Luhmanns Schatten: Zur Funktion der Philosophie in der medialen Moderne 9783787329991, 9783787340965

Was Claus-Artur Scheier in diesem Buch unternimmt, ist nicht weniger als der Entwurf einer Philosophie der Moderne im Ze

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German Pages 173 [175] Year 2016

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Luhmanns Schatten: Zur Funktion der Philosophie in der medialen Moderne
 9783787329991, 9783787340965

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Claus-Artur Scheier

Luhmanns Schatten Zur Funktion der Philosophie in der medialen Moderne

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2998-4 ISBN eBook: 978-3-7873-2999-1

© Felix Meiner Verlag Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspei­cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Bookfactory, Bad Münder. Werkdruck­ papier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

Inhalt Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Postmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Der Zeitpfeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Sein und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Funktion und Menge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Umkehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Aporie und Krypta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Normalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Kohärente Deformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Systemtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Systemtheorie und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Die Leitdifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Die formale Leitdifferenz und die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Das Möglichkeitsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Differenz und Identifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Als-Struktur I: Bezeichnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Funktionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Selbstreferenz I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Supplement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Selbstreferenz II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Basale Selbstreferenz, Reflexivität, Reflexion . . . . . . . . . . . . . . 74 Sinndimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Differenzlose Begriffe: Sinn, Realität, Welt, Grund . . . . . . . . . 82 Als-Struktur II: Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachsystem und Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Referent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phänomenologische, existenziale und strukturale Epoché . . .

89 91 93 96 100

Das Sinnfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem . . . . . . . . . . 104 Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oszillation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

106 113 117 121 123

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

6  |  Inhalt

Siglen und Abkürzungen Luhmann ES Einführung in die Systemtheorie GG Die Gesellschaft der Gesellschaft L vor Jahreszahl Luhmann + Erscheinungsjahr RG Die Religion der Gesellschaft SS Soziale Systeme WG Die Wissenschaft der Gesellschaft WP Die neuzeitlichen Wissenschaften und die Phänomenologie Andere Autoren Hei vor Jahreszahl Heidegger + Erscheinungsjahr KdrV Kant: Kritik der reinen Vernunft T Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus m. H. o. H.

meine Hervorhebung(en) ohne die Hervorhebung(en)

  |  7

Das Wesen des Satzes angeben, heißt, das Wesen aller Beschreibung angeben, also das Wesen der Welt. (Wittgenstein)

D  

Einleitung

ie Theorie selbstreferenzieller Systeme von Niklas Luhmann (1927–1998) ist kein philosophischer Glücksfall, aber ein Glücksfall für die Philosophie. Als »Supertheorie« mit universalistischen Ansprüchen darf sie als erste umfassende Bestandaufnahme der medialen Moderne gelten. »Mediale Moderne« soll die Moderne heißen, die ihrer condition postmoderne entwachsen ist und mit deren kaleidoskopischen ›Post-‹s, Paradoxien und Aporien umzugehen gelernt hat. »Medial« ist sie auch als logische Struktur, in der die eine ontologische Differenz ihrer Vorgängerin, der industriellen Moderne, transformiert ist ins Differenzfeld. Von der ontologischen Differenz her begriff die industrielle Moderne ihre geschichtliche Differenz zur klassischen Tradition, namentlich zur Metaphysik. Der Rückzug aus den älteren und neueren theoretischen Brückenköpfen in die wie auch immer solide philosophische Praxis dürfte letztlich keine zureichende Antwort sein auf das stehende Angebot der dezidiert poststrukturalistischen Theorie sozialer Systeme, die philosophische Domäne hinfort »mitzubetreuen«. Denn spätestens Die Wissenschaft der Gesellschaft (1990) macht unmißverständlich deutlich, daß Luhmann die Philosophie, wenn überhaupt, nur sehr beschränkt für »anschlußfähig« hielt. Die Philosophie wiederum hätte kaum Gründe, sich einem operativen Konstruktivismus zu verpflichten, dessen Status innerhalb der scientific community nach wie vor umstritten und dessen Axiomatik nicht geklärt ist. Die Frage hingegen, wie es umgekehrt mit der Anschlußfähigkeit der »funktionalistischen« Systemtheorie an die Philosophie steht, ist von keinem geringen Interesse, einerseits für die Philosophie, anderseits gegen Luhmanns eigene Intention für die Theorie selber. (1) Für die Philosophie, weil das subtile Funktionsgefüge dieser allgemeinen Theorie die scheinbar inkompatiblen Stränge philosophischen Denkens im 20. Jahrhundert (Phänomenologie, sprachanalytische Philosophie, Existenzialismus, Seinsdenken,   |  9

Strukturalismus und Dekonstruktivismus) auf erstaunliche Weise bündelt und zu einem neu belastbaren Knoten verschlingt, der ihre vormalige Tragkraft auch unter den Bedingungen der medialen Moderne unter Beweis zu stellen vermag. (2) Von Interesse aber auch für die Theorie selbstreferenzieller Systeme, weil sie das revolutionäre Konzept, kraft dessen sie sich die Auflösung der Probleme der älteren Systemtheorien wie des weiteren der Philosophie in toto versprach, schon als einen Knoten importiert hatte, den selber zu lösen oder durchzuhauen Luhmann ironischerweise verzagte. Selbstreferenz, Reflexion, Wahrheit sind eigenste Themen der Philosophie – welch andre Disziplin könnte für ihre Formfragen einstehen? Es sei denn operational. Aber die Antwort, daß die Antworten nur operational möglich seien, wäre dogmatisch. Und Dogmatismus ist ein Modus von Operationalität, der dem Autor der Soziologischen Aufklärung (1970–1995, 6 Bände) ersichtlicherweise nicht zu unterstellen ist. Operationen generieren zwar Strukturen, aber nur aufgrund von Strukturen, die die geschichtlichen Bedingungen ihrer Möglichkeit sind. Im Schwung der poststrukturalistisch freigesetzten Operationalität tendierte die autopoie­ tische Theorie der Selbstorganisation dagegen zur Verschattung (»Invisibilisierung«) nicht nur ihrer Paradoxien, sondern auch ih­ rer Strukturen. In George Spencer Browns Laws of Form (1969) glaubte sie die »wohl einfachste und eleganteste Behandlung« des Paradoxieproblems gefunden zu haben, mithin des Problems der Selbstreferenz überhaupt. Diese operative Logik mag elegant sein, einfach ist sie nicht und trotzte Luhmanns hartnäckigen Bemühungen, sie im Kern zu verstehen. Zuletzt rührt dies daher, daß schon ihre initiale Injunktion »Draw a distinction«, umstandslos beherzigt, die systemtheoretische Leitdifferenz desavouiert. Ist es Ernst mit der »Differenz von Identität und Differenz«, dann postuliert die Leitdifferenz ein unhintergehbares Differenzfeld (das moderne Analogon zu Hegels absoluter Negativität). Luhmanns Lesart der Laws of Form suggeriert stattdessen ein ursprüngliches Indifferenzfeld, in dem jede Operation zur »Verletzung der Welt« gerät. Die basale Operation ist aber nicht »Unterscheiden-und-Bezeichnen«, sondern Bezeichnen. Das Unterscheiden ist schon Resultat des reflektierenden Bezeichnens (»re-entry«). Das Bezeichnen wird nämlich provoziert von einer 10  |  Einleitung 

Information, und diese, nicht die Operation, ist der »Unterschied, der einen Unterschied macht« (Gregory Bateson). Die Selbstreferenz setzt allemal diese Fremdreferenz voraus. Ein Ereignis, näher dessen Spur, wird bezeichnet als bezeichnet (»crossing«) und zeigt sich damit als unterschieden, d. h. als Identität. Der Leitdifferenz zufolge ist Identität stets Produkt einer informationsidentifizierenden Operation und damit ein Supplement (Jacques Derrida). Die strukturale Behandlung des Paradoxieproblems wird mithin die Laws of Form verabschieden (Occam’s razor) und die ganze Theorie selbstreferenzieller Systeme konsequent funktional rekonstruieren, dies durchaus im Sinn Luhmanns. Das verlangt jedoch, den von ihm nur soziologisch ins Auge gefaßten Begriff der Funktion logisch einzuführen und philosophisch zu erweitern. Hierfür ist es tunlich, (1) die moderne Logik der Funktion geschichtlich zu unterscheiden von der klassischen Logik der Copula (der Logik des »alten Europa«) wie (2) die supplementäre Logik der medialen Moderne von der rein funktionalen Logik der industriellen Moderne (auf deren ontologisches Defizit schon Wittgensteins Tractatus aufmerksam gemacht hatte). Dieser geschichtlichen Orientierung sind die ersten zehn Kapitel gewidmet (S. 3–23). Die folgenden fünfzehn Kapitel (S. 24–70) sichten die für die formale Grundlegung der Theorie der Selbstreferenzialität konstitutiven Begriffe wie System und Umwelt, basale Selbstreferenz, Reflexivität, Reflexion, Sach-, Zeit- und Sozialdimension sowie die zentrierenden »differenzlosen Begriffe« Grund, Welt, Realität, Sinn. Das Ergebnis sind funktionale Reihen, in denen das systemtheoretisch konzipierte System sich ebenso übersichtlich wie vollständig darstellt. Das auf dem Grund des Differenzfelds funktionslogisch allein aus der Bezeichnungsfunktion rekonstruierte selbstreferenzielle System erweist sich als strukturidentisch (1) mit dem modernen Zeichenbegriff Ferdinand de Saussures, den die anschließenden fünf Kapitel auslegen (S. 70–79), sowie (2) mit dem phänomenologisch reduzierten Bewußtsein in seiner Sartreschen Transformation zum existenzialen Erlebnisfeld. Strukturell ist das intentionale Bewußtsein nichts anderes als das Fürsichsein ebenso des strukturalistisch gedachten Zeichens wie des systemtheoretisch konstituierten Sinnsystems. Diese fürsichseiende Differenz exponieren die beiden Kapitel über das Sinnfeld und das Kommunikations- und Einleitung  |  11

Bewußtseinssystem (S. 82–86). Sie lassen sehen, daß Luhmanns Entscheidung, die fürsichseienden Träger des Kommunikationssystems mit »psychischen Systemen« zu identifizieren, zwar soziologisch handhabbar sein mag, philosophisch aber nicht Stich hält. Das Sinnkorrelat des globalen Kommunikationssystems ist das (immer schon individuierte) Bewußtseinssystem. Termini mit dem Präfix post- (wie poststrukturalistisch) deuten zumindest an, daß Herkunft nicht zu löschen, sondern fruchtbar zu machen ist. Die Identifikation der individuierten Sinnsysteme mit psychischen Systemen delegitimiert das existenzialistische Denken des 20. Jahrhunderts, das der medialen Struktur von Selbstreferenzialität gleichwohl unabdingbar ist. Die abschließenden fünf Kapitel über Zeit, Widerspruch, Oszillation, Existenz und Spiel (S. 86–104) skizzieren darum die postexistenzialistischexistenziale Dimension der Theorie selbstreferenzieller Systeme – einen, wenn man so will, medialen Existenzialismus.

D  

Orientierung

ie Formeln der Moderne, Zeichenreihen1 als Sedimente strukturalistischer Tätigkeit, 2 haben die Begriffe, Urteile und Schlüsse des alten Europa abgelöst und mit ihnen den Primat der Copula. Das »Verhältniswörtchen ist«3 machte sein Testament als Hegels Wissenschaft der Logik: »Alles Vernünftige ist ein Schluß.«4 Die Moderne schließt nicht, sie denkt funktional, wiewohl nicht sogleich in Systemen. Die Tendenz manifestierte sich erst im Kontext der militärischen, ökonomischen und logistischen Probleme des Ersten Weltkriegs. 5 Der Salto mortale der industriellen Moderne wurde abgefedert vom medialen Netz, 6 dessen rapide Proliferation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für Medialität in jedem Sinn sensibilisierte, für das strukturale Feld als den geschicht­ lichen Ort der Moderne überhaupt. Medialität transformierte nicht nur den ontotheologischen Terminus medius, die Copula als den logischen Grund des klassischen Denkens, sie disseminierte7 auch die eigne ontologische Differenz. In deren unüberschaubarer Facettierung begegnet der Mensch sich selbst als Beobachter unter Beobachtern. 8 12  |  Orientierung 

Für die »Wissensgesellschaft« sind all diese Facetten längst ebenso viele Gegenstände der Soziologien, Ästhetiken, Medienwissenschaften usw.9 Nichts wird unberücksichtigt bleiben, obschon manches vergessen werden. Und selbstverständlich nehmen die Medienwissenschaften sich der Medien mit höherer Kompetenz an als die Philosophie, die in bezug auf Gegenstände ohnehin immer zu spät käme. Denn die modernen Wissenschaften sind hinsichtlich möglicher wissenschaftlicher Gegenstandsbereiche in ihrer Gesamtheit nicht nur allumfassend, sondern auch unvergleichlich schnell (nur die Massenmedien sind schneller)10 . Anders steht es mit der Gegenständlichkeit dieser Gegenstände und Gegenstandsbereiche. Sie wird von den Wissenschaften notwendig vorausgesetzt, die anders gar nicht anfangen könnten: Es gibt sie, sie sind nur unzureichend verstanden, d. h. unzureichend beschrieben und also problematisch, mithin Desiderate der Forschung. Das genügt, es orientiert auch, aber es orientiert noch nicht über die spezifische Art der Orientierung, die wir unsre Gegenwart nennen. Es geht uns wie den Tauben auf dem Postkartenfoto vom Markusplatz: In Menge stürzten sie sich auf das listig gestreute Futter, dessen Spur wohl abzugehen, aber nicht zu überblicken gewesen wäre – erst die beschäftigten Vögel konfigurierten den Schriftzug ›Coca-Cola‹,11 lesbar von hoch oben, ob Campanile, ob Flugzeug.12 Die sýnopsis,13 das Zusammensehen, wird möglich dank der Warte, der skopiá14 oder specula der philosophischen Tradition, in der noch Kant von spekulativer Philosophie spricht. Die andre Tradition schreibt sich her von speculum, Spiegel.15 Sie vollendet den Gedanken der specula als die ausgehaltene Paradoxie der Reflexivität – als die sich in sich transzendierende Transzendenz (RG 77). Daran hat die Philosophie ihre Bewegung, durch sie hindurch ihre Sache und Geschichte. In seiner Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse unterscheidet Hegel am Logischen (als an der Sache der Logik) der Form nach die abstrakte oder verständige Seite, dann die dialektische oder negativ-vernünftige und schließlich die spekulative oder positiv-vernünftige16 und erläutert: »Das Speculative oder Positiv-Vernünftige faßt die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung auf, das Affirmative, das in ihrer Auflösung und ihrem Uebergehen enthalten ist.«17 Das ist noch auf dem BoOrientierung  |  13

den des vormodernen Denkens gesagt, der Metaphysik. Aber eben weil es für die Metaphysik endgültig gesagt ist, kann die Moderne sich für ihre eigne Gegenwart unterscheidend daran orientieren. Vier Jahrzehnte zuvor (1786) hatte Kant einen Aufsatz veröffentlicht mit dem prägnanten Titel Was heißt: Sich im Denken orientieren? Kant ist auch die exemplarische Formulierung von drei im doppelten Sinn spekulativ-orientierenden Fragen zu verdanken: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?18 Kann  – Soll  – Darf: Für diese Fragen und ihre Reihe gilt nicht minder, daß die Antworten heute notwendigerweise anders ausfallen als im 18. Jahrhundert, während die Fragen orientierend bleiben. Allerdings wie? Und inwiefern notwendigerweise anders? Was hat sich ereignet seit Kants Philosophie in weltbürgerlicher Bedeutung19 und Hegels spekulativem Wissen? Zu tun ist es um eine Philosophie der medialen Moderne im Sinn des Genitivus subjectivus wie objectivus. Der Blick auf das geschichtliche Phänomen-Agglomerat ›mediale Moderne‹ dokumentiert sich in Gestalt von Kartographien, Nach- und Vorzeichnungen des Musters oder der Struktur, die all diese Phänomene wo nicht eint, so doch charakterisiert. Diese philosophische Lineatur wäre vielleicht gar nicht zu entdecken oder bliebe durchaus hypothetisch, wäre sie nicht, in der Nachbarschaft Michel Foucaults, ›archäologisch‹ nachzuzeichnen als Genese der medialen Moderne aus der Unruhe ihrer Vorgängerin, der industriellen Moderne, und wo nötig noch weiter zurück im europäischen Denken überhaupt aus den griechischen Anfängen von Wissenschaft. Wenn Hegels Einsicht stichhält, jede Philosophie (ihrem »Weltbegriff« nach)20 sei »ihre Zeit in Gedanken erfaßt«, 21 dann wird die Philosophie, die die mediale Moderne zu ihrer Sache macht, auch im Sinn des Genitivus subjectivus eine Philosophie der medialen Moderne sein: eine Philosophie der Gegenwart als die Gegenwart der Philosophie in ihr. Ihre Gesellschaft mag »Netzwerkgesellschaft« heißen oder auch »nächste« Gesellschaft, 22 allgemein bekannt ist sie sich seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts als »Postmoderne«.

14  |  O rientierung 

J 

Postmoderne

ean-François Lyotard hatte guten Grund, seinen »Bericht über das Wissen« La condition postmoderne zu nennen.23 Ohne die Hypothesen zu häufen, konnte die Umorientierung des institutionalisierten Wissens im Sog der sich formierenden Informationsgesellschaft 1979 nur beschrieben werden in Differenz zur nächsten geschichtlichen Herkunft. Inzwischen mag es scheinen, als erweise unsre Moderne dieser ihrer Herkunft ein wenig zu viel der Ehre, wenn sie, sich ostentativ das Präfix vorhaltend, als Kind der Moderne schlechtweg gebärdet. Schließlich ist ihre Mutter auch nur ein Modus der Moderne, nämlich die industrielle Moderne. Dreißig Jahre nach Lyotards hellsichtigem Rapport ist unsre eigne Gegenwart als avancierter Modus (noch mitten in einer weiterhin stürmisch zu nennenden Entwicklung) ihrer glücklichen Kindheit immerhin derart entwachsen, daß sie weiß, woran sie ist  – nämlich dabei, als mediale Moderne längst alle Verfahrens- und Denkweisen der industriellen Moderne von Grund auf zu transfor­mieren. Das Kompendium Kulturgeschichte24 unterscheidet drei Diskussionsbereiche des Begriffs Postmoderne, nämlich 1. Kunst, Architektur und Literatur, 2. Gesellschafts- und Sozialtheorien und 3. die akademisch verfaßte Wissensproduktion. Im ersten Bereich werde »die Sehnsucht nach dem Ganzen und Großen verdächtig; an die Stelle künstlerischer Einheitsversionen und Weltdeutungsangebote tritt die Freude an der Vielfältigkeit, programmatisch bleibt nur noch das Programm radikaler Pluralität. Abgedankt werden alle elitären Kunstutopien ›hoher‹ Kunst und künstlerischer Avantgarde; die bisherigen Grenzen zur Populärkultur werden geöffnet. Bevorzugte Stilmittel sind das Mischen von Stilformen und künstlerischen Zitaten, das Spiel mit der Lust am Unerwarteten und die Intensivierung und Vervielfältigung ästhetischer Fiktionen und Inszenierungspraktiken«.25 Bürgerlicher geben sich die Gesellschafts- und Sozialtheorien: »Die meisten ›postmodernen‹ Positionen wollen die ›Moderne‹ weder nach ›vorwärts‹ noch nach ›rückwärts‹ verlassen; sie wollen vielmehr die in ihr entfalteten Realitäten – sozialer und wirtschaftlicher, technischer und politischer Art – und ihre Visionen humanisieren, vervielfältigen Postmoderne  |  15

und im ganzen etwas bescheidener und verantwortungsbewußter gestalten.«26 Läßt der erste Bereich bei allem Entlastungs- und Unterhaltungspotenzial eine gewisse Orientierungslosigkeit spüren, erscheinen die Tendenzen im zweiten als pragmatisch und mangels Widerstand ein bißchen uninteressant. Im dritten Bereich geht es aufgeregter zu, nämlich um den Wahrheitsbegriff. Hier tobt sich, scheint es, »die Befürwortern wie Gegnern der ›Postmoderne‹ gemeinsame Tendenz« aus, »die größte Phantasie auf das Erfinden derjenigen gegnerischen Position zu verwenden, zu deren Bekämpfung aufgerufen wird. […] Die Grenzen der Debatte um die ›postmoderne‹ Wissenschaftskritik sind […] selbst die wohl überzeugendste Einlösung des ›postmodernen‹ Kernsatzes, es gebe nichts außerhalb des Textes (Jacques Derrida)« – was zur Folge hat, »daß Unterscheidungskriterien abhanden kommen, die es erlauben, zwischen fiktiv und wirklich zu trennen«.27 Das ist nun etwas, was »jedermann notwendig interessiert«,28 wenn schon der Unterschied von hundert wirklichen und ebensoviel möglichen Talern in meinem Vermögenszustande eine wirkliche Differenz macht.29 Auch in Zeiten radikaler Pluralität hat die Philosophie »jedermann« Auskunft darüber zu geben, wie die Welt (sich) unterscheidet. Das tut die Philosophie, indem sie nicht erstlich von dem oder jenem handelt, was (vielleicht) wahr ist, sondern von der Wahrheit, ein Geschäft, das ihr keine andre Wissenschaft oder Disziplin abnehmen kann, auch die Theologie nicht, die ihre Wahrheit je nur zu bezeugen vermag. Hier ist näher nach der Wahrheit der Grenzen und innerhalb der Grenzen des Möglichkeitsspielraums jener radikalen Pluralität zu fragen. 30 Daß es geschichtliche Grenzen sind, verrät bereits der Name dessen, was einzugrenzen, zu de-finieren ist: Post-Moderne. Ist also Philosophie (in einer selber diesem Möglichkeitsspielraum verpflichteten Wendung) die Beschreibung ihres geschichtlichen Orts und dessen Genealogie im Andenken der Weltgrenzen, 31 dann ist eine philosophische Genealogie der Postmoderne zu geben. Soweit sie gelingt, hätte die Philosophie wieder einmal ihre von Hegel formulierte Aufgabe erfüllt. Sie hätte ihre Zeit in Gedanken erfaßt, ohne sie umfassen zu wollen – denn die Gegenwart ist dies, das Offene zu sein. 16  |  Postmoderne 

Sieht man also zu, welche Moderne die Postmoderne-Debatte aufgeheizt hat, wird man allemal auf die industrielle Moderne stoßen, auch wenn deren Grundlinien gelegentlich bis ins Entstehen der mathematisierten Wissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert zurückgezogen werden – und auch wenn der bedrängte Lyotard sich einmal ein Hintertürchen auflassen zu müssen glaubte und erwog, ob die Moderne nicht gar schon mit dem Christentum anhöbe. Das erledigt sich, wenn gezeigt werden kann, daß die in Rede stehende Moderne ihrer funktionalsten, nämlich logischen Konfiguration nach nicht in, geschweige hinter den sogenannten deutschen Idealismus zurückreicht trotz mannigfaltiger Familienähnlichkeiten, wie etwa Nietzsche sie Rousseaus Silhouette ablas.32 Auch der Streit um die postmoderne Fiktionalisierung der Welt ist nicht aus einer bloßen Invisibilisierung der von der Philosophie sonst immer erbrachten Grenzziehung zwischen Sein und Schein zu erklären, etwa zwischen der Vernunft und ihrer Beirrung durch die menschlichen Auffassungen oder zwischen Kants ›kritischem Weg‹ und dem transzendentalen Schein. Nur verbal mag es noch (oder wieder) zu tun sein um den Kampf der Aufklärung mit dem Aberglauben (Hegel GW 9, 293–311) und der Macht seines ontotheologisch institutionalisierten Dogmatismus – real geht es um die Macht der ökonomisch gesteuerten Medien in der geschichtlichen Phase »eines sich zum Universum abschließenden und versiegelnden Kapitalismus«, 33 mithin um eine neue Erscheinungsform der global verwalteten Welt, deren noch industrielle Gestalt Adorno in der Mitte des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand der kritischen Verfahrungsweisen seiner negativen Dialektik gemacht hatte.

G  

Produktion

ewiß war das europäische Denken seiner innersten Unruhe nach von Anfang an Produktionsdenken, seine Logik Produktionslogik, auch wo sie bloßes Instrument sein sollte – órganon für ein érgon, Werkzeug für ein Werk. Solange das Denken aber innerhalb des Horizonts handwerklich-manufakturieller Produktion zu Hause war, 34 läßt sich unbeschadet aller epochaler Grenzen ein Bogen ziehen von den frühen Griechen bis zum deutschen Produktion  |  17

Idealismus. Immer waren Produzent und Produkt durch die Mitte der produktiven Bewegung selbst zusammengeschlossen, die auch und gerade als menschliche 35 den Charakter natürlicher Produktion hatte. Dadurch blieb sie ihrerseits durch die ganze produktive Natur (phýsis) bezogen auf Gott als deren produktiven Grund. In ihm erst als im actus purus und primus motor schaute der Mensch sein produktives Wesen an als sein meta-physisches Wesen: Gott | Natur | Produzent – Produktion – Produkt. Mit der industriellen Revolution ereignet sich jedoch etwas geschichtlich Beispielloses: Die erstlich-produktive Natur erweist sich als Material der Arbeit, die menschliche Produktivität (wiewohl nicht ohne weiteres das faktische Produzieren) wird von einem Produkt, der Maschine übernommen und so dem Menschen als Menschen ›enteignet‹. Der vormalige vertikal-horizontale Doppel-Schluß S | c | S – c – P ist zur horizontalen Differenz geworden: Produzent | (Produktion-Produkt). Die metaphysische Vertikale ist darin gelöscht. Diese differierende Horizontale ist die produktionslogische Figur der industriellen Moderne, deren Denken der (mit Frege notierten) Logik der Funktion folgt: f(a) f Produktion-Produkt | aProduzent – wobei das Zeichen ›|‹ die zwar durch supplementäre Funktionen verschiebbare, aber nicht mehr mit Hegel aufzuhebende Differenz anzeigt.36 18  |  Produktion 

Diese die ganze industrielle Moderne bestimmende Differenz wird in der medialen Moderne dispers – zum Differenzfeld, dessen strukturalistisches Paradigma die Sprache ist: f Produktion-Produkt ▒ aProduzent, 37 allgemein:

D  

f ▒ a.

Der Zeitpfeil

ie moderne Produktionsform schließt mit der metaphysischen Vertikalen die transzendentalen Signifikate Natur und Gott aus und damit ewige Dauer (sempiternitas) wie Ewigkeit überhaupt (aeternitas). Innerstes der Produktion ist nicht länger das nunc stans,38 sondern die sich realisierende Zeit entsprechend der modernen Konzeption von Wahrheit, »welche diese nicht als abstrakt beharrend supponiert, sondern ihres Zeitkerns sich bewußt wird«. 39 Zeitlos ist, was entzeitlicht wurde, Resultat einer strukturierenden Operation, und »Strukturen halten Zeit reversibel fest« (SS 73), sie »haben eine eigene Aktualität nur in dem Moment, in dem sie benutzt werden« (WG 129 f.). Während für mathematisch formulierbare Sätze von generellem Charakter das kommutative Gesetz der Addition gilt: x + y = y + x, 40 sind philosophische Sätze virtuell in (›dialektischer‹) Bewegung. Das Verhältnis von Subjekt, Copula 41 und Prädikat ›S c P‹ ist keine Gleichung: Mit der konventionellen Leserichtung von links nach rechts indiziert die Voranstellung des Subjekts den Zeitpfeil →t für den Sachverhalt selbst. Die Zeit ist dabei zu verstehen als Zeit der Produktion, worin eins nach dem andern zu tun bzw. hervorzubringen ist, sprachwissenschaftlich die syntagmatische Abszisse 42 in praesentia. So ist das Urteil zu lesen als ›S →t P‹, wobei der Pfeil das Erscheinen der Sache, Rede usw. anzeigt. Im Prädikat P oder Objekt O resultiert die Bewegung, die vom Subjekt S (als von der Ur-Sache) ausgeht. Insofern stellt das klassische Urteil ›S c P‹ bzw. ›S →t O‹ das abstrakte Produktionsverhältnis überhaupt dar: Produzent – Produktion – Produkt. Näher ist die jeweilige Produktivität eine Spezifizierung der natürlichen ProDer Zeitpfeil  |  19

duktion schlechthin, das Subjekt ein produzierendes Naturprodukt: Natur ↓ Produzent ← Produktion → Produkt. Und wiederum ist die Natur selber Produkt in ihrer Sichtbarkeit, weswegen die Metaphysik den Schluß zu jenem horizontal-vertikalen, explizit onto-theo-logischen Doppelschluß vervollständigt. Dessen Vertikale stellt das als Produktion gedachte, dem Hilfsverb eînai, estin etc. in den indoeuropäischen Sprachen entsprechende Sein dar: Heraklit zuerst hat das die Welt, den kósmos strukturierende Verhältnis lógos genannt: lógos eôn = seiendes Urteil.43

D  

Sein und Funktion

ie Konfiguration des modern gedachten Seins gibt die analyti­ sche Philosophie vor: 1) prädikativ: Der Himmel ist blau: Pa; 2) Identität: Abendstern = Morgenstern: I(a,b); 3) Subordination: Pferd Pflanzenfresser: Λx(Px→Qx), 4) Existenz:44 Es gibt mindestens ein x, für das gilt, daß x P ist: ∃x(Px).45 Sie kann dafür an Freges Transformation der mathematischen Funktion in die logische Funktion anknüpfen: »Behauptungssätze im allgemeinen kann man ebenso wie Gleichungen oder analytische Ausdrücke zerlegt denken in zwei Teile, von denen der eine in sich abgeschlossen, der andere ergänzungsbedürftig, ungesättigt ist. So kann man z. B. den Satz / »Caesar eroberte Gallien« / zerlegen in »Caesar« und »eroberte Gallien«. Der zweite Teil ist ungesättigt, führt eine leere Stelle mit sich, und erst dadurch, daß diese Stelle von einem Eigennamen ausgefüllt wird oder von einem Ausdrucke, der einen Eigennamen vertritt, kommt ein abgeschlossener Sinn zum Vorschein. Ich nenne auch hier die Bedeutung dieses ungesättigten Teiles Funktion.«46

20  |  Sein und Funktion 

Die analytische Ontologie denkt mithin konsequent funktional: (2) Es kann mehrere Namen/Beschreibungen für ein und dasselbe x geben. (4) x ist Element einer Menge. (1) Die Menge ist eine Funktion. (3) Die Funktion ist Element einer Menge. Diese funktionale Seinsverfassung begreift Wittgensteins Tractatus als das moderne speculum: »Die Logik ist keine Lehre, sondern ein Spiegelbild der Welt.« (T 6.13) »Den Satz fasse ich – wie Frege und Russell – als Funktion der in ihm enthaltenen Ausdrücke auf.« (T 3.318) »Das Wesen des Satzes angeben, heißt, das Wesen aller Beschreibung angeben, also das Wesen der Welt.« (T 5.4711). Die Funktion spiegelt den logischen Raum (T 1.13), das Argument die Substanz (T 2.021). Die »sub specie aeterni« als gesättigte Funktion gespiegelte Welt wird darin angeschaut »als  – begrenztes  – Ganzes« (T 6.45). Die in der Verkettung und Hierarchisierung der Sätze beständig mitlaufende Differenz ›‹ ist weder als Funktion noch als Argument ausdrückbar, wird aber (wie hier) durch beide supplementiert – ›als solche‹ wird sie gefühlt (ebd.): »6.54 Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie  – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) / Er muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig. / 7 Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.«47

Das Worüber des Schweigens, das Daß der Welt (T 6.44), die produktive Differenz wird Derrida als différance und archi-écriture, als Ur-Schrift denken,48 Heidegger demzuvor als Riß: »Riß ist dasselbe Wort wie ritzen«49 – mit Luhmanns Formel »die Verletzung der Welt«50. Auch Heideggers logischer Ort ist nicht das alte Urteil, sondern der Satz und also die onto-logische Differenz von Funktion (»Sein«) und Argument (»Seiendes«):51 »Ontische und ontologische Wahrheit betreffen je verschieden Seiendes in seinem Sein und Sein von Seiendem. Sie gehören wesenSein und Funktion  |  21

haft zusammen auf Grund ihres Bezugs zum Unterschied von Sein und Seiendem.«52

Einig sind sich analytische Philosophie und ›Seinsdenken‹ in der Kritik des bisherigen Denkens als »Metaphysik«, mag sie nun gegen die logische oder gegen die ontologische Syntax verstoßen: »Die Metaphysik stellt zwar das Seiende in seinem Sein vor und denkt so das Sein des Seienden. Aber sie denkt nicht den Unterschied beider.«53 Das wäre wohl wahr, wäre die Logik der klassischen Metaphysik schon die Logik der Moderne gewesen.54

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Funktion und Menge

ber das alte Europa ist darum das alte, weil es anders dachte. Es fängt an mit den »Seienden«, den ónta. Sie sind das, was dem Allgemeinen, dem »vom Ganzen her« Gedachten, kathóloy, zugrunde liegt als die hypokeímena, die Subjekte. Zuhöchst sind darum auch »die« Natur und ihr Grund Individuen, átomoi phýseis. Das Paradigma des alten Europa ist die Identität. Umgekehrt geht die Moderne aus von der Differenz und also von der Menge, die ihre Elemente allererst konstituiert. Ihr Individuum ist Poes Man of the Crowd, »ein Unbekannter, der seinen Weg […] so einrichtet, daß er immer in deren Mitte bleibt. Dieser Unbekannte ist der Flaneur«, 55 der sich systemtheoretisch entpuppen wird als der (beobachtete) Beobachter. 56 Noch dort, wo vom einzelnen Individuum her argumentiert zu werden scheint, wie bei Kierkegaard, Nietzsche, Husserl und den Existenzphilosophen, ist die zu denkende Struktur funktional. »Ein Subjekt ist ein Name für ein Ding (Individuum), ein Prädikat ein Name für eine Eigenschaft und ein Funktor ein Name für eine Funktion (Operation). In der Aussage Der Turm des Ulmer Münsters ist hoch kann man Der Turm des Ulmer Münsters als Subjekt und ist hoch als Prädikat auffassen. Man kann diese Aussage aber auch weiter analysieren, indem man Der Turm des und Münsters von als Funktoren und Ulm als Subjekt nimmt. / Das Prädikat ist hoch ist ein einstelliges Prädikat, denn es läßt 22  |  Funktion und Menge 

sich durch ein Subjekt zu einer aristotelischen Aussage ergänzen.«57

Funktionen sind Abbildungen von einer Menge (bzw. Klasse) in eine andre.58 Die abgebildete Menge ist der Definitionsbereich (D), die andre der Wertebereich (W). Ist x die unabhängige, y die abhängige Variable und wird jedem Element x є D durch eine Zuordnungsvorschrift genau ein Element y є W zugeordnet, heißt f eine Funktion von der Menge D in die Menge W. So kann eine Menge von Kalendertagen abgebildet werden in die Verkaufsmenge einer Neuerscheinung auf dem Buchmarkt oder in die Menge von Erwähnungen in den Medien, die Verkaufsmenge in die Erwähnungsmenge usw. Der Wertebereich einer Funktion kann wieder als Definitionsbereich einer anderen Funktion, jeder Funktionswert als Argument und also als Element des Definitionsbereichs einer höheren Funktion, jede Menge als Element einer weiteren Menge genommen werden. Das ist das für das Denken im 20. Jahrhundert konstitutive Undsoweiter (oder Meta-): … f2{f1[f(a)]}, wobei das Argument a sich seinerseits (wenigstens virtuell) weiter auflösen läßt, so daß … f2{f1[f(a)]} … – »Element« ist es jeweils nur in »seiner« Menge. Entsprechend ist das System im Luhmannschen Sinn eine Menge, die sich ihre Elemente selbst gibt: »Anders als Wortwahl und Begriffstradition es vermuten lassen, ist die Einheit eines Elements (zum Beispiel einer Handlung in Handlungssystemen) nicht ontisch vorgegeben. Sie wird vielmehr als Einheit erst durch das System konstituiert, das ein Element als Element für Relationierungen in Anspruch nimmt.« (SS 42) In derjenigen Funktion, die phänomenologisch gedacht wird als intentionales Bewußtsein, ist das Argument zwar der ursprünglichen Dualität wegen ein Gegebenes, über dessen möglichen Referenten aber nichts weiter ausgesagt werden kann, weil sein Residuum immer schon von der Funktion als ihr Element konstituiert oder Phänomen/Signifikat ist. Schon für Frege lag nahe, mit einem Zeichen »außer dem Funktion und Menge  |  23

Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist«:59 Der Fregesche Sinn entspricht so dem phänomenologischen Phänomen wie dem sprachwissenschaftlichen Signifikat, die Fregesche Bedeutung dem Referenten (dessen Korrelat Husserl Urdoxa nennt):60 »Jeder Behauptungssatz, in dem es auf die Bedeutung der Wörter ankommt, ist also als Eigenname aufzufassen, und zwar ist seine Bedeutung, falls sie vorhanden ist, entweder das Wahre oder das Falsche.«61 Daß keine Funktion ihr eignes Argument sein kann, ist der logische Kern der Theorie der Metasprachen: »Kein Satz kann etwas über sich selbst aussagen, weil das Satzzeichen nicht in sich selbst enthalten sein kann, (das ist die ganze ›Theory of types‹)« (T 3.332), 62 und, fährt Wittgenstein fort, »Eine Funktion kann darum nicht ihr eigenes Argument sein, weil das Funktionszeichen bereits das Urbild seines Arguments enthält und es sich nicht selbst enthalten kann« (T 3.333) – womit schon im Tractatus der unhintergehbare Schriftcharakter der Welt deutlich wird. Jede Metasprache ist eine Metasprache – was sie notwendig reproduziert, ist die logische Differenz selbst, der das Finale des Tractatus gilt: »7 Wovon man nicht sprechen kann« … Vor aller Supplementierung der Differenz durch die oder jene Identität, vor jeder »Invisibilisierung«, d. h. operationalen Verschiebung in eine Metasprache, ist die Differenz da als Gefühl: »Das Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes ist das mystische« (T 6.45). 63

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Umkehrung

arin denkt der Tractatus an gegen die Versuchung der Moderne, 64 die Differenz zu operationalisieren und die Operationen zu verdinglichen. 65 Die Funktionen gleichen dann den Schlüssen der traditionellen Logik, und die Verdinglichungstendenz drängt sich dem selbstkritischen Blick auf als Persistenz des metaphysischen Denkens inmitten der Moderne. Weil sie sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts noch an ihrer spezifischen Differenz abzuarbeiten hatte, vermochte die Moderne den Unterschied von simulierter und geschichtlich primärer Meta24  |  Umkehrung 

physik nicht auf Anhieb zu machen und mußte eine »Metaphysik« bekämpfen, die de facto die Retrojektion ihrer Selbstgefährdung durch die eigne Produktionsform war. 66 Deutlich wird das bereits bei Marx. Als Signatur der industriellen Moderne erscheint die Entfremdung des produktiven Menschenwesens in die Waren. 67 Sartre wird diese Verdinglichungsstruktur schon ein Jahrzehnt vor seinem marxistischen Engagement der traditionellen Theorie der Imagination attestieren. Deren Geschichte von Descartes bis zu den Psychologen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts zieht sich ihm zusammen auf das Proton pseudos, das imaginierte Bild zu einem isolierten innerpsychischen Inhalt gemacht zu haben. Erst Husserls Phänomenologie bringe hier die radikale Wende: »Indem das Bild zu einer intentionalen Struktur wird, geht es aus dem Status eines trägen Bewußtseinsinhalts über in den des einen und selben synthetischen Bewußtseins in Beziehung auf einen transzendenten Gegenstand. Das Bild meines Freundes Pierre ist keine vage Phosphoreszenz, keine Bahnung, die von der Wahrnehmung von Pierre in meinem Bewußtsein hinterlassen wurde: es ist eine organisierte Bewußtseinsform, die, auf ihre Weise, Bezug nimmt auf meinen Freund Pierre, es ist eine der möglichen Weisen, sich auf das wirkliche Wesen Pierre einzustellen. So nimmt das Bewußtsein im Akt der Imagination direkt Bezug auf Pierre und nicht durch die Vermittlung eines Simulakrums, das in ihm wäre. Zusammen mit der immanentistischen Metaphysik des Bildes verschwinden auf einen Schlag alle Schwierigkeiten […] betreffs des Bezugs dieses Simulakrums auf seinen wirklichen Gegenstand und des reinen Denkens auf dies Simulakrum. Dieser ›Pierre im Kleinformat‹, dieser vom Bewußtsein mitgeschleppte Homunculus gehörte niemals dem Bewußtsein an. Er war ein Gegenstand der materiellen Welt, der sich unter die psychischen Wesen verirrt hatte. Indem er ihn aus dem Bewußtsein hinauswirft mit der Versicherung, daß es nur einen und denselben Pierre gibt, Gegenstand der Wahrnehmungen wie der Bilder, hat Husserl die psychische Welt von einer schweren Last befreit und nahezu alle Schwierigkeiten niedergeschlagen, die das klassische Problem des Bezugs von Bild und Denken verdunkelten.«68 Umkehrung  |  25

Logisch stellt sich die psychologistische Metaphysik des Bildes dar als ein Schluß, dessen Mitte (das Simulakrum) Denken bzw. Bewußtsein überhaupt und Gegenstand verknüpft und auseinanderhält: Bewußtsein – Simulakrum – Gegenstand. Das Simulakrum erscheint so als Gegenstand sui generis, der sich zwischen Bewußtsein und ursprünglichen Gegenstand schiebt, ihn abblendet und den Zugang zur Welt-des-Bewußtseins als zur wahren Welt versperrt. Zum Trugbild wird diese Reproduktion der Wirklichkeit durch die inverse Reproduktion: Das verdinglichendreproduzierende Bewußtsein begegnet sich im Spiegel einer psychologisierten Welt. Damit kommt die kritische Modernität des Sartreschen Gedankens zum Vorschein. Das Simulakrum hat Fetischcharakter, es ist die Ware im Medium der Psychologie. »Das Geheimnisvolle der Warenform«, erkannte Marx, bestehe »einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. Durch dies Quidproquo werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge. […] Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt.«69

Das Adjektiv »phantasmagorisch«70 verweist auf die Analogie zwischen Imagination und Bewußtsein im Kontext der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Marx unterscheidet das gesellschaftliche Verhältnis vom natürlichen Verhältnis Sehnerv – Licht – Ding und erläutert:

26  |  Umkehrung 

»Aber beim Sehen wird wirklich Licht von einem Ding, dem äußeren Gegenstand, auf ein andres Ding, das Auge, geworfen. Es ist ein physisches Verhältnis zwischen physischen Dingen. Dagegen hat die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. […] Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, unter einander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist.«71

Die Produkte des menschlichen Kopfes scheinen selbständige Gestalten der religiösen Welt zu sein – soweit die Lehre Feuerbachs, in Marxscher Übersetzung: »So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand.« Bei Nietzsche sind diese Produkte dann übersetzt in eine Welt des Schaffens überhaupt, in der »mit der wahren Welt […] auch die scheinbare abgeschafft«72 ist. Deren uferlos strömende Bilderflut wird in der Folge durch die Husserlsche Substrukturierung des jetzt so genannten Bewußtseinsstroms73 kanalisiert kraft der Konstitutionsleistungen des transzendentalen Ego. Eine korrelative Theorie der Imagination als solcher bleibt Desiderat,74 und Sartre verhält sich in dieser Hinsicht zu Husserl wie vormals Marx zu Feuerbach. Hatte Marx dessen Kritik des Bilds aus der »Konversation des Menschen mit dem Menschen«75 in die ökonomischen Verhältnisse übersetzt, übersetzt Sartre die intentionale Konzeption des Bilds aus dem theoretischen Horizont der transzendentalen Phänomenologie in die existential zu beschreibende Lebenswelt: »Die Philosophie der Transzendenz wirft uns auf die Landstraße, mitten ins Bedrohliche, unter ein grelles Licht«76 – immer schon ausgesetzt den Blicken der andern.77 Die Warenform spiegelt den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte zurück  – das Simulakrum spiegelt dem Bewußtsein den Aktcharakter der Bildkonstitution als gegenständlichen Umkehrung  |  27

Charakter des Bilds zurück, jedesmal ein quasi-metaphysischer Schluß, in dem Subjekt und Objekt durch ein weiteres Objekt vermittelt sind: Arbeit – Natureigenschaft – Produkt Bewußtsein – Simulakrum – Gegenstand. Jeweils hat die Mitte des Schlusses S – M – P dinglichen Charakter, der sich näher besehen als Verdinglichung entpuppt. Als geschichtliches Dispositiv greift sie nicht nur die Semantik, sondern auch die Syntax der Schlüsse an. In Wahrheit sind sie keine Schlüsse mehr, sondern selber schon, wiewohl larvierte, d. h. verkehrte, Funktionen: Arbeit | Natureigenschaft-Produkt Bewußtsein | Simulakrum-Gegenstand. Wie in Freges Logik Copula und Prädikat zur Funktion konkreszieren und das auf diese Weise von seinem Sein (der Copula) isolierte Subjekt als Argument freisetzen, übernehmen NatureigenschaftProdukt bzw. Simulakrum-Gegenstand die funktionale Herrschaft und werden von der menschlichen Arbeit bzw. vom Bewußtsein als ihren Argumenten »gesättigt« (»vampyrmäßig« sagt Marx):78 Produkt(Produktion) Gegenstand(Bewußtsein). Und die Kritik dieser Verdinglichung besteht jedesmal darin, den Schein der Copula auf ihre Wahrheit als menschliche bzw. Bewußtseins-Tätigkeit durchsichtig zu machen und sie so an das vormals isolierte Subjekt zurückzubinden. Dadurch kehrt sich die Funktion um und zeigt sich in ihrer gesellschaftlichen bzw. psychologischen Wahrheit: Produktion(Produkt) Bewußtsein(Gegenstand) – das jetzt mit Heidegger »verbal«79 zu denkende Wesen des (arbeitenden) Menschen bzw. des (intentionalen) Bewußtseins ist der wahre Wert als die Wahrheit der Welt (der Produkte und Gegen28  |  Umkehrung 

stände) und nicht umgekehrt. So aber ist die innere Bewegung der Moderne beschaffen, die nicht dies oder das ist, anhand dessen man säuberlich Moderne und Anti-Moderne scheiden könnte. Die Moderne ist immer dies und das, beständiges Umdenken und Umkehren oder permanente Revolution.80 Feuerbach glaubte noch, das ein für allemal erledigen zu können: »Wir dürfen nur immer das Prädikat zum Subjekt und so als Subjekt zum Objekt und Prinzip machen – also die spekulative Philosophie nur umkehren, so haben wir die unverhüllte, die pure, blanke Wahrheit.«81

