Literarische Aufsätze 3528200054


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German Pages 581 [592] Year 1965

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Literarische Aufsätze
 3528200054

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LITERARISCHE AUFSÄTZE

SUHRKAMP

VERLAG

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1965

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Eine übliche Bücherschau, weiter lehrreih. ........

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KUNSTKRITIK

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Deutschfrommes Verbot der Kunstkritik .........

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Bezeichnender Wandel in Kinofabeln

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KUNST,

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Das Wirtshaus im .Spessatt, .........5 ...,.Sesianh Bes.

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Pontoppidans Roman »Hans im Glük« ..........

83

Ulrik Brendels (in »Rosmersholm«) Begabung... ..... Die Kunst, Schiller zu.sprechen. .......0.2. 2.2.20, alas

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Weimar als Schillers Abbiegung und Höhe...

......

96

Poesie ın Hohlraum az „me. u sesee Marzismus und Diditune u 2 a a ee Über,Gegenwart in der Dichtung 7. .2 222.220

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STAATSROCK

Weiteres Beiseite on un nee ee ee Dıttere Heimatkurnst voor een Nacdhwortzu Hebels Schatzkastlein. — 2.20 re

169 169 172

Über die Melodie im Kınor a. 2m Nochmals die Melodieschicht im Kino. ..........

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Über ein Sammelwerk: Negerplastik. ...........

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Das'Märdien geht selber in. der. Zen az a Irıkot und Staatstock . . un Lichtenbergschesiherauf, herab AM LOERHT. .. 0% Über Beckmessers Preislied-Text. .. 2. 2.222220.

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Einfahrt und Ouvertüren .. .... .....

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Kine Zeichnung Kubins .. ........ 0.0.0 0.0 020 GeRHdneE

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Sachsens Anrede an den Flieder „san

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VERFREMDUNGEN

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Bil Angst des Ingenfeurs 4 2ER Herhnil und Geistererscheinungen 2.

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Hebel, Gotthelf und bäurisches Tao... .......0..%

Lied der Seeräuberjenny in der »Dreigroschenoper« . . . Ponce de Leön, Bimini und der Quell ...........

VERFREMDUNGEN

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II (GEOGRAPHICA)

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Mannheim aus freundlicher Erinnerung .......... Berlin aus der Landschaft gesehen . ............ Paulus Kirche in Worms. 2. vr an anne 3 Fratellini oder die Rampen Arkadiens .......... Beaınenam Rhenfall 2 + 2. 0: 5... 20 Me.

Ausgrabung des Brocken

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Herbst, Sumpf, Heide und Sezession

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Über Naturbilder seit Ausgang des 19. Jahrhunderts .

Die Felstaube, das Neandertal und der wirkliche Mensch .

Loch Ness, die Seeschlange und Dacques Urweltsage . . Trader Hornin Afrika .......0...020u0 09 lernen en Am Straßburger Münsternies . .. ZRllsg2 MEERE Alpen. ohneBhötographiesset Er... RETIA IEE Maloja-Chiavenna-Drifen Km ahelagage 3009 Hal Venedigs italienische Nacht... .. 2Rutmlen REGIE Italien und die Porosität.. arn.n. ann nr ME BER: Reich. des Syagrius Ra ER IE ENTER Friedhof und Gedenktest der Utopien geographisch/ PrärienundsSteppe. «+...u... BIURIESTELRT. ZSHRHEEE Goethes Zeichnung »Ideallandschaft« ........... Landschaft um Silvester und Neujahr ........... Zeitrafler, Zeitlupe aind.denrRaumi

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Gesprochene und geschriebene Syntax; das Anakoluth . Über bildende Kunst im Maschinenzeitalter Steinzeit undArdhitektur

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Antigone und Beethovens Leonore Über ein Gleichnis Kellers

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GUTER

RAT

ANSICH Man ist. Das ist zu wenig, ja das wenigste.

JE NACHDEM

Man setzt sich entgegen. Greift man unter Wasser an die Haare, so sind sie trocken. Doch auch deshalb, weil sie gegen durchaus Nasses rundherum nicht aufkommen.

GUTE

MIENE

Lärm stört etwas weniger, den man auch sieht. Am besten von einem Eckfenster aus, das Auge ist doch beherrschender als das Ohr.

GUTERFRAT Ein Kluger siedelt sich nicht in der Nähe von Verhältnissen an,

über die er keine Macht hat. Ja, er läßt sich dahin auch nicht an-

siedeln, zumal wenn er dazu unfähig ist, mit seinen Freunden umzugehen, als ob sie noch einmal seine Feinde würden.

BRIEF

UND

BUCH

Kennzeichnendes Gefühl bei der Lektüre eines guten Autors: Woher weiß der das von mir? Ein guter Brief gibt Kunde vom Schreiber, ein gutes Buch vom Leser.

