Logik der Tropen: Tiefensprachliche Redemodi im Denkweg Martin Heideggers 9783495817728, 9783495487723


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Table of contents :
Danksagung
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Teil I: Heidegger und die Rhetorik
1. Philosophie und Rhetorik
1.1. Die Verleumdung der Rhetorik durch die Philosophie
1.2. Der Auszug der Rhetorik aus der Philosophie
1.3. Die Wiederkehr der Rhetorik in die Philosophie
2. Kritik an der sprachbezogenen Heideggerforschung
2.1. Der Verdacht des ideologischen Sprachgebrauchs
2.2. Der Verdacht der Sprachhypostasierung
2.3. Der Verdacht des Begriffsrealismus
2.4. Der Verdacht des Bedeutungsholismus
2.5. Verdacht der Entgegenständlichung der Sprache
3. Heideggers Auffassung von λόγος als Rede
3.1. Heideggers partielle Aufnahme der aristotelischen Rhetorik
3.2. Heideggers partielle Abgrenzung gegenüber der aristotelischen Rhetorik
4. Zusammenfassung: Die Dialektik von Logik und Rhetorik
Teil II: Logik, Tropik und Rhetorik
5. Tropen als philosophisches Methodenproblem
5.1. Die Tropen der Rhetorik
5.2. Tropen und rhetorische Figuren
5.3. Nicht-Tropen
5.4. Primärtropen und Sekundärtropen
6. Tropentheorien
6.1. Oberflächensprachliche Tropentheorien
a) Sprungtropen
a)a) Die Metapher
a)b) Die Ironie
Metapher und Ironie
b) Grenzverschiebungstropen
b)a) Die Metonymie
b)b) Die Synekdoche
Metonymie und Synekdoche
c) Similaritätstropen
d) Kontiguitätstropen
6.1.1 Kritik an der Substitutionstheorie der Tropen
Pseudoreferenz, Fiktionalität und Quasikommunikation von Tropen
6.2. Tiefensprachliche Tropentheorien
6.2.1. Giambattista Vicos ›poetische Logik‹
6.2.2. Hayden Whites ›narrative Logik‹
a) Metapher
b) Metonymie
c) Synekdoche
d) Ironie
7. Zusammenfassung: Die Primärtropen als metaphilosophische Denkmodelle
Teil III: Die Logik der Tropik
8. Heideggers frühes Denken im Redemodus der Metapher
8.1. Methodenprobleme
8.2. Phänomenologie
8.3. Wissenschaftsideologie
8.4. Ontologie und Metaphysik
8.5. Metaphysikkritik
9. Heideggers existenziales Denken im Modus der Metonymie
9.1. Kategorien und Existenzialien
Die Existenzialien ›In-Sein‹ und ›Sein-bei‹
Die Existenzialie des ›Mitseins mit Anderen‹
Die Existenzialie des ›Man‹
9.2. Uneigentliche Weisen der Existenz
Der Modus der ›Befindlichkeit‹
Die Befindlichkeit der Furcht
Die existenzialen Modi des ›Verstehens‹ und der ›Rede‹
Die existenzialen Modi der ›Auslegung‹ und ›Aussage‹
Die existenzialen Modi der ›Rede‹ und der ›Sprache‹
9.3. Eigentliche Weisen der Existenz
Die Sorgestruktur
›Wahrheit‹ und ›Realität‹
9.4. Uneigentliche Weisen der Zeitlichkeit
Zeitlichkeit des ›Da‹ des Daseins
Zeitlichkeit des Raumes
Innerzeitigkeit
Geschichtlichkeit
Die Historie als Wissenschaft
9.5. Eigentliche Weisen der Zeitlichkeit
Sein zum Tod
›Erschlossenheit‹ und ›Entschlossenheit‹
10. Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche
10.1. Seinsvergessenheit
Wahrheit
Zeit und Sein
10.2. Seinsverlassenheit
Das Nichts und die Angst
Transzendenz, Grund und Ganzheit
Wahrheit und Freiheit
10.3. Metaphysik und Nihilismus
Seinsvergessenheit und Seinsgeschichte
Metaphysik als ›(Onto)Logik‹
Nihilismus
Seinsgeschenk
10.4. Nihilismus und Humanität
Bewirken und Vollbringen
Möglichkeit statt Wirklichkeit
Seinsgeschick
Heimatlosigkeit und Nähe
Humanismus und Nihilismus
10.5. Technik und Kunst
Gefahr und Gestell
Technik und Kunst
11. Heideggers Seins-Denken im Redemodus der Ironie
11.1. Sprache und Denken
Wissenschaftliches Denken
Gelassenheit
Vergegnis, Bedingnis, Erfahrnis
Bauen, Wohnen, Denken
11.2. Seinsdenken und Sprechen
Das Wesen der Sprache
Oralität, Akroamatik und Seinsnähe
Unterwegs zum Sprechen
Das Ereignis und die Ergebnis
11.3. Dichten und Denken
Gott und Götter
Dichter und Denker
Heimkehr zum Eigenen
Das Heilige
Gedichtetes und Gedachtes
12. Zusammenfassung: Logik der Tropen bei Heidegger
Literaturverzeichnis
A) Siglenverzeichnis
B) Verwendete Literatur
Martin-Heidegger-Gesamtausgabe:
I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910–1976
II. Abteilung: Vorlesungen 1919–1944
Marburger Vorlesungen 1923–1928
Freiburger Vorlesungen 1928–1944
III. Abteilung: Unveröffentlichte Abhandlungen. Vorträge – Gedachtes
IV. Abteilung: Hinweise und Aufzeichnungen
Jahresgaben
C) Weitere Literatur
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Logik der Tropen: Tiefensprachliche Redemodi im Denkweg Martin Heideggers
 9783495817728, 9783495487723

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Bettina Kremberg

Logik der Tropen Tiefensprachliche Redemodi im Denkweg Martin Heideggers

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ALBER THESEN

https://doi.org/10.5771/9783495817728

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Bettina Kremberg Logik der Tropen

ALBER THESEN

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https://doi.org/10.5771/9783495817728 .

Heideggers phänomenologischer Denkweg ist vor allem dadurch ausgezeichnet, dass er nach einem Ausweg und Neubeginn des Denkens auf ganzer Linie sucht. Er richtet sich gegen die Ideologie des Exakten und ein einseitiges Vorverständnis von begrifflichem Denken in der traditionellen Philosophie. Dabei versucht Heidegger, alle Register rhetorischer Darstellungsformen einzubeziehen. Die Autorin zeigt, wie die Primärtropen der Sprache ihre tiefensprachliche und präfigurierende Wirkung als logische Modi des Weltverstehens entfalten. Das ist nicht zu überschätzen, weil Tropen Grundtypen alternativer Welt- und Selbstverhältnisse artikulieren. Ihre Nichtbeachtung ist nämlich mit einem Verlust für die Philosophie verbunden. Die tropologische Neuinterpretation von Heideggers Denken überwindet zugleich den Spagat zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie.

Die Autorin: Bettina Kremberg studierte Kulturwissenschaften, Philosophie, Kunstgeschichte und Geschichte an den Universitäten in Leipzig und Berlin. Sie lehrt seit 2000 Philosophie in Leipzig und war mehrere Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin am Pädagogischen Institut in Chemnitz, Fach Philosophie. 2003–2008 war sie Promotionsstipendiatin der Hans Böckler Stiftung. Seit 2012 arbeitet sie beim Mitteldeutschen Rundfunk MDR. Seit 2011 moderiert sie die »Gespräche über Wissenschaft« im Rahmen des Thomasius Club Leipzig.

https://doi.org/10.5771/9783495817728 .

Bettina Kremberg

Logik der Tropen Tiefensprachliche Redemodi im Denkweg Martin Heideggers

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495817728 .

Alber-Reihe Thesen Band 63

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Hans Böckler Stiftung.

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg/München 2016 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48772-3 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81772-8

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Danksagung

Hiermit möchte ich allen herzlich danken, die mir auf dem langen Weg der Recherche, Diskussion der Thematik und dem Überwinden von Stolpersteinen während der Zeit des Verfassens der Arbeit behilflich waren! Der Hans Böckler Stiftung möchte ich darüber hinaus danken, dass sie mir ein Promotionsstipendium gewährte.

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https://doi.org/10.5771/9783495817728 .

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Teil I: Heidegger und die Rhetorik 1.

Philosophie und Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1. Die Verleumdung der Rhetorik durch die Philosophie . . 1.2. Der Auszug der Rhetorik aus der Philosophie . . . . . . 1.3. Die Wiederkehr der Rhetorik in die Philosophie . . . . .

32 34 39 45

2.

Kritik an der sprachbezogenen Heideggerforschung . .

2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.

Der Verdacht des ideologischen Sprachgebrauchs . Der Verdacht der Sprachhypostasierung . . . . . . Der Verdacht des Begriffsrealismus . . . . . . . . . Der Verdacht des Bedeutungsholismus . . . . . . . Der Verdacht der Entgegenständlichung der Sprache

. . . . .

52 52 57 61 62 64

3.

Heideggers Auffassung von λόγος als Rede . . . . . . .

77

. . . . .

. . . . .

3.1. Heideggers partielle Aufnahme der aristotelischen Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Heideggers partielle Abgrenzung gegenüber der aristotelischen Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.

Zusammenfassung: Die Dialektik von Logik und Rhetorik

. . . . . . . . .

Logik der Tropen

78 87

96 A

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Inhalt

Teil II: Logik, Tropik und Rhetorik 5.

Tropen als philosophisches Methodenproblem . . . . . 107

5.1. 5.2. 5.3. 5.4.

Die Tropen der Rhetorik . . . . . Tropen und rhetorische Figuren . Nicht-Tropen . . . . . . . . . . . Primärtropen und Sekundärtropen

6.

Tropentheorien

7.

Zusammenfassung: Die Primärtropen als metaphilosophische Denkmodelle . . . . . . . . . . . 208

. . . .

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113 116 118 119

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Oberflächensprachliche Tropentheorien . . . . . . 6.1.1. Kritik an der Substitutionstheorie der Tropen 6.2. Tiefensprachliche Tropentheorien . . . . . . . . . 6.2.1. Giambattista Vicos ›poetische Logik‹ . . . . . 6.2.2. Hayden Whites ›narrative Logik‹ . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

121 122 145 161 167 173

Teil III: Die Logik der Tropen 8.

Heideggers frühes Denken im Redemodus der Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

8.1. 8.2. 8.3. 8.4. 8.5.

Methodenprobleme . . . . Phänomenologie . . . . . Wissenschaftsideologie . . Ontologie und Metaphysik Metaphysikkritik . . . . .

9.

Heideggers existenziales Denken im Redemodus der Metonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

. . . . .

. . . . .

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9.1. Kategorien und Existenzialien . . . . . . . . . . . . . . 9.2. Uneigentliche Weisen der Existenz . . . . . . . . . . . . 9.3. Eigentliche Weisen der Existenz . . . . . . . . . . . . .

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ALBER THESEN

244 260 274 287 299

310 327 346

Bettina Kremberg https://doi.org/10.5771/9783495817728 .

Inhalt

9.4. Uneigentliche Weisen der Zeitlichkeit . . . . . . . . . . 9.5. Eigentliche Weisen der Zeitlichkeit . . . . . . . . . . . .

367 406

10. Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 10.1. 10.2. 10.3. 10.4. 10.5.

Seinsvergessenheit . . . . Seinsverlorenheit . . . . . Metaphysik und Nihilismus Nihilismus und Humanität Technik und Kunst . . . .

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432 442 475 504 537

11. Heideggers Seins-Denken im Redemodus der Ironie . . 565 11.1. Sprache und Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2. Seinsdenken und Sprechen . . . . . . . . . . . . . . . 11.3. Dichten und Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . .

570 590 611

12. Zusammenfassung: Logik der Tropen bei Heidegger . . 648 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659

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Vorwort von Pirmin Stekeler-Weithofer

Wer immer sich für die Philosophie Martin Heideggers in ihrer Gesamtheit interessiert – und nur so bleibt diese weit über das Interesse des politischen Feuilleton für die NS-Verstrickungen eines deutschen Professors hinaus bedeutsam –, wird um die Frage nicht herumkommen, worin denn die ›Kehre‹ besteht, welche vom Hauptwerk Sein und Zeit zum ›späten Heidegger‹ führt. Dass dessen Texte für Normalleser unverdaulich sind, ist nicht sehr verwunderlich. Es ist schon schwer zu verstehen, warum es so bedeutsam ist, »Sein« als Zeitwort zu lesen. Wir finden hier nun eine Antwort, welche Hayden Whites ›tiefensprachliche‹ Differenzierung zwischen verschiedenen ›Tropen‹ als figurativen Redemodi und, allgemeiner, verschiedenen ›Plots‹ gleich in mehreren Stufen auf Heideggers Werk anwendet. Dabei sind mit Vico vornehmlich die vier Fundamentalfiguren der Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie zu betrachten und die – wenn auch etwas dezisionistisch – diesen zugeordneten Archetypen der Plot-Strukturen Romanze, Komödie, Tragödie und Satire. Denn die narrative Strukturierung der Darstellung von Heideggers philosophischer Entwicklung ist selbst in gewissem Sinn insgesamt romantisch, d. h. eine große Metapher. Sie ordnet der Frühphase die Darstellungsformen der Metapher, den Plot der Romanze mit ihrer ›Taktik‹ der anarchischen Auflehnung gegen ein herrschendes (philosophisches) Weltbild zu. Es folgt die Phase der Metonymie, der Komödie, in welcher, wie Hegel so schön schreibt, der Schauspieler als individuelle Person die Maske auch mal ablegt und sie – und damit sich selbst – selbstbewusst und partiell schon ironisch kommentiert. Dabei ist die Komödie seit der Antike latent konservativ – gerade weil sie nur auf gegebene Grundstrukturen reflektiert, so wie Heidegger in Sein und Zeit auf die existenzialen Präsuppositionen des Daseins, auf die Sorge und das In-der-Welt-sein, auf das Mitsein oder das Sein-zum-Tode als

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Vorwort

dem bewussten Vorlaufen in eine für jeden von uns höchst endliche Zukunft des Daseins. Als dritte Phase wird die Tragödie der Kehre erkannt, als Radikalisierung der Abkehr von einer Liste bloß kategorienartig, metonymisch skizzierten Existenzialien einerseits, einer relativen Anerkennung des Programms der tätig-willentlichen Selbstfindung und Selbstbestimmung andererseits – auf der Ebene des Einzelindividuums ebenso wie der eines Volkes wie dem der Deutschen. Die Auseinandersetzung mit Nietzsche steht dabei für den Abschied von der Illusion eines Triumphs des Willens und ein »incipit tragoedia«, nämlich gerade auch die des deutschen Volkes, nicht bloß aufgrund seines biologischen Rassismus, sondern noch weit mehr wegen der Verwandlung des ganzen Volkes in »Angestellte des Gestells« (Norbert Bolz). Dieses ist am Ende die gesamte Staatsmaschinerie, die sich nur in ideologischen Illusionen von dem staatsmonopolistischen Industrialismus Stalins und einer monokapitalistischen Gesellschaft des Westens unterscheidet. Dabei ist die leitende Figur dieser tragischen Zeit die Synekdoche, der Hinweis auf das Allgemeine und Ganze über prototypische Redeformen – so wie schon in Sein und Zeit die Sorge für das Gesamt unserer Bezugnahmen auf unsere Zukunft steht – und für den Vollzug dieser Art von Selbstbeziehung und Selbstbestimmung. Die vierte und letzte Phase ist durch den notwendig dialogischen Sprech- und Hörmodus der Ironie bestimmt und führt zu einer am Ende vielleicht überraschenden, aber doch vielleicht zutiefst erhellenden Lektüre der späten Texte Heideggers zum Geviert von Erde und Mensch, Himmel und Götter, nämlich in gewissem Sinn als Satire, deren ›Gesamttaktik‹ die eines Liberalismus, einer großen Gelassenheit, ist. Man mag dieser Konstruktion vorwerfen, sie sei leicht erkünstelt, konstruiert, und folge der selbst schon allzu beliebigen Zusammenstellung und Schematisierung Hayden Whites allzu unkritisch. Doch der Vorwurf ist mehrfach ungerecht, zumal hier in der Tat in mehrfacher Weise Neuland betreten wurde: Erstens wird die Bedeutung figurativer Redeformen für eine ernstzunehmende analytische Sprachphilosophie auf absolut überzeugende Weise vorgeführt, und das sogar so, dass der spekulative Überschuss in der Darstellungsform Hayden Whites wenigstens in Umrissen verständlich und plausibel wird. Zweitens werden diese Einsichten auf die Entwicklung der Sprachform in der Darstellung Heideggers angewandt und zugleich 12

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Vorwort

auf seine Einsichten in die Formen der Sprache und das Verhältnis einer Sprachentwicklung durch Dichter und einer Sprachkommentierung durch zunächst vorphilosophische, dann metaphysische und danach metaphysikkritische und postphilosophische Denker. Wir sehen eine Vierteilung der Sprachen der Philosophie in die metaphorische Sprache der Vorsokratik, die metonymische Sprache bei Platon, Aristoteles und in der klassischen Metaphysik, gefolgt von der Sprache der Synekdoche in der Metaphysikkritik Kants, Hegels und dem mittleren Heidegger und schließlich von der postphilosophischen Ironie des späten Heideggers oder dann auch des ihn eher unbewusst kopierenden Rorty. Damit erkennen wir noch einmal die zumindest mnemotechnisch ausgesprochen hilfreiche Leistung der hier vorgeschlagenen Ordnung. Um diese Ordnungsleistung sachlich etwas tiefer zu verstehen, ist zu beachten, dass die Analogie sozusagen die Mitte zwischen Metapher und Metonymie darstellt. Das sieht man am besten in der metaphorischen Darstellung des Psychischen durch ›göttliche‹ Eingebungen wie bei Homer – wie sie bei Euripides und Platon in bewusste Analogien verwandelt werden: Bei Euripides klingt alles Göttliche so, als wirke es als deus ex machina, was aber nur heißt, dass das Allegorische und das Metaphorische der Darstellungsform dem Autor klar bewusst ist. Platon analysiert die Verfassung der Stadt schon leicht ironisch-distanziert, mit der Verfassung der Seele, sodass wir gewisse Strukturanalogien erkennen können. Die metaphorische Darstellung führt so zu einer analogischstrukturellen, relationalen (Pseudo-)Erklärung in Modellen der folgenden Form: Die Seele wird zu einer Bewegkraft, Lebenskraft. Der Götterspruch wird zum Willen. Der Wille, der bei Nietzsche noch Wille zur Macht war, wird bei Heidegger zu Sorge und Selbstsorge. Es werden sozusagen Teilmomente eines Ganzen der Prozesse des Werdens und Seins füreinander ersetzt. Das Ding, auch der Leib, wird zur Ursache, der Grund wird zum Motiv etc., so wie im Empirismus und einer ihm verwandten Phänomenologie das Wollen zu Begehren, dem bloß animalischen appetitus wird. Noch in Kants transzendentaler Kategorienanalyse und Heideggers Existenzialhermeneutik werden allgemeine Formen so strukturell pars pro toto dargestellt, sozusagen in der Form einer ›syntaktischen Metonymie‹, analog zu H. J. Schneiders syntaktischen Metaphern, mit all den Gefahren dieser Darstellungsform. Während einfache Prädikationen oder ist-Sätze besagen, dass ein Gegenstand in einen Bereich gehört und dort EleLogik der Tropen

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Vorwort

ment einer bestimmten Teilklasse ist, sind Sätze der Form: »Der Raum ist die äußere Form der Anschauung« auf ganz andere Weise zu lesen, nicht als ›Identitäten‹, sondern als kommentierte Relation zwischen räumlichen Ordnungen und Gegenständen der Anschauung im gemeinsamen Dasein der Dinge und ihrer Betrachter. Analoges gilt für Sätze wie: »das Mitsein ist ein existenziales Konstituens des In-der-Welt-seins«, »das Man hat selbst eigene Weisen zu sein« oder auch »das Selbst … ist das Man-Selbst«. Der letzte Satz besagt, dass die meisten Selbstaussagen im scheinbar unmittelbaren und oft allzu betonten Selbstbezug der Formen »ich bin X« oder »ich tue Y« kaum mehr sagen als »man ist X – und ich auch« oder »man tut Y – and so do I«. Da die ›alltägliche Seinsart‹ sich ›zunächst verfehlt und verdeckt‹, wie Heidegger sagt, stehen die Sätze also für das Phänomen, dass uns im schematisierten (Selbst-)Verstehen selten klar ist, welche impliziten Schemata wir dabei gebrauchen. Soweit Heideggers Analysen in Sein und Zeit selbst bloß erst als metonymische Strukturaussagen oder Modellierungen auftreten, lassen sie noch offen und bleibt unklar, wie sie zu lesen sind, gerade so, wie dies bei Metaphern und Analogien grundsätzlich der Fall ist: Die Projektionsformen muss man schon implizit beherrschen. Oder sie sind zu erraten. Dabei ist es eine tiefe Einsicht, dass die Explikation der appellativen Sprache existenzialer Metonymik in Sein und Zeit den Hinweis auf eben diese Form der Erinnerung an Bekanntes nötig macht. Hinzu kommen die Verweise vom Prototyp auf das Allgemeine, die Einbettung des Teils in sein Ganzes, kurz, das Wissen um den holistischen Rahmen der Überlegungen, wie es nur in der Sprachfigur der Synekdoche paradigmatisch aufgezeigt werden kann. Die Figuren der Synekdoche und Ironie sind sozusagen selbstbewusst dialogisch, während die Figuren der Metapher und Metonymie noch themenzentriert und damit vollzugsvergessen sind. Die Themen oder Gegenstände treten dort noch sprecher- und hörerinvariant auf. Das aber sind sie nicht und niemals, wie niemand besser weiß als die Ironikerin. Die Kehre in Heideggers Denkstil besteht also in gewissem Sinn in einer Rückkehr zum Gespräch mit der philosophischen Tradition z. B. mit Kant, Nietzsche, den Vorsokratikern oder Aristoteles, aber auch mit seinen Lesern und mit sich selbst, im dauernden SelbstKommentar zu seiner eigenen Existenzialanalyse von Sein und Zeit. Es mag dem einfachen Leser unglaublich erscheinen, dass diese Entwicklung mehr und mehr zu ironischer Distanz und Selbst-Distanz 14

ALBER THESEN

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Vorwort

führt. Denn der Leser meint, beim späten Heidegger mehr und mehr einen nietzscheanischen Propheten- und Predigerton zu hören oder zu erkennen. Allerdings könnte schon Heideggers Satz: »Nur ein Gott kann uns retten« oder die Sätze über das Schweigen, das Hören, die Gelassenheit des Lassens des Seins gegen die ewige Sucht nach Macht aufhorchen lassen. Überhaupt sind die ›Ergebnisse‹ des späten Heideggers viel weniger ›thetisch‹ oder auch metonymisch als die des früheren und mittleren. Sie zeigen bei rechter Lektüre nur allzu Selbstverständliches auf. Das aber geschieht in einer Welt und Umwelt zu einer Zeit und Gegenwart, die sich in ihrer Aufregung über das technisch Neue und Machbare dauernd überschlägt. Es ist selbst schon eine allzu pathetische Kommentarsprache, hier von Hybris zu sprechen. Die Ironie des späten Heidegger besteht viel eher in deren Deflation: Es wird Luft aus der aufgeregten Welt gelassen. Dass dies ein radikaler Neuansatz der Lektüre von Heideggers Gesamtwerk bedeuten könnte, mag zwar noch nicht unmittelbar bemerkbar sein und noch hinter dem explizit Gesagten liegen, ist aber ein Ergebnis, das sich sehen und hören lassen kann. Pirmin Stekeler-Weithofer

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Einleitung

»Jede philosophische Problematik hat etwas im Rücken, das sie selbst und trotz ihrer höchsten Durchsichtigkeit nicht erreicht, denn die Durchsichtigkeit hat sie gerade daher, daß sie um jene Voraussetzung nicht weiß.« – Martin Heidegger

Die folgende Untersuchung macht nicht nur Erkenntnisse der Theorie der rhetorischen Tropen für ein tiefensprachliches Verständnis des philosophischen Denkweges Martin Heideggers fruchtbar, sondern kann mit Heidegger zugleich auch einige Fehler und Unklarheiten des dominanten substitutionstheoretischen Tropenverständnisses ausräumen. Insgesamt rekonstruiert dieses Buch den Denkweg Heideggers als einen kontinuierlichen und konsequenten, aber dynamischen Weg, auf dem sich methodische, ontologische und ethische Überlegungen mit Fragen nach der den jeweiligen Gegenständen angemessenen Darstellungsform wechselseitig bedingen. Heidegger geht manchmal Umwege, Holzwege oder Feldwege. Immer aber ist sein Denken ein Unterwegssein mit und zur Sprache. Philosophischer Inhalt, sprachliche Darstellungsform und Erkenntnismethode bilden ein Entsprechungsverhältnis, das auf diesem Weg immer wieder neu hinterfragt wird. Es wird in dieser Untersuchung als Ringen Heideggers um die der jeweiligen Haltung zu Phänomenen angemessene tropisch-rhetorische Rahmung interpretiert. Die Rhetorik wird innerhalb der philosophischen Disziplinen und Strömungen oft diffamiert, marginalisiert oder ungenügend beachtet. Mit einem pejorativen Begriff von Rhetorik blendet man die Frage nach der philosophischen Reichweite von rhetorischen Figuren und Tropen systematisch aus. Ausgeschlossen werden auf diese Weise wesentliche Register dessen, was in der Philosophie unter λόγος (logos) firmiert. Eine philosophische Analyse (tropo)logischer Darstellungs- und Erkenntnismodi stellt auf die spezifischen inhärenten Formen, in der Inhalte präsentiert werden sowie sich wechselseitig bedingen und wandeln (Tropos bedeutet Wendung), ab. Es wird geLogik der Tropen

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Einleitung

zeigt, dass die metaphilosophischen Analyseverfahren der Rhetorik nicht rhetorischer, sondern logischer Natur und auf Wahrheit verpflichtet sind. Damit gehört die tropologische Tiefenstrukturanalyse vom Grundsatz her in die Tradition der analytischen Sprachphilosophie. Sie ergänzt und erweitert diese kritisch. Zentrale These dieses Buches ist, dass die Primärtropen der rhetorischen Sprache logische Modi sind. Als solche stellen sie eine bestimmte Weise dar, Denkinhalte präfigurativ zu erfassen und zu organisieren. Die vorliegende Untersuchung und Interpretation rehabilitiert somit die Tropen der rhetorischen Rede in ihrer tiefensprachlichen Logizität für die Philosophie und exponiert sie als logische Vorstrukturierungen von Denkinhalten. Eine Nichtbeachtung der Gesamtheit der Register rhetorischer Darstellungsformen wäre demzufolge mit einem Verlust für die Philosophie verbunden. Die zentrale These spaltet sich in zwei Teilthesen auf: Ich behaupte erstens, dass die Tropenanalyse ein zu wenig beachtetes Instrument philosophischer Sprachanalyse darstellt und bisherige rhetoriktheoretische Ansätze zu kurz greifen. Ich behaupte zweitens, dass eine Ausblendung der tropischen Kontinuität und Dynamik des Heideggerschen Denkweges in seiner Gesamtheit die Dimensionalität des Heideggerschen Denkprojektes unterschätzt. Demgegenüber vertrete ich die These, dass sich Heideggers Denkumwege durch die Analyse des Wechsels der Redemodi der von ihm genutzten tropischen Sprache besser als durch andere Ansätze verdeutlichen lässt. Mein Buch ist von daher auch als Übersetzungsangebot des eigenwilligen Heideggerschen Sprachdenkens zu verstehen. Das Buch gliedert sich gemäß ihrer inneren Struktur nach in drei Hauptteile: einen hinleitenden, einen methodischen und einen interpretierenden. Der erste Teil (Kapitel 1–4) ordnet das Thema in die philosophische Debatte ein. Er befasst sich mit dem Verhältnis von Logik und Rhetorik und der Bedeutung der Rhetorik für Heideggers Philosophie. Das erste Kapitel erörtert, wie und vor allem aus welchen Gründen heraus sich die Philosophie im Laufe ihrer Geschichte von der Rhetorik distanziert und warum ein erneuter Fokus auf rhetorische Fragen für die Philosophie fruchtbar ist. Herausgestellt wird, dass die Einordnung der Rhetorik in das Methodenrepertoire der Stilistik dem Missverständnis aufsitzt, dass rhetorische Rede nur persuasiv, ornamental und wahrheitsindifferent sei. Sie fällt damit unter das Diktum Platons, dass sie das Sein nur ungenau abbilde. Nach Aristo18

ALBER THESEN

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Einleitung

teles jedoch, auf den sich Heideggers Sprachdenken beruft, ist Rhetorik vernünftiges Reden und als τέχνη (techné) zwischen Dialektik und praktischer Philosophie verortet. Weil alle Rede grundsätzlich der kooperativen Daseinsweise des Menschen entspringt, zeigt sich die Frage des Zusammenhangs von Philosophie und Rhetorik letztlich als Frage nach den Beurteilungskriterien für die Bestimmung des praktischen Zusammenhangs von metaphysisch-philosophischer Grundhaltung und methodischem Instrumentarium. Das zweite Kapitel diskutiert den umfangreichen Forschungsstand zu Heideggers Sprachdenken. Es zeigt auf, inwiefern die verschiedenen Vorwürfe, die gegen Heideggers Sprachdenken erhoben werden, auf einem Miss- oder Fehlverstehen seines Projektes beruhen oder tendenziös sind. Dies betrifft neben dem Ideologieverdacht besonders den Verdacht des Bedeutungsholismus, des Begriffsrealismus, der Sprachhypostasierung und der Entgegenständlichung. Im Buch zeige ich stattdessen, dass die bisherigen Ansätze zur Sprachanalyse Heideggers entweder eine ungenaue Perspektive auf dessen Sprachdenken oder nur begrenzte Reichweite für die Frage nach der Rolle der Rhetorik für die Philosophie im Allgemeinen und nach den sprachlichen Tiefenstrukturen in Heideggers Sprachdenken im Besonderen besitzen. Weil die bisherigen Forschungsansätze zu Heideggers Sprachdenken dessen Auffassung von Rhetorik als lebendiger Rede unbeachtet lassen, wird dieses Verständnis im dritten Kapitel nachgereicht. Tragend ist dabei Heideggers Auseinandersetzung mit dem aristotelischen Rhetorik-Begriff als Glaubhaftmachung in seiner Einheit von Ethos, Pathos und Logos. Anders als Aristoteles versteht Heidegger unter Rhetorik allerdings nicht nur eine Kunst oder Theorie der überzeugenden oder schönen Rede im Sinne einer τέχνη, sondern einen Schlüssel zum menschlichen Selbst- und Weltverhältnis. Weil Rhetorik als sprechendes Miteinandersein Ausdruck sozialer Kooperation ist, lässt ihr Heidegger die Wertschätzung einer philosophischen Grundlagenwissenschaft angedeihen. Im Unterschied zur Sophistik als dem technischen Teil des Redenkönnens ist Rhetorik für Heidegger im Kern δύναμις (dynamis), nämlich ein vermögendes Können, Vorstellungs- und Anschauungsräume zu erschließen, in denen die Welt immer auf eine bestimmte Weise erscheint. Rhetorik ist somit sowohl die Ausbildung des Vermögens, das Glaubwürdige sehen zu lassen, als auch die Freigabe des Möglichkeitsraumes, in dem sich die noch unverstandenen Phänomene zeigen können. Sie erfüllt eine vorLogik der Tropen

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orientierende Funktion innerhalb miteinander vollzogener Praxen und erschließt heuristisch und hermeneutisch Welt. Die Tropen der rhetorischen Sprache geben dafür die allgemeinen vorordnenden Möglichkeitsrahmen für Sinnhorizonte ab. Sie sind, so die grundlegende These im vierten Kapitel, logische Modi menschlicher Weltkonstitution. Der zweite Teil des Buches (Kapitel 5–7) untermauert die oben benannte These, indem der methodische Stellenwert von Tropen innerhalb der Sprache hervorgehoben wird. Im Vordergrund der methodenkritischen Auseinandersetzung stehen die vier Primärtropen als tiefensprachliche Redemodi. Als Primärtropen gelten traditionell Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie. Sie bilden im tiefensprachlichen Paradigma eine aufsteigende Linie von Reflexionsgraden ab. Voraussetzung für eine philosophische Tropenanalyse ist die im fünften Kapitel vorgenommene Differenzierung von Nicht-Tropen und anderen rhetorischen Figuren. Auch das Verhältnis von Primär- und Sekundärtropen wird geklärt, indem demonstriert wird, wie sich letztere auf erstere zurückführen lassen. Den methodischen Kern meines Buches bildet die im sechsten Kapitel eingeführte Unterscheidung von oberflächensprachlichen und tiefensprachlichen Tropentheorien. Die Abgrenzung eines tiefensprachlich orientierten von einem oberflächensprachlich orientierten Tropenbegriff ist aus zweierlei Gründen notwendig: In der oberflächensprachlichen Theoriedebatte dominiert das substitutionstheoretische Paradigma. Dessen Ersetzungsparadigma führt jedoch zu Fehlurteilen über die vermeintliche Devianzhierarchie, Fiktionalität, Pseudorefenzialität oder Quasikommunikativität von Tropen. Diese Fehlurteile und falschen Prämissen werden diskutiert und ausgeräumt. Demgegenüber plädiert die vorliegende Untersuchung für einen tiefensprachlichen tropentheoretischen Ansatz, wie er unter anderem von Giambattista Vico über Friedrich Nietzsche bis zu Hayden White, Hans Blumenberg und in anderen modernen, auch sprachanalytischen Metapherntheorien, etwa bei Ken-ichi Seto, vertreten wird. Diese Ansätze gehen davon aus, dass alle Rede tropisch ist. Vor allem die Beschreibung abstrakter Zusammenhänge kommt nicht ohne tropische Darstellungsweisen aus. So basieren zum Beispiel Ursache-Wirkungs-Verhältnisse, Teil-Ganzes-Beziehungen oder Inhalt-Gefäß-Strukturen aus sprachökonomischen Gründen sowohl im alltäglichen als auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch auf der metonymischen Redestruktur. Indem die Primärtropen die 20

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Sichtweisen auf Wirklichkeit konzeptuell vor- und mitorganisieren, erhält tropische Rede damit einen Trumpfstatus innerhalb sprachlich-denkerischer Konstituierungsleistungen. Die Tropen, so zeigt sich im siebten Kapitel, stellen tiefensprachlich gesehen Grundtypen alternativer Selbst- und Weltverhältnisse dar, die sich aus den kooperativen Handlungsformen der Menschen selbst ergeben. Primärtropen bewahren die vorbegriffliche Dimension menschlicher Praxisvollzüge in präfigurierender Weise. In dezidierter Auseinandersetzung mit verschiedenen Tropenansätzen wird ersichtlich, dass die rhetoriktheoretischen Klassifikationen oft unpräzise und inkonsequent sind. Besonders eklatant zeigt sich das am Verhältnis der beiden Primärtropen Metonymie und Synekdoche. Zur genauen Klärung des logischen Verhältnisses dieser beiden Tropen trägt die Interpretation des Heideggerschen Denkens und insbesondere der so genannten Kehre bei. Sie präpariert die tendenziell metaphysik- und ideologiekritische Intention Heideggers als Ringen um eine dem Sein und der Existenzweise des Menschen phänomenadäquate Darstellungsform heraus. Das metonymische Weltverstehen in seinen vielfältigen Formen gegenständlicher Verhältnisbeschreibungen, etwas als etwas, also in seiner Als-Struktur zu beschreiben, kristallisiert sich dabei als das für das abendländische Daseinsverständnis dominante Welt- und Selbstverhältnis heraus. Demgegenüber eröffnet die genaue Analyse der Synekdoche mit Blick auf Heideggers Denken eine echte Alternative zum metonymischen Rede- und Denkmodus. Die Synekdoche, die sich mit Heidegger und in ihrer wörtlichen Übersetzung als Mitverstehen interpretieren lässt, bietet die Chance, ohne Aufgabe wissenschaftlich-kultureller Leistungen ein umfänglicheres und ursprünglicheres Seinsverständnis zurückzugewinnen. Den Dreh- und Angelpunkt der vorliegenden Untersuchung bildet die tiefensprachliche Interpretation des Denkweges Heideggers im dritten Teil des Buches (Kapitel 8–12). Die von Heidegger formulierte Metaphysikkritik lässt sich als Kritik eines für die abendländische Wissenschaftsideologie dominanten Tropentypus, der Metonymie, extrapolieren. Immer wieder wird auf die fatalen Konsequenzen von überzogenen wissenschaftlichen Welterklärungsansprüchen hingewiesen: auf Praxisvergessenheit, Erkenntniszentriertheit und Vereindimensionalisierung. Demgegenüber gilt es nach Heidegger, die Defizite und Verengungen nicht nur sichtbar, sondern auch rückgängig zu machen. Ähnlich wie später Ludwig Logik der Tropen

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Wittgenstein und John L. Austin bemerkt auch Heidegger nämlich eine eigentümliche und reduktive Fixiertheit der abendländischen Sprachphilosophie auf konstativische Sätze, auf Aussagen über Vorhandenes sowie eine Blindheit für die Vielfalt des Sprachgebrauchs. Die Kritik an der Vorhandenheitsmetaphysik und Seinsvergessenheit westlichen Philosophierens lässt sich in diesem Zusammenhang auch als Kritik an der epistemozentrierten Illokutionsvergessenheit sprachbezogener Theoriebildung verstehen. Diesem Anliegen ist auch Heideggers Terminologie verpflichtet, die sich im Laufe seines Denkweges zunehmend von bestimmten grundlegenden Merkmalen und Tendenzen philosophischer Traditionen loszusagen bemüht. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, tendiert Heidegger in seinen ersten emanzipierenden Texten zu Neologismen. Später schafft er neue Begriffe, indem er Wörter aus der Umgangssprache entlehnt und sie umdeutet. Sein spätes Denken dann verdichtet das vollzügliche Reden hin zu einer Art Unbegrifflichkeit. Dieses reflexiv mäandernde Denken bietet sich von daher in besonderer Weise für eine tropische Interpretation an. Es ist als ein kontinuierliches, sich selbst hinterfragendes Fortschreiten zu verstehen, das von Natur aus drei Bruchstellen aufweist. Es bietet aus dem Weiterdrehen seiner Methodik heraus selbst eine Untergliederung in vier Reflexionsetappen an. Dementsprechend unterscheide ich in meinem Buch vier tiefensprachliche Themenfelder: 1. Heideggers frühes Denken im Redemodus der Metapher; 2. Heideggers existenziales Denken im Redemodus der Metonymie; 3. Heideggers Denken der so genannten Kehre im Redemodus der Synekdoche sowie 4. Heideggers spätes Seins-Denken im Redemodus der Ironie. Im dritten Teil der Dissertation erfolgt die schrittweise Interpretation des Heideggerschen Denkweges entlang der Stufenfolge der vier tropologischen Redemodi von der Metapher über die Metonymie und die Synekdoche hin zur Ironie. Die erste Etappe (Kapitel 8) beschreibt die Herkunft seines Denkens aus einer bestimmten zeitgenössischen philosophischen Situation und Fragestellung heraus. Heideggers frühes Sprachdenken ist noch stark an wissenschaftliche Gebräuche angelehnt. Im Vordergrund seiner Qualifizierungsarbeiten stehen methodologische Überlegungen und das Zusammenbringen möglichst weit entfernter Phänomenbereiche, denn deren metaphorische Grundrahmung soll möglichst die umfassendste sein. Die Folge für Heidegger ist, dass alle bisherige Philosophie zu klein und zu eng gedacht hat. Die Gründe dafür sind für Heidegger in einer Verengung des Seinsverständnisses 22

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generell zu suchen. Konsequenterweise führen ihn seine methodologischen Überlegungen zu einer radikalen Kritik am abendländischen Seinsverständnis und der damit einhergehenden Wissenschaftsideologie mit ihrem mathematisch-naturwissenschaftlichen Logizismus einerseits und ihren Vergegenständlichungstendenzen andererseits, die auch die Philosophie kontaminiert haben. Es gilt für ihn, diese Seinsgeschichte von hinten aufzurollen, um ein umfassendes Seinsverständnis zu gewinnen, das sich von allen bisherigen Ansätzen der Metaphysik im innersten logischen Prinzip unterscheidet. In der zweiten Etappe (Kapitel 9) emanzipiert sich Heidegger zunehmend aus der Denkweise dieser disziplinären Eingebundenheit der frühen Qualifikationsarbeiten. Heideggers Sprache wird wortgewaltiger. Was er will, ist die Rettung der Phänomene vor ihrer theoretischen Reduzierung und Vereinseitigung, die sich tiefensprachlich als metonymischer Modus ausweisen lässt. Im Modus physischer Kategorialität behandelt die metonymische Rahmung nämlich tendenziell alle Phänomene wie Gegenstände, nämlich als quasi-dinglich, starr, bausteinartig segmentierbar und im Kern technisch-rechnerisch. Es sind vor allem Bindestrichworte, ungewöhnliche Prä- und Suffixe, tautologisch anmutende Wortungetüme und substantivierte Präposition-Kopula-Kombinationen, ungewöhnliche Verbalisierungen und Nominalisierungen, Umdeutungen von Präpositionen und Appelle, die Heideggers Ringen um eine angemessene Darstellungsform in seinem ersten eigenständigen Hauptwerk Sein und Zeit kennzeichnen. Die Tatsache, dass seine Bemühungen, das verdinglichende situationsinvariante Denken zu verlassen, selbst dem Redemodus metonymischer Darstellungsweisen entsprechen, den er gerade für die abendländische Wissenschaftsideologie und Metaphysik verantwortlich macht, ist wesentliches Merkmal eines schwierigen sprachdenkerischen Ablösungsmanövers. Infolge dessen (re)konstruiert Heidegger in der dritten Etappe (Kapitel 10) eine ursprünglichere Welt aus einer existenzialen vortheoretischen Vollzugsperspektive. Diese drängt allerdings über die Enge phänomenal-objektivierender Bestimmbarkeit hinaus. Die etymologische Rückbesinnung auf die Bestimmung der Synekdoche als Mitverstehen im Zuge der Interpretation des Heideggerschen Denkweges erlaubt es, dem metonymischen Verdinglichungsdenken ein Vollzugsdenken entgegenzusetzen, das nicht mehr extrinsische, sondern ein intrinsisches Nahverhältnis zum Sein darzustellen imstande ist. Dass es aber überhaupt zur Abspaltung und damit zur SeinsverLogik der Tropen

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gessenheit kommen konnte, ist eine Daseinstendenz, die nicht allein vom Menschen bewirkbar ist, sondern Ausdruck der Ent- und Verbergung des Seins selbst ist. Alles metaphysisch, also gemäß dem Physischen-Körperlichen, in Segmente zu zerlegen, zum Beispiel als Subjekt-Objekt-Struktur oder als situationsinvariant Anwesendes, übersieht die fließende Dynamik und damit Zeitlichkeit allen Seins und Existierens. Insofern kann man Heideggers Metaphysikkritik übersetzen als eine Kritik an derjenigen Perspektive, die alles gemäß dem Abständigen beschreibt und erklärt. Im Unterschied zu seinen Schriften bis zu den 30er-Jahren, die selbst der Sprache der Metaphysik verhaftet bleiben, zeigen die späten Texte ein Seinsandenken, das holistisch, verdichtet, synthetisch und weniger analysierend, appellativ und sezierend ist. Ich demonstriere an konkreten Ausdrücken in Heideggers Texten, wie das durch differenzierte und hochelaborierte Sprachpraxen Auseinandergefallene im Denken und Sprechen und Sich-auf-etwas-beziehen von ihm denotativ, also in einem einzigen Sinnkomplex wieder zusammengeschlossen wird. Der Tropus der Synekdoche ist jedoch nicht mehr nur unter die Metonymie zu subsumieren oder in der Trias logischer Modalität zwischen Ähnlichkeit (Metapher), Nachbarschaftlichkeit (Metonymie) und Gegensätzlichkeit (Ironie) als räumlich verstandenes Verhältnis einzuordnen, sondern benennt den intrinsischen Status des Durchdrungenseins – im Unterschied zu den anderen drei Tropenformen, die extrinsische Verhältnisse ausdrücken. Weil alle drei anderen Arten tropischer Rede diese tendenziell metaphysisch-verdinglichende Weltsicht als traditionelle Opposition von subjektiv und objektiv, sinnlich und übersinnlich in sich enthält, besteht Heideggers Bemühen vor allem auch darin, dieses im weiten Sinne Metaphorische als Metaphysisches zu überwinden. Die Synekdoche erhält insofern einen Sonderstatus. Sie ist nicht als Metapher misszuverstehen. In der vierten Etappe (Kapitel 11) schließlich macht sich Heidegger von der Aufgabe der Kritikentschärfung völlig frei und schreitet zur Frage nach dem spielerischen, alles Bisherige hinter sich lassenden (negierenden) Verhältnis von Sprache und Sein fort. Das hier ironisch Verdichtete als Gedachtes kommt dem Poetischen nahe, wenngleich es nur sein Analogon bildet. Der Übergang zum Ironischen ist dabei weder als Rückfall noch als Resignation fehlzuinterpretieren. Vielmehr handelt es sich um die Haltung eines freien Denkens und Redens. Dessen größte Emanzipation besteht darin, nicht mehr gegen etwas opponieren oder sich von etwas ab24

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grenzen oder distanzieren zu müssen, sondern sich als Vollzug von reiner Ek-Stasis als (Seins)Nähe auszudrücken. Sie bilden den Übergang zu einem anders anfänglichen Denken. Kapitel 12 fasst zusammen, wie und warum sich Heideggers Denken in vierfachem Sinne fruchtbar für eine tropologische Darstellungsformanalyse erweist: 1. Die Interpretation seines Denkweges ergibt, dass die Tropen der Rhetorik ein wichtiges Untersuchungsfeld für die Philosophie darstellen. Dies gilt sowohl für ontologische, metaphysikkritische, sprachphilosophische, geschichtsphilosophische als auch für ethische Fragestellungen. Heideggers Kritik am metonymisch-metaphysischen Redemodus zeigt sich als Kritik an der Wissenschaftsideologie des Exakten. 2. Die unterschiedlichen tropischen Redemodi weisen unterschiedliche Wahrheitsbedingungen auf. Das Verhältnis von metonymischem und synekdochischem Redemodus zeigt sich – anders als angenommen – als Verhältnis von zwei diametral entgegengesetzten Logiken: einmal einer extrinsisch-analytischen Logik und zum anderen einer intrinsisch-synthetischen Logik. Damit ist die oberflächenstrukturelle Bestimmung des Verhältnisses der beiden Tropen, bei der die Synekdoche eine Sonderform der Metonymie sei, revidiert. Die Metapher erweist sich aber als primordialer Modus, aus dem die anderen Modi hervorgehen. 3. Das Prinzip der phänomenologischen Forschung bekundet sich mit Heidegger als ein tendenziell antimetaphysisches Prinzip, nämlich als eines des forschenden Verhaltens, als Haltung. Es zielt nicht auf Vernutzbarkeit, Bewirkbarkeit oder Verfügbarmachen, sondern auf eine Entsprechung von Darstellungsform, Methodik und zu behandelndem Problem. Das macht besonders Heideggers Kehre im Denken deutlich. Sie ist auch die Kehre vom metonymischen zum synekdochischen Redemodus, von einem extrinsischen Selbst- und Weltverhältnis zu einem existenzialen, vortheoretischen, praktisch-vollzüglichen entgegenständlichten Mitverstehen. 4. Die Betrachtung metarhetorischer tropologischer Analyseverfahren bei Heidegger gibt darüber hinaus einen Ausblick auf eine mögliche Erweiterung für die Rhetorik, die Argumentationstheorie und die Sprachphilosophie. Sie ist keine bloße Philologie. Der tiefensprachliche Blick auf die logischen Redemodi eines Philosophen wie Heidegger ermöglicht damit ein besseres Verständnis des Zusammenhangs von Denken und Sprache sowie einen autonomeren Umgang mit Welterklärungsansprüchen. Hierin bestehen auch das generelle Anliegen und die innovative Dimension der Untersuchung. Logik der Tropen

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Um zu verstehen, welche Rolle die Rhetorik in der Philosophie – und speziell in Martin Heideggers Denken – spielt, muss zunächst darüber nachgedacht und aufgeklärt werden, auf welche wechselvolle Ideengeschichte und systematische Fragestellungen sich die vorliegende Untersuchung einlässt. Andernfalls läuft man Gefahr, allzu schnell Vorurteilen über die Rhetorik aufzusitzen und diese weiterzutransportieren. Wegen dieser Problemlage halten sich Philosophen Fragen der Rhetorik vom Leib. Das mag als noble Geste erscheinen. Angesichts des beinahe 100-jährigen Bemühens des so genannten linguistic turn in der Philosophie ist es aber nichts anderes als ein fortwährendes Ausweichen vor entscheidenden philosophischen Fragen. Eine dieser Fragen ist zum Beispiel die Frage nach dem (philosophischen) Stellenwert der rhetorischen Sprache im menschlichen Leben. Vom scheinbar sicheren Standpunkt des wissenschaftlichen Elfenbeinturms wird die Frage nach der Rückkopplung wissenschaftlicher Rhetoriktheorien an die soziale und materielle Realität systematisch ausgeblendet. Bis auf wenige Ausnahmen wagt es die Philosophie nicht, den letzten Schritt zu gehen und sich wieder der brisanten Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Rhetorik zu stellen. Eine dieser Ausnahmen ist Martin Heidegger. Indem Heidegger den Akzent seiner denkerischen Bemühungen auf die Frage nach dem Seinsbezug des Menschen setzt, thematisiert er die dynamische Verfasstheit menschlicher Handlungsvollzüge als sprachliche Selbst- und Weltbezüge vor kulturell-historischen Verständnishorizonten. Schaut man sich an, auf welche Weise Heideggers Verhältnis zur Sprache im Allgemeinen und zur Rhetorik im Besonderen in der Rezeption thematisiert wird, so fällt auf, dass seine Texte oft nicht genau genug und im Rahmen einer selbstbezüglichen methodischen Denkbewegung gelesen werden, sondern oftmals nur bruchstückhaft und oberflächlich zur Kenntnis genommen werden. So ist auch zu erklären, warum Heideggers Sprachdenken hinsichtlich seiner philosophischen Reichweite oft verkannt wird. Die kritische Auseinandersetzung erfolgt entweder im Anschluss oder in direkter Ablehnung einzelner Gedanken, die hypostasiert werden. Meist geschehen sie jedoch nicht aus seinen dynamischen Denkbewegungen heraus. Sie sollen hier im Mittelpunkt stehen. Unterscheiden muss man in der umfangreichen Heidegger-Rezeption zunächst zwischen Ansätzen, die sich direkt im Anschluss an Heideggers Denken aus der direkten denkerischen Nähe ergeben haben, wie es zum Beispiel bei Hans-Georg Gadamer, Hannah Arendt Logik der Tropen

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und Herbert Marcuse der Fall ist, und andererseits Ansätzen, die sich kritisch gegen Heideggers Sprachgebrauch richten – entweder aus ideologiekritischer Sicht (zum Beispiel Theodor W. Adorno) oder aus wissenschaftsphilosophischer Sicht (zum Beispiel Rudolph Carnap und der Wiener Kreis). Es ist zumindest zu differenzieren zwischen den Begriffen Sprachauffassung und Sprachgebrauch; und innerhalb der letzteren Dimension zwischen ›absichtlicher‹ und ›unterlaufener‹ Sprachverwendung; dann wieder zwischen ›manipulativer‹ und ›sachlicher‹ Verwendung usw. Diese Attribute sind zuallererst zu definieren, wenn man das Verhältnis von Philosophie und Rhetorik näher bestimmen möchte. Eine Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Rhetorik kann aber bestenfalls Ergebnis der Untersuchung sein, nicht ihr Anfang. Begonnen werden soll vielmehr mit der Erschließung des Fragebereichs, der für diese Untersuchung bestimmend sein soll, nämlich der Frage, was Rhetorik jenseits schneller Vorurteile überhaupt ist und was an ihr philosophisch wertvoll sein kann. Was kann der Fokus auf das Rhetorische der Sprache für die Philosophie leisten? Warum wird die Rhetorik nach wie vor zum Feindbild erklärt? Ist sie tatsächlich nur eine Hilfsmethode im weiten und unübersichtlichen Feld der angewandten Forschungsbereiche? Kann sie Antworten auf aktuelle philosophische Fragen geben und damit in das philosophische Geschäft der Sach- und Begriffsklärung re-integriert werden? – Solche Fragen lassen sich nicht unabhängig vom Grundverständnis des entsprechenden disziplinären Selbstverständnisses beantworten. Und sie haben natürlich auch Konsequenzen für das Verständnis von Philosophie überhaupt. Im Weiteren dienen diese Fragen als Leitfragen zu einer ersten Annäherung an ein grundsätzliches Verständnis des Verhältnisses von Philosophie und Rhetorik. In einem ersten Schritt soll daher knapp umrissen werden, was unter Rhetorik im Allgemeinen verstanden wird, wie das Verhältnis von Rhetorik und Philosophie sich im Laufe der Jahrhunderte verändert hat und was zu Heideggers Interesse an rhetorischen Fragestellungen geführt hat. In einem nächsten Schritt wird untersucht, worin sich Heideggers Verständnis von dem allgemein verbreiteten pejorativen Verständnis von Rhetorik unterscheidet und warum der Aristotelische Denktypus dafür eine größere Rolle spielt als der Platonsche. Mit dem Wissen um Heideggers Auffassung über die Bedeutung des Rhetorischen für das menschliche Selbst- und Weltverhältnis lässt sich dann drittens den 30

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Teil I: Heidegger und die Rhetorik

kritischen Einwänden und Verdächtigungen gegen Heideggers Sprachdenken begegnen und die Notwendigkeit einer tiefensprachlichen Textanalyse seines Denkweges begründen.

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1. Philosophie und Rhetorik

Die Rhetorik als Disziplin reflektiert das Vollziehen von Sprechhandlungen. Sie ist also nicht nur eine ›Kunst‹ oder ›Technik‹ der Meinungsbeeinflussung durch eine triftig argumentierende, sinnvoll gegliederte, stilistisch ansprechende und wirkungsvoll vorgetragene Rede im mündlichen und schriftlichen Kontext. Als klassische Rhetorik sucht sie vielmehr Antworten auf Fragen, die das Reden, den Redner und die Rede im Allgemeinen betreffen. Dazu gehört, Reden als eine gemeinsame Praxis mit anderen Menschen aufzufassen, denn in einem engeren Sinne wird danach gefragt, wie mit Sprache Handlungen vollzogen, Überzeugungen vermittelt, Situationen verändert, Stimmungen gewendet oder soziale Institutionen geschaffen werden können. Darüber hinaus werden stilistische und körpersprachliche Mittel zur Erreichung von bestimmten Wirkungen vorgestellt, Rollenverhaltungen spielerisch erprobt usw. 1 Demgegenüber stellt Philosophie auf die Erfassung grundsätzlicher Selbst- und Weltverhältnisse in ihrer ontologischen und epistemischen Gegebenheit und adäquaten Zugangsweise ab. Als Methode wird die Rhetorik durch einen Korpus von RedeRegeln charakterisiert, die nicht etwa in einem unreflektierten Nebeneinanderstehen, sondern nach Gesichtspunkten logischer Konsistenz miteinander korrelieren. In ihrer Totalität stellen diese Rederegeln ein komplexes Gebäude dar, dessen Verstrebungen aus Dependenzen, Analogien und Definitionen gefertigt sind. Klassische Rhetorik hat demzufolge Systemcharakter, wenngleich dieses System im Laufe der Geschichte immer neue Abwandlungen und keine Kanonisierung erfahren hat. Für die philosophische Begriffs- und Sachklärung sind ihre Klassifikationsschemata aber nur bedingt tauglich. Dazu werden in ausführlichen Lehrbüchern und Ratgebern bis heute Hinweise für ›gutes‹, das heißt überzeugendes, und ›schlechtes‹, das heißt überredendes, manipulierendes und instrumentalisierendes Argumentieren gegeben.

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Die Produkte der rhetorischen Techniken sind Artefakte. Sie sind etwas, das nicht der Natur und ihrer Zufälligkeit, sondern der planvollen Rationalität und Vernunft des Menschen entspringt. In dieser Form hatten sie jedoch auch einstmals ihren Ort innerhalb der philosophischen Dialektik. Dort fungierten sie als logische Überzeugungsmittel und weniger als ornamentale oder persuasive Sprachwerkzeuge. Auf diese Logik der Rhetorik richte ich in der folgenden Untersuchung den Fokus. Die sprachliche Differenzierung zwischen bloßer Überredung und Überzeugung, die bei der philosophischen Thematisierung von Rhetorik eine Rolle spielt, ist kein spezifisch ›deutsches Dilemma‹, wenngleich die deutsche Sprache diese feine Differenzierung lexikalisch besonders deutlich macht 2, sondern geht bis auf die griechische Antike zurück. Seit Platons Generalverdacht gegen eine gedanklich mangelhafte Rhetorik bleibt die Abgrenzung von der Rhetorik und allen von der Begriffssprache abweichenden Redemodi ein Dauerproblem der Philosophie. Die Abgrenzung der Philosophie von der Rhetorik wird von Platon energisch betrieben, weil er den Begriff des sicheren, objektiven Wissens vom Begriff des nur subjektiven Meinens dezidiert absetzen will, obwohl er weiß, dass die Trennlinien konkret nicht immer einfach zu ziehen sind. Daraus hat sich leider der Irrglaube entwickelt, in der Philosophie spielten rhetorische Figuren keine grundlegende Rolle. Immerhin hat Heidegger das philosophische Potential der rhetorischen Sprache erkannt und in seine Philosophie eingewoben. Er hat darauf hingewiesen, dass nicht alle sprachlichen Äußerungen schlichtweg als propositionale Äußerungen der Form ›A ist B‹ verstanden werden sollten. Vielmehr sind immer der jeweilige Verstehenshorizont, die Stimmung, die Befindlichkeit und die tiefensprachliche Rahmung als Bedeutungsanzeiger mitzuinterpretieren. Somit aber ist schon die Kopula ›ist‹ alles andere als fraglos vorauszusetzen. Weil alle Rede figurativ ist, ist deshalb zuerst nach allen Bedeutungsdimensionen und tiefensprachlichen Registern von ›sein‹ zu fragen. Als sprachliche Vorstrukturierungen bestimmen rhetorische Figuren und Tropen nämlich das Selbst- und Weltverständnis von Menschen wesentlich mit.

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Vgl. H. F. Plett (Hrsg.), Die Aktualität der Rhetorik, München 1996, S. 9.

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1.1. Die Verleumdung der Rhetorik durch die Philosophie Seit Platons Abgrenzung der Philosophie und Wissenschaft von bloß rhetorischer Sophistik wird in der Philosophie die Beschäftigung mit figurativer Rede vorwiegend gemieden. 3 Daran änderte auch die Topik des Aristoteles wenig, obwohl dessen Schriften ab dem Mittelalter intensiv bearbeitet wurden. 4 Was aber genau sind Platons Probleme mit der Rhetorik? Und betreffen sie wirklich die Topik und die Tropen? Platons Zweifel am Nutzen von Sophistik und Rhetorik sind in der Figur des Sokrates Gestalt geworden. Sokrates wirft der Sophistik – und damit auch der Rhetorik – vor, eine Art Prototyp jeglicher Pseudophilosophie oder Scheinwissenschaft zu sein. Sie suche nur das Wohlgefällige und Angenehme, mache das schwächere zum stärkeren Argument und könne auf diese Weise das Ungerechte für das Gerechte erscheinen lassen. 5 Platon definiert die Sophistik und Rhetorik somit als Versuche, Schein als Sein bzw. das Scheinbare als das Wahre auszugeben. Weil damit der philosophische bzw. wissenschaftliche Wahrheitsanspruch stark eingeschränkt wird, taugt eine solche bloß rhetorische Sophistik nicht für die philosophische Wahrheitssuche, denn sie macht mit den Mitteln der Rhetorik die Meinung des Einzelnen stark. Meinen aber ist nicht wissen. Überreden ist nicht überzeugen. Das betrifft gerade auch die antike Politik in der Polis. Platons Angst ist, dass der legitime Einsatz von Rhetorik in letzter Konsequenz bis zur Auflösung stabiler Verhältnisse und damit der Polis führen könne. Die im Staat kulminierte Kultur ist für Platon und die gesamte Antike das Fundament und der Ausgangspunkt, um Vgl. Platon, Gorgias, Stuttgart 1986; sowie K. Dockhorn, Macht und Wirkung der Rhetorik, Bad Homburg 1968. 4 Da die Geschichte des Aristotelismus durch die Geschichte des aristotelischen Textbestandes bestimmt wird und die Lehrschriften mit Theophrastos, dem Nachfolger von Aristoteles im Peripatos in Vergessenheit gerieten, und weil dieser sich eher für die Stillehre interessierte, kennen auch Cicero und Quintilian die aristotelische Rhetorik nur in Form von Exzerptsammlungen, Resümees und Doxographien. Außerdem interessierte man sich in der Scholastik mehr für die Logik als die Rhetorik des Aristoteles. Vgl. Aristoteles, Rhetorik, Stuttgart 1999, S. 249 f.; sowie H. F. Plett, Die Aktualität der Rhetorik, a. a. O., S. 17. 5 Platon, Gorgias, a. a. O., S. 29: »Wie sich nämlich die Putzkunst zur Gymnastik verhält, so die Kochkunst zur Heilkunst, oder vielmehr so, wie die Putzkunst zur Gymnastik, so die Sophistik zur Gesetzgebung, und wie die Kochkunst zu Heilkunst, so die Redekunst zur Rechtspflege.« 3

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Die Verleumdung der Rhetorik durch die Philosophie

den sich das menschliche Dasein bemühen sollte. Nur in der Sozietät kann nämlich ein gutes und gerechtes, damit zugleich sinnvolles Leben geführt werden. 6 Im Vordergrund der Auseinandersetzung mit Sophistik und Rhetorik steht das gemeinschaftliche gute Leben. Die Redekunst ist für Platon letzten Endes gar keine Kunst (gr. τέχνη), sondern nur eine ἐμπειρία (empeiria) (dt. Erfahrung, Übung). Sie ist nämlich diejenige Fähigkeit, Lust und Wohlgefallen zu bewirken, unabhängig davon, ob diese Fähigkeit zum Wohl oder Wehe der sozialen Kooperation eingesetzt wird. Weil die Rhetorik als Sophisterei ›relativistisch‹ ihr Mäntelchen nach dem Wind hängt, stellt sie eine Gefahr für die Stabilität der Gemeinschaft dar. Denn wer nicht am Wohl und der Stabilität der Gemeinschaft und ihrer grundlegenden Bedingungen interessiert ist – wie die Sophisten –, der setzt diese menschliche Daseinsgrundlage aufs Spiel. Dieser Relativismusverdacht ist der Grund für Platons Diskreditierung von Sophistik und Rhetorik. Platon leugnet damit nicht, dass es auch echte Redekunst geben könne. Diese käme aber nur über die Erziehung der menschlichen Seele zu Tugendhaftigkeit in die Welt. Eine gute Seele ist dann eine solche, wenn sie nach dem für alle Guten und Gerechten, damit nach Ausgleich der Seelenteile und analog nach der Harmonie auch innerhalb der Polis strebt. Ihr Ziel ist damit gerade nicht das vordergründig Angenehme oder subjektiv für wahr Gehaltene. Leider behandelt Platon Rhetorik und Sophistik oft synonym und zieht damit die Rhetorik mit in das Kielwasser des sophistischen Relativismus. Als RedeKunst steht Rhetorik damit für alles, was er philosophisch ablehnt: relativistische Weltanschauung und radikaler Skeptizismus. Dagegen setzt Platon bekanntlich die Ideenlehre als einen dualistischen Objektivismus wiedererkennender Wesensschau. Aus diesem zieht er Stabilitätskriterien für seine aristokratische Staatsutopie. 7 Zu Zeiten des Platon-Schülers Aristoteles ist der Streit zwischen Sokrates und den Sophisten zwar nicht völlig besänftigt, aber das Verhältnis von Rhetorik und Philosophie wird differenzierter und ent-

In Platons Gorgias geht es inhaltlich vor allem um Fragen nach der Gerechtigkeit. Vgl. Platon, Politeia, Stuttgart 1982. Diese Sehnsucht nach einer stabilen gesellschaftlichen Ordnung unter Führung der Besten (Tugendhaftesten), die für möglichst viele Menschen ein gutes Leben beschert, ist auch vor dem historischen und politischen Hintergrund, in dem Platon lebte, zu verstehen, also vor allem vor dem Hintergrund der Angst vor Tyrannenherrschaft.

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spannter betrachtet. Es wird stärker zwischen Sophistik und Rhetorik unterschieden. Der Angst vor der Zersetzung des Staates durch Sophisterei und Rhetorik wird die Zuversicht entgegengestellt, dass sich das Gute und Wahre – auch in der Rede – als das Überzeugendere durchsetzen wird, weil alle Menschen der Vernunft teilhaftig sind und das moralisch Schlechte daher nicht wollen können. 8 Aristoteles ist der Überzeugung, dass die Rhetorik nützlich ist, weil sich immer das vernünftigere Argument durchsetzen wird. Wahrheit und Gerechtigkeit sind von Natur aus stärker als deren Gegenteil, so dass, wenn Entscheidungen ungebührlich ausfallen, diese notwendig unterliegen müssen. 9 Rhetorik wird sogar zu einem unentbehrlichen Mittel, Demokratie zwischen Freien und Gleichen zu garantieren. Die Vermittlung rhetorischer Fertigkeiten gilt daher als Teil des Bildungsauftrages des Polis-Bürgers. 10 Dass die rhetorischen Mittel als politische Instrumente immer wieder verspielt und zu manipulativen Zwecken missbraucht werden, kann nach Aristoteles nicht der Rhetorik angelastet werden. Derlei Missbräuche müssen vielmehr aus den politischen und historischen Konstellationen der Zeit heraus erklärt werden, die nicht immer nur vernünftig verlaufen, sondern zugleich aus allgemein menschlichen ›Leidenschaften‹ entspringen. 11 Wenngleich diese Leidenschaften nicht das Ziel menschlichen Strebens sein können, so gilt es doch, sie als wesentlichen Bestandteil (sozusagen als unleugbaren Ist-Zustand) menschlichen Daseins wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Das tut Aristoteles mehr als Platon, weswegen er der Rhetorik auch einen würdigen Platz im Corpus seiner Philosophie einräumt. »Die Rhetorik ist nützlich, weil Wahrheit und Gerechtigkeit von Natur aus stärker sind als deren Gegenteile, so daß, wenn Entscheidungen ungebührlich ausfallen, diese unterliegen müssen.« In: Aristoteles, Rhetorik, Stuttgart 1999, S. 10 (1355a); und weiter: »Den Anständigen glauben wir nämlich eher und schneller, grundsätzlich in allem, ganz besonders aber, wo es eine Gewissheit nicht gibt, sondern Zweifel bestehen bleiben.«In: ders., Rhetorik, a. a. O., S. 12 (1356a). 9 Aristoteles, Rhetorik, a. a. O., S. 10 (1355a). 10 Mit Aristoteles unterscheiden wir drei Formen: a) die Gerichtsrede (genus iudiciale), die auf die Vergangenheit bezogen ist, mit den Funktionen von Anklage oder Verteidigung bzw. Recht und Unrecht, b) die politische Rede (genus deliberativum), die auf die Zukunft bezogen ist, mit den Funktionen von Zuraten und Abraten bzw. Nutzen und Schaden sowie c) die Festrede (genus demonstrativum), die auf die Gegenwart bezogen ist, mit den Funktionen von Lob und Tadel bzw. Ehrenhaftigkeit und Schande. Vgl. Aristoteles, Rhetorik, a. a. O., S. 17–19 (1358a–b). 11 Aristoteles, Rhetorik, a. a. O., S. 13 (1356b). 8

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Die Verleumdung der Rhetorik durch die Philosophie

Für Aristoteles ist die Rhetorik eine zweigliedrige Angelegenheit. Sie umfasst zugleich dialektische Methode und ethische Fragestellungen. Nach ihm verdient die Rhetorik sogar die Bezeichnung ›Staatskunst‹, weil sie mit vernünftigen Methoden Fragen des praktischen Zusammenlebens in der Polis löst. 12 Aristoteles warnt daher davor, Rhetorik oder Dialektik wie wahres Wissen zu behandeln. Sie sind vielmehr ›nur‹ Methoden zur Erlangung von Wissen: »Je mehr aber jemand Dialektik oder Rhetorik nicht wie Fähigkeiten, sondern wie Wissenschaften zu betreiben sucht, desto mehr wird er, ohne sich dessen gewahr zu werden, ihre Natur verdunkeln, indem er durch diese Erweiterung ihrer Inhalte sie zu Wissenschaften für bestimmte vorhandene Sachverhalte macht anstatt nur für Worte.« 13

Im Gegensatz zu seinem Lehrer Platon ist für Aristoteles die Rhetorik also eine ›Kunst‹ bzw. τέχνη, die zwischen Dialektik und praktischer Philosophie steht. Sie hat die Aufgabe, vom Wahrscheinlichen ausgehend das Überzeugende eines Einzelfalls zu erkennen. 14 »Es ist nicht ihre Aufgabe zu überreden, sondern zu erkennen, was wie in allen Wissenschaften, jeder Sache an Überzeugendem zugrunde liegt […] Überzeugendes und scheinbar Überzeugendes zu erkennen, wie in der Dialektik einen echten und scheinbaren Schluß.« 15 Für Aristoteles gehört die Rhetorik neben der Logik in den Bereich der Dialektik. Der Unterschied zwischen Sophistik und Rhetorik besteht für ihn nun darin, dass Sophistik kein Können im Sinne einer Fähigkeit ist, sondern vor allem durch ihre Absicht charakterisiert ist, während die Rhetorik als Anwendung von Dialektik eine darüber hinausgehende Kompetenz anzeigt. 16 Aristoteles versucht also, das scheinbar innige Verhältnis von Sophistik und Rhetorik insofern aufzulösen, als er Kompetenz und mögliche Handlungsabsicht unterscheidet. Die Absicht ist nämlich der Kompetenz phänomenal nachgelagert. Um eine (vernünftige) Absicht zu haben, bedarf es schon des Vermögens der Vernunft (λόγος als Vermögen vernünftigen Redenkönnens), damit dieses Vermögen (absichtsvoll) eingesetzt werden kann. Für das Verhältnis von Rhetorik und Philosophie bedeutet die hier nur grob gezeichnete Entgegensetzung von Platons ›Idealismus‹ 12 13 14 15 16

Ebenda. Ebenda, S. 22 (1359b). Ebenda, S. 10 (1355a) und S. 16 (1357b). Ebenda, S. 11 (1355b). Ebenda.

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und Aristoteles’ ›Realismus‹, dass es wesentlich vom philosophischen (metaphysischen) Modell und gesellschaftspolitischen (ideologischen) Standpunkt abhängig ist, welcher Stellenwert der Rhetorik jeweils beigemessen wird. Vertritt man einen auf ewige Wahrheitsansprüche ausgerichteten und insofern dogmatischen Idealismus, dann muss die Rhetorik als etwas Zerstörerisches angesehen werden, weil sie die kritische Frage nach den Geltungsansprüchen dieser Wahrheitsansprüche erhebt und bestehende Ordnungen infrage stellt. Trennt man jedoch den Relativismus der Sophistik vom gemäßigten Wahrheitsanspruch der Rhetorik als Vermögen vernünftigen Redens und vertritt einen auf glaubhaften Wahrheitsansprüchen basierenden und insofern dynamischen Realismus, dann hat die Rhetorik etwas Gesellschaftskonstitutives. Sie kann dann die allgemeine Freiheit und Vernunft und in der Folge demokratische Zustände befördern. Die Suche nach dem Glaubwürdigen lässt sich so nämlich als (dialektische) Suche nach dem angemesseneren und präziseren Ausdruck einer praktischen Fragestellung ausweisen. 17 Die Frage nach dem Zusammenhang von Philosophie und Rhetorik zeigt sich insofern als Frage nach dem Zusammenhang von metaphysisch-philosophischem Grundansatz einerseits und der Beurteilung der Rhetorik als Methode zur Herstellung bzw. Aufrechterhaltung grundsätzlicher Daseinsweisen des Menschen andererseits. Wenn in dieser Untersuchung die Frage nach der Logik bestimmter rhetorischer Redeformen im Zusammenhang mit dem Denkweg Martin Heideggers gefragt wird, dann deshalb, weil Heidegger eine echte Alternative zu den beiden extremen Positionen in der Antike darstellt, die wesentliche Teile beider Positionen in sich aufgenommen hat. Heidegger fragt nämlich nach der Reichweite von Logik und Rhetorik in Bezug auf das praktische Selbst- und Weltverhältnis des Menschen. Warum Rhetorik nicht mehr in ihrer logischen und denkerischen Dimension, und damit in ihrer philosophischen Reichweite, begriffen wird, sondern nur noch als Methodenrepertoire der Stilistik, das lässt sich am allmählichen Fortgang der Rhetorik aus der Philosophie in andere Bereiche demonstrieren.

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Ebenda, S. 21 (1359b).

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Der Auszug der Rhetorik aus der Philosophie

1.2. Der Auszug der Rhetorik aus der Philosophie Wie eng Rhetorik im Zusammenhang mit den praktischen Fragen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens begriffen wird, sieht man an den Texten späterer Autoren, zum Beispiel Tacitus, für den demokratische Strukturen die unerlässliche Bedingung für Rhetorik sind. Mangel an freiheitlich-demokratischen Strukturen, zum Beispiel durch den autoritär geführten römischen Staat, macht öffentliches Beraten und damit Beredsamkeit – jedenfalls in ihrer angestammten Funktion – überflüssig. 18 Für das Rhetorikverständnis bedeutet das, dass der Geist, der der antiken Rhetorik innewohnt, vor allem praktisch ausgerichtet ist. Bald wird die Rhetorik mit der Technik des Arztes verglichen, dessen Aufgabe es nicht nur ist, zu heilen, sondern auch zu pflegen. 19 Dies tut sie mit jener Technik des Militärstrategen, der Überzeugungsgründe zu überblicken habe. So wird die Rede zunehmend als etwas Funktionales verstanden. Ihr Schlüsselbegriff, damit Grundlage der funktionalen Wirksamkeit, ist der Begriff der ›Angemessenheit‹ bzw. des ›Schicklichen‹ (lat. prépon, decorum). 20 Redekunst – verstanden als Beredsamkeit – kann sich nur so lange entwickeln, wie sie tatsächlich zu etwas dient, also ein wirksames Instrument ist. Das kann sie aber nur in einem Staat, in dem offen ge-

Tacitus beklagt den einsetzenden Niedergang der Redekunst. In Tacitus’ Gespräch über die Redner heißt es ironisch-resigniert: »Oft fragst du mich, mein Justus Fabius, warum, da doch die früheren Zeiten an Geist und Ruhm so vieler bedeutender Redner reich gewesen, vorzugsweise unser Zeitalter so verlassen und ohne Lob der Beredsamkeit, kaum noch auch nur den Namen Redner kenne. […] Denn wozu bedarf es langer Erklärungen im Senate, wenn die Besten schnell einig werden? Wozu vieler Reden vor dem Volke, wenn über das Gemeinwesen nicht Unerfahrene und viele, sondern der Weiseste und einer ratschlagt […] Wenn daher ein Staat gefunden würde, in welchem niemand sich verginge, so wäre unter Schuldlosen der Redner, wie unter Gesunden der Arzt überflüssig.« Tacitus, Gespräch über den Redner, in: Sämtliche Werke, Wien 1935, S. I–XLI; vgl. auch T. Todorov, Glanz und Elend der Rhetorik, in: ders., Symboltheorien, Tübingen 1995, S. 53–77. 19 »Dass also die Kunst der Rede […] nützlich ist, ist einzusehen, auch dass es nicht ihre Aufgabe ist, wirklich zu überzeugen, sondern nur den in jedem Gegenstand liegenden Überzeugungsgrund zu überblicken, wie es ja auch auf anderen Gebieten ist: Auch die Heilkunst soll ja nicht gesund machen, sondern nur tun, was sie kann; kann man doch auch diejenigen richtig pflegen, die nicht wieder gesund werden können.« Vgl. Aristoteles, Rhetorik, a. a. O., S. 11 (1355 b). 20 Vgl. Cicero, De oratore – Über den Redner, übersetzt von H. Merklin, Stuttgart 1978, S. XXXV f. 18

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redet werden kann und in dem das gesprochene Wort gehört wird und etwas vermag. Am Unterschied von griechischer Polis und römischer Republik lässt sich demonstrieren, wie eng das Verständnis von Rhetorik an eine bestimmte Form des Zusammenlebens gebunden ist. Muss nämlich in der Polis die Rede vor allem wirksam sein, um für das gemeinschaftliche Zusammenleben nützlich sein zu können, so wird sie in der Republik ihrer äußeren Nützlichkeit allmählich enthoben und nach und nach zum Selbstzweck erklärt. Die Rhetorik ändert in diesem Übergang vom griechischen zum römischen Staatsmodell ihren Gegenstand, ihre Aufgabe und ihr Wesen. 21 Seit der römischen Republik erhält Rhetorik nämlich eine neue Funktion. Sie steht im Spannungsfeld zwischen einer stärker zweckbestimmten Definition 22 und einer eher moralisch-ästhetischen Definition 23. Zwar verfügt schon die frühere Rhetorik über Ansätze, die dem Ideal der Qualität der Rede vor seiner praktischen Funktion Vorschub leisten, aber in der Zeit des Wechsels der Staatsmodelle avanciert der Begriff ›ornatio‹ (lat. vom Verb ornare = dt. ausrüsten, ausstatten) zum Mittelpunkt des neuen Rhetorikverständnisses. 24 Das für die weitere rhetorische Tradition an Bedeutung gewinnende Verb ›schmücken‹ ist dabei inhaltlich nicht weit vom Verb ›ausstatten‹ entfernt. Als Ausstattung und Schmückendes kommt so das Ornamentale in die Rhetorik. Das neue Ideal der Rhetorik ist nicht mehr allein die argumentative Ausstattung, sondern vor allem die Schönheit der Rede. 25 Rhetorik wird zur Stillehre (lat. elocutio = dt. Ausdruck, Stil). In diesem Zuge ändert sich auch der Aufbau der rhetorischen Rede. Statt der ursprünglich fünf Redeteile 26, die mehr oder weniger Cicero nimmt bei der Neubestimmung eine wichtige Vermittlungsstellung ein: Er wird zugleich der letzte einer alten und der erste einer neuen Tradition sein. 22 Eine solche Definition liefert zum Beispiel Cicero mit Rhetorik als dicere ad persuadendum accomodate, also als angemessene Weise des Redens. Vgl. Cicero, De oratore – Über den Redner, a. a. O., S. 138. 23 Diese Definition stammt von Quintilian. Er bestimmt Rhetorik als ars/scientia bene dicendi, also als Kunst oder Wissenschaft des schönen bzw. guten Redens bzw. einfacher als Wissenschaft vom Reden. Vgl. M. F. Quintilianus, Oratoriarum Institutionum, Buch II, S. 17, 35; vgl. M. F. Quintilianus. Ausbildung des Redners, Darmstadt 1995. 24 Vgl. T. Todorov, Symboltheorien, a. a. O., S. 58. 25 Vgl. ebenda, S. 57. 26 Das seit der Antike existierende übergeordnete Gliederungsprinzip im System der Rhetorik ergibt sich aus den fünf Arbeitsgängen beim Herstellen einer Rede (lat. 21

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Der Auszug der Rhetorik aus der Philosophie

gleichberechtigt und einem äußeren Zweck unterworfen sind, nämlich den Zuhörer zu überzeugen, nehmen nun – aufgrund des Verlustiggehens des äußeren Zweckes – der Redeschmuck und die Figuren einen immer wichtigeren Platz ein. Sie dienen nun einzig dem Ziel, kunstvoll zu reden bzw. zu schreiben. Die Erfindung(sgabe) bzw. das Auffinden der Gedanken (lat. inventio) wird allmählich aus der philosophischen Rhetorik getilgt und die Rhetorik bleibt dem sprachlichen Ausdruck vorbehalten. So wird das Paar von Mittel und Zweck durch dasjenige von Form und Inhalt ersetzt. Die Gedanken, die früher ein den Worten vergleichbares Mittel waren, nehmen jetzt die äußere und beherrschende Position des Zweckes ein. 27 Vom Redner wird nicht mehr Wirksamkeit, sondern dichterische Schönheit verlangt. Eine transitive Wirksamkeit der Gedanken wird ersetzt durch die Bewunderung des schönen Wortes. Die neue Beredsamkeit unterscheidet sich alsbald nicht mehr von Belletristik. Allein die Haltung gegenüber der neuen Rhetorik ist von ihr unterschieden. Die schöne, aber nunmehr gewissermaßen nutzlose, ineffiziente Rede wird innerhalb der Rhetorik zu einer Wissenschaft der für sich selbst bewunderten Sprache erhoben. Von den drei Funktionen der Rede: belehren, rühren und gefallen, bleibt letztlich nur die letzte übrig: Die Sprache soll verschönert und durch diese Verschönerung soll (interesseloses) Gefallen erzeugt werden. 28 Zwar gibt es auch Stimmen, die die Rückkehr der Wirksamkeit fordern,

officia oratoris, processes of rhetoric): a) der Erfindungslehre (lat. inventio); sie ist die Lehre vom Suchen und Finden von Argumenten und Beweisen, b) der Anordnungslehre (lat. dispositio), sie ist die Lehre von Zahl und Anordnung der Redeteile, c) der Stillehre (lat. elocutio), sie ist die Lehre vom sprachlichen Ausdruck, insbesondere vom übertragenen Wortgebrauch (lat. tropic), den rhetorischen Figuren, den Stilgattungen, Stiltugenden und Stilfehlern, d) der Gedächtnislehre (lat. memoria), dem Gedächtnis und den Gedächtnistheorien sowie e) der Lehre vom Vortrag (lat. actio). Im Mittelalter lebt die Rhetorik als Teil im System der sieben Künste (lat. artes liberales) weiter. Sie hat das Lehrgebäude der Rhetorik dann noch um zwei Zweige der Theorie erweitert: f) die ars dictaminis, die rhetorische Kunst des Briefeschreibens und g) die ars praedicandi, die Kunst des Predigens. 27 Vgl. T. Todorov, Symboltheorien, a. a. O., S. 60. 28 Da es im römischen Staat nicht mehr möglich ist, sich der freien Rede zu bedienen, zieht man sich in Nischen zurück, in denen man Rhetorik zum Sprachfest erhebt, die Erkenntnis der Sprache um der Sprache willen betreibt, die Sprache sich selbst feiert und zur Schau stellt. Die ehemalige aufklärerische Funktion des rhetorischen Redens, auf die Aristoteles setzt, wird allmählich vergessen. An ihre Stelle tritt die Figurenanalyse des dichterischen Textes. Logik der Tropen

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zum Beispiel Augustinus in seinen Bekenntnissen. 29 Aber – wie schon Tacitus betont – es gibt Beredsamkeit nur in einer freien Gesellschaft. Es gibt sie nicht, wenn ihr Ziel durch ein staatliches/ideologisches oder religiöses/metaphysisches Dogma vorgeschrieben wird, oder wenn man von ihr verlangt, sich für den Dienst an der Wahrheit einspannen zu lassen. Es gibt sie also nur, wenn Wahrheit noch zu entdecken und nicht bloß zu illustrieren ist. 30 Knüpft die Renaissance-Rhetorik im Allgemeinen an die in der Epoche wiederentdeckte antike Rhetorik an, so belebt sie zugleich den Gegensatz von persuasiver (schlechter) und überzeugender (guter) Rhetorik – und zwar in der Opposition zwischen der von den Humanisten postulierten kulturstiftenden Einheit von Rede und Vernunft einerseits und der machiavellistischen, machtpolitisch motivierten Redekunst, die auch die Mittel der Verstellung und Verführung einschließt, andererseits. Die entscheidende Neuerung ist jedoch die, dass die Rhetorik in kritischer Auseinandersetzung mit der scholastischen Logik mit ihrer Beschränkung auf syllogistische Schlussfiguren zwar als Re-Rhetorisierung der Logik im Sinne einer Argumentationslehre (lat. ars disserendi) fortgesetzt wird – und so über diesen Umweg zum Teil ihre Verbindung zur Dialektik (lat. dialektiké) als Unterredungskunst wieder zurückerhält –, aber dann trotzdem vor allem als Stillehre weiterbetrieben wird. Die institutionelle Ausschließung der Rhetorik aus dem Trivium der Wissenschaften, die am Beginn der frühen Neuzeit einsetzt, letztlich aber schon bei Quintilian vorbereitet ist, beruht – und das ist im Kontext einer philosophischen Rehabilitierung der Rhetorik wichtig – vor allem auf einem Missverständnis dessen, was Rhetorik en nuce ist. Dieses Missverständnis geht auf ein einseitiges, reduktives Vorverständnis, respektive Vorurteil, gegenüber den Methoden der Rhetorik zurück. Abgeschnitten von der Gesamtheit der rhetorischen Wissenschaft wird nämlich der methodologische Teil der Rhetorik, die Erfindungskunst (lat. inventio). Gegenüber der Lehre vom Ausdruck (lat. elocutio) wird die Lehre von den rhetorischen Schlüssen zunehmend marginalisiert und als bloße Theorie des Redeschmucks missverstanden. Übrig bleibt die Kunst der Darstellung bzw. des Ausdrucks, bei der es naturgemäß Überschneidungen mit der Poetik gibt und die von Aristoteles oszillierend mal in die Rhetorik, mal in die 29 30

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Vgl. Augustinus, Bekenntnisse, Frankfurt am Main 1987. Vgl. Tacitus, Gespräch über den Redner, a. a. O., S. I-XLI.

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Der Auszug der Rhetorik aus der Philosophie

Poetik einsortiert wird. Es entwickeln sich Rhetoriken, die sich ganz auf den Stil (lat. elocutio) konzentrieren. Im Zuge dieser Entwicklung wachsen Poetik und Rhetorik als Stillehre näher zusammen. Nachdem sich die klassische Schulrhetorik schließlich allein auf die Klassifizierungen von Figuren zur Verschönerung der Rede beschränkt, kehren sich im 18. Jahrhundert mit der so genannten Genieästhetik sowohl die Logik als auch die Poetik vollends von der Rhetorik ab: 31 In der Romantik wird dann der endgültige Bruch von Poetik und Rhetorik vollzogen, indem mit dem Kunststil des Klassizismus (engl. poetic diction) abgerechnet wird. 32 Novalis wird sagen: »Poësie ist Poësie. Von Rede(Sprach)kunst himmelweit unterschieden.« 33 Damit deutet er an, dass es in der Poesie nicht nur um den Einsatz wirkungsvoller Klang- und Überzeugungsmittel geht, sondern um das Erfassen von realen und fiktiven Daseinsweisen des Menschen, die ihn über sich selbst erheben. 34 Das schöngeistige Bildungsprogramm der Rhetorik mit dem Anspruch, auch eine Art theoretische ars, also eine Kunst mit Selbstwertcharakter zu sein, bringt die Rhetorik dann vollends in den Gegensatz zur Philosophie, die sich vornehmlich als eine vor allem logisch-beweisende Wissenschaft statt einer erfahrungsgesättigt-intuitiven Kunst versteht. Logik und Rhetorik werden in der Folge nicht nur als ratio im Sinne von vernünftigem Denken, Erwägung und (be)rechnendem Verstand, und oratio im Sinne von Sprache, Sprechen und Rede, nicht nur unterschieden, sondern auch disziplinär voneinander strikt abgetrennt. Die ›ratio‹ innerhalb der ›oratio‹ ist im Allgemeinen ebenso aus dem Vgl. K.-H. Göttert, Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe – Geschichte – Rezeption, München 1991; M. Fuhrmann, Die antike Rhetorik. Eine Einführung, München, Zürich 1987, M. F. Quintilianus, Ausbildung des Redners, a. a. O., S. 13 ff.; J. Kopperschmidt, Das Ende der Verleumdung. Einleitende Anmerkungen zur Wirkungsgeschichte der Rhetorik, in: ders., Rhetorik, Darmstadt 1991, S. 1–33; vgl. H. Schanze (Hrsg.), Rhetorik. Beiträge zu ihrer Geschichte in Deutschland vom 16.– 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1974; und P. Ricœur, Die lebendige Metapher, München 19912, S. 13 f. 32 Vgl. W. Wordsworth, I Wandered Lonely as a Cloud. Balladen, Sonette, Versepen, Straelen 2011. Die Sammlung gilt als die Stiftungsurkunde der englischen Romantik, die mit der erstarrten Dichtung des Klassizismus brechen will. 33 Novalis, Fragmente über Poesie (1798), in: Novalis, Werke in einem Band. Blütenstaub, Berlin und Weimar 1983, Fragment Nr. 71, S. 291. 34 »Die Poësie […] mischt alles zu ihrem großen Zweck der Zwecke – der Erhebung des Menschen über sich selbst.« in: Novalis Schriften, Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hrsg. v. P. Kluckhohn und R. Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz, 2. Aufl. Stuttgart 1960 ff., II, S. 535, 42. 31

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Blick geraten wie die Sprachgebundenheit aller rationalen Gedankenführung. Während die ›ratio‹ als Logik weiterhin ein sehr nahes Verhältnis zur Philosophie genießt, führt die ›oratio‹ als Rhetorik in der Philosophie seit ihrer erfolgreich gepflegten Verleumdung ein als bedrohlich empfundenes Schattendasein, deren Wirkungsgeschichte und Geltungsansprüche schlicht vergessen wurden. 35 Man kann das notorische Konfliktverhältnis von Rhetorik zu Logik und zur Poetik mit Gottfried Gabriel vielleicht durch folgende Allegorie veranschaulichen: »Wie die Geschichte der Rhetorik zeigt, haben wir es mit einem Dreiecksverhältnis zu tun, das durch wechselnde Allianzen bestimmt ist. Zeitweilig geht die Rhetorik mit der Logik einher und verbindet sich mit dieser zur Dialektik. Dann wird sie von der Poetik angezogen, bzw. – von der Logik verstoßen – in deren Arme getrieben. Schließlich wird sie von beiden verschmäht, sobald sich die Gegensätze Logik und Poetik kompensatorisch anziehen und – etabliert als Wissenschaft und Dichtung – eine bürgerliche Ehe der wohlwollenden Duldsamkeit eingehen, in der jeder seiner Wege geht.« 36

Die Rhetorik wird hier also als die zeitweilig interessante, aber letztlich doch verschmähte dritte Instanz verstanden, die zwischen Logik und Poetik hin- und hergezerrt, ausgeplündert und schließlich von beiden Seiten fallen gelassen wird. Inzwischen hat sie sich vollständig an andere Disziplinen und Bereiche verausgabt. Hinterlassen haben die Autoren der vorangegangenen Perioden sehr unterschiedliche rhetorische Theorien, Figurenklassifikationen und sprachliche Ordnungsschemata, außerdem einige darüber hinausgehende Vorstellungen über Geltungsansprüche und die Rolle der Rhetorik für die Ordnung des gemeinschaftlichen Lebens. 37 Der gewöhnliche Blick auf die Rhetorik ist in Unkenntnis ihrer hier vor allem unter systematischen Gesichtspunkten skizzierten Geschichte heutzutage nur noch oberflächlich. 38 Gleichwohl gab es einige wenige Philosophen, die sich schon vor dem linSiehe: St. Toulmin, Die Verleumdung der Rhetorik, in: Neue Hefte für Philosophie 26, 1986, S. 55 ff. 36 G. Gabriel, Logik und Rhetorik der Erkenntnis. Zum Verhältnis von wissenschaftlicher und ästhetischer Weltauffassung, Paderborn 1997, S. 14 f. (Kursivierung Gabriel). 37 Vgl. Todorov, Symboltheorien, a. a. O., S. 79. 38 Vgl. J. Kopperschmidt, Das Ende der Verleumdung, a. a. O., S. 1–33. 35

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Die Wiederkehr der Rhetorik in die Philosophie

guistic turn, also der sprachanalytischen Wende, nicht nur der Rolle der Sprache und ihrer grammatischen Formen, sondern auch der Rhetorik und ihrer Potentiale für das Denken bewusst waren. 39 Wenngleich heute auch nur spärlich oder oberflächlich rezipiert, so sind doch über das humanistische Bildungsideal des 19. Jahrhunderts auch Reste der logisch-dialektischen Aspekte der Rhetorik für eine Wiederkehr in die Philosophie gerettet worden.

1.3. Die Wiederkehr der Rhetorik in die Philosophie Als Fachdisziplin wird Rhetorik seither nur noch in der klassischen Philologie des 19. und 20. Jahrhundert weiterbetrieben. 40 Von dorther rührt auch das Interesse, das Friedrich Nietzsche, als einer der wenigen rhetorikaffinen Philosophen vor Martin Heidegger, der Redekunst entgegenbringt. Weil Nietzsche einer der wichtigen Vordenker bei der philosophischen Wiederentdeckung der Rhetorik im 20. Jahrhundert ist und insbesondere für die Rehabilitierung des Tropengebrauchs gesorgt hat, soll dessen philosophischer Rhetorikbegriff in Bezug auf sein Tropenverständnis kurz vorgestellt werden. 41 Für Heidegger spielt Nietzsche darüber hinaus bei der Frage nach der Überwindung des metaphysikkritischen Denkens eine große Rolle. Das macht ihr Verhältnis im Rahmen einer Auseinandersetzung mit tropischen Tiefenstrukturen besonders interessant. Nietzsche möchte das methodische Verhältnis klären, das die Zu denjenigen, die sich eingehend mit dem Verhältnis von Sprache und Denken jenseits eines allgemeinen Tier-Mensch-Unterschiedes vor dem linguistic turn befasst haben, waren zum Beispiel Herder und Humboldt. Vgl. J. G. Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772), Stuttgart 1966; und W. v. Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung (1820) und ders., Über das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluss auf die Ideenentwicklung (1822), in: ders., Über die Sprache Tübingen/Basel 1994, S. 11–33 bzw. S. 52–82. 40 Inzwischen hat sich das geändert, da sich in den letzten Jahrzehnten wieder mehr Philosophen für vor allem Metaphern und figürliche Rede und ihre philosophische Reichweite interessieren. 41 Kopperschmidt verweist darauf, wie Nietzsche, der sich als 28-Jähriger gerade mit seiner Geburt der Tragödie (1872) aus der Zunft der Philologen selbst exkommuniziert hatte, in der Baseler Universitätsbibliothek auf ein Buch von Gustav Gerber (Die Sprache als Kunst, Bromberg 1871) gestoßen ist, das maßgeblich sein Interesse an Sprache bestimmte. 39

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Rhetorik zur Kunst eingeht. Die Einsicht in die prinzipielle, aber weithin vergessene Tropizität bzw. Metaphorizität 42 der Sprache führt ihn zum Schlüsseltheorem seines Sprachverständnisses. Seine programmatischen Sätze lauten: ›Die Sprache ist Rhetorik‹ und ›eigentlich ist alles Figuration‹. 43 Das ist keine bloße Radikalisierung von Quintilians ›paene iam, quidquid loquimur, figura est‹ (dt. fast alles, was wir reden, ist schon Figur) 44. Dieser war nur sprachtheoretischer Art. Bei Nietzsche wandelt sich die Dimension in eine philosophische. Ihm geht es um eine Kritik der Sprache im Sinne einer Kritik an einer eindimensionalen Vernunft. Die ›Vernunft‹ hält er nämlich für weit weniger ›rein‹, als Immanuel Kant immer wieder anstrebt, indem er alles Empirische bzw. Erfahrungsbezogene und daher Fallible aus ihr zu tilgen versucht. 45 Insofern geht es ihm vor allem um eine Kritik an einem überzogenen logizistischen Rationalitätsverständnis. Damit greift Nietzsche die romantische Kritik an Kants Reinheitsparadigma wieder auf und radikalisiert sie. Rhetorik als ›bewusste Kunst‹ wird für Nietzsche zu einem Instrument, das die Unbewusstheiten des Sprachgebrauches aufzudecken vermag. Der artifizielle Charakter macht die Rhetorik zum Schlüssel, die intrinsische Kreativität und Erfahrungsbezogenheit der Sprache und eines darin fundierten Denkens bewusst zu machen. Eine reine Sprache im Sinne einer eineindeutigen Repräsentanz der Welt ist für Nietzsche nicht zu haben. Für ihn ist es ein Trugschluss, wenn man glaubt, den Menschen aus der ›platonischen Höhle‹, aus seinem Schein herausziehen zu können. Vielmehr dürfe man sich nichts vormachen, sondern solle die metaphysischen Überdeckungen als Grundart daseinsmäßiger Bestimmungen, die dazu da sind, das menschliche Leben zu sichern, offenlegen.

Oft wird der Begriff Metaphorik als Überbegriff für alle bildliche Rede verwendet und schließt die tropische Rede mit ein. Genauer ist jedoch die Rede von Tropizität, weil die Metapher eine Trope unter anderen ist und nicht umgekehrt. 43 Vgl. F. Nietzsche, in: ders., Werke, KGA, Berlin/New York 1970, Bd. 1, S. 426. Vgl. auch J. Kopperschmidt, Nietzsches Entdeckung der Rhetorik. Rhetorik im Dienste der Kritik der unreinen Vernunft, in: J. Kopperschmidt und H. Schanze (Hrsg.), Nietzsche oder ›Die Sprache ist Rhetorik‹, München 1994, S. 39–62. 44 »Fast alles, was wir reden, ist schon Figur«, M. F. Quintilian, Institutum Oratorium, a. a. O., S. 1. 45 Vgl. I. Kant, Zur Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Stuttgart 2008, Vorrede und Erster Abschnitt, S. 7–32. 42

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Die Wiederkehr der Rhetorik in die Philosophie

Gegen einen naiven Objektivismus und gegen einen logizistischen Rationalismus fasst Nietzsche die Sprache – wie Wilhelm von Humboldt vor ihm – vor allem als ein ›Organ des Überlebens‹ auf. Sprache ist nicht ›Werkzeug‹ eines interessefreien kontemplativen Umgangs mit der Welt, sondern immer schon in tätige (Über)Lebensvollzüge und Praxisformen eingebettet. Diesen entspringt sie und passt sich als ein Lebendiges ein. Sie ist ›Energie des Geistes‹, eine ἐνέργεια und kein ἔργον (dt. Werk), wie Ernst Cassirer es – sich ebenfalls auf Humboldt stützend – später formulieren wird. 46 Die ›Ehrlichkeit der Rhetorik‹ besteht für Nietzsche darin, dass sie den doxastischen Schein nicht als defizitäre Qualität entwertet, sondern zur konstitutionellen Verfasstheit des Menschen macht. Mit Bezug auf Aristoteles macht Nietzsche deutlich, dass für ihn die Dinge, über die wir reden und nachdenken, keine ursprünglichen Wesenheiten sind, sondern sozusagen ›Metaphern der Dinge‹. ›Dinge‹ bzw. Sachzusammenhänge sind für Nietzsche immer schon Interpretationsleistungen, die ihrerseits einem Schema unterliegen, das selbst nicht hinterfragt und bekannt wird. »Nicht die Dinge treten ins Bewusstsein, sondern die Art, wie wir zu ihnen stehen, das pithanon. Das volle Wesen der Dinge wird nie erfasst.« 47 Das heißt, dass das, was Aristoteles über die Rhetorik sagt, von Nietzsche auf die gesamte Sprache übertragen wird: Die Sprache ist ›Persuasion‹, insofern sie wie die Rhetorik überzeugen, einen Glauben erzeugen, glaubwürdig sein will, dieses und nicht jenes zu tun. Richtig an diesem Gedanken ist: Sprache bildet Welt nicht einfach ab, und schon gar nicht interessefrei. Sprache macht Welt überhaupt erst zugänglich und verfügbar. Sprache ist insofern immer auch technische Zurichtung, instrumentalisierte Kommunikation und zugleich Kooperation. Für Nietzsche ist sie eher ein pragmatisches Instrument der (Über)Lebensdienlichkeit. Falsch jedoch ist deren Übertreibung, wenn sie die aristotelische Unterscheidung zwischen Dialektik und Rhetorik wieder einzieht und alles zur Rhetorik als bloß wirksamer Rede werden lässt. 48 So würde ihr logischer Charakter unterminiert und zum bloßen Spielball der Mächte. Unter den sozialen Bedingungen des Reden-MüsVgl. Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1: Die Sprache, Darmstadt 1997, S. V. 47 F. Nietzsche, KSA XII, a. a. O., S. 194 (Kursivierung Nietzsche). 48 Vgl. H. Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt am Main 1979, S. 272. Dieser bestimmt das Wesen der Philosophie Nietzsches generell nur noch als Rhetorik, mit dem Ergebnis, dass das Intensitätsparadigma alle anderen Lebensbezüge überschattet. 46

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sens und Reden-Könnens wird persuasive Sprache als πιθανόν (pithanon) von Nietzsche zum ›größten Machtmittel inter pares‹ stilisiert, der einen Willen – sei es den ›Willen zur Macht‹ oder den ›Willen zum Willen‹ ausdrückt. 49 Anders als Nietzsche aber ging die Antike mit der Rhetorik um: Platon und Aristoteles legen gerade Wert auf die Unterscheidung von Dialektik und Rhetorik, Wissen und Sophistik. Diese garantiert die Distinktion zwischen Absicht (Bestreben, Intention) als teleologische, dem menschlichen Wollen unterliegende Kategorie, und Können (Kompetenz, Fähigkeit) als anthropologische Grundausstattung des Menschen. Weil die Absicht der Kompetenz nachgeordnet ist, wird demzufolge auch klar, dass nur der, der eine Fähigkeit besitzt, sie auch für bestimmte Ziele und Zwecke einsetzen kann. Bei aller Weitsicht, die Nietzsche bei seiner Rehabilitation der Rhetorik bewiesen hat, unterscheidet er leider diese beiden Ebenen nicht voneinander, sondern setzt sie gleich. Damit verwischt er die wesentlichen Unterschiede, die Aristoteles – und auch schon Platon – herausgearbeitet haben. Nietzsches angestrebte Verteidigung der Rhetorik ist demzufolge nur unter der Maßgabe zu erreichen, dass Sprache offenbar doch nur als ein Werkzeug angesehen wird, welches einzig mit der (Überlebens)Absicht eingesetzt wird, Macht zu erlangen. Aristoteles und Nietzsche unterscheiden sich in der Beurteilung der Grundprämisse, nämlich der Frage, was den Menschen zum Menschen macht. Das hat Konsequenzen für die unterschiedlichen Rhetorik-Begriffe der beiden. Sicher ist es auch ein Grund dafür, warum sich Heidegger später eher dem aristotelischen Rhetorik-Begriff anschließt als dem Nietzsches. Für Heidegger gerät Nietzsche auf Abwege, weil er den Menschen zu sehr von seiner machtlüsternen, tierisch-›bestialen‹ Seite sieht. Er ordnet die Absicht der Kompetenz nicht unter, sondern über. Wenn es mit Heidegger zu einem erneuten Interesse an der Rhetorik kommt 50, dann darf sie Nietzsches Fehler nicht wiederholen. Sie muss vom Vermögen des Menschen ausgehen, nicht von seinen Absichten. Programm der Fundamentalontologie und der dazugehörigen Existenzialanalyse ist es dann tatsächlich auch, die zunächst in den Schatten gestellte und insofern implizite Rhetorik erst wieder ins Licht einer philosophisch anspruchsvollen Analyse zu ziehen. Die Wiederkehr des Interesses an der Rhetorik innerhalb der 49 50

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Vgl. F. Nietzsche, KGA, a. a. O., S. 369. Vgl. H. Plett (Hrsg.), Die Aktualität der Rhetorik, a. a. O., S. 14.

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Die Wiederkehr der Rhetorik in die Philosophie

Philosophie ist inzwischen kein spezifisch deutschsprachiges Phänomen mehr. In Anbetracht des in Europa und Nordamerika neu erwachten allgemeinen Interesses an Rhetorik und umfassender rhetoriktheoretischer Ambitionen wird – in Anlehnung an den Terminus linguistic turn – mittlerweile von einem ›rhetorical turn‹ gesprochen. 51 Manche Forscher glauben sogar, mit der Rhetorik eine alte als neue Königin der Wissenschaften wiederbelebt zu haben. 52 Zur späteren Renaissance der Rhetorik tragen vor allem Ernst Robert Curtius mit der Neubegründung der Toposforschung 53, Heinrich Lausberg mit seiner umfassenden Systematik rhetorischer Kategorien 54 und Klaus Dockhorn mit seiner Nutzung der rhetorischen Affektenlehre 55 bei. Sie sind jedoch eher von einem rhetoriktheoretischen als einem genuin philosophischen Interesse geleitet. Mittlerweile gibt es ein ausdifferenziertes System der Rhetorik in Form penibler Auflistungen relevanter Überzeugungsressourcen. Unterschiedliche Klassifizierungssysteme mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen konkurrieren miteinander. Aus philosophischer Sicht stellt sich die Frage, worauf diese Systeme eigentlich eine Antwort geben sollen? Ihre operative Dienlichkeit lässt sich nur verstehen vor der Setzung der Prämisse, dass das menschliche Leben als kulturelle Existenzweise auf der Basis sozialer Kooperationen überhaupt erst möglich ist. Eine Philosophie der Rhetorik muss insofern also eine umfassende Sozialphilosophie sein, als sie die realen menschlichen Kooperationsbedingungen kritisch hinterfragt und ihre nötigenden Plausibilitätspotentiale offenlegt. Eine recht verstandene Philosophie der Rhetorik, insofern sie Geltungsfragen stellt und keine Wirkungsgeschichten erzählt oder sich in Figurenklassifikationen verausgabt, ist daher in besonderem Maße wegweisend innerhalb Vgl. H. W. Simons (Hrsg.), The Rhetorical Turn. Invention and Persuasion in the Conduct of Inquiry, Chicago 1990. 52 Hierzu gehören zum Beispiel: R. Barthes, Das semiologische Abenteuer, Frankfurt am Main 1988, S. 17 ff.; W. Jens, Von deutscher Rede, München 1969, S. 16, und H.-G. Gadamer, Gesammelte Werke, Bd. 2: Hermeneutik, Tübingen 1986, S. 237. Vgl. Ch. Perelman, Das Reich der Rhetorik. Rhetorik und Argumentation, München, 1980. 53 Vgl. E. R. Curtius, Französischer Geist im zwanzigsten Jahrhundert, Bern 1952. 54 Vgl. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, München 1960. 55 Vgl. K. Dockhorn, Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus in der Literatur- und Geistesgeschichte, in: ders., Macht und Wirkung der Rhetorik. Vier Aufsätze zur Ideengeschichte der Vormoderne. Bad Homburg v. d. H. 1968. 51

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philosophischer Fragestellungen. Sie fragt nämlich nach den begrifflichen und sachlichen Zusammenhängen menschlicher Daseinsweisen im Allgemeinen und ihren tiefensprachlichen Ordnungsstrukturen im Besonderen. Damit versucht sie zu erfassen, wie die ›Grammatik unserer Sprache‹ mit der ›Logik unserer Handlungen‹ zusammenhängt. Nur wenn Philosophie nicht davon ausgeht, dass Menschen schon aus biologischer Sicht Beziehungswesen sind 56, sondern Kooperationsbedingungen für bestimmte Praxisformen offen und dynamisch ausgehandelt werden müssen, kann es eine Einheit von ›Verlässlichkeit handlungsbezogenen (deskriptiven) Wissens und Verbindlichkeit handlungsleitender (normativer) Orientierungen‹ geben. 57 Das philosophische Interesse an der Rhetorik solcher Autoren wie Hans-Georg Gadamer, Hans Blumenberg und Jürgen Habermas geht in diese Richtung. Mit mehr oder weniger Bezug auf Heidegger entwickeln sie ihre Fragestellungen hermeneutisch, kulturphilosophisch oder sozialphilosophisch weiter. Wie die in den 70er-Jahren geführte rhetorische Paradigmendebatte 58 zeigt, entzündet sich am Status der Rhetorik auch die Debatte um unterschiedliche Gesellschaftsmodelle. Die sozialwissenschaftliche Rahmendebatte zwischen Systemtheorie und der Theorie der herrschaftsfreien Kommunikation macht offenbar, um was es eigentlich geht, nämlich um die Explikation und Kritik der wissenschaftspraktischen und forschungsleitenden Implikationen. Damit geht es aber auch um die Klärung und Kritik der hinter dem System der Rhetorik stehenden Prämissen, die immer schon mit übernommen werden, wenn Theorieangebote unterbreitet werden. Diese Debatte ging bisher unentschieden aus. Das ist nicht verwunderlich, denn eine Entscheidung über sie ist weniger eine theoretische als eine praktisch-moralische Frage, die mit rein wissenschaftsimmanenten Werkzeugen nicht zu lösen ist. Sie zeigt vor allem eines: Wie bereits in den unterschiedlichen Positionen von Vgl. J. Bauer, Prinzip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus kooperieren, Hamburg 2008. 57 J. Kopperschmidt, Heidegger im Kontext der philosophischen Wiederentdeckung der Rhetorik, in: ders. (Hrsg.), Heidegger über Rhetorik, München 2009, S. 21. 58 In einer weniger philosophischen als innerrhetorischen Paradigmendebatte geht es seither vor allem um ein ›richtiges‹ Rhetorikverständnis. Es geht um den Konflikt zwischen einem mehr formal-affirmativen und einem sich als kritisch definierenden Rhetorikverständnis. Vgl. J. Dyck, Zur Kritik des herrschenden Rhetorikverständnisses, in: ders. (Hrsg.), Argumentation in der Schule, Kronberg, 1974, S. 7 ff. 56

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Die Wiederkehr der Rhetorik in die Philosophie

Platon und Aristoteles zur Rolle der Rhetorik in der Polis anklingt, ist die Frage nach der Rolle der Rhetorik für die Philosophie nicht nur eine marginale, etwa nach bestimmten Stilelementen oder rhetorischen Figuren, sondern bezieht sich auf die gesamte Landschaft der möglichen Redebereiche und ihrer Geltungsansprüche innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Strukturen. Macht man demnach die philosophische Dimension der Rhetorik zur tragenden, bekommt das sprachphilosophische Interesse an Heideggers Denken auch eine Neuverortung innerhalb der ideengeschichtlichen Entwicklung rhetorisch-tropologischer Fragestellungen. Denn wenn die neue Renaissance der Rhetorik nicht nur eine weitere Spielart der verschiedenen Moden des 20. Jahrhunderts: pragmatic turn, semiotic turn, linguistic turn, iconic turn usw. ist, drängen sich zwei Fragen auf: 1. Was gibt es an ihr philosophisch wieder- und aufzudecken? Und 2. Wozu bzw. inwieweit kann eine Tropenanalyse von Heideggers Denkweg dabei überhaupt dienlich sein? Um diese beiden Fragen beantworten zu können, sollen im Folgenden einige der hauptsächlichen Miss- und Falschverständnisse über Heideggers Sprachdenken, die sich hartnäckig in den Debatten der Heideggerforschung halten, korrigiert und ausgeräumt werden. Erst dann wird der Weg frei für eine von Vorurteilen bereinigte tiefenstrukturelle Analyse des Heideggerschen Denkweges.

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2. Kritik an der sprachbezogenen Heideggerforschung

Die folgende Diskussion des Forschungsstandes zum Heideggerschen Sprachdenkens zeigt auf, inwiefern die verschiedenen Vorwürfe, die gegen Heideggers Sprachdenken erhoben sind, auf Miss- oder Fehlverstehen seines Projektes beruhen. Auffällig ist in der gesamten Debatte um Heideggers Sprachdenken, dass sich vor die sachliche Diskussion die Frage nach der vermuteten Ideologiebelastetheit des Heideggerschen ›Jargons‹ drängt. 1 Nicht selten wird ein Zusammenhang von Heideggers Mitgliedschaft in der NSDAP, seiner knapp einjährigen Funktion als Rektor und seinem philosophischen Anspruch unterstellt. 2 Zwar führt eine gründliche Auseinandersetzung mit den Unterstellungen im Rahmen des in diesem Buch verfolgten Zieles zu weit. Um aber dem Verdacht zu entgehen, diese Debatte auszublenden oder zu marginalisieren, soll bezüglich seines Sprachgebrauches im Folgenden kurz dazu Stellung genommen werden.

2.1. Der Verdacht des ideologischen Sprachgebrauchs Einer der ersten, vehementesten und bekanntesten Kritiker von ideologischen Implikationen der Heideggerschen Sprache war Theodor W. Adorno. Adornos Ideologieverdacht ist bis heute aktueller GeDas Wort vom Jargon bringt Adorno in die Heidegger-Rezeption ein. Vgl. Th. W. Adorno, Negative Dialektik/Jargon der Eigentlichkeit, Frankfurt am Main 2003, S. 413–526. 2 Heidegger tritt am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein. 1945 findet sein Entnazifizierungsverfahren statt. Während des Prozesses bricht er zusammen und muss ins Sanatorium. Der Bereinigungsausschuss kommt zu dem Schluss, dass Heidegger schon 1934 ›kein Nazi‹ mehr gewesen sei und schlägt, um den Verlust des Geisteswissenschaftlers für die Universität zu vermeiden, dessen Emeritierung vor. Nach Intervention von Prorektor Franz Böhm wird ihm allerdings im Dezember 1946 das Lehrverbot erteilt. 1

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Der Verdacht des ideologischen Sprachgebrauchs

genstand der Heidegger-Auseinandersetzung geblieben. 3 Im Jargon der Eigentlichkeit wird Heidegger namentlich als derjenige erwähnt, der der faschistischen Sprache Asyl gewährt und das Unheil des Nazismus als Heil verkauft. 4 Im Jargon, so fühlt sich Adorno einig mit Victor Klemperer, dient die Sprache als Werkzeug zur Täuschung. 5 Heideggers Rede von Eigentlichkeit, so der Vorwurf, folge dem faschistischen Brauch, einen Mix aus Plebiszitärem und Elitärem zu brauen, und blasphemiere damit das Heilige der Sprache. Ungeachtet dessen, wie sich Adornos eigenes Verhältnis zum nationalsozialistischen Apparat selbst gestaltete, sind die Vorwürfe gegen Heidegger ernst zu nehmen. Sie drücken Heideggers Sprache einen Stempel entweder der bewussten Täuschung, der Verführbarkeit durch Sprache oder der Naivität auf. Die verschiedenen Autoren changieren hierin oft in ihrem Urteil. Einig sind sich diese Autoren jedoch darin, dass Heidegger mit seiner eigenwilligen Sprache seine tatsächlichen Überzeugungen zu verbergen und zu verschleiern suche. Viele sind darüber selbst verblüfft, weil sie deren Grundgedanken teilen. 6 Ernst Tugendhat zum Beispiel untersucht Heideggers Sprache am Thema des Sichzusichverhaltens und stempelt ihn ab als einen für Fragen der Ethik und Gesellschaft unsensiblen Philosophen, der den Begriff des Guten über Bord geworfen habe. Zwar halte »Heideggers These, dass Stimmungen Weisen des Selbstbewußtseins – des Sichverhaltens zu sich selbst – sind« 7, der analytischen Überprüfung stand, aber insgesamt fordere Heideggers ›entrationalisierte‹ Konzeption eine Erweiterung durch die Vernunft, weil »es eine Selbstbestimmung, die nicht als reflektiertes Selbstverhältnis verstanden wird, gar nicht geben kann« 8. Ein ›entrationalisierter Wahrheitsbegriff‹ führe nach Tugendhat aber dahin, »daß Heideggers

Zum Verhältnis von Heidegger und Adorno siehe auch: U. Tietz, Ontologie und Dialektik. Das Sein, das Urteil und die Synthesis bei Heidegger und Adorno, Wien 2003. 4 Th. W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Frankfurt am Main 2003, S. 416. 5 Vgl. V. Klemperer, LTI (Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reichs). Notizbuch eines Philologen. Stuttgart 2007. 6 Vgl. H. Ebeling, Heidegger. Geschichte einer Täuschung, Würzburg 1991. 7 E. Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, Frankfurt am Main 1979, S. 209. 8 Ebenda, S. 241. 3

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Nazismus keine zufällige Angelegenheit war, sondern daß ein direkter Weg von seiner Philosophie […] zum Nazismus« 9 führe. Weder Adornos noch Tugendhats Urteil lassen sich halten. Mangelt es der Adornoschen Analyse aufgrund des eigenen ideologischen Vokabulars an der nötigen Sachlichkeit der Erörterungen, so verstrickt sich Tugendhat in Widersprüche, die aus unzureichendem Verständnis der Heideggerschen Texte rühren. Die Überbetonung des Eigentlichkeitsbegriffs als Jargon bei Adorno und anderen Autoren ist selbst Ausdruck einer dogmatischen und diffamierenden Lektüre. Für Heidegger stellt der Begriff der ›Eigentlichkeit‹ – ähnlich wie das Kantische ›Ding an sich‹ – lediglich einen Grenzbegriff dar. Heideggers Gewichtung liegt insgesamt weniger auf dem hölzernen Eisen einer ›bewirkbaren Eigentlichkeit‹ als auf dem Staunen über die tiefe Durchdrungenheit des menschlichen Daseins mit kulturellen und metaphysischen Überformungen, die das Menschsein zu einem ›uneigentlichen‹ machen. 10 Weil der Mensch die Fähigkeit hat, sein Dasein als ein nicht-eigentliches, sondern veräußertes und objektiviertes zu betrachten, hat er immer schon ein Verhältnis zu sich selbst. Der Mensch muss sein Leben führen. Es wird von ihm immer schon beurteilt und gestaltet. Insofern kann es für Heidegger – anders als Tugendhat glauben machen will – gar kein ›nicht-rationales‹ Selbstverhältnis des Menschen geben. Die Frage ist nur, inwiefern diese Rationalität selbst noch einmal reflektiert oder nur übernommen ist. Die doppelte Verneinung ist also nicht einfache Umkehrung des Behaupteten, sondern eröffnet den logischen Raum für eine differenziertere Unterscheidung verschiedener Reflexionsgrade über unterschiedliche Rationalitätsstandards. In welchem Maße das eigene Tun und dessen mit der Sprache gegebenen Rationalitätsstandards einer Zeitepoche selbst noch einmal metareflexiv eingeholt und somit transparent werden können, bleibt für Heidegger eine Frage, die sich hinter dem Rücken der Sprechenden und Handelnden vollzieht und nicht ohne weiteres zu beantworten ist. Deshalb gilt es, wach zu sein für das eigene Denken, die eigene Sprache, das eigene Tun. Die Diskussion um Heideggers implizites Nazitum, das sich in seiner Sprache verstecke, erstreckt sich nicht nur auf Deutschland. Ebenda, S. 243. Heidegger nennt diese tiefe Durchwobenheit und metaphysische Überformtheit in Sein und Zeit auch ›Verfallenheit‹. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit (1927), Tübingen 1993.

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Neben der deutschen Tradition gibt es namhafte französische Philosophen, die sich Heideggers Sprache immer auch in Bezug auf die vermeintlich mangelhaft ausgearbeitete Ethik und die NS-Verwicklungen auseinandergesetzt haben. Stellvertretend hierfür sind zu nennen: Pierre Bourdieu, Jean-François Lyotard, Jacques Derrida, Philippe Lacoue-Labarthe, die den so genannten Fall Heidegger für eine spezielle déformation professionnelle halten. 11 Die jüngere französische Auseinandersetzung zum Beispiel setzt sich – im Unterschied zur älteren und mit Jean-Paul Sartre verknüpften der 40er-Jahre – vor allem mit Heideggers Biographie in Verbindung mit der realen politischen Involviertheit Heideggers und der fehlenden Stellungnahme in der Nachkriegszeit auseinander. – Inzwischen ist der Blick auf das Verhältnis von Sprachauffassung und Ideologie bei Heidegger differenzierter geworden und längst nicht mehr nur allein auf Frankreich beschränkt. Auch Ernst Nolte und Rüdiger Safranski aus Deutschland, Richard Rorty, Julian Young, Tom Rockmore in Amerika sowie Johannes Fritsche – und in letzter Zeit der Chilene Victor Farias – beteiligten sich an dieser Debatte. 12 Wer die Heideggerschen Texte genauer liest, wird jedoch gewahr, dass mit solchen Vorwürfen das Ausmaß und die Verwickeltheit der Menschen in historische Ereignisse simplifiziert werden. Heidegger war sicher kein politisch weitblickender Mensch. Aber immer schreibt er gegen eine ›Europäisierung‹ oder gar ›Arisierung‹ der Welt an. Er ist gegen technokratisches und gleichschaltendes Denken und Handeln. Und dieses sieht er sowohl im Bolschewismus, im Kapitalismus als auch im Faschismus vorliegen. Sein romantischer Hang Vgl. P. Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers, Frankfurt am Main 1988; J. F. Lyotard, Heidegger und ›die Juden‹, Wien 1988. Für eine spezielle déformation professionnelle halten J. Derrida und dessen Schüler Ph. Lacoue-Labarthe Heideggers Handeln in der NS-Zeit. Vgl. Tom Rockmore, On Heidegger’s Nazism and Philosophy, Berkeley 1992. 12 Ernst Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will, in: FAZ vom 6. Juni 1986, zit. nach: E. Nolte, Das Vergehen in der Vergangenheit. Antwort an meine Kritiker im Historikerstreit, Frankfurt am Main 1987, S. 177; ders., Martin Heidegger. Politik und Geschichte im Leben und Denken, Berlin 1992, S. 296; R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland. Martin Heidegger und seine Zeit, München 2002, S. 484; R. Rorty, Philosophy as Science, Metaphor, Politics, in: ders, Essays on Heidegger an Others, Philosophical Papers, Bd. 2, Cambridge 1991, S. 19; J. Young, Heidegger, Philosophy, Nazism, Cambridge 1997, S. 1; T. Rockmore, Recent Discussion of Heidegger and Politics: Young, Beistegui, Fritsche, in: Graduate Faculty Philosophy Journal, Bd. 21,2, 1999, S. 53. 11

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zu Archaismen und die zeitweilige Verwechslung von nationalsozialistischem Allmachtswahn mit einem kulturhistorischen Selbstermächtigungswillen bieten solchen Vorwürfen durchaus Vorschub. Wer jedoch gründlicher liest, erfährt, dass Heidegger dort nicht stehen bleibt. Gegen denunzierende Interpretationsansätze der Heideggerschen Verbindung von Sprachgehalt und Sprachgestalt hat sich 1983 bereits Dieter Walter in seiner Dissertation 13 stellvertretend und umfassend geäußert. In den wesentlichen Punkten in dieser Diskussion schließe ich mich der differenzierten Betrachtung von Thomas Rentsch an, der sich gegen eine erneute Mythisierung verwahrt und danach fragt, was Heideggers politisches Engagement mit seiner Philosophie zu tun habe. 14 »Heidegger wollte und konnte letztlich die moderne Welt, ihre Technik und ihre gesellschaftliche Organisationsform nicht akzeptieren, nicht ertragen. Und in diesem Unbehagen an der Moderne spielt ein kritisches mit einem neoromantisch-regressiven Moment zusammen« 15, fasst Rentsch Heideggers weltanschauliche Grundeinstellung moderat zusammen. Gleichzeitig kritisiert er: »Was Heidegger sich von der NS-Terminologie zueigen gemacht hat, ist vor allem die Sprache des ›heldenhaften Einsatzes‹, des ›Opfers‹, der heroischen ›Größe‹, die er mit seiner Sprache des ›Ursprungs‹, des ›Seins‹ und der Existenz zu verschmelzen vermochte. Anders: Was schon vor 1933 Schwulst war oder zur Phrase tendierte in seiner Sprache, das ließ sich nach 1933 mühelos mit Nazi-Schwulst und Nazi-Phrase vereinen.« 16

Damit ist zugleich mitgesagt, dass die bleibenden und gültigen Leistungen Heideggers weithin unabhängig von ihrer spezifischen sprachlichen Gestalt aufgenommen und rekonstruiert werden können, ohne die Hybris und Naivität Heideggers in politischen Dingen zu verschweigen. Damit wird der Ideologieverdacht weder ausgeblendet noch marginalisiert, sondern zunächst zurückgestellt. Es bleiben dessen ungeachtet darüber hinaus genuin philosophische Vorwürfe und

Vgl. D. Walter, Sprachstellung im Werk Martin Heideggers und ihre Entstellung durch Theodor W. Adorno. (Jargon der Eigentlichkeit) und Pierre Bourdieu (Die politische Ontologie Martin Heideggers), Dresden 1983. 14 Vgl. T. Rentsch, Martin Heidegger. Das Sein und der Tod. Eine kritische Einführung, Drittes Kapitel: Der ›Führer‹ als Existenzial, München 1989, S. 158–174. 15 Ebenda, S. 160. 16 Ebenda, S. 164. 13

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Der Verdacht der Sprachhypostasierung

Verdächtigungen gegenüber dem Heideggerschen Sprachgebrauch daneben bestehen. Sie werden im Folgenden ausgeräumt.

2.2. Der Verdacht der Sprachhypostasierung Gegenüber einer allgemeinen Kritik an Heideggers vermeintlichem ›Sprachplatonismus‹ 17 und dem unterstellten ›Nazijargon‹ 18 überwiegen in den letzten zwei Jahrzehnten konstruktive Auseinandersetzungen und Fortführungen von Heideggers Sprachdenken. 19 Wesentliche Beiträge speziell zur Sprachanalyse bei Heidegger leisteten diesbezüglich Irmgard Bock, Christian Stahlhut, Michael Steinmann, Andreas Michel, Friedrich Kainz und Dietmar Walther im deutschsprachigen Raum sowie Karen S. Feldman im englischsprachigen Raum. Bis auf Walther und Feldman nehmen die Beiträge Stellung zu den oben angesprochenen Problemkreisen ›Sprachhypostasierung‹ und ›Ideologieverdacht‹. Sie stellen insofern ein Gegengewicht gegen die erhobenen Vorwürfe dar. Walther und Feldman heben jedoch darüber hinausgehend Aspekte heraus, die für eine sprachliche Tiefenstrukturanalyse im Rahmen der vorliegenden Untersuchung tatsächlich weiterführend sind. Eine kurze Diskussion der verschiedenen Ansätze soll zeigen, welche Argumente vorgebracht werden und inwiefern sich die vorliegende Untersuchung von diesen Ansätzen kritisch abhebt und anders positioniert. Voraussetzung für eine Beurteilung ist, zumindest einige Grundzüge des eigenwilligen Heideggerschen Sprachgebrauchs zu kennen. Sprachreflexion gehört zum Programm von Heideggers Denken, auch wenn diese ganz bewusst nicht als Sprachphilosophie oder Sprachtheorie thematisiert wird. Heidegger macht immer wieder deutlich, dass die Wahl der philosophischen Erkenntnismethode eng J. Kopperschmidt, Heideggers Umweg in Platons Höhle, in: ders., Heidegger über Rhetorik, München 2009, S. 301–437. 18 G. Steiner, Martin Heidegger, München/Wien 1989, S. 120; C. Partenie; T. Rockmore, Heidegger and Plato, Evanstone 2005, S. 12. 19 Hier sei stellvertretend an die Arbeiten von Hannah Arendt, Jean-Paul Sartre, Herbert Markuse, Hans-Georg Gadamer, Emmanuel Levinas, Maurice Merleau-Ponty, Gianni Vattimo und, etwas kritischer, Jürgen Habermas, Jacques Derrida, Richard Rorty oder Ernst Tugendhat erinnert, die sein Denken würdigen, indem sie wesentliche Aspekte weiterentwickeln. Dezidiert auf rhetorische Aspekte im Heideggerschen Denken nimmt insbesondere Hans Blumenberg Bezug. 17

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mit der Wahl der Darstellungsform zusammenhängt. Das zeigt sich darin, dass Heidegger noch stärker als in Sein und Zeit in dieser Seinsgeschichte appellativ, narrativ, etymologisch ausgreifend und evokativ arbeitet. Da das redende Selbst- und Weltverhältnis des Menschen nicht als statisches aufgefasst werden darf, wie Heidegger in seiner Aristoteles-Auslegung klar macht, muss auch die philosophische Thematisierung dieses Verhältnisses eine Wesensbestimmung des Menschen sein, die dessen dynamischem Selbst- und Weltverhältnis entspricht. Deshalb wechselt Heideggers sprachliches Instrumentarium innerhalb des Denkweges auch mehrfach. So erinnert gerade die Spätphilosophie Heideggers 20 in ihrem Stil weniger an eine utopische Großgeschichte denn an eine dialogische Unterhaltung, die – zwar auf höchstem denkerischen Konzentrationsniveau – doch dynamisch, situationsbezogen, kooperativ, geradezu mundartlich und lebensweltlich anschaulich ist. 21 Die stilisierte Mündlichkeit wirkt ungewöhnlich und vertraut zugleich. Sie wirkt oft ungewöhnlich, weil sie zum Beispiel Neologismen kreiert, wie das durchgestrichene Wort ›Sein‹, und zieht Wort-Etymologien heran, die die Bedeutungshorizonte experimentell bis zur Grenze der Verstehbarkeit ausweiten. Heideggers Vorgehen folgt damit einer Tradition, die vorbildhaft zum Beispiel in Platons Kratylos vorgeführt wurde. 22 Die stilisierte Mündlichkeit erzeugt eine gewisse Vertrautheit mit Heideggers Sprache und Denken. Es sind vertraute Worte, deren Bedeutungshorizont nur eingeschrumpft war. So erscheinen altbekannte Alltagsausdrücke durch Aufrufen von bestimmten Assoziationsfeldern in semantisch neuem Licht (zum Beispiel ›das Zeug‹), merkwürdige Substantivierungen entstehen (zum Beispiel ›das Horizonthafte‹) oder Verbalisierungen (zum Beispiel ›es west‹ ; ›es nichtet‹) oder es wird von Tropen Gebrauch gemacht (zum Beispiel ›das Haus des Zum Beispiel auch in ›Was heißt Denken?‹, besonders aber in: ›Das Abendländische Gespräch‹ oder in seinen Hölderlin-Interpretationen, aber auch in ›Gelassenheit‹ und den beiden Texten ›Das Wesen der Sprache‹ und ›Aus einem Gespräch von der Sprache‹ ; siehe Heidegger GA, verschiedene Ausgaben. 21 M. Heidegger, Zur Erörterung der Gelassenheit. Aus einem Feldweggespräch über das Denken. Vgl. M. Heidegger, Gelassenheit (1959), Pfullingen 1992, S. 72. 22 Platon, Kratylos, E. Löwenthal (Hrsg.), Platon. Sämtliche Werke, Heidelberg 1982, Bd. 1, S. 541–616. Das Wort ›Etymologie‹ leitet sich von ἐτυμολογία (etymología) her, das seinerseits auf die Bestandteile ἔτυμος (étymos) ›wahr‹ und λόγος (lógos) ›Wort‹ zurückgeht, und bedeutet so viel wie die Erklärung der einem Wort innewohnenden Wahrheit. Formuliert in Anlehnung an M. Pfister, Einführung in die romanische Etymologie, Darmstadt 1980, S. 9. 20

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Der Verdacht der Sprachhypostasierung

Seins‹). Die Verlebendigung von Abstrakta und die quasi-poetischen Verdichtungen bekommen eine sich aus dem Inhalt ergebende Darstellungsfunktion. Heidegger kann so einerseits das menschliche Subjekt in seiner radikalen sprachlichen, historischen und kulturellen ›Geworfenheit‹ thematisieren. Dies tut er, indem dessen Denk- und Lebensgrundvoraussetzungen ›Sprache‹ und ›Sein‹ expliziert werden, zum Beispiel in solchen Formulierungen wie ›die Sprache ist das Haus des Seins‹ oder ›das Sein lichtet sich als logos‹. Andererseits kann das durch differenzierte Sprachpraxen und einen auf ›Anwesenheit‹ und Vergegenständlichung abgestellten Ontologiebegriff Auseinandergefallene denotativ, das heißt in einem einzigen Sinnkomplex, wieder zusammengeschlossen werden. So soll zum Beispiel im ›Walten‹ auch immer das ›Gewaltige‹ und ›Überwältigende‹ mitgedacht und im ›Sagen‹ das ›Zeigen‹ gespürt werden usw. 23 Vor allem aber kann und muss die verdinglichende Subjekt-Objekt-Deutung des Satzes vermieden werden, die Heidegger für ein verfehltes bzw. übertrieben gedeutetes semantisches Konzept in der okzidentalen Denktradition hält. Nach Heidegger ist diese Verobjektivierung nämlich die Grundursache für alles vom ihm kritisierte nihilistische, allzu schematische und letztlich machtversessene Verdinglichungsdenken. Heideggers eigenes philosophisches Programm ist es dagegen, das menschliche Dasein in seinen Selbst- und Weltbezügen radikal und phänomenadäquat aus seinen kooperativen Praxisvollzügen und damit aus einer nicht vergegenständlicht gedachten Zeitlichkeit heraus zu verstehen. Dieser Denkungsart trägt Heideggers Darstellungsform im gesamten Denkweg kontinuierlich Rechnung. Im Unterschied zu seinen Schriften bis zu den 30er-Jahren, in denen Heidegger phänomenologische Analysen und damit situationsinvariante, den Praxisvollzügen enthobene Darstellungsformen bevorzugte, werden die späten Texte, die der Rückkehr zur ›seinsgeschichtlichen‹ Dimension seines Denkens gewidmet sind, zunehmend verdichtender und poetischer. Sie erhalten weniger daseinsanalytische als welterschließende Kraft. Jürgen Habermas kritisiert jedoch an dieser Sprachauffassung Heideggers, dass Gültigkeitsbedingungen nicht ausschließlich von der welterschließenden Kraft der Sprache abhängig seien, sondern vom innerweltlichen Erfolg der Praxis abhingen, die Sprache erst er-

M. Heidegger, Hölderlins Hymne ›Andenken‹ (Wintersemester 1941/42), GA 52, S. 12 f.

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mögliche. Damit liege der Horizont des Sinnverstehens der Wahrheitsfrage nicht voraus, sondern unterstehe ihr. In eine ähnliche Richtung tendiert Richard Rorty, wenn er kritisiert, dass Heidegger die Sprache zu einer Art Gottheit und den Menschen zu einer Emanation der Sprache stilisiert habe. Eine solche Hypostasierung der Sprache sei nur eine Neuübersetzung der idealistischen Apotheose des Bewusstseins und verfehle die Kontingenz der Sprache. In Anlehnung an Jürgen Habermas und Richard Rorty erhebt Christa Lafont ihren Vorwurf gegen Heideggers Sprachverständnis, indem sie an dessen Texten nicht nur die Hypostasierung der Sprache im Allgemeinen, sondern generell Heidegger eine idealistische Sprachauffassung attestiert. In Heideggers Sprachgebrauch sei die alte Trennung zwischen Bedeutungs- und Tatsachenwissen nicht überwunden, urteilt sie. Vielmehr werde der Bedeutung ein Vorrang vor der Referenz eingeräumt. Heidegger präjudiziere mit der Rede vom Haus des Seins vorgängig, was innerweltlich begegnen könne. Was die Dinge sind, werde davon abhängig gemacht, was kontingenterweise für eine historische Sprachgemeinschaft qua Vorliegen einer bestimmten Sprache erschlossen werde. Sowohl die Kritik von Habermas als auch die von Rorty und Lafont sind meinem Erachten nach auf eine Fehleinschätzung der Rolle der Sprache in Heideggers Denken zurückzuführen. Bei Heidegger wird Sprache als Sprechen und Reden immer wieder als eine innerweltliche Praxisform beschrieben, die zunächst erst einmal vollzogen wird und innerhalb dieser Vollzüge Welt sprachlich erschließt. Die Autoren verkehren Heideggers Intention demzufolge ins Gegenteil. Und sie fordern anschließend etwas ein, was in seinen Texten längst vorgeführt ist. Der Hypostasierungsvorwurf von Habermas, Rorty und Lafont ist daher nicht gerechtfertigt. Heidegger betont zwar die welterschließende Funktion der Sprache, weswegen zum Beispiel Dichtung auf seinem Denkweg eine zunehmende Rolle spielt. Doch die Autoren denken nicht aus dem Kern des Heideggerschen Projektes heraus, sondern bleiben im eigenen denkerischen Problemkreis der Beschreibung von Sprache, Welt und Sein stecken. Habermas und Lafont verfehlen Heideggers Intention, weil sie ihn sozusagen zu kurz denken, Rorty hingegen, weil er das Projekt Heideggers zu weit fasst. Rortys Plädoyer, Heideggers Sprachdenken radikaler, das heißt kontingenter zu denken, gibt dessen Projekt ebenso preis wie Habermas und Lafont, weil ohne die Annahme sinnvoller Strukturalität in Geist, Sprache und Welt deren denkerische Analyse absurd 60

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wäre. Die Hypostasierungsvorwürfe von Habermas, Rorty und Lafont sind also nicht zu halten.

2.3. Der Verdacht des Begriffsrealismus In eine ähnliche Richtung zielt auch die Kritik am Begriffsrealismus, die des Öfteren gegenüber dem Heideggerschen Wortgebrauch geäußert wird. Herrmann Schweppenhäuser, ein Adorno-Schüler, wirft Heidegger vor, dass dieser vergeblich in den Wortbedeutungen der Sprache nach kategorialen Ausformungen des Gegebenen suche. Er wolle das Sein aus der Sprache erweisen. Sprache sei nicht nur Bezeichnungsmittel, Medium oder Stoff, sondern habe bei Heidegger Nennkraft, die das Sein ins Wort ruft. Das Wort bzw. die Sprache jenseits des Geistes werde damit aber hypostasiert. Schweppenhäuser glaubt dechiffrieren zu können, dass Heidegger mit seinem Denken die Menschen zu ›gesellschaftlicher Unmündigkeit‹ anhalte. Schweppenhäuser nennt das Vorgehen Heideggers in Bezug auf Heideggers ontologische Perspektive pejorativ ›Seins-Hörigkeit‹. 24 Eine solche Position ist bestenfalls eine Projektion des Interpreten. Sie ist als solche nicht widerlegbar. Man muss ihr aber auch nicht folgen. Irmgard Bock hingegen hält den Vorwurf des Begriffsrealismus für nicht haltbar, weil für sie in den Akzentverschiebungen des Spätwerks deutlich wird, dass Sprechen zu einer Art Dichtung und Welterschließung wird, in der das Wort nicht mehr etwas ins Sein bringt, sondern lediglich die Verbindung zum Sein aufzeigt. Nach Bock werden gewisse sprachphilosophische Probleme bei Heidegger nämlich erst durchsichtig, wenn sie in eine kontinuierliche Entwicklungslinie sprachlich-metaphysischer Schichtenabtragung erfolgen. Insofern zeigt sich nach ihrer Interpretation das Wort lediglich als Seinsbezug, nicht als einmalige Instantiierung von Sein. 25 Diese Bezüglichkeit bleibe, so Bock, auch im Spätwerk, wo ›die Sprache spricht‹, bestimmend. Sie ändert nur ihren Charakter. Zwar kann Bock das Problem des Begriffsrealismus mit einer Interpretation des Wortes als dynamisiertem Seinsbezug aus der Welt schaffen. Was sie aber nicht erhellen kann, ist, wie, warum und mit welchen Mitteln sich HeidegH. Schweppenhäuser, Studien über die Heideggersche Sprachtheorie, München 1988, S. 95. 25 I. Bock, Heideggers Sprachdenken, Meisenheim am Glan 1966, S. 36. 24

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gers Haltung zur Sprache ändert, obwohl er bestimmende Momente zugleich beibehält. Auch aus diesem Grunde ist eine konkrete tiefensprachliche Analyse des Denkweges Heideggers in Bezug auf seine verwendete Sprache ein Desiderat. Christian Stahlhut geht in seiner semantischen Analyse des Heideggerschen Sprachdenkens auf den inneren Zusammenhang von Sein und Sprache bei Heidegger ein. 26 Er geht jedoch weiter als Bock. In vier chronologisch geordneten Etappen wird anhand von konkreten Textanalysen speziell die Beziehung von ›Sprache‹ und ›Ethos‹ bei Heidegger untersucht. Stahlhut differenziert insgesamt drei Weisen, wie sich bei Heidegger im Laufe seiner Entwicklung ›das Ethische‹ auch in dessen Sprache ausspricht, wobei die erste Phase als vorbereitende Phase gelesen werden muss. 27 Er kommt zu dem Ergebnis, dass bei Heidegger die Frage nach der Sprache der Frage nach der Ethik durchgängig vorgeordnet ist. Das Ethische zeigt sich nämlich im Duktus des sprachlich vorgebrachten Inhalts selbst. Stahlhut will sich sowohl von der hermeneutischen als auch von der sprachanalytischen Heideggerinterpretation absetzen. Weil die eine die Geschichtlichkeit des Denkens zwar bedenkt, aber keine angemessene Gesinnung entwickelt, und die andere vice versa, versucht er, eine vermittelnde Position einzunehmen. Er betont, dass Sprache nicht nur ein Mittel zur Darstellung und Verständigung ist, sondern jegliches Verhalten des Daseins in seinem Sich-uns-zeigen bestimmt. Stahlhut kann jedoch keine aus dem Vexiercharakter herausführende vermittelnde Perspektive auf die Intentionen des Heideggerschen Sprachdenkens anbieten. Er bleibt in seiner Bestandsaufnahme in den unterschiedlichen Sichtweisen stecken.

2.4. Der Verdacht des Bedeutungsholismus Nahe verwandt mit der Kritik an der Hypostasierung der Sprache und dem Begriffsrealismus ist das Problem des so genannten Bedeutungsholismus. Dieses Problem scheint für viele Heidegger-Leser Stein des

Vgl. C. Stahlhut, Sprache und Ethos. Heideggers Wege zu einer wahrhaften Sprache, Münster 1986. 27 Stahlhut unterscheidet zwischen dem ›Ethos der Verschwiegenheit‹ beim frühen, dem ›Ethos der Gelassenheit‹ beim mittleren und dem ›Ethos der zuvorkommenden Zurückhaltung‹ in Zeiten des übereifrigen Tuns und Machens beim späten Heidegger. 26

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Anstoßes zu sein. Die Geschlossenheit von Heideggers Denken einerseits, sein permanentes Neu- und Gründlicheranfangen andererseits verwirrt zuweilen, gehört jedoch in den Anwendungsbereich der phänomenologischen Methode selbst. Denn mit dieser Methode fordert er dazu auf, sich selbst permanent zu hinterfragen – auch und vor allem im eigenen Sprachgebrauch. Insofern ist der Heidegger-Leser angehalten, die Wege, die Heidegger sprachlich geht, nachdenkend zu begleiten. Zwar ›heideggert‹ Heidegger, aber es gibt keine Verstöße gegen die grammatische, orthographische oder semantische Systematik des Deutschen, die nicht intendiert und kalkuliert wären. Es gibt insbesondere keine idiolektische oder bedeutungsholistische Fachsprache und keine Bedeutungen, die sich nicht herleiten ließen. Vielmehr legt Heidegger größten Wert auf Nachvollziehbarkeit. Weil die Sprache der Philosophie sich der Alltagssprache bedienen muss, ist eine privatsprachliche Eigenwelt oder bloße Formelhaftigkeit nach der Maßgabe mathematischer Analytizität Heidegger suspekt. Sie brächte tatsächlich hermeneutische und translatorische Schwierigkeiten mit sich. Mit Humboldt ist sich Heidegger vielmehr darin einig, dass im Prinzip alles übersetzt werden kann, wenn auch nicht auf wortwörtliche Weise. Weil die Sprache an die praktischen und damit kulturell und historisch unterschiedlichen Daseinsweisen des Menschen geknüpft ist, liegt es auch weniger an der Sprache als an kulturellen Unterschieden, die überhaupt zu einer Übersetzungsproblematik führen. 28 Insofern gilt, was gegen den Holismusvorwurf bei Heidegger vorgebracht werden kann, auch für die Übersetzbarkeitsproblematik einer Sprachkultur im Allgemeinen: Man muss in der rechten Weise in Heideggers Sprache eingeführt werden und sich einüben, indem man an ihr teilnimmt, und in ihr mit ihm mitdenken, um dessen Sinn zu verstehen. Das ist zugegebenermaßen nicht ein-

Eine solche kulturelle bzw. ideologische Übersetzungsproblematik zeigt sich zum Beispiel bei der Heidegger-Lektüre von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Diese verstehen den Existenzialismus als eine Form des Humanismus, den Heidegger als Herrschaftsideologie ablehnt. Hier werden nicht nur einfach Wörter falsch verstanden und übersetzt, sondern die gesamte Tragweite des Heideggerschen Denkens nicht vollständig erfasst. Ganz anders die Lektüre von Simone Weil, die offenbar Heideggers Intentionen besser aufnimmt und weiterentwickelt. Vgl. Jean-Paul Sartre, Der Existenzialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays, Reinbek bei Hamburg 2010; sowie: Simone Weil, Die Einwurzelung, Einführung in die Pflichten dem menschlichen Wesen gegenüber, München 1956.

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fach und mühelos zu haben. Aber letztlich fragt sich, ob es nicht am Leser statt am Autor liegt, wenn dieser nicht verstanden wird. Michael Steinmann kritisiert den Vorwurf des Bedeutungsholismus daher zu Recht, wenn er zeigt, dass der Kern von Heideggers Sprachdenken in der ›Verbindungsoffenheit des Sinns‹ liegt. 29 Die Verbindungsoffenheit, so Steinmann, nimmt keine determinierende oder konstituierende Funktion gegenüber den einzelnen Gehalten ein, sondern setzt bedeutungsgenerierend die Gehalte zur immer schon mitgegebenen Erfahrung der Um- und Mitwelt in Beziehung. Entscheidend für Steinmann ist die Heideggersche Einsicht aus dem Spätwerk, dass Bedeutung nicht durch Intentionalität begründet wird, sondern dass Bedeutung Intentionalität nur freisetzt. »Der mit dem Holismus in der Regel implizit gegebene Gedanke einer rational nachvollziehbaren Ganzheitsbildung, die auf semantischen oder pragmatischen Verknüpfungsregeln beruht, wird von Heidegger konsequent unterlaufen.« 30 Steinmann weist auf eine Aporie hin, die für jeden Holismus gilt: Soll Bedeutung auf klar definierbaren Verknüpfungsregeln basieren, so ist anzunehmen, dass das Ganze der Bedeutung überschaut werden kann. Andernfalls haben die Regeln keine konstitutive Notwendigkeit. Das ist aber nur historisch möglich, denn es lässt sich nicht entscheiden, ob das Ganze überhaupt als solches in den Blick getreten ist und nicht nur ein Ausschnitt von ihm. Insofern kann Steinmann zwar aufzeigen, was mit einem Holismus eigentlich intendiert ist – nämlich der größtmögliche Zusammenhang bei größtmöglichem Umfang der Gehalte. Das ist aber etwas, was angesichts der jeweils gegebenen einzelnen Verbindungen nicht ausgewiesen werden kann. Das Manko bei Steinmann: Er zeigt dies weder an Heideggers Sprache noch an der sprachlichen Tiefenstruktur von Heideggers Denken.

2.5. Verdacht der Entgegenständlichung der Sprache Sprachhypostasierung, Begriffsrealismus und Bedeutungsholismus sind nur die eine Seite der Medaille, die sich aus der sprachkritischen Heidegger-Lektüre ergeben. Beachtung verdienen auch die Analysen Vgl. M. Steinmann, Die Offenheit des Sinns, Untersuchungen zu Sprache und Logik bei Martin Heidegger, Tübingen 2008. 30 Ebenda, S. 7. 29

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von Friedrich Kainz und Andreas Michel. 31 Sie unternahmen den Versuch, an Heideggers Sprache objektstufig, also wortsemantisch nachzuweisen, welche konkreten Wörter, Satzgruppen und Sätze zu welchen Assoziationen und Implikationen führen können. Kainz ist besonders an den Taktiken sprachlicher Verführungen interessiert. Dabei interessiert ihn die Verführbarkeit nicht im politisch-manipulativen, also ideologischen Sinne, sondern lediglich in ihrer linguistischen Tragweite. Für ihn bieten Muttersprachen mit dem in ihrem Lexikon enthaltenen Bestand an ›geworteten Begriffen‹ dem Denker nicht nur geistige Inhalte dar, sondern verfügen auch mit den formalen Bildungspotentialitäten ihres Struktursystems über Möglichkeiten für die originäre Vermehrung und Anreicherung dieses Besitzes. Kainz unterscheidet mit Bezug auf den späten Strukturalismus Saussures zwischen zwei sprachlichen Verführungsmöglichkeiten: einerseits Verführungen durch ›langage‹ und andererseits durch ›langue‹. 32 Zu den ›langage‹-bedingten Verführungen gehören für Kainz wortrealistische Hypostasierungen. Diese Hypostasierungen gibt es in allen Sprachen, die über Wortklassen verfügen und dem Hauptwort eine deutliche Suggestivkraft im Hinblick auf die Zuerkennung des Substanzcharakters beilegen. Zu den ›langue‹-bedingten Verführungen gehören zum Beispiel Heideggers neologistische Schöpfungen und extrem-hybride Ausbeutungen des etymologischen Aspektes der deutschen Sprache zu ontologischen Aufschlüssen. Außerhalb des Deutschen hält Kainz solche Art der ›Sprachausbeutung‹, wie sie Heidegger vorgenommen hat, für undurchführbar. Andere Sprachen bieten nach ihm weniger Anreiz und Möglichkeiten, von den Ur-, Grund und Ausgangsbedeutungen der Worte her zu ›Einsichten in die Wirklichkeit‹ zu gelangen. Deshalb ist für Kainz Heidegger kein ›langage‹-, sondern ein ›langue‹-verführter Philosoph, indem er sich durch gewisse Strukturtendenzen des Deutschen zu allerhand – für Kainz allerdings meist unhaltbaren – Konzeptionen verleiten lässt. Heidegger ist für Kainz also ein Verführter und kein Vgl. F. Kainz, Über die Sprachverführung des Denkens, Berlin 1972; und A. Michel, Die französische Heidegger-Rezeption und ihre sprachlichen Konsequenzen. Ein Beitrag zur Untersuchung fachsprachlicher Varietäten in der Philosophie, Heidelberg 2000. 32 Zu den ›langage‹-bedingten Verführungen gehören für Kainz wortrealistische Hypostasierungen. Diese Hypostasierungen gibt es in allen Sprachen, die über Wortklassen verfügen und dem Hauptwort eine deutliche Suggestivkraft im Hinblick auf die Zuerkennung des Substanzcharakters beilegen. 31

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Verführer, weil die Sprachüblichkeiten gewisser Verfahrensweisen im Deutschen angeblich zu ihrem Missbrauch verleiten. Durch die Übersteigerung, Überforderung und ›Vergewaltigung‹ dieser Möglichkeiten komme es dann gelegentlich auch zu gedanklichen Fehlgriffen und ›glossomorphen Leerformeln‹. 33 Kainz’ Überzeugung nach sind viele sprachliche Akzentuierungsmittel ambivalent und es muss jeweils, also im einzelnen, abgewägt werden, welche Vor- und Nachteile durch ihre Verwendung entstehen. Auf diese Weise kommt er zu dem für die vorliegende Untersuchung weiterführenden Ergebnis, dass Heideggers identifizierende Rede von Sache und Vollzug letztlich ein Strukturmoment des deutschen Sprachsystems mit seinem Verbalstil und seiner Tätigkeitsdynamik sei. Nur innerhalb eines solchen Sprachsystems sei es nämlich überhaupt möglich, dass sich ›Subjekten‹ oder ›Objekten‹, die eigentlich keine Tätigkeit ausüben können oder deren Aktivität problematisch ist, eine solche zuordnen lässt bzw. für diese Zwecke sich eigens Verben bilden lassen, zum Beispiel ›das Sein ist‹, ›das Seyn seint‹ ›die Sprache spricht‹, ›das Nichts nichtet‹ usw. Durch die in diesem syntagmatischen Schema implizierte ›fundamentale Apperzeption‹ kann man im Deutschen das Subjekt als ›Vollbringer seiner Tätigkeiten‹ ansehen. Die deutsche Sprache bietet nach Kainz offenbar mehr an Potentialität, als für ein schöpferisches Aktualisieren der Sprache manchmal gut wäre. 34 Dieses Mehr an Kapazität der Sprache lässt durch genannte Sprachschöpfungen einerseits denkerische Möglichkeiten zu, andererseits schafft es durch diese Möglichkeiten, zum Beispiel die neu eingeführten Bewegungsverben, eine Art ›Verflüssigung‹ bzw. ›Entgegenständlichung‹ der im Allgemeinen zu Nominalisierungen tendierenden deutschen Wissenschaftssprache. Kainz zeigt auf, wie es zu den Neuschöpfungen in Heideggers Sprache kommt, wie sie intendiert sind und wie sie funktionieren. Heidegger wird dabei von Kainz jedoch zum Opfer seiner eigenen Sprache stilisiert, nämlich zu einem ›Verführten‹, der nicht wusste, was die Sprache mit ihm macht. Diese Einschätzung eines nicht genügend reflektierten Sprachgebrauch bei Heidegger ist mehr als unwahrscheinlich in Anbetracht dessen, welchen Stellenwert Heidegger dem λόγοσ im Gesamt der Praxen menschlichen Selbst- und Weltverstehens beigemessen hat. 33 34

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F. Kainz, Über die Sprachverführung des Denkens, a. a. O., S. 448 und 467. Ebenda, S. 466.

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Mit Andreas Michels Studie zur französischen Heidegger-Rezeption und ihren sprachlichen Konsequenzen kann gegen Kainz’ Einschätzung gehalten werden, dass Heidegger weder ein Sprachverführter war noch einen Bedeutungsholismus inszenierte noch eine idiolektische Fachsprache ins Leben gerufen hat. Er hat auch keine ›hermetischen Einheitlichkeiten‹ produziert, sondern lediglich ein allgemeines Verständnis der deutschen Alltagssprache vorausgesetzt, mit der Philosophie im Allgemeinen umgeht. Und insofern die deutsche Sprache mehr Differenziertheit zulässt, als im Allgemeinen genutzt wird, kann im Prinzip jeder, der über gute Deutschkenntnisse verfügt und logisch denken kann, Heidegger auch verstehen. Die Übersetzungsproblematik, die Michel allerdings bei seiner Heidegger-Auseinandersetzung im Auge hat, verstellt ihm letztlich den Blick dafür, dass natürlich jedes Sprechen kulturelles und kommunikatives Handeln ist und von traditionellen Diskursen und Etymologien bestimmt wird. Diese sind nicht immer einfach von einer Kultur und Sprache in die andere übertragbar. Insofern gilt es, in sie hineinzugelangen und sich diese immer wieder neu anzueignen. Die bisherige Analyse der sprachbezogenen Heidegger-Rezeption lässt daher folgende Schlussfolgerungen zu: Kann Irmgard Bock nicht erhellen, wie, warum und mit welchen Mitteln sich Heideggers Haltung zur Sprache ändert, obwohl er bestimmende Momente zugleich beibehält, und kann Christian Stahlhut nicht darlegen, wie sich Gesinnungsethik und Geschichtlichkeit in Heideggers Sprache zusammenbringen lassen, so machen Friedrich Kainz und Andreas Michel Heidegger zu einem Opfer seiner Sprache. Das bedeutet, dass die bisherigen Ansätze entweder als petitio principii eine unakzeptable Perspektive auf Heideggers Sprachdenken oder nur begrenzte Reichweite für die Frage nach der Rolle der Rhetorik für die Philosophie im Allgemeinen und nach den sprachlichen Tiefenstrukturen in Heideggers Sprachdenken im Besonderen haben. Zwei Autoren beweisen jedoch mehr Weitblick. Dies sind Dietmar Walther und Karen S. Feldman. 35 Sie setzen sich auf unterschiedliche Weise mit Heideggers vermeintlicher Entgegenständlichung

Vgl. D. Walther, Sprachstellung im Werk Martin Heideggers und ihre Entstellung durch Theodor W. Adorno (Jargon der Eigentlichkeit) und Pierre Bourdieu (Die politische Ontologie Martin Heideggers), Dresden 1983; und K. S. Feldman, Binding Words. Conscience and Rhetoric in Hobbes, Hegel and Heidegger, Evanston (Illinois) 2006.

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auseinander. Die Frage nach der Entgegenständlichung wird von ihnen als eine Frage behandelt, die der nach der Hypostasierung der Welterschließungsfunktion bzw. der Apotheose der Sprache einerseits kategorial unterzuordnen ist und diese präzisiert und andererseits dem Vorwurf des Begriffsrealismus diametral entgegensteht. Nicht nur alles verdinglicht Gedachte, sondern auch die Sprache selbst soll – so Dietmar Walthers Heidegger-Interpretation – in ihrer gegenständlichen Vorstellung, zum Beispiel als Ausgedrücktes, verschwinden und in ihre Ereignisstruktur zurückgestellt werden. Die Sprache muss sich – so Walther – vom Zeichencharakter der Zeichen abwenden und zum ›Zeigecharakter des in der Sprache selbst lautlos sich ereignenden Sprechens‹ übergehen. Dieser Zeigecharakter darf von keinem Verfügungswillen umspannt sein, sondern muss selber agieren. Heidegger will nach Walther also keine begrifflichen Definitionen mehr geben. Statt Zeichen und Chiffren zu verwenden, die in der Metaphysik beheimatet sind, geht es darum, die ›Gerinnung der Wörter zu Wörterdingen‹ dadurch aufzuhalten, dass begriffsähnliche Fügungen (wie zum Beispiel ›die Sprache ist das Haus des Seins‹) in ein nach allen Seiten offenes Spiel von Andeutungen platziert werden. Die Heraushebung der Sprache aus dem metaphysischen Gefüge der Zeichenrelation vollzieht Heidegger – Walther zufolge – also in mehrfacher Distanzierung und Entgegenständlichung. Eine solche Dezentrierung des Gefüges der Zeichenrelationen habe Heidegger vor das ontologische und zugleich epistemische Problem der Verbindung der Frage nach dem Sinn von Sein mit der Frage nach dem Wesen der Sprache geführt. Diese Synthese, die Heidegger letztlich anstrebt und vollzieht, sei ein Wendepunkt der abendländischen Rationalität und keine Selbstzerstörung der Vernunft. Die Fragestellung bringe vielmehr die Raison erst zum Vorschein, welche die Geschichte der (metaphysischen) Vernunft, ohne eigens in den Blick zu kommen, bisher getragen hat. Wenn Sprache, so die Walthersche Interpretation des Heideggerschen Sprachverständnisses, aber nicht mehr als Äußerungsform vorgestellt werden darf, so wird sie ›dezentriert‹ vorgestellt. Sie kann nicht mehr Begriff des Seins und auch nicht dessen Metapher sein. Zum Wesen des Begriffs würde gehören, dass sie ein transzendentales Signifikat umschließt und konkretisiert. Zum Wesen der Metapher würde gehören, dass sie – als Übertragung das Spiel von eigentlicher Referenz und uneigentlicher Verbildlichung – auch auf transzendentale Signifikate angewiesen ist, wobei diese nur noch als Hintergrundwissen von Bedeutung sind und ins68

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gesamt ein Spektrum an wörtlichen Übersetzungsmöglichkeiten durch die Inbezugsetzung entsteht. Der Bezug auf einen festen propositionalen Gehalt soll nach Heideggers Metaphysikkritik im Modus des so genannten seinsgeschichtlichen Denkens aber gerade verabschiedet werden. Das ›Begriffliche‹ und das ›Metaphorische‹ machen gerade ›die ursprüngliche Zwiefalt des Seins‹ und damit des Sprechens als Vollzug aus. Metaphern und Tropen sind für Walther also keine devianten, also abweichenden Redemodi, sondern genauso ursprünglich wie das Sprechen selbst. Und sie sind ebenso in sprachanalytische Betrachtungen mit einzubeziehen wie Begriffssysteme. Wie kann aber Sprache das ›Begriffliche‹ und ›Metaphorische‹ zugleich sein und nicht sein? Darauf gibt Walther zwei Antworten: Die Sprache ist das ›Begriffliche‹ und das ›Metaphorische‹, weil sie aus dem abendländisch-zwiespältigen Ereigniszusammenhang entsprungen ist. Und sie ist es nicht, insofern die ›ontologische Differenz‹ in ebendieser Tradition oft vergessen wird. Das heißt nämlich, dass beide im metaphysischen Bewusstsein ›vergegenständlicht‹ vorgestellt werden. Als etwas, was ›Vergegenständlichung‹ überhaupt erst möglich macht, muss Sprache als etwas davon Unterschiedenes, Vorgängiges und Nichtgegenständliches gedacht werden. Der Sprache ist demzufolge Misstrauen und Vertrauen zugleich entgegenzubringen: Misstrauen, weil das ›Entborgene‹ anderes zugleich verhüllt, und Vertrauen, weil das Verhüllte auch potentiell zu Entbergendes enthält. Um diese ontologische und zugleich epistemologische Wechselverbindung sprachlich zu artikulieren, verbindet der späte Heidegger nach Walther ›die Frage nach dem Sinn von Sein‹ mit der Frage nach dem ›Wesen der Sprache‹ auf sich entsprechende Weise. Insgesamt bedeutet das Folgendes: Im Gegensatz zu Adorno, Tugendhat, zu den französischen und amerikanischen prominenten Philosophen versteht Walther das Heideggersche Sprach- und Denkprogramm insgesamt also als einen Wendepunkt der abendländischen Rationalität, der keine Selbstzerstörung der Vernunft ist – wie jene behaupten –, sondern als ein Denken, das ›die Raison überhaupt erst zum Vorschein bringt‹, welche die ›Geschichte der Vernunft‹, ohne eigens in den Blick zu bekommen, bisher getragen hat. 36 Die Wahrheit der ›Geschichte der Vernunft‹ ist bei Heidegger, so könnte man zusammenfassend den Waltherschen Gedanken zu Ende führen, nichts absolut Zufälliges und absolut Relatives – wie Rorty behauptet 36

D. Walther, Sprachstellung im Werk Martin Heideggers, a. a. O., S. 61.

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– und in ihrer Gesamtheit auch nichts ein für alle Mal Fixierbares, wie Tugendhat, Adorno und die analytische Philosophie oft glauben, sondern sich in ihrer Praxis, Sprache und Geschichtlichkeit Wandelndes. Das schließt ein, dass sehr wohl logische Gesetzmäßigkeiten und Strukturregelmäßigkeiten ›erkannt‹ werden können, dass sie jedoch im Raum des Kultürlichen, also der Freiheit des Menschen – und dazu gehört auch der Raum des Sprachlichen –, immer wieder unterlaufen oder angepasst werden können. Walthers Ansatz bringt also den sprachdenkerischen Grundgedanken Heideggers der Entgegenständlichung zum Vorschein. Diesen gilt es, in diesem Buch als intendiertes Projekt in seiner antimetaphysischen Tendenz weiter auszubauen. Auf andere Weise als Dietmar Walther hat sich Karen S. Feldman mit Heideggers Entgegenständlichungstendenz auseinandergesetzt. Feldman untersucht den Zusammenhang von Bewusstsein und rhetorischen Figuren bei Thomas Hobbes, G. W. F. Hegel und Martin Heidegger, um unterschiedliche Weisen katachretischer Einbindungstechniken als Formen des Zusammenspiels von Erkenntnisweise und Darstellungsform vorzustellen. 37 Unter Berufung auf und im Anschluss an die Sprechakttheorien von John L. Austin und John Searle versucht Feldman nicht nur zu zeigen, wie sich in rhetorischen Figuren Bewusstsein repräsentiert, sondern wie durch rhetorische Figuren in Texten Bewusstsein von etwas entsteht. Damit betont sie die epistemische und zugleich ontologische Funktion figurativer Rede. 38 »If conscience is in fact represented only and everywhere in terms of figures, then can it be certain that conscience exists at all?«, fragt sie. Und weiter: »Does figuration, in other words, offer us any guarantee that what is thereby figured is anything more than a fiction? While figures may be epistemologically necessary to represent conscience – that is, insofar as we know conscience only by way of figures – these figures do not secure for us the ontological status of conscience. Are sheer figures and sheer metaphors binding on existence? Do they in fact have any genuine effect, any actual impact, on existence itself?« 39 Wenn Feldman die Verschlungenheit (engl. intertwinning) von epistemischer und ontologischer Ebene des Bewusstseins untersucht und damit die Frage nach dem Zusammenhang von Repräsentationalität und Existenz(weise) rhetorischer Figuren stellt, dann trifft sie die 37 38 39

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Vgl. K. S. Feldman, Binding Words, a. a. O., S. 4. Ebenda. Ebenda, S. 5.

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wesentliche Stoßrichtung des Heideggerschen Sprachdenkens. Feldmans These, dass Heideggers Intention einer Entitätslosigkeit mit rhetorischen Mitteln beschrieben werden kann, muss zugestimmt werden. Heidegger hegt tatsächlich antisubstanzontologische Intentionen. In der Selbstanwendung, die Heidegger anstrebt, in der Analyse des Zusammenhangs von epistemischer und ontologischer Ebene müssen Heideggers Texte als komplexe Figurationen angesehen werden. Ontologische und epistemologische Status der Figuren sind miteinander verwoben. Es geht um die ›agency of figure‹, also die Frage, wie sich rhetorische Figuren im Bewusstsein derart aufzeigen lassen, dass sie als Agierende des Gewissens erscheinen. Tropen oder Metaphern erhellen, was und wie etwas ist, bzw. aufgefasst und darstellbar wird. Sie geben damit Auskunft darüber, dass etwas ist und bestimmen so einen bestimmten Modus ihrer Existenz. Konkret identifiziert Feldman spezielle Verwendungen von Wörtern, Wortgruppen usw., die vom üblichen begriffssprachlichen Gebrauch abweichen und insofern Bildbrüche als Katachresen darstellen. 40 Damit ist aber noch nicht geklärt, wie das menschliche Bewusstsein an diese Figuren gebunden bzw. in diese Figuren eingebunden ist. Die Schwierigkeit bei der Rede von Figuration besteht nämlich darin, dass die Rede vom Eingebundensein für sich selbst wieder bereits figurativ ist. 41 Deswegen sucht Feldman nach einer geeigneten Möglichkeit, diese figurative Referenz zwischen figurativer Rede und menschlicher Existenz ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit zu rücken. 42 Sie ist der Überzeugung, dass sich im Bewusstsein verschiedeHeidegger – so Feldman – borge sich zum Beispiel zur Explikation des Begriffes ›Sein‹ Wörter aus der Sprache aus, die nach dem ›normalen Sprachempfinden‹ ungeeignet sind zur Beschreibung dieser Topik. Auf diese Weise produziere er ein Spannungsfeld zwischen konstatierender und performierender Sprache. Die erste Weise, wie Heidegger sich von bisherigen Lesarten bezüglich des Begriffes ›Sein‹ absetzen will, zeigt sich für Feldman darin, dass Heidegger ›keine Geschichten erzählen‹ will und mit dieser Intention davor warnt, das Phänomen ›Sein‹ zu determinieren. Da Geschichten ›über etwas‹ berichten, haben sie die Tendenz, implizit feste Entitäten zu produzieren. Soll aber der prinzipiell offene und dynamische Möglichkeitscharakter des ›Seins‹ herausgestellt werden, dann muss auch die sprachliche Darstellungsform phänomenal entsprechend gewählt werden. Insofern ist der Charakter des ›Über‹ nicht akkurat gewählt bezüglich der Qualität des zu beschreibenden Phänomens ›Sein‹. 41 Ebenda. 42 Feldman liest Heideggers Sein und Zeit als einen figurativen, katachresischen Text, das heißt als einen Text, der ›missbräuchlich‹ bzw. ›uneigentlich‹ mit der Sprache und den durch sie erzeugten Vorstellungen von der Welt umgeht, indem er die ›eigent40

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ner Philosophen ein je bestimmter Figurengebrauch finden lässt, der Aufschlüsse geben kann über epistemische und ontologische Hintergrundannahmen dessen, was und wie es für die einzelnen Philosophen etwas in der Welt gibt. Sie stimmt mit Heideggers Überzeugung überein, dass sich die Wahrnehmung der Welt nicht klar unterscheiden lässt vom Denken und der Interpretation der Welt. Wahrnehmungsprozess und Denken als ›Denken-als-etwas‹ sind beim Menschen als Apperzeption intrinsisch verwoben. 43 Feldman bemerkt dabei ganz richtig, dass Sein und Zeit die inhaltliche Intention in der eigenen Darstellungsform nicht einzuholen vermag, da das Buch natürlich formal und grammatisch ein Buch ›über‹ etwas ist und damit hinter dem eigenen Anspruch, ein ›nichtentitatives‹ Verstehen zu fördern, zurückbleibt. Doch warum lässt sich das ontologische Projekt Heideggers sprachlich nicht vollständig in ›proper terms‹, also mit ›eigentlichen Worten‹ einholen? Und warum führt die Nichteinholbarkeit zum Gebrauch von Tropen? Weil Tropen die Grenze der Darstellbarkeit mit einzuholen imstande sind. Sein und Zeit bewegt sich an der Grenze der Repräsentationalität (insofern Repräsentation immer Repräsentation von etwas ist) und kann daher nicht unproblematisch repräsentative Strategien nutzen. Sein und Zeit muss sich immer aus dem Arsenal ›entitativer‹ Rede Figuren ausborgen, um damit das Sein als eine Nicht-Entität zu thematisieren. Gleichzeitig will Heidegger demonstrieren, dass die zur Verfügung stehenden Worte zur Beschreibung solcher Phänomene wie ›Sein‹ oder ›Dasein‹ ungeeignet sind, da diese Phänomene weder substanzontologisch noch irgendwie deterministisch verstanden werden sollen. Es ist Heidegger ja gerade an deren dynamischem Charakter gelegen. Heideggers Text muss daher notwendigerweise zwischen der Figuration lexikalisierter Wörter, grammatischen Regeln und ihrer Außerkraftsetzung oszillieren. Das zeigt an, dass Sein und Zeit kein Text ›über‹ die Bedeutung von ›Sein‹ ist, sondern vor allem eine praktische Dimension hat. Indem Heidegger auffordert, die Intention des Autors mitzuverstehen, ohne dass dieser sich unmissverständlich ausdrücken könnte, wird dem Leser eine charitable Haltung abverlangt. Feldman ist davon überzeugt, dass liche‹ Bedeutung durch ein neue Wahrnehmung der Welt, die sich in einer neuen rhetorischen Figur ausdrückt, ersetzt. Sie behauptet, dass im Modus der Einbettung von Welt in sprachliche Darstellungsformen letztlich die Existenzweise repräsentiert wird. 43 K. S. Feldman, Binding Words, a. a. O., S. 6.

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Verdacht der Entgegenständlichung der Sprache

»[t]he representational character, its expository ›aboutness,‹ is disrupted and exceeded by its performance, for insofar as Being and Time does not simply explain or argue about but instead performs or demonstrates at a catachrestic limit, the text shows that being – as the very condition of being-about – is not something that can be written about in an expository fashion. For this reason there is a tension between the dependence on wrong words and the requirement of phenomenological fidelity to point to their inadequacy.« 44

Auch Feldman kritisiert allerdings, dass Heideggers Wortwahl zuweilen ›frustratingly unhandy‹ ist und nicht gerade hilft, etwas zu erklären, sondern eher allegorischen Charakter aufweist. 45 Solche Worte wie ›zuhanden‹ oder ›Bewandtniszusammenhang‹, ›Gegnet‹ oder ›Nichtung‹ irritieren den Lesefluss, indem sie auffallen. Die vielen negativen Begriffsbestimmungen bei Heidegger, zum Beispiel dass das Sein nicht als Entität aufzufassen sei, evozierten ›Perplexität‹ und stören das Verstehen, weil der Leser wissen will, was das Sein denn sonst sei usw. – Die Kritikpunkte von Feldman greifen jedoch nicht wirklich, denn Auffälligkeit zu erzeugen, war doch gerade Heideggers Absicht: Die auf logische Weise erzeugte Ungewöhnlichkeit und Erweiterung sprachlicher Möglichkeiten soll den Wortcharakter der Wörter selbstanwendend einholen. Feldman interpretiert diese Amplifikationen fälschlicherweise als ›not-statements‹ und ›Besinnungspausen im Argumentationsablauf‹. In Wirklichkeit sollen sie aber nur davor schützen, zu schnell in determinierende Denk- und Darstellungsmuster und -routinen der ›aboutness‹ zurückzuverfallen. Ganz verfehlt Feldman schließlich Heideggers Denken, wenn sie glaubt, dass sich im ›Ruf des Gewissens‹ einerseits der katachresische, negative und performativ perplexe Charakter von Sein und Zeit als ein Ganzes en miniature wiederhole und andererseits Sein und Zeit als eine Performation des Gewissens selbst gelesen werden müsse. 46 Heideggers ontologisches Unternehmen der methodischen Selbstanwendung sprachlicher Amplifikationen bedarf jedoch notwendigerweise des Rückgriffs auf eine ›uneigentliche‹ Sprache. Ohne diese könnte jene nicht verständlich werden. Heideggers Sprachgebrauch zeigt also, dass Sprache immer nur in gewissen Grenzen ge-

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Ebenda, S. 86. Ebenda, S. 87 f. Ebenda, S. 102.

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eignet ist, das programmatisch Zudenkende sprachlich adäquat zu fassen. Von dorther rührt auch Heideggers permanentes Bemühen, immer wieder neu und anfänglicher zu denken und dieses Denken adäquat sprachlich zu artikulieren. Damit entfernt er sich bewusst immer weiter von einer schnellen Verständlichkeit, die allzu schnell im ›Gerede‹ als Ausdruck der ›Verfallenheit an die Öffentlichkeit des Man‹ abgenutzt werden könnte. Wenn Heidegger in Sein und Zeit sagt, dass ›die Sprache spricht‹ – im Unterschied zum allgemeinen Sprachgebrauch, der die Sprache als Werkzeug auffasst –, dann steht Heideggers Position in einer Linie mit Herder und Humboldt, die Sprache als ein lebendiges Organ auffassen. Diese Medialisierung und Personifizierung entspricht einer tropischen Redeweise. Die Sprache nimmt die Rolle eines Akteurs ein. Sie spricht dem Menschen zu. Der Mensch übernimmt die Rolle eines leiblich-seelischen Mediums und Hörers, durch den die Ausdrücklichkeit der Sprache an Gestalt gewinnt. Angedeutet ist damit zugleich, dass die Sprache oft klüger ist als ihr Autor, dass ihr Inhalt zuweilen über das situativ Intendierte und Gemeinte in neue Bedeutungsdimensionen hinausweist – und sich manchmal sogar nach einer neuen Form des Auszudrückenden sehnt. Gegen einen latenten Schematismus, der Sprache als Werkzeug auffasst, setzt Heidegger also ein organisches Modell, das eine aktivere Rolle der Sprache erlaubt. Ein solcher Wechsel des Denkmodells ist aber mitnichten katachresisch zu nennen. Die Katachrese als Form der ›ungeeigneten‹, ›missbräuchlichen‹ oder bildbruchhaften figurativen Rede ist nämlich nicht diejenige Form, die sich auf Heideggers Denkweg applizieren lässt. Heideggers Denken ist nicht vordergründig dadurch charakterisiert, dass es sich primär nur absetzen möchte von alltäglichen, phänomeninadäquaten Redeweisen – und damit Erkenntnisformen –, so als ginge es nur darum, sich bestimmte Redeweisen auf Distanz zu halten, sie umzukehren, oder nur darum, auf eine ungeeignete Wortwahl hinzuweisen und durch eine neue ungewöhnlich Wortwahl zu substituieren. Im Gegenteil! Vor der Intention, sich bloß absetzen zu wollen, liegt vielmehr Heideggers generelle Hoffnung darin, eine sprachlich adäquatere Form für das jeweils und insbesondere für seinen Denkweg Zielbringende zu finden. Aber weder denkt Heidegger, dass die alltägliche Sprache katachresisch ist, noch ist Heideggers Denken im Ganzen katachresisch. Ein falscher Bildgebrauch kann immer nur vor dem Hintergrund der Annahme eines als richtig anerkannten erfolgen. Die Richtigkeit bzw. Wahrheit des metaphysi74

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Verdacht der Entgegenständlichung der Sprache

schen Weltbildes mit seinen etablierten Sprachformen wird aber gerade von Heidegger angezweifelt und dekonstruiert. Insofern ist die Katachrese zwar ein grundlegendes Prinzip der Textproduktion, die sich besonders für Bildbereiche eignet, welche durch starke pragmatische Verankerungen eingängig sind. Sie verweist daher auch auf grundlegende weltanschauliche Positionen des Bildproduzenten. Aber die Beschreibungen, die mit der Katachrese möglich sind, bleiben durch die strenge Entgegensetzung dessen, was eigentlicher und was uneigentlicher Sprachgebrauch ist, im Paradigma des Substitutionsdenkens. Wie diese unterscheidet die Weltansicht im Modus der Katachrese nämlich zwischen normalen und abweichenden Redeformen. Sie glaubt, die abweichenden Redeformen vernachlässigen zu können, und macht die ›normalen‹ Redeformen zu den allein maßgebenden. Insofern bleibt auch Feldman letztlich in einer rhetoriktheoretisch induzierten substitutionsparadigmatischen Wortsemantik stecken und dringt nicht zur methodisch angezeigten Textlogik vor. Ihre tiefensprachliche Analyse ist allerdings ein hilfreicher Ansatz, um die Schwierigkeit des methodologischen Ansatzes zu problematisieren. 47 Um sich von anderen Sprachgebräuchen absetzen zu können – und tiefensprachlichen Beschreibungen der Katachrese gerecht zu werden –, bedarf es einer vorgängigen Erfahrung einer Andersheit. Heidegger will aber nicht zwei Redebereiche oder Daseinsformen gegeneinander ausspielen, etwa eine praktisch-alltägliche gegenüber einer theoretisch-elaborierten. Er will vielmehr phänomenal (nicht zeitlich!) vor diese Trennung zurückgehen und letztere auf erstere zurückführen. Wenn es so ist, dass Heidegger nicht bloß die logizistischen Möglichkeiten der Negativierung als Katachrese radikal bis zu seinen Grenzen spielerisch weitertreiben und auf sein gesamtes analytisches Sprachdenken ausdehnen will, dann muss die Suche nach einer phänomenentsprechenden Sprache einen anderen Stachel haben. Ganz abstrakt liegt für Heidegger vor dem Unterschied (im Spätwerk schreibt er von der ›Zwiefalt‹) und der Distanz die Einheit und

Feldman erwähnt am Ende ihrer Ausführungen noch den Tropus der Syllepsis als adäquate Darstellungsform des Heideggerschen Denkprojektes, bedenkt jedoch auch hier – ebenso wie die Katachrese – nicht die Zweiteilung in eigentliche und uneigentliche Wortgebräuche, vor die Heidegger zurück will. Vgl. K. S. Feldman, Binding Words, a. a. O., S. 109.

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Nähe. Der tropische Grundcharakter des Heideggerschen Denkens kann daher unmöglich die Katachrese sein. Vielmehr – so zeigt die vorliegende Untersuchung – verändert sich der Grundcharakter von Heideggers Denken, ohne dass sich die phänomenologisch-hermeneutisch-transzendentale Methode ändert. Der Wandel geschieht jedoch nicht kontingent oder von der Katechrese her oder auf sie hin, sondern im dynamischen Fortschritt durch die Primärtropen, wie Hayden White sie – in Anlehnung an eine Tradition, die bis Giambattista Vico zurückreicht – für die Philosophiegeschichtsschreibung insgesamt fruchtbar gemacht hat. Um dies zu belegen, bedarf es zuvor einer gründlicheren Sichtweise auf Heideggers Rhetorikverständnis. Dieses Rhetorikverständnis leitet sich vom mehrdeutigen Begriff λόγος selbst her.

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3. Heideggers Auffassung von λόγος als Rede

Wenngleich Heidegger keine explizite Sprachphilosophie oder gar eine eigene Rhetorik vorgelegt hat, so hat er sich doch in seinen Vorlesungen ausführlich mit Rhetorik befasst. Das praktische Reden bleibt – wenn auch später unausgewiesen und verdichtet – Ausgangspunkt und Leitmotiv seines Denkens innerhalb der Trias DenkenSprache-Handeln. Zunächst soll erörtert werden, welches Verhältnis Heidegger selbst zur Rhetorik hatte, welchen Stellenwert er dem Redenkönnen für das Denken und das Philosophieren beigemessen hat und welche Gründe er dafür angibt. Es ist dabei nicht etwa Sein und Zeit, Heideggers Hauptwerk, sondern eine Vorlesung aus dem Jahre 1924 mit dem Titel Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, die die Rolle der Rhetorik für das Denken Heideggers markiert. 1 Sein und Zeit ist aus Heideggers Auseinandersetzung mit der aristotelischen Philosophie allererst hervorgegangen. Inwiefern nimmt diese Auseinandersetzung mit der aristotelischen Philosophie der Rhetorik aber eine tragende Stellung in Heideggers eigenem Denken ein? 2 Sucht man in Sein und Zeit eine Antwort auf diese Frage, so liefern die knappen Passagen zu Aristoteles keine befriedigende Antwort. 3 Und sie bietet auch zunächst wenig Vgl. M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, Marburger Vorlesung SS 1924, GA 18, Frankfurt 2002. 2 Vgl. R. Dilcher, Die erste systematische Hermeneutik der Alltäglichkeit des Miteinanderseins. Heidegger, Aristoteles und die Sache der Rhetorik, in: J. Kopperschmidt (Hrsg.), Heidegger über Rhetorik, München 2010, S. 87. 3 Im Paragraphen 29 kommt Heidegger im Rahmen seiner Analyse der Stimmungen auf die Rhetorik des Aristoteles zu sprechen. Dabei scheint für ihn die Rhetorik allein von einer bestimmten Seite, der Affektenlehre im zweiten Buch der Rhetorik, von Interesse zu sein: »Es ist kein Zufall, dass die erste überlieferte, systematisch ausgeführte Interpretation der Affekte nicht im Rahmen der ›Psychologie‹ abgehandelt ist. Aristoteles untersucht die πάθη im zweiten Buch seiner ›Rhetorik‹. Diese muß – entgegen der traditionellen Orientierung des Begriffes der Rhetorik an so etwas wie einem ›Lehrfach‹ – als die erste systematische Hermeneutik der Alltäglichkeit des 1

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Anlass, bei Heidegger eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der aristotelischen Rhetorik zu vermuten, denn sie entspricht im Großen und Ganzen dem populären Bild von der Rhetorik, nämlich dem von der guten Gestaltung einer vorwiegend öffentlichen Rede. 4 Als Kunst, nur bestimmte Stimmungen zu erzeugen, würde sie genau das sein, was Platon in seinem Dialog Gorgias kritisiert: nämlich ein in jeglicher Hinsicht ›unsachliches‹ Gegenteil einer ›sachorientierten‹ Philosophie.

3.1. Heideggers partielle Aufnahme der aristotelischen Rhetorik In den Vorlesungen zu den Grundbegriffen der aristotelischen Philosophie von 1924 wird deutlich, dass Heidegger der Rhetorik mindestens aus vier Gründen einen Sonderstatus für das eigene Denken beimisst. Zum einen hebt Heidegger hervor, dass Aristoteles der Rhetorik gegen das platonische Verdikt eine eigene Sache und Argumentationsweise zuspricht, weil sie für das gemeinschaftliche, und das heißt öffentliche Leben in der Polis von großer Bedeutung ist. Für Aristoteles ist die Öffentlichkeit der primäre Ort der Rhetorik. Das erschließt sich bei Aristoteles allein schon aus der Betrachtung der unterschiedlichen Redegattungen, die je nach temporaler Gerichtetheit entweder die Vergangenheit (beratschlagende Rede nach der Maßgabe des Nützlichen oder Unnützen), die Gegenwart (Gerichtsrede nach Maßgabe des Gerechten oder Ungerechten) oder die Zukunft (Lobrede nach Maßgabe des Vorbildlichen oder Schädlichen) umfasst, die für Aristoteles alle öffentlichen Redebereiche abdecken. 5 Weil in der Rhetorik diese Überzeugung von der Öffentlichkeit des alltäglichen Miteinanderseins zum Thema wird, bildet sie für Heidegger eine Art Grundlagenwissenschaft. Sie charakterisiert Miteinanderseins aufgefaßt werden. Die Öffentlichkeit als die Seinsart des Man (vgl. § 27) hat nicht nur überhaupt ihre Gestimmtheit, sie braucht Stimmung und ›macht‹ sie für sich. In sie hinein und aus ihr heraus spricht der Redner. Es bedarf des Verständnisses der Möglichkeiten der Stimmung, um sie in der rechten Weise zu wecken und zu lenken.« M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 138 f. 4 In der Konsequenz tritt die Rhetorik an die Stelle des eigentlich zu Sagenden, des Inhalts, und wird zur ›Stimmungsmache‹. Siehe dazu R. Dilcher, Die erste systematische Hermeneutik der Alltäglichkeit des Miteinanderseins, a. a. O., S. 90. 5 Aristoteles, Rhetorik, a. a. O., S. 19 ff.

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einen wesentlichen Grundzug des Daseins, nämlich das gemeinschaftliche Miteinandersein als öffentlichen Raum – im Unterschied zur Privatheit des Einzelnen. Heidegger betrachtet das Miteinandersein in Sein und Zeit nicht zufällig von der Seite der ›Uneigentlichkeit‹ her, sondern räumt eine besondere Stellung innerhalb der Existenzialanalyse ein. Er beschreibt denjenigen Modus, in dem sich das menschliche Dasein alltäglich aufhält. Mit einer solchen Position teilt Heidegger eine wesentliche Prämisse mit der aristotelischen Philosophie, nämlich die Überzeugung, dass der Mensch im Grunde seines Daseins ein zoon politikon, ein Gemeinschaftswesen ist. 6 Damit ist Heideggers erstes philosophisches Forschungsprogramm angezeigt: das faktische menschliche Dasein als solches. Im Unterschied zu seiner späteren wissenschaftskritischen Haltung ist dieses selber noch im Rahmen einer anthropologischen Grundfrage konzipiert. 7 Die Rhetorik des Aristoteles ist in diesem Rahmen deshalb für Heidegger bedeutsam, weil Aristoteles darin die hermeneutische Verfasstheit menschlichen Daseins aufgewiesen hat. Er hat nämlich die Angewiesenheit des Menschen auf gemeinschaftliche Selbst- und Welt-Interpretation als Grundstruktur menschlicher Existenz herausgestellt. Die klassische Stelle der aristotelischen Politik wird dabei folgendermaßen kommentiert: »Im Sein-in-der-πόλις sieht Aristoteles das eigentliche Leben der Menschen. Um das zu zeigen, weist er auf, daß das Sein der Menschen λόγον ἔχειν ist. In dieser Bestimmung liegt beschlossen eine ganz eigentümliche, fundamentale Weise des Seins des Menschen, charakterisiert als ›Miteinandersein‹, κοινωνία.« 8 Damit wird – und das ist ein zweiter Grund für das Interesse Heideggers an der aristotelischen Rhetorik – die Redefähigkeit zu einem zentralen Moment, das Heidegger aus der Rhetorik für sein eigenes Forschungsprogramm zieht. Aristoteles’ Definition des Menschen als zoon logon echon 9 ist für Heideggers Wertschätzung der Rhetorik als philosophische Grundlagenwissenschaft von größter Bedeutung. Heidegger übersetzt die aristotelische Definition vom Menschen als ζῷον λόγον ἔχον (zoon logon echon), als ein Seiendes, das Alle Versuche, Heidegger aufgrund des Eigentlichkeitskonzeptes einem methodischen Individualismus oder einem Subjektivismus zuzurechnen, sind daher verfehlt. 7 Vgl. M. Heidegger, Anzeige der hermeneutischen Situation, in: ders., Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, S. 28. 8 M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 46. 9 Aristoteles, Politik, a. a. O., 1253a, S. 2 f. 6

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redet. 10 Insofern ist der Gegenstand der philosophischen Forschung, den Heidegger für sich auch wegen seiner Selbstverortung sucht, nicht nur das Gemeinschaftliche, sondern vor allem das Miteinanderreden, die anthropologische Grundlage seiner Philosophie. Sprechen ist für Heidegger – wie für Aristoteles – ein Dreifaches: »Sprechen ist 1. zu jemandem, mit einem; 2. über etwas, ›aufzeigen‹, 3. vollzogen von einem Sprechenden.« 11 Heidegger leitet daraus ab, dass Rhetorik in ihrem Grundcharakter nicht Überzeugungsmittel ist, sondern Grundcharakter des alltäglichen Sprechens, nämlich »dasjenige, was für eine bestimmte Sache spricht« 12. Die rhetorische Ursituation, die Heidegger von Aristoteles übernimmt, ist die, dass einer zu jemandem über etwas spricht. Hieraus ergeben sich dann auch die drei oben genannten Grundcharaktere des alltäglichen Sprechens als Miteinanderredendsein (koinonia). Gleichzeitig ergibt sich, dass die Grundstimmung des λόγος diejenige ist, bei der das Sprechen sein τέλος beim Hörer hat. Sprechen ist bei Heidegger weniger auf den Sachbezug der Rede gerichtet, als vielmehr auf die Rede und das Reden im Zusammenklang mit alltäglichen praktischen Verrichtungen selbst, die kommentierend und orientierend begleitet werden. Zum Sprechen gehört mithin wesentlich die Ausrichtung auf ein Hören. »Alle diese Weisen des natürlichen Miteinandersprechens tragen in sich den Anspruch darauf, dass der andere nicht nur etwas zur Kenntnis nimmt, sondern aufnimmt, etwas befolgt, sich auf etwas besinnt, daß er das Gesprochene wiederholt, so, daß er beim Wiederholen darauf hört.« 13 Heidegger schlussfolgert aus diesem Satz, dass Sprechen Mitteilung ist, denn der Mensch als dasjenige »Seiende, das mit der Welt spricht, ist ein solches, das im Sein-mit-anderen ist«. 14 Sprechendsein und Miteinandersein sind für Heidegger also miteinander verklammerte Grundbestimmungen, die wechselseitig zu erhellen sind. Das Miteinander konstituiert sich im Sprechen und umgekehrt sind es diese Weisen des Miteinandersprechens, wodurch der λόγος als eine Grundbestimmung des Menschen in seiner ›offenM. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 124. Siehe auch ders., Sein und Zeit, GA 2, S. 165: »Der Mensch zeigt sich als Seiendes, das redet.« 11 M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 124. 12 Ebenda. 13 Ebenda, S. 105. 14 Ebenda, S. 46. 10

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barmachenden Funktion‹ erhoben werden kann. 15 »Dieses Offenbarmachen als vollzogen durch das Sprechen ist ein Mitteilen, Einemanderen-Offenbarmachen, die Weise des Ausdrücklich-miteinanderDahabens der Welt.« 16 Ihren tieferen Grund hat die Verklammerung darin, dass in jedem Reden die Tendenz auf ein Hören liegt, eben insofern dieses ›das Vernehmen des Sprechens ist, weil es die Möglichkeit des Miteinanderseins ist‹. In diesem genaueren Sinn versteht Heidegger Aristoteles’ Definition des Menschen als ζῷον λόγον ἔχον, als Miteinandersprechen. Der Mensch ist ein Seiendes, das zu anderen etwas sagt und in eins damit sich von anderen etwas sagen lässt. 17 Heidegger geht es im Unterschied zu Aristoteles’ Philosophie der Rhetorik aber nicht nur um das Reden im engeren Sinne von ›eine Rede im öffentlichen Kontext halten‹. Vielmehr versteht Heidegger das Sprechen in der Weise des in der Volksversammlung, vor Gericht oder bei feierlichen Gelegenheiten ›Sprechend-in-der-Rede-seins‹. Dieses hat Aristoteles vor allem im Blick. Es ist eine exponierte Form des gewöhnlichen Sprechens. In ihm sind verschiedene Möglichkeiten der Alltäglichkeit des Daseins schon vorgezeichnet. 18 Es stellt nur bestimmte Großformen des Miteinander-Redens dar. Von ihnen her werden sowohl das gesamte alltägliche Miteinander-sprechendSein als auch die gemeinschaftlich verfasste Alltäglichkeit verstehbar. Im rhetorischen Sprechen als Sprechend-in-der-Rede-Sein können nämlich eigentümliche Momente des alltäglichen Daseins, zum Beispiel deren Zeitlichkeit, sichtbar werden. Erst aufgrund dieser ursprünglicheren Bestimmung durch Heidegger lassen sich die drei Redebereiche nach ihrer zeitlichen Gerichtetheit organisieren, wie es Aristoteles vorschlägt und damit das Feld des ›Redbaren‹ temporal absteckt. Die Struktur des Grundphänomens des Redens erschließt sich insbesondere auch im logischen Status rhetorischen Sprechens – einem dritten Grund für Heidegger, Rhetorik in ihrer philosophischen Reichweite als grundlegende Wissenschaft vom Dasein aufzufassen. Gemäß seiner Natur ist das Sprechen der Alltäglichkeit ein eigentümliches und kein wissenschaftliches. Es ist nicht wissenschaftlich, weil es nicht aus der theoretischen Betrachtung der Welt ent15 16 17 18

Ebenda, S. 63. Ebenda. Vgl. ebenda, S. 111. Vgl. ebenda, S. 114.

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standen ist, sondern dem Vollzug von Praxen, die durch Reden begleitet werden. Das natürliche Reden besteht aus ἐνδόξαι (endoxai), herrschenden Grundmeinungen, Ansichten, also aus einer vorwissenschaftlichen sprachlichen Angelegtheit von Welt, welche sich in der Struktur des öffentlichen Redenhaltens nur auf das prägnanteste darstellt. Das wissenschaftliche Reden vollzieht sich demgegenüber nach Hinsichten und Absichten, worauf für Heidegger auch das Wort θεωρία (theoria), also Anschauung, Betrachtung hinweist, das als ›Reflexion‹ später zu einem Ausdruck für eine neuzeitliche wissenschaftliche Lebenshaltung und Weltauffassung avanciert. Was Heidegger mit der kritischen Aufnahme der Rhetorik des Aristoteles in sein eigenes Denken anstrebt, wird erst in Sein und Zeit deutlich zur Sprache gebracht. »Ist es Zufall,« fragt Heidegger, »dass die Griechen, deren alltägliches Existieren sich vorwiegend in das Miteinanderreden verlegt hatte, und die zugleich ›Augen hatten‹ zu sehen, in der vorphilosophischen sowohl wie in der philosophischen Daseinsauslegung das Wesen des Menschen bestimmten als ζῷον λόγον ἔχον? Die spätere Auslegung dieser Definition des Menschen im Sinne von animal rationale, ›vernünftiges Lebewesen‹, ist zwar nicht ›falsch‹, aber sie verdeckt den phänomenalen Boden, dem diese Definition des Daseins entnommen ist: der Mensch zeigt sich als Seiendes, das redet.« 19 Das aber heißt: Sie reduziert die phänomenale Dimension des Miteinanderredenkönnens auf Funktionen des Vernünftigen und Rationalen, ohne in Betracht zu ziehen, dass es vor allem lange Überlegtem und mit analytischer Klarheit und Kalkül Bedachtem das relativ spontane Agieren in der jeweiligen praktischen Situation ist, das Orientierung gibt und das Miteinandersein als Zusammensein aufrecht erhält, währenddessen die Deutung von Logos als rationales und vernünftiges Verständnis durch seine allzu schnelle Konzentration auf ›das Richtige‹ verwirrt. Vor diese Tendenz des λόγος als des schon als Vernünftiges und Rationales Bewertetes gilt es für Heidegger zurückzukommen: in ein ›verbindendes Verständnis‹ des λόγος als basalere Bedingung freier praktischer Kooperation vor allem theoretischen Räsonieren. Betrachtet man Heideggers Zugang zur Rhetorik im Zusammenhang mit der Kontinuität seines gesamten Denkweges, so lässt sich sagen, dass das Reden als alltägliche Tätigkeit des Miteinanderseins von Anfang an im Vordergrund des Heideggerschen Denkens 19

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M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 165.

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steht. Der λόγος wird von Heidegger als Rede(n) im Sinne eines tätigen Zugangs zur Welt und nicht vordergründig als Vernunft im Sinne eines bereits besonnenen Sachinhalts aufgefasst. Das ist die tiefere Pointe von Heidegger Bemühen, die Definition des Menschseins in ein ursprünglicheres Verständnis zu überführen, als es die Philosophen, Aristoteles eingeschlossen, bis dahin getan hatten. 20 In seiner Vorlesung Logik. Die Frage nach der Wahrheit fasst er die Rolle des Redens für den Menschen daher so zusammen: »Das Reden in diesem weitgefaßten, natürlichen Sinn ist eine Verhaltungsart des Menschen und zwar eine solche, daran sich gerade für die natürliche, vorwissenschaftliche Betrachtung der Unterschied des Menschen von anderen Lebenden in der Welt bekundet; das spezifische Menschsein fällt auf durch das Reden.« 21 Insofern kann Heidegger in Sein und Zeit zusammenfassen, dass Rhetorik letztlich eine Auslegung, eine ›Hermeneutik des konkreten Daseins‹ ist. »Aristoteles untersucht die πάθη im zweiten Buch seiner ›Rhetorik‹. Diese muß – entgegen der traditionellen Orientierung des Begriffes der Rhetorik an so etwas wie einem ›Lehrfach‹ – als die erste systematische Hermeneutik der Alltäglichkeit des Miteinanderseins aufgefaßt werden.« 22 Als πάθη kann das Reden nachher, in einem abgeleiteten und tendenziell theoretischen Modus auch zu einer Besinnung über die einzelnen Gegenstände der Betrachtung und damit sogar über das Sprechen selbst führen. Indem das Miteinanderreden die Möglichkeit hat, die Phänomene, die im Sprechen aufgegeben sind, zu überschauen, ist es nicht nur Mittel des Bezugs auf andere, sondern auch auf sich selbst. Als Bedingung für die sprachliche Selbstbezüglichkeit des Menschen – und das ist ein vierter Grund für Heideggers Wertschätzung der Rhetorik (des Aristoteles) – ist die Rhetorik als reflektiertes

Heideggers Deutung ist nicht nur sprachgeschichtlich angemessener, denn zumindest vor der Stoa ist Logos immer sprachlich-diskursiv verfasst. Das Vermögen der Vernunft hingegen wird auf Griechisch mit νοῦσ (nous) bezeichnet. Vgl. Abriss zur Begriffsgeschichte von Logos bei R. Dilcher, Studies in heraclitus, Hildesheim 1995, S. 31 ff. Außerdem entspricht es auch vor allem den aristotelischen Überlegungen in der Politik: denn während die anderen Lebewesen mittels der Stimme nur Angenehmes und Schmerzliches einander anzeigen können, vermag der Mensch durch den Logos, das Zuträgliche und Schädliche sowie das Gerecht und Ungerechte, also alle rhetorischen Dimensionen: Ethos, Pathos und Logos, anzuzeigen. Vgl. Aristoteles, Politik, a. a. O., S. 14 ff. (1253). 21 M. Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21, S. 2. 22 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 138. 20

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Reden nämlich geeignet, die in der Neuzeit als Subjektivität und Selbstbewusstsein verstellte Selbstbezüglichkeit kritisch zu überwinden. Genau das versucht Heidegger später in Sein und Zeit zu leisten. Neben den Logos im Sinne des artikulierten Miteinandersprechens und der darin anklingenden Dimension der geteilten Intersubjektivität stellt er den λόγος im Sinne der Rückbeziehung auf sich selbst als eine Dimension der Reflexivität und Selbstbezüglichkeit. 23 Für Heidegger ist der λόγος, verstanden als Miteinandersprechen, gekennzeichnet durch eine alltägliche selbstbezügliche Rede. Sprechen ist überlegendes Sprechen über das und zugleich vom und durch Miteinandersein. λόγος ist diejenige menschliche Selbst- und Weltauffassung, die durch Meinungen und Überzeugungen bestimmt und als Äußerung bzw. Artikulation verwirklicht wird. λόγος als vernünftiges Reden verstanden ist für Heidegger keine Kunst oder Theorie der überzeugenden oder schönen Rede, sondern grundlegender Schlüssel zum menschlichen Selbst- und Weltverhältnis und den Dimensionen sozialer Kooperation. Die so verstandene logische Rhetorik ist daher ›besser‹ als jede Sprachphilosophie, weil sie vom Sprechen handelt als einer ›Grundweise des Seins als Miteinandersein der Menschen selbst‹ : »Daß wir die aristotelische ›Rhetorik‹ haben, ist besser, als wenn wir eine Sprachphilosophie hätten. In der ›Rhetorik‹ haben wir etwas vor uns, was vom Sprechen handelt als von einer Grundweise des Seins als Miteinandersein der Menschen selbst, so dass ein Verständnis dieses λέγειν [légein, sprechen, BK] auch die Seinsverfassung des Miteinanderseins in neuen Aspekten darbietet. Weil also die ›Rhetorik‹ den Zugang zu diesen ursprünglichen Phänomenen darbietet, ist es so wichtig, das zu verstehen, was Aristoteles als ρητορική [rhetorike, Rhetorik, BK] bezeichnet.« 24 Die Rhetorik ist für Heidegger also keine Disziplin oder elaborierte Methode, sondern diejenige ursprünglich kooperative Zugangsweise vor jedem theoretischen Räsonnieren, die das Miteinanderredenkönnen als verbindendes Scharnier und Möglichkeitsraum des menschlichen Daseins erschließt, also das Dasein des Menschen ausmacht, insofern es durch gemeinsames Reden bestimmt ist. Der intersubjektive und der reflexive Aspekt des Redens sind durch den

Vgl. T. v. Zantwijk, Logos bei Heidegger und Aristoteles, in: J. Kopperschmidt, Heidegger über Rhetorik, München 2010, S. 273–299, hier S. 282 24 Vgl. M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 117. 23

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rhetorischen λόγος, nämlich das Miteinanderreden in der Gemeinschaft als κοινωνία bestimmt. Daher gibt es für Heidegger auch keine ›reine Subjektivität‹ neben der Intersubjektivität. Vielmehr sind das Mit-anderen-redenkönnen und das Sich-auf-sich-beziehen-können zwei Seiten einer Medaille, nämlich eines logischen Vermögens. Selbstbezugnahme ist ein Vermögen, das sich aus den Möglichkeiten der Intersubjektivität ergibt. Mit dieser Position macht Heidegger das λέγειν (legein) mit ausdrücklichem Bezug zur aristotelischen Rhetorik zum systematischen Zentrum des gesamten Bedeutungsspektrums von λόγος. 25 Der λόγος-Begriff avanciert zum Grundphänomen menschlicher Selbst- und Weltbezüglichkeit, aus dem sich bestimmte Formen, wie das Rationale und Vernünftige, als Formen einseitig theoretischer Effizienzoptimierung verselbständigt und zum allgemeinen Paradigma entwickelt haben. 26 Die Auseinandersetzung mit der Rhetorik des Aristoteles bildet für Heidegger daher das Fundament seiner Existenzialanalytik! In Sein und Zeit bringt Heidegger seine Lesart der aristotelischen Rhetorik an ihren angemessenen Ort. Dass dieser Verortung eine gründliche Auseinandersetzung mit der aristotelischen Rhetorik-Auffassung vorausgegangen ist, wird in Sein und Zeit nicht thematisiert. Aber erst im Hauptwerk lässt sich die Tragweite der Heideggerschen Interpretation erstmals erahnen. Denn dort liest man: »Das existenzial-ontologische Fundament der Sprache ist die Rede. […] Die Rede ist mit Befindlichkeit und Verstehen existenzial gleichursprünglich. […] Wenn die Rede, die Artikulation der Verständlichkeit des Da, ursprüngliches Existenzial der Erschlossenheit ist, diese aber primär konstituiert wird durch das In-der-Welt-sein, muß auch die Rede wesenhaft eine spezifisch weltliche Seinsart haben. Die befindliche Verständlichkeit des In-derWelt-seins spricht sich als Rede aus. Das Bedeutungsganze der Verständlichkeit kommt zu Wort. Den Bedeutungen wachsen Wort zu. […] Bedeutungen sind als das Artikulierte des Artikulierbaren immer sinnhaft. […] Reden ist das ›bedeutende‹ Gliedern der Verständlichkeit des In-derWelt-seins, dem das Mitsein zugehört, und das sich je in einer bestimmten Weise des besorgenden Miteinanderseins hält. […] Das Ausgesprochene ist gerade das Draußensein, das heißt die jeweilige Weise der Befindlichkeit

Insgesamt werden vier grundlegende Bedeutungen unterschieden. Vgl. Aristoteles, Rhetorik, a. a. O., S. 19 ff. 26 Vgl. M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 117. 25

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(der Stimmung), von der gezeigt wurde, dass sie die volle Erschlossenheit des In-Seins betrifft. Der sprachliche Index der zur Rede gehörenden Bekundung des befindlichen In-Seins liegt im Tonfall, der Modulation, im Tempo der Rede, ›in der Art des Sprechens‹.« 27

Im Reden drückt sich demzufolge nicht eine Innerlichkeit des Subjektes nach außen aus. Das Reden ist vielmehr immer schon ›draußen‹ in den praktischen Zusammenhängen des Miteinanderumgehens und kann erst später als innerer reflektierender oder antizipierender Dialog auch in ein nicht involviertes Nachdenken eingesetzt werden, zum Beispiel für theoretische Problemlösungen vor dem praktischen Ausprobieren. Heidegger folgt der aristotelischen Rhetorik also nicht vollständig oder kritiklos. Seine Fokussierung und radikale Umdeutung bestimmter Begriffe geben Heideggers eigener Rhetorik-Interpretation manchmal den Charakter einer Faszination am Gewalttätigen. Sie folgt streckenweise den Vorgaben Aristoteles’, nimmt jedoch an entscheidenden Punkten eine konträre Position ein. Heidegger interpretiert Aristoteles’ Rhetorikverständnis aus der Perspektive eines grundlegenderen Seins- und Daseinsverständnisses selbst, um ersteres in seinen eigenen Grenzen, nämlich in dessen tendenziell schon verwissenschaftlichter und theoretisierender Sicht auf die Dinge des Miteinanderredens als Grundphänomen des Daseins aufzuzeigen. 28 Auf zwei kritische Aspekte der Heideggerschen Aristoteles-Interpretation lohnt es sich im Zusammenhang dieser Untersuchung näher einzugehen. Das ist zum einen Heideggers Leugnung des vollständig technischen Charakters der Rhetorik, die bei Aristoteles doch einen größeren Stellenwert einnimmt als bei Heidegger, und zum anderen die Neuübersetzung des δύναμις-Begriffs 29 als ›Möglichkeit‹ und zugleich ›Vermögen‹, die so bei Aristoteles selbst nicht vorgesehen ist. Ich gehe im Weiteren auf beide Begriffe zunächst getrennt ein, werde sie dann aber auch in ihrem Bezug aufeinander diskutieren.

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 160–162. Die stark durch eigene Fragen bestimmte Lesart, die die Textlektüre und Interpretationen bestimmt, bringt Heidegger bis heute starke Kritik ein. So wird ihm in Bezug auf die Aristoteles-Lektüre Logizismus und Falschinterpretation vorgeworfen. Vgl. T. v. Zantwijk. Logos bei Heidegger und Aristoteles, a. a. O., S. 290–297. 29 δύναμις–Begriff (dynamis-Begriff) wird von Heidegger verstanden als Einheit von Möglichkeit und Vermögen. 27 28

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Heideggers partielle Abgrenzung gegenüber der aristotelischen Rhetorik

3.2. Heideggers partielle Abgrenzung gegenüber der aristotelischen Rhetorik Als ›erste systematische Hermeneutik des alltäglichen Miteinanderseins‹ wird Aristoteles’ Rhetorik vor allem deshalb von Heidegger ausgezeichnet, weil sie im Rahmen einer Disziplin vorgetragen wird, die einer inneren Systematik folgt. 30 Heidegger selbst ist an dieser aristotelischen Systematik der Rhetorik nicht interessiert. Im Gegenteil. Er ist vielmehr einer ursprünglicheren Erfassung von gemeinschaftlicher Alltäglichkeit als Grundlage einer vortheoretischen Strukturbestimmung des menschlichen Daseins auf der Spur. Aus diesem Grunde deutet er auch im Verlaufe seiner Vorlesungen die Interpretation der rhetorischen Aufgaben von Aristoteles um bzw. überträgt sie auf Bereiche, die weniger exponiert sind als die öffentlichen Reden, die Aristoteles im Blick hat. 31 Für Heidegger ist die Rhetorik eine Tätigkeit, die kein Sachgebiet hat, das irgendwie abgegrenzt werden könnte. 32 Das, worüber die Rhetorik handelt – nämlich das In-mit-einander-beratender-WeiseSprechen –, sei im Sinne einer Disziplin oder τέχνη gar nicht zu fassen, denn »das, was jedem alltäglich und gewöhnlich passiert, ist nicht aufteilbar in ein Handwerk oder Beruf« 33. Zwar folgt Heidegger mit dieser Überlegung den aristotelischen Vorgaben. Er missachtet aber das aristotelische Diktum, dass die Sache der Rhetorik, also das, worum es der Rhetorik nach Aristoteles vornehmlich geht, etwas Bestimmtes, nämlich das Glaubhafte bzw. das Glaubhaftmachen sei. Aristoteles definiert die Rhetorik als ›das Vermögen, über jedes das möglicherweise Glaubhafte zu betrachten‹. 34 Diese Einschätzung steht dem Verdacht Platons, die Rhetorik hätte gar keinen eigenen Gegenstand, weil sie ja über alles reden könne, aber diametral entgegen. Als Ursachen der Glaubhaftmachung nennt Aristoteles drei Formen: Ethos, Pathos und Logos. Diese drei Formen der Glaubhaftmachung geben Aristoteles Schrift ΤΕΧΝΗ Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 138. R. Dilcher, Die erste systematische Hermeneutik der Alltäglichkeit des Miteinanderseins, a. a. O., S. 95; vgl. auch: T. v. Zantwijk, Logos bei Heidegger und Aristoteles, a. a. O., S. 273–299. 32 Vgl. M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 116. 33 Ebenda, S. 136. 34 R. Dilcher, Die erste systematische Hermeneutik der Alltäglichkeit des Miteinanderseins, a. a. O., S. 95. 30 31

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ΡΗΤΟΡΙΚΗ (Technè Rhetorikè, dt. rhetorische Technik/Kunst) ihre innere Gliederung. Die Systematik der Dreiheit der Glaubhaftmachungen ergibt sich für Aristoteles aus dem Dreieck von Redner, Hörer und Sache. Die Glaubhaftmachung durch das Ethos des Redners zielt auf die Sachlichkeit der Einstellung zum Redegegenstand, also seine Absicht. Die Glaubhaftmachung durch den Pathos des Hörers zielt auf die affektive Wirkung, und die Glaubhaftmachung durch den Logos der Sache zielt auf das, was für eine Sache sprechen kann, also die Gründe der Zustimmung in der Rede selber. Die drei Formen Ethos, Pathos und Logos sind Wesensmomente der Glaubhaftmachung und auch bei Aristoteles nur in einem abgeleiteten, nämlich anwendungsbezogenen Sinne auch Überzeugungsmittel. Insofern stellt Aristoteles’ Rhetorik keine äußerliche Systematik als Lehrbuch dar, was sie von späteren Rhetoriken unterscheidet. Dieser Eindruck rührt vielmehr aus dem ergebnisorientierten Stil der Rhetorik. Das aristotelische Verständnis der Rhetorik als τέχνη ist – gegen die bisherigen Rhetoriken seiner Zeit – weniger pragmatisches Anleitungs-, sondern vor allem Gründe- und Ursachenwissen. Es geht über Erfahrungs- und Anwendungswissen hinaus. In diesem Verständnis von τέχνη bietet Aristoteles tatsächlich keine Technik an. Insofern das Glaubhafte jedoch eine eigene Qualität darstellt, für dessen Entstehen es angebbare Ursachen gibt, lässt es sich als das Sachgebiet einer genuinen τέχνη erforschen. 35 Entsprechend der intersubjektiv geteilten Meinung ist der Logos als Rede durch drei korrespondierende epistemische Modalitäten gekennzeichnet: Das, wovon als etablierte Meinung ausgegangen wird, ist das Glaubhafte; das, was in der Rede gezeigt wird, ist das Glaubenerweckende; und das, was durch die Rede erreicht wird, ist das Führwahrhalten. 36 Diese drei Modalitäten können mit verschiedenen Mitteln erforscht und reflektiert werden. Wenn Heidegger den technischen Status der Rhetorik abwehrt, so deswegen, weil er im Wort τέχνη bereits das ›Lehrfach‹, die Disziplin, den ›Beruf‹ wittert. Er wehrt damit jenen anwendungsorientierten Zugang zur Rhetorik ab, den auch Aristoteles durch die Etablierung einer wahrhaften τέχνη überwinden wollte. Jenes Ursachenwissen, das die Technizität der Rhetorik begründet, erschließt als Sache der Rhetorik das Glaubhafte. Durch die Fixierung auf das Glaubhafte gelingt es Aristoteles, all jene Vorstellungen von Rhetorik 35 36

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Ebenda, S. 102. Vgl. T. v. Zantwijk, Logos bei Heidegger und Aristoteles, a. a. O., S. 286.

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zu überwinden, die an den konkreten Aufgaben des Verfassens einer Rede ansetzen und so hauptsächlich die sprachliche Seite der Rhetorik, das Finden der richtigen Worte, die gekonnte Ausarbeitung in den Blick nehmen. Die Systematik der aristotelischen Rhetorik beruht letztlich darauf, alles, was für die Abfassung, Ausarbeitung und den Vortrag einer Rede von Belang ist, als zwar Notwendiges, aber doch nur Nachgeordnetes anzusetzen. Vorgeordnet ist diesem technischen Teil des Redens die Analyse dessen, was gewöhnlich beim Reden passiert, nämlich das, was in gewisser Weise allen gemeinsam zu erkennen ist und woran alle teilhaben. 37 Insofern kann man durchaus – wie Heidegger es tut – Aristoteles’ Ansatz so auffassen, dass dieser die besonderen Reden vor Gericht, im Rat oder als Huldigung vor einem Publikum als nur elaborierte und institutionell festgelegte Formen alltäglicher Redeweisen auffassen. Darin ist das Glaubhafte entscheidend. 38 Die ihr eigene Sache der Rhetorik, die Rhetorizität, beginnt also nicht erst bei der Aufgabe des Redners, für seine Rede die rechte, nämlich überzeugende Argumentationsweise zu finden und sie dementsprechend kunstgerecht zu gestalten. Solche spezifischen Aufgaben des Redners machen die allgemeine Rhetorizität des alltäglichen menschlichen Lebens nur als besondere und abgeleitete Form deutlich. 39 Als Grundbegriff einer Phänomenologie der Alltäglichkeit befördert die philosophische Rhetorik das Selbst- und Weltverständnis menschlichen Handelns, indem sie als Hermeneutik des Daseins diesem seine Rhetorizität vor Augen führt. 40 Nimmt man dies ernst, so wird Heideggers Kritik verständlich, dass alle Affektenlehre nach Aristoteles Gefühle und Affekte unter die psychischen Phänomene subsumiere, ohne ihren grundsätzlich ontologischen Status überhaupt in Betracht zu ziehen. Denn hätte die affektbedingende soziale Situation nichts mit der in der Rede verhandelten Sache zu tun, würde auch die Beeinflussung der Affektzustände der Hörer ins Leere laufen. Die Unterscheidung von logos Vgl. Aristoteles, Rhetorik, a. a. O., S. 8 ff. (1391). Wie wenig Aristoteles die Bedürfnisse des professionellen Redners beachtet, wird insbesondere auch an den untechnischen Überzeugungsmitteln deutlich, von denen er nur sagt, dass man sie überhaupt gebrauchen solle, ohne spezielle Anwendungsgebiete aufzuzeigen. 39 Vgl. R. Dilcher, Die erste systematische Hermeneutik der Alltäglichkeit des Miteinanderseins, a. a. O., S. 104. 40 Vgl. ebenda. 37 38

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und pathos als Dimensionen der Glaubhaftmachung beruht nur auf unterschiedlichen Hinsichten der Glaubhaftigkeit der Rede selbst. Sie zeigt aber nichts über verschiedene Techniken und Werkzeuge der Überzeugung. Ebenso wenig wird mit der Unterscheidung der Dimensionen eine Unterscheidung zwischen logisch-sachlichen und unlogisch/pathetisch-unsachlichen Gestaltungsmitteln vorgenommen. Affekt ist für Aristoteles ein psychischer Zustand, der sich im Normalfall aus den für den Affizierten relevanten Handlungssituationen ergibt. Er ist sozusagen der subjektiv gebrochene Spiegel menschlicher Situationseingebundenheit. Damit aber ist die Affektenlehre mit ihrem triadischen Schema eine nähere Beschreibung bestimmter Handlungslagen. Diese haben sich bereits nach den drei Hinsichten innerhalb des Redner-Hörer-Rede-Spektrums ausgerichtet. Sie sind damit drei Formen ganz allgemeiner Urteile der eigenen Situationsbewertung innerhalb eines Miteinanderredens. Daher ist Heideggers Einschätzung über das Pathos berechtigt: »Das ἔιδος der πάθη ist ein Sichverhalten zu anderen Menschen.« 41 »Diese πάθη, ›Affekte‹, sind nicht Zustände des Seelischen, es handelt sich um eine Befindlichkeit des Lebenden in seiner Welt, in der Weise, wie er gestellt ist zu etwas, wie er eine Sache sich angehen läßt.« 42 Das SichAngehenlassen ist vielmehr eine Haltung, eine Art vorab durch Urteile abgesteckter Raum für mögliches Handeln. In diesem Sinne versteht Heidegger Rhetorik als Redenkönnen in einem nicht-technischen Sinn. Die Gründe für eine Haltung lassen sich zwar im Nachhinein reflexiv überschauen und zum Teil modifizieren, aber in der Situation selbst werden diese nicht reflexiv eingeholt und man ist ihnen ausgeliefert. Insofern lässt sich sagen, dass die Interpretation der Affektenlehre geradezu einen Prüfstein für unterschiedliche Auffassungsweisen der Rhetorik darstellt. Fasst man die Rhetorik hingegen bloß als Kunstlehre auf – selbst in weiter Bedeutung dieses Ausdrucks –, so wird die Affektregung zu einem Mittel der Erreichung des persuasiven Erfolgs und stellt nicht mehr das Fundament des Handelns überhaupt dar. Insgesamt bedeutet das, dass Heidegger Rhetorik und Sophistik dezidiert voneinander absetzt. Im Unterschied zur Sophistik will Heidegger die Rhetorik nicht auf die bestimmte Zwecksetzung des Überzeugens festsetzen. Der Unterschied von Rhetorik und Sophistik liegt 41 42

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M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 207. Ebenda, S. 122.

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für Heidegger gerade darin, dass die Sophistik eine blind anzuwendende Technik ist, während für die Rhetorik die Werkzeuge des Redens nur insofern von Bedeutung sind, als sie zur Einsicht in eine Sache verhelfen, die noch unbekannt ist. 43 Der rhetorische Logos ist daher mit dem technisch-poietischen nicht deckungsgleich. 44 Es wäre geradezu fatal, wenn der rhetorische Logos derart beschränkt würde. Dann wäre die Sache der Rhetorik nicht richtig begriffen. Weil es Heidegger gerade darum geht zu fragen, wie eine Sache überhaupt zu verstehen sei und als was sie anzuerkennen sei, kann ein technisches Verständnis von Rhetorik nur ein Missverständnis sein. Keine Technik ermöglicht nämlich ein ursprüngliches und unverstelltes Verhältnis zur Sache, so wie es Heidegger im Sinne der Phänomenologie im Auge hat. Technik kann niemals ›Urphänomene aufweisen‹, wie es Heideggers philosophische Absicht ist. Sie ist immer schon ein Abgeleitetes, Eingeengtes, das als Kunstfertigkeit auf ein Richtig oder Falsch abgestellt ist. Im Unterschied zur Sophistik als dem technischen Teil des Redenkönnens ist Rhetorik für Heidegger im Kern δύναμις, nämlich die Möglichkeit, Räume zu erschließen, in denen die Welt immer auf eine bestimmte Weise erscheint. Als δύναμις steht die Rhetorik zwar auch in einem teleologischen Zusammenhang, ist aber auf die Realisierung eines konkreten Ziels nicht festgelegt, da sie die Art und Weise, also die Haltung gegenüber etwas vorgibt. Das Ziel der Rhetorik ist, wie Heidegger sagt, die Ausbildung des Vermögens, das Glaubwürdige zu sehen. Rhetorik ist damit eine Möglichkeit, die in sich das Sehenkönnen dessen ausbildet, was für eine Sache spricht. 45 Sie leuchtet den epistemischen Rahmen bezüglich seiner Art und Weise hin aus und stellt damit sicher, in welchem Modus den Menschen etwas angehen kann. Auf diese Weise zeigt sie zugleich an, dass und inwiefern es überhaupt etwas geben kann. Es kann nämlich etwas nur im Modus vorgängiger logisch-rhetorischer Rahmung des Möglichkeitsspielraumes als ontologischer Kategorie geben. Heidegger übersetzt δύναμις also nicht nur mit ›Vermögen‹ im Sinne einer Disposition, wie es in der Anthropologie allgemein üblich

Vgl. T. v. Zantwijk, Logos bei Heidegger und Aristoteles, a. a. O., S. 287. Die Konzeptionen von Quintilian und späteren Autoren stellen für Heidegger daher einen Reflexionsverlust im Sinne einer Einengung oder Vereindimensionalisierung gegenüber der aristotelischen dar. 45 Vgl. M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 115. 43 44

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ist, sondern auch und zugleich vor allem im Sinne von ›Möglichkeit‹. Er versteht die Definition nicht im Sinne der Festlegung, die in der Rede artikuliert wird, sondern als Bestimmung des modalen Status der Sätze, die in der Rede vorkommen. Diese neue Begriffsbestimmung der Rhetorik unterscheidet nicht nur Heideggers Ansatz von dem aristotelischen. Er ist auch der entscheidende Grund dafür, dass der Rückgriff auf die aristotelische Rhetorik in Sein und Zeit nicht mehr explizit erfolgt, sondern bereits eingearbeitet ist, so dass man sie nur noch als eingewobene Verweisungen im Text auffinden kann. 46 Für Heidegger kommt es nämlich in Sein und Zeit vor allem darauf an, dass Sätze über das Wesen des Daseins und des Seins den epistemischen und ontologischen Möglichkeitsstatus bereits praktisch einzufangen haben. Es kommt ihm nicht mehr darauf an, im gleichen tendenziell theoretisierenden Modus wie Aristoteles zu verbleiben und wie dieser ein ›Wesen des Menschen‹ aus dessen Eigenschaften zu extrahieren. Vielmehr geht es Heidegger – auch gegen andere Ansätze dieser anthropologischen Methodik – darum, das ›Wesen des Menschen‹ aus seinen ursprünglichen praktischen Vollzügen des Miteinanderverwobenseins heraus und mithin als wesentlich wandelbares und dynamisches Weltverhältnis zu verstehen. Darin nimmt das kooperierende Miteinanderredenkönnen eine konstitutive Rolle ein. Die erkenntnistheoretische Frage nach der Selbstund Gegenstandskonstitution des Menschen wird darüber erklärt, dass Menschen vor allem ihre mit anderen geteilten Praxen sind. Nichts anderes drückt Heideggers perfektives Apriori ›Immer-schondraußen-sein‹ aus. Nachdem der Mensch als soziales Wesen konstituiert ist, ist er auch ein auf sich selbst bezogener reflektierender und räsonierender Agent in einem elaborierten Kultur- und Gemeinschaftssystem. Deshalb muss nach Heidegger die Rolle des Miteinanderredenkönnens viel ursprünglicher angesetzt werden, als Aristoteles es getan hat. Indem Rhetorik im Sinne von Heidegger zuallererst den Raum freigibt, in dem sich die noch unverstandenen Phänomene zeigen können, erfüllt sie eine vororientierende Funktion innerhalb miteinander vollzogener Praxen. Darin erst hat ›Auslegung‹ bestimmter Sachverhalte qua Darübernachdenken seinen Ort. Als Möglichkeit und Vermögen zugleich führt das Rhetorische so heuristische und Heidegger nimmt dabei den Begriff ›Text‹ von lat. textur (dt. Gewebe) in seiner Etymologie ernst.

