115 67 1MB
German Pages 319 [323] Year 2005
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 121
Lex und ordo Eine rechtshistorische Untersuchung der Rechtsauffassung Melanchthons
Von
Isabelle Deflers
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
ISABELLE DEFLERS
Lex und ordo
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 121
Lex und ordo Eine rechtshistorische Untersuchung der Rechtsauffassung Melanchthons
Von
Isabelle Deflers
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-11245-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
A mes parents A ma tante
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Juli 2002 von der Rechtsfakultät der Universität Osnabrück als Dissertation angenommen worden. Nach so vielen Jahren freue ich mich sehr, endlich all den Begleitern dieses für mich besonders wichtigen Kapitels meines Lebens meinen herzlichen Dank ausdrücken zu können! An erster Stelle und von Herzen danke ich meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wulf-Eckart Voß, der mich seit meinen ersten Jahren an deutschen Universitäten begleitet und unterstützt hat. Für sein großes unermüdliches Vertrauen in mich sowie für die vielen Gespräche und zahllosen Arbeitssitzungen, die wesentlich zu den Fortschritten meiner Arbeit beigetragen haben, möchte ich ihm meinen herzlichen Dank aussprechen. Für seine Unterstützung bei meinen ersten Schritten in Berlin und die Mühe des Zweitgutachtens möchte ich Herrn Prof. Dr. Albrecht Weber danken. Diese Doktorarbeit wäre ohne die finanzielle Unterstützung der DFG, die mich von 1997 bis 2000 als Stipendiatin des Graduiertenkollegs „Bildung in der frühen Neuzeit“ gefördert hat, nicht zustande gekommen. In Anbetracht dieser interdisziplinären Zusammenarbeit erinnere ich mich dankbar an die Hilfe meiner Kolleginnen und Kollegen, insbesondere an die geduldige Hilfsbereitschaft von Andrea Garen und Karen Steffens. Mein Dank gilt auch der Robert-Bosch-Stiftung, die mich ein Jahr lang mit einem Stipendium gefördert hat. In diesem Zusammenhang möchte ich mich insbesondere bei Frau Prof. Dr. Catherine Colliot-Thélène und bei Herrn Prof. Dr. Olivier Baud für ihre freundliche Aufnahme ins Centre-Marc-Bloch in Berlin bedanken. Ein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Christoph Strohm, Prof. Dr. Markus Wriedt und Herrn Dr. Heinz Scheible, vor allem für ihre wertvolle Hilfe und Hinweise in den mir völlig unbekannten Bereichen der reformierten Theologie und der Kirchengeschichte. Nach den wissenschaftlichen Unterstützern hat Gabriele Saure den größten Anteil, dass dieses Buch in der jetzigen Form vorliegt. Ohne ihre ausdauernde Hilfe wäre es mir nicht möglich gewesen, die Arbeit zu vollenden. Ganz besonders freue ich mich, meinen geduldigen und immer präsenten Freunden für ihre Unterstützung und ihr liebevolles Vertrauen im Laufe dieser Jahre Dank zu sagen. Für die mühevollen sprachlichen Bearbeitungen der Arbeit bin ich
4
Vorwort
Stefan Fronzek, Katrin Burow, Matthias Mann, Andreas Pott, Susanne Antonischki, Thomas Bousonville und Petra Overath besonders dankbar. Schließlich möchte ich mich bei meinen Eltern und meiner Tante bedanken, die trotz der Entfernung immer an meiner Seite gestanden haben und mich stets unterstützt haben. Und zuletzt gilt mein ganz besonderer Dank Robert Antonischki, der im Laufe dieser Jahre alle Phasen von Begeisterung und Dissertations-Depressionen mit mir durchgemacht, mich liebevoll immer wieder ermutigt und geholfen hat und ohne den weder diese Arbeit noch ich geworden wären, was sie heute sind. Berlin, im Oktober 2004
Isabelle Deflers
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
A. Historischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
B. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
C. Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
Erster Teil Das Gesetz bei Melanchthon
26
Erstes Kapitel Die Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
28
A. Einleitung: Ius und lex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
B. Die Dreiteilung der Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
I. Die leges naturae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
1. Erste Anordnung und Definition der Naturgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
2. Anordnung und Definition der Naturgesetze in den Loci communes von 1521 und 1522 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
3. Naturgesetze und weltliche Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
II. Die leges divinae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
III. Die leges humanae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
C. Melanchthons „biblische“ Naturrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
I. Die unlösbare Verbindung von Recht und Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
1. Die Hierarchie der Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
6
Inhaltsverzeichnis 2. Rezeption dieser Idee und die falschen Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
a) Auseinandersetzung mit den „Schwärmern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
b) Melanchthons Erläuterung seiner Rechtsauffassung gegenüber den „Schwärmern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
II. Die Zwei-Reiche-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
D. Die Lehre vom Naturrecht in der Zeit Melanchthons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
I. Melanchthons Naturrechtslehre in ihrem historischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
1. Die Rezeption der antiken Naturrechtsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
2. Neue Richtung der Naturrechtslehre mit Scotus und Ockham . . . . . . . . . . . . . . .
56
3. Die Rezeption des Naturrechtsgedankens bei den Reformatoren . . . . . . . . . . . .
57
4. Die Rezeption der Naturrechtslehre insbesondere bei Melanchthon . . . . . . . . .
58
II. Zu den Parallelen zwischen ius naturae und ius gentium in humanistischer Zeit
60
1. Das Problem der Feststellung einer völkerrechtlichen Ordnung zu dieser Zeit
61
a) Das Problem der Dualität der Universalmächte im Mittelalter . . . . . . . . . . .
61
b) Zur Entstehung der Souveränitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
2. Das ius gentium als zwischenstaatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
a) Meinungsverschiedenheiten über das Anwendungsgebiet des ius gentium
66
b) Die Voraussetzungen für eine völkerrechtliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
III. Die naturrechtliche Begründung des staatsrechtlichen Denkens bei Melanchthon
72
E. Melanchthons Auffassung von Gesetzgebung und weltlicher Ordnung . . . . . . . . . .
76
Zweites Kapitel Welches weltliche Recht soll angewandt werden: Mosaisches oder römisches Recht?
78
A. Melanchthons ursprüngliche Position zum biblischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
B. Der radikale Biblizismus und der Bauernkrieg als Faktoren der Meinungsänderung Melanchthons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
I. Melanchthons Konfrontation mit den Wittenberger Unruhen und den Zwickauer Propheten 1521 / 1522 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
II. Die ersten religiösen und politischen Programme der Bauernbewegung . . . . . . . .
87
1. Von den ersten Forderungen bis zur Bundschuh-Bewegung 1513 . . . . . . . . . . . .
88
Inhaltsverzeichnis
7
2. Das Verständnis vom „göttlichen Recht“ bei Wiclif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
3. Jan Hus’ Vorstellung von der „reinen Kirche“ und deren Einfluss . . . . . . . . . . .
90
4. Die Radikalisierung der ursprünglichen Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
5. Die Bundschuhbewegung von 1513 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
III. Gründe für die Einsetzung des „göttlichen Rechts“ in die Forderungen der Bauern in 1525 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
1. Die Rolle der Rechtfertigung des Widerstandsrechts durch die Reformation
94
2. Der Einfluss der Bestrebungen nach einer neuen Machtverteilung . . . . . . . . . .
96
3. Der Einfluss der Forderung Luthers nach Erneuerung der Kirche . . . . . . . . . . .
97
4. Analyse der Forderungen der Bauern nach „altem“ oder „göttlichem“ Recht
98
5. Luthers Reaktion zu den damaligen Konsequenzen seiner Lehre und Kritik 101 IV. Melanchthons Gutachten zu den „Zwölf Artikeln“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Die Notwendigkeit der Bestrafung und der strafrechtlichen Ordnung . . . . . . . . 104 2. Kurze Darstellung der damaligen Rechtslage im Bereich des Strafrechts . . . . 105 3. Melanchthons Appell zur Wiederherstellung der Ordnung und der gesellschaftlichen Ruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 V. Die Rezeption des römischen Rechtes in den Beschwerden der Bauern . . . . . . . . . 108 1. Der Hass gegen das „fremde Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Die Forderung der Bauern nach der Ersetzung des römischen Rechts durch göttliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 C. Zum damaligen Stand der Rezeption des römischen Rechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Das römische Recht in der deutschen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Die Reichskammergerichtsordnung und die Rezeption des römischen Rechts 113 2. Das Subsidiaritätsprinzip der Anwendung des römischen Rechts in Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Der Aufstieg eines Juristenstands im Dienst der Landesfürsten . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Unterschiedliche Einstellungen über die Rezeption des römischen Rechts . . . 117 5. Der geringe Einfluss der humanistischen Prinzipien auf die Rechtsprechung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Der Zustand der Jurisprudenz in Wittenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Die Besonderheit des Sachsenspiegels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
8
Inhaltsverzeichnis 2. Humanistische Gedanken an der Universität Wittenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Die Einführung der humanistischen Gedanken in der Pädagogik . . . . . . . . . 125 b) Die humanistische Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 aa) Gründe für die notwendige Verbesserung des Rechtsstudiums . . . . . . . 128 bb) Einführung einer neuen systematischen Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 cc) Melanchthons Einfluss auf die Einführung der humanistischen Lernprinzipien in das Rechtsstudium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
D. Melanchthons spätere Aufwertung des römischen Rechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Einfluss des Rechtsgelehrten Hieronymus Schürpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Kurze biographische Darstellung von Schürpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Schürpfs Verhältnis zur Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Der Streit an der Wittenberger Universität zwischen den Juristen und den Theologen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Melanchthons Apologie des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Die Notwendigkeit eines festgeschriebenen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Als Schutzmittel gegen die unprofessionellen Schöffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Als Lösung für die damalige Rechtsunsicherheit im Reich und in den Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Als Schutzmittel gegen die Willkür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 d) Als Schutzmittel gegen die schwache Natur des Menschen . . . . . . . . . . . . . . 143 e) Als Schutzmittel gegen die radikalen Reformatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 f) Als Schutzmittel gegen nutzlose Gesetzesänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Die Rolle der Pädagogik bei der Festigung des Respekts vor dem Gesetz . . . . 147 a) Ausbildung und Erziehung der künftigen Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Ausbildung der Herrscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Eine festgeschriebene Gesetzgebung als Schutzmittel gegen die Kriegsgefahr 149 4. Die positiven Eigenschaften des römischen Rechts nach Melanchthons Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Die Übereinstimmung des römischen Rechts mit seiner Naturrechtslehre 152 b) Die besondere Gelehrsamkeit und Weisheit des römischen Rechts . . . . . . . 155 c) Das römische Recht als europäisches „ius commune“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Plädoyer für das „allerbilligste Recht“ (ius aequissimum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Definition und Inhalt Melanchthons epieikeia-aequitas-Lehre . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Billigkeit als Mittel für die Gesetzinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Inhaltsverzeichnis
9
b) Die Billigkeit als Instrument zur Milderung des „ius strictum“ . . . . . . . . . . . 162 c) Die Verbindung Melanchthons epieikeia-aequitas-Lehre mit seiner Naturrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 d) Anpassung seiner Naturrechtslehre mit Hilfe der Moralgesetze . . . . . . . . . . 164 e) Die „epieikeia“ und die „interpretatio legum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Melanchthons epieikeia-aequitas-Lehre und deren Verwirklichung im rezipierten römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Die begrenzte Anwendung der aequitas als Konsequenz der Rezeption des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Melanchthons Interpretation der „lex Placuit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Die Billigkeit des römischen Rechts als Argument zugunsten seiner Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 d) Die Gegenüberstellung des „ius scriptum aequissimum“ und des „ius strictum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 E. Schlusswort des zweiten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Zweiter Teil Definition des ordo politicus bei Melanchthon
174
Drittes Kapitel Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
177
A. Definition des ordo politicus bei Melanchthon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 B. Die Rollenverteilung zwischen Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Die neue Legitimation der weltlichen Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Melanchthons Argumentation in seiner Schrift von 1559 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Über die kaiserliche Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Über das Amt des Papstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Über die Wahl des Papstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4. Über die Rangordnung der päpstlichen Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 5. Über die Berufung der Synoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 6. Über die Gehorsamspflicht und Ungehorsamspflicht der Kirche gegenüber 191
10
Inhaltsverzeichnis 7. Über die Rolle der Obrigkeit als Beschützerin der neuen Glaubenslehre . . . 192 8. Über die strafrechtliche Funktion der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 9. Über die strafrechtliche Funktion der Obrigkeit gegenüber der Kirche . . . . . 193 10. Über die Unterwerfung des Papstes durch die weltliche Macht . . . . . . . . . . . . . 193
C. Die Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Begründung der Autonomie der gesellschaftlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Naturrechtliche Legitimation der weltlichen Macht bei Melanchthon . . . . . . . 196 2. Machiavellis gegensätzliche Begründung der Autonomie des Staates . . . . . . . 197 II. Melanchthons Kommentar zu der Politik des Aristoteles (1531) . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Form und Zweck der gesellschaftlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Die Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Die Ablehnung der Sklaverei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Die Rolle der Wirtschaft und der Güterverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Die Notwendigkeit festgeschriebener Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 e) Der Zweck der gesellschaftlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Die Frage der Staatsform und der Machtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Die Begrenzung der Machtausübung: Die Frage des Widerstandsrechts . . 207 b) Die Begrenzung der Machtausübung: Die Rolle der Gesetze und der Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Melanchthons Auffassung von der gesellschaftlichen Ordnung – Eine kurze Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 D. Politica und politia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I. Regelungen der damaligen Landes- und Reichspoliceyordnungen . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Die Reichspoliceyordnungen von 1497 bis 1530 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Die Reichspoliceyordnung von 1530 und ihre spätere Ergänzung . . . . . . . . . . . 215 II. Religiöse Aspekte der „Policey“: Die Frage der Gotteslästerung . . . . . . . . . . . . . . . 218 E. Zusammenfassung des dritten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Inhaltsverzeichnis
11
Viertes Kapitel Die Grundinstitutionen des ordo politicus
223
A. Die Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Die Stellung der Reformatoren zur Frage des Widerstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Erste Periode: Melanchthons strenge Ablehnung des aktiven Widerstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Widerstand der Bauern gegen die Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Eine neue Art von Widerstand: die Fürsten gegen die kaiserliche Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Zweite Periode: Anerkennung des Widerstandsrechts der Fürsten gegen den Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Die Rechtfertigung des Widerstands als „Notwehr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 b) Die Begrenzung der Anwendung der „Notwehr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 II. Rechte und Pflichten der Obrigkeit nach Melanchthons Auffassung . . . . . . . . . . . . 234 1. Definition der weltlichen Pflichten der Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Die doppelte Natur der Obrigkeit: selbstständig, aber auch in Gottes Hand . . 241 III. Weitere Aufgaben der Obrigkeit nach Melanchthons Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . 242 B. Die Ehe und die Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 I. Melanchthons und Luthers unterschiedliche Auffassungen von Ehe und Ehegerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 II. Die damalige Reform der Ehegerichtsbarkeit in Wittenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 III. Auseinandersetzungen über die Weiterverwendung des kanonischen Rechts in Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Der Streit über die Rechtsgültigkeit von heimlichen Verlöbnissen . . . . . . . . . . . 250 a) Auffassung Luthers und der Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Melanchthons Position zu den in Ehesachen geltenden Rechtsquellen . . . . 251 c) Melanchthons Betonung der Rolle der Obrigkeit in Ehesachen . . . . . . . . . . 253 2. Kurzer Überblick über die damalige eherechtliche Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 C. Das Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 D. Das Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
12
Inhaltsverzeichnis
E. Das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Die Strafe als Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Die utilitaristische Funktion der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2. Die pädagogische Funktion der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Überblick über die damalige strafrechtliche Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Die Strafe als Kampfmittel gegen die radikalen Reformatoren . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Die Einführung des Inquisitionsprozessverfahrens und der Carolina (1532) 269 III. Melanchthons Schweigen über die Anwendung der Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
Einleitung A. Historischer Kontext Das 16. Jahrhundert bildet in der Weltgeschichte eine Zeit des Umbruchs, der Erneuerung und der Modernisierung auf politischem, religiösem und gesellschaftlichem Gebiet. Gegenüber dem Mittelalter ist es auch in philosophischer Hinsicht ein bedeutender Wendepunkt. Der Beginn einer neuen und erweiterten Weltanschauung war durch die aufgewertete Stellung des Menschen vor dem Hintergrund der theologisch-philosophischen Überlegungen gekennzeichnet. Im juristischen Bereich ist diese Epoche im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation durch die beginnende Säkularisierung der Politik, die Entstehung der Territorialstaaten und des öffentlichen Rechts, den Aufstieg des Juristenstandes in staatlichen Einrichtungen sowie durch den Versuch gekennzeichnet, eine einheitliche Gesetzgebung und feste Gerichtsinstanzen herauszubilden, wofür vor allem die neue methodologische Rezeption des römischen Rechtes den Ausschlag gegeben hat.1 Eine historische Untersuchung über diese frühneuzeitliche Epoche führt fast zwangsläufig zur Betrachtung der Rechtsentwicklungen auf staatlichem und auch auf privatrechtlichem Gebiet. Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde vom Drang der weltlichen Herrscher zur Unabhängigkeit gegenüber dem Papsttum und von der beginnenden Loslösung der Politik von ethisch-moralischen Prinzipien geprägt.2 Am radikalsten erschien dieser Bruch bei der Veröffentlichung von Machiavellis „unchristlichem“ Werk Il Principe 1513, das als das Ende des „theokratischen Einheitssystems des Mittelalters“3 bezeichnet worden ist.4 Die Einheit der mittelalterlichen res publica Christiana war bis dahin durch die Anerkennung der unantastbaren plenitudo potestatis des Papstes und der römischen Kurie aufrechterhalten worden. Die feste Rangordnung zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, in der die ecclesia universalis und die weltliche politia miteinander verknüpft Stolleis, Staat und Staatsräson. Lutz, Ragione di Stato. 3 Kinder, Gottesreich und Weltreich, S. 26. 4 Über Machiavelli gibt es eine sehr umfangreiche Literatur, hier u.v.a. Herfried Münkler, Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt a. M. 1982, Raymond Polin, Le concept de Raison d’Etat avant la lettre d’après Machiavel, in: Staatsräson, Studien zur Geschichte eines politischen Begriffes, hrsg. von R. Schnur, Berlin 1975, S. 27 – 42, Eberhard Schmitt, Machiavelli, in: Klassiker des politischen Denkens, Bd. I., hrsg. von H. Maier, H. Rausch und H. Denzer, 6. Aufl., München 1986, S. 165 – 180. 1 2
2 Deflers
14
Einleitung
waren, basierte auf dem grundlegenden Gedanken, dass der weltlichen Macht eine eigene Legitimation ohne die Aufgabe, auf das Heil der Untertanen hinzuarbeiten, nicht zukam. Trotz der Kämpfe zwischen weltlicher und geistlicher Macht und der gescheiterten Versuche einiger Herrscher, sich von der Einflussnahme des Papstes zu befreien – wie denen des französischen Königs Philipp IV. während seines Streits mit Bonifaz VIII.5 –, hatte die Grundstruktur der Staatengemeinschaft des corpus Christianum bis Anfang des 16. Jahrhunderts überlebt. Erst mit Luthers reformatorischem Glaubensbekenntnis und seiner Zwei-Regimenten-Lehre brach die mittelalterliche Machthierarchie zusammen. Seine Kritik an der römischen Kirche, die Entwicklung eines neuen Glaubensverständnisses und die damit erfolgte Glaubensspaltung im Reich waren die Grundlagen eines neuen politischen Bewusstseins unter den Landesherren, die die Religionskrise zugunsten der Emanzipation ihrer eigenen Herrschaft gegenüber dem Kaiser nutzten. Zu den religiös-politischen Ereignissen kamen juristische Überlegungen und neue geistige Bewegungen, die sich in der wieder aufblühenden Reflexion über das Naturrecht verbanden. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts beschäftigte sich die spanische Spätscholastik intensiv mit der Naturrechtslehre von Thomas von Aquin, um auf neue Rechtsfragen, die z. B. durch die Entdeckung und Eroberung Amerikas aufgeworfen wurden, passende Antworten zu finden. Auf der Suche nach einer Legitimierung der Machtausbreitung der europäischen Großmonarchien in diese „herrenlosen“ neuen Territorien hinein entwickelten die damaligen Legisten, aber auch die geistlichen Gelehrten, unter ihnen zunächst Jesuiten, die Grundprinzipien des frühneuzeitlichen Völkerrechts.6 Zeitgleich mit diesen philosophischen und staatsrechtlichen Fragen öffnet sich die damalige europäische Jurisprudenz den Grundideen der humanistischen Geistesbewegung. Seit der Wiederentdeckung der justinianischen Gesetzbücher im 11. Jahrhundert hatte die Schule von Bologna mit ihrer glossa ordinaria eine wissen5 Philipp IV. der Schöne (geb. 1268, gest. 29. 11. 1314 in Fontainebleau) wurde 1285 als König von Frankreich gekrönt. Im Jahre 1296 kämpfte er gegen Bonifaz VIII. wegen der vom Papststum geplanten kirchlichen Besteuerung des französischen Klerus und wegen der Verhaftung des Bischofs von Pamiers, der verdächtigt wurde, gegen den König an der Seite der Aragonien zu intrigieren. In der Bulle Ausculta, fili 1301 tadelte der Papst den französischen König, der wiederum eine Versammlung von Notabeln berief, um sich ihre Unterstützung zu sichern. Der Streit endete erst mit der Berufung des neuen Papstes Clemens V. im Jahre 1305, der in Avignon residierte und die Entscheidungen seines Vorgängers für nichtig erklärte. Mit Hilfe seiner im römischen Recht ausgebildeten Legisten reformierte Philipp IV. die zentralen Gewaltinstitutionen und konnte sich gegen die Argumente der Kurialisten verteidigen. Diesen Kampf führte auch der Kaiser Ludwig der Bayer (Römischer König von 1314 bis 1347; Kaiser von 1328 bis 1347) gegen den avignonesischen Papst Johannes XXII., der ihn 1324 verbannt hatte, siehe Heinz Thomas, Ludwig der Bayer. Kaiser und Ketzer. 6 Preiser, Art. Völkerrechtsgeschichte I, insb. S. 693 – 703, Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte.
Einleitung
15
schaftlich fundierte Neuinterpretation der römischen Rechtsquellen vorgelegt, die für die Rechtslehre in ganz Europa führend geworden war7 und als mos italicus auch den Rechtsunterricht an den Universitäten der deutschen Territorien beherrschte. Vorbereitet durch den vor allem an den mittelalterlichen Universitäten Frankreichs entwickelten mos gallicus hatte die mit dem Humanismus entstandene neue Forderung nach wissenschaftlicher Systematisierung des römischen Rechtskorpus erst um die Jahrhundertwende im Heiligen Reich Fuß zu fassen begonnen. Wegen der Besonderheit der deutschen Rezeption des römischen Rechtes, die mit der Gründung des Reichskammergerichts 1495 offiziell dazu übergegangen war, das ius utrumque in der Rechtssprechung seiner gelehrten Juristen zugrunde zu legen,8 hatte der mos italicus im deutschen Reich auch praktische Bedeutung behalten. Was rezipiert wurde war aber nicht das römische Recht des 6. Jahrhunderts, sondern das europäische ius commune. Auf der Basis der klassischen Texte des Corpus Iuris, deren ursprüngliche Gestalt nicht mehr bekannt war, hatten bereits die italienischen Glossatoren und später auch die Postglossatoren, die sogenannten Konsiliatoren, die zeitgenössischen Statuten, Gewohnheiten und Handelsgebräuche des ius wissenschaftlich bearbeitet und vereinheitlicht.9 Die Rezeption des humanistischen Programms in Deutschland war dagegen durch ein pädagogisches Interesse motiviert.10 Stark von ihrer z.T. geschmähten „antiquarischen“ Erforschung der römischen Quellen griffen die Humanisten den als „degeneriert“ kritisierten literarischen Stil der scholastischen Methode an und widmeten sich vor allem pädagogischen Reformen und der Systematisierung der Rechtssätze im Corpus Iuris selbst. Statt der bisher angewandten Exegese der in die Pandekten aufgenommenen Fragmente, die isoliert und ohne Zusammenhang erfolgt war, versuchten Juristen wie Konrad Lagus (1500 – 1546) und Johann Apel (1486 – 1536) ein in sich geschlossenes System aus der unübersichtlichen Menge der justinianischen Rechtssätze herauszuarbeiten.11 Allein Justinians Institutionen entsprachen mit ihrer allgemeinen Erklärung der hauptsächlichen Rechtsstrukturen den pädagogischen Vorstellungen der Humanisten nach elementarer Darstellung. 7 Coing, Handbuch der Quellen, Bd. I: Mittelalter (1100 – 1500), Bd. II: Neuere Zeit (1500 – 1800) 1976, Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaften, insb. Kapitel II, S. 37 – 87. 8 Coing, Handbuch der Quellen, Otto Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, II, Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, insb. S. 176 ff. 9 Über die Konsiliatoren: Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 80 – 96. 10 Über Humanismus, Philosophie und Wissenschaft siehe Fränckel / Greschat, Zwanzig Jahre Melanchthonstudium, Meuthen, Charakter und Tendenzen des deutschen Humanismus, S. 217 – 266, Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft und ders., Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, siehe auch die Werke von Kisch, Humanismus und Jurisprudenz, Erasmus und die deutsche Jurisprudenz seiner Zeit, Gestalten und Probleme aus Humanismus und Jurisprudenz und Studien zur humanistischen Jurisprudenz. 11 Schaffstein, Zum rechtswissenschaftlichen Methodenstreit, S. 195 – 214, Troje, Wissenschaftlichkeit und System, Wieacker, Gründer und Bewahrer.
2*
16
Einleitung
Von der Dialektik des Aristoteles und des Ciceros übernahmen die Systematiker das Instrument der Topoi (Loci communes), um die Rechtskenntnisse und Entscheidungsgrundsätze zu ordnen.12 In Zusammenhang mit der Suche nach Erneuerung auf einer philosophischen und juristischen Ebene breiteten sich die neuen, methodologischen Ansätze sehr schnell an den Fakultäten, gerade auch unter den Anhängern dieser Reformbewegung, aus.13 Den Gelehrten Melanchthon, der sich schon länger für die Jurisprudenz interessierte, konnte die Rezeption des römischen Rechtes nicht gleichgültig lassen. Obwohl sich Luther grundsätzlich gegen das Recht, insbesondere das kanonische, gewandt hatte,14 trat Melanchthon mit Rechtsprofessoren in Kontakt und knüpfte u. a. mit dem Wittenberger Rechtsprofessor Hieronymus Schürpf15, dessen Rechtsvorlesungen er hörte, eine Meister-Schüler-Freundschaft. Allmählich bildete er sich eine eigene Meinung über die Rezeption des römischen Rechtes und die wesentlichen Vorteile, die ihm eine einheitliche und festgeschriebene Gesetzgebung auf dem Reichsterritorium zu bieten schien. Obwohl die Bemühung um das römische Recht einen relativ bedeutenden Aspekt seiner intellektuellen Beschäftigung ausmachte, ist Melanchthon nicht deswegen, sondern aufgrund seiner reformatorischen Arbeit und zugleich als Praeceptor Germaniae16 bekannt geblieben. Der neu berufene Professor für griechische Sprache hatte in seiner am 29. August 1518 gehaltenen Antrittsrede „De corrigendis adolescentiae studiis“17 sein Programm einer Universitätsrefom dargestellt, das die Prinzipien des humanistischen Bildungsideals übernommen hatte. Als Ursache des Verfalls der Wissenschaften, für den er die Scholastiker mit ihrer als pervertiert angesehenen Lernmethode verantwortlich machte18, betrachtete er vor 12 Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts, ders., Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland. 13 Erhard, Geschichte des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bildung Bd. III, insb. S. 466 – 485 über die Rechtswissenschaften, Hammerstein / Buck, Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. I: 15. bis 17. Jahrhundert, insb. S. 39 – 50. 14 Über Luthers Einstellung zum Recht und über seinen Streit mit den Wittenberger Juristen, siehe Beyer, Luther und das Recht, Bring, Der Glaube und das Recht nach Luther, S. 140 – 162, Karl Köhler, Luther und die Juristen, Lieberwith, Marin Luthers Kritik am Recht und an den Juristen, S. 53 – 72, Lingelbach, „yhe weniger gesetz, yhe besser recht“, S. 851 ff. und „Juristen – Böse Christen“, S. 327 ff., G. Müller, Luthers Stellung zum Rechte, Steding, Hieronymus Schürpf und sein Verhältnis zu Martin Luther, S. 186 – 192, Albert Stein, Martin Luthers Meinungen über die Juristen, S. 362 ff. 15 Über Hieronymus Schürpf siehe Muther, Der Reformationsjurist D. Hieronymus Schürpf, Schaich-Klose, Hieronymus Schürpf. 16 Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae. 17 „De corrigendis adolescentiae studiis“, in: Stupperich, Werke in Auswahl, Bd. 3, S. X – XX. 18 Zur Kritik an den damaligen Hochschulen siehe auch die Rede 1521 „Oratio adversus Thomam Placentinum pro Martino Luthero Theologo“, die Melanchthon unter dem Pseudonym Didymus Faventinus veröffentlicht hatte.
Einleitung
17
allem die Trennung zwischen Religion und Wissenschaft einerseits und zwischen Christentum und klassischer Bildung andererseits. Dem gegenüber hielt er es für notwendig, die scholastische Theologie und Philosophie durch die Lektüre der Bibel und der Klassiker, die Lehre der alten Sprachen, der Grammatik, der Dialektik, der Rhetorik, der Geschichte und der antiken Philosophie zu ersetzen; damit entsprach er den Grundlinien des humanistischen Bildungsprogramms und dem Aufruf „ad fontes“ aufs Genaueste. Melanchthon wird oft in der Literatur als Gelehrten bezeichnet, der die Einheit der humanistischen und reformatorischen Geistesbewegungen seiner Zeit verkörpert habe. Die Philosophie des Humanismus, deren Prinzipien dem Menschen als freiem Christen und als Mitglied der Gemeinde einen wichtigen Platz zubilligten, war die Grundlage seines Bildungsideals. Die schola sollte ein für alle offener Ort sein, wo jeder die Möglichkeit bekommen sollte, sich zu bilden und weiterzuentwickeln. Melanchthon übernahm das pädagogische Grundprinzip Platons, wonach Wissen und Tugend lehr- und lernbar seien. Dieser „Bildungsoptimismus“, d. h. das unerschütterliche Vertrauen in die universale Macht des Geistes, war bei fast allen Humanisten seiner Zeit feststellbar. Er war die Grundlage für ihre Überzeugung, dass die Verbesserung der Bildung auch zur Erneuerung der Welt führen würde. Der Bildungsgedanke der Humanisten verlangte daher unbedingt nach einer formalen Schulreform, über die die neue und, im Vergleich mit dem späten Mittelalter, für fortschrittlich gehaltene Weltanschauung in der Jugend begründet werden sollte. Mit der Einführung seines pädagogischen, erneuerten Bildungsprogramms spielte Melanchthon an der Universität Wittenberg nicht nur für die Ausbildung der jungen Juristen eine bedeutende Rolle.19 Sie hatten vor ihrem Rechtsstudium den Kursus in den septem artes20 der Artistenfakultät absolviert und waren deshalb mit dem antiken (reinen) Latein und dem erneuerten methodologischen und dialektischen Programm schon vertraut; oder sie wurden nach ihrem Eintritt in die Rechtsfakultät erstmalig und unmittelbar mit den neuen reformierten Lehr- und Lernmethoden konfrontiert, die so neben der noch weit verbreiteten scholastischen Methode immer mehr an Einfluss gewannen.21 19 Buchwald, Zur Wittenberger Stadt- und Universitätsgeschichte, Friedensburg, Geschichte der Universität Wittenberg. 20 Das Bildungsprogramm der artes liberales umfasste sieben Disziplinen, die wegen ihrer verschiedenen Schwerpunkte nacheinander besucht werden sollten, bevor an den so genannten „höheren Fakultäten“ (Theologie, Medizin und Jurisprudenz) das Studium begonnen wurde. Während des Trivium wurden die Grammatik, die Rhetorik und die Dialektik besonders gepflegt. Diese auf die Sprache bezogenen Fächer sollten sich vom verfälschten Latein der Spätscholastik trennen und eine lebendige Kenntnis der lateinischen Sprache, der so genannten lingua nobilissima, vermitteln. Das „naturwissenschaftliche“ Quadrivium vermittelte anschließend die Kenntnisse in Arithmetik, Geographie, Astronomie und Musik. Siehe Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts, Bd. I, Scheible, Melanchthons Bildungsprogramm, S. 233 – 248. 21 Scheible, Aristoteles und die Wittenberger Universitätsreform, S. 123 – 154.
18
Einleitung
Melanchthons Interesse für rechtsphilosophische Fragen war ursprünglich aus seiner Beschäftigung mit der Bibel entstanden. Dass er sie als Urquelle aller menschlichen Gesetze betrachtete, wird durch seine theologische Vorgehensweise erklärt. Erst später widmete er sich nämlich, verstärkt durch die damaligen politischen Ereignisse und durch seine Kommentare zur Politik und Ethik des Aristoteles und zu Ciceros De officiis, staatsrechtlichen Fragen. Seine Beschäftigung mit der Rechtslehre begrenzte er aber nicht auf rechtstheoretische Fragen. Juristische Probleme wurden auch praxisbezogen von ihm erörtert. Die Bandbreite seiner juristischen Schriften ist erstaunlich.22 So sprach er sich zunächst für die Beseitigung des kanonischen Rechts und für die Einführung der mosaischen Gesetzgebung anstelle der römisch-kanonischen Rechtsbücher aus.23 Später aber begründete er die Kompatibilität des „heidnischen“ römischen Rechts mit der christlichen Lehre und betonte die Rechtmäßigkeit der Anwendung jener Normen auch aus der Sicht des Evangeliums.24 Mit dem Verbot des Wuchers im Sinne eines Verbots des allgemeinen Zinsennehmens25 und mit der Bindungswirkung von Ehegelöbnissen, die ohne Einwilligung der Eltern eingegangen wurden,26 setzte er sich ebenfalls auseinander. Vor allem aber haben rechtsphilosophische Fragen, staatsrechtliche Anschauungen sowie privatrechtliche Institutionen seine Aufmerksamkeit erregt. 22 Unter den kasuistischen Fragen, die Melanchthon behandelt hat, finden wir u. a. Erörterungen über den Eid (CR XVI, S. 453 ff.), über die Verjährung (CR XVI, S. 108 ff., S. 272 ff.), über den Statut der Priester als Nutznießer oder einfache Nutzer ihrer Einkünfte (CR. XVI, S. 143 ff., 259 ff.), über das stuprum d. h. die unmoralischen und verbrecherischen Verhältnisse („Philosophiae moralis Epitome“, CR XVI, S. 146 ff.), über die Zinsen der gemieteten Sachen („Ethicae doctrinae Elementa“, CR XVI, S. 261 ff.), über die Behauptung, das Privateigentum sei nur menschliches Recht, obwohl es eine göttliche Ordnung ist („Oratio de jure possidendi“, CR XI, S. 636 und CR XVI, S. 549 ff.), über die Anwendung des strikten Rechts und der Billigkeit („De aequitate et iure stricto“, 1542, CR XI, S. 550 – 555, „Oratio de stricto iure et aequitate“, 1544, CR XI, S. 669 – 675, „Oratio de lege Placuit“, 1554, CR XII, S. 95 – 101), über das Zinsenverbot und die gültigen Verträge (CR XVI, S. 128 ff., S. 248 ff., 495 ff. u. S. 575 ff.), über den Krieg („De vindicta et bello“, CR XVI, S. 565 ff.) und über das Eherecht und die Verlöbnisse („Tractatus de conjugio“, 1551, CR XXI, S. 1051 – 1076). 23 Melanchthon plädierte ursprünglich zugunsten der Anwendung des sogenannten „biblischen“ Rechts vor allem in der ersten Fassung 1521 seiner theologischen Programmschrift, die „Loci communes“, CR XXI, S. 81 – 227, Übersetzung von Pöhlmann, Loci communes 1521. 24 Seine Position gegenüber dem römischen Recht änderte sich schon 1523, wie es u. a. in seiner ersten Rede „De legibus“ 1523 / 25 (CR XI, S. 66 – 86) deutlich erscheint, sowie in seinem „Oratio de veris legum fontibus et causis“ 1550, CR XI, S. 917 – 924 und in dem „Oratio de scripto iure et dignitate veterum interpretum iuris“, CR XI, S. 218 – 223. 25 In der „Prolegomena in officia Ciceronis“, vor allem in dem Absatz „Mutuatio“, CR XVI, insb. S. 576: „Prohibet autem lex divina petere et accipere usuram, quia cum vita sine mutuis auxiliis esse non possit“. 26 „De coniugio“, CR XXI, S. 1051 – 1106, insb. S. 1059 f.: „De consensu“ und „De consensu parentum“ und S. 1070 ff.: „De desponsatione impuberum“ siehe Dieterich, Das protestantische Eherecht in Deutschland bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.