Guter Rat

12

MUMIE

AUSLESE

UND

Viel Geschriebenes veraltet wie Brötchen, die offen liegen. Die

Buchform hält Damaliges zwar frisch wie im Kühlschrank, oft auch nur wie in Höhlen und Schulausgaben, deren Luft die beigesetzten Leichen immerhin als Mumien erhält. Hat der Autor Glück, dann erhält sich das eine oder andere seiner Bücher sogar wie in einem Weinkeller und wird mit dem Alter besser.

TEUER

BEZAHLTE

STOLLENSCHRÄNKE

Wer alte Möbel und Bilder liebt, darf die Hexenprozesse nicht vergessen, die zur gleichen Zeit waren und ohne die die Kunstwerke wohl wären, doch vielleicht nicht so wären. Er wird dann noch einen anderen Cicerone brauchen als das neunzehnte Jahr-

hundert, das bloß genießen wollte.

SCHLECHTER

PLATZ

Staatliche Erscheinungen dürfen nicht von unten, sie müssen von obenher betrachtet werden, wenn sie einen zufriedenstellenden Eindruck machen sollen. Das Licht fällt von dieser Seite weit vorteilhafter aufs Gemälde.

NURSO

WEITER

Wie gern wird putzigerweise auf der Stelle getreten. Auch privat; selbst das Wort Reue kommt nur noch im Geschäftsleben vor. Bleibt doch der sogenannte Mensch, wie noch die reise-

lustigsten Spießer meinen, immer, was er ist. Als Wolf gewiß, aber auch das nur, solange er Schafe hat, die es bleiben.

ÜBLICHE

BÜCHERSCHAU

WIE GEDRUCKT (1913) Wir hören rundum gar viel. Was denn, wenn man fragen darf. Meist wenig, was sich lohnt. Nichts Genaues jedenfalls nah und fern. Worte machen Klatsch, er geht von allen aus und liegt um alle. Meist als üble Nachrede, wie gut können da Worte beschmieren. Und umgekehrt auch, wie süß können sie Schwache anschmieren. Versprechend, verschönend, weithin so, wie man Köchinnen um Erspar-

tes bringt. Was muß gar nicht alles im Blatt gestanden haben, bis man sagen konnte, einer lüge wie gedruckt. Noch die Lust zum falschen Ion gehört hierher, der sich übernimmt. Und in

solchem Lärm geht es dem Guten nicht immer gut.

KEINE

UMSTÄNDE (1913)

Mehr sein als scheinen, das ist doch recht einfach. Wie jener Mann aus dem Volk zeigte, der mitten unter den üblichen Herzens-

wünschen folgende Anzeige einrückte: » Arbeiter sucht gesetzte ältere Person, die gut kochen kann, zw. Ehe.« Fast reizlos ist

damit Feinsliebchen gemalt, doch die gefl. Zuschrift, die erwartet wird, weiß, daß sie an einen guten Mann

geht, der

nichts vormacht, und sicher an einen guten Esser. Jedes Wort ist hier echt, in der ganzen übrigen Zeitung stand nichts, was

dem gleichkam. Ein Schelm gibt mehr als er hat, der Arbeiter mit seinem Sätzchen ist keiner. Möchte jeder höhere Satz sich daran prüfen, bevor er sich ewig bindet. Leider ist auch das Volk nicht immer so treu und wahr. Es versteht sich, je länger, je mehr, auf Kitsch sehr gut. Fällt dar-

auf herein, ist mit ihm betrügbar, ja vermehrt seinerseits den

Übliche Bücherschau

14

kleinbürgerlichen Auftrag dazu. Glühwürmchen, Glühwürmchen flimmre: obiger Arbeiter legt darauf weniger Wert. Schade, daß es ein älterer Mann sein dürfte und auch sonst enttäuscht. Doch was er in die Spalte des geschätzten Blattes einrückte, macht sich keine Umstände, es geht auch so. Der Schmock und jeder, der es nicht werden will, könnte sich davon eine Scheibe ab-

schneiden. Freilich hätte es dann der ganze Handel und Wandel schwer, die Ware will lackiert sein. Der Käufer mit ihr, so ge-

fällt ihm, was er sich gefallen läßt.

FROHE

KUNDE, GANZSEITIG (1929)

Haben nun genug Schales gelesen. Jetzt wollen wir worauf man gewartet hat, um es endlich zu erfahren. der geschmacksichere Raucher wissen? »Der "Tabak machts, es liegt am "Tabak.« Du mußt sagen: »Fünfzig Millionen Mark werden jährlich in

aufsagen, Was muß

es dreimal den Müll-

eimer geworfen« (nicht für Reklame). Darum unsere Devise:

»Alles für den Tabak, nichts für den Ausstattungsluxus«. Sonne brennt auf Mazedonien, auf die geschundenen Sklaven, die sich

da über Felder bücken. Für sechs Pfennig, für besonders festliche Gelegenheiten, unter Aufsicht unserer bewährten Orientfachleute. »Else Krüger begleitet dich«, indes Overstolz, das andere Stänglein, in den kölschen Gassen ficht, der Bürger mit dem Rittersnamen, wie es sich gehört, fünfhundert Jahre vor Erfin-

dung der Zigarette. Schon ist Else Krüger im Gewühl der Konkurrenz verschwunden, doch »Der Geist lebt fort, wenn auch

die Zeit entflieht. Vom alten Ecksteingeist zeugt Ulmenried, die vollkommene Zigarette.«

Weil er es schwer hat, muß der "Tabak sprechen. Halbseitig, ganzseitig brüllt die kleine Zigarette, bald ätherisch, bald junonisch bebildert. Kanonendonner legt sich um bedeutend weniger als ein Omlett. Oder die Verzweiflungsschreie einer übersetzten Industrie werden professoral: »Nun will ich Ihnen aber genau sagen, worauf es bei einer ostmazedonischen Zigarette

Frohe Kunst, ganzseitig

15

ankommt und woran der Raucher sie erkennt. Unsere Firma betreibt das wissenschaftliche Studium des Orienttabaks, vor-

züglich der Kreszenzen von Samsun und Xanthi.« In alle Läger vorzüglicher Bildung greift der Kommis, vom Koloß von Rhodos nimmt er die Weltwunder, von Berlioz die Klangmischung der 'Tabake, von Fridericus Rex die königliche Demut: »Unsere

Fabrikate sind Dienst am Raucher.« Waldorf-Astoria hat Rudolf Steiner über sich: »Zwischen Arbeit und Pflicht«, sagt das

Haus, »suchen Sie Ihr Dasein freundlicher zu gestalten. Die scheinbaren Zwecklosigkeiten und Unwägbarkeiten des Lebens nicht ernst zu nehmen, heißt dem Schönsten entsagen. Zwar unwägbar und doch wichtig sind auch jene Kräfte, welche unser fachliches Meisterwerk, die köstliche Astorhaus-Zigarette 6 Pf. dem Raucher vermittelt. Machen Sie einen Versuch. Das mit ihrem Genuß verbundene ästhetische Erlebnis istIhnen gewiß.« Nicht in Rom, nicht in Magna Graecia, am deutschen Kauf-

mann ist die Freude da. Wüßten die Guten nur noch, was sie sagen sollen. Womit sie den Raum füllen, den die Verschlechterung des "Iabaks bezahlt, und wovon die Zeitungen leben. Sie haben die Löffel, und es fehlt ihnen der Brei; dagegen den deutschen Schriftstellern fehlt

Platz. Nähme man den Druckraum der Zigarettenreklamen zusammen, so könnte Deutschland eine Zeitschrift haben, gegen die die »NeueRundschauc« ein Verlagsprospekt wäre. Wie klagte doch unser Stresemann vor der Provinzpresse? »Ich erkenne nicht an, daß jemand ein Staatsmann ist, der nicht im geistigen Leben seinen Mann steht. Es ist nötig, daß der Staatsmann im Leben die Zeit hat, um die Bücher zu lesen, die ihm Kunde geben

von dem kulturellen Leben des ganzen Volkes. Es ist bedauerlich, daß die Zeitschrift bei uns nicht die Bedeutung hat, die sie

haben könnte als Ergänzung der Tageszeitung.« Bei uns; in Frankreich ist es anders, im Land bloßer Regietabake und einer altmodischen Bourgeoisie. Aber man sage ja nicht, daß bei uns dieBourgeoisie und damit die öffentliche Teilnahme anLiteratur erschüttert sei. Das Bürgertum hat sich erholt, riesig diskutiert sich der Probleminhalt des ostmazedonischen 'Tabaks, daneben der Abreißkalender des Feuilletons, und »abends in die Scala«. Die Fachleute des Tabaks, der Creme, des Toilettenwassers sind

Übliche Bücherschau

16

praeceptores Germaniae geworden. Ehemals große Revuen stehen selber nur wie Creme da, die dem Wind die Schärfe nimmt.

Oder wie das Wunder ausgeglichener Mischung, welche unser Araberformat so bekömmlich macht. Sie können daher von Mouson und Neuerburg ersetzt werden, aber was hilft Strese-

mann? Wer schafft zur Zigarettenreklame ein Pendant an Raum,

in der Zeitung millionenfach automatisch verbreitet? Quod licet

Jovi non licet bovi: nur der Reichspräsident hat das Recht, seit seiner Kadettenzeit kein Buch gelesen zu haben.