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Aporie und Krypta

ie pure, blanke Wahrheit ist, daß sie nicht zu haben ist, daß die jeweilige Überzeugung, dies nun sei die wahre Funktion und dies das wahre Argument, stets nur im flüchtigen Augenblick der Umkehrung gilt, für die Zeit der Produktion des Verhältnisses, nicht für dessen Seiten, die trägeren Produkte. Zuletzt beschreibt das Denken der Moderne sich als selbstreferenzielles System, dessen geschichtliche Umwelt seine Herkunft ist, das Denken des alten Europa, exemplarisch die Metaphysik, real die vor-industrielle Produktivität überhaupt. Obwohl die Elemente des Systems durch es selbst konstituiert werden, erweisen die Produkte sich zugleich auch immer – das ist die logische Wahrheit der Verdinglichung – als ein Außen, das zu transformieren bleibt in ein neues Innen. Nach Feuerbachs methodischer Vorgabe ist die Transformation als Prozeß stets Umkehrung von vorhandenem Argument in Funktion, von herrschender Funktion in Argument. Das jeweils in seine Wahrheit als Funktion entbundene Argument läßt allererst den latenten Argumentcharakter der vormaligen Funktion merklich werden usw., so daß sich der Prozeß des Umkehrens, die »permanente Revolution der Begriffe« 82 immer weiter treibt nach der Formel … f2{f1[f(a)]} …, die, vom Zeitpfeil abstrahiert, als das Kreiseln von Funktion und Argument um die Achse ihrer Differenz erscheint. Diese »Oszillation in allen beobachtungsrelevanten Unterscheidungen« (GG 1015) wird 1996 von Derrida beschrieben als die ApoAporie und Krypta  |  29

rie eines irreduzibel doppelten Umschließens: Das Umschließende (die Funktion) und das Umschlossene (das Argument) »tauschen regelmäßig ihre Stellen in dieser befremdlichen Topographie der Grenzgegenden«. 83 Könne es sich, fragt Derrida, je darum handeln, »geradezu (in all den Bereichen, in denen sich Entscheidungs- und Verantwortungsfragen betreffs der Grenze stellen: Ethik, Recht, Politik und so weiter) mit einer Aporie fertigzuwerden, eine Linie zwischen Gegensätzen zu verlassen oder aber die Erfahrung der Aporie anzunehmen, sie zu ertragen, zu versuchen, sie auf andre Weise zu machen? Und handelt es sich in dieser Hinsicht um ein Entweder-Oder? Kann man, und in welchem Sinn kann man von einer Erfahrung der Aporie sprechen? Der Aporie als solcher? Oder umgekehrt: ist eine Erfahrung möglich, die nicht Erfahrung der Aporie wäre?« 84

Die Antwort lautet gut hundert Seiten später: »[W]enn es gilt, die Aporie zu ertragen, wenn dies das Gesetz aller Entscheidungen, aller Verantwortlichkeiten, aller Pflichten ohne Pflicht ist für alle Grenzprobleme, die sich jemals stellen können, dann kann die Aporie nie einfach als solche ertragen werden. Die letzte Aporie ist die Unmöglichkeit der Aporie als solcher.« 85

Als die ausgehaltene Paradoxie der Reflexivität ist diese Unmöglichkeit die Notwendigkeit der Produktivität jetzt und als solche der Un-Ort, der sich um seiner Gegenwart willen der Sedimentierung zur Utopie entschlägt. Sondierbar wurde diese Krypta der Moderne,86 sobald die monolithische Statur der Differenz mit dem Ende des Kalten Kriegs ihren weltanschaulichen Kredit einbüßte. Das auf dem Denken der industriellen Moderne lastende metaphysische Erbe war die Gewißheit ihrer Einen Differenz und mit ihr der Einen Produktivität gewesen. Noch Heideggers Weg zur Sprache motivierte die Hoffnung, daß »das Ereignis durch seine Einkehr jegliches Anwesende der bloßen Bestellbarkeit entzöge und es in sein Eigenes zurückbrächte«,87 und noch Adornos Ästhetische Theorie glaubte, die »Elemente jenes Anderen« seien »in der Realität versammelt, sie müßten nur, um ein Geringes versetzt, in neue 30  |  Aporie und Krypta 

Konstellation treten, um ihre rechte Stelle zu finden«.88 Die mediale Moderne ist um diesen Glauben und diese Hoffnung ärmer – und damit reicher um den Entzug eines Entzugs, der in Gestalt der Utopie das transzendentale Simulakrum der industriellen Moderne war. Frege sollte recht behalten mit der Überzeugung, »dass die Ersetzung der Begriffe Subject und Praedicat durch Argument und Function sich auf die Dauer bewähren wird«. 89 Daß deren als operational-logisch projektierte Differenz sich zur ontologischen Krypta verschließen würde, war nicht abzusehen. Ein Vorbeben erreichte Frege allerdings in Gestalt jenes Briefs vom 16. Juni 1902, in dem Russell die Antinomie der Menge aller Mengen skizzierte, die sich nicht selbst enthalten.90 Aber auch für Russell schien das noch eine Frage von Operationalität zu sein. Er verwechsle, wird Wittgenstein bemerken, »eine Beschreibung mit der Syntax dieser Beschreibung«, 91 habe also »das Wesen eines Systems nicht erkannt«92 und so auch nicht das Wesen der Funktion. Denn zwar ist die Leere in f( ) durch das Argument auszufüllen,93 aber die leere Stelle ( ), die Differenz selbst ist nur zu supplementieren. An sich ist das »gefährliche Supplement«94 Produkt einer Operation und vertritt die Differenz, von der es getragen wird. Nur wäre die Vertretung die Differenz noch einmal – jetzt zwischen Differenz und Supplement. Das Supplement ist darum erst dort ganz Supplement, wo es nicht mehr als ein solches erscheint, wo es nicht nur die Differenz, sondern zugleich die Differenz zwischen der Differenz und sich supplementiert. So erst ist es Simulakrum. Freges Transformation des Urteils zur Funktion (ScP) → [cP(S) = f(a)] ist darin revoziert, aber funktional revoziert: [f(a) = cP(S)] → [(ScP) = (S – Simulakrum – P)].

Aporie und Krypta  |  31

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Normalität

ie Oszillation des Supplements zwischen sich als Supplement und sich als Simulakrum, zwischen Umkehrung und Umkehrung der Umkehrung ist der Motor des geschichtlichen Undsoweiter. Die Simulakren haben ihre Zeit, sind geschichtliche Moden, jedes neueste hat als Spur der alten Physis seine Aufgabe eigentlich nur darin, die neueren Spuren sehenzulassen als verdinglichte Geschichte, um die Funktionalität noch in deren widerständigsten Sedimenten zu entbinden. Das hält die Moderne in Schwung. Als datierte hat die geschichtlich-konkrete Funktionalität je nur diesen Verfallswert. Er provoziert den Fortschritt als die reale Gegenwart der Moderne. Seine Metamorphose vom Terminus a quo in einen neuen Terminus ad quem ereignet sich als Umschlagen im theoretischen Bewußtsein, in dessen Großwetterlagen als Wechsel eines Paradigmas,95 gesellschaftlich als allmähliches Übergehen,96 bis das kritische Bewußtsein – und dann alle Welt – der Veränderung inne geworden ist. Als Aura propagiert von den mitlaufenden -ismen, verheißt jedes neue Paradigma der nächsten Gesellschaft die Lösung der noch übrigen Welträtsel. Aber die auch in der geläuterten Funktionalität unruhige Physis oxydiert die auratische Oberfläche und sedimentiert sich zur Spur in der gesellschaftlichen Normalität. Benjamin hat das Verhältnis bestimmt: »Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.«97 Phänomenologisch meint die Metamorphose der Aura in Spur das Gleiten des semantischen Gehalts auf dem trägen Spiegel des Signifikanten aus der Protention des Terminus ad quem in die Retention des Terminus a quo.98 Hat die im konstituierten Terminus ad quem allmählich sich geltend machende Physis den Charakter einer Produktion, die gesellschaftlich nicht steuerbar, nur beeinflußbar ist, dann verläuft sie evolutiv und stellt sich dar als Selektion durch Interpenetration von Variabilität und Umwelt, idealtypisch als Normalverteilung.99 Denn unter der »Bedingung doppelter Kontingenz wird jede Selbstfestlegung, wie immer zufällig entstanden und wie immer kalkuliert, Informations- und 32  |  Normalität 

Anschlußwert für anderes Handeln gewinnen« (SS 165). So konstituiert sich die Moderne als raum-zeitliche Dispersion und Vernetzung unablässig sich verschiebender Normalitäten (einschließlich der Blochschen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen).100 Sobald sie dieser (in ihr von Anfang an latenten) Dispersion inne wird, versteht die Moderne sich nicht länger als die Geschichte oder Vor-Geschichte der Einen Differenz, sondern als Feld von Differenzen, dessen »flexibler Normalismus« die normativen Ambitionen des industriellen »Protonormalismus« resorbiert zu haben scheint: »Als gemeinsame Basis der fundamentalen Eigenschaften von Postmoderne/Posthistorie wie ›Ende der Geschichte‹, Ateleologie, Anentelechie, Pluralismus, Indifferenz und Individualisierung erweist sich also der flexible Normalismus mit seiner endlos wachsenden Schlange und seinem endlosen fun-and-thrill-Band. Die ›condition postmoderne‹ mit der Tendenz eines Lebens nach Art von Computersimulationen und von Computerspielen erweist sich als Leben in den normalistischen Kurvenlandschaften mittels der Signal-, Orientierungs- und Kontrollebene.«101 Und so bis auf weiteres.

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Kohärente Deformation

eit Aristoteles galt die Produktion, poíêsis, der prâxis verpflichtet als deren Modus. Die eypraxía (Nik. Eth. 1140b6 f.), das freie Tun um seiner selbst willen, blieb die ethisch-politische Bestimmung des Menschen im alten Europa. Mit dem Hellenismus nahm sie zunächst die Gestalt der feudalen, in der Neuzeit der staatlichen Repräsentation an. Seit der industriellen Revolution wird der Primat des Staats erodiert durch den der Gesellschaft. Das neue Subjekt (hypokeímenon) ist nicht mehr das in der pólis sich anschauende zôion, die in der civitas sich bekennende creatura oder das im Staat sich verwirklichende Selbstbewußtsein, sondern der in der Gesellschaft produzierende und sich produzierende Mensch. Die ethisch-politische Praxis ist auf die gesellschaftliche Produktion als auf die Arbeit umgestellt worden, die Arbeit selbst mit der Transformation der industriellen in die mediale Moderne von der primären Rohstoff- zur Datenverarbeitung. Das Subjekt, als »der Kohärente Deformation  |  33

Mensch« schlechtweg selber Produkt der Moderne, existiert nach dieser neuen geschichtlichen Metamorphose als Datenträger im Kommunikationssystem. Entsprechend informiert die rechnergestützte Entwicklung eines neuen Produkts (unter Zwischenschaltung von Marktanalyse und Marketing) die bloße Fertigung im Sinn industrieller Produktion  – der Reproduktivität serieller Produktion wegen ist der Produktionsbegriff selber zweideutig geworden. Auch derartig medial modifiziert gilt freilich das Axiom des Existenzialismus: L’existence précède l’essence,102 das Dasein geht dem Wassein immer schon voraus. Darum ist dies Subjekt an keiner Identität festzumachen, auch als Datenträger existiert es, und die Existenz ist das Fürsich(sein) der Differenz. In ihr ist die Existenz des andern immer schon mit-gegeben und hat, weil der andere die begegnende Differenz ist, den Primat.103 Sie bekundet sich in seinem Blick:104 »In jedem Augenblick beobachtet mich der andere«105 – und sein Blick ist »werthesetzend«,106 er verändert die symbolische Ordnung. Zuletzt ist er die mich existenziell, hier und jetzt, in Anspruch nehmende gesellschaftliche Erwartung, meine »Aufgabe«, diese »heimliche Gewalt und Nothwendigkeit«.107 Das Subjekt, hatte Lacan behauptet, sei serf du langage,108 Leibeigener der Sprache, während Merleau-Ponty vorsichtiger (und schon medial) vom dépositaire spricht, vom Treuhänder. Nietzsches Terminus ad quem, das Schaffen, meint im geschichtlichen Feld Umschaffen, Übersetzen, und Merleau-Ponty übernimmt von André Malraux dafür eine prägnante Wendung: »Bedeutung (signification) ergibt sich, wenn wir die Daten der Welt einer ›kohärenten Deformation‹ unterziehen. […] Die wahrgenommene Welt und vielleicht sogar die des Denkens ist derart beschaffen, daß man in sie nichts was es auch sei setzen kann, das nicht sogleich Sinn gewönne in den Termen einer Sprache, deren Treuhänder wir werden, aber die nicht minder Aufgabe ist als Erbe.«109

Hinsichtlich des Erbes überhaupt versteht die Moderne die wissenschaftliche Transformation des geschichtlichen Felds als kohärent progredierende Deformation der phýsis in téchnê im technologi34  |  Kohärente Deformation 

schen Sinn, und die Umkehrformel auch noch der medialen Moderne ergibt sich als f Natur(aTechnik) → f Technik(a Natur). In den Naturwissenschaften selbst stellt dies work in progress sich dar als die Decodierung der Werkgeheimnisse bewußtlos technischer (»natürlicher«) Produktion zum Nutzen gezielt technischer Produktion.110

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Systemtheorie

as paradigmatische Konzept der medialen Moderne ist die »eindeutig poststrukturalistische Theorie« autopoetischer Systeme (L1987a, 60) in ihrer Luhmannschen Gestalt als »Supertheorie« mit universalistischen Ansprüchen (SS 19). Programmatisch eine Theorie sozialer Systeme, ist sie gleichwohl Grundriß einer allgemeinen Theorie (SS), die sich sowenig wie die speziellere Normalismustheorie Jürgen Links damit zufrieden gibt, in der postmodernen Schwebe zu verharren. Sie hat den Feldzug gegen die Metaphysik hinter sich und kann gelassen auf die Denkfiguren des alten Europa und der industriellen Moderne zurückblicken. 1962 hatte Heidegger im Vortrag über Zeit und Sein noch gesagt: »Sein ohne das Seiende denken, heißt: Sein ohne Rücksicht auf die Metaphysik denken. Eine solche Rücksicht herrscht nun aber auch noch in der Absicht, die Metaphysik zu überwinden. Darum gilt es, vom Überwinden abzulassen und die Metaphysik sich selbst zu überlassen.«111 Von solcher, wie es schien, in gehöriger Zukunft liegenden Gelassenheit war in der Tat weder im gleichzeitigen Strukturalismus noch im Poststrukturalismus, geschweige in Derridas Dekonstruktivismus viel zu spüren; auch nicht im Konstruktivismus, der sich, mit der eignen Autopoiesis beschäftigt, in der Nachbarschaft zur immer fortlaufenden analytischen Philosophie kaum genötigt sah, die historische Perspektive ernst zu nehmen.112 Flankierend wirkte allemal der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit als auf die in disponibler Reproduktion vorweisbare methodisch gesicherte Positivität. Axiomatische Gleichgültigkeit ist freilich nicht zu verwechseln mit einer Gelassenheit, die Heidegger vielleicht gar nicht im Sinn Systemtheorie  |  35

hatte und die er doch antizipierte. Sie meint in der Metaphysik weder einem toten Hund zu begegnen noch einem Feind nach der Fasson Carl Schmitts,113 sondern dem nächsten geschichtlichen Nachbarn und »Partner« (L1988b, 229). Auch in dieser Hinsicht ist vom »operativen« Konstruktivismus (RG 73; L1990b) etwas zu lernen. Jedenfalls hat er einen Fetisch der industriellen Moderne ins imaginäre Museum verwiesen: »Mit dem Übergang zu funktionaler Differenzierung wird die Differenzierungsschematik autonom gewählt, sie richtet sich nur noch nach den Funktionsproblemem des Gesellschaftssystems selbst ohne irgendeine Entsprechung in der Umwelt; und deshalb wird jetzt die Orientierung am Menschen eine Ideologie«.114 Der Schlußsatz von Foucaults Les mots et les choses, man könne darauf wetten, daß der Mensch verschwinde »wie am Rand des Meers ein Gesicht aus Sand«,115 sorgte noch in den siebziger Jahren für philanthropische Unruhe, aber am Strand des operativen Konstruktivismus wenigstens hat Foucault die Wette beizeiten gewonnen. Allerdings registriert Luhmanns Systemtheorie auch, daß sie eine von der klassischen Moderne geerbte Denkfigur, das Ereignis des andern, marginalisieren muß, will sie als allgemeine Theorie sozialer Systeme Soziologie bleiben, eine Wissenschaft unter anderen, wenngleich »mit universalistischen (und das heißt auch: sich selbst und ihre Gegner einbeziehenden) Ansprüchen« (SS 19). Fraglich, inwiefern und ob überhaupt das Andere nicht als bloßes héteron,116 sondern als unvermittelbares állo Gegenstand von Wissenschaft sein kann, auch wo sie sich nicht als normal science im Sinn Thomas S. Kuhns versteht. Mit merklichem Vergnügen jedenfalls exponiert die Theorie sozialer Systeme Paradoxien – daß sie es tut, ist einer ihrer Vorzüge – nur, um mit gleichem Vergnügen Techniken ihrer Invisibilisierung als vis a tergo einzusetzen,117 die das System und so auch das System »Systemtheorie« autopoietisch in Schwung halten – wie, wissenschaftstheoretisch gesprochen, der Widerspruch nur als ›verbotener‹ oder ›zu vermeidender‹ zugelassen ist. Off limits ist aber nicht die Sorge der Philosophie.

36  |  Systemtheorie 

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Systemtheorie und Philosophie

as hat zwei Konsequenzen. Zum einen läßt Luhmann sich durch die Philosophie irritieren;118 zum andern versichert seine Theorie sich durch Heteronomisierung der Allonomie ihres wissenschaftlichen Status und versucht durch Hermetik (ES 37) zu kompensieren, was an Hermeneutik ausgeschlossen wird. Die Systemtheorie wirke wie eine Festung und sähe so aus, »als müsse man entweder hinein oder bliebe draußen und bleibe dann klugerweise draußen, denn wenn man erst einmal drinnen sei, finde man den Ausgang nicht wieder« (ebd. 342): »Die Theorieanlage gleicht also eher einem Labyrinth als einer Schnellstraße zum frohen Ende.« (SS 14) Das Labyrinth ist seit Nietzsche eine Metapher der Moderne,119 und die Klugheit des Draußenbleibenwollens schmeckt nach Nostalgie, dem Gegenteil von Philosophie. Deren Sache ist die Gegenwart und nur um ihretwillen die Geschichte. Darin ist sie mit der Systemtheorie einig: »Es ist also eigentlich kein Exklusionseffekt gemeint, sondern ein Konstruktionsbewußtsein, ein Entscheidungsbewußtsein und auch ein Theorievergleich […] zur alteuropäischen Denkweise, zur Denk­weise einer ontologisch-metaphysischen Tradition und ihres spezifischen Humanismus.« (ES 342 f.)

Und sogar ein paar Schritte weiter – Luhmann selber hat das Beispiel gegeben und sich noch auf Derrida eingelassen (L1995c), den um drei Jahre Jüngeren, der kaum als Vertreter alteuropäischen Humanismus durchgehen dürfte. Unbestreitbar, »daß es die Methodenlehre nicht nur mit dem Mäusefraß der empirischen Daten zu tun hat, sondern durchaus auch Entscheidungen mit ihren Konsequenzen im Bereich der theoretischen Dispositionen durchsichtig machen kann« (ES 341 f.). Das mag »ein offenes Angebot an Philosophen bleiben, die bestimmten Texttraditionen verpflichtet sind, in deren Verwaltung ihre Kompetenz haben und daher ein gutes Urteil in bezug auf längst Bekanntes und schon Durchdachtes beizusteuern vermögen« (WG 531 f.). Es mag aber auch sein, erwägt Luhmann im Blick auf die analytische Philosophie und die von Quine in Two Dogmas of Systemtheorie und Philosophie  |  37

Empiricism problematisierte Unterscheidung analytisch/synthetisch, »daß die Philosophie ihr Mitspracherecht nur dadurch begründen kann, daß sie erkenntnistheoretische Fragen als Vorfragen behandelt, die geklärt sein müssen, bevor man mit wissenschaftlichen Untersuchungen beginnt; oder auch als Fragen, die nicht ihrerseits durch empirische Untersuchungen geklärt werden können. Sie muß deshalb Unterscheidungen vorschlagen, in denen sie sich selbst placieren kann.« (WG, Vorwort, 7 f.)

Das hat die Philosophie allerdings und mit methodischer Notwendigkeit immer getan. Anderseits exzelliert die Supertheorie in »Fragen, die nicht ihrerseits durch empirische Untersuchungen geklärt werden können«, und ist darum zuversichtlich, die philosophische Domäne »mitbetreuen« zu können (L1987a, 55, SS 30). Danach scheint der Philosophie nur übrigzubleiben, entweder des­ perat auf ihren ehemals metaphysischen Status zu pochen, prôtê epistêmê, prima scientia, erste Wissenschaft zu sein (wie, in großem Stil, zuletzt Husserl), oder wenigstens irgendeine transzendentale Nische zu besetzen. Freilich, Daten müssen interpretiert werden, um als Fakten wissenschaftlich anschlußfähig zu sein, und im Unterschied zu den klassischen data verweisen die modernen Daten gerade nicht zurück auf einen Geber, sondern vor auf den Beobachter und seinen jeweiligen Standpunkt. Mag die Interpretation wie immer wissenschaftlich sein: Daß es einerseits empirische Daten gibt und anderseits deren Interpretationen, erscheint abermals als ein Datum, das nach Beobachtung zweiter Ordnung verlangt. Eine Beobachtung dritter Ordnung möchte dann leicht sehen, daß die Empirie dabei zwar wiederum nicht zugunsten irgendeines entzeitlichenden Apriorismus verabschiedet werden kann, wohl aber umorientiert werden muß auf Geschichtlichkeit: Seit wann ist das so, welche Umstände haben dazu geführt und welche Alternativen ergeben sich daraus? Gewiß wäre es »leichtfertig«, die Hilfe der Philosophie »auf Grund ihres Namens« abzuweisen (WG 531 f.). Allerdings argumentieren Vertreter des Fachs »oft so, als ob die maßgebliche Unterscheidung jetzt wäre: Platon oder Aristoteles, Kant oder 38  |  Systemtheorie und Philosophie 

Hegel. Sie unterscheiden Texte« und scheinen damit »an einer Subjektreferenz festzuhalten« (WG 63). Derart wären nicht nur »Namen wie Platon, Aristoteles, Kant, Hegel, Heidegger, Wittgenstein« (ebd. Fn. 66) Subjektreferenzen, sondern ebenso Parsons, von Foerster, Maturana oder Spencer Brown. Man wird Luhmann nicht ansinnen wollen, er refereriere mit ihnen auf »psychische Systeme«. Scherzhafterweise unterstellt er das aber den »Philosophen«:120 »Würde man für ein psychisches System optieren, stünde man vor der Wahl: welches von den etwa fünf Milliarden? Und die Entscheidung könnte dann praktisch nur lauten: ich selber« – mit der fragwürdigen Alternative, entweder »Texte zu interpretieren oder selber zu denken« (ebd.). Gerade wie Luhmann im Fall von Spencer Brown ist es der Philosophie hingegen, wo immer sie sich zu Textinterpretation genötigt sieht, darum zu tun, argumentative Vorgaben einzuholen, und es geht ihr, statt um die ›Unterscheidung von Texten‹ (was immer das heißen mag), um die Unterscheidung von deren geschichtlich-argumentativen Orten, so schon in Platons Theaitetos und Sophistes und ausgefaltet in den aristotelischen Referaten des älteren Denkens (exemplarisch Metaphysik I.3–10). Mit dem Selberdenken hat es bekanntlich die Bewandtnis, daß man nicht bei Null anfangen kann  – und dann Wo? und Wie? Darum steht es mit den klassischen Texten nicht anders als mit Luhmanns Prätexten (und wieder mit Luhmanns Texten als Prätexten): Man kann sie verwalten, lernen, ihren Regeln zu folgen, ihr Sprachspiel zu spielen – »Eine Sprache verstehen, heißt, eine Technik beherrschen«;121 aber man kann durch sie hindurch auch ihren geschichtlichen Ort offenzulegen suchen. Und da man das nur vom eignen Claim her vermag, der als »blinder Fleck« dies Offene ist, verwandelt sich die Topographie der Strukturen, und man kann nicht nicht selber denken. Dann aber erscheint das Verhältnis der Systemtheorie zur normalen Wissenschaft geradeso ambivalent wie das zur Philosophie. Wohl entbindet keine von beiden »von den programmatischen Bedingungen, den theoretischen und methodischen Einschränkungen, an denen die Wissenschaft Kommunikation als wissenschaftlich erkennt« (WG 531 f.), nur ist Kommunikation auf wissenschaftlichem Niveau nicht schon gleich Wissenschaft. Stellt sich die Frage, »wie das Wissenschaftssystem sich durch eigene OperaSystemtheorie und Philosophie  |  39

tionen beobachten, beschreiben, bestimmen, erklären kann, dann ist kein Zweifel, daß dies nur wissenschaftlich geschehen kann« (ebd.); aber die Folgerung »– oder andernfalls eben nicht im System geschieht« verdankt sich als irreführendes Tertium non datur dem Bedürfnis, die Theorie selbstreferenzieller Systeme nicht nur wissenschaftlich, sondern als Wissenschaft gesellschaftsfähig zu machen. Sie bliebe sonst, fürchtet Luhmann, »wissenschaftlich belanglose externe Beobachtung« (WG 532). Gesetzt aber auch, es würde gelingen, die Theorie als normale Wissenschaft unter normalen Wissenschaften zu installieren, bliebe immer noch abzuwarten, ob diese das Angebot annähmen oder unbekümmert ihren flexibel-normalistischen Weg weitergingen und in eigner Methodenregie und Terminologie zu vergleichbaren Resultaten gelangten. Im globalen Kommunikationssystem, in dem Wissenschaft eines unter vielen Subsystemen ist, liefe es aufs selbe hinaus, und die Systemtheorie erwiese sich ihrerseits als eine »Enklave« (WG 531). In der Tat wird Luhmanns Frage weder im System noch nicht im System beantwortet, sondern in der Grenze des Systems, und er selber macht darauf aufmerksam. Das Verhältnis zur Philosophie ist nämlich nur »die eine Seite der gegenwärtigen Problematik. Die andere besteht darin, daß selbstreferentielle Argumentationsformen in den Wissenschaften bisher nicht üblich gewesen, ja durchweg abgelehnt worden sind. […] / Nicht zuletzt liegt dies daran, daß unklar ist, ob und welche methodischen und theoretischen Freiheiten erlaubt oder sogar geboten sind, wenn es zu Forschung über Forschung oder zum Beobachten und Beschreiben von Beobachtungen und Beschreibungen der Wissenschaften kommt. Oder anders gesagt: Die Reflexion der Wissenschaft als Operationsweise und als System muß sich von dem, was sie beobachtet und beschreibt, unterscheiden  – oder anders wäre sie selbst keine Beobachtung bzw. Beschreibung. Sie hat Wissenschaft zum Gegenstand. […] Ihr Vorgehen muß alle logischen, theoretischen und methodischen Merkmale von Wissenschaftlichkeit aufweisen und muß trotzdem Wissenschaft über Grenzen hinweg beobachten können – und zwar nicht nur einzelne Forschungen, sondern Wissenschaft überhaupt. Sie ist mithin 40  |  Systemtheorie und Philosophie 

Dasselbe und nicht Dasselbe, Dasselbe und etwas anderes als normale Wissenschaft. / Eine Paradoxie also!« (WG 531 ff., m. H.)

Das Verhältnis von Wissenschaft, Systemtheorie und Philosophie sieht danach so aus: Die Wissenschaft muß auffällig werdende Paradoxien nach dem Axiom vom verbotenen Widerspruch invisibilisieren; die Systemtheorie macht sie sichtbar als die Grenze von Wissenschaft und depotenziert sie, um sich selbst diesseits der Grenze zu positionieren; die Philosophie hat ihren Ort in dieser Grenze und verläßt ihn weder in die eine noch in die andre Richtung. Wittgenstein hat das einmal so formuliert: »Es interessiert mich nicht, ein Gebäude aufzuführen, sondern die Grundlagen der möglichen Gebäude durchsichtig vor mir zu haben«, und: »Die eine Bewegung baut und nimmt Stein auf Stein in die Hand, die andere greift immer wieder nach demselben«122 – die ungeschmälert theoretische Einstellung, für die es zwar längst Bekanntes, aber nichts schon Durchdachtes gibt.123 Das nun freilich war von Anfang bis Ende Programm und Aufgabe der klassischen Philosophie, die sie in jedem ihrer geschichtlichen Orte auch, so oder so, gelöst hat. Wenn Hegel über die Reflexion sagt, sie bestehe »darin sie selbst und nicht sie selbst und zwar in Einer Einheit zu seyn«,124 kann er zurückverweisen auf Heraklit, bei dem es heißt, die Menschen brächten »nicht zusammen, wie das Zwieträchtige einträchtig ist mit sich: gegenstrebige Übereinstimmung wie beim Bogen und der Leier«,125 nämlich die »Verknüpfungen: Ganze und Nichtganze; Einträchtiges Zwieträchtiges; Einklang Zwieklang: Aus allem Eins und aus Einem alles«.126 Das »Unrecht« der bloß einander sich entgegensetzenden Sätze ist darum für Hegel dies, »solche abstracte Formen, wie dasselbe, und nicht dasselbe, die Identität und die Nichtidentität für etwas wahres, festes, wirkliches zu nehmen, und auf ihnen zu beruhen. Nicht das eine oder das andre hat Wahrheit, sondern eben ihre Bewegung, daß das einfache Dasselbe die Abstraction und damit der absolute Unterschied, dieser aber als Unterschied an sich, von sich selbst unterschieden also die Selbstselbstgleichheit ist. Ebendiß ist der Fall mit der Dieselbigkeit des göttlichen Wesens und der Natur überhaupt und der menschlichen insbesondre«.127 Systemtheorie und Philosophie  |  41

»Zunächst«, bemerkt Luhmann, irritiert von Nikolaus von Kues, »beginnt man zu sehen, daß die Suche nach Vorgängern und überliefertem Gedankengut nicht in die Erkenntnistheorie zurückführt, sondern in die Theologie« (WG 529) – und also in die klassische Philosophie, die von den orphisch motivierten Vorsokratikern128 bis zu Schellings später Philosophie der Offenbarung in ihren differenziertesten Gestalten Ontotheologie war, Onto-Theo-Logik. Als theologikê epistêmê oder erste Wissenschaft erhebt sie seit Aristoteles die Gewißheit prinzipieller Einheit zu ihrer Wahrheit, auch noch in der spekulativen Grenz-Gestalt Hegels. Diese Gewißheit gehörte allerdings unabdingbar zur wesentlichen Anschaulichkeit der handwerklich-manufakturiellen Welt, deren selbstreferenzielles Korrelat der noys war, die Vernunft als »intellektuelle Anschauung«. Aus der Sicht der abermals ihrer selbst gewissen Moderne erscheinen die klassischen Theologumena darum plausiblerweise nur als »(vorübergehend plausible) Figuren der Paradoxiereflexion« (WG 529), und nicht nur auf dem Standpunkt des operativen Konstruktivismus gibt es »[a]nders als im großen Roman der Philosophie, anders als in der Phänomenologie des Geistes, […] kein Ende, in dem die Erkenntnis mit ihrem Gegenstand, die Vernunft mit der Wirklichkeit eins wird« (ebd. 547). Es ist darum nicht beiläufig, daß die Phänomenologie des Geistes sich als Er-Innerung der Divina Commedia versteht und darum vielmehr als ›spekulatives Epos‹,129 dessen Ende, das »absolute Wissen«, zugleich der Anfang der Wissenschaft der Logik ist als der »Darstellung Gottes […] in seinem ewigen Wesen, vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes«.130 In der Tradition Heraklits konnte Hegel damit noch einmal die spekulative Identität des lógos denken: »Die Philosophie muß dem Trennen in Subjekt und Objekt sein Recht wiederfahren lassen, aber indem sie es gleich absolut setzt mit der der Trennung entgegengesetzten Identität, hat sie es nur bedingt gesetzt, so wie eine solche Identität, – die durch Vernichten der entgegengesetzten bedingt ist, auch nur relativ ist. Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen und Einsseyn ist zugleich in ihm.«131

42  |  Systemtheorie und Philosophie 

A  

Die Leitdifferenz

uf elegante und in der Theoriestruktur überzeugende Weise löst schließlich der absolute Geist der Metaphysik Hegels dieses Problem. Er unterscheidet sich in sich (nicht: gegen sich). Nur hat sich dafür keine soziale Realisation finden lassen, so daß der Geist am Ende nichts anderes ist als die Form, die für dieses Problem empfindlich macht. Er symbolisiert ein Innen ohne Außen, eine Gesellschaft ohne Umwelt.«132 Gegen Hegels »sich in sich«, das doppelte héteron von Subjekt und Objekt, Identität und Differenz, beruft Luhmann das moderne állo: »Für die Ausarbeitung einer Theorie selbstreferentieller Systeme, die die System/Umwelt-Theorie in sich aufnimmt, ist eine neue Leitdifferenz, also ein neues Paradigma erforderlich. Hierfür bietet sich die Differenz von Identität und Differenz an [m. H.]. Denn Selbstreferenz kann in den aktuellen Operationen des Systems nur realisiert werden, wenn ein Selbst (sei es als Element, als Prozeß oder als System) durch es selbst identifiziert und gegen anderes different gesetzt werden kann.« (SS 26)

Hier sind zwei Formeln, die einen geschichtlich-prägnanten Unterschied bezeichnen, dessen Bedeutung Luhmann sich bewußt ist: »Wer genau liest, wird bemerken, daß von Differenz von Identität und Differenz die Rede ist und nicht von Identität von Identität und Differenz. An dieser Stelle schon zweigen die folgenden Überlegungen von der dialektischen Tradition ab – bei allen Ähnlichkeiten, die im folgenden dann immer wieder auffallen mögen. Einer der wenigen Autoren, die den modernen Funktionalismus bis auf dieses Grundproblem hinführen, ist Alfred Locker […]: ›In the ultimate respect functionality leads to a unification, i. e. an identity of identity and difference‹ […]. Ich ziehe es vor, Dialektikern zu überlassen, klar zu machen, wie diese letzte Identität zu verstehen ist. Für die funktionalistische Systemtheorie genügt es, von (jeweils kontingent gewählten) Differenzen auszugehen« (ebd., Fn. 19).

Die Leitdifferenz  |  43

– von Differenzen von Identitäten und Differenzen. Von Identität im Singular muß allerdings die Rede sein, sobald es terminologisch um Reflexion und nicht nur um Selbstreferenz zu tun ist. Um zu operieren, »ist das System nicht darauf angewiesen, jede Operation an der Identität des Systems zu orientieren. Nur eine solche Orientierung an der Identität des Systems im Unterschied zu anderem wollen wir Reflexion nennen« (WG 481, m. H.). Die Reflexion allein klärt darum auch, daß die »letzte Identität« weder als klassischer Begriff noch als modernes Simulakrum zu verstehen ist, sondern als postulierte bzw. konstituierte Identität oder Supplement. Ihre Aktualität ist je nur Identifizieren, reiner Prozeß, ›unification‹ (Alfred Locker), nicht ›unity‹. Zieht Luhmann gleichwohl vor, das Verstehen »Dialektikern« zu überlassen, überträgt er ihnen de facto die Klärung der formalen Leitdifferenz und demontiert den universalistischen Anspruch der »Supertheorie«. Formal ist nicht = abstrakt, aber der »Versuch, die Theorie sozialer Systeme auf der Grundlage des Entwicklungsstandes der allgemeinen Systemtheorie zu reformulieren« (SS 28), zieht sich pragmatisch zurück auf die reale Leitdifferenz: »Systemdifferenzierung ist nichts anderes als die Wiederholung der Differenz von System und Umwelt innerhalb von Systemen« (ebd. 22, m. H.). Sie muß deswegen schon in der Propädeutik zur Sprache kommen, während die formale Leitdifferenz das System theoretisch beschreiben soll, zuvörderst das System ›Systemtheorie‹ selbst, demgegenüber »Identität von Identität und Differenz« dann als Formel für die geschichtliche Umwelt fungiert, summarisch für die klassische Philosophie von Heraklit bis Hegel. Ihr re-entry bezeugt das Dilemma des Systemtheoretikers: Die formalen Konsequenzen des Übergangs von der reflektierten Identität zur reflektierten Differenz wären aus einem Vergleich nicht zwischen System und Subsystem, sondern zwischen System und System zu ziehen – nicht aus der invisibilisierten, sondern aus der visibilisierten Grenze. Mit Alfred Locker wird ein systemtheoretischer Nachbar apostrophiert, aber die maßgeblich in die philosophische Waagschale des 20. Jahrhunderts zu werfende »negative« Dialektik verweigert sich selber schon dem Primat der Identität. »Das Ganze ist das Unwahre«, notierten Adornos Minima Moralia 1944 (Nr. 29), und Luhmann scheint der klassischen Tradition sogar näher zu stehen als Adorno, wenn er dagegen hält: »Es bleibt dabei: das Wahre 44  |  Die Leitdifferenz 

meint das Ganze. Aber das Ganze ist, wenn Selbstbeobachtung impliziert ist, eine Paradoxie.« (WG 533) Beide Theoreme spielen an auf den Satz, das Wahre sei das Ganze, in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, wo Hegel fortfährt: »Das Ganze ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen«.133 Da die Phänomenologie allerdings Selbstbeobachtung impliziert (nur noch nicht die des funktionalen Bewußtseins), ist dies spekulative Ganze in der Gestalt des absoluten Wissens ebenfalls eine Paradoxie. Aber von absolutem Wissen und Vollendung kann weder systemtheoretisch noch negativ-dialektisch irgend die Rede sein. Luhmann sagt auch nicht, das Wahre sei das Ganze, sondern es meine das Ganze  – die paradox sich entziehende Einheit  –, und darin stimmt er wiederum mit Adorno überein, freilich ohne den inzwischen gegenüber der Tradition, auch gegenüber der systemtheoretischen Tradition revidierten Systembegriff preiszugeben. In der Vorrede zur Negativen Dialektik hatte Adorno noch 1966 geschrieben: »Dialektik will bereits bei Platon, daß durchs Denkmittel der Negation ein Positives sich herstelle […]. Das Buch möchte Dialektik von derlei affirmativem Wesen befreien, ohne an Bestimmtheit etwas nachzulassen. Die Entfaltung seines paradoxen Titels ist eine seiner Absichten. / […] so könnte die Negative Dialektik […] Antisystem heißen. Mit konsequenzlogischen Mitteln trachtet sie, anstelle des Einheitsprinzips und der Allherrschaft des übergeordneten Begriffs die Idee dessen zu rücken, was außerhalb des Banns solcher Einheit wäre.«134

Unter dem Titel Antisystem setzt Adorno sein Unternehmen im selben Zug gegen zwei geschichtlich zu unterscheidende Systembegriffe ab, gegen den neuzeitlich-vorindustriellen oder als ratio naturalis natürlich-geschlossenen und gegen den modern-industriellen oder operational-geschlossenen ›trivial-maschinellen‹ Systembegriff.135 Muß sich daher seine Kritik am unwahren Ganzen zum System überhaupt negativ verhalten, kann Luhmann einen Systembegriff entwickeln, der dem Adornoschen »Nichtidentischen«, weil dem modernen állo Rechnung trägt. Dank des Primats der Selbstrefenzialität vermag dieser Systembegriff sich ebenso von den Die Leitdifferenz  |  45

systemtheoretischen Vorgängern wie von der klassisch-positiven und modern-negativen Dialektik zu unterscheiden, und Luhmann kann »dann wohl verlangen, daß der Kritiker für den Aussagenbereich der Theorie adäquate Alternativen entwickelt und sich nicht mit dem Hinweis auf seine Theorie begnügt, wonach im Verblendungszusammenhang des Spätkapitalismus die Wirklichkeit nicht begriffen werden könne« (SS 9). Das Recht der Forderung liegt darin, daß beide Theorien Anspruch machen auf sei es negative, sei es positive Universalität. »Theorien mit Universalitätsanspruch sind leicht daran zu erkennen, daß sie selbst als ihr eigener Gegenstand vorkommen« (ebd.). Seit Akademie und Peripatos war das die Auszeichnung der Philosophie vor den Wissenschaften, wie noch Hegels Systemgrundriß zwar eine Encyclopädie ist wie die von Diderot und d’Alembert, aber ihren Kreis nur um die philosophischen Wissenschaften schlägt. Das Großbeispiel ist der subjektive und objektive Genitiv der Wissenschaft der Logik. Luhmanns Systemtheorie kann weder normale Wissenschaft noch will sie Philosophie sein, aber kraft der ihr so unabdingbaren wie als nicht transzendierbar postulierten Reflexion ist sie eine philosophische Wissenschaft136 wie in der Moderne sonst nur Marx’ Kritik der politischen Ökonomie: »Ihre Relevanz besteht in dieser Isomorphie der Problemstellung.« (SS 145 f.) Als Beobachter der Beobachter bekennt Luhmann, daß er zwar ständig die Position wechsle, aber doch zugleich Wert darauf lege, »im beobachteten System anschlußfähig zu operieren und sich deshalb der Autopoiesis eben dieses Systems einzufügen. Er will, wenn nicht begründbar, so doch jedenfalls wissenschaftlich vorgehen. Er wird dann an sich selbst feststellen, was er an der Wissenschaft feststellen muß: daß man Paradoxien auflösen muß, um im Kontext des autopoietischen Systems operieren zu können« (WG 363 f.), bei Strafe nämlich, seine Operationen andernfalls »als ›Philosophie‹ (um nicht zu sagen ›Metaphysik‹)« (ebd.) abgetan zu sehen – was immer die beobachteten Beobachter sich darunter zusammenreimen mögen. Es wäre freilich wunderbar, wenn sich Paradoxien, die mehr sind als Sprachspiele, »auflösen« ließen, und denkwürdig genug, daß der Philosophie das einschlägige Verfahren nicht auch irgendwann eingefallen ist. Aber hier spricht der Rhetoriker, der selber 46  |  Die Leitdifferenz 

weiß, daß man Corpora delicti nicht dadurch auflöst, daß man sie zudeckt. Luhmanns nicht-rhetorischer Terminus technicus heißt Invisibilisieren (was phänomenologisch mit »Abschatten« zu übersetzen wäre) – die Paradoxien des selbstreferenziellen Systems werden nicht aufgelöst, sondern supplementiert.137 Das System ergänzt sich durch fortwährende Selbstsupplementierung. Dem angemahnten Universalitätsanspruch genügt die Philosophie als Andenken der Weltgrenzen. Da Denken, Welt und Grenze selber geschichtliche Begriffe sind, ist sie die Beschreibung ihres geschichtlichen Orts  – Beschreibung, nicht Umschreibung oder Definition, weil die Gegenwart das Offene ist, das sein systemtheoretisches Korrelat am »blinden Fleck« hat. Als philosophische Wissenschaft nimmt die Systemtheorie ihrerseits die Weltgrenzen in acht, nur mit dem vordringlichen Interesse, von ihnen so rasch wie elegant zur Selbstdifferenzierung des Systems zurückzukehren – mit einer Notiz Wittgensteins von 1930: Ihre »Bewegung reiht einen Gedanken an den anderen, die andere zielt immer wieder nach demselben Ort«.138 Ebenso beschreibt die Systemtheorie ihren geschichtlichen Ort, aber als Theorie sozialer Systeme per definitionem soziologisch und erst aus dieser Perspektive auch genetisch. »Von der (naiv-)realistischen Annahme, daß wirklich existiert, was ein Modell repräsentiert, löst sich die Systemtheorie erst durch die kognitive Reflexion auf die ›Operation Beobachtung‹ – durch Rückwendung auf sich selbst.«139 Das läßt viele ihrer Entscheidungen als kontingent oder rein pragmatisch erscheinen, die sich näher als Spezifizierungen ihrer (philosophie)geschichtlichen Rahmenbedingungen erweisen.140 Auf »der Ebene der allgemeinen Systemtheorie« heißt Beobachtung »nichts weiter als: Handhabung von Unterscheidungen« (SS 63). Überhaupt hängt die Isomorphie zwischen Systemtheorie und Philosophie am Anspruch, eine »Supertheorie« zu sein, an der »universalistischen« Allgemeinheit der Leitdifferenz. Wenn diese philosophische Wissenschaft also konstitutiv »als einer unter vielen anderen ihrer Gegenstände in der wirklichen Welt« vorkommt, dann »ergibt sich daraus eine Art Mitbetreuung der Erkenntnistheorie durch die Systemtheorie und daraus, rückwirkend, eine Art Eignungstest der Systemtheorie: Sie muß auch diese Aufgabe neben anderen lösen können« (SS 30). Umgekehrt muß Die Leitdifferenz  |  47

nun nicht unbedingt die Erkenntnistheorie, wohl aber die Theorie der noch nicht arbeitsteilig präformierten Wahrheit zusehen, was damit für die eigne Gegenwart zu lernen ist. Leitdifferenz ist der Wahrheitsbegriff zweifellos für das gesellschaftliche Subsystem Wissenschaft. Zur Exposition der »Unterscheidung wahr/unwahr« (SS 169) gelangt Die Wissenschaft der Gesellschaft aber erst über die Reflexion auf 1. Bewußtsein und Kommunikation,141 2. Beobachten und 3. Wissen, wobei die reale Leitdifferenz System/Umwelt als Bedingung der Möglichkeit einer Theorie sozialer Systeme überhaupt immer schon vorausgesetzt ist: »Als Ausgangspunkt jeder systemtheoretischen Analyse hat, darüber besteht heute wohl fachlicher Konsens, die Differenz von System und Umwelt zu dienen.« (SS 35) Diese Differenz »läßt sich abstrakter [sc. formal] begründen, wenn man auf die allgemeine, primäre Disjunktion einer Theorie der Form zurückgeht, die nur mit Hilfe eines Differenzbegriffs definiert: Form und anderes« (SS 35, Fn. 5). Das bindet die Systemtheorie an die klassische griechische Philosophie zurück mit ihrer orphisch-pythagoreischen Leitdifferenz péras/ápeiron, Grenze/Unbegrenztes, geschichtlich näher namentlich an Sartre. Luhmann zitiert Humberto Maturana: »The basic cognitive operation that we perform as observers is the operation of distinction. By means of this operation we define a unity as an entity distinct from a background, characterize both unity and background by the properties with which this operation endows them, and define their separability.« (SS 63, Fn. 69) Interessant ist das schon des Primats wegen, den der systemtheoretische Kognitionsbegriff dem Begriff der Wahrnehmung zuweist, der »allen reflexiven Prozessen vor-, wenn nicht übergeordnet wird«, denn sie leistet »die Externalisierung neurophysiologischer Prozesse« (GG 121, m. H.). Nicht die Psyche überhaupt, erst das als Wahrnehmung basale Bewußtsein »dient damit der Einführung der Differenz von Fremdreferenz und Selbstreferenz in die Steuerung menschlichen Erlebens und Handelns« (RG 13). Das hatte Sartres existentiale Phänomenologie an der Differenz von reflektierender und unmittelbarer Einstellung im »transzendentalen Feld« des Bewußtseins überhaupt herausgearbeitet:

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»Das transzendente Ich (Je) muß unter dem Schlag der phänomenologischen Reduktion fallen. Das Cogito behauptet zuviel. Der bestimmte Inhalt des Pseudo-›Cogito‹ ist nicht ›ich habe [j’ai] ein Bewußtsein dieses Stuhls‹, sondern ›es gibt [il y a] ein Bewußtsein dieses Stuhls‹. Dieser Inhalt genügt, um ein unendliches und absolutes Feld zu konstituieren für die Untersuchungen der Phänomenologie.«142

Das Il y a strukturiert das ichlos-intentional gedachte Bewußtseinsfeld punktuell.143 Beziehungslos evoziert es eine Gestalt (forme) auf ihrem Grund (fond). Dieser ist »mit-anwesend als wesentliche Existenzbedingung der aktuell wahrgenommenen Realität«:144 »Es scheint, wir fänden überall den Raum ausgefüllt (le plein). Aber es ist zu bemerken, daß es in der Wahrnehmung immer Konstitution von Gestalt auf einem Grund gibt. Kein Gegenstand, keine Gruppe von Gegenständen ist besonders ausgezeichnet, sich als Grund oder als Gestalt zu organisieren: alles hängt ab von der Richtung meiner Aufmerksamkeit.«145 Sie konstituiert in jedem Augenblick die Differenz, indem das Bewußtseinssystem für sich selbst ist, was jedes System an sich ist, die Menge seiner (rekursiven) Prozesse. Wenn Luhmann anmerkt, »daß es außer System/Umwelt auch andere Welt gebende Beobachtungsschemata gibt, zum Beispiel Figur/Grund, dies und anderes« (SS 283 f., Fn. 70), ist dieselbe Struktur gemeint, die gestaltpsychologische bzw. phänomenologische Terminologie jedoch nicht umstandslos systemtheoretisch übertragbar. »Durch das bloße Operieren der Wissenschaft« z. B. »entsteht für einen Beobachter eine Differenz von System und Umwelt. Wird diese Differenz als Unterscheidung in das System wiedereingeführt, entsteht das, was man ›Gegenstand‹ nennt: die Einzelheiten der Umwelt als (intern konzipierte) Gegenstände der Forschung« (WG 382). Die Differenz von System und Umwelt wiederum setzt die Differenz von Operation und Ereignis voraus, das »nur als Differenz beobachtet werden« kann (WG 37), d. h. an ihm selber phänomenologisch gestaltlos ist. Da die Operation im Unterschied zum System, dessen Operation sie ist, ihrerseits (wiewohl schon zeitpunktmarkierten) Ereignischarakter hat (ebd.), kommt der Terminus »Grund« strenggenommen nur der im Augenblick Element werdenden (noch nicht: gewordenen) Spur des Ereignisses zu. »Die Umwelt ist der Grund Die Leitdifferenz  |  49

des Systems und Grund ist immer etwas ohne Form« (SS 601 f.), aber als Grund des Systems und nicht nur der Operation ist die Umwelt eine bereits reflektierte Gestalt des Grundes.

