a, 63). Die abweichende Ansicht des Reichsgerichts (RGSt 73 31) erklärt sich daraus, daß die Entscheidung ergangen ist, bevor § 136 a in das Gesetz aufgenommen wurde4. II. Voraussetzungen der Maßnahmen des § 70
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1. Schuldfähigkeit. Aus denselben Gründen wie im Fall des Nichterscheinens (§51, 2) dürfen die Ordnungsmittel des § 70 (Ordnungsgeld und Ordnungshaft) gegen Kinder nicht festgesetzt werden5. Die Aussage des Kindes (seine Vereidigung ist nach § 60 Nr. 1 ohnehin unzulässig) darf auch nicht durch die Beugehaft nach § 70 Abs. 2 erzwungen werden; denn die Einsperrung von Kindern sieht die Rechtsordnung auch sonst nirgends vor. Wenn das Kind das Zeugnis verweigert, darf das auch nicht zum Anlaß genommen werden, die Maßregeln des § 70 gegen Eltern oder Erziehungsberechtigte anzuwenden (vgl. §51, 4). 2. Verweigerung des Zeugnisses a) Allgemeines. Die Anwendung der Maßregeln des § 70 setzt voraus, daß ein nach § 69 Abs. 1 Satz 2 über den Gegenstand der Untersuchung und die Person des Beschuldigten unterrichteter Zeuge6 die Aussage ohne gesetzlichen Grund, also ohne ein Zeugnisoder Auskunftsverweigerungsrecht nach den §§ 52 bis 55, verweigert. Ob die Aussage später beeidet werden soll oder nicht, spielt keine Rolle7. Als gesetzliche Gründe für die Verweigerung der Aussage kommen auch ein Verstoß gegen § 169 Satz 2 GVG und rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB in Betracht8. Eine Begrenzung des Zeugniszwangs kann sich auch ausnahmsweise aus dem die Intimsphäre schützenden Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) ergeben (BayObLG NJW 1979 2624). Ob die Verweigerung ausdrücklich oder stillschweigend erklärt wird, ist für die Anwendung des § 70 ohne Bedeutung. Die offensichtlich wahrheitswidrige Erklärung des Zeugen, er wisse von dem Sachverhalt nichts, über den er vernommen werden soll, ist eine Verweigerung der Aussage (vgl. Rdn. 8). Jeder Zeuge ist verpflichtet, das Zeugnis so oft abzulegen, wie der Richter das verlangt (Vor 48, 7). Die in § 70 bestimmten Maßnahmen dürfen daher auch gegen einen Zeugen angewendet werden, der zwar bei einer früheren Vernehmung die Zeugnispflicht erfüllt hat, bei einer späteren Vernehmung aber das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund verweigert. Die Maßnahmen des § 70 dürfen aber nur angeordnet werden, nachdem dem Zeugen das rechtliche Gehör gewährt worden ist (Rdn. 37). Die Zeugnisverweigerung darf daher erst geahndet und die Aussage durch Beugehaft erst erzwungen werden, wenn dem Zeugen die Unzulässigkeit seiner Weigerung oder seines Weigerungsgrundes bekanntgegeben worden ist und er dennoch auf seiner Weigerung beharrt. Voraussetzung einer Ordnungsmaßnahme nach § 70 Abs. 1 (vgl. zu Abs. 2 Rdn. 17 ff) ist stets ein schuldhafter Verstoß gegen die Zeugenpflicht9. Ein Rechtsirrtum des Zeugen über sein Weigerungsrecht ist 3 KK-Pelchen 18; Eb. Schmidt 9. " BGHSt 9 364 und KMR-Pau/wi 29, die sich dem Reichsgericht anschließen, haben das offenbar übersehen. 5 Kleinknecht/Meyer-Goßner43 3; KMR-ftju/us 11; KK-Pelchen 4; a. Α Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 4. 6 Eb. Schmidt 12.
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OLG Colmar Alsb. E l Nr. 186. 8 BGH NStZ 1984 31; ΚK-Pelchen 2; Kleinknecht/ Meyer-Goßnet4} 6 erwähnt nur § 169 S. 2 GVG; KMR-Paulus 7; Krey GedS Meyer 258. 9 BVerfGE 20 323; BGHSt 28 259; KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 3; KMR-Paulus 11.