EINE

ÜBLICHE BÜCHERSCHAU, WEITER LEHRREICH

(1929) Das Ganze ist überschrieben: Weihnachtsbücher. Das ist aber keine Entschuldigung für das Niveau. Die Leser des Berliner Tageblattes sind zu Weihnachten die gleichen wie sonst auch. Das Literaturblatt ist im Juli genauso schlecht. Die Seite beginnt mit Wilhelm Bölsche: »Bücher der Naturwissenschaft.« Die Auswahl und Art der Anzeige scheint hier noch die beste. Man kann nur fragen, ob der blümerante Freidenker Bölsche heute viel mit Naturwissenschaft gemein hat. Hier ist zwar wenigstens noch Urania und eine Gesinnung, aber es ist die Gesinnung der neunziger Jahre. Vom Nebelfleck bis Scheidemann - dieses riesige Korsett trägt man 1929 nicht

mehr. Die bürgerliche Ideologie ist sowohl skeptischer wie unruhiger geworden. Es ist, als ob die Kunstkritik bei Fidus, die

Theaterkritik bei Max Halbe stehen geblieben wäre. Nach Bölsche, nach einer Spalte bloßer Inserate (neuer Heinrich Mann, "Irotzkis Lebenserinnerungen, Gide), wieder »Na-

turwissenschaft«, vom Tieronkel Heck angezeigt. »Wieder ein neuer Bengt Berg!« - in diesem Stil, halbseitig und ausführlich,

mit Platz nicht für Trotzki, aber für Vögel zu Tausenden und Abertausenden. »Dann spielen eine große Rolle die Eiderenten,

die die berühmten Eiderdaunen liefern; aber nicht die prachtvollen, schwarzweißen,

stellenweise grün und lachsrot ange-

Eine übliche Bücherschau, weiter lehrreich

17

hauchten Erpel, sondern die unscheinbaren, braunschwarz gestrichelten Enten, die sich die Daunen selbst ausrupfen.« Unmittelbar danach eine neue Rubrik mit dem bodenlosen Titel: »Junge Deutsche als Novellisten.« Gemeint sind Klaus Mann

und noch ein junger Deutscher; ein Strich trennt sie von Paul Eippers »’Tierkindern« (»Dies Buch gibt uns etwas vom verlorenen Paradies zurück«). Kein Strich trennt das verlorene Para-

dies von Rudolf Hans Bartsch: »Der große alte Kater«, gleich dahinter. Ich betone: wir sind nicht im Lokalanzeiger, wo die Stratz und Rudolf Herzog auch im Romanteil zu Hause sind,

sondern in jenem Berliner Tageblatt, das das neueste Werk eines kühnen jungen großen Franzosen sogar in der illustrierten Beilagebringt. Über den österreichischen Kitschdichter schreibt aber Rezensent: »Die Begabung der Einfühlung und der feinen Charakterzeichnung, die dem Autor in der Novellensammlung »Vom sterbenden Rokoko« oder auch in dem Schubert-Roman »>Schwammerl« die Herzen vieler Leser gewann, ist... auch hier spürbar.« Nur Schopenhauer als Romanheld scheint ihm dem vorwiegend unterhaltend-heitern "Talent des Staakmannautors nicht ganz angemessen. Es folgt darum eine Rubrik: » Aus Leben und Zeit« — bei Gott ein weites Feld. Aber niemand anders steht darin alsderHermannStegemann ganz allein, der deutscheKriegs-

korrespondent von Anno dazumal als Stammtisch-Stratege. Der Zufallskram, im Kehricht mengeweht, geht weiter. Aber die ren, ist gering, die Lehre scheint noch: auf der gleichen Seite, im

von Zeilenschindern zusamLust, ihn weiter zu exzerpieschon so deutlich. Nur dies gleichen Literaturblatt sind

Marieluise Fleißer und Ernst Zahn besprochen — und beide »gut«. Denn so ein Buch ist etwas Schönes; Keller G. und Keller

P. - im Katalog kleinbürgerlicher Leihbibliotheken stehen sie gleichfalls hintereinander. Zehn Zeilen kommen auf die Fleißer, und Rezensent nennt sie »die begabteste unter den jüngern schreibenden Damen«. Zwanzig Zeilen kommen auf einen Ernst Zahn, sie zeigen »den Schweizer Dichter auf der Höhe

des

Schaffens«. Da gibt es Familienväter, blutjunge Bahnwärterstöchter, Herrenmenschen, Kompromisse der Heimlichkeit. »Daß

über sie Ernst Zahn sein dichterisch-priesterliches Ja sagt, ist

die Stärke des Werks. In einem sanften Orgelakkord... klingt

18

Übliche Bücherschau

der Roman des Alterns aus, friedlich, wie auch nach Sturm und

Wellen letzter Abendsonnenschein den wieder zur Ruhegekommenen Bergsee noch einmal aufleuchten läßt. Unsere Zeit ist um eine echte Dichtung reicher.« Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen, und nächsten Sonntag, zweiundfünfzigmal im Jahr, mit einer Auflage von über zweihunderttausend