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hermeneutische Aspekte zusammen. Als alltäglicher gemeinschaftlicher Redevollzug trägt sie zwar zur Orientierung und Bildung von Überzeugungen bei. Sie tut dies aber eben nicht als τέχνη, die bloß eine Kunstfertigkeit zum Ausdruck bringt, sondern als δύναμις, nämlich als Möglichkeit, sich in und durch den Logos in einer Situation zu orientieren: »Die ρητορική ist nicht τέχνη, aber doch τεχνικόν. Sie gibt eine Orientierung […] ›über das gerade Gegebene‹, das gegebenenfalls Daseiende.« 47 Die Rhetorik ist demzufolge eine Vorstufe technischer Gebräuche, nicht aber dieses Technische selbst. Aus diesem Verständnis der Sache der Rhetorik erschließt sich dann auch die Tragweite der Rolle der Rhetorik für Heideggers Denken, nämlich die ›erste systematische Hermeneutik der Alltäglichkeit des Miteinanderseins‹ zu sein. Aus der Perspektive von Sein und Zeit gibt sie als Hermeneutik der Alltäglichkeit durch ihre Betrachtung der Konstitutiva der Redesituation Einblick in die alltägliche Seinsweise des Daseins in ihrer grundlegenden sprachkooperativen Struktur. Dabei wird das Dasein gerade nicht als bestimmtes kulturhistorisch situiertes Existieren aufgedeckt und interpretiert, sondern in seinem alltäglichen Zunächst- und Zumeist-Existieren. 48 Die aristotelische Einteilung der Redegattungen und Rededimensionen erweist sich als Aufführung elementarer Zusammenhänge, in denen sich das alltägliche Dasein miteinander in Sorge um sich selbst und seine Institutionen redend je situativ, stimmungsmäßig und zeitlich eingebunden befindet. Der λόγος im Sinne von Rede wird damit als Grundphänomen menschlichen Daseins in seiner Möglichkeitsräume aufreißenden Weise aufgewiesen. Am Leitfaden des λόγος kann Heidegger die Rhetorik nun in den Dienst der Wahrheit stellen, nämlich der Wahrheit als ein sich mehr oder weniger selbst durchsichtiges Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit. λόγος zu haben bedeutet dann, »dass die Unverdecktheit, das entdeckte Orientiertsein im Sein-zu-sichselbst und im Sein-zu-anderen charakterisiert ist durch ein άληθεύειν als πίστις« 49, als Fürwahrhalten. Fürwahrhalten ist dann die bestmögliche Wahrheitsorientierung in der von Kontingenz und Zeitlichkeit bestimmten Daseinsweise des Menschen. Es liegt nicht allererst am λόγος, also dem Miteinanderreden, 47 48 49

M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 289. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 43. M. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, S. 265.

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dass die Sprache und damit der menschliche Selbst- und Weltbezug auch eine technische Seite hat. Vielmehr zeigen sich in allen alltäglichen Praxisvollzügen technische Momente des Verfügbarmachenwollens. Die philosophische Reflexion auf Rhetorik, die für Heidegger zugleich philosophische Selbstreflexion ist, stellt demgegenüber den dynamischen Charakter im Doppelsinn von Vermögen und Möglichkeit als die für den Menschen anzustrebende Seinsweise heraus. Heidegger gelangt auf diese Weise an sein Ziel, nämlich einerseits die Rhetorik (des Aristoteles) zum Vorbild seiner eigenen Daseinshermeneutik zu krönen und zum anderen der Rhetorik einen würdigen Platz innerhalb der philosophischen Forschung zurückzuerobern. Damit hat er zwei wesentliche Meilensteine des antiken Denkens zurückgewonnen. Als methodischer Ansatz, der Darstellungsfragen in den wissenschaftlichen Modellen ebenso wie in der Poetik kritisch hinterfragt und prüft, kann Rhetorik so einen legitimen Platz in der Philosophie (wieder)einnehmen. Es gibt nämlich auch in den Wissenschaften, zu denen sich auf bestimmte Weise auch die Philosophie zählt, Erkenntnisformen, die nicht allein mit Wissen als begründetem wahren Glauben und Wahrheit als subjektunabhängiger propositional verfasster Aussagewahrheit gleichzusetzen sind. Vielmehr benötigen solche Erkenntnisformen einen Blick auf die vortechnischen sprachlichen Rahmungen, die der λόγος in seiner vororientierenden praktischen Pluralität bereithält. Weil es mit der Rhetorik um die epistemischen und ontologischen Reichweiten und Grenzen bestimmter Geltungs- und Wahrheitsansprüche geht, ist der Streit um Erkenntnisformen immer zugleich auch ein Streit um Darstellungsformen. Denn Darstellungsformen geben erste Rahmungen für Modelle paradigmatisch vor. Mit der Rhetorik geht es demzufolge auch zugleich immer um die Beurteilungen bestimmter Formen des praktischen Miteinanderagierens und kooperativer (Ver)Haltungen. Es geht um ihre Verortung, ihren τόπος. Später wird Heidegger deshalb den Begriff der δύναμις noch um die dritte Dimension des ›Mögens‹ als ›liebender Haltung zu etwas‹ erweitern. 50 Haltungen zeigen sich insbesondere im Verstehen und in der Beurteilung und Anwendung bestimmter Vorgaben. Heidegger ist auf der Suche nach einer Sprache, die in die dynamische Dimension, die Vgl. M. Heidegger, Was heißt Denken?, Vorlesung Wintersemester 1951/52, Stuttgart 1992, GA 7.

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vortheoretische, praktische Vollzugsebene des menschlichen Daseins vorzudringen vermag und gleichzeitig ihr theoretisch geschärftes Differenzierungsvermögen nutzbar hält. Es soll eine dieser praktischen Vollzugsdimension angemessene Sprache gewonnen werden. Der freie Umgang mit Sprache bei Heidegger ist dabei vielen Lesern ungewohnt und verdächtig, weswegen Heideggers Sprache und Denken nach wie vor weit reichenden Vorurteilen und Kritiken ausgesetzt ist. Gelingt es, die Haupteinwände gegen den Sprachgebrauch Heideggers zu entkräften und Heideggers Projekt einer den Phänomenen angemessenen sprachlichen Vollzugsebene näher zu kommen, so lässt sich die Zahl der Verdächtigungen und Vorverurteilungen mit einem Schlag um ein Vielfaches reduzieren.

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Dass mit dem Streit um die angemessene Erkenntnismethode auch die Frage nach der rechten Darstellungsform auf dem Spiel steht, war Heidegger vom Beginn seines Sprachdenkens an klar. Denken und Sprechen hängen für ihn zusammen wie Vernunftvermögen (λόγος) und Menschsein. Heidegger versucht daher auch, das sprachdenkerisch Mögliche philosophisch auszuloten, das heißt, einen Spagat von logizistischer bis zu poetischer Sprache im Rahmen der Auslegung des λόγος als Rede zu wagen. Neben der Auseinandersetzung mit Aristoteles war es vor allem die Strahlkraft Friedrich Nietzsches, die auf Heidegger Eindruck machte. Dieser betrieb das Studium der Rhetorik von dem der Techniken der Beredsamkeit und Einflussnahme weg zu einer vorgängigen Theorie der Sprachfiguren und Tropen. 1 Anders als Nietzsche legt Heidegger jedoch keine explizite Tropen- oder Sprachphilosophie vor. 2 Heideggers Sprachdenken geht in seine methodischen Überlegungen durch seinen eigenen Sprachgebrauch bewusst unthematisch, praktisch-vollziehend ein. Wegen dieser Doppelstellung als sprachphilosophischer und rationalitätskritischer Anreger Heideggers kann Nietzsches Bedeutung für die tiefenstrukturelle Sprachreflexion nicht ignoriert werden. Für Nietzsche sind Tropen keine abgeleiteten, marginalen und anormalen Formen der Sprache, sondern linguistische bzw. logische Paradigmen par excellence. Die figurative Struktur der Sprache ist demzufolge nicht ein Sprachmodus unter anderen, sondern zeichnet Nietzsche hat im Wintersemester 1870/71 und im Sommersemester 1871 Vorlesungen über Quintilian und im Wintersemester 1871/72 über Ciceros De oratoribus angeboten. Außerdem hat er im Wintersemester 1874/75 und im darauf folgenden Sommersemester Vorlesungen über die Rhetorik von Aristoteles gehalten. 2 In seinen Baseler Jahren beschäftigte sich Nietzsche mit drei von vier so genannten Primärtropen. Diese Reihe sollte mit einer Taxonomie von weiteren Tropen fortgesetzt werden. Vgl. P. Lacoue-Labarthe und J.-L. Nancy (Hrsg.), Friedrich Nietzsche – Rhétorique et langage, in: Poétique 5, 1971, S. 100 ff. 1

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die Sprache insgesamt aus. Tropen treten nicht dann und wann an die Wörter heran, sondern sind deren eigenste Natur. Sie sind für Nietzsche Verstärker der Grundmechanismen der Sprache selbst. Deshalb kann für ihn von einer ›eigentlichen Bedeutung‹, die nur in speziellen Fällen übertragen wird, nicht die Rede sein. War Nietzsche noch der Überzeugung, dass »ebensowenig wie zwischen den eigentlichen Wörtern und den Tropen ein Unterschied ist, […] es einen zwischen der regelrechten Rede und den so genannten rhetorischen Figuren [gibt, BK], so unterscheidet sich Heideggers Denken davon deutlich. Heidegger ist kein Fundamentalrhetoriker. 3 Sprache ist zwar auch für Heidegger ein Schlüssel zur sprachkritischen Erkenntniskritik, aber für ihn ist nicht im selben Sinne alles Figuration, was man gewöhnlich Rede nennt, wie für Nietzsche. Bei diesem gibt es gar keine unrhetorische Natürlichkeit der Sprache, an die man appellieren könnte, sondern die Sprache selbst ist Rhetorik. Sie ist nur eine δόχα (doxa; dt. Meinung), keine ἐπιστημή (epistemé; dt. Wissen). 4 Wahrheit ist »ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen, in Betracht kommen.« 5 Jacques Derrida nimmt später das Bild von der abgegriffenen Münze in seine Metapherntheorie als zentrales Motiv auf. 6 Heidegger hingegen gibt bis zuletzt das Projekt, wahres Wissen zu erlangen, nicht preis. Er gibt den starken Anspruch auf tendenziell wahres Wissen nicht auf. Vielmehr steckt er ein vororientierendes Vgl. P. L. Oesterreich, Fundamentalrhetorik. Untersuchungen zu Person und Rede in der Öffentlichkeit, Hamburg 1990. 4 Besonders prägnant zeigt er dies in seinem so genannten Philosophenbuch, dessen einziges vollendetes Kapitel, der Versuch Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn, dafür zentral wird. In diesem ›Kapitel‹ wird die notwendige Subversion der Wahrheit durch die Rhetorik als Charakteristikum aller Sprache konstatiert. 5 F. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, in: ders. Kritische Studienausgabe (KSA), Bd. 1, S. 880 f. 6 Vgl. J. Derrida, Weiße Mythologie. Die Metapher im philosophischen Text, in: ders., Randgänge der Philosophie, hrsg. von Peter Engelmann, Wien 1988, S. 20–28. 3

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und richtungsvorgebendes Gebiet des Glaubwürdigen, Wahrscheinlichen und Überzeugenden ab, in dem sich dann das Wahre von dem Fürwahrgehaltenen unterscheiden lässt. Bei Heidegger stellt sich die Wahrheitsfrage aus einem Seinsgeschehen, dem ›Ereignis‹, selbst heraus. Zur ›Entborgenheit‹, die zugleich als ›Lichtung‹ innerhalb eines Dunkels, der ›Verborgenheit‹, nach dem griechischen Wort ἀλήθεια (aletheia) interpretiert wird, gelangt das Dasein nur über die angemessene Art und Weise eines sich selbst immer sprachlich auslegenden und verstehenden Selbst- und Weltverhältnisses. Nietzsche kritisiert das Vergessen der ursprünglichen Un-Wahrheit der Sprache. Der Glaube an eine eigentliche Bedeutung der Sprache als Wahrheitsgarant ist für ihn naiv. Einem solchen Glauben fehlt das Bewusstsein von der problematischen Natur der faktischen, referenziellen Begründung. Für Nietzsche steht fest: »[…] der Lügner gebraucht die gültigen Bezeichnungen, die Worte, um das Unwirkliche als wirklich erscheinen zu machen; […]. Er mißbraucht die festen Konventionen durch beliebige Vertauschungen oder gar Umkehrungen der Namen.« 7 Für Heidegger gibt es aber nicht nur ein In-derUn-Wahrheit-sein wie für Nietzsche. Das Dasein ist vielmehr zugleich immer sowohl in der Wahrheit als auch in der Un-Wahrheit. Die Frage ist also, wie viel und welche Wahrheit aus der Un-Wahrheit geborgen werden kann und mit welchen Mitteln. Nietzsche will den Fallgruben der Rhetorik, wie sie ihm in verschiedenen Philosophien entgegentreten, entkommen, indem er sich über die Rhetorizität der Sprache insgesamt Vergewisserung verschafft. 8 In seiner Auseinandersetzung mit den sprachlichen Konzepten von Ursache/Wirkung; Innen/Außen usw. geht es ihm dabei weniger um die Form der Sprache an sich, als um eine Phänomenologie des Bewusstseins. Nietzsche spricht von ›phänomenalen Verwechslungen‹ : »Die chronologische Umdrehung, so daß die Ursache später ins Bewußtsein tritt als die Wirkung. – Wir haben gelernt, daß Schmerz an eine Stelle des Leibes projiziert wird, ohne dort seinen Sitz zu haben –: wir haben gelernt, daß Sinnesempfindung, welche man naiv als bedingt durch die Außenwelt

F. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, a. a. O., S. 877. Phänomenologie des Bewusstseins heißt für Nietzsche, geistige Akte wie Erinnerungen oder Gefühle mit Begriffen zu beschreiben, die sich aus der Erfahrung der Erscheinungswelt bzw. der anschaulichen Sinneswahrnehmung herleiten. Es sind also für ihn Interpretationen zum Beispiel räumlicher Strukturen usw.

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ansetzt, vielmehr durch die Innenwelt bedingt ist: daß die eigentliche Aktion der Außenwelt immer unbewußt verläuft … Das Stück Außenwelt, das uns bewußt wird, ist nachgeboren nach der Wirkung, die von außen uns geübt ist, ist nachträglich projiziert als deren ›Ursache‹ …« 9

Die logische Verdrehung ist für Nietzsche ein philosophischer Skandal. Das, was bisher als geschlossenes und kohärentes System von Polaritätengruppen wie Innen/Außen, Ursache/Wirkung galt, fällt in offene, arbiträre Konstellationen auseinander. Kausal- und Ortsbestimmungen sind offenbar vertauschbar und können willkürlich substituiert werden. Weil eine solche Arbitrarität das Grundvertrauen in das wissenschaftlich und philosophisch gestützte Weltbild erschüttert, kann der Zweck von Rhetorik nach Nietzsche nicht darin liegen, die Wahrheit zu finden, sondern vielmehr die eigene subjektive Wahrnehmung eines Phänomens als ›wahr‹, also als allgemeingültig durchzusetzen. Die phänomenalen Verwechslungen innerhalb der Geschichte des Denkens dingfest zu machen und konkret zu bezeichnen sowie dessen Gründe und Ursachen näher zu beleuchten, ist auch vornehmliches Anliegen von Heideggers de-konstruktivem Sprachdenken. Allerdings bewertet dieser die sprachliche Situation nicht so ironisch-resignativ, ja beinahe zynisch wie Nietzsche. In der Betonung des machtvollen Durchsetzens unterscheidet sich Heidegger von Nietzsche dezidiert. Heidegger will eben gerade keine Verabschiedung des Wahrheitsanspruches zugunsten eines Wirkungswillens und keine Verabschiedung des epistemischen Erkenntnisanspruchs zugunsten des pragmatischen Selbstbehauptungswillens. Für Nietzsche vermag die Sprache per se die Wirklichkeit der Dinge nicht erschöpfend wiederzugeben. Sprache ist für ihn lediglich eine Perspektive, die stets subjektiv, historisch kontingent, sich selbst nicht vollständig transparent und daher reduktiv und bruchstückhaft bleibt. Für Heidegger ist es dagegen nur die metaphysische Sprache, die bestimmte Phänomene nicht adäquat zu erfassen und darzustellen vermag. Sie verfehlt die Phänomene deshalb, weil der Mensch einen inadäquaten Seinsbezug hat. So stark Nietzsche auch das Wirkmächtige der Rhetorik macht, ganz verzichtet auch er nicht auf einen Wahrheitsanspruch. Das offenkundige Pathos und die Exaltation der Geburt der Tragödie scheiF. Nietzsche, Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechta, München 1956, Bd. 3, S. 804 f.

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nen mit purem Schein oder Ironie völlig unverträglich zu sein. Das dionysische Vokabular wird dort nur gebraucht, um das apollinische, das es dekonstruiert, einem verblendeten Publikum verständlicher zu machen und dieses Publikum mit der Wahrheit vertraut zu machen. Dieser Austausch von Attributen involviert die Kategorien von Wahrheit und Schein und stellt nichts anderes dar als das, was Nietzsche am Namentausch von strenger Begrifflichkeit in Wissenschaften und Logik kritisiert. Paul de Man fasst Nietzsches Position folgendermaßen zusammen: »Wenn wir Nietzsche mit jener rhetorischen Aufmerksamkeit lesen, die er selbst in seiner Theorie der Rhetorik kultiviert, so werden wir finden, daß die allgemeine Struktur seines Werkes der endlos wiederholten Geste jenes Künstlers gleicht, der ›aus der Erfahrung nicht zu lernen versteht und immer wieder in dieselbe Grube fällt, in die er einmal gefallen‹. Am schwersten fällt das Eingeständnis, daß diese Allegorie der Irrungen das Modell philosophischer Strenge ist.« 10 Wie sich dann in Heideggers Nietzsche-Interpretation herausstellt, ist dessen Dekonstruktionsprozess auch nur ein weiterer Austausch jener Art, in dem sich dieselbe rhetorische Struktur ein weiteres Mal, nur noch radikaler, wiederholt. Alle rhetorischen Strukturen basieren auf Vertauschungen, und es ist in hohem Maße unwahrscheinlich, dass eine weitere solche Vertauschung hinreichen könnte, die Dinge an ihren ›eigentlichen Platz‹ zu rücken. Eine Wendung oder Trope zu einer Reihe früherer Vertauschungen hinzugefügt, macht die Sprache nicht eigentlicher oder weniger irrtümlich oder täuschend. Gerade die nahe Verwandtschaft dieser Worte deutet an, wie nahe dem Tausch auch die Täuschung ist. Wenn alles Erkennen perspektivisch ist, so kann das, was erscheint, der ›Schein‹, nicht in ein ›Sein‹ verwandelt werden, es sei denn, man glaubt, wie Heidegger, an eine Hierarchie, in der Ursprünglichkeit und Anfänglichkeit ›wahrere‹ Perspektivnahmen sind als die durch die kulturell-historischen Überformungen gekennzeichneten späterer Generationen. Für Heidegger hat jede philosophische Problematik etwas im Rücken, das sie selbst und trotz ihrer höchsten Durchsichtigkeit nicht erreicht, denn die Durchsichtigkeit hat sie gerade daher, dass sie um jene Voraussetzung nicht weiß. 11 Diese Vertauschbarkeit als Eigenart der Sprache hat in der FiguP. de Man, Rhetorik der Tropen, in: J. Kopperschmidt, Rhetorik, 2. Bd.: Wirkungsgeschichte der Rhetorik, Darmstadt 1991, S. 188. 11 Vgl. U. Tietz, Heidegger, Leipzig 2005, S. 7. 10

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rentaxonomie der Rhetorik den Namen Metonymie bekommen. Sie gilt für Nietzsche als Prototyp aller figurativen Sprache. Durch die Interpretation des Heideggerschen Denkweges kann sie sogar als die Grundform des menschlichen In-der-Welt-seins und als Fundament aller metaphysischen Einstellungen herausgestellt werden. Schon Nietzsche weist darauf hin, dass sie die Tendenz hat, zu metaphysischen Konstrukten zu verführen. Die Metonymie ist deshalb mit großer Vorsicht zu gebrauchen. 12 Der Schlüssel zu Nietzsches bekannter Kritik an der Metaphysik liegt somit im rhetorischen Modell der metonymischen Redeform. 13 Darin, so kann gezeigt werden, ist er mit Heidegger allerdings einig. Die Rhetorik geht von dem aus, worin der Mensch einzig ist, vom λόγος als vernünftiger Rede. Dies aber nicht deshalb, weil Sprache das spezifische Merkmal des Menschen wäre, sondern weil Reden in der Rhetorik als Funktion einer spezifischen Verlegenheit der Sprache des Menschen zutage tritt. Miteinander zu reden ist nämlich nicht primär ein Instrument zur Mitteilung von Kenntnissen oder Wahrheiten, sondern primär eine Weise, mit anderen zusammenzusein. Damit ist aber das Reden mehr als nur Werkzeug oder Organ gemeinschaftlicher Verständigung, Zustimmung oder Duldung. Es ist die ausgezeichnete Weise, wie der Mensch als Handelnder im praktischen kooperativen Handlungsvollzug auf andere angewiesen ist und zugleich auf eine Welt Bezug nimmt und andere versteht. Während Nietzsche das Verhältnis von Sprache und Denken sozusagen einzig auf die thesis-Funktion der Arbitrarität reduziert, versucht Heidegger deren physis-Charakter der Entsprechung mit der Welt nicht zu ignorieren, sondern als existenzial herauszuarbeiten. 14 Im existenziaAls konkrete Figur der Vertauschung von Ursache und Wirkung trägt diese Form auch den Titel Metalepsis, als Vertauschung von Grund und Folge den Titel Hypallage. Vgl. P. de Man, Rhetorik der Tropen (1979), in: J. Kopperschmidt (Hrsg.), Rhetorik, 2 Bde., 1991, S. 176. 13 »Jene Begriffe«, so schreibt Nietzsche, »die lediglich unserer Empfindung ihr Entstehen verdanken, werden als das innere Wesen der Dinge vorausgesetzt: wir schieben den Erscheinungen als Grund (Ursache, BK) unter, was doch nur Folge ist. Die Abstrakta erregen die Täuschung, als seien sie jenes Wesen, welches die Eigenschaften bewirkt, während sie nur in Folge jener Eigenschaften von uns bildliches Dasein erhalten.« Vgl. F. Nietzsche, Musarion-Ausgabe, Bd. 5, S. 319. 14 Bereits Platon und Aristoteles untersuchen das Verhältnis von Thesis bzw. Nomos und Physis der Sprache. Die Sprache als solche ist φύσις (physis), aber die Bedeutung der Wörter ist θέσις (thesis). Vgl. S. Müller, Probleme des Übergangs zur Sprache. Ein Beitrag zur Debatte um den Ursprung der Sprache, Marburg 2000, S. 15. 12

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len Charakter versöhnen sich thesis- und physis-Charakter der Sprache auf eine verdichtende Weise. Das ist unter anderem ein Grund dafür, warum Etymologien und assoziative Regionalverankerungen für Heidegger eine ebenso große Rolle spielen wie später die dialogische Darstellungsform. Mit dieser Form folgt Heidegger übrigens Platons Vorbild. Gegen dessen starren objektiven Idealismus setzt er allerdings eine Dynamisierung der Sprache unter Zuhilfenahme der Kategorien des Zeitlichen. Heidegger will also nicht die eine der beiden Grundpositionen innerhalb der Debatte von Sprache und Denken gegen die andere ausspielen, sondern versöhnt vielmehr eine platonsche mit einer aristotelischen Sprach- und Rhetorikvorstellung. Damit erscheint die Bedeutung der Rhetorik für die Philosophie wieder in neuem Licht. Heidegger im Kontext der philosophischen Wiederentdeckung der Rhetorik zu thematisieren, bedeutet insofern, sein Rhetorikverständnis angemessen wiederzugeben. Rhetorik muss als λόγος in seiner umfassenden Bedeutung verstanden werden, als Verbindung von Denken, Sprache und kooperativer Praxisform. In diesem Sinne geht die Rhetorik über die bisherige Sprachphilosophie hinaus. Denn diese beleuchtet immer nur Teilaspekte. Die Missverständnisse, Fehleinschätzungen und Verdächtigungen, die sich aus dieser oft einseitigen Heideggerlektüre ergeben, wurden damit ausgeräumt. Zu einem angemessenen Rhetorikverständnis gehört demzufolge, Rhetorik weder im Sinne der Rhetorik als angewandte Rhetorik (im Sinne praktischer Redefertigkeit, Redeanalyse oder Redekritik), auch nicht als Lehrfach oder komplexen Lernstoff Rhetorik (im Sinne einer originären Disziplin) und auch nicht als spezifisches Frageinteresse, das auf die Rekonstruktion der multifaktoriellen Bedingungen überzeugungskräftiger Rede und auf die Klärung der soziokommunikativen Funktionen in jeweiligen Gesellschaftsformationen abzielt, misszuverstehen. 15 Wenn das Projekt einer Philosophie der Rhetorik hier am Beispiel der tiefensprachlichen Analyse des Heideggerschen Denkweges rehabilitiert werden soll, so ist das kein willkürliches Zurückdrehen der Zeit noch Ausdruck einer persönlichen Vorliebe zugunsten eines Es steht hier auch weniger die Debatte der Argumentationstheorie von Überzeugen versus Überreden im Mittelpunkt der Diskussion als die Frage danach, inwiefern die kategorialen Infrastrukturen der Rhetorik in die problembezogenen philosophischen Denk- und Organisationsmuster hineindiffundieren.

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Autors. Es ist ein Beitrag zur Überwindung der partiell selbstverschuldeten Unmündigkeit der Philosophie. Weil Unmündigkeit nicht Unfähigkeit (im Sinne eines Nichtkönnens aus subjektiven oder objektiven Gründen) bedeutet, sondern auf einem Willensakt beruht, lässt sich dieser Zustand überwinden. Dazu gehört, Rhetorik zunächst als hochentwickelte und in einem hohen Grade differenzierte Praxis gemeinschaftlicher Selbstreflexion anzuerkennen, zu der Philosophie in wesentlichem Maße beitragen kann. Wenn nämlich aufgewiesen werden kann, wie die Rhetorik als geheime lingua franca sich auch in die Philosophie bis zur Selbstauflösung ausgeborgt hat, dann müssen ihre Geltungsansprüche auch in ihrer subkutanen Wirkungsgeschichte zeigbar sein, müssen in der Logik und Grammatik der Sprache Spuren zu finden sein, die darauf verweisen, dass bestimmte Weisen zu denken logisch-rhetorisch präfiguriert sind. Erst vor dem Hintergrund solcher meta-rhetorischen Fragen kann überhaupt sinnvoll nach der Rolle Heideggers für den Prozess der Wiederkehr der Rhetorik geforscht werden. Indem diese Dimensionen sprachphilosophisch ausgeleuchtet werden, können Heideggers Anläufe, den Besinnungsraum der immer auch sprachlich-rhetorisch verfassten Metaphysik zu überschreiten, besser verständlich werden. Deshalb wird in dieser Arbeit versucht, zweierlei zusammenzubinden: 1. objektstufig die Analyse tiefensprachlicher Darstellungsmodi und 2. metastufig das kritische Inblicknehmen der Grenzen und Reichweite bestimmter Darstellungsformen in Bezug auf ihre fundamentale Funktion innerhalb bestimmter Denkmodelle über den Verlauf der menschlichen Geschichte. Während die objektstufig agierende wortsemantische Analyse an das rhetoriktheoretische Interesse anschließt, indem sie dieses kritisch aufnimmt und zum Teil weiterführt, beurteilt die metastufig agierende Textlogik die Inblicknahme von Denkmodellen vor dem Hintergrund ihres ›weltanschaulich-geschichtsphilosophischen Subtextes. Tropen als logische Modi zu verstehen, die ein Selbst- und Weltverhältnis ausdrücken, bedeutet also, sie als eine umfassende menschliche Potenz der Vernunft zur vor- bzw. innersprachlichen Strukturierung und Organisierung semantischer Gehalte anzuerkennen. Logisch meint hier also ein innersprachliches Verweisungsgefüge, das sich darauf bezieht, wie Begriffe und Aussagen untereinander konzeptuell zusammenhängen, wie Begriffe in andere eingeschlossen sind und wie sich Aussagen auseinander ableiten lassen bzw. aufeinander beziehen. Als Konzept-Logiken, die das Denken und SpreLogik der Tropen

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chen strukturieren, sind diese tropo-logischen Modi nicht nur auf den abstrakt-systematischen Bereich begrenzt, sondern lenken auch das nicht reflektierte Alltagshandeln. Sie strukturieren, wie etwas als etwas wahrgenommen wird und wie Menschen Bezüge zur Welt, zu sich und zu anderen herstellen. 16 Bevor etwas zur sprachlichen Artikulation kommen kann, bedarf es nämlich einer vorgängigen Strukturierung des sprachlich zu Artikulierenden. Tropen konstituieren vorsprachlich Ordnungen und Bezüge zur ausdrücklichen Erfassung von Zusammenhängen. Die konzeptuelle Logik logisch-rhetorischer Redemodi spielt folglich bei der Definition der Alltagsrealitäten eine zentrale Rolle. Da sich die oben genannte Definition vom herkömmlichen Verständnis der Tropen aus der dominanten rhetoriktheoretischen Tradition vor allem darin unterscheidet, welchen Status sie den Tropen für das Denken in Modellen zubilligt, sollen im folgenden methodischen Teil der Arbeit die philosophischen Konsequenzen und Reichweiten unterschiedlicher Tropentheorien dargelegt und erörtert werden.

Den Begriff des Konzeptes übernehme ich dabei von George Lakoff und Mark Johnson. Vgl. dies., Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, Heidelberg 1998, S. 11.

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5. Tropen als philosophisches Methodenproblem

Tropen als sprachphilosophisches Problem aufzufassen, das heißt, ihre tiefensprachlichen und sprachpragmatischen Strukturierungsleistungen als Grundlage und Erweiterung des sprachlichen Umgangs mit und in der Welt offenzulegen. Ich will deshalb in diesem Buch den Tropen einen neuen Ort in der Sprachphilosophie zuweisen und sie aus dem Nischendasein eines ornamentalen oder manipulierenden Redeschmucks ins Licht einer fundamentalen Sprachanalyse rücken. Martin Heideggers Denken und Sprache ist dabei ein besonders lohnenswertes Anwendungsgebiet. Schließlich wirbt Heidegger für eine sich selbst sprachlich einholende existenziale und sprachliche Haltung zu den Phänomenen in der Welt. Denken, Sprache und soziale Praxisform hängen für ihn aufs Engste miteinander zusammen. Präfiguriert ist dieser Zusammenhang in der tropischen Redeform. Dies eingedenk verdient der Sprachgebrauch Heideggers besonderer sprachphilosophischer Aufmerksamkeit. Es bedarf nicht nur einer Analyse der Oberflächenstruktur seiner Texte und Sätze, sondern vielmehr einer Tiefenstrukturanalyse. Erst diese vermag es nämlich, die Dialektik von Logik und Rhetorik als die denkerische Bewegung von Sprache und Vernunft in ihrer praktischen Gegründetheit zu thematisieren. Heideggers Sprachdenken stellt insofern eine echte Alternative nicht nur zu herkömmlichen Denkmethoden, sondern darüber hinaus auch ein konsequent zu Ende gedachtes alternatives Weltverhältnis dar. Anliegen dieses Buches ist es, die Kongenialität von methodischem Anspruch und darstellerischer Umsetzung vermittelst einer eingehenden Analyse der tropo-logischen Tiefenstrukturen der Dynamik in Heideggers Sprachgebrauch herauszuarbeiten. Insofern geben die Heideggerschen Texte eine gute Vorlage für die Klärung tropologischer Verhältnisse ab. Die Rhetorik ist aus der Philosophie in andere Bereiche abgewandert. Erst nach und nach wird sie für die Philosophie wiederentLogik der Tropen

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deckt. Das philosophische Tropenverständnis hat unter dieser Ausbürgerung gelitten. Deshalb gilt es, die Tropen der Rhetorik von den rhetoriktheoretischen Überformungen zu befreien. 1 Die bis heute dominanten Definitionen sind allererst auf ihre Tauglichkeit für eine philosophische Tiefenstrukturanalyse zu prüfen. Es zeigt sich bei näherer Inaugenscheinnahme, dass einige Tropen-Begriffe für eine tiefensprachliche Betrachtung von vornherein ausscheiden, da sie rein auf der Oberflächenebene der Sprache agieren. Dies wurde jedoch bisher zu wenig beachtet. Aus einem an der sprachlichen Oberfläche, also an rein funktionalen Zusammenhängen innerhalb eines Satzgefüges orientierten Fokus entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte ein verschwommenes sprachwissenschaftlich-linguistisches bzw. ein rhetoriktheoretisches Verständnis von Tropen. Dieses Verständnis ist auch heute noch das vorherrschende. Es wird in Rhetorikbüchern gelehrt und in Schreibwerkstätten als Stillehre geübt. Für eine philosophische Auseinandersetzung reicht es jedoch nicht aus. Das oberflächenorientierte Tropen-Verständnis ist hauptsächlich gekennzeichnet vom Paradigma der Substitution, also der Ersetzung eines eigentlich gemeinten Ausdrucks durch etwa eine indirekte Umschreibung. Bevor aber eine tiefensprachliche Analyse erfolgen kann, soll geklärt werden, warum die vorherrschenden substitutionstheoretischen Ansätze für eine sprachphilosophische Analyse der Heideggerschen Texte zwar interessant sind, aber zu kurz greifen. Ausgangsvermutung ist, dass sie Heideggers Denkbewegungen in ihrer Dynamik und ihrem inhaltlichen Anspruch nicht gerecht werden, sondern sie oft schon im Ansatz verfehlen. 2 Um die Fehler der substitutionstheoretischen Ansätze zu identifizieren und ausräumen zu können, bedarf es der Darstellung ihrer Paradigmen. Eine Beschreibung wesentlicher Primär- und Sekundärtropen ist dabei unumgänglich, weil die Beurteilung ihrer Funktion darüber entscheidet, wie sie in unterschiedlichen Kontexten verstanden werden müssen. Insofern unterscheidet sich eine substitutionstheoretische Lesart der Tropen grundsätzlich von einer tiefensprachlichen. Gleichwohl hat erstere ihre Berechtigung und soll nicht einfach übergangen werden. Allein die Interpretation des Heideggerschen Denkweges zeigt bereits auf, Vgl. Kapitel 1 dieses Buches. In diese Kategorie verfehlter sprachanalytischer Ansätze sortiere ich auch all die diffamierenden Schriften ein, die Heidegger sprachlich-ideologischer Manipulierung bezichtigen.

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dass ein rein oberflächenphänomenales Verständnis der Tropen deren welterschließende Funktion unterschlägt. Sie übersieht deren innere Logiken und sie schert deshalb alle Tropen über einen Kamm. Stellt sich heraus, dass die substitutionstheoretischen Tropentheorien weniger einem semantischen als einem stilistischen Erklärungsbedarf folgen, dann taugen sie für die angestrebte philosophische Tropenanalyse ebenso nicht: Aus rein stilistisch-ornamentalen Bemühungen allein lässt sich keine philosophische Motivation zur Erkenntniserweiterung ableiten. Da es sich in der Stilistik um die Analyse ästhetischer Wirkung handelt, kommen nur textuell-linguistische Kennzeichnungen in den vornehmlich philologischen Fokus. Die sich daraus ergebenden normativen oder deskriptiven Ansätze können so zwar das Wirkungsverhältnis von sprachlichem Zeichen und Rezipienten erläutern, nicht jedoch die innere Logik der Sprache im Allgemeinen und der Tropen als redepraxisfundiertem Denkmodell mit einer orientierenden Funktion im Besonderen. Die Linguistik hat sich generell – bis auf einige Ausnahmen 3 – nur wenig um die Tiefenstrukturen tropischer Sprache gekümmert. Selbst die ›generative Universalgrammatik‹, die Noam Chomsky 4 Mitte der 60er-Jahre eingeführt hat, blendet wesentliche Teile logischer Redemodi, zum Beispiel deren tropischen Gebrauch im Zusammenhang mit bestimmten Praxisformen 5, weitestgehend aus oder unterstellt ein starres quasimechanizistisches Regelwerk von Tiefenund Oberflächenstruktur. 6 Eine dieser Ausnahmen ist die Konzepttheorie der Tropen von George Lakoff und Mark Johnson. Vgl. dies., Leben in Metaphern, a. a. O. Einen Überblick über verschiedene Metapherntheorien bietet unter anderen A. Haverkamp (Hrsg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 1983. 4 Die Feststellung, dass linguistische Einheiten (zum Beispiel Wörter, Sätze, Texte) allein anhand ihrer lautlichen oder graphischen Repräsentation nicht zureichend analysiert, genauer die den linguistischen Einheiten zugrunde liegenden Regularitäten nicht erfasst werden können, bezieht sich auf Noam Chomskys Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefenstruktur der Sprache. Seine Grammatikkonzeption stützt sich auf ein Konstrukt, das er ›Cartesianische Linguistik‹ nennt. Vgl. N. Chomsky, Cartesian Linguistics, New York 1966, bes. S. 29 ff. und S. 75 Anm. 3. 5 Den Begriff ›Praxisform‹ übernehme ich von Pirmin Stekeler-Weithofer. Vgl. ders., Philosophie des Geistes als Praxisformanalyse (unveröffentlichter Aufsatz), sowie ders., Zur Logik des ›Wir‹. Formen und Darstellung gemeinsamer Praxis, in: M. Gutmann, D. Hartmann und W. Zitterbart (Hrsg.), Kultur – Handlung – Wissenschaft. Für Peter Janich, Weilerswist 2002. Unter Praxisformen verstehen die Autoren Formen kollektiver Sinnbildung mit handlungsleitendem Charakter. 6 Diesem zufolge leitet sich die Oberflächenstruktur eines Textes durch Transforma3

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Damit überhaupt ein zugleich regelgeleiteter wie auch insgesamt offener und freier Zusammenhang von grammatischen Strukturen und logischen Handlungsmustern hergestellt werden kann, muss als erstes jedoch der naive Gedanke einer präexistenten Universalgrammatik ad acta gelegt werden. Weder ist nämlich anzunehmen, dass eine Universalgrammatik als Struktur im Gehirn der Menschen angelegt ist, noch gibt es sie in einem irgendwie gearteten platonischen Reich. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass die Struktur der Sprache wesentlich geprägt ist durch und von den praktischen Lebensbewältigungsprozessen, in die Menschen verwickelt sind. Das bedeutet, dass Sprache wesentlich mit menschlichen Praxisformen zu tun hat, die sich zum Teil kulturell-historisch wandeln können, aber strukturell dieselben bleiben. Die Logik der praktischen Lebenszusammenhänge drückt sich dann auch wesentlich in der sprachlichen Artikulation und Veranschaulichung aus, die bei der kommunikativen Begleitung praktischer Lebensvollzüge als Kooperationsformen zum Tragen kommen. Bereits Wilhelm von Humboldt hat in seinen Studien zum Sprachvergleich auf den lebendig-organischen Zusammenhang von grammatischen Strukturen einer Sprache in Bezug auf ihren weltbildenden und weltabbildenden Charakter verwiesen. 7 Ich zeige, dass ein rein sprachwissenschaftlich-linguistisches Paradigma für eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Heideggerschen Sprachdenken nicht ausreicht, wenn es zu stark allein auf die formale Strukturierung der Sprache und ihren Erzeugungsapparat abstellt. Fokussiert man nämlich allein auf die Form sprachtionen von der Tiefenstruktur ab. Seine Behauptung ist, dass Sprecher einer Sprache eine implizite Kenntnis von Strukturbeziehungen in ihrer Sprache besitzen. Diese Kenntnis zeigt an, dass die Sprecher eine interne Unterscheidung von verschiedenen Beschreibungsebenen, den Tiefen- und Oberflächenstrukturen (engl. deep and surface structures), und ein Kalkül benötigen, das diese Ebenen aufeinander bezieht, nämlich Transformationen (engl. transformations). Die Standardversion besteht aus einem Erzeugungsteil (Basis), der Tiefenstrukturen erzeugt, die im Transformationsteil nach einzelsprachlich (zum Beispiel englisch, deutsch) unterschiedlichen Transformationen in die Oberflächenstrukturen überführt werden und dabei eine semantische und eine phonologische Interpretation erfahren. Eine solche Grammatik liefert also für jeden Satz, den sie generiert, eine Tiefen- und eine Oberflächenstruktur sowie die Bedeutung und die lautliche Realisation. 7 Vgl. W. v. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus, a. a. O.; sowie ders., Über die Sprache, a. a. O.; darin insbesondere: Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung (1820), S. 11–32; und ders., Über das Entstehen der grammatischen Formen, und ihren Einfluss auf die Ideenentwicklung (1822), a. a. O., S. 52–81.

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licher Ausdrücke, so wird damit die Verbindung von logischer Struktur und inhaltlichem Rahmen, damit die Bezogenheit von Wortsemantik zur Textlogik unterschätzt. Ohne Thematisierung inhaltlicher – und damit materiallogischer – Rahmenbezüge (im Unterschied zu rein formallogischen Strukturen) wird letztlich nicht verstehbar, wie sich die Grammatik unserer Sprache zur Logik unserer Handlungen verhält. Die sich zeigenden Unklarheiten einer eindeutigen Definition bestimmter Tropen in der rhetoriktheoretischen, linguistischen und sprachwissenschaftlichen Tropenforschung sind ein Desiderat und damit der Ausgangspunkt einer für die philosophische Hermeneutik zweckmäßigeren Charakterisierung der Rolle der Tropen für das menschliche Reden und Denken. Dazu reichen die bisherigen Methoden der Rhetorik, Sprachwissenschaft und Linguistik nicht aus. Bevor jedoch nach einem geeigneten Methodeninstrumentarium gesucht werden kann, das es erlaubt, die leitende Frage nach der logischen Dimension der Tropen als Denkmodelle zu stellen, müssen zunächst die Schwachstellen der dort vorherrschenden Tropentheorien eruiert werden. Die Unterteilung von objektstufiger und metastufiger Analyse der Sprache, die hier vorgeschlagen wird, bietet dabei die Möglichkeit, dass einige Ungenauigkeiten, Missverständnisse und Fehlinterpretationen bezüglich der Klassifizierung von Tropen einerseits, der Interpretation des Heideggerschen Sprachdenkens andererseits identifiziert und ausgeräumt werden können. Ich setze mich zunächst mit Problemen der objektstufigen Analyse auseinander. Darunter verstehe ich einen sprachanalytischen Zugriff auf Tropen, der sich mit der Oberflächenstruktur der Sprache auseinandersetzt. Hier sind es vor allem der dominante substitutionstheoretische Ansatz der Rhetoriktheorie und der konzepttheoretische der Linguistik, die in unterschiedlich kritischem Fokus stehen. 8 Diesen Ansätzen wird eine metastufige Analyse gegenübergestellt. Metastufig soll jene Art des Zugriffs auf Tropen genannt werden, die die zugrunde liegende präfigurative Tiefenstruktur der Sprache in ihrem sinn- und weltbildenden Charakter erfasst. 9 Da es sich im ersten Falle Im Vordergrund stehen hier die Ansätze von Heinrich Lausberg, Roman Jakobson und Heinrich Plett, aber auch der konzepttheoretische Ansatz von George Lakoff und Mark Johnson. 9 Dabei steht vor allem der Ansatz von Hayden White im Vordergrund, der sich seinerseits dezidiert auf eine Tradition von Northrop Frye über Kenneth Burke bis hin zu Giambattista Vico und Aristoteles bezieht. 8

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vor allem um semantische Problemstellungen handelt, nenne ich die objektstufige Ebene auch die wortsemantische Methodenebene der Analyse, weil sie sich auf die Analyse der konkreten Struktur eines Satzes oder einer Wortgruppe bezieht. Ich grenze sie von der tiefenstrukturellen Analyse ab, die sich auf eine logisch kohärente und konsistente Sinnanalyse, damit auf die Gesamtstimmung bzw. intendierte Haltung innerhalb einer Denkweise bezieht. Eine metastufige ist zugleich eine metatheoretische Betrachtung der Heideggerschen Texte. Sie geht über eine objektstufige Analyse hinaus, wo sie die syntaktische und semantische Ebene, damit zugleich die substitutionstheoretischen, also rhetoriktheoretischen und linguistischen Ansätze verlässt und in eine pragmatische Praxisform- und Kooperationsformanalyse übergeht. Ein besonderes Anliegen ist es, das Ringen um ein alternatives Sprach-, Denk- und Lebensmodell als radikal anti-technische Praxis- und Kooperationsform in Martin Heideggers Denkweg aufzuweisen. Dieses Ringen lässt sich am allmählichen Wechsel der Primärtropen zeigen. Die Präfigurationskapazität oder Organisationskraft dieser daher als ›logische Redemodi‹ zu benennenden Tropen zwingt das Denken innerhalb der Texte nämlich in bestimmte Formen. Die Tropen der rhetorischen Sprache als logische Redemodi aufzufassen, die ein radikal zu Ende gedachtes Selbst- und Weltverhältnis ausdrücken, heißt in diesem Zusammenhang, ihre spezifischen vorsprachlichen Organisationsleistungen für die Konstitution eines Immer-je-schon-mit-zu-Denkenden als Interpretations- und Orientierungshilfe offenzulegen. Bevor dies jedoch geleistet werden kann, muss gefragt werden, woher Tropen diese logische Vorstrukturierungskraft beziehen, wie sie wirkt und wie das daraus resultierende Denkmodell zur Sinn- und Bedeutungsstiftung des Menschen in der Welt dienen kann. Ein besseres Verständnis für die Dimension einer tropologischen Analyse erhält man dann aus der näheren Bestimmung dessen, was Tropen der Rhetorik überhaupt sind und wie sie funktionieren. Wenn unter ›tropischer Logik‹ also eine bestimmte Art gemeint ist, mit der Denkinhalte sprachlich (präfigurativ) erfasst und organisiert werden, und wenn sich alle Sprache, so auch zum Beispiel die formallogische, unter figurenlogischen Gesichtspunkten analysieren lässt, 10 dann kann behauptet werden, dass der Gebrauch einer be10

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Möglich wäre eine nähere Bestimmung der hier im Zentrum stehenden Tropen als

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stimmten kalkülisierenden und klassifizierenden Form von ›poetischer Logik‹ 11 als Maßstab für Wissenschaft insgesamt zugleich eine Präferenz für einen bestimmten Figurentypus bzw. Tropus der Sprache darstellt. In ihm drückt sich dann zugleich eine gewisse Haltung zur Welt aus. Diese zugrunde liegende Haltung gilt es im dritten Teil herauszupräparieren. Diesbezüglich wird ein eigener Ansatz des in den bisherigen Klassifikationen unterbestimmten Verhältnisses der beiden Primärtropen Metonymie und Synekdoche unterbreitet. Diese beruht auf einer grundlegenden Neubestimmung des Tropus der Synekdoche. Die genauere Bestimmung dient nicht nur als Voraussetzung dafür, die substitutionstheoretische These vom katachresischen Charakter des Heideggerschen Denkens – wie sie sie Karen S. Feldman aufgestellt hat 12 – außer Kraft zu setzen, sondern zugleich zum präziseren Erfassen der Zielbestimmung und der Dimensionalität des Heideggerschen Denkweges in seiner inneren Gerichtetheit und Dynamik insgesamt. Da die Klärung des logischen Verhältnisses dieser beiden Tropen zueinander grundlegend für das Verständnis des Heideggerschen Denkens insgesamt und der so genannten Kehre insbesondere ist, steht sie im Zentrum meiner methodischen Überlegungen und interpretativen Analyse, also einer verstehenden Auseinanderlegung von Kerngedanken in ihrer sprachlichen Eigenart bezogen auf das Ganze des Heideggerschen Denkweges. – Doch was sind Tropen überhaupt? Was meint die Bezeichnung ›tropische Logik‹ ? Worüber geben diese Redemodi Auskunft? Worin besteht ihre Qualität und Funktion innerhalb sprachlicher Artikulations- und Darstellungsvarianten?

5.1. Die Tropen der Rhetorik Der Begriff ›Tropus‹ bedeutet in verschiedenen Kontexten Unterschiedliches. Bekannt ist vor allem aber der Tropen-Begriff als geoModi der ›Figurenlogik‹ im Gegensatz zu Modi der ›formalen Logik‹ gewesen. Auf eine solche Bezeichnung wurde verzichtet, weil sich zeigen lässt, dass alle Sprache, also auch die der so genannten ›formalen Logik‹, figurenlogisch auffassen lässt. 11 Den Ausdruck ›poetische Logik‹ übernehme ich von an dieser Stelle von Giambattista Vico. Vgl. ders., Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker (1725), Hamburg 2009, Zweites Buch, zweiter Abschnitt: Poetische Logik, S. 188 ff. 12 Vgl. Kapitel 2.2. dieses Buches. Logik der Tropen

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graphisch-klimatische Kategorie. Dort sind Tropen (gr.: τρόπαι ἔλιου (tropai heliou) Sonnenwendegebiete und gehören zu den Klimazonen der Erde. Dieser Tropenbegriff hat mit dem sprachlich-philosophischen nur das Wort ›Wende‹ gemein. Einen dem hier fokussierten philosophischen Begriff schon näher kommenden Tropen-Begriff gibt es in der Musik. Josef Matthias Hauer (1883–1959) entwickelt 1921 die so genannte Tropenlehre der Zwölftontechnik. 13 Das Wort ›Trope‹ benutzt er eher als Konstellationsgruppe denn als ›Wendung‹. Der Sinn der Tropenlehre besteht dann in der Betrachtung der tropeneigenen Intervallverhältnisse. Die Tropenlehre wird so zu einem Ordnungssystem im musikalischen Zwölftonraum, mit dessen Hilfe es möglich ist, alle 479.001.600 Permutationen der zwölf Töne als Möglichkeiten der Bildung von Zwölftonreihen zu überschauen und durch die Zusammenfassung gemeinsamer Eigenschaften zu strukturieren und zu ordnen. 14 In der Erkenntnistheorie schließlich gelten die ›tropes‹ als ›singulare Entitäten‹, ›concrete particulars‹ oder ›property-instances‹. Sie spielen innerhalb der zeitgenössischen Fortsetzung des mittelalterlichen Universalienstreites eine Rolle. Diese und alle möglichen Welten bestehen in diesem Tropenansatz aus so genannten ›tropes‹. 15 Solche Entitäten gelten in der Erkenntnistheorie als individuelle Qualitäten, aus denen sich dieser Tisch oder dieses Blatt Papier zusammensetzen, also diese Größe, diese Härte und jene Temperatur. 16 Hauer, Matthias, Zwölftontechnik. Die Lehre von den Tropen, Wien 1926. Dieses Wissen um die musikalischen Tropen lässt sich kompositorisch auf sehr vielfältige Art und Weise nutzen. So lassen sich zum Beispiel Reihen mit besonderen formalen, harmonischen oder melodischen Eigenschaften bilden, was sich durch die Anwendung spezieller tropentechnischer Verfahren wiederum auf eine ganze Komposition übertragen lässt. Insgesamt kann die Kenntnis der Tropen eine genaue und plangemäße Prädetermination einer Komposition ermöglichen, welche die Rahmenbedingungen für die Umsetzung eines kompositorischen Konzeptes schafft. Ein derartiges ›Konzept‹ kann verschiedenartig und auf unterschiedlichen Ebenen ausfallen, sei es zum Beispiel auf formaler Ebene (zum Beispiel: Erstellung eines Spiegelkrebskanons), auf harmonischer Ebene (zum Beispiel: die Verwendung nur bestimmter Klänge) oder auf melodischer Ebene (zum Beispiel: Verwendung eines so genannten ›Cantus Firmus‹) etc. 15 Vgl. K. McDaniel, Tropes and Ordinary Physical Objects, in: Philosophical Studies 104, 2001, S. 269–290; J. Schaffer, The Individuation of Tropes, in: Australasian Journal of Philosophy, Vol. 79, No. 2, Juni 2001, S. 247–257; U. Kriegel, Tropes and Facts, in: Metaphysika, Vol. 6, No. 2, 2005, S. 83–90. 16 Bereits im Jahre 1953 entwickelte Donald C. Williams die These, dass Eigenschaf13 14

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Die Tropen der Rhetorik

Der Ausdruck ›tropes‹ in den erkenntnistheoretischen Tropentheorien bezieht sich also auf partikulare Entitäten und stellt die Prinzipien ihres Zusammenvorkommens dar. Sie sind in gewisser Weise die Antwort auf die Frage, was es wie gibt bzw. überhaupt geben kann. Die Tropologie der Erkenntnistheorie behandelt die Frage nach den ›tropes‹ dabei unabhängig eines Bezugs auf sprachlich begleitete Praxisvollzüge. Aufgrund dieser künstlichen Loslösung von der sprachlichen und gemeinschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit stellt der erkenntnistheoretische Tropenbegriff jedoch keine Orientierungs- und Sinnfragen, so wie sie im tiefensprachlichen Ansatz anvisiert werden. Für eine tropische Analyse des Heideggerschen Denkweges sind die bisherigen Tropenansätze der Erkenntnistheorie untauglich. Alle drei eben benannten Tropen-Begriffe (erkenntnistheoretischer, musikwissenschaftlicher und geologischer) haben mit dem rhetorischen Begriff ›Tropus‹ nichts bzw. nur sehr wenig zu tun. Sie teilen sich lediglich das Wort ›tropus‹, das heißt ›Wende‹ bzw. ›Wendung‹. In der Bedeutung von Wende werden solche Wörter und Wortfelder wie ›veränderlich‹, ›Umkehr‹, ›Dynamik‹ und ›Elastizität‹ konnotierbar. 17 Im Griechischen bedeutet τρόπος 18 (trópos) (lat./dt. Tropus) darüber hinaus auch ›Richtung‹, ›Art und Weise‹, ›Beschaffenheit‹, ›Sitte‹, ›Gewohnheit‹ sowie ›Charakter‹ und kommt von τροπέω (tropéo; dt. ich wende mich um). In dieser weiten Bedeutung spielt das Wort ›Tropus‹ bzw. ›tropisch‹ sowohl auf eine Art Dynamik der kulturellen Modalitäten (Art und Weise/Beschaffenheit/Charakter) als auch auf eine Orientierungs- und Strukturierungsleistung (Richtung) an. Diese kulturellen Modalitäten und Orientierungen etablieren sich offenbar derart, dass sie als Gewohnheit und Sitte nicht mehr eigens ins Bewusstsein rücken, sondern sozusagen als fundierende (Tiefen)Struktur gemeinschaftlichen Handelns inkorpoten ausschließlich als partikuläres oder individuelles existieren, und taufte solche Eigenschaften: tropes. In der einkategorialen Tropentheorie haben somit numerisch verschiedene Dinge nie identische Eigenschaften. ›Tropes‹ antworten auf die Frage, was es wie gibt bzw. überhaupt geben kann. Die Tropologie der Erkenntnistheorie behandelt die Frage nach den ›tropes‹ unabhängig eines Bezugs auf sprachlich begleitete Praxisvollzüge. Vgl. D. C. Williams, The Elements of Being, in: Principles of Empirical Realism, Illinois 1966, S. 74–109. 17 Vgl. F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin et al. 1999, S. 885. 18 Im Unterschied zu τροπός (tropós), was Ruderriemen bedeutet – entscheidend ist das diakritische Zeichen bzw. der Akut auf dem o. Logik der Tropen

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riert sind. Solche kooperativen Praxisformen sind nur auf Umwegen, etwa sprachanalytischen, reflexiv wieder einholbar. Der philosophisch interessante Tropen-Begriff ist daher in der Rhetorik und Poesie zu finden, wo er seitdem auch seine Heimat hat und seine Bestimmung als stilistisches Mittel bezieht.

5.2. Tropen und rhetorische Figuren In rhetoriktheoretischen und linguistischen Kontexten wird der Begriff der Trope bzw. des Tropus oft als Überbegriff für eine Gruppe bestimmter rhetorischer Figuren verwendet, die – und das ist in unserem Zusammenhang von besonderer Bedeutung – eben nicht allein als stilistisches Mittel fungieren. Der Tropus ist eine semantische Figur und bezeichnet die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen, der allerdings nicht synonym ist, also einem anderen Bedeutungsfeld zugehörig ist. Tropen sind also Wörter oder Wendungen, die nicht im eigentlichen Sinne, sondern in einem übertragenen, ›bildlichen‹ gebraucht werden, zum Beispiel ›Blüte‹ für ›Jugend‹ und ›Abend‹ für ›Alter‹. Ihre überzeugende Kraft gewinnen sie aus ihrer analogischen Kapazität. 19 In gewisser Weise gehören Definitionen, in einem weiteren Sinne aber auch Begriffsbestimmungen, zu den Tropen. Sie sind dann Umschreibung eines Sachverhaltes oder Begriffes, zum Beispiel ›der Allmächtige‹ als nähere Charakteristik für ›Gott‹ ; ›das Auge des Gesetzes‹ für die Unhintergehbarkeit der ›Justiz‹ oder des ›Rechtssystems‹ ; ›Halbgötter in Weiß‹ für – in diesem Falle ironisch gefärbte – ärztliche Macht über Leben und Tod. Solche Tropen sind dem Primärtropus der Metonymie verwandt und heißen Periphrase. Sie werden oft verwendet, um Wiederholungen von Begriffen zu vermeiden, oder um Sachverhalte euphemistisch auszudrücken, zum Beispiel ›ableben‹ statt ›sterben‹. Sie können dabei zugleich andere rhetorische Figurationen, wie hier zum Beispiel einen Euphemismus, beinhalten. Als Gegenteil der Periphrase gilt die Denotation. So ist zum Beispiel ›Arzt‹ die Denotation (Kern- oder Hauptbedeutung) der Periphrase ›Halbgott in Weiß‹ und ›Aristoteles‹ (bzw. der Inhalt von dessen akroamatischen Schriften) die Denotation von ›der Stagerit‹. Solche SubVgl. P. Mengel, Analogien als Argumente, Frankfurt am Main et al. 1995. Mengel stellt heraus, inwiefern Analogieargumente Argumente par excellence sind.

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Tropen und rhetorische Figuren

stitutionen ersetzen den Begriff durch die Beschreibung eines wesentlichen Teils, auf das es für die anschließende Argumentation innerhalb eines praktischen Kontextes ankommt. Sie sind in der Regel umkehrbar. Eine Definition wie zum Beispiel ›Dattel Frucht der Dattelpalme‹ lässt sich also auch so verstehen ›Frucht der Dattelpalme‹ für ›Dattel‹. Darüber hinaus hat die Definition auch eine Verwandtschaft zur Antonomasie, einer metonymischen Redefigur, bei der an die Stelle eines Eigennamens eine bezeichnende Eigenschaft, oder Apposition, synonym gesetzt wird, wie bei ›der Sohn der Aphrodite‹ für eine nähere Bezeichnung des Verwandtschaftsverhältnisses von ›Amor‹ oder ›der Weltschöpfer‹ für eine wesentliche Funktion von ›Gott‹. Die Antonomasie ist der Periphrase also nahe verwandt. Derartige ›Definitionen‹ werden in der Rhetorik als konguitive Tropen, also ›nachbarschaftliche Wendungen/Umbenennungen‹ bzw. ›logische Modi der Nahbeziehung‹ bestimmt. Sie bestimmen eine Sache näher. In der Tradition rhetorischer Klassifikationen ist der Tropus also eine Bezeichnung für ein sprachliches Ausdrucksmittel der so genannten ›uneigentlichen‹ oder ›devianten‹ Rede. Im Gegensatz zu den rhetorischen Figuren, welche die Stellung und Beziehung von Wörtern zueinander organisieren und vor allem der rhetorischen Ausschmückung dienen, handelt es sich bei Tropen um semantische Figuren, weil sie auf neue Bedeutungsfelder verweisen. Für die bloß wirkungsorientierte Rhetorik hat dies einzig den Zweck der Veranschaulichung. Erzielen die rhetorischen Figuren ihre Wirkung durch die lautliche Gestalt der Wörter, zum Beispiel in einer Alliteration, bei der die Wirkung des Ausspruchs über die Übereinstimmung der Anlautung erreicht wird, so besteht bei den Tropen nach rhetoriktheoretischer Definition ein semantischer Unterschied zwischen Gesagtem und Gemeintem, zwischen Bezeichnung und Bedeutung. 20 Aufgrund des charakteristischen Unterschieds von Sagen und Meinen stellen die Tropen eine Verfremdung des Gemeinten dar, die als Spannung zum Prinzip der Klarheit (lat. perspicuitas) empfunden wird. Aus diesem Grunde wird ihnen der Charakter der Abweichung oder Devianz zugeordnet. Weil Klarheit und Deutlichkeit Kriterien für eine genaue Begriffsbestimmung sind, ist leicht verständlich, dass Beispiele für eine Alliteration sind: ›veni, vidi, vici‹ (dt. er kam, er sah, er siegte), πόλεμος πάντων μὲν πατήρ ἐστί (dt. der Streit ist der Vater aller Dinge) oder ›Milch macht müde Männer munter‹.

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bei einem prima facie-Blick auf die Tropen die devianten Modi der Rede in der Philosophie möglichst gemieden werden.

5.3. Nicht-Tropen Es gibt allerdings auch semantische Figuren, die nicht eigentlich zu den Tropen zählen. Solche Stilfiguren sind zum Beispiel der Pleonasmus, bei dem innerhalb einer bestimmten Wortgruppe eine bestimmte Bedeutung mehrfach auf unterschiedliche Weise ausgedrückt wird, so bei ›alter Greis‹ oder ›Einzelindividuum‹, ›auseinanderklaffen‹, ›schlussendlich‹ ; oder als verkappter Pleonasmus in ›klammheimlich‹ (lat. clam = heimlich). Auch das Oxymoron (gr. οξύμωρος aus oxys, ›scharf(sinnig)‹, und moros, ›dumm‹) ist kein Tropus im eigentlichen Sinne. Es wird aus zwei gegensätzlichen, einander widersprechenden oder sich gegenseitig ausschließenden Begriffen gebildet, wie zum Beispiel »Diese Fülle hat mich arm gemacht« (dt. von: ›inopem me copia fecit‹ 21 oder ›¡Viva la muerte!‹ (dt. ›Es lebe der Tod!‹) 22, ›ζῷον πολιτικόν (zoon politikon)‹ 23 oder auch das heutzutage in der Finanzpolitik gebräuchliche ›Minuswachstum‹. Manche Oxymora treten auch als Lapsus auf, nämlich wenn die Contradictio in adjecto unfreiwillig erzeugt wurde, wie bei ›Pilzsamen‹. Weitere Stilfiguren, die nicht zu den Tropen zählen, sind das Hendiadyoin bzw. die Zwillingsformel 24, wie zum Beispiel ›frank und frei‹ für ›unverblümt‹, ›Recht und Ordnung‹ für ›Gesetzesmäßigkeit‹, ›Wind und Wetter‹ für ›Wetterunbill‹, ›klipp und klar‹ für ›eindeutig‹ usw. In Abgrenzung zur Tautologie, die ebenfalls in diese Gruppe nichttropischer Stilfiguren gehört, bilden beim Hendiadyoin die beiden Wortbestandteile zusammen erst die eigentliche Bedeutung des Ausdrucks, beispielsweise ›Hab und Gut‹ für ›Besitz‹, oder als Ergänzung von Teilbedeutungen Publius Ovidius Naso (Ovid), Metamorphosen, Düsseldorf et al. 2002, S. 466. Wahlspruch der spanischen Falangisten im Bürgerkrieg. 23 Vgl. J. Thumfart, Ist das Zoon Politikon ein Oxymoron? Zur Dekonstruktion des Begriffs von Biopolitik bei Giorgio Agamben auf der Grundlage einer Wiederlektüre des Aristoteles, Saarbrücken 2008. 24 Gr.: ἓν διὰ δυοῖν (hen dia dyoin) »eins durch zwei«, selten auch Hendiadys. Die Stilfigur des Hendiadyoin gibt es nicht nur als Zwillings-, sondern auch als Drillings(Hendiatris) und Vierlingsfigur (Hendiatetris) usw., zum Beispiel ›Wein, Weib und Gesang‹ oder ›heimlich, still und leise‹, ›Jubel, Trubel, Heiterkeit‹ bzw. ›frisch, fromm, fröhlich und frei‹ für ›unbefangen‹. 21 22

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Primärtropen und Sekundärtropen

zur Gesamtbedeutung ›ständig‹ bei ›Tag und Nacht‹. Bei der Tautologie besitzen dagegen die beiden Wortbestandteile auch schon für sich allein genommen die gleiche Bedeutung wie der gesamte Ausdruck, der als Ganzes in der Regel nur eine rhetorische Verstärkungsfunktion erfüllt, zum Beispiel bei ›Art und Weise‹, ›einzig und allein‹, ›nie und nimmer‹. Sie zählen nicht zu den ›devianten‹ Redemodi und damit nicht im engeren Sinne zu den Tropen.

5.4. Primärtropen und Sekundärtropen Nun gibt es nicht nur Tropen, rhetorische Figuren und Nicht-Tropen, sondern auch ein Unterteilung der Tropen in Primär- und Sekundärtropen. Giambattista Vico kommt Anfang des 18. Jahrhunderts das Verdienst zu, Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie als die vier basalen Tropen zu identifizieren, auf die alle anderen Tropen zurückführbar sind. 25 Vicos Theorie hat ihre Wurzeln im Denken von Peter Ramus. 26 Für Vico sind die Tropen ›notwendige Weisen, in denen sich die Völker ursprünglich auszudrücken versuchten‹. 27 Er nimmt an, dass die ersten weisen Männer eine Art ›theologischer Dichter‹ waren, die die Dinge nur ›roh‹ verstanden und daher nur ungenau wiedergeben konnten. Erst später kamen ›Philosophen‹ hinzu, die etwas mehr von der ›geheimen Weisheit‹ verstanden. 28 Die Unterscheidung von Primär- und Sekundärtropen, wie sie Vico in seinen Prinzipien einer neuen Wissenschaft vorschlägt, ist Die Rückführbarkeit wird von Vico nur behauptet, aber nicht eigens gezeigt oder das Ableitungsprinzip benannt. Es ist anzunehmen, dass er deren Evidenz voraussetzt oder für offensichtlich hält. 26 Peter Ramus, eigentlich Pierre de la Ramée (1515–1572), war ein Gegner der aristotelisch-scholastischen Philosophie und liegt in der Tradition Rudolf Agricolas (1444–1485). Der Titel seiner Magisterthese von 1536 lautete angeblich (Freigius zufolge) »Quecumque ab Aristotele dicta essent, commentita esse« (dt. »Und was immer Aristoteles sagte, ist erlogen«). Vgl. P. Ramus, Dialecticae institutiones, Paris 1543. Ramus wurde von Francis Bacon kritisiert; von Leibniz wurde Ramus’ Mathematikverständnis positiv aufgenommen. Ramus kritisiert – ausgehend von Platon, Cicero und Quintilian – die aristotelische Syllogistik und ersetzt sie durch eine an die Rhetorik angelehnte natürliche, dichotomische Logik des gesunden Menschenverstandes. Vgl. R. Pozzo, Ramismus, Semiramismus, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. VIII, Darmstadt 1992. 27 Vgl. G. Vico, Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, a. a. O., S. 188–196. 28 Ebenda. 25

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bis in unsere Zeit gültig. Autoren wie Kenneth Burke 29, Northrop Frye 30 und Hayden White berufen sich auf die Unterscheidung von vier Primärtropen bzw. master tropes bzw. key tropes. Im Unterschied zu den Sekundärtropen können Primärtropen ihre Funktion auf gesamte Weltbildverständnisse ausdehnen. Sie wirken dann wie SinnFilter, durch die ein bestimmtes Verständnis überhaupt erzeugt werden kann. Ihre sinnbildende Funktion liegt nicht auf der Oberfläche der Sprache, sondern muss tiefensprachlich erschlossen werden. Neben den grundlegenden vier Primärtropen gibt es die Sekundärtropen. Alle Sekundärtropen können auf einen Primärtropus zurückgeführt werden. Sekundärtropen sind zum Beispiel die Periphrase 31 oder die Antonomasie 32, die vorwiegend eingesetzt werden, um Wiederholungen zu vermeiden. Die Periphrase umschreibt einen Sachverhalt oder Begriff mit anderen Worten. Die Antonomasie ersetzt Eigennamen und ist damit eine Unterart der Periphrase. Beides sind zumeist metonymische Formen, also Formen der Nachbarschaftlichkeit von Bedeutungsfeldern. Auch die Litotes 33 ist ein Sekundärtropus. Sie zieht Aufmerksamkeit auf sich, weil der Gesprächspartner aufgefordert ist, Inhalte doppelt zu decodieren. Sie lässt sich damit in das Spektrum der Ironie einsortieren. Häufig verwendet wird auch die Hyperbel 34, mit der man ebenso in den Bereich der Ironie hineinreicht, indem man überdimensional über- bzw. untertreibt und dabei bewusst einen unglaubwürdigen Vergleich anstellt. Da sich alle Sekundärtropen auf die vier primären Tropen oder master tropes zurückführen lassen, es aber um die weltbildmodellierende Logik von Tropen geht, können sie in der Analyse subsumiert werden.

Vgl. K. Burke, A Grammar of Motives, Berkeley 1969. Vgl. N. Frye, Anatomy of Criticism. Four Essays, Princeton 1967. 31 Einige Beispiele für Periphrasen sind: ›gepresste Milch‹ für ›Käse‹ ; ›der Allmächtige‹ für ›Gott‹ ; ›Halbgötter in Weiß‹ für ›Ärzte‹ ; ggf. auch ›analytische Philosophie‹. 32 Einige Beispiele für Antonomasien sind: ›der Beherrscher des Meeres‹ für ›Neptun‹, ›der Sohn der Aphrodite‹ für ›Eros‹, ›der Herr des Donners und der Blitze‹ für ›Zeus‹ oder ›Jupiter‹ oder ›Thor‹ ; der ›Stagerit‹ für Aristoteles. 33 Litoti sind zum Beispiel ›kleines Sümmchen‹ ; oder ›nicht ganz klein‹ für ›ziemlich groß‹. 34 Zum Beispiel: ›todmüde‹, ›blitzschnell‹, ›Schneckentempo‹, ›wie Sand am Meer‹ ; ›nicht ein My‹ oder ›ultra-, supergut‹. 29 30

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6. Tropentheorien

Im Allgemeinen werden die Tropen der Rhetorik von den rhetorischen Figuren unterschieden, indem sie innerhalb der Rahmenvorgaben eines substitutionstheoretischen Paradigmas begriffen werden. 1 Werden nämlich rhetorische Figuren wie zum Beispiel die rhetorische Frage, der Chiasmus 2, die Ellipse 3 oder die Anapher 4 als sprachliche Möglichkeiten angesehen, die die Bedeutung der einzelnen Wörter nicht antastet, so geht man bei Tropen davon aus, dass Dazu gehören auch Arbeiten, die sich mit der formallogischen Analyse von Metonymie und Metapher, etwa die von J. Dölling, Formale Analyse von Metonymie und Metapher, in: R. Eckard und K. v. Heusinger (Hrsg.), Meaning Change – Meaning Variantion, Workshop held at Konstanz, Februar 1999, Vol. I, S. 31–53. 2 Der Chiasmus, gr. χιασμός (chiasmós) (dt. überkreuzen) ist eine rhetorische Figur, bei der Satzteile oder Teilsätze (Subjekt, Prädikat, Objekt) nach dem Schema SPOOPS kreuzweise entgegengesetzt in ansonsten parallelen Teilsätzen angeordnet werden, zum Beispiel »Die Welt ist groß, klein ist der Verstand.«; oder ›Der Herr brach das Brot/das Brot brach den Herrn‹ (P. Celan, Fadensonnen). Das Gegenteil des Chiasmus ist die Synchisis, also eine gebundene Wortfolge, zum Beispiel ›Aurea purpuream subnectit fibula vestem‹, Vergil, Aeneis 4.139. 3 Die Ellipse, gr. ἔλλειψις (élleipsis) (dt. Fehlen, Aussparung, Auslassung) ist eine rhetorische Figur, bei der Satzteile ausgelassen und so unvollständige Sätze gebildet werden. Nicht du, [sondern] ich! [Das] Ende [ist] gut, alles [ist] gut! Was [ist] nun? [Ist] Sonst noch was? [Fährt] Noch jemand ohne Fahrschein? Ohne Wenn und Aber. (Die jeweiligen Auslassungen stehen in den Klammern.) 4 Die Anapher, gr. ἀναφορά (anaphorá) (dt. Wiederaufnahme) bezeichnet die (einmalige oder mehrfache) Wiederholung eines Wortes (oder einer Wortgruppe) am Anfang aufeinander folgender Verse, Strophen, Sätze oder Satzteile. So dient sie der Strukturierung und Rhythmisierung von Texten. Die wiederholten Einheiten werden ggf. als besonders bedeutsam hervorgehoben, zum Beispiel »Scipio hat Numantia vernichtet, Scipio [hat] Karthago zerstört, und Scipio/er [hat] Frieden gebracht […]« (Cicero) oder »Wer soll nun die Kinder lehren und die Wissenschaft vermehren. Wer soll nun für Lämpel leiten seines Amtes Tätigkeiten?« aus W. Busch, Max und Moritz, Köln o. J., S. 20. Die Anapher zählt zu den einfachsten, ältesten und häufigsten rhetorischen und poetischen und Stilmitteln, sie begegnet besonders häufig in religiöser Sprache, etwa in der Bibel. 1

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eine Substitution eines eigentlichen durch einen uneigentlichen Ausdruck das grundlegende Bildungsprinzip der Tropen sei. Substitutionstheoretische Ansätze stammen vor allem aus der Rhetoriktheorie, der Stilistik und Linguistik. Sie befassen sich vordergründig mit der Oberflächenstruktur tropischer Rede.

6.1. Oberflächensprachliche Tropentheorien Das von den oberflächensprachlichen Tropentheorien verwendete substitutionstheoretische Modell zur Bestimmung und Klassifizierung von Tropen ist seit der Spätantike bekannt und dominant. Es bestimmt Tropen als so genannte deviante, also abweichende Redemodi und ist der Grund dafür, dass sich die Philosophie von tropischen Redemodi abwendet. Substitutionstheoretische, vor allem rhetoriktheoretische Tropenmodelle gehen von der Prämisse aus, dass Tropen vor allem in den Bereich der rhetorischen Stillehre (lat. elocutio) gehören. Die Funktion von Tropen besteht darin, das Sprechen im Sinne der ornatio auszuschmücken. Sie erzeugen Gefallen und Abwechslung im sprachlichen Ausdruck. 5 Dies geschieht, indem ein ›eigentlicher Ausdruck‹ (lat. proprium) durch einen ›uneigentlichen Ausdruck‹ (lat. improprium) ersetzt wird. Daher rührt auch die Auffassung, dass die Tropen einzelne Wörter oder Wendungen seien, die nur im devianten, also abweichenden bzw. übertragenen Sinne gebraucht würden, wie ›Gehirn‹ für ›Geist‹, der ›Leib‹ für die ›Leidenschaften‹, und keine andere Funktion hätten, als eine bestimmte Wirkung beim Hörer oder Leser zu erzeugen. 6 Diese Ansicht ist nicht ganz falsch, unterschätzt aber die viel grundlegendere logisch-philosophische Dimension von Tropen. Um besser zu verstehen, inwiefern sich die vorliegende Untersuchung von der Substitutionstheorie absetzt, sollen deren Paradigmen im Folgenden noch genauer erläuVgl. Artikel: Tropen, in: A. Nünning (Hrsg.), Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart et al. 2001, S. 645. 6 Vgl. A. Hetzel, Die Wirksamkeit der Rede. Zur Aktualität klassischer Rhetorik für die moderne Sprachphilosophie, Bielefeld 2011. Hetzel versucht allerdings die klassischen Fragen der Rhetorik, nämlich die, wie mit Sprache Handlungen vollzogen, Überzeugungen vermittelt, Situationen verändert, Stimmungen gewendet und soziale Institutionen geschaffen werden, in eine ›Pragmatik jenseits der Handlungstheorie‹ zu überführen, die essentialistische Implikationen zurückweist und Sprache vielmehr als situierte, adressierte und sich in ihrer Wirkungen vollendende Rede versteht. 5

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tert werden. Im Folgenden stelle ich drei oberflächenstrukturelle Tropenansätze vor, die sich alle vom substitutionstheoretischen Paradigma ableiten lassen. Das ist 1. der rhetoriktheoretische Ansatz von Heinrich Lausberg, 2. der linguistische Ansatz von Roman Jakobson und 3. der stilistische von Heinrich Plett. 1. Rhetoriktheoretiker wie zum Beispiel Heinrich Lausberg sind Substitutions-Theoretiker. Sie meinen, dass sich Tropen nach dem Grad der Distanz zwischen dem eigentlichen und dem übertragenen Ausdruck unterscheiden, wobei das Spektrum von der Synonymie, also der Bedeutungsgleichheit, bis zur Antonymie, dem Bedeutungsgegensatz, reicht. Tropen lassen sich für Lausberg in verschiedene Kategorien innerhalb einer so genannten Devianzhierarchie einteilen. Der Inhaltsbereich des ersetzenden Ausdrucks (lat. substituens) kann vom Inhaltsbereich des ersetzten Ausdrucks (lat. substitutum) unterschiedlich weit entfernt sein. Die Zuordnung ist jedoch nicht kanonisch. Nicht nur von Lausberg, sondern auch von anderen Rhetoriktheoretikern wird eingeräumt, dass die Zuordnung nicht immer die gleiche ist. Die Substitutionstheorie der Tropen behauptet, dass die kategorialen Substitutionsverhältnisse unterschiedlicher semantisch-oppositioneller Art sein können, zum Beispiel: a) Abstraktheit und Konkretheit; b) Größe und Kleinheit; c) Inhalt und Behälter; d) Olfaktorisches und Taktiles; e) Personhaftes und Nichtpersonhaftes usw. Solche und andere Substitutionsbeziehungen bilden die Ausgangsbasis für eine Klassifikation der Tropen. Manche Autoren interessieren sich jedoch für Spezialphänomene tropischer, vor allem aber metaphorischer Rede. Harald Weinrich zum Beispiel betont, dass bei einer geringen ›Bildspanne‹ zwischen Substitut und Signalkontext die ›semantische Deviation‹ gravierender empfunden würde als bei einer ›Fernmetapher‹. 7 Das Ergebnis sei die verblüffende Wirkung der so genannten ›kühnen Metapher‹ (lat. concetto bzw. engl. conceit). 8 Eingeräumt wird auch hier, dass diese Verhältnisse sich nicht So wirke ›schwarze Milch‹ stärker als ›traurige Milch‹, weil die Vergleichsgegenstände nicht aus so weit entfernten Bedeutungsfeldern stammen, da ›weiß‹ (Milch) und ›schwarz‹ Antonyme bilden. 8 Ein Concetto (dt. Konzetto) ist ein geistreicher Einfall in einem zugespitzten, künstlichen Stil. Seine Hochzeit erreichte der Konzetismus in der Literatur der italienischen Spätrenaissance über das spanische Barock bis ins 17. Jahrhundert hinein. Sein Bildungsprinzip ist das Zusammenbringen zweier disparater Wirklichkeitsberei7

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statisch festschreiben lassen, da auch die größte Abweichung durch stetigen Gebrauch einer Metapher diese bis zur Unkenntlichkeit verblassen und zur ›toten Metapher‹ oder zum ›Begriff‹ bzw. ›absoluten Metapher‹ 9 verwandeln kann. Die Sachlage ist offenbar unübersichtlich und verschwommen Ein etwas genaueres Unterscheidungsmerkmal, das oft in den gängigen substitutionstheoretischen Tropenklassifikationen bemüht wird, ist die Einführung von solchen kategorialen Kennzeichen wie ›Sprung‹ und ›Grenzverschiebung‹ zwischen Bedeutungsfeldern. 10 Nach dem Grad der Begriffsverschiebung lassen sich ihm zufolge generell zwei Gruppen von Tropen unterscheiden: Das sind zum einen (a) Grenzverschiebungs-Tropen, bei denen eine sachliche Beziehung zwischen dem Gesagten und Gemeinten besteht, zum Beispiel bei der Periphrase als Umschreibung zum Beispiel von ›Höllenfürst‹ für ›Teufel‹ Das sind zum anderen (b) Sprung-Tropen, bei denen der gemeinte Wortsinn in andere Vorstellungs- oder Bildbereiche überspringt, zum Beispiel ›Löwe‹ für ›mutiger Krieger‹. Zur ersten Gruppe gehören – nach dem Grad des Unterschieds zwischen Bezeichnung und Bedeutung – die Emphase, die Periphrase, die Antonomasie, die Synekdoche, die Metonymie und die Hyperbel. Zur zweiten gehören die Metapher, die Allegorie und die Ironie. Um in die Bildungsprinzipien der vier Primärtropen gründlicher einzudringen, werden sie im Folgenden aus substitutionstheoretischer Perspektive vorgestellt. Das betrifft zum ersten die gängigen Unterscheidungen zwischen Sprung- und Grenzverschiebungstropen auf der einen Seite und die Unterscheidung von Similaritätstropen und Kontiguitätstropen auf der anderen Seite. Neuere Forschungen ergeben noch andere Möglichkeiten, die die spezifische Logik der Tropen zu thematisieren versuchen.

che in Form einer Metapher, eines Vergleiches, einer Allegorie oder eines Rätsels, um auf eine einprägsame und überraschende Weise eine neue Einsicht zu ermöglichen. 9 Zum Begriff der ›absoluten Metapher‹ vgl. H. Blumenberg, Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit, in: ders., Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt 1979, S. 75–93. 10 Diese Unterscheidung geht auf H. Lausberg, Elemente der literarischen Rhetorik (1949), Ismaning 1990, zurück.

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a)

Sprungtropen

Sprungtropen weisen nach Lausberg eine größere Distanz zwischen dem eigentlichen und dem übertragenen Ausdruck auf. Zu ihnen gehören vor allem die Primärtropen Metapher und Ironie. Bei Sprungtropen liegen die beiden Inhaltsbereiche weit voneinander entfernt, weswegen sozusagen ein gedanklicher Sprung erfolgen muss, um den tropischen Ausdruck zu verstehen. Wenn einer zum Beispiel sagt: ›Er donnert den Ball ins Tor‹, dann ist damit gemeint, dass er den Ball mit großer Wucht ins Tor schießt. Das Verb ›donnern‹ entstammt also nicht einem nachbarschaftlichen Inhaltsbereich zu ›schießen‹, sondern der Wetterkunde und ist vom Inhaltsbereich Sport weit entfernt. 11 a)a) Die Metapher Die Metapher genießt unter den rhetorischen Figuren die höchste poetische Reputation und gehört zu den Sprungtropen. Sie stellt für viele Tropentheorien das Paradebeispiel dar und wird oft als der Oberbegriff über alle rhetorischen und tropischen Figuren verwendet. Bei einer Metapher, gr. μεταφορά (dt. Übertragung), nimmt der ersetzende Begriff einen Teil der Assoziationen des ursprünglichen Begriffs an und bringt sie so in eine Art Vergleich. Die Rhetorik der Antike 12 hat deshalb die Metapher auch als verkürzten Vergleich aufgefasst. Neuere Metapherntheorien bieten andere Erklärungen. 13 Weitgehend gemeinsame Grundlage ist jedoch die Differenzierung zwischen Bildspender und Bildempfänger. Die Metapher wirkt sozusagen umorganisierend, da sie bestimmte Eigenschaften eines Be-

Wer genau liest, wird jedoch schnell bemerken, dass auch das Wort ›schießen‹ bereits übertragene Bedeutung hat mit dem Unterschied, dass es bereits eine tote Metaphorik zu enthalten, also eine Überführung ins Lexikon erfahren zu haben scheint, denn es fällt im Allgemeinen nicht mehr auf, dass auch hier die Inhaltsbereiche des Gemeinten und des Ersetzten weit entfernt liegen und nur in iterierender Weise permanent analogisiert werden. So wird nicht eigentlich im Sport, sondern zum Beispiel beim Jagen oder Kriegführen geschossen. Weil die Beziehung zwischen eigentlichem und uneigentlichem Ausdruck eine Beziehung der Herstellung von Ähnlichkeit ist, das heißt, weil semantisch Gleichartiges aus unterschiedlichen Inhaltsbereichen ›ersetzt‹ wird, spricht man im Falle der Sprungtropen auch von Similaritätstropen. 12 Vgl. Aristoteles, Poetik, a. a. O. 13 Erwähnt sei Max Blacks Interaktionstheorie. Vgl. M. Black, Die Metapher, in: A. Haverkamp (Hrsg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 1983, S. 55–79. 11

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grifffeldes in den Vordergrund rückt, andere hingegen unterdrückt. Sie schafft erste Orientierungen, ist primordial. Es gibt viele verschiedene Arten Metaphern und Metapherntheorien. 14 Neben engen Metaphernbegriffen, die nur die Trope der Metapher als Metapher bezeichnen, rangieren weite Metaphernbegriffe, die auf bildliches Sprechen überhaupt abzielen, also auch Vergleiche, Gleichnisse, Parabeln oder Allegorien mit einschließen. Metaphern lassen sich in tote, absolute, kühne usw. Metaphern unterteilen. Eine systematische Unterscheidung von Arten der Metapher gibt es nicht, mit Attributen wie ›dunkel‹ oder ›kühn‹ werden jedoch Eigenschaften von Metaphern beschrieben, die nicht jeder Metapher in gleichem Maße eignen, und von denen mehrere Eigenschaften auch bei ein und derselben Metapher gegeben sein können. 15 Besonders interessant ist der Begriff der ›absoluten Metapher‹. Darunter werden Metaphern verstanden, die nicht nur – wie die ›dunkle Metapher – dem Verständnis besondere Schwierigkeit entgegensetzen oder – wie jede Metapher – nicht ohne Bedeutungs- oder Wirkungsverlust in begriffliche Rede übertragen werden können, sondern in der Literatur gerade um ihrer Unübertragbarkeit willen gewählt werden. Das Vorliegen solcher absoluten Metapher ist darum weniger an ihren Eigenschaften als an dem poetischen Kontext ihres Auftretens bestimmbar. So fasst Hans Blumenberg in seiner Metaphorologie manche etablierte Metaphern philosophischer oder wissenschaftlicher Diskurse als ›absolute Metaphern‹ auf, sofern ihnen eine unmitDass die zumal nicht immer präzise gebrauchten Metaphernbegriffe hier nicht alle zum Gegenstand der Erörterung gemacht werden können, liegt auf der Hand. Einen guten Überblick gibt A. Haverkamp (Hrsg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 1983, sowie ders., Die Ästhetik in der Rhetorik. Bilanz eines exemplarischen Begriffs, München 2004. 15 Zum Beispiel: tote Metaphern, deren metaphorischer Charakter nicht mehr bewusst ist (zum Beispiel: Tischbein, Handschuh), und lexikalisierte Metaphern, also tote Metaphern, die als Zweitbedeutung in den Wortschatz eingegangen sind (zum Beispiel: ›Schloss‹ als eine Burg, die ein Tal abschließt); stehende Metaphern, die sich in vergleichbaren Zusammenhängen als Topos oder Redewendung immer wieder finden; dunkle Metaphern oder Concetti, die auf besonders schwer erkennbaren, weit hergeholten Ähnlichkeitsbezügen beruhen und eine besondere gedankliche Leistung des Interpreten erfordern; kühne Metaphern, die zwei Wirklichkeitsbereiche miteinander verknüpfen, die herkömmlich als unvereinbar angesehen wurden (zum Beispiel sexuelle Metaphorik in mystisch-religiöser Dichtung, oder computertechnische Metaphorik in moderner Liebeslyrik); euphemistische Metaphern, die einen tabuisierten oder mit negativen Vorstellungen behafteten Ausdruck ersetzen (zum Beispiel: Heimgang oder Ableben für Sterben) usw. 14

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telbar einleuchtende Bedeutung eignet, die sich nicht anders als metaphorisch lässt. 16 Wenn Heidegger die Titelworte ›Sein‹ und ›Zeit‹ zusammenbringt, dann gebraucht er diese Worte in ihrer metaphorischen Funktion, denn sie stehen für die am weitesten entgegengesetzten Bedeutungsbereiche, die es gibt, nämlich für das Statische einerseits und das Dynamische andererseits. 17 Sie bilden keine Form der Antonymie und gehören daher nicht in das Spektrum des Metonymischen. Auch Habitualisierungsgrade können als Unterscheidungskriterien fungieren. 18 Andere Unterscheidungen erfolgen nach syntaktischen Gesichtspunkten, zum Beispiel nach Wortarten (Substantiv, Adjektiv, Verb) oder Phänomene wie die metaphorische Apposition, Prädikation, Substitution und Referenz oder verschiedene metaphorische Genitive. Auch Fragen nach der Funktion bieten Klassifizierungsmöglichkeiten für die Metaphern, zum Beispiel nach Belehrung (lat. docere), Erfreuen (lat. delectare), Emotionalisierung (lat. movere) usw. Gemäß der Substitutionstheorie ersetzt die Metapher als ›uneigentlicher Ausdruck‹ einen ›eigentlichen Ausdruck‹, zu dem sie in einer Ähnlichkeitsrelation steht, so dass sie zu einem Vergleich expandiert bzw. als verkürzter Vergleich aufgefasst werden könnte, wie bereits Aristoteles in seiner Poetik behauptet. 19 Die Schwächen dieser Theorie sind offenkundig und teilweise auch ihren Anhängern bewusst. Schon Aristoteles hat gesehen, das es Metaphern gibt, die eine sprachliche Lücke im System ausfüllen und deshalb nicht im Sinne Vgl. H. Blumenberg, Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit, a. a. O. Es ist eines der herausragendsten und schwierigsten Probleme der Philosophie, diese beiden Problemfelder in eine denkerische Einheit zu bringen. 18 Nach ihrem jeweiligen Habitualisierungsgrad lassen sich die Metaphern unterscheiden in innovative Metaphern, die als neuartig, unter gewissen Umständen auch als kühn empfunden werden, klischeeartige Metaphern, deren metaphorischer Status noch spürbar ist, obwohl sie immer wieder verwendet werden (›das Feuer der Liebe‹), und verblasste oder Ex-Metaphern, deren metaphorischer Ursprung nicht mehr präsent ist (Wer assoziiert Leitfaden mit Ariadne?) oder die mangels eines eigentlichen Ausdrucks semantische Lücken im sprachlichen System ausfüllen (Flaschenhals), die sonst nur durch aufwendige Paraphrasen zu schließen wären. Ex-Metaphern oder tote Metaphern können durch Expansionen aber auch revitalisiert werden, was meistens komische Effekte nach sich zieht (der ›Oberschenkel‹ vom ›Tischbein‹). Die Metapher als Lückenbüßer im sprachlichen System ist in der antiken Rhetorik als Katachrese bezeichnet worden und wird inzwischen weitgehend nur noch auf die stilblütenartige Bildermengung bezogen (Beispiel: ›Die Organe der Staatsmaschine müssen auf einen neuen Kurs gebracht werden.‹) 19 Vgl. Aristoteles, Poetik, a. a. O. 16 17

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einer Umkehr des metaphorischen Verfahrens durch den eigentlichen Ausdruck ersetzt werden können. Ebenso lässt sich für die absolute Metapher der modernen Lyrik kein ›eigentlicher‹ Ausdruck rekonstruieren. Darüber hinaus wird der substitutionstheoretische Ansatz auch nicht den Besonderheiten gerecht, die mit der über das Einzelwort hinaus fortgesetzten Metapher (Allegorie) verbunden sein können. Es gibt zum Beispiel Metaphern, die den Bildspender und den Bildempfänger sprachlich gekoppelt präsentieren, wie die Genitivmetapher ›Feuer der Liebe‹. Von einem Ersatz kann daher keine Rede sein. Ein weiteres problematisches Moment am substitutionstheoretischen Paradigma der Metapher zeigt sich an den Rändern des Metaphernspektrums, also bei toten bzw. lexikalisierten und bei absoluten, also prinzipiell nicht zu ersetzenden Metaphern oder Großbegriffen. 20 Weder bei toten Metaphern noch bei absoluten Metaphern lässt sich im strengen Sinne von Ersetzung reden, da im ersten Fall der lexikalisierte Ausdruck der gemeinte ist und im zweiten Fall die Äußerung prinzipiell nicht lexikalisierbar ist. Einen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten sucht die Interaktionstheorie der Metapher. 21 In der Interaktionstheorie der Metapher wird im Gegensatz zu dieser Vergleichstheorie der Metapher die Metaphorik nicht als Abweichung vom gewöhnlichen Wortgebrauch, sondern als Abbildung des vergleichenden und so begriffsbildenden Denkens überhaupt verstanden. 22 In der Metapher werden nicht Wörter gegeneinander ausgetauscht, sondern zwei unterschiedliche Vorstellungen in einen gegenseitigen aktiven Zusammenhang gebracht. 23 Es entsteht eine gewisse Spannung zwischen Gesagtem und Beispiele für absolute Metaphern sind zum Beispiel ›das Leben‹, ›das Sein‹, ›die Liebe‹. Zur absoluten Metapher vgl. H. Blumenberg, Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit, a. a. O. 21 Vgl. M. Black, Die Metapher, a. a. O. 22 Die älteste Variante der Interaktionstheorie geht auf die Sprachpsychologen Wilhelm Stählin und Karl Bühler zurück, die nach den Verständnisbedingungen metaphorischen Sprechens fragen. Vgl. W. Stählin, Zur Psychologie und Statistik der Metapher, in: Archiv für die gesamte Psychologie 31 (1914), S. 297–425. Vgl. auch K. Bühler, Die Darstellungsfunktion der Sprache (1934), Stuttgart 1982. 23 I. A. Richards unterteilt die in der Metapher interagierenden Vorstellungen in ›tenor‹ und ›vehicle‹, um damit ältere, nicht adäquate Begriffspaare wie ›Bedeutung‹ und ›Bild‹ abzulösen. Richards Theorie ist von Max Black aufgegriffen und terminologisch weiterentwickelt worden. Black ersetzt ›tenor‹ und ›vehicle‹ durch ›frame‹ und ›focus‹ und führt auch die Bezeichnung ›Interaktionstheorie‹ ein. Vgl. I. A. Richards, Die 20

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Gemeintem. Diese doppelte Bedeutung als Grundlage des metaphorischen Bedeutungserlebnisses entsteht durch die Verschmelzung von ›Bild‹ und ›Sprache‹, denn der Hörer sieht sich gezwungen, die Metapher als ›sphärenmischendes Komponieren‹ zu interpretieren. 24 Die Sphärenmischung, die zunächst am technischen Modell des Doppelfilters 25 verdeutlicht wird, bewirkt die Neutralisierung jener Merkmale der beiden Sphären, die nicht zueinanderpassen. 26 Der gegenseitige Zusammenhang von Vorstellungen innerhalb einer Metapher wird im Allgemeinen als Bedeutungserweiterung aufgefasst 27. Bedeutungserweiterung entsteht erst durch die Kommunikationssituation: Die Metapher weckt innerhalb eines kommunikativ-kooperativen Zusammenhanges einen Erwartungshorizont, dem der Kontext widerspricht, und erhält durch den sprachlichen Kontext einen ›Sinn‹, der die lexikalisch festgelegte ›Bedeutung‹ übersteigt. Bedeutung wird also nicht nur extensional erweitert, sondern darüber hinaus auch neu erzeugt. Es entsteht sozusagen eine neue Sinndimension, die weder dem einen noch dem anderen Bedeutungsfeld zuzuordnen ist. 28 Aufgrund ihrer neuen Sinn erzeugenden ›Sprungkraft‹ nutzt vor allem die Poesie und Belletristik Metaphern. Im wissenschaftlichen Kontext werden dahingegen – wenn überhaupt – eher Grenzverschiebungstropen verwendet, da ihr Ziel weniger die Erzeugung neuer Welten, sondern die Absicherung und Bestätigung des Bestehenden ist. 29 In der Verbindung von ›Sein‹ und ›Zeit‹ geht es also nicht um die Vermischung zweier Bedeutungsfelder, sondern vorab Metapher, in: Haverkamp, A. (Hrsg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 1983, S. 31– 52; sowie M. Black, Die Metapher, a. a. O. 24 Vgl. K. Bühler, Sprachtheorie, a. a. O., S. 342 ff. 25 Der Begriff der Sphärendeckung im Sinne des Doppelfilters suggeriert klar umrissene semantische Konzepte, die in der Metapher verbunden werden, während die Sphärenmischung dem metaphorischen Prozess insofern gerechter wird, als dadurch die Kombination komplexer Konzepte mit denotativen wie konnotativen Komponenten nahe gelegt wird. 26 So wird zum Beispiel in der Metapher ›Salonlöwe‹ das Merkmal ›blutgierig‹ ausgeblendet. 27 So spricht Black von einer Bedeutungserweiterung durch die Verbindung oder Beeinflussung zweier Systeme miteinander assoziierter Gemeinplätze (›system of associated commonplaces‹). Vgl. M. Black, Die Metapher, a. a. O., S. 70 f. 28 Vgl. die Metapherntheorien von Max Black und Ivor A. Richards. 29 Deutlich wird das zum Beispiel an der Auseinandersetzung mit Utopien, die neue Weltentwürfe darstellen bzw. bestimmte Paradigmen zu Ende denken. Die bekannten Utopien von Morus über Bacon bis hin zu Huxley und Orwell sind in Romanform geschrieben. Logik der Tropen

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um das Freilegen ihrer alten Bedeutungshorizonte, um dann eine neue Bedeutungsebene überhaupt erzeugbar machen. Es kann bei Metaphern also von einer systematischen Polysemie – im Unterschied zu einer lexikalischen Konventionalisierbarkeit bei Metonymien – gesprochen werden. a)b) Die Ironie Wie die Metapher, so gilt auch die Ironie, gr. εἰρωνεία (dt. Verstellung, Vortäuschung), als Sprungtropus. Wenn die Tropen innerhalb des substitutionstheoretischen Paradigmas nach dem Grad der Distanz zwischen dem eigentlichen und dem übertragenen Ausdruck unterschieden werden und ein Spektrum von der Synonymie bis zur Antonymie bilden, so lässt sich dieses Spektrum am Beispiel der Unterscheidung der beiden Sprungtropen Ironie und Litotes, gr. λιτότης (dt. Sparsamkeit, Schlichtheit, Zurückhaltung), einmal mehr verdeutlichen. Die Ironie als rhetorischer Tropus findet sich als Einzelfigur, zum Beispiel in der als Lob getarnten Verunglimpfung. 30 Ironie wirkt also gegensätzlich, da hier bewusst ein Widerspruch nicht nur auf der sprachlichen Oberfläche, sondern auch auf der assoziativen Ebene erzeugt wird. Dies wirkt negatorisch. Die Bedeutung des eigentlichen Ausdrucks wird wieder abgeschwächt, so dass vom Rezipienten für die Entschlüsselung der Gleichzeitigkeit verschiedener Ebenen eine große situative Kompetenz abverlangt wird. 31 Ironie ist nicht gleich Ironie. In der Geschichte des Ironie-Begriffs kann man mindestens drei Verwendungsweisen unterscheiden. 32 Man kann die Ironie a) als Redewendung, also als rhetorischen Tropus verstehen (lat. ironia verbi), der einen Ausdruck durch einen semantisch entgegengesetzten Ausdruck ersetzt, wobei das Gemeinte durch die so genannten Ironie-Signale erkennbar ist. 33 Lob kann dann Zum Beispiel: ›Brutus is an honourable man‹ in William Shakespeares ›Julius Caesar‹ III.2; oder: ›Das hast du ja prima hingekriegt!‹, wenn etwas schief gegangen ist. Eine Unterform der Ironie ist die Antiphrasis, zum Beispiel ›Gutmensch‹ oder ›Eumeniden‹ (dt. Gnädige) für ›Rachegöttinnen‹. Der Euphemismus ist wiederum eine Sonderform der Antiphrasis. 31 Während die Ironie vom Gemeinten das Gegenteil aussagt, verneint die Litotes das Gegenteil des Gemeinten. Ironisch sagt man zum Beispiel von einem ungestalten Mann ›Das ist ein Adonis.‹ ; litotisch sagt man aber von diesem ›Das ist kein Adonis.‹ 32 Vgl. P. L. Oesterreich, Philosophen als politische Lehrer. Beispiele öffentlichen Vernunftgebrauchs, Darmstadt 1994, S. 110–111. 33 Vgl. H. Weinrich, Linguistik der Lüge, Heidelberg 1966, S. 61. Zu graphischen Ironiezeichen vgl. H. Bazin: Plumons l’oiseau. Editions Bernard Grasset, Paris 1966, 30

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zum Beispiel durch Tadel und Tadel durch Lob ausgedrückt werden. 34 Ironie kann b) als Lebensform (lat. ironia vitae) verstanden werden. 35 So weisen Aristoteles und Quintilian zum Beispiel auf die Dialogtechnik und Lebensführung von Sokrates hin. 36 Die Sokratische Ironie bezeichnet ein sich kleinmachendes Verstellen: Man stellt sich dumm, um den sich überlegen wähnenden Gesprächspartner in die Falle zu locken, ihn zu belehren oder ihn zum Nachdenken zu bringen. In gewisser Weise adaptiert auch Heidegger diese Form der Ironie. 37 Die Sokratische Ironie bezeichnet zumeist ein echtes Verstellen, will also im Gegensatz zur rhetorischen Ironie nicht unbedingt und sofort als Verstellung erkannt werden. Ein dritter, ontologischer Ironie-Begriff (lat. ironia entis) stammt aus der Romantik. So infinitisiert zum Beispiel Friedrich Schlegel die rhetorische Ironie in seinen Beiträgen zum Athenäum, indem er in der zur Philosophie erhobenen Poesie ständig den Widerstreit zwischen Ideal und Wirklichkeit zum Ausdruck bringt, indem er Illusionen permanent durchbricht. 38 Der romantische Ironie-Begriff zeichnet sich durch eine distanzierte Haltung zum eigenen Werk, zum Beispiel durch Einflechten von Reflexionen über das Schreiben des aktuellen Romans. Wie die Sokratische Ironie, aus der sie abgeleitet wurde, dient auch die Romantische Ironie vor allem dazu, beim Leser einen Bewusstwerdungsprozess in Gang zu setzen, um Dinge neu bzw. anders durchdenken zu können. Heidegger macht dabei keine Ausnahme. 39 Die Unterscheidung der drei Ironie-Begriffe zeigt an, dass vor allem die Ironie nicht allein aus dem substitutionstheoretischen ParaS. 142. Bazin übernimmt das umgekehrte Fragezeichen als Ironiesignal, entwirft aber noch weitere graphische Signale für Zweifel, Gewissheit, Zustimmung, Autorität usw. – darin gleicht sein Ansatz den heutigen Icons und Emoticons. 34 Das in dieser Definition beschlossene Gegensatzkriterium wurde besonders von Quintilian betont. Vgl. Quintilian, Institutio oratoria, a. a. O., IX.ii. (44). 35 Vgl. Cicero, De Oratore, a. a. O., II. Ixvii. (269). 36 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Stuttgart 2006, S. 49 (1108a), S. 111 f. (1127a); sowie Quintilian, Institutio oratoria, a. a. O., IX.ii. (46). 37 Besonders tritt das in den späten, der Mündlichkeit nachempfundenen Dialogen Heideggers zutage. 38 Friedrich Schlegel verbindet die Ironie mit der Parabase, einer Technik der Illusionsdurchbrechung in der attischen Komödie: In der Mitte des Stückes wird vom Chor eine Ansprache an das Publikum gehalten, die in keinem Zusammenhang mit der bisherigen Fabel der Komödie zu tun hat. Vgl. E. Behler, Klassische Ironie. Romantische Ironie. Tragische Ironie. Zum Ursprung dieser Begriffe. Darmstadt 1972. 39 Vgl. Kapitel 11 dieses Buches. Logik der Tropen

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digma objektstufiger Funktionalität innerhalb der Sprache zu begreifen ist, sondern ebenso wie die Metapher eine Ebene metastufiger Redemodi ausmacht, die auf interaktive, kommunikative und kooperative Praxiszusammenhänge verweist und neue Sinndimensionen erschließt. Das Verstehen von Ironie beruht nämlich im Allgemeinen auf geteilten oder zu teilenden Wissensbeständen, wobei beide Seiten, Sprecher und Hörer, von der Geteiltheit des Wissens wissen müssen. Nur so kann gegen die damit geteilten Regeln verstoßen werden, nämlich gegen die Erwartung, dass bestimmte Wissensbestände unantastbar sind. 40 Da erfolgreiche Ironieverwendung nicht nur von der erfolgreichen Reflexion auf das eigene Wissen, sondern auch vom erfolgreichen Erkennen des Wissens des Gegenübers zeugt, deutet die erfolgreiche Verwendung der Ironie auf gehobene intellektuelle Fähigkeiten hin. 41 Metapher und Ironie Vergleicht man nun die beiden Primärsprungtropen Metapher und Ironie miteinander, dann lässt sich feststellen, dass zwischen verschiedenen Inhalten hin und her gesprungen wird, um wahrscheinliche Ähnlichkeiten zwischen den Assoziations- oder Konnotationsfeldern der einzelnen Begriffe zu identifizieren. Die Ironie ist in noch größerem Maße als die Metapher Sprecher-Hörer-bezogen. Bei einer Metapher nimmt der ersetzende Begriff einen Teil der Assoziationen des ursprünglichen Begriffs auf. Auf diese Weise werden bestimmte Eigenschaften eines Begriffes hervorgehoben und andere Das macht im Übrigen Ironie auch zu einem ausgezeichneten Mittel der Kritik, der Satire und des Zynismus. 41 Ein theoretisches Modell für die Entschlüsselung der ironischen Äußerung bietet die Theorie der ›konversationellen Implikaturen‹ von Paul Grice. Vgl. ders., Studies in the Way of Words, Cambridge: Harvard University Press, 1989. Die konversationelle Implikatur macht es einem Sprecher möglich, mehr zu kommunizieren, als er eigentlich sagt. Der Hörer versteht aufgrund von Konversationsmaximen und Kooperationsprinzipien den Sprecher, selbst wenn die Sprechakte nicht logisch stringent aufeinander aufbauen. Wer damit rechnet, dass Ironie nicht verstanden werden könnte, kann das, was er sagt, durch besondere Betonung, Gesichtsausdruck oder Gesten und Mimik; das in der schriftlichen Form ironisch gemeinte Wort mit Anführungszeichen, Emoticons wie so genannten ›smilies‹, Inflektiven wie ›grins‹ oder ›zwinker‹, oder anderen Ironiesignalen kennzeichnen, damit der Zuhörer erkennt, dass der Sprecher weiß, dass das Gesagte falsch ist, das Gesagte somit als ironisch gemeint aufzufassen ist. Vgl. P. Grice, Logik und Konversation, in: G. Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Frankfurt am Main 1993, S. 243–265. 40

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unterdrückt. 42 Ironie wirkt entgegengesetzt. Hier wird nicht nur bewusst ein Widerspruch auf der formalen, sondern auch auf der assoziativen Ebene erzeugt. Die Ironie ist im Unterschied zur Metapher eine auf versteckte Weise ins Gegenteil kehrende und meist spöttische Äußerung, mit der der Sprecher die Erwartung verbindet, dass ihr wahrer Sinn verstanden wird, wenn auch vielleicht nicht von jedem (oder von jedem im vollen Umfang). Insofern sind für die Substitutionstheorie die Tropen der Metapher und der Ironie extreme Formen des tropischen Rede, die mehr als nur eine Rückkopplung und Übersetzung zum eigentlich zu Sagenden verlangen. Die primären Sprungtropen Metapher und Ironie lassen sich des Weiteren von den Grenzverschiebungstropen abgrenzen.

b)

Grenzverschiebungstropen

Der Rhetoriktheoretiker Heinrich Lausberg stellt den Sprungtropen die Grenzverschiebungstropen – auch Kontiguitätstropen bzw. Tropen der Nachbarschaftlichkeit genannt (von lat. contigu: anstoßend, angrenzend, benachbart) – zur Grobklassifizierung der Tropen gegenüber. Vereinfachend – aber zugleich verwirrend, weil ungenau – sprechen manche oft auch nur von einem ›metaphorischen‹ und einem ›metonymischen‹ Redemodus, da diese beiden Redemodi exemplarisch für die Einteilung Sprung- bzw. Grenzverschiebungstropen genutzt werden. 43 Da sich die Tropen der Rhetorik im substitutionstheoretischen Paradigma vor allem nach dem Grad der Distanz zwischen einem vermeintlich ›eigentlichen‹ und einem vermeintlich ›übertragenen‹ Ausdruck unterscheiden, stellt man sich ein Modell vor, in dem der Inhaltsbereich des ersetzenden Ausdrucks vom Inhaltsbereich des ersetzten Ausdrucks unterschiedlich weit in einem als Spektrum gedachten Feld verortet wird. Vergils Aeneis beginnt zum Beispiel mit den Worten »Arma virumque cano […]« (dt. »Ich singe von Waffen und dem Mann […]«). 44 Gemeint ist aber ›Ich singe von Kriegstaten und Aeneas …‹.

Vgl. die Metapherntheorien von M. Black und I. Richards, a. a. O. Vgl. R. Jakobson, Der Doppelcharakter der Sprache und die Polarität zwischen Metaphorik und Metonymik (1956), in: A. Haverkamp (Hrsg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 1983, S. 163–174. 44 Vergil, Aeneis, Düsseldorf 2009, S. 1 (1). 42 43

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Die Inhaltsbereiche von ›Kriegstaten‹ und ›Waffen‹ bzw. ›Aeneas‹ und ›Mann‹ liegen nahe beieinander, weil Aeneas ein bestimmter Mann ist, also einen Unterbegriff unter die Klasse ›Mann‹ darstellt. Dass ebenso auch ›singen‹ im übertragenen Sinne gemeint ist, ist offenbar. Es soll eine Würdigung anzeigen, die im sachlichen Wort ›berichten‹ oder im vertraulichen Wort ›erzählen‹, aber ebenso nicht im Wort ›huldigen‹ so enthalten ist, da hier das narrative Moment fehlt. Alle genannten Verben gehören aber in nachbarschaftliche Inhaltsbereiche, denn es sind alles verbale Äußerungen, die Sprechakte redender Würdigung ausdrücken. Grenzverschiebungstropen erscheinen weit weniger problematisch zu sein als Sprungtropen. Dieser Schein trügt. Die beiden zentralen Grenzverschiebungstropen sind die Metonymie, gr. μετωνυμία (metonymía) (dt. Namensvertauschung, Umbenennung; auch lat. denominatio oder transnominatio), und die Synekdoche, gr. συνεκδοχή (synekdoché) (dt. Mitverstehen). 45 b)a) Die Metonymie Im substitutionstheoretischen Paradigma ersetzt die Metonymie den eigentlichen Ausdruck durch einen anderen, der zum ersetzten in einer realen Beziehung qualitativer Art besteht. 46 Diese Beziehung kann entweder kausal, räumlich oder zeitlich sein. Ein Ausdruck wird in nicht-wörtlicher Weise derart gebraucht, dass zwischen der wörtlich (lexikalisiert) bezeichneten und der im übertragenen Sinn gemeinten Sache eine Beziehung der Kontiguität, also der Nachbarschaft oder realen sachlichen Zusammengehörigkeit (lat. proximitas) besteht. Die vielen metonymischen Ersetzungsformen, die es gibt, können auf vier grundlegende zurückgeführt werden. Das sind a) Ursache-Wirkungs-Beziehungen, b) Rohstoff-Erzeugtes-Beziehung, c) Gefäß-Inhalts-Beziehung und d) Besitzer-Besitztum-Beziehung. In die Kategorie Ursache-Wirkungs-Beziehung gehört zum Beispiel die Metonymie ›Heidegger lesen‹ oder ›Alexander eroberte Persien‹. Diese Art der metonymischen Ersetzung führt komplexe Wirkungen

Zu den Grenzverschiebungstropen zählt Lausberg darüber hinaus auch die sekundären Tropen der Periphrase, die Litotes und die Hyperbel. Sie sind auf den Primärtropus der Metonymie zurückzuführen. 46 Vgl. D. Peil, Artikel: Metonymie, in: A. Nünning, Metzler Lexikon Literatur und Kulturtheorie, Stuttgart et al. 2001, S. 436 f. 45

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auf einfache Ursachen zurück. Es gibt sehr viele Metonymien dieses Typs. Auch die Umkehrung ist üblich, sodass die Wirkung für die Ursache genommen wird, zum Beispiel ›Krach‹ für ›Streit‹. Zur zweiten Kategorie gehört zum Beispiel ›Eisen‹ für ein Schwert, das aus Eisen geschmiedet ist. 47 Wenn wir aber sagen ›ein Glas trinken‹, dann ist damit der dritte Metonymie-Typ gemeint. Dabei kann als Gefäß auch ein Ort oder eine Zeitdauer verstanden und werden oder der Inhalt ebenso Personen oder Sachen umfassen, zum Beispiel ›der Hörsaal tobt‹, oder: ›die Bildung geht zugrunde‹. Auch Körperteile statt Eigenschaft zu benennen, ist beliebt, zum Beispiel ›Köpfchen haben‹ für ›schlau sein‹. Oft verwendet werden auch Ersetzungen, die eine Abstraktum-Konkretum-Beziehung eingehen, zum Beispiel ›die Jugend flippt aus‹ statt ›die Jugendlichen flippen aus‹. Symbole werden genommen, um bestimmte Funktionen oder Rollen auszudrücken, zum Beispiel ›das Szepter aus der Hand geben‹ für ›die Herrschaft abgeben‹ usw. Die Bandbreite metonymischer Ausdrucksformen ist sehr variantenreich und vielfältig. 48 Werden im substitutionstheoretischen Paradigma Sprungtropen, wie die Metaphern, als Verbindung von weit entfernten Begriffsfeldern aufgefasst, die nur durch einen ›Sprung‹, oder durch den Spagat der Ähnlichkeitsherstellung verstanden werden können, so werden die Ausdrücke des Gemeinten einer Grenzverschiebungstropen-Relation als Glieder aufgefasst, die sich in einem angrenzenden bzw. nachbarschaftlichen Verhältnis befinden. Auf diese Weise kann ›Dach‹ für ›Hütte‹ stehen, ›Kopf‹ für ›Geist‹, ›der Mensch‹ für dessen artspezifische Eigenschaften. Sie bilden damit die Grundlage für generische Aussagen. Metonymische Relationen gibt es auch in umgekehrter Form. So kann auch die Wirkung für die Ursache stehen, zum Beispiel ›Krach‹ für ›Streit‹ und ›Wein‹ für ›ein Glas oder eine Flasche Wein‹. Oft bemerken wir gar nicht mehr, dass es sich um metonymische Ersetzungsrelationen handelt, da uns das Verfahren beinahe genauso selbstverständlich und damit unauffällig ist wie der Gebrauch lexikalisierter Metaphern. Die unterschiedlichen Typisierungsversuche der Metonymie sind oft nur Aufzählungen ohne

Dies ist die einzige Form der Metonymie, bei der eine Umkehrung unüblich ist. G. Radden und Z. Kövesces unterscheiden 49 verschiedene metonymische Ersetzungsrelationen. Vgl. dies., Towards a Theory of Metonymy, in: K.-U. Panther und G. Radden (eds.), Metonymy in Language and Thought, Amsterdam et al. 1999, S. 17–59.

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einen Anspruch auf System oder logische Stringenz und Vollständigkeit. Neben der Metonymie ist vor allem die Periphrase ein solcher Grenzverschiebungstropus. Periphrasen umschreiben einen Sachverhalt oder Begriff, zum Beispiel ›der Allmächtige‹ als nähere Charakteristik für ›Gott‹ ; ›das Auge des Gesetzes‹ für die Unhintergehbarkeit der ›Justiz‹ oder des ›Rechtssystems‹ ; ›Halbgötter in Weiß‹ für – in diesem Falle ironisch gefärbte – Macht über Leben und Tod von ›Ärzten‹. Solche Periphrasen ersetzen den Begriff durch die Beschreibung eines wesentlichen Teils, auf das es für die anschließende Argumentation innerhalb eines praktischen Kontextes ankommt. Ihr Prinzip ist ebenso wie bei Metonymien umkehrbar. Die Periphrase ist ein Grenzfall tropischer Uminterpretation, weil sie im Idealfall die volle Deckung zwischen dem Begriffsinhalt des verbum proprium und dem des tropischen Ausdrucks darstellt und somit als Quasi-Synonym zu werten ist. 49 Damit entspricht sie teilweise dem Kriterium für Definitionen. »Die der Periphrase entsprechende Gedankenfigur [ist, BK] die Definition. […] Eine den Begriffsinhalt voll erfassende und begrenzende philosophisch-wissenschaftliche Periphrase (als Entsprechung der vollkommenen Definition […]) wäre als ein (wenn auch durch eine Wortfügung ausgedrücktes) Synonym des verbum proprium aufzufassen […]. Meist will der Redende aber die philosophisch-wissenschaftliche Periphrase vermeiden und der Periphrase (wie der Definition […]) eine verfremdende […] oder parteiische […] Tendenz geben.« 50 Eine Definition wie zum Beispiel ›Dattel Frucht der Dattelpalme‹ lässt sich also auch so verstehen: ›Frucht der Dattelpalme‹ für ›Dattel‹, da sie Begriffe durch Anschauungen aus nahe liegenden Begriffsfeldern bestimmt. Die Definition hat insofern auch eine Verwandtschaft zur Antonomasie, das heißt einer metonymischen Redefigur, bei der an die Stelle eines Eigennamens eine bezeichnende Eigenschaft, oder Apposition, synonym gesetzt wird, zum Beispiel ›der Sohn der Aphrodite‹ für eine nähere Bezeichnung des Verwandtschaftsverhältnisses von ›Amor‹ oder ›der Weltschöpfer‹ für eine wesentliche Funktion von ›Gott‹. 50 Zur Intensivierung der Verfremdung tritt die Periphrase häufig als kombinierter Tropus auf: Entweder 1. als mythologische Anspielung; 2. als Metapher, 3. als metaphorische oder sonstige konkretisierende Füllung abstrakter Begriffe, zum Beispiel wird der Begriff ›immer‹ durch die Dauer der Naturordnung oder der Begriff ›niemals‹ durch das Eintreten einer Naturunmöglichkeit konkretisiert usw., 4. als abstrahierende Synekdoche oder Metonymie, zum Beispiel in der Frage ›Wollt ihr heiraten?‹. Grundsätzlich aber dient die Periphrase dem Ausdruck des durch den konventionellen Wortschatz überdeckten kompositen Charakters der konkreten Wirklichkeit. H. Lausberg, Elemente der literarischen Rhetorik, a. a. O., S. 68. 49

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Definitionen fallen somit in den Bereich metonymischer Nahbeziehungen von Bedeutungsfeldern. b)b) Die Synekdoche Die verschiedenen modernen Ansätze innerhalb des Bemühens um eine aussagekräftige und funktionable Figurenklassifizierung bestimmen die Synekdoche unterschiedlich, da sie sie in Bezug auf die Metonymie bewerten, für die es auch keine kanonische Regelung gibt. Die Synekdoche (lat. conceptio oder intellectio) meint zunächst wörtlich übersetzt ein ›Mitverstehen des Angedeuteten‹ (gr. syn: ›mit‹ und ekdochein: ›verstehen‹ ; zu gr. συνεκδοχή bzw. συνεκδοχικός und συνεκδέχομαι: ›nur andeutend‹ bzw. ›durch Andeutungen bezeichnend‹). Im Allgemeinen werden in der Substitutionstheorie zwei Typen der Synekdoche unterschieden: a) die Synekdoche vom Weiteren oder die generalisierende Synekdoche und b) die Synekdoche vom Engeren oder die partikularisierende Synekdoche. 51 Als stilistisches Mittel dient sie in beiden Fällen zur Vermeidung von Wortwiederholungen. Sie kann aber auch andere rhetorische Effekte, zum Beispiel Verfremdung oder Komik, bewirken. Die generalisierende Synekdoche (lat. totum pro parte) setzt das Ganze für den Teil, zum Beispiel Heideggers provozierende Behauptung ›Die Wissenschaft denkt nicht‹ oder ›(ganz) Deutschland hat Angst vor der Vogelgrippe‹. Das Ganze (Wissenschaft/Deutschland) steht für eine nicht genau zu ermittelnde Anzahl seiner Teile, da nicht unbedingt jeder Deutsche die Vogelgrippe fürchtet oder gar kein Wissenschaftler denken könnte. Das generalisierende Wort ›ganz‹ wird in Gedanken oft ergänzt, ohne ausgesprochen zu werden. Ein anderes Beispiel dieser generalisierenden Synekdoche ist, wenn die Gattung für die Art steht, zum Beispiel bei ›die Sterblichen‹ für ›die Menschen‹ ; den Plural für den Singular wie im Pluralis Majestatis ›Wir‹ für ›ich‹, zum Beispiel in der rhetorischen Wendung ›wie wir alle wissen‹. So definiert auch die französische Rhetorik: »La synecdoque est donc une espèce de métonymie, par laquelle on donne une signification particulière à un mot, qui, dans le sens propre, a une signification plus génerale; ou, au contraire, on donne une signification générale à un mot qui, dans le sens propre, n’a qu’une signification particulière. En un mot, dans la métonymie, je prends un nom pour un autre, au lieu que dans la synecdoque je prends le plus pour le moins ou le moins pour le plus.« Vgl. C. C. Dumarsais, Traité des tropes, Bd. II, a. a. O., S. 4. Die Umkehrung der Relation zwischen Rohstoff und Fertigfabrikat ist allerdings nicht üblich.

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Die partikularisierende Synekdoche (lat. pars pro toto) setzt den Teil für das Ganze, zum Beispiel ›den Kopf nicht verlieren‹ für ›den Überblick über einen Sachverhalt behalten‹ oder ›unter meinem Dach‹ für ›in meinem Haus‹, die Art (Besondere) für die Gattung (Allgemeine), zum Beispiel ›Brot‹ für Nahrungsmittel in dem Aufruf ›Brot für die Welt!‹ oder der ›Ring‹ für die ›Ehe‹, und den Singular für den Plural, zum Beispiel ›Der Deutsche (an sich) liebt die Ordnung‹. Hierbei wird formal nur angegeben, dass ein Individuum (der Deutsche) eine bestimmte Eigenschaft (ordnungsliebend) aufweist. Gemeint ist aber das gesamte Kollektiv der Deutschen, dem hier pauschal ein bestimmtes Charakteristikum zugeschrieben wird. Es handelt sich also um eine Synekdoche, wenn eine quantitative Teilung oder Zusammenfassung vorliegt. Dabei steht entweder ein Teil für sein Ganzes – oder umgekehrt: das Kollektiv repräsentiert ein Individuum. Metonymie und Synekdoche In der Substitutionstheorie ersetzt die Synekdoche im Unterschied zur Metonymie einen semantisch weiteren durch einen semantisch engeren Ausdruck oder umgekehrt. Die Synekdoche lässt sich insofern als Metonymie quantitativer Beziehung – im Unterschied zur Metonymie als Beziehung qualitativer Art – bezeichnen. Qualität und Quantität bilden nach dieser Einteilung das entscheidende Kriterium der Unterscheidung von Metonymie und Synekdoche. Aus den verschiedenen Beispielen für Metonymien und Synekdochen zeigt sich jedoch, dass offenbar nicht ganz klar ist, was unter eine ›Qualität‹ und was unter eine ›Quantität‹ zu fallen hat. Die Metonymie ›Köpfchen haben‹ ist sowohl als quantitative Teil-Ganzes-Beziehung aufzufassen, da ja ein Körperteil für das Ganze steht, als auch als qualitative, weil mit ›Kopf‹ ›Vernünftigkeit‹ und ›Schläue‹ verbunden wird. Ebenso verhält es sich bei ›Tausend Segel‹ für ›Tausend Schiffe‹ oder ›Dach‹ für ›Hütte‹. Wenn und insofern man also pars pro totound totum pro parte–Relationen als Fälle der Kontiguität, also Nachbarschaft auffasst, so könnte man – wie Peter Koch dies tut – die Synekdoche auch als eine besondere Form der Metonymie bestimmen. 52 Vgl. P. Koch, Frame and Contiguity. On the Cognitive Bases of Metonymy and Certain Types of Word Formation, in: K.-U. Panther und G. Radden (eds.), Metonymy in Language and Thought, a. a. O., 139–168, hier S. 154; St. Ullmann, Semantics. An Introduction to the Science of Meaning, Oxford 1962, S. 212; P. Shifko, Die Me-

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»Separating metonymy and pars/totum relations and (other) contiguities is often not so easy to pin down. […] Behind […] possible differences and uncertainties, we nevertheless perceive a fundamental constant: the pars/ totum tropes, like any metonymic trope, involve a figure/ground effect: in pars pro toto, the totum – as a ground that becomes the figure – is a whole frame, and the pars – as a figure that becomes the ground – is one of the concepts of this frame (and vice versa for totum pro parte).« 53

Für Lausberg ist die Synekdoche eine Unterform der Grenzverschiebung innerhalb des Begriffs-Inhaltes im Unterschied zur Metonymie als Grenzverschiebung außerhalb des Begriffs-Inhaltes. Die Synekdoche besteht für Lausberg also in einer Verschiebung der Benennung der gemeinten Sache innerhalb der Ebene des Begriffsinhalts, wobei die Grenze des Begriffsinhalts von der tropischen Benennung überschritten oder unterschritten werden kann. Es gibt also eine Synekdoche vom Weiteren und eine Synekdoche vom Engeren bzw. vom Ferneren und Näheren. Mit der Synekdoche gehen entweder Bedeutungsverengungen oder Bedeutungserweiterungen einher. Die nachbarschaftliche Verschiebung der Grenze des Begriffsinhaltes eines Wortkörpers kann innerhalb der Ebene des Begriffsinhaltes selbst verlaufen, oder aber diese, wie bei der Metonymie, verlassen. Wie die Metapher und die Metonymie, von denen sich die Synekdoche nicht immer eindeutig abgrenzen lässt, gibt es für die Synekdoche mehrere so genannte Habitualisierungsgrade, das heißt Grade, die anzeigen, wie nah oder fern Substituens und Substitut sind. Eine besondere Form der Synekdoche ist die Antonomasie 54, die einen Eigennamen durch eine Beschreibung ersetzt, zum Beispiel tonymie als universales sprachliches Strukturprinzip. Grazer Linguistische Studien 10, 1979, S. 240–264, hier S. 247; G. Lakoff and M. Johnson, Metaphors we live by, a. a. O., S. 36; W. Croft, The role of domains in the interpretation of metaphors and metonymies, Cognitive Linguistics 4, 1993, S. 335–370, hier S. 350; B. Warren, Sense Developments. A Contrastive Study of the Development of Slang Senses and Novel Standards Senses in English, Stockholm, Almquist et al., 1992, S. 64 ff.; A. Blank, Copresence and Succession. A Cognitive Typology of Metonymy, in: K.-U. Panther und G. Radden (eds.), Metonymy in Language and Thought, a. a. O., S. 169–192; K.-i. Seto, Distinguishing Metonymy from Synecdoche, in: K.-U. Panther und G. Radden (eds.), Metonymy in Language and Thought, a. a. O., S. 91–120. 53 P. Koch, Frame and Contiguity, a. a. O., S. 154. 54 Die Antonomasie ist eine auf Eigennamen angewandte Variante der Periphrase oder der Synekdoche. Ein beliebter Ort der Anwendung ist das Proömium erzählender Dichtungen, wo der Tropus entweder der Umschreibung der Hauptperson dient, in den Stoff eingeführt wird, eine übergeordnete Macht um Inspiration angerufen wird oder um wohlwollende Aufnahme des Gehörten durch den Leser gebeten wird. Logik der Tropen

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›der letzte Ritter‹ für Kaiser Maximilian I., oder umgekehrt in: ›Ich bin doch kein Krösus!‹. Wenn die Art durch die Gattung ausgedrückt wird, dann kann diese Art der Synekdoche auch eine unvollständige Periphrase sein. Die Grenzen zwischen Synekdoche und Metonymie sind also fließend. Aus substitutionstheoretischer und stilistischer Sicht wird diese Art der Synekdoche besonders häufig verwendet, um im Kontext die Wiederholungen eines die Art bezeichnendes Wortes zu vermeiden. Neben den genannten Varianten der Synekdoche weist Lausberg auf weitere Formen, zum Beispiel die synedoche per numeros, die er auch als grammatisches schema per numeros auffasst, zum Beispiel bei ›der Vierte‹. Darüber hinaus kann auch die Symbol-Beziehung eine Form der Synekdoche sein. Eine solche Symbolbeziehung kann aber auch eine metonymische sein. Läuft diese Grenzverschiebung innerhalb des Begriffsinhaltes, so kann sie wiederum entweder mehr im Dienste des ornatus, also des Schmuckes, liegen oder im Dienste der steigernden amplificatio, also der Erweiterung der Vorstellung, stehen. 55 So bezeichnet der Sekundärtropus der Emphase 56 nur eine redetaktische Verdeckung. Gleichwohl ist sie mit der Synekdoche vom Weiteren und mit der Antonomasie verwandt. Beide kommen als deren Form vor, worin sich die Rückführbarkeit von Sekundärtropen auf Primärtropen zeigt. Problematisch an der Unterscheidung von Sprung- und Grenzverschiebungstropen, wie sie in der Substitutionstheorie von Lausberg vorliegt, ist, dass offenbar eine klare Unterscheidung zwischen Metonymie und Synekdoche nicht möglich ist. Zwischen den Tropen gibt es offenbar eine Art Spektrum, das von der Synonymie bis zur Antonymie reicht. Bei geringerer Distanz spricht Lausberg von Grenzverschiebungstropen, bei größerer von Sprungtropen. Gering oder groß sind aber Relations- bzw. Vergleichsworte, die für eine exakte Taxonomierung und anschließende Klassifizierung ungeeignet sind, wenn nicht klar ist, woraufhin der Vergleich stattzufinden hat, und außerdem stark kontextgebunden ist.

Vgl. H. Lausberg, Elemente der literarischen Rhetorik, a. a. O., S. 69 u. S. 73. Die Emphase (von gr. ἐμφαίνω – anschaulich machen, zeigen, an den Tag legen) umschreibt und veranschaulicht etwas besonders deutlich. Als gesteigerte Form des Ethos ist sie in gewisser Weise das Pendant zum Pathos, in dem das eigene Mitleiden und Erschauern zum Ausdruck kommt.

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2. Eine weiterführende Klassifizierung innerhalb der Substitutionstheorie stammt von Roman Jakobson. 57 Er differenziert zwischen zwei fundamentalen semantischen Operationen: der Similaritätsoperation und der Kontiguitätsoperation, die von ihm auch als metaphorischer und metonymischer Weg bezeichnet werden können.

c)

Similaritätstropen

Im Falle der Similarität wird semantisch Gleichartiges ersetzt. Die Beziehung zwischen ›wörtlich Gesagtem‹ und dem ›übertragen Gemeinten‹ ist eine Beziehung der Ähnlichkeit. Diese Beziehung der Ähnlichkeit teilt sich die Metapher mit der Allegorie. Die Allegorie (gr. ἀλληγορία von ἀλληγορέω – etwas anders ausdrücken, bzw. ich sage etwas anderes) ist als Similaritätstropus eine Form indirekter Aussage, bei der eine Sache (Ding, Person, Vorgang) aufgrund von Ähnlichkeits- und/oder Verwandtschaftsbeziehungen als Zeichen einer anderen Sache (Ding, Person, Vorgang, abstrakter Begriff) eingesetzt wird. Unter Allegorie wird demzufolge eine über das Einzelwort hinaus fortgesetzte Metapher verstanden. 58 So wird aus der Metapher ›Staatsschiff‹ eine Allegorie in dem Satz: ›Das Staatsschiff droht an den Klippen der Arbeitslosigkeit zu zerschellen‹. Jakobson betont also weniger den Sprungcharakter und damit die Kluft der sprachlichen Bedeutungsfelder als vielmehr die Ähnlichkeitsherstellung als Prozess des Verstehens von Metaphern.

Vgl. R. Jakobson, Der Doppelcharakter der Sprache und die Polarität zwischen Metaphorik und Metonymik, in: A. Haverkamp (Hrsg.), Theorie der Metapher, a. a. O., S. 163–174. 58 Es gibt jedoch auch noch andere Definitionen der Allegorie: Für den Literaturhistoriker ist eine Allegorie zum Beispiel ein abgeschlossener Text oder ein größeres Textsegment, dessen Sinn sich erst durch den Verweis auf eine zweite Bedeutungsebene ergibt, wobei der vordergründige Textsinn eher belanglos ist, zum Beispiel im Titel Animal Farm von George Orwells Utopieentwurf. Dagegen setzt der Kunsthistoriker die Allegorie oft mit der Personifikation gleich: Die Frau mit den verbundenen Augen und Schwert und Waage in den Händen ist eine Allegorie der Gerechtigkeit; oder Albrecht Dürers Radierung Melancholia. Ähnlich wie bei der Ironie kann die Allegorie mit bestimmten Entschlüsselungssignalen versehen sein, muss es jedoch nicht. 57

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d)

Kontiguitätstropen

Von der Similarität unterscheidet Jakobson das Prinzip der Nachbarschaftlichkeit (Kontiguität), das mit Lausbergs Grenzverschiebungstropus vergleichbar ist. Gegenüber den Similaritäts-Tropen stützen sich die Kontiguitäts-Tropen bei Jakobson auf die semantische Nachbarschaft der Substitutionselemente. So stehen zum Beispiel ›Hütte‹ und ›Strohdach‹ in einer nachbarschaftlichen, metonymischen Verbindung, denn von einer Hütte kann gegebenenfalls ausgesagt werden, dass sie ein Strohdach besitzt. Bei Nachbarschaftstropen herrscht eine prädikative Relation zwischen dem zu ersetzendem Ausdruck und dem ersetzten Ausdruck vor. 59 Insgesamt zeigt die Kontiguität alle Eigenschaften, die auch Lausbergs Grenzverschiebungstropen zeigen. Der wesentliche Unterschied von Jakobsons zu Lausbergs Einteilung besteht in der Beurteilung der Funktion der Metapher als Verähnlichungsprinzip. Der Fokus ist von den Bedeutungsfeldern, die miteinander in Verbindung treten, hin zur Funktion gerückt, während die Nachbarschaftlichkeitsbeschreibung nicht die Funktion thematisiert, sondern die Situierung der Bedeutungsfelder, die in Verbindung treten und substituiert werden. Während sich in Lausbergs Einteilung alle vier Primärtropen in ein gemeinsames Raster von Sprung- und Grenzverschiebung einbringen lassen, so ist das bei Jakobson aufgrund der unterschiedlichen kategorialen Einteilung nicht möglich. Die Ironie würde dann wiederum eine ganz eigene Kategorie benötigen, da sie sich weder auf Similarität noch auf Kontiguität reduzieren lässt. Aber auch Lausbergs Einteilung der Ironie in die Kategorie Sprungtropus überzeugt nicht vollständig. In beiden objektstufigen Einteilungen wird die handlungsbezogene Ebene außen vor gelassen, die wesentlich für das Verständnis und den Gebrauch von Ironie ist. 3. Als drittes Beispiel für einen substitutionstheoretischen Klassifizierungsversuch der Tropen kann die systematische Rhetorik von Heinrich Plett dienen. 60 In dessen ›normativer Stilistik‹ werden eine Reihe von Kontiguitätstropen wie Synekdoche, Antonomasie, PeriAls Beispiel dient die Periphrase, aber auch die Metonymie, die Litotes oder die Hyperbel. 60 Vgl. H. F. Plett, Systematische Rhetorik. Konzepte und Analysen, München 2000. 59

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phrase und Metonymie untergliedert. Ihnen werden unterschiedliche Bereiche zugesprochen. Bei Heinrich Plett werden diese Unterschiede vereinfacht und alle Formen letztlich unter die Metonymie subsumiert. Er beschäftigt sich eingehend mit der Periphrase. Plett bestimmt die Periphrase aber als eine textologische Metonymie und beruft sich auf Quintilian. 61 Dessen Definition besagt, dass ein textologisches Semem an die Stelle eines kleineren tritt, wobei in der Regel das größere Semem Merkmale wie partikular, akzidentell, verursacht und das kleinere Merkmale wie generell, substantiell, ursächlich trägt. Die Folge ist die Zersplitterung eines semantischen Textkerns in eine Vielzahl von Details. Die Zersplitterung bringt das Phänomen der inneren Anschauung bzw. der Vorstellung näher. Plett macht das deutlich an Goethes Wilhelm Meisters theatralische Sendung 62. Dort findet sich zu Beginn des vierten Buches das Gedicht, auf dessen erste Strophe sich Pletts Interpretation der Periphrase beschränkt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, Im grünen Laub die Goldorangen glühn, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und froh der Lorbeer steht, Kennst du es wohl? Dahin! Dahin Möcht’ ich mit dir, o mein Gebieter, ziehn!

Ich zeichne Pletts Argumentation knapp nach: Die Gedichtstrophe besteht aus zwei Sätzen, deren erster eine Periphrase enthält, die in der zweiten und dritten Strophe ihre Fortsetzung findet. Das Land ist Italien. An die Stelle eines Namens sind in dem Lied seine Eigenschaften vertreten. Für Plett handelt es sich um eine antonomasische Periphrase: Das Ganze (Italien) wird in seine Bestandteile (Zitronen, grünes Laub, Goldorangen …) zergliedert. Dadurch wird es konkretisiert. Gleichzeitig wird es dadurch aber ›verrätselt‹. Diese Verrätselung unterstreicht einmal mehr die Frageform. Die Zergliederung wird besonders im ersten Satz augenfällig. Man kann – und Plett hat Quintilian, Inst. Or. VIII, vi. 59 ff.; vgl. auch H. F. Plett, Systematische Rhetorik, a. a. O., S. 197. 62 Siehe J. W. v. Goethe, Wilhelm Meisters theatralische Sendung, Frankfurt 1960, S. 155; in: H. F. Plett, Systematische Rhetorik, a. a. O., S. 198. 61

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das getan – diesen Satz in einfache Aussagesätze überführen: Es gibt ein Land. Das Land hat Zitronen. Die Zitronen blühen. Das Land hat Orangen. Die Orangen sehen ›golden‹ aus. Die Goldorangen ›glühen‹ im Laub. Das Laub ist grün. Im Land gibt es Wind. Der Wind ist ›sanft‹. Der Wind weht. Der Wind weht vom Himmel. Der Himmel ist blau. Das Land hat Myrten. Die Myrten ›stehen still‹. Das Land hat Lorbeer. Der Lorbeer steht ›froh‹. – Die Analyse stellt heraus, dass die Periphrase aus fünf einzelnen Metonymien besteht, die ihrerseits wiederum Metonymien sind. In ›die Zitronen blühn‹ substituiert die Wirkung (Zitronen) die Ursache (Zitronenbaum). Im vierten Vers tritt der Singular zweimal an die Stelle des Plurals und bildet so eine Synekdoche. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Metaphern. Diese sind meist anthropomorphisierender Art (sanft, still, froh). In den Versen 1 bis 4 sind demnach, so Plett, zwei tropische Größenordnungen zu verzeichnen: ein ›textologischer Rahmentropus‹, die Periphrase des Namens Italien, und mehrere ›morphologische Binnentropen‹, die teils metonymisch, teils metaphorisch sind. Die potenzierte Tropisierung ist begleitet von einer Reihe anderer Figuren: prosodischen (Vers), klanglichen (Paarreim) und syntaktischen (Parallelismus, Chiasmus), die die Ästhetizität des Textes steigern. Hinzu kommt, dass der Text der Strophe in eine lyrische Kommunikationssituation eingebettet ist, die sich in dem Wechselspiel zweier pragmatischer Figuren vollzieht: der Frage und des Ausrufs. Der Ausruf (lat. exclamatio) bleibt in Strophe 1 und 2 identisch. In Strophe 3 ist er leicht variiert. Insgesamt bildet er den Refrain des Gedichtes, ist also eine Form der textologischen Wiederholung. Die Frage ist in allen Strophen durchaus als ›rhetorische Frage‹ aufzufassen (lat. interrogatio), denn die Antwort auf sie erübrigt sich, weil die Bestandteile der Periphrase konkret genug sind, um Italien mit großer Sicherheit zu identifizieren. 63 Auf ebensolche Weise wie diese kurze Gedichtinterpretation funktionieren alle Beschreibungen von Phänomenen. Die Periphrase als Unterform der Metonymie macht also deutlich, dass selbst die einfachen Basissätze der Zuordnung von Eigenschaften zur Beschreibung von Phänomenen einen tropischen Charakter besitzen. Es kann demzufolge nicht länger von einer Devianz tropischer Rede gesprochen werden. Daraus ergibt sich ein Kritikpotential gegenüber dem noch immer dominierenden substitutionstheoretischen Tropenansatz. 63

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6.1.1 Kritik an der Substitutionstheorie der Tropen Obwohl auch Plett dem substitutionstheoretischen Paradigma anhängt, weist er selbst kritisch darauf hin, dass in der Frage der Merkmalshierarchie die Linguistik leider bisher keine endgültige Antwort zu geben vermochte. Er gibt zu bedenken, dass, selbst wenn sich für alle möglichen Bedeutungen einer Sprache eine generelle Sempyramide konstruieren ließe, das Problem aus pragmatischer Sicht trotzdem ungelöst bliebe, weil nicht sicher gestellt werden könne, dass nicht der Rezipient eine ganz andere Poetizitätsskala errichtete. 64 Mit Plett kann vielmehr zum Stand der rhetorischen Tropenforschung gesagt werden, dass »der ganze Umfang der Problematik […] bisher noch unzureichend erforscht [ist und, BK] die Meinungen […] in den Einzelheiten teilweise weit auseinander« gehen. 65 Betrachtet man diese drei verschiedenen substitutionstheoretischen Ansätze, dann fällt zunächst auf, dass die verschiedenen Aufteilungen, Klassifizierungen und Taxonomien der Tropen nicht einheitlich, sondern oftmals unsystematisch, inkonsequent und relativ beliebig erfolgen. 66 Es wird zwar immer wieder versucht, die verschiedenen Tropen in ein einheitliches Schema zu pressen, dies ist bisher jedoch noch nicht gelungen. Die bisherigen Systematisierungsversuche sind entweder an den Quintilianschen Abänderungsmöglichkeiten orientiert wie zum Beispiel bei Lausberg und Plett. 67 Oder sie legen linguistische 68, semiotische 69 oder ideengeschichtliche 70 Gliederungsprinzipien zugrunde. Pletts normative Stilistik überzeugt also ebenso wenig wie die Klassifizierungsvorschläge von Lausberg oder Jakobson. Ebenda, S. 179 f. Ebenda, S. 180. 66 Ebenda, S. 191 f. 67 Vgl. H. Lausberg, Handbuch der Literarischen Rhetorik, Stuttgart 2008; und H. F. Plett, Systematische Rhetorik, a. a. O. 68 Zum Beispiel bei G. N. Leech, Principles of pragmatics, London et al. 1983; und J. Dubois et al., Allgemeine Rhetorik, München 1974. 69 Zum Beispiel bei G. Bonsiepe, Visuell/verbale Rhetorik (1966), in: Ulmer Zeitschrift der Hochschule für Gestaltung, 9. Jg. 1966, Nr. 14, S. 23–40; oder bei U. Eco, Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen, München 1987. 70 Zum Beispiel K. Dockhorn, Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus in der Literatur- und Geistesgeschichte, in: Macht und Wirkung der Rhetorik. Vier Aufsätze zur Ideengeschichte der Vormoderne. Bad Homburg 1968, S. 46– 95; D. Breuer, Einführung in die pragmatische Texttheorie, München 1974. 64 65

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Inzwischen wurde von Ken-ichi Seto ein Differenzierungsangebot unterbreitet, das Beachtung verdient. 71 Dieses Angebot betrifft die für meine These entscheidende Unterscheidung der beiden Tropen Metonymie und Synekdoche. Die traditionelle Rhetorik hat die Synekdoche als Verhältnis von Ganzem zum Teil und damit selbst als Teil der Metonymie beschrieben, ohne zwischen Ganzem-Teil- und ArtGattungs-Relationen zu unterscheiden. Daraus folgte, dass es keine bedeutungsvolle Unterscheidung der beiden Tropen bis heute gibt. Die Metonymie ist nach Seto dadurch gekennzeichnet, dass sie einen ›referential transfer‹ auf der Grundlage der Kontiguität zwischen einer Entität und einer anderen in der realen Welt bedeutet, von denen es drei Kategorien gibt: räumliche (spatial), zeitliche (temporal) und abstrakte (abstract). Alle dieses Beziehungen sind durch ein gemeinsames Charakteristikum verbunden: Die Kontiguität in der Welt wird von den Sprechern erzeugt. Den entscheidenden Unterschied entdeckt Seto in der Verschiedenheit ihres ›transfers‹ : Die Metonymie ist ›entitätsbezogen‹ (E-relation), während die Synekdoche ›kategoritätsbezogen‹ (C-relation) ist. 72 »This is the essence of the E-relation on which metonymy is based. And it should not be confused with the C-relation that provides the cognitive basis for synecdoche […].« 73 Das heißt, die ursprüngliche Synekdoche wird zerteilt in eine internalisierte konsistente und eine externalisierte unabhängige Kategorie. Entitäten und Kategorien sind kognitiv aber zwei verschiedene Sachverhalte. Die ERelation, die eine Kontiguitätsbeziehung zwischen einer Entität und einer anderen in der Welt ausdrückt, ist demzufolge unterscheidbar von der C-Relation, die eine konzeptuelle Relation zwischen einer mehr oder weniger weiten bzw. umfassenden Kategorie bedeutet. Bei Ken-ichi Seto kommen die Synekdochen also als mehr (Gattung, Ganzes) oder weniger (Art, Teil) umfassende ›Kategorie‹ vor, zum Beispiel: Der Junge, der zum Eierkaufen geschickt wird, bringt natürlich Hühner- und nicht Reptilieneier mit. Das heißt, Eier (Gattung, lat. genus) stehen hier für das Hühnerei (Art, lat. species). Ebenso kann der ›Stein‹ für den ›Juwel‹ stehen. Der kategoriale Transfer baVgl. K.-i. Seto, Distinguishing Metonymy from Synecdoche, in: K.-U. Panther und G. Radden (eds.), Metonymy in Language and Thought, Amsterdam et al. 1999, S. 91–120. 72 Vgl. K.-i. Seto, Distinguishing Metonymy from Synecdoche, a. a. O., S. 91–120; hier S. 91 f. 73 Ebenda, S. 113. 71

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siert daher auf der semantischen Einschließung zwischen einer mehr und einer weniger weiten oder umfassenden Kategorie. Ken-ichi Seto kritisiert daher zu Recht, dass die Begriffe ›Ganzes‹ und ›Teil‹ dazu verleiten, die Synekdoche als einen ›subtype‹ der Metonymie zu fassen. Auf diese Weise nämlich werden Taxonomien (kind of relation) als adäquate Übersetzung von Partonomien (part of relation) betrachtet. »Metonymy is based on our world-knowledge about space and time, cause and effect, part and whole, whereas synecdoche is based on our taxonomic or categorical knowledge. Metonymy exploits our knowledge of how the world is, synecdoche of how it is ordered in our mind.« 74 Beide müssen differenziert werden, weil es einen logischen Unterschied macht, ob etwas ›kind‹ oder ›part‹ von etwas ist. Es macht einen Unterschied darüber zu reden, wie sich uns die Welt rein äußerlich darstellt, oder wie sie durch unsere Verstandeskategorien innerlich kategorial geordnet und abgebildet werden. Setos Unterscheidung von Taxonomien und Partonomien und die Unterscheidung von ›entitätsrelational‹ und ›konzeptrelational‹ sind wichtige Aspekte, die auch für eine tiefensprachliche Betrachtung von Texten Beachtung verdient. Insofern ist Ken-ichi Setos Ansatz aufgrund der Unterscheidung von ››Art‹ und ›Teil‹ von etwas‹ sprachphilosophisch präziser als die bisherigen substitutionstheoretischen Angebote. Setos Ansatz ist in die bisherige Forschung jedoch kaum eingegangen, so dass behauptet werden kann, dass es in Rhetorik, Linguistik und Sprachwissenschaft bisher keine abgeschlossenen kanonischen Merkmalshierarchien gibt, die den Grad der ›Abweichung‹ in ein präzises kriteriales Schema gebracht hätten. Das ist der Grund, warum die Primärtropen Metonymie und Synekdoche oft verwechselt oder in der Figurentaxonomie wechselweise gegenseitig subordinierend beschrieben werden. Den gegenwärtigen Zustand der Forschung innerhalb einer Taxonomie der Tropen fassen Klaus-Uwe Panther und Günter Radden 1999 in ihrer Einleitung zu Metonymy in Language and Thought so zusammen: »The cognitive understanding of metaphor and metonymy is certainly at variance with both naive and traditional scholarly views, which have strongly been influ-

B. Nerlich, Synecdoche. A trope, a whole trope, and nothing but a trope, in: N. R. Norrick, A. Burkhardt (eds.), Tropic Truth, Amsterdam and Philadelphia, in press (Kursivierung Nerlich).

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enced by centuries of rhetorical and literary studies. […] Still, we owe the first basic insight into the nature of tropes to Greek, Roman and medieval scholars, modern literary critics and linguists. Many different classifications of tropes have been proposed, starting with Aristotle, who subsumed metonymy and synecdoche under metaphor, and more recently by the Groupe de Liège or Group μ, which subsumed metaphor and metonymy under synecdoche […].« 75 Eine kanonische Klassifikation steht demzufolge noch aus, da es offenbar nuancenhafte Differenzierungen innerhalb der Tropen der Sprache gibt, die unterschiedliche Taxonomien möglich machen. Daher gibt es nur ein grobes Raster von so genannten ›Devianzhierarchien‹. Gleichzeitig wird betont, dass die Übergänge sowohl innerhalb der Klassen als auch der Klassen zueinander oft fließend sind. Der ganze Umfang der Tropen-Klassifizierung ist bisher noch unzureichend erforscht. Insgesamt ist die Lage der Klassifikationsvorschläge weder harmonisch noch befriedigend, da die Kriterien der jeweiligen Sortierungen unklar sind und zu viele Mischfälle oder Tropendopplungen existieren, deren eindeutige Einordnung nicht möglich ist. Da mehr als 2.000 Tropen existieren und vielfältige Kombinationen möglich sind, ist ein vollständiger Überblick nur grob schematisch erreicht. Die Leistungen der Tropen für die Sprache werden durch die bisherigen Taxonomien und Klassifikationen weder erkannt noch erschöpfend beschrieben. Ein Überblick kann also immer nur ein erster Anfang einer Analyse sein. Insgesamt lässt sich also resümieren, dass eine Unterteilung von Tropen nach dem Grad der Distanz zwischen dem eigentlichen Ausdruck (lat. proprium) und dem uneigentlichen Ausdruck (lat. improprium) nur im Bereich der Stillehre sinnvoll ist. Für eine philosophische Analyse reicht diese Taxonomie nicht aus. Die Substitutionstheorie hat daher nur eine begrenzte Reichweite, weil sich ihr Fokus auf die objektstufige Satz- und Textanalyse beschränkt. Nur weil die Tropen in der rhetorischen Tradition fälschlicherweise in den Bereich der elocutio eingeordnet werden, kommt es dazu, dass sie überhaupt als ›uneigentliche, ›abweichende‹ Spracheinheit aufgefasst werden und ihre grundlegenden kooperativen und pragmatischen Funktionen übersehen werden.

K.-U. Panther and G. Radden, Introduction, in: dies., Metonymy in Language and Thought, a. a. O., S. 1.

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Im Gegensatz zu rhetorischen Figuren besteht bei den Tropen nicht nur ein syntaktischer oder semantischer Unterschied zwischen Gesagtem und Gemeintem, zwischen Bezeichnung und Bedeutung, wie gemeinhin geglaubt wird. Es wird vielmehr jeweils eine neue Perspektive auf ein Phänomen eingenommen, die nicht auf etwas Basaleres respektive ›Eigentlicheres‹ rückführbar ist, sondern die die Wirklichkeit allererst für eine Erfassung vororganisiert, strukturiert und als Denkmodell sprachlich präfiguriert. Insofern dieser blinde Fleck ausgeleuchtet wird, unterscheidet sich die philosophische Problematisierung der Tropen von einem rein rhetoriktheoretischen oder linguistischen Vorgehen. Deshalb muss herausgestellt werden, dass so genannte Primärtropen ganz eigene Perspektiven des Selbst- und Weltverhältnisses darstellen und als unersetzbare sprachliche Register jeweils genuin auf bestimmte Art und Weise, nämlich in einem anderen Charakter bzw. einer anderen Stimmung, zugänglich machen. Solche unterschiedlichen Modi stellen eigene Weisen der Welterzeugung bereit. Darüber hinaus ergeben sich aus dem substitutionstheoretischen Fehlurteil über die vermeintliche Devianz von Tropen drei folgenreiche Missinterpretationen über die Leistungskraft und den Ort von Tropen, die im Folgenden ausgeräumt werden sollen. Wenn sich nämlich zeigen lässt, dass sich Tropen nicht nur dadurch unterscheiden, dass sie einen semantischen Sprung statt einer Grenzverschiebung verursachen, oder dass ihre Funktion verähnlichend ist und sie nach Kontiguitätskriterien zu sortieren sind. Wenn Tropen nicht nur im Rahmen sich ergänzender oder alternativer Tropen-Klassifikationen zum Zwecke der Ausschmückung oder Persuasion von Rede angeboten, sondern als ganz eigene logische Modi der Wirklichkeitskonstitution verstanden werden können, dann muss umso mehr am philosophischen Erkenntniswert substitutionstheoretischer Kategorisierungsversuche gezweifelt werden. Pseudoreferenz, Fiktionalität und Quasikommunikation von Tropen Drei gängige Vorurteile sind bezüglich des substitutionstheoretischen Paradigmas rigoros auszuräumen, weil sie den Blick auf die logische Kapazität von Tropen zu niedrig ansetzen und damit zu Falschannahmen verführen. Für die Substitutions-Theoretiker gelten Tropen als ›sprachliche Abweichungen‹, die – semiotisch betrachtet – in mindestens drei Klassen unterteilt werden a) im Bereich der Syntaktik (ReLogik der Tropen

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lation Zeichen – Zeichen); b) im Bereich der Semantik (Relation Zeichen – Wirklichkeitsmodell) und c) im Bereich der Pragmatik (Relation Zeichen – Sender/Empfänger). 76 Das Rhetorikmodell der Substitutions-Theoretiker bildet die Funktionsweise der rhetorischen Sprache in einer Weise ab, dass die verschiedenen linguistischen Operationen auf die jeweiligen Figurenklassen projiziert werden und dort rhetorische Spracheinheiten (Figuren) generieren. 77 Die operationellen Modi fungieren als Modi der Transformation. Sie formen punktuell die ›primäre‹ Sprachnorm (Grammatikalität) in eine ›sekundäre‹ (Rhetorizität) um. 78 Es entstehen auf diese Weise zwei Ebenen mit je drei Klassen. Ohne die Gründe dieser Zweiteilung begründet zu haben, gilt die so genannte ›Grammatikalität‹ im substitutionstheoretischen Ansatz als die ›ursprüngliche‹ oder ›eigentliche‹ Sprachnorm, und die ›Rhetorizität‹ als die ›abgeleitete‹, ›abweichende‹, ›uneigentliche‹ oder ›übertragene‹ Sprachnorm. Die erste Klasse setzt das Vorhandensein eines Grammatikmodells, die beiden anderen Klassen ein Realitäts- bzw. ein Kommunikationsmodell voraus. 79 Innerhalb jeder Klasse ist die Kategorie der ›Abweichung‹ ähnlich definiert. Handelt es sich im Falle der Syntaktik um Deviationen durch Abänderung der Kombinatorik bzw. Konfiguration von Sprachzeichenfolge, so handelt es sich im Falle der Semantik um eine Abweichung von der üblichen Norm des Realitätsbezuges und im Falle der Pragmatik um eine Abweichung von der üblichen Norm der sprachlichen Kommunikation. Plett, ein Vertreter dieser These, stellt sich dieses Modell so vor: Die (semio-)syntaktischen Figuren, die das Vorhandensein eines Grammatikmodells voraussetzen, fordern den Rezipienten auf, konkurrierende sprachliche Sequenzen aufzubauen. Nach C. W. Morris, Ästhetik und Zeichentheorie, in: Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik der Zeichentheorie, Frankfurt 1988, S. 91–118. 77 Heinrich Plett unterscheidet sogar sieben Figurenklassen: 1. Phonologische Figuren; 2. Morphologische Figuren; 3. Syntaktische Figuren; 4. Semantische Figuren; 5. Graphemische Figuren; 6. Textologische Figuren; 7. Intertextuelle Figuren. 78 Die sieben Figuren werden nach dem Modell: a-grammatisch und syn-grammatisch jeweils in zwei Varianten, nämlich eine regelverletzende (Anomalie/Lizenz) und in eine regelverstärkende (Äquivalenz), unterteilt. So entstehen 14 mögliche Figurenklassen, die dann wiederum nach unterschiedlichen Kriterien sortiert werden. Die Anomalien werden nach Kriterien der Addition, Subtraktion, Substitution und Permutation unterteilt. Die Äquivalenzen werden nach Kriterien von Position, Umfang, Ähnlichkeit, Frequenz und Distribution unterteilt. Vgl. H. F. Plett, Systematische Rhetorik, a. a. O. 79 Ebenda, S. 20. 76

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Dadurch entstehen unterschiedliche Stränge der Lautung, des Satzbaus, der Bedeutung. Sie befinden sich untereinander in Rivalität; je nachdem welche Lesart bevorzugt wird, tritt der eine Strang hinter den anderen zurück. Ihre Totalität bildet den ästhetischen Spielraum des Aufnehmenden. Etwas anders verhält es sich mit den (semio-)semantischen Figuren, die ein Realitätsmodell voraussetzen und auf der abweichenden rhetorischen Ebene angeblich zu Pseudoreferenzialität führen. Hier konstituiert sich die Ästhetizität des Sprachzeichens nicht denotativ, das heißt nur den begrifflichen Inhalt betreffend ohne Berücksichtigung von Nebenbedeutungen, die das Zeichen als Begleiterscheinungen beim Sprecher oder Hörer wachruft, sondern konnotativ, das heißt in Verbindung mit anderen Gedanken. Das liegt daran, dass Tropen in den Augen der Substitutionstheoretiker so genannte ›künstliche Realitäten‹ bzw. ›Fiktionen‹ hervorbringen, indem sie über die lexikalische Grundbedeutung eines sprachlichen Ausdrucks hinaus auch assoziierte, zum Beispiel emotionale Mitbedeutungen zulassen. Die Mehrschichtigkeit der Tropizität stellt zeichensemantisch betrachtet einen Modus der Realitätsabänderung, der poetischen Fiktionalität und ästhetischen Künstlichkeit dar. 80 Weil die Rückübersetzung in den Kontext geläufiger Wirklichkeitserfahrungen meist mehrere Lesarten zulässt, sind die Tropen nach der Theorie der Substitution nicht nur pseudo-, sondern auch polyreferentiell. Indem nämlich der Leser einen ›tropisierten Text‹ aufnimmt, aktiviere er einmal diese, ein andermal eine andere mögliche Referenzbeziehung. Auf diese Weise enthülle der Text mehrere Wirklichkeitsschichten. Diese Schichten stellen dann die benannte semantische Polyfunktionalität dar. Deshalb stehe alle Rede, die Tropen gebraucht, in der Gefahr, eine bloße Realitätsverzerrung, abweichend, anormal und ›regelverletzend‹ zu sein im Unterschied zu nicht-tropischer Rede, die als ›regelverstärkend‹ eingestuft wird. 81 Auch andere Substitutions-Theoretiker wie Paul Ricœur oder Harald Weinrich sind der Meinung, dass je höher in der Merkmalhierarchie der Regelverstoß eintritt, desto größer die ›Deviation‹ und also auch der Grad der Poetizität ist. Vgl. P. Ricœur, Die lebendige Metapher, München 1986, S. 25; und H. Weinrich, Sprachen in Texten, Stuttgart 1976, S. 317–327. 81 Regelverstärkend ist zum Beispiel die Repetition, etwa bei ›wortwörtlich‹, ›tagtäglich‹, ›eine Schlacht schlagen‹ ; regelverletztend hingegen die Addition (etwa im Pleonasmus ›reale Wirklichkeit‹), die Subtraktion (etwa das Oxymoron ›hölzernes Eisen‹), 80

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Wie am Beispiel der Periphrase gezeigt wurde, sind auch regelverstärkende Redeformen tropisch. Somit scheint diese Unterscheidung nicht nur eine überzogene Sicht der Dinge zu sein, sondern vor allem dem zu widersprechen, wie Menschen sprachlich miteinander umgehen und sich und andere(s) in ihrer Um- und Mitwelt verstehen. Die Frage nach der Tropizität erweist sich vielmehr als aller oberflächen- und objektstufig orientierten Frage nach der internen Logik der Tropen in ihren jeweiligen Funktionsbereichen über- bzw. untergeordnet, nämlich als sprachliche Tiefenstruktur. Der Gehalt eines Tropus ist pragmatisch gesehen dann als ›real‹ bzw. ›wirklich‹ und somit in einem weiten Sinne ›wahr‹ zu bezeichnen, wenn die praktisch relevanten inferentiellen Bedingungen als erfüllt gelten und kontrolliert werden können. Das ist bei allen kontextuellen Redeformen der Fall. Es zeigt sich zwar praktisch meist erst im Nachhinein, weil davon auszugehen ist, dass – wenn es sich nicht um eine identische Sprecher-Hörer-Person handelt – die Wissensbestände zwischen beiden differieren werden. 82 Da nicht alle möglichen Assoziationen vom Sprecher und Hörer vorab kontrolliert werden können, wird der Verlauf der Rezeption sprachlicher Äußerungsketten oft mimisch, gestisch oder ikonisch unterstützt. Insofern muss zwingend angenommen werden, dass Tropen, wenn sie den Raum sprachlicher Erfassung von Phänomenen vororganisieren, einen Bezug auf ein praktisches bzw. lebensweltliches Wahrheitsideal in Form eines realen deiktischen Gelingenskriteriums haben. Das setzt bereits mit dem Spracherwerb ein. Kontextuelles Wirklichkeitserfassen qua Tropen gehört damit zum basalen Spracherwerb immer schon dazu, weil wir in Praxen Sprache als Konzeptmodelle von Welt und Wirklichkeit erlernen. Eine solche Tropizität hat jedoch nichts mit Pseudoreferenzialität zu tun, sondern mit Urteilskraft und praktischem Wissen, die durch die soziale Teilhabe an gemeinsamen Praxen erworben wird. Sie ist Teil kooperativer Handlungen und bezeugt soziale Kompetenz und Urteilsvermögen. 83 die Substitution (etwa die Metapher ›Haus des Seins‹) oder die Permutation (etwa das Anagramm ›Angstbude‹ statt ›Bundestag‹) von Zeichen. 82 In realen Situationen kann bei Fällen empirischer Nichtkontrollierbarkeit oder in Fällen abstrakter, rein kommunikativer Gegenstände, präziser und mit Aristoteles daher nur von vorläufigen Wahrheiten bzw. ›Wahrscheinlichkeiten‹ gesprochen werden, denn sie stellen erste Orientierungen dar. 83 Personen, die diese soziale Kompetenz im Laufe ihres Lebens nicht intuitiv, sondern reflexiv und damit später erwerben (zum Beispiel im Persönlichkeitsspektrum

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Sind es gerade die Beurteilungen und Bewertungen unserer Kooperationen und deren Bedingungen, die zum Gelingen, Fortsetzen und Weiterentwickeln von bestimmen Praxen beitragen und zur Rede von Wahrheit als einem anzustrebenden Ideal führen, so tragen die ›devianten Redemodi‹ zu diesem Gelingen ebenso bei wie ›nicht-deviante Redemodi‹, denn sie stabilisieren die Vernetzung unserer Wissensbestände. Nur wenn bestimmte Praxisformen als akzeptabel oder zumindest alternativlos gelten, verstärken sie eine vorab geleistete praktische Vororientierung, deren kooperative Fortsetzung sich lohnt. Ein Beispiel dafür ist das abendländische Wissenschaftsprojekt selbst, das im Laufe der Jahrhunderte mehrere Tropen- bzw. Paradigmenwechsel durchgemacht hat, sich als praktisches Ideal umfassender Wahrheitssuche aber immer wieder trotz der Modellwandel bewährt hat, sich gegen esoterische Weisheitslehren durchsetzt und nicht aufgegeben wird. 84 Die substitutionstheoretische Unterscheidung von referenziellen und fiktionalen Spracheinheiten macht also wenig Sinn, da beide auf eine gemeinsame Wirklichkeit referieren. Als ›referentiell‹ können zunächst alle Äußerungen bezeichnet werden, denen unter dem geltenden Wirklichkeitskonzept eine realitätsbehauptende Funktion zukommt. Dies beinhaltet die Akzeptanz einer eindeutigen Zuordnung des Geäußerten zu einem Realitätsbereich. ›Real‹ kann dann als ein Seinsmodus definiert werden, der Sachverhalten aufgrund von gemeinsam geteilten, das heißt durch Konventionen und Sanktionen vorgegebenen, aber auch durch eigene Urteilskraft abgesicherten Wirklichkeitsvorstellungen zugeschrieben wird. Im Modus ›realer Referenz‹ oder Denotation geht es nicht um Probehandeln oder spielerische Einübung, vielmehr wird ein Gegenstandbezug durch des so genannten Aspergersyndroms), haben es deshalb schwerer, sowohl Mimik, Gestik, Körpersprache als auch tropische bzw. figurative Rede zu verstehen, denn sie müssen sich aufgrund ihrer besonderen Persönlichkeitsstruktur diese Kompetenzen erst reflexiv-schematisierend erwerben. Die Möglichkeit dieses Erwerbs unterscheidet solche Menschen von Menschen mit im engeren Sinne autistischen Merkmalen, denen der Erwerb sozialer Kompetenzen gänzlich versagt bleibt. 84 Das Wort Paradigmenwechsel übernehme ich von T. S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt am Main 1970. Vgl. ders., Die Entstehung des Neuen. Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt am Main 1978. Einen ähnlichen Wechsel der Bedeutung des Wechsels der Perspektive auf Wissenschaft bzw. die Abgrenzung von Christentum und Wissenschaft behandelt auch Hans Blumenberg, wenn er zwischen ›Cusanern‹ und ›Nolanern‹ unterscheidet. Vgl. ders., Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt am Main 1996, S. 558–700. Logik der Tropen

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ein deiktisch-referenzielles sprachliches Zeichen wie ›dieses‹ hergestellt und gegebenenfalls prädikativ ausgedrückt. Die Referenz auf eine geteilte Wirklichkeit ist damit Grundlage für die Konventionalisierung des jeweiligen Sprachgebrauchs bei gleichzeitiger subjektiver und kultureller Varianz. Fiktionale Texte unterscheiden sich von referenziellen dadurch, dass dieser eindeutige Realitätsbezug vermeintlich zu fehlen scheint. Doch es ist schnell ersichtlich, dass keine Fiktion ohne minimalen Rückbezug auf Denkmodelle und Sprache realer Praxisbezüge auskommt. Der einzige Unterschied ist der, dass sich in der fiktionalen Literatur und Kunst in der Regel singuläre Termini nicht gleichermaßen deiktisch und raum-zeitlich lokalisieren oder auf eine reale Wahrnehmungssituation zurückführen lassen, sondern ein in sich kohärentes Beziehungsgefüge im Rahmen der Darstellung aufweisen. 85 Das Kriterium der Kohärenz beziehen sie dabei wiederum aus der realen Welt, denn auch eine fiktive Welt, zum Beispiel die griechische Mythologie mit ihren Gestalten des Pegasus’, Minotaurus’, der Chimäre oder den Sirenen, wird ohne einigermaßen feste und auf die menschliche Welt verwiesene Bezüge wirr und unverständlich. Die vermeintliche ›Fiktionalität‹ 86, die durch tropische Rede erzeugt wird, bleibt also an die Realität gebunden, wie am Beispiel des Metonymischen in Form des Sekundärtropus der Periphrase gezeigt wurde. Sie lenkt und erweitert diese nur um bestimmte Akzentsetzungen eines Als-ob. 87 Wie sehr tropische Rede modellhafte Rede ist Gleichzeitig müssen sie jedoch eine innere Kohärenz und Konsistenz erzeugen, denen der Leser mit seinem bisherigen Wissen von der Welt folgen kann, wenngleich dies stark abgeändert werden kann. 86 Fiktiv kommt von lat. fingere zu: fictum (dt. formen, gestalten, bilden, später dann auch: erdichten und vortäuschen). Zwischen ›fiktiv‹ und ›fingiert‹ lässt sich aber eine Unterscheidung einführen, indem das Fiktive als Erdachtes mit klaren Fiktionalitätssignalen vom Fingierten als Erdachtem mit Wirklichkeitssignalen unterschieden wird. Das Fingierte gehört damit zur Lüge, während das Fiktive eine eigene Kategorie der Wirklichkeitsdarstellung ist. 87 Der Modus des Als-ob erfüllt jedoch auch im realen Leben eine lebenswichtige Aufgabe. Durch ihn können praktische Handlungskompetenzen eingeübt und erworben werden. Er bildet eine Art Probehandeln. Als-ob-Handlungen zielen zwar als Modellfälle mit Modelllösungen auf die Erfassung des Realen ab, dieser Bezug auf das Reale geschieht jedoch spielerisch, nämlich ›als ob es in der Realität stattfinden würde‹. Indem das Spiel innerhalb einer sanktionsfreien Nische einerseits den eindeutigen Bezug zur Realität negiert, andererseits Regeln aufstellt, denen stringent zu folgen ist, solange man spielt, hat fiktives Handeln die Funktion eines Probehandelns. Im wiederholten spielerischen Vollzug werden also Fähigkeiten erworben, die 85

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und zugleich realitätsstützenden Charakter birgt, zeigt sich an solchen Lernstoffen wie dem Atomaufbau der Welt. Die Frage nach der Pseudoreferenzialität, die auf der semantischen Ebene zur These führte, dass Tropen wesentlich für das Verständnis von sozialer Realität sind, leitet dann weiter über zur pragmatischen Ebene, nämlich der Frage nach dem Interaktionsfeld und seinen Teilnehmern selbst, die Tropen als Kommunikationsmittel zur ersten Orientierung ihres praktisch-kooperativen Handelns einsetzen. Folglich müssen die klassischen Figuren der Publikumszugewandtheit oder Appellfiguren im Modus der substitutionstheoretischen Tropiziät ebenso in einen Pseudobereich verschoben werden. Die interrogatio wird dann zur Quasi-Frage; die addubitatio wird zum Quasi-Zweifel; die confessio wird zum Quasi-Eingeständnis, die concessio wird zum Quasi-Zugeständnis, die permissio wird zur Quasi-Erlaubnis, die subiectio wird zum Quasi-Dialog usw. Ganz absurd wird dann die Erweiterung der These von der Pseudo-Referenzialität von Tropen als ›deviante Redemodi‹, wenn sie auf die pragmatische Ebene gehoben und zur ›Quasi-Kommunikation‹ phantasiert werden. Eine solche Pseudologie ist paranoid oder zynisch und entbehrt aller Erfahrungen über Kooperationen und Praxisformen. Es lässt sich also zusammenfassen, dass sich weder das allgemeine Bildungsprinzip der Tropen mittels Substitutionstheorie erklären lässt noch die aus diesem Ansatz gezogenen Behauptungen über die Fiktionalität, Pseudoreferenz und Quasikommunikativität einer näheren Betrachtung standhalten. Der Gebrauch von Tropen ist nicht gleichzusetzen mit literarisch-ornamentaler Textstruktur oder poetisch-verdichtender Weltabschilderung. Vielmehr kann sowohl fiktive als auch faktive, poetisch-synthetisierende wie prosaisch-analysierende, Rede Mittel der Welterschließung sein. 88 Tropen wirken weder ›poetisch-fiktiv‹ noch ›prosaisch-faktiv‹, sondern sozusagen ›ursprünglicher‹, nämlich tiefensprachlich vor dieser oberflächenphänoeine bestimmte Relevanz haben können für auch nicht spielerisches Handeln in der Welt. ›Fiktion‹ ist insofern ein wichtiges Kriterium zum praktischen Erwerb und Erfahrung und Urteilskraft im Handlungsvollzug, die indirekt an die geltenden Wirklichkeitsvorstellungen und Sprachverwendungskenntnissen der Kooperationsgemeinschaft gekoppelt bleibt. 88 Zum Vergleich von faktualer und fiktiver Geschehensdarstellung siehe auch H. Korthals, Zwischen Drama und Erzählung. Ein Beitrag zur Theorie geschehensdarstellender Literatur, VI.2. Fiktionalität, Metafiktionalität, Metanarrativität, Metadramatizität, Metatheatralität, Berlin 2003, S. 287–426. Logik der Tropen

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menalen Unterscheidung. 89 Nimmt man nämlich auch mentale Modelle, Vorstellungsbilder oder Universalien als mögliche Objekte der Referenz und berücksichtigt man ferner, dass die primäre Wirklichkeitsreferenz auch eines kontextenthobenen Zeichens – wie der in fiktiver Literatur – nie ganz außer Kraft gesetzt werden kann, dann wird die verbreitete These von der Nicht- bzw. Pseudo-Referenzialität der Tropen mehr als fragwürdig. 90 Die Frage, ob es größere und geringere Abweichungen und folglich höhere und niedrigere Grade der Poetizität gibt, ist nämlich nur für den Fall beantwortbar, dass es gelänge, die aufgrund der Kontextbeschränkungen eruierbaren semantischen Objektmerkmale zu hierarchisieren. Dann hieße die Regel: Je höher in der Merkmalhierarchie der Regelverstoß eintritt, desto größer ist die Deviation und also die Literarität. Plett weist darauf hin, dass in der Frage der Merkmalshierarchie die Linguistik jedoch bisher keine endgültige Antwort zu geben vermochte. Er gibt darüber hinaus zu bedenken, dass selbst wenn sich für alle möglichen Bedeutungen einer Sprache eine generelle Sempyramide konstruieren ließe, das Problem aus pragmatischer Sicht trotzdem ungelöst bliebe, weil nicht sicher gestellt werden könne, dass nicht der Rezipient eine ganz andere Poetizitätsskala errichtete. 91 Dessen ungeachtet behauptet Harald Weinrich, dass bei einer geringen ›Bildspanne‹ zwischen Substitut und Signalkontext, einer ›kühnen Metapher‹ (lat. concetto bzw. engl. conceit), die ›semantische Deviation‹ gravierender empfunden würde als bei einer ›Fernmetapher‹. Dieses Verhältnis lässt sich jedoch nicht statisch festschreiben, da zu bedenken bleibt, dass auch die größte Bildspanne durch stetigen Gebrauch bis zur Unkenntlichkeit verblassen und der Ausdruck zur ›toten Metapher‹ werden kann. 92 Man muss also nicht unbedingt die Sprachfiguren als ›Reservoir unerprobter Denk- und AnschauungsFiktionalitäts- und Wirklichkeitssignale sind der tropischen Figurierung der Wirklichkeit nachgeordnete und insofern metakommunikative Mittel der Distanzierung zu entsprechenden Praxisformen. 90 Auf die Ebene des Signalkontextes, der das Vorhandensein eines Tropus überhaupt erst anzeigt, sowie auf Grade der Poetizität hat dann erst Harald Weinrich nachdrücklich aufmerksam gemacht. H. Weinrich, Sprachen in Texten, Stuttgart 1976, S. 317– 327. 91 Vgl. H. F. Plett, Systematische Rhetorik, a. a. O., S. 179 f. 92 Die Auffassung von Tropen als dreistellige Relation steht im Gegensatz zu einer gängigen Ansicht, wonach die Tropen als paradigmatische, die übrigen Figuren aber als syntagmatische Beziehungen zu beschreiben sind. Vielmehr müssen bei jeder rhetorischen Figur stets beide Aspekte in den Blick genommen werden. 89

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modelle‹ interpretieren. »Doch man wird«, so der Rhetoriktheoretiker Josef Kopperschmidt, »neben der ästhetischen (›Schmuck‹) und affektorientierten Interpretation der rhetorischen Figuren ihre wirklichkeitsstrukturierende Leistung nicht unterschlagen dürfen, ohne deren Berücksichtigung z. B. die Geschichte der Antithese von Heraklit über Paulus, Augustin, Pascal bis Nietzsche und Marx schwerlich zu verstehen ist, da diese Geschichte offensichtlich keiner ausschließlich ästhetischen Logik folgt.« 93 Aus diesem Tatbestand heraus haben George Lakoff und Mark Johnson in den letzten Jahren das interdisziplinäre Projekt verfolgt, die objektstufige Oberflächengrammatik der tropischen Rede in einer konzepttheoretischen Tiefenlogik des Handelns zu verorten. Für sie ist die Unterscheidung von ›eigentlichen‹ und ›uneigentlichen‹, ›normalen‹ und ›abweichenden‹ Modi der Rede im Sinne der Substitutionstheorie obsolet. Vielmehr sind für sie Tropen ursprüngliche Formen der Bezugnahme auf Welt. Der Mensch lebt sozusagen in Metaphern. 94 Es kann der kognitiven Konzepttheorie zufolge keine nicht-tropische Weise der Anschauung geben. Denn es gibt nichts, was hinter der tiefensprachlichen Präfigurierungskapazität der Tropen liegt, auf das sie noch verweisen könnten. Tropen sind vielmehr die ersten orientierenden und zugleich organisierenden Zugriffe auf Welt, die im Bereich des Sprachhandelns existieren. Sie konzeptualisieren eine Menge Wahrzunehmendes als auf bestimmte logisch-rhetorische Weise Wahrzunehmendes und beschreiben so Anschauungsräume. Damit schließen sie wieder den Kreis zu Quintilians und Nietzsches Auffassung, dass alle Rede Figuration ist. 95 Es ist jedoch J. Kopperschmidt, Allgemeine Rhetorik. Einführung in die Theorie der Persuasiven Kommunikation, Stuttgart et al. 1976, S. 171. 94 J. Lakoff, M. Johnson, Leben in Metaphern, a. a. O. 95 Vgl. Quintilian, Institutio oratoria, a. a. O., IX.ii. sowie F. Nietzsche, Werke, KGA, a. a. O. Die Metapher erschließt für diese beiden Autoren semantisch neue Felder durch Erkenntniskategorien, über die wir bereits verfügen. Sie erklärt sich aus dem Zusammenfügen des Unbekannten zum Bekannten durch die Anwendung bekannter Kategorien. Die Synekdoche bezeichnet den Mechanismus, aufgrund dessen ein Gegenstand nach einem einzigen, für das Ganze genommenen Merkmal benannt und somit bereits als Teil einer Klasse rubriziert wird. Sie ist eine Reduktion der Komplexität durch Verwendung eines dominanten Elements als Repräsentant für das Gesamte. Das Verfahren der Metonymie besteht dagegen in der unbewussten Verwechslung von Ursache und Wirkung, so dass etwa ein Getränk ›bitter‹ genannt wird, als wäre ›bitter‹ eine objektive Eigenschaft des Getränks, der Ursache unserer Wahrnehmung und nicht vielmehr eine aus Wahrnehmungsurteilen gewonnene Abstraktion. Sie 93

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zu fragen, welchen metatheoretischen, philosophischen Mehrwert eine derartige kognitive Konzepttheorie zur Folge haben könnte und was im Vergleich dazu schon in der Alltagssprache mit tropischer Rede als einer Art bildgestützem Folgern erreicht werden kann. Die Ausgangsthese der Konzepttheorie besagt, dass die meisten menschlichen Welt- und Selbstbezüge entweder abstrakt oder nicht klar umrissen sind (wie Emotionen, Ideen, Geschmack usw.). Der Mensch hat sich zu diesen Phänomenbereichen einen Zugang über so genannte ›kognitive Konzepte‹ verschafft, die ihm vertraut sind, zum Beispiel Raumorientierungskonzepte. Das Raumkonzept, das sich im Wort ›oben‹ ausdrückt, entwickelt sich zum Beispiel aus der menschlichen Erfahrung mit Räumen, denn jeder Mensch hat einen Körper und einen aufrechten Gang. Nahezu jede Bewegung, die ein Mensch macht, wird von einem körpermotorischen Programm gesteuert, das unsere Orientierung oben/unten entweder verändert, aufrecht erhält, voraussetzt oder in anderer Weise berücksichtigt. Es sind Grundweisen des lebendigen Daseins und insofern auch für Menschen von großer Relevanz zur Aufrechterhaltung sämtlicher Lebensabläufe. Diese Schemata braucht der Mensch nämlich für seine grundlegenden alltäglichen körperlichen und seelischen Funktionsabläufe zur Orientierung. Sie sind meist binär. So ist, selbst wenn geschlafen wird, eine körpermotorische Orientierung oben/unten für die physische Aktivität von zentraler Bedeutung. Neben den binären Schemata oben/unten, vorne/hinten, innen/außen, nah/fern sind dies auch hell/dunkel, warm/kalt usw. Das räumliche Orientierungskonzept ist eines der grundlegendsten Sprachkonzepte des Menschen. Die Struktur dieser Raumkonzepte entwickelt sich aus der konstanten und kontinuierlichen kinästhetischen Raumerfahrung des Menschen, das heißt aus der Interaktion mit der physischen Umgebung. 96 Konzepte, die auf diese Art entstehen, sind Konzepte, nach denen im wahrsten Sinn des Wortes ›gelebt‹ wird. 97 Sie präorganisieren körpermotorische Funktionsabläufe, die mit der aufrechten Körperhaltung besteht in der Umkehrung von Grund und Folge, beziehungsweise in der Darstellung eines imaginären Grundes, um ein beobachtetes Phänomen zu erklären. 96 Auf die Kinästhesie des menschlichen Bezugssystems verwies bereits Edmund Husserl. Vgl. ders., Ding und Raum, Vorlesungen 1907, hrsg. von U. Claesges, The Hague 1973, besonders Kapitel 8–9. 97 Lakoff und Johnson benutzen für ihre Sprachuntersuchungen einen sehr weiten, alltagssprachlichen Begriff von Metapher, der als Überbegriff über alle Tropen und rhetorischen Figuren dient.

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zusammenhängen, die wiederum bedingt ist durch das Gravitationsfeld, in dem wir leben, einerseits und andererseits durch kulturelle Vorgaben. Für Lakoff und Johnson sind die bipolaren Raum-Konzepte von ›oben/unten‹, ›hell/dunkel‹ usw. tiefer und evolutionär länger eingeprägt als alle entwicklungsbiologisch sozusagen nachfolgenden Sprachkonzepte, zum Beispiel das Sprachkonzept der Gefühle oder des ästhetischen Empfindens oder der Moralvorstellungen. Aus diesem Grunde werden sie auch zur Strukturierung eben dieser später auftretenden Phänomenbereiche genutzt, zum Beispiel unseres Musik- und Bildverständnisses, das mit Kategorien wie warme/kalte Intonierung oder Farbgebung operiert. 98 Zwar sind zum Beispiel emotionale Erfahrungen für den Menschen sicher genauso grundlegend wie körperliche Funktionsabläufe, diese Funktionsabläufe werden jedoch an die Beschreibung physiologischer Abläufe sozusagen sprachlich angedockt. So bilden sich qualitativ neue Seinsstufen aus niederen heraus. Diese als ›emergent‹ bezeichneten Sprachkonzepte bleiben auf die basalen, aus denen sie auftauchen, bezogen und nutzen deren Sprachvorgaben. So reden wir zum Beispiel davon, dass wir etwas ›begreifen‹, ›erfassen‹, ›durchdenken‹ – alles Verben, die räumlich-kinästhetische Erfahrungen voraussetzen; man möchte den ›Überblick‹ behalten, eine Sache ›durchschauen‹ oder ihr ›auf den Grund‹ gehen, jemanden ›aufklären‹ oder ›Licht ins Dunkel‹ (der Erkenntnis) bringen usw. Darüber hinaus gibt es zwischen Emotionen, zum Beispiel ›glücklich sein‹, und senso-motorischen Erfahrungen, ›aufrechte Körperhaltung‹ oder der Aufforderung ›Kopf hoch‹ oder ›lass den Kopf nicht hängen‹, systematische Korrelate, die die Grundlage für orientierungsbezogene tropische Konzepte wie ›Glücklichsein ist oben‹ haben. Mit Hilfe solcher metaphorischer Konzepte wie ›Glücklichsein ist ›oben‹‹, und das heißt komplementär ›Traurigsein ist ›unten‹‹, und seines physiologischen Ausdrucks des Kopfhängenlassens können daher die weniger ausdifferenzierten, jüngeren Sprachkonzepte des Ausdrückens von zum Beispiel Emotionen in Raum-Metaphern konzeptualisiert und zu anderen emergenten Konzepten in Beziehung gesetzt werden, wie zum Beispiel zu Wohlbefinden (Gesundheit, Leben, Kontrolle, gute Orientierung usw.). Sogar abstrakte Phänomenbereiche wie ›Gott‹ werden danach bestimmt, Bei Gefühlen sind es etwa solche Redeformen wie ›warm- oder kaltherzig‹ sein; ein ›offener/verschlossener‹ Mensch sein, ›high/down‹ sein usw.

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zum Beispiel wenn Gott im Himmel und der Teufel in der Hölle situiert wird. Auf diese Weise ergeben sich verschiedene Grundkonzepte wie ›Objekt‹, ›Substanz‹ und ›Gefäß‹, denn der Mensch erfährt sich als Entität, die sich zu der ihn umgebenden Welt als ›Etwas‹ abgrenzt. An solchen Beispielen wird deutlich, dass die ursprünglichen Raumkonzepte und deren relativ klare Grenzen in einem zweiten Schritt auch auf emergente Entitäten projizieren, indem wir sie zum Beispiel als ›Gefäße‹ (zum Beispiel als Wälder, Lichtungen und Wolken) konzeptualisieren. Wir thematisieren damit ›etwas als etwas‹ im Rahmen tropischer Konzeptualität. Das heißt, die räumlich-zeitlichen Orientierungskoordinaten liegen dem Menschen nicht als solche in ihrer skeletthaften abstrakten Struktur vor, sondern im Zusammenhang mit praxisrelevanten Tätigkeiten, die vollzogen werden. Sie zeigen sich im (Mit)Vollzug des Handelns, indem wir nämlich die Lichtung als Gefäß auffassen, den Menschen als Art, das Leben als zeitlich sich erstreckendes Ereignen von Zeit usw. Die Präpositionen ›in‹, ›auf‹, ›unter‹, ›neben‹ usw. deuten diese grundlegenden räumlich-körperlichen Dimensionen in unserer Sprache an: ›in den Himmel kommen‹, ›auf einer Lichtung stehen‹, ›unter die Leute kommen‹, ›vor die Hunde gehen‹, ›in Rage sein‹ usw. Auf dieselbe metonymische Weise werden dann auch Gefäß/Inhalt- bzw. innen/außenstrukturierte Beziehungen des körperlich-räumlichen Soseins auf zum Beispiel abstrakte Zusammenhänge übertragen, wie zum Beispiel das ›in einem Verein sein‹, ›einen Gedanken im Kopf haben‹ oder ein ›Ziel im Leben‹, ›über den Dingen stehen‹, ›hinter eine List kommen‹. Oder sie werden auf emotionale Zustände angewendet: ›in Rage sein‹, ›unter Druck stehen‹, ›neben der Spur sein‹, aber auch: ›sich völlig leer fühlen‹, ›ausgepowert sein‹ usw. Lakoff und Johnson vertreten die Überzeugung, dass Tropen Realitäten ›schaffen‹ können. Sie können systematisch dazu verwendet werden, Konzepte auf andere Erfahrungsbereiche analog anzuwenden und so ihr Anwendungsspektrum auszudehnen. 99 So wirkt sich das konzeptuelle Verständnis von Metaphern bzw. Tropen auch auf das Verständnis von Paraphrasierungen aus. Diese sind dann nämlich im Grunde unmöglich, denn fast jede Veränderung in einem Satz – ob es eine Änderung in der Wortstellung, im Vokabular, in der Intonation oder der grammatikalischen Konstruktion ist – verändert Insofern bestätigt sich nochmals Mengels These, dass Analogien Argumente par excellence seien. Vgl. P. Mengel, Analogien als Argumente, a. a. O.

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die Bedeutung des Satzes, wenn auch auf sehr subtile Weise. Das heißt, die Art und Weise, die Darstellungsform, in der etwas gesagt wird, ist ein wesentliches Element der Bedeutungskonstitution. Die Erfahrungsbereiche des Menschen sind also grundsätzlich tropisch fundiert, denn ihre innere Logik zeigt sich 1. zunächst nicht als ›exakt definiertes Denkmodell‹, sondern in den verschiedenen sprachlichen Begleitungen von Praxisformen, aus denen eine Art Sprachlogik metapraktisch erst im Nachhinein destilliert werden kann, und 2. in der Übertragbarkeit auf ephemere, zum Beispiel ästhetische, emotive oder ethische Phänomenbereiche oder auch vice versa. Aufklärend wirkt dort ein philosophisches Denken, wo es ein Sensorium entwickelt, die falschen Gebräuche, ja zum Teil Stilblüten aufzudecken, mit denen im Alltag, aber auch in Wissenschaft und Philosophie umgegangen wird. Ein sensibler philosophischer Umgang mit Sprache macht insofern auf die Feinheiten der intrinsischen Logik von Grammatik und Handlung aufmerksam und korrigiert sie gegebenenfalls. Der konzepttheoretische Ansatz ist ein Weg, von der Analyse der bloßen Oberflächenstruktur der Sprache zu ihren grundlegenden Funktionszusammenhängen vorzustoßen. Weil er sich jedoch auf die objektstufige Satzanalyse und insofern auf den Bereich einer (psycho) linguistischen Analyse beschränkt, gelingt es ihm nicht, eine überzeugende Erklärung dafür abzugeben, wie und warum auf dieser sprachanthropologischen Grundlage kulturelle Konzeptdiversität – und damit unterschiedliche Selbst- und Weltverständnisse – entstehen. Aus diesem Grunde ist nach einem besser geeigneten methodischen Ansatz zu suchen, mit dem eine tropologische Interpretation des Heideggerschen Denkens vorgenommen werden kann. Dieser besteht in einer tiefensprachlichen Analyse sprachlicher Strukturen und tropischer Redeweise.

6.2. Tiefensprachliche Tropentheorien Indem Tropen die Sichtweisen auf Wirklichkeit sprachlich vororganisieren, erhält tropische Rede einen gewissen Trumpfstatus innerhalb sprachlicher Konstituierungsleistungen. 100 Man könnte die fundie100 Vgl. A. Luckner, Sagen, Zeigen und die Musik, in: B. Kremberg et al., Sprache – Kultur – Darstellungsformen. Methodenreflexionen in der Philosophie, Leipzig 2010, S. 263–282.

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rende Funktion von Tropen auch mit unterschiedlichen durch Musik erzeugten Grundstimmungen vergleichen. Denn so, wie Musik wesentlich unsere Wahrnehmung eines Gegenstandes oder unserer Gefühlswelt stimmungsmäßig lenken kann – man denke an das Einspielen der Musik am Anfang eines Filmes –, so können auch Tropen die Rezeption eines Buches lenken und leiten. So erzeugen solche Buchtitel wie Herbst des Mittelalters 101, Traurige Tropen 102 oder Die fröhliche Wissenschaft 103 aufgrund der durch die Metaphorik evozierten rezeptionellen Grundeinstimmung vorab eine bestimmte konzeptionelle Rahmung. 104 Weil Musik jedoch in der Regel nichts außer sich selbst darstellt, kann sie auch nichts denotieren. Sie bildet insofern keine neue Vorstellung von der Welt ab, sondern drückt aus, wie etwas ist bzw. wie sich musikalische Ausdrucksmittel zueinander verhalten können. Sie bildet nichts ab. Schon gar nicht erzeugt sie Gefühle. Da Musik organisiert, wie ein Bild zu sehen ist, aber kein System von Zeichen bildet, das auf etwas referiert, kann sie auch nichts Bestimmtes ausdrücken, sondern nur eine Welt als Stimmung eröffnen. Das heißt, Musik verfügt gar nicht über eigene semantische Strukturen – und damit eine eigene ›Sprache‹, wie gemeinhin angenommen wird. Man kann zwar musikalische Elemente auch denotieren, wie es in der barocken Figurenlehre geschah, wo Halbtongänge oder Sextsprünge entweder Freude oder Schmerz darstellen sollten, oder wie es auch im Impressionismus der Fall war. 105 Aber solche Denotierungen greifen bereits auf ein sprachliches Verweisungssystem zurück und aktualisieren dies nur. Als Beschreibung eines wesentlichen Moments von Musik kann dies jedoch nicht gel-

101 Vgl. J. Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, München 1924. 102 Vgl. C. Lévi-Strauss, Traurige Tropen, Frankfurt am Main 1978. 103 Vgl. F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, KSA 3, a. a. O. 104 Huizingas Geschichte des Mittelalters erscheint durch den Filter der assoziierten Gemeinplätze, die sich mit ›Herbst‹ verbinden, nämlich als Geschichte eines Verfalls und Absterbens eines aristokratischen Ritterideals; Lévi-Strauss‹ Reisebeschreibung der Tropen erfolgt in der Stimmung eines Abschiednehmens, sozusagen eines Requiems für eine todgeweihte Vorstellung vom unberührten Wilden. Und die Wissenschaft, wie Nietzsche sie sich wünscht, kann nur dann ›fröhlich‹ werden, wenn sie Freigeist, Barden- und Rittertum in sich vereint und verstaubtes (christliches) Gelehrtentum hinter sich lässt. 105 Dies wird im Impressionismus vor allem auch durch die Bezeichnung der Musikstücke erreicht, zum Beispiel in Modest Musorgskis Werk ›Bilder einer Ausstellung‹.

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ten, denn die für Sprache typische Unterscheidung zwischen Inhalt und Form lässt sich nicht ohne weiteres auf die Musik anwenden. 106 Das heißt, Musik und Tropen ›sagen‹, wie Wirklichkeit und (Ab) Bilder verstanden werden können. Sie sind Interpretationsangebote und Orientierungshilfen. Man könnte in Anlehnung an Heideggers Diktum, dass den ›Worten Bedeutungen zuwachsen‹, sagen, dass der Musik die Bilder ›zuwachsen‹ so wie den Tropen die Vorstellungswelten. Letztlich misst sich das Bild an der Musik bzw. die Wirklichkeit am Tropus. Tropen haben insofern eine Trumpfstellung innerhalb der Sprache. Musik und Tropen sind zwar unbestimmter als konkrete Bildgegenstände und Bedeutungen, zwingen diese jedoch in einen Rahmen, der sie auf bestimmte Weise allererst erfahrbar macht. Gleichwohl sind Tropen und Musik natürlich nicht dasselbe. Vielmehr sollte es für die Musik ebenso eine Hermeneutik des nichtsprachlichen Ausdrucks geben wie für die Tropenanalyse eine Hermeneutik des vor-prädikativen Verstehens. 107 Ähnlich muss man sich das Verhältnis vorstellen, das Tropen und Bedeutungen eingehen. Tropen besitzen aufgrund ihrer Anschauung präorganisierenden Kapazität die Möglichkeit, bestimmte Rahmen idealtypisch abzustecken, die dann als eine Art Strukturierungs- und Stimmungsraum für sprachlich-denkerische Handlungen fungieren. Sie entwerfen sozusagen konzeptuelle Logiken als allererste Orientierung vor jeder weiteren Erfassung des Phänomens. Sie sind es, die nicht nur Reden, sondern Intentionalität überhaupt ermöglichen, indem sie einen Handlungsraum als einen auf eine bestimmte Weise ›gestimmten‹ freigeben und darin Gegenstände als 106 Worte wie ›musikalischer Sinn‹ oder ›musikalische Bedeutung‹ sind daher eher als problematisch zu betrachten. Es gibt im eigentlichen Sinne keine syntaktische oder semantische Struktur in der Musik, sondern nur in der Sprache. Beide Perspektiven verfehlen also den Bereich der Sprache bzw. Musik phänomenal. Sprache ist nicht Musik und Musik nicht Sprache. Von Musik als Sprache lässt sich allenfalls im übertragenen, metaphorischen Sinne reden. 107 Musik und Tropen sind zwar analogisierbar und sind gegebenenfalls für Interpretationsaufgaben aufeinander angewiesen. Aber sie füllen nicht dieselben Funktionskreise aus. So wie ein wesentliches Merkmal von Musikhören deren artikulatorische Offenheit ist, ist ein wesentliches Merkmal des Gebrauches von Tropen ihre Vorstrukturierungskapazität von Zuartikulierendem in dynamischen, raum-zeitlich oder ursache-wirkungsbezogen situierten und sozial kontextualisierten Praxisvollzügen, die immer apperzeptive Deutungsakte realisieren. Sie stellen zwar logische, aber zugleich nicht-sprachliche Vororientierungen bzw. Rahmungen für sprachliche Artikulation dar.

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Gegenstände eines so oder so bestimmten Gebrauchszusammenhanges in Erscheinung treten lassen. Auf diese Weise dominieren sie den sprachlichen Bedeutungsraum und dessen referenzielle Bezüglichkeit, indem sie Weisen der Perspektivnahme auf Phänomene bereitstellen. Als vor-bedeutungsmäßige, sozusagen rahmende Weisen der Bezüglichkeit organisieren sie nicht nur den formenden, sondern auch den inhaltlichen Modus der Perspektivnahme. Weil konzeptuelle Logiken, wie Primärtropen als Tropen mit einer starken idealtypischen Vororganisierungsfunktion sie darstellen, sprachliche Inhalte (Bedeutungen und Referenzraum) präfigurieren, kann man sie nicht ohne Verlust bzw. Bedeutungsänderung durch andere konzeptuelle Logiken – entweder andere Tropen oder aber Lexikalisierungen – substituieren. Verändert wird zugleich immer der Gesamtcharakter der Äußerung. Dieser Sprung von einer Perspektive in die andere bzw. von einem Paradigma ins andere wäre – wie der Wechsel von Vexierbildern – immer mit dem Verlust der vorherigen Perspektive verbunden. Es können nicht zwei solcher Perspektiven zugleich eingenommen werden, denn die konzeptuellen Logiken bilden echte Alternativen der Selbst- und Weltbezüglichkeit. Für unseren Zusammenhang ist die oben genannte Feststellung nicht zu unterschlagen, denn die Primärtropen stellen auf einer metatheoretischen Ebene grundsätzlich verschiedene Weisen der präfigurierenden Organisation phänomenaler Zusammenhänge her. Dies tun sie nicht nur in Bezug auf den Wechsel ganz bestimmter Abänderungen, etwa statt Herbst des Mittelalters ›Frühling des Mittelalters‹, sondern umso mehr, wenn sich darüber hinaus noch der Tropus selbst nicht nur inhaltlich, sondern in seiner logisch organisierenden Form ändert, etwa vom Modus der Metonymie zum Modus der Ironie, der Synekdoche oder des Metaphorischen. Wenn Tropen also Welt je perspektivisch erschießen, dann eröffnen bzw. begrenzen sie zugleich immer auch neue Orientierungsund Handlungsmöglichkeiten in ihr und umgekehrt. Sie erzeugen nicht nur neue Sichtweisen auf Dinge, sondern ordnen gesamte Sachzusammenhänge tiefensprachlich, setzen Prioritäten und machen gegebenenfalls Vorschläge zum Perspektivwechsel. Die Auffassung, dass Tropen bezüglich ihres Wahrheitsanspruches ein Sonderstatus zukommt, ist damit eine philosophische und keine rhetoriktheoretische Frage mehr. Insbesondere können Tropen Praxis- und Kooperationsformen in ein neues Licht setzen und – aufgrund ihrer Wandlungsfähigkeit – alternative Haltungen stiften. Mit der Be164

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herrschung tropischer Rede wird also eine praktische Kompetenz erworben, die es ermöglicht, auf bestimmte Weise mit bestimmten Phänomenen umzugehen, das heißt einen Perspektiv- oder Orientierungswechsel im spielerischen Vollzug einzuüben. 108 Mit dem Erlernen bestimmter Tropen erlernen wir also zugleich unterschiedliche Arten und Weisen des Umgangs mit der Welt und uns selbst. Wir erlernen tropische Modalität zeitgleich mit dem lexikalischen Spracherwerb. Tropen üben insofern in praktische Rollen- und theoretische Modellvorstellungen ein. 109 Sie unterstützen das Gesagte in bestimmten Formen der Logizität, Intentionalität, Affektualität, Emotionalität, Leiblichkeit und Sinnlichkeit usw. und verbinden es so mit den praktischen Lebensvollzügen, die sie begleiten und mitprägen. Sie rhythmisieren, dynamisieren und infinitisieren damit menschliches Selbst- und Weltverständnis. Ähnlich wie sich in der Musik bestimmte stimmungsmäßig erkennbare Weisen der Einstimmung und Dominanz interkommunikativ und kooperativ entwickelt haben, entwickelten sich auch im Spektrum sprachlicher Tropen gewisse Idealtypen bedeutungsvorformender Bezüglichkeit. Diese Idealtypen, die Primärtropen, sind Grundtypen, die Welt anzuschauen. Sie fassen die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungseindrücke erst zu einer in sich logisch geformten Einheit, einem Anschauungskonzept zusammen. Einen solchen logisch geformten, konzeptuellen Blick auf die Welt nennen wir Perspektive. Sie sind insofern ›weltbildend‹. Das heißt, Primärtropen gewähren erst einen Durchblick (lat. perspectivum) phänomenaler Zusammenhänge, indem sie die in sich blinde Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungseindrücke mit der für sich leer bleibenden logischsprachlichen Ordnung in eine Einheit zusammenfassen und eine erste Organisation des Materials und eine erste Orientierung innerhalb einer immer als kooperativ zu verstehenden kulturellen Praxisform bereitstellen. Vanessa Albus hat diesen Weltbilder erzeugenden Charakter tropischer Rede für die Philosophie des 18. Jahrhunderts anHier schließe ich mich an die Metapherntheorie von Lakoff und Johnson an. Vgl. G. Lakoff und M. Johnson, Leben in Metaphern, a. a. O. 109 Ein Mädchen kann sich als Pferd, Prinzessin, Junge, Gangster oder Lehrerin vorstellen, sich in seinem Körper wie in einem Gefängnis oder frei wie ein Vogel, verloren im All oder geborgen in einer Familie empfinden. Innerhalb solcher Vorstellungen kommen unterschiedliche tropische Formen zum Einsatz: metonymische (Gefäß-Inhalt), und es kann die Welt als ›Jammertal‹, dem zu entfliehen ist; als ›Geschenk‹, das zu achten ist usw. erleben. 108

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schaulich demonstriert. 110 Sie setzt dort das mechanistische Weltbild der mathematisch-geometrischen Exaktheit von Leibniz und Wolff dem organischen und dynamistischen Weltbild Vicos und Herders gegenüber. Sie erreicht dies, indem sie die Lichtmetaphorik der ersten beiden als ein ›okulares Zuschauertum‹ nach Maßgabe einer am Reißbrett skizzierbaren Naturbeherrschung deutet, während Vico und Herder nicht nur mit der Technikbegeisterung der Aufklärer abrechnen, sondern im Zuge einer historisierenden und entwicklungsgeschichtlichen Weltanschauung eine Luftmetaphorik bemühen. Zwar wird die alte Metaphorik in der Regel nicht völlig außer Kraft gesetzt, aber den visuellen Metaphern der Aufklärer werden zunehmend die anderen Sinne hinzugesellt. Diese zielen stärker auf Gefühle ab. So werden akustische Metaphern zur Erzeugung der Anschaulichkeit von Zeitlichkeit und so genannte ›olfaktorische Metaphern‹ zur Veranschaulichung von Vergänglichkeit eingesetzt. 111 Auf diese Weise kann Albus den Wandel vom rationalistisch-räumlichen Denken zum historisch-zeitlichen Denken im 18. Jahrhundert nachweisen und zugleich die Wurzeln für letzteres Denken im tiefensprachlichen Modell des vorhergehenden auffinden. »Der Durchbruch des historischen Weltbildes im 18. Jahrhundert läuft mit der Entstehung der neuen Metapherntheorie und der Hochschätzung bildlicher Redeweise parallel. Der Grund hierfür scheint der zu sein, dass die räumliche und statische Welt im Rationalismus eine bestimmte, eindeutige und sichere Welt ist, in der eindeutige Sprachweise die geeignete Ausdrucksweise ist. Wenn sich aber die Welt verzeitlicht und die Vergänglichkeit der Dinge verstärkt wahrgenommen wird, büßt die Welt einen Teil ihrer Sicherheit und Bestimmtheit ein. Deshalb wird die zweideutige Metapher in einer verzeitlichten Welt die passende Ausdrucksweise.« 112

Und weiter: »Wer in einer dynamischen Welt lebt und Interesse für die Veränderungen der Sprache entwickelt, wird alsbald plausible Lösungen in der Metapherntheorie finden und durch die Beschäftigung mit ihr auch ihren Ausbau antreiben.« 113 – Einer der ersten, die diesen tiefensprachlichen Konnex erkannten, sowie der erste, der ihn in eine umfassende – wenn auch wenig rezipierte – Kulturentwick110 Vgl. V. Albus, Weltbild und Metapher. Untersuchungen zur Philosophie des 18. Jahrhunderts, Würzburg 2001. 111 Vgl. ebenda, 403 f. 112 Ebenda, S. 404. 113 Ebenda.

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lungstheorie transformierte und mit einer Tropenentstehungstheorie koinzidieren ließ, war Giambattista Vico.

6.2.1. Giambattista Vicos ›poetische Logik‹ Bei Vico ist die Wahl der vier Primärtropen darauf gegründet, dass sie unterschiedliche Logiken darstellen, auf welche grundlegende Weise ein Verständnis für die Welt und sich selbst darin erzeugt werden kann. Wenn Vico die vier Primärtropen als Weltbilder und damit ›poetische Logiken‹ auffasst, dann versucht er diese Einsicht vorwegnehmend auf die verschiedenen Zeitalter der ›ersten Völker‹ anzuwenden. 114 Die Metapher versteht er dabei als einen Tropus, der den empfindungslosen Dingen Sinn und Leidenschaft verleiht, so wie nach seiner Theorie die ersten Dichter den Körpern das Sein beseelter Substanzen gegeben haben und so die Mythen schufen. Für Vico ergibt sich die Schlussfolgerung, dass alle Metaphern, die Körper-Gleichnisse ausdrücken und auf abstrakte Gegenstände übertragen wurden, aus den Zeiten stammen müssen, in denen sich die Philosophie entwickelt haben muss. Dabei griff man offenbar meist auf menschliche Körperteile zurück, zum Beispiel ›Haupt‹ für ›Gipfel‹ oder ›Anfang‹, ›Stirn‹ oder ›Schulter‹ für vorne und hinten; ›Augen‹ für ›Licht‹, ›Mund‹ für ›Öffnung‹, ›Lippe‹ für ›Rand‹ usw. Der Mensch machte sich nach Vico damit selbst zum Maß der Dinge und zur Regel des Weltalls. 115 Die ersten Dichter mussten »den Dingen Namen geben […] nach den dem Besonderen am meisten verhafteten und sinnlichen Ideen« 116. So entstanden Metonymie und Synekdoche. 117 Die Metonymie entstand, weil zum einen Autoren häufiger genannt wurden als ihre Werke, zum andern Subjekte für ihre Formen und Eigenschaften entstanden, weil die ersten Dichter Formen und Qualitäten nicht von den Subjekten zu abstrahieren vermochten. Auch im Verhältnis von Ursache und Wirkung und den anderen metonymischen Varianten sieht Vico ›kleine Mythen‹, in denen er Personifizierungen 114 G. Vico, Prinzipien einer neuen Wissenschaft, Kapitel ›Poetische Logik‹, a. a. O., S. 191 ff. 115 Ebenda. 116 Ebenda, S. 192. 117 Vor allem die metonymischen Unterformen der Antonomasie, Periphrase und Synonyme sind dafür beispielgebend.

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erkennt, zum Beispiel in der ›hässlichen Armut‹, dem ›traurigen Alter‹ oder dem ›bleichen Tod‹. Der Primärtropus der Synekdoche kam entwicklungsgeschichtlich für Vico erst dann ins Spiel, als sich das Besondere zum Allgemeinen erhob und sich Teile mit anderen zusammensetzten, um mit ihnen das zugehörige Ganze auszumachen. »So wurden ›Sterbliche‹ anfangs eigentlich nur die Menschen genannt, da man nur bei ihnen die Sterblichkeit empfunden haben muss.« 118 Auch das Wort ›Mensch‹ ist nach Vico ein abstrakter Ausdruck, »der wie in einem philosophischen Gattungsbegriff den Köper und alle Teile des Körpers, den Geist und alle Vermögen des Geistes, das Gemüt und alle Gewohnheiten des Gemüts umfaßt.« 119 Ebenso verhält es sich nach Vico mit dem Wort ›Stoff‹ für alles, was daraus geformt werden kann, weil man noch nicht die Form vom Stoff abstrahieren konnte. Die Verbindung von Metonymie und Synekdoche entsprang für Vico also aus einer ›natürlichen Notwendigkeit‹. So leitet Vico das Entstehen solcher abstrakter Begriffe wie ›Jahr‹ aus den Tatsachen der Ernte her: »[…] es mußten weit mehr als tausend Jahre vergehen, bis bei den Völkern dieses astronomische Wort ›Jahr‹ aufkam; wie man in der Umgebung von Florenz auch heute noch sagt ›wir haben so oft geerntet‹, um zu sagen ›so viele Jahre‹. Und jene Gruppe aus zwei Synekdochen und einer Metonymie: ›[…] Auf meine Königreiche blickend, werde ich nach einigen Ähren in Staunen geraten‹ zeigt nur zu deutlich die Unbeholfenheit im Ausdruck der ersten ländlichen Zeiten, in denen man ›so viele Ähren‹ sagte – welche noch mehr ins Besondere gehen als die Ernten […].« 120

Vico glaubt, dass aufgrund der Unbeholfenheit solcher Ausdrücke die Philologen ›zu viel Kunst‹ dahinter gewittert hätten. Das bedeutet, dass sie wohl zu viel hineingeheimnist hätten und sich alles logisch herleiten wollten, als dass dies der tatsächlichen Genese von Tropen entspräche. Auch für den Primärtropus der Ironie hat Vico eine Entstehungserklärung. »Die Ironie konnte sicherlich nicht vor den Zeiten G. Vico, Prinzipien, a. a. O., S. 193. Ebenda. Auch ›Dach‹ für ›Haus‹ und ›Segel‹ für ›Schiff‹ sind Ausdrücke, die entstehungsgeschichtlich tatsächlich reduzierbar sind auf das Wesentliche eines Hauses, das auch ohne Wände auskommen kann, oder das Wesentliche eines Schiffes, dessen Gestalt sehr unterschiedlich sein kann. 120 G. Vico, Prinzipien, a. a. O., S. 194. 118 119

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der Reflexion beginnen, weil sie kraft einer Reflexion, die die Maske der Wahrheit annimmt, aus dem Falschen gebildet ist.« 121 Vico glaubt darin ein ›großes Prinzip menschlicher Dinge‹ bestätigt zu finden. Er behauptet, »daß die ersten Mythen nichts Falsches erdichten konnten, weil die ersten Menschen des Heidentums höchst einfach wie die Kinder waren, die von Natur wahrhaftig sind; daher mußten die Mythen notwendig das sein, als was sie uns oben definiert wurden: wahre Erzählungen.« 122 Ironie stellt demzufolge einen Modus elaborierter und distanzierter Rede dar, der mit der ›Eigentlichkeit/Uneigentlichkeit‹ der Bedeutung spielt. Wenn man nun Heideggers – später noch näher zu erläuternden – Wahrheits-Begriff im Durchgang durch sein Denken vor Augen hält, dann wird hier eine gemeinsame Grundannahme von Vico wie auch des späten, über das ›Seinsgeschick‹ sinnierenden Heideggers deutlich: Aus unterschiedlichen Gründen heraus gilt das Ursprüngliche und Anfängliche als das ›Wahrere‹ und das Spätere, Kultiviertere als das davon partiell ›Abgefallene‹ und ›Verstelltere‹. Insofern kann es nicht verwundern, wenn Heidegger schreibt, dass die ›Wahrheit die Dichter stiften‹, und die ›Denker das Sein sagen‹. 123 Auch bei Heidegger wird eine poetisch-tropische Sprache einer prosaisch-begrifflichen existenzialphänomenalogisch vorgeordnet. Und ebenso wie Vico beruft sich auch Heidegger dabei auf Aristoteles. Beide übernehmen dessen Unterscheidung von ›Sinnen‹ und ›Verstand‹ und urteilen wie dieser, nämlich dass nichts im Verstand sein kann, was nicht früher in den Sinnen war. 124 »Und durch dieses ganze Buch wird gezeigt werden, daß, soviel Dichter anfangs von der gewöhnlichen Weisheit empfunden hatten, ebensoviel die Philosophen später von der geheimen Weisheit begriffen; so daß man sagen kann, jene seien der Sinn, diese der Verstand des Menschengeschlechts gewesen, von dem folglich auch allgemein wahr sei, was Aristoteles von jedem Menschen im besonderen sagt: ›Nihil est in intellectu quin prius fuerit in sensu‹ (Nichts ist im Verstand, was nicht früher in den Sinnen war), das heißt daß der menschliche Geist nichts begreift, wovon er nicht vorher von den Sinnen ein Motiv (die heutigen Metaphysiker nennen es ›Anlaß‹ (ital. occasione)) empfangen habe; der Geist bedient sich des Verstandes dann, wenn er dem sinnlich Empfundenen etwas entnimmt, was nicht den Sinnen 121 122 123 124

Ebenda. Ebenda. M. Heidegger, Wegmarken, GA 9, S. 107. G. Vico, Prinzipien, a. a. O., S. 160 f.

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zugänglich ist; das ist bei den Lateinern die eigentliche Bedeutung von ›intelligere‹ (begreifen).« 125

Dichtung wird daher von Vico als ›poetische Logik‹ betrachtet, denn: »[D]asselbe, was Metaphysik ist, insofern es die Dinge nach allen Gattungen des Seins betrachtet, ist Logik, insofern es die Dinge nach allen Gattungen erörtert, nach Ideen sie bezeichnet werden können, und so soll nun, nachdem wir die Dichtung oben als poetische Metaphysik erörtert haben, kraft deren die theologischen Dichter sich die Körper zumeist als göttliche Substanzen vorstellten, dieselbe Dichtung als poetische Logik betrachtet werden, mit deren Hilfe sie diese Substanzen bezeichnet.« 126

Heideggers Aristoteles-Interpretation im Ansatz vorwegnehmend, fasst auch Vico somit den λόγος (hier: Logik, BK) als Sprechen und Reden auf. Er bestimmt λόγος aber nicht nur als Sprache und Sprechen im Allgemeinen, sondern als ›Fabel‹ und ›Mythos‹ : »›Logik‹ kommt von dem Wort λόγος (Sprache), das zunächst und eigentlich ›Fabel‹ (ital.: favola) bedeutet, was in italienischer Übersetzung ›favella‹ (Sprache) heißt – und die Fabel hieß bei den Griechen auch μῦθος (Mythos). Woher den Lateinern ›mutus‹ (stumm) kommt; denn in den stummen Zeiten stand die Sprache als geistige, wie denn an einer klassischen Stelle Strabon sagt, eine solche sei vor der mündlichen oder artikulierten dagewesen: weswegen λόγος sowohl ›Idee‹ als auch ›Wort‹ bedeutet.« 127

Für Vico ist ›μῦθος‹ als ›vera narratio‹ (dt. wahre Erzählung), also als eine Art ›wahre Rede‹ definiert. Sie ist die ›natürliche Sprache‹, von der Platon und später Jamblich sagten, dass sie einmal in der Welt gesprochen worden sei. Sie sei aber – anders als Platon angenommen habe – keine Sprache nach der Natur der Dinge, sondern eine »phantastische Sprache mittels beseelter Substanzen, die größtenteils als göttlich vorgestellt wurden«. 128 Himmel, Meer und Erde wurden für beseelte Gottheiten vorgestellt und deswegen mit ›sinnlicher Wahrheit‹ für Götter gehalten. »Dasselbe«, so Vico, »tun auch wir noch, wenn auch umgekehrt, mit den Dingen des Geistes, wie den Vermögen des menschlichen Geistes, den Leidenschaften, den TugenEbenda. Ebenda, S. 188. 127 Die erste Sprache in den ›stummen Zeiten der Völker‹ hält Vico daher auch für Gebärden- und Körpersprache, die für ihn eine natürliche Beziehung zu den Ideen haben. G. Vico, Prinzipien, a. a. O., S. 188. 128 Ebenda, S. 189. 125 126

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den, den Lastern, den Wissenschaften, den Künsten, aus denen wir Ideen und zwar meistens von weiblichem Wesen formen, auf die wir alle Ursachen, alle Eigenschaften und schließlich alle Wirkungen zurückführen, die zu jeder gehören […].« 129

Die Leidenschaften bewirken ein Tun, die Laster verführen, die Wissenschaft lehrt etwas und die Künste sind frei. Wenn sich der Verstand geistige Dinge vorstellen will, muss er nach Vico also von der Phantasie unterstützt werden, um sie darzustellen. Und umgekehrt stellt sich Vico das Verhältnis vor, als die ›theologischen Dichter‹ noch nicht über Abstraktionsvermögen verfügten. Hier gab es anfangs ›nur‹ Phantasie. Kommt dann der Verstand als abstrahierendes, rationalisierendes und insofern reduzierendes Vermögen ins Spiel, dann verarmt nach Vico – auch hierin Heideggers Ansichten ähnlich – die Phantasie zwar zunehmend, aber als Rudiment bleibt sie in ihrer poetischen Logik erhalten. – Wenn Heidegger also in seinen späten Schriften ›die Sprache sprechen‹, ›das Nichts nichten‹, ›das Wesen wesen‹ oder ›die Wissenschaft gerade nicht denken‹ lässt, dann reihen sich solche synekdochalen Redeformen in die von Vico vorgestellte Kulturentwicklungstheorie und Tropenentstehungstheorie ein. Weil die Mythen für Vico phantastische Gattungsbegriffe sind, müssen die Mythologien die ihnen eigentümlichen Allegorien sein, die auf gattungsmäßiger ›Prädikabilität‹ beruhen. 130 Sie haben damit eine eindeutige Bedeutung, die eine Eigenschaft erfasst, die allen ihren Arten oder Individuen gemeinsam ist, wie in Achilles eine Idee der Tapferkeit, die allen Tapferen gemeinsam ist, oder in Odysseus eine Idee der Klugheit, die allen Weisen gemeinsam ist. Für Vico müssen solche (sinnlichen) Allegorien die Etymologien der poetischen Redensarten sein, während diejenigen der gewöhnlichen Redensarten meist die der (verstandesmäßigen) Analogie sind. Für Vico ist damit ›bewiesen‹, »daß alle Tropen (die sich sämtlich auf diese vier zurückführen lassen), die man bisher für geistreiche Erfindungen der Schriftsteller gehalten hat, notwendige Ausdrucksweisen alle(r) ersten poetischen Völker gewesen sind und daß sie ursprünglich die ihnen innewohnende eigentümliche Bedeutung ganz besessen haben: aber als sich später, bei der größeren Entfaltung des menschlichen Geistes, die Ausdrücke fanden, die abstrakte Formen bezeichnen, also Gattungsbegriffe, die ihre Arten umfassen oder die Teile mit 129 130

Ebenda. Ebenda, S. 190.

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dem zugehörigen Ganzen verbinden, da erhielten solche Redensarten der ersten Völker eine übertragene Bedeutung.« 131

Vico will mit dieser Annahme zwei allgemeine Irrtümer der Philologen zu Fall bringen, nämlich »daß die Sprache der Prosaiker die eigentliche, die der Dichter die uneigentliche sei; und daß man zunächst in Prosa, später in Versen gesprochen habe.« 132 Vielmehr sei es genau umgekehrt: Die ursprüngliche Sprache ist die tropische der Dichter und die abgeleitete diejenige einer gattungsbegrifflichen Prosa. Das Verhältnis von eigentlicher zu uneigentlicher Redeweise ist damit gerade umgekehrt zur dominanten Auffassung der sprachwissenschaftlichen und rhetoriktheoretischen Tropentheorien. Nicht nur, dass diese These mitsamt des Autors in Vergessenheit geraten ist und erst im 20. Jahrhundert durch Kenneth Burke, Northrop Frye und vor allem Hayden White wiederbelebt wurde, auch die Untersuchung tropischer Rede als Denkmodelle führte ein allgemeines Schattendasein. Letzteres ist ein Skandal für die Philosophie! Es ist vor allem Hayden White zu verdanken, dass er mit seiner metahistorischen Arbeit über die Modellhaftigkeit von Geschichtsschreibungs- und Geschichtsphilosophieschreibungsvarianten auf den metatheoretischen, philosophischen Gehalt tropischer Rede verwiesen hat. Mit ihm richtete sich die Methodendiskussion innerhalb der Geschichtstheorie jener Jahre auf die Sprachebene der Historie, besonders der Darstellungsform der Historiographie. Im Anschluss an Whites Hauptwerk Metahistory. The historical Imagination in nineteenth-Century Europe 133 entspinnt sich eine internationale und interdisziplinäre Debatte über den Status der Geschichtswissenschaft selbst, nämlich darüber, ob die historische Erkenntnis nicht mehr als das theoretische Gerüst einer abendländischen Ideologie, eines Vorurteils von der kulturellen Überlegenheit des Okzidents über den Orient ist. Damit wird die von den Neukantianern Anfang des 20. Jahrhunderts angestoßene Debatte um geltungstheoretische Fragen der Geisteswissenschaften und deren philosophische Begründung wieder in Gang gebracht. 134 An diese knüpft auch Heideggers Denken Ebenda, S. 195. Ebenda. 133 Vgl. H. White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1991. 134 Dazu gehören unter anderem auch Debatten über das übergreifende Erklärungsmodell von Hempel und Oppenheim (vgl. C. G. Hempel und P. Oppenheim, Studies 131 132

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kritisch an. Er erweitert deren Ansätze allerdings um eine phänomenologische, ontologische, transzendentalphilosophische, existenziale sowie geschichtliche Dimension. Heideggers sprachlogische Überlegungen fließen allerdings in sein Denken praktisch ein und werden nicht eigens expliziert. Anders dagegen verhält es sich mit Hayden Whites tiefensprachlichen Analysen zur Geschichtsschreibung, Philosophie und Psychologie. Er war der erste, der in den 70er-Jahren die vergessene Debatte um die tropische Struktur des Denkens wieder in die geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung und sprachanalytische Forschung eingebracht und fruchtbar gemacht hat. 135 Indem er die Primärtropen zu Denkmodellen avancieren lässt, die unterschiedliche Reflexionsstufen markieren, begründet er gestützt auf Vicos ›poetische Logik‹ deren tiefensprachliche Präfigurationskapazität als ›narrative Logik‹.