Stand: 1.5. 1998
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nach den Grundsätzen des Verbotsirrtums (§ 17 StGB, § 11 Abs. 2 OWiG) zu beurteilen 10 . Unvermeidbar wird er regelmäßig nicht sein; denn wenn das Gericht ihm bekanntgibt, daß die Maßnahmen nach § 70 in Erwägung gezogen werden, weil er die Aussage oder den Eid ohne gesetzlichen Grund verweigert, handelt der Zeuge, der seinen besseren Kenntnissen der gesetzlichen Gründe vertraut, auf eigenes Risiko". Anders kann es sein, wenn die Zeugnisverweigerung auf der Beratung durch den anwaltlichen Rechtsbeistand (Vor 48, 10) nach sorgfältiger Prüfung und vertretbarer Begründung beruht. Das gilt auch, wenn ein jugendlicher Zeuge die Aussage aufgrund von Weisungen seines Arbeitgebers verweigert 12 . b) Teilverweigerung. Die Maßnahmen des § 70 sind in ihrem ganzen Umfang 7 anwendbar, wenn der Zeuge die Erfüllung seiner Zeugenpflicht auch nur teilweise verweigert, ζ. Β wenn er nicht die Aussage überhaupt, sondern nur die Beantwortung einzelner Fragen ohne gesetzlichen Grund ablehnt 13 . Sie müssen daher auch angeordnet werden, wenn der Zeuge es ablehnt, die von einem Beisitzer oder einem anderen Frageberechtigten gestellte und von dem Gericht nach § 242 zugelassene Frage zu beantworten. Das gilt natürlich nicht, wenn an den Zeugen Fragen gestellt werden, die nicht Gegenstand des Zeugenbeweises sein können (vgl. Vor 48, 2), wenn der Zeuge berechtigt ist, das Zeugnis zu verweigern, davon aber nur teilweise Gebrauch macht 14 , oder wenn er den Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht nachträglich widerruft. Nicht erzwingbar ist auch die Beantwortung der persönlichen Fragen des § 68, da es sich insoweit nicht um ein „Zeugnis" i. S. des § 70 handelt 15 ; es liegt dann aber eine Ordnungswidrigkeit nach § 111 OWiG vor (Göhler § 59, 10). Die bewußt lückenhafte Beantwortung von Fragen ist keine teilweise Verweigerung des Zeugnisses, sondern eine unwahre Aussage 16 . c) Unwahre Aussage. Zur Erzwingung einer wahrheitsgemäßen Aussage bei unwah- 8 ren oder lückenhaften Aussagen ist § 70 nicht anwendbar; körperliche Zwangsmittel sind der Erforschung der Wahrheit niemals dienlich, im übrigen unzulässig 17 . Eine wahrheitsgemäße Aussage kann nur mittelbar durch Vereidigung unter der Androhung einer Bestrafung nach § 154 StGB erzwungen werden. Wenn stattdessen Maßnahmen nach § 7 0 getroffen oder auch nur angedroht werden, wird die Aussage des Zeugen regelmäßig nach § 69 Abs. 3, § 136 a Abs. 3 Satz 1 unverwertbar sein (oben Rdn. 3). Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, daß der Zeuge ganz offensichtlich wahrheitswidrig erklärt, er wisse über die Beweisfrage nichts oder habe keine Erinnerung an den Sachverhalt; in diesem Fall geht sein Wille dahin, die Aussage zu verweigern, so daß die Maßnahmen des § 70 zulässig sind 18 .
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Kleinknecht/Meyer-Goßner»3 4; KMR-Paulus 11 i. V. m. § 51, 14; Eb. Schmidt Nachtr. I 3; wohl auch BGHSt 28 259. KK-Pelchen 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 4; anders offenbar Eb. Schmidt Nachtr. I 3. Anders LG Köln NJW 1959 1599; zur Anordnung von Ordnungsgeld gegen einen ärztlichen Gehilfen vgl. BGH NJW 1982 2615. BGHSt 9 362; RGSt 73 33; RG HRR 1935 706; OLG Celle NJW 1958 73; KK-Pelchen 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner 5; KMR-Pau/us 9; Eb. Schmidt 12. RG HRR 1935 706; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 1. KG JR 1977 295; Kleinknecht/M eyer-Goßne^ 1; Roxin § 2 6 , 41; a . A OLG Celle StV 1988 373; OLG Koblenz OLGSt StPO 3, § 7 0 Nr. 1; LG
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Stuttgart Justiz 1989 203; SchlUchter 524 Fußn. 423 a. ' Vgl. BGH NJW 1960 550; KG NStZ 1989 192; Kleinknecht/Meyer-Coßner43 10; Dalcke/Fuhrmanri/Schäfer 4. 27 OLG Koblenz MDR 1995 1057; AG Mainz StV 1988 521 mit Anm. Michalke; KK-Pelchen 6; Kleinknechl/Meyer-Goßner43 12; vgl. auch BVerfGE 76 363 (Fall Lappas); a. A AG Bonn JR 1994 171 mit zust. Anm. Derksen; Eb. Schmidt 17, der (265)
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die sofortige Festsetzung der Beugehaft für zulässig hält; K M R - f t m / u j 15 u. 17, wonach der Vollzug der Beugehaft erst nach Beitreibung des Ordnungsgeldes oder nach Vollzug der Ordnungshaft zulässig sein soll. Vgl. Fußn.26. BVerfG NJW 1988 898 ff (Fall Lappas).
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ches und angemessenes Druckmittel unerläßlich, um die Weigerung des Zeugen alsbald zu überwinden und eine Aussetzung der Hauptverhandlung zu vermeiden. Auch im Vorverfahren kann deshalb die sofortige Anwendung des Zwangsmittels notwendig sein, um den schnellen Fortgang der Ermittlungen zu sichern oder die Einwirkung Dritter auf den Zeugen vor dessen Aussage auszuschließen. Sind jedoch die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Ordnungshaft eingetreten, so muß die Beugehaft unterbrochen werden, damit zunächst die Ordnungshaft vollstreckt werden kann. 18
b) Ermessensentscheidung. Die Anordnung der Beugehaft nach § 70 Abs. 2 steht im Ermessen des Gerichts30. Veranlassung kann u. a. die Weigerung des Zeugen sein, trotz vorhandener Mittel das Ordnungsgeld zu zahlen oder seine Verweigerungshaltung zu überdenken31. (Vgl. i. ü. Rdn. 17). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zu beachten. Beugehaft darf daher nur verhängt werden, wenn sie nach den Umständen des Falles unerläßlich ist und in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung der Strafsache und der Wichtigkeit der Aussage oder ihrer Beeidigung steht32. Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen ist unzulässig, wenn zu befürchten ist, daß der Zeuge durch eine wahrheitsgemäße Aussage in Lebensgefahr gerät (BGH NStZ 1984 31). Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts muß bei Mitarbeitern von Presse und Rundfunk besonders geprüft werden, ob die Beugehaft auch unter Berücksichtigung der als Grundrecht gewährten Pressefreiheit als Zwangsmittel angemessen ist33. In allen Fällen kann (a. A KMR-Paulus 16: muß) der Richter von der Verhängung der Beugehaft überhaupt oder einstweilen absehen, wenn er glaubt, ohne die Aussage auskommen zu können, oder wenn er es aus einem anderen Grunde für geboten hält, den Zeugen (zunächst) mit der Haft zu verschonen, etwa um ihm Bedenkzeit oder Gelegenheit zur Einholung von Rechtsrat (bei schwieriger Fallgestaltung) zu geben, insbesondere wenn die Hauptverhandlung ohnehin unterbrochen oder ausgesetzt werden muß34. Auch der grundsätzliche Zwang, jeden Zeugen zu vereidigen (§ 59), nötigt den Richter nicht, gegen den die Eidesleistung verweigernden Zeugen die Beugehaft zu verhängen oder deren gesetzlich zulässige Dauer zu erschöpfen35. Zur Verwertung der uneidlichen Aussage vgl. Rdn. 11.