Exemplaren, vor mindestens anderthalb Millionen Lesern geht das Geistesleben aus dem Herzen Berlins weiter. Einer namens Engel macht das, der, wie Karl Kraus sagt, ein armer "Teufel ist; doch das erklärt, es entschuldigt nicht. Der Handelsteil solcher Zeitungen ist sozusagen solid. In ihrer Theaterkritik gibt es Bonzen, die wenigstens die Fleißer nicht mit Ernst Zahn verwechseln. Chefredakteure sind gebildet, wissen zwar nichts von »lachsrot angehauchten Erpeln«, zitieren aber Oedipus auf Kolonos, wenn es ihnen einfließt, so

ganz leichthin, daß sie vor einem Jahr um diese Zeit noch mit Bülow über Hamsun geplaudert haben. Auf den Lokalanzeiger sehen sie hoch herab, wie ein Salon auf die gute Stube. Korrum-

piert sind ihre erwähnten Buchkenner auch nicht; die Verleger interessiert ja auch kaum, was namenlose Literaten alles so per Zufall zusammenloben oder nicht. Solche Literaturblätter sind aus eigenen Kräften korrumpiert; sie stehen unter dem Niveau des dümmsten und ahnungslosesten der möglichen Leser. Sie hindern, daß die paar Männer, die in Deutschland zur Buchkritik

taugen, im Schlendrian der Besprecherei machtlos sind. Berlin hat nicht einmal die Presse, die es verdient.

IMMER NOCH

IM PRACHTEINBAND (1929)

Man hat oft darüber geklagt, wie umständlich wir gekleidet sind. Wir Männer, mit so viel Knöpfen, Nähten, angeschnallten

Kragen, Röhren. Auf unsere Art sind wir wie Häuser der neunziger Jahre, unbegreiflich, weshalb. Viel Geld für Wichtigeres würde gespart, wären wir auch hier sachlich. Welche Mühe, uns Schritt, Achsel, Sitz des Ganzen

Immer noch im Prachteinband

19

»individuell« zu machen; wieviel Arbeitslohn verschlingen die vielen 'Teile auch in der Konfektion. Trüge man seinen Stoff chithonhaft wie die Griechen, Römer, heute noch die Araber, so wäre das um die Hälfte billiger oder die Qualität des Stoffs wäre besser. Aber nur die Krawatte bindet man selbst; alles an-

dere bleibt genäht, prachtbündig, mitgeschleifte unproduktive Arbeit, volkswirtschaftlich ein Unsinn.

Es gibt gar ähnlichen Unsinn, wo ihn kein Mann sucht. Sind unsere Anzüge zu teuer, so trägt man sie wenigstens. Sind die

Anproben, die ganze verschalende Akribie Verschwendung, so gehört das nun doch einmal zum Zeug; auch teilen sich feingenähte Knopflöcher, von anderem zu schweigen, ja dem ganzen Anzug mit. Für tadellose Verarbeitung wird Garantie übernommen; das merkt man im TIragen. Aber wo geht die ungeheure Verschwendung hin, die an den Kollegen der genähten Anzüge, an der anderen Erfindung eines schematischen Bürgertums, kurz an den sogenannten Klassiker-Ausgaben getrieben wird? An dieser komplett genähten bürgerlichen Aussteuer für den Bücherschrank, dienun eben wegen des Kompletten und der ihm entspre-

chenden allgemeinen Gipsbüste im Schrank stehen bleibt, also gerade nicht getragen wird. Esist schöne Gelegenheit, beim Jubiläum eines der größten Klassiker daran zu erinnern. In allen Lagen des Lebens, wo ein Brautpaar vorkommt, wird eigener Herd Goldes wert. Mit ihm Nathan der Weise, vielleicht auch noch Minna von Barnhelm, Emilia Galotti und - für die

künftigen Gymnasiasten im Haus — Laokoon, einiges aus der Hamburgischen Dramaturgie. Aber wie ein Wucherer zum Geld noch Korsetts oder einen Posten Petroleumlampen mitzugeben pflegt und als Geld rechnet, so erhält der Mittelstand zu seinem ihm lesbaren Lessing auch noch Bände mitgeliefert, in denen auch allerlei Spezialfragen stehen, dazu oft recht versunkene. Was sich in den Streitschriften und längst veralteten Untersuchungen dieses Mannes an seiner Persönlichkeit findet, wird

der normale Lessingbesitzer schon deshalb nicht kennen lernen, weil er die Dinge nicht liest. Ihre Kühle und Reinheit, ihr Bern-

stein um Fliegen, wo er sich findet, ist nicht fürs Haus gewachsen, weil er auch außerhalb des Hauses erst aus dem Ballast geschält werden muß. Wäre der Bürgernicht dermaßen verheuchelt

Übliche Bücherschau

20

und beziehungslos, so würde er sich die griechischen und lateinischen Verse (dauernd unübersetzt)

Spezialfragen um

nicht gefallen lassen, die

den damaligen Sophokles, den Streit um

unechte Gemmen. Was kümmerte diesen Leser, wenn er ehrlich wäre, wie die Alten den Tod gebildet oder vielmehr, wie man sich das im achtzehnten Jahrhundert vorstellte? Wozu laufen die vielen schlechten Holzschnitte zu diesem 'Thema, eine verfälschte Louis-seize-Antike, immer wieder durch Millionen Les-

singbände? Zehn Bände jedes Jahr mit allem Damals neu gedruckt, wo weniger für den treffenden Hausgebrauch wäre, gerade wegen der Klassik.

mehr

Denn das ist es: die teuren Zutaten stärken hier den Sitz nicht. Das bürgerliche Bewußtsein trägt dadurch Lessing nicht besser, denn Büchner, Grabbe, selbst Hölderlin trägt es überhaupt nicht.