G  

Die formale Leitdifferenz und die Zeit

rund/Form, Umwelt/System, Gegenstand/Erkenntnis, Possibilität/Aktualität – die Reflexionsstufen im System sind Typen der realen Leitdifferenz der Theorie. »Sinngeneralisierung« hält Horizonte präsent, »die es immer und unabweisbar ermöglichen, angesichts von Differenz (oder in besonderer Zuspitzung: angesichts von Widersprüchen) auf die Sinneinheit der Differenz (bzw. des Widerspruchs) zurückzukommen. / Das bedeutet nicht zuletzt, daß eine Logik, die solche Sachverhalte für ihre Zwecke reformulieren will, mit einer Mehrheit von Ebenen bzw. mit einer Typenhierarchie arbeiten muß (was immer das bedeuten mag).« (SS 138)146

Die Systemtheorie bewegt sich mithin »in der Nachbarschaft der Typentheorie. In der hier gewählten Betrachtungsweise handelt es sich aber immer um einen systeminternen Prozeß und nicht nur um die Art und Weise, wie ein externer Beobachter seine Vorstellungen ordnet« (SS 631). Demzuvor ist die formale Leitdifferenz die Differenz von Identität und Differenz. Sie unterscheidet die Theorie der Systeme von den klassischen Theorien des Systems (Singulare tantum), exemplarisch vom Denken Hegels,147 das sich seinen Gegenstand »selbst erzeugt und gibt«.148 Dies spekulative Denken setzt (produziert), und da es nichts andres hat, um anzufangen, setzt es sich – als das Gesetzte oder Positive (P). Um seiner Einfachheit willen ist damit das Setzen ins Gesetzte verschwunden. Das Gesetzte hat darum auch nichts, worin und wogegen es gesetzt wäre, und verschwindet seinerseits – zurück ins Setzen, das dadurch das Entgegengesetzte des Gesetzten ist, das Negative (N). Als Entgegengesetzes aber ist das Negative sowenig Setzen wie das Positive. Wie dieses verschwindet es – in sein Entgegengesetztes, das nun nicht mehr das Entgegengesetzte des 50  |  Die formale Leitdifferenz und die Zeit 

Positiven ist, sondern des Negativen – das Negative des Negativen (NN). Dieses ist einerseits wohl wieder das Positive wie anderseits sein Wiederhergestelltsein als das Negative, aber damit auch das Negative beider als das wechselweise Verschwinden und Entstehen der Gesetzten auseinander, ihre reflektierende Bewegung (NN R). In ihrer einfachsten Gestalt ist sie das Werden149  – Gesetztsein und Setzen an und für sich als Eine Bewegung, absolute Positivität (NNR = PA): P – N – NN – (PA = P). Nach ihrer formalen Seite ist diese Reflexion die »Bewegung von Nichts zu Nichts, und dadurch zu sich selbst zurück«,150 nach ihrer realen Seite »das einfache Wesen des Lebens, die Seele der Welt, das allgemeine Blut zu nennen, welches allgegenwärtig durch keinen Unterschied getrübt noch unterbrochen wird, das vielmehr selbst alle Unterschiede ist, so wie ihr Aufgehobenseyn, also in sich pulsirt, ohne sich zu bewegen, in sich erzittert, ohne unruhig zu seyn«.151 So hält das Hegelsche Denken die Paradoxie aus, nämlich produktiv,152 und läßt die Architektonik des Systems als »eine Umschließung emporsteigen«153 für die Gegenwart der Unendlichkeit jetzt und hier: »Dieses Unendliche als In-sich-Zurückgekehrtseyn, Beziehung seiner auf sich selbst, […] ist, und ist da, present, gegenwärtig.«154 Das erscheint hier wohl als ›ewige Wahrheit‹, aber Hegel weiß auch schon, daß die Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfaßt ist.155 Und gewiß – sobald geschichtlich erfahrbar wird, »daß schon in der Spanne eines Lebens […] sich fast alles Wesentliche ändert, tritt die (auch vorher natürlich bekannte) Differenz von Vergangenheit und Zukunft in die Position einer Leitdifferenz des Zeitverständnisses und verdrängt hier die Unterscheidung von allgegenwärtiger Ewigkeit und Zeit. Das hat zur Folge, daß die Gegenwart durch die Differenz von Vergangenheit und Zukunft definiert wird, also (wie vorher lediglich auf der Ebene der Temporalität von Ereignissen) zu einem Jetztzeitpunkt wird, der ›zwischen‹ Vergangenheit und Zukunft das ständige Umschalten vom einen in den anderen Zeithorizont ermöglicht, aber selbst keine Zeit ist. […] Damit wird die Gegenwart selbst zur Paradoxie der Zeit: zur Einheit der Differenz von Vergangenheit und Zukunft, zum durch Die formale Leitdifferenz und die Zeit  |  51

sie ausgeschlossenen, in sie eingeschlossenen Dritten, zur Zeit, in der man keine Zeit hat.« (WG 613, m. H.)

Seit Hegels Arbeit des Begriffs156 sich umgekehrt hat zum Begriff der Arbeit157, ist dies die Zeit der Moderne – was begreiflich macht, daß das spekulative System zwar mit Gewinn (von Differenz) nachzudenken ist wie ohnehin als Kunstwerk zu würdigen, aber nicht zuletzt darum den fatalen Ernst des Lebens vermissen läßt, den schon Schopenhauer und Kierkegaard einklagten. Es ist der gegenwärtige Ernst des Lebens, das auch dann von der Entzauberung der Welt geschlagen bleibt, wenn es längst nicht mehr mit Max Weber glauben will, daß man »alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt.«158 Deren Niederschlag, die Faktizität bleibt: »Beobachtet man das Beobachten, so erkennt man, daß der Beobachter die Welt mit Unsicherheit infiziert und damit ein Moment der Unordnung hinzufügt. Durch Beobachten des Beobachtens läßt sich dies steigern, aber nicht ändern.« (WG 521, L1992) Als Erbe des spekulativ sich seinen Gegenstand erzeugenden und gebenden Denkens fungierte bereits bei Schopenhauer die mit dem »Wort ›Ich‹« bezeichnete Identität als der unerklärliche »Weltknoten«,159 bei Husserl »das absolute Ego als das letztlich einzige Funktionszentrum aller Konstitution« des intentionalen Bewußtseins.160 Heideggers Freiburger Antrittsvorlesung von 1929 entdeckt dessen Ort als das ›nichtende Nichts‹: »Das Wesen des ursprünglich nichtenden Nichts liegt in dem: es bringt das Da-sein allererst vor das Seiende als ein solches.«161 Darin hat sich die ›Lichtung‹, der Ort für … aufgetan als die Differenz ›selbst‹, deren existentielle Abgründigkeit 1943 Sartres L’être et le néant sondieren wird. Ist Gegenwart ein Punkt, der Punkt aber differierende Gegenwart, dann erweist die spekulative Einheit des Hegelschen Kreises sich jetzt vielmehr als ausgeschlossene Einheit. Zu denken ist nicht jene absolute Positivität NNR = PA, sondern eine Reihung wiederholter und das heißt schon abstrahierter Terme. Soll sie nicht geradeso formal bleiben wie x + y = y + x, ist ihre Hegelsche Folge darum mit dem Zeitindex zu versehen: … Pt – Nt1 – NNt2 – Pt3 (≠ Pt) … 52  |  Die formale Leitdifferenz und die Zeit 

Aber nicht nur die absolute Positivität steht aus, sondern auch die relative Positivität, das bloße P erweist sich als Resultat einer (pleonastisch: identifizierenden) Operation, und NN ist statt »Reflexion in sich« vielmehr Reflexion in anderes: … Nt – Nt1 – Nt2 – Nt3 … Anstatt der absoluten oder irgendeiner relativen Positivität ist allein noch das Feld von Differenzen vorauszusetzen, bloßer (immer noch mit Hegel gesprochen) Negativitäten. »Strukturalisten«, bemerkt Luhmann, »geben im Anschluß an Saussure die Auskunft, daß die Sprache selbst differentiell funktioniere«, und fügt hinzu: »Entsprechendes gilt für die sogenannten ›Tatsachen‹, die sich ebenfalls nur in Differenz zu anderem als Einheiten präsentieren« (WG 376). Saussure hatte in seinen Vorlesungen über die allgemeine Sprachwissenschaft gelehrt: »dans la langue il n’y a que des différences […] sans termes positifs« – im Sprachsystem gibt es überhaupt nur Differenzen und keine positiven Terme:162 »Anstelle vorgegebener Vorstellungen (idées) bekommen wir also in jedem Fall Werte (valeurs) zu fassen, die dem System entspringen. Sagt man, sie korrespondierten Begriffen, dann versteht man darunter stillschweigend, daß diese rein differenziell sind, definiert nicht positiv durch ihren Inhalt, sondern negativ durch ihre Beziehungen zu den andern Termen des Systems. Ihre genaueste Charakteristik ist die, zu sein, was die andern nicht sind.«163

Das macht begreiflich, was es auf sich hat mit der von Luhmann immer wieder eingeschärften und zugleich mit merklicher Unruhe umkreisten Anweisung (injunction) George Spencer Browns: »Draw a distinction.« (ES 73) »Im Anschluß an Spencer Brown wollen wir, wenn die Operation gemeint ist, von Unterscheidung (distinction) und Bezeichnung (indication) sprechen. Die entsprechenden semantischen Resultate heißen: Differenz und Identität. Die Differenz von Differenz und Identität wird gleichsam quer zur Differenz von Aktualität und Möglichkeit eingesetzt, um diese in der Operation zu kontrollieren. Das Mögliche wird als Differenz verschiedener Möglichkeiten Die formale Leitdifferenz und die Zeit  |  53

(einschließlich derjenigen, die gerade aktualisiert ist und auf die man zurückkommen kann) aufgefaßt, und die zu aktualisierende Möglichkeit wird dann in ihrer Identität als dies-und-nichtsanderes bezeichnet.« (SS 100 f.)

B  

Das Möglichkeitsfeld

evor man der Anweisung Spencer Browns folgen kann, muß man dazu die Möglichkeit haben. »Es ist evident, daß das, was nicht ist (le non-être), immer innerhalb der Grenzen einer menschlichen Erwartung erscheint«, heißt es bei Sartre, und »die Welt entdeckt all das, was in ihr nicht ist, dem nicht, der es nicht zuvor gesetzt hat als Möglichkeiten«.164 Das wird auch die Systemtheorie beschäftigen; hier meint es zunächst, die Unterschiede im Differenzfeld seien noch nicht einmal, wie die Formel nahezulegen scheint, Negationen, sondern mögliche Negationen (und so auch mögliche Positionen): »Man geht heute allgemein davon aus, daß Negationen systeminterne Operatoren sind, denen kein Umweltkorrelat entspricht« (WG 524),165 und mit Spencer Brown unternimmt Luhmann zu zeigen, »daß die Operation des Negierens den Gebrauch einer Unterscheidung voraussetzt (und nicht, wie Logiker denken müßten, der Gebrauch einer Unterscheidung die Negation). Das Unterscheiden ist primärer Bestandteil der Operation, die wir Beobachten nennen, und Negationen kommen erst durch ein ›crossing‹, durch ein bestimmtes Behandeln der Unterscheidung zustande. Das ist eine Entdeckung von immenser Tragweite, weil sie dazu führt, die Paradoxien des Unterscheidens (das sich selbst unterscheiden muß und nicht unterscheiden kann), von den Paradoxien zu unterscheiden, die durch den Gebrauch von Negationen zustandekommen.« (WG 517 f.)

Sonach wäre die Formel für das Feld der Differenzen als Feld von Möglichkeiten … dt – dt1 – dt2 – dt3 …,

54  |  Das Möglichkeitsfeld 

aber sie ist immer noch unvollständig: Das Differieren scheint über Zeitpunkte zu laufen, und Punkte signalisieren als minimale Positivitäten immer schon den Anfang von Negativität (und so von Identität). Das Differieren hingegen (ist) absolut. Zurückgesehen auf Kants Bestimmung der Zeit als Form des inneren, des Raums als Form des äußeren Sinns, macht das phänomenologisch gedachte Zeitigen-Einräumen Hegels Hinweis fruchtbar, die Zeit sei bereits ein erstes Fürsichsein als die »Negativität, die sich als Punkt auf den Raum bezieht«;166 dagegen die »erste oder unmittelbare Bestimmung der Natur ist die abstracte Allgemeinheit ihres Außersichseyns, – dessen vermittlungslose Gleichgültigkeit, der Raum. Er ist das ganz ideelle Nebeneinander, weil er das Außersichseyn ist, und schlechthin continuirlich, weil diß Außereinander noch ganz abstract ist und keinen bestimmten Unterschied in sich hat« (ebd. § 254, o. H.). Die Zeichenreihe ist danach zu verräumlichen: . . . ds2 | ds1 | dt-2 – dt-1 – dst – dt1 – dt2 … | ds-1 | ds-2 . . . In der koordinierend-systematisierten Ordnung der Differenz sind dann, anknüpfend an Saussure, die (syntagmatische) Abszisse in praesentia und die (assoziative) Ordinate in absentia zu unterscheiden167 – mit Folgen für den systemtheoretischen Zentralbegriff der Kommunikation. Das Postulat des basalen Differenzfelds (für jedes System) macht Luhmanns Behauptung zweideutig, Unterscheiden sei »priDas Möglichkeitsfeld  |  55

märer Bestandteil der Operation, die wir Beobachten nennen«. Hegel hatte gefragt: »Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?«168 Spencer Browns Anweisung ist nun offenkundig nicht die idealistische, eine Differenz zu setzen,169 sondern meint in Richtung Gegenstand: Draw a distinction, mache keine andre Voraussetzung als die des Differenzfelds; in Richtung Operation: Draw a distinction, ziehe daraus eine Unterscheidung hervor170 – selektiere sie.171 Sie ist augenblicklich da als mögliche Information, der Beobachter kommt mit seinem Unterscheiden immer schon zu spät, es bleibt ihm nichts zu tun als irgendeins der stimulierenden Ereignisse172 zu aktualisieren, hervorzuheben oder eben (pleonastisch gesprochen: selektiv) zu bezeichnen – wie ›distinction‹ auch Merkmal, Kennzeichen heißt (Derridas ›marque‹), ›Dies-undnichts-anderes‹ (SS 101): … dt-2 – Nt-1(Retention) – Pt – Nt1(Protention) – dt2 … Das sei, bemerkt Luhmann, »eine Entdeckung von immenser Tragweite«, nämlich für die Moderne, die um des Differenzprimats willen das klassische Setzen in Unterscheiden (Feld) und Bezeichnen (Operation) zerfällen muß,173 in Grund und Form usw. Luhmann hat sich das für seine Spencer-Brown-Lektüre klarzumachen gesucht, aber das Merkwürdige sei, sagt er in der Vorlesung, »daß die Unterscheidung eine Unterscheidung und eine Bezeichnung enthält, also Unterscheidung und Bezeichnung unterscheidet. Die Unterscheidung setzt, wenn sie als Einheit in Operation gesetzt werden soll, immer schon eine Unterscheidung in der Unterscheidung voraus. Wie man das interpretieren soll, ist, soweit ich Diskussionen über Spencer Brown kenne, nicht ganz klar. Ich selbst verstehe den Kalkül so, aber da bin ich nicht sicher, daß die Unterscheidung sozusagen aus der Unterscheidung herausgezogen wird und daß am Ende explizit wird, daß die Unterscheidung in der Unterscheidung immer schon vorhanden war.« (ES 74)

Die Verantwortung für die Supertheorie wird damit stillschweigend Spencer Browns Laws of Form zugeschoben, die aber auch »nicht ganz klar« sind. »Für sich genommen ist das Unterscheiden zunächst das Offenhalten einer Differenz, und zwar das Offenhalten 56  |  Das Möglichkeitsfeld 

von mehr als einer Möglichkeit der Bezeichnung, nämlich der Möglichkeit, die eine oder die andere Seite zu bezeichnen« (WG 375). Es hilft nichts: Um eine Differenz auch nur ›offenhalten‹ zu können, muß sie bereits als Differenz bezeichnet sein. Das ist sie als »Unterschied, der einen Unterschied macht« (ES 128, m. H.), nämlich als Information (Quines stimulation). Sie ist »immer ein Ereignis« (ES 127), wird aber erst kommunikabel, wenn sie als Information selektiert ist (Quines occasion sentence).

D  

Differenz und Identifikation

as »bedeutet, daß die Differenzen als solche zu wirken beginnen, wenn und soweit sie in selbstreferentiellen Systemen als Informationen behandelt werden können« (SS 68). Die ›Wirkung‹ der sich ereignenden Differenz ist die Information als ihre operativ identifizierte Spur: Operation(Information←Spur) ← Ereignis, also nämlich

NProtention(Pt ← NRetention) ← dt-2, Bezeichnung(Identität←Spur) ← Differenz,

d. h. die Differenz ist da nur als die als ausgeschlossen eingeschlossene Einheit von Differenz und Identität – die Hegelsche Identität in moderner Transformation. Luhmanns Überraschung, daß mit der »Unterscheidung in der Unterscheidung« »schon am Anfang ein verborgenes Paradox vorhanden« sei (ES 74), ist der operationalen Überblendung der Differenz von Differenz und Operation geschuldet und so der Furcht vor dem Rückfall ins idealistische Setzen. Sie suggeriert die Vorstellung, man müsse zur Entparadoxierung zwei Operationen in einer ausführen, nämlich auf demselben Operationsniveau. Gewiß werden zwei Operationen ausgeführt, aber nicht Unterscheidung-undBezeichnung, sondern Bezeichnung und Reflexion. Die Bezeichnung selektiert eine Differenz im Feld, die Reflexion bezeichnet sie als bezeichnet und unterscheidet sie damit als Form von ihrem Differenz und Identifikation  |  57

Grund. »Unterscheidungen implizieren, daß man nicht auf beiden Seiten zugleich sein, nicht an beide Seiten zugleich anschließen kann. Dazu ist ein Überschreiten (Spencer Brown: crossing) der Grenze erforderlich« (WG 80), wodurch der bisherige ›unmarked space‹ (Umwelt) zu einem ›marked space‹ wird – zur reflektierten Umwelt oder Umwelt im System: ›Crossing‹ ist die imaginierte Reflexion. Das ›Dies-und-nichts-anderes‹ kommt zweimal vor, einmal als die Operation ›Bezeichnen‹ und dann in der Reflexion auf deren Resultat als Struktur: »Ereignisse präsentieren im System die Irreversibilität der Zeit. Um Reversibilität zu erreichen, muß man Strukturen bilden.« (SS 608) »Mit allem, was man bezeichnet, ist also immer ein ›und nicht‹ mitgemeint« (WG 376, m. H.), und nicht nur mitgemeint, sondern als Information vorausgesetzt, wenn anders die Differenz die Bedingung der Möglichkeit von Identität ist.174 Die Struktur Ereignis  – Selektion  – Reflexion ist das formale Analogon175 der evolutionären Trias »Überschußproduktion, Selektion und Stabilisierung« (SS 261): »Dies ›Unterscheiden-und-Bezeichnen‹ ist ein Anwendungsfall eines sehr viel allgemeineren Mechanismus, den man als ›Überschußproduktion-und-Selektion‹ bezeichnen könnte. Das Unter­ scheiden postuliert mehr Möglichkeiten als nur die, die dann be­zeichnet wird. Immer wenn ein solches Verfahren angewandt wird, differenziert sich ein entsprechendes System aus seiner Umwelt aus, da es weder für die intern produzierten Überschüsse noch für die intern konditionierten (zum Beispiel an ›Gedächtnis‹ orientierten) Selektionen Umweltkorrelate gibt.« (WG 81)

Überschußproduktion ist primär die Bestimmung des Felds: Es ist unbegrenzt und unbegrenzt differierend. Felder können nur postuliert werden, und im Zeichen der Leitdifferenz ›Differenz‹ muß die Theorie ein Feld postulieren – tautologischerweise also »mehr Möglichkeiten als nur die, die dann bezeichnet wird«. Selektion ist der evolutionstheoretische Terminus für die basale Operation ›Bezeichnung‹, die so spurlos verschwände wie das soeben bezeichnete Ereignis, würde sie nicht stabilisiert durch Wiederholung, die das Bezeichnete als ›schon bezeichnet‹ bezeichnet oder identifiziert. 58  |  Differenz und Identifikation 

Die aus Spencer Browns Anweisung gezogene Vorstellung einer Operation ›Unterscheiden-und-Bezeichnen‹ ist nicht nur kein Anwendungsfall des Mechanismus ›Überschußproduktion-undSelektion‹, sondern überhaupt kein Anwendungsfall innerhalb der Grenzen einer Theorie selbstreferentieller Systeme. Der Beobachter bezeichnet  – weiter nichts: »Jede Beobachtung bezeichnet etwas und unterscheidet dies dadurch von anderem.« (L1990a, 16, m. H.) Aus der Leitdifferenz der Theorie ist »deduktiv abzuleiten« (ES 239), daß das Feld, innerhalb dessen die Systeme sich konstituieren, postuliert werden muß als Differenzfeld, während das (dem klassischen Setzen nächstverwandte) ›Unterscheidenund-Bezeichnen‹ vielmehr ein Indifferenzfeld suggeriert: »Mir hilft es, ich weiß nicht, ob das anderen auch so geht, mir vorzustellen, daß zunächst einmal weißes Papier vorhanden ist, daß die Zeichen auf das Papier gesetzt werden und dann eine eigentümliche Selbstständigkeit gewinnen« (ES 71) – wie Spencer Browns Haken. Selbstreferentielle Systeme haben immer schon angefangen mit Differenz und fahren fort mit Differenz, solange sie empfindlich bleiben für Ereignisse, die »nur als Differenz beobachtet werden können« (WG 37), mögen sie externe oder interne Stimulationen (Operationen) sein. Aber was als Operation ›prozessiert‹ wird, ist aktuelles Identifizieren, systeminterne Supplementierung von Differenz: »Im operativen Konstruktivismus muß infolgedessen der logische Satz der Identität umformuliert werden. Er lautet dann nicht mehr ›A ist A‹, sondern ›wenn A dann A‹. Damit ist gesagt, daß die Identität nur in operativen Sequenzen konstituiert werden kann […]. Jede Wiederholung muß das Wiederholte identifizieren und dabei kondensieren auf das, was aus dem vorigen Kontext übernommen wird. Und sie muß diese Identität konfirmieren, also sicherstellen, daß sie auch zu einem anderen Kontext paßt.«176

Vorausgesetzt ist immer die Überschußproduktion als das sich zeitigende Möglichkeitsfeld. Selektion ist Bezeichnen als Kondensieren dessen, ›was übernommen wird‹, und Stabilisierung Bezeichnen als Differenz und Identifikation  |  59

Konfirmieren des Übernommenen im Kontext des jeweiligen Aktualitätsbereichs. Eine Operation ist mithin die Wiederholung eines Ereignisses als dessen Bezeichnung, genauer – da das Ereignis als solches unwiederholbar ist (SS 608) – die Wiederholung der Spur des Ereignisses, in nicht-sinnbestimmten und vorsprachlich-sinnbestimmten Systemen als Stabilisierung, in sprachbestimmten Systemen (Bewußtsein und Kommunikation) zudem als Bezeichnung einer Bezeichnung als solche.

D  

Als-Struktur I: Bezeichnen

ie Wiederholung, die Etwas als Etwas zum Vorschein bringt, hat Heideggers »Fundamentalanalyse des Daseins« AlsStruktur genannt, in deren Schema sich »die Gegenwart dem im Hori­zont des gewärtigenden Behaltens Begegnenden anmessen, das heißt […] auslegen muß«.177 Das Als erscheint so selber als »apriorische existenziale Verfassung des Verstehens«:178 »Das umsichtig auf sein Um-zu Auseinandergelegte als solches, das ausdrücklich Verstandene, hat die Struktur des Etwas als Etwas. Auf die umsichtige Frage, was dieses bestimmte Zuhandene sei, lautet die umsichtig auslegende Antwort: es ist zum … Die Angabe des Wozu ist nicht einfach die Nennung von etwas, sondern das Genannte ist verstanden als das, als welches das in Frage stehende zu nehmen ist. Das im Verstehen Erschlossene, das Verstandene ist immer schon so zugänglich, daß an ihm sein ›als etwas‹ ausdrücklich abgehoben werden kann. Das ›Als‹ macht die Struktur der Ausdrücklichkeit eines Verstandenen aus, es konstituiert die Auslegung. […] Alles vorprädikative schlichte Sehen des Zuhandenen ist an ihm selbst schon verstehend-auslegend. […] Die Artikulation des Verstandenen in der auslegenden Näherung des Seienden am Leitfaden des ›Etwas als etwas‹ liegt vor der thematischen Aussage darüber. In dieser taucht das ›Als‹ nicht zuerst auf, sondern wird nur erst ausgesprochen, was allein so möglich ist, daß es als Aussprechbares vorliegt.«179

60  |  Als-Struktur I: Bezeichnen 

Im Unterscheiden-und-Bezeichnen entspricht das Bezeichnen dem unausdrücklichen, das Unterscheiden dem ausdrücklichen Verstehen des Zuhandenen. Etwas ist nicht nur dies oder das, es ist als dies oder das, und als dies oder das ist es zum … Das besagt, was Luhmann Anschlußfähigkeit nennt: »der positive Wert repräsentiert die Anschlußfähigkeit der Operationen des Systems« (WG 200). Für eine Theorie autopoietischer Systeme stellt sich nämlich »vorrangig die Frage, wie man überhaupt von einem Elementarereignis zum nächsten kommt; das Grundproblem liegt hier nicht in der Wiederholung, sondern in der Anschlußfähigkeit. Hierfür erweist sich die Ausdifferenzierung eines selbstreferentiell-geschlossenen Reproduktionssystems als unerläßlich« (SS 62). Es ist die mit Heidegger existential, d. h. primär gedachte Wiederholung,180 die als Selektion (noch vor der Stabilisierung zur beliebigen Wiederholung) die Anschlußfähigkeit leistet, indem das Um-zu eines Zuhandenen immer schon entdeckt ist »auf dem Grunde der Vorentdecktheit einer Bewandtnisganzheit«.181 Sie »enthüllt sich als das kategoriale Ganze einer Möglichkeit des Zusammenhangs von Zuhandenem«.182 Darum sind sinnbestimmte Systeme in einem Analogon dessen fundiert, was Heidegger Überlegung nennt: »Das ihr eigentümliche Schema ist das ›wenn-so‹: […] Das Näherbringen der Umwelt in der umsichtigen Überlegung hat den existenzialen Sinn einer Gegenwärtigung. […] Was mit dem ›Wenn‹ angesprochen wird, muß schon als das und das verstanden sein.«183 So hat Luhmanns Unterscheiden gegenüber der Basisoperation Bezeichnen den Charakter der »Gegenwärtigung«,184 Aktualisierung. Das (an sich verschwindende) Ereignis bliebe unaktualisiert, unregistriert, würde seine Spur nicht im jeweiligen Aktualitätsbereich wiederholt, kondensiert und konfirmiert oder in »Vorhabe«, »Vorsicht« und »Vorgriff« genommen185 – »Zuhandenes wird immer schon aus der Bewandtnisganzheit her verstanden«, die »wesenhaftes Fundament der alltäglichen, umsichtigen Auslegung« ist: »Diese gründet jeweils in einer Vorhabe. Sie bewegt sich als Verständniszueignung [›Unterscheiden‹] im verstehenden Sein zu einer schon verstandenen Bewandtnisganzheit. Die Zueignung des Verstandenen, aber noch Eingehüllten vollzieht die Enthüllung immer unter der Führung einer Hinsicht, die das fixiert, Als-Struktur I: Bezeichnen  |  61

im Hinblick worauf das Verstandene ausgelegt werden soll. Die Auslegung gründet jeweils in einer Vorsicht, die das in Vorhabe Genommene auf eine bestimmte Auslegbarkeit hin ›anschneidet‹ [›Bezeichnen‹]. Das in der Vorhabe gehaltene und ›vorsichtig‹ anvisierte Verstandene wird durch die Auslegung begreiflich. Die Auslegung […] hat sich je schon endgültig oder vorbehaltlich für eine bestimmte Begrifflichkeit entschieden; sie gründet in einem Vorgriff.«186

»Zu einem Möglichen in seiner Möglichkeit verhält sich das Dasein […] im Erwarten«,187 denn »[s]ymbolische Generalisierungen verdichten die Verweisungsstruktur jeden Sinnes zu Erwartungen, die anzeigen, was eine gegebene Sinnlage in Aussicht stellt« (SS 139). Heideggers »Vorsicht« und »Vorgriff« sind Modi der Aktualisierung von Erwartungen, die Luhmann als Formen versteht, in denen »etwas auf das Problematischwerden seines Problems reagiert« (SS 436 mit Fn. 117) – auf das Problem als Problem. Und »als Resultat von Informationsverarbeitung« muß »jegliche Identität […], wenn zukunftsbezogen, als Problem begriffen werden« (GG 46). Der logische Satz der Identität lautet dann »nicht mehr ›A ist A‹, sondern ›wenn A dann A‹. Damit ist gesagt, daß die Identität […] als Strukturbedingung dafür fungiert, daß eine hochselektive, sich selbst abgrenzende (unterscheidende) Sequenzbildung überhaupt möglich ist« (RG 73). Wenn – dann: »[W]enn dies oder jenes zum Beispiel hergestellt, in Gebrauch genommen, verhütet werden soll, so bedarf es dieser oder jener Mittel, Wege, Umstände, Gelegenheiten. Die umsichtige Überlegung erhellt die jeweilige faktische Lage [m. H.] des Daseins in seiner besorgten Umwelt. Sie ›konstatiert‹ demnach nie lediglich das Vorhandensein eines Seienden bzw. seine Eigenschaften«188

›Wenn A dann A‹: »Ist drükt den Uebergang […] vom Setzen zur Reflexion über das gesezte aus.«189 Das in der ›jeweiligen faktischen Lage‹ antizipierte Ereignis (ES 102 f.) ist die Strukturbedingung (›wenn A‹) dafür, daß sein Eintreten als Ermöglichung einer Sequenzbildung wiederholt werden, genauer: wiederholt worden sein kann. Die sich ereignende Information A wird durch unausdrück62  |  Als-Struktur I: Bezeichnen 

liches Bezeichnen (Kondensation) und ausdrückliches Bezeichnen (Konfirmation) aktualisiert als A (»dann A«).

D  

Funktionalisierung

ie Umformulierung des Satzes der Identität versteht das A, das nicht (schon vergangenes) Ereignis, sondern (antizipiertes) Element eines Aktualitätsbereichs ist, im Sinn der Als-Struktur (›A als A‹) als Supplementierung eines Ereignisses durch sein Um-zu. Indem das Wozu von etwas seine Funktion ist, erweist die systemtheoretische Basisoperation sich als die Funktionalisierung der Realität, die ihre »Differenzierungsschematik autonom« wählt, »ohne irgendeine Entsprechung in der Umwelt« (SS 264).190 Deshalb können die Elemente in anderer Hinsicht durchaus komplex sein: »Element ist […] jeweils das, was für ein System als nicht weiter auflösbare Einheit fungiert […]. ›Nicht weiter auflösbar‹ heißt zugleich: daß ein System sich nur durch Relationierung seiner Elemente konstituieren und ändern kann, nicht aber durch deren Auflösung und Reorganisation. Man braucht diese Beschränkung, die für das System selbst konstitutiv ist, bei der Beobachtung und Analyse von Systemen nicht hinzunehmen. Wenn man sie unterläuft und zum Beispiel auf eine neurophysiologische Analyse von Handlungen abzielt, muß man jedoch die System/UmweltDifferenz, die für das System selbst gilt, aufheben und auf andere Ebenen der Systembildung überwechseln. / Theoretisch umstritten scheint zu sein, ob die Einheit eines Elements als Emergenz ›von unten‹ oder durch Konstitution ›von oben‹ zu erklären sei. Wir optieren entschieden für die zuletzt genannte Auffassung.« (SS 43)191

Die »These einer zu Grunde liegenden Realität«  – des Ereignisfelds – entspricht dann der Annahme, »daß alle Elemente auf der Grundlage einer vorausgesetzten Komplexität als emergente Einheiten konstituiert werden, die für das System selbst nicht weiter auflösbar sind. Wir können dem jetzt hinzufügen, daß diese vorausgesetzte Komplexität, die Elementbildung ermöglicht, eben desFunktionalisierung  |  63

halb im System nur als Umwelt behandelt werden kann« (SS 245 f.). Die Frage, ob Emergenz ›von unten‹ oder Konstitution ›von oben‹, ist damit so gelöst, daß die Elemente für das System als emergent, für das Beobachten des Systems hingegen als konstituiert erscheinen (und so auch für die Systemtheorie selbst). Jedenfalls ist die elementare Operation des Systems das Bezeichnen, wodurch die Spur des Ereignisses stabilisiert wird zum Element einer Menge als Argument der bezeichnenden Funktion: f(a←Ereignis). Die Konstitution binnensystemisch emergenter Einheiten auf der Grundlage vorausgesetzter Ereigniskomplexität auf diese Weise zu formulieren, ist selber funktional im Horizont der modernen Logik überhaupt und wird im übrigen von Luhmann selbst nahegelegt: »Fragen der begrifflichen Passung müssen auf einer supertheoretischen Ebene geklärt werden, obwohl Theorieentwicklungen oft nötig sind, um die zu treffenden Entscheidungen vor Augen zu führen und neuartige Begriffswahlen zu konfirmieren. Es geht […] noch nicht um die Aufstellung von Sätzen, die wahr oder unwahr sein zu können beanspruchen, sondern um Vorbereitungen der Begriffe für ihre Rolle als ›Satzfunktionen‹ [m. H.], die den Bereich wahrheitsfähiger Sätze regeln, die mit Hilfe der Verwendung des Begriffs als Prädikat gebildet werden können.« (WG 389)192

Wie man Begriffe hinsichtlich ihrer Rolle als Satzfunktionen analysiert, hat 1905 Russells Aufsatz On Denoting im Anschluß an Frege gezeigt.193 Ein Begriff, hatte Frege definiert, »ist eine Funktion, deren Wert immer ein Wahrheitswert ist«, nämlich immer das Wahre oder das Falsche bedeutet.194 »So kann man z. B. den Satz /›Caesar eroberte Gallien‹/ zerlegen in ›Caesar‹ und ›eroberte Gallien‹. Der zweite Teil ist ungesättigt, führt eine leere Stelle mit sich, und erst dadurch, daß diese Stelle von einem Eigennamen ausgefüllt wird oder von einem Ausdrucke, der einen Eigennamen vertritt, [sc. von einer Beschreibung] kommt ein abgeschlossener Sinn zum Vorschein«.195 Der Satz ›Hirtius eroberte Gallien‹ hat Sinn, aber seine Bedeutung (der Referent) ist ›das Falsche‹. 64  |  Funktionalisierung 

Freges wie Russells Aussagen über die Struktur von Aussagesätzen argumentieren exemplarisch auf der von Luhmann geforderten »supertheoretischen Ebene«: Die Satzfunktion ›So kann man z. B. den Satz ( ) zerlegen‹ wird gesättigt durch die Satzfunktion ›( ) eroberte Gallien‹, die ihrerseits gesättigt wird durch das Argument ›Caesar‹. Daß in Freges Ausführungen also eine Satzfunktion nicht unmittelbar durch ein Element (›Caesar‹), sondern wiederum durch eine Satzfunktion (›eroberte Gallien‹) gesättigt wird, ist eine Selbstreferenz – und an diesem ›supertheoretischen Begriff‹ hängt nach eigner Auskunft die gesamte Luhmannsche Systemtheorie als Antwort auf die basale Frage, »wie man überhaupt von einem Elementarereignis zum nächsten kommt« (SS 62). Hierfür nämlich »erweist sich die Ausdifferenzierung eines selbstreferenziellgeschlossenen Reproduktionssystems als unerläßlich« (ebd.), wie sich denn bei der »Handhabung« (SS 63) eines systemtheoretischen Schlagworts wie Maturanas Autopoiesis rasch herausstellt, daß mit diesem Begriff »so gut wie nichts erklärt wird, außer eben dieses Starten mit Selbstreferenz: eine Operation mit Anschlussfähigkeit« (ES 78).

D  

Selbstreferenz I

ie »Figur der Selbstreferenz« sei, bemerkt Luhmann, als »Resultat eines zweifachen Paradigmawechsels […] ins Zentrum der Systemtheorie gerückt« (SS 593): »Im ersten Schub wird die traditionelle Differenz von Ganzem und Teil durch die Differenz von System und Umwelt ersetzt. […] Systemdifferenzierung ist nichts anderes als die Wiederholung der Differenz von System und Umwelt innerhalb von Systemen. Das Gesamtsystem benutzt dabei sich selbst als Umwelt für eigene Teilsystembildungen [SS 22]. Während dieses Paradigma offener Systeme innerhalb der Systemtheorie als durchgesetzt und anerSelbstreferenz I  |  65

kannt gelten kann, ist ein daran anschließender Schritt von überbietender Radikalität erst in den letzten beiden Dekaden [in den sechziger und siebziger Jahren] zur Diskussion gestellt worden. Es handelt sich um Beiträge zu einer Theorie selbstreferentieller Sy­ steme. […] Die Theorie selbstreferentieller Systeme behauptet, daß eine Ausdifferenzierung von Systemen nur durch Selbstreferenz zustandekommen kann, das heißt dadurch, daß die Systeme in der Konstitution ihrer Elemente und ihrer elementaren Operationen auf sich selbst (sei es auf Elemente desselben Systems, sei es auf Operationen desselben Systems, sei es auf die Einheit desselben Systems) Bezug nehmen.« (SS 24 f.)