Einleitung
19
Obwohl die Loci communes27, Melanchthons Hauptwerk, ein theologisches Werk ist, stellt er in den Kapiteln über das Gesetz, das Evangelium und die Obrigkeiten seine Rechtsanschauung dar und entwickelt seine Naturrechtslehre. Sein Verhältnis zu Recht und Billigkeit, seine strenge Trennung zwischen weltlichem und geistlichem Reich und deren Konsequenzen für das Widerstandsrecht und den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit betreffen viele Fragen, die nicht nur die Rechtswissenschaften behandelten. Heute befasst sich vor allem die Mentalitätsgeschichte damit und entschlüsselt die Einstellungen der Menschen, die kaum anders als im Lichte der damaligen religionspolitischen Kämpfe im deutschen Reich erklärbar sind. Über die rechtlichen Folgen der religiösen und politischen Ereignisse im Reich ließen sich die sächsischen Kurfürsten und die anderen Landesherren, die von Luthers reformatorischer Lehre überzeugt waren, von den Wittenberger Gelehrten beraten.28 Schon bald sahen die Reformatoren, dass ihr Streben nach Erneuerung des religiösen Lebens falsch interpretiert und weit über ihr theologisches Ziel hinaus von sogenannten Schwärmern radikalisiert wurde. In Zusammenhang mit politischen Forderungen verlangten diese „Schwärmgeister“ eine revolutionäre Erneuerung der gesellschaftlichen Strukturen.29 Auf Grund der von der päpstlichen Autorität befreiten neuen Bibelauslegung Luthers vermischten sie die Interpretation der religiösen Schriften mit ihren politischen Forderungen. Die Aufwertung des individuellen Denkens und die Freiheit des Bekenntnisses machten politischrevolutionären Forderungen unter den ärmsten Bevölkerungsschichten den Weg frei. Dies führte vor allem unter den Bauern schnell zur Erkenntnis und zu kritischen Äußerungen über den Verlust ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und verursachte soziale Unruhen, deren Höhepunkt der Bauernkrieg von 1525 war.30 Wegen dieser gesellschaftlichen Unruhen und der konfessionellen Spaltung im Reich, die von historischer Tragweise war, sahen sich die Reformatoren als fürstliche Berater gezwungen, sich mit zahlreichen Fragen des Rechts, der gesellschaftlichen Strukturen, der Hierarchie unter den politischen Akteuren, der Gerechtigkeit und ihrer Umsetzung in der Welt, mit der Billigkeit und dem Widerstandsrecht auseinander zu setzen. Deshalb schrieb Melanchthon zwischen 1523 und 1559 mehrere „Reden über das Gesetz“ (Orationes de legibus). Hier befasste er sich als Anhänger der aristoteVgl. Pöhlmann, Loci communes 1521. Ludolphy, Friedrich der Weise, Wartenberg, Moritz von Sachsen, S. 106 – 122. 29 Fuchs, Karlstadts radikal-reformatorisches Wirken, S. 523 – 552, Hinrichs, Luther und Müntzer, Lau, Die prophetische Apokalyptik Thomas Müntzers, S. 163 – 170, Nipperdey, Theologie und Revolution bei Thomas Müntzer, S. 145 – 179. 30 Franz, Geschichte des deutschen Bauernstandes, ders., Der deutsche Bauernkrieg, Graus, „Freiheit“ als soziale Forderung, S. 409 – 433, Irmgard Schmidt, Das göttliche Recht und seine Bedeutung im deutschen Bauernkrieg, Wunder, „Altes Recht“ und „göttliches Recht“ im Deutschen Bauernkrieg, S. 54 – 66. 27 28
20
Einleitung
lischen Tradition mit rechtsphilosophischen Fragen zu Recht und Gesetz, Billigkeit und Gerechtigkeit; als aktiver Teilnehmer und Mitgestalter der religionspolitischen Ereignisse seiner Zeit, setzte er sich mit konkreten Rechtsproblemen über die Rolle der Obrigkeit und über die Grenzen ihrer Machtausübung auseinander.31 Seine theologisch-philosophischen Überlegungen über die Hierarchie der Rechtsquellen und seine daraus entstandene „biblische Naturrechtslehre“ führten ihn dazu, sich mit der Frage zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts in den positiven Gesetzgebungen zu beschäftigen. Gleichzeitig kümmerte sich Melanchthon um die Institutionen der societas civilis, definierte ihre Rolle im Rahmen des ordo politicus und äußerte sich über konkrete privatrechtliche Probleme der Rechtsprechung, wie u. a. über das Zinsennehmen, die verbindlichen Verträge und die Gültigkeit der heimlichen Verlöbnisse – juristische Fragen, die in Wittenberg einen langen und heftigen Streit zwischen den Juristen und Theologen verursachten.32 Da sein Rat zu den damaligen theologischen Streitfragen auch von Auftragebern aus dem ganzen Reich erbeten wurde, wirkte Melanchthon nicht nur für die Universität Wittenberg als gelehrter Berater. Obwohl Melanchthon somit in erheblichem Umfang in die Kontroversen der Theologie und in verantwortungsvolle Fragen der landesherrlichen Politik und ihren Umkreis verwickelt war und seine Tätigkeit ein weites Feld für die Deutung seines Einflusses und Wirkens eröffnet, finden wir, auch nach dem 500. Jubiläumsjahr seines Geburtstages 1997, mit dem die Melanchthonforschung wieder aufgeblüht war, dennoch sehr wenige Untersuchungen. Besonders gravierend sind die Defizite im rechtshistorischen Bereich, wo es um Melanchthons Verständnis von Recht und Staat geht. Während fast alle Werke über das zeitgenössische politische Denken Luthers Auffassungen berücksichtigen, ist Melanchthons Name nur im Schatten des „großen Reformators“, zu lesen. Die vorliegende Untersuchung soll dazu beitragen, diese Lücke zu füllen; sie erbringt den Beleg dafür, dass die Rolle Melanchthons als Staatsberater und politischer Denker eben so bedeutend wie die 31 „Oratio de legibus“, 1523 – 1525, CR XI, S. 66 – 86, „Oratio in promotione cuiusdam iurisconsulti“, 1532, CR XI, S. 215 – 218, „De Irnerio et Bartolo iurisconsultis“, CR XI, S. 350 – 356, „De dignitate legum oratio“, 1538, CR XI, S. 357 – 364, „Oratio de scripto iure et dignitate veterum interpretum iuris“, 1539, CR XI, S. 218 – 223, „Oratio de dignitate legum“, 1543, CR XI, S. 630 – 636, „Oratio de legibus“, 1550, CR XI, S. 908 – 916, „Oratio de dignitate doctrinae legum et iurisconsultorum“, 1553, CR XII, S. 19 – 27, „Oratio de veris legum fontibus et causis“, 1550 (?), CR XI, S. 916 – 924, „De aequitate et iure stricto ex l. Placiut Codice de iudiciis (3.I.8)“, 1542, CR XI, S. 550 – 555, „Oratio de stricto iure et aequitate ex l. Placiut Codice de iudiciis (3.I.8)“, 1544, CR XI, S. 669 – 675, „Oratio de lege Placiut Codice de iudiciis (3.I.8)“, 1554, CR XII, S. 95 – 101, „Oratio de vita clarissimi viri Hieronymi Schurffi“, 1554, CR XII, S. 86 – 94, „Oratio de dignitate studii Iuris“, 1556, CR XII, S. 152, diese Rede stimmt wortwörtlich mit „De dignitate legum“ von 1543 überein. 32 Zu diesem Streit siehe Köhler, Luther und die Juristen, Lieberwith, Marin Luthers Kritik am Recht und an den Juristen, S. 53 – 72, Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 178 – 220 und S. 415 – 453 (über Hieronymus Schürpf), Steding, Hieronymus Schürpf und sein Verhältnis zu Martin Luther S. 186 – 192.
Einleitung
21
Luthers war und dass ihm deshalb ein ganz besonderer Platz in der rechtshistorischen Forschung zum deutschen 16. Jahrhundert zukommt.
B. Stand der Forschung Die Melanchthonforschung hat seit 1997 mit einer Reihe von Publikationen ihr Feld ausgeweitet, wobei das Interesse für sein Leben, sein Werk und seine Wirkung hauptsächlich aus der Philosophie, Philologie und Theologie kommt. Auch seiner Bedeutung als Historiker und seiner Beschäftigung mit den Naturwissenschaften werden heutzutage größere Aufmerksamkeit geschenkt.33 Im juristischen Bereich bleibt jedoch das Werk von Guido Kisch aus dem Jahre 1967, Melanchthons Rechts- und Soziallehre,34 eine der wichtigsten Publikationen zu Melanchthons Naturrechtslehre und über ihren Einfluss auf die Juristen seiner Zeit.35 Vor ihm hatte 1869 Albert Haenel in seinem Aufsatz Melanchthon, der Jurist36 die Verknüpfung der Ethik Melanchthons mit seiner Naturrechtslehre behandelt. Er hatte einen kurzen Überblick über sein Verständnis von Obrigkeit und Staat gegeben und spezielle Fragen, wie die des Widerstandsrechts, angesprochen. Anlässlich einer Ausstellung über Melanchthon und die Marburger Professoren wurde im Jahre 1999 ein zweibändiger Katalog mit Aufsätzen über die vielfältigen von Melanchthon bearbeiteten Gebiete veröffentlicht. In diesem Rahmen erläutert Merio Scattola, allerdings aus philosophischer Perspektive, die naturrechtliche Tradition, die Melanchthon in seiner Naturrechtslehre übernommen hat, und deren Wirkung im 16. Jahrhundert.37 In der gleichen Publikation stellt Barbara Bauer eine fundierte Betrachtung über Melanchthons Billigkeitslehre an, wobei sie das Naturrecht und die damalige Jurisprudenz aufeinander bezieht38, und Waltraud Strickhausen erläutert hier Melanchthons staatstheoretische Gedanken und seine Auffassung der politischen Ordnung.39 Für den Bereich der Theologie bietet die Dissertation von Horst Alfred Fild aus dem Jahre 1953, Justitia bei Melanchthon, eine hilfreiche Analyse der DefiFrank / Rhein, Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit. Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre. 35 Zu Melanchthons Rechtsverständnis und seiner Naturrechtslehre in theologischer Hinsicht siehe u. a. Clemens Bauer, Melanchthons Naturrechtslehre, S. 64 – 98, ders., Die Naturrechtsvorstellungen des jüngeren Melanchthons, S. 244 – 255, Haenel, Melanchthon, der Jurist, S. 249 – 270 und Fild, Justitia bei Melanchthon. 36 Haenel, Melanchthon, der Jurist, S. 249 – 270. 37 Scattola, Die Naturrechtslehre Philipp Melanchthons, S. 865 – 882. 38 Bauer, Jurisprudenz und Naturrecht, S. 551 – 597. 39 Strickhausen, Staatstheorie – Sozialethik – Fürstenerziehung, S. 263 – 313. 33 34
22
Einleitung
nition der aus dem Dekalog stammenden Naturgesetze und deren hierarchischer Ordnung an.40 Von grosser Bedeutung ist auch die zweibändige Biographie über den jungen Melanchthon von Wilhelm Maurer aus den Jahren 1967 – 69, in der vor allem die für Melanchthon spezifische Dreiteilung der Gesetze eingehend erläutert wird.41
C. Aufbau der Arbeit Die Jurisprudenz ist stets eng mit den politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten verbunden. Damals wie heute hat sie im Privatrecht die Aufgabe, die zwischenmenschlichen Verhältnisse gerichtlich und außergerichtlich zu lösen; im Strafrecht soll sie die Bevölkerung vor Verbrechern schützen und auf der staatsrechtlichen Ebene den weltlichen Staatsformen eine Verfassung geben und sie danach durch die Einrichtung von Behörden durch Verwaltungstätigkeiten einzelner Staatsdiener bewahren. Jedes dieser juristischen Gebiete wurde in Melanchthons Rechtsanschauung – auf der Basis seiner Naturrechtslehre – berücksichtigt. In der Vielzahl seiner Äußerungen, die aber keiner systematischen Ordnung folgen, lassen sich zwei grundlegenden Fragestellungen erkennen, auf denen der Gedankengang dieser Untersuchung gründet. In rechtsphilosophischer Hinsicht setzt Melanchthon eine strenge Hierarchie der Gesetze fest und gibt dem Naturrecht eine spezifische Definition. Die vorliegende Arbeit will die Analyse fortsetzen und fragt, nach welchem Recht die menschlichen Gesetze begründet werden sollen. Sodann soll die zweite Frage nach dem gesellschaftlichen Rahmen, in dem diese Gesetze angewandt werden sollen, beantwortet werden. Diese führt zur Definition des ordo politicus bei Melanchthon. Vor dem Hintergrund von Melanchthons Gedanken über die societas civilis soll der weitere Gedankengang zur genaueren Betrachtung der fünf weltlichen Institutionen dieser gesellschaftlichen Ordnung, die bei ihm als Grundinstitutionen bestimmt werden, führen. Daraus ergibt sich der Aufbau der Arbeit. Der erste Teil handelt im ersten Kapitel zunächst von der Definition des Rechtes, der Gesetze, ihrer Dreiteilung in lex divina, lex naturalis und lex humana42 und deren Hierarchie untereinander. Im Zusammenhang mit der Tradition der Naturrechtslehre und dem historischen Kontext wird dann die Besonderheit der Naturrechtslehre Melanchthons analysiert. Durch Fild, Justitia bei Melanchthon. Maurer, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, Bd. II: Der Theologe, insb. Kapitel 6: Der Mensch unter dem Gesetz, S. 287 – 335. 42 Schon in der „Summa theologica“ von Thomas von Aquin findet sich diese Dreiteilung, die von der Scholastik rezipiert wurde; vgl. „Summa theol.“ II. 1 qu. 99 art. 2 – 4 über die drei Spielarten der „vetus lex“, des ältesten Gesetzes; siehe Scattola, Die Naturrechtslehre Philipp Melanchthons, S. 865 – 882. 40 41
Einleitung
23
einen Vergleich mit der damals in Spanien entwickelten Spätscholastik und den Grundzügen des Völkerrechts wird versucht, Melanchthons Ansichten in den europäischen Kontext einzuordnen.43 Seine mehr rechtsphilosophischen Überlegungen zur Rolle des Rechtes in der Gesellschaft führten Melanchthon zu der Betrachtung des geltenden Rechts. Nach der Konfrontation mit den schwärmerischen Auslegungen und deren dramatischen Folgen, die für ihn eine abschreckende Wirkung hatten, stand er vor allem ab 1525 vor der Frage, welches Recht vor den Gerichten als ius humanum angewandt werden solle. Nachdem er sich in der ersten Fassung der Loci communes 1521 zugunsten der Anwendung des mosaischen Rechts geäußert hatte, begann er in den folgenden Jahren die Trennung zwischen weltlichem und geistlichem Bereich im Rahmen der Zwei-Reiche-Lehre zu entwickeln. Der Wandel seiner Ansichten über das anzuwendende weltliche Recht lässt sich schon im Jahre 1525 in seiner ersten Oratio de legibus erkennen. Da Melanchthon in Wittenberg verschiedene Vorlesungen über Jurisprudenz hörte und in engem Kontakt mit Rechtsgelehrten und -studenten stand, kam es zu einem fruchtbaren Austausch. So wie er als Pädagoge und Humanist seine Hörer und Leser durch seine Dialektik und Methodik beeinflusste, überzeugten sie ihn von der notwendigen Rezeption des römischen Rechts. Unter diesen Juristen waren Wittenberger wie Johann Apel (1486 – 1536),44 Konrad Lagus (1500 – 1546),45 Melchior Kling (1504 – 1571),46 Johann Schneidewin (1519 – 1568),47 Joachim von Beust (1522 – 1597),48 Michael Teuber (1524 – 1586),49 Matthaeus Wesenbeck 43 Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Komatsu, Die Türkei und das europäische Staatensystem im 16. Jahrhundert, S. 121 – 144. 44 Johannn Apel hatte Rechtswissenschaften in Wittenberg studiert, wurde 1524 – 1529 dort Professor und blieb, nachdem er Wittenberg verlassen hatte, in Kontakt mit Melanchthon. Siehe Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 230 – 328, 455 – 487, Stintzing /Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 287 – 296, Wieacker, Gründer und Bewahrer, S. 44 – 91. 45 Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, S. 299 – 351, Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 296 – 305, Friedensburg, Geschichte der Universität Wittenberg, S. 208 f. 46 Melchior Kling, ein Schüler Schürpfs und als Anhänger Melanchthons „Philippianer“ genannt, war Verteidiger der weiteren Anwendung des kanonischen Rechts und der Erste, der unter dem Einfluß von Melanchthons und Apels dialektischer Methode sein Kompendium der Institutionen bearbeitete. Siehe Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, S. 149 ff., Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 284, S. 305 – 309, Friedensburg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 201 ff. 47 Auch bei Johann Schneidewins Kommentar zu den Institutionen läßt sich der Einfluß der dialektischen Methode Melanchthons nicht verkennen, Muther, Aus dem Universitätsund Gelehrtenleben, S. 314 f., Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 309, Friedensburg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 269. 48 Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, S. 109, Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 553 f., S. 711, 728, Friedensburg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 267 f., Wieacker, Gründer und Bewahrer, S. 97 f.
24
Einleitung
(1531 – 1586),50 Chilian Goldstein der Ältere (1499 – 1568),51 Christoph Hegendorfius (1500 – 1540),52 aber auch Johannes Sichardus (ca. 1499 – 1552) und Johannes Oldendorp (1488 – 1567).53 Die Gründe für Melanchthons Meinungsänderung, nämlich das römische dem mosaischen Recht vorzuziehen, für die vor allem sein enges Verhältnis zu dem Wittenberger Rechtsprofessor Hieronymus Schürpf den Ausschlag gegeben hatte, werden im zweiten Kapitel behandelt. Nach dieser eher rechtsphilosophischen Betrachtung zu Melanchthons Verständnis von Gesetz und Recht fragt sich der heutige Jurist, in welchem politischen Rahmen diese mehr theoretisch wirkenden Gedanken ihre Anwendung finden sollten. Der Verknüpfung von theoretischer Definition der anzuwendenden Gesetze mit den zeitgenössichen Strukturen der societas civilis soll in dem zweiten Teil nachgegangen werden. Im ersten Kapitel wird der ordo politicus als Anwendungsbereich der Naturgesetze erläutert und im zweiten Kapitel geht es dann um die Institutionen des weltlichen Rechts, so wie Melanchthon sie verstanden wissen wollte. Melanchthon hat seine Naturrechtslehre auf der Basis seiner philosophischen Beschäftigung mit Ciceros De officiis, aber auch mit Aristoteles’ „Politik“ und „Ethik“ entwickelt und daran sein Verständnis der gesellschaftlichen und politischen Ordnung aufgebaut. Seine Auffassung des ordo politicus ist – wie seine Naturrechtslehre – durch die vielfältigen Geistesströmungen der damaligen Zeit gekennzeichnet. Von Luthers Ständelehre übernahm Melanchthon das Grundprinzip, nach dem die politische Ordnung auf dem Willen Gottes gründet, wie auch die Ordnung der Stände (Oeconomia, Politia et Ecclesia), die nicht in einer Hierarchie, sondern in einer Gleichordnung bestehe. Auf dieser Basis entwickelten die 49 Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 420 f., Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 123, S. 552 Anm. 2, Friedensburg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 268. 50 Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 315, Anm. 115, Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 351 – 366, Friedensburg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 270 f. 51 Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, S. 385 – 388, Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 562 ff., Friedensburg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 205 f. Anm. 5, Wieacker, Gründer und Bewahrer, S. 98 f. Einige Briefe an und von Goldstein und Schürpf sind in: Clemen, Melanchthons Briefwechsel, Bd. I, S. 1510 – 1528 veröffentlicht. 52 Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 319 Anm. 151, Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 249 – 253, Wieacker, Gründer und Bewahrer, S. 49 f., S. 66 Anm. 36, 77, 94. Auch mit Valentin Forster (1530 bis 1608), einem Schüler Schürpfs, mit Nicolaus Cisner (1529 – 1583), Matthias Colerus (1530 – 1587) und Nicolaus Reusner (1545 – 1602) war Melanchthon in Wittenberg in engem Kontakt; Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, S. 396 – 402, 503 – 507, 571 f., 711 f. und bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 69 – 73. 53 Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, S. 146, 154, 158, 162 ff., 4. Aufl., 1963, S. 148, 162 f., 168, Wieacker, Gründer und Bewahrer, S. 82, Kisch, Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit, S. 232 f., 243 f. Anm. 27.
Einleitung
25
beiden Reformatoren ihre Wirtschaftsethik, wonach der Mensch in jedem dieser Stände durch sein weltliches Handeln den Auftrag Gottes erfülle. Der Geltungsbereich des lex naturae ist für Melanchthon die societas civilis, in der der Staat, die Kirche sowie die rechtlichen Institutionen der Obrigkeit, des Eigentums, der Familie und der Ehe, des Vertragsrechts und des Strafrechts unentbehrliche Teile der gesamten menschlichen Ordnung sind. Mit der Analyse dieser fünf, für Melanchthon wichtigsten, weltlichen Institutionen wird die Betrachtung von Melanchthons ordo politicus in dem zweiten Kapitel des zweiten Teils abgeschlossen. Die vorliegende Untersuchung kann auf Grund von Melanchthons Persönlichkeit, seiner Gedankengänge und seiner Arbeitsweise keine rein juristische Untersuchung sein. Die zur Erläuterung seiner Überlegungen angewendete Methode muss sich zahlreichen anderen Disziplinen öffnen, um seinem tief religiösen Glauben und seiner Rechtsauffassung gerecht zu werden. Ein interdisziplinärer Ansatz ist schon allein deswegen geboten, weil der „Praeceptor Germaniae“ Melanchthon Humanist, Griechischprofessor und Systematiker der reformatorischen Lehre, aber auch ein vielseitiger Rechtsdenker war. Seine reformatorische Auslegung der Heiligen Schrift legimitiert die Anwendung theologischer Terminologie. Da er ebenso die politische Lage Wittenbergs und des Kurfürstentums Sachsen berücksichtigte und kommentierte, ist auch die politisch-staatsrechtliche Terminologie in seinen Erörterungen aufgenommen. Weil die politischen Verhältnisse im Fluss waren, werden auch überall die Gründe für seine Meinungsänderungen erkennbar und seinen argumentativen Schwierigkeiten, ein stabiles und rechtsphilosophisch begründetes System aufzubauen, treten deutlich hervor. Es soll nicht der Anspruch erhoben werden, all die Veränderungen auf historischem, religiösem, philosophischem und juristischem Gebiet vollständig zu berücksichtigen.
Erster Teil
Das Gesetz bei Melanchthon „Oratio de legibus“, „Rede über die Gesetze“, sind die Deklamationen betitelt, in denen Melanchthon seine Rechtsanschauung entwickelt. Es handelt sich hierbei um akademische Rhetorikübungen, die als Teil des humanistischen Lehrprogramms zu verstehen sind. Ohne also im engeren Sinne eine juristische Bearbeitung der justinianischen Gesetze als Rechtsquelle zu sein, stellen diese Ausführungen gleichwohl wertvolle rechtsphilosophisch motivierte Überlegungen zur Rolle des Gesetzes, des Rechtes und der Gerechtigkeit in einer friedlichen und gerechten Staatsführung, aber auch konkret für das Heilige Römische Reich dar. Befreit man sie von ihrem rhetorischen Schmuck, treten Melanchthons Gedanken über die Notwendigkeit einer einheitlichen Gesetzgebung sowie seine Definition des Rechtes, wie es von den Gerichten und für eine effektive Ausübung der staatlichen Macht anzuwenden sei, hervor. Außerdem geben die Orationes de legibus Melanchthons Weltbild von der damaligen Zeit oft sehr präzis wieder, das er in Auseinandersetzung mit den politischen, religiösen und staatsrechtlichen Problemen der frühneuzeitlichen Geschichte Sachsens und Deutschlands entwickelt. Die damalige Rechtspraxis kannte zwar prinzipiell noch keine klare Trennung zwischen privatrechtlichem und öffentlichem Bereich, weil z. B im Lehnrecht beide Gebiete eng miteinander verbunden waren und ihre Wirkung wechselseitig entfalteten. Dennoch lässt sich nicht nur aus heutiger Sicht, sondern auch auf der Grundlage der römisch-rechtlichen Trennung von ius publicum und ius privatum bei den von Melanchthon behandelten Themen durchaus jene Unterteilung erkennen. So stellt sich Melanchthon u. a. die Frage, welches Recht bzw. welche Gesetzgebung von den Gerichten für die privaten persönlichen Rechtsangelegenheiten angewandt werden solle. Das ist eine Fragestellung, die für Melanchthons Werk nicht nur von Bedeutung ist, weil er eine für die damalige Rechtssprechung wertvolle, konkrete Antwort findet. Sie kann auch als Grundlage seiner Rechtsphilosophie verstanden werden, die auf der Auffassung seiner durch den reformatorischen Glauben beeinflussten Naturrechtslehre gewachsen ist. Die Aufgabe des ersten Hauptteils dieser Arbeit besteht darin, die Hierarchie, die Ordnung, die Definition und die damit verbundene Dreiteilung der Gesetze zu analysieren und die auf dieser Basis gegründete Naturrechtslehre Melanchthons zu rekonstruieren. Dieses ist der Gegenstand des ersten Kapitels. Vor diesem Hintergrund wird im zweiten Kapitel sein Plädoyer für die passendste Gesetzgebung be-
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
27
trachtet und die Entwicklung seiner Ansichten über die praktische Anwendung des weltlichen Rechts nachgezeichnet. Der Bogen spannt sich von der anfänglichen Bevorzugung des mosaischen Rechts bis hin zur späteren Befürwortung des römischen Rechts. Dieser bedeutsame Wandel erklärt sich vor allem aus den damaligen politischen und religiösen Umständen sowie in der Rezeptionsgeschichte des römischen Rechtes in Deutschland bzw. Sachsen, wie sie sich seit dem 15. Jahrhundert vollzogen hatte und sich noch vor den Augen Melanchthons und seiner Zeitgenossen stabilisierte. Die Auseinandersetzung mit den theologischen Ansichten und den politischen Hintergründen der schwärmerischen Lehre sowie der Kampf der Reformatoren gegen den radikalen Biblizismus sind wesentliche Aspekte, die zu der Spezifik von Melanchthons Rechtsauffassung und insbesondere zu seiner so genannten Naturrechtslehre geführt haben.
Erstes Kapitel
Die Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre A. Einleitung: Ius und lex Ius und lex sind für Melanchthon zentrale Begriffe seiner Weltsicht. Doch liegt hier schon die erste Schwierigkeit für eine juristische Untersuchung zu Melanchthons Orationes de legibus, weil er sein Vokabular nicht klar definiert. Da er oft zwischen den Disziplinen steht, kann seine Begrifflichkeit sowohl theologisch als auch juristisch interpretiert werden. Worte wie „lex“ und „ius“ verwendet er in seinen Reden, ohne eine semantische Erläuterung zu geben. In seinem Lehrbuch der theologisch-ethischen Grundsätze jedoch, den Loci communes,1 werden die verschiedenen Kategorien von Gesetzen und ihre Anordnung genau bestimmt. Man könnte bei diesen zentralen Begriffen geneigt sein, eine juristische Interpretation dieses Werks des jungen Melanchthon zu versuchen. Man könnte auch dazu tendieren, in den Loci communes das Muster einer Einheitslehre zu erkennen; dieses könnte wegen der Beziehung Melanchthons zu Karlstadt während ihrer Zusammenarbeit nahe liegen, zumal verschiedene Aspekte in diese Richtung zu weisen scheinen: 1. Es gibt keine klare Trennung zwischen weltlichem und biblischem Recht. 2. Eine mögliche Anwendung des Evangeliums als positives Recht wird ausdrücklich erwähnt. 3. Es findet sich kein Wort über die Anwendung des weltlichen römischen Rechtes. Doch erweisen sich Behauptungen, dass Melanchthon die Einheitslehre in den Loci definiert habe, als Überinterpretation. Denn die Bevorzugung des biblischen Rechtes, wie sie in den Loci 1521 zu finden ist,2 resultiert hauptsächlich aus der Unsicherheit Melanchthons gegenüber dem ihm damals noch weitgehend unbekannten römischen Recht, von dem er noch gemeint hatte, dass dessen Komplexität das juristische Handeln nur verschlechtern könne.3 1 „Loci communes“ 1521, CR XXI: „Loci theologici. Prima aetas“, S. 59 – 228, „secunda aetas“, S. 229 – 560, „tertia aetas“, S. 561 – 1106, CR XXII: „Loci theologici (continuatio)“, deutsche Überarbeitung Pöhlmann, Loci communes 1521. 2 „Daher wurden aus den Geboten Räte gemacht und die überaus ungesunde Meinung vertreten, man könne Staaten nicht nach dem Evangelium regieren, wie wenn Christus uns eine solche [Botschaft] hinterlassen hätte, die nur einige Mönche und nicht vielmehr das ganze Menschengeschlecht angeht. Denn was muss alle mehr angehen als das Evangelium, das Christus der ganzen Kreatur zu predigen befahl?“, Übersetzung S. 123. 3 Noch 1521 bezeichnete Melanchthon die an der Rechtsfakultät gelehrten Kommentare des Corpus Iuris Civilis nur als „Spitzfindigkeiten“ (argutiae). Seine Abneigung gegen alle
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
29
Die Loci communes, bei denen es sich um eine unbearbeitete und unvollendete Sammlung theologischer Privatvorlesungen handelt, stellen daher für eine rechtshistorische Untersuchung eine sehr problematische Quelle dar. Trotz der methodologischen Schwierigkeit bei der Entschlüsslung der verwendeten theologischen Begriffe im Rahmen einer juristischen Untersuchung muss aber auf die Loci im Folgenden stets zurückgegriffen werden. Denn die Loci bieten die einzige genaue Definition der Begriffe „Gesetze“ und „Recht“. Damit bilden sie eine unentbehrliche Grundlage, um Melanchthons Rechtsverständnis und die Besonderheit seiner Naturrechtslehre herausarbeiten zu können. Melanchthon beginnt das entsprechende Kapitel der Loci communes (1521)4 mit einer kurzen Erläuterung des Gesetzbegriffes als „peccati cognitio lex esse“5, die von der einleitenden Definition des Evangeliums im nächsten Kapitel nicht zu trennen ist: „Sicut lex est, qua recta mandantur, qua peccatum ostenditur, ita Evangelium est promissio gratiae, seu misericordiae dei, adeoque condonatio peccati, et testimonium benevolentiae dei erga nos, ( . . . )“6 Arten von scholastischer Lehrform umfasste ohne weitere Differenzierung alle Glossatoren und Postglossatoren der Jurisprudenz. Diese Abneigung schien die Kritik von Seiten der Bevölkerung – Laien wie Praktikern – gegen die Komplexität, die Fremdheit, die empfundene Ungerechtigkeit des rezipierten römischen Rechtes zu bestätigen. Melanchthon änderte seine Meinung erst als er Rechtsvorlesungen bei Hieronymus Schürpf besuchte. Durch sie lernte er die Subtilität des CICiv. anzuerkennen und zu bewundern. Aus diesem Grund habe ich, im Hinblick auf die verschiedenen Einflüsse auf Melanchthons juristische Ansichten, die Beziehung Melanchthons zu dem Juristen Schürpf ins Zentrum meiner Betrachtung gestellt (siehe Kap. 2). Die Bibliographie über Zusammenarbeit und spätere Gegnerschaft Melanchthons und Karlstadts verweist ausschließlich auf theologische Inhalte. Karlstadt als Jurist wurde durch den in kanonischem Recht promovierten Johannes Eck als Vertreter des mos italicus eingeschätzt. Siehe Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae, S. 210. Seine Rechtskenntnisse als Grundlage für die Entwicklung seiner persönlichen Rechtsansichten und u. a. seiner Billigkeitslehre hat Melanchthon nur Schürpf zu verdanken. Siehe u. a. Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt, I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation, Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae und Andreas Bodenstein von Karlstadt, in: Gestalten der Kirchengeschichte. Reformationzeit I, Bd. V, S. 105 – 116, insb. S. 111, Ellinger, Philipp Melanchthon, insb. S. 153 ff., Scheible, Melanchthon und die Reformation, S. 153 – 170. 4 Die „Loci communes“ 1521 gliedern sich in elf Hauptthemen: 1) Die Kräfte des Menschen, insbesondere der freie Wille (De hominis viribus adeoque de libero arbitrio), 2) Die Sünde (De peccato), 3) Das Gesetz (De lege), 4) Das Evangelium (De evangelio), 5) Die Gnade (De gratia), 6) Die Rechtfertigung und der Glaube (De iustificatione et fide), 7) Der Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Testament, sowie die Aufhebung des Gesetzes (De discrimine veteris ac novi testamenti), 8) Die Zeichen (De signis), 9) Die Liebe (De caritate), 10) Die Obrigkeit (De magistratibus), 11) Das Ärgernis (De scandalo). 5 Röm. 3,20 und 7,7, CR XXI, S. 116. 6 CR XXI, S. 140. „Wie durch das Gesetz das, was recht ist, geboten und die Sünde aufgedeckt wird, so ist das Evangelium die Verheißung der Gnade oder Barmherzigkeit Gottes und somit die Vergebung der Sünde und das Zeugnis der Zuneigung Gottes zu uns“, Übersetzung Pöhlmann, S. 163. 3 Deflers
30
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Ohne auf die angesprochene theologische Gnadenlehre einzugehen, soll hier die enge und unlösbare Verbindung zwischen Gesetz und Evangelium, zwischen weltlichem und religiös-sittlichem Bereich, als einer der Schwerpunkte für Melanchthons reformatorische Theologie sowie für seine Naturrechtslehre unterstrichen werden. Aus dieser Beziehung entwickelt er seine Auffassung vom biblischen Naturrecht, das seiner Lehre nach die gesamte Weltordnung mitbestimmt. Mit seiner Rechtsauffassung verkörpert Melanchthon als Humanist und Reformator auch im juristischen Bereich die Harmonie zwischen der antiken griechisch-römischen Tradition und der Rechtfertigungslehre des Römerbriefes.7 In den Loci communes heißt es weiter: „Est autem lex sententia, qua bona tum praecipiuntur, tum mala prohibentur. Ius est auctoritas agendi secundum legem.“8
In dieser Definition des Gesetzbegriffes ist die rechtsphilosophische Auseinandersetzung des Humanisten mit der ciceronischen Tradition erkennbar. Die zitierte Unterscheidung von lex und ius übernimmt Melanchthon aus Ciceros Terminologie, indem er das Gesetz ebenfalls als „ratio summa, insita in natura, quae iubet ea, quae facienda sunt prohibetque contraria“9 definiert. Aber seine Auffassung unterscheidet sich dort von dem antiken Philosophen, wo er die Funktion des Gesetzes als positive Forderung versteht, eine Funktion, die bei Cicero nicht mit dem Begriff „lex“, sondern mit dem Begriff „ius“ erfasst wurde.10 Melanchthons Gesetzesdefinition erhält durch ihre voluntaristischen Züge etwas Besonderes. Für ihn ist das Gesetz der Befehl einer höheren Gewalt. Er definiert es als „eine Norm, die das Gute gebietet und das Böse verbietet“.11 Im Gegensatz zu der juristischen Definition des Gesetzes, wie sie etwa Papinian gegeben hat,12 versteht Melanchthon, der philosophisch-theologischen Tradition folgend, das Gesetz als Oberbegriff und als allgemeines Ordnungsprinzip, das sowohl Moral, 7 „Was bei Melanchthon ins Auge fällt, ist die starke, für ihn unlösliche und unzerreißbare Einheit des Rechtlichen und des Moralischen.“, Bauer, Melanchthons Naturrechtslehre, S. 78. 8 CR XXI, S. 116. „Das Gesetz ist nun ein Satz, durch den Gutes geboten und Böses verboten wird. Das Recht ist die Vollmacht, nach dem Gesetz zu handeln“, Übersetzung Pöhlmann, S. 101 (Die Grundlage des Rechtsstaates ist heute noch identisch definiert; Es bedeutet das Primat des Rechtes für die gesamte staatliche Tätigkeit). 9 Die Goldene Regel wird sowohl in dem Decretum Gratiani (I. d. 1) als auch in der Bibel (Matth. 7, 12) formuliert: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das sollt auch ihr ihnen tun; Denn das ist das Gesetz und die Propheten“. Siehe Maurer, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, Bd. II: Der Theologe, S. 287 – 335: Der Mensch unter dem Gesetz. 10 Flückiger, Geschichte des Naturrechts, S. 222 ff. 11 „Lucubrattiuncula Philippi Melanthonis“, 1520, CR XXI, S. 24. 12 D. 1.3.1. (Papinianus 1 def.): „Lex est commune praeceptum, virorum prudentium consultum, delictorum quae sponte vel ignorantia contrahuntur coercitio, communis rei publicae sponsio“.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
31
Politik und Religion sowie auch Recht im eigentlichen Sinn umfasst. Das „ius“ dagegen weist allein auf das legitime Handeln hin und wird dem Gesetz untergeordnet.13 Bei Gelehrten, wie dem Kirchenvater Isidor von Sevilla,14 dessen Definition des Gesetzes ins Decretum Gratiani (1150) aufgenommen worden ist, wurden lex als constitutio scripta15 und ius als Oberbegriffe verstanden, von welchen das Gesetz seine Autorität herleitet.16 Für Melanchthon dagegen, der für das Naturrecht eine biblische Grundlage sucht, und der in der Goldenen Regel eine Zusammenfassung des göttlichen Willens sieht, ist das Gesetz im Grunde eine dem positiven Recht überlegene religiöse Autorität. Die harmonische Zusammenführung seiner humanistisch-antiken Ausbildung und seiner christlichen Überzeugung findet hier deutlichen Ausdruck. Die antike Naturrechtstradition, wie sie Cicero in seiner laizistischen Form überliefert, genügt dem christlichen Humanisten nicht; er verknüpft sie mit ihrer Ausgestaltung im christlichen Mittelalter.17 Wenn man der philosophischen Terminologie folgt, sollte man also bei Melanchthon eher von einer Lehre des Naturgesetzes als von einer Naturrechtslehre sprechen. In unserer Betrachtung wird jedoch eine Verknüpfung auch mit dem juristischen Naturrecht festgestellt werden, so dass bei Melanchthon ebenso die herkömmliche Naturrechtslehre ihren Ort hat.