6.2.2. Hayden Whites ›narrative Logik‹ Hayden White bewegt sich im Grenzbereich von Geschichte, Literatur und Philosophie. 136 Er hat seiner Untersuchung zur Tiefenstruktur der historischen Einbildungskraft eine methodologische Einleitung vorangestellt, in der er explizit und systematisch die Interpretationsgrundsätze erläutert, auf denen seine Studie zu den klassischen Texten des europäischen Geschichtsdenkens im 19. Jahrhundertberuht. Er vertritt die These, dass Geschichten – besonders in the Logic of Explanation, in: Philosophy of Science 15 (1948), S. 135–175), die analytische Sprachphilosophie (vor allem die dritte linguistische Phase zwischen 1945 und 1960) und der französische Strukturalismus. 135 In Verbindung mit den großen Publikumserfolgen literarisch ambitionierter Geschichtsbücher, wie zum Beispiel von Georges Duby oder Carlo Ginzburg, hat die Rückbesinnung auf Stil und Sprachstruktur historischer Texte einen Aufschwung erfahren. Vgl. G. Duby, Die Welt des Mittelmeeres. Zur Geschichte und Geographie kultureller Lebensformen, Frankfurt am Main 2006; oder C. Ginzburg, Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Frankfurt am Main 1979; sowie ders., Die Wahrheit der Geschichte. Rhetorik und Beweis, Berlin 2001. 136 Es gehört zur Ironie des ›interdisziplinären Zeitalters‹, dass er gerade deshalb von vielen Fachkollegen dieser drei Disziplinen abgelehnt wird. Vgl. P. Burke, Die Metageschichte von ›Metahistory‹, in: J. Stückrath/J. Zbinden (Hrsg.), Metageschichte. Hayden White und Paul Ricœur. Dargestellte Wirklichkeit in der europäischen Kultur im Kontext von Husserl, Weber, Auerbach und Gombrich, Baden-Baden 1997, S. 73– 85, hier S. 73. Logik der Tropen

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die großen historiographischen und geschichtsphilosophischen Erzählungen des Historismus – von so genannten präkognitiven Strukturen vorherbestimmt sind. Diese geben sich als ›Muster historischer Begriffsbildung‹ zu erkennen, wenn man sie »im Lichte einer formalen Theorie der Arbeit des Historikers liest.« 137 White betrachtet das Werk eines Historikers oder eines Geschichtsphilosophen als sprachliche Struktur, die immer die Form einer Erzählung mit tropischem Charakter aufweist. Geschichtsschreibungen und Geschichtsphilosophieschreibungsvarianten kombinieren nach ihm eine bestimmte Menge von ›Daten‹, theoretische Begriffe als ›Erklärung‹ und eine narrative Struktur miteinander, um ein Abbild eines Ensembles von Ereignissen herzustellen, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben. Solche Narrationen haben für ihn tiefenstrukturelle, allgemein poetische und insbesondere sprachliche Gehalte, die als vorkritisch akzeptierte Paradigmen fungieren, die zeigen, wie eine ›historische Erklärung‹ Plausibilität erzeugt. »Dieses Paradigma spielt in allen historiographischen Schriften, deren Horizont umfassender als der des Archivberichts oder der Monographie ist, die Rolle des ›metahistorischen‹ Elements.« 138 Die Terminologie für die Konstruktion seiner Typologie tiefensprachlicher Protokolle bestimmt White aus – wie er es nennt – »manifesten epistemologischen, ästhetischen und moralischen Dimensionen«. 139 Der metahistorische Unterbau besteht für ihn nicht in den theoretischen Begriffen, deren sich die Historiker bedienen, um ihren Erzählungen das Aussehen von ›Erklärungen‹ zu verleihen. Vielmehr bilden diese Begriffe nur die obere Schicht des Werkes, da sie auf der Oberfläche des Textes erscheinen und dort relativ leicht zu entziffern sind. 140 Sie erscheinen dort als methodischer Ansatz oder wissenschaftlich motivierte Absicht. Die Frage, ob Clio ein Kind der Dichtung oder der Wissenschaft, des Mythos oder des Logos, der Phantasie (res fictae) oder der Wirklichkeit (res factae) ist, ist für White dahingehend beantwortet, dass jeweils beide Seiten sich der Sprache tropischer Modi zur Vorstrukturierung und Darstellung ihres Gegenstandes bedienen. Sein Ansatz bezieht sich daher auf eine Dimension, die vor der Ausdifferenzierung in verschiedene Disziplinierungen 137 138 139 140

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liegt bzw. deren Gemeinsames behandelt. Gegen alle polemische Kritik stellt Whites Rückgriff auf tiefensprachliche und literaturwissenschaftliche Kategorien die Wissenschaftlichkeit und Realität historischer Forschung und Darstellung dabei nicht infrage. 141 Auch wird Wahrheit nicht in Lüge verwandelt, nur weil von Rhetorik die Rede ist. 142 Whites 1973 erschienenes Werk stellt eine Analyse dar, die von ihren theoretischen Strategien her den französischen Strukturalismus und den amerikanischen New Criticism beleiht. Whites Ansatz stieß in der am faktuellen Wahrheitsanspruch des Faches festhaltenden Historikerzunft anfangs auf lautstarken Protest. 143 Später kamen differenziertere Stimmen von Paul Veyne, Rancière und Stephen Greenblatt hinzu. 144 Chris Lorenz, Georg Iggers und einige andere namhafte Autoren haben die Vorwürfe an White inzwischen ausgeräumt und stellen dessen innovativen Ansatz in eine Reihe mit Mi141 Eine solche polemische Kritik nimmt Alessandro Barberi an Whites Ansatz vor. Vgl. A. Barberi, Clio verwunde(r)t. Hayden White, Carlo Ginzburg und das Sprachproblem der Geschichte, Wien 2000. 142 Vgl. ebenda, S. 22. 143 Die Radikalkonstruktivisten Arnaldo Momigliano und dessen Schüler Carlo Ginzburg kritisieren an Whites Werk vor allem die dort unterstellte Idee des sprachlichen Prä-Determinismus à la Chomsky. In Frankreich stößt man sich am Modellcharakter von Whites tropologischer Tiefensprachenanalyse, so bei Paul Ricœur, Roger Chartier, Michel de Certeau und Roland Barthes. In Deutschland ist es vor allem Alessandro Barberi, der Whites Tropologie kritisch begleitet. Vgl. A. Barberi, Clio verwunde (r)t, a. a. O. 144 Vgl. C. Ginzburg, Spurensicherung. Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli – Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst, in: ders., Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst, Berlin 1988, S. 7–44; ders., Veranschaulichung und Zitat. Die Wahrheit der Geschichte, in: F. Braudel et al. (Hrsg.), Der Historiker als Menschenfresser. Über den Beruf des Geschichtsschreibers, Berlin 1990; P. Ricœur, Temps et récit, 3 Bde., Paris 1984; R. Chartier, Die unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung, Frankfurt am Main 1992; M. de Certeau, Das Schreiben der Geschichte (frz. L’écriture de l’histoire), Frankfurt am Main 1991; R. Barthes, Au bord de la falaise. L’histoire, in: ders., Œuvres complètes. Tome II. 1966–1973, Paris 1995, S. 417–427; ders., Recherches sur le discours de l’histoire, ibid., S. 451–452, und ders., Histoire ou littérature?, Œuvres complètes. Tome I. 1942–1965, Paris, ibid., S. 1087– 1103; P. Veyne, Comment on écrit l’histoire, Paris 1971; ders., Foucault. Die Revolutionierung der Geschichte, Frankfurt am Main 1992; J. Rancière, Die Namen der Geschichte. Versuch einer Poetik des Wissens, Frankfurt am Main 1994; St. Greenblatt, Grundzüge der Poetik der Kultur, in: ders., Schmutzige Riten, Betrachtungen zwischen Weltbildern, Frankfurt am Main 1991; ders., Kultur, in: M. Baßler, New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur, Frankfurt am Main 1995, S. 48–59.

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chel Foucault und Jacques Derrida. 145 Sie werten White als einen »Autor, der sich von der postmodernen geschichtsphilosophischen Bühne nicht mehr wegdenken läßt« 146, weil er über seine Landesgrenzen hinaus Literaturtheoretiker und literarisch orientierte Geschichtsphilosophen mit seinem einschlagenden Konzept der Analyse sprachlicher Tiefenstrukturen beeinflusst und überzeugt. 147 Ankersmit hebt zum Beispiel hervor: »Hence, White’s writings – rather than those by historians criticizing White – testify to the respect that we owe to historical reality itself. That this is how we should read White becomes clear if we consider his intellectual evolution as a whole rather than the individual books or essays that he wrote.« 148

Indem White die Geschichtsschreibung erstmals mit Kategorien der Literaturtheorie analysiert, kommt ihm das Verdienst zu, die Debatte um postmoderne bzw. poststrukturalistische Ansätze in der Geschichtswissenschaft angestoßen zu haben. 149 »Man könnte sagen, daß White dort ansetzte, wo Frye aufhörte, indem er den aristotelischen Gegensatz von Poesie und Geschichte in den Hintergrund rückte und den Begriff des Plots auf alle historischen Werke ausdehnte.« 150

145 C. Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie, Köln, Weimar, Wien 1997; G. G. Iggers, Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein kritischer Überblick im internationalen Zusammenhang, Göttingen 1993. 146 G. G. Iggers, Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, a. a. O., S. 170. 147 Inzwischen strahlte Whites Ansatz auch auf die nachfolgende Historikergeneration aus, wo er geradezu schulbildend ist, zum Beispiel für Hans Kellner, Dominick LaCapra oder Lionel Gossman. Letzterer erklärte, dass sein eigenes Werk ohne das Whites keinen Sinn hätte. Vgl. H. Kellner, Language and Historical Representation, Madison 1989; D. LaCapra, History and Criticism, Ithaca 1985; L. Gossman, Between History and Literature, Cambridge 1990, S. 400. 148 F. R. Ankersmit, Hayden White’s Appeal to the Historians, in: Theory and History, May 1998, Vol. 37, S. 182–193, hier S. 182. 149 So ist ›Metahistory‹ im Grunde eine Weiterentwicklung der Theorien von Kenneth Burke und Northrop Frye. Die Idee der Anwendung der vier Meistertropen auf die Historiographie übernahm White dabei von Burkes ›Grammar of Motives‹, von Frye stammen die Anregungen über die Plotstruktur von Narrationen. Vgl. K. Burke, A Grammar of Motives, Berkeley/Los Angeles 1969; sowie N. Frye, New Directions for Old, in: Fables of Identity, New York 1963, S. 52–66. 150 P. Burke, Die Metageschichte von ›Metahistory‹, a. a. O., S. 77.

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Whites Kernthese, dass die formale Textgestalt der großen Geschichtsschreiber von der vorbegrifflichen und spezifisch ›poetischnarrativen‹ Natur der Ansicht von Geschichte abhängt und insofern ›auch Klio dichtet‹ 151, hat nicht nur eine lange und internationale Tradition 152, sondern wurde auch oft insofern falsch interpretiert. White wurde unterstellt, dass er eine relativistische Historie befürworte, deren materiale Faktengrundlage marginalisierbar würde. Wer so liest, liest allerdings ungenau. 153 Wenn White seinen Fokus mehr auf die Darstellungsformen und weniger auf die Richtigkeit, Detailliertheit, Folgerichtigkeit und Verifizierbarkeit von Faktenmaterial legt, so bedeutet das, dass eine solche Perspektivverschiebung auf die Form statt auf den Inhalt immer schon auf der Grundlage einer gründlichen historischen Erforschung der Vergangenheit erfolgt ist. Die Geltungsfrage rückt nur deshalb in den Hintergrund, weil die Fakten längst als solche bekannt und anerkannt sind. Der Vorwurf des pluralistisch-postmodernen Relativismus, der zuweilen gegen White geäußert wird, geht sofort ins Leere, wenn dessen Anliegen nicht nur als methodischer Eklektizismus, sondern ernst genommen wird. 154 Weder geht es White nämlich darum, jedem seine Geschichte zu lassen und alle relativierend und beliebig nebeneinander zu stellen, ohne Stellung dazu zu beziehen, noch geht es ihm darum, eine letzte Kenntnis über geschichtliche Ereignisse im Sinne eines Skeptizismus zu negieren. Vielmehr untersucht er die inhärenten poetischen, argumentativen, logischen und tropologischen Tiefendimensionen und deren wahlverwandtschaftliche Bezüge zueinander, die die Daten und Fakten in eine plausible Geschichte verwandeln. Damit fragt White zunächst nach den tiefensprachlichen Präsup151 Vgl. H. White, Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Stuttgart 1991. 152 Peter Burke verweist nicht nur auf Vico und andere Autoren des 18. Jahrhunderts und antike Ansätze, sondern auch auf die amerikanische Tradition der 60er-Jahre sowie auf die französische Tradition der 50er-Jahre, namentlich J. H. Hexter, The Rhetoric of History, in: D. L. Sills (Hrsg.), Encyclopaedia of the Social Sciences, New York 1968, Bd. 6, S. 368–393, wo Geschichte und Rhetorik zusammengedacht werden; und R. Barthes, Michelet par lui-même, Paris 1954, in der sich der Autor mit den von Michelet verwendeten Metaphern auseinandersetzt. Vgl. P. Burke, Die Metageschichte von ›Metahistory‹, a. a. O., S. 74–76. 153 Zur Rezeptionsgeschichte Whites vgl. R. T. Vann, The Reception of Hayden White, in: History and Theory, Mai 1998, Vol. 37, S. 143–161. 154 Vgl. auch P. Zagorin, History, The referent, and narrative. Reflections on Postmodernism Now, in: History and Theory, Februar 1999, Vol. 38, S. 1–24.

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positionen der künstlerischen und rhetorischen Elemente einer realistischen Historiographie. Er fragt also, was an der Historiographie Kunst bzw. das Künstlerische Element ist, ohne deren ›Realismus‹, also das Faktenmaterial, auf das sich jede Geschichtsschreibung stützt, überhaupt anzutasten oder infrage zu stellen. 155 Seine Überlegungen zu den Darstellungsformen in der Historiographie und Geschichtsphilosophie haben das »irritierende Problem der modernen Literaturkritik, die Schwierigkeit ›realistischer‹ literarischer Darstellung« 156 ausgesprochen und damit den Stein des Anstoßes allererst ins Rollen gebracht. Besteht die übliche Taktik, den Realismusbezug innerhalb der Geschichte herzustellen, darin, den Bereich des Fiktiven zwischen den beiden Polen der empirischen und begrifflichen Perspektive zu lokalisieren und so Literatur als mehr oder weniger ›realistisch‹ zu bestimmen, so geht White den umgekehrten Weg und fragt nicht mehr – wie zum Beispiel Erich Auerbach und Ernst Gombrich – nach den geschichtlichen (realistischen) Bestandteilen einer (realistischen) Kunst, sondern nach den künstlerischen Bestandteilen eines historischen Textes. 157 White ist der Überzeugung, dass der Status der Klassiker der Historiographie und Geschichtsphilosophie, die er untersucht, weniger mit der Beschaffenheit der Fakten, die sie erzählen, zusammenhängen, sondern mit der jeweiligen konsequenten Haltung in der Perspektive auf das historische Material, also ihrer plausiblen Darstellung der Fakten. Vorbilder konnten sie nur werden, weil sich ihre konsequente Perspektive in einer konsistenten und kohärenten Textstruktur niedergeschlagen hat. Er fragt also weiter, woher die Evidenz einer Narration herrührt und warum in Anbetracht der Existenz unterschiedlicher Geschichtsdarstellungen und Geschichtsphilosophien ganz verschiedene, aber ebenso ›richtige‹ Darstellungen narrativ erzeugbar sind. »White hat diese Untersuchung in Angriff genommen, nicht um zu zeigen, daß reale Ereignisse als Dichtung betrachtet werden müssen, sondern um zu zeigen, wie reale Ereignisse, sobald sie erzählt werden, notwendigerweise romanhaften Erzähl155 Zum Verhältnis von Historie und Literatur bei White vgl. K. Korhonen (Hrsg.), Tropes for the Past. Hayden White and the History/Literature Debate, Amsterdam, New York 2006. 156 H. White, Metahistory, a. a. O., S. 567. 157 Vgl. E. Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern 1949; E. H. Gombrich, Kunst und Illusion. Eine Studie zur Psychologie der bildlichen Darstellung, Köln 1967.

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strängen und Methoden angepaßt werden.« 158 Diese Frage ist philosophisch brisant, weil sich mit ihr die generelle Frage nach der Universalität oder Pluralität von Wahrheitsansprüchen stellt. Damit ist der polemischen Gegenüberstellung von Wissenschaftlichkeit kontra Literatur für die Geschichtswissenschaft, die Barberi in den beiden Kontrahenten Carlo Ginzburg und Hayden White vornimmt, der Stachel genommen. 159 Die Geschichte des historischen Denkens im 19. Jahrhundert beschreibt für White einen Kreis von der Auflehnung gegen das ironische Geschichtsbild der Spätaufklärung bis zur erneuten Anerkennung einer ähnlich ironischen Konzeption am Vorabend des 20. Jahrhunderts. Deshalb ist diese Arbeit nicht nur eine in die Vergangenheit blickende Arbeit, sondern vor allem eine, die auch Aufgaben für die Gegenwart bereithält. 160 Das klassische Zeitalter des europäischen Geschichtsdenkens von Hegel bis Croce repräsentiert für ihn den Versuch, die Historie zur Grundlage einer ›realistischen‹ Wissenschaft vom Menschen, von der Gesellschaft und der Kultur zu machen. Dieser Realismus stützt sich auf ein Bewusstsein, das vom Skeptizismus und Pessimismus der spätaufklärerischen Ironie ebenso frei ist wie von der kognitiv verantwortungslosen Gläubigkeit der frühromantischen Bewegung. »Doch«, so schreibt White, »was wir mit den Werken der größten Historiker und Geschichtsphilosophen dieser Epoche vor uns haben, ist ein ganzes Bündel widersprüchlicher ›Realismen‹, wovon jeder einen eigentümlichen theoretischen Apparat ausgebildet hat und von einer Gelehrsamkeit gespeist ist, die uns Respekt abnötigt. […] Es ist daher unzulässig zu sagen, Michelets Geschichtsauffas158 J. E. Young, Hayden White, postmoderne Geschichte und der Holocaust, in: J. Stückrath/J. Zbinden (Hrsg.), Metageschichte, a. a. O., S. 139–165, hier S. 144. 159 A. Barberi, Clio verwunde(r)t, a. a. O., S. 27 f. 160 Diese Beobachtung macht Eva Domanska: »White again highlighted the nineteenth century as a time of ›Clio’s pradise‹ when art, philosophy, and history were united ›in a common effort to comprehend the experience of the French Revolution‹. There was a time when intellectuals were ›crossing the borders‹ of different disciplines in order to find illuminating metaphors that could help them to organize reality. Nineteenth-century thinkers had the same problem as their twentieth-century successors. They tried to find out how to provide reality (past and present) with meaning when, after traumatic experiences of revolutions and wars, it seemed to have none. Thus they raised the question of the purpose of studying history and what its cultural function might be in contemporary times. These are also the crucial problems for Hayden White. These are also crucial problems for us.« E. Domanska, Hayden White, Beyond Irony, in: History and Theory, May 1998, Vol. 37, S. 173–181, hier S. 180.

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sung sei durch die ›wissenschaftlichere‹ oder ›empirischere‹ oder ›realistischere‹ Konzeption Rankes widerlegt oder überwunden worden; oder das Werk Rankes sei durch das noch ›wissenschaftlichere‹ oder ›realistischere‹ Werk Tocquevilles gegenstandslos geworden; oder daß alle drei vom ›Realismus‹ Burckhardts in den Schatten gestellt würden.« 161

Dies wäre nämlich gerade so, als wollte man die Wenderomane Der Turm von Uwe Tellkamp gegen Nikolaikirche von Erich Loest ausspielen. Jeder der genannten Historiker oder Literaten hatte ein besonderes Talent zur historischen Erzählung oder zu einer ausgereiften Vision, die sein Werk zu einem geschlossenen und unvergleichlichen Denksystem macht. Damit ist zugleich gesagt, dass die narrativen Darstellungsformen die Gegebenheit der ›Realitätizität‹ der Fakten und Daten nicht anrührt. Sie gibt diesen aber eine innere Struktur, stattet sie mit Sinnhaftigkeit aus und gibt ihr damit erst einen bedeutungsvollen Gehalt. Es gibt kein Erzählen von Geschichte, das von der Präsentation getrennt werden könnte. Der Inhalt hat kein Eigenleben. Nur Inhalt und (Erzähl)Form gemeinsam ergeben einen bedeutungsvollen Sinn. 162 Whites Beobachtung an den historiographischen und geschichtsphilosophischen Texten ist nun, dass deren tiefensprachliche Strukturen den Charakter bestimmter rhetorischer Primärtropen besitzen und die Texte auf idealtypische Narrationsmuster rückführbar sind, deren Grundfunktion durch die Tropen der rhetorischen Sprache angezeigt werden. Der für die jeweilige Darstellung unterlegte Tropus zwingt bei konsistenter und kohärenter Durchführung die Texte in eine bestimmte narrative Logik. Und erst diese sorgt für Verständlichkeit und Plausibilität auf der Rezeptionsseite. Worauf White also hinweist, ist, dass unter Voraussetzung der Wahrhaftigkeit des Datenmaterials unterschiedliche Darstellungen eines Geschehens oder einer Argumentation möglich sind. Demzufolge muss es eine vororganisierende Kraft geben, die das darzustellende Material in eine bestimmte Form gießt – ähnlich wie Kants Verstandeskategorien das Mannigfaltige für die Wahrnehmung vorstrukturieren oder wie Sprachen gewisse logisch-grammatische Strukturmerkmale besitzen müssen. Es handelt sich bei Narrationen dabei um hypotaktische, also über- und unterordnende Ordnungsschemata der Form ›A und b und H. White, Metahistory, a. a. O., S. 560 f. Vgl. H. White, The Content of the Form. Narrative Discourse and Historical Representation, Baltimore 1987. 161 162

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c und d usw.‹ oder ›a und B und c und d usw.‹ und nicht um parataktische, also gleichwertige Nebeneinanderordnungen eines ›A und B und C und D usw.‹ 163 White weist an historiographischen, geschichtsphilosophischen und verschiedenen entwicklungstheoretischen Denkansätzen detailliert nach, wie eine narrative Organisation des zu historisierenden Phänomenbereiches die jeweiligen Plotstrukturen der verschiedenen Großerzählungen vorprägen und wie sich in diese Grundraster verschiedene Erklärungsstrategien ›wahlverwandtschaftlich‹ einpassen. Tropen und die entsprechenden Sprachprotokolle fungieren also für ihn als logische Instrumente zur rhetorischen, narrativen und inferenziell-argumentativen Strukturierung von Erklärungen. In jeder Forschungsdisziplin bleibt nach White »das Denken der Gefangene der Sprachform« 164. Überhaupt hafte der ganzen Realismus-Debatte in der Literatur das Versäumnis an, kritisch zu bewerten, worin eine geschichtliche Konzeption der Wirklichkeit überhaupt bestehe. 165 Whites primäres Interesse gilt jedoch nicht den Darstellungsformen in der Geschichtswissenschaft als Forschungsdisziplin oder der Historie als literarischer Gattung, sondern – wie Kosselek richtig bemerkt – vor allem der Darstellungsform als rhetorischer Dimension historischer Texte. 166 White versteht Rhetorik nicht pejorativ als Kunst der Überredung oder als Stilfrage, sondern als alle Textsorten übergreifende Sprachlehre und Sprachkunst. Mit seiner Re-Animation der Historie als rhetorischer Disziplin knüpft er somit an die sprachsystematischen Interessen des linguistic turn an. Wie dieser fragt White nämlich nach der Konstitution menschlicher Erfahrung, nämlich wie die kulturelle Verarbeitung geschichtlicher Erfahrung überhaupt sprachlich vonstattengeht. Im Fokus stehen also Fragen nach den Heuristiken und nach den ideologischen und metaphysischen Determinanten innerhalb der Sprache. Damit hat er eine Debatte innerhalb der Geschichtswissenschaften angestoßen, die bis heute anhält. Keith Jenkings liest Whites

163 N. Partner, Hayden White (And the Content and the Form and Everyone else) at the AHA, in: History and Theory, December 1997, Vol. 36, S. 102–110, besonders S. 106 f. 164 H. White, Metahistory, a. a. O., S. 12. 165 Vgl. H. White, Auch Klio dichtet, a. a. O. 166 R. Kosselek, Einführung in: H. White, Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen, a. a. O., S. 1–6.

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Metahistory daher als eine ›utopian position‹ 167, die sowohl epistemische als auch ethische Fragen aufwirft für die gesamte Disziplin und Wissenschaft: »Understood in this way, as a rhetorical, metaphorical, textual practice governed by distinctive but never homogeneous procedures through which the maintenance/transformation of the past is regulated […] by the public historical sphere, historical construction can be seen as taking place entirely in the present, historians et al. organizing and figuring this textual referent not as it was but as it is, such that the cogency of historical work can be admitted without the past per se ever entering into it – except rhetorically. In this way histories are fabricated without ›real‹ foundation beyond the textual, and in this way one learns to always ask of such discursive and ideological regimes that hold in their orderings suasive intentions – cui bono – in whose interests?« 168

Eines kann dabei nicht stark genug betont werden: White leugnet jedoch nie die Realität der Fakten. Er fragt vielmehr danach, was es heißt, in spezifisch historischen Kategorien zu denken, wie Realität dargestellt werden kann. Wenn er Geschichte als eine besondere Ausdrucksweise von Welterfahrung, die historische Erkenntnis als ein eigenständiges Verfahren der Vergegenwärtigung und das historische Wissen als eine autonome Sphäre im Universum der Natur- und Humanwissenschaften behandelt, so nimmt er Fragen nach dem epistemologischen Status und der kulturellen Funktion historischen Denkens auf und positioniert sich in der Debatte, ob die Idee der Historie strenge Wissenschaft oder Kunst sei, klar und differenziert. Whites systematische Annahme ist, dass sich das historische Bewusstsein bzw. die ›historische Einbildungskraft‹ (engl. historical imagination) und die sinnstiftenden Darstellungstechniken klassischer Texte des europäischen Geschichtsdenkens des 19. Jahrhunderts auf vier latente Tropen der Rhetorik zurückführen lassen. 169 Sinn 167 Diese Position vertritt neben K. Jenkins auch A. D. Moses. Vgl. K. Jenkins, On ›What ist History?‹. From Carr and Elton to Rorty and White, London 1995; sowie A. D. Moses, Hayden White, Traumatic Nationalism, and the public Role of History, in: History and Theory, Nr. 44, October 2005, S. 311–332, hier S. 323. 168 K. Jenkins, On ›What ist History?‹, a. a. O., S. 179 (Kursivierung Jenkins). 169 Unter historischer Einbildungskraft versteht White eine geistige Ebene zwischen diffuser, noch nonverbaler Empfindung und sprachlichem Denken. Die Übersetzung von ›imagination‹ durch ›Einbildungskraft‹ durch den Übersetzer Peter Kohlhaas hat dabei den Vorteil, dass der in der gegenwärtigen deutschen analytischen Philosophie in Misskredit geratene Begriff des Imaginären durch die konnotative Bedeutungsverschiebung mit dem Kantischen Begriff der Einbildungskraft aufgewertet wird. Das

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bzw. Bedeutung schafft der Autor, indem er den textuellen Darstellungen historischer Ereignisabläufe eine logisch konsistente Abfolge dieser Ereignisse verleiht. Dies geschieht im Normalfall gemäß den kommunikativen Konventionen und rationalen Standards seiner Kultur und Gesellschaft. »Um darstellen zu können, was in der Vergangenheit ›wirklich geschehen‹ ist«, schreibt White mit Blick auf Leopold Rankes Objektivitäts-Diktum, »muß der Historiker den ganzen Ereigniskomplex, den die Dokumente darbieten, als ein mögliches Erkenntnisobjekt vorstrukturieren. Dabei handelt es sich um einen poetischen Akt, da er im Bewusstsein des Historikers selbst einen präkognitiven und vorkritischen Wert hat. Er ist auch insofern poetisch, als er konstitutiv für die danach im sprachlichen Modell verbildlichten, als Darstellung und Erklärung der wirklichen Ereignisse geltenden Strukturen ist. Aber er ist nicht lediglich konstitutiv für einen Bereich, den der Historiker als mögliches Objekt der (mentalen) Wahrnehmung auswählen kann, sondern ebenso für die Begriffe, die er zur Bestimmung der dem Bereich zugehörigen Objekte verwendet, sowie für die Charakterisierung der Art von Beziehungen, die sie miteinander unterhalten können. Durch den poetischen Akt, der den formalen Analysen vorangeht, bringt der Historiker seinen Untersuchungsgegenstand hervor und legt gleichzeitig vorab die begriffliche Strategie fest, derer er sich bei seinen Erklärungen bedienen will.« 170

Der Akt des Festlegens ist dabei nicht unbedingt ein bewusst ablaufender, sondern im Zusammenfassen des Materials zu einer Narration mitablaufender Modus, der nicht eigens bewusst reflektiert sein muss. Er geht vielmehr aus der existenzial und wissenschaftlich motivierten Haltung zum Gegenstand, also den kooperativen Praxisformen hervor, in die der Historiker involviert ist. Im sprachlichen Zugriff auf den Gegenstand fließen sowohl geschichtswissenschaftliche als auch geschichtliche Einstellungen zusammen. 171 Damit wendet sich White – ebenso wie der analytische Geschichtswissenschaftler Arthur Danto – gegen einen naiven Realismus, also gegen die An-

Imaginäre ist dann nicht mehr nur das Bildhafte und nur in der Einbildung Bestehende, also nur in der Vorstellung und nicht wirklich, nicht real Vorhandene, sondern das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorstellen zu können. 170 H. White, Metahistory, a. a. O., S. 50. 171 Vgl. W. Schapp, In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Ding und Mensch. Hamburg 1953. Logik der Tropen

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nahme einer direkten Einpassung der Realität in einen sprachlichen Rahmen. Historiographische und geschichtsphilosophische Schilderungen präsentieren sich für White als verbalisierte Modelle meist einzelner Abschnitte oder Epochen (Historie), manchmal aber auch als Gesamtverlauf (Geschichtsphilosophie) geschichtlicher Abläufe. Sie bilden Denkmodelle. Solche Denkmodelle sind notwendig zum Verstehen von vergangenen Ereigniszusammenhängen, weil die Daten und dokumentarischen Berichte von sich aus allein noch kein eindeutiges Bild von der Struktur der von ihnen bezeugten Ereignisse vermitteln. Historiker wiederholen nur in elaborierter Weise, was der Mensch ohnehin immer tut: Er analysiert und synthetisiert die Mannigfaltigkeit des Wahrnehmbaren (Erzähltes, Gehörtes, Gewusstes, Gesehenes) zu plausiblen Einheiten oder ›Gestalten‹ unter der Maßgabe bestimmter Kategorien. Diese entsprechen Strukturen mehr oder weniger vertrauter menschlicher Kooperations- und Praxisformen. White redet in diesem Zusammenhang von ›Archetypen‹. 172 Indem White davon ausgeht, dass diese narrativen Deutungsmodelle ›rhetorisch-poetischen Charakter‹ haben und durch die innere Logik der Tropen bereitgestellt werden, gilt es nun für ihn, den jeweils dominanten Tropus und das dazugehörige ›tiefensprachliche Protokoll‹ als die ›irreduzible metageschichtliche Grundlage jeder historischen Darstellung‹ identifizieren zu können. 173 White folgt damit einer Interpretationslinie, die bis auf Aristoteles und Vico zurückgeht. 174 Durch die jeweilige Kombination der verschiedenen Strukturierungsebenen will er den jeweiligen ›historischen Stil‹ und den zugrunde liegenden Bewusstseinsstand (bzw. die Einbildungskraft) eines bestimmten Historikers oder Geschichtsphilosophen kenn172 Er bezieht sich dabei auf den Archetypenbegriff, wie ihn Northrop Frye in Rekurs auf C. G. Jungs analytische Psychologie und Sir James Frazers Anthropologie in der Literaturwissenschaft eingeführt haben. Statt Archetypen lässt sich hier auch von ›kollektivem Unbewusstem‹ reden, wie sie sich idealtypische Formen narrativer Strukturierungen analog zu anderen Idealtypen oder Urbilder in der Geometrie, Biologie usw. aufweisen lassen. Sie gehören damit in den noumenalen (oder Verstandes-) im Unterschied zum phänomenalen, also sinnlich aufzeigbaren Bereich. Die literarischen Archetypen der Narration werden von Frye aus Mythen hergeleitet, die sich ihrerseits wiederum am natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten orientieren: Frühling – Komödie, Sommer – Romanze, Herbst – Tragödie, Winter – Satire. Vgl. N. Frye, Anatomy of Criticism, a. a. O., S. 158–242. 173 Vgl. H. White, Metahistory, a. a. O., S. 12. 174 Ebenda, S. 11.

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zeichnen. Ihn interessieren also die Begriffsfindungsstrategien, aufgrund derer der Forscher seine Daten zur Darstellung und Erklärung von historischen und geschichtsphilosophischen Ereigniskomplexen benutzt. White zeigt nun, wie sich die historische Einbildungskraft des europäischen Geschichtsdenkens des 19. Jahrhunderts auf vier latente rhetorische Einheiten zurückführen lässt, mit denen die Autoren das geschichtliche Bewusstsein zu einer plausiblen Darstellung gebracht haben. »Ich postuliere also vier Grundformen der historischen Erkenntnis auf der Basis der präfigurierenden (tropologischen) Strategie, der sie jeweils entspringen: die Metapher, die Synekdoche, die Metonymie und die Ironie. Jede dieser Erkenntnisweisen ist die Grundlage eines sprachlichen Protokolls zur Gliederung des historischen Feldes, so daß sich dann wiederum spezielle ›Erklärungs‹-Strategien anwenden lassen.« 175

White behauptet, dass ›das ›metageschichtliche‹ Element in den Schriften der großen Historiker auf die ›insgeheime ›Geschichtsphilosophie‹ verweist, ohne die sie nicht die Werke hätten schreiben können, die sie geschrieben haben‹. 176 Er will zeigen, dass die Werke der wichtigsten Geschichtsphilosophen sich von denen der Geschichtsschreiber in dem, was man die ›eigentliche Historie‹ nennt, lediglich in der Blickführung und Darstellungsweise, nicht aber im Erkenntnisgehalt unterscheiden. 177 Bei gemeinsamem faktuellen Inhalt besteht ihr Unterschied lediglich darin, dass bei den Historikern implizit bleibt, was bei den Geschichtsphilosophen ans Licht gezogen und systematisch entfaltet wird. 178 White kann daher die üblichen Kategorien preisgeben, nach denen die ›Schulen‹ der Geschichtsschreibung sonst kennzeichnet werden, etwa ›Romantizismus‹, ›Idealismus‹ oder ›Positivismus‹ als kulturelle Bewegungen oder ›Liberalismus‹, ›Radikalismus‹ oder ›Konservatismus‹ als ideologische Bewegungen. »In der Geschichtsschreibung wird der Entwurf ins Innere der Erzählung verlagert, während den ›gefundenen‹ Fakten der Platz im Vordergrund der Fabel selbst eingeräumt wird. In der spekulativen Geschichtsphilosophie verhält es sich umgekehrt. Hier wird das Element des begrifflichen Entwurfs in den Vordergrund gestellt, ausdrücklich zum Thema gemacht und 175 176 177 178

Ebenda. Ebenda, S. 12. Ebenda. S. 555. Vgl. ebenda, S. 12 und 554.

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systematisch begründet, wobei die Fakten vorwiegend der Veranschaulichung oder als beispielhaftes Zeugnis dienen.« 179

White zieht daraus den Schluss, »daß jede Geschichtsphilosophie die Bestandteile der Geschichtsschreibung mitumfaßt, so wie jede Geschichtsschreibung die Elemente einer voll entwickelten Geschichtsphilosophie enthält« 180. Weil es den Geschichtsphilosophen nicht nur nach einem Verständnis des historischen Geschehens, sondern nach der Gewinnung verbindlicher Kriterien für das Verstehen historischer Bedeutung verlangt, ist Geschichtsphilosophie für White ›Geschichtsschreibung zweiter Ordnung‹. »So gesehen ist die Geschichtsphilosophie ein Kommentar nicht lediglich zur historischen Überlieferung, sondern auch zu jener Tätigkeit, dank derer einer bestimmten Kodierung des historischen Feldes der Anspruch auf den Status einer Erkenntnis gewährt werden kann.« 181 Es ist für White kein Zufall, dass die herausragenden Geschichtsphilosophen des 19. Jahrhunderts vornehmlich Sprachphilosophen und Dialektiker waren. Dialektik ist für ihn die Formalisierung der Einsicht in das tropologische Wesen all jener Diskurse, die nicht formell an die Artikulation einer bestimmten Weltsicht in den Grenzen einer einzigen Form des Sprachgebrauchs gebunden sind, wie es in den Naturwissenschaften der Fall war, nachdem sie sich im 17. Jahrhundert auf den metonymischen Sprachmodus festgelegt hatten. 182 Das Problem des protowissenschaftlichen Charakters historischer Forschung liegt für White darin, sich – analog zu den Naturwissenschaftlern des 17. Jahrhunderts – auf einen spezifischen Diskurstypus zu einigen. »So wie die Humanwissenschaften generell bleibt auch die Historie während des ganzen 19. Jahrhunderts – und bis auf den heutigen Tag – den Launen, doch ebenso der Produktivität der Sprache ausgesetzt. Infolgedessen hat die Historiographie das Problem, Interpretationen derselben historischen Ereignisse oder desselben Abschnitts des Geschichtsverlaufs hervorzubringen, die zwar gleich legitim sind, sich aber gegenseitig ausschließen.« 183 Weil das Historische bzw. das Geschichtliche phänomenal andersartig ist als das Natürliche bzw. das positiv erfassbar Physische, sind ihre Dar179 180 181 182 183

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Ebenda, S. 555. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 556.

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stellungsformen von Geschichtlichkeit auch nicht allein auf die Grundformen metonymischer Darstellbarkeit zu reduzieren, etwa auf Ursache-Wirkung, Teil-Ganzes usw. Vielmehr bedarf es anderer Plausibilitätserzeugungen als der analytischen Zerleg- und Wiederzusammensetzbarkeit homogenisierter Ereignisreihen. Existenzial wahrgenommene Geschichtlichkeit lässt sich eben nicht wie die Natur in fixierbare Gesetzlichkeiten positivieren, sondern bedarf einer phänomengerechten Wahrnehmung und Beschreibung der darin sich ausdrückenden existenzial-dynamischen Zeitlichkeit, wie sie bereits Martin Heidegger in Zuspitzung der neukantianischen und lebensphilosophischen Debatte herausgearbeitet hat. Diese Hintergrundannahme ist für White das Hauptmotiv, um nach den von den Naturwissenschaften unterschiedenen, genuin geschichtswissenschaftlichen Erklärformen zu suchen und die beiden Phänomenbereiche Natur und Geschichte sprachdenkerisch dezidiert voneinander zu unterscheiden. Weil sich für ihn Denken in Sprache immer tropisch darstellt, kommt er nicht nur auf einen anderen Redemodus, der für geschichtliche Abläufe typisch wäre, sondern auf unterschiedliche komplexe und wahlverwandtschaftliche Strategien der Erzeugung geschichtswissenschaftlicher Erklärungen. Diese sind zugleich die Formen, wie Texte narrativ strukturiert sein können, nämlich 1. durch argumentative Strategien bzw. formale Schlussfolgerungen (engl. argument), 2. durch narrative bzw. plot-Strukturierung (engl. emplotment) 184 und 3. durch ideologische Implikationen. Innerhalb dieser drei Strategien zeigen sich jeweils vier mögliche Ausdrucksweisen, mit denen Historiker bestimmte Erklärungswirkungen erzielen. Im Falle formaler Argumente handelt es sich um die Typen des Formativismus, des Organizismus, des Mechanismus und des Kontextualismus. Für die Formen der narrativen Strukturierung stehen die Archetypen Romanze, Komödie, Tragödie und Satire zur Verfügung. Bei den ideologischen Implikationen lassen sich die Taktiken des Anarchismus, des Konservativismus, des Radikalismus sowie des Liberalismus unterscheiden. 185 Das tiefensprachliche Pro184 Die originale Wortprägung ›emplotment‹ lässt sich dabei nicht linear ins Deutsche übersetzen. Dem formalistischen Ansatz Whites folgend und seiner Anlehnung an die Terminologie der russischen Formalisten entsprechend wird emplotment im Text mit Strukturierung, Gestalt oder Modellierung der Erzählstruktur oder Handlung (im Original: ›plot‹) wiedergegeben. Vgl. Anmerkung des Übersetzers, in: H. White, Metahistory, a. a. O., S. 10. 185 White bezieht sich auf vier Wahrheitstheorien, angelehnt an Stephen C. Peppers

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tokoll bildet sich dann durch die eigentümliche Kombination von Denk- und Schreibweisen. Insgesamt ergibt sich ein Koordinatensystem von vier mal vier Kategorien. 186 Diesen vier narrativen Strategien ordnet White jeweils vier Geschichtsschreiber und vier Geschichtsphilosophen – alles ›Meisterdenker‹ – exemplarisch zu. So steht der Historiker Jules Michelet für ein Modell, das eine romantische Erzählstruktur mit einer formativistischen Argumentation verbindet, dabei anarchistische Implikationen offenbart und im Tropus der Metapher agiert. Alexis de Tocqueville hingegen verbindet eine tragische Erzählstruktur mit einer mechanistischen Argumentationsform und hat radikale ideologische Implikationen im Redemodus der Metonymie. Leopold von Ranke hingegen bringt nach White eine komische Erzählstruktur mit einer organizistischen Argumentationsform zusammen, benutzt konservative Implikationen und schreibt im Modus der Synekdoche, während Jakob Burckhardt für White eher satirisch erzählt, kontextualistische Argumentationsformen nutzt, liberale Implikationen transportiert und im Modus der Ironie schreibt. Bei den Geschichtsphilosophen werden Friedrich Nietzsche, Karl Marx, Benedetto Croce und vor allem Georg Wilhelm Friedrich Hegel auf Whites tetralogische Raster appliziert. 187 Hegels ›ironischem Redemodus‹ steht Whites eigene Schreibweise besonders nahe, denn er stellt für ihn ›das historische Gewissen des nachfolgenden Zeitalters‹ dar. 188 Doch Whites Ironie ist eine absichtsvolle und bezeichnet deshalb eine Wendung des ironischen Bewusstseins gegen die Ironie. White will nämlich den Weg ein Stück weit frei für die Wiederbegründung der Geschichtsschreibung als einer intellektuellen Tätigkeit machen, die zugleich poetische, wissenschaftliche und philosophische Belange berührt, so wie es während ihres Goldenen Zeitalters im 19. Jahrhundert der Fall war.

Konzept der ›Welthypothesen‹, auf Northrop Fryes Theorie der fiktionalen Literatur, die vier archetypische Handlungsstrukturen unterscheidet, und Karl Mannheims Ideologietheorie, die vier Strategien der ideologischen Implikation herauspräpariert. Vgl. St. C. Pepper, Welthypothesen. Studie in Beweisen, a. a. O.; N. Frye, Anatomy of Criticism, a. a. O.; K. Mannheim, Ideologie und Utopie, Bonn 1929; vgl. auch H. White, Metahistory, a. a. O., S. 553. 186 Vgl. H. White, Metahistory, a. a. O., S. 48. 187 Ebenda. 188 Vgl. ebenda, S. 180.

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»Wenn es mir gelingt zu zeigen, daß der Skeptizismus und Pessimismus beträchtlicher Teile des zeitgenössischen Geschichtsdenkens ihren Ursprung in einer ironischen Geisteshaltung haben, die ihrerseits eine unter mehreren möglichen ist, dann hat das Buch einigen Anlaß geliefert, die Ironie nunmehr zu verabschieden.« 189

Die unterschiedlichen Akte der Kombinierung kennzeichnet White als einen »wesentlich poetischen Akt, der das historische Feld präfiguriert und den Bereich konstituiert, in dem er die besonderen Theorien entwickelt, die zeigen sollen, ›was wirklich geschehen ist‹« 190. Er folgt dabei einer Interpretationslinie, die bis auf Aristoteles zurückgeht und die von Vico und dann von vielen modernen Linguisten und Literaturtheoretikern geschärft worden ist. 191 Die Interpretationslinie belegt die Typen der Präfiguration mit den Namen der vier Primärtropen der poetischen Sprache: Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie. Jede dieser rahmenden Modellierweisen ist für ihn die Grundlage eines sprachlichen Protokolls zur Gliederung des historischen Feldes, so dass sich dann wiederum spezielle ›Erklärungs‹-Strategien anwenden lassen. 192 White behauptet nun, dass der dominante Tropus und das dazugehörige sprachliche Protokoll die irreduzibel metageschichtliche Grundlage jeder historischen Darstellung sind und dass das metageschichtliche Element auf die insgeheime Geschichtsphilosophie verweist, ohne die die Historiker nicht die Werke hätten schreiben können, die sie geschrieben haben. 193 Er nennt diese Protokolle auch ›Stile‹ und benutzt damit eine rhetoriktheoretische Kategorie, ohne deren bloß ästhetisch-ornamentale Grundannahme zu teilen. Für White ist es eben nicht reine Geschmackssache oder Sache der Beliebigkeit, wie sich die verschiedenen narrativ-argumentativen Komponenten miteinander kombinieren. Der ›Stil‹ eines bestimmten Historikers oder Geschichtsphilosophen ist durch eine eigentümliche Kombination von verschiedenen Ausdrucks-, Argumentations-, Erklär- und Darstellungsstrategien gekennzeichnet, nämlich die Art und Weise, wie das narrativ-tropologische Sprachmodell sein ›präkognitives Weltbild‹ bzw. Selbst- und Weltverständnis erzeugt. Insofern ist ›Stil‹ für White kein decorum, Ebenda, S. 13 f. Ebenda, S. 11 (Kursivierung White). 191 Neben N. Fryes Archetypentheorie ist das vor allem K. Burke, Grammar of Motives, a. a. O.; ders., Philosophy of Literary Form, New York 1941. 192 Vgl. H. White, Metahistory, a. a. O., S. 12. 193 Vgl. ebenda, S. 12. 189 190

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kein ›Kleid der Gedanken‹ oder individueller Ausdruck der Persönlichkeit, also keine rein ästhetische Kategorie oder nur ornamental. Die epistemisch-heuristischen und ontologischen Dimensionen der sprachlichen Tiefenstrukturen, die White aus den Texten der Historiker und Geschichtsphilosophen herauspräpariert, sind vielmehr metatheoretische und damit philosophische Kategorien über bzw. vor der wissenschaftlich-theoretischen Bearbeitung. In Reaktion auf die Erfordernisse des jeweiligen Tropus, der die Sprachform seiner Vorstrukturierung des untersuchungsrelevanten Bereichs historischer Erscheinungen bildet, ›wählt‹ der Historiker zur formalen Argumentation stets einen bestimmten Erklärungstypus, der diesem entspricht. »Dieser Umstand lässt eine Wahlverwandtschaft zwischen der Tätigkeit der Vorstrukturierung des Geschichtsfeldes und den Erklärungsstrategien vermuten, die der Historiker in einem bestimmten Werk anwendet.« 194 Die verschiedenen Haltungen, die gemäß der Vorstrukturierung durch die Primärtropen erzeugt werden, stehen dabei nicht gleichberechtigt nebeneinander. Vielmehr ordnet White die unterschiedlichen historiographischen und geschichtsphilosophischen Haltungen als Bestandteile einer einzigen Denktradition zu, die für ihn einen zugrunde liegenden Bewusstseinszustand anzeigen, in dem der Forscher die Begriffsstrategien zur Erklärung oder Darstellung der Daten auswählt. White postuliert damit vier Grundformen der historischen Erkenntnis, die gleichsam Stufen oder Grade eines jeweiligen (kollektiven) ›Bewusstseinsstandes‹ markieren. Die stufenartige Abfolge der Geschichtsschreibungs- und Geschichtsphilosophieschreibungsvarianten vollzieht dabei die zunehmende Reflexion, die sich im 19. Jahrhundert als Grade größer werdender Distanzierung zum historischen Gegenstand abbilden, nach. »So betrachtet gleicht die Entwicklung der Geschichtsphilosophie von Hegel über Marx und Nietzsche zu Croce durchaus der Entwicklung, die sich in der Historiographie von Michelet über Ranke und Tocqueville zu Burckhardt vollzieht. In der Geschichtsphilosophie wie in der Geschichtsschreibung erscheinen dieselben Grundkategorien der Begriffsbildung, obschon, was ihre vollständige Artikulation angeht, in verschiedener Abfolge.« 195 Das Koordinatensystem ist als ein offenes Modell zu verstehen, das sich auf zwei analogen Ebenen vollzieht. Dabei ist es unerheblich, 194 195

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Ebenda, S. 554. Ebenda, S. 62.

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ob alle in der Sprache enthaltenen Möglichkeiten zur Darstellung historischer Phänomene erschöpft sind. Vielmehr will White herausstellen, dass Sprecher und Hörer eine Sprache sprechen müssen: »Nach meiner Ansicht wird die Verbindung zwischen einem bestimmten Historiker und seinem potentiellen Publikum vortheoretisch, nämlich im Sprachgestus des Bewusstseins kurzgeschlossen. […] Meines Erachtens wirkt keine Theorie der Geschichte auf ein Publikum allein aufgrund ihrer Angemessenheit als ›Erklärung‹ der in der Erzählung enthaltenen ›Daten‹ überzeugend oder zwingend, da in der Historie ebenso wenig wie in den Sozialwissenschaften im Voraus festgelegt werden kann, was als ›Gegebenes‹ und was als ›Theorie‹ zählt, die ›erklären‹ soll, was das Gegebene ›bedeutet‹.« 196

Die Entscheidung eines herkömmlichen Historikers, die Äußerungen bewusster Absichten durch den geschichtlichen Akteur für bare Münze zu nehmen, ist für White weder mehr noch weniger gerechtfertigt als die Entscheidung des materialistischen Deterministen, die bewussten Absichten auf den Status von Wirkungen einer psychophysischen Ursache zurückzuführen, oder als die des Idealisten, sie als Funktion eines ›Zeitgeistes‹ zu deuten. Das ist auch der Grund, warum die Historiker uneins sind über die Beschaffenheit des ›Gegebenen‹ einerseits und die Form der Theorie, mit deren Hilfe Daten als ›Probleme‹ artikuliert, gelöst und dann zu Erklärungen vereinigt werden, andererseits. »In der Historie […] wird das historische Feld durch eine sprachliche Handlung tropologischer Natur als Untersuchungsbereich ausgewiesen. Der dabei vorherrschende Tropus wird sowohl die Art der Gegenstände bestimmen, die im Feld als Gegebenheiten erscheinen dürfen, wie auch die angenommenen möglichen Beziehungen zwischen ihnen. Die danach ausgearbeiteten Theorien, denen die Darstellung der im Feld sich ereignenden Veränderungen zufällt, können als Erklärung des ›wirklichen Geschehens‹ nur insoweit Glaubwürdigkeit beanspruchen, wie sie mit der Sprachform übereinstimmen, in der das Feld als möglicher Gegenstand geistiger Wahrnehmung vorstrukturiert wurde.« 197

Darum ist für White jede Theorie, die in einer bestimmten Form konzipiert wurde, gegenüber einem Publikum, das eine andere Weise der Vorstrukturierung privilegiert, zum Scheitern verurteilt. Vielmehr muss es ein Passungsverhältnis geben. Insofern haben solche Theo196 197

Ebenda, S. 557. Ebenda, S. 558.

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rien für White – sei es Marx’ mechanistische, sei es Hegels organistische Erklärungsvariante – immer nur eine begrenzte hermeneutische Reichweite. Denn in den vorkritischen Bindungen an unterschiedliche Diskursformen und ihre konstitutiven tropologischen Strategien gründen die unterschiedlichen Deutungen der Geschichte. 198 Für White geht es in den Wissenschaften vom Menschen nicht lediglich darum, der einen oder anderen Analysemethode den Vorzug zu geben, sondern immer auch darum, sich zwischen widersprüchlichen Konzeptionen zu entscheiden. 199 »Fixiert auf eine besondere Wissenschaftsauffassung könnte man darauf beharren, Tocqueville sei ein ›wissenschaftlicherer‹ Historiker als Michelet oder Ranke, oder Marx sei ein ›realistischerer‹ Sozialwissenschaftler als Hegel oder auch Croce. Um jedoch zu einem solchen Urteil zu gelangen, müßte man ignorieren, daß man auf dem Boden der Geschichte keinen Rückhalt für die Entscheidungen hat, eine bestimmte Auffassung von der ›Wissenschaft‹ der Geschichte einer anderen vorzuziehen.« 200

Es sind deshalb die ästhetischen und moralischen Einstellungen, die man längst schon geteilt hat, die dann der jeweiligen Geschichtsschreibung die logisch-rhetorische Richtung vorgeben. »Historiker und Geschichtsphilosophen sind dann frei, in derjenigen Denkform die Geschichte begrifflich zu entwerfen, ihre Inhalte wahrzunehmen und erzählende Darstellungen ihrer Verläufe aufzuzeichnen, die zu ihren eigenen ästhetischen und moralischen Imperativen paßt.« 201 White bezieht sich hier auf einen Ausspruch des späten Collingwood, der behauptete, dass die Art von Geschichte, die man schreibt, oder die Art und Weise, wie man über die Geschichte denke, davon abhänge, was für ein Mensch man sei. 202 Philosophisch interessant ist an Whites Ansatz die Neuinterpretation der Tropen als Metakategorien der tiefensprachlichen Interpretation. Diese Neuinterpretation nämlich ermöglicht es – anders als in der Substitutionstheorie der Tropen –, das Verhältnis der vier Primärtropen zueinander neu zu bestimmen. Vor allem das Verhältnis von Metonymie und Synekdoche als Formen metasprachlicher Präfiguration lässt sich mit Heidegger nicht nur klarer fassen als in substitu198 199 200 201 202

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Ebenda, S. 559. Ebenda, S. 562. Ebenda, S. 561 f. Ebenda, S. 563 f. Vgl. ebenda, S. 563.

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tionstheoretischen Ansätzen, wo beide Tropen nicht eindeutig auseinandergehalten werden, sondern bieten überdies Grundmodelle sprachlicher Rahmung dar. Kontiguitätstropen, mehr noch als Similaritätstropen wie Metapher und Ironie, können zeigen, wie Menschen nicht nur in gehobener, poetischer Sprache bestimmte tropische Redemodi nutzen, sondern wie Denken, Sprache und Handeln generell miteinander zusammenhängen. »Although certain individuals«, stellt Raymond W. Gibbs heraus, »such as great poets and writers, often create spectacular poetic examples of metonymy, virtually all people are quite familiar with many conventional forms of metonymy in both language and thought.« 203 Was für die Poeten und Schriftsteller gilt, gilt in gleichem Maße für Philosophen und Denker. Insofern lassen sich die Primärtropen von White als logische Redemodi verstehen. Sie sind immer zugleich kognitive, volitive und emotive, vor allem aber vortheoretische Vororganisationen sprachlicher Inhalte, denn sie prägen die sprachlichen Darstellungsformen aus dem praktisch-kooperativen Umgang mit der Um- und Mitwelt vor und strukturieren diese Wirklichkeit auch rückwirkend um. So müssen selbst Substitutionstheoretiker wie Josef Kopperschmidt zugeben, dass man die wirklichkeitsstrukturierende Leistung von Tropen gegenüber der ornamentalen und affektorientierten nicht unterschlagen dürfe, weil sie eben nicht ausschließlich einer stilistischästhetischen Logik folge. 204 Dem ist hinzuzufügen, dass die Tropen dabei nicht konstruktivistisch aus der Luft gegriffen werden, sondern Denk- und Sprachmöglichkeiten bereitstellen, die sich aus den kooperativen Handlungsformen der Menschen selbst ergeben. Primärtropen sind nicht nur wirklichkeitsstrukturierend, sondern zugleich wirklichkeitsstrukturiert. Sie bewahren die vorbegriffliche Dimension menschlicher Praxisvollzüge in reflektierender Form und reichen von der Identifizierung mit dem Gegenstand über zunehmende Distanznahme bis hin zur Kontrarität, so wie es die Primärtropen von der Metapher, über die Metonymie und Synekdoche bis hin zur Ironie darstellen. Nach White ist es demzufolge unsinnig zu sagen, dass eine historische Darstellung ›realistischer‹ als eine andere sei. Vielmehr sind die vier Primärtropen grundlegende, aufeinander aufbau203 Vgl. Raymond W. Gibbs, Jr., Speaking and Thinking with Metonymy, in: K.-U. Panther und G. Radden (eds.), Metonymy in Language and Thought, a. a. O., S. 73. 204 Vgl. J. Kopperschmidt, Allgemeine Rhetorik. Einführung in die Theorie der Persuasiven Kommunikation, a. a. O., S. 171.

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ende und sich im Prinzip gegenseitig ausschließende archetypische Redeorganisationsmodi. Weil die Metapher primordial, also vororientierend wirkt, sind Ironie, Metonymie und Synekdoche Formen der Metapher, die sich lediglich durch die Art der Reduktionen oder Integrationen, die sie auf der Ebene der wörtlichen Bedeutung herstellen, unterscheiden. 205 Wo White also in seinem Buch Metahistory narrative und tropische Grundformen historiographischer und geschichtsphilosophischer Darstellungsformen vornehmlich im 19. Jahrhundert reflektiert, da thematisiert er Formen von Darstellungen, die in gleicher Weise mit dem Anspruch auftreten, reales Abbild der Wirklichkeit zu sein. Erst im zeitlich nachgelagerten Rückblick auf die mit gleicher Stimme erhobenen Realitätsansprüche erweisen sich die verschiedenen Positionen überhaupt als verschiedene Darstellungsformen über das gleiche geschichtliche Material bzw. als unterschiedliche Denkmodelle über die Vorstellungen vom Gang der Geschichte und ihre Motivationen. Dass White vier verschiedene Historiker und vier Geschichtsphilosophen darüber hinaus als Vertreter einer zunehmenden Reflexionszunahme interpretiert und die Tropen damit in eine aufsteigende Linie einordnet, die von großer Naivität hin zu zunehmender Reflexivität verläuft und dann den Kreislauf von Neuem beginnt, ist eine Zusatzannahme, die ebenso wie dessen doppelt tetralogisches Sortierungsraster Überprüfungen erst noch standhalten muss. Die Kritik an der Starrheit des Whiteschen Rasterprogramms ist jedoch ein Umstand, der nicht so schwer wiegt, weil White gar keine Vollständigkeit des Rasters beansprucht und natürlich weiß, dass Denken und Sprache dynamische Kapazitäten des Menschen sind und sich mit den Praxisformen auch die Denk- und Sprachformen wandeln können. Natürlich mutet in einem tropologischen Modell die schematische Zuordnung bestimmter Historiker zu spezifischen Plots und spezifischen Tropen, wie Burke richtig wahrnimmt, etwas forciert an. 206 Aber solche Überkonturierungen liegen in der Natur solcherlei Darstellungen. Es liegt dabei nicht immer am Autor, wenn sie falsch verstanden werden. Whites Position als ›eurozentristisch‹ zu bezeichnen, ist allerdings ein Fauxpas, der schmunzeln lässt. 207 205 206 207

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Vgl. H. White, Metahistory, a. a. O., S. 51. P. Burke, Die Metageschichte von ›Metahistory‹, a. a. O., S. 81. Vgl. ebenda.

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Davon unterschieden sind tatsächliche Probleme des Whiteschen Ansatzes: So ist nicht einzusehen, »warum ein bestimmter Historiker je nach Gegenstand nicht von einem Plot zum anderen wechseln darf« oder »nicht versuchen soll, im selben Werk verschiedene Sichtweisen parallel darzustellen« 208. Mit der tropologischen Interpretation des Heideggerschen Denkweges kann genau das Gegenteil gezeigt werden, nämlich dass ein einziger Denker selbst immer wieder versucht, in seinen sprachlichen Voraussetzungen transparent zu werden, dabei letztlich die Rahmungen, die Tropen geben, bis an ihre Grenzen ausreizt und schließlich zu einem anderen Tropus hin überschreiten muss, um ein Ent-sprechungs-Verhältnis von Zusagendem und Darstellungsform zu gewährleisten. Die Stichhaltigkeit der Whiteschen Thesen kann im Interpretationsteil am Beispiel des Heideggerschen Denkweges geprüft werden. Als Denkmodell entfaltet es zumindest insofern für die hier noch auszuführenden interpretatorischen Überlegungen einen Reiz, als auch die Denkbewegungen eines einzigen Autors als zunehmende Reflexionsbewegung gewertet werden können, in der ein mehrfacher Tropenwechsel stattfindet, wobei der vom metonymischen zum synekdochischen Darstellungsmodus aus philosophischer Perspektive der interessanteste ist. Dieser Tropenwechsel ist zugleich das schwierige Problem der Qualifizierung der inneren Logik der Tropen in ihrer Unterschiedenheit und Verbundenheit. Er macht das Ringen um Klärung im Denken am deutlichsten. Als vorkritische und präfigurierende tiefensprachliche Sinnbildungskapazität eröffnen die Tropen immer ein Spektrum möglicher bedeutungsvoller Darstellungsformen. Die tiefensprachliche Neubestimmung der einzelnen Primärtropen durch White – im Gegensatz zur oberflächenstrukturellen Bestimmung der Substitutionstheorien – bedarf daher einer etwas genaueren Erläuterung.

a)

Metapher

Die Metapher wird von White als eine Beziehung der Identität aufgefasst. Wer im Modus des Identischen redet, behauptet, dass einer Sache bestimmte Eigenschaften zuzuordnen sind bzw. zukommen.

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Wenn man zum Beispiel sagt, dass ›das Leben, eine Reise‹ 209 oder ›der Mensch die Krone der Schöpfung‹ sei, dann stellt man eine Identitätsbeziehung zwischen weit voneinander entfernten Bedeutungsfeldern her, weshalb die Substitutionstheorie auch von Sprungtropen redet. Das heißt, die Metaphern stellen eine Art Identität von semantisch unterschiedlichen Objekten her, die manchmal auch durch einen Vergleich ausdrückbar sind. Metaphern sind aber nicht immer auf einen Vergleich (etwas ist wie etwas anderes) reduzierbar, wie Aristoteles noch glaubte. Die Metapher behauptet nämlich nicht nur eine Ähnlichkeit, sondern eine Identität. Die Identität ist eine stärkere Forderung als die Ähnlichkeit. ›Der Mensch ist eben nicht nur wie eine Krone der Schöpfung‹, denn das würde bedeuten, dass der Mensch nur irgendeine Ähnlichkeit mit einem von Gott geschaffenen höchsten Wesen hätte, vielmehr ist er das von Gott geschaffene höchste Wesen – so jedenfalls die biblische Behauptung. Die Kopula ›ist‹ drückt also ein Identitätsverhältnis aus, das nicht auf wörtliche, sondern auf metaphorische Art, also tropisch verstanden werden muss. Allerdings wird keine Definition (der Mensch ist ein moralisches Wesen) oder Prädikation (der Stuhl ist gelb) abgegeben, wie etwas ist. Vielmehr wird eine Assoziation aufgerufen, die nicht vollständig auf lexikalisierte, buchstäbliche oder wortwörtliche Weise auszudrücken ist. Hier ist die Erfahrung und Kreativität des Hörers gefordert. Die Oberflächenstruktur der Metapher fordert dazu auf, die beiden Begriffsfelder jeweils miteinander in eine Beziehung analogischer Übertragung zu bringen. Metaphern stiften also Identitätsbeziehungen zwischen Objekten. Sie sind primordial und bereichsabsteckend. Mit Metaphern werden zwei Dinge oder Sachverhalte im gegenseitigen Bezug ›A ist B‹ identifiziert. 210 Der ausgedrückte Inhalt wird ›bildlich‹ verstanden, nämlich als ein Hinweis auf etwas. Sie erweitern bzw. erzeugen auf sprachökonomische Weise (neue) Redebereiche. Tiefenstrukturell ist die Sprache der Metapher für White darüber hinaus aber wesentlich darstellend und nicht erklärend. Das heißt, sie hat keine Distanz zum Gegenstand der Darstellung. Sie ist nach White ›synthetisiert‹ mit dem, was sie beschreibt. Indem sie mit dem zusam-

209 Statt des Kommas, das die Poetizität unterstützt, könnte hier auch die Kopula ›ist‹ stehen (das Leben ist eine Reise), ohne die Metapher in ihrem semantischen Gehalt zu verändern. 210 Der Unterschied von Identität zum Vergleich ist oft nur minimal, aber philosophisch und linguistisch relevant.

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menfällt, was sie beschreibt, mangelt es ihr an Abstand. Darstellung und Darzustellendes fallen quasi zusammen. Dieses enge Verhältnis vom Autor zum Darzustellenden wird tiefensprachlich nachgeahmt. Man ›lebt‹ in gewisser Weise in diesen vororientierenden Rahmungen. ›Sein‹ und ›Zeit‹ gehen unterschwellig diese identifizierende Beziehung bei Heidegger ein. ›Sein‹ ›ist‹ in gewisser Weise ›Zeit‹. Die Frage, die leitend bleibt, aber ist: Wie? Die bloße Metapher reicht Heidegger auf Dauer nicht. Das liegt unter anderem an der logischen Struktur, die der logische Redemodus des Metaphorischen als Tiefenstruktur mit sich bringt. Die Metapher bringt nämlich eine Präfiguration der Erfahrungswelt in Objekt-Objekt-Termini mit sich, während White die Metonymie für Bereiche, die in Teil-Teil-Termini, und die Synekdoche für Bereiche, die in Objekt-Ganzes-Termini zu fassen sind, reserviert. Im Unterschied zur Metapher drückt die Metonymie Nachbarschaftlichkeit oder Kontiguität aus, deren Grundprinzip die Ähnlichkeits-Beziehung von Bedeutungsfeldern ist. Die Synekdoche drückt eine Beziehung zwischen Besonderem und Allgemeinem aus, das als Grundprinzip die Integration hat. Die Ironie hebt sich dann von diesen drei Tropen durch das Prinzip der Gegensätzlichkeit oder Kontrarität ab. Wenn das tiefensprachliche Grundprinzip der Metapher das der Identität ist, so kann es nicht zugleich Teil von etwas anderem sein oder etwas anders in sich beinhalten oder sogar das Gegenteil darstellen. Die metaphorisch-identifizierende Redeweise steht damit in Konkurrenz zu den anderen drei Primärtropen, der Metonymie, der Synekdoche und der Ironie. White unterscheidet also vier Grundprinzipien, wie diese Tropen das sprachdenkerische Feld vorstrukturieren können. Weil sie die Möglichkeiten sprachlicher Artikulation nach vier logischen Grundmustern vorstrukturieren, sind sie auch die vier Grundmodelle menschlicher Darstellungsformen. Legt man diese Interpretation sprachlicher Tiefenstruktur im Unterschied und in Ergänzung zur substitutionstheoretischen zugrunde, dann sind die wahlverwandtschaftlichen Beziehungen zur ›romantischen‹ Art der Narration, einer ›formativistischen‹ Art der Argumentation und einer ›anarchistischen‹ Art der ideologischen Implikation verständlich. Denn ebenso wie die Romanze im Kern auf eine innige Verschmelzung und Versöhnung hinausläuft 211, die den Synthesecharakter des Metaphori211

White bringt als Beispiele romantischer Narration die Grals-Legende oder die Ge-

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schen unterstreicht, so ist es das Charakteristikum des ›Formativismus‹, die kleinteiligen zerstreuten Besonderheiten im Feld unter eine großräumige verallgemeinernde Einheit zu bringen, und so präferiert der ›Anarchist‹ eine im Wesentlichen auf Einfühlung und Konfliktbesänftigung beruhende Technik der Romantik. Jules Michelet und die Romantische Schule bringen für White diese drei narrativen Strategien vorbildhaft zusammen, weil sie alle auf Versöhnung und Identität abzielen. Das drückt sich unter anderem in der liebevollen impressionistischen Rekonstruktion der Vergangenheit in ihrer unversehrten, einzigartigen Gestalt und einer Ablehnung aller ironischen, skeptischen und nihilistischen Weltbetrachtung. Der Historiker identifiziert sich mit der Vergangenheit. Er will der geschichtlichen Epoche, die er beschreibt, neuen Atem einhauchen. Statt den Geschichtsprozess dialektisch oder als Fortschreiten zu interpretieren, gebraucht Michelet die Taktiken des Dualisten. Es gibt nur den Wechsel zwischen den Mächten des Bösen und denen der Tugend, zwischen Tyrannei und Gerechtigkeit, Liebe und Hass. 212 White sieht in der romantisch motivierten narrativen Modellierung der französischen Geschichte bis zur Revolution eine tief im Bewusstsein der späteren Verflüchtigung des revolutionären Impulses verankerte Kette von sozialen Umwälzungen, die ihre Ursache in den Spannungen gegensätzlicher Lager haben, zwischen Bastille als Sinnbild der schrecklichsten Verbrechen des Ancien Régimes und der Revolution als politischer und moralischer Wiedererweckung des Guten und Menschlichen als Gnade, Liebe und Gerechtigkeit. 213 Michelet setzt auf die Kohärenz des Gesamtprozesses und die Einheit der Teile. Er glaubt in Anbetracht der Entwicklungen im Ausgang der Französischen Revolution zunächst an das Bild vom Phönix, der aus der Asche aufsteigt. Als der Glaube enttäuscht wird, bleibt nichts zurück außer Trauer über den allmählichen Zerfall dieses Ideals. Es ist ebenso vergänglich wie der Zustand der Anarchie, den es zu seiner Erfüllung voraussetzt. 214

schichte von der Auferstehung Christi. Es sind Dramen vom Triumph des Guten über das Böse, der Tugend über das Laster, des Lichtes über die Finsternis und des endlichen Sieges des Menschen über die Welt, in die er infolge des Sündenfalls verbannt war. 212 Vgl. H. White, Metahistory, a. a. O., S. 198 f. 213 Vgl. ebenda, S. 207 f. 214 Vgl. ebenda, S. 213.

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b)

Metonymie

Metonymien erscheinen als weit weniger problematisch als Metaphern und Ironie. Weil sie das selbstverständliche und unauffällige Selbst- und Weltverständnis des wissenschaftlich-technischen Zeitalters als adäquate Rahmung darstellen, waren sie lange Zeit in einem geringeren Maße Gegenstand heterogener Erörterungen. Einigkeit scheint darüber zu herrschen, dass Metonymien Instanzen einer systematischen Bedeutungsverschiebung sind, mit denen es möglich ist, sich mit ein und demselben Ausdruck auf Gegenstände sehr unterschiedlicher, doch zugleich inhärent miteinander verbundener Art zu beziehen. Sie dienen damit vor allem der Sprachökonomie. Das unterscheidet sie von Metaphern, deren Einsatz nicht auf Ökonomieerwägungen beruht, sondern darauf, dass keine andere Möglichkeit existiert, den zu übermittelnden vorläufigen konzeptuellen Gehalt in eine adäquate sprachliche Form zu kleiden. Der Metapher liegen Analogien in Form von partiellen Identitätsbildungen zwischen involvierten Bedeutungsebenen zugrunde. Bei der Metonymie spiegelt die Beziehung zur wörtlichen Bedeutung eine ontologische Relation zwischen Elementen der jeweiligen Bezugsdomänen wider. Während die Beziehung bei der Metapher auf einer Beziehung der sachlichen Identitätsherstellung von weit entfernten Phänomenbereichen beruht, so besteht die logische Beziehung bei der Metonymie in einem Verhältnis der Kontiguität. Sie ist eine Form der Nachbarschaftlichkeit von Bedeutungsfeldern, denn wenn etwas für etwas anderes steht, so ist damit eine nachbarschaftliche Berührung oder reale sachliche Zusammengehörigkeit (lat. proximitas) logisch ausgedrückt. Die Metonymie steht allerdings nicht – wie die Metapher – in einer Identifikationsrelation unterschiedlicher Objekte, sondern gebraucht tatsächlich entweder kausal, räumlich oder zeitlich den eigentlichen Ausdruck durch einen anderen wesentlichen Teil desselben. Die Metonymie setzt einen Teil einer Sache für den Namen des Ganzen ein oder umgekehrt (›Heidegger lesen‹ statt ›die Texte von Heidegger lesen‹). Der Unterschied zur Metapher besteht darin, wie dieses TeilGanzes-Verhältnis aufgefasst werden kann. Es ist die große und eigentliche Leistung Whites, darauf hingewiesen zu haben, dass es unterschiedliche Weisen gibt, wie die Relation zu fassen ist: Die Sprache der Metonymie zielt für White auf Extrinsität des gegenständlich und quantitativ gegebenen Sachverhaltes. Mit der Metonymie wird also ein Teil als ›äußerer‹ Repräsentant eines Ganzen herausLogik der Tropen

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gestellt. 215 Das macht eine sachlich-distanzierte Haltung zum Darzustellenden möglich. Als extrinsische Beziehung behauptet die Metonymie eine Differenz zwischen Phänomenen, die im Allgemeinen als Teil-zu-TeilVerhältnis gedeutet werden. Extrinsisch meint dabei, dass es sich um eine Vergegenständlichung der Teile handelt. Die Teile stehen sich wie Objekte gegenüber. Darin gleichen sich Metapher, Metonymie und Ironie. Grundlage für eine solche Gegenüberstellung ist das für unsere Weltorientierung basale Raumparadigma. 216 So ist das historische Verständnis von Zeit vertraut durch ein metonymisches Raumkonzept. Wenn wir zum Beispiel sagen, dass wir uns ›im Jahre 2012 befinden‹, so drücken wir damit ein metonymisches Gefäß-InhaltsVerhältnis aus, in dem die Zeit, hier das Jahr 2012, wie ein Gefäß (also räumlich ausgedehnt) aufgefasst wird, ›in‹ welchem man sich befinden könnte, so wie man auch sagt, dass man ›in der Küche‹ oder ›im Stadion‹ ist. Übertragen auf andere Phänomene sagen wir dann auch, dass jemand ›in einer Partei‹ ist oder ›in einer bestimmten Familie aufgewachsen‹ ist, wenn sich dieser zu jener Gruppe zugehörig fühlt. 217 Wenn also White die Metonymie als ein extrinsisches Verhältnis auffasst, dann versteht er sie als einen tropischen Zugriff auf Phänomenbereiche, die in der Darstellung zwischen den Teilen bereits vorab unterscheiden, welche verobjektivierten Teile das Ganze repräsentieren können und welche als marginal eingestuft und in der Darstellung vernachlässigt werden können. Die jeweilige Reduktion, die mit der Präfiguration einhergeht, kann dann zum Beispiel entweder

215 Häufige Arten des metonymischen Füreinanderstehens sind zum Beispiel, wenn die Ursache für die Wirkung oder umgekehrt (zum Beispiel ›viel Lärm um nichts‹ für ›Streit‹) steht oder ein Erzeuger für ein Erzeugtes, wie zum Beispiel ein Autor für sein Werk (zum Beispiel ›Schiller lesen‹); oder wenn ein Gefäß für den Inhalt steht (›ein Glas trinken‹), oder das Land für einen Einwohner bzw. Regierende (zum Beispiel ›Frankreich verhandelt mit England‹); oder ein Raum für die darin befindlichen Personen (zum Beispiel ›der Saal applaudiert‹), oder die Epoche für die darin lebenden Personen (zum Beispiel ›das Mittelalter glaubte‹); oder aber Besitzer für das Besitztum bzw. Befehlshaber für die Ausführenden (zum Beispiel ›Hannibal erobert Rom‹ oder ›Kant bestimmt die gesamte Menschenrechtsdebatte bis heute‹) usw. 216 Vgl. Abschnitt zu G. Lakoffs und M. Johnsons Konzepttheorie, Kapitel 6.1.1. dieses Buches. 217 Zur räumlichen Grundkonstitution metonymischer Aussageweisen vgl. auch: G. Lakoff und M. Johnson, Leben in Metaphern, a. a. O.

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die Gestalt eines Handelnder-Handlung-Verhältnisses (zum Beispiel ›der Donner grollt‹), oder eines Ursache-Wirkungs-Verhältnisses (zum Beispiel ›das Grollen des Donners‹) ausgedrückt werden. 218 »Durch derlei Reduktionen lässt sich, wie Vico, Hegel und auch Nietzsche gezeigt haben, die Welt der Erscheinungen mit einer großen Anzahl von Akteuren und Triebkräften bevölkern, die hinter ihr zu existieren und zu wirken erscheinen.« 219 Man denke nur an Hegels ›List der Vernunft‹ oder Nietzsches ›Wille zur Macht‹, aber auch an Heideggers ›die Sprache spricht‹, ›das Sein west‹ oder ›das Dasein eksistiert‹. »Ist die Erscheinungswelt erst einmal in zwei verschiedene Ordnungen gegliedert (Handelnde und Ursachen auf der einen Seite, Handlungen und Wirkungen auf der anderen), so ist das primitive Bewusstsein einzig und allein durch sprachliche Mittel schon mit den begrifflichen Kategorien ausgestattet (wie: Handelnder, Ursache, Geist, Wesen), die für die Theologie, die Wissenschaft und die Philosophie im Zeichen zivilisatorischer Reflexionsanstrengungen notwendig sind.« 220

Dann nämlich unterscheiden wir unterschiedliche Phänomenbereiche nach Art ihrer inneren logischen Beziehung zueinander und es stellt sich zumindest in der Philosophie als Kategorienfehler dar, diese Phänomenbereiche auf dieselbe (meist metonymische) Art und Weise zu behandeln, zum Beispiel Handelnde als im starken Sinne notwendig Verursachende, als könnten sie nicht auch anders handeln, sondern müssten nach mechanischer Gesetzmäßigkeit, quasi deterministisch, kausalistisch oder mechanistisch agieren, was hieße, Menschen einen freien Willen abzusprechen. Vielmehr gilt es, die unterschiedlichen Logiken, die beide Phänomenbereiche enthalten, in ihrer Tropizität als Reduktionen extrinsischer Repräsentativität zu verstehen. White

218 Der Ausdruck ›das Grollen des Donners‹ ist metonymisch, weil in ihm der Gesamtprozess, der das Geräusch des Donners hervorbringt, zuerst in zwei Arten von Phänomenen bzw. sich extrinsisch gegenüberstehenden Objekte unterteilt wird, nämlich in die Ursache ›Donner‹ und in die Wirkung ›Grollen‹. Ist diese vergegenständlichende Trennung vollzogen, dann ist der Donner zum Grollen nach Maßgabe einer Ursache-Wirkungs-Reduktion ins Verhältnis gesetzt. Das durch den Ausdruck ›Donner‹ bezeichnete Geräusch ist mit dem Aspekt eines ›Grollens‹, also eines bestimmten Geräusches, ausgestattet, sodass es erlaubt ist, vom ›Donner, der ein Grollen erzeugt‹ zu reden. 219 H. White, Metahistory, a. a. O., S. 53. 220 Ebenda.

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hat erkannt, dass Marx’ Modell der Determiniertheit des geschichtlichen Fortschrittes ein Paradebeispiel für ein solches metonymisches Weltbild ist. Dieser nämlich geht von der kausal angetriebenen Macht der Befreiung der Unterdrückten einer jeweils gegebenen Gesellschaftsordnung aus, an dessen Ende notwendig die Auflösung des Konfliktpotentials steht. Dabei nimmt er das Wirken einer mechanistischen Gesetzmäßigkeit an, wie sie das Modell der Naturwissenschaften (und dann auch in Anlehnung an diese einiger Sozialwissenschaften) bereitstellt.

c)

Synekdoche

White behauptet, dass die Metonymie eine vorbegriffliche Differenz zwischen Phänomenbereichen schafft, die als Teil-zu-Teil-Verhältnis ihre innere tropologische Logik entfalten, und die Sprache der Metonymie auf Extrinsität, Vergegenständlichung und Determinierung der Phänomenbeziehungen ziele. Er bestimmt die Sprache der Synekdoche als eine Sprache der Integration und Intrinsität. Die Synekdoche wirkt insofern integrierend, als alle Teile unter ein Ganzes, das kein Teil von ihm ist, subsumiert werden. Im Tropus der Synekdoche ist es möglich, zwei oder mehr Teile durch Integration in ein Ganzes den darzustellenden Sachverhalt so zu fassen, dass dieses Ganze sich qualitativ von der Summe der Teile unterscheidet. Damit fasst White – dezidiert anders als das substitutionstheoretische Tropenparadigma – die spezifische Beziehung der Relationsglieder nicht als extrinsisches Verhältnis äußerer, sich gegenüberstehender Glieder auf, wie es die Metonymie tut. Vielmehr versucht er, eine völlig andere Art und Weise innerer logischer Verknüpftheit für den Tropus der Synekdoche zu instanziieren. Die wesentlich extrinsische Beziehung, die in allen metonymischen Reduktionen als charakteristisch bestimmt wird, gilt so nicht mehr für den synekdochischen Phänomenbezug, obwohl beide, Metonymie und Synekdoche, Verhältnisse von Teil und Ganzem sind. Die Synekdoche identifiziert also nicht – wie die Metapher – unterschiedliche semantische Begriffsfelder, und sie stellt auch keine verobjektivierten Teil-Teil-Termini in Beziehung wie die Metonymie her, sondern sie behauptet die wesensmäßige intrinsische Beziehung eines Ganzen durch eine sie ausmachende Wesensstruktur. Ihr ist es möglich, die beiden Teile durch eine Integration in ein Ganzes zu deuten, das sich qualitativ von der 202

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Summe der Teile unterscheidet, die bloß mikrokosmische Reproduktionen von ihm sind. 221 Der synekdochische Satz ›Sie ist ganz Herz‹ scheint zum Beispiel auf den ersten Blick eine Metonymie zu sein. Aber er ist nicht etwa dadurch substituierbar, dass hier ein Teil (das Körperorgan) für das Ganze (den Körper einer Person als Ganzes) steht. Vielmehr geht es um die Charakterisierung einer Person als Ganze, also um die Kennzeichnung eines typischen Charakterzuges an ihr. Der Ausdruck ›Herz‹ wird in diesem Satz also nicht in anatomischem Sinne benutzt und dechiffriert. Was sollte es auch heißen, ihn auf metonymische Weise zu lesen? Metonymisch gelesen wäre ›Er ist ganz Herz‹ reduktiv, insofern er die Anerkennung der zentralen Bedeutung des Herzens für die Arbeit des Organismus anzeigte, um auch figurativ aufschlussreich zu sein. Als Metonymie interpretiert, lässt er auf eine Beziehung zwischen den verschiedenen Teilen des Körpers schließen, in der die zentrale Funktion des Herzens für diese Teile zum Ausdruck kommt. Man müsste dann Herz so verstehen, wie man zum Beispiel den Ausdruck ›zehnköpfiger Verein‹ versteht, denn in diesem Ausdruck handelt es sich tatsächlich um eine Metonymie, wo wesentliche Körperorgane (Köpfe) für die Anwesenheit der Körper stehen. Vielmehr überlagert hier die synekdochische Leseweise die metonymische. Als Synekdoche verstanden, weist der Ausdruck nämlich nicht auf ein extrinsisches, sondern auf ein intrinsisches Verhältnis zwischen den Teilen des als Einheit von physischen und geistigen Attributen verstandenen Individuums hin, an dem alle Teile ›partizipieren‹. Synekdochisch gelesen ist der Ausdruck integrativ anstatt reduktiv, denn er erhebt eine bestimmte Qualität zur alles integrierenden und subsumierenden Totale des Verhältnisses. Anders als die metonymischen Ausdrücke ›fünfzig Segel‹ als Figur für ›fünfzig Schiffe‹ oder ›zehnköpfiger Verein‹ für die zehn Mitglieder eines Vereins liegt die Besonderheit der Synekdoche nicht darin, einen ›Namenwechsel‹ oder eine ›Umbenennung‹ anzuzeigen, sondern ein ›Mitverstehen‹ von Typik zu erzeugen, nämlich zu verstehen, dass nicht die Rede von etwas Gegenständlichem und Quantitativem vorliegt, sondern die Rede von einer besonderen Qualität ist, die einen Sachzusammenhang wesensstrukturell ausmacht. Synekdochen sind tiefensprachlich also Formen des praktischkooperativen und damit holistischen oder ganzheitlichen Mitverste221

Vgl. ebenda, S. 53.

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hens im Sinne einer sprachlogischen Gestaltwahrnehmung, und keine metonymischen Unterformen. Sie bezeichnen die Bestimmung eines Wortes durch ein anderes im gleichen Begriffsfeld. Der synekdochische Redemodus grenzt sich damit von der Metapher ab, die Wörter aus weit entfernten Begriffsfeldern in einen sinnhaften Zusammenhang bringt. Er grenzt sich zugleich von der Metonymie ab, bei der eine geistige oder sachliche Beziehung zwischen den Begriffen besteht, die als äußerlich-gegenständliche Beziehung aufgefasst wird. Die Synekdoche kann daher als innere-wesensmäßig-ungegenständliche Beziehung von White charakterisiert werden. Rankes Geschichtsschreibung ist für White zum Beispiel deshalb synekdochisch, weil sie zugleich die romantischen und die positivistischen Impulse der historischen Methode zügelt. Geschichte ist für Ranke mehr als ein ›Schauspiel brutaler Kräfte‹ und ein mechanistisch-kausalistisches Abschildern von Begebenheiten. 222 Die Idee der Nation ist für Ranke nicht nur ein ›Datum‹ (Faktum), sondern auch ein Wert bzw. ein Prinzip, mit dessen Hilfe sich jedem Phänomen der Geschichte eine positive oder negative Bedeutung zuschreiben lässt. Sie ist sozusagen der explizierte Kompass, der das historische Feld in Bedeutendes und Unbedeutendes zergliedert. Sie repräsentiert den Sinn der Geschichte, der bei Ranke gleichsam in seiner Gegenwart als in sich versöhnter Einigkeit in Nationform aufhört. Und sie ist der einige Garant gegen den Rückfall in die Barbarei. Während Michelet die Geschichte als manichäischen Konflikt strukturiert, in dessen Verlauf eine der Parteien vernichtet werden muss, damit die Geschichte zur Erlösung kommt, inszeniert Ranke den Konflikt im Kontext umfassender Einheiten und betont den Gewinn, den die gesellschaftlichen Ordnungen im allgemeinen aus dem Kampf selber ziehen. »Ranke erfaßt die Geschichte mithin im Modus der Synekdoche. In eine Methode übersetzt, erlaubt ihm das, die Geschichte in die Erzählstruktur der Komödie zu fassen und sie organizistisch zu erklären.« 223 Die Nation wird als Organismus verstanden, der die Tragödien der Geschichte in einen glücklichen Endzustand verwandeln kann. Insofern ist die Komödie die dialektische Verdopplung der Tragödie.

222 223

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Vgl. ebenda, S. 216 und 239. Ebenda, S. 234.

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»Der Mythos der Synekdoche ist der Traum der Komödie, das Bild einer Welt, in der alles Ringen, aller Hader, alle Konflikte in einer vollkommenen Harmonie besänftigt und aufgehoben werden, in einem Zustand, in dem Verbrechen, Verderbtheit und Verrücktheit sich schließlich als Mittel zum Aufbau einer Gesellschaftsordnung erweisen, der am Schluß tatsächlich gelingen wird.« 224

Am Ende soll sich für Ranke ein konservatives Machtgleichgewicht als eine Folgewirkung der nationalen Differenzierung einstellen.

d)

Ironie

White nennt die drei eben beschriebenen Tropen ›naive Tropen‹, weil sie sich nur im (metaphysischen) Glauben an die Fähigkeit der Sprache, die Natur oder das Wesen der Dinge in figurativen Ausdrücken entwickeln lassen. Dagegen bildet der Tropus der Ironie das sozusagen ›sentimentalische‹ Gegenstück. 225 Die Ironie als ›sentimentalischer Tropus‹ bedient sich eines bewusst selbstreflektierenden Umgangs mit Sprachformen und Sprachakteuren. Sie bezieht die Verbindung von Darstellung und praktischem Kooperationszusammenhang direkt in den sprachlichen Ausdruck ein und baut auf das situative Erfassen der Gesamtredesituation. Dem Hörer oder Leser wird eine doppelte Entschlüsselungs- bzw. Decodierungskompetenz zugeschrieben, denn er muss neben der Sinnerschließung zugleich dessen Negation miterkennen. – Auch unser Satzbeispiel ›Sie ist ganz Herz‹ kann ironisch gelesen werden, wenn es in einem besonderen Tonfall vorgetragen wird oder in einem Zusammenhang geäußert wird, in dem die bezeichnete Person gerade nicht über die ihr mit der Verwendung der Synekdoche zugeschriebenen Eigenschaften verfügt, sondern eher das Gegenteil dessen verkörpert, also völlig herzlos oder aber unromantisch ist. Ebenda, S. 249 (Kursivierung White). White bezieht sich mit den Ausdrücken ›naiv‹ und ›sentimentalisch‹ explizit auf Schillers Unterscheidung in dessen Schrift ›Über naive und sentimentalische Dichtung‹ (1795), in der es um die Unterscheidung unterschiedlich distanzierter bzw. reflektierter Formen der Darstellung geht. Das Naive steht für das für das von seinem Tun nicht distanzierte Kindlich-Kindische, gleichzeitig dadurch aber auch Unschuldige der Dichtung, die rührt. Das Sentimentalische steht für ein distanziertes Selbstverhältnis, das auch an Verstellung und Intrige seine Freude zu finden vermag, also nicht mehr unschuldig sein kann, sondern spielerisch. 224 225

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Oft werden in der Ironie rhetorische Figuren benutzt, die offensichtlich widersinnige oder paradoxe Bedeutung haben, wie die Katachrese, der Oxymoron oder die Aporie. Konsequent als Weltbild entfaltet, steht die Ironie für White aber jenseits aller Ideologien, denn sie lässt sich zur Begründung verschiedener Positionen taktisch einsetzen und bindet sich an keine. Sie kann von Liberalen ebenso wie von Konservativen, ebenso von Radikalen oder Anarchisten benutzt werden, um die gegnerischen Positionen zu kritisieren und ins Lächerliche zu ziehen. Die Ironie hat sich daher vom ›naiven‹ Glauben an die Fähigkeit der Sprache, die Welt eins zu eins abbilden zu können, verabschiedet und den Wechsel von Positionen relativiert. Daher ist die Ironie skeptisch gegenüber jedem naiven Realismus, der an die eine wahre und richtige Widerspiegelung und Abbildung der Welt glaubt und nicht das Ringen um Interpretationen. Aus ihrer enormen Distanz gegenüber der naiven Bindung an eine bestimmte Position hat die Ironie für White einen meta-tropologischen Status. Sie ist, um mit Schiller zu reden, sozusagen ›sentimentalisch‹, denn sie repräsentiert eine Bewusstseinsstufe, auf der die Sprache in ihren kooperativen Praxen in den Vordergrund rückt. Die Ironie ist also nicht nur radikal sprachreflektiert, sondern bedient sich Ausdrucksformen, die sich tendenziell des erkenntnistheoretischen Skeptizismus und des ethischen Relativismus bedienen. Sie setzt eine ›realistisch-naive‹ Perspektive auf die Wirklichkeit immer schon voraus, verhält sich zu dieser aber bewusst distanziert und negatorisch. Damit ist die Ironie für White das sprachliche Paradigma einer Denkweise, die radikal kritisch nicht nur im Hinblick auf eine bestimmte Beschreibung der Erfahrung, sondern bereits gegenüber der Annahme ist, die Wahrheit der Dinge angemessen in der Sprache erfassen zu können. »Als Paradigma einer möglichen Darstellung des Weltlaufs verhält sie sich zu den ›naiven‹ Formulierungen der formativistischen, mechanistischen und organizistischen Erklärungsstrategien von Grund auf kritisch. Und ihre fiktionale Gestalt, die Satire, steht den Archetypen der Romanze, der Komödie und der Tragödie als Darstellungsweisen bedeutsamer Imagination durchaus abweisend gegenüber.« 226 Würde man die Ironie als Weltbild entfalten, dann stünde sie jenseits aller Ideologien, weil sie sich gegen jede einzelne wenden kann. Sie ist damit den anderen Formen übergeordnet. Allerdings trägt die Ironie durch ihren zersetzenden Charakter auch zur Entkräftung des Glaubens an 226

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H. White, Metahistory, a. a. O., S. 56.

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die Chance positiven politischen Handelns in sich. Das mag auch der Grund sein, warum Whites eigener ironischer Impetus sich mit der Ironie gegen die Ironie wendet. Die Untersuchung legt ihren Fokus auf die beiden mittleren Tropen: die Metonymie und die Synekdoche als Grenzverschiebungstropen. Metapher und Ironie, also die beiden Sprungtropen, bilden insofern nur den Anfangsboden und den Ausblick dessen, was auf Heideggers Denkweg tropologisch herauspräpariert werden kann. Gleichwohl lassen sie sich als rahmende Darstellungsformen in den Texten Heideggers ausweisen. Die Unterscheidung von Metonymie und Synekdoche ist deshalb von größtem Interesse für den folgenden Interpretationsteil, weil sie der von Heidegger herausgestellten Unterscheidung der beiden Welt- und Selbstverständnisse, die er als ›kategorial‹ und ›existenzial‹ bezeichnet, kongenial entspricht. Die Unterscheidung von Metonymie und Synekdoche erhält bei der tropologischen Interpretation des Heideggerschen Denkweges daher einen herausragenden Stellenwert in dieser Untersuchung. Dadurch nämlich, dass die beiden Tropen sowohl eine gemeinsame Tropenkategorie bilden, jedoch ihre Art und Weise, wie sie das sprachliche Feld logisch vorstrukturieren, sich radikal unterscheiden, kann erst kenntlich gemacht werden, worin das genuin Neue und die sich doch nur allmählich und im fortschreitenden Denkprozess durchsetzende Veränderung der inneren Logik von Heideggers angestrengtem Seinsund Zeitdenken besteht. Gleichzeitig kann die metonymische Sichtweise auf den Tropus der Synekdoche aufgewiesen und kritisiert werden.

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7. Zusammenfassung: Die Primärtropen als metaphilosophische Denkmodelle

Wie am Anfang des zweiten Teils dieser Untersuchung gezeigt wurde, herrscht im Rahmen rhetoriktheoretischer und literarischer sowie linguistischer Überlegungen bezüglich der Tropen die Überzeugung vor, dass ihr Bildungsprinzip das der Substitution sei. Aus dieser Grundannahme resultieren weitere Annahmen, die den Status der Tropen betreffen. Weil Tropen als ›deviante Redemodi‹ behandelt werden, stuft man sie als ›pseudoreferentiell‹ und ›quasikommunikativ‹ ein. Damit verkennt man jedoch sowohl ihren präfigurativen und konstitutiven Modellcharakter. Man übersieht zugleich die innere Logik bestimmter Primärtropen. Tropen werden gemäß der Substitutionstheorie nach dem Grad der Distanz zwischen dem eigentlichen und dem übertragenen Ausdruck unterschieden, wobei das Spektrum von der Synonymie bis zur Antonymie aufgespannt wird. Innerhalb dieses Spektrums teilt man die Tropen in verschiedene Kategorien ein, die eine so genannte Devianzhierarchie bilden. 1 Anzahl und Klassifizierung der Tropen sind von Ansatz zu Ansatz innerhalb der Substitutionstheorie unterschiedlich. Wie gezeigt wurde, kann die Substitutionstheorie der Rhetorik nicht vollständig überzeugen. Sie hat nur die Oberflächenstruktur der Sprache aus sprachwissenschaftlicher bzw. der daran stark angelehnten rhetoriktheoretischen Sicht im Blick. Ihr duales Sprachweltbild zerlegt die Sprache in einen dominierenden Standardraum und davon abweichende bzw. ›deviante‹ Redemodi, die eine Standardsyntax, Standardsemantik und Standardpragmatik normativ voraussetzen, ohne deren Status innerhalb vorbegrifflicher präfigurativer und tropo-logischer Konstitutiva überhaupt zu hinterfragen. Auf diese Man unterscheidet drei Übertragungsstufen: a) similitudo (Ähnlichkeit); b) vicinitas (Nachbarschaftlichkeit) und c) contrarium (Gegensätzlichkeit). Diese bleiben auch für die tiefensprachliche Interpretation tragend, erhalten aber eine eigene philosophische Dimensionalität.

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Zusammenfassung: Die Primärtropen als metaphilosophische Denkmodelle

Weise verkennt man auch den Status der beiden Tropen Metonymie und Synekdoche, die beide unter die Kategorie der Nachbarschaftlichkeit bzw. ›Kontiguität‹ eingeordnet werden. Bei allem Wandel menschlicher Praxisformen zeigen sich aber gerade im Gebrauch der Primärtropen grundlegende Daseinsstrukturen, die als stabile und als pragmatisch-sinnvoll akzeptierte basale Anschauungsräume, also als Normalerwartungen, freigelegt werden können und nicht nur als sprachliche Oberflächenstrukturen. Wenn es richtig ist, dass sich die philosophische Sprache vornehmlich der Alltagssprache bedient, diese aber gleichzeitig präzisiert, um Sachverhalte in ihrer phänomenalen Eigenart klarer und deutlicher zu problematisieren, dann ist die philosophische Sachund Begriffsanalyse aufgefordert, nicht nur der Sprache der Exaktheit zu folgen, sondern alle Register der gewöhnlichen Alltagssprache in ihren Fokus zu nehmen und deren logischen Status unter kritischer Inblicknahme bisheriger theoretischer Ansätze zu ermitteln und darzustellen. ›Exaktheit‹ und ›Strenge‹ bzw. ›Ernsthaftigkeit‹ können dabei die von Heidegger vorgegebenen Leitlinien sein. Ihre Reichweite ist allererst zu prüfen. Die Tropen der Sprache erweisen sich insofern als logische Modi praktischer Erkenntnis, weil sie aus den kooperativen und kommunikativen Praxen, in die Menschen immer schon verwickelt sind, erwachsen und diese artikulieren. Als Sprecher-Hörerbezogene Sprachstruktur sind Primärtropen nicht nur ein Problem der linguistischen Struktur, sondern ein Problem, das die Beziehung zwischen Sprache und nicht-sprachlicher Welt anbelangt. Sie erweisen sich damit – und das wird in den substitutionstheoretischen Ansätzen immer wieder übersehen – als Modelle des Umgangs mit der Umwelt und mit der Mitwelt zugleich. Indem im alltäglichen wie im wissenschaftlichen Kooperieren die spezifische Praxisform des Miteinanderumgehens der Praxisform des sachbezogenen tendenziell vergegenständlichenden Mit-der-Umwelt-umgehens nachgeordnet wird, kommt es, so die These, die hier verteidigt werden soll, zu einem emergenten Selbst- und Weltverständnis, das das abendländische Denken auf einseitige und damit reduktive Weise prägt. Martin Heidegger hat dieses abendländische Selbstverständnis als ›Seinsvergessenheit‹ thematisiert. Er hat diese Sprache zwar nicht in ihrer tropischen Form charakterisiert, aber die inhaltlichen Konsequenzen der einseitig metaphysisch-technischmathematischen Artikulation von Welt aufgezeigt. Die Interpretation des Heideggerschen Denkweges zeigt nun auch tropenanalytisch, Logik der Tropen

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dass sich diese ›Seinsvergessenheit‹ aus einem bestimmten tropisch präfigurierten Seinsbezug ergibt, der die typischen Züge der Metonymie und ihrer Fallstricke aufweist und in nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens ausgreift. Wenn es richtig ist, dass sich im Metonymischen eher der ›umweltliche‹ Bezug, das heißt der tendenziell gegenständlich-sachbezogene Weltbezug ausdrückt, und im Synekdochischen eher der ›mitweltliche‹ Bezug, das heißt der tendenziell kommunikativethisch-ästhetisch, holistische und kooperative Weltbezug, dann lassen sich diese beiden unterschiedlichen Bezugnahmen auf Welt durch eine konzeptuelle Tropenanalyse in ihrer inneren Logik besser als bisherige Interpretationen differenzieren. Solche Konzepte definieren sich nicht nur über inhärente Eigenschaften, die in Prädikatstrukturen wiedergebbar sind, sondern in erster Linie über interaktionelle Parameter. Das heißt, sie werden in ihrer Art und Weise dadurch konstituiert, wie wir mit ihnen umgehen. Für die Frage nach der Relevanz tropischer Redeweisen bedeutet das, dass insbesondere Tropen die sprachliche Kapazität darbieten, höherstufige Sachverhalte artikulierbar zu machen, die über eine primitive raumzeitliche Orientiertheit hinausgehen bzw. deren Hintergrundanschauungsräume bilden. Sie schaffen damit Anschauungsund Handlungsräume, die überhaupt erst soziale Kooperation ermöglichen und normativ stützen. Höherstufige Konzepte definieren sich ebenso über Prototypen von Handlungen und über typische Bezugnahmen auf solche Handlungsprototypen, wie es die grundlegenden Orientierungstypen umweltlicher Bezugnahme auf Welt tun. Das macht deutlich, dass die gängige Sichtweise primitiver physiologischer Orientierungsinteressen, die ein Objekt gänzlich aus seinen inhärenten Eigenschaften heraus zu definieren sucht, zwar selbst ungeeignet sind, auch den Prozess des Verstehens von höherstufigen sprachlich konstituierten Weltbezügen zu erklären, aber trotzdem sprachliche Mittel für höherstufige Konzepte bereitstellen, die dann für die Interagierenden einen real existierenden Aktionsraum abstecken. Nachdem gezeigt wurde, dass das substitutionstheoretische Paradigma der Tropentheorie nur begrenzte Reichweite hat, weil es sich auf die Oberflächenphänomene der Sprache eingrenzt, konnte anhand der Tropentheorien von Vico und White dargelegt werden, welche tiefenstrukturellen Kapazitäten die Primärtropen als poetischnarrative Weltmodelle bereitstellen. Es konnte verdeutlicht werden, 210

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dass bereits durch den praktisch involvierten Sprachgebrauch selbst unser Denken mit einer Reihe alternativer Erklärungsparadigmen versehen ist. Die drei Tropen Metapher, Metonymie und Synekdoche sind für White wie für Vico daher auch vorgegebene sprachliche Tiefenstrukturierungen jener Operationen, mit denen im Erkenntnisprozess kognitiv schwierig zu erfassende Erfahrungsbereiche präfiguriert und danach beschrieben und in gewisser Weise ›erklärt‹ werden können. 2 »Die Metapher ist wesentlich darstellend, die Metonymie reduktionistisch, die Synekdoche integrativ, die Ironie negatorisch.« 3 Mit Lakoff und Johnson war darüber hinaus klar geworden, welches die relativ fixen und welches die relativ variablen Gebiete tropischer Rede sind. Die größtenteils bipolare Struktur menschlicher Praxisformen und der sie begleitenden Sprachlogik selbst ist also der Ort, an dem die philosophische Analyse tropischer Redemodi ansetzen muss. Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist aufgrund dieses Erkenntnisstandes die Überzeugung, dass aus dem immer schon tropischen Umgang des Menschen mit sich und der Welt und immer schon innerhalb bestimmter Praxen 1. sich zwei grundlegend verschiedene Konzeptsysteme unterscheiden lassen können, 2. Heidegger auf diesen Unterschied, auf die Praxisgebundenheit und auf die Dominanz des existenzialen Konzeptsystems verwiesen hat und 3. sich dieser grundlegende Konzeptunterschied ›kategorial‹ und ›existenzial‹ auf zwei dominante Tropen, nämlich den Unterschied von Metonymie und Synekdoche, zurückführen lässt. Weil sich meine These zu Heideggers Sprachdenken genau auf den Übergang von metonymischer zu synekdochischer Tropenlogik fokussiert und das Verhältnis von Metonymie und Synekdoche offenbar auch in Fachkreisen umstritten und nicht klar distinguiert ist, stellt die Klärung dieses Verhältnisses selbst sowohl ein Desiderat als auch eine Herausforderung dar. Das Problem des Verhältnisses von Metonymie und Synekdoche innerhalb der rhetorischen Figurentaxonomie scheint prima facie durch die Rhetoriktheorie vermeintlich ausgesöhnt und zur Ruhe gekommen zu sein. Wie hier aufgerissen wurde, ist das nicht der Fall! Wenn ich im Folgenden vor allem den Tropus der Synekdoche als logischen Redemodus philosophisch und nicht nur rhetoriktheoretisch ernst nehmen will und näher betrachte, so wird deutlich werden, dass es – insbesondere auch im Lich2 3

Vgl. H. White, Metahistory, a. a. O., S. 54. Ebenda, S. 51.

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te einer angemessenen Heideggerinterpretation – eines genuin neuen Verständnisses dieses Tropus und damit auch einer dezidierten Abgrenzung zum Tropus der Metonymie bedarf. Neben der Analyse der sprachlichen Tiefendimension, die mit den Ansätzen von Vico und White als Methodeninstrumentarium stark gemacht wird, kann somit gleichzeitig ein altes Problem der Klassifizierung der Tropen gelöst – oder zumindest zu einer Lösung angestoßen – werden. Weil die soziale Realität auf weiten Strecken tropisch artikuliert ist und auch verstanden wird und weil die menschliche Wahrnehmung der physischen Welt über Tropen präorganisiert ist, spielt die innere Logik der Tropen eine wichtige Rolle bei der Bestimmung davon, was für den Menschen sozial und kulturell jeweils ›real‹ ist. Tropisch zu reden ist daher niemals eine Form von Pseudo-Realität, wie von der Substitutionstheorie behauptet wird. In Anbetracht dessen, dass das Gros menschlicher Ausdrucksweisen im Normalparadigma metonymischer Redeweisen verortbar ist, ist vielmehr davon auszugehen, dass die kommunikative und kooperative Dynamik tropischer Rede die einzige Weise ist, wie die soziale Welt Menschen zugänglich ist und wie sich der Mensch selbst in dieser Welt situiert versteht. Sie ist damit grundlegend für das Selbstverständnis des Menschen als Individuum wie als Gattungswesen. Es kann somit behauptet werden, dass es prinzipiell tropo-logisch unterschiedliche Weisen der Bezugnahme auf Welt gibt. Da die Erfahrungsbereiche physiologisch im Umgang mit der Um-Welt, dann aber auch kommunikativ im Umgang mit der Mit-welt konstituiert werden, ist es nicht verwunderlich, dass die basalen Bezugstropen auch diesen Dimensionen des Umgangs mit Welt entstammen. Aus diesen grundlegenden kinästhetischen Formen des praktischen und theoretischen Umgehens mit Umwelt und Mitwelt ergeben sich dann auch mindestens zwei grundlegende ›Weisen‹ des Weltbezugs: nämlich desjenigen Weltbezugs, der sich aus dem Umgang mit Gegenständen (Seiendem) ergibt und desjenigen Weltbezugs, der sich aus dem Umgang mit Personen (Daseiendem) ergibt. Diese unterschiedlichen Weltbezüge entsprechen unterschiedlichen Haltungen. Ich nenne sie ›Logiken‹, denn sie beziehen sich auf unterschiedliche Denkmodelle und Redemodi gleichermaßen, aus denen sich unterschiedliche Verhaltungen ableiten. Ihr konstitutives Moment sind nicht die nachträglich abstrahierbaren Skelette der Sprache in ihren Regelsystemen, aus denen dann so etwas wie die Idee der Substitutionsidee der Tropen allererst gewonnen werden konnte, weil 212

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sie selbst dem ersten dominanten Paradigma folgt, sondern die Bezugnahme auf Welt präfigurierende Kapazität, die ihnen innewohnt. Diese Kapazität der konzeptuellen Erweiterung von Erfahrungsweisen durch die innere Logik der Sprache hat – so meine These – Heidegger versucht, für sein Denken auszuloten und einzusetzen. Das zeigt sich jedoch nicht an der Oberflächenstruktur seiner Texte, sondern an deren Tiefenstruktur. Es gilt daher, das praktisch jeweils Eingeholte im Nachhinein auch explizit zu machen. Das geschieht unter anderem durch das Aufzeigen der Veränderung der tiefensprachlichen Tropenstruktur in Heideggers Denkweg. Dieser Wandel zeigt sich vor allem in dem, was Heidegger als ›Kehre‹ beschrieben hat, und – wie ich zeige – durch das sprachphilosophische Ringen um einen sprachdenkerischen Perspektivwechsel, der nur mittels Tropenwechsel zu bewerkstelligen war. Dass dieser ›Wechsel‹ im Grunde kein bloßer Wechsel, sondern eine radikalisierende Wiederaufnahme des Seinsdenkens gegenüber dem Umweg einer Daseinsanalyse und gleichzeitiger Kritik an einem Redemodus war, der sich phänomeninadäquat tendenziell vergegenständlichend, also in einer umweltlichen Perspektive auf Welt gefangen, bleibt, ist allenthalben erforscht worden. Dass diese Wiederaufnahme mit der Klärung eines logisch-tropischen – und damit philosophisch-begrifflichen – Verhältnisses zu tun hat, kann demgegenüber hier als eigenständiger Forschungsbeitrag ausgewiesen werden.

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Wenn Martin Heideggers Denkweg im Folgenden gemäß einer tiefensprachlichen Tropenanalyse beschrieben wird, die die vier verschiedenen Stufen, von der Metapher über die Metonymie und die Synekdoche zur Ironie, als sich aufeinander aufbauende Reflexionsstufen abschreitet, dann wird damit zweierlei behauptet: Zum einen soll Heideggers Denkweg als eine in sich dynamische, aber kontinuierliche Denkbewegung dargestellt werden. Zum anderen weist diese insgesamt kontinuierliche Bewegung Brüche auf. Diese Brüche sind jedoch nicht als radikale Abkappungen oder Zurückweisungen vorhergehender Themen, Methoden oder Darstellungsweisen zu begreifen. Sie stellen thematisch eher Nuancenverschiebungen dar. Methodisch sind sie radikalisierende Perspektivkalibrierungen. Darstellungstechnisch bilden sie die reflexiven Konsequenzen eines sich durchziehenden philosophischen Bemühens um Adäquatheit von Inhalt und Form bzw. Sache, Methode und Sprache. Heideggers gesamter Denkweg ist als ein Übergang von aktivem Hervortreiben und sich zurücknehmendem Hervorkommenlassen der ursprünglichen Idee der Philosophie aus sich selbst zu begreifen. Dieser Denkweg lässt sich als eingebettet in eine kooperative Praxisform verstehen, die sich die Philosophie mit den anderen Wissenschaften zuweilen teilt, von der sie sich zuweilen aber auch abgrenzt, indem sie sich radikaler als diese permanent selbst hinterfragt. Ausgehend vom Topos der ›Seinsvergessenheit‹ 1 hat Heidegger sich die allmähliche Aufdeckung von wesentlichen Spuren des abendländischen Denkens als genuin eigenständiges Projekt vorgenommen. Dies geschieht im sich immer wieder neu annähernden Rückgang auf ihre Ideengeschichte und wichtigsten Theoreme. In diesem genetischen Rückgang zeigen sich Geltungsfragen in ihren Wahrheitsansprüchen je neu. Auf Heideggers Sprache muss man sich aufgrund der Einführung vieler »Neologismen« mit ihrem assoziativen Charakter einlassen. Dabei schließen sich Analytizität und Synthetizität nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Die frühen Qualifizierungsarbeiten, seine ersten Vorlesungen und Sein und Zeit, sind – wenn man genauer liest – von großer logischer Systematik und begrifflicher Analytizität gekennzeichnet und bilden gleichzeitig den Grundstock für seinen weiteren Denkweg. Das ist ihm bewusst.

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Später redet Heidegger auch von ›Seinsverlassenheit‹ und ›Seinsverlorenheit‹.

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»Mit Rücksicht auf das Ungefüge und ›Unschöne‹ des Ausdrucks innerhalb der folgenden Analyse darf die Bemerkung angefügt werden: ein anderes ist es, über Seiendes erzählend zu berichten, ein anderes, Seiendes in seinem Sein zu fassen. Für die letztgenannte Aufgabe fehlen nicht nur meist die Worte, sondern vor allem die ›Grammatik‹.« 2

Heideggers sprachliche Zumutungen regen nicht nur die philosophisch-denksportliche Leidenschaft des logischen Problemlösens an, sondern entfalten auch grammatische, logische und poetische Wirkkraft. Damit steht Heidegger nicht allein. Unerhörte Formulierungen muteten auch die ersten Philosophen ihrem Publikum zu. Deren Tiefe in Denken und Ausdruck eifert Heidegger nach: »Wenn ein Hinweis auf frühere und in ihrem Niveau unvergleichliche seinsanalytische Forschungen erlaubt ist, dann vergleiche man ontologische Abschnitte in Platons ›Parmenides‹ oder das vierte Kapitel des siebenten Buches der ›Metaphysik‹ des Aristoteles mit einem erzählenden Abschnitt aus Thukydides, und man wird das Unerhörte der Formulierungen sehen, die den Griechen von ihren Philosophen zugemutet wurden. Und wo die Kräfte wesentlich geringer und überdies das zu erschließende Seinsgebiet ontologisch weit schwieriger ist als das den Griechen vorgegebene, wird sich die Umständlichkeit der Begriffsbildung und die Härte des Ausdrucks steigern.« 3

Die Analytizität der Heideggerschen Sprache liegt im Spätwerk durch dessen enorme Dichte nicht mehr offen und explizit vor, sondern muss, so meine Behauptung, durch die frühen Werke miterschlossen werden. Wenngleich Heidegger weiß, dass Geltungsfragen nicht über diskursive und distinktive Begriffs- und Sachklärung allein zu bewerkstelligen ist, so ist ihm genauso klar, dass seine eigene Redeform der Philosophie verpflichtet bleibt. Sie ist keine Narration oder Dichtung im engeren Sinne, sondern bis ins Spätwerk hinein ›appellative Titelwortrede‹ 4. Damit ist eine grundlegende Vororientierung für das weitere Verständnis der Heideggerschen Texte gemeint. Titelworte stecken den groben Rahmen ab, was zum Thema bzw. zur Form gehört und was nicht, denn sie umfassen bestimmte Phänomen- und M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 39. Ebenda. 4 Ich übernehme den Begriff der ›appellativen Titelwortrede‹ von Pirmin StekelerWeithofer. Vgl. ders., Formenanalyse und Begriffslogik in Platons ›Philebos‹, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie 1999, Heft 1, S. 46–73, hier S. 50. Gemeint ist eine an die Kreativität, die Erfahrung und das Mitdenken aufrufende verdichtende Stichwortrede, wo beinahe jedes Wort eine eigene Welt in sich birgt. 2 3

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Erfahrungsbereiche und schließen gewisse alternative Perspektiven aus. Heidegger nutzt fast alle sprachlichen Möglichkeiten, die das Deutsche gewährt: eine Kombination und Mischung aus unüblichen Substantivierungen und Verbalisierungen, etymologischen Übertragungen in Verbindung mit Analogiebildungen, Metaphorik, Bindestrichworte, Wortfeld- und Bedeutungsausweitungen, ungewöhnliche Konnotationen, Homophonien, Kreierungen von synonymen und antonymen Bedeutungen, freie Verfügung über Prä- und Suffixe, mit denen er Nähe und Ferne bzw. bestimmte strukturell zusammengehörige Rede-Ebenen kenntlich macht, Polysemien, später auch Dialogformen und lyrische Metrik, Reim- und Versform usw. Damit weicht er von der üblichen wissenschaftlichen Redeweise ab. Das erschwert den Zugang zu seinen Schriften. Drei weitere Eigenarten machen Heideggers Sprachdenken, einem umfassend positiven Urteil entgegenstehend, von Anfang an für die wissenschaftlich-analytische Tradition sperrig: 1. Dass Heideggers Entwurf wesentlich eine Philosophie der Praxis, damit des performativen Vollzugs des Denkens ist. Das bedeutet, dass sein Denken als ein ›Unterwegs- oder Auf dem Wege sein‹ zu verstehen ist. 5 Damit bietet es keine ewig festen begrifflichen Definitionen, an die man sich halten könnte, sondern bestenfalls vorläufige. 2. Heideggers Philosophie hat keinen genuinen ›Gegenstand‹ wie andere Wissenschaften. Sie will nichts anderes außer sich selbst. Sie will nur Denken sein. Das Phänomen, das sie zu fassen sucht, unterscheidet sich von allen dinglichen, psychischen, abstrakten Phänomenen. Sein Denken lässt sich deswegen auch nicht mit herkömmlichen begrifflichen Mitteln aufspüren. Es geschieht tendenziell vor aller Aufspaltung in Unterschiede, Merkmalsklassen, Eigenschaften und Zwecke. Damit entzieht es sich dem Anspruch nach zunehmend der Vergegenständlichung. Denken soll nach Heidegger mehr umfassen als begrifflichanalytisches Verrationalisieren von Sachzusammenhängen. Rationalität im Sinne einer erfahrungsfernen Vernunft ist vielmehr eine relativ späte Spielform des Denkens, der nach Heidegger andere, holistischere Formen vorangegangen sind. 3. Heideggers Philosophie ist einweisendes, zeigendes und im Wesen dialogisches Denken. Die Hauptinterpretationslast trägt der Rezipient, der sich auf den MitSo auch zum Beispiel der Titel einer seiner späteren Textsammlungen ›Unterwegs zur Sprache‹ (1959), GA 12.

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vollzug seiner sowohl exakten als auch assoziativen und etymologischen Denkbewegungen nach-denkend einlassen muss. Denken und Sprache hängen für Heidegger sehr eng miteinander zusammen, weil für ihn Erkenntnisweise und Darstellungsform eine Einheit bilden. »Heideggers Sprachdenken will der Sprache als Sprache ›nachsinnen‹ und sich dadurch radikal von dem bisherigen ›Vorgehen‹ der Sprachwissenschaft unterscheiden. Der Sprachbetrachtung, die auf einem ›Trachten‹ als In-den-Griff-Nehmen beruht, setzt Heidegger das ›Achten‹ auf die Sprache entgegen.« 6 Was Heidegger über die Sprache denkt, wird in seinen Texten zum großen Teil (praktisch) umgesetzt. Sprache ist für ihn ein dynamisches Phänomen. Sie ist aus einer menschlich-kooperativen Praxis heraus entstanden, deren denkerische und kulturell variablen Sedimente in der Struktur und Potentialität der Sprache abgelagert sind. Deshalb ist Heidegger um ihre Etymologie bemüht. Er vermutet in ihr etwas Ursprünglicheres, das dem Normalsprachlichen entgeht oder überdeckt ist. 7 Weil Heidegger der Sprache und dem Denken auf der Spur ist, ist diese Spurensuche selbst stark wegmetaphorisch aufgeladen. Die Metapher des ›Weges‹ (gr. ὀδός, hodos) ist explizites, sich durchhaltendes Leitmotiv seiner Methode (gr. μέθοδος (méthodos), also des Ganges einer Untersuchung, des Denkweges. 8 Das Suchen nach einer Rede- und Darstellungsform zur angemessenen Artikulation dessen, was ist, und wie sich das Sein und die Dinge zeigen (lassen), lässt sich als ›Genealogie‹ genauso wie als ›Archäologie‹ verstehen. 9 Dabei sind nicht die geschichtlichen oder historischen Ergebnisse entscheidend, sondern die Spurensuche R. Konersmann, Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007, S. 541. 7 Die Etymologie verbirgt für Heidegger Wahrsein. Ähnlich wie Platon im Kratylos, so nimmt auch Heidegger an, dass in den Wortherkünften Ursprungswahrheiten wie Schätze zu heben sind. Etymologie ist ein griechisches Fremdwort und leitet sich von altgriechisch ἐτυμολογία (etymología) her, das seinerseits auf die Bestandteile ἔτυμος (étymos): ›wahr‹ und λόγος (lógos): ›Wort/Rede‹ zurückgeht. Es bedeutet so viel wie ›Erklärung der jedem Wort innewohnenden Wahrheit‹. Älteren Epochen diente die Etymologie als Erklärung einer im Wort angelegten ›Wahrheit‹ (το ἔτυμον), die mithilfe von Ähnlichkeiten der Wortgestalt zu anderen Wörtern erschlossen und als Aussage über die vom Wort bezeichnete Sache und/oder als eigentliche, ursprüngliche Wortbedeutung verstanden wurde. 8 ›Nicht Werke, sondern Wege‹ war deshalb auch das Motto seiner Gesamtausgabe. 9 Zur Weg-Metapher bei Heidegger vgl. R. Konersmann, Wörterbuch der philosophischen Metaphern, a. a. O., S. 518 ff. 6

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selbst. Das zeigt sich nicht nur in den Titeln seiner Textsammlungen Holzwege, Der Feldweg oder Unterwegs zur Sprache, sondern auch in seiner bleibenden phänomenologischen Denk- und Argumentationsmethode des immer wieder anfangenden Hinterfragens einmal gewonnener Erkenntnisse. Wenn der Herausgeber des Wörterbuches der philosophischen Metaphern Ralf Konersmann herausstellt, dass Heidegger ›Sinn‹ nicht nur mit ›Sinnen‹ oder ›besinnen‹ verbindet, sondern auch mit der indogermanischen Wurzel ›sinpha‹ (dt. Reise oder Weg) 10, dann macht er deutlich, wie sehr Heidegger Wege finden, ergründen, zeigen und weisen will, die vor die Möglichkeit bringen, mit der Sprache Erfahrungen zu machen. Sprache ist für Heidegger aber nicht nur ein Werkzeug, sondern ein Organismus, ist selbst nie fertig. 11 Sie ist lebendig, wächst und entwickelt sich als existenziale und kulturelle Ausdrucksform menschlicher Kooperationspraxen, deren ›Grundwahrheiten‹ sich in der Sprache abgelagert haben. Die Sprache ist für Heidegger nicht einfach nur als Kommunikationsmedium ›da‹ oder ›vorhanden‹. Man kann sich an ihr nicht nur bedienen. Heidegger schätzt die Sprache viel höher ein. Er ist unterwegs zu ihr wie zu einer letzten Quelle der Weisheit und Erkenntnis. 12 Im Gegensatz zum wissenschaftlichen räumt das nachsinnende Sprachdenken verschüttete Zugänge zur Sprache frei, um eine noch unverstellte, nicht zugerichtete Erfahrung mit ihr zu ermöglichen. Für Heidegger gilt es, sowohl den Spuren, die das Denken in den Quellbereich der Sprache führen, zu folgen, als auch sich vom Weg der Sprache zu einem bestimmten Ort bringen zu lassen, der ›primäre Eröffnung und Erschließung von Welt‹ sein kann. Nur deshalb führt für Heidegger auch der Weg seines eigenen Sprachdenkens vom Vgl. ebenda, S. 541: »Entsprechend stellt Heidegger das nachsinnende Denken einer rechnenden Rationalität gegenüber, von der es sich durch die ›Nachbarschaft‹ zur Dichtung abgrenzt. Die Bedeutung der Weg-Metapher ist bei Heidegger von solch hoher Relevanz, dass er den Weg gar als orphisches ›Urwort‹ bezeichnet: So ist ›das Wort ›Weg‹ ein Urwort der Sprache, das sich dem sinnenden Menschen zuspricht‹.« Vgl. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, S. 187. 11 Über den Unterschied von Sprache als Werkzeug und Organismus siehe die Auffassungen von J. G. Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772), Stuttgart 1969, und W. von Humboldt, Ueber das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung (1820), S. 11–33, sowie ders., Ueber das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluss auf die Ideenentwicklung (1822), S. 52–82; beide in: ders., Über die Sprache, Tübingen/ Basel 1994. 12 Vgl. M. Heidegger, Unterwegs zur Sprache (1959), GA 12. 10

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›Haus des Seins‹, das eine enge Verwandtschaft zum ›Bauen‹ und ›Wohnen‹ hat, zur Interpretation des ›Weges‹ als ›orphischem Urwort‹, als ›Gegend‹ (bzw. ›Gegnet‹), in deren ›Lichtung‹ das ›Entbergen‹ der ›Wahrheit‹ geschieht. Die Doppelstruktur der ›Übertragung‹ macht die Metapher des Weges damit zur kognitiven und epistemischen Darstellungsform par excellence. Sie ist Begriff und Metapher zugleich, denn sie ist »abstrakt genug, um nicht mehr nur Bilder und Vorstellungen zu evozieren, aber konkret genug, um ihre ikonischen Ursprünge nicht ganz zu verbergen« 13. Im Leitmotiv des Weges als Methode kündigt sich Heideggers Wille nach strenger Adäquatheit von Darstellungsform und Erkenntnisweise an. Insofern bezeugt die Verbindung von Methode und Weg noch einmal mehr das philosophische Interesse Heideggers am Herkünftigen der Sprache wie am Ursprünglichen des Denkens. Heidegger sieht im Ursprung der Sprache eine Fülle und unbegrenzte Möglichkeiten, deren Weiterentwicklung und -nutzung nur eine Fort-Entwicklung im Sinne eines notwendig Derivativen und Weg-Bewegens haben kann. Die Un- und Missverständnisse, die Heideggers radikale Art zu denken und zu sprechen bzw. zu schreiben in die philosophische Welt brachte, zwangen Heidegger immer wieder, sich im Laufe seiner weiteren Arbeit selbst noch genauer zu erklären. Das hatte zur Folge, dass er unter Erklärungsnotstand litt. Unbeirrt bindet er sich noch strenger an sein ursprüngliches Projekt und entfaltet die bereits im Frühwerk formulierte Frage nach dem ›Sinn von Sein‹ weiter. Letztlich ist es diese Frage, die ihn seinen ganzen Denkweg lang begleiten wird. Diese Blickwendung von der Analyse des Daseins hin zu einem konsequenteren Seinsverständnis war bereits durch seine frühe Wissenschaftskritik angekündigt und motiviert worden. Die so genannte ›Kehre‹ bei Heidegger kann daher als kontinuierliches Fortsetzen bzw. Wiederaufnahme seiner ursprünglichen Aufgabe verstanden werden. Es sind nämlich die Zwanziger als Übergangsjahre, in denen Heidegger seine Grundfragen formuliert und sich im Spätdenken anknüpfend und wieder aufnehmend fortpflanzen. Die Daseinsanalyse in Sein und Zeit ist hingegen ›nur‹ der notwendige Umweg, der gegangen werden muss, um erst zum Ort zu gelangen, von wo aus die Frage überhaupt sinnvoll gestellt werden kann, nämlich von der genauen Beschreibung des menschlichen Daseins her. Das heißt, die ›Kehre‹ hat nicht unmittelbar nach Sein und 13

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Zeit eingesetzt, sondern benennt nur die Wiederaufnahme des ursprünglichen Leitmotivs im Denken Heideggers aus der noch ausstehenden Blickrichtung, nämlich vom Sein her. 14 Heideggers Sprache wird im Laufe seines Denkweges wortgewaltiger. Sie emanzipiert sich zunehmend vom Standard wissenschaftlicher Darstellungsformen. Kann Sein und Zeit noch als Paradebeispiel systematischer Analytizität gelten, so wird Heideggers Denken nach Sein und Zeit synthetischer. Es bringt das einmal feingliedrig Auseinandergelegte in eine synoptische Einheit nicht einfach wieder zusammen, sondern integriert es in einem neuen logischen Redemodus. Stiftete nach Heidegger bis in die späten zwanziger Jahre zum Beispiel noch der Mensch das Sein, so ist das Sein später kein Erzeugnis des Denkens mehr. Vielmehr wird der Mensch vom Sein ›angesprochen‹, ist dessen ›Hirte‹ und ›Nachbar‹. Der Mensch ist nicht mehr nur in die Welt ›geworfen‹, sondern vom Sein selbst in die ›Wahrheit des Seins‹ ›geworfen‹. Das Denken ist auch nicht mehr nur ein Fragen, Verfügbarmachen und Indienstnehmen bestimmter Erkenntnisse oder Methoden über Begriffsklärung, sondern es wird zum ›Hören‹ und ›Sichsagenlassen‹. Einen Bruch mit seinen früheren Überlegungen stellt die Betonung der Wendung im Denken deswegen nicht dar, denn auch in Sein und Zeit legt Heidegger schon Wert auf zum Beispiel Hören, Horchen in jenem Sinne. Statt eines ›Nicht-mehr‹ als kriterielles Kennzeichen einer ›Kehre‹ muss daher eher von einem ›Nicht-mehrnur‹ gesprochen werden. Es handelt sich also um eine erweiternde Akzentuierung und nicht um ein anderes oder gar den frühen Überzeugungen widersprechendes Denken in Heideggers so genannter ›Kehre‹. Damit ist es ein auf mögliche Missverständnisse konsequent reagierendes und das eigene Denken präzisierendes Antworten. Weil es Heidegger darum geht, sich von aller Wissenschaftsideologie und Denkmetaphysik freizumachen, muss der Blick auf sprachliche Darstellungsformen für ihn notwendig Metaphysik- und Ideologiekritik sein. Gerade weil die Metaphysik aber notwendig zur ›Natur des Menschen‹ gehört, muss das Denken deshalb wach sein für sich selbst – und zwar gerade in seinem Sprachgebrauch. 15 Die MissverVgl. T. Rentsch, Martin Heidegger – Das Sein und der Tod. Eine kritische Einführung, München 1989, S. 175. 15 Heidegger zitiert Kant: »[…] die Metaphysik gehört zur Natur des Menschen.« Phänomenologische Interpretationen nach Kant, GA 26, S. 915 f. 14

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ständnisse ergeben sich daher weniger aus Heideggers Sprache, sondern aus Übersetzungsschwierigkeiten von und Inkompatibilitäten mit einer die gesamte Lebenswelt bereits durchzogen habenden Wissenschaftssprache, die sich eben gerade nicht mehr der gesamten Breite und Tiefe der Sprache bewusst ist, sondern aus einem technizistischen Verständnis heraus Sprach- und Denkpolitik betreibt. Dagegen gilt es für Heidegger, mehr ›Demut‹ und ›Frömmigkeit‹ walten zu lassen. So wie im Computerzeitalter die approximative Informationslogik des 21. Jahrhunderts die mathematisch-analytische Logik des 17. Jahrhunderts zunehmend ablöst und damit neue Möglichkeitsräume der Wirklichkeits- und Gegenstandskonstruktion durch experimentelle Simulation erschafft, so versucht Heidegger mit seiner appellativen Titelwortrede gegen die Vereinseitigung durch einen zu engen instrumentell-technischen Gebrauch anzugehen und die ursprünglichen kooperativen Bezüge zu rekontextualisieren, die sie ursprünglich ermöglicht hat. Damit ist er immer sozusagen ›on the road‹ gegen Fixierungen und Erstarrungen durch Vergegenständlichung, Schematisierung und Routinen. Dagegen setzt er denkerische Bewegtheit, Dynamik und vergegenwärtigende Lebendigkeit. Dynamik ist Lebendigsein. Und umso mehr Möglichkeiten, Vermögen und Mögen, also Dynamik, ein Wesen hat, desto lebendiger ist es. Heideggers Sprachdenken gewinnt auf diesem lebenslangen Weg selbst an Dynamik. Diese richtet sich zunehmend aber weniger darauf, das Äußere, Sichtbare in Bewegung zu setzen, als innerlich bewegt zu sein und diese ›bewegte Bewegung‹ in der Verdichtung zur Sprache kommen zu lassen. Sie bekommt eine andere Haltung. Insofern hat der Interpretationsteil dieses Buches die Funktion, in Heideggers Denken und Sprache einzuführen, die Ausgangsfragen im Ausgang seiner frühen Texte zu benennen und wesentliche Motivationsmomente für das Finden geeigneter Methoden und Inhalte für den weiteren Verlauf des Heideggerschen Denkweges herauszustellen. Es zeigt sich dabei, dass Heidegger besonders am Anfang seiner philosophischen Karriere versucht, eine in sich stimmige Trias von Gegenstand, Methode und Sprache zu finden, die dann auch seinen weiteren Denkweg bestimmen wird und in eine kohärente, wenn auch bewegliche Einheitlichkeit und Kontinuität bringt. Gegenstände seines frühen Denkens sind dabei Grenzphänomene wie das ›Nichts‹, ›Gott‹, das ›Prinzipielle‹ und das ›Anfängliche‹. Methodisch setzt sich 224

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Heidegger nicht nur mit Aristoteles 16, sondern auch mit der Phänomenologie Husserls und mit Fragestellungen auseinander, die sich aus der Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Methodenproblemen seines Faches im Neukantianismus, der Lebensphilosophie und der Kulturphilosophie seiner Zeit ergeben. In kritischer Würdigung dieser Ansätze entwickelt er deren Anstöße konsequent weiter und entwickelt schließlich daraus seine eigene Methode, seinen eigenen Gegenstand und zunehmend auch eine eigene Sprache. Die Methode im Denkweg Heideggers ist also im Grunde immer dieselbe. Sie ist eine Fortentwicklung ihrer selbst. Fest im Fokus behält Heidegger auch sein Ziel. Dieses verändert seine Gestalt jedoch mit seiner Haltung, mit dem Weg, auf welchem man sich ihm annähert. Nach seinen Qualifizierungsarbeiten, die sich mit logischen Problemen befassen, bildet von Beginn seines selbständigen Denkens an die Frage nach dem ›Sinn von Sein‹ den genuinen Gegenstand des Heideggerschen Denkens. Dies zeigt sich in den frühen Schriften angedeutet und in den späten Arbeiten ausgearbeitet. Da für die Ausarbeitung dieser Frage Sprache notwendig ist, diese aber durch die wissenschaftliche Voreinstellung auf Phänomene in gewisser Weise kontaminiert ist, gilt es für Heidegger, im Rückgang durch die Geschichte der verschiedenen Seinsauffassungen erst einen unverstellten Blick auf das Phänomen bzw. eine adäquate Haltung gegenüber dem Sein zu gewinnen. Heidegger in seinem Überbietungsgestus will von Anfang an zum Kern philosophischer Anstrengungen vordringen, tabula rasa machen, ganz neu zu denken anfangen. 17 Dazu muss er sich mit den Problemen der philosophischen Gegenwartsströmungen als auch in der Geschichte der Philosophie auseinandersetzen, weil sein philosophischer Rückgang aus dem Aktualitätsbezug motiviert ist. Insofern ist es konsequent und nicht verwunderlich, dass Heideggers Denkweise zugleich Hermeneutik, Phänomenologie, Ontologie, Transzendentalphilosophie sowie Wissenschafts- und Metaphysikkritik zugleich sein will und ist. 18 Wenn in den Frühschriften methodologische Fragen einen wesentlichen Raum einnehmen, so deshalb, weil Heidegger den richtiVgl. Kapitel 3 dieses Buches. R. Safranski dazu: »Heidegger liebte die große Gebärde, weshalb man nie genau weiß, ob er vom Abendland oder von sich spricht, ob nun das Sein überhaupt oder sein Sein zur Debatte steht.« In: ders., Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt am Main 1997, S. 16. 18 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 38. 16 17

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gen Weg markieren und beschreiben will, auf dem sich die Perspektivänderungen innerhalb der philosophischen Tradition überhaupt angemessen vollziehen lassen. Die berühmte Daseinsanalyse in Sein und Zeit kann daher als ein notwendiger Umweg beschrieben werden, der gegangen werden muss, um die wesentliche Frage nach dem ›Sinn von Sein‹ als Grundfrage der Philosophie in Bezug auf ihre Geltungsund Geneseansprüche weiter ausarbeiten zu können. Doch um diesen kontinuierlichen Denkweg immer weiter abschreiten zu können und diese Fragen stellen zu können, reichen die bisherigen philosophischen Methoden nicht hin. Vielmehr bedarf es neben bestimmten Erkenntnismethoden auch der rechten Zugangsweisen, einer angemessenen Haltung des Fragenden und passender sprachlicher Schlüssel, die bestimmte Erkenntniswege wie Türen aufschließen. Heideggers Kritik an aller bisherigen Philosophie ist daher nicht nur Erkenntnisund Ontologiekritik, sondern Haltungskritik 19. Es ist nicht die Begriffssprache, sondern die tropische Rede, die bestimmte Grundorientierungen als Rahmungen ermöglicht. Sie liefert unterschiedliche Modelle tiefensprachlicher Präfiguration und strukturiert vor, wie wir etwas überhaupt verstehen können. Heidegger muss das bewusst gewesen sein, denn er war ein Kenner der aristotelischen Rhetorik und wollte dieser gerecht werden. Dass er selbst keine Sprachphilosophie oder Tropentheorie angeboten, sondern seine Sprachauffassung lieber in seine Texte implementiert hat, liegt in seiner Auffassung über Wissenschaftsideologie und Metaphysik begründet. Er will seinem eigenen Credo gerecht werdend: Die organische Lebendigkeit von Sprache darzustellen zeigt sich eben im Gebrauch der Sprache besser als im fixierenden theoretischen Draufblick auf sie. Weil die Demonstration des Denkens selbst als ein Weg Priorität vor jeder Rede über Methoden hat, bleibt eine ausformulierte Tropentheorie immer hinter dem Heideggerschen Anspruch des inhaltlich-darstellungsformalen Einholens zurück. Die vier tropischen Stufen von der Metapher über die Metonymie und die Synekdoche hin zur Ironie, die von Giambattista Vico bis Hayden White die grundlegenden sprachlichen Vororientierungen sprachlicher Sinnbildung darstellen, sollen in den folgenden vier Ka-

Die Kritik an einer Haltung bezieht sich dabei nicht nur auf das konkrete Handeln, sondern auch auf die emotive und/oder volitive Motivationslage sowie deren sprachlichen Ausdruck.

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piteln das Gerüst für die Interpretation des Denkweges Heideggers abgeben. Heideggers Denkweg bietet sich in besonderer Weise dafür an, weil dieser Weg zum ersten als ein Kontinuum zu verstehen ist, das von Natur aus drei Bruchstellen aufweist, sodass es von selbst in vier Reflexionsetappen gliederbar ist. Zum zweiten sind Heideggers Texte nicht leicht zugänglich und eine tropengestützte Interpretation kann gegebenenfalls helfen, die wesentlichen Gedanken in ihrer Einheit besser zu verstehen. Zum dritten verändern sich Heideggers logische Redemodi im Laufe seines Denkweges derart, dass eine Tropenanalyse überhaupt sinnvoll anwendbar ist. Und zum vierten können mit dem Wechsel der tiefensprachlichen Modelle zugleich rhetoriktheoretische Klassifikationsfragen und philosophische Fragen nach der Logik der Tropen geklärt werden. Die Aufeinanderfolge der Tropen charakterisiert in der vorliegenden Interpretation nicht mehr unterschiedliche Geschichtsschreibungs- oder Geschichtsphilosophieschreibungsvarianten einzelner Autoren wie bei White. Sie symbolisiert auch nicht die unterschiedlichen Zeitalter, wie sie Vico thematisiert. Neu ist vielmehr, dass die Primärtropen in diesem Buch von diesen Anwendungsgebieten losgelöst für vier Etappen eines einzigen Denkweges, den ein einziger Philosoph durchschritten hat, stehen. Damit verschiebt sie die Perspektive von einem kollektiven Unbewussten, das hinter den Autoren agiert, hin zu einem individuellen Bewusstmachen, das bis zu einem gewissen Grad aktiv denkerisch herbeigeführt werden kann. Folgende vier Etappen lassen sich in Heideggers Denkweg ausmachen: Die 1. Etappe beschreibt die Herkunft seines Denkens aus einer bestimmten zeitgenössischen philosophischen Situation und Fragestellung heraus (Qualifikationsarbeiten und erste Vorlesungen) und gibt Impulse für die zweite Phase. In der 2. Etappe emanzipiert sich Heidegger aus dieser disziplinären ›Geworfenheit‹ und Gebundenheit (frühe Vorlesungen und Sein und Zeit) und unterbreitet sein eigenes philosophisches Projekt. In der 3. Phase räumt er Missverständnisse und Kritik gegenüber seinem philosophischen Programm aus, indem er die bisherige Blickrichtung wendet und nicht mehr vom Dasein her das Sein, sondern vom Sein her das Dasein beschreibt (Schriften, die Sein und Zeit erklären und dessen Fragestellung in eine allgemeine Seinsfrage zurückführen – die so genannte ›Kehre‹). In der 4. Etappe schließlich macht sich Heidegger von der Aufgabe der Kritikentschärfung frei und schreitet zur Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Sein fort (Schriften zur Sprache, zum Dichten Logik der Tropen

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und Denken im Spätwerk). Die verschiedenen Stufen überlappen sich zuweilen und schleifen eine zu rigide chronologische Betonung ab. Die Untersuchung arbeitet sich nicht immer streng chronologisch an Heideggers Werken von seinem frühen bis zu seinem späten Schaffen ab. Da Heideggers Denkweg mäandert, wird die chronologische Achse vor allem anhand systematischer Fragestellungen verfolgt. Auf diese Weise lassen sich sowohl Kontinuitäten als auch Brüche in Heideggers Fragestellungen und ihrer darstellungstechnischen Umsetzung nicht nur besser konturieren. Statt sie bereits vorab strukturell zu unterstellen, werden sie allererst ausfindig gemacht. Insgesamt unterscheide ich in meinem Buch vier paradigmatische Themenfelder, die chronologisch aufeinanderfolgen: 1. Heideggers Wissenschaftsbegriff; 2. Heideggers Existenzialanalyse; 3. Heideggers so genannte ›Kehre‹ sowie 4. Heideggers spätes Sprachverständnis. Das Tropenraster ist notwendig grob. Gerade die Interpretation des metaphorischen und damit nach White identifikatorischen Bewusstseins Heideggers changiert zwischen Identifizierung mit den philosophischen Fragen seiner Zeit, die er bewusst aufnimmt, und der Fortführung dieser Fragen, die eine Emanzipation und damit das Ende einer vollkommenen Identifizierung mit den ursprünglichen Fragestellungen bedeuten. Die primordiale Sprache der Metapher reicht nämlich über sich hinaus ins Reich des Metonymischen und kann sich sogar mit ihr vermischen, obwohl beide sich ausschließende logische Verhältnisse sind. Ähnliche Überlappungen gibt es auch zwischen den anderen Tropen. Wie im Verfolgen der Interpretation zum Vorschein kommt, lassen sich trotz einigermaßen klarer Oberflächlichenzuordnung nicht immer eindeutige Grenzen der tiefensprachlichen Zuordnung ziehen. Diese ergeben sich erst aus dem letztlich kontextuellen Zusammenspiel von Inhalt und Form. Mit der tiefensprachlichen Interpretation können daher vor allem tendenzielle Veränderungen aufgewiesen werden.

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Heideggers erste Arbeiten reichen in die Jahre bis kurz nach der Jahrhundertwende. 1 Die Philosophie um 1900 kämpft um ihre Legitimation. Die Naturwissenschaften im Bunde mit Positivismus, Empirismus und Sensualismus in ihrem universalen Vormarsch drängen sie in eine Nische. Ihr Triumphtaumel stützt sich auf exakte Naturerkenntnis und technische Naturbeherrschung. 2 Experiment, Hypothesenbildung, Verifikation, induktive Verfahren – das sind die Paradigmen der wissenschaftlichen Forschungslogik. Ihr Kriterium liegt im praktischen Erfolg. Sie bestimmen auch die Vorstellung von dem, was Denken ist. Denken wird wie ein Vorkommnis, das gesetzmäßig abläuft, bestimmt. Es wird zur Naturwissenschaft des Psychischen. Und die Logik als Regelwerk des Denkens wird zum Naturgesetz reduziert, das empirisch beschrieben wird. 3 Einen solchen Determinismus kann Heidegger nicht vertreten. Erstens vollzieht sich Denken sehr viel komplexer. Zweitens bindet es sich höchstens an bestimmte Regeln, folgt diesen aber nicht zwingend. Es ist ein Kind der Freiheit. Insofern gilt es für Heidegger, genauso wie für seinen Lehrer Edmund Husserl vor ihm, die Logik zunächst vom Naturalismus zu befreien und ihren normativen geistigen Kern ans Licht zu bringen. Zwischen dem psychischen Akt des Denkens (Genese) und der Geltung des Denkinhaltes ist nämlich zu unterscheiden. Der RechenvorObwohl die Zeit im Theologischen Konvikt in Freiburg Heidegger prägt, beschränke ich mich hier auf seine philosophische Laufbahn, da ihn weniger die Scholastik als die formale logische Schulung dort anzieht. Besonders Carl Braig und dessen Werk ›Vom Sein. Abriß der Ontologie‹ (1896) schätzt Heidegger als seinen Lehrer in dieser Zeit. Vgl. R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, a. a. O., S. 30. 2 Vgl. R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, a. a. O., S. 41. 3 Später brachten Carl Gustav Hempel und Paul Oppenheim diesen aus dem 19. Jahrhundert stammenden Ansatz auf den Punkt. Vgl. dies., Studies in the Logic of Explanation (1948), in: H. Feigl (Hrsg.), Readings in the Philosophy of Science, New York 1953. Er wurde auch von Karl Raimund Popper aufgegriffen. Vgl. ders., Logik der Forschung (1935), Tübingen 2005. 1

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gang ›zwei mal zwei ist vier‹ ist zwar ein psychischer Akt. Dieser Akt gilt aber auch dann noch, wenn keiner diesen Akt konkret vollzieht. 4 Es ist analytisch und gilt im analytischen System ›ewig‹. Mit dieser Unterscheidung zwischen psychischem Akt und logischem Inhalt hatte Husserl den gordischen Knoten des Psychologismusstreits durchschlagen. 5 Heidegger ist einer der wenigen, die das frühzeitig bemerken. Mit Husserl teilt er die Vorliebe zur Logik, mit den Neukantianern Geltungsfragen, auch im ethischen Sinne. In der metaphysikfeindlichen Epoche vor 1914 war die Sphäre des Geltens ein Asyl für die metaphysischen Reste, also für alle Fragen, deren Beantwortung nicht allein auf positivistischem oder naturalistischem Wege zustande zu bringen war. Hier verteidigt Husserl das psychologiefreie Gelten der Logik gegen die Maulwürfe der naturalistischen Psychologie. Die Neukantianer fühlen sich im doppelten Sinn als Gewissen der Wissenschaften: methodisch und ethisch. 6 Heidegger nimmt dieses philosophische Erbe des 19. Jahrhunderts an, das sich unter Berufung auf die transzendentale Logik und die erkenntnistheoretischen Schriften Immanuel Kants sowohl gegen einen überzogenen Materialismus als auch gegen einen naiven Idealismus wendet. Ganz in dieser Tradition versucht er, den Psychologismus anhand des Phänomens des ›Nichts‹ bzw. der Negation zu kritisieren und damit die Kantische Prämisse zu stützen, dass es ein von der Psyche unabhängiges Wissen gebe. 7 Die Grundfragen der Philosophie sind für Heidegger in den frühen akademischen Jahren neben der Verteidigung des Logischen geAus dieser Beschäftigung mit Problemen der Logik resultieren auch Heideggers Aufsätze, zum Beispiel: Das Realitätsproblem in der modernen Philosophie, der im Philosophischen Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 1912 veröffentlicht wurde, und mehrere Folgen der Neuere Forschungen über Logik, die in der ›Literarischen Rundschau‹ erscheinen. 5 Vgl. M. Rath, Der Psychologismusstreit in der deutschen Philosophie, Freiburg i. Br. et al. 1994. 6 Heidegger kennt zum Beispiel die kultur- und wertphilosophischen Schriften Georg Simmels, der dem Neukantianismus nahe steht, und übernimmt viele seiner Gedanken. Wie ein Wert jedoch unabhängig von den Wertenden – ähnlich wie die Geltung der Logik unabhängig von Ausführenden – gedacht werden kann, ist Heidegger in seinen frühen Texten noch unklar. Vgl. M. Großheim, Von Georg Simmel zu Martin Heidegger. Philosophie zwischen Leben und Existenz, Bonn 1991. 7 Das behauptet zum Beispiel Hermann Cohen unter Verweis auf mathematisches Wissen. Vgl. G. Edel, Von der Vernunftkritik zur Erkenntnislogik. Die Entwicklung der theoretischen Philosophie Hermann Cohens, Freiburg i. Br. et al. 1988. 4

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genüber dem Psychologismus vor allem Fragen des Spannungsverhältnisses des in seiner Reichweite noch unterbestimmten logischen und analogischen Vokabulars. Das Problem des Psychologismus bestand ja gerade darin, dass aus naturalistischer Sicht die Logik als eine Art Naturgeschehen erscheint, das wie ein Naturgesetz behandelbar ist. Der Psychologismus übersieht dabei, dass die Logik gar nicht empirisch beschreibt, wie wir denken, sondern wie gedacht werden sollte. Sie bezeichnet kein Sein, sondern eine Norm. Der psychologistische Fehlschluss ist demzufolge ein umgekehrter naturalistischer Fehlschluss. Beide verfehlen die angemessene Dimension, auf der Schlussfolgerungen gezogen werden können. Folgerichtig weist Heidegger in der ersten philosophischen Qualifizierungsarbeit Die Lehre vom Urteil im Psychologismus 8 auf eine Ebene der logischen Sprache hin, die ›reicher‹ ist als die Wirklichkeit selbst bzw. die die Wirklichkeit erweitert um einen Bereich, über den sich eigentlich nichts sagen lässt. Anknüpfend an die zu dieser Zeit virulent werdende Debatte um den Status des Logischen und des Psychologischen, die einhergeht mit der Absentierung der Psychologie aus den Geisteswissenschaften, greift Heidegger also Fragen auf, die auch für die Debatten im Neukantianismus von Bedeutung sind und die vom Idealismus in den Hintergrund gedrängt wurden. Die Auseinandersetzung mit dem Psychologismus zur Rettung des Phänomenbereichs normativer Geltungsfragen innerhalb des Logischen zwingt ihn zu ersten Reflexionen über das Zeitproblem. In Übereinstimmung mit seinem zu jener Zeit schon antipsychologistisch argumentierenden Lehrer Edmund Husserl schreibt Heidegger in seiner Doktorarbeit, dass das Logische ein statisches Phänomen ist, das jenseits jeder Veränderung steht, also auch unabhängig von der Zeit ist. 9 Mit dem Logischen gibt es für Heidegger also noch eine Sphäre jenseits der Zeit bzw. des Zeitlichen. Das Subjekt, so der frühe Heidegger, kann das Logische allenfalls erfassen, aber nicht verändern. Die statische Logik der Mathematik muss für Heidegger daher auch mit einer zeitlichen, sich dynamisch wandeln-

Heidegger promoviert im Sommer 1913 und strebt eine akademische Karriere an. Zum Verhältnis von Heidegger zu Husserl siehe unter anderem I. Schmidt, Vom Leben zum Sein. Der frühe Martin Heidegger und die Lebensphilosophie, Würzburg 2005. Auf S. 85 schreibt sie mit Verweisen auf Briefe an Elisabeth Blochmann, dass Husserl Heidegger die ›Augen eingesetzt‹ habe und er ständig in Gemeinschaft mit Husserl lebe.

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den Wirklichkeit in ein Spannungsverhältnis geraten. Das Denken als psychischer Akt geschieht in der Zeit und beansprucht auch Zeit. Der logische Gehalt des Denkens aber gilt unabhängig von der Zeit, denn das Logische ist »ein ›statisches‹ Phänomen, das jenseits jeder Entwicklung und Veränderung steht, das also nicht wird und entsteht, sondern gilt; etwas, das allenfalls vom urteilenden Subjekt ›erfaßt‹ werden kann, durch dieses Erfassen aber nie alteriert wird« 10. Das demonstriert Heidegger an der Frage nach dem Nichts. Man kann sagen, ›die Rose ist nicht gelb‹ oder ›der Lehrer ist nicht da‹. Der Partikel ›nicht‹ bedeutet also lediglich, dass ein bestimmtes Etwas, das wir erwarten oder auf das Bezug genommen werden soll, nicht vorhanden ist bzw. fehlt. Aus diesem Fehlen oder Nichtdasein lässt sich dann ein ›Nichts‹ abstrahieren. Das Nichts ist damit ein bloßes Gedankending, das es nur im Urteilsakt gibt, nicht aber in der Wirklichkeit, denn da gilt, »wenn etwas nicht existiert, kann ich nicht sagen: es existiert« 11. Das Nichts wird beschrieben als ein Etwas und damit zu einem Aspekt des Seins, das alles in sich fassen muss. Auf diese Weise bringt sich Heidegger in die Debatten des so genannten Psychologismusstreits ein, den Edmund Husserl und Friedrich Ludwig Gottlob Frege führen. 12 Aus der bescheidenen Semantik der Negation erwächst dann bei Heidegger später eine imposante Ontologie des Seins und des Nichts. 13 Die frühen Texte untersuchen also nicht nur die Möglichkeiten der negatorischen Rede. Sie resultieren nicht aus einer Präfigurierung seines Denkens im tiefensprachlichen Modus der Ironie als negatorischem Redemodus, wie man meinen könnte. Heidegger interessiert sich nämlich auch für andere impersonale Urteile, zum Beispiel ›es blitzt‹ und ›es kracht‹ und ›es gibt‹. Er fragt, wer das Subjekt dieser Tätigkeiten ist. Da weder psychologische Untersuchungen noch semantische Wortbedeutungsklärungen den eigentlichen Gehalt eines Urteils zutage fördern, sucht er nach einer Alternative, die vor aller psychologischen oder logischen Erklärung liegt. Um derartige Urteile überhaupt begreifen zu können, muss man den Nexus der Handlungssituation kennen und verstehen. Also muss die Antwort in eine

M. Heidegger, Frühe Schriften (1912–1916), GA 1, S. 120. Ebenda, S. 125. Nicht einmal von dem Es kann man sagen, dass es existiert. 12 Vgl. M. Rath, Der Psychologismusstreit in der deutschen Philosophie, a. a. O. 13 Später wird aus dem ›abgekühlten Nichts‹ des Urteils allerdings ein ›Nichts der Angst‹. Vgl. R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, a. a. O., S. 61. 10 11

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Analyse der ›Pragmatik des alltäglichen Lebens‹ eingebettet werden. 14 Zwei wesentliche Meilensteine seines Denkens sind gesetzt: Er thematisiert erstmalig grundlegende Begriffe seiner späteren Philosophie, die ›Zeit‹, das ›Nichts‹ und das ›Sein‹. Und er verortet sich mit Blick auf die Praxisformen des alltäglichen Lebens im Bereich des Vorwissenschaftlichen und Vorbegrifflichen. Nach eigenen Auskünften will Heidegger seine logischen Forschungen fortsetzen und über das Wesen des Zahlbegriffs arbeiten. 15 Durch Conrad Gröber mit der Dissertation Franz Brentanos Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles bekannt gemacht, in der der Autor nach der Seinsweise Gottes fragt, will der noch theologieaffine Heidegger vor einer ›trügerischen Logifizierung‹ von Begründungen bewahren. Der Akt des Glaubens muss als etwas anderes verstanden als Akte des Urteilens, Vorstellens oder Wahrnehmens. Hatte man im Triumphzuge der exakten Naturwissenschaften die Frage danach, was etwas ist, zugunsten der Frage, wie etwas (gesetzmäßig) funktioniert, vergessen, so ist es seitdem gerade die Sinnfrage, die Heidegger beharrlich festhält. Er fragt, was ›es gibt‹ überhaupt bedeutet, welchen Sinn diese Frage für den Menschen hat. 16 Seine Habilitationsschrift von 1916 handelt daher nicht von ungefähr über Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus. 17 Mit Scotus findet Heidegger nämlich einen passenden Text 18, an dem er das erörtern kann, was ihn am Zahlbegriff fasziniert hat: die Realität der Idealität. Damit übernimmt er dessen Fragestellungen, idenM. Heidegger, Frühe Schriften, GA 1, S. 127. Zu Heideggers Werdegang von der katholischen Philosophie der Neuscholastik zum philosophischen Protestanten vgl. auch T. Rentsch, Martin Heidegger – Das Sein und der Tod, a. a. O., S. 10 ff. 16 Heidegger unterscheidet hier also nicht wie Frege zwischen Sinn und Bedeutung, sondern setzt beide Begriffe synonym. Vgl. F. L. G. Frege, Über Sinn und Bedeutung (1892), in: ders., Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Göttingen 1962, S. 38–63. 17 Dieser Text wurde vielfach Johannes Duns Scotus zugeschrieben, was sich inzwischen als falsch erwiesen hat. Er soll von Thomas von Erfurt, einem Philosophen aus der Schule des Scotus stammen. Vgl. auch M. Heidegger, Frühe Schriften, GA 1, S. 160 ff. Vgl. auch M. Grabmann, Thomas von Erfurt und die Sprachlogik des mittelalterlichen Aristotelismus. München 1943. 18 Der Titel des Textes von Duns Scotus/Thomas von Erfurt lautet ›De modis significandi sive Grammatica speculativa‹ (dt. Vom Wesen des Bedeutens oder Spekulative Grammatik). 14 15

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tifiziert sich sozusagen mit ihnen. Die Hinwendung zur mittelalterlichen Frage verbindet die neuzeitliche Frage nach der Zahl mit einer Plotinschen Fragestellung nach dem Einen. Gleichzeitig drückt sich in ihr eine innere biographische Kontinuität Heideggers aus. 19 Für Heidegger zieht die spekulative Grammatik der Scotisten aus dem Einen und der Eins eine ganze Ontologie hervor. Scotus’ Transzendenzien sind ›Seiendes‹, ›Eins‹, das ›Wahre‹ und das ›Gute‹. Dass es das Seiende überhaupt gibt und dass mit ihm alles anfängt, ist für Heidegger evident. Weniger selbstverständlich aber ist für ihn, dass das Seiende immer nur als ein Seiendes, als ›ein bestimmtes Etwas‹, also als ›Eines‹, damit als ›Ein und dasselbe‹ vorkommt. Im Bemühen um ein Seins- und Eines-Verständnis setzt sich Heideggers weiterer philosophischer Denkweg fort. Neue Akzente zeigen sich zunächst in der Neuinterpretation der alten Identifizierung von Seiendem und Einem und zugleich Wahren und Guten. Es wird behauptet, dass das Seiende das Eine ist, damit zugleich, dass es nur eine Wahrheit vom Seienden und auch vom Guten geben kann. Wenn Seiendes, Wahres und Gutes aber zusammenfallen, dann müssen sie in ihrer phänomenalen Art gleich und zugleich ununterschieden sein. Wie aber kann es, fragt Heidegger, unter solchen Vorannahmen zum Begriff der Zahl kommen? Das Eine ist nur im Unterschied zum Verschiedenen. Heidegger schließt daraus, dass das Eine und das Andere der wahre Ursprung des Denkens als Gegenstandsbemächtigung sind. 20 Da das Nicht-das-Andere-sein keine Eigenschaft des Einen ist, muss es durch das vergleichende Denken an die Dinge erst herangetragen worden sein. Die Dinge selbst können sich nämlich nicht miteinander vergleichen, sondern sie werden verglichen. Das Nicht kommt also durch den Menschen in die Welt. Das menschliche Vernunftvermögen unterscheidet zwischen dem, was die Dinge von sich aus sind, und dem, was unser Denken ihnen ›antut‹ bzw. ›aus ihnen macht‹. Heidegger drückt diesen Sachverhalt im Anschluss an Scotus so aus:

Der 20-jährige Heidegger begann im Wintersemester 1909/10 sein Studium an der Universität Freiburg i. Br. als Theologie-Student, brach jedoch ab dem dritten Semester aus dem festgelegten Studienplan der Theologen aus und studierte in der Folgezeit Philosophie, Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften. Vgl. auch: R. A. Bast, Der Wissenschaftsbegriff Martin Heideggers im Zusammenhang seiner Philosophie, Stuttgart et al. 1986. 20 M. Heidegger, Frühe Schriften, GA 1, S. 160. 19

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»Wir projizieren das Seiende, das aus lauter verschiedenen Einzelheiten (Heterogenitäten) besteht, zum Beispiel fünf verschiedene Äpfel, in ein homogenes Medium, wo wir das Seiende vergleichen, begreifen und eben auch – abzählen können. Zwischen der Mannigfaltigkeit des Einzelnen und seiner Ordnung in der Zahlenreihe besteht also ein Verhältnis, und zwar das der Analogie.« 21

Diese Analogie, die – so kann man an dieser Stelle Heidegger ergänzen – hier aristotelisch als Proportionalität gedacht wird, behandelt ein bestimmtes Kontiguitätsverhältnis, nämlich das der Gleichheit in bestimmter Hinsicht und zugleich Unterschiedenheit in bestimmter anderer Hinsicht. Es ist eine Form des Abstrahierens. Um als Zahlen zusammengefasst zu werden, müssen sie als Gleiche aufgefasst werden. Um die Zahlen jedoch voneinander zu unterscheiden, müssen sie als unterscheidbares Gleiches bzw. relativ Unterschiedenes (im Unterschied zu radikal Unterschiedenem wie zum Beispiel Zahlen im Vergleich zu Wasser) behandelt werden. Als Zahlen stehen sie allerdings nicht jenseits der Welt, sondern drücken unter anderem Mengenund Teilbarkeitsverhältnisse aus. Aus diesem wissenschaftstheoretischen bzw. entitätstheoretischen Problem leitet Heidegger ab, dass Dinge offenbar so sind, dass sie den idealen Bedeutungsgehalt von Begriffen nur in analoger Weise erfüllen, denn sie sind im Grunde noch viel mehr und anderes, als was sie im ebenso homogenisierenden Medium abstrakter Begrifflichkeit darstellen. Das Erkennen des Nichtgleichen im Gleichen, respektive des Nichtidentischen im Identischen, zeigt sich dann für Heidegger als Voraussetzung der Zergliederung der Welt in Objekte überhaupt. Sie unterscheiden sich nicht nur wie unterschiedliche Dinge. Aufgrund ihrer gleichen abstrakt-konstruierten Dingqualitäten sind sie als Unterschiedene desselben zählbar geworden innerhalb eines zeitenthobenen Horizontes. Ihr Vorher und Nachher stellt keine zeitliche Qualität dar, sondern eine logisch-räumliche. 22 »Die Homogenisierung ist eine Angleichung der Zeit an den Raum, an schlechthinnige Präsenz; die Tendenz, alle Zeit in eine Gegenwart aus sich fortzudrängen. Sie wird völlig mathematisiert, zu der Koordinate t neben den Raumkoordinaten x, y, z. Sie ist nicht umkehrbar. Das ist das einzige, worin sich die Zeit noch zu Worte meldet, worin sie einer endgültigen MaEbenda. (Hervorhebung Heidegger) Vgl. M. Heidegger, Vortrag vor der Marburger Theologenschaft. Juli 1924, Tübingen 1989.

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thematisierung widersteht. Vorher und Nachher sind nicht notwendig Früher und Später, nicht Weisen der Zeitlichkeit. In der Zahlenreihe zum Beispiel ist die 3 vor der 4, die 8 nach der 7. Die 3 ist deshalb aber nicht früher als die 4. Die Zahlen sind nicht früher oder später, weil sie überhaupt nicht in der Zeit sind. Früher und Später sind ein ganz bestimmtes Vorher und Nachher. Ist einmal die Zeit als Uhrzeit definiert, so ist es hoffnungslos, je zu ihrem ursprünglichen Sinn zugelangen.« 23

Somit könnte man sagen, dass es die Differenz ist, die es ermöglicht, Dinge als Gestalten abzuheben. Zählbar jedoch werden Dinge erst, wenn in einem weiteren Abstraktionsschritt im Differenzierten auch Gleichartiges erkannt wird. Erst dieses nämlich ist entindividuiert und zählbar in eine Reihe zu bringen. Dieser weitere Abstraktionsschritt ist nicht im Modus zeitlicher Abfolge zu verstehen, sondern als logisches Bedingungsgefüge. Logik (im herkömmlichen Sinne) ist damit Angleichung des Ungleichen im Modus der Zeitenthobenheit. Diese ana-logische 24 Grundstruktur im Phänomenfeld der Zahl und des Zählens, die sich der metaphorische und der metonymische Redebereich teilen, wendet Heidegger in seiner Habilitationsarbeit auch auf das Verhältnis zu ›Gott‹ an: Gott steht zum Ganzen des Seienden im Verhältnis wie die unendliche Zahlenreihe zu den abzählbar-zu-machenden Mannigfaltigkeiten des Seienden. Heidegger stellt eine Proportionalität bzw. Entsprechung zwischen Gott und dem Ganzen des Seienden auf der einen Seite sowie dem unendlichen Zahlenreich und der Abzählbarkeit von Zahlen auf der anderen Seite her. Die vollständige proportionale Analogie zeigt sich dann als ein doppeltes Verhältnis, in welchem über das vertraute Begriffspaar ein Verständnis über das weniger vertraute hergestellt werden soll. 25 Geht man davon aus, dass das lebensweltliche Verhältnis zu Zahlen bzw. zum Zählen vertrauter ist als das zu Gott oder zum Ganzen des Seienden 26, dann ist das Verhältnis von Endlichkeit (des Menschen) und Unendlichkeit (des abstrakten Zahlenbereiches und seiner komplexen Mathematik) eines, das vom endlichen Standpunkt weder durch Empirie noch durch Denken in seinem Umfang überhaupt ermessen werden kann. Die Begriffe ›Endlichkeit‹ und ›Unendlichkeit‹ M. Heidegger, Der Begriff der Zeit, GA 64, S. 6. Analogie (gr. ἀναλογία, analogia) bedeutet Proportionalität, Entsprechung, Verhältnismäßigkeit. 25 A verhält sich zu B wie C zu x (oder zu D). 26 Das muss nicht unbedingt gelten. Wahrscheinlich gilt es sogar für die meisten Menschen nicht. 23 24

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stehen vielmehr in einem antonymen Verhältnis, wie es auch die Worte ›Anfang‹ und ›Ende‹ bilden, wobei die innere Logik die der binären Struktur alltäglicher Lebensvollzüge nachahmt. 27 Ähnlich verhält es sich, so unterstellt diese Analogie, mit dem Verständnis von Gott als der Inkorporiertheit einer zahlenmäßig nicht erfassbaren Abstraktheit, die für Heidegger aus der zählbaren Dingqualität herausfällt. Über die Endlichkeit des Ganzen des Seienden lässt sich nach Heidegger nämlich nicht logisch zur Unendlichkeit Gottes kommen, wenngleich beide auf Endlichkeit verweisen. Denn das, was mit der Unendlichkeit Gottes ausgedrückt wird, ist nur eine metaphorische Übertragung des logischen Unendlichkeitsbegriffs auf ein bestimmtes, nämlich religiöses Verhältnis innerhalb der Lebenswelt. Man versteht hier die Unfassbarkeit Gottes vom (räumlich) Seienden her. Das Seiende ist aber immer endlich. Seine Gänze kann nur als unabzählbare Summe oder metaphorisch verstanden wird. Aus diesem Grunde ist die Rede von der ›Unendlichkeit Gottes‹ bzw. der Welt ein tropischer Notbehelf, der zwei sich gegenseitig ausschließende Begriffe zusammenbringt und damit – streng genommen – einen Kategorienfehler darstellt, wenn man den Redemodus falsch versteht. Weil die Unendlichkeit an die Endlichkeit gebunden bleibt und sozusagen vom Entdecken her verstanden wird, kann Gott als Schöpfer alles Seienden nicht selbst Teil von sich sein. Er muss auch Schöpfer des Unterschiedes von Unendlichkeit und Endlichkeit sein, wobei die Unendlichkeit bloß eine Negierung dessen ist, was es gibt. Will man – so die Konsequenz Heideggers aus der Analyse von Zahlund Gottes-Begriff – die Phänomene angemessen verstehen, so muss jedes Seiende in sich etwas Unausschöpfliches sein, das in seinem Reichtum nicht erfasst wird, wenn man es nur wie endliches Seiendes vorstellt und damit als Vorstellung in eine Art Dinglichkeit einzwängt. Vergegenständlichende Beschreibungen sind es aber – so Heideggers Verdacht –, die im Allgemeinen für die moderne Wissenschaft generell bei der Betrachtung, Beschreibung und Analyse ihrer Phänomene vorkommenden Darstellungsformen tragend sind. Sie Im Methodenteil dieses Buches wurde die grundlegende binäre Daseinsstruktur, wie sie George Lakoff und Mark Johnson herausgearbeitet haben, als metaphorische bzw. tropische herausgestellt. Vgl. G. Lakoff/M. Johnson, Leben in Metaphern, a. a. O. Logisch betrachtet stimmt die Behauptung Heideggers natürlich nur bedingt, denn die Negierung einer Sache bedeutet nicht zwingend ihr Gegenteil, so ist nichtschwarz nicht gleich weiß. Weil jedoch für das Gegenteil der Endlichkeit kein anderes Wort zur Verfügung steht, reden wir von der Un-Endlichkeit.

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verfehlen – tiefensprachlich genauer betrachtet – die wesentlichen differenten Seinsweisen lebendiger Phänomene. Sich ganz mit dem neukantianisch-wissenschaftskritischen Verständnis identifizierend und sich an ihnen orientierend, fordert Heidegger daher eine angemessenere Phänomenbeschreibung innerhalb der Wissenschaften. Philosophie hat für ihn die Aufgabe, auf das Kriterium der Angemessenheit zu verweisen, das sprachliche Instrumentarium dafür bereit zu stellen und kritisch zu prüfen. Eine Wissenschaft, die sich am Ideal des univok gebrauchten Begriffs orientiert – so Heideggers erste innere Abkehr von Husserls Ideal der Philosophie als ›strenger Wissenschaft‹ –, entspricht nicht der phänomenalen Wirklichkeit, in der sich Homogenität und Heterogenität in einer eigentümlichen Weise verschlingen. 28 Wenn Heideggers Einsicht richtig ist, dass sich Denken in der Sprache vollzieht, dann ist nicht nur auf die Erkenntnisweise, sondern auch die Darstellungsweise von Phänomenen zu achten. Wissenschaftliches Forschen beginnt für Heidegger nicht als von menschlichen Kommunikations- und Handlungspraxen abgekoppelter Wissens- und Gewissheitsnullpunkt, sondern inmitten einer etablierten kulturellen Praxis des Wissenwollens und Wissenherstellens zum Zwecke praktischer Problembewältigung. Wissenschaftliches Erkennen und schriftlich-epistematische Wissensakkumulation im Wissenschaftsbetrieb versteht Heidegger also nur als elaborierten menschlichen Praxisvollzug, als Hochstilisierungen elementarer und zugleich kulturell auf bestimmte Weise geprägter Handlungsweisen. Wissensüberlieferungspraxen, die Derivate alltäglicher Praxisformen sind, müssen daher kritisch in ihrer sprachlichen Modalität und Haltung zu den Phänomenen hinterfragt werden. Heidegger holt damit die Wissenschaften vom Sockel ihrer Hybris, die sie im Laufe der letzten drei Jahrhunderte zur alles erklärenden Instanz und omnipotenten Problemlöserin werden lassen hat. Er ordnet sie wieder in eine allgemeine und umfassende Lebens- und Handlungspraxis des Menschen ein, aus der sie entsprungen sind. Für Heidegger steht schon in den frühen Arbeiten fest, dass Wissenschaft, wie auch Philosophie, im kooperativen Umgang mit Dingen und Menschen schon vorgeprägt und angelegt ist. Sie ist Spezialisierung und zugleich Vereinseitigung bzw. Reduktion von Wissensproduktion.

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Vgl. M. Heidegger, Frühe Schriften, GA 1, S. 199 und S. 278.

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Die Auseinandersetzung Heideggers mit Scotus’ Schrift bringt vor allem eines zutage: Glauben und Erkennen sind zwei völlig verschiedene Weisen, mit der Welt umzugehen, und lassen sich – streng genommen – nicht gegenseitig ersetzen. Für Scotus sind die Begriffe zunächst nur Namen (lat. nomen) und nicht das Wesen der Sache selbst. Die Sachen selbst sind für die mittelalterlichen Nominalisten ›Gott‹ und ›Welt‹. Damit gehen sie von einer Dualität zwischen Denken und Sein aus, wenngleich sie einen Brückenschlag suchen. Für Heidegger hingegen bewegt sich das Denken in der Sprache als ›Zeichensystem‹, das auf die Sache selbst verweist. Zwischen Denken und Seiendem gibt es zwar Heterogenität, aber zugleich auch Homogenität. Und die Brücke zwischen beiden heißt Analogie. Zwischen Denken und Seiendem waltet für Heidegger dasselbe analogische Verhältnis wie zwischen Gott und Welt. Alle Elemente des Seins bis hin zum höchsten Seienden sind analogisch aufeinander bezogen und können demzufolge nicht zusammenfallen. Gott kann nicht identisch sein mit Welt, denn dann wäre er ihr Gefangener. Er kann aber auch nicht etwas ganz anderes sein, weil ja die Welt seine Schöpfung ist. Die Welt verweist auf Gott so wie die Sprache auf das Denken. Insofern führt das Mysterium der Analogie, worin man sich beim Zählen bewegt, auf analogem Weg zum Mysterium Gott. Daraus ergibt sich für Heidegger ein wichtiger Schluss: Es gibt eine Grundstruktur der realen Wirklichkeit, in der sich Homogenität und Heterogenität in einer eigentümlichen Weise verschlingen. 29 Wenn Heidegger den scholastischen Analogiebegriff des Scotus später auch nicht mehr gebrauchen wird und sich auch vom System des Katholizismus und der Plotinschen Ontologie abkehrt bzw. diese in sein Denken ein Stück weit integriert, so liegt doch hier bereits seine Überzeugung begründet, dass nicht die herkömmliche ›Logik‹, sondern die analogisierende Sprache als lebendige Rede in ihrer Geschichtlichkeit, Bedeutungsvielfalt und in ihrer verdichtenden Gestalt das angemessenere sprachliche Organ für sein Denken darstellt, gleichwohl die Logik als Methode der Aufdeckung alltagssprachlicher Kategorienfehler und deren Diffundieren in die Wissenschaftssprache ein Stück weit aufklären hilft. Sprachkritik wird für Heidegger somit zur wichtigsten Aufgabe der Philosophie, weil die Sprachvergessenheit zum Kennzeichen der Naturwissenschaften geworden ist, jene aber zum Paradigma aller Wissenschaft avanciert ist. 29

Vgl. ebenda, S. 278.

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Weil die generelle Homogenisierung des Heterogenen zu ontologischen und epistemischen Fehlkategorisierungen führt, muss statt der univoken (bedeutungsidentischen) Logik im Redemodus metaphorischer Identifizierung auf eine äquivoke (bedeutungsgleiche) Logik der Alltagssprache abgestellt werden. Die lässt sich dann als analogisch-metonymische Präfigurierung aufzeigen. Erst die genauere Betrachtung der unterschiedlichen Tiefenstrukturen macht es also möglich zu fragen, aus welchem alltäglichen Grundverständnis heraus der Mensch die Phänomene im Allgemeinen versteht. Heideggers Antwort ist eindeutig: vom Gegenständlichen und Abzählbaren her. Dieses Gegenständliche ist gemeinhin das physisch Gegebene. Unter die Maßgabe des Vorgestellten und Quantifizierbaren gebracht, werden – so Heideggers weitreichende Einsicht – tendenziell alle Phänomene von dorther verstanden. Insofern übersetze ich Heideggers Metaphysikkritik als eine Kritik an derjenigen Perspektive, die alles gemäß des Physischen (gr. meta ta physika) beschreibt und erklärt. 30 Diese Grundoperation des Denkens, gemäß der physischen Welt (oder ihr folgend) auch die restliche nichtphysische Welt zu strukturieren, ist nicht von vornherein abzulehnen. Zunächst ist diese Zugriffsweise auf die Phänomene nur zu konstatieren, nicht aber als negativ zu bewerten. Vielmehr – so wird Heidegger später aus diesem Befund schließen – ist das abendländische Denken und mit ihm der Beginn des wissenschaftlichen Denkens unter dieser Maßgabe zu problematisieren. Schon am Anfang des abendländischen Denkens setzt nämlich die Sprach- und damit Phänomenvergessenheit ein. Die Phänomen- und Sprachvergessenheit resultiert aus einem Missverständnis heraus: Der tropische Notbehelf wird nicht mehr bemerkt, sondern wörtlich genommen. Er wird als Verhältnis der Identität aufgefasst, aber nicht in seinem analogischen Charakter. Metaphorisches Identifizieren weist jedoch ganz andere Wahrheitsbedingungen auf als die wörtlich-definitorische oder logisch-axiomatische Rede des

Eine der Möglichkeiten, das griechische Präfix ›meta‹ zu übersetzen, ist neben dem üblichen ›hinter‹ oder auch ›über‹, vielmehr ›gemäß‹. Ein Selbstverständnis, das sich gemäß des Physischen versteht, ist dann ›metaphysisch‹ zu nennen. Die übliche Übersetzung von Metaphysik als ›hinter der Physik‹, womit die Einordnung bestimmter aristotelischer Schriften hinter dessen Schrift Physik gemeint sind, wird hier erweitert, da ›hinter‹ auch ›folgend‹ bedeuten kann und ›jemandem Gefolge leisten‹ dann auch ›jemandem gemäß‹ (agieren) heißen kann.

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Prädizierens. 31 Nur wer nämlich die Unendlichkeit Gottes nicht in ihrem Redemodus der Tropizität versteht, läuft hier Gefahr, die Phänomenalität Gottes gegenständlich zu verstehen, etwa als personifizierte Vorstellung in Objekt-Termini. Sowohl der anaphorische Charakter des Zahlbegriffes als auch der analogische des Gottesbegriffes sind damit als wesentliche Grenzphänomene in Heideggers Denkweg markiert. Sie bilden in ihrer spezifischen Phänomenalität den methodischen Ausgangspunkt für Heideggers gesamten Denkweg und das Ringen um eine angemessene methodische Zugriffsweise auf Phänomene bzw. eine angemessene modale Redeweise über sie. Das Problem der Vergegenständlichung erfährt mithin bei Heidegger eine Radikalisierung, die dann als Ideologie-, Technik- und Metaphysikkritik sein gesamtes Denken weiterhin bestimmen wird. Somit ist der systematische Ausgangspunkt für Heideggers Philosophieren benannt: Philosophiehistorisch nimmt Heidegger die wesentlichen philosophischen Probleme der wichtigsten Strömungen seiner Zeit in sich auf. Er identifiziert Objekte in Reihen von gleichförmigen Gegenständen. Die mit logischen Mitteln aus der Sprache herausgetriebene Kategorie ›Nichts‹ ist dann Grenzbegriff für all das, was eben nicht existiert. Gott und Zahlen sind solche Nichtexistenzen, könnte man nun zugespitzt formulieren. Auch ihnen muss eine angemessene Sprache abgerungen werden, um sie phänomengerecht beschreiben, analysieren und erfassen zu können. Betrachtet man Heideggers Qualifikationsarbeiten durch den Filter der Whiteschen tiefensprachlichen Präfigurationskriterien, so wird vor allem Folgendes deutlich: Der Anschluss an und die Identifikation mit einem universitären Selbstverständnis Heideggers besteht im Zusammendenken des Weitauseinanderliegenden. Da es gerade die Logik der Metapher ist, weit entfernte Bedeutungsfelder auf identifizierende Weise in eine Einheit zu bemühen, die über die Bedeutung der jeweiligen Begriffsbedeutungen hinausgeht, muss von dort – und nicht vom definierten Begriff aus – Heideggers Denkweg seinen Ausgang nehmen. Die Identifizierung von Seiendem und Nichts bedeutet tropologisch eine Ineinssetzung zweier weit auseinander liegender Begriffsfelder. Im Paradigma der Substitutionstheorie der Tropen geben sie das charakteristische Bild eines Sprung-

Es macht einen Unterschied, ob ich die Metapher äußere ›Platon ist ein Gott‹ oder die Aussage tätige ›Platon ist weise‹.

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tropus, nämlich der Metapher ab. Umso weiter die Begriffsfelder voneinander entfernt liegen, desto ›kühner‹ oder gewagter ist die Metapher. 32 Die Heideggersche Verweisung auf Phänomene, deren Seinsweise keine zu vergegenständlichende ist, wie zum Beispiel die Zahl oder Gott, müssen daher auch anders verstanden und behandelt werden als ›präsentisches Seiendes‹. Daher sind zuallererst ihre Seinsweise und ihr Phänomencharakter zu bestimmen. Metaphorisch im Whiteschen tiefensprachlichen Sinne ist vor allem die Art, wie Heidegger versucht nachzuskizzieren, dass unterschiedlichste Begriffsfelder nicht nur analogisiert, sondern auch in ihrer Geschiedenheit zusammengebracht werden: die Zahl mit Gott, psychische Akte und logische Urteilsformen, Heterogenes und Homogenes, das Sein und das Nichts. Es wird eine Gleichartigkeit der Objekte konstruiert bei vollem Bewusstsein ihrer offenkundigen Unterschiedlichkeit. Keines der beteiligten Phänomene wird dabei auf das andere reduziert, sondern als Ergänzung verstanden, was noch nicht auf ein katastrophales Selbstzerstörungsgeschehen verweist, wie es spätere Schriften Heideggers suggerieren. Ganz im Gegenteil: Heideggers Arbeiten stellen sich im Gesamt seines Denkweges eher als ein Drama der Selbstfindung des Geistes dar. Es ist ein Triumph des Denkens über die Unvernunft, der metaphysik- und ideologiekritischen Aufklärung über sich selbst bei gleichzeitiger Anerkennung einer prinzipiellen Rest-Enigmatik. Heideggers erste akademische Schriften bilden also den methodischen Ausgangspunkt, von dem er kontinuierlich und – trotz so genannter ›Kehre‹ – ohne Brüche, sondern nur in Modifizierungen des ursprünglichen methodischen Ansatzes, weiterdenkt. Diese logischen, ontologischen und epistemischen Anfangsthemen sind das Fundament für seine ersten, sich von diesen Traditionen zunehmend emanzipierenden Denkschritte. Es ist von daher nur konsequent, dass Heidegger an den Anfang des (philosophischen) Denkens zurück will. Demgemäß muss das Anfängliche und Prinzipielle, dem sich Heidegger in weiteren frühen Aufsätzen widmet, der Karriere des quantifizierenden und kalkulierenden Denkens und der Sprachvergessenheit Einhalt gebieten. Wie für den Romantiker Eichendorf, so wohnt auch

Vgl. H. Weinrich, Semantik der kühnen Metapher, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976.

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bei Heidegger nämlich jedem Anfang ein gewisser Zauber inne, der durch das Wort zur Gestalt findet. 33 Heideggers Strategie am Anfang seines Denkens kann man mit White ›formativistisch‹ in dem Sinne nennen, als sie in ihren analytischen Operationen noch zerstreuend und weniger integrativ umgeht. Sie bringt verschiedenenartige Phänomene zusammen, steuert aber noch nicht auf eine Gesamtkonzeption zu, wie man sie im Rückblick auf den gesamten Denkweg erkennen kann. Gleichwohl schneidet er verschiedene Themen schon an, zum Beispiel die Themen ›Zeit‹, ›Sein‹, und ›Verdinglichung‹. Zerstreutheit zeigt sich an der noch mangelnden Schärfe und Stringenz der gewählten Kategorien im Gesamt seiner philosophischen Aufgabe. Heidegger muss das für ihn zu bearbeitende Gebiet am Anfang seiner Karriere erst noch überblicken, Bausteine zusammensuchen, sich einen Weg bahnen. Dafür ist eine Grundmetapher mit primordialer Kraft zu finden. Auffällig ist aber schon in den frühen Schriften Heideggers ein antimechanizistisches Votum, das sich zum Beispiel in der Überzeugung der Gesetzlosigkeit der Logik zeigt. Die mathematisch-analytische Logik, die das Denken seit dem 16. und 17. Jahrhundert dominiert, ist ihm sowohl Vorbild als auch zu eng und einseitig. Sie verkörpert allerdings eine Tendenz des Daseins selbst. Erst nach seinen Qualifizierungsarbeiten spricht Heidegger eine Sprache, die der Beschreibung seiner Denkaufgabe besser entgegenkommt. Alles in allem aber nimmt der ambitionierte Heidegger in seinen frühen Schriften die wesentlichen Strömungen seiner Zeit auf und verhält sich kritisch zu ihren Motiven und Ergebnissen. Heidegger ist – so könnte man die Whiteschen Kategorien applizieren – noch nicht der Revolutionär der Denkungsart. Noch stecken seine Pläne in den Kinderschuhen. Insofern changiert Heideggers Denken noch zwischen Bindung an die akademische Herkunft und einem sich aus dieser Tradition heraus begebenden eigenen Schritt, ohne die Herkunft über Bord werfen zu müssen, sondern sich vielmehr auf sie stützend, zum Beispiel was die Strenge und Logik dieser Tradition betrifft. Seine methodischen Überlegungen reifen noch. Die Methode soll dem Inhalt entsprechen wie die Darstellungsweise der Erkenntnisform.

Vgl. J. von Eichendorff, Wünschelruthe (Schläft ein Lied in allen Dingen …), in: ders., Werke in einem Band, Berlin und Weimar 2006, S. 123.

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8.1. Methodenprobleme Heideggers berühmt gewordene Vorlesung Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles aus dem Wintersemester 1921/22 kann von daher als ein Zwischenschritt von metaphorischem und metonymischem Redemodus gedeutet werden. 34 Einmal versucht Heidegger, sich aus einem bestimmten Denkschema zu befreien und nach dem für ihn entscheidenden methodischen und thematischen Ansatz zu suchen. Zum anderen versteht er aber die eigene Denktradition selber als ein von lebensweltlichen Praxen entfremdetes Unternehmen. Wenn Heideggers Aristoteles-Vorlesung inhaltlich um den Topos des Prinzipiellen kreist, so ist diese Themenwahl nicht zufällig oder willkürlich. Das Prinzipielle ist das Anfängliche. 35 Das Prinzipielle ist für Heidegger nicht die Abstraktion von Prinzipien im Sinne eines ›Anfangs der Welt‹ und auch nicht im Sinne von ›obersten Werten‹ oder moralischen Prinzipien oder Maximen. Letztere sind für Heidegger im Anfänglichen immer schon potentiell mit enthalten. Heidegger stellt vielmehr die These auf, dass das Leben immer schon auf der ›Flucht vor dem Prinzipiellen‹ ist. 36 Das Leben im Modus des konkreten Augenblicks fasst er nicht als etwas Allgemeines auf, sondern aus konkreten Lebensvollzügen heraus. Diese konkreten Lebensvollzüge geben dem Menschen gar nicht die Möglichkeit, außerhalb seiner selbst zu stehen. Vielmehr ist der Mensch immer schon in praktische Lebensvollzüge eingebunden. Diese nehmen ihm den Blick auf sich selbst ab. Sie entlasten vom permanenten reflexiven Hinterfragen des eigenen Tuns im Vergleich zu anderen Möglichkeiten. Im Tun flüchtet der Mensch sozusagen vor sich selbst, vor seiner ureigensten Seinsweise, seinem ›Seinkönnen‹. 37 Er weicht sich zumeist selbst aus und hält sich an das Vorgegebene, an Praxen, die ihm vertraut sind und die er in sozialer Kooperation eingeübt hat. Wie fast alle seine grundlegenden Themen, so erfährt auch das Anfängliche im Laufe des Heideggerschen Denkweges immer wieder neu Beachtung. Heidegger ist ein beharrlicher Anfänger. Im SpätVgl. M. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 61. 35 Vgl. B. Elliott, Anfang und Ende in der Philosophie. Eine Untersuchung zu Heideggers Aneignung der aristotelischen Philosophie und der Dynamik des hermeneutischen Denkens, Berlin 2002. 36 Vgl. M. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. GA 61. 37 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 9; § 29; § 38. 34

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werk unterscheidet er zum Beispiel zwei Arten des Anfangs, den Anfang der Griechen bzw. den ›griechischen Anfang‹, der eine Grunderfahrung der Griechen darstellt, nämlich dass das anfängliche Erscheinen ein Hervorbringen (poiesis bzw. poesie) ist, und den ›anderen Anfang‹, verstanden als Herausgefordertsein von einem sich entziehenden, aber ursprünglichen Anfangsgeschehen her. 38 Anders sieht das noch in seinen ersten Vorlesungen aus. Hier geht es ihm weniger um die Anfänglichkeit des Seinsgeschehens als vielmehr um die zugrunde liegenden und daher als anfänglich zu bestimmenden Strukturen alltäglichen Daseins. Der Umweg der Bestimmung des Anfänglichen über die Untersuchung des menschlichen Daseins wird dann Hauptgegenstand seiner späteren Daseinsanalyse in Sein und Zeit werden. Sukzessiv entwickelt Heidegger also in seinen ersten Auseinandersetzungen mit Aristoteles sein ihm eigentümliches Begriffsinstrumentarium. Der Begriff der ›Sorge‹ bekommt die exponierte Stellung des Dreh- und Angelpunktes der Daseinsanalytik. Heidegger behauptet prima facie Befremdliches: Im Sichsorgen sei das Dasein nie bei sich selbst, sondern immer entweder sich vorweg oder sich hinterher. Im Sorgen mache man es sich leicht und ›flüchte in die Selbstverborgenheit‹. 39 Das sei eine Flucht vor dem eigenen Anfang, der eigenen Herkunft, dem Prinzipiellen. Es sei zugleich die Furcht vor dem eigenen (autonomen) Anfangen, nämlich (man) selbst zu sein. Die Selbstdurchsichtigkeit, auf die man positiv als alternative Handlungsoption zurückgreifen möchte, liefert für Heidegger keine Ruhigstellung des Problems. Stattdessen liefert sie Ratlosigkeit und gnadenlos leere Optionsfreiheit. ›Das Leben stürze ins Nichts‹, wenn es diesen Anfang radikal denkt, so Heidegger, da am Anfang nur nichts sein kann und nicht etwas. Der Anfang muss daher nicht als Gesetztes, sondern als ›Setzen‹ oder ›Stiften‹ verstanden werden. Am Anfang ist also die Tat – sozusagen die Tat des Wortes. Sinn im Leben – so könnte man diesen frühen Gedanken weiterentwickeln – kann demzufolge nie (in der Welt) gefunden, sondern nur gestiftet werden. Alle Entlastungsangebote, auf die man für die Lebensbewältigung in Rollen, Schematismen, Routinen und dergleichen zurückgreifen kann, versagen, wenn deren Sinnhaftigkeit nicht anerkannt Vgl. Kapitel 10 und 11 dieses Buches. M. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, S. 107 ff.

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wird. Der Mensch muss sich im Anfangen demzufolge radikal neu erfinden und sozusagen aus Nichts, ex nihilo, etwas stiften. Er ist auf sich selbst zurückgeworfen. Er muss eine Metaperspektive auf die eigene Existenz einnehmen, alle Bestimmungen von sich wegsubtrahieren. Was dann übrig bleibt, ist das ›Nichts‹ oder das ›Prinzipielle‹. Vor diesem Prinzipiellen, vor diesem Anfang – so Heideggers Beobachtung – ›flüchtet‹ sich der Mensch in seine alltäglichen Lebensvollzüge. Diese geben ihm erste Orientierung, eine Haltung zur Welt und Halt/Sinn, weil sie vor der Konfrontation mit dem radikalen Nichts entlasten, vor das jeder bei der Suche nach einem ganz eigenen unstellvertretbaren Anfangen gestellt ist. Wenn etwas es selbst werden will, muss es seinen Anfang selber stiften. Das gilt bei Heidegger für das individuelle Leben ebenso wie für eine Kultur oder die Menschheit als Ganze. Die Aristoteles-Vorlesung bildet die Grundlage für Heideggers Bewerbung auf die Marburger Professur. ›Existenzialanalyse als Vollzugsanalyse dessen, was es gibt‹, so lautet seine zukünftige Forschungsambition. 40 Lange vor Sein und Zeit nennt er in dieser frühen Schrift den Begriff der ›Existenz‹ zum ersten Mal mit emphatischem Nachdruck als Grundbewegung des menschlichen Lebens. Heidegger, dem es darum geht, die Phänomene so zu zeigen, wie sie von sich aus sind, will das menschliche Leben eben nicht – wie die bisherige Anthropologie – empirisch, also aus der ›vollzugsfremden Einstellung‹ der Biologie – quasi von außen – beschreiben, sondern in ihrem eigensten ›Vollzugssinn‹. 41 Er ist sozusagen ›teilnehmender Beobachter‹, ohne Anthropologe im herkömmlichen Sinne zu sein. 42 Das ist nicht einfach. Da die Wörter ›existieren‹ und ›da sein‹ üblicherweise mit ›vorhanden sein‹ synonym gesetzt werden, gilt es, eine weitere Bedeutung stark zu machen, die Vorhandenes von Existierendem zu unterscheiden vermag. Heidegger hebt am Verb ›existieren‹ daher Vgl. M. Heidegger, Anzeige der hermeneutischen Situation, in: ders., Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, S. 7–44. 41 Takako Shikaya erläutert Heideggers Denkweg, ausgehend von seiner intensiven Auseinandersetzung mit Aristoteles bis hin zu Hölderlin- und Celan-Auslegungen, hinsichtlich dieses Vollzugssinns. Vgl. dies., Logos und Zeit. Heideggers Auseinandersetzung mit Aristoteles und der Sprachgedanke, Würzburg 2004. 42 Die ›teilnehmende Beobachtung‹ ist eine Methode der Feldforschung, die Bronislaw Malinowski begründet hat. Er lebte jahrelang mit den Bewohnern der TropriandInseln zusammen. Vgl. B. Malinowski, Argonauten des Pazifiks (1922). Ein Bericht über Unternehmungen und Abenteuer der Eingeborenen in den Inselwelten von Melanesisch-Neuguinea, Frankfurt am Main 1979. 40

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dessen Transitivität hervor: Der Mensch ist für ihn nicht einfach ›vorhanden‹ oder ›lebt‹ wie Tiere oder Pflanzen, sondern er ›muss sein Leben führen‹. 43 Menschliche Existenz bedeutet also schon in diesen frühen Schriften für Heidegger, dass das menschliche Dasein – im Unterschied zu anderen Daseinsformen wie Steinen, Pflanzen und Tieren – in einem Selbstverhältnis steht. Menschliches Leben ›ist‹ nicht nur, sondern ›es wird gewahr, dass es da ist‹. 44 Das unterscheidet die menschliche Existenzweise von jeglicher anderen Seinsform. Existieren ist damit kein bloßes Vorhandensein oder Vegetieren, sondern ein mehr oder weniger bewusster Selbstvollzug, eine Bewegung, in der sich der Horizont von so etwas wie ›Sorge‹ und ›Zeit‹ überhaupt erst eröffnen kann. Nur aus diesem Vollzugssinn heraus kann menschliches Dasein verstanden werden. Auch Philosophie als bestimmte Forschungspraxisform entspringt aus praktischen Lebensvollzügen. Sie ist selbst eine Daseinsweise. Da Philosophie aus dem Leben entspringt und eine besondere Aufgabe der Philosophie gerade darin besteht, das menschliche Leben zu verstehen, so gibt es für Heidegger zwangsläufig auch eine gewisse Parallele zwischen Dasein und Philosophie. Philosophie ist für Heidegger tendenziell genauso ›besorgt‹, genauso ›problematisch‹ und genauso ›flüchtend‹ wie das Dasein. Daraus resultiert auch Heideggers kritische Haltung nicht nur der Wissenschaft im Allgemeinen, sondern auch der Philosophie gegenüber – auch seiner eigenen. »Das faktische Leben«, schreibt Heidegger, »hat den Seinscharakter, daß es an sich selbst schwer trägt. Die untrüglichste Bekundung davon ist die Tendenz des faktischen Lebens zum Sichsleichtmachen. […] Alles Leichtmachen aber, alles verführerische Sichanbiedern an Bedürfnisse, alle metaphysischen Beruhigungen in den meist nur angelesenen Nöten, das leistet in seiner Grundabsicht schon Verzicht darauf, den Gegenstand der Philosophie in den Blick und Griff zu bekommen und gar zu behalten.« 45

In seiner Ontologie-Vorlesung von 1923 bestimmt Heidegger die Aufgabe der Philosophie daher als eine Praxis, die in besonderer Weise ›Wachsein des Daseins für sich selbst‹ sein muss. 46 Der praktische Vollzug des Philosophierens muss sich sozusagen dort transparent 43 44 45 46

Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 9. Vgl. ebenda. M. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, S. 10. M. Heidegger, Ontologie. Hermeneutik der Faktizität, GA 63, S. 15.

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werden, wo es sich selbst aus dem Wege geht. 47 Sie darf sich nicht entlasten lassen – zum Beispiel durch Routinen, schematische Interpretiertechniken oder Vorgaben anderer Wissenschaften. Von daher ist ihre generelle Aufgabe eine permanente selbstkritische Inblicknahme ihrer eigenen (epistemischen, ontologischen, methodischen oder kulturgeschichtlichen) Selbstverständnisse bzw. Selbstverhältnisse, aus denen sie erwächst. Philosophie muss sozusagen den Weg zum Anfänglichen und Prinzipiellen immer wieder neu abschreiten und sich selbst in ihren Voraussetzungen hinterfragen. Diese Aufgabe nimmt Heidegger ernst. Und sie könnte aktueller und dringender kaum sein. Insgesamt geht es Heidegger in seinen frühen Schriften immer wieder um die Idee und die Aufgabe der Philosophie im Verhältnis zu den Wissenschaften und zum alltäglichen Leben selbst, zu denen er mit diesem lebensweltlich motivierten Selbsttransparenzprogramm vordringen möchte. 48 Die Vorlesungen der Folgejahre bis 1927 greifen die genannten Topoi immer wieder auf und präzisieren sie. Dazu scheint es ihm notwendig, »die Philosophie zu sich selbst aus der Entäußerung zurückzuführen«, schreibt Heidegger in seiner Vorlesung zur Theorie der philosophischen Begriffsbildung schon 1920. 49 Darunter kann verstanden werden, dass Heidegger die Methoden, die die gegenwärtige Philosophie als Wissenschaft in ihrer speziellen kausal-mechanistischen Wirklogik bietet, bis ins Äußerste getrieben werden müssen. Sie müssen sich vom Leben weitestmöglich entfernen und entfremden, um dann die Rückbindung an die lebensweltlichen Praxen wieder neu in den Blick zu nehmen. Dieses Vorgehen nennt Heidegger in Anlehnung an seinen Lehrer Edmund Husserl ›phänomenologische Destruktion‹. 50 Phänomenologische Destruktion besteht in einem gerichteten Abbau. Sie erklärt nicht zufällige Wortbedeutungen und ist auch kein methodisches Mittel für begrenzte Zwecke, sondern ist ›ein Grundelement der phänomenologischen Haltung‹. Sie muss selber ein Element der ›faktischen Lebenserfahrung‹ sein. 51 Insofern hat Heideggers Methode von Anfang an immer auch einen wissenschafts-ethischen Aspekt. M. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, S. 238. M. Heidegger, Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks. Vorlesung zur Theorie der philosophischen Begriffsbildung, GA 59, S. 28. 49 Ebenda, S. 28 f. 50 Ebenda. 51 Ebenda. 47 48

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Heidegger nimmt nicht nur das phänomenologische Erbe, sondern auch das neukantianische und lebensphilosophische in seine zukünftige Denkaufgabe kritisch auf. Seine ›implizite Ethik‹ unterscheidet sich allerdings von der Wertphilosophie seiner Zeit. Er richtet sich dezidiert gegen die Vermengung von Philosophie und Weltanschauung, wie er es bei den Marburger Neukantianern beobachtet. Außerdem erklärt er die Philosophie zur ›Urwissenschaft‹, aus der alle anderen Wissenschaften entsprungen sind. Die Phänomenologie erhält darin die Funktion einer vortheoretisch-methodischen Grundlegung. Philosophie darf – so Heidegger in diesen Vorlesungen – weder mit ›Weltanschauung‹ identisch gesetzt werden, noch ist sie völlig davon geschieden, denn es gibt offenbar einen Konnex zwischen beiden. Dieser jedoch liegt jenseits deontologischer oder tugendethischer Normierungen innerhalb eines elaborierten Theoriegebäudes. Der Nexus ergibt sich vielmehr aus der empraktischen Übernahme bestimmter Haltungen zum eigenen Fach. Da Heidegger ›erfahren‹ will, was die ursprüngliche, anfängliche Idee des Philosophierens ist, was die fundamentale Motivation ist, die das philosophische Dasein dazu drängt, einen besonderen, nämlich prinzipiell hinterfragenden Selbstbezug zu sich einzunehmen, warum ihm aber das wesentliche Fragen trotzdem verschlossen bleibt und sich sozusagen hinter seinem Rücken abspielt, benötigt er ein sich von seinen Vorgängern unterschiedenes vortheoretisches – und in diesem Sinne metaphilosophisches – Denkmodell. Nur durch ein anderes (ontologisches und epistemisches) Modell ist die Möglichkeit gegeben, auch wirklich neue Antworten zu erhalten bzw. Fragen neu zu stellen. Dazu muss Heidegger seinen tiefensprachlichen Rahmen finden. Das geschieht nicht explizierend, etwa aus einem Katalog von möglicherweise zu wechselnden Redemodi oder Denkmodellen heraus, sondern indem er sprachlich einholt, was denkerisch aufgegeben ist. Es ist daher nur folgerichtig, dass sich aus der konsequenten und ernsthaften Verfolgung seiner Aufgabenstellung heraus eine sperrige Darstellungsweise ergibt, die sich vom Üblichen abgrenzt. Deshalb ist es ein weiteres wesentliches Moment des Übergangs von einem sich mit der Tradition identifizierenden zu einem sich emanzipierenden Denken, dass Heidegger zunehmend Distanz bezieht zur eigenen philosophischen Tradition, in die er doch eingebettet ist. Erst dieses sukzessive Abstandhalten ermöglicht einen kritischen Blick auf sie als Ganze und lässt ihre strukturellen Eigenarten hervortreten. Die VoLogik der Tropen

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raussetzung einer solchen Distanznahme ist eine neue philosophische Haltung. Heidegger muss den sprachdenkerischen Rahmen weiter stecken als seine Philosophenkollegen: weg von einem bestimmenden, definierenden und weltanschaulich-wertphilosophischen Denken der Wissenschaften hin zu einer sondierenden, vorbegrifflichphänomenologischen Vollzugsanalyse menschlicher Praxis- und Kooperationsformen in ihren grundlegenden Strukturen vor jeder (wissenschafts)ideologischen Vereinnahmung, insbesondere durch einen überdehnten Logizismus. Eine der strukturellen Eigenarten der logizistischen Denkart des Neukantianismus ist neben seiner normativen Axiomatik auch die Vermeidung von Widersprüchen und Zirkelhaftigkeit. Soweit dieser Anspruch auf sicheres und gültiges Wissen auch trägt und notwendig ist, für die Frage nach der Idee der Philosophie als der ›Urwissenschaft‹ reicht ein in sich geschlossenes System des Wissens nach Maßgabe mathematisch-naturwissenschaftlicher Gesetzlichkeit Heidegger nicht aus. Vielmehr muss sich die Idee der Philosophie aus einem offenen System speisen, das neben einer streng analytischen Logik auch Analogik und ›Zirkelhaftigkeit‹ als Quellen von Veränderung und Dynamik zulässt. Sie muss darüber hinaus den Übergang erklären können von alltäglichen in elaborierte Praxen. Die Vermeidung von Zirkelhaftigkeit kann daher für Heidegger nicht die Lösung philosophischer Probleme sein. Wenn aber Zirkelhaftigkeit ein notwendiges und wesensgesetzliches Charakteristikum der phänomenologisch-hermeneutischen Philosophie und ihrer Methode sein darf, dann muss sie Vorbegrifflichkeiten anerkennen, von denen aus Erkenntnisse ihren Ausgang nehmen können. Sie muss von der Lebendigkeit des Erkenntnisstrebens und seiner Organe ausgehen. Anders als in der modernen analytischen Logik können Vorbegrifflichkeiten innerhalb philosophischer Forschung konstitutiver Bestandteil von Forschungszusammenhängen sein, indem sie das Wechselspiel von Geltungs- und Genesefragen argumentations- und diskurstheoretisch aufklären. Sie dürfen daher nicht immer als petitio principii, also als unbewiesene Voraussetzungen, aus den Forschungszusammenhängen herausgekürzt werden, sondern müssen nach deren Herkunft und Reichweite forschen. 52 M. Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie. 1. Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem, 2. Phänomenologie und transzendentale Wertphiloso-

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Weil nach Heidegger die Wissenschaften den Anspruch aufstellen, widerspruchs- und zirkelfrei zu argumentieren, so konzentrieren sie sich vor allem auf den Gegenstand der Erkenntnis als fixe Größe. Sie taugen dann aber nicht zur Begründung der Philosophie als ›Urwissenschaft‹, als praktischem Vollzug einer besonderen Daseinsform. Erst diese Wende vom Gegenstand der Erkenntnis weg zur Erkenntnisweise der Gegenstände der Erkenntnis führt Heidegger schließlich zur ›Phänomenologie als vortheoretischer Urwissenschaft‹. 53 Statt ›ewig die Sachen zu erkennen‹ – oder die ›ewigen Sachen‹ –, will Heidegger in Anlehnung an Lebensphilosophie und Hermeneutik ›zuschauend verstehen‹ 54, wie Menschen die Wirklichkeit ›erleben‹, das heißt ›erfahren‹, noch ehe sie in einer einzelwissenschaftlichen, wertenden oder weltanschaulichen Einstellung veranschaulicht und vergegenständlicht wird. »Statt auf den Gegenstand der Erkenntnis kann ich mich auf die Erkenntnis des Gegenstandes einstellen. Mit der Erkenntnis ist ein Phänomen gewonnen, das in wahrhaftem Sinne jeder Wissenschaft zukommen muß, sie geradezu zu dem macht, was sie ist.« 55 Dazu gehört es für Heidegger, die mannigfache Bedeutung von dem, ›was es gibt‹ in seiner Art der Gegebenheit und damit – in Anlehnung an die Lebensphilosophie – mit Blick auf die verschiedenen ›Erlebnisweisen‹ zu hinterfragen. Heidegger will ›vor‹ die theoretische – und damit zugleich logizisierende – Bewusstseinseinstellung der modernen Wissenschaften ›zurück‹ zum Akt des Vollziehens selbst, zur Frage danach, was es heißt, dass Menschen ursprünglich anfingen zu philosophieren. Die Kantische Revolution der Denkungsart wird dann von Heidegger insofern voll ausgespielt, als dass sie nun nicht mehr nur auf die Erkenntnisweise der Gegenstände der Erkenntnis schaut, sondern zudem auf die Darstellungsformen der Erkenntnisweisen. Heideggers Philosophie ist daher von Anfang an Sprachkritik – auch wenn sie nicht als Sprachphilosophie daherkommt. Dass Heideggers Sprachkritik nicht als Theorie einer Sprachphilosophie daherkommen kann, liegt also im anti- bzw. vortheoretischen Methodenprogramm Heideggers begründet.

phie, 3. Anhang: Über das Wesen der Universität und des akademischen Studiums, GA 56/57, S. 16. 53 Ebenda, S. 63 ff. 54 Ebenda, S. 65. 55 Ebenda, S. 28. Logik der Tropen

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1920, aber vor allem 1923 bis 1927, ist die Phänomenologie und das Verhältnis der beiden philosophischen Hauptströmungen seiner Zeit, Kulturphilosophie und Lebensphilosophie, immer wieder Ausgangsthema von Heideggers ersten Vorlesungen. Kritik geht immer an beide Adressaten. Kritisiert er an der Kulturphilosophie, etwa der von Ernst Cassirer, deren neue ›Metaphysik der Heroisierung des Errungenen‹, so kritisiert er an der Lebensphilosophie von Wilhelm Dilthey und Henry Bergson, dass sie ihre Norm-, Ziel- und Wertfragen nicht aus sich selbst heraus stellt, sondern als Produkte eines in sich zerstückelten Entwicklungsgedankens ansieht, deren Methoden nicht kritisch hinterfragt worden sind. Aber weder sind für Heidegger – im Anschluss an Georg Simmels differenziertes Bild der Moderne als einer Tragödie der Kultur 56 – alle Kulturleistungen als positive Errungenschaften zu feiern noch lässt sich die kultürliche Leistungsfähigkeit des Menschen allein als eine entwicklungsbiologische fassen. Das ›Urphänomen‹ des menschlichen Lebens wird für Heidegger darin gerade beide Male verfehlt, weil das Phänomen aus einer vorab theoretisierenden Perspektive und nicht aus den Formen praktischer Kooperationen innerhalb des Daseins selbst beschrieben wird. Heidegger erhebt somit Einspruch gegen eine ›ungerechtfertigte Verabsolutierung des Theoretischen, die er mit einer zweiten Wortneuschöpfung: ›Entleben‹, im Unterschied zu ›Erleben‹, benennt. »Die Theorie selbst«, so grenzt sich Heidegger ab, »ist nichts anderes als eine besonders betonte Zusammenfassung der vorgenannten Motive der Lebensphilosophien: Kultur als Objektivation, Ausdruck des Lebens (Dilthey), des ›in der Mitte ruhenden Lebens‹ (Spengler), Kultur zugleich als organische Einheit des gestalteten Lebens (Lebenstheorie Bergsons) und die Betrachtung dieser Ausdrucksgestalten als Stilbetrachtungen (Breysig, Lamprecht). Die Idee Kultur = Ausdruck, Symbol eines Seelentums, wird nun lediglich übersteigert und dogmatisch als universal angesetzt in einer universalen Symbolik, deren Grundthese lautet: Alles, was ist, ist Symbol […].« 57

Letztere Abgrenzung ist gegen Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen gerichtet. 58 G. Simmel, Der Begriff und Tragödie der Kultur, in: R. Konersmann (Hrsg.), Kulturphilosophie, Leipzig 1994, S. 25–57. 57 M. Heidegger, Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks, GA 59, S. 16. 58 Vgl. Davoser Disputation zwischen Ernst Cassirer und Martin Heidegger, in: M. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, GA 3, S. 274–296. 56

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Methodenprobleme

Kulturgebilde sind nach Heidegger aber nicht nur symbolisch zu verstehen, wie die meisten Kulturphilosophen behaupten. 59 Kulturgebilde sind für ihn nicht lediglich als historische Erscheinungen aufkeimende, wachsende und zerfallende Gebilde gemäß organischer Entitäten. Sie bilden sich nicht in einer Art Morphogenese und lassen sich daher auch nicht in eine Reihe mit entwicklungsbiologischen Beobachtungen bringen, wie Oswald Spengler dies für das Abendland behauptet. 60 Sie dürfen deshalb auch nicht wie solche im Modus einer Naturgeschichte behandelt werden. Um sie richtig zu beschreiben, muss auch hier zuerst nach der Phänomenadäquatheit von Erkenntnisweise und Gegenstand gefragt werden. Dies ist zugleich die Frage nach der richtigen Entsprechung von Erkenntnisweise und Darstellungsweise eines Kultur-Gegenstandes. Lebens- und Kulturphilosophie, wie fast alle bisherige Philosophie, unterminieren in Heideggers Augen die Frage nach dem Urphänomen des menschlichen Lebens zur Frage nach einer ›apriorischen Systematik der Vernunft‹. 61 Sie behandeln auf diese Weise die Vernunft letztlich deterministisch und platzieren damit die Freiheit menschlicher Kooperationsformen, in die vernünftiges Handeln – wie Kant schon betonte – immer eingebettet ist, in einen Rahmen kausal ablaufender Ursache-WirkungsZusammenhänge. Das ist aber ein verkürzter Blick auf menschliche Praxis- und Einsichtsformen. Für Heidegger wird in der Kultur- und Lebensphilosophie seiner Zeit der konkrete Mensch im Zusammenhang mit der Apriorifrage nicht zum Vorschein, sondern vielmehr zum Verschwinden gebracht. Die apriorische Logik der Vernunft nivelliert das Gewordensein von Einsicht und Erkenntnis und die Praxisinvolviertheit jeglichen Vernunftgebrauchs, die anderen als bloß kausalistischen Gesetzlichkeiten unterworfen sind. Der so sich selbst zurechtstutzende Mensch taucht dann als theoretischer oder experimenteller Gegenstand innerhalb der Psychologie, Ethik und Ästhetik auf. Der Mensch als ganzer ist aus dem Blick geraten, vergessen und verloren. Es zeigt sich, dass

Gegenüber Spengler setzt sich Heidegger zum Beispiel auch in seinen Phänomenologischen Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, S. 74 ab: Hier verkündet Heidegger ironisch, dass Spengler Ausdruck einer Mesallianz sei von wissenschaftlicher Geschichtsmethodik und Zeitgeist. Vgl. auch J. A. Barash, Heidegger und der Historismus. Sinn der Geschichte und Geschichtlichkeit des Sinns, Würzburg 1999, S. 131 f. 60 Vgl. O. Spengler, der Untergang des Abendlandes (1922), München 1972. 61 M. Heidegger, Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks, GA 59, S. 20. 59

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das letzte Individuelle und Konkrete nie auf einseitige Weise zu Ende bestimmt oder ausgerechnet werden kann. Damit spricht Heidegger den Wissenschaften, besonders den Naturwissenschaften, nicht ihre Funktion ab. Die Klärung einschlägiger Darstellungsformen und Sprachmittel kann keine empirischen Fragen ersetzen und keine Hypothesen zu Fakten machen. Aber sie macht auf ihre begrenzte Erkenntnisreichweite und die Modularität ihrer Sichtweise aufmerksam. Denn welche Fragen zum Beispiel empirisch sind, kann nicht selbst empirisch entschieden werden. Ob eine Hypothese eine natürliche oder eine kultürliche Tatsache betrifft, ist selbst nicht wieder naturwissenschaftlich entscheidbar. Jede Wissenschaft hat nur begrenzte Reichweite. Von solcherlei Wissenschaftstunnelblick muss sich Philosophie unterscheiden. In der Philosophie, so wie sie Heidegger sich als Urwissenschaft vorstellt, geht es nie nur um die historische Faktizität und Berechenbarkeit von Phänomenen. Philosophie muss vielmehr geschichtliche Sinnzusammenhänge umfassend in den Blick nehmen und deren Bezugs- und Vollzugssinn explizieren. Dazu ist ›phänomenologische Diiudication‹ vonnöten. 62 Versucht man – so wie die Lebens- und Kulturphilosophen es tun –, die Geschichte in eine ›apriorische Systematik der Vernunft‹ zu pressen, so verschwindet nach Heidegger letztlich der Mensch in seinem konkreten, individuellen geschichtlichen Dasein. Um dieses sollte es der Philosophie als Phänomenologie aber zu tun sein. Die ›Diiudication‹ soll die Entscheidung über die genealogische Stelle sein, die einem Sinnzusammenhang vom Ursprung her gesehen zukommt. Statt eines aus den analytischen Wissenschaften übernommenen, der Lebenswelt enthobenen, distanziert-theoretisierenden Zugriffs plädiert Heidegger daher für ein ›adäquates Nahverhältnis‹ zu den uns umgebenden Phänomenen. Das ist jedoch nur möglich, indem nicht über die Phänomene, sondern aus den Praxisvollzügen heraus philosophiert wird. Gegen ein tendenziell vergegenständlichendes Verständnis von Geschichte und Kultur, das empirische Beobachtungsphänomene wie homogene Objekte in eine Reihe stellt, und gegen einen unkritischen, ethnozentrischen abendländischen Normen- und Kulturuniversalismus setzt Heidegger den konkreten Heidegger wählt diesen Ausdruck, um ihn der ›phänomenologischen Destruktion‹ entsprechen zu lassen und ihn gleichzeitig distinkt zu dieser zu halten. M. Heidegger, Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks, GA 59, S. 74.

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Menschen mit seiner je individuellen Geschichte und kulturhistorischen Sozialität, seiner Unstellvertretbarkeit und seinen übernommenen und angeeigneten Wertevorstellungen. Er setzt also gegen einen Universalitätsanspruch den Anspruch auf Authentizität oder ›Jemeinigkeit‹ sowie auf die phänomenadäquate Situierung menschlicher Praxiszusammenhänge. Statt des allgemeinen unter die Maßgabe eines mehr oder weniger mathematisch-naturwissenschaftlichen Paradigmas gebrachten Daseins will er die konkrete kulturgeschichtliche Existenz in seiner allgemeinen Vollzugsstruktur zum Thema seiner philosophischen Analysen erheben. Das menschliche Dasein in seiner ›konkreten Unfassbarkeit‹ und Freiheit will Heidegger retten, ohne es als Beobachtungsfaktum vorab zu vergegenständlichen und quantitativ zuzurichten und zu determinieren. Indem er Geltungsfragen (narrativ) genealogisiert, ergänzt Heidegger Kants Freiheitsbegriff um die Erfahrungsbezogenheit, die jenem verloren gegangen ist. Das Konkrete ist für Heidegger nichts Alogisches oder logisch amorph, sondern lässt sich sehr wohl als rationale Logik im Rückgang der Reflexion erfassen. 63 Die rückwärtsgewandte Reflexion sei – im Unterschied zur abstrahierenden Objektivierung, die das Individuell-Konkrete nur einseitig erfassen kann – für die ›Allheit der unendlichen Bestimmungsbeziehungen offen‹. 64 Das echte konkrete Leben kann logischerweise nur im Ursprung liegen, weil alles Nachfolgende Routinen, Schematisierungen und ablaufende Automatisierungen darstellt, die im Ursprung bereits angelegt, aber noch nicht iterierbar sind. Der Ursprung ist für Heidegger daher sozusagen das letzte Logische. Im Ursprung werden die Weichen für reduzierende Tendenzen des Daseins gestellt. Die Einheit des Subjektes muss demzufolge eine ›Bezugsureinheit‹ sein, hinter die nicht zurückgegangen werden kann. Heidegger nennt diese an Scotus erinnernde und auf den Neuplatonismus zurückgehende Instanz des Einen bzw. der Alleinheit das ›Urerlebnis‹. Im ›letzten Ich‹ ist demzufolge kein ›Ich‹ im Sinne eines konkreten und abgrenzbaren bzw. objektivierbaren ›Sonder-Ich‹ zu finden, sondern eben nur ein letzter Bezugspunkt dieser Beziehung. 65 Das Ich zerfließt in seine Vollzüge und ist sozusagen nur noch ein 63 64 65

Heidegger, Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks, GA 59, S. 120. Ebenda. Ebenda.

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Schimmer von einer ehemaligen Verbindung. Die Trennung von Subjekt und Objekt ist in der Bezugsureinheit aufgehoben und noch versöhnt. Statt also Normen und Werte, Geschichte und Kultur als Produkte einer Historisierung einer Biologie aufzufassen, fordert Heidegger für seine eigene Philosophie, geschichtliche Sinnzusammenhänge aus ihren Bezugs- und Vollzugsureinheiten zu verstehen. Er substituiert nicht – wie die metonymischen Wissenschaften – Vollzüge durch Ergebnisse ihre Forschung, sondern das geschichtliche Erzeugen der Erzeuger wird selbst in den Blick genommen – und zwar in seiner Bezugsureinheit. Die metaphorische Darstellungsform seiner frühen Schriften fordert vielmehr die Synopsis weit auseinander liegender Bedeutungsfelder. Dem Fokus auf die kausalen Wirkungen in der Geschichte im Rahmen eines deterministischen Modells soll die Inblicknahme der prozessualen ›Ursachen‹ (Gründe, Genealogien, Narrationen) in ihrer Wertbindungsdynamik vorangehen. Statt die Phänomene in objektivierender Weise vorzustellen, gilt es, die Subjekt-Objekt-Trennung in eine Dynamik praktischer Vollzüge zurückzubetten. Die ersten wesentlichen Gegenstände von Heideggers Denkweg sind also methodologische Überlegungen. Noch sucht Heidegger nach dem Anfang seines Ariadnefadens, der ihn auf seinem Denkweg leiten wird. In seinen ersten methodischen Ansprüchen versucht er, phänomenologische, hermeneutische, neukantianische und lebensphilosophische Ansätze miteinander zu vereinen. Er nimmt ihr grundlegendes positives Ideenpotential in das eigene Denken auf, negiert aber deren inkonsequente Umsetzung. Man könnte sagen, dass sich hier bereits ein wesentliches Charakteristikum des Heideggerschen Denkens insgesamt andeutet: Nämlich die philosophischen Programme seiner Vorgänger ernster zu nehmen und gründlicher zu durchdenken, als diese selbst mit ihnen umgingen, zum Beispiel kantischer als die Neukantianer, lebensphilosophischer als die Lebensphilosophen, phänomenologischer als die Phänomenologie usw. zu denken. 66 Die prinzipielle Anerkennung schließt eine kritische Absetzung und ein Darüberhinausgehen mit ein. »Verstehende VorbildVgl. hierzu auch: E. W. Orth, Martin Heidegger und der Neukantianismus, in: Man and World 25, 1991, S. 421–441; und: E. Cassirer, Kant und das Problem der Metaphysik. Bemerkungen zu M. Heideggers Kant-Interpretation, in: Kant-Studien 36 (1931), S. 1–26.

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nahme, der es um sich selbst geht«, so schreibt er in seiner Aristoteles-Vorlesung, »wird von Grund aus die Vorbilder in die schärfste Kritik stellen und zu einer möglichen fruchtbaren Gegnerschaft ausbilden.« 67 Dasselbe Überbietungsprinzip gilt auch für die Wertphilosophie des Neukantianismus und der Kulturphilosophie. Im Gefolge von Georg Wilhelm Friedrich Hegel will Heidegger den Typus seines eigenen Zeitalters philosophisch zu (Selbst-)Bewusstsein kommen lassen. 68 Zu Bewusstsein kommen am Ende des 19. Jahrhunderts und Beginn des 20. Jahrhunderts nach Heidegger vor allem ›die eigene Geschichtlichkeit‹ und – im Vergleich mit anderen Völkern – ›die eigene Kultürlichkeit‹. 69 Im Umkehrschluss – so Heideggers distanzierende Beschreibung der Kulturphilosophie seiner Zeit – halte dieses ›von sich selbst eingenommene Bewusstsein‹ seiner Zeit andere Völker für ›kulturlos‹, weil sie in gewisser Weise ›geschichtslos‹ seien, und setze sich an die Stelle des Schiedsrichters. Diese ethnozentristische Bewusstseinshaltung der Kulturphilosophie, die er in seiner ersten regulären Vorlesung im Sommersemester 1919 thematisiert, hält Heidegger für obsolet. 70 Nach Heidegger setze eine solche Geisteshaltung eine gewisse Bedeutung von Leistung voraus, ohne zu begreifen, warum und zu welchem Zweck diese Leistungen erbracht werden. Sie nivelliert und vergisst damit die dahinter liegende Weltanschauung, sozusagen den ›Geist des Protestantismus‹, der in einer solchen Leistungsbezogenheit am Werk ist. 71 Darüber hinaus verdecke die einseitige Thematisierung der Leistungsebene die Kosten dieses ›FortSchrittes‹. Es wird ein Bedeutungsmoment der Leistung angenommen, der das Moment der Errungenschaft und der Verwirklichung eines an sich bereits Wertvollen intrinsisch in sich trage. Doch die bedeutendste Errungenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts, auf die man so stolz sei, ist nach Heidegger die Technik und die sie ermöglichenden Naturwissenschaften als so genannte ›Erfahrungswissenschaften‹. Offen bleibt aber, wie dieser Stolz begründet ist und ob – auch hier denkt Heidegger wieder radikal dialektisch – mit dem M. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, S. 11. M. Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, S. 129 und 131. 69 Ebenda. 70 Ebenda. 71 Heidegger kennt Max Webers Werk ›Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus‹, das 1904–1905 im Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd. 20, 21, in Tübingen erschienen ist. 67 68

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Loblied auf die Technik und die modernen Naturwissenschaften nicht zugleich der Abgesang der Menschheit mit angestimmt ist. Wilhelm Windelbandt und Heinrich Rickert sind für Heidegger die Hauptvertreter dieser ethnozentrischen Wertphilosophie als Kulturphilosophie, deren Technik- und Wissenschaftsgläubigkeit hervorsticht. An sie beide geht deshalb auch die frühe Hauptkritik Heideggers. Vehement wehrt er sich gegen das ›hohle Gerede von Kultur‹ als etwas Erhabenem, ohne deren Kosten mit zu benennen. 72 Wie Max Weber fordert er Redlichkeit. In einer Welt, die rational durch und durch durchdrungen und technisch zugerichtet ist, ist Gott für die breite Bevölkerung verschwunden, verkündet Heidegger. Das ist weniger tragisch. Die Leerstelle aber soll als Leerstelle benannt werden und nicht mit trügerischen Anleihen bei der (Natur)Wissenschaft und ihren theoretisch-vergegenständlichenden und letztlich technischen Ergebnissen gefüllt werden. 73 Die Wissenschaft darf nicht Inhalt einer metaphysischen Weltanschauung bzw. zu einem angebeteten Ersatzgötzen werden und den Blick auf die Risse in der menschlichen Entwicklung verstellen. Rickert und Windelband – so schreibt Heidegger ein Jahr später – sind nur ›Ableger‹ dessen, was Wilhelm Dilthey in konkreter Forschung in Angriff genommen hat. 74 Dessen Kritik der historischen Vernunft 75 wollte eine Einleitung in die Geisteswissenschaften sein, habe es jedoch beim ›GeschichtlichSein‹ bewenden lassen, statt weiterzufragen, was das überhaupt sei: ›Geschichtlichsein‹. 76 Die Kulturwissenschaften von Windelband und Rickert bedenken nach Heidegger wiederum ihre eigenen Methoden noch zu wenig, in der Angst, zu wenig (natur)wissenschaftlich zu R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, a. a. O., S. 118 f. Max Weber hatte als einziges Jenseits zu dieser ›entzauberten Welt der Rationalität‹ den privatisierten Bereich der persönlichen und nicht weiter rationalisierbaren ›Wertentscheidungen‹ übrig gelassen. Daraus sprießen dann aber die so genannten ›Weltanschauungen‹ der Kulturphilosophie. Vgl. M. Weber, Vom inneren Beruf zur Wissenschaft, Vortrag in München 1919, in: ders., Soziologie, Universalgeschichtliche Analyse, Politik, Stuttgart 1992. 74 Vgl. M. Heidegger, Wilhelm Diltheys Forschungsarbeit und der gegenwärtige Kampf um eine historische Weltanschauung. in: Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften 8/1992–93, S. 173. Siehe auch: J.-C. Kim, Leben und Dasein. Die Bedeutung Wilhelm Diltheys für den Denkweg Martin Heideggers, Würzburg 2001. 75 Vgl. W. Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (1910), hrsg. von M. Riedel, Frankfurt am Main 1970. 76 Vgl. M. Heidegger, Wilhelm Diltheys Forschungsarbeit, a. a. O. 72 73

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Methodenprobleme

sein. Sie machen sich zum Diener einer naturwissenschaftlichen Weltanschauung und Ideologie des Exakten, die sie besser kritisch hinterfragen sollten. 77 In den frühen Vorlesungen zeigen sich bei Heidegger also schon erste, wenn auch verstreute Bemühungen, ein eigenständiges und umfassendes Verständnis der Aufgabe von Philosophie zu gewinnen. Den Phänomenen will er mit einem angemessenen Methodenrepertoire beikommen. Noch sind Heideggers Versuche tentativ. Mit seiner Methode der phänomenologischen Untersuchung gewinnt er jedoch schon bald ein geeignetes Denkwerkzeug, das systematisch eingesetzt werden kann, um die Kritik in eine methodisch zwingende Form zu bringen. So schematisch Heidegger mit dieser Methode dann in Sein und Zeit umgeht, so dynamisch und nachhallend wirkt die beharrliche Rückbesinnung auf sie im Laufe seines Denkweges als ein adäquates Mittel, wach zu sein gegen Fallstricke des eigenen Denkens. Insgesamt – so könnte man Heideggers frühe akademische Arbeiten zusammenfassen – geht all das, was Heidegger später ausarbeitet, in gewisser Weise auf diese ersten Qualifikationsarbeiten und Frühschriften zurück. 78 Heidegger will Großes, das größte Denkbare mit dem kleinsten Ursprung vereinen. Dazu gehört – ganz im Sinne metaphorischer Tiefenstrukturalität –, weit entfernte Bedeutungsfelder und Denkansätze miteinander zu vereinen und in eine Identitätsbeziehung zu bringen, so dass ein neues Denkmodell entsteht. Er weiß noch nicht genau, wie das geht, wohin die Reise ihn führt und welche Phänomene und Methoden es sein werden. Aber die groben Tendenzen zeichnen sich ab. Heideggers philosophischer Leidensdruck ist groß. Er will die Welt neu vermessen, alles, was bisher gedacht wurde, beerben, überbieten und die Koordinaten in Höhe und Tiefe neu abstecken. Bei all dem geht es gleichzeitig darum, sich nichts vorzumachen, sich vor Routinen und Fallstricken zu hüten. »Je echter ein Methodenbegriff sich auswirkt und je umfassender er den grundsätzlichen Duktus einer Wissenschaft bestimmt,« so Heidegger, »um so ursprünglicher ist er in der Auseinandersetzung mit

Vgl. A. Denker (Hrsg.), Martin Heidegger, Heinrich Rickert. Briefe 1912–1933 und andere Dokumente, Klostermann 2002; sowie A. Denker und H. Zaborowski, Heidegger und die Anfänge seines Denkens, Heidegger-Jahrbuch Bd. 1, Freiburg i. Br. 2004. 78 Mit dieser Position stimmt auch Thomas Rentsch überein. Vgl. ders., Martin Heidegger – Das Sein und der Tod, a. a. O., S. 39. 77

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den Sachen selbst verwurzelt, um so weiter entfernt er sich von dem, was wir einen technischen Handgriff nennen, deren es auch in den theoretischen Disziplinen viele gibt.« 79 Heideggers Denken gründet damit tiefensprachlich im Anfang auf der Sprache der Metapher, der primordialen Zusammenführung des Weitauseinanderliegenden in eine neue Bedeutungsebene. Sie gibt den Rahmen für die grobe Orientierung für seinen Denkweg. Mit dem logischen Redemodus der Metapher ist zugleich ein weiterer Wahrheitsbegriff angezeigt. Dieser unterliegt anderen Wahrheitsbedingungen als begriffliche Rede. Spätere Tropenwechsel Heideggers passen sich in diese erste, das Gesamt des Denkens rahmende metaphorische Richtungsvorgabe ein. Insofern lässt sich Heideggers Denken vollständig nur als Weg beschreiben, bei dem die Anfänge und Ausgangspunkte wesentliche Interpretationshilfen liefern. Er nimmt später nur noch zurückverweisend, aber nicht wiederholend, auf diese Anfänge Bezug. Da Heideggers Denkweg wesentlich davon bestimmt ist, wie er das Projekt der Wissenschaften und der Philosophie in der Wissenschaft bestimmt, diese Bestimmung aber wesentlich von seinen Methodenüberlegungen abhängt, muss Heideggers Wissenschaftskritik als Ideologie des Exakten und ihre spätere Ausdehnung zur Metaphysikkritik von der weiteren Präzisierung seines Methodenbegriffs her verstanden werden.