Verwelkte Parerga stehen im Schrank, weil die Klassiker das einmal geschrieben haben, beiläufig oder in ihrem langen Leben. Aber ein paar Bändchen Arnim gehen nicht ab, und an Novalis

wird Papier gespart, um vom gänzlichen Richtplatz aller lebendiger Essayisten zu schweigen. Die botanischen Studien Chamissos

(wie wichtig mögen sie sein!) werden zu den Gedichten in einem eigenen Buch mitgeliefert; aber Lichtenberg, die »lesbaren« Schätze Kants, Schellings, Hegels haben nicht die geringste Möglichkeit, jungen Menschen in solchem Hausschatz zu begegnen. Sie müssen warten, bis sie von Schulmeistern vermittelt und banalisiert werden; es fehlt der Reiz der Entdek-

kung, gar der verbotenen Lektüre, mindestens des Allotria. Der bürgerliche Bücherschrank, soweit es sich um seine klassischen Schibboleths handelt, istnicht nur die bürgerliche Tracht, sondern

auch die bürgerliche Heuchelei und Substanzferne noch einmal. Leider, da ist nicht viel zu ändern, das Übel sitzt tiefer. Ein

gekürzter Lessing wäre ein Eingriff in bloße Symptome; nimmt man oben Falten weg, selbst Watte, so wird das Kleid an anderer Stelle falsch werden. Freilich ist bessere Verteilung der geistigen Güter auch schon innerhalb der Bücherschränke wichtig; für die Jugend, vor allem jetzt auch für proletarische Schichten, die Geld auf guten Glauben an konventionell Mitgedrucktes geben und keines für konventionell ihnen Ungedrucktes, ja Un-

terschlagenes. Aber der Zusammenhang des Übels ist die Lüge

Lehär— Mozart

21

schlechthin, in die der bürgerliche Geist in allen seinen Äußerungen und am meisten in seinen Gewohnheiten geraten ist, seien sie untereinander noch so verschieden. Den Ankommenden, sagt Kant, beurteilt man nach seinem Rock, den Abgehenden nach seiner Rede. Wo Rock und Rede kaum verändertes neunzehntes Jahrhundert blieben, kommt es beim Kommen und Gehen aufs Gleiche heraus.

LEHÄR - MOZART (1928) Wie sich doch der zahlende Mob freut. Da hat ein besonders Süßer etwas für ihn gesungen. »Friederike« von Lehär, die Zei-

tungen schreiben glänzend darüber. Im Metropoltheater ist auch eine Orgel eingebaut. »Damenwahl, schallt’s durch den Saal... Niemals kennt man an Seele und Leib je das Weib, Weib, Weib,

Weib.« Auch das Heideröslein hat dieser Mann komponiert. Und wie? ja wie soll man das sagen? Die BZ am Mittag sagt: so, daß Lehärs Komposition »vor Mozart bestehen kann«. (Da das Heideröslein meines Wissens nicht von Mozart, sondern

von Schubert komponiert wurde, kann Lehär also auch vor Schubert bestehen.) Die Berliner Presse löst einen Salut von ıoı Schuß. Und das fast ausnahmslos, der Jubel ist auch noch

echt. »Gern hab’ ich die Frau’n geküßt«, ja, das hat er gern gemacht, Lehärs »Paganini«. Jetzt aber singt Lehär Goethelieder, was vor Mozart bestehen kann. Die Presse ist Gottes voll:

»Noch lange klingt und singt alles in den Ohren nach« (Der Abend). »Die nötigen Verse sind von Fritz Löhner, der es ja

leicht hat. Denn sein Held dichtet selbst, ist sein eigener 'Iextdichter. Man hat seinem Helden nur auf den Mund zu schauen, die Einleitungen und Übergänge zu schaffen, und das 'Textbuch zu Friederike: ist fertig... Von einem Orchester, das das leise