13 Dig.1.1.7pr. Papinianus 2 def.: „Ius autem civile est, quod ex legibus, plebis scitis, senatus consultis, decretis principum, auctoritate prudentium venit“. Siehe Scattola, Die Naturrechtslehre Philipp Melanchthons, S. 865 – 882, insb. S. 869. 14 Isidor von Sevilla (Cartagena um 560 – Sevilla 636), 1722 zum Kirchenlehrer ernannt, der nach seinem Bruder Leander in Sevilla Erzbischof 601 wurde. 633 leitete er das Konzil von Toledo. Seine „Etymologiae“ (auch „Origines“ genannt) enthielten enzyklopädisch das gesamte Wissen seiner Zeit und ließen ihn als den höchsten Gelehrten seiner Zeit gelten. Sie waren deshalb eine Hauptquelle für die Kenntnis über die Antike und das christliche Altertum. Er ordnete die spanische Kirche und kämpfte gegen die arischen Westgoten. 15 „Distinctio prima, C. III. Quid sit lex. Isidor. eod. cap. 3.: Lex est constitutio scripta“. 16 „Distinctio prima, C. II. Ius genus, lex species eius est: Ius generale nomen est; lex autem iuris est species. Ius autem est dictum, quia iustum est. Omne autem ius legibus et moribus constat“. 17 Wilhelm Maurer weist auf die Ähnlichkeit von Melanchthons Naturrechtslehre mit der Dreiteilung Gersons (Schneider, Die Verpflichtung des menschlichen Gesetzes nach Joh. Gerson, S. 1 – 54) hin, ohne aber die Abhängigkeit Melanchthons von Gersons Gesetzlehre zu beweisen. Die Grenzen zwischen dem Göttlichen und dem Natürlichen, der Gegensatz zwischen dem göttlichen Gesetz und den rein menschlichen Gesetzen, sind Themen, die von beiden Gelehrten sehr ähnlich behandelt wurden. Vgl. Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, Bd. II, S. 288 Anm. 3.
3*
32
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
B. Die Dreiteilung der Gesetze Im Zusammenhang mit der Definition der Gesetze unterteilt Melanchthon sie in den Loci communes in drei Kategorien: die leges naturae, die leges divinae und die leges humanae, die er in dieser Reihenfolge auch erläutert. Seine Aufmerksamkeit widmet er zuerst den Gesetzen der Natur, den leges naturae.
I. Die leges naturae Melanchthon gibt sich mit den von ihm vorgefundenen juristischen und theologischen Auffassungen des Naturrechtsbegriffes nicht zufrieden. Die naturrechtliche Tradition der Antike und der scholastischen Kirchenlehre lege den Ursprung der leges nämlich in die menschliche Vernunft. Die ratio humana sei jedoch viel zu befangen und verblendet (capta occaecataque)18, als dass sie durch einen natürlichen Beweisschluss die guten und gerechten Regeln, die dem Naturrecht entsprächen, mit Sicherheit erkennen könne. Aus der „Blindheit der Menschen“ erklärt sich auch die zentrale theologische Stellung des Kapitels „De lege“ zwischen dem zur Sünde und zur Gnade. Melanchthons Naturrechtslehre ist durch die Feststellung von drei Naturgesetzen gekennzeichnet, die aus dem Dekalog stammen und den Menschen als Sünder betrachten, dessen Schwachheit immer zu berücksichtigen sei. Trotz oder wegen des Sündenfalls wird das Gewissen der Menschen durch ein allgemein verpflichtendes, anerkanntes Gesetz gelenkt. Hier zeigt sich der Kern von Melanchthons Auffassung, dass das Allgemeinprinzip der Ethik göttlicher Abstammung sei: „Est itaque lex naturae sententia communis,19 cui omnes homines pariter adsentimur, atque adeo quam deus insculpsit cuiusque animo, ad formandos mores adcommodata.“20
Die Naturgesetze lägen nicht nur in der Heiligen Schrift, schreibt Melanchthon, sondern seien in den Herzen der Menschen zu suchen.21 Nach dem Sündenfall sei „Loci communes“, Übersetzung Pöhlmann, S. 100. Diese Formulierung übernimmt die stoische Lehre von den „notiones communes“, d. h. von den bei allen Menschen zu findenden, angeborenen und unmittelbar erkennbaren sowie unmittelbar einleuchtenden Wahrheiten. Sie werden in der Stoa auch „Vorbegriffe“ genannt, weil sie bei allem Erkennen als Axiome vorausgesetzt werden, die selbst nicht bewiesen werden müssen, aber alles beweisen. Der Individuallogos ist in der Stoa mit dem All-Logos oder Weltvernunft (Gott) identisch. Da alle Menschen an ihr teilhaben, sind sie alle gleich und alle haben gleiche Rechte. Die Vorstellung vom Urwissen, von der Urwahrheit und dem Urrecht der Menschheit, die auch auf den Pythagoraismus und (Neu-)Platonismus zurückgehen, übernahm Melanchthon aus dem Humanismus und der italienischen Renaissance; siehe dazu Maurer, Der junge Melanchthon, I, S. 99 ff. 20 CR XXI, S. 116 f. „Das Naturgesetz ist (deshalb) ein allen gemeinsames Wissen, dem [wir] in gleicher Weise alle Menschen zustimmen – und zwar in dem Maße, wie Gott es in das Herz eines jeden eingemeißelt hat mit dem Ziel, die Moral (Sitten) auszuformen“, Übersetzung Pöhlmann, S. 101. 18 19
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
33
das Wissen um die Naturgesetze verloren gegangen. Die bloße Introspektion sei deshalb nicht ausreichend, um diese Gesetze zu konkretisieren, da die einzelnen Menschen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen würden. Deswegen seien die natürlichen Grundgesetze im Dekalog aufgeschrieben worden. Melanchthons Bewusstsein von der „Schwachheit der sündigen Menschen“ erklärt auch sein Verständnis, dass diese Lehre ihren Sitz in der Bibel habe. Das wahre und wirkliche Naturrecht finde dort seinen Ausdruck, da nur mit Hilfe des von Gott offenbarten Rechtes die menschliche Vernunft die richtige Unterscheidung zwischen Gut und Böse und die für alle Menschen gültigen Naturgesetze erkennen könne.
1. Erste Anordnung und Definition der Naturgesetze Nachdem Melanchthon die Herkunft seiner Naturrechtslehre historisch auf die Philosophie und Religionsgeschichte zurückgeführt hat,22 wendet er sich ihrem genauen Inhalt zu. Die biblischen Gebote versteht er nicht nur als die von Gott gebilligte Ordnung, sondern leitet aus jedem Gebot ein auf das weltliche Leben der Christen anzuwendendes Gesetz ab. Schon vor den Loci communes hatte er im Jahre 1519 / 20 bei der Auslegung der Goldenen Regel eine neunstufige Aufzählung von Naturgesetzen entwickelt. Diese Einteilung übernahm er 1520 in die Capita, die unmittelbare Vorbereitungsschrift für die Loci 1521.23 Das erste Naturgesetz, Deus colendus est, entspricht demnach dem Gebot der Verehrung Gottes; es wird in dem Gesetz der „Gottesgemeinschaft“ durch die „Pflicht zur Gottesverehrung“ konkretisiert.24
21 In seinem Abschnitt über das Evangelium erklärt Melanchthon, dass die heilige Schrift vor allem zwei Konzepte beinhalte, nämlich das Gesetz und das Evangelium: „Das Gesetz hält die Sünde vor Augen (Röm. 3, 19 f.; 7,7), das Evangelium die Gnade . . .“ („Lex peccatum ostendit, evangelium gratiam“), CR XXI, S. 139. Sowie vorher CR XXI, S. 117; „Wenn ich aber sage, die Naturgesetze seien von Gott den menschlichen Herzen eingeprägt worden („leges naturae a deo impressas mentibus humanis“), so meine ich [das so], dass ihre Erkenntnis in gewissen anerschaffenen Beschaffenheiten ( . . . ) besteht, [also] nicht durch einen klugen Einfall von uns erfunden wird, sondern eine uns von Gott eingepflanzte Regel ist, um über moralische Belange zu urteilen“ Übersetzung Pöhlmann, S. 103. 22 Zur Verbindung Melanchthons naturrechtlicher Auffassung mit der stoischen Tradition, siehe Bauer, Die Naturrechtsvorstellungen des jüngeren Melanchthon, S. 244 – 255 und Maurer, Der junge Melanchthon, Bd. I. 23 Zum Vergleich: Clemens Bauer bietet eine siebenstufige Aufzählung der „leges naturae“, die er auch in zwei hierarchisierten Abfolgen analysiert: Erste Abfolge: 1) Die Pflicht zur Gottesvereherung, 2) Der Schutz des Lebens, 3) Die Fortpflanzung, 4) Die Familie, 5) Die Eigentumsordnung, Zweite Abfolge: 6) Die menschlichen Rechtsbeziehungen und Vertragsformen, und 7) Die obrigkeitliche Gewalt, siehe: Die Naturrechtsvorstellungen des jüngeren Melanchthon, S. 251. 24 Fild, Justitia bei Melanchthon, S. 82 – 101.
34
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Das zweite Naturgesetz, vita tuenda et propaganda, gebietet den Schutz des Lebens. Das dritte Gesetz, gignendum est, enthält das Gebot, Leben zu zeugen. Das vierte gebietet mit dem Satz Iungenda sunt connubia die Geschlechtsgemeinschaft zwischen Mann und Frau in Form der Ehe zu führen. Das fünfte Gesetz, genitum seruandum est, entspricht dem Gebot, die Nachkommenschaft zu erhalten. Die ersten vier Gebote zusammen genommen entsprechen dem Gesetz, das Leben in der Ehe, in der Familie und gleichzeitig in der Staatsund Rechtsgemeinschaft zu gestalten.25 Das sechste Gesetz, nemo laedendum est, entspricht dem Gebot, niemanden zu verletzen und ist das Grundgesetz der Lebensgemeinschaft. Das siebte Gesetz, utendum est communiter quaesitis et factis..., entspricht dem Gebot, das gesamte Vermögen gemeinsam zu gebrauchen bzw. es zu verteilen. Damit ist es das Gesetz der Wirtschaftsgemeinschaft. Die achte lex, ad seruandam vitam permutandae sunt res, entspricht dem Gebot zum Güteraustausch. Es gebietet auf der Basis von Verträgen Handel zu treiben sowie die Eigentumsordnung zu gründen. Und das neunte Naturgesetz heißt ad seruandam vitam multorum mali cohibendi et arcendi. Demnach soll also eine strafrechtliche Ordnung errichtet werden entsprechend dem Gebot, dass Unrecht in der Welt bestraft werden muss.26 Im Bezug auf den Sündenfall werden die sieben ersten Gesetze dem primus ordo und die beiden letzten dem secundus ordo zugeordnet. Zwischen beiden besteht ein hierarchisches Verhältnis. Die erste Gruppe von Regeln betrachtet Melanchthon als die höheren Grundformen des Naturrechtes. Die zweite Stufe von Normen bildet die naturrechtliche Ordnung für die bürgerliche Gesellschaft unter Berücksichtigung der menschlichen Gier: „Weil das Leben geschützt und erhalten werden muss und niemand verletzt werden darf, muss die Begehrlichkeit gezügelt werden.“27
Auf Grund der menschlichen Natur ist es notwendig, den Besitz zu verteilen, den Handel zu regeln und die Verbrecher zu bestrafen. Das findet seinen Ausdruck in der zweiten Gruppe der Rechtsnormen. Ebenso wie Platon ist Melanchthon davon überzeugt, dass die erste Gruppe von Normen, die auch der Begründer der Akademie seiner Ordnung zugrunde gelegt hatte, die oberste Rechtsquelle bilden müsse. Er hält aber auch die zweite Gruppe für unentbehrlich. Die Trennung zwischen beiden Gruppen erfolgt durch die siebte Regel, die den Übergang von dem biblischen Prinzip der Gütergemeinschaft zur Anerkennung des für Melanchthon 25 26 27
Fild, Justitia bei Melanchthon, S. 82 – 101. CR XXI, S. 25, Z. 4 – 36. Maurer, Der junge Melanchthon, I, S. 291.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
35
notwendigen Privateigentums enthält. Diese Regel fand ihre juristische Anwendung in dem römisch-rechtlichen Prinzip der Gerechtigkeit „Jedem das Seine“ (suum quique tribuere). Obwohl Melanchthon von der Überlegenheit des Gemeineigentums – das seinen Ursprung in der natürlichen Gemeinschaft der Familie hatte und in dem platonischen Satz: „Wo alles gemein ist, geschieht kein Unrecht“28 ausgedrückt wurde – überzeugt bleibt, war er sich notwendiger Konzessionen an die menschliche Begehrlichkeit bewusst. Die Diskrepanz in Melanchthons tiefer Überzeugung, dass auf der einen Seite das Gemeineigentum auch auf der staatlichen Ebene die beste Form für eine gesellschaftliche Ordnung sei, dass aber auf der anderen Seite die sündige menschliche Natur unbedingt bei der Definition der auf den Menschen bezogenen Naturgesetze berücksichtigt werden müsste, spiegelt sich am deutlichsten in jenem siebten Gesetz wider.
2. Anordnung und Definition der Naturgesetze in den Loci communes von 1521 und 1522 Die neun Stufen der Naturgesetze in den Capita wurden in den Loci ein Jahr später auf drei reduziert, bei denen Melanchthon fortan blieb.29 1. Das erste Naturgesetz heißt, identisch mit dem ersten der Capita, „Deus colendus est“. Die prominente Stellung des aus dem Römerbrief30 stammenden Gebotes der Gottesverehrung als Rechtsnorm lässt deutlich die biblische Grundlage der Naturrechtslehre Melanchthons erkennen. Die von ihm betonte Ableitung des Naturrechts aus dem göttlichen Recht findet hier ihren klarsten Ausdruck. 2. Das zweite Gesetz der Loci lautet: „Quia nascimur in quandam vitae societatem, nemo laedendus est.“31 Das darin enthaltene Verbot „neminem laedere“ sei gleichzeitig ein Urwissen, eine Urwahrheit und ein Urrecht aller Menschen sowie eine in einer Lebensgemeinschaft unentbehrliche Regel unter „Mitbürgern“: „Itaque haec lex complectitur divinas, ne quem occidamus, ne rapiamus aliena et similes.“32 In dieser Formulierung finden wir das fünfte, siebte, neunte und zehnte Gebot des Dekalogs zusammengefasst. In ihrer Form erfasst sie das zweite bis sechste 28 Die Gütergemeinschaft Melanchthons verweist auf Platos Staatsutopie und auf die 1516 publizierte Sozialutopie von Thomas Morus „De optima rei publicae statu sive de nova insula Utopia“, außerdem auf Humanisten wie Erasmus und Petrus Martyr. 29 StA 4, 16423 – 16514. 30 Röm. 1, 18 – 21. 31 CR XXI, S. 117. „Weil wir in eine Lebensgemeinschaft hineingeboren werden, soll man niemandem Schaden zufügen (verletzen).“, Übersetzung Pöhlmann, S. 105. 32 CR XXI, S. 118. „Daher umfaßt dieses Gesetz die göttlichen [Gesetze], dass wir niemanden töten, dass wir nicht fremde Güter rauben und ähnliches“, Übersetzung Pöhlmann, S. 105.
36
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Gesetz der Capita. Der Inhalt dieses Gesetzes wurde in der Neuauflage der Loci von 1522 noch durch die Bedingung ergänzt, dass die Obrigkeit das Gemeinwesen schützen solle. Denn seit dem Sündenfall seien normale zwischenmenschliche Beziehungen dadurch gekennzeichnet, dass „die Guten von den Bösen oft Schaden erleiden“.33 Hiermit legitimierte Melanchthon die Existenz der Obrigkeit durch das christliche Naturrecht schon 1522. Zum ersten Mal wurde hier die weltliche Obrigkeit als eine von Gott gewollte Notwendigkeit betrachtet, deren Aufgabe darin bestehe, dafür zu sorgen, dass die Gesetze von der Bevölkerung respektiert und die Verbrecher bestraft werden.34 Der Ausschluß des Übeltäters aus der Gesellschaft und die exemplarische Bestrafung seien für den Schutz der Gemeinde und der einzelnen Bürger unentbehrlich, um die Staatsordnung, das Strafsystem und die Rechtssprechung zu rechtfertigen.35 Im Gegensatz zu den Capita finden wir in den Loci die Trennung zwischen höheren und niedrigeren Stufen der Naturgesetze nicht erst bei der Eigentumsfrage, sondern schon bei dem Schutz des Lebens. Der Mensch sei nicht nur ein Sünder wegen seiner Gier und auch nicht nur ein Verbrecher gegenüber seinen Mitbürgern, wenn er sich am Vermögen Anderer vergreife, sondern er wende sich offen auch gegen das von Gott geschaffene Gut des Lebens, wenn er morde oder töte. Die Aufrechterhaltung der friedlichen Gesellschaftsordnung gehöre deshalb zu den höheren Naturgesetzen. Doch leitet er diese Aufgabe aus göttlichem Recht ab und damit üben auch die weltlichen Institutionen, die dafür sorgen sollen, folglich ihre Macht in Gottes Namen aus. Dieser Wandel bei der Hierarchisierung der naturrechtlichen Prinzipien in den Loci ist für die juristische Interpretation von größter Bedeutung. Denn innerhalb dieser weltlichen Ordnung wird dem öffentlichen Recht eine größere Bedeutung als dem Privatrecht zugewiesen. In den Capita war das öffentliche Recht lediglich als Hilfsmittel zur Durchsetzung des Privatrechts verstanden worden. In den Loci von 1521 gehört aber der privatrechtliche Bereich der niederen Stufe der Rechtsnormen an, und dies in einer Hierarchie, in der in Bezug auf das neuplatonische Ordnungsprinzip die Korrektur des unteren Gesetzes schon durch das höhere Gesetz bestimmt wird.36 In den Loci CR XXI, S. 118. Übersetzung Pöhlmann, S. 105. CR XXI, S. 118: „Quandoquidem ea est rerum humanarum conditio ( . . . ) ut saepe a malis boni laedantur, adnitendum esse humano generi ut lex de non laedendo in plurimis conservetur, ideoque cohercendos, refrenandos, tollendosque esse e medio, qui publicam pacem interturbant, qui innocentes laedunt, quo plures servari possint, sublatis iis qui laeserant“. 35 „Der Träger des obrigkeitlichen Amtes ist also nicht Henker, sondern Diener Gottes; sein Amt verwirklicht die göttliche Liebe“, siehe Maurer, Der junge Melanchthon, I, S. 293. 36 Maurer vermutet, dass der stufenmäßige Aufbau der Naturgesetze bei Melanchthon zumindest formal an das Ordnungsprinzip des Neuplatonismus erinnert: „Auch die Regel, dass das höhere Gebot das niedere korrigiert, mag hier ihren Ursprung haben.“: Der junge Melanchthon, Bd. II, S. 295 f. 33 34
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
37
wird die Obrigkeit also aufgewertet, indem sie unmittelbar mit dem Naturrecht verbunden wird. Die staatliche Ordnung wird nicht mehr ausschließlich als eine für die Mitbürger notwendige Regelung des Zusammenlebens, sondern darüber hinaus als eine Form der Gottesverehrung im Sinne des ersten und höchsten Naturgesetzes bestimmt. Melanchthon trennt sich hier deutlich von der aristotelischen Tradition. Er sieht das Naturrecht nicht als Urrecht in einem Idealstaat, vielmehr als ein von Gott gegebenes Rettungsmittel, das mit Hilfe einer beschützenden Obrigkeit durchgesetzt werden könne, um so die politische Ordnung und den Frieden zu erhalten: „Hinc in re publica magistratus sunt, hinc sontium poenae, hinc bella, quae omnia iurisconsulti referunt in ius gentium.“37
3. Das dritte Naturgesetz in den Loci handelt von der Gütergemeinschaft. Es übernimmt die siebte Regel der Capita in ihrer Zwiespältigkeit: „Poscit humana societas, ut omnibus rebus communiter utamur.“;38 „Res dividunto, propter publicam pacem. Caeterum per contractus alii aliorum inopiam sublevent.“39
Das dritte Naturgesetz übernimmt das Gebot des Gemeinnutzes, der für die menschliche Gemeinschaft als Voraussetzung für die glücklichste Form des Zusammenlebens angesehen wird.40 Da aber die Gütergemeinschaft eine nach dem Sündenfall nicht mehr zu erreichende Gesellschaftsordnung sei, soll die Formulierung der dritten Regel mit Hilfe des oberen bzw. zweiten Naturgesetzes korrigiert werden:41 „Et eatenus communicandae sunt res, quatenus permittit pax publica, et salus multitudinis.“42 37 CR XXI, S. 118. „Deshalb sind im Staat obrigkeitliche Behörden, daher gibt es Strafen für die Rechtsverbrecher, daher gibt es Kriege, die die Juristen alle dem Völkerrecht zurechnen“, Übersetzung Pöhlmann, S. 107. 38 CR XXI, S. 117. „Die menschliche Gesellschaft macht es erforderlich, dass wir alle Güter gemeinsam gebrauchen“, Übersetzung Pöhlmann, S. 105. 39 CR XXI, S. 199 f. „Die Güter sollen um des öffentlichen Friedens willen geteilt werden. Im übrigen sollen die einen dem Mangel der anderen abhelfen durch Verträge“, Übersetzung Pöhlmann, S. 109. In der „Ethicae doctrinae elementa“ 1550 wurden die zusätzlichen Regeln, die das Naturgesetz vor dem Sündenfall wie die der Gütergemeinschaft kennzeichnen, als „accidentia“ bezeichnet. 40 Maurer kommentiert diese Begründung der Gütergemeinschaft folgenderweise: „Die stoische Auffassung, die am Naturrecht die biologische Verbundenheit hervorhebt, ist hier zugunsten der aristotelischen verlassen, die der Forderung der Vernunft vornehmlich Rechnung trägt“, S. 294 und Anm. 28: „Auch von Cicero, der die beiden Auffassungen in sich vereinigt, scheidet sich Melanchthon hier.“ 41 Hier findet man wiederum das von Melanchthon übernommenen neuplatonische Ordnungsprinzip. 42 CR XXI, S. 199. „Nur insoweit sollen die Güter allen gemeinsam sein, inwieweit es der öffentliche Friede und das Wohl der Gemeinschaft zuläßt.“, Übersetzung Pöhlmann, S. 107.
38
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Melanchthon fügt daher das ergänzende Prinzip der „Güterverteilung“ hinzu, die nur mit künstlicher Hilfe von Verträgen, „emptio (Kauf), venditio (Verkauf), locatio (Verpachtung), conductio (Miete)“ zu regeln sei. Die beste Staatsform sei diejenige, die nicht nur die Ansprüche der Mitbürger erkenne und zu erfüllen versuche, sondern die, die die Gütergemeinschaftsregel immer noch im Auge behalte und deswegen Verträge unterstützte, „durch die man die Güter eines jeden vielen zugänglich macht, damit es wenigstens in irgendeiner Beziehung eine Gütergemeinschaft gibt.“43 Die 1522 bearbeitete Fassung der Loci communes erkennt im Privateigentum und in der privatrechtlichen Vertragsordnung die Verwirklichungsform des dritten Naturgesetzes im bürgerlichen Leben. In diesem Zusammenhang wird auch ein besonderes „Obrigkeitsgebot“ eingefügt, d. h. die Forderung nach festen Regelungen und Strafen durch die Obrigkeit für das Wohl der societas. In dem Resümee der drei Naturgesetze am Ende des Loci-Kapitels verlässt Melanchthon die Dialektik der Gütergemeinschaft und bevorzugt die durch Verträge gesicherte pax publica: „Res dividunto propter publicam pacem ( . . . ).“44 Dem Rechtshistoriker wird auffallen, dass die drei definierten Naturgesetze den sogenannten praecepta juris entsprechen, von denen die römischen Juristen zur Charakterisierung einer Rechtsordnung gesagt haben, dass sie die Gebote des Rechts seien: 1. „honeste vivere“ (mit Anstand und sittlich leben), 2. „neminem laedere“ (niemanden verletzen), 3. „suum cuique tribuere“ (jedem das Seine verschaffen). Diese Regeln entsprechen nach Melanchthon dem theologisch-ethischen Grundprogramm eines biblisch fundierten Rechts. 3. Naturgesetze und weltliche Gesetze Am Ende seiner Erläuterung der Naturgesetze hebt Melanchthon hervor, dass häufig ein Widerspruch zwischen den weltlichen Regeln und den Naturgesetzen festzustellen sei. In seiner Hierarchie der Rechtsnormen sei die Unterscheidung zwischen weltlichen Gesetzen einerseits und göttlichen und Naturgesetzen andererseits nicht als Widerspruch zu verstehen. In seinem Rechtssystem bilde vielmehr die Übereinstimmung der weltlichen Gesetze mit den Naturgesetzen eine der unentbehrlichen Bedingungen für die geltenden Rechtsnormen, die sich in der bürgerlichen Rechtsprechung niederschlagen sollen. 43 CR XXI, S. 119. „per quos suae cuiusque res communicarentur multis, ne nulla prorsus esset rerum communio.“, Übersetzung Pöhlmann, S. 109. Melanchthon weist hier auf Platos Äußerungen über die bürgerliche Ordnung hin, die immer nach dem Besten für die Gemeinschaft suchen soll. 44 CR XXI, S. 119 f.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
39
Melanchthon warnt deshalb zum Schluss des Loci-Kapitels über das Gesetz vor der kritiklosen Übernahme der antiken Auffassung des Naturrechtes. Er führt dazu das römische Beispiel einer auf den gegenseitigen Nutzen bedachten Freundschaft an, die der christlichen Liebe nicht entsprechen könne. Da diese „nützliche“ Freundschaft als bürgerliches Recht gegolten habe, aber den Naturgesetzen widerspreche, dürfe eine Rechtsordnung, die in der Antike so geartet gewesen war, dass sie die Vergeltung (Talion) und die Sklaverei anerkannt habe, nicht rezipiert werden, sondern müsse im Gegenteil bekämpft werden.45
II. Die leges divinae „Divinae leges sunt, quae per scripturas canonicas a deo sancitae sunt.“46
Melanchthon teilt die göttlichen Gesetze in drei Gruppen ein, in leges morales, leges iudiciales und leges ceremoniales.47 „Morales sunt, quae decalogo praescriptae sunt, in quas referat studiosus omnes leges quae de moribus in tota scriptura proditae sunt.“48
Die Moralgesetze werden noch weiter nach consilia (Ratschlüsse) und praeceptae (Gebote) unterteilt.49 Über die Judizial- und Zeremonialgesetze des Alten Testaments schreibt Melanchthon, dass solche gesetzlichen Bestimmungen für das Prozessualrecht, das Strafrecht sowie für die verschiedenen Verordnungen über Opferriten, UnterscheiSiehe S. 17, Anm. 56. CR XXI, S. 120. „Göttliche Gesetze sind solche, die durch die kanonischen Schriften von Gott als heilige und unverbrüchliche Ordnung erlassen wurden“, Übersetzung Pöhlmann, S. 110. 47 Diese Dreiteilung kennt auch die Scholastik durch die Lehre des Thomas von Aquin in seiner „Summa theologiae“ II 1 qu.99 art.2 – 4 als die drei Spielarten der „vetus lex“, des alttestamentarischen Gesetzes. Nach Thomas vermittelt sich die „lex aeterna“ (ewiges Gesetz) in der „lex naturalis“ und in der „lex divina“, die ihrerseits in die lex vetus (altes Gesetz) des AT und in die „lex nova“ (neues Gesetz) des NT zerfällt (Summa theol. II 1 qu. 91 art. 2, 4, 5). Die alttestamentarische „lex vetus“ hat nach Thomas drei Arten, die Zeremonial-, die Judizial- und die Moralgebote, wobei letztere auf die „lex naturalis“ zurückgehen. Die „lex humana“ ist von der „lex naturalis“ abzuleiten, solange die menschlichen Gesetze mit ihr über-einstimmen. Bei Widersprüchen gilt diese Ableitung nicht (Summa theol. II 1 qu. 95 art.2). So hat die „lex naturalis“ eine Art Schlüsselfunktion. Auch bei Gerson in seinem „De vita spirituli animae“ (lect. 2 Opera omnia III 17 C / 18 C, 21 C / 22 C. Hagae Comitum 1728) findet sich diese Dreiteilung; siehe Pöhlmann, S. 100 f., Anm. 260 und S. 111, Anm. 280. 48 CR XXI, S. 120. „Die Moralgesetze sind die [Gesetze], die in den Zehn Geboten vorgeschrieben sind, auf die der, der der Sache nachgeht, alle Gesetze, die in der ganzen Schrift über die Moral (Sitten) überliefert wurden, zurückführen kann.“, Übersetzung Pöhlmann, S. 111. 49 Siehe auch die Sentenzen von Petrus Lombardus, lib. III 36,3 wo die Unterscheidung zwischen „consilia“ und „praecepta“ ebenfalls geläufig ist. 45 46
40
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
dung der Tage, Kleider, Opfertiere und dergleichen nur als Verordnungen für das jüdische Volk gelten könnten: „Hoc genus leges ignorant evangelicae literae, quod vindiciae Christiano populo prohibitae sint, et mandata paupertas rerumque communio, et interdictum sit forum, ut docet Paulus in priore ad Corinthios VI. cap [vs. 7.:]50 Iam quidem omnino delictum est, quod lites habetis inter vos invicem.“51
Das göttliche Recht ist für unsere Betrachtung deshalb interessant, weil es den Maßstab für die Naturgesetze bildet, deren ursprünglicher Ausdruck im Dekalog steht. Außerdem liegt in dem Abhängigkeitsverhältnis des ius divinum von den leges naturae eine wesentliche Besonderheit der Naturrechtslehre Melanchthons. Auf keinen Fall dürfen die göttlichen Gesetze mit den kanonischen verwechselt werden. Letztere seien nämlich nur menschliche Vorschriften für äußere Handlungen. Dagegen werden die göttlichen Gesetze allein auf den Dekalog zurückgeführt. Dass nur sie wiederum den Inhalt der Naturgesetze bestimmen, ist schon oben im Rahmen der Definition der einzelnen Naturgesetze deutlich gemacht worden. III. Die leges humanae Die menschlichen Gesetze bilden die dritte Hauptkategorie der Gesetze. Sie werden unterteilt in weltliche bzw. bürgerliche Gesetze, die „die Obrigkeit, Fürsten, Könige und Städte im Gemeinwesen verordnen“, und in päpstliche Gesetze.52 Auch die weltlichen Verordnungen stammen aus dem göttlichem Recht, jedoch mittelbar. Denn sie sind einerseits als materieller Ausdruck der obrigkeitlichen Macht anzusehen, die die Herrscher als irdische Diener Gottes legitimerweise ausüben dürfen. Andererseits erweisen sie durch ihre Übereinstimmung mit dem Naturrecht zugleich ihren Respekt vor dem göttlichen Recht. Die gesamte weltliche Ordnung ist in Melanchthons Konzeption also biblisch begründet. Ihre konkrete Durchführung wird jedoch mit Rücksicht auf die jeweiligen Umstände den Vertretern der weltlichen Staatsgewalt überlassen: „Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit. Non est enim potestas nisi a Deo. Quae vero sunt potestates, a Deo ordinatae sunt. Itaque qui resistit potestati, Dei ordinationi resistit.“53 1. Kor. 6,7. CR XXI, S. 129. „Die evangelischen Schriften kennen derartige Gesetze nicht, weil sich Rechtsansprüche für das christliche Volk verbieten, ihm Armut und Gütergemeinschaft aufgetragen wurde und ihm Gerichtsverhandlungen untersagt sind gemäß der Weisung des Paulus im ersten [Brief] an die Korinther K. IV.: Es ist schon an und für sich ein Vergehen, dass ihr untereinander Prozesse führt“, Übersetzung Pöhlmann, S. 131. 52 CR XXI, S. 130: „Leges humanae, sunt quaecunque tandem ab hominibus constituuntur. Et ut nunc habent hominum res. Legum humanarum aliae sunt civiles, aliae pontificiae. Civiles, quas in re publica sanciunt magistratus, principes, reges, civitates.“ 50 51
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
41
Wie bereits angedeutet, scheint an mehreren Stellen der Loci communes (1521) Melanchthons Rechtsanschauung auf den ersten Blick dem Modell einer Einheitslehre zu folgen, in dem das geistliche und körperliche Menschenleben nur durch eine einzige Art von Gesetzesverordnung geregelt wird. In dieser Gesetzesordnung finden biblisches und weltliches Recht in einer einzigen umfassenden Hierarchie der Rechtsnormen ihren gesetzlichen Ausdruck. In ihr erlangen die Sätze der Heiligen Schrift über weltliche Staatsführung und Prozessrecht in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Rechts konkrete Anwendung: „( . . . )Hinc e praeceptis consilia facta sunt, et recepta est pestilentissima opinio, non posse res publicas administrari iuxta Evangelium, quasi tale aliquid tradiderit Christus, quod ad pauculos tantum monachos, et non potius ad universum genus humanum pertineat. Quid enim oportet esse communius Evangelio, quod Christus universae naturae praedicari iussit.“54
Eine solche theokratische Interpretation der Rolle der verschiedenen Gesetze und ihrer Verbindungen untereinander wird auch durch Melanchthons spätere Betonung, dass es der Obrigkeit nicht erlaubt sei, ungerechte und gottlose Regeln anzuwenden,55 nahe gelegt. Trotz der genannten Hinweise ist ihre Deutung im Sinne einer Einheitslehre jedoch problematisch. Berücksichtigt man nämlich den gesellschaftlichen Kontext der Rede, so wird deutlich, dass Melanchthon in seinen theologischen Unterrichtsvorlagen primär ein „geistliches Gesetz“ und nicht ein „weltliches Gesetz“ im juristischen Sinne formuliert. Er benutzt zwar dieselben Vokabeln wie die Juristen, versteht aber unter dem Begriff „Gesetz“ eher das Corpus von Rechtsnormen bzw. die anzuwendende Gesetzgebung mit ihren Prinzipien sowie die Rechtsphilosophie. Auf keinen Fall beschränkt er aber die Gesetze auf Maßnahmen, die die alltäglichen rechtlichen Streitigkeiten unter Bürgern oder die öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu regeln haben.