8.2. Phänomenologie In den frühen Vorlesungen ist ›Phänomenologie‹ für Heidegger eine Weise philosophischer Forschung, die darin besteht, ›etwas anzusprechen, wie es sich zeigt und nur soweit es sich zeigt‹. 80 Das Ideal naturwissenschaftlich-mathematischer Wissenschaftlichkeit und der darin enthaltene Positivismus, den sich der Neukantianismus zu eigen gemacht hat – und in die die Phänomenologie Husserls hineinreicht –, wird für Heidegger zunehmend problematisch, wenn es um die davon unterschiedene Aufgabe des Philosophierens geht. Sein Begriff von Philosophie soll aus den ursprünglichen Praxisvollzügen des Menschen erklärbar gemacht werden. Am herkömmlichen Ideal der Mathematik als Vorbild für jede 79 80

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M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 27. M. Heidegger, Ontologie, GA 63, S. 71.

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Phänomenologie

Wissenschaft überhaupt und damit auch für die Philosophie kritisiert Heidegger deren stark logizistischen Charakter. 81 Logizistisch – im Unterschied zum Logischen, das für Heidegger ein wichtiges Moment des Denkens ist – ist eine stark an Eineindeutigkeit, Zergliederbarkeit, geschlossener Systematik und Axiomatik orientierte reduzierende Form moderner Weltanschauung. Der Logizismus glaubt, mit seiner Art, die Welt zu sehen, alles kontrollierbar, beherrschbar und hantierbar zu machen. Es gibt für die logizistische Weltanschauung quasi kein Problem, das nicht auf technisch-rechnerische Weise gelöst werden könnte, da die Welt wie ein Bausteinsystem aufgefasst wird. Heidegger bringt mehrere Argumente gegen eine solche bloß analytische Weltanschauung vor: Erstens sei es ein Irrtum, dass die Griechen die Mathematik für die erste Wissenschaft gehalten hätten, zweitens sei es ein Vorurteil, dass die Mathematik die größte Strenge aufweise. Die Einsetzung der Mathematik als Vorbild für alle Wissenschaften ist für Heidegger vielmehr geradezu ›unphänomenologisch‹. Demgegenüber behauptet Heidegger, dass die Mathematik – aus phänomenologischer Sicht – den ›allerleichtesten Zugang‹ aufweise, denn im Vergleich mit den Geisteswissenschaften brauche man für sie sehr viel weniger ›wissenschaftliche Existenz‹. 82 Mathematik sei daher eine sehr reduzierte Form, die Fragen nach dem Wissen in ihrer ganzen praktischen Vollzüglichkeit und Relevanz für das Leben zu erklären. Damit ist ihre Reichweite eingeschränkt für die Beantwortung der Frage nach der ursprünglichen Idee der Philosophie. Wissenschaft und darüber hinaus Philosophie sei mehr als Mathematik, so Heidegger. Philosophie ist nicht nur ein System von Sätzen und Begründungszusammenhängen, sondern etwas, worin sich ›faktisches Leben‹ mit sich selbst auseinandersetze. Es gibt also nicht einen Maßstab für alle Wissenschaften gleichermaßen, sondern unterschiedliche. Aus der Gegenstandsart und der ihr angemessenen Zugangsart einer Wissenschaft sei der ›Sinn für die Strenge dieser Wissenschaft‹ allererst zu gewinnen: »Weil Verstehen seinem existenzialen Sinn nach das Seinkönnen des Daseins selbst ist,« so Heidegger, »übersteigen die ontologischen Voraussetzungen historischer Erkenntnis grundsätzlich die Idee der Strenge der exaktesten Ebenda sowie M. Heidegger, Phänomenologische Forschung, GA 17, S. 102. Mit wissenschaftlicher Existenz ist wohl gemeint, dass sie gerade ›weltfremd‹ in dem Sinne ist, dass sie, sobald man sie vollzieht, den bloß zielorientierten technischen Blick auf Phänomene überblendet.

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Wissenschaften. Mathematik ist nicht strenger als Historie, sondern nur enger hinsichtlich des Umkreises der für sie relevanten existenzialen Fundamente.« 83 Damit unterstreicht Heidegger einmal mehr das, was Husserl später in seiner Krisis-Schrift zum Ausdruck bringt. 84 Eine Übertragung von der einen Zugangsart auf einen anderen Gegenstandstypus ist daher eine unzulässige Vermengung inadäquater Kategorien. Statt eine einzige Zugangsart auf Phänomene zu forcieren, die für alle Wissenschaften gleichermaßen Sinnkriterien setzt, fordert Heidegger eine jeweils regional unterschiedliche phänomenadäquate Zugangsart einer Wissenschaft zu ihrem Gegenstand. Das gilt auch für die Philosophie, die jedoch einen anderen Status als den einer Einzelwissenschaft innehat. Diese Ersetzung von Husserls Phänomenologiekonzeption der Einheitlichkeit durch einen sich ergänzenden Perspektivenpluralismus entspricht einer jeweils adäquaten Einstellung auf die Phänomene: Nicht alles wird in ein dominierendes Paradigma, etwa die Mathematik, subsumiert. Sinnkriterium und Orientierungsmaßstab für eine Wissenschaft bildet vielmehr ihre jeweilige regionale Perspektive auf den Gegenstand, ihre regionale Ontologie bzw. Regionalontologie. Auf das philosophische Denken bezogen heißt dies, dass auch dieses gemäß seinem eigensten Gegenstand seine eigenen Erkenntnismethoden und Kriterien auszubilden hat und sich nicht mit denen zufrieden geben darf, die andere Wissenschaften, zum Beispiel die Logik und Mathematik, ihr bereitstellen, selbst wenn sie für Teilprobleme Hilfestellungen liefern können. 85 Spricht Heidegger vor und in Was ist Metaphysik von ›wissenschaftlicher Strenge‹, so ist damit vor allem der Anspruch auf mathematische Exaktheit der positiven Wissenschaften gemeint. In Bezug auf die Philosophie und in Abgrenzung zu jenen spricht Heidegger deshalb nicht mehr von der ›Strenge‹, sondern vom ›Ernst‹ der Philosophie und des Denkens. Für Heidegger erreicht nämlich keine ›Strenge der Wissenschaft‹ den ›Ernst der Metaphysik‹. Deshalb kann für ihn die Philosophie auch niemals am Maßstab der Idee der exakten Wissenschaften gemessen werden. Orientierungsmaßstab ist vielmehr ein philosophisches Denken im Sinne von ›Ernsthaftigkeit‹ und nicht mehr wissenschaftliches Denken mit seiner Strenge und Exaktheit. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 153; sowie ders., Ontologie, GA 63, S. 72. 84 Vgl. E. Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie (1936), Hamburg 1996. 85 1962/63 sagt Heidegger von der Phänomenologie, sie sei die zu Zeiten sich wandelnde und nur dadurch bleibende Möglichkeit des Denkens, dem Anspruch des zu Denkenden zu entsprechen. Vgl. M. Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, Tübingen 1969. 83

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Phänomenologie

Aber schon allein deren Sprache birgt für die Philosophie ungeahnte Probleme. Eine Ontologie der Philosophie als Phänomenologie, wie sie Heidegger im Blick hat, muss sich demzufolge notwendig von jeder Einzelwissenschaft unterscheiden, da aus ihr alle anderen abgeleiteten Phänomenzugangsbereiche als Derivate erst hervorgegangen sind. Das Prinzip der phänomenologischen Forschung ist nämlich ein Prinzip des forschenden Verhaltens, einer Haltung. Es ist das Prinzip der Aneignung und des Vollzugs der Idee dieser Forschung. Husserls Phänomenologie ist für Heidegger ›analytische Deskription der Intentionalität in ihrem Apriori‹, hinter der sich für Heidegger nun endlich seit Platon überhaupt erst wieder Philosophie als Kategorienforschung zeigt. Um zum Sein als Intentionalem zu gelangen, muss das Intentionale ursprünglich gegeben sein, und zwar in einer natürlichen Einstellung. Für Husserl heißt dies jedoch: Es muss als reales Weltvorkommnis im Sinne jedes Naturvorgangs vorkommen. Nicht so für Heidegger. Für Heidegger ist die von Husserl angestrebte Einstellung gerade keine natürliche, sondern eine theoretische. Sie reduziert die Phänomene auf eine bestimmte Hinsicht und blendet ihre Kontextgebundenheit, die Darstellungs- und Erkenntnisweise des Zugangs gerade aus. Das eigentliche Sein der Phänomene bleibt so aber weiterhin unbestimmt, weil der Begriff der ›Natürlichkeit‹ bereits theoretisch überformt ist. Die Husserlsche wie auch die Schelersche Phänomenologie bestimmen Heidegger zufolge und entgegen ihrem eigensten Prinzip ihre thematische Sache eben nicht aus der Sache selbst, sondern aus einer traditionellen, obzwar sehr selbstverständlich gewordenen, theoretischen Vormeinung darüber. In der Grundaufgabe ist die Husserlsche und Schelersche Phänomenologie deshalb letztlich unphänomenologisch, denn nicht nur das Sein des Intentionalen, also das Sein eines bestimmten Seienden, bleibt unbestimmt, sondern es werden kategoriale Unterscheidungen im Seienden, zum Beispiel als bewusstes oder als reales Seiendes gegeben, ohne dass die leitende Hinsicht, also das, wonach unterschieden wird, eben das Sein, seinem Sinne nach geklärt wäre. Ja, es wurde nicht einmal nach ihm gefragt. Darauf reagierend versucht Heidegger in der Folge, selbst eine Phänomenologie zu entwickeln, die dieser Kritik standhält. Er geht auf den Begriff des Phänomens selbst zurück. Das Phänomen kann für Heidegger zwei Bedeutungen aufweisen: 1. das, was sich an ihm Logik der Tropen

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Heideggers frühes Denken im Redemodus der Metapher

selbst so zeigt, wie es an ihm selbst ist: Phänomen; das ist die ursprüngliche, eigentliche Bedeutung von ›Phänomen‹. Heidegger meint vor allem diesen Begriff, wenn er von ›Phänomen‹ spricht; 2. das, was sich an ihm selbst so zeigt, wie es an ihm selbst nicht ist: ›Schein‹. Für Heidegger zeigt sich das Phänomen an sich selbst. Es ist eine ausgezeichnete Begegnungsart von Seiendem, die darin besteht, dass im Phänomen selbst keine Verweisung von etwas auf etwas liegt. Hingegen ist der Schein gerade ›das, was nur so aussieht wie …, das sich so zeigt, wie es nicht ist‹. 86 Der Schein ist daher eine Modifikation des Offenbaren und zeigt nicht das Phänomen selbst. Von Phänomen und Schein unterschieden ist wiederum die Erscheinung. In bestimmter Beleuchtung kann jemand so aussehen, als hätte er gerötete Wangen, deren sich zeigende Röte als Meldung des Vorhandenseins von Fieber genommen werden kann, was seinerseits noch wieder eine Störung im Organismus indiziert. Die Erscheinung ist hierbei die Rötung der Wangen, die das Vorhandensein von Fieber meldet. Diese Erscheinung wird dann zum Schein, wenn das in der Erscheinung befindliche Phänomen (Rötung der Wangen) sich als Schein herausstellt, das heißt die Röte der Wangen als nicht von den Wangen selbst herrührend, sondern als vom Licht ausgehend erkannt wird. Diese Röte ist dann etwas, was sich an ihm selbst zeigt (Röte der Wangen), was es an ihm selbst nicht ist (Röte der Wangen selbst). 87 Erscheinung als Erscheinung von etwas besagt gerade nicht: sich selbst zeigen, sondern ist ein ›Sichmelden von etwas, das sich nicht zeigt‹. 88 Es ist also ein ›Sich-nicht-zeigen‹ und daher auch kein ›Scheinen‹, wie Heidegger später in Sein und Zeit schreibt. 89 Was nun etwas an ihm selbst und von ihm selbst her sehen lässt, ist der ›Logos‹. λόγος (logos) kommt von λέγειν (legein) 90: ›reden von etwas‹ bzw. ›von etwas reden‹. Die eigentliche Funktion des λέγειν liegt im δῇλουν (déloun) 91, also im ›Offenbarmachen von etwas‹. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 7. Zur Unterscheidung von Phänomen, Schein und Erscheinung vgl. auch R. A. Bast, Der Wissenschaftsbegriff Martin Heideggers, Stuttgart et al. 1986, S. 77–81; sowie M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 7. 88 Vgl. ebenda. 89 Ebenda, S. 29. 90 Zu gr. λέγω (lego) = ich zähle zusammen; zusammensammeln, dazuzählen, erzählen, reden. 91 Zu gr. δηλός (delos) = offenkundig bzw. δηλόω (delóo) = klarmachen, zeigen, beweisen, bekannt machen, enthüllen. 86 87

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Diese Funktion bestimmt Heidegger mit Aristoteles näher als ἀποφαίνεσθαι (apophainesthei): ›sehen lassen von etwas an ihm selbst‹ und zwar – ἀπο (apo): ›von ihm selbst her‹. In der Unterscheidung zwischen λόγος σεμαντικός (logos semantikos) als ›Rede überhaupt‹ und λόγος ἀποφαντικός (logos apophantikos) als ›theoretischer, mitteilender Satz, als Aussage (sacherfassendes Mitteilen – theorein)‹ ist der λόγος (logos) nach Heidegger im letztgenannten Sinne in der Wortverbindung ›Phänomen-o-logie‹ zu nehmen: nämlich als apophantische Rede. 92 Apophansis, also die theoretisch-wissenschaftliche Rede, ist also nur ein bestimmter, ein abgeleiteter und nicht der ursprüngliche Modus der ›Rede‹. 93 Er wird von Heidegger definiert als ›Offenbarmachen‹ im Sinne des ›aufweisenden Sehenlassens‹ – und zwar ohne Rückgriff auf einen theoretischen Zugriff. 94 So zusammengedacht bestimmt Heidegger die Phänomenologie als λέγειν τα φαινόμενα (legein ta phainomena), was für ihn heißt: ἀποφαίνεσθαι τα φαινόμενα (apophainesthei ta phainomena), also als ›das an ihm selbst Offenbare von ihm selbst her sehen lassen‹, oder genauer: »Das was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen.« 95 Diese Umschreibung drückt für Heidegger die phänomenologische Maxime des ursprünglichen Sinnes von Husserls Credo ›zu den Sachen selbst‹ aus. Heideggers Maxime, die Phänomene von sich her selbst zeigen zu lassen, ist jedoch in ihrer Haltung eine sehr viel zurückgenommenere als die seines Lehrers Husserl. Jener versucht, den Phänomenen durch verschiedene Reduktionen ihr Phänomenales abzuringen. Alles, was die intentionale Einstellung auf das Phänomen verstellen oder irritieren kann, soll in der phänomenologischen Intentionalität Vgl. J. Derrida, The Beast and the Sovereign, Chicago 2011. Die Übersetzung von λόγος (logos) als Rede leitet Heidegger aus der antiken Wesensbeschreibung des Menschen als ζῷον λόγον ἔχον (zoon logon echon) ab: das Wesen, das reden kann. Das heißt, er verweist schon hier auf Reden als Praxisvollzug und nicht auf das Abstraktum Sprache als System. Die spätere Bedeutungsgeschichte des Wortes λόγος und seine vielfältigen und willkürlichen Interpretationen der nachkommenden Philosophie verdecken ständig die eigentliche Bedeutung von Rede in seiner dreiteiligen Funktion bei Aristoteles als a) Folgerichtigkeit und Beweisführung, b) als Ethos (Autorität und Glaubwürdigkeit) und c) als Pathos (rednerische Gewalt und emotionaler Appell). Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 7, S. 32; sowie Aristoteles, Περὶ Ἑρμηνείας (peri hermeneias), Über die Deutung, Kap. 1–6 und ders., Ἠθικὰ Νικομάχεια (ethika nikomacheia), Nikomachische Ethik, Buch X. 94 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 33. 95 Vgl. ebenda, S. 29. 92 93

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ausgeklammert werden. Diesen Akt nennt Husserl ›Epoché‹. 96 Heidegger hingegen will sich selbst auf die Phänomene so einstellen, dass ihr Phänomenales von selbst aufscheint mit all ihrer eventuellen Vorläufigkeit und Diffusität, die durch eine vortheoretische Einstellung zu den Phänomenen entsteht. 97 Er will gerade nichts ausblenden oder von etwas absehen, sondern auch das Ethos und Pathos des Logos mit in das Phänomenale einbeziehen. Insofern gilt es für ihn, in diejenige praktische und vortheoretische Perspektive zu gelangen, von wo aus gerade nichts mehr ›absehbar‹ ist, sondern von wo aus die Phänomene praktisch und ›ganzheitlich‹ begegnen. Die theoretische Schau ist für Heidegger nämlich eine Abstraktion, die mehr am Phänomen verdeckt als erschließt. Sie sieht von zu viel, vor allem von den Praxen, in die sie selbst eingebettet ist, ab. Die Phänomene sollen bei Heidegger nicht für Laboruntersuchungen und Versuche zugerichtet werden, sondern das menschliche Dasein in seiner vollen und totalen Phänomenalität zeigen. Deshalb gehört es zur phänomenologischen Methode Heideggers, gerade nicht von ihrer jeweiligen Situationseingebettetheit in komplexe praktische Vollzüge abzusehen, sondern diese als konstitutive Bestandteile miteinzufassen. So wie es kein Rot an Gegenständen ohne Licht gäbe oder ohne zweckdienliche Beurteilungsformen keine Tugendhaftigkeit, so gilt es, Artefakte als durch menschliche Hand unter bestimmten Zielsetzungen Gewordene zu begreifen und den Menschen selbst ebenso aus seinen praktischen Umgebungen und Kooperationsformen heraus zu verstehen, die ihn zu dem machen, was er ist und sein kann. Der Mensch ist aus seiner komplexen Kultürlichkeit im Prozess und nicht aus seiner Ausstattung mit bestimmten Eigenschaften heraus zu verstehen. Tiefensprachlich kann man die theoretische Perspektive auf Phänomene als metonymische Reduktion benennen. Aber Heidegger will den Blick

Vgl. E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 3. Buch, Husserliana 5, Den Haag 1952, S. 141 und S. 145. 97 Pierre Bourdieu beschreibt die Situation des wissenschaftsideologisch verblendeten Menschen als eines, der in einem epistemozentristischen Gefängnis sitzt und an seine prinzipielle Überlegenheit gegenüber allen anderen Menschen glaubt. Anders als Bourdieu ist Heidegger weniger am Kampf gegen diese Ideologie als mehr an der Suche nach Ursachen und Gründen für das Heraufkommen der Ideologie interessiert. Vgl. P. Bourdieu, Narzisstische Reflexivität und wissenschaftliche Reflexivität, in: E. Berg, M. Fuchs (Hrsg.), Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, Frankfurt am Main 1995, S. 370 f. 96

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auf die Phänomene weiten und nicht verengen. Die Metonymie kann daher nicht der gesuchte logische Redemodus sein. Da Phänomenologie in diesem Sinne ein reiner Methodenbegriff ist, der nur das Wie der Forschung angibt, begreift er auch nicht eine oder mehrere Thesen in sich, die schon über bestimmte Sachgebiete oder den Vorrang bestimmter Begriffe entscheiden. Sie ist vielmehr eine vortheoretische Vorentscheidung darüber, was aus der Mannigfaltigkeit des Seienden ihr Thema ist. Ihr Ort ist nicht der distanzierte Zugriff auf Phänomene, sondern eine vor dieser theoretischen Einstellung liegende Einbezogenheit in praktische Vollzüge, aus denen heraus erst sich Phänomene beschreiben lassen. In ihr steckt eine gewisse Nähe und Vertrautheit zu den Phänomenen, die eine theoretische Einstellung nie leisten kann. Damit aber ist die Phänomenologie Heideggers als eine wissenschaftliche Logik und Erkenntnistheorie entlassen. Die Intentionalität bildet nun nicht mehr das genuine Sachfeld der Phänomenologie. Vielmehr ist nach Heidegger zu bedenken, ob ein Gegenstandgebiet notwendig auch das eigentliche Sachfeld abgeben müsse, aus dem erst die Themen der Wissenschaften herausgeschnitten werden. »Es könnte sein, daß der möglichen wissenschaftlichen Erschließungsart eines Sachfeldes notwendig Wesentliches verschlossen bleibt – ja verschlossen bleiben muß (!), will sie ihrer eigensten Aufgabe genügen. Im vorliegenden Fall könnte schon die Trennung zweier Gebiete der Index dafür sein, dass ein ursprünglicher und einheitlicher Sachzusammenhang verdeckt bleibt, der durch eine nachträgliche Zusammennahme beider – Natur und Geist im Ganzen des menschlichen Daseins – nie (!) wiederzugewinnen ist. Die Trennung ergibt sich erst von den Wissenschaften her; Geschichte und Natur sind hier auf Gegenstandsgebiete nivelliert.« 98

Wenn nach Heidegger die Phänomenologie die Aufgabe hat, die Sachgebiete vor der wissenschaftlichen Bearbeitung dieser Sachgebiete verständlich zu machen, dann ist sie als eine produktive Logik zu verstehen – insofern nämlich als das Grundverhältnis der einzelnen Wissenschaften zu den von ihnen befragten Sachen offenbar fraglich geworden ist und durch nachträgliche Konstruktion verständlich gemacht werden muss. Der Kategorienwechsel von der Husserlschen Phänomenologie zur Heideggerschen lässt sich daher als Veränderung der vermeintlich den Phänomenen abgerungenen fixen wissenschaftlichen Einstellung zu den Phänomenen durch eine methodisch 98

M. Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21, S. 204.

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flexiblere, aber ursprünglichere Einstellung, die den dynamischen Vollzügen, in denen die Phänomene überhaupt erst als Phänomene aufscheinen, besser entsprechen, interpretieren. Heidegger ersetzt die Ist-Sätze, die begriffliche Eigenschaftszuordnungen artikulieren, durch Prozessbeschreibungen, die von den praktischen Vollzügen nicht abstrahieren, sondern das Phänomen in seiner vollen Phänomenalität, also seiner eigensten Seinsweise hervortreten lassen. Es geht Heidegger also um die Rettung der Dynamik der Gegenstands- und Zugangsformen, und damit um das Projekt der abendländischen Philosophie selbst. Es geht zugleich um die Suche nach einer entsprechenden Darstellungsform, die das Approximative zugleich mitzuartikulieren im Stande ist. Statt eines logos apophantikos, also einer bestimmenden Rede als fixen theoretischen Zugriffs, setzt er daher den logos symantikos als ›Rede im Ganzen überhaupt‹ gegenüber, die gerade nichts mehr fixiert, definiert und bestimmt, alles in ein theoretisches Korsett packt. Vielmehr wird mit ihr eine gegenteilige Haltung eingeübt, die die Phänomene vorläufig und offen lässt. »Und nur weil die Funktion des λόγος als ἀπόφανσις im aufweisenden Sehenlassen von etwas liegt, kann der λόγος die Strukturform der σύνθεσις haben. Synthesis sagt hier nicht Verbinden und Verknüpfen von Vorstellungen, Hantieren mit psychischen Vorkommnissen, bezüglich welcher Verbindungen dann das ›Problem‹ entstehen soll, wie sie als Inneres mit dem Physischen draußen übereinstimmen. Das συν bekommt eine rein apophantische Bedeutung und besagt: etwas in seinem Beisammensein mit etwas, etwas als etwas sehen lassen.« 99

Die theoretische Logik konstruiert sich aber im Gegenteil einen Wahrheitsbegriff im Sinne einer Übereinstimmung, einer Adäquation von Innen und Außen, von richtig und falsch. 100 In praktischen Vollzügen, worinnen Heidegger die Phänomene situiert vorfindet, gibt es jedoch kein Innen und Außen. Εs gibt nur Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an ihr. Es gibt nur gelingende, und insofern verstehende, und nicht gelingende Partizipation. Von einer Übereinstimmung oder Adäquation der Sache mit ihrer erkenntismäßigen Erfassung will sich Heideggers Phänomenologie gerade ›freihalten‹. 101

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 33 (Kursivierung Heidegger). Vgl. ebenda. 101 Vgl. ebenda. 99

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Phänomenologie

Vielmehr muss einer nachgeordneten und verschütteten Übersetzung von logos als logos apophantikos eine ursprünglichere Zugriffsart auf die Phänomene zugrunde gelegt werden. Für Heidegger hat der Logos als ein ›Sehenlassen im konkreten Vollzug den Charakter des Sprechens. Der Logos ist φωνὴ μετὰ φανταςίας (phonē meta phantasias), also ›stimmliche Verlautbarung, in der je etwas gesichtet ist‹. 102 Und nur weil der Logos ein Sehenlassen ist, kann er für Heidegger dann auch ›wahr‹ oder ›falsch‹ im Sinne einer Übereinstimmung oder Adäquation sein, wie die apophantische Rede behauptet. Die ursprüngliche Rede ist für Heidegger jedoch weit entfernt von einem solchen Wahrheitsbegriff, der über eine Adäquation durch Bestimmung herbeigeführt wird. Der primäre Begriff der Wahrheit besagt nämlich: »das Seiende, wovon die Rede ist, im λέγειν als ἀποφαίνεσθαι aus seiner Verborgenheit herausnehmen und es als Unverborgenes (ἀλήθεια) sehen lassen, entdecken.« 103 Weil Logos ein bestimmter Modus des Sehenlassens und weil ›Wahrheit‹ für Heidegger ›Entdecken von Verborgenem‹ ist, darf der λόγος gerade nicht als der primäre Ort der Wahrheit angesprochen werden, denn λόγος im Sinne von ›theoretisch unter einen abstrakten Blick nehmen‹ engt das Entdecken auf eine bestimmte Weise des Entdeckens ein. Der theoretische Logos entdeckt nur Bestimmtes, und zwar in doppelter Weise: 1. auf eine bestimmte und damit zugleich verdeckende Weise und 2. auf eine bestimmende Weise, indem es festlegt und fixiert. 104 Ein ursprüngliches Erfassen der Wahrheit muss sich aber frei machen von einer es vorab bestimmenden Weise, es muss vielmehr die Gegenpole erst ausloten und dann versuchen miteinander zu verbinden. Ein ursprünglicher Wahrheitsbegriff darf nach Heidegger die Urteilsformen ›wahr‹ und ›falsch‹ nicht voraussetzen, sondern kann die Phänomene überhaupt erst in eine Logik des Richtigen und Falschen setzen. Apophantische Logik trägt somit zwar zur Entbergung des Verborgenen in ihren Grenzen bei, aber sie selbst muss in einem ursprünglicheren Wahrheitsgeschehen gründen, das tiefer und ursprünglicher gegründet ist als sie selbst. Ein vorab die Phänomenwelt in ObjektObjekt-Termini zergliedernde Rede, wie sie die metonymische dar-

Ebenda. Ebenda (Kursivierung Heidegger). 104 ›Wahr‹ ist im griechischen Sinne – und der ist zunächst für Heidegger maßgeblich, weil ›ursprünglicher‹ als der genannte logos – die aisthesis, also das schlichte, sinnliche Vernehmen von etwas. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 33. 102 103

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stellt, ist daher ungeeignet, dieses ursprünglichere Wahrheitsgeschehen zur Sprache zu bringen. Und die primordial metaphorische Rede wäre zu unscharf und zu wenig reflexiv-distanziert, um dieses ursprüngliche Wahrheitsgeschehen präzise auszudrücken. Damit nimmt Heidegger die Maxime der Phänomenologie ›zu den Sachen selbst‹ als ›das an ihm selbst Offenbare von ihm selbst her sehen lassen‹ noch ernster als sein Urheber. Er radikalisiert. So gelangt er zur Frage nach dem, was die Unterschiedenheit von Regionen des Seienden und ihrem Sein, den ›Fundamentalunterschied innerhalb des Seienden‹, allererst dirigiert: nämlich die allem Seienden zugrunde liegende ›Seinsfrage‹ selbst. 105 Wenn Heidegger nun fragt, was die wirkliche Ausarbeitung der Fragestellung der Phänomenologie des Daseins ist, dann setzt die Antwort auf die Seinsfrage eine phänomenale und transzendentale Ontologie des Menschen als des ontologischen Fundamentes aller Ontologie voraus. Wissenschaft im modernen operationalisierenden Sinne wird damit zu einer abgeleiteten, historisch gewordenen, und zwar reduktiven Form von Erkenntnisgewinnung. Sie verfehlt – im Unterschied zum ursprünglichen Denken, das Heidegger der Philosophie vorbehält – die fundamentale Dimension des Welt- und Selbstbezugs des Menschen. Die Frage nach dem Sein des Seinsbezuges des Menschen trägt, so Heideggers Überzeugung, auch zur Aufklärung und Situierung des in modernen Gesellschaften dominanten wissenschaftlich-technischen Wahrheitsbegriffes bei, indem sie dessen Erkenntnisprinzipien offenlegt. Für Heidegger kann die echte Ausweisung und Begründung der Grundbegriffe und des von der Wissenschaft vollzogenen Entwurfs der Seinsverfassung ihres Gebietes nicht die betreffende (positive Einzel-)Wissenschaft selbst leisten. Die positiven Wissenschaften vergegenständlichen nämlich Seiendes. Begründung der Grundbegriffe aber ist nach Heidegger Thematisierung des im durchschnittlichen, vorontologischen Seinsverständnis entworfenen Seins. Sie ist Ontologie. Insofern sie schon die Grundbegriffe des Seienden regionalisiert, ist die Wissenschaft immer schon ›regionale Ontologie‹ 106. Alle regionale Ontologie aber gründet für Heidegger in der Fundamentalontologie als Wesen und Zentrum der Philosophie. Diese muss aus dem Denken selbst gewonnen werden und darf sich nicht

105 106

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Vgl. R. A. Bast, Der Wissenschaftsbegriff Martin Heideggers, a. a. O., S. 85. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 13.

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von den bereitgestellten regionalen Ontologien ihre Methodik, Sinnkriterien und Orientierungsmaßstäbe vorgeben lassen. »Die Ontologien, die Seiendes von nicht daseinsmäßigem Seinscharakter zum Thema haben, sind […] demnach in der ontischen Struktur des Daseins selbst fundiert und motiviert, die die Bestimmtheit eines vorontologischen Seinsverständnisses in sich begreift. – Daher muß die Fundamentalontologie, aus der alle anderen erst entspringen können, in der existenzialen Analytik des Daseins gesucht werden.« 107

Dabei bleibt die Herausstellung der Seinsverfassung des Daseins gleichwohl nur ein Weg zur ursprünglichen Aufgabe der Philosophie. »Das Ziel ist die Ausarbeitung der Seinsfrage überhaupt.« 108 Leider geben die frühen Schriften nicht befriedigend Auskunft darüber, warum Heidegger zur impliziten Gleichsetzung von Phänomenologie als ›Wissenschaft von den Phänomenen‹ und Philosophie/ Ontologie als ›Wissenschaft vom Sein‹ kommt. Darüber geben erst die Differenzierungen des Phänomenbegriffs in Sein und Zeit Aufschluss. Dort unterscheidet Heidegger nämlich drei verschiedene Phänomenbegriffe: a) einen formalen, b) einen vulgären und c) einen phänomenologischen. Formaler und vulgärer Phänomenologiebegriff sind für Heidegger sachhaltig nicht festgelegt, denn sie berechtigen dazu, jede Aufweisung von Seiendem Phänomenologie zu nennen. Das Phänomen im phänomenologischen Verstande ist für Heidegger immer nur das, was Sein ausmacht. Sein ist aber Sein von Seiendem. Um von diesem Seienden ab- und auf das Sein hinsehen zu können, muss das Seiende erst auf die rechte, und das heißt die ihm zugehörige Zugangsart und -weise vor Augen gebracht werden. Auf diesem Umweg wird der vulgäre dann auch für den phänomenologischen Phänomenbegriff relevant. Das exemplarisch und gleichsam paradigmatische Seiende, das phänomenologisch zu befragen ist, ist der Mensch selbst – und zwar so, wie er vulgärphänomenologisch sich von sich her zeigt. Der phänomenologische Blick ist daher von den Ebenda. (Kursivierung Heidegger). Ebenda, S. 436. Die Erörterung der Seinsfrage als solcher kann für Heidegger jedoch selbst – so betont er vor allem in seinen späteren Schriften – keine Ontologie im herkömmlichen Sinne mehr sein. Insofern aber die Ausarbeitung der Seinsfrage in der Rückwendung ihrerseits die Möglichkeit einer existenzialen Analytik – einer Ontologie des Daseins – wiederum fundiert, wird sie selber in Sein und Zeit, in vorläufiger Weise auch noch Fundamentalontologie, im Hinblick auf die regionalen Ontologien, nicht aber im Hinblick auf die Seinsfrage, die für Heidegger die eigentliche Fundamentalfrage darstellt, thematisiert. 107 108

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positiven Wissenschaften und ihren praktisch-technischen Methoden grundsätzlich verschieden. 109 Heideggers Dynamisierung der Darstellungs- und Erkenntnisweise der Philosophie durch die Betonung von Prozesshaftigkeit und Beweglichkeit entspricht folgerichtig der Übergang von einem starren Sein der Ontologietradition zu einem fließenden Werden, der sich im Hinzunehmen der Zeitlichkeit ausdrückt, wie Heidegger es vorhat. Nicht das Fixierte, Sichere, das geronnene Wissen über theoretische Gegenstände ist für ihn interessant. Jenseits einer alles vergegenständlichenden und substanzialisierenden abendländischen Tradition des ontologischen Denkens möchte er das Infinite, das zeitlich Ausgedehnte und Erlebte, das Geschichtliche und Bewegte in den Blick bekommen. Erst im Lichte der Zeit lassen sich Sachgebiete nämlich überhaupt erst durch Verstetigung und zeitliche Einklammerung abheben und infinitisieren. Das ist das positive Erbe, das er von der Lebensphilosophie und Hermeneutik auf seinen eigenen Denkweg mitnehmen möchte. Dabei ist die Frage nach der Rolle der Zeit bei der Bestimmung des Seins von Seiendem oder der Seinsweise von Natur und Geschichte nicht allein durch eine doxographische Historie dieser Begriffe zu beantworten. Vielmehr ist auch ein Geschichtsbegriff vor der traditionellen Einteilung in systematisches und historisches Erkennen vonnöten und von dorther die Seinsweise des Seienden in Natur und Geschichte her zu verstehen. Nicht in anthropologischer Ansetzung eines Zieles und Zweckes soll das menschliche Dasein vorab eingepresst und bestimmt werden. Es soll weder als homo (animal rationale) noch gar im Lichte irgendeiner Idee von Humanität oder als theoretisches Objekt einer (neuen) Wissenschaft erscheinen. Überhaupt darf keine beliebige Seinsidee an das Dasein herangebracht werden, denn die Zugangs- und Auslegungsart muss ja allererst noch gefunden werden. Die Seinsweise des menschlichen Daseins muss sich phänomenologisch, nämlich an ihm selbst und von ihm selbst her zeigen. Das ist das Credo Heideggers. Wenn Heidegger als Ausgangspunkt seiner neuen Phänomenologie den Menschen als praktisches Vollzugswesen und dann erst, also in zweiter Instanz, auch als über seine Vollzüge Reflektierenden zu thematisieren beabsichtigt, dann ist das bereits die Vorankündigung eines Phänomenologieverständnisses, das über die Phänomenologie 109

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Vgl. R. A. Bast, Der Wissenschaftsbegriff Martin Heideggers, a. a. O., S. 93.

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Husserls, den Neukantianismus und die damalige Lebens- und Kulturphilosophie hinausgeht. Kennzeichnend für dieses sozusagen synoptisch-existenziale Phänomenverständnis ist sein ganzheitlicher Charakter, nämlich die ›ursprüngliche Ganzheit‹, aus der Gegensätzliches erst entspringen kann. Diese synthetische Einheit der Situation, in der das handelnde Subjekt im Vollziehen von Handlungen mit den Objekten wie in einem großen Flow verschmolzen ist, löst sich nach Heideggers Verständnis im nachträglichen theoretischen Zugriff, also in einem Heraustreten aus dem Einheitsstrom auf und zergliedert sich in eben jene beiden Teile: einen stetigen und einen fließenden. Diese können selbst wieder Gegenstände von Beurteilungen werden. Aus dem Erleben im Vollzug wird im nachträglichen Draufblick erst eine distanzierte Selbstwahrnehmung eines Subjektes, dem Objekte gegenüberstehen. Der Mensch als lebendiges Wesen ist allerdings mit der reflexiven Haltung aus dem unmittelbaren einheitlich fließenden Sein schon aus der Zeitlichkeit herausgefallen. Er hat in dieser segmentierten und die Einheit der Situation verlorenen Zeitlichkeit sich und anderes Seiendes nunmehr als Gegenstände immer schon apperzeptiv vor sich. Die so entstandenen ›Subjekte‹ und ›Objekte‹ gehen nicht mehr im Vollzug als ungeschieden auf, sondern werden zu Trägern von Eigenschaften oder Erlebnissen. Sie werden in Zusammenhänge gestellt und auf Verursachungen hin abgesucht. Sie werden analysiert und bewertet und als Bausteine einer reflexiven Rückversicherung in einen Weltzusammenhang wieder eingebaut. Das differenzierende Denken zeigt sich damit als reduzierende Metonymik, die es erst ermöglicht, Objekte in logische Beziehungen zu bringen und sprachlich darzustellen. Aus der Hoffnung auf einen Versöhnungsmythos in der Sprache des Metaphorischen interpretiert Heidegger also bereits in den frühen methodischen Überlegungen ein Szenario, das die Grundsituation einer metonymischen Zergliedertheit der Phänomene und Sachbezüge kritisiert. Sie sind für Heidegger Kennzeichen der modernen Welt. Ihren Kern wird er später im Wesen der Technik erkennen. Objekten und Subjekten können im weiteren Fortgang der Distanzierung, Abspaltung, Neutralisierung und Zergliederung dann Merkmale und Eigenschaften zugesprochen werden. Die existenziale Einheit des phänomenalen Praxisvollzugs ist damit aber nicht etwa verloren, sondern nur die dominante Einstellung, das Selbst- und Weltverständnis, das damit in die Welt kommt. Was Heidegger in seinen Frühschriften und im Ringen um einen Logik der Tropen

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verdichtenden Redemodus will, ist die Rettung der Phänomene vor ihrer theoretischen Reduzierung und Vereinseitigung und ihre Resituierung in ein vortheoretisches, holistisches Seinsverständnis. Das Seiende, das in der abendländischen Tradition zum hauptsächlichen Phänomen erhoben und somit als Objekthaftes permanent missverstanden wird, wird nicht mehr in seiner vollen Seinsweise begriffen, sondern nur noch als Art gegenständlichen Seins, nämlich von seiner Dinghaftigkeit, seiner φύσις (physis) her. Das volle und umfassende Sein des Seienden wird in einer solchen Einstellung, die den Erfolgstaumel der Wissenschaftsideologie begleitet, jedoch vernachlässigt und letztlich vergessen.

8.3. Wissenschaftsideologie Die abendländische Wissenschaftsideologie entspringt einer speziellen kooperativen Praxis. Die spezielle Praxisform des Erkennens und insbesondere des theoretischen Erkennens, die gerade im Enthalten des unmittelbar praktischen Tätigseins besteht, ist für Heidegger nur ein Sonderfall eines umfassenden, als ›Besorgen‹ beschriebenen praktischen Umgehens mit der Welt und den Dingen. Mit den Schlagworten ›Jemeinigkeit‹ und ›Alltäglichkeit‹ benennt Heidegger die beiden entscheidenden innovativen Perspektiven, mit denen er sich dem common sense der philosophischen Tradition entgegenstellt. Er wendet sich gegen das übliche Bild vom Menschen als einem in der Welt irgendwie vorkommenden seienden Ding, das der Welt im Ganzen, den Dingen und den Menschen zunächst erst einmal isoliert und erkennend gegenübersteht und sich erst nachträglich handelnd (theoretisierend) auf diese bezieht. In ihrem reduzierenden Charakter ordnet diese Weltanschauung ihre Phänomene im logischen Modus des Metonymischen. Sie veräußerlicht komplexe Phänomenzusammenhänge in Objekte, die sich zueinander abgrenzen oder substituieren können. Gegen die Marginalisierung dieser Dominanz des metonymischen Weltbildes und seine Karriere im Denken und Tun der Menschen schreibt Heidegger an. Er hinterfragt die theoretische Weltanschauung kritisch. Mit seiner Analyse der grundlegenden Daseinsstrukturen und seiner dezidierten Kritik an René Descartes zielt Heidegger jedoch auch über diesen hinaus auf einen substanzontologisch missverstandenen Immanuel Kant und dessen wirkmächtige 274

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Denktradition, auf die entsprechenden erkenntnistheoretischen Grundtheoreme des Neukantianismus und die positivistische Dominanz des modernen wissenschaftlichen Forschens. Es sind verschiedene Kritiken, die Heidegger an der abendländischen Wissenschaftsideologie übt. Zunächst ist da ihr grundsätzlich metatraditioneller, nicht kontextueller Charakter, der sich als Ersatz für verschiedene Möglichkeiten von traditionellen Praktiken und Ansichten missversteht. Zum anderen kritisiert Heidegger die lebenspraxisvergessene Sichtweise, die überdies die distanziert-wissenschaftliche Sicht, das θεωρεῖν (theorein), als dominante Weise des In-der-Welt-seins beansprucht. Weil weder Reparieren noch Laborieren die im Alltag dominierenden Weisen des Umgangs mit Menschen und Dingen sind, können sie nicht als ursprüngliche Praxisformen gelten. Vielmehr vergessen und überspringen derlei Praktiken die verschiedenen Gestimmtheiten und Befindlichkeiten des In-der-Welt-seins des Daseins. Eine bloß ›theoretisierende‹ vereinseitigt so die Vielfalt der Möglichkeiten der Welterfahrung, die es für Heidegger zu retten gilt, auf Zerlegbarkeit und Vernutzbarkeit hin. Die Wissenstradierung steht bei Heidegger deshalb unter Reduktionsverdacht. Sie drängt sinnliche und gefühlsmäßig-affektive Elemente der Wissensdarstellungen zugunsten einer Folgerichtigkeit der Beweisführung zurück. Der ursprünglich umfassende Logos wird auf einen gekünstelten, logizistischen Modus reduziert. Damit gibt die abendländische Wissenstradierung nach Heidegger die beiden Aspekte des Logos, die mit Aristoteles unreduzible Berechtigung erlangten, nämlich das Ethos und das Pathos, preis. Beide sind jedoch Aspekte, die in der Rhetorik des Aristoteles als unverzichtbar herausgehoben werden. 110 Dies wird besonders am Vergleich von monologisch-schriftlicher und dialogisch-mündlicher Wissenstradierung offenbar. 111 Heidegger weist in § 34 von Sein und Zeit später selbst Vgl. Aristoteles, Rhetorik, a. a. O. Zur Beurteilung von mündlicher und schriftlicher Wissenstradition bei Heidegger vgl. R. Totzke, Buchstabenfolgen. Schriftlichkeit, Wissenschaft und Heideggers Kritik an der Wissenschaftsideologie, Weilerswist 2004, S. 188: »Durch die Verschriftung (und Verschriftlichung) von Sprachakten, wird der situative und damit immer zugleich auch emotionale Kontext einer Äußerung suspendiert. Derjenige, der einen mündlichen Sprechakt vollzieht, teilt damit zugleich unbewusst (oder auch bewusst) insbesondere durch Tonfall, Modulation, Sprechgeschwindigkeit, Gestik und Mimik seine Gefühle, seine jeweilige Stimmungslage mit. Für den Zuhörer einer Rede wird 110 111

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ausdrücklich auf einen Teil dieser Befindlichkeitsäußerung hin: »Der sprachliche Index der zur Rede gehörenden Bekundung des befindlichen In-Seins liegt im Tonfall, der Modulation, im Tempo der Rede, ›in der Art des Sprechens‹.« 112 Die theoretische Anschauung, sozusagen der logizistische Logos, darf nach Heidegger daher keinen Vorrang in der Philosophie beanspruchen. Sie ist, im Gegenteil, ein derivativer Modus des menschlichen Daseins. Wer in der Welt ist, verfügt nämlich immer schon über ein Vorverstehen des Ganzen qua kooperativer und koordinierender Praxisteilnahme. Jede sprachliche Auslegung, auch die theoretische, ist dieser Vorstruktur des Verstehens immer nachgeordnet, da sich Verstehen vor allem durch praktisches Vollziehen von bestimmten Praxisformen einstellt, ohne dass man deren Regeln bereits benennen und klassifizieren können müsste. Alles, womit man sich wissenschaftlich beschäftigen kann, ist in den menschlichen Praxisformen schon vor-ausgelegt und trägt aufgrund seines Entlastungscharakters dabei ebenso zur Verdeckung der Phänomene bei wie zu deren Erklärung. Genau genommen gibt es gar keinen grundsätzlich unbeeinflusst objektiven, daseinsfreien Zugang zu Texten oder Problemen in der Welt, keine rein objektive Wissenschaft. Jegliche Aussagen, auch theoretische, sind letztlich immer Sonderformen der lebensweltlich vorverstandenen Auslegung, weshalb es umso mehr gilt, diese auf ihre zugrunde liegenden Motive, Absichten und Haltungen hin zu untersuchen. Das theoretische Aussagen-Treffen über Vorhandenes steht für Heidegger daher in der Gefahr, sich selbst daseinsfrei als Blick von nirgendwo her misszuverstehen. Solche situationsentkoppelten wissenschaftlichen Aussagen müssen nach Heidegger allerdings, da sie selber Daseinstendenzen sind, auch als Spuren in den impliziten Auslegungspraxen des Daseins selbst zu finden sein. 113 Schon in seinen frühen Schriften warnt Heidegger davor, auch Sprache nur orientiert am Phänomen der situationsinvarianten Aussage vorzustellen. Damit so in einem viel stärkeren Maße als für den Leser eines Textes deutlich, dass eine Äußerung die Welt immer aus einer Stimmungslage heraus sehen (bzw. hören) lässt, dass dem Dasein qua Sprecher-Dasein die Welt immer stimmungsmäßig erschlossen ist. Im graphischen Medium der Schrift werden dagegen die stimmungsmäßigen Aspekte einer Rede in der Regel nicht oder nur rudimentär wiedergegeben.« 112 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 162. 113 Eine bereits relativ handlungs-entkoppelte Feststellung wie ›Der Hammer ist schwer‹ gründet in empraktischen Zu-schwer-Erfahrungen mit diesem oder anderen ähnlich großen Hämmern oder ähnlichen Gegenständen.

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Wissenschaftsideologie

nimmt er die Kritik an der Illokutionsvergessenheit vorweg, die später Ludwig Wittgenstein und John L. Austin an der eigentümlichen Fixierung auf die Aussage innerhalb der abendländischen Sprachreflexionsgeschichte kritisieren. Aber es ist nicht nur der performative Charakter des Sprechens, dessen Fehlen Heidegger innerhalb der wissenschaftlichen Weltanschauung bemängelt. Es ist vor allem der ›primäre Seinsbezug zum beredeten Seienden‹, der zunehmend vergessen wird und verloren geht. 114 Damit stehe die selbstvergewissernde Rückbezüglichkeit auf die eigenen Wissensbestände in Gefahr, die den Menschen Geschichte und Halt geben. Heideggers Warnung vor der Seinsvergessenheit des Menschen gründet in dieser ›rücksichtslosen‹, sprach- und geschichtsvergessenen Gegenwartsbezogenheit, die ihre Grundlagen vergisst und in diesem Sinne religions- und gottlos geworden ist. Diese Seinsvergessenheit zeigt sich nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch im Alltag. Im durchschnittlichen alltäglichen Leben wie im wissenschaftlichen Normalbetrieb wird vieles nachgeplappert und stellt sich als Gerede dar. Ob es sich um Geschichten, magische Formeln oder propositionale Aussagen handelt – alles wird zunächst nachgeredet, ohne dass die Akteure wirklich noch wissen, was bestimmte Aussagen in bestimmten Kontexten bedeuteten, wozu sie gut waren, das heißt, ohne sich selbst in Beziehung zu ihnen zu setzen und ohne sich zu fragen, welche Relevanz die Aussagen und Geschichten für das eigene oder gemeinschaftliche Leben haben und welche Erfahrungen darin bewahrt sind. Damit wird auf der einen Seite sehr viel Vertrauen in die Ergebnisse und Lösungen für Probleme sowie Antworten auf Fragen gesetzt, denn sie lassen sich nicht mehr einzeln nachprüfen. Zur Wissenschaftsideologie wird solche alltägliche Kontextlosigkeit jedoch erst dann, wenn sich allgemein der Glaube breit macht, wissenschaftliche Wahrheiten könnten abgehoben von jeder Daseinspraxis, abgehoben von den Wünschen und Interessen der Menschen produziert werden. Wenn sich Heidegger also gegen einen naiven wissenschaftsideologischen Positivismus wendet, der glaubt, Wissenschaft würde mit einem grundsätzlich interessefreien Blick auf die Phänomene der Welt schauen können, dann ist das eine Kritik vor allem am Aberglauben an die Allmacht der Wissenschaft, nicht aber an alltäglichen Praxen.

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M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 162.

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Die Kritikpunkte an der abendländischen Wissenschaftsideologie sind nicht einfach zu beheben. Sie sind nicht zu verändern, wie man ein technisches Problem löst. Da sie Ausdruck einer bestimmten Haltung sind, wie der Mensch mit sich und seiner Umwelt tendenziell umgeht, zeigt sich mit ihnen ein weit reichendes Problem für das Menschsein überhaupt. Die Allmachtsidee ist eine gefährliche Tendenz, wie ihre Auswüchse am Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich werden ließen. Heidegger steht für einen autonomen, verantwortungsvollen Umgang mit Forschung und Wissen und gegen das unreflektierte, hemmungslose Mitmachen im Wissenschaftsbetrieb. 115 Es geht ihm allerdings nicht um Abschaffung, sondern um Modifikation dieses Betriebes. Und es geht um das Auffinden von Spuren dieser Ideologie in der Philosophie selbst. Es geht Heidegger also darum, die daseinsmäßigen Tendenzen innerhalb des Denkens zu erkennen und – wenn möglich – alternativ zu ersetzen. Daher gilt es, die Grundstruktur des Seins des Daseins und seine in ihm selbst angelegten Ideologien und Metaphysiken zu verstehen und auszuweisen, um eventuelle Korrekturen vorzuschlagen. Gegen eine alles-sofort-verstehende und bescheid-wissende wissenschaftliche Neugier setzt Heidegger deswegen später in Sein und Zeit das Schlagwort der ›besorgenden Umsicht‹. 116 Er will mit diesem modifizierten Haltungsbegriff darauf aufmerksam machen, dass auch die empirischen Gegenstände der Wissenschaft nicht Gegenstände an sich sind, sondern immer nur in einem bestimmten kulturellhistorischen Rahmen und mit bestimmten praktischen Voreinstellungen wahrgenommen werden, die auf das Gelingen des Ganzen des menschlichen Lebens ausgerichtet sein sollen. Heideggers erste Überlegungen zur Wissenschaftsideologie kulminieren so später auch in der Parole, dass die ›Wissenschaft nicht denkt‹. 117 Das sei das ›Bedenklichste unserer Zeit‹. 118 Weil die Wissenschaft nicht denkt, muss die Philosophie nach dem Denkwürdigen fragen, das ins Denken ›ruft‹, denn die Menschen wissen noch gar nicht, was Denken ist. Diese Heideggersche These hat auch heute

115 Übrigens hat diese oppositionelle Haltung zu jeder Form der Gleichschaltung Heidegger auch relativ schnell unattraktiv für die NS-Regierung gemacht. 116 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 108. 117 Vgl. M. Heidegger, Was heißt Denken?, GA 8, S. 8. 118 Vgl. ebenda, S. 6.

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Wissenschaftsideologie

noch Brisanz. Sie kann in aktuelle Problemlagen übersetzt werden, zum Beispiel in die Frage, ob die Idee von einem linearen formal-analytischen Denken, das ›geradeaus‹ denkt, so wie man in der deduktiven Mathematik Theoreme aus gesetzten Axiomen nach festgesetzten Regelschemata ableitet, nicht diesem von Heidegger kritisierten Wissenschaftsverständnis in der gegenwärtigen analytischen Philosophie entspricht. 119 An einem solchen linearen Modell des formalen, logischen und mathematisch-wissenschaftlichen Denkens als Schablone des Denkens über alle Phänomene wäre zu bedenken, ob und inwiefern es überhaupt ein adäquates Modell des Denkens im starken Heideggerschen Denken sein könnte. Es stellte sich dann die Frage, ob sich das mathematische und das wissenschaftliche Denken, das heute omnipräsent ist, selbst im Rahmen von denjenigen Methoden und Denkwegen angemessen und hinreichend vollständig bedenken und begreifen lasse, welche die Wissenschaft bzw. das Wissenschaftliche auszeichnen. 120 Ist es dann nicht aber gerade das Selbstverständliche, das sich in der wissenschaftlichen Thematisierung verbirgt? Verdeckt das Selbstverständliche nicht vielmehr die Einsicht, dass es immer eine Denkmöglichkeit gibt und geben muss, die über das Modell des wissenschaftlichen Denkens und Erklärens hinausreicht? 121 Denken die Wissenschaften, die empirische Wissenschaft der Kognition ebenso wie eine bloß positive, teils narrative und teils explanative Historie überhaupt? Oder beobachten, sammeln, experimentieren und theoretisieren sie vielmehr in einem Denkrahmen, der selbst gar nicht bedacht ist? Erkennen die Wissenschaften ihren geschichtlichen, institutionellen und insbesondere praxis- und kooperationsbezogenen Sitz im menschlichen Leben und ihre Funktion für ein gutes Leben überhaupt? Bedarf es nicht vielmehr einer Art geschichtlicher Entprovinzialisierung des bloß gegenwärtigen Denkens, gerade auch um die unmittelbare Subjektivität der bloßen Reproduktion implizit vorgegebener Denkschemata hinter sich zu lassen? Gerade die geschichtliche Erinnerung könnte doch innerhalb einer besonderen begriffsanalytischen Methode das Implizite und Unbewusste auch des

119 Vgl. T. Rentsch, Heidegger und Wittgenstein, Existential- und Sprachanalysen zu den Grundlagen philosophischer Anthropologie, Stuttgart 1985. 120 Vgl. P. Stekeler-Weithofer, Was heißt Denken? Von Heidegger über Hölderlin zu Derrida, Bonn 2004, S. 13. 121 Ebenda, S. 15.

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Heideggers frühes Denken im Redemodus der Metapher

wissenschaftlichen und philosophischen Selbstverständnisses expliziter machen. Der Grund dafür, dass die Wissenschaft möglicherweise noch nicht gut und angemessen zu denken vermag, kann also vielleicht auch darin liegen, dass wir noch nicht mit der Sprache und mit unserer eigenen Geschichte so umgehen können, wie es ein selbständiges Denken verlangen würde. »Es könnte«, so vermutet Stekeler-Weithofer, »daran liegen, dass trotz aller logizistischen Wende der Philosophie die linguistische, auf die Sprache in ihren Gesamtformen achtende und auf das Sprechen hörende Wende der Philosophie noch gar nicht stattgefunden hat.« 122 Und eine solche Wende hat vielleicht noch nicht stattgefunden, weil die vollen Register der Sprache, die Tropen der Metapher und Analogie, der Synekdoche und Metonymie und schließlich der Ironie nicht als sprachliche Vororientierungen in Betracht gezogen und damit in ihrer Funktion für die Erkenntnisgewinnung verkannt, marginalisiert oder verteufelt werden. Schließlich sind die Tropen »logische Formen, die weit über die Formen einer linearen Inferenzlogik hinausreichen. Es sind Formen, die dem Denken und Dichten gemeinsam sind.« 123 Damit gehören sie aber eben gerade nicht dem angestammten Rederepertoire der exakt artikulierenden Wissenschaften an. Wer sich auf dieses Terrain begibt, verlässt offenbar bewusst die üblichen Denk- und Sprachnormen. Heißt Denken aber nicht auch und vor allem: überschreiten? Der Heideggersche Umgang mit Sprache und Dichtung zeigt in seinen späteren Schriften, dass es am Ende keine universale Sprache als reine Technik der klaren und exakt-deutlichen Artikulation ohne Appell an vorher schon erworbene praktische Kenntnisse gibt. Die darin für die Philosophie wiedergewonnene und bereits von Aristoteles stammende Einsicht ist, dass sich die Logik des Inhalts nicht einfach von der Rhetorik der Ausdrucks- und Redeform ablösen lässt. Jedes Verstehen und jedes Begreifen ruht vielmehr auf einer materialbegrifflichen Grundlage auf, die ein Können und Wissen aufgreift und weiterentwickelt. Jeder Text – und nicht nur der dichterische – ist mehr oder weniger deutungsoffen und erfahrungsgebunden. Der scheinbar polemische Satz, dass die Wissenschaft nicht denke, sagt dann auch nur knapp, dass im Normalbetrieb der Wissenschaft kein Ort, keine Zeit und keine Sprache für ein Denken bleibt, auf den Gesamtrahmen 122 123

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Ebenda, S. 23. Ebenda, S, 23 f.

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des eigenen Tuns zu reflektieren. 124 Mitgesagt ist damit, dass dieses Nachdenken noch nicht als wesentlicher Teil des Wissenschaftlichen explizit anerkannt ist. Insofern kann man sich dem Vorschlag anschließen, dass, so wie man formale Logik und Mathematik beherrschen und entwickeln will, auch die Sprache des reflektierenden Nachdenkens über das Sein – das heißt: über die sich am Ende nur im Vollzug zeigenden komplexen und ganzheitlichen Formen des gemeinsamen menschlichen Lebens – beherrschen und entwickeln lernen will. Zum Denken (Logos) gehört dann auch Haltung (Ethos) und Pathos (Rhetorik). Und in jedem λόγος liegt die Tendenz des technisch-schematischen Umgangs mit inbegriffen. Ursache dafür, dass die Wissenschaft nicht denkt, ist also gerade, dass die wissenschaftlichen Untersuchungs- und Sprachformen die nötigen Formen des Nachdenkens über sich selbst innerhalb der eigenen Praxisformen, also über den allgemeinen Rahmen des eigenen Tuns hinaus, explizit nicht erlauben, sondern gewissermaßen in einen Vorhof der jeweiligen Wissenschaft verbannen. Diesen Vorhof muss Philosophie – im Unterschied zu den Einzelwissenschaften – mit in den Blick nehmen! Die beinahe apriorische Ablehnung des Bedenkens der sprachlich-kooperativen Rahmenbedingungen, die die Wissenschaften gerade nicht leisten können, beruht nämlich zumeist auf ungedeckten Vorurteilen. Eines davon ist, dass die Sprachformen dieses Nachdenkens in ihren inferenziellen Bedeutungen nicht streng genug bzw. exakt genug normiert seien. Dieses Argument führt aber vor allem deshalb in die Irre, weil es ja gerade die Normen des Exakten und nicht zum Beispiel der Phänomenadäquatheit sind, an denen sie gemessen werden. Der Umgang vor allem mit generischen Sätzen zeigt gerade, dass spracherfahrene Urteilskraft vonnöten ist, die gerade nicht auf die Ideologie der Exaktheit im schematischen Schließen reduzierbar ist. »Solange wir diese im Grunde sprachtheoretische Einsicht Heideggers nicht begreifen«, so resümiert Stekeler-Weithofer folgerichtig, »und damit dann auch den höchst begrenzten Status der formalen Logik und der mathematischen Darstellungs-, Rechenund Beweisformen nicht sehen, können wir nicht wissen, was es überhaupt heißt, in dem hier relevanten Sinn zu denken. Gerade mit der Unterstellung, dass wir in der Logik eine Lehre des Denkens gefunden hätten, bedenken wir nicht weiter, wann es welcher Art des Den-

124

Vgl. ebenda, S. 53.

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kens, und das heißt immer zugleich, welcher Form der Darstellung und des Umgangs mit den Gedanken bedarf.« 125 Was Heidegger am neuzeitlichen Wissenschaftsbegriff kritisiert und was bis heute aktuell ist, betrifft demzufolge die problematische Identifikation von Denken und rechnendem Schließen. Die Karriere der Doppeldeutigkeit der Verben συλλογίζεσθαι (syllogizesthai) bzw. ratiocinari, die sowohl ›denken‹ als auch ›rechnen‹ bedeuten, reicht hinter die Leibnizsche Idee eines calculus rationcinator zurück. Problematisch an ihr ist, dass die Lehre von einer formalen Logik noch keine Lehre vom Denken oder von der Sprache überhaupt ist. Insofern sich die analytische Philosophie des Geistes und die durch sie zumeist apologetisch verteidigten Verhaltens- und gehirnwissenschaftlichen Zugänge sich anmaßen, adäquate Beiträge zur Erklärung von Sprache und geistiger Kompetenz zu sein, bleiben sie weitgehend in einem mathematischen Logizismus und szientistischen Neopythagorismus stecken. 126 Robert Brandom hat darauf verwiesen, dass die logische Analyse eine notwendige Methode semantischen Selbstbewusstseins sei und zum Kern des philosophischen Projektes der Entwicklung von Selbstbewusstsein gehöre. 127 Aber an der Seite einer formallogischen Explikation von idealen Formen reglementierter Sprachen fehlt eben nach wie vor eine reale Analyse des wirklichen Verstehens aller Formen des Redens und Schreibens in der gesamten Breite und in allen Registern, damit wesentliche, nur auf tropologische Weise in ihrem tiefensprachlich-modellhaften Denkzusammenhang verstehbar zu machende Phänomenzusammenhänge aufgedeckt und nicht vergessen werden. Wenn Heidegger statt auf die Praxis des Erkennens auf den diesem Erkennen methodisch vorausgehenden besorgenden Normalvollzug des Handelns schaut, dann scheint es selbstverständlich zu sein, dass eine Handlungsrealität mit bestimmten Zwecken, Sinnhaftigkeiten und Möglichkeiten noch relativ unmittelbar bemerkbar ist. Das, was vertraut ist, ist wirklich. Erst im distanzierend-theoretischen Erkennen lässt sich überhaupt fragen, ob etwas tatsächlich real oder

Ebenda, S. 53. Zur Kritik an diesem Paradigma vgl. P. Janich, Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung, Frankfurt am Main 2009. 127 Vgl. R. B. Brandom, Making It Explicit. Reasoning, Representing and Discursive Commitment, Cambridge/Mass. 1994. 125 126

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Wissenschaftsideologie

eine Täuschung ist, indem darauf reflektiert wird. Wenn also auch die Rede über Realität in die zumeist impliziten Vollzugspraxen des Daseins eingeordnet werden muss und nicht am Anfang des Umgangs mit der Welt steht, dann muss die vorgestellte Realität in gewisser Weise immer schon eine Schwundstufe von Wirklichkeit und Vollzugshandeln in der Welt sein. Sie ist das, was auch mit der allergrößten Transparenz nicht völlig durchschaut werden kann. Eine wesentliche, aber oft unterschätzte Bedingung der Möglichkeit von Wissenschaft liegt in der immer bestehenden Möglichkeit des Nichtfunktionierens einer Praxis, der ›Störung der Verweisung‹, wie Heidegger sie nennt. Wissenschaft fungiert nämlich analog einem ›nachträglichen Reparaturbetrieb‹ für etablierte Praxen. 128 Störungen wie zum Beispiel das Kaputtgehen eines Hammers oder Autos unterbrechen vertraute Vollzüge. Nachdenken als Vorform wissenschaftlicher Reflexion holt aus diesen störenden Unterbrechungen der unbemerkt ablaufenden Bewandtniszusammenhänge heraus, indem es Möglichkeiten bereitstellt, den abgebrochenen Hammer oder das Unfallauto zu reparieren. 129 Die Störung der normalen Abläufe ist die Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt die Möglichkeit bietet, aus der unmittelbaren Praxis zurückzutreten, Distanz zwischen sich und die Situation zu schaffen und die Problemlage zu erörtern. Die Aufmerksamkeit wird aus dem Vollzug in den Modus einer Problemerörterung gelenkt. Man nimmt von der Benommenheit durch die ›Zuhandenheit des Zeugs‹ und des ›Mitdaseins mit anderen‹ – wie es Heidegger später in Sein und Zeit ausdrückt – Abstand. Analog verhält es sich mit der Wissenschaft. Wissenschaft ist sozusagen nur die elaborierte Form dieses Abstandnehmens in Fällen von Störungen im praktischen Ablauf. Ohne Problem – kein Nachdenken. Wissenschaft weist im Vergleich zum lebensweltlichen ›Kapiertrieb‹ bloß ein beträchtlich höheres und institutionalisiertes Systematisierungsniveau auf. Aber Natur- und Technikwissenschaft ist nicht nur ein ›nachträglicher Reparaturbetrieb‹ 130, sondern auch ein probender Laborbetrieb für mögliche Störfälle. Sie bestätigt nicht nur Theorien durch Experimente oder Berechnungen, sondern simuliert Experimente, die Theorien stützen oder widerlegen. Die Notwendigkeit von Wissen128 129 130

Vgl. R. Totzke, Buchstabenfolgen, a. a. O., S. 182. C. Lévi-Strauss, Das wilde Denken, Frankfurt am Main 1994, S. 29 ff. Vgl. R. Totzke, Buchstabenfolgen, a. a. O., S. 182.

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schaft ergibt sich daher nicht erst aus den gestörten Praxissituationen und bestimmten Ausnahmezuständen. Längst antizipiert sie diese. Vielmehr sorgt der allgemeine (Aber-)Glaube an die unendliche Problemlösungskapazität der okzidentalen wissenschaftlichen Weltanschauung mit ihrer vorgeblich unhintergehbaren empirischen Basisevidenz für deren weltweite Karriere, Allmacht und Götzenanbeterei. Wissenschaft schafft somit auch Probleme, die es ohne sie nicht geben würde. Das sieht auch Heidegger. Er untersucht deshalb in seinen frühen Schriften die Praxisvollzüge innerhalb der Wissenschaften näher, um die Hybris dieses Denkens deutlicher werden zu lassen. Das Wesen der neuzeitlichen Wissenschaft besteht für Heidegger vor allem in der strengen und entwerfenden Forschung. Ausgehend von etwas schon Bekanntem wird ein perspektivischer Grundriss entworfen, der als Entwurf Antwort auf eine Frage geben soll. Dieser Entwurf sichert sich selbst dadurch, dass die Forschung für jeden ihrer fragenden Schritte im Vorhinein an ihn bindet. Diese Bindung nennt Heidegger ›Strenge der Forschung‹. Sie ist je nach Entwurf der Wissenschaft verschieden. Der Entwurf sichert die Strenge der Forschung und bindet ein Vorgehen vorab an seinen Gegenstandsbezirk. ›Entwurf‹ und ›Strenge‹ entfalten sich aber erst zu dem, was sie sind, im Verfahren, das in der neuzeitlichen Wissenschaft als ›Regel‹, ›Gesetz‹, ›Erklärung‹ oder ›Experiment‹ daherkommt. Dies gelingt nach Heidegger wiederum nur durch eine Art Vergegenständlichung. Vergegenständlichung liegt dann vor, wenn eine Methode das zu behandelnde Problem so vorstellt, dass es in seiner Veränderung und Eingebundenheit in Praxisvollzüge ›zum Stehen gebracht‹ wird. Es wird in seiner fließenden Prozessualität, seiner Vollzüglichkeit gestoppt und zur ›Tatsache‹ gemacht. Da für Heidegger jede Wissenschaft als Forschung auf den Entwurf eines sie umgrenzenden Gegenstandsfeldes gegründet ist und sich daraus einen einzelnen begrenzten Bezirk auswählt, ist sie notwendig Einzelwissenschaft. 131 Die neuzeitliche Wissenschaft als einzelwissenschaftliche Forschung ist bei Heidegger darüber hinaus als Betrieb und Betriebsamkeit bestimmt. Die Betriebsamkeit stellt den Vorrang des Verfahrens vor dem zu lösenden Problem sicher, das jeweils in der Forschung gegenständlich wird. Die Entfaltung des neuzeitlichen Betriebscharakters der Wissenschaft prägt daher auch einen anderen Schlag von 131

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Vgl. M. Heidegger, Zeit des Weltbildes, GA 5.

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Menschen: Der Forscher ist nicht mehr Gelehrter, sondern Techniker. »Entwurf und Strenge, Verfahren und Betrieb, wechselweise sich fordernd, machen das Wesen der neuzeitlichen Wissenschaft aus, machen sie zur Forschung.« 132 Dieses neuzeitliche Vorstellen im doppelten Sinne des Wortes ist dann nur noch ein ›sicherndes Rechnen‹, ein ›Vorausberechnen der Natur‹ und ein ›Nachberechnen der Geschichte‹. 133 Das Wesen der Neuzeit, das in der neuzeitlichen Wissenschaft mit zum Ausdruck kommt, wird vor allem – wie Heidegger später dann umfassender ausführen wird – in einer ihrer ersten großen Gestalten greifbar: mit René Descartes. Mit Descartes beginnt nach Heidegger die Vollendung der abendländischen Metaphysik. In seinem Denken wird Seiendes erstmals zur Gegenständlichkeit des Vorstellens und die Wahrheit zur Gewissheit des Vorstellens. Das Subjekt (subiectum) wird zum ›Vor-Liegenden‹, das als Grund ›alles auf sich sammelt‹. Der Mensch wird zur Bezugsmitte des Seienden als solchem. Dass das möglich ist, begründet sich für Heidegger dadurch, dass sich das Seiende im Ganzen zu einem ›neuzeitlichen Weltbild‹ wandelt. 134 Das bedeutet, dass das Seiende im Ganzen jetzt so genommen wird, und nur seiend ist, sofern es durch den vorstellend-herstellenden Menschen ›gestellt‹ ist. 135 Für Heidegger ist also das Aufkommen eines Weltbildes und die Wandlung des Menschen zum Subjekt als vorstellendem Wesen ein und derselbe Vorgang. Das neuzeitliche Weltbild sorgt schließlich dafür, dass das Wesen der neuzeitlichen Metaphysik mit dem Wesen der neuzeitlichen Technik identisch wird. Darin ist das Seiende nicht mehr das Anwesende, also Präsentische, sondern das im Vorstellen erst ›entgegen Gestellte‹, ›Gegenständige‹. Vorstellen ist für Heidegger daher ›vorgehende, meisternde Vergegenständlichung‹. »Das Vorstellen ist coagitatio« 136, schreibt Heidegger. Es ist Denkhandeln als Vergegenständlichen. Der Mensch wird zum Mittelpunkt des Seienden im Ganzen. Er begründet sich selbst – wie Protagoras herausstellte – als die Maßgabe für alle Maßstäbe, mit denen ab- und ausgemessen bzw. verrechnet wird, was als wahr, gewiss und als seiend gelten kann. Die-

132 133 134 135 136

Ebenda, S. 86. Ebenda. Vgl. ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 108 (Kursivierung Heidegger).

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Heideggers frühes Denken im Redemodus der Metapher

ser Subjektivismus erreicht nach Heidegger im ›planetarischen Imperialismus des technisch organisierten Menschen‹ seine höchste Spitze. 137 Und ebenso wie das Dasein nicht aus seiner ›Verfallenheit an die Welt des Man‹ herauskann, so kann der Mensch dieses ›Geschick‹ seines neuzeitlichen Wesens nicht von sich aus verlassen oder durch einen ›Machtspruch‹ abbrechen. Das einzige, was der Mensch nach Heidegger vermag, ist, ›vordenkend bedenken‹, dass ›das Subjektsein des Menschentums weder die einzige Möglichkeit des anfangenden Wesens des geschichtlichen Menschen gewesen ist, noch je sein wird‹. 138 Diese Ansicht wiederholt sich in den mittleren Schriften Heideggers. So ist nach Wissenschaft und Besinnung (1953) die moderne Wissenschaft nur eine entscheidende Weise, in der sich uns alles, was ist, darstellt, welche die heutige Wirklichkeit immer mehr mitbestimmt durch ihre inzwischen planetarische Macht, deren Wesen aber im Denken der Griechen gründet. 139 Das Wesen der modernen Wissenschaft bestimmt Heidegger aufgrund der Praxisvergessenheit schließlich als ›Theorie des Wirklichen‹. Das heißt, dass sie das nachstellende und sicherstellende Bearbeiten des Wirklichen nur noch mit Distanz betrachtet, statt es zu vergegenwärtigen, also verinnerlichend auf die eigene Zeit zu beziehen. Die Wirklichkeit im Modus des Ganzheitlichen wird von der Wissenschaft zu einer ›Realität‹ zusammengestutzt, die von vornherein mittels Ursache-Wirkungs-Beziehungen aus Kontiguität (Gegenstandsgebiete) rein äußerlich vor (sich)gestellte und so auf ihre Gegenständlichkeit hin herausgeforderte Brüche macht. Damit verfährt sie im tiefensprachlichen Modus des Metonymischen, gegen den sich Heideggers Diagnose der Vergegenständlichung, des Schematischen und Technischen immer wieder richtet. Denn wie der metonymische Logos Gestalten erst extrahieren und extrinieren muss, um sie in Verhältnisse zu setzen, so die einzelwissenschaftlichen Verfahren im neuzeitlichen Weltbild als ganze. Heideggers Interesse zielt nun aber auf das Gegenteil bzw. den Ursprung eines nicht-technischen Denkens, auf die Gewinnung eines vortheoretischen, vorwissenschaftlichen ursprünglichen Vollzugsdenkens ab. Der dafür angemessene Redemodus wird im Modus des Metaphorischen gesucht, der die grundlegende Rahmungsfunktion 137 138 139

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Vgl. ebenda, S. 111. Vgl. ebenda. Vgl. M. Heidegger, Wissenschaft und Besinnung, GA 7.

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Ontologie und Metaphysik

übernehmen soll. Die Tiefenstruktur des Metaphorischen geht als primordialer Modus der des Metonymischen voraus. Gleichzeitig muss aber auch die Metapher extrinsisch verfahren, um Phänomene aus unterschiedlichen Bedeutungsfeldern als solche zu ergreifen und in Analogie zu bringen. Im Tropus der Metapher sind metonymische Momente als Momente des Extrinsischen, rein Äußerlichen, enthalten.

8.4. Ontologie und Metaphysik Für Heidegger hat das Wesen der Wissenschaft seine innere Möglichkeit nicht im Vollzug des Denkens und im Gebrauch seiner Regeln, sondern umgekehrt: »Die Unumgänglichkeit des Regelgebrauches läßt sich gerade nur aus der inneren Wesensmöglichkeit der Wissenschaft, das heißt metaphysisch begründen.« 140 Den Begründungszusammenhang in den positiven Wissenschaften bilden nicht primär die Schlussketten syllogistischer oder enthymemischer Argumentation. Sie haben ihr Fundament vielmehr in ihrer Ontologie. Daraus folgt, dass die primären Gründe für das wissenschaftliche Selbstverständnis in seinem speziellen Seinsverständnis zu suchen sind. Dieses gilt es allererst zu verstehen. Und man kann es nur verstehen, wenn man versteht, was Wissenschaften praktisch tun, wie sie ihr Fach ausfüllen und warum sie die Dinge tun, die sie tun. Seinsbezug und Seinsverständnis kann nur ein Seiendes von der Art haben, das selbst nicht in seiner Dinglichkeit aufgeht und zu unterschiedlichen Einstellungen zu Phänomenen überhaupt fähig ist. Das ist der Mensch. Da der Begriff ›Mensch‹ vor allem von der traditionellen Anthropologie okkupiert und vom zu hinterfragenden (natur)wissenschaftlichen Begriff Mensch kontaminiert ist, muss sich Heidegger zunächst von diesem reduzierten Begriff frei machen. Darüber hinaus muss die wesentliche Verbindung des Menschen zum Sein in seinem charakteristischen Seinsbezug thematisiert werden. Heidegger nennt diejenige Instanz, die einzig das Sein thematisieren kann im Unterschied zu allem anderen Seienden, das Dasein. Im Wort ›Dasein‹ schwingt diese Verbundenheit zum Sein mit, lässt sich aber von Sein und Seiendem unterscheiden. Die so genannte ›Seins140 M. Heidegger, Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz, GA 26, S. 129.

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Heideggers frühes Denken im Redemodus der Metapher

frage‹ lässt sich daher nur am und mittels Dasein ausweisen. Eine Philosophie, die den spezifischen Seinsbezug des Menschen thematisieren möchte, muss sich, wenn sie Heideggers methodischen Regeln folgt, zuallererst der Phänomenalität dieses Daseins widmen. Weil sich zeigen lässt, dass das ›freilegende Sehenlassen des Seins des Seienden‹ sich im Konkreten nicht am dinghaften Seienden gewinnen lässt, ist deshalb die Frage nach der Bezugsebene des Daseins zum Sein als Grundlage jeder Wissenschaft vorerst zu klären. 141 Würde positive Wissenschaft nicht von als vorhanden angesehenem Seienden handeln, so würde sie nicht ihre fundierende Kraft aus Gründen und Begründungen beziehen. Weil positive Wissenschaft jedoch ontisch ist, das heißt von Seiendem als gegenständlich vorhanden Vorgestelltem handelt, nur deshalb muss sie überhaupt begründen. Begründungen stellen nämlich Gründe und damit Fundamente für Seiendes dar. Das Seinsverständnis des in den positiven Wissenschaften behandelten Seienden als vergegenständlicht gedachtes Seiendes macht es nötig, einen tieferen Grund dieses Seienden anzunehmen, weil es sich nicht selbst begründet, sondern für alles eine Ursache sucht oder schafft. Weil zum Sein von Seiendem Grund gehört, muss Seiendes, sofern es sich als Seiendes enthüllt, sich begründen. 142 Wenn Heideggers Thema in Sein und Zeit die ›konkrete Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von Sein ist und sein vorläufiges Ziel in der Interpretation der Zeit als des möglichen Horizontes eines jeden Seinsverständnisses überhaupt liegt, dann unterstellt er, dass 1. die Frage nicht verstanden oder in Vergessen geraten ist und 2. ein erneutes Verständnis für diese Frage allererst geweckt werden muss. 143 Heidegger, der die Wurzel für das Vergessen dieser Frage in der antiken Ontologie sieht, stellt fest, dass selbst die Fragestellung unzureichend ist. 144 Ein erster philosophischer Schritt zum Verständnis des Seinsproblems besteht für Heidegger mit Bezug auf Platons Sophistes darin, ›keine Geschichten zu erzählen‹. Geschichten bergen nämlich die Gefahr, Sein als ein (gegenständliches) Seiendes aufzufassen. Im Erzählen – analog dem Zählen – werden die aneinander gereihten Ereignisse wie Aufzählungen im Sinne eines ›und dann … 141 142 143 144

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Ebenda. Ebenda. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 1. Vgl. ebenda, S. 4.

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Ontologie und Metaphysik

und dann … und dann‹ behandelt, als Aneinanderreihung von Gleichartigem, wie es auch die Mathematik beim Zählen tut. Da im Erzählen darüber hinaus der Sinn darin liegt, auf etwas über Analogien und Metaphorik anzuspielen, dies aber im Modus extrinsischer Logik geschieht, und zugleich Identifikationen erzeugen, weil sie sprachökonomische Notlösungen sind, so sind sie für Heidegger eher problematisch und für sein eigenes philosophisches Unternehmen eher untauglich. Aufzählungen und Erzählungen segmentieren Seiendes in einzelne Teile und unterbrechen damit den praktischen Vollzugsakt beim Erfahrungenmachen, durch welches das menschliche Dasein als Draußen- und In-der-Welt-sein vor allen anderen Charakterisierungen ausgezeichnet ist. Dem Diktum Husserls folgend, dass in der Philosophie keine Geschichten erzählt werden, sieht Heidegger die Gefahr des Nacherzählens einer Seinsgeschichte vor allem darin, dass Geschichten nicht offen, sondern vom Ende her erzählt werden, dass also die Rahmung den Plot bestimmt, damit aber nicht nur der Fluss des Erlebten in Stücke zerhackt wird, sondern auch die Vorauswahl getroffen wird, welche Segmente wichtig und welche weggelassen werden (können). Damit strukturieren Erzählungen wie auch Aufzählungen auf ein bestimmtes Ziel hin. Sie richten das Sein sozusagen für ihre Zwecke zu. Dass Menschen solche Zurichtungen permanent vornehmen und diese zur Lebensbewältigung dazugehören, will Heidegger nicht aus der Welt schaffen. Deswegen ist es falsch zu behaupten, dass Heidegger die Bedeutung der Narration unterschätzt habe. 145 Gerade das Gegenteil ist der Fall! Heidegger kann auf diese Weise gerade die Bedeutung des Geschichtenerzählens als eines In-Geschichten-Verstricktseins, als eines metaphysischen Aktes deutlich werden lassen, der im Dasein der Menschen selbst verankert ist und seinen Grund in 145 Susanne Kaul hebt den Umstand, dass die Bedeutung der Erzählform keinen Eingang in Heideggers Fundamentalhermeneutik gefunden habe, kritisch hervor. Sie schreibt: »Trotz seiner Hellsichtigkeit für die Geschichtlichkeit und Sprachlichkeit des Verstehens hat Martin Heidegger die Narration übersehen.« Dies., Narratio, Hermeneutik nach Heidegger und Ricœur, München 2003, S. 10 f. Das vermeintlich Fehlende will die Autorin durch Einschreibung der Narratio in Heideggers existenziale Hermeneutik nachreichen, indem sie das In-Geschichten-verstrickt-sein zu einem ursprünglichen Moment des In-der-Welt-seins macht. Das jedoch bestreitet Heidegger gar nicht, sondern baut es – ähnlich wie Platon – in sein Denken in Form von Fabeln und Mythen ein. Ihm ist nämlich klar, dass Überzeugungen nicht allein diskursiv hergestellt werden können, sondern sich Geltungsfragen nicht unabhängig von Geschichten beantworten lassen.

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der Zeitlichkeit bzw. Endlichkeit und der daraus resultierenden Besorgtheit des Menschen selbst hat. Und wie die Aufnahme der Sorge-Fabel in Sein und Zeit zeigt, hat Heidegger durchaus einen Sinn für die Kraft von Geschichten. Wenn Heidegger also ablehnt, eine Geschichte des Seins nachzuerzählen, sondern vielmehr zunächst anstrebt, die Seinsgeschichten, die bereits geschrieben worden sind, auf ihre inneren logischen Erzählstrukturen hin zu analysieren, dann versucht er, deren strukturierende Merkmale herauszupräparieren und als metaphysische Denkmodelle zu identifizieren. Heideggers ganzer Denkweg ist einzig von dem Ziel getragen, ein mögliches Denkmodell mit dazugehöriger Sprache zu entwickeln, das die Grenzen der Metaphysik zu übersteigen im Stande ist oder zumindest sie als solche aufzeigt und begründet. Ob und wie er sich dabei selbst in eine Seinsgeschichte verstrickt, sich insofern zuweilen selbst nicht vollständig transparent ist, wird an späterer Stelle beurteilt. Hier soll lediglich darauf hingewiesen werden, wie bereits in den Frühschriften alle Topoi seines Denkens benannt werden, die später ihre gründlichere Ausarbeitung erfahren und wie sie sich aus den Gedanken der eigenen Verwickeltheit in eine bestimmte philosophische Tradition entwickeln. Die Neukantianer hatten das Bewusstsein für den Methodenunterschied in den Kultur- und in den Naturwissenschaften geschärft. Für Heidegger ist die dort geleistete Besinnung auf die verschiedenen Seinscharaktere aber längst nicht radikal genug. Denn für Heidegger ist die Grundrichtung des philosophischen Fragens dem befragten Gegenstand nicht äußerlich aufgeschraubt, sondern eher als das Ergreifen einer ›Grundbewegtheit des faktischen Lebens selbst‹ zu verstehen. Die konkrete Ausarbeitung der Seinsfrage muss daher ihren Ausgang in einer Strukturanalyse der sich durch seine Geschichte durchhaltenden Daseinsweise des Menschen selbst nehmen – ungeachtet aller kulturellen und historischen Unterschiede. Sein – so wie Heidegger es verstanden wissen will – verlangt nicht nach schnellen Auflösungen, sondern nach einer ›eigenen Aufweisungsart‹ und einer eigens zu gewinnenden Begrifflichkeit. 146 Neben dieser neuen Begrifflichkeit und Aufweisungsart bedarf es aber auch der rechten Wahl eines exemplarischen Seienden, um einen adäquaten Zugang zu dieser Frage zu erreichen. Dieser adäquate Zugang kann nach Heidegger nur über den fragenden Menschen selbst ge146

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M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 6.

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wonnen werden, da von keinem anderen Seienden eine Antwort erwartet werden darf. Für Heidegger ist das Fragen dieser Frage als Seinsmodus eines Seienden selbst von dem her wesenhaft bestimmt, wonach in ihm gefragt ist, nämlich vom Sein. Die Frage nach dem Sinn von Sein kann also nur über die Seinsweise des fragenden Menschen selbst beantwortet werden. Dazu ist es für Heidegger notwendig, die Seinsweise des Menschen als Dasein näher zu bestimmen. Zwei wesentliche strukturelle Merkmale der menschlichen Daseinsform stellt Heidegger fest: 1. Das Dasein ist in der ›konkreten Zeitigung seines Seins um sein Sein besorgt‹. 2. Es ist auch und vor allem dort besorgt, wo es sich selbst aus dem Weg geht. 147 In seinen Ontologie-Vorlesungen befasst sich Heidegger deshalb sehr ausführlich mit Vorüberlegungen, wie philosophisch angemessen über das Spezifische des menschlichen Daseins geredet werden kann. 148 Seine phänomenologischen Überlegungen sollen Klarheit darüber verschaffen, welche Einstellung erforderlich ist, damit sich die Phänomene zeigen können, so wie sie von sich aus sind. Wenn das Sein des Menschen philosophisch angemessen verstanden werden soll, dann muss es in seinem Vollzugssinn verstanden werden, nämlich so, wie es sein Leben gestaltet, in die Hand nimmt, vergeudet, verfehlt usw. Die Hauptfrage, die in der Daseinsanalyse gestellt wird, ist die nach der Einstellung bzw. Haltung, die eingenommen werden muss, um das Dasein in seinen Vollzügen überhaupt begreifen zu können. Denn erst, wenn diese Haltung gewonnen worden ist, ist die Voraussetzung für einen umfassenden Zugang zum Sein hergestellt. Heidegger nennt diesen Zugriff ›das faktische Ergreifen einer Grundbewegtheit des faktischen Daseins‹. Die Grundbewegtheit heißt ›Existenz‹. Diese ›Existenz‹ meint jedoch nicht die Bedeutung von ›Existenz‹ im Sinne von ›tatsächlich vorhanden sein‹. Vielmehr will Heidegger den Terminus in einem transitiven Sinne verstanden wissen: Indem ich existiere, bin ich nicht einfach vorhanden, sondern muss mich sozusagen existieren. Der Mensch lebt nicht nur, sondern er muss sein Leben führen. Existenz ist also eine Seinsweise, die ein Selbstverhältnis ausdrückt. Das menschliche Leben ist nicht nur – wie Tiere, Pflanzen oder Steine – vorhanden, sondern es wird gewahr, dass es da ist. Und gerade weil es diese Fähigkeit des über sich Ge147 Vgl. M. Heidegger, Phänomenologische Interpretation zu Aristoteles, GA 61, S. 238. 148 Vgl. M. Heidegger, Ontologie, GA 63.

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wahrwerdens hat, kann sich ihm ein Horizont der Zeit und damit auch der Sorge eröffnen. Der Begriff ›Existieren‹ ist damit nicht nur ein ›Vorhandensein‹, sondern meint einen Vollzug, oder aristotelisch gesprochen: eine spezifische Bewegtheitsform. Heidegger versucht, ein fundamentaleres und ursprünglicher gegründetes Bild menschlichen Existierens zu setzen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, arbeitet Heidegger seit seinen frühen Schriften allmählich allgemeine Strukturmerkmale des Daseins heraus. Das zeigt sich zum Beispiel in der tentativen Neusortierung von Phänomenbereichen, die in Sein und Zeit fortgesetzt und zum eigenen Programm erhoben wird. Die Unterscheidung von grundsätzlich verschiedenen Phänomen- und Redebereichen appelliert daran, das Dasein als eine Praxisform wahrzunehmen, an der wir schon immer teilhaben. Heideggers Wortschöpfung ›In-derWelt-sein‹ soll zum Beispiel daran erinnern, wie wir zunächst und zumeist immer schon unterschiedlich mit Dingen und Menschen in der Welt umgehen, dass wir keine Perspektive sub speziae aeternitatis auf Phänomene besitzen, sondern sozusagen einen (mehr oder weniger interessegeleiteten) Blick aus den konkreten Vollzügen heraus. Wir nehmen die Phänomene im Hinblick darauf wahr, dass wir etwas herstellen, pflegen oder verwenden, etwas aufgeben, unternehmen, durchsetzen, reparieren, befragen, ästhetisch betrachten, kooperativ besprechen oder definitorisch bestimmen usw. 149 Insofern macht die Frage danach, wie das Subjekt zu seinen Erkenntnissen kommt, oder ob es eine Außenwelt für die Innenwelt des Subjektes gibt, für Heidegger keinen Sinn. Das Dasein ist immer schon ›draußen‹, nämlich bei den Vollzügen in der Welt. Das heißt aber, dass die alltägliche Ursituation unseres Lebens eben gerade nicht das intentionslose Staunen oder das zweifelnde Welterkennenwollen ist, wie es die Wissenschaften als kontemplative Schau im Theoretisieren oder als empirisch arbeitendes Experimentieren suggerieren. Vielmehr sorgt sich der Mensch um sich und die Seinigen, sichert seine Lebensbedingungen, richtet sich sein Leben ein – und wird dabei von vorgegebenen und eingeübten Praxisformen entlastet. Ein solcher Vollzugscharakter des Daseins kann nicht mehr im streng logischen Sinne bewiesen werden, da jede Beweisform selbst schon eine bestimmte Praxisform ist, die im engeren Sinne gar nicht beweisbar ist. Er kann nur dargestellt, gezeigt und als Appell 149

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Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 56 f.

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an die eigene Erinnerung an bisherige Erfahrungen aufgerufen werden. Indem die Daseinsanalyse ihre Existenzialität aus ihren praktischen Vollzügen begreifen will, kann von einem radikalen Perspektivwechsel gesprochen werden. Statt des Denkens in fixierenden Kategorien, die alle Phänomene von außen als Objekte gegeneinander vergleichen und erklären, macht Heidegger hier ein alternatives Denken auf, das genau das Gegenteil will. Heidegger will sozusagen das Denken verflüssigen, neue Kategorien für existenziale Vollzüge suchen, Phänomene aus ihrer Eingebundenheit in Praxisvollzüge heraus, also von innen her verstehen. Hierin kündigt sich der revolutionäre Kern von Heideggers Philosophie an: Zurück zum genuin Phänomenalen des Menschen! Hierin besteht auch der radikale Gegensatz zu Kants rigoristischer Methodik des Ausschlusses alles Empirischen. Für Heidegger ist das Dasein immer draußen, in praktische Vollzüge eingebunden und immer bei den Phänomenen, angetrieben durch seine Selbstsorge. Alles bisherige Denken im Modell eines gegenständliches Vorhandenseins, das durch die Segmentierung von Merkmalen und Eigenschaften sich im Allgemeinen durch die philosophische Geschichte der Wesensbeschreibungen des menschlichen Daseins zieht, muss ersetzt werden durch eine Vorstellung des menschlichen Daseins als vollkommen dynamischer Bewegtheitsform, die gleichzeitig die Tendenz hat, sich selbst und alles andere zu vergegenständlichen. Eine Philosophie des Daseins, so wie sie Heidegger schon einige Jahre vor Sein und Zeit konzipiert, kann dem Dasein nicht betrachtend gegenüberstehen, sondern muss Ausdruck des Daseins selbst sein. Gleichwohl es eine der wichtigsten Einsichten Heideggers ist, dass auch jede Philosophie etwas im Rücken hat, das ihr nicht durchsichtig wird, ist ein Wachsein für sich selbst, das heißt das eigene Hinterfragen der eigenen Denkvoraussetzungen und Perspektiven, die vordringliche Aufgabe der Philosophie. Das, woran sich Philosophie am meisten festhält, was ihr eigener Balken im Auge ist, ist nach Heidegger nämlich das Allerselbstverständlichste: das, was ist. Sie ist als philosophische Wissenschaft vom Sein Ontologie. Ontologie ist die Instanz, die Antwort auf die Frage gibt, was ist bzw. was es gibt. Die Frage danach, ob es etwas gibt oder vielmehr nichts, ist in unseren Redepraxen immer schon beantwortet, indem die Rede über etwas immer schon anzeigt, dass es da etwas geben müsse, weil wir ja bereits darüber reden. Die Rede über Logik der Tropen

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etwas behandelt also die Inhalte der Rede immer schon so, als gäbe sie sie schon vor ihrer Artikulation. Die Frage ist für Heidegger nur, in welchem Sinne gibt es sie? Und was heißt ›geben‹ bzw. ›sein‹ überhaupt? Wie gibt es das Sein für das Dasein? Eine Philosophie, die ›wach für sich selbst‹ ist, muss derartige Fragen zu beantworten versuchen. Die ›Angst vor der Philosophie‹, die Heidegger in seinen frühen Schriften thematisiert, ist – analog dem Ausweichen des Daseins vor sich selbst – gewissermaßen eine Reaktion auf die Vorstellung von Möglichkeiten des Freiseins, die zugleich eine gewisse Haltlosigkeit bedeutet. Analog wird die Kritik an einem vergegenständlichenden Denken gleichermaßen auch auf die Ontologie angewendet: Die Frage nach dem Sinn von Sein und die Frage nach der angemessenen Beschreibung des Daseins als Voraussetzung, die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt angemessen stellen zu können, wird zum grundlegenden Rahmenprojekt des Heideggerschen Denkweges im tiefensprachlichen Redemodus der Synopsis des weit Auseinanderliegenden, das Heidegger mit der impliziten These: Sein ist Zeit (und vice versa) auszubuchstabieren versucht. Heideggers ontologische und existenziale Präsuppositionsanalyse sucht den neuralgischen Punkt, den motivierenden Kern, der das verobjektivierende Denken überhaupt möglich gemacht hat. Ontologie und Daseinsanalyse lassen sich dabei nicht gegeneinander ausspielen, sondern verhalten sich vielmehr wie Henne und Ei. Die Seinsfrage zielt auf eine apriorische Bedingung der Möglichkeit nicht nur der Wissenschaften, sondern auch der sie in der bisherigen Tradition fundierenden (philosophischen) Ontologien selbst. Damit ist das ontologische Fragen dem ontischen Fragen der positiven Wissenschaften als ursprünglicher methodisch vorgeordnet. Es liegt ihm transzendental bereits zugrunde. Diese Vorrangstellung nennt Heidegger später den ontologischen Vorrang der Seinsfrage. Dieser Vorrangstellung gegenüber steht eine andere Vorrangstellung, nämlich der ontische Vorrang der Seinsfrage. Dieser Vorrang besagt, dass zwar theoretisch die Wissenschaften als Lieferanten von Begründungszusammenhängen über das Ganze des Wissens einen ontologischen Vorrang hätten, dass praktisch aber die Menschen in ihrer realen, ontischen Daseinsweise es sind, die diese Wissenschaften betreiben. Sie in ihrer spezifischen Seinsweise – und das heißt als ausgezeichnetes Seiendes, nämlich Dasein – zu erfassen, macht deshalb den ontischen Vorrang der Seinsfrage aus, denn das 294

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Dasein ist ein Seiendes, dem es »in seinem Sein um dieses Sein selbst geht« 150, wie Heidegger schreibt. Das Dasein ist durch ein spezifisches Seinsverhältnis ausgezeichnet. Dieses kann als so genanntes Seinsverständnis erschlossen, das heißt empraktisch erfahren oder reflektiert werden. Dies muss aber nicht schon theoretisch und explizit geschehen. Vielmehr versteht sich das Dasein immer schon (sozusagen vorontologisch, jedoch nicht ontisch), indem es sein Leben führt. Wenn der Mensch sein Leben führt – und nicht einfach dahinvegetiert –, existiert der Mensch. In der Idee einer solchen existenzialen, also vortheoretischen Art der (Seins)Verfassung und des Seinsverstehens liegt für Heidegger die Idee von Sein überhaupt. 151 Deswegen hat die Seinsanalyse aus dem Dasein heraus einen ontischen Vorrang. Die Gleichzeitigkeit der beiden Vorränge in Heideggers Überlegungen klingt zunächst unentschieden. Sie ist aber letztlich nur die konsequente Fortsetzung des aristotelischen Denkens der Bewegungsformen. Sie hat zu Aristoteles’ Denken einzig den Unterschied, dass Heidegger das Sein nicht als oberste, allgemeinste und somit leerste Bewegungsform auffasst, wie Aristoteles dies für Gott als unbewegten Beweger in Anschlag bringt, sondern vielmehr als zeitlich zu denkenden Träger aller Bewegtheitsform. Als Träger gehört das Sein nicht mehr in die Kategorie anderer Bewegtheitsformen, sondern bildet die Voraussetzung aller Bewegtheit, ist sozusagen der Geber aller Formen, ist der Former, der selbst nicht unter seine Kategorien fällt. Sein muss vielmehr aus jeglicher Kategorisierung herausgehalten werden. Daher darf es selbst nicht vergegenständlicht, etwa als Raum, gedacht werden, sondern als Möglichkeiten Gebendes, Prozessuales, Infinites, Zeitliches, denn es ist von völlig anderer Art als alles andere Seiende. Wenn Heidegger das Verhältnis von ontischem und ontologischem Vorrang verhandelt, dann darf dieses Verhältnis nicht im aristotelischen Sinne missverstanden werden, wenngleich es von dort her seinen Ausgang nimmt. Vielmehr handelt es sich um eine Ahnung eines radikalen Denkmodellwechsels, dessen Dimensionalität allererst denkerisch wie sprachlich von Heidegger noch gewonnen werden muss. Dieser Wechsel, der in den frühen Schriften Heideggers erst vororientierend im Modus der Sprache des Metaphorischen 150 151

Vgl. ebenda, S. 12. Vgl. ebenda, S. 13.

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angedeutet und vorbereitet wird, erlangt später dann als Tropenwechsel von der Metonymie zur Synekdoche seine tiefensprachliche Sichtbarkeit. Dass Heidegger seine Protagonisten im primordialen Modus des Metaphorischen präfiguriert, zeigt sich dann auch wieder darin, dass er weitest auseinanderliegende Phänomenbereiche in Synthese bringen will: Das ›Universalste‹ der Seinsfrage muss sich im Konkretesten des Daseins zeigen, lautet dann auch Heideggers Aufgabe in Sein und Zeit. 152 Ein Konkretes ist es, das Dasein als ›je meines‹ zu beschreiben. 153 Das Sein des ›jemeinigen Daseins‹ ist vollständig nie als Fall oder Exemplar einer Gattung von Seiendem als Vorhandenem zu begreifen. Das heißt erstens, dass das Wesen des Daseins für Heidegger darin liegt, dass es sich nicht aussuchen kann, ob es sein will oder nicht. Es hat vielmehr zu sein, ›muss sein Leben führen‹. 154 Was ein Dasein ist, also seine essentia, muss für Heidegger aus seinem DassSein, seiner existentia, begriffen werden. 155 Der Begriff der ›Existenz‹ soll nicht einfach die Übernahme des lateinischen Begriffes der ›existentia‹ sein, sondern vielmehr auf die Unterscheidung hinweisen, die in der philosophischen Überlieferung überkommen ist. Besagt nämlich der Überlieferung nach existentia ontologisch so viel wie Vorhandensein, so trifft dies nur sehr bedingt und reduziert auf den Daseinsbegriff zu. Das Dasein ist vielmehr in seinem Wesen gerade gar nicht oder besser vor allem keine Vorhandenheit, wenn damit gemeint ist, dass ein Dasein diese und jene – so oder so aussehende und vorhandene – Eigenschaften hat. Dasein unterscheidet sich ja gerade von allem anderen Seienden darin, dass es an ihm keine festlegenden Eigenschaften oder etwas Vorhandenes gibt, das abhanden kommen kann. Das Dasein hat vielmehr zu sein, und zwar in seinen je ihm möglichen Weisen. Es ist in seinem Wesen nicht ein Etwas wie Tische, Häuser und Bäume, sondern sozusagen immer jemand Bestimmtes, Einzigartiges. Im Unterschied zu Etwassen, denen ihr Sein gleichgültig sein kann bzw. weder gleichgültig noch ungleichgültig ist, kann dem Dasein sein Sein niemals gleichgültig sein. Wäre dies so, so begriffe sich das Dasein nicht als mensch-

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 1 f. Vgl. J. Weiß (Hrsg.), Die Jemeinigkeit des Mitseins. Die Daseinsanalytik Martin Heideggers und die Kritik der soziologischen Vernunft, Konstanz 2001. 154 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 1. 155 Ebenda. 152 153

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liches und damit sorgendes. Zweifelsohne hat das menschliche Dasein auch einen leib-körperlichen Träger und ist insofern, aber auch nur insofern, dinghaft und gegenständlich. Aber diese Gegenständlichkeit macht nicht sein vollständiges Wesen aus. Dieses besteht nämlich eher darin, eben gerade nicht als Ding und wie Dinge behandelt zu werden, sondern vor allem als Person. Dass Dasein sozusagen personengebunden ist, drückt sich sprachlich zum Beispiel in Personalpronomen aus. Das menschliche Dasein als sich um sich selbst sorgende (Bewegungs-)Form hat sich praktisch schon immer ›entschieden‹, in welcher Weise es das Jeseinige ist. Es verhält sich von Anfang an zu seinen eigensten Möglichkeiten, indem es das eine lässt und das andere tut, wenngleich es oft nur Altbewährtes übernimmt und auf dieses vertraut oder zuweilen willensschwach ist und gerade nicht tut, was seine Möglichkeiten hergeben. Weil das Dasein derart eingebunden ist in seine existenziellen Voraussetzungen, kommt Heidegger zu der grammatischen Neukonstruktion, die zugleich metaphorische Identitätssetzung ist: Das Dasein ist je seine Möglichkeiten. Es hat sie nicht nur eigenschaftlich als Vorhandenes oder wie einen Besitz. Von Anfang an wählt sich das Dasein sozusagen in seinem Sein selbst. Diese Wahl kann ›gewonnen‹ oder ›verloren‹ werden, schreibt Heidegger, um im polysemen Bild zu bleiben; aber gewinnen oder verlieren kann das Dasein nicht, wenn…, sondern weil es seinem Wesen nach (immer schon) mögliches eigentliches Dasein – und das heißt sich zueigen – ist. Damit bekommt die Existenz bei Heidegger einen Vorrang vor dem Wesenhaften, der Essenz. 156 Begreift man die Besonderheit personalen Daseins nicht in seiner grundlegenden Andersartigkeit gegenüber allem Seienden, so begeht die Philosophie und Wissenschaft einen Kategorienfehler. Man begreift es dann nicht in derjenigen phänomenalen Seinsweise, die ihm angemessen ist. Alles Denken, das dies nicht bedenkt, so Heideggers folgenreiches Urteil, bleibt in der Dimension des substanzontologisch-essenziellen Denkens, da es alle Phänomene – und damit auch das Dasein selbst – distanziert von einem relativ wertfreien Standpunkt aus als Objekt untersucht. 157 Das Dasein selbst aber ist immer 156 Die Unterscheidung von Existenz und Essenz wird dann einen wesentlichen Beitrag zur Entgegnung auf Sartres Existenzialismus als Humanismus sein. Vgl. M. Heidegger, Brief über den Humanismus, GA 9. 157 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 13.

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ein Sein ›in einer Welt‹, ist sozusagen immer perspektivisch, immer eingebettet in einen bestimmten Seinsmodus. Das gilt es für Heidegger zu betonen. Wenn Wissenschaft so tut, als ob sie die Dinge und Sachverhalte objektiv, das heißt an sich selbst, anschauen, erfassen, begreifen und erklären und damit über die Perspektivität transzendierend, manchmal auch verabsolutierend hinausgreifen könne, überschätzt sie sich. Die spezifische Seinsweise des Daseins, unter anderem auch Wissenschaft betreiben zu können, ist vielmehr im Dasein selbst als eine bestimmte sich selbst permanent missverstehende Tendenz fundiert und wird durch das Tradieren seiner kooperativen Praxen erst ermöglicht. Dagegen kann sich das Dasein aber auch zu seinen eigenen Seinsmodi, wovon Wissenschaft nur eine ist, (selbst) kritisch verhalten. Der abendländischen Wissenschaftstradition fehlt es demzufolge an Selbstkritik. Der Reichtum des menschlichen Daseins entgleitet nach Heidegger immer dann, wenn es nur in theoretischer, objektivierender Einstellung erfasst wird. Diese Einstellung zu den Phänomenen ›entlebt das Erleben‹ und ›entweltet die Welt‹, wie Heidegger in seinen frühen Vorlesungen schreibt. 158 Das Seinsverhältnis wird somit von Heidegger als ein Selbstverhältnis aufgefasst, das sowohl in Analogie zu Ursache-Wirkungs-Relationen als auch in Teil-Ganzes-Relationen erfasst werden kann. Um dieses ontisch-ontologische und zugleich existenziale, grundlegende und vorontologische Selbstverhältnis des Daseins geht es Heidegger später in Sein und Zeit. Dort jedoch wechselt der Redemodus vom Metaphorischen selbst ins WissenschaftlichMetonymische. Die Unangemessenheit der eigenen Sprache im Nachgang selbst in Rechnung stellend, schließt sich daher in den Texten nach Sein und Zeit ein weiterer Tropenwechsel ins Synekdochische an. Die synekdochische Logik erst wird das Metonymische verlassen und die so genannte ›Kehre‹ in Heideggers Sprachdenken markieren. Diese Kehre zeigt sich in Ansätzen allerdings schon in der Aufnahme und vor allem im Anspruch des metaphysikkritischen Projektes der Frühschriften.

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Vgl. M. Heidegger, Vorlesungen und Seminare, GA 17–26.

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Metaphysikkritik

8.5. Metaphysikkritik In Was ist Metaphysik (1929) wird Wissenschaft als ›ausgezeichneter Weltbezug zum Seienden selbst‹ verstanden. 159 Wissenschaft tritt in diesem Aufsatz vor allem durch die drei Momente a) Weltbezug, b) Haltung und c) Einbruch auf. 160 Was hat es mit diesen ungewöhnlichen Kategorien auf sich? Als Weltbezug tritt die Wissenschaft in einem spezifischen Seinsbezug auf. Zwar verhält sich auch das vor- und außerwissenschaftliche Tun und Lassen des Menschen zum Seienden, dies jedoch nicht in dieser ausdrücklichen und einzig der Sache selbst das erste und letzte Wort gebenden Weise. Insofern der Mensch einen Bezug zur Welt hat und über alles Seiende hinaus ist zum Sein, ist er ein ›Wesen der Ferne‹ ; aber durch die Konzentration des Weltbezugs nur auf das Seiende selbst vollzieht sich in den Wissenschaften sozusagen ein In-die-Nähe-Kommen zum Wesentlichen aller Dinge. 161 Die Wissenschaften schaffen sich sozusagen ein gewisses Näheverhältnis zu den vorhandenen, anschaulichen oder vorstellbaren Dingen und Sachzusammenhängen. 162 Dies entspricht tiefensprachlich einem Kontiguitätsverhältnis, das eine dominante Tendenz des alltäglichen Seinsbezug zum wesentlichen erhebt, damit einen Teil für das Ganze stehen lässt. Die Wissenschaften agieren also im Modus der Metonymie. Die Auszeichnung der Wissenschaft liegt jedoch nicht nur im besonderen Seins- und Weltbezug. Dieser ist vielmehr getragen und gehalten von einer frei gewählten Haltung der menschlichen Existenz. In der Sachlichkeit des Fragens, Bestimmens und Begründens von Wissenschaft vollzieht sich eine eigentümlich begrenzte Unterwerfung unter das Seiende selbst bzw. eine Beschwörung desselben. Das Seiende selbst soll sich offenbaren. Ihm sollen seine Geheimnisse in Form von Regeln und Gesetzen nach Maßgabe ihrer Bewirkbarkeit und Beherrschbarkeit abgerungen werden. Das hat nach Heidegger die Folge, dass sich diese Indienststellung der Forschung und Lehre zum Grunde der Möglichkeit einer ›eigenen Führerschaft im Ganzen Vgl. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9. Vgl. R. A. Bast, Der Wissenschaftsbegriff Martin Heideggers, a. a. O., S. 208 ff. 161 M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 27. 162 Das Verhältnis nach der richtigen methodischen Zugangsweise auf Phänomene thematisiert ausführlich: E. Richter, Heideggers Frage nach dem Gewährenden und die exakten Wissenschaften, Berlin 1992. 159 160

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der menschlichen Existenz‹ entfaltet. 163 Die Möglichkeit der Vergegenständlichung, Sichtbarmachung und Handhabbarmachung des Seienden reduziert die Phänomene auf ihr Veräußerlichendes und Kontrollierbares. Indem der Mensch Wissenschaft treibt, bricht er gewissermaßen in das Seiende zugleich ein. Es ist ein Einbruch, indem zugleich etwas – und zwar so, wie es ist – aufbricht. Indienststellung ist nicht mehr nur Unterwerfung unter das Diktat der Wissenschaft, sondern zugleich auch ein Aufzeigen einer bestimmten Seite an ihm. »Der aufbrechende Einbruch verhilft in seiner Weise dem Seienden allererst zu ihm selbst.« 164 Wissenschaft hat damit die Potenz, dem Seienden in die Welt und ins Dasein sozusagen auf- und einzubrechen. Weil sich das Dasein in seinen alltäglichsten Praxisvollzügen immer schon vom Seienden her versteht, missversteht es sich, wenn es sich nur streng wissenschaftlich versteht. Denn wenn es dies tut, kommt nur eine, nämlich die tendenziell substanzontologische Seite des menschlichen Seinsbezuges zum Vorschein. Daher kommt es für Heidegger darauf an, das Dasein in seiner spezifischen Eigenart zu gewinnen, nämlich das Sein des Daseins aus seiner Selbstverständnisgeschichte her zu verstehen. Diese Aufgabe ist eine begriffliche. Sie ist eine begriffliche, weil der bezügliche Charakter eine Frage nach den (tiefen) sprachlichen Rahmenbedingungen und kooperativen Praxisformen ist. Weil es eine begriffliche ist, zielt sie gewissermaßen auf eine Neukalibrierung der menschlichen Einstellungen auf die Phänomene. Metaphysik besteht deshalb, wie Heidegger später formulieren wird, nicht mehr aus Ontologie und diese aus regionaler und Fundamental-Ontologie im Sinne einer Ideologie der Vergegenständlichung und Exaktheit: »Gerade im Horizont des radikal gestellten Seinsproblems zeigt sich, daß all das nur sichtbar ist und als Sein verstanden werden kann, wenn eine Totalität von Seiendem schon da ist.« 165 Diese Ganzheit des Seienden muss sich von den Seienden als Teilen dieser Ganzheit jedoch nicht nur quantitativ unterscheiden, sondern einer völlig anderen Dimension angehören. Das Sein ist nicht ein Seiendes unter anderen. Aber um es thematisieren zu können, bedarf es des Umwegs über das Seiende. Die Orientierung an der Vgl. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9. Ebenda, S. 28. 165 M. Heidegger, Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz, GA 26, S. 192 (Kursivierung Heidegger). 163 164

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Metaphysikkritik

Ontologie schlägt also wieder um, macht einen Umweg über eine ›metaphysische Ontik‹. 166 Heidegger nennt diese in der Vorlesung vom Sommersemester 1928 die ›Metontologie‹, die – wie die Fundamentalontologie – noch zur Metaphysik gehört. »Das Seiende haben auch die positiven Wissenschaften zum Thema, aber die Metontologie ist nicht eine summarische Ontik im Sinne einer Allgemeinwissenschaft, die die Ergebnisse der einzelnen Wissenschaften zu einem so genannten Weltbild empirisch zusammenstellt, um dann daraus eine Welt- und Lebensanschauung abzuleiten.« 167

Sie will aus dieser Ontik heraus in den Bereich des Seins und seiner Geschichte. Heideggers spätes so genanntes ›seinsgeschichtliches Denken‹ lässt sich dann als das logische Zurückgehen auf ein Denken des Seins vor Platon und Aristoteles und hin zu Heraklit und Parmenides interpretieren. Für Heidegger spielen die Vorsokratiker deshalb eine große Rolle, weil für sie Denken und Sein noch ›das Selbe‹ waren. 168 Metaphysik hingegen begründet ein neues Zeitalter des Seinsbezuges. Die Metaphysik gibt dem Sein durch eine bestimmte Auslegung des Seienden und durch eine bestimmte Auffassung der Wahrheit eine bestimmte Wesensgestalt. Diesen Wendepunkt vom Seinsdenken zur Metaphysik markieren Platon und Aristoteles. Indem die Wahrheit von dieser Zeit an eine prädestinierte im Reich des Idealen ist, reduziert sie das Ganze auf einen Teil von ihm. Das Denken des Seins aber – so wird es Heidegger später in Unterwegs zur Sprache artikulieren, ist ein ›Entsprechen, was sich diesem zuspricht‹. 169 Es hat weder Thema noch Methode. Damit ist dieses Denken nicht nur vom exakten, rechnenden Denken der Wissenschaften, sondern auch von der Metaphysik entfernt. Metaphysik bringt nicht mehr das Sein selbst, sondern sozusagen nur die ›Seiendheit des Seienden‹ auf den Begriff. Von dieser Metaphysik ist die neuzeitliche Forschung und Wissenschaft für Heidegger nur ein auf Bestimmung abzielender Ableger. Sie erreicht die Dimension des Seins nicht, sondern bleibt beim Seienden stecken. Wenn Denken schließlich heißt, ›dem Anspruch des Seins an den Menschen entsprechen‹, dann verliert die Heideggersche Behauptung, ›die Wissenschaft denkt nicht‹, ihren anfänglich empö166 167 168 169

Ebenda. Ebenda, S. 193. Ebenda. Vgl. M. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, S. 178 f.

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renden Charakter. Denn dieser Satz formuliert nur noch einmal auf pointierte Weise das Unvermögen der positiven Wissenschaften zur Begründung ihrer Selbstbegründung. 170 Insgesamt offenbart sich das Seiende für Heidegger nun gerade nicht mehr in den Wissenschaften, da dessen Sein von den Wissenschaften nicht thematisiert werden kann. Die Wirklichkeitsgebiete sind vielmehr selbst schon Ergebnis eines ›nachstellenden Vorstellens‹. 171 Nachstellend sind die Praxen der exakten Wissenschaften, weil sie durch Experiment und Beobachtung den Vollzügen abgerungen werden. Vorstellend sind sie, weil die Haltung zu ihnen eine sich zu den Vollzügen reflexiv verhaltende und Distanz schaffende ist, die Objekte produziert, indem sie sie aus den praktischen Zusammenhängen herausreißt, vor sich (theoretisch) hinstellt, damit vergegenständlicht denkt. Der von Heidegger ins Spiel kommende Begriff des ›Unumgänglichen‹ für das Sein des Seienden soll andeuten, dass die Gegenständlichkeit des Wirklichen selbst nur immer eine Art des zeitlich Unausgedehnten, des Präsentischen, des ›Anwesens‹ bleibt. Die wissenschaftliche Vergegenständlichung ›stellt‹ das Wirkliche in einem Gegenstandgebiet nur ›fest‹. Es verräumlicht sozusagen das zeitlich Fließende. Da das Anwesende zwar erscheinen kann, aber nicht unbedingt muss, kommt das ›nachstellende Sicherstellen‹ der Wissenschaften nie zu einem Ende. Darin liegt für Heidegger das Unvermögen der Wissenschaften. Das in den Wissenschaften jeweils Unumgängliche bleibt aufgrund des bestimmenden Seinsbezuges für die Wissenschaften und durch sie letztlich unzugänglich. Deswegen bedarf es einer besonderen Methodik des Erforschens und Verstehens, einer besonderen Hermeneutik. Ebenso wie den Methodenbegriff der Phänomenologie benutzt Heidegger auch den Begriff der Hermeneutik in seinen frühen Schriften in einer der traditionellen Bedeutung angegliederten, aber von ihr schon ein wenig abweichenden Bedeutung. Im Unterschied zur Lehre von der Auslegung möchte er den Terminus im Anschluss an seine ›ursprüngliche Bedeutung‹, nämlich als eine bestimmte Einheit des Vollzugs des Mitteilens benutzen. Zum Dasein gehöre es nämlich, bereits irgendwie immer schon Ausgelegtheit zu sein. Was also am Daseinsphänomen zugänglich ist, ist immer schon irgendwie bedeuVgl. R. A. Bast, Der Wissenschaftsbegriff Martin Heideggers, a. a. O., S. 220. Vgl. M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, sowie ders., Einblick in das, was ist, Bremer Vorträge 1949, GA 79, S. 43. 170 171

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tungsvoll bzw. gedeutet bzw. sinnvoll. Eine scharfe Trennlinie gibt es zwischen diesen Worten bei Heidegger nicht. Sie gehören für ihn vielmehr zu einem gemeinsamen Bedeutungsfeld. Die Hermeneutik habe nun nach Heidegger die Aufgabe, den speziellen Seinscharakter des Daseins mitzuteilen, das heißt für ihn, die Selbstentlastung, mit der das Dasein ausgestattet ist, zu verstehen. Das angestrebte Verstehen soll aber nicht als ein intentionales Sichverhalten zu Etwas aufgefasst werden, sondern als ein Wachsein des Daseins für sich selbst. Die Hermeneutik, die Heidegger im Blick hat, setzt in einer ›durchschnittlichen Verständlichkeit‹ an. Mit diesem Ansatz ist er der ordinary language philosophy und der Theorie der Sprachakte sehr nahe. Anders jedoch als diese Ansätze, die bei einer beobachtenden Sprachanalyse stehen bleiben, verfolgt Heidegger ein anderes Projekt. Die Phänomenologie und Hermeneutik der alltäglichen Sprache sind für ihn zunächst nur ein notwendiger Ausgangspunkt, um das lebendige Leben in seinen kooperativen Praxisformen als solches in den Blick zu bekommen. Die Sachhinsicht, das Apriori, erweist sich für Heidegger nun als überholt, weil dieses erst Aufgabe der Ontologie als Phänomenologie ist und überhaupt erst erarbeitet werden muss. Aus der Bestimmung des philosophiegeschichtlichen Begriffes der Phänomenologie als ›analytische Deskription der Intentionalität in ihrem Apriori‹ wird eine ›strukturelle Auslegung bzw. Hermeneutik des Daseins in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit‹. Im Zuge der Ausarbeitung der Analytik des Daseins wird aus der Phänomenologie sukzessive eine ›fundamentalontologische Hermeneutik‹. Sie wird existenziale Analytik des Daseins in der Konkretion der ›faktisch geworfenen Existenz‹, also ohne Absehen und Abstrahieren von ihrer Eingebettetheit in praktische Lebenszusammenhänge. Sprachlich drückt sich ein solche Daseinsanalytik in der Form des apriorischen Perfekts ›immer schon‹ aus. Das ›Immer-schon‹ erschließt sich in vier Schritten: 1. Dem immer schon sich in der Welt befindlichen Dasein begegnet darin immer und je schon Seiendes, das im Begegnen vorgängig enthüllt ist. 2. Das vorherrschende Verhalten, durch das Menschen zunächst und zumeist das innerweltlich nichtdaseinsmäßige Seiende entdecken, ist der alltägliche praktische Umgang damit. 3. Alles Seiende, zu dem sich der Mensch verhält (also inklusive sich selbst), ist vorgängig enthüllt, und zwar derart, dass es in einem noch vorontologischen Seinsverständnis im Vorhinein hinsichtlich seines Seins bereits verstanden, wenn auch nicht begriffLogik der Tropen

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lich erfasst und begriffen ist. Dieses von Heidegger ›vorontologisch‹ genannte Verstehen ist verborgen und unthematisch, also auch ungegenständlich im wissenschaftlichen Sinne. 4. Der Akt, der dann schließlich zur wissenschaftlichen Erkenntnis führt, ist der der Distanznahme und Vergegenständlichung, denn auf der Vergegenständlichung baut sich die jeweilige Thematisierung erst auf, weil erst das Absehen von etwas ein Hinsehen auf etwas möglich macht und vice versa. Mit Dasein meint Heidegger also nichts anderes als den Menschen – und zwar in seiner besonderen Stellung als Vollzieher von bestimmten Praxen. 172 Eine solche ontische Vorstellung vom Dasein würde aber gerade die von Heidegger angestrebte pragmatisch-fundamentalontologische Perspektive auf den Menschen als Vollzugswesen im Allgemeinen und als Vollzieher wissenschaftlich-theoretischer Praxen im Besonderen verfehlen. Es würde die Einsicht verschlossen bleiben, dass aus Gründen methodischer Korrektheit vor allen anderen philosophischen oder wissenschaftlichen Fragen zunächst die Frage nach dem Fragesteller selbst stehen muss. Vielmehr gilt es für Heidegger, die praktische Gesamtkonstitution, das heißt die Seinsweise desjenigen Seienden auszuleuchten, das dieses und jenes tut – unter anderem eben auch Fragen stellt. »Nur vom jeweiligen menschlichen Praxisvollzug her, von der Art und Weise her, wie die Menschen mit den Es-gibt-Behauptungssätzen etwa der Einzelwissenschaften praktisch umgehen, lässt sich verstehen, was es innerhalb der jeweils einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen heißt, dass es etwas gibt oder nicht gibt: Sterne, Dreiecke, Nashörner, Einhörner, Zahlen, Graf Dracula, Menschen, Tiere, Steine, Photonen, Ursachen, Naturgesetze. Entsprechend sieht Heidegger in der Analyse des Daseins, in der Analyse des Menschen in seinen Praxisvollzügen die nächstliegende philosophische Aufgabe.« 173

Fragenkönnen setzt die grundsätzliche Fähigkeit voraus, sich zu sich verhalten zu können bzw. zu müssen. Fragenstellen setzt ein Wesen voraus, dessen Existenzvollzug sich in Möglichkeits- und Entschei-

172 Heidegger verzichtet später in Sein und Zeit auch deshalb auf den Ausdruck ›Mensch‹, weil dieser Ausdruck die unerwünschte Vorstellung evoziert, hier würde ontisch-wissenschaftlich über einen Gegenstand wie über andere ontisch-wissenschaftliche Gegenstände geredet. Vgl. auch R. Totzke, Buchstabenfolgen, a. a. O., S. 176. 173 Ebenda (Kursivierung Totzke).

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dungshorizonten bewegt. Allein der Mensch als Dasein hat in diesem Sinne immer schon ein fundamental praktisch zu verstehendes, implizites Verhältnis zu seinem Sein, da er sich immer zu sich selbst verhält, weil er sein Leben führen muss. 174 Als Fragen stellendes ist das Dasein ausgezeichnet gegenüber allen ›bloß so‹ Seienden, denn die Praxis des Fragenstellens und die besondere Praxis des wissenschaftlichen Fragens und Forschens sind spezielle Seins- und Vollzugsweisen. Fragenstellenkönnen und sich damit infrage stellen können, wird somit zu einem wesentlichen Moment der selbstbezüglichen Daseinsstruktur. Alle Vernunft sattelt erst auf dieser Fraglichkeit des Daseins auf, denn es ist die Selbst- und Weltbezüglichkeit, aus der heraus das Dasein sich selbst ›als jemand‹ versteht, in eine Zukunft entwirft, gemäß seiner eigenen ›Geworfenheit‹ lebt. Erst aus einer derart fundierenden alltäglichen Praxis heraus kann dann überhaupt so etwas wie der Drang nach Wissen und Sicherung von Wissensbeständen erwachsen, wie sie sich dann im Projekt abendländischer Wissenschaft generieren. Bei jeder Art von philosophisch reflektierter Analyse von Seiendem, etwa von Gegenständen der wissenschaftlichen Rede, ist für Heidegger daher eine gewisse methodische Ordnung einzuhalten: Vor die ontischen Fragen der Wissenschaften danach, was und wie es denn etwas gibt, was jeweils wirklich ist usw., muss die ontologische Frage geschaltet werden, nämlich was es heißt, dass es etwas gibt, dass etwas ist. Von der Frage nach der Seinsart der verschiedenen Gegenstände, von denen die Einzelwissenschaften handeln, muss also die spezifisch philosophische Frage nach dem Sein des Daseins und dessen Seinsbezug unterschieden werden. Sein und Zeit stellt dann später den konkret ausgearbeiteten Weg dafür dar, die Voraussetzungen zu schaffen, um die Seinfrage wieder sinnvoll stellen zu können. Das Heideggersche Hauptwerk soll ein erneutes Verständnis für den Sinn dieser Frage wecken. Hier wird auch der Horizont bestimmt, in dem diese Frage überhaupt ihre philosophische Reichweite gewinnen kann: Sein kann nur innerhalb des Rahmens der Zeit, also zeitlich, verstanden werden. Ist die Frage nach dem Sein dann eigentlich die Frage nach der Zeit? – Ja! Die aus der Nomi174 Als einer der ersten hat übrigens Pico della Mirandola diesen allein dem Menschen zukommenden Möglichkeitsraum in ein philosophisch-kosmologisches Bild einsortiert. Vgl. ders., De hominis dignitate (dt. Über die Würde des Menschen) (1486), Stuttgart 1997.

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nalisierung der Kopula ›sein‹ geronnene Substanz Sein wird ins Verhältnis gesetzt zum Temporären, Bewegten und Offenen schlechthin. Heideggers Entwurf einer tiefenstrukturellen Wende im Modus des Metaphorischen, des denkerischen Zusammenbringens weitest auseinander liegender Bereiche, will Zeit nicht mehr vom räumlichen Sein her verstehen wie alle bisherige Wissenschaft, sondern wagt einen revolutionären Kategorienwechsel. Er will das Sein nicht mehr still- und feststellen oder fixieren, sondern sozusagen infinitisieren. Aus den Fragen, die sich im Zusammenhang mit der für Heidegger tendenziell und traditionell immer vergegenständlichenden Auslegung von Sein in seinen frühen Vorlesungen stellen, zieht Heidegger für sich das philosophische Projekt, das Sein radikal zu entgegenständlichen. Sein darf nicht als ein Seiendes unter Seienden, sondern muss als der Grund begriffen werden, in dem sich alles Seiende hält. Die Frage nach dem Sinn von Sein, die Heideggers Ausgangspunkt für die Daseinsanalyse bildet, will Schluss machen mit der naiven Vertrautheit zur Sprache und zu den objektivierenden Einstellungen zur Welt, die durch die Kopula ›ist‹ scheinbar harmlos daherkommen. Sie will Sprache – und damit Denken – zum Problem machen. Denn es ist alles andere als klar, was wir meinen, wenn wir sagen, dass etwas sei. Das ›Universum der Selbstverständlichkeiten‹, wie Hans Blumenberg diese Ausgangslage Heideggers beschreibt, soll problematisch werden. 175 Aus diesem Grunde hebt Sein und Zeit auch mit einem Zitat aus Platons Sophistes an: »Denn offenbar seid ihr doch schon lange mit dem vertraut, was ihr eigentlich meint, wenn ihr den Ausdruck ›seiend‹ gebraucht, wir jedoch glaubten es einst zwar zu verstehen, jetzt aber sind wir in Verlegenheit gekommen.« 176 Was analog zum Dasein in Sein und Zeit stark gemacht wird, das kann auch für das spätere Denken insgesamt in Anschlag gebracht werden: Es gilt, die durchschnittlichen und alltäglichen Praxisvollzüge nicht zu ›überspringen‹ hin zu einem theoretischen Verfügbarmachen. Die Primordialität des Metaphorischen als Sprungtropus kann deshalb nur der Ausgangspunkt, aber niemals das Ende eines Denkens sein. Ebenso sollte die Wissenschaft nicht für alle Problemlagen mit der gleichen Methodik und Weltauffassung ›einspringen‹. Vielmehr soll sich das Denken freimachen für alternative und gege175 Vgl. H. Blumenberg, Wirklichkeiten, in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede, Stuttgart 1981. 176 Platon, Sophistes, 244a, so zitiert bei Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 1.

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benenfalls angemessenere Möglichkeiten des Seins des Daseins und damit des menschlichen Denkens. Diese Möglichkeitsspielräume auszuloten und offen zu halten, ist für Heidegger genuine Aufgabe der Philosophie, die damit zwischen Wissenschaft und Kunst gerückt wird. Insofern findet sich schon das ganze Programm des Heideggerschen Denkweges – samt seines vorläufigen Ergebnisses – im Titel seines Hauptwerkes wieder. Es ist die metaphorisch primordial rahmende Orientierung für sein ganzes weiteres philosophisches Bemühen, die die Worte ›Sein‹ und ›Zeit‹ noch mit der bedeutungsoffenen Konjunktion ›und‹ verbindet, tendenziell aber eine noch einzulösende Verschränkung der beiden grundverschiedenen Phänomene meint. Da jedoch noch nicht klar ist, was sie überhaupt im tieferen philosophischen Sinn bedeuten und wie sie überhaupt in eine sinnhafte Einheit gebracht werden können, kann eine semantische Zusammenführung der beiden Wortfelder anfangs immer nur eine sehr grobe Orientierung für das Denken darstellen. Und auch dann ist der Wahrheitsbereich des Metaphorischen prinzipiell ein weiterer und anderer als der etwa des Metonymischen. Heideggers systematisches Programm des Ringens um adäquate Alternativen von IstSätzen durch Prozessbeschreibungen präsentiert sich also im tiefensprachlichen Modus des Metaphorischen, des Identifizierens bzw. der Synopsis unterschiedlichster Bedeutungsfelder: des Zeitlichen mit dem Räumlichen, des Statischen mit dem Dynamischen, des Praktischen mit dem Theoretischen, des Manifesten mit dem Infiniten, der Beobachtung mit der Teilnahme, der umfassenden Zusammenschau mit der Reduktion auf Details, des Synthetischen mit dem Analytischen. Es ist zugleich der Kampf des metaphorischen mit dem metonymischen Bild von Logik. Philosophie wird dabei selbst stets als eine Praxis aufgefasst. Sie ist nämlich der Vollzug bzw. Nachvollzug von Denken in seiner Orientierung suchenden Bewegtheit und nicht nur dessen Ergebnis oder Argumentationsgerüst im Redemodus des Metonymischen.

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9. Heideggers existenziales Denken im Modus der Metonymie

Auf der Suche nach der philosophischen Beantwortung der Frage nach dem Sinn des Seins ist Heidegger auf die Notwendigkeit gestoßen, eine Fundamentalontologie auszuarbeiten, die das ontologisch-ontisch ausgezeichnete Seiende, nämlich das Dasein selbst, zum Thema macht. Die Fundamentalanalyse des Daseins ist notwendig, weil nur durch sie ein Weg verfolgt werden kann zum Kardinalproblem der Frage nach dem Sinn von Sein. Der Weg, von dem Heidegger glaubt, dass er der richtige ist, ist die phänomenologische Auslegung des Daseins. Diese phänomenologische Auslegung beinhaltet die Ausarbeitung der Bedingungen der Möglichkeit jeder ontologischen Untersuchung. Da das Dasein als Seiendes in der Möglichkeit der Existenz ontologisch Vorrang hat vor allem anderen Seienden, muss nach Heidegger das primäre Ziel der phänomenologischen Hermeneutik die analytische Auslegung der Existenzialität der Existenz sein. Das bedeutet nichts anderes, als die wesensmäßigen Kernstrukturen der Existenz explizit zu machen. Dazu gehört, die Geschichtlichkeit als spezifische Zeitigungsform des Daseins herauszustellen. Sein wird für Heidegger zu einem Zeitwort, so wie die Geschichtlichkeit die Bewegungsform des Daseins darstellt. Denn so, wie der Sinn von Sein für Heidegger die Zeit ist, ist der Sinn des Daseins entsprechend die Geschichtlichkeit. Die analytische Auslegung der Existenzialität der Existenz bedarf damit auch einer entsprechenden Darstellungsform. Die Probleme ihrer Erkenntnisgegenstände, also auch die Probleme, die die Kultur- und Lebensphilosophie haben, sind dementsprechend einer fundamentaleren Ontologie unterzuordnen. 1 Damit hat Heidegger nach seinen Vorüberlegungen in den frühen Vorlesungen die für ihn Für Heidegger sind Ontologie, Phänomenologie und Hermeneutik nicht getrennte Disziplinen, sondern benennen die Philosophie selbst nach Gegenstand und Behandlungsart.

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Heideggers existenziales Denken im Modus der Metonymie

leitende Idee und Aufgabe der Philosophie gefunden. »Philosophie ist universale phänomenologische Ontologie, ausgehend von der Hermeneutik des Daseins, die als Analytik der Existenz das Ende des Leitfadens alles philosophischen Fragens dort festgemacht hat, woraus es entspringt und wohin es zurückschlägt.« 2 Über die Möglichkeit der Verbalisierungen und Re-Nominalisierungen (wie in der Substantivierung der Kopula ›sein‹ zu ›Sein‹) hinaus nutzt Heidegger weitere Bereiche sprachlicher Erweiterungen, um die Vollzughaftigkeit menschlicher Praxisformen und damit ihre Zeitlichkeit besser sprachlich artikulieren zu können. Es sind vor allem Bindestrichworte, ungewöhnliche Prä- und Suffixe, tautologisch anmutende Wortungetüme und substantivierte Präposition-KopulaKombinationen, kreative Verbalisierungen und Nominalisierungen, eigenwillige Etymologien, Umdeutungen von Präpositionen und Appelle, die Heideggers Ringen um eine angemessene Darstellungsform in seinem ersten eigenständigen Hauptwerk Sein und Zeit kennzeichnen. Dass solche vermeintlichen sprachlichen Extravaganzen keine Marotte, bloß ornamental oder gar angeberische Schaumschlägereien sind, sondern einer ernsthaften Suche nach einer angemessenen Darstellungsform für das Neue, das er denken und sagen möchte, entsprechen, soll im Folgenden verdeutlicht werden. Die Tatsache, dass solche Bemühungen selbst dem Redemodus metonymischer Darstellungsweisen entsprechen, den er gerade für die Ideologie des Exakten und Metaphysik verantwortlich macht, ist wesentliches Merkmal eines schwierigen sprachdenkerischen Ablösungsmanövers. Aber gerade die tiefensprachliche Rahmung im Modus der Metonymie, also eines objektbezogenen logischen Denkens, gibt das analytisch-synthetische Wechselspiel begrifflicher Phänomenerfassung kongenial wieder, dem sich Heidegger in Sein und Zeit verpflichtet. Die nun folgenden Kapitel machen das Ringen um einen Perspektivwechsel im Denken und in der Sprache innerhalb der Existenzialanalyse in Sein und Zeit deutlich. Dabei reizt er alle Möglichkeiten metonymischer Logizität aus. Es zeigt sich darin, wie Heidegger versucht, eine echte alternative Haltung zu den Phänomenen zu entwickeln. Außerdem will Heidegger eine differenzierte, das heißt ihrer spezifischen Phänomenalität angemessenere Sicht und Sprache gewinnen und sie nicht länger im Denkmodell im weitesten Sinne ›phy-

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M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 38 (Kursivierung Heidegger).

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sischer Kategorialität‹ auffassen. Im Modus physischer Kategorialität behandelt die metonymische Rahmung nämlich tendenziell alle Phänomene wie Gegenstände, d. h. als quasi-dinglich, starr, bausteinartig segmentierbar und im Kern technisch-rechnerisch. Zunächst mit Husserl, dann aber auch gegen ihn, geht es Heidegger von nun an darum, vom meta-physischen Blick zu befreien, der alle Phänomene, und zwar gleichermaßen gemäß, nämlich nach Maßgabe gegenständlicher Handhabbarkeit und Bewirkbarkeit (meta = gemäß/nach Maßgabe, physis = körperlich/dinghaft) erfasst. Diese tendenziell dominante Perspektive des Daseins ist für Heidegger ein grundlegendes, aber nicht ausreichendes Faktum. Es ist jedoch nicht ohne weiteres abzuschaffen. Die metaphysische Sicht kann nur als grundlegende Form der Selbst- und Weltauslegung des Menschen aufgezeigt werden. Sie ist in ihrer sprachlichen Tiefenstruktur metonymisch.

9.1. Kategorien und Existenzialien Heidegger unternimmt in seiner Daseinsanalyse zweierlei: einmal deckt er auf, welche grundlegenden Strukturen das menschliche Dasein aufweist, und andererseits steckt er Konsequenzen ab, in welche Richtung, mit welcher Denkhaltung und mit welcher Sprache eine echte phänomenadäquate Alternative zu gewinnen ist. Ein erster Schritt, den anvisierten Perspektivwechsel einzuleiten, besteht darin, die grundlegende Unterscheidung zwischen verschiedenen Redeformen über bestimmte Phänomene zu kennzeichnen. Für alles, was das physische Seiende und seine äußere Beschreibung an Merkmalen und Eigenschaften anbetrifft, benutzt Heidegger den Begriff ›Kategorien‹. Diesem Begriff setzt er den neuen Begriff der ›Existenzialien‹ gegenüber. Bloß Seiendes ist nicht existent im daseinsmäßigen Sinn. Das Dasein geht über seine bloße Seiendheit hinaus. Ebenso geht es nicht in kategorialen Beschreibungen seiner selbst auf. Die Daseinsanalyse in Sein und Zeit ist insgesamt eine nuancenreiche Explikation verschiedener miteinander verwobener Existenzialien. Weil sich alle Explikate aus dieser Existenzialität selbst bestimmen, nennt Heidegger sie ›Existenzialien‹ – dies in dezidierter Absetzung zum Begriff der ›Kategorien‹, die er den Seinsbestimmungen des nicht-daseinsmäßigen Seienden vorbehält. Kategorien sind Grundbegrifflichkeiten, die Phänomene als Etwasse bestimmen und mit denen man über die Eigenschaften und Beschaffenheit dieser 310

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Kategorien und Existenzialien

Etwasse im öffentlichen Diskurs urteilen kann. Diese spezifische Art des kategorialen Ansprechens der Phänomene lässt jedoch nicht die spezifische Seinsart der existenzialen Phänomene zum Vorschein kommen, sondern verstellt sie – wie zu zeigen sein wird – mit ihrem metonymischen Redemodus, der tendenziell alles zu gegenüberstehenden, beschreibbaren und teilbaren Objekten werden lässt. Heidegger möchte eine Aufweisung und Auslegung der existenzialen Phänomene, die ihnen auch sprachlich und inhaltlich entspricht. Sie können aber nur adäquat sein, wenn sie eben nicht als Eigenschaften von Etwassen kategorial bestimmt werden und zur Debatte von Urteilen über Gegenständlichkeiten führen, sondern in ihrer Vollzüglichkeit artikulierbar sind. Ihre spezifische existenziale Phänomenqualität muss sich darin zeigen, dass sie in der sprachlichen Aufweisung gerade nicht vergegenständlicht werden, sondern dass sie sich in ihrer ungegenständlichen Struktur darbieten. Zwar gibt es zwischen Existenzialien und Kategorien einen Zusammenhang. Dieser ist aber nur – wie besonders in der so genannten Kehre deutlich wird – in Bezug auf die Seinfrage klärbar. Zunächst weist Heidegger nur darauf hin, dass die beiden Phänomenbereiche nicht in gleicher Weise an- und besprechbar sind. Existenzialien können nach Heidegger nur vernommen und gewahrt, aber nicht ›bewirkt‹ werden, um nicht in den Seinscharakter der Kategorizität zu verfallen bzw. darauf reduziert zu werden. Das heißt, Heidegger nimmt die angestrebte Einheit des Passungsverhältnisses von Thema und methodischer Umsetzung ernst. Liegt es im Charakter der wissenschaftlichen Darstellungsform, Sachverhalte üblicherweise entweder deduktiv oder induktiv nacheinander auseinander ableitend oder aufeinander aufbauend in subund koordinierender Weise sprachlich vorzubringen, so liegt die Schwierigkeit einer Existenzialanalytik gerade darin, Vollzüge, Dynamik und Praxen in ihrer inneren Einheit, Verschränktheit und wechselwirkende Bedingtheiten sprachlich angemessen darzustellen. Da eine sprachlich kohärente und konsistente Darstellung eine gewisse Linearität der Darstellung verlangt, muss Heidegger zwar gängigen Modi der Beschreibung gerecht werden, um überhaupt verstanden zu werden. Gleichwohl bekommt seine Darstellungsform etwas umkreisendes, immer wieder sich selbst infrage stellendes und tiefer bohrendes. So ist es nicht verwunderlich, dass Heidegger Zirkularität in seiner Methodik nicht zu vermeiden sucht, sondern sogar anstrebt. Es kommt nämlich darauf an, ›auf die rechte Weise in diese ZirkulaLogik der Tropen

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rität hineinzugelangen‹. 3 Denn wer in diesem hermeneutischen Zirkel ein vitiosum sehen und nach Wegen Ausschau halten will, ihn zu vermeiden, missversteht das Verstehen existenzialer Praxisvollzüge von Grund auf. 4 Es geht Heidegger also nicht um die Vermeidung oder Ersetzung eines deduktiven oder induktiven Verfahrens, etwa durch ein abduktives, sondern um eine alternative Haltung zur Welt und zum Dasein. Damit geht es explizit nicht darum, das Dasein aus der Differenz eines bestimmten Existierens zu interpretieren. Vielmehr soll das Dasein in seiner indifferenten, also durchschnittlichen Alltäglichkeit als generische Struktur erfasst werden. Weil die meisten wissenschaftlichen Disziplinen – auch die innerhalb der Philosophie selbst – sich dieser grundlegenden Andersartigkeit existenzialer Seinsweise gegenüber anderen Seinsweisen nicht bzw. nur mäßig bewusst sind, versucht Heidegger hier Aufklärungsarbeit zu leisten und sich gegenüber Anthropologie, Psychologie und Biologie abzugrenzen, die das Wesen des Menschen eben kategorial und nicht existenzial beschreiben. Wenn von Heidegger die philosophisch allgemein geteilte Charakterisierung des Menschen als Vernunftwesen aufgenommen, aber das griechische Wort Vernunft (gr. νοῦς, nous) in seiner verbalen Bedeutung νοεῖν (noein: ›vernehmen‹/›denken‹) 5 zum Tragen kommt, so gibt diese Verwendung dem Programm, das Dasein über die Beschreibung seiner typischen dynamischen Vollzüge zu kennzeichnen, Vorschub.6 Vernunft bzw. Denken ist analog eben nicht nur eine Eigenschaft, die dem Menschen zukommt oder die er hat. Sie ist selbst in einen Praxisvollzug eingebettet, der wesentlich Menschsein ausmacht. Weil die Existenzialien nur aus den Vollzügen der Menschen zu verstehen sind, diese aber eben nicht kategorial erfasst werden sollen, versucht Heidegger auch in der Wahl der Wortart seinem Projekt der Ebenda, S. 153. Ebenda. 5 Das Fassen von Etwas in seiner wesentlichen Bewandtnis nennt schon Platon νοεῖν (noein) – im Doppelsinn des Wortes: etwas in seiner wesentlichen Hinsicht vornehmen und es so als das hinnehmen, was mit ihm ist, was also sein Sein ist. Noein ist somit das Wort für Denken und das Gedachte heißt noeton oder noumenon (bei Husserl), die Denktätigkeit heißt noesis. Vgl. K.-H. Volkmann-Schluck, Plato – Der Anfang der Metaphysik, Würzburg 1999, S. 28. 6 Dass Heidegger das Wort ›vernehmen‹ statt ›vernünfteln‹ oder ›räsonieren‹ als Übersetzung bevorzugt, liegt daran, dass diese beiden Worte im Deutschen bereits eine eigene Begriffsgeschichte haben und mit bestimmten, meist leicht pejorativen Bedeutungen belegt sind. 3 4

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Kategorien und Existenzialien

Verflüssigung der Phänomenbereiche gerecht zu werden. Zum Beispiel nutzt er statt starrer Nomen oft Verben als Formen dynamischerer Artikulation. Verben sind – im Unterschied zu Substantiven – nämlich sehr viel besser geeignet, die Prozessualität und Bewegtheit eines Phänomens zu erfassen, als andere Wortarten. Sie bezeichnen vor allem Tätigkeiten, Geschehen oder einen Vorgang und drücken somit zugleich zeitliche Abläufe aus. Darüber hinaus hält Heidegger sie im Rahmen einer Sprachentstehungsgeschichte für ursprünglicher als Nomen. Die Art der Umdeutung durch Verbalisierung von zu festen Begriffen erstarrten Substantiven nimmt Heidegger nicht nur bei den Worten logos (Vernunft, Rede) und nous (Vernunft) zu legein (reden) und noein (vernehmen/denken) vor. Sie bildet vielmehr ein wesentliches Prinzip seines alternativen Denkansatzes, den er in Sein und Zeit immer weiter präzisiert und mit einigen Umdeutungen anreichert. Auch φύσις (physis: Natur) lässt sich in diesem Sinne verbalisieren. Als φυεῖν (phyein) bedeutet es dann so viel wie ›von sich aus wachsen‹. Die Natur ist etwas, das ohne handelndes Zutun des Menschen vonstattengeht. Legein und noein gehen aber niemals von sich aus vonstatten, sondern bedürfen des Menschen als urteilenden, wertenden, sinnlich Erfahrenden. Wenn die Wissenschaften nach dem Vorbild der Naturwissenschaften versuchen, das von sich aus Wachsende wertfrei zu behandeln, dann missverstehen sie, dass alle Wissenschaft von Menschen geschaffene Institutionen sind und ihre Tätigkeit eine kooperative Praxis ist. Da das menschliche Leben dann nicht als ein ›von sich aus Wachsen‹ zu betrachten ist, sondern der Pflege (lat. cultura) und Sorge (lat. cura) bedarf, muss dieses auch anders als bloß lebendige Formen (Pflanzen, Tiere) beschrieben werden. Weil das personale Leben eben geführt werden muss und nicht nur einfach mechanisch oder biologisch abläuft, gehört zu einem angemessenen Verständnis des menschlichen Daseins eine entsprechende Bewegungsform. So wird verständlich, warum Heidegger statt Vernunft als Wesentliches des Menschen vielmehr das Vernehmen/Denken als vernünftiges Verstehen dessen interpretiert, was durch die Sinne in der Welt zugänglich wird und was ebenso als Bedeutungen (hörend, lesend oder mitmachend) aufzunehmen ist und sich in entsprechende Praxisformen umsetzt. Sinn und Vernunft rücken so stärker aneinander, sind als Bedeutungsnachbarn aufzufassen. Denn so wie das Vernehmen gerichtet ist, ist es auch das sinnlich-sinnenhafte physische Logik der Tropen

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Orientiertsein. Die Frage nach dem Sinn von Sein und Dasein erscheint somit als Frage nach dem richtigen Vernehmen bzw. Bedenken und Reden über spezifisch menschliche Vollzugsformen. In einer weitergehenden Interpretation kann das menschliche Dasein auch dasjenige sein, was über das ›von sich aus Wachsen‹ hinausgeht, indem es in gewisser Weise unabhängiger ist gegenüber jeder formvorgebenden Bewegungsform. Indem es sich selbst ›vernimmt‹ als das, was es jeweils in seinen kulturhistorischen Selbsttransparenzen und Kompetenzen sein kann und will, ist es metaphysisch, transzendent. Es ist insofern nicht als eine Form im starren, geronnenen Sinne zu verstehen, wie es Gegenstände sind oder was die Bewegungsformerfüllung nach Aristoteles bei Pflanzen und Tieren anbetrifft, sondern muss – ›gottähnlich‹ – als dynamische, freie Bewegungsform begriffen werden. Die Existenzialien ›In-Sein‹ und ›Sein-bei‹ Heidegger charakterisiert in Bezug auf die Umgebung des Daseins das ›In-der-Welt-sein‹ 7, das ›In-Sein‹ 8, das ›Sein-bei‹ 9 die ›Weltlichkeit der Welt‹ 10 in ihrem ›Umweltlichsein‹ 11 und die ›Weltmäßigkeit der Umwelt‹ 12 als ›Existenzialien‹. Es ist nun exemplarisch herauszustellen, dass alle diese genannten Existenzialien äußerlich im sprachdenkerischen Kern noch metonymische Darstellungsformen sind. Das In-der-Welt-sein als Grundverfassung des Daseins ist eine Kontiguitätsrelation, und zwar die einer Gefäß-Inhalt-Metonymie. 13 Die Welt wird prima facie als ›Gefäß‹ aufgefasst, in dem sich der Mensch befindet und verortet. Auch ›Sein-bei‹ und ›Umweltlichsein‹ sind kontiguitive Beziehungen, die räumliche Nähe andeuten. Gleichzeitig gehen sie aber über eine rein extrinsische Objektrelation hinaus. Wenn jemand bei einem ist, setzt das nicht die physische Anwesenheit voraus. Heidegger will nämlich schon in Sein und M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 52 ff. Ebenda, S. 59 ff. 9 Ebenda, S. 54 f. 10 Ebenda, S. 63 ff. 11 Ebenda, S. 66 ff. 12 Ebenda, S. 72 ff. 13 Bei der Auslegung des ›In-der-Welt-seins‹ beziehe ich mich in weiten Teilen auf die Interpretation, die Hubert L. Dreyfus gegeben hat. Vgl. H.-L. Dreyfus, Being-in-theWorld. A Commentary on Heidegger’s ›Being and Time‹, Division I, Cambridge/ Mass. 1991. 7 8

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Kategorien und Existenzialien

Zeit die Präposition ›in‹ nicht mehr als eine räumliche Beziehung im Rahmen eines metonymischen Verhältnisses verstanden wissen: »Das In-Sein meint so wenig ein räumliches ›ineinander‹ Vorhandener, als ›in‹ ursprünglich gar nicht eine räumliche Beziehung der genannten Art bedeutet; ›in‹ stammt von innan-, wohnen, habitare, sich aufhalten […].« 14 ›In-Sein‹ als Infinitiv von ›ich bin‹ bedeutet dann als Existenzial verstanden: ›wohnen bei …‹ oder ›vertraut sein mit …‹ der Welt. Das Dasein ist in seiner wesentlichen Struktur umweltlich als auch mitweltlich mit anderen. Auch ›Sein bei‹ der Welt meint für Heidegger nicht das Beisammen-vorhanden-sein von vorkommenden Dingen. Für ihn gibt es so etwas wie das Nebeneinander von Strukturen innerhalb des Daseins wie etwas Vorhandenes nicht. Das Dasein ist in anderer Weise mit seiner Um- und Mitwelt verwoben und von ihr durchdrungen sowie in Vollzüge eingebunden. Eine solche Sprachregelung ist natürlich nicht per HeideggerDekret durchzusetzen. Heideggers Appell, man möge die Präpositionen anders verstehen, als man das üblicherweise tut, stiftet deshalb auch immer wieder mehr Verwirrung, als dass sich tatsächlich ein neuer Umgang oder eine neue philosophische Haltung hätte etablieren können. Außerdem ist auch die Präposition ›bei‹ dem metonymischen Formenkatalog entnommen, weil es eben normalerweise vor allem räumliches Beieinandersein ausdrückt. Dass er auch auf die existenziale Weise des Verstehens dieser Präposition verweist, ist ein wesentliches Verdienst. Menschen sind natürlich in ganz anderer Weise beieinander, gemeinsam und zusammen, als dies Gegenstände sind. Deswegen behandeln wir Menschen uns in der Regel auch nicht wie Dinge, sondern begrüßen uns, kommen uns nicht zu nahe, sehen uns in die Augen, haben Respekt voreinander usw. Das heißt, Heidegger (re)konstruiert eine ursprünglichere existenziale Welt – hier noch mit den bedeutungserweiternden Mitteln der kategorial-metonymischen Sprache. Gleichzeitig kritisiert er in umgekehrter Weise die Übernahme existenzialer Redeweisen für nicht-existenziale Phänomene und schafft so Ordnung innerhalb der Phänomenbereiche. So hält Hei-

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 54. Hier bezieht sich Heidegger auf J. Grimm, Über ›in‹ und ›bei‹ ; Kleinere Schriften (1884), Bd. VII, o. O., S. 247. Danach stammt ›in‹ von ›innan‹ = wohnen, habitare; ann = ich bin gewohnt, pflege; das lat. colo = habito und diligo. Auch zwischen ›bin‹ und ›bei‹ gibt es einen Zusammenhang: ich bin = ich wohne.

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degger solche übertragene Redeweisen wie ›der Stuhl berührt die Wand‹ oder ›der Stuhl steht beim Tisch‹ für keine streng phänomenologische Rede. ›Berühren‹ oder ›bei-sein‹ kann nämlich nur ›etwas‹ (solches), was auch ›begegnen‹ kann, also daseinsmäßig ist. Heidegger trifft also vor allem präzisere Sprachregelungen: »Seiendes kann ein innerhalb der Welt vorhandenes Seiendes nur berühren, wenn es von Hause aus die Seinsart des In-Seins hat – wenn mit seinem Dasein schon so etwas wie Welt ›entdeckt‹ ist, aus der her Seiendes in der Berührung sich offenbaren kann, um so in seinem Vorhandensein zugänglich zu werden. Zwei Seiende, die innerhalb der Welt vorhanden und überdies an ihnen selbst weltlos sind, können sich daher nicht ›berühren‹, keines kann ›bei‹ dem anderen ›sein‹ wie es das Dasein wesensstrukturmäßig vermag.« 15

Das ist natürlich eine ungewöhnliche Interpretation der Worte ›in‹ und ›bei‹. Und man muss sie nicht teilen. Sie lässt sich aber mit der Konzepttheorie von Lakoff und Johnson in Übereinstimmung bringen. Diese bestätigt Heideggers Interpretation. 16 Wie die Konzepttheorie nämlich binäre Bedeutungsschemata gemäß dem RäumlichPhysischen als grundlegende Orientierungsmetaphern herausstellt, so gründen auch Heideggers erste Sprachüberlegungen in der Analyse der Logik der Grammatik. Es stellt sich heraus, dass derartige sprachliche Übertragungen im Grunde genommen Kategorienfehler sind. Die sprachlichen Präzisierungsversuche Heideggers zeigen daher nicht nur ungenaue Sprechweisen auf, sondern lassen auch Heideggers unbedingten Willen erkennen, den metonymischen Redemodus im kategorialen Sinne zu sprengen. Heidegger ringt darum, den das Dasein vordergründig bestimmenden metonymischen Modus derart neu zu bestimmen, dass sich in ihm ein nicht reduktives und extrinsisches Verhältnis der Teile eines vollzüglichen und unteilbaren Ganzen ausdrücken soll. Voraussetzung dafür ist, dass das Dasein nicht durch Beobachtung äußerer Abläufe, sondern als durch die Teilnahme an bestimmten menschlichen Praxisformen konstituiert verstanden werden darf. Es ist sozusagen ein artspezifisches Mitverstehen, das durch verständiges Mittun das Dasein in seiner Einzigartigkeit von anderem Seienden unterscheidet und dem sprachlich

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M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 55 (Kursivierung Heidegger). Vgl. Teil II dieses Buches.

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zur Artikulation verholfen werden soll. Das bedeutet zugleich, dass das spezifische Seinsverständnis des Daseins mitverstanden werden muss, auch wenn es durch ein ontisches Verständnis als Vorhandenes verborgen bleibt. Das ›In-Sein‹ soll also keine Eigenschaft darstellen, die das Dasein zuweilen hat oder nicht hat. Dasein ist phänomenologisch vielmehr immer zugleich ein In-Beziehung-zur-Welt-sein, »weil das Dasein als In-der-Welt-sein ist, wie es ist« 17. Diese Einsicht bewahrt, so Heidegger, »vor einem Nichtsehen bzw. vorgängigen Wegstreichen dieser Struktur, welches Wegstreichen nicht ontologisch, wohl aber ›metaphysisch‹ motiviert ist in der naiven Meinung, der Mensch sei zunächst ein geistiges Ding, das dann nachträglich ›in‹ einen Raum versetzt wird.« 18 Unter der Hand wird das Verhältnis von Dasein und Welt jedoch auch bei Heidegger – gegen seine eigene Intention – tiefensprachlich weiterhin oft im Modus der Gefäß-Inhalt-Metonymie dargestellt: Das Dasein ist in der Welt ›enthalten‹, die Welt ›beinhaltet‹ das Dasein usw. Gleichzeitig sollen ›Dasein‹ und ›Welt‹ aber nicht als bloße Teile aufgefasst werden. Mit der Abgrenzung des ›In-seins‹ als Existenzial gegenüber einer ›Inwendigkeit‹ von Vorhandenem als Kategorie ist dem Dasein also noch nicht seine Räumlichkeit völlig abgenommen. Angestrebt ist von Heidegger zwar ein sprachdenkerisches Redemodell, das die intrinsischen Verhältnisse des Daseins auch sprachlich auf den Punkt bringt. Heideggers Sprache am Beginn von Sein und Zeit reicht jedoch noch nicht aus, um dieses Verhältnis tiefensprachlich adäquat zu modellieren. Die Existenzialie des ›Mitseins mit Anderen‹ Die Abgrenzung zur kategorialen Bestimmung ist nur ein Wesensmerkmal der Existenz. Ein anderes ist die Betonung der wesentlichen Struktur des Daseins als ein gemeinsames praktisches Tun. Dem Dasein ist zunächst und zumeist eine ›Welt‹ bereits ›aufgeschlossen‹ und ›erschlossen‹ durch die praktisch-bedeutsamen ›Bewandtniszusammenhänge‹, Verweisungen und Vollzüge, in die es verwickelt ist. ›InSein‹ übersetzt Heidegger daher auch mit ›zu tun haben mit etwas‹, ›herstellen von etwas‹, ›bestellen und pflegen von etwas‹, ›verwenden von etwas‹, ›aufgeben und in Verlust geraten lassen von etwas‹, ›un-

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M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 57. Ebenda, S. 56.

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ternehmen‹, ›durchsetzen‹, ›erkunden‹, ›befragen‹, ›betrachten‹, ›besprechen‹, ›bestimmen‹ usw. 19 Es sind Seinsweisen des Tätigseins, etwa des ›Besorgens‹ und seiner ›defizienten Modi‹ 20 des Unterlassens, Versäumens, Verzichtens, Ausruhens – also Modi, die etwas ausführen, erledigen oder ›ins Reine bringen‹. 21 Das Dasein ist in seiner wesentlichen Struktur ein immer schon umsichtiges, nachsichtiges und rücksichtsvolles bzw. das Ausbleiben dessen. Es geht immer schon mit Mitmenschen und Umwelt um und ist insofern ›mitmenschlich‹ und ›umweltlich‹. Insofern ist das Dasein immer schon ›draußen‹ in der Welt und bei den Verrichtungen und in den Vollzügen. Gegenstände hingegen sind weltlos. Die Analyse der nächsten Umwelt, zum Beispiel der Werkwelt des Handwerkes, zeigt, dass beim praktischen Umgang mit etwas die Anderen unmittelbar mitbegegnen, für die das Werk mitbestimmt ist. So denkt der Erbauer einer Wiege zum Beispiel an das zukünftige Kind oder die eigenen Kinder oder seinen nicht erfüllten Kinderwunsch. Oder die Zulieferer, die Eltern oder andere Kunden ›begegnen mit‹, indem sie auf das zu bauende Objekt Bezug nehmen und zum Beispiel fragen, was es werden soll. Außerdem gründen die Verfahren des Baus einer Wiege im Wissen von anderen. Immer werden die ›Anderen als Mitmenschen‹ in dieser Bewandtnisganzheit verortet. Das Wort ›begegnen‹ soll anzeigen, dass man nicht willentlich auf sie Bezug nimmt, sie sich wie Objekte vor(sich hin)stellt, sondern dass sie – ganz im phänomenologischen Sinne Heideggers – von sich selbst her zeigen im Tun. Auch Objekte begegnen auf existenziale Weise anders als in kategorialen Zusammenhängen. Wenn auf existenziale Weise mit Materialien umgegangen wird, nennt sie Heidegger nicht mehr Dinge, sondern ›Zeug‹. Zeug ist nicht einfach vorhanden wie Dinge, an denen man etwas ausführt. Sie sind ›zuhanden‹, weil sie zur Hand sind, wenn sie gebraucht werden, ohne dass darüber nachgedacht werden müsste. Ihr Umgang ist deshalb kein unüberlegter, sondern eingebettet in einen ›umweltlichen Zeugzusammenhang‹, der eine in der Regel gelingende Praxis anzeigt. Das In-der-Welt-sein wird demzufolge

Vgl. ebenda, S. 57 f. Unter einem defizienten Modus versteht Heidegger diejenigen Tätigkeiten, die gerade nicht ausgeführt werden und somit die ›negative‹ Kehrseite bestimmter Handlungen darstellen. 21 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 57 f. 19 20

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vorphänomenologisch erfahren und erkannt. Es ist in gewisser Weise ›unsichtbar‹. 22 Es ist etwas Selbstverständliches. Im selbstverständlichen Zeugzusammenhang begegnen auch die Anderen nicht als vorhandene Dinge, sondern als Mitmenschen. Die Anderen sind die, von denen man selbst sich zumeist nicht unterscheidet. Im Umgang mit Anderen erlebe ich die Anderen daher auch nicht als mir Gegenüberstehende, sondern gewissermaßen als mit mir gemeinsam in eine einzige Kooperationsform Eingegangene. 23 Der Andere im existenzialen Modus des Daseins ist der Mitmensch in einer ›Mitwelt‹ – im Unterschied zur ›Umwelt‹ begegnender Dinge. Die Präposition ›mit‹ wird in ihrem genuinen existenzialen Sinn als ein Aufeinanderangewiesensein, ein Ohneeinandernichtssein ernst und beim Wort genommen. »Auf dem Grunde dieses mithaften In-der-Welt-seins ist die Welt je schon immer die, die ich mit den Anderen teile. Die Welt des Daseins ist Mitwelt. Das In-Sein ist Mitsein mit Anderen. […] Die Anderen begegnen nicht im vorgängig unterscheidenden Erfassen des zunächst vorhandenen eigenen Subjektes von den übrigen auch vorkommenden Subjekten, nicht in einem primären Hinsehen auf sich selbst, darin erst das Wogegen eines Unterschieds festgelegt wird. Sie begegnen aus der Welt her, in der das besorgend-umsichtige Dasein sich wesenhaft aufhält.« 24

Insofern ist der Andere als Mitmensch räumlich nicht schon getrennt von mir, sondern ›Mitdasein‹. In der existenzialen Räumlichkeit ist das Ich-hier nicht ein ausgezeichneter Punkt des Ich-Dinges in einem irgendwie schon vorab gerichteten Mittun. Es soll vielmehr als ›InSein‹ aus einer Bewandtnisganzheit heraus verstanden werden. Bei seinen Überlegungen zur existenzialen Räumlichkeit des Mitseins bezieht sich Heidegger explizit auf Humboldts Theorie der Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pronomen in einigen Sprachen. 25 Humboldt hat nämlich in seinen sprachvergleichenden Vgl. ebenda, S. 59. Ausnahmen mögen hierbei Menschen mit Asperger im Autismusspektrum darstellen, die andere Menschen tatsächlich unter anderem aufgrund ihrer so genannten Gesichtsblindheit als sich bewegende Pfeiler auf der Straße wahrnehmen und auf die sich Stimmungen nicht ohne weiteres übertragen. 24 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 118 f. (Kursivierung Heidegger). 25 Vgl. W. v. Humboldt, Über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pronomen in einigen Sprachen (1829), Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VI, 1. Abt., S. 304–330; so zitiert bei M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 119. 22 23

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Untersuchungen darauf hingewiesen, dass das ›Ich‹ durch ›hier‹, das ›Du‹ durch ›da‹, das ›er‹ durch ›dort‹ ausgedrückt werden kann. Personalpronomina werden dabei durch Ortsadverbien wiedergegeben. Hierbei ist jedoch nicht ganz klar, ob die ortsadverbiale oder die pronominale Bedeutung die ursprünglichere ist. ›Ich‹ steht für ›ich-hier‹ und du für ›du-da‹ (und nicht hier, weil ›ich hier‹). Dieses Zuweisungspaar bildet eine grundlegende richtungsgebende Orientierung und Grenzziehung ab. Die Ortsadverbien beziehen sich immer auf das Ich qua Dasein. Für Heidegger sind ›hier‹, ›dort‹ und ›da‹ also nicht primär reine Ortsbestimmungen des innerweltlichen an Raumstellen vorhandenen Seienden, sondern Charaktere der ursprünglichen Räumlichkeit des Daseins. Auch die Ortsadverbien sollen also primär in ihrer existenzialen und nicht kategorialen Bedeutung verstanden werden. Wenn Heidegger schreibt, dass sich »im ›hier‹ […] das in seiner Welt aufgehende Dasein nicht ›auf sich zu‹ [spricht, BK], sondern ›von sich weg‹ auf das ›dort‹ eines ›umsichtig Zuhandenen‹ und […] doch sich in der existenzialen Räumlichkeit [meint]« 26, dann will Heidegger damit ausdrücken, dass das Mitdasein der Anderen nur innerweltlich für ein Dasein und so auch für die Mitdaseienden erschlossen ist. Das Mitsein bestimmt existenzial das Dasein auch dann, wenn ein Anderer faktisch nicht vorhanden wahrgenommen ist, denn auch die das Da-sein negierenden Modi ›Fehlen‹ und ›Fortsein‹ kann der Andere nur in einem und für ein Mitsein. So ist auch das ›Alleinsein‹ als defizienter Modus noch und in besonderer Intensität immer ein Mitsein. Das Mitdasein von Anderen wird vom Dasein immer schon mitwahrgenommen. Die zum Mitsein gehörige ›Erschlossenheit‹ des Mitdaseins Anderer besagt dann, dass im existenzialen Seinsverständnis des Daseins schon das Verständnis Anderer ›begegnet‹. Insofern konstituiert nicht etwa erst so etwas wie die ›Einfühlung‹ in einen anderen Menschen das ›Mitsein mit Anderen‹, indem ich zum Beispiel mit ihm mitleide oder mich mitfreue. Einfühlung in ihrer üblichen Deutung ist vielmehr erst auf dem Grunde des Mitseins überhaupt möglich, denn Einfühlen setzt die Trennung vom Anderen voraus, in den ich mich dann hineinversetze, also dessen Perspektive ich übernehme oder simuliere. Heideggers Intention bei der Einfüh-

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M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 120 (Kursivierung Heidegger).

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rung der existenzialen Vokabel ›Mitsein mit Anderen‹ soll aber gerade die vorobjektivierende und unthematische Einheit mit anderen ausdrücken. Das bedeutet, dass ›Erkennen‹ und ›Einfühlen‹ keine ursprünglich existenzialen Weisen des Mitseins mit Anderen sind. Vielmehr verstellen sie sogar die ursprüngliche Zugänglichkeit des Mitseins durch ihr spezifisches Thematischmachen und damit Verobjektivieren des Anderen, weil sie ihn bereits als Vergegenständlichten vorstellen. Es ist ein besonderes ›Zwischen‹, das die Seinsweise des Daseins charakterisiert. Das Dasein ist ein ›Aufgehen in der besorgten Welt‹. Im Mitsein mit den Anderen ist das Dasein meist nicht es selbst, sondern ein ›Man‹. Es missversteht sich selbst nämlich zumeist von den Anderen und der öffentlichen Meinung her. Damit, so scheint es, gerinnt das ›Zwischen‹ als ein Zwischen von vorhandenen Meinungen zur metonymischen Relation, die tendenziell alles auf eine Vorhandenheitslogik reduziert. Aber ›In-sein‹ ist zum Beispiel nicht durch das commercium ›zwischen‹ einem vorhandenen Subjekt und einem vorhandenen Objekt zu begreifen. Hier wäre das ›Zwischen‹ nämlich als eine Art Konvention zweier Vorhandener begriffen. Das Miteinandersein drückt nach Heidegger jedoch keine Angrenzung oder Benachbartheit von zu teilenden Dingen und so Unterscheidbarem aus. »Sofern Dasein überhaupt ist, hat es die Seinsart des Miteinanderseins. Dieses kann nicht als summatives Resultat des Vorkommens mehrerer ›Subjekte‹ begriffen werden. Das Vorfinden einer Anzahl von ›Subjekten‹ wird selbst nur dadurch möglich, daß die zunächst in ihrem Mitdasein begegnenden Anderen lediglich noch als ›Nummern‹ behandelt werden.« 27

Ein in metonymisch-reduzierender Hinsicht ›rücksichtsloses‹ Mitsein ›rechnet‹ mit den Anderen, ohne dass es sich als ein mit ihnen und durch sie vereintes versteht. Es verlässt sich auf die Stabilität der die Praxen tragenden Strukturen. Heidegger nennt diese Daseinsstruktur das ›Man‹. Das ist es gerade nicht, was Heidegger zu beschreiben sucht. In seiner Unsichtbarkeit entfaltet das Man eine geheime metonymische Diktatur über das Dasein. 28 Heideggers Kritik ist gegen ein verobjektivierendes Miteinandersein gerichtet. »Im Besorgen dessen, 27 28

Ebenda, S. 125 (Kursivierung Heidegger). Ebenda, S. 126 (Kursivierung Heidegger).

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was man mit, für und gegen die Anderen ergriffen hat,« schreibt Heidegger, »ruht ständig die Sorge um einen Unterschied gegen die Anderen, sei es auch nur, um den Unterschied gegen sie auszugleichen, sei es, daß das eigene Dasein – gegen die Anderen zurückbleibend – im Verhältnis zu ihnen aufholen will, sei es, dass das Dasein im Vorrang über die Anderen darauf aus ist, sie niederzuhalten. Das Miteinandersein ist – ihm selbst verborgen – von der Sorge um diesen Abstand beunruhigt.« 29

Das alltäglich-besorgende Umgehen mit den Anderen erzwingt zwar zuweilen ein vergegenständlichendes Umgehen mit der Um- und Mitwelt, weil die Logik der Vergegenständlichung sich bereits in alle Bereiche des Lebens erfolgreich hineinerstreckt hat. Es nimmt daher andere als quasi-vergegenständlichte Teile wahr, also Subjekte im Sinne von objektivierten Personen und nicht als personale Vollzugsteilnehmer einer gemeinsamen Praxis. In der ›besorgten Welt‹, in der ›Uneigentlichkeit, also im Modus der Entlastung durch bereits bestehende Vollzugsvorgaben, ist das Mitsein mit den Anderen deshalb gerade nicht es selbst, sondern eben ›das, was die Anderen betreiben‹. 30 Das Dasein ist insofern ›an das Man verfallen‹. Die Abgrenzung zum Anderen rückt die Menschen in ein Verhältnis von sich gegenüberliegenden Subjekten, die sich gegenseitig aus dem Vollzugsfluss extrahieren. Heidegger betitelt diesen ›Zustand der Uneigentlichkeit‹ auch als ›Abständigkeit‹. Nicht das einzelne Dasein, der einzelne autonome Mensch, verfügt dann über die alltäglichen Seinsmöglichkeiten des Daseins, sondern die anderen in ihrer ›abständigen Unterschiedenheit‹. 31 Die Anderen haben dem Dasein seine Seinsweise gewissermaßen abgenommen. Im alltäglichen Miteinandersein, so Heidegger, steht alles in der ›Botmäßigkeit der Anderen‹. Es sind keine bestimmten Anderen, sondern beliebige, vertretbare, gesichtslose. Die ›Herrschaft der Anderen‹ über das eigene Dasein ist eher unauffällig, ja man selbst gehört selbst zu den Anderen und verfestigt ihre Macht. Die eigene Teilnahme verstärkt die Rituale, Vorurteile und Entlastungen, denn man blickt sich mit der gleichen Unterschiedenheit als Teil, Objekt, getrennt von den Anderen an. Indem man die Anderen die Anderen nennt und sich von ihnen absetzen möchte, verdeckt man 29 30 31

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Ebenda. Ebenda. Ebenda.

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gerade die eigene Wesenszugehörigkeit zu ihnen, begreift sich als abgetrennt und dazugehörig zugleich. Umso unauffälliger diese Daseinsweise sich zeigt, desto hartnäckiger und ursprünglicher wirkt sie sich aus. Demgegenüber ist das ›Da‹ des Daseins wesenhaft durch das Inder-Welt-sein konstituiert. Der vertrauten Wortbedeutung nach deutet das Da nämlich auf ein Hier und Dort hin. Das Hier eines Ich-hier versteht sich nach Heidegger immer im Sinne eines praktischen Umgangs und Mitseins mit den Anderen in bestimmten praktischen Bezügen. Dass auch in dieser Interpretation die Sprache Heideggers metonymisch bleibt, zeigt sich an den Worten ›hier‹ und ›dort‹, die zwar als existenziale Räumlichkeit vorgestellt werden sollen, für deren angemessene existenziale Qualität aber nur der metonymische Redemodus zur Verfügung steht. Die tiefensprachliche Logik der Metonymie trägt nämlich die Tendenz in sich, alles als extrinsische Teil-Teil-Beziehung aufzufassen, vornehmlich als Ortsbestimmung. Dem will Heidegger nun aber gerade entkommen. Worauf Heidegger hinauswill, ist die Beschreibung des Daseins als etwas, das seine angemessene Erklärung aus einem intrinsischen Eingebettetsein, einem durch praktisches und mit-verstehendes (syn-ekdochisches) Tun erhält. Angesichts der existenzialen Phänomenalität zeigen sich für Heidegger daher einmal mehr die Grenzen eines Denkens in Kategorien zur Beschreibung von existenzialen Strukturen. »Daß auch die traditionelle Logik angesichts dieser Phänomene versagt, kann nicht verwundern, wenn bedacht wird, daß sie ihr Fundament in einer überdies noch rohen Ontologie des Vorhandenen hat. Daher ist sie durch noch so viele Verbesserungen und Erweiterungen grundsätzlich nicht geschmeidiger zu machen. Diese ›geisteswissenschaftlich‹ orientierten Reformen der Logik steigern nur die ontologische Verwirrung.« 32

Heidegger versteht seine Daseinsanalyse als ein Außerhalb des Vorhandenheitsdenkens der traditionellen Logik. Er bereitet damit einen Generalangriff auf einen tiefensprachlichen Denk- und Redemodus vor, der kategorial, reduktiv, positivistisch, extrinsisch und somit – bezogen auf existenziale Phänomene wie das Mitsein, In-Sein oder Sein-bei des Daseins – phänomenunangemessen ist. Die traditionelle Logik begreift den Vollzugscharakter der kooperativen Bezüge ent32

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weder von außen, extrinsisch, oder reduktiv als Ursache-Wirkungsmechanismus und damit als Teil-Teil-Verhältnis. Heideggers Denken will aber den Standpunkt einer vollzugsdynamischen Perspektive einnehmen. Wenn es diese schlüssig aufreißt, lässt sie sich als eine echte Alternative zum Vorhandenheitsdenken der traditionellen Logik interpretieren. Dass Heideggers Sprache selbst zum Teil kategorisierend agiert und insoweit dem Redemodus der Metonymie verhaftet bleibt, zeigt, wie sehr Heidegger einerseits dem wissenschaftlich-analytischen Denken und ihrer internen Vorhandenheitslogik verhaftet ist, und andererseits, wie schwer es ist, aus diesem dominanten Sprachmodus herauszukommen. Die Tendenz zur Analytik zeigt sich vor allem auch da, wo er Begriffe in Bindestrichphänomene wie ›In-der-Weltsein‹, ›Da-sein‹, ›Sein-bei‹, ›In-sein‹ usw. zerlegt. 33 Aber auch die Substantivierungen von präpositionalen Verbindungen wie ›In-Sein‹, ›Sein-bei‹ legen eine Lesart nahe, die eher Segmente verfestigend statt dynamisierend wirkt. Besonders greifbar wird dies an der Existenzialie des ›Man‹. Die Existenzialie des ›Man‹ Das Wer des Daseins ist nicht dieser und jener, nicht man selbst und nicht einige oder die Summe aller, sondern: »Das Wer des Daseins ist das Neutrum, das Man.« 34 Das Man ist unauffällig, alltäglich, durchschnittlich, ebnet ein, ist öffentlich, nimmt dem Dasein Verantwortlichkeit ab und entlastet es. Das Man hat die Tendenz zum Leichtmachen und Leichtnehmen, es ist niemand Bestimmtes; das Man ist nicht vorhanden, aber auch nicht nichts, sondern das ›realste Subjekt der Alltäglichkeit‹ und bestimmt das jeweilige Ich. 35 Das Man ist damit diejenige Weise, wie das Dasein zunächst und zumeist von seiner Welt ›benommen‹ ist. 36 Das Man ist eine Form des Aufgehens in der praktischen Welt. Es ist die öffentliche Meinung, das Nachmachen und Gerede. Die Vokabel ›Man‹ beantwortet für Heidegger die Frage, Ebenda, S. 130 ff. Ebenda, S. 126. 35 Ebenda, S. 128. 36 Die Vokabel ›benommen‹ zeigt an, wie sehr sich der Mensch als Dasein von seinen Tätigkeiten eingenommen ist. Gleichzeitig mag dieses Wort auch von ›benehmen‹, aber auch ›vernehmen‹ herrühren. Damit wird diesem rauschhaften Eingelulltsein in Praxisvollzüge die potentielle Macht, auch vernünftig zu sein (nous als vernehmen), mit eingeschrieben. 33 34

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wer es ist, der in der Alltäglichkeit des Daseins überhaupt ›begegnet‹. Das Man ist vor allem durch Unselbständigkeit charakterisiert. Deswegen nennt Heidegger diese Art des In-der-Welt-seins auch Uneigentlichkeit. Phänomenal ist das manhafte Dasein nicht wie Vorhandenes zugänglich. Weil es das ›realste Subjekt der Alltäglichkeit‹ ist, darf es auch nicht als ›allgemeines Subjekt‹ gedacht werden. Dann würde man das Sein der Subjekte nicht daseinsmäßig verstehen, sondern als tatsächlich vorhandene Fälle einer vorkommenden Gattung Mensch ansetzen. Alles, was nicht der Fall wäre, müsste dann als Artund Gattungsverhältnis verstanden werden. Doch das ist nicht der Fall. »Das Man ist«, so Heidegger, »nicht die Gattung des jeweiligen Daseins und es läßt sich auch nicht als bleibende Beschaffenheit an diesem Seienden vorfinden.« 37 Vielmehr trägt es zur Entlastung des Daseins von sich selbst bei, indem es Antworten auf Fragen und schematische Lösungen für Probleme anbietet. Es entlastet vom eigenen Beurteilenmüssen, vom Nachdenken, vom Selbstsein, letztlich auch von eigenem Geschmack und Moral. Was in der öffentlichen Meinung akzeptiert ist, dafür kann ein einzelnes Dasein nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Diese das Dasein diktierende Öffentlichkeit des Man regelt zunächst alle Welt- und Daseinsauslegungen und behält in allem Recht aufgrund eines Nichteingehens auf die Sachen. Das Man macht alles tendenziell gleich und egalisiert es im Modus der metonymischen Vorhandenheitslogik. Für Heidegger verdunkelt, verdeckt und nivelliert es damit Niveauunterschiede, indem es das Bekannte als das jedem Zugängliche ausgibt. Es hüllt also den Kern des je Eigenen des Daseins, das ›Man-selbst‹, ein und lässt es in gewisser Weise gerade nicht zu sich selbst kommen. »Das Man ist überall dabei, doch so, dass es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab.« 38 Insofern macht das Man es dem alltäglichen Dasein leicht, zu sein. Das Selbst dieses alltäglichen Daseins ist also das ›uneigentliche Man-selbst‹, das von einem ›eigentlichen Selbst‹ als eigens ergriffenem Selbst unterschieden werden muss. Als ›Man-selbst‹ ist das Man zerstreut und muss sich gegen sei37 38

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 128. Ebenda, S. 127.

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ne ureigenste Daseinstendenz erst einmal finden, indem es sich selbst nach seiner besonderen Seinsweise befragt und nicht einfach die überkommene Weltbeschreibung übernimmt. »Das Man-selbst«, so schreibt Heidegger, »worum-willen das Dasein alltäglich ist, artikuliert den Verweisungszusammenhang der Bedeutsamkeit. Die Welt des Daseins gibt das begegnende Seiende auf eine Bewandtnisganzheit frei, die dem Man vertraut ist, und in den Grenzen, die mit der Durchschnittlichkeit des Man festgelegt sind.« 39 Das Erschließen von Dasein aus dem Mansein heraus ist demzufolge zunächst ein Wegräumen von Verdeckungen und Verdunkelungen. Es ist eine Generalkritik am Vorhandenheitsdenken, mit dem sich das Dasein gegen sich selbst abriegelt. Es ist zudem eine Verfehlung der ontologischen Interpretation dieser Seinsverfassung. Sie selbst ist es nämlich, die sich in ihrer alltäglichen Seinsart verfehlt und verdeckt, indem sie sich auf eine bestimmte reduziert. Die Tendenz zum logischen Redemodus der Metonymie ist offenbar in der Uneigentlichkeit und im Charakter des Man als Struktur der Selbstauslegung und des Selbstverständnisses des Daseins gewissermaßen von Anfang an angelegt. Gemäß dem physischen Orientiertsein in der Welt wird alles als Vorhandenes, alles als tendenziell Handhabbares und Verfügbares verstanden. In Bezug auf die wissenschaftliche Einstellung auf die Phänomene und ihr Erfassen heißt das, dass der wissenschaftlich-logische Redemodus, den auch die traditionelle Philosophie zur obersten Methode erhebt, im Prinzip nur die verlängerte elaborierte Fortsetzung einer im Dasein selbst bereits angelegten Selbstauffassung im Redemodus metonymischer Zergliederbarkeit von physisch Vorhandenem darstellt. Die Tendenz zur Dominanz dieser in ihrem Kern als metaphysisch charakterisierten Selbstauslegung erhält diese Selbstauslegung des Daseins aus dem Vorrang der Logik einer Teil-zu-Teil-Relation im Sinne einer räumlich-körperlichen Perspektive auf die Welt der natürlichen Dinge. Diese strahlt sukzessive in alle Bereiche aus. Heidegger sieht sich selbst mit seiner Existenzialanalyse außerhalb der metonymischen Sprachrahmung. Aber die folgenden Analysebausteine der Existenzialität zeigen an, dass ein anderer Sprachmodus zwar anvisiert, aber noch nicht umgesetzt und eingelöst wird.

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Ebenda, S. 129.

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Uneigentliche Weisen der Existenz

9.2. Uneigentliche Weisen der Existenz In-der-Welt-Sein, Mitsein mit anderen, Man-sein und die Betrachtung der Welt in einer nicht vollzughaften, sondern tendenziell vergegenständlichenden Weise charakterisieren die ursprüngliche Uneigentlichkeit des menschlichen Daseins. Eine alternative Bestimmung dessen, wie der Mensch existiert und nicht nur einfach wie Seiendes ist, ist auch tiefensprachlich eine besondere methodische und logische Herausforderung für das Denken und seine Darstellung. Ein solches Denken kann nicht länger den Methoden streng mathematischer Beweisbarkeit und Axiomatik unterworfen werden, sondern appelliert an den Leser, seine eigenen Erfahrungen bezüglich des von Heidegger Behaupteten zu bemühen und mit diesen abzugleichen. Wofür Heidegger wirbt, ist ein radikaler Perspektivwechsel im Denkmodell: Heraus aus einer räumlich-dinglich-kategorialen Platzierung des Daseins, das gegenständlich-körperlich vorgestellt wird, hin zu einer Auffassung des Daseins als zeitlich-existenziales Vollzugsphänomen. Es sind für Heidegger besonders drei existenziale Weisen, die das In-der-Welt-sein des Daseins auszeichnen: a) seine ›Befindlichkeit‹ oder ›Gestimmtheit‹, b) sein existenziales Bedrohtsein und ›Angst‹ sowie c) seine bestimmte Form des Selbstverstehens in ›Auslegung‹ und ›Aussage‹. Der Modus der ›Befindlichkeit‹ Wenn Heidegger das Dasein zunächst als Befindlichkeit charakterisiert, insofern es immer irgendwie ›gestimmt‹ ist, weil es in eine bestimmte gestimmte Welt ›geworfen‹ ist und sich in diese Stimmungen einzuschwingen hat, dann ist das die Aufforderung, die phänomenale Welt des Daseins umfassender in den Blick zu nehmen. Heideggers Appell an den Leser lautet dementsprechend, das ›gestimmte Sichbefinden‹ als Existenzial (also vor allem Weltbezug) und nicht als Zustand aufzufassen. 40 Als Zustand wäre es vergegenständlicht begriffen. Wer in einem Zustand ist, kann ihn relativ klar benennen. Er hat ihn schon in eine Form gebracht. An einem Zustand kann etwas geändert und bewirkt werden. Befindlichkeit und Stimmung sind jedoch Vororganisationen von phänomenalen Zuständen. Das Dasein findet sich in bestimmter Stimmung immer schon vor. Es ist durch Befindlichkeit und Stimmung die Welt als Um- und 40

Vgl. ebenda, §§ 29 und 30.

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Mitwelt von Anfang an in einer noch unbestimmten Weise erschlossenen. Zu denken wäre beispielsweise an eine bestimmte häusliche Atmosphäre oder kulturhistorische Situation, die Menschen prägen und ganze Lebenswege mitbestimmen können. Ebenso wie die Öffentlichkeit des Man mit ihren Groborientierungen und Sinnangeboten entheben auch die Stimmungen und Befindlichkeiten das Dasein von seiner Last, sich autonom aus sich selbst, sozusagen ex nihilo zu kreieren. »Seiendes vom Charakter des Daseins ist sein Da in der Weise, daß es sich, ausdrücklich oder nicht, in seiner Geworfenheit befindet.« 41 Das Dasein ist in seiner Gestimmtheit immer schon als das (zu) Seiende in gewisser Weise sich selbst (vor)erschlossen. Es ist bekannt, aber nicht erkannt. »Was wir ontologisch mit dem Titel Befindlichkeit anzeigen, ist ontisch das Bekannteste und Alltäglichste: die Stimmung, das Gestimmtsein.« 42 Ein solches Gestimmtsein hat nichts mit einer Psychologie der Stimmung zu tun oder mit Launen. ›Befindlichkeit‹ führt Heidegger als einen Terminus ein, den er vom Wort ›finden‹ herleitet. Das Dasein hat sich in einer Stimmung ›eingefunden‹ in dem Sinne, dass der vorgängige Akt weniger ein Suchen oder Finden war, sondern eher ein Sich-in-die-Gegebenheiten-einpassen – im Sinne eines ›es wird sich finden‹, also irgendwie zusammenfügen, sich passend machen. Heidegger nennt diese Einpassung zunächst kontraintuitiv und hyperbolisch ›Fliehen‹. Er nennt es ein ›Fliehen‹, weil er andeuten will, dass das eigentliche Selbst in dieser Ein- und Anpassung vor sich selbst flieht, statt seine Möglichkeiten zu ergreifen. Es flieht in die vertrauteren Rollen und Muster des Man-selbst, die es kennt und vorfindet, weil es die eigenen ja auch noch nicht kennen kann. Das Dasein weicht also zumeist seiner ureigenen Grundstimmung aus. Im Ausweichen vor den Stimmungen ist das Da aber in gewisser Weise erschließend, weil es sich in der Form ›dass es ist‹, also als ›Geworfenheit‹, als ›Faktizität der Überantwortung‹ erfährt. 43 Insofern erschließt die Stimmung das Dasein auf eine relativ inaktive Weise, denn es fügt sich in die Gegebenheiten – auch stimmungsmäßig ein –, um darin eine Heimat, Vertrautheit, ein Zuhause zu finden. 44 Im FlieEbenda, S. 135. Ebenda. 43 Ebenda. 44 Dass das Dasein faktisch mit Wissen und Willen der Stimmungen Herr werden kann, bedeutet zwar in gewissen Möglichkeiten des Existierens einen Vorrang, darf aber nicht dazu verleiten, ontologisch die Stimmung als ursprüngliche Seinsart des 41 42

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hen vor dem Eigenen findet das Dasein sozusagen sein Zuhause, in das es sich fügt, weil es vertraut ist. Das Dasein wird ›heimisch‹, bleibt aber ›uneigentlich‹, bevor es ›authentisch‹ und ›eigentlich‹ werden kann. Bei der Einführung der existenzialen Grundbedingungen der Befindlichkeit, der Stimmung und der Furcht geht es Heidegger nicht um das Vorfinden vorhandener Seelenzustände, zum Beispiel bestimmter Gefühle. Vielmehr hat Heidegger gar keine bestimmte Stimmung oder eine bestimmte Befindlichkeit vor Augen, sondern sozusagen die ›bloße Stimmung‹. 45 Die bloße Stimmung als strukturell wahrzunehmende und anzuerkennendes Charakteristikum des Daseins erschließt das Da ursprünglicher, womit eher ein ›tiefer‹ oder ›gründlicher‹ als ein zeitliches ›vorher‹ gemeint ist. So wie man in einer bestimmten Stimmung einen Satz (zum Beispiel: Sie ist ja fraulich geworden!) als Kritik oder Angriff auffassen kann, so kann ich ihn in einer anderen Befindlichkeit als Sachinformation oder Kompliment auffassen. Als strukturelles Moment verschließen Stimmung, Befindlichkeit und Furcht eben auch das Dasein, gerade weil sie Präfigurierungen darstellen. So zeigt zum Beispiel die Verstimmung, dass das Dasein sich selbst gegenüber blind wird, dass sich die besorgte Umwelt verschleiert und das praktische Tun missgeleitet wird. Worauf Heidegger mit der Existenzialanalyse insgesamt hinaus will, ist also die Beschreibung einer vortheoretischen, voranalytischen Vollzugsebene des Daseins. Diese selbst wird jedoch mit dem Werkzeug des Begriffs- und Sachanalytikers metonymisch zusammengestellt. Umso mehr Heidegger jedoch die einzelnen Phänomene in ihrer Verflochtenheit und ihrem gegenseitigen Bedingungsgefüge beschreibt, desto mehr drängt sich der Eindruck auf, dass die Sprache tatsächlich für dieses Unternehmen nicht ganz angemessen ist. Insofern ist es nicht nur Hochstapelei, wenn Heidegger behauptet, dass die bisher gesprochene Sprache tatsächlich nicht ausreicht: »Mit Rücksicht auf das Ungefüge und ›Unschöne‹ des Ausdrucks innerhalb der folgenden Analysen darf die Bemerkung angefügt werden: ein anderes

Daseins zu verleugnen, in der es ihm selbst vor allem Erkennen und Wollen und über deren Erschließungstragweite hinaus erschlossen ist. Außerdem – so Heidegger – kann über die Stimmung nie stimmungslos Herr geworden werden, sondern immer nur aus einer Gegenstimmung heraus. Insofern ist der Mensch niemals stimmungslos. 45 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 136. Logik der Tropen

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ist es, über Seiendes erzählend zu berichten, ein anderes, Seiendes in seinem Sein zu fassen. Für die letztgenannte Aufgabe fehlen nicht nur meist die Worte, sondern vor allem die ›Grammatik‹.« 46

Deshalb ist auch die Analyse der folgenden Strukturmerkmale nicht als bloß erzählende Aufzählung zu verstehen. Sie ist vielmehr eine Einladung, sich in eine andere Perspektive einweisen zu lassen. Diese ist keine Perspektive auf das Dasein unter anderen, sondern eine Perspektive aus dem Dasein heraus auf seine eigenen Strukturen. Tiefensprachlich muss sozusagen aus einem metonymisch-zergliedernden Denken in Objektlogik übergegangen werden zu einem Modell, das einer ›entgegengesetzten‹, völlig anders gearteten Logik gehorcht. Diese andere Logik gilt es im Durchschreiten der Objektlogik, sozusagen in einem kritischen Rückschritt zu gewinnen. Befindlichkeit, Verstehen und Rede sind dabei existenziale Modi, die zwar in der Sprache der Metonymie analysiert werden, die aber selbst keine metonymischen Relationen sind. Die Befindlichkeit der Furcht Stimmungen und Befindlichkeiten entstehen nicht erst durch ein Empfinden oder Anstarren einer äußeren oder inneren Welt, sondern begegnen im Umgang und Mitsein mit anderen Menschen. Das Dasein wird von der Stimmung ›überfallen‹. 47 Wenn Heidegger betont, dass die Stimmung weder von außen noch von innen kommt, so verweist er darauf, dass es vielmehr aus einer Weise des In-der-Weltseins aus dem Dasein selbst ›aufsteigt‹, die das In-der-Welt-sein je schon als Ganzes erschlossen hat. Insofern machen Stimmung und Befindlichkeit ein ›Sichrichten auf etwas‹ allererst möglich. Mitdasein, Welt und die eigene Existenz sind in diesen Stimmungen bereits miterschlossen. 48 Das Überfallenwerden von einer Stimmung ist zum Beispiel eine Form des Betroffenseins. Man wird von etwas ›angegangen‹. Nur weil man betroffen und angegangen werden kann, lässt sich die Welt zum Beispiel überhaupt auf ›Bedrohbarkeit‹ hin erschließen. Denn nur, was in der Befindlichkeit des Fürchtens bzw. des Mutes als Furchtlosigkeit jemanden angeht, kann als potentiell bedrohlich wirken. Berührt und gerührt im existenzialen, angehenden Sinne können also 46 47 48

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Ebenda, S. 138 Ebenda, S. 136. Ebenda.

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nur Menschen als daseinsmäßiges, nicht einfach nur vorhandenes Seiendes sein. Vorhandenes kann nicht in der Weise anrühren wie Daseinsmäßiges. Daraus schlussfolgert Heidegger, dass in der Befindlichkeit eine ›erschließende Angewiesenheit‹ auf Welt liegt, aus der her erst Angehendes begegnen kann. 49 »Die Befindlichkeit erschließt nicht nur das Dasein in seiner Geworfenheit und Angewiesenheit auf die mit seinem Sein je schon erschlossene Welt, sie ist selbst die existenziale Seinsart, in der es sich ständig an die ›Welt‹ ausliefert, sich von ihr angehen läßt derart, dass es ihm selbst in gewisser Weise ausweicht.« 50

Im Ausweichen vor den Stimmungen ist das Da allerdings in gewisser Weise erschließend, weil es sich in der Form ›dass es ist‹, also als ›Geworfenheit‹ erfährt. 51 Es erfährt sich als in eine bestimmte Praxis mit all ihren Fragen, Vorstellungen, Ritualen hineingestellt. Heidegger nennt diese Geworfenheit auch ›Faktizität der Überantwortung‹. Im Übernehmen von Verhaltens- und Handlungs-, ja sogar Empfindungsmustern, wird das Selbstsein sozusagen permanent unterdrückt. Indem dies geschieht, meldet sich das Dasein als das im Hier und Jetzt situierte und gewordene. Heidegger erläutert diesen Zusammenhang am Beispiel der Furcht. Eine der existenzial-ontologisch bedeutsamsten Grundbefindlichkeiten des Daseins ist die existenziale Angst 52, die von der Furcht unterschieden ist. Während die Furcht eine Weise der ›Mitbefindlichkeit mit Anderen‹ ist, zum Beispiel indem man sich als mitbetroffen oder unbetroffen von etwas fühlt, und immer ein je konkretes Wovor hat, ist die Angst eine Grundbefindlichkeit, deren Wovor die Welt als solche und damit die Unbedeutsamkeit, das Nichts darstellt. »Das Wovor der Furcht, das ›Furchtbare‹, ist jeweils ein innerweltlich Begegnendes von der Seinsart des Zuhandenen, des Vorhandenen oder des Mitdaseins.« 53 Heidegger definiert das Phänomen des Fürchtens mit sechs Merkmalen: »1. das Begegnende hat die Bewandtnisart der Abträglichkeit. Es zeigt sich innerhalb eines Bewandtniszusammenhangs. 2. Diese Abträglichkeit zielt auf einen bestimmten Umkreis

49 50 51 52 53

Ebenda, S. 138. Ebenda, S. 139. Ebenda, S. 135. Zu Heideggers Auslegung der ›Angst‹ siehe nächstes Kapitel. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 140.

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des von ihr Betreffbaren. Sie kommt als so bestimmte selbst aus einer bestimmten Gegend. 3. Die Gegend selbst und das aus ihr Herkommende ist als solches bekannt, aber es ist ihm nicht ›geheuer‹. 4. Das Abträgliche ist als Drohendes noch nicht in beherrschbarer Nähe, aber es naht. In solchem Herannahen strahlt die Abträglichkeit aus und hat darin den Charakter des Drohens. 5. Dieses Herannahen ist ein solches innerhalb der Nähe. Was zwar im höchsten Grade abträglich sein kann und sogar ständig näher kommt, aber in der Ferne, bleibt in seiner Furchtbarkeit verhüllt. Als Herannahendes in der Nähe aber ist das Abträgliche drohend, es kann treffen und doch nicht. Im Herannahen steigert sich dieses ›es kann und am Ende doch nicht‹. Es ist furchtbar, sagen wir. 6. Darin liegt: das Abträgliche als Nahendes in der Nähe trägt die enthüllte Möglichkeit des Ausbleibens und Vorbeigehens bei sich, was das Fürchten nicht mindert und auslöscht, sondern ausbildet.« 54 Auch das Fürchten hat also als ›schlummernde Möglichkeit des befindlichen In-der-Welt-seins‹ die Welt schon darauf hin erschlossen, dass in ihr Furchtbares begegnen kann. 55 Aber nur ein Dasein, dem es um sein eigenes Seinkönnen geht, kann sich überhaupt fürchten. Das Fürchten erschließt das Um- und Mitweltliche nämlich nur in seiner potentiellen Gefährdungsqualität. Insofern enthüllt es dann auch das Da des Daseins, denn wenn jemand beispielsweise um Haus oder Arbeit fürchtet, dann liegt darin eine Sorge in ganz privativer Weise, die orientierungslos macht, weil sie ort- und heimatlos machen könnte. Orientierung aber zeichnet gerade das In-Sein als Da des Daseins aus. Furcht ist daher ein Modus der Befindlichkeit, der Orientierung infrage stellt. Beim Fürchten geht es also weniger um etwas, sondern eher um bzw. ›für jemanden‹. 56 Befürchtet wird nämlich das Mitsein mit dem Anderen, der einem entrissen werden könnte. Dabei kann sich die Furcht auf unterschiedliche Weise annähern: plötzlich und unvertraut zum Beispiel als ›Erschrecken‹ ; nach und nach, aber unvertraut als ›Grauen‹, plötzlich und unvertraut als ›Entsetzen‹ ; aber auch als ›Schüchternheit‹, ›Scheu‹, ›Bangigkeit‹, ›Stutzigwerden‹ usw. 57

Ebenda. Ebenda, S. 141. 56 Vgl. ebenda, S. 141 f. Auch hier gilt das Unersetzbarkeitsparadigma, denn die Furcht kann nicht übertragen oder abgenommen werden. Für die Furcht gibt es kein Stellvertreterprinzip. 57 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 142. 54 55

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»Alle Modifikationen der Furcht deuten als Möglichkeiten des Sich-befindens darauf hin, daß das Dasein als In-der-Welt-sein ›furchtsam‹ ist. Diese ›Furchtsamkeit‹ darf nicht im ontischen Sinne einer faktischen, ›vereinzelten‹ Veranlagung verstanden werden, sondern als existenziale Möglichkeit der wesenhaften Befindlichkeit des Daseins überhaupt, die freilich nicht die einzige ist.« 58

Wesentlich an solchen Beschreibungen bleibt das bei Heidegger immer wiederkehrende Denkmodell des subordinierenden, sortierenden Denkens, das das Dasein in seiner Existenzialität auf phänomenal neue Weise beschreibt und so nahe an eine psychologisierende Sprache heranrückt, ohne eine solche zu sein. Diese wird ja gerade abgelehnt, weil sie viel zu sehr im kategorialen und empirischen Denkmodell des ›Physischen‹, also der Naturbeobachtung verhaftet ist. Doch obwohl Heideggers Existenzialien nicht die Gestalt von Kategorien aufweisen, die gleichsam als metonymische Behälter oder Kriterien der Zuordnung und Formung fungieren, sondern gerade das Fließende, Insicheingewobene, die Textur und die lebendige Dynamik des Lebens und vor allem des durch und durch Vollzüglichen des Daseins einfangen wollen, bleiben sowohl die Darstellungsform als auch die Methode noch tendenziell im ›alten‹, ›meta-physischen‹ Denken gefangen. Das überaus effektive metonymische Denkmodell wird hier als Werkzeug in seiner logischen Effizienz und Reichweite ausgespielt und genutzt. Aber Heidegger geht über diesen logischen Modus noch nicht sprachlich hinaus. Das zeigt sich besonders deutlich auch an der Metarede über ›Verstehen‹ und ›Rede‹. Die existenzialen Modi des ›Verstehens‹ und der ›Rede‹ Gleichursprünglich 59 mit der Befindlichkeit ist das Verstehen. Verstehen ist immer ein gestimmtes. Im Verstehen eines Worumwillens ist die darin gründende Bedeutsamkeit des In-der-Welt-seins als gesamte miterschlossen. Indem der Mensch da ist, also in der Welt agiert, erschließt sich ihm im Tun Bedeutsamkeit. Im Verstehen liegt existenzial die Seinsart des Daseins als Sein-können. »Dasein ist nicht ein Vorhandenes, das als Zugabe noch besitzt, etwas zu können«, schreibt

Ebenda. Der Terminus ›gleichursprünglich‹ soll anzeigen, dass es eben nicht um eine (er-/ aufzählende Aneinanderreihung von einzelnen Phänomenen geht, die dem Dasein wie Eigenschaften angehängt werden, sondern um zeitlich und räumlich immer zugleich vorkommende Strukturmomente.

58 59

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Heidegger, »sondern es ist primär Möglichsein. Dasein ist je das, was es sein kann und wie es seine Möglichkeiten ist.« 60 Es ist seine Möglichkeiten in einem Entwurf, der seine Grenzen in der Geworfenheit des Daseins in eine bestimmte Situation erhält. Das Verstehen hat einen Entwurfcharakter, der das Sein ständig ›mehr‹ sein lässt, als es ist, obwohl es seine Möglichkeiten vielleicht noch nicht thematisch erfasst. Geschieht der Selbstentwurf auf Möglichkeiten aus dem eigenen Selbst heraus, spricht Heidegger von einem eigentlichen Verstehen, entspringt dieser Möglichkeitsentwurf aus seiner umgebenden Welt heraus, dann spricht er von uneigentlichem Verstehen. Und so, wie das praktische Besorgen im Umgang mit Zeug durch den Terminus ›Umsicht‹ und das praktische Fürsorgen im Umgang mit Mitmenschen durch den Terminus ›Rücksicht‹ gekennzeichnet ist, so ist die Sorge im Umgang mit sich selbst existenzial durch den Terminus ›Durchsicht‹(igkeit) charakterisiert. Alle ›Sicht‹ gründet für Heidegger nämlich primär im Verstehen, in der Verständigkeit des Menschen. Das Entwerfen des Verstehens hat die eigene Möglichkeit, sich auszubilden, und es bildet sich als Auslegung aus. 61 Die durch Umsicht, Rücksicht und Durchsicht schon verstandene Welt wird ausgelegt, womit das ›Zuhandene‹ 62 ausdrücklich in die verstehende Sicht, also ins Blickfeld rückt. Unter ›Zuhandenem‹ versteht Heidegger ein störungsfreies routiniertes innerumweltliches Umgehen mit Zeug, zum Beispiel mit Werkzeug, Nähzeug usw. innerhalb eines fließenden praktischen Tuns. »Zeug ist wesenhaft ›etwas, um zu …‹. Die verschiedenen Weisen des ›Umzu‹ wie Dienlichkeit, Beiträglichkeit, Verwendbarkeit, Handlichkeit konstituieren eine Zeugganzheit. In der Struktur ›Um-zu‹ liegt eine Verweisung von etwas auf etwas. […] Die Seinsart von Zeug, in der es sich von ihm selbst her offenbart, nennen wir die Zuhandenheit. […] Der nur ›theoretisch‹ hinsehende Blick auf Dinge entbehrt des Verstehens von Zuhandenheit. Der gebrauchend-hantierende Umgang ist aber nicht blind, er hat seine eigene Sichtart, die das Hantieren führt und ihm seine spezifische Sicherheit verleiht.« 63

60 61 62 63

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Ebenda, S. 143. Vgl. ebenda, S. 148. Ebenda, S. 68 f. Ebenda.

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Alles Zubereiten, Zurechtlegen, Instandsetzen, Verbessern, Ergänzen vollzieht sich für Heidegger in der Weise, dass ein ›umsichtig Zuhandenes‹ auf sein ›Um-zu‹ auseinandergelegt wird. 64 Das ausdrücklich Verstandene erhält auf diese Weise die Struktur eines Sehens von ›Etwas als Etwas‹ – und das noch vor aller thematisch expliziten Auslegung. Im praktischen Vollzug ist unser Tun immer schon auslegend-verstehend. Verstanden wird nicht der Sinn von etwas, sondern das Etwas, das Seiende. Sinn ist vielmehr das ›formal-existenziale Gerüst der dem Verstehen zugehörigen Erschlossenheit‹. 65 Es ist der Rahmen, innerhalb dessen etwas verstanden werden kann. Es ist ein Existenzial und keine Eigenschaft des Daseins an ihm. In jedem Verstehen von Welt ist Existenz schon mitverstanden und umgekehrt. Wenn Heidegger das Verstehen derart beschreibt, dass es das Dasein für sich selbst – und zwar in seinen Möglichkeitsspielräumen erschließt, dabei aber an den uneigentlichen Modus eines öffentlichen Man verfallen ist, der sich immer an bereits bestehende Praxisformen und Bewandtnisse hält, dann wird im Verstehen das In-Sein immer schon mitverstanden. Existenzial besehen gründet Verstehen demzufolge in der praktischen Erkenntnis einer ›Umsicht des Besorgens‹ 66 statt in einer äußeren vorstellenden Anschauung, die dann vollends distanziert und versachlicht zur Theorie weiterführt. Hier deutet sich ein Schema an, das Heidegger auch für die anderen Formen der ›existenzialen Erschlossenheit‹ anwendet. 67 Die ›verstehende Umsicht‹ erschließt das Verstandene immer schon ›als (et)was‹ bzw. jemanden, das/der nicht extra noch benannt werden muss: »Der umsichtig-auslegende Umgang mit dem umweltlich Zuhandenen, der dieses als Tisch, Tür, Wagen, Brücke ›sieht‹, braucht das umsichtig Ausgelegte nicht notwendig auch schon in einer bestimmten Aussage auseinander zu legen. Alles vorprädikative schlichte Sehen des Zuhandenen ist an ihm selbst schon verstehend-auslegend.« 68

Die Artikulation des Verstandenen in einer auslegenden Näherung des Seienden am Leitfaden des etwas als etwas liegt also vor der the64 65 66 67 68

Vgl. ebenda, § 32. Ebenda. Ebenda. Vgl. vorgreifend Kapitel 9.5. dieses Buches. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 149 (Kursivierung Heidegger).

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matischen Aussage darüber. Das schlichte Sehen der nächsten Dinge im Zutunhaben mit etwas oder mit jemandem trägt die Auslegung ursprünglich schon in sich. Insofern gibt es kein ›als-freies‹ Verstehen. Ohne Als-Struktur gibt es nur bloßes Starren ohne Verstehen. Etwas als etwas zu verstehen, heißt aber nicht, etwas Vorhandenem, etwa einem Tisch, eine Bedeutung oder einen Wert ›anzukleben‹. Bedeutung konstituiert sich aus dem Zutunhaben innerhalb bereits durch Andere erschlossener Bewandtniszusammenhänge. Wie ohne Als-Struktur keine Auslegung möglich ist, so auch ohne Vor-Charakter oder Gestimmtsein kein Verstehen. Die Auslegung von etwas wird nach Heidegger dabei durch ›Vorhabe‹, ›Vorsicht‹ und ›Vorgriff‹ als existenziale Schritte innerhalb der Auslegung fundiert und ist nie ein voraussetzungsloses Erfassen eines Vorgegebenen. 69 Es ist nämlich gerade die praktische Erfahrung im umsichtsvollen und rücksichtsvollen Umgang mit der Mitwelt nötig für das Verstehen von Bedeutung. 70 Wir verstehen etwas sozusagen immer schon in bestimmter perspektivischer Weise, je nachdem, in welche Grundbefindlichkeit wir eingestimmt sind, wie viel Orientierung vonnöten ist usw. Diese lässt sich aber nur im praktischen ›Besorgen‹ und ›Fürsorgen‹ des In-der-Welt-seins – also in einer bestimmten Haltung zur Welt – gewinnen, wie Heidegger bereits in seinen frühen Schriften herausgestellt hat. 71 Diese Haltung manifestiert sich dann als ›Weltbild‹. Das meist dominante Weltbild ist jedoch nicht das existenziale, sondern das kategoriale. Im kategorialen Weltbild ist Welt auf eine bestimmte Weise vorerschlossen. In dieser Haltung zur Welt als Ganzem ist bereits Sinn und Orientierung vorverstanden. Allerdings eben auf metaphysische Weise. Insgesamt gilt aber, dass überhaupt erst in einem Weltbild ›Sinnverstehen‹ möglich ist. Dieses expliziert jedoch nichts Implizites. »Verstanden […] ist«, so Heidegger, »streng genommen, nicht der Sinn, sondern das Seiende, bzw. das Sein. Sinn ist das, worin sich Verständlichkeit von etwas hält. Was im verstehenden Erschließen artikulierbar ist, nennen wir Sinn.« 72 Der Begriff des ›Sinns‹ umfasst bei Heidegger somit sozusagen das formale Gerüst, den ›Halt‹ dessen, was notwendig zu dem gehört, was verstehende Auslegung 69 70 71 72

336

Vgl. ebenda, S. 150. Vgl. ebenda, S. 150 f. Siehe Kapitel 8.3. dieses Buches. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 151.

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erschließt, was etwas hält. Gehalten werden, halten und Halt geben, das ist es also, was für Heidegger den Sinn von Dasein ausmacht und die Seinsweise des Daseins als Orientiertheit bestimmt. Insofern ist auch Sinn ein Existenzial des Daseins und nicht eine Eigenschaft, die am Seienden irgendwie anhaftet, hinter dem Seienden liegt oder in einem Zwischenreich irgendwo schwebt. Für Heidegger kann deshalb überhaupt nur Dasein sinnvoll oder sinnlos sein. Sinn kann nicht gefunden oder entdeckt werden. Der Sinn von Sein ist also nichts Hinterweltlerisches oder schon Vorhandenes, sondern muss für Heidegger immer auf das Sinnverstehen als verstehende Erschlossenheit des Ganzen des In-der-Welt-Seienden existenzialen Daseins bezogen bleiben. Denn in jedem Verstehen von Welt ist aus der Existenz Sinn und Bedeutung immer schon mitverstanden. Innerhalb der Annahme einer existenzialen Beschreibung möglicher Welt- und Selbstfundierungen des Menschen ist es Heideggers Überzeugung, dass das Dasein als innerweltlich Seiendes immer schon auf ein Ganzes von Bedeutsamkeit, auf eine ganze Welt bezogen ist, weil das Dasein im Entwerfen von Möglichkeiten als Form des Verstehens für es selbst bereits als ein bestimmtes Weltbild erschlossen ist. 73 Weil Heidegger eine echte Alternative nur in einem radikalen Wechsel der Haltung zur Welt sieht, kann es bei der Aufweisung der Existenzialien auch nicht nur um eine präzise Analyse von Phänomenen und Begriffen innerhalb des bestehenden Weltbildes gehen. Vielmehr muss Heidegger Verweisungsbezüge und Grenzen innerhalb des Ganzen der Bedeutsamkeit dieses Weltbildes aufzeigen. Es geht um nichts Geringeres als ein Ausloten der Reichweite und Grenzen des westlich-abendländischen Weltbildes und seiner inneren Logik sowie seiner Sinnkriterien. Die von Heidegger bisher eingesetzten sprachlichen Mittel haben dabei immer den Index eines Appells, man möge es doch nicht so verstehen, wie Heidegger es akribisch auseinanderlegt, sondern in einer Synopsis des notwendig nacheinander Dargestellten. Gleichwohl bleiben Heideggers Mittel beschränkt und Missverständnisse nicht ausgeschlossen. Letztlich kann man sich des Verdachts nicht erwehren, dass Heidegger an der Sprachoberfläche auf dieselbe Weise wie andere Analytiker im Modus des metonymischen Vorhandenheitsdenkens präpariert, indem er quasipsychologische Phänomene in feingliedrig verwobene Unterkategorien sortiert. Der Unterschied 73

Vgl. ebenda.

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zu einem bloß schematischen Verfahren im Rahmen des metonymischen Redemodus ist jedoch der, dass Heideggers Maxime nicht allein in der Begriffsklärung aufgeht, sondern mit dieser einher eine Art Denk- und Haltungswandel stattfinden soll, der die innere Logik der Metonymie gerade aufbricht. Es soll eine echte Alternative zum quantifizierenden und rechnenden Vorhandenheitsdenken im Fokus einer umfassenden Weltbildkritik geliefert werden. Das dominante Denkmodell der Metonymie, das tragend ist für dieses Vorhandenheitsdenken, ist allerdings offenbar derart stark in der Normal- und Wissenschaftssprache, ja im Dasein selbst verankert, dass nur um den Preis der Unverständlichkeit aus ihm auszusteigen ist. Dessen eingedenk nutzt Heidegger deshalb alle Register dieses logischen Redemodells für die positive Herausarbeitung einer nicht-metonymischen Logik, aus der gleichwohl die tiefensprachliche Logik der Metonymie entsprungen sein muss. Das zeigt sich auch an Heideggers Analyse der existenzialen Modi der ›Auslegung‹ und der ›Aussage‹. Die existenzialen Modi der ›Auslegung‹ und ›Aussage‹ ›Auslegung‹ und ›Aussage‹ gründen im Verstehen. Ebenso wie die Auslegung hat auch die Aussage ihre existenzialen Fundamente in einem vorstrukturierenden Dreierschritt von Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff. Das in der Auslegung Gegliederte und im Verstehen als Gliederbares Vorgezeichnete ist der Sinn. In der Aussage wird das Vorgegliederte thematisch erfasst und expliziert. Heidegger weist der Aussage drei unterschiedliche Bedeutungen zu. Er unterscheidet: a) die primäre Aussage als Aufzeigung; b) Aussage als Prädikation und c) Aussage als Mitteilung. Während die Aufzeigung das Seiende selbst und keine Vorstellung davon meint (der Hammer in seiner Zuhandenheit – ich hämmere), schränkt die Prädikation als ein bestimmender Modus der Aufzeigung das Sehen auf das Sichzeigende ein (der Hammer in seiner Dinghaftigkeit – das ist ein etwas, mit dem man hämmern kann). Die Mitteilung als ›Heraussage‹ lässt das in der Weise des Bestimmens Aufgezeigte dann andere mitsehen bzw. in irgendeiner Weise daran teilhaben, und zwar insofern als die noch bedeutungsoffene Differenz von Zuhandenem und Vorhandenem, auf die nur angespielt wird, vom Rezipienten selbständig ergänzt werden muss (schwere Dinge bestimmter Form eignen sich zum Hämmern). 74 Immer bleibt bei solchen Analysen die Frage offen, ob es sich 74

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Ebenda, S. 160.

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um ein in der Erfahrung gegebenes einheitliches Phänomen handelt, oder ob diese Analyse eine nachträglich vorgenommene begriffliche ist, die selbst nicht in der Erfahrung so vorliegt. Heidegger definiert die Aussage jedenfalls zusammenfassend als ›mitteilend bestimmende Aufzeigung‹. 75 Heidegger unterscheidet jedoch auch immer so genannte ›abkünftige Modi‹ der existenzialen Gegebenheit von Phänomenen. Er demonstriert diese These an Grenzfällen von Aussagen, die in der Logik als Normalfälle und als Exempel der einfachsten Aussagephänomene fungieren, so am Satz: ›Der Hammer ist schwer.‹ Festzustellen, dass ein Hammerding die Eigenschaft hat, schwer zu sein, ist bereits vor aller Analyse dieses kategorischen Aussagesatzes durch die Logik immer schon existenzial vorverstanden. Das zunächst in der Vorhabe gehaltene Seiende als zuhandenes Zeug wird erst in der Auslegung über bestimmte Zwischenschritte zu einem Gegenstand der Aussage. Im Modus der Zuhandenheit, also dem fließenden umsichtigen praktischen Tun, bleibt das Zuhandene der Thematisierung verhüllt, denn es spielt keine auffallende Rolle, wie das Ding heißt, welche konkrete Form oder welches Label es hat. Erst wenn etwas nicht funktioniert, wenn – um Heideggers Terminologie zu zitieren – das Hammerding ›aufsässig‹ und ›auffallend‹ wird, manifestiert sich das ›zuhandene Womit‹ zu einem ›thematischen Worüber‹ der aufzeigenden Aussage. 76 So wird innerhalb des Entdeckens der Vorhandenheit zum Beispiel der Hammer dann auch in seinem bestimmten Vorhandensein bestimmt. Heideggers in den frühen Schriften vorbereitete und nun ausgeführte Analyse ergibt, dass das, was thematisch wird, den Zugang zu so etwas wie Eigenschaften eröffnet. Im existenzialen Vollzug von Praxen gibt es keine klar artikulierbaren Eigenschaften, sondern nur fließende praktische Vollzüge, die nicht weiter auf ihre Sinnhaftigkeit oder Art und Weise hinterfragt werden. »Durch die Hin-sicht und für sie wird das Zuhandene als Zuhandenes verhüllt. Innerhalb dieses die Zuhandenheit verdeckenden Entdeckens der Vorhandenheit wird das begegnende Vorhandene in seinem So-und-so-vorhanden-sein bestimmt. Jetzt erst öffnet sich der Zugang zu so etwas wie

75 76

Vgl. ebenda, S. 156. Vgl. ebenda, § 33.

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Eigenschaften. Das Was, als welches die Aussage das Vorhandene bestimmt, wird aus dem Vorhandenen als solchem geschöpft.« 77

Eigenschaften sind also Ergebnisse von Abstraktionsakten. Heidegger versteht dabei den Übergang von der Zuhandenheit zur Vorhandenheit einer Bestimmung hin als Verlieren der Bewandtnisganzheit, also das Herausreißen aus einem unthematischen Vollziehen praktischer Handlungen. Das Phänomen in seiner phänomenalen Eingebundenheit in den Vollzug wird von der Fülle der Möglichkeit der Artikulation von Verweisungsbezügen ›abgeschnitten‹ und auf die Ebene des bloßen Vorhandenseins zurückgedrängt. Dies kommt einer Nivellierung des ursprünglichen ›Als ob‹ in der umsichtigen und rücksichtsvollen Auslegung gleich. Die Einschränkung zu einem Als der Vorhandenheitsbestimmung nennt er dann im Unterschied zum ursprünglichen, existenzial-hermeneutischen Als der umsichtig verstehenden Auslegung das ›apophantische Als der Aussage‹. 78 Zwischen diesen beiden Formen, also der im besorgenden Verstehen noch ganz eingehüllten Auslegung und dem extremen Gegenfall einer theoretischen Aussage über Vorhandenes denkt sich Heidegger ein Spektrum von nuancenreichen Zwischenstufen. 79 Das ist besonders auch für die Philosophie und ihre Sprache von Bedeutung. Für die philosophische Tradition seit der Antike ist der λόγος selbst ein Seiendes und gemäß der Orientierung der antiken Ontologie ein Vorhandenes. Damit wird der λόγος auf eine bestimmte Seinsweise metonymisch reduziert, denn das Vorhandenheitsdenken steht für die Gesamtheit möglicher Seinsweisen und reduziert es auf diese. Diese unzulässige Generalisierung engt den Begriff des λόγος ein. Zunächst vorhanden, das heißt vorfindlich wie Dinge, sind auch die Wörter und Wörterfolgen, in welchen sich der λόγος und mit ihm die Vernunft ausspricht. Im Hinblick auf das im λόγος offenbare Seiende werden die Wörter zu einem Wortganzen oder Sätzen bausteinartig zusammengesetzt, so wie es die phonetischen Sprachen sind. Die erste Suche nach der Struktur des λόγος findet sich also in einem Zusammenvorhandensein mehrerer Wörter. Verdinglichung von Zeichen ermöglicht also erst so etwas wie klar voneinander abgegrenzte Buchstaben und Wörterdinge, dann auch Sätze als eine strukturierte Form von Aussagen. Verdinglichung ist damit auch die Ursa77 78 79

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Ebenda, S. 158 (Kursivierung Heidegger). Ebenda. Vgl. ebenda.