Der zweite Schub oder Schritt ist offensichtlich nur der von der impliziten zur expliziten Theorie der Selbstreferenzialität, deren primäre Präsenz schon darin angezeigt ist, daß Systemdifferenzierung »nichts anderes« sei als »die Wiederholung der Differenz von System und Umwelt« im System. Indem das System sich wiederholt in seiner Differenz zur Umwelt, stabilisiert es sich nicht nur als selbstreferentielles System, es objektiviert zudem die Differenz als Differenz (wie Sinnsysteme ferner dies Objektivieren und damit eine mehrfach reflektierte Differenz objektivieren können). Luhmann bemüht sich in immer neuen Anläufen, die Differenz zwischen unreflektierter und reflektierter Differenz bündig zu formulieren, aber die Ergebnisse bleiben für den Leser und demzuvor für ihn selbst eigentümlich unbefriedigend.196 Vierzehn Jahre nach der Publikation der Sozialen Systeme bemerkt er: »Es gibt, wie in ziemlich rätselhaften Formulierungen gesagt wird, keinen Unterschied zwischen Selbstreferenz und Differenz. Oder […]: Es gibt keinen Unterschied zwischen Selbstreferenz und Beobachtung.« (ES 72 f.) Das mag hingehen für die sozialwissenschaftliche und noch für die allgemeine Systemtheorie, solange sie mit dem Begriff praktisch zurechtkommt, bleibt aber mißlich in theoretischer Absicht – auch für Luhmann selber, der nur ironisches Unbehagen artikulieren kann, wenn er konfrontiert wird mit einer provokanten Behauptung wie der von Locker, Funktionalität führe zuletzt auf »unification« (SS 26, Fn. 19). Um ein philosophisches Rätsel handelt es sich nicht. Funktionslogisch kann die Selbstreferenz als 66  |  Selbstreferenz I 

vereinfacht als

fn+1[fn(a n)], f1(fa)

formuliert und in systemtheoretischer Terminologie reformuliert werden. Die Funktion f ist dann die basale Operation f(a←Ereignis). D. h. das stimulierende Ereignis f←Ereignis hinterläßt eine ihrerseits verschwindende Spur f(←), die zum Argument als zum Element des Systems stabilisiert werden kann: f(Element). Die Operation ist nicht ihr Resultat: f | a, denn sie gilt unmittelbar nur der zu transformierenden Spur. Sobald eine Operation sich statt dessen auf eine Operation richtet: Operation1(Operation), ist der strukturelle Übergang von Referenz f(a) zu Selbstreferenz f1(f) und so zum System gemacht. Die reflektierende Operation f1 richtet sich hier unmittelbar auf die reflektierte Operation f: f1 | f, und nurmehr mittelbar auf das Element a: f1|1(f | a)a1. Da das Argument a1 die komplexe Struktur (f | a) hat, ist Gegenstand der reflektierenden Operation oder für die Operation f1 1. die basale (reflektierte) Operation f, 2. deren Resultat a und 3. die Differenz »|« zwischen beiden. Selbstreferenz I  |  67

Sie ist zum Gegenstand der Beobachtung geworden, Differenz als Differenz. Dies meint »Wiedereintritt« (re-entry) der Differenz System/Umwelt ins System: Die basale Operation f wird gesättigt durch die zum Element stabilisierte Spur des Ereignisses. Beide zusammen sind das (noch unterkomplex beobachtete) System fa. Die Differenz » | « fungiert als (beobachtete) Umwelt, und die neue (unbeobachtete) Umwelt für das System1 ist die (noch unreflektierte) Differenz » | 1«. Die formale Leitdifferenz also ist die Differenz (System1) von Identität (System) und Differenz (Umwelt). Das System1 ist damit zwar das selbstreferentielle System, aber noch nicht für sich. Es besteht nur darin, seine Formen (Elemente, Operationen, Prozesse, Strukturen) von ihrem jeweiligen Medium (Umwelt) zu unterscheiden, und ist die als ausgeschlossen eingeschlossene Einheit von Gestalt und Grund. Dieser »Schritt von überbietender Radikalität« (SS 24) bringt vor jenen logischen Ort, wo das »Dynamit des Geistes«197 begraben liegt, das sich in Nietzsche inkarniert hatte: »Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit«,198 hatte er entdeckt: die Differenz als geschichtliche Differenz. Man müsse, schreibt Luhmann in Die Religion der Gesellschaft, »sich darüber verständigen, daß die gesellschaftliche Ordnung der Codierungen und ihrer Rejektionswerte nicht nur die zweiwertige Logik, sondern auch die Metacodierung der Tradition sprengt, nämlich die Metacodierung durch die Unterscheidung Sein/Nichtsein« (RG 72 f.) – fragwürdige Behauptungen im Blick sowohl auf die spekulative Logik der Copula199 wie auf die logischen Kalküle der Moderne. Spätestens seit George Booles The Mathematical Analysis of Logic (1847)200 hat die moderne Logik sich zu einem derart subtilen »Hilfsmittel«201 entwickelt, daß nicht zu befürchten steht, sie könne durch ein systemtheoretisches Attentat ›gesprengt‹ werden. Es bedarf lediglich eines minimalen symbolischen Supplements, und die funktionale Logik vermag allen formalen Forderungen der Theorie selbstreferentieller Systeme, auch in supertheoretischer Gestalt, gerecht zu werden: |→ Supplement. Wie die Spur des Ereignisses als Element, wird die Differenz als Supplement stabilisiert und fungiert damit als Medium (primär der Elemente). 68  |  Selbstreferenz I 

A  

Supplement

ls Bedingung der Möglichkeit der Dekonstruktion wie demzuvor der Existenzphilosophie ist die Struktur des Supplements von Sartre und Derrida herausgearbeitet worden. Sartres existentiale Reinterpretation des intentionalen Bewußtseins als »unendliches und absolutes Feld«202 unterscheidet vom funktionalen Ich (Je) das konstituierte Ego (Moi), dessen reflexive Persistenz Husserls Postulat eines ›letztlich einzigen Funktionszentrums aller Konstitution‹203 zu legitimieren schien. Während das Je nichts andres ist als der sprachliche Index der Bewußtseinsleistungen, ihres Hier-und-Jetzt, tritt das Moi auf, sobald das Bewußtsein veranlaßt ist, auf sich zu reflektieren: Mit dem unmittelbaren Bewußtsein f und seinem intentionalen Gegenstand a wird dem reflektierenden Bewußtsein f1 auch die Differenz » | « zwischen beiden gegenständlich. Als der Grund (fond), von dem der intentionale Gegenstand sich als Gestalt (forme) abhebt, ist sie existential gedacht die Leiblichkeit-in-der-Situation. Als das konkrete psychophysische Ich (moi concret et psycho-physique)204 ist sie geradeso ein transzendenter, d. h. außenweltlicher Gegenstand wie der Pierre des imaginierenden Bewußtseins, 205 nur mit dem Unterschied der »Jemeinigkeit«.206 Ihre beiden im imaginierenden bzw. reflektierenden Bewußtsein auftretenden Instanzen haben phänomenologisch den intentionalen Status einer »organisierten Bewußtseinsform, die, auf ihre Weise, Bezug nimmt auf« …207 Aber wie die traditionelle Psychologie die intentionale Einstellung zu einem »Homunculus« verdinglicht, zu einem »Bewohner« des Bewußtseins, 208 verdinglicht das reflektierende Bewußtsein sein Je zu einem Verdichtungszentrum (centre d’opacité), das im reflektierten Bewußtsein als »die Psyche« (Moi/Ego) ein Eigenleben zu führen scheint: Bewußtsein (Je) – Moi – Leib. Wie das Je die Bewußtseinsleistungen sprachlich indiziert, ist das Moi der phänomenale Index der ›jemeinigen‹ Leiblichkeit – weshalb mit Luhmann von einer ›strukturellen Kopplung‹ (ES II.5) zwischen Bewußtseinssystem und psychophysischem System gesprochen werden kann: Vom »Ich (Je), das man sehr zu Unrecht Supplement  |  69

zum Bewohner des Bewußtseins macht, wird man sagen, daß es das ›Moi‹ des Bewußtseins ist, aber nicht, es sei dessen eignes sich (soi)«.209 Für Husserl bloßes Indiz des transzendentalen Ego, faßt das naiv reflektierende Bewußtsein es, zusammen mit dem unmittelbaren Bewußtsein f und dem intentionalen Gegenstand a, auf als dritten Gegenstand, der im Bewußtsein das Bewußtsein zentriert und darum überhaupt zu konstituieren scheint. Wie jener ›Pierre im Kleinformat‹ hat es deshalb den Wert eines Simulakrums: f1(f | Leib), f1[f(Leib) + | ], | → »Moi«, f1[f(Leib) + Simulakrum]. Man könne, sagt Sartre, »von den Beziehungen des Ich (Moi) zum Bewußtsein überhaupt nur in Termen der Magie sprechen«.210 Mit Freud kann er sich dafür auf Edward Burnett Tylor berufen, der das Prinzip der Magie bestimmt hatte als »mistaking an ideal connexion for a real one«;211 und auch Derrida macht nähere Bekanntschaft mit Rousseaus »gefährlichem Supplement«212 über die Anthropologie.213 Es sei kein Zufall, daß Lévi-Strauss’ Einführung in das Werk von M. Mauss sich zweimal des Worts supplementär dort bedient, wo sie vom »Überschuß des Signifikanten« spricht »im Verhältnis zu den Signifikaten, auf denen er sich ansiedeln kann«.214 Die Sprachen der primitiven Gesellschaften kennen nämlich Ausdrücke, die die Aufgabe haben, das Fehlen eines Signifikats zu supplementieren.215 Mauss selbst schreibt in seiner Skizze einer allgemeinen Theorie der Magie, der Magier führe »in seine Urteile immer einen heterogenen, der logischen Analyse unzugänglichen Term ein, Kraft, Macht, phýsis oder Mana. Der Gedanke magischer Wirksamkeit ist immer zugegen, und weit entfernt davon, nebensächlich zu sein, spielt er gewissermaßen die Rolle, die der Copula in der Aussage zukommt. Er ist es, der die magische Vorstellung liefert, der er Sein, Realität und Wahrheit verschafft«.216 Derridas »befremdliche Struktur des Supplements«217 ist damit vorgezeichnet: Der Signifikant produziert im nachhinein (à retardement) das Signifikat, das er scheinbar ergänzt:218

70  |  Supplement 

»Als Supplement re-präsentiert der Signifikant nicht sogleich und allein das abwesende Signifikat, er substituiert sich einem andern Signifikanten, einer andern signifikanten Ordnung, indem er zur fehlenden Anwesenheit in eine andre Beziehung tritt, die durch das Spiel der Differenz einen höheren Wert erhält. Einen höheren Wert, weil das Spiel der Differenz die Bewegung der Idealisierung ist und der Signifikant, je idealer desto nachdrücklicher die Macht der Wiederholung von Anwesenheit steigert, desto nachdrücklicher den Sinn hütet, hortet und häuft.«219

Und da die Vernunft »das Prinzip der Identität ist«, des »Selben«, ist sie auch »Prinzip« des Supplements, das nur »ein andrer Name der différance« ist,220 des permanenten Verschiebens der Differenz. Bereinigt um die spezifisch Sartreschen und Derridaschen Konnotationen ist dies die Struktur der Selbstreferenzialität mit dem ihr unabdingbaren re-entry: … f n+1[f(a)System n + Umwelt]System n+1 …

V  

Selbstreferenz II

on »zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts.« (T 5.5303) Luhmanns formale Leitdifferenz macht Hegels (heraklitisch-klassische) Formel obsolet, indem sie keine Identität zulassen kann, die dem Primat der Differenz zu widerstehen vermöchte, und sei es als letzte (elementare) oder erste (prinzipielle). »Die Weltlogik kann […] nur eine Logik des eingeschlossenen ausgeschlossenen Dritten sein« (SS 285, m. H.) – keine Identität ist die Identität ihrer selbst, jede nur die einer andern (oder ihrer als einer andern) und der dieser andern entgegengesetzten Differenz: »Ein System ist eine Undheit. Die Einheit ist das Und«.221 Schon das macht klar, daß die von Locker suggerierte Identität im System – und a fortiori im System Systemtheorie – gar nicht vorkommen kann, obwohl sie als das sich selbst zur Einheit supplementierende Einen die Bedingung der Möglichkeit des Systems oder das ist, was im älteren Denken ein Postulat hieß. Zuletzt liegt dies daran, daß die Produktion hier anders als dort nicht primär Selbstreferenz II  |  71

als Einen, sondern als Bezeichnen gedacht wird: Die Theorie der selbstreferentiellen Systeme ist eine Semiotik. Die »Familienähnlichkeit«222 der drei Begriffe besteht darin, daß die Produktion nur als produzierte, das Einen nur als geeintes und das Bezeichnen nur als bezeichnetes gedacht werden können, weil das Denken als fürsichseiendes Produzieren bezeichnendes Einen ist. Weiter wird verständlich, warum Luhmann darauf insistiert, daß es keinen Unterschied gebe zwischen Selbstreferenz und Differenz: Das System fängt nicht mit einer Referenz an, zu der dann (sogleich oder irgendwann) die Selbstreferenz hinzukäme, sondern als beobachtende »Undheit« oder selber (noch) unbezeichnetes Bezeichnen ist es immer schon Selbstreferenz, das Und von Bezeichnen und Bezeichnetem, die Differenz ihrer selbst und ihres anderen. Dies andere ist das andere der Differenz in der Differenz. Die Formel f(a←Ereignis) ist noch nicht die Formel des Systems, sondern erst der Operation, der selbst noch unbezeichneten Referenz. Denn »Referenz selbst ist nichts anderes als […] Bezeichnungsleistung« (WG 707), und »Operieren ist im Unterschied zu Referieren objektloser Vollzug« (ebd.), weil das »Objekt«, ein Etwas oder Identisches allererst Produkt einer Operation ist: fOperation(a Element←Ereignis) Hingegen das System ist seine Selbstreferenz, basal für beliebige Komplexität:

f1(fa),

… fn+2[fn+1(fna)] … oder vereinfacht und in Hervorhebung der Differenz: … f2|2[f1|1(f | a)] … Es bedeuten 1. a = die zum Argument/Element (Freges »Eigenname«) stabilisierte = bezeichnete Spur des Ereignisses, Identität als erstes Supplement; 2. | = unbezeichnete Differenz als der unthematisierte Grund, auf dem die Spur bezeichnet werden kann; 72  |  Selbstreferenz II 

3. f = unbezeichnet bezeichnende Differenz = Operation; 4. (f | a) = zweites Argument; 5. |1 = zweite unbezeichnete Differenz; 6. f1 = bezeichnende Differenz oder eine Operation, deren Argument eine Operation ist usw. Als Prozeß gedacht und in seinen Momenten isoliert: Das Bezeichnen (f) kondensiert die Spur eines Ereignisses, die dadurch stabilisiert wird zum Element: a←Ereignis. Das Ereignis war Differenz, das Element ist Identität = bezeichnete Differenz. In dieser Operation sind weder die Differenz » | « noch das Bezeichnen f selber schon bezeichnet; aber indem das Bezeichnen das Bezeichnete vom Unbezeichneten ab- und so das Unbezeichnete ausgrenzt, während es selber noch unbezeichnet ist, grenzt es zugleich sich aus: Im postu­lierten Anfang der Operation gibt es sozusagen einen Ruck, die Referenz ist Selbstreferenz, f1 und f sind unterschieden: »Selbstreferenz kann in den aktuellen Operationen des Systems nur realisiert werden, wenn ein Selbst (sei es als Element, als Prozeß oder als System) durch es selbst identifiziert [bezeichnet] und gegen anderes different gesetzt werden kann.« (SS 26)

Das reflektierende Bezeichnen f1 ist zwar selber wieder unbezeichnet und also noch nicht unterschieden von der unbezeichneten Differenz »|1«, aber eben darum auch nicht mehr identifiziert mit der unbezeichneten Differenz »|«. Diese gehört jetzt vielmehr dem Bereich des Bezeichneten (f | a) an, indem a das Bezeichnete und f das als bezeichnend Bezeichnete (Operation als Operation) ist. Die einfache Differenz »|« ist das korrelative Unbezeichnete oder das Unbezeichnete für das reflektierende Bezeichnen. Erst für dieses also »gibt es« eine Umwelt (Grund, Medium) und in ihr einen Zeichenprozeß oder ein »System«. Daß das Bezeichnen der Ort der Differenz ist, der zuerst für das reflektierende Bezeichnen zum Vorschein kommt, wiewohl auch dann nur als ein anderer, liegt schon in der bemerkenswerten Formulierung Freges: »Der zweite Teil ist ungesättigt, führt eine leere Stelle mit sich« (Frege 1969, 29). Das Bezeichnen ist die Operation, die das, was sie ist, nur ist, indem sie etwas mit sich führt, dem Selbstreferenz II  |  73

sie sich insofern verdankt, das ihr aber so nah oder innerlich ist, daß es das Unbezeichenbare als solches ist und für das Bezeichnen nur wird an anderem oder an ihm als anderem. Die Bedingung der Möglichkeit des Bezeichnens ist das Unbezeichenbare, das seit alters zu denken gibt als der Abgrund.223 In systemtheoretischer Terminologie ist er der blinde Fleck, als die Differenz der Ort des Bezeichnens (oder der Produktion, die, reflexiv bezeichnet, schon Produkt ist) – der Un-Ort des Systems. Dieser Un-Ort, die nicht-projizierte Utopie ist die sozusagen auf den Punkt (des Ich-Jetzt-Hier) gebrachte Welt.224 Denn die Welt, die »nichts weiter ist als die Einheit der Differenz von System und Umwelt« (WG 383), ist »die Unterscheidung selbst, also der Beobachter selbst« (WG 444). Luhmanns »also« ist nach allem etwas summarisch, genauer sollte es heißen: das, was den Beobachter Beobachter sein läßt. Und da alles ist, was es ist, nur von einem jeweiligen Beobachterstandpunkt aus, ist die Welt zu bestimmen als das, was alles sein läßt, 225 das postulierte All des Bezeichenbaren und so des Beschreibbaren.

A  

Basale Selbstreferenz, Reflexivität, Reflexion

llerdings ist Welt als Welt nur für den Beobachter als Beobachter: »Erst wenn Sinngrenzen [m. H.] die Differenz von System und Umwelt verfügbar halten, kann es Welt geben.« (SS 283) Das läßt sehen, wie sich (die beiden) Sinnsysteme im besonderen, Bewußtseins- und soziale Systeme oder Kommunikation, von den Systemen im allgemeinen unterscheiden. Die Schraube der Reflexivität ist nur um eine Drehung weiter getrieben. Ist nämlich Selbstreferenz die ausdrücklich gemachte oder wiederholte Differenz: {f1(fa)} = {f1|1(f | a)},

dann ist Sinn die ausdrücklich gemachte oder wiederholte Wiederholung: {f2[f1(fa)]} = {f2|2[f1|1(f | a)]}. Denn:

74  |  Basale Selbstreferenz, Reflexivität, Reflexion  

»Das Phänomen Sinn erscheint in der Form eines Überschusses von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns. Etwas steht im Blickpunkt, im Zentrum der Intention, und anderes wird marginal angedeutet als Horizont für ein Undso-weiter des Erlebens und Handelns. (SS 93) Sinn ist mithin – der Form, nicht dem Inhalt nach – Wiedergabe von Komplexität, und zwar eine Form der Wiedergabe, die punktuellen Zugriff, wo immer ansetzend, erlaubt, zugleich aber jeden solchen Zugriff als Selektion ausweist und, wenn man so sagen darf, unter Verantwortung stellt.« (SS 95)

»Der allem Sinn immanente Weltbezug schließt es aus, daß wir Sinn als Zeichen definieren« (SS 107). Sinn ist vielmehr »eine allgemeine Form der selbstreferentiellen Einstellung auf Komplexität, die nicht durch bestimmte Inhalte (unter Ausschließung anderer) charakterisiert werden kann« (ebd.), er verweist immer (und immer nur) auf weiteren Sinn. »Die zirkuläre Geschlossenheit dieser Verweisungen erscheint in ihrer Einheit als Letzthorizont alles Sinnes: als Welt. Die Welt hat infolgedessen die gleiche Unausweichlichkeit und Unnegierbarkeit wie Sinn« (SS 105). Was also ist Welt funktional gedacht? »Ursprünglich und phänomenologisch erfaßt ist die Welt als unfaßbare Einheit gegeben. Durch Systembildung und relativ auf Systembildung wird sie bestimmbar als Einheit einer Differenz. In beiden Hinsichten gilt: Der Weltbegriff bezeichnet eine Einheit, die nur für Sinnsysteme aktuell wird, die sich von ihrer Umwelt zu unterscheiden vermögen und daraufhin die Einheit dieser Differenz reflektieren als Einheit, die zwei Unendlichkeiten, die innere und äußere, umfaßt. […] Insofern ist sie (anders als die phänomenal gegebene Welt) nichts Ursprüngliches, nichts Archehaftes, sie ist eine Abschlußeinheit als Anschlußvorstellung an eine Differenz. Sie ist Welt nach dem Sündenfall.226 / Die traditionelle Zentrierung des Weltbegriffs auf eine ›Mitte‹ oder dann auf ein ›Subjekt‹ hin wird damit aufgegeben, wird aber nicht einfach ersatzlos gestrichen. An ihre Stelle tritt die Zentrierung auf Diffenz hin; oder genauer: auf die System/Umwelt-Differenzen hin, die sich in der Welt ausdifferenzieren und damit die Welt konstituieren. Jede Basale Selbstreferenz, Reflexivität, Reflexion   |  75

Differenz wird so zum Weltzentrum, und gerade das macht die Welt nötig: Sie integriert für jede System/Umwelt-Differenz alle System/ Umwelt-Differenzen, die jedes System in sich selbst und in seiner Umwelt vorfindet.« (SS 283 f., m. H.).

»Welt« ist damit ein Reflexionsbegriff im Sinn der Unterscheidung von basaler Selbstreferenz, Reflexivität und Reflexion: »Basale Selbstreferenz ist die Mindestform von Selbstreferenz, ohne die eine autopoietische Reproduktion temporalisierter Systeme nicht möglich ist« (SS 600). »Von basaler Selbstreferenz wollen wir sprechen, wenn die Unterscheidung von Element und Relation zu Grunde liegt« (ebd.), logisch also die Unterscheidung von Argument und Funktion: f1 (Relation | Element). Basal selbstreferentiell ist die Systemfunktion, wo »die Einheit eines Elementes […] nicht ontisch vorgegeben« ist: »Sie wird vielmehr als Einheit erst durch das System konstituiert, das ein Element als Element für Relationierungen in Anspruch nimmt« (SS 42) oder für das konstitutiv ist, daß das Element nicht ein Element, sondern sein Element ist. In der Logik steht dafür der Existenzquantor: Es gibt mindestens ein x, für das gilt, daß x P ist: (∃x)(Px). Systemtheoretisch interpretiert meint dies, daß ein Ereignis (der Referent) aktualisiert, nämlich (als Spur) selektiert und damit bezeichnet wird, also stabilisiert zum Element einer Menge, zum Argument der bezeichnenden Funktion: f1[f(a←Ereignis)] → (∃a)(fa). »Es muß vorausgesetzt werden, daß die Welt (was immer das ist) das Unterscheiden toleriert und daß sie je nachdem, durch welche Unterscheidung sie verletzt wird, die dadurch angeleiteten Beob­ achtungen und Beschreibungen auf verschiedene Weise irritiert. […] Die Welt ist – was immer sie als ›unmarked state‹ vor aller Beobachtung sein mag 227 – für den Beobachter (und wer sonst fragt danach?) ein temporalisierbares Paradox. […] Die wohl einfachste und eleganteste Behandlung scheint derzeit in der […] operativen Logik von Spencer Brown vorzuliegen. Sie faßt […] das Unterscheiden und Bezeichnen zu einer Operation zusammen, die ihr 76  |  Basale Selbstreferenz, Reflexivität, Reflexion  

Paradox gleichsam vor sich herschiebt, bis der Kalkül komplex genug ist, daß er die Form eines ›re-entry‹, eines Wiedereintritts der Unterscheidung in das durch sie Unterschiedene (oder: einer Form in die Form), annehmen kann.«228

Sollte ein solches Vor-sich-Herschieben bis … (Wann ist der Kalkül »komplex genug«?) für die ›operative Logik‹ charakteristisch sein, angesichts der typenhierarchisch konzipierten Theorie selbstreferentieller Systeme gleicht dies genau der »Art und Weise, wie ein externer Beobachter seine Vorstellungen ordnet« (SS 631). Das ›re-entry‹ kommt nicht irgendwann dazu, sondern konstituiert das System – eben deswegen kann (und muß) von basaler Selbstreferenz gesprochen werden. Allerdings besagt der Terminus auch, daß die Selbstreferenz hier noch nicht ausdrücklich ist: Das ›re-entry‹ erscheint im Sinn der Als-Struktur noch nicht als ›re-entry‹. Dazu muß das System die komplexere Struktur von Reflexivität auf­ weisen: »Von Reflexivität (prozessualer Selbstreferenz) wollen wir sprechen, wenn die Unterscheidung von Vorher und Nachher elementarer Ereignisse zu Grund liegt. In diesem Falle ist das Selbst, das sich referiert, nicht ein Moment der Unterscheidung, sondern der durch sie konstituierte Prozeß. Ein Prozeß entsteht mit Hilfe der Vorher/Nachher-Differenz, wenn die Zusatzbedingung der Selektivitätsverstärkung erfüllt ist.« (SS 600)

Der Sprung von der basalen Selbstreferenz zur Reflexivität geschieht also mit dem Einschuß von (der Beobachtung, Bezeichnung von) Zeit. »Während mit Rekursivität nur die basale Selbstreferenz des autopoietischen Prozesses bezeichnet ist, zielt der Begriff der Reflexivität auf eine Unterscheidung höherer Ordnung. Als reflexiv wollen wir einen Prozeß bezeichnen, der auf sich selbst oder auf einen Prozeß gleicher Art angewandt wird. Rekursivität ist schon dann gewährleistet, wenn der Prozeß von eigenen Ergebnissen profitiert, Reflexivität nur dann, wenn er sich selbst zum Gegenstand eigener Operationen machen, also sich selbst von anderen Prozessen Basale Selbstreferenz, Reflexivität, Reflexion   |  77

unterscheiden kann. Das, was autopoietisch als Einheit entsteht und reproduziert wird, kann dann auch über das laufend Erforderliche hinaus als eine aggregierte Einheit beobachtet werden.« (WG 333 f.)

Die bloße Rekursivität vergißt sich sozusagen beständig229 und fängt mit jedem Schritt neu an: … f1(f) ← f1(f) ← fa …, während die Reflexivität ihre Schritte zählt und zum schon durchlaufenen Weg sammelt: … f2[f1(fa)] …230 Das Dritte – abermals ein Sprung – ist die Reflexion selbst: »Von Reflexion wollen wir sprechen, wenn die Unterscheidung von System und Umwelt zu Grunde liegt. Nur im Falle der Reflexion erfüllt die Selbstreferenz die Merkmale der Systemreferenz, nur hier überschneiden sich die Bereiche dieser beiden Begriffe. In diesem Falle ist das Selbst das System, dem die selbstreferentielle Operation sich zurechnet. Sie vollzieht sich als Operation, mit der das System sich selbst im Unterschied von seiner Umwelt bezeichnet. Das geschieht zum Beispiel in allen Formen von Selbstdarstellung, denen die Annahme zu Grunde liegt, daß die Umwelt das System nicht ohne weiteres so akzeptiert, wie es sich selbst verstanden wissen möchte. / […] Selbstreferenz ist Korrelat des Komplexitätsdrucks der Welt.231 Nirgendwo in der Welt kann deren Komplexität adäquat abgebildet, aufgearbeitet, kontrolliert werden, weil das diese Komplexität sogleich entsprechend steigern würde. Statt dessen bildet sich Selbstreferenz, die für den Umgang mit Komplexität dann respezifiziert werden kann. Es kommt so niemals zu einer Wiederholung, zu einer Widerspiegelung der Weltkomplexität in Systemen. Es gibt auch keine Abbildung der ›Umwelt‹ in Systemen. Die Umwelt ist der Grund des Systems und Grund ist immer etwas ohne Form.« (SS 601 f.)

Formal stellt sich das Verhältnis von Operation, basaler Selbstreferenz, Reflexivität und Reflexion mithin so dar: 78  |  Basale Selbstreferenz, Reflexivität, Reflexion  

• Operation (implizit basale Selbstreferenz): fa. • Basale Selbstreferenz (implizit Reflexivität): f1(fa). • Reflexivität (implizit Reflexion): f2[f1(fa)]. • Reflexion: … f3{f2[f1(fa)]}. Der Code implizit/explizit formuliert die Als-Struktur: ›unbezeichnet/bezeichnet‹, d. h. ›bezeichnet als unbezeichnet/bezeichnet als bezeichnet‹ … Man kann insofern noch weiter zurückgehen, als in der Reflexion virtuell alles explizit ist, in der Differenz (der Spur des Ereignisses) hingegen (noch) nichts: • Differenz (implizit Operation): Spur←Ereignis, denn die hier zu denkene Differenz als Differenz ist immer schon Differenz der Funktion.

W  

Sinndimensionen

enn Sinn formal die wiederholte und also kondensierte und stabilisierte Wiederholung ist, kommt schon Reflexivität allein den Sinnsystemen Bewußtsein und Kommunikation zu. Sinn ist die Freiheit, Zwecke zu wählen, zusammen mit der Möglichkeit, die dafür nötigen Mittel zu finden. Damit ein Zweck überhaupt gewählt wird, muß er attraktiv sein, Aura haben. Als »Erscheinung einer Ferne«232 ist die Aura der Schein des ganz Anderen im nur anderen. Kein Zweck ist darum der letzte, es sei denn die »Gesellschaft ohne Umwelt« (o. Anm. 132). Deshalb ist Sinn die Re-Flexion als das Ins-endliche-Werk-Setzen der unendlichen Möglichkeit. Indem »in aller Sinnerfahrung zunächst eine Differenz vorliegt, nämlich die Differenz von aktual Gegebenem und auf Grund dieser Gegebenheit Möglichem« (SS 111), erscheint Sinn typenhierarchisch in dreifacher Hinsicht, nämlich in der Form von Sach-, Zeit- und Sozialdimension (SS 112)  – eine naheliegende Unterscheidung, die für Luhmann gleichwohl nicht selbstevident ist: »Ohne irgendeine vernünftige Begründung habe ich einmal angefangen  – und bis heute [1991/92] habe ich dafür noch keine vernünftige Begründung -, zwischen sachlichen, zeitlichen und soziaSinndimensionen  |  79

len Sinndimensionen zu unterscheiden. Das kann man inzwischen vielerorts wieder finden, als sei die Ordnung der Sinndimensionen nach sachlich, zeitlich und sozial ein routinemäßig wiederholbares Theorieerzeugnis, ohne dass man sich darum bemüht, diese Ordnung deduktiv abzuleiten  – und auch ich bin dazu nicht in der Lage. Der Begriff entfaltet sich nicht von selber in diese Dimen­ sionen, sondern ist phänomenologisch so gesetzt.« (ES 238 f.)

Eigentümlich der Ausdruck ›phänomenologisch gesetzt‹ – legt die Phänomenologie ihre Ehre doch gerade darein, nichts zu »setzen«, vielmehr alles aufzuweisen, nämlich als Konstitutionsleistung (des intentionalen Bewußtseins). Luhmann tut nichts anderes, wenn er am Leitfaden der Frage nach allgemeinen Konstitutionsformen von Sinnsystemen zu den genannten drei Dimensionen gelangt. Merkwürdig aber zweitens, daß ihm das in diesem Fall nicht wie sonst so oft genügt, sondern daß er das irritierende Gefühl hat, sie seien »deduktiv abzuleiten«. In der Tat ist die Wand zwischen Soziologie und Philosophie hier papierdünn, ein Blick auf die Funktionalität der drei Dimensionen genügt. »Von Sachdimension soll die Rede sein im Hinblick auf alle Gegenstände sinnhafter Intention (in psychischen Systemen) oder Themen sinnhafter Kommunikation (in sozialen Systemen). […] Die Sachdimension wird dadurch konstituiert, daß der Sinn die Verweisungsstruktur des Gemeinten zerlegt in ›dies‹ und ›anderes‹. Ausgangspunkt einer sachlichen Artikulation von Sinn ist mithin eine primäre Disjunktion, die etwas noch Unbestimmtes gegen anderes noch Unbestimmtes absetzt. Die weitere Exploration wird damit dekomponiert in einen Fortgang nach innen und einen Fortgang nach außen, in eine Orientierung durch den Innenhorizont bw. eine Orientierung durch den Außenhorizont. Damit entsteht ›Form‹ im Sinne einer Möglichkeit, Grenzen zu überschreiten und daraus die Konsequenzen zu ziehen.« (SS 114)

In der Sachdimension werden mithin Gegenstände (Dinge) und Themen aus ihren jeweiligen Möglichkeitsbereichen selektiert, d. h. gegenüber allem anderen (einstweilen möglich Bleibenden) aktualisiert. 80  |  Sinndimensionen 

»Die Zeitdimension wird dadurch konstituiert, daß die Differenz von Vorher und Nachher, die an allen Ereignissen unmittelbar erfahrbar ist, auf Sonderhorizonte bezogen, nämlich in die Vergangenheit und die Zukunft hinein verlängert wird. Die Zeit wird dadurch von der Bindung an das unmittelbar Erfahrbare gelöst, sie streift allmählich auch die Zuordnung zur Differenz von Anwesendem und Abwesendem ab, sie wird zu einer eigenständigen Dimension, die nur noch das Wann und nicht mehr das Wer/Was/ Wo/Wie des Erlebens und Handelns ordnet.« (SS 116)

Hier sind es nicht Gegenstände, sondern deren Prozessualität, die interessiert: »Die Zeitspanne zwischen Vergangenheit und Zukunft, in der das Irreversibelwerden einer Veränderung sich ereignet, wird als Gegenwart erfahren. Die Gegenwart dauert so lange, wie das Irreversibelwerden dauert. Bei genauerem Zusehen erkennt man, daß immer zwei Gegenwarten gleichzeitig gegeben sind und daß erst deren Differenz den Eindruck des Fließens der Zeit erzeugt. Die eine Gegenwart fällt punktualisiert an: Sie markiert an irgend­ etwas […], daß immer etwas sich irreversibel verändert. […] Die andere Gegenwart dauert und symbolisiert damit die in allen Sinnsystemen realisierbare Reversibilität. Die Selbstreferenz ermöglicht eine Rückwendung zu vorherigen Erlebnissen bzw. Handlungen und zeigt diese Möglichkeit laufend an« (SS 117).

In der Zeitdimension wird also die Produktivität des Systems als solche (freilich zunächst und zumeist nicht des Systems als solchen) aktuell und differenziert dessen Evolution in Ereigniszeit und Gedächtniszeit: »Diese beiden Gegenwarten polarisieren sich wechselseitig als Differenz von Ereignissen und Beständen, von Wandel und Dauer, und das wiederum ermöglicht das Präsentwerden einer am irreversiblen Ereignis noch sichtbaren Vergangenheit und schon sichtbaren Zukunft in einer noch dauernden Gegenwart.« (ebd.) In der Ereigniszeit transformiert das System beständig Spuren von Ereignissen (Daten) in Elemente bzw. Strukturen (Fakten), die als Sinnvorgaben für weitere Selektionen in der Gedächtniszeit verfügbar bleiben: Das Gedächtnis ist »eine Art von KonsistenzprüSinndimensionen  |  81

fung. […] Entscheidend für das, was man in der Zukunft im Kontext von Erwartungen, von Antizipationen, von Zielsetzungen und dergleichen erreichen will, ist die aktuelle Abrufbarkeit, die aktuelle Prüfung der Verwendungsbreite, wenn man so will, von Strukturen« (ES 102 f.). Symbolisch kann die Gedächtniszeit insofern genannt werden, als sie jeweils den Sinnhorizont möglichen Erlebens und Handelns überhaupt vorgibt. Drittens die »Sozialdimension betrifft das, was man jeweils als seinesgleichen, als ›alter Ego‹ annimmt, und artikuliert die Relevanz dieser Annahme für jede Welterfahrung und Sinnfixierung. Auch die Sozial­ dimension hat weltuniversale Relevanz; denn wenn es überhaupt ein alter Ego gibt, ist es, so wie das Ego auch, für alle Gegenstände und für alle Themen relevant« (SS 119).

Mithin ist das selbstreferentielle Korrelat der Sachdimension die basale Selbstreferenz f1(fa)Sache, der Zeitdimension die Reflexivität f2[f1(fa)]Prozeß und der Sozialdimension die (explizite) Reflexion f3{f2[f1(fa)]}Kommunikation.

N  

Differenzlose Begriffe: Sinn, Realität, Welt, Grund

icht alle Systeme verarbeiten Komplexität und Selbstreferenz in der Form von Sinn; aber für die, die dies tun, gibt es nur diese Möglichkeit. Für sie wird Sinn zur Weltform und übergreift damit die Differenz von System und Umwelt.« (SS 95) Schon Heideggers »Fundamentalanalyse des Daseins« hatte Sinn als Weltform, nämlich als Existenzial verstanden: »Der Begriff des Sinnes umfaßt das formale Gerüst dessen, was notwendig zu dem gehört, was verstehende Auslegung artikuliert. 82  |  Differenzlose Begriffe: Sinn, Realität, Welt, Grund  

Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird. […] Sinn ist ein Existenzial des Daseins«.233

Folgerichtig ist Sinn für Luhmann ein Medium: »Das allgemeinste, nicht transzendierbare Medium für jede Formbildung, das psychische und soziale Systeme verwenden können, nennen wir Sinn. […] Mit dem Begriff des Mediums ist festgelegt, daß Sinn nicht beobachtet werden kann – ebensowenig wie das Licht.« (RG 15 f.)234 Systemtheoretisch ist Sinn damit die funktionale Metamorphose der alten sphaera lucis (Hedwig 1980) ebenso wie der zweiten Definition Gottes im Buch der 24 Philosophen, Gott sei eine unendliche Kugel, deren Zentrum überall und deren Peripherie nirgends ist.235 Die mit der Leitdifferenz als ›unbekannt bleibend‹ vorausgesetzte Realität läßt fragen, »ob es nicht gerade deshalb differenzlose (und damit: paradoxiehaltige) Begriffe geben müsse. Der Gottesbegriff der Tradition hatte diese Frage auf sich gezogen und damit absorbiert.236 Manchen mag dies genügen. Wir wollen, ohne uns hier festzulegen, drei weitere Begriffe vorstellen, die ganz entfernt an die Trinitätslehre erinnern könnten.237 / Von Welt soll die Rede sein, um die Einheit der Differenz von System und Umwelt zu bezeichnen. Von Realität soll die Rede sein, um die Einheit der Differenz von Erkenntnis und Gegenstand zu bezeichnen. Von Sinn soll die Rede sein, um die Einheit der Differenz von Aktualität und Possibilität zu bezeichnen. Alle diese Begriffe sind differenzlos in dem Sinne, daß sie ihre eigene Negation einschließen. Die Negation der Welt kann nur in der Welt vollzogen werden. Die Negation von Realität kann nur als reale Operation vollzogen werden. Die Negation von Sinn schließlich macht keinen Sinn, wenn sie keinen Sinn macht. Differenzlosigkeit heißt also in all diesen Fällen, daß man das damit Bezeichnete nicht von einem Gegenbegriff her definieren kann, sondern nur von einer sehr spezifischen Unterscheidung, her, die ihm zugrunde liegt. / […] Ferner ist zu beachten, daß die genannten Unterscheidungen System/Umwelt, Erkenntnis/Gegenstand, Aktualität/Possibilität eine auffällige Asymmetrie aufweisen. Sie sind nur auf einer Seite anschlußfähig; und sie ermöglichen nur Differenzlose Begriffe: Sinn, Realität, Welt, Grund   |  83

auf einer Seite ein re-entry […]. / Man kann in diesen Analogien eine Struktur erkennen, die der Auflösung der Paradoxie der Einheit des Differenten dient. Eine solche Paradoxie sieht freilich immer nur ein Beobachter.« (L1988b, 234 f.)

Rein formal kann es in der Systemtheorie nur einen differenzlosen Begriff geben, den der Differenz selbst, die als solche für das Bezeichnen (und das System ist Bezeichnen) stets nur das als ausgeschlossen Eingeschlossene sein kann, ein Supplement wie die unbegrenzte Zweiheit (aóristos dyás) der platonischen Akademie oder Derridas différance, die »buchstäblich genommen weder ein Wort noch ein Begriff ist«.238 Differenzlose Begriffe sind Begriffe der Differenz, aber als differenzlose Begriffe sind sie Begriffe der Einheit der Differenz von … (Funktion und Argument). Deshalb sind sie paradox, denn Begriffe fordern »eine Explikation auch der anderen Seite der Unterscheidung, eine Einschränkung dessen, wovon sie unterschieden werden, also zum Beispiel Sein von Schein, Natur von Technik, Zentrum von Peripherie« (WG 124).239 Ist das Supplement »Differenz« also als erste (systemkonstituierende) Identifikation ein Postulat, dann sind die differenzlosen Begriffe notwendig allesamt reale Modifikationen der formalen Leitdifferenz (je im Singulare tantum). Und wenn es sich hierbei nicht um bloße Sprachgewohnheiten oder pragmatische Hinsichten handeln soll, muß ihre Spezifität den jeweiligen Ort der unmarkierten Differenz im Funktionsgefüge markieren. Im realen Kontext sich reflektierender Identifikation bilden sie ihrerseits eine Reihe, die zwar semantisch, wie funktionale Reihen per definitionem (etwa die Reihe der natürlichen Zahlen), nicht aber strukturell ins Unendliche geht, sondern ebenso nach der Seite der Funktion wie nach der Seite des Arguments ein Nonplus­u ltra hat: • Grund: Einheit 240 der Differenz von Operation und Spur (des Ereignisses). • Welt: Einheit der Differenz von System und Umwelt. • Realität: Einheit der Differenz von Erkenntnis und Gegen stand. • Sinn: Einheit der Differenz von Aktualität und Possibilität.

84  |  Differenzlose Begriffe: Sinn, Realität, Welt, Grund  

Als Funktionsreihe notiert f3 |Sinn{f2 |Realität[f1 |Welt(f |Grund a)]} entsprechend den Funktionsbestimmungen: f Reflexion | {f Reflexivität | [f basale Selbstreferenz | (fOperation | a)]}. Über den Sinn hinaus ist nichts zu postulieren außer dem ganz Anderen, das aber eben darum nicht in diese Ordnung gehört, sondern sie provoziert; hinter dem Ereignis (resp. dem Ereignisfeld) ist ebensowenig zu postulieren, weil es nurmehr zu denken ist als die Bedingung der Möglichkeit von Operation – und so zuletzt von Aktualität (und damit auch von Possibilität) des Systems.241 (1) Die analytisch unhintergehbare Differenz »|« ist also die Differenz von Operation f und Element (a←Ereignis), ihre Einheit ist der Grund. Als Grund erscheint er nur für die Beobachtung (f1) der Operation: (2) Im selbstreferentiellen System f1 ist das (noch unterkomplexe) System fa an die Stelle der Operation f getreten, die Umwelt an die Stelle der Spur des Ereignisses und die Welt (|1) an die Stelle des Grundes. Als Welt erscheint sie nur für die Beobachtung (f2) der Selbstreferenz: (3) Im Erkenntnissystem f2 ist das selbstreferentielle System f1 an die Stelle des Systems fa getreten, der Gegenstand an die Stelle der Umwelt und die Realität (|2) an die Stelle der Welt. Sie manifestiert sich als »Widerstand der Operationen des Systems gegen die Operationen desselben Systems« als gegen die Ereignisse innerhalb des Systems (GG 127, vgl. L1990b). Als Realität erscheint sie nur für die Beobachtung (f3) der Erkenntnis: (4) Im Sinnsystem f3 ist die Aktualität des Erkenntnissystems f2 an die Stelle des selbstreferentiellen Systems f1 getreten, die Possibilität an die Stelle des Gegenstands und der Sinn (|3) an die Stelle der Realität. Als Sinn erscheint er für das nicht nur reflexive, sondern (auf die Reflexion) reflektierende System (f4), d. h. überhaupt nur für das Bewußtseins-, nicht schon für das psychische System. Seine Aktualität ist die Anwesenheit (»Gegenwart«) als »Einheit der Differenz von Vergangenheit und Zukunft« (WG 613), Heideggers »Gegenwärtigen«: »Das entschlossene Sein bei dem Zuhandenen der Situation, das heißt das handelnde Begegnenlassen des Differenzlose Begriffe: Sinn, Realität, Welt, Grund   |  85

umweltlich Anwesenden ist nur möglich in einem Gegenwärtigen dieses Seienden. Nur als Gegenwart im Sinne des Gegenwärtigens kann die Entschlossenheit sein, was sie ist: das unverstellte Begegnenlassen dessen, was sie handelnd ergreift.«242 Darin erweist die Realität (|2) sich als ein Modus von Sinn (|3). Mit ihm ist das Reflektieren als Negieren an seine Schranke gekommen: Grund kann sich als Welt entfalten, Welt als Realität erscheinen, Realität als Sinn erweisen, aber Sinn bleibt Sinn auch als Sinnlosigkeit, Unsinn und Widersinn.243 Als semiologische Reihe ist • Grund die unbezeichnete Einheit von Operation und Spur des Ereignisses: • der explizite Grund ist die Umwelt eines Systems; • Welt die unbezeichnete Einheit von System und Umwelt: • die explizite Welt ist der Gegenstand einer Erkenntnis; • Realität die unbezeichnete Einheit von Erkenntnis und Gegenstand: • die explizite Realität ist die Possibilität einer Aktualität; • Sinn die sich bezeichnende Einheit von Aktualität und Possibilität. Darin stellt die semiologische Reihe sich dar als Sequenz von Supplementierungen: • Grund→Umwelt eines Systems: System |Welt Umwelt←Grund; • Welt→Gegenstand einer Erkenntnis: Erkenntnis |Realität Gegenstand←Welt; • Realität→Possibilität einer Aktualität: Aktualität |Sinn Possibilität←Realität; • Sinn→Aktualität einer Possibilität: Possibilität |Sinn Aktualität←Sinn.

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Als-Struktur II: Sinn

ie Sinn-Form ist »das absolute Medium ihrer selbst« (GG 57), daher »ein notwendiges Korrelat der operativen Schließung von erkennenden Systemen« (GG 44): 86  |  Als-Struktur II: Sinn 

»Sinnhaft operierende Systeme bleiben an ihr Medium Sinn gebunden. Es allein gibt ihnen Realität in der Form der sequentiellen Aktualisierung eigenen Operierens. Sie können sinnfrei existierende Systeme nicht verstehen und auch nicht simulieren. Sie bleiben auf Sinn als für sie spezifische Form der Reduktion von Komplexität angewiesen.« (GG 55 f.)

Die systemtheoretische Synthese  – von Operation über basale Selbstreferenz und Reflexivität zu Reflexion – ist immer sekundär, weil ihr die Selbst-Analyse des vollständigen Sinnsystems in seine (noch sinndefizienten) Modi vorausgegangen sein muß. Das heißt unmittelbar, daß die Leitdifferenz, mithin der (differenzlose) Begriff der Differenz, die logische Form des Sinn-Begriffs ist: »Jedes Bild ist auch ein logisches.« (T 2.182) »Als operative Einheit aus Unterscheidung und Bezeichnung ist Sinn eine Form, die sich selbst enthält« (GG 57), nämlich die Unterscheidung von impliziter und expliziter Bezeichnung oder von Bezeichnung und Bezeichnung als Bezeichnung. Die Als-Struktur konstelliert alle systemkonstituierenden Differenzen, so daß jeder in der Synthese vorhergehende Begriff die folgenden implizit enthält. Das gilt auch für den Begriff des Ereignisses, das keine weitere Bestimmung haben kann als an sich Spur bzw. Element zu sein, wie das Element an sich selbstreferentiell ist usw. Die Struktur des Sinnsystems ist damit das formale Modell jeden Systems, und da Operation überhaupt nichts anderes ist als »Verletzung der Welt« (L1990a, 18) oder Bezeichnen, ist die Systemstruktur überhaupt die Als-Struktur: • • • •

Etwas (bezeichnet: Ereignis→Element → fa), Etwas als Etwas bezeichnet: Sache, f1(fa), Das Bezeichnen bezeichnet: Prozeß, f2[f1(fa)], Das Bezeichnen als Bezeichnen bezeichnet: Kommunikation, f3{f2[f1(fa)]}: f3{f2[f1(fa Element)Sache]Prozeß}Kommunikation.