53 CR XXI, S. 130. „Jeder sei den obrigkeitlichen Gewalten untertan. Denn es gibt keine Staatsgewalt, die nicht von Gott wäre. Sondern die staatlichen Gewalten, die es gibt, sind von Gott verordnet. Wer daher der Staatsgewalt Widerstand leistet, widersetzt sich Gottes Ordnung“ (aus Röm. 13, 1 – 3), Übersetzung Pöhlmann, S. 135. 54 CR XXI, S. 125. „Daher wurden aus den Geboten Räte gemacht und die überaus ungesunde Meinung vertreten, man könne Staaten nicht nach dem Evangelium regieren, wie wenn Christus uns eine solche [Botschaft] hinterlassen hätte, die nur einige Mönche und nicht vielmehr das ganze Menschgeschlecht angeht. Denn was muss alle mehr angehen als das Evangelium, das Christus der ganzen Kreatur zu predigen befahl?“, Übersetzung Pöhlmann, S. 123. 55 „Porro non licet magistratui statuere adversus ius divinum, nec obtemperari adversus ius divinum debet iuxta illud in actis Apostolicis: „Oportet deo magis oboedire quam hominibus“, CR XXI, S. 130.
42
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
C. Melanchthons „biblische“ Naturrechtslehre Obwohl für den heutigen Leser Melanchthons Gedanken zum Recht und vor allem ihre Verknüpfung miteinander oft als widersprüchlich empfunden werden, lassen sich die Spannungen zwischen seiner Naturrechtslehre und der ebenfalls von ihm anerkannten Zwei-Reiche-Lehre in seinem Weltbild, das ganz von seiner Überzeugung göttlichen Wirkens geprägt war, auflösen. Zwei Ebenen stoßen in seiner Darstellung des Naturrechts kontinuierlich aufeinander: die Verknüpfung des Rechts mit der Moral auf metaphysischer Ebene und die Trennung der Anwendung des Evangeliums für das geistige Leben von der Bedeutung des Gesetzes für das weltliche Leben.
I. Die unlösbare Verbindung von Recht und Moral Im absoluten Gegensatz zur politischen Theorie Machiavellis, die, überspitzt gesagt, als Vorläuferin der heutigen „Realpolitik“ angesehen werden kann, ist Melanchthons Naturrechtslehre durch die Unmöglichkeit der Trennung von Recht und Moral gekennzeichnet.
1. Die Hierarchie der Rechtsnormen Die Besonderheit der Rechtsauffassung Melanchthons liegt zunächst in der unauflösbaren Einheit der rechtlichen und moralischen Bereiche. Um ihre Bedeutung zu verstehen, ist es unabdingbar, sich mit der unterschiedlichen Gewichtung der Rechtsnormen zu beschäftigen. An der Spitze der Hierarchie der Rechtsnormen steht das ius divinum, von dem das ius naturale abgeleitet wird. Auf zwei unterschiedlichen Ebenen bestimmen beide das ius humanum, das in der bürgerlichen Ordnung seinen konkreten Ausdruck findet. Den Akzent legt Melanchthon auf das Naturrecht; in seiner Darstellung erhält die societas civilis ihr Dasein, ihre Form und Ordnung hingegen aus der lex naturae. Vor der Diskussion der Frage, nach welchem Recht die Jurisprudenz im Reich gebildet wird, ist auf die Zusammenhänge zwischen den drei Gesetzeskategorien einzugehen; denn hier spiegelt sich Melanchthons ethisch-philosophische Sicht und damit sein gesamtes politisch-rechtlichen Weltbild wider. Das 1521 entwickelte Grundprinzip der Hierarchie der Rechtsnormen mit ihrer Rückführung der lex naturae auf die lex divina beruht auf seinen theologischen Äußerungen. Dies gilt auch für die Stellen, in denen die lex naturae mit der menschlichen Vernunfterkenntnis verbunden wird. Außerdem sollen das ius divinum und das aus ihm stammende ius naturale das geistige Reich regieren, während die bürgerlichen Gesetze das weltliche Reich bestimmen. Hierin zeigt sich eine Trennung von geistigem und weltlichem Reich, die allerdings nur auf den ersten
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
43
Blick eindeutig ist. Denn nach wie vor sollen die bürgerlichen Gesetze durch das Naturrecht, dessen Billigkeit und von dessen Prinzipien bestimmt sein; sie sollen seinen weltlichen Charakter darstellen: „Bonus vir attemperabit civiles constitutiones aequo ac bono, hoc est, tum divinis tum naturalibus legibus, contra quas, quidquid constituitur, non potest non iniquum esse.“56
Erst sehr viel später, in seiner Rede Oratio de veris legum fontibus et causis von 155057, legt Melanchthon schließlich ein umfassendes Modell der Verhältnisse zwischen lex humana, lex naturae und lex divina vor, dessen Ordnung er als notwendig für die Bildung eines gerechten und billigen Rechtssystems ansieht: „Ut igitur iubet Deus obedire quoslibet praesentibus et suis magistratibus, ita sciamus, mandatum Dei esse, ut praesentibus legibus obtemperemus, quae placent Deo, etiamsi ab ethnico gubernatore latae sunt, si tamen ad illum radium lucis divinae transfusum in mentes hominum congruant, qui vocatur ius naturae, ex quo vult Deus extrui leges et sapientiam gubernatricem vitae civilis.“58
In der seinem Rechtsprofessor und Freund Hieronymus Schürpf gewidmeten Einleitung definiert Melanchthon das Gesetz als „radius sapientiae divinae“59, wie es schon in den Loci communes zu finden war, und erklärt, dass die Menschen nur durch Erhaltung der Gerechtigkeit die Erkenntnis Gottes erreichen können. Das gilt auch für das Leben in Ehegemeinschaften, d. h. in der ursprünglichen Form von Gemeinleben und -besitz, und im Respekt vor Tugend und Pflichten. Alle Tugenden – Weisheit (sapientia), Gerechtigkeit (iustitia), Sittlichkeit (castitas), Wohltätigkeit (beneficentia), Gütergemeinschaft auf der Basis legitimer Verträge (rerum communicatio legitimis contractibus), Belehrung des Volkes durch Richter (iudicum voce de iustitia populus erudiatur), Pflege der wissenschaftlichen Lehre (doctrina excoli) und die Auslegung der Gesetze (legum interpretatio), welche die Aufgabe der Gebildetsten und insbesondere der Rechtsberater sei – sollten 56 CR XXI, S. 120. „Ein guter Mann wird die bürgerlichen Verordnungen an das, was recht und billig ist, d. h. an die göttlichen und natürlichen Gesetze anpassen und [alles], was gegen diese [Gesetze] verordnet wird, kann nur unrecht sein“, Übersetzung Pöhlmann, S. 111. 57 „Oratio de veris legum fontibus et causis; explicans simul et hanc quaestionem: An Romano iure et scriptis eorum, qui id interpretati sunt, utendum sit“ (Rede über die Rechtsquellen und ihre Ursachen; zugleich mit einer Erläuterung der Frage, ob das römische Recht und die Schriften derer, die es ausgelegt haben, zu gebrauchen sind), CR XI, S. 917 – 924. Edition / en: Vierter Band der ausgewählten Deklamationen Philipp Melanchthons, die er geschrieben und an der Hohen Schule Wittenberg teils selbst gehalten, teils anderen zum Vortrag überlassen hat, Straßburg 1560, S. 109 – 122. 58 „Wie es also Gott befohlen hat, dass jedermann seinen jeweilig gegenwärtigen Staatsmännern zu folgen habe, so wissen wir, dass es ein Befehl Gottes ist, dass wir auch den bestehenden Gesetzen gehorchen, die Gott gefallen, auch wenn sie von einem heidnischen Regenten erlassen worden sind, sofern sie nur jenem Strahl des göttlichen Lichtes, das in den Verstand der Menschen herübergeflossen ist, entsprechen, der Naturrecht [ius naturae] genannt wird und aus dem Gott die Gesetze und die weise Herrschaft über das bürgerliche Leben geschaffen sehen möchte“, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 265, Z. 189 – 195. 59 Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 260.
44
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
als den Menschen von Gott gegebene Schätze geschützt, gepflegt und an die Nachwelt weitergereicht werden. Die Bedeutung der Pädagogik für die Ausbildung der zukünftigen Bürger, insbesondere aber auch der Juristen, wird durch Melanchthons Ausführungen über die Aufgabe der Lehrtätigkeit noch einmal betont. Diese besteht darin, durch eine bestimmte Pädagogik die studiosi iuris als die zukünftigen Richter zu lenken sowie ihnen Gottes Lehre, seinen Ordo, vor allem den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, beizubringen. Melanchthons Bezugnahme auf die religiös-politischen Unruhen in Deutschland infolge der utopischen Ausschweifungen der sog. Schwärmer und deren Versuche, den gesamten ordo radikal abzuschaffen, unterstreicht, wie wesentlich ihm die Aufgabe gewesen ist, über ein durchdachtes Bildungs- und Erziehungsprogramm einen Beitrag zur Erziehung verantwortungsvoller zukünftiger Mitglieder der weltlich-christlichen Gemeinschaft zu leisten. Den Konzepten der Schwarmgeister wird entgegengesetzt, dass der Mensch ein animal social sei und deshalb ein Bedürfnis nach einem Leben in der Gesellschaft habe, für deren Struktur Herrschaft, Gesetze, Urteile und Strafen erforderlich seien. In der Rede De veris legum fontibus et causis entwickelt Melanchthon drei Hauptthemen. Erstens formuliert er die Grundlinien seiner Ordo-Gedanken. Zweitens erörtet er die Frage, welches Recht in der Rechtspraxis anzuwenden sei; damit weist er auf die Frage hin, ob es den Christen erlaubt sei, auch heidnisches Recht anzuwenden (ethnico iure uti), oder ob die Richter nur nach mosaischem Recht urteilen dürften. In seiner Antwort plädiert Melanchthon dann drittens für die Anwendung eines festgeschriebenen Rechts und empfiehlt vor allem die Wiederaufwertung des römischen Rechtes. Erneut betont Melanchthon hier den Unterschied zwischen weltlichem und geistlichem Bereich, zwischen Gesetz und Evangelium. Das Gemeinwesen sei von Gott geschaffen, aber die Regeln sollten von den Menschen aufgestellt werden, weswegen verschiedene bürgerliche Gesetze zu entwickeln seien. „Politica autem gubernatio externam disciplinam, distinctionem dominiorum, contractus, iudicia et poenas regit .“60
Genau wie dies bei anderen Wissenschaften der Fall sei, werde die Jurisprudenz weder durch die Suche nach der Erkenntnis Gottes gestört, noch verstoße sie selbst gegen das Evangelium: „( . . . ) ita politica sapientia ex firmissimis notitiis extruitur, quae divinitus insitiae sunt humanis mentibus ( . . . ).“61 60 „Die politische Herrschaft regiert über eine äußere Pflichtordnung, über verschiedene Eigentumsformen, über Verträge, Urteile und Strafen“, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 265, Z. 167 ff. 61 „( . . . ) so entsteht politische Weisheit aus den allersichersten Kenntnissen, die von Gott her dem menschlichen Verstand eingefügt ( . . . )“, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 265, Z. 170 ff.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
45
Wichtig für Melanchthons Verständnis von der unlösbaren Verbindung von Recht und Moral ist vor allem seine Ableitung dieses Verhältnisses aus der Heiligen Schrift selbst. Die in Gemeinden, Gesellschaften, Staaten und politischen Herrschaftsstrukturen organisierte Menschheit soll auf der Grundlage ihrer eigenen Gesetze regiert werden. Nicht nur das mosaische Recht solle in der Rechtspraxis angewandt werden, sondern alles Recht, das sich der göttlichen Autorität durch den bekundeten Respekt dem Naturrecht und seinen Ausformungen gegenüber unterordne. Um diese Forderung zu stärken, führt er eine Reihe historischer Beispiele gottgefälliger und frommer Regentschaften in anderen Reichen außerhalb des mosaischen Staates an. Da das Evangelium der ganzen Menschheit gehöre, müsse es sich von der mosaischen Lebensform lösen, zumal sich im biblischen Text auch keine Bevorzugung des mosaischen Rechts finde. Nach Melanchthon sollen die Christen den bestehenden Gesetzen gehorchen, also auch denjenigen, die von heidnischen Herrschern erlassen wurden. Bei der Rechtfertigung des eingeforderten Gehorsams setzt Melanchthon voraus, dass die territorialen Gesetze mit dem Naturrecht, aus dem die bürgerlichen Gesetze und die weltliche Herrschaft abgeleitet seien, übereinstimmen. Er behauptet, dass die Gesetze, die diese Bedingung am besten erfüllen, die im Corpus iuris gesammelten römischen Rechtsnormen sind. Auf Melanchthons Plädoyer für das römische Recht wird weiter unten detaillierter eingegangen.62 In diesem Zusammenhang werden auch die Besonderheiten der Rezeptionsgeschichte des römischen Rechtes im Heiligen Reich, vor allem in Sachsen, zu betrachten sein. Ferner argumentiert Melanchthon, dass sich die Gesetze nicht nur gegen die Begehrlichkeit der Mächtigen richten, d. h. als Schutz der Schwächeren gegenüber den Stärkeren geschrieben seien, sondern dass sie auf unerschütterlichen göttlichen Prinzipien beruhten: „Haec notitiae divinitus traditae cum luce, quae nobiscum nascitur, tum vero etiam voce divina, sunt initia legum et ordinis politici, cui vult nos Deus, non solum necessitatis nostrae causa obedire, sed multo magis, ut agnoscamus conditorem et in hoc ipso ordine discamus, non casu extitisse hanc naturam rerum, sed opificem esse sapientem, iustum, beneficum, veracem, castum, er similes virtutes in nobis flagitantem, et vindicem punientem huius ordnins violationem.“63 62
Siehe im zweiten Kapitel (D. Melanchthons spätere Aufwertung des römischen Rech-
tes). 63 „Diese Kenntnisse der Göttlichkeit sind mit dem Licht überliefert, das mit uns geboren wird, dann aber auch durch die göttliche Stimme der Beginn der Gesetze und der politischen Ordnung, der wir nach Gottes Willen nicht nur aus unserer Not heraus gehorchen, sondern viel mehr, dass wir den Schöpfer erkennen und gerade an dieser Ordnung lernen, dass die Dinge der Natur nicht aus Zufall bestehen, sondern dass es einen Schöpfer gibt, der weise ist, gerecht, gnädig, wahrhaft, rein und der ähnliche Tugenden bei uns einfordert und als Vollstrecker die Verletzung dieser Ordnung bestraft.“, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 262, Z. 77 – 83.
4 Deflers
46
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Recht und Religion, Gesetz und Evangelium sind folglich eng miteinander verflochten, so dass die menschliche Gesellschaft die göttliche Ordnung durch die Rechtswissenschaften umsetzen und durch die Bestrafung der Verbrechen aufrechterhalten muss: „Sic certum est, a Deo societatem hominum et vincula societatis, imperia, leges, doctrinam virtutum, iustitiae, beneficiae, veritatis, castitatis, contractus, iudicia, poenas singulari opere ordinatas esse ( . . . )“64
2. Rezeption dieser Idee und die falschen Interpretationen In der ersten Auflage seines Lehrbuchs 1521 hatte Melanchthon das rechtliche System, d. h. die Hierarchie der Rechtsquellen, noch sehr theoretisch formuliert.
a) Auseinandersetzung mit den Schwärmern Die Grundgedanken des Werkes wurden erst im Laufe der nächsten Auflagen mit Leben gefüllt. Die Erstveröffentlichung fiel nämlich in die Zeit, als Karlstadt die Leitung der Wittenberger Reformation übernahm und radikalisierte. Schnell jedoch distanzierten sich Luther und Melanchthon von ihm. Schon im März 1522 kam es, unter anderem wegen des Bildersturms, zwischen den „Zwickauer Schwarmgeistern“ Thomas Müntzer65, Andreas Bodenstein von Karlstadt und Huldrych Zwingli66 einerseits und den beiden Wittenberger Reformatoren andererseits zur Trennung.67 Die ursprüngliche Sympathie beider Gruppen von Reformatoren füreinander äußerte sich zunächst in der Übernahme von Luthers Lehre der Rechtfertigung allein durch den Glauben (justificatio sola fide). Doch bald schon wandten sich Melanchthon und Luther gegen die Radikalisierung zu einer schwärmerischen Lehre. Luther warf ihren Vertretern, darunter auch Niklas Storch und Markus Stüb64 „So ist es sicher, dass von Gott her die menschliche Gemeinschaft und die Verpflichtungen der Gesellschaft, die Herrschaft, die Gesetze, die Lehre der Tugenden, der Gerechtigkeit, der Wohltätigkeit, der Wahrheit und der Keuschheit, dann auch die Verträge, die Gerichtsentscheidungen und die Strafen in seinem einzigartigen Schöpferwerk geordnet sind ( . . . )“, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 262, Z. 87 – 90. 65 Smirine, Die Volksreformation des Thomas Münzer und der grosse Bauernkrieg, I. Kap.: Münzers Abkehr von der lutherischen Reformation, insb. S. 89, Lau, Die prophetische Apokalyptik Thomas Müntzers, S. 163 f., Nipperdey, Theologie und Revolution bei Thomas Müntzer, S. 145 – 179. 66 Erik Wolf, Die Sozialtheologie Zwinglis, S. 167 – 188, insb. S. 185. 67 Über Karlstadt, siehe Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt, I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation, Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae, Fuchs, Karlstadts Radikal-reformatorisches Wirken und seine Stellung zwischen Müntzer und Luther, S. 523 – 552.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
47
ner, vor, seine Glaubenslehre falsch zu interpretieren und damit die bürgerliche Ordnung und den Frieden zu gefährden. Den Schwärmern zufolge bildete nicht mehr die Bibel die wichtigste Glaubensinstanz, sondern die „innere Erleuchtung“ als subjektive religiöse Überzeugung des einzelnen Gläubigen. Auf der Basis einer weltlichen Umsetzung der Bibel, insbesondere der Anschauung, die mosaischen Gesetze seien positives Recht, wollten die Schwärmer die ganze Gesellschaftsstruktur und ihre alte Ordnung umstürzen, um auf ihren Trümmern eine neue zu gründen. Es sollte eine Art Theokratie errichtet werden, die den religiösen Lehren zum politisch-ideologischen Durchbruch verhelfen und zu einer durch die Autorität der Bibel gerechtfertigten „Volksreformation“ zum Umsturz der damals bestehenden Gesellschaftsordnung führen sollte. Luther und Melanchthon entfernten sich weit von den revolutionären Forderungen der Schwärmer und sprachen sich für eine von Fürsten und Herrschern durchgeführte Reformation aus. Aus Sicht der heutigen Geschichtsschreibung vertraten sie also eine „konservative“ Position. Die nicht nur religiöse, sondern auch politische Radikalisierung der Bevölkerung als erstes Vorzeichen des Bauernkrieges erschreckte Melanchthon.68 Er war autoritätsgläubig, weil er von der Gerechtigkeit der von Gott gewollten bestehenden Ordnung zutiefst überzeugt war. Mehr als ein Reformator konnte und wollte er nicht sein. Daher schloss er sich Luthers Kampf gegen die Unruhen an, dessen drei Programmschriften aus dem Jahr 1520 „An den christlichen Adel deutscher Nation“69, „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“70 und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“71 die neu entstandenen Sektenbewegungen nicht gehindert hatten, sie, entgegen Luthers Intention, zur Begründung ihrer revolutionären Forderungen zu verwenden. 68 Siehe u.v.a. Georg von Below, Die Ursachen der Reformation, S. 424, Franz, Geschichte des deutschen Bauernstandes und ders. Der deutsche Bauernkrieg, Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, S. 266 – 341 (insb. VI. Kapitel: Die deutsche Religion), Graus: „Freiheit“ als soziale Forderung. Die Bauernbewegungen im Spätmittelalter, S. 409 – 433, Hartfelder, Zur Geschichte des Bauernkrieges in Südwestdeutschland, Kübel, Zur Frage der rechtlichen Begründung der Reformforderungen des gemeinen Mannes im Bauernkriege 1525 (gute Darstellung der Problematik, jedoch durch nationalsozialistische Positionen gefärbt), Melanchthons Schrift: „Eyn schrifft Philippi Melanchthon widder die artickel der Bawrschafft von 1525“, CR XX, S. 641 – 662, MWA I, S. 190 – 214, Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522, 2. Aufl. mit dem Titel: Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt, Schmidt, Das göttliche Recht, insbesondere S. 43 ff., 48 f. und 53, siehe auch Stern, Philipp Melanchthon – Humanist-Reformator-Praeceptor Germaniae, S. 32 ff. (mit einer sehr stark sozialistisch begründeten Betonung der politischen Einstellung Melanchthons). Für eine gute Übersicht über die Literatur zum Bauernkrieg, siehe Stern, Josel von Rosheim, S. 238Vf., Anm. 25, Wunder, „Altes Recht“ und „göttliches Recht“ im Deutschen Bauernkrieg, S. 54 – 66. 69 WA 6, S. 404 – 469. 70 WA 6, S. 497 – 573. 71 WA 7, S. 20 – 38.
4*
48
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Als 1523 / 24 die Auseinandersetzung mit Müntzer immer heftiger wurde, forderte Luther in seiner Schrift Eyn Brief an die Fürsten zu Sachsen von den Aufruhrischen Geyst (1524)72 seine Korrespondenten zu direkter Verfolgung des „Allstedter Geistes“ auf. Da sie sich ihrer Mitverantwortung für die von ihnen nicht gewollten Folgen ihrer von den Schwärmern und Aufrührern missverstandenen Lehre bewusst waren, definierten Melanchthon und Luther in den folgenden Jahren das allgemeine Priestertum der Gläubigen neu und gaben der Rolle der Geistlichen, ihrer Ordnung und ihrem Nutzen als „Lehrer und Verkünder des Evangeliums, als Seelsorger und Berater der Gemeinde“ eine neue Rechtfertigung. Auch der Begriff „Gemeinde“ wurde neu interpretiert: Die örtlichen Obrigkeiten und die Landesobrigkeit wurden als erste und wichtigste Glieder verstanden.73 Diese Neubestimmung durch die Reformatoren wurde von ihren Gegnern als opportunistische Abkehr von der urchristlichen Gemeinde zugunsten einer Begünstigung der sächsischen Obrigkeit, die für die Wittenberger Reformatoren zur Verbreitung der neuen Bibellehre unentbehrlich war, missverstanden.74 b) Melanchthons Erläuterung seiner Rechtsauffassung gegenüber den „Schwärmern“ In diesem historischen Kontext schreibt Melanchthon seine erste Rede über das Gesetz, Oratio de legibus (1523 / 24),75 die für sein Verhältnis zur Jurisprudenz von größter Bedeutung war und deren Themen in seinen späteren Arbeiten immer wieder auftauchen.76 Die Hauptthemen dieser Schrift behandelten Fragen der Legitimität, der Geltung, der Fortgeltung und der zwingenden Kraft der weltlichen Gesetze für die Christen. In fünf Punkten können sie kurz zusammengefasst werden: 1. Melanchthon behauptet, die weltliche Ordnung mit ihrem Korpus laizistischer Gesetze, ihrer Staatsverwaltung und ihren partikularen Gesetzgebungen werde nicht von Gott verboten, sondern im Gegenteil, von ihm als notwendige und heilige Aufgabe der Menschen als Bürger anerkannt. Er begründet dies mit biblischen Zitaten,77 vor allem damit, dass Gott der Schöpfer des Rechtes in all seinen Formen sei.78 WA 15, S. 210 – 221. Ritter, Die Neugestaltung Europas im 16. Jahrhundert, S. 105. 74 Sapper, Der Werdegang des Protestantismus, S. 11. 75 „Oratio de legibus“, CR XI, S. 66 – 86, Rede Nr. 1 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 189 – 209. 76 So Hellmuth von Weber, Calvinismus und Strafrecht, S. 41. 77 Röm. 13. 2.4 (Unterordnung unter die Obrigkeit), 1. Tim. 1.9 (Die wahre Rolle des Gesetzes), 1. Mose 9, 6. 78 „Et quia vetuit Deus humano artificio imaginem sui fingi seque e suo sermone cognosci voluit, ubi se nobis velut in tabula delineavit, petemus et nos e sacris literis, quid de civilibus 72 73
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
49
2. Zwischen Religion und weltlicher Gesetzgebung lasse sich kein Widerspruch feststellen. Zur Lösung der alltäglichen Konflikte sollten weltliche Gerichte angerufen werden, die über die rechtlichen Angelegenheiten entweder nach mosaischem oder nach heidnischem Recht zu urteilen hätten. Mit heidnischem Recht meint Melanchthon ausschließlich das römische Recht in dem von Justinian verfassten Corpus iuris, das im Laufe des 16. Jahrhunderts in den deutschen Territorien rezipiert worden war. Mit dem Vorschlag, bei der Anwendung weltlichen Rechts entweder heidnisches oder mosaisches Recht heranzuziehen, reagierte Melanchthon auf die radikale Einstellung der Schwärmer. Er verabschiedete sich damit definitiv auch von einem Modell, wie es noch in den Loci zumindest angedeutet war und als Einheit von göttlichem und weltlichem Recht verstanden werden konnte. 3. Im Gegensatz zu den radikalen Schwärmern betont Melanchthon die absolute Notwendigkeit, die geltenden Gesetze zu respektieren, sie anzuwenden und nicht zu ändern.79 Sie bildeten die rechtliche Struktur der Gesellschaft, die Ruhe, Ordnung, Frieden und Sicherheit der Rechtssprechung sichern solle. Fehle eine solche gesetzlich bestimmte Struktur oder würde die Jurisprudenz durch ständige Gesetzesänderungen verunsichert, wären der Willkür, der Torheit und Bosheit der Menschen und insbesondere auch der Machtausübung der Staatsführer, keine Schranken mehr gesetzt.80 4. Die Gesetzgebung nach römischem Recht ist nach Melanchthon die geeigneteste, um die öffentliche Ordnung zu sichern. Das Corpus iuris ist nicht nur von zahlreichen politisch-philosophischen Überlegungen der besten antiken Staatsdenker über die Aufgabe und Organisation des Staates geprägt, sondern auch von den gelehrtesten Staatsführern im Laufe der Jahrhunderte bearbeitet und zusammengefasst worden.81 Wegen der jahrhundertlangen Erfahrungen und des gelehrten Inhalts schien sich das römische Recht für eine Erneuerung der geltenden Gesetze legibus divinus spiritus decreverit.“; CR XI, S. 69, Rede Nr. 1 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 191, Z. 66 – 69. 79 „Nam ut sine valetudinis iactura nemo victus rationem mutat, ita nec leges sine publica perturbatione mutantur. Nec ad civitatum ocium et ad concordiam stabiliendam quidquam perinde conducit, atque veterum legum morumque conservatio, quod cum urbium exempla passim testantur ( . . . )“; CR XI, S. 73, Rede Nr. 1 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 195, Z. 228 – 232. 80 „Porro ubi magistratuum arbitrio sine certis legibus res iudicantur, cum in imperitorum, saepe etiam improborum potestate ius sit, fit ut per imperitiam saepe magistratus aequi et iniqui discrimen non perspiciat.“; CR XI., S. 74 f.; Rede Nr. 1 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 196 f., Z. 266 – 269. 81 „Iam cum Romani literas nos artes aliasque docuerint, quid fuit cur non illorum leges etiam imitaremur, cum nulla fuerit respublica, quae aut plura nobis, aut illustriora virtutis humanitatisque exempla aut humaniores leges proponere potuerit? Fuit illud omnino unicum virtutis atque humanitatis in terris domicilium“; CR XI. S. 79; siehe Melanchthons Plädoyer zugunsten des römischen Rechtes in Oratio de legibus, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 201 ff., ab Z. 417.