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c) Dauer. Die Beugehaft darf insgesamt nicht länger als sechs Monate dauern (für das Bußgeldverfahren vgl. § 48 Abs. 2 OWiG). Die Ersatzhaft nach § 70 Abs. 1 Satz 2 wird darauf nicht angerechnet (KMR-Paulus 17); die Freiheitsentziehung ist daher nicht um die Dauer der Ordnungshaft zu kürzen. Es ist dem Ermessen des Richters überlassen, auf welche Dauer er die Beugehaft im einzelnen Fall verhängt und ob er insbesondere das höchste zulässige Maß erschöpft36. Bei der Anordnung der Beugehaft braucht er aber noch nicht endgültig darüber zu entscheiden, wie lange sie dauern soll; denn seine Entschließung hierüber ist vom weiteren Verhalten des Zeugen und von dem späteren Verlauf des Verfahrens abhängig. Der Richter ist daher immer befugt, die Haft zunächst auf die gesetzliche Höchstdauer festzusetzen. Das ist sogar empfehlenswert. Denn wenn er zunächst nur eine geringere Dauer bestimmt, versetzt er den Zeugen möglicherweise in den Irrtum, daß 30
BGH NJW1966 211; BGH GA 1968 305; RGSl 25 136; 36 92; 57 30 = JW 1922 1393 mit Anm. Alsberg-, RGSt 59 250; 73 34; RG JW 1890 270; 1910 202; 1923 994; OLG Koblenz NJW 1952 278; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 13; KK-Pelchen 15; Eb. Schmidt 5; Alsberg/Nüse/Meyer 787; Peters § 42 III 2 a; nicht eindeutig G. Schäfer § 65 I. 3' BVerfG NJW 1988 988. 32 BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 4 und 5; KKPelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 13; KMRPaulus 12.
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BVerfGE 15 223 = NJW 1963 147; KK-Pelchen 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner42 13; KMR-Paulus 12; kritisch dazu Eb. Schmidt Nachtr. I 3; vgl. auch BVerfG JZ 1983 795 mit Anm. Fezer. 34 OLG Zweibrücken MDR 1996 89. 35 OLG Koblenz NJW 1952 278. 36 BGH bei Martin DAR 1970 124; RGSt 25 136; KK-Pelchen 7; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 14; KMR-Paulus 18.
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die gegen ihn zulässige Maßregel schon nach Ablauf dieses Zeitraums erschöpft sei (KMR-Paulus 18). Die Anordnung ergeht daher zweckmäßigerweise in Anlehnung an den Wortlaut des § 70 Abs. 2 dahin, daß gegen den Zeugen die Haft angeordnet wird, jedoch nicht über die Zeit der Beendigung des Verfahrens in dem Rechtszug und nicht über die Zeit von sechs Monaten hinaus. Im übrigen gelten die für die Höhe des Ordnungsgeldes maßgebenden Gesichtspunkte (Rdn. 14) auch für die Beugehaft. In Betracht zu ziehen sind vor allem die Bedeutung der Sache und die mutmaßliche Wichtigkeit des Zeugnisses oder, falls die Eidesleistung verweigert wird, ob daraus auf die Unwahrheit oder Unvollständigkeit der Aussage zu schließen ist. d) Aufhebung. Die Beugehaft muß aufgehoben bzw. geändert werden, wenn 20 aa) sich die Zeugnis- oder Eidesverweigerung nachträglich (teilweise oder in vollem 21 Umfang) als berechtigt erweist 37 ; bb) ein Zeugnis- oder Eidesverweigerungsrecht nachträglich entsteht (ζ. Β nach Ver- 22 lobung der Zeugin mit dem Angeklagten); cc) der Zeuge nachträglich seiner Zeugnis- (LG Hamburg NStZ 1983 182 mit Anm. 23 Dahs) oder Eidespflicht genügt; wobei in den meisten Fällen schon die ernst gemeinte Erklärung, der Zeugnis- oder Eidespflicht nachkommen zu wollen, zur Aufhebung der Beugehaft führen muß 38 ; dd) das Zeugnis oder der Eid für die Entscheidung in der Sache nicht mehr erforder- 24 lieh ist, etwa weil andere Beweismittel herangezogen werden konnten 39 ; ee) der die Eidesleistung verweigernde Zeuge nachträglich die Eidesfähigkeit verliert 25 oder ein sonstiger Grund eintritt, der die Vereidigung nach § 60 ausschließt, insbesondere wenn der Zeuge selbst Beschuldigter wird 40 ; ff) die Dauer der bisher vollstreckten Beugehaft nicht mehr in angemessenem Ver- 26 hältnis zur Bedeutung der Sache, der Aussage oder der Eidesleistung steht 41 ; gg) die in § 70 Abs. 2 zugelassene Höchstdauer der Beugehaft erschöpft ist;
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hh) das Verfahren in dem Rechtszug beendet ist. Denn mit der Beendigung des Ver- 2 8 fahrens fallt der Zweck des gegen den Zeugen gerichteten Zwangsverfahrens und daher auch die Berechtigung der Zwangsanwendung weg. Die Beendigung des Verfahrens in dem Rechtszug muß aber, da nicht ohne weiteres angenommen werden kann, daß ein Rechtsmittel eingelegt wird, einstweilen als die Beendigung des Verfahrens überhaupt angesehen werden. Im ersten Rechtszug, der hier das Vorverfahren einschließt, dauert das Verfahren bis zur Einstellung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 oder gemäß §§ 153 ff, bis zur Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 204 Abs. 1, bis zur Einstellung wegen Abwesenheit nach § 205, längstens aber bis zum Urteil 42 oder einem ihm gleichstehenden Beschluß (§§ 206 a, 206 b, 441 Abs. 2), im Wiederaufnahmeverfahren bis zur Verwerfung des Wiederaufnahmeantrags nach § 370 Abs. 1, einem Beschluß nach § 371 Abs. 1 oder 2, längstens bis zu dem Urteil nach § 373 Abs. 1.