Da der Sinn als Sinn nichts anderes als dies ist, frei, weil im Maximum der Kontingenz, sich selbst bezeichnen zu können, ist er formal die Als-Struktur als Als-Struktur. Der Sinn beantwortet daher Als-Struktur II: Sinn  |  87

die Frage, was er sei, immer schon selbst, er ist »eine durch und durch historische Operationsform« (GG 47)  – der Name für die Evolution in Gestalt von Geschichte. Geschichte ist die Evolution von Zeichensystemen, d. h. von Kommunikationssystemen. Der Unterschied zwischen Strukturalismus und Theorie der sozialen Systeme ist insofern nur einer des Akzents: Für Luhmann ist das Kommunikationssystem das Sinnsystem par excellence. Im übrigen rechnet er dazu nur noch die Milliarden von ›psychischen Systemen‹ (WG 63), eine schon im Blick auf die Primaten und die am Kommunikationssystem auf ihre Weise teilhabenden Haustiere eine bedenklich vage Taxonomie.244 Ist nämlich die Sinn-Form das absolute Medium und Korrelat der operativen Schließung von erkennenden Systemen, dann ist das (phänomenologisch epochalisierte) Bewußtseins­system 245 das fürsichseiende Zeichensystem, während psychische, d. h. per se individuierte psychophysische Systeme sich weder den Weltnoch den Realitätsbegriff, geschweige den Sinnbegriff explizit zu machen vermögen. Zum Bewußtseinssystem stehen sie im Verhältnis der Penetration: »Von Penetration wollen wir sprechen, wenn ein System die eigene Komplexität (und damit: Unbestimmtheit, Kontingenz und Selektionszwang) zum Aufbau eines anderen Systems zur Verfügung stellt.« (SS 290) Ist das eine System ein psychophysisches und das andere das Bewußtseinssystem, kann man mit Luhmann von Interpenetration zwischen den psychophysisch individuierten Bewußtseinssystemen sprechen: »Eine genauere Analyse dessen, was man als Sinn erlebt, kann nun in der Tat zeigen (und insofern ›phänomenologisch verifizieren‹), daß Sinn als unabweisbare Form der Erlebnisverarbeitung eingerichtet ist auf das Problem der Mehrheit von Systemreferenzen unter den Bedingungen von Interpenetration (hier: personaler in soziale Systeme)« (L1981, 279, o. H.). »Im Falle von Penetration kann man beobachten, daß das Verhalten des penetrierenden Systems durch das aufnehmende System mitbestimmt wird […]. Im Falle von Interpenetration wirkt das aufnehmende System auch auf die Strukturbildung der penetrierenden Systeme zurück; es greift also doppelt, von außen und von innen, auf dieses ein.« (SS 290) 88  |  Als-Struktur II: Sinn 

Penetriert von »seinem« psychophysischen System bestimmt das Bewußtsein dessen Verhalten mit; als immer schon individuiertes System steht es kommunizierend im Verhältnis der Interpenetration: »So ist vom Für-sich zu verlangen, uns das Für-den-andern zu liefern, von der absoluten Immanenz, uns auf die absolute Transzendenz zurückzuwerfen: im Tiefsten meiner selbst muß ich nicht Gründe des Glaubens an den andern finden, sondern den andern selbst, der nicht Ich ist (comme n’étant pas moi).«246 Das ist kein spezifisch existenzphilosophisches Axiom, weil das Bewußtseinssystem der fürsichseiende Sinn ist, d. h. die fürsichseiende Struktur.

Struktur »[D]er Begriff Struktur ist ein formaler Begriff. […] eine Struktur ist eine operationale Menge undefinierter Bedeutung […], die beliebig viele ihrem Inhalt nach nicht spezifizierte Elemente und endlich viele ihrer Natur nach nicht spezifizierte Relationen umfaßt, deren Funktion und gewisse Resultate aber hinsichtlich der Elemente definiert sind. Angenommen also, der Inhalt der Elemente und die Natur der Relationen werde auf bestimmte Weise spezifiziert, dann erhält man ein Modell (ein Paradigma) dieser Struktur: diese ist also das formale Analogon aller konkreten Modelle (m. H.), die sie organisiert.«247

Ereignisse sind auch als Operationen und Prozesse flüchtig und hinterlassen als potentielle Informationen nur mehr oder minder flüchtige Spuren. »Um Reversibilität zu erreichen, muß man Strukturen bilden.« (SS 608) Sie garantieren die Zuständlichkeit des Systems und sind »Bedingungen der Einschränkung des Bereichs anschlußfähiger Operationen« (GG 430): »Das System kann seiner eigenen Geschichtlichkeit nicht entrinnen, es muß immer von dem Zustand ausgehen, in den es sich selbst gebracht hat. Gerade weil dies so ist und gerade weil die zeitliche Sequenz der Operationen irreversibel ist, haben Strukturen im allgemeinen und Texte im besonderen die Funktion, Wiederholbarkeit und in diesem Sinne Reversibilität zu gewährleisten.« (GG 883) Struktur  |  89

Mit Barthes’ Essay von 1963 ist auch die Systemtheorie Resultat einer »strukturalistischen Tätigkeit«. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte der Strukturalismus sich als rein wissenschaftliche Angelegenheit verstanden,248 seine philosophischen Implikationen werden aber spätestens dann auffällig, wenn Lévi-Strauss »das Endziel der Humanwissenschaften nicht darin sieht, den Menschen zu konstituieren, sondern ihn aufzulösen (›dissoudre‹)« als ObjektSubjekt (»›objet et sujet«) einer ›anthropologisch-humanistischen Struktur des Denkens im 19. Jahrhundert‹.249 Luhmanns Theorie der Autopoiesis verzichtet gänzlich auf die traditionelle Differenz von Subjekt und Objekt: »An die Stelle der in sich zirkulären, paradoxiehaltigen Unterscheidung von Subjekt und Objekt tritt die ebenfalls zirkuläre, paradoxiehaltige Unterscheidung von Operation und Struktur, die wir wegen ihres Zeitbezugs bevorzugen. Die Struktur (Wissen) leitet die Operation (Erkennen), die die Struktur bestätigt oder modifiziert. Zur Auflösung des Zirkels dient dann nicht ein metaphysisch vorausgesetzter Wesensunterschied, sondern das Nacheinander in der Zeit.« (WG 78 f.)

»In die wissenschaftliche Beschreibung kann nur die Struktur (Ordnungsform) der Objekte eingehen, nicht ihr ›Wesen‹«,250 schrieben 1929 Rudolf Carnap, Hans Hahn und Otto Neurath: »Das die Menschen in der Sprache Verbindende sind die Strukturformeln; in ihnen stellt sich der Inhalt der gemeinsamen Erkenntnis der Menschen dar«251 – eine zukunftweisende Option.252 Saussure hatte die Semiologie noch psychologistisch projektiert als Teil der Sozialpsychologie:253 »Man kann also eine Wissenschaft konzipieren, die das Leben der Zeichen innerhalb des gesellschaftlichen Lebens studiert; sie würde einen Teil der Sozialpsychologie bilden und folglich der allgemeinen Psychologie; wir werden sie Semiologie nennen […]. Sie würde uns lehren, worin die Zeichen bestehen, welchen Gesetzen sie gehorchen. […] Die Sprachwissenschaft ist nur ein Teil dieser allgemeinen Wissenschaft, die von der Semiologie entdeckten Gesetze werden auf die Sprachwissenschaft anwendbar sein, und diese 90  |  Struktur 

wird sich so einem Gebiet zugehörig finden, das gut definiert ist in der Gesamtheit der menschlichen Fakten.«254

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Sprachsystem und Sprachgebrauch ie Elemente der strukturalisierten Semiologie gruppiert Barthes 1965

»unter vier große der strukturalen Sprachwissenschaft entstammende Rubriken: I. Sprachsystem (Langue) und Sprachgebrauch (Parole); II. Signifikat und Signifikant; III. System und Syntagma; IV. Denotation und Konnotation. Wie zu sehen, stellen diese Rubriken sich dar in dichotomischer Gestalt; es muß auffallen, daß die binäre Klassifizierung der Begriffe im strukturalen Denken häufig zu sein scheint, so als wiederhole die Metasprache des Sprachwissenschaftlers ›en abyme‹ die binäre Struktur des Systems, das er beschreibt; und es ist im Vorbeigehen darauf hinzuweisen, daß es zweifellos überaus lehrreich wäre, den Vorrang der binären Klassifikation im Diskurs der zeitgenössischen Humanwissenschaften zu studieren: die Taxonomie dieser Wissenschaften würde, wäre sie nur bekannt, gewiß Aufschluß geben über das, was man das Intellektuell-Imaginäre (l’imaginaire intellectuel)255 unsrer Epoche nennen könnte.«256

Der Terminus en abyme stammt aus der Heraldik und bezeichnet dort das ins Zentrum eines Wappens gesetzte Wappen. Dem strukturalistischen Sprachgebrauch entspricht die der Funktion eigentümliche Reihenbildung. Jedes Argument ist, weil als Element selber schon konstituiert, an sich wieder als Funktion darstellbar, wie jede Funktion Argument einer höherstufigen Funktion sein kann – jeder Beobachter ist an sich wieder beobachtbar usw. Die Struktur en abyme kennzeichnet mithin selbstreferentielle Systeme überhaupt. Luhmann diskutiert dies am Beispiel der »berühmten und berüchtigten Kreuztabellen« Talcott Parsons’ (ES 22): »Innerhalb des einzelnen ausdifferenzierten, funktionsspezialisierten Systems kommen alle anderen Funktionen noch einmal vor. / Sprachsystem und Sprachgebrauch  |  91

Das führt zu dem Gesamttheorem, daß das System in sich selbst wiederholt werden kann […]. Die Frage, wie weit das getrieben werden kann, […] ist eine praktische Frage an die erreichbare Komplexität des Systems, an die erreichbare Komplexität der Handlungswirklichkeit. […] Man sieht hier, dass die Theorie eine erhebliche geschichtliche, evolutionäre Offenheit hat. Sie kann verschiedene Geschichtszustände unter dem Gesichtspunkt beschreiben, ob für spezifische Funktionen bestimmte Sondersysteme ausdifferenziert sind« (ES 26 f.).

Nichts hindert, die philosophische Funktion das »IntellektuellImaginäre« der Moderne zu nennen: »[D]as Anwesende wird das Zeichen des Zeichens, die Spur der Spur. Es ist nicht länger dasjenige, worauf alles Verweisen in letzter Instanz verweist. Es wird eine Funktion in einer Struktur allgemeinen Verweisens. Es ist Spur und Spur der Auslöschung der Spur.«257 Seine konstituierend-konstellierende Potenz erweist sich am Begriffspaar Langue/Parole. Die Langue, das Sprachsystem, ist »die Sprache (langage) abzüglich des Sprachgebrauchs (Parole)«,258 als Kommunikationssystem zugleich gesellschaftliche Institution und System von Werten (valeurs). Als solches wird es konstituiert von einer gewissen Zahl von Elementen, deren jedes »Term einer umfassenderen Funktion ist, worin, differenziell, andre korrelative Werte Platz finden«.259 Während die Sprache selbst (langage) ein Feld, im weitesten Sinn das Zeichenfeld ist, erscheint das jeweilige Sprachsystem als umschriebener Bereich im Sinn der systemtheoretischen Unterscheidung von System und Umwelt. Das System wird konstituiert von seinen Elementen, den Zeichen, die als solche in rein differentiellem Verhältnis zueinander stehen: An ihm selbst ist jedes, was es ist, dadurch, daß es keines von den andern ist und nichts weiter.260 Das »Sprachsystem existiert vollkommen nur in der ›Sprachgemeinschaft‹ (›masse parlante‹):261 man kann ein Wort (parole) nur gebrauchen, wenn man es dem Sprachsystem entnimmt; aber anderseits ist das Sprachsystem nur möglich ausgehend vom Wort: geschichtlicherweise gehen die Sprechakte (les faits de parole) immer den Fakten des Sprachsystems voraus«.262 An sich sind die Sprechakte Ereignisse, weshalb »Gegenstand von Wissenschaft allein das Sprachsystem« ist (ebd.). Barthes konstatiert hier »eine 92  |  Sprachsystem und Sprachgebrauch 

veritable Dialektik«, 263 weil nichts ins Sprachsystem aufgenommen wird, was nicht im Sprachgebrauch erprobt worden wäre, »aber umgekehrt auch kein Wort möglich ist (d. h. seiner Kommunika­ tionsfunktion entspricht), wenn es nicht dem ›Schatz‹ des Sprachsystems entnommen wurde«.264 Der Sprachgebrauch hat seinen Ort demnach zum einen im Sprachfeld, von dem als Feld es keine Wissenschaft geben kann, zum andern im Sprachsystem. In ihm fungiert er nicht als Sprechen, sondern als Verhältnis differentiell fixierter Elemente oder virtuell als Schrift. Das je nur im Augenblick faßbare ›lebendige Wort‹, das momentane Wort-Ereignis, ist darin zum Zeichen stabilisiert: Sprachsystem(Zeichen←Wort-Ereignis) und also Sprachsystem |Sprache Zeichen.

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Das Zeichen

as klassisch gedachte Zeichen ist repräsentativ, es »steht für« etwas: »Wo immer eine Stellvertretung vorliegt, da gibt es, wie an jeder Relation, zwei Fundamente, ein etwas und noch etwas, was die Betrachtung auseinanderhalten muß. Um die Relation im Falle der Stellvertretung allgemein zu charakterisieren, sagen die Scholastiker aliquid stat pro aliquo«.265 Vor Kant exemplarisch Alexander Baumgarten: »Das Mittel, die Wirklichkeit eines andern Dinges zu erkennen, ist das Zeichen, das mit dem Zeichen Gemeinte das Bezeichnete. Daher ist das Zeichen Erkenntnisquell des Bezeichneten, der Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist bedeutsam und wird dem Zeichen beigelegt als die Bedeutung.«266 In Baumgartens Terminologie ist das Zeichen der Signifikant, seine Bedeutung das Signifikat und das Bezeichnete der Referent. Die Unterscheidung zwischen dem Bezeichneten als »Phänomen« und dem Referenten als »Ding an sich« verdankt sich erst dem Kantschen »Wagstücke […], Freiheit in die Wissenschaft einzuführen«, 267 das in der Folge permanent modifiziert, aber nie revoziert wird. Kants »Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena«268 erlaubt darum, vorauszublicken Das Zeichen  |  93

auf die moderne Transformation des Zeichenbegriffs. Saussure entbindet das Zeichen gerade so von seiner repräsentativen Aufgabe wie Husserl das Phänomen. Waren Phänomen und Zeichen für das klassische Denken stets unvollständig, Phänomen-von …, Zeichen-von …, erscheinen sie hinfort als so absolut wie in andrer Hinsicht Metapher, 269 Existenz oder selbstreferentielles System. Saussures Sprachwissenschaft nimmt, was irgendwie als Gegenstand gegeben ist (Freges »Sinn«), in das Zeichen hinein als das Signifikat, das virtuell Bezeichnete, dem das real Bezeichnende, der Signifikant, nurmehr als Träger dient.270 Das Zeichen wird dadurch autonom, es ist eine Beschreibung, die gegebenenfalls durch komplementäre Beschreibungen vervollständigt werden kann, aber nicht mehr an ihr selbst auf einen Referenten verweist – er kann jetzt je nach Kontext gefordert werden oder nicht: »Beim Anhören eines Epos z. B. fesseln uns neben dem Wohlklange der Sprache allein der Sinn der Sätze und die davon erweckten Vorstellungen und Gefühle. Mit der Frage nach der Wahrheit würden wir den Kunstgenuß verlassen und uns einer wissenschaft­ lichen Betrachtung zuwenden. Daher ist es uns auch gleichgültig, ob der Name ›Odysseus‹ z. B. eine Bedeutung habe, solange wir das Gedicht als Kunstwerk aufnehmen. Das Streben nach Wahrheit also ist es, was uns überall vom Sinn [dem Signifikat] zur Bedeutung [dem Referenten] vorzudringen treibt.«271

Saussure nennt das sprachliche Zeichen noch einen »psychischen Inhalt« (entité psychique), der zusammengesetzt ist aus einem »Begriff«  – wie wir alle ungefähr die gleiche Vorstellung von einem Baum haben –, und einem »Lautbild«, um dann die psychologischen Termini concept und image durch die sprachwissenschaftlichen Termini Signifikat und Signifikant zu ersetzen.272 Der Signifikant als Träger (Laut, Geste, Figur), etwa die Laut- oder Buchstabenfolge B-a-u-m, erhält dadurch die Funktion, den außersprachlichen Sachverhalt Baum zu bezeichnen: allgemein

94  |  Das Zeichen 

Baumsein(B-a-u-m), Signifikat(Signifikant).

Das Signifikat ist als (reale oder fiktionale) Beschreibung ein bloßes So-Sein273 in der Antwort nicht auf die (essenzialistische) WasFrage, sondern auf die (pragmatische)274 Wie-Frage (GG 995 und 520): Etwas (z. B. Odysseus) ist so und so anwesend für die bezeichnende Instanz (den Verfasser der Odyssee und ihre Leser). Das Gewicht dieser Rückung liegt in der Ersetzung der psychologistischen Auffassung der Sprache durch die funktionale.275 Das Sein von etwas (als unterschieden von dessen möglicher Existenz) wird vom Phänomen abstrahiert als dessen Beschreibung. Das Verhältnis von Signifikat und Signifikant hatte Saussure so gefaßt: »Um sich darüber Rechenschaft abzulegen, daß die Sprache (langue) nur ein System von bloßen Werten sein kann, genügt es, die beiden Elemente zu betrachten, die mit ihrem Funktionieren ins Spiel kommen: die Vorstellungen (idées) und die Laute. / Abstrahiert man vom sprachlichen Ausdruck (les mots) unseres Denkens, ist es nur eine amorphe und undeutliche Masse. […] Die Lautsubstanz ist weder unbeweglicher noch starrer; sie ist keine Gußform, deren Gestalten das Denken sich notwendig zu fügen hätte, sondern ein bildsamer Stoff, der sich seinerseits in deutliche Teile zerlegt, um die Signifikanten zu liefern, deren das Denken bedarf. Wir können demnach das sprachwissenschaftliche Faktum in seiner Ganzheit, d. h. das Sprachsystem, darstellen als eine Reihe aneinander grenzender Unterteilungen (subdivisions contiguës), die zugleich hervortreten (dessinées) auf der unbestimmten Ebene der ungeschiedenen Vorstellungen (A) wie auf der nicht minder unbestimmten der Laute (B).«276

Auch in diesem Saussureschen Schema der »immanente[n] Zeitform des Erlebnisstromes«277 erscheint der Signifikant als Träger des Signifikats kraft der vertikalen Differenz der beiden Ebenen: Signifikat (A) / Signifikant (B). Lacan wird Erlebnis- oder Inhaltsebene und Ausdrucksebene (Hjelmslev)278 in ihrem vertikalen Verhältnis zueinander vertauschen und vom »unaufhörlichen Gleiten des Signifikats unter dem Signifikanten«279 sprechen: Um

Das Zeichen  |  95

»die Emergenz der sprachwissenschaftlichen Disziplin hervorzuheben, werden wir sagen, daß sie wie bei jeder Wissenschaft im modernen Sinn im konstituierenden Moment eines Algorithmus besteht, der sie begründet, nämlich S/s, zu lesen: Signifikant über Signifikat, wobei das ›über‹ dem Bruchstrich (barre) entspricht, der die beiden Schichten trennt«.280

Dieser Bruchstrich, »der der Bezeichnung (signification) widersteht«, symbolisiert die Möglichkeit des Referenten, des gemeinten Gegenstands.

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Der Referent

artin Buber, der der zeitgenössischen Sprachphilosophie fernstand, wohl aber zur zeitgenössischen Physik hinüberschaute, schreibt 1955, daß unsere »Wahrnahme […] nur eben in der Sphäre unserer Beziehung zum Seienden und nirgendwo sonst vorzufinden ist«, 281 so daß das Ding selbst zum »Träger[-] der Funktion«282 wird und »aller Eigenschaften entledigt, die ihm in der Begegnung mit mir, in der Sinnenwelt zu eigen geworden«, übrig bleibt, als »kleines x«283 , an ihm selbst gestaltloses Anderssein. Freges Vorschlag von 1892, dies x die Bedeutung des Zeichens zu nennen, 284 hat sich auch aus Gründen der Sprachkonvention nicht durchgesetzt, aber seine Unterscheidung von Gegebensein überhaupt und Art des Gegebenseins285 sollte fruchtbar werden. Das Bezeichnete ist das vom ganzen Zeichen Gemeinte, der Gegenstand. Die Bedeutung kontrahiert ihn auf sein bloßes Daß, Bubers »kleines x«, den Referenten, und der Sinn entfaltet ihn in seinem So-Sein oder Wie als Signifikat. Die beiden Namen »Morgenstern« und »Abendstern« haben verschiedenen Sinn, aber dieselbe Bedeutung, nämlich den Planeten Venus. Beide beschreiben etwas, und beide Beschreibungen treffen zu auf einen und denselben Gegenstand, der den Eigennamen Venus trägt. »Der Begriff«, sagt Frege, »ist prädikativ. Ein Gegenstandsname hingegen, ein Eigenname ist durchaus unfähig, als grammatisches Prädikat gebraucht zu werden«.286 Er kann aber jederzeit, wie Quine am Beispiel von ›Pegasus‹ und ›pegasieren‹ gezeigt hat, durch ein Prädikat oder eine 96  |  Das Zeichen 

Beschreibung ersetzt werden.287 Freges Beispiel läßt sogleich sehen, daß der Referent in der Tat wieder nur in einer Sinnbrechung zur Sprache zu bringen ist. Denn man kann ebensogut sagen, die drei Namen ›Morgenstern‹, ›Abendstern‹ und ›Venus‹ haben verschiedenen Sinn, wiewohl dieselbe Bedeutung, nämlich denjenigen Himmelskörper, der usw., dann die Beschreibung ›derjenige Himmelskörper, der‹ usw. hinzunehmen und en abyme den Sinn von der gemeinten Bedeutung abziehen, bis faktisch nur noch gefragt werden kann, ob das Zeichen überhaupt auf das Gemeinte zutrifft oder nicht: »Jeder Behauptungssatz, in dem es auf die Bedeutung der Wörter ankommt, ist also als Eigenname aufzufassen, und zwar ist seine Bedeutung, falls sie vorhanden ist, entweder das Wahre oder das Falsche.«288 1873 hatte Nietzsche das in seiner (erst 1903 publizierten) Abhandlung Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne so formuliert: »Die verschiedenen Sprachen neben einander gestellt zeigen, dass es bei den Worten nie auf die Wahrheit, nie auf einen adäquaten Ausdruck ankommt: denn sonst gäbe es nicht so viele Sprachen. Das ›Ding an sich‹ (das würde eben die reine folgenlose Wahrheit sein) ist auch dem Sprachbildner ganz unfasslich und ganz und gar nicht erstrebenswerth. Er bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und nimmt zu deren Ausdrucke die kühnsten Metaphern zu Hülfe. Ein Nervenreiz zuerst übertragen in ein Bild [Signifikat]! erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einem Laut [Signifikant]! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Ueberspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andere und neue.«289

Der Referent selbst ist deshalb nur insofern Bestandteil des Zeichensystems, als er das intentional Mitgemeinte ist als das, was vom Zeichen gegebenenfalls angezeigt wird290 und worauf das Bewußtsein transzendiert. Dies Transzendieren hatte noch innerhalb des geschichtlichen Horizonts der Metaphysik schon Fichte formuliert, indem er den zeitgenössischen Streit über den Status des Kantschen »Dings an sich [selbst betrachtet]« 1794 so entschied,

Das Zeichen  |  97

»daß unsre Erkenntniß zwar nicht unmittelbar durch die Vorstellung, aber wohl mittelbar durch das Gefühl mit dem Dinge an sich zusammenhange; daß die Dinge allerdings bloß als Erscheinungen vorgestellt, daß sie aber als Dinge an sich gefühlt werden; daß ohne Gefühl gar keine Vorstellung möglich seyn würde; daß aber die Dinge an sich nur subjektiv, d. i. nur inwiefern sie auf unser Gefühl wirken, erkannt werden;«291

aber »Etwas, das lediglich durch die Beziehung eines Gefühls möglich wird, ohne daß das Ich seiner Anschauung desselben sich bewußt wird, noch bewußt werden kann, und das daher gefühlt zu seyn scheint, wird geglaubt. / An Realität überhaupt, sowohl die des Ich, als des Nicht-Ich findet lediglich ein Glaube statt.«292

Bei Husserl heißt es dann: »der Seinscharakter schlechthin (das noematische ›gewiß‹ oder ›wirklich‹ seiend) fungiert als die Urform aller Seinsmodalitäten« korrelativ zur »Urform der Glaubensweise«. Husserl nennt sie Urdoxa und konstatiert, »daß jedes Erlebnis in Beziehung auf all die noematischen Momente, welche sich durch seine Noesen am ›intentionalen Objekt als solchem‹ konstituieren, als Glaubensbewußtsein im Sinne der Urdoxa fungiert«.293 Unmittelbar richtet sich das Bewußtsein glaubend auf das intentionale Objekt, so daß ihm Phänomen und existierender Gegenstand, der Referent, in eins fallen. Das modern gedachte Zeichen repräsentiert nicht, es beschreibt. Die Beschreibung als solche macht keinen Anspruch auf die Faktizität der von ihr entfalteten Sachverhalte. Wie Freges OdysseeBeispiel zeigt, verhält der mögliche Referent sich zum Sinn supplementär. Die Logik notiert das mit dem Existenzquantor. Nicht das Zeichen, erst das »Streben nach Wahrheit […] ist es, was uns überall vom Sinn zur Bedeutung vorzudringen treibt«.294 Damit kommt die Intention des Bewußtseins ins Spiel, seine Reflexion auf den Satz als Zuwendung zu »einer wissenschaftlichen Betrachtung«, die Frege den Ernst nennt: »Also auch bei dem, was sich der Form nach als Behauptungssatz darstellt, ist immer noch zu fagen, ob es wirklich eine Behauptung enthalte. Und diese Frage ist zu verneinen, wenn der dazu nötige Ernst fehlt.«295 Lacans Bruchstrich in 98  |  Das Zeichen 

S/s widersteht der Bezeichnung also wohl sprachwissenschaftlich, aber nicht phänomenologisch: Die Differenz zwischen Signifikat und Signifikant, die selber weder das eine noch das andre, noch auch ein Zeichen ist, wird supplementiert durch die Intention (auf Faktizität): Zeichen = Signifikat(Signifikant) Bewußtsein(Signifikat | Signifikant)Zeichen Bewußtsein(Zeichen + | ) | = Intention, und also Bewußtsein(Zeichen + Urdoxa). Das Zeichen selbst in seiner Unmittelbarkeit hat dieselbe Struktur wie die Operation – es ist die Operation: f Signifikat(Signifikant) = fOperation(Element). Das intentional reflektierte Zeichen hat dieselbe Struktur wie das selbstreferentielle System: f Bewußtsein[Signifikat(Signifikant) + Urdoxa]Zeichen = f1[f(a)System + Umwelt]System1. Das reflektierte Zeichen ist das Element des Kommunikationsystems: Die Kommunikation unterscheidet das Zeichen vom Bezeichneten, d. h. sie bezeichnet das Zeichen als Zeichen. Das Bewußtseinssystem ist darüber hinaus das Fürsichsein des Kommunikationssystems, mithin das Fürsichsein des als Zeichen bezeichneten Zeichens oder der Sinn. Zwar ist mit Luhmann auszuschließen, »daß wir Sinn als Zeichen definieren« (SS 107), aber nicht Zeichen als Sinn: Das Zeichen ist der sedimentierte Sinn – die Struktur der Welt.

Das Zeichen  |  99

D  

Phänomenologische, existenziale und strukturale Epoché

er Unterschied zwischen natürlicher und phänomenologischer Einstellung wird produktiv, indem die Urdoxa (zusammen mit den übrigen Seinsmodalitäten und Glaubensweisen) suspendiert wird, so daß nurmehr die intentionale Dualität: Bewußtsein→Phänomen

übrig bleibt. Für Husserl freilich steht sie dann erst im Licht des »von dem reinen Ich ausstrahlende[n] ›Blick[s]‹«:296 »Die zum Wesen der natürlichen Einstellung gehörige General­ thesis setzen wir außer Aktion, alles und jedes, was sie in ontischer Hinsicht umspannt, setzen wir in Klammern: also diese ganze natürliche Welt, die beständig ›für uns da‹, ›vorhanden‹ ist, und die immerfort dableiben wird als bewußtseinsmäßige ›Wirklichkeit‹, wenn es uns auch beliebt, sie einzuklammern. / Tue ich so, wie es meine volle Freiheit ist, dann negiere ich diese ›Welt‹ also nicht, als wäre ich Sophist, ich bezweifele ihr Dasein nicht, als wäre ich Skeptiker; aber ich übe die ›phänomenologische‹ epochê, die mir jedes Urteil über räumlich-zeitliches Dasein völlig verschließt.«297

Um sich als Bewußtsein vom Gegenstand und damit erst das Objekt als Sein-für-das-Bewußtsein oder Phänomen zu unterscheiden, muß dies Ich auf das Verhältnis reflektieren: Reflexion(Bewußtsein | Phänomen). Damit wird als Drittes auch die Differenz identifiziert – als das Andere zu Bewußtsein und Phänomen oder als x: | → x, Reflexion[Bewußtsein(Phänomen) + x]. Zum Gegenstandspol oder noematischen Zentrum wird das x unter der Voraussetzung eines korrelativ-noetischen Zentrums oder des »Ichpols«:298 Ichpol + … Reflexion[Bewußtsein(Phänomen) + Gegenstandspol]. 100  |  Phänomenologische, existenziale undstrukturale Epoché  

Sartres existenziale Weigerung, über das transzendentale Bewußtsein hinaus einen Ichpol als Ursprung des de facto immer schon transzendenten Ego (eines psychischen Gegenstands)299 zu postulieren, setzt das x wieder frei als die Differenz, die nunmehr zu denken ist als existenzielles Medium (Leiblichkeit-in-der-Situation).300 So erst, reduziert um Husserls a priori zentrierte Subjektivität, erweist die intentionale Dualität sich als die transzendentale Voraussetzung des Strukturalismus.301 Es blieb übrig, sie um das transzendentale Bewußtsein überhaupt zu reduzieren. Angesichts des Problems der Selbstreferen­ zialität wird die Systemtheorie nachmals der Notwendigkeit inne­werden, »die von Husserl entdeckte Struktur beizubehalten«, anderseits aber »das Bewußtsein als Medium der Bildung von Formen wegzulassen«. 302 Dies war jedoch nicht allein kraft soziologischer Intuition möglich. Dazu war die Soziologie viel zu verwoben mit Handlungstheorien und so mit der »Theorie des Subjekts« als einer »dominierende[n] Tradition, die auch deswegen dominiert, weil sie Philosophen beschäftigt, das heißt in der Philosophie Wurzeln schlägt« – und die »Soziologie, die am Ende des 19. Jahrhunderts beginnt, erbt dieses Thema« der modernen Oszillation »zwischen Entfremdung einerseits und Emanzipation andererseits« (ES 248 f.), zwischen »Uneigentlichkeit« und »Eigentlichkeit«: »Man ist in der Weise der Unselbständigkeit und Uneigentlichkeit.«303 Die geschichtliche Voraussetzung der Legitimität des ›Weglassens‹, genauer: der Selbstaufhebung des transzendentalen Bewußtseins war dessen doppelte Verschiebung zuerst in Heideggers Dasein und dann in Sartres Existenz. Am Primat der Praxis festhaltend, homogenisierte sie Bewußtsein wie Dasein zum Bewußtseinsfeld (champ transcendantal):304 Statt am »Ichpol« immer schon das Zentrum zu haben, erscheint das intentionale Bewußtsein sich als permanentes Sich-Zentrieren (Sich-Identifizieren als Moi)305 um den Differenz-Kern des Gefühls. 306 Der Schritt über den Existenzialismus hinaus erweist sich so als vermittelte Epoché: Nach der Einklammerung (1) des Objekts überhaupt (Husserl), (2) des theoretischen Bewußtseins (Heidegger) und (3) des transzendentalen Subjekts (Sartre) (4) die Einklammerung des existierenden Subjekts. 307 In der »Gemeinsamkeit des [geschichtlichen] Sinnmediums« (ES 256) gibt erst der Strukturalismus den soziologischen Phänomenologische, existenziale undstrukturale Epoché   |  101

Blick frei auf eine Theorie selbstreferenzieller Systeme und deren philosophische Dimension. Im Jahrzehnt nach dem Ende des zweiten Weltkriegs reift der »Glauben der Welt«, 308 der Träger des Weltlaufs sei keineswegs das ins opake Ansich (en soi) der Welt geworfene Individuum, vielmehr dies Ansichsein selbst in der durchsichtigen Gestalt der intentionalen Dualität als der Condicio sine qua non von Struktur – der auf der Basis des Saussureschen Zeichenbegriffs funktionalisierten Struktur. Im Rückblick kann der Existenzialismus darum als dezisionistische Restriktion des Zeichenfelds auf das Erlebnisfeld erscheinen. 309 In diesem Sinn schreibt Barthes 1957: »Die Sprache (langage) […] und vor allem die Sprache des Schriftstellers ist kein Werkzeug, keine Technik, sondern eine Struktur, ein Bewußtsein […]. Es ist sicher, daß die allgemeine Struktur eines Sprachsystems (langue) einer allgemeinen Repräsentation der Welt entspricht (aber nicht dem oder jenem ›Sujet‹ wie dem Meer [bei Joseph Conrad]).«310

Das Sinnfeld  Das Sprachverhältnis als solches läßt sich notieren als Sprachsystem |Sprache(Signifikat |RealitätSignifikant)Zeichen, rudimentärer als Zeichensystem |Sprache Zeichen. Zwar ist jedes Sprachsystem Zeichensystem, aber nicht jedes Zeichensystem Sprachsystem. Sind ›vor-sprachliche‹ Zeichensysteme darum nurmehr defiziente Modi des Sprachsystems,311 oder ist das Sprachsystem eine andere Spezies – ein anderes System (das der Reflexion bedarf)? Das tierische Bewußtsein nimmt den markierten Baum, aber nicht den Baum als markiert wahr – Tiere »lesen« Zeichen, aber nicht als Zeichen, sie haben Bewußtsein, aber nicht als Bewußtsein. Die Als-Struktur des Verhältnisses von Zeichen und Bezeichnetem ist darum keineswegs Eigentum erst des aktuell re102  |  Das Sinnfeld 

flektierenden Bewußtseins. Es genügt, daß das unreflektierte oder lebensweltliche Bewußtsein den Gegenstand und das Zeichen und das Zeichen-am-Gegenstand wahrnimmt. Spricht es, dann benennt (beschreibt) es das Zeichen als Zeichen: Die Sprache ist die AlsStruktur der Welt, mithin für sich das, was Luhmann »Sinn« nennt, die »Weltform« (SS 95). Schon (1) der Grund kann nur postuliert werden als impliziter Sinn. Explizit ist er (2) die Welt. Ihrerseits explizit ist die Welt (3) die Realität, deren Sinn explizit (4) der Sinn als Sinn ist. Der Grund als das Differenz- oder Ereignisfeld überhaupt (1) ist das Gestalt- oder Wahrnehmungsfeld, die Welt (2) das Erscheinungsoder Anschauungsfeld. Beide sind implizit schon Zeichenfelder, die Realität (3) ist explizit Zeichen- oder Erkenntnisfeld. Wird der Sinn des Zeichens erkannt, d. h. das Zeichen als Zeichen bezeichnet, dann ist es benannt, d. h. gewußt (4) im Sprachfeld. Konsequent vom Sinn her gedacht, erweist die Luhmannsche Reihe der differenzlosen Begriffe Grund, Welt, Realität, Sinn sich so als die Reihe der Feldbegriffe: • Differenz-, Ereignis-, Gestalt- oder Wahrnehmungsfeld = Grund, • Erscheinungs- oder Anschauungsfeld = Welt, • Zeichen- oder Erkenntnisfeld = Realität, • Sprach-, Gedächtnis- oder Wissensfeld = Sinn312 – als Funktionsreihe: f3|3 = Sprachfeld{f2|2 = Zeichenfeld[f1|1 = Erscheinungsfeld(f | = Ereignisfeld a)]}. Sonach korrelieren: • die Operation der Wahrnehmung von Gestalten (Formen) im Ereignisfeld (Grund), das immer nur mit-wahrgenommen wird; • die basale Selbstreferenz der Anschauung313 von Dingen im Erscheinungsfeld (Welt), das immer nur mit-angeschaut wird; • die Reflexivität der Bezeichnung von Gegenständen im Erkenntnisfeld (Realität), das immer nur mit-bezeichnet wird; Das Sinnfeld  |  103

• die Reflexion der Beschreibung von Sachen und Sachverhalten im Sprachfeld (Sinn), das immer nur mit-beschrieben (mit-gemeint) wird. Das explizit gemeinte (benannte) Sprachfeld ist schon das Sprachsystem.

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Kommunikationssystem und Bewusstseinssystem

ie Intentionalität ist es, die Bewußtsein im prägnanten Sinne charakterisiert«, wobei Husserl Intentionalität versteht als »die Eigenheit von Erlebnissen, ›Bewußtsein von etwas zu sein‹«. 314 Auch das Zeichen ist dies transzendierende Gerichtetsein auf …, das Bewußtsein für sich, das Zeichen an sich. Sprachwissenschaftlich wird das »von« eingeklammert wie phänomenologisch die Generalthesis der natürlichen Einstellung: Wofür das Zeichen steht, geht die Sprachwissenschaft nichts an, Sätze wie ›Scott ist der Autor von Waverley‹315oder ›Mark Ambient ist der Autor von Beltraffio‹316 gelten ihr gleich. Zwar muß sie mit einem Zeichen wie Saussures Trennungsstrich operieren, doch nur, um die sprachwissenschaftlich relevanten Seiten der Differenz zu separieren, das Signifikat und den Signifikanten, während die Differenz als solche abgeblendet bleibt (mit Luhmann: als paradox invisibilisiert wird). Nicht der Trennungsstrich als Zeichen für eine Operation ist es ja, der, wie Lacan summarisch sagt, »der Bezeichnung widersteht«, 317 sondern die durch die identifizierende Operation supplementierte Differenz. In S/s, Lacans Zeichen für das Zeichen, sind »S«, »s« und »/« wieder Zeichen, wobei »S« den Signifikanten S/s, s das Signifikat = Signifikant/Signifikat und »/« deren Weder-Noch bezeichnet. Für S/s ist also (S/s)/(Signifikant/Signifikat) zu schreiben usf. en abyme … Das Zeichen »/« ist als das Weder-Noch der Seiten des Zeichens seine Fremdreferenz und indiziert damit die Intention des Bezeichnens selbst. Auch wo dieses im Fall des Existenzquantors den Referenten intendiert, tritt an dessen Stelle de facto wieder ein Zeichen (unter der Beschreibung »Name«): Der Referent der Zeichen ›Mor104  |  Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem  

genstern‹ und ›Abendstern‹ ist die Venus, aber die Venus ist das Gemeinte, ›die Venus‹ das Gesagte. Die strukturalistische Notation bringt mithin die Strukturidentität von Zeichen und intentionalem Bewußtsein zum Vorschein:318 Bewußtseinreflektierend{[Bewußtseinreflektiert(Phänomen) + Intention]}. Zeichenbezeichnend(Zeichenbezeichnet + Intention). Es gibt keinen Baum des Baums, kein Gefühl des Gefühls, aber Bewußtsein des Bewußtseins, Zeichen des Zeichens. Wie das Zeichen nur im Sprachfeld als Zeichen bezeichnet werden kann, so auch das Bewußtsein: Seine Reflexion auf sich ist Selbst-Bezeichnen. Sie markiert das reflektierte Bewußtsein als Gegenstand und ist insofern Nicht-Gegenstand (nicht markiert), kann freilich in einer Beobachtung dieses Beobachtens wiederum die Reflexion als Reflexion markieren. Ohne das Kommunikationssystem, das konstituiert wird durch Zeichen als Zeichen, ist Reflexion nicht denkbar, weil das Bewußtsein für sich »absolute Innerlichkeit«, d. h. als Gegenstand leer ist.319 Zum Programm der Theorie selbstreferenzieller Systeme gehörte es, »das Bewußtsein als Medium der Bildung von Formen wegzulassen« (WP 50). Das hat Luhmann zu einer Re-Psychologisierung des Bewußtseins veranlaßt, ostentativ in der Titulierung des Animal sociale als »psychisches System«. Soziologisch mag das praktikabel sein, philosophisch ist es unzulässig. Als psychische kommunizieren »psychische Systeme« zwar, d. h. sie operieren mit Zeichen, aber nicht mit Zeichen als Zeichen. Das eigentlich psychische Medium ist das reflexionslose Zeichenfeld. Das Zeichen als solches hat daher sein Korrelat nicht am psychischen System, sondern am phänomenologisch davon zu unterscheidenden Bewußtseinssystem. Denn nur als Zeichen ist das Zeichen Element des anderen Sinnsystems, des Kommunikationssystems. Deshalb sind strenggenommen auch nicht zwei Arten von Sinnsystemen zu unterscheiden, das Kommunikationssystem und die »fünf Milliarden« psychische Systeme (WG 63), für eines von denen man im philosophischen Rekurs auf das Bewußsein »optieren« müßte (ebd.), sondern (1) die psychischen Systeme, (2) das Kommunikationssystem und (3) das in phänomenologischer, existenzieller Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem   |  105

und strukturaler Epoché reduzierte Bewußtseinssystem, dessen Geschichtlichkeit allein die Theorie selbstreferenzieller Systeme zu danken ist – und nicht etwa der Interpenetration des Kommunikationssystems und eines psychischen Systems namens Niklas Luhmann. Das Bewußtsein als Medium der Bildung von Formen wegzulassen, muß darum keineswegs heißen, es zum individuellen Anhängsel der Psyche zu depotenzieren – es heißt nur, ihm (a) das ego-logische Zentrum der klassischen Phänomenologie abzusprechen wie (b) den existenziellen Status des »absoluten«, einzigen Systems. Was dann übrig bleibt, ist das Fürsichsein nicht eines Systems (des psychischen), sondern aller Systeme: Sie alle haben am (phänomenologisch reduzierten) Bewußtsein ihr Fürsichsein und so auch die Differenz als solche. Denn dies Bewußtsein ist gar nichts anderes als das Fürsichsein der Differenz, dies reine In-sichErzittern, f1▒f, die Oszillation zwischen Sinn und Nichtsinn, das in sich zurückgehende sich Transzendieren als das Fürsichsein der Welt, das die Moderne Existenz genannt hat.