50
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
durch eine Abkehr vom mos italicus am besten zu eignen. Bei Letzterem war das Recht nämlich durch die unübersichtliche Fülle der Kommentare an vielen Stellen nicht mehr verständlich und deshalb unbrauchbar. Neben die vielen partikularen Gewohnheitsrechte der deutschen Territorien trat das akademisch gelehrte Recht. Dieses bot jedoch nur noch Anlass für endlose pseudo-gelehrte Diskussionen und war keine Alternative, um die gewünschte Rechtseinheit im Reich zu erreichen. Die auf der Basis der Glosse verfassten akademischen Gutachten für die Lösung rechtlicher Konflikte führten weithin zu juristischen Spitzfindigkeiten, die sich stark von den alltäglichen rechtlichen Bedürfnissen der Bürger entfernten. Dennoch erkennt Melanchthon die Bemühungen der ersten Kommentatoren, die das Corpus iuris durch ihre exegetischen Erklärungen gründlich erläutert hatten, trotz seiner Abneigung gegen die Spätscholastiker und ihr schlechtes Latein als unschätzbaren Reichtum für die Jurisprudenz an.82 5. Dennoch wird Melanchthon sein ganzes Leben lang nicht müde, seine Kritik an den Scholastikern und ihren Grundsätzen immer wieder zu erneuern. Seit seiner Antrittsrede von 1518 bietet ihm diese Thematik nicht nur einen Anlass zur Darstellung seines humanistischen Bildungsprogramms, sondern auch zur Verspottung der „doctorculi“. Die pädagogisch begründete Forderung ad fontes solle auch in der Jurisprudenz rezipiert werden. Es sollten die ursprünglichen Texte des römischen Rechts wieder gelesen, die verwirrende Menge der Kommentare dagegen abgeschafft werden. Nur durch diese Veränderungen des universitären Rechtsstudiums werde es zu der gewünschten Verbesserung der Gerichtspraxis kommen, so die Leitlinie des praeceptor Germaniae. In allen seinen Reden und Schriften nimmt der pädagogische Diskurs daher einen wesentlichen Platz ein. Als besorgter Lehrer und Mentor fordert Melanchthon seine Studenten immer wieder zu dem so verstandenen vertieften humanistischen Studium auf und verlangt von ihnen als Christen Fleiß, Tüchtigkeit und Tugend. Er wiederholt regelmäßig, wie wichtig das humaniarum literarum studium sei. Die elegantes literae, also die Geschichte, die Philosophie und vor allem das Verständnis der Antike seien für das Erreichen dieses Zieles unerlässlich.83 Zu seinem pädagogischen Diskurs gehört dann auch das Insistieren einer sittlichen Erziehung; die enge Verknüpfung mit der christlichen Morallehre ist jetzt zu erkennen. Ab 1525 wurde die Hervorhebung des Wertes des römischen Rechtes zu einem Hauptthema seiner Reden. In den Loci communes (1521) stand expressis verbis noch nichts über das römische Recht. Nur der Begriff ius civilis kam vor. Doch die nur selten expliziten Sätze über dessen konkrete Anwendung stehen hauptsächlich im Zusammenhang mit seiner Kritik an der Heuchelei des geltenden Rechts, wozu dessen Widerspruch zum Naturrecht in puncto Sklaverei und Vergeltungsstrafen gehören: 82 Auch der Jurist Claudius Cantiuncula betont die Wichtigkeit der mittelalterlichen Kommentatoren in seiner Rede „Oratio Apologetica in patrocinium iuris civilis“ 1522. 83 Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 82 – 90.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
51
„Sunt et in iure civili, quod ita vocant, pleraque affectus magis humanos quam naturales leges prae se ferentia. Quid enim est a lege naturae alienius servorum captivitate? Et inciviliter nullis non contractibus praetexitur id, quod interest. Bonus vir attemperabit civiles constitutiones aequo ac bono, hoc est, tum divinis tum naturalibus legibus, contra quas, quidquid constituitur, non potest non iniquum esse.“84
II. Die Zwei-Reiche-Lehre Eine Hierarchie unter den normativen Quellen zu konstruieren macht nur dann Sinn, wenn diese nicht gleichrangig sind. Die Abhängigkeit des weltlichen von dem naturrechtlichen bzw. göttlichen Recht setzt logischerweise die Möglichkeit der Trennung der einzelnen Bereiche voraus. Dem Einheitsmodell steht deshalb die Zwei-Reiche-Lehre gegenüber. Den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium und deren Anwendungsbereichen hatte Melanchthon schon in den Capita im Jahre 1520 formuliert85 und 1521 in den Loci communes dann erneut betont: „Duae in universum scripturae partes sunt, lex et evangelium. Lex peccatum ostendit, evangelium gratiam. Lex morbum indicat, evangelium remedium ( . . . ).“86 84 CR XXI, S. 120. „Auch findet man im sogenannten bürgerlichen (weltlichen) Recht vieles, das eher menschliche Affekte zur Schau trägt als Naturgesetze [beinhaltet]. Denn was widerspricht mehr dem Naturrecht als die Gefangenschaft der Leibeigenen? Und in tyrannischer Weise wird ohne alle Verträge das als Verwand benutzt, was Interessen dient. ( . . . ) Ein guter Mann wird die bürgerlichen (weltlichen) Verordnungen an das, was recht und billig ist, d. h. an die göttlichen und natürlichen Gesetze anpassen und [alles], was gegen diese [Gesetze] verordnet wird, kann nur unrecht sein“, Übersetzung Pöhlmann, S. 111. 85 CR XXI, S. 30. „Discrimen legis et evangelii“. Die Formulierung im Text ist aus Luthers Freiheitsschrift von 1520 übernommen: „. . . universam scripturam dei in duo partiri, Praecepta et promissa“ („De liberate christiana“, WA 7, S. 52, Z. 24 f.). Melanchthon kannte auch die Formulierung aus Luthers „Enarrationes“ vom März 1521: „ . . .universa scriptura totiusque theologiae cognitio pendet in recta cognitione legis et evangelii“; „ . . .die ganze [Hl.] Schrift und Theologie hängt von der rechten Erkenntnis von Gesetz und Evangelium ab.“, WA 7, S. 502, Z. 34 f. Eine entscheidende Vorlage sind sicher Luthers Vorlesungen über den Römerbrief 1515 / 16 und den Galaterbrief 1516 / 17 gewesen. In der ersten Vorlesungsreihe erklärt Luther: „Das Gesetz und Evangelium unterscheiden sich eigentlich darin, dass das Gesetz verkündigt, was zu tun und zu lassen ist ( . . . ) das Evangelium aber verkündet die Vergebung der Sünde und das – nämlich durch Christus – erfüllte Gesetz. Daher sagt das Gesetz dies: Bezahle, was Du schuldig bist! (Mt.18,28) Das Evangelium aber sagt dies: Dir sind deine Sünden vergeben (Mt. 9,2)“, Scholien, WA 57, S. 59, Z. 18 – 20, S. 60, Z. 1 f. Die Römerbriefvorlesung weist auf die Dialektik des Augustinus („De spiritu et lit. c. 19“) hin: „Das Gesetz ist gegeben, damit die Gnade gesucht wird, die Gnade ist gegeben, damit das Gesetz erfüllt wird. ( . . . ) Denn durch das Gesetz muss die Sünde aufgewiesen werden, durch die Gnade muss sie geheilt werden“ (Scholien WA 57, S. 158, Z. 11 ff.). Auch in den Römerparaphrasen des Erasmus findet sich der Gegensatz zwischen lex und evangelium wieder („Op. omn.“ hrsg. von Clericus, Bd. 7, S. 779 f. zu Röm. 1,1, S. 786 zu Röm. 3, 19 f., S. 816 zu Röm. 11, 28.) 86 CR XXI, S. 139. „Die [Hl.] Schrift besteht aufs Ganze gesehen aus zwei Teilen, aus dem Gesetz und dem Evangelium. Das Gesetz hält die Sünde vor Augen, das Evangelium die
52
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Was in den Capita „Christus non est legislator, sed impletor“87 heißt, lautet in den Loci so: „Tamen non est Christi primarium ac proprium officium legem condere, sed gratiam donare. Moses legum lator est et iudex, Christus salvator. . .“88
Dieser Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium spielte in der scholastischen Tradition keine Rolle. Melanchthon fand ihn bei Luther und Erasmus in deren exegetischen Schriften zu Paulus thematisiert89 und übernahm ihn als Grundgedanken in allen seinen Reden über das Gesetz. In der Rede De legum fontibus et causis (1550) entwickelt und begründet er z. B. ausführlich seine Meinung über die Verschiedenheit von Evangelium und weltlicher Herrschaft: „Est enim Evangelium vox divina, propter filium Dei adferens remissionem peccatorum et lucem ac iustitiam cordis ac haereditatem vitae aeternae, ubicumque sunt, etiam in diversis imperiis.“90
Die Formulierung erinnert an die Definition des Naturgesetzes, das „von Gott den menschlichen Herzen (mentibus humanis) eingeprägt worden“ sei, nämlich „eine uns von Gott eingepflanzte Regel, um über moralische Belange zu urteilen.“91 Das Evangelium gilt für alle Christen. Aber die Gesetze und die Herrschaftsformen können durchaus verschieden sein. Als Grundelemente der Gesellschaftsstruktur werden die anzuwendenden Rechtsnormen und der politisch-gesellschaftliche Rahmen ihrer Anwendung verstanden. Der Wirkungsbereich der politischen Herrschaft ist dabei genau definiert: Die weltliche Regierung übt ihre Macht über Gnade; das Gesetz weist die Krankheit auf, das Evangelium die Arznei“, Übersetzung Pöhlmann, S. 158 – 161. 87 CR XXI, S. 29 f. „Christus ist kein Gesetzgeber, sondern [Gesetz-]erfüller. ( . . . ) Man muss Christus nicht für einen Richter halten“. 88 CR XXI, S. 146. „Dennoch ist es nicht das erste und eigentliche Amt Christi, ein Gesetz zu schaffen, sondern Gnade zu geben. Mose ist der Gesetzgeber und Richter, Christus der Retter. . .“, Übersetzung S. 175. 89 Der Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium („discrimen legis et evangelii“), meint Pöhlmann, wird von Melanchthon schon in den „Capita“ 1520 vertreten. Die Formulierung geht wohl auf Luthers Freiheitsschrift von 1520 zurück, wo der Satz steht: „. . . universam scripturam dei in duo partiri, praecepta et promissa“ („De liberate Christiana“, WA. 7, S. 52, Z. 24 f.). In der deutschen Fassung der Freiheitsschrift heißt es entsprechend: „Die ganze Hl. Schrift „ist“ in zweierlei Worte eingeteilt, welche sind Gebot oder Gesetz Gottes und Verheißung oder Zusagen“ („Von der Freiheit eines Christenmenschen“, WA. 7, S. 23, Z. 29 f.). 90 CR XI, S. 921. „Das Evangelium ist nämlich die göttliche Stimme, die um Gottes Sohnes willen die Befreiung der Sünder bringt und das Licht und die Gerechtigkeit des Herzens sowie die Erbschaft des ewigen Lebens, wo immer sie auch sind, auch in verschiedenen Reichen.“, Rede Nr. 9 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 264, Z. 163 f. 91 CR XXI, S. 117. „Quod vero dico leges naturae a deo impressas mentibus humanis, volo earum cognitionem esse quosdam, ut isti loquuntur, habitus concreatos, non inventam a nostris ingeniis, sed insitam nobis a deo regulam iudicandi de moribus.“, Übersetzung Pöhlmann, S. 103.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
53
eine äußere Pflichtordnung (politica gubernatio – externa disciplina), über verschiedene Eigentumsformen (distinctio dominiorum), über Verträge (contractus), Urteile (iudicia) und Strafen (poenae) aus.92 Das Gemeinwesen wurde von Gott als Rahmen des menschlichen Lebens geschaffen. Die konkreten Rechtsnormen aber, die dieses Zusammenleben organisieren, lenken und vor Zerstörungen durch private Verbrechen, durch Staatsverbrechen oder schwärmerische revolutionäre Störungen beschützen sollen, müssen von den Menschen selbst gesetzt werden. Dass die Menschen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten unterschiedliche Bedürfnisse haben, die sich in den politischen Strukturen widerspiegeln, erklärt die Verschiedenheit der weltlichen Rechtsordnungen. Solange sie mit den Naturgesetzen übereinstimmen, stehen sie nicht in Widerspruch zum Evangelium: „Ita politica sapientia ex firmissimis notitiis extruitur, quae divinitus insitae sunt humanis mentibus, nec impediunt, nec delent Evangelium.“93
Gesetze und weltliche Ordnung lenken nicht nur unterschiedliche Wirkungsbereiche, sondern im Evangelium wird sogar die Existenz eines unabhängigen weltlichen Rechtssystems explizit anerkannt.94 Daher sei es auch nicht erforderlich, dass die Gesetze und die weltliche Ordnung ausschließlich nach mosaischem Recht festgelegt werde. Melanchthon fährt in dieser Rede mit einer Reihe von Argumenten fort, die seinen Beweis verstärken sollen. Am Beispiel des Cornelius der Apostelgeschichte95 erklärt er, dass es auch „gottgefällige und fromme Regenten in anderen Reichen außerhalb des mosaischen Staates“96 gegeben habe. Die Lehre des Neuen Testaments unterscheidet sich stark von der des Alten Testaments. Das Evangelium gehöre der ganzen Menschheit und sei deswegen von der mosaischen Lebensform zu trennen. Der beste Beweis für die Richtigkeit dieser Aussage sei die als Gottesurteil geltende Zerstörung des antiken jüdischen Staates.97 92 „Oratio de legum fontibus et causis“, CR XI, S. 922, Rede Nr. 9 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 265, Z. 167 ff. 93 CR XI, S. 922. „So entsteht politische Weisheit aus den allersichersten Kenntnissen, die von Gott her dem menschlichen Verstand eingefügt sind und das Evangelium weder hindern noch es zerstören.“ Rede Nr. 9 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 265, Z. 170 ff. 94 CR XI, S. 922. „Und nicht wollte Gott jemals, sooft er Völker zur Gemeinschaft seiner Kirche gerufen hat, die mosaische politische Ordnung auferlegen. Vielmehr hat er erlaubt, dass die einzelnen Reiche nach ihren eigenen Gesetzen regiert würden.“ „Nec voluit Deus unquam, quoties gentes ad societatem Ecclesiae suae vocavit, imponere politiam Mosaicam, sed imperia singula suis legibus regi permisit.“ Rede Nr. 9 bei Kisch, Melanchthons Rechtsund Soziallehre, S. 265, Z. 173 ff. 95 Act. 10.22 sqq. 96 „quae ostendunt, placuisse Deo pios gubernatores in aliis imperiis extra Mosaicam politiam.“, Rede Nr. 9 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 265, Z. 179 f., CR XI, S. 922.
54
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Zum Gehorsam gegenüber ihrer Staatsführung und den bestehenden heidnischen Gesetzen seien die Menschen durch Gottes Befehl verpflichtet, aber nur, sofern diese mit dem Naturrecht, „aus dem die Gesetze und die weise Herrschaft über das bürgerliche Leben geschaffen sein möchte“,98 übereinstimmten; Bedingungen, die nach Melanchthon unbestritten die weisen, gottgefälligen und gelehrten römischen Gesetze erfüllten. In der Lehre des Reformators entspricht die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium derjenigen zwischen der strikten Geltung der Rechtsnormen und der Billigkeit, nach der das Evangelium die allermildeste Epieikeia des Gesetzes99 bedeutet. In weiteren Deklamationen über die Billigkeit hat er dieses Verhältnis näher dargestellt.100 Schließlich wird in dem letzten Satz der Rede De veris legum fontibus et causis (1550) die Trennung zwischen den geistlichen und weltlichen Bereichen und deren Aufgaben für die Gemeinde hervorgehoben. Ihre Abhängigkeit voneinander trotz ihrer Gegensätzlichkeit verdeutlicht Melanchthon durch „dialektische“ Parallelen bei „Ecclesia et honestas politia“ und „vera invocatio et obedientia“. Trotz der klaren Trennung zwischen weltlichem und geistlichem Bereich, zwischen Gesetz und Evangelium und trotz seiner Bewunderung für das römische Recht, dessen Anwendung in der juristischen Praxis er fordert, wiederholt Melanchthon auch in dieser Rede, dass das Recht und die politische Ordnung Gottes Geschenke seien, die aus dem göttlichen Recht stammten und dass der Schutz der Gesetze eine Gott geschuldete Aufgabe sei. Diese besondere Hierarchie der Rechtsnormen bei Melanchthon bestätigt noch einmal, dass die Naturrechtslehre vor allem auf biblischen Aussagen beruht. Sie bekräftigt die gegenseitigen Abhängigkeiten der drei Kategorien der Gesetze, wobei sich die Naturgesetze und die leges divinae als oberste Rechtsquellen den nachrangigen menschlichen Gesetzen, die sich den obersten anzupassen haben, gegenüberstehen.
97 „Evangelium pertinere ad universum genus humanum et procul discernenedum esse a politia Mosaica, quod quidem et illo tristi iudico Deus ipse ostendit, cum respublicam Iudaicam funditus delevit.“, Rede Nr. 9 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 265, Z. 186 – 189, CR XI, S. 922. 98 „. . . ius naturae, ex quo vult Deus extrui leges et sapientiam gubernatricem vitae civilis.“, Rede Nr. 9 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 265, Z. 193 ff., CR XI, S. 922. 99 „Evangelium mitissima aequitas legis“, Rede Nr. 9 bei Kisch, Melanchthons Rechtsund Soziallehre, S. 266, Z. 234 f., CR XI, S. 923. 100 Die Rede „De aequitate et iure stricto ex l. Placuit C. de iudiciis [3.I.8]“ 1542, in dem „Oratio de stricto iure et aequitas ex l. Placuit Codice de iudiciis [3.I.8]“ 1544 und in dem „Oratio de lege Placuit, Cod. de iudiciis [3.I.8]“ 1554.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
55
D. Die Lehre vom Naturrecht in der Zeit Melanchthons I. Melanchthons Naturrechtslehre in ihrem historischen Kontext101 Melanchthons Naturrechtslehre steht in einer langen Tradition, die über die griechischen Sophisten des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, über Heraklit (540 – 480 a.Chr.) bis zum ersten Gesetzgeber Athens, Solon (640 – 558 a.Chr.), zurückreicht. Platon (428 – 348 / 347 a.Chr.) und Aristoteles (384 – 322 a.Chr.) hatten dann deren Reflexionen über das Naturrecht aufgegriffen und entscheidend weiterentwickelt. Das mittelalterliche Denken knüpfte an die aristotelische Tradition an und betonte die politische Natur des Menschen sowie die von ihr anerkannte Veränderlichkeit des Naturrechts, der die Vielfältigkeit der menschlichen Rechtsordnungen entsprach.
1. Die Rezeption der antiken Naturrechtsphilosophie Mit der Rezeption des platonisch-aristotelischen Naturrechts in der älteren Stoa hatte sich im 3. Jahrhundert die Naturrechtslehre weiter entwickelt. Für sie war die einheitliche menschliche Vernunft ausschlaggebend, die in den Rechtsordnungen aller Völker zu finden war, soweit diese in Übereinstimmung mit dem Naturrecht standen. Auch für die tatsächliche Vielfalt der einzelnen positiven Rechtsordnungen unter den Völkern (ius civile) hatte die stoische Rechtslehre eine Erklärung. Wich das besondere Recht von den Prinzipien des Naturrechts ab, wurde dies in der christlichen Zeit mit der sündenhaften Natur der Menschen in Verbindung gebracht. Dieses Spannungsverhältnis zwischen ius civile und ius gentium (ius naturae) wird ein Jahrhundert nach Cicero (106 – 43 a.C.) von der sabinianischen Rechtsschule und dort besonders prägnant von dem Juristen Gaius in das römische Recht (D. 1 1,1 – 9)102 eingeführt. Ulpian dagegen identifizierte das ius naturale mit den (Rechts-)Bestimmungen der Natur, die die Menschen mit allen Tieren gemeinsam haben und demgemäss gerade nicht das den Menschen vorbehaltene Zivilisationsrecht betrafen.103 Bei Ulpian stehen also der statu naturalis (Wildheit) und der 101 Zur Bestimmung des Begriffs „Naturrecht“ soll hier allein auf die Definition im Historischen Lexikon (Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart, 1978) verwiesen werden; weiterführende Literatur kann über das Lexikon der Philosophie (von Franz Austeda, 6. Auslage, Wien, 1989) erschlossen werden. 102 „Omnes populi, qui legibus et moribus reguntur, partim suo proprio, partim communi omnium hominum iure utuntur. Nam quod quisque populus ipse sibi ius constituit, id ipsius proprium civitatis est vocaturque ius civile, quasi ius proprium ipsius civitatis. Quod vero naturalis ratio inter omnes homines peraeque custoditur; vocaturque ius gentium, quasi quo iure omnes gentes utuntur.“, Digesten 1,1,9. 103 „Ius naturale est, quod natura omnia animalia docuit“, Digesten 1.1.1.
56
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
statu civilis (Zivilisation) gegenüber.104 In den Institutionen Justinians ist dieses spezifisch menschliche, auf die Vernunft gegründete Recht, in dem die Völker übereinstimmen, schließlich in Gaius’ Sinne105 als Naturrecht aufgefasst worden.106 Die antike Naturrechtsphilosophie war von der Überzeugung gekennzeichnet, dass die ewige Ordnung der menschlichen Natur die Grundlage allen universal verbindlichen Rechts und die menschliche Vernunft für diese Rechtserkenntnis ausreichend sei. Von dieser Auffassung trennte sich das christliche Verständnis des Naturrechts mit dem überlegenen Prinzip der göttlichen Offenbarung nicht grundsätzlich. Denn kraft seiner Vernunft kann der Mensch eine gewisse Einsicht in den göttlichen Heilsplan nehmen. So wurden die griechischen Naturrechtsanschauungen weitgehend rezipiert und ihre Ideen mit den Präzepten des Neuen Testaments inkorporiert. Diese Rezeption wurde zunächst von Augustinus (354 – 430) geleistet, aber dann auch durch Thomas von Aquin (1225 – 1274).
2. Neue Richtung der Naturrechtslehre mit Scotus und Ockham Erst Johannes Duns Scotus (1266 – 1308) setzte dieser unkritischen Rezeption ein Ende.107 Zur Scotus’ Zeit war die Trennung zwischen staatlichem Recht und religiöser Moral prinzipiell vollzogen. Fragen nach dem Zweck des Gemeinlebens und nach der Grenze des Widerstandsrechts wurden gestellt. Als die christliche Religion institutionalisiert wurde und in der Staatskirche des römischen Reiches ihre Verankerung erhielt, wurde die im römischen Recht grundsätzlich vollzogene Trennung von Recht und Moral neu überdacht. Erste systematische Darstellungen der Naturrechtslehre finden wir bei Isidor von Sevilla, bei den Dekretisten und vor allem in der Summa theologiae des Thomas von Aquin. Die Dreiteilung des Rechtes in ius naturale, ius gentium und ius civile wird von den Juristen den Institutionen Justinians entnommen. 104 „Ius gentium est quo gentes humanae utuntur: quod a naturali recedere facile intellegere licet; quia illud omnibus animalibus, hos solis hominibus inter se commune sit.“, Digesten 1.1.1. 105 „Naturalia quidem iura quae apud omnes gentes peraeque observantur, divina quadam providentia constituta, semper firma atque immutabilia permanent; ea vero quae ipsa sibi quaeque civitas constituit, saepe mutari solent.“, Inst. 1,2,11. 106 Voggensperger, Der Begriff „Ius naturale“ im römischen Recht. 107 Zu den Grundlagen der Geschichte des Naturrechts, vgl. Flückiger, Geschichte des Naturrechts, Bd. I: Altertum und Frühmittelalter, Gans, Naturrecht und Universalrechtsgeschichte, Ilting, Art. „Naturrecht“, S. 245 – 313, Rommen, Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, Stratenwerth, Die Naturrechtslehre des Johannes Duns Scotus, Tanner, Der lange Schatten des Naturrechts, Thieme, Das Naturrecht und die europäische Privatrechtsgeschichte, Weigand, Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten, Weinkauff, Das Naturrecht in evangelischer Sicht, S. 210 – 218, Wolf, Zur Frage des Naturrechts bei Thomas von Aquin und bei Luther.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
57
Bei Thomas von Aquin werden dagegen lex aeterna, lex naturalis, lex humana und lex divina voneinander unterschieden. In Anlehnung an die aristotelische Vorstellung von der Veränderlichkeit des Naturrechts räumt auch Thomas ein, dass unter gewissen Umständen (in aliquo particulari et in paucioribus)108 Ausnahmen vom Naturrecht zugelassen werden können. Duns Scotus’ Kritik am traditionellen Naturrecht gab der Naturrechtsdiskussion eine völlig neue Grundlage. Statt die Quelle der naturrechtlichen Prinzipien in den beiden Tafeln des Dekalogs zu sehen, sah er allein die beiden ersten Gebote als Grundlage des Naturrechts. Er behauptete, dass die Gebote der zweiten Tafel nicht aus dem in der ersten Tafel enthaltenen Gebot der Gottesliebe abgeleitet seien. Als Basis des positiven Rechts betrachtete er den Grundsatz: „Pacifice esse vivendum in communitate vel politia“.109 Die Anerkennung des Privateigentums, bis dahin eine notwendige Institution für die Aufrechterhaltung des menschlichen Lebens, bedeutet für Scotus nicht unbedingt eine Garantie des friedlichen Zusammenlebens. Dies sei auch im Rahmen eines auf Gemeinbesitz gegründeten Systems möglich. Die Gebote der zweiten Tafel gehören in seinem Verständnis nur im weiteren Sinne zum Naturrecht. Bei ihm dominieren nicht die natürlichen Zwecke und Triebe, sondern die logischen Strukturen normativer Verhältnisse und die Synthese praktischer Sätze. Dieser brachte ihn zu der Erkenntnis, dass die Verbindlichkeit solcher Sätze nicht in der Vernunft, sondern in dem Willen gesucht werden müsse. Er führte die Naturauffassung damit auf den göttlichen Willensakt bei der Schöpfung der Welt zurück. In diesem Sinne hat Scotus durch seine neuen naturrechtlichen Prinzipien die Grundlage für eine voluntaristische und rationale Normentheologie geschaffen, die sich erst im rationalen Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts vollständig entfalten konnte, nachdem der Prozess der Säkularisierung des rechtlichen und moralischen Denkens abgeschlossen war. Auf Scotus’ Spuren entwickelte sein Schüler Wilhelm von Ockham zusammen mit Gregor von Rimini den rationalen Aspekt des Naturrechts weiter. Die spanische Spätscholastik des 16. Jahrhunderts sollte mit Suárez, Vásquez und anderen versuchen, einen Kompromiss zwischen den voluntarischen und objektiven Richtungen im nachscotischen Naturrecht zu finden.110 3. Die Rezeption des Naturrechtsgedankens bei den Reformatoren Unbeeinflusst von diesen Entwicklungen übernahmen die deutschen Reformatoren die voluntarischen Prinzipien des göttlichen Naturrechts nach Ockham. Luthers 108 109 110
„Summa theologiae“, qu.94, art. 5c und ad 3. Johannes Duns Scotus, „Opus Oxoniense“ 3, 37, 1, schol. n. 8. Geschichtliche Grundbegriffe, S. 266 – 274.
58
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Schrift „De servo arbitrio“ mit ihrer Lehre von der ausschließlichen Allmacht Gottes bezeugt dies.111 Luthers Naturrechtsauffassung verbindet die paulinische Lehre der „lex cordibus inscripta“ (Römerbrief) mit der naturrechtlichen Deutung des Dekalogs durch die Kirchenväter. Wesentlich ist dennoch die Auffassung des Sündenfalls und seiner Folgen für die menschliche Natur. Die Akzeptanz der korrumpierten Natur führte Luther dazu, der Wirksamkeit der Naturgesetze und der natürlichen Vernunft engere und unüberwindliche Grenzen zu setzen. Gleichwohl betrachtet er das ins menschliche Herz eingepflanzte Naturgesetz als mit dem göttlichen Gesetz untrennbar verbunden und auf Christus ausgerichtet. Luthers Zwei-Regimente-Lehre entspricht mithin dem Dualismus von göttlichem Naturgesetz und menschlichem Naturrecht.112 Für die Sünder tritt der Zwangs- und Sollenscharakter des Rechts in den Vordergrund. Der Zweck dieses zwingenden Charakters besteht in der Aufrechterhaltung der guten Ordnung der weltlichen Dinge – mit dem indirekten Ziel, den Menschen in ein rechtes Verhältnis zu Gott zu setzen. Dieser Charakter des Rechtes erklärt auch die strenge Haltung der Reformatoren in der Frage der Pflicht der Christen zum Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit. Dennoch unterscheiden sich die Reformatoren in bestimmten Punkten voneinander. Zu denken ist an Calvin und seine Anlehnung an stoisches Gedankengut, das er mit der Gottesebenbildlichkeit des Menschen in Verbindung bringt. Der Staat erhält bei ihm so eine positive Wertung. Calvin betrachtet ihn als notwendiges Mittel des Kampfes gegen die sündhafte Natur des Menschen und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung – Gedanken, die man ebenso auch bei Melanchthon hätte finden können. Mit Bodins Politik und der Naturrechtslehre von Thomas Hobbes erreicht die christliche Naturrechtstradition ihren Endpunkt.113 An die Stelle der Allmacht Gottes tritt der weltliche Souverän als der vom Naturrecht anerkannte Herrscher. Mit diesen neuen Prinzipien der Souveränitätslehre ist eine neue Ära der Naturrechtsgeschichte eröffnet, die hier nicht weiter erforscht werden soll. 4. Die Rezeption der Naturrechtslehre insbesondere bei Melanchthon Innerhalb des betrachteten Rahmens zeichnet sich Melanchthons Naturrechtslehre dadurch aus, dass sich in ihr die aristotelischen, ciceronischen und stoischen 111 „Deus est, cuius voluntatis nulla est caussa nec ratio, quae illi ceu regula et mensura praescribatur, cum nihil sit illi aequale aut superius, sed ipsa est regula omnium. Si enim esset illi aliqua regula vel mensura aut caussa aut ratio, iam nec Dei voluntas esset posset. Non enim quia sic debet vel debuit velle, ideo rectum est, quod vult. Sed contra: Quia ipse sic vult, ideo debet rectum esse, quod fit.“, WA Bd. 18, S. 712, 32. 112 Heckel, Naturrecht und christliche Verantwortung im öffentlichen Leben, S. 45. 113 Geschichtliche Grundbegriffe, S. 277.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
59
Traditionen der Antike mit denen des Mittelalters und der Scholastik verbinden. Für Melanchthon ist das ius naturale die Grundlage seiner rechts- und sozialethischen Weltanschauung. Deshalb gilt er nicht nur als Begründer der naturrechtlichen Staatsauffassung im Protestantismus, sondern auch als Bindeglied zwischen der Naturrechtslehre des Mittelalters und der des 17. Jahrhunderts.114 Die traditionelle Unterscheidung zwischen lex humana, lex divina und lex naturae übernimmt Melanchthon in sein System, in dem er das Naturgesetz mit dem Dekalog identifiziert. Die Naturgesetze sind Ausdruck des göttlichen Rechts und bilden damit ein für alle Völker gültiges Recht (ius gentium). Für das weltliche Recht ist es deshalb verbindlich. Das Naturrecht ist darum unwandelbar. Es ist nicht nur ein allgemeiner ethisch-moralischer Grundsatz, sondern bedeutet ein wirklich geltendes Recht, das die Übereinstimmung der menschlichen Vernunft mit dem göttlichen Willen auf ewig garantieren soll. Dieses Rechtssystem bereitet Melanchthon aber in der praktischen Anwendbarkeit Schwierigkeiten. Die Hierarchie der Rechtsnormen mit dem Gebot des Gehorsams gegenüber Gott als erstem Gesetz, hält mit dem zweiten Naturgesetz „neminem laedere“ auch für das Privateigentum und – per Analogie – für das Strafrecht ein oberstes Prinzip bereit, das die sündhafte Natur des Menschen steuern soll. Privateigentum aber steht im Widerspruch zum Urstand der menschlichen Natur, für den die Gütergemeinschaft kennzeichnend sein soll. Statt diesen Widerspruch zu bestreiten, greift Melanchthon die Lehre auf und erkennt die Ungleichheit des Besitzes unter Berufung auf den Dekalog ausdrücklich an. Damit unterscheidet er wie die mittelalterliche Scholastik zwei Stufen des Naturrechts: ein unbedingtes und unwandelbares Naturrecht und ein durch die äußeren Umstände veranlasstes Naturrecht.115 Damit nimmt er eine Abstufung vor, die letztlich durch die Trennung zwischen den im Dekalog offenbarten göttlichen Gesetzen und dem Naturrecht erforderlich wurde. In Melanchthons System ist das praktische Naturrecht nicht durch eine Ableitung aus der ersten Gruppe der Gesetze entstanden, sondern bildet eine eigenständige Rechtsquelle, nach der sich die weltlichen Gesetze auszurichten haben.
114 Elert, Morphologie des Luthertums, Bd. 2: Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums, S. 311 und 351. 115 „Sic philosophi hanc notitiam ex causis quaerendi et communicandi sumptam, vocant legem naturae, etsi alii hanc partem vocant ius gentium, quod philosophi non discernunt a iure naturae. Est enim communis notitia, de qua omnium gentium sani homines consentiunt. Quod vero dicunt, iure naturae res esse communes, ordo notitiarum considerandus est. Utrumque videt mens, in natura incorrupta res posse communes esse. Ubi vero causae quaerendi et communicandi non sunt similes, ut in hac naturae corruptione, ibi mens relicto priore syllogismo, amplectitur alterum congruentem ad praesentem naturae imbecillitatem, is igitur nunc est lex naturae.“, CR XVI, S. 388.
60
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
II. Zu den Parallelen zwischen ius naturae und ius gentium in humanistischer Zeit116 Auch die Juristen des 16. Jahrhunderts haben sich dem rechtsphilosophischen Problem gewidmet, ob es unabhängig von staatlichem Recht ein Naturrecht von zeitloser Geltung oder wenigstens ein Naturrecht mit wechselndem Inhalt gäbe. Sollte Letzteres der Fall sein, war die weitere Frage zu beantworten, woran das jeweilige Genre zu erkennen sei. Die Rezeption erfasste hauptsächlich das relative Naturrecht. Oldendorp z. B. machte einen Unterschied zwischen dem absoluten Naturrecht des paradiesischen Urzustands, das mit dem Naturgesetz des göttlichen Willens zusammenfalle, und einem relativen Naturrecht der Welt, die verfallen sei. Der menschlichen Vernunft sei nur das relative Naturrecht zugänglich, schon wegen der sündhaften Natur des Menschen. Ihrer Korrektur diene das Naturrecht, das im Dekalog als offenbartes göttliches Recht zu finden war.117 Das absolute Naturrecht dagegen besteht nicht aus einer Sammlung von Einzelvorschriften, sondern beruht auf unveränderlichen Rechtsgrundsätzen, die in der Billigkeit wurzeln. Der Grundsatz der aequitas, deren causa materialis nach Aristoteles dem Naturrecht entspricht, ermöglichte es Oldendorp, die natürlichen Rechtsprinzipien der stoisch-römischen Tradition zu aktualisieren. Die Erkenntnis des Naturrechts verdankt der Mensch, so Oldendorp, seiner ratio. Die Vernunft ist jedoch nur Mittel der Erkenntnis, nicht aber Erkenntnisquelle für das Naturrecht selbst, wie dieses später auch für das neuzeitliche Vernunftrecht formuliert wird.118 Denn da die menschliche Vernunft ebenfalls sündhaft ist, bleibe der Dekalog die entscheidende Rechtsquelle des Naturrechts. Damit schreibt auch Oldendorp das christliche Naturrecht fort. Hier hatte die Unterscheidung zwischen absolutem und relativem Naturrecht erhebliche Auswirkungen auf die von den Juristen entwickelten Prinzipien des ius gentium, verstanden als „Völkerrecht“. Auf diesem Felde hatte das Naturrecht neue Rechtsbildungen hervorgebracht. Vor allem musste sich der Gedanke von souveränen Staaten als den Völkerrechtssubjekten der kommenden Zeit erst im Kampf gegen das antike Romverständnis und die universalen Mächte des Kaisers und des Papstes durchsetzen.
116 Reibstein, Völkerrecht, Bd. I: Von der Antike bis zur Aufklärung, Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte. 117 In diesem Punkt distanziert sich Oldendorp von Melanchthon. 118 Johann Oldendorp, Eisagoge iuris naturalis (1539), Samuel Pufendorf, De iure naturae et gentium (1672), Christian Thomasius, Fundamenta iuris naturae et gentium (1705) und Christian Wolff, Ius naturae (1740 / 48), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, ab S. 286.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
61
1. Das Problem der Feststellung einer völkerrechtlichen Ordnung zu dieser Zeit In der Forschung galt bis in die 1920er Jahre hinein Grotius als Begründer des modernen Völkerrechtes. Eine genaue Periodisierung der Völkerrechtsgeschichte blieb lange umstritten,119 da eine allgemeine, zeitunabhängige Definition des Völkerrechtes wegen der kontinuierlichen Veränderung der historischen Kriterien schwierig war. Wilhelm G. Grewe erläutert diese methodologische Schwierigkeit bei seiner Suche nach festen Kriterien für eine völkerrechtliche Ordnung: „Alsdann wird man von einer völkerrechtlichen Ordnung immer dann sprechen können, wenn es eine Mehrzahl relativ unabhängiger, nicht notwendigerweise gleichrangiger Herrschaftsverbände gibt, die in einem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Verkehrsverbund miteinander stehen, keiner übergeordneten Autorität mit vollständiger Rechtssetzungs-, Rechtsprechungs- und Vollzugsgewalt unterworfen sind, und die in ihren gegenseitigen Beziehungen Normen beachten, die auf Grund eines gemeinsamen, religiös, kulturell oder wie auch immer verankerten Rechtsbewusstseins für verbindlich gehalten werden.“120
Indem er die Voraussetzungen für das Vorliegen einer völkerrechtlichen Ordnung sehr weit definiert, gelingt es dem Völkerrechtshistoriker, die ganze Skala staatlicher Beziehungen zwischen gleichrangigen souveränen Staaten, über Formen relativer Unabhängigkeit bis hin zur effektiven Machtausübung eines Staates über andere Staaten zu erfassen. Folgt man dieser weiten Definition für die völkerrechtliche Ordnung, wird sichtbar, dass die Ursprünge des Völkerrechtes lange vor Grotius gelegen haben müssen. Berücksichtigt man zudem die Frühformen moderner Staatenbildung seit dem späten Mittelalter, lässt sich die historische Bedeutung der spanischen Spätscholastik des 16. Jahrhunderts für die Entwicklung einer systematischen Völkerrechtsdogmatik erkennen.121 a) Das Problem der Dualität der Universalmächte im Mittelalter Treffend scheint darum die Idee von Wackernagel zu sein, dass die moderne Vorstellung vom Völkerrecht als einer Rechtsordnung zwischen souveränen Staa119 Über das Problem der Periodisierung des Völkerrechtes, Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, insb. S. 21 f. 120 Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 26. 121 Seit den 1920er Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die spanischen Scholastiker lange vor Grotius die geistigen Grundlagen des modernen Völkerrechtes geschaffen haben; siehe dazu Näf, Die Entwicklung des Staatensystems, S. 5 ff. ders. Die Epochen der neueren Geschichte und ders. Die europäischen Staatengemeinschaft in der neueren Geschichte und auch Frühformen des modernen Staates im Spätmittelalter, S. 225 ff., Nys, Le droit de la guerre et ler précurseurs de Gotius.