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Kleinknecht/Meyer-Goßner43 15; LG Hamburg NStZ 1983 182 mit Anm. Dahs. 43 Kleinknecht/Meyer-Goßner 15; vgl. auch Sommermeyer NStZ 1992 222; Michel MDR 1995 784. KK-Pelchen 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 15; KMR-Paulus 19; Eb. Schmidt 19; HK-Lemke 9.
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KK-Pelchen 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner·u 15; KMR-Paulus 19; Eb. Schmidt 19. KK-Pelchen 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner>i 15; K M R - / W « ! 19; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 8; HK-Lemke 9. KK-Pelchen 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 15; KMR-Paulus 19; Eb. Schmidt 19.
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e) Aussetzung des Verfahrens. Die Verhängung der Beugehaft kann die Aussetzung des Verfahrens zur Folge haben; sie kann insbesondere, wenn sie in der Hauptverhandlung angeordnet wird, deren Vertagung nötig machen und rechtfertigen. Wäre eine solche Vertagung unstatthaft, so würde der Zeugniszwang im Hauptverfahren meist zwecklos sein; denn da eine Hauptverhandlung meist an demselben Tag begonnen und beendet wird und da ferner die Beugehaft aufgehoben werden muß, sobald das Urteil erlassen ist, würde sie regelmäßig sogleich oder doch nach wenigen Stunden ihr Ende erreichen und daher kaum geeignet sein, den Zeugen zur Erfüllung seiner Pflicht zu veranlassen. Ob die Vertagung angebracht oder ob es nicht vorzuziehen ist, insbesondere wenn sich der Angeklagte in Haft befindet, unter Verzicht auf das verweigerte Zeugnis das Urteil zu erlassen, muß nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und der mutmaßlichen Wichtigkeit des verweigerten Zeugnisses oder Eides beurteilt werden. Die Frage steht in keiner unmittelbaren Beziehung zu dem lediglich die rechtliche Stellung des Zeugen behandelnden § 70; für den Angeklagten liegt die Sache im Fall der Zeugnisverweigerung grundsätzlich nicht anders, als wenn die Benutzung eines bestimmten Zeugnisses aus einem anderen Grunde, etwa weil der Zeuge unerreichbar ist, zur Zeit unmöglich ist.
5. Wiederholung der Maßnahmen (Absatz 4) 30
a) Allgemeines. Die Wiederholung der Maßregeln des § 70 ist nicht mehr zulässig, wenn sie erschöpft sind. Das gilt für das Ordnungsgeld ebenso wie für die Beugehaft, führt aber bei beiden zu unterschiedlichen Folgen. 31 Ordnungsgeld darf, da in § 70 eine dem § 51 Abs. 1 Satz 4 entsprechende Vorschrift fehlt, in derselben Strafsache oder in einer anderen, die dieselbe Tat (unten Rdn. 33) zum Gegenstand hat, stets nur ein einziges Mal angeordnet werden 43 . Das Gericht darf die Anordnung auch dann nicht wiederholen, wenn die erste Anordnung nach § 161 a Abs. 2 Satz 1 von der Staatsanwaltschaft getroffen worden ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob schon der zulässige Höchstbetrag von eintausend DM festgesetzt worden ist 44 . Das Berufungsgericht darf ein Ordnungsgeld daher nur festsetzen, wenn der Zeuge die Aussage oder den Eid nicht bereits im ersten Rechtszug verweigert hatte und mit einem Ordnungsgeld belegt worden war. Das gleiche gilt für die ersatzweise Ordnungshaft. 32
Beugehaft darf wiederholt angeordnet werden; § 70 Abs. 4 verbietet nur, Beugehaft von insgesamt mehr als sechs Monaten Dauer zu verhängen 45 . Ob die bisherige Haft wegen einer Verweigerung der Aussage vor der Staatsanwaltschaft nach § 161 a Abs. 2 Satz 2 oder wegen Verweigerung einer richterlichen Vernehmung angeordnet worden war, spielt keine Rolle. Ist die Höchstdauer von sechs Monaten bereits erschöpft, so ist eine abermalige Verhängung der Zwangsmaßregel, auch in einem höheren Rechtszug oder in einem anderen Verfahren wegen derselben Tat (Rdn. 33), schlechthin unzulässig 46 . Das gilt auch, wenn das Verfahren mehrere selbständige Taten zum Gegenstand hat und der Zeuge über jede von ihnen die Aussage verweigert. Ist dagegen die Beugehaft vor Erschöpfung der zulässigen Höchstdauer, ζ. Β nach vier Monaten, aufgehoben worden, so ist die erneute Verhängung auf den übrigen Teil, also auf zwei Monate, in jedem Abschnitt des Verfahrens statthaft, wenn der Richter es für geboten hält, die Zwangsmaß43
KK-Pelchen 12; Kleinknecht/Meyer-Goßne^ 16; Eb. Schmidt 15; Peters § 42 III 2; Feisenberger 6; a. Α K M R - P a u / u s 20, der eine wiederholte Anordnung bis zum Erreichen der Höchstgrenze für zulässig hält.