Wogen des Waldwebens hat, heben sich Melodien ab, die hinreißend schön und schön erfunden sind. Lehär ist — was man nicht fassen kann - in dieser Partitur ganz deutsch, "Tauber im

ersten Akt etwas geniert, als wollte er sagen: Pardon, mein

Übliche Bücherschau

22

Name ist Goethe.« (Urban in der B.Z. am Mittag.) Wie man hört, soll derselbe wenige Tage später, in der gleichen Zeitung,

von Cimarosas »Heimliche Ehe« weniger entzückt gewesen sein. »Etwas wie der frische, bäurische, junge Mozart der Allemanden ist zufühlen. Und das ist auch Lehärs eigenste Domäne« (Montag Morgen). »Und von hier aus wehrt man sich sogar gegen Meister-Lehär« (Vossische Zeitung; sie schluckt zwar nicht alles an ihrem Meister, aber gegen Klemperers Fidelio hatte man weniger Hemmungen, wehrte sich ungezwungener, konnte ohne Meister hämisch sein). Die »Germania« sieht über-

haupt nur noch Goethen, in ihm den Tauber mit dem "Ienorbauch und der Bombenstimme: »ein prächtiger, stattlicher und lebensprühender

Goethe«;

unten

am

Pult

wieder

unseren

Lehär, den ewigen Jüngling, wie ihn Hegel nannte, als er aus Weimar kam: »Glücklicher Lehär — glückliche Zeit, die einen solchen Jüngling im grauen

Haar besitzt.«

Meister

Lehärs

»wohltuende Zurückhaltung« (Vossische Zeitung) geht manchen sogar zu weit; die Börsenzeitung rügt den Mangel an Humor im Pfarrhaus, auch »gemahnt« sie ein paarmal, weil sich Lehär nicht gehen ließ, »die orchestrale Untermalung mehr an Tristan und Isolden als an Goethes Schicksal.« Mozart, Tristan,

Goethe - der Denkstein ist im Fluß und regt bereits die Flügel. Auch dem Lokalanzeiger wächst Lehär erst mit den höchsten Zwecken: »Quellend und ursprünglich fließt der Born« (selbstverständlich) »der musikalischen Einfälle, was besonders dann

zum Ausdruck kommt, wenn es sich um die Vertonung Goethischer Gedichte handelt.« Aber immer wieder wird auch seine

»wohltuende Zurückhaltung« verblüffend gerühmt, wohl der letzte "Tribut Raffkes an die heiligen Güter oder als was man sie sich im Raffkeparkett vorstellt. Der junge Attache Danilo in der Lustigen Witwe brauchte nicht dezent zu sein, obwohl es Attaches doch zu sein pflegen; doch Sturm und Drang ist ein Pfarrgarten in Altheidelberg bei Krotoschin. Nur der junge Lenz, der auch vorkommt, vertritt die offene Komik, ganz undezent, ein Clown, so wie sich dieses Parkett einen Dichter vorstellt, zum Unterschied vom Klassiker, den man zur Aussteuer

schenkte. — Ein Wort noch zur Ekstase des Berliner Tageblatts, oder vielmehr sein eigenes Wort: »Das Erstaunlichste an dem

Lehär— Mozart

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Werk ist die Musik Lehärs. Wir wußten von ihm, daß ein Mu-

siker von Kultur, wie er, diesem höchst diffizilen Sujet gegen_ über nicht versagen würde... Es ist gleichsam der Drang des reiferen Alters nach Wahrheit und seelischem Gehalt, der ihn

zu diesem Stoff führte und ihn darin so in Liebe aufgehen ließ, daß die Musik ein zusammenfassender Ausdruck seiner Künstlerpsyche geworden ist.« Wenn das doch nur einmal Arnold Schönberg im "Tageblatt von sich hörte, aber da bleiben die Enthusiasten so unerbittlich wie der stygische Zeus, werfen die Künstlerpsyche den Witzen vor. An derselben Stelle desselben Blattes hat ein Alfred Kerr schon zahllose schön Sterbende zur Strecke gebracht, mit Recht oder Unrecht, soweit so einer überhaupt recht oder unrecht haben kann. Und beim lumpigsten Zeug, das ganz hinten seine Anzeige haben müßte, bei der

»Stimmungskanone Grawunder« oder »Hier ist’s richtig!« liefert der Lokalanzeiger fürs deutsche Publikum vier Glanzspalten. »Dazu Nummern wie »>O Mädchen, mein Mädchen«, der langsame Walzer >O wie schön«, das musikalisch tiefe Duett:

Blicke ich auf deine Hände«, das drollige Lämmchenlied: »Du bist so sanft«, das flotte Chorlied: »Die Mädels sind zum Küssen

da< usw. Alles das in einer Noblesse der Haltung und in einer Feinheit der musikalischen Behandlung, die Anerkennung, ja Bewunderung verdient«. Still und diskret grunzen die ungarischen Glücksschweine, die Impresarios dessen. Toller Hecht, gar nicht schlecht — Es hält frisch und jung, so’n kleiner Seitensprung — Ja der Mann hält in Bann, gab Natur ihm Figur. Die Presse der Reichen hat keine Töne mehr; der neue Mozart wird

nicht auf dem Armenfriedhof verscharrt. Nun sage man nicht, alle Leser könnten Lob von Lob unterscheiden. Schon früher war das schwer, als noch die Rubriken

zwischen Lehär und Mozart getrennt waren, der Schund beim Fettpuder, die große Kunst bei den Feuilletonisten stand. Jetzt gelten für beide die gleichen Maße; die Kritik beschwört Mozart, die Operettenbranche Goethe, und sie wird nicht bankerott

an diesen ungeheuren Maßen, bei Juno Moneta nicht. Von hun-

dert Musikfreunden, die in Klemperers Fidelio wollten, wurden achtzig durch die frechen Kritikpfaffen abgehalten. Aber zu den tausend Schiebern, die allabendlich ins Metropol gehen, treiben