5 Deflers
62
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
ten für die mittelalterliche Staatenwelt nicht passe.122 Trotz des Nichtvorhandenseins eines Staatssystems im modernen Sinn sei aber dennoch eine typische mittelalterliche Form einer Völkerrechtsordnung feststellbar.123 Die Dualität der Universalmächte Kaiser und Papst war noch am Anfang des 16. Jahrhunderts spürbar gewesen. Erst als beide Mächte in den konfessionellen Auseinandersetzungen ihre Schlichterrolle eingebüßt hatten, hatte ihre Entwicklung zu eigenständigen, in Konkurrenz zu einander stehenden und gleichwohl auf einander bezogenen Gewalten weitere Fortschritte gemacht. Obwohl mittelalterliche Denker wie der Rechtsgelehrte Bartolus de Sassoferrato (1314 – 1357) ein universalistisches Weltbild besaßen, standen sie doch auch ganz in der politischen Wirklichkeit und hatten in ihren Gutachten auch die weltlichen partikularen Verschiedenheiten kleiner und kleinster Potentaten zu berücksichtigen. Neben Augustinus’ spätantiker Civitas Dei 124 als Ausdruck der beiden kategorisch getrennten, aber doch stets aufeinander bezogenen Universalgewalten Kirche und Reich, entwickelte sich in der res publica Christiana des Mittelalters eine immer größer werdende Zahl unabhängiger Königreiche und neuer weltlicher Herrschaften. Das aus der Spätantike überkommene prinzipielle Nebeneinander von imperium und sacerdotium,125 das im frühen Mittelalter über das fränkische Eigenkirchenrecht zu einem Übergewicht des Imperiums geführt hatte, nach dem Investiturstreit aber zugunsten der kirchlichen Macht ausfiel, war unter erneuerter Stärkung des weltlichen Bereichs durch Kaiser Friedrich Barbarossa (1152 – 1190) abermals korrigiert worden. Schließlich unterlagen die Kaisertreuen aber doch der welfischen Partei, die die Autonomie der italienischen Städte betrieb und damit zugleich die Macht des Papstes in Italien beförderte. Auch die Rechtsschule von Bologna, ursprünglich auf der Seite des Kaisers, wandte sich gegen ihn und stellte die Erneuerung des Reichsgedankens nun auch juristisch in Frage.126 Wackernagel, Die geistigen Grundlagen des mittelalterlichen Rechts, S. 14 f. Das Staatensystem ist dadurch charakterisiert, dass jedes Glied dieses Systems „bei jedem Schritt, den es über den eigenen Bereich hinaus tut, auf die Interessen der anderen Rücksicht zu nehmen und mit ihnen zu rechnen hat“, zit. nach Windelband, Die Auswärtige Politik der Großmächte in der Neuzeit, S. 11. Zur Existenz eines Staatensystems in diesem Sinne siehe bei Boling-Broke, weiterentwickelt durch Heeren, Alfred Dove und Max Lenz, die ein solches Staatensystem um das Jahr 1494, also um die durch den Einmarsch Karls VIII. von Frankreich in Italien entfesselten Kämpfen, datieren. Eduard Fueter setzt in seiner Geschichte des europäischen Staatensystems, zwar zwei Jahre früher an, folgt aber grundsätzlich der gleichen Auffassung. 124 „De civitas Die“, Augustinus Werk in 22 Büchern, die zwischen 415 und 426 n.C. geschrieben und veröffentlicht wurden: Bücher 1 – 3 (413), Bücher 4 – 5 (415), Bücher 6 – 10 (417), Bücher (11 – 13), Bücher 14 – 17 (ca. 420 – 424), Bücher 18 – 22 (426). Übersetzung von Wilhelm Timme in 2 Bänden, Zürich, 1955, 2. vollständig überarbeitete Aufl., 1978. 125 Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 64. 122 123
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
63
Während der Stauferzeit127 entfaltete sich die so genannte Romanisierung des Kaisertums. Der deutsche Kaiser betrachtete sich mit dem Übergang der fränkischen Kaiserwürde auf den ostfränkischen König als dazu legitimiert, das spätrömische Reich fortzusetzen und wandte darum seit je römisches Recht als Ausdruck der kaiserlichen Gesetzgebung an. Erst später säkularisierte sich das Imperium gegenüber der sancta ecclesia, indem der nach wie vor katholische Kaiser den Anspruch formulierte, seine Macht unabhängig von der kirchlichen Anerkennung und Krönung auszuüben. Denn nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen war es ab 1453 nicht mehr notwendig, den (west-)römischen Kaiser wie bisher in Rom durch den Papst krönen zu lassen, weil nun im Verhältnis zu Ostrom nicht mehr auf die Einhaltung des Gleichgewichts geachtet werden musste. So ist auch die Kaiserkrönung Friedrichs III. im Jahre 1452 die letzte gewesen, die in Rom auf traditionelle Weise stattgefunden hatte. Die frühneuzeitlichen Kaiser konnten seitdem sehr viel leichter behaupten, dass sich ihre Herrschaftsgewalt (sacrum imperium) unmittelbar von Gottes Gnaden herleiteten, was dazu führte, dass sie ihr Amt von der Vormundschaft der römischen Kirche nun vollkommen befreien konnten. Umgekehrt musste sich einst das Papsttum bevormundet fühlen, als noch der Kaiser seine Wahl beeinflussen konnte. Seit dem Ende des Investiturstreits (1122) war die Möglichkeit zur unmittelbaren Einmischung zwar beseitigt, doch musste sich die Kirche stets mit der fortbestehenden Gefahr auseinandersetzen, wieder unter kaiserlichen Einfluss zu geraten, da spätestens seit dem 13. Jahrhundert die Herrschaft des deutschen Königs in Italien als ein Teil des Kaisertums aufgefasst wurde.128 Die Gegenreaktion ließ allerdings nicht lange auf sich warten; die Kirche entwickelte und festigte unter Gregor IX.129 und Innozenz IV. erneut weltliche Ansprüche.130 Auch deshalb kam es zur 126 Holtzmann, Der Weltherrschaftsgedanke des deutschen Kaisertums, S. 251 ff., Brackmann, Der römische Erneuerungsgedanke und seine Bedeutung für die Reichspolitik der deutschen Kaiserzeit und ders. Die Wandlungen der Staatsanschauungen im Zeitalter Kaiser Friedrich I, Rassow, Honor Imperii. Die neue Politik Friedrich Barbarossas 1152 – 1159, Scholz, Germanischer und römischer Kaisergedanke im Mittelalter. 127 Die Anfänge der Staufer (oder Hohenstaufer genannt) reichen bis in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts zurück. Die Dynastie erreichte ihren Höhepunkt unter Friedrich I. Barbarossa und Heinrich VI. und erlebte ihren Niedergang unter Friedrich II. Mit der Enthauptung Konradins im Jahre 1268 in Neapel starb das Adelsgeschlecht aus. 128 Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 64. 129 Gregor IX. (ursprünglich Ugolino Graf von Segni, geb. Anagni bei Frosinone um 1170 – gest. Rom 22. 8. 1241) förderte schon als Kardinal die neuen Orden (u. a. Franziskaner und Dominikaner) und kirchlichen Laienbewegungen entschieden. Er unterstützte die Mission und organisierte die Inquisition. Sein Pontifikat (1227 – 41) war maßgeblich von der Auseinandersetzung mit Kaiser Friedrich II. beherrscht. 130 Innozenz IV, ursprünglich Sinibald Fieschi (Genua um 1195 – Neapel 7. 12. 1254), war von 1243 bis 1254 Papst. Er berief das Konzil von Lyon (1245) ein, das Kaiser Friedrich II. absetzte.
5*
64
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Kodifikation des Kirchenrechtes als zweitem römisch-rechtlichen Gesetzbuch und zur Etablierung neuer juristischer Funktionsträger im Bereich der Kirche, den Kanonisten und Kurialisten.131 Keine Seite konnte in dem Machtstreit dauerhafte Erfolge für sich verbuchen. Nach dem Sieg der Kirche über das staufische Kaisertum und dem Interregnum von 1250 – 1273 als Tiefpunkt, an dem die kaiserliche Macht ganz zusammengebrochen war, stürzte die päpstliche Herrschaft mit dem Exil in Avignon (1303 – 1377) und dem sogenannten Schisma (1378 – 1415) ebenfalls in schwere Krisen. Der Kampf setzte sich juristisch fort im Streit zwischen den Legisten und den Kurialisten, die die jeweiligen Machtansprüche der beiden Herrschaftsgewalten zu rechtfertigen suchten. Auf der kaiserlichen Seite standen Postglossatoren wie die berühmten Rechtsgelehrten Bartolus de Sassoferato und Baldus de Ubaldis (1327 – 1400),132 während auf der anderen Seite nicht minder bedeutende Juristen zu finden waren. b) Zur Entstehung der Souveränitätslehre In diesem Streit entwickelte sich die doppelte Sichtweise der Juristen über die Machtverteilung unter den weltlichen Herrschern. Obwohl Bartolus den Kaiser de iure zum Herrn der ganzen Welt als „dominus totius mundi“ und zum „rex universalis“ erklärte, erkannte er trotz des universalen Kaisertums de facto auch die Vielzahl der anderen Formen weltlicher Gewalt, auch die des Papstes, an. Die völkerrechtgeschichtliche Forschung sieht in der Unterscheidung zwischen de iure und de facto-Argumentation den Ursprung für die Theorie der zukünftigen souveränen Territorialstaaten der Frühen Neuzeit. Baldus entwickelte die neuen Gedanken mit dem berühmten Rechtsspruch: „Rex in regno suo est imperator regni sui“ weiter, durch den die Prinzipien des römischen Rechtes, bislang ausschließlich als kaiserliches Recht angesehen, in die souveränen Landesterritorien übertragen werden konnten. Auf der anderen Seite versuchten die Kanonisten, den päpstlichen Anspruch auf die Oberherrschaft über die ganze Welt immer wieder durch eine theokratisch legitimierte Ordnung zu festigen.133 Der christliche Universalismus der Macht des 131 Im Auftrag Gregors IX. fertigte Raymund von Pennaforte 1234 die große offizielle Sammlung der päpstlichen Dekretalien an, die der kaiserlichen Gesetzgebung Friedrichs II. entgegengesetzt werden sollte. Papst Innozenz IV. hat in seinem „Apparatus ad quinque libros decretalium“ die gelegentlichen Äußerungen Innozenz III. über die päpstliche Oberherrschaft zu einem Rechtssystem und zu einer römisch gedachten Souveränität eines Hauptes der ganzen Welt – nicht mehr nur der Christenheit – ausgebaut, siehe Carlyle, A History of Mediaeval Political Theory in the West, Bd. 5, Kap. 5 – 7. 132 Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. VI, S. 137 – 184, 208 – 248. 133 Unter Bonifaz VIII. kämpften für den kirchlichen Universalimus und die päpstliche „potestas directa in temporalibus“ vor allem: Aegidius Colonna (Aegidius Romanus, Gille
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
65
Papstes und die Theorie der tatsächlichen Fortsetzung des spätrömischen Reiches durch das Kaisertum blieben jeweils Theorie. Die mittelalterliche Wirklichkeit zeigte ein anderes Bild. Existenz und Souveränität zahlreicher unabhängig agierender Staaten fanden schon zu Beginn der frühen Neuzeit durch die päpstliche Rangliste von 1504 ihre Anerkennung. In der „Ordnung der christlichen Könige“ wurden nach dem Kaiser und dem römisch-deutschen König auch die Könige von Frankreich, Spanien, Aragon, Portugal, England, Sizilien, Schottland, Ungarn, Navarra, Zypern, Böhmen, Polen und Dänemark genannt.134 Diese doppelte Sichtweise findet man auch bei Melanchthon. Zu dem auf seiner religiösen Überzeugung und der naturrechtlichen Weltanschauung beruhenden universalen Weltbild tritt eine differenzierte Betrachtung der Notwendigkeit, die Existenz weltlicher Gewalten auch außerhalb der Universalmächte anzuerkennen.135 Konkreter Ausdruck dafür sind seine Äußerungen über das anzuwendende (mosaische oder römische) Recht. Obwohl Melanchthon auf das ius gentium nicht in allen seinen Orationes de legibus eingeht, sondern es nur in der „Oratio de dignitate legum“ von 1543 erwähnt und auch da nicht näher behandelt, wird seine Naturrechtslehre oft als Grundlage für Grotius’ völkerrechtliche Gedanken zitiert.136 Dem soll mit den beiden Fragen nachgegangen werden, inwiefern die Lehre des Naturrechtes mit der des Völkerrechtes verbunden ist und ob eine Verbindung zwischen Melanchthons Naturrechtslehre und dem spanischen Völkerrecht des 16. Jahrhunderts besteht.
2. Das ius gentium als zwischenstaatliches Recht Der Gedanke für eine grundlegende Verknüpfung zwischen dem Naturrecht und dem Völkerrecht liegt darin, dass die partikularen Gesetzgebungen Normen enthalten, die für alle Menschen gleichermaßen gültig sind. Das rechtsphilosophische Konzept, das der schon im antiken römischen Recht ausgeformten Lehre von ius gentium als einem allgemeinen Zivilisationsrecht zu Grunde liegt, öffnet sich leicht dem Gedanken, dass es auch unabhängig von konkreten Verträgen zwischen den Völkern allgemeine Prinzipien geben muss, die für sie schon deshalb verbindlich sind, weil sie die allgemeine Vernunft legitimiert. Soweit das antike ius gentium als Naturrecht verstanden worden war, liegt dem der Gedanke zugrunde, dass es de Roma) „De ecclesiastica sive de summi pontificis potestate“ (1302), Jakob von Viterbo (Jacob Capocci) „De regimine christiano“ (1302), Alvarus Pelagius „De planctu ecclesiae“ (1332) und Augustinus Triumphus von Ancora „Summa de potestate papae“ (1320). 134 Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 71, und Anm. 48, Butler / Maccoby, The development of International law, S. 11. 135 Seine Auffassung, dass Christen nicht nur nach biblischem Recht urteilen sollten, und dass in den unterschiedlichen menschlichen Gesellschaftsformen verschiedene Gesetzgebungen in Kraft treten könnten, habe ich schon früher erläutert. 136 Siehe Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 125, Anm. 22.
66
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Rechtnormen gibt, die für alle Menschen verbindlich sind. Dieses Konzept ist abstrakter und universaler gefasst als das des allgemeinen oder speziellen Vertragsvölkerrechts. Weil die ursprüngliche Form des ius gentium über die Rechtsordnungen spezieller Staaten hinaus auf ein allgemein verbindliches Internationalrecht weist, war es auch geeignet, zu seinen Regelungen solche zu zählen, die speziell für zwischenstaatliche Verhältnisse galten, in denen die Staaten selbst die Rechtssubjekte waren. So konnte auch für den zwischenstaatlichen Bereich das Naturrecht eine umfassende Basis abgeben und zur rechtsphilosophisch motivierten Quelle des ius gentium im Sinne eines allgemeinen Völkerrechts werden.
a) Meinungsverschiedenheiten über das Anwendungsgebiet des ius gentium Die Rechtsnormen, die aus diesen beiden Lehren entstanden sind, konnten so zu Grundlagen der Beziehungen zwischen den christlichen Herrschern und ihrem Gemeinwesen, zwischen den christlichen Herrschern untereinander und zwischen christlichen Herrschern und nichtchristlichen Regenten werden. Das spätantike Weltbild des Imperiums hatte noch keine Völkerrechtsordnung benötigt, die über konkrete Verträge mit den Nachbarnvölkern des Imperium Romanum hinausgegangen war. Erst als das römische Reich zusammenbrach, entwickelte sich das Bewusstsein einer Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit von christlich abendländischen Völkern in Abgrenzung zu der byzantinischen Kultur und der islamischen Welt.137 Die drei religiös, kulturell und politisch einflussreichen Gebiete standen einander nicht nur gegenüber, sondern traten durch den Handelsverkehr, wegen politischer territorialer Konflikte, aber auch wegen der fortwirkenden Gemeinsamkeiten zwangsläufig in Kontakt miteinander. Ausdruck fand das christliche Gemeinschaftsbewusstsein u. a. in den Kreuzzügen gegen die „Ungläubigen“138 sowie in der permanenten, aber nicht unbegründeten Angst vor der „Türkengefahr“, die auch in den Äußerungen Melanchthons139 und denen seiner gelehrten Zeitgenossen zu finden ist. Trotz der gesellschaftlichen Konflikte im Verlauf der Reformation und der späteren katholischen Reform, die mit erheblichen religiösen und politischen Unruhen verbunden waren, wurde das Zusammengehörigkeitsgefühl der christlichen Völkergemeinschaft nicht zerstört. Vor allem gegenüber dem nicht137 Siehe St. Verosta, Die Geschichte des Völkerrechts, S. 51, Stadtmüller, Geschichte des Völkerrechts, S. 58 ff., Tellenbach, Vom Zusammenleben der abendländischen Völker im Mittelalter, S. 42. 138 Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens. 139 In seinem „Oratio de dignitate legum“ 1543 (1556) zitiert Melanchthon die Türkengefahr als Beispiel des Verfalls einer Zivilisation durch eine willkürliche Staatslenkung und verweist auf das Jahr 1453, das Datum des Falls Konstantinopels – Träger des Corpus iuris civilis – nach dem Überfall der Muslime, siehe Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 234, Z. 13 ff., CR XI, S. 630.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
67
christlichen Gegner war das Bewusstsein der Verbundenheit der christlichen Staaten untereinander sehr lebendig. Dies zeigt sich deutlich in dem Vorschlag Papst Leos X. 1517, ein Bündnis gegen die Türken zu bilden, das er selbst eine „Fraternitas“140 nannte. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der „Ungläubigen“ erneuerte sich das antike völkerrechtliche Prinzip eines gerechten Krieges. Der antike Begriff bellum iustum bei Cicero wurde später von Augustinus übernommen und zum Legitimationsbegriff eines gerechten Krieges gegen Häretiker und Nichtchristen ausgedehnt.141 Die rechtlichen Grundlagen für das ius gentium fanden sowohl die Legisten in Ulpian D.1.1.1.4 (1 institutionum),142 in Paulus D.1. 1. 11 (14 ad Sabinum) und in Gaius D.1.1.9 (1 institutionum), aber auch in den Praecepta iuris bei Ulpian D.1. 1. 10 (1 regularum), als auch die Kanonisten im ersten Teil des Decretum Gratiani (Distinctio 1, canon IX),143 in dem Isidor von Sevillas Formulierung aus der Etymologie 5, 6144 übernommen worden war. Aus Paulus D.1. 1. 11 (14 ad Sabinum)145 ließ sich sogar ein Naturrecht ableiten, das als Korrektiv für naturrechtswidrige Bestimmungen des ius civile und ius honorarium dienen konnte.
Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 169, Anm. 6. In seiner Enzyklika forderte Papst Alexander II. die spanischen Bischöfe zum Kampf gegen die Sarazenen mit dem Argument auf, dass sich die Christen im Gegensatz zu ihnen im Zustande berechtigter Verteidigung befänden, siehe „Decretum Gratiani, secunda pars, causa XXIII, quaest. VIII, C. XI“. 142 D.1.1.1.4 „Völkergemeinrecht [ius gentium] ist das Recht, das die menschlichen Völkerschaften befolgen. Dass es vom Naturrecht abweicht, ist leicht einzusehen, weil dieses allen Lebewesen, jenes nur den Menschen untereinander gemeinsam ist“, Übersetzung von Behrends. 143 „Distinctio prima. Gratianus. c. IX: „Quid sit ius gentium. [Isidor.ed.c.6.] Ius gentium est sedium occupatio, edificatio, munitio, bella, captiuitates, servitutes, postliminia, federa pacis, induciae, legatorum non uiolandorum religio, conubia inter alienigenas probita. § 1. Hoc inde ius gentium appellatur, quiae eo iure omnes fere gentes utuntur.“, in: „Corpus iuris canonici. Concordia discordantium Canonum ac primum. De iure naturae et constitutionis. Decretum magistri Gratiani“, verfasst und kommentiert von Friedberg. 144 Isidor von Sevilla, „Etymologiae“, liber V, cap. VI: „Ius gentium est sedum occupatio, aedificatio munitio, bella, captivitates, servitudes, postliminia, foedera, paces, legatorum non violandorum religio, connubia inter alienigenas prohibita; et inde ius gentium, quod eo iure omnes fere gentes utuntur“; „Ius gentium ist die Grundlage für die Besitzergreifung von Wohnplätzen, für die Sicherung von Wohnstätten, für Kriege, Gefangenschaft, Sklaverei, für das Rückkehrrecht Gefangener, für Bündnisse, Friedensschlüsse, für die Verpflichtung, Gesandte nicht zu verletzen sowie für das Heiratsverbot zwischen Fremdstämmigen. Es heißt deswegen ius gentium, weil fast alle Völker sich seiner bedienen“. 145 D.1.1.11 (14 ad Sabinum): „id quod semper aequum ac bonum est ius dicitur, ut est ius naturale“. 140 141
68
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
b) Die Voraussetzungen für eine völkerrechtliche Ordnung Auf dieser Basis entwickelten die mittelalterlichen Juristen beider Richtungen fünf völkerrechtliche Normgattungen für zwischenstaatliche Beziehungen. 1. Die erste Voraussetzung für die Entfaltung einer völkerrechtlichen Ordnung ist die souveräne Machtausübung anderer, neben dem Kaiser regierender, weltlicher Herrscher. Im Sinne einer Friedensordnung kann darin die Grundlage für das heute sogenannte „politische Gleichgewicht“ gesehen werden. Aber auch schon das mittelalterliche Prinzip der Universalherrschaft, das Papst und Kaiser (dominus mundi) für sich in Anspruch nahmen, verhinderte nicht die Anerkennung anderer souveräner Staaten in der abendländischen Christenheit und wollte dies auch nicht: „Nam rex Franciae princeps est in regno suo, utpote qui in illo in temporalibus superiorem non recognoscat.“146
Im gleichen Sinne rechtfertigte der süditalienische Jurist Marino de Caramanico das Recht des Königs von Sizilien zur Gesetzgebung, weil dieser Fürst ein freier König war, der niemandem unterworfen war („qui nullius alterius potestati subiectus est“).147 Die weltlichen Hauptmächte, die Europas Geschichte in der frühen Neuzeit bestimmten, waren England, Frankreich, Spanien und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Die Anerkennung anderer Herrschaftssysteme als souveräne Staaten, wie zum Beispiel die italienischen Territorien, setzt nach dem ersten völkerrechtlichen Prinzip voraus, dass sie ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit in der Staatenlenkung nachweisen konnten. Wie bereits angesprochen, werden in der Völkerrechtsgeschichte das Ende des 15. und der Anfang des 16. Jahrhunderts als Angelpunkte für die Herausbildung des kommenden europäischen Staatensystems der Neuzeit angesehen.148 Das Papsttum als Universalmacht war ebenfalls präsent, erhielt aber mit der konfessionellen Auseinandersetzung im politischen Bereich nur noch einen nominellen Anspruch und musste sich auf die geistliche Führung der katholischen Partei beschränken. 2. Die Theorie des internationalen Vertragsrechtes und vor allem das Prinzip der Vertragstreue bildete das zweite völkerrechtliche Prinzip. 146 Durantis um 1272 in seinem „Speculum iuris“, Buch 4, Teil 3, Titel „De feudis § quoniam“: „Der König von Frankreich ist Kaiser in seinem Königreich, da er darin in zeitlichen Dingen keinen Höheren anerkennt“, als Antwort an Innozenz III. Dekretale „Per venerabilem“ („Gul. Durantis Speculum iuris“, NDr. 1975, Ausgabe von 1574). 147 „( . . . ) ein freier König, der keines anderen Gewalt unterworfen ist.“, Siehe F. Calasso: I glossatori e la teoria della sovranità, 3. Aufl., 1957, S. 175 ff., S. 180 ff., deutsche Übersetzung wichtiger Partien bei Reibstein, Völkerrecht I, 1958, S. 151 ff. 148 Andreas, Italien und die Anfänge der neuzeitlichen Diplomatie, S. 259 ff., S. 476 ff. Abgedruckt im Sammelband von Andreas, Staatskunst und Diplomatie der Venezianer im Spiegel ihrer Gesandtenberichte.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
69
Der abendländische Brauch, die internationalen Verträge und Versprechen durch einen Eid zu bestärken, führte zu der Beteiligung der kirchlichen Instanzen. Deswegen beschäftigten sich vor allem die Kanonisten mit der Frage, wie bei Vertragsbrüchen beeideter Versprechen zu entscheiden sei.149 Die hierzu entwickelte kanonistische Lehre wurde zur Grundlage der Interpretation von Verträgen, die christliche Herrscher mit Nichtchristen abschlossen. Im Falle ihrer Qualifizierung als „ruchlose Bündnisse“ (impia foedera) konnten sich die christlichen Fürsten leichter von ihrem Eid lösen, eine Möglichkeit, die auch missbraucht werden konnte und die Gefahr heraufbeschwor, das Vertrauen in die internationalen Beziehungen zu zerstören. Darum begegnete man dieser von den Kanonisten eröffneten Möglichkeit mit so großer Skepsis, dass sie in der völkerrechtlichen Praxis scheiterte. Eine weitere Möglichkeit, die Bindung an den Vertrag zu durchbrechen, wurde für die Fälle entwickelt, in denen sich im Verlaufe der Vertragsdurchführung die Umstände grundlegend änderten. Sollte an einem Vertrag, gleichgültig ob eidlich bestärkt oder nicht, auch unter wesentlich veränderten Verhältnissen nach dem Grundsatz pacta sunt servanda festgehalten werden? Thomas von Aquin verneinte dies aus Gründen der Billigkeit und Vernunft. Er hob hervor, dass jeder Vertrag unter der stillschweigend angenommenen Bedingung geschlossen sei, dass die Verhältnisse so blieben, wie sie beim Vertragschluss vorausgesetzt worden waren (clausula rebus sic stantibus). Trat diese Bedingung nicht ein, entfiel damit die Pflicht, das Versprechen zu erfüllen.150 Die Kanonisten ließen das Prinzip der Vertragstreue auch in Fällen formloser Versprechen, die keinem anerkannten Vertragstypus entsprachen, gelten. So findet sich im Liber Extra (1,35,1) unter der Formulierung eines spätantiken Konzils der Grundsatz „pacta sunt servanda“: „Dixerunt universi: pax servetur, pacta custodiantur.“151
3. Die Anerkennung der Unverletzbarkeit einer institutionalisierten Gesandtschaft wurde im römischen und im kanonischen Recht als wesentlicher Teil des ius gentium angesehen.152 149 Wenn gegen die Bestimmungen eines beschworenen Friedensvertages verstoßen wurde, sollten die kirchlichen Instanzen untersuchen, ob sich eine der Parteien des Vertragsbruchs und damit des Eidesbruchs schuldig gemacht hatte; siehe: Innozenz III. in der Dekretale „Novit ille“ im Jahre 1204, „Liber Extra“ 2, 1, 13. 150 Beck-Mannagetta, Die clausula rebus sic stantibus und die Geschäftsgrundlage in der Dogmengeschichte, in: La formazione storica del diritto moderno in Europa, 3, 1977, S. 1263 ff., Schilling, Das Völkerrecht nach Thomas von Aquin, S. 31 ff. 151 „Alle haben gesagt: Der Friede werde gewahrt, Verträge sind einzuhalten.“ Die Glosse von Accursius nennt als Verträge zwischen Kriegführenden zuerst den Waffenstillstand auf lange Zeit (treuga) und auf kurze Zeit (indutiae), die er auch als „foederis pactum“, d. h. als befristete Friedensverträge, betrachtet, dann auch ungleiche und gleiche Freundschaftsverträge („foedera amicitiae aequalia vel inaequalia“) und zuletzt stillschweigende Abmachungen.
70
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
So hatte die Einsetzung einer ständigen Gesandtschaft in der Frühen Neuzeit ihre Ursprünge in den sehr ungleichen italienischen Territorialstaaten des 15. Jahrhunderts. Ihr politischer Zweck bestand vor allem darin, dem schwächeren Staat die Möglichkeit einzuräumen, durch rechtzeitige Information über eventuelle Angriffe des Stärkeren seine Verteidigung effektiver organisieren zu können.153 Deshalb wurde sie zunächst als Zeichen politischer Schwäche angesehen. Erst im 17. Jahrhundert wurden ständige Gesandtschaften in fremden Staaten zum Kennzeichen eines modernen Staatssystems. Seitdem die Diplomaten durch Immunität, Exterritorialität und besondere Privilegien geschützt sind, können sie einen intensivierten politischen Verkehr zwischen den Staaten pflegen und regulierend auf das politische Gleichgewicht der Weltmächte einwirken. 4. Die mittelalterlichen Legisten und Kanonisten beschäftigten sich sehr intensiv mit der Frage der Notwendigkeit eines Schiedsgerichts zur Friedenssicherung.154 Approbare, iudicare et regulare waren z. B. die drei Richtlinien der päpstlichen Schiedsgerichtsbarkeit bei der Lösung von Konflikten, die immer wieder zwischen den christlichen Herrschern entstanden. Auch der Kaiser übernahm im Laufe des 15. Jahrhunderts mehrmals diese Rolle.155 Die Anwendung des römischen Rechts als allgemein anerkannte, wenn auch subsidiäre Rechtsquelle bedeutete zugleich die Anwendung der überlegenen Prinzipien des Naturrechtes, dessen Philosophie die völkerrechtliche Ordnung bestimmte. Zur Lösung solcher Fälle sollte ein für alle Menschen geltendes Recht angewandt werden. Insofern bot sich das ius gentium an, das sich, obwohl seine Quellen viel älter waren, als Völkerrecht der Renaissance auf die fundamentalen Prinzipien des Naturrechts stützte.156 Die päpstliche Schiedsgerichtsbarkeit verlor schon ab dem 15. und dann im Laufe des 16. Jahrhunderts ihre Bedeutung, weil die Entwicklung des modernen Staats fortschritt und die Diplomatie neue Formen der zwischenstaatlichen Kommunikation entwickelt hatte.157 152 Glosse des Accursius, „Sancti: id est inviolabiles“, D. 50,7,18. In der Glosse „Pasiscuntur“ D. 2,14,5 führt Accursius die Unverletzlichkeit der Gesandten auf stillschweigende völkerrechtliche Verabredungen zurück. 153 Ernst, Über Gesandtschaftswesen und Diplomatie an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, S. 64 ff., Krauske, Die Entwicklung der ständigen Diplomatie vom 15. Jahrhundert. 154 „De arbitris im Liber Extra (1,43)“. Durantis hat um 1271 in seinem Prozeßwerk die für lange Zeit maßgebliche Darstellung der Materie gegeben: „Speculum iuris“, Buch 1, Teil 1, Titel: „De arbitro et arbitratore“. 155 Siehe die Liste der Schiedssprüche von 1244 bis 1475, Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 125 f. 156 Thomas von Aquin, „Summa Theol.“, I, 2, q. 95, a. 4. 157 Janssen, Die Anfänge des modernen Völkerrechts und der neuzeitlichen Diplomatie, S. 35.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
71
5. Eines der wichtigsten völkerrechtlichen Prinzipen der Zeit war die Unterscheidung zwischen dem „gerechten“ und dem „ungerechten“ Krieg zur Rechtfertigung eines Krieges bzw. zur Missbilligung willkürlicher Gewaltanwendung (bellum iustum et bellum iniustum). Der Kanonist Hostiensis verteidigte unter Berufung auf die kanonistische Tradition den christlichen Krieg gegen die Ungläubigen. Er bezeichnete ihn als gerechten Krieg bzw. als bellum Romanum, da die Christenheit als Rechtsnachfolgerin des römischen Reiches aufgerufen war, ihn zu führen.158 Nichtchristen galten als rechtlos, wie dies von dem radikalen Kämpfer für den päpstlichen Universalismus, Aegidius Romanus,159 ausgeführt worden war. Hiermit wurde die Grundlage für die spätere Behandlung der zu missionierenden „Naturvölker“ gelegt, über die die „zivilisierten“ Völker die Patronatsgewalt haben sollten: „Ostendentes quod nullam possessionem, nullum dominum, nullam potestatem possunt infideles habere verum et cum iustitia“. -Immo, apud infideles non solum non sunt regna et imperia, cum apud eos regna et imperia sint magna latrocinia, immo etiam apud eos non sunt iusta dominia.“160
Doch blieb diese Auffassung gegen Ende des Mittelalters nicht unwidersprochen.161 Thomas von Aquin dagegen sah den Sinn des Heiligen Krieges nicht in der gewaltsamen Bekehrung der Ungläubigen, sondern darin, negative Einflüsse auf das Christentum abzuwenden und Hindernisse für seine Ausbreitung zu beseitigen.162 Für viele andere Gelehrte, wie Bernhard von Clairveaux, war die Tötung von Ungläubigen nur gerechtfertigt, wenn sie für den Erfolg eines Kreuzzuges unentbehr158 Heinrich von Segusia (gen. Hostensis), Professor in Bologna und Paris, Kardinalerzbischof von Ostia, gest. 1272, entwickelte in dem Kapitel „De treuga et pace“ seiner „Summa aurea“ seine Lehre über den gerechten Krieg, L. I: „Bellum quod est inter fideles et infideles potest dici bellum romanum et hoc est iustum. Hoc enim romanum voco quia Roma est caput fidei nostrae et mater.“, siehe Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, S. 136. 159 Aegidius Romanus (Anagni 1235, Rom 1303) war ein Zeitgenosse von Bonifaz VIII.. Der Papst besaß seit 1300 aufgrund des Papsttums die Überlegenheit gegenüber den Königen, was seinen Konflikt mit dem französischen König Philipp dem Schönen noch verstärkte, bis er 1303 den König exkommunizierte. Philipp der Schöne ließ den Papst daraufhin mit Hilfe seiner Legisten und des Konzils im September 1303 in Anagni gewaltsam verhaften. Dieser jedoch wurde dann von der dortigen Bevölkerung befreit. Kaum war er nach Rom zurückgekehrt, starb er am 1. Oktober. Diese Kämpfe illustrieren zwei gegensätzliche Auffassungen der päpstlichen Rechte, die absolute theokratische Auffassung und die des Naturrechts der Staaten. 160 „Alles, was sie besäßen und beherrschten, besäßen und beherrschten sie als Usurpatoren und zu Unrecht“ („De ecc. II, 11“). 161 Christine de Pisan (Venedig 1364 – 1430) erklärte in ihrem Buch „Le livre des faits d’armes et de chivalry“, dass das einem Sarazenen gegebene freie Geleit niemanden binde, dass es wirkungslos bleibe. 162 „Fideles Christi frequenter contra infideles bellum movent, non quidem ut eos ad credendum cognant . . . sed propter hoc ut eos compellant ne fidem Christi impediant . . . Nullo modo sunt ad fidem compellendi quia credere voluntatis est“, II, ii, qu. 10, art.8.