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O L G Breslau G A 69 (1925) 201; Eb. Schmidt KK-Pelchen 12; Kleinknecht/Meyer-Goßner*3 Siehr DStrZ 1919 374; a . Α KMR-Pöm/«s 20. KK-Pelchen 13; Kleinknecht/Meyer-Goßner» KMR-Paulus 21; Peters § 42 III 2; Eb. Schmidt YMR-Paulus 21; Eb. Schmidt 18.
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15; 16; 16; 18.
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nähme erneut anzuwenden. Das kann er auch, wenn die Aufhebung der Beugehaft als Folge der Beendigung des Rechtszugs eingetreten ist. Auch der Berufungsrichter ist daher zur Verhängung der weiteren Beugehaft befugt, solange die Höchstdauer nicht erreicht ist 47 . Das gleiche gilt, wenn nach Aufhebung eines Urteils im Berufungs- oder Revisionsrechtszug die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den ersten Richter zurückverwiesen worden ist (§ 328 Abs. 2, § 354 Abs. 2) und das nunmehr von neuem verhandelnde Gericht die Erzwingung des Zeugnisses oder Eides für erforderlich hält. Auch bei Wiederaufnahme eines durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenen Verfahrens (§§211, 359 ff) ist die erneute Verhängung der Beugehaft zulässig. b) Identität der Tat. Die Zeugnispflicht besteht immer in bezug auf eine bestimmte 3 3 Tat. Daher soll es, wenn der Zeuge die Pflicht wiederholt verletzt, für den Umfang der gegen ihn zulässigen Maßnahmen keinen Unterschied machen, ob die spätere Weigerung in demselben oder in einem anderen Verfahren, das dieselbe Tat betrifft, erklärt wird ( § 7 0 Abs. 4). Die Zeugnis- oder Eidesverweigerung wegen derselben Tat gilt immer als ein einziger Ungehorsamsfall ohne Rücksicht darauf, wieviele Verfahren wegen dieser Tat anhängig sind 48 . Der Begriff „dieselbe Tat" ist nicht in sachlichrechtlichem (§ 52 StGB), sondern wie in § 264 in verfahrensrechtlichem Sinn zu verstehen 49 . Es muß sich um denselben Straffall handeln (vgl. die Erl. zu § 264). Auf die strafrechtliche Bezeichnung der Handlung, auf die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme und auf die Person des Beschuldigten kommt es nicht an. Auch in einem neuen Verfahren, das denselben Straffall betrifft, aber gegen einen anderen Beschuldigten gerichtet ist, gilt daher das Wiederholungsverbot. Denn der Umfang der gegen den Zeugen gerichteten Maßnahmen kann nicht davon abhängen, ob die mehreren Tatbeteiligten in einem oder in mehreren Verfahren verfolgt werden. Wenn verbundene Sachen später getrennt werden, ist für die Anwendung des § 70 Abs. 4 maßgebend, ob die Maßregeln wegen der in Frage stehenden Straftat bereits angewendet gewesen sind. Die Trennung darf nicht etwa dazu benutzt werden, die Vorschrift des § 70 Abs. 4 zu umgehen. Bei alldem ist es ohne Bedeutung, ob die Beweisfrage, zu der der Zeuge gehört werden soll, in dem neuen Verfahren eine andere ist als in dem früheren Verfahren und ob der Zeuge nunmehr zwar aussagt, aber den Eid verweigert.