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Zeit

ie Sehnsucht der radikalen Moderne galt stets und zuletzt noch bei Derrida der ganz anderen Sprache, 320 die frei wäre von der Erbsünde der eignen Geschichtlichkeit. 321 Da es nur im Medium der Sprache möglich ist, über das »allgemeinste, nicht transzendierbare Medium« (RG 15), über den Sinn zu sinnen (auf ihn zu reflektieren), ist er vom Sprachfeld nicht zu unterscheiden. Als expliziter Sinn oder Sinn als Sinn ist er die Als-Struktur als Als-Struktur. Als Basis der artifiziellen Sprachen der Wissenschaften fungierte in der »Lebenswelt« der industriellen Moderne noch das Konstrukt der Alltagssprache (ordinary language). 322 Deren schon von Heidegger in Anführungszeichen gesetzte »Natürlichkeit« konnte so lange als »ein störender Restbestand«323 betrachtet werden, wie Sinnträger überhaupt, z. B. psychische Systeme, nach dem Input-Output-Modell von Trivialmaschinen erklärt wurden 106  |  Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem  

(wie es Heideggers »rechnendem Denken« Pate gestanden hatte). Nicht-triviale Maschinen hingegen reagieren »immer auch auf ihre eigene momentane Befindlichkeit« (L1986, 202 f.). Sie registrieren ihre Situation, implizit damit Geschichte. Deren irreduzibler Rest ist die Zeit ›selbst‹, die Zeit ›als solche‹, als Zeit. Seit Feuerbach ist sie die eigentliche pièce de résistance der Moderne: »Die Zeit in der Vorstellung ist die leere Zeit, also nichts zwischen dem Anfangs- und Endpunkt unserer Rechnung; aber die wirkliche Lebenszeit ist die erfüllte Zeit, wo Berge von Schwierigkeiten aller Art zwischen dem Jetzt und dem Dann in der Mitte liegen.«324 Und darum: »Das Mittel, entgegengesetzte oder widersprechende Bestimmungen ohne Widerspruch in einem und demselben Wesen zu vereinigen, ist nur – die Zeit.«325 Sie und der Raum »sind keine bloßen Erscheinungsformen – sie sind Wesensbedingungen, Vernunftformen, Gesetze des Seins wie des Denkens«, 326 phänomenologisch gewendet: »Die Grundform [der] universalen Synthesis, die alle sonstigen Bewußtseinssynthesen möglich macht, ist das allumspannende innere Zeitbewußtsein. […] Da [die] Erscheinungsweisen des inneren Zeitbewußtseins selbst intentionale Erlebnisse sind und in der Reflexion wieder notwendig als Zeitlichkeiten gegeben sein müssen, so stoßen wir auf eine paradoxe Grundeigenheit des Bewußtseinslebens, das so auch mit einem unendlichen Regreß behaftet zu sein scheint. […] Aber wie immer, sie ist, und sogar apodiktisch, evident und bezeichnet eine Seite des wundersamen Für-sich-selbstSeins des Ego«. 327

Darum ist die transzendentale Epoché auch nicht Einklammerung der Zeit, in der sie sich vielmehr selber vollzieht: »Enthalte ich mich, wie ich es in Freiheit tun könnte und tat, jedes sinnlichen und in Sinnlichkeit fundierten Erfahrungsglaubens, so daß für mich das Sein der Erfahrungswelt außer Geltung bleibt, so ist doch dieses Mich-Enthalten, was es ist, und es ist mitsamt dem ganzen Strom des erfahrenden Lebens. Und zwar ist es für mich beständig da, beständig ist es nach einem Gegenwartsfelde Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem   |  107

wahrnehmungsmäßig bewußt in ursprünglichster Originalität, als es selbst«. 328

Als die Einklammerung des »Erfahrungsglaubens«, der General­ thesis der natürlichen Einstellung,329 ist es die Epoché, methodisch die transzendental-phänomenologische Reduktion, die vom »natürliche[n] Seinsboden« auf den transzendentalen zurückleitet als das »universale Außergeltungsetzen […] aller Stellungnahmen zur vorgegebenen objektiven Welt, und so zunächst der Seinsstellungnahmen (betreffend Sein, Schein, Möglicherweise-Sein, Vermutlich-, Wahrscheinlich-Sein u. dgl.)«.330 Was übrigbleibt oder genauer gesagt neues Phänomen (cogitatum) wird, »ist mein reines Leben mit all seinen reinen Erlebnissen und all seinen reinen Gemeintheiten«331  – eben nicht das seiner selbst gewisse cartesische ego cogito oder die res cogitans, die Augenblicksgestalt hat,332 sondern ichliches Leben, insofern mit der Modalität überhaupt der Zeit­inbegriff eingeklammert und das Ich dadurch zur sich zeitigenden Zeit selbst wird als zu ihrer selbst bewußten Intentionalität: »Nicht die leere Identität des ›Ich bin‹ ist der absolut zweifellose Bestand der transzendentalen Selbsterfahrung, sondern es erstreckt sich durch alle besonderen Gegebenheiten der wirklichen und möglichen Selbsterfahrung hindurch […] die immanente Zeitform des Erlebnisstromes«. 333

Für Kant war die Modalität der Urteile »eine ganz besondere Funktion derselben, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urteils beiträgt […] sondern nur den Wert der Kopula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht«.334 Indem die Modalität diesen Wert nicht nachträglich zur Copula hinzufügt, sondern ihn nur ausdrücklich macht oder die Copula eigens als Copula setzt, klammert Husserls Epoché nicht etwa nur einen Modalwert der Copula, sondern diese selbst ein und macht so den Übergang, den Freges Begriffsschrift vom klassischen Urteil zum Satz gemacht hatte: Aus ›S ist P‹ oder ScP wird ›a ist ein Argument der Funktion f‹ oder 108  |  Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem  

f(a), und hier wird nur noch bezeichnet, nichts mehr behauptet.335 Näher enthält Kants Schema der Modalität und ihrer Kategorien »die Zeit selbst, als das Correlatum der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehöre«, oder »den Zeit­ inbegriff in Ansehung aller möglichen Gegenstände«, 336 wobei im Zeit-Inbegriff die Beziehung der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption oder des reinen Selbstbewußtseins auf den inneren Sinn, 337 im Zeit-Inbegriff dessen Beziehung auf das Selbstbewußtsein zu denken ist. Ist dieses selbst schon die Copula zwischen Vernunft und Verstand, dann ist die Copula die sich als solche vorstellende transzendentale Einheit der Apperzeption. 338 Indem Husserl also die Modalisierung suspendiert, hält er Zeitreihe (Quantität), Zeitinhalt (Qualität) und Zeitordnung (Relation) fest, während der Inbegriff der Zeit das Schicksal der Copula teilt. Konkresziert sie mit dem Prädikat zur Funktion, dann löst der Inbegriff sich auf in Zeitordnung und Zeitreihe, und genau dadurch wird die Gegenständlichkeit »in der Geltungs­ modifikation ›bloße Phänomene‹« zum »Strom des erfahrenden Lebens«. 339 Luhmann macht darauf aufmerksam, »daß Husserl hier noch der Metapher des Flusses oder der Bewegung und damit einer langen europäischen Tradition verhaftet bleibt« (WP 36). Das ist zweifellos angemessener, als mit Heidegger provokativ von einem »vulgären« Zeitbegriff zu sprechen. 340 Ohnehin ist die Tradition bei Husserl mindestens zweimal gebrochen. Einmal, indem an die Stelle von Aristoteles’ gezählter Bewegung die erlebte Bewegung getreten ist, die man freilich schon dem Augustinischen Zeitbegriff ansehen könnte;341 sodann aber, indem das phänomenologisch gedachte Subjekt gar nicht mehr ontotheologisch, sondern funktional konstituiert ist als das moderne intentionale Bewußtsein. Den Schein der Traditionalität erzeugt der Husserlsche Zeitbegriff durch die an Descartes und Kant anknüpfende Bestimmung dieses Subjekts als »transzendentales Ego« – das aber seinerseits von der res cogitans wie vom transzendentalen Selbstbewußtsein epochal unterschieden ist durch seine funktionale Signatur (weshalb es auch von Sartre ins Bewußtseins- und von Derrida ins Zeichenfeld Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem   |  109

aufgelöst werden kann). Im Blick auf die Temporalität der modernen Gesellschaft kann man »eigentlich nicht mehr daran festhalten, daß Identitäten, seien es Objekte, seien es Subjekte, der Zeit vorgegeben sind. Vielmehr werden sie mitten in der Zeit und je gegenwärtig konstruiert und reproduziert, um für eine gewisse Zeit Zeitbindungen zu erzeugen, die zwischen den extrem verschiedenen Zeithorizonten Vergangenheit (Gedächtnis) und Zukunft (Oszillation in allen beobachtungsrelevanten Unterscheidungen) vermitteln. Sowohl philosophische als auch physikalische Zeittheorien (Heidegger, Derrida, Einstein) legen eine entsprechende Umstellung der modernen Zeitorientierung nahe. / Aber das würde dem Zeiterleben widersprechen, das die menschliche Wahrnehmung leitet.«342

Denn: »Die ontologische Einbettung der Zeitbegrifflichkeit ist (und bleibt) für Menschen schon deshalb plausibel, weil […] Menschen (im Unterschied zu manchen Tieren) davon ausgehen, daß ein Objekt identisch bleibt, wenn es aus der Ruhelage in Bewegung übergeht, und auch, wenn es wieder zur Ruhe kommt. Die Vorstellung des (seienden) Dinges übergreift mithin die Differenz von Bewegung und Nichtbewegung […] und verweist damit auf einen Seinsgrund, der diesen Unterschied transzendiert. Zeit kann deshalb, an Bewegungen wahrgenommen, nur als ein Teilphänomen der Seinswelt verstanden werden. Das wird auch durch die Historisierung der Zeitvorstellungen selbst nicht in Frage gestellt.« (GG 214 f.)

Damit ist nicht gesagt, Zeit sei, wie Derrida suggeriert,343 womöglich überhaupt ein metaphysischer Gegenstand. Sie ist dies sowenig wie die Anschauung, die in der Moderne nur ihre für den Begriff des Wissens paradigmatische Bedeutung verliert. Wir lassen die Sonne weiterhin aufgehen, und wir lesen die Zeit weiterhin der Bewegung ab, obwohl wir wissen können, daß Bewegung nicht länger ihre Voraussetzung ist:

110  |  Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem  

»Dies ganze Denken [gemeint ist die Metaphysik] wird in unbemerkter Weise obsolet, wenn man die zugrundeliegende Unterscheidung austauscht und statt von vorher / nachher, von Vergangenheit / Zukunft ausgeht. Dann verliert der Begriff der Bewegung seine fundamentale Rolle. Es gibt ja keine ›Bewegung‹ von der Vergangenheit durch die Gegenwart hindurch in die Zukunft, so als ob die Gegenwart ein Stück chronometrisch faßbarer Zeit zwischen Vergangenheit und Zukunft wäre. Vielmehr bekommt die Gegenwart selbst die Position, die einst der Bewegung zugedacht war. Sie ist das in die Zeit eingeschlossene ausgeschlossene Dritte, weder Zukunft noch Vergangenheit, aber zugleich auch das eine und das andere.« (L1987b, 92, m. H.)

In Die Gesellschaft der Gesellschaft heißt es dann abschließend zu diesem denkwürdigen Sowohl-›Weder-noch‹-als-auch-›Sowohlals-auch‹: »Die Zeit wird zugleich als Gleichzeitigkeit und als Nacheinander begriffen, ohne daß die Gesellschaft Zeit ›hätte‹, eine prinzipielle Auflösung dieser Paradoxie zu suchen.« (GG 1016) Wie auch? Die Gesellschaft ist die Invisibilisierung der Paradoxien kat’exochên. Selbstverständlich ist der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft ältesten kulturellen Datums, und der von Luhmann berufene Austausch hat epochale Bedeutung allein durch den Übergang von der Logik der Copula zur Logik der Funktion. Die bloß »horizontförmige Rekonstruktion von nicht mehr aktueller Vergangenheit und noch nicht aktueller Zukunft« (WP 35) ist »nicht so neu, wie es hier scheinen mag. Auch in der augustinischen Spekulation entsteht die Gegenwart erst in der Reflexion der Differenz von Vergangenheit und Zukunft als etwas, das erst gesucht werden muß und dann in Gott gefunden werden kann« (ebd. 63, Fn. 23). Obwohl Augustinus damit die kosmische Bewegung zur seelischen verinnerlicht, bleibt die aristotelische Definition ihrer metaphysischen Dimension nach unangetastet, die Zeit sei »die Zahl der Bewegung hinsichtlich des Vorher und Nachher«344 oder die als Reihe aufgefaßte Bewegung. 345 Im aristotelischen Kontext läßt die Definition sehen, daß der »vulgäre« Zeitbegriff sich keineswegs mit dem metaphysischen deckt, vielmehr ein defizienter Modus des modernen Zeitbegriffs Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem   |  111

ist. Schon darin unterscheiden sich beide, daß der moderne Zeitbegriff, gleichviel ob ›eigentlich‹ oder ›uneigentlich‹ verstanden, einen Horizont als solchen beschreibt – was immer ist, ist in der Zeit –, 346 während die Zeit metaphysisch gedacht allemal ein páthos war, Bestimmtheit an einem: »Wenn also Zeit, muß es notwendigerweise auch Bewegung geben, da die Zeit ja eine Bestimmtheit der Bewegung ist.«347 Heidegger unterschiebt mithin den modernen Zeitbegriff, wenn er Aristoteles’ Definition übersetzen zu können glaubt mit »das Gezählte an der im Horizont des Früher und Später begegnenden Bewegung«. 348 Gewiß ist die Zeit »das Gezählte und nicht das, womit wir zählen«, 349 aber wenn das, was da hinsichtlich des Vorher und Nachher gezählt wird, »die Wirklichkeit des der Möglichkeit nach Seienden als solchen«350 ist, dann setzt der aristotelische Zeitbegriff Wirklichkeit und Möglichkeit voraus und dies zudem so, daß »die Möglichkeit der Wirklichkeit entspringt«. 351 Mithin ist die aristotelische Wesensbestimmung (tò tí ên einai) der Zeit oder die metaphysisch gedachte Zeitlichkeit das Sich-Zeigen des Möglichen als solchen, die Bewegung damit die Gegenwart der Zukunft als solcher: Darin berühren sich der metaphysische und der moderne Zeitbegriff oder sind, ohne identisch zu sein, »das Selbe«. 352 Indem Heidegger das Früher und Später statt zur Zahl zur Bewegung zieht, läßt er diese ›immer schon‹ in einer (als solche metaphysisch dann ungedacht bleibenden) ursprünglicheren Zeit ›begegnen‹, d. h. »›in die Zeit […] fallen‹«.353 Dies Hysteron-Proteron ermöglicht ihm die existenzialanalytische Identifikation der uneigentlichen oder Uhren-Zeit des »Man« mit der metaphysisch gedachten Zeit. »Die ekstatisch-horizontale Zeitlichkeit zeitigt sich primär aus der Zukunft. Das vulgäre Zeitverständnis hingegen sieht das Grundphänomen der Zeit im Jetzt«. 354 Darum bleibe »die Zeitlichkeit im Horizont des vulgären Zeitverständnisses unzugänglich. Weil aber die Jetzt-Zeit nicht nur in der Ordnung der möglichen Auslegung primär auf die Zeitlichkeit orientiert werden muß, sondern sich selbst erst in der uneigentlichen Zeitlichkeit des Daseins zeitigt, rechtfertigt es sich mit Rücksicht auf die Abkunft der Jetzt-Zeit aus der Zeitlichkeit, diese als die ursprüngliche Zeit anzusprechen.«355 112  |  Kommunikationssystem und Bewußtseinssystem  

Die Zukunft wird Heidegger später den »Vorenthalt der Zwiefalt« (als der onotologischen Differenz) nennen,356 Luhmann denkt sie entsprechend als die »Oszillation in allen beobachtungsrelevanten Unterscheidungen« (GG 1015). Und allerdings, wo die Zukunft nicht bloße Vorstellung, Erwartung, Projekt und also Projektion ist, da ist sie einzig als Augenblick, als der offene Ort alles Vergangnen, reflexionslose (unbeobachtbare) Operation, Jetzt und nirgend sonst. So erhält die »Gegenwart« als Jetzt »selbst die Position, die einst der Bewegung zugedacht war. Sie ist das in die Zeit eingeschlossene ausgeschlossene Dritte, weder Zukunft noch Vergangenheit, aber zugleich auch das eine und das andere« (L1987b, 92). Diese Paradoxie des Sowohl-›Weder-noch‹-als-auch-›Sowohl-alsauch‹ ist der Widerspruch.

S 

Widerspruch

o entdeckt die Moderne, die industrielle wie die mediale, den Widerspruch als eingeschlossen in die Zeit. Umgekehrt hatte das klassische Denken deren Keim gedacht als eingeschlossen in den Widerspruch, als ›Zugleich‹:357 »Daß nämlich das Selbe dem Selben und hinsichtlich des Selben zugleich (háma) zukomme und nicht zukomme, ist unmöglich«, und dies sei offenkundig »das festeste aller Prinzipien«. 358 Die »Lehre von der Sinnlosigkeit der Widersprüche«, bestätigt Quine, habe »den gravierenden methodologischen Nachteil, daß sie im Prinzip unmöglich macht, jemals ein wirksames Kriterium dafür zu entwickeln, was sinnvoll ist und was nicht. […] Denn es folgt aus einer Church 359 zu verdankenden Entdeckung in der mathematischen Logik, daß es keinen allgemein anwendbaren Test auf Widersprüchlichkeit geben kann«360 – der Widerspruch spricht immer schon für sich. Einander Widersprechendes läßt sich nicht anschauen oder vorstellen, nur sagen: Nichts hindert, dem Substantiv »Viereck« das Adjektiv »fünfeckig« beizugeben. Der Signifikant »fünfeckiges Viereck« verweigert allerdings das ihm angesonnene Signifikat als den Unsinn eines sich selber blockierenden Zeichens.361 Da bei allem Anschauen und Vorstellen etwas Identisches mitzudenken ist, kann Wittgenstein in der Vorrede zum Tractatus sagen: Widerspruch  |  113

»Das Buch will also dem Denken eine Grenze ziehen, oder vielmehr – nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken: Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müßten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müßten also denken können, was sich nicht denken läßt). / Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.«

Was jenseits der Grenze liegt, kreuzt sie aber, sobald es gleichwohl angeschaut oder vorgestellt werden soll. Dann wird der unsinnige Signifikant »fünfeckiges Viereck« Fünfeck und Viereck nur zusammen nehmen in einem unausgesprochenen Und. Ob dies oder jenes, die Aufmerksamkeit gilt zuerst dem einen (+A) und dann dem andern Signifikat (–A), sie wechselt zwischen beiden oder wendet sich (reflexiv) dem Wechsel selbst zu und damit dem Und als der Bedingung des Unsinns. Sie ist das Medium der einander Widersprechenden als das noch nicht bezeichnete A, die Möglichkeit von +A und –A, im Beispiel die Fläche, die von beiden, dem Viereck und dem Fünfeck, gedeckt werden kann. Der Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit erscheint als derart geläufig, dermaßen unentbehrlich, daß der frühe megarische Protest nurmehr halsstarrig-spitzfindig wirkt: »Manche wie die Megariker behaupten, man vermöge etwas nur wenn man es täte, wenn man es nicht täte vermöge man es auch nicht, wie der Baumeister, der nicht baut, auch nicht vermöge zu bauen, sondern allein der Baumeister wenn er baut, und so bei allem.«362 Mit der von den Eleaten logisch einzig legitimierten Opposition Seiendes (ón) / Nichts (mê ón = oydén) steht dahinter der Gedanke, daß die Kraft (dýnamis) nur ist, wenn wie wirkt, der Baumeister also Baumeister nur ist, wenn er angefangen hat, zu bauen – wobei das (erst von Platon gedachte) Anfangen selbst als das vermittelnde Dritte (metaxý, méson) zwischen Nichtsein und Sein in die bloße Auffassung (dóxa) fällt. Das neunte Buch der aristotelischen Metaphysik läßt allerdings ahnen, welche Schwierigkeiten der neuen Begrifflichkeit im Weg standen trotz Aristoteles’ Versicherung, es sei nicht schwer zu sehen, daß die Megariker Unfug redeten, átopa.363 In der Tradition des eleatischen Logikers Zenon hatten sie guten (wiewohl nicht 114  |  Widerspruch 

besten) Grund, sich gegen die platonisch-aristotelische Entscheidung zu sperren, die auch später nicht unbestritten blieb. Daß hier, wenigstens aus der Sicht der Moderne, das Problem der Zeit mit im Spiel war, belegen die Fragen des »Zwischenspiels« aus Kierke­ gaards Philosophischen Bissen: »Ist das Vergangene notwendiger als das Zukünftige? oder: Ist das Mögliche dadurch, daß es wirklich geworden ist, notwendiger geworden, als es war?«364 Jedenfalls ist das bloß Mögliche das Nicht-Wirkliche-nicht-Unmögliche, der Widerspruch negiert zusammen mit der Wirklichkeit. Dagegen fordert der Satz des ausgeschlossenen Dritten nach eleatisch-megarischer Axiomatik, »daß es nicht Etwas gebe, welches weder A noch NichtA, daß es nicht ein Drittes gebe, das gegen den Gegensatz gleichgültig sey. In der That aber gibt es in diesem Satze selbst das Dritte, das gleichgültig gegen den Gegensatz ist, nemlich A selbst ist darin vorhanden. Diß A ist weder +A noch -A, und eben so wohl auch +A als -A. […] Das Etwas selbst ist also das Dritte, welches ausgeschlossen seyn sollte. Indem die entgegengesetzten Bestimmungen, im Etwas eben so sehr gesetzt als in diesem Setzen aufgehobene sind, so ist das Dritte, das hier die Gestalt eines todten Etwas hat, tiefer genommen, die Einheit der Reflexion, in welche, als in den Grund die Entgegensetzung zurückgeht.«365

A kann +A oder –A sein, an sich ist es weder das eine noch das andre, unbezeichnetes A, »gleichgültig gegen den Gegensatz«. Zur Wirklichkeit bestimmt ist es zuerst +A, dann dessen Negation –A, wäre also, von der Zeit abstrahiert, das eine wie das andre, zugleich +A und –A. So ist die Wirklichkeit der Widerspruch, anders als die Möglichkeit aber nicht der ausgeschlossene, sondern der als ausgeschlossen eingeschlossene oder denkbar gewordene, d. h. der auseinander-gesetzte Widerspruch. Die Zeit, worin im Wechselverweis des Früheren (+) und Späteren (–) aufeinander die gegensätzlich bezeichneten A ›alligiert‹ (Fichte) werden, ist ihr Verhältnis oder die Wirklichkeit als Erscheinung des Widerspruchs, die Erscheinung seines Nichterscheinens.366 Alles Wirkliche ist auch möglich. Das Mögliche für sich läßt sich als das unbezeichnete A sowenig denken wie das sich Wider­Widerspruch  |  115

sprechende (das fünfeckige Viereck). Denn gedacht wäre es identifiziert, A = A, d. h. (A nicht =  –A) = (A = --A). Da das unbezeichnete A aber weder +A noch –A sein soll, ist es als ---A auch nicht –A, seine Identifikation vielmehr Nicht-Identifikation. Dies bloß Mögliche ist mithin das bezeichnete A in statu nascendi, die Spur des Ereignisses, dessen ›Bewegung‹ die Unruhe des Differenzfelds ist, die Ermöglichung des Identifizierens, 367 vor allem Identischen die postulierte Bedingung des Möglichen – die Zeit ›selbst‹. So ist die Gegenwart wohl »das in die Zeit eingeschlossene ausgeschlossene Dritte« (L1987b, 92) und »dauert so lange, wie das Irreversibelwerden dauert«, 368 nämlich einen Augenblick, aber das, worein sie eingeschlossen ist, die Zeit, ist das Erscheinen des Nichterscheinens des Widerspruchs. Indem sie nun klassisch Bestimmtheit an …, modern hingegen Horizont von … ist, kann die Zeit nicht länger vom Widerspruch her, sondern der Widerspruch muß umgekehrt von der Zeit her gedacht werden. Das macht Luhmanns Zögern verständlich: »Wir wissen noch nicht einmal, ob wir überhaupt wissen, was ein Widerspruch ist und wozu er dient.« (SS 491, vgl. SS 9.I–IV) Ist die Zeit postuliert als die Bedingung alles Denkbaren, ist der Zeitbegriff also das Postulat des – immer nur auseinander-gesetzt erfahrenen – Widerspruchs, 369 dieser selbst aber als das Undenkbare die Bedingung der Möglichkeit des Sinns, dann postuliert der Sinn, um als Sinn zu fungieren, auch immer schon seine eigne Grenze, in der der Widerspruch 1. das ganz Andere und 2. die Transzendenz ist, die logisch keinen andern Inhalt hat (sofern er nämlich nicht von der jeweiligen geschichtlich-sozialen Ordnung so oder so, z. B. als Offenbarung, supplementiert wird): »Zur Bezeichnung der beiden Werte des religionsspezifischen Codes eignet sich am ehesten die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz. […] Immanenz ist der Designationswert und Transzendenz ist der Reflexionswert des Codes. 370 […] Aber Sinngebung ist dann auch die spezifische Funktion der Transzendenz. Sie hat keine Existenz für sich. Sie ist die Überschreitbarkeit jeder Grenze [m. H.] in Richtung auf ein Anderes.« (RG 77)

116  |  Widerspruch 

Indem »in aller Sinnerfahrung zunächst eine Differenz vorliegt, nämlich die Differenz von aktual Gegebenem und auf Grund dieser Gegebenheit Möglichem« (SS 111), erscheint Sinn als wiederholte, d. h. kondensierte und stabilisierte Wiederholung bezogen auf 1. basale Selbstreferenz, 2. prozessuale Selbstreferenz (Reflexivität) und 3. systematische Selbstreferenz (Reflexion) in der Form von Sach-, Zeit- und Sozialdimension (SS 112). Die Gegenwart zeigt sich darin 1. als Oszillation, 2. als Existenz und 3. als Spiel. Die in dieser Sequenz auf der Komplexitätsstufe der Reflexivität gedachte prozessuale Zeit ist bereits dimensioniert und entspricht so der klassischen Bewegungszeit; als Medium von Komplexität überhaupt hingegen ist die Zeit systemtheoretisch transzendental.

D  

Oszillation

ie Metaphysik dachte den Widerspruch von der (anschaulichen) Identität her: »das Selbe dem Selben und hinsichtlich des Selben« …, und sie dachte die Zeit von der Möglichkeit her als vom (zusammen mit der Wirklichkeit) ausgeschlossenen Widerspruch. An der Schwelle zur Moderne wird Hegel die Identität schließlich vom Widerspruch her denken: »Es ist aber eines der Grundvorurtheile der bisherigen Logik und des gewöhnlichen Vorstellens, als ob der Widerspruch nicht eine so wesenhafte und immanente Bestimmung sey, als die Identität; ja wenn von Rangordnung die Rede, und beyde Bestimmungen als getrennte festzuhalten wären, so wäre der Widerspruch für das Tiefere und Wesenhaftere zu nehmen. […] Das speculative Denken besteht nur darin, daß das Denken den Widerspruch und in ihm sich selbst festhält, nicht aber daß es sich, wie es dem Vorstellen geht, von ihm beherrschen und durch ihn sich seine Bestimmungen nur in andere oder in Nichts auflösen läßt.«371

Die Moderne selbst geht um den epochalen Schritt weiter, alle drei Begriffe: Identität, Möglichkeit und Widerspruch von der Zeit her zu denken. War die metaphysisch gedachte Zeitlichkeit das SichZeigen der Möglichkeit als solcher, dann zeigt sich jetzt nicht mehr Oszillation  |  117

die Möglichkeit als Zeitlichkeit (an der Bewegung), sondern umgekehrt die Zeitlichkeit als Möglichkeit, so daß die Zeitlichkeit als die Bedingung von Möglichkeit überhaupt, ›die Zeit selbst‹, nicht mehr zu denken ist. Als Postulat ist sie damit nach Luhmannscher Terminologie ein »differenzloser Begriff« (L1988b, 232– 235). Zu den vier differenzlosen Begriffen Grund, Welt, Realität und Sinn ist als fünfter der systemtheoretische Leitbegriff der Differenz selbst zu zählen (SS 26), die als die Medialität der Medien die Zeit ist: Der »Zeitbezug zeigt sich auch am allgemeinen Medium Sinn« (GG 199)  – wie auch nicht? Als das »allgemeinste, nicht transzendierbare Medium für jede Formbildung« (RG 15) wird der Sinn zwar auch in der Reflexion auf Zeit und Differenz nicht transzendiert, aber Zeit und Differenz sind darum keine Formen am Medium Sinn, sondern die postulierten Bedingungen der Möglichkeit von System überhaupt (Sinnsysteme sind allein das Bewußtseinssystem sowie die psychischen und die sozialen Systeme). Als fürsichseiende Differenz oder Bewußtsein ist Sinn in sich zurückgehendes sich Transzendieren. Oder umgekehrt: Weil Sinn als solcher diese Reflexion ist, sind Zeit und Differenz selber differenzlose Begriffe: »Die Zeit wird zugleich als Gleichzeitigkeit und als Nacheinander begriffen« (GG 1016). Insgesamt lassen die differenzlosen Begriffe sich als systemtheoretische Analoga der scholastischen Transzendentalien beschreiben.372 In De veritate I.1 unterscheidet Thomas von Aquin von den besonderen Seinsweisen des Seienden (den zehn Kategorien) die allgemeine Seinsweise jedes Seienden (modus generalis consequens omne ens), insofern es entweder (1) an ihm selbst (in se) oder (2) in bezug auf anderes Seiende (in ordine ad aliud) gedacht wird. (1) An ihm selbst ist es entweder affirmativ (1.1) Sache (»Ding«) überhaupt (res) oder negativ (1.2) ungeteilte Einheit mit sich (unum); (2) in bezug auf andres ist die Seinsweise entweder (2.1) Trennung (divisio) und das Seiende irgendein Etwas (aliquid) oder (2.2) Übereinstimmung (convenientia). Die von Natur auf die Übereinstimmung mit allem angelegte Seele (anima)373 bezieht sich auf das Seiende entweder (2.2.1) begehrend (vis appetitiva) und das Seiende ist ein Gut (bonum) oder (2.2.2) erkennend (vis cognitiva, intellectus) und das Seiende ist wahr (verum). 118  |  Oszillation 

Daraus ergibt sich die historische Korrespondenz ebenso wie die durch die Funktionsreihe bedingte veränderte Folge: • Etwas (aliquid) → Zeit (Einh. der Diff. von Gleichzeitigkeit und Nacheinander) • Sache (res) → Grund (Einh. der Diff. von Operation und Ereignis) • Eines (unum) → Welt (Einh. der Diff. von System und Umwelt) • Wahres (verum) → Realität (Einh. der Diff. von Erkenntnis und Gegenstand) • Gutes (bonum) → Sinn (Einh. der Diff. von Aktualität und Possibilität) Näher ergibt die Korrespondenz sich daraus, daß an die Stelle der erschaffenen Identität (ens) die unvordenkliche Differenz getreten ist: Luhmanns differenzlose Begriffe bezeichnen stets die Differenz selbst auf der ihr funktional jeweils möglichen Reflexionsstufe (so hat die explizite Zeit der Komplexitätsstufe »Reflexivität« die Form der Prozessualität). Die Umstellung von verum und bonum entspricht der Intentionalität des modernen Bewußtseins, und das aliquid entledigt sich seiner thomasischen Subsumtion unter den Gegensatz zum Modus in se, weil es unmittelbar das Anderssein an ihm hat: dicitur enim aliquid quasi aliud quid – etwas ist soviel wie ein anderes Was.374 Systemtheoretisch lag es ohnehin strukturell nahe, nicht nur die metaphysische, sondern auch noch die Husserlsche Prämisse, nämlich »das Bewußtsein als Medium der Bildung von Formen wegzulassen und trotzdem die von Husserl entdeckte Struktur beizubehalten« (WP 50). Das Entscheidende von Husserls intentional orientierten Analysen des »inneren Zeitbewußtseins« war es ja, »daß dem Bewußtsein die eigene Zeitlichkeit stets nur im Moment des aktuellen Operierens […] zugänglich ist – weder vorher noch nachher. Das Bewußtsein existiert selbst-zugänglich nur in den eigenen Operationen; und von da her kann Zeit nur in der Form momenthaft-aktueller Retention bzw. Protention gegeben sein. Alles weitere ist horizontförmige Rekonstruktion« (WP 35).

Oszillation  |  119

Das damit auftretende Problem der Einheit der Transzendentalen Phänomenologie hatte Husserl »durch die Einheit ihres Objekts ›Subjekt‹« garantieren wollen (ebd. 38), durch das transzendentale Ego, das Sartre und Derrida als Simulakrum verabschiedet und an seiner Stelle das existentiale Bewußtseinsfeld bzw. das Spiel der différance gedacht haben. Hier kann Luhmann einen »Zusammenhang von Operation, Bistabilität (Selbstreferenz/Fremdreferenz), Zeit und Oszillation« (ebd. 38) finden, der sich selbst trägt: »Die gesuchte Einheit könnte demnach die Oszillation selbst sein, nämlich die Notwendigkeit, bei der Besetzung der einen Seite einer Form […] die andere Seite für Wiederbesetzung freizugeben. Das würde unter anderem voraussetzen, daß das System über ein Gedächtnis verfügt, das das Freigegebene als wiederbesetzbar festhält und dadurch die Illusion zeitbeständiger Objekte (oder Phänomene) erzeugt.« (WP 38)

Sich selbst tragend, ist die Oszillation f1▒f die Realität als das Korrelat der Paradoxie der selbstreferentiellen Einheit von Selbstreferenz und Fremdreferenz (oder: von Subjekt und Objekt, oder: von Bewußtsein und Phänomen). […] Die als Paradox gegebene Realität ist demnach das einzige Wissen, das unbedingt gegeben ist, das im System nicht konditioniert werden kann 375 – und deshalb unfruchtbar bleibt. (WP 45)

Die Basisoperation jeden Systems ist die Funktionalisierung (der Spur) eines Ereignisses: f(a←Ereignis). Das ist die Seite der Fremdreferenz. Die andre Seite der »Bistabilität« ist die (basale) Selbstreferenz, als die sich eine Operation nicht unmittelbar auf ein Ereignis, sondern auf das Ereignis Operation bezieht – die Ermergenz376 des autopoietischen Systems (SS 600): f1[f(a)].

120  |  Oszillation 

Diese systemkonstituierende Reflexion erfolgt notwendig im Horizont der Zeit, der seinerseits die basale Gestalt des Grundes hat, eines ersten Supplements: f1|1[f|a)], | = Grund, f1|1|[(fa) + Grund]. Das System ist hier noch System im Augenblick, systema momentaneum analog zu Leibniz’ mens momentanea.377 Um temporalisiert, d. h. stabil zu sein, muß es durch Iteration, Kondensation und Konfirmation, kurz durch Identifizierung in den Status der Prozessualität übergegangen sein, abermals ein Sprung, wie der Sprung von der Operation zur Selbstreferenz jetzt der von der momentanen Selbstreferenz zur Serie, zweite Emergenz. Hier erst entsteht Gedächtnis, das nicht, wie die Luhmannsche Formulierung zu insinuieren scheint, Voraussetzung der Oszillation ist (WP 38), sondern umgekehrt die Oszillation voraussetzt. Auf der Stufe der basalen Selbstreferenz ereignet sich nur dies, daß Zeit sich selbst erzeugt als Horizont (Reflexivität) und sich als dieser sofort wieder löscht. Das Produkt ist nur das verschwindende Moment der Produktivität, die Identität nur das verschwindende Moment der Differenz, die alêtheia nur das verschwindende Moment der lêthê f1▒f ⬄f1[f(a)] ⬄ f1▒f

– und alles weitere, die Produkte, die Identitäten, die Prozesse, die Strukturen sind Emergenzen: (f1▒f) → {f1[f(a)]}. Was sich ereignet, ist die Oszillation zwischen Oszillation und Prozeß, der immer nur entspringende Prozeß: Prozeß im Augenblick.

A  

Existenz

ls Korrelat der Urparadoxie des Systems ist die Realität mithin das Paradox selbst, das Paradox als Paradox, differenzloser Begriff als die Einheit der Differenz von Erkenntnis und Gegenstand oder »Widerstand der Operationen des Systems gegen die OperaExistenz  |  121

tionen desselben Systems« (GG 127, vgl. L1990b). So bestimmt, ist die Realität die Aktualität des Systems und seiner Elemente überhaupt: »Operieren heißt existieren« (WP 39). Vorausgesetzt ist damit immer schon die Einheit der Differenz von Aktualität und Possibilität oder der Sinn. Die Sinn-Form ist als das absolute Medium ihrer selbst (GG 57), »ein notwendiges Korrelat der operativen Schließung von erkennenden Systemen« (GG 44, m. H.): »Sinnhaft operierende Systeme bleiben an ihr Medium Sinn gebunden. Es allein gibt ihnen Realität in der Form der sequentiellen Aktualisierung eigenen Operierens.« (GG 55 f.) Sinn bleibt Sinn auch als Sinnlosigkeit, Unsinn und Widersinn, weil Sinn die Als-Struktur als Als-Struktur ist, die Sprache als Sprache: Die Sprache spricht. 378 Darin liegt nun allerdings, daß das Wissen des Paradox’ als solchen »im System nicht konditioniert werden kann«, weil das Paradox die Condicio sine qua non des Sinns ist – »unfruchtbar« als die Bedingung aller Fruchtbarkeit der erkennenden oder SinnSysteme. Überfruchtbar sozusagen als »die Oszillation selbst« (WP 38) ist diese Condicio mentis die Conditio systematis, 379 und Luhmanns »folgenreiche Reformulierung« des Husserlschen Intentionalitätsbegriffs (WP 34) kann um die Reformulierung von dessen Sartrescher Reformulierung ergänzt werden. »Das Wesen einer Existenz«, heißt es in der Einleitung zu L’Être et le Néant, »ist nicht mehr eine in die Tiefe dieser Existenz versenkte Kraft, es ist das manifeste Gesetz, das die Folge seiner Erscheinungen leitet, die Ratio der Reihe«. 380 Entsprechend hieß es bereits in La transcendance de l’Ego, reines Bewußtsein sei etwas Absolutes einfach deswegen, weil es Bewußtsein seiner selbst ist: »Es bleibt also ein ›Phänomen‹ in dem ganz bestimmten Sinn, in dem ›Sein‹ und ›Erscheinen‹ eins und dasselbe sind. Es ist ganz und gar Leichtigkeit, ganz und gar Durchsichtigkeit«. 381 In diesem Sinn ist das Bewußtsein das Urbild des Phänomens, weil Phänomen für sich selbst. Anders als beim noematischen Phänomen der noetischen Urdoxa Husserls gibt es für das absolute Bewußtsein kein Dahinter, nichts, worauf es »über seine Schulter hinweg«382 als auf seine ›Basis‹ zeigen könnte – auf den Menschen, das Moi, das »psychische System«. Sie sind etwas anderes, nämlich Gegenstände, an sich (en soi), logisch gesprochen Argumente (a), und nicht dies reine In-sich-Erzittern, 122  |  Existenz 

f1▒f, dies Sich-Zeitigen-sich-Einräumen und so erst Zeitigen-Einräumen des Gegenstands (als Phänomen). »Wenn Erkennen Sinn erfordert so wie Sinn Unterscheidungen, muß die letzte Realität sinnlos gedacht werden« (L1988a, 47), schreibt Luhmann etwas übereilt, denn das hieße, die Produktion für sinnlos zu nehmen, weil das Produkt sinnvoll ist. Ist der Sinn als das in sich zurückgehende sich Transzendieren zuinnerst das Fürsichsein der Oszillation, dann ist »die letzte Realität« nicht sinnlos, sondern dies In-sichErzittern zwischen Sinn und Nichtsinn: Gegenwart wie jenes von Luhmann berufene Rousseausche »Plätschern der Wellen an den Ufern der Isle de Saint Pierre«,383 die basale Selbstrefenzialität der Existenz als »Welle und Spiel«.384

I 

Spiel

ch kenne keine andere Art, mit grossen Aufgaben zu verkehren als das Spiel«, bekannte Nietzsche 1888, 385 und die Postmoderne machte sensibel für das zweideutige »Verhältnis des Menschen zu dem rätselhaften Schein der Spielwelt, zur Dimension des Imaginären«. 386 Allerdings ist das Spiel ein Randphänomen, 387 aber nicht länger im Sinn der mit Huizinga oder Fink diagnostizierten modernen Marginalisierung. Ihrer Medialität inne geworden, hat die Moderne Nietzsches Botschaft vom »Welt-Spiel«388 als »Spiel der Widersprüche«389 realisiert zusammen mit Wittgensteins Erfahrung der Undefinierbarkeit des Spielbegriffs. 390 Das Spiel ist dispers wie die Welt selbst, die keinen Rand hat, sondern Rand ist, nichts als Rand oder Differenz ohne das Gegenüber von Iden­tität. Freges folgenreiche Ersetzung von Subjekt und Prädikat durch Argument und Funktion hatte ein leeres Zwischen aufgetan. Die klassische Vertikale, das Eins, auf das hin (pròs hén) alle Begriffe zu denken waren, 391 war bloße Reminiszenz geworden. Welt und Mensch sind dezentriert, 392 der vormals göttliche Begriff ist nurmehr »Residuum einer Metapher«, »knöchern und 8eckig wie ein Würfel und versetzbar wie jener«393 – operationaler Begriff zu beschreibender Funktionen und/oder Supplement des Zentrums. Als Existenz  |  123

Differenz von Funktion und Argument und so als Bedingung von deren Möglichkeit wird die onto-logische Differenz jederzeit rekursiv identifiziert – und notwendig identifiziert als »der Träger der Welt«:394 |Differenz → TrägerIdentität – eine sisyphische Geste, weil das Supplement seinerseits eines Trägers bedarf, indem die Differenz sich immer verschiebt, von Zwischen (|) zu Zwischen (| |) …: … f R | | [(fa)Differenz + TrägerIdentität]. Derrida hat in diesem Sinn von der différance gesprochen. Der Träger ist immer ein konstituiertes Signifikat, getragen vom Feld der Signifikanten, in dem es nach Saussure keine positiven Terme mehr gibt: f ▒ a. Der Mensch war der neue Gott der industriellen Moderne. Zuletzt glich er nurmehr einem zergehenden Gesicht aus Sand (Foucault), und Calvino konnte von der »conoscenza pulviscolare« sprechen, einem dispersen Wissen.395 Nietzsche hatte es vorgefühlt: »Rings nur Welle und Spiel«. Der Moderne, notierte er, fehle »das Ziel; es fehlt die Antwort auf das ›Warum?‹«,396 so sei sie Nihilismus. Damit hatte er den geschichtlich neuen Primat des Menschen diagnostiziert zusammen mit dessen verschwindender Gegenwart: Er sei »das noch nicht festgestellte Thier«,397 das »aus dem Centrum ins x« rollt.398 Was immer die moderne Anthropologie beobachtet, sie entdeckt statt seines »Gesichts« ein Medium, in dem es Gestalt wurde – auch und gerade auch Lévi-Strauss’ strukturalistische Ethno-Anthropologie. Das ist der dunkle Grund von Trauer in den Traurigen Tropen,399 wie ihn Derridas Vortrag Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen im Jahr von Foucaults anthropologischer Wettervorhersage sondiert hat: »Der verlorenen oder unmöglichen Anwesenheit des abwesenden Ursprungs zugewandt, ist diese strukturalistische Thematik der gebrochenen Unmittelbarkeit die traurige, negative, nostalgische, schuldhafte, Rousseauistische Seite des Spiel-Gedankens, dessen andere Seite die Nietzschesche Bejahung wäre, die fröhliche 124  |  Existenz 

Bejahung des Welt-Spiels und der Unschuld des Werdens, einer Zeichen-Welt ohne Fehl, ohne Wahrheit, ohne Ursprung, offen für eine schaffende Interpretation. Diese Bejahung bestimmt mithin das Nicht-Zentrum [die Differenz und différance] anders denn als Verlust des Zentrums [nämlich als poíêsis]. Und sie spielt ohne Sicherheit. Inmitten des absoluten Zufalls setzt sich die Affirmation auch der genetischen Unbestimmtheit aus, dem seminalen Abenteuer der Spur.«400

Die clôture, historisch genommen das Undsoweiter des (sich) Verschließens, erweist sich darin als die Gegenwart des Spiels: »[D]as Spiel findet heute zu sich (se rend à lui-même), indem es die Grenze löscht, von der her man geglaubt hatte, den Kreislauf der Zeichen regeln zu können, reißt alle beruhigenden Signifikate mit sich fort, schleift alle Festungen, alle Stützpunkte des Nicht-Spiels (hors-jeu), die das Sprachfeld bewacht haben.«401

Gegenwart, temporal gedacht, ist Gleichzeitigkeit, und Gleichzeitigkeit bleibt indisponibel als die reflexionslose Unmittelbarkeit des Werdens, so indisponibel wie die Wellen an Nietzsches Genueser Strand oder Rousseaus Petersinsel. Denn der Moderne ist die Gegenwart zur Paradoxie der Zeit geworden, »zur Einheit der Differenz von Vergangenheit und Zukunft, zum durch sie ausgeschlossenen, in sie eingeschlossenen Dritten, zur Zeit, in der man keine Zeit hat« (WG 613). Die Zeit wird darum zugleich begriffen als Gleichzeitigkeit und Nacheinander, »ohne daß die Gesellschaft Zeit ›hätte‹, eine prinzipielle Auflösung dieser Paradoxie zu suchen«. (GG 1016) Eine prinzipielle Auflösung ohnehin nicht: Woher ein principium, eine archê nehmen im Feld der alles dezentrierenden Differenz? Aber vielleicht eine moderne, der Produktionsform nach erst der Moderne mögliche und erst der medialen Moderne der Sache wie dem Wort nach zum Bewußtsein gekommene – eine virtuelle Auflösung? Die virtuelle Realität nämlich ist nicht mehr nur mimetische und auch nicht bloß potenzielle Realität. Virtuell nennen wir die technologisch als ›numerische Welt‹ aktualisierte, aber nicht als Wirklichkeit überhaupt, sondern als alternative WirkExistenz  |  125

lichkeit aktualisierte Möglichkeit. Zu ihren alternativen Realitäten nimmt sich die moderne Gesellschaft allemal die nötige Zeit, sie probiert sie aus, sie spielt sie durch … Modern gedacht ist das Spiel die disponible Gegenwart als Supplement der indisponiblen Gegenwart  – Supplement der prâxis. Konnte das Fin de siècle mitten in der industriellen Moderne sagen, ein Spiel sei da vorhanden, wo »eine Thätigkeit rein um der Lust an der Thätigkeit selbst willen stattfindet«, 402 dann kann die mediale Moderne ergänzen: wo eine Tätigkeit rein um der Lust am Supplement ihre Statt findet. Darin sind wir schöpferisch.

126  |  Existenz 

D  

Danksagung

anken möchte ich meinen kritischen Lesern Horst D. Brandt, Andreas Feige, Wolfgang Giegerich, Nicole Karafyllis, Achim Krenzke, Manfred Lauermann, Riccarda Löwenstein, die mir Luhmann nahebrachte, Walter Tydecks und Dirk Westerkamp für unzählige Hinweise, Korrekturen und Hilfen. Sie trugen entscheidend zur argumentativen Nachvollziehbarkeit und Lesbarkeit des Textes bei. Das Buch bündelt eine Reihe von Vorlesungen an der TU Braunschweig, es wäre nicht entstanden ohne das unerschütterliche Interesse ihrer Hörer auch für die formale Seite der Philo­ sophie.