72
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
lich war.163 Die christlich geprägte Naturrechtsidee mit dem Gedanken der absoluten Rechtlosigkeit der Nichtchristen stand geradezu im Gegensatz zu den Lehren des Isidor von Sevilla wie später des Thomas von Aquin, nach denen alle Menschen ohne Unterscheidung ihrer Völkerzugehörigkeit gemeinsam von Gott das Naturrecht bekommen hatten.164 Auf dieser Grundlage konnte sich deshalb im Laufe des Mittelalters die Auffassung entwickeln, dass es über die christliche Gemeinschaft hinaus eine auf das Naturrecht gegründete umfassendere menschliche Gemeinschaft gäbe, die als communitas omnium gentium auch die Ungläubigen umfasse. Jenseits des naturrechtlich begründeten Völkerrechts gab es im Mittelalter auch Ansätze zu einem Völkervertragsrecht. Über die Handelsverträge gab es ständig Kontakt zwischen Christen und Nichtchristen. So pflegten Venedig und Genua intensive Handelsbeziehungen zum islamischen Orient und betrachteten die „Türken“ deshalb als gleichberechtigt auch im Krieg. Um die Handelsbeziehungen weiterzuentwickeln, vertraten insbesondere Juristen in den Küstenstädten des Mittelmeers die Auffassung, dass das Völkerrecht zumindest teilweise auch für Nichtchristen gelten müsse – geradezu eine Grundbedingung, um untereinander wirksame Verträge zu schließen.
III. Die naturrechtliche Begründung des staatsrechtlichen Denkens bei Melanchthon Melanchthon begründet sein Rechtsverständnis von Staat und Obrigkeit nicht mit den zeitgenössischen Ansichten der spanischen Juristen, Missionare und Theologen. Vielmehr wählt er einen anderen Ansatz als die Rechtsgelehrten seiner Zeit, die seit der Entdeckung des neuen Kontinents die christliche Gemeinschaft neu legitimierten und sie vor allem von der nichtchristlichen Welt der Ungläubigen absonderten. Es ist deutlich erkennbar, dass in Melanchthons Reden alle Hinweise auf die modernen Staatstheorien zeitgenössischer spanischer Gelehrter fehlen, die, wie Francisco de Vitoria165 (1483 – 1546) und Bartolomeo de Las Casas166 (1474 – 1566), 163 Bernard de Clairvaux (1090 – 1153), missionarischer Inspirator und Organisator der Kreuzzugsbewegung. 164 Isidor von Sevilla, in seiner „Etymologiae“, 5,4, und Thomas von Aquin in seiner „Summa theologiae“, II, q. 57, a.3. 165 Francisco de Vitoria war Dominikaner von San Pablo zu Burgos. Er wurde 1520 Lehrer an der Sorbonne in Paris, 1521 Professor der Theologie und Leiter des Dominikaner-Kollegiums St. Georg zu Valladolid. 1526 wurde er zum Prima-Professor an der Universität Salamanca berufen, wo er 1538 / 39 in seinen 5. und 6. „Relectiones theologicae“ die Grundlage seiner Völkerrechtslehre darstellte. (Editio Princeps Lyon 1557, weitere Ausgaben: Salamanca 1565; Ingoldstadt 1580, Köln 1696, Washington 1917, Madrid 1935, Tübingen 1952, zweisprachige Ausgabe in den „Klassikern des Völkerrechts“, Bd. II.), siehe Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft, Francisco de Vitoria und die philosophischen Grundlagen des Völker-
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
73
die hochscholastische Naturrechtslehre aufgriffen und die Idee von einer die ganze Menschheit umfassenden Völkerrechtsgemeinschaft angesichts der Entdeckung und Eroberung Amerikas vertraten. Wie konnte der große Humanist und philanthropische Pädagoge die neue christliche Konfession auf der Grundlage des göttlichen Rechts und der mit ihr begründeten Naturrechtslehre entwickeln, ohne sich mit der grausamen Eroberungspolitik von Christen in der Neuen Welt auseinander zu setzen? Die Andeutungen zum ius gentium, die immerhin in der Oratio de dignitate legum167 (1556) zu finden sind, lassen aber keine Rückschlüsse auf die damaligen politischen Weltereignisse zu. Vielmehr erläutert Melanchthon hier die Hauptthemen seiner naturrechtlichen Auffassung von Staat bzw. von Obrigkeit. Nach dem Muster einer akademischen Übung definiert er zuerst Rolle und Nutzen der Gesetze und der politischen Weisheit, zieht Vergleiche mit Zyklopen und Zentauren (!)168 und wirft – hier viel aktueller – der Turcica barbaries vor, die hohen Wissenschaften an der ehemals blühenden Rechtsschule in Konstantinopel verfallen zu lassen.169 Seine Ausführungen zum Krieg bleiben im Allgemeinen. Er beklagt sich über die unzureichende Nutzung der Kunst der Politik. Die militärische Macht diene zu selten den gerechten Bedürfnissen des Gemeinwesens, etwa dem Schutz vor den Tyrannen und ihrer Willkür oder dem Schutz des Friedens und der Gerechtigkeit. Obwohl er das Verbot des Widerstands gegen tyrannische Willkür hier wiederholt, rechtfertigt er aber auch den Kampf im Inneren eines Gemeinwesens, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, damit allein die Kunst der Politik und das Recht (politica ars seu iuris doctrina) in Ruhe von der Bürgerrechts, Truyol y Serra, Die Grundsätze des Völkerrechts bei Francisco de Vitoria, ders. Staatsräson und Völkerrecht in der Zeit Karls V., S. 273 – 292. 166 Bartolomeo de Las Casas, Sohn eines Freundes von Columbus, wurde 1522 Dominikaner. Er verteidigte die Indianer in seinen zuerst Ferdinand von Aragon, dann Karl V. gewidmeten Werken. Er kritisierte die päpstliche Universalherrschaftslehre und lehnte jede Art der gewaltsamen Missionierung radikal ab. Außerdem verurteilte er die seit 1492 durch Spanien geführten Kriege und die Eroberung in Amerika als ungerecht. Der so genannte „Apostel der Indianer“ überquerte sieben Mal den Ozean, um beim König das Ende der grausamen Behandlung der Einheimischen zu erbitten. 1544 wurde er Bischof von Chiapas in Mexico. Er kehrte 1547 nach Spanien zurück und schrieb seine „Geschichte Indiens“, 1875 ediert; siehe Höffner, Kolonialismus und Evangelium, S. 220 – 242 ff. 167 „Oratio de dignitate legum“, CR XI, S. 630 – 636 und bei Kisch, Melanchthons Rechtsund Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 234 – 240. 168 „Primum enim quam difficile est respondere cyclopum et centaurorum opinioni, qui in tanta confusione rerum humanarum hoc totum, quod vocamus legem et politicam sapientiam, dicunt inane nomen esse, vi et armis rapi imperia et regi arbitriis potentum tantisper, dum tenentur“, „Oratio de dignitate legum“, CR XI, S. 630, Rede Nr. 6 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 234, Z. 7 – 11. 169 „Noch 103 Jahre [1556 – 103 = 1453, Konstantinopels Eroberung durch den Überfall der Muslime] zuvor bestand in Konstantinopel die weithin blühende Schule unserer Gesetze“; „Ante centum et tres annos Constantinopolis florentissima schola fuit nostrarum legum“, CR XI, S. 630, Rede Nr. 6 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 234, Z. 13 f.
74
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
schaft oder vom Rat ausgeübt werden könnten, so wie es in Athen unter Solon170 und in Rom in der Zeit des Augustus’171 der Fall gewesen war. Die Erwähnung Solons im Zusammenhang mit der Definition der politischen Weisheit ist darum interessant, weil dieser schon ein Jahrhundert vor Heraklit in seiner Eunomie-Elegie eine politische Theorie entwickelt hatte,172 in der auch vornaturrechtliche Gedanken geäußert wurden.173 Diese Erwägungen bleiben aber ebenfalls im politischen Bereich, wo das Naturrecht als angewandtes Recht für die Regierungskunst wenig gelten kann. Die von Melanchthon zitierten Entitäten für einen naturrechtlich geordneten Staat sind: die Gastfreundschaft (hospitia),174 die Ehe (connubia), die Nachkommenschaft (procreatio), die Erziehung (educatio), die Verträge (contractus), die Wissenschaften (literae) und die göttliche Lehre (doctrina de coelo tradita).175 Sie bleiben, auch wenn sie sich auf eine Vorlage in den Digesten zu ius gentium beziehen (D.1.1.5 Hermogenia 1 iuris epitromatorium)176, doch Beispiele für die „Innenausstattung“ einer Gemeinschaft, die den Naturzustand verlassen hat und die Regel des ius gentium beachtet. 170 Solon, Politiker in Athen (um 640 a.Chr. – um 558 a.Chr.), der aus einer adligen, aber armen Familie stammte. Er fing deshalb an, sich dem großen Handel zu widmen. 594 / 593 oder 592 / 591 entwarf er Reformen zugunsten des Volkes. Er erleichterte die bäuerlichen Steuern, begrenzte die Macht der Stämme oder genoi durch die Zerstückelung des Eigentums und verminderte die Macht des pater familias. Außerdem förderte er die wirtschaftliche Entwicklung durch eine verbesserte Gesetzgebung zu Pflanzung und Bau. Im politischen Bereich begünstigte er die Demokratisierung, gründete den Senat (boulê) und das Volkstribunal (héliée). 171 Der römische Kaiser Augustus (Rom 63 a.Chr. – Nola 14 p.Chr.) wird hier als Gründer der kaiserlichen Regierung zitiert. Er bildete neue Institutionen wie den Königsrat, das Pretorium, die Annonen, die Virgilen, erneuerte die Organisation der Staatsfinanzen, der territorialen Verwaltung und der Armee. Er versuchte auch, die Sitten zu verbessern und der traditionellen Religion mehr Gewicht zu geben. 172 Jaeger, Solons Eunomie, S. 69 ff. 173 Ilting, Art. „Naturrecht“, S. 245 – 313, insb. S. 246. 174 Die hospitia finden wir in den Digesten 50, 5, 11 bei Hermogenia, ius epitomae, wie folgt definiert: „Es gibt Dienste, die eigentlich auf der Sache haften; von ihnen gewähren weder Kinder, noch Alter, noch ehemalige Kriegsdienste, noch irgend ein anderes Vorrecht eine rechtmäßige Entschuldigung; wohin die Grundsteuer, die Wegpflasterung, die Vorspannstellung, die Last, einen Fremden aufzunehmen ( . . . ) und was dergleichen mehr ist.“; „Sunt munera, quae rei proprie cohaerent, de quibus neque liberi neque aetas nec merita militiae nec ullum aliud privilegium iure tribuit excusationem: ut sit praediorum collatio viae sternendae angariorumve exhibitio, hospitis suscipiendi munus (nam nec huius quisquam excusationem praeter eos, quibus principali beneficio concessum est, habet) et si qua sunt praeterea alia huiusmodi.“, in: Das Corpus iuris civilis ins Deutsche übersetzt. 175 CR XI, S. 632, auch bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 236, Z. 60 ff. 176 Dig. 1.1.5 („Hermogenianus 1 iuris epit.“) „Ex hoc iure gentium introducta bella, discretae gentes, regna condita, dominia distincta, agris termini positi, aedificia collocata, commercium, emptiones venditiones, locationes conductiones, obligationes institutae: exceptis quibusdam quae iure civili introductae sunt“.
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
75
Das Überleben der römisch-rechtlichen Sätze verdanken wir, Melanchthon zufolge, ihrer Weisheit, ihrer Wichtigkeit und vor allem der göttlichen Zustimmung. Mit solchen Rechtsnormen brauchten sogar ungebildete Regenten nicht mehr gefürchtet zu werden, die bei unsicherer Rechtslage allerdings die größte Gefahr für die Gerechtigkeit bedeuten.177 Eine friedliche und gerechte politische Ordnung verlangt eine stabile, gut organisierte und hierarchisierte Verwaltung, die die Freiheit der Bürger und die Autorität der Gesetze garantiert. Eine gute Ausbildung soll die Menschen befähigen, selbst zwischen den wahren, gerechten Gesetzen und denjenigen, die nur als Vorwand einer willkürlichen Herrschaft neu verkündet worden sind, zu unterscheiden. Deshalb sei besonders auch die Politik als Wissenschaft zu pflegen: „Ideo tradidit Deus humano generi artem politicam, hanc ipsam doctrinam, ut quantum potest, sanabiles homines ad iustitiam flectat et iniustos impetus reprimat.“178
Melanchthons Leitthema ist die Forderung nach einer festgeschriebenen Gesetzgebung, die den Bedingungen der Naturrechtslehre entsprechen müsse und die gut ausgebildete Juristen anzuwenden haben: 1. Der Mensch ist schwach und sündhaft. Er ist nicht imstande, allein die Macht zu übernehmen und den Staat in die richtige Richtung zu lenken. Deshalb braucht er Gottes Hilfe, die ihm in der Heiligen Schrift und insbesondere im Dekalog offenbart ist. 2. Jeder Staatslenker übernimmt mit der Regierung die Pflicht, die Gesetze zu respektieren, sie von einem funktionierenden Verwaltungssystem anwenden zu lassen und dafür zu sorgen, dass sie mit den Naturgesetzen nicht in Widerspruch geraten. Entsprechen sie diesen Voraussetzungen, sollen die geltenden Gesetze, die Ordnung und Frieden sichern, nicht mehr geändert werden. 3. Andersfalls besteht die Gefahr, dass der Staat zerstört wird. Dafür bringt Melanchthon viele Belege aus der antiken Geschichte und verweist auch auf die tragischen Ereignisse seiner eigenen Zeit, u. a. auf den Bauernkrieg 1525, den Schmalkaldischen Krieg 1546 und die immer betonte Türkengefahr. 4. Melanchthon warnt vor der Vernachlässigung der Wissenschaften und fordert die Pädagogen auf, die Jugend entsprechend zu erziehen. Dieses Plädoyer findet seinen Ursprung in der Überzeugung, dass sich die Ausbildung nicht auf die akademische Lehre beschränken dürfe. Die Aufgabe der Professoren besteht nicht nur darin, den Studenten medizinische und künstlerische Kenntnisse zu 177 „Wenn Ungebildete über sie regieren sollen, ohne sicheres Recht, ohne wissenschaftliche Bildung, welche Finsterheit des Lebens!“, „Hos si regerent indocti, sine certo iure, sine literis et erudotione, quales tenebrae essent vitae?“, in: Oratio de dignitate legum, 1543, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 236, Z. 66 f., CR XI, S. 632. 178 „ ( . . . ) sie beugt heilbare Menschen zur Gerechtigkeit und drängt ungerechte Angriffe zurück.“, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 237, Z. 97 ff., CR XI, S. 633.
76
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
vermitteln, sondern ihnen vor allem gute Sitten und Respekt vor Gesetz und Ordnung beizubringen. Die pädagogischen Aufgaben gehen über die bloße Vermittlung des Unterrichtsstoffes hinaus. Außerdem sollten die Lehrer dafür sorgen, dass sich die Fürsten von der Bedeutung der Studien für den Staat und seine Menschen immer bewusst blieben. Die Pädagogen sollen die Fürsten bei ihrer Aufgabe unterstützen, da die Nachlässigkeit der Obrigkeit gerade in diesem Bereich zu Verwilderung, Ungebundenheit und chaotischen Übermut führte. Die Suche nach der richtigen Verteidigungsstrategie bei der Abwehr der Türkengefahr hatte die Meinungsverschiedenheiten, die auch unter den Bürgern bestanden, bis zur Gefahr eines Bürgerkriegs angeheizt.179 Hier sah es Melanchthon als ureigenste pädagogische Pflicht an, die Ruhe unter seinen Scholaren zu sichern, ihnen Respekt vor den Gesetzen beizubringen und für sie als Vorbild an Frömmigkeit und Mäßigung zu fungieren. Dies alles tat er für das einzige Ziel, den Frieden und die gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten.
E. Melanchthons Auffassung von Gesetzgebung und weltlicher Ordnung Die spanische Publizistik wird Melanchthon nicht verborgen geblieben sein. Dennoch richteten sich sein Interesse und das der damaligen deutschen Rechtswissenschaft nicht auf deren Problematik. In den deutschen Territorien versuchte die Rechtsprechung auf der Basis der systematisch neubearbeiteten Pandekten Homogenität zu gewährleisten, indem die traditionellen partikularen Gewohnheitsrechte abgelöst oder römisch interpretiert wurden. Die deutsche Rechtswissenschaft war deshalb zu jener Zeit mit ganz anderen Problemen beschäftigt als die spanische. Die Entwicklung eines zeitgemäßen ius gentium mit präzisen zwischenstaatlichen Normen diente vor allem den politischen und wirtschaftlichen Interessen Spaniens und der juristischen Rechtfertigung ihrer Eroberungen in der Neuen Welt. Melanchthons Rechtsauffassung und Weltbild sind von seinen reformatorischen Glaubensgrundsätzen nicht zu trennen. Alles fügte sich in ein von Gott geschaffenes System ein, in dem alle Bereiche der Natur aufeinander einwirkten und voneinander abhängig waren.180 Es war ein System, für das jeder Mensch, jede Kunst, 179 „Germania non defenditur, imo et domestica bella imminent.“, CR XI, S. 625, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 239, Z. 167. 180 In der Rede „De partibus et motibus cordis“ (Über die Teile und Bewegungen des Herzens), die am 30. Dezember 1550 von Jakob Milich bei einer Promotionsgabe in Medizin vorgetragen wurde, erklärt Melanchthon die Zusammenhänge zwischen der Theologie und der „ars medica“, die er auch als Mittel zur Erkenntis Gottes definiert: „Diese Natur des Menschen ist nicht zufällig, blindlings aus Atomen zusammengeflossen, wie Demokrit und Epikur sich das so dachten. Überall finden sich doch leuchtende Zeugnisse für die Existenz Gottes ( . . . )“, Übersetzung des CR XI, 947 – 954 in: Melanchthon Deutsch, S. 110 – 122. Das
1. Kap.: Definition des Gesetzes bei Melanchthon und seine Naturrechtslehre
77
jede Wissenschaft und alle gesellschaftlichen Strukturen unentbehrlich waren. Insoweit sah der Humanist Melanchthon seine Aufgabe als Pädagoge und die Aufgabe der Fürsten darin, die freien Christen so auszubilden, dass sie ihrer Verantwortung für die Gemeinschaft mit Vernunft und Mäßigung gerecht werden konnten. Humanistisch motiviert ist auch der ständige Rückgriff auf die Rechtsgeschichte und die Rechtsphilosophie. An den Pandekten sah Melanchthon, wie grundlegend die Rechtstheorie für die römischen Juristen gewesen war, wie sie über die Ausgestaltung des Naturrechts (ius naturale), des allgemeinen Zivilisationsrechts (ius gentium) und des bürgerlichen Rechts (ius civile)181 zur differenzierten Anwendung der Billigkeit in allen Rechtsverhältnissen gekommen waren.182 Das für alle Menschen gültige Naturrecht speist sich aus denselben rechtsphilosophischen Quellen wie die Theorie des ius gentium und die daraus entwickelten Institutionen.183 Damit hatte Melanchthon auf dem Wege einer philosophischen Reflexion über Existenz und Definition eines für alle Menschen geltenden Rechtes und über die mögliche Anwendung eines solchen Rechtes Ansichten entwickelt, die sich in dieselbe Richtung bewegten wie die der spanischen Publizisten. Doch boten auch das Naturrecht und das ius gentium den zeitgenössischen Juristen die passende Grundlage, um die neuen politischen Ansprüche zu rechtfertigen. Melanchthon blieb seinerseits auf der Metaebene der rechtlichen Reflexion. Er äußerte sich wohl als humanistischer Gelehrter, wurde aber nie zu einem Juristen. Deshalb hat er nicht versucht, seine naturrechtliche Theorie auf praktische Fälle anzuwenden. Melanchthon war vielmehr auf der Suche nach den bestimmenden Elementen für eine Gesamtordnung, deren Ziel die Aufrechterhaltung des Friedens und der gesellschaftlichen Ruhe sein sollte; daneben hatte sie die Aufgabe, Gottes Lehre und Erkenntnis zu fördern. Dafür benötigte die weltliche Ordnung eine festgeschriebene, auf Billigkeit gegründete, einheitliche Gesetzgebung. Die Grundlagen der Philosophie des römischen Rechts boten ihm dafür, wie noch für weitere konkrete Rechtsfragen, den passenden Rahmen.
Interesse des Gelehrten an der Anatomie war auch mit der konkreten Frage der städtischen Gesundheitsfürsorge verbunden. 181 D.1.1 („De iustitia et iure“); D.1.2 („De origine iuris et omnium magistratuum et successione prudentium“), D.1.3 („De legibus senatusque consultis et longa consuetudine“), D.1.4 („De constitutionibus principum“), C.1.23 („De diversis rescriptis et pragmaticis sanctionibus“), Inst. 1.1 („De iustitia et iure“), Inst. 1.2 („De iure naturali, gentium et civili“). 182 C.3.1.8 („Constantinus et Licinius; const. et licin. aa. ad dionysium“) „Placuit in omnibus rebus praecipuam esse iustitiae aequitatisque quam stricti iuris rationem. [D. id. Mai. volusiano et anniano conss.]“. 183 D.1.1.5 („Hermogenianus 1 iuris epit.“). 6 Deflers
Zweites Kapitel
Welches weltliche Recht soll angewandt werden: Mosaisches oder römisches Recht? In Melanchthons Weltsicht nehmen alle Elemente der Natur und der menschlichen Ordnung eine unverrückbare Stellung ein und fügen sich zu einem orbis universale. In diesem Zusammenhang entwickelt Melanchthon seine Hierarchie der Rechtsquellen,1 in der die Gesetze systematisch miteinander verbunden und gegenseitig von einander abhängig sind. In der Ratio aller Menschen erscheinen die Naturgesetze als Ausdruck göttlicher Weisheit. Sie sind für alle Menschen gültig und nicht nur für die Menschenvernunft erkennbar, sondern auch in der Heiligen Schrift, vor allem im Dekalog, festgelegt. Durch die Analyse der in den zehn Geboten verankerten Normen erkennt Melanchthon drei Naturgesetze: das Gebot der Gottesverehrung, das Verbot, jemandem zu schaden, und eine Regelung für die Güterverteilung.2 Er erkennt, dass das Vorhandensein einer Gesetzesordnung und, auf ihrer Grundlage, einer weltlichen Rechtsprechung notwendig sind. Doch unterstehen die geltenden Gesetze der fundamentalen Bedingung, nicht im Widerspruch mit den Naturgesetzen zu stehen. Für Melanchthon führt das zu der Frage, welches Recht denn in der Rechtsprechung und in der Rechtspraxis angewandt werden solle. Der reformatorische Ausleger der Heiligen Schrift bevorzugte ursprünglich in den Loci communes (1521) weltliche Gesetze, die das biblische Recht exakt widerspiegelten.3 Aber schon 1523 / 25 erkennt Melanchthon in seiner ersten Rede über die Gesetze und das Recht Oratio de legibus4 die Unentbehrlichkeit eines gerechten und billigen Rechts für eine friedliche Staatsführung und die Notwendigkeit gebildeter und weiser Richter für seine Anwendung. Unter den Gesetzgebungen der Vergangenheit erscheinen ihm die Ergebnisse der gelehrten römischen Juristen am geeignetsten. Seitdem plädiert er deshalb immer wieder für die Anwendung des römischen Rechtes vor den Gerichten der deutschen Territorien. Welche besonderen Qualitäten es sind, die Melanchthon im römischen Recht verwirklicht sieht und aus welchen Gründen er von der ursprünglichen Befürwortung des biblischen Rechts abrückte, um schließlich für die Rezeption des „fremFranck, Die theologische Philosophie Philipp Melanchthons. Siehe im ersten Kapitel und Fild, Justitia bei Melanchthon. 3 CR XXI, S. 125. „Daher wurden aus den Geboten Räte gemacht und die überaus ungesunde Meinung vertreten, man könne Staaten nicht nach dem Evangelium regieren, wie wenn Christus uns eine solche [Botschaft] hinterlassen hätte, die nur einige Mönche und nicht vielmehr die ganze Menschengeschlecht angeht. Denn was muss alle mehr angehen als das Evangelium, das Christus der ganzen Kreatur zu predigen befahl?“, Übersetzung Pöhlmann, S. 123. 4 CR XI, S. 66 – 86 und bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 189 – 209. 1 2
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
79
den“ Rechts in die sächsische Rechtsprechung zu plädieren, kann die Rechtsgeschichte unter Betrachtung des Zustandes der zeitgenössischen Jurisprudenz, insbesondere in Sachsen, erläutern.
A. Melanchthons ursprüngliche Position zum biblischen Recht Melanchthons akademische Antrittsrede De corrigendis adolescentiae studiis (1518)5 in Wittenberg und seine Loci communes (1521)6 veranlassten die Forschung über den jungen Melanchthon und seine theologisch-ethischen und philologischen Ziele, seine Person in der historischen Wahrnehmung aus dem Schatten Luthers heraustreten zu lassen und Melanchthons eigene Ansichten stärker zu würdigen. Seine Theologie wurde seitdem nicht nur als Systematisierung der lutherischen Lehre angesehen, sondern als ein Beitrag zur Weiterentwicklung der reformatorischen Glaubensinhalte anerkannt. Denn Melanchthon verkörpert geradezu die harmonische Verbindung des von Erasmus geprägten humanistischen Programms mit der Erneuerung des christlichen Glaubens. Er wurde deswegen auch als „Urheber einer geistesgeschichtlich höchst fruchtbaren reformatorischen Kulturethik, eben eines evangelischen Humanismus“ bezeichnet.7 Seine gesammelten Theologievorlesungen, die den ursprünglichen Text der Loci bildeten, sind durch die Umsetzung der reformatorischen Bibelauslegung in positive Bestimmungen zugunsten ihrer Verweltlichung charakterisiert. Die Idee von der konkreten Anwendung der biblischen Rechtsnormen in der weltlichen Rechtsordnung fand bei radikalen Reformatoren, wie z. B. Karlstadt von Bodenstein, besonderen Anklang. Auch die Schwärmer interessierten sich dafür. Von ihnen und ihren radikalen theokratischen Thesen distanzierten sich Luther und Melanchthon jedoch schon 1522. Mit Unterstützung des Wittenberger Stadtrats bekämpften sie die theologische Einflussnahme dieser rigoristischen Richtung auf die Theologie und das akademische Milieu an der Universität sowie deren Verbreitung unter der Bevölkerung.8 Die neue Melanchthonforschung stellt heraus, dass dem jungen Gelehrten eine Synthese zwischen der Reform der christlichen Tradition und der Wiederentdeckung der Antike gelungen sei. Diese Verbindung drückt sich vor allem in seinen als Programmschrift betrachteten Loci communes von 1521 aus. Auf der Basis einer biblischen Naturrechtslehre entwickelt Melanchthon als erster die Ansicht, CR I, S. 53 f. „Loci communes“ 1521, CR XXI, S. 59 – 230. 7 Wolf, Philipp Melanchthon – Evangelischer Humanismus, S. 9. 8 Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt, I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation, Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae, Fuchs, Karlstadts radikalreformatorisches Wirken und seine Stellung zwischen Müntzer und Luther, S. 523 – 552. 5 6
6*
80
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
dass die normative Umsetzung der Bibel für den Alltag der Christen notwendig sei. Für den jungen Melanchthon ist die Heilige Schrift nicht nur Glaubensquelle, sondern auch die Fundamentalnorm zur Beurteilung des geltenden weltlichen Rechts. In der prima aetas der Loci werden die aus dem Text der Heiligen Schrift extrahierten biblischen Normen als einzige Grundlage für eine geeignete Gesetzgebung zur Gestaltung der weltlichen Ordnung betrachtet: „ ( . . . )Hinc e praeceptis consilia facta sunt, et recepta est pestilentissima opinio, non posse res publicas administrari iuxta Evangelium, quasi tale aliquid tradiderit Christus, quod ad pauculos tantum monachos, et non potius ad universum genus humanum pertineat. Quid enim oportet esse communius Evangelio, quod Christus universae naturae praedicari iussit.“9
In den Vorarbeiten zu den Loci, d. h. in der Summa der Römerbrief-Vorlesungen, der theologica institutio10 und in den Kapiteln, die der unmittelbaren Vorbereitung der Loci dienten, der Rerum theologicarum capita,11 sollte noch das mosaische Recht als das unmittelbar von Gott gegebene Recht verstanden werden und als Grundlage für die bürgerliche Ordnung dienen.12 Als Melanchthon die weltlichen Gesetze immer wichtiger wurden, stellte sich für ihn die Frage, welche konkrete Ausdrucksform das biblische Recht übernehmen solle. Bis er den biblischen Radikalismus besser kennen lernte, betrachtete er zunächst die weltliche Gesetzgebung vor allem als Notlösung, um die menschlichen Schwächen zu bekämpfen. Da er die sündige Natur des Menschen berücksichtigte, sah er sich gezwungen, bei weltlichen Dingen die Verträge als unentbehrlich anzuerkennen, weil in der alltäglichen Realität das biblische Prinzip der Gütergemeinschaft nicht anwendbar war. In ähnlicher Weise sah Melanchthon sich veranlasst, den Christen das Recht zuzugestehen, gegeneinander Prozesse zu führen: „Iam quidem omnino delictum est, quod lites habetis inter vos invicem.“13
Mehrere Widersprüche in den Loci (1521) deuten daraufhin, dass der junge Reformator die sachlogischen Folgen der Unterscheidung zwischen weltlichem und geistlichem Bereich noch nicht konsequent durchdacht hatte. Die Definitionen der Gesetze erläutern hauptsächlich die Hierarchie der Normen und scheiden die Rechtsquellen voneinander. Die Hauptquelle aller Gerechtigkeit bleibt für Melanchthon das Wort Gottes. Da er 1521 noch keine klare Trennlinie zwischen dem CR XXI, S. 125, schon oben zitiert. CR XXI, S. 49 ff. 11 CR XXI, S. 11 ff. Die Reihenfolge, erst „Institutio“, dann „Capita“, folgt dem schlüssigen Beweis von Wilhelm Maurer in seinem Aufsatz: Zur Komposition der Loci Melanchthons von 1521, S. 146 – 180, insb. S. 148, der die Ordnung des CR widerlegt. 12 Vgl. das erste Kapitel und die Definition der drei Gesetzesarten in den „Loci communes“. 13 CR XXI, S. 129. „Es ist schon an und für sich ein Vergehen, dass ihr untereinander Prozesse führt“ (1. Kor. 6,7), zitiert von Melanchthon in seinem Absatz über die Judizial- und Zeremonialgesetze, Übersetzung Pöhlmann, S. 131. 9
10
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
81
geistlichen und dem körperlichen Leben zieht,14 sind in den Loci communes Ansätze eines theokratischen Einheitsmodells mit drei Schwerpunkten feststellbar. Erstens finden alle Rechts- und Gerechtigkeitsformen ihren Ursprung im ius divinum; zweitens stammen die einzigen Rechtsnormen, die angewandt werden müssen, aus der Bibel und drittens werden Rolle und Aufgabe der Obrigkeit auf ein Minimum reduziert: „Hoc magistratus intererit cavere, ne damnum det civis civi, ( . . . )“;15 „Magistratus interest cavere, ne damnum accipiat respublica.“;16 „( . . . ) hoc agatur, ut paucissimi laedantur, sublatis iis qui publicam quietem interturbant, et in hoc magistratus, poenasque sontibus constituantur.“17 „Nam magistratuum et legum civilium non est aliud officium nisi punire et arcere iniurias. ( . . . ) Dei enim minister est magistratus, ultor ad iram ei, qui deliquerit.“18
Die Obrigkeit wird demnach nur als ein allerdings von Gott gewolltes Instrument, das zur Umsetzung der Naturgesetze in eine weltliche Gesetzgebung unentbehrlich ist, verstanden. Entsteht ein Gegensatz zwischen den beiden Rechtsquellen, sind die Bürger verpflichtet, gegen die ungerechten Gesetze Widerstand zu leisten:19 14 In dem Absatz über die göttlichen Gesetze ist von „wirklich geistigen Menschen“ (spiritualissimis) die Rede, die als Einzige ihre Affekte in Zügel halten, Übersetzung Pöhlmann, S. 113. 15 CR XXI, S. 125. „[Doch] das wird Aufgabe der Obrigkeit sein, dafür zu sorgen, dass ein Bürger dem anderen keinen Schaden zufüge.“, Übersetzung Pöhlmann, S. 123. 16 Ebd. „Der Obrigkeit ist daran gelegen, zu verhüten, dass das Gemeinwesen Schaden leidet.“, Übersetzung Pöhlmann, S. 125. 17 CR XXI, S. 119. „( . . . ) so soll man doch darauf hinwirken, dass sehr wenige Schaden erleiden, indem die beseitigt werden, die den öffentlichen Frieden stören, und hierfür sollen obrigkeitliche Behörden [eingerichtet] und Strafen für die Rechtsbrecher angeordnet werden.“, Übersetzung Pöhlmann, S. 109. 18 CR XXI, S. 130. „Denn die Obrigkeit und die weltlichen Gesetze haben keine andere Funktion außer der, die Rechtsverletzungen zu bestrafen und in Grenzen zu halten. ( . . . ) Denn die Obrigkeit ist ,Gottes Diener, ein Rächer im Zorn über den, der sich verfehlt hat (Röm.13,4b)‘“, Übersetzung Pöhlmann, S. 135. 19 Einen politisch folgereichen Einfluss hat dieses protestantische Widerstandsrecht in der „Erklärung über die Hinfälligkeit der Herrschaftsrechte des Königs von Spanien in den Niederlanden vom 26. Juli 1581“. Darin wird ausgeführt: „Wie jedermann bekannt, ist der Fürst eines Landes von Gott gesetzt als Haupt über seine Untertanen, um dieselben zu bewahren und zu beschützen vor allem Unrecht, Bedrückung und Gewalt, gleichwie ein Hirte zum Bewahren seiner Schafe; und die Untertanen sind nicht von Gott geschaffen für den Fürsten, um ihm in allem, was er befiehlt, ob es göttliches oder nicht göttliches Recht oder Unrecht ist, untertänig zu sein und als Sklaven zu dienen, sondern der Fürst um der Untertanen willen, ohne die kein Fürst ein solcher ist, um sie mit Recht und Vernunft zu regieren, ihnen vorzustehen und sie liebzuhaben wie ein Vater seine Kinder und ein Hirte seine Schafe, der sein Leib und Leben einsetzt, um sie zu bewahren. Und wenn er solches nicht tut, sondern, anstatt seine Untertanen zu beschützen, versucht, sie zu bedrücken, zu überlasten, ihre Freiheit, Privilegien und alten Herkommen zu nehmen und ihnen zu gebieten und sie zu gebrauchen als Sklaven, muß er nicht als Fürst angesehen werden, sondern als Tyrann und kann er als
82
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon „Porro non licet magistratui statuere adversus ius divinum, nec obtemperari adversus ius divinum debet iuxta illud in actis Apostolicis [5, 29]. Oportet deo magis oboedire quam hominibus.“20
Zur Begründung der begrenzten Rolle weltlicher Gesetzgebung erklärt Melanchthon, dass die Bürger weltliche Gesetze nur für drei Arten rechtlicher Verhältnisse benötigten: um ihr Vermögen gerecht aufzuteilen, um die unterschiedlichen Vertragsformen zu definieren und schließlich, um Verbrecher zu bestrafen. Diese Dreiteilung der Funktionen entspricht den Naturgesetzen. Die strafrechtliche Aufgabe der Obrigkeit folgt aus dem zweiten Naturgesetz (honeste vivere, neminem laedere), die Typisierung der Verträge entspricht dem dritten Naturgesetz (suum cuique tribuere) und greift die gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten zur gerechten Vermögensaufteilung durch Vereinbarungen unter Kontrolle einer legitimen Obrigkeit auf diese leges naturae zurück. Rolle und Aufgabe der Obrigkeit werden im zweiten Teil dieser Arbeit untersucht. Melanchthons Gedanke, die Autorität der Obrigkeit unmittelbar von Gott herzuleiten, könnte Grund für die Annahme sein, dass den Loci von 1521 das Einheitsmodell zugrunde liege. Das ist aber nicht zwingend. Denn gratia Dei, aufgrund derer im Mittelalter die Erhebung des Kaisers und der Könige in ihr Amt erfolgte, bedeutete nur, dass diese oberste Würde (maiestas) unabhängig von einer Entscheidung des Volkes erlangt wurde, wie noch zu Zeiten der römischen Kaiser des Prinzipats aufgrund einer lex de imperio. Noch in der Soldatenkaiserzeit, als die Akklamation durch das Heer im Zusammenwirken mit dem Senat von Rom an die Stelle jenes förmlichen Gesetzes getreten war, war das Prinzip der Volkssouveränität erhalten geblieben. Auch war das Amt, das der Kaiser auszufüllen hatte, weltlich geblieben. Die Formel „Dei gratia“ ist mehrdeutig. Zunächst ist sie Ausdruck höchster Bescheidenheit und Synonym dafür, dass der Kaiser gegenüber Gottes Größe (Dei gratia, si quid est) vollkommen unbedeutend ist. Dann aber wird sie zur Legitimationsformel für die Amtseinsetzung unter Ausschluss jeder Legitimation durch andere weltliche oder geistliche Amtsträger. Und schließlich ist sie auch ein Titel, der versinnbildlicht, dass Gott den jeweiligen Inhaber des Amtes für würdig hält, das höchste Amt zu bekleiden.21 solcher nach Recht und Vernunft von seinen Untertanen, besonders durch Beschluß der Stände des Landes, nicht mehr als Fürst anerkannt, sondern verlassen und ein anderer an seiner Stelle zur Beschützung ihrer Glieder zum Oberhaupt unmißbräuchlich gewählt werden, um so mehr, wenn die Untertanen mit demütigen Vorstellungen ihren Fürsten nicht haben erweichen können noch vor seiner tyrannischen Haltung abbringen und sie also kein anderes Mittel haben, um ihre, ihrer Frauen und Nachkommen angeboren Freiheit – wofür sie nach dem natürlichen Recht Gut und Blut einzusetzen schuldig sind – zu bewahren und zu beschützen ( . . . )“, in: Fontes Historiae Iuris Gentium, hrsg. von Grewe Bd. 2: 1493 – 1815, S. 90 – 93. 20 CR XXI, S. 130. „Anderseits ist es der Obrigkeit nicht erlaubt, Verordnungen zu erlassen, [die] im Widerspruch [stehen] zum göttlichen Recht; und man darf nicht Gehorsam leisten[, wenn etwas] gegen das göttliche Recht [verstößt] gemäß jener Weisung in der Apostelgeschichte: ,Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen‘ (Apg. 5,29)“, Übersetzung Pöhlmann, S. 135.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
83
B. Der radikale Biblizismus und der Bauernkrieg als Faktoren der Meinungsänderung Melanchthons Das ereignisreiche Jahr 1521 war für die Festigung der evangelischen Lehre besonders wichtig. Mit dem Wormser Edikt vom 26. Mai wurde die Reichsacht mit der Verbannung Luthers öffentlich. Dies zwang ihn, unter dem Schutz des Kurfürsten Friedrich des Weisen auf der Wartburg Zuflucht zu suchen. Zugleich wurde Melanchthon die hohe Verantwortung übertragen, die lutherische Bibelauslegung in Wittenberg zu vertreten. Doch als Prediger war er seinem Lehrer noch nicht ebenbürtig.