IV. Verfahren 1. Zuständigkeit. Den Beschluß Uber die Ordnungsmittel und die Beugehaft erläßt der 3 4 Richter, vor dem der Zeuge die Aussage oder den Eid verweigert hat. In der Hauptverhandlung wirken die Schöffen mit (§ 30 Abs. 1, § 77 Abs. 1 GVG). Die Zuständigkeit geht, wenn das Verfahren nach Abschluß eines Verfahrensabschnitts in einen anderen tritt, von dem Richter des früheren auf den des späteren Abschnitts über. Zuständig ist auch der Richter im Vorverfahren und, nach Erhebung der Anklage, der beauftragte oder ersuchte Richter (§ 70 Abs. 3). Hierfür gelten folgende Besonderheiten: Im Vorverfahren ist es Sache der Staatsanwaltschaft, die Bedeutung der Aussage oder 3 5 des Eides für die Ermittlungen zu beurteilen; denn sie führt die Ermittlungen und hat deren ordnungsmäßige Durchführung zu verantworten. Der Ermittlungsrichter hat daher die Staatsanwaltschaft zu hören, bevor er die Maßnahmen des § 70 verhängt. Die Beuge-
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haft muß aufgehoben werden, wenn die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Vernehmung des Zeugen zurücknimmt50. 36 Der ersuchte Richter ist befugt, aber ohne besondere Weisung des ersuchenden Gerichts51 nicht verpflichtet, gegen den Zeugen sogleich nach § 70 Abs. 1 und 2 zu verfahren. Ob er von dieser Befugnis Gebrauch macht, unterliegt seinem Ermessen52. Er kann auch die Entscheidung des ersuchenden Gerichts über die Berechtigung des Verweigerungsgrundes einholen und die etwa zu ergreifenden Maßnahmen diesem Gericht überlassen. Oft wird er selbst gar nicht übersehen können, wie wichtig die Aussage für das Verfahren ist. Die Entscheidung des ersuchten Richters ist immer nur vorläufig 53 . Er hat das ersuchende Gericht über die Sachlage in Kenntnis zu setzen, und dieses Gericht muß über die Berechtigung des Weigerungsgrundes endgültig entscheiden. Es kann gegebenenfalls wegen der zu verhängenden Maßregel ein weiteres Ersuchen stellen. Die Höhe des etwa festzusetzenden Ordnungsgeldes wird es dem Ermessen des ersuchten Richters überlassen, der aber im übrigen an die Entscheidung des ersuchenden Gerichts gebunden ist. Er muß insbesondere Beugehaft innerhalb der gesetzlich zulässigen Grenze so lange aufrechterhalten, wie es das ersuchende Gericht verlangt54. Für den beauftragten Richter gilt das entsprechend. 37
2. Gerichtsbeschluß. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Ein Antrag ist nicht erforderlich. Vor der Entscheidung ist die Staatsanwaltschaft zu hören, sofern ihr Vertreter bei der Vernehmung anwesend ist (Kleinknecht/Meyer-Goßnet 43 17). Auch dem Zeugen muß rechtliches Gehör gewährt werden. Dabei muß er auf die Grundlosigkeit seiner Weigerung und auf die nach § 70 möglichen Folgen hingewiesen, und es muß ihm Gelegenheit gegeben werden, sich nochmals zu äußern55.
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3. Abänderung. Der Ordnungsgeldbeschluß wird nicht deshalb wieder aufgehoben, weil der Zeuge nachträglich aussagt oder schwört oder weil seine Aussage entbehrlich wird, etwa weil alle Prozeßbeteiligten auf sie verzichten56. Ebensowenig ist eine nachträgliche Entschuldigung seines Ungehorsams von Bedeutung (KMR-Paulus 26). Zur Einstellung wegen Geringfügigkeit vgl. § 51,20 (Dahs NStZ 1983 184). Stellt das Gericht nachträglich fest, daß die Weigerung berechtigt war, so hat es den Ordnungsgeldbeschluß von Amts wegen wieder aufzuheben 57 . Zur Aufhebung der Beugehaft vgl. Rdn. 20 ff.
V. Vollstreckung 39
Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, den Beschluß Uber die Ordnungsmittel zu vollstrecken (vgl. BGH MDR 1989 656). Die Geschäfte sind nach § 31 Abs. 2 und 3 RpflG dem Rechtspfleger übertragen. Das Ordnungsgeld wird nach den Vorschriften der Justizbeitreibungsordnung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 JBeitrO) und der Einforderungs- und Beitreibungsordnung vom 20. 11. 1974 beigetrieben. Zur Vollstrekkung der Erzwingungshaft gegen einen Zeugen, der im vorbereitenden Verfahren vor der Staatsanwaltschaft aussagen soll, ist nicht der Ermittlungsrichter, sondern die Staatsanwaltschaft 50
KK-Pelchen 10; KMR-Paulus 25; a. A HK-Lemke 10. 51 Kleinknecht/Meyer-Goßner« 17; K M R - / W u j 25. 52 OLG Dresden LZ 1927 1169; KMR-Pau/uj 25. 53 KK-Pelchen 11; Eb. Schmidt 21. 54 Eb. Schmidt 21.
55 BGHSt 28 259; KK-Pelchen 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner" 18; KMR-Paulus 24; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 6. 5« Kleinknecht/Meyer-Goßner» 18; KMR-Paulus 26; Eb. Schmidt 15. 57 Kleinknecht/Meyer-Goßner« 18; KMR-Paulus 26; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 2; Kurth NStZ 1983 328.
Stand: 1.5. 1998
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§ 70
zuständig; der inhaftierte Zeuge kann jedoch entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 jederzeit den Ermittlungsrichter anrufen (BGHSt 36 155). Die Vollstreckung der Beugehaft ist Sache des Gerichts (vgl. § 36, 26). Einzelheiten regelt § 88 StrVollstrO. Die Beugehaft wird unter denselben Beschränkungen vollzogen, die für die Untersuchungshaft gelten58. Wird sie in Unterbrechung von Untersuchungshaft vollstreckt, so bleiben die Beschränkungen bestehen, die der Haftrichter angeordnet hatte. Die Kosten der Vollstreckung hat der Zeuge zu tragen.