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che dafür, dass sich das Urteil in der Vorhandenheitslogik zu einem System von Zuordnungen auflöst, die dann wiederum zum Rechengegenstand gemacht werden können. So werden die Buchstaben zu Wörterdingern zusammengezählt, reihen wir Sätze aneinander, teilen wir Texte in Genres ein usw. Weil diese Tendenz zur Vergegenständlichung ein konstitutiver Bestandteil des menschlichen Daseins ist, der tief in der Grammatik und Logik unseres Sprachdenkens verankert ist, versucht Heidegger, aus dieser metonymischen Vorhandenheitslogik im allmählichen Rückgang auf ihre Weichen stellenden Kriterien wieder herauszudenken. Deswegen untersucht er die existenzialen Modi des λόγος noch genauer auf dessen existenzial-ontologischen Fundamente hin. Die existenzialen Modi der ›Rede‹ und der ›Sprache‹ Das Fundament der Sprache ist die Rede (λόγος), die in der dritten Bedeutung der Aussage als Mitteilung existenzial aufgezeigt wurde. »Mitdasein ist wesenhaft schon offenbar in der Mitbefindlichkeit und im Mitverstehen. Das Mitsein wird in der Rede ›ausdrücklich‹ geteilt, das heißt es ist schon, nur ungeteilt als nicht ergriffenes und zugeeignetes.« 80 Die Rede ist mit Befindlichkeit und Verstehen existenzial gleichursprünglich, denn Verständlichkeit ist ja immer schon vor der zueignenden Auslegung gegliedert. Die Rede artikuliert diese Gegliedertheit und liegt demzufolge der Auslegung und Aussage schon zugrunde. Das in der redenden Artikulation Gegliederte nennt Heidegger das ›Bedeutungsganze‹. Das Artikulierbare nennt er den ›Sinn‹. 81 Das Bedeutungsganze kann in einzelne Bedeutungen aufgelöst werden. Diese sind als das Artikulierte des Artikulierbaren damit immer schon ›sinnhaft‹. Sie haben also nur Teil am Sinn, repräsentieren diesen aber nicht schon selbst. Heidegger will nun die spezifische weltliche Seinsart der Rede herauspräparieren und das Bedeutungsganze der Verständlichkeit sozusagen zu Wort kommen lassen. Da dies eine phänomenologischexistenziale Aufweisungsart sein soll, kann er sagen, dass den Bedeutungen ›Worte zuwachsen‹, statt dass Wörterdinge mit Bedeutungen versehen werden. 82 Auch im Bereich der Rede muss diese selbst als innerweltlich Begegnendes und aus Bewandtniszusammenhängen 80 81 82

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 162 (Kursivierung Heidegger). Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 161. Ebenda.

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Vorfindliches interpretiert werden. Sie muss sich als Existenzial, also im besorgenden Miteinander von sich aus her zeigen. Die Rede zeigt sich dort weniger in Verlautbarungen als im ›Hören‹ und ›Schweigen‹. Sie zeigt sich aber auch als ›zu- und absagen‹, ›auffordern‹, ›warnen‹, als ›Aussprache‹, ›Rücksprache‹, ›Fürsprache‹ wie auch als ›Aussagen treffen‹ und ›Reden halten‹ usw. In einer jeden solchen Rede liegt für Heidegger ein ›Geredetes‹ als Wünschen, Fragen, Sichaussprechen über etwas, das sich mitteilt. Das Mitteilen ist – und da unterscheidet sich Heidegger doch stark von linguistischen und sprachwissenschaftlichen Ansätzen – nie nur ein Transport von Erlebnissen oder Informationen, sondern teilt vor allem das Mitsein mit Anderen mit. Das Ausgesprochene ist das draußen (bei den Anderen). Es ist eine Weise der Befindlichkeit oder Stimmung, die das In-Sein des Daseins erschlossen hat, weil sich das Ausgesprochene im Tonfall, der Modulation, im Tempo der Rede – also in der Art und Weise des Sprechens – zeigt. 83 Auch hier unterscheidet Heidegger wieder verschiedene konstitutive Momente der Rede: 1. das Worüber der Rede (Beredete), 2. das Geredete als solches, 3. die Mitteilung und 4. die Bekundung. Diese vier existenzialen Charaktere der Rede sind wiederum keine Eigenschaften der Rede, die sich empirisch auflesen und beobachten lassen, sondern ermöglichen ontologisch erst so etwas wie Sprache. 84 Interessant dabei ist vor allem, dass Heidegger das Hören für konstitutiv für das Reden hält. In dieser Analyse ist er unter anderem Herders Sprachursprungstheorie sehr nahe. 85 Es ist nach Heidegger eine zum Reden selbst gehörende existenziale Möglichkeit oder Variante des Redens. In ihm offenbart die Rede eine existenziale Offenheit des Daseins als Mitsein für Andere. Das Dasein hört, weil es versteht – so Heidegger mit Herder und Humboldt. Insofern ist es dem Mitdasein und ihm selbst ›hörig‹ und ›zugehörig‹, denn im Aufeinanderhören bildet sich das Mitsein erst. Es ermöglicht nämlich erst beDichtende Rede, so räumt Heidegger ein, ist dabei offenbar besonders geeignet, existenziale Möglichkeiten der Befindlichkeit mitzuteilen und somit Existenz ursprünglicher zu erschließen, denn sie vermag es, Sinn zu stiften. 84 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 162. 85 Vgl. J. G. Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772), Stuttgart 1969. Heidegger hat sich mit Herders Sprachtheorie auseinandergesetzt. Vgl. Ingrid Schüßler (Hrsg.), Seminar: Vom Wesen der Sprache. Die Metaphysik der Sprache und die Wesung des Wortes. Zu Herders Abhandlung »Über den Ursprung der Sprache«. 1999, GA 85. 83

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stimmte Weisen des Folgens, Mitgehens, auch des Widersetzens, des Trotzes oder der Abkehr. Phänomenal noch ursprünglicher ist für das Reden dann das ›Horchen‹. Es hört komplexe Zusammenhänge und nicht Geräusche oder Lautkomplexe, weil es sich beim innerweltlichen Zuhandenen aufhält. Dabei wird beim Horchen auf die Rede des Anderen zunächst auf das in Bewandtniszusammenhängen Gesagte angespielt. Die empraktisch erworbene und geteilte Kenntnis der inhaltlichen und logischen Zusammenhänge ermöglicht es dann auch, sich an die Stelle des anderen zu versetzen und Nichtgesagtes oder unverständlich Gesagtes selber zu ergänzen. Dasselbe existenziale Fundament wie das Hören hat demzufolge auch das Schweigen. Um schweigen zu können, muss ein Mensch etwas zu sagen haben, also über eine eigentliche und reiche Erschlossenheit seiner selbst verfügen, die selbst wiederum im Verstehen gründet. Sich vollständig in die Tradition von Aristoteles stellend, interpretiert Heidegger den Menschen als ein Seiendes, das redet. Der Mensch ist ein Sprechender. 86 Dabei geht es nicht allein um die stimmliche Verlautbarung als solche – denn die teilt es mit anderen Lebewesen –, sondern um die spezifische Weise des Entdeckens der Welt und des Daseins selbst. Die philosophische Besinnung auf die Rede vollzieht sich – so Heideggers These – in der abendländischen Denktradition vorwiegend am Logos als Aussage. Die Grammatik bekommt ihr Fundament in der Logik dieses Logos und gründet damit in einer Ontologie des Vorhandenen. 87 Um die Grammatik nun von dieser Vorhandenheitslogik wieder zu befreien und die Sprache in ihrer Zuhandenheit zu retten, sucht Heidegger ein vorgängiges Verständnis der apriorischen Grundstruktur von Rede als Existenzial. Es muss zunächst gefragt werden, welche Seinsart die Sprache überhaupt hat: Ist sie zuhandenes Zeug oder Daseiendes oder keines von beidem? Dass die bloße Beobachtung für Heidegger kein Ausgangspunkt philosophischer und insbesondere ontologisch-existenzialer Analytik sein kann, ebenso wenig wie eine kreationistische Sprache, sondern dass die Grammatik der Sprache mit der Logik des menschlichen Tuns einen Zusammenhang bildet, ist eine der wesentVgl. Kapitel 3 dieses Buches. Von diesem Denken aus, d. h. aus einer Vorhandenheitslogik heraus, hat sich dann die spätere vergleichende Sprachwissenschaft ihre Bedeutungskategorien vorgeben lassen, indem sie die Sprachen nur empirisch auf ihre positiv vorliegenden Bestandteile hin untersuchte, aber nicht auf ihre Fundiertheit in bestimmten praktischen Lebensvollzügen, die den verobjektivierten Wortbestandteilen vorausgehen.

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lichen Grundüberzeugungen Heideggers über die Sprache. Zwar verschließen sich die Phänomene im Modus des Alltäglichen und öffentlichen Man, also der Fremdüberlagerung, und der Uneigentlichkeit mehr, als dass sie sich erschließen. Aber in dieser Verschließung zeigt sich eben ein Charakteristikum des Daseins selbst. Die Verschließungsweisen zu (er)kennen, ist wichtig, um Rückschlüsse auf ein Modell existenzialen Verständnisses zu ziehen. Weil die Tendenz zum Vorhandenheitsdenken in der theoretischen Einstellung die Ausprägung einer wesentlichen Daseinstendenz selbst ist, dürfen deren Mechanismen nicht ungeachtet bleiben. Aus ihrer Kenntnis lassen sich erst mögliche Verschließungsweisen besser identifizieren. Gemäß dieser Einsicht untersucht Heidegger zunächst auch jene Redeformen, die eher das Dasein existenzial verschließen als erschließen. Ein Beispiel ist das ›Gerede‹. Das Gerede – etwa in einer Smalltalkrunde – entbindet nicht nur von der Aufgabe echten Verstehens, sondern bildet nach Heidegger sogar eine unexakte Verständlichkeit aus, die allenthalben nachgeredet werden kann. Gerede entwurzelt, ist also von seinen existenzialen Seinsbezügen abgeschnitten. Ebenso verhält es sich mit der ›Neugier‹, die für Heidegger überall und nirgends ist und insofern Aufenthaltslosigkeit und Zerstreuung, aber kein existenziales Berührt- oder Angerührtwerden anzeigt. 88 Auch die Neugier entwurzelt das Dasein, weil sie von ihm fortführt. Insofern gehören Gerede und Neugier als entwurzelte Modi der Rede und der Sicht zusammen. Die eine uneigentliche Seinsweise reißt die andere mit sich. Beide täuschen ein vermeintlich ›lebendiges Leben‹ vor, denn alles sieht so aus wie echt verstanden, ergriffen und besprochen. Das meiste und Neueste wird aber gar nicht bedacht und in eine Beziehung zu sich selbst und der Welt gesetzt. Alles ist schon vorbeurteilt und abgehandelt. Es wird nur nachgeplappert. Die Zweideutigkeit der öffentlichen Ausgelegtheit gibt das Vorwegbereden und neugierige Ahnen für das eigentliche Geschehen

Es ist nicht völlig abwegig, Heideggers Bemerkungen zum Verfallen und Entwurzeltsein nur als kulturkritischen Beitrag zu lesen, wie es zum Beispiel Thomas Heinrichs getan hat. Dieser versucht, Heideggers Denken als lediglich rückwärtsgewandte Kritik an der Moderne, konkret an den Formen fordistischer Vergesellschaftung auszudeuten. Damit unterschiede sich Heideggers Philosophie aber kaum noch von den ambitionierten kulturphilosophischen Ansätzen seiner Zeit, von denen er sich gerade absetzen wollte. Vgl. T. Heinrichs, Zeit der Uneigentlichkeit. Heidegger als Philosoph des Fordismus, Münster 1999, S. 136.

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selbst aus und stempelt Durchführen und Handeln zu einem Nachträglichen und Belanglosen ab. Für Heidegger versieht sich das Verstehen des Daseins im uneigentlichen Modus des Man in seinen Entwürfen ständig hinsichtlich der echten Seinsmöglichkeiten, weil die Zweideutigkeit der Neugier immer gerade ›das zuspielt, was sie sucht‹. Sie gibt dem Gerede den Schein, den es braucht, um alles beim Alten zu lassen. Gerede und Neugier sind entgegen ihres Scheins konservativ, sie ändern Bewährtes nicht, sondern halten die Vorurteile der Gesellschaft stabil. Sie unterminieren das Handeln. Ihre Unbesonnenheit entstammt einem Nicht-selbst-denken-wollen. Auch zwischen das ursprüngliche Miteinandersein schiebt sich Gerede und Neugier. Gerede, Neugier und Zweideutigkeit charakterisieren damit diejenige Weise, in der das Dasein alltäglich sein Da, also vorurteilsvolle Erschlossenheit des In-der-Welt-seins ist. Gerede, Neugier und Zweideutigkeit sind ebenso existenziale Bestimmungen wie Befindlichkeit, Verstehen und Rede im Modus der Uneigentlichkeit. Als solche sind sie nicht einfach Beschreibungskategorien, wie sie die Anthropologie oder Psychologie auch hätten aufstellen können. Sie demonstrieren vielmehr den Vorrang der Zuhandenheit vor der Vorhandenheit innerhalb der Uneigentlichkeit und damit zugleich den Gedanken einer vorprädikativen Erfahrung. Diese Strukturen als wesentliche Daseinsstruktur sichtbar zu machen, ist Teil der Heideggerschen Suche nach einem echten alternativen Denkmodell zur Wissenschaftsideologie des Exakten und jeglichen rechnerischen und vergegenständlichenden Denkens. Heidegger geht es nicht um die Bereitstellung irgendeiner Alternative, sondern um die Aufdeckung der ursprünglichen Möglichkeiten und deren adäquate phänomenale, ontologische und sprachliche Erfassung. Es steckt darin sozusagen auch ein Anspruch, das Uneigentliche dieser Tendenz des Daseins zu durchschauen, dann zu durchbrechen und Möglichkeiten von Eigentlichkeit zu eröffnen. Inwiefern zu diesem Durchbruch auch die Anstrengungen eines Sprachwandels nötig sind, der die herkömmlichen Pfade eines metonymisch-analytischen Rahmenmodells verlässt und durch ein entgegengesetztes Darstellungsmodell wenn nicht substituiert, so doch ergänzt, erläutern die folgenden Abschnitte zu den eigentlichen Weisen existenzialen Daseins.

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9.3. Eigentliche Weisen der Existenz Wenn Heidegger zunächst die ›uneigentlichen‹ im Unterschied zu den ›eigentlichen‹ Weisen des Daseins herauskehrt und analysiert, dann nur, weil diese sich dem Beobachter zuerst aufdrängen und stets präsent sind. Die Uneigentlichkeit stellt allein die zumeist vorherrschende Form der menschlichen Daseinsweise dar. Der alltägliche Daseinscharakter versteht sich tendenziell selbst gemäß der physis und vom Gegenständlichen her und ist an die Öffentlichkeit des Man verfallen. Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit sind also keine Substitute für Existenzialien und Kategorien. Vielmehr gehören die Modi der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit allein in den Bereich der Existenzialien. Auf der Suche nach einem ›echten Sinn von Sein‹ kommt es jedoch gerade darauf an, das sich vordergründig Aufdrängende vorbeiziehen zu lassen und die Augen nach dem aufzutun, was sich zunächst gerade nicht aufdrängt, sondern sich eher verbirgt, was dem Dasein gern auch aus dem Weg geht. Nachdem Heidegger herauspräpariert hat, wie das Da des Daseins zunächst und zumeist vorkommt, so geht es bei der Analyse des Modus der Eigentlichkeit um das Sein des Daseins. Im Modus der Uneigentlichkeit wurde das Dasein als Befindlichkeit charakterisiert. Dem entspricht die Stimmung im Modus der Eigentlichkeit. Das Sein des Daseins ist immer irgendwie gestimmt, weil es in eine bestimmte gestimmte Welt geworfen ist, zu deren Stimmungen es als gestimmtes Sichbefinden sich je existenzial verhält. Welt ist dem Dasein also in einer Befindlichkeit bereits existenzial erschlossen. Das Sein des Daseins ist hingegen dadurch charakterisierbar, wie es sich zu sich selbst verhält, auf sich selbst Bezug nimmt. Heidegger verdeutlicht diesen Selbstbezug am Beispiel der Grundbefindlichkeit der Angst. Eine der existenzial-ontologisch bedeutsamsten ungerichteten Grundbefindlichkeiten des Daseins ist die Angst, von der die intentionale Furcht als ein abgeleiteter Modus unterschieden wurde. Furcht ist ein Modus der Uneigentlichkeit. Während nämlich die Furcht eine Weise der Mitbefindlichkeit mit Anderen ist, zum Beispiel indem man sich als mitbetroffen oder unbetroffen von etwas fühlt, und immer ein je konkretes Wovor hat, ist nach Heidegger die Angst eine Grundbefindlichkeit, deren Wovor die ›Welt als solche‹ und damit die Unbedeutsamkeit, das ›Nichts‹ und damit ihr ›Ende‹ ist, womit auch alle Selbstbezüglichkeit ihr Ende hätte. Die Angst ist 346

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Angst vor Vereinzelung, vor Abtrennung von der Welt in ihrer sozialen Struktur und Ordnung. Das Man des Daseins fühlt sich nicht mehr zuhause, kennt sich nicht mehr aus. Im Unterschied zur Furcht, die Heidegger als eine an die Welt verfallene, uneigentliche und ihr selbst als solche verborgene Angst versteht, ist Angst als existenziales Wesensmoment des Daseins im Modus der Eigentlichkeit anzufinden. Gerade weil die Angst vereinzelt und aus dem alltäglichen Verfallensein an das Man herausholt, ist sie – wie alle Modi der Eigentlichkeit – eine Möglichkeit ›ausgezeichneten Erschließens‹, wie es Heidegger nennt. Erst die Angst macht dem Dasein nämlich Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als Möglichkeiten seines Seins offenbar. 89 In der Angst bin ich auf mich selbst zurückgeworfen und alle Entlastungsangebote des öffentlichen Man versagen. In der Angst verliere ich die Orientierung, verliere den Halt. Positiv jedoch gesprochen ist das Selbst im Modus der Eigentlichkeit nicht mehr dem Man verfallen. Existenziell ist also die Eigentlichkeit des Selbstseins zwar im Verfallen verschlossen. Diese Verschlossenheit ist aber wieder nur eine Privation, also ein abkünftiger Modus einer Erschlossenheit des Daseins für sich selbst. Die Flucht des Daseins ins Verfallen bzw. ins Man ist damit letztlich Flucht vor sich selbst. 90 Und nur insofern es ein Wovor der Flucht gibt, kann das Dasein auch ›vor‹ ihm flüchten oder fliehen. »Die Abkehr des Verfallens gründet in der Angst, die ihrerseits Furcht erst ermöglicht.« 91 In der Abkehr vom Wovor ist dem Dasein also sein Bedrohtsein schon existenzial erschlossen und versteht das Dasein seine Flucht vor dem Eigentlich- oder Authentischsein. Das Wovor der Angst ist hingegen kein Konkretes, etwa die Furcht vor einer Prüfung, sondern das In-der-Welt-sein als solches. Das Wovor ist völlig unbestimmt. Es ist nichts Innerweltliches, wovor sich die Angst ängstigt, nichts Zuhandenes und nichts Vorhandenes. Welt überhaupt ist unbedeutsam für das existenziale Phänomen der Angst. Das Bedrohliche der Angst rührt vielmehr daher, dass es von nirgends herrührt. Für Heidegger bedeutet nirgends allerdings nicht ›nichts‹, sondern bezeichnet die ›Gegend überhaupt‹. 92 ›Gegend über89 90 91 92

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 190 f. Vgl. ebenda, S. 184. Ebenda, S. 186. Ebenda, S. 186 f.

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haupt‹ übersetzt Heidegger als ›Erschlossenheit von Welt überhaupt‹. Es geht nicht um ein konkretes Wie des In-der-Welt-seins, sondern um die grundlegende Erfahrung, dass man überhaupt in der Welt ist. 93 Das Drohende oder Bedrohliche kommt also nicht aus einer bestimmten Richtung, sondern entbehrt sozusagen einer näheren Bestimmung, ist längst immer ›schon da‹, und zwar derart, dass diese ›Nähe‹ beengt und einem den Atem verschlägt. Das Sichängsten erschließt ursprünglich und direkt überhaupt erst die Welt als Welt, das heißt als das Mitdasein Anderer nicht nur in einer Umwelt, sondern einer Mitwelt. Insofern ist Angst nie nur ›Angst vor …‹, sondern zugleich ›Angst um …‹. Sie vereinzelt das Dasein auf sein gattungsspezifisches ›In-der-Welt-sein-können‹. 94 Die ›Angst‹ erschließt das Dasein als ›auf sich selbst zurückgeworfenes Möglichsein‹ – oder wie Heidegger es auch ausdrückt: für ›das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens‹. 95 Insofern stellt die Angst immer das eigene Seinkönnen existenziell infrage. Weil eine solche Selbstbezüglichkeit bei Tieren fehlt, können Tiere zwar Furcht – zum Beispiel vor Angreifern – haben, aber sie können in diesem starken Sinne keine Angst um sich haben. Weil sie ihr Sein nicht frei wählen können, bleiben Tiere in ihrer Umweltlichkeit festgestellt. Das Beispiel der Angst zeigt, dass sich das Dasein vor die Eigentlichkeit seines Seins als Möglichkeit bringen kann. Diese Möglichkeit zur Eigentlichkeit hat das Dasein nicht nur, sondern ist es von Anfang an. Es ist sein ›eigenstens Seinkönnen‹, selbst wenn es sich vor dieser eigentlichen Seinsmöglichkeit ängstigt und lieber in die Uneigentlichkeit flieht. Heidegger geht es also um nichts weniger als die Ansetzung des Menschen als eines selbstbezüglichen Wesens, das – anders als Tiere – zumindest der Möglichkeit nach sich selbst wählen und ›kreieren‹ kann. Dies kann das Dasein aber nur, wenn es die radikale Vereinzelung in der Eigentlichkeit zulässt und sich nicht wie ein Tier ausschließlich durch seine Umwelt im Modus der Uneigentlichkeit bestimmen und degradieren lässt. Es geht Heidegger demzufolge um die Höheransetzung des Menschen selbst. Es geht ihm um die generelle Bestimmung der gattungsspezifischen und seinsmäßigen Andersartigkeit des Menschen, die er durch den eigendynamischen 93 94 95

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Ebenda. Ebenda. Vgl. ebenda, S. 188.

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Prozess des Daseins im Modus der Uneigentlichkeit bis zum Selbstmissverständnis durch die (exakten) Wissenschaften bedroht sieht. Deshalb strebt Heidegger – nur hierin Nietzsche ähnlich – eine ›Umwertung der Werte‹ an. Nicht die uneigentliche Existenz ist die für den Menschen maßgebliche, sondern die eigentliche. Die existenziale Erfahrung der Vereinzelung durch Angst ist nämlich zugleich eine Weise des ausschließlich Menschen vorbehaltenen Erschlossenseins von eigensten Seinsmöglichkeiten. 96 Die existenziale Befindlichkeit der Angst ist die der Unheimlichkeit. Angst ist insofern eine Form des ›Nicht-zuhause-seins‹ bzw. des ›Nicht-mehr-vertraut-seins‹ bzw. des ›Un-zuhause‹. 97 Das heißt aber nichts anderes, als dass das vermeintlich beruhigende und vertraute In-der-Welt-sein im uneigentlichen Modus des öffentlichen Man nur ein Modus der Unheimlichkeit des Daseins selbst ist – und nicht umgekehrt. Unheimlichkeit ist nicht als Bedingung in der menschlichen Welt, sondern die menschliche Welt wird von der eigentlichen Stimmung der Unheimlichkeit getragen. Insofern ist die Furcht des Menschen nur eine an die Welt verfallene, uneigentliche und ihr selbst als solche verborgene Angst. 98 Gerade aber und allein in der vereinzelnden Angst liegt für Heidegger die Möglichkeit eines ›ausgezeichneten Erschließens der eigensten Wesensmöglichkeit‹ des Daseins beschlossen. Denn erst die Vereinzelung holt das Dasein aus seinem Verfallensein an das öffentliche Man zurück und macht ihm Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als Möglichkeiten seines Seins offenbar. Existenzialität im Modus der Eigentlichkeit ist damit jedem spezifischen Weltverständnis als Weltbild vorgelagert – allerdings nicht in einem räumlichen oder zeitlichen Sinn, sondern in einem ontologisch-logischen Sinn. Heidegger kehrt das Fundierungsverhältnis von faktischem In-der-Welt-sein und des Sich-zuhause-fühlens im alltäglichen Modus der Uneigentlichkeit und des metonymischen Vorhandenheitsdenkens und die Unheimlichkeit des Unzuhauses im Modus der Eigentlichkeit eines sprachlich noch zu fassenden Modus’ ganzheitlicher Selbstbezüglichkeit um: Uneigentlichkeit ist in der Eigentlichkeit fundiert. Weil der Mensch das Unheimliche, aber Ei-

Zum Begriff der ›Eigentlichkeit‹ siehe auch: A. Luckner, Wie es ist, selbst zu sein. Zum Begriff der Eigentlichkeit (§§ 54–60), in: T. Rentsch (Hrsg.), Martin Heidegger. Sein und Zeit, Berlin 2007. 97 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 189. 98 Vgl. ebenda. 96

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gentliche nicht aushält, flieht er es und flüchtet gewissermaßen in die Heimat bzw. ein heimeliges Zuhause gebende Uneigentlichkeit des alltäglichen, durchschnittlichen und eingeebneten In-der-Welt-seins. Das Unheimliche ist deshalb unheimlich, weil in ihm keine klare Ordnung orientieren und entlasten könnte. Das In-der-Welt-sein aber ist gemäß der wahrzunehmenden physischen Welt immer schon vorgeordnet und kann damit besser zur Orientierung dienen. Nach diesen Vorgaben greift das Dasein und damit nach der Uneigentlichkeit. Die Angst als eigentlicher existenzialer Modus des Daseins wird also nicht als eine summarische Ansammlung von Attributen oder Eigenschaften, die dem Sein des Daseins anhaften, dargestellt. Angst und Furcht benennen nicht zwei Eigenschaften oder Kategorien, sondern sind zwei unterschiedliche Perspektiven auf ein und dieselbe Struktur des Seins des Daseins. Heidegger betont nur die unterschiedliche Haltung, die ein und dasselbe Wesensmoment ausmacht. Die Einführung des Begriffs der Eigentlichkeit kann daher als ein Aufruf zu einer Haltung der Authentizität verstanden werden. Genau diesen Haltungswechsel gilt es bei der Suche nach einer nichtmetonymischen Darstellungsform einzulösen. 99 Aber bleibt die Umkehrung des Metonymischen nicht weiterhin im logischen Rahmen des Metonymischen? Es gilt also, nicht nur das Mitverstehen nicht als empathische Einfühlung und die Eigentlichkeit nicht als nachgeordneten Seinsmodus – und damit metonymisch und falsch – zu verstehen, sondern insgesamt zu einer alternativen Sprache zu finden, die sich von der Vorhandenheitslogik im Modus der Uneigentlichkeit unterscheidet. Schließlich soll auch analog die Philosophie als spezifisch uneigentliche Praxisform zu ihren eigensten Seinsmöglichkeiten gelangen und darf sich nicht an die Entlastungen durch vorgegebene metonymisch-reduzierende Denkmodelle und Grammatiken klammern. 99 Ludwig Wittgenstein schreibt am 30. Dezember 1929 zu Sein und Zeit: »Zu Heidegger. Ich kann mir denken, was Heidegger mit Sein und Angst meint. Der Mensch hat den Trieb, gegen die Grenzen der Sprache anzurennen. Denken Sie zum Beispiel an das Erstaunen, daß etwas existiert. Das Erstaunen kann nicht in Form einer Frage ausgedrückt werden, und es gibt auch gar keine Antwort. Alles, was wir sagen mögen, kann a priori nur Unsinn sein. Trotzdem rennen wir gegen die Grenzen der Sprache an. Dieses Anrennen hat auch Kierkegaard gesehen und es sogar ganz ähnlich (als Anrennen gegen das Paradoxon) bezeichnet. Dieses Anrennen gegen die Grenze der Sprache ist die Ethik.« L. Wittgenstein, Zu Heidegger, in: Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von F. Waismann, hrsg. von B. F. McGuiness, Frankfurt am Main 1967, S. 68 f.

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Vielmehr muss sie nach Heidegger das Äußerste wagen. Dazu bedarf es jedoch noch mehr Enthüllungen über die Strukturen des Daseins. Heidegger will denkerisch wie sprachlich zum Kern der ursprünglichen Selbstbezüglichkeit des Daseins vorstoßen. Die bisher behandelten Strukturen holen aber noch nicht die dynamische Verflochtenheit und Zeitlichkeit der Existenzialität des Menschen ein. Der zeitlich-existenziale Kern des Daseins liegt für Heidegger nun im ganzheitlichen Charakter der ›Sorgestruktur‹ des Daseins. 100 Die Sorgestruktur Um seine eigensten Möglichkeit zu ergreifen, muss das Dasein frei sein für diese Möglichkeit der Wahl zwischen uneigentlichem und eigentlichem Leben. Es muss sich allererst als ein sich entwerfendes Dasein verstehen. Es muss sich als ein Wesen verstehen, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht. Das versucht Heidegger im Wortungetüm ›Sich-vorweg-im-schon-sein-in-der-Welt-als-Sein-bei-innerweltlich-begegnendem-Seienden‹ einzuholen. 101 Das zusammengesetzte Wort soll nicht nur die innere Verbundenheit der einzelnen Elemente hervorheben, sondern darauf verweisen, dass das Dasein sich in seinem Sein ›je schon vorweg‹ ist, dass es sich auf Ziele hin entwirft, selbst wenn es diese nicht explizieren kann oder diese nicht bis zu Ende verfolgt. Wie die Verkettung der segmentierten Worte anzeigt, bleibt diese Strukturbeschreibung jedoch selbst zergliedernd, zusammenrechnend, erzählend und – auch wenn Heidegger dies gar nicht sprach- und rhetorischtheoretisch intendiert – tendenziell und darstellungstechnisch dem metonymischen Vorhandenheitsdenken verhaftet. Ähnlich wie bei den uneigentlichen und eigentlichen Modi der Existenz bestimmt auch hier Heidegger in einer Zerteilung der Elemente in die durchschnittliche Alltäglichkeit des ›Besorgens‹ und des ›Fürsorgens‹ als umweltliche bzw. mitweltliche Modi eine zugrunde liegende wesenhafte Wesens-Sorge des Daseins. Ausdrücken soll die Wortkette, dass das Dasein immer schon in der besorgten Welt, also in der öffentlichen Welt des Man und ihren entlastenden Praxisformen aufgegangen ist. Das Dasein hat diese empraktisch teilnehmend immer schon verstanden und ist mit ihnen vertraut. Im Sich-vorweg-sein erfasst es nämlich zumeist die Möglichkeiten, die die Welt des Man ihm bieten, denn die sind die dem Dasein bekannten und verfügbaren. 100 101

Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 182. Vgl. ebenda, S. 192.

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Im Zurückgreifen auf die Formen der Uneigentlichkeit flieht das Dasein zugleich jedoch seine eigentlichen Möglichkeiten. Das Dasein im Modus des Vorhandenheitsdenkens ist insofern möglichkeitsblind. Es begnügt und beruhigt sich bei dem, was faktisch möglich, damit also wirklich und da, also vorhanden ist. Damit flieht das Dasein zugleich vor der Unheimlichkeit, Unsicherheit und dem Risiko des Möglichen. Nach Heidegger ist es das Seinkönnen, also die Möglichkeit in ihrem echten Möglichkeitscharakter, die das Dasein vor allem anderen Seienden auszeichnet. Erst ihr (potentieller) Möglichkeitssinn erhebt Menschen aus der Festgestelltheit in Um- und Mitwelt heraus. Die existenziale Bedeutung von Existenz ist deshalb Transzendenz, ein Übersichhinausgehen, ein ›ek-sistere‹ – ein ›Hinaus-stehen in seine Möglichkeiten‹. Um über sich hinausgehen zu können, bedarf es eines sich durch die verschiedenen Weltbildebenen haltenden Mediums. Dieses Medium charakterisiert Heidegger mit dem Terminus ›Sorge‹. Mit ›Sorge‹ ist keine bestimmte Sorge um etwas gemeint, sondern eine das Dasein zu einer Ganzheit zusammenbindende Struktur. Wie auch die anderen Existenzialien, die durch sie getragen werden, so soll auch die Sorgestruktur nicht vergegenständlicht verstanden werden. Sie ist eine Art dynamischer Energie, die sich weniger räumlich als zeitlich durch das Dasein hindurch erstreckt. – Heidegger führt die Sorgestruktur des Daseins im Rückgriff auf die Fabel des Hyginus in seine Existenzialanalyse ein: »Als einst die ›Sorge‹ über einen Fluß ging, sah sie tonhaltiges Erdreich: sinnend nahm sie davon ein Stück und begann es zu formen. Während sie bei sich darüber nachdenkt, was sie geschaffen, tritt Jupiter hinzu. Ihn bittet die ›Sorge‹, daß er dem geformten Stück Ton Geist verleihe. Das gewährt ihr Jupiter gern. Als sie aber ihrem Gebilde nun ihren Namen beilegen wollte, verbot das Jupiter und verlangte, daß ihm sein Name gegeben werden müsse. Während über den Namen die ›Sorge‹ und Jupiter stritten, erhob sich auch die Erde (Tellus) und begehrte, daß dem Gebilde ihr Name beigelegt werde, da sie ja doch ihm ein Stück ihres Leibes dargeboten habe. Die Streitenden nahmen Saturn zum Richter. Und ihnen erteilte Saturn folgende anscheinend gerechte Entscheidung: ›Du Jupiter, weil du den Geist gegeben hat, sollst bei seinem Tode den Geist, du Erde, weil du den Körper geschenkt hast, sollst den Körper empfangen. Weil aber die ›Sorge‹ dieses Wesen zuerst gebildet, so möge, solange es lebt, die ›Sorge‹ es besitzen. Weil aber über den Namen Streit besteht, so möge es ›homo‹ heißen, da es aus humus (Erde) gemacht ist‹.« 102 102

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Vgl. ebenda, S. 197 f. Heidegger verweist an dieser Stelle darauf, dass Goethe die

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Saturn will in dieser Fabel ein gerechtes Urteil sprechen, indem er alle Beteiligten an dem Gebilde eine zeitlang teilhaben lässt – ein Grund für die Zerrissenheit und das umweltlichen Nichtfestgestelltsein des Menschen. Das Gebilde – der Mensch – sorgt sich, solange es lebt. Ist in ihm kein Leben mehr, gibt es auch keine Sorgen. Die Sorge wird damit aristotelisch auf die Endlichkeit, die Dauer des Lebens, bezogen bzw. auf die Menschheit als ganze, ohne die es das Phänomen Sorge ebenso wie die Angst nicht gebe. Die Endlichkeit des Menschen ist damit der eigenste Wesenskern des Sich-sorgens. Der Mensch geht also nicht in seiner Materialität oder Idealität, seiner körperlichen Beschaffenheit oder seiner Intellektualität und Geistigkeit auf, sondern dies sind nur vorübergehende Eigenschaften des lebendigen Menschen zwischen Geburt und Tod. Im Wesenskern ist der Mensch in seiner existenzialen Daseinsstruktur ein sich sorgendes Wesen. Seine Lebenssorge, die Sorge um sich und sein Seinkönnen ist sein charakteristischer Wesenszug. Die Sorge unterscheidet sich also von den anderen Bestandteilen des homo, dem Geist und dem Körper, gerade dadurch, dass sie ihm nicht äußerlich als Eigenschaft gegeben ist, sondern diese Eigenschaften zusammenhält. Damit positioniert sich Heidegger sowohl jenseits jeglichen Platonismus/Idealismus, der den Geist und die Seelen als ewige Substanzen versteht, als auch jenseits jedes bloßen Empirismus/Materialismus, der den Menschen auf seine materialen Bestandteile reduziert. Der Mensch geht nicht in seinen Eigenschaften auf, sondern in seinem Vermögen zur Möglichkeit, in seinem Willen zur Freiheit. Die Sorge ist sich in dieser Fabel zwar ihrer selbst als Sorge noch nicht bewusst – denn das muss ihr erst Saturn sagen –, aber sie ist als Sorge sozusagen immer schon unterwegs zu sich selbst und nutzt die ihr angebotenen Möglichkeiten, das aus sich zu machen, was sie schon ist – mit dem Unterschied, sich so ihrer selbst im Reflektieren bewusst zu werden. Die Sorge, die letztlich erst aus dem Vorbewusstsein ihrer Endlichkeit wirklich Sorge ist, ist somit das erste (sich selbst)orientierende Moment vor aller Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit. Sie ist sozusagen eine dynamische ›Kraft‹ oder Energie, die

Cura-Fabel, die als 220. der Fabeln des Hyginus überliefert ist, von Herder übernommen hat und für den zweiten Teil von Faust bearbeitet habe. Der Fabel-Text selbst ist nach F. Bücheler, Rheinisches Museum Bd. 41 (1889), S. 5, Übersetzung nach K. Burdach, Faust und die Sorge. Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte I (1923), S. 1 ff. B zitiert. Logik der Tropen

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durch veräußertes vermögendes Tun zu sich selbst kommt. Als geballte Energie hat sie alles Wesentliche schon in sich. Sie ist grundlegend – also im eigentlichen Modus – Sorge um ihr eigenstes Seinkönnen. Der Mensch – in der Fabel in seinem grundlegenden Wesensmoment der Sorge erfasst – bleibt als Mensch immer Mensch, das heißt, um mit Aristoteles zu reden: Er bleibt in seiner spezifischen Art oder Bewegungsform als dynamische Form erhalten, egal, welchen konkreten Geist oder welchen konkreten Körper er hat, ob man der Vorstellung eines Weiterlebens nach dem Tode anhängt oder glaubt, dass der Mensch nur Produkt gesetzmäßig ablaufender Naturursächlichkeiten und Produktionsverhältnisse sei. Solche kulturhistorischen Formenwandel sind für Heideggers Beschreibung der Wesensstruktur des Menschen nur äußere Veränderungen. Sie betreffen das dynamische Möglichkeitswesen des Menschen nicht, denn dessen grundlegende Form ist, dass er sich durch sein Tätigsein veräußern und seiner selbst als Mensch bewusst werden kann – mit allen Grenzen und Möglichkeiten, die ihm dabei geschichtlich, technisch, ökonomisch usw. gegeben sind. Die in der Fabel ausgedrückte vorontologische Wesensbestimmung des Menschen hat sonach im Vorhinein die Seinsart in den Blick genommen, die seinen zeitlichen Wandel in der Welt durchherrscht. Dabei verweist Heidegger in seiner Interpretation nicht nur auf Johann Gottfried Herders Gedicht Das Kind der Sorge 103, sondern auch auf K. Burdachs Text Faust und die Sorge 104. Letzterer bemerkt eine Doppelbedeutung des Terminus ›Cura‹, nämlich als ›ängstliches Bemühen‹ und als ›Sorgfalt‹ bzw. ›Hingabe‹. Seneca bringt beide Bedeutungsnuancen noch zusammen: »Unter den vier existierenden Naturen (Baum, Tier, Mensch, Gott) unterscheiden sich die beiden letzten, die allein mit Vernunft begabt sind, dadurch, dass Gott unsterblich, der Mensch sterblich ist. Bei ihnen nun vollendet das Gute des Einen, nämlich Gottes, seine Natur, bei dem andern, dem Menschen, die Sorge (lat. cura): unius bonum natura perficit, ei scilicet, alterius cura, hominis.« 105

103 Vgl. J. G. Herders Gedicht: Das Kind der Sorge (Suphan XXiX, 75), so zitiert bei M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 198. 104 K. Burdach, Faust und die Sorge, a. a. O., S. 1 ff. 105 Seneca, ep. 124, so zitiert bei M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 199.

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Die Bedeutung des Terminus ›Sorge‹ will Heidegger ontologisch und existenzial verstanden wissen. Das schließt ontisch gemeinte Seinstendenzen wie ›Besorgnis‹ oder ›Sorglosigkeit‹ als Kandidaten aus, obwohl sie natürlich als uneigentliche existenziale Modi das Dasein wesentlich kennzeichnen. Vielmehr umgreift die eigentliche Sorge die Einheit der Seinsbestimmungen. Sorge meint also kein bestimmtes Verhalten des Selbst zum Selbst. Die Sorge ist ontologisch, also in ihrer Seinsweise durch ein ›Sich-vorweg-sein‹ charakterisiert, wobei auch die anderen beiden strukturalen Momente der Sorge, nämlich das ›Schon-sein-in‹ und das ›Sein-bei‹, integriert sind. In der Sorgestruktur zeigen sich die Existenzialien nämlich als Momente einer untereinander vernetzten Struktur. Heidegger nennt den ganzheitlichen Nexus der Momente ›Ganzsein der Sorgestruktur‹. 106 Im Sich-vorweg-sein liegt also schon die existenzial-ontologische Bedingung der Möglichkeit des Freiseins für sein eigentliches Seinkönnen. Insofern das Sein zum Seinkönnen, und zwar durch Freiheit, bestimmt ist, verhält sich das Da-sein zu seinen Möglichkeiten zunächst und zumeist auch unwillentlich, da der konkret ausgerichtete Wille erst ein Produkt der Sozialisation ist. Das Sich im Sich-vorweg-sein ist das des Man-selbst; man ist sich selbst vorweg. Die Sorge aber liegt existenzial-apriorisch vor jeder Verhaltung und vor jedem Man-selbst. Deshalb sagt Heidegger auch, dass die Sorge ›ontologisch früher‹ sei als die Phänomene des Wollens und Wünschens, des Hanges und Dranges, obwohl mit ihnen das Existenziale der Bestimmung ›durchblickt‹. 107 So ist zum Beispiel das Wünschen eine existenziale Modifikation des verstehenden Sich-entwerfens, das, der Geworfenheit verfallen, den Möglichkeiten lediglich noch nachhängt, wobei das ›Nachhängen‹ die Möglichkeiten gerade wieder verschließt. Aber was im wünschenden Nachhängen da ist, setzt bereits Sorge voraus, denn das verfallende Nachhängen offenbart den Hang des Daseins, von der Welt, in der es je ist, gelebt zu werden, das heißt auf etwas aus zu sein. Das Hinzu des Hanges ist ein Sichziehen-lassen. Dagegen ist der Drang – zum Beispiel zu leben – ein Hinzu, das den Antrieb von sich aus mitbringt. Beide Male ist das Sich-vorweg-sein ein uneigentliches, denn im puren Hang oder Drang ist die Sorge eben noch nicht frei, sondern an die öffentliche Meinung des Man gebunden und verfallen. 106 107

Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 317. Ebenda, S. 194.

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Heidegger betont wiederholt, dass die existenzial-ontologische Interpretation der Sorge nicht etwa nur eine theoretisch-ontische Verallgemeinerung der ontischen Auslegung von Dasein ist. Vielmehr versteht er die Sorge als existenziale Bedingung der Möglichkeit von ontischen Verallgemeinerungen wie Lebenssorge oder Hingabe, also eine weitere, apriorisch-ontologische Dimension der Interpretation. »Die transzendentale ›Allgemeinheit‹ des Phänomens der Sorge und aller fundamentalen Existenzialien hat […] jene Weite, durch die der Boden vorgegeben wird, auf dem sich jede ontisch-weltanschauliche Daseinsauslegung bewegt, mag sie das Dasein als ›Lebenssorge‹ oder gegenteilig verstehen.« 108 Dass Heidegger ›Allgemeinheit‹ in Anführungszeichen setzt, hat damit zu tun, dass er sich in seiner Analyse der Sorgestruktur vom üblichen Begriff des ›Allgemeinen‹ distanzieren möchte. Mit Allgemeinheit ist daher keine quantitative Bestimmung gemeint. Es geht ihm gerade nicht um ein summatives Zusammenrechnen oder -zählen von unterschiedlichen Weisen des Sichsorgens. Vielmehr ist er auf ein genuin nicht-metonymisches, vorhandenheitslogisches Verständnis aus, welches Elemente zu einer Gesamtheit zusammen (er)zählt. Vielmehr strebt Heidegger die Erfassung und Beschreibung einer Ganzheit der Struktur an, die nicht in Teile zergliederbar ist, sondern völlig anders, nämlich als ein Strom sich gegenseitig bedingender Wechselwirkender dynamischer Vollzüge gedacht werden muss. Das empraktische Vorverstehen der existenzialen Daseinsweise vor allem im Modus der Eigentlichkeit lässt sich nicht in der Summierung von Objekten verstehen, sondern nur als Verstehen von empraktischer Ganzheitlichkeit kooperativer Praxen. Solche Art der Ganzheitlichkeit lässt sich nach der Tropentheorie Hayden Whites und seiner Tradition im tiefensprachlichen Rahmenmodell einer synekdochalen Präfigurierung verstehen. Im Unterschied zur substitutionstheoretischen Tropentheorie kann die Synekdoche im tiefensprachlichen Modell ihre volle Qualität als eigenständiges Rahmenmodell eines echt alternativen Sprachdenkens ausfalten: »Die Synekdoche, die man bisweilen für eine Variante der Metonymie hält, beschreibt ein Phänomen dadurch, dass der Teil eine dem Ganzen innewohnende Qualität symbolisiert …« 109 Diese inne-

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Ebenda, S. 199 f. H. White, Metahistory, a. a. O., S. 51.

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wohnende Qualität kann dann nicht eine besondere Eigenschaft oder Fähigkeit sein, sondern ihre spezifisch zeitlich ausgerichtete Energie. Die ›Strukturganzheit des Strukturganzen des Daseins‹ – wirkt aufgrund ihrer zeitlich sich erstreckenden und zugleich zusammenbinden Energie ›integrierend‹. Sie integriert verschiedene Teile, die verschiedenen Existenzialien so, dass dadurch etwas Neues entsteht, das sich qualitativ – und nicht nur quantitativ (sic!) – von der Summe der Teile unterscheidet. Die ›Sorge‹ ist eine generische Struktur, die zwar Geist und Gestalt braucht, um als menschliches Dasein in der Welt zu sein. Sie geht aber in diesen beiden Teilen nicht auf. Würde sie dies nämlich, läge ein quasi vergegenständlichendes metonymisches Denkmodell zugrunde. Heidegger will aber immer wieder darauf hinaus, dass genau dies nicht der Fall ist. Das menschliche Dasein trägt zwar die Tendenz in sich, alle Phänomene nach einem metonymischen Grundschema der Gegenstandswelt zu organisieren und aufzufassen. Doch jede Unterscheidung oder Zergliederung setzt logisch ein Ganzes voraus, von dem es sich abheben, scheiden oder abteilen kann, und ein Kriterium als Handlungsvorschrift. Behauptet die Whitesche tiefensprachliche Tropentheorie, dass die Metonymie eine vorbegriffliche Differenz zwischen Phänomenbereichen schafft, die als Teil-zu-Teil-Verhältnis ihre innere tropologische Logik entfalten, und dass ihre Sprache auf Extrinsität, Vergegenständlichung und Determinierung der Phänomenbeziehungen ziele, so bestimmt er die Sprache der Synekdoche als eine Sprache der Integration und Intrinsität. Die Synekdoche wirkt insofern nämlich integrierend, als alle Teile unter ein Ganzes, das kein Teil von ihm ist, erfasst werden. Im Tropus der Synekdoche ist es möglich, den darzustellenden Sachverhalt so zu fassen, dass dieses Ganze sich qualitativ von der Summe phänomenal unterscheidet. Die Teile sind Spiegel des Ganzen, aber sie gehen nicht im gegenständlichen, sondern nur im ganzheitlichen Erfassen auf. Zwar kann man dieses Ganze in verschiedene Momente oder Elemente segmentieren, aber keines der auf diese Art nachträglich vergegenständlichten Teile kann für das Ganze stehen. Vielmehr lassen sich sowohl Teile als auch das Ganze selbst nur intrinsisch – also im tiefensprachlichen Erfassen der spezifischen ganzheitlichen Einstellung, also in einer perspektivischen Haltung – phänomengerecht gewinnen. Gelingt dies nicht, fällt die Erkenntnisweise wieder in den uneigentlichen metonymischen Modus zurück, indem sich das Dasein zumeist selbst versteht. Gelingt dies jedoch, Logik der Tropen

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dann steht das Dasein als eigentliches nicht vor seinen eigenen Möglichkeiten, sondern inmitten dieser. 110 Nimmt man den Begriff Synekdoche ernst – und das wäre eine kongruente Entsprechung der Heideggerschen Intention seines Sprachdenkens als Erfassung der Strukturganzheit des Daseins als Sorge –, dann meint der Modus der Synekdoche ein ursprüngliches existenziales Mitverstehen des Ganzseins, das Erfassen einer ungeteilten Einheit. Der Modus der Synekdoche – als existenziales Mitverstehen – würde dann genau derjenige logische Modus sein, der Heideggers Intention der Beschreibung vorontischer Vollzüglichkeit jenseits allen vergegenständlichenden Vorhandenheitsdenkens adäquat darstellen könnte. Allerdings dürfte dann die Synekdoche nicht als Unter- oder Überkategorie für die Metonymie stehen, wie es in den substitutionstheoretischen Tropentheorien geschieht, gleichwohl sie mit dieser oberflächenphänomenal verwandt bleibt. Vielmehr muss die Sprache im Modus der Synekdoche als eigenständige tiefensprachliche Darstellungsform erfasst werden. Als solche muss sie das Versprechen einlösen, eine eigene Erkenntnisweise ihrer Gegenstände zum Ausdruck zu bringen. Um den synekdochischen Redemodus jedoch für seine eigene Sprache zu finden und salonfähig zu machen, muss Heidegger zunächst auf die Logik des zumeist gebräuchlichen und dominanten Redemodus der Metonymie zurückgreifen. Die nahe, oberflächensprachliche Verwandtschaft von Metonymie und Synekdoche ist dabei sowohl geeignet als auch problematisch für Heideggers Aufgabe. Einerseits kann durch die nahe Verwandtschaft der beiden Modi auch die inhaltliche Verwandtschaft von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit unterstrichen werden, da das Passungsverhältnis aufzeigt, wie stark der sprachdenkerische Selbst- und Weltbezug des Daseins vom Modus der vorhandenheitslogischen Metonymie abhängig und ein Teil der grundlegenden zuhandenheitslogischen ist. Insofern sind die Grenzen unserer Sprache auch die Grenzen unserer Welt – wie schon Wittgenstein betont – und es gilt, die Grenzen möglichst weit zu öffnen und alle Register der Sprache zum Einsatz kommen zu lassen. Andererseits verführt das substitutionstheoretische Verständnis dieser beiden Tropen zu einem selbst tendenziell metonymischen und letztlich metaphysischen Verständnis auch der Synekdoche. Die 110 Das ›vor‹ soll hier metonymisch, gegenständlich (extrinsisch) und das ›inmitten‹ synekdochisch, im Gemenge unabhebbarer Potentialität, verstanden werden.

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Synekdoche ist sozusagen von der Dominanz der Metonymie kontaminiert. Dann aber gilt es, zuerst die Ursache der Kontamination ausfindig zu machen. Erst dann kann das Dasein auch über die engen Grenzen der Sprache hinaus bzw. hinter diese zurückgehen. Insofern ist der Mensch nicht nur Gefangener seiner Sprachund Denkformen, wie Hayden White behauptet, sondern ist auch hier frei, denn er hat die Möglichkeit, aus den Sprachformen auszubrechen, sei es mit Grenzüberschreitungen in Richtung Dichtung, oder sei es mit Logik und Grammatik. Denn so wie die Logik auch Dinge in die Welt bringen kann, die es im strengen Sinne nicht gibt – wie das Nichts oder rationale oder Negativzahlen, so sind auch die grammatischen und semantischen Regeln nicht sakrosankt und über alle Zeiten hinweg fix und unantastbar, sondern Produkte der konstruktiven Energie des Daseins. Sie sind Hilfsmittel und Werkzeuge, die sich das Dasein zur Lebensbewältigung, zur -entlastung geschaffen hat. Als solche haben diese Regeln der Sprache, des Denkens, aber auch des Umgangs miteinander immer nur begrenzte Reichweite, nämlich nur so weit, wie der dynamische Möglichkeitsraum des Menschen abgeschritten wird. Die Bestimmung der Sorge als ›Sich-vorweg-sein-im-schonsein-in…-als Sein-bei…‹ macht als kumulatives Wortungetüm deutlich, dass auch das existenziale Grundphänomen der Sorge in sich noch struktural gegliedert ist, obwohl es als solches holistisch ist. 111 Damit betont Heidegger einmal mehr »die ontisch sich aufdrängende ›Leere‹ und ›Allgemeinheit‹ der existenzialen Strukturen […] ihre eigene ontologische Bestimmtheit und Fülle. Das Ganze der Daseinsverfassung selbst ist in seiner Einheit nicht einfach, sondern zeigt eine strukturale Gliederung, die im existenzialen Begriff der Sorge zum Ausdruck kommt.« 112

Die ontologisch elementare Ganzheit der Sorgestruktur kann also nicht auf ein ontisches Urelement (kategorial) zurückgeführt werden,

Hier drückt sich auch der Unterschied zwischen ›anwesend sein‹ und ›da sein‹ aus: Im ersten Falle geht es nur um die körperliche Präsenz. Im zweiten Falle geht es um einen über die Präsenz hinaus gehenden Fürsorgeaspekt. Der Vater ist für die Kinder zum Beispiel nicht da, wenn er nur körperlich anwesend ist, sondern nur, wenn er aufmerksam, innerlich bei ihnen und nicht etwa woanders, zum Beispiel bei seiner Arbeit oder dem Zeitungslesen ist. Dasein ist also immer zum Beispiel mit Ansprechbarkeit, Kommunikation und Kooperation verbunden. 112 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 200. 111

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so gewiss das Sein nicht aus Seiendem erklärt werden kann – wohl aber umgekehrt: kategoriales Denken auf existenziale Tendenzen im Dasein selber. Für Heidegger ist das ein Anzeichen dafür, dass die ontologische Frage noch weiter vorangetrieben werden muss zur Herausstellung eines noch grundlegenderen, noch verdichteteren Phänomens, das die Einheit und Ganzheit der Strukturmannigfaltigkeit der Sorge ontologisch trägt. Nicht die Zergliedertheit in nuancenhafte Details im Sinne logischer Analytizität, sondern die entgegengesetzte Richtung einer verdichtenden Synthetizität müsste demzufolge das darstellungstechnische Ziel sein. Dabei darf die Synthese nicht einfach nur die Umkehrung der Analyse als Rückzusammensetzung der einzelnen Elemente sein. Sie müsste vielmehr echte amalgamierende Zusammenschau der Phänomene sein. Heidegger erreicht dieses Ziel in Sein und Zeit jedoch noch nicht. Das Buch bleibt – tiefensprachlich ausgedrückt – ein Appell, die metonymische Logik als synekdochische zu verstehen. Seine ganze Methodik und Sprache ist eine großartige und vorbildliche Analyse einzelner Momente der Existenzialität. Als Methode jedoch verbleibt sie vollkommen im sprachlichen Rahmen der Metonymie. Die Analytik ist jedoch ein vorbereitender und wichtiger Schritt, um die wesentlichen Elemente des Daseins überhaupt zu überblicken und neu sortieren zu können. Erst von dort aus lässt sich ein Weg bahnen zur Frage nach dem Sinn von Sein. Eine echt alternative Haltung, so wie Heidegger sie gewinnen will, fällt aber nicht einfach vom Himmel, sondern ist das Resultat gründlicher – analytischer – Überlegungen. Insofern genügt es Heidegger nicht einfach, die Existenzialien im Unterschied zu Kategorien benannt und ihre Eingebundenheit in die Strukturganzheit der Sorge eingebunden zu haben. Er muss vielmehr die Konsequenzen aus dieser existenzialen Sicht der Dinge für das Selbst- und Weltbild des Daseins aufzeigen. Das betrifft zunächst die sich durch die neue Sichtweise verändernden Begriffe der ›Wahrheit‹ und ›Realität‹. ›Wahrheit‹ und ›Realität‹ Mit der Unterscheidung der Begriffe ›Realität‹ und ›Wahrheit‹ nimmt Heideggers Existenzialanalyse einen neuen Ansatzpunkt. Statt einer weiteren Analyse der existenzialen Strukturen des Daseins wird der Leser mit der Dekonstruktion traditioneller Wahrheitsbegriffe konfrontiert. Heidegger bietet einerseits einen alternativen Wahrheits360

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begriff an, andererseits zeigt er auf, inwiefern die Wahrheitsbegriffe aus einer bestimmten Haltung zur Welt entstammen. Sie sind im tiefensprachlichen Modus des Metonymischen, nämlich in der uneigentlichen Auslegung des Daseins selbst zu verorten. Im Gegensatz zum Phänomen der ›Realität‹, die im Rahmen des Innerweltlichen 113 ihre Funktion hat, geht für Heidegger der Träger existenzialen Seins mit ›Wahrheit‹ zusammen. 114 Und auch die vorangegangenen Analysen der Existenzialien standen immer schon in diesem Thema, wenn auch nicht ausdrücklich unter diesem Titel. So wie die Sorge ontologisch früher ist als alles Wünschen und Wollen, so verhält es sich auch mit Wahrheit und Realität in Heideggers Existenzialanalyse. Das Realitätsproblem, also die Frage, ob eine Außenwelt vorhanden und beweisbar ist, ist ein unmögliches und für Heidegger unsinniges Unternehmen, solange nicht geklärt ist, in welchem Verhältnis die Begriffe ›Wahrheit‹ und ›Sein‹ überhaupt stehen. Daher ist zuerst zu fragen, warum das Dasein als In-der-Welt-sein die Tendenz hat, die Außenwelt als etwas Vorhandenes zu inszenieren. Für Heidegger ist Realität auf innerweltliches Seiendes bezogen. Zuhandenheit und Vorhandenheit sind dann Weisen, wie mit dieser Realität umgegangen wird, nämlich entweder im Vollzug oder in der Beobachtung des Vollzugs. Realität gründet also selbst bereits im Sein des Daseins und ist nicht die Bedingung für das Sein. Wahrheit hingegen ist nicht unmittelbar auf innerweltlich Seiendes bezogen, sondern auf das Sein selbst, nämlich auf das, was als Realität überhaupt begegnen kann. Heidegger fragt, was das Beziehungsganze der Wahrheitsstruktur sei, denn dieses darf nicht einfach – wie bei Kant – vorausgesetzt werden. 115 Heidegger legt die ontologischen Fundamente dieser für ihn aus Sicht der Existenzialanalyse problematischen Wahrheitsbegriffe frei. 113 Zur Innerweltlichkeit vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, §§ 15–18 sowie § 43. »… innerweltlich Seiendes ist ontologisch nur zu begreifen, wenn das Phänomen der Innerweltlichkeit geklärt ist. Diese aber gründet im Phänomen der Welt, die ihrerseits als wesenhaftes Strukturmoment des In-der-Welt-seins zur Grundverfassung des Daseins gehört.«, S. 209. 114 Hier verweist Heidegger auf Parmenides und Aristoteles. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 212 f. 115 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Frankfurt am Main 1999, S. 102: »Die alte und berühmte Frage, womit man die Logiker in die Enge zu treiben vermeinte …, ist diese: Was ist Wahrheit? Die Namenerklärung der Wahrheit, dass sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei, wird hier geschenkt, und vorausgesetzt …«

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Drei Thesen charakterisieren dabei die traditionelle Auffassung des Wesens der Wahrheit nach Heidegger, die er problematisiert: 1. dass der Ort der Wahrheit die Aussage bzw. das Urteil sei; 2. dass das Wesen der Wahrheit in der Übereinstimmung des Urteils mit seinem Gegenstand liege und 3. dass die Vorstellungen der Subjekte Angleichungen an die Dinge seien. Letztere Aussage von Aristoteles wurde die Vorlage für die spätere Formulierung des Wesens der Wahrheit als adaequatio intellectus et rei. 116 Thomas von Aquin hat die Definition von Avicenna übernommen, der sie seinerseits aus Isaak Israelis Buch der Definitionen (10. Jahrhundert) herausnahm. Dort werden für adaequatio (Angleichung) auch die Termini correspondentia (Entsprechung) und convenientia (Übereinstimmung) gebraucht. 117 Die Auffassung von Wahrheit als Angleichung und Entsprechung im Sinne einer Übereinstimmung von Verstand (auch Denken, Erkenntnis oder Geist) mit der Sache (dem Seiendem, dem Gegenstand, der Welt oder auch zuweilen der Realität) hält sich bis zur Gegenwart. 118 An diesem traditionellen, aber verengenden Wahrheitsbegriff will Heidegger nun zunächst die existenzialen Grundlagen offenbaren und damit gleichzeitig den Begriff in seiner Reichweite erweitern. Übereinstimmung von etwas mit etwas hat den formalen Charakter der Beziehung von etwas zu etwas. Das heißt, jede Übereinstimmung ist eine Form der Beziehung. Jedoch ist nicht jede Beziehung eine Übereinstimmung. Gleichheit ist nur eine mögliche Weise der Übereinstimmung, und zwar eine, die eine bestimmte Hinsicht hat. Worin aber stimmen intellectus und res überein? Gibt es überhaupt etwas in ihrer Seinsart, das übereinstimmen kann? Oder sind sie sich wenigstens ähnlich? Das wäre dann aber eine abgeschwächte Form von Übereinstimmung. Ist die vergleichende Relation ›so – wie‹ zwischen intellectus und res überhaupt als Sache selbst erfahrbar? Bei der Analyse stellt Heidegger fest, dass die Scheidung von Urteilsvollzug und Urteilsgehalt im Erkennen die Aufklärung der Seinsart des Erkennens nötig macht. Nicht Vorstellungen als Urteilsgehalte sollten verglichen werden, sondern vor aller Vergleichbarkeit sollte deren Urteilsvollzug zuerst zur Debatte stehen. Wiederum die 116 »Pathemata tes psyches ton pragmaton homoiomata«, Aristoteles, De interpretationes 1, 16a 6; so zitiert bei M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 214. 117 Vgl. ebenda. 118 Ebenda, S. 215.

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phänomenlogische Methode ernst genommen, soll sich ja das Seiende in seiner ›Selbigkeit‹ zeigen, ohne die es nicht vergleichbar ist. 119 Die Bewährung muss dann aber streng genommen vor dem Grunde eines Sich-zeigens der Selbigkeit des Seienden stattfinden. Das ist aber nach Heidegger nur möglich, weil das aussagende und sich bewährende Erkennen seinem ontologischen Sinne nach schon vorab ein entdeckendes Sein zum realen Seienden ist. Es ist auf eine bestimmte Weise der Auslegung bereits festgelegt. Das ›zum‹ zeigt eine gerichtete und bestimmende Beziehung an. Eine ›wahre Aussage‹ kann für Heidegger nur dann eine sein, wenn sie das Seiende an ihm selbst entdeckt. 120 Spuren des existenzialen Wahrheitsbegriffes als ›Entdeckt-sein‹ blicken für Heidegger aber auch im korrespondenztheoretischen Begriff von Wahrheit, etwa bei Aristoteles und Heraklit, durch: »Die ἀλήθεια, die von Aristoteles nach den oben angeführten Stellen mit πρᾶγμα, φαινόμενα gleichgesetzt wird, bedeutet die ›Sachen selbst‹, das, was sich zeigt, das Seiende im Wie seiner Entdecktheit. Und ist es Zufall, daß in einem der Fragmente des Heraklit, den ältesten philosophischen Lehrstücken, die ausdrücklich vom λόγος handeln, das herausgestellte Phänomen der Wahrheit im Sinne der Entdeckheit (Unverborgenheit) durchblickt?« 121

Für Heidegger verdeckt das Wort ›Wahrheit‹ und erst recht die theoretische Begriffsbestimmung des lateinischen Ausdrucks als adaequatio intellectus et rei den Sinn dessen, was die Griechen als vorphilosophisches Verständnis dem terminologischen Gebrauch von ἀλήθεια selbstverständlich zugrunde legten. Heidegger unterscheidet also zwei Ebenen, auf denen von Wahrheit gesprochen wird: »Das Entdecken ist eine Seinsweise des In-der-Welt-seins. Das umsichtige oder auch das verweilend hinsehende Besorgen entdecken innerweltliches Seiendes. Dieses wird das Entdeckte. Es ist ›wahr‹ in einem zweiten Sinne. Primär ›wahr‹, das heißt entdeckend ist das Dasein. Wahrheit im zweiten

119 Ebenda, S. 218. Heidegger verweist bei der Bestimmung ›der Ausweisung der Identifizierung‹ auf Edmund Husserls Logische Untersuchungen, Halle 1901, Bd. II, 2. Teil, VI. Untersuchung. Über ›Evidenz und Wahrheit, §§ 36–39, besonders S. 115 ff. 120 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 218. 121 Ebenda, S. 219; Heraklits Fragment-Interpretation von Heidegger nach Diels, Fragmente der Vorsokratiker, Heraklit, Fr. 1 (keine weiteren Angaben) (Kursivierung Heidegger).

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Sinne besagt nicht Entdeckend-sein (Entdeckung), sondern Entdeckt-sein (Entdecktheit).« 122

Wenn die Wahrheit aber Entdecktsein ist, muss sie gar nicht den Kriterien einer Übereinstimmung zwischen Erkennen und Gegenstand im Sinne einer Angleichung eines Seienden (Subjekt) an ein anderes Objekt nachkommen. Wahrheit als Entdecktsein ist dann vielmehr eine Struktur innerhalb des In-der-Welt-seins selbst. So kommt Heidegger zu dem Schluss, dass Wahrheit als Entdecktsein durch das Inder-Welt-sein zugleich auch Verdecktsein sein kann. 123 Insofern ist Dasein auch immer ›in der Wahrheit‹, was zugleich ein ›in-der-Unwahrheit-sein‹ ist. Beides aber, Wahrheit und Unwahrheit, gründen nach Heidegger im Sein. Der Grund, worin Wahrheit und Unwahrheit aufliegen, ist das Sein. Insofern kann nur das Sein Wahrheit lichten oder verbergen. Erst im verstehenden Unterscheiden beider und Sichentscheiden für den einen Wahrheitsbegriff wird nach Heidegger, der sich an dieser Stelle ausdrücklich auf Parmenides’ Lehrgedicht bezieht, der Weg des Entdeckens gewonnen: »Die existenzial-ontologische Interpretation des Phänomens der Wahrheit hat ergeben: 1. Wahrheit im ursprünglichsten Sinne ist die Erschlossenheit des Daseins, zu der die Entdecktheit des innerweltlichen Seienden gehört. 2. Das Dasein ist gleichursprünglich in der Wahrheit und Unwahrheit. […] Die Aussage und ihre Struktur, das apophantische Als, sind in der Auslegung und deren Struktur, dem hermeneutischen Als, und weiterhin im Verstehen, der Erschlossenheit des Daseins, fundiert. Wahrheit aber gilt als auszeichnende Bestimmung der so abkünftigen Aussage. Demnach reichen die Wurzeln der Aussagewahrheit in die Erschlossenheit des Verstehens zurück.« 124

Weil das so ist, liegt es in der Konsequenz der Heideggerschen Methodik, nun auch die Idee der Wahrheit als Übereinstimmung ausdrücklich in seiner ›Abkünftigkeit‹, also in seinen innerweltlich vorhandenen Bezüglichkeit aufzuzeigen. Als Abkünftigkeit ist sie eine reduzierte Form des Ursprünglichen. Ihre Form ist notwendig die

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 220. So war das heliozentrische Weltbild vom geozentrischen ›verdeckt‹, denn man sieht schließlich nur die Sonne auf einer Seite auf- und auf der anderen Seite untergehen. Daraus schloss man, dass die Erde den Mittelpunkt des Weltalls bilde. 124 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 223. 122 123

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der Metonymie. Der Bezug selbst erhält in der Abkünftigkeit vom existenzialen Begriff des ›Entborgen-seins‹ bzw. der ›Entdecktheit‹ nämlich einen Vorhandenheitscharakter. ›Entdecktheit von‹ wird sozusagen zur ›Gemäßheit‹ eines Vorhandenen, einer aussprechbaren Aussage, einem vergegenständlichten Seienden. Und wird die Gemäßheit nur mehr noch als Beziehung zwischen Vorhandenem gesehen, das heißt, wird die Seinsart der Beziehungsglieder in ihrer Phänomenalität unterschiedslos vergegenständlicht verstanden, dann zeigt sich auch der Bezug selbst als vorhandenes Übereinstimmen zweier Vorhandener. Somit ist die ontologische Abkünftigkeit des traditionellen Wahrheitsbegriffes aufgezeigt. Wahrheit als Erschlossenheit und entdeckendes Sein zu entdecktem Seienden wird in der okzidentalen Wissenschaftstradition missverständlich als Wahrheit in Form von Übereinstimmung zwischen innerweltlich Vorhandenem aufgefasst. 125 Damit entspricht es der metonymisch-extrinsischen Objekt-Objekt-Relation. Das bedeutet aber, nicht die Aussage oder der Urteilsgehalt sind der primäre Ort der Wahrheit im Heideggerschen Sinn, sondern umgekehrt: Weil die Wahrheit als Unverborgenheit die ontologische Bedingung der Möglichkeit für Urteilsgehalte ebenso wie für den Akt des Urteilens darüber ist, ob Aussagen wahr oder falsch bzw. entdeckend oder verdeckend sein können, gründet die Aussage in der Wahrheit und nicht andersherum. Wenn geurteilt wird, ist also Wahrheit im Heideggerschen Sinne schon vorausgesetzt. Wenn aber die Aussage immer schon in der Wahrheit ist, dann ist auch das Dasein immer schon in der Wahrheit. »Wahrheit setzen ›wir‹ voraus, weil ›wir‹, seiend in der Seinsart des Daseins, ›in der Wahrheit‹ sind. Wir setzen sie nicht voraus als etwas ›außer‹ und ›über‹ uns, zu dem wir uns neben anderen ›Werten‹ auch verhalten. Nicht wir setzen die ›Wahrheit‹ voraus, sondern sie ist es, die ontologisch überhaupt möglich macht, daß wir so sein können, daß wir etwas ›voraussetzen‹. Wahrheit ermöglicht erst so etwas wie Voraussetzung.« 126

Die Rede vom In-der-Wahrheit-sein kann demzufolge sowohl metonymisch verstanden werden als Gefäß-Inhalt-Relation, aber auch schon darüber hinausweisen auf ein Durchdrungensein von dieser Wahrheit – so wie es einen Verlauf vom Metonymischen zum Synek-

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Ebenda, S. 224. Ebenda, S. 227 f. (Kursivierung Heidegger).

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dochalen darstellt zu sagen: ›ich bin in der Küche‹, ›ich bin in einer Organisation‹ und ›ich bin in Rage‹. Weil sich das Sein des Daseins immer schon innerhalb der Wahrheit befindet, muss sich der Mensch als ›erschlossen‹ voraussetzen. Wahrheit ist für Heidegger also nicht im korrespondenztheoretischen Sinne aufzufassen. 127 In der Seinsverfassung als Sorge, im Sich-vorweg-sein, ist diese Erschlossenheit schon inbegriffen. Es gibt kein menschliches Dasein, das sich nicht irgendwie erschlossen wäre, denn es hat immer schon ein Selbst- und Weltverhältnis – auch wenn es sich selbst ›falsch‹ oder in der ›falschen Weise‹ versteht. Für Heidegger macht es daher keinen Sinn, einen radikalen Skeptiker zu widerlegen, ebenso wenig wie es Sinn machen würde, das Sein der Wahrheit aus einer existenzialen Perspektive beweisen zu wollen. So wenig nämlich, wie man nach Heidegger an allem zweifeln kann, weil man ja bereits immer in der Wahrheit ist, so lässt sich Heideggers Wahrheitsbegriff – zumal als Geschehen des Ent- und Verbergens – nicht beweisen, weil Wahrheit selbst die Voraussetzung für jegliches urteilendes Beweisen ist. Obzwar Heidegger das Dasein nunmehr langsam in seinen existenzialen Strukturmomenten umgrenzt hat, hat er damit jedoch nur eine relativ kurze Etappe auf dem Denkweg der Frage nach dem Sinn von Sein absolviert. Der Umweg, den die Existenzialanalyse auf diesem Denkweg einschlagen muss, erweist sich als ein Unterfangen, das immer wieder neue sprachdenkerische Fallstricke bereithält und sich deshalb immer tiefer in das Hinterfragen gängiger philosophischer Grundbegriffe hineintreibt. Die methodische Frage bleibt also bestehen: »Hat die bisherige Untersuchung überhaupt das Dasein als Ganzes in den Blick genommen?« 128 Gibt die im Phänomen der Sorge liegende Strukturmannigfaltigkeit die ursprüngliche Ganzheit des Seins des faktischen Daseins frei? Was könnte fehlen an dieser Analyse? 127 Carl Friedrich Gethmann schlägt vor, Heideggers Wahrheitsbegriff vor dem Hintergrund der Schließmetaphorik zu deuten, das heißt: die Wahrheit verhält sich nicht wie die Röte zum Tisch (wenn man eine Aussage wie ›Der Tisch ist rot‹ hat), sondern wie der Schlüssel zum Schloss. Wahrheit ist dann zwar richtigerweise keine Eigenschaft mehr von Urteilen – wie in der Logik –, problematisch bleibt aber die Metapher von Schloss und Schlüssel, die auf Passgenauigkeit abhebt und damit nur eine weitere Version des korrespondenztheoretischen Paradigmas darstellt. Gerade diese Lesart von Wahrheit will Heidegger aber vermeiden. Gethmanns Interpretation ist also keine Übersetzungshilfe. Vgl. C. F. Gethmann, Dasein, Erkennen und Handeln, Heidegger im phänomenologischen Kontext, Berlin, New York 1993, S. 156 f. 128 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 230.

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Bisher wurde aus dem Modus vorhandenheitslogischen Redens ein Appell an die Leser gerichtet, das Gesagte bitte nicht vorhandenheitslogisch, sondern existenzial zu verstehen. Einige existenziale Strukturmomente wurden im Kontrast zu kategorialen herausgestellt. Doch die Strukturmomente zeigen sich in der Heideggerschen Darstellung immer noch als statische Strukturen ohne innere Bewegtheit und Dynamik im Modus des metonymischen Sprachdenkens, das gerade überwunden werden soll. Sowohl inhaltlich als auch in ihrer Darstellungsform müssen die Existenzialien weiter verflüssigt werden, wenn sie die innere Lebendigkeit des menschlichen Lebens vor allem Vorhandenheitsdenken darstellen sollen. Das wesentliche Moment, nämlich das der inneren Bewegtheit und zeitlichen Dynamik des Daseins, ist offenbar als solche noch gar nicht in den Blick gekommen. Das Existenziale wurde bisher sozusagen noch zu stark kategorial gedacht: im Modus des metonymischen Räumlichkeitsmodells, der Sortierung, Über- und Unterordnung, der Nebeneinanderstellung, Marginalisierung und Ausgliederung von in verräumlichten Kategorien gedachten Strukturen und Begriffen. Deshalb versucht es Heidegger nun andersherum. Statt aus dem apriorischen Erfahrungsparadigma der Räumlichkeit heraus zu appellieren, das alles kategorisierbar macht, gilt es nun, dieses Paradigma zu verlassen und das Dasein aus dem zweiten apriorischen Paradigma, der Zeitlichkeit, heraus zu interpretieren. Auch hier müssen eigentliche von uneigentlichen Weisen des Daseins unterschieden werden. Weil das Dasein zumeist uneigentlich – metonymisch gemäß dem Vergegenständlichten – existiert, ist das zeitliche Selbst- und Weltverständnis des Daseins auf seine Seinsweise hin zu befragen.

9.4. Uneigentliche Weisen der Zeitlichkeit Der Begriff der ›Zeitlichkeit‹ ist bei Heidegger der Boden, auf dem die Strukturmomente des wesenhaft sorgenden Daseins ihrerseits fundiert sind. Alle Existenzialien müssen und sollen sich als Modi von Zeitlichkeit reformulieren lassen. Heidegger unterscheidet die Termini ›Räumlichkeit‹ und ›Zeitlichkeit‹ als Dimensionen existenzialen Daseins von den Termini ›Raum‹ und ›Zeit‹ als Kategorisierungen, die selbst dem Vorhandenheitsdenken und damit dem metaphysischmetonymischen Weltbild entstammen. Die Ganzheit der Sorgestruktur war bisher an die existenziale Auffassung einer gegenwartsentLogik der Tropen

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hobenen Zeitlichkeit im Sinne eines verräumlicht gedachten Zeitverständnisses gebunden, so wie es in der Zeitlosigkeit einer analytischmathematischen Logik vorgebildet ist. Soll jedoch die Uneigentlichkeit des Daseins in ihrer spezifischen Zeitlichkeit sichtbar gemacht werden, muss nicht nur ihr Vorhandenheitsdenken, sondern auch ihr spezifischer Zeitbegriff infrage gestellt werden. Die uneigentliche Zeitlichkeit des Daseins zeigt sich für Heidegger vor allem in den drei Phänomenen ›Geschichtlichkeit‹, ›Alltäglichkeit‹ und ›Innerzeitigkeit‹. Unter der Hand dynamisiert sich in der Heideggerschen Analyse der Zeitlichkeit zugleich das bisherige Verständnis der Existenzialien. Es drängt von einem räumlich-metonymischen zu einem zeitlich-synekdochalen Modus der Rede. Zeitlichkeit des ›Da‹ des Daseins In einer sich noch weiter befragenden und eindringlicheren Denkbewegung untersucht Heidegger, wie sich Zeitlichkeit im Verstehen, in der Befindlichkeit, im Verfallen, in der Rede und im Sorgen als Besorgen und Fürsorgen, selbst in der Räumlichkeit, also in den verschiedenen existenzialen Modi des ›Da‹ des Daseins zeigt. Im Zuge dieser umfassenden existenzial-ontologischen Interpretationen und kriterialen und kategorialen Neubewertungen und Neuzusammenstellungen der wesentlichen Daseinsmomente wird für Heidegger die Sorge schließlich selbst als Zeitlichkeit bestimmbar. Wenn ›Zeit‹ der ›Sinn des Seins‹ und ›Zeitlichkeit‹ der ›Sinn der Sorge‹ sowie ›Geschichtlichkeit‹ der ›Sinn des Daseins‹ sind – also die Sorge fundieren, dies aber in je eigentlicher und uneigentlicher Weise sind –, dann haben sowohl das eigentliche Dasein als auch das uneigentliche Dasein ihre je andersgeartete, spezifische Zeitlichkeit. Das Dasein ist sowohl zeitlich in einem noch näher zu bestimmendem Sinne, als auch in der Zeit bzw. ›innerzeitig‹, wie Vorgänge der leblosen und lebenden Natur, die entstehen und vergehen. Etwas im Heideggerschen Sinne ›vulgär‹ 129 mit ›in der Zeit‹ bzw. ›innerzeitig‹ zu beschreiben, behält also auch für Menschen in gewissen Grenzen sein Recht, denn auch sie bzw. ihre Körper entstehen und vergehen. Aber – und das ist der wesentliche Unterschied – es macht nicht das existenzial-ontologische Wesen menschlicher Daseinzeit aus. Das zeitliche Dasein des Menschen ist in seinem Wesen nämlich 129 Der Ausdruck ›vulgär‹ soll nicht im heute üblichen pejorativen Sinn, sondern im Sinne von ›gewöhnlich‹, bzw. ›üblich‹ verstanden werden.

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mehr bzw. anderes als vergehend und entstehend. Und es versteht sich selbst auch anders. Die Zeitlichkeit des Menschen ist nämlich eine wesentlich andere als die von Dingen und anderen Lebewesen. Sie muss ebenso ›ausgefüllt‹ ›verbracht‹ und ›gestaltet‹ werden, wie das Leben ›geführt‹ werden muss. Die zeitliche Interpretation des alltäglichen Daseins setzt Heidegger bei denjenigen Strukturen an, in denen sich die ›Erschlossenheit‹ konstituiert. Das sind nach Heidegger die existenzialen Modi: Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede. So hat jedes Verstehen seine Stimmung; jede Befindlichkeit ist verstehend und das befindliche Verstehen hat den Charakter des Verfallens. Das verfallend befindliche bzw. gestimmte Verstehen artikuliert sich dann in der Rede. Da jedes Verstehen befindlich ist und eine Stimmung zur Grundlage hat, geht es auf das ›Ganze der Welt‹. Es hat dadurch eine Tendenz, an die Welt zu ›verfallen‹, das heißt kein emanzipiertes oder aufgeklärtes Verhältnis zu ihr. Es wirkt vielmehr weltbildend, indem es vor-urteilt. Die im Hinblick auf diese Phänomene freizulegenden Modi der so genannten ›Zeitigung der Zeitlichkeit‹ geben für Heidegger den Boden, um die Zeitlichkeit des In-der-Welt-seins zu bestimmen. Heideggers These ist, dass die jeweilige zeitliche Konstitution der genannten Phänomene je auf die eine Zeitlichkeit zurückführt, als welche sie die mögliche Struktureinheit von Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede verbürgt. 130 Im Laufe seiner Analyse geht Heidegger jede dieser fundamentalen Existenzialien durch, grenzt sie vom üblichen alltäglichen und theoretischen Verständnis ab und zeichnet sie als existenziales Phänomen nach. Insgesamt wird deutlich, dass das Verstehen primär in der Zukunft gründet. Die Zukunft zeigt sich in ihrer eigentlichen Form als ›Vorlaufen‹ und uneigentlich als ›Gewärtigen‹. Die Befindlichkeit zeitigt sich primär in der Gewesenheit. Sie zeigt sich eigentlich als ›Wiederholung‹ und uneigentlich als ›Vergessen‹ oder ›Bewahren‹. Das Verfallen ist zeitlich primär in der Gegenwart. Es zeigt sich eigentlich als ›Augenblick‹ und uneigentlich als ›Gegenwärtigen‹. Gleichwohl sind alle existenzialen Zeitformen miteinander verschränkt, bilden immer ein gemeinsames Band. Die Zukunft ist im Modus der Existenzialität nicht ›später‹ als die Gewesenheit, und diese ist nicht ›früher‹ als die Gegenwart. Vielmehr zeitigt sich die Zeitlichkeit als gewesene-gegenwärtigende Zukunft oder als zukünftig130

Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 335.

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gegenwärtigende Vergangenheit oder gewesen-zukünftige Gegenwart. »Die Zeitlichkeit zeitigt sich in jeder Ekstase ganz, das heißt in der ekstatischen Einheit der jeweiligen vollen Zeitigung der Zeitlichkeit gründet die Ganzheit des Strukturganzen von Existenz, Faktizität und Verfallen, das ist die Einheit der Sorgestruktur.« 131 Die Zeitigung bedeutet also kein Nacheinander der Ekstasen, sondern deren Gleichzeitigkeit. Die Erschlossenheit des Da und die existenziellen Grundmöglichkeiten des Daseins, Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, sind damit nicht nur in der Wahrheit, sondern sie sind zusammen mit der Wahrheit auch in der Zeitlichkeit fundiert. Weil sich Wahrheit im Horizonte der Zeit lichtet, spricht Heidegger später auch von einem Wahrheitsgeschehen, an dem das Dasein Anteil haben kann. Aus dem Verwurzeltsein des Daseins in der Zeitlichkeit wird die existenziale Möglichkeit des In-der-Welt-seins, über sich hinaus – nämlich ›ek-sistent‹ – zu sein, einmal mehr einsichtig. Erst die Zeitlichkeit des Daseins ermöglicht also die Transzendenz der Existenz. Dass dies so ist, zeigt sich im vorgängigen Verstehen der Bezüge des ›Um-zu‹, ›Wozu‹, ›Dazu‹ und ›Umwillens‹, also in der ›Bedeutsamkeit‹ als dem Zusammenhang dieser Bezüge. Erst ihre Einheit bezeichnet für Heidegger ›Welt‹. Die Bedeutsamkeitsbezüge, welche die Struktur der Welt bestimmen, sind also kein Netzwerk von Formen, die von einem weltlosen Subjekt material übergestülpt werden könnten. Vielmehr konstituieren sich Bedeutsamkeitsbezüge dadurch, dass das faktische Dasein sich und seine Welt in der Einheit des Da verstehend, aus diesen Horizonten zurück auf das in ihnen begegnende Seiende beziehen. 132 Aus der eigenen Eingebundenheit in gegenwärtige Vollzugspraxen versteht sich das Dasein als eingebunden und geworfen in eine Vergangenheit. Es versteht auch die Vergangenheit aus der Gegenwart und daraus kann es sich wiederum auf eine Zukunft hin entwerfen. Wenn aber die ontische, also vorhandenheitslogische Verfassung des Weltverständnisses in der Zeitlichkeit gründet, dann muss nach Heidegger und seinen existenzialen ›Strukturgesetzen‹ auch die ontologische Verfassung als Einheit der Bedeutsamkeit in der Zeitlichkeit des Daseins gründen. Als Einheit der Ekstasen der Zeitlichkeit münden sie in einem Horizont. Die horizontale Einheit der Schemata der Ekstasen ermöglicht erst einen ursprünglichen Zusammenhang einer Zweck- und Zielsetzung inner131 132

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Ebenda, S. 350 (Kursivierung Heidegger). Vgl. ebenda.

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halb einer kooperativen Praxisform, also bestimmter ›Um-zu‹- oder ›Um-willen‹-Bezüge. All diese Strukturmomente in ihrer vorbereitenden und zeitlichen Analyse erhalten ihre volle Erschlossenheit jedoch wiederum erst durch die Artikulation. Diese selbst zeitigt sich selbst als Rede nicht primär in einer bestimmten Ekstase, sondern bleibt verwurzelt mit einer ursprünglichen Zeitlichkeit des Besorgens. Der Titel ›Besorgen‹ bezeichnet als ontologischer Terminus bzw. Existenzial das Sein eines möglichen In-der-Welt-seins. 133 Besorgen ist alles Zutunhaben mit etwas, alles Herstellen, Pflegen, Verwenden, Aufgeben, Betrachten etc. von etwas. Demzufolge ist auch die sprachliche Artikulation eine Form des Besorgens. Es könnte nun Aufgabe der Sprachwissenschaft sein, die zeitliche Struktur des Daseins zu analysieren. Weil die traditionelle Sprachwissenschaft aber aus der metonymischen Vorhandenheitslogik nicht herauskommt, kann sie nach Heidegger als eine Form des wissenschaftlichen Besorgens das Problem der existenzial-zeitlichen Struktur der verschiedenen Aktionsarten nicht einmal stellen, geschweige denn beantworten. 134 Um das Zeitproblem in der Sprache überhaupt in Angriff nehmen zu können, muss vorab nämlich der grundsätzlichere Zusammenhang von ›Sein‹ und ›Wahrheit‹ aus der Problematik der ›Zeitlichkeit‹ aufgerollt werden. Erst aus der Zeitlichkeit der Rede kann nämlich die ›Entstehung von Bedeutung‹ aufgeklärt und die Möglichkeit einer Begriffsbildung ontologisch verständlich gemacht werden. Die ekstatische Einheit der Zeitlichkeit ist für Heidegger auch die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass das Da-sein-können immer schon ›gelichtet‹ 135, also in der Wahrheit ist. 136 Eine solche Aussage hat nichts mit der Richtigkeit oder Falschheit einer Lebensführung zu tun, sondern liegt jenseits dieser Unterscheidung oder Bewertung. Die ekstatische Zeitlichkeit lichtet das Da nämlich ursprünglicher. Sie ist sozusagen das primäre Regulativ, die primordiale Präfigurierung

Vgl. ebenda, S. 57. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 349. 135 Heidegger benutzt die Metapher des Licht als Platzhalter für Wahrheit, indem er es auch dem Wort ἀλήθεια (dt. Entborgenheit bzw. Wahrheit und Wirklichkeit) etymologisch ableitet. 136 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 350. Die altehrwürdige Metapher des Lichtes für die Umschreibung von ›Wahrheit‹ will Heidegger nicht als ontisch vorhandene Kraft oder Quelle verstanden wissen. 133 134

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der möglichen Einheit aller wesenhaften existenzialen Strukturen des Daseins. Wenn Heidegger phänomenal die Zeitlichkeit des Daseins analysiert, dann redet er von ›auf-sich-zu-‹ und ›zurückkommen‹, ›vorlaufen‹, ›gegenwärtigen‹ und ›gewärtigen‹. Das sind alles aktivische Verben (oft auch in Substantivierung) der äußeren Bewegung, die zur Charakterisierung des uneigentlichen zeitlichen Daseins nun herangezogen und kreiert werden und dessen alternatives Pendant in einer eher inneren Aktivität des ›Wachseins für sich selbst‹ liegt. Heidegger zeigt Verweisungen innerhalb der deutschen Sprache auf und nutzt sie, wie es bisher nicht üblich war. Das macht seine Sprache so gewöhnungsbedürftig. Indem er Artikel weglässt und das Sein, die Wahrheit, die Zeit usw. metonymisch als Repräsentanten agieren lässt wie Agenten, verlebendigt er das trockene und blutlos-sachliche Philosophendeutsch. Alles, was sprachlich fixierende Wirkungen hat, etwa bestimmte und unbestimmte Artikel, wird von Heidegger gemieden oder aufgeladen. Er will die Phänomene nicht vorab zu Begriffen erstarren lassen, sondern infinitisieren. Das gilt insbesondere für Bedeutungsreduktionen. Im Wort ›Entrückung‹ kommt zum Beispiel zugleich die Polysemie der Sprache zum Ausdruck in ihrer wörtlich-räumlichen und zugleich übertragenen-seelischen Bedeutung. Was im normalen Sprachgebrauch als unbelebt gilt, belebt Heidegger, zum Beispiel bei ›Gegen-wart‹, wo das ›Gegen‹ (später auch in Formulierungen wie ›die Gegend‹ oder ›die Gegnet‹) zu einer Quasipersonifizierung permutiert. Aber bei aller Varianz – auch die Antonomasie ist ja eine Spielart der Metonymie, sodass Heideggers Versuche, über die Revolutionierung der Sprache auch das Denken in Gang zu bringen, auch in Sein und Zeit zum größten Teil im Vorhandenheitsparadigma steckenbleiben. Die zeitliche Dynamik, die Heidegger durch solche Substitutionen in die Charakterisierung des Daseins und seines Seinsbezuges hineinbringt, unterstreichen jedoch einmal mehr die Aufgabe, die sich Heidegger auch insgesamt mit Sein und Zeit bezeichnenderweise gestellt hat: Das Sein radikal als ein Zeitwort zu verstehen und aus seiner Stillstellung herauszureißen. Die abendländische OntologieTradition ist aus ihrer Vorhandenheitslogik herauszuholen. Es wird langsam klar, dass im Rahmen des metonymischen Denkmodells das existenziale Phänomen der Zeitlichkeit nicht mehr phänomengerecht artikuliert werden kann. Mit eingeschlossen sind dabei auch traditionale Definitionen der Synekdoche, die das Verhältnis von Teil und 372

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Ganzem oder Art und Gattung im Vorhandenheitsmodus artikulieren. Die existenzial-zeitliche Analyse scheint offenbar genau da an eine Grenze zu kommen, wo es ums Räumliche, um Extensionen geht. Will man also das nicht räumlich Verortbare und insofern ›Utopische‹ tiefensprachlich adäquat darstellen, dann muss man von der sprachlichen Modellierung qua Metonymie Abschied nehmen. Dass dies nicht so einfach getan wie gesagt ist, zeigt Heideggers Interpretation der Zeitlichkeit des Raumes in dezidierter Weise. Zeitlichkeit des Raumes Wenn die Räumlichkeit des Daseins von der Zeitlichkeit im Sinne der existenzialen Fundierung umgriffen wird wie die anderen Daseinsphänomene, dann unterscheidet sich dieser zeitliche Vorrang von dem Kantschen Vorrang der Zeit vor dem Raum. Heidegger grenzt sich von Kant ab, indem er dessen oberste apriorische Kategorien in ihre ursprüngliche Existenzialität zurückversetzt und eben nicht als ontische Kategorien auffasst: »Daß die empirische Vorstellung des ›im Raum‹ Vorhandenen als psychische Vorkommnisse ›in der Zeit‹ verlaufen, und so das ›Physische‹ mittelbar auch ›in der Zeit‹ vorkommt, ist keine existenzial-ontologische Interpretation des Raumes als einer Anschauungsform, sondern die ontische Feststellung des Ablaufs von psychisch Vorhandenem ›in der Zeit‹.« 137

Vom kategorialen Raum- und Zeitverständnis Kants unterscheiden sich die Begriffe der Zeitlichkeit und der Räumlichkeit bei Heidegger vor allem deshalb, weil das Dasein existenzial nie nur im Raum oder in der Zeit vorhanden ist wie in einem metonymischen ContainerModell. Vielmehr nimmt das Dasein Raum ein. Weil das Dasein immer schon von seinen praktischen Vollzügen vereinnahmt ist, ist es schon immer ausgerichtet und situiert. Heidegger nennt die existenziale Form der Räumlichkeit daher das ›Sich-einräumen‹. Das Sicheinräumen des Daseins wird konstituiert durch Ausrichtung und Entfernung. Zur Einräumung des Daseins gehört für Heidegger das sich ausrichtende Entdecken von ›Gegend‹. Mit dem Ausdruck ›Gegend‹ meint er ›das Wohin der möglichen Hingehörigkeit des umweltlich zuhandenen, platzierbaren Zeugs‹. In allem Vorfinden, Handhaben, Um- und Wegräumen von Zeug ist auf der Ebene des existenzialen Daseins immer schon Gegend ›entdeckt‹. Das besorgende In-der137

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 367.

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Welt-sein ist ausgerichtet und sich ausrichtend hinsichtlich von Bewandtnisbezügen. Diese sind nur im Horizont einer erschlossenen Welt verständlich. Der Horizontcharakter der Räumlichkeit ermöglicht ein ›Wohin der Hingehörigkeit‹. Erst weil die Räumlichkeit (Um-)Welt existenzial erschließt, kann sie überhaupt die Basis für eine Orientierung im Raum abgeben. 138 Das Sich-einräumen versteht Heidegger streng phänomenologisch als ein Sich-nähern und Sich-entfernen von Zuhandenem und Vorhandenem im zeitlichen Modus eines ausgerichteten ›Gewärtigens von Gegend‹. In der Räumlichkeit zeigt sich also eine bestimmte – nämlich präsentisch haltende – Zeitlichkeit. Zeitlich betrachtet gründet das sich ausrichtende Entdecken von Gegend in einem ›ekstatisch behaltenden Gewärtigen des möglichen Dorthin und Hierher‹. 139 In der Näherung als zeitlicher Bewegung des Sicheinräumens ›bekundet sich‹ dann die wesenhafte Struktur der Sorge, das Verfallen. Die existenzial-zeitliche Konstitution der Verfallenheit als dominanter Daseinsstruktur ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass in ihr ›das gewärtigende Vergessen der Gegenwart nachspringt‹. Im Vergessen als dem zeitlichen Modus der Verfallenheit des Daseins an die Öffentlichkeit des Man zeigt sich also die Zeitlichkeit als zeitliche und nicht als räumliche Annäherung. Aus dem Schein, der durch die Betrachtung des innerweltlichen Seienden im ›Gegenwärtigen‹ als präsentisch-anwesende Zeitform der verfallenen Erschlossenheit entsteht, kommt dann der Eindruck zustande, es seien nur Dinge im Raum vorhanden. Wurde in der philosophischen Tradition bisher die Zeit vom Raum her verstanden, so kehrt Heidegger dieses Verhältnis um. Für Heidegger macht gerade die ekstatische Zeitlichkeit der daseinsmäßigen Räumlichkeit die Unabhängigkeit des Raumes von der Zeit verständlich. 140 Die Welt ist nicht in der Kategorie des Raumes vorhanden, sondern in der Welt ist Räumlichkeit, weil sich das Dasein in der Welt selbst einräumt. Aber die Selbstauslegung des Daseins und der Bedeutungsbestand der Sprache sind, weil sie alle Phänomene generalisierend metonymisch präfigurieren, weitgehend von einer vorVgl. ebenda. Vgl. ebenda. 140 Zum Verhältnis von existenzialem und kategorialem Raumbegriff bei Heidegger siehe die ausführliche Betrachtung von G. Neumann, Die phänomenologische Frage nach dem Ursprung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Raumauffassung bei Husserl und Heidegger, Berlin 1999. 138 139

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handenheitslogischen Vorstellung des Raumes als riesiges Gefäß einerseits und der generellen Verräumlichung der Phänomene durchherrscht. 141 Dieser Vorrang des Räumlichen in der Artikulation von Bedeutungen und Begriffen vor dem Zeitlichen hat seinen Grund nicht in einer spezifischen Mächtigkeit des Raumes, sondern in der dominant vorhandenheitslogischen Seinsart des Daseins. »Wesenhaft verfallend, verliert sich die Zeitlichkeit des Daseins in das Gegenwärtigen.« 142 Damit verengt sich ihr Horizont auf nur eine, die präsentische Zeitebene und enthebt sich damit aus einer ursprünglichen besorgten Zuhandenheit, also aus ihren konstitutiven kooperativen Praxisformen, aus denen sie erst entspringt. Die Zeitlichkeit entnimmt den räumlichen Beziehungen den Leitfaden für die Artikulation des im Verstehen überhaupt Verstandenen und Auslegbaren in seiner vorhandenheitslogischen Räumlichkeit. Indem sie sich auf das Präsentische versteift, vergisst sie die Ausgestrecktheit der Zeitlichkeit im Dasein. Somit ist das Dasein nicht nur seins-, sondern vor allem zeit(lichkeits)vergessen in dem Sinne, dass es sich auf das Präsentische beschränkt und das Vergangene und Zukünftige ausblendet. Da dies für Heidegger ein unzureichendes Seins- und Zeitlichkeitsverständnis darstellt, muss das traditionale Seinsverständnis des Daseins aufgebrochen werden. Wenn letztlich alles Sein als (anwesend) Sein im Raum aufgefasst wird, dann ist das eine unzulässige Einengung der vollen Existenzialität des Daseins. Sie spiegelt dann einmal mehr den metonymischen Charakter der Selbstauslegung des Daseins wider. Deshalb soll ein Verständnis von Sein gefunden werden, das radikal Zeitwort ist. Nicht nur können dann Kants apriorische Kategorien Raum und Zeit wieder in die Vollzugserfahrung hineingeholt werden. Auch die Starre des (ontisch-ontologischen) Vorhandenheitsdenkens im Modus einer auf die Gegenwart bezogenen Räumlichkeit kann durch die Rückgewinnung der vollen zeitlichen Ausgestrecktheit des Daseins aufgebrochen werden. Die Ursache für die fehlende Zeitanalyse in der bisherigen Philosophie resultiert für Heidegger aus den Nachwirkungen der philosophischen Tradition. So übernimmt Kant dogmatisch Descartes’ Ontologiebegriff. Descartes’ cogito bleibt eine res cogitans sine mens sine animus, eine denkende Sache ohne Geist und ohne Seele. Genau 141 Vgl. auch die Konzepttheorie von John Lakoff und Mark Johnson im Teil II dieses Buches. 142 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 369.

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diese Bestimmung aber ist nach Heidegger nur eine Übertragung der mittelalterlichen Ontologie auf die moderne und soll diese als einzig gewisses, als fundamentum inconcussum, begründen. Die Grundlegung kommt zustande, indem die res cogitans als ens ontologisch bestimmt wird. Der Seinssinn des ens ist für die mittelalterliche Ontologie aber fixiert im Verständnis des ens als ens creatum, also als ›geschöpftes Wesen‹ im Unterschied zu Gott als ens infinitum und ens increatum. Heidegger vermisst also zunächst eine ontologische Analytik der Subjektivität des Subjektes. Denn das cogito sum des Descartes lässt die Seinsart der res cogitans unbestimmt. Es wird nicht gefragt, von welcher Seinsart dieses cogito ist. Um das Sein als Zeitwort einführen zu können, ist daher einerseits eine neue Analyse der Seinsweise des Daseins nötig. Nicht mehr länger darf das Dasein als ›Gottes Geschöpf‹ auftreten im herkömmlichen Sinne, denn ›Geschöpf(t)sein‹ respektive ›Geschaffenheit‹ heißt ›Hergestelltsein‹. Hergestelltsein ist ein wesentliches Strukturmoment der antiken Ontologie, die das Ens des Seienden bzw. das Sein des Seienden am Vorbild der Natur (φύσις, physis) orientiert und gemäß dieser präfiguriert als Metaphysik. Der Sinn von Sein wird dann als παρουςία (parousia), also als Anwesenheit, Gegenwart, Dabeisein bzw. οὐσία (ousia), also Dasein, wahrhaftes Sein, Wesenheit bestimmt. Der die Antike bestimmende Zeitmodus ist die Gegenwart als Anwesenheit. Die Auslegung des Seins geschieht als ›Gegenwärtigen von etwas‹. 143 Alles Seiende wird als ›zeitlich anwesend‹ und zugleich ›herstellbar‹, ›bewirkbar‹ und ›geworden‹ bzw. ›geschaffen‹ begriffen. So wie die Dinge, die einen umgeben, so werden auch die Götter zum Beispiel als ›anwesend seiend‹ gedacht. Selbst die Zeit wird als Anwesenheit begriffen und damit in eine Reihe mit allem anderen Seienden gestellt. Den ersten wissenschaftlichen Ausdruck gewinnt diese Auslegung des Seienden und auch der als Seiendes begriffenen Zeit dann bei Aristoteles. Aristoteles’ Zeitbegriff bestimmt auch die folgende ontologische Tradition über das Mittelalter, Descartes und Kant bis zu Bergson. 144 Hinter diese Tradition mit ihrer präsentisch-feststellenden Vorstellung vom Sein des Seienden als φύσις gilt es für Heidegger phänomenal zurückzugelangen – nämlich zu einem umfassenden, alle drei Zeitdimensionen umfassenden Zeitbegriff, weil nur so auch die 143 144

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Ebenda, S. 170 ff. Vgl. ebenda, S. 17 f.

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Umfassendheit des Seins des Daseins wiederzugewinnen ist. 145 Heidegger will den zeitlichen Ursprung wiederholen, das Sein revitalisieren, weshalb der Terminus ›Wiederholung‹ in seinem doppeldeutigen Wortsinn für Heidegger in etymologischer Wörtlichkeit als ›wieder holen‹ und ›wiederholen‹ benutzt wird. 146 Heidegger möchte einen Daseinsmodus wieder(zurück)holen, der im zeitlichen Sinne ›vergessen‹ und im räumlich-ontischen Sinne ›verfallen‹ ist an den im Dasein dominanten vorhandenheitslogischen Reduktionismus metonymisch-metaphysischer Denkweise. Um aber an den ursprünglicheren Kern, also an das innere Wesen eines nicht präsentisch gedachten Seins- und Zeitverständnisses heranzureichen, muss die Karriere der Daseinstendenz der Vergegenwärtigung aufgeklärt und die ursprüngliche Herkunft der Zeitlichkeit erkundet werden. Denn so wie Parmenides in seinem berühmten Lehrgedicht das Sein noch nicht als vorhandenes Phänomen auffasst, sondern als Quelle, aus der alles andere entspringt, so will auch Heidegger ein vorontisches und vor allem zeitliches Verständnis vom Sein entwickeln. 147 Doch dazu ist vorab ein ursprüngliches Zeitverständnis aus den Spuren der vorhandenheitslogischen Tradition zu extrahieren. Die Herkunft der Zeitlichkeit

Wenn die existenziale Analytik das Dasein gerade in seiner faktischen Gegebenheit ontologisch durchsichtig machen soll, dann muss auch der ›ontisch-zeitlichen‹ Auslegung der Geschichte ihr Recht gegeben werden. 148 Dabei ist das Faktum, dass das Dasein schon vor aller thematischen (also irgendwie theoretischen oder reflektierten) Form 145 ›Vor‹ bzw. ›hinter‹ ist hier nicht in einem zeitlichen oder räumlichen Sinne gemeint, sondern im Sinne einer basaleren, ursprünglicheren Ebene der Strukturanalyse. 146 Eine umfassende Analyse zu diesem Problem, nämlich eine Analyse der Grundzüge einer phänomenologischen Destruktion der Geschichte der Ontologie am Leitfaden der Problematik der Temporalität, hatte sich Heidegger für den zweiten Teil seiner Abhandlung über die Seinsfrage vorgenommen. Dieser zweite Teil ist bekanntlich nicht zustande gekommen, aber Heideggers Vorlesungen zur Ontologie und zum Zeitbegriff zeigen die Richtung an, in die seine umfassende Analyse hätte münden müssen, wäre sie in der gleichen begriffsanalytischen Form fortgefahren, wie sie in Sein und Zeit vorliegt. Vgl. M. Heidegger, Ontologie-Vorlesung, GA 63, und ders., Der Begriff der Zeit, GA 64. 147 Parmenides. Die Fragmente des Lehrgedichts. Übersetzung und Gliederung von Jaap Mansfeld, Stuttgart 1985. 148 Vgl. M. Heidegger Sein und Zeit, GA 2, § 78, besonders S. 404.

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›mit der Zeit rechnet‹ und ›sich nach ihr richtet‹, von elementarer Wichtigkeit. 149 Das Rechnen geht somit jeder Messbarkeit von Zeit voraus. Der Gebrauch von Uhren zum Beispiel ist nur möglich, weil das Dasein immer schon ›rechnet‹. Heideggers neues und gleichzeitig altes Thema ist also die Frage, wie sich die Zeit zur Zeitlichkeit des Daseins verhält. Die Frage ist neu, weil sie in ihrer Bezüglichkeit so noch nicht gestellt wurde. Sie ist zugleich alt, weil sie die alte Frage nach dem Sinn von Sein insofern weiter vertieft, als sie alles Verhalten des Daseins aus dessen Sein, das heißt aus der Zeitlichkeit des Seins interpretieren will. 150 Die im Alltag normalerweise empfundene bzw. erfahrene Zeit bezieht sich Heidegger zufolge immer auf das uns am nächsten liegende Seinsverständnis, also auf eine Welt voller vorhandener oder zuhandener Dinge. Aus dieser Welt von Verdinglichungen und Besorgungen resultiert auch das so genannte ›vulgäre‹, also gewöhnliche Zeitverständnis. Heidegger nennt dieses Dasein das ›zeitbesorgende Dasein‹. Das alltägliche Leben verlangt, dass man sich um es kümmert, sich sorgt, vor allem versorgt, vorsorgt, besorgt, umsorgt etc. Diese Art der Alltagsbewältigung und -gestaltung ist nicht nur eine sorgende. Weil das Sorgen eine zeitliche Dimension hat, ist es vielmehr auch von einer zeitlichen Struktur gekennzeichnet. Alle alltäglichen Tätigkeiten wie das Planen (zum Beispiel eines Hausbaus), Versorgen und Behüten (zum Beispiel der Kinder und des Viehs), das Verhüten (zum Beispiel von Unfällen oder Katastrophen) oder das Verrechnen (zum Beispiel von Tauschbarem wie Nahrung, Kleidung oder Aufmerksamkeit) usw. haben einen zeitlichen Modus. Den alltäglichen existenzialen Zeitlichkeits-Modus nennt Heidegger das ›gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen‹. Gemeint ist damit eine dreifache in sich verflochtene Zeitstruktur, in der Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit in eins zusammenfallend da bzw. anwesend sind. Die drei Grundworte dieses alltäglichen ZeitlichkeitsModus sind: ›jetzt‹, ›dann‹ und ›damals‹. Gegenwärtigend ist der alltägliche Zeitmodus im Jetzt-Strukturelement, gewärtigend ist er im

Ebenda. Für Heidegger gilt es zu zeigen, wie das Dasein als Zeitlichkeit ein Verhalten zeitigt, das sich in der Weise zur Zeit verhält, dass es ihr auch Rechnung trägt. Es wurden also noch nicht alle Dimensionen des Phänomens der Zeit beachtet. Vgl. R. Becher, Sinn und Zeitlichkeit. Vergleichende Studien zum Problem der Konstitution von Sinn durch Zeit bei Husserl, Heidegger und Bloch, Trier 2003. 149 150

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Dann-Strukturelement und behaltend ist er im Damals-Strukturelement. Jetzt, dann und damals bilden im existenzialen Modus gemeinsam eine einzige Zeitstruktur. Spricht man ein Strukturelement an, so setzt man die anderen jeweils zugleich in Beziehung zu diesem, ohne sie jeweils mitzubenennen. Auffällig ist nun, dass das Gegenwärtigen, also das Jetzt-Sagen, ein eigentümliches Schwergewicht innerhalb der drei Zeitformen bekommt. Zwar taucht es immer in Begleitung der beiden anderen Zeit-Strukturelemente auf, aber es beansprucht als ›jetzt-jetzt‹ eine doppelte Gewichtung. Das Früher (Gestern) und das Später (Morgen) sind gegen den Heutigkeitsmodus blass. Damit stellt Heidegger heraus, warum für die Griechen der Anwesenheitsmodus die dominierende Form werden konnte. Aber woher kommt die Dominanz des Gegenwärtigens? Im Sorgen hat sich das Dasein schon begriffen als etwas, das hier und jetzt da ist, aber von Vergangenheit und Zukunft nicht unabhängig existieren kann. Die Struktur der Zeitformen gehört daher für Heidegger zum elementarsten Beweis für die Herkunft des Ausgelegten aus der sich auslegenden Zeitlichkeit: Jetzt-sagend verstehen die Menschen auch schon, ohne es mitzusagen, ein ›da das und das …‹ 151 Die Zeitformen sind sozusagen der ›Widerschein der ekstatischen Verfassung der Zeitlichkeit‹ und deshalb auch für die ausgesprochene, also sich selbst entäußernde Zeitlichkeit als Zeit wesenhaft. 152 Das ist es, was Menschen alltäglich ganz selbstverständlich leben, aber eben nicht selber kommentieren oder reflektieren. Reflektiert man aber darüber, was es heißt, dass sich das Dasein versteht und auslegt, dann darf die Auslegung und das Verständnis nicht beim Gegenwärtigen stehen bleiben, sondern muss die anderen beiden Zeitebenen mit in die Überlegung hineinnehmen. Denn sie sind es, die das Leben erst zu einem sorgenden, das heißt zeitlichen zusammenbinden können. Das Sein spricht sich also durch das Dasein selbst in der Ganzheitsstruktur der Sorge als ein zeitliches aus. Das Dasein legt sich als ›hier und jetzt‹ bzw. ›da und jetzt‹ aus, das aber immer ›ekstatisch offen‹ ist für ein ›dann‹ und ›damals‹. Weil diese existenziale Zeitlichkeit erfahrungsbezogen ist, kann es also nicht die messbare Zeit sein, die dem Leben Struktur gibt, sondern umgekehrt. Es ist das zeitliche Leben als Sorge M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 407. Manchmal scheint sie jedoch noch in solchen altdeutschen Worten wie ›itzo‹ auf, das sowohl hier als auch jetzt bedeutet, oder ›heuer‹, das eine unbestimmte ausgestreckte Zeitlichkeit, meist dieses Jahr, benennt. 151 152

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selbst, das sich eine messbare Zeit, zum Beispiel mittels Uhren und Kalendern, schafft und so seiner inneren rechnenden Tendenz äußeren Ausdruck verleiht. Zeitlichkeit ist im ›durchschnittlichen Alltagsleben so selbstverständlich, dass sie nur als Form von ›Entäußerungen‹ auffällig wird, als Einteilungen in ›morgens‹, ›mittags‹, ›abends‹ ; oder ›nachher‹, ›letztens‹, ›anfangs‹, oder als ›inzwischen‹, ›während‹ oder ›innerhalb‹ (um eine Zeitspanne anzuzeigen zum Beispiel); oder natürlich als Uhrzeit und Datum. 153 Dabei wird deutlich, dass die alltäglich-lebensweltlichen Zeitbegriffe nur vage Formulierungen sind und eine kontinuierlich linear ablaufende Zeitvorstellung mit Turmschlägen und Uhren nach und nach auch im alltäglichen Seinsverständnis nach dem Modell der Einteilung des Raumes gegriffen hat. Doch eine theoretische Vorstellung eines kontinuierlichen Jetztzeit-Flusses kennt das alltäglich besorgende Dasein nicht. Gleichförmige zeitliche Kontinuität ist ein abstraktes Werkzeug, das die zeitlichen Diskontinuitäten der Existenzialität schon in gleiche Portionen zugerichtet hat. Als Existenzial kennt Zeitlichkeit keine berechenbare Kontinuität. Das Dasein lässt sich vielmehr Zeit, nimmt sich Zeit, verliert Zeit und vergisst die Zeit. Es entstehen gleichsam Löcher in der Zeit, die dann verdeckt werden. Als eingeteilte Zeithäppchen, die den alltäglichen Zeitbegriff strukturieren, gehört die Zeit einem auch nicht allein. Vielmehr ist die alltägliche Zeitlichkeit eine öffentliche. Zeit wird in diesem Modus genutzt. Sie stellt sich als Ressource dar. Man nutzt die Zeit, als gäbe es sie wie anderes Vorhandenes, wie Dinge. Man quantifiziert Zeit und zählt ihre konstruierten Einteilungen ab. Man rechnet mit dieser alltäglichen entäußerten Zeit wie mit Dingen. 154 Die öffentliche Zeit schaltet die Menschen gleich. Zeitrechnungen sind also nicht zufällig, sondern eine existenzial-ontologische Notwendigkeit der Grundverfassung des Daseins. Weil sich das Dasein um sich selbst sorgt, deshalb gibt es überhaupt so etwas wie öffentliche Zeit. Der öffentlichrechnende Charakter des gewöhnlichen Zeitbegriffs hat also etwas mit dem Vorherberechnen, mit Planungskompetenz und mit Umsich-

Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 407 f. Nicht von ungefähr kommt daher der Spruch: Zeit ist Geld. Beide Abstrakta werden in ihrem Wert quasi vergegenständlicht – und zuweilen auch gegeneinander aufgewogen, zum Beispiel in der Gestalt der Alternative Freizeit oder Geldverdienen. 153 154

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tigkeit des Daseins im weitesten Sinne zu tun, gemäß dem Umgang mit Physischem. Aber auch die natürlich vorgegebene Tag-Nacht-Struktur ist nicht unwesentlich für das rechnende Verständnis von alltäglicher Zeitlichkeit: Wenn die Sonne aufgeht, ist es Zeit aufzustehen; wenn sie über mir steht, ist es Zeit, Schatten zu suchen oder zu Mittag zu essen usw. Für manchen sind die Tage schon gezählt. Andere können sich Zeit lassen, um etwas Bestimmtes zu tun. Das alltägliche Dasein sucht sich also seine Bewandtniszusammenhänge, in die es sich eintaktet und so dem Dasein einen bestimmten und gestimmten Rhythmus gibt. Es gibt innerhalb dieser Innerweltlichkeit eine Innerzeitigkeit, die für jedermann jederzeit und in gleicher Weise eindeutig und einstimmig nachvollziehbar ist, zum Beispiel Tag-Nacht-Rhythmen, Jahreszeitenwandel, Orientierung an Sternen und Berechnung von zum Beispiel Finsternissen. Die Ebene des ›Datierenden‹, wie es Heidegger nennt, ist also umweltlich und mitweltlich verfügbar und nicht auf das besorgende Umgehen mit Zeug eingeschränkt. Vielmehr ist in solchen Rhythmen und Wandeln die öffentliche Mitund Umwelt immer schon mitentdeckt. Zeitliche Rhythmen sind somit die Bedingung der Möglichkeit des sorgenden Umgehens mit den zuhandenen und vorhandenen Dingen und Menschen. Sie sind gleichsam ›natürliche Uhren‹, aus denen die Herstellung und der Gebrauch von künstlichen Uhren allererst motiviert wurde. Das mit der fortschreitenden Naturentdeckung sich ausbildende Verständnis der natürlichen Uhr gibt auch die Anweisung für neue Möglichkeiten der Zeitmessung. Diese emanzipiert sich dann zunehmend vom TagNacht-Rhythmus und der jeweilig Himmelsbeobachtung. Der gegenwärtige Trend zur Selbstoptimierung mittels technischer Hilfsmittel ist der moderne Ausdruck eines quantifizierenden und bewirkenden Umgangs mit sich selbst. Er betrifft auch das eigene Zeitmanagement. Allerdings ist die existenziale Zeit nicht als innerweltlich Seiendes ontisch vorhanden. Sie gehört vielmehr zur Welt in einem existenzial-ontologischen Sinne, nämlich als datierbare, gespannte, öffentliche und Welt strukturierende. Die Herstellung und der Gebrauch von künstlichen Uhren ist dann nur Verfeinerung und Steigerung eines im Dasein selbst ursprünglich schon angelegten Modus des Umgangs mit sich und der Welt. In der Frage: »Wie viel Uhr (ist es)?« steckt nach Heidegger demzufolge schon immer die Frage: »Wie viel Zeit (habe ich noch)?«. Die sich aus einem JetztZeit-Verhältnis verstehende alltägliche Zeit nimmt also nicht einfach Logik der Tropen

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Bezug auf ein Vorhandenes, sondern als Bezugnehmen trägt es selbst den Charakter des Messens in sich. In der Zeitmessung vollzieht sich eine Art Veröffentlichung der Zeit, der gemäß diese jeweils und jederzeit für jedermann als (aufzählendes) ›jetzt und jetzt und jetzt‹ begegnet. In der messenden Datierung hat also das Gegenwärtigen von Anwesendem einen besonderen Vorrang. Die messende Zeitablesung auf Uhren stellt sich in einem betonten Sinne als Jetzt-und-jetzt-undjetzt… usw. dar. Diese allgemein zugängliche Zeit wird wie eine vorhandene Jetztmannigfaltigkeit vorgefunden und ausgesprochen – und das, ohne dass die Zeitmessung überhaupt thematisch auf die Zeit als solche gerichtet worden wäre. Die innerweltliche Innerzeitlichkeit ist daher meist unthematisch und vorbegrifflich. Heidegger lagert also dem vulgären, explizit gewordenen Verständnis von Zeit eine Betrachtung des alltäglichen vorbegrifflichen Umgangs mit und in der Zeit phänomenal vor. Dabei kann er herausstellen, dass bei allen alltäglichen Verrichtungen alle drei zeitlichen Dimensionen beteiligt sind. Das Handeln als Planen, Behüten, Bauen usw. ist also in Vergangenheit und Zukunft zurück- bzw. vorgebunden. Insofern ermöglicht die existenziale Zeitlichkeit überhaupt erst so etwas wie Raumerschließung, indem sie dem räumlichen Dasein aus einem entdeckten Dort ein daseinsmäßiges Hier anweist, es also verortet. »Nicht die Zeit wird an einen Ort geknüpft, sondern die Zeitlichkeit ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß sich die Datierung an das RäumlichÖrtliche binden kann, so zwar, daß dieses als Maß für jedermann verbindlich ist. Die Zeit wird nicht erst mit dem Raum verkoppelt, sondern der vermeintlich zu verkoppelnde ›Raum‹ begegnet nur auf dem Grunde der zeitbesorgenden Zeitlichkeit.« 155

Die in der Zeitmessung veröffentlichte Zeit wird also durch Segmentierung und Quantifizierung aus räumlichen Maßverhältnissen ebenso wenig selbst zum Raum wie das existenzial-ontologisch Wesentliche der Zeitmessung darin zu suchen ist, dass die datierte Zeit aus Raumstrecken und dem Ortswechsel eines räumlichen Dinges zahlenmäßig bestimmt ist. Das ontologisch Entscheidende an der Zeit ist für Heidegger vielmehr die spezifische Gegenwärtigung, die Messung überhaupt ermöglicht. Zeitrechnung im Sinne von Datierung muss daher ursprünglicher aus der Zeitlichkeit des mit der Zeit rech155

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nenden Daseins begriffen werden. Konsequent zu Ende gedacht, dürfte die Zeit dann nicht mehr im Rahmen einer metonymischen Vorhandenheitslogik beschrieben werden, weil diese nur das präsentisch Anwesende, das Physische, materialisieren und zur Darstellung bringen kann, sondern verlangte nach einer ganz neuen logischen Darstellungsweise, die das Zeitliche auch tiefensprachlich einzufangen vermag. Weil der öffentliche Charakter der Zeitlichkeit als Zeitrechnung noch nicht genug über den phänomenalen Charakter der Zeit aussagt, bleibt die Zeit erkenntnis- und darstellungsmäßig unterbestimmt. Einen Ausweg aus dieser Misere besteht darin, wieder einen Schritt zurückzutreten und den Fragerahmen weiter zu stecken. Um die Zeitlichkeit des Daseins angemessen in den Blick zu bekommen, muss viel grundsätzlicher danach gefragt werden, in welchem Sinne die Zeit überhaupt ›ist‹ bzw. als ›seiend‹ angesprochen werden kann. Das ist die Frage nach dem Sein bzw. der Seinsweise der Zeit. Will man also das Wesen der öffentlichen Zeit erfassen und ihr Sein umgrenzen, so muss man verstehen, wie die Zeit dem Dasein in seinen alltäglichen innerweltlichen Zusammenhängen begegnet. Ursprünglich begegnet Zeit dem Dasein als ›Innerzeitigkeit‹. 156 Innerzeitigkeit Die Zeit, in der etwas ›Innerweltliches‹ als ›Innerzeitliches‹ geschieht, ist nicht ›objektiv‹ im gegenständlichen Sinne eines An-sich-vorhanden-seins. Sie ist aber auch nicht ›subjektiv‹ im Sinne des Vorkommens in einem Subjekt. Vielmehr ist für Heidegger die ›Weltzeit‹ als Innerzeitliches ›objektiver als jedes mögliche Objekt‹, weil sie die Bedingung der Möglichkeit für alles innerweltlich Seiende überhaupt ist. Die Weltzeit, mit der wir es alltäglich zu tun haben, ist also in der Erschlossenheit der Welt immer schon ›ekstatisch-horizontal‹ objektiviert. Die Zeit steht uns damit nicht als Objektivum gegenüber, sondern ist der Möglichkeitsraum jedes Objektivierens. 157 Die Weltzeit ist für Heidegger aber auch ›subjektiver‹ als jedes mögliche Subjekt, weil die Weltzeit Subjektivität überhaupt erst möglich macht. Die Weltzeit ist es nämlich, die die ›Sorge‹ als das ›Sein des faktisch existierenden Selbst‹ möglich macht, sei es in einem uneigentlichen oder einem eigentlichen Modus. Damit ist die Zeit 156 157

Vgl. ebenda, S. 420 ff. Vgl. ebenda.

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weder in einem irgendwie Subjektiven noch in einem irgendwie Objektiven ›vorhanden‹. Die Zeit ist weder ›innen‹ noch ›außen‹. 158 Sie ist vielmehr ›früher‹ als jede Subjektivität und Objektivität, weil sie die Bedingung der Möglichkeit selbst dieses ›früher als‹ ist. 159 Die ›Weltzeit‹ kann also weder subjektivistisch ›verflüchtigt‹ noch durch Objektivierung ›verdinglicht‹ werden. Die Weltzeit gehört zur Zeitigung der Zeitlichkeit. Die Weltzeit ist die besorgte Zeit. 160 Insgesamt ist die öffentliche, besorgende Zeit des Daseins in seiner Alltäglichkeit charakterisiert durch eine Struktur, die die Zeit immer schon versteht als ›Zeit zu etwas‹. Zeit ist damit immer geeignet oder ungeeignet für etwas. Sie ist immer ›Zeit für etwas‹. Die öffentliche Zeit ist ebenso gekennzeichnet durch ein ›Wozu‹ und ein ›Worumwillen‹, also eine ›Um-zu-Struktur‹. Durch diese Um-zuStruktur erhalten die Dinge und die Menschen in der öffentlichen Welt des Man ihre Bedeutsamkeit. Diese Bedeutungsstruktur des ›Um-zu‹ bzw. ›Zeit-zu‹ konstituiert nicht nur die Weltlichkeit der Alltagswelt, sondern auch die Zeitlichkeit der Alltagswelt. In diesem ausgewählten Sinne spricht Heidegger von ›Weltzeit‹. 161 Es ist die Zeit, ›worinnen innerweltliches Seiendes begegnet‹. Es ist die besorgte Zeit. Sie hat dieselbe Transzendenz wie die Welt. 162 Wie verhält es sich nun mit dem ontologischen Status von Zeit selbst? Hat die Zeit außerhalb der Weltzeit überhaupt ein Sein? Oder ist sie – wie Heidegger in seinem Einleitungstext von Sein und Zeit behauptet – vielmehr ein Konstrukt der tendenziell vergegenständlichenden Vorhandenheitsontologie des Daseins, die Zeit in ein Raumkonzept fasst? Ist das Dasein in der Zeit? Liegt die zentrale Problematik der Zeit in ihrer Ontologie – und umgekehrt die zentrale Problematik der Ontologie in einer phänomengerechten Zeitauffassung? 163 Diese Fragen leiten Heideggers Spurensuche immer tiefer in die innere Verwobenheit von ›Sein‹ und ›Zeit‹ und in die tieferen Dimensionen des Zusammenhangs von Sprache und Denken. Wäre das Dasein in der Zeit, so wie es in der Welt ist, so läge hier tiefensprachlich einmal mehr das metonymische Grundmodell der Vorhandenheitsontik vor. Heidegger stellt jedoch heraus, dass die Zeit 158 159 160 161 162 163

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Vgl. ebenda, S. 419. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, S. 422. Vgl. ebenda, S. 414. Vgl. ebenda, S. 419. Vgl. ebenda, S. 18.

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gar nicht zum Dasein selbst gehört. Zeit bestimmt vielmehr das Dasein in seiner Wesensform vor. Wenn die Zeit aber nicht zum Dasein gehört und damit als ontologische Auslegung des Daseins Räumlichvorhandenes aufscheinen lassen kann, dann muss sie einer anderen Seinsweise als der des Seienden unterliegen. Sie kann dann auch nicht – wie Daseiendes – im strengen Sinne zeitlich sein, denn zeitlich kann nur existenzial Begegnendes, also Dasein sein. Das Wesen der Zeit ist damit unzeitlich. Wie lässt sich Zeit in dieser paradoxen Wesensstruktur dann überhaupt noch denkerisch erfassen und sprachlich darstellen? Gibt es überhaupt einen tropischen Redemodus, der das präfigurativ fassen kann, was Heidegger in kleinteiliger Begriffsarbeit hier als Paradox herauspräpariert hat? Wie müsste ein solches Denkmodell aussehen? Und welche innere Logik würde es bestimmen? Um diese Fragen zu klären, ist Heideggers Gesamtkonzeption der Existenzialanalyse mit heranzuziehen: Sein grob konzipierter, aber nicht mehr ausgeführter zweiter Band von Sein und Zeit stellt in Aussicht, die philosophische Herkunft des Zeitbegriffes innerhalb der Philosophiegeschichte zu verorten und damit eingehend zu erörtern. Die Genesis des Zeitbegriffs in Sein und Zeit fällt daher im ersten Teil kurz und mehr appellierend als aufzeigend aus. Heidegger verweist lediglich darauf, dass die aristotelische Abhandlung über die Zeit als erste überlieferte Interpretation dieses Phänomens alle nachkommenden Zeitauffassungen über Kant bis zu Bergson wesentlich bestimmt hat. Zeit wird in der okzidentalen Zeitauffassung verstanden als etwas in der Gegenwart Vorhandenes und irgendwie Anwesendes, dessen Verlauf beobachtet werden kann, zum Beispiel als Verlauf eines wandernden Zeigers auf einer Uhr bzw. Schattens eines Stabes auf einer Sonnenuhr. 164 An ihrer Genesis erläutert Heidegger, wie sich die griechische Seinsauslegung ohne Wissen um die fun164 Wie zeigt sich also für das alltägliche, umsichtige Besorgen so etwas wie ›Zeit‹ ? Sie zeigt sich zum Beispiel im Wahrnehmen bzw. aufmerksamen Verfolgen des wandernden Zeigers einer Uhr, also im Uhrengebrauch. Man verfolgt, wie der Zeiger sozusagen die Zeigerstellen zählt bzw. abwandert. Dabei behält man das ›Früher des Zeigers‹ über das ›Jetzt des Zeigers‹ hinweg im Kopf und antizipiert womöglich schon ein ›Später des Zeigers‹. Diese Phänomenbeschreibung entspricht Aristoteles’ Definition der Zeit: »τούτο γάρ ἔστιν ὅ χρόνος, ἀριθμος κινήσεως κατα το πρότερον και ὕστερον.« Aristoteles, Physik, Δ 11, 219 b 1 sq., so zitiert bei M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 421. Dessen Übersetzung lautet: »Das nämlich ist die Zeit, das Gezählte an der im Horizont des Früher und Später begegnenden Bewegung.«

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damentale ontologische Funktion der Zeit vollzieht. Sie wird vielmehr verstanden als ein anwesendes Seiendes unter anderen. 165 Das griechische Verständnis der Zeit unterscheidet sich vom vulgären (natürlichen, gewöhnlichen) Zeitverständnis. Aristoteles thematisiert nämlich die Zeit in Bezug auf das (be)sorgende Dasein, also in seinem Vollzugssinn. Im vulgären Zeitverständnis zeigt sich die Zeit hingegen als Folge von ständig vorhandenen, zugleich vergehenden und ankommenden Jetzt-Abschnitten, als Nacheinander, als Fluss oder Lauf dieser Abschnitte. Ist im griechischen Verständnis von Zeit noch die volle Wesensstruktur in Form von Datierbarkeit des Besorgens von Zeitlichkeit und Bedeutsamkeit der Jetztstruktur zu erkennen, so fehlt in der heutigen vulgären, alltäglichen Auslegung der Zeit als Jetztfolge sowohl Datierbarkeit als auch Bedeutsamkeit. 166 Diese Strukturen sind im natürlich-vulgären Zeitverständnis verdeckt. Die gewöhnliche Interpretation der Weltzeit als Jetzt-Zeit verfügt nämlich nicht über den besorgten Horizont des Daseins, um sich so etwas wie Welt, Bedeutsamkeit, Datierbarkeit zugänglich machen zu können. So sehr man auch die Jetztfolgen teilen mag, sie bleiben Folgen von Jetzt-Punkten, die als gleichartig in der Form ihrer Anwesenheit verstanden werden. Diese Form von Jetzt-Punkt-Anwesenheit können sie nur haben, wenn man sie als präsentisch vorhandene (miss)versteht. Als gleichartige aber kann man diese teilbaren JetztPunkt-Anwesenheiten in eine Kontinuität bringen, sie als ununterbrochene und lückenlose Jetztfolgen wie Zahlenreihen aneinanderketteln. Dies (ver)führt schließlich auch zur Hauptthese der vulgären Zeitinterpretation, dass nämlich die Zeit unendlich sei. »›Denkt man‹ 165 Für Heidegger bewegt sich die griechische Definition im Horizonte eines ›natürlichen‹ Seinsverständnisses, allerdings eines Seinsverständnisses, das sich vom Platonschen Begriff des ›Seins‹ des Menschen als ζῷον λόγον ἔχον, als über Sprache verfügendes und auslegendes bzw. interpretierendes, Wesen unterscheidet. Das λέγειν im Sinne von Auslegen bekommt bei Aristoteles die temporale Struktur reiner Gegenwärtigkeit. Es wird von Aristoteles als νοεῖν, also als das ›schlichte Vernehmen von etwas Vorhandenem in seiner puren Vorhandenheit, verstanden. Das auf diese Weise verstandene Seiende wird nur in Bezug auf die Gegenwart, also auf den Modus der Anwesenheit, οὐσία, begriffen. 166 In der ekstatischen Verfassung der Zeitlichkeit wird die Datierbarkeit unthematisch und als solche unkenntlich mitverstanden. Das heißt, sie ist ihm selbst als In-derWelt-sein erschlossen und bezieht von daher ihre Datierbarkeit als ›dann, wenn …‹, ›damals, als …‹, ›jetzt, da …‹. In der Vertrautheit mit dem Verweisen als Bezugscharakter des Daseins ›bedeutet‹ das Dasein ihm selbst. Es gibt also ursprünglich sein Sein und Seinkönnen hinsichtlich seines In-der-Welt-seins zu verstehen.

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in der Blickrichtung auf Vorhandensein und Nichtvorhandensein die Jetztfolge ›zu Ende‹, dann läßt sich nie ein Ende finden. Daraus, daß dieses zu Ende Denken der Zeit je immer noch Zeit denken muß, folgert man, die Zeit sei unendlich.« 167 Die Unendlichkeitsthese der Zeit kann nur möglich werden, weil man sich orientiert an einem ›freischwebenden An-sich eines vorhandenen Jetzt-Ablaufs‹. 168 Es werden mit dem vulgären Zeitverständnis nach Heidegger nicht nur die Wesensmomente der Zeit: Datierbarkeit und Bedeutsamkeit, sondern auch die der Weltlichkeit, Gespanntheit und Öffentlichkeit verdeckt. Die ekstatisch-horizontale Verfassung der Zeitlichkeit wird durch diese Verdeckung nivelliert. Das geschieht nach Heidegger nicht zufällig. Gerade weil die alltägliche Zeitauslegung sich in der leitenden Blickrichtung der ›besorgenden Verständigkeit‹ hält und nur versteht, was sich in diesem immer ›zeitbesorgenden‹ Horizont zeigt, werden die wesentlichen Strukturen nicht mehr wahrnehmbar. Trotzdem sind sie da. Jedermann weiß zum Beispiel, dass das Fließen von Zeit subjektiv sehr unterschiedlich empfunden werden kann. Wenn der gewöhnliche Zeitbegriff seine Herkunft einer Nivellierung der ursprünglichen Zeit verdankt, dann heißt das nichts anderes, als dass die ursprüngliche, also die existenziale Zeitlichkeit im Modus der Verfallenheit vergessen wird. Das Dasein in der vulgären Selbstauslegung ist damit nicht nur durch Seinsvergessenheit, sondern auch durch Zeitvergessenheit bzw. Zeitverfallenheit gekennzeichnet, indem das Dasein an ein bestimmtes Zeitverständnis verfallen ist, so wie es an ein bestimmtes Seinsverständnis verfallen ist. Damit ist aber noch nichts über die ursprüngliche Zeitlichkeit als solche oder über den Ursprung der Zeit gesagt. Die vulgäre Auslegung der Zeit beschreibt den Zeitfluss als einen irreversiblen Prozess: Das Nacheinander der ›Jetztpunktanwesenheiten‹ ist nicht umkehrbar. Aus dem alltäglichen Jetztzeit-Verständnis lässt sich zum Beispiel so ein Phänomen wie der Augenblick, in dem verschiedene Zeitebenen zusammenfallen, nicht aufklären. Das Phänomen des Augenblicks lässt sich daher nur aus der Interpretation der eigentlichen, also existenzial-ontologischen Zeitlichkeit ableiten. Die Unmöglichkeit der Umkehr innerhalb des vulgären Zeitbegriffs hat ihren Grund in der Herkunft der öffentlichen Zeit aus der Zeitlichkeit, deren Zei167 168

M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 424 (Kursivierung Heidegger). Ebenda.

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tigung primär zukünftig ist bzw. ›ekstatisch zu ihrem Ende geht‹. Der existenziale Begriff der Zeit ist hingegen kein Nacheinander von Jetztpunktanwesenheiten, die sich als Kontinuitätspunkte bis ins Unendliche in eine Richtung aufketteln lassen. Die existenziale Zeit ist vielmehr in allen ihren Ebenen zugleich da, auch wenn sie wesentlich von der Zukunft, dem ›jemeinigen Tod‹ her bestimmt und daher radikal endlich ist. Die Zeit-Analyse in Sein und Zeit zeigt, dass es mindestens drei verschiedene Weisen geben muss, mit den temporalen Ebenen des Daseins umzugehen: die existenziale, die vulgäre und die datierbare Zeit. 169 In allen drei Zeitformen finden sich Spuren eines metonymischen Vorhandenheitsdenkens. Dieses Denkmodell will Heidegger aber nach und nach hinter sich lassen, weil es die existenzialen Wesensmomente des Daseins in ein zu enges Denkkorsett presst. Die ursprüngliche Zeit, also existenziale Zeitlichkeit, zeigt sich durch alle Nivellierungen und Verdeckungen hindurch. Dagegen bleibt umgekehrt die Zeitlichkeit im Horizont des gewöhnlichen Zeitverständnisses wesentlich unzugänglich. Die ekstatisch-horizontale Zeitlichkeit zeitigt sich primär aus der Zukunft, wohingegen das vulgäre Zeitverständnis das Grundphänomen der Zeit im puren Jetzt bzw. der Gegenwart sieht. Die Zeitlichkeit des Daseins selbst ermöglicht es erst, dass ein Zusammenhang des Daseins überhaupt bestehen kann. Diese spezifische Zeitlichkeit als Geschehensstruktur des Daseins muss jedoch erst von Heidegger freigelegt werden. Wie soll dies gehen, wenn ihm dazu die sprachlichen Mittel fehlen? Um die Geschehensstruktur als solche aufzudecken, drängt alles nach einem alternativen Denk- und Sprachmodell als das der bisherigen vulgär-ontologischen Tradition. Die Analyse der Geschehensstruktur innerhalb des Daseins soll nun auch ein angemessenes ontologisches Verständnis der Zeitlichkeit des Daseins freilegen, um von dorther nicht nur ein existenziales Zeit-, sondern auch Seinsverständnis des Daseins zu gewinnen. Das Dasein ist also nicht nur aus seinem Welt-, Wahrheits- und Seinsverständnis her, sondern vor allem auch aus seinem existenzialen Zeitverständnis zu verstehen, welches das Seinsverständnis seinerseits

169 Denen entsprechen drei bedeutsame Perspektiven: auf Gewesenes, auf (jetzt) Seiendes (Anwesendes) und auf Werdendes bzw. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bzw. Damals, Jetzt und Dann. Das heißt auf den drei Ebenen unterscheiden sich: 1. Gewesenes, Vergangenheit und Damals; 2. Seiendes, Gegenwart und Jetzt sowie 3. Werdendes, Zukunft und Dann.

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bestimmt. Dieses eigene Zeitlichkeitsverständnis innerhalb des Daseins nennt Heidegger ›Geschichtlichkeit‹. 170 Geschichtlichkeit ›Bewegtheit‹ und ›Starre‹ sind die beiden Kategorien, die Heidegger für die Beschreibung des Daseins als eines sich zeitlich-prozessual ablaufenden Geschehens bereithält. Dabei ist die Bewegtheit der Existenz nicht die Bewegung eines Vorhandenen. 171 Die besondere Art der Bewegung bzw. Bewegtheit des Daseins lässt sich durch Analyse der besonderen Zeitigung charakterisieren. Was überhaupt Zeitigung ist, hält Heidegger für eine Ursprungsfrage. Sie entscheidet nämlich über den Ort des Problems der Geschichte innerhalb des Daseins. Die Suche nach der spezifischen Zeitbewegung des Daseins ist dabei jedoch nicht der Historie als Wissenschaft von der Geschichte aufgegeben. 172 Diese fasst Geschichte immer nur als Objekt einer Wissenschaft auf. Geschichte ist nur aus der Seinsart des Geschichtlichen und ihrer Verwurzelung in der Zeitlichkeit zu entnehmen, da der Sinn der Sorge Zeitlichkeit und mithin – analog – Geschichtlichkeit ist. Weil das Dasein nie nur faktisch da ist im Modus des Zeitlichen, sondern sich selbst permanent auslegt, setzt es sich permanent auch in ein zeitliches Selbst- und Weltverhältnis. Damit bekommt es einen spezifischen Seinsbezug zur eigenen Vergangenheit und Herkunft, zur Zukunft und Gegenwart. Durch seine Geschichtlichkeit erschließt 170 Erstmalig kommt Heidegger in Sein und Zeit auf die Geschichtlichkeit im Rahmen der selbst gestellten Aufgabe der Destruktion der Geschichte der Ontologie zu sprechen (vgl. § 6, S. 19–27). Dieser Paragraph nennt programmatisch den Inhalt des geplanten zweiten Teils von Sein und Zeit, nicht des vorliegenden ersten. Die Ontologie als Wissenschaft vom Seienden als solchem wird von Heidegger als eine Veranstaltung angesehen, die das Dasein selbst ist. Als Sinn des spezifischen Seins des Daseins erweist sich die Zeitlichkeit, die sich im Dasein – neben anderen zeitlichen Weisen des Existierens – in der Form der Geschichtlichkeit manifestiert. Die in Aussicht gestellte Destruktion der Geschichte der Ontologie hätte in drei chronologisch absteigenden Abschnitten durchgeführt werden sollen, die die wesentlichen Stationen der Geschichte der Ontologie behandelt hätten: Kant, Descartes und Aristoteles. Dieser Plan wurde nicht ausgeführt. 171 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 72, besonders S. 375. 172 Selbst eine wissenschaftstheoretische Behandlung des Problems der Geschichte als erkenntnistheoretische Klärung des Erfassens (Georg Simmel) noch eine Logik der Begriffsbildung historischer Darstellung (Heinrich Rickert) sind nicht der richtige Ort zur Suche nach dem spezifischen Zeitgeschehen des Daseins, denn sie fassen die Geschichte in ihren Fragestellungen immer nur als Objekt einer Wissenschaft auf. Vgl. ebenda.

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sich das Dasein die Möglichkeiten seines Seins und ›regelt‹ sie. 173 Innerhalb der Analyse der Geschichtlichkeit des Daseins versucht Heidegger nun aufzudecken, dass das Dasein geschichtlich existiert und existieren kann, weil es im Grunde seines Seins zeitlich ist – und nicht umgekehrt: zeitlich ist, weil es in der Geschichte steht. 174 Wie jeder gewöhnliche Zeitbegriff aus einer existenzialen Zeitlichkeit des Menschen entspringt, so entspringt auch jede historische Objektivierung der Vergangenheit einer existenzialen Geschichtlichkeit. Wieder kehrt Heidegger die bisherige Sichtweise um. Die elementare Geschichtlichkeit des Daseins kann der Seinsverfassung des sich selbst auslegenden Geschehens des Daseins im Dasein selbst verborgen bleiben. Insofern verhält sich die Geschichtlichkeit ebenso wie die Zeitlichkeit. Beide können ›vulgäre‹, also gewöhnliche Formen annehmen. Geschichtlichkeit kann aber auch entdeckt werden und sogar eine besondere Pflege erfahren. 175 Wenn sich Menschen ihrer eigenen Traditionen, Wurzeln und Daseinsmuster bewusst werden, kann dies auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen. Es kann zum Beispiel als eigenständige Aufgabe begriffen werden. Wenn Menschen diese Aufgabe als ihre eigene ergreifen, dann nennt das Heidegger ›historisches Fragen‹ und Forschen. Ein solches historisches Fragen wird aber durch die eigentliche existenziale Geschichtlichkeit des Daseins immer schon mitbedingt. Heidegger bestimmt die Geschichtlichkeit daher als Seinsart des fragenden Daseins, die eben ergriffen werden kann oder nicht. Aus der Geschichtlichkeit des Daseins muss aber nicht zwingend Historie, Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung erfolgen. 176 Wenn Menschen die Möglichkeit ergreifen, sich die eigene Existenz durchsichtig zu machen und darüber hinaus auch nach dem Sinn der eigenen Existenz, dem Sinn des Seins, selbst zu fragen, dann hat sich der Blick für die wesentliche Geschichtlichkeit des Daseins bereits ge173 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 6, besonders S. 20. Vgl. auch die Interpretation des Hölderlingedichts Mnemosyne, worin die Deutungsoffenheit des Menschen interpretiert wird. Vgl. M. Heidegger, Was heißt Denken?, GA 8, sowie den Kommentar von P. Stekeler-Weithofer, Was heißt Denken?, a. a. O. 174 Heidegger verweist dabei auf die Dürftigkeit der verfügbaren kategorialen Mittel und die Unsicherheit des wissenschaftlichen Territoriums, auf dem er sich bewegt. Ziel seiner Analyse ist es, nachfolgenden Generationen die Tiefe der Diltheyschen Forschung nahe zu bringen. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 377. 175 Ebenda, S. 20. 176 Vgl. ebenda.

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öffnet. Indem die Frage nach dem Sein und dem Sinn der eigenen Existenz(ialität) überhaupt gestellt wird, erweist sich die Geschichtlichkeit bereits als Bedingung dieser Fragestellung. Die Frage nach dem Sein ist also wesentlich charakterisiert durch die Geschichtlichkeit des Daseins selbst. – Heideggers Ausarbeitung der Seinsfrage mit ihrem Umweg über die Daseinsanalyse ist in gewisser Weise die Aufforderung, seiner Geschichte in positiver Aneignung habhaft zu werden. Dadurch, dass der Mensch Geschichte vergegenwärtigt, kann er nämlich in den vollen Besitz der eigensten, also gegenwärtig möglichen Fragemöglichkeiten gelangen, und menschheitsgeschichtlich gesehen in den geschichtlich-zeitlichen Horizont möglicher Fragen überhaupt. Die systematische Frage nach dem Sinn von Sein ist also selbst als geschichtliche zu verstehen. Seine eigene Aufgabe sieht Heidegger nun darin, die zu dieser Fragestellung dazugehörige Vollzugsart zu bestimmen. Diese Aufgabe beinhaltet die Explikation des Daseins in seiner Geschichtlichkeit. Sie besteht in einer Analyse, die aufzeigt, auf welche Weise sich im Vollzug des menschlichen Daseins Geschichtlichkeit überhaupt ›ereignet‹, wie sie das Dasein strukturiert und welche Rolle die Frage nach dem Sinn von Sein im Dasein überhaupt spielt. Es geht also um das jeweilige Selbst- und Weltverständnis in seiner Selbst- und Fremdauslegung, die vor aller theoretisch-begrifflichen Auslegung zunächst einmal im geschichtlichen Alltagsverständnis der menschlichen Praxen zu suchen ist. Heideggers prima facie paradoxer Satz: »Unhistorisch kann ein Zeitalter nur sein, weil es ›geschichtlich‹ ist« macht dann unter der Maßgabe des Aufgehens in bestimmten Praxisvollzügen Sinn. Das Geschichtliche im Dasein liegt jedem theoretischen, also einem historischen Verständnis im Sinne von Historie, zugrunde. Wenn also ein Zeitalter unhistorisch ist, dann heißt dies, dass es in seinen alltäglichen und gegenwärtigen Praxisvollzügen, zum Beispiel Traditionen und Ritualen, aufgeht. Dies muss nicht eigens thematisch werden, denn dies bedeutete bereits eine Distanzierung zur Eingebundenheit in die eigene Geschichtlichkeit. Unhistorische Zeitalter sind deswegen als solche nicht auch schon ungeschichtlich. 177 Heideggers Methode bleibt auch hier wieder die gleiche: Auf dem Wege einer phänomenologischen Konstruktion soll die Geschichtlichkeit aus der eigentlichen Zeitlichkeit aufgehellt werden. 177

Vgl. ebenda, §§ 76, 77, insbesondere S. 396.

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Das geschieht, indem diese vulgären Begriffe von Geschichte gekennzeichnet und als Einsatzstelle für eine Exposition des ontologischen Problems der Geschichtlichkeit genommen werden. Leitfaden für die existenziale Konstruktion der Geschichtlichkeit bietet dabei die Interpretation des ›eigentlichen Ganzseinkönnens des Daseins‹ und die aus ihr erwachsene Analyse der Sorge als Zeitlichkeit, denn entsprechend der Verwurzelung der Geschichtlichkeit in der Sorge existiert das Dasein wiederum auch hier je als eigentlich oder als uneigentlich geschichtliches. Interessant ist vor allem die eigentliche Geschichtlichkeit des Daseins. Diese aber kann nur ergriffen werden, wenn sich das Dasein selbst auslegt, Zusammenhänge erschließt und Möglichkeiten da zu sein ausdrücklich erfasst. Das ist aber bereits thematische historische Erschließung von Geschichte. Heidegger will nun nicht diesen Thematisierungen – sei es durch eine weitere Historie, sei es durch eine neue Systematik – eine alternative hinzufügen. Vielmehr will er nachweisen, dass und wie die Historie als Wissenschaft ihre ontologische Herkunft aus der Geschichtlichkeit des Daseins überhaupt erst gewinnt. Die uneigentliche geschichtliche Existenz sucht das ›Moderne‹. Sie beschäftigt sich nicht mit dem eigentlichen Seinkönnen, sondern hält sich sozusagen an das Nächstbeste und Neue. 178 Die uneigentliche Daseinsauslegung innerhalb der Verfallenheit bzw. der Welt des Man benutzt das Wort Geschichte oft mehrdeutig: Geschichte wird zum Beispiel erstens als geschichtliche Wirklichkeit oder als mögliche Wissenschaft von ihr benutzt. 179 Geschichte meint zweitens auch die Herkunft aus ihr. 180 In einer dritten Wortbedeutung meint Ebenda, S. 379 Beide Begriffe schaltet Heidegger gewissermaßen als Kandidaten für einen Vorbegriff der Geschichtlichkeit aus und bietet ein Verständnis von Geschichte an, das weder die Historie noch historische Gegenstände benennt. Es geht ihm nämlich weder um eine Bedeutung von Geschichte als Vergangenes im Sinne von: ›dies und jenes gehört der Geschichte an‹. Vergangen soll dann besagen: ›nicht mehr vorhanden‹, noch geht es um eine Bedeutung von Geschichte als Wirkendes im Sinne von: ›zwar noch vorhanden, aber ohne Wirkung auf die Gegenwart‹ oder: ›man kann sich der Geschichte nicht entziehen‹. Dies wäre ein Verständnis von Vergangenheit als NochNachwirkendes. Beide Bedeutungsvarianten beziehen das Geschichtliche als das Vergangene immer auf ein Jetzt und Heute, also auf eine gegenwärtige Wirklichkeit – sei es die Ruine eines Tempels oder das innere Bild von einem Menschen oder die Auswirkung einer vergangenen Handlung. 180 Die Bedeutung der Geschichte als Herkunft kommt in solchen Ausdrücken vor wie: ›Geschichte haben‹ bzw. ›Geschichte machen‹, oder etwas ist ›epochemachend‹. 178 179

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Geschichte auch das Ganze des Seienden, das sich in der Zeit wandelt – in Form von Wandlungen und Geschicken von Menschen, Gruppen und Kulturen bzw. deren Kultur. 181 Die vierte Bedeutung von Geschichte umfasst dann das Überlieferte selbst als solches. 182 Interessant aber ist vor allem die ›eigentliche Geschichtlichkeit‹ des Daseins. Diese kann nur ergriffen werden, wenn sich das Dasein selbst auslegt, Zusammenhänge erschließt und Möglichkeiten da zu sein ausdrücklich erfasst. Das ist aber bereits thematische historische Erschließung von Geschichte. Heidegger will nun nicht diesen Thematisierungen – sei es durch eine weitere Historie, sei es durch eine neue Systematik – eine alternative hinzufügen. Vielmehr muss er zuvor erst einmal nachweisen, dass und wie die Historie als Wissenschaft ihre ontologische Herkunft aus der Geschichtlichkeit des Daseins überhaupt gewinnt. Gegenüber dem uneigentlichen Geschichtlichkeitsbegriff interpretiert er deshalb die Zeitlichkeit der eigentlichen Geschichtlichkeit vorläufig als eine ›Entgegenwärtigung des Heute‹ und eine ›Entwöhnung von den Üblichkeiten des Man‹. 183 Die spezifische Zeitlichkeit der eigentlichen Geschichtlichkeit holt sozusagen durch einen dynamischen, die Zeitformen übergreifenden Gedenkens-Prozess Möglichkeiten früher gelebter Lebensvollzüge nicht nur theoretisch als Objekthaftes vor Augen, sondern macht diese vergangene Welt als vergangene Möglichkeit, da zu sein, auch nachvollziehbar und erschließbar. Die eigentliche Geschichtlichkeit versteht die Geschichte nämlich als ›Wiederkehr und existenziale Wieder-holung des Möglichen‹. 184 Der geschichtliche Charakter der noch erhaltenen Altertümer gründet für Heidegger also in der Gegenwärtigkeit der Vergangenheit dieser alten Welt mit ihren eigenen Sinnzusammenhängen und praktischen Daseinsstrukturen. Dabei fällt auf, dass das Vergangene im Geschichte bedeutet dann einen Ereignis- und Wirkungszusammenhang, der sich durch die drei Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hindurchzieht. Die Vergangenheit verliert bei näherer Betrachtung dabei ihre Vorrangstellung, da sie immer nur für eine bestimmte Gegenwart von Bedeutung ist. 181 Geschichte meint dann nicht so sehr die Seinsart oder ein Geschehen selbst, sondern eher die Region des Seienden, die man mit Rücksicht auf die wesentliche Bestimmung der Existenz des Menschen durch Geist und Kultur von der Natur unterscheidet. 182 Dieses kann historisch erkannt und benannt oder selbstverständlich und in seiner Herkunft verborgen übernommen sein. 183 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 380. 184 Ebenda, S. 392. Logik der Tropen

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Museum zum Beispiel immer als etwas Vorhandenes aufgefasst wird. ›Geschichtliches‹ ist als erinnerndes und andenkendes Tun aber nicht in diesem gegenständlichen Sinne vorhanden in der Gegenwart, sondern vielmehr als vergangenes Leben bzw. Dasein existent. Deswegen kommt Heidegger zu der sprachlichen Unterscheidung: »Nicht mehr existierendes Dasein […] ist im ontologisch strengen Sinne nicht vergangen, sondern da-gewesen.« 185 Die noch vorhandenen Altertümer haben ihren Vergangenheits- und Geschichtscharakter aufgrund ihrer ehemaligen Eingebundenheit in einer dagewesenen Welt, die so nicht mehr da ist. Dabei differenziert Heidegger weiter zwischen primär Geschichtlichem und sekundär Geschichtlichem. Das primär Geschichtliche ist Vergangenheit in ihrer Erlebnisstruktur. Das sekundär Geschichtliche ist Vergangenheit als innerweltlich Begegnendes, also Artefakten, Natur, Umwelt usw. als faktischer geschichtlicher Boden. Dagewesensein als Existenzialie und Vergangenheit als Vorhandenheitskategorie sind also zwei unterschiedliche Perspektivnahmen auf Nicht-mehr-Daseiendes. Ist die erste Perspektive auf Vergangenheit daseinsmäßig, so ist das sekundär Geschichtliche ›nichtdaseinsmäßig‹, sondern ›weltzugehörig‹. 186 Damit ist das sekundäre Geschichtliche zugleich das Weltgeschichtliche. Der allgemein übliche (vulgäre) ›Weltgeschichte‹-Begriff geht nach dieser Logik auf die Orientierung am ›sekundär Geschichtlichen‹ zurück, etwa auf archäologische Funde. Aber an ihm setzt nicht etwa – wie man glauben könnte – eine historische Objektivierung an. Vielmehr ist das ›sekundär Geschichtliche‹ selbst als solches bereits objekthaft. Das Vergangene begegnet zwar mit seinen Objekten, etwa Artefakten wie Vasen in Museen. Was diese Artefakte aber zu etwas Geschichtlichem macht, ist nicht ihre Artefakthaftigkeit, sondern die Erinnerung an ihre Welt. Nicht aber diese Welt selbst als sekundäres Geschichtliches, sondern das Dasein innerhalb dieser Welt ist das Charakteristikum für Geschichtlichkeit. Geschichtlich werden die Dinge innerhalb der eigenen Gegenwart und Zukunft nämlich nur dann, wenn sie nicht als vorhandene in einer Welt vergangener Dinge, sondern als gewesene in einem gewesenen Dasein verstanden werden. Geschichtlichkeit besteht demzufolge im Aufrufen und Verstehen eines gewesenen Daseins innerhalb einer vergangenen vorhandenen Welt. 185 186

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Ebenda, § 73, S. 380 (Kursivierung Heidegger). Ebenda.

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Wenn es nach Heidegger nur möglich ist, aus dem eigentlichen existenzialen Modus des Daseins dessen Grundstrukturen zu extrahieren – und nicht etwa aus dem uneigentlichen Modus des öffentlichen In-der-Welt-sein als metonymischem Zugang zu den Phänomenen des Mans –, so muss nun in einem zweiten Schritt – entsprechend der existenzialen Grundstruktur der Sorge – die Zeitlichkeit des Daseins weniger in der Vergangenheit als mehr in der Zukünftigkeit des Daseins gesucht werden. Das heißt, Geschichte hat ihr wesentliches Gewicht nicht in der Vergangenheit, auch nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft. 187 Weil es als Zeitliches geschichtlich ist, kann das Dasein im Andenken, in der Erinnerung und im Gedächtnis als Geschichte übernommen und überliefert werden. Es wird nicht erst in der Erinnerung zu etwas Geschichtlichem, das sich dann auch in Geschichten ausdrücken kann. Es ist bereits vor diesen geistigen Akten geschichtlich, weil es etwas Zeitliches ist. Als existenziale Grundbestimmung des sorgenden Daseins liegt die Geschichtlichkeit damit vor aller Erinnerung, Erzählung und Geschichte. 188 Geschichtlichkeit gründet vielmehr in der existenzialen Zeitlichkeit, die in ihrem Woraufhin auf Zukünftiges so gerichtet ist, dass sie Gewesenes gleichursprünglich miterschließt. Weil das menschliche Dasein für die Zukunft offen ist und in sie über das Hier und Jetzt – anders als Tiere und Pflanzen zum Beispiel – qua Grundstruktur der Sorge in die Zukunft hinaussteht, verweist Geschichtlichkeit gleichzeitig auf das bereits Gewesene als gewesene Möglichkeit. Existenzial sind die Phänomene der ›Über-lieferung‹ und ›Wieder-holung‹ also in der Zukunft als gegenwärtigem Möglichkeitsraum verwurzelt. Mit dem Zeitbegriff, der ein eigentliches Zeitverständnis ausdrücken soll, fällt die vermeintliche Linearität der Zeit sozusagen in sich zusammen. 189 Das Zukünftige ist dann zusammen 187 »Die Geschichte hat als Seinsweise des Daseins ihre Wurzeln so wesenhaft in der Zukunft, dass der Tod als die charakterisierte Möglichkeit des Daseins die vorlaufende Existenz auf ihre faktische Geworfenheit zurückwirft und so erst der Gewesenheit ihren eigentümlichen Vorrang im ›Geschichtlichen‹ verleiht. Das ›eigentliche Sein zum Tode‹, das heißt die Endlichkeit der Zeitlichkeit, ist der verborgene Grund der Geschichtlichkeit des Daseins.« M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 386. 188 Historie als Erzählung von vergangenen Zeiten ist etwas, das erst sehr ›spät‹ in die Praxisvollzüge einfließt. 189 Mit dem existenzialen Begriff des ›Vorlaufens in den Tod‹ hat Heidegger einen Modus von Zeitlichkeit herausgearbeitet, der so im vulgären Zeitverständnis der Innerzeitigkeit, des Zeithabens, sich Zeitnehmens usw. nicht vorkommt, da diese Zeitbegriffe immer einem linearen Zeitbegriff unterliegen.

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mit dem Gewesenen in einem augenblicklichen Moment gemeinsam existent. In diesen Augenblicken kommt die ›Geworfenheit des Daseins‹ als eine Art Muster vor Augen, dass sich auch in die Zukunft ›ausdehnt‹. In diesem Moment des Zusammenfallens von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft tritt synoptisch vor Augen, was Heidegger ›Schicksal‹ und ›eigentliche Geschichtlichkeit‹ nennt. 190 Schicksal und Geschick bzw. das schicksalhafte Geschick macht mittels Erinnerung die eigene Geschichte überhaupt erst offenbar. Mit Schicksal bezeichnet Heidegger das in der eigentlichen Entschlossenheit liegende ursprüngliche Geschehen des Daseins, in dem es sich ›frei für den Tod‹ in einer ererbten, aber gleichwohl gewählten Möglichkeit überliefert. 191 Indem sich das jeweilige menschliche Dasein seinen gewählten Möglichkeiten überliefert, fügt es sich in sein Schicksal. 192 Das Dasein hat also nicht Zugriff auf das Schicksal wie auf ein innerweltlich Seiendes, sondern ist selbst existenzial eingebettet in historisch-geschichtlich und kulturell-situative Möglichkeiten, die es nicht selbst, sondern andere mehr oder weniger gewählt haben. Es spürt die Grenzen der eigenen geschichtlichen und historischen Möglichkeiten. »Das in der Entschlossenheit liegende vorlaufende Sichüberliefern an das Da des Augenblicks nennen wir Schicksal. In ihm gründet mit das Geschick, worunter wir das Geschehen des Daseins im Mitsein mit Anderen verstehen.« 193 Alles Geschehen ist für das Dasein also gleichzeitig ein Mitgeschehen. Es ist damit nicht nur Schicksal, sondern auch ›Geschick‹. 194 Unter ›Geschick‹ versteht Heidegger das Geschehen einer Gemeinschaft oder eines Volkes. Das ›geschickte Geschehen‹ eines Volkes oder einer Gemeinschaft setzt sich nicht aus der Summierung verschiedener Schicksale zusammen, ebenso wenig wie es das Miteinanderdasein, das Nebeneinander oder Zusammenvorkommen verschiedener Subjekte im Modus einer Vorhandenheitslogik meinen kann. Vielmehr machen erst beide zusammen, also das Schicksalhaft-Zufällige als eine Existenzbedingung des Individuums und das Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 384 ff. Vgl. ebenda, S. 384. 192 Nur in diesem Sinne macht es Sinn zu sagen, dass das Dasein sein ›Schicksal ist‹ (und nicht etwa ›hat‹). ›Haben‹ und ›sein‹ unterscheiden sich gerade in diesem spezifischen Seinsbezug. 193 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 384 f. 194 Heidegger kostet hier die sprachliche Nähe von ›Geschichte‹, ›Geschick‹, ›Schicksal‹, ›Schickung‹, später dann auch ›Schenken‹ aus. 190 191

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Geschick-Mitmenschliche der gemeinschaftlichen Mitwelt in der jeweiligen Generation das ›eigentliche und volle Geschehen des Daseins‹ aus. 195 Dem Schicksal kann man ausdrücklich übernehmend und entschlossen oder ohnmächtig ausgeliefert gegenüberstehen. 196 Heidegger redet von ›vorlaufender Entschlossenheit‹. 197 Die eigentliche Geschichtlichkeit, wie sie sich oberflächlich als Geschehen von Innerweltlichem zeigt, ist also ein Geschehen der Entschlossenheit. Nur weil das Dasein zeitlich ist, kann es sich angesichts des Todes in einer vorlaufenden Entschlossenheit entwerfen. Im so genannten ›Vorlaufen in den Tod‹ spürt das Dasein nämlich die ›eigene Übermacht seiner endlichen Freiheit‹. 198 Entschlossenheit hat in Heideggers Denkkosmos nichts mit einem starken Festhalten an einem bestimmten Entschluss zu tun. Entschlossenheit zum Schicksal ist vielmehr eine ›Freiheit für das möglicherweise situationsmäßig geforderte Aufgeben eines bestimmten Entschlusses‹. 199 Das Schicksal determiniert nicht die Entschlossenheit des Daseins, sondern es ist so etwas wie das Potential meiner eigenen Möglichkeiten 200, das ich übernehmen oder aber auch ablehnen kann. Die sich eröffnenden geschichtlichen Möglichkeiten sind dann als überlieferte und ererbte bzw. ›geschickte‹ zwar da, aber sie müssen eigens von mir gewählt werden, damit es ›jemeinige‹ werden. Durch die entschlossene Wahl im Blick auf die eigene Endlichkeit überliefert sich das Dasein dem Tod zum Beispiel in einer ererbten und zugleich gewählten Möglichkeit. Somit ist der Begriff des ›Schicksals‹, insgesamt gesehen, der Schlüssel zu einer eigentlichen Geschichtlichkeit des Daseins. Mit diesem Begriff ist kein Fatalismus angesprochen. Dem Schicksal wie auch einer Berufung oder Bestimmung kann vielmehr entsprochen werden oder nicht, etwa indem ich Verantwortung in einer bestimmten historischen Situation übernehme und eine bestimmte Rolle ausfülle. Das Schicksal, das Heidegger vom Verb ›schicken‹ ableitet 201, fungiert also als eine existenziale Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 384 f. Ebenda, S. 385. 197 Ebenda. 198 Vgl. Kapitel 9.5. dieses Buches. 199 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 391. 200 Vgl. A. Luckner, Martin Heideggers Sein und Zeit. Ein einführender Kommentar, Paderborn 1997, S. 162. 201 Das Wort ›schicken‹ kommt etymologisch von ›bereiten‹ und ›ordnen‹ und ist vermutlich eine Intensivbildung zu ›geschehen‹. Aus ›schicken‹ als ›abordnen‹ entsteht 195 196

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Strukturbeschreibung der Geschichtlichkeit, die verdichtet in sich enthält, was als Möglichkeit der Überlieferung in Betracht kommen kann für die Entschlossenheit. Diese Entschlossenheit, als vorlaufende, ergriffene oder abgelehnte, leitet sich aus dem daseinsmäßigen Bezug zur Endlichkeit her. Diese zeigt sich dann als Angst vor dem Ende. Die Entschlossenheit des Selbst als eigentliche Erschlossenheit ist es, die sich gegen die Verführungen eines ontischen Seinsverständnisses aufbäumt. Sie will mittels schicksalhafter Wiederholung gewesener Möglichkeiten in die jeweiligen Situationen zurück, um sie unmittelbar durchzuholen. Unmittelbar meint dabei zeitlich ekstatisch: als zeitliches Hinausstehen bzw. ein ›Hinausstehen in die Zeit‹ bzw. ›aus der Zeit‹. Im Rahmen eines Zeit-Zooms wird Zeit punktuell so konzentriert, dass in der Entschlossenheit punktuell der gesamte Daseinszeitraum von Geburt bis Tod synoptisch in Blick genommen werden kann. In der Entschlossenheit des Selbst als (geistig-seelisch-existenziales) Vorlaufen in den Tod konstituiert sich dann auch erst so etwas wie die ›Treue der Existenz zum eigenen Selbst‹. 202 Sie ist die Basis für eine Lebensführung nach Maßgabe einer inneren Kontinuität. Heidegger nennt diese Kontinuität ›erstreckte Ständigkeit‹. Diese entspringt einer ›schon erstreckten Zeitlichkeit der zukünftig gewesenden Wiederholung‹. Das Scharnier für das Begreifen des besonderen Zeitbegriffes des ›eigentlichen Selbst‹ liegt in der Entschlossenheit begründet, die sozusagen der Zugangskanal und das Verbindungsstück dieser beiden Zeitbegriffe ist. Sie ist es, die das Nadelöhr zwischen der Uneigentlichkeit des Man und deren welt-geschichtlichen Zeitbegriff auf der einen Seite mit der Eigentlichkeit des Selbst und ihres existenzialen Zeitbegriffs auf der anderen Seite verbindet. Der Schicksalsbegriff substituiert also nicht mehr in vorhandenheitslogischer Weise bestimmte Möglichkeitswahlen durch andere, sondern dann auch ›senden‹ und ›sich verfügen‹ im Sinne von ›sich begeben‹ und die Abstrakta ›Schicksal‹ und ›Geschick‹, ›geschickt‹, aber auch ›Schicht‹ ; dann aber auch ›verfügen‹, ›fügen‹ und ›Fuge‹ – Wörter, die Heidegger in ihrer Verbundenheit immer zugleich auch mitgehört haben wissen will. 202 »Als angstbereite Entschlossenheit ist die Treue zugleich mögliche Ehrfurcht vor der einzigen Autorität, die ein freies Existieren haben kann, vor den wiederholbaren Möglichkeiten der Existenz. Die Entschlossenheit wäre ontologisch mißverstanden, wollte man meinen, sie sei nur so lange als ›Erlebnis‹ wirklich, als der ›Akt‹ der Entschließung ›dauert‹.« M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 391.

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setzt in Verbindung mit dem Geschick ein existenziales Mitverstehen nicht nur der präsentisch Anderen, sondern auch verschiedener Zeitebenen von Dagewesenen voraus. Das Dasein repetiert das ererbte Möglichkeitsspektrum damit nicht einfach, sondern holt es in einer lebendigen Auseinandersetzung in die Gegenwart. 203 Heidegger erzeugt so zwar innerhalb seiner Existenzialanalyse ein Bewusstsein dafür, dass auch der theoretische Fokus auf ein kategoriales Verständnis der Geschichte als ›bloß vorhandener Geschichte‹ durch ein Verständnis der Geschichtlichkeit als existenziales Dagewesensein ersetzt werden muss. Substituiert werden soll nämlich auch hier ein metonymisch-kategorien-ontologisches Verständnis von Geschichte durch ein entgegenständlichendes, existenziales und ganzheitlich-umfassendes Denkmodell. Gleichwohl hinkt auch hier Heideggers sprachliche Darstellungsform seinem denkerischen Anspruch weiterhin hinterher. Heideggers Existenzialanalyse kommt an dieser Stelle seiner Existenzialanalyse nicht aus einer selbst tendenziell vorhandenheitslogischen Analysesprache heraus. Zwar markiert er präzise die Unterschiede zwischen kategorialem und existenzialem Modell auch in zeitlicher Hinsicht, unterliegt aber zugleich derselben tiefensprachlichen Logik einer metonymisch-portionierenden Begriffsanalyse. Einzig die Aussicht auf ein eigentliches existenziales Zeit- und Geschichtsverständnis, wie es sich in der Entschlossenheit ankündigt, verspricht eine neue tiefensprachliche Denk- und Darstellungsform. Wie sehr jedoch diese Schwierigkeit tatsächlich eine in der Sache selbst liegende und weniger eine des Heideggerschen Unvermögens ist, zeigen erst Heideggers Ausführungen zum Unterschied von realer und idealer Geschichtswissenschaft. Die Historie als Wissenschaft Der Versuch, eine ontologische Genesis der Historie als Wissenschaft aus der Geschichtlichkeit des Daseins zu entwerfen, dient Heidegger vor allem als Vorbereitung für die Klärung der Aufgabe einer historischen Destruktion der Geschichte der Philosophie, wie sie Heidegger im § 6 von Sein und Zeit ankündigt: »Die Ausarbeitung der Seinsfrage muß so aus dem eigensten Seinssinn des Fragens selbst als eines geschichtlichen die Anweisung vernehmen, seiner eigenen Geschichte nachzufragen, d. h. historisch zu werden, um sich in der 203 Weil das Dasein nicht einfach iterierend, sondern erwidernd ist, kann sich Geschichte auch nicht einfach wiederholen.

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positiven Aneignung der Vergangenheit in den vollen Besitz der eigensten Fragemöglichkeiten zu bringen. Die Frage nach dem Sinn des Seins ist gemäß der ihr zugehörigen Vollzugsart, d. h. als vorgängige Explikation des Daseins in seiner Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit, von ihr selbst dazu gebracht, sich als historische zu verstehen […].« 204

Damit ist für Heidegger die Geschichte der Ontologie gemeint, sei sie doxographisch, geistesgeschichtlich oder problemgeschichtlich. Im Verlauf der Geschichte der Ontologie wurde die Interpretation des Seins mit dem Phänomen der Zeit thematisch nur bei Kant herausgearbeitet. Für Heidegger bleibt Kants Schematismuslehre dunkel. 205 Im Verfolgen der Aufgabe der Destruktion am Leitfaden der Problematik der Temporalität versucht Heidegger aufzuzeigen, warum Kant die Einsicht in die Problematik der Temporalität versagt bleiben musste. Da Kant die Seinsfrage nicht stellt, bleibt ihm auch die besondere Zeitlichkeit des Daseins verborgen. Dies führt Heidegger auf die Kantsche Übernahme ontologischer Positionen von Descartes resp. aus dem Mittelalter resp. aus der Antike zurück. Hier wird die Auslegung des Seins des Seienden an der Welt bzw. Natur im weitesten Sinne orientiert. Seiendes wird als Anwesenheit, παρουσία, verstanden. Sein hingegen wird mit Rücksicht auf einen bestimmten Zeitmodus verstanden, nämlich den Zeitmodus der Gegenwart. Dabei entwickelt sich jedoch kein eigenes Verständnis für die Zeit, sondern 204 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 21 f.: »Eingangs (§ 1) wurde gezeigt, dass die Frage nach dem Sinn des Seins nicht nur unerledigt, nicht nur nicht zureichend gestellt, sondern bei allem Interesse für ›Metaphysik‹ in Vergessenheit gekommen ist […] Soll für die Seinsfrage selbst die Durchsichtigkeit ihrer eigenen Geschichte gewonnen werden, dann bedarf es der Auflockerung der verhärteten Tradition und der Ablösung der durch sie gezeitigten Verdeckungen. Diese Aufgabe verstehen wir als die am Leitfaden der Seinsfrage sich vollziehende Destruktion des überlieferten Bestandes der antiken Ontologie auf die ursprünglichen Erfahrungen, in denen die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen wurden.« (Kursivierung Heidegger) 205 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. O., S. 180 f.: »Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden.« So zitiert in: M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 23: »Am Ende sind gerade die Phänomene, die in der folgenden Analyse unter dem Titel ›Temporalität‹ herausgestellt werden, die geheimsten Urteile der ›gemeinen Vernunft‹, als deren Analytik Kant das ›Geschäft der Philosophen‹ bestimmt.« Vgl. ebenda (Kursivierung Heidegger).

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die Zeit wird als ein Seiendes unter anderem Seienden genommen und im Horizonte eines naiven Seinsverständnis ausgelegt. Letztlich – so behauptet Heidegger – habe Aristoteles alle nachkommenden Zeitauffassungen über Kant bis zu Bergson wesentlich bestimmt. Kants Zeitbegriff bleibt nach Heidegger ein griechischer. 206 Aber nicht nur die Geschichte der Philosophie will Heidegger destruieren. Auch die Idee der Historie kann auf diese Weise aus der Geschichtlichkeit des Daseins ontologisch entworfen werden. Dies geschieht unter der Prämisse, dass die historische Thematisierung der Geschichte nur möglich ist, weil die Vergangenheit immer schon irgendwie erschlossen wird. Weil das Dasein ursprünglich geschichtlich ist, muss das, was die historische Thematisierung als möglichen Gegenstand der Forschung vorgibt, die Seinsart von dagewesenem Dasein haben. Vorhandene Überreste, Denkmäler, Berichte und dergleichen sind immer nur mögliches Material für die Erschließung von Vergangenheit. Zu historischem Material kann es nur werden, weil es weltgeschichtlichen Charakter hat. 207 Und es wird tatsächlich erst zu Material, wenn es im Vorhinein in seiner Innerweltlichkeit verstanden wurde. Damit bringt nicht erst die Beschaffung, Sichtung und Sicherung des Materials den Rückgang zur Vergangenheit in Gang. Vielmehr muss logisch das geschichtliche Sein zum dagewesenen Dasein vorausgesetzt werden, damit mögliches Material zu tatsächlichem Material in der Historie wird. Somit ist es die Geschichtlichkeit der Existenz des Historikers, die das Mögliche zu einem Tatsächlichen macht (und nicht die Sachzeugnisse), denn die Geschichtlichkeit der Existenz des Historikers fundiert die Historie als Wissenschaft bis in die unscheinbarsten wissenschaftlichen Handlungen. 208 Aber was ist die Geschichtlichkeit der Existenz? Die Genitivkonstruktion besagt erst einmal nichts anderes als die durch die Erfahrung der Existenzialität hervorgerufene Urteilskraft. Wenn die Historie derart fest mit der Urteilskraft der Historiker verbunden ist, dann bestimmt sich auch das, was diese unter dem eigentlichen Gegenstand der Geschichte verstehen. Der eigentliche Gegenstand der M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 21 ff. Vgl. dazu auch P. Ricœur, Geschichtsschreibung und Repräsentation der Vergangenheit, Münster 2002 und ders., Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, München 2004. 208 An dieser Stelle verweist Heidegger auf Eduard Sprangers Buch: Zur Theorie des Verstehens und zur geisteswissenschaftlichen Psychologie, Festschrift für Johannes Volkelt 1918, S. 357 ff. 206 207

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Geschichte bestimmt sich aus dem existenzialen Verhältnis, das ein Verhältnis der Wiederholung bzw. Erinnerung ist. In der Erinnerung nämlich versteht man das dagewesene Dasein immer in seiner gewesenen eigentlichen Möglichkeit. Historie in ihrem Ideal, also eigentliche Historie, thematisiert dann nach Heidegger primär dagewesenes Dasein im Hinblick auf seine eigensten Existenzmöglichkeiten. Damit hat sie nicht nur das Wirkliche, sondern das Mögliche der Vergangenheit im Blick. 209 Nach Heidegger dürfte man zum Beispiel die Marxsche Idee des Kommunismus nicht an vergangenen real existierenden Sozialismusverwirklichung messen, sondern an dessen Dynamis im Sinne einer potentia, die noch aussteht. Dasein ist wirklich nur in seiner Existenz, in seinem Herausstehen in einen Möglichkeitsraum. Die Tatsächlichkeit oder Wirklichkeit des historischen Daseins konstituiert sich im ›entschlossenen Sichentwerfen auf ein gewähltes Seinkönnen‹. 210 Das tatsächlich eigentlich Dagewesene ist nämlich die existenzielle Möglichkeit, in der sich Schicksal, Geschick und Welt-Geschichte faktisch bestimmen. Die eigentliche Historie als ›stille Kraft des Möglichen‹ erschließt umso eindringlicher vergangene Geschichtlichkeit, je einfacher und konkreter sie das In-der-Weltgewesensein aus seiner Möglichkeit her versteht und darstellt. 211 Damit entwächst die eigentliche Historie der eigentlichen Geschichtlichkeit. Sie erinnert an vergangene Möglichkeiten. Damit hätte sie im Einmaligen das Allgemeine – als Idee verstanden – schon immer mit offenbar gemacht. Daher hält Heidegger auch die im Neukantianismus von Wilhelm Windelband und Heinrich Rickert aufgeworfene Frage, ob die Historie nur Individuelles oder auch Gesetze zum Gegenstand habe, bereits in der Wurzel verfehlt. Für ihn sind weder das nur einmalig Geschehene noch darüber schwebende allgemeine Gesetze das Thema der eigentlichen Historie. Einzig die faktisch existent gewesene Möglichkeit kann für Heidegger ihr Thema sein. Das zentrale Thema der eigentlichen Historie ist vielmehr die je dagewesene Existenzmöglichkeit, die praktisch und faktisch immer welt-geschichtlich existiert. Diese dagewesene Existenzmöglichkeit wird jedoch oft durch die Überlieferungsgeschichte überlagert. Historiker, die sich aber lieber an die Überlieferungsgeschichten und damit an die Weltanschau209 210 211

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Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 76, insbesondere S. 394. Ebenda, S. 394. Ebenda.

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ungen einer Zeit halten, haben oft den historischen Gegenstand nicht eigentlich geschichtlich behandelt, sondern oft eher ›ästhetisch‹ bzw. ›aisthetisch‹, also in Bezug auf die wahrgenommenen Gegenstände aus der Geschichte, verstanden. Andererseits kann aber – darauf weist Heidegger explizit hin – die Existenz eines Historikers, der nur Quellen ediert, durch eine eigentliche Geschichtlichkeit bestimmt sein. Damit ist mitgesagt, dass auch die Herrschaft eines differenzierten historischen Interesses bis zu den entferntesten und primitivsten Kulturen an sich noch kein Beweis für die eigentliche Geschichtlichkeit einer Zeit ist. Als Beispiel nennt Heidegger den Historismus, der zwar eine Palette an interessanten historischen Zeugnissen und Darstellungen hervorbrachte, im Grunde aber ein entfremdetes Verhältnis zur Geschichtlichkeit hat, weil er alles Geschichtliche nur im Lichte belegbarer Quellen auffasst. Damit fallen aber alle Kulturen und historischen Epochen ohne Zeugnisse aus der Historie heraus. Das hält Heidegger für falsch und reduktionistisch, denn »unhistorische Zeitalter sind als solche nicht auch schon ungeschichtlich« 212. Oft sogar ist das Gegenteil der Fall. Zur näheren Analyse der Historie stützt sich Heidegger auf Friedrich Nietzsches Schrift Über den Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1874). 213 Wie dieser begreift er die drei Arten von Historie: die monumentalische, die antiquarische und die kritische als notwendige Einteilung der Formen der Historie. »Nietzsches Einteilung ist nicht zufällig.« 214 Gesetzt den Fall nämlich, dass das Dasein als ›zukünftiges eigentlich im entschlossenen Erschließen einer gewählten Möglichkeit‹ existiert, ist das Dasein zunächst einmal ›auf sich zurückkommend‹, also erinnernd, offen für die monumentalen Möglichkeiten menschlicher Existenz. Diese Möglichkeiten überhaupt anzuzeigen, liegt eine Motivation zugrunde, die das Mögliche verehrt und bewahrt, gerade weil sie die ergriffene Möglichkeit offenbart. Insofern ist die Historie als monumentalische eigentlich antiquarisch. Bezogen auf die Zeitlichkeitsebene heißt das, dass das Dasein sich in der Einheit von Zukunft und Gewesenheit als Gegenwart zeitigt. Wird in der monumentalischen Historie das Gestern mit Bezug auf Zukunft und Gegenwart eigentlich erschlossen, so wird in der antiquarischen Historie das Heute eigentlich erschlossen. In der Er212 213 214

Ebenda, S. 396. F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Bd. 1, a. a. O. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 396.

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innerung aber an die ehemals zukünftigen Möglichkeiten und Ideale ›entgegenwärtigt‹ die kritische Historie das Heute wiederum für einen neuen Zukunftsentwurf. Diese Art Emanzipation aus dem monumentalisch-antiquarischen Verständnis von Historie als kritische Historie kann dann als ein ›leidendes Sichlösen von der verfallenden Öffentlichkeit des Heute‹ aufgefasst werden. 215 Die eigentliche Geschichtlichkeit ist nach Heidegger daher das Fundament der möglichen Einheit der drei Weisen der Historie. Der Grund des Fundaments wiederum ist die Zeitlichkeit als der existenziale Seinssinn der Sorge. Der Sinn der Sorge als Ganzheitsstruktur des Daseins ist die Zeitlichkeit. Er zeigt sich existenzial als Geschichtlichkeit. Geschichtlich aber ist das Dasein nur im Tun, im Vollziehen kooperativer Handlungen und im Horizonte der Beziehung auf die jeweils gegebenen Möglichkeiten, nämlich als Übernahme oder Ablehnung bzw. Modifizierung dieser. Ist nun die Frage nach der Geschichtlichkeit die ontologische Frage nach der Seinsverfassung des geschichtlich sich sorgenden und zeitlich daseienden Seienden, so ist die Frage nach dem Ontischen an der Geschichte die ontologische Frage nach der Seinsverfassung des vorhandenen und nicht-daseinsmäßigen Seienden. An Heideggers Behandlung von Geschichtlichkeit und Historie lässt sich ablesen, dass die generische Differenz zwischen Ontischem und Historischem – als den beiden Grundformen der Uneigentlichkeit, die sich auf Seiendes (Sein) und ›Zeitendes‹ (Zeit) als den beiden Hauptpolen der Analyse in Sein und Zeit beziehen – noch nicht weit genug herausgetrieben wurde. Die Differenzierung ist damit nur der Ausgangspunkt der ontologischen Problematik zur Zeitlichkeit, »aber nichts, wobei die Philosophie sich beruhigen kann« 216. Das Fragment Sein und Zeit schließt daher mit einem Katalog von Fragen: Was bedeutet überhaupt Verdinglichung? Warum kommt sie immer wieder zur Herrschaft? Wie ist das Sein des Bewusstseins positiv strukturiert, so dass Verdinglichung ihm unangemessen bleibt? Genügt überhaupt der Unterschied von Bewusstsein und Ding für ein ursprüngliches Aufrollen der ontologischen Problematik? Führt ein Weg von der ursprünglichen Zeit zum Sinn des Seins? Offenbart sich die Zeit selbst als Horizont des Seins? Wie lassen sich die Antworten suchen, solan-

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Vgl. ebenda, S. 397. Ebenda, S. 437.

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ge die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt gestellt und ungeklärt bleibt? 217 Da die Grundbegriffe der historischen Wissenschaften, wie Heidegger herausgestellt hat, Existenzbegriffe sind, hat eine Theorie der Geisteswissenschaften auch eine existenziale Interpretation der Geschichtlichkeit des Daseins zur Voraussetzung. Mit Blick auf Wilhelm Dilthey und Graf Paul Yorck von Wartenburg unterstreicht Heidegger das geteilte Ziel und Interesse, nämlich das geschichtliche Leben aus dem Leben selbst zu einem philosophischen Verständnis zu bringen. 218 Die Hermeneutik ist für Heidegger deshalb in erster Linie Selbstaufklärung über die verschiedenen Selbst- und Weltverständnisse des Menschen und erst in abgeleiteter Form Methodologie der Historie. Heidegger sieht – ähnlich wie Yorck – seine philosophische Aufgabe darin beschlossen, den Wissenschaften gemäß dem Beispiel von Platon und Aristoteles eine vorausschreitende und sie führende Logik voranzustellen. Diese soll positiv und radikal die verschiedenen kategorialen Strukturen des Seienden der Natur und des Geschichtlichen allererst herausarbeiten. Wie für Yorck, so gibt es auch für Heidegger deshalb kein echtes Philosophieren, das nicht auch historisch wäre. Weil aber eine vorausschreitende Logik ihre eigene Geschichte rekapitulieren und ihre metaphysischen Reste durchschauen muss, kann die Trennung zwischen systematischer Philosophie und historischer Darstellung letztlich nur falsch sein. Vielmehr muss das Ebenda (letzte Abschnitte). Heidegger schiebt an einer markanten Stelle einen kleinen Kommentar ein, der positiv hervorhebt, dass Yorck ›die klare Einsicht‹ in den Grundcharakter der Geschichte als ›Virtualität‹ gewinnt. Der Keimpunkt der Geschichtlichkeit ist für ihn: dass die gesamte ›psychophysische Gegebenheit‹ nicht ist, sondern lebt. Graf Yorck schreibt zu Diltheys Akademieabhandlung ›Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie‹ (1894) (Briefwechsel, S. 177): »Und eine Selbstbesinnung, welche nicht auf ein abstraktes Ich, sondern auf die Fülle meine Selbstes gerichtet ist, wird mich historisch bestimmt finden, wie die Physik mich kosmisch bestimmt erkennt. […] Wie die Physiologie von der Physik nicht abstrahieren kann, so die Philosophie – gerade wenn sie eine kritische ist – nicht von der Geschichtlichkeit … Das Selbstverhalten und die Geschichtlichkeit sind wie Athmen und Luftdruck – und – es mag dies einiger Maßen paradox klingen – die Nicht-Vergeschichtlichung des Philosophirens erscheint mir in methodischer Beziehung als ein metaphysischer Rest.« Er schließt daraus: »Die bisherige Fragestellung (der Historie, BK) war eben eine falsche, ja unmögliche, aber ist nicht die einzige. Darum weiter giebt es kein wirkliches Philosophiren, welches nicht historisch wäre. Die Trennung zwischen systematischer Philosophie und historischer Darstellung ist dem Wesen nach unrichtig.« M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 399. 217 218

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Dasein, wenn es sich nicht nur ontisch missverstehen will, sondern existenzial-ontologisch auch in seiner Temporalität einholt, seine eigene Geschichte als Geschichtlichkeit durchholen. Das kann jeder Mensch jedoch nur für sich selbst, aber angeregt durch andere. Der Verfallenheit der Zeitlichkeit als Historie an das öffentliche Man, für die Heidegger einen Ausweg aus der Uneigentlichkeit sucht, entspricht auf der anderen Seite daher die Zeitlichkeit der Eigentlichkeit des auf sich zurückgeworfenen Selbst. Aber gelingt es Heidegger, auch seinen eigenen tiefensprachlich-tropologischen Redemodus zu verändern, der zur Herauspräparierung der Frage nötig ist?

9.5. Eigentliche Weisen der Zeitlichkeit Die Zeitlichkeit des Seins muss, weil es ja um die Darstellung des besonderen Seinscharakters im Dasein geht, auch in diesem Sein des Daseins angelegt und nachweisbar sein. Den Nachweis existenzialer und eigentlicher Zeitlichkeit führt Heidegger phänomenal am ›Sein (des Daseins) zum Tode‹ aus. 219 Damit soll das in der Sorge liegende zeitliche Seinsverständnis, das bisher noch ausstand, in den Blick gerückt werden. Es geht um die Freilegung des Horizontes, in dem so etwas wie Sein überhaupt verständlich wird, denn das Seinsverständnis will Heidegger als ein wesenhaftes Seinsmoment des Daseins radikal aufklären. Bisher hat Heidegger das Dasein im uneigentlichen Modus der Alltäglichkeit und eingespannt zwischen Geburt und Tod im Blick gehabt. Im Entwurf auf sein eigenstes Seinkönnen wird angezeigt, dass das Dasein über diese Grenzen hinausgeht und etwas ist, was es noch nicht ist, sondern erst werden kann. Wenn die Seinsweise des Daseins nicht als etwas Vergegenständlichtes, sondern als etwas Sichvollziehendes thematisiert werden soll, so muss die im Phänomen der Sorge liegende zeitliche Struktur aufgezeigt werden. In ihr liegt die ursprüngliche Ganzheit des Seins des existenzialen Daseins beschlossen. Im Wesen dieser zeitlichen Grundverfassung des Daseins ist eine ständige Unabgeschlossenheit am Rumoren. Diese Unabgeschlossenheit gibt immer Spielraum für Möglichkeiten. Hat das menschliche Dasein keinen Spielraum an Möglichkeiten mehr, dann ist es abge219

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Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 46 ff.

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schlossen. Es ist ganz. Vollendet. Im Dasein steht also, solange es ist, noch etwas aus, was es sein kann und wird. Der Ausstand bedeutet gewissermaßen eine Unganzheit an Seinkönnen. Solange sich das Dasein nur in seiner ontischen Seiendheit, also im Modus der Uneigentlichkeit, begreift, kann es nie abgeschlossen und ganz sein, da es sich in eine unendliche Zeit hineinstreckt. Das existenzial Ausstehende wird durch ein Ende begrenzt. Das faktische Leben wird durch sein Ende abgeschlossen. Das Ende des In-der-Welt-seins des Daseins heißt ›Tod‹. Der Tod ist – existenzial beschrieben – der Verlust des Seins des Da des Daseins. Weil er dem Leben ein Ende macht, es vollendet, macht er das Dasein erst ganz. Sein zum Tod Im Übergang zum Nichtmehrdasein, also im Sterben, enthebt sich das Dasein aus der Möglichkeit, diesen Übergang zu erfahren und als erfahrenen zu verstehen. »Der Verstorbene, der im Unterschied zu dem Gestorbenen den ›Hinterbliebenen‹ entrissen wurde, ist Gegenstand des Besorgens in der Weise der Totenfeier, des Begräbnisses, des Gräberkultes. Und das wiederum deshalb, weil er in seiner Seinsart ›noch mehr‹ ist als ein nur besorgbares umweltlich zuhandenes Zeug. Im trauernd-gedenkenden Verweilen bei ihm sind die Hinterbliebenen mit ihm, in einem Modus der Fürsorge.« 220

Das Sterben des jeweiligen Daseins kann in der Fürsorge also gerade nicht erfahren werden. Die Fürsorge als uneigentlicher Modus des selbst, also als Man-selbst, zeigt gerade an, dass der Sterbende für einen nicht ›zu Ende‹ oder ›am Ende‹ ist. Weil das Man-selbst aber nicht mit dem Sterbenden stirbt, sondern zurückgelassen wird, hält es sich nur in der Nähe des Sterbenden oder Toten auf. Man kann den Sterbenden beim Sterben auch nicht vertreten, sein Sterben abnehmen. Das Man kann also gerade nicht sterben oder ein eigentliches Verhältnis zum Tod aufbauen, sondern nur ein uneigentliches. 221 Ein eigentliches Verhältnis zu seinem Ende zu haben, heißt demgegenüber zu akzeptieren, dass der Tod wesensmäßig je meiner ist. Ontologisch ist der Tod also durch ›Jemeinigkeit‹ konstituiert. Der Ebenda, S. 238. Es ist daher zu differenzieren zwischen einem ›daseinsmäßigen (Ver)Enden‹ und einem ›Ende des Lebens‹, wie er sich beispielsweise im medizinischen Begriff des ›Exitus‹ ausdrückt. 220 221

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Tod vereinzelt. 222 Der Tod, wie das Leben auch, ist unstellvertretbar. Er lässt sich nur aus der ersten Person-Perspektive angemessen verstehen. Existenziell zeigt sich der Tod jedoch nur als ›Sein zum Tode‹. 223 Die Wortverbindung ›zum‹ zeigt dabei eine Bewegung auf etwas hin an, in die Zeitlichkeit eingewoben ist. Heidegger betitelte diese Bewegung als ›Ausstand‹. Ausstand meint etwas, das zu einem Seienden gehört, aber noch fehlt oder noch nicht erschienen ist. Wenn etwas fehlt, so muss es ›zu‹ etwas gehören und drückt eine Zugehörigkeit aus. Daher meint Ausstand für Heidegger einen existenzialen Modus des ›Nochnichtbeisammensein des Zusammengehörigen‹, ein Noch-nicht. 224 Wie an der veränderten Schreibweise der Wortkoppelung angedeutet ist, drückt sich hier keine Vorstellung der Unzuhandenheit von beizubringenden Stücken aus. Eine solche Denkweise verfehlte den existenzialen Tatbestand. Es fehlt nicht einfach ein Rest, der aufgefüllt oder angestückelt werden muss. Vielmehr gehört das Nochnicht wesensmäßig zum Dasein dazu. Wenn es aber wesensmäßig dazugehört, so darf es entsprechend auch nicht mehr im Rahmen metonymisch-zergliedernder Rede dargestellt werden. In den existenzialen Modi, die Heidegger thematisiert, drängt sich also von selbst ein anderes Denkmodell. Der Tod ist deshalb ein ausgezeichnetes Beispiel zur Darstellung existenzialer Eigentlichkeit im Modus der Zeitlichkeit des Daseins, weil er deutlich macht, wie alle Begriffe, alle Entlastungen des Man, alles kategoriale Wissen und seine Darstellungsweisen hinsichtlich dieses nur jemeinig erfahrbaren Ereignisses versagen. Das zum Dasein gehörige Noch-nicht wird daher auch nicht als Vorhandenes verstanden, sondern als zeitlich zu bestimmender, aber zeitlich unbestimmter Möglichkeitsraum beschrieben. Die Zeitlichkeit des Noch-nicht ermöglicht Sein bzw. Nichtsein allererst. Ohne das Ausgreifen auf Zukünftiges ist also auch kein Sein oder Nichtsein des Daseins angemessen zu beschreiben. »Das Dasein muß als es selbst, was es noch nicht ist, werden, das heißt sein.« 225 Es ist also 222 Thomas Rentsch spricht von einer ›singularen Totalität des Todes‹ im Heideggerschen Todes-Begriff. Vgl. ders., Martin Heidegger. Das Sein und der Tod, a. a. O., S. 141 223 Im Wesentlichen stütze ich mich bei der Interpretation des Heideggerschen TodesBegriffs auf: T. Rentsch, Martin Heidegger. Das Sein und der Tod, a. a. O. 224 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 242. 225 Ebenda, S. 243 (Kursivierung Heidegger).

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unfertig, unganz, ›sichvorweg‹. 226 Im präsentischen Sein ist seine Zukunft ebenso mit enthalten, wie es die Vergangenheit ist. Dies ist das menschliche Dasein, aber nicht wie es Pflanzen und Tiere sind, indem sie sich einfach entsprechend ihres inneren biologischen Programms in eine Zukunft hineinleben. Weil das menschliche Dasein sein Leben führen muss, ist das mit dem Tod gemeinte Enden kein Zu-Ende-gehen des Daseins, sondern ein ›Sein zum Ende‹, ein ›Sein zum Tod‹. 227 Mit dem Tod steht sich das Dasein selbst in seinem eigensten Seinkönnen in unüberholbarer, unbezüglicher und ausgezeichneter Weise bevor. In der Alltäglichkeit und Uneigentlichkeit des Man wird der Tod als existenzialer Modus zumeist verdeckt bzw. ihm wird ausgewichen. Das Man besorgt eine ständige Beruhigung über den Tod und lässt den Mut zur Angst vor dem Tod nicht aufkommen. Damit entfremdet das Man in seiner gleichmacherischen, nivellierenden Tendenz das Dasein seinem eigensten Seinkönnen. Das heißt, das alltägliche Sein zum Tode ist eines im Modus der Verfallenheit an das Man. In diesem Modus ist das Sein zum Tode Flucht vor ihm. Das Man verdeckt die eigentümliche Gewissheit des Todes, dass er nämlich jeden Augenblick möglich ist. Der Unbestimmtheit des Zeitpunktes weicht das alltägliche Sein zum Tode dadurch aus, dass es ihm Bestimmtheit verleiht. Das Dasein flieht eher vor solcher Bestimmtheit und schiebt das alltägliche Besorgen vor die Unbestimmtheit des gewissen Todes. Das alltäglich verfallende Ausweichen vor ihm ist ein uneigentliches Sein zum Tode. Es zeigt sich in der Furcht zu sterben und damit als eine Furcht vor der Angst, damit einmal mehr als eine Tendenz der Uneigentlichkeit, nicht eigentlich sein zu wollen bzw. vor der Eigentlichkeit auszuweichen. Heideggers Gedanke zu Ende gedacht, wäre demzufolge jede Jenseits-Vorstellung nur eine Verlängerung metonymischen Vorhandenheitsdenkens und eine Flucht vor der Eigentlichkeit, denn es verlagert das Dasein in eine abstrakte Unendlichkeit. Jedes Ausrufen eines Lebens nach dem Tode wäre dann ein Appell, gerade nicht eigentlich, ganz und (ge)heil(t) zu werden. Es würde geradezu die Möglichkeit, das eigenste Seinkönnen zu ergreifen, sogar massiv behindern. Das Sein zum Tode ist daher das wichtigste Charakteristikum des eigentlichen Daseins. Denn nur als sterbliches We-

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Ebenda. Ebenda, S. 245.

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sen, das seiner Endlichkeit bewusst ist, kann es überhaupt motiviert sein, sein Leben zu führen und sich um sein Seinkönnen sorgen. Erst der Tod bzw. die Sterblichkeit bringt Sinn in das Leben. Das ist nicht nur eine sentenzhafte Quintessenz, sondern macht deutlich, inwiefern Heideggers existenziale Tieferlegung der Daseinsstrukturen einer Rettung der vollen Phänomenalität der Phänomene gleichkommt. In Heideggers Existenzialanalyse hat die Uneigentlichkeit mögliche Eigentlichkeit zum Grund. Die Uneigentlichkeit kennzeichnet dabei eine Seinsart, in die das Dasein sich verlegen kann und zumeist auch verlegt. Sie ist aber keine notwendige Seinsart, sondern eine mögliche. Außerdem ist sie eine Seinsart, die vor den ureigensten Seinsmöglichkeiten flüchtet. Eigentliches Sein zum Tode flüchtet dagegen nicht vor der Vorstellung des Todes ins Besorgen oder Fürsorgen, sondern ergreift das Dasein in seinem jeweiligen Möglichsein. Das aber heißt nicht, dass es eine von vielen Möglichkeiten wählt und ergreift. Vielmehr hält es die Möglichkeit als solche offen, hält sie aus und wartet gegebenenfalls auf das verstehende Näherkommen des Todes. »Im Sein zum Tode dagegen, wenn anders es die charakterisierte Möglichkeit als solche verstehend zu erschließen hat, muß die Möglichkeit ungeschwächt als Möglichkeit verstanden, als Möglichkeit ausgebildet und im Verhalten zu ihr als Möglichkeit ausgehalten werden.« 228 Diese radikal offene Erwartungshaltung charakterisiert Heidegger als ›Vorlaufen in die Möglichkeit‹. 229 In ihr wird keine Wirklichkeit durch ein besorgendes Verfügbarmachen ergriffen, sondern sich verstehend angenähert an bzw. gewartet auf die Möglichkeit der Möglichkeit. Der Tod ist schließlich die äußerste Möglichkeit, zugleich die Möglichkeit der Unmöglichkeit jeglichen Verhaltens zu sich und zur Um- und Mitwelt. Im Vorlaufen in diese Möglichkeit wird diese immer größer. Sie enthüllt sich als solche in ihrer Maßlosigkeit. Das heißt, das Sein zum Tode als Vorlaufen in die Möglichkeit ermöglicht allererst diese Möglichkeit und macht sie als solche frei. Heidegger fasst diese Offenheit zum Titel ›Freiheit zum Tode‹ zusammen. 230

Ebenda, S. 261 (Kursivierung Heidegger). Ebenda. 230 Ebenda, S. 266. Eine ausführliche Auseinandersetzung des Verhältnisses von ›Wirklichkeit‹ und ›Möglichkeit‹ bei Heidegger liefert: W. Müller-Lauter, Möglichkeit und Wirklichkeit bei Martin Heidegger, Berlin 1960. 228 229

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Das Vorlaufen in den Tod als Möglichkeit ist eine Seinsart, die das Dasein von allen vertrauten Bezügen des In-der-Welt-seins wegreißt. Sie vereinzelt das Dasein auf es selbst. Gleichzeitig aber bekommt es die Chance, sich seines eigensten Seins in seiner Ganzheit zu vergewissern, denn diese Vereinzelung ist eine Weise des Erschließens des Da des Daseins. Weil das Vorlaufen in die unüberholbare Möglichkeit alle ihre vorgelagerten Möglichkeiten miterschließt, liegt in ihm die Möglichkeit eines existenziellen Vorwegnehmens des ganzen Daseins, das heißt die Möglichkeit, als ganzes Seinkönnen zu existieren. Wenn sich nun im Modus der existenzialen Eigentlichkeit der Tod als Angst enthüllt, dann zeigt sich die Angst vor dem Tode als Angst vor dem eigensten, unbezüglichen und unüberholbaren Seinkönnen. Das Wovor dieser Angst ist das in seinen Möglichkeiten uneingeholte In-der-Welt-sein selbst. Das Worum dieser Angst ist das Sein-können des Daseins schlechthin. 231 Die Angst ist also nicht nur eine Stimmung, die ein einzelnes Individuum überfällt. Sie ist vielmehr eine Form der Erschlossenheit des Daseins. Erschlossen wird, dass das Dasein als geworfenes Sein ›zu‹ seinem Ende hin existiert, seiner endlichen – ergriffenen oder vertanen – Möglichkeiten bewusst wird, für deren Verwirklichung nun aber keine Zeit bleibt. »Die Angst ängstet sich um das Seinkönnen des so bestimmten Seienden und erschließt so die äußerste Möglichkeit.« 232 Für Heidegger ist die eigenste, unbezügliche und unüberholbare Möglichkeit gewiss. Sie ist dem Dasein als Möglichkeit – wenn auch nichtsprachlich – miterschlossen. Der Terminus ›Gewissheit‹ in Heideggers Denken gehört somit nicht in die Abstufungsordnung der Evidenzen über Vorhandenes. 233 Ein verdeckendes Ausweichen vor dem Tode könnte des Todes nämlich gar nicht gewiss sein, weil es vor ihm ausweicht, indem es den Tod für weit weg, ungewiss oder für unwahr(scheinlich) hält. Eines Seienden gewiss zu sein, besagt aber, es als Wahres auch für wahr zu halten, denn zwischen Wahrheit und Entdecktheit gibt es im existenzialen Modus der Eigentlichkeit keinen Unterschied. Insofern etwas für mich entdeckt, also gewiss ist, ist es wahr. Gewissheit gründet daher in der Wahrheit und ist ihr gleichursprünglich.

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Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 251. Ebenda, S. 266. Vgl. ebenda, S. 265.

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Der Blick auf die Ganzheit im Sein zum Tode nennt Heidegger das ›Hören auf die Stimme bzw. den Ruf des Gewissens‹. 234 Dieses Hören ›bedeutet‹ dem Dasein unausdrücklich, was es der Möglichkeit nach (eigentlich) je schon ist. Offenbar bedarf es nach Heidegger dazu keiner sprachlichen Artikulation. Ein derart als existenzial verstandenes Gewissen muss demzufolge auch von den vulgären Gewissensauslegungen, zum Beispiel als psychotherapeutische Theorie des Gewissens unterschieden werden. Sich verlierend in die Öffentlichkeit des Man und sein Gerede überhört das Gewissen jedoch beim Hören auf das Man-selbst meist das eigene Selbst. Das Selbst wird im ›Ruf des Gewissens‹ nicht zu einem Handel über es selbst angerufen, sondern ist ein ›Vor(nach-vorn)Rufen‹ des Daseins in seine eigensten Möglichkeiten. Es ruft nichts Bestimmtes. Vielmehr ruft es im Modus des Schweigens. Das schweigende Rufen ist somit ein Modus der Rede. Was dieser Ruf erschließt, ist für das Selbst eindeutig, auch wenn die nachträgliche Auslegung des Rufes im Modus des Manselbst unterschiedlich sein mag. 235 Auch ›der Rufer‹, der den Gewissensruf sendet, ist in seinem Wer weltlich durch nichts bestimmbar. Es gibt keinen fixierbaren Ort, wo das Gewissen sitzt. Der bzw. das, was ruft, ist vielmehr das Dasein in seiner Unheimlichkeit, das ursprüngliche geworfene In-der-Welt-sein als Unzuhause, das nackte Dass im Nichts der Welt. Insofern ist das Dasein Rufer und Angerufener zugleich. Der Ruf ist an sich selbst gerichtet. Das Gewissen offenbart sich als Ruf der Sorge, denn der Rufer ist das Dasein selbst, das sich um sein Seinkönnen ängstigt. Der Ruf des Gewissens ist ein ›Aufruf zum eigensten Selbstseinkönnen‹. 236 Will sich das Dasein nicht in die alltägliche Verfallenheit des Mans flüchten, sondern sich eigentlich zu seinem Tod verhalten, dann will es ein Gewissen haben und hat Mut zur Angst. Das Gewissenhabenwollen ist daher eine Weise des Erschließens der eigensten Ebenda, S. 269. Es ist aus einem metonymischen Verständnis her ein Widerspruch, auf der einen Seite den Ruf als ›eindeutig‹ und auf der anderen Seite als ›unterschiedlich auslegbar‹ aufzufassen. Das ist es bei Heidegger deshalb nicht, weil der Ruf aller Auslegung vorausgeht und insofern nur den ›Horizont‹ angibt – und zwar eindeutig –, der dann einer nachträglichen Auslegung zugänglich wird. Es verhält sich also so wie bei verschiedenen Interpretationen eines Gedichtes, das in diesem Fall den verdichteten Horizont darstellt. Das Gedicht ist so eindeutig, wie es als Gedicht poetisch sein kann. Die prosaische Auslegung, dessen, was ›gemeint‹ sein könnte, ist dann in gewissem Umfang variabel. 236 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 269. 234 235

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Möglichkeiten des Seinkönnens eines Daseins. Es ist eine Art des Aufrüttelns des Selbst, in dem das Man für eine Weile zumindest keine Rolle spielt. Im Gewissensruf ruft sich das Selbst – schweigend – lediglich zu sich, das heißt zu seinen eigensten Möglichkeiten auf. Es erschließt sich vor jeder Verfallenheit an das Man, ja vor jeder Gestimmtheit und Befindlichkeit und vor jedem sprachlichen Verstehen als Selbstsorge. 237 »Dem Gewissensruf entspricht ein mögliches Hören. Das Anrufverstehen enthüllt sich als Gewissenhabenwollen. In diesem Phänomen aber liegt das gesuchte existenzielle Wählen der Wahl eines Selbstseins, das wir, seiner existenzialen Struktur entsprechend, die Entschlossenheit nennen.« 238 Die Sorge, die durch die Endlichkeit und Geworfenheit des Daseins entsteht, ruft sich sozusagen selbst in seine Möglichkeiten, das heißt sie deckt diese Möglichkeiten in ihrem noch unbestimmten Möglichkeitscharakter auf. 239 Dabei bringt Heidegger das Moment des ›Schuldigseins‹ mit ins Spiel: »Das Schuldigsein resultiert nicht erst aus einer Verschuldung, sondern umgekehrt: diese wird erst möglich ›auf Grund‹ eines ursprünglichen Schuldigseins.« 240 Nicht weil wir handeln, werden wir schuldig, sondern wir handeln, weil wir schuldig sind. Weil wir hinter unseren Möglichkeiten von Grund auf zurückbleiben, diese – solange wir leben – schuldig sind, weil wir vor ihnen flüchten, oder diese ausstehen, sind Menschen als Menschen schon immer schuldig. Im Modus eigentlicher Zeitlichkeit hört also das Dasein auf die rechte Weise auf sein Gewissen, denn es gibt ihm seine schuldig gebliebenen Möglichkeiten zu verstehen: »Das Dasein ist rufverstehend hörig seiner eigensten Existenzmöglichkeit. Es hat sich selbst gewählt. […] Rufverstehend läßt das Dasein das eigenste Selbst aus seinem gewählten Seinkönnen in sich handeln. Nur so kann es verantwortlich sein. Jedes Handeln aber ist faktisch notwendig ›gewissenlos‹, nicht nur weil es faktische moralische Verschuldung nicht vermeidet, sondern weil es auf dem nichtigen Grunde seines nichtigen Entwerfens je schon im Mitsein mit Anderen an ihnen schuldig geworden ist. So wird das Gewissen-haben-wollen zur Übernahme der wesenhaften Gewissenlosig-

Das ›vor‹ meint in diesen Zusammenhängen – ähnlich wie Heideggers Komparative ›ursprünglicher‹ oder ›eher‹ – kein zeitliches Vorher, sondern nur den weiteren und zugleich verdichteteren Horizont als Bedingungsgrund. 238 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 270. 239 Vgl. ebenda, S. 280–283. 240 Ebenda, S. 284 (Kursivierung Heidegger). 237

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keit, innerhalb der allein die existenzielle Möglichkeit besteht, ›gut‹ zu sein.« 241

Nur weil wir verstehen, was es heißt, im Handeln nur bestimmte Möglichkeiten ergreifen zu können, nur deshalb ist uns klar, dass alle uneigentlichen Daseinsweisen in gewisser Weise gewissenlos, nämlich ohne das Hören auf die eigene Stimme des Gewissens erfolgt sind. Weil im Ergreifen von Handlungsoptionen immer schon die Negation anderer liegt, ist das Dasein sowohl immer schon in der Schuld als auch zugleich in Wahrheit und Unwahrheit. Die innige Verwobenheit der Aspekte ›Sein zum Tode‹, ›Offenheit der Möglichkeit‹ und ›Gewissensstruktur‹ des eigentlichen Daseins zeigt an, dass die intrinsische Eigentlichkeit des Daseins sich nicht mehr einfach als metonymisches Gefäß-Inhalts-Verhältnis oder Teil-Ganzes-Beziehung fassen lässt. Die Präposition ›zum‹ drückt sowohl eine zeitliche Gerichtetheit und Bewegtheit des tieferen Verstehens der Endlichkeit als auch die seinsmäßige innere Zugehörigigkeit der Strukturmomente zugleich aus. Heidegger kann jedoch nur an ein erfahrenes Verstehen dieser dynamischen Gesamtstruktur appellieren. Die Grenzen der Analysierbarkeit sind damit aufgezeigt, denn ein analytisches Verständnis kann die eigentliche Existenzialität – ob zeitlich oder seinsmäßig – gar nicht mehr erfassen. Die Analytizität kommt an ein Ende, wo das Dasein selbst seiner eigentlichen Zeitlichkeit gewahr wird. Weil das so ist, strebt alles, worauf Heidegger hinaus will, auf einen Wechsel des Darstellungsmodus hin. Die intrinsischen Relationen, die zu artikulieren wären, lassen sich nur höchst unangemessen im Modus metonymisch-veräußernder Objektsprache darstellen. Benötigt wird ein tropisches Denkmodell, das sich grundlegend von der zergliedernden Denkweise des Vorhandenheitsdenkens unterscheidet. Das neue Modell muss etwas zur Darstellung bringen können, was durch eine Analyse extrinsischer Beziehungen, etwa durch Ursache-Wirkungs-Modelle, versachlichende Erklärungen oder empathische Einfühlung kategorisierter Gefühle oder mentaler Zustände nicht angemessen verständlich gemacht werden kann. Und eben auch nicht durch die Umkehrung der Verhältnisse, wie Heidegger es bisher versuchte. Am Ende von Sein und Zeit bleibt Heidegger nur der Appell an das logische Vermögen, radikale Alternativen denkbar zu ma241

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Ebenda, S. 287 f. (Kursivierung Heidegger).

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chen, auch wenn diese die übliche kategorisierende Logik zu verlassen drohen. Heidegger treibt also die Möglichkeiten des metonymischen Denkens hier bis an seine Grenzen. Darüber hinaus kommt er innerhalb dieses tiefensprachlichen Denkmodells jedoch nicht. Deshalb bleibt ihm in seiner Existenzialanalyse nur der Verweis auf eine Alternative irgendwo jenseits der Sprache und Grammatik metonymischer Redemodi. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er die existenziale Zeitlichkeit der Eigentlichkeit in ihren Strukturfäden weiter als Entschlossenheit ausspinnt. ›Erschlossenheit‹ und ›Entschlossenheit‹ Die existenziale Umgrenzung des in der Metapher der Stimme des Gewissens eigentlichen Seinkönnens bringt Heidegger schließlich mit den Ergebnissen der ontologischen Analyse der alltäglichen Gewissenserfahrungen in Zusammenhang, bei der der Gewissensruf als schlechtes Gewissen im Nachklang einer Handlung erfolgt. Demgegenüber ist der existenziale Begriff des Gewissens als Bereitschaft zur Angst zu verstehen. Die im ›Gewissen-haben-wollen‹ liegende Erschlossenheit des Daseins wird a) durch die Stimmung der Angst, b) durch das Verstehen als Sichentwerfen auf das eigenste Schuldigsein sowie c) durch die Rede als Verschwiegenheit konstituiert. 242 Diese existenzial eigentliche Erschlossenheit nennt Heidegger – im Unterschied zur uneigentlichen – Entschlossenheit 243. Verdeutlicht wird mit der Präfixänderung die veränderte existenziale Zusammengehörigkeit einerseits und modale Ausdifferenzierung andererseits. Die alltägliche Erschlossenheit ist ein Modus der Entschlossenheit des Daseins. Die Entschlossenheit ist für Heidegger die ursprüngliche Wahrheit und das fundamentale Existenzial seiner Daseinsanalyse. Mit der Entschlossenheit hat Heidegger nun die ursprünglichste, weil eigentliche Wahrheit des Daseins gewonnen. Die Entschlossenheit löst nämlich als eigentliches Selbstsein das Dasein nicht von seiner Welt ab, isoliert es nicht auf ein frei schwebendes Ich hin, sondern bringt das Selbst gerade in das jeweilige besorgende Sein bei Zuhandenem und in das fürsorgende Mitsein mit den Anderen, das heißt in seine kooperativen Vollzugszusammenhänge zurück. Der Entschluss entzieht sich damit nicht der Wirklichkeit, sondern entdeckt erst das faktisch Mögliche. Faktisch möglich ist etwas nur in einer Kon242 243

Ebenda, S. 288 f. Vgl. ebenda, S. 296 f.

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kretion, also einer bestimmten konkreten Situation. Indem sich das Dasein zu etwas Bestimmten entschließt, zum Beispiel einer bestimmten Handlung, bekennt es sich dazu, dass es nicht bei der puren Möglichkeit und bei der Nichtigkeit stehen bleiben kann. Damit bringt die Entschlossenheit das Selbst wieder in die Welt des Besorgens und Fürsorgens hinein. Als Sorge ist das Dasein durch Faktizität und Verfallen determiniert. Die durch den Entschluss gewonnene Gewissheit kann sich jedoch nicht auf die Situation versteifen, sondern muss offen gehalten werden. So wie sich die Erschlossenheit gleichursprünglich in der Wahrheit und Unwahrheit hält, so muss dies erst recht von der Entschlossenheit gelten. Diese eignet der Wahrheit nämlich die Unwahrheit zu. Und wie die Räumlichkeit des Da in der Erschlossenheit gründet, so hat die phänomenal umfänglichere Situation ihre Fundamente in der Entschlossenheit. Sie ist nämlich das ›je in der Entschlossenheit erschlossene Da‹. 244 Sie ist also kein ›vorhandener Rahmen‹, in dem das Dasein als begegnende Umstände und Zufälle vorkommt. Vielmehr ist die Heideggersche ›Situation‹ nur durch ›Entschlossenheit‹. »Entschlossen für das Da, als welches das Selbst existierend zu sein hat, erschließt sich ihm erst der jeweilige faktische Bewandtnischarakter der Umstände. Nur der Entschlossenheit kann das aus der Mit- und Umwelt zufallen, was wir Zufälle nennen.« 245 Dem uneigentlichen Modus des Daseins, dem Man, ist dagegen die Situation wesenhaft verschlossen. Es kennt nur die allgemeine Lage, verliert sich an die nächste Gelegenheit und bestreitet das Dasein aus der Verrechnung der Zufälle, die es für eigene Leistungen hält. 246 Diese Interpretation Heideggers ist auch für den modernen Handlungsbegriff interessant. Das unter dem Titel ›Entschlossenheit‹ herausgestellte Phänomen ist kein leerer Habitus. Die Entschlossenheit stellt sich nicht erst eine Situation vor, sondern hat sich schon in sie gestellt. Als entschlossenes handelt das Dasein immer schon. Heideggers Handlungsbegriff umfasst also neben der Aktivität auch die Passivität des Widerstandes oder der Ignoranz. Heidegger vermeidet es allerdings, den Begriff der Handlung zu benutzen. Dieser würde nämlich in seiner modernen Form ein daseinsontologisches Missverständnis begünstigen. Er würde Entschlossenheit als ein besonderes 244 245 246

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Vgl. ebenda, S. 298 f. Ebenda, S. 300. Ebenda.

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Verhalten des praktischen Vermögens gegenüber einem theoretischen interpretieren. Als entschlossenes handelt das Dasein schon. Weil für Heidegger wie für Aristoteles Logos, Pathos und Ethos aber eine Einheit bilden, muss ein einseitiger Handlungsbegriff hier scheitern. Für Heidegger umfasst vielmehr »Sorge […] als besorgende Fürsorge […] das Sein des Daseins so ursprünglich und ganz, daß sie in der Scheidung von theoretischem und praktischem Verhalten je schon als Ganzes vorausgesetzt werden muß und aus diesen Vermögen nicht erst zusammengebaut werden kann mit Hilfe einer notwendig grundlosen, weil existenzial ungegründeten Dialektik. Die Entschlossenheit aber ist nur die in der Sorge gesorgte und als Sorge mögliche Eigentlichkeit dieser selbst.« 247

Dem muss der Wahrheitsbegriff Rechnung tragen: Die ontologische Wahrheit der existenzialen Analyse bildet sich insofern erst auf dem Grunde der ursprünglichen existenziellen Wahrheit aus. 248 Aber inwiefern führt die Entschlossenheit, ihrer eigensten Seinstendenz nach, auf das eigentliche Sein zum Tode? Wie ist der Zusammenhang zwischen Gewissenhabenwollen und dem existenzial entworfenen eigentlichen Ganzseinkönnen des Daseins zu begreifen? Wenn die Entschlossenheit eigentlich das ist, was sie sein kann, als verstehendes Sein zum Ende, das heißt als Vorlaufen in den Tod, dann stellt sie also nicht lediglich einen Zusammenhang mit dem Vorlaufen als einem anderen ihrer selbst her, sondern birgt das eigentliche Sein zum Tode in sich als mögliche existenzielle Modalität ihrer eigenen Eigentlichkeit. Die Entschlossenheit entwirft sich demzufolge auf das Schuldigseinkönnen und macht die schuldig gebliebenen Möglichkeiten als solche offenbar. Das Vorlaufen zum Tode als vorlaufende Erschlossenheit erschließt nun gerade diese Möglichkeit als Möglichkeit. Auch der Tod wird dem Dasein also nicht bei seinem Ende angestückt, sondern die Sorge birgt Tod und Schuld gleichursprünglich in sich. Im Unterschied zum christlichen oder zum juristischen Schuldbegriff ist für Heidegger das Dasein sich selbst nur seine nicht ergriffenen Möglichkeiten schuld. Die vorlaufende Entschlossenheit ist daher kein Ausweg, erfunden, um den Tod zu überwinden. Sie ist vielmehr das dem Gewissensruf folgende Verstehen, das dem Tod die Möglichkeit freigibt, der Existenz des Daseins mächtig zu werden und jede flüchtige 247 248

Ebenda, S. 300 f. Ebenda, S. 316.