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142  |  Literatur 

Anmerkungen 1 »Durch lineare Aneinanderreihung endlich vieler Symbole (die nicht alle voneinander verschieden zu sein brauchen) entstehen Zeichenreihen. Eine Zeichenreihe soll wenigstens ein Symbol enthalten.« (Hermes 1969, 51) 2 Barthes 1963. 3 Kant: KdrV B 141. 4 Hegel: GW 12, 90, o. H. 5 Jensen 1998, 863 f. 6 Zur Netz-Metapher Emden 2008. 7 Derrida 1972a; Krämer 2008, 350 f. 8 Baecker 2013. 9 Neuser 2013. 10 L2009: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. (9) […] Ihre Präferenz für Information, die durch Publikation ihren Überraschungswert verliert, also ständig in Nichtinformation transformiert wird, macht deutlich, daß die Funktion der Massenmedien in der ständigen Erzeugung und Bearbeitung von Irritation besteht – und weder in der Vermehrung von Erkenntnis noch in einer Sozialisa­ tion oder Erziehung in Richtung auf Konformität mit Normen« (119). 11 Haug 2009, 168 f. 12 »Der Flug muß über den Wolken stattfinden, und es ist mit einer ziemlich geschlossenen Wolkendecke zu rechnen. Man muß sich auf die eigenen Instrumente verlassen. Gelegentlich sind Durchblicke nach unten möglich«, z. B. »auf ein größeres Stück Landschaft mit den erloschenen Vulkanen des Marxismus« (SS 13). 13 Platon: Politeia 537c. 14 Ebd. 445c4. 15 Platon: Alkibiades I, 132d ff., Augustinus: De trinitate XV.8.14 (im Blick auf I Cor. 13,12). 16 Hegel: GW 20, § 79. 17 Ebd. § 82. 18 KdrV B 832 f. unter dem Titel »Von dem Ideal des höchsten Gutes, als einem Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft«. 19 Kant: Logik A 25. 20 Kant: KdrV B 866 f. 21 Hegel: GW 14,1, 15. 22 Baecker 2013, 298: Prä-x statt post-modern. Vgl. WG 136: »Strukturen, die […] Kommunikation aus Kommunikation hervorgehen lassen, müssen temporale Projektionen enthalten. Sie müssen […] aus Erwartungen bestehen, die die Variationsmöglichkeiten weiterer Kommunikationen einschränken.«   |  143

23 Lyotard 1979. Zur komplexen Genese der »Postmoderne« vgl. Welsch 1987, 9–43; ders. 1988, Winter 2010. 24 Daniel 2002. 25 Ebd. 152. 26 Ebd. 153. 27 Ebd. 156 f. 28 Kant: KdrV B 867 Fn. 29 Ebd. B 626 f. 30 Westerkamp (2014) spricht von ›alethischen Evidenzhorizonten‹ (226): »Man hat […] allen Grund, der unhintergehbaren strukturellen Unwissenheit und Perfektibilität menschlichen Wissens auch wahrheitstheoretisch Rechnung zu tragen. Es gibt Gedanken, auf die eine stets geschichtlich situierte Argumentationsgemeinschaft, mag sie idealiter auch als unendliche unterstellt werden, nicht verfallen kann, weil ihre alethischen Evidenzhorizonte in demselben Maße Erkenntnismöglichkeiten eröffnen, wie sie andere zugleich verdecken.« (228 f.) 31 »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.« (T 5.6) 32 Zum Fortwirken der Aufklärung vgl. Enskat 2008. 33 Habermas 2013, 300. Zur »vierfachen Antwort auf die Frage, weshalb die Philosophie die Wendung zur Politischen Philosophie vollziehen muß«, Meier 2013, 16. 34 Nämlich als die Bearbeitung der Oberflächen von Naturprodukten, vgl. Giordano Bruno: »Wenn wir also glauben, daß jenes Werk, das wir nach einer gewissen Anordnung und Nachahmung an der Oberfläche der Materie zu bilden wissen, als ein totes nicht produziert werden könne ohne Verstand (discorso) und Vernunft (intelletto) […]; um wieviel größer, müssen wir glauben, sei jene künstlerische Vernunft (intelletto artefice), die aus dem Innern der samenhaften Materie (l’intrinseco della seminal materia) […] über das Ganze verfügt?« (Bruno 1958, II, 233 f.) 35 Vgl. Appendix Platonica, Def. 415a11: Ánthrôpos zôion ápteron, dípoyn, platyônychon. hò mónon tôn óntôn epistêmês tês katà lógoys dektikón estin – der Mensch ein flügelloses, zweifüßiges Tier mit flachen Nägeln, das als einziges der rationalen Erkenntnis des Seienden fähig ist. 36 Die Senkrechte zeigt die onto-logische Differenz an und ist nicht identisch mit dem logischen Sheffer-Strich. Sheffer’s stroke ist die »Bezeichnung für einen zweistelligen Junktor […] zur logischen Zusammensetzung zweier Aussagen A und B zu einer Aussage mit der Bedeutung ›nicht beide: A und B‹« (Schleichert 2004; Russell 1985, 73–74). 37 Das Zeichen ›▒‹ symbolisiert die Dispersion der ontologischen Differenz zum Differenzfeld. 38 So zuerst bei Platon (Timaios 37d6): ménontos aiônos en hení – die Ewigkeit (der »überweltliche Ort« der Ideen, Phaidros 247c3) verharrt im Einen (in der Idee des Guten als der Identität selbst). Dazu Boethius: De consolatione philosophiae V.VI. 39 Adorno 1970, 50. 40 Tarski 1977, 21, 177 f. 144  |  Anmerkungen 

41 Paradigmatisch ist für Kant »ein Urteil nichts andres […], als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen. Darauf zielt das Verhältniswörtchen ist in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden« (KdrV B 141 f.). 42 Saussure hat assoziative und syntagmatische Ordnung als Achsen eines Koordinatensystems veranschaulicht (170–175/147–150), das Syntagma aber der Ordinate zugeordnet (115/115), vgl. Barthes 1965, 676. 43 Diels/Kranz B 1; Scheier 2000c. 44 Nach Carnap verstoßen Sätze, in denen Sein im Sinne der Existenz nicht als Quantor verwendet wird, gegen die logische Syntax und sind deshalb sinnlose Scheinsätze (Carnap 1975, 149–171). Wolfgang Stegmüller sprach 1969 gar von einer »Seinspest« und wertete Heideggers Formulierung »Sein des Seienden« als »Krankheitssymptom« (Gabriel 1995, 230 f.). 45 Gabriel 1995, 230. 46 Frege 1969, 29 47 Zum Kontext Scheier 1991. 48 Derrida 1967c, 83. 49 Hei1959c, 252. 50 S. u. Anm. 228. 51 Strukturbildend schon für Sein und Zeit (Eltgen 2010). Demzuvor benutzt Husserl die ihm als Mathematiker geläufige funktionale Schreibweise für intentionale Verhältnisse: »A sei irgend ein Akt, der im inneren Bewußtsein bewußt ist (sich in ihm konstituiert hat). Dann haben wir, wenn Wi das innere Bewußtsein ist, Wi(A). Von A haben wir eine Vergegenwärtigung Vi(A); diese ist aber wiederum ein innerlich Bewußtes, also gibt es Wi[Vi(A)].« (Husserl 1928, Beilage XII, 482) 52 Hei1967b, 30. 53 Hei1967e, 154. 54 Scheier 1993b. 55 Benjamin I, 550. 56 So schon Baudelaires Porträt von Constantin Guys (*1802): »Beobachter, Flaneur, Philosoph, nennen Sie ihn, wie es Ihnen beliebt« (Baudelaire 1962, 457 f.; Müller 2013). 57 Hermes 1969, 45. 58 Tarski 1977, 79–92. 59 Frege 1969, 41. 60 Husserl 1922, § 104, 216. 61 Frege 1969, 48. 62 Russell 2007b; Russell 1930, Kap. 13: Das Axiom der Unendlichkeit und die logischen Typen. – Zur neueren Diskussion Hasenjäger 1998, Thiel 2004. 63 Zu Russells operationaler Kritik von Wittgensteins »mysticism« vgl. seine »Introduction« zur ersten Buchausgabe des Tractatus von 1922, wiederabgedruckt in T, 258–287, hier 286. 64 Vgl. Wittgenstein: Vermischte Bemerkungen, W 8, 455 und 461 [1930]: »Der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Architekten besteht Anmerkungen  |  145

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heute darin, daß dieser jeder Versuchung erliegt, während der rechte ihr standhält« (1930), und »Es ist eine große Versuchung den Geist explicit machen zu wollen.« Vgl. Horkheimer 1967. Scheier 2000a. Marx 1969, I.1.1.4: Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis. Sartre 2000, 147 f. Marx 1969, 86. Als Wirkung der Laterna magica zuerst belegt Ende des 18. Jahrhunderts. Der Laterna magica kommt eine Schlüsselrolle in der Proustschen Poetik zu, die Sartre konsequenterweise von Anfang an ebenso befehdet wie die Freudsche Psychoanalyse. Marx 1969, 86 f. Nietzsche: Götzen-Dämmerung: Wie die ›wahre Welt‹ endlich zur Fabel wurde. William James 1890, I.IX/X, hier 336: »the ›stream‹ of subjective consciousness«; vgl. Husserl 1922, § 57. Sartre bezieht sich auf Husserl 1922, §§ 111 f. und verweist auf den intrinsischen Unterschied zwischen Bild und Wahrnehmung, den Husserl in den (bis 1936) erschienenen Werken nicht weiter vertieft habe (Sartre 2000, 149, Fn. 2). Husserls Erfahrung und Urteil erschien 1939 (Husserl 1976, v. a. §§ 39 ff.). Feuerbach 83, § 42. Sartre 1996b, 111 f. Sartre 1943, III. I.iv. Marx 1969, III.8.1, 247, vgl. auch III.8.2. »Die Frage nach der Wahrheit des Wesens versteht Wesen verbal« (Hei1967c, 96), nämlich als Anwesen, als das sich das moderne Menschenwesen absetzt von der alten essentia hominis. Scheier 2013. Feuerbach 244. Menasse 2009. Derrida 1996b, 139. Derrida 1996b, 35. Ebd. 137. Derrida 1996a, 86. Hei1959c, 264. Adorno 1970, 199. Frege 1974, XIII. Frege 1980, 59 f. Wittgenstein und der Wiener Kreis, W 3, 214. Ebd. 217. Frege 1969, 29. Derrida 1967c, II.2. »Paradigm lost« spöttelte Luhmann miltonisch-theologisierend anläßlich der Verleihung des Hegel-Preises 1989 – der Laudator war Robert Spaemann (L1990d). 146  |  Anmerkungen 

96 »Eher als eine einzelne Gruppenkonversion ist das Geschehen eine zunehmende Verschiebung in der Verteilung fachzugehöriger Interessengemeinschaften.« (Kuhn 1970, 158) 97 Benjamin V, 560. 98 Lacan spricht vom »unablässigen Gleiten des Signifikats unter dem Signifikanten« (Lacan 1999, 499). 99 »Zur Diskursgeschichte des Normalismus  – Aufstieg und Ausbreitung eines Dispositiv-Netzes« (Link 2006, V). 1 00 »Nicht alle sind im selben Jetzt da. Sie sind es nur äußerlich, dadurch, daß sie heute zu sehen sind. Damit aber leben sie noch nicht mit den anderen zugleich. / Sie tragen vielmehr Früheres mit, das mischt sich ein.« (Bloch 1962, 104) 1 01 Vgl. Link 2006, II.1, 51–59, und X, 452–459, hier 459 (o. H.). 1 02 Sartre 1946, 17 – wo Sartre am Beispiel des Papiermessers ausführt, daß bei der technischen Produktion umgekehrt die Essenz der Existenz vorausgeht. 1 03 Rütter 2000. 1 04 Hegel hat ihn spekulativ vorausgedacht: »Diß Bild gehört ihm [sc. dem Geist] an, er ist im Besitz desselben, er ist Herr darüber; es ist in seinem Schatze aufbewahrt, in seiner Nacht – es ist bewußtlos d. h. ohne als Gegenstand, vor die Vorstellung herausgestellt zu seyn. Der Mensch ist diese Nacht, diß leere Nichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält – ein Reichthum unendlich vieler Vorstellungen, Bilder, deren keines ihm gerade einfällt –, oder die nicht als gegenwärtige sind. Diß die Nacht, das Innre der Natur, das hier existirt – reines Selbst, […] – Diese Nacht erblickt man wenn man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird, – es hängt die Nacht der Welt hier einem entgegen.« (GW 8, 186 f.) 105 Sartre 1943, 315. 1 06 Nietzsche: Zur Genealogie der Moral 1.10 (VI–2, 285). 1 07 Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches I, Vorrede 7 (IV–2, 15). 1 08 Lacan 1999, 492. 1 09 Merleau-Ponty 1969, 85, zitiert Malraux 1948, 152. 1 10 Zu bedenken bleibt Günter Ropohls lapidare Feststellung: »Jeder weiss, was Technik ist; und dennoch weiss es niemand.« (Ropohl 2009, Vorwort zur ersten Auflage, jetzt 13) 1 11 Hei1969, 25. 1 12 1974 resümieren Dierse/Scholtz (mit Odo Marquard): »Geschichtsphilosophien im Sinne sprachanalytischer und linguistischer Formalbestimmungen des geschichtlichen Denkens gewinnen gegenwärtig offensichtlich in eben dem Maße an Gewicht, wie die Tradition der klassischen Geschichtsphilosophie abdankt […] und eine materiale Geschichtsphilosophie zum Postulat wird« (1974, 437) – Michel Foucaults Folie et déraison. Histoire de la folie à l’âge classique erscheint 1961, Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines 1966, L’archéologie du savoir 1969. 1 13 »Die spezifische politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.« (Schmitt 1991, 26) Anmerkungen  |  147

114 SS 264. Bezugnehmend auf L1968 schien es Heinrich Rombach noch 1987, Luhmanns Theorie sei »ein Rückfall, der sich nur durch Anwendung verbaler Mittel als Modernisierung früherer Probleme und Problemlösungen darzustellen vermag, ein Rückfall mindestens hinter Hegel, da das dialektische Moment fehlt […]. Da Systeme, nach Luhmann, nur an ihrem Bestand interessiert sind, können sie sich nicht aus eigenen Motiven heraus verändern, sondern nur ›gemacht‹ und ›zerstört‹ werden. Gemacht (und zerstört) von wem? Vom Menschen natürlich. Ist der Mensch ein System? Nein« (Rombach 2012, 63). – »Der Leitbegriff ›menschlicher Mensch‹ steht gegen den bisherigen Gattungsbegriff des Menschen und gegen die daraus resultierende Selbstverkleinerung. Es geht um einen Wesensschritt der Menschheitsrevolution, wobei der Schritt in der Größenordnung genommen wird, die Nietzsche mit dem Übergang vom Menschen zum Übermenschen meinte.« (ebd. 13) 1 15 Foucaults 1966, 398. 1 16 Vgl. die Bestimmung des Anderen in Hegel: GW 20, § 95. 117 Z. B. L1991, Esposito 1991. 1 18 »Die strukturellen Kopplungen determinieren den Zustand des Systems nicht. Sie versorgen das System nur mit Störungen«, wodurch freilich die »Resonanz des Systems« aktiviert wird (ES 124 f.). 1 19 Scheier 1985. 1 20 Sozusagen als akademisches Nachleben des Psychologismus. 1873 handelte Nietzsches Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen nicht von den Systemen selbst und ihren Verhältnissen zueinander, sondern von den »älteren griechischen Philosophen«, weil »an Systemen, die widerlegt sind, […] uns eben nur noch das Persönliche interessiren« könne (III–2, 297). Einzig die »›Lebenssysteme‹, deren jeder von uns eins ist«, seien »die wahren« Systeme (V–2.11[7]). Die Forderung, »dass die Psychologie wieder [!] als Herrin der Wissenschaften anerkannt werde« (Jenseits von Gut und Böse 23 [VI–2, 33]), ist in der Folge auch von Freud und seinen Schülern erhoben worden, aber (als charakteristisches Produkt des 19. Jahrhunderts) weder in der klassischen noch in der nachnietzscheschen Philosophie. 1 21 Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, Nr. 199. 1 22 Wittgenstein: Vermischte Bemerkungen, W 8, 459 f. [1930]). 1 23 Otto 1975. 1 24 Hegel: GW 11, 250. 1 25 Diels/Kranz B 51. 1 26 Ebd. B 10. 1 27 Hegel: GW 9, 416. 1 28 Winter 2009. 1 29 Scheier 2004. 1 30 Hegel: GW 11, 21; GW 21, 34. 1 31 Hegel: GW 4, 64, m. H. 1 32 L1995b, 210, Fn. 16. Als das Nonplusultra der »differenzlosen Begriffe« ist Luhmanns Sinn das mediale Analogon des Hegelschen Weltgeists und die »Gesellschaft ohne Umwelt« eine Sinnfigur wie Augustinus’ Civitas Dei und Leibniz’ 148  |  Anmerkungen 

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Cité de Dieu – Luhmanns Utopie der Welt vor dem Sündenfall (u. Anm. 226, 228). Hegel: GW 9, 19. Adorno 1966, 9 f. »Trivialmaschinen unterscheiden sich von nicht-trivialen Maschinen […] dadurch, daß sie auf einen bestimmten Input dank einer gespeicherten Regel einen bestimmten Output produzieren. […] / Entscheidend ist, daß die Maschine auf ihren jeweiligen Zustand keine Rücksicht nimmt, sondern nur als regulierte Transformation von Input in Output fungiert. Nicht-triviale Maschinen befragen bei solchen Operationen dagegen sich selbst und reagieren daher bei aller Transformation von Input und Output immer auch auf ihre eigene momentane Befindlichkeit« (L1986, 202 f.). Eine biophysikalische Filiation ist nicht zu übersehen: »Bertalanffy forderte bereits in den 1920er Jahren […] gegen die dominanten biologischen Positionen des Mechanismus und des Vitalismus eine dritte ein: die organismische Biologie, die ›Systemprinzipien‹ zu folgen habe. Denn ihm wurde schon Ende der 1920er Jahre klar, dass hinsichtlich der beiderseits zugrunde gelegten Maschinen-Modelle die Mechanisten letztlich vitalistisch […] und die Vitalisten mechanistisch argumentierten. Sie unterschieden sich primär danach, ob die ›Maschine‹ nur Antezedensbedingung oder auch Kontinuitätsbedingung ihres eigenen Belebtseins war, und sekundär danach, ob Vitalprinzipien (z. B. Kraft) als erkenntnisleitende Hypothesen oder explizit als Prinzipien des Lebens eingeführt wurden. Bertalanffy forderte Organisationsregeln für die hierarchische Ordnung im Organismus sowie ein höherstufiges Systemprinzip, das die Selbsterhaltung des Organismus auch eingebettet in seine Umwelt sichert: das dynamische Fließgleichgewicht von Stoffen und Energie.« (Karafyllis 2014, 46 f.) Hierzu Spaemann (L1990d) und Reese-Schäfer 1992, Kap. 12, 163–173. Die spekulative Lösung demonstriert Hegels Analyse des Satzes »Der Widerspruch löst sich auf« (GW 11, 279–283). Wittgenstein: Vermischte Bemerkungen, W 8, 460. Jensen 1998, 863 f., vgl. auch ES 3, und 4. Vorlesung. »Spezifizieren heißt: engere Bedingungen der Möglichkeit angeben« (SS 84), in diesem Fall also soziologische. Luhmann nimmt den Weg über die Frage nach dem Sinn von »Sinn«. Unter diesem Titel behandelt das zweite Kapitel der Sozialen Systeme (nach »System und Funktion«) »ein Thema, das psychische und soziale Systeme gemeinsam betrifft – psychische Systeme als konstituiert auf der Basis eines einheitlichen (selbstreferentiellen) Bewußtseinszusammenhanges und soziale Systeme als konstituiert auf der Basis eines einheitlichen (selbstreferentiellen) Kommunikationszusammenhanges« (SS 92). Zum Versuch, beide Systemgestalten als »EINS« zu denken, Fuchs 2015. Sartre 1996, 37. Heidegger verweist auf Rimbauds Illuminations (Enfance III) (Hei1969, 41–43). Sartre 2000, 230. Sartre 1943, 44. Anmerkungen  |  149

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Vgl. SS 606, Fn. 23; 656 f. Hierzu Stegmaier 2006, 44: »Wenn Hegel ein System unter Ausschluss von Kontingenz zur Erschließung von Kontingenz konzipiert hat, so macht Husserl philosophische Wissenschaft als Zulassen von Kontingenz unter Ausschluss von Systemen, Luhmann dagegen als Kontingenz von Systemen denkbar, beide aber, wie Hegel, zur Erschließung von Kontingenz.« Hegel: GW 20, § 17. Hegel: GW 21, 60–95. Hierzu Scheier 2000b. Hegel: GW 11, 250. Hegel: GW 9, 99. Vgl. ebd. 114. Der von Luhmann gern zitierte Jean Paul schreibt am 22. Juli 1806 an den Herzog Emil August von Gotha: »Nur etwas belebt das Leben – Erschaffen. Ueber Erschaffen wird Vergehen vergessen.« (Wahrheit aus Jean Pauls Leben, 91) Hotho 106. Hegel: GW 21, 136. Hegel: GW 14,1, 15. Hegel: GW 9, 48. Schmidt am Busch 2002. Weber 1991, 250 f. Schopenhauer 1991b, 152, § 42. Husserl 1962, 190. Hei1967a, 12. »Aber dieses Nichts west als das Sein«, heißt es dann 1943 (Hei1967d, 101) – jetzt nicht mehr Sein (Funktion) der Seienden (Argumente), sondern Sein als Sein (Differenz). Saussure 166/145. Saussure 162/142, m. H. Sartre 1943, 41. Noch nicht so für Hegel: »Wenn ich sage, ich bin für mich: so bin ich nicht nur, sondern negire in mir alles Andere, schließe es von mir ab, sofern es als äußerlich erscheint. Es ist die Negation des Andersseyn, – dieses ist Negation gegen mich; so ist das Fürsichseyn Negation der Negation: und diese ist, wie ich es nenne, die absolute Negativität.« (Glockner 17, 384) Hegel: GW 20, § 257. Saussure 170–175/147–150. Hegel: GW 11, 33–40; 21, 53–65. Vgl. Fichtes Formel: »Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen.« (1969b, § 3, 272) Aus dem großen kratêr Möglichkeit sozusagen als aus der Lostrommel allgegenwärtigen Unterschieds. Dies Hervorziehen ist poíêsis im frühen griechischen Verständnis, mit einer Wendung Hegels: Das Übersetzen aus dem Nichtgesehenwerden ins Gesehenwerden (GW 9, 215), entsprechend Anaxagoras’ ópsis gàr tôn adêlôn tà phainómena (Diels/Kranz B 21a) – Übersetzung von Ereignissen in Phänomene. Bei Aristoteles ist die proaíresis als Konsequenz einer Überlegung (diánoia) An150  |  Anmerkungen 

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fang des (gesellschaftlichen) Handelns (prâxis) – und darum ein zentraler Terminus der Tragödientheorie: der Augenblick der Verfehlung (hamartía). Vgl. Quine 1992, 2 f.: »We were undertaking to examine the evidential support of science. That support, by whatever name, comes now to be seen as a relation of stimulation [Reiz] to scientific theory. Theory consists of sentences, or is couched in them; and logic connects sentences to sentences. What we need, then, as initial links in those connecting chains, are some sentences that are directly and firmly associated with our stimulations. […] / I call them observation sentences [Beobachtungssätze]. […] an observation sentence is an occasion sentence [Ereignissatz] on which speakers of the language can agree outright on witnessing the occasion.« So bereits bei Schopenhauer: »Setzen, ponere, wovon propositio, ist, von Alters her, ein rein logischer Ausdruck […]. Fichte aber erschlich sich allmälig [!] für dies Setzen eine reale, aber natürlich dunkele und neblichte Bedeutung, welche die Pinsel gelten ließen und die Sophisten fortwährend benutzen: seitdem nämlich das Ich erst sich selbst und nachher das Nicht-Ich gesetzt hat, heißt Setzen so viel wie Schaffen, Hervorbringen, kurz, in die Welt setzen, man weiß nicht wie« (Grisebach 5, 47, § 28). »Man kann sich«, fährt Luhmann fort, »die Genese eines solchen ›und nicht‹ vielleicht aus der Notwendigkeit einer laufenden Korrektur von Erwartungen erklären, denen man sich in Situationen mit doppelter Kontingenz gegenüber sieht« – sie erfordern Reflexion. Serres 1968, 32. RG 73, Fn. 27 merkt an: »Der gleiche Gedanke [sc. der »Unterscheidung condensation/confirmation«] läßt sich auch mit Wittgensteins Begriff der Regel formulieren, die Anwendbarkeit auf mehr als einen Fall voraussetzt, oder mit Derridas Begriff der différance«. Hei1927, 360. Ebd. 149. Hei1927, 149. »Die Frage der Existenz ist immer nur durch das Existieren selbst ins Reine zu bringen. Das hierbei führende Verständnis seiner selbst nennen wir das existenzielle. Die Frage der Existenz ist eine ontische ›Angelegenheit‹ des Daseins. Es bedarf hierzu nicht der theoretischen Durchsichtigkeit der ontologischen Struktur der Existenz. Die Frage nach dieser zielt auf die Auseinanderlegung dessen, was Existenz konstituiert. Den Zusammenhang dieser Strukturen nennen wir die Existenzialität. Deren Analytik hat den Charakter nicht eines existenziellen, sondern existenzialen Verstehens.« (Hei1927, 12) Hei1927, 85. Ebd. 144. Ebd. 359. Die »Vergegenwärtigung ist nur ein Modus dieser. In ihr wird die Überlegung direkt des unzuhandenen Benötigten ansichtig« (Hei1927, 359). Ebd. 150. Hei1927, 150, vgl. 157 und 311. Anmerkungen  |  151

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Ebd. 261. Hei1927, 359. Fichte 1969b, 259. Luhmann bündig: »In seinen Konsequenzen durchdacht und auf die Welt angewandt, würde dieser Begriff eine Gegenontologie herausfordern, die den Bestand der Welt nicht mehr auf das Sein des Seienden, sondern auf die Verfügbarkeit anderer Möglichkeiten in Systemen gründet.« (L1972, 1143) Das Emergenzproblem wird damit von den Elementen aufs System verschoben und muß dort offengelassen werden. Seinerzeit monierte Rombach, daß »alle Momente ausgelassen sind, die das Entstehen von Systemen und ihre Verwandlung aus den Systemen selbst verstehbar machen könnten« (Rombach 2012, 63). Diese ›Auslassung‹ ist freilich das Wesen funktionaler Struktur überhaupt, und Rombachs Forderung läuft letztlich darauf hinaus, das Entstehen von Entstehen verstehbar zu machen. Das Prinzip des zureichenden Grundes ist aber ein metaphysisches Prinzip (exemplarisch Leibniz 6, 602, Nr. 7). Zum Vergleich von Strukturontologie/-anthropologie und Systemtheorie Schinkel 2006, Stenger 2006. Die Fn. 45 nennt Freges Vortrag Funktion und Begriff (1891) »einflußreich« und merkt an, »daß mit der prädikativen Definition des Begriffs wiederum auf Sprache, also auf Gesellschaft, verwiesen wird«. Russell 2007a. Frege 1969, 26–28. Frege 1969, 29. Selbstreferenz erklärt Spencer Browns Haken, aber nicht umgekehrt, s. Baecker 2013, 18–75. Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse 208 (VI–2, 141). Ecce Homo: Warum ich ein Schicksal bin 1 (VI–3, 363). Schon die platonisch-aristotelische Auseinandersetzung mit den Megarikern (u. S. 100 f.) läßt sehen, daß die Tradition keineswegs zu reduzieren ist auf die Metacodierung Sein/Nichtsein, sondern, wenn überhaupt, auf die Doppelunterscheidung von ›Sein/Werden : Erscheinung/Schein‹, weshalb Luhmanns (maßgeblich von Gotthard Günther inspirierte) Rede von der »zweiwertigen Logik« bei der Lektüre klassischer Texte wenig hilfreich ist. Er hat das auch selber bemerkt, wo immer ihn seine »Suche nach Vorgängern und überliefertem Gedankengut […] in die Theologie« zurückgeführt hat (WG 529). Bochenski 1978, 312, vgl. Kneale/Kneale 1986, VI.3–XII. Frege 1974, XI. Sartre 1996, 37. Husserl 1962, 190. Sartre 1996, 25. Sartre 2000, 147 f. Hei1927, § 9. Sartre 2000, 147 f. Sartre 1996, 25. Sartre 1943, 148. 152  |  Anmerkungen 

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Sartre 1996, 51. Freud 1999, 97 f. Derrida 1967c, II.2. Scheier 2015. Derrida 1967b, 424, bezieht sich auf Mauss 2013, IX–LII, hier XLIX f. Ebd. XLIV. Mauss 2013, 1–141, hier 116 (m. H.). Derrida 1967a, 99. Die »Reflexion in sich ist wesentlich das Voraussetzen dessen, aus dem sie die Rückkehr ist.« (Hegel: GW 11, 251) Derrida 1967a, 99. Derrida 1967c, 214 f. ES 77. Für Fichte (1986, 71) steht das Und noch im Licht der klassischen Synthesis: »Wollen wir denn das Wahre an sich in zwei Theile trennen, und diese Theile durch das leere Flickwort und, das wir gar nicht verstehen, und welches überhaupt das unverständlichste und durchaus durch keine bisherige Philosophie erklärte Wort in der ganzen Sprache ist (es ist eben die Synthesis post factum:) durch dieses und bloß alligiren?« Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, Nr. 67. Dies eigentümliche Mit-sich-Führen ist wohl zum erstenmal von Baudelaire 1862 namhaft gemacht worden, ehe es bei Frege terminologisch unscheinbar wurde: Pascal habe seinen Abgrund ›mit sich geführt‹ – »Pascal avait son gouffre, avec lui se mouvant« (Baudelaire 1959: Le Gouffre, Nouvelles Fleurs du Mal, XIV). »Wie auch beim Tod die Welt sich nicht ändert, sondern aufhört.« (T 6.431) Vgl. Hei1969, 5: »Sein, dadurch jegliches Seiende als ein solches gezeichnet [!] ist, Sein besagt Anwesen. Im Hinblick auf das Anwesende gedacht, zeigt sich Anwesen als Anwesenlassen. […] Anwesenlassen zeigt darin sein Eigenes, daß es ins Unverborgene bringt. Anwesen lassen heißt: Entbergen, ins Offene bringen. Im Entbergen spielt ein Geben, jenes nämlich, das im Anwesen-lassen das Anwesen, Sein gibt.« Funktional: Anwesen(Anwesendes) = (Anwesen | Geben Anwesendes). Vgl. o. Anm. 132. Offenbar meint »Sündenfall« in der Tradition Schopenhauers und Kierkegaards Verlust bzw. Verspielen ursprünglicher Identität: »wer trennte sie: die Worte und die Dinge« (Benn: Kann keine Trauer sein [1956]). Zur theologischen Dimension der Systemtheorie Welker 1985, Thomas/Schüle 2006. »Ohne Markierung gäbe es selbstverständlich auch nichts ›Unmarkiertes‹; die Welt muß immer zuerst durch die Unterscheidung markiert/unmarkiert in einen imaginären Raum transformiert werden.« (RG 53) Die Welt »gäbe« es dann immerhin schon als das zu Transformierende. WG 93 f. Vgl. L1990a, 18: »Der Formbegriff ist […] ein Weltbegriff, ein Begriff für die sich selbst beobachtende Welt. Er bezeichnet die Verletzung der Welt durch einen Einschnitt, durch ›Schrift‹ im Sinne von Derrida, durch Ausdifferenzierung von Systemen im Sinne der Systemtheorie.« (m. H.) Die ›sich selbst‹ beobachtende ist die ›sich selbst‹ verletzende Welt  – theologisch spricht LuhAnmerkungen  |  153

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mann von der »Welt nach dem Sündenfall«. Sie ist der zu bezeichnende »unmarked space, in den sich jede […] Operation durch eine Unterscheidung einkerbt« (GG 49). Und da der ›unmarked space‹ kein Identitäts-, sondern das Differenzfeld ist, meint ›Einkerben‹ nicht Unterscheiden, sondern eine Unterscheidung als solche hervorheben – ein Ereignis markieren (das dadurch zur Information wird). In diesem Sinn ist schon Rilkes ›unmarked space‹ Differenzfeld: »Immer wieder von uns aufgerissen, / ist der Gott die Stelle, welche heilt. / Wir sind Scharfe, denn wir wollen wissen, / aber er ist heiter und verteilt.« (Sonette an Orpheus, II/XVI [1922], m. H.) Vgl. Hei1959c, 252: »Der Aufriß ist die Zeichnung des Sprachwesens, das Gefüge eines Zeigens, darein die Sprechenden und ihr Sprechen, das Gesprochene und sein Ungesprochenes aus dem Zugesprochenen verfugt sind.« Ein plastisches Beispiel für Ereignis, Stabilisierung und Prozeß findet sich schon bei Nietzsche: »Der Mensch fragt wohl einmal das Thier: warum redest du mir nicht von deinem Glücke und siehst mich nur an? Das Thier will auch antworten und sagen, das kommt daher dass ich immer gleich vergesse, was ich sagen wollte – da vergass es aber auch schon diese Antwort und schwieg: so dass der Mensch sich darob verwunderte. / Er wundert sich aber auch über sich selbst, das Vergessen nicht lernen zu können und immerfort am Vergangenen zu hängen: mag er noch so weit, noch so schnell laufen, die Kette läuft mit. Es ist ein Wunder: der Augenblick, im Husch da, im Husch vorüber, vorher ein Nichts, nachher ein Nichts, kommt doch noch als Gespenst [Supplement] wieder und stört die Ruhe eines späteren Augenblicks« (Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, III–1, 244). Die Zeit, die im (rekursiven) Übergang von f zu f1 (»Anschluß«) vergeht, wird von f2 identifiziert. »Komplexität besagt, daß eine Vielzahl von Elementen […] nur selektiv verknüpft werden kann« (SS 291). Benjamin V, 560. Hei1927, 151. Da Sinn systemtheoretisch ›differenzlos‹ ist, scheint ein andersartiger Sinnbegriff zugrunde zu liegen, wenn Heidegger fortfährt: »Nur Dasein kann daher sinnvoll oder sinnlos sein« (Hei1927, 151). Sinnlosigkeit meint jedoch auch in Sein und Zeit nur einen defizienten Modus, denn »sein eigenes Sein und das mit diesem erschlossene Seiende kann im Verständnis zugeeignet sein oder dem Unverständnis versagt bleiben« (ebd. 151 f.): »Das ratlose Davorstehen entdeckt als defizienter Modus eines Besorgens das Nur-noch-vorhandensein eines Zuhandenen.« (ebd. 73) Flasch 2011, 29: Deus est sphaera infinita cuius centrum ubique, circumferentia nusquam. Luhmann bezieht sich zurück auf einen seiner (gern riskanten) Ausflüge in die Theologie: »Der Partner für den radikalen Konstruktivismus ist […] nicht die Erkenntnistheorie der Tradition, sondern ihre Theologie (und zwar eine Theologie, die wegen ihrer Ansprüche an Genauigkeit über das hinausging, was die Theologie verkraften konnte). Man sieht dann leicht, daß man das Unterschei154  |  Anmerkungen 

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den der Unterscheidungen, mit denen die Beobachter arbeiten, und die im Beobachten der Beobachter zu beobachten sind, noch zu unterscheiden hat von dem Nichtunterschiedenen, das damals Gott hieß und heute, wenn man System und Umwelt unterscheidet, Welt, oder wenn man Gegenstand und Erkenntnis unterscheidet, Realität.« (L1988b, 229) Zunächst jedenfalls an Kants regulative Ideen: die hypothetische Idee der Natur überhaupt, die kategorische Idee der denkenden Natur (Seele) und die disjunktive Idee der »allgenugsamen Ursache« beider oder Gottes (KdrV Β 710–714). Derrida 1972b, 3. »Im täglichen Leben wird es sich zumeist um Referenten handeln, die von allem anderen unterschieden werden. Wir nennen sie Dinge. Beim Invarianzenlernen höherer Stufe wird spezifiziert, von was der Referent unterschieden wird – zum Beispiel eine gute Zensur von einer schlechten Zensur (und nicht vom Lehrer, von den Schulbüchern etc.). Wir wollen solche Referenzen Begriffe nennen.« (L1999a, 22 f.) »Die Einheit ist das Und« (ES 77). Analog zum Fichteschen »Anstoß«, vgl. Fichte 1969b, 386 f.: »Wir konnten nemlich die Vorstellung überhaupt auf keine Art möglich denken, als durch die Voraussetzung, daß auf die ins unbestimmte und unendliche hinausgehende Thätigkeit des Ich ein Anstoß geschehe. Demnach ist das Ich als Intelligenz überhaupt, abhängig von einem unbestimmten […] Nicht-Ich«, und: »Daß dies geschehe, als Faktum, läßt aus dem Ich sich schlechterdings nicht ableiten […]; aber es läßt allerdings sich darthun, daß es geschehen müsse, wenn ein wirkliches Bewußtseyn möglich seyn soll« (ebd. 408). Hei1927, 326. Derrida 1972d, 379–381. »Auch Tiere verfügen über psychische Systeme, aber ob sie ›Phänomene‹ unterscheiden können, wofür Sinngebrauch erforderlich wäre, ist umstritten« (Fuchs 2015, 38, Fn. 73) und hängt vermutlich davon ab, wovon die Phänomene unterschieden werden sollen. Luhmanns eigner Terminus als gelegentliches Synonym für psychisches System: »Unterscheidung von Bewußtseinssystemen (psychischen Systemen) und kommunikativen Systemen (sozialen Systemen)« (WG 63). Zunächst verwendete Luhmann den Terminus ›personales System‹ (L1977, SS 155). Die Festlegung auf ›psychisches System‹ dürfte der Absicht entsprungen sein, Husserls Bewußtseinsbegriff im Begriff des sozialen Systems aufgehen zu lassen, dies Hand in Hand mit der Restriktion des Person-Begriffs (Krause 2005, s. v. Person). Sartre 1943, 309. Serres 1968, 32, o. H. Broekman 1971. Gondek 319. Vgl. Dürr 1986, Vorwort, 14: »Unser Denken und deshalb auch die naturwissenschaftliche Beschreibung erfaßt nur eine Struktur, ein ›Wie‹, aber nicht den Inhalt, das Wesen, das ›Was‹ der eigentlichen Wirklichkeit.« Schleichert 1975, 212. Anmerkungen  |  155

252 Dagegen Hei1959b, 160: Die »Metalinguistik ist die Metaphysik der durchgängigen Technifizierung aller Sprachen zum allein funktionierenden interplanetarischen Informationsinstrument, Metasprache und Sputnik, Metalinguistik und Raketentechnik sind das Selbe.« 2 53 Analog Mauthner: »Die einfache Wahrheit, daß die ganze Untersuchungsweise, die jetzt Erkenntnistheorie heißt, nur das vornehmste Kapitel der Psychologie sei (das mit der bald gegenstandslos gewordenen Bezeichnung Logik überschrieben werden könnte), diese Wahrheit wird verdunkelt durch die allgemeine Beliebtheit des Titels Erkenntnistheorie.« (Mauthner 1980, I, 297) Mauthner weist auch darauf hin, daß das englische Pendant epistemology ebenfalls um die Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt wurde (WG 495, Fn. 38). 2 54 Saussure 33/66 f. 2 55 Barthes dürfte mit diesem Paradox auf Sartre 1940 anspielen: 1980 wird La chambre claire ein »hommage à L’imaginaire de Sartre« sein (1980, 785). 2 56 Barthes 1965, 637 f. 2 57 Derrida 1972b, 25 – mit der Frage: »Was ist das Anwesende? Was heißt das Anwesende in seiner Anwesenheit denken?« (24) ausgehend von Hei1950, 335– 338. 2 58 Barthes 1965, 639, zitiert Saussure 112/113. 2 59 Vgl. Barthes 1965, 682: »Saussure insistiert auf dem Wort Term (Substitut für Wort als Einheit in der syntagmatischen Ordnung), denn, präzisiert er, sobald wir anstelle von ›Wort‹ ›Term‹ sagen, ist der Systemgedanke evoziert«. 2 60 Saussure 166/145 – sprachwissenschaftlich umstritten (Barthes 1965, 643 f.). 261 Saussure 112/113. 2 62 Barthes 1965, 641. 2 63 Es sei »nutzlos, sich sogleich zu fragen, wie das Sprachsystem und der Sprachgebrauch zu trennen seien: das ist kein Schritt vorab, sondern ganz im Gegenteil gerade das Wesen der sprachwissenschaftlichen (und danach der semiologischen) Forschung« (Barthes 1965, 641): Die Elemente sollen zugleich die in den Mythologies (1957a) geübte sozialkritische Methode fundieren. Wenn überhaupt, wäre auch hier von einer ›negativen Dialektik‹ zu sprechen, weil anders als in der klassischen Dialektik die Extreme »nurmehr polar aufeinander bezogen« sind (Dick 2010, 10) – unhintergehbar binär (Langue und Parole). 2 64 Barthes 1965, 652. 2 65 Bühler 1976, 28 (mit Verweis auf Wilhelm von Ockham). 2 66 Baumgarten 1763, § 347: »Medium cognoscendae alterius exsistentiae signum est, signi [statt: signa] finis signatum. Hinc signum est signati principium cognoscendi, et nexus inter signum et signatum significativus est, signoque tributus significatus dicitur«. 2 67 Kant: Kritik der praktischen Vernunft A 54. 2 68 Kant: KdrV B 294–315. 2 69 Die »absolute Metapher« in »ihrer begrifflich nicht ablösbaren Aussagefunk­ tion« (Blumenberg 1999, 10) ist das rhetorische Analogon von Derridas Supplement. 2 70 Vgl. Bühler 1976, 28 f.: »Im Falle des Zeichenseins sind es immer nur abstrakte 156  |  Anmerkungen 

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Momente, kraft derer und mit denen das Konkretum ›als‹ Zeichen fungiert. Ich habe diesen sprachtheoretisch grundlegenden Tatbestand als das Prinzip der abstraktiven Relevanz bezeichnet und am Unterschied von Phonetik und Phonologie erläutert«. Frege 1969, 48. Saussure 99/106. Vgl. Barth 1965, 101: »Was ›ist‹, ist eo ipso ›so etwas‹. […] In der eidetischen Bestimmung der Erscheinung wird sie in ihrem So-Sein der Erkenntnis erschlossen.« Peirce 1955, 30 (Nr. 400): »[T]he whole function of thought is to produce habits of action [Einstellungen] […]. To develop its meaning, we have, therefore, simply to determine what habits it produces, for what a thing means [was für einen Sinn etwas hat] is simply what habits it involves.« Derrida hat immer wieder aufmerksam gemacht auf den bei Saussure wie noch bei der zeitgenössischen Sprachwissenschaft überhaupt zu registrierenden RestPsychologismus, den er allerdings mit der »Metaphysik« und ihrem »Logozentrismus« (»Sich-sprechen-hören-wollen«) kurzschloß. Saussure 155 f./138. Husserl 1977, § 12, 30. Zit. von Barthes 1965, 658. Lacan 1999, 499. Ebd. 494. Buber 1955, 20 f., m. H. Buber 1978, 24. Buber 1955, 29. »Auch: Relat(um), Designat[um), Denotat(um). […] Objekt oder Sachverhalt der außersprachlichen Realität, auf den durch sprachliche Zeichen in Form von Nominalphrasen verwiesen wird.« (Bußmann 1983, s. v. Referent) Frege 1969, 41. Ebd., 67. Quine 1980, 7 f. Frege 1969, 48. Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge, III–2, 373. Husserl 1980, II/I.I: Ausdruck und Bedeutung, 23: »Zeichen im Sinne von Anzeichen (Kennzeichen, Merkzeichen u. dgl.) drücken nichts aus«. Fichte 1969a,109. Fichte 1969b, 429. Husserl 1922, §§ 104 f., 215, 217 f. (o. H.). »Noematisch« heißt: erlebt als dem Phänomen zugehörig, »noetisch«: dem erlebenden Bewußtsein zugehörig und reflexiv zugänglich. Frege 1969, 48. Frege 1966, 36. Vgl. Husserl 1922, § 84, 168 f.: »In jedem aktuellen cogito richtet sich ein von dem reinen Ich ausstrahlender ›Blick‹ auf den ›Gegenstand‹ des jeweiligen Bewußtseinskorrelats, auf das Ding, den Sachverhalt usw. und vollzieht das sehr verschiedenartige Bewußtsein von ihm.« Anmerkungen  |  157

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Ebd., § 32, 56, o. H. Husserl 1977, § 44, 100: »In meiner geistigen Eigenheit bin ich aber doch identischer Ichpol meiner mannigfaltigen ›reinen‹ Erlebnisse, derjenigen meiner passiven und aktiven Intentionalität, und aller von daher gestifteten und zu stiftenden Habitualitäten.« »Wir glauben unsrerseits gern an die Existenz eines konstituierenden Bewußtseins. Wir folgen Husserl in jeder der bewundernswerten Beschreibungen, worin er das transzendentale Bewußtsein darstellt, wie es die Welt konstituiert, indem es sich ins empirische Bewußtsein einschließt (s’emprisonnant); wir sind wie er davon überzeugt, daß unser psychisches und psychophysisches Moi ein transzendenter Gegenstand ist, der unter dem Schlag der epochê fallen muß. Aber wir stellen uns die folgende Frage: Reicht dies psychische und psychophysische Moi nicht aus? Muß man es um ein transzendentales Je von der Struktur des absoluten Bewußtseins verdoppeln?« (Sartre 1996, 18) Husserl hatte behauptet: »Durch die phänomenologische epochê reduziere ich mein natürliches menschliches Ich und mein Seelenleben – das Reich meiner psychologischen Selbsterfahrung – auf mein transzendental-phänomenologisches Ich, das Reich der transzendental-phänomenologischen Selbsterfahrung.« (Husserl 1977, § 11, 27) Sartre 1996b, 111 f. Selber zur Mode werdend, löste der Strukturalismus die Nachkriegsmode des Existentialismus ab, so daß Gilles Deleuze 1967 konstatieren konnte: »Vor kurzem fragte man noch: ›Was ist der Existenzialismus?‹ Heute: Was ist der Strukturalismus?« (Deleuze 1973, 299) Schiwy (1969) beginnt mit dem Kapitel »Strukturalismus als Mode«. WP 50 (m. H.). Die Bedeutung Husserls für den Strukturalismus bezeugt bereits Roman Jakobson: »Jakobson liest die Logischen Untersuchungen von Husserl, ›der vielleicht den größten Einfluß auf meine theoretischen Arbeiten genommen hat‹« (zit. nach Dosse 1996 f., I, 93). Derridas La voix et le phénomène. Introduction au problème du signe dans la phénoménologie de Husserl dekonstruiert 1967 den strukturalistischen Zeichenbegriff im Anhalt an »Ausdruck und Bedeutung« (Husserl 1980, II/I.I). Hei1927, 128. »Solange die existenziale Struktur des eigentlichen Seinkönnens nicht in die Existenzidee hineingenommen wird, fehlt der eine existenziale Interpretation führenden Vor-sicht die Ursprünglichkeit.« (Hei1927, 233, m. H.) Sartre 1996, 19. Das Moi ist das Ich als (transzendentes) Objekt, das Je der Index des operierenden Bewußtseins überhaupt. Sartre 1995. Der »moderne Schreiber (scripteur) ist keineswegs das Subjekt, dessen Prädikat sein Buch wäre« (Barthes 1968, 43). Hegel: GW 9, 404. In seiner Abrechnung mit Sartres Critique de la raison dialectique [1960] schreibt Lévi-Strauss: »Im einen Fall scheint Sartres Unternehmen widersprüchlich zu sein; es erscheint als überflüssig im andern.« (Lévi-Strauss 1962, 293) 158  |  Anmerkungen 