VI. Anfechtung Die Staatsanwaltschaft und der Zeuge können den Gerichtsbeschluß mit der einfachen 40 Beschwerde nach § 304 Abs. 1 und 2 anfechten. Bei Beschlüssen eines Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs oder eines Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist jedoch zu unterscheiden: Nicht zulässig ist die Beschwerde gegen die Anordung eines Ordnungsgeldes, da nach § 304 Abs. 5 die Beschwerde nur zulässig ist, wenn sie eine Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Beschlagnahme oder Durchsuchung zum Gegenstand hat (BGH NStZ 1994 198 mit weit. Nachw.). Auch die Ersatzordnungshaft nach § 70 Abs. 1 Satz 2 wird von § 304 Abs. 5 nicht erfaßt; sie hat keine „Verhaftung" zum Inhalt, sondern ist nur eine an die Bedingung der Nichtbeitreibbarkeit geknüpfte Folge der das Ordnungsgeld betreffenden Entscheidung (BGH aaO; Rdn. 17). Etwas anderes gilt für die Beschwerde bei Anordung der Erzwingungshaft nach § 70 Abs. 2, die als „echte" Verhaftung angesehen wird59. Andere Prozeßbeteiligte könnten den Gerichtsbeschluß selbst dann nicht anfechten, wenn er Ordnungsmittel oder Beugehaft ablehnt oder den Beschluß hierüber wieder aufhebt; denn das berührt ihre Rechte nicht (Rdn. 41). Anfechtungsberechtigt ist aber der Angeklagte, wenn die Auferlegung der Kosten abgelehnt oder der Beschluß insoweit aufgehoben wird (Kleinknecht/Meyer-Goßner43 20). Ist der Ordnungsgeldbeschluß von dem ersuchten Richter aufgrund eines Ersuchens des ersuchenden Gerichts erlassen worden, so entscheidet über die Beschwerde das ersuchende Gericht60. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 307 Abs. 1). Eine weitere Beschwerde nach § 310 ist mit Ausnahme für Anordnung der Beugehaft (wie bei § 304 Abs. 5 ist auch bei § 310 Abs. 1 die Erzwingungshaft nach § 70 Abs. 2 als „Verhaftung" anzusehen)61 unzulässig62. Vgl. im übrigen § 51, 27 ff.
VII. Revision Die Verhängung der Ordnungsmittel und die Anordnung der Beugehaft berühren nur 41 das Verhältnis des Gerichts zu dem Zeugen und nicht die Rechte der Beteiligten. Insbesondere hat der Angeklagte kein Recht darauf, daß die Maßnahmen des § 70 angewendet werden63. Die Revision kann daher weder darauf gestützt werden, daß Ordnungsmittel und Beugehaft angeordnet worden64, noch daß diese Maßnahmen unterblieben sind65.
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62
Eb. Schmidt 16. BGHSt 36 192 mit Anm. Wedel MDR 1990 786 unter Aufgabe von BGHSt 30 52; vgl. auch NStZ 1994 198. BayObLG DJZ 1934 82. OLG Hamm - 3 Ws 539/91 - vom 17. 12. 1991 für § 96 OWiG; vgl. auch BGH NStZ 1994 198 mit weit. Nachw.; a. Α Kleinknecht/Meyer-Goßner20. BayObLGSt 7 297; Kleinknecht/Meyer-Goßner·» 20; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 6; zur Geltung des
(271)
Verbots der reformatio in peius vgl. Gössel § 36 Β II. 63 BGH NJW 1966 211; RGSt 57 29 = JW 1922 1393 mit Anm. Alsberg-, RGSt 59 250; OLG Dresden JW 1931 238 mit Anm. Mannheim. 64 RGSt 73 34. « BGH GA 1968 307; BGH v. 26. 7. 1983 - 5 StR 310/83 - unv.; BGH v. 10. 4. 1984 - 5 StR 165/94 unv. 1984 - 5 StR 165/84 - unv.; RGSt 25 134; 36 92; 57 29 = JW 1922 1393 mit Anm. Alsberg;
Hans Dahs
§71
Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften
Allenfalls kann die Aufklärungsrüge erhoben und geltend gemacht werden, daß die Möglichkeiten des § 70 nicht ausgeschöpft worden sind 66 . 42 Ein Revisionsgrund besteht, wenn der Zeuge nach § 70 zur Aussage oder zum Eid gezwungen worden ist, obwohl das unzulässig war (vgl. oben Rdn. 3). Die Revision ist aber nur begründet, wenn das Urteil auf der Aussage oder auf dem Umstand, daß sie beeidet worden ist, beruht 67 .
VIII. Abgeordnete 43
Der Schutz des Art. 46 Abs. 2 und 3 GG steht dem Abgeordneten nicht gegen die Verhängung des Ordnungsgeldes, der Ordnungshaft und der Beugehaft zu, sondern nur gegen die Vollstreckung der freiheitsentziehenden Maßnahmen 68 .
IX. Entschädigung 44
Hat der Zeuge zu Unrecht Erzwingungshaft (§ 70 Abs. 2) erlitten, so finden die Vorschriften des StrEG vom 8. 3. 1971 (BGBl. I S. 157) auf Entschädigungsansprüche des Zeugen weder unmittelbar noch mittelbar Anwendung. Möglich ist jedoch eine Entschädigung entweder nach Art. 5 Abs. 5 MRK oder nach Maßgabe des allgemeinen Aufopferungsanspruchs (BGH NJW 1990 397).
§71 Der Zeuge wird nach dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen entschädigt. Schrifttum. Bleutge Kommentar zum Z u S E G (1992); Brocke-Reese Die Entschädigung von Zeugen, Sachverständigen und ehrenamtlichen Richtern, 2. Aufl. (1964); Lauterbach/Hartmann Kostengesetze (1994), Meyer/Höver Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (1992).
Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift lautete ursprünglich: „Jeder von dem Richter oder der Staatsanwaltschaft geladene Zeuge hat nach Maßgabe der Gebührenordnung Anspruch auf Entschädigung aus der Staatskasse für Zeitversäumnis und, wenn sein Erscheinen eine Reise erforderlich macht, auf Erstattung der Kosten, welche durch die Reise und den Aufenthalt am Ort der Vernehmung verursacht werden." Die geltende Fassung beruht auf Art. X § 8 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26. 7. 1957 (BGBl. I 861). 1 Das Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen, auf das die Vorschrift verweist, gilt jetzt in der Fassung vom 1. 10. 1969 (BGBl. I 1757), zuletzt geändert durch Art. 9 OrgKG vom 15. 7. 1992 (BGBl. 1 1302). Es gilt für die vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft geladenen Zeugen (§ 1 ZuSEG). Bei polizeilichen Vernehmungen werden die Zeugen nach einigen landesrechtlichen Bestimmungen ebenfalls nach RGSt 73 34; RG JW 1890 270; 1910 202; RG HRR 1935 706; OLG Dresden JW 1931 238 mit Anm. Mannheim; OLG Koblenz NJW 1952 278; KKPelchen 17; Kleinknecht/Meyer-Goßner» 21; KMR-Paulus 29; Eb. Schmidt 8; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 6; Dahs/Dahs 272.
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BGH GA 1968 307; bei Martin DAR 1970 124; BGH v. 10. 4. 1 9 8 4 - 5 StR 165/84 unv.; KK-Pelchen 17; Kleinknecht/Meyer-Goßner« 21; KMRPaulus 29. OLG Koblenz OLGSt § 70 S. 2. Kleinknecht/Meyer-Goßner« 22; Eb. Schmidt § 49, 5; Bockelmann (LV zu § 152 a) 60.
Stand: 1. 5. 1998
(272)
Sechster Abschnitt. Zeugen
§71
dem ZuSEG entschädigt1. Für die von dem Angeklagten in der Hauptverhandiung selbst geladenen Zeugen und Sachverständigen gilt § 220 Abs. 2 und 3. Nicht entsprechend anwendbar ist das ZuSEG für die von einem Kreditinstitut zur Abwendung einer Beschlagnahme aufgewandten Personal- und Sachkosten für das Heraussuchen und Ablichten von Unterlagen (str.)2. Etwas anderes kann bei über die Herausgabepflicht hinausgehenden Leistungen wie Erstellen von Listen, Einholen von Auskünften und Auswerten von Buchungsunterlagen gelten 3 . Der Zeuge kann, nachdem er seinen Zeugenpflichten (Vor 48, 6 ff.) nachgekommen 2 ist, eine Entschädigung für seinen Verdienstausfall (§ 2 ZuSEG), die notwendigen Fahrtkosten (§ 9 ZuSEG), eine Aufwandsentschädigung (§ 10 ZuSEG) sowie Ersatz für sonstige Aufwendungen wie ζ. Β Kosten einer notwendigen Vertretung oder Begleitperson (§ 11 ZuSEG) erhalten. Mittellosen Zeugen wird auf Antrag ein Vorschuß auf ihre zu tätigenden Auslagen bzw. Aufwendungen gewährt (§ 14 ZuSEG). Zu den Kosten eines anwaltlichen Rechtsbeistandes vgl. Vor 48, 10 ff u. § 68 b. Im übrigen ist wegen der Einzelheiten der Entschädigung auf die Kommentierung zum ZuSEG bei Hartmann, Kostengesetze (1994), Meyer/Höver (1992) und Bleutge (1992) zu verweisen. Bei polizeilicher Vernehmung richtet sich die Entschädigung nach Landesrecht, das 3 jedoch in den meisten Fällen auf das ZuSEG Bezug nimmt (ζ. Β § 10 Abs. 5 PolGNW; 14 Abs. 5 NdsSOG; 12 Abs. 5 PVG Rhl-Pf). Findet sich keine landesrechtliche Verweisung, so ist das ZuSEntschG zumindest in den Fällen anzuwenden, in denen die Polizei den Zeugen im Auftrage der StA zu Beweiszwecken herangezogen hat4. Für die Vernehmung durch die Finanzbehörden gilt § 405 AO, der ebenfalls auf das ZuSEG verweist.
1
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Vgl. §§ 11 Abs. 5 MEPolG; 17 Abs. 4 ASOG Bin; 12 Abs. 4 BremPolG; 11 Abs. 5 PolGNW; 14 Abs. 5 Nds. SOG; 12 Abs. 5 PVG Rheinl.-Pfalz. BGH NStZ 1982 118; OLG Frankfurt NJW 1981 1682; OLG Karlsruhe Justiz 1982 169; OLG München JurBüro 1979 1337; OLG Bamberg JurBüro 1979 1685 mit zust. Anm. MUmmler; OLG Schleswig JurBüro 1978 1368; OLG Bremen NJW 1976 685; LG München I NStZ 1981 107; LG Traunstein JurBüro 1979 573; LG Bochum Betrieb 1979 2080;
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1 4
Hans Dahs
a. Α OLG Hamburg NStZ 1981 107; OLG Frankfurt W M 1979 1135; OLG Düsseldorf MDR 1978 781; LG Düsseldorf Jur Büro 198« 417; LG Nürnberg-Fürth JurBüro 1980 417; LG Bochum Betrieb 1980 875; LG Coburg MDR 1979 1046; AG Diepholz MDR 1979 1043 (LS) = WM 1979 903. OLG Hamm MDR 1980 604. Ansonsten str., vgl. Eisenberg (Beweisrecht) 1234 mit weit. Nachw.