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Selbstverdeckung im Grunde zu entlarven. Das als Sein zum Tode bestimmte Gewissenhabenwollen bedeutet daher auch keine weltflüchtige Abgeschiedenheit theoretischen Sinnierens oder Räsonierens, sondern bringt illusionslos in die Entschlossenheit des Handelns. Die vorlaufende Entschlossenheit entstammt auch nicht einer die Existenz und ihre Möglichkeiten überfliegenden idealistischen Zumutung, sondern entspringt dem nüchternen Verstehen faktischer Grundmöglichkeiten des Daseins. Mit der nüchternen Angst, die vor das vereinzelte Seinkönnen bringt, geht nämlich eine ›gerüstete Freude‹ an dieser Möglichkeit zusammen. In ihr wird das Dasein frei von den Zufälligkeiten des Unterhaltenwerdens, die sich die geschäftige Neugier primär aus den Weltbegebenheiten im Modus des Man-selbst verschafft. Die vorlaufende Entschlossenheit beschließt damit ein eigentliches Ganzseinkönnen des Daseins in sich. Die Sorgestruktur spricht also nicht gegen ein mögliches Ganzseinkönnen, sondern ist die Bedingung der Möglichkeit solchen existenziellen Seinkönnens. Die Gliederung der Sorge als ›Ganzheit des Strukturganzen‹ 249 ist für Heidegger noch reicher, ursprünglich verdichteter als angenommen. Und damit wird die existenziale Frage nach der Einheit dieser Ganzheit noch ›dringlicher‹, als die bisherigen Analysen hergaben. Deshalb fragt Heidegger auch noch weiter und tiefer nach dem Verhältnis von Ich und Selbst, die die Ganzheit des Strukturganzen zusammenzuhalten scheinen. Weil die bisherige ontologische Charakteristik der Eigentlichkeit jede Verwendung von Kategorien der Vorhandenheit verbietet, darf die Sorgestruktur nämlich nicht aus Kategorien der Realität, sondern aus einem existenzialen Wahrheitsgeschehen verstanden werden. Heidegger will aus diesem Grunde anders zur ontologischen Verfassung der existenzialen Selbstheit vordringen, als die traditionellen philosophischen Bestimmungen von Ich und Selbst als tragendem Grund, als Substanz oder Subjekt es vermögen. 250 Solche Charaktere wie ›Simplizität‹, ›Substanzialität‹ und ›Personalität‹, wie sie Immanuel Kant zum Beispiel in seiner Lehre Von den Paralogismen der reinen Vernunft zugrunde legt, entspringen zwar einer vorphänomenologischen Erfahrung, gleiten aber wieder in die gleiche Ontologie des Substanzhaften zurück. 251 Für Vgl. ebenda, 6. Kapitel. Vgl. ebenda, S. 317. 251 Heidegger verweist an dieser Stelle auf seine Schrift: Kant und das Problem der Metaphysik, III. Abschnitt. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 318 ff. 249 250

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Heidegger bleibt Kant auch hier der Descarteschen Ontologie verhaftet. Kant fixiert nämlich den phänomenalen Gehalt des Ichs zu einer res cogitans, einer denkenden Sache: »Wenn er [Kant, BK] dabei dieses Ich ›logisches Subjekt‹ nennt, so besagt das nicht, das Ich überhaupt sei ein bloß auf logischem Wege gewonnener Begriff. Das Ich ist vielmehr das Subjekt des logischen Verhaltens, des Verbindens. Das ›Ich denke‹ besagt: Ich verbinde. Alles Verbinden ist ›Ich verbinde‹. In jedem Zusammennehmen und Beziehen liegt immer schon das Ich zugrunde – ὑποκείμενον. Daher ist das Subjektum ›Bewußtsein an sich‹ und keine Vorstellung, vielmehr die ›Form‹ desselben.« 252

Das Ich-denke ist demzufolge kein Vorgestelltes, sondern die formale Struktur des Vorstellens als solche. Sie ist also etwas, wodurch so etwas wie Vorgestelltes erst möglich wird. 253 Die Form der Vorstellung meint weder einen Rahmen noch einen allgemeinen Begriff. Sie ist vielmehr das, was als εἶδος jedes Vorstellen und Vorgestellte zu dem macht, was es ist. Das Ich ist damit nur das logische Subjekt. Kant – und das hebt Heidegger positiv an ihm hervor – sieht zum einen die Unmöglichkeit der ontischen Rückführung des Ich auf eine Substanz, zum anderen aber hält er am Ich als ›ich denke‹ fest. Dann aber gleitet Kant wieder in eine Interpretation ab, die das Ich als Subjekt und damit in einem für Heidegger ontologisch unangemessenen Sinne versteht. Indem er den ontologischen Begriff des Subjekts nicht wie Heidegger als ›Selbstheit‹ des Ichs auffasst, sondern die ›Selbigkeit‹ und Beständigkeit eines immer schon Vorhandenen charakterisiert, verfehlt Kant nach Heidegger den existenzialen Grund der Vollzüglichkeit des Daseins. 254 Kants Subjekt hat Vorstellungen, es denkt etwas, ein Träger, und diese Vorstellungen sind auf Empirisches bezogen, weil sie diesem Subjekt ›anhängen‹. Doch damit wird das Ich wieder auf ein isoliertes Subjekt mit Vernunftausstattung zurückgedrängt, womit es – tiefensprachlich ausgedrückt – der Teil-TeilLogik des metonymischen Tropus entspricht. Es drückt sich darin gerade nicht eine intrinsische Weise des inneren Aufgerufen- und Integriertseins in Praxisvollzüge aus, das die Summe der Teile transzendiert. Ebenda, S. 319 (Kursivierung Heidegger). Ebenda. 254 Bei dieser Charakterisierung verweist Heidegger ausführlich in einer Fußnote auf Heinz Heimsoeth und Max Scheler, die ihrerseits Kritik an Kants Ich-Begriff üben. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 320 f. 252 253

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Für Heidegger spricht sich im Ich-sagen das Dasein als In-derWelt-sein aus. Dies geschieht zwar zumeist als Verfallenheit in das öffentliche Man. Dieses jedoch lässt sich auf einen ursprünglichen Modus zurückführen. Was Kant nach Heidegger also nicht sieht, ist die phänomenale Vorgeordnetheit des In-der-Welt-seins vor seiner vorhandenheitslogisch-metonymischen Beschreibung. Wenn dagegen Heidegger von ›Ich‹ redet, dann geht es um das Seiende am Dasein, um seine ontisch-existenzielle Beschreibung im Unterschied zur Selbigkeit. Im Ich spricht sich die Sorge zwar als ein ›Sich-vorweg‹ im uneigentlichen Sinne aus. Die ontologisch-existenziale Verfassung des Selbst lässt sich aber weder auf eine Ich-Substanz noch auf ein Subjekt zurückführen. Es entzieht sich jeglicher Substanzontologie. Das alltäglich-uneigentliche Ich-sagen muss vielmehr aus dem eigentlichen Seinkönnen verstanden werden. Es muss also noch gezeigt werden, dass die Ständigkeit des Selbst bzw. die Selbst-Ständigkeit existenzial nichts anderes als vorlaufende Entschlossenheit bedeutet. Die vollbegriffene Sorgestruktur muss das Phänomen der Selbstheit daher mit einschließen und den Unterschied von Selbstheit und Selbigkeit dezidiert herauskehren. Sie darf es demzufolge nicht zu einem Zugrundeliegenden – gemäß allem Physischen – metaphysisch vergegenständlichen. Die Sorgestrukturganzheit birgt das Phänomen der Ständigkeit des Selbst als zeitliches nämlich schon in sich. Weil der Charakter dieses ›existenzialen Selbst‹ sich aus der Ganzheitsstruktur des Strukturganzen herleitet, deshalb fragt Heidegger weiter nach dem Sinn der Sorge, die das Seinsganze des Daseins bestimmt. Sinn charakterisiert Heidegger dabei als das, worin sich die Verstehbarkeit von etwas hält, ohne dass es selbst ausdrücklich und thematisch in den Blick kommt. 255 Wenn gesagt wird, ›etwas habe Sinn‹, dann bedeutet das: Das Dasein ist in seinem Sein zugänglich geworden. Das Selbst erlebt sich als gehalten. Den Sinn der Sorge herauszustellen, heißt dann, den der ursprünglichen existenzialen Interpretation des Daseins zugrunde liegenden und sie leitenden Entwurf so zu verfolgen, dass in seinem Entworfenen dessen Woraufhin sichtbar wird. Dieser primäre Entwurf des eigentlichen existenzialen Verstehens von Sein (er)gibt in gewisser Weise d(ess)en Sinn. Der Seinssinn des Daseins ist also nicht ein frei schwebendes anderes seiner selbst oder irgendwo außerhalb seiner selbst, sondern es ist das

255

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Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 324.

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sich verstehende Dasein selbst, das sich als vorlaufende Entschlossenheit im Strukturganzen der Sorge enthüllt. Um diesen Sinn zu erfassen, bedarf es einer phänomenologischen Neukalibrierung der Einstellung. Nicht mehr darf nämlich das Dasein versuchen, nach diesen Sinn zu greifen oder ihn zu bewirken oder herzustellen. Vielmehr lässt die Entschlossenheit Möglichkeiten auf sich zukommen. Dem Sich-auf-sich-zukommenlassen der Entschlossenheit als Möglichkeit muss das Dasein mit einer entsprechenden Haltung begegnen: Es muss sie erhalten und aushalten. 256 Es kann sie nicht kreieren, sondern – wie Heidegger später im Humanismusbrief sagen wird – nur vollbringen – im Sinne von ›seinen Sinn erfüllen‹, ›etwas zu einem guten Ende bringen‹, ›ganz/heil machen‹ oder ›heilen‹, vollenden. 257 Von hier speist sich auch alle Glückswürdigkeit. 258 In der aushaltenden, auf sich zukommen lassenden Haltung zeitigt sich dann auch das ursprüngliche Phänomen der Zukunft. Im Vorlaufen zeigt sich das zeitliche Woraufhin also als eigentlich zukünftig. »Wenn zum Sein des Daseins das eigentliche bzw. uneigentliche Sein zum Tode gehört, dann ist dieses nur möglich als zukünftiges in dem jetzt angezeigten und noch näher zu bestimmenden Sinn. ›Zukunft‹ meint hier nicht ein Jetzt, das, noch nicht ›wirklich‹ geworden, einmal erst sein wird, sondern die Kunft, in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt.« 259

256 Es darf davon ausgegangen werden, dass auch die Worte ›Halt‹, ›halten‹, ›Haltung‹ und ›aushalten‹ bei Heidegger eine innere sprachdenkerische Verbundenheit erfahren, wie sie im alltäglichen Sprachgebrauch nicht mehr auffällig ist. Das Wort ›halten‹ lässt sich etymologisch etwa herleiten von ›hüten‹, ›schützen‹, ›bewahren‹, aber auch von indogermanisch *kwel: ›sich um etwas herumbewegen‹, ›drehen‹, ›wenden‹ mit der Verbindung zu lat. colere: ›warten‹, ›pflegen‹, ›bebauen‹ bzw. gr. πέλομαι: ›ich rege mich‹, ›bewege mich‹ – alles Wortherkünfte, die für Heideggers Denken eine große Rolle spielen und mitgedacht werden müssen. 257 Vgl. M. Heidegger, Brief über den Humanismus, S. 7 ff. Nicht von ungefähr kommt es, dass im Deutschen für ›etwas reparieren‹ oder ›heilen‹ auch ›etwas heil machen‹ oder ›etwas ganz machen‹ gesagt wird. 258 Etymologisch kommt ›Glück‹ von ›Luke‹, das heißt, den Deckel auf etwas tun, vollenden. Das gute Leben speist sich nicht aus dem Anstreben von Glückseligkeit, sondern – darin ist sich Heidegger mit Kant einig – aus der Glückswürdigkeit des Daseins. 259 M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 325 (Kursivierung Heidegger).

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Der Sinn des Daseins zeitigt sich also wesentlich zukünftig, indem er eine mögliche Ankunft in der Zukunft ankündigt und das Dasein in seiner Seinssorge darauf ausrichtet. Aber das Dasein zeigt sich nicht nur zukünftig, sondern offenbart auch Vergangenheit. Weil nämlich die vorlaufende Entschlossenheit das Dasein in seinem wesenhaften Schuldigsein durch die Geworfenheit versteht, ist die entschlossene Übernahme der Geworfenheit nur so möglich, dass das auf Zukunft entworfene Dasein sein eigenstes ›wie es je schon war‹, das ist sein Gewesensein, mit in den Blick nimmt. Nur sofern Dasein sich als zeitlich eingespanntes versteht und erlebt, ist es nicht nur existenziell-ontisch, sondern auch existenzial-ontologisch zeitlich. Als ein ›ich bin-gewesen‹ kann es sozusagen auch zukünftig auf sich selbst so zukommen, dass es ›zurückkommt‹. 260 Die drei Zeiten Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart bilden also im Modus der eigentlichen Existenzialität eine interne Verwiesenheit aufeinander, die von Heidegger als ein erlebtes Ganzes gedacht wird. Auch das Selbst des Daseins kann nur eigentlich gewesen sein, sofern es zukünftig ist. Die Gewesenheit entspringt in gewisser Weise der Zukunft und beide bleiben auf die Gegenwart bezogen. Die drei Zeitformen folgen nicht aufeinander, sondern sind im entschlossenen Entwurf gleichzeitig da: »Zukünftig auf sich zurückkommend, bringt sich die Entschlossenheit gegenwärtigend in die Situation. Die Gewesenheit entspringt der Zukunft, so zwar, dass die gewesene (besser gewesende) Zukunft die Gegenwart aus sich entlässt. Dies dergestalt als gewesend-gegenwärtigende Zukunft einheitliche Phänomen nennen wir die Zeitlichkeit.« 261

So kann Heidegger nun zusammenfassen, dass die ursprüngliche Einheit der Sorgestruktur in der so verfassten Zeitlichkeit liegt. 262 Das mit der Zeitlichkeit einhergehende Selbstsein ist in diesem Sinne auch nie eine vorhandene Tatsache, die entsteht und vergeht. Vielmehr findet sich das Selbst immer nur als geworfenes Faktum, weil der primäre existenziale Sinn der Faktizität – in Analogie zur Existenzialität – in der Gewesenheit liegt. Hingegen bleibt das Gegenwärtigen im Modus der ursprünglichen Zeitlichkeit eingeschlossen. Die Zeitlichkeit ermöglicht zwar die Einheit von Existenz, Faktizität und Verfallen und konstituiert so ursprünglich die Ganzheit 260 261 262

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Ebenda. Ebenda, S. 326. Vgl. ebenda, S. 327.

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Eigentliche Weisen der Zeitlichkeit

der Sorgestruktur, aber sie ist überhaupt kein Seiendes. Deshalb sagt Heidegger auch, dass sie nicht ist (als starre Form), sondern sich zeitigt (als infinites Geschehen). Das Verb ›sich zeitigen‹ soll die unmittelbare Nähe und gleichzeitig Dynamik bzw. Spannung andeuten, die zwischen Sein bzw. Seiendem und Zeit bzw. Zeitlichkeit besteht. Sich zeitigen heißt dann: ›sich als Zeitliches von sich selbst her zeigen‹. Das Wort ›zeitigen‹ ist also keine bloße sprachliche Extravaganz Heideggers, sondern drückt das Bemühen um Darstellungskonformität des philosophisch Angestrebten aus. Wenn Heidegger behauptet, dass die Zeitlichkeit mögliche Weisen ihrer selbst zeitigt, dann muss sie auch die Grundmöglichkeit der eigentlichen und uneigentlichen Existenz ermöglichen. Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart müssen sich dann als phänomenale Charaktere des ›Auf-sich-zu‹, des ›Zurück auf‹ und des ›Begegnenlassens von‹ zeigen. Die Präpositionen des ›zu …‹, ›auf …‹ und ›bei …‹ müssen dann die Zeitlichkeit als ein Ek-statikon, ein zeitlich Herausstehendes schlechthin offenbaren. Heidegger nennt die drei Zeitformen daher die ›Ekstasen der Zeitlichkeit‹, nicht weil sie wie Seiendes aus sich heraustreten und in ihrer strukturellen Selbigkeit nebeneinander treten können, sondern weil der wesenhafte Zug der existenzialen Zeitlichkeit in ihren Ekstasen besteht. 263 Das bedeutet, dass die Zeitlichkeit vor aller verstetigenden Ontologie das ursprünglich herausstehende Außer-sich an und für sich selbst sein muss. Bezogen auf die Formel vom Sein zum Tode heißt das, dass das Dasein nicht einfach ein Ende in der Zukunft hat, an dem es nur aufhört, sondern immer schon endlich existiert. Die eigentliche Zukunft, die primär die Zeitlichkeit zeitigt und die den Sinn der vorlaufenden Entschlossenheit ausmacht, enthüllt sich selbst auf ein Ende, den Tod hin. Erst die eigentliche Zeitlichkeit ermöglicht also die Einheit von Existenz, Faktizität und Verfallensein, die am Anfang der Existenzialanalyse in Sein und Zeit aufgemacht wird. Sie konstituiert die Ganzheit der Sorgestruktur. 264 Die Zeitlichkeit des Daseins ist also ›ek-statisch‹, wörtlich: ›hinaus-stehend‹, transzendierend, ein permanentes Noch-nicht, nicht nur im räumlich gemeinten, sondern vor allem im 263 In der Hierarchie der Ekstasen hat die Zukunft allerdings einen gewissen Vorrang, obwohl alle drei Ekstasen gleichursprünglich sind, denn sie drückt – wenn man mit Aristoteles sprechen möchte – sozusagen das Strebevermögen des Menschen aus. 264 Dabei legt Heidegger großen Wert darauf zu betonen, dass die Zeitlichkeit nichts Seiendes ist. Deshalb ›haben‹ wir, wenn das Dasein existenzial beschrieben werden soll, auch keine Zeit oder ›ist‹ Zeit, sondern Zeit zeitigt sich.

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Heideggers existenziales Denken im Modus der Metonymie

zeitlich gemeinten Sinn. »Die ursprüngliche Einheit der Sorgestruktur liegt in der Zeitlichkeit.« 265 Dabei besagt die Seinsganzheit des Daseins als Sorge ein ›Sich-vorweg-schon-sein-in (einer Welt)‹ als ›Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)‹, wobei sich das ›Sich-vorweg‹ in der Zukunft gründet, das ›Schon-sein-in‹ die Gewesenheit bekundet und das ›Sein-bei‹ im Gegenwärtigen ermöglicht wird. Die Zukunft ist sozusagen der primäre Sinn und damit ein ausgezeichneter Wesenscharakter der Existenzialität. Er ist nicht ein Teil, der für das Ganze steht, sondern er durchdringt das Dasein zeitlich in seiner Struktureinheit. Die existenziale Zukunftsausgerichtetheit des eigentlichen Selbst ist damit sozusagen das Integral des dynamischbewegten Sinns der Daseinssorge und seiner Infinalität. Es ist demzufolge die Zeitlichkeit als grundlegendste Struktur des Daseins, als die sich der Sinn der eigentlichen Sorge zeitigt. 266 Deshalb muss die vorlaufende Entschlossenheit vorthematisch, ja vorsprachlich vor jeder alltäglichen Vergegenständlichung von Zeit gedacht werden, wenn sie existenzial verstanden werden soll. 267 Weil der Tod ein Phänomen ist, das sich nicht von außen, sondern nur aus der intrinsischen Logik eigentlicher Existenzialität beschreiben lässt, kann somit nicht die Metonymie, sondern nur ein Mitverstehen der Vollzüge als Gesamtheit das geeignete, weil passgenaue Mittel zur sprachlichen Modellierung eigentlicher Daseinsweisen sein. Weil sie das Typische generisch anzudeuten vermag, ließe sich mit einer intrinsischen Logik das Zeitliche des Seins miterfassen, ohne es als solches ungenügend beschreiben zu müssen. Als Appell, etwas mitzuverstehen, was so nicht als solches benannt, aber miterfasst ist, bleibt eine solche Redemodalität natürlich hinter der metonymisch definierten Exaktheit zurück. Gleichzeitig macht sie es aufgrund ihres versöhnend-integrativen Charakters möglich, die Versteigungen ins Ideologische und Metaphysische, in welche die metonymische Vorhandenheitslogik sich durch ihr rechnendes Denken verwickelt, hinter sich zu lassen. Weil sie das Ganze in seiner M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 317. Vgl. ebenda, S. 326. 267 Wie bei den anderen existenzialen Formen meint das ›Vor‹ nicht ein ›Vorher‹ im Sinne eines ›Noch-nicht-jetzt – aber-später‹ oder dessen Gegenteil. Vielmehr müssen die Worte ›vor‹ und ›schon‹ in einem vorkonzeptionellen Rahmen eines Vorhandenheitsdenkens begriffen werden. Für Heidegger zeigen die Worte ›vor‹ und ›vorweg‹ die Zukunft an, die überhaupt erst ermöglicht, dass Dasein so sein kann, dass es ihm um sein Seinkönnen geht. 265 266

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Eigentliche Weisen der Zeitlichkeit

lebendigen Struktur im Blick hat, bleibt sie dem metonymisch-rechnerischen Denken entzogen und unterbestimmt. Sie rahmt das Auszudrückende nicht mehr in ein Nacheinander von einzelnen Segmenten, von denen sie einzelne typische Exemplare für das Ganze stehen lässt, sondern beschreibt die Phänomene integrativ. So wie sich im Charakter oder der Gesamtlebensführung der Mensch zeigt (und nicht in einzelnen zufälligen Handlungen), so bedarf es gerade der Fähigkeit der Erfassung der spezifisch generischen Ausdrucksweise, namentlich der synekdochischen Redelogik, um die Daseinsstruktur als Strukturganzes in ihrer in sich verwobenen und eigentlich untrennbaren Einheit phänomengerecht darstellen zu können. Jede begriffliche Analyse als Auseinanderlegung ihrer elementaren und atomaren phänomenalen und begrifflichen Bestandteile ist deshalb nur ein notdürftiges und insofern uneigentliches Hilfsmittel, um auf ihre im Erlebnis unteilbare Ganzheitlichkeit zurückzuverweisen. Die gesamte Daseinsanalyse in Sein und Zeit bleibt damit ein Appell, die innere Verflochtenheit und Verdichtung der Strukturmomente in ihrem Facettenreichtum und ihrer Vielschichtigkeit synekdochisch zu verstehen. Was Heidegger in Sein und Zeit noch nicht leisten kann, ist eine Übereinstimmung von Denkmodell und Darstellungsform. Noch immer sind es zumeist die sich endlos aneinanderreihenden Bindestrichworte, die das dominierende Bild des Heideggerschen Denkens methodisch und optisch kennzeichnen. Gleichwohl zeichnet sich ein Übergang von einem metonymisch-objektivierenden zu einem davon abgehobenen synekdochalen Denken ab.

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10. Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche

Sein und Zeit blieb unvollendet. Zwei Teile waren geplant. Nur ein Drittel des Gesamtprojektes der Existenzialanalyse hat Heidegger umgesetzt. Die nicht ausgeführten Themen wurden von Heidegger nach und nach in der Folgezeit bearbeitet und nachgereicht. Allerdings nicht mehr im gleichen Modus. Eine Skizze des fehlenden dritten Abschnitts des ersten Teils zum Thema ›Zeit und Sein‹ trägt Heidegger noch im Sommer 1927 im Rahmen der Vorlesung Die Grundprobleme der Phänomenologie vor. 1 Den noch ausstehenden zweiten Teil von Sein und Zeit, die Destruktion exemplarischer Ontologien bei Kant, Descartes und Aristoteles, arbeitet Heidegger in den folgenden Jahren zu Einzelschriften oder Vorlesungen aus. 1929 erscheint Kant und das Problem der Metaphysik, 1938 hält er seinen berühmten Weltbild-Vortrag. Ebenso führt Heidegger seine Kritik am Cartesianismus weiter aus und auch die Auseinandersetzung mit Aristoteles wird in Vorlesungen weitergeführt. In diesem Sinne kann man von einer Fortsetzung und vielleicht sogar vom Abschluss des Heideggerschen Projektes der Daseinsanalyse sprechen. 2 Die so genannte Kehre wird bereits im Ausklang des Gesamtprojektes von Sein und Zeit anvisiert. Als Aufgabe erscheint diese Kehre zum ersten Mal in der Logik–Vorlesung im Sommersemester 1928. 3 Die Kehre bedeutet eine Kehrtwendung, keine Abwendung der Fragerichtung. Von der Analyse des Seins hin zur Zeit geht es nun umgekehrt von der Zeit zum Sein sowie um die Zeit des Seins. Deckte die Daseinsanalyse zuerst die Zeit als Horizont des Seins auf, so kehrt sie sich nun im Bewusstsein der begriffenen Zeit auf das eigene Denken zurück. Als ›temporale Analytik‹ bedenkt Heideggers Denken nach Vgl. M. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24. Vgl. R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, a. a. O., S. 197. 3 M. Heidegger, Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz, GA 26, S. 201. 1 2

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Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche

der Kehre nicht mehr die ›Zeit an sich‹, sondern die ›eigene Zeitlichkeit des Denkens‹. Heideggers neue Aufgabe besteht darin, das eigene Denken selbst in den Strom der Zeitlichkeit einzubeziehen. Denken als Philosophie, so die Überzeugung Heideggers in diesen Jahren, darf sich nicht in ein zeitenthobenes Außerhalb der Analyse flüchten, sondern muss sich eingestehen, dass es kein universalistisches Sein gibt. Sie muss deshalb in besonderer Weise für sich selbst ›wach sein‹. Deshalb geht es mit der Kehre auch nicht darum, die Ergebnisse der Analyse in Sein und Zeit als vorläufig oder verfehlt anzusehen. 4 Die neue oder gewissermaßen ›gekehrte‹ Perspektive bedeutet nicht die Preisgabe seines bisherigen Konzeptes. Weiterhin versteht Heidegger das Sein des Daseins als das philosophische Hauptproblem. Die späteren Bezugnahmen sind als kontinuierliche Fortführung der eigenen strengen Methodik Heideggers aufzufassen. Wenn nämlich das Sein das Urfaktum der Zeitlichkeit und die Philosophie selbst nichts anderes als eine elaborierte Praxisform menschlicher Sorge um das eigenste Seinkönnen im Modus der Zeitlichkeit ist, dann muss eine ernst genommene phänomenologische Fortführung der Methodik umso mehr deren Verdeckungstendenzen transparent machen. 5 Die Daseinsanalyse in Sein und Zeit sollte weder antike Weisheitslehre noch neuzeitliche Weltanschauung sein. Sie sollte nur zeigen, wie es sich mit dem Dasein insgesamt verhält. Sie war sozusagen reine existenziale Deskription der existenziellen Zerstreutheit des Daseins in seine Welt. In der ›Kehre‹ will sich Heidegger nicht mehr nur auf eine distanzierte Beschreibung basaler Strukturen im Modus einer unpersönlichen analytischen Sprache beschränken. Vielmehr soll Philosophie das Dasein der Menschen berühren. Dazu muss sie selbst existenzielles Engagement sein. Heidegger will nicht nur, dass seine Analysen logisch richtig sind und sachlich verstanden werden. Er will bei seinen Hörern überdies Empfindungen hervorrufen, die ein tieferes Verständnis ermöglichen. Solche Empfindungen werden aber nicht durch syllogistische Beweise oder rationale Argumentationsketten erreicht, sondern über die Herstellung von Zustimmungsbereitschaft. 6 Deshalb muss er bei seinen Rezipienten bestimmte M. Steinmann, Die Offenheit des Sinns. Untersuchungen zu Sprache und Logik bei Martin Heidegger, Tübingen 2008, S. 153. 5 M. Heidegger, Metaphysische Anfangsgründe der Logik, GA 26, S. 270. 6 Hierin folgt Heidegger sozusagen dem historisch umgekehrten Weg, nämlich von 4

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Stimmungen erzeugen, die sie für sein Denken empfänglich machen, die sie sozusagen für ein bestimmtes Verständnis öffnen. Dies hat nichts mit der Verwechslung der rhetorischen Modi Überzeugen und Überreden zu tun, sondern bettet beide Varianten, Zustimmungsbereitschaft herzustellen, zurück in ein semantisch noch ungeschiedenes πείθειν/άναπείθειν, dessen Passivform πείθεςθαι immer mitzudenken ist. Da für den späten Heidegger – anders als für den frühen, von Husserl geprägten – die Wissenschaften mit ihren Denk- und Sprachformen in die metonymisch vorstrukturierte Metaphysik hineinfallen, wählt Heidegger im Spätwerk vorwissenschaftliche, und insofern reichere, weil ganzheitlichere, also in gewisser Weise undifferenziertere Formen der Sprache und des Denkens, um angemessen das Sein denken und sprachlich fassen zu können. Damit setzt er das in Sein und Zeit angekündigte Denkprojekt, nämlich die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten, in denkerischer Selbstverpflichtung fort. Heideggers sperrige Neologismen und Etymologien sind auch hier nicht ornamentales Beiwerk, sondern entstehen aus der konsequenten Bindung an das eigene denkerische Programm, nämlich den Sinn von Sein zu verstehen. Dieser Sinn lässt sich mit der herkömmlichen Metaphysik und ihrem wissenschaftlich-logischen Sprachgehege nicht erfassen. Es muss eine vorwissenschaftliche – und das heißt für Heidegger: eine verdichtende – Sprache in Einsatz gebracht werden. In dieser Verdichtung ist eine Vieldeutigkeit und Vielschichtigkeit von Konnotationen geborgen, die das wissenschaftliche Denken durch seine entdynamisierte Exaktheit, Verdauerungs-, Erstarrungs- und Vereindeutigungstendenz gerade auszuschließen sucht. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Redemodus, wie sie in Sein und Zeit immer wieder zum Vorschein tritt, soll künftig überwunden werden. Eine Annäherung an Heideggers Texte nach der Existenzialanalyse wirbt daher noch viel stärker um ein Sicheinlassen auf den Mitvollzug des denkerisch Vorgeführten. Wer dieser Einladung folgt, dem eröffnet sich die ›Pracht des Schlichten‹ oder Unscheinbaren, wie Heidegger später schreibt. 7 Was Heidegger von seiAristoteles’ Logik zu Platons Dialektik. Dies entspricht auch generell seiner Vorgehensweise, sich immer weiter in die frühen Denker zurückzudenken. 7 M. Heidegger, Der Feldweg, GA 14, S. 4. Thomas Rentsch schreibt: »Es sind Kunstwerke und einfache Dinge, die in der Spätphilosophie Heideggers den Gewaltverhält-

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nen Lesern also verlangt, ist eine Form des Einübens in eine neue bzw. uralte, zumindest aber andere Form, ja – in Anbetracht der axiomatischen Vorgaben – vielleicht sogar eine andere Logik des Denkens. Heidegger betrachtet nicht mehr die Daseinsvollzüge metonymisch von außen, sondern will selbst in einen denkerischen Vollzug praktisch einführen, aus ihm heraus reden. Im praktisch-existenziellen Nach- und Mitvollzug wird sich dann die Sinndimension eröffnen. Das distanzierte Vorhandenheitsdenken, das alles tendenziell metaphysisch-vergegenständlicht vorstellt, soll überwunden werden. Radikaler muss eine neue Logik der Sprache in Einsatz gebracht werden, um sozusagen die Dominanz des metonymischen Seinsverständnisses zu brechen, das tendenziell alle Entitäten in vergegenständlichte Teil-Ganzes-Relationen aufspaltet und als Objekte vor sich hin stellt. Das Niveau radikaler existenzialer Fragemöglichkeiten ist für Heidegger also mit einer äußeren, selbst eher betrachtenden Weise des Daseins noch nicht erreicht. Das Anstarren der Phänomene muss nun vielmehr selbst zu einer praktischen Tätigkeit transformiert werden, indem es in einen Mitvollzug umgewandelt wird. Verlangt ist damit zugleich die Veränderung der Sprache und ihrer tropologischen Rahmung. Statt eines zergliedernden Denkens in Teil-Teil-Termini, die aus einer distanzierten Beobachterperspektive Objekte extrinsisch distinguierend beschreibt, gilt es nun, einen Redemodus zu finden, der sich von diesem Weltverständnis ganz entschieden absetzt, quasi dessen Gegenteil bildet, aber gleichzeitig das Metonymische in sich als eine Variante unter anderen integriert. Heideggers verschiedene Neu- und Scharfstellungen des Phänomens des Seins in der Zeit nach Sein und Zeit folgen der veränderten Fragehaltung und dem Versuch, dieser inhaltlichen und methodischen Umjustierung der Ausgangsfrage eine äquivalente sprachliche Darstellungsform zu geben. Nunmehr finden nicht mehr nur Wechsel von einem metonymischen Redemodus in den anderen statt – etwa eines ›inseins‹ zu einem ›wohnen-bei‹, wenn es um das In-der-Welt-sein geht –, sondern ein echter Wechsel in einen anderen Tropus. 8 Dies ist aber nur möglich unter den veränderten inhaltlichen und methodischen Voraussetzungen, die Heidegger nun anvisiert. Das alles beherrschende Thema in Heideggers Denken nach Sein nissen der Verfallsgeschichte entgegenstehen, die vom ›ganz anderen‹ noch zu zeugen vermögen.« Ders., Martin Heidegger – Das Sein und der Tod, a. a. O., S. 197 f. 8 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 54. Logik der Tropen

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und Zeit ist die Suche nach dem Ganzen des Daseins und nach einer sprachlich angemessenen Darstellungsform, die dieses Ganze als eine dynamische Bewegungsform nicht-kategorial ausdrückt. Bis Mitte der 30er-Jahre ist Heidegger fest davon überzeugt, dass der Blick aufs Ganze nur möglich ist auf dem Grunde ›extremen existenziellen Einsatzes‹ des Philosophierens selbst. 9 Man kann nur das existenzial analysieren, was man auch existenziell durchlebt bzw. erfahren hat, so Heideggers Grundüberzeugung. Das Geheimnis des Daseins soll in den Hörern und Lesern geweckt werden. Aufgabe der Heideggerschen Philosophie ist es, praktisch in eine Stimmung zu bringen, die neben einem rein sachlichen auch ein existenzielles Verstehen erzeugt. Wenn die Welt im Dasein primär als Praxis, als sinnvoller Zusammenhang von Tätigkeiten begegnet, steht sie nicht mehr als Objekt einem sie anstarrenden Subjekt gegenüber. Die leiblichen Hantierungen sind es vielmehr, die die Welt für den Menschen konstruieren. 10 Gegenüber Husserls Präferierung der theoretischen, kontemplativ-reduzierenden Bezugnahme auf die Dinge, der gerade praktische Kontexte abstrahierend ausschließt, sucht Heidegger einen Zugang zu den Phänomenen, der sie aus dem alltäglichen Umgang mit den Sachen beschreibt, ohne von etwas abzusehen und die Umund Mitwelt als Störfaktoren auszuschließen. Heidegger nimmt so das Absehen von ihrer weltlichen Eingebettetheit zurück und zerstreut damit zugleich die Hinsicht als Gegenstück zur Abstraktion. So sind zum Beispiel die Skier aus dem Keller zunächst nicht Dinge von messbarer Größe und Schwere oder Beschaffenheit, sondern erinnern darüber hinaus zum Beispiel an die waghalsige Fahrt mit Hans, die viel Spaß gemacht hat, also eine Stimmung. Das Buch, das mir Gretel zum Geburtstag geschenkt hat, ist nicht nur ein spannender Wenderoman, sondern war zwar schwierig zu lesen, hat mich aber sehr aufgewühlt und angeregt, die eigene Geschichte zu erinnern. – Die Bedeutsamkeit der Dinge und der Welt ergibt sich aus dem Charakter dessen, wie uns diese Dinge im Leben begegnen, dem ›Begegnischarakter der Welt‹. 11 In den Funktionen, die den Sachen

Vgl. M. Heidegger, Metaphysische Anfangsgründe der Logik, GA 26, S. 176. Dieser Gedanke geht – wie Thomas Rentsch herausstreicht – auf das Vico-Axiom zurück, das besagt, dass der Mensch die Geschichte macht (lat. verum et factum convertuntur – Das Wahre und das Gemachte sind dasselbe). 11 Vgl. M. Heidegger, Metaphysische Anfangsgründe der Logik, GA 26. 9

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zugewiesen werden, sind diese Dinge uns für bestimmte praktische Handhabungen erschlossen. Sie sind zunächst also zuhanden, statt distanziert vor sich gehaltene Objekte und damit vorhanden. Einmal mehr wird deutlich, dass für Heidegger die Praxis ein Grundphänomen des Daseins ist, das dem theoretischen Blick oder Betrachten von Gegenständen vorgeordnet ist. In diese vortheoretische Haltung hineinzugelangen, ist Heideggers auch in den späteren Schriften kontinuierlich verfolgtes Ziel. Mit der vortheoretischen Inblicknahme der Phänomene muss auch eine vortheoretische Sprache als angemessenes Darstellungsinstrument koinzidieren. Nicht mehr die fein nuancierte Differenzsprache der Analyse, sondern das Gegenteil: Eine verdichtende, synthetisierende, zugleich vollzügliche Sprache muss gewonnen werden, um den Phänomenen zu ›ent-sprechen‹, sie von sich aus erscheinen zu lassen. Damit setzt er das in Sein und Zeit angekündigte Denkprojekt, nämlich die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten, in denkerischer Selbstverpflichtung fort, indem er für die Artikulation dieses Seinssinns eine entsprechende Sprache und damit eine Denkmöglichkeit sucht. Es muss eine vorwissenschaftliche, fertilere Sprache zum Einsatz gebracht werden. In dieser Verdichtung ist eine Vieldeutigkeit und Vielschichtigkeit von Konnotationen geborgen, die das wissenschaftliche Denken durch seine entdynamisierte Exaktheit, Verdauerungs-, Erstarrungsund Vereindeutigungstendenz gerade auszuschließen sucht. Aus der selbstkritischen Haltung ergibt sich für Heidegger im wörtlichen Sinne die ›Not-wendigkeit‹ einer ›Kehre im Denken‹, also eine Nötigung zur Wendung in Denken, Sprache und Tun. 12 Wie aus der vorhergehenden Analyse der Zeitlichkeit in Sein und Zeit bereits ersichtlich wurde, ändert sich auch die Darstellungsform grundlegend und Heidegger macht einen weiteren sprachreflexiven Schritt innerhalb seiner philosophischen Entwicklung. Wenn Denken, Sprache und Tun zusammenhängen, dann verlangt die veränderte Themenund Methodenwahl nicht nur nach einer veränderten Haltung, sondern – mit ihr – nach einer anderen als der metonymisch-zergliedernden, alle Phänomene extrinsisch betrachtenden Darstellungsform. 13 Sein und Zeit war der Versuch, metaphysisches Vorhandenheitsdenken als üblichen Modus des In-der-Welt-seins aufzuzeigen. Gleichzeitig wurde dieser Modus fundamentalontologisch unter12 13

Vgl. ebenda. Ebenda, S. 199 f.

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laufen, indem das Vorhandenheitsdenken als nur eine, nämlich tendenziell vergegenständlichende Seinsweise des Menschen herausgestellt wurde. Deren neuzeitliche Form versteht Heidegger als die konsequenteste Ausprägung metaphysischen, das heißt Bestände verdauernden und sichernden Denkens. Dass die vorhandenheitslogische Metaphysik dabei zu einer Ideologie des Exakten hybridisiert, zeigt sich in den Auswirkungen eines im Grunde technischen und nihilistischen Denkens. Dessen Analyse ist das zentrale Thema der späteren Schriften. In ihr vollendet sich für Heidegger das abendländische Denken überhaupt. In die Analyse eingeschlossen ist auch die Philosophie als Ausdruck und zugleich Möglichkeit der Überwindung dieser metaphysischen Praxisform. Das zeigt sich in der nun einsetzenden Differenzierung von Seinsvergessenheit und Seinsverlassenheit.

10.1. Seinsvergessenheit Für Heidegger bleibt das Sein als der eigentliche Gegenstand der Philosophie nach wie vor verdeckt durch die geschichtlich-philosophische Tradition und das Wesen des Seins selbst. Weil die geschichtlich-philosophische Tradition in ihrem Wesen metaphysisch ist und das Wesen der Wahrheit mehr verdeckt als entdeckt, nennt Heidegger diese Tradition auch ›seinsvergessen‹ bzw. ›seinsverlassen‹. 14 Da diese Seinsvergessenheit aber auf das Wesen des Seins selbst zurückgeht und sich insofern als Seinsverlassenheit darstellt, muss nach Heidegger die Aufgabe des ›denkenderen Denkens‹ darin liegen, in eine ›andere Herkunft‹ des Seins zu bringen, statt diese durch größere Anstrengungen zu bewerkstelligen. 15 Weil es ein Geschick des Seins selbst ist, dass sich das Sein des Menschen in seiner Verlassenheit zugleich als Metaphysik verhüllt, gilt es für Heidegger als das ›Notwendigste alles Notwendigen‹, das Denken als ›ein vom Sein selbst ereignetes und darum dem Sein (zuge)höriges Denken‹ zu verstehen. Insofern war Sein und Zeit nur der ›Vorname für die Wahrheit des Seins‹. 16 Die Daseinsanalyse war also nur die Benennung des Ortes und das Abstecken des Terrains, von wo aus die Suche nach dem 14 15 16

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M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 13. M. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, S. 15 ff. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 18.

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Seinsvergessenheit

Wesen des Daseins und dem Sinn von Sein erfolgversprechend gestartet werden kann, nicht aber der Fundort oder der Schatz selbst. Selbstkritisch schätzt Heidegger in seiner Einleitung zu Was ist Metaphysik? ein, dass die Fundamentalontologie in Sein und Zeit an der eigentlichen Fragestellung in ›nachtwandlerischer Sicherheit‹ vorbeiging, dass dieses verdunkelnde Selbstmissverständnis allerdings selbst Ausdruck ›unserer Verlassenheit vom Sein‹ sei. 17 Sie sei am Leitfaden des Warum, also kausaler Fragestellungen entlang vollzogen worden, was den rätselhaften Charakter des Seins nur verdeckt habe. Als Frage nach einem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang hat sie aber nur metonymische Redeweisen revitalisiert. Sie hat die Art des Fragens nicht transformiert. Nun gelte es aber nach Heidegger, den Übergang von der Metaphysik in das ›Denken an die Wahrheit des Seins‹ zu gewinnen und in die ›Nähe des Rätsels, das sich mit dem Sein des Seienden ereignet hat‹ zu kommen. 18 Gemeint ist damit, dass aus den bisherigen Sprachkonzepten ausgestiegen werden muss. Es soll eine Sprache gewonnen werden, deren innere Struktur einer anderen als der metonymischen Logik von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, Grund-Folge-Konstellationen oder raumzeitlicher Inhalt-Gefäß-Konzeptualität folgt. Im Rückgang zu Descartes und der ihn bestimmenden scholastischen Ontologie – gemeint ist vor allem Thomas von Aquin 19 – zeigt sich dann in Heideggers Texten nun auch deutlich, dass Sein und Dasein bisher noch nicht scharf genug getrennt waren. 20 Damit knüpft er an frühere Überlegungen an. Die Griechen – so schreibt Heidegger in seinen Kasseler Dilthey-Vorträgen bereits 1925 – haben das Sein zwar aus der Zeit interpretiert, aber dies war ein reduktives Seinsverständnis, denn es war das präsentische Zeitverständnis. Weil Sein nie nicht, sondern immer da ist, wurde das Sein als anwesendes Da verstanden. Zukunft und Vergangenheit, die existenzial mit in die Gegenwart hineinreichen, wurden dabei übersehen. Die griechische Seinslehre hat sich dann bis in die Gegenwart, bis zu Descartes und Husserl, hinübergerettet. Descartes versäumte zu fragen, welches eigentlich der Seinssinn des Ich-bin ist. Dieses Versäumnis hat sich

Ebenda, S. 22. Ebenda. 19 Vgl. M. Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, S. 109 ff. 20 M. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, S. 35 ff. 17 18

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nach Heidegger in die Phänomenologie fortgepflanzt. Auch Husserl hat die wesentliche Frage, nämlich die nach dem spezifischen Sein des Bewusstseins, nicht phänomengerecht gestellt. Seine Phänomenologie ist deshalb auch durch Geschichtslosigkeit und Geschichtsfeindlichkeit gekennzeichnet. Sie will zu den Sachen selbst kommen und bleibt dabei in der traditionellen metaphysischen Einstellung zu den Phänomenen hängen. Um diesen Fehler zu vermeiden, sieht es Heidegger als notwendig an, sich im Sinne von Dilthey und Yorck von Wartenburg innerhalb der Philosophie auf deren Geschichte zu besinnen und die metaphysischen Verdeckungen aufzuzeigen. Am Problem der Mannigfaltigkeit der Weisen des Daseins und der Einheit des Seinsbegriffs überhaupt nimmt Heidegger die als ontologische Differenz bekannte kategoriale Unterscheidung von Seiendem und Sein in den Schriften nach Sein und Zeit wieder auf. Heidegger schreibt der Philosophie beim Rückgang zu den metaphysischen Anfangsgründen eine besondere Aufgabe zu: nämlich in die Nähe des Seins zu bringen. Zwar wollen auch die Wissenschaften der Idee nach zu den wesentlichen Dingen in die Nähe kommen. Im Unterschied zu den Einzelwissenschaften, die exakt und positiv setzend sind, zielt Philosophie jedoch ihrem Inbegriff nach auf das Universale der Welt und das Letzte des Daseins ab, und zwar in ihrer Dimensionalität und nicht in ihrer faktischen Beschreibung des Gegebenen. Damit nimmt sie nicht nur die Dinge selbst, sondern die jeweiligen sinnkriterialen Voraussetzungen von Welt, Dasein und Seiendem in den Blick. 21 Das folgenschwere Missverständnis abendländischen Seinsverständnisses, einer an den exakten Wissenschaften orientierten Philosophie, besteht nun darin, dass das Ganze als Summe verschiedener Ding-Teile, damit im Kern metonymisch begriffen wird. Es bleibt damit – wie die exakten Wissenschaften selbst – im extrinsischen Vorhandenheitsdenken physisch präsenter Dingbeschreibungen eingeschlossen. Philosophie muss nach Heidegger aber über die einzelwissenschaftliche Beschreibung der Phänomene hinausgehen zum Grund des Seins und zur Wahrheit. Sie muss ihre eigenen Voraussetzungen hinterfragen und damit ihre metaphysische Einstellung. Sie darf nicht länger gemäß dem Physischen sein, sondern muss hinter bzw. über das Physische (hinaus)kommen. Damit sich der Mensch zu Seiendem überhaupt verhalten kann, muss es etwas geben, das nicht in 21

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Vgl. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 26.

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gleichem Sinne ist wie dieses als Faktum zu beschreibende Seiende. Das Sein muss logisch-apriorisch nämlich als immer schon verstanden vorausgesetzt werden vor aller positiven Erfahrung von Seiendem, da alles Seiende ja erst in seiner Homogenität und Heterogenität auf der Grundlage von Etwas unterschieden werden kann. Alles Verhalten zu Seiendem kann nur auf der Grundlage eines Seinsbezugs geschehen. Und dieser Seinsbezug hat eine andere Geschichte als das Verhalten zu Seiendem. Doch die so genannte Seinsgeschichte lässt sich nicht von einem gleich bleibenden Daseinsgrund her erfassen. Vielmehr muss sie als ein sich zugleich offenbarendes und verbergendes Geschehen verstanden werden. Es geht Heidegger bei seinem geschichtlichen Rückgang daher nicht nur um den Nachvollzug bestimmter metaphysischer Theorien seiner philosophischen Vorgänger. Es geht vielmehr primär um die Freilegung dessen, worin sich das metaphysische Denken hält und was es möglich macht. Die Schriften nach Sein und Zeit sind deshalb für Heidegger eine zwingende Notwendigkeit innerhalb seines für sich selbst wachen phänomenologischen Weiterdenkens. Die Kehre ist insofern keine Abkehrung, sondern eine verstärkte Hinwendung zu den Schaltstellen von Denken, Sprache und Handeln. Die stärkere Hinwendung geschieht jedoch nicht in absehender Abstraktion, sondern als zerstreuende Integration. Heidegger demonstriert, dass ein dekonstruktives Denken immer nur bestimmte Denkhorizonte freilegen kann, weil es selbst in ein bestimmtes kulturell-geschichtliches Möglichkeitsspektrum eingelassen ist. Weil es im Begriff des Horizontes selbst liegt, nicht alle Wahrheit zugleich offenbaren zu können, sondern selber geschichtlich zu sein, müssen die Abtragungen und Entbergungen schrittweise erfolgen. Anders kann man ihre Verkettungen nicht nachvollziehen. Entsprechend bestimmt Heidegger den Begriff der Wahrheit als ›Unverborgenheit‹. Er spannt damit ein konzeptuelles Anschauungsfeld auf, das bewusst die traditionelle Bestimmung der adäquatio rei et intellectus als metaphysische Unterbestimmung hinter sich lässt und die phänomenologische Methode des Von-sich-selbst-her-zeigens der Phänomene in den Vordergrund rückt. Von sich aus zeigt sich dann auch, dass im metaphysischen Modus das Sein in seiner Zeitlichkeit vergessen wird. Die Zeitlichkeit allen Seins und Daseins wird vergessen, weil es im Modus metonymischer Logik und damit atemporal vergegenständlichend verstanden wird. Wenn Philosophie mehr und anderes sein will als Metaphysik, Logik der Tropen

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muss sich die Herrschaft der metaphysischen Logik innerhalb der Philosophie auflösen bzw. diese als eine bestimmte Weise des Zugriffs auf Phänomene charakterisiert werden. Sie soll in ein ursprünglicheres Fragen hineingeholt und dort verortet werden. Dieses Fragen kann dann nicht mehr im Redemodus der Metonymie geschehen, sondern muss das Metonymische als Teil von sich enthalten, ohne selbst dessen Seinsart zu haben. Dieser Redemodus ist die Synekdoche. Sie integriert das metonymische Denkmodell in sich, ohne in ihm selbst aufzugehen. Vielmehr bildet sie den intrinsisch-praktischholistischen Denkmodus für eine extrinsisch-theoretisch-reduktive Matrix. Das Synekdochale bildet die verborgene verstehende und vollbringende Grundlage des Seinsbezugs, während das Metonymische als begreifende und bewirkende Oberfläche ins Sichtbare drängt. Die Synekdoche darf damit nicht mehr länger als ein Unterfall der Metonymie behandelt werden, wie die Substitutionstheorie behauptet. Vielmehr kann auf der Grundlage der Heideggerschen Texte gezeigt werden, dass sie die dem Sein entsprechendere tropisch-logische Redeweise ist. Wahrheit Heideggers Diagnose der Seinsvergessenheit des Menschen liefert damit unter der Hand auch die Begründung dafür, warum die bisherigen substitutionstheoretischen Taxonomien der Primärtropen an einer genauen Unterscheidung von Metonymie und Synekdoche gescheitert sind. Weil nämlich alle Phänomene, damit auch die Tropen der Sprache im Denk- und Redemodus der Metonymie, vorhandenheitslogisch als Teil-Teil-Relationen als Seiende nur metaphysisch aufgefasst werden, konnte ihre grundlegende präfigurierende Funktion innerhalb der Vororganisierung menschlicher Selbst- und Weltverhältnisse nicht als genuin eigenständige Denk- und Darstellungsform thematisch werden. Wo sich aber das Denken denkender zeigt und das Sein aus seiner Vorhandenheitslogik herausgeholt und in einen seinsgeschichtlichen Horizont verlagert wird, dort zeigt sich dieser Horizont selbst als ein Wahrheitsgeschehen in seiner zeitlichen Dynamik. Wie sehr auch der traditionelle Wahrheitsbegriff adäquatio rei et intellectus durch den Herausstieg aus dem traditionell kategorialen Denken an Wirkkraft und Bedeutung verliert, wird an Heideggers Kritik der metaphysischen Logik deutlich: Die abendländische Tradition bestimmt den Satz bzw. das Urteil als den eigentlichen Ort der 436

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Wahrheit. Das Wesen des Satzes ist es, etwas aufzuzeigen (gr. ἀποφαίνεσθαι), und zwar als Aussage. Deshalb wird Aussage als Prädikation gefasst, das heißt als Aussage eines Prädikats von einem Subjekt. Das Subjekt gibt eine Bestimmung von etwas ab. Es bestimmt etwas. Dabei teilt es (anderen) etwas mit. Diese drei Bestimmungen der traditionellen Logik verengen nach Heidegger jedoch den ursprünglichen Wortsinn von ἀποφαίνεσθαι. Sie gehen für ihn nicht mehr von der Tätigkeit des Ent- und Aufdeckens aus, sondern von dessen Ergebnis, dem Ent- bzw. Aufgedeckten. Das kommt aber nach Heidegger der Verlagerung von einem dynamischen Prozess hin zum Ergebnis (oder Produkt) des Prozesses gleich. Damit beschreiben sie jedoch das Phänomen nicht phänomengerecht, sondern metonymisch, indem sie das Ergebnis/Produkt für den Prozess selbst nehmen. Nicht der Satz oder das Urteil sind aber der eigentliche Ort der Wahrheit, sondern umgekehrt: die Wahrheit ist der Ort des Satzes, so Heideggers Umkehrung. Im Entbergen von Zusammenhängen entstehen erst satzförmige Urteile. Die Engführung des Synekdochischen auf Metonymisches verwechselt die Seinsweise der Phänomene auf folgenreiche Weise. Sie stellt sie fest, verdauert und verstetigt sie zu quasigegenständlichen Entitäten. Heidegger fasst Wahrheit nun angemessener als ein Geschehen auf und nicht als einen operationalisierbaren Endzustand oder als Produkt eines Prozesses. 22 Die gesamte logische Tradition, so der Schluss Heideggers, ist nicht an der Tätigkeit des Urteilens als praktischem Vollzug und schon gar nicht an einem Wahrheitsgeschehen interessiert, sondern an den bereits vergegenständlichten Ergebnissen, die als Urteilssätze operationalisierbar sind. 23 Sie hat damit die Dimension des existenzialen Tuns längst verlassen. Wahrheit ist damit zu (situationsinvarianten, ewigen) Aussagen über etwas geronnen. Damit hat sie immer schon die Ebene existenzialer Vollzüglichkeit verlassen und befindet sich in Objekt-Objekt-Relationen. Als solche werden sie im logischen Tropus der Metonymie ausgedrückt und erscheinen in deren vielfältigen Darstellungsformen. Die Praxis des Urteilens selbst und gar die Behauptung eines WahrheitsgescheVgl. M. Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21, S. 134 ff. Dieses Rechnen als Verbinden und Trennen von Sätzen kann zwar das Wahr- oder Falschsein aufzeigen, aber »am Ende«, so Heidegger, »ist dieses Schema zu glatt, um die phänomenalen Zusammenhänge zu treffen«, da es auch verneinende Aussagen gibt, die wahr sind (entdeckend), und bejahende, die verdecken. M. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, S. 304 ff.

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hens müssen aus einer solchen Perspektive wie wankelmütige Relativismen erscheinen. Wenn Heidegger nun Wahrheit radikal geschichtlich und damit als Geschehen zu fassen sucht, so muss er die traditionelle Annahme von der ›Ewigkeit der Wahrheit‹ – wie sie sich aus der analytischen Logik als tautologischem Gleichungs-System ergibt – aufgeben. 24 Weil Wahrheit an das Dasein und dieses an ein wahrheitsentbergendes Seinsgeschehen gebunden ist, muss der Wahrheitsbegriff, den Heidegger veranschlagt, die gleiche zeitliche Dimension aufweisen, die auch das Dasein in seiner Sorgestruktur in sich trägt. Aus ontologischer Sicht kann es damit weder eine subjektive noch eine vorhandene noch eine überzeitliche Bestimmung der Wahrheit geben, da es nur so lange Wahrheit gibt, wie Dasein existiert. Um die metaphysischen Tendenzen innerhalb der Philosophie als vergegenständlichender Logik überwinden zu können, gilt es deshalb, danach zu fragen, was Metaphysik überhaupt ist. Heideggers etymologische Bestimmung von Wahrheit als ›Enthüllen des Verborgenen‹ (gr. ἀληθεύειν, aletheuein) lässt es nun zu, Wahrheit als ›Zueignung der entdeckten Bestimmungen zum Seienden, so wie es an sich ist‹ aufzufassen. 25 Als Zueignung drückt sie nicht den Zustand der Zugeeignetheit, sondern den Prozess des Zueignens, also ein vollzügliches Insverhältnissetzen, aus. Als dynamischer Prozess entgeht dieser Begriff der Wahrheit dann auch aller naiven Abbildhaftigkeit von Gegenstand und Erkenntnisform. Die metaphysische Tradition denkt das Sein als Seiendes. Sie stellt es sich vor in einem bestimmten Licht 26 des Seins. 27 Allerdings wird das Seiende in solcherlei Vorstellungen immer nur in einer Hinsicht, nämlich mal als Geist, mal als Stoff, mal als Kraft, mal als Werden und mal als Leben, mal als Vorstellung, mal als Wille, mal als Substanz, mal als Subjekt, mal als Energeia, mal als Wiederkehr des Gleichen begriffen. In all diesen Bestimmungen von Seiendem hat sich zwar Sein ›gelichtet‹. Das heißt, es ist etwas an diesem Seienden sichtbar geworden, was vorher unsichtbar bzw. verborgen war. Aber sein Grund blieb verhüllt. Das Sein dieses Seienden, sein entbergen-

Vgl. ebenda, S. 316. Vgl. M. Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21, S. 197 ff.; sowie ders., Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, S. 416 ff. 26 In der 5. Auflage 1949 heißt es bei Martin Heidegger dann ›Lichtung‹. 27 M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 7. 24 25

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des Wesen blieb unhinterfragt. Damit wurde nach Heidegger das Sein in seiner entbergenden Funktion nicht genügend bedacht. Sie ist aus der Wahrheit des Seins her zu verstehen: »Die Wahrheit des Seins kann deshalb der Grund heißen, in dem die Metaphysik als die Wurzel des Baumes der Philosophie gehalten, aus dem sie genährt wird.« 28 Doch – so Heidegger im Bild bleibend – so wie der Baum der Philosophie dem Wurzelboden der Metaphysik entwächst, ›versammelt‹ sich auch die Philosophie nicht auf ihren Grund, sondern verlässt ihn stets durch die Metaphysik. 29 Damit reicht sie zwar noch in den Grund der Metaphysik zurück. Dieser Grund, das Wesen, der Metaphysik ist dann aber etwas anderes als die Metaphysik selbst, die aus diesem Grund hervorgeht. Und ebenso ist das Wesen des Seienden nichts Seiendes. Heidegger ersetzt also nicht einfach das Gesamt von Seiendem durch den Begriff des Seins, sondern lässt alles Seiende im Sein gründen. Das Sein integriert dann alles Seiende in sich, ohne selbst ein Teil davon zu sein, da es von anderer Wesensart ist als alles Seiende. Wenn aber alles Seiende im Redemodus des Metonymischen als Metaphysik präfiguriert ist, so wird das Sein nicht selbst auch im Metonymischen und Metaphysischen zu suchen sein. Das Sein verbleibt nicht im Modus des Kategorialen, Präsentischen und Vorhandenheitslogischen, sondern muss sich davon grundlegend unterscheiden. Insofern darf es sich auch nicht vom Seienden her, etwa als animal rationale, sondern aus seinem Seinsbezug her verstehen. Weil dieser Seinsbezug aber metaphysisch verdeckt ist, gilt es zuvor, eine andere Sprache und einen anderen Zugang zum Sein zu finden. Die Baumwurzelanalogie soll deutlich machen, dass die Sprache der Metaphysik nur das Naheliegende, das Präsentische und Anwesende erfasst. Als metonymische Vorhandenheitsontologie legt sie das Sein fälschlicherweise als Seiendes aus. Sie versteht damit auch das menschliche Dasein auf nur reduktive, seiende Weise, nämlich als in der Zeit Vorhandenes ohne eigene innere Zeitlichkeit und Prozessualität. Sie stellt damit den Menschen auf die Beschreibung anthropologischer Eigenschaften ab. Auf diese Weise bleibt ihr eigener Grund verborgen. So wie bei der Baumwurzel, die den Baum nährt, die Wurzeln im Nährboden verborgen sind und der Boden als selbstverständlich vorausgesetzt wird, so wird auch das Wesentliche an der 28 29

Ebenda, S. 8. Ebenda.

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Wahrheit des Seins meist übersehen, wenn es nicht selbst als zeitliches Geschehen aufgefasst wird – und sich zugleich von sich her zeigt. Das Sein ist von anderer Wesensart als Seiendes und als das Dasein selbst, obwohl das Dasein zum Sein ein spezielles Verhältnis hat. Nur deshalb ist der Sinn des Seins auch nicht das Dasein. Wäre dies nämlich der Fall, dann hieße das, dass der Sinn des Nährbodens der Baum wäre. Aber dass der Baum im Nährboden ›gründet‹ und ›wurzelt‹, ist nicht der Sinn des Nährbodens. Vielmehr nährt der Nährboden nicht nur Bäume. Der Nährboden nährt – und mehr ist dazu nicht zu sagen. Er geht also nicht im Baum als seinem Sinn auf. Ebenso genügt sich das Sein selbst, indem es zeitlich ist bzw. ›sich gibt‹ im Sinne eines Sichverschenkens wie der Nährboden. Da sich das Sein permanent verschenkt oder ›gibt‹ ; dieses aber in der Zeit geschieht, so ist der Sinn des Seins sozusagen ein zeitliches Sichgeben, ein Zeitigen. Zeitigen unterscheidet sich wesentlich von einem als Seiendes begriffenen Seins, das bloß vorhanden ist. Es unterscheidet sich radikal vom kategorienbildenden Uneigentlichkeits- und Vorhandenenheitsdenken des alltäglichen In-der-Welt-seins. Sein, als Zeit verstanden, verströmt sich. Und nur das Dasein in seiner aus seiner Endlichkeit erwachsenen Sorgestruktur macht es atemporal und dingfest, stellt es in die Präsenz und bindet es als Anwesendsein fest, um es in der Form des Seienden zu bewältigen. Zeit und Sein Wenn Heidegger das Sein als radikales Zeitwort neu und alternativ zu jeglicher metaphysischen Auffassung vom Seienden als Grundlage des Wahrheitsgeschehens instantiiert, dann muss damit einhergehend auch eine radikalere Einstellung und neue Zugangsart zum Sein gefunden werden. Diese muss dem zeitlich Prozessualen, also dem Dynamischen und Möglichen des Wahrheitsgeschehens in angemessener Form Rechnung tragen. Dazu bedarf es nicht einer größeren Anstrengung innerhalb desselben traditionellen, logischen Paradigmas metonymischer Denkweise, sondern der phänomenologischen Offenheit für eine ursprünglichere Herkunft des Denkens aus dem Wahrheitsund Seinsgeschehen selbst. Deswegen hilft zum Beispiel irgendeine Renaissance des vorsokratischen Denkens in dieser Sache auch nicht weiter. Wenn Heidegger sagt, dass er griechischer denken will als die Griechen, dann will er nicht deren Vorhandenheitsdenken revitalisieren, sondern die Weichenstellung in der Antike markieren, die es zu 440

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Seinsvergessenheit

überwinden gilt. 30 Als ›Andenken an das Sein selbst‹ ist das denkendere Denken nun umgekehrtermaßen ein ›Achten auf die Ankunft des noch ungesagten Wesens der Unverborgenheit, als welche das Sein sich angekündigt hat‹. 31 Versuchte alle bisherige Metaphysiktradition ihren Gegenstand scharf beobachtend, begriffsanalytisch und phänomenal sezierend verfügbar zu machen, um gewissermaßen hinter die Ordnung der Dinge und Sprache zu kommen und diese dann zu beherrschen, so geht es nun nicht mehr um Observation, Analyse, Verfügbarmachung und Beherrschung des Seienden. Dem Sein muss anders begegnet werden, wenn man seiner als Phänomen gewahr werden will. Zunächst kann man nicht einfach darauf zugreifen, da es sich zumeist verbirgt. Und es zeigt sich nur dem, der offen dafür ist. Andenken kann daher auch nicht angestrengtes Nachdenken bedeuten, sondern ist eher eine Form von Besonnenheit und Wachsein für das wesentlich ›ganz Andere‹. Verlangt ist demzufolge eine weniger herausfordernde als eine andenkend offene Haltung. Der Appell an ein Achten auf die Wahrheit, ein Sichoffenhalten bzw. Wachsamsein impliziert allerdings, dass sich im metaphysischen Zugriff die Wahrheit nur zum Teil enthüllt. Das Wesen der Wahrheit bzw. die volle Wahrheit wird also im Modus einer physisch-gegenständlich gedachten Kontiguität, die das durchschnittliche, auch durchschnittlich wissenschaftliche Leben bestimmt, verfehlt. 32 Gleichwohl kündigt sich das Wesen der Wahrheit auch im Modus der Wissenschaft an, nämlich dort, wo diese ihre Grundlagen immer wieder reflektiert und sich durchsichtig macht, das heißt für sich und ihr Projekt wachsam bleibt. Das ist sie zumeist dort, wo ihre Abläufe gestört sind, wo Orientierungen infrage stehen, wo es eine Krise als Chance zu bewältigen gilt. In einer solchen historischen Si-

Ebenda, S. 13. Heidegger hatte sich bereits in Sein und Zeit auf den Weg gemacht, die Überwindung der Metaphysik vorzubereiten, und stellt so die Kontinuität seines eigenen Denkens noch einmal heraus. Die Kehre ist insofern auch als eine selbstkritische Analyse von Perspektive und Darstellungsform zu lesen. Im Andenken an das Sein selbst zeigt sich ihm nun das Ziel seiner Seinsanalyse genauer. 31 Ebenda, S. 11. 32 Vgl. F.-W. von Herrmann, Wahrheit, Freiheit, Geschichte. Eine systematische Untersuchung zu Heideggers Schrift ›Vom Wesen der Wahrheit‹, Frankfurt am Main 2002; siehe auch: E. Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, Berlin, 1984. 30

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tuation glaubt sich Heidegger zu befinden. Sie kündigt sich in der Krise der Wissenschaften und des abendländischen Denkens, aber auch und vor allem im technischen Wesen des alles verrechnenden und damit im Wesen technischen Denkens an. Das technische Denken hat nach Heidegger jedoch seine Orientierung verloren. Es ist letzten Endes nicht Verbesserung, Bewahrung und Erhalt des Seins und damit des Daseins, sondern in seiner Quintessenz zerstörerisch. Dieser Tendenz ist es sich selbst jedoch nicht gewahr. Weil sich in der Technik als Bewirkbar- und Verfügbarmachung alles natürlichen und geschichtlichen Seins das abendländische Denken überhaupt und mit ihm die Philosophie als Metaphysik seinsgeschichtlich vollendet, wird die Analyse der neuzeitlichen Technik das zentrale Thema des späteren Heideggers. Ein dominant metaphysisches Denken, also ein Denken, das auf Vergegenständlichung aller Lebensbereiche und letztlich des Seins wie der Zeit insgesamt seine Erfüllung sucht, ist deshalb sowohl seinsvergessen als auch seinsverlassen.

10.2. Seinsverlassenheit Die seinsvergessene Tradition des abendländischen Denkens fängt nach Heidegger in der griechischen Antike an. Indem die antiken Griechen das Sein als gegenwärtig vorfindlich, damit als anwesend begreifen, geben auch sie ihm eine bestimmte zeitliche Struktur. Sein vordergründig einseitig aus seinem Anwesenheitscharakter zu verstehen, verweist zugleich auf die denkbare Möglichkeit, auch andere zeitliche Seinsweisen anzunehmen, denn die Reduktion von Sein auf Anwesendsein ist nur eine zeitliche Variante, wie Sein sich zeigen kann. Anwesendsein reduziert die Wahrheit des Seins auf ein zeitlich wie räumlich vorstellbares Seiendes. Die Zeit wird damit festgestellt und finitisiert. Sie wird nicht mehr aus einem Werden und Vergehen, Fließen oder dynamischen Prozess, sondern aus dem bzw. vom DaSein begriffen, gleichbedeutend mit anwesend und vorhanden sein. Mit Vorhandenem, Anwesendem, kann man umgehen wie mit Gegenständlichem. Man kann es zum Beispiel beschreiben, abmalen, in Eigenschaften zergliedern, damit hantieren, sich vorstellen usw. Auch die Zeit selbst wird in diesem Anwesenheitsmodus von der Antike bis heute derart vorhanden und irgendwie vergegenständlicht und gegenwärtig gedacht, nämlich als linear ablaufend, einteilbar, fließend 442

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usw. Was aber ›anwesend sein‹ bedeutet, bleibt in der abendländischen Philosophie bislang noch diffus und unverstanden. Heidegger versucht nun, dieses Desiderat aufzuzeigen und nachzureichen, indem er in seiner Metaphysikkritik nicht nur die Diagnose des antiken Anwesendsein-Gedankens stellt, sondern darüber hinaus eine Alternative anbietet. Sein und Wahrheit sollen als bewegter und zeitlich dynamischer gedacht werden. Die Titel ›Wahrheit des Seins‹ und ›Sinn des Seins‹ bestimmt Heidegger dabei als ›das Selbe‹. Sie sind insofern ›das Selbe‹, als sie unterschiedliche Dimensionen ein und derselben Phänomenerfassung darstellen, die sich wechselseitig bedingen. Sinn und Wahrheit sind in gewisser Weise an einen bestimmten kulturell-historischen Horizont gebunden, in dem sich etwas als etwas zeigt oder erweist. Indem die Zeit diesen Horizont freigibt, eröffnet sie damit Möglichkeiten von Sinn- und Wahrheitsdimensionen. Insofern reicht das Seinsverständnis einer jeweiligen Epoche auch nur so weit, wie deren Zeitverständnis reicht. Wer daher – wie die antiken Griechen – alles aus dem Präsentisch-Anwesenden versteht, der wird in keinen anderen Horizont des Seinsverständnisses gelangen können als eben diesen des Gegenwärtigens, des Hineinziehens aller möglichen Zeitvorstellungen in die eigene Gegenwart, in das eigene Da oder Anwesendsein des Daseins. Um einen Ausbruch aus diesem dominanten Anwesenheits- und gegenständlichen Vorstellungsdenken zu bewerkstelligen, muss man nach Heidegger weiter(zurück)denken als die Griechen. Man darf die Zeit nicht aus einem bestimmten und daher kulturell-historisch eingeschränkten Seinsverständnis herleiten, sondern muss das Sein aus der Zeit ›geboren‹ verstehen. Das Sein ist sozusagen ein Derivat der Zeit. Die Zeit der Griechen zeigt sich nur als präsentische. Heideggers Thema der ›Kehre‹ ist die Ergründung des aus der Zeit geborenen Seins und seiner zeitlichen Geschichte, die so genannte ›Seinsgeschichte‹. Es reicht also nicht, nur den Kern des metaphysischen Seinsdenkens als Zeitproblem zu markieren, sondern aus ihm herauszugelangen. Ursprüngliches seinsangemessenes nichtmetaphysisches Denken ist dann nicht mehr in den Kategorien Philosophie oder Religion zu verorten. Beide stellen aus dieser Warte nur verengende (Da) Seinstendenzen dar, die selbst als bestimmte elaborierte Praxisformen aus dem Seinsdenken hervorgegangen sind. Das Sein zu denken heißt nämlich, seiner sowohl in seiner Anwesenheit als auch in seiner Abwesenheit, als Offenbarung und als Sichentziehen gewahr zu werden. Heideggers späte Philosophie wird diesem Aspekt noch besser geLogik der Tropen

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recht. Es ist daher falsch, das späte Seinsdenken Heideggers als einen Rückfall in die Theologie zu charakterisieren. Sein meint nicht Gott. Es meint ebenso wenig Natur oder Geschichte. Vielmehr fasst das ursprüngliche Denken philosophische und religiöse Tendenzen in sich, da diese aus ihm hervorgegangen sein müssen. Ursprüngliches Denken ist umfassender als beide und auf keines von beiden zu reduzieren. Wenn von Danken, Andenken, Offenbarung, Verbergung und der Frömmigkeit des Denkens geredet wird, dann ist das eine Reminiszenz und Aufnahme religiöser Aspekte in das eigene Denken. Hier hat Heidegger längst schon die integrative Logik synekdochalen Redens bemüht. Er fällt nicht in religiöse Anschauungen zurück, sondern integriert diese in a-religiöser Manier in sein anti-metaphysisches Denkprojekt. Weil nun aber das Wesen des Seins, die Zeit, nichts nur Anwesendes ist, darf Zeit auch nicht nur aus der präsentisch verobjektivierenden Denkungsart der Griechen verstanden werden. Das hat die Konsequenz, dass das ganz andere Wesen der Zeit mit dem Zeitbegriff der Metaphysik nicht zu denken ist. 33 Um das Wesen der Zeit erfassen zu können, ist das gegenständliche Vorstellen als dominante Vollzugsweise des Anwesenheitsdenkens in Bezug zur Wahrheit des Seins daher zu destruieren. Die Wahrheit des Seins ist vom gegenständlich-vorstellenden (Be)denken der abendländischen Metaphysik zu befreien. Um dem vollen Begriff des zeitlichen Seins seine ursprüngliche Ganzheit zurückzugeben, muss es auch von seinem vollen, vierdimensionalen Begriff der Zeit her verstanden werden. 34 Mit der traditionellen Denkart der Philosophie ist für Heidegger ein nicht-metaphysischer Zugang zum faktischen Leben verbaut. Diese Verbauung soll aufgebrochen werden, damit ein neues, anfänglicheres Zeit- und Seinsdenken möglich wird. Phänomenologie heißt für Heidegger in diesem Zusammenhang, die Sachverhalte und Zusammenhänge derart thematisieren, wie sie dem Menschen vor aller metaphysischen, dann auch theoretischen und erkenntnistheoretischen Klassifizierung innerhalb der Philosophie begegnen. Das ontologische Projekt wird von Heidegger also nicht als erkenntnistheoretisches, sondern als ein logisches anvisiert, das den Begriff λόγος M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 19. Ebenda, S. 19: »Zeit ist offenbar noch ganz anderen Wesens (Zeit ist vierdimensional: Die erste, alles versammelnde Dimension ist die Nähe).« (Kursivierung Heidegger)

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(logos) voll ausspielt. 35 Heidegger reflektiert die jeweiligen faktischgeschichtlichen Selbstverständnisse von Hermeneutik, Phänomenologie, Kulturphilosophie, Neukantianismus, Lebensphilosophie und Ontologie, aber auch der philosophischen Tradition des Abendlandes insgesamt in ihren eigenen Voraussetzungen nun noch stärker als bisher. Damit werden die Bedingungen der Möglichkeit der Philosophie als Praxisform Gegenstand einer umfassenden metaphysikentzogenen seinsgeschichtlichen und gleichwohl existenzialphilosophischen Reflexion. Die eigene Geschichtlichkeit, Zeitlichkeit und Handlungssituiertheit der Philosophie avanciert zu einem eigenen Topos innerhalb der abendländischen Seinsgeschichte. Damit ist die Auseinandersetzung mit der traditionellen Metaphysik in gewisser Weise die Fortsetzung der in Sein und Zeit angefangenen Destruktion der Geschichte der Ontologie, mit der wesentlichen Veränderung, dass das Fundament der Zeitlichkeit (Endlichkeit), auf dem die Ontologie rekonstruiert werden sollte, mehr und mehr erschüttert wird. 36 Insgesamt kann die Arbeit nach Sein und Zeit somit als konsequente Vertiefung der dort begonnenen Analyse des Seins verstanden werden. Es geht um nichts weniger als um die Loslösung von Ontotheologie und Fundamentalontologie, wie Heidegger sie vermeintlich als letztes Ziel seines Denkens angestrebt hat. 37 Heideggers ›denkenderes Denken‹ muss von daher nun auch ein anfänglicheres Denken sein als das der Griechen. Es sucht seinen Pfad über ein ursprünglicheres Verständnis der Zeit und damit der Wahrheit des Seins, weil die herkömmlichen metaphysischen Mittel der metonymisch-zergliedernden Begriffsanalyse für diese Aufgabe versagen. Die Zeit ist eben ganz anderen Wesens, als dass sie mit den Mitteln metonymischen Sprachdenkens überhaupt erfasst werden könnte. Weil diese metaphysische Begrenztheit nicht vom Menschen allein, sondern vom Seins- und Zeitverständnis selbst herrührt, nennt Heidegger sie auch ›Seinsverlassenheit‹. 38 Ein solches antonoHeidegger versteht unter λόγος (logos) immer die semantische Dreieinigkeit von Denken, Sprache und Sammlung. 36 C. Stahlhut, Sprache und Ethos, Heideggers Wege zu einer wahrhaften Sprache, Münster 1986, S. 195. 37 Zum Verhältnis von Fundamentalontologie und Fundamentaltheologie siehe auch: E. Kettering, Fundamentalontologie und Fundamentaltheologie, in: Martin Heidegger. Innen- und Außenansichten; hrsg. vom Forum für Philosophie Bad Homburg, Frankfurt am Main 1989, S. 201–214. 38 M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 20. 35

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masisches Verständnis des Seins und der Zeit entbindet den Menschen allerdings nicht von seiner Verantwortung. Vielmehr wird in eine wechselseitige phänomenologische Perspektive überführt, bei der sich der Mensch zurücknimmt und die Phänomene – hier das Sein – selbst hervortreten. Seinsvergessenheit und Seinsverlassenheit bedingen sich: Das Dasein hat das Sein in seiner zeitlichen Reichweite vergessen, und es ist zugleich vom Sein verlassen bzw. der Mensch hat seinen ursprünglichen Seinsbezug verloren, weil ihm kulturell-historisch nur bedingte Denk- und Sprach-Mittel zur Verfügung gestellt sind. Es ist also nicht dem Dasein anzulasten, dass es sich selbst metaphysisch – und damit im tiefensprachlichen Denkmodus der Metonymie selbst zunächst und zumeist vergegenständlichend – versteht und damit seinen Daseinscharakter nicht voll in den Blick nimmt. Die Metaphysik ist als Metaphysik schließlich von der Erfahrung des Seins durch ihr eigenes Wesen ausgeschlossen, da sie das Seiende stets nur in dem vorstellt, was sich als Seiendes schon von diesem her gezeigt hat. Aber die Metaphysik mit ihrem metonymischen Charakter achtet in der Regel nicht darauf, was im Unverborgenen bereits verborgen liegt und dazugehört, sondern schaut sozusagen immer nur auf die ›Oberfläche des Seienden‹. 39 Heidegger beschreibt dies in seiner Einleitung. Der Rückgang in die Metaphysik von 1943 so: »Die Metaphysik sagt, was das Seiende ist. Sie enthält einen λόγος (Aussage) über das ὄν (das Seiende). Der spätere Titel ›Ontologie‹ kennzeichnet ihr Wesen, gesetzt freilich, daß wir ihn nach seinem eigentlichen Gehalt und nicht in der schulmäßigen Verengung auffassen. Die Metaphysik bewegt sich im Bereich des ὄν η ὄν. Ihr Vorstellen gilt dem Seienden als dem Seienden. In solcher Weise stellt die Metaphysik überhall das Seiende als solches im Ganzen, die Seiendheit des Seienden vor (die οὐσία des ὄν). Aber die Metaphysik stellt die Seiendheit des Seienden in zwiefacher Weise vor: einmal das Ganze des Seienden als solchen im Sinne seiner allgemeinsten Züge (ὄν καθόλου, κοινόν); zugleich aber das Ganze des Seienden als solchen im Sinne des höchsten und darum göttlichen Seienden (ὄν καθόλου, ἀκρότατον, θεῖον) […]. Die Metaphysik ist in sich, und zwar weil sie das Seiende als das Seiende zur Vorstellung bringt, zwiefach-einig die Wahrheit des Seienden im Allgemeinen und Höchsten. Sie ist ihrem Wesen nach zugleich Ontologie im engeren Sinne und Theologie.« 40

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Ebenda, S. 21 f. Ebenda, S. 20 f.

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Seinsverlassenheit

Heidegger ist überzeugt, dass das ›onto-theologische Wesen‹ der eigentlichen Philosophie in der Art begründet sein muss, wie sich ihr das ὄν ›ins Offene bringt‹. 41 Das hat für Heidegger aber nichts mit der späteren kirchlichen Theologie des Christentums zu tun. Vielmehr gibt diese Art der Unverborgenheit des Seienden erst die Möglichkeit dafür frei, dass sich die christliche Theologie der griechischen Philosophie bemächtigt und ihre Schau ins Metaphysische zieht. Der Grund und die Herkunft der Zwiegespaltenheit der Wahrheit des Seins bleibt der Metaphysik selber allerdings verschlossen, weil sie aus ihrer Perspektive nicht heraus kann. Heidegger entwirft sich in Sein und Zeit noch als der große Aufschließer bzw. Entschlüsseler dieses ontologischen Rätsels. Aus der Metaphysik heraus sucht er einen Weg über die Fundamentalontologie zu einem ursprünglicheren Verständnis von Sein. Doch, so schätzt er 1943 selbstkritisch ein, der Titel ›Fundamentalontologie‹ erweist sich als misslich, da er zwar nicht falsch ist, aber doch in die Irre führt: »Solange dieses Denken sich selber noch als Fundamentalontologie bezeichnet, stellt es sich mit dieser Benennung selbst in den eigenen Weg und verdunkelt diesen. Der Titel ›Fundamentalontologie‹ legt nämlich nahe, das Denken, das die Wahrheit des Seins zu denken versucht und nicht wie alle Ontologie die Wahrheit des Seienden, sei als Fundamentalontologie selbst noch eine bestimmte Art von Ontologie.« 42

Gegen diese Subsumierung möchte sich Heidegger nun stärker als bisher absetzen. Heideggers Denken an die Wahrheit des Seins soll nun ein Rückgang zum Grund in die Metaphysik sein. Es hat schon die Ontologie – jedenfalls mit einem ersten Schritt – verlassen. Hingegen bleibt alle Philosophie, die sich im mittelbaren oder unmittelbaren Vorstellen der Transzendenz bewegt, für Heidegger notwendig Ontologie und damit Metaphysik. Heidegger versteht sich selbst also nicht mehr als Ontologe, sondern als jemand, der das bisherige metaphysische Ontologie-Betreiben hinter sich gelassen hat. Damit grenzt sich Heideggers Begriff von ›Sein‹ vom metaphysischen Begriff des ›Seins‹ der Scholastik und der neueren Philosophie dezidiert ab.43 Inwiefern er das auch in seiner Darstellungsform erreicht, ist aus dem Bisherigen nicht recht abzusehen, da sich die Texte vor allem Ebenda. Vgl. hierzu auch Martin Heideggers 1957 erschienenen Aufsatz Die ontotheologische Verfassung der Metaphysik, GA 11. 42 Vgl. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 22. 43 M. Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, S. 15 und S. 252 ff. 41

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programmatisch äußern. Sie haben vorbereitenden, hinführenden Charakter. Wenig wird analysiert oder erläutert. Insofern gilt hier, was Heidegger generell für derartige überwindende Übergänge im Nachwort zu Was ist Metaphysik? geschrieben hat: »Die Frage ›Wa s ist Metaphysik?‹ fragt über die Metaphysik hinaus. Sie entspringt einem Denken, das schon in die Überwindung der Metaphysik eingegangen ist. Zum Wesen solcher Übergänge gehört es, daß sie in gewissen Grenzen noch die Sprache dessen sprechen müssen, was sie überwinden helfen.« 44

Das Nichts und die Angst Ausgangslage der Analyse des Nichts ist für Heidegger zunächst das metaphysische ›Wesen der Wissenschaften‹, das er – ob Natur- oder Geisteswissenschaften – als ein bestimmtes und ausgezeichnetes ›Indie-Nähe-kommen zum Wesentlichen aller Dinge‹ bezeichnet. 45 Der Mensch spricht in den Wissenschaften nicht eigentlich über das Dasein als Ganzes oder Existenziales, sondern stets über Seiendes. Er spricht nicht über sich selbst, sondern immer über etwas anderes, etwa Eigenschaften und insofern Seiendes an ihm. Da also die Wissenschaften immer nur Seiendes besprechen, damit aber immer vor sich selbst ausweichen, interessiert Heidegger gerade das, worüber sie nicht sprechen. Und das ist das Nichts. Es ist sozusagen das Abwesende als Kontrastfolie zum Anwesenden. Damit hat er nicht nur deren vergegenständlichende Metaphysik – zumindest von der Intention her – hinter sich gelassen, sondern auch einen genuin philosophischen Gegenstand zurückgewonnen. Philosophie ist für Heidegger Wissenschaft von diesem Sein, sie ist Ontologie – aber in einem tieferen, umfassenderen Sinne. 46 Sie ist nicht nur Denken von etwas (Seiendem), das es gibt, sondern zugleich von nichts, dem Nichts (Nicht-Seiendem), mit dem sich die Wissenschaften nicht beschäftigen. Das Nichts ist keine bloß logische Negativierung des Seienden, sondern die Verneinung der Allheit des Seienden insgesamt. Unter der Maßgabe des Hineinholens des Nichts in M. Heidegger, Nachwort. Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 46 (Hervorhebung Heidegger). 45 Er kennzeichnet das wissenschaftliche Tun als eine Art Dreifaltigkeit eines einzigen Handelns, als bestimmten Weltbezug, bestimmte Haltung und einen bestimmten Einbruch. Das Bestimmte, worum es in dieser wissenschaftlichen Dreifaltigkeit geht, ist immer das Seiende – und sonst bzw. darüber hinaus weiter nichts. 46 M. Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, S. 15. 44

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die Philosophie als Existenzialontologie ist Da-sein – auch philosophisches Dasein – dann: ›Hineingehaltensein in das Nichts‹. 47 Mit dem Gegenstand hat die Philosophie somit zugleich auch ihren ursprünglichen Ort und ihre Fragehaltung zurückerobert. Mit den Überlegungen zum Nichts knüpft Heidegger an seine frühen Qualifizierungsarbeiten an – ein weiteres Indiz dafür, dass Heideggers so genannte Kehre thematische Kontinuität bei gleichzeitiger Veränderung der methodischen Perspektive und Darstellungsform beinhaltet. Doch was gibt es über das Nichts in der Wissenschaft für Heidegger zu sagen? – Auffällig ist zunächst, dass die Wissenschaft das Nichts eigentlich preisgibt und ablehnt: Sie bezeichnet es als das ›Nichtige‹, das also, was nicht von Interesse ist. Sie will vom ›Nichts nichts wissen‹, wie Heidegger es formuliert. 48 Unter anderem aus diesem Grunde meint Heidegger später, dass die Wissenschaft nicht denke. 49 Doch wenn man das Wesen der Wissenschaft aussprechen will, dann muss man dieses Nichts in den Blick nehmen, weil es das ist, wovon sich die Wissenschaft absetzt und damit zugleich auf dieses verweist. Erst in der Bestimmung ihrer Grenzen ist ein vollständiges und umfassendes Bild vom Ganzen des Wesens der Wissenschaft zu gewinnen. Wie will man nach dem Nichts überhaupt fragen? Zu fragen, was das Nichts ist, wäre dem Phänomen unangemessen, denn es ›ist‹ ja eigentlich nicht. Um die Frage also überhaupt stellen zu können, müsste das Nichts ein Etwas sein, etwas Gegenständliches oder zumindest Vorstellbares im herkömmlichen Sinne. Doch das ist es nicht. Eine positive Antwort auf die Frage, was das Nichts ist, ist also unmöglich. – Wie aber soll man das Nichts dann denken, wo doch Denken immer ein Denken von etwas ist? Es wäre widersprüchlich, wollte man das Nichts denken. Aber denken muss man es können, sonst ist Heideggers Operation sinnlos. Wie muss also ein Denken aussehen, das sich auf das Nichts nicht wie auf ein Etwas besinnt? Heidegger nähert sich dieser Frage behutsam. Für Heidegger ist das Nichts die vollständige Verneinung der Allheit des Seienden. Es ist also nicht das Nichts selbst, das gegeben sein muss, vielmehr muss es etwas, nämlich die Allheit des Seienden geben, um das Nichts als dessen Verneinung davon logisch absetzen zu können. Insofern ist die 47 48 49

M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 38. Ebenda, S. 19. M. Heidegger, Was heißt Denken?, GA 8, S. 4.

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›Vernichtsung der Allheit des Seienden‹ der Ursprung der Verneinung und nicht umgekehrt. 50 Wie aber soll sich der Mensch die Allheit bzw. Ganzheit des Seienden in seiner Allheit zugänglich machen bzw. begegnen lassen? Wenn das Ganze als Idee gedacht wird, so bleibt es nach Heidegger nur eine Einbildung in Gedanken und trifft nicht das Nichts. So bekommt man zwar einen formalen Begriff eines eingebildeten Nichts, aber nie das eigentliche Nichts selbst. An dieser Stelle führt die Unterscheidung also nicht sehr weit. Weil alles Seiende Bestimmtes ist und sich Bestimmtes aus dem Vermögen des vergleichenden Unterscheidens ergibt, muss das Nichts nach Heidegger als völlige Unterschiedslosigkeit begriffen werden. Es muss sich von der Allheit des Seienden als Allheit des Zuunterscheidenden absetzen. Unterschiede man zwischen einem eingebildeten Nichts und einem eigentlichen Nichts, wäre man wieder in den alten metaphysischen Kategorien der begrifflichen Vergegenständlichung verhaftet geblieben. Es wären dann bloße Redegegenstände, die sich durch Attribuierung wieder unterscheiden. Um aus diesem denkerischen Zirkel herauszukommen, will Heidegger einen anderen Weg vorführen. Er will das Nichts als eine Grunderfahrung des Daseins aufweisen. Dabei macht er einen wichtigen Unterschied. Der Unterschied besteht in zwei völlig konträren Positionen. Die eine Position will das Ganze des Seienden erfassen, die andere aber geht davon aus, dass sich das menschliche Dasein schon immer im Ganzen des Seienden befindet. Das äußere Erfassen des Ganzen ist für Heidegger unmöglich, da kein Blick sub spezie aeternitatis aus der metaphysisch-metonymischen Perspektive möglich ist, die ja seinsgeschichtlich immer nur ein Ausschnitt, damit ein Teil des Ganzen ist. Das Sichbefinden im Ganzen ist jedoch permanent möglich, ja sogar wirklich. Im alltäglichen Besorgen und Fürsorgen ist das Ganze meist nicht zu spüren. Jedoch offenbart es sich zum Beispiel in der ›eigentlichen Langeweile‹, denn in ihr schaut man nach Heidegger in die ›Abgründe des Daseins‹ und rückt alle Dinge, Menschen und einen selbst in eine merkwürdige Gleichgültigkeit zusammen. 51 Als ein anderes Beispiel nennt Heidegger eine bestimmte Gestimmtheit aufgrund der Gegenwart eines geliebten Menschen. Auch hier fühlt man sich ganz. Es gibt also Stimmungen, die je nach ihrer Weise das Seiende als ein Ganzes enthüllen. Indem sie das tun, 50 51

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Vgl. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9. Ebenda, S. 33.

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Seinsverlassenheit

entbergen sie das Nichts zugleich mit, das sie als das Unterschiedslose umfängt. Eine das Nichts entbergende Grundstimmung ist vor allem die Angst. 52 In der seltenen und oft nur Augenblicke währenden Grundstimmung der Angst wird für Heidegger das Nichts offenbar. »Die Angst offenbart das Nichts« 53, schreibt Heidegger und führt aus, wie alle Dinge und man selbst in eine Art Gleichgültigkeit versinken, wie sich die Dinge wegrücken und uns gleichzeitig bedrängen. Indem alles Seiende aber wegrückt, bleibt kein Halt mehr. »Dieses Wegrücken des Seienden im Ganzen, das uns in der Angst umdrängt, bedrängt uns. Es bleibt kein Halt.« 54 Die Angst bringt gewissermaßen das Seiende im Ganzen zum Entgleiten. Als Mitseiender entgleitet sich dann auch der Mensch selbst. Weil auch die sprachliche Bindung an das Seiende als ihr Ausdruck verloren geht, fehlen einem die Worte. Dass man in der Unheimlichkeit der Angst versucht, die leere Stille durch ein wahlloses Reden zu brechen, ist für Heidegger nur der Beweis für die Gegenwart des Nichts, denn das, wovor man sich ängstigte, war eigentlich nicht da. 55 In der Angst enthüllt sich das Nichts der Sorge – und zwar weder als Seiendes noch als Gegenständliches noch als Erfassen des Nichts noch als Vernichtung des ganzen Seienden an sich noch als Verneinung des Seienden im Ganzen, um das Nichts allererst zu gewinnen. Vielmehr begegnet es zugleich mit dem entgleitenden Seienden im Ganzen. Denn mit dem Seienden im Ganzen ist das Nichts bereits mit gegeben. Heidegger nennt diesen Grund von Seiendem im Ganzen und dessen Grenzbegriff des Nichts die ›Nichtung‹. 56 Der Begriff ›Nichtung‹ ist offenbar analog zum Begriff der ›Lichtung‹ gebildet. ›Lichtung‹ und ›Nichtung‹ sind räumliche bzw. zeitliche Beschreibungen von nicht-metaphysischen Bezirken des Ganzen im Seienden. Sie sind tiefensprachliche Bestimmungen aus dem tropologischen Modus der Synekdoche, also dem Modus des existenzialen Mitverstehens heraus, das hinter ein reduktives Vorhandenheitsdenken im Modus der Metonymie reicht. Als intrinsisch-integratives Mitverstehen birgt die Synekdoche metaphysisches Denken in sich, wie Sein und

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Ebenda, S. 35. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 37.

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Wahrheit die Bestimmungen des Seienden in sich bergen. Zugleich wird aber dieser tiefensprachliche Redemodus ebenso wie das Sein selbst in der okzidentalen Metaphysik verdeckt und bedarf selbst einer seinsgeschichtlichen Entbergung. Das menschliche Dasein hat also an beiden Erscheinungsweisen teil: Das Dasein ist immer schon ›Hineingehaltenheit in das Nichts‹ und als dieses ›je schon über das Seiende im Ganzen hinaus‹, also Transzendenz. 57 Tiefensprachlich ausgedrückt meint das, dass die metonymisch-metaphyischen Tendenzen des Daseins von einem umfassenderen synekdochalen Verständnis gehalten sind, das diese mit umgreift und hält, aber nicht in ihnen aufgeht. Heidegger zieht aus dieser Erörterung die Schlussfolgerung, dass sich das Dasein ohne Vermögen zum Transzendendieren weder zu Seiendem noch zu sich selbst überhaupt verhalten könnte, ja, dass ohne ursprüngliche Offenbarkeit des ›Nichts‹ weder ›Selbstheit‹ noch ›Freiheit‹ möglich wären. Damit aber ist das Nichts nicht nur der Gegenbegriff des Seienden, sondern gehört ursprünglich zum Wesen des Seienden selbst. Es ist damit überdies der Ursprung der Verneinung, so auch Unterscheidung (Abgrenzung) und Entgegensetzung, und nicht umgekehrt. 58 Das Nichts tritt dem Dasein als Unterscheidungs- und Abgrenzungsvermögen entgegen. Auf diese Weise ›nichtet das Nichts‹ unentwegt, um einen Ausdruck Heideggers zu benutzen. Das Nichts entsteht also nicht erst durch die Logik, wie Heidegger noch in seiner Dissertation glaubte. Das Nichts wird in den Schriften nach Sein und Zeit jetzt tiefer angesetzt. Die herkömmliche (abendländische) Logik hat seinsgeschichtlich nur eine begrenzte Reichweite, weil sie nur innerhalb vergegenständlichender metonymischer Rahmengebung ihr analytisches Denkmodell ausbauen kann. Heideggers Denken ist insofern zwar aus dieser Logik selbst hervorgegangen. Aber es verlässt zunehmend seine für eine antimetaphysische Logik zu engen Grenzen. Unter der Maßgabe existenzialer Zeitlichkeit, Geschichtlichkeit und Endlichkeit entsteht das Nichts nicht mehr aus der logischen Negativierung des Gegebenen als ›nicht‹ (⌐), sondern ist der Grund alles Seienden und damit die andere Seite des Seins. Seiendes gründet im Nichts. Das Sein umfasst beides: das Nichts und das Seiende, und kennt damit auch unterschiedliche Phänomenbereiche, den der Lichtung und den der Nichtung. Nur weil 57 58

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Ebenda, S. 38. Ebenda, S. 39 f.

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Nichts und Seiendes bzw. Lichtung und Nichtung im Sein zusammenfallen, kann vom Übergang in die synekdochische Redeform gesprochen werden. Die antonymische Gegenüberstellung ragt aus dem Metonymischen ins Synekdochische. Die Idee der Logik wird mit Heideggers Überlegungen zum Nichts in einem ursprünglicheren Fragen selbst verankert – und zwar so, dass diese Idee als eine reduzierte, sozusagen spätere Form einer im Dasein selbst angelegten Möglichkeit des Seins selbst vorkommt. Für grundsätzlich ›abgründiger‹ als die bloße Angemessenheit der denkenden Verneinung innerhalb der Logik hält Heidegger zum Beispiel die ›Härte des Entgegenhandelns‹ und die ›Schärfe des Verabscheuens‹, den ›Schmerz des Versagens‹ und die ›Schonungslosigkeit des Verbietens‹ sowie die ›Herbe des Entbehrens‹ – alles Modi ›lebensweltlicher Negationen‹ oder ›Nichtungen‹, in denen das Dasein seine Geworfenheit (er)trägt. 59 Das Nichten des Nichts 60 zeigt sich also vor allem in Situationen, wo existenziale Handlungsentscheidungen erst erworben werden müssen und ein Abwägprozess in Gang kommt. Heideggers Nichts ist daher nie das Ergebnis einer Operation, etwa als ›nicht dies, aber jenes‹, sondern der ›seinsmäßige Bezirk‹, in dem Ergebnisse gewonnen werden können. 61 Weil jedes Ergreifen eine andere Möglichkeit ausschließt, ist mit dem Nichts auch die Angst latent im Dasein bereits gegeben. »Sie schläft nur«, schreibt Heidegger. »Ihr Atem zittert ständig durch das Dasein: am wenigsten durch das ›ängstliche‹ und unvernehmlich für das ›Ja, Ja‹ und ›Nein, Nein‹ des betriebsamen; am ehesten durch das verhaltene; am sichersten durch das im Grunde verwegene Dasein.« 62 Das betriebsame Dasein hält sich unbesonnen und uneigentlich an Geltendes und ist somit an das öffentliche Man mit seinen vorgefertigten Entscheidungen und Meinungen verfallen. Das verhaltene Dasein hingegen kommt zu gar keiner Entscheidung und wird handlungsunfähig. Einzig das verwegene Dasein ergreift im lebensweltlich erfahrenen Wissen um mögliche Irreversibilität mutig Handlungsoptionen. Weil das Dasein durch seine verborgene Angst in das Nichts hi-

Vgl. ebenda, S. 40. Wenn das Nichts das analoge Substantiv zum Seienden ist, dann ist ›nichten‹ das analoge Verb zu ›sein‹, so dass das Nichts nichtet, so wie das Seiende ist. 61 M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 40. 62 Ebenda, S. 40 f. 59 60

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neingehalten ist, ist es quasi Platzhalter des Nichts. Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts ist sowohl die Weise als auch der Ort, in der bzw. wo das Dasein das Seiende im Ganzen übersteigt, es transzendiert. 63 Bestimmten die antike Metaphysik und die christliche Dogmatik das Nichts immer als Gegenbegriff zum Seienden, indem sie es einerseits als Nichtseiendes, das heißt als ungestalteten Stoff, andererseits als Gegenbegriff zum eigentlich Seienden, nämlich Gott verstanden, so will Heidegger die jeweilige Transzendenz bzw. das Transzendieren selbst zum Thema machen. Transzendenz, Grund und Ganzheit Weil der Mensch das Vor-das-Nichts-bringen nicht eigens bewirken oder erzwingen kann, etwa im ›Sich-Sorgen-machen-um …‹, gilt es wiederum phänomenologisch einen Schritt zurückzutreten, damit sich das Nichts von sich selbst her zeigen kann. Es zeigt sich dann, so Heidegger, als ›Überfall‹. 64 Das Nichts ›überfällt‹ das Dasein unvorhergesehen als Angst um das eigenste Seinkönnen. Insofern kann das Dasein sich selbst nicht willentlich ins Nichts bringen. Wohl aber in dessen Nähe. Es kann nämlich nach diesem Nichts fragen. Auch in Bezug auf die Frage nach dem Nichts steht also eine Erweiterung der Fragedimension an: Wenn die Frage nach dem Sein die Frage nach der Metaphysik ist, so ist die Frage nach dem Nichts die Frage nach dem Ganzen der Metaphysik. Hierin liegt die erweiterte Dimension von Heideggers Fragen im Unterschied zu jeder bisherigen Ontologie. Dieser muss dann auch das tiefensprachliche Präfigurierungsmodell ›ent-sprechen‹ – in Abgrenzung zum Adäquatsein von Vorstellung und Sache. Die Frage nach dem Ganzen der Metaphysik, als die die Frage nach dem Nichts als Grund des Seins nun neu bestimmt wurde, ist nach Heidegger aber zugleich die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Herrschaft der Logik, insofern das Dasein wesentlich durch die Wissenschaft und ihre metonymische Logik bestimmt ist. Heidegger kann mit seiner Neubestimmung des Nichts letztlich anzeigen, dass die Wissenschaften nur einen begrenzten Ausschnitt des Seins zu ihrem Gegenstand gemacht haben, nämlich Seiendes ohne zeitlichen Charakter. Dies tun sie zwar in erfolgreicher Weise. Philosophie darf sich aber damit nicht begnügen. Sie muss weiterfragen nach den Vor63 64

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Ebenda, S. 41. Ebenda.

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aussetzungen und dem Gesamt des wissenschaftlichen Tuns. Wissenschaftliches Fragen überhaupt ist nämlich nur möglich, wenn das Dasein sich nicht allein über die metaphysische Zugangsweise zu Seiendem verhält, sondern wenn es sich ebenso wie dieses selbst als ins Nichts gehalten versteht. Wenn Wissenschaft sich aus einem rechten Verständnis der Metaphysik selbst neu verstehen würde, dann würde sie nach Heidegger begreifen, dass ihre Aufgabe nicht im Ansammeln und Ordnen von Kenntnissen allein bestehen kann, sondern in einer immer wieder neu zu vollziehenden Erschließung des ganzen Raumes der Wahrheit von Natur und Geschichte. Sie muss sich selbst ins Nichts halten, sozusagen wieder staunen lernen. Das tut sie vor allem als Philosophie. Solche Befremdlichkeit und Verwunderung als Grundlagen für Warum-Fragen können nach Heidegger nur auf der Grundlage der Nichtung entstehen, also der Zusammengehörigkeit von Sein und Nichts. Weil Metaphysik das Grundgeschehen im Dasein und das Dasein selbst ist, gehört sie zur Natur des Menschen und ist keine wissenschaftliche oder philosophische Disziplin. 65 Es reicht also nicht, Metaphysik nur als zugrunde liegende Daseinsweise im Denkmodus metonymischer Reduktionen von Beziehungen seiender Objekte zu konstatieren. Vielmehr muss mit Blick auf das Ganze der Metaphysik die Frage nach der Transzendenz ins Nichts als existenziale Frage gestellt werden. Die bisherige Metaphysik und Ontologie muss gründlicher nach dem Grund der eigenen Praxisform befragt werden. Das tut Heidegger in seiner Abhandlung Vom Wesen des Grundes 66 und im Vortrag Vom Wesen der Wahrheit. 67 Dort bindet er die Akzente seines Denkens ›Wahrheit‹, ›Grund‹ und ›Transzendenz‹ noch einmal zusammen. Unter ›Transzendenz‹ versteht er dort das ›Hinausragen des Daseins in die Ungegenständlichkeit und Undifferenziertheit des Nichts‹, aus der das Seiende als das Geschiedene entspringen kann. 68 Der Übergang des Nichts aus seiner wesensmäßigen Unbestimmtheit in die Bestimmtheit des Seienden birgt die Metaphysik in sich. Sie kommt in die Welt, weil jedes Bestimmen im Rahmen metonymischer Logik Phänomene auf extrinsisch Gegebenes reduziert. Erst weil es in der Metaphysik Bestimmtes als Unterschiedenes gibt, kann 65 66 67 68

Vgl. ebenda, S. 45. Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen des Grundes, GA 9. Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9 und GA 34. Vgl. ebenda.

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sie dann auch die Kategorien des ›Richtigen‹ und ›Falschen‹ bilden. Die logischen Kategorien bzw. Transzendentalien des ›Wahren‹, ›Guten‹ und ›Schönen‹ sind dann nur elaborierte Ableitungen einer bereits vorwissenschaftlichen Bestimmtheit des Seins-Einen. Weil jedes Bestimmen derivativ und reduktiv in Bezug zur Wahrheit des Seins ist, sind Bestimmungen zugleich auch der Grund, warum in der Wissenschaft immer auch die Möglichkeit des Irrens mit inbegriffen ist. 69 Wissenschaft kann daher auch nicht der Ort der Stiftung von Wahrheit sein. Sie ist als Praxisform vielmehr immer schon in der Wahrheit und als eine aus den lebensweltlichen Geschäften abgeleitete Praxisform der Transzendenz des Daseins selbst ausgesetzt. Sie erfasst nicht die Wahrheit selbst, sondern ist als eine bestimmte Praxisform metonymischer Teil einer als Gefäß-Inhalt-Metonymie aufgefassten Konstellation, deren synekdochales Pendant nur in einem umfassenden seinsgeschichtlichen Denken gewonnen werden kann. Da der Gegenstand der Wissenschaften einzig das Seiende – ob als einzelnes oder in seiner Gesamtheit – ist, kann keine Strenge und Exaktheit der Wissenschaft die Vorgängigkeit dieser Transzendenz denkerisch einfangen. Ihr Anspruch, Welterklärungsinstanz zu sein, stellt eine Verkennung des Aufbaus der Welt dar. Sie ist äußerste Hybris. Die Philosophie hingegen ist nach Heidegger ursprünglicher und greift weiter als die metonymische Logik der Wissenschaften. Insofern sollte sie nie am Maßstab der Idee der Wissenschaft – oder an ihren Erfolgen – gemessen werden. 70 Philosophie ist für Heidegger vielmehr etwas, was aus der Existenz des Menschen selbst geschieht. Sie ist ein In-Gang-bringen der Metaphysik. Als Metaphysik ist sie aber zugleich auch das Zu-sich-selbst-kommen und das Zu-ihrenausdrücklichen-Aufgaben-kommen. Sie kommt aus dem Dasein selbst und ist keine nur nachträgliche Reflexion davon. Insofern fragt die Philosophie immer schon aus sich heraus über sich selbst hinaus. 71 Philosophie ist demzufolge selbst Transzendenz aus der Metaphysik ins Nichts. Und sie teilt deren Angst. Aus dieser entspringt ihr Projekt der Rettung der Phänomene wie sie seit der Antike bis heute tragend ist. In seiner Abhandlung Vom Wesen des Grundes 72 beschreibt Hei69 70 71 72

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Vgl. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 45. Vgl. ebenda. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, S. 46. Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen des Grundes, GA 9.

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degger die Transzendenz als denjenigen Bezirk, innerhalb dessen das Problem des Grundes, das heißt die Überzeugung, dass alles einen Grund habe, seinen Ort hat. Dies tut Heidegger nicht ohne Bezug genommen zu haben auf die wichtigsten Meilensteine in der metaphysischen Tradition von Aristoteles bis zu Schopenhauer. Entgegen dem traditionellen Verständnis wird Transzendenz von Heidegger als eine Grundverfassung des Seienden verstanden. Mit dem Faktum des Daseins ist die Transzendenz schon da. Sie ist kein nachträgliches theoretisches Erfassen von Objekten, sondern geschieht in Ganzheit. 73 In der Transzendenz des Daseins hin zur Welt richtet sich das Dasein in dieser Welt ein und macht sich selbst zu einem Teil von ihr. Das Phänomen ›Welt‹ zeigt sich dann für Heidegger als ein vierfältiges: Erstens meint es das Wie des Seins des Seienden als dieses selbst. Zweitens bestimmt das Wie das Seiende im Ganzen, da es im Grunde die Möglichkeit jedes Wie überhaupt als Grenze und Maß ist. Drittens ist dieses Wie in gewisser Weise vorgängig. Und viertens ist das vorgängige Wie im Ganzen selbst relativ auf das menschliche Dasein. Das heißt, die Welt gehört dem menschlichen Dasein zu, obzwar sie alles Seiende, auch das Dasein, mit in Ganzheit umgreift. 74 Die Welt hat außerdem drei Negativbestimmungen: Der Weltbegriff ist nämlich 1. keine ontische Verknüpfung der Dinge an sich, sondern ein transzendentaler (ontologischer) Inbegriff der Dinge als Erscheinungen. Im Weltbegriff wird 2. keine Koordination der Substanzen, sondern gerade eine Subordination unter ein größeres Ganzes, und zwar die zum Unbedingten aufsteigende Reihe der Bedingungen der Synthesis dargestellt. Der Weltbegriff ist 3. keine in ihrer Begrifflichkeit unbestimmte ›rationale‹ Vorstellung, sondern als Idee, also als reiner synthetischer Vernunftbegriff bestimmt, und damit von Verstandesbegriffen unterschieden. 75 Welt ist für Heidegger also eine unbedingte Totalität. Sie schließt als solche Sinn existenzial und vortheoretisch auf. Sie bedarf also gar keiner metaphysisch-metonyM. Heidegger, Vom Wesen des Grundes, GA 9, S. 19. Vgl. ebenda, S. 23. Das Wort ›vorgängig‹ erschließt sich selbst. Das Wort ›relativ‹ aber scheint mir hier nicht präzise genug zu sein. Es muss statt ›relativ‹ auch in Bezug auf die folgenden Sätze und den Kontext ›relational‹ heißen, denn es geht um den spezifischen Bezug des Daseins zur Welt. Bezüglichkeit ist Relationalität und nicht Relativität. Siehe auch M. Heidegger, Vom Wesen des Grundes, GA 9, S. 36: »Welt gehört zu einer bezughaften, das Dasein als solches auszeichnenden Struktur, die das In-der-Welt-sein genannt wurde.« 75 Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen des Grundes, GA 9, S. 32. 73 74

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mischen Denkmodelle, um sich in ihrer Sinnhaftigkeit zu zeigen, sondern wird intrinsisch vor jedem kategorialen Zugriff auf sie mitverstanden. Als integrierendes Mitverstehen folgt sie dem tiefensprachlichen Redemodus der Synekdoche. Wenn sich also Welt als Totalität und Ganzheit erschließt, dann tut sie das immer schon in mitverstehender, synekdochaler Form. Als geschlossenes Bild ist sie jedoch radikal endlich. Mit Kant teilt Heidegger nämlich die Überzeugung, dass die Welt als Idee zwar transzendent ist. Sie übersteigt ja die Erscheinungen. Aber sie bleibt als deren Totalität gerade auf sie zurückbezogen, weil sich das Dasein immer im Ganzen existenzial und sinnvoll erschlossen hat. Die Welt als Ganzheit ist damit kein Seiendes unter anderen, sondern das, aus dem her das Dasein ›sich zu bedeuten gibt‹. 76 Im Auf-es-zukommen aus der Welt zeitigt sich das Dasein als ein Selbst. Das Dasein ist so, dass es umwillen seiner selbst existiert. Wenn aber die Welt es ist, im Überstieg, zu der sich allererst Selbstheit zeitigt, dann erweist sie sich als das, worumwillen Dasein existiert. »Die Welt hat den Grundcharakter des Umwillen von … und das in dem ursprünglichen Sinne, daß sie allererst die innere Möglichkeit für jedes faktisch sich bestimmende deinetwegen, seinetwegen, deswegen usf. vorgibt. Worumwillen aber Dasein existiert, ist es selbst.« 77 Dass das Dasein umwillen seiner selbst existiert, will Heidegger nicht als solipsistische Isolierung oder egoistisch-ontische Zwecksetzung missverstanden wissen. Die Selbstheit als das Verhältnis des Selbst zu seinen Möglichkeiten ist vielmehr Voraussetzung der Ichheit. Ichheit erschließt sich jedoch immer nur im Du, setzt also andere und Öffentlichkeit voraus. Umwillen seiner selbst bringt das Dasein deshalb die Welt als eine Ganzheit vor sich selbst. Die Welt wirft den einzelnen seienden Dingen sozusagen ein Netz über, das das Seiende erst zu Seienden umwillen des Daseins macht. Dieses Netz, diese – um mit Kant zu sprechen – Form gebende Instanz, nennt Heidegger Welt. Das Dasein ist um seiner selbst willen ›weltbildend‹, denn das Dasein gibt der diffusen Mannigfaltigkeit des Seienden ein Vor-Bild, unter das es sich selbst als ein Teil dessen einsortiert. 78 Es lässt Welt geschehen, mit der sich ein totaler Anblick gibt, unter das sich das Dasein selbst bringt. Dabei ist der ›Welteingang‹ ins Dasein kein Vor76 77 78

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Ebenda. Ebenda, S. 36 f. Vgl. ebenda, S. 39.

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gang am eingehenden Seienden, sondern etwas, das mit dem Seienden ›geschieht‹. Mit der Präposition ›mit‹ bietet sich wiederum die Intrinsität synekdochal als Synthetisierungstendenz dar. »Und dieses Geschehen ist das Existieren von Dasein, das als existierendes transzendiert.« 79 Als daseiendes zu existieren besagt dann nichts anderes, als in ein Weltbild hinauszustehen, dessen transzendentaler Grund undurchsichtig ist. Deswegen fragt Heidegger, inwiefern in der Transzendenz überhaupt die innere Möglichkeit für so etwas wie Grund liegt. Wenn sie die Welt dem Dasein als die jeweilige Ganzheit des Umwillens seiner gibt, dann heißt das, dass drei Ebenen gleichursprünglich sind: »das Sein bei … Vorhandenem, das Mitsein mit … dem Dasein Anderer und Sein zu … ihm selbst« 80. Das Dasein kann sein Selbstverhältnis also nur im ›umwillentlichen Überstieg‹ gewinnen. 81 »Was nun aber seinem Wesen nach so etwas wie das Umwillen überhaupt entwerfend vorwirft und nicht etwa als gelegentliche Leistung auch hervorbringt, ist das, was wir Freiheit nennen.« 82 Weil der Überstieg zur Welt als Freiheit nicht nur die Voraussetzung jedes Wollens oder Willensaktes, sondern dessen Bildungsprinzip ist, stößt die Transzendenz nicht auf ein Umwillen als Zweck oder Wert, sondern ist Ermöglichung von Freiheit in der Form einer sich selbst ›verpflichtenden‹ Bindung und Verbindlichkeit. 83 Der Überstieg zur Welt vom Dasein aus ist in seinem Grunde Freiheit. Freiheit ist Transzendenz. Sie ist der Ursprung des Grundes. 84 Der Grund hat seinen Grund dabei selbst im Gründen als einer Tätigkeit, von der es nach Heidegger wiederum drei verschiedene Weisen gibt: die des ›Stiftens‹, die des ›Boden-nehmens‹ und die des ›Recht-gebens‹. 85 Heidegger drückt es auch so aus: »Das Wesen des Grundes ist die transzendental entspringende dreifache Streuung des Gründens in Weltentwurf, Eingenommenheit im Seienden und ontologische Begründung des Seienden.« 86 Oder kürzer: »Demnach

79 80 81 82 83 84 85 86

Ebenda. Ebenda, S. 43. Ebenda. Ebenda (Kursivierung Heidegger). Vgl. ebenda. Ebenda. Vgl. ebenda, S. 51. Ebenda (Kursivierung Heidegger).

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besagt Grund: Möglichkeit, Boden, Ausweis.« 87 Alle drei Weisen sind Formen des Sichsorgens und nur als Zeitlichkeit möglich. Wenn der Satz vom Grunde besagt, dass alles Seiende seinen Grund hat, dann ist das deshalb so, weil Grund ein transzendentaler Wesenscharakter des Seins überhaupt ist, denn jedes Seiende als Seiendes meldet in seiner Art Gründe an. Zum Wesen des Seins gehört – im Unterschied zum Wesen des Seienden – der Grund, weil es Sein nur in der Transzendenz als dem weltentwerfend befindlichen Gründen gibt. Insofern erweist sich für Heidegger das Fragen nach dem Wesen des Grundes als verschlungen mit der Aufgabe einer Erhellung des Wesens von Sein und Wahrheit. Gleichwohl lässt Heidegger seinen Leser nur mit andeutenden Hinweisen zurück. Zum Wesen des Seins gehört nach Heidegger Grund, weil es Sein nur in der Transzendenz als weltentwerfend befindlichem Gründen gibt. Das Wesen des Gründens liegt damit weder im Wesen der Aussage noch in der Aussagewahrheit, wie die Tradition der Logik und Metaphysik glaubt. Es liegt in der ontologischen Wahrheit, dass die Freiheit der Ursprung des Satzes vom Grunde ist, »denn in ihr, der Einheit von Überschwung und Entzug, gründet sich das als ontologische Wahrheit sich ausbildende Begründen« 88. Das verfremdete Verständnis vom Wesen des Grundes, der Identität und des Widerspruches geht demzufolge auch nicht zu Lasten von einzelnen Philosophen oder Wissenschaftlern, sondern entspringt der Freiheit als dem ›Grund des Grundes‹. 89 Weil aller Weltentwurf selbst ein geworfener, also kulturell überformt und geschichtlich, ist und aus der Klärung des Wesens der Endlichkeit des Daseins aus dessen Seinsverfassung gewonnen werden muss, kann auch keine ›übereilte Erklärung der ontischen Herkunft derselben‹ über diesen ›Abgrund‹ Auskunft geben. 90 »Das Wesen der Endlichkeit des Daseins enthüllt sich aber in der Transzendenz als der Freiheit zum Grunde.« 91 Auch hier bleibt Heidegger kryptisch: »Die Freiheit ist der Grund des Grundes.« 92 Heideggers Rede von Grund und Gründen bleibt damit insgesamt dunkel. Was Heidegger mit dieser Rede über den Grund und das Gründen versucht, ist meinem Erachten nach, formal vorzufüh87 88 89 90 91 92

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Ebenda, S. 50 (Kursivierung Heidegger). Ebenda, S. 52. Ebenda, S. 53. Ebenda. Ebenda, S. 54 (Kursivierung Heidegger). Ebenda, S. 53 (Kursivierung Heidegger).

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ren, in welche Richtung ein tieferes Verständnis von Sein abzielen muss, wenn es sich denn von anderem Seienden, also in der Welt Vorkommendem unterscheiden soll. Der von Aristoteles bzw. Leibniz stammende Satz vom (zureichenden) Grunde, der erst einmal nur behauptet, dass jedes Sein und Erkennen in angemessener Weise auf ein anderes zurückführbar sei, ist als Prinzip ja selbst ungegründet, also nicht weiter rückführbar, ebenso wie der Satz vom Widerspruch. Sie sind als Prinzipien Denkgesetze als geteilte Denknormen und bedürfen keines Beweises, wie bereits Leibniz herausstellte. 93 Das, was Heidegger versucht, ist also offenbar, das Wesen als Wesen des Grundes nicht mehr durch physikalisch-metonymische Vereinzelung und nicht mehr als akzidentellen Grund zu kennzeichnen. Das Wesen des Grundes steht für ihn vielmehr sozusagen in unmittelbarer Relation zum Begründen selbst, und zwar in der Weise, dass das Wesen des Begründeten in seiner Bezogenheit auf das Wesen des Grundes sozusagen das Andere des Wesens des Grundes ist. Als das Andere des Wesens des Grundes ist es aber mit diesem irgendwie auch identisch. Das Mit-sich-Identische verliert seine Identität nicht durch den Bezug auf das Andere, sondern bleibt im Kontakt mit dem Anderen es selbst. Seine Identität ist also zugleich Identität mit dem Anderen. Freiheit als der Grund des Grundes muss dann eine Dimension anzeigen, die diese doppelte Identität oder Mit-Identität des Anderen nicht wie eine metonymische Ei-Schale, sondern wie ein synekdochisches Prinzip als Spender dieser intrinsischen Struktur in sich hält. Wenn Heidegger schreibt, dass sich das Dasein im weltentwerfenden Überstieg des Seienden selbst übersteigen muss, um sich aus dieser Erhöhung allererst als Abgrund verstehen zu können, dann ist das nichts, was sich aus einer dialektischen oder psychologischen Analyse öffnet. Der Überstieg wird vielmehr als Urbewegung verstanden, die die Freiheit mit uns selbst vollzieht. Die Freiheit stellt damit in ihrem Wesen als Transzendenz das Dasein als Seinkönnen in Möglichkeiten, die vor seiner endlichen Wahl aufklaffen und damit in gewisser Weise schicksalhaftes Geschehen sind. So kann Heidegger auch sagen, dass das Unwesen des Grundes nur im faktischen Existieren als transzendente Freiheit überwunden, aber nie beseitigt wird, denn es steht nicht in der Macht der Freiheit, dass sich die TranszenVgl. H.-J. Engfer, Principium rationis sufficientis, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, S. 1325–1336.

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denz als Urgeschehen zeitigt. Weil aller Weltentwurf ein geworfener ist und damit einer Ohnmacht ausgesetzt ist, muss vor aller anthropologischen Bestimmung des Menschen seine Seinsbezüglichkeit geklärt werden: »Die Klärung des Wesens der Endlichkeit des Daseins aus dessen Seinsverfassung muß voraufgehen aller ›selbstverständlichen‹ Ansetzung der endlichen ›Natur‹ des Menschen, aller Beschreibung der aus der Endlichkeit erst folgenden Eigenschaften, vollends auch aller übereilten ›Erklärung‹ der ontischen Herkunft derselben.« 94

Als existierende Transzendenz ist der Mensch als Gattungswesen jedoch nicht nur in der Nähe zum Sein. Weil der Mensch ›in Möglichkeiten hinaussteht‹, ist sein Wesen zugleich ein ›Wesen der Ferne‹. 95 Aber in dieser ursprünglichen Ferne kommt ihm die ›wahre Nähe zu den Dingen ins Steigen‹. 96 Indem es der Mensch also vermag, sich zu seinen Möglichkeiten distanziert reflektierend zu verhalten, sie auf Abstand zu halten und zu vergleichen, kann er sich planend, entwerfend und kooperativ auf die Zukunft hin verhalten. »Und nur das Hörenkönnen in die Ferne zeitigt dem Dasein als Selbst das Erwachen der Antwort des Mitdaseins, im Mitsein mit dem es die Ichheit darangeben kann, um sich als eigentliches Selbst zu gewinnen.« 97 Im Mitsein mit Anderen, also in kooperativen Praxen als über sich hinausgehenden Formen, erfährt das Dasein sich selbst nicht nur als ein sorgendes, sondern auch als ein freies. Das heißt, umso mehr sich das Dasein entäußert, desto mehr kann es zu sich zurückkommen. Es ist damit kein Vermeiden der metonymisch-metaphysischen Perspektive auf die Phänomene, sondern sozusagen ein dialektisches Hindurchgehen durch sie anvisiert. Deshalb ist sich der Mensch, wie er in den bisherigen Wissenschaften und der Philosophie thematisch wird, für Heidegger auch zunächst das Fernste mit der Kapazität zum Nächsten. Er bringt sich selbst nur ontisch verstellt vor Augen, versteht sich eher von seiner Geworfenheit und Eigenschaftlichkeit her, statt seiner Freiheit auf Möglichkeiten hin. Heideggers Denken lässt sich nun umgekehrt als ein radikales Offenhalten dieser transzendentalen Freiheit auslegen. Es ist δύναμις (dynamis) im umfassenden M. Heidegger, Vom Wesen des Grundes, GA 9, S. 54 (Hervorhebungen Heidegger). 95 Ebenda, S. 55. 96 Ebenda. 97 Ebenda. 94

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Sinn. 98 Um dies zu bleiben, muss es jedoch alle fernen, entäußernden Angebote von Selbst- und Weltverständnissen über Bord werfen, um dem Bezug zu seinen Möglichkeiten – und damit seinem radikalen Seinkönnen – so nah wie möglich zu kommen. Der Topos der Nähe avanciert dann auch zum Hauptthema des späteren Heideggers. Diese synekdochal zu verstehende Nähe unterscheidet sich von der Nachbarschaftlichkeit der Metonymie. Sie ersetzt nicht nur als sprachliches Oberflächenphänomen substitutionstheoretisch ein Wort durch ein anderes im selben Begriffsfeld, sondern sie integriert in einem Wort wie in allen Ersetzungen eine Welt als ganze und totale. Als kooperatives, mithin planendes und entwerfendes Mitverstehen enthält sie sich allen metaphysischen und ideologischen Weltbildern und Überformungen. Sie zeigt vielmehr die Dimension an, in der sich so etwas wie Weltbilder überhaupt erst konstituieren können. Damit liegt ein völlig anderer Denk- und Redemodus als der der metonymischen Kontiguität vor. In der Synekdoche wird nicht eines mit dem anderen gleichgesetzt als äußerste extrinsische Möglichkeit der nachbarschaftlichen Ersetzung und damit Namensvertauschung innerhalb eines Weltbildes, sondern hier wird immer die Offenheit zu Weltbildern angezeigt. Mit der Rede von Grund, Transzendenz und Freiheit zeigt Heidegger nämlich eine Dimension auf, die jeder metonymischen Bestimmbarkeit vorausgeht, sie fundiert und ermöglicht. Einmal mehr zeigt sich hier Heideggers Gespür für Kategorienfehler innerhalb der abendländischen Wissenschaftstradition. Einen Kategorienfehler als solchen zu identifizieren, ist zwar selbst in der metonymischen Logik gegründet; was ersetzt werden soll, ist jedoch nicht wieder etwas Metonymisches, sondern bildet dessen synekdochische Alternative. Dass der synekdochische Möglichkeitsraum sich vom metonymischen Weltbildcharakter unterscheidet, zeigt sich dann auch vor allem an den unterschiedlichen Wahrheitsbegriffen, die beide Logiken hervorbringen. Wahrheit und Freiheit Heidegger bestimmt das Wesen der Wahrheit 99 als dasjenige, was sich als Freiheit enthüllt. 100 Problematisch am herkömmlichen metaphysischen Wahrheitsbegriff ›veritas est adaequatio rei et intellectus‹ ist, Vgl. Kapitel 3.2. dieses Buches. Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9. 100 Ebenda, S. 20. 98 99

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dass dieser Begriff im Grunde ›Wahrheit‹ nur als ›Richtigkeit‹ versteht. 101 Ob in der christlich-theologischen Tradition oder in der Kantschen: Wahrheit wird dort immer als Übereinstimmung von Sache und Verstand aufgefasst. Entweder werden Dinge oder Aussagen, respektive Vorstellungen, verglichen. Für Heidegger kann eine solche Übereinstimmung aber nur durch die Gestimmtheit und Stimmung in die Welt kommen. 102 Wahrheit ist nicht im Aussagesatz beheimatet. 103 Sie ist vielmehr bereits der Grund und deshalb Bedingung der Möglichkeit für alles Unterscheiden von richtig und falsch, ja von ›Richtungsgebung‹ und ›Bindung an das Richtige‹ überhaupt. 104 Für Heidegger gibt es nun einen Wesenszusammenhang zwischen Wahrheit und Freiheit. 105 Freiheit versteht er als Sicheinlassen auf das Offene, in das der Mensch qua Existenz transzendental hinaussteht. Das Offene ist für Heidegger im abendländischen Denken als das Unverborgene, Wahrheit, übersetzbar. Diese Übersetzung »enthält die Weisung, den gewohnten Begriff der Wahrheit im Sinne der Richtigkeit der Aussage um- und zurückzudenken in jenes noch Unbegriffene der Entborgenheit und der Entbergung des Seienden.« 106 Das Sicheinlassen versteht Heidegger als ein Zurücktreten vor dem Seienden, damit dieses sich offenbare und die »vorstellende Angleichung aus ihm das Richtmaß nehme« 107. Das Zurücktreten als eine Form des Sichzurücknehmens ist ein weiteres Indiz dafür, dass Heidegger das quasi metonymisch-naturwissenschaftliche Zugreifen auf Phänomene, nämlich in einer sezierend-analytischen Begriffsklärung und tendenziell experimentierend Ergebnisse herbeiführenden Weise dem Denkmodell eines existenzial-synekdochischen Modus Platz macht. Die Wahrheit zeigt sich nämlich nicht, sondern entzieht sich zumeist. Sie entzieht sich insbesondere, wenn sie unter praktischer, moralischer oder ideologischer Ebenda, S. 8. Oft drücken wir die Richtigkeit eines Sachverhaltes bspw. mit dem Satz: ›Das stimmt‹ aus bzw. fragen: ›Stimmt das?‹, statt zu sagen oder zu fragen: ›Das ist richtig/ wahr‹ oder: ›Ist das richtig?‹. In solchen sprachlichen Ausdrücken zeigt sich für Heidegger ein tiefer liegender Zusammenhang zwischen dem Gedanken einer allgemeinen Stimmung der Harmonie, also des harmonischen Zusammenklangs, des Zusammenpassens mehrerer in Verbindung gebrachter Sachverhalte oder Behauptungen. 103 Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, S. 13. 104 Ebenda. 105 Vgl. ebenda, S. 15. 106 Ebenda, S. 16. 107 Ebenda, S. 17. 101 102

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Zwecksetzung, Zielbestimmung und möglichen Verwirklichung steht, die mit dem metaphysisch-metonymischen Denken einhergehen, weil sie sich damit aus dem offenen Möglichkeitsraum des Wahren in einen Bestimmungsraum begibt. 108 Freiheit ist damit – so die Analyse Heideggers – keine Ungebundenheit im Tun, sondern vielmehr ein davor liegendes Eingelassensein in die ›Entbergung des Seienden als solchem‹. 109 Dabei enthüllt sich das Seiende im Ganzen zunächst als Natur (φύσις), sogleich als sozusagen erstes In-der-Wahrheit-sein als Geschichte. »Die anfängliche Entbergung des Seienden im Ganzen, die Frage nach dem Seienden als solchem und der Beginn der abendländischen Geschichte gehören also in eine gemeinsame Reihe und gleichzeitig in eine ›Zeit‹, die selbst unmessbar erst das Offene, d. h. die Offenheit, für jegliches Maß eröffnet.« 110

Der Mensch besitzt demzufolge nicht Freiheit als Eigenschaft oder Handlungsoptionalität und kann über sie nach Belieben verfügen. Vielmehr ist es umgekehrt, besitzt die Freiheit den Menschen. Denn die Freiheit ermöglicht das entbergende Dasein, die Eksistenz. 111 Sie erst ermöglicht, dass der Mensch einen alle Geschichte erst begründenden und auszeichnenden Bezug zu Seiendem im Ganzen haben kann. Geschichtlich kann also nur der Mensch sein. Die Natur hat keine Geschichte. Und schon gar nicht ist sie geschichtlich. Der Mensch kann der Natur aber eine Geschichte verleihen. Dabei zeigt sich: Die existenzialen und geschichtlichen Strukturen des Seins werden angemessener durch die Darstellungsform der Synekdoche und nicht durch die Metonymie präfiguriert und ausgedrückt. Anders als die Natur fasst die Geschichtlichkeit das Seiende nicht auf extrinsische, äußerliche Weise, macht es nicht verfügbar und beherrschbar. Im Gegenteil, weil Geschichtlichkeit sich nicht in physische UrsacheWirkungs-Zusammenhänge, Kausalitäten und Naturgesetzlichkeiten einpressen lässt, ist ihr wesentlicher Aspekt der der Freiheit. Freiheit Zum Seinsentzug bei Heidegger siehe auch: J. Oberthür, Seinsentzug und Zeiterfahrung. Die Bedeutung der Zeit für die Entzugskonzeption in Heideggers Denken, Würzburg 2002, besonders Abschnitt 2, S. 79–138. 109 Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, S. 18. 110 Ebenda, S. 18. 111 Insgesamt schließe ich mich bei der Interpretation der Freiheitsproblematik bei Heidegger Günther Figal an. Siehe ders., Martin Heidegger. Phänomenologie der Freiheit, Frankfurt am Main 1991. 108

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durchdringt den Menschen als umfassendes, spezifisch menschliches Lebensprinzip. Mit den anderen Aspekten In-der-Wahrheit-sein, Eksistenz, Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit stimmt es nicht nur im Sinne einer antiken ἁρμονία (harmonia) zusammen, so dass ein Teil für das andere stehen könnte wie im metonymischen Denken. Vielmehr drücken sich im einen Aspekt intrinsisch die anderen zugleich mit aus. Als synekdochisches Denkmodell wird Freiheit, Hinausstehen usw. immer schon mitverstanden, ohne dass hier eine eine verdinglichende Teil-Ganzes-Relation stattfinden müsste. Das im Begriff der Freiheit verdichtete ganzheitliche Prinzip, das Heidegger als ursprünglichen gattungsspezifischen Kern herauspräpariert hat, (be-) stimmt das spezifisch Menschliche am Menschen, macht seine besondere Lebensform aus, ist seine conditio humana. Das sprachdenkerische Prinzip der synekdochalen Verdichtung, das in Heideggers späteren Texten zur Geltung drängt, lässt sich mit den herkömmlichen metonymisch-substitutionstheoretisch aufgeladenen Sprachmitteln schwer ausdrücken. Am ehesten ließe es sich noch metaphorisch mit einem ›Durchwaltetsein‹ oder ›Durchwobensein‹ oder ›Durchdrungensein‹ beschreiben. Weil es sich nicht als Eigenschaft am Menschen von diesem selbst abheben lässt, kann Freiheit nicht nur ein anderer (metonymischer) Name für Mensch sein. Vielmehr ist der Mensch als in die Zeit Hinausgehaltener (nicht: Sichhinaushaltender) ebenso in deren Umbestimmtheit hinausgehalten. Weil das Dasein als Ek-sistenz in die Freiheit (hinaus-)gehalten ist, ist das Dasein, was es ist. Das bedeutet: Es ist von den Möglichkeiten des Seins, dem Seinkönnen als existenzialer Bedingung der Möglichkeit, daher dem Werdenwollen bestimmt. Verstände sich das Dasein nicht permanent nur einseitig von seiner Natur, sondern auch von seiner Geschichtlichkeit her, so müsste es sich nicht so vehement gegen die Erweiterung der Erkenntnisformen nichtvergegenständlichender Rede wehren und könnte die Kapazität holistischer Phänomenerfassung nutzen, ohne auf prädikative Eindeutigkeit verzichten zu müssen. Sie hätte dann der Prädikation ihren Ort zugewiesen innerhalb eines reicheren Erkenntnis-, Methoden- und Darstellungsrepertoires. Weil das Dasein nach Heidegger in seiner transzendenten Eksistenz durch die Stimmung in das Seiende als Ganzes intrinsisch hineingehoben ist, ist das Verhalten des Menschen ›durchstimmt‹ von der ›Offenbarkeit des Seienden im Ganzen‹. 112 112

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Vgl. M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, S. 20.

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»Die Offenbarkeit des Seienden im Ganzen fällt nicht zusammen mit der Summe des gerade bekannten Seienden. Im Gegenteil: wo für den Menschen das Seiende wenig bekannt und durch die Wissenschaft kaum und nur roh erkannt ist, kann die Offenbarkeit des Seienden im Ganzen wesentlicher walten als dort, wo das Bekannte und jederzeit Kennbare unübersehbar geworden ist und der Betriebsamkeit des Kennens nicht mehr zu widerstehen vermag, indem sich die technische Beherrschbarkeit der Dinge grenzenlos gebärdet. Gerade im Platten und Glatten des Alleskennens und Nurkennens verflacht sich die Offenbarkeit des Seienden in das scheinbare Nichts des nicht einmal mehr Gleichgültigen, sondern nur noch Vergessenen.« 113

Stimmung und Gestimmtheit sind eben missverstanden, wenn sie auf Erlebnisse oder Gefühle reduziert werden und somit zu extrinsischen Zustandsbeschreibungen im Paradigma wie Teile im metonymischen Denkschema behandelt werden. Was also Heidegger konstatiert, ist nichts weniger als die Preisgabe des Wesens des Menschen in der Preisgabe des Wesens der Wahrheit als Freiheit. Indem nämlich alles mit Abstand und Distanziertheit als vergegenständlicht vorgestellt wird, wird damit der metaphysischen Gestimmtheit Rechnung getragen, die zwar einzelnes Seiendes entdeckt, aber das Seiende im Ganzen in der Verborgenheit belässt. Wahrheit ist nach Heidegger aber in ihrem Wesen Freiheit. Das Wesen der Wahrheit ist Freiheit. Die Freiheit ist der Grund des Grundes. Als dieser Grund zeigt sich die Freiheit des Seinlassens als der Ab-grund des Daseins. Als Eingelassenheit in die Entbergung des Seienden im Ganzen hat die Freiheit alles Verhalten schon auf das Seiende im Ganzen in der metaphysischen Gestimmtheit abgestimmt. Weil dieses ›im Ganzen‹ aber im Gesichtsfeld des alltäglichen Rechnens und Beschaffens, also gemäß dem Natürlichen, dem Physischen – und insofern meta-physisch – gedacht wird, bleibt das Seiende im Ganzen im Paradigma des metonymischen Denkens meist verborgen. Es verbirgt sich dabei nicht das Seiende als solches, sondern vielmehr das Verhältnis zur Verbergung, also das Denkmodell als Präfiguration des möglichen Denkens in seiner tiefensprachlichen Konfigurierungskapazität selbst. Verantwortlich für das abendländische Selbstund Weltmissverständnis im Modus verrechnend-vergegenständlichenden Denkens ist also eine Art struktureller Selbstintransparenz der dem Menschen nächsten Verhältnisse. Weil die Verborgenheit des 113

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Seienden im Ganzen eigentliche Unwahrheit und diese älter als jede Offenbarkeit ist, ist das ›eigentliche Un-wesen der Wahrheit‹ ein ›Geheimnis‹. 114 Das volle Wesen der Wahrheit schließt damit ihr Unwesen mit ein. 115 Freiheit kann jedoch das Geheimnis lüften, denn sie ist als das »Seinlassen des Seienden in sich das entschlossene, d. h. das sich nicht verschließende Verhältnis« 116. Weil sich aber der Mensch immer nur an das ›Gangbare und Beherrschbare‹ hält, ist er nach Heidegger selbst meist nur im ›Gängigen‹ ansässig und hat die Verbergung als Grundgeschehnis vergessen. Heidegger verurteilt dieses Vergessen als vermessene Haltung, denn das Dasein deklariert das Gängige für das Beste. Es versteift sich auf naheliegende, gangbare Möglichkeiten, ohne sich für wirklich Neues offenzuhalten: »Ek-sistent ist das Dasein insistent.« 117 Als insistentes geht das Daseins dann aber auch in die Irre, weil es sich vom ›Geheimnis‹ weg- zum ›Gangbaren‹ hinwendet. Insofern gehört es zur inneren geschichtlichen Verfassung des Daseins, dass es in der Irre geht, weil es ›ek-sistent in-sistiert‹. 118 Die Unrichtigkeit zum Beispiel des wissenschaftlichen Urteils und die Falschheit der Erkenntnis ist dabei nur eine oberflächliche Weise des Irrens. Um sich aber ins Unumgängliche zu begeben und sich als geschichtliches Menschentum nicht beirren zu lassen, ist der Ausblick in das Geheimnis aus der Irre notwendig. Dies geschieht in der Entschlossenheit zum Geheimnis, in der die Frage nach dem Wesen der Wahrheit ursprünglicher gefragt wird, weil es die Frage nach dem Seienden als solches im Ganzen ist. Seit Platon trägt dieses Fragen nach dem Seienden im Ganzen den Titel Philosophie. Später erhält es den Namen Metaphysik. »Im Denken des Seins kommt die geschichtegründende Befreiung des Menschen zur Ek-sistenz ins Wort, das nicht erst der ›Ausdruck‹ einer Meinung, sondern je schon das gutverwahrte Gefüge der Wahrheit des Seiendem im Ganzen ist.« 119 Mit Platon bezieht Heidegger Stellung gegen die Sophistik der Antike: »In demselben Weltaugenblick jedoch, den der Anfang der Philosophie erfüllt, beginnt auch erst die ausgeprägte Herrschaft des gemeinen Verstandes (die Sophis114 115 116 117 118 119

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Vgl. ebenda. Ebenda, S. 27. Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 24. Vgl. ebenda. Ebenda, S. 26 f.

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tik)« 120, weil sie sich auf die Fraglosigkeit des offenbaren Seienden deutet und jedes denkende Fragen als Angriff auf den gesunden Menschenverstand wertet. Aber der gesunde Menschenverstand trifft nicht das Wesen der Philosophie. Das Wesen der Philosophie lässt sich Heidegger zufolge nur ›aus dem Bezug zur ursprünglichen Wahrheit des Seienden als solchen im Ganzen bestimmen‹. 121 Weil aber das volle Wesen der Wahrheit das Unwesen mit einschließt und vor allem als ›Verbergung waltet‹, kann die Philosophie die Wahrheit nur zwiespältig erfragen. Insofern ist ihr Denken ›die Gelassenheit der Milde‹ einerseits und die ›Ent-schlossenheit der Strenge‹ andererseits. »In der milden Strenge und strengen Milde ihres Seinlassens des Seienden als solchem im Ganzen wird die Philosophie zu einem Fragen, das sich nicht einzig an das Seiende halten, aber auch keinen Machtspruch von außen zulassen kann.« 122 Insofern stellt sich für Heidegger die Frage, ob die Philosophie die Halterin ihrer Gesetze ist oder ob sie selbst gehalten wird, in Anbetracht der Seinsgeschichte und ihrer Vergessenheit nicht mehr. Sie wurde von ihm bereits beantwortet. Die Frage nach dem Wesen der Wahrheit muss nämlich zugleich die Frage nach der Wahrheit des Wesens sein. »Im Begriff des ›Wesens‹ aber denkt die Philosophie das Sein.« 123 Diese intrinsische Rückbezüglichkeit zeichnet die synekdochale Logik gegenüber der metonymischen aus. Heideggers phänomenologisch sich immer weiter vertiefendes Denken an das Sein versucht zwar, den Balken im Auge von abendländischer Wissenschaft und Philosophie mit den Mitteln des zur Verfügung stehenden metonymischen Rahmenmodells auszuloten und zur Sprache zu bringen und deren Grenzen zu markieren. 124 Er tut dies aber, indem er sein Fragen immer weiter treibt und von der Sprache für den normal sozialisierten metaphysischen Philosophen zu neuen sprachlichen Abgrenzungen kommt. Sprachlich wird dies am deutlichsten, indem er ein neues Wort einführt, das bisher noch nicht im Deutschen vorhanden war und sich auch nur noch graphematisch und mit vorheriger Kenntnis des Heideggerschen Projektes und seiner inneren Logik verstehen lässt. Hier nämlich bringt Hei-

120 121 122 123 124

Ebenda, S. 27. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 28. Vgl. ebenda, S. 26.

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degger ein künstliches tertium comparationis ein: Das ›Seyn‹ mit Y geschrieben soll als der ›waltende Unterschied von Sein und Seiendem‹ künftig gelten. 125 Heidegger ist also um eine angemessene Darstellungsform des Auszudrückenden auch über solche graphematischen Eigenheiten bemüht. 126 Angedeutet wird auf diese Weise zugleich die Verdichtungstendenz, wenn man sich systematisch einem anfänglicheren Denken nähert. Darüber hinaus soll das Substantiv ›Seyn‹ ausdrücklich nicht als Substantiv, sondern ›verbalisch‹ verstanden werden, nämlich als ›lichtendes Bergen‹. Sonach ist der auf den ersten Blick tautologisch erscheinende Satz: »das Wesen der Wahrheit ist die Wahrheit des Wesens« 127 in eben dieser verbalischen Art des Wesens, nämlich in analoger Form etwa von die ›Wahrheit west‹, zu verstehen. Ist nämlich der Grund des menschlichen Daseins das Sein und versteht sich das Dasein vor allem vom Seienden her, weil es in die Welt des Seienden hinaussteht, so soll das Wort ›Seyn‹ nun genau den Unterschied markieren, der Sein und Seiendes innerhalb der Existenz des Menschen trennt, der (unter)scheidet. Das Seyn ist also nicht Ergebnis, sondern die Aktivität des ursprünglichen Scheidens in Sein und Seiendes. Wenn es nun aber nicht Ergebnis oder Produkt ist, so entstammt es auch nicht länger einem metonymischen Redemodus. Seyn soll als Vollzug gedacht werden. Der Ursprung der Menschwerdung ist sozusagen nicht etwas Starres: ›das Wort‹ oder ›die Dinge‹, sondern eine tätige geistige Bewegung: das Scheiden von etwas ursprünglich in Einheit Verdichtetem, von Sein zu Seiendem. Aber erst im Prozess des Unterscheidens erlangt der Mensch sowohl Seinsbezug als auch Seiendes, das ihm als Objekthaftes gegenübersteht. Die äußerliche Unterscheidung von zwei Worten soll also eine neue Etappe auf dem Weg der Frage nach dem Sinn des Seins auch optisch andeuten. Die optische, formale Unterscheidung durch das Binnenminuskel-Ypsilon ist dabei die eine Sache. Eine andere, materiale Sache beEbenda. Dabei steht das Y nicht nur für ein beliebiges Kennzeichen der Andersheit und gleichzeitigen Verbindung mit Sein und Seiendem, sondern greift bewusst eine Schreibweise auf, die in älteren deutschen Texten, zum Beispiel in der Zeit Luthers und Müntzers, durchaus üblich war. Auch in Sein und Zeit gibt es bereits in den Zitaten von Zwingli und Calvin Andeutungen, woher das Y kommen könnte. Weitere Anspielungen finden sich dann später in Heideggers unveröffentlichten Texten Gedachtes. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 49; und ders., Gedachtes, GA 81. 127 M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, S. 29. 125 126

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trifft den Inbegriff dessen, was mit dieser Abgrenzung gewonnen werden soll. Der Unterschied von Sein zu Seyn wird nämlich gar nicht als Kriterium im herkömmlichen Sinne aufgefasst, so dass die Worte nur wieder eine rein metonymische Sonderung erfahren und formal gegeneinander gestellt würden. Sie werden vielmehr als eine aktive Bewegungsform aufgefasst. Heidegger versteht das Seyn als ›etwas‹, das ›etwas tut‹, wenn das Dasein existiert und sein Seinsverhältnis klären will. Und so wie sich bei Heidegger die ›Zeit zeitigt‹, die ›Welt weltet‹, das ›Nichts nichtet‹, das ›Wesen west‹ so muss sich auch der Modus dessen, was verbalisch vom Sein gesagt werden kann, sich von dem unterscheiden, was vom Seienden, das ja (anwesend) ist, ausgesagt werden kann. Dabei sagt er nicht einfach ›das Seyn seynt‹ oder ›das Seyn yst‹, womit keine Erklärung gewonnen wäre. Auch hier bedarf es eines Umweges: Der Grundzug des Seyns ist für Heidegger ›lichtendes Bergen‹ und als solches Wahrheit. 128 ›Lichtendes Bergen‹ ist für Heidegger die Übereinstimmung von Phänomen›(Er)Kenntnis‹ und Seyn. Es ist damit ein erneuter Versuch, das erste Prinzip beziehungsweise den Grund des Grundes zu benennen und zu charakterisieren. Heidegger beschreibt diese Tätigkeit des ›Seyns‹ als ›wesen lassen‹. Diese veränderte Bestimmung soll darauf hinweisen, dass der Satz weder im Sinne einer Washeit (lat. quidditas) oder Sachheit (lat. realitas) aufgefasst werden soll, noch dass hier überhaupt ein Satz im Sinne einer Aussage vorliegt, die nach ›wahr‹ und ›falsch‹ beurteilt werden könnte. Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Wahrheit gibt Heidegger also nicht im Modus der herkömmlichen Verstehbarkeit seiner Sätze, sondern indem er einen neuen – für manche Leser als Zumutung empfundenen – Verstehenshorizont aufreißt. Das Wesen der Wahrheit soll schließlich den ›Charakter der Erkenntnis‹ markieren und nicht Erkenntnis als Produkt eines Prozesses. Auch diese Stoßrichtung deutet auf das Drängen nach einem synekdochalen Redemodus anstelle eines metonymischen hin. Doch in den Verstehenshorizont eines alle üblichen grammatischen und logischen Regeln absentierenden Erkenntnischarakters hineinzugelangen, ist schwierig. Und ein solcher Schritt ist nicht auf metonymischem Wege zu erreichen. Denn wie man den Charakter eines Menschen nicht aus der Draufsicht auf die Summe seiner Handlungsergebnisse, sondern aus den zugrunde liegenden Prinzipien und Maximen, denen er in seinen Handlungen folgt, bzw. sei128

Ebenda.

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nem Entwurfscharakter, erkennen kann, so lässt sich der Charakter der Erkenntnis des Seienden nicht aus der Summe der Erkenntnisse, die sich aus der Übereinstimmung von Verstandeskategorien und Gegenständen ergeben, ermitteln. Vielmehr zeigt sich das Wesen der Wahrheit als eine zugrunde liegende charakteristische geschichtliche Offenheit des Denkens für das Sein. Dem metonymischen Denkmodell muss demzufolge etwas zugrunde liegen, das eine engführende Bestimmung auf Metaphysisches erst möglich macht, einen Unterschied hergibt. Wenn nun nach Heidegger das Wesen der Wahrheit die Wahrheit des Wesens ist, dann ist das – wie Heidegger selbst bemerkt – keine bloß umgekehrte Wörterzusammenstellung, sondern eine ganz andere, ›fatale grammatische Kategorie‹, die die Grenzen des semantisch Erlaubten bereits verlässt. Heideggers ›lichtendes Bergen‹, das ›wesen lässt‹, ist nicht mehr die Übereinstimmung von Erkenntnis und Seiendem. 129 Diese synekdochischen Redemodi sind nicht mehr als Sätze im aussagenlogischen Sinne einer eindeutigen Zuordnung und Definition gemeint. Hier steht sich nichts mehr als Subjekt und Objekt prädikativ gegenüber, denn Heidegger befindet sich bereits vor aller Unterscheidung von Subjekt, Objekt und Prädikat. Lichtendes Bergen, das wesen lässt, soll vielmehr die Voraussetzung für die Unterscheidung nach Maßgabe eines aussagenlogischen Wahrheitsbegriffes sein, der dann nach richtig und falsch beurteilt werden kann. Lichtendes Bergen und wesenlassen sind dann vor jeder Unterscheidung von richtig und falsch. Als Mitverstehen der Gehaltenheit in die Wahrheit bildet solcherlei quasi-poetische Rede vielmehr den Charakter der Stimmung vor aller metaphysischen Gestimmtheit im metonymischen Rede- und Darstellungsmodus. Solche Rede ist appellativ. Sie ist nicht exakt im naturwissenschaftlichen Sinne, aber genau und streng in einem orientierenden und sinnvollen Sinne. Weil Heideggers Sprachdenken auf dem Weg ist, die Metaphysik hinter sich zu lassen – und mit ihr konsequenterweise ihre Methoden, Denk- und Redemodi –, so bedarf das Fragen nach dem Wesen der Wahrheit nun auch einer Kehre innerhalb der Geschichte des Seyns selbst. 130 Heidegger schlägt damit einen Weg ein, der, »statt Vorstellungen und Begriffe zu liefern, sich als Wandlung des Bezugs zum

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Sein erfährt und erprobt.« 131 Implizit weist Heidegger mit dieser Kehre darauf hin, dass das jeweilige Wahrheits- und Seinsverständnis des Daseins auch von den Mitteln seiner Aufnahme medial bestimmt wird. Das entspricht einer Ansicht, die nicht von einem starren objektstufigen System der Sprache als basissatzfundiert ausgeht, sondern dieses System als Konzeptmöglichkeitssystem selbst offen halten will. Heidegger hält es mit seinem existenzialen Denken nicht nur offen, sondern dynamisiert das sprachliche System des Deutschen sogar noch darüber hinaus. Indem er möglichst viele Register der Sprache zum Tragen kommen lässt, bricht er nicht nur die Starre des Denkens, sondern auch der Sprache selbst auf. Sprache zeigt sich als ein offenes System, indem sich Denken und Sprache wechselseitig befruchten. Sie zeigt sich zugleich in ihrer präfigurierenden modellhaften, holistischen und paradigmatischen Struktur, die aufzeigt, wie stark sowohl das alltägliche als auch das wissenschaftliche Sprechen von metonymischer Logik benommen ist. Heideggers Denkweg macht zugleich deutlich, wie die Synekdoche dem dominanten Modus metaphysisch-vergegenständlichter Welt- und Wirklichkeitsauffassung entzogen und in ein ganzheitlicheres Seinsverständnis, nämlich als synthetisches Mitverstehen des Durchdrungenseins des Seins des Daseins von transzendentaler Freiheit aufgefasst werden muss. Im synekdochischen Mitverstehen des Hinausgehaltenseins des Daseins in die Wahrheit wertet Heidegger die praktischen Kooperations-Beziehungen, die Menschen untereinander eingehen, gegenüber dem referenziellen Bezug auf Gegenständliches enorm auf. Damit integriert er die bisherigen Vergegenständlichungs-Konzepte, die vor allem aus dem Konzept-Bereich des Räumlichen und Verdinglichten, und damit des Metonymischen und Erkenntnistheoretischen, entstammen, in das Konzept des Zeitlichen am Mitmenschlichen. Wenn das Räumliche im Zeitlichen integriert ist, dann ist die Transzendenz des Daseins nicht selbst wieder als Räumlich-Metonymisches aufzufassen, sondern als ein radikal Zeitliches. Denn nur als Zeitliches kann das Dasein frei sein, indem es zum Beispiel seine Geschichte mitbestimmt. Insofern liegt hier nicht einfach eine Ersetzung des Räumlichkeits- durch das Zeitlichkeitsparadigma vor, das einem kategorial-zergliedernden Teil-Ganzes-Verständnis folgt. Vielmehr ist ein völlig anderes Denkparadigma entstanden, das durch ein existenzial-verdichtendes Daseinsverständnis 131

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Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche

charakterisiert ist. Dieses greift hinter jedes kategoriale Teil-Ganzesbzw. Art-Gattungs-Verhältnis zurück in ein holistisches Weltbild der Ek-sistenz. Allmählich kann sich also Heidegger ontologisch und sprachlich vom metaphysisch-metonymischen Vorhandenheitsdenken befreien. Dabei zeigt sich, wie eng Sprache und ontologische Fragestellungen miteinander zusammenhängen. Die logischen Modi der Metonymie und vor allem der Synekdoche profitieren insofern von Heideggers Kehre, denn ihre existenzialen Potenziale kommen so erst richtig als unterschiedliche Logiken des Selbst- und Weltverstehens zur Geltung. Vom Zergliedern, Kategorisieren und Taxonomieren des extern zugänglichen Materials innerhalb des logischen Modus der Metonymie wird jetzt deren Kapazität des sprachlichen Nahbezuges innerhalb von Substitutionsbeziehungen erst zu einem philosophischen Thema. Mit der Interpretation des Heideggerschen Denkweges kann aufgezeigt werden, wie aus der kritischen Inblicknahme des metaphysischen Denkmodells die Figurentaxonomie des Metonymischen als Paradigma aller Erkenntnis ihre Dominanz begründet, aber in einem gründlicheren und strengeren, kritischeren Fokus einer existenzialen Perspektive auf ihre spezielle Seinsweise ihre Geltung als im vollen und ursprünglichen Sinne holistisches Seinsverhältnisses an ein vormetaphysisches, synekdochisches Denkmodell abgeben muss. Heideggers Denkweg zeigt, wie das verrechnende und gleichmachende, theoretisch-logizistische, auf Präsentisches und Gegenständliches bezogene Denken an Gewicht verlieren muss, wenn innerhalb einer Metaphysikkritik die Betonung auf eine phänomenologische, ontologische, hermeneutische und transzendentale Sicht auf existenziale holistische Praxisvollzüge gelegt wird. Die von Heidegger näher bedachten Topoi sind dabei austauschbar, weil sie nur verschiedene Facetten desselben zeigen und aus ihnen letztlich das Selbe hervorgeht. Das so gewonnene synekdochische Denkmodell als intrinsisches Näheverhältnis unterscheidet sich dezidiert von der vergegenständlichenden Kontiguität des äußerlich Benachbarten. Erwiesen ist damit, dass das substitutionstheoretische Klassifikationsschema falsch ist, weil es alle Tropen unter die Maßgabe des Metonymischen bringt und damit zum Beispiel die Darstellungsform der Synekdoche gar nicht erfassen kann. Zugleich ist gezeigt, dass das synekdochische Mitverstehen keine Subform des Metonymischen ist, sondern das Metonymische im besten Falle ein Derivat des Synekdochischen.

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Metaphysik und Nihilismus

10.3. Metaphysik und Nihilismus Heideggers Denken der Kehre ist auf der Suche nach der angemessenen sprachlichen Fassung seines alternativen Denkprojektes, das die Phänomene zu retten versucht. Er vermeidet es aufs Peinlichste, in ontologische Missverständnisse hinsichtlich der Bestimmung des Seins zu kommen. Letztlich unternimmt er eine darstellungsformale Dreierunterscheidung: das ›Seiende ist‹ ; das ›Sein west‹ und das ›Seyn scheidet‹. Dabei birgt das ›Seyn‹ das ›Sein‹ und das ›Sein‹ das ›Seiende‹ nicht metonymisch wie in einer russischen Matrioschka oder wie geschachtelte Schachteln in sich, sondern wiederum intrinsisch als Voraussetzung oder zugrunde liegende Charaktere durchdringend, also synekdochisch. Mit dieser hypothetischen und rein aus logischem Denken heraus gewonnenen Methodik will Heidegger aufzeigen, auf welchem Niveau sich das zergliedernde Denken mit seiner speziellen metonymischen Logik, das das alltägliche Dasein und das aus ihm hervorgegangene Projekt der Wissenschaften bestimmt, bewegt und welche Dimension dagegen Heideggers ›abgründigeres Denken‹ selbst anstrebt. Gleichzeitig werden die Schwierigkeiten der Loslösung aus dem metonymischen Denken offenbar. Das kritische Potential seiner formalen logischen Analyse wird getragen von der Tendenz eines Sichimmer-weiter-entfernens der okzidentalen Wissenschaften und Philosophie vom ursprünglich verdichteten anfänglichen Denken als Denken der Teilhabe an der Einheit von Sein und Zeit, wobei die seinsgeschichtliche Fokussierung auf das Seiende und das gleichzeitige Vergessen der Zeit durch dessen verräumlichte Vergegenständlichung zu gefährlichen Konsequenzen für den Menschen geworden sind. Die innere metaphysische Logik dieser Konsequenzen als einen Nihilismus aufzuzeigen, ist daher das hauptsächliche Projekt Heideggers seit Mitte der 30er Jahre. In diesen Jahren befasst sich Heidegger mit Fragen nach der Humanitas, der Würde und dem Wesen des Menschen. Weil Heidegger die Würde des Menschen in der bisherigen abendländischen Geistesgeschichte nicht nur als nicht erfasst, sondern viel zu flach angesetzt sieht, gilt es, sich inständig mit den Auswirkungen des Nihilismus zu befassen. Als Scheidung, also alles zergliedernde und portionierende Vernichtsung und Vernichtung ist der Nihilismus die folgenreiche Konsequenz alles Bewirken- und Beherrschenwollens. Dieser Nihilismus kommt für Heidegger am deutlichsten in den Schriften Nietzsches zum Ausdruck. Heidegger sieht Logik der Tropen

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Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche

hier eine alles negierende bzw. vernichtende Metaphysik am Werk. Diese nihilistische Metaphysik macht alles zum ›Gestell‹ und zugleich ›nichtig‹. 132 Sie gründet im Wesen der Technik. Eine Rettung aus dieser Daseinstendenz gibt es nach Heidegger nur in und durch Kunst mit ihrer gegenläufigen Tendenz. Ab 1936 gibt Heidegger Nietzsche-Vorlesungen. 133 In diesen Vorlesungen versteht Heidegger Nietzsche nicht als ›Überwinder des Nihilismus‹, sondern vielmehr als dessen Vollender. Weil dieser die Umwertung aller Werte nur auf metonymische Weise vornimmt, kehrt er die Metaphysik lediglich um, statt sie zu überwinden. Er kritisiert Nietzsche nicht in seinem Weltbild, sondern in seiner denkerischen Inkonsequenz. 134 Heidegger sieht in der Blut- und Rassenmystik eine mögliche Konsequenz des physiologisch gefassten Willens zur Macht, und bewertet diese Konsequenz als negativ: »Für Nietzsche ist die Subjektivität unbedingt Subjektivität des Leibes, das heißt der Triebe und Affekte, das heißt des Willens zur Macht … Das unbedingte Wesen der Subjektivität entfaltet sich daher notwendig als die brutalitas der bestialitas. Am Ende der Metaphysik steht der Satz: Homo est brutum bestiale. Nietzsches Wort von der ›blonden Bestie‹ ist nicht eine gelegentliche Übertreibung, sondern das Kennzeichen und Kennwort für einen Zusammenhang, in dem er wissend stand, ohne seine wesensgeschichtlichen Bezüge zu durchschauen.« 135 Vgl. M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, GA 7. M. Heidegger, Nietzsche, GA 6a und GA 6b. Die Vorlesungen sind in den Jahren 1936 bis 1940 an der Universität Freiburg im Breisgau gehalten worden. Daran an fügen sich Abhandlungen. Als Ganze möchte die als Nietzsche zusammengefasste Vorlesungsreihe jedoch bereits einen Blick auf den Denkweg verschaffen, den Heidegger seit 1930 bis zum Brief über den Humanismus 1947 gegangen ist. Vgl. Vorwort aus dem Mai 1961, M. Heidegger, Nietzsche, GA 6a, S. XII. 134 In diesem Zusammenhang muss sich Heidegger auch mit der Vereinnahmung Nietzsches durch Nazi-Ideologen wie zum Beispiel Alfred Baeumler auseinandersetzen. Baeumler nämlich beutet die ›Philosophie des Willens zur Macht‹ und Nietzsches Experimentieren mit dem Biologismus seiner Zeit aus und banalisiert dabei Nietzsches ›Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen‹. Für Baeumler gibt es bei Nietzsche nur einen Triebgrund. Diese physiologische Interpretation wird zu ›Rasse‹ und ›Blut‹ radikalisiert. – Andere, wie Ernst Krieck und Arthur Drews, meinten hingegen, dass eine solche Vereinnahmung nicht auf dem Denken Nietzsches beruhen könne, denn Nietzsche sei eben Gegner des Sozialismus, Gegner des Nationalismus, Gegner des Rassismus und Gegner des Gemeinnutzes und messe den Juden bei der Verschmelzung aller Nationen sogar eine Hauptrolle bei. Eine Vereinnahmung konnte also nur auf Oberflächlichkeit und Willkür zurückzuführen sein. Vgl. R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, a. a. O., S. 336 ff. 135 M. Heidegger, Nietzsche, GA 6b, S. 200 (Kursivierung BK). 132 133

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Metaphysik und Nihilismus

Das ist ein frontaler Angriff gegen die Metaphysik des Rassismus und des Biologismus, für die Nietzsche bei den Nationalsozialisten steht. Diese wesensgeschichtlichen Bezüge holt Heidegger zunehmend mehr ein. 136 Nietzsches Denken gibt dafür allerhand Anhaltspunkte. 137 Deswegen lohnt für Heidegger eine tiefere Auseinandersetzung gerade mit diesem Autor. Die Verherrlichung der Nietzsche-Rede von der ›blonden Bestie‹ ist für Heidegger die nihilistische Konsequenz des Aufstandes des Subjektes. Heidegger begreift die Kritik an der dekadenten Entwicklung des abendländischen Menschen, die Nietzsche bis auf Sokrates zurückführt, als Höhepunkt und letzten Ausdruck dieser Epoche selbst und nicht als Beendigung dieser Entwicklung. Die Nietzsche-Adepten bemerkten nicht, dass es sich um eine Vollendung und nicht um eine Überwindung des Nihilismus gehandelt habe. Eine Vollendung – auch wenn sie prima facie fortschrittsoptimistisch klingt – ist zunächst nur ein Zu-Ende-kommen auf einer (formal geurteilt) höchsten bzw. einer (moralisch geurteilt) niedrigsten Stufe. Die niedrigste Stufe des Menschen ist es aber, sich wie ein Tier, eine ›blonde Bestie‹, zu verhalten. Heidegger muss daher eine partielle Verwendbarkeit Nietzsches für die herrschende Ideologie zugeben. Zugleich setzt er sich selbst aber dezidiert von diesem Geist ab. 138 Sein eigenes Denken versucht Heidegger als kritische Anknüpfung, Distanzierung und zugleich notwendige Überwindung Nietzsches zu verfassen. Für Nietzsche ist Wille der Wille zur Steigerung der Lebensintensität. Wille ist Ursein. Wille ist nicht Begehren oder dumpfer Trieb, sondern Befehlenkönnen, also eine Kraft, das Sein wachsen zu lassen. Es ist eine Art Stärker-werden-wollen bzw. Wachsen-wollen um jeden Preis. Lebenserhaltung ist für Nietzsche überhaupt nur im Modus des Willens, nämlich als Wachsen-wollen denkbar. Wer nicht wächst, geht unter, wer nicht befehlen kann, bleibt Sklave und geht unter. Das Leben will bei Nietzsche Intensitätssteigerung und Ausdehnung. Das Leben hat keinen transzendenten, sondern den immaVgl. R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, a. a. O. Eine intensive Auseinandersetzung mit Heideggers Nietzsche-Rezeption findet sich unter anderem in: W. Müller-Lauter, Heidegger und Nietzsche. Nietzsche-Interpretationen, Berlin 2000. 138 Für die Nationalsozialisten ist Heidegger, das Parteimitglied, deshalb zunehmend suspekt und wird aus dem Amt gedrängt. Nicht wissend, ob er getäuscht wurde oder sich selbst täuschte, interessiert ihn als Philosoph, woraus diese Ideologie erwuchs und aus welcher inneren Logik sie sich geistig speist. 136 137

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nenten Richtungssinn der Intensitätssteigerung. Das Leben waltet, indem es überwältigt und einverleibt. Weil dies für Nietzsche ein bloß energetischer Prozess ist, ist er ›sinn-los‹, denn er ist auf keine übergeordnete Zwecksetzung bezogen. Es gibt für Nietzsche keinen Sinn des Lebens an sich. In der langen Geschichte der Metaphysik ist für Nietzsche ein riesengroßer Schwindel am Werk: Es gibt weder Sinn noch Wert noch einen Sinngeber, etwa Gott. ›Gott ist tot‹, ist daher die Konsequenz, die Nietzsche aus der Sinnlosigkeit allen Daseins zieht. Die Menschen sehen immer nur dann irgendetwas als Wert und Sinn an, wenn es der Erhaltung und Steigerung des eigenen Willens zur Macht oder zur Abwehr von Übermächten dient. Auch hinter den obersten Werten: Gott, Ideen, Übersinnliches stehen solche Wertschätzungen, deren Hintersinn für Nietzsche einzig der Wille zur Macht ist. Nach Nietzsche ist dieser Hintersinn deshalb so lange verdeckt geblieben, weil den selbst gemachten Werten ein übermenschlicher Ursprung angedichtet wurde, um sich der Verantwortung für das eigene Tun zu entziehen. Auch das Diesseits, die Körperlichkeit und die Endlichkeit wurden in dieser abendländischen Metaphysikgeschichte zugunsten von Jenseits, Geistigkeit und Ewigkeit entwertet. Das hypostasierte, sich selbst an die Stelle Gottes setzende menschliche Subjekt versteckt sich also hinter seinen – zum Beispiel als Gott entäußerten – Werten und schafft auf diese Weise eine Hinterwelt, die das Subjekt von der eigenen Verantwortung entlasten soll. Diese hinterweltlerische Entlastung durch Wertsetzung entlarvt und überwindet Nietzsche. Entstanden als Schutzwehr gegen die Bedrohung durch die ›Nichtigkeit‹ (Sinnlosigkeit) und Endlichkeit des Lebens, sollen alle Werte umgewertet werden. Die Ent-Wertung der hinterweltlerischen Werte ist damit das eigentliche Ziel des Nietzscheschen Nihilismus. Sie ist gleichbedeutend mit dem Eingeständnis eines an sich sinnlosen Diesseits, der Übernahme einer großen Verantwortung und der Heiligung einer geschichtlichen Chance auf größtmögliche Freiheit. Die Kräfte des Transzendierens sollen bewahrt, aber in die Immanenz umgelenkt werden. Nietzsches Rede vom ›Übermenschen‹ ist ein Topos, der das Heilige als die freie, schöpferische Selbstermächtigung ins menschliche Leben selbst verlegt. Die ewige Wiederkunft des Gleichen zeigt sich damit nicht länger als resignative Weltmüdigkeit oder entleerte Sinnlosigkeit, sondern in einer Lebensbejahung, nämlich dem Imperativ eines da capo!: Lebe jeden Augenblick so, dass Du Dir wünschen kannst, dass er wiederkehren möge. Damit ist für 478

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Nietzsche der Mensch Schöpfer aller Bedeutsamkeit und Sinnhaftigkeit. Der Mensch muss sich bloß der Verantwortung stellen und das Leben in all seinen Facetten bejahen und nicht feige an selbst geschaffene Werte und Institutionen abgeben. Heidegger folgt Nietzsche bei der Kritik des Idealismus und der Heiligung des augenblicklichen, endlichen und irdischen Lebens, denn er entlarvt darin die Tendenz des Daseins selbst als abstrahierende Vergegenständlichungen zum Zwecke der Entlastung und damit Flucht vor dem eigensten Seinkönnen. Für Heidegger klärt Nietzsche damit über die Vorhandenheitslogik selbst auf. Er hat das wichtigste Kriterium der abendländischen Metaphysik auf den Punkt gebracht und ist damit ihr Vollender. Die Tendenz zur Vergegenständlichung im Dasein wird überdeutlich vor Augen geführt. Auch deren Konsequenzen werden kontrastreich dargestellt. Es sind wesentliche Meilensteine benannt, die auch für Heidegger maßgeblich sind. So zeigt sich im Willen zur Macht der Wille zur Beherrschbarkeit der Natur durch Technik. Im Topos der Wiederkehr des Gleichen zeigt sich die Schwierigkeit, aus dem Vorhandenheitsdenken über die Vertauschung von Ursache-Wirkungs-Verhältnissen herauszukommen. Die Umwertung der Werte zeigt den Appell an, aus dem Paradigma des metaphysisch-metonymischen Denkmodells herauszukommen und einen radikalen Neuanfang zu wagen. Für Heidegger ist Nietzsches Denken jedoch noch immer nicht radikal genug. Letztlich bleibt Nietzsche in der Metaphysik gefangen, vollendet sie zwar, aber schafft kein wirklich anderes Denkmodell. Vielmehr, so Heideggers Kritik, verlegt er die Funktionen des Metonymisch-Metaphysischen, die bisher Entäußerungen des Menschen waren, nur in den Menschen hinein. Ausgehend vom Prinzip des Willens zur Macht zieht Nietzsche alles in den Umkreis des wertenden Menschen hinein und vergisst damit die Eingebettetheit des Menschen in ein Seinsgeschehen, das er selber nicht bewirken kann. Damit bleibt Nietzsche im vergegenständlichenden Paradigma des Seienden und Ontischen. Über die Verwicklungen im Seienden, so Heidegger, hat Nietzsche – wie alle anderen Philosophen vor ihm auch – vergessen, das Sein zu bedenken und zur Sprache zu bringen. Das Sein, mit dem es der Mensch zu tun hat und das er in gewisser Weise selbst durch seinen Bezug phänomenal zum Vorschein bringt, wird nur als Überlebenskampf-Wert angesehen. Das Sein ist aber nichts vom Menschen Geschaffenes, kein Wert unter anderen, auch nicht zum Beispiel der höchste Wert: zu sein! Logik der Tropen

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Nietzsche, so Heidegger, kann das Sein nur aus einer Perspektive der ästhetischen, theoretischen, ethischen und praktischen Wertsetzung sehen; die Welt ist für Nietzsche der Inbegriff von ErhaltungsSteigerungsbedingungen. In dieser Perspektive kann letztlich alles zum Gegenstand gemacht werden. Hauptsache ist, es dient der Intensitätssteigerung des Lebens. Das Sein wird damit aber auf Seiendes reduziert. Das Sein bzw. die Welt, die die Grundbedingung des menschlichen Daseins sind, werden von Nietzsche sozusagen zur Vernutzung freigegeben. Deswegen ist Nietzsche auch nicht der Überwinder, sondern nur der Vollender des abendländisch-metaphysischen Nihilismus. Hierin setzt sich Heidegger von Nietzsche rigoros ab. Die ›blonde Bestie‹ kann nicht das Ziel von Heideggers Philosophie sein. 139 Weil Nietzsche den Menschen nicht von seinem Seinsbezug, sondern vom Seienden, nämlich einem sozialdarwinistischen Prinzip her versteht, schneidet er den Menschen von seinem Seinsverhältnis und damit seinen Existenzmöglichkeiten ab. Seine Existenzmöglichkeit aber ist seine Freiheit. Den Menschen aber vom Seienden her zu verstehen ist per se Nicht-Freiheit, sondern Determiniertheit. Damit stellt Nietzsche den Menschen wie ein Tier in seiner Umwelt fest. Trotz seiner beispielhaften Analyse der Flucht- und Entlastungs-Hybris des Menschen setzt Nietzsche damit den Menschen nicht phänomengemäß, sondern zu flach an, versteht ihn nämlich vom TierischTriebhaften und in seiner Umwelt Festgestellten her. Es ist für Heidegger somit der Spielraum und die offene Stelle zum Sein hin, die von Nietzsches Wert des ›Zu-sein!‹ verspielt wird. Nietzsche ist von seinem Entwurf der Intensitätssteigerung benommen. Aber überall da, wo eine Kultur von sich selbst benommen ist, herrscht für Heidegger Unfreiheit. Denn in dieser metaphysischen Benommenheit geht das Bewusstsein für die Relationalität der Seinsweisen und damit auch die Kraft, diese zu transzendieren, verloren. 140 Das Sein als offener Horizont möglicher Seinsverhältnisse ist aber der Möglichkeitsspielraum, damit die Grundbedingung für die Entwicklung des menschlichen Daseins. Will man das Sein in einen bestimmten Entwurf pressen, wie Nietzsche dies nach Heideg139 Es ist jedoch offen, ob die ›blonde Bestie‹ Nietzsches Ideal trifft, oder nicht vielmehr ironisch, genauer hyperbolisch, zu lesen ist. 140 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 61: »Das In-der-Welt-sein ist als Besorgen von der besorgten Welt benommen.«

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ger versucht, so hat man das Sein als Sein bereits aufgegeben. Die Seinsfrage zeigt sich in ihrer Funktion nämlich als Horizonteröffnung für mögliche Seinsverhältnisse. Wirklich verstanden darf sie eigentlich gar nicht beantwortet, sondern muss offengehalten werden. Sie enthält sich damit jeglicher fixierender Weltanschauung oder Ent-Scheidung und damit jedem Versuch, die Zeitlichkeit des Seins durch eine ewige Wiederkunft des Gleichen zu vernichten, das heißt zu ›verseien‹, und – wenn ›sein‹ als Zeitwort gilt – zu verzeitlichen. Das Sein muss nach Heidegger also radikal δύναμις (dynamis) bleiben. Es darf nicht aus seinem Möglichkeitscharakter in eine Wirklichkeit verwandelt werden, darf nicht ›be-wirkt‹ werden. Statt Willen zur Macht, den Nietzsche als (Er-)Lösung (aus) der dekadenten abendländischen Tradition anführt, betont Heidegger daher das unbedingte Offenhalten und Vernichten des Seinshorizontes durch die Konsequenzen, die der Wille zur Macht mit sich bringt. Da der Wille zur Macht – radikal zu Ende gedacht – zur Verdinglichung und Vernichtung des Menschen und damit jeglichen Seinsverständnisses und Seinsverhältnisses des Daseins notwendig führen muss, kann dies nicht der richtige, nämlich nachhaltige Weg zum Sein oder zur Wesensbestimmung des Menschen sein. Vielmehr muss das Grundprinzip das Schaffen und Bewahren von Möglichkeitsspielräumen sein, in denen sich das Sein (überhaupt noch) zeigen kann. »Das Sein, den Willen zur Macht, als ewige Wiederkunft denken, den schwersten Gedanken der Philosophie denken, heißt, das Sein als Zeit denken. Nietzsche dachte diesen Gedanken, aber er dachte ihn noch nicht als Frage von ›Sein‹ und ›Zeit‹. Auch Platon und Aristoteles dachten diesen Gedanken, wenn sie das Sein als οὐσία (Anwesenheit) begriffen, aber sie dachten ihn sowenig wie Nietzsche als Frage.« 141

Kriterium ist also, das Sein nicht auf eine – zumal tendenziell katastrophale – Option festzustellen und damit den Horizont des Seinsverständnis zu begrenzen oder sogar zu vernichten. Der entsprechende logische Modus darf daher auch nicht ein ›umbenennen‹ (metonymisch) sein, sondern muss ein (synekdochisches) Mitverstehen praktisch-kooperativer Art sein, das auch künftige Generationen, also existenziale Zukunft als Möglichkeitsraum, mitumfasst und für diese offen lässt.

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M. Heidegger, Nietzsche, GA 6a, S. 17 (Kursivierung Heidegger).

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Seinsvergessenheit und Seinsgeschichte Bei Nietzsche wird die Zeit getilgt, indem sie sozusagen zum Kreis gerundet wird. Er denkt die Zeit in der Dynamik des Willens zur Macht und rundet sie in der Lehre der ewigen Wiederkunft wieder zu einem Sein. Heidegger macht das Gegenteil: Er versucht, den Gedanken: ›der Sinn des Seins ist die Zeit‹ konsequent durchzuhalten. Für Heidegger ist Nietzsches Denken Seinsvergessenheit und selbst Metaphysik. Es kann daher mit Karl Löwith gefragt werden, wer von beiden – Heidegger oder Nietzsche – radikaler ins Offene hinausdenkt und wer dann doch wieder Halt in einem Übergreifenden sucht. Wäre Heideggers Denken aufgrund seiner Beharrung auf der Seinsfrage aus der Perspektive Nietzsches nicht auch Metaphysik, wie Safranski meint? 142 – Nein! Zwar glauben beide – Heidegger und Nietzsche –, dass ihr Denken an den Abgrund führe, das heißt Überwindung alles bisherigen Denkens sei. Doch Nietzsche setzt etwas, nämlich die Umkehrung des bestehenden Seinsverständnisses, in das Spiel der Möglichkeiten ein. Er schafft einen neuen abgezirkelten Horizont, der jederzeit wieder aufgerissen werden kann und durch einen neuen – und ewig so weiter. Heidegger hält Abstand von dieser Lebensparabel des auf Intensitätssteigerung abzielenden Auf und Ab, dem jedes Mittel und jeder Ausgang – und sei es der Untergang der Welt – recht ist. Heidegger will nicht das Ausschöpfen jeglicher nur denkbarer Möglichkeiten bis zu einem Ende, sondern er will den Möglichkeitsraum überhaupt erst aufzeigen und sich fragen, ob man diesen verspielen darf. Die einsichtige Selbstdurchsichtigkeit soll über das blinde Drauflos des Lebens gewinnen. Heidegger gibt also auch in den Nietzsche-Vorlesungen die Verantwortung des Menschen gegenüber dem Sein nicht preis. Es ist ihm nicht egal, ob der Mensch alle Möglichkeiten verspielt. Er ist gegen jedes blinde Nur-Leben um jeden Preis. Weil sich die Nietzschesche Intensitätssteigerung des Lebens im Überleben des Stärkeren sozusagen selbst verzehrt, und dann eine möglicherweise größere Durchsichtigkeit des menschlichen Daseins nicht mehr möglich wäre, deshalb ist Nietzsches Entwurf des letzten Menschen und des Übermenschen nur das Ende und nicht die Überwindung der Metaphysik. Sie ist allerdings radikaler Ausdruck der Selbstvergegenständlichung des Lebens im Modus des Metonymischen. Doch der Übermensch muss in Heideggers Augen über142

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R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, a. a. O., S. 344.

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wunden werden, damit sozusagen das Wunder des Lebens weitergehen kann und die Seinsgeschichte und damit das Heilige des Daseins eben nicht aufhört, sondern ein Da capo! möglich bleibt. Es ist ein Da capo, in dem die Möglichkeit der Selbstabschaffung zwar denkbar ist, aber nicht gewollt werden kann. Nicht moralisch, nicht ästhetisch, nicht logisch. Für diese Seinsgeschichte fühlt sich Heidegger – ähnlich wie Kant – aus logischen Gründen mitverantwortlich. Wenn nämlich die Würde des Menschen darin liegt, dass er sich in einen Möglichkeitsraum hin entwerfen kann, dann sollte dies so geschehen, dass ihm vernünftigerweise nicht Möglichkeiten genommen werden, sondern offengehalten werden. Die Würde des Menschen muss daher unbedingt mit dem Vermögen, Möglichkeiten zu erhalten, verknüpft sein. Nietzsches Konzept der Intensitätssteigerung schließt dies aber gerade aus. Der Verantwortung für das Gattungssubjekt Mensch muss man sich umso mehr stellen, als sich nicht Amerika oder Russland als die Mächte der ›trostlosen Raserei der entfesselten Technik‹ zeigen, sondern Deutschland selbst sich nun im Zweiten Weltkrieg erst recht als ›blonde Bestie‹ zeigt und die ›machinale Ökonomie‹ zur Metaphysik macht. Das Sein ist in ihr nur noch ›Vorgestelltheit‹ und ›Hergestelltheit‹. 143 Deutschland hat über Frankreich 1940 gesiegt, weil es das Unwesen der Neuzeit vollkommen – und das heißt übermenschlich – verwirklicht hat. Die Franzosen waren damit für Heidegger nur die ›Zauberlehrlinge‹, die mit Descartes einen Prozess ausgelöst haben, dem sie letztlich nicht mehr gewachsen waren. Der Krieg ist für ihn Ausdruck des seinsvergessenen Willens zur Macht, wobei er die Verantwortung nicht allein nur Hitler oder Hitler-Deutschland, sondern dem ›Geschehnis der sinnverlassenen totalen Mobilisierung der Neuzeit‹ gibt. Heidegger hofft offenbar, dass die Reste des Abendlandes nicht verschüttet werden. »In diesen Tagen sind wir selbst die Zeugen eines geheimnisvollen Gesetzes der Geschichte«, schreibt Heidegger in seinem Nietzsche-Buch, »daß ein Volk eines Tages der Metaphysik, die aus seiner eigenen Geschichte entsprungen, nicht mehr gewachsen ist und dies gerade in dem Augenblick, da diese Metaphysik sich in das Unbedingte gewandelt hat … Es genügt nicht, daß man Panzerwagen, Flugzeuge und Nachrichtengeräte besitzt; es genügt auch nicht, daß man über Menschen verfügt, die dergleichen bedienen können … Es bedarf eines Menschentums, das von Grund 143

Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, GA 6b, S. 165.

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Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche

aus dem einzigartigen Grundwesen der neuzeitlichen Technik und ihrer metaphysischen Wahrheit gemäß ist, das heißt vom Wesen der Technik sich ganz beherrschen läßt, um so gerade selbst die einzelnen technischen Vorgänge und Möglichkeiten zu lenken. Der unbedingten ›machinalen Ökonomie‹ ist im Sinne der Metaphysik Nietzsches nur der Übermensch gemäß, und umgekehrt: dieser bedarf jener zur Einrichtung der unbedingten Herrschaft über die Erde.« 144

Weil Nietzsche ein Befürworter dieser abendländischen Tendenzen ist, ist er der Vollender, aber nicht der Überwinder solcherlei Metaphysik und Ideologie. Heidegger sieht aber in solchem Denken dessen Abgründigkeit. Er will Überwinder solchen Denkens, nicht dessen Wortführer sein. Indem Heidegger versucht, den negativen Geist der Metaphysik in sein eigenes Denken mitverstehend zu integrieren, bekommt Nietzsche zwar eine ausgezeichnete Stelle innerhalb der Geschichte der seinsvergessenen Metaphysik des Abendlandes zugewiesen; Nietzsche ist für Heidegger aber derjenige, der das lebendige Moment des Seins zu einem Wert versteinert und sich damit performativ selbst widerspricht. Dem feinsinnigen Sprachkritiker Nietzsche ist es letztlich trotz aller Tiefsinnigkeit nicht möglich, tiefensprachlich verschiedene Bewegungsformen zu unterscheiden. Für Nietzsche ist jede Bewegung gut, wenn sie nur recht intensiv ist und wenn sie aus Selbstermächtigung hervorgeht. Lebendigkeit und Intensität gehen Nietzsche über alles. Darin weht für Heidegger aber nur der Geist einer nihilistischen betriebsamen Neuzeit. Der Geist der ›blonden Bestie‹ zeigt sich in der Willkür des Faschismus ebenso wie bei heutigen Neonazis oder einfach ›normalen‹ Jugendlichen, die andere Menschen aus ›Spaß‹ zum Krüppel oder tot prügeln, und tendenziell überall dort, wo Menschen zu bloßen Objekten gemacht werden. Die bittere Wahrheit, die Heidegger mit seiner Seinsgeschichte erzählt, ist, dass die ›blonde Bestie‹ tiefer im neuzeitlichen Dasein verwurzelt ist, als er vermutete. Der Blick auf die heutige Welt zeigt ziemlich genau, welche Kulturen von sich benommen sind und sich überschätzen und welche nicht. Der Wille zur Macht kann somit nicht das Kriterium eines alternativen nachhaltigen Seinsverständnisses sein. Sie ist vielmehr Ausdruck der Seinsvergessenheit in Reinform. Es gibt für Heidegger zwei Arten, der wahnsinnigen Normalität des Krieges zu entkommen: entweder das Abenteurertum, das der 144

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Ebenda, S. 165 f.

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Seinsvergessenheit vitalen Schwung und Farbe verleiht, wie dies der frühe Ernst Jünger in seiner Literatur vorführte 145, oder die Inständigkeit des besinnlichen Denkens, das die einfachen Dinge besingt. Im besinnlichen Denken wird die Leere zur Gelegenheit, sich des Seins zu erinnern – und zwar in Gelassenheit, ohne Groll und Verachtung. Das Abenteurertum ist Heideggers Sache nun schon lange nicht mehr. Er verabschiedet das verwegene Denken, das er als seynsgemäßes Denken interpretierte. Sein Denken wendet sich in den letzten Kriegsmonaten vor allem dem besinnenden Andenken an die großen Dichter und Denker Hölderlin, Parmenides und Heraklit zu. 146 Um sich nicht von Geist der Zeit einnehmen zu lassen und benommen wie Nietzsche das Abgründen nur weiter zu vertiefen, hält er sich zunehmend zum Zeitgeschehen auf Distanz. Stattdessen sucht er den ›verborgenen Geist des Anfänglichen im Abendland‹, also den Weichen stellenden Anfang des metaphysisch-technizistisch-logizistischen Denkens in einer eigenen Seinsgeschichte. Heideggers Seinsgeschichte kommt zunächst wie eine Verfallsgeschichte 147 daher. Doch sein Begriff von Verfallenheit und Katastrophe ist eher ein antiker, nämlich im Sinne der Markierung eines Wendepunktes, den auch Walter Benjamin in seiner Kritik an einer naiven Fortschrittsidee weitertransportierte mit den Worten: »Dass es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe.« 148 Inhaltlich sind vor allem vier wesentliche Epochen in Heideggers Seinsgeschichte entscheidend, in denen für Heidegger deren Verfall vormarkiert ist. Diese sind: 1. Die ›unentfremdete‹ oder ganzheitliche Epoche, die bis zu den Vorsokratikern reicht. Bei Parmenides findet Heidegger noch eine ursprüngliche Einheit von Denken und Sein, zum Beispiel in dessen Satz: 145 Ernst Jünger entwickelt aus seiner im Ersten Weltkrieg gewonnenen Gesinnung eines heroischen Nihilismus heraus, der Kampf, Blut und Grauen als Erlebnis feiert, den Mythos eines neuen unbürgerlichen Menschen, zum Beispiel in: In Stahlgewittern (1920) und Der Arbeiter (1932). Vgl. E. Jünger, Sämtliche Werke, Stuttgart 1978; ders., Der Arbeiter. Herrschaft und Gesellschaft, Hamburg 1932. 146 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymne ›Der Ister‹, GA 53; ders., Der Spruch des Parmenides (Vortrag im Freiburger Kränzchen 1940), GA 80; sowie ders., Heraklit, GA 55. 147 Die Betitelung ›Verfallsgeschichte‹ birgt eine Doppeldeutigkeit: Zum einen ist sie der geschichtsphilosophischen Fortschrittsgeschichte entgegengesetzt; zum anderen ist die Geschichte ›verfallen‹ an das ›Man‹ der Öffentlichkeit, damit von Anfang an metaphysisch, vergegenständlichend, präsentisch, unzeitlich, tendenziell technizistisch, logizistisch, und denkt im tiefensprachlichen Modus der Metonymie. 148 W. Benjamin, Gesammelte Schriften. Bd. I, 2, S. 683.

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»Denn dasselbe ist Denken und Sein.« Heidegger versteht in seiner Auslegung ›dasselbe‹ (gr. τὸ αὐτό, to auto) als Subjekt des Satzes. Für Heidegger beginnt mit Platon und Aristoteles der Abfall der Philosophie von dieser Einheitskonzeption. Dies ist die 2. Epoche, die Epoche der beginnenden Entfremdung oder Zersplitterung. Das Denken fächert sich auf in eine Vielfalt der Disziplinen. Die meisten davon begründet Aristoteles. Dieses Denken zergliedert – Heidegger zufolge – die ursprüngliche Einheit des Seienden im Sein und vergisst das Seins- und Denkens-Eine damit. Hiermit beginnt die Geschichte der Seinsvergessenheit. Eine wesentliche Epoche der Seinsvergessenheitsgeschichte ist dann die Neuzeit. Es ist die Epoche der Verdinglichung. Für Heidegger lässt sich das an Descartes Philosophie besonders gut festmachen. Descartes verdinglicht den Menschen zum ›denkenden Ding‹ (lat. res cogitans) und begreift alles Seiende als im Raum ausgedehnte Sache (lat. res extensa). Die neuzeitliche Metaphysik vergegenständlicht, beherrscht und vernutzt tendenziell alles Seiende, alle Natur und selbst Geschichte. Die vollendete Verfallenheit zeigt sich für Heidegger dann besonders in den philosophischen Gegenbewegungen des 19. Jahrhunderts, vor allem in der Figur Nietzsche, der diese Entwicklung auf die Spitze getrieben hat. In dieser 4. Epoche hat sich für Heidegger der planetarische Nihilismus als Seinsverlorenheit vollendet. Hinter dem Geist und der neuzeitlichen Subjektivität zeigen sich nur noch ein animalischer Wille zum Überleben und darin ein Wille zur Macht. Diese Tendenz zeigt sich für Heidegger als technische, instrumentelle und rechnerische Vernunft. Eine solche Vernunft beherrscht und vernutzt Natur und Kultur und zerstört sie letztlich. Der Kampf um die Macht wird global. Aber erst in der ›Notlosigkeit‹ – das sind die Zeiten nach der Not, die Zeiten des Wiederaufbaus und des Florierens und des wirtschaftlichen Aufschwungs – zeigt sich nach Heidegger das seinsgeschichtliche Wesen des Nihilismus, nämlich Seinsverlassenheit: »Die Zeichen der letzten Seinsverlassenheit«, so Heidegger noch einmal gegen Nietzsches metaphysisches Intensitätsdenken, »sind die Ausrufungen der ›Ideen‹ und ›Werte‹, das wahllose Hin und Her der Proklamation der ›Tat‹ und der Unentbehrlichkeit des ›Geistes‹. All dieses ist schon eingespannt in den Mechanismus der Rüstung des Ordnungsvorganges. Dieser selbst ist bestimmt durch die Leere der Seinsverlassenheit, innerhalb deren der Verbrauch des Seienden für das Machen der Technik, zu der auch die Kultur gehört, der einzige Ausweg ist, auf dem der auf sich selbst erpichte Mensch noch die Subjektivität in das Übermen-

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schentum retten kann. Untermenschentum und Übermenschentum sind dasselbe; sie gehören zusammen, wie im metaphysischen animal rationale das ›Unten‹ der Tierheit und das ›Über‹ der ratio unlöslich gekoppelt sind zur Entsprechung.« 149

Fasst man diese vier Epochen der Heideggerschen Geschichtsphilosophie als narrative Geschichte des Seins zusammen, dann folgen sie einer bestimmten teleologischen, also zielgerichteten Entwicklung. Anders aber als bei Hegel zum Beispiel bilden die verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte bei Heidegger keine optimistische Fortschrittsgeschichte eines Geistes, der am Ende der Entwicklung über ›sich selbst bewusst‹ geworden ist. Zwar wird sich das Dasein auch in Heideggers Seinsgeschichte über sich bewusst, dies aber weder zwangsläufig noch zufällig, sondern nur unter engagiertem, existenziellem Einsatz eines radikalen Bodenentzugs ihrer metaphysischmetonymischen Grundlagen. Heideggers Geschichte der so genannten Seinsvergessenheit und späteren Seinsverlassenheit beziehungsweise Seinsverlorenheit ist also eine Verfallsgeschichte, deren Ende offen ist und bleiben muss, wenn die Geschichte nicht im Rahmen metaphysisch-technizistischer Hybris zugrunde gehen soll. Heidegger bemüht insgesamt eine Ontologie- und Metaphysikkritik, die motiviert ist durch die Sehnsucht nach einem nichtverdinglichten bzw. unentfremdeten Verhältnis. Er versucht, das unabgeschlossene Projekt Nietzsches in seinen Konsequenzen zu Ende zu denken, indem er den logischen Modus der Metonymie nicht mehr auf die Spitze treibt und überbieten will (so wie Nietzsche das tut, indem er die Umwertung aller Werte und den Übermenschen fordert), sondern den Denkmodus von der metonymischen Zergliedertheit alles Seienden wechselt zur Anspielung auf die holistische Zusammengehörigkeit alles Seins, das vor jeder Zergliedertheit vorverstanden ist. Er wechselt nicht – wie Nietzsche – von einer metonymischen Bestimmung in die andere – etwa von Gott zum Menschen, vom Vergeistigten zum Triebhaften, vom Apollinischen zum Dionysischen Prinzip, sondern vom logischen Modus in einen ganz anderen, der nicht von derselben Art ist. Wer dabei die Synekdoche jedoch als Metonymie missversteht, das anfänglichere existenzial-holistische Denken Heideggers als eine weitere Spielart abendländischer Metaphysik deutet, wird den tieferen Sinn von Heideggers alternativem Denkansatz von Grund auf verfehlen. Er verkennt dann zudem 149

M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 85.

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den kulturhistorischen Ort und die sprachdenkerischen Möglichkeiten als seinsgeschichtliche Transzendentalien des Denkens. Heideggers Analyse der Konsequenzen der abendländischen Metaphysikgeschichte gipfelt letztlich in dem Attest der Seinsverlassenheit, des Nihilismus und der Verfallenheit. Erste Stationen dieser Seinsverlassenheit zeigen sich bereits in der Seinsvergessenheit des Platonschen Idealismus und der Aristotelischen Wissenschaftlichkeit, später dann in der neuzeitlichen Metaphysik der Subjektivität und schließlich im globalen Nihilismus als Wille zur Macht. Die Weltkriege sind für Heidegger die sich äußernden Konsequenzen der inneren Seinsverlassenheit des Daseins. Sie sind Vorformen der Beseitigung des Unterschiedes von Krieg und Frieden, denn sie drängen auf eine Bestandssicherung einer ständigen Form von Vernutzung. Der Mensch wird zugleich Subjekt und Objekt dieser Seinsverlassenheit, denn im äußeren Aktionismus der Vernichtung, Vernutzung und Intensitätssteigerung, das dem tierischen Prinzip des Stärkeren folgt, zeigen sich die Probleme der Metaphysik. »Wer den Gedanken der ewigen Wiederkehr nicht als das philosophisch eigentlich zu Denkende mit dem Willen zur Macht zusammendenkt, begreift auch nicht den metaphysischen Gehalt der Lehre vom Willen zur Macht hinreichend in seiner Tragweite.« 150 Insofern stellt sich Nietzsches Philosophie nicht nur als Vollendung der Metaphysik dar, sondern sie ist Vollendung, indem sie die Werte einfach nur umwertet, nicht aber weil er sie grundsätzlich außer Kraft setzt oder die Bedingung der Möglichkeit ihrer Entstehung thematisiert, wie das zum Beispiel Georg Simmel versucht hat. 151 Bei Nietzsche bleibt nämlich zum Beispiel die Umkehrung des platonischen Leib-Seele-Verhältnisses zugunsten des Leiblich-Dionysischen dem gleichen metonymischen Rahmentropus verhaftet wie Platons Präferenz für das Seelische. Sie kommt auch durch Umdrehung dieses Verhältnisses, durch Umkehrung der Werte, nicht aus dem Vorhandenheitsdenken heraus und bleibt daher metaphysisch, M. Heidegger, Nietzsche, GA 6a, S. 18. Georg Simmel hat mit seiner Philosophie des Geldes die Entstehung von Werten aus den kooperativen Tauschpraxen der Menschen hergeleitet und damit eine noch heute oft unterschätzte Sozialphilosophie als Wertentstehungsphilosophie vorgelegt. Heidegger kannte Simmels Werke und übernahm wesentliche Aspekte, unter anderem den Gedanken der zunehmenden Differenzierung aller Bereiche des menschlichen Lebens, daraus. Vgl. M. Großheim, Von Georg Simmel zu Martin Heidegger. Philosophie zwischen Leben und Existenz, Bonn 1991. 150 151

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Metaphysik und Nihilismus

gemäß dem, wie wir das Natürliche, Physische begreifen. Als Metaphysik bleibt es an die physikalische Vorstellungswelt gebunden und in sie eingebunden. 152 Metaphysik als ›(Onto)Logik‹ Heidegger versucht, die Grundvoraussetzung aller Existenz gründlicher zu fassen als die bisherige Metaphysik. Und er meint dieses ›gründlicher‹ wörtlich. Das Sein, so die Kritik Heideggers an der traditionellen metonymischen Metaphysik, darf nicht als extrinsisches und derart reduzierendes Verhältnis von einzelnem im Hinblick auf ein oberstes Seiendes hin begriffen werden. Das Sein ist nichts, was logisches Resultat sein kann, sondern muss als etwas beschrieben werden, wodurch alles andere überhaupt erst sein kann. Es wird erst dann als echter Grund und echtes Wesen begriffen. Gründlicher heißt: ursprünglicher in einem strukturellen Sinne. Erkenntnis als Exaktheit im Sinne von semantischer Vereindeutigung ist für Nietzsche Erfassen und Festhalten des Wahren qua Verstandeskategorien. Das Vertrauen in Vernunft, Verstand und Dialektik und damit in die Wertschätzung der metonymischen Logik beweist für Nietzsche nur deren Nützlichkeit für das Leben. Sie sind jedoch nicht dessen Wahrheit. Der Grundzug der metonymischen Logik besteht darin, sich das Seiende vor- und gegenüberzustellen. Seiend ist dann das für beständig und fest Genommene. Also liegt das Wesen des Wahren im Für-fest-und-sicher-nehmen. Dieses Dafürnehmen ist kein beliebiges Tun, sondern das für die Bestandsicherung des Lebens selbst notwendige Verhalten. Dieses Verhalten hat als Dafürhalten und Setzen einer Lebensbedingung den Charakter einer Wertsetzung und Wertschätzung. Wahrheit im Modus metonymischer Logik ist Wertschätzung nach Nützlichkeitskriterien. Daraus folgt, dass der Gegensatz von wahrhaft und scheinbar Seiendem ein Wertverhältnis ist, das einer Nützlichkeitsabschätzung entsprungen ist. Dies ist für Heidegger nicht etwa trivial, sondern ›die verborgenste und äußerste Folge des ersten Anfangs des abendländischen

152 Heideggers Befund wurde in neuerer Zeit auch von Seiten der Linguistik und philosophischen Sprachanalyse, vor allem von Georg Lakoff und Mark Johnson, bestätigt. Vgl. Teil II dieser Arbeit. Die Frage bleibt allerdings, wie aus diesem Fundierungszusammenhang menschlichen Sprachdenkens mit physisch-kinetischen Prozessen von Weltwahrnehmung und Sprachhandlungserwerb auszubrechen sein könnte und ob Heideggers Weg ein in diese Richtung gangbarer ist.

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Denkens‹. 153 Gerade von hier aus gilt es aber, das Befremdliche dieser Wahrheitsauslegung noch weiter herauszuarbeiten. Sowohl für Nietzsche als auch für Heidegger ist die Welt in Wirklichkeit keine beständige, feste, sondern eine werdende, sich im Fluss befindliche. Es gibt in Wahrheit nichts Seiendes, also Fixes. Um sich selbst zu verstehen, muss das Dasein dem Fluss Form(en) und Gestalt geben. Nietzsche setzt gegen das Wahre, das heißt das Ausund Festgemachte und Sichergestellte, das Werdende. Und gegen das manifeste Sein setzt er das dynamische Werden als höchsten Wert ein. Das hat Konsequenzen für das Erkennen von Wahrheit – sowohl bei Nietzsche als auch bei Heidegger. »Das Vorstellen von Seiendem als solchem«, schreibt Heidegger, »ist kein Vorgang, der gleichsam am Menschen nur abläuft, sondern ein Verhalten, in dem der Mensch steht, so zwar, daß dieses Innestehen in solchem Verhalten den Menschen in das Offene dieses Verhältnisses hinausstellt und so sein Menschsein mitträgt. Darin liegt: Im vorstellenden Verhalten zum Seienden verhält sich der Mensch auch schon – ob mit oder ohne eigene ›Theorie‹, ob mit oder ohne Selbstbetrachtung – jederzeit zu sich selbst. Darin liegt noch wesentlicher: Das Erkennen ist als solches immer schon erkannt; das Erkennen erkennen zu wollen ist nichts Widersinniges, wohl aber ein Vorhaben von hohem Entscheidungscharakter, denn alles liegt an dem, dass beim Versuch der ausdrücklichen Wesenshebung der Erkenntnis das Erkennen so erfahren wird, wie es bereits vor allem Nachdenken darüber schon erkannt worden ist und gemäß seinem eigenen Wesen offen liegt.« 154

Insofern heißt das Erkennen in seinem Wesen zu erkennen für Heidegger, in seinen schon offenen, aber noch nicht ausgefalteten Wesensgrund zurückzugehen. Das Erkennen besteht zwar – formal gesehen – im Verhältnis eines Erkennenden zum Erkennbaren und Erkannten, aber dieses Verhältnis ist nicht das eines gefällten Baumstammes zu einem in der Nähe liegenden Felsblock im Wald, sondern besteht in einem Verhalten und in einer Grundhaltung. Es ist ein Selbst- und Weltverhältnis. Und als solches nicht bloß kognitiv, sondern holistisch, verdichtet und polydimensional, vor allem auch moralisch und ästhetisch sowie emotional zugleich und ineins. Auch hier gilt die Troika von Logos, Ethos und Pathos, die Heidegger bereits in

153 154

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Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, GA 6a, S. 492. Ebenda, S. 497.

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seinen frühen Schriften aus den Schriften der Antike als philosophischen Wert in sein eigenes Denken überführt hat. Heidegger spricht die kategoriale Grundverfassung als metonymisch verstandenes Verhältnis von Dingen zueinander an, die dann auch auf solche Phänomene wie das Erkennen selbst anwendbar sind. Statt eines verräumlichten Verhältnisses gemäß einer Proportionalität versteht er das Verhältnis zur Wahrheit im Unterschied zum metonymisch-erkennenden Selbstverhältnis als ein Verhalten beziehungsweise eine Grundhaltung des Daseins, die nicht allein auf Nützlichkeitskriterien beruht. Im Verhältnis zur Wahrheit ist nicht nur eine fixierende Relation angesprochen, sondern eine dynamische Dimension, in die auch moralische, situative, ästhetische, traditionale, gefühlsmäßige, zeitlich ausgedehnte usw. Komponenten mit einfließen. Diese werden im Handeln immer schon mitgemeint, aktiviert und mitvollzogen. Der ihnen zugrunde liegende existenziale Haltungs-Modus der Synekdoche zeigt sich dann nicht in den erreichten Ergebnissen und Produkten, sondern in den Entwürfen und Maximen des je gelebten Lebens. Für Nietzsche hingegen, so stellt Heidegger heraus, ist Erkennen vor allem Schematisieren (gr. σχῇμα, schema) 155. »Gilt von altersher das Erkennen als Vor-stellen, dann wird auch in Nietzsches Begriff der Erkenntnis dieses Wesen des Erkennens beibehalten, aber das Gewicht des Vor-stellens verlegt sich in das Vor-stellen, in das Vor-sichbringen als ein Stellen im Sinne des Fest-stellens, das heißt des Festmachens, des Dar-stellens im Gestell der Gestalt.« 156

Erkennen als Vorstellen ist ein Vor-uns-bringen einer Welt, es ist bei Nietzsche im Grunde Schematisieren eines Chaos nach praktischen Bedürfnissen. 157 Nach Heidegger darf das philosophische Denken aber nicht nur mit der Messlatte der Nützlichkeit oder Intensitätssteigerung ausgemessen werden. Bewegt man sich selbst im Rahmen der psychologischen und erkenntnistheoretischen Ansprüche auf das Erklären des Erkennens, dann kann man auch Nietzsches Sätze so lesen, als würden sie etwas über das Erkennen erklären. Will man dies aber nicht und interpretiert Nietzsche aus der Heideggerschen Lesart he155 Σχῇμα (Schema) bedeutet im Altgriechischen aber nicht nur Schema im heutigen Sinne, sondern Haltung, Stellung, Gebärde, Benehmen, Gestalt, Erscheinung, Aussehen, Kleidung, Würde, Pracht und sogar Staatsform. 156 M. Heidegger, Nietzsche, GA 6a, S. 519. 157 Ebenda, S. 503.

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raus, so ist vernünftige Erkenntnis wesentlich praktische Vernunft. Die Vernunft entfaltet ihre Begriffe und Kategorien gemäß der jeweiligen Richtung der Bestandssicherung. Es ist nicht die Vernunft selbst, nicht ihr Wesen, das sich aus dem Bedürfnis der Chaosbewältigung entwickelt. Vielmehr ist es in sich schon schematisierende ›Chaos-Vernehmung‹ im Hinblick auf ein regulatives Richtungsgeben und Orientieren. Vernünftige Erkenntnis ist – wenn man so will – ›metordial‹ im Sinne einer Haltungsausbildung. Erkennen ist daher nicht Abbilden. Vielmehr ist es Subsumieren und Schematisieren. Es ist dabei die Lebenspraxis selbst, die im Vorhinein eine Perspektive vorausgeworfen hat, gemäß der sich der Umkreis maßgebender Möglichkeiten und Entscheidungen eröffnet. 158 Wenn die Auslegung der Wahrheit als Für-wahr-halten das Vor-stellen als Vor-stellen des Andrängenden und damit als ›Beständigung‹ des Chaos erweist, verfestigt das Wahre dieses Für-wahr-haltens das Werdende. Dies entspricht aber nicht dem prozessualen Charakter, den Nietzsche und Heidegger retten wollen. Heidegger kritisiert also an Nietzsches Interpretation diese Nichtentsprechung, die das Wahre als Unwahrheit, Irrtum und Illusion entlarven will und auf der Angleichung des Vor-gestellten an das Festzumachende beruht. »Auch da, wo das Wahre des Für-wahr-haltens als das Unwahre begriffen ist, wird noch das allgemeinste Wesen von Wahrheit im Sinne der ὁμοίωσις (homoiosis) 159 zugrunde gelegt.« 160 Diese Angleichung, Eingleichung und Gleichmacherei ist für Heidegger die Crux des metaphysischen Sprachdenkens. Auch Nietzsches Verständnis von Wahrheit als Gerechtigkeit unterliegt dieser Haltung. Für Nietzsche hat das Wort Gerechtigkeit weder eine juristische noch eine moralische Bedeutung, wie man annehmen könnte. Vielmehr ist es das Wesen der ὁμοίωσις, das Chaos einzugleichen und in einen Kosmos, also eine Harmonie und Ordnung zu überführen. Diese Aufnahme des antiken Gerechtigkeitsbegriffs ist zugleich eine Eingleichung des Seienden im Ganzen. Das Darin drückt sich dann die Bestandssicherung als Regel und Schema selbst aus – und zwar in zweifacher Hinsicht: nämlich insofern sich der Mensch zu seinen Mitmenschen verhält und insofern sich der Mensch zu den Dingen verhält. Zu den Mitmenschen verhält sich der Mensch auf der Basis von Verständigung und Vertrauen. Zu den Dingen verhält sich der Mensch auf der Basis von Zurechtmachen, das heißt Ausdichten des Gleichen. Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, GA 6a, S. 519–527. 159 Homoiosis bedeutet Eingleichung, Verähnlichung, Gleichmachung. 160 M. Heidegger, Nietzsche, GA 6a, S. 573. 158

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Seiende im Ganzen als Drauf- und Überblick denken, das ist Metaphysik betreiben. Gerechtigkeit ist dann der metaphysische Name für das Wesen der Wahrheit, also für die Art, wie im Ende der abendländischen Metaphysik das Wesen der Wahrheit begriffen wird – einmal mehr eine Bestätigung für die Einsortierung Nietzsches als Vollender und nicht Überwinder der Metaphysik. Insgesamt ist zu konstatieren: Das Festhalten am Wesen der Wahrheit als ὁμοίωσις und die Auslegung dieser als Gerechtigkeit entspringen einem Denken aus Wertschätzungen, also aus metaphysischen Vergegenständlichungen abstrakter Verhältnisse heraus. Nietzsches Gedanke der Gerechtigkeit als Fassung der ›Wahrheit im Äußersten‹ ist für Heidegger die letzte Notwendigkeit der ›innersten Folge‹ dessen, dass die Wahrheit als Unverborgenheit in ihrem Wesen ungedacht und die Wahrheit des Seins unbefragt bleiben mussten. Heidegger nennt deshalb den Gedanken der Gerechtigkeit bei Nietzsche das ›Geschehnis der Seinsverlassenheit des Seienden innerhalb des Denkens des Seienden selbst‹. 161 Für Heidegger hat Nietzsches Satz: ›Das Wesen des menschlichen Lebens ist Gerechtigkeit‹ vor allem deshalb metaphysischen Charakter, weil er die Lebendigkeit des Lebens in nichts anderem als in einem zugleich bauenden (konstruktiven), ausscheidenden (differenzierenden) und vernichtenden (auswählenden und entscheidenden) Rhythmus – also bloß biologisch, ja tierisch – begreift. 162 Die Gerechtigkeit ist ihr höchster Repräsentant, also selbst auch nur ein Wert des Lebens, wenn auch dessen höchster. Die Einsicht in das Wesen der Gerechtigkeit als den Wesensgrund des Lebens ist damit zugleich zwar eine Einsicht in das Wesen des Willens zur Macht, nicht aber dessen Überwindung. Die Interpretation der Gerechtigkeit als höchsten Repräsentanten des Lebens wird bei Nietzsche als Ausweitung der Gerechtigkeit zur Grundmacht des Seienden überhaupt. Die durchgängige Deutung des Seienden im Ganzen als Wille zur Macht wird auf diese Weise zu einer Art Vermenschlichung alles Seienden, zu einer Anthropomorphie. Dabei wird der Mensch jedoch nur als Fortsetzung der tierischen Reihe begriffen. Heidegger ist nun der Überzeugung, dass Nietzsche nicht nur von dieser Anthropomorphie seiner Metaphysik weiß, sondern diese auch affirmativ will. Er will die Vermenschlichung alles Seienden. Das Wesen des Willens zur Macht ist aber Ermächtigung. 161 162

Vgl. ebenda, S. 574 f. Ebenda.

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Ermächtigung bringt das Leben zum Stehen und in einen ›Selbststand‹. 163 Für Nietzsche ist das Wesen des Seienden im Ganzen, also das Wesen der Metaphysik, das Chaos, also das Werden, und gerade nicht ein Sein im Sinne des Festen und Beständigen, das er als das Unwahre und Unwirkliche denkt. Das Sein wird stets abgedrängt zugunsten des intensitätssteigernden Werdens. Das müsste ihn eigentlich zum Überwinder der Metaphysik machen, wenn er das Werden und das Werdende als den Grundcharakter des Seienden im Ganzen nicht zuvor als das Bleibende, also das eigentlich Seiende im Sinne der griechischen Denker beschrieben hätte. Aufgehen und Erscheinen, Werden und Anwesen sind im Gedanken des Willens zur Macht in die Einheit des Wesens von Sein nach dem erstanfänglichen Sinn zurückgedacht worden, sodass die Frage nach dem Sein fraglos wird. Das Wesen des Seins scheint durch Nietzsche so weit und wesentlich gefasst worden zu sein, dass es auch dem Werdenden, dem Leben, als dessen Begriff gewachsen bleibt. Heidegger zitiert Nietzsche: »Rekapitulation: Dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen – das ist der höchste Wille zur Macht.« 164 Das nennt Heidegger sowohl das Ende als auch die Vollendung der abendländischen Metaphysik. Es ist die Überschattung des Seins durch das Seiende als Vormacht des Wirklichen, die aus dem Sein selbst kommt. Es ist die Seinsverlassenheit des Seienden im Sinne einer Verweigerung der Wahrheit des Seins. Der Wille zur Macht, der sich durch Intensitätssteigerung durch die Umwertung aller Werte am Leben erhält, gerät in die Mühle der ewigen Wiederkehr des Gleichen und zeigt darin seinen Nihilismus. Am Ende macht Nietzsches Denken aber zugleich die ›Not des anderen Anfangs‹ deutlich. 165 Es ist damit eine Aufforderung zum Andersdenken, das nur entlang des Leitgedankens der abendländischen Metaphysik zu gewinnen ist. Indem bis an dessen eigene innere Grenzen gedacht wird, führt es – so Heideggers Hoffnung – aus dieser Seinsverlassenheit wieder heraus. Die Katastrophe, so hofft er, wird ihrem Wesen gerecht – und wird zum Wendepunkt. Nietzsches umwertendes metaphysisches Denken bildet damit die Voraussetzung für das Finden einer echten Alternative, die beiden gegensätzlichsten Prinzipien ›Sein‹ und ›Zeit‹ in einer kohärenten und konsis163 164 165

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Ebenda. Ebenda, S. 592. Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, GA 6b, S. 359.

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tenten Weise zusammenzudenken. Dabei gilt es, Nietzsches Fehler nicht noch einmal zu begehen und etwa Nietzsches Projekt einfach umzukehren und dem Sein den Charakter der Zeit aufzuzwängen. Denn dies wäre nur wieder die Umkehrung der metonymischen Logik und bliebe in deren Paradigma. Die Geschichte der Wahrheit des Seins endet für Heidegger in der durch den Einsturz der ungegründeten ἀλήθεια (aletheia) vorgebahnten Verlorenheit ihres anfänglichen Wesens. Wahrheit, so ergibt Heideggers Nietzscheanalyse, wird zur Gerechtigkeit 166, dann zur ›Richtigkeit‹ als einer Vorstufe und Gelegenheit für Festmachen, Überhöhung und Vormacht der metaphysischen Logik im Rahmen eines utilitären und nihilistischen Totalkonzeptes. Damit aber ist das Wesen der Wahrheit nach Heidegger als Offenheit und dynamis gerade beseitigt. Sie besteht nur noch als Richtigkeit fort. Wo aber Wahrheit fehlt und Richtigkeit regiert, da beginnt die Sinngebung als Umwertung aller Werte. Wahrheit als Gerechtigkeit wird zum höchsten Willen zur Macht. Von dieser Gerechtigkeit sagt Heidegger, dass mit ihr nur die unbedingte ›Erdenherrschaft des Menschen‹ unterstrichen wird. Ein solcher machtgegründeter Wahrheitsbegriff kündigt das ›Zeitalter der vollendeten Sinnlosigkeit‹, den Nihilismus, an. 167 Nihilismus Das Zeitalter der vollendeten Sinnlosigkeit ist für Heidegger die Zeit des machtmäßigen Erfindens und Durchsetzens von Weltanschauungen. Nietzsches Vollendung der metaphysischen Sinnlosigkeit im bis aufs Äußerste strapazierten Redemodus der Metonymie ist ›nur‹ eine Umkehrung des Platonismus. Damit ist Nietzsches Denken selbst nur Substitut und fällt unter seine eigene metaphysische Kategorialität. Das Sinnliche wird zur wahren und das Übersinnliche zur scheinbaren Welt. Sofern aber zugleich die Platonsche Idee, und zwar in ihrer neuzeitlichen Form, zum Vernunftprinzip und dieses zum Wert geworden ist, wird die Umkehrung des Platonismus zur Umwertung aller Werte. In ihr kommt nämlich der umgekehrte Platonis166 Die Gerechtigkeit nimmt daher schon in der antiken Lehre von den Seelenteilen eine Sonderstellung ein (etwa bei Platon und bei Aristoteles). Sie bringt die anderen Seelenteile in Einklang, stimmt sie sozusagen ein in eine Harmonie der Teile. Bei Parmenides ist Gerechtigkeit als harmonia der Weg, der zum Sein und damit zur Wahrheit führt. 167 Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, GA 6b, S. 13.

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mus zur blinden Verhärtung und Verflachung zum Ausdruck. Es bleibt einzig das sich um seiner selbst willen zu sich selbst ermächtigende Leben als Wert bestehen. Der Übermensch ist sozusagen die äußerste rationalitas in der Ermächtigung der animalitas, ist das animal rationale, das sich in der brutalitas vollendet. Die Sinnlosigkeit wird damit zum Charakteristikum des Seienden im Ganzen. Da das Zeitalter der vollendeten Sinnlosigkeit jedoch mehr Erfindungsgabe und mehr Beschäftigungsformen, mehr Erfolge und mehr Fahrbahnen zur Veröffentlichung zur Verfügung hat, verfällt es nach Heidegger auf die Anmaßung, selbst in allem einen Sinn gefunden zu haben oder einen Sinn geben zu können. Dabei hat Heidegger wohl die Naturwissenschaften und die ingenieurwissenschaftlichen Erfolge des 19. Jahrhunderts vor Augen. Nach Heidegger wird das technizistische Zeitalter daher auch am lautesten und gewalttätigsten sein eigenes Wesen bestreiten oder kaschieren. Wenn sich der Mensch zur Bezugsmitte des Seienden im Ganzen macht und die Seiendheit des Seienden im Ganzen als Vorgestelltheit des Herstellbaren und Erklärbaren erfährt, dann wird sich auch zeigen, dass die Sinnlosigkeit die vorgezeichnete Folge der Endgültigkeit des Beginns der neuzeitlichen Metaphysik ist. Wahrheit wird dann als Gewissheit zur einrichtbaren Größe, die Einstimmigkeit, Bestandssicherung und Sicherheit erzeugt. Alles wird als machbar und ausmachbar begriffen. Entsprechend herrscht eine arrogante Denkhaltung, die die Wahrheit weder erfasst noch anvisiert, sondern verstellt und ausgrenzt. »Das Lichtungs-lose des Seins ist die Sinnlosigkeit des Seienden im Ganzen.« 168 Das Äußerste der Subjektivität ist für Heidegger dann erreicht, wenn sich der Anschein festsetzt, dass die Subjekte verschwunden wären. Das Maßlose – so wie es bei Nietzsche vorgeführt wird – wird dann zum Maßstab des Überbietens. Die Werte sind die ins Rechenhafte abgewandelten, für Machenschaften allein gebrauchsfähigen Ideale: »Kultur und Kulturwerte als Propagandamittel, Kunsterzeugnisse als zweckdienliche Gegenstände für die Leistungsschau und als Material für die Aufbauten der Festwagen bei den Umzügen« 169. Heidegger schwört auf einen neuen Anfang, der das Eine und zugleich ein Ereignis sein wird, weil es im ersten Anfang der Ge168 Ebenda, S. 19 (Kursivierung Heidegger); und auf S. 13: »Das Sinnlose ist das Wahrheit-(Lichtung-)lose des Seins.« 169 Ebenda.

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schichte schon ›west‹ : die Wahrheit des Seins – die Inständigkeit in ihr, aus der sich für Heidegger allein Welt und Erde für den Menschen ihr Wesen erstreiten. 170 Der neue Anfang, das Wagen des Anderen ist jedoch kein Sprung aus der Geschichte heraus oder von ihr weg. Dieser Neuanfang verleugnet nicht das Gewesene. Im Gegenteil. Er geht an den ersten Anfang zurück und übernimmt mit dieser Rückkehr eine Beständigkeit. Diese Beständigkeit bestimmt sich nicht aus dem Erhalten des jeweils Gegenwärtigen, sondern fügt in das Aufbewahren des Künftigen. Heideggers Appell für einen neuen Anfang kann also durchaus als ein ernst gemeinter Aufruf zu Nachhaltigkeit und zur Dialektik der Negation der Negation verstanden werden. Doch diese Nachhaltigkeit speist sich für ihn nur aus einem vollständigen und grundsätzlichen Umdenken, das an den Anfang zurückgeht und nicht nur ökologische, entwicklungspolitische oder globalökonomische Flickarbeiten leistet. Weil für Heidegger ein Neu-Anfang nur im Anfangen selbst besteht, also in der Übernahme einer globalen Verantwortung, die sich gerade aus der Überlieferung des Zeitalters der Sinnlosigkeit herleitet, so muss es zumindest eine die Wahrheit des Seins ›offenhaltende Wächterschaft‹ sein, in die sich der Mensch zu fügen hat. 171 In dieser Wächter-Rolle sieht sich Heidegger mit seinem bewahrend-neuanfänglichen Denken selbst. Wenn Nietzsche vom ›europäischen Nihilismus‹ spricht, so meint er damit nicht den um die Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommenden Positivismus und seine geographische Ausbreitung über Europa. Das Wort ›europäisch‹ hat vielmehr ideen- und seinsgeschichtliche Bedeutung. Es meint soviel wie abendländisch bzw. okzidental im Sinne eines Nihilismus in der okzidentalen Geisteshaltung als ganzer, das heißt in der sie durchdringenden inneren Logik des Metaphysisch-Metonymischen. Diese Geistesgeschichte ist durch Nietzsches Satz ›Gott ist tot‹ gekennzeichnet. Dieser Satz von Nietzsche besagt nicht nur, dass der christliche Gott seine Macht über das Seiende und über die Bestimmung des Menschen verloren hat. Vielmehr ist jegliches Denken des Unbestimmbaren, Heiligen abhanden gekommen und eine Haltung allumfassender ὁμοίωσις hat um sich gegriffen. Der christliche Gott ersetzt nur wiederum metonymisch die Leitvorstellung für das Übersinnliche und für transzendente Werte, die über dem Seienden aufgerichtet sind, um dem Seiendem im Gan170 171

Ebenda, S. 21. Ebenda, S. 22.

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zen einen Zweck, eine Ordnung und Sinn zu geben, sich jedoch in Nietzsches Augen ins Gegenteil verkehren. Nihilismus ist dann jener geschichtliche Vorgang, durch den das Übersinnliche in seiner Herrschaft hinfällig und nichtig wird, so dass das Seiende selbst seinen Wert und Sinn verliert. Deshalb richtet sich Nietzsches rhetorischer Appell an ›alle und keinen‹ 172 und fordert eine Umwertung aller Werte. Es ist sozusagen die Geschichte des Seienden selbst, durch die der Tod Gottes langsam, aber unaufhaltsam an den Tag und zu seinem Ende kommt. 173 Der Nihilismus ist also keine Ansicht oder Weltanschauung unter anderen, sondern ein Ereignis, dessen Ausstrahlung lange vorhält, in dem sich die Wahrheit über das Seiende im Ganzen, also Metaphysik, wandelt und endet. Der Nihilismus ist zum Weltbild erstarrt und die Menschen mit ihm. Die Metaphysik des Zeitalters des Nihilismus ist gekennzeichnet von einem bestimmten Verhältnis zum Seienden als Ganzem und zu sich selbst. Das Ende der Metaphysik des Nihilismus enthüllt sich als Verfall der Herrschaft des Übersinnlichen und ihrer Ideale. Nihilismus heißt also Einsicht in die Wahrheit, dass alle bisherigen Ziele und Werte des Seienden hinfällig geworden sind. Gleichzeitig entfaltet dieser Nihilismus die Aufgabe einer neuen Wertsetzung. Nietzsches Nihilismus ist nach Heidegger daher nur zum Teil eine Zerstörung bisheriger Werte. Zum anderen Teil ist er vor allem Umwertung der bisherigen Werte und ›Züchtung eines neuen Wertbedürfnisses‹. 174 Dieses neue Wertbedürfnis muss sich auf ein neues Prinzip gründen, das aus einer Neuinterpretation des Seienden als Ganzen gewonnen werden muss. Da es nicht mehr das Übersinnliche als Prinzip gelten lässt, avanciert bei Nietzsche sein Gegenteil, das Sinnliche als Wille zur Macht zum neuen Prinzip. Die neue Wertsetzung ist jedoch nicht nur insofern Umwertung aller bisherigen Werte, als sie an die Stelle der bisherigen Werte als obersten Wert die Macht setzt, sondern insofern, als die Macht selbst, und nur sie, die Werte setzt, diese in Geltung hält und über die mögliche Rechtfertigung einer Wertsetzung allein entscheidet: Macht waltet nur als Macht in der Form der Machtsteigerung. Sie erkennt nichts außerhalb ihrer selbst als wertvoll an. Als Wille zur Machtsteigerung muss sie eine innere 172 Nietzsches Also sprach Zarathustra trägt den Untertitel ›Ein Buch für alle und keinen‹. Vgl. F. Nietzsche, KSA 4. 173 Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, GA 6b, S. 25. 174 Vgl. ebenda, S. 27.

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Getriebenheit, ein Werdenwollen, ein Wille zum Wollen sein, das kein Ziel außer sich hat, sondern nur sich selbst. Die Macht muss also zu sich selbst, zu ihrem inneren Prinzip kommen, um sich selbst erhaltend als solche zu steigern. Der Grundcharakter des Seienden als Wille zur Macht bestimmt sich wegen seiner ewigen Rückgebundenheit an ein Noch-mehr-Macht-wollen daher zugleich als schematisch ewige Wiederkehr des Gleichen. Nietzsches Wille zur Macht und die ewige Wiederkehr des Gleichen bedingen sich damit gegenseitig und sind gegründet in der Umwertung der Werte als Ergebnis der Diagnose, dass Gott tot ist. Nietzsches Denken zeigt ein Weltbild, in dem die Herausbildung des Übermenschen – konsequent zu Ende gedacht – zum anvisierten Ziel werden muss. Der Übermensch ist dabei keine bloße Vergrößerung des bisherigen Menschen (das ist der letzte Mensch), sondern die notwendige Gestalt, die alle bisherigen Werte einfach übergeht und sich allein auf Macht verlegen kann, weil sie deren Prinzip verinnerlicht hat und angesichts der Sinn- und Wertlosigkeit rücksichtslos leben kann. Für Heidegger zeigen die fünf Haupttitelworte von Nietzsches Philosophie: Nihilismus, Umwertung der Werte, Wille zur Macht, ewige Wiederkehr des Gleichen und Übermensch die Metaphysik in je einer, aber das Ganze bestimmenden Hinsicht. Sie sind Facetten desselben Weltbildes und müssen daher im wechselseitigen Zusammenhang verstanden werden. Heideggers Kritik am nihilistischen Denken Nietzsches betrifft vor allem dessen Reichweite. »Weil Nietzsche zwar den Nihilismus als Bewegung zumal der neuzeitlichen abendländischen Geschichte erkennt, aber das Wesen des Nichts nicht zu denken, weil nicht zu erfragen vermag, muß er zum klassischen Nihilisten werden, der jene Geschichte ausspricht, die jetzt geschieht.« 175 Nietzsche erkennt und erfährt den Nihilismus also, weil er selbst nihilistisch denkt. »Nietzsches Begriff des Nihilismus ist selbst ein nihilistischer Begriff«, so Heidegger. »Er vermag das verborgene Wesen des Nihilismus trotz aller Einsichten deshalb nicht zu erkennen, weil er ihn von vornherein und nur vom Wertgedanken aus, als Vorgang der Entwertung der obersten Werte begreift. Nietzsche muß den Nihilismus so begreifen, weil er, in der Bahn und im Bezirk der abendländischen Metaphysik sich haltend, diese zu Ende denkt.« 176 175 176

Ebenda, S. 45. Ebenda.