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Barthes 1957b. So noch für Husserl: »In bezug auf das Tier ist der Mensch, konstitutiv gesprochen, der Normalfall, wie ich selbst konstitutiv die Urnorm bin für alle Menschen; Tiere sind wesensmäßig konstituiert für mich als anomale ›Abwandlungen‹ meiner Menschlichkeit« (1977, § 55, 129). Vgl. Hegel: GW 20, § 461: »Jene Verknüpfung [von Anschauung und Bedeutung], die das Zeichen ist, zu der ihrigen machend, erhebt sie [sc. die Intelligenz] durch diese Erinnerung die einzelne Verknüpfung zu einer allgemeinen, d. i. bleibenden Verknüpfung, in welcher Name und Bedeutung objectiv für sie verbunden sind, und macht die Anschauung, welche der Name zunächst ist, zu einer Vorstellung, so daß der Inhalt, die Bedeutung, und das Zeichen identificirt, Eine Vorstellung sind und das Vorstellen in seiner Innerlichkeit concret, der Inhalt als dessen Daseyn ist; – das Namen behaltende Gedächtnis.« Anschauung ist »ein Hinausgehen über das in der Wahrnehmung unmittelbar Gegebene, also die Konstitution räumlicher und zeitlicher Horizonte, und das Löschen von Information über den eigenen räumlichen/zeitlichen Standort.« (L1995a, 17, o. H.) Husserl 1922, § 84, 168. Russell 1985, VI. Henry James: The Author of Beltraffio (1885). Lacan 1999, 494. In Derridas dekonstruktivem Begriff der Spur geht beides zusammen: »das Anwesende wird das Zeichen des Zeichens, die Spur der Spur« (Derrida 1972b, 25). Sartre 1996, 24: »Sein Gegenstand ist seiner Natur nach außerhalb seiner, weshalb es ihn in einem und demselben Akt setzt und erfaßt. Es selbst kennt sich nur als absolute Innerlichkeit. Wir werden ein solches Bewußtsein: Bewußtsein ersten Grades oder nicht-reflektiert (irréfléchie) nennen.« Derrida 1991, 32: »Aber dies [sc. daß sie einer ›ontologischen Grammatik‹ angehören] ist der Zustand all der Worte, die uns zur Verfügung stehen, all der Worte, die in unsrer Sprache gegeben sind – und dies sprachwissenschaftliche Problem, besser dies Problem der Sprache vor der Sprachwissenschaft, bleibt natürlich unsre Obsession.« Vgl. Benjamin II, 140–157. Ein akademisches Sediment der Utopie vom ›unmittelbaren Leben‹, der auch Wittgenstein anhing: »Denn die Klarheit, die wir anstreben, ist allerdings eine vollkommene. Aber das heißt nur, daß die philosophischen Probleme vollkommen verschwinden sollen. / Die eigentliche Entdeckung ist die, die mich fähig macht, das Philosophieren abzubrechen, wann ich will.« (Philosophische Untersuchungen, Nr. 133) Und da »alles offen daliegt, ist auch nichts zu erklären. Denn, was etwa verborgen ist, interessiert uns nicht« (ebd. Nr. 126). Hei1959c, 264. Feuerbach 41, § 12. Ebd. 88, § 48, o. H. Ebd. 85, § 45, o. H. Anmerkungen  |  159

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Husserl 1977, § 18, 45 f., m. H. Husserl 1977, § 8, 20 f., vgl. § 11, 26: »Halte ich rein, was mir, dem Meditierenden, durch freie epochê hinsichtlich des Seins der Erfahrungswelt in den Blick tritt, so ist es die bedeutungsvolle Tatsache, daß ich und mein Leben in meiner Seinsgeltung unberührt bleiben« (m. H.). Husserl 1922, § 30–32. Husserl 1977, § 8, 22, m. H. Ebd. Descartes 1964, 48 f. Husserl 1977, § 12, 30. Kant: KdrV B 99 f. Für das Behaupten führt Frege im § 2 der Begriffsschrift den »Urteilsstrich« ein, zu dem Wittgenstein in Husserlschem Geist bemerken wird, er gehöre »ebensowenig zum Satzgefüge, wie etwa die Nummer des Satzes. Ein Satz kann unmöglich von sich selbst aussagen, daß er wahr ist«; der Urteilsstrich zeige mithin »bei Frege (und Russell) nur an, daß diese Autoren die so bezeichneten Sätze für wahr halten« (T 4.442). Kant: KdrV B 184 f. »Unsere Vorstellungen«, heißt es in der von Husserl wie von Heidegger charakteristischerweise bevorzugten Erstfassung der Kritik der reinen Vernunft (1781), gehören »als Modifikationen des Gemüts« allesamt »zum innern Sinn, und als solche sind alle unsere Erkenntnisse zuletzt […] der Zeit unterworfen« (KdrV A 98 f.). Hierzu Hei1967 f. und Scheier 1995. Husserl 1977, § 8, 20–22. Die der Phänomenologie zeitgenössische literarische Technik des »stream of consciousness« (zuerst in Édouard Dujardin: Les lauriers sont coupés, 1887) konstruiert analog ein beständig sprechendes Subjekt, für dessen sich Serialisieren die Zeitreihe, aber nicht die Zeitordnung festgehalten wird. Die »freie Assoziation« (Freud) läßt den Eindruck erlebter Augenblicklichkeit entstehen – des immer neu Anfangens als das Erlebnis, »daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauungen erzeuge« (KdrV B 182). Hei1927, §§ 78–83. Augustinus: »ecce distentio est vita mea« (Confessiones XI.29,39). GG, 1015 f., vgl. 1000: »Selbst Heideggers Reflexion und selbst Derridas Kritik ihrer metaphysischen Präsuppositionen sind nicht zu einer ganz anders ansetzenden Zeitbegrifflichkeit gelangt.« »Es gibt vielleicht keinen ›vulgären Zeitbegriff‹. Der Zeitbegriff gehört durchaus der Metaphysik an und nennt die Herrschaft der Anwesenheit. Daraus ist zu folgern, daß das ganze System der metaphysischen Begriffe, durch ihre ganze Geschichte hindurch, die genannte ›Vulgarität‹ dieses Begriffs entfaltet (was Heidegger zweifellos nicht bestreiten würde), aber auch, daß man ihm keinen anderen Zeitbegriff entgegensetzen kann, da die Zeit im allgemeinen der metaphysischen Begrifflichkeit angehört.« (Derrida 1972c, 73) Aristoteles: Physik 219b1 f. Vgl. KdrV B 182: »Das reine Schema der Größe aber (quantitatis), als eines Be160  |  Anmerkungen 

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griffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenfaßt. Also ist die Zahl nichts anders, als die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge.« Was Husserl noch erstaunte: »Ja, wissen Sie, es ist eine tolle Geschichte. Es gibt da einen teuflischen Zirkel. Die ursprünglichen zeitkonstituierenden Erlebnisse sind selber wiederum in der Zeit.« (Briefe an Roman Ingarden, 122) Aristoteles: Physik 251b27 f. Hei1927, 421. Hierzu Scheier 1993a. Aristoteles: Physik 219b7 f. Ebd. 201a10 f. Aristoteles: Metaphysik 1051a31–33: ex energeías hê dýnamis – »weswegen man durch Hervorbringen erkennt (denn auf das Entstehen gesehen ist die Wirklichkeit der Zahl nach [d. h. als tóde ti, vgl. 1049b18 f.] später)«. Das Selbe »ist Jenes, was das Auseinandergehaltene aus dem Einen […] zueinanderhält« (Hei1959c, 242). Zu Heideggers Auslegung von Hegels Begriff der Zeit (Hei1927, § 82, 428) vgl. Hegel: »Die Zeit ist nicht gleichsam ein Behälter, worin Alles wie in einen Strom gestellt ist, der fließt, und von dem es fortgerissen und hinuntergerisssen wird. Die Zeit ist nur diese Abstraction des Verzehrens. Weil die Dinge endlich sind, darum sind sie in der Zeit: nicht weil sie in der Zeit sind, darum gehen sie unter; sondern die Dinge selbst sind das Zeitliche« (Michelet 54 f., Zusatz). Hei1927, 426. Ebd. Hei1954, 254, 256, vgl. Hei1969, 16, 58. Das aristotelische háma ist nicht primär zeitlich zu verstehen, sondern anschaulich, d. h. räumlich. Wie im próteron / hýsteron seiner Zeit-Definition denkt Aristoteles hier die Reihe: 1,2,… (vgl. o. Anm. 339). Kant athetiert das zeitlich verstandene Zugleich explizit (KdrV B 191–193). Aristoteles: Metaphysik 1005b19–26. Hierzu Boeder 1994, 239–256. Quine verweist auf Alonzo Church: »A note on the Entscheidungsproblem«, Journal of Symbolic Logic 1 (1936), 40 f., 101 f. Quine 1980, 5. »Tautologie und Kontradiktion sind nicht Bilder [Signifikate] der Wirklichkeit. Sie stellen keine mögliche Sachlage dar.« (T 4.462) »Die Tautologie läßt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und läßt der Wirklichkeit keinen Punkt.« (T 4.463) Sie sind darum sinnlos, aber an ihnen selbst »nicht unsinnig; sie gehören zum Symbolismus, und zwar ähnlich wie die ›0‹ zum Symbolismus der Arithmetik.« (T 4.4611) Aristoteles: Metaphysik 1046b29–32. Ebd. 1046b32 f. Kierkegaard 1989; Scheier 1983,71–79. Hegel: GW 11, 286. Anmerkungen  |  161

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Vgl. ebd.: »Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend« – der Widerspruch »ist die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Thätigkeit« (o. H.). Identifizieren ist Negieren, (A = A) = (A = --A), und man »geht heute allgemein davon aus, daß Negationen systeminterne Operatoren sind, denen kein Umweltkorrelat entspricht« (WG 524, vgl. 517 f.). Vgl. SS 117, zu Reversibilität/Irreversibilität SS 72–74. Immanent, nämlich für Beobachter, »wird der Widerspruch als Ereignis des je eigenen Systems aktuell. Ohne solche Aktualisierung hat der Widerspruch in Sinnsystemen keine Realität, nämlich keine Bedeutung und erst recht keine alarmierende Funktion« (SS 507). »Codes sind eine genaue Copie des Paradoxes, zu dessen Entfaltung sie dienen.« (RG 69) Hegel: GW 11, 286 f. Luhmann erwähnt die Transzendentalienlehre beiläufig (RG 70) als charakteristisch für »Hierarchien und folglich Adelsgesellschaften« (ebd. 69) – was freilich für alle »mittelalterlichen« Taxonomien gilt. Schon für Kant sind die Transzendentalien nurmehr »logische Erfordernisse und Kriterien aller Erkenntnis der Dinge überhaupt« (KdrV B 114). Thomas’ »quodam modo est omnia« – die Seele ist gewissermaßen alles, zitiert Aristoteles (De anima 431b21): hê psychê tà ónta pôs esti pánta, insofern sie nämlich der Ort des Begriffs, der Wesensbestimmung (tò tí ên einai) von allem ist. Ebd., vgl. Hegel: GW 21, 105: »Etwas und Anderes sind beyde erstens Daseyende oder Etwas. / Zweytens ist ebenso jedes ein Anderes.« Konditionierungen »legen nicht-beliebige Zusammenhänge fest in dem Sinne, daß die Festlegung bestimmter Merkmale beschränkten Spielraum läßt für die Festlegung anderer« (GG 230) – »eine bestimmte Relation zwischen Elementen wird nur realisiert unter der Voraussetzung, daß etwa anderes der Fall ist bzw. nicht der Fall ist. Wenn immer wir von ›Bedingungen‹ bzw. von ›Bedingungen der Möglichkeit‹ (auch im erkenntnistheoretischen Sinne) sprechen, ist dieser Begriff gemeint« (SS 44). »Emergenz ist demnach nicht einfach Akkumulation von Komplexität, sondern Unterbrechung und Neubeginn des Aufbaus von Komplexität.« (SS 44) »Jeder Körper nämlich ist Geist im Augenblick oder entbehrt der Erinnerung, weil er seinen Trieb zugleich und den entgegengesetzten fremden […] nicht über den Augenblick hinaus festhält: er entbehrt also des Gedächtnisses, er entbehrt des Sinns seiner Tätigkeiten und Leiden, er entbehrt des (versammelnden) Vorstellens.« – Omne enim corpus est mens momentanea, seu carens recordatione, quia conatum simul suum et alienum contrarium […] non retinet ultra momentum: ergo caret memoria, caret sensu actionum passionumque suarum, caret cogitatione (Leibniz 4, 230). Hei1959a, 12. 162  |  Anmerkungen 

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Condicio (von condico): Bedingung; conditio (von condo): Gründung. Sartre 1943, 12. Sartre 1996, 25. Sartre 1943, 12. L1988a, 40. Rousseau 1960, 68: »Das Hin- und Widerströmen des Wassers, sein immerwährendes, aber gelegentlich anschwellendes Rauschen beschäftigten unablässig meine Ohren und Augen, traten ein für die inneren Bewegungen, die die Träumerei in mir erlöschen ließ, und reichten hin, mich mein Dasein ohne Denkanstrengung mit Gefallen empfinden zu lassen.« Nietzsche: Dionysos-Dithyramben: Die Sonne sinkt 3 ( VI–3, 394). Nietzsche: Ecce Homo: Warum ich so klug bin 10 (VI–3, 295). Fink 1957, 39. Ebd. 11; vgl. Huizinga 1940, 312 f. Die fröhliche Wissenschaft: Lieder des Prinzen Vogelfrei: An Goethe. Vgl. VII–2.26[193]: »daß die Welt ein göttliches Spiel sei und jenseits von Gut und Böse«. Nietzsche: VII–3.38[12]). Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, Nr. 71. Aristoteles: Metaphysik IV.2. Kaehler 2010. Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge, III–2, 376. »Dasjenige, was Alles erkennt und von Keinem erkannt wird, ist das Subjekt. Es ist sonach der Träger der Welt, die durchgängige, stets vorausgesetzte Bedingung alles Erscheinenden, alles Objekts: denn nur für das Subjekt ist, was nur immer da ist.« (Schopenhauer 1991a, 33, § 2) Calvino 1995b 128–144: La conoscenza pulviscolare in Stendhal [1982]. Ferner I modelli cosmologici [1976]: »dissoluzione dell’universo in un pulviscolo senza forma« – Auflösung des Alls in eine gestaltlose Staubwolke« (Calvino 2002, 245–249, hier 245) sowie Calvino 1995a 301–308: Per Fourier 3. Commiato. L’utopia pulviscolare [1974]. Nietzsche: VIII–2. 9[35]. Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse 62 (VI–2, 79). Nietzsche: VIII–1.2.[127]. Lévi-Strauss 1955. Derrida 1967b, 427. Derrida 1967c, 16. Groos 1899, 7.

Anmerkungen  |  163

Register Abgrund  52, 74, 153 Abbildung  23, 78 Abyme, En - 91, 97, 104 Aktualisierung  61 f., 87, 122, 161 Alêtheia/Lêthê  121, 144 Állo  36, 43, 45 Allonomie 37 Alltagssprache 106 Als-Struktur  61–63, 77, 79, 86–88, 102 f. – als Als-Struktur  87, 106, 122 Alternative  38 f., 46, 125 f. Analyse, analytisch/synthetisch  38, 48, 63, 70, 85, 87 Andenken der Weltgrenzen  16, 47 Andere, der/das  30, 34, 36, 73 f., 79, 85, 100, 106, 116 Anderssein  96, 119 Anfang  39, 42, 56 f., 73, 114, 150, 159 Anschauung  42, 98, 103, 110, 158–160 Anschlußfähigkeit  9, 38, 46, 61, 83, 89, 154 Anschlußwert 33 Ansich (en soi)  102, 122 Anstoß 154 Anthropologie  70, 90, 124 Anti-Moderne 29 Antinomie 31 Antisystem 45 Anweisung, s. Injunktion Anwesen(heit) 30, 49, 71, 81, 85 f., 92, 95, 124, 146, 153, 155, 158 Anzeichen 157 Apriori  38, 60, 101 Aporie  9, 29 f.

Apperzeption  109, 144 Arbeit/Arbeiter  18, 26–28, 33, 52, 62, 88 Auffassung (Doxa)  17, 114 Aufklärung 17 Augenblick  29, 34, 49, 56, 93, 108, 113, 116, 121, 150, 153, 159, 161 Aura  32, 79 Auslegung  60–62, 82, 112 Autopoiesis  10, 46, 61, 65, 76–78, 90, 120 Basisoperation  61, 63, 120 Bedeutung  34, 64, 89, 93, 158, 161 – (Frege)  24, 94, 96–98 Begriff  11 f., 29, 31, 45, 47, 52 f., 64, 87, 89, 91, 94, 96, 117, 152, 154, 160 f. – differenzloser  11, 82–85, 87, 118 f., 121, 123, 148 Behauptungsatz  20, 24, 97 f. Beobachter  12, 22, 38, 46, 49 f., 52, 56, 59, 74, 76 f., 84, 91, 145, 154, 161 Beobachtung  29, 38, 40, 47, 59, 63, 66, 68, 76 f., 85, 105, 110, 113 Beobachtungssätze 150 Beschreibung  16, 21, 31, 40, 47, 64, 76, 90, 94–98, 104, 155, 157 Bewegung  13, 18 f., 29, 41, 47, 51, 71, 109–113, 116–118, 161 f. Bewußtsein, basales  48 – intentionales (funktionales)  11, 23, 25–28, 45, 48 f., 52, 60, 69 f., 74, 79 f., 85, 89, 97–107, 109, 119 f., 122, 145, 149 f., 157 f. – lebensweltliches 103 – reflektierendes  69 f., 105   |  165

– theoretisches  32, 101 – unmittelbares  69 f., 98 Bewußtseinsstrom (s. auch Erlebnisstrom)  27, 95, 107–109 Bewußtseinssystem  12, 49, 69, 88 f., 99, 105 f., 118, 155 Bezeichnen, reflektierendes  10, 56–64, 73 Bezeichnung(sfunktion)  11, 53, 56–58, 60, 72, 77, 87, 96, 99, 103 f. Bild  25–28, 87, 97, 146 f., 160 Bistabilität 120 Blick  27, 34, 100, 147, 157 Bruchstrich (barre)  96, 98, 104 Clôture 125 Condicio / Conditio  102, 122, 162 Copula  11 f., 19, 28, 68, 70, 108 f., 111 Crossing  11, 54, 58 Dasein  34, 60, 62, 82 f., 100 f., 112, 151, 154, 162 Daß  21, 96, 154 Daten  33 f., 37 f., 81 Definition, definieren  47, 151 f. Definitionsbereich 23 Deformation, kohärente  33 f. Dekonstruktion  10, 35, 69, 158 Designationswert 116 Dezentrieren  123, 125 Dialektik  13, 93, 147, 156 – negative  17, 19, 43–46 Différance  21, 71, 84, 120, 124 f., 151 Differenz, fürsichseiende  11, 118 – horizontale 18 – ontologische  9, 12, 144 – unvordenkliche 119 Ding an sich  93, 97 Dispersion, dispers  19, 33, 123 f., 144 Dissemination 12 Dogmatismus, dogmatisch  10, 17 Dritte, das  52, 71, 100, 111, 113–116, 125 166  |  Register 

Dritten, Satz des ausgeschlossenen 115 Dualität  23, 100–102 Ego (s. auch Ich)  27,52, 69 f., 82, 101, 106–109, 120 Einheit  13, 23, 41 f., 45, 51–53, 56 f., 63 f., 66, 68, 71, 74–76, 78, 83–87, 109, 115, 118, 120–122, 125, 144 f., 154 f., 160 Einklammerung  100 f., 104, 107 f. Einstellung  41, 48, 69, 75, 100, 104, 108, 156 Eleaten  114 f. Element (logisch)  s. Menge Element (strukturalistisch)  92 f., 95, 99. 105 – (systemtheoretisch)  23, 29 [f.], 43, 49, 60, 63–68, 71–73, 76 f., 81, 85, 87, 89, 91, 105, 122, 151 f., 154, 161 Elementarereignis  61, 65 Emergenz  63 f., 96, 121, 151, 161 Entfremdung  25, 101 Entgegensetzung (s. auch Gegensatz)  13, 41 f., 115, 160 Entparadoxierung 57 Entzauberung 52 Entzug 31 Epoché, epochê  88, 91, 100 f., 106 f., 108, 157, 159 Erbsünde 106 Ereignis  11, 30, 36, 49, 51, 56–64, 67 f., 72 f., 76 f., 79, 81, 84–87, 89, 92 f., 116, 119 f., 150, 153, 161 Ereignissatz 150 Ereigniszeit 81 Erfahrung  30, 79, 82, 107 f., 117, 157, 159 Erkenntnis/Gegenstand  42, 50, 83 f., 86, 119, 121 Erkenntnissystem 85 Erkenntnistheorie  38, 42, 47 f., 154 f., 161 Erlebnis  81, 88, 95, 98, 104, 107 f., 157, 159 f.

Erlebnisstrom, s. Bewußtseinsstrom Ernst  52, 98 Erscheinung  32, 79, 98, 103, 107, 115, 122, 152, 156 Erwartung  15, 34, 54, 62, 82, 113, 143, 151 Erzittern (s. auch Oszillation)  51, 106, 122 f. Es gibt (Il y a)  13, 20, 49, 76 Europa, europäisch  11 f., 14, 17, 22, 29, 33, 35, 37, 109 Ewig, Ewigkeit  19, 42, 51, 144 Existenz  12, 34, 49, 94 f., 101, 106, 116 f., 121–123, 147, 151, 158 – (logisch)  20, 76, 98, 104, 145 Existenzial  60, 82 f.. 151, 158 Faktizität  52, 98 f. Faktum  38, 62.81, 91 f., 95, 97, 154 Feld, geschichtliches  34 – strukturales 12 – transzendentales 48 Anschauungsfeld 103 Bewußtseinsfeld  49, 101, 120 Differenzfeld  9–11, 19, 54–56. 59, 103, 116, 144, 153 Ereignisfeld  63, 85, 103 – Erkenntnisfeld 103 – Erlebnisfeld  11, 102 – Erscheinungsfeld 103 – Gedächtnisfeld 103 – Gegenwartsfeld 107 – Möglichkeitsfeld  54, 59 – Sinnfeld  11, 102 – Sprachfeld  93, 103–106, 125 – Wahrnehmungsfeld 103 – Wissensfeld 103 – Zeichenfeld  92, 102 f., 105, 109 Feldbegriffe 103 Fetisch  26 f., 36, 146 Fiktionalisierung 17 Flaneur  22, 145 Fleck, blinder  39, 47, 74 Form, formal  10 f., 13, 41, 43 f., 48–52, 55, 58, 62, 68 f., 71, 75–80,

82–84, 86–89, 98, 101, 103, 105– 107, 118–120, 153, 162 Form/Grund  49 f., 56–58, 68 f. Formal/abstrakt  44, 48 Formbegriff 153 Fortschritt 32 Fremdreferenz (s. auch Selbstreferenz)  11, 48, 104, 120 Funktion  11, 18, 20–24, 28–31, 63 f., 67, 76, 79, 84, 89, 91 f., 94, 96, 108 f., 111, 116, 123 f., 149–151, 153, 156 Funktionalisierung  63, 120 Funktionalistisch  9, 43 Funktionen, verkehrte  28 Funktionsreihe  11, 84 f., 103, 119 Funktionszeichen 24 Fürsich/Fürsichsein  11 f., 34, 55, 72, 88 f., 99, 106, 118, 123, 150 Gedächtnis  58, 81 f., 103, 110, 120 f., 158, 161 Gefühl  21, 24, 80, 94, 98, 101, 105 Gegensatz (s. auch Entgegensetzung)  30, 115, 119 Gegenstand  13, 25–28, 36, 40, 42, 46 f., 49 f., 52, 56, 67 f., 69 f., 77, 80–86, 92 f., 94, 96, 98, 100 f., 103, 105, 109 f., 119, 121 f., 123, 147, 154, 157 f. Gegenstandsbereich 13 Gegenstandspol 100 Gegenständlichkeit  13, 109 Gegenwart  13–16, 30, 32, 37, 47 f., 51 f., 60, 81, 85 f., 107, 111 f., 113, 116 f., 123 f., 125 f. Gegenwärtig  40, 51 f., 110, 147, 150 Gegenwärtigen, Gegenwärtigung  61, 85 f. Gelassenheit 35 Genealogie 16 Generalthesis der na­türlichen Einstellung  100, 104, 108 Geschichte  13, 25, 32 f., 37, 88, 107, 160 Register  |  167

– verdinglichte 32 Geschichtlichkeit  38, 89, 106 Gestalt/Grund  49 f., 68 f. Glaube(nsweisen)  89, 98, 100, 108 Glauben der Welt  102 Glaubensbewußtsein 98 Gleichzeitigkeit  33, 111, 118 f., 125 Gott, göttlich  18 f., 41 f., 83, 111, 123 f., 153 f., 162 Grenze, begrenzt  15–17, 21, 24, 30, 40–42, 44, 47 f., 54, 58 f., 62, 73 f., 80, 84, 95, 114, 116, 125, 144 Grund (s. auch Form/Grund, Gestalt/Grund)  11 f., 18, 22, 49, 72 f., 78, 84–86, 103, 110, 115, 118 f., 121, 124, 143, 151, 162 – logischer 12 Grundlage  41, 44, 63 f. Herkunft  12, 15, 29 Hermeneutik/Hermetik 37 Horizont, horizontal  18, 20, 50 f., 75, 80–82, 97, 110 f., 112, 116, 119, 121, 144, 158 Humanismus 37 Humanwissenschaften  90 f. Ich (s. auch Ego)  49, 52, 69 f., 74, 89, 98, 100 f., 108, 150, 154, 157 f. Identifikation  12, 57, 84, 112, 116 Identität  10 f., 20, 22, 24, 34, 41–44, 50, 52–55, 57–59, 62 f., 68, 71–73, 105, 108, 110, 117, 119, 121, 124, 144, 153 – Satz der  59, 62 Il y a, s. Es gibt Imaginär  36, 91 f., 123, 153 Imagination 25–27 Implizit/explizit  66, 79, 82, 86–88, 103 f., 106 f., 119 Information  11, 32, 56–58, 62, 89, 143, 153, 155, 158 Informationsgesellschaft 15 Injunktion  10, 53 f., 56, 59 Innerlichkeit  105, 158 168  |  Register 

In-sich-erzittern (s. auch Oszilla­ tion)  106, 122 f. Intention  75, 80, 98 f., 104 f. Intentionalität  104, 108, 119, 122 Interpenetration  32, 88 f., 106 Invisibilisierung  10, 17, 24, 36, 41, 44, 47, 104, 111 Irreversibilität  58, 81, 89, 116, 161 -ismen 32 Isomorphie  46 f. Iteration (s. auch Wiederholung) 121 Kennzeichen  56, 157 Kommunikation  39 f., 48, 55, 60, 74, 79 f., 82, 87, 93, 99, 143, 149 Kommunikationssystem  11 f., 34, 88, 92, 99, 104–106 Kondensation  59, 61, 63, 73, 79, 117, 121 Konditionierung  58, 120, 122, 161 Konfiguration, logische  17, 20 Konfirmation  59–61, 63 f., 121 Konstruktivismus  35, 154 – operativer  9, 36, 42, 59 Kontingenz  32, 43, 47, 87 f., 149, 151 Kopplung, strukturelle  69, 148 Kraft  70, 114, 122, 149 Kreiseln 29 Krypta 29–31 Labyrinth 37 Langage/Langue/Parole  34, 53, 91 f., 95, 102, 156 Lautbild 94 Lebenswelt  27, 103, 106 Leere, Leerstelle  20, 31, 64, 73, 105, 107 f., 123, 147, 152 Leiblichkeit  69, 101 Leitdifferenz (formale/reale)  10 f., 43 f., 47 f. 50 f., 58 f., 68, 71, 83 f., 87 Lichtung 52 Logik  10–13, 17 f., 21 f., 24, 28, 42, 46, 50, 54, 64, 68, 71, 76 f., 98, 111, 113 f., 117, 152, 155

– der Copula  11, 68, 111 – der Funktion  11, 18, 111 – der Moderne  22 – supplementäre  11, 98 – zweiwertige  68, 152 Logozentrismus 156 Maschine/Trivialmaschine  18, 45, 106 f., 148 f. Massenmedien  13, 143 Medialität  12, 118, 123 Medium  26, 68, 73, 83, 86 f., 88, 101, 105 f., 114, 117–119, 122, 124, 156 – existenzielles 101 – psychisches 105 Megariker  114 f., 152 Menge  21–23, 31, 49, 64, 76, 89 – aller Mengen  31 Mensch, menschlich  12, 17 f., 26– 28, 33 f., 36, 41, 48, 54, 68, 90 f., 97, 110, 122–124, 144, 147 f., 153, 157 f. Menschenwesen  25, 146 Merkmal  40, 56, 78, 161 Metapher  37, 94, 97, 109, 123, 143, 156 Metaphysik, metaphysisch  9, 14, 18–20, 22, 24–26, 28 f., 30, 35–38, 43, 46, 90, 97, 110–112, 114, 117, 119, 151, 155 f., 160 Metasprache  24, 91, 155 Mitte, logische  18, 26, 28, 75 Mode  32, 157 Modell  47, 87, 89, 106, 149, 162 Moderne, industrielle  9–12, 14 f., 17–19, 25, 30 f., 35 f., 45, 106, 124, 126 – mediale  9, 11, 14 f., 19, 31, 33, 35, 125 f. Mögliche, das  53, 62, 79, 112, 115–117 Möglichkeit  16, 53 f., 57–59, 61 f., 75, 79–82, 96,108, 112, 114 f., 117 f., 126, 143 f., 150 f. – Bedingung der  10, 48, 58, 69, 71, 74, 85, 116, 118, 124, 149, 161

Möglichkeitsbereich 80 Möglichkeitsspielraum 16 Moi/Je  49, 69 f., 101, 122, 157 f. Natur, natürlich  18–20, 22, 26–28, 35, 41 f., 45, 55, 84, 89, 100, 104, 106, 108, 118, 144, 147, 154 f., 157 Negation  45, 54, 83, 115, 150, 161 Negativ, Negativität  10, 13, 17, 44– 46, 50- 53, 55, 118, 124, 150, 156 Nichts, Nichtsein  51 f., 68, 114, 117, 147, 150, 152 f. Nichtsinn  106, 123 Noetisch/noematisch  98, 100, 122, 157 Normal science  36 Normalfall 158 Normalismus  33, 35, 147 Normalität  32 f. Normalverteilung 32 Nostalgie  37, 124 Objekt  19, 28 f., 42 f., 72, 90, 98, 100 f., 108, 110, 120, 144 f., 156, 158, 162 Objektivieren 66 Offenbarung  42, 116 Offene, das  16, 39, 47, 153 Ontotheologie, Onto-Theo-Logik 12, 20 f., 17, 42, 109, 124 Operation (s. auch Basisoperation)  10 f., 19, 22, 31, 43 f., 46 f., 48–50, 53 f., 56–61, 64–68, 72 f., 76–79, 83–90, 99, 103 f., 113, 119– 122, 148, 153 – reflektierende 40 Operational, Operationalisieren  10, 24, 31, 45, 57, 89, 123, 145 Ordnung, symbolische  34 Ort (s. auch Un-Ort)  39, 41, 47, 52, 84, 93, 158 – des Begriffs  161 – des Bezeichnens  74 – der Differenz  73 Register  |  169

– der Moderne  12 – geschichtlicher  16, 39, 41, 47 – logischer  21, 68 – offener 113 – überweltlicher 144 Oszillation (s. auch In-sich-erzittern)  12, 29, 32, 101, 106, 110, 113, 117, 120–123 Paradigma, paradigmatisch  19, 22, 32, 35, 43, 65, 89, 110, 144, 146 Paradigmenwechsel  32, 65 Paradoxie  9 f., 13, 30, 36, 41, 45–47, 51, 54, 57, 76 f., 83 f., 90, 104, 107, 111, 113, 120–122, 125, 155, 161 Paradoxiereflexion 42 Penetration  88 f. Phänomen  14, 23 f., 69, 75, 93 f., 95, 98, 100, 105, 108–110, 112, 120, 122 f., 150, 155, 157 Positivität  35, 51–53, 55 Postmoderne  9, 14–17, 33, 35, 123, 143 f. Poststrukturalistisch  9 f., 12, 35 Postulat, postulieren  10, 44, 46, 55, 58 f., 69, 71, 74, 84 f., 101, 103, 116, 118, 147 Praxis  9, 33, 101, 126, 150 Problem  10–13, 25, 30, 36, 38, 40, 43, 46, 61 f., 88, 101. 115, 120, 147, 151, 158 f., 160 Produktion  15, 17–20, 27- 29, 32–35, 71 f., 74, 123, 147 Produktionsdenken 17 Produktionsform  19, 25, 125 Produktionslogik 17 Produktionsverhältnis  19, 26 Produktivität  18 f., 29 f., 81, 121 Protention/Retention  32, 56 f., 119 Prozeß  29, 43 f., 48–50, 68, 73, 77, 82, 87, 89, 121, 153 Psyche  48, 69, 106, 161 Psychoanalyse 146 Rätsel  32, 66, 123 170  |  Register 

Rand  36, 123 Ratio naturalis  45 Raum, räumlich  33, 49, 55, 100, 107, 123, 153, 158, 160 – logischer  21, 161 Realität  11, 15, 30, 49, 63, 70, 82–88, 98, 102 f., 118–123, 126, 154, 156, 161 – virtuelle 125 Reduktion  11, 49, 87, 101, 106, 108, 152, 157 Re-entry  10, 44, 68, 71, 77, 84 Referent  23 f., 64, 76, 93 f., 96–98, 104, 154, 156 Reflexion  6, 11, 40–42, 44, 46–48, 51, 53, 57 f., 62, 74, 76, 78 f., 82, 85, 87, 98, 100, 102, 104 f., 107, 111, 113, 115–118, 121, 125, 151 f. Reflexionsstufe  50, 119 Reflexionswert 116 Reflexivität  11, 13, 30, 74, 76–79, 82, 85, 87, 103, 117, 119, 121 Reihe (s. auch Zeichenreihe)  11, 14, 84–86, 91, 95, 103, 109, 111, 119, 122, 159 f. Rejektionswert 68 Rekursivität, rekursiv  49, 77 f., 124, 154 Relation, Relationierung  23, 63,76, 89, 93, 97, 109, 150, 161 Repräsentation  33, 93 f., 98, 102 Reproduktion  24, 26, 34 f., 61, 65, 76, 78, 110 Revolution  29, 148 – industrielle  18, 33 Riß/Aufriß  21, 153 Sach-, Zeit- und Sozialdimension 11, 79–82, 117 Satz (proposition)  19–21, 24, 41, 64 f., 94, 97 f., 104, 108, 115, 145, 149 f. Satzfunktion  64 f. Satzzeichen 24 Sätze, philosophische  19

Schein  17, 28, 79, 84, 108 f., 123, 145, 152 Schluß  12, 18, 20, 26, 28 Schrift  21, 24, 93, 153 Schweigen 21 Sediment  12, 30, 32, 99, 159 Seele  51, 111, 118, 154, 157, 161 – der Welt  51 Sein  9, 17, 20–22, 28, 35, 61, 70, 84 f., 95 f., 98, 100, 107 f., 110, 114, 118, 122, 145, 150–154, 156, 158 f. Sein/Nichtsein  68, 152 Selbstbeobachtung 45 Selbstbewußtsein  33, 109 Selbstreferenz, basale  11, 72, 74, 76– 79, 82, 85, 87, 103, 117, 120–123 Selektion  32, 56–59, 61 f., 75–77, 80 f., 88, 154 Semiologie / Semiotik  72, 86, 90 f., 156 Serie  34, 121 Setzen  34, 42, 50 f., 54, 56 f., 59, 62, 73, 79 f., 100, 108, 115 f., 150 f., 158 Sheffer-Strich 144 Signifikat/Signifikant  19, 23 f., 32, 70 f., 91, 93–97, 99, 102, 104, 113 f., 124 f., 146, 160 Signifikat, transzendentales  19 Simulakrum  25–28, 31 f., 44, 70, 120 Sinn  11, 20, 34, 60–62, 71, 74 f., 79–89, 96–99, 103 f., 106, 116–119, 122 f., 148 f., 154–156, 162 – (Frege)  24, 64, 94, 97 f. – innerer  55, 109, 159 Sinndimension  79 f. Sinneinheit 50 Sinnlosigkeit  86, 113, 122 f., 145, 154, 161 Sinnmedium 101 Sinnträger 106 Sinngeneralisierung 50 Sinngrenzen 74 Sinnsystem  11 f., 66, 74 f., 79–81, 85, 87 f., 105, 118, 161 Soi 70

So-Sein  95 f., 156 Sowohl ›Weder-Noch‹ als auch ­›Sowohl-Als auch‹ 111, 113 Specula/Speculum  13, 21, 117 Spiegel, spiegeln  13, 21, 26 f., 32, 78 Spiel  12, 15, 33, 39, 71, 117, 120, 123–126, 153, 162 Sprache  19 f.. 24, 34, 39, 53, 70, 90–95, 97, 102 f., 106, 114, 122, 144, 152, 155, 158 f. Sprachspiel  39, 46 Sprachsystem  53, 91- 93, 95, 102, 104, 155 Sprachwesen 153 Sprechakt 92 Sprung  77 f., 121 Spur  11, 32, 49, 57 f., 60 f., 64, 67 f., 72 f., 76, 79, 81, 84–87, 89, 92, 116, 120, 125, 158 Stabilisierung  58–61, 64, 66–68, 72 f., 76, 79, 93, 117, 153 Stimulation  56 f., 59, 67, 150 Struktur  9 f., 12, 14, 19, 22, 25, 39, 49, 58, 60, 62, 65, 67–71, 77, 81 f., 84, 87, 89–92, 99, 101–103, 119, 121, 124, 143, 151, 155, 157 f. Strukturbedingung 62 Strukturformeln 90 Strukturidentität  11, 105 Strukturalistische Tätigkeit  12, 90 Subjekt, Subjekt/Objekt  19 f., 22 f., 28 f., 33 f., 42 f., 75, 90, 98, 101, 109 f., 120, 123, 158 f., 162 Subjektreferenz 39 Sündenfall  75, 148, 153 Supertheorie  9, 35, 38, 44, 47, 56, 64 f., 68 Supplement, supplementär  11, 18, 31 f., 44, 68–72, 84, 98, 121, 123 f., 126, 153, 156 Supplementieren  21, 24, 31, 47, 59, 63, 70 f., 86, 99. 104, 116 Symbol  43, 68, 81 f., 96, 143 f., 161 Synopsis 13 Register  |  171

Synthese, synthetisch  25, 38, 87, 107, 109, 152, 160 System  9–12, 23, 29, 31, 35 f., 40, 43–47, 49–53, 55, 57–61, 63, 65–68, 71–78, 80–82, 84 f., 87–89, 91 f., 94 f., 99, 102, 105 f., 118, 120–122, 147–149, 151, 153, 160 f. – erkennendes – Grenze des –s  40 – psychisches/psychophysisches 12, 39, 69, 80, 83, 85, 88 f., 105 f., 118, 122, 149, 155 System/Umwelt  11, 43 f., 48–50, 63–66, 68, 71, 73–76, 78, 82–86, 92, 99, 119, 154 Tautologie  160 f. Technik/Technologie  34 f., 39, 84, 102, 125, 147, 155, 159 Term  34, 52 f., 70, 92, 124, 155 Terminus a quo/ad quem  32, 34 Terminus medius  12 Tertium non datur  40 Theologie  42, 146, 153 Tier  102, 110, 144, 155, 158 Topographie  30, 39 Träger  12, 34, 94–96, 102, 106, 124 - der Welt  124, 162 Transformation  9, 11 f., 20, 29, 31, 33 f., 57, 67, 81, 94, 143, 148, 153 Transzendentalien  118, 161 Transzendenz, Transzendieren  13, 25, 27, 46, 49, 69, 83, 89, 97, 101, 104, 106, 110, 116, 118, 123, 157 f. Trennungsstrich, s. Bruchstrich Typentheorie, - hierarchie  50, 77, 79, 145 Überraschungswert 143 Überschuß des Signifikanten  70 Überschußproduktion  58 f. Umkehrformel 35 Umkehrung  24, 28 f., 32, 52 Umwelt, s. System/Umwelt – geschichtliche  29, 44 172  |  Register 

Unbezeichenbare, das  74 Und(heit)  71 f., 114, 152, 154 Undenkbare, das  116 Undsoweiter  23, 32, 75, 125 Unendlichkeit  51, 75, 145 Unmarked space  58, 153 Unmittelbarkeit  99, 124 f. Unmöglichkeit, unmöglich  30, 113, 115, 124, 159 Un-Ort  30, 74 Unsinn  21, 71, 86, 113 f., 122, 161 Unterscheiden, Unterscheiden-und-Bezeichnen  10, 54–56, 58 f., 61, 76, 153 f. Urbild  24, 122 Urdoxa  24, 98–100, 122 Urparadoxie 121 Ursprung, Ursprünglichkeit  101, 124 f., 158 Urteilsstrich 159 Verdinglichung  24–26, 28 f., 32, 69 Verfallswert 32 Vergegenwärtigung  145, 151 Verletzung der Welt  10, 21, 76, 87, 153 Vernetzung 33 Vernunft  12 f., 17, 42, 71, 107, 109, 143 f. Versuchung  24, 145 Vertikale  18–20, 95, 123 Voraussetzung  11, 13, 34, 48 f., 53 f., 56, 58 f., 63 f., 76, 83, 90, 100 f., 110, 112, 120–122, 147, 151 f., 154, 161 f. Vorstellen, Vorstellung  50, 53, 57, 59, 70, 75, 77, 94 f., 98, 107, 109 f., 113, 117, 145, 147, 154, 158–160, 162 Wahre, das  44 f., 119, 152 Wahre/Falsche, das  24, 64, 97 Wahrheit  10, 16, 19, 21, 28 f., 41 f., 48, 51, 70, 94, 97 f., 125, 146, 155 Wahrheitswert 64

Wahrnehmung  25, 48 f., 103, 110, 146, 158 Ware  25–27, 146 Wechsel  32, 51, 81, 114 f. Welt  11, 14–17, 20 f., 25–28, 34, 42, 47, 49, 51 f., 54, 74–76, 78, 82–86, 88, 99 f., 102 f., 106, 108, 110, 118 f., 123, 125, 143 f., 146–148, 151, 153 f., 157, 159, 162 – Fürsichsein der  106 – Gefühl der  24 – psychologisierte 26 – Schriftcharakter der  24 – Struktur der  99, 103 – verwaltete 17 Weltbegriff  14, 75, 153 Weltbezug 75 Weltform  82, 103 Weltgrenzen  16, 47 Weltknoten 52 Weltlogik 71 Welträtsel 32 Weltzentrum 76 Wert  27 f., 34, 53, 61, 64, 71, 92, 95, 108, 116 Wertebereich 23 Wesen  18, 21, 28, 31, 41 f., 45, 51 f., 90, 100, 107, 112, 122, 146, 148, 151, 155 f. Wesensbestimmung  112, 161 Widersinn  86, 122 Widerspruch  12, 36, 41, 50, 107, 113, 115–117, 123, 149, 161 Widerstand  16, 85, 121 Wiederholung, Wiederholbarkeit (s. auch Iteration)  44, 52, 58–62,

65 f., 71, 74, 78–80, 89, 91 f., 117 – wiederholte, 74 Wie-Frage 95 Wirklichkeit  26, 42, 46, 92 f., 100, 112, 114 f., 117, 125 f., 155, 160 f. Wissenschaft, normale (s. auch normal science)  39–41, 46 Wort  24, 52, 84, 92 f., 97, 125, 152 f., 155, 158 Zahl, zählen  78, 84, 92, 109, 111 f., 160 Zeichen  11, 23 f., 59, 75, 90, 92–94, 96–99, 102–105, 113, 125, 156–158 – des Zeichens  92, 105, 158 Zeichenbegriff  11, 94, 102, 158 Zeichenprozeß 73 Zeichenreihe  12, 55, 143 Zeichensystem  88, 97, 102 Zeit  11 f., 14, 16, 19, 29, 49–52, 55, 58, 77, 79–81, 89 f., 95, 106–113, 115–121, 125 f., 154, 159 f. Zeitpfeil  19, 29 Zeitbegriff, vulgärer  109, 111 f., 160 Zeitdimension  81 f. Zeitinbegriff 109 Zeitbewußtsein  107, 119 Zeitform  95, 108 Zeitigen  55, 59, 108, 112, 123 Zeitlichkeit  107, 112, 117–119 Zentrum, zentrieren  11, 65, 69 f., 75 f., 83 f., 91, 100 f., 106, 123, 125 Zukunft  35, 51, 62, 81 f., 85, 110– 113, 115, 125

Register  |  173