Übliche Bücherschau

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die B.Z.- und Tageblatt-Schlepper tausend weniger Ausgekochte hinzu. Für das reinste Wollen, die strengste Kunstübung hatten die Parasiten nichts als subjektivistische Unverschämtheit; für den Mozart Lehär zeigen sie Hehlerblick. Uns ist nicht jeder Klassiker und alles an ihm ein heiliges Gut, wir sahen eine Festrede, in der Lessing Schlendrian wird und die Klassik ein ’Tem-

pelsumpf; gewiß sind die Oberlehrer in der Rechtspresse keine Bundesgenossen. Gewiß könnte auch eine Goethe-Operette offenbachisch sein und folglich ein Stück Entzauberung des Untertanenblicks, auch fetten Mythos, der sich um die »Klassiker« angesammelt hat. Aber außer Offenbach und, manchmal, Johann Strauß ist die Operette doch gerade der Schutzpark des falschen Pathos, der Herzigkeit, Sentimentalität und ausgelas-

senen Margarine. Lehärs »Edeloperette« mit Volkston (»die fast schon zur Oper tendiert«; welch ein Mißverständnis von Operette!) ist immer wieder ein Stück weiter auf dem Lügenweg. Die Dorsch, dieselbe, die »sonst auch« das Gretchen ver-

körpert, singt in Lehärs Werk, zwischen Goetheversen: »Ich war kein Weib, ich war ein Kind — warum hast du mich wach-

geküßt«; jawarum? und »reichliche Tränen flossen im Parkett«, für dreißig Mark Eintritt. Von diesen Tränen haben die heiligsten Güter nichts zu fürchten, sie sind ahnungslose Gemeinheit und ahnungsvoller Schmalz; der Bourgeois mit seinen Tenorklassikern in reizender Familienaufnahme. Aus Mozart Lehär,

aus Goethe Karlheinz -das ist keine Entzauberung von geweihtem Muff in Offenbachs Sinn, sondern das Werk der Boulevard-

Presse noch einmal.

DER

VOLLBART

ALS

HARFE

(1930) Heute kann man wählen zwischen fade und falsch. Das eine kennt man von den geschickten Plauderern, die beliebt sind. Die nichts streifen würden, was entzweit, die über alles so banal

und einig reden müssen, als wäre es das Wetter. Solch Fades kann an sich weder Nein noch Ja sagen.

Der Vollbart als Harfe

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Anders aber, wo das Fade auftrumpft, rechts fährt. Das Ge-

wäsch enthüllt sich dann als entschieden falsch. Seine Helden sind deutlicher als die armen abhängigen Plauderer am Rundfunk, in den Zeitungen, welche Abonnenten suchen, gleichviel wie. Die Schwätzer von rechts sagen zwar erst recht nicht, wel-

chen Interessen sie gehorchen. Gar als die unsäglichen Professoren vom Krieg her wissen sie es nicht einmal. Desto hämischer aber geben sie den Wahrheitswillen auf, derder Formnach ihren andern Untersuchungen eignet. Da ist nicht einmal jenes gewisse Feuer wie bei der nationalsozialistischen Jugend, das den

Kamelmist wenigstens verbrennt, von dem es sich nährt. Sondern Ältliches, Abgefeimtes, Routiniertes marschiert auf, wie

vor Kriegerdenkmälern aus den siebziger Jahren, aber gereizt. Böse Dummköpfe fahren mit der Hand, von rückwärts, in den Vollbart, daß er singt wie eine Harfe.

Die Luft trägt den Ton jetzt weit, er spricht immer weitere Kreise an. Einer namens Sandberger, Ordinarius für Musikwissenschaft und Geheimrat, selbstverständlich im jetzigen München, harft zu Beethoven. Das in einer Rede, die offenbar in Bonn

zum hundertsten Todestag gehalten worden war und noch Jahre danach in rheinischen Musikprogrammen abgedruckt wird. Schon der Titel ist gestelzt und zugleich abgestanden, kurz, völlig verlogen: Das Erbe Beethovens-Ein Hort deutscher Kultur. Das ist Lokalanzeigersprache auf neubayrischem Boden; sie hat die wirkliche deutsche Kultur, die München einmal hatte, aus-

gerottet. Aber bleibt man bei Beethoven, so fährt Herr Sandberger fort: »Da kam 1918 der Umsturz. Wie Wahnsinn fuhr es in die Menschen, über Nacht neuen Göttern zuzuschwören,.... sich, wie man so schön sagt, »umzustellen