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Für Heidegger ist der Wertgedanke in der abendländischen Philosophie nicht zufällig in den Vorrang gekommen. Im Wertbegriff hält sich nämlich ein bestimmter, nämlich metonymischer Seinsbegriff. Im Wertgedanken wird – unwissentlich – das Wesen des Seins in einer bestimmten und notwendigen Weise gedacht, wenn auch bei Nietzsche in seinem Unwesen, als Gefühl der Wertlosigkeit und Nichtigkeit des Alls und daher Sinnlosigkeit von allem. Aus dieser Seinsverlassenheitsempfindung lässt sich nach Heidegger der abendländische Aufschwung des Hineinlegens von Werten und Hierarchisieren von Werten durch menschliches Kategorisieren erst erklären. Der Nihilismus als Grundansicht, dass es ›mit dem Sein selbst nichts ist‹, bedeutet für das metaphysische Denken bis zu Nietzsche: ›mit dem Seienden ist es nichts‹. Erst Nietzsche wagt die Umwendung zum radikal Seienden, zum Positiven, Sinnlichen, Diesseitigen – zur Metaphysik, die alles gemäß natürlicher Abläufe bewertet. Nietzsche zeigt für Heidegger jedoch gerade nur die Verfallenheit des Seienden und dann schließlich auch die Uneigentlichkeit des Nihilismus. Das volle Wesen des Nihilismus setzt sich allerdings aus der Einheit von uneigentlichen und eigentlichen Seinsweisen zusammen, denn das Unwesen gehört zum Wesen dazu wie die Verborgenheit zur Entbergung. Es gilt also, erst das Wesen und dann auch die Einheit von beiden synthetisch zusammenzudenken. 177 Dies ist nach Heidegger jedoch keine Aufgabe eines einzelnen Philosophen oder einer Kultur, sondern eine seinsgeschichtliche Aufgabe, damit aber zugleich ein ›Seinsgeschick‹ und ›Schicksal‹, weil es nicht bewirkt, sondern vom Sein selbst ›geschickt‹ wird. Das Wesen des Nihilismus ist nicht einfach die Meinung, dass jener zerstörerisch sei. Vielmehr ist der Nihilismus überhaupt keine Sache des Menschen, sondern die des Seins selbst. Nur weil es die Sache des Seins ist, kann es zur Sache des Menschen gemacht werden. Es kann als Lebensform erscheinen. Insofern kann der Mensch nicht von sich aus das Wesen des Nihilismus überwinden, denn das hieße, das Sein überwinden. Das ist unmöglich. Vielmehr muss das Denken vom Sein selbst ›angemutet‹ werden. »Der Nihilismus ist, in seinem Wesen und auf das Eigentliche gedacht, das Versprechen des Seins in seiner Unverborgenheit, so zwar, dass es sich als dieses Versprechen gerade verbirgt und im Ausbleiben zugleich das Auslassen seiner veranlaßt.« 178 Das Un177 178

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Vgl. ebenda, S. 326. Ebenda, S. 333.

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eigentliche im Wesen des Nihilismus ist die Geschichte der ›Auslassung‹. Als Auslassung ist es die Verbergung eines Versprechens und zugleich seines daher Sichbewahrens bzw. Ansichhaltens. Im Wesen des Nihilismus zeigt sich also eine Seite des Seins selbst – nämlich die des Sichaufsparens. 179 Für Heidegger sind Anti-Metaphysik, Umkehrung der Metaphysik und Verteidigung der bisherigen Metaphysik ›ein einziger Umtrieb‹ einer seit langem schon sich ereignenden Auslassung des Ausbleibens des Seins selbst. 180 Insofern verkennt der Wille, den Nihilismus überwinden zu wollen, sich selbst. Er übersieht, dass die Überwindung des Seins selbst wesenhaft unmöglich ist. Weil die Seinsgeschichte das Sein selbst und nichts weiter ist, kann man dem Sein und seinem Ansichhalten nur entgegendenken und seine Überwindung schon gar nicht bewirken. Dieses Entgegendenken im Sinne eines Vollbringens sollte nicht als Dagegendenken geschehen, sondern im Sinne eines entgegenkommenden Denkens, also einer Besonnenheit, die in die Nähe des Seins denkt, indem sie an das Sein denkt, sich ihm zuwendet. »Die Seinsgeschichte ist weder die Geschichte des Menschen und eines Menschentums noch die Geschichte des menschlichen Bezugs zum Seienden und zum Sein. Die Seinsgeschichte ist das Sein selbst und nur dieses.« 181 Man kann der Seinsgeschichte also nur auf halbem Wege entgegenkommen, demütig hoffend, dass sie dieselbe Zubewegung nimmt. 182 Der Fortgang des Seins in die Seiendheit ist Metaphysik – und als solche Geschichte des Seins. Diese bleibt in ihrem Beginn gleichwesentlich vom Anfang entfernt wie in ihrem Ende, weil sie mit dem Anfang bereits gegeben ist. Auch das Denken und Andenken an das Sein kann nie in die Geschichte des Seins selbst bringen, weil es nach Heidegger eine anfängliche Verweigerung einer Wesensgründung

Ebenda. Ebenda. 181 Ebenda, S. 447. 182 Hier wie an vielen anderen Stellen personalisiert Heidegger Abstrakta wie Sein, Sprache, Wesen usw. So bringt er sie auf eine Ebene mit den Menschen, die eine (liebende) Beziehung miteinander eingehen können, ähnlich Kindern, für die die Welt auch mit allerhand ›unsichtbarer Wesen‹ bevölkert ist. Dabei schwingt immer eine gleichberechtigte Haltung auf Augenhöhe mit, ein äußerst achtsames und achtungsvolles Verhalten gegenüber den Phänomenen statt eines gewaltsamen, annektierenden Zurichtens, Vereinnahmens und Ausnutzens – eine Haltung, deren Umbruch in der Antike zu suchen ist. 179 180

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der Wahrheit des Seins gibt. Die Überlassung des Vorrangs in der Wesensprägung des Seins an das Seiende selbst ist es, die den Fortgang aus dem Anfang gibt. Sie ist das ursprüngliche seinsgeschichtliche Ereignis. Diesem seinsgeschichtlichen Ereignis entspringt dann vom ursprünglichen Anfangsetzen verursacht ein Wandel von Wahrheitsbegriffen und Weltanschauungen, die in eine Vielfalt zersplittert sind, ohne dass sie das seinsgeschichtliche Wahrheitsereignis je wieder erreichen könnten. Seinsgeschenk Das Sein des Seienden enthält allein die Wahrheit, dass es ist. Damit enthält es für Heidegger das Vorrecht des Fraglosen. Weil sich aber der Mensch nicht im Frag- und Sinnlosen aufhalten kann, sondern sein Leben führen muss und in die Freiheit hinaussteht, wird vom Fraglosen aus die Frage erhoben, was das Seiende sei. Das metonymische Was-sein ist jedoch dem synekdochalen Dass-sein nachgeordnet und holt es niemals ein. Es kann gar nicht in seine Fragedimension gelangen, da es immer nach etwas Bestimmtem fragt und somit eine wesentlich fokussierte und eingrenzende Reichweite hat. Im Dass-sein liegt das Staunen von Philosophen und Künstlern noch in existenzialer sinn- und weltstiftender Weise vor; im Was-sein jedoch ist bereits die Vorstufe des der Welt Erkenntnisse abringenden Wissenschaftlers am Werk, der Ziele verfolgt, Ergebnisse bewirken und Bestimmtes erreichen will. Das ursprüngliche Wahrheitsereignis bleibt Heidegger zufolge aufgrund seines Wesens letztlich für den Menschen unfassbar. Es ist unergründlich. Der Mensch bleibt in der Metaphysik gefangen und wird sie niemals überwinden können, weil es im Wesen des Seins selbst liegt, nur sein Unwesen zu zeigen und sein gesamtes Wesen im Sinne seiner es durchwaltenden Logik aufzusparen. Von dieser Unergründlichkeit haftet auch dem Dasein, das heißt dem Menschen, etwas an. Auch der Mensch kann – so kann man Heidegger in diesem Punkt auslegen – in seiner inneren Logik nicht vollständig ergründet werden, auch wenn man noch so genau die biochemischen, neuronalen und psychisch-anatomischen Rätsel seines Seins entschlüsselt hat. Diese Unergründlichkeit rührt vom Sein selbst her. Hier lässt sich nichts wollen, bewirken, beherrschen, oder herbeilogeln. Einzig Denken als eine Haltung der Demut in Form eines An- und Entgegendenkens bringt nach Heidegger in die Nähe dieses Ereignis-Geschehens der Wahrheit. 502

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Dieses Resümee ist jedoch nicht resignativ, sondern tiefe Anerkennung. Heidegger will – anders als Nietzsche – die Anerkennung des ganz anderen Denkens in seiner radikalen Andersheit. Es ist die tiefe Akzeptanz eines sich von Anfang aufsparenden und schenkenden Seins, das man weder austricksen noch manipulieren kann. Eine diesem Umstand gerecht werdende Haltung ist die demütige und insofern vermeintlich religiöse Annahme eines reichen Geschenkes. Es ist das dankbare Andenken an das seinsgeschichtliche Ereignis des Anfangs allen Seins. Und es ist zugleich die Einsicht in die unzulässige Maßlosigkeit im seinsgeschichtlichen Umgang mit diesem Geschenk, nämlich die Einsicht, dass mit dieser Kostbarkeit nicht würdig, nachhaltig und bewahrend umgegangen wird. Weil es nach dem Verspielen der Chance wahrscheinlich kein zweites Geschenk des Seins als Weltstiftung geben wird, muss das Unwesen des Seins in Form des Nihilismus als Bewährungsort für das menschliche Denken und Tun angesehen werden. Es kommt nach Heidegger darauf an, die Herausforderung und die Folgen dieser Tragödie der menschlichen Kultur als Metaphysik durchsichtig zu machen. Dies aber kann nur gelingen, indem die innere Logik bisherigen metaphysischen Denkens aufgedeckt und transparent gemacht wird. Da alles metonymisch-kategoriale und klassifizierende Denken auf beherrschenden Umgang im Sinne eines Willens zur Macht abzielt, ist das Vorhandenheitsdenken für Heidegger ungeeignet, zugleich auch als Problemlösungswerkzeug zu dienen. Wenn Heidegger für einen achtsamen Umgang und ein Bedenken mit Unverfügbarkeiten plädiert, so wird damit die phänomenologische Methode auf seinsgeschichtlicher Ebene noch weiter getrieben als bisher. Das vortheoretische anerkennende Mitverstehen dieser Seinsgeschichte im Sinne der synekdochischen Modalität gewährt allerdings die Nähe des Seins. Diese Nähe gilt es von den Überdeckungen der abendländischen Metaphysik zu befreien, damit sich das Sein neu und anders zeigen kann. Als Mitverstehen achtet ein solches waches Andenken immer auch auf die Unverfügbarkeit bzw. Unantastbarkeit und den sich verbergenden Charakter dessen, was je mitzuverstehen ist. Im Seinsverstehen ist insofern intrinsisch sozusagen ein antimachthaberisches und minimalinvasives Denken als innere Logik eingeschlossen. Weil der Nihilismus nicht nur eine Gedankenexperiment ist, sondern sich für Heidegger auch in verschiedenen historischen Phänomenen zeigt, gilt es, die innere Logik des nihilistischen WeltLogik der Tropen

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zugangs in allen bisherigen sich selbst als humanistisch beschreibenden Modellen zu erfassen. Dies demonstriert Heidegger nicht nur an historischem Material, sondern vor allem durch philosophische, insbesondere phänomenologische, ontologische und sprachlogische Arbeit. Heideggers Ausgangsthese ist, dass das Wesen kooperativer Praxisvollzüge innerhalb der Humanitas, das heißt das Wesen des menschlichen Handelns, noch nicht entschieden genug bedacht ist. »Wir bedenken das Wesen des Handelns noch lange nicht entschieden genug« 183, heißt es deshalb zu Beginn des Humanismusbriefes. 184

10.4. Nihilismus und Humanität Heidegger erhält nach dem Krieg Lehrverbot. 185 Er bricht zusammen und verstummt zunächst. Nach der Genesung gewinnt er wieder zu sich zurück. Weil er mit der geschichtlichen Situation überfordert ist, versteht er sich nun als Rufer aus der Ferne, als Bewahrer und Wächter über ein Seinsverhältnis, das noch aussteht. »Die Philosophie ist wesenhaft unzeitgemäß, weil sie zu jenen wenigen Dingen gehört, deren Schicksal es bleibt, nie einen unmittelbaren Widerklang in ihrem jeweiligen Heute finden zu können und auch nie finden zu dürfen.« 186 In einem öffentlichen Brief antwortet er auf Jean Beaufrets Frage: »Auf welche Weise läßt sich dem Wort Humanismus ein Sinn zurückgeben?« (Comment redonner un sens au mot ›Humanisme‹ ?) 187 Die Antwort ist zugleich eine Gelegenheit, auf Jean Paul Sartres wenige Monate zuvor erschienenen und auch in Deutschland

183 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 5. Damit schließt er an eine Überlegung von Aristoteles an, der in der Nikomachischen Ethik sagt, dass man als Mensch nicht wissen kann, was die allerbeste Weise des guten Lebens sein kann, da man nicht wie Gott unendlich sei, weshalb es für Aristoteles sinnvoll erscheint, nur das anzustreben, was man auch verwirklichen kann. Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Stuttgart 2006, Einleitung. 184 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 5. 185 Heidegger war Mitglied der NSDAP und elf Monate Rektor während der NSHerrschaft. 186 M. Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, S. 6. 187 J. Beaufret, A Propos de l’existentialisme, in: D’Existentialisme à Heidegger. Introduction aux philosophies de l’existence et autres textes, établie par Guy Basset, Paris 2000, S. 11–54. Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9.

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überall diskutierten Essay Ist der Existentialismus ein Humanismus? 188 seinsphilosophisch zu reagieren. Sartre hatte mit seinem legendären Vortrag am 29. Oktober 1945 vor dem Pariser Maintenant-Club auf die Frage nach dem Schicksal des Humanismus geantwortet. In einer Zeit, die soeben Exzesse des Barbarischen erlebt hat, fällt die Antwort Sartres knapp und ernüchternd aus: Humanistische Werte, auf die wir uns verlassen können, gibt es nicht. Werte gibt es nur, wenn sich der Einzelne für einen Wert entscheidet. Das tut er, wenn er engagiert ist. Der Mensch könne gar nicht anders, als sich zu engagieren. Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt. 189 Sartres Essay erinnert in manchen Akzenten an Nietzsches Position: 190 Es gibt keinen Gott, der Werte garantieren könnte. Auf die Gemeinschaft kann man sich nicht verlassen. Die Aufklärung hat alle Naivität wegrationalisiert. So bleibt dem Individuum nichts weiter übrig, als ohne Segen von oben dem Leben einen Sinn zu geben, denn a priori hat es keinen. Es liegt folglich am Einzelnen, ihm einen Sinn zu verleihen, indem er durch sein Handeln bestimmte Werte wählt. Auf diese existentielle Wahl des Einzelnen ist die Möglichkeit einer Menschengemeinschaft gegründet. Diese Wahl ist ein Entwurf, ist Transzendenz, denn der Mensch ruht nicht in einer fertigen Wirklichkeit. Transzendenz beziehungsweise Freiheit ist demzufolge das ›Herz der Unruhe‹, das den Menschen umtreibt. 191 Der Mensch existiert nur in Freiheit. Er ist, als was er sich entwirft. Die Existenz geht seiner Essenz voraus. Deshalb ist der Existentialismus ein Humanismus. Der Humanismus erinnert den Menschen nämlich daran, dass es außer ihm keinen anderen Gesetzgeber gibt und dass er in seiner Verlassenheit über sich selbst entscheidet. Nicht durch Rückwendung auf sich selbst, sondern durch Suche nach einem Ziel außerhalb seiner, zeige sich, so Sartre, dass sich der Mensch als humanes Wesen verwirklicht. Die engagierte und eigenverantwortliche Suche ist Be-

J.-P. Sartre, Ist der Existentialismus ein Humanismus?, in: ders., Drei Essays, Berlin 1961, S. 7–52. 189 Sartre, der über Nacht zur intellektuellen Kultfigur der Nachkriegszeit geworden war, hatte sich jedoch angesichts der geschichtlichen Lage auch gegen den Vorwurf zu wehren, dass er in dieser prekären Situation die ethischen Normen dadurch noch schwächt, dass er es dem Einzelnen überlässt, über ihre Gültigkeit zu entscheiden. 190 Im Folgenden paraphrasiere ich Sartres Position. 191 Vgl. J.-P. Sartre, Ist der Existentialismus ein Humanismus, a. a. O., S. 35. 188

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freiung, ist Verwirklichung einer Möglichkeit. 192 Sartre deklariert damit den Existentialismus als neuen Humanismus der Eigenverantwortlichkeit und des Engagements – und zwar in einer Situation ›metaphysischer Obdachlosigkeit‹, also seinsmäßiger Sinnlosigkeit, die angesichts des Holocausts ihren fürchterlichsten Ausdruck gefunden hat. 193 Heideggers Antwort auf Sartre verhandelt die Frage nach dem Humanismus im Zusammenhang mit der Frage nach dem Wesen des Handelns. Die Frage nach dem Wesen des Handelns stellt sich nämlich als eine Reformulierung der Betonung des speziellen Vollzugscharakters der unterschiedlichen Praxisformen des Daseins dar. Es wird allerdings deutlich, dass Sartres moralisch gut gemeinter und politisch korrekter Existentialismus ebenso ein Ausdruck nihilistischer Metaphysik ist – so wie Nietzsches Überwindung der Werte. Heidegger erläutert in seiner Antwort auf Beaufret, warum der Humanismus selbst das Problem ist, für dessen Lösung sich der Humanismus Sartres hält, und warum das Denken über den Humanismus hinausgehen muss hin zum Denken der Sachen und des Seins selbst. Die zu bedenkende Sache ist das Denken. Denken sei – so Heidegger – ein inneres Handeln. Zum Handeln bedarf es einer Haltung. Denkende Haltung zeigt sich in zweierlei Weise: als bewirken und als vollbringen. 194 Bewirken und Vollbringen Das Wesen des Handelns ist für Heidegger ein Vollbringen. 195 Etwas zu vollbringen heißt, ›etwas in die Fülle seines Wesens entfalten‹, weswegen man nur etwas vollbringen kann, was eigentlich schon irgendwie da ist. Was aber vor allem (da) ist, ist das Sein. Rechtes, also seinsangemessenes Denken ist ein Handeln, das vollbringt – nicht aber eines, das bewirken will. Es ist gekennzeichnet durch einen besonderen Bezug des Seins zum Wesen des Menschen. Der Unterschied zwischen ›bewirken‹ und ›vollbringen‹ ist bei aller etymologischen Verwandtschaft, die diese beiden Worte haben 196, vor allem der,

Vgl. ebenda. Ebenda. 194 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 5. 195 Ebenda. 196 Vgl. F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, ›wirken‹, Berlin/New York 1999, S. 893. 192 193

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dass Heidegger ein metonymisch-äußerlich wirkendes Verb der Abund Ausgrenzung durch ein synekdochisch-innerlich mitzuverstehendes Verb der Umschließung ersetzt. Wenn man etwas bewirken will, so zerteilt sich beim Bewirken von etwas theoretisch der Inhalt des Wortes in Teile, einen Bewirker oder Verursacher und die davon unterschiedene Sache oder das Objekt, und erzeugt damit eine Wirkung, die vom Bewirker selbst beabsichtigt werden soll. Nicht so im Vollbringen. Das Wort ›vollbringen‹ funktioniert so, dass im vorgestellten Wort ›voll‹ immer schon ein Ganzes mitschwingt, ein Volles, sozusagen Abgerundetes und in diesem Sinne Vollendetes, das durch ein Zuendetun zur vollen Entfaltung kommt. Dieses Zuendetun oder Vollbringen setzt voraus, dass der innere Plan des zu Vollbringenden bereits vorab erkannt wird und in relativ angemessener Weise, die bei Heidegger immer Teil des richtigen Erkennens des Planes ist, wahrgenommen und ergriffen wird. Dabei agiert der Vollbringer eher als Ausführer denn als Regisseur. Während der Bewirker weiß, mit welchen Werkzeugen er welche Wirkungen erzeugen kann und so kausal wiederholend Ergebnisse herstellen kann, ist sich der Vollbringer einer Handlung oft nicht vollständig im Klaren darüber, mit welchen Mitteln das Vollbrachte erreicht wurde. Er handelt ›intuitiv‹ im Rückgriff auf seine persönlichen Erfahrungen, ohne diese instrumentell oder gar manipulativ einsetzen zu können. Demzufolge ist das Vollbrachte dem (genialen) Zufall näher, bzw. eine ›Glückssache‹ 197, als einer bewirkbaren Wiederholbarkeit. Auch wenn Heidegger in einer Fußnote des Humanismusbriefes schreibt, dass dieser Brief noch immer – und zwar wissentlich – selbst die Sprache der Metaphysik spreche, so geht es Heidegger mit der Unterscheidung der Worte ›bewirken‹ und ›vollbringen‹ doch um ein Handeln, das sich von der elaborierten Form dieser Metaphysik, dem wissenschaftlich-technischen Zugriff auf Phänomene und der Ideologie des Exakten, dezidiert absetzen will. Statt Erkennen als theoretischem Zugriff ist für Heidegger die angemessene Weise des Bestimmens des Wesenscharakters der Menschheit insgesamt eher das Erfahren als existenzialer und praktischer Form der Erkenntnis, der im Übrigen schon in Sein und Zeit ein eigener Erkenntniswert bei197 Interessant dabei ist, dass implizit hier eine Glückskonzeption angesprochen ist, denn Glück kommt etymologisch von ›Luke‹ im Sinne von ›den Deckel auf etwas machen‹, etwas abschließen, vollenden bzw. vollbringen.

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gemessen wird. 198 Die Dimension der Fragestellung erweitert sich noch einmal um eine weitere, die weiteste Dimension des zu Befragenden, wenn es um das auf erfahrende Wahrnehmen bzw. Gewahrwerden des inneren Plans des Seins und seine Darstellbarkeit geht. »Im Denken kommt das Sein zur Sprache. Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden und die Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung. Ihr Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins, insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache aufbewahren.« 199 Was heißt es aber, dass das Denken den ›Bezug des Seins zum Wesen des Menschen‹ vollbringt? Das Denken bzw. die Denkenden und Dichtenden bringen nicht etwas, das ihnen vom Sein übergeben worden ist, dar. Sie sind nicht Boten, die eine Botschaft übergeben, sondern die ›Wächter einer Behausung‹, deren ›Organ‹ sozusagen die Sprache ist. Sprache macht den Menschen heimisch, weil sie sozusagen die Welt für Menschen erst eröffnet und lebendig erhält. Ohne die Sprache gibt es, stark vereinfacht gesprochen, für den Menschen keine Welt. Dass dies so ist, bewirkt nicht der Mensch, sondern kommt vom Sein selbst. Es hat evolutionär die Bedingungen geschaffen, dass der Mensch zu sprechen vermag. Dass diese ›Behausung‹ nicht zum ›Gefängnis‹ wird, dafür haben die Denker und Dichter zu sorgen, indem sie sich in ›Anspruch nehmen lassen, um die Wahrheit des Seins zu sagen‹. 200 Die Dichter und Denker haben die Aufgabe, sich vom Sein ›ansprechen‹ zu lassen, um die Welt nicht erstarren und damit sterben oder das Sein zerstören zu lassen. Denken und Dichten sind also ausgezeichnete Handlungen und haben eine vollbringende Funktion gegenüber allem bloßen Bewirkenwollen mit Sprache etwa als persuasive Rhetorik. Die gemeinsame Aufgabe von Denken und Dichten besteht darin, sich für den Erhalt der Offenheit des Bezugs zum Sein freizumachen – und nicht, wie etwa Sartre glaubt: sich für eine bestimmte Wirklichkeit des Seienden zu engagieren. Es geht also um die Entgegensetzung einer Haltung des Bewirkenwollens einer bestimmten Welt(anschauung) und Wirk-

198 »Die nächste Art des Umganges ist, wie gezeigt wurde, aber nicht das nur noch vernehmende Erkennen, sondern das hantierende, gebrauchende Besorgen, das seine eigene ›Erkenntnis‹ hat.« Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, S. 67. 199 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 5. 200 Ebenda.

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lichkeit und einer Haltung des Sich-in-Anspruch-nehmen-lassens im Dienste des Offenhaltens von Möglichkeitsspielräumen. Es geht um die Gegenüberstellung einer begrenzteren Reichweite mit einer umfassenderen und nachhaltigen Haltung. Es geht nicht um äußerlichen Aktivismus, sondern um innere Wachheit, Offenheit und Freiheit. Eine innere Haltung lässt sich nicht einfach durch äußerliches Verhalten herbeiführen, wenngleich sich beide gegebenenfalls nicht ohne weiteres unterscheiden lassen. Das dynamisch-zeitliche Bewegungsmoment des Seins im Dasein ist der Kern von Heideggers Seinsgeschichte . Es wird aber aus der Uneigentlichkeit in die Eigentlichkeit hineingeholt und so quasi ausgeborgt und ist noch nicht mit der Existenz intrinsisch verbunden. Weil sich dieser Zeitbegriff jedoch am Gegebenen nach Maßgabe der physikalischen Welt ausrichtet, bleibt dieses Bewegungsmoment letztlich weiterhin unbeweglich, starr und äußerlich. Es gilt aber, das Sein radikal als Zeit-Begriff zu verstehen, aus einem existenzialen Zeitbegriff heraus, nicht aus einem physikalischen. Die eigentliche Zeitlichkeit ist dann charakterisiert als eine innere Selbstbewegtheit jenseits eines räumlich bzw. physikalisch zu verstehenden Zeitverständnisses. Ein Denken nach Maßgabe der mechanischen Zergliederung von ausgedehntem Starren steht also im Kontrast zu einem Denken der Selbstbewegtheit in organischer Zeitlichkeit als sich vollendende innere Dynamik des menschlichen Selbstverhältnisses. Das heißt die Bewegtheit des Lebens in der Welt tritt an die Stelle einer Erkenntnistheorie der Akte des intentionalen Bewusstseins. 201 Das hiermit als metonymisch zu kennzeichnende Bewirkenwollen hält Heidegger bereits für eine bestimmte metaphysische, und zwar technische Interpretation des Denkens, deren Geist bis zu Aristoteles und Platon zurückreicht. 202 Diese technische Interpretation, die die Grundform der Wissenschaft wurde und das Maß für die Logik ist, begreift Denken als eine Form der θεωρία (theoria). Als Theorie aber greift sie zu kurz, weil Theorie nur auf das Seiende, das positiv Gegebene und Sichtbare ausgreift, nicht aber auf das Sein. 203 Dass auch die Philosophie selbst das Sein vergessen hat, motiviert

201 Thomas Rentsch weist darauf hin, dass eine wesentliche Bewegungskategorie Heideggers die ›Ruinanz‹ oder der ›Sturzcharakter‹ ist als Bewegung in die Leere. Vgl. T. Rentsch, Martin Heidegger – Das Sein und der Tod, a. a. O., S. 67. 202 Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 6. 203 θεωρεῖν (theorein) heißt beobachten, betrachten, (an)schauen.

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Heidegger für die Aufgabe der Rückgewinnung einer ursprünglicheren Fragestellung und der Rettung der Phänomene. Seitdem nämlich die technische Interpretation der Welt die dominante ist (und die Philosophie selbst zur Wissenschaft depraviert), ist die Philosophie in der ständigen Notlage, vor den Wissenschaften ihre Existenz zu rechtfertigen. Die Philosophie betreibt diese permanente Rechtfertigung, indem sie sich selbst als Wissenschaft anbietet. Das jedoch treibt die Philosophie von sich selbst und damit vom Wesen des Denkens weg. Deshalb muss sich das Denken frei machen von jeder Form der technischen Interpretation des Denkens. Auch technische Darstellungs- und Ausdrucksformen wie die Schrift oder andere Medien können hierbei zum Problem werden. Die Schriftlichkeit der Darlegung ist vor allem deshalb problematisch, weil »im Schriftlichen […] das Denken leicht seine Beweglichkeit ein [büßt]« 204, aber auch den ›heilsamen Zwang zur bedachtsamen sprachlichen Fassung 205 bietet, schreibt Heidegger. Heidegger liegt an der Strenge des Denkens, die er – anders als Husserl – nicht als Exaktheit und Eindeutigkeit auffasst, sondern die er als Phänomenangemessenheit im Bereich des ursprünglicheren Denkens, des Denkens der Wahrheit des Seins, in ihrer Form der vororientierenden Mehrdeutigkeit nutzbar machen möchte. Strenge meint bei Heidegger, dass die Methoden und die Sprache der Philosophie das schwierige Phänomen des Seins nicht allzu schnell vereindeutigen und festhalten mögen, sondern im Gegenteil: Die Sprache muss um der Dynamik der Selbstbestimmung des Menschen willen versuchen, das Sein als etwas Offenes, Mehrdeutiges, als Horizont für mögliche Vereindeutigungen zu zeigen und zu sagen, wenn sie es phänomenadäquat aussprechen will. Ähnlich wie der New Criticism in der Literaturkritik, so glaubt auch Heidegger, dass die verdichtete Mehrdeutigkeit konstitutiv für das Verstehen von Sprache ist und dass die Vereindeutigung der Mehrdeutigkeit nachgeordnet ist. Orientierungs- und Konzeptmetaphern werden damit als konstitutiv und ursprünglich für das menschliche Sprachvermögen angesehen. Das Verhältnis der Philosophie zur (technischen und praktischen) Wissenschaft hat Heidegger verglichen mit einem Verfahren, 204 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 7; zur Problematisierung der Erstarrung des Denkens durch Schrift, besonders die Alphabetschrift, siehe auch: R. Totzke, Buchstaben-Folgen, a. a. O. 205 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 7.

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das versucht, ›das Wesen und Vermögen des Fisches danach abzuschätzen, wieweit er imstande ist, auf dem Trockenen des Landes zu leben‹. 206 Heidegger ist überzeugt, dass die Philosophie, wenn sie den Maßstäben der (technischen und nutzensorientierten) Wissenschaft genügen will, immer verlieren und sich verbiegen wird, weil sie sich gar nicht in dem ihr angestammten Element bewegen kann, sondern im Ursprung allen Lebens auf der Erde. Richtet sie sich nach den später entwickelten Methoden der Welterfassung, wird sie nie das ursprüngliche Wesen der Wahrheit des Seins verstehen können. Sie muss deshalb zunächst erst einmal wieder in ihr eigenes Element zurückfinden. Denken ist für Heidegger daher auch noch vor jeder vorwissenschaftlichen Trennung von Theorie und Praxis. Denken dringt in eine Dimension ›vor‹ 207 dieser Trennung vor bzw. lässt diese Trennung im verdichtend-synoptischen Rückgang eines existenzialen, nur noch anspielenden Mitverstehens hinter sich. Dies entspricht der synekdochalen Logik. Denken als ›innere Handlung des Vollbringens des Wesen des Seins‹ ist ein Andenken an das Sein. Aber es ist kein Andenken an das Wesen der Metaphysik oder das Wesen der Wissenschaft. Aus deren dominant metonymischer Logik muss sich ein offenes Denken, wenn es Vollbringer und nicht nur bewirkende Wissenschaft sein will, gerade befreien. Dazu müssen der Mensch und noch mehr die Philosophie jedoch das Denken ›ver-mögen‹. 208 Möglichkeit statt Wirklichkeit Das Element des wesentlichen Denkens ist für Heidegger das Sein selbst. Es ist die ›stille Kraft des mögenden Vermögens‹, das heißt des Möglichen. 209 Wie können die Worte ›mögen‹, ›Vermögen‹ und ›Möglichkeit‹ zusammengedacht werden? Wie ist es zu verstehen, dass das Denken dem Sein in gewisser Weise ›gehört‹ ? – Wesentliches Denken ist für Heidegger Denken des Seins, insofern es auf das Sein im doppelten Wortsinne ›hört‹, es 1. wahrnimmt und 2. zugleich ihm auch vertraut und folgt. 210 Wegweiser auf Heideggers antimetaphysischen Denkweg darf also nicht länger der Mensch als BeEbenda. Auch dieses ›vor‹ ist weder im räumlichen noch im zeitlichen Sinne gemeint, sondern im Sinne einer synekdochalen Ursprungssuche der in den kooperativen Praxen verdichtetet eingebetteten und eingeschriebenen Seinsbezüge. 208 Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 8. 209 Ebenda. 210 Ebenda. 206 207

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wirker sein, sondern das Sein selbst, dem gefolgt und dessen Plan vollbracht oder verkannt werden kann. Das in etwa versteht Heidegger darunter, wenn er sagt, das Denken habe sich seines Wesens angenommen, da etwas oder jemanden annehmen heißt, es mögen oder lieben. Liebe wird geschenkt. Sie kann nicht bewirkt oder erzwungen werden. Sie ist keine Gabe im metaphysisch-vergegenständlichten Sinne. Als Geschenk schenkt sich der Liebende in seinem ureigensten Wesen mit, denn echtes Mögen oder wahre Liebe beruht nicht nur in seiner wesensmäßigen Bezogenheit immer auf Gegenseitigkeit, sondern lässt den anderen auch in seinem Sein sein beziehungsweise in sein Sein kommen. Sie lässt sozusagen das Mögliche ›ins Wesen kommen‹. 211 Seinsdenken ist damit sozusagen das Vermögen zur Liebe, ein sich im Andenken zeitliches Ausdehnen, ein zeitlich-sorgendes Vorspringen (nicht Einspringen, sic!), damit sich die Möglichkeiten und Vermögen des Geliebten als solche offenbaren und wahrgenommen werden können. Mögen beziehungsweise Lieben ist ein zurückgenommenes Wachsenlassen und Aufsichzukommenlassen. Es ist nichts Starres, sondern δύναμις (dynamis). Damit ist es weder Desinteresse noch Bewirken- oder Lenkenwollen. Zu mögen muss man vermögen. Es ist das Vermögen des Inswesenkommenlassens des Möglichen eines jeweiligen Seinkönnens. Heideggers Begriff des ›Mögens‹ und seine Konnotationen hin zu ›Vermögen‹ und zu ›Möglichkeit‹ setzen sich also von der üblichen Interpretation des Möglichen als ideengeschichtliches Gegensatzpaar: Möglichkeit/Wirklichkeit, potentia/actus, essentia/existentia ab. 212 In Abgrenzung etwa zu Sartre geht es Heidegger nicht um die ›Essenz der Existenz‹, sondern um eine radikal antimetaphysische und antiideologische Art des phänomenalen Seinsbezugs. Damit geht es nicht mehr darum, etwas auf den Begriff zu bringen, etwas zu erkennen oder zu erfassen. Das Erfassen, Erkennen oder Ergreifen von Möglichkeiten unterscheidet sich von jedem Bezug durch eine veränderte, nämlich statt einer sachlichen eine persönliche Haltung, also eine Ebenda. Für Heidegger begreift die mittelalterliche Philosophie das Wesen des Menschen als actualitas; Kant stellt die existentia als die Wirklichkeit vor im Sinne der Objektivität der Erfahrung; Hegel bestimmt die existentia als die sich selbst wissende Idee der absoluten Subjektivität; Nietzsche erfasst die existentia als die ewige Wiederkehr des Gleichen. Alle diese Begriffe sind Derivate dessen, was Heidegger mit der Ableitung der Möglichkeit aus der Doppelbedeutung von Mögen und Vermögen, die vortheoretisch eine einzige ist, auszudrücken beabsichtigt. 211 212

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Haltung, die die gesamte Existenz mit in die Beziehung hineinbringt und nicht nur einen distanzierten Blick der Verobjektivierung. Heidegger ›will‹ 213 in eine Haltung bringen, die näher am Sein ist und sich als Ek-sistenz in die Lichtung des Seins stellt. Insofern spielt Heidegger Kants kopernikanische Wende aus. Heidegger schaut nicht nur darauf, wie dem Menschen die Gegenstände der Erfahrung gegeben sind, sondern was die Bedingungen der Möglichkeit dafür sind, dass dem Menschen die Gegenstände überhaupt gegeben sein können. Er stellt dabei den metaphysischen Seinsbezug als den dominanten, aber tendenziell rechnend-technizistischen heraus, der dem Menschen zu einer Gefahr werden kann. Entgegen allem Nützlichkeitsdenken, das die Tendenz zur Schematisierung forciert, gilt es vielmehr, die Präsuppositionsanalyse ins Positive zu wenden und nach einer echten Alternative zu suchen. Diese kann der Mensch nur eingebettet in ein größeres Ganzes, in die Seinsgeschichte selbst finden. Um dies aber zu vollbringen, gilt es zu allererst, wieder eine vermögend-mögende Beziehung zum Sein aufzubauen. Diese Seins-Nähe ist nicht im Rahmen eines metonymischmetaphysischen Logos zu bewirken, der alles ›von außen‹ betrachtet. Sie ist nur durch ›andächtige Teilnahme und Teilhabe‹ zu vollbringen. Existenz bei Sartre führt zur Entschlossenheit und gegebenenfalls zu engagiertem Handeln. Heideggers Begriff der ›Ek-sistenz‹ aber führt zur Wahrheit des Seins, der nichts in diesem Sinne Distinktes oder konkret Bestimmbares bzw. Bestimmtes und auch kein engagiertes konkretes Handeln innerhalb einer Weltanschauung im Namen des Humanismus entspricht. Weil jedes Bestimmen ein Umzu-willen, einen Nutzenaspekt hat, ist es tendenziell herstellend und bewirkend. Es möchte einen besseren (gesellschaftlichen) Zustand herstellen. Ek-sistenz ist hingegen die transzendentale, freiheitliche Transzendenz vor allem Engagement für eine humanistische Ideologie und Metaphysik. 214 Das entsprechende, vollbringende Denken findet nach Heidegger ›vor‹ der Unterscheidung zwischen ›theoretisch‹ und ›praktisch‹ statt. Es hat kein Ergebnis, keine Wirkung und genügt seinem Wesen, dem Andenken an das Sein und nichts außerdem. Es ist vor allem nicht nutzenorientiert, aber auch nicht 213 Statt ›wollen‹ müsste hier besser ›lässt sich geleiten‹ stehen, da es ja gerade kein ›Wollen‹ im Sinne eines ›Bewirkenwollen‹ ist. Hier setzt allerdings die Interpretationssprache Grenzen. 214 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 15.

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defätistisch. Dieses Denken kann nichts bewirken, etwa die Geschichte des Seins steuern. Dieses Denken lässt das Sein sein, ohne es zu ignorieren. 215 Im vollbringenden Denken wird das Gedachte gewürdigt. Indem ein solches Denken an das Sein denkt, lässt das Sein sich von sich aus her zeigen, und zwar in seiner Eigenart. Das Sein wird in diesem Denken nicht vereinnahmt, sondern als es selbst in seinem Element belassen. Jedes Engagement wäre, weil es ein Bewirkenwollen ist, zuviel. Wo Sartre glaubt, den Geist Heideggers getroffen zu haben, 216 setzt sich dieser in seinem Begriffs- bzw. Bedeutungsfeld dezidiert von Sartre ab. Deshalb kritisiert er Sartres Aussage, dass der Existentialismus ein Humanismus sei. Der von Sartre vertretene Existentialismus ist gerade deshalb kein Anschluss an Heideggers Denken, weil es diesem trotz Aufruf zum Engagement an Radikalität und Konsequenz mangele. 217 Die eigentliche Würde des Menschen sei nämlich noch nicht erfahren, betont Heidegger, weil der Humanismus, für den sich Sartre ja stark macht, die Humanitas des Menschen ›nicht hoch genug ansetze‹. 218 Der gesamten Metaphysikgeschichte lag nach Heideggers seinsgeschichtlicher Interpretation daran, den Menschen menschlicher zu machen. Die Entwürfe zu dieser Humanisierung des Menschen sind alle aus (Selbst-)Sorge um ihn entstanden. Was diese Humanismen aber allesamt nicht können, ist ›das Andenken an das Sein vollbringen‹. Heidegger bringt für diese These historische Belege an: Marx zum Beispiel sieht das Wesen des Menschen in der Gesellschaft, der Christ sieht es wiederum im Abbild Gottes, der Römer, der nach Heidegger der eigentliche Begründer des Humanismus ist, sieht das Wesen des Menschen in der Entgegensetzung zum Barbarentum, der Grieche aber hat seine Paidaia als Grundlage für die Humanitas mitgegeben. Die Antike-Renaissancen im 14. und 15. sowie im 18. Jahrhundert sind für Heidegger nur noch neue Auflagen des römischgriechischen Humanitas-Verständnisses. 219 Je nach Auffassung der Freiheit und der Natur des Menschen unterscheiden sich diese verschiedenen Humanismen, ebenso wie die Wege dahin. All diese Humanismen kommen nach Heidegger jeVgl. ebenda, S. 48. Heidegger wird in dem Essay öfter namentlich als vermeintlicher Ideengeber und Gleichgesinnter von Sartre genannt. 217 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 20 ff. 218 Vgl. ebenda, S. 21 f. 219 Vgl. ebenda, S. 11 ff. 215 216

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doch darin überein, dass sie das Wesen der Humanitas aus dem Hinblick auf eine schon feststehende Auslegung der Natur, der Geschichte, der Welt, des Weltgrundes, das heißt des Seienden im Ganzen metaphysisch, also gemäß der Auslegung des Umgangs mit physischem Seienden (res corporae) bestimmt haben. Alle glauben, das fixe Wesen des Menschen erfasst zu haben, und erheben es zur Ideologie, der nun alles unterzuordnen ist. Weil sich jeder Humanismus in Metaphysik gründet oder sich selbst zum Grund einer Metaphysik als Ideologie macht, sind aber alle Humanismen metaphysisch und ideologisch. »Jede Bestimmung des Wesens des Menschen, die schon die Auslegung des Seienden ohne die Frage nach der Wahrheit des Seins voraussetzt, sei es mit Wissen, sei es ohne Wissen, ist metaphysisch.« 220 Weil sie metaphysisch sind und das dynamische Antriebsmoment des Daseins zur Versteinerung bringen, geschieht ihre tiefensprachliche Präfigurierung im metonymischen Redemodus. Humanismen, die zu Ideologien erstarren, bestimmen vorab ein fixes Wesen des Menschen als herstellbares Ziel und verkennen damit die prinzipiell offene und dynamisch zu fassende Selbstauslegung des Menschen und seiner Würde. Wenn man nämlich das Wesen des Menschen bestimmt oder festlegt, hat man das prinzipiell Freie und Transzendente der Immanenz des Daseins verkannt. Heidegger möchte diesen unterschiedlichen metaphysisch-metonymischen Humanitas-Verständnissen in der okzidentalen Seinsgeschichte ein grundsätzlich offenes Wesensverständnis des Menschen denkerisch entgegensetzen, das die Hybris der vergangenen Menschheitsgeschichte im Sinne des Menschen als Beherrscher der Welt, der sich die Natur untertan macht, in ein demütigeres Selbstverständnis zurückmahnen, das sich in Abläufe eingebunden sieht, die es selbst gar nicht bewirken oder beherrschen kann. Ein angemessenes Wesensverständnis zeigt sich für Heidegger von daher als existenziales Andenken an das prinzipiell zeitliche Wesen des Seins. Heidegger sieht sich damit als jemand, der auf dem Weg ist, das Andenken des Seins als Frage nach dem Wesen der Humanitas so zu vollbringen, dass er konkurrierende Modelle in ein basaleres integrieren lässt, denn für Heidegger kann es nur ein Wesen der Humanitas geben, wie es auch nur ein Sein gibt. Jede Zergliederung würde einen Rückfall in metonymische Denkkategorien bedeuten. Der zu gewinnende Humanismus, der zu vollbringen ist, darf kein Bestimmtes 220

Ebenda, S. 13.

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oder Festgelegtes sein, sondern muss die vielen ideologischen Versuche der Vergangenheit in einem höheren Begriff synekdochisch als prinzipiell offenes Geschehen halten und als solches denk- und ausdrückbar machen. Nach Heidegger lässt sich sagen, dass sich das Eigentümliche jeder Metaphysik darin zeigt, dass sie humanistisch ist und jeder bisherige Humanismus metaphysisch war. Aus einem Humanismus heraus, auch aus dem existenzialen Sartres, kann also die Wahrheit des Seins, in die sich der Mensch nach Heidegger stellen soll, nicht gewonnen werden. Vielmehr versteht der Humanismus die Frage nach dem Wesen gar nicht richtig, ja er kann sie gar nicht metaphysikfrei stellen. Die Sprache von Sein und Zeit selbst rechnet Heidegger deshalb in diesem Rückblick selbstkritisch zur ›Sprache der Metaphysik‹. 221 Dieser Sprache gehorche auch Sartre, der die antike Bestimmung, dass die Essenz der Existenz vorausgeht, nur umdreht, aber nicht überwindet. Sartres Umkehrung bleibt so lange metaphysisch, wie sie in der sprachdenkerischen Dimension der Metaphysik verharrt, so wie Nietzsches Umkehrung des Platonismus an diesen gebunden bleibt. Beides sind Ersetzungen, die im Paradigma metonymischer Logik verhaftet bleiben, nicht aber wirklich radikal neu zu denken vermögen. Für Heidegger gilt es aber, von dieser Bindung an die Metaphysik und ihrem allgegenwärtigen metonymischen Denkmodus loszukommen und diesen nicht nur umzukehren wie Nietzsche und Sartre. Will man also nicht nur immer wieder neue Spielarten metonymischer Ersetzungen produzieren, sondern ein radikal anderes Seinsverständnis, dann darf dieses andere Verhältnis zum Sein auch keine Wiederkehr einer neuen ›humanistischen‹ Ideologie oder Metaphysik, damit alter Wein in neuen Schläuchen sein. Vielmehr kann ein radikal alternatives Seinsverhältnis überhaupt nicht vom Menschen bewirkt werden. Es ist vielmehr ein Seinsgeschick – und kann als solches nur vollbracht werden, denn das Wesen des Daseins (humanum, des Menschen) ist nichts Menschlich-Metaphysisches – so wie das Wesen der Technik nichts Technisches ist. Seinsgeschick Heideggers Resümee ist, dass man aus der metaphysischen Dimension des Denkens weder herauskommt, indem man versucht, sich

221

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Vgl. ebenda, S. 19.

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wie Sartre aktivistisch zu engagieren, noch, indem man, wie die Wissenschaften und wie Heidegger es noch in Sein und Zeit versuchte, die Nähe zur Wahrheit zu erzwingen, herzustellen oder irgendwie denkerisch zu bewirken. Heidegger fragt sich vielmehr, warum die Frage nach dem Seinsgeschick bisher nie gestellt wurde oder gestellt werden konnte. Er hält dieses Seinsgeschick nicht für ein Versäumnis oder das Ergebnis der Unfähigkeit oder Primitivität der Menschen. Vielmehr liegt es gar nicht allein in der Macht des Menschen, ein Zeigen oder Entbergen zu bewirken. Weil es ein vom Sein selbst geschicktes ist, ist das Seinsgeschick nur als ein (waches) Andenken zu (voll)bringen. Das Seinsgeschick ist insofern unverfügbar und nicht herbeirufbar. Die Bezeichnung ›Geschick‹ fungiert dabei dreifach entlastend: 1. kann sich Heidegger selbst als Teil dieses Geschicks begreifen und muss nicht mehr – ähnlich wie die Jesusfigur – alle Schuld bzw. Last auf sich nehmen, denkerisch etwas bewirken zu müssen; 2. entlastet er auch die gesamte Philosophiegeschichte von dem Vorwurf, nicht weit genug gedacht zu haben, und 3. entlastet er auch die gesamte Menschheit davon, für den Gang der Gesamtentwicklung der Menschheitsgeschichte vollständig verantwortlich zu sein, da dieser Gang nicht vollständig in der Hand der Menschen liegt. Schließlich sei der Mensch eben endlich und habe am Göttlichen nur Teil; sei also fehlbar – und das offenbar grundsätzlich, weil im Dasein des Menschen dessen Tendenz zur Metaphysik und damit zu einem dominant präsentischen und feststellenden-metonymischen Denken schon wesenhaft angelegt ist. Des Menschen ›Macht‹ reicht nur soweit, wie das Sein an sozusagen Einsichtsvermögen dem Menschen gegeben hat, nie aber über dieses Seinsgeschick hinaus. Weil sich der Mensch selbst aus seinem In-der-Welt-sein permanent metaphysisch (miss) versteht, gilt es, offen zu sein für einen neuen ›Anspruch der Götter‹. »Ob es und wie es (das Seiende, BK) erscheint, ob und wie der Gott und die Götter, die Geschichte und die Natur in die Lichtung des Seins hereinkommen, an- und abwesend, entscheidet nicht der Mensch. Die Ankunft des Seienden beruht im Geschick des Seins.« 222 Unverkennbar weht hier ein neuer Wind. Wenn Heidegger schreibt: »Der Mensch ist der Hirt des Seins«, dann klingt das alles in allem christlich-abendländisch. Das klingt wie Prophetie. Es klingt

222

Ebenda, S. 22 f.

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nach Heilsprophezeiung und Religionsverkündung. Solche Sätze haben sich verabschiedet vom analytischen Geist, den Heidegger noch in Sein und Zeit an den Tag legte. Sie sind metaphorisch, rufen Denkkonzepte auf, die die Logik metonymischer Rede längst verlassen haben. Aufgerufen werden quasireligiöse Stimmungen, die ohne Begründungen und ohne weiter begründende Argumente auskommen müssen. Heideggers pazifistischer Predigerton will hier auch nichts mehr beweisen, will nichts mehr demonstrieren, will nichts mehr in seine Bausteine zerlegen, begründen, argumentieren und auch nicht mehr auslegen oder aufzeigen, denn ›das Sein ist weiter denn alles Seiende und ist gleichwohl dem Menschen näher als jedes Seiende …‹. 223 Die Vorstellung, dass sich der Mensch nur in der Selbstentäußerung, der objektivierenden Entfremdung und Entfernung als Subjekt erfahren kann, muss überholt werden. Heideggers Ansicht ist, dass die Wahrheit des Seins als das Nächste in der abendländischen wissenschaftlich-technischen Weltanschauung als dem Fernsten nicht mehr sichtbar wird. Die Nähe zum Sein ist metaphysisch und ideologisch verstellt. Die Selbstentfremdung soll aufgehoben werden. Das Sein ist zwar das dem menschlichen Dasein Nächste. Doch die Nähe bleibt ihm zugleich das Fernste. Grund ist die Verstellung der Nähe durch das bestimmende, metonymisch-metaphysische Seins-, Selbstund Weltverständnis aus der Haltung eines Bewirkenwollens. Zwar bleibt das Sein das Nächste. Doch die Nähe bleibt dem Menschen am weitesten entfernt, weil gerade sie sich nicht als Objekt gegenüberstellen lässt. Heidegger drückt es französisch aus, indem er Sartres Satz: »précisément nous sommes sur un plan où il y a seulement des hommes« mit dem richtigen Verständnis von Sein und Zeit ›berichtigt‹ : »précisément nous sommes sur un plan où il y a principalement L’Être« 224. Il y a l’Être: ›Es gibt das Sein‹ ist zwar ungenau, denn das, was gibt, ist das Sein selbst. Das Wort ›gibt‹ benennt das ›Gebende, seine Wahrheit gewährende Wesen des Seins‹ : »Das Sichgeben ins Offene mit diesem selbst ist das Sein selber.« 225 Dieses ›es gibt‹ ›waltet‹ für Heidegger als das ›Geschick des Seins‹. 226 Es durchzieht

223 224 225 226

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Ebenda. Ebenda, S. 25. Ebenda. Vgl. ebenda.

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die gesamte Geschichte des Seins, die bisher nur als Geschichte der Metaphysik überliefert wurde. Diese unpersönliche Redeweise von ›es gibt‹ ist es nach Heidegger, die jedoch in den Schriften und Worten der großen Denker und Dichter zur Sprache kommt. 227 Ein solches Denken und Dichten ist nach Heidegger ein Andenken an die Geschichte des Seins. Andenken kann hierbei im Sinne Heideggers durchaus als Gegenstand (das Andenken etwa als Souvenir) und zugleich als Tätigkeit (andenken) verstanden werden. Und auch die Tätigkeit kann mindestens in doppelter Weise verstanden werden, nämlich als ein erinnerndes Andenken an etwas oder als ein kämpferisches Andenken gegen etwas. Alle diese Bedeutungsdimensionen sind darin mitgemeint. Das anfängliche andenkende Denken und Dichten gehört daher für Heidegger in die Geschichte des Seins selbst mit hinein. Es ist kein nachträgliches Vergegenwärtigen der Geschichte, denn die Seinsgeschichte ist kein Geschehen und Vergehen im Sinne physisch vorhandener Dinge, so wenig wie Zeit vorhanden sein kann. Vielmehr ›west das Geschehen der Geschichte als das Geschick der Wahrheit des Seins aus diesem selbst‹. 228 Gemeint ist damit, dass die Seinsgeschichte nicht linear als ablaufende Zeit verstanden werden darf, in der zudem auch noch etwas geschieht bzw. Geschehnisse, verstanden als Ereignisketten, vorgehen bzw. sich ablösen. Vielmehr liegt es sozusagen in der Hand des Seins, das immer schon ist, selbst, sich zu geben oder zu versagen, zu zeigen oder zu verbergen. Sein darf nicht nur als Naturhaftes gedacht werden, das entsteht und vergeht. Ein (Seins-)Geschehen ist in diesem Sinne nichts Objekthaftes, Zergliederbares, sondern Erzeugung von Bedeutsamkeit für den Menschen. Als Stiftung von Bedeutsamkeit ist es zugleich Schaffung innerer Bewegung als auch Werthaftigkeit. 229 Für Heidegger verbirgt sich in Parmenides’ Satz: ἔστι γὰρ εἷναι (esti gar einei): ›Es ist nämlich Sein‹ letztlich das anfängliche Geheimnis für alles Denken. 230 Parmenides’ Satz ist für Heidegger allerdings

227 Bereits in seinen frühen Schriften hatte sich Heidegger für die unpersönlichen Formen ›es donnert‹, ›es geschieht‹ usw. interessiert. Nun scheint er im ›Es‹ gefunden zu haben, was in den alltäglichen Redewendungen weiterhin ›anwest‹ und da ist: das Sein selbst. 228 Vgl. ebenda, S. 26. 229 Ebenda, S. 27. 230 Ebenda.

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in seiner ganzen Reichweite noch ungedacht geblieben. Und er erklärt: »Daran lässt sich ermessen, wie es mit dem Fortschritt der Philosophie steht. Sie schreitet, wenn sie ihr Wesen achtet, überhaupt nicht fort. Sie tritt auf der Stelle, um stets dasselbe zu denken. Das Fortschreiten, nämlich fort von dieser Stelle, ist ein Irrtum, der dem Denken folgt als der Schatten, den es selbst wirft.« 231

Damit entsagt er einmal mehr allem Wissensakkumulismus der Neuzeit, aller Enzyklopädik und Neu-Gier. Wahre Erkenntnis geht vielmehr mit Haltungsänderung einher. Sie weiß am Ende nicht mehr, sondern sie weiß dasselbe auf andere Weise. Auch hier also wieder eine Absage an metaphysisch-metonymische Formen des Redens und Denkens und zugleich die Sehnsucht nach einem nichtentfremdeten, einem integrierend-versöhnendem Verhältnis zu sich und den begrenzten Möglichkeiten. Denkenderes Denken, wie es Heidegger nennt, besinnt sich auf die ursprüngliche Weichenstellung innerhalb des menschlichen Seins- und Selbstverständnisses. Heideggers Wachsein gilt nicht nur für die Fallstricke des metaphysischen Denkens, sondern auch positiv dem existenzialen Mitverstehen vor allem des ursprünglichen Seinsgeschickes und seiner Wahrheit. Es geht gerade nicht um die narrative Richtigkeit eines in der Zeit linear ablaufenden Weges der Menschheitsgeschichte, an dessen Ende Erlösung oder Verdammung steht. Statt einer christlichen oder überhaupt religiösen Heilsgeschichte setzt er – angeregt durch seine Hölderlinlektüre – wenn schon, dann ein eher heidnisches, quasi seinsreligiöses Verständnis. Dieses ist urwüchsig, aber nicht gottlos, wenn damit eine dankbare Rückbesinnung auf die Ursprünge eigener Kulturalität und conditio humana gemeint ist. Heideggers An-Denken nimmt wissentlich wesentliche Aspekte des romantischen Geschichtsdenkens auf, ohne in ›Agrarromantik‹ zu verfallen, wie ihm oft vorgeworfen wird. 232 Es lässt sich eher als ein Einverständnis und Mitverstehen des an sich schon bedeutsamen Seins vor aller theoretischen (damit Ebenda. Vgl. R. Faber, R. Minder, Kritiker völkischer Germanomanie und bundesrepublikanischer Neubiedermeiers. Eine wissenschaftsgeschichtliche Hommage, in: J. Baumgartner, B. Wedemeyer-Kolwe (Hrsg.), Aufbrüche – Seitenpfade – Abwege. Suchbewegungen und Subkulturen im 20. Jahrhundert. Festschrift für Ulrich Linse, Würzburg 2004, S. 162. 231 232

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auch priesterlich-religiösen) Gelehrsamkeitszurichtung deuten. Bedeutsamkeit kommt für Heidegger nämlich nicht allein durch den Menschen in die Welt, sondern kann nur vom Menschen aus der Welt vernommen werden. Der Mensch als Gattungswesen kann jedoch nur soviel ver- und ent(gegen)nehmen, wie das Sein von sich her geschehen lässt. 233 Heidegger löst sich vom Gedanken, dass es eine Erlösung geben könnte, bei der die Lösung allein vom Menschen herbeigeführt werden könnte. Sein Blick ist ohnehin generell weniger auf das Eschaton, das Endziel, und eine bestimmte, sich teleologisch entwickelnde Heilsgeschichte gerichtet. Vielmehr sucht sein seinsgeschichtliches Denken das Ursprungsgeschehen des Seinsgeschickes, den Anfang, an dem alle Weichen für einen Seinsbezug überhaupt gestellt werden. Ist der Anfang falsch bzw. auf eine bestimmte Weise gesetzt, so bestimmt er auch den Möglichkeitsraum des Ziels mit. Neuer Möglichkeitsraum kann daher nur durch einen neuen Anfang zustande kommen, an welchem der Mensch vom Sein ergriffen ist. Das ist die Überzeugung Heideggers. Die großen Denker und Dichter dürfen deshalb nach Heidegger auch nicht als die eigentlichen Erzeuger dieser Bedeutsamkeit verstanden werden. Sie sind für ihn Aufnehmende, die die Wahrheit des Seins vernehmen. In diesem Vernehmen verbindet sich sowohl ein Hören als auch Vernünftigkeit mit an. Sie vernehmen Wesentliches, also Tiefes. Das Vernommene hat jedoch nicht den Charakter eines detailliert Auseinandergelegten und nach den Maßstäben exakter Wissenschaftlichkeit Beweisbaren, sondern den Charakterzug allererster Orientierung, starker Verdichtetheit, Erstauntseins und Ergriffenseins sowie gegebenenfalls poetischer Weltstiftung. Weil aber dieses so Vernommene auf die seiende Welt bezogen bleibt und ausgedrückt werden will, ist das zur Sprache zu bringende auch jeweils 233 Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist auch die Kontrastierung mit Karl Löwiths Kommentar zur Heilsgeschichte. Vgl. K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart 1953, S. 14: »Daß wir aber überhaupt die Geschichte im Ganzen auf Sinn und Unsinn hin befragen, ist selbst schon geschichtlich bedingt: jüdisches und christliches Denken haben diese maßlose Frage ins Leben gerufen. Nach dem letzten Sinn der Geschichte ernstlich zu fragen, überschreitet alles Wissenkönnen und verschlägt uns den Atem; es versetzt uns in ein Vakuum, das nur Hoffnung und Glaube auszufüllen vermögen. Die Griechen waren bescheidener. Sie maßten sich nicht an, den letzten Sinn der Weltgeschichte zu ergründen. Sie waren von der sichtbaren Ordnung und Schönheit des natürlichen Kosmos ergriffen.«

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schon immer vom ursprünglich Geschickten ein Sichunterscheidendes. Weil es sich von seinem ersten Impuls unterscheidet und zur Konkretion drängt, fällt das Wort der Dichter und Denker schon nicht mehr mit der Gabe des Seins selbst zusammen, sondern zerspaltet sich in unterschiedliche Verdichtungen auf. Nur in dieser gemeinsamen Seinsnähe und dem sprachlichen Abfall sind sich Dichten und Denken gleich. Das Dichterische und Denkerische ist kulturhistorisch dann sehr unterschiedlich, weil es vom Menschen immer nur auf bestimmte und bestimmende, da seinsgeschichtlich zugleich sozusagen immer nur teilbelichtete und daher aspektuale Weise, ausgesprochen werden kann. Hier gehen Dichten und Denken sehr unterschiedliche Wege. Das trifft auch auf die Verbindung von Dichtung und Denken in den historisch-narrativen Verarbeitungen zum Beispiel großer Epen oder geschichtsphilosophischer Darstellungen zu. Deswegen kann Heidegger sagen, dass zum Beispiel Hegel, Marx und Nietzsche mit ihren Geschichtsphilosophien weder Wahres noch Falsches sagen, sondern sozusagen in einen liebenden Streit um die Sache selbst, nämlich die Geschichte der Wahrheit des Seins mit je unterschiedlichen Vernehmungen verwickelt sind. Sie alle sind auf der Suche, das geschichtliche Wesen des Seins zu erkunden, und sie beanspruchen, Vorschläge zur Interpretation der Menschheitsgeschichte zu unterbreiten. Eine solche Draufsicht auf die verschiedenen Geschichtsphilosophievarianten ist insofern nicht relativistisch, als es in der jeweiligen Horizonthaftigkeit liegt, von welchem Standpunkt aus Geschichte wie begriffen wird. Man könnte vielmehr sagen, dass eine solche Perspektive relational ist. Sie vernimmt und versteht die Welt immer aus einem bestimmten kulturell-historischen Selbstverhältnis zum Sein heraus. Solche Horizonte des Mögens und Vermögens eröffnen bestimmte Möglichkeiten und verschließen nicht nur ihren ureinen Ursprung, das Seinseine, sondern auch andere Möglichkeiten des Vernehmens. Weil dieser Weg zwangsläufig den Menschen vom Ursprung, dem Sein, entfernt, gerät der Mensch in eine zunehmende Heimatlosigkeit. Heimatlosigkeit und Nähe Alle bisherigen Geschichtsphilosophien und Weltanschauungsentwürfe neigen nach Heidegger dazu, zu Ideologien zu versteinern. Ihre Zielfixiertheit und Vergegenständlichungstendenzen menschlicher Praxen verfehlen dessen wesentlich freies, infinites und dynamisches 522

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Wesen. Damit aber geben sie nicht, sondern nehmen ihm ›Heimat‹. Für Heidegger ist Heimat dort, wo der Mensch hin(ge)hört. Der Mensch bzw. das Dasein gehört zum Sein und dem Sein. Es liegt nicht im Ermessen des Menschen, dass er Mensch wurde, wenngleich es in seinem Ermessen liegt, was er wurde und wird. Für Heidegger gibt es eine Instanz der Nähe zum Sein, aus der sich das Wesen des Menschen als zeitlich gewordenes frei selbst bestimmt. Die Nähe zum Sein ist daher die Heimat des Menschen. Dort gehört er hin. Alle Attribute des Menschen wie aufrechter Gang, Sprache, Denken, Technik usw. sind diesem Schenkungsakt nachgeordnet und verfehlen als anthropologische Reduktion dessen Freiheit und Heimat. In diesem Sinne ist das Wort ›Heimat‹ ganz und gar nicht patriotisch, nicht nationalistisch, sondern eben seinsgeschichtlich gemeint. Es gehört selbst in einen ursprünglicheren, die Menschheitsgeschichte überragenden Zusammenhang. 234 Seingeschichtlich gesprochen ist Heimat Nähe zum Sein. Erst aus einer Rückgewinnung dieser Nähe zum Sein kann die Überwindung der Heimatlosigkeit des Menschen resultieren und der Mensch wieder heimisch werden. Der Mensch muss sich aus der eigens verschuldeten Fremdbestimmung wieder zurückholen durch Ent-Fremdung. In der seinsgeschichtlichen Heimatlosigkeit irrt nicht nur der moderne abendländische Mensch, sondern das gesamte Wesen des Menschen umher. Das Wesen des Menschen, so kann man hier Heideggers spärliche Andeutungen gegen Sartre ergänzen, wird vom Menschen permanent verfehlt, indem er sich neue Weisen humanistischer Selbstfestschreibung auferlegt. Weil diese jedoch allesamt Selbstverobjektivierungen sind, gerät der Mensch mit jeder neuen Ideologie immer mehr in die Fremde und Irre. Dies ist das Schicksal des metaphysischen Wesens des Menschen. Seine Dynamik im Rahmen metonymischer Weltauslegung reicht nur immer wieder in neue Selbstentwürfe, aber nicht in die Nähe des Seins zurück. Diese letztlich tragische Tendenz ist jedoch nicht dem Wesen des Menschen, sondern vorab dem Sein (und wie es den Menschen als Daseiendes geschaffen hat) zuzuschreiben. Nur weil das Wesen des Menschen nämlich vom Sein selbst verlassen wurde, ist der Mensch in der Hei234 Heidegger merkt an, dass auch die Rede vom Geschick des Abendlandes in einem ebenso weltgeschichtlichen Zusammenhang verstanden werden sollte und nicht regional als ›Occident‹ im Unterschied zum ›Orient‹ und nicht bloß als Europa, sondern als Nähe zum Ursprung. Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 29.

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matlosigkeit unterwegs. Insofern beruht die Heimatlosigkeit des Menschen nicht allein in der Seinsvergessenheit oder Seinsverlorenheit, sondern vordem vor allem in der Seinsverlassenheit. Die Verantwortung wird somit verschoben oder umverteilt. Heidegger beschreibt die Beziehung von Mensch und Sein in personifizierender Form, um erstens den Kontakt als gleichgeartetes Aufeinanderzubewegen von Sein und Dasein zu unterstreichen. Er betont damit ein gegenseitiges Verhältnis nach dem Maßstab personaler Verhältnisse und nicht etwa sachlicher Bezüge. Andererseits will er die versachlichende Form theoretisierender Beschreibungen im Modus metonymischer Rede hinter sich zu lassen. Das gelingt ihm hier wiederum nur dem Inhalt, aber nicht der sprachlichen Darstellungsform nach: Weil die Nähe zum Sein zugleich auch immer eine Nähe des Seins zum Menschen ist, diese aber nur existenziell geschieht, ergreift sie nie nur Teile eines Daseins, einer Kultur oder Zeitepoche, sondern immer das Ganze. Heimatlosigkeit ist dann die Beschreibung einer existenziellen Distanziertheit und eines eingeengten Blicks. Der Mensch versteht sich als Inhaber von personalen Rollen und Funktionen innerhalb bestimmter Weltbilder. Die EntHeimatlichung als Entfremdung kommt einerseits vom Sein selbst. Sie schickt ihn in einen zunehmenden Differenzierung- und Entäußerungsprozess, macht aus ihm Person, Rolle und Funktionär. Andererseits entsteht die Distanzierung zum Sein durch Vernachlässigung der Pflege des Andenkens der Nähe zum Sein und führt zum Vergessen des Seins selbst. Die Heimatlosigkeit zeigt sich dann als Stimmung des ›Unzuhauses‹, einer mehr oder weniger traditionsund respektlosen Kulturlosigkeit. Der Begriff der Kultur wird von Heidegger polysemisch in seiner zweifachen Bedeutung verstanden: als agricultura und als cultura animi. Heidegger nur auf die Nähe zur Scholle zu reduzieren, verfehlt sein rückführend-verdichtendes Denken. Heideggers Leitgedanke der Sorge schließt damit den der Pflege (cultura) mit ein und integriert somit die Kulturphilosophie in sein ursprünglicheres Denken, so wie er auch die Lebensphilosophie und Phänomenologie in seine entdifferenzierende Weise des Philosophierens aufnimmt. Bis hierher erzählt Heidegger also eine tragische Verfallsgeschichte. Der Begriff des ›Verfalls‹ ist in zweifacher Bedeutung zu verstehen: als kultureller Verfall im Sinne eines Niedergangs – hier des Verlierens der Nähe zum Sein –, aber auch als Verfallensein im existenzialen Sinne der dominant metaphysischen Seinsweise des 524

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Menschen, 235 die selbst als Seinsgeschick angesehen werden kann. Die Ursachen des Verfalls sind nicht ganz klar, jedoch von Heidegger verschiedentlich in anderen Schriften erwähnt worden: Hypostasierung des Subjektes, die in zunehmendem Narzissmus, Autismus, Blasiertheit, Schematisierungs- und Technikbegeisterung, Wille zum Verfügbarmachen, zur Vermassung und Gleichschaltung und deren un-auratischen Konsequenzen und Produkten zu suchen ist. Zum anderen aber vordem im metaphysisch-metonymischen Denkmodell als Seinsgeschick selbst, das ein solches Denken und Handeln und Reden überhaupt erst möglich macht und sich als Selbst- und Weltverständnis des Nihilismus offenbart. Die Seinsverlassenheit des Daseins ist für Heidegger insofern ein Zeichen der Seinsvergessenheit, der ungenügenden bzw. falschen Sorge, die wiederum im Seinsentzug gründet. Weil das Sein sich dem Menschen in der Weise geschenkt und damit überantwortet hat, dass es selbst in Vergessenheit geraten kann, ist es von diesem im Akt des Schenkens bereits verloren und tendenziell verlassen. Die Seinsvergessenheit heißt deshalb so, weil in ihr die Wahrheit des Seins als Ganzheit existenzial unbedacht bleibt. Die Wahrheit des Seins bleibt ungedacht, weil der Mensch immer das Sein vom Seienden her betrachtet und bearbeitet, wobei er das Sein nur als das generellste oder als vom Subjekt ›hergestelltes‹ gemäß seiner menschlichen Weltauffassung, damit vornehmlich (meta)physisch erklärt. Das Sein als Geschick, das Wahrheit schickt, bleibt in seiner Gänze aufgrund des Sichselbstaufsparens des Seins selbst verborgen. Die Heimatlosigkeit ist für Heidegger nun zwar ein ›Weltschicksal‹, aber kein ›Menschenschicksal‹. 236 Im Unterschied zur Dingwelt ist der Mensch nämlich frei, kann das Seiende, die Welt transzendieren und sich Welt erschließen. Deshalb ist es für Heidegger nötig, dieses geschickte Schicksal endlich auch seinsgeschichtlich zu denken. Dies ist es, was gelegentlich Heideggers Platonismus genannt wird: Die Überwindung der Betrachtung vom Physischen, Seienden her hin zu einer Loslösung von diesem. Marx ist, im Gegensatz zu Husserls Phänomenologie und Sartres Existentialismus mit ihren Entfremdungsgedanken, der ›Heimatlosigkeit‹, von der Heidegger redet, schon sehr nahe gekommen. 237 235 Gemeint ist hier die Verfallenheit an die Öffentlichkeit und das Man, das sich vor allem im Gerede zeigt. 236 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 30 f. 237 Ebenda.

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»Weil Marx, indem er die Entfremdung erfährt, in eine wesentliche Dimension der Geschichte hineinreicht, deshalb ist die marxistische Anschauung von der Geschichte der übrigen Historie überlegen. Weil aber weder Husserl noch, soweit ich bisher sehe, Sartre die Wesentlichkeit des geschichtlichen Sein erkennen, deshalb kommt weder die Phänomenologie, noch der Existentialismus in diejenige Dimension, innerhalb deren erst ein produktives Gespräch mit dem Marxismus möglich wird. – Hierzu ist freilich auch nötig, daß man sich von den naiven Vorstellungen über den Materialismus und von den billigen Widerlegungen, die ihn treffen sollen, freimacht.« 238

Heideggers Grundüberzeugung ist, dass der Mensch nicht der Herr des Seienden, sondern der Hirte des Seins ist. 239 Der Mensch soll sich die Welt und andere Menschen und Schöpfungen nicht untertan machen, sondern er soll sozusagen den Schöpfungsfaden nicht abreißen lassen bzw. das Sein bzw. das Andenken an dasjenige, was Welt überhaupt schenken kann, hüten – das heißt pflegen, bewahren und erhalten –, weil es der Grund der Welt und des Daseins zugleich ist. Indem der Mensch das Sein pflegt, erhält und hütet, vollzieht er Dank – etwa in Riten, beim Beten in der andachtsvollen Anschauung der Natur. Denken als innere Handlung des Vollbringens der Wahrheit des Seins ist damit ein Danken. Danken ist für Heidegger ein Andenken an den Schenkenden. Der ursprüngliche Schenker ist das Sein selbst. Sein gibt Sein. Es verschenkt sich selbst. Es durchdringt alles Seiende, ohne sich jemals zu verausgaben, denn es verliert sich dabei nicht selbst. Vielmehr bleibt es immer es selbst. Es verausgabt sich nie, sondern spart sich auf. Seinsdenken als Andenken und Danken ist dann vor aller und anderes als erkennbare(r) Rationalität, die es dann reflektierend oder erahnend näher metonymisch bestimmen kann. Im Danken (be)hält das Dasein das Sein vielmehr in seinen Gedanken, gibt ihm einen Raum und Zeit, eine Heimat und damit zugleich Halt und Sinn. Denken und Danken liegen damit vor aller Rationalität oder Zweckhaftigkeit. De/anken ist eine intrinsische Verbindung, eine würdigende, liebende Haltung zum Sein im verdichtenden Redemodus des Synekdochischen. Der Mensch als Hirte des Seins hat diese Verbindung zu halten, ihr damit auch Sinn zu verleihen. Als Hirte hat er die Aufgabe, darauf zu achten, dass diese Verbindung nachhaltig ist und nicht verloren geht. Er hat den Bezug zum Sein zu hüten. Aus der Logik 238 239

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Ebenda. Vgl. ebenda, S. 32.

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der Worte selbst ergibt sich hier also sozusagen von selbst ein Ethos. Der Mensch – und nicht etwa Gott – muss die Fäden zusammenhalten, wie vermeintlich vorrational das Verständnis vom Sein auch sein mag. Als Hirte ist der Mensch nämlich mehr als nur vernünftig, wenn darunter der Mensch als pures animal rationale verstanden wird. Der denkende Mensch ist als dankender zugleich auch ›weniger‹ vernünftig im Verhältnis zum Menschen, der sich aus der Subjektivität und der hypostasierenden Selbstermächtigung begreift. Das ›Weniger‹ ist aber kein Verlust, sondern sozusagen ein Gewinn, denn erlangt wird ein näherer Bezug zur Wahrheit des Seins. Aus dieser Beschreibung der Pflege (lat. cultura) des Seins, die zugleich eine Sorge um das eigene Seinkönnen (vor allem der Gattung Mensch) einschließt, ließe sich dann auch ein spezifisch Heideggerscher Kulturbegriff gewinnen, der sich von denen des Neukantianismus und der Kulturphilosophie vom Anfang des 20. Jahrhunderts, von blindem Fortschrittsoptimismus und apokalyptischen Prognosen grundsätzlich unterscheidet. 240 Von einer völligen Abkehr vom kulturphilosophischen Denken, wie er sie am Anfang seines Denkens intendierte, 241 kann jedoch nicht die Rede sein. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Sein nun aufs Ganze gehendes Denken ist letztlich motiviert von der Idee eines Neugewinns des Inbegriffs von Humanität und Kultur. Heidegger versucht, das Wesen des Menschen ursprünglicher und wesentlicher zu denken, indem er es nicht vom Wesenskern als einer nachträglich attribuierten Eigenschaft her versteht, sondern vom Ursprung, dem Geber – theologisch ausgedrückt –, vom Schöpfer oder Gott her. Etymologisch kann dies folgendermaßen eingeholt werden: ›Gott‹ stammt von dem indogermanischen Wort ›g*heu‹ (gießen, spenden) ab und wurde ins Griechische χέῷ (cheo, ich gieße aus, schmelze, löse auf) übernommen. Das Wort ›Gott‹ (ursprünglich ein Neutrum) kommt also ursprünglich von ›gießen‹, ›spenden‹ bzw. ›Opferung‹ und wurde dann auf denjenigen, zu dessen Ehren das Opfer stattfindet, Gott, übertragen. Damit greift Heidegger auf eine weit zurückgehende Etymologie zurück. 242 Ähnlich wie in Plotins Emana240 Am ähnlichsten ist Heideggers Kulturbegriff noch dem von Georg Simmel. Heidegger geht jedoch insofern über Simmel hinaus, als er dessen im Kantischen bleibende Transzendentalphilosophie aus deren anthropologischer Begrenztheit befreit. 241 Vgl. Kapitel 8.1. 242 Die indogermanische Form für Gott war *deiwos, eine urindische Abwandlung zum Wort *djew, was ›Himmel‹ bedeutet. Die Personifizierung *djeus phtēr: ›Vater

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tionslehre ist für Heidegger das Sein das in Einem Verdichtete, das allem als Ur-Spender zugrunde liegt. Dieser Ur-Spender ist aber keine Ur-Sache, sondern der zugrunde liegende Charakter aller Ur-Sachen und aller Ursächlichkeit. Deshalb nennt er das Sein auch nicht Natur. Unser Verständnis von Natur ist nämlich allzu stark vom naturwissenschaftlichen, dinglichen Umgang mit Sachen geprägt. Der Mensch als Hirt des Seins hütet das Ursprünglichste und insofern Wesentlichste. Darin besteht zugleich die ›wesenhafte Armut des Hirten‹, wie Heidegger es antithetisch und nahezu poetisch ausdrückt. 243 Denn diese Armut ist zugleich ein Reichtum. Die Würde oder der Reichtum dieser Armut beruht nun darin, vom Sein selbst in die ›Wahrnis seiner Wahrheit gerufen zu sein‹. 244 Dieser ›Ruf‹ kommt als ›Wurf‹ daher. Dem ›Wurf‹ entstammt die ›Geworfenheit‹ des Daseins. 245 Der ›Wurf‹ geht allerdings – so könnte man sagen – nicht ins Unendliche. 246 Er schneidet das Dasein nicht vom Sein ab, sondern bleibt gewissermaßen durch einen silbernen Faden mit ihm verbunden. Deshalb wohnt – nach Heidegger – der Mensch in der Nähe des Seins. Die synekdochisch eingesetzten Worte ›Nähe‹, ›Halt‹, ›Heimat‹, ›Nachbarschaft‹ und ›Liebe‹ gehören offenbar zu Heideggers Bild von der Urgeborgenheit, aus deren Schoß das Dasein, wenn es Dasein wird, entlassen ist. Diese von Heidegger gewählten Worte erinnern nicht nur stark an theologische Kontexte, sondern drücken inhaltlich aus, was darstellungstechnisch durch den logischen Modus des synekdochischen Mitverstehens adäquat wiedergegeben wird. Die Worte ›Halt‹ bzw. ›halten‹, aber auch ›Halter‹ und ›Behälter‹ kommen etymologisch von ›hüten‹, ›schützen‹ und ›bewahren‹, und haben ihre indogermanischen Ursprünge im *kel-, was soviel heißt wie ›sich um etwas herumbewegen‹, ›drehen‹ und ›wenden‹, und sich dann Himmel‹ findet sich wieder im griechischen ›Zeus‹ als Ζεῦ πάτερ (Zeu páter, Vok. zu Ζεῦς, Gen. Διός – neugriechisch Δίας, Dias), dem römischen Jupiter (vom Vokativ *Dioupater zum Nominativ Diēspiter), dem vedisch-altindischen Diaus Pita und dem illyrischen Δει-πάτυρος (Dei-páturos; dt. himmlischer Vater). Alle diese Formen können auf das Wort dyaus zurückgeführt werden, das als ›Erscheinung‹ oder ›Strahlung‹ übersetzt wird. Vgl. L. von Schroeder, Arische Religion, Bd. 1, Leipzig 1923, S. 568; sowie F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, a. a. O., S. 332. 243 M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 30–42. 244 Ebenda. 245 Ebenda. 246 Ebenda.

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hin zu griechisch πέλομαι (pelomai, ich rege mich auf, bewege mich) und lateinisch ›colere‹ (warten, pflegen, bebauen) sowie zu κέλλειν (kellein, antreiben und bewegen) entwickelte. 247 Es sind also sowohl bewegende als auch ruhende Momente im von Sein geschenkten ›Halt(en)‹ bewahrt. Das trifft auch für das Wort ›Sinn‹ etymologisch zu. Im Althochdeutschen steht ›sinnan‹ für ›reisen‹, ›sich begeben‹ oder ›trachten nach‹. 248 Auch hier zeichnet sich also ein dynamisches Moment ab und nicht nur eine statische Inhaltsbestimmung. Die möchte Heidegger für seine Belange fruchtbar machen, denn nach ihm ist das menschliche Dasein nie angekommen, sondern immer auf dem Weg zu sich selbst und seinen Möglichkeiten. Entfremdung, Heimatlosigkeit, Geworfenheit und Selbstverborgenheit gehören zum Dasein in seiner abendländischen Erscheinungsform offenbar wesentlich dazu, bilden inhaltlich das Pendant zu dem, wohin Heidegger mit dem Wort ›A/andenken‹ (als Verb und zugleich Substantiv) zielt. Um die Dynamik und zugleich die Tendenz zur Erstarrung auch sprachlich adäquat zu fassen, nutzt Heidegger oft lieber die Substantivierung eines Prozess-Verbs als die Möglichkeit der Substantivierung über das Suffix ›-ung‹. Solche substantivierenden Endungen wie ›-heit‹ oder ›-keit‹, so es das Deutsche gestattet, ohne eines Sinnverstehens verlustig zu gehen, reserviert Heidegger zur Kenntlichmachung besonderer, oft existenzialer Modi, zum Beispiel Wohnlichkeit, Heim(at)lichkeit, Dunkelheit, Freiheit und Freiheitlichkeit im Unterschied zur Behausung, Vernichtsung, Technisierung usw., so wie später die Endung ›-nis‹ (zum Beispiel bei Ereig-nis, Irr-nis und Geg-nis), aber auch schon in Sein und Zeit bei Verständnis im Unterschied zu Verständlichkeit und Verständigkeit, spezifische Redeebenen andeutet. Steht die Endung ›-ung‹ noch für bestimmend-metonymische Zusammenhänge, so zeigen die Endungen ›-heit‹ und ›-keit‹ bzw. ›-sein‹ existenziale Modi an und verweisen die Endungen ›-nis‹ und das Präfix ›Ge-‹ auf synekdochale Verdichtungen, die den Lesenden auffordern, in der ›Gegnis‹ zum Beispiel auch das ›Geben‹ und die ›Gegend‹ als holistisches Moment mitzuhören. Heidegger versucht auf diese Weise, eine innere Ordnung in der Sprache zu ergründen bzw. zu schaffen und für sein Denken nutzbar Vgl. F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, a. a. O., S. 351. Vgl. ebenda. In manchen außergermanischen Sprachen verweist ›Sinn‹ auch auf ›Weg‹. Siehe auch die Anfangsbemerkungen zum dritten Teil dieses Buches. 247 248

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zu machen, ohne sie in ein normierendes Schema öffentlicher Verständlichkeit zu pressen. Auf dem Weg des Sich-in-die-Nähe-desSeins-Bringens hat Heidegger die Regeln des normalen deutschen Sprachgebrauchs in seiner grammatischen und semantischen Begrenzung schon längst hinter sich gelassen. Er wendet das Prosaische als Normalform des metonymisch-logizistischen Denkens ins Poetische, in eine Form des synekdochisch-holistischen Mitdenkens und Mitverstehens, denn ohne die empathischen Formen des kooperativen und kommunikativen Mitseins mit anderen ist menschliches Dasein nicht zu haben. Das Auseinanderlegende, (Er-)Zählende, RechnendAnalysierende, Begriffliche, Kategorisierende und Theoretisierende, Bewirkende kehrt sich in sein Gegenteil, ins Zusammenziehende, Semiologische, (Ver-)Dichtende, Synthetische, Existenziale, Vortheoretische, Metaphorische, Vollbringende als dessen entdifferenzierten ganzheitlichen Ursprung. Doch weil das Dasein nicht mit dem Sein verschmelzen kann, kann es nur dessen Nachbar sein und sich in dessen Nähe aufhalten. Aus der extrinsischen Kontiguitätsbeziehung wird in Heideggers Sprachdenken zunehmend eine intrinsische Integrationsbeziehung als Rückbindungsmanöver angesteuert. Wie bereits Emil Kettering in seinem Buch Nähe. Das Denken Martin Heideggers 249 herausgestellt, meint das Wort ›Nähe‹ bei Heidegger dabei das wechselweise Zusammengehören von Sein und Menschenwesen, Mensch und Sein. Nähe ist der Schlüssel von Heideggers Seinsverständnis, denn das Sein selbst ist dieses Verhältnis des Menschenwesens zum Sein bzw. des Seins zum Menschen. Das Sein selbst ist Nähe. Nähe stellt also den Inbegriff aller Verhältnishaftigkeit dar. Nähe hat dabei verschiedene Dimensionen und Aspekte, die alle zu einem einheitlichen Grundgedanken gehören: »Der Mensch ist nur deshalb als Nachbar des Seins vor allen anderen Seienden ausgezeichnet, weil er je schon vom Sein (NÄHE) in seine Lichtung (NÄHE) ausgesetzt ist. Da das wesentlich gedachte Sein selbst als Lichtung und Unverborgenheit geschieht, besteht zwischen Sein (Nächstem) und Wahrheit des Seins (NÄHE) nur ein Unterschied in der Blickrichtung der Betrachtung. Zum Sein selbst gehört wesentlich ein Verhältnis zum Dasein, daher besagen ›in der Nähe des Seins‹ und ›in der Nähe zum Sein‹ dasselbe.« 250

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Vgl. E. Kettering, Nähe. Das Denken Martin Heideggers, Pfullingen 1987. Ebenda, S. 66 (Hervorhebungen Kettering).

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Als Nähe bestimmt also das Sein das Verhältnis des Daseins zu sich selbst in einer bestimmten Weise vor: »Sein als NÄHE hat seine eigene Räumlichkeit und Zeitlichkeit, es bildet die Heimat des geschichtlichen Wohnens des Menschen. NÄHE stellt – wie oben dargelegt – zugleich den metaphysischen Ort der Dichtung dar, in der sich die Entscheidung über Ankunft und Flucht der Götter bzw. des Gottes vollzieht. NÄHE als Lichtung des Seins west als das Sprach-Haus von Sein und Menschenwesen. Die Sprache verweigert jedoch gegenwärtig noch ihr Wesen, das Sein entzieht sich, Heimatlosigkeit wurde zum Weltschicksal. Von dieser Grunderfahrung der Seinsvergessenheit angetrieben, stellt Heidegger die Überwindung der Metaphysik und die Vorbereitung einer neuen Ankunft des Seins in das Zentrum seines Denkens.« 251

Das Schlüsselwort ›Nähe‹ bildet daher ein Prinzip, das Heidegger gegenüber einem metonymisch zergliedernden Denken als echte Alternative sprachdenkerischen Vermögens ins Feld führt. Anstatt Nähe könnte man hier dann auch ›Liebe‹ bzw. ›Mögen‹ einsetzen. Nähe ist mehr als eine Form bestimmter Nachbarschaftlichkeit. Auch die Metonymie ist ein Tropus der Nachbarschaftlichkeit, der Kontiguität, wo ein nah verwandtes Wort oder eine Periphrase, Antonomasie usw. für ein anderes stellvertretend agieren kann. Nähe ist aber nicht nur als Substitut für die Wahrheit des Seins gemeint, sondern vor allem als deren intrinsisches Prinzip. Somit ist Nähe nicht nur Substitut für etwas anderes. Vielmehr drückt es als Prinzip eine Form des immer schon Mitverstehenwollens aus. Sie ist damit nur ein anderer Name für das gleiche Seinsphänomen, sozusagen nur eine andere Perspektive auf das ewig Gleiche. Als lebendiges Mitverstehen fällt es nicht mehr unter den tiefensprachlichen Redemodus der Metonymie, der Umbenennung, sondern in den der Synekdoche. Von dieser Nähe oder Liebe ist man ergriffen, sie berührt und man kann sie nicht vollständig verwalten, sondern ist überwältigt. Sie zeigt sich als Haltung des Vertrauens und des Offenseins. Nicht aber in humanistischen Programmen, die dem Dasein eine Schablone überwerfen, auf eine bestimmte Art und Weise sein zu müssen. Humanismus und Nihilismus Die Frage nach dem Humanismus ist für Heidegger damit letztlich eine Frage, an der sich der schwierige Weg zur Frage nach dem Sinn und der Wahrheit des Seins im Zusammenhang mit dem Seins251

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geschick gut verdeutlichen lässt. Überdies zeigt diese Frage, dass noch heute an der Metaphysik in Form des Bewirkenwollens einer humanistischeren Gesellschaft festgehalten wird. Um aber den Sinn des Wortes ›Humanismus‹ überhaupt verstehen zu können, muss man nach Heidegger vom Sein erst einmal selbst angesprochen, also berührt werden, und das Staunen erleben, das es auslöst. Das verlangt zum einen, das Wesen des Menschen anfänglicher zu erfahren, zum anderen aber zu zeigen, inwieweit das Wesen des Menschen in seiner Weise geschicklich ist. Einmal entlassen, ist der Prozess des seinsgeschichtlichen Daseins irreversibel. Man kann bestenfalls einen neuen Anfang wagen, neu starten. Es kommt dabei nicht allein auf den Menschen an, sondern auch und vor allem auf das, was das Sein bereit ist, dem Menschen zu entbergen. Das Seinsdenken ist deshalb die Dimension, in der das Wesen des Menschen vom Sein selbst her bestimmt und heimisch ist. In diese Dimension gilt es hineinzugelangen. Die Schlüssel der abendländischen Metaphysik mit ihrer Tendenz zu vergegenständlichender Logik, Werten, Transzendenz und Gott scheinen jedoch – so könnte man Heideggers Bild fortführen – nicht die richtigen Schlüssel zum Aufschließen dieser Dimension zu sein. Ein blasiertes Über-alles-Bescheid-wissen hat das Staunen längst verlernt. Gebraucht wird kein Werkzeug, kein Erkenntnistheorie, sondern eine andere, seinsadäquatere Haltung. Gegen die tendenziell nihilistische Art von Logik im Bewirkenwollen von Humanität will Heidegger andenken, denn für ihn gibt es ›vor‹ der Unterscheidung von Logik und Unlogik bzw. Alogik eine wichtigere Frage, nämlich die nach dem Wesen der Logik selbst. 252 Jeder Anspruch einer willentlichen Überwindung des Nihilismus durch den Menschen muss ein zum Scheitern verurteiltes Projekt bleiben, weil die Ursache des Nihilismus nicht im menschlichen Verhalten, sondern im Sein selbst liegt. Ebenso gilt es, dem Wesen der Werte nachzufragen, denn etwas als Wert zu bezeichnen, nimmt nach Heidegger diesem die Würde, denn es lässt sich nicht durch seine Gegenständlichkeit erschöpfen. Es lässt das Seiende nicht sein, sondern lässt das Seiende lediglich als das Objekt eines subjektiven Tuns gelten. Und ebenso verhält es sich auch mit der Rede von oder über ›Gott‹. Wenn man vollends Gott als einen höchsten Wert verkündet, so ist das nach Heidegger eine Herabsetzung des Wesens Gottes. Des-

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Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 39.

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halb ist das Denken in Werten für Heidegger auch ›die größte Blasphemie‹, die sich dem ›Sein‹ gegenüber denken lässt. 253 Damit denkt man das Sein, das heißt das Nähe Spendende nämlich im logischen Modus der Metonymie, die alles zergliedert und in untereinander ersetzbare Kategorien bringt. Angemessen kann jedoch das Sein nur außerhalb eines solchen metonymischen Denkens begriffen werden, weil es das ganz Andere dieses Denkens ist. Dass auch das Synekdochische aus dem metonymisch-metaphysischen Denken heraus verstanden wird, ist einmal mehr Beleg dafür, dass die Tendenz dazu im Dasein selbst vom Sein angelegt ist. Das Wesen des ursprünglichen Spendens oder Gebens von Beziehung überhaupt lässt sich nicht im kategorialen Rahmen von im Prinzip gleichwertiger Werthaftigkeit verorten, weil sie außerhalb dieses Rahmens liegt, diesen überhaupt erst bereitstellt und insofern Bedingung der Möglichkeit von Wertschätzung ist. 254 Gleiches gilt auch von der Transzendenz. Gegen das Transzendente – im Unterschied zur Transzendenz – zu denken, heißt, einen anderen Weltbegriff vorauszusetzen als den der Metaphysik. Welt ist eben kein irdisch Seiendes, kein Unterschied zum Himmlischen und kein Unterschied zum Geistlichen, sondern nach Heidegger ›die Offenheit des Seins‹. 255 Als solche aber ist sie ein Zwischenreich, innerhalb dessen eine Beziehung vom Subjekt zum Objekt überhaupt erst geschehen kann. – Die Überwindung des Nihilismus, so Heideggers späte Überzeugung, kann daher nur vom Sein selbst ausgehen. Der Mensch ist nur mittelbar daran beteiligt. 256 Natürlich ist ohne den Menschen diese Überwindung nicht zu leisten. Sie besteht allerdings lediglich darin, die metaphysischen Auslegungen der Metaphysik preiszugeben. Es geht Heidegger also mitnichten um eine Rechtfertigung des Relativen oder um eine Rechtfertigung des Nihilismus oder des Indifferenzialismus und schon gar nicht um ein antihumanistisches, unengagiertes Handeln im Sinne eines passiven Geschehenlassens. Es ist Heidegger ganz und gar nicht gleich-gültig, wie Werte, Gott, Transzendenz oder Logik in kooperativen Praxisformen gebraucht werden. Vielmehr versteht Heidegger seinen Appell zur Änderung der Denkhaltung als Aufruf zur ›Achtung der Grenzen, 253 254 255 256

Vgl. ebenda, S. 41. Vgl. ebenda, S. 40. Vgl. ebenda, S. 42. Vgl. M. Heidegger, Nietzsche, GA 6b, S. 365 ff.

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die dem Denken als Denken gesetzt sind‹. 257 Hier schlägt Heideggers Kehre als Haltungsänderung durch: »Insofern das Denken sich in seine Aufgabe bescheidet, gibt es im Augenblick des jetzigen Weltgeschicks dem Menschen eine Weisung in die anfängliche Dimension seines geschichtlichen Aufenthaltes. Indem das Denken dergestalt die Wahrheit des Seins sagt, hat es sich dem anvertraut, was wesentlicher ist als alle Werte und jegliches Seiende. Das Denken überwindet die Metaphysik nicht, indem es sie noch höher hinaufsteigend, übersteigt und irgendwohin aufhebt, sondern indem es zurücksteigt in die Nähe des Nächsten.« 258

Zu dieser (Selbst-)(Er-)Kenntnis gehört eine entsprechende Haltung, die alles Bewirkenwollen und schematisches Herstellen, alle vorstellenden Projekte reflektiert und sich – frei von diesen äußeren und inneren Projektierungszwängen – gelassen der eigenen Ursprungserkundung annehmen kann. Not tut also Besinnung, Besonnenheit und Gelassenheit. Nur so versteht das Dasein die tieferen Zusammenhänge von Dasein und Sein und die eigene Verantwortung für die Sorge für das Sein in einem angemessenen und würdigen Rahmen ohne Blasphemie und Selbstzerstörung. Heidegger spricht von einem ›erfahrenen Fragen‹, das sich in diesem ›Schritt-zurück‹ verbirgt. 259 Zu diesem ›Schritt-zurück‹ des ›erfahrenen Fragens‹ gehört dann auch eher das ›rechte Schweigen‹ statt eines ›überstürzten Aussprechens‹, denn »die Sachen, an denen etwas ist, kommen, auch wenn sie nicht für die Ewigkeit bestimmt sind, selbst in spätester Zeit noch rechtzeitig« 260. Heideggers antimetaphysische Geschichtsphilosophie ist damit insgesamt gegen einen naiven Humanismus- und Engagementbegriff gerichtet. 261 Sie beinhaltet vielmehr die Thematisierung eines radikalen Verdinglichungs- und Entfremdungszusammenhangs als Grundlage für den Appell zu einem radikal anderen Selbst- und Weltbezug des Menschen. Das Sein ist zwar (da), aber keiner erinnert sich im Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 42. Vgl. ebenda. 259 Vgl. ebenda, S. 33. 260 Ebenda, S. 34. 261 Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts sind für Heidegger keine bloßen Betriebsunfälle der Geschichte, sondern Konsequenzen der abendländischen nihilistischen Gleichmachungsideologie. Nicht zu begreifen ist, warum Heidegger diese Erkenntnis nicht auf sein eigenes Engagement im Nationalsozialismus bezogen und öffentlich gemacht hat. 257 258

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emphatischen Sinne seiner, da bloße Verwirrung herrscht. In dieser verwirrten Heimatlosigkeit des metaphysischen Menschen wird versucht, mit einer Art Kontroll- und Sicherheitswillen die restlichen Ressourcen zu vernutzen oder in ein verengtes Schema zu pressen. 262 Menschliches autonomes Handeln, zum Beispiel als Widerstand gegen die seinsgeschichtlichen Tendenzen des Sichselbstvernutzens und gegen die katastrophalen politischen Entwicklungen, hat offenbar kein echtes Gegengewicht und scheint letztlich in dieser Geschichte aussichtslos und irrelevant zu sein. Verfall und Heil der Menschheit scheinen nicht mehr allein in deren eigener Hand zu liegen, sondern sind – weil der Mensch nicht Herr des Spendens ist – nun Schickungen des Seins. Das Existenzideal des späten Denkens Heideggers nennt Rentsch deshalb konservativ und neoromantisch. 263 Der Rufer in der Wüste, als der sich Heidegger versteht, ist angesichts der Erfahrungen seiner eigenen Zeit auch davon überzeugt, dass die moderne Industriegesellschaft insgesamt nicht nur Gutes und Nachhaltiges, sondern vor allem Perversionen in Wissenschaft, Politik und Technik zutage bringt. Deshalb verweist er auf die inneren Tendenzen des Daseins und die Kosten eines metaphysischen Selbst- und Weltverständnisses. In der Sache sagt er damit nichts Neues, sondern schließt zum Beispiel an Georg Simmels These von der zunehmenden Differenzierung der Gesellschaft und der Tragödie der Kultur an. In seiner Radikalität und Tiefe geht er jedoch über diesen hinaus. Ob sich Heidegger mit seinem Lieblingsdichter Hölderlin tatsächlich nach einer Versöhnung von Erde und Welt, Natur und Ge262 Auch die NS-Zeit rückt in Heideggers Spätphilosophie noch einmal anders ins Licht: War in der Rektoratsrede der Führer noch selbst ›die künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz‹, so sind die Führer jetzt nur noch ›die notwendigen Folgen dessen, daß das Seiende in die Weise der Irrnis übergegangen ist‹. Aller Totalitarismus, alle Weltkriege und der Verfall der Zivilisation sind für Heidegger zwingende Konsequenzen eines seinsgeschichtlichen Vorgangs und insofern Schickung. In dieser reifen Philosophie ist das ›Subjekt‹ das ›Sein selbst‹. Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 43 ff. 263 Angriffe und Analysen werden von Heidegger in den späteren Texten vor allem am Wesen der Technik und der Wissenschaft vorgenommen. So werde gegen Erfindungen wie Flugzeug, Rundfunk und Fernsehen ins Feld geführt, dass so das optisch Nahegebrachte fern bleibt und keine echte Nähe erzeuge, sondern derartige Abstandslosigkeiten alles gleichförmig machen und Bedeutungen nivellieren. Gegen die technisch-industrielle Vergleichgültigung setzt Heidegger den ›Zauber der Faktizität‹. Der Wissenschaft wird angekreidet, dass sie das Eigentliche eines Phänomens preisgebe und es so ›vernichte‹. Vgl. T. Rentsch, Martin Heidegger, a. a. O.

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schichte, menschlicher Selbstbehauptung und kosmischem Gleichmaß im Sinne einer esoterischen Nachhaltigkeitsideologie sehnt und agrar-romantische Technikkritik übt, bleibt offen, weil Heidegger gerade jede Ideologie als Form der Metaphysik durchschaut oder zumindest misstraut hätte. Wenn er jedoch selbst nicht diesen Ideologien aufgesessen ist, kann das Denken Heideggers nur die Form eines äußerst subtilen und sich für sich selbst und die Fallstricke des Denkens offenen Gedankenexperimentes sein. Die Frage Jean Beaufrets, die am Anfang dieses Kapitels und des Humanismusbriefes stand, ist insofern auch die Frage danach, in welchem Verhältnis Ontologie und Ethik stehen und ob nicht die Ontologie durch eine Ethik ergänzt werden müsste. Heidegger erteilt Beaufret zunächst eine deutliche Abfuhr: »Das Denken, das nach der Wahrheit vom Sein her und auf dieses hin bestimmt ist, ist weder Ethik noch Ontologie.« 264 Die Frage sei falsch gestellt, weil sich das Seinsdenken gar nicht mehr in den Kategorien von Ontologie und Ethik bewege, sondern in einer Dimension, die vor dieser Trennung liegt, gleichwohl aber beides in ursprünglicher Weise in sich enthält – und zwar als Haltung. Andererseits verleiht Heidegger Beaufrets Frage in einer anderen Hinsicht ein neues Gewicht, wenn er das Denken der Wahrheit des Seins ›in sich‹ dann doch als ›ursprüngliche Ethik‹ bezeichnet, denn ›ursprünglich sei sie im Heraklitschen Sinne, weil das ἦθος im ursprünglichen Sinne eben der ›Aufenthalt‹ bzw. ›Ort des Wohnens‹, sozusagen die ›Heimat‹ ist, in der der Mensch als Mensch wohnt. 265 Das aber heißt nichts anderes, als dass das (An-) Denken an die Wahrheit des Seins in sich, also intrinsisch ethisch, also im weitesten Sinne Bedeutung und Werte vermittelnd ist. Maßstab dieser Ethik ist die Nähe im bzw. zum Sein selbst, weil alle ethischen Sollensforderungen von einem vorgängigen Entwurf des Wesens des Menschen, das heißt einer vorgängigen Vermessung der Weite des menschlichen Wesens, abhängig sind. Dass diese Nähe nachhaltig sein soll, ist sowohl das logische als auch zugleich das ethische Resultat von Heideggers Überlegungen, so wie zum Beispiel auch Kants Rede von Pflichten sich selbst gegenüber sowohl eine rationale als auch zugleich eine ethische Dimension in sich birgt, da es im Kategorischen Imperativ immer um das Gattungswesen Mensch geht. 264 265

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M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 42. Vgl. ebenda.

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Technik und Kunst

Für Heidegger ist die Philosophie selbst Ausdruck einer Suche nach nicht metaphysisch überdeckter Nähe zum Sein. Sie ist ein ›Trieb‹, überall zu Hause zu sein und sich wohnlich einzurichten. Sie ist insofern eigentliches ›Heimweh‹, Sehnsucht nach einem Bezug zum Sein. 266 In dieser Sehnsucht nach einer Beziehung zum Sein repräsentiert sie ein synekdochales tiefensprachliches Verhältnis, das verschüttet und immer wieder vergessen wird. Depraviert Philosophie durch Anwendung bestimmter positivierender Methoden selbst zur bloßen (Natur-)Wissenschaft, dann verliert sie den Blick für genau diese Dimension. Dann wird sie selbst zur Technik des Denkens und begrenzt das Denken des Wesens des Menschen hin auf die Dimension des Bewirkenwollens, des Herstellenwollens, des Beherrschenwollens und des Willens zur Macht. – Heidegger bleibt bei dieser Diagnose jedoch noch nicht stehen. Sein Denken ist noch nicht zur Ruhe gekommen. Er fragt weiter, was wiederum die innere Logik des technischen Denkens ist: Was ist ihr Wesen? Und woher kommt das schematisierende Wesen der technisch-rechnenden Tendenz im Dasein?

10.5. Technik und Kunst Heidegger betont, dass seine Weltlichkeitsanalyse in Sein und Zeit im Kern selbst noch metaphysisch gewesen sei. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie hätten umgangen werden können oder falsch waren. Im Gegenteil. In den 30er- bis 50er-Jahren versucht er, seine dort zugleich zugrunde gelegten Überlegungen zur Metaphysikkritik nun weiter zu radikalisieren. 267 Die Analyse der neuzeitlichen Technik wird das zentrale Thema des späteren Heideggers. Im Wesen der Technik zeigt sich das abendländische Denken überhaupt und mit ihm die von diesem technischen Wesen in Anspruch genommene

Vgl. M. Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, S. 7. 267 Man kann sagen, dass Heideggers Denken über Technik als eine Auseinandersetzung mit seinem eigenen Denken zur Zeit seines NS-Engagements lesbar ist – so wie zum Beispiel Andreas Luckner dies tut. »Heidegger litt in gewisser Weise an der Metaphysik, auch und gerade an seiner eigenen. Deshalb ist das heikle Thema von großem technikphilosophischen Interesse.« Vgl. A. Luckner, Heidegger und das Denken der Technik, Bielefeld 2008, S. 66. 266

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Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche

Philosophie als Metaphysik. 268 Aus dieser abschließenden Vollendung ergibt sich für Heidegger im wörtlichen Sinne die ›Not-wendigkeit einer Kehre im Denken‹, also eine weitere Nötigung zur Wendung im Denken als Weiterdrehung der eigenen Methodik. Technisches Denken stellt für ihn eine ernsthafte Bedrohung dar. 269 Der Seinsverlust durch technisches Denken führt für ihn zu einer Not, die nur durch ein Denken gewendet werden kann, das sich einerseits den schematisierenden Vergegenständlichungstendenzen stellt, seine logischen Denkformen erkennt, und andererseits diese zugleich unterläuft, indem es das Sein durch einen weiteren, damit umfassenderen logischen Denkfokus auffängt. Dieser logische Modus des Denkens der Technik darf gemäß dem bekannten Heideggerschen Satz, dass das Wesen der Technik nichts Technisches ist, 270 gerade nicht im metonymisch-kategorialen Modus der Verfügbarkeit, also so wie bisher in der abendländischen Philosophie und Wissenschaft immer gedacht wurde, weitergedacht werden. Vielmehr gibt es auf diesem Gebiet eben gerade nichts Verfügbares, kein Mittel zum Zweck, keine Steuerung und Regelung des Denkens, kein Problem, das wiederum technisch lösbar wäre. Vielmehr steht jedes Problemlösungsdenken tendenziell schon im Modus des tendenziell metaphysisch-metonymischen Verfügbarmachens. Aus diesem Denken gilt es ja gerade herauszukommen. Statt zielorientiert Problemlösungen anzustreben, die technisch herbeigeführt werden können, begreift Heidegger in den späteren Überlegungen zur Technik sein eigenes Denken als einen nicht vorherbestimmten Weg. War die Spurensuche schon im frühen Werk Heideggers von Bedeutung und der ›Pfad‹ ein ›Weggeleiter‹, so wird die Weg-Metapher im Spätwerk noch mehr ins Zentrum gerückt. Unterwegssein wird zum Credo von Heideggers zunehmend gelasseneren Beschreibungen existenzialer Zusammenhänge. Das Bild des Weges weitet er dabei in seiner Anschaulichkeit enorm aus. So sei es zum Beispiel wichtig, auf den ›Weg zu achten‹, um ›Irrwege‹ auszuschließen. Es sei zu erkennen, welche Blockaden uns ›Wege versperren‹. Ebenso sei zu bedenken, wer oder was ›auf einen Weg schickt‹. Das Bewegtsein bekommt dann noch einmal einen neuen 268 Die Überlegungen zur Technik sind bereits in seinem Aufsatz Zeit des Weltbildes in den Grundzügen dargelegt. Vgl. M. Heidegger, Holzwege, GA 5. 269 Vgl. M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 7. 270 M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 7, S. 5.

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Schwung mit dem Begriff der ›Er-Fahrung‹. Nicht stehen zu bleiben, sich in der Zeit fortzubewegen, scheint für Heidegger grundlegende Voraussetzung zu sein, um auch das Wesen der Technik nicht als letztes Wort seines Denkens zum Zuge kommen zu lassen. Heidegger will den Menschen am Rande der Möglichkeiten unterwegs und den Weg als ›Denkweg‹ sehen, der – wie alle Denkwege – auf eine ungewöhnliche Weise immer durch die Sprache führt. 271 Ungewohnt und ungewöhnlich wird nun auch Heideggers Sprache selbst. Man könnte sogar sagen, sie wird gewissermaßen ›unwohnlich‹. 272 Die Tendenz zur Unwohnlichkeit des technischen Denkens ist nicht verwunderlich, denn sie stellt die alternative Denkbewegung zur innerweltlichen Tendenz des Daseins zur Wohnlichkeit und Heimatlichkeit dar. Das Denken der Technik ist ein Denken in Ressourcen und Beständen, in Strategien des Verfügbarmachens. 273 Heidegger merkt an, wie unauffällig eine riesige technologische Textur die menschliche Lebenswelt immer dichter durchzieht. Aber sie erweitert eben nicht nur neue Handlungsmöglichkeiten, sondern versiegelt sie zugleich, schränkt sie also auf bestimmte Handlungsmöglichkeiten ein, die dann als Allheilmethoden fungieren. Sie beschränkt damit den Menschen auf bestimmte Seinsweisen und Existenzweisen, die – anders als Handlungsoptionen – nicht mehr frei wählbar sind. 274 Infolgedessen werden Orientierungen institutionalisiert. In der Betonung der Sicherstellung von Handlungsoptionen durch Verdauerung und Institutionalisierung liegt für Heidegger die Gefahr des Wesensverlustes der Menschen. Wenn also Heidegger in 271 Zur Wegmetapher vgl. G. Irrlitz, Das Bild des Weges in der Philosophie, Berlin 2001, sowie Heideggers Aufsatzsammlung Unterwegs zur Sprache, in der er die Dynamik der Wegmetapher für verschiedene Denkansätze in Gebrauch nimmt. Vgl. M. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12; ders., Holzwege, GA 5; ders., Wegmarken, GA 9. 272 Das Wort ›ungewöhnlich‹ enthält im Wortstamm das Wort ›wohnen‹ und ›wohnlich‹, das schon aus Heideggers Existenzialanalyse bekannt ist und das Dasein existenzial charakterisiert. In diesem Zusammenhang wird auf die Ursprungsbedeutung und das gesamte Wort- und Bedeutungsfeld von ›wohnen‹ hingewiesen. So bekommt die attributive Bestimmung ›ungewöhnlich‹ innerhalb des Heideggerschen Denkhorizontes eine auf die eigene Philosophie bezogene und damit verstärkte Signalkraft. Ungewöhnlich meint dann nicht nur merkwürdig oder etwas andersartig, sondern im wörtlichen Sinne unwohnlich, also nicht mehr die Sprache, die man üblicherweise spricht, sondern die auf die Sprache als das Haus des Seins selbst hinweist, indem sie die normalen – und damit ja auch immer normierenden – sprachlichen Bezüge stört. 273 Vgl. A. Luckner, Heidegger und das Denken der Technik, a. a. O., S. 7. 274 Ebenda, S. 14.

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Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche

seinem Brief über den Humanismus schreibt, dass das Wesen des menschlichen Handelns noch nicht entschieden genug bedacht ist, dann meint das gerade nicht ein Bedenken des Handelns nach den Maßgaben heutiger Handlungstheorien, nämlich als bloßes Bewirken intendierter Sachverhalte durch Einsatz geeigneter Mittel. Für Heidegger sind diese nämlich selbst bloß Ausdruck des technischen Wesens metaphysischen In-der-Welt-Seins. 275 Heidegger analysiert nun, wie sich das technische Wesen in der Alltäglichkeit des In-der-Welt-Seins zeigt und worin es seinen Ursprung hat. So bemerkt er, dass die Alltagssprache unter Technik zunächst ein Mittel zum Zweck versteht, etwas, das eine Wirkung zur Folge hat. Diese nennt man gewöhnlich dann ›Ursache‹. Im UrSachen-Begriff klingt das vergegenständlichende Wesen der Technik noch nach. Heidegger untersucht auch die philosophischen UrsacheBegriffe, zum Beispiel den des Aristoteles und seiner Vorgänger. Für ihn liegt alles daran, dass das Hervorbringen in seiner ganzen Weite gedacht wird. 276 Bei den frühen Griechen vor Aristoteles wurde der Begriff der ›Ursache‹ als Wirken bzw. im übertragenen Sinne als ›Verschulden‹ aufgefasst. Ursache gilt bei den alten Griechen als eine Einheit von vier Weisen des Verschuldens bzw. Veranlassens. Aristoteles unterscheidet dann dementsprechend vier Ursachen-Begriffe. 277 Der entscheidende Unterschied dieser Bedeutungsverschiebung besteht darin, dass die Weisen des Verschuldens für Heidegger gleichzeitig Arten des Hervorbringens bzw. des Erwirkens bzw. des Verwirklichen bzw. des Vergegenwärtigens und damit des Erscheinens sind. Ursachen als Weisen des Verschuldens zeigen, also entbergen, was vorher verdeckt war. »Her-vor-bringen ereignet sich nur, insofern Verborgenes ins Unverborgene kommt.« 278 Ein Hervorbringen, ποίησις, Poiesis, 279 ist dabei nicht nur das handwerkliche Verfertigen oder das künstlerisch-dichtende Zumscheinen- und Insbildbringen, sondern auch die φύσις (physis) als Aufbrechen der Blüte ins Erblühen oder in evolutionärer Entwicklung. 280 Aus dem Begriff der ›Entbergung‹ bzw. Wahrheit (gr. ἀλήθεια, aletheia), wird später in der Übersetzung ins Lateinische der römische Begriff ›veritas‹. »Was wir Ur275 276 277 278 279 280

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Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 5. M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 7, S. 7 ff. und S. 11. Aristoteles, Physik II, 7; Metaphysik I, 3, 983a 24–32; V, 2. M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, GA 7, S. 11. Poiesis kommt von gr. ποιἑω, dt. machen. M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, GA 7, S. 11.

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sache, die Römer causa nennen, heißt bei den Griechen αἰτία, das, was ein anderes verschuldet.« 281 Der Begriff αἰτία (aitia) benennt das Wesen der griechisch gedachten Kausalität. Bei der Übersetzung vom Griechischen ins Lateinisch gehe jedoch, so Heidegger, eine Bedeutung verloren. Wahrheit meint bei den Römern nämlich nicht mehr Entbergung, also Unverborgenes zur Erscheinung zu bringen, sondern Richtigkeit des Vorstellens. Die Richtigkeit des Vorstellens setzt aber schon ein Kriterium des Richtigen und Falschen voraus, um die Entsprechung prüfen zu können, befindet sich also längst schon im Unverborgenen und bringt dieses nicht hervor. Der römische Wahrheitsbegriff ist für Heidegger daher eine Einengung. Der lateinische Wahrheitsbegriff enthüllt nur noch eine anwendungsbezogene Seite des Entbergens und nicht mehr dessen umfassendes Wesen. Denn Richtigkeit ist nicht Wahrheit! Diese eine enthüllte Seite kann zwar richtig sein, bleibt aber solange nicht wirklich verstanden, wie das Wesen des Entbergens nicht vollständig verstanden wurde. Und so ist auch für Heidegger das Wesen der Technik nur halbverstanden, wenn man es statt als etwas Hervorbringendes einengend als etwas nur Herausforderndes und Bewirkendes versteht. Dies kann zwar gerade der modernen Technik attestiert werden. Aber damit stülpt man dem Wesen der Technik ein bereits eingeengtes, nämlich vornehmlich instrumentelles Verständnis über. Heidegger verteufelt also nicht den anthropologisch-instrumentalistischen Anteil der lateinischen Interpretation des Wesens der Technik, die besagt, dass Technik mittelorientiertes menschliches Handeln sei. Vielmehr hebt er deren Trivialität und Unvollständigkeit hervor. 282 Weil das Wesen der Technik selbst nichts Technisches ist, kann es nämlich auch nicht allein in der instrumentellen Hervorbringung liegen. Es ist nicht die Summe von Bewirkbarkeiten. 283 Vielmehr ist die Technik nicht bloß Mittel, sondern selber eine Weise des Entbergens. 284 Der Ursprung und das Wesen der Technik liegt für Heidegger also in der Art und Weise, wie der Mensch der Natur gegenübertritt: ob er sie von sich aus hervorkommen lässt – wie die Ebenda. »Natürlich ist diese These nicht falsch, aber sie ist ihrem Gegenstand unangemessen; so wie der Satz ›Ein Gedicht ist eine Ansammlung von Wörtern‹ ebenfalls nicht falsch ist, aber das Wesentliche – das, was ein Gedicht zu einem Gedicht macht – nicht erfasst.« A. Luckner, Heidegger und das Denken der Technik, a. a. O., S. 96. 283 M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 7, S. 5. 284 Ebenda, S. 12. 281 282

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Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche

Griechen die Aletheia – oder ob er sie herausfordert und zu einem verfügbaren Bestand macht, sie also nur in ihrer Nutzbarkeit begreift – wie es die Lateiner taten. Letzterer Begriff degradiert dann tendenziell alle Phänomene zu mehr oder weniger nützlichen Gegenständen. Macht man sie aber zu Gegenständen, das heißt einem verfügbaren Bestand, dann muss man über diesen Bestand verfügen. Verfügen kann man über diesen Bestand an Gegenständen aber nur mit noch mehr Technik. So fordert Technik letztlich immer noch mehr Technik. Darin steckt das Problem der Technik: dass sie Handlungsfreiheit einschränkt und letztlich zur Selbstabschaffung des Menschen und seiner Kulturleistungen führt. Das zeigt sich zum Beispiel an der Waffenentwicklungsgeschichte oder in manchen Bereichen der Medizin, des Sports, des Verwaltungswesens usw. Allerdings und einschränkend liegt es nicht in der Hand der Menschen, darüber zu verfügen, was sich als Unverborgenes (Aletheia) zeigt oder entzieht. Das Wesen der Wahrheit des Seins ist nach Heidegger nicht technisch verfügbar, weil es ja außerhalb vergegenständlichender Kategorialität liegt und diese nur als eine Möglichkeit zu sein enthält. Insofern ist zwar nicht das Wesen des Seins selbst, wohl aber der Mensch in seinem Sein selbst Teil dieser Herausforderung der modernen Technik. Er ist immer schon von ihr in Anspruch genommen, weil sie selbst eine Weise des Entbergens ist. »Wo immer der Mensch sein Auge und Ohr öffnet, sein Herz aufschließt, sich in das Sinnen und Trachten, Bilden und Werken, Bitten und Danken freigibt, findet sich überall schon ins Unverborgene gebracht.« 285 Insofern ist Technik nicht als solche zu verdammen. ›Techné‹ (gr. τέχνη) ist vielmehr eine bestimmte Weise des Wissens, nämlich ›Verfügungswissen‹ und ›Seinsverwahrung‹, wie Heidegger in seinem Kunstwerkaufsatz schreibt. 286 Deswegen kann er auch im Anschluss an Aristoteles 287 die Technik als eine bestimmte Weise, die Wahrheit zu wissen, markieren. Nach Aristoteles ist alles Seiende nach seinem Aussehen (gr. εἶδος, eidos) bestimmt, das heißt hinsichtlich seiner Eigenschaften für den Gebrauch. Sein ist für ihn Hergestelltsein und als solches Verfügbarsein. Das Sein (gr. οὐσία, ousia) ist nichts anderes als Fertigsein, Hergestelltsein zum Gebrauch des Verfügbaren, also eine Habe. Wenn jedoch Sein zugleich Habe ist, dann wird damit 285 286 287

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Ebenda, S. 18. Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, S. 46. Vgl. A. Luckner, Heidegger und das Denken der Technik, a. a. O., S. 97–101.

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ein ganz bestimmter Logos angesprochen, nämlich einer, mit dem ein für den Gebrauch handhabbares Sein benannt wird. Dieses Sein als Habe(n) wird dann über 2000 Jahre lang wissenschaftliche Karriere machen, nämlich als technisch-schematische Denkhaltung im Modus metonymisch-kategorialer Verfügbarkeit. Auch die neuzeitliche Naturwissenschaft stellt sich die Natur als regelhaften und damit im Prinzip beherrschbaren Bereich von Gegenständen vor. 288 Diese Vorstellung zeigt sich im mathematischen Entwurf der Natur. Messbarkeit und exakte Berechenbarkeit sind Kriterien dafür, dass überhaupt etwas als Naturvorgang in Betracht kommt. Weil das Verhältnis zur Natur und zur Technik- und Ingenieurwissenschaft aber nicht nur in der Bestimmung als Mittel zum Zweck aufgeht, sind bloß instrumentale Bestimmungen der Technik für Heidegger zu kurz gegriffen, um das Wesen der Technik vollständig zu erfassen. Die moderne Technik ist schließlich nicht bloß angewandte Naturwissenschaft. Sie ist vielmehr selber eine Weise des Entbergens. Diese Weise des Entbergens charakterisiert Heidegger als methodische Grundoperationen eines ›nachstellend-sicherstellenden‹ Vorgehens, deren Gesetz das der universalen Kausalität im Sinne des Satzes vom Grunde, nihil est sine ratione, ist. 289 Die Annahme, dass alles eine Ursache hat, wird in diesem Vorgehen zum Naturprinzip erhoben. »Das Wort τέχνη geht von früh an bis in die Zeit Platons mit dem Wort ἐπιστήμη zusammen. Beide Worte sind Namen für das Erkennen im weitesten Sinne. Sie meinen das Sichauskennen in etwas, das Sichverstehen auf etwas. Das Erkennen gibt Aufschluss. Als aufschließendes ist es ein Entbergen.« 290 Das Problem für Heidegger jedoch ist: Die Technik entbirgt etwas, was sich nicht von sich selbst her hervorbringt und zeigt. Weil dasjenige mal so und mal so hervorgebracht und hergestellt werden kann, kann es mal so und mal anders aussehen oder ausfallen. Damit entbirgt die Technik im Hinblick auf ein bestimmtes Endziel oder Produkt hin – und ist kein freies und offenes Sich-von-sich-selbsther-zeigen. »Das Entscheidende der τέχνη liegt somit keineswegs im Machen und Hantieren, nicht im Verwenden von Mitteln, sondern in dem genannten Entbergen. Als dieses, nicht aber als Verfertigen, ist 288 M. Heidegger, Bremer und Freiburger Vorträge, GA 79, S. 43; darin: ›Die Frage nach der Technik‹ und ›Das Ding‹. 289 Vgl. M. Heidegger, Die Technik und Kehre, GA 7. 290 Ebenda, S. 13.

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die τέχνη ein Her-vor-bringen.« 291 Weil die moderne Technik hervorbringt, indem sie sich ihr Material zurechtstellt und – weil es zur Stelle sein muss, um für weiteres Bestellen bestellbar zu sein – herausfordert, kann sie die Phänomene nicht in ihrer vollen Wahrheit entbergen. Dazu nämlich würde das Von-sich-her-zeigen gehören. Die Technik steuert und sichert vielmehr Bestände, indem sie das ›Bestellte‹ erschließt, umformt, speichert, verteilt und umschaltet. Als Bestand steht das Bestellte dann nicht mehr als Gegenstand gegenüber, sondern nur in seiner Potenz, diesen Gegenstand für ein weiteres ›Bestellen‹ nutzbar und verwertbar zu machen. Heidegger verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen dem Rhein, der ›in das Kraftwerk verbaut ist‹, und dem Rhein, der ›aus dem Kunstwerk der gleichnamigen Hymne Hölderlins‹ ins Blickfeld kommt. 292 Ist der Rhein als Werkzeug in das Kraftwerk zur Energieerzeugung verbaut und so ins Nutz- und Verfügbarkeitsdenken des Menschen integriert, so reicht sich bei Hölderlin der Rhein in der Fülle seiner Möglichkeiten dar. Der Nutzenaspekt spielt dort nur einen leisen Akkord im Konzert eines ganzheitlicheren Weltbildes. Das Vernutzungsdenken zeigt sich in anderen Zusammenhängen dann auch sprachlich, zum Beispiel in der Rede von ›Menschenmaterial‹, ›Krankenmaterial‹, ›Holzverwertungsindustrie‹ – oder heutzutage von ›Humankapital‹ oder auch ›Lehrkraftmangel‹ –, also im metonymischen Redemodus verwertbarer Dinglichkeit und umfassender Verwertbarkeit. Ein ähnlich zurückgenommenes und holistisches Denken wie Hölderlin hat Heidegger vor Augen, wenn er die Einseitigkeit des technizistischen Weltbildes in der Neuzeit vorführt. Weil das Wesen der Technik nichts Technisches, sondern ihr Wesen ein Gestell-Charakter ist, der Wahrheit auch verstellt und nicht nur entbirgt, kann das auf Ergebnisvorherbestimmbarkeit, omnipräsente Verfügbarkeit, Beherrschbarkeit und Berechenbarkeit abzielende technisch-wissenschaftliche Naturverhältnis selbst nur eine bestimmte Weise des menschlichen Seinsverhältnisses darstellen. Als bestimmte Weise unterscheidet es sich jedoch von der Fülle möglicher Weisen in seiner Offenheit, Dynamik und Potentialität. Weil es ein Teilverhältnis repräsentiert, bleibt es dem Modus des Metonymischen und Metaphysischen verhaftet und kommt nicht über dieses hinaus. Gleichzeitig 291 292

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Ebenda. Ebenda, S. 15.

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gehört es zum Wesen des Technischen, dass es aufgrund seines systemimmanenten Weiternutzungscharakters nie um seiner selbst betrieben wird, sondern immer wieder neu eingesetzt wird. Darin verbirgt sich eine Gefahr. Deshalb gilt es, das Gestell in seiner den Seinsbezug selbst gefährdenden Dimension, als Bestand, noch genauer herauszustellen. Gefahr und Gestell Insofern die moderne Technik als das ›bestellende Entbergen‹ kein bloß menschliches Tun ist, sondern den Menschen ›in das Bestellen versammelt‹, ist das Wesen der modernen Technik ein ›Gestell‹. 293 Analogien Heideggers sollen diese besondere Art des Versammelns des Menschen in das Wesen der Technik erklären helfen: »Was die Berge ursprünglich zu Bergzügen entfaltet und sie in ihrem gefalteten Beisammen durchzieht, ist das Versammelnde, das wir Gebirg nennen. Wir nennen jenes ursprünglich Versammelnde, daraus sich die Weisen entfalten, auch denen uns so und so zumute ist, das Gemüt. Wir nennen jetzt jenen herausfordernden Anspruch, der den Menschen dahin versammelt, das Sichentbergende als Bestand zu bestellen – das Ge-stell.« 294

Heidegger gebraucht das Wort in einem ungewohnten Sinne. Das Gestell ist diejenige Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik ›waltet‹. 295 Es ist selbst nichts Technisches, wie Heidegger betont. Das Technische ist vielmehr alles, was darinnen ›montiert‹ werden kann: Heidegger nennt ›Gestänge‹, ›Geschiebe‹ und ›Gerüste‹, wobei auch hier natürlich der Präfix ›ge-‹ wieder zum Einsatz kommt, um die innere Verbindung zur Praxisform technischer Vollzüge in ihrem Gefüge anzuzeigen. 296 So, wie in der Tugendlehre die Gerechtigkeit alle anderen Seelenteile zu einer Einheit versammelt, Ebenda, 19. Ebenda (Kursivierung Heidegger). 295 Ebenda. 296 Zur Verständnisweise des Wortes ›stellen‹ im Neologismus ›Ge-stell‹ klärt Heidegger auf: »Das Wort ›stellen‹ meint im Titel Ge-stell nicht nur das Herausfordern, es soll zugleich den Anklang an ein anderes ›Stellen‹ bewahren, aus dem es abstammt, nämlich an jenes Her- und Dar-stellen, das im Sinne der ποίησις das Anwesende in die Unverborgenheit hervorkommen lässt. Dieses hervorbringende Her-stellen, zum Beispiel das Aufstellen eines Standbildes im Tempelbezirk, und das jetzt bedachte ›herausfordernde Bestellen‹ sind zwar grundverschieden und bleiben doch im Wesen verwandt. Beide sind Weisen des Entbergens, der ἀλήθεια.« M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 79, S. 20 f. (Kursivierung Heidegger). 293 294

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so soll auch hier der zusammenfassende Aspekt mit dem Präfix ›ge-‹ angedeutet werden. Das Gestell ist weder nur ein menschliches Tun noch gar ein bloßes Mittel innerhalb solchen Tuns. Der Mensch nimmt nicht erst nachträglich eine Beziehung zum Gestell auf, bevor er eine zum Sein hat, sondern steht bereits in dessen Wesensbereich. Die nur instrumentale, die nur anthropologische Bestimmung der Technik wird hinfällig. Sie lässt sich nicht durch eine nur dahinter geschaltete metaphysische und religiöse Erklärung ergänzen. Die technisch-gestellhafte Beziehung lässt sich vom Menschen nicht herstellen oder bewirken. Vielmehr bringt oder schickt das Wesen der Technik selbst auf den Weg des Entbergens. In Analogie zum Gestell nennt Heidegger an anderer Stelle das versammelnde Schicken auch ›Geschick‹. 297 Aus diesem Geschick soll sich nun nach Heidegger das Wesen aller Geschichte bestimmen. Das Sein sendet nicht ein konkretes Geben, sondern eine Versammlung von aufeinander bezogenen Gaben. Sie machen zusammen und ineinandergreifend eine Welt aus. Erst so macht es einen Sinn zu sagen, dass das Gestell eine Schickung des Geschickes ist und wie jede Weise des Entbergens sich in Bezügen und Verweisungen zeigt. Menschliche Hervorbringungen sind daher nichts vom Menschen Gemachtes. Sie sind keine ›menschlichen Gemächte‹. 298 Es obliegt nämlich nicht der Macht der Menschen, sich so oder so in einem Akt der Selbstermächtigung eine eigene Geschichte und Kultur zu geben, die unabhängig wäre vom Wesen des denkenden, sprechenden und sich versammelnden, also kooperativen Menschen und dem Wesen der Wahrheit des Seins. Heidegger nimmt somit endgültig Abstand von der Vorstellung, dass sich eine Kultur selbst zu einer Hochkultur aufschwingen und sich so selbst Würde verleihen könnte. Jegliches Hervorbringenwollen, zumal nach eigenen metaphysischen Vorstellungen, folgt vielmehr dem Impuls zur Verfügbarmachung und Technisierung der Welt. Von hierher rührt auch die Kritik an Nietzsches Machtdenken im Modus metonymischer Ge- und Bestelltheit. Solches Denken ist für Heidegger ein Ausweichen und Distanzieren vom eigenen Wesen des Menschen und seiner Kultur. Zwar ›durchwaltet‹ den Menschen das ›Geschick der Entbergung‹ immer, aber es ist nie ›das Verhängnis eines Zwanges‹ für Heidegger. 297 298

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Vgl. M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 79, S. 24. M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, GA 7, S. 18.

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»Wo immer der Mensch sein Auge und Ohr öffnet, sein Herz aufschließt, sich in das Sinnen und Trachten, Bilden und Werken, Bitten und Danken freigibt, findet er sich überall schon ins Unverborgene gebracht. Dessen Unverborgenheit hat sich schon ereignet, so oft sie den Menschen in die ihm zugemessenen Weisen des Entbergens hervorruft.« 299

So der Mensch also forscht und die Natur als einen Bezirk des Vorstellens betrachtet, ist er bereits von einer Weise der Entbergung beansprucht, die ihn herausfordert, »die Natur als einen Gegenstand der Forschung anzugehen, bis auch der Gegenstand in das Gegenstandslose des Bestandes verschwindet« 300. Das Gestell ist dabei diejenige Weise des abendländisch-neuzeitlichen Menschen, die Welt zu sehen, ohne sich gewahr zu werden, dass das Gestell ein Gestell ist. Der qualitative und insofern fundamentale Unterschied von ursprünglicher τέχνη und moderner Technik zeigt sich dann vor allem darin, dass es sich um unterschiedliche Logiken handelt. Besteht nämlich das vormoderne Denken vor allem darin, das naturhaft Seiende für sich bestehend im Sinne des aristotelischen Naturbegriffes zu denken und Technik nur als Verbesserung der ohnehin vorkommenden Werkzeuge, also ohne qualitative Änderung anzusehen, so wird in der Neuzeit die gesamte Natur in das technische Denken integriert. Das heißt, die gesamte Natur wird zum Bestand verfügbarer Wirkmöglichkeiten, der die Eigenständigkeit des genutzten Naturgegenstandes gerade nicht mehr wahrt, sondern in ihr dominantes Gestelldenken einverleibt. Dieses krebsartige Wesen macht das technische Denken zur Gefahr. Auf diese Weise wird nämlich der Prozess der Technisierung der Lebenswelt als ganzer im Sinne einer immer weitergehenden Perfektionierung nicht mehr steuer-, beherrsch- oder planbar. Solche Sicherstellung wird zwar intendiert und mit großem Aufwand verfolgt, jedoch ständig verfehlt, weil die Dynamik des Seins und die Kosten der Sicherung nicht mitbedacht werden. Damit fordert Technik immer mehr Technik. Sie gibt aber keinen Halt und Sinn. Es ist letztlich die einsetzende Eigendynamik, die das technische Denken zur eigentlichen Gefahr macht. Denn diese Eigendynamik ist es, die den Menschen selbst zu einem manipulierbaren Bestandsstück des technischen Denkens einverleibt, degradiert und vernutzt, damit aber das Freiheits- und Seinspotential zunehmend verspielt. Nicht 299 300

Ebenda. Ebenda.

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mehr der Mensch mit seinen Bedürfnissen ist letztlich Ziel des technischen Denkens, sondern unter der technischen Eigendynamik vernutzt sich der Mensch selbst als einen vergegenständlichten Bestand unter anderen und gibt sich selbst als Menschen auf. Wird aber der Mensch als Mensch mit der Seinsgabe der Würde und Freiheit verspielt, gibt es keinen mehr, der die Nähe zum Sein halten kann. Ohne den Menschen gibt es keinen Sinn von Sein. Die Dimension des Sinns in seinen Gestalten des Sinnhaften, Sinnvollen, Unsinnigen, Haltgebenden, Wohnlichen oder Unwohnlichen hat sich das Sein nur über den Menschen gegeben, weil nur er ein Seinsverständnis und damit die Nähe zum Sein erhalten hat. Das Verständnis des Wesens der Technik, der Poiesis, des Herstellens, auf seine bloße Vernutzbarkeit hin verspielt andere Möglichkeiten menschlichen Seinkönnens, so wie beispielsweise auch ein bloß neurophysiologisches Verständnis vom menschlichen Hirn Willens- und Handlungsfreiheit verspielt. Das Wort ›Gefahr‹ wird dabei – wenn auch nicht ausdrücklich, so doch sehr naheliegend – bei Heidegger in Analogie zu den Worten ›Gestell‹ und ›Geschick‹ als eine Versammlung von Erfahrungen verwendet. Die Erfahrung des besonderen Geschicks des Gestells, also der technischen Zurichtung der Welt, ist für Heidegger fragil, weil der Mensch hier ›am äußersten Rand des Absturzes‹ unterwegs ist. 301 Der Mensch fühlt sich in der modernen technischen Welt zwar als Herr auf Erden und es sieht so aus, als begegne der Mensch überall nur noch den von ihm selbst hervorgebrachten Dingen und damit sich selbst. Dieser Schein trügt aber. 302 Denn der Mensch begegnet gerade überhaupt nicht mehr sich selbst, das heißt seinem Wesen. Er ist vielmehr dem Gestell derart (zu)(ge)hörig, dass er nicht mehr hört, sich also nicht mehr als Angesprochener versteht, sondern nur noch als Herausforderer. »Allein, das Ge-stell gefährdet nicht nur den Menschen in seinem Verhältnis zu sich selbst und zu allem, was ist. Als Geschick verweist es in das Entbergen von der Art des Bestellens. Wo dieses herrscht, vertreibt es jede andere Möglichkeit der Entbergung. […] So verbirgt denn das herausfordernde Ge-stell nicht nur eine vormalige Weise des Entbergens, das Hervor-bringen, sondern es verbirgt das Entbergen als solches und mit ihm Jenes, worin sich Unverborgenheit, das heißt Wahrheit ereignet. Das Gestell verstellt das Scheinen und Walten der Wahrheit. Das Geschick, das in 301 302

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Vgl. M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 79, S. 26. Vgl. ebenda, S. 27.

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das Bestellen schickt, ist somit die äußerste Gefahr. Das Gefährliche ist nicht die Technik. […] Das Wesen der Technik ist als ein Geschick des Entbergens die Gefahr.« 303

Die Gefahr der Technik besteht also weniger in ihren konkreten Folgen oder Errungenschaften, obwohl diese der Nachhaltigkeit stark entgegenwirken können, sondern darin, dass sie es verunmöglicht, überhaupt noch die Nähe zum Sein zu wahren. Weil Technik alles zum Bestand macht, ›ent-rückt‹ es das Sein in eine Ferne und versperrt Möglichkeiten, auch anders denken, reden oder leben zu können. Sie vollendet mit ihrer Seinsvergessenheit das Projekt der Metaphysik und der Selbstverobjektivierung. Technik macht insofern das Sein – damit zugleich seine eigene Grundlage – entbehrlich. Der Mensch, so Heideggers Konsequenz, muss erst wieder frei werden, indem er sich bindet. Und zwar nicht an die Technik, sondern an das Sein. Das kann der Mensch, so Heideggers Überzeugung, indem er das abendländische Geschick mitsamt der Gefahr annimmt – und zwar wieder als ein ›Hörender‹, nicht aber als ein ›Höriger‹. 304 Weil das Wesen der Freiheit nicht einem Willen oder einer Kausalität des endlichen menschlichen Wollens zugeordnet ist, muss sich der Mensch auf die Wahrheit als Entbergungsgeschehen einlassen, wenn er dem gefährlichen Wesen der Technik und seinem Entbergungsgeschick entgehen will. Insgesamt wird eines deutlich: Immer stärker zeichnet sich ab, dass eine ganzheitliche Alternative zum Modus metonymischer Denk- und Redelogik innerhalb des geschickten Gestells nicht zu haben ist, da diese tendenziell auf technisch verfügbare Bestände abstellt und die Nähe zum Sein zunehmend verbaut. Eine echte Alternative muss sich daher im ganz Anderen des Technischen zeigen. Es darf nicht selbst dem Gestellcharakter entspringen. Für Heidegger ist dieses Andere die Kunst. Weil Kunst für Heidegger nicht vollständig durch Technik einverleibbar ist, sondern die Nähe zum Sein wahrt, muss sich ein alternatives Denken und Reden dem weltbildenden Formen der Kunst, als alternative Form des Herstellens und Stiftens annähern. Auch das Künstlerische ist ποίησις (poiesis). Aber künstlerische Poiesis liegt im Nichtschematisierbaren, Einmaligen, Besonderen und zugleich Holistischen, Verdichteten und Bildlichen. Im Sprachlichen 303 304

Ebenda, S. 27 f. Vgl. ebenda, S. 24.

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zeigt sich das Künstlerische paradigmatisch in der verdichteten Rede als Dichtung. Das verdichtende Denken bringt sich nämlich nicht metonymisch, sondern synekdochal, im Integrieren des technischen als eines bestimmten Ausschnittes eines umfassenderen und ganzheitlicheren Weltbildes, von sich her zum Ausdruck. Somit muss es sich dem Denkenden selbst zusprechen und darf nicht den Phänomenen und Begriffen abgetrotzt oder vernutzt werden. So sollte etwa die verdichtete Rede auch nicht reduziert werden auf ornamentale Aspekte – etwa als Stilmittel in der Rhetorik – oder auf einen logizistischen Einsatz – etwa als deduzierende Rechenrhetorik in der Philosophie. Tut man dies nämlich, so vereinseitigt man die volle und offene Phänomenalität der Sprache und des Denkens tendenziell auf ihren bloßen Gebrauchsaspekt, damit auf einen technischen Gestellcharakter hin. Weil die »Rettung der Phänomene« nur aus dem Geschick des Seins selbst heraus geschehen kann, gilt es, offen und wach zu sein für die (Kenn-)Zeichen dieses Anspruchs. Die Hervorbringungen der Kunst sind daher als ein Verweis für ein tendenziell gestellloses Weltbild in der Nähe des Seins zu verstehen, denen sich das philosophische Denken öffnen sollte. Solches Denken des Wesens des künstlerischen Herstellens wagt den Schritt aus der Metaphysik heraus. Dem entsprechend folgt es auch einer anderen tiefensprachlichen Logik als das metonymische Denken. Technik und Kunst Heideggers Geschichtsphilosophie als Seinsgeschichte unterscheidet sich, wie man sieht, von der gängigen Meinung der technikkritischen Intellektuellen seiner Zeit, auch wenn sie nicht unberührt geblieben ist von den Kulturdiagnosen der Kulturphilosophen am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Für Heidegger ist die Technik nicht – wie man glauben könnte – das Schicksal, das Unausweichliche eines unabänderlichen Verlaufes des Zeitalters. Vielmehr ist der Mensch, weil er ein Geschickter und in Anspruch genommener ist, immer unterwegs auf dem Weg des Entbergens. Heidegger will nun das Wesen der Technik und sein Gegenstück, das Wesen der Kunst, anders erfahren. Zeugnis davon sind bereits die Vorlesungen des Wintersemesters 1934/35, in denen er Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein auf seine ihm eigentümliche Weise auslegt. 305 Er verwahrt sich da305 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen ›Germanien‹ und ›Der Rhein‹, GA 39; sowie F. Hölderlin, Werke in einem Band, München et al. 1990, S. 173–182.

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gegen, Hölderlin bloß historisch zu lesen. Vielmehr geht es Heidegger um ›das Tiefe des von diesem dichterisch Ausgesagten‹. 306 Heidegger unterscheidet dabei Dichtung vom Gedicht. Dichten (von lat. dictare/dicere, dt. sagen und ahd. tihtôn) bedeutet, etwas sprachlich aufsetzen, abfassen. Erst seit dem 17. Jahrhundert wird das Wort ›dichten‹ im eingeschränkten Sinne von Poesie gebraucht. Im Griechischen bedeutet dichten (gr. δείκνυμι, deiknümi) etwas zeigen, etwas sichtbar machen, etwas offenbar machen. Für Heidegger ist Dichten als Sagen somit eine Art des weisenden Offenbarmachens. Als weisendes Offenbarmachen ist Dichten bei Hölderlin das ›in das Wort gehüllte Winken‹. 307 Dichtung ist Stiftung, ›erwirkende Gründung des Bleibenden‹. 308 Weil Dichtung für Heidegger nicht das mehr oder weniger talentierte Umgehen mit Sprache in verschiedenen Ressorts im Rahmen einer bloß rhetorischen Stilistik ist, sondern ein ›dem Seyn Ausgesetztsein‹, sind die Dichter diejenigen, die gemäß dem Hölderlin-Wort: »Was bleibet aber, stiften die Dichter« 309 einen neuen ›Beginn‹ stiften können. 310 In der Dichtung wird nach Heidegger das Grundgeschehen des geschichtlichen Daseins des Menschen versprachlicht. In der Sprache wagt sich der Mensch hinaus ins Sein. Das Ausgesetzsein in die Sprache ist des Menschen höchste Gefahr: »Die Sprache ist nicht nur gefährlich, weil sie den Menschen in eine Gefahr bringt, sondern das Gefährlichste, die Gefahr der Gefahren, weil sie die Möglichkeit der Seynsbedrohung überhaupt erst schafft und allein offenhält.« 311 Wie ist das zu verstehen? – Die Sprache ist das Gefährlichste vor allem deshalb, weil sie aufgrund ihrer Mitteilungsfunktion dem Verfallen ins Gerede ausgesetzt ist, damit der öffentlichen Meinung, dem Sichhalten ans Bescheidwissen und Oberflächlichkeit. Aber der Mensch steht nicht nur – im Gegensatz zu allem anderen Lebendigen, das nur der ›blinden Sucht‹ und ›dumpfen Flucht‹ ausgesetzt ist – in der Möglichkeit Seynsbedrohung qua Sprache, sondern vor allem in der ›Verflachung in das abgegriffene Gerede‹. 312 Weil jedes wesentliche Sagen der Dichtung zu echter und dann 306 307 308 309 310 311 312

Ebenda. Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, GA 39, S. 32. Ebenda, S. 33. F. Hölderlin, Werke in einem Band, a. a. O., S. 207–208, hier: S. 208 (letzte Zeile). Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, GA 39, S. 33. Ebenda, S. 62. Ebenda.

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schlechter Prosa und schließlich zum Gerede verfallen kann, schließt es zugleich die Möglichkeit der Missdeutung, des Missbrauchs und der Täuschung mit ein. »Von diesem alltäglichen Wortgebrauch, der Verfallsform also, geht die wissenschaftliche Besinnung auf die Sprache und die Sprachphilosophie aus und betrachtet dann die ›Dichtung‹ als Ausnahme von der Regel.« 313 In solchen Beurteilungen klingt nicht nur die Fortsetzung des Modus des Geredes aus Heideggers Existenzialanalyse an, sondern auch Vicos These von der Verflachung des Poetischen hin zum Prosaischen und zum Nacherzählen, resp. Nachplappern. Das Unwesen der Sprache setzt sich dann auch in der Beurteilung der Mittel der Sprache als rhetorische Stilmittel fort. Nur aufgrund der inhärenten Verfallstendenz des Daseins des Menschen kann es nämlich dazu kommen, dass mit der Sprache auch die Tropen und rhetorischen Figuren als deviante oder Verfallsmodi der Sprache klassifiziert werden und als ungenaue, bloß ornamentale Redeweisen aus dem Denken der Philosophie fälschlicherweise ausgeschlossen werden. Damit gefährdet – so kann man mit Heidegger sagen – die Sprache selbst ständig ihr eigenes Wesen. Sie bleibt damit in sich gefährlich und zugleich gefährdet, »und zwar um so unbedingter, je wesentlicher gerade das Sagen ist« 314. Weil Sprache für Heidegger gerade nicht nur Werkzeug, Ausdrucksleistung, Verkehrsmittel bei der Verständigung, bloße äußere Verlautbarung innerer poetischer Erlebnisse ist, sondern das ursprüngliche Wesen des geschichtlichen Seins des Menschen ausmacht, kann sie überhaupt erst zum Ausdruck der Würde des Menschen und Würdigung des Seins in Form von Dichtung und Denken eingesetzt werden. Sprache ist insofern kein ›Angebinde‹ neben dem Seinsbezug des Menschen, sondern wesentlich dieser Seinsbezug selbst. 315 Es ist der Anspruch des Seins selbst, ›wenn wir uns zur Sprache bringen‹. »Nur wo Sprache geschieht, eröffnen sich Sein und Nichtsein. Diese Eröffnung und Verhüllung sind wir selbst.« 316 Dichtung ist für Heidegger deshalb ein ursprüngliches Gespräch mit den Göttern oder mit dem Sein. Sie ist der Ursprung der Sprache. Niemals ist sie nur verfügbares Werkzeug des Menschen oder Ergeb313 314 315 316

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Ebenda, S. 64. Ebenda, S. 65. Vgl. ebenda. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen, GA 39, S. 70.

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nis von Dingwahrnehmung und Praxisbewältigung. Sie ist vielmehr ›Ereignis‹. Als Ereignis ist Dichtung ein ›Gespräch zwischen Sterblichen und Himmlischen‹, das den Menschen in seiner Macht hat. 317 Menschsein heißt, ein Gespräch, eine und in Beziehung (zum Sein) zu sein. Sprache ist Seinsbezug. Beides fällt zusammen, ist identisch. Erst aufgrund von Sprache ist der Mensch nämlich nicht nur herstellend, sondern darüber hinaus auch geschichtlich. Sprache schafft eine Welt, in der sich der Mensch (zeitlich) verortet. Das geschichtliche Gespräch ist ein Gespräch, das sich als ›Nennen der Götter‹ und ›Sagen der Welt‹ bzw. ›Nennen des Heiligen‹ durch Dichten und ›Sagen des Seins‹ durch Denken vollzieht – wie sich Heidegger mit Hölderlin ausdrückt. 318 So kann Heidegger sagen, dass nicht der Mensch die Sprache ›hat‹, sondern die Sprache hat umgekehrt ihn, den Menschen. Die Dichtkunst gibt nicht nur die ›Winke der Götter‹ weiter, sondern stiftet die geschichtliche Welt des Menschen in seinem Seinsbezug. Das Gefährliche ist also nicht die Sprache wiederum selbst. Und menschliches Tun kann nach Heidegger auch nie unmittelbar dieser Gefahr begegnen. Was der Mensch jedoch im Sinne von Hölderlins Wort »wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch« 319 tun kann, ist, sich darauf zu besinnen, dass alles Rettende höheren, aber zugleich verwandten Wesens sein muss wie das Gefährdete. In der Besinnung auf das Wesen der Sprache und auf das Wesen der Technik kann sich das Rettende auftun; gewährt es sozusagen auch einen Umschlag. Die Gefahr ist also die Katastrophe, die einen Wendepunkt bereits in sich trägt. 320 Jedes Entbergung Gewährende, also auch das Wesen der Technik als solches, muss nach Heidegger mit dem Rettenden als dem anderen seiner selbst verwandt sein. So glaubt Heidegger, dass gerade im Gestell, das den Menschen in das Bestellen als die vermeintlich einzige Weise der Entbergung fortzureißen droht und so den Menschen in die Gefahr der Preisgabe seines freien Wesens stößt, die innigste, unzerstörbare Zugehörigkeit des Menschen in das Gewährende zum Vorschein kommt – gesetzt, dass der Mensch beginnt, auf das Wesen der Sprache und der Technik zu achten. Zu diesem Achten gehört, den ursprünglichen Anfang zu Vgl. ebenda. Vgl. ebenda. 319 F. Hölderlin, Werke in einem Band, a. a. O., S. 203–206, hier: S. 203. 320 Katastrophe kommt von καταστροφή (dt. Umwendung) und ist eine Komposition aus κατά (katá), dt. herab- oder nieder-, und στρέφειν (stréphein), dt. wenden, und bedeutet damit eigentlich ›Wendung zum Niedergang‹. 317 318

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bedenken und andenkend zu hüten. Zwar kann der Mensch, so Heidegger, nie unmittelbar der Gefahr begegnen, denn das Wesen der Technik wahrt den Schein der Sicherstellung und die Sprache den Schein des Bescheidwissens. Aber er kann bedenken, dass alles Rettende höheren, aber zugleich verwandten Wesens sein muss wie das Gefährdete. 321 Einen möglichen Weg bahnt für Heidegger die Sprache der Griechen, bei denen τέχνη (techné) die ποίησις (poiesis) der schönen Künste war. Denn einstmals trug nicht nur die Technik den Namen τέχνη, sondern auch jenes Entbergen, das die Wahrheit ›in den Glanz des Scheinenden hervorbringt‹, also des Wahren in das Schöne und damit in die Kunst. »Am Beginn des abendländischen Geschickes stiegen in Griechenland die Künste in die höchste Höhe des ihnen gewährten Entbergens. Sie brachten die Gegenwart der Götter, brachten die Zwiesprache des göttlichen und menschlichen Geschickes zum Leuchten. Und die Kunst hieß nur τέχνη. Sie war ein einziges, vielfältiges Entbergen. Sie war fromm, πρόμος, d. h. fügsam, dem Walten und Verwahren der Wahrheit. Die Künste entstammen nicht dem Artistischen. Die Kunstwerke wurden nicht ästhetisch genossen. Die Kunst war nicht Sektor eines Kulturschaffens.« 322

Weil also Heidegger davon ausgeht, dass die Kunst ein her- und vorbringendes Entbergen ist, darum gehört die Kunst in die ποίησις und wird ›zum Eigennamen‹, der alle Kunst des Schönen durchwaltet, die Poesie, das Dichterische. 323 Nicht nur in seinem Aufsatz Ursprung des Kunstwerkes, 324 sondern auch in seinen Erläuterungen zu den Dichtungen Hölderlins, Rilkes und Trakls hat Heidegger immer wieder auf die Eigenart neuzeitlich-technischen Denkens hingewiesen und die Kunst und Dichtung als das Vorbild einer anderen Weise des Hervorbringens und Produzierens hervorgehoben. 325 Diese andere Art des Hervorbringens ist zwar geschichtlich, zum Beispiel bei den Griechen, mit der τέχνη bzw. ars eng verwandt. Für Heidegger weisen die Zeichen des Rettenden daher auch ins Poetisch-Poietische. Dabei bestimmt HeiVgl. M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 79, S. 34. M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, GA 39, S. 32. 323 Ebenda, S. 33 f. 324 Vgl. M. Heidegger, Über den Ursprung des Kunstwerkes, GA 5. 325 Vgl. W. Perpeet, Heideggers Kunstlehre, Alfter 2005; sowie O. Pöggeler, Bild und Technik. Heidegger, Klee und die moderne Kunst, München 2002. 321 322

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degger die Kunst der Griechen vor allem als ein ›frommes, fügsames Walten, Entbergen und Verwahren der Wahrheit‹, dem ein besonnen immer weiter nachfragendes Denken entsprechen könnte. 326 Für Heidegger ist nämlich »das Fragen […] die Frömmigkeit des Denkens.« 327 Weil das Wesen der Technik nichts Technisches ist, darum muss die wesentliche philosophische Besinnung auf die Technik nun auch in einem Bereich geschehen, der einerseits mit dem Wesen der Technik verwandt und andererseits von ihm grundverschieden ist. 328 Weil ein solcher Bereich für Heidegger die Kunst ist, darf sie sich vor lauter Ästhetik gerade nicht vor dem Erfragten verschließen. Kunst wird als eine andere Art des Hervorbringens aufgefasst. Erst in der Neuzeit wird sie für Heidegger zum Gegenbild des technischen Weltverhältnisses. Indem in der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Welt versucht wird, die Dinge in ihrer Selbständigkeit und Unverfügbarkeit hervortreten zu lassen, ist sie nicht einfach nur ein Korrektiv der hegemonialen technomorphen und technokratischen Denkweise. Vielmehr ist sie derjenige Bereich, in welchem das Technische dieser Denkweise überhaupt erst als solches aufscheint und identifiziert werden kann. Die Kunst kann damit, im Unterschied zur Technik, zur Selbsterkenntnis über das Wesen der Technik beitragen, indem sie deren Kontrast ist: das Nicht-Schematisierbare, Unverfügbare, Einzigartige usw. Techné wird von Heidegger also eher als eine Haltung zu den Phänomenen, eine Tugend (gr. ἀρετή, areté) aufgefasst. Das heißt, sie ist nicht eine Tätigkeit im Sinne des Machens von etwas, sondern eine Haltung des Hervorbringens bzw. Zumvorscheinbringens des Seienden. Insofern ist sie ein ›Ver-Hältnis‹ zur Welt und zum Selbst. Sie ist als Verhaltung zugleich ein Wissen und Können darüber, wie etwas hervorgebracht wird. Künstlerisches Schaffen geht über ein rein handwerkliches Herstellen von Zeug ja hinaus. Sie setzt Wahrheit ins Werk und ist insofern nichts nur schematisch und durch Werkzeuggebrauch bewirktes oder gewirktes Können. Während nämlich ein Zeug genau dann Zeug ist, wenn seine Dienlichkeit im Gebrauch nicht auffällt, so gehört zum geschaffenen Kunstwerk gerade, dass auffällt, dass es geschaffen wurde. Kunst ist als Hervorkehrung von Besonderheit damit für Heideg-

326 327 328

Vgl. M. Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 79, S. 35 f. M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, GA 39, S. 36. Ebenda, S. 35.

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ger eine Vollzugsform des Vollbringens eines Seins-Anspruchs. Und als Dichtung ist sie eine Ent-Sprechung, die etwas deutlich macht, indem sie Wertigkeit und Bedeutung schafft. Sie widerstrebt damit intrinsisch jeglicher Form metonymischer Substituierbarkeit und bloß schematisierter Mimesis. Sie ist – und da ist Heidegger ganz unplatonisch – weder Abbild noch Abschilderung, sondern nächste Nähe zum Sein. Aber was unterscheidet nun die Technik von der Kunst – das gemäß der Physik Bewirkte und das gemäß des Seins Vollbrachte? In seinem Kunstwerkaufsatz von 1935/36 329 geht Heidegger dieser Frage nach, indem er sich klarer wird über das, was ein Werk eigentlich von einem Ding bzw. auch Zeug unterscheidet. Er nimmt damit schon Jahre vorher bereits getroffene Unterscheidungen wieder auf und präzisiert und erweitert seine Analyse um den Begriff der Sammlung, der die dritte und ursprüngliche Bedeutung des Logos-Begriffes neben Denken und Sprache ausmacht. 330 Heidegger will das Wesen der Kunst nicht als Aufsammeln von Merkmalen aus Vorhandenem, aber auch nicht als Ableiten aus Grundsätzen verstanden wissen. Er erweitert vielmehr den aus Sein und Zeit bekannten Dingbegriff, der sich vor allem durch Widerständigkeit und Unzuhandenheit auszeichnet, um das Merkmal der Eigenständigkeit. Naturdinge zum Beispiel können auch anders als zuhandene oder vorhandene von unserer Wahrnehmung unabhängige vorgestellt werden. Dinge versammeln, weil sie in einen Praxiszusammenhang eingelassen sind, der sich in ihnen lokalisiert. Dinge sind Lokalisierungen, Versammlungsorte, schaffen gemeinschaftliche Bezugnahme, eine Gemeinde, und durch diese ein gemeinsames Mitsein mit anderen. Er bezieht sich hier explizit auf die Bedeutung des germanischen Wortes ›thing‹, das (Rats-)Versammlung bedeutet. 331 Ein Ding entsteht also als Redegegenstand im Thing, also einem Ort der Versammlung, des Sichversammeln, auch der inneren gemeinschaftlichen Sammlung, einem Ort für Orientierung, einem Ort der abstrahierenden Überlegung und bestimmter kooperativer (zum Beispiel religiöser oder mythischer oder mora-

Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5. Das Substantiv λόγος (Sprechen, Rede, Wort, Vernunft) kommt von dem Verb λέγειν (dt. sprechen. reden, rechnen, eigentlich aber: sammeln). Vgl. Duden. Das große Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter, Mannheim et al., 2000, S. 814. 331 M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 166 und 147. 329 330

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lischer) Praxisformen – und weniger zeughafte oder vorhandene Gegenstände. Das Verbot von Verdinglichung, wie es im Heideggerschen Werk immer wieder auftaucht, ist keine Hochschätzung nicht zu verdinglichender Entitäten, sondern umgekehrt, eine Kritik an der Geringschätzung des Dinges. 332 Das Ding wird nämlich aus seinen ursprünglichen Sinnzusammenhängen und kooperativen Vollzügen herausgerissen und zum Zwecke des Gebrauchs und der Vernutzung losgelöst. In dieser Loslösung zeigen sich wiederum die Seinsvergessenheit des Menschen und sein Hang zur Metaphysizierung alles Bedeutungsvollen. Im Vortrag Bauen, Wohnen, Denken von 1951 unterstreicht er dies: »Unser Denken ist es freilich von altersher gewohnt, das Wesen des Dinges zu dürftig anzusetzen. Dies hatte im Verlauf des abendländischen Denkens zur Folge, dass man das Denken als ein unbekanntes X vorstellt, das mit wahrnehmbaren Eigenschaften behaftet ist.« 333 In der Sprache der Philosophie sind alle Erscheinungen Dinge. Das kantische Ding an sich, das Ganze der Welt oder Gott werden als Dinge begriffen. Alles, was nicht nichts ist, ist irgendwie Ding. Das Ding hat Eigenschaften, die sich um einen Kern des Dings versammeln. Das zeichnet Heidegger auch seinsgeschichtlich nach: Das Kernhafte wird bei den Griechen ὑποκείμενον (hypokeimenon) genannt. Es ist das, was zugrunde liegt. Merkmale bzw. Eigenschaften (gr. συμβεβηκότα, symbebekota) sind das, was beim Vorliegen eines Dinges schon mit da ist. Nicht erst der Mensch verleiht dem Ding Eigenschaften. Der antike Mensch glaubt, dass die Dinge von sich her Eigenschaften besitzen. In der Kultur der Lateiner wird aus hypokeimenon subiectum, aus hypostasis wird substantia und aus symbebekos wird accidens. Das Bild, das Heidegger mit dieser wortgeschichtlichen Spurensuche nachzeichnet, soll aufzeigen, wie das fortwährende Sein der Griechen immer mehr ins Bleibende, Präsentische und Anwesende, dann immer mehr zur Sache und zum Ding depraviert, die verrechnet, mit denen hantiert und die vernutzt werden können. Aus dem griechischen Ansprechen der Dinge wird ein Sprechen über sie. Das Zugrundeliegende, das im Griechischen noch als (ge)währende Weltbildstiftung verstanden wird, wird durch die Aufnahme in die römische Kultur in seine Bestandteile zerlegt und einseitig weitertrans-

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A. Luckner, Heidegger und das Denken der Technik, a. a. O., S. 109. M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 148.

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portiert. Das Sprechen über die Dinge zeigt sich dann darin, dass vom Ding Merkmale, Eigenschaften oder Attribute ausgesagt werden. Daraus hervor geht ein Dingbegriff, der das Ding als Einheit einer Mannigfaltigkeit fasst. Das Denk- und Sprachverständnis der römischen Kultur hat damit für Heidegger gewaltig in das ursprüngliche Denken der Griechen eingegriffen bzw. dieses Denken vergegenständlicht, in eine Mannigfaltigkeit und Merkmale zergliedert, sie als rein äußerliche Beziehungen aufgefasst und so der ganzen okzidentalen Kultur ihr metonymisch-metaphysisches Gepräge gegeben, das sich bis in die neuzeitliche Wissenschaft als naturwissenschaftliches Paradigma erstreckt und verfestigt. Für Heidegger gilt es daher, die (metonymische) Vereinseitigung der Dingzusammenhänge wieder mit lebendiger Nähe zum Sein zu füllen. Das heißt nicht, dass er das Rad der Geschichte zurückdrehen will. Vielmehr will er zeigen, wie sich das Wesen der Kunst aus dem Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden bestimmt. Die Wahrheit des Seienden bestimmt sich daraus, dass Kunst nicht zuerst Ding, sondern zunächst Zeug ist, das heißt in sinnvollen Kooperationsvollzügen erzeugt wird. Kunst als Erzeugnis und Werk ist nicht wie Vorhandenes da oder wird als Stoff hergestellt, sondern ist eine Erzeugung aus der transzendenten Existenz des Daseins. Es ist ein ›Sicheinrichten in der Welt‹. 334 Wahre Kunst hat somit einen weltbildenden und keinen weltabbildenden Charakter. Sie hat ihren Wert in sich. Das Werk ist damit über das Dinghafte hinaus, aber auch noch etwas anderes als Zeuge ohne Dienlichkeit. Es macht – nach Heidegger – mit Anderem öffentlich bekannt, es offenbart Anderes. In den Werken der Kunst erhalten wir nämlich Aufschluss darüber, was es mit dem Zeug und dem Ding auf sich hat. Es ist das praktische Wissen im Modus des internen Perspektivwechsels, wie etwas in seinem Sein hervorgebracht wird und neue Sinnzusammenhänge stiftet. Und so ist es auch mit dem Wesen des Kunstwerkes, das schließlich für Heidegger das ›Aufstellen einer Welt‹ und das ›Herstellen von Erde‹ in Einheit sind. 335 Das Kunstwerk geht nicht in seiner Dinghaftigkeit, die es als Unterbau immer hat, auf, weil es immer auch mehr ist. Die Poiesis wird vielmehr als Praxis vorgeführt. Am Kunstwerk 334 Zum Wesen der Kunst in Verbindung mit der Dichtung siehe auch: P. B. Kraft, Das anfängliche Wesen der Kunst. Zur Bedeutung von Kunstwerk, Dichtung und Sprache im Denken Martin Heideggers, Frankfurt am Main 1984. 335 Vgl. M. Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, S. 33 f.

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kann erfahren werden, dass der menschliche Verfügungs- und Bewirkenswille letztlich in einer Praxis wurzelt, über deren Existenz der Einzelne nicht selbst wieder verfügen kann, sondern in ihr und von ihr gehalten wird. Diese beiden Wesenszüge: ›Aufstellen einer Welt‹ und ›Herstellen von Erde‹ bedingen sich einander, denn sie sind für Heidegger einmal das öffnende Moment des Daseins und das andere Mal das verschließende Moment des Daseins. Insofern macht das Kunstwerk zweierlei: Es stellt eine Welt auf und eine Erde her. Es eröffnet neue Perspektiven und verfestigt diese. Beide sind vereinigt im ›Urstreit um Selbstbehauptung‹. 336 Darin gehören das Schaffende und das Bewahrende zusammen, denn beide sind aufeinander angewiesen. Im Kunstwerk geht es damit nicht nur um Abschilderung des Wahren (im Sinne eines Richtigen), sondern um Nähe zum Sein als Wahrheit (als Prinzip der entbergenden Durchdringung). Damit ist das tiefenlogische Prinzip der Kunst das der Synekdoche. Betrachtet man also Heideggers Auffassung von Kunst mit dessen Augen, dann ist die Wissenschaft kein ursprüngliches Wahrheitsgeschehen, sondern vielmehr der Ausbau eines schon offenen Wahrheitsbereiches durch Auffassung und Begründen dessen, was sich in seinem Umkreis an Möglichem und notwendig Richtigem zeigt. 337 Ursprüngliches Denken geht dann – ähnlich der Kunst – über das Richtige hinaus zur Wahrheit und zur wesentlichen Enthüllung des Seienden als solchem. Da für Heidegger das Dinghafte am Werk das Erdhafte, also Bewahrende (und man könnte sagen: Manifeste oder Geronnene) ist, muss das Kunstwerk analog vom Welthaften, Schaffenden, von der Tätigkeit und dem Kreativen her verstanden werden. Kunst und Wissenschaft bilden somit Antipoden: Im wissenschaftlichen Denken wird das Welthafte des Tätigseins vernichtet. Wissenschaftliches Denken neigt nämlich dazu, Dinge und alles Seiende als Gemachtes und Lebloses aufzufassen. Heideggers Phänomenrettungsversuch zielt dahingegen darauf ab, Dinghaftigkeit vom Lebendigen, also als etwas Organisches aufzufassen, das sein Bewegungsprinzip in und von sich selbst her hat. Da es dem Kunstwerk um das Ins-Werk-setzen der Wahrheit des Seienden geht, kann es nicht am Vorhandenen als Abbild abgelesen werden. Es erschöpft sich nicht vordergründig in der Funktion eines Trägers von diversen einzeln

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Vgl. ebenda, S. 34 ff. Vgl. ebenda, S. 49.

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beschreibbaren Eigenschaften, nicht als vorgestelltes Stoff-FormGefüge und auch nicht als Mannigfaltigkeit des sinnlich Gegebenen, sondern nur, indem eine umgekehrte Blickrichtung vollzogen wird: die der Verdichtung eines lebendigen Entstandenseins aus einem Entstehen-lassen-können. Deshalb kann Heidegger schreiben: »Alle Kunst ist […] im Wesen Dichtung.« 338 Das Wesen der Dichtung ist aber Stiftung, also Schenkung, Gründung und der Anfang von Wahrheit. Wahrheit ist geschichtlich. Geschichtlichkeit entspringt aus der Kunst. Sie ist in ihrem Wesen ein Ur-Sprung. Der Sprung drückt eine ungeheure Dynamik aus, sozusagen ein selbstermächtigendes Sichaus-der-Bewegungslosigkeit-herausreißen. Die Kunst schafft einerseits etwas aus dem Nichts, nämlich aus einer vorenthaltenen Bestimmung des geschichtlichen Daseins selbst. Andererseits schafft sie gerade nicht aus dem Nichts, denn sie fängt aus dem Geläufigen und Gewöhnlichen an. Nicht permanent an die Üblichkeiten und Machenschaften der öffentlichen Entlastungen des Mans verfallen, springt die Kunst aus den Usancen ins Offene, Freie und schafft aus eigener Kraft eine komplette Neuorientiertung, eine neue Welt. Der Übergang des Denkens vom Künstlerischen zum Technischen hin zeigt nun entgegenstrebend eine Entwicklung, die den Übergang von einem lebendigen und unverfügbaren hin zu einem statischen und funktionalen Phänomenverständnis offenbart. Dabei geht es Heidegger nicht um Verteufelung der Technik oder Technikfeindlichkeit. Jedoch geht es um Kritik an der Ausschließlichkeit eines funktionalen Denkens, das den Möglichkeitsraum einschränkt. Weil »die ›technische‹ Interpretation des Handelns den Ursprung der Bewegung, den motivationalen Impuls, der eben nicht subjektiv-intentional zu rekonstruieren ist« 339 verstellt, zeigt sich die Unverfügbarkeit, die das ›grund-lose‹ Sein vor allem für den Menschen darstellt, insbesondere im Denken der Technik. Im technischen Denken stößt der Mensch auf bestimmte Möglichkeiten und wächst über sich selbst hinaus. Gleichzeitig werden nur zu verwirklichende Möglichkeiten als realisierbar offenbar. Damit spricht sich prinzipiell auch Unverfügbarkeit aus. Im Umgang mit Technik kann der Mensch erfahren, was es heißt, in Anspruch genommen zu sein von etwas, das mediale Grenzen der Verfügbarkeit aufweist und den Menschen immer wie-

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Ebenda, S. 60 f. A. Luckner, Heidegger und das Denken der Technik, a. a. O., S. 137.

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der auch in seine Schranken verweist. Damit wäre dann auch die Hypostasierung des Menschen, sich für das Maß aller Dinge und das Zentrum des Universums zu halten, wieder in ein ausbalanciertes seinsgeschichtliches Verhältnis gebracht. Weil aber die Technik nicht ein Mittel in der Hand des Menschen, sondern umgekehrt, das Wesen des Menschen sich dem Wesen der Technik verpflichtet hat und so in seinem ursprünglichen Seinsbezug verstellt ist, lässt sich die Technik durch den Menschen niemals überwinden. Der Mensch ist nicht der Herr des Seins, sondern sein Hirte. Deshalb gilt es nach Heidegger, das Wesen des Seins als das ›Denk-würdige‹ neu zu bedenken und zugleich zu bewahren. Dabei spielt die Sprache eine herausragende Rolle, denn sie ist als Dichtung ein anfängliches Ent-Sprechen, da sie im Anspruch des Seins steht und diesem Anspruch entspricht. Wenn Heideggers Kehre also eine Einkehr und nicht eine Abkehr vom Sein sein soll, dann muss sie sich auf »die Gunst der Kehre der Vergessenheit des Seins in die Wahrheit des Seins« 340 besinnen und an das Sein denken. So kann Heidegger nun den Ort der Rettung der Phänomene benennen: »Im Wesen der Gefahr, wo sie als die Gefahr ist, ist die Kehre zur Wahrnis, ist diese Wahrnis selbst, ist das Rettende des Seins. Die Kehre ereignet sich unmittelbar, denn sie kann nicht bewirkt werden, da sie vom Sein selbst geschickt ist. Die Einkehr als Ereignis der Kehre der Vergessenheit kehrt in das ein, was jetzt die Epoche des Seins ist.« 341

Insofern ist die Einkehr ein Einblick und das Seinsereignis selber. Weil kein historisches Vorstellen der Geschichte als Geschehen in den schicklichen Bezug zum Geschick bringt, gelangt alles nur Technische nie in das Wesen der Technik. Denn: »[A]lle Versuche, das bestehende Wirkliche morphologisch, psychologisch auf Verfall und Verlust, Verhängnis und Katastrophe, auf Untergang zu verrechnen, sind nur ein technisches Gebaren. Es operiert mit der Apparatur der Aufzählung von Symptomen, deren Bestand ins Endlose vermehrt und immer neu variiert werden kann. Diese Analysen der Situation merken nicht, daß sie nur im Sinne und nach der Weise der technischen Zerstückelung arbeiten und so dem technischen Bewußtsein die ihm gemäße historisch-technische Darstellung des Geschehens liefern.« 342

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M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, GA 39, S. 42. Ebenda, S. 43. Ebenda, S. 46.

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Wenn Sprache im wesentlichen Sinne Dichtung ist und das Wesen der Kunst das Ins-Werk-setzen der Wahrheit ist, dann ist es zulässig, das Wesen der Kunst als Dichtung zu fassen. Das Wesen der Dichtung ist Stiftung der Wahrheit. Emil Kettering drückt diesen Zusammenhang so aus: »Weil Dichtung für Heidegger wesenhaft Artikulation des Seins ist und nicht Erlebnisausdruck eines Individuums, kann das Wesen der Dichtung weder durch eine vergleichende Betrachtung mehrerer Gedichte auf das ihnen Gemeinsame, durch Aufsammeln von Merkmalen bzw. Abstraktion, noch durch kausalmechanische Rückführung auf ein produzierendes Subjekt, das Gedichte ›macht‹, gefaßt werden, sondern einzig durch ein Eintreten in den Machtbereich der Dichtung.« 343

Das dichterische Wort ist daher auch kein Eigentum des Dichters. Der Dichter ist lediglich berufen, es zu sagen. Will man das Dichterische nun denkerisch erfassen, so muss man in das Dichterische eintreten. Heidegger ruft, indem er das schreibt, eine Stimmung hervor, die eine Vorstellung vom Eintreten evoziert, die einem andachtsvollen Hineinschreiten in einen sakralen Raum gleicht. Das dichtende Wort zu denken, heißt für ihn, es im Vollzug zu denken. 344 Bezogen auf das Bild vom Eintreten in den sakralen Raum kann das bedeuten, dass mit dem Eintritt die alltäglichen Vollzüge hinter sich gelassen werden und nun in eine sozusagen übergeordnete Praxis eingetreten wird, die demütiger ist. Das Gedicht muss den Denker selbst ansprechen und aus ihm sprechen. Das Gedichtete darf insofern nicht dienstbar gemacht werden für die Philosophie oder für die Hörer. Vielmehr muss das Gedichtete der Dichtung seingelassen werden. Es gehört also besonders hier ein Sichselbst-Zurücknehmen unter Sich-selbst-unter-das-Maß-der-Dichtung-bringen zum Eintritt in das Dichterische. Man muss sich selbst vergessen und überflüssig machen und im Dichterischen als Vereinigung von Form und Inhalt aufgehen, um es denkerisch zu erfassen, denn Dichtung ist Stiftung des Seins im Wort, wie Heidegger zusammenfasst. Sich unter die sinnkriteriale Norm dieser seinsgeschichtlichen Wahrheit zu bringen, ist also Heideggers Ziel auf dem Weg eines seins-entsprechenden bzw. seins-gemäßen, also met(a)-ontologischen

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E. Kettering, Nähe, a. a. O., S. 193. M. Heidegger, Hölderlins Hymne Andenken, GA 52, S. 12 f.

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Denkens. Darin sind sich Denken und Dichten ähnlich. Auffällig ist, dass Heidegger immer weniger im Sinne evidenzerzeugender schulmeisterlicher Syllogismen argumentiert, sondern verstärkt an Einsicht und Umkehr appelliert, so wie jemand, der alles versucht hat und nun nicht mehr weiß, wie er das für ihn Offenbare anderen noch begreiflich machen kann. Heidegger will nichts mehr be- oder erwirken, auch keine Einsichten. Weil seine Sprache der Nähe des Seins und damit der Wahrheit entsprechender werden soll, wie die philosophische Dichtung eines Hölderlin, muss er sich noch mehr zurücknehmen und selber hörender werden. Das bringt es mit sich, dass sein logisch-analytisches, also kategoriales und tendenziell metonymischzergliederndes und vereindeutigendes Denken nunmehr zugunsten des sprachlichen Verdichtens, der vieldeutigen Offenheit, der weiten Urkonnotationen und assoziativen und anspielenden Polysemien usw. Platz macht. Daher ist sein Denken folgerichtig nicht etwa als kryptisch zu bewerten, sondern als selber zunehmend (ver)dichtend. Es soll den zu beschreibenden Zielen ent-sprechender werden, damit ursprünglicher – und das bedeutet bedeutungsoffener, (an)spielerischer. Semantische Verdichtungen als Konsequenz der inneren Logik seines alternativen synekdochischen Denkens spielen eine tragende Rolle. Es gibt in ihnen mehrere Polysemien, die Heidegger nicht auflöst, sondern als Titelworte und Anspielungen einsetzt, die den Rezipienten auffordern, konnotativ und assoziativ aus dem bisher Gesagten, Aufgezeigten und Mitgemeinten selbst neue Bedeutungshorizonte zu schließen. Das ist Programm. Die Bedeutungen sollen nämlich nicht in metonymische Bauteile auseinanderfallen, sondern in ihrem systematischen und historischen Bedeutungsumfang als zusammengehörige Einheit verstanden werden. Indem er sich als Hinhörender und Angesprochener bzw. In-Anspruch-Genommener, kurz: in ausgezeichneter Position in Szene setzt, gleichen seine späten Texte oft den Predigten eines Weisen vom Berge, der vom Sein Winke bekommt. Gleichzeitig zieht er den Rezipienten mit in eine andere neue Welt. Ein solches Denken hat nicht nur die metonymische Denklogik und Grammatik verlassen, sondern ist synekdochisch im genuinen Sinne: Es verlangt ein Mitverstehen als Entsprechung eines Anspruchs des Seins. Tiefensprachlich ist es vor jeder zergliederbaren Prosa, obgleich es zuweilen an diese oberflächensprachlich gebunden bleibt, um verständlich zu bleiben. Es geht jedoch nicht darin als Stilmittel auf. Die Beharrlichkeit, beinahe Starrheit, mit der Heidegger Logik der Tropen

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Heideggers Denken der ›Kehre‹ im Redemodus der Synekdoche

auch nach der Kehre die von ihm verwendeten Schlüsselwörter in den neu-alten Bedeutungen belassen und gleichzeitig etymologisch erweitern kann und an ihnen festhält, zeigen den Grad der inneren Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit an, mit denen Heidegger seiner Aufgabe nachgeht.

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11. Heideggers Seins-Denken im Redemodus der Ironie

Heideggers späteres Denken löst sich nun zunehmend aus der Perspektive einer kritischen Inblicknahme metaphysischer Tendenzen im Dasein. Es überlässt sich mehr und mehr der Rettung der Phänomene aus der Perspektive des Seins selbst. Das geht einher mit einer Neubewertung der Kunst und vor allem der Dichtung. Mehr als in seinen frühen Schriften rückt er die verdichtend-synthetische Sprache ins Zentrum seiner philosophischen Überlegungen und nimmt Abschied vom analysierenden Sezieren und Definieren von Begrifflichkeiten. Er erweitert das Geschäft der Philosophie um Bereiche, die sie selbst – unter der Glocke der okzidentalen Metaphysik und Metonymik – ins Abseits schob, weil sie den selbst aufgestellten Kriterien der Strenge und Exaktheit nicht vollständig genügen. Dass diese Kriterien selbst einem reduktionistischen, vergegenständlichenden und daher metaphysischen (und damit wiederum metonymischen) Denken entspringen, wird Heidegger relativ spät bewusst. Er öffnet sich gleichwohl für neue Register der Sprache und logische Redemodi. Sprache ist für ihn nicht mehr annähernd nur Medium, das es irgendwie erlaubt, über sich selbst zu reflektieren. Sprache ist für Heidegger nicht nur das künstlerische und insofern künstliche Produkt eines Machens, sondern Grundgeschehen des Seyns. Weil Sprache und Denken eng zusammenhängen und sich darin eine Haltung zum Selbst und zur Welt ausdrückt, rückt Heidegger sie in eine ausgezeichnete Stellung. Heidegger ist inzwischen davon überzeugt, dass nicht der Mensch über die Sprache verfügt, sondern die Sprache die Herrin des Menschen ist. Er will aus dem Gehäuse, dem Gefängnis, das die metaphysische Sprache werden kann, wenn sie nicht mehr Heimat oder Haus des Seins ist, wieder in wohnlichere Gefilde mit ihr aufbrechen. Denn dass der Mensch reden kann – und somit über Logik, Ethik, Gefühle und kulturelle Errungenschaften verfügen kann –, ist für ihn ein im Universum einmaliges Wunder und ein schicksalhaftes Geschenk, das es nicht zu verspielen gilt. So kommt Logik der Tropen

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Heidegger zu der bemerkenswerten Neusituierung von Sprache als einem ›Ereignis‹, das den Menschen als ein Gespräch zwischen Sterblichen und Himmlischen in seiner Macht hat. Menschsein heißt dann, ein Gespräch, ein In-Beziehung-sein (zum Sein) zu sein. Sprache ist Beziehung. Sie stellt den eigentlichen Seinsbezug des Menschen dar, drückt ihn aus. Dabei ist nicht die Oberflächenstruktur der Sprache das Relevante, sondern die Tiefenstruktur, die Auskunft gibt über die Haltung zu den Phänomenen. Den Zusammenhang von Denken, Dichten und Sprache untersucht Heidegger anhand von Dichtung, da Dichtung innerhalb der Künste den synekdochischen Modus des Denkens verkörpert und sie Welt in verdichtender Rede stiften kann. Wenn Heidegger also den Zusammenhang von Denken, Dichten und Sprache untersucht, dann von nun an anhand der Dichterischen Sprache selbst. Für eine tiefensprachliche Analyse ist die Sprache in Heideggers Spätwerken eine besondere Herausforderung. Denn was Heidegger von seinen Lesern verlangt, ist eine Form des Sicheinlassens und Einübens in eine andere Logik des Denkens. Setzte sich Heideggers existenziale Ana-logik von Sein und Zeit bereits in ihren Verweisen auf grammatikalische Grundkonstellationen 1 und ihre verankerte etymologische Konnotativität und Assoziativität von der Sprache der Naturwissenschaften ab, ohne das dominante metonymische Paradigma verlassen zu können, so gilt es im Spätwerk, jegliches restmetaphysisches Denken hinter sich zu lassen. Er will nicht mehr nur radikaler denken, sondern sich von der Dominanz des metonymischen Seinsverständnisses freimachen. Er will Nietzsches Vollendung der Metaphysik tatsächlich überwinden. Die Synekdoche ist der dem Seinsnähe-Denken angemessene logische Darstellungstropus. Aber sein inneres Prinzip kann nur äußerlich, das heißt aus dem Metonymischen heraus erfasst werden. Die Synekdoche stellt zwar die logische Alternative zum rechnenden Denken der Metaphysik dar, weil sie nicht gemäß den ausgedehnten körperlichen Dingen ihre logische Grammatik sucht, sondern im Wesentlichen gelassenen Denken als Danken und Dichten des ursprünglichen Seinsgrundes. Es kann daher nicht zergliederndes, vergleichendes und unterscheidendes Denken sein, sondern immer nur dasselbe dichte beziehungsweise verdichtete, das immer schon vor jeder Unterschiedenheit existenzial mitverstanden werden muss. Aber die 1

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Zum Beispiel: Befrager befragt Zubefragendes, Denker denkt das Zudenkende usw.

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Versuche, im Synekdochalen eine sprachdenkerische Alternative zu finden, zeigen vor allem dann ihre begrenzte Reichweite, wenn man bedenkt, dass auch das synekdochale Denken in gewisser Weise an das Metonymische gebunden bleibt. Die enge Verwandtschaft zwischen beiden und die Tatsache, dass das Metonymisch-Metaphysische aus dem Holistisch-Synekdochalen hervorgehen kann, macht deutlich, dass eine völlige sprachdenkerische Emanzipation noch nicht gelungen ist. Ein völlig metaphysikfreies Denken kann nur durch Negierung bisheriger Sprach- und Denknormen erreicht werden. Der Weg in eine solche ungebundene Haltung, also keiner Antihaltung, sondern einer der Gelassenheit, führt daher notwendig zur tiefensprachlichen Präfigurierung durch den Primärtropus der Ironie. Ironie ist entgegensetzend. Mit Ironie wird ein Widerspruch nicht nur auf der sprachlichen Oberfläche, sondern auch auf der assoziativen Ebene erzeugt. Dies wirkt negatorisch. Im Paradigma der Substitutionstheorie wird beim Gebrauch von Ironie die Bedeutung des eigentlichen Ausdrucks wieder abgeschwächt bzw. negiert, so dass dem Rezipienten für die Entschlüsselung der Gleichzeitigkeit verschiedener Ebenen eine situative Kompetenz abverlangt wird. Anders im tiefensprachlichen Paradigma von Vico bis White, auf die sich mein Buch stützt. Hier stehen die vier Primärtropen als unterschiedliche und unersetzbare sprachdenkerische Grundpräfigurationen in einer stufenartigen Reihe als vororganisierende Tiefenstrukturen nebeneinander. Die Metapher bringt eine Präfiguration der Erfahrungswelt in Objekt-Objekt-Termini mit sich, die weit entgegengesetzte Bedeutungsfelder miteinander identifiziert. Die Metonymie strukturiert die Welt in Teil-Teil-Termini. Die Synekdoche fasst die Phänomene in Termini holistischer Durchdrungenheit. Die Ironie hebt sich von diesen drei Tropen durch das Prinzip der Gegensätzlichkeit oder Kontrarität ab. Das führt dazu, dass im Unterschied zur Metapher, die Identität setzt, zur Metonymie, die eine Ähnlichkeits-Beziehung darstellt, und zur Synekdoche, deren Grundprinzip die Integration ist, die Ironie das logische Konzept der Negation bereithält, das sich zu seinen Vorgängerlogiken konträr verhält. White nennt die drei tropischen Tiefenpräfigurierungen Metapher, Metonymie und Synekdoche auch ›naive Tropen‹, weil sie sich nur im naiven (metaphysischen) Glauben an die Fähigkeit der Sprache, die Natur oder das Wesen der Dinge in figurativen Ausdrücken entwickeln lassen. Dagegen bildet der Tropus der Ironie sozusagen Logik der Tropen

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das ›sentimentalische‹ Gegenstück. 2 Die Ironie als sentimentalischer Tropus bedient sich eines bewusst selbstreflektierten Umgangs mit Sprachformen und Sprachakteuren. Sie bezieht die Verbindung von Darstellung und praktischen Kooperationszusammenhang direkt in den sprachlichen Ausdruck ein und baut auf das situative Erfassen der Gesamtredesituation. Dem Hörer oder Leser wird dabei eine doppelte Entschlüsselungs- bzw. Decodierungskompetenz zugeschrieben, denn er muss neben der Sinnerschließung zugleich dessen Negation miterkennen. Im Negieren bisheriger naiver Verstehensmodi und anspielender Verweise auf Unmöglichkeiten wird vom Rezipienten eine erhöhte sprachdenkerische Interaktivität verlangt, die verschiedene Deutungsmöglichkeiten (text)situativ durchzuspielen bereit ist. Damit erweitert sich das Spektrum des Zuverstehenden und erhöht sich die Möglichkeit von Missverständlichkeit. Insofern bleibt die Sprache sowohl die Quelle aller Missverständnisse und ist zugleich der Boden, auf dem überhaupt Bedeutsamkeit entsteht. Sie ist also zugleich die Quelle allen Verstehens. Andererseits wird das durch differenzierte Sprachpraxen und einen auf Anwesenheit und Vergegenständlichung abgestellten Ontologiebegriff Auseinandergefallene auf diese Weise denotativ, also in einem einzigen Sinnkomplex wieder zusammengeschlossen – und zwar dem Phänomen der Sprache aufs Äußerste ent-sprechend. Dies wissend, klingt dann auch Heideggers Wort ›die Sprache spricht‹ nicht mehr nur tautologisch oder unsinnig. 3 Gebildet ist er in formaler Anlehnung an ›das Grün grünt‹, den im Allgemeinen jeder versteht. Wenn Heidegger also die Sprache sprechen lässt, dann bekommen solche ›Verlebendigungen‹ von synekdochisch verwendeten Abstrakta und die quasi-poetischen Verdichtungen eine herausgehobene Darstellungsfunktion. Heidegger kann so nämlich einerseits das Subjekt in seiner radikalen sprachlichen, historischen und Hayden White bezieht sich mit den Ausdrücken ›naiv‹ und ›sentimentalisch‹ explizit auf Schillers Unterscheidung in dessen Schrift ›Über naive und sentimentalische Dichtung‹ (1795), in der es um die Unterscheidung unterschiedlich distanzierter bzw. reflektierter Formen der (vornehmlich literarischen) Darstellung geht. Das Naive steht für das von seinem Tun nicht distanzierte Kindlich-Kindische, gleichzeitig dadurch aber auch Unschuldige der Dichtung, die rührt. Das Sentimentalische steht für ein distanziertes Selbstverhältnis, das auch an Verstellung und Intrige seine Freude zu finden vermag, also nicht mehr unschuldig sein kann, sondern spielerisch. 3 M. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, S. 12. 2

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kulturellen Geworfenheit thematisieren, indem dessen Denk- und Lebensgrundvoraussetzungen Sprache und Sein expliziert werden, wie zum Beispiel in solchen Formulierungen wie ›die Sprache ist das Haus des Seins‹ oder ›das Sein lichtet sich als logos‹. 4 Heidegger meint also mit dem Gesagten etwas anderes, als er sagt. Dieses Andere soll nicht nur das Gegenteil sein, sondern alles bisher Gesagte durchstreichen und über Bord werfen. Er ruft damit die ironische Kompetenz als logische Sprachkompetenz der Reflexion auf. Auch Heidegger ist an Sprachkonventionen gebunden, wenn er verstanden werden will. Diese können demzufolge nur ironisch gebrochen werden. Er will also zugleich Verschiedenes: Zunächst soll die tendenziell verdinglichende Subjekt-Objekt-Struktur der Sprache ausgeschaltet werden (Kritik am Modus der Metonymie). Damit gilt es, eine sprachdenkerische Überwindung des metonymischen Redemodus zu gewinnen. Diese geschieht in radikaler Absetzung zu allem, was die Metonymie auszeichnet. Sie ist dann zuallererst Verdichtung (im Modus der Synekdoche): So soll zum Beispiel im ›Walten‹ auch immer das ›Gewaltige‹ und ›Überwältigende‹ mitgedacht und im ›Sagen‹ das ›Zeigen‹ oder im ›Andenken‹ das Erinnernde und Kämpferische zugleich gespürt werden usw. Dann will Heidegger aber auch die Negierung (im Modus der Ironie) aller bisherigen Sprachnormen und die Stiftung durch Dichtung. Der Wechsel in den Redemodus der Ironie bietet über die höhere Selbstreflexionsebene hinaus in besonderer Weise die Möglichkeit, interaktiv auf die radikale Vollzüglichkeit von kooperativen Praxisformen aufmerksam zu machen, indem weniger vorgeführt als mitgedacht, also mitvollzogen werden muss. Ironie ist nun sozusagen Ausdruck einer ›sprachdenkerischen Versammlung (logos) in vermögend-mögende Möglichkeiten (dynamis)‹, wenn man dies im Jargon Heideggers ausdrücken möchte. Das dichterisch-(an)denkenddankende Wort stellt sich nichts gegenüber, sondern ist durchdrungen von Stimmungen, die es auf adäquate Weise darzustellen hat. Wenn Heidegger schließlich schreibt, dass »Anblick erst […] Hinsicht auf sich [zieht, BK]« 5, dann zeigt sich das in seinem späten Sprachdenken vor allem darin, dass sich sein eigenes Denken ›zum Dichten neigt‹, das Sein sozusagen anblickt, damit dieses sich zeigen

4 5

M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 5. Ebenda, S. 22 f.

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kann. Es ist dem Sein durch sein Seinsandenken selbst näher gekommen und fühlt sich von diesem angesprochen. Damit hat es sich vom bewirken wollenden Kategoriendenken der Wissenschaftlichkeit gelöst und zum Künstlerischen hingewendet. Philosophie, so wie Heidegger sie als Ideal vor Augen hat, wird zwischen Wissenschaft und Kunst verortet. Die Sprache hat dieser Verortung Rechnung zu tragen.

11.1. Sprache und Denken Es konnte bisher gezeigt werden, dass Heidegger immer wieder neu ansetzt, um Denken und Sprache beziehungsweise Erkenntnisform und Darstellungsform zur Entsprechung zu bringen. Diese Neuansätze sind als Tropenwechsel markiert worden. Die Logik gibt der Sprache den möglichen Denkrahmen vor, innerhalb derer sich Gedanken ausbilden können. Gleichzeitig schafft das Denken an diesem Sprachrahmen kategorisierend und grammatikalisierend mit, indem es dem Denkbaren entsprechendes Werkzeug bereitstellt. Denken und Sprache sind für Heidegger jedoch nichts außerhalb praktischer Vollzüge. Menschliche Kooperationen stehen nicht außerhalb befindlicher, damit auch ethischer, ästhetischer, gefühlsmäßiger und natürlich sachlicher Dimensionen. Diese sind vielmehr Facetten dieser Vollzüge. Sie zeigen sich im verdichteten Modus nicht als voneinander getrennte, sondern ineinander verwobene. Heideggers Verdienst ist es, diese praktisch-holistische Fundiertheit herausgearbeitet zu haben. Vereinseitigungen in der Praxis des (kooperierenden) Sprechens und Handelns führen daher auch zu Vereinseitigungen im Verständnis von Phänomenzusammenhängen. Umso differenzierter und regionalontologischer Phänomene Gegenstand des Denkens sind, desto weniger tritt ihr empraktisch-holistisches Eingebettetsein in Kooperationszusammenhänge noch hervor. Heideggers Metaphysikkritik ist zugleich Sprachkritik. Sie wird bei ihm immer in den behandelten Inhalten darstellungsformmäßig ausdrücklich. Dieses Ausdrücklichgewordene ist überhaupt erst in dem hier vorgeführten Sinne tiefensprachlich interpretierbar. Wenn Heidegger auf seinem Denkweg nicht nur nach den Auslösern und Motivationen für Vereinseitigungen sucht, sondern auch den Versuch eines alternativen Ansatzes wagt, dann überschreitet er die wissenschaftlichen Vorgaben exakten Redens und nutzt über diese 570

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hinaus entsprechend den Phänomenen, die er aufsucht, den vollen Umfang möglicher Redeweisen und Sprachregister. Was immer an Heideggers spätem Denken kryptisch und extrem verdichtet daherkommt, es hat neben allen persönlichen Gründen seinen Hauptgrund in der tief durchgeholten Kultur- und Wissenschaftsgeschichte des abendländischen Denkens und seinen Folgen für die Selbstauslegung des Wesens des Menschen. Wissenschaftliches Denken Heideggers Denken setzt sich sprachlich zunehmend von den Wissenschaften und seiner metonymischen Sprachlogik ab. Der wohl provokanteste Ausdruck dieser konträren Haltung findet sich in seiner Schrift Was heißt Denken? 6 Dort heißt es: »Die Wissenschaft denkt nicht.« 7 Dies zu sagen, und damit das Wesen der Wissenschaft zum Ausdruck zu bringen, geschehe nach Heidegger zum Glück beziehungsweise ›zum Wohl der Wissenschaften‹. Dass die Wissenschaft nicht denkt, gehöre nämlich zur ›Sicherung ihres Ganges‹. Sie darf nicht denken, um sich als Wissenschaft nicht aufzulösen. Gleichwohl habe es die Wissenschaft immer mit dem Denken zu tun. Aber wirklich wissen, was Denken ist, tut sie eben nicht – vor allem dann nicht, wenn sie glaubt, dass sie es wüsste. 8 Not tut daher, das Denken erst einmal zu lernen, weil es »das Bedenklichste in unserer bedenklichen Zeit ist, daß wir noch nicht denken.« 9 Bedenklich ist, dass im wissenschaftlich-technischen Zeitalter als Gipfelausdruck dessen, dass sich der Mensch die Natur unterworfen hat, vergessen wird, wem oder was wir verdanken, was wir als Menschen sind, wem oder was das Mensch- beziehungsweise Personsein-Können, das menschliche Dasein überhaupt zu verdanken ist. Das Denkwürdigste besteht für Heidegger darin, dass der Mensch glaubt, die institutionellen Bedingungen dafür, eine autonome und authentische Person sein zu können, seien Ergebnis menschlichen Tuns. Institutionen und Praxisformen sind aber jedem Tun ereignisanalog vorgegeben. Weder Naturwissenschaften und schon gar nicht die biologischen und kognitionsbiologischen Verhaltens- und Ge-

6 7 8 9

Vgl. M. Heidegger, Was heißt Denken?, GA 8. Ebenda. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, S. 4 ff. (Kursivierung Heidegger).

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hirnwissenschaften können für das Bedenklichste den angemessenen Rahmen abgeben. 10 »Eben dies ist das Bedenkliche unserer Zeit. Die Wissenschaft, gerade auch die empirische Wissenschaft der Kognition, aber auch eine bloß positive, teils narrative, teils ›explanative‹ Historie, denkt nicht, sondern beobachtet, sammelt, experimentiert und theoretisiert in einem Denkrahmen, der selbst in seinem geschichtlichen, institutionellen und insbesondere praxis- und kooperationsbezogenen Sitz im menschlichen Leben und in seiner Funktion für ein gutes Leben nicht weiter bedacht ist.« 11

Es ist also der Konstitutionsleistung von Tradition und Gemeinschaft zu verdanken, was der Mensch ist. Die spezifisch menschlich-offenen Praxisformen sind für Denken, Wissen, Urteilen, Autonomie und Freiheit verantwortlich; und diese gilt es, tiefer als bisher zu bedenken. Heidegger bleibt jedoch nicht bei der negativen Analyse der technisierten und zum Gestell gewordenen Beschreibung des wissenschaftlichen Zeitalters stehen. Er sucht vielmehr nach einem Zugang zum Wesen des Denkens, also dessen, was das Denken ›gewähren‹ lässt beziehungsweise ›das Dasein ins Denken ruft‹. 12 Das Gewährende ist – wie im Humanismusbrief bereits ausgeführt wurde – das Mögen als Vermögen. Wer etwas mag, etwa ein Interesse verspürt, entwickelt nämlich eine Kompetenz und vermag so, Möglichkeiten Realität werden zu lassen. Dass der Mensch ins Denken überhaupt gelangt ist, ein geistiges Vermögen ausgebildet hat, entsteht nach Heidegger nicht daraus, dass er sich die Welt aneignen und für sich nutzen will, sondern daraus, dass er darüber hinaus ein dynamisches Wesen mit Seinsbezug ist, das (be)deutungsoffen ist. Insofern muss der Mensch das Zubedenkende mögen, damit er denken lerne. Mögen aber heißt seinlassen. Nur wenn man das Zubedenkende sein lässt und es auf sich zukommen lässt, damit freigibt und offenhält und nicht herausfordert und erwirken möchte, dann zeigt sich das Wesen des Denkens von sich her. Wer nämlich zu viel will, kann oft zu wenig, fasst Heidegger diese Haltung okzidentalen Naturbeherrschungswillens zusammen. 13 »Denn wir vermögen nur das, was wir mögen.« 14 P. Stekeler-Weithofer, Was heißt Denken?, a. a. O., S. 21 ff. Ebenda, S. 23. 12 Vgl. M. Heidegger, Was heißt Denken, GA 8, S. 79. 13 Vgl. ebenda, S. 3. 14 Neben Heideggers Was heißt Denken? vgl. auch M. Heidegger, Das Abendländische Gespräch, GA 75, S. 89. 10 11

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Gemeint ist damit nicht, dass wir Menschen das Denken nicht mögen, weil es zu viel von uns verlangt oder zu anstrengend ist. Vielmehr ist damit gemeint, dass die Rahmenbedingungen dessen, was der Mensch an Möglichkeiten des Denkens ausschöpfen kann, nicht erzwungen werden können, sondern dieses geschenkte Vermögen sozusagen ›geliebt‹ werden muss. ›Mögen‹ ist eine Haltung der Beziehungsaufnahme, die Halt, also Sinn und ein Zuhause bzw. eine Heimat gibt und sich insofern vom üblichen gegenständlichen Gabentausch unterscheidet. Sie engt nicht ein, sondern schenkt – wenn man das Andenken an die Ursprünge behält und somit die Bedingung für gegenseitiges Mögen schafft – Freiraum für Entwicklung. Sie springt vor und nicht ein. Sie lässt wachsen, ist gelassen und geduldig, lässt etwas in sein eigenstes Wesen, in seine Möglichkeiten, in sein Seinkönnen kommen. Insofern ist das Bedachte das mit Andenken Beschenkte, weil es im Mögen vermocht wird. 15 Wie aber ist das Zubedenkende und das Mögen zusammenzudenken? Das Zubedenkende hat sich nach Heidegger als wissenschaftlich-technische Zurichtung von Welt schon lange vom Menschen abgewendet. Es ist zur Wissenschaft geworden, die den Phänomenen gegenübersteht und ein Wissen über sie mit allen möglichen Methoden und Werkzeugen abringt. Damit lässt sie gerade nicht ins Wesen kommen, sondern erzwingt und erwirkt Ergebnisse. Wissenschaft schafft Wissen. Denken aber bedenkt das gestiftete Wort. Zwischen Denken und Wissenschaft besteht daher eine Kluft. Von der Wissenschaft zum Denken gibt es keine Brücke, sondern nur einen Sprung. Denken erlangt bei Heidegger somit die Bedeutung der Negierung alles bloß Wissbaren und wissenschaftlich Akkumulierbaren. Es wird damit im Modus ironischer Kontrarität aufgefasst. Das Zudenkende entzieht sich und zieht den Menschen mit, indem dieser sozusagen im Gezogenwerden auf das Sichentziehende zeigt. »Der Mensch ist gezogen in das Sichentziehende, auf dem Zug in dieses und somit zeigend in den Entzug, ist der Mensch allererst Mensch.« 16 Der Mensch ist also ein Zeigender und sein Wesen, also das, was ihm das Zeigen gewährt, ist das Zeigende selbst. Das Zeigende ist aber das Zeichen. Als Zeichenhaftes deutet, also orientiert sich das Wesen des Menschen nicht am Entborgenen, sondern vor allem am Sichentziehen selbst. So bleibt das Wesen des Menschen immer 15 16

Vgl. M. Heidegger, Was heißt Denken?, GA 8, S. 3. Vgl. ebenda, S. 10.

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ein wenig orientierungslos und deutungsoffen. Heidegger drückt dies mit dem Hölderlin-Wort aus der Hymne Mnemosyne aus: »Ein Zeichen sind wir, deutungslos«. 17 Aber Heidegger ist durchaus nicht der Meinung, dass der Mensch der Neuzeit gar nicht mehr denkt oder noch nie denken konnte. Vielmehr ist er immer schon ›unterwegs im Denken‹ und ›auf dem Weg des Denkens‹. 18 Doch die Offenheit für das Sein, die das Denken vorbereiten kann, rettet den Menschen noch nicht aus der Gefahr, nämlich der Gefahr des Geschicks, zum Gestell zu werden. Für diese Rettung ist die Offenheit des Bezugs zum Sein zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung. Hinreichend kann sie erst werden, wenn das Denken den Nebel gegenüber dem Sichentziehenden aufzureißen imstande ist. Der Riss, von dem Heidegger redet, soll dabei die gegenseitige Beziehung von Sein und Mensch markieren. Das Denken darf diesen Riss nicht überdecken, weil es so den Weg ins Metaphysische mitverdeckt. Es ist der Bezug des Seins zum Menschenwesen als Beziehung dieses ›Wesens zum Sein‹, das hinsichtlich seines Wesens und seiner Wesensherkunft noch nicht bedacht ist, wie Heidegger am Ende von Was heißt Denken? schreibt. 19 Diese Beziehung ist es, die alles trägt. Sie kommt für Heidegger schon am Anfang des Menschseins zur Sprache und wird in den Hauptsätzen von Parmenides und Heraklit gedacht. An seinem Versuch, das Sein zu denken, wird klar, dass alles echte Denken schwierig bleibt. Im Humanismusbrief baut das Denken noch am Haus des Seins. Nun verfügt das Sein in gewisser Weise über den Menschen. Es verfügt, dass das Wesen des Menschen darin bestehe, die Wahrheit des Seins ihm adäquat, also phänomen-ent-sprechend zu denken. Die Mehrdeutigkeit der Wortfamilie ›Fuge‹, ›verfügen‹, ›fügen‹, ›fugen‹, ›Verfügbarkeit‹, ›Verfügung‹ – beim Hausbau und in der Musik, aber auch als Macht-Begriff ist ebenso wie die bildhafte Sprache von Heidegger bewusst intendiert und wird nicht nur als Stilmittel und zur Originalitätssteigerung eingesetzt. Wenn Heidegger schreibt, dass die Wissenschaft nicht denkt, dann meint er vor allem, dass im wissenschaftlichen Normalbetrieb F. Hölderlin, Mnemosyne (bzw. Die Schlange, Das Zeichen oder Die Nymphe), so zitiert bei M. Heidegger, Was heißt Denken?, GA 8, S. 10. Vgl. zur Deutung dieser Passage auch P. Stekeler-Weithofer, Was heißt Denken?, Kapitel IV–VI, a. a. O., S. 25– 47. 18 M. Heidegger, Was heißt Denken?, GA 8, S. 19. 19 Ebenda, S. 68. 17

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keine Zeit, keine Gelegenheit und keine geeignete Sprache für ein wesentliches Denken bleiben. Sie ist rahmenblind, weil sie die Bedingungen ihres eigenen Umgangs mit den Phänomenen in der Welt nicht genug im Blick hat. Wissenschaft hinterfragt ihr eigenes Projekt nicht mehr. Sie ist betriebsblind geworden. Und in dieser Betriebsblindheit neigt sie zu Selbstüberschätzung. Ihre Selbstüberschätzung drückt sich im Gedanken der Beherrschung der Welt aus. Ihre Betriebsblindheit verleugnet die Vernutzung aller Ressourcen. Der tendenziell konservative und provinzielle Charakter von Wissenschaft und Technik ist es jedoch, der – schlimmer als alle Weltbeherrschung oder Naturvernutzung – das Grundproblem des Verlustes des prinzipiell offenen und dynamischen Wesens des Menschen – in sich birgt. Es ist die strukturelle Gefahr, auf hohem materiellem Niveau Freiheit und Selbstbewusstsein zu verspielen, indem man sich ein diamantenes Denkgefängnis gebaut hat und sich selbst damit einzwängt. 20 Aus diesem Gefängnis, das die eigentliche Gefahr für die Freiheit und Würde des Menschen bedeutet, kann der Mensch nicht vollständig entrinnen, weil das Sein selbst diese Form für das Dasein vorgesehen hat. Eine Ironie des Schicksals? – Nach Heidegger ist dieser Situation nur noch ironisch und gelassen zu begegnen. Gelassenheit Heidegger sieht sich selber in der Position des Bewahrers des Andenkens des Seinsdenkens und damit des richtigen, besinnlichen Denkens, das sich im Unterschied zum rechnenden Denken, das ›nie still‹ ist, auf das Warten und Einüben einlassen muss. 21 Wesentliches Denken und Reden reflektiert auf den Gesamtrahmen des eigenen Tuns. 22 Heideggers Rede über Gelassenheit wahrt als Gedenkrede die angemessene Form des Andenkens. Dabei birgt die narrative Form natürlich immer die Gefahr, entweder zu predigen oder nur noch zu unterhalten und nicht wirklich zur Besinnung auf die Person und das Werk beizutragen. Doch solch ein Gerede ist Heidegger fremd. Solche Rede unterscheidet sich nicht von der Gedankenarmut und Gedankenlosigkeit, die oft in Zeitgeistberichten waltet, so Heidegger. Auch der Inhalt der Rede über die Gelassenheit entspricht dem Charakter. Er ist weit entfernt von einer Verdammung des rechnenden 20 21 22

Vgl. P. Stekeler-Weithofer, Was heißt Denken?, a. a. O., S. 91. M. Heidegger, Gelassenheit, GA 13 und GA 16, S. 13. Vgl. Stekeler-Weithofer, Was heißt Denken?, a. a. O., S. 23.

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Denkens und der damit verbundenen Dominanz moderner Technik – auch wenn er vor Atomkraft und Genmanipulation warnt. »Wir können ›ja‹ sagen zur unumgänglichen Benützung der technischen Gegenstände, und wir können zugleich ›nein‹ sagen, insofern wir ihnen verwehren, daß sie uns ausschließlich beanspruchen und so unser Wesen verbiegen, verwirren und zuletzt veröden. […] Wir lassen die technischen Gegenstände in unsere tägliche Welt herein und lassen sie zugleich draußen, d. h. auf sich beruhen als Dinge, die nichts Absolutes sind, sondern selbst auf Höheres angewiesen bleiben. Ich möchte diese Haltung des gleichzeitigen Ja und Nein zur technischen Welt mit einem alten Wort nennen: Gelassenheit zu den Dingen.« 23

In seinen Erörterungen zur Gelassenheit 24 ändert Heidegger wiederum seine Darstellungsform. Er wählt nun die Dialogform, und zwar den (gestellten) mündlichen Dialog, die Unterhaltung bzw. das Gespräch. Ebenso wie beim Einsatz etymologischer Mittel erinnert diese Verfahrensweise stark an Platons Dialoge. Heidegger verfolgt also einen Rückgang zu älteren Argumentationsstrategien: Vom strengen systematischen Argumentieren nach Form des Deduzierens, wie sie in der Moderne und bis Aristoteles praktiziert wird, hin zur Herstellung von Zustimmungsbereitschaft, wie sie in Platons Dialogen beispielhaft vorgeführt wird. Die Tendenz ist dabei, zur sentenzhaften Verdichtung zu kommen, wie sie in den Fragmenten der Vorsokratiker zu finden ist. Hier findet also ein Rückgang von der analytischzerteilenden Logik hin zur synthetisch-verdichtenden Logik statt. Heideggers Gespräch ist dabei ein Schritt, dorthin zu gelangen. Es ist ein fingiertes Feldweggespräch über das Denken. Die Unterredung erfolgt zwischen einem Forscher, einem Gelehrten und einem Lehrer. Leitmotiv ist die Frage nach dem Zusammenhang von Gelassenheit und Denken. Die drei Protagonisten treten im Laufe des Gespräches ihre Gedanken sozusagen los, bewegen sich – auch dies wieder ein Indiz für die Entsprechung von Denken als dynamische Tätigkeit und Darstellungsform. Die drei Personen können entweder für drei

M. Heidegger, Gelassenheit, GA 13. und GA 16, S. 23 (Kursivierung Heidegger). M. Heidegger, Zur Erörterung der Gelassenheit. Aus einem Feldweggespräch über das Denken. Diese Schrift soll angeblich aus einem 1944/45 niedergeschriebenen Gespräch zwischen einem Forscher, einem Gelehrten und einem Lehrer entnommen sein. In Wirklichkeit scheint mir der Text jedoch ein fiktives Gespräch des Autors mit sich selbst zu sein. Vgl. auch M. Heidegger, Gelassenheit, GA 13. und GA 16, S. 72.

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unterschiedliche Personen stehen oder für drei mögliche Positionen Heideggers selbst. Die Frage ist, was verändert sich durch die bewegt-lebendige Dialogform. Es verändert sich vor allem der Duktus der Rede. Hier ist nicht mehr nur eine Person verantwortlich für die Wahrheit des Gedachten und Vorgestellten. Vielmehr ergibt sich im Gespräch ein gegenseitiges Angewiesensein als Voraussetzung dafür, überhaupt den Dingen auf den Grund zu kommen – gemäß des Nietzsche-Wortes, dass Wahrheit mit zweien beginnt. 25 Denkerische Wahrheitssuche, die sich im Gespräch, in der Versammlung mehrerer Menschen entwickelt, ist ein praktisches Vollzugshandeln, bei dem die Anteile nicht immer klar zu scheiden sind, sondern im Gespräch ein Gemeinsames entsteht. Für diese Interpretation spricht auch, dass Heidegger seine Erörterungen in ergänzenden Satzteil-Akkorden, gleichsam beschwingt und ausgelassen über das gemeinsame ›In-dieNähe-hinein-sich-einlassen‹ enden lässt. 26 Diese Interpretation drängt sich umso mehr auf, als deutlich erkennbar ist, wenn auch implizit bleibt, wie die Figuren besetzt sind: Der Forscher steht für den rahmen- und betriebsblinden Wissenschaftler, der Gelehrte für den Philosophen, der einen gewissen Tief- und Weitblick hat, und der Lehrer für den Denker beziehungsweise Heidegger selbst, der mit den Phänomenen noch praktisch verbunden ist. Damit kehrt er den Status der drei um: Der Lehrer scheint am nächsten an den Phänomenen zu sein, der Wissenschaftler am weitesten von ihnen entfernt. Der Lehrer stellt sich nicht über den Gelehrten und den Forscher, sondern – und das drückt die Position des Lehrers ja hierarchiemäßig aus – als Lernender gegenüber den Gelehrten und Forschern. Doch nach einigen Zeilen wird klar, dass der lernende Lehrer eigentlich ›denkender‹ ist als der Gelehrte und der Forscher zusammen, weil die beiden – jedenfalls anfänglich – in ihrem Weltverständnis gefangen sind. Der Lehrer beziehungsweise Lernende, also der eigentliche Denker Heidegger, bleibt also auf die Philosophie und die Wissenschaften angewiesen, um sich sogleich kontrastreich von diesen abzusetzen. Der Wissenschaftler resp. der Forscher erscheint in Heideggers Dialog als derjenige, der schnell nach Ergebnissen sucht und nach Vorstellungen, die in sein Weltbild hineinpassen. Der Philosoph resp. Gelehrte bringt sein enzyklopädisches und philologisches Wis25 26

F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, KSA 3, Aphorismus 260. Vgl. M. Heidegger, Erörterungen zur Gelassenheit, GA 13 und GA 16, S. 70 f.

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sen ein und reproduziert in diesem Rahmen immer wieder nur Fremdgedachtes, statt selber zu denken. Der lernende Lehrer jedoch zieht den Gelehrten und den Forscher in den Nachvollzug der Praxis des Gelassenwerdens, des Wartens und Offenhaltens ohne Vorstellungen, Wissen und schnelle Resultate fordernd hinein. Heideggers Feldweggespräch lässt sich demzufolge als eine Beschreibung seiner eigenen philosophischen Arbeit und Denkbewegung verstehen. 27 Der heutige Mensch ist auf der Flucht vor dem Denken, schreibt Heidegger 1955, seinen Gedanken aus dem Feldweggespräch wieder aufgreifend. 28 Die zunehmende Gedankenflucht und Gedankenlosigkeit kann nur vermindert werden, indem man sich auf eine zweite Art von Denken neben dem rechnenden Denken besinnt. Deshalb bedarf es zuvörderst eines besinnlichen Nachdenkens. Mit Besonnenheit soll dem nachgedacht werden, was in allem waltet beziehungsweise was alles und jeden durchwaltet. In der Besonnenheit klingt sogar das Moment des Lichten als Metapher für das Wahre an. Der Unterschied zum rechnenden Denken besteht in der Veränderung der Denkhaltung: Das besinnliche Nachdenken ›verweilt‹ beim schwer zu denkenden Nächstliegenden und ist dort heimisch. Es lässt sein und vereinnahmt nicht – weder das Seiende (zum Beispiel wie Descartes als res corporae) noch das Sein (zum Beispiel als höchsten Wert). Es lässt alles entgegenkommen. Auch, dass alles in Bezug auf den Menschen selbst verstanden wird, sollte seingelassen werden. Gelassenheit hat mit Loslassen zu tun. Daher bedarf es nicht nur der Besinnung auf das Wesen des Denkens beziehungsweise auf den Menschen als denkendes, sich versammelndes und sprachliches Wesen, sondern auch auf diejenigen Instanzen, die den Menschen in diese ausgezeichnete Position gebracht haben und dort halten: das Sein. Der Grund, dass der Mensch möglicherweise noch nicht gut und angemessen zu denken vermag, liegt dann vielleicht daran, dass er noch nicht mit der Sprache und mit der eigenen Geschichte so umgehen kann, wie es ein selbständiges Denken verlangen würde. 29 Was Heidegger also verlangt

Der Denkweg, der für den späten Heidegger immer wichtiger als Ziel bzw. der zum Ziel selbst wird, soll auch sprachmethodisch berücksichtigt werden. Eine Andeutung darauf gelingt Heidegger auch, indem er ein ›zufällig‹ aufgezeichnetes Gespräch vortäuscht. Was nämlich bei einem solchen Feldweggespräch nicht möglich ist, ist, es festzuhalten und zu materialisieren. 28 M. Heidegger, Gelassenheit, GA 13 und GA 16, S. 12. 29 Vgl. P. Stekeler-Weithofer, Was heißt Denken?, a. a. O., S. 23 f. 27

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bzw. worauf er aufmerksam macht, ist wach zu sein für die eigene Haltung, das eigene Wollen und die eigene Sprache. Weil der höhere Sinn, der in allen technischen Vorgängen ruht, für Heidegger nicht in der Gewalt des Menschen liegt, sondern verborgen ist, kann er auch deren Veränderung nicht erwirken. Der Mensch kann sich lediglich gelassen offen halten für diesen Sinn, dieses Geheimnis. Beides gehört zusammen: die Gelassenheit zu den Dingen und die Offenheit für das Geheimnis, denn beide gewähren dem Menschen, sich in einer besinnlichen Form in der Welt aufzuhalten. Deshalb wäre für Heidegger, der hier einen Versöhnungston mit der Technik anschlägt, auch das allerschlimmste Ereignis noch nicht das Tragische an sich. Es wäre nur der faktische und finale Ausdruck von etwas noch Tragischerem, nämlich dass der Mensch sein eigenstes, nachdenkliches Wesen verleugnet hätte. Das eigentlich Unheimliche und Gefährliche der modernen Zeit kommt für Heidegger also nicht daher, dass die Welt durch und durch technisch geworden ist, sondern daher, dass der Mensch auf die Weltverwandlung nicht vorbereitet ist, weil er nicht zu einer sachgemäßen Auseinandersetzung mit seinem Zeitalter fähig ist. 30 Auch hier gilt nicht ein Mehr derselben metaphysischen Haltung, sondern eine von bisherigen radikal unterschiedene Haltung zu gewinnen. Diese neue Haltung ist aber nicht in einer engagierten Anti-Technik-Position, sondern in ironischer Negierung jeglicher engagierter Betriebsamkeit des wissenschaftlich-technischen Zeitalters zu suchen. Da der sich verbergende Sinn für Heidegger das Geheimnis selbst ist, muss im Wort ›Geheimnis‹ immer auch das ›bergende Heimische‹ mitgehört werden. Insofern gehört zur Gelassenheit neben der Veränderung der Sehweise auf die Dinge auch eine Offenheit für das Geheimnis. Gelassenheit als ein Seinlassen wird zu einer ausgezeichneten Form des Handelns. Im Unterschied zum mystischen Appell zur Gelassenheit, der auf Aufgabe des Eigenwillens, Abkehr von allem Weltlichen und Versinken im Grund des Göttlichen Willens abstellt, appelliert Heidegger nicht daran, sich von den Dingen abzuwenden. Er appelliert gar nicht mehr, sondern denkt sozusagen nach und vor. Er demonstriert ein waches, aber gelassenes Bewusstsein für die Dinge als vorbildliches Denken. Heideggers Gelassenheit hat also nichts mit Interesselosigkeit, Gleichgültigkeit oder passiver Teilnahmslosigkeit, Resignation, Kritiklosigkeit oder geistiger Ver30

M. Heidegger, Gelassenheit, GA 13 und 16, S. 20.

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armung zu tun. Wie Kettering beschrieben hat, ›will‹ Heidegger im Gegensatz zum mystischen Denken nicht nur den Eigenwillen, sondern vielmehr das Willensdenken überhaupt überwinden. 31 Es ist in diesem Sinne kein vorstellendes oder konstatierendes Denken, sondern ein Denken, das transzendentalphänomenologisch das Horizonthafte als die dem Menschen zugewendete Seite entbirgt. Das vorstellende Denken ist begrenzt. Es gelangt immer nur bis zum Sichtbaren, Horizonthaften. Das gelassene Denken hingegen lässt das Offene, Horizonthafte auf sich zukommen. Gelassenheit ist somit eine der schwersten Haltungen überhaupt. Der heutige Mensch vermag sie nach Heidegger noch nicht. Vergegnis, Bedingnis, Erfahrnis In den späten Texten schöpft Heidegger eine Vielfalt neuer Worte. Dabei greift er zum Teil auf seine schwäbische Heimatsprache zurück, zum Beispiel beim Wort ›die Gegnet‹. 32 Er versucht darin nicht nur Zufälligkeit, sondern zugleich eine innere sprachliche Logik zu erkennen. Diese drückt sich vor allem in der Bedeutungsverleihung an sich im Deutschen unterbestimmter Prä- und Suffixe aus. So wird ›Ge-‹ besonders gern für Zusammenfassungen oder Verdichtungen nach Vorgabe solcher Worte gebraucht wie bei ›Ge-birge‹ oder ›Ge-bäck‹. Nach eben dieser Form sind auch ›das Ge-stell‹ und ›das Ge-viert‹ bei Heidegger gebildet. Auch das ›Ge-dachte‹ bekommt in Anlehnung an das ›Ge-dicht‹ auf diese Weise einen besonderen Status, nämlich den der kooperierenden Versammlung und kommunikativen Verdichtung bzw. der empraktischen Konzentration. Gleichwohl schwingt in solchen permutierenden Wortschöpfungen noch mehr mit. Der Terminus ›die Gegnet‹ ist kein ›Gegen‹, wie es in der Gegend anklingt und leicht missverständlich als ein gegenständlich gedachtes Entgegenkommen oder Entgegenstehen von Objekten interpretiert werden kann. Vielmehr soll die Gegnet die Eigen-Bewegung des Gegnens und die besondere Art der offenen Haltung des Be-gegnens herausheben, die im Kontrast zum (Be)Wirken steht und daher auf andere Weise auch bedacht werden muss. Die Gegnet ist auch keine bestimmte Gegend, sondern vielmehr die Versammlung aller MöglichE. Kettering, Das Denken Martin Heideggers, a. a. O., S. 253. »Weil das Öffnende des Offenen die Gegnet ist, versuchte ich, losgelassen aus dem Vorstellen, rein nur der Gegnet überlassen zu bleiben.« M. Heidegger, Gelassenheit, GA 13 und GA 16, S. 44.

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keitsbegegnungen. Sie ist Gegend aller Gegenden. »Das Walten der Gegend beziehungsweise Gegnet verbildlicht Heidegger«, so Kettering, »mit den Attributen ›freie Weite‹, ›Weile‹, ›gegnen‹, ›versammeln‹, ›zurückbergen‹, ›beruhenlassen‹, ›bedingen‹ und ›vergegnen‹. […] ›Gegnet‹ ist zumal ›Weite‹ und ›Weile‹. Ihr Gegnen versammelt jedes zu sich und alles zueinander in ein Verweilen und birgt solchermaßen alles zum Beruhen in sich selbst zurück. Die Gegnet bewegt in zweifacher Hinsicht: ›Sie verweilt in die Weite des Beruhens. Sie weitet in die Weile des frei In-sich-gekehrten.‹ (Gelassenheit, S. 40) Das bergende In-sich-selbst-beruhen-lassen und das frei In-sich-kehren-lassen der Gegnet ermöglicht es dem im Offenen der Gegnet Anwesenden, sich so zu zeigen, wie es an ihm selbst und von ihm selbst her, d. h. unbeeinträchtigt von der Gewaltsamkeit unseres Vorstellens und Bestellens, west.« 33

Die Gegnet meint – ebenso wie Weile und Weite – sowohl die Bewegung des Gegnens als auch die Bewegung des Verweilens und Weitens zugleich. Es ist das zugleich synekdochische Zusammen eines inzwischen sprachlich-etymologischen Mitverstehens als auch das ironische Sichabgrenzen zu alten Bedeutungen, die versucht wird. Schon in seiner Abhandlung Der Spruch des Anaximander von 1946 hat Heidegger das ›Anwesende‹ als das ›Je-weilige‹ und dessen ›Weile‹ aus der Bewegung des Hervorkommens und Weggehens, damit letztlich aus dem entbergend-verbergend-bergenden Wahrheitsgeschehen bestimmt. 34 Das heißt, das Offene der Gegnet begnet als verweilende Weile. In ihr ändert sich der Begegnischarakter der Dinge. Sie stehen nicht mehr als Gegenstände entgegen, sondern ›ruhen in der Weile der Weite eines frei In-sich-selbst-gekehrten beziehungsweise Insich-zurück-geborgenen‹. 35 Die Dinge stehen daher auch in einem entsprechenden Verhältnis zur Gegnet, nämlich in der ›Bedingnis‹ als Zulassen und Gewährenlassen des ›Dingens‹ von Welt, also des Vergegenständlichens. Die Dinge zeigen sich in ihr so wie sie sich uns eben zeigen. 36 Der Präfix ›Be-‹ könnte auf eine bestimmte Verbindung mit ›Be-sorgen‹ und ›Be-wandt-nis(ganzheit)‹ verweisen. Heidegger nutzt den Präfix ›Be-‹ für bestimmte Weisen, wie Phänomene dem Menschen begegnen 33 34 35 36

E. Kettering, Nähe, a. a. O., S. 254. M. Heidegger, Holzwege, GA 5, S. 323 und 327 ff. Ebenda. Ebenda.

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können. ›Be-‹ ist immer eine rahmende Vorgabe, die eine bestimmte Haltung erfordert. Sie drückt sich ebenso in solchen Worten wie ›Befindlichkeit‹, ›Be-stimmung‹, ›Be-sorgen‹, ›Be-ruf‹ aus. Die Verbalisierung von ›Ding‹ zu ›dingen‹ negiert den geradezu unverflüssigbaren Charakter des Dinglichen. Heidegger versucht in seinen späten Texten das beinahe sprachlich Unmögliche: Er infinitisiert das NichtInfinitisierbare, holt das Ding aus seinem Objektcharakter heraus und zieht es in die Praxisvollzüge zurück, in denen sie nicht mehr nur als Dinge aufscheinen. Von der Bedingnis unterscheidet Heidegger die Ver-gegnis. Im Wort ›Vergegnis‹ sind zwei Ebenen zusammengebracht: die Vergangenheit und Verborgenheit. Der Präfix ›Ver-‹ verweist dabei auf einen vorläufigen Abschluss einer Handlung oder das Gegenteil von etwas bzw. eine Negativierung, wie bei Ver-ankerung, Ver-bot, ›ver-arzten‹ oder ›Ver-fall‹. Das Suffix ›-nis‹ bei ›Bedingnis‹ und ›Vergegnis‹ übernimmt die gleiche ›Bedeutung‹ wie in ›Ereignis‹. Er stellt dort den aus einer Initialzündung oder Ursprung hervorgegangenen Fortgang eines Prozesses dar, wie etwa auch bei Ereignis oder Erlebnis. Gleichzeitig zeigt das Präfix ›ver-‹ an, dass ›etwas‹ noch nicht völlig verloren und vergessen ist, sondern noch als sprachliche Spur zu finden ist. So ist die Vergegnis schließlich diejenige sprachliche Wortneuschöpfung, die den wartenden Bezug der Gegnet zum gelassenen Menschen ausdrücken soll. Der Bezug des Menschenwesens zur Gegnet, das Warten, das sich in das Offene einlässt, und der Bezug der Gegnet zum Menschen, die Vergegnis, die dem Menschen Weite und Weile gibt, sind wechselweise aufeinander angewiesen, wenn auch der Vergegnis der Primat der größeren Mächtigkeit und Vorgängigkeit zukommt. Einige Autoren setzen Gegnet auch mit Nähe zum Sein synonym. 37 Es geht Heidegger in seinem Aufsatz Gelassenheit also nicht mehr nur um den wechselweisen Bezug von Mensch und Sein beziehungsweise Sein und Mensch, der ja auch im logischen Paradigma des Metonymisch-Metaphysischen als Bewirken missverstanden werden könnte, sondern um das Vollbringen eines gegenseitigen MögensBezuges von Gegnet und Mensch, eines Zusammenhangs der drei Bestandteile des λόγοσ: Denken, Sprache und versammelndes Gespräch. »Die Gelassenheit zur Gegnet ist das Denken nur als die Vergegnis der Gelassenheit, welche Vergegnis die Gelassenheit in die 37

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Vgl. E. Kettering, Nähe, a. a. O., S. 255.

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Gegnet eingelassen hat.« 38 Das heißt, als Weile und Weite ist die Gegnet Zeit-Ort und Raum-Ort zugleich für jegliches Erscheinen eines Dinges, weil sie zeitgebend und raumgebend ist. Heidegger nennt die Gegnet in späteren Schriften auch ›Zeit-Spiel-Raum des Seins‹. 39 Sie ist die Lichtung, von der Heidegger schon in Sein und Zeit gesprochen hat, aber noch nicht adäquat, nämlich gelassen sprachlogisch im Modus einer synekdochalen Ironie zu erfassen vermochte. Als Lichtung ist die Gegnet immer schon in das Offene, die Weite des Fernen, eingelassen und hat ihren absoluten Fremdheitscharakter verloren. Sie wird heimatlich. Die Gegnet als Bewegungsform des offen haltenden Wartens bringt sozusagen in die Nähe dieser Ferne und verweilt in ihr. »Im gelassenen Warten nähern wir uns der zunächst fern erscheinenden Gegend«, fasst Kettering zusammen. »Genau genommen findet eine wechselseitige Annäherung statt: Im Warten nähern wir uns der fernen Gegnet, und in der Vergegnis nähert sich uns die Gegnet. Die Gegnet, die uns als fern oder nah erscheint, ist sowohl der Bereich von Nähe und Ferne als auch das Nähernde und Fernende selbst. Ihr ›Versammeln‹, ›Weiten‹, ›Verweilen‹, ›Bedingen‹ und ›Vergegnen‹ sind allesamt Weisen des Näherns. Dieses Nähern wahrt die Integrität der Dinge und des Menschenwesens, indem es bei allem Nähern eine wesentliche Ferne einhält und nicht ins Abstandlose zerrt, dessen Gefahren der Ding-Vortrag beschreibt. Die Gegnet selbst ist die ›Nähe der Ferne‹ und die ›Ferne der Nähe‹. Denken als Gelassenheit, das als Bezug zur Gegnet west, enthüllt sich dementsprechend als ›In-die-Nähe-gehen beziehungsweise als ›In-dieNähe-hinein-sich-einlassen‹.« 40

Insofern ist das Wesen des gelassenen Denkens das ›In-die Nähekommen zum Fernen‹, das sich aus der Gegnet als eine Weise des Sich-Näherns selbst bestimmt. Somit ist die eigentliche Heimat des Menschen die Gegnet als die Nähe. Die Gegnet ist der raum-zeitliche Ort des Spiels der gegenseitigen Annäherung von Mensch und Sein. Diese Annäherung ist weder nur theoretisch (etwa als Philosophieren) noch nur praktisch (etwa in religiös-spirituellen Riten). Das ursprüngliche Denken als ›gegnendes Denken‹ will nichts mehr ›bewirken‹ oder ›erbitten‹, es stellt nichts (Bestimmtes) vor, sondern ist reines Öffnen für einen Anspruch, ist reine Möglichkeit und größte Bewegtheit. 38 39 40

M. Heidegger, Gelassenheit, GA 13 und GA 16, S. 52. M. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, S. 52 (Kursivierung BK). E. Kettering, Nähe, a. a. O., S. 256 (Hervorhebung BK).

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Gelassenheit ist für Heidegger Weg und ›Be-wëgung‹ in einem. 41 Raumparadigmen fallen mit zeitlichen zusammen. Dieses gelassene Spiel des gegnenden Denkens wird im Spätwerk Heideggers synekdochisch und zugleich ironisch als inneres logisches Organisationsprinzip zum Ausdruck gebracht. Es gibt kein äußeres Maß, denn nur der Gelassene kann seine Gelassenheit ›er-fahren‹. Insofern muss es Heidegger notwendigerweise auch darum gehen, eine diesem Nähe vollbringenden, gelassenen Denken entsprechende Sprache und Logik zu finden. Die synekdochale Verdichtung im Mitverstehen des Prozessualen und Dynamischen einerseits und das ironisch-negierende Loslassen aller bisherigen Normen sind damit die dem Seinsnähe-Denken angemessenen logischen Darstellungstropen. Ohne diese so benannt zu haben, schöpft Heidegger deren logische Kapazitäten aus. Bauen, Wohnen, Denken Das wissenschaftlich-technische Denken hat als Gestell zu Seinsferne geführt. 42 Die damit verbundene ›Abgründigkeit‹ und ›Bodenlosigkeit‹ zeigt sich als Seinsvergessenheit. Die Gefahr, die diese Seinsvergessenheit in sich birgt, ist, dass das Vergessen das Wesen des Menschen gefährdet. 43 Die Seinsvergessenheit und Seinsferne zeigt sich für Heidegger konkret historisch im Atomzeitalter, damit der Unbeherrschbarkeit der geschaffenen und zum Gestell gewordenen Dinge. Es bedarf daher eines neuen ›Bodens‹, auf dem der Mensch wohnen und heimisch werden kann. 44 Und es bedarf vor allem einer nachhaltigen Weise des Wohnens und Heimischseins. Dieses Wohnen und Heimischsein muss erst wieder gelernt werden, denn Wohnen meint nicht nur so etwas wie eine Unterkunft haben, etwa in Flüchtlingscontainern. Wohnen und heimisch sein ist nicht eine Daseinsweise des Menschen unter anderen, sondern ist die ausgezeichnete Weise

Das Wort: ›Be-wëgung‹ kennzeichnet Heidegger auf neue Weise, weil diese Bewegung kein Ziel ansteuert. Es ist nur Bewegung, freies Spiel. Es hat keinen Nutzen und ist trotzdem das Wichtigste, das es nach Heidegger zu vollbringen gilt. 42 E. Kettering, Nähe, a. a. O., S. 257. 43 Vgl. W. Giegerich, Die Atombombe als seelische Wirklichkeit. Versuch über den Geist des christlichen Abendlandes, Freiburg im Breisgau 1988. 44 Damit ist demzufolge keine Blut-und-Boden-Politik benannt. Vgl. auch S. Weil, Die Einwurzelung. Einführung in die Pflichten dem menschlichen Wesen gegenüber (frz. L’Enracinement), München 1956. 41

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des Menschen, auf der Welt zu sein. »Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen.« 45 Wie an Heideggers Hölderlin-Interpretationen abzulesen ist, haben das Wohnen und das Heimkehren einen hohen Stellenwert. Heidegger fasst Hölderlins gesamtes Dichten schließlich auch als ›Sorge um die Heimkehr und dichterisches Wohnen des Menschen auf der Erde‹ auf. Bereits in Sein und Zeit und im Humanismusbrief spielt das Wohnen eine tragende Rolle als wohnendes In-der-Welt-sein und als in der Nachbarschaft des Seins Wohnen. Dort wurde wohnen als ›hüten‹ und ›wahren‹ bestimmt. Ethos, gr. ἔθος/ἦθος, 46 von gr. οἶκος, dt. Haus(gemeinschaft), abgeleitet, wird dabei von Heidegger verstanden als das Wo und Wie des Wohnens, als Versammlungsbau, die zugrunde liegende ethische Komponente. 47 Wenn Ethos und Oikos von Heidegger zusammengedacht werden, dann ist damit die Gesamthaltung gemeint, für das ›Wohnen‹ und Heimischsein in der Welt verantwortlich zu sein, sich darum gemeinschaftlich zu sorgen. Dazu gehört für Heidegger offensichtlich wesentlich, das eigene Seinkönnen nicht zu vergessen, sondern zu hüten und zu wahren. In den Vorträgen Bauen Wohnen Denken von 1950/51 geht es dann auch um die enge inhaltliche und auch sprachliche Verwandtschaft des ›Wohnens‹ mit dem Dichten, Danken und Denken und sogar Bauen. Für Heidegger offenbart die Sprache, die den Menschen als Medium des Sprechens nutzt, dem wesentlichen, das heißt auch gelassenen Denken, das Bauen als ein Wohnen. Das althochdeutsche Wort für bauen ›buan‹, bedeutet nichts anderes als ›wohnen‹ im Sinne von ›bleiben‹ beziehungsweise ›sich aufhalten‹. 48 Heidegger verweist darauf, dass ein Nachklang dieses ursprünglichen Bezugs noch im M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 141. Beide Schreibweisen sind üblich, im ersten Sinne sind damit Sitte, Gewohnheit und Brauch gemeint, im zweiten Sinne auch Charakter und Sinnesart. Gemeint ist bei Heidegger eine Gesamthaltung, der eine überzeugte Grundeinstellung zugrunde liegt. Es steht nicht nur für das Verhalten einzelner, sondern auch für das Gefüge moralischer Verhaltensweise einer sozialen Gemeinschaft. 47 Ethos ist darüber hinaus auch eine der drei Arten der Überzeugung, nämlich die durch Autorität und Glaubwürdigkeit des Sprechers. Sie spielt für Heidegger, der sich dabei auf Aristoteles stützt, eine große Rolle, denn sie gehört mit den anderen beiden, Pathos (rednerische Gewalt und emotionaler Appell) und Logos (Folgerichtigkeit und Beweisführung), zusammen. Der Oikos ist der Versammlungsbau einer Kultgemeinschaft, an der ursprünglich der Herd für die Opferzubereitung stand. 48 M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 140. Auch hier schwingt das Wort ›Halt‹ als sinnstiftendes Moment mit. 45 46

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Wort ›Nachbar‹ zu hören sei: Der ›Nachgebur‹ oder ›Nachgebauer‹ ist derjenige, ›der in der Nähe gebaut hat‹ und auch in der Nähe wohnt. Noch interessanter aber ist, dass ›bauen‹, ›buan‹, ›bhu‹ und ›beo‹ etymologisch zum selben Stamm wie das Wort ›bin‹ gehören. ›Bin‹ beziehungsweise der Infinitiv ›sein‹ besagen auch nichts anderes als ›hingehören‹, ›heimisch sein‹ und ›wohnen‹. Insofern heißt ›bauen‹ ursprünglich ›wohnen‹ bzw. (heimisch) ›sein‹. 49 Nachbarn gehören zusammen, helfen einander, sind voneinander abhängig. Heideggers Betonung des sozialen Aspektes des Wohnens neben dem nachhaltigen und einwurzelnd-integrativen macht ihn gegen öfter geäußerte Vorwürfe eines Solipsismus und Individualismus immun. 50 Die ursprüngliche Weise des Bauens ist das Pflegen (lat. colere), nämlich als Anbau von Nahrungsmitteln, also das Herstellen von Lebensnotwendigem. Pflegen ist insofern ein kultureller Akt. Diese Verwendung erlangte dann auch Dominanz im Wort Bauen als Herstellungen von Behausungen, das nach Heidegger niemals unbedacht erfolgen sollte, sondern als seins-entsprechendes, damit nachhaltiges, sich einfügendes. Nach und nach, so die Vermutung Heideggers, gelangte der Grundzug des Bauens, das Wohnen, ins semantische Hintertreffen. Der Grundzug des Wohnens ist für ein Umdenken im Zeitalter der Atombombe und des wissenschaftlichen Denkens – wie es Heidegger nun nennt – notwendig. Der Grundzug des Wohnens bestehe nämlich nicht im Ressourcen verschlingenden Ausnutzen und Vernutzen, sondern im Schonen. Das Wort ›schonen‹ steht für Heidegger daher in nächster Verwandtschaft mit Gelassenheit und Denken als Seinlassen. Für Heidegger heißt ›wohnen als schonen‹ : ›etwas in die Hut nehmen‹, (be)hüten und wahren, ›etwas in sein Wesen bringen und es vor Schaden bewahren‹ – insofern ›pflegen‹. 51 Darin liegt nicht nur ein sorgender Aspekt, sondern auch ein ästhetischer inbegriffen, ist ›schonen‹ doch auch eine Ableitung zu ›schön‹ und zugleich ›schön behandeln‹ sowie ›schmücken‹. 52 Als Ort des schonenden wie schmückenden Wohnens der Menschen als Sterbliche wurde die Nachbarschaft zum ›Sein als Nähe des Ebenda. Auch mit dem Begriff des ›Mitseins mit Anderen‹ wird der Vorwurf des Solipsismus bereits abgewehrt, wenngleich die existenziale Einsamkeit, die zuweilen vereinzelt, den Anschein erweckt, als tendiere Heideggers Philosophie in diese Richtung. Vgl. auch T. Rentsch, Heidegger und Wittgenstein, a. a. O., S. 299 f. 51 Vgl. M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7. 52 F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, a. a. O., S. 740. 49 50

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Gevierts und der Gegnet‹ genannt. 53 Heidegger denkt sich dieses Geviert als viergliedrige Beziehung. Jedes der vier Segmente des Gevierts, Himmel und Erde, Göttliche und Sterbliche, also natürliche und kultürliche Gewalten, bedürfen nach Heidegger einer eigenen Weise benannter Schonung. Die Zahl vier bezieht sich dabei weniger auf die vier Elemente als vielmehr auf eine doppelte Relation beziehungsweise eine Analogie: Die Sterblichen verhalten sich zur Erde wie die Göttlichen zum Himmel, die eine viergliedrige Harmonie ausdrücken sollen. Dabei ist nicht klar benannt, wer die Göttlichen sind und was der Himmel in dieser Relation bedeuten soll. Was jedoch klar wird, ist, dass die Bestimmung des Menschen bei Heidegger aus der Verhältnissetzung zum Göttlichen und nicht als Abgrenzung zum ›Tierischen‹ zu gewinnen ist. Diese Verortung des Menschen zwischen Erde und Himmel erinnert stark an die Bestimmung des Menschen als un(ter)bestimmtes und daher freies Wesen, wie sie bereits Pico della Mirandola in seiner Schrift De hominis dignitate vorgeschlagen hat. 54 Voraussetzung, damit die Menschen als Sterbliche im Geviert wohnen können, ist, dass sie die Erde ›retten‹. Retten meint dabei Unterschiedliches: Erstens müssen sie die Erde in ihr eigenes Wesen freilassen, statt sie sich untertan zu machen und sie auszubeuten. Zweitens müssen die Menschen den Himmel als Himmel ›empfangen‹. Das bedeutet, sie müssen sich auf den ›Lauf der Gestirne einlassen‹, statt sie gewaltsam ändern zu wollen, sich also in und auf das Seinsgeschehen einlassen, sich diesem fügen. Die Menschen müssen drittens das Göttliche als das Göttliche ›erwarten‹. Das heißt nichts anderes, als dass die Menschen sich auf eine neue Ankunft, einen möglichen Anfang vorbereiten müssen. Und schließlich müssen die Sterblichen in das Wesen des Todes ›geleiten‹. Das meint, die Menschen müssen ihre wesenhafte Sterblichkeit finden, sozusagen

Vgl. ebenda. G. Pico della Mirandola, De hominis dignitate (1486) (dt. Über die Würde des Menschen), Stuttgart 1997. Der Mensch verdient nach Mirandola die höchste Bewunderung, weil er als Zwischenwesen in den Mittelpunkt der Welt gestellt wurde, aber weder als Himmlischer noch als Irdischer, weder als Sterblicher noch als Unsterblicher: »Wir sind geboren worden unter der Bindung, daß wir das sein sollen, was wir sein wollen. Daher muß unsere Sorge vornehmlich darauf gerichtet sein, daß man uns jedenfalls nicht das nachsagen kann, wir hätten, als wir in Ansehen standen, keinen Verstand gezeigt, dem Vieh und vernunftlosen Tieren ähnlich.« G. Pico della Mirandola, De hominis dignitate, a. a. O., S. 13. Der Mensch kann demzufolge ins Tierische entarten oder aus eigenem Willen gottähnlich werden.

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›den Tod vermögen‹, ihn als ein natürliches Element des Lebens aufnehmen, statt ihn überwinden oder in Griff bekommen zu wollen. 55 Das Hüten ist eine Form des Bewahrens und des sparsamen Gebrauchs, des Sichaufsparens von ›etwas‹, dessen Wert für die eigene Gegenwart manchmal nicht ersichtlich ist, weil die Verblendungszusammenhänge der eigenen Metaphysik die Sprache verstummen lassen oder zumindest stumpf machen. Das meint Heidegger, wenn er von der ›langbehüteten Sprachlosigkeit‹ der Menschen redet, die im Modus des (Metonymisch-)Metaphysischen mit dem Sein zugleich das Dichten vergessen haben. In der vergegenständlichenden Einseitigkeit der Metaphysik kann nämlich nur Sprachlosigkeit herrschen, wenn unter Sprache etwas Lebendiges, also Welt eröffnendes verstanden wird. Metaphysik in ihrer alles dominierenden Form tötet aber die Sprache in gewisser Weise ab, steckt sie in ein Gehege, gibt ihr das Korsett der metonymischen Vorhandenheitslogik, welche die Welt des Menschen nach ihren Kategorien absteckt. Not tut deshalb nach Heidegger, der Sprache mehr Freiraum (zurück)zugeben. Statt sie einzupferchen und ihr Geheimnisse abzupressen, muss sie wie eine Pflanze behütet und gepflegt werden, damit sie sich entfalten kann und die Transzendenz des Menschen, sein ek-statisches Wesensmoment sichert. Insgesamt gliedert sich das Schonen des Gevierts ebenso vierfach auf. 56 Dies geschieht nach Heidegger indirekt über das Schonen der Dinge, denn diese bergen das Geviert. Auf diese Weise erhält der Umgang des Menschen mit den innerweltlichen Dingen eine große Wichtigkeit für das Wohnenkönnen im Ganzen des Welt-Gevierts. Wie schon in Sein und Zeit im Kapitel über die Weltlichkeit der Welt und die Räumlichkeit der Umwelt beschrieben wurde 57, hält sich der Mensch immer schon bei den Dingen auf, ja sein Verhältnis zum Raum ist wesentlich durch sein Verhältnis zu den Dingen als Orte des mehr oder weniger Vertrautseins geprägt. Der Bezug des Menschen zu Orten und durch Orte zu Räumen beruht im Wohnen. Das Verhältnis von Mensch und Raum ist also nicht anderes als das weThomas Rentsch weist mit Walter Bröcker, einem Heidegger-Schüler, darauf hin, dass die Geviert-Konzeption, die Heidegger von Hölderlin übernimmt, eigentlich bereits auf Homer zurückgeht. Vgl. ders., Heidegger. Das Sein und der Tod, a. a. O., S. 215. 56 Vgl. W. M. Schröder, Politik des Schonens. Heideggers Geviert-Konzept, politisch ausgelegt. Attempto, Phänomena Bd. 13, Tübingen 2004. 57 Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, §§ 14–18 sowie §§ 22–24. 55

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sentlich gedachte Wohnen für Heidegger. 58 Dinge sind nicht im Raum angeordnet, sondern räumen das Geviert entweder als ›Zulassen‹ oder als ›Einrichten‹ ein. 59 Das Wesen des Bauens ist daher ein Wohnenlassen und nicht etwa die Raumaufteilung. Wohnen als Schonen geht nicht im Nur-Technischen auf, sondern versteht das Technische vor allem in seiner Weise des Hervorbringens. Wesentliches Bauen und Wohnen bleiben ans wesentliche Denken als Besinnung auf die Wahrheit des Seins zurückverwiesen. Bauen und Wohnen und Denken bedingen schließlich einander wechselseitig als Pflege, nachhaltige Kultur und liebendes Hüten. Das heißt, wer das wesentliche Denken im Sinne Heideggers vermag, kann auch das Bauen und Wohnen im Sinne eines mögend-vermögenden Einwurzelns lernen. Wer das Wohnen vermag, lernt auch wesentliches, also sich einfügendes Bauen und Heimischwerden. Der Mensch wohnt nach Heidegger also in einem sehr weiten Sinn bauend und denkend. Er wohnt dichterisch, wie Hölderlin schreibt, denn Dichten ist das ursprüngliche Wohnenlassen, indem es zweck- und vernutzungsfrei Möglichkeiten zu sein frei gibt, stiftet und offen hält. 60 Es erbaut sozusagen das Wesen des Wohnens. Es ist empfangend, nicht vereinnahmend. Dichten ist in diesem synekdochal-ironischen, das meint eingewurzelten-seinlassenden Sinne für Heidegger eine ›messende Maßnahme für das vermessende Wohnen aller Sterblichen auf der Erde‹. 61 Echte Dichtung empfängt und bewahrt Seinsnähe. Insofern ist der Dichter nicht nur jemand, der Gedanken in schöne Worte packt. Vielmehr ist er der Vermittler von Erde und ›Himmel‹. Er empfängt die ›göttlichen Winke‹ und fasst sie in Worte, die dann weitergegeben werden. Dabei birgt die poetische Art des Mitteilens für den überwiegenden Teil der Menschen ein großes Verständnisproblem, weil sie von der Ideologie des Exakten infiltriert sind. Die Mitteilung kann nicht in der gängigen allgemeinverständlichen Informationssprache weitergegeben werden, denn in Alltags- und in der Wissenschaftssprache ist dieses fürs Wohnen vermessende Seinsverhältnis des Dichters sprachlich nicht einfach substituierbar. Denn das vermessende Wohnen misst nicht in exakten und eindeutigen Worten, sondern M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 152. Vgl. ebenda. 60 F. Hölderlin, In lieblicher Bläue …, und besonders der für Heidegger programmatische Vers: ›dichterisch wohnet der Mensch auf dieser Erde‹, vgl. F. Hölderlin, Werke in einem Band, München, Wien 1990. 61 Vgl. M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 152 ff. 58 59

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sozusagen in polysemischen Versen, in vororientierenden Andeutungen, Narrationen und Verdichtungen, weil die Phänomene so entgegenkommen und sich der Übersetzbarkeit in eine einfache, bestimmende und handlungsorientierte Normalsprache entziehen. Heideggers Neologismen wie ›Geviert‹, ›Gegnet‹, ›Ereignis‹ usw. sind daher auch nur noch in Form von Dichtung beziehungsweise künstlerisch darstell- und verstehbar. Ein begriffliches Verfügen über sie nach Maßgabe metonymischer Zergliederbarkeit oder verdinglichender Metaphysik ist nicht zwar nicht unmöglich, engt die Bedeutungsmöglichkeit aber ein. Es nimmt ihnen so ihre assoziative und konnotative Offenheit und Verdichtetheit. Aber im Unterschied zu aller bildnerischen und wortlosen Kunst ist ihr Vorteil die sprachliche Verfasstheit, die es dem Denken verwandt macht. Eine ähnliche Vermittlerrolle, wie Heidegger sie dem Dichten zuschreibt, gilt auch für den Denker und das Denken. Der Denker darf sich jedoch nicht ›nur‹ den ›geschickten Stimmungen‹ hingeben und sie in treffende Worte fassen wie der Dichter. Er hat wacher zu sein für sein Tun und seine Denk-Werkzeuge, allen voran die Sprache, sowohl in ihrer Reichweite und ihren Grenzen als auch in ihrem Wesen. Wollte man Dichten und Denken miteinander vergleichen, so wäre das Dichterische der kindlich(-naive) impulsiv-intuitive Teil, das Denkerische hingegen der erwachsen(-sentimentalisch)-kontrollierende Teil.

11.2. Seinsdenken und Sprechen Das späte Denken von Heidegger kreist um das Wesen von Denken, Sprache und Dichtung beziehungsweise um wesentliches Denken, wesentliches Sprechen und wesentliches Dichten. Der besonnene Mensch greift auf alle Register der Sprache zurück, denn ›die Sprache ist das Haus des Seins‹. 62 Weil Dichten und Denken ausgezeichnete Weisen des Sprachgebrauchs sind, weil sie das Wesentliche zu sagen imstande sind, ist die Pflege der Sprache vornehmlich dichterischen und denkenden Menschen vorbehalten und aufgetragen. Weil sie die Nähe zur Wahrheit des Seins suchen und an sie denken, stiften sie Welt und richten sie sprachlich ein. Weil in der Sprache alle wesentlichen Bezüge des Menschen zum Sein und vom Sein zum Menschen zusammenkommen, gibt Sprache die topologische Bestimmung des 62

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Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 5.

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Menschen ab – nämlich gewissermaßen sowohl als Wohnraum als auch als lichtend-bergende Ortschaft des Seins zu sein. Sprache ist für Heidegger eine ›Wesensfolge der Gegnet als Nähe‹, also der Versammlungsort der an das, was Existenz gibt, Denkenden. 63 Das Haus des Seins ist aber – so die feste Überzeugung Heideggers – kein festes Gehäuse. Es ist vielmehr ein bewegliches, unterwegs seiendes und kulturell-geschichtlich variables Zuhausesein. Es stellt gerade kein ›Behältnis‹ als ›Gefängnis‹ dar, sondern etwas Infinites, Dynamisches, Offenes. Es steht damit auch nicht im Denkmodell metonymischer Rede, sondern ist eher das Gegenteil von etwas Festem. Insofern ist Sprache vielmehr etwas unmittelbar auf den ganzen Bezug von Sein und Menschen Bezogenes und über den Bereich des Menschen Hinausgehendes. Das zeigt sich unter anderem auch daran, dass sie oft ›klüger‹ ist als ihr Autor, also die Bedeutung des Gesagten über das momentan Intendierte hinausragt. Sprache als Haus des Seins ist etwas den Menschen Überragendes, worin er sich zugleich heimisch fühlt, etwas, ohne das der Mensch keine Orientierung und Strukturierung im Dasein hätte. Sie ist nicht nur Kommunikationswerkzeug, sondern Ausdruck grundlegender und spezifisch menschlicher Kooperationspraxis. Der Mensch ist ein von der Sprache in Anspruch genommener, denn eigentlich spricht das Sein zum Menschen durch und mittels Sprache. Dies tut sie durch den Menschen hindurch, denn sie selbst erschweigt das Zusagende. Sprache lässt sich insofern nicht allein auf Organisches noch auf Gattungsmäßiges zurückführen. Hier widerspricht Heidegger sowohl allen instrumentalistischen als auch allen anthropozentrischen Deutungen, denn für ihn sollte das Wesen des menschlichen Sprechens vor allem ein Ent-sprechen sein. 64 Als solches muss sie, was als Stimmung und Weltbild vom Sein her selbst gezeigt und darzustellen gibt, in treffende Gedanken und Worte fassen. Das heißt dann aber auch, dass die menschliche Sprache nicht nur verlautbares Sprechen ist, sondern auch nicht-lautliche Modi des SaVgl. M. Heidegger, Besinnung, GA 66, S. 21. Für Heidegger ist das menschliche Sprechen vor allem ein ›Ent-sprechen‹. Es zeigt sich also, dass Heidegger einen wesentlichen Unterschied macht zwischen Übereinstimmung (adäquatio) und Ent-sprechen (analogia), denn die Übereinstimmung zeigt sich als eine ganz bestimmte, und zwar nur ideale Form der Analogie, womit der Analogiebegriff sich als der weitere und zugleich dynamischere erweist, weil in ihm nicht die Starrheit gegenständlicher Vergleichung im selben Maße zugrunde gelegt ist.

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gens umfasst. Das Verhältnis von Mensch und Sprache wird also umgekehrt: Nicht der Mensch ist der Beherrscher der Sprache, sondern die Sprache ist die Herrin des Menschen. 65 Es ist die Sprache, die spricht. Sie ist »lichtend-verbergende Ankunft des Seins selbst« 66. Aus solchen Formulierungen wird ersichtlich, wie »in stark verdichteter Weise die Nachbarschaft von Dichten und Denken von der Seite des Denkens her, in ihrer Zwiesprache, beim Wort [genommen wird, BK]« 67. Die Umkehrung von Akteurs- und ›Werkzeug‹-Status ist dabei nicht selbst wieder nur eine metonymische – wie dies etwa bei Nietzsches Umwertung aller Werte und zugleich ewigen Wiederkehr des Gleichen der Fall ist, beim Übermenschen, dessen Willen zur Macht in der Intensitätssteigerung besteht. Statt der Umdrehung einer äußere Entitäten gegenüberstellenden Logik haben wir es hier vielmehr mit der Sicht aus der Perspektive von etwas Ungegenständlichem zu tun, dessen Sprachrohr der Mensch ist, denn durch ihn kann sich die Sprache überhaupt erst zum Ausdruck bringen. Indem die Sprache im dichterischen und denkerischen Menschen waltet und sich durch ihn hindurch Stimme verleiht, ist der Mensch nicht mehr Bewirkender, sondern Vollbringender, Stiftender. Natürlich, so muss hier kritisch angemerkt werden, wirkt die Umkehrung von passivem und aktivem Status noch immer metonymisch. Schließlich werden der Sprache Merkmale zugesprochen, wie sie vom Menschen abgeleitet und von diesem her verstanden werden. Insofern ist das Wesen der Sprache noch nicht in sein eigenstes Wesen gelassen, sondern vom Menschen her verstanden und nicht seiner eigenen Phänomenalität ent-sprechend. Erst eine wirklich gelassene, also auch die Sprache sein-lassende Haltung wäre der ironisch-negatorischen Logik der Intention des späten Heideggers entsprechend. Das muss auch Heidegger selbst aufgefallen sein, denn die umgekehrte Haltung zum Phänomen der Sprache bringt ihm selbst auch neue und tiefere Einsichten in das Wesen der Sprache selbst. 68

M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 280. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 16. 67 T. Regehly (Hrsg.), Nachwort zu Heidegger, sowie: M. Heidegger, Zum Wesen der Sprache; Zur Frage nach der Kunst, Vorträge. Gedachtes, GA 74, S. 211. 68 Vgl. M. Heidegger, Zum Wesen der Sprache und Zur Frage nach der Kunst. Der Band erlaubt Einblicke in das Sprachdenken Heideggers von den späten 1930er-Jahren bis zum Band: Unterwegs zur Sprache, GA 12. 65 66

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Das Wesen der Sprache Die Sprache der Metaphysik ist für Heidegger eine Sprache der ›Diktatur der Öffentlichkeit‹, die im Voraus entscheidet, was verständlich ist und was als unverständlich verworfen werden muss. 69 Sprache wird begriffen als in einer an das vergegenständlichte Denken, einer an die Metaphysik verfallenen Öffentlichkeit. Sie wird in den Dienst des Vermittelns gestellt, also in den Dienst des schnellen schematischen Informationsaustausches. Ihr Status ist, Werkzeug für schnelle und effektive Kommunikation zu sein. Kommunikation ist dabei ein Verkehrsweg, auf dem Informationen hin- und herfahren, aber sozusagen nie wirklich bei sich (zu Hause oder in einer Heimat) ankommen. Sie ist damit von Sprache und Sprechen im Heideggerschen Sinne himmelweit entfernt. Nun geht es darum, den Bann der instrumentalen, anthropozentrischen Sprachauffassung nicht mehr nur als solchen kenntlich zu machen, sondern als eine Heimat zu begreifen. Sprache ist vor allem im Vollzug zu erfahren. Sie ist wesentlich Gespräch. Im Gespräch zeigt sie sich als eine kooperative Praxis des Sprechens, Zuhörens, Erwiderns, Erörterns, aber auch des nachdenklichen Schweigens und der Stille. Sie fädelt nicht nur Wörter in Argumenten sinnvoll aneinander, sondern ist Vernehmung von Sein. Das Wort gehört anfänglich zum und dem Sein. Es gehört dem Sein, weil es vom Sein über die menschliche Artikulierbarkeit geschickt ist. Weil das wesentliche, das dichterische Wort dem Sein zuhört und es vernimmt, gehört es ihm zu. Dieses doppelte Verhältnis aber – so der Vorwurf an die eigene Zeit und die eigene philosophische Tradition – bleibt unter der Herrschaft der Subjektivität, die sich als die Öffentlichkeit darstellt, verborgen. Heidegger will der Sprache einen Rang verleihen: »Wenn jedoch die Wahrheit des Seins dem Denken denk-würdig geworden ist, muß auch die Besinnung auf das Wesen der Sprache einen anderen Rang erlangen. Sie kann nicht mehr bloße Sprachphilosophie sein.« 70 Ein Denken, das diesen Unterschied benennen und charakterisieren möchte, muss sich aus den vorgegebenen Grenzen der Sprachnormen und seiner Ontologie befreien. Es muss deren verblendende, verbergende Mechanismen erkennen und aufdecken. Heideggers Aufruf zur echten Sprachreflexion will das Wesen der Sprache aus dem Wesen ihres Gegebenseins qua Sein erforschen. 69 70

M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 9. Ebenda.

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Dabei geht es Heidegger nicht nur um eine ästhetische und moralische Verantwortung gegenüber allem Sprachgebrauch. Ein bloß gepflegter Sprachgebrauch rettet nicht wirklich vor der Verödung und dem Verfall der Sprache. 71 Diese Haltung gehört vielmehr zur neuzeitlichen Metaphysik der Subjektivität und ihrer schlechten rhetorischen Konsequenzen, die darin bestehen, dass sich die Sprache dem Wollen und Betreiben der Subjekte als Instrument der Herrschaft über das Seiende überlässt. 72 Dort zeigt sie sich als Begründen oder Erklären in wissenschaftlichen oder philosophischen Zusammenhängen. Solche Umgangsformen mit der Sprache sind für Heidegger aber Zeichen dafür, dass sich das Wesen der Sprache dem Menschen zumeist verweigert, denn »die Sprache ist in ihrem Wesen nicht Äußerung eines Organismus, auch nicht Ausdruck eines Lebewesens. Sie läßt sich daher auch nie vom Zeichencharakter her, vielleicht nicht einmal aus dem Bedeutungscharakter wesensgerecht denken.« 73 Dieses Zitat ist ein Angriff gegen alle Linguisten, Sprachwissenschaftler, Sprachphilosophen und Logiker, die bloß einen oberflächenphänomenalen Zugang zum Zeichencharakter und Bedeutungscharakter der Sprache suchen. Heidegger dagegen hebt den ›Zeigecharakter‹ der Sprache hervor. Für ihn lässt sich die Sprache zwar als Einheit von Lautgestalt (Schriftbild), Melodie und Rhythmus und Bedeutung (Sinn) vorstellen, indem die Lautgestalt und das Schriftbild als Wortleib, Melodie und Rhythmus als Seele und das Bedeutungsmäßige als Geist der Sprache betrachtet werden. Aber diese Betrachtung der Sprache ist nur eine Entsprechung zum metaphysischen Wesen des Menschen, der als zusammengesetzte Einheit von Leib und Seele vorgestellt wird. 74 Heideggers Sprachbetrachtung bewegt sich hingegen auf einem anderen Niveau als Linguistik und Sprachphilosophie. Kümmert sich die Linguistik darum, wie Sprache funktioniert, und beschreibt sie deren Funktionen grammatisch nach Syntax und Phonologie, Semantik und Pragmatik, so interessiert die so genannte analytische Sprachphilosophie vor allem die Bedingungen der Erklärbarkeit und logischen Richtigkeit und Falschheit von Sätzen innerhalb einer metonymisch-metaphysischen Rahmung. Heidegger jedoch geht es um die sich verändernde Sprache und Mög71 72 73 74

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Vgl. ebenda, S. 10. Vgl. ebenda. Ebenda, S. 18. Ebenda, S. 24.

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lichkeitsformen des Sprechens als Vollzugsformen menschlicher Kooperationen, nicht nur um deren logizistische Gegenstandsformen. Ihm geht es darum, ›wie Sprache west‹, das heißt sich wesenhaft vollzieht und sich in der Sprache ein Ausweg aus dem metaphysischen Gehege zeigen könnte. Das aber kann nicht vom Menschen selbst bewirkt oder erzeugt werden. Wenn das Wesen der Sprache das Haus der Wahrheit des Seins ist, dann muss der Mensch vielmehr vom Sein erst wieder angesprochen werden. Nur so kann sich dessen Wahrheit und neuer Anfang als mögliche Rettung zeigen. Versteht man Heideggers Wort von der Sprache als Haus des Seins und als Behausung des Wesens des Menschen im Gesamtkontext seiner tiefensprachlichen Denkentwicklung, so kann man auch die Rede Heideggers davon, dass die geschichtlichen Menschentümer und Menschen nicht zu Hause sein können, verstehen. Zwar entstammt das Wort ›Haus‹ dem logischen Modus der Gefäß-InhaltsMetonymie. Die Sprache als Behausung beziehungsweise Gehäuse für das Sein des Daseins aufzufassen, deutet damit auf dessen Heimat in der Sprache. Der Mensch ist nur da Mensch, wo er spricht, wo er sich sprechend, bildend und aneignend zur Welt und sich selbst verhält. Heimat ist Halt. Sie ist als Heimat zugleich affirmierter Sinn. Halt und Sinn gibt es aber nicht am einmal Festgestellten, in den Raumgesetzen, Quasi-Körperlichen, vergegenständlicht Objekthaften, sondern nur in der dynamischen Selbstbewegung der inneren Spannung zwischen Selbstvergewisserung und Offenheit für die Nähe des Seins – im Sprechvollzug. Sinnvolles Sprechen ist insofern dynamische Bewegung des Denkens. Denken ist Bewegung der Sprache. Die Worte ›Wesen‹ und ›Haus‹ müssen daher eher als Vollzugsverben verstanden werden, als ›wesen‹ und ›hausen‹ beziehungsweise ›wohnen‹ und ›schonen‹, ›bewahren‹ und ›hüten‹. Gleiches gilt auch für die Sprache selber. Sie ist für Heidegger weniger ein System starrer Regeln als wesentlich ein Sprechen. Sie ist die Bewegungsform des Menschen schlechthin. Nur in ihr kann der Mensch einen Bezug zum Sein haben und heimisch werden auf Erden. Als dynamischer Vollzug gelesen ist die Formel ›die Sprache ist das Haus des Seins‹ dann als ein zeitliches, damit zugleich kulturgeschichtliches SichVollziehen zu verstehen, bei dem alles daran liegt, wie redend miteinander und mit den Dingen in der Welt umgegangen wird. Es geht also um nichts weniger als ein besonnenes Verständnis von λόγος als konkreten kooperativen Praxisvollzug, als sprachdenkerische Haltung zum Sein. Damit wird ›Haus‹ aber nicht mehr metonymisch, Logik der Tropen

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sondern nunmehr synekdochisch verstanden, als Durchwaltetsein vom Anspruch des Seins qua Sprache. Zugleich setzt sich Heidegger mit dieser Interpretation von aller metonymischen Bestimmung negierend, damit ironisch ab. Wenn die Sprache das Haus des Seins ist und das Sein in der Sprache wohnt, dann ist damit angedeutet, dass die Sprache von Sein durchdrungen ist. Sie ist nichts Extrinsisches, nichts Äußerliches, nichts Gegenüberstehendes, sondern ihr inhärent, ein Charaktermerkmal des Inanspruchgenommenseins. Waren die Erörterungen zur Gelassenheit ein Beispiel für Heideggers inzwischen sehr freien, spielerischen Umgang mit der Sprache, so erschwert das verdichtete und kryptisch anmutende Zusammenschieben eigener Wortprägungen ein Verfolgen des Gedankenganges. Gleichwohl geht es Heidegger um die Fortführung und Zusammenbindung seiner Gedanken über das Wesen des Denkens, das Wesen der Wahrheit und das Wesen des Menschen mit dem Wesen der Sprache. Die sprachliche Inszenierung kann als ein Indikator dafür genommen werden, dass Heidegger trotz der Neologismen, Verdichtungen und der an sich schon schwierigen abstrakten philosophischen Fragen implizit und performativ die Behauptung aufstellt, dass auch seine späten Texte einer strikt durchgehaltenen Logik folgen. Sein Denkweg ist konsistent, kohärent und sinnvoll aufgebaut und kann deshalb auch von anderen nachvollzogen und bewertet werden. Gegen alle Ideologie des Exakten mit ihrer inhärenten Logik zunehmender Differenzierung setzt er den umgekehrten sprachlichen Prozess in Gang: Entdifferenzierung, Zurücknehmen von Exaktheit zugunsten eines weiteren Wahrheitsverstehens, einer radikal alternativen Grundhaltung. Heideggers Sprache wird jedoch noch sperriger. Das ergibt sich zwingend aus der Ernsthaftigkeit, mit der er sein Denken verfolgt. Damit distanziert sich Heidegger in gewisser Weise letztlich sogar selbst noch von seinem eigenen ursprünglichen sprachschöpferischen philosophischen Programm. Er bleibt – soweit das geht – für sich selber wach. Insgesamt kann man sagen, dass Heidegger auf seinem Denkweg Sprache noch stärker als bisher verfremdend benutzt. Die stilisierte Mündlichkeit wirkt ungewöhnlich und vertraut zugleich. Sie ist ungewöhnlich, weil sie zum Beispiel Neologismen kreiert, wie das durchgestrichene Sein, und Wort-Etymologien heranzieht, die die Bedeutungshorizonte experimentell bis zur Grenze der Verstehbarkeit erweitern. So zum Beispiel verführen die von ihm verwendeten Archaismen und Gräzismen zu der Annahme von so etwas wie 596

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Urworten. – Die stilisierte Mündlichkeit erzeugt aber auch ein gewisses Vertrauen in Heideggers Sprache und Denken. So erscheinen altbekannte Ausdrücke durch Aufrufen von bestimmten Assoziationen, aber auch durch merkwürdige Substantivierung von Worten, die eigentlich nur als Adjektive oder Verben gebräuchlich sind, zum Beispiel ›das Horizonthafte‹ oder ›es west‹, oder etwa durch metaphorischen Gebrauch in semantisch neuem Licht. Gerade Heideggers Spätphilosophie erinnert darüber hinaus an eine dialogische Gesprächspraxis, die situationsbezogen, geradezu mundartlich, erfahrungsbezogen und anschaulich ist. Sprachreflexion gehört also zum Programm von Heideggers Denken. Oralität, Akroamatik und Seinsnähe Die Dynamik, auf die es Heidegger ankommt, zeigt sich im konkreten Gebrauch als Tätigkeit des Sprechens selbst. Insofern holt Heidegger sein Denken performativ selbst ein, wenn er in der Folge vor allem dem Hören auf das Gesagte statt dem geschriebenen Wort mehr und gewichtigeren Raum einräumt. Für Heidegger ist der Übergang von der Sprecher-Hörer-Bezogenheit des Schreibens im Dialog hin zur Akroamatik daher nur ein konsequenter Schritt innerhalb seines konsequent durchgeführten Sprachdenkens. Im vergegenwärtigenden Vollzug, also im Sprechen als performativem Akt, zeigt sich dann auch ihr soziales Moment über die Kommunikation und Mitteilung hinaus. Im Prinzip waren seine Aufsätze und Vorträge immer schon akroamatisch und dialogisch, also hörerbezogen. Das drückt sich durch die Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen aus. 75 Der Andere ist als Person mitanwesend, reagiert mit seinem ganzen Wesen. Auch das abstrakt Aufgeschriebene, die Literatur, erhält erst im Aufsagen, im Vernehmen vom Anderen eine sinnvolle Konkretion. Das Wort erhält eine Räumlichkeit, weg vom Visuellen, logisch Sezierbaren. Es kann schwingen und verhallen, erhält so auch wieder seine Zeitlichkeit. Es ein Stück weit entgegenständlicht. Gedichte sind meist zum Sprechen geschrieben, Spruchweisheiten muss man in bestimmten Situationen anwenden können, Ironie und Sprachwitz sind situationsbezogen und viel stärker im Sprecher- als im Schriftkontext verortet. 76 Weil Heidegger das Wesen der Sprache gerade nicht im Zum Beispiel: M. Heidegger, Was heißt Denken? Produktion des Bayrischen Rundfunks aus dem Jahr 1952. 76 Vgl. auch R. Totzke, Buchstabenfolgen, a. a. O. 75

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herkömmlichen philosophischen Engagement auf den Begriff bringen will, lehnt er es konsequenterweise ab, es aus anderem, das nicht es selber ist, zu begründen oder anderes durch die Sprache zu erklären, wie es in den literalen Wissenschaften üblich ist. Heideggers Ergründung des Wesens des Denkens und der Sprache zielt auf Nichtfixierung. In seinem Dialog zwischen einem Japaner und einem Fragenden 77 gibt sich Heidegger zum Beispiel als der fragende Part eines mehr oder weniger fiktiven Gespräches über Kulturunterschiede. Mit diesem zweiten Gespräch versucht Heidegger, frühere Auslegungen seiner vergangenen Schriften noch einmal zu weiterzudenken. Zwei wesentliche Themenbereiche sind jedoch neu. Sie betreffen einerseits das Problem der Kulturgebundenheit der Sprache und die ›Europäisierung der Erde‹, andererseits das Thema Gebärde/Laut sowie Schrift und Semantik/Sinn. 78 Interessant an diesem Gespräch ist der Umstand, dass zunächst der Fragende dem Japaner zu mehr Phänomenbewusstsein in Bezug auf seine eigene Sprache verhilft. Dies macht sich an der Besprechung dessen, was im Japanischen ›Iki‹ heißt, fest. Von diesem ›Iki‹ – so behauptet Heidegger – habe er noch immer nicht das ›Wesen‹ verstanden, da sich das Gespräch auf Deutsch abgespielt habe, Japanisch aber verstehe er nicht. Das Wesen der ostasiatischen Kunst und Dichtung ist ihm auf diese Weise versagt geblieben. Vor allem habe ihm aber nicht die Sprache, sondern die Erklärung der ostasiatischen Kunst und Dichtung mit Worten aus dem ›europäischen Vorstellungsbezirk‹ den wirklichen Zugang versperrt. Weil es ein japanisches Wort für ›Sprache‹ nicht gibt, nennt der Japaner das Wort für das ›Wesen der Sprache‹. Mit diesem japanischen Wort für das ›Wesen der Sprache‹ versucht Heidegger die Bedeutung dessen, was er selbst unter ›Wesen der Sprache‹ versteht, deutlicher zu machen. Und zwar geht es ihm vor allem darum zu kennzeichnen, dass sich das Wort in einem anderen Wesensraum als dem des Begrifflichen oder des Bezeichneten befindet. Es sei phänomenal eher an Worte wie ›Wink‹ und ›Gebärde‹ angelehnt. Damit sind die Frage nach dem Wesen der Sprache und dem Wesen des Hermeneutischen für Heidegger im Grunde dasselbe – nur in je unterschiedlich herausfordernder Haltung. Heideggers tiefenM. Heidegger, Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem Fragenden, GA 12, S. 83–155. 78 Vgl. M. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, S. 103. 77

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sprachlicher Modus der Ironie kommt vor allem dann zum Tragen, wenn er nun behauptet, dass es in der Hermeneutik ursprünglich nicht um das Auslegen von Botschaften, sondern um das Überbringen von Botschaft und Kunde geht – gemäß dem Platonschen Satz, dass die Dichter die ›Botschafter der Götter‹ seien. 79 Eben dies, also die ›Botschaft der Götter zu verbreiten‹, ist das, was nach Heidegger die Dichter tun. Dichtung haftet nicht am Laut- und Schriftcharakter, also dem Ausdruckscharakter der Sprache und auch nicht am Bedeutungsgehalt der Laut- und Schriftgebilde. Sowohl der Ausdrucksgehalt als auch der Bedeutungsgehalt stellen nämlich den Sinn eines Ausdrucks als eine Art sinnliche Erscheinung vor. Als verlauteter oder geschriebener Sinn ist Sprache etwas ›Übersinnliches‹ und insofern ›Metaphysisches‹. Er bekommt physische Anwesenheit. Das metaphysische Wesen der Sprache kommt zum Vorschein, insofern Sprache als Ausdruck vorgestellt wird. Sie bringt dann etwas Inneres, das Seelische, zur (Ver-)Äußerung. Diese Aufspaltung in Inneres und Äußeres ist selbst schon wieder ein Gegensatzpaar, das ein Residuum der Subjektphilosophie ist. Die Sprache der Dichtung ist jedoch mehr beziehungsweise wesentlich etwas anderes als ihre Erscheinungsformen. Heidegger will phänomenal vor den Gegensatz von Subjekt und Objekt, in eine Dimension, die sprachlich gefassten Ausdruck und damit Sinn überhaupt erst möglich macht. Das Wesen der Sprache muss daher beide in sich zusammengebunden und aus sich hervorgegangen lassen haben. Der späte Heidegger zeigt nun, dass es auf die Veränderung der Haltung ankommt. Die sprachdenkerische Haltung gegenüber den Phänomenen wird bescheidener, gegenüber der Sprache sozusagen ›fügsamer‹ – wie Heidegger in seinem Vortragzyklus Das Wesen der Sprache 80 sagt. Die akroamatische Sprache spricht nicht über etwas, was sie vorstellt. Letztlich geht es in Heideggers späten Schriften um die Grenzen der Denkbarkeit und sprachlichen Ausdrückbarkeit des Wesens der Sprache. Das japanische Wort für Sprache ›Koto ba‹ 81 ist für ihn ein Platon, Ion (534e); so zitiert bei M. Heidegger, Aus einem Gespräch von der Sprache, GA 12, S. 122. 80 M. Heidegger, Das Wesen der Sprache. Drei Vorträge, gehalten am 4. und 18. Dezember 1957 sowie am 7. Februar 1958 im Studium generale der Universität Freiburg im Breisgau, GA 12, S. 159. 81 ›Koto ba‹ soll hier nicht weiter übersetzt werden, erstens, weil Heideggers Übersetzung für diejenigen, die mit seiner Philosophie nicht umfassend vertraut sind und sie zu großen Teilen teilen, unverständlich bleiben wird, und zweitens, weil eine hin79

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weiterer ›Wink‹, mit seiner Auffassung über das Wesen der Sprache auf dem für ihn richtigen Denkweg zu sein. Das Wesen der Sprache erfahren statt (er)kennen zu lernen, ist deshalb auch Heideggers Ansinnen. In der Auseinandersetzung mit Stefan Georges Gedicht Das Wort 82 interpretiert er zunächst dessen Erfahrungen mit der Sprache, die auch für Heidegger höchst interessant zu sein scheinen. So erfährt der Dichter, dass das Wort zu einem Ding werden kann. Dies ist für Heidegger nicht nur eine Erkenntnis, sondern eben eine Erfahrung. Eine Erfahrung kann man nach Heidegger nur machen, wenn man zu etwas unterwegs ist oder auf dem Gang zu etwas hin erreicht und dabei sozusagen in ein Verhältnis verwickelt wird. Man muss bereit sein, sich auf etwas einzulassen, das man eventuell in seinem Umfang vorher nicht ermessen kann. Kenntnis und Erkenntnis hingegen sind für Heidegger eher Arten der theoretischen Erfassung vorher verborgener Zusammenhänge innerhalb eines klar umgrenzten Rahmens. Sie sind eine Art metonymische Anhäufung von Wissenshappen, die durch Analogiebildung oder Besonderung in neuem Licht erscheinen oder durch kategoriale Verschiebungen ihre Auflösung erhalten. Der Dichter im Heideggerschen Sinne, im Unterschied zum üblichen Philosophen, macht Spracherfahrungen. Das Wort beziehungsweise die Sprache gehören in den Bereich dieser geheimnisvollen Landschaft, ›wo das dichterische Sagen an den geschickhaften Quell der Sprache grenzt‹. 83 Und lange scheint es dem Dichter nach Heidegger so, als bräuchte er bloß seine Träume und Gedanken in die Sprache bringen. Doch, und das verbindet Dichter und Denker nach Heidegger wieder: Beide sind vom Wesen der Sprache ›an- und zugesprochen‹. 84 Wer einander zugesprochen ist, geht eine Verbindung ein, die er nicht selbst verursacht oder allein bewirkt hat. Er fügt sich vielmehr in diese Verbindung in Einverständnis ein. Sich zu verbinden, ist eine Erfahrung. Man kann über diese Erfahrung reden oder von ihr. Heidegger bevorzugt letzteres, da im ›über etwas reden‹ der reichende Übersetzung ein eigenes Buch verlangen würde. Für die Übersetzung wird vielmehr Heideggers Dialog ›Aus einem Gespräch von der Sprache‹ empfohlen. Das sollte nicht als Kapitulation vor der angestrebten Übersetzung der Texte Heideggers aufgefasst werden, sondern als Würdigung seines philosophischen Projektes. 82 M. Heidegger, Das Wort, GA 12, S. 217–238. Dieser Text wurde zuerst bei einer Morgenfeier im Burgtheater zu Wien am 11. Mai 1958 vorgetragen unter dem Titel: Dichten und Denken. Zu Stefan Georges Gedicht Das Wort. 83 Vgl. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, GA 12, S. 171. 84 Ebenda.

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Gegenstand der Rede in Distanz rückt und der erste Schritt zur Vergegenständlichung getan ist. Im Erfahren, das schon im Wort auf eine Bewegung anspielt, ist aber eine innere Dynamik im Spiel, die nicht im theoretisch-bestimmenden Zugriff aufgeht. Die innere Bewegtheit des Erfahrens zeigt vielmehr eine Offenheit, ein Bereitsein an, aus der dann Distanznahme allererst etwa als Staunen und Fragen erwachsen können. Erfahrungen sind insofern Antworten auf Fragen, deren Horizont an sprachliche Grenzen stößt, weil sie im Bereich der Vorbegrifflichkeit stattfinden. Insofern kann Heidegger sagen, dass das Fragen die eigentliche ›Gebärde‹ beziehungsweise der maßgebende Zug des Denkens ist. Ein solches Fragen ist für Heidegger ›Frömmigkeit‹ des Denkens, hat also den Status von Vorbildlichkeit. Weil sich das Fragen in den Bereich fügt, in dem das Denken denkt und das Wesende des Wesens ergründet und begründet, ist vor allem das Denken in der Nähe der Gegend (oder Gegnet) des Wesens der Sprache ein Hören, also ein Sichsagenlassen und kein (bohrendes oder ergründendes oder hinterfragendes) Fragen mehr. Insofern insistiert Heidegger auf das Ungehörte und Unerhörte, das, was sich zumeist entzieht. Im Sagenlassen zeigt sich dann auch wieder die ironische Gelassenheit, die Heideggers Spätwerk durchzieht. Das Wesen der Sprache muss sich dem Menschen von selbst zusprechen. Es kann – wie das Leben – nur geschenkt werden. Wie das menschliche Wesen insgesamt, so wäre es nach Heidegger offenbar ›besser‹, es als eine große Gabe und ein Geschenk entgegenzunehmen. Die Gabe der Götter aber ist das Wort selbst, indem es sich selbst gibt. Das Wort schenkt sozusagen Sein. Damit ist es wesentlich etwas Nichtdingliches, es ist kein ›WortDing‹, das im Buch als Druckerschwärze abhebbar ist von Papier, Bedeutung und Sinn. Vielmehr schenkt das Wort erst so etwas wie Dinglichkeit. Wenn also Heidegger in seinem Text Das Wort 85 auf die Stiftungsfunktion der dichtenden Sprache zu sprechen kommt, dann tut diese alles andere, als in ihrer Abbildfunktion oder in einer ästhetischen Gefühlsabschilderung aufzugehen. Dem Dichter wachsen vielmehr Worte zu – und zwar für das ihn wahrhaft Angehende. Diese Worte sind Namen. Sie rufen ins Leben, beleben die menschliche Welt, weil sie ihn ergriffen haben. Sie schaffen aus der angegangenen

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Vgl. M. Heidegger, Das Wort, GA 12, S. 217–238.

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Ergriffenheit gestalthaft und dicht. Die Namen als die darstellenden Worte stellen das so Verdichtete dem Vorstellen erst zu. »Durch die Kraft der Darstellung bezeugen die Namen ihre maßgebende Herrschaft über die Dinge. […] Die Namen und Worte sind wie ein fester Bestand, der den Dingen zugeordnet ist und nachträglich ihnen für die Darstellung angetragen wird. […] Das Wort zeigt jäh ein anderes, höheres Walten. Es ist nicht mehr nur benennender Griff nach dem schon vorgestellten Anwesenden, nicht nur Mittel der Darstellung des Vorliegenden. Dem entgegen verleiht das Wort erst Anwesen, d. h. Sein, worin etwas als Seiendes erscheint.« 86

Im Wort entsteht Sein, entsteht Welt. Das ist dann Heideggers säkularisierende Übersetzung des Bibelzitates ›am Anfang war das Wort‹. Es passt auch zum Stefan-George-Wort »kein ding sei wo das wort gebricht« aus dessen Gedicht Wort. 87 Heideggers ironischer Metakommentar zum Wörtchen ›ist‹ lautet mit Blick auf George schließlich: »Ein ›ist‹ ergibt sich, wo das Wort zerbricht« 88 – und meint damit, wo das dichterisch-stiftende Wort, die ins Leben rufenden Namen, dann ihren ursprünglichen Charakter verlieren, wenn diese Namen erklärt, zergliedert und analysiert werden. Sie gehen dann nämlich einen unaufhaltsamen metaphysischen Weg der Vergegenständlichung. Mit diesem Kommentar stellt Heidegger George also nicht infrage, wie es scheinen könnte, sondern ergänzt ihn auf dichterische Weise, wohl wissend, dass er kein Dichter, sondern ein Denker ist. Aus dem bisher Interpretierten ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich Heidegger in seinem späten Denken zunehmend der Sorge für den Sprachgebrauch verpflichtet fühlt. Immer mehr versucht Heidegger – zum Beispiel durch das Einsetzen lebendiger, anschaulicher Worte des Alltags –, dem Denken der Wahrheit des Seins einen vorwissenschaftlichen und damit nicht-metonymisch-metaphysischen Ausdruck zu verschaffen. Drei Beispiele können das verdeutlichen: So redet Heidegger zum Beispiel von der ›Stimme des Seins‹ ; er redet davon, dass etwas ›ins Lot‹ kommt, und nutzt die Mehrdeutigkeit der Wörter und ihrer semantischen Felder für das eigene Programm aus. So steht ja ›Lot‹ dafür, dass etwas in Ordnung kommt, dann aber auch dafür, dass etwas in seine Mitte und in einen 86 87 88

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Ebenda, S. 225 ff. Ebenda, S. 217–238. M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, GA 12, S. 216.

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direkten, damit zugleich richtigen Bezug kommt, wie dieses Wort zum Beispiel auch in der Mathematik genutzt wird, indem man ›ein Lot fällt‹. Dann könnte Lot auch für die Bibelgestalt stehen, die zur Salzsäule erstarrte, weil sie nicht gehorchte, sondern sich nach dem bisher Gegoltenen umdrehte. Die Rede von ›verborgenen Quellen‹ weckt überdies die Neugierde und regt das Bewusstsein zur Veranschaulichung an. Auch solche Worte wie ›hüten‹ und ›Behutsamkeit‹ kehren immer wieder und lassen einerseits eine implizite Norm des Hütens, beispielsweise einer Herde, andererseits aber auch die Verantwortlichkeit anklingen, indem man ›für etwas den Hut aufhat‹ und also über etwas bestimmt und Macht ausüben kann, aber dennoch diese Macht nicht tyrannisch ausnutzen, sondern eher mit Nachsicht, Großherzigkeit und Gelassenheit walten sollte. Auch den Hut vor jemanden ziehen, spielt in das Bedeutungsfeld von ›hüten‹ mit hinein. Das Wort ›Worte‹ wird in diesen Zusammenhang an die Stelle der ›Schafe‹ oder der Gemeinde eingebracht, in deren Kontexten das Wort ›hüten‹ normalerweise verwendet wird. Die Worte müssen also durch eine authentische Autorität behutsam geführt und als Herde zusammengehalten und erhalten werden. Der sowohl bäuerliche als auch religiöse Kontext weist zugleich auf die Geschichtlichkeit, Natürlichkeit und Kultürlichkeit des Menschen hin. Aber auch auf eine moralische Verantwortung, die dem Hüter übertragen ist: Man darf das Zubehütende nicht überzüchten und allzu sehr zurechtstutzen, sondern sollte ihnen den nötigen Freilauf lassen, weil sonst gegen deren Natürlichkeit verstoßen wird. Hüten ist also eine Form des Sorgetragens, des Mögens, der Verantwortlichkeit für spätere Generationen und des Sicheinfügens in den Lauf des Seins. Wenn Heidegger also metaphorisch davon schreibt, dass es wichtig sei, ›Worte zu hüten‹, dann bedeutet das, ihnen immer auch nach ihren Ursprüngen, nach ihrer Nähe und Nachbarschaft zum Sein hin nachzuspüren. Das aber heißt, sie nicht in einer vermeintlichen Eindeutigkeit festzuzurren, sondern sich von ihnen in gewisser Weite auch in andere und übertragene Redeweisen und sprachliche Hintergrundkonzepte leiten zu lassen. Man muss sie in dieser offenen Weise als (Selbst) Erkenntnis erweiternde Seinsweisen vollbringen. Das Geschenk, das der Mensch dem Sein selbst zurückgeben kann, ist, sich dem Sein selbst zu übergeben und es andenkend zu besingen. Weil für Heidegger Dichtung insgesamt eher ›Gesang‹ und ›Bild‹ statt exakte Gegenstandsabschilderung ist, will sie nichts begreiflich (im Sinne von verfügbar) machen, sondern reißt sozusaLogik der Tropen

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gen Horizonte auf für den Eintritt in eine bestimmte Dimension des Seinsandenkens. Gesang wird als ›die Feier der Ankunft der Götter‹ beschrieben – in welcher Ankunft ›alles still‹ wird. 89 Es ist das hohe Wort, das Gesang versucht, angemessen zu verkünden. Das hohe Wort spricht in Ahnungen und eben Winken, weshalb alle exakte Darstellung die dichterische Dimension phänomenal nur verfehlen würde. Insofern sprechen die Menschen schon immer zuerst aus der Sprache als kooperativer Praxis heraus und dann erst über sie. Die Götter stehen offenbar für die Verlautbarung, die lautliche Vermittlungsstelle zwischen Zuspruch und Vernehmen. Sie machen offenbar, sind Offenbarung. Alles konkrete propositionale Aussprechen ist dem feierlichen Gesang phänomenal nachgeordnet, weil letzteres zuerst in die Gemeinschaft versammelt und damit die Grundlage für alles konkrete Benennen bildet. Alles Bestimmte und Bestimmende ist dem Vorbestimmten und Vorbestimmenden nachgeordnet. Das Bestimmte gewinnt aus Vorbestimmtem erst seine orientierende, Halt und Sinn gebende Gestalt. Für das wesentliche Denken kommt es nun darauf an, von der Dichtung zu hören. 90 Der Mensch ist der (Zuge-)Hörige, dem durch die Erfahrung des wesentlichen Sprechens, das eher ein Hören und Einstimmen ist, selbst erst Worte zuwachsen. Für Heidegger ist das Hören der Zusage die eigentliche Gebärde des jetzt nötigen Denkens, also die ent-sprechende Haltung. Nicht mehr das Fragen – auch das philosophische – ist die ›Frömmigkeit des Denkens‹, sondern der ›Zuspruch‹. 91 Wenn Heidegger sagt, dass »die Sprache […] als dieser Zuspruch [west, BK]« 92, dann will Heidegger darauf hinaus, dass es eher um ein Sichsagenlassen und kein Erfragen bei der Beschreibung des Wesens der Sprache geht. »Das Wesen der Sprache bekundet sich als Spruch, als die Sprache ihres Wesens. […] Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens.« 93 Aber weder dichterische noch denkerische Erfahrungen mit dem Wort bringen die Sprache in ihrem Wesen zur Sprache, das heißt in die Aussage. Wer das Wesen der Sprache verstehen will, muss den Wert des Ausgesagten zum Nichtausgesagten anders gewichten. Dies

89 90 91 92 93

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Ebenda, S. 182. M. Heidegger, Aus einem Gespräch von der Sprache, GA 12, S. 149. Ebenda, Vom Wesen der Sprache, GA 12, S. 180. Ebenda, S. 181. Ebenda.

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kann er nur, indem er sich weiter auf den Weg nach der Sprache begibt und alles Bekannte mit größtmöglicher Distanz und Ironie betrachtet. Für das Denken ist das Wesen der Sprache deshalb auch die Sprache des Wesens. Heideggers Erfahrung des Denkens endet in einer scheinbaren Vertauschung von Wörtern, die keinen prima facie ersichtlichen Erklärwert aufweist. Diese tautologische Zumutung aber ist weder Titel noch Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Sprache. Das kann sie auch nicht sein. Sie ist vielmehr ein Leitwort auf dem Weg dorthin. 94 Das Sprechen ist nämlich der Sprache in gewisser Weise stets schon voraus. Das System der Sprache spricht der Praxis stets nur nach. 95 Konkretes Sprechen ist immer eine Realisierung einer vorher bereits existierenden Form, der man durch Einübung in bestimmte Praxiszusammenhänge Ausdruck zu verleihen lernt und gleichzeitig in der Praxis konstituiert. Der Mensch ist durch diese Involviertheit in Praxiszusammenhänge zugleich in die Sprache verstrickt, insofern sie seine Handlungen begleiten. Verstrickt ist er aber immer nur so lange, wie das Denken die Nachbarschaft zur stiftenden Dichtung vergisst. Aus diesen Verstrickungen muss rettende Dichtung sich lösen und auf sich neu auf den Weg zur gesprochenen Sprache machen. Unterwegs zum Sprechen Heideggers ironische Erörterungen und synekdochische Sprechversuche lassen sich nicht in einem Ergebnis zusammenfassen wie das Resultat einer Studie. Denn wer könnte zum Beispiel folgende Sätze Heideggers, die durchaus als ›Resultate‹, zumindest ›Zwischenresultate‹ angesehen werden können, ohne Weiteres verstehen: »Das Denken ist die Gelassenheit zur Gegnet, weil sein Wesen in der Vergegnis der Gelassenheit beruht.« 96 »Wenn wir uns auf die Gelassenheit zur Gegnet einlassen, wollen wir das Nicht-Wollen.« 97 »Die also verhalten ausdauernde Gelassenheit wäre die Empfängnis der Vergegnis der Gegnet.« 98 Oder: »Das Selbst der Gegnet ist vermutlich ihr Wesen und das Selbe ihrer selbst.« 99 Hier versperrt also Heidegger mit seiner Sprache den einfachen Zugang zu schnellem, verwert- und verfüg94 95 96 97 98 99

Vgl. ebenda, S. 176. Ebenda, S. 179. M. Heidegger, Erörterungen zur Gelassenheit, S. 50. Ebenda, GA 13, S. 57. Ebenda, S. 59. M. Heidegger, Erörterungen zur Gelassenheit, S. 65.

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barem Informationswissen. 100 Die gelassen-ironische Sprache des Menschen wird zu einem Echo des Seins. »Die Sprache ist: Sprache. Die Sprache spricht.« 101 Als Logos in seiner Dreieinigkeit von Logos, Pathos und Ethos ist sie praktischer Vollzug des dynamischen Wesens menschlicher Kooperationsformen. Diese Kooperationsformen lassen sich auf grundlegende sprachliche Präfigurierungskapazitäten zurückführen. Von diesen Kooperationsformen kam in der abendländischen Seinsgeschichte nur eine zum Einsatz, die metaphysischmetonymische. Heidegger spürt mit seinem Seinsdenken auch den anderen nach. So kommt neben dem synekdochalen und ironischen auch wieder das Metaphorische und Analogische zum Einsatz: »Wenn wir uns in den Abgrund […] fallen lassen, stürzen wir nicht ins Leere weg. Wir fallen in die Höhe. Deren Hoheit öffnet eine Tiefe.« 102 Das gewollt Widersprüchliche wird hier in eine kontrastive Einheit zusammengebunden, deren Sinn sich noch verborgen hält und erst erschlossen werden muss. Die Umkehrung üblicher Erfahrungen eröffnet neue Horizonte des Denkbaren. Die Umkehrung ist nun nicht mehr metonymisch verstehbar, da alle Zugänge möglicher Verdinglichung halt- und sinnlos erscheinen. Hier ist nichts mehr gemäß (meta) dem üblichen Physischen verstehbar. Die Metaphysik ist überwunden. Für Heidegger sind es besonders Gedichte, die etwas ›rein Gesprochenes‹ aufbewahren – zum Beispiel die von Georg Trakl, aber auch von Hölderlin und Stefan George. Im Akroamatischen, also in allem, was zu hören ist, wird nach Heidegger das ›Welt-Geviert‹ von Himmel und Erde, Göttlichen und Sterblichen und so gleichzeitig auch ›die Welt zu den Dingen‹ bestenfalls (an)gerufen. Dabei versteht Heidegger unter ›rufen‹ eine Art ›heißen‹. Etwas heißen bedeutet, in sein Wesen einladen. In der Anrufung spricht sich also eine Einladung, ins eigene Wesen zu kommen, aus. Es ist die Einladung, sich in der Mitte, einem ›Zwischen‹, zu versammeln. Heidegger nennt dieses Zwischen ›die Dimension‹. In der Dimension wird das Eigenste von Welt und Ding ermessen. Es wird voneinander Zuunterscheidendes in seine Position, in sein Wesen gebracht. 103 Dieses In-Position-

100 Eine gründliche Interpretation würde das Thema dieses Buches sprengen. Sie wird hier ausgelassen. 101 M. Heidegger, Die Sprache, GA 12, S. 13. 102 Ebenda. 103 Vgl. ebenda, S. 24 ff.

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bringen im Zwischenreich nennt Heidegger ›stillen‹. In Erinnerung an Heideggers bisherigen Denkweg verwundert dann auch Heideggers Satz »Die Sprache spricht als das Geläut der Stille« 104 wenig. Indem nämlich Welt und Ding durch das Sprechen in ihr Wesen gelangen, kommen sie zugleich in einen gewissen Ruhezustand. Im wesentlichen Sprechen – also im dichterisch-stiftenden Andenken bzw. im hohen Wort – findet sozusagen die Vereinigung – man könnte sogar sagen: die ›Hochzeit‹ – von Sein und Mensch statt. Sprache ›ruht‹ also für Heidegger als Sprechen des Menschen in seinem besonderen Verhältnis zur Sprache. Es kommt nicht darauf an, ob dieses Sprechen das dichterisch-poetische oder eher ein alltäglich-prosaisches ist, da für Heidegger die Alltagssprache nur eine Art vergessenes und breitgeredetes Gedicht ist, aus dem ›kaum noch ein Rufen‹ erklingt. Wichtiger ist für ihn vielmehr, dass die Menschen dem Ruf entsprechen und ihn hören. Tun die Menschen dies, dann erkennen sie den Ruf entgegnend an, sozusagen als Echo. Das heißt, sie fügen sich in das, woraus sie die Gabe der Sprache/des Seins empfangen, sie fühlen sich zugehörig dem, dem sie angehören. Sie verhalten sich ›dem-entsprechend‹, ›zurückhaltend‹ und ›zuvorkommend‹ und dem Geber verpflichtet. Hier zeigt sich, wie stark eine ethische und religiöse Ebene ins verdichtete Denken Heideggers zurückgewoben wird. Im wesentlichen Sprechen – im Unterschied zur abkünftigen ideologischen Sprache der Wissenschaft – spricht sich Ethisches und Logisches immer als praktische Haltung zugleich mit aus und zerfällt nicht in unterschiedliche Bereiche oder Disziplinen. Wurde das Fehlen einer explizierten Ethik beim frühen Heidegger von seinen Kritikern immer angemahnt, so verortet Heidegger Ethik in einem tieferen Weltzugang in der Sprache als Erhörtem selbst. Die Sprache – so die Quintessenz seiner Überlegungen – ist der ursprüngliche Ort der Versammlung – damit des Logos – des Menschen. Ursprünglich bedeutet ›Ort‹ die Spitze eines Speers. In einer Speerspitze aber läuft das Werkzeug (Ding) mit dem Zweck (Umwillen) und der Antizipation seines Ergebnisses (Zeitebene als verdichteter Verlaufsvollzug) zusammen. »Der Ort versammelt zu sich ins Höchste und Äußerste. Das Versammelnde durchdringt und durchwest alles. Der Ort, das Versammelnde, holt zu sich ein, verwahrt das Eingeholte, aber nicht wie eine abschließende Kapsel,

104

Ebenda, S. 30.

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sondern so, daß er das Versammelte durchscheint und durchleuchtet und dadurch erst in sein Wesen entläßt.« 105

Mit und in der Sprache als Versammlungsstätte und durch das Sprechen als Vollzugsform des Versammelns wird sich der Mensch in seinen holistischen und eingebetteten kooperativen Welt- und Selbstbezügen durchsichtig. 106 Damit hat er sich längst von allen bekannten Definitionen von Sprache und Sprechen verabschiedet. Sein ironisch-synekdochisches Sprachdenken geht seinen eigenen, unabhängigen Weg. Es spürt eigenwilligen Etymologien und Assoziationen nach und entgrenzt die Grundstrukturen der Sprache, beispielsweise das Verhältnis von syntagmatischen und paradigmatischen Sprachbausteinen. Auf diese Weise verändert sich zum Beispiel dann auch das Geschlecht mancher Substantive, die so mit einer neuen Bedeutung versehen werden, etwa beim Wort ›die Ergebnis‹. Das Ereignis und die Ergebnis Wenn Heidegger sagt, dass der dichterische und der denkerische Weg zur Sprache wesentlich ›ereignend‹ ist, dann heißt das, dass es in eine transzendentale Erfahrung führt, die dem Menschen Sein und gleichzeitig Sprache eröffnet. Dabei hat sich der Weg zur Sprache unterwegs gewandelt. Er hat sich aus einem kaum merklichen und täglich gebräuchlichen Tun in das sich ereignende Sprachwesen verlagert. War die Sprache am Leitfaden der Wegformel ein selbstverständliches Tun, so wandelt sie sich, wenn die Sprache zur Sprache zu bringen ist. Heidegger und seinem Leser soll offenbar werden, wie unselbstverständlich das welteröffnende Ereignis der Sprache ist. Heidegger will sozusagen vormachen und auf den Weg führen, wie das Hören zu lernen ist. Das Wesen der Sprache zu erkunden, gleicht selbst zunehmend mehr einer Andacht als einem wissenschaftlichen Laboraufbau oder der linguistischen Erhebung empirischer Daten

105 Vgl. M. Heidegger, Die Sprache im Gedicht. Eine Erörterung von Georg Trakls Gedicht, in: M. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, S. 35–82. 106 Als Vollzugsform ist das Sprechen nach Heidegger charakterisiert durch drei Merkmale: 1. Sprechen ist Ausdrücken, 2. Sprechen ist eine Tätigkeit des Menschen und 3. Sprechen ist ein Vorstellen und Darstellen des Wirklichen und Unwirklichen. Sprechen und Sprache finden sich zunächst im Gesprochenen, das das Sprechen und die Sprache geborgen hält und versammelt, also konserviert.

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Seinsdenken und Sprechen

über die Sprache. Es geleitet vom Lauten des Sprechens hin zum ›schweigenden Geläut der Stille‹. 107 Weil nicht der Mensch Sprache hat, sondern das Sein sich über die Sprache dem Menschen schenkt, lässt sich das Wesen der Sprache als Ganzes nicht nur nicht handhaben (bewirken), sondern noch nicht einmal umblicken. Der Mensch kann nicht aus der Sprache heraustreten, um sie zu umfassen. Er kann überhaupt nicht metonymisch auf sie zugreifen. Er erblickt oder durchblickt nur so viel vom Sprachwesen, wie er sozusagen von diesem selbst angeblickt wird. Wenngleich ein solches Reden über die Sprache mystisch klingt, so ist für Heidegger jedenfalls Fakt, dass sich das Sprachwesen wie das ›Ereignis‹ in keine (klassische) Aussage eingefangen und als ihr propositionaler Gehalt verwaltet werden kann. Ebenso ist für Heidegger klar, dass das dem Wesen-der-Sprache-Nachdenken einen Wandel der Sprache und der Haltung zu ihr verlangt, der durch die Beschaffung neu gebildeter Wörter und Wortreihen weder erzwungen noch erfunden werden kann. Sie müssen sich von sich her zusprechen und sind dann Entsprechungen. Das Sprachwesen als Ganzes bleibt daher innerhalb der ›Sage‹, die eine Art ›Sich-zeigen-lassen‹ ist. 108 Das, was sich in diesem Zeigen ›regt‹, nennt Heidegger nicht etwa ›Erregung‹, sondern das ›Ereignen‹. Das Ereignen denkt er sich als nicht selbst irgendwie hervorgebracht, sondern als Hervorbringen selbst, also wiederum als ein Tätigsein, eine innere Bewegtheit (energeia). Es soll nicht als Ergebnis oder Werk (gr. ergon) aus anderem gedacht werden. Vielmehr bringt Heidegger die Worte ›Eigenes‹, ›Eignen‹ und ›Ergeben‹ in eine synekdochal-verdichtende Wortverwandtschaft so nahe zueinander, dass sich sein bisheriges Sprachund Seinsdenken zu überschlagen scheint. Es scheint nicht mehr klar zu sein, welche Bedeutungsebene und welches Wortfeld gerade entscheidend sind. Dazu (ver)leitet ihn wohl die Wortähnlichkeit von ›eigen‹ und ›(er)eignen‹, die für ihn eine innere Nähe sprachlich adäquat ausdrücken. Das Wortkonstrukt ›die Er-gebnis‹ spielt dann darauf an, dass es etwas gibt, das solches Geben und damit ein ›Es gibt‹ erst gewährt. 109 Ohne ein ›Es-gibt‹ – beziehungsweise ›there are‹ oder ›il y a‹ – gibt es nach Heidegger bekanntlich auch kein Sein. Die Er-gebnis als ›Ereig107 108 109

Vgl. M. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, S. 30. M. Heidegger, Der Weg zur Sprache, GA 12, S. 256. Vgl. ebenda.

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nis‹ darf deshalb auch nicht als ein Vorkommnis oder ein Geschehen vorgestellt werden – wenn man in Heideggers Denken in dieser späten und ausschweifenden Phase angemessen begreifen will. Das Ereignis steht vielmehr für dasjenige, das alles ›Es gibt‹ und damit auch alles Sein in sein Wesen bringt. Es ist das ›Einfachste des Einfachen‹, ›das Nächste des Nahen‹ und das ›Fernste des Fernen‹ 110, wie Heidegger es superlativ formuliert. Das Sein muss also hinsichtlich seiner Wesensherkunft aus dem Ereignis gedacht werden. Und so wie das ›Nichts nichtet‹, die ›Sprache spricht‹ und das ›Wesen west‹, so ›ereignet‹ sich auch das ›Ereignis‹, denn es ›ent-spricht‹ sich sozusagen am besten als tautologische Formulierung. Wohl verstanden ist im logischen Modus des synekdochalen Verstehens die Tautologie nicht etwa inhaltsleer. Vielmehr ist sie die in sich verdichtete Bedeutungsvielfalt, deren Wahrheitsgehalt und Bedeutungsfeld über alles metonymische Eigenschaften und Merkmale benennen oder Definitionen festlegen hinausgeht und nur als eine unter anderen Möglichkeiten des Verstehens in ihre Schranken verweist. Heideggers spätes Denken setzt sich, so zeigt sich, bewusst und dezidiert vom akademischen Philosophieren und von der Sprache der Wissenschaften ab. Dieses Absetzen kann charakterisiert werden als Form der Distanz des Sprechers zu dem, was er sagt und wie er es sagt. Heidegger kommt es offenbar auf die dichterische, stiftende Dimension an, in die es zu gelangen gilt, wenn man das Wesen der Sprache als Dynamik und Vollzug erfassen will. Nur so wachsen auch dem Denker – darin dem Dichter ähnlich – die Worte zu. Man tritt zurück von der Benommenheit einzelner Bedeutungsnuancen und sieht so gewissermaßen erst in der Tiefe die Weite der Bedeutungslandschaften in ihrer Struktur und im weiteren Distanznehmen, wie sich das Wesen der Sprache ereignet. Die Ironie, die in Heideggers gelassener und seinlassender Haltung zutage tritt, fordert also zu einer Art Abstandhalten gegenüber der üblichen abgenutzten Sprache, dem Sprechakt, dem Ausdruck auf. Sie lädt den Hörer und Leser dazu ein, das Unbedarfte eines unmittelbaren Sagens und Meinens, eines allzu wörtlichen Verstehens oder dann auch eines bloß intuitiven Glaubens einzusehen. 111 Unbedarft ist dieses Meinen deshalb, weil es die Worte unmittelbar und selbstverständlich gebraucht und damit unterstellt,

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Vgl. ebenda. Vgl. P. Stekeler-Weithofer, Was heißt Denken?, a. a. O.

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Dichten und Denken

die Inhalte und damit das Wesentliche des zu Sagenden schon zu kennen. Der ironische Sprecher Heidegger nimmt sich selbst aus der Distanzierung nicht aus. Immer wieder gibt er zu, wie sich sein Denken aus den wissenschaftlichen Bahnen herausreflektieren muss und so die Unmittelbarkeit zu dem, was normalerweise in einer Wissenschaftssprache üblich ist, aufheben muss. Die Ironie als eine auch in der Philosophie und in der Wissenschaft ernst zu nehmende tropische Darstellungsform richtet sich also gegen übertriebene, aber auch gegen nur blinde oder verdeckte Formen des Glaubens an die illusorische Kraft der vermeintlich exakten prosaischen Rede. Dass die Wissenschaften und die Philosophie noch nicht in das Wesen von Denken und Sprache gelangt sind, könnte dann daran liegen, dass trotz aller ›linguistischen Wende‹ der Philosophie die auf die Sprache in ihren Gesamtformen achtende und auf das Sprechhandeln hörende Wende des Denkens noch gar nicht stattgefunden hat. Dafür sind nämlich die vollen Register der Sprache, die Tropen als präfigurierende Tiefenstrukturen der Rede und ihre vorwissenschaftliche Dimension mitzubedenken. Sie sind als logische Formen ernst zu nehmen, denn sie bilden gewissermaßen den unentbehrlichen Boden für die allgemeine Inferenzlogik, die das wissenschaftliche Denken sonst beherrscht. Ohne Kenntnis ihrer Weite und Tiefe verharrt das Denken in einem sich selbst begrenzenden Modus des Handelns und des Selbstbewusstseins des Menschen. Es verfehlt sich in dieser Beschränktheit. Das Denken muss sich nach Heidegger also mit dem Wesen der Dichtung noch eindringlicher beschäftigen.

11.3. Dichten und Denken Das Wesen der Kunst und insbesondere der Dichtung hat Heidegger in der Aufsatzsammlung Holzwege, besonders im Kunstwerkaufsatz als ein ›Sich-ins-Werk-setzen der Wahrheit‹ bestimmt. 112 Der Vorrang der Dichtung gegenüber der Kunst insgesamt, zum Beispiel bil-

112 M. Heidegger, Holzwege, GA 5, S. 28. Vgl. auch F.-W. von Herrmann, Heideggers Philosophie der Kunst, Frankfurt am Main 1980; sowie P. B. Kraft, Das andersanfängliche Wesen der Kunst, Frankfurt am Main et al. 1984; außerdem: P. Trawny (Hrsg.) ›Voll Verdienst, doch dichterisch wohnet/Der Mensch auf dieser Erde‹. Heidegger und Hölderlin, Frankfurt am Main 2000.

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Heideggers Seins-Denken im Redemodus der Ironie

dender Kunst, gründet sich auf ihren ursprünglichen Sprachcharakter. Ohne Sprache ist für Heidegger keine ›Offenheit zum Seienden‹ möglich. Auch die anderen Künste haben ihre Sprache nur in einem übertragenen Sinne. Da Sprache für Heidegger im wesentlichen Dichtung ist und das Wesen der Kunst das Ins-Werk-setzen der Wahrheit ist, liegt es nahe, auch das Wesen der Kunst als Dichtung aufzufassen. Hölderlin ist für Heidegger derjenige, der das Wesen der Dichtung gedichtet hat. 113 Ihn hat Heidegger am intensivsten studiert. 114 Im berühmten Spiegel-Interview von 1966, das zehn Jahre später veröffentlicht wurde, äußert Heidegger: »Mein Denken steht in einem unumgänglichen Bezug zur Dichtung Hölderlins … Hölderlin ist für mich der Dichter, der in die Zukunft weist, der den Gott erwartet und somit nicht nur ein Gegenstand der Hölderlin-Forschung […] bleiben darf.« 115 In Hölderlins Dichtung sieht Heidegger eine positive Kraft zur phänomenalen Rettung der Phänomene. Heidegger stellt Hölderlin als dichterischen Stifter eines neuen, anderen Anfangs, als Überwinder der Metaphysik und als Vorbereiter einer neuen Nähe zum Sein dar. Deswegen gilt er für Heidegger als ›Dichter des Dichtens‹, also als Inbegriff des Dichtens, respektive Stiftens selbst. 116 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, GA 39. Intensive Hölderlin-Studien während des Zweiten Weltkrieges schlugen sich nieder in der Interpretation Wie wenn am Feiertage … (1939, gedruckt 1941) sowie zwei Vorlesungen über die Hymnen Andenken (GA 52) und Der Ister (GA 53) aus dem Wintersemester 1941/42 und dem folgenden Sommersemester 1942. Außerdem gibt es einen Vortrag über das Gedicht Heimkunft/An die Verwandten (alle im Sammelband ›Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung‹, ›… dichterisch wohnet der Mensch …‹ und ›Hölderlins Erde und Himmel‹ sowie eine Rede zum 70. Geburtstag von Friedrich Georg Jünger im Jahre 1968 unter dem Titel ›Das Gedicht‹. Darüber hinaus seien in diesem Kontext auch das Vorwort zur 1964 aufgenommenen Langspielplatte ›Martin Heidegger liest Hölderlin‹ und die kleinen Abhandlungen ›Das Wohnen des Menschen‹ (GA 13, S. 213–220) und ›Der Fehl heiliger Namen‹ (GA 13, 231–236) aus den Jahren 1970 und 1974 genannt. Erwähnt sei auch, dass an Heideggers Grab auf ausdrücklichen Wunsch Heideggers Hölderlin-Worte gesprochen worden sind. 115 Siehe Spiegelinterview: ›Nur ein Gott kann uns retten« mit M. Heidegger am 23. 9. 1966, in: Der Spiegel, 30. Jg., Nr. 23, 31. 5. 1976, 193–219; vgl. auch: S. Ziegler, Heidegger, Hölderlin und die Aletheia. Martin Heideggers Geschichtsdenken in seinen Vorlesungen 1934/35 bis 1944, Berlin 1991. 116 Der Hölderlinschen Dichtung zu neuem Ansehen verholfen hat der George-Kreis, vor allem aber Norbert von Hellingrath. In der Folge wurde Hölderlin für ein breites politisches Spektrum der Gebildeten in Deutschland eine bedeutende Identifikationsfigur, besonders aber für diejenigen, die nach ›Heiligen-Erfahrungen‹ Ausschau hielten. Heideggers Faszination entsprach also in der Tendenz dem allgemeinen Zeitgeist. 113 114

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Dichten und Denken

Gott und Götter Bei der philosophischen Interpretation der Hölderlinschen Dichtung konzentriert sich Heidegger vor allem auf die großen Hymnen nach 1800. 117 Heidegger stellt sich auch hier außerhalb der wissenschaftlichen Tradition, was als negierend-ironischer Redemodus gewertet werden kann. So grenzt er sich etwa gegenüber der Philologie oder der Literaturwissenschaft mit ihren Interpretationen ab, die sich zu sehr auf Oberflächenphänomene der Sprache fokussieren. 118 In seinen Hölderlin-Auslegungen will Heidegger herausfinden, was es mit dem Göttlichen auf sich hat, das dem neuzeitlichen Menschen nach Hölderlin abhanden gekommen ist. 119 Heideggers Auslegungen vom Göttlichen und der Rückkehr der Götter in der Auslegung von Hölderlin hat zu vielfältigen Irritationen geführt. Klar ist, dass diese Rede sowohl metaphorische und synekdochische als auch ironische Aspekte hat. Heidegger war jede Verbindung von Philosophie und Theologie suspekt. Die Worte ›Gott‹ und ›Götter‹ stehen für das Heile und daher Heilige, das zu würdigen sozusagen den unheiligen Menschen der modernen Welt aufgetragen ist, und zwar so, dass es ins praktische Leben eingebaut, also vergegenwärtigt, und nicht von ihm losgelöst ist. So wie für sogenannte primitive Kulturen ein Standbild Gottes nicht eine Repräsentation einer bestimmten Idee von Gemeinschaftlichkeit, Schöpfertum oder Liebe seien, sondern Gott selbst in seinem Wirken beziehungsweise im praktischen Erfahren von Sinnstiftung, so sei auch Theos, der Gott des christlichen Abendlandes, nur das Prädikat selbst, das von einem als substanzontologisch verstandenen Subjekt ausgesagt werden könne, und nicht ein jenseitiges transzendentes Subjekt. Verloren geht bei einer solNorbert von Hellingrath hat Hölderlins Spätwerk entdeckt, kommentiert und mit der Edition einer großen Gesamtausgabe begonnen. Vgl. R. Safranski, Ein Meister aus Deutschland, a. a. O., S. 318. 117 Vollständig erläutert er folgende Gedichte: Germanien (GA 39, S. 9–151); Der Rhein (GA 39, S. 153–293), Andenken (GA 52, EH S. 79–151), Heimkunft (EH 9–32), Der Ister (GA 53), Wie wenn am Feiertage … (EH 49–78), Griechenland (EH 152– 181) und In lieblicher Bläue … (VA 181–198). Vgl. auch R.-E. Schulz-Seitz, Befestigter Gesang. Bemerkungen zu Heideggers Hölderlin-Auslegung, 1970; und E. Kettering, Nähe, a. a. O., S. 184. 118 Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA 4, S. 7 f., GA 39, S. 4 ff., GA 52, 2 ff. und Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 60. 119 Vgl. A. Jäger, Das Erscheinen Gottes in der Spätphilosophie Martin Heideggers, in: G. Pöltner (Hrsg.), Auf der Spur des Heiligen. Heideggers Beitrag zur Gottesfrage, Wien, Köln 1991, S. 51. Logik der Tropen

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chen Prädizierung, so lässt sich ergänzen, der kooperativ-andächtige Praxisvollzug, aus dessen Versammlung so etwas wie das Göttliche und Gott überhaupt erst hervorgehen können. 120 Für Heidegger ist es vor allem die Überzeugung, dass es das Wort des Dichters ist, wodurch in der jeweiligen Periode der Geschichte eines Volkes und seiner Kultur das ›ins Offene tritt‹, was dann in der Alltagssprache beredet und verhandelt wird. Meist – so Heidegger – haben sich Dichter nämlich zu Anfang oder zu Ende einer Weltperiode gemeldet: »Mit Gesang steigen die Völker aus dem Himmel ihrer Kindheit ins tätige Leben, ins Land der Cultur. Mit Gesang kehren sie da zurück ins ursprüngliche Leben.« 121 So zitiert Heidegger einen Satz Hölderlins. 122 Erst die Dichter geben also einem Volk seine Identität. Indem sie dem Volk ihre Götter stiften, bringen sie dadurch auch Sitte und Brauch unters Volk. Die Dichter sind für Heidegger – wie für Hölderlin – die wahren Erfinder der Kultur. Sie haben die Macht, Welt zu stiften. Sie geben ihrem Volk sozusagen seine kategorial-kultürlichen Lebensformen in verdichteter noch unkonkreter Form. Da Hölderlin dies offenbar erkannt hat, ist er für Heidegger eine ›Macht‹ in der Geschichte des deutschen Volkes, die noch nicht wahrhaft zum Vorschein gekommen ist. Er sieht Hölderlin deshalb als einen Bruder im Geiste. 123 Hölderlin spricht Heidegger offenbar aus dem Herzen: Die heutigen, also neuzeitlichen Menschen seien zwar ›Vielerfahrene‹, näm120 Vgl. K. Kerényi, Theos. ›Gott‹ auf Griechisch, in: ders., Antike Religion, München 1971, S. 210. 121 M. Heidegger, Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, GA 39, S. 20. 122 Heideggers Hölderlin-Exegese umfasst drei unterschiedliche Schwerpunkte und verändert sich im Laufe der Jahre. Nach dem Scheitern der eigenen ›Selbstbehauptungs- und Machtpolitik‹ Heideggers in der NS-Zeit geht es ihm zunächst um das Wesen der Macht und um die Hierarchie der ›Daseinsmächte‹ : Dichten, Denken und Politik. Heidegger versucht also, seine eigenen Erfahrungen mit der politischen Macht im Nachhinein philosophisch zu verstehen und zu begreifen. Zweitens will er mit Hölderlin eine Sprache finden für das, was dem neuzeitlichen Menschen fehlt, und zwar fehlt es an Sein bzw. Seinsverständnis. Es ist sozusagen ›Götternacht‹. Hölderlins Dichtung ist aber zugleich auch der Vorbote einer möglichen Überwindung dieser Nacht, glaubt Heidegger gemäß der Hölderlinschen Behauptung: ›Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.‹ Schließlich will Heidegger drittens über Hölderlin auch sein eigenes Tun besser begreifen. Er spiegelt sich selbst in Hölderlin – vor allem in dessen Scheitern. Er fühlt sich nicht verstanden, bemitleidet sich und seine Zeit selbst, will vielleicht sogar aus diesem Scheitern verallgemeinerbare Lehren ziehen. 123 Inwiefern Heidegger hier das Volk der Dichter und Denker mit deren Streben nach nationaler Einheit romantisiert, entzieht sich der Erkenntnis.

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lich im Sinne von ›ausgestattet mit breiter wissenschaftlicher Erkenntnis‹, aber sie haben die Fähigkeit verloren, die ›Dinge‹, die Natur und die menschlichen Beziehungen in ihrer Fülle und Lebendigkeit wahrzunehmen. 124 Sie haben das Göttliche verloren. Sie haben sich die Natur unterworfen, sehen und durchschauen die entlegensten Dinge und haben das Staunen verloren. Die Menschen sind schlau geworden, aber gleichzeitig sind sie dumm geblieben, denn ihre göttliche Gabe, die Sprache, verdorrt im Modus der Alltäglichkeit vom Poetisch-Synekdochischen zum Prosaisch-Metonymischen. Der Dichter muss die ganze lebendige, aber inzwischen untergegangene Welt und Sprache wieder ›ins Wort heben‹. Kann er das nicht, sondern erinnert bloß an das Untergegangene, so bleibt er ein ›Dichter in dürftiger Zeit‹. 125 Das Göttliche meint in Heideggers Hölderlin-Auslegung also keinen jenseitigen Bereich, meint weder Religion noch Konfession, sondern bezeichnet ein anderes Verhältnis des Menschen zu sich und zum Ganzen des Seins. 126 Göttlich ist vielmehr das zum Sein hin geöffnete, gesteigerte, intensive, wache Leben im Allgemeinen. Es ist sozusagen eine ›Jubelfeier‹ über das In-der-Welt-Sein. 127 Dieses sprachliche Jubelfest ist in Heideggers Augen in der abendländischen Tradition verlorengegangen. Sowohl im vernutzenden und berechnenden Handeln als auch in der zerredenden Sprache der Menschen ist nichts mehr davon zu spüren. Das Wunder des wesentlich sprachlichen In-der-Welt-Seins wurde vergessen. Keiner staunt mehr. Alles ist entzaubert und abgeklärt. Das hohe Wort wirkt lächerlich. Prosa verdrängt Poesie. Der Mensch hat sich eine Welt ohne Götter kreiert, indem er sich selbst zum Gott erhebt und ihn damit gewissermaßen erniedrigt. Durch die Hybris des Menschen ging das einstige Seinsverständnis verloren, darinnen Gott die Funktion einer Erinnerungsinstanz einnahm. Gott und Götter als selbstgeschaffene Mahnmale Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, GA 39. Vgl. F. Hölderlin, Brot und Wein, in: ders., Werke in einem Band, München et al. 1990, S. 133–138, hier S. 137. 126 Zur Kontinuität der Auseinandersetzung Heideggers mit der Religion siehe auch: G. Ruff, Am Ursprung der Zeit. Studie zu Martin Heideggers phänomenologischem Zugang zur christlichen Religion in den ersten »Freiburger Vorlesungen«, Berlin 1997. 127 Rainer Totzke hat versucht zu zeigen, dass die praktische religiöse Haltung – und das wird beim Blick auf orale Mythen deutlicher als beim Blick auf Schriftreligionen – dem Dasein immer unmittelbar Welt entbirgt. Vgl. R. Totzke, Buchstabenfolgen, Kapitel: Mythos und Religion, Gott und Götter bei Heidegger, a. a. O., S. 301–313. 124 125

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des Gedenkens an die gemeinschaftliche und geschichtliche Existenz des Menschen sind mit dem letzten Menschen Nietzsches zerschmettert. Die Gottlosigkeit und eigene Niedrigkeit wird nicht einmal mehr bemerkt. Nur der Dichter verspürt sie noch. Der Dichter spricht sowohl den Verlust des alten Bezugs zum Sein aus als auch den künftigen Seyns-Bezug eines Volkes. 128 Deswegen steht der Dichter für Heidegger auch am Anfang oder am Ende einer seinsgeschichtlichen Periode. Beide Male jedoch wird er notwendig überhört, denn das Volk muss sozusagen erst eingestimmt werden in die neuen Bezüge zur Wahrheit. Insgesamt geht es in der Zielsetzung der Hölderlin-Analysen 129 um ein Programm an aufeinander aufbauenden Aufgaben: 1. um die Charakterisierung der Seinsvergessenheit; 2. um eine daran anschließende Umkehrbewegung der Erinnerung und 3. um die Gewinnung einer neuen, verdichteten Grunderfahrung des Seyns 130, von der ein Neuanfang gewagt werden kann. Keinesfalls geht es Heidegger darum, alte Götter zu re-installieren oder eine neue Religion zu stiften. Es geht vielmehr um die stimmungsmäßige Neueröffnung des Seienden im bewussten Durchleben von Trauer- und Verlusterfahrungen als Voraussetzung dafür, dass wieder Göttlichkeitserfahrungen, das heißt Neubesinnungen auf Gemeinschaftlichkeit im Dasein möglich werden. Dichtung allein reicht aber zur Kulturstiftung nicht aus. Dazu braucht es auch Denker. So werde zwar die Grundstimmung, und das heißt die Wahrheit des Daseins eines Volkes, ursprünglich durch den Dichter gestiftet. Das so enthüllte Seyn des Seienden wird allerdings erst vom Denker eigentlich begriffen. 131 Das vom Denker begriffene Seyn kann für Heidegger jedoch erst in eine bestimmte ge128 Heidegger benutzt hier ›Seyn‹ mit ›Y‹ nicht im Sinne des tertium comparationis, das wie ein Verb funktionieren soll, wie im Vortrag Vom Wesen des Grundes, sondern eher als einen Anzeiger für die Qualität einer Beziehung. Die Art des Beziehens auf das Sein soll durch den Terminus ›Seyn‹ ausgedrückt werden. Er verweist damit auf die Fortführung seiner alten Frage auf einem neuen Frageniveau. Siehe auch M. Heidegger, Die Geschichte des Seyns, GA 67. 129 Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymne Andenken, GA 53; und ders., Hölderlins Hymne Der Ister, GA 53; sowie ders., Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung GA 4. 130 M. Heidegger, Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, GA 39, S. 195. 131 In diesem Zusammenhang ist nicht klar, ob der Terminus ›Seyn‹ hier – wie im Kunstwerk-Aufsatz – den Unterschied zwischen Sein und Seiendem meint oder nur das Wort ›Sein‹ ersetzt. Wahrscheinlicher ist die Ersetzung, da ein Unterschied mindestens zwei Glieder voraussetzt, die unterschieden werden müssen. Gemeint könnte

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schichtliche Wahrheit gestellt werden durch den Staatsschöpfer. 132 Gemeint ist damit nicht ein bestimmter Staat, sondern – weil Heidegger sehr viel ›griechischer‹ denkt – eher die Polis im Allgemeinen, also die versammelte Gemeinschaft vernünftiger Wesen. Dichter und Denker Das Wesen der Dichtung lässt sich nicht in einer Definition zusammenfassen. Es lässt sich nur im Vollzug erfahren. Dieser Vollzug beinhaltet aber ein Sicheinlassen auf den verdichtenden Charakter der Dichtung. Dichtung macht die Nähe zum Sein offenbar. Sie ist – wie Kunst insgesamt – eine ausgezeichnete Weise des Sich-ins-Werk-setzens der Wahrheit. 133 Und so wie der Ursprung des Kunstwerkes nicht der Künstler, sondern die Kunst selbst ist, so ist der Ursprung der Dichtung nicht der Dichter, sondern das Gedichtete selbst. Dabei ist unter Gedicht nicht das Text gewordene Lesestück gemeint, sondern die Tätigkeit des Wahrheitstiftens. Das Ins-Werk-setzen von Unverborgenheit ist der Ursprung des Gedichtes und gründet sein Wesen. Als Stiften ist Dichtung nämlich das Sagen des als ursprünglich zu begreifenden inneren Streites der ἀλήθεια zwischen Verborgenheit und Unverborgenheit. »Wahrheit als die Lichtung und Verbergung des Seienden geschieht, indem sie gedichtet wird. Alle Kunst ist als Geschehenlassen der Ankunft der Wahrheit des Seienden als eines solchen im Wesen der Dichtung.« 134 Die Sprache der Dichtung ist kein verfügbares Werkzeug oder aber ebenso noch sein: das Unterschiedene bzw. Unterscheidende selbst innerhalb des Seienden. 132 Die Unterteilung in Dichten, Denken und Politik bei Heidegger erinnert stark an Jakob Burckhardts Unterteilung der drei Potenzen: Staat, Religion und Kultur, wobei bei Heidegger die Religion dem Dichten, die Kultur dem Denken und der Staat der Politik entspricht. Wie bei Burckhardt, so kommt auch bei Heidegger der Kultur eine dynamische Rolle zu, welche die beiden tendenziell starren, weil normierenden Potenzen der Religion und des Staates aufzubrechen imstande ist. Bei Heidegger – anders als bei Burckhardt – sind jedoch alle drei Mächte in Maßen schöpferisch, denn sie schaffen einen Hof um sich herum, worin es neue Daseinsverhältnisse und Sichtbarkeiten gibt. Wer sich auf sie einlässt, wird eventuell sein ganzes Dasein umwälzen, prophezeit Heidegger. Aber nur wenige wollen offenbar wirklich in diese Mächte hineingesogen werden, vielmehr halten sie Sicherheitsabstand. Und Heidegger fragt nach den Gründen und Taktiken dieses Abstandhaltens. Vgl. J. Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, 1905; vgl. ebenso M. Heidegger, Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, GA 39, S. 144. 133 M. Heidegger, Holzwege, GA 5, S. 28. 134 Ebenda, S. 59. Logik der Tropen

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zufälliges Medium des Menschen, sondern geschieht als Ereignis. Dichtende Sprache gewährt nach Heidegger nämlich den Menschen ein Gespräch zwischen Sterblichen und Himmlischen. Das wesentliche Wort ist kein bestimmtes im Sinne von bestimmendes, sondern ›das Eine und das Selbe‹. 135 Es macht das Sein offenbar. Im Schlussvers des Gedichtes Andenken heißt es bei Hölderlin: »Was bleibet aber, stiften die Götter.« 136 Damit dem Menschen das Seiende als Mitzuteilendes und Bleibendes überhaupt erscheinen kann, muss zuvor das Sein eröffnet sein. Das Verdauerte und Bleibende wird darin dann allerdings zum ständig Anwesenden. Das Bleibende kommt als ›Nennen‹ der Dinge. Dieses Nennen ist kein bloßes Behängen oder Etikettieren eines schon Bekannten mit einem Namen, sondern ein Ernennen des Seienden ›zu dem, was es ist‹. 137 Es ist ein enthüllendes Seinlassen des Seienden als Seiendes. Das ist das Seiende in seinem Sein. Das Seiende wird durch diese Ernennung in einen höheren Stand gehoben. Der Dichter wird im Akt der Sprachstiftung mit großer Nähe zum Sein selbst beschenkt. Insofern heißt ›dichterisch wohnen‹, dass sich der Mensch als sprachbeschenktes Gattungswesen (nicht als einzelner Dichter) in der Gegenwart der Götter, was nichts anderes als in der Nähe des Seins ist, aufhält. Der Dichter ist betroffen von der Wesensnähe der Dinge, weil sie ihn angehen. Der Dichter ist damit der Sichangehenlassende, Sichansprechenlassende. Dichtung wird damit für Heidegger der tragende Grund der Geschichte und eben nicht nur ihr Kulturausdruck. 138 Das Gespräch, das der Mensch nach Heidegger ist und das wesentlich sein Sein ausmacht, vollzieht sich einerseits als ›Nennen der Götter‹ und andererseits als ›Sagen der Welt‹. 139 Das ›Ge–spräch‹ gründet daher doppelt das Wohnen des Menschen im und nahe dem Sein beziehungsweise bei den Göttern. Ein Unterschied bleibt. Während der Dichter die Götter (be-)›nennt‹, ›sagt‹ der Denker das Sein: »Aus der langbehüteten Sprachlosigkeit und aus der sorgfältigen Klärung des in ihr gelichteten Bereiches kommt das Sagen des Denkers. Von gleicher Herkunft ist das Nennen des Dichters. Weil jedoch das Gleiche nur gleich ist

Ebenda. F. Hölderlin, Andenken, Werke in einem Band, München et al. 1990, S. 207–208, hier S. 208. 137 Vgl. Heidegger, Holzwege, GA 5, S. 60 f. 138 Ebenda. 139 Ebenda. 135 136

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als das Verschiedene, das Dichten und Denken aber am reinsten sich gleichen in der Sorgsamkeit des Wortes, sind beide zugleich am weitesten in ihrem Wesen getrennt. Der Denker sagt das Sein. Der Dichter nennt das Heilige.« 140

Wie freilich, aus dem Wesen des Seins gedacht, das Dichten und das Danken und das Denken aufeinander verwiesen und zugleich geschieden sind, bleibt offen. Vermutlich entspringen Danken und Dichten in verschiedener Weise dem anfänglichen Denken. »Man kennt wohl manches über das Verhältnis der Philosophie zur Poesie«, schreibt Heidegger, »wir wissen aber nichts von der Zwiesprache der Dichter und Denker, die ›nahe wohnen auf getrenntesten Bergen‹.« 141 Der Dichter ist für Heidegger Mittler zwischen Menschen und Göttern. Er ist aufgrund seiner Transzendentalität in gewisser Weise ausgesetzt und hinausgeworfen in die Freiheit, das menschliche Selbst- und Weltverständnis primordial vorzuorganisieren. Er ist eingespannt zwischen Göttlichem (Unbestimmtem, Substanzlosem) und Seiendem (Bestimmtem, Gegenständlichem). Wenn Heidegger den Dichter in ein ›Zwischen‹ ›ver-rückt‹, in die Mitte des Seins, zwischen Himmel und Erde, dann liegt nach Heidegger in dieser Position sowohl Größe als auch Gefahr des Dichters. 142 Die Sprache der Götter zeigt sich nämlich nur als ›Gewitter‹ und ›Blitze‹, ist also im herkömmlichen Sinne nicht artikulierte oder bedeutungsbehaftete Sprache. 143 Sie hat eher den Charakter von ›Winken‹, die der Dichter versucht, zu entschlüsseln bzw. mit Sinn zu versehen und den anderen Menschen andeutungsweise zu übermitteln oder auch nur an die Menschen weiterzureichen. Dies tut er in Liedern und Gesängen, in Geschichten und Rapsoden. Das Fassen der Winke ist kein Kreationismus, sondern Empfangen (der Winke) und ein Geben (Sinnausstattung) zugleich. Es ist nicht nur bloßes Hinzeigen oder Bemerkbarmachen, sondern es ist ein ›(ver)einigendes Geschehen‹ von Verborgenheit und Unverborgenheit und Nähe und Ferne zugleich. Diese Aufgabe zu übernehmen, macht die Größe der Dichtung aus. Die Gefahr liegt dabei in der rechten Art der Wahrung der Balance M. Heidegger, Was ist Metaphysik, GA 9, S. 54 f. Ebenda. 142 M. Heidegger, Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, GA 39, S. 31 und S. 73. 143 Nicht von ungefähr sind die obersten Götter der Religionen oft Donner- oder Blitzgottheiten. Sie schlagen ein, rütteln auf, sind sozusagen Initialzündungen für eine breite Palette von Grundstimmungen, von Staunen bis zur Angst. 140 141

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zwischen Nähe und Ferne, Verborgenheit und Unverborgenheit. Weil die Nähe der Götter auch zu groß werden kann, ist der Dichter in Gefahr zu umnachten. Widersteht er der Gefahr, ist er zuweilen gezwungen, das Nennen zu verhüllen. Dann wird das Nennen als ›entbergendes Rufen‹ zugleich auch wieder ein Verbergen und gleitet in Missverständnis ab. Es ist also nicht der ›räumliche Abstand‹, der das Maß der Nähe abgibt, sondern die Art der Offenheit des Gezeigten und des ihm gemäßen Zeigens. Es ist der Modus, in dem sich dem Sein gegenüber offengehalten und es in sich aufnehmend sein gelassen wird. Gleichzeitig muss die Übersetzbarkeit gewährleistet werden. Wenn Heidegger weiterhin schreibt, dass Dichter und Denker ›auf verschiedenen Bergen wohnen‹, dann ist das allegorisch gemeint. Die Berge sind die ›getrenntesten‹, weil offenbar ein unüberwindbarer ›Abgrund‹ sie scheidet, denn Dichtung ist nicht Denken und Denken nicht Dichtung. Beides sind verschiedene Verhältnisse zur Welt und sprechen unterschiedliche Sprachen. Und doch wissen sie sich noch in höchster Höhe nah und verwandt, denn sie sind sich nah in Bezug auf die Nähe zum Sein. Das macht sie sozusagen zu Geschwistern, die ja auch meist sehr unterschiedliche Identitäten ausbilden und obwohl sie über das gleiche Erbmaterial, die gleichen Eltern verfügen. Zwischen Dichten und Denken gibt es für Heidegger also eine Verwandtschaftlichkeit. Er nennt sie ›Nachbarschaft‹. Weil diese Nähe zum Sein wichtig für das dynamische Selbstverhältnis des Menschen ist, bedarf es der Pflege einer ›Zwiesprache‹ zwischen beiden und keine Exklusion der jeweils anderen Bezugnahme. Das Denken hat vorbereitenden, keinen im eigentlichen Sinne stiftenden Charakter. 144 Es bereitet Stiftung vor. Das Nennen des Dichters ruft das kommende Heilige und entwirft somit im Voraus dasjenige, was noch nicht ist, in sein Wesen. 145 Es stiftet worthaft das Sein im dreifachen Sinne von Schenken, Gründen und Anfangen. Beide bewegen sich zwar im gleichen Element, nämlich dem Logos, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung. Beide sagen in gewisser M. Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, S. 66. Zum Begriff des ›Heiligen‹ bei Heidegger vgl. A. Grossmann, Spur zum Heiligen. Hegel und Heidegger, Bonn 1996; H. Helting, Heideggers Auslegung von Hölderlins Dichtung des Heiligen. Ein Beitrag zur Grundlagenforschung der Daseinsanalyse, Berlin 1999; sowie G. Pöltner (Hrsg.), Auf der Spur des Heiligen. Heideggers Beitrag zur Gottesfrage, Wien, Köln 1991; und Z. Tsikrikas, Jenseits von Phänomenologie und Dialektik. Das Heilige und das Plötzliche bei Martin Heidegger, Göttingen 2004. 144 145

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Weise ›das Selbe‹, nicht aber das Gleiche, denn das Gleiche macht gleich, bringt etwas in einer Hinsicht unter einen Nenner, während das Selbe als Zusammengehören den Unterschied als ganzheitliches Aufnehmen in unterschiedlicher Perspektivnahme in sich wahrt. »Das selbe deckt sich nie mit dem gleichen, auch nicht mit dem leeren Einerlei des bloß Identischen. Das gleiche verlegt sich stets auf das Unterschiedslose, damit alles darin übereinkomme. Das selbe ist dagegen das Zusammengehören des Verschiedenen aus der Versammlung durch den Unterschied. Das Selbe lässt sich nur sagen, wenn der Unterschied gedacht ist. Im Austrag des Unterschiedenen kommt das versammelnde Wesen des selben zum Leuchten. Das selbe verbannt jeden Eifer, das Verschiedene immer nur in das gleiche auszugleichen. Das selbe versammelt das Unterschiedene in eine ursprüngliche Einigkeit. Das gleiche hingegen zerstreut in die fade Einheit des nur einförmigen Einen.« 146

Dichten und Denken prägen also unterschiedliche Logos-Formen aus, wenngleich sie dasselbe ausdrücken können. Das Heilige und das Sein stehen im Dienste der Sprache und verwenden und verschwenden sie für sie, denn beiden ist nach Heidegger die ›Wächterschaft‹ für das ›Haus der Sprache‹ aufgetragen. 147 Gegen Otto Pöggeler ist insofern Emil Kettering zuzustimmen, wenn dieser schreibt, dass die entscheidende Differenz zwischen Denken und Dichten bei Heidegger nicht zwischen Unmittelbarkeit der Dichtung und Mittelbarkeit des Denkens besteht, sondern darin, dass das Dichten sich in seinem Nennen sozusagen weiter zum Göttlichen vorwagen darf als das Denken, dem nicht Stiftung des Kommenden, sondern Zurückhaltung geboten ist. Heidegger nutzt mit seiner Analogie von Dichten und Denken also die phänomenal weitere Dimension der Dichtung zur näheren Bestimmung der Aufgabe und des Wesens des Denkens selbst. Die Dimension selbst ist nun klarer geworden als noch in Sein und Zeit, wo es vor allem um die Absetzung zur Wissenschaft und die Gewinnung einer praktischen Vollzugsperspektive auf die Phänomene ging. Weil Dichtung für Heidegger wesenhaft Artikulation und Benennung des Heiligen selbst ist und nicht Erlebnisausdruck eines Individuums, kann das Wesen der Dichtung weder durch eine vergleichende Betrachtung mehrerer Gedichte auf das ihnen Gemeinsame, M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, S. 187. Vgl. M. Heidegger, Über den Humanismus, GA 9, S. 5; ders., Was ist das, die Philosophie?, S. 45. 146 147

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durch Aufsammeln von Merkmalen beziehungsweise Abstraktion, noch durch kausalmechanische Rückführung auf ein produzierendes Subjekt, das Gedichte macht, gefasst werden. Einzig das Eintreten in den Machtbereich der Dichtung kann deren Wesen offenbaren. Insofern ist das Wort natürlich auch kein Eigentum des Dichters. Der Dichter ist vielmehr als Medium durchdrungen von der Nähe des Seins und ist daher nur dazu berufen, das Wort zu stiften. Ebenso ist das Gedichtete nicht identisch mit dem objektiv feststellbaren Inhalt. Vielmehr ist es so, dass das dichterische Wort als Nennen des Heiligen den Dichter sozusagen überdichtet. Dabei wird der Dichter gewissermaßen selbst gestiftet. Die Frage nach der Stiftung des Seins weist zurück in die fundamentale Frage nach dem Sein des Stiftens. Das Wesen der Dichtung als Stiftung des Seins kann bei Heidegger also nur durch die Eröffnung des Seins des Stiftens selbst erschlossen werden, welches Sein sich jedoch nur im Stiften selbst zeigt. Zum Wesen des Seins als solchem gehört der stiftende Rückwurf seiner auf sich selbst. 148 »Das Seyn läßt Dichtung entspringen, um ursprünglich in ihr sich zu finden und so in ihr sich verschließend als Geheimnis sich zu eröffnen.« 149 Zwar bedarf es zuerst des Denkens als Möglichkeitsraum des Dichtens, aber – um mit Hölderlin zu reden –: »Was bleibt, stiften die Dichter« 150, denn sie dichten den Anfang und deuten die Winke der Götter. Im poetisch Verdichteten gelangen die Winke in eine erste primordiale Stimmungsdimension mit pansemischem Charakter. Das Dichten, so Heidegger, schenkt Namen und reicht sie den Menschen in Gesänge gehüllt; es gründet geschichtlich das Wohnen der Menschen und lässt im Sagen des kommenden Heiligen den neuen Anfang anfangen. Das ursprüngliche und vorbereitende Denken hingegen bescheidet sich mit der Erweckung der Bereitschaft für die Möglichkeit eines neuen Zuspruchs des Seins. Dessen Erscheinen liegt jedoch im Dunkeln, ja sein Kommen ist ungewiss. Das ursprüngliche Denken ist weder Metaphysik noch Wissenschaft. Es wirkt auch nicht in die Öffentlichkeit und in das jeweilige Zeitalter. Es kann die Zukunft weder voraussagen noch stiften. Es ist nicht festgelegt auf eine Interpretation des Seins, weil seine Sache selbst noch strittig ist. Daher kann es auch keine allgemeinverbindlichen Lebensregeln auf148 149 150

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M. Heidegger, Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, GA 39, S. 237. Ebenda. F. Hölderlin, Andenken, in: Werke in einem Band, München, Wien 1990.

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Dichten und Denken

stellen oder praktische Handlungsanweisungen in Form von Moralphilosophie und Ethik geben. Seine ganze Verbindlichkeit liegt im rechten Hören des jeweiligen Zuspruchs des Seins. Das vorbereitende Denken hält sich im Bereich des Unheimischen der derzeitigen Seinsverlassenheit auf. Der Dichter muss hingegen nicht in der Fremde verharren, sondern darf einen dichterischen Entwurf des Heimischen vornehmen und den Weg in die Heimat antreten. Das heißt, der Dichter macht eine inhaltlich spezifische Angabe, denn er nennt das Heilige. Das Heilige ist aber zugleich das Heile, das Ganze und damit das Heimische für ein dichterisches Wohnen. Es bildet den Kontrast zur Erfahrung des Denkers. Der Denker hingegen lebt in Zerissenheit und Heimatlosigkeit. Er hält den Unterschied als Unterschied offen und aus. Er lebt in der Seinsverlassenheit, der noch nicht einmal der Wesenraum des Heiligen ist, in dem die Göttlichen wohnen. Dichten und Denken sind jedoch darin ähnlich, dass beide ausgezeichnete Weisen sind, aufzunehmen, wie Wahrheit west. Sie sind Aufzeigungsweisen, in denen Seiendes offenbar wird. Zwar ist es eigentlich dem Dichten vorbehalten, sich dem Sein zu nähern. Weil aber auch das Denken ein ausgezeichnetes Verhältnis zur Sprache hat, zielt es auf das Wesen der Sprache. Der Denker hat, so schreibt Heidegger in seinem Aufsatz über Die Sprache im Gedicht 151 die Aufgabe, das Wesen der Sprache hervorzurufen, damit die Sterblichen wieder lernen, in der Sprache zu wohnen. 152 Die denkende Zwiesprache mit dem Dichten ist allerdings nur bedingt geeignet, das Wesen der gedichteten Sprache zu erörtern, da sie eher diese zerstört als ›aus seiner eigenen Ruhe singen zu lassen‹. 153 Ins Wesen gelassen aber wird nach Heidegger die Sprache und der Mensch erst durch den recht verstandenen ›Ort‹, an dem sich die Menschen treffen. Wie anders sonst ist es zu verstehen, wenn Heidegger schreibt, dass kein einzelnes und auch nicht die Summe von Dichtungen ›alles sagt‹. Und doch spricht jede Dichtung aus dem Ganzen des einen Gedichtes – und zwar als Grundstimmung. 154 Die Sprache des Gedichts hat ihren Ort in der ›Abgeschiedenheit‹. Sie entspricht ›der Heimkehr

151 Vgl. M. Heidegger, Die Sprache im Gedicht. Eine Erörterung von Georg Trakls Gedicht, in: ders. Unterwegs zur Sprache, GA 12. 152 Ebenda, S. 38. 153 Ebenda, S. 39. 154 Ebenda, S. 37 f.

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des ungeborenen Menschengeschlechtes in den ruhigen Anbeginn seines stilleren Wesens‹. 155 Gedichtetes denken bedeutet insofern kein Dienstbarmachen der Dichtung für die Philosophie, sondern ein Wissen erlangen, aus dem das Gedichtete dieser Dichtung sein gelassen wird, was sie von sich aus ist und sein kann. Der Mensch soll sich zurücknehmen, nicht über das Gedicht reden und es sozusagen nach metonymischen Kriterien in oberflächenphänomenale Einzelteile sezieren, sondern soll sich vom Gedicht in seiner Grundstimmung ansprechen lassen. Der Mensch soll sich unter das Maß des Wesens der Dichtung stellen, soll sich von ihr den Weg zeigen lassen. Ein solcher Weg kann nur gegangen, beziehungsweise erfahren werden. Ziel der Unternehmung wird es dann sein, sich in die denkerische Erfahrung des Gedichteten einzustimmen und auf den Weg bringen zu lassen, so wie der Dichter in Anspruch genommen wird vom Göttlichen. Sprache ist für Heidegger nichts Starres, Festes. Weil sie zum dynamischen Wesen des Menschen gehört, ist sie wie dieses Wesen selbst ein Unterwegssein zu sich selbst. Sie ist, so Heidegger, aus der Abgeschiedenheit des Bedeutungslosen unterwegs. Weil sie aus dem, was sie ›im Abschied verlässt‹, spricht, verlässt die Sprache der Dichtung sozusagen die ›stille Geborgenheit‹ des ›Ortes‹, aus dem sie stammt, und geht über in das Reich der ausgedrückten Mehrdeutigkeit. 156 Deshalb sagt Heidegger auch, dass die Sprache des Gedichtes wesenhaft mehrdeutig sei – und zwar auf ihre je eigene Weise. 157 Die Zwei- beziehungsweise Mehrdeutigkeit ist aber nur die eine, ausgedrückte Seite des Ganzen, deren andere Seite ›aus dem innersten Ort des Gedichtes bestimmt wird‹. Weil sich in der Dichtung Erfahrung verdichtet hat, spricht aus der Dichtung eine ›zweideutige Zweideutigkeit‹ – oder präziser noch: eine ›mehrdeutige Mehrdeutigkeit‹. Das klingt beim ersten Lesen zunächst nach Beliebigkeit und Relativismus. Heidegger jedoch entgegnet einer solchen Vorstellung von der Dichtung, dass diese Mehrdeutigkeit keine ›unbestimmte Vieldeutigkeit‹ ist, sondern die ›Strenge des Lassenden‹, der sich auf die Sorgfalt des ›gerechten Anschauens‹ eingelassen hat und diesem sich fügt. 158 Sie ist für Heidegger ›Ankunft des Gewesenen‹ und damit 155 156 157 158

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Ebenda, S. 74. Ebenda. Ebenda. Vgl. ebenda, S. 75.

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Dichten und Denken

›wahre Zeit‹. 159 In diesem Sinne ist Georg Trakls Dichtung für Heidegger auch im höchsten Sinne geschichtlich, da sie das ›sprachliche Schicksal des Menschengeschlechtes besingt‹. Wer allerdings der verdichteten Sprache mit ›irgendeinem stumpfen Sinn eines eindeutigen Meinens‹ begegnen will, der wird – jedenfalls Heideggers Überzeugung zufolge – wohl nichts von ihr verstehen. Dichtung ist wesentlich mehrdeutig. Als Verdichtung bedeutet sie immer mehr, als sie sagt. 160 Sie ist Gesang und spricht in Bildern. Weil jedoch das heutige Denken immer entschiedener und ausschließlicher zur Eindeutigkeit, zum Rechnen und zur Berechenbarkeit drängt, setzt es alle nur bestellbaren Kräfte und Interessen daran, zu ›errechnen‹, wie sich der Mensch demnächst im weltlos kosmischen Raum einrichten könne. Ein solches Denken, so Heidegger, ›ist im Begriff, die Erde als Erde preiszugeben‹. 161 Die Frage des Primats von Dichten oder Denken ist damit noch nicht geklärt. Wie Kettering übersichtlich dargestellt hat, wandelt sich Heideggers Denken von Dichtung als Poesie 162 zum Denken als Urdichtung, die sowohl allem Dichterischen der Kunst als auch aller Poesie vorausgeht. 163 So gibt es später eine starke Annäherung von Dichten und Denken. Dichten wird in einem weiten und engen Sinne der Poesie und im Grunde als ursprüngliches und anfängliches Denken aufgefasst 164. Mit dieser Annäherung geht eine Ablösung des Denkens von der Philosophie in ihrem Schulbegriff einher. Die Frage nach dem Primat von Denken oder Dichten gibt Heidegger im Spätwerk schließlich gänzlich auf als Relikt einer abendländischen Denktradition, die er gerade überwinden will. Das Verhältnis wandelt sich in eine Art befruchtende Nachbarschaft um. Dichten und Denken werden also nicht gegeneinander ausgespielt. Da sie gleichursprünglich sind, sieht sie Heidegger als gleichwertige, gleichursprüngliche Ebenda. Dabei darf Verdichtung nicht in dem Sinne verstanden werden, dass etwas Auseinanderliegendes nachträglich synthetisiert wird. Vielmehr ist es genau umgekehrt. Aus einem ursprünglichen poetischen Stiftungsakt, der wesentlich ungetrennt und einheitlich ist, entsteht erst alle prosaisch-metonymische Entfaltungsmöglichkeit. 161 M. Heidegger, Das Wesen der Sprache, GA 12, S. 190. 162 Vgl. E. Kettering, Nähe, a. a. O.; sowie M. Heidegger, Vom Ursprung des Kunstwerkes, GA 5. 163 Vgl. M. Heidegger, Der Spruch des Anaximander, GA 5 und GA 78; sowie ders., Der Anfang der abendländischen Philosophie (Anaximander und Parmenides), GA 35. 164 Vgl. M. Heidegger, Holzwege, GA 5. 159 160

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und nicht weiter aufeinander rückführbare Möglichkeiten an, die einander ergänzen. Die dichterische Erfahrung mit der Sprache braucht die Ergänzung durch die denkerische Erfahrung und umgekehrt. 165 Die Primatfrage überhaupt zu stellen, rührt vielmehr selbst aus einem polaren Denken her, das das eine gegen das andere ausspielen möchte. Sie entspringt dem Unvermögen, eine Beziehung rein aus ihr selbst her zu erfahren. 166 »Der Dichter«, schreibt Heidegger, »denkt in die Ortschaft, die sich aus derjenigen Lichtung des Seins bestimmt, die als der Bereich der sich vollendenden abendländischen Metaphysik in ihr Gepräge gelangt ist. Hölderlins denkende Dichtung hat diesen Bereich des dichtenden Denkens mitgeprägt. Sein Dichten wohnt in dieser Ortschaft so vertraut wie kein anderes Dichtertum zu seiner Zeit. Die Ortschaft, in die Hölderlin gekommen, ist eine Offenbarkeit des Seins, die selbst in das Geschick des Seins gehört und aus diesem her dem Dichter zugedacht wird.« 167 Auffällig ist insgesamt die Scheidung und zugleich nahe Verwandtschaft, die Heidegger zwischen Denken, Danken und Dichten ausmacht. Dichter und Denker sind für Heidegger diejenigen, die das metaphysische Gehege der Sprache aufbrechen, indem sie das Wort würdigen, seine Geschichte aufleben und konservieren sowie größte Sorgfalt beziehungsweise Sorgsamkeit über es walten lassen. Das ›Sagen des Denkers‹ und das ›Nennen des Dichters‹ sind jedoch nur in ihrer Bezugnahme auf das Danken und das Sorgetragen für die Sprache gleich. Also in ihrem Dass-sein. Sie unterscheiden sich in dem, was und wie sie ihre Sorgfalt ausüben. So ›nenne‹ der Dichter für Heidegger ›das Heilige‹, aber ›sage‹ der Denker ›das Sein‹. Beide entspringen einem ›anfänglichen Danken‹. 168 Der Dichter gibt den Dingen und dann auch den Göttern Namen. Er benennt sie, ist Namensgeber, Stifter. Dahingegen stammt das Wort ›sagen‹ etymologisch von ansagen, erzählen und verkünden und kommt von der Wurzel ›*sekw-‹ die soviel wie folgen bedeutet – ähnlich wie beim 165 Daher muss diese Nachbarschaft auch erhalten und gesucht werden. Dabei muss gesucht werden, was längst schon immer vorliegt, da sich der Mensch schon immer in beidem bewegt. »Beide, Dichten und Denken, sind ein ausgezeichnetes Sagen, insofern sie dem Geheimnis des Wortes als ihrem Denkwürdigsten überantwortet und dadurch seit je in die Verwandtschaft miteinander verfugt bleiben«, schreibt Heidegger in: Unterwegs zur Sprache, GA 12, S. 173. 166 M. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, S. 188. 167 M. Heidegger, Holzwege, GA 5, S. 251 f. 168 Vgl. ebenda.

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Dichten und Denken

Wort ›erzählen‹, das verwandt ist mit ›Zahl‹ also eine Ausgangsbedeutung hat, deren Kern darin besteht, ›einer Reihe zu folgen‹ beziehungsweise zu ›erzählen‹, zusammenzuzählen in einer Form des ›und dann, und dann, und dann …‹. Im Erzählen ist daher das Zusammenrechnende, Sammelnde bereits mit einbegriffen. Darin schwingt die ›Sage‹ beziehungsweise ›Saga‹ mit. Die Sage ist eine frühe Form der Erzählung und enthält mythische und märchenhafte Elemente. Den Fluss des Seins zusammenzunehmen zu einer zeitlichen Reihe, der man folgt und deren Sinn sich im Folgen erschließt, stellen dann den tieferen Sinn und Halt des Sagens des Denkers nach Heidegger dar. Beide, Nennung und Sage, sind aufeinander angewiesen, denn ohne Benennungen gibt es keine Elemente in einer Reihenbildung und ohne Zusammenstellungen haben die Namen, etwa Zahlen, keinen Sinn. Dichtung und Denken verhalten sich damit wie Inhalt und Form, wie Material und Ordnungsschema. Beide bedingen wechselseitig einander und sind ohne einander gar nicht als einzelne und eigene bedeutungsvoll. Heimkehr zum Eigenen Doch warum bedarf es des Stiftens eines anderen Anfangs? Es bedarf seiner, weil die Götter ›geflohen‹ sind. Diese mythische Umschreibung des abendländischen Seinsverständnisses könnte bedeuten, dass das Leben nicht mehr ›beseelt‹ ist, sondern nur noch unter der Maßgabe selbst errichteter rechnender Maßstäbe und Gestelle abläuft. Dichtung nennt zwar das Heilige und gründet einen anderen Anfang in der Geschichte, aber Ausgangspunkt für die Notwendigkeit der Stiftung eines neuen Anfangs ist die Grunderfahrung der ›Flucht der Götter‹ – wie der späte Heidegger mit Hölderlin metaphorisch das zur Sprache bringt, was sich bereits in seiner Metaphysik- und Technikkritik auf andere Weise aussprach. Götterferne oder der ›Fehl Gottes‹ entspricht Heideggers eigener Grunderfahrung der Seinsvergessenheit und Seinsferne. 169 Um einen neuen Anfang zu stiften, müssen die Götter den Menschen hold sein und sich den Menschen zeigen, Nähe zulassen.

169 Emil Kettering weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Hölderlins Gottesbegriff nicht mit dem von Heidegger identisch ist. Hölderlins Gott ist nicht der von Heidegger scharf kritisierte Gott der Metaphysik, sondern eine Chiffre des Heideggerschen ›Seins als Ereignis‹, das sich entzieht oder verschenkt. Vgl. E. Kettering, Nähe, a. a. O.

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Was also tun Dichter und Denker wesentlich nach Heidegger und Hölderlin? Sie versuchen, zu sich selbst zu kommen. Dabei ist es der Beruf des Dichters, den ›Weg ins Heimische‹ zu bereiten. Sie wollen vor der abendländisch-metaphysischen Selbstentfremdung, die durch den Hang zur Hang zu universeller technisch-schematischer Handhabbarkeit und Bewirkbarkeit entsteht und tendenziell im Anfang stiften schon enthalten ist, durch Neustiftung ins Heimische retten. Den Heimweg des Dichters zum Eigenen thematisiert Heidegger anhand von Hölderlins Gedichten Andenken und Heimkunft/An die Verwandten in ausführlichen Erläuterungen im Jahr 1941/42. 170 Nach Hölderlin bedarf es des Erlernens des Eigenen, um Dichter zu werden. Der freie Gebrauch des Eigenen ist das schwerste, denn es kann nicht an ihm selbst erfahren werden, sondern nur auf dem Umweg einer Ausfahrt in die Fremde. Dort kann zunächst das Andere erschlossen werden. Über den Umweg des Anderen kann dann auch das Eigene erst in den rechten Blick genommen werden, weil sich das Andere und das Eigene nur in Gegenseitigkeit bestimmen lassen. »Der Aufenthalt in der Fremde und die Befremdung in der Fremde«, schreibt Heidegger, »müssen sein, damit am Fremden das Eigene zu leuchten beginnt.« 171 Erst indem ich mich nicht vollständig dazugehörig fühle, wird das Eigene in mir sichtbar. Hölderlin nennt den zum Dichter berufenen deshalb auch ›Schiffer‹, der die Heimreise antritt. 172 Es ist die Heimreise zu sich selbst. Das Fremde muss dieser andenkend und in diesem Sinne auch dankend bewahren, weil es die Voraussetzung für das Eigene ist. Das Ferne muss nah bleiben, denn sonst kann das Eigene nicht als eigenes erfasst werden und vom Fremden abgesetzt werden. Ein solches Andenken denkt nicht nur an das Gewesene, sondern auch an Kommendes. Es ist existenziales Andenken. Die Dichter müssen sich entschieden von der Heimat entfernen, um in der fernsten Ferne von der Heimat dem Eigenen näherzukommen. Geschichtlich sind die Menschen am Anfang allerdings gerade nicht zu Hause, weil der Anfang nach Heidegger sein Wesen verweigert. Der Anfang ist gerade das Unheimische. Mit der Rückkehr in die Heimat ist der Dichter noch nicht am Ziel angelangt, denn mit der Heimkehr hebt das eigentliche Hei170 171 172

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Vgl. M. Heidegger, Hölderlins Hymne Andenken, GA 52. M. Heidegger, Hölderlins Hymne Der Ister, GA 52, S. 41. Ebenda.

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mischwerden erst an. 173 Deshalb muss aus dem Nahekommen das Nahe-dem-Ursprung-wohnen entspringen. Das bedeutet, dass der Dichter noch lernen muss, geschichtliches Wohnen zu gründen. »Was du suchest«, schreibt Hölderlin, »es ist nahe, begegnet dir schon.« 174 Auch der Ankommende bleibt ein Suchender, wobei ihm das Gesuchte schon nahe ist und begegnet. Es ist nur noch nicht gefunden, denn das gesuchte Wesen der Heimat muss sich von sich selbst aus zeigen. 175 Das ungegenständliche Offene wird dann auch ›offene Helle‹, ›strahlende Lichtung‹, das ›Heitere‹ und das ›Heilige‹ genannt. Nähe als das Eigene räumt das Offene mit den Koordinaten Raum und Zeit ein und gewährt den Menschen und Göttern Offenbarkeit. Insofern ist das gesuchte Eigenste die Heimat. Heimat ist Nähe zum Ursprung als die ›Nachbarschaft zum Freudigsten‹, wie Heidegger schreibt. 176 Wenn also das Eigenste der Heimat der Ort der Nähe zum Ursprung ist, dann ist die Heimkunft eine Rückkehr in die Nähe zu diesem Ursprung. 177 Die Rückkehr zum Eigenen bringt das Nahe nah, indem sie es fern-hält beziehungsweise in der Ferne hält. Damit wird Wiederholung nicht nur mit Iteration gleichgesetzt, sondern mit Stiftung eines gleichursprünglichen Anfangens von Sprache und Denken. Doch was meinen Heidegger und Hölderlin damit? Als solches wahrt die Nähe zum Ursprung ein ›Geheimnis‹, denn sie spart das Eigenste auf. Sie hält das Freudigste zurück und verwahrt es für die Kommenden. Der Beruf des Dichters ist es daher nicht, das Geheimnis zu entschleiern, sondern das ›Ge-heim-nis‹ als Geheimnis zu hüten. »Der Dichter kommt heim«, fasst Heidegger zusammen, »indem er in die Nähe kommt zum Ursprung. Er kommt in die Nähe, indem er das Geheimnis der Nähe zum Nahen sagt. Er sagt es, indem er das Freudigste dichtet. Die Elegie ›Heimkunft‹ ist nicht ein Gedicht über die Heimkunft, sondern die Elegie ist als die Dichtung, die sie ist, das Heimkommen selbst.« 178 Als Elegie dichtet sie allein schon in Ebenda, S. 174. F. Hölderlin, Heimkunft/An die Verwandten, 4. Strophe, Werke in einem Band, München, Wien 1990. 175 E. Kettering beschreibt das Wesen der Heimat so: »Es offenbart sich als das ungegenständliche Offene, das trotzdem nicht ›nichts‹ ist: als die NÄHE, die näher ist als alle Dinge und doch für das gewöhnliche Sehen ferner, weil sie in einem unauffälligen Scheinen verweilt.« E. Kettering, Nähe, a. a. O., S. 197. 176 M. Heidegger, Hölderlins Hymne Der Ister, GA 52, S. 174. 177 M. Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlin, GA 4, S. 197. 178 Ebenda, S. 25. 173 174

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ihrer Form das Heimkommen. Die Elegie ist sozusagen mit Heimkommen durchdrungen. Sie ist die Versöhnung mit sich selbst, die innere Heimkehr. Die Elegie ist nicht nur ein Klagelied oder Trauergesang mit Distichen- oder Alexandriner-Versmaß. Sie kommt, wenn sozusagen das Schöne vergeht und das Vollkommene stirbt, wie Friedrich Schiller sagt. 179 Sie ist Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, nach dem Verlorenen und Unwiederbringlichen, nach dem Ursprung, dem ersten Mal, dem Ursprünglichen und Anfänglichen. Demzufolge besteht die Aufgabe des modernen deutschen Dichters für Heidegger darin, in der Ausfahrt zu ihren Ursprüngen in Griechenland das verlorene und nunmehr fremde Feuer des Heiligen zu empfangen und so die Nähe der Götter zu erfahren, um dann im andenkenden Bewahren der entflohenen alten Götter heimzukehren und die Aneignung des Eigenen zu vollbringen. Das Eigene zu vollbringen, besteht dann darin, das Eigene und Fremde, das Nahe und Ferne zu vereinen und damit ein dichterisches Wohnen in der Nähe des Ursprungs zu stiften. Es ist klar, dass Griechenland dabei nicht für ein bestimmtes Volk zu einer bestimmten Zeit steht. Griechenland steht vielmehr für die Wiege des abendländischen Denkens und Dichtens. Für Hölderlin ist es der Ort der Fremde und Ferne; für Heidegger der Ort der Weichenstellung von der Nähe zum Sein weg zum Seienden. In der Erfahrung der Nähe zum Sein eröffnet sich zugleich die Ferne: Seinsverlassenheit. Zum Heimischwerden gehört deshalb eine Wanderschaft. Die gesuchte Wohnstätte liegt nicht als statische, fixierte Raumstelle vor, sondern hat dynamischen Charakter. 180 Der Dichter ist der ›Strom‹ zwischen Erinnerung und Ahnung, zwischen Göttern und Menschen. Das aber bedeutet für Heidegger: Ohne Erfahrung der Seinsverlassenheit auch keine Neuaneignung, kein Anfang und nichts Eigenes. Hölderlins Dichtung ist ›Sorge um das Heimischwerden‹, wie Heidegger aus der Schlussstrophe zu ›Brod und Wein‹ entnimmt: »Nemlich zu Hauß ist der Geist nicht im Anfang, nicht an der Quell. Ihn zehret Heimath. Kolonie liebt und tapfer Vergessen der Geist.« 181 179 Vgl. Friedrich Schillers Gedichte Nänie und Die Götter Griechenlands, versch. Ausgaben. Siehe dazu auch: N. Oellers (Hrsg.), Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. II, Weimar 1983, S. 326. Vgl. auch: F. Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung, Stuttgart 1993; sowie H. Hohr, Friedrich Schiller über Erziehung. Der schöne Schein, Kempten 2006, S. 122. 180 Vgl. auch Kettering, Nähe, a. a. O., S. 200. 181 Vgl. Hölderlin, Werke in einem Band, a. a. O.

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Das heißt, zuerst erfährt der Mensch das Unheimliche. Das, was er zunächst während seines Aufwachsens erfährt und übernimmt, ist nicht das Eigene, sondern Fremdes. Es ist nicht Heimat. Heimat eröffnet sich erst in der Reflexion und dem Unbehagen an der Entfremdung. Damit kehrt Heidegger wieder um, was allgemein geglaubt wird: Es ist eben nicht der kleine Junge, der sich nach Hause sehnt, wie bei Ernst Bloch. Vielmehr kommt man aus einem (metonymischen und metaphysischen) Fremdsein, dem extrinsischen Verfallensein an das Man zu sich selbst, einem intrinsisch-synekdochalen Selbstverhältnis. Die Sehnsucht nach Heimat treibt ihn an, sich heimisch einzurichten qua Sprache und Vertrautmachen mit der Welt und den Göttern. Durch die gelernte Sprache hindurch gilt es, die eigene Sprache zu finden. Durch das gelernte Denken hindurch gilt es, selber denkend zu werden. Aber dies kann nur durch die bewusste Übernahme des Unheimischen geschehen in der Dichtung. In ihr wird das Heimische am Unheimischen als Un-heimisches sichtbar. Die Ausfahrt in die Fremde der Sprache bringt also den Menschen zu sich selbst. Der Beruf des Dichters besteht nun dann darin, den Weg ins Heimische zu bereiten, indem er Heimat stiftend erschließt. Das ist dann das Bleibende, von dem der Schlussvers in Hölderlins Andenken spricht. Insofern ist der Dichter ein Weg-Weiser, ein Zeichen, der das Finden der Heimat beziehungsweise das Stiften des anderen Anfangs erleichtert. So lässt sich dann auch Hölderlins Anfangszeile in Mnemosyne verstehen: ›Ein Zeichen sind wir – deutungslos …‹. 182 Das offene Wesen des Menschen ist nicht vorab vorherbestimmt; es ist sich selbst eine Aufgabe, die es nicht im Rückgang zu finden gibt, sondern im Stiften des Eigenen als eigentlicher Heimat. Das Heilige Der Dichter spricht aus einer bestimmten Grundstimmung heraus. Die Grundstimmung ist nicht bloß ein Gefühl, verstanden als bloßes Anhängsel, sondern die Stimmung eröffnet dem Sagen eine Welt. Dafür braucht es nach Heidegger ›Götter‹, also eine Instanz der Vollkommenheit und Allmächtigkeit, der Güte und Nachsicht, der Perfektibilität und Heiligkeit. Diese Götter bestimmen über die An- oder Abwesenheit. Ihre Abwesenheit muss erst erfahren werden, um sie 182 Vgl. hierzu auch Pirmin Stekeler-Weithofers Auslegung in: ders., Was heißt Denken?, a. a. O.

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rufen zu können. Im Modus metonymischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge schreitet das Vergessen voran und ist Götternähe nicht zu haben. Hierzu bedarf es nämlich eines umfänglicheren, holistischeren Verstehens. Hier müssen alle Register zum Schwingen gebracht werden. Die Götter sind zwar nicht vollständig weg, da es kein reines Anwesen oder ein reines Abwesen von Sein gibt. Vielmehr korrespondieren Anwesenheit und Nähe und Abwesenheit und Ferne miteinander. Anwesen geschieht daher als Naherfahrung des Seins. Diese Naherfahrung vernimmt das Heilige als Sichaufsparen des Seins, als Unsagbares. Die Grunderfahrung der Abwesenheit einer solchen übergeordneten Instanz, Heidegger nennt es ›Götterferne‹, versetzt den Dichter Hölderlin in die Grundstimmung einer Trauer. Eine solche Trauer ist weder Versteinerung in der Verzweiflung noch Jammer und Schwermut. Sie ist vielmehr Mittrauer, elegisch. Diese Trauer drängt, insofern sie die innerste Not der Abwesenheit der Götter zur Erfahrung bringt. Kettering reformuliert Heidegger folgendermaßen: »Das Standhalten der Bedrängnis der Verlassenheit durch die Götter ist zugleich die Bereitschaft für das Erharren einer neuen Ankunft der Götter. Nur der liebende Verzicht auf das Rufen zerrt die Götter nicht in eine von Menschen gemachte nichtgöttliche Nähe, sondern läßt die Götter so wesen, wie sie von sich her wesen, nämlich als Gewesene, d. h. als solche, die als Ferne in ihrer Ferne erfahren werden, wodurch ihre Göttlichkeit bewahrt und eine neue Nähe als Ferne gestiftet wird.« 183 Die heilig trauernde, aber bereite Bedrängnis stellt den Menschen vor die Flucht der Götter. Im verzichtenden Nichtmehrrufenwollen bewahrt sie andenkend die alten Götter als Gewesene in präsentischer Erinnerung. Als noch Wesende sind sie grundverschieden von allem Vergangenen. Sie zeitigen vielmehr das Werden im Vergehen als Wesen der Zeit selbst. 184 Ebenso nämlich, wie alle wesentliche Dichtung sich in ihrer eigenen Zeitlichkeit zeitigt, reißt sie den Menschen auch an seinen eigenen Ort. Das Wesen der Zeit waltet aber in der Mitte des Seins als Werden im Vergehen. Die Mitte des Seins ist insofern auch die Mitte der Zeit, in der Gewesenheit, Zukunft und Gegenwart in einem verwandelten Sinne erfahren werden 183 E. Kettering, Nähe, a. a. O., S. 206. Vgl. auch M. Heidegger, Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, GA 39, S. 94. 184 M. Heidegger, Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, GA 39, S. 122 f.

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und so ein geschichtlich neuer Anfang gegründet werden kann. Die Mitte des Seins ist die zwischen Göttern und Menschen. Sie ist das ›Zwischen‹ als ›Gewitterraum‹, in den der Dichter ausgesetzt ist und hinaussteht mit seiner Ek-sistenz. Sie ist sowohl der Ort der metaphysischen Not der Erfahrung der Abwesenheit der Götter als auch der Raum möglicher Neubegegnung der Götter. 185 In ihr wird über das künftige geschichtliche Sein, das heißt über Flucht, Ausbleiben und Ankommen der Götter entschieden. Hier erscheinen die Winke, die der Dichter aufnimmt. Diese Mitte ist in sich ›zwiespältig‹, also keine vermittelnde Mitte. 186 In ihr gibt es keine Versöhnung oder Harmonie, sondern nur das Aushalten der Widerwendigkeit. 187 Hier tut sich das Ganze des Seienden auf. Für Hölderlin ist diese Mitte die Heimat und Germanien; für Heidegger ist sie das Da des Seins als Lichtung, in die das Dasein je schon geworfen ist und zu der es sich stets, sich auf sein Seinkönnen entwerfend, verhält. Als das Zugleich und Ineins von Sein und Zeit ist die Mitte das, woraus Geschichte gegründet wird als anfänglicher Anfang. Sie ist der ›Feiertag‹, an dem Götter und Menschen das ›Brautfest feiern‹, wie Heidegger mit Hölderlin sagt. 188 Es ist die in sich aufgespannte Einheit von Zeit entflohener Götter und Zeit des kommenden Gottes. Insofern ist es die Zeit des Wandels und der Wendung, also des Tropus. Gewendet wird immer Inhalt und Form zugleich. Die Umbruchszeit, von der Heidegger schreibt, erfährt eine doppelte Not: die des Nichtmehr (der Götter) und des Nochnicht (des Kommenden). Ebenso lässt sich dieser Endpunkt in der Heideggerschen Tiefenstrukturanalyse beschreiben, nämlich als nicht mehr synekdochisch und zugleich noch nicht vollständig ironisch. Es ist ein Zwischenraum, in dem der Denker den größtmöglichen Spielraum hat – damit aber zugleich die größte Verantwortung. In dieser ›dürftigen Zeit‹ kann man sich weder den Göttern nähern, noch lassen sie sich in eine von uns gemachte vermeintliche Nähe zerren, noch lassen sich Projektionen an ihre Stelle setzen. Es ist die Zeit der Gelassenheit und des Seinlassens sowie des Wachseins. Denn nur, indem wissend die Verlassenheit übernommen und ausgehalten und überdauert wird, rückt ein Raum 185 186 187 188

Vgl. ebenda, S. 97. Ebenda, S. 194. Ebenda, S. 283. Ebenda, S. 282 ff.

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möglicher Neubegegnung der Götter oder das Werden von Heimat heran. Dann kann – um im poetischen Bild zu bleiben – das ›Brautfest‹ auch ›heiter‹ und ›heilig‹ werden. 189 Das Heilige ist für Heidegger das Wesen der Natur. Es ist nicht identisch mit dem Göttlichen, sondern waltet über Mensch und Götter. 190 Im Heiligen zeigt sich die Naturgewalt. Im Göttlichen hingegen zeigt sich bereits eine Interpretation des Menschen vom Heiligen. Insofern ist das Heilige der Wesenraum des Göttlichen, nämlich dasjenige, worin sich das Göttliche aufhält. Die dichterische Nennung des Heiligen ist daher erst die Vorbereitung für eine neue Ankunft des Gottes/der Götter/des Göttlichen. »Das Heilige«, schreibt Heidegger, »[…] erscheint [zwar, BK]. Der Gott aber bleibt fern.« 191 Gesagt ist damit, dass im Erahnen des Heiligen ein Prozess des Sichannäherns ist. Aber darin scheinen noch kein konkreter Gott und schon gar keine Theologie auf. Das Heilige ist nur der Ort für Bedeutungsstiftung; er ist nicht selbst schon bedeutsam. Das Heilige ist – obwohl es das Nähernde ist – ferner als das Heile, das Ganze. Erst das Heile hebt die Entfremdung und Zerrissenheit der Seinsverlassenheit auf und befreit die Menschen zum eigenen. Weil aber weder die Menschen noch die Götter je von sich her den unmittelbaren Bezug zum Heiligen vollbringen können, bedürfen die Menschen der Götter und die ›Himmlischen‹ der ›Sterblichen‹, um gemeinsam den Bund, das ›Brautfest‹ zu begehen. Sie müssen ›sich trauen‹ und sich einander trauen. 192 Aus dem denkerischen Gespräch mit Hölderlins Hymne Andenken wird das Fest nicht mehr als Vorkommnis in der Geschichte, sondern als Wesen der Geschichte selbst gedacht. Das Fest ist das ›Ereignis des Brautfestes von Göttern und Menschen, das es im ›Zeitalter der Götternacht‹ durch ›übergängliches Denken‹ vorzubereiten gilt. Dieser Vorbereitung nä189 Heidegger wird in seinen späteren quasipoetischen Versuchen die Hochzeit, das Brautfest als diesen Wendepunkt immer und immer wieder umkreisen. 190 R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München 1987. 191 M. Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlin, GA 4, S. 27. 192 Zur Bestimmung des Festes in Heideggers spätem Denken siehe auch A. Knödler, Das Denken des Festes: Das Fest des Denkens. Heideggers seinsgeschichtliche Wesensbestimmung des Festes im Ausgang und Abstoß von der Tradition, Berlin 2001. Knödler unternimmt darin den Versuch, das Fest-Denken innerhalb der sechs ›Fügungen des Ereignis-Denkens‹ zu entfalten. Im ›Fugenbereich des Anklangs‹ wird die gegenwärtige Epoche im Ausgang von der Erfahrung der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit des ›a-seins‹ als festlose Zeit gefasst.

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hert sich Heidegger an, indem er festliche Binnenphänomene wie die Freundschaft, den Geschichtsbezug der Deutschen, das Schmücken und den Festglanz andersanfänglich zu denken versucht. 193 Das unendliche und innige Verhältnis erläutert Heidegger mit einem Rückverweis auf Heraklits Gedanken der Harmonie (gr. ἁρμονία, harmonia). 194 Bei Heraklit wird das Sein als Harmonie gedacht, als gegenstrebiger Einklang des Gegenwendigen. Er symbolisiert dieses in Leier und Bogen, deren Enden sich auseinanderspannen, aber zugleich in ihrem Auseinander zueinandergespannt sind. Harmonie ist also nicht spannungslose Ein- und Übereinstimmung oder Versöhntsein, sondern in ihrem innersten Wesen gespannte Einheit, gebannter Streit und verdichtete Dynamik. Übersetzt auf das Sein bedeutet das, dass erst in der Spannung, im Streit und im Kampf zwischen den Wesensmächten des Seins die Götter als Götter und die Menschen als Menschen gegeneinander und in innigem Einklang zum Vorschein kommen. Jede Seite des Streits ist nur das, was sie im gegenseitigen Anerkennen der Ergänzung und Komplementarität ist. Ein solches denkendes Erfahren des Seins korrespondiert mit dem Denken aus der Beziehung und nicht aus den Polen heraus, von dem vorab bereits die Rede war. Nicht die Pole streiten, sondern die Beziehung hält die Pole in spannungsreicher Ferne und zugleich Nähe. In diesem vorsprachlichen und vordenkerischen Wahrnehmen von unterscheidender Spannung reißt die Welt für den Menschen auf. »Das Seyn ist die Erzitterung des Götterns« 195, fasst Heidegger diese Beziehung als Geschehnis in seinen Beiträgen bereits 1938 zusammen. Wichtig ist dabei, in welcher Weise und in welchem Modus sich die Zusammengehörigkeit und Differenz seinsgeschickmäßig versammelt hat. Die Fragmente des Vorsokratikers Heraklit von Ephesos sind für Heidegger eines der bedeutendsten Dokumente des Anfangs des Ebenda. Vgl. I. de Gennaro, Logos. Heidegger liest Heraklit, Berlin 2001. 195 Nicht mehr die Götter lassen erzittern durch Blitze oder Donnern, sondern zuerst ist die Bewegung, für die ein Beweger gesucht wird. Die Nomina des Göttlichen, der Götter oder eines Gottes werden in Verba transformiert, damit auf ihre ursprüngliche Wirkkraft zurückgebogen. Damit wird alles vom Menschen Erfundene (die Götter als Urheber des Donnerns und damit Erzitterns) zurückgezoomt selbst in das Phänomenale. Im Göttern sind Götter, Erzittern und Donner bzw. Blitz als Einheit enthalten und noch nicht in Bestandteile aufgespalten. Die Nomina gehen in ihrer Aktivität auf. Vgl. M. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, S. 239. 193 194

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abendländischen Denkens. In Heideggers Auslegung wird deutlich, inwiefern der griechische Anfang nicht nur den Charakter des Archaischen und alsbald Überwundenen hat, sondern die Eröffnung der für das Abendland weitesten Sinndimension bedeutet. Diese Dimension – von Heraklit als physis und logos, kosmos und harmonia gedacht – ist insofern die weiteste, als sie allem Denken, das aus dem Anfang hervorgeht, ohne dessen Weite wieder einzuholen, vorgeordnet bleibt. Damit umgrenzt es seine Möglichkeiten. Das Denken, das sich dann in einem nachgeordneten Bezug zum Anfang hält, nennt Heidegger metaphysisch. Damit wandelt sich Heideggers Begriff der Metaphysik noch einmal. Neben der Gemäßheit allem Gegenständlichen gegenüber in den frühen und mittleren Schriften wird Metaphysik zusätzlich nunmehr auch als ein dem anfänglichen Denken nachgeordneter Bezug zum Anfang interpretiert. In seinen Gedichtauslegungen zu Hölderlin nennt er das eine ›Beginn‹ und das andere ›Anfang‹. 196 In dem Versuch, dem frühgriechischen Anfang seine Weite zu lassen und so zugleich die Metaphysik in ihre Wesensgrenzen zurückzustellen, soll sich die maßgebliche Dimension erschließen, in der jene erste Erfahrung des Anfangs sich vertieft und die ein gegenüber dem vormetaphysischen und metaphysischen gewandeltes Denken verlangt. Die Auslegung lässt sich daher in die Anerkennung des als physis und logos gedachten Grundes ein. Damit soll die Dimension der abgründigen Lichtung vertrauter und gangbarer werden. 197 Heidegger, der sich zuweilen von seinem Denken selbst bedroht 198 fühlt, weil er es nicht vollständig kontrollieren kann und es aus ihm hervorquillt, er ihm ausgesetzt ist, schreibt zunehmend befremdlichere Sätze. 199 Er ist, wie er nicht ohne Selbstverliebtheit äußert, Vgl. M. Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA 4. In der Radikalität der Einsicht in die für die Moderne notwendige vertiefende Absetzung vom vorgeordneten griechischen Anfang trifft sich Heidegger mit dem Geschichtsdenken Hölderlins. 198 Georg Picht erinnert sich daran, dass Heidegger von dem Bewusstsein erfüllt gewesen sei, mit dem Auftrag des Denkens gleichsam geschlagen zu sein. Auch Hans A. Fischer-Barnicol, der Heidegger nach dem Krieg kennenlernte, schreibt: »Mir schien, als bemächtige sich das Denken dieses alten Mannes wie eines Mediums. Es sprach aus ihm.« Hermann Heidegger, der Sohn, bestätigt diesen Eindruck. Siehe auch R. Safranski, a. a. O., S. 352. 199 »Überhaupt lerne ich jetzt erst im Befremdlichsten aller großen Denker ihre wahrhafte Nähe zu erfahren. Das hilft, auch in sich selbst das Befremdliche zu sehen und zur Geltung zu bringen, denn es ist offensichtlich der Ursprung dessen, was an We196 197

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selber in das ›Geschick des Denkens‹ geraten und fühlt sich einsam in dieser Befremdlichkeit der ›Ankunft einer anderen Wahrheit‹. 200 Aber es handelt sich nicht um eine denkerische Selbstbegegnung, sondern um ein Denken des Seins im Sinne des Genitivus subiectivus. 201 Das Sein wird nicht mehr bedacht, sondern bemächtigt sich seiner selbst und denkt durch ihn hindurch wie durch eine mediale Existenz. Angesichts der großen Philosophie – so schreibt Heidegger bereits 1936 an Jaspers, »das eigene Gezappel [sei ihm, BK] sehr gleichgültig und dient nur als Notbehelf« 202. Diese distanzierende Haltung zum Wert des eigenen Denkens drückt einmal mehr deren nicht mehr abreißenden gelassen-ironischen Charakter auch primärtropisch aus. Es sind daher nicht die ›Irrationalität inmitten des Rationalen‹, kein ›Jargon der Eigentlichkeit‹ und schon gar kein ›Provinzialismus‹, von dem Heideggers Sprachdenken nach Adornos Meinung geprägt ist. Der späte Heidegger wird in seiner Sprache immer arabeskenreicher und verspielter, sodass der Zugang zu seinem Denken nur durch umfangreiche und gewissenhafte Interpretationsarbeit und genaue Kenntnis des gesamten Denkweges und dessen gesamten Konnotativitäts- und Assoziationsfeldes möglich wird. 203 Ihm sollte daher weder mit Oberflächlichkeit noch mit falschem Tiefsinn begegnet werden, sondern mit ernsthafter Gelassenheit. Und man kann behaupten, dass es wohl von Heidegger selbst so intendiert ist, dass sich vom Artikulierten nicht sofort oder alles erschließen lässt. Vielmehr soll sich auch in seinen späten Texten selbst die Unaussprechbarkeit bestimmter phänomenaler Ebenen zeigen. Denn es gehört zum Konzept von derlei verdichteter Rede, sich allzu schneller Handlichkeit und Vernutzbarkeit und der Tendenz zur Bescheidwisserei oder zum Gerede zu werden, zu entziehen. Die Offenheit und begrenzte Verstehbarkeit sind, sentlichem gelingt, w e n n es gelingt.« Brief an Elisabeth Blochmann vom 14. 4. 1937, in: J. W. Storck (Hrsg.), Martin Heidegger, Elisabeth Blochmann, Briefwechsel, Marbach 1989, S. 90 (Hervorhebung Heidegger). 200 »Einsamkeit entsteht und besteht ja nicht im Wegbleiben des Zugehörigen, sondern – in der Ankunft einer anderen Wahrheit, im Überfall der Fülle des Nur-Befremdlichen und Einzigen.« Vgl. J. W. Storck (Hrsg.), Martin Heidegger, a. a. O., S. 91. 201 R. Safranski, a. a. O., S. 353. 202 W. Biemel und H. Saner (Hrsg.), Martin Heidegger/Karl Jaspers, Briefwechsel, Frankfurt am Main et al. 1990, S. 161. 203 »Die Vierung west als das ereignende Spiegel-Spiel der einfältig einander Zugetrauten. Die Vierung west als das Welten von Welt. Das Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignens.«, M. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1985, S. 173. Logik der Tropen

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im Gegenteil, Programm des nunmehr radikal antimetaphysischen Sprachdenkens. Jeder substitutionelle, technisch-schematische Zugriff muss unweigerlich im Redemodus des Synekdochal-Ironischen scheitern. Gedichtetes und Gedachtes Mit Gelassenheit sind dann auch Heideggers eigene, sich dem Dichten noch stärker angelehnten Bemühungen zu lesen. Die Textform des ›Gedachten‹ 204 stellt hierbei eine eigene Gestalt des Denkens dar. Sie unterscheidet sich vom philosophischen Werk im strengen Sinne, wie auch und vor allem vom Gedicht. Dem äußeren Anschein nach sehen die Texte wie Verse und Reime, also wie Gedichte, aus. Sie sind es aber nicht, betont Heidegger. Vielmehr sind sie das denkerische Pendant zu Gedichten. Bei der Benennung dieser Textsorte spielt Heidegger mit der deutschen Sprache, indem er Dichten und Denken in eine (lexikalische) Analogie zwingt: So wie es Heidegger nicht um das (gelungene) Produkt oder Ergebnis des Denkens als Gedanken geht, so ist es – in Abgrenzung zu diesem für Heidegger metaphysischen Begriff des Denkens – vielmehr ›das Gedachte‹ beziehungsweise ohne Artikel und damit noch präziser: ›Gedachtes‹. Im Gedachten werden das Produkt und der Autor des Denkens selbst in das Denkgeschehen zurückgebunden und sind nicht bloß ein Produkt des Denkens. Heidegger selbst begründet seine Erfindung vor allem damit, dass die nun ›Gedachtes‹ genannte Darstellungsform es erlaube, erstens Sätze, vor allem Aussagesätze, zu vermeiden und zweitens ›alle 204 Mit dem Titel Gedachtes ist im Jahr 2007 der Band 81 der Heideggerschen Gesamtausgabe erschienen. Der Band wurde von der Herausgeberin Paola-Ludovika Coriando in vier Teile untergliedert. Im ersten Teil befinden sich Frühe Gedichte, Briefe und ›Gedachtes‹. Es sind Texte, die Heidegger seiner Braut und späteren Ehefrau Elfriede (geb. Petri) schickte oder schenkte. Der zweite Teil berichtet ›Aus der Erfahrung des Denkens‹. Hier schildert Heidegger in 16 unter verschiedenen Überschriften versammelten Textstücken seine so genannten ›Denkerfahrungen‹. Diese sind entweder selbst als ›Gedachtes‹ deklariert oder Kommentare zu dieser Textsorte. Hinzu kommen 18 Texte, die unter dem Titel ›Winke‹ bereits im 13. Band der Gesamtausgabe unter dem gleichnamigen Titel erschienen sind. Die meisten der Texte aus dem zweiten Teil stammen aus den 30er- und 40er-Jahren. Der dritte Teil ist eine Sammlung von Texten, die unter die Überschrift ›Gedachtes für das Vermächtnis eines Denkens‹ gestellt wurden. Sie stammen vorwiegend vom ganz späten Heidegger. Der letzte, vierte Teil schließlich ist ein Sammelsurium von Texten und Textsplittern, die folgerichtig unter die Überschrift ›Verschiedenes‹ gestellt wurden. Ihre zeitliche Datierung erstreckt sich über beinahe die gesamte Schaffenszeit Heideggers.

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Füllwörter zu übergehen‹. Alle Tendenz zur Gerinnung von Gedanken soll vermieden werden. Zum Dritten aber nimmt sich diese Form die alte Sprache der ersten Denker zum Vorbild, von denen meist nur spruchartige Fragmente überliefert sind. An ihre Art des Denkens will sich Heidegger herandenken. In der verdichteten Form ähneln sich daher Gedicht und Gedachtes. In ihrer Genese jedoch unterscheiden sie sich. Denn während das Dichten, die Winke der Götter dichterisch versprachlicht und Möglichkeitsräume von Existenz anfänglich stiftet, so ist das Denken ein Akt der Reflexion, also des Abschlusses, des zusammenfassenden Sichbeziehens auf das Ganze des Sein. Dichten und Denken bilden damit den Anfang und das Ende der sprachdenkerischen Existenz des Menschen. An einem Beispiel möchte ich abschließend verdeutlichen, wie die Form des Gedachten sich hochkonzentrierter synekdochisch-ironischer Verdichtung dann präsentiert. In einem solchen ›Gedachten‹ mit der Form eines liedhaften Vierzeilers heißt es bei Heidegger zum Beispiel in Selbstreflexion auf das eigene Denken: Dichtung wohl, doch kein Gesang. Aber Denken, das gelang In die späte ringe Lese Freyer Sage, daß sie wese. 205

Die erste Zeile sagt, dass ›Gedachtes‹ sehr wohl eine Art von Dichtung ist. Es ist nämlich eine Art von ›Verdichtung‹ im synekdochischen Sinne, ein reflektiertes Ergriffensein von einer Grundstimmung. Es ist verdichtetes Denken. Darin genügt es den formalen Anforderungen der Lyrik nach Kürze, strenger Form, dichter Ausdruckskraft und sprachlicher Ökonomie und Prägnanz. Aber Heideggers spruchartige späte Texte dieser Form sind nach eigener Auffassung ›kein Gesang‹, damit also keine Huldigung an das Heilige, kein Schöpfungsakt. Was aber sind sie dann? Heidegger holt bis zu den antiken Griechen aus. Dort war die Lyrik zunächst das zur Lyra gesungene Lied, das in den Chorgesängen der antiken Dramen und im religiösen Kultus seinen ›Sitz im Leben‹ hatte. Und bis heute steht die Lyrik – schon allein wegen Reim und Metrik – in einer gewissen Beziehung zur Musik und zum Lied. Die Lyra aber gilt im antiken Griechenland für die Erfindung des Götterboten Hermes, der sie seinem Bruder Apollon schenkte. Für Heidegger – wie auch schon für 205

Vgl. M. Heidegger, Gedachtes, GA 81.

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Platon 206 – ist das, was die Dichter tun, die ›Botschaft der Götter zu verbreiten‹. Die Botschaft der Götter ist allerdings nicht in einem religiösen Sinn zu verstehen, sondern eher als die Überbringung der Sprache als Botschaft des Seins selbst. Es ist die Botschaft selbst, die Kunde als Sprache, die für Heidegger ›göttlich‹ in einem säkularen Sinne ist. Diese Kunde wird einem nur zuteil, wenn man sich in entsprechender Haltung in die Nähe des Göttlich-Erhabenen begibt. Die angemessene Haltung gegenüber dieser einzigartigen Gabe ist für Heidegger daher die Würdigung und Huldigung der Sprache in ihrer sozusagen zweck- und vorstellungsfreien Reinheit. Dichtung bringt die ›Ankunft der Götter‹ in eine Sprache und damit ›zur oder auf die Welt‹. Sie drückt damit den Dank für die Sprache selbst aus. Da auch Denken sprachlich verfasst ist, dieses sich jedoch vom Dichten im Allgemeinen schon allein durch seine Prosaform unterscheidet, gilt es zunächst in die Dimension zu gelangen, in der das Verhältnis zum Sein noch nicht gestört beziehungsweise vergessen ist. Dieses Verhältnis zum Sein ist bei Heidegger als ein liebendes, sich auf das Sein beziehendes Verhältnis, als ein Mögen, charakterisiert. Es ist verbunden mit dem dazugehörigen Bedeutungsfeld, wozu zum Beispiel ›andenken‹, ›wachsen lassen‹, ›dankbar sein‹, ›anbeten‹, ›behüten‹, ›umsorgen‹, ›sich verantwortlich fühlen‹, aber auch ›Achtung‹, ›Respekt‹, ›Nähe‹ usw. gehören. Die Nähe dieses Verhältnisses des Menschen zum Sein, in welcher Heidegger eine Chance sieht, aus dem berechnenden und technisierten Wesen der Gegenwart herauszukommen, möchte Heidegger denkend erfahren. Das wäre ein Denken, das ›gelungen‹ wäre, indem es sein Ziel erreicht hat, ›angelangt ist‹ – wie es in der zweiten Zeile heißt. Dass Heidegger hier mit den Verben ›erfahren‹ beziehungsweise ›gelangen‹ spielt, fällt sofort auf, denn in der folgenden Zeile wird dann die zweite Bedeutung von ›gelangen‹ im Sinne von irgendwohin gelangen weitergeführt. Etwas ist also ›gelungen‹, wenn es »in die späte ringe Lese freyer Sage« ›gelangt‹. Worauf Heidegger hier hinweist, sind die verschiedenen Herkunftsgeschichten von Worten. Denn so wie ›gelangen‹ und ›gelungen‹ (bzw. gelingen) etymologisch zusammengehören, indem im Wort ›gelungen‹ ›das an das Zielkommen eines Gelangens‹ ausgedrückt wird, so bringt Heidegger im Verb ›erfahren‹ die ursprünglich wörtliche Bedeutung des zur toten und damit unscheinbaren Metapher geronnenen Wortes ›erfahren‹ 206

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Vgl. Platon, Ion (534e), a. a. O.

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Dichten und Denken

als ein ›ans Ziel gekommenes Fahren‹, also ›ans Ziel gekommenes Unterwegssein‹, damit also auch ein ›Gelangen‹ zum Ausdruck. ›Erfahren‹, ›fahren‹, ›gelangen‹ und ›gelungen‹ verdichten sich also in eine konnotative Nachbarschaftlichkeit, deren Logik sich am besten als synekdochisch-ironischer Redemodus verstehen lässt. Dieser ist Ausdruck einer existenziellen Erfahrung, gewissermaßen einer syn-aisthetischen Grundstimmung. Wenn es Heidegger weiter im Text darum geht, ›in die späte ringe Lese freyer Sage‹ zu gelangen, dann kann das nur heißen, dass der Weg durch das Sprachdenken nicht abzukürzen ist, sondern nur in der mühsamen und langwierigen Auseinandersetzung mit ihren vollen Registern, Zusammenhängen und Fallstricken gelingen kann. Das Wort ›spät‹ deutet auf einen Zeitpunkt hin. Es kann ›die Späte‹ des eigenen Lebens sein; es kann auch ›die Späte‹, als das Alter der Menschheit sein; es kann aber auch ein mehrfach verschlüsseltes Strukturmerkmal benennen wie bei der Eule der Minerva, die ihren Flug erst in der Dämmerung beginnt. 207 Anzunehmen ist, dass ›die Späte‹ beziehungsweise das Wort ›spät‹ auf drei Ebenen zugleich hindeutet und in sich als Strukturmerkmal existenzialer Zeitlichkeit vereint. ›Spät‹ hat aber auch noch eine vierte, etymologische Bedeutung, die außergermanischen Ursprungs ist und auf ›Muße haben‹, ›gedeihen‹ und ›wachsen‹ verweist. Auch diese Bedeutungsebene fließt in die Arbeit der Aufschlüsselung des Vierzeilers ein und passt ins Konzept Heideggers. Ebenso symbiotisch sind auch die anderen Worte des Vierzeilers zu lesen: Unter ›Lese‹ kann sowohl das Auflesen und Sammeln wie bei der Weinernte gemeint sein, das ›Ausbuchstabieren‹ wie beim Lesen von Schriftzeichen; metaphorisch gebraucht kann es auch das Lesen im Buch der Geschichte sein. In diesem Sinne ist es auch etymologisch fundiert, denn ›lesen‹ kommt von ›legere‹ und hat eine Beziehung zu dem griechischen Wort ›legein‹ (lesen, zählen, sagen) und bedeutet unter anderem ›einer Spur folgen‹, woraus dann später in der Substantivierung ›Legende‹ und auch ›Logik‹ wird. Auch das Aufsammeln der Spuren passt also sehr gut in Inhalt und Methode Hei-

207 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt am Main, 1972, S. 14: »Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.«

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Heideggers Seins-Denken im Redemodus der Ironie

deggerschen Denkens insgesamt. Das Attribut ›ring‹ in der Verbindung ›späte ringe Lese‹ deutet auf etwas Kreisartiges, Rundes, in sich Abgeschlossenes – sprachlich gesehen vielleicht auch eine quasitautologische Konstruktion wie: Die ›Sprache spricht‹ oder die ›Welt weltet‹, das ›Seyn seint‹ oder ›das Wesen der Sprache: die Sprache des Wesens‹ hin, die der späte Heidegger verwendet. Metaphysisch kann es vielleicht auch auf die ›ewige Wiedergeburt des Gleichen‹, mathematisch auf etwas Perfektes oder Vollkommenes, ans Ende Gelangtes verweisen. Ein Ring ist aber auch Symbol einer Zusammengehörigkeit, zum Beispiel als Freundschafts-, Verlobungs- oder Ehering, womit das Motiv der Liebe wieder auftaucht. Der Ring ist damit auch ein Erinnerungs- oder Eingedenkring an ein Versprechen, auf das man sich von Zeit zu Zeit, besonders vielleicht in schwierigen Zeiten, besinnen sollte. In dieser Funktion schwingt also auch ein ethisches Moment mit. Weniger bekannt, aber etymologisch abgesichert, ist die Bedeutungsherkunft aus ›wringen‹ im Sinne von ›verdrehen‹ oder sogar ›verfälschen‹. ›Wringen‹ hat auch die Bedeutung von ›würgen‹, zum Beispiel heute noch erhalten in der Sportart ›Ringen‹. Hier könnte also eine Vorsicht und eine Anstrengung mit ausgesagt sein. Insgesamt steht der Ring aber auch als Symbol für eine Verbindung, etwa als Ehe- oder Verlobungsring, damit einer liebenden Beziehung, die den anderen wachsen lässt und für den man Sorge trägt, damit insgesamt für das Zentrum und den Kern der Neugründung einer Familie. Das Wort ›Sage‹ nimmt einen besonderen Stellenwert ein. Das Sagen des Denkers und das Nennen des Dichters sind bekanntlich nur in ihrer Herkunft gleich. Wir jedoch müssen fragen, was den Unterschied zwischen ›nennen‹ und ›sagen‹ ausmacht. Im Sagen schwingt für Heidegger immer ein Zeigen mit. Dies kann einerseits ein Zeigen auf die Herkunft der Sprache und ihre metaphysische Entwicklung, andererseits die Praxisgebundenheit der Sprache in Form von Deixis sein. Weil das Zeigen dem Bedeuten vorausgeht, ist es dem Winken (der Götter) verwandt. Sagen meint damit sicher nicht nur: etwas Inneres oder Informatives mitteilen, sondern die Aufbewahrung der Bedeutungsmöglichkeiten und der Verweis auf ihr Gegründetsein in kooperativen Praxen – sozusagen als eine Art Geländer oder Ariadnefaden für einen Rückgang in ein ursprünglicheres oder anfänglicheres Verhältnis zum Sein. Das Wort Sage verweist darüber hinaus auf Legendenhaftigkeit und Geschichtlichkeit. Auch die frühe etymologische Bedeutung von ›sagen‹ als ›einer Reihe folgen‹ gehört in das 642

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Dichten und Denken

von Heidegger evozierte Assoziationsspektrum. Wichtig scheint für Heidegger in diesem Zusammenhang auch das Folgen zu sein, denn in der ›Sage‹ wird sozusagen einer Verkündung oder Kunde gefolgt. Diese Verkündungen werden in ›der späten ringen Lese‹ aufgesammelt und verfolgt. Auffällig ist, dass Heidegger ›Sage‹ und nicht zum Beispiel ›Maer‹ beziehungsweise ›Märchen‹ benutzt. Das ist meines Erachtens ein Kennzeichen dafür, dass er den Realitäts- beziehungsweise den Wahrheitsanspruch der ›Sage‹ gegenüber dem des ›Märchens‹ betonen will. ›Sage‹ kann aber auch in Analogie und gleichzeitig Abgrenzung zur ›Sprache‹ als System – wie es beispielsweise später im Strukturalismus verwendet wird, von Heidegger gebildet worden sein. Weil der Vollzug des Sprechens und Sagens vor dem System der Sprache rangiert, geht es hier offenbar wiederum um die Betonung des praktischen Tuns. In Kontrast zum ›Sprechen‹, das vor allem eine Art ›Ausdrücken‹ und ›Lehren‹ meint, ist das ›Sagen‹ beziehungsweise ›die Sage‹ – verstanden als Folgen – allerdings die umgekehrte Haltung zum Sprechen, nämlich ein Aufnehmen, Vernehmen und Zuhören. Im Sagen gelangt man sozusagen in die Gefolgschaft des Seins. Das Wort ›frey‹ mit ›y‹ ist gebildet zu ›frei‹ und ›Freiheit‹. Das Y in Heideggers Texten bei ›Sein‹ zu ›Seyn‹ oder ›frei‹ zu ›frey‹ deutet auf die Abgrenzung zum normalen Sprachgebrauch und die Herkunft aus einem älteren Sprachgebrauch, sozusagen auf ein ursprünglicheres Verständnis von Freiheit hin. Freiheit ist im Heideggerschen Sinn – und zwar auch schon beim Heidegger von Sein und Zeit – weder ›Freiheit von etwas‹ noch ›Freiheit zu etwas‹. Es bedeutet das Offenhalten von Möglichkeiten innerhalb des Daseins, welches der Ruf des Gewissens fordert. Freiheit wird nun aber nicht nur als reine Potenzialität verstanden, in dem Sinne, dass Möglichkeiten offen stehen zur Verwirklichung. Vielmehr fällt es für Heidegger zusammen mit dem Wort Transzendenz und Ek-sistenz als Hinausstehen in die Nähe des Seins. Das Wort ›frei‹ hat etymologisch aber auch noch die Bedeutung von ›eigen‹, ›vertraut‹, ›lieb‹, ›geneigt‹ und ›bereitwillig‹. ›Eigen‹ wiederum kommt von ›nahe‹ und ›bei‹ und meint etwas, was nahe bei mir/uns ist, zum Beispiel in der Wortverbindung: die eigenen Kinder. Deshalb spielt das Wort ›eigen‹ in Heideggers Denken vom Ereignis eine tragende Rolle. Genau dieses Verhältnis kann eben – Heideggers Denkerfahrungen zufolge – nur durch eine liebende Haltung, durch Zuneigung und vertraute Nähe gewonnen werden, die ihrerseits nur aus der Näherung aus einer Ferne, motiviert durch Logik der Tropen

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die Suche nach dem Eigenen gewonnen werden kann. Da sich Vertrauen nicht herstellen lässt wie Butter aus Sahne, ist Freiheit nicht zu bewirken oder herzustellen, sondern ein Geschenk des Seins, für das man sich nur offen halten kann. Das Offene übersetzt Heidegger als aletheia, das Unverborgene. Diese Übersetzung »enthält die Weisung, den gewohnten Begriff der Wahrheit im Sinne der Richtigkeit der Aussage um- und zurückzudenken in jenes noch Unbegriffene der Entborgenheit und der Entbergung des Seienden« 208 Man muss sich also auf die Unverborgenheit einlassen. Das Sicheinlassen versteht Heidegger dann als ein Zurücktreten vor dem Seienden, damit dieses sich ›offenbare‹ und die »vorstellende Angleichung aus ihm das Richtmaß nehme« 209. Freiheit ist also weder Ungebundenheit im Tun oder die Bereitschaft und Einsicht für Notwendiges, sondern vielmehr ein davor liegendes Eingelassensein in eine Entbergung des Seienden und schließlich vor allem die Entbergung des Wesens des Seins und des Wesens der Sprache als solchem. Der Mensch besitzt Freiheit nicht als Eigenschaft. Er kann über sie nicht nach Belieben verfügen, sondern umgekehrt: Die Freiheit besitzt sozusagen den Menschen. Der Mensch wird vom Sein gehalten und hat Freiheit nur durch seine Transzendenz. Die Freiheit als ausgezeichnete Bezugsnähe des Menschen zum Sein ermöglicht erst, dass der Mensch einen alle Geschichte begründenden und auszeichnenden Bezug zu Seiendem im Ganzen haben kann. Geschichtlich kann also nur der Mensch sein. Die Natur hat keine Geschichte in diesem strengen Sinne. Wahrheit ist im Wesen also Freiheit. Damit fallen auch Wahrheit und Freiheit wieder in eine Sinneinheit zusammen. Das Wort ›wesen‹, das in Heideggers Vierzeiler vokativ, also in aufrufender und anredender Weise gebraucht wird, hat dabei selbst noch eine eigene Mehrdeutigkeit aufzubieten. ›Wesen‹ ist nicht nur eine rudimentäre Substantivierung des Partizip II von ›sein‹, oder ursprünglicher noch des Infinitivs zu mittelhochdeutsch ›wesen‹ beziehungsweise althochdeutsch ›wesan‹, das nichts anderes als ›sein‹ bedeutet, sondern ›Wesen‹ hat auch noch die Bedeutung von ›weilen‹, ›leben‹, ›am Leben bleiben‹, ›wohnen‹, ›ruhen‹ und sogar ›die Nacht verbringen‹. Aus diesem substantivierten Verb werden heute noch die Präteritalformen des Verbums ›sein‹ gebildet. Diese ursprünglichen Bedeutungen nimmt Heidegger in sein Denken über die Sprache geschichtlich verdichtend auf. Insofern 208 209

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M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, S. 16. Ebenda, S. 17.

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Dichten und Denken

sagt Heidegger im Spätwerk nichts Neues, sondern er verdichtet das in seinen frühen und mittleren Werken bereits Herausgearbeitete. Dieses, so hofft er vermutlich, soll in sich die Weisheit und das Wissen des ernsthaften Denkens auf gelassene und leichte Weise versammeln und wie eine Spruchweisheit in sich bergen. Das, was Heidegger in Gedachtes versucht, ist daher keine Dichtung im Sinne der heute verstandenen Lyrik, vielmehr ist es Denken, das versucht, an die ultimativen menschlichen und damit zugleich weltlichen Ursprünge zurückzudenken, und zwar auf sprachlichem, nicht aber sprachempirischem Weg, damit gelangt er zur Ausgangsfrage nach dem Sinn von Sein zurück. Er wieder-holt damit das, was er in den Sprachen und Fragmenten der Vorsokratiker und weisen Sprüchen alter Kulturen in der Sprache aufgehoben und bewahrt sieht. In der nachahmenden Inszenierung dieses epistemischen Gerinnungsprozesses huldigt er der Sprache als Schatz von Kultur ebenso, wie er mit dem Sorge-Gedanken daran appelliert, dass die Besinnung auf Sprache diese Schätze pflegen muss und nicht leichtfertig verspielt. Dieser Weg beginnt von einem Jetztpunkt aus, an dem einerseits schon viele Erfahrungen vergessen und verschüttet sind, der andererseits geschichtlich aber erst die Möglichkeit bereit hält, den Rückschritt zum Ursprung überhaupt erst soweit zu wagen. Das Aufsammeln der geschichtlichen Bedeutungssplitter in der ›späten ringen Lese‹ ist dabei einerseits nur noch ›gering‹, andererseits oder besser außerdem bringt es vor allem Tautologisches, Kreisartiges zum Vorschein, was auch heißen kann, dass der Mensch, wenn auch nur zum Teil, potentiell zumindest immer schon eingeweiht ist in das Geheimnis des Seins qua eine Sprache sprechen. Das apriorische Perfekt ›immer schon‹ deutet an, dass es nicht um Empirie oder die Entwicklung der Sprache als System geht, sondern um ein Sagen, also ein Folgen von Spuren, in denen sich sozusagen das Sein in seiner Nähe zeigt, wo sozusagen Götter anwesen. Es ist zugleich die Warnung davor, solche metaphorischen Redeweisen nicht allzu wörtlich zu nehmen, sondern alle Register der Sprache zu ziehen, weil uns sonst das Verständnis des eigenen sprachdenkerischen Ursprungs, das Heidegger Seinsnähe nennt, verloren geht, indem wir es zum Beispiel durch ein stark metonymisches Verständnis verschütten. Die Dimension der Seinsnähe und des alternativen Anfangens ist das philosophische Ziel Heideggers. In diese offene und damit freie Dimension des Sich-zu-sprechens bzw. Angesprochen-werdens durch das Sein gilt es zu gelangen, denn nur aus der Offenheit lässt sich ein Logik der Tropen

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Heideggers Seins-Denken im Redemodus der Ironie

neuer Anfang denken, der heimischer ist als das technisch-industrielle Zeitalter, in dem alles vereinseitigt, verrechnend und vernutzend zugeht. Die ›Europäisierung der Welt‹ mit ihrer Hypostasierung des Subjektes, wie Heidegger an vielen Stellen betont, ist deshalb eine Entwicklung, deren Weichen im Anfang der dichterisch-denkenden kooperativen Praxisbezüge der Menschen zu suchen sind. Die Weiterleitung des Anrufs zum Wesen, also zum weiterhin Wohnenkönnen auf diesem Planeten, ist in Anbetracht der weiter um sich greifenden Seinsvergessenheit der Menschen und der zum Gestell gewordenen naturwissenschaftlich-technischen Ideologie des Bewirkbaren dahingegen eine zurückgenommene und damit radikal alternative Demonstration einer dieser metaphysischen Haltung konträr gegenüberstehenden und zugleich diese gelassen seienden. Weil sich dem Menschen nach Heidegger das Sein selbst zusprechen muss, damit der Mensch ihm entsprechen kann, kann er das schicksalhafte Ereignis der ausgezeichneten menschlichen Seinsweise nur im Vollverständnis dessen, was Logos ist, vollbringen. Die Frage nach der Rettung der Phänomene als Frage nach dem Sinn von Sein treibt daher die Frage nach dem Zusammenhang von Haltung und Sprachdenken noch weiter voran. Das Gedachte ›lässt sein‹ und vereinnahmt nicht. Es lässt entgegenkommen. Letztlich soll auch, dass alles in Bezug auf den Menschen selbst verstanden wird, sein gelassen werden. Solche sprachlichen Verdichtungen und zugleich Vieldeutigkeiten sind – wie in den vergangenen Kapiteln demonstriert wurde – konstitutiv für das Verständnis des Heideggerschen Denkprojektes. Dem Sprechen als Vollzugsform misst er also ein größeres Potential zu als der Sprache als System. Konsequent nutzt er beinahe alle Möglichkeiten, die das Deutsche – hierin dem Griechischen ähnlich – gewährt: eine Kombination und Mischung aus unüblichen Substantivierungen und Verbalisierungen, etymologischen Übertragungen in Verbindung mit Analogiebildungen, Metaphorik, andere Tropen, Bindestrichworte, Wortfeldausweitungen, ungewöhnliche Konnotationen, Homophonie, Kreierung von Synonymen und Antonymen, freie Verfügung über Prä- und Suffixe, Polysemie, lyrische Metrik, Reim- und Versformen usw. Der Charakter seiner späten Texte wechselt dabei zunehmend vom Prosaisch-Strengen (MetonymischMetaphysischen) ins Poetisch-Pathetische (Synekdochisch-IronischGelassen-Holistische). Statt der Sprache zur Beschreibung und Erörterung seiner Phänomene die nötige Ausdruckskraft begriffsanalytisch abzuringen, geht Heidegger zunehmend über zu einer an646

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Dichten und Denken

dachtsvollen, besinnlich-meditativen, andächtigen Haltung. Aber das, was wie kontemplativer Rückzug im Denken aussieht, ist höchst aktive Denkbewegung, gemäß dem Hölderlin-Satz: »Wer das Tiefste gedacht/Liebt das Lebendigste« 210. Heideggers späte Textsortenerfindung des Gedachten bildet somit den Höhepunkt und Abschluss auf Heideggers dynamischem Denkweg. Mit Heideggers Formel ›alles ist Weg‹ bekommt nun auch die Formulierung Konfuzius’ ›der Weg ist das Ziel‹ eine tiefere, allerdings auch zugleich tautologische Dimension, da ›tao‹ oder ›dao‹ zugleich Weg und Ziel bedeuten und also nur in ihrer Entfaltung als zwei Wörter vorliegen, so wie es im Daoismus und Zen-Buddhismus vermittelt ist. 211 Das Zeitliche und das Statische erlangen darin eine schicksalhafte Ironie. Der wohlwollende Leser muss das eigene differenzierte begriffliche Wissenwollen in eine seinlassende Gelassenheit reduzieren lernen, sich mit der ›reichhaltigen Ärmlichkeit‹ allegorischer Anspielungen zufrieden geben und gleichzeitig im geschichtlich-etymologischen Rückgang neu-alte Bedeutungsvielfalt zulassen bzw. zurückgeben. Damit wird er auf sein eigenes Wissen, sein eigenes Können und seine eigene Haltung zurückgeworfen. Weil in der Verdichtung der Bedeutungsreichtum und die Phänomene sprachlich bewahrt werden und sich darüber hinaus ein Spektrum eröffnet, das über den jeweiligen Wissensstand und seine Situativität hinausgeht, wird der Rezipient damit – durch die Form des verdichtet Gedachten – reicher, weil sie ärmer ist. Sie birgt das zu Entfaltende sozusagen in ironischer und verdichteter Weise und gibt es dem Ursprung sprachdenkerischer Seinsnähe zurück. Im Ursprung fallen Anfang und Ende, Ernst und Ironie, Nähe und Ferne, Lichtung und Nichtung und alles Gegensätzliche in sich und in eins zusammen.

210 Siehe F. Hölderlin, Gedicht: Sokrates und Alcibiades, in: ders., Werke in einem Band, a. a. O., S. 67. Das Gedicht endet mit den Zeilen: »Und es neigen die Weisen/ Oft am Ende zu Schönem sich.« 211 Vgl. H.-P. Hempel, Heidegger und Zen, Frankfurt am Main 1992 sowie Y. Oshima, Nähe und Ferne. Mit Heidegger unterwegs zum Zen, Würzburg 1998.

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12. Zusammenfassung: Logik der Tropen bei Heidegger

Mündet Heideggers Sprachdenken – konsequent zu Ende gedacht – dann letztlich nur noch in einem lang anhaltenden ›Om‹ ? Keineswegs. Das hier polemisch verdichtete Gedachte entfaltet nämlich keine Bedeutung und keinen Sinn ohne existenziale Betroffenheit. Um diese freie, Horizonte eröffnende Dynamik menschlichen Seins-, Welt- und Selbstverständnisses, um deren Wandlungs- und Wendepotential ging es Martin Heidegger vornehmlich in seinem Denkweg. Diese ließ sich im re-flektierenden, sprachphilosophischen Nachvollzug der tiefensprachlichen Dimension seines Denkens aufweisen. Sie ist das, wovon Heidegger schrieb, dass sie der Philosophie stets im Rücken bleibt als ihre undurchsichtige sprachdenkerische Voraussetzung. 1 Sie widersteht der herkömmlichen metonymischen Logik des Sezierens und Analysierens. Sie ist die Hoffnung auf das Nichtmetaphysische, das Alternative, das Andere. Ob es die Entgegensetzung eines ›weiblichen Denkens‹ gegenüber einem ›männlichen Denken‹ ist, oder ein ›orientalisches Wir‹ gegenüber einem ›okzidentalen Ich‹, soll hier nicht entschieden werden. Solche Entgegensetzungen entstammen selbst wieder einer metonymischen Logik. Fakt ist: Das sprachdenkerische Heranrücken der Phänomene versucht, das objektivierende Denken hinter sich zu lassen. Das Problem dabei ist jedoch, dass Abstandslosigkeit alles gleichförmig macht. Einmal gewonnene Bedeutungen werden dabei nivelliert. Das von Heidegger angestrebte ursprüngliche und anfängliche Denken und Sprechen birgt damit sowohl ein neues Stiften von Sinn in sich. Gleichwohl enthält es aber auch die Vergleichgültigung. Letztlich bleibt der Mensch ›Angestellter des Gestells‹. 2 Der Mensch ist, wie mit Ken-ich Seto im zweiten Teil des Buches dargelegt wurde, eingeklemmt zwischen einem entitätsbezogenen partonomischen Wissen, wie die Welt (da draußen) ist 1 2

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Siehe Motto am Anfang der Untersuchung. Vgl. N. Bolz, Das Gestell, München 2012.

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Zusammenfassung: Logik der Tropen bei Heidegger

(und er ordnet sie abstrakt, räumlich und zeitlich), und einem kategoritätsbezogenen taxonomischen Wissen, wie die Welt in unseren Köpfen geordnet ist und sich in unserem Inneren repräsentiert. Es gilt, die Dominanz und Einseitigkeit der ersten Wissensform zu brechen und dem zweiten zu seinem Recht – und damit zum Recht bestimmter Phänomene und Dimensionen – zu verhelfen. Wie gezeigt wurde, ist für eine tiefensprachliche Analyse die Sprache in Heideggers Spätwerken eine besondere Herausforderung. Sie verlangt, sich auf die Synopsis zweier Bereiche einzulassen: einerseits Heideggers ungewöhnliches Sprachdenken in seiner Entwicklung und andererseits eine tiefensprachliche Auslegung dieses Denkweges anhand einer tiefensprachlichen Tropentheorie. Mit der in dieser synthetischen Interpretationsleistung vorgelegten Erweiterung des Fokus der analytischen Sprachphilosophie betrat diese Untersuchung Neuland. Sie versuchte, die analytische Sprachphilosophie um Bereiche zu erweitern, die diese bisher gemieden hat. Und sie schlug mit diesem Ansatz eine Brücke zwischen kontinentaler und analytischer Philosophie. Das konnte nur kursorisch und exemplarisch ausgeführt werden. Die Untersuchung demonstrierte konkret am Sprachkörper der Heideggerschen Texte, dass Heideggers Sprachreflexionen nicht erst im Spätwerk anfangen, sondern bis zu seinen ersten akademischen Schritten zu verfolgen sind. Eine Hürde bei der Bearbeitung war, dass es bei Heidegger weder eine explizite Auseinandersetzung mit den Tropen der rhetorischen Sprache gibt noch eine ausgearbeitete Sprachphilosophie. Beides umgeht Heidegger wohlweislich, da er damit beinahe ins Fahrwasser einer vornehmlich wissenschaftlich-linguistischen Perspektive auf Sprache geraten würde, deren Reichweite für das Heideggersche Projekt zu kurz ist. Er riskiert mit seinem umfassenderen sprachdenkerischen Ansatz missverstanden zu werden. Trotzdem macht eine Auseinandersetzung gerade mit Heideggers Sprachdenken Sinn, denn an ihm lässt sich der Zusammenhang von Denkinhalt und sprachlicher Darstellungsform nicht nur als starres Gebilde, sondern als dynamischer Prozess aufzeigen. Im Unterschied zu einer oberflächensprachlich-substitutionstheoretischen Ansicht über die Tropen erweist sich der Blick auf die tiefensprachliche Dimension philosophischen Denkens als eine Perspektive, die den Begriff des λόγος (logos) in seiner vollen Bedeutung in Anschlag bringt. In der Tropizität der Rede kommt nämlich eine Pluralität und Dimensionalität der Logizität zum Tragen, wie sie die Wissenschaften aus Logik der Tropen

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den Augen verloren haben. Mit der Aufdeckung der Zusammenhänge von Logos, Ethos und Pathos konnte der Denkweg Martin Heideggers nicht nur einmal mehr gewürdigt werden, sondern auch als ein kontinuierlicher, konsequenter und gleichwohl dynamischer Prozess interpretiert werden, auf dem methodische, ontologische und ethische Überlegungen mit den Fragen nach der den jeweiligen Gegenständen angemessenen Darstellungsform als wechselseitig bedingt aufgedeckt werden. Dies kann aber nur gelingen, wenn das Verhältnis von Philosophie und Rhetorik nicht länger diffamiert, marginalisiert oder ungenügend beachtet wird. Mit einem pejorativen Begriff von Rhetorik blendet man nämlich die Frage nach der philosophischen Reichweite von rhetorischen Figuren und Tropen systematisch aus. Ausgeschlossen werden auf diese Weise wesentliche Register dessen, was in der Philosophie unter λόγος (logos) firmiert. Eine philosophische Analyse (tropo)logischer Darstellungs- und Erkenntnismodi stellt auf die spezifische inhärente Form, in der Inhalte präsentiert werden sowie sich wechselseitig bedingen und wandeln, ab. Es wird demonstriert, dass die metaphilosophischen Analyseverfahren der Rhetorik nicht relativistischer, sondern logischer Natur und auf Wahrheit verpflichtet sind. Damit gehört die tropologische Tiefenstrukturanalyse in die Tradition der analytischen Sprachphilosophie. Sie reicht das Desiderat nach und erweitert die Sprachphilosophie kritisch. Zentrale These dieses Buches war, dass die Primärtropen der rhetorischen Sprache logische Modi sind. Als solche stellen sie eine bestimmte Weise dar, Denkinhalte präfigurativ zu erfassen und zu organisieren. Sie stellen Grundtypen alternativer Selbst- und Weltverhältnisse dar, die kooperative Handlungsformen widerspiegeln. Die vorliegende Untersuchung rehabilitiert Tropen der rhetorischen Rede in ihrer tiefensprachlichen Logizität für die Philosophie und exponiert sie als logische Vorstrukturierungen von Denkinhalten. In dezidierter Auseinandersetzung mit verschiedenen Tropenansätzen wird ersichtlich, dass die rhetoriktheoretischen Klassifikationen oft unpräzise und inkonsequent sind. Besonders eklatant zeigt sich das am Verhältnis der beiden Primärtropen Metonymie und Synekdoche. Zur genauen Klärung des logischen Verhältnisses von Synekdoche und Metonymie trägt die Interpretation des Heideggerschen Denkens und insbesondere der so genannten Kehre bei, indem sie die tendenziell metaphysik- und ideologiekritische Intention Heideggers als Ringen um eine dem Sein und der Existenzweise des Men650

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schen phänomenadäquate Darstellungsform herauspräpariert. Dabei kamen neuere Ansätze aus der Metaphorologie und der Narratologie zum Einsatz. Das metonymische Weltverstehen in seinen vielfältigen Formen gegenständlicher Verhältnisbeschreibungen, etwa als Behälter-Inhalt-Beschreibung, kristallisiert sich dabei als das für das abendländische Daseinsverständnis dominante heraus (In-der-Welt-sein). Demgegenüber eröffnet die genaue Analyse der Synekdoche mit Blick auf Heideggers Denken eine echte Alternative zur Metonymie und damit die Chance, ohne Aufgabe wissenschaftlich-kultureller Leistungen ein umfänglicheres Seinsverständnis zurückzugewinnen. Heidegger ist aus der ernsthaften Bindung an sein eigenes philosophisches Projekt auf der Suche nach einer sprachlichen Darstellungsform, die diesem aufs Strengste entspricht. Einem begrifflichphilosophischen Denken, das für ihn sezierend oder metonymischzerteilend, logisch-analytisch, konventionell, grammatisch begrenzt, unterscheidend, kritisch, prosaisch, vereindeutigend, situationsinvariant und daher a-zeitlich usw. ist, setzt er zunehmend ein Sprachdenken entgegen, das sozusagen den entgegengesetzten Kriterien gehorcht, gleichzeitig aber die Leistungsfähigkeit der analytischen Begrifflichkeit in sich aufbewahrt. Statt sezierend-zerteilend soll sein Denken verdichtend und ganzheitlich, statt logisch-analytisch soll es analogisch und metaphorisch sein; statt situationsinvariant soll es handlungssituiert und geschichtlich sein und damit sich durch Zeitlichkeit ausdrücken; statt vereindeutigend, konventionell, (be)rechnend und technisch soll es lebendig, mehrdeutig, etymologisch tiefschürfend sein. Es soll ins Ganze integrierend, also holistisch und synekdochisch sein. Gleichzeitig muss es sich von allen bisherigen Denk- und Sprachnormen emanzipieren, um das Eigene hervorzubringen. Zunächst soll es verdichtend und verdichtet, quasi-poetisch sein, so wie die Sprüche des Heraklit, des Anaximander oder des Parmenides. In deren Sprüchen ist etwas bewahrt, das die subjekthypostasierende, substanzontologische abendländische Philosophie späterhin verloren bzw. vergessen hat. Das Vergessene oder Verlorene ist das, was Heidegger die Nähe zum Sein oder zu den Göttern nennt. Das An-den-Anfang-der-Tradition-zurück-Wollen ist also nicht nur eine schicke formale und methodische Umkehrung bzw. Blickwendung Heideggers, die sich überdies auch in der Darstellungsform ausdrücken lässt, sondern ist selbst inhaltlich begründet. Heidegger legt die Last der Interpretation auf die Schultern des Rezipienten und Interpretatoren, die nun gezwungen sind, die einzelnen Logik der Tropen

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Denk-Etappen Heideggers Schritt für Schritt selbst nachzuvollziehen und so quasi im Durchholen des Gedachten in ein Denken eingeführt werden, das von Anfang an auch eine kooperative Praxis ist und sukzessive zu einer gelassen-ironischen Haltung des Seinlassens führt. Diese vier Stufen lassen sich tiefensprachlich mit der stufenweisen Abfolge der vier Primärtropen beschreiben, wie sie die Tradition von Giambattista Vico bis Hayden White hervorhob – mit dem Unterschied allerdings, dass das, was diese für Epochenwechsel durch verschiedene Autoren beschrieben, von Heidegger in einer einzigen Person geleistet wurde. Heidegger durchschreitet die Phasen des Metaphorisch-Identifizierenden, des Metonymisch-Reduzierenden, des Synekdochal-Integrierenden bis hin zum Ironisch-Negierenden in Formen der Haltungsänderung gegenüber dem zu Denkenden selbst. Diese Stufenabfolge ist nicht immer chronologisch klar geschieden. Sie wurde in der Untersuchung hervorgehoben und konturiert. Folgendes konnte im Einzelnen gezeigt werden: Bereits in seinen frühen Schriften schrecken Heideggers Phänomenrettungsversuche vor sprachlichen Neuschöpfungen nicht zurück. Zu seinen sprachlichen Zumutungen gehören ungewöhnliche Substantivierungen und Verbalisierungen. Da, wie auch später, sind die Überlegungen an zwei Hauptfragen geknüpft: Das sind zum einen die Frage nach der Idee und Aufgabe der Philosophie und zum anderen die Frage nach der phänomenadäquaten Methode. Es sind erste Orientierungen. Sie suchen nach dem eigenen Ort des Philosophierens sowohl nach dem Inhalt als auch der Form nach. Die Philosophie unterscheidet sich für Heidegger dabei von den Wissenschaften vor allem durch die Weite ihres Fokus und die Tiefe ihres Frage- und Denkvermögens. Philosophische Überlegungen gehen bei Heidegger immer mit sprachphilosophischen Überlegungen einher. Aus dieser Position heraus ist tiefensprachlich der erste Modus, indem sie sich verorten muss, das Metaphorische als dasjenige, was weit entfernte Bedeutungsfelder miteinander zu identifizieren und auf diese Weise neue Sinnhorizonte aufzureißen imstande ist. In der Habilitationsschrift und in Sein und Zeit radikalisiert Heidegger seine Überlegungen. Weil die Dinge so sind, dass sie den idealen Bedeutungsgehalt der Begriffe nur in analoger Weise erfüllen, sind sie im Grunde noch viel mehr und anderes als das, was sie im Rahmen einer naturwissenschaftlich-technischen Ideologie des Exakten darstellen. Vielmehr ist jedes Seiende in sich etwas Unausschöpf652

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liches, das in diesem Reichtum nicht erfasst wird, wenn man es heterogenisiert, vergegenständlicht und in homogene Reihen stellt. Heideggers antimetaphysisches Denken hebt daher mit der Rettung der Phänomene an. Dazu gehört die Entlarvung ihres Grundcharakters. Die Rettungsambition ist ein wesentliches Grundmoment, das sich durch Heideggers gesamtes Werk erstreckt. So stehen notwendigerweise am Anfang seines Denkweges die Identifizierung mit der Tradition und die Selbstverortung in ihr als eines Imgesprächseins mit den größten ungelösten philosophischen Fragen. Der Fragehorizont wird als umfassendste Frage, die nach dem Sein, bereits markiert. Zwar setzte sich Heideggers existenziale Ana-logik von Sein und Zeit bereits am Anfang des Denkweges in ihren Verweisen auf grammatikalische Grundkonstellationen 3 und ihre verankerte etymologische Konnotativität und Assoziativität von der Sprache der Naturwissenschaften ab. Dabei gelingt es ihm aber nie vollständig, das dominante metonymische Paradigma zu verlassen. Die sukzessive Loslösung von jeglichem restmetaphysischen Denken gelingt erst im Durchgang durch die alternativen Primärtropen der Synekdoche und der Ironie, die er jedoch noch nicht nutzt. Ein allmählicher Durchgang in ein neues Tropenverständnis war nur durch eine selbstkritische Haltungsänderung möglich geworden, die im Frühwerk schon angelegt, aber nicht erreicht wird. Bindestrickkonstruktionen tauchen aber verstärkt erst Mitte der 20er-Jahre, vor allem dann in Sein und Zeit auf. Wer sich mit dem Gesamtwerk Heideggers vertraut gemacht hat, wird erkennen, dass also schon beim jungen Heidegger nicht die univoke, Bedeutung identifizierende und fixierende Logik, sondern die gesprochene Sprache und die lebendige Rede in ihrer Geschichtlichkeit, Bedeutungsvielfalt und in ihrer verdichteten Gestalt als gut memorierbarer Spruch, Sentenz, Gnom oder Aphorismus, damit das gesamte Register der Tropen und rhetorischen Figuren als sprachlicher Rahmen der Philosophie in den Fokus rücken, der aber noch nicht eigens umgesetzt wird. Statt in Bezug auf äußere Gegenstände ist der Mensch phänomengerechter vornehmlich durch seinen teilnehmenden kooperativen Praxisbezüge mit anderen zu beschreiben. Tropen zeigen sich im Durchgang durch Heideggers Denken als erfahrungs- und urteilsbezogen im Unterschied zur metonymischen Sprache in Schemata, die eher ein Regelfolgen darstellen. Sie sind materialbegriffliche Schlussfolgerungen. Ihre Gültigkeitsbeziehun3

Zum Beispiel: Befrager befragt Zubefragendes, Denker denkt das Zudenkende usw.

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gen beruhen auf kooperativen Aushandlungsprozessen. Eine praktische Vollzugseinbindung ist aber nur über Narrationen möglich. Situationsinvariante, fixe Gegebenheitsweisen von Phänomenen zu unterstellen, ist Vollzugs- und Illokutionsvergessenheit. Der Blick von außen auf die Phänomene ist damit per se immer seinsvergessen, denn er vergisst die menschlich-empraktisch-vollzügliche Seinseingebundenheit. Vollständigkeitsaussagen über Gegebenheitsweisen sind aus dem intrinsischen Blick nur als Annäherungen möglich, aus dem extrinsischen Blick aber Hybris. Die Beharrlichkeit und Treue, mit der Heidegger auch nach der so genannten Kehre die von ihm verwendeten Schlüsselwörter in den neu-alten Bedeutungskonglomeraten belässt und an ihnen festhält, zuweilen lediglich ein »i« zu einem »y« werden lässt, ansonsten aber seinen Denkweg inhaltlich und formal konsequent weiter abschreitet, zeigen den Grad der ernsthaften inneren Bindung an den eigenen philosophischen Anspruch, mit der Heidegger seinem Projekt nachgeht. Ziel ist es, hinter die (metaphysische) Tradition zurückzudenken und nicht, wie er an Nietzsche kritisiert, sich an deren Spitze zu bringen. Das heißt, statt wie die sprachanalytischen Denker immer weiteren Unterkategorien, Sequenzen und zersplitternden Fragestellungen nachzugehen, zieht es Heidegger in die diametral entgegengesetzte Richtung. Diese entgegengesetzte Richtung ist zugleich die der Vereindeutigung und damit Vereinseitigung bzw. Vereindimensionalisierung der Begrifflichkeit vorausliegende, weniger aufgegliederte Richtung. Er will das Sein nicht aus einem oder der Summe mikroskopischer Details begreifen wie die moderne Wissenschaft und Technik, sondern umgekehrt aus einer völlig anderen Logik heraus, nämlich einer holistisch verdichteten Existenzialität, verstehen. Gegen die gefährlichen Versiegelungstendenzen des wissenschaftlich-technischen Gestells setzt Heidegger während seines Denkweges immer wieder dezidiert die sozusagen verdichtende Logik der Kunst als Alternative. Das philosophische Denken soll der verrechnenden und vernutzenden wissenschaftlich-technischen Logik nicht mehr nur entrissen werden, sondern es muss ganz gewaltlos davon frei werden, da die Würde und Bestimmung des Menschen die einer dynamischen und freien Selbstbestimmung sind. Die Selbstüberschätzung und Betriebsblindheit von Wissenschaft und Technik mit ihrem implizit konservativen und tendenziell provinziellen und instrumentellen Gestellcharakter sind es, die das Grundproblem des Verlustes an Autonomie, Authentizität und Freiheit in sich birgt. Sie 654

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stellen die strukturelle Gefahr dar, auf hohem materiellen und intellektuellen Niveau durch schematisiertes vergegenständlichendes und verrechnendes Denken Freiheit und Selbstbewusstsein zu verspielen. Ausdruck findet diese besorgte Haltung Heideggers in dem provokanten Satz: »Die Wissenschaft denkt nicht.« 4 Gegen die ›Verwahrlosung‹ dessen, worauf die Wissenschaften überall im Grunde gründen, nämlich ihre ›Sein-Losigkeit‹, schreibt Heidegger bis ins hohe Alter an. 5 Der Mensch kann solange aus diesem metaphysischen Gefängnis nicht entrinnen, wie er im metonymischen Paradigma verbleibt. Wenn er dies aber bleibt, hat er nicht denken gelernt. Ein alternatives Denken kann nur durch eine Haltungsänderung erreicht werden. Nur ein ursprünglicheres – und damit anfänglicheres – Seinsverhältnis kann aus der Gefahr der metaphysischen Phänomenverkennung retten. Dazu gehört es, das Wesen des Denkens adäquat zu begreifen. Heideggers spätes Denken kreist um die Frage nach einem unabhängigen Zugang zum Wesen des Denkens selbst. An seinem Versuch, das Sein des Seienden zu denken, wurde bereits deutlich, dass alles Denken des Seins schwierig bleibt. Weil sich das Dasein zumeist vom Physischen her versteht, ist jeder Versuch, vollständig nichtvergegenständlichend zu sprechen oder zu denken, eine scheinbar unlösbare Aufgabe. Es kann nicht bewirkt, sondern nur vollbracht werden. Ein alternatives Denken kann nicht in Fortsetzung des Alten, sondern nur in der Stiftung von Neuem bestehen, das jeden Bezug zum Alten abgestreift hat. Es kann nur als Nähe zur Kunst, später dann speziell zur Dichtkunst geschehen. Heideggers Spätwerk ›besingt‹ deshalb in ›halbdichterischer‹ Form die Unverfügbarkeit des Seins. »Es sind M. Heidegger, Was heißt Denken?, GA 8, S. 8. Vgl. M. Heidegger, Das Argument gegen den Brauch (für das Ansichsein des Seienden), Jahresgabe 2013/2014. Dieses Manuskript stammt aus einer umfangreichen Handschrift Martin Heideggers mit dem Titel Vermächtnis der Seinsfrage und wurde in der ersten Hälfte der siebziger Jahre (vermutlich zwischen 1973 und 1975) verfasst. Es stellt eine Vorarbeit zur Einleitung in die Gesamtausgabe dar, wurde von ihm jedoch nicht mehr fertiggestellt. Vgl. ebenda, S. 75. Im Text heißt es: »Alle Richtigkeit des Vorstellens von Seiendem ruht in einer Wahrheit über das Sein. So gesehen, ist die auf sich beschränkte Richtigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis ohne Wahrheit. Sie ist wahr-los in dem Sine, daß die wissenschaftliche Forschung das sein als Sein nicht zu wahren vermag, wenngleich sie eine Wahrheit über das Sein überall und ständig unausgesprochen in Anspruch nimmt. […] Es geht mit ihnen das vor, was wir im rechtgedachten Sinn die Verwahrlosung der Wissenschaften nennen können.« (S. 71). 4 5

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Kunstwerke und einfache Dinge, die in der Spätphilosophie Heideggers den Gewaltverhältnissen der Verfallsgeschichte entgegenstehen, die vom ›ganz anderen‹ noch zu zeugen vermögen.« 6 Die ›Pracht des Schlichten‹ soll von sich her aufscheinen. 7 Seit der Kehre um 1930 bricht sich Heideggers seinsgeschichtliches Denken Bahn. Während er die Philosophie für das Poetische sensibilisieren will, gewinnen die Sprache und das ursprüngliche Näheverhältnis von Denken und Dichten für die Seinsfrage an Wichtigkeit. Heidegger stellt sich die Frage, wie über das Denken zu sprechen sei. Zur generellen Methode hat er sich gemacht, jeden Interpreten und jede Anthropomorphisierung infrage zu stellen und sich davon zu distanzieren und zu lösen. Vielmehr lässt das Ereignis des Seins das seinsgeschichtliche Denken sich ereignen. Diesem gebenden Seinsereignis entspricht jedoch kein Nehmen des Menschen. Der Mensch kann nur Seiendes entgegennehmen, bleibt im Metaphysisch-Metonymischen verhaftet. Das Sein selbst kann vom Menschen weder definiert noch gesehen oder vorgestellt werden. Sein ist Sein. Es ist nie Gegenstand, sondern das Er-eignis, dem sich der Mensch öffnen kann mit einer Sprache, die er eher vernimmt als kreiert. Heidegger hat nicht die Absicht, das Denken durch Dichten zu ersetzen, gerät aber selbst in die Nähe zur Dichtung. Die Sprache ist dem menschlichen Denken immer schon voraus. Insofern kann ihr immer nur nach-gedacht werden. Weil sie die Vorgabe des Denkens ist, macht es besonderen Sinn, auf deren tiefensprachliche Logiken zu schauen, damit sich das Denken seiner Strukturen gewiss wird und damit sich der Mensch über Sprache und Denken seiner selbst bewusst wird. Weil es Heidegger um eine präzise phänomenologische Entsprechung von Darstellungsform und phänomenalem Inhalt geht, müssen ontisch-ontologische und temporal-geschichtliche Bestimmungen in eine einheitliche Grundstimmung gebracht werden, die sich selbst immer wieder kritisch in den Blick nimmt. Damit gerät er zugleich in die Nähe einer geschichtsphilosophischen Großerzählung, eines Einheitsnarrativs der Philosophie, als Voraussetzung für ein nachmetaphysisches Denken. Der hermeneutisch-auslegende Durchgang durch die Philosophiegeschichte wird dabei immer mehr zu einem – eigentlich umgekehrt-hermeneutischen, nämlich einer ne6 7

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T. Rentsch, Martin Heidegger – Das Sein und der Tod, a. a. O., S. 197 f. M. Heidegger, Der Feldweg, GA 13, S. 4.

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gierend-integrativen Unternehmung des zu den Ursprüngen des Denkens unterwegs seienden ›Aufsaugens‹ aller wesentlichen Topoi der abendländischen Denkgeschichte. Heideggers Denkweg gerät so selbst in Bewegung, ins Unterwegssein, in eine innere SprachdenkDynamik, die sich zunehmend von der metaphysisch fundierten Exaktheitsideologie der Wissenschaft und dem Machbarkeitswahn der Technik als äußersten Ausdrücken menschlicher Hybris abzusetzen versucht. Wie Sprache dabei unser Denken mitformt und diese auf jenes zurückwirft, drückt sich in Heideggers Credo der Wächterschaft für das Haus des Seins aus. Dichten und Denken als seinsandenkenden Tätigkeiten ist dieses Hüten in besonderer Weise aufgetragen, weil sie am meisten Sorge tragen für das Sprachwesen. Da es zum Wesen des Seins gehört, sich das letzte Ge-heim-nis der Nähe zum Sein aufzusparen, kann es auch der Dichter nur zum Nahen, aber nicht zur Preisgabe bringen. Ziel des Heideggerschen Denkens, nämlich sich von der Dominanz des metonymischen Seinsverständnisses freizumachen und anders anfänglich zu denken, wird also zwar schon früh mit den Vorarbeiten zur Existenzialanalyse anvisiert. Annähernd erreicht wird es aber erst im rückwärtigen Durchgang durch verschiedene logische Redemöglichkeiten. Als überwunden kann es aber erst in dem Moment gelten, wo sich sein Bezugspunkt nicht mehr in der Geschichte, der Sprache und dem Denken der abendländischen Metaphysik als einem gefährlichen Gehege mit geringer Reichweite festhakt, sondern unbedarft und gelassen zum reinen Selbstzweck und zum Ausdruck des Wesens des Menschen wird, nämlich seiner Würde, Freiheit und möglichen Selbstbestimmung. Die tiefensprachliche Analyse des Heideggerschen Denkweges zeigt damit überdeutlich, wie stark Denken und Sprechen Haltungen sind, Haltungen zu (noch) nicht verwirklichten Möglichkeiten, in die der Mensch hinaussteht. Insgesamt bestätigen sich die im ersten und zweiten Teil dieses Buches aufgestellten Thesen: Heideggers Denken erweist sich in doppeltem Sinne als fruchtbar für eine tropologische Darstellungsformanalyse. Die Interpretation seines Denkweges ergibt, dass die Tropen der Rhetorik ein wichtiges Untersuchungsfeld für die Philosophie darstellen. Dies gilt sowohl für ontologische, metaphysikkritische, sprachphilosophische, geschichtsphilosophische als auch für ethische Fragestellungen. Heideggers Kritik am metonymisch-metaphysischen Redemodus zeigt sich als Kritik an der Wissenschaftsideologie des Exakten. Logik der Tropen

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Die unterschiedlichen tropischen Redemodi weisen unterschiedliche Wahrheitsbedingungen auf. Das Verhältnis von metonymischem und synekdochischem Redemodus zeigt sich – anders als das gängige Vorurteil – als Verhältnis von zwei diametral entgegengesetzten Logiken: einmal einer extrinsisch-analytischen Logik und zum anderen einer intrinsisch-synthetischen Logik. Damit ist die oberflächenstrukturelle Bestimmung des Verhältnisses der beiden Tropen, bei der die Synekdoche eine Sonderform der Metonymie sei, revidiert. Das Prinzip der phänomenologischen Forschung erweist sich mit Heidegger als ein tendenziell antimetaphysisches Prinzip, nämlich als eines des forschenden Verhaltens, als Haltung. Es zielt nicht auf Vernutzbarkeit, Bewirkbarkeit oder Verfügbarmachen, sondern auf eine Entsprechung von Darstellungsform, Methodik und zu behandelndem Problem. Das macht besonders Heideggers Kehre im Denken deutlich. Sie ist nämlich zugleich die Kehre vom metonymischen zum synekdochischen Redemodus, von einem extrinsischen Selbstund Weltverhältnis zu einem intrinsischen seingeschichtlichen Mitverstehen, das sich verdichtet ausdrückt. Die Betrachtung metarhetorischer Analyseverfahren gibt darüber hinaus einen Ausblick auf eine mögliche Erweiterung für die Rhetorik, die Argumentationstheorie und die Sprachphilosophie. Die Bestimmung tropischer Redeformen als deviant hält nicht stand. Vielmehr sind sie grundlegende logische und präfigurierende Modi des sprachdenkerischen Selbst- und Weltverstehens, die einhergehen mit dem Wechsel praktisch-kooperativer Haltungskonzepte. Logik hat selbst keine logischen Wurzeln, sondern liegt in der Haltung zu den Phänomenen begründet. Die Kritik an der abendländischen Wissenschaftstradition und ihren praktischen Ausläufern, etwa der Ideologie des Exakten, erweist sich als Kritik an einer bestimmten ethischen Einstellung des Menschen. Damit reicht Sprachphilosophie einmal mehr in das Gebiet der praktischen Philosophie hinein und über sie hinaus.

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Literaturverzeichnis

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Siglenverzeichnis

Im Text wird nur ein Sigel verwendet. Das ist das Sigel der Martin-HeideggerGesamtausgabe: GA.

B)

Verwendete Literatur

Martin-Heidegger-Gesamtausgabe: I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910–1976 GA 1

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GA 5

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GA 13

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Literaturverzeichnis

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