I. Melanchthons Konfrontation mit den Wittenberger Unruhen und den Zwickauer Propheten 1521 / 1522 Die reformatorische Bewegung wurde im Herbst grundsätzlicher und volkstümlicher. Bestritten wurden nun die Gültigkeit geleisteter Ordensgelübde und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Die Forderung nach dem Laienkelch war nicht nur Anlass zu theologischen Auseinandersetzungen. Schon bald sprang der reformatorische Funke auf andere Gruppen über. Die Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Verhältnissen war offenbar. Die Kritik des radikalen Gabriel Zwilling veranschaulicht exemplarisch, wie sich die bürgerliche Wut gegen die hierarchischen Gesellschaftsstrukturen richtete. Als der Protest gegen die traditionelle Messe und die Priester, die sie abhielten, gewalttätige Formen anzunehmen begann, verließen die Augustinermönche ihr Kloster in Wittenberg. Am Michaelistag, dem 29. September, nahmen Zwilling und seine Anhänger als erste Laien das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Noch extremer wurden die Unruhen der Bürger Anfang Dezember unter Führung von Karlstadt von Bodenstein.22 Ohne Respekt vor dem Priestertum und unter Missachtung der traditionellen christlichen Liturgie verteilte er zu Weihnachten das Abendmahl in der vollbesetzten Stiftskirche. Eine große Anzahl protestierender Bürger verlangte vom Wittenberger Stadtrat eine grundlegende Reform der kirchlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Ihre Forderungen waren vom antiklerikalen und radikalen Geist dieser Tage geprägt. Tatsächlich trat im Januar 1522 eine neue Gemeindeordnung in Kraft. Auf ihrer Basis sollten der Gottesdienst reformiert und die öffentliche Moral durch Schließung der Bordelle wieder her21 Römerbrief 13.1 („Die bestehenden (Gewalten) sind von Gott angeordnet“) und das durch Kaiser Theodosius II. einberufene Konzil von Ephesus (431 vor Chr.). 22 Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt, I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation, Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae, ders., Andreas Bodenstein von Karlstadt, S. 105 – 116, Fuchs, Karlstadts radikal-reformatorisches Wirken und seine Stellung zwischen Müntzer und Luther, S. 523 – 552, Maurer, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, Bd. II: Der Theologe, S. 200 ff.
84
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
gestellt werden. Die Bettelorden sollten verboten, Planungen für einen „gemeinen Kasten“ zur Versorgung der Armen und Bedürftigen bearbeitet und die Heiligenbilder aus den Kirchen entfernt werden. Melanchthons Begegnung mit den Zwickauer Propheten Ende des Jahres 1521 beunruhigte ihn sehr.23 Die Radikalisierung der reformatorischen Bewegung und der einen Monat später folgende Bildersturm waren ihm ein Gräuel. Er fühlte sich angesichts der zunehmenden Unruhe in der Gesellschaft ohne Luther allein gelassen und hilflos. So appellierte er an den Kurfürsten, Luther aus der Wartburg zurückkehren zu lassen, was auch Anfang Dezember 1521 geschah. Luther hielt im März 1522 inmitten dieses brandgefährlichen Klimas seine Invocavitpredigten, in denen er die Rückkehr zu Ruhe und Ordnung forderte. Er sah die Notwendigkeit, die begonnenen Reformen zu mäßigen und zu verlangsamen. Da er die Zustimmung der weltlichen Herrschaft als eine Bedingung für erfolgreiche soziale Änderungen betrachtete, hob er in seinen Predigten die Schlüsselfunktion der Obrigkeit für das Erreichen der Reformziele hervor und verlangte, den sozialen Frieden nicht zu gefährden. Während der Wittenberger Unruhen war Melanchthon bewusst geworden, dass die Staatsgewalt und ihr Eingreifen unentbehrlich zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung waren und dass nur innerhalb ruhiger und befriedeter Verhältnisse die Reformation der Kirche mit Erfolg weiter getrieben werden konnte. Die Trennung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment, die Luther 1521 schon propagiert hatte, musste wieder hergestellt werden. Melanchthon forderte deshalb in seinen Disputationsthesen vom 25. Juli 1522 ausdrücklich: „Duplex est regimen, spirituale et corporale.“24 Die Dualität des menschlichen und des geistigen Reiches wurde fortan von Melanchthon nicht mehr in Frage gestellt. Dieser Fortschritt in seinem Rechtsverständnis kann, überspitzt gesagt, als Rückkehr zu seinem ursprünglichen Humanismus und als Abmilderung seiner theologischen Interpretation der Welt gedeutet werden. Die Anerkennung der Trennung zwischen den res sacrae (sacerdotium) und den res humanae (imperium), d. h. zwischen dem religiösen Inneren und dem körperlichen Äußeren im Leben eines Christen, übernimmt Melanchthon teilweise aus Luthers Freiheit eines Christenmenschen; demnach wird das geistliche Leben ausschließlich vom Evangelium regiert und darf noch nicht einmal von der Kirche bevormundet werden. Was das Regiment über das bürgerliche Leben angeht, beruft sich Melanchthon auf Ciceros Schriften. In seiner Vorrede zur Neuedition von Cicero, De officiis (1525), betrachtet Melanchthon die Philosophie nicht mehr, wie dieses im Mittelalter der Fall war, als Dienerin der Theologie, sondern weist ihr vielmehr, Ciceros Orator entsprechend, die Führung im weltlichen Leben („doctrina vitae corporalis“) zu.25 23 Maurer, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, Bd. II: Der Theologe, S. 200 – 223. 24 Cf: Disputationsthesen („Themata“) vom 25. 7. 1522, These 1, CR I, S. 595.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
85
Diese neue Erkenntnis verdeutlicht Melanchthon den besonderen Sinn der weltlichen Ordnung im Bereich des Politischen und in der kirchlichen Ordnung, soweit auch Letztere als Teil des regimen corporale zu verstehen ist (res circa sacra). Schon in den Loci communes (1521) behandelte Melanchthon im Kapitel über die menschlichen Gesetze (De humanis legibus) auch die päpstlichen Anordnungen. In den Folgejahren wiederholte er diese Position: „Ecclesiasticae traditiones civiles leges sunt“.26 Da der junge Reformator seine zentrale Aufgabe in der Aufrechterhaltung der weltlichen Ordnung und der Einheit der Kirche sah, widmete er alle seine Bemühungen der präzisen Formulierung, der Systematisierung und der Verteidigung der lutherischen Erkenntnisse. Zu Recht gilt er darum noch heute als „der Vater des bis heute lebenden deutschen konfessionellen Landeskirchentums“.27 Die theokratischen Ansätze seiner ursprünglichen Rechtsauffassung, schon 1522 kaum noch vorhanden, waren im weiteren Fortgang dieser Entwicklung schließlich der Zwei-Reiche-Lehre mehr und mehr gewichen. Er schenkte darum der Rolle der weltlichen Gewalt immer mehr Aufmerksamkeit. Sein Ruf nach Reformierung der Kirche, die ihm ganz zu einer weltlichen Institution geworden war, bedeutete aber nicht, dass die Kirche auch zur Reform der sozialen Verhältnisse aufgerufen sei. Den radikalen Reformatoren, die als Konsequenz der religiösen Reform auch die Erneuerung der politischen Machtverteilung forderten, stand Melanchthon ablehnend gegenüber. Seine Reaktionen am Anfang der 1520er Jahre auf die weit ausgreifende soziale Bewegung unter den Bauern bestätigten diese bereits konservativ zu nennende politische Einstellung. Seiner Meinung nach besaßen ausschließlich die Fürsten das Recht, in die sozialen Verhältnisse einzugreifen. Sie waren das Haupt des landesherrlichen Kirchenregiments und konnten darum allein Reformen im kirchlichen und gesellschaftlichen Bereich veranlassen und durchführen. Luthers und Melanchthons Zurückhaltung in Bezug auf die Sozialpolitik war eine unmittelbare Folge der traditionellen Zwei-ReicheLehre. Die gestärkte Rolle der politischen Gewalt in kirchlichen Angelegenheiten war nicht nur eine Folge der Verweltlichung der kirchlichen Ordnung, sondern bedeutete auch den ursprünglichen Verzicht der Reformkirche auf das Bischofsamt.28 Da der Landesherr regelmäßig als summus episcopus fungierte (und zwar bis 1542 ausschließlich), gab es in den evangelischen Territorien neben dem Territo25 CR XI, S. 88 und Kolosserkommentar, Hagenau 1527, fol. 25 a, zitiert nach Schwarzenau, Der Wandel im theologischen Ansatz bei Melanchthon, S. 28 f. 26 „Themata“, These 22, CR I, S. 596. 27 Wolf, Philipp Melanchthon. Evangelischer Humanismus, S. 16. 28 Erst 1542 mit der Weihe des Bischofs von Naumburg und 1545 mit der Einsetzung eines Bischofs von Merseburg wurde ein „Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen“ (so der Titel seiner Schrift von 1542) gesetzt und damit dieses Amt auch allen neuen Kirchenordnungen zugänglich gemacht. Zu den andauernden Schwierigkeiten der protestantischen Territorialkirchen mit dem Bischofsamt, vgl. RGG, 3. Aufl. s. u. „Bischof“; in: In evangelischem Kirchenrecht, S. 1306 ff.
86
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
rialherren keinen ihm gleichgestellten Kirchenfürsten, der eine christlich motivierte Sozialpolitik durchsetzen konnte. So wurde die gegenseitige Abhängigkeit von Reformation und oberster politischer Gewalt bei der Entwicklung der neuen Kirchenordnung offenbar. Daraus ergab sich sogar eine gegenseitige Hilfestellung, die während der Bauernunruhen selbst dort, wo die Forderungen berechtigt waren, Luther und Melanchthon in das Lager der Fürsten drängten. Fürstengewalt und erneuerte Kirchenordnung gehörten seitdem eng zusammen. Ohne die Unterstützung der Landesfürsten hätte sich der reformatorische Glaube nicht entfalten können und ohne Reformation hätten die Fürsten gegenüber Reich und Untertanen wohl ihre Glaubwürdigkeit verloren.29 Das Schicksal der evangelischen, auf Selbständigkeit bedachten Lehre hing in den ersten Jahren auch von der Festigung der landesherrlichen politischen Gewalt ab. Umgekehrt benötigte die Obrigkeit Akademiker, deren Gelehrsamkeit, Fachkenntnis und Loyalität ihre Macht im eigenen Land und im Reich gegenüber den anderen Fürsten stärken sollten. Die Bildung des modernen Staates mit einer weitgehend unabhängigen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, mit Universitäten30 und der verfassten Landeskirche war nicht zuletzt die Frucht der Reformation.31 Als 1522 die ersten radikalen Forderungen der Bauern Wittenberg erreichten, hatte Melanchthon seine in den Loci dargelegten ursprünglichen Ansichten zum Verhältnis von Kirche und Staat bereits geändert und die Rolle des Staates aufgewertet. Da auch die Staatsgewalt die bürgerlichen Tugenden, die als Faktor des gesellschaftlichen Friedens angesehen wurden, fördern und schützen konnte, wurde die Festigung der obrigkeitlichen Gewalt ein Anliegen mit Priorität. Denn das oberste Ziel weltlicher Herrschaft sah Melanchthon in der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und Ruhe. Wie wichtig die Universitas litterarum als Erziehungsort für junge christliche Bürger war, wurde noch ausdrücklicher betont. Die Quellen für dieses weltliche Bildungsprogramm sah Melanchthon seitdem in den Zeugnissen der antiken Weisheitslehren. Als die revolutionären Unruhen in Wittenberg 1525 lauter und die politischen Forderungen der Bauern nach Reformen ihres Standes drängend und zur Gefahr für die öffentliche Ordnung wurden, profitierten Melanchthon und Luther von ihrer inzwischen konkreter gewordenen Sicht der Verhältnisse zwischen Staat und Kirche.32 Dementsprechend übten sie heftige Kritik an den Agitatoren, die ihrer Ansicht nach nur unter einem Vorwand das ius divinum für sich in Anspruch nahmen, 29 Hashagen, Staat und Kirche vor der Reformation, Nürnberger, Kirchliche und weltliche Obrigkeit bei Melanchthon. 30 Petry, Die Reformation als Epoche der deutschen Universitätsgeschichte, S. 317 – 353. 31 Heinemeyer, Die Territorien zwischen Reichstradition, Staatlichkeit und politischen Interessen, S. 77 – 89, Mayer, Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates im hohen Mittelalter, in: Wege der Forschung II, S. 284 – 331. 32 Maurer, Der junge Melanchthon, Bd. II: Der Theologe, S. 455 – 562.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
87
in Wirklichkeit aber nur weltliche Ziele mit ihren revolutionär-politischen Absichten durchsetzen wollten.
II. Die ersten religiösen und politischen Programme der Bauernbewegung Zur Klärung der Einstellung der Reformatoren gegenüber den Forderungen der Bauern am Anfang der 1520er Jahre ist eine kurze Beschreibung der Ursprünge der Bauernbewegung und ihres genauen Inhaltes unumgänglich. Die Kritik an den sozialen Zuständen und die daraus abgeleiteten rechtlichen Forderungen, die dem Bauernkrieg vorausgingen, waren nicht zum ersten Mal während der revolutionären Aufstände von 1525 formuliert worden,33 sondern schon früher fast über ganz Mittel- und Süddeutschland verbreitet gewesen. Es lassen sich vier Aufstandsgebiete ausmachen: Oberschwaben, Tirol, Franken und Thüringen. In Oberschwaben wurden die so genannten „Zwölf Artikel“ formuliert.34 In Augsburg gedruckt, verbreiteten sie sich schnell über ganz Deutschland und galten als Manifest der Bauernbewegung, an dem sich alle späteren Klagen ausrichteten. Schließlich erreichten sie auch Thüringen, wo die Bewegung von Thomas Müntzer angeführt wurde.35 Obwohl sich die konkreten politischen und religiösen Forderungen je nach Region voneinander unterscheiden, lassen sich doch einige gemeinsame Schwerpunkte ausmachen. Vor allem ist es das Verlangen der Bauern nach Anwendung des „göttlichen Rechts“,36 das das Leitmotiv der so genannten Petitio war und auch als Kampfruf gegen die einsetzende Vollrezeption des römischen Rechts verstanden wurde.37 Kübel, Zur Frage der rechtlichen Begründung der Reformforderungen. Baumann, Akten zur Geschichte des deutschen Bauernkriegs aus Oberschwaben, ders., Die Zwölf Artikel der oberschwäbischen Bauern 1525, Böhmer, Urkunde zur Geschichte des Bürgerkrieges und der Wiedertäufer, ders., Quellen zur neueren Geschichte, Bd. III, Buszello, Gemeinde, Territorium und Reich in den politischen Programmen des deutschen Bauernkrieges 1524 / 25, S. 105 – 128, Franz, Geschichte des deutschen Bauernstandes, Walter, Der politische Gehalt der 12 Artikel. 35 Pianzola, Thomas Müntzer ou la guerre des paysans. 36 Schmidt, Das göttliche Recht. 37 Beispiele aus der Dissertation von Kübel, Zur Frage der rechtlichen Begründung: In dem 41. Artikel der Fürstenberger Bauern; bei den Beschwerden der Grafschaft Klettgau, der Gemeinde Beuren, der Gotteshausleute von Ochsenhausen, der Gemeinde Roßthyssen, Oberamt Ehingen; in dem Artikel 3 der Rappersweiler, der Gemeinde Schemerberg, Oberamt Biberach, die sich alle auf die bekannten 12 Artikel der Schwarzwälder Bauern berufen. Aber auch in den drei anderen zitierten Gebieten finden wir diese rechtliche Begründung für ihre Reformforderungen, S. 14 – 21. Vgl. die Forderung nach der Anwendung des „göttlichen Rechts“ in den Artikeln 41 und 62 der 62 Paragraphen langen Forderungsliste der Stühlinger Bauern, die 1525 dem Kammergericht in Rottweil überreicht wurde. Siehe auch: die Fische und das Wild sollten frei sein, wie es nach „göttlichem und gemeinen geschriebenen rechten“ steht, Baumann, Akten zur Geschichte, S. 188 ff. 33 34
88
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
1. Von den ersten Forderungen bis zur Bundschuh-Bewegung 1513 Die ersten Forderungen des gemeinen Mannes wurden schon 1401 in der Schweiz,38 und zwar in der Stadt St. Gallen, formuliert. Hier kämpfte die Appenzeller Gemeinde um die Wiederherstellung des „alten Rechts“ bzw. des „alten Herkommens“.39 Schnell wurden diese Forderungen auch in anderen Territorien übernommen. Deshalb findet man auch in den Urkundenbüchern in Luzern, Bern und Zürich den Hinweis auf das Versprechen der Städte, das Land „by iren alten harkommen und gerechtigkeit ze bliben lassen“.40 Die schweizerischen Forderungen fanden allmählich auch in Oberdeutschland Anklang41, so z. B. in der Bundschuh-Bewegung von Joß Fritz42 (1502 – 1517) und bei der Erhebung des Armen Konrad in Württemberg im Jahre 1514. Die Kemptener verlangten Respekt vor ihren alten Freiheiten und ihren alten Herkommen sowie mehr Gerechtigkeit. Im Übrigen schworen sie bei „allen anderen ziemlichen und gebührlichen Sachen [bei] dem Kloster Gehorsam“,43 was aber von der Gegenseite, dem Schwäbischen Bund, nicht nur abgelehnt, sondern als Auflehnung verstanden und darum blutig niedergeschlagen wurde. Wohl auch gerade wegen dieses Massakers verstärkte sich der Aufstand des Armen Konrad in Württemberg. Seine Anhänger erreichten, dass die Beschwerden der Volksbewegung auf dem Tübinger Landtag 1514 erörtert wurden. Sie verlangten, dass die alten Verträge, Gebräuche und Gewohnheiten wieder in Kraft treten sollten, die durch die Einführung des „gelehrten“ Rechts ersetzt worden waren – eines Rechts, das für sie fremd war, die Bauern und armen Bürger benachteiligte und dessen Anwendung in den Händen der doctores lag. Aufgrund dieser Argumente befürwortete der kompromissbereite Herzog Ulrich eine gemeine Ordnung, die die alten Gewohnheiten und Gebräuche wieder einführen sollte.44 Franz, Der Kampf um das alte Recht, S. 114. Appenzeller Urkundenbuch, hrsg. von Schiess, 1913, S. 161. 40 Franz, Der Kampf um das alte Recht, S. 137, 139, 141. 41 Wie zunächst bei den Gotteshausleuten der Fürstabtei Kempten, Franz, Geschichte des deutschen Bauernstandes, S. 132 ff. 42 Nahezu gleichzeitig mit den Aufständen des Armen Konrad 1513 und 1517 kam es auch im Breisgau und am Oberrhein zu bäuerlichen Unruhen. Ihr Anführer, Joß Fritz, hatte schon zu Beginn des Jahrhunderts im Gebiet von Speyer einen Aufstand organisiert. Zu seinem Programm gehörte nicht nur die Beseitigung der herkömmlichen Abgaben und Dienste der Bauern, sondern auch die Aufteilung des Kirchenguts sowie die Abschaffung der fürstlichen Territorialherrschaft zugunsten des Kaisers. 43 Franz, Der deutsche Bauernkrieg, S. 21. 44 Württembergische Landtagsakten, I. Reihe, Bd. VI, hrsg. von Ohr / Kober, S. 199, Nr. 17: „nachdem die verträg und alt gewonhaiten durch die doctores geendert werden und vil irrung machen etc. gefalt uns wol, das ain gemain ordnung und landsrecht furgenommen, damit man in allen spenen sovil möglich fridlich und ohne vil rechtvertigung, mue, kosten und schaden furgangen wird und die alten gewohnhaiten und erber bruch gehandhabt werden“. 38 39
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
89
Ursprünglich kennzeichneten die Forderungen nach „altem Recht“ und nach „göttlichem Recht“ zwei verschiedene Reformbewegungen. Doch wandelte sich die erste und ältere Forderung nach „altem Recht“ bald in die Forderung nach „göttlichem Recht“, wie es sich schon 1513 im Rahmen der Bauernerhebung zu Bühl in Baden deutlich zeigte. Dort hatte eine Reform im Zuge der Rezeption kurz zuvor das Erbrecht vollkommen nach römischem Recht verändert. Es ersetzte grundlegend andere Prinzipien des alten Rechts, nach denen das Hab und Gut, das Eheleute in Gütergemeinschaft hatten, dem überlebenden Ehegatten als Nachlass zufiel. Nun sollten nach dem Intestaterbrecht bei der Universalsukzession nur die nächsten Abkömmlinge die Miterben sein.45 Die Abneigung gegen dieses „fremde Recht“ stärkte das Verlangen nach Wiederherstellung des alten Rechts auch auf anderen Gebieten, wie z. B. bei der Frage des Zinsennehmens. Man forderte, „göttliches Recht“ einzuführen, wie dies der Bundschuh zu Lehen im Jahre 1513 verlangt hatte. Die Abschaffung des Zinsennehmens wurde durch das kanonisch-rechtliche Verbot legitimiert und entstammte daher nach Ansicht des Armen Konrad zu Bühl unmittelbar dem „göttlichen Recht“.46 Das deutlichste Beispiel für den Prozess der Gleichstellung des „alten Rechts“ mit dem „göttlichen Recht“ findet man in den Forderungen der Stühlinger Bauern während des Bauernkrieges. Dort unterschieden sie in ihren ersten Artikeln zunächst nur das „göttliche Recht“ von den „strengen (alten) Rechten“. Drei Wochen später verwendeten sie aber nur noch den Begriff des „göttlichen Rechts“ als einzige von ihnen anerkannte Rechtsnorm.
2. Das Verständnis vom „göttlichen Recht“ bei Wiclif Verschiedene Definitionen des ius divinum wurden entwickelt. Einige, wie die von John Wiclif,47 fanden besonders großen Anklang unter den Bauern und armen Bürgern. Wiclif hatte seine Lehre des göttlichen Rechts im Zusammenhang mit seiner heftigen Kritik an der institutionalisierten Kirche als weltlicher Herrscherin 45 Über die Güterrechte der Ehegatten, siehe: Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesamte Rechtswissenschaft, hrsg. von Weiske, 4. Bd., S. 902 – 949. 46 Rosenkranz, Der Bundschuh, Bd. II: Quellen, S. 145, Nr. 3. 47 John Wiclif (Wycliffe oder Wyclif), geb. 1320 – gest. 31. 12. 1384. Seit 1356 dozierte er in Oxford Philosophie und Theologie, wurde 1374 Pfarrer in Lutterworth. Sein kirchliches Ideal war das urchristliche Armutsideal. Deshalb kritisierte er das Besitzstreben der Kirche, erklärte das Kirchengut zum Nationaleigentum und bestritt den politischen Herrschaftsanspruch des Papstes. Ablasspraxis, Bilder-, Reliquien- und Heiligenverehrung, Ohrenbeichte und Transsubstantiationslehre lehnte er als nicht biblisch begründet ab. Seine begonnene englische Bibelübersetzung (1383 erschien das NT) und die Tätigkeit von Wanderpredigern (Lollarden), die seine Lehre verbreiteten, führten zum Anwachsen seiner Anhängerschaft. Seine über Hieronymus von Prag und Jan Hus vermittelten Ideen beeinflussten die Vorreformation. Von Papst Gregor XI. 1377 wurde seine Lehre verurteilt. Das Konstanzer Konzil 1415 erklärte ihn zum Ketzer und ordnete die Ausgrabung und Verbrennung seiner Gebeine an (1427 ausgeführt).
90
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
entwickelt. Sein Ideal war die besitzlose Kirche in ihrer Urgestalt, „wie sie noch dem Gesetz Gottes und dem Evangelium entsprochen hatte“.48 Wegen der Gier ihrer Vertreter nach Macht und Gütern, die in absolutem Widerspruch zu den evangelischen Prinzipien stehe, habe die römische Kirche ihren Anspruch, Wächterin des Christentums zu sein, verloren und sollte deswegen durch die weltliche Gewalt auf ihren ursprünglichen Zweck zurückgeführt werden. Nach Wiclif hatte der Staat die Aufgabe, der Kirche ihre Güter abzunehmen, die sie unberechtigt innehabe. Mit diesen Gütern könne sie das evangelische Ideal der Urkirche nicht verwirklichen. Die Erfüllung dieses von Gott gegebenen Auftrags rechtfertige die weltliche Gewalt, deren Aufgabe es sei, die lex Christi und das Naturrecht zum Ausgang der menschlichen Ordnung zu nehmen und wieder in Kraft treten zu lassen.49 Das ius divinum sollte aber nicht nur innerhalb der Kirche Anwendung finden. In seinem Werk De civili dominio verlangte Wiclif vielmehr, das Evangelium auch für das bürgerliche Recht zum Gesetz zu nehmen: „Totum corpus iuris humani debet inniti legi evangelicae tamquam regulae essentialiter divinae.“50
Auch für die Privatpersonen sollte das Eigentum abgeschafft werden. Wiclif hatte jedoch bei seiner Kritik an den Verhältnissen der Kirche und bei seiner Forderung nach Säkularisierung des Kirchengutes die Gefahr übersehen, dass religiöse Lehren von den radikal-politischen Schwarmgeistern aufgegriffen werden könnten. Wiclif sah, wie später auch Luther, seine Gedanken missverstanden und im Bauernkrieg als Waffe gegen die Obrigkeit missbraucht, als der biblische Radikalismus die an der kirchlichen Institution geübte Kritik übernahm und die Lehren des göttlichen Rechts und des Naturrechts mit ganz anderen politischen Zielen verknüpfte. Sie forderten, der Staat solle sich verpflichten, die konkreten Normen des Naturrechts anzuwenden, nicht nur, um die Reform der Kirche voranzutreiben, sondern um die ganze Gesellschaft neu zu gestalten und die alte bürgerliche Ordnung abzuschaffen. 3. Jan Hus’ Vorstellung von der „reinen Kirche“ und deren Einfluss Der Böhme Jan Hus trat in die Spuren Wiclifs.51 Auch er kämpfte gegen die Geld- und Machtgier der Kirche und predigte die Säkularisierung ihrer Güter. Da Troeltsch, Die Soziallehren der mittelalterlichen Kirchen und Gruppen, S. 399. Troeltsch, Die Soziallehren, S. 394, Anm. 176: „De quanto aliqua lex ducit propinquius ad conformitatem legis naturae, est ista perfectior. Sed lex Christi patiendi iniurias propinquius ducit ad statum naturae quam civilis. Ergo ista cum suis regulis est lege civili perfectior“. 50 Lechler, Johann v. Wiclif und die Vorgeschichte der Reformation, Bd. I, S. 476. 51 Jan Hus (oder Johannes Huß), geb. im südböhmischen Gebiet um 1370 – Tod durch Verbrennung in Konstanz am 6. 7. 1415. Er war zunächst Prediger und Lehrer an der Prager Universität. Als erklärter Anhänger der Ideen Wiclifs belegte ihn der Prager Erzbischof 1410 mit 48 49
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
91
er davon überzeugt war, dass sich der größte Teil ihres Vermögens im Besitz der deutschen Geistlichkeit befand, wurde das deutsche Reich zum Hauptziel seines Hasses. Damit bekam der Kirchenkampf eine neue, nationale Wendung, die auf die Loslösung Böhmens vom deutschen Reich zielte. In seiner extremen Abneigung gegen alles Deutsche appellierte er an das böhmische Nationalgefühl und versuchte, die kirchlich-nationale Verselbstständigung der Tschechen zu erreichen. Nach göttlichem Recht und nach den Normen des kanonischen Rechts52 sollte den Geistlichen weder Besitz noch Eigentum zustehen. Sie sollten nur Verwalter der weltlichen Güter der Kirche sein. Aber auch diese Güter sollten nicht im Vermögen der Kirche stehen, sondern als Güter der Armen (bona pauperum) betrachtet werden.53 Diese Forderungen verbreiteten sich rasch unter der armen Bevölkerung. Das schon vorhandene Gefühl der Ungerechtigkeit schlug zu offener Wut gegenüber den Vertretern der kirchlichen Macht um. Die soziale Unzufriedenheit führte zur weiteren Radikalisierung der Lehre, die bald nicht mehr nur nach einer Reform der Kirche, sondern nach der Umstrukturierung der gesamten Gesellschaft mit einer neuen, gerechteren Machtverteilung rief.54 Die Taboriten55 forderten sogar, dass alle Lebensverhältnisse nur nach göttlichem Recht zu bestimmen seien.56 Sie hieleinem Predigtverbot. Ein Jahr später wurde er exkommuniziert und 1412 durch den Papst verbannt. Trotz seines Geleitbriefs von König Sigismund wurde er wegen seiner Schrift „De ecclesia“ (1413) während des Konstanzer Konzils verhaftet und als Ketzer verbrannt. 52 Im „Decretum Gratiani“ steht: „iuxta sanctorum patrum traditionem novimus res ecclesiae nota fidelium esse, precia peccatorum et patrimonia pauperum“, „Corpus iuris canonici“, hrsg. von Friedberg, Bd. I, S. 780. 53 So hatte sich der böhmische Erzbischof Johann von Jentzenstein ausgesprochen, siehe: Burdach, Vom Mittelalter zur Reformation, Bd. III, Teil 2: Der Dichter des Ackermann aus Böhmen und seine Zeit, S. 63 f. 54 In der Nachfolge von Jan Hus entstanden in Böhmen mehrere kirchenreformerische und revolutionäre Bewegungen. Die beiden wichtigsten Gruppen von Hussiten waren die von Adel und Bürgertum getragenen Kalixtiner bzw. Utraquisten, die in den „vier Prager Artikeln“ von 1420 freie Predigt, Laienkelch, Säkularisation des Kirchenguts, Verzicht des Klerus auf Reichtum und politische Macht, strenge Kirchenzucht forderten sowie die von den Unterschichten getragenen sozialrevolutionär-chiliastischen Taboriten. 55 Die Taboriten hatten sich nach dem Berg Tabor benannt, auf dem Christus seine Wiederkunft verkündet hatte. Sie rekrutierten sich hauptsächlich aus den unteren Gesellschaftsschichten und aus den Reihen radikaler und ehemaliger Priester, die die Ausrottung des Bösen in Vorbereitung auf das Millennium predigten. Für die Taboriten waren die Römische Kirche die Hure Babylon und der Papst der Antichrist; beide würden in der letzten Schlacht untergehen. Ursprünglich Pazifisten, die apostolische Armut predigten und gegen Ungerechtigkeit kämpften, machten sie es sich zur Aufgabe, die Erde zu reinigen und entwickelten eine extreme Gewaltbereitschaft. 56 Die Taboriten hatten die gleichen Forderungen wie die Utraquisten. Darüber hinaus verlangten sie Gütergemeinschaft, die Abschaffung der kirchlichen Einrichtungen und Gebräuche sowie die Errichtung des Reich Gottes durch Waffengewalt. 1419 begannen die Heiligen Kriege. Der bedeutendste Führer auf der Seite der Taboriten war J. Ziska z Trocnova. Obwohl das Baseler Konzil 1433 in den „Prager Kompaktaten“ die Forderungen der „vier Prager
92
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
ten die Menschen für mündig genug, um für sich selbst entscheiden zu können, ob das Recht respektiert oder gebrochen werden solle. Auf der Basis des christlichen Naturrechts entwickelte diese radikale Bewegung das Ideal einer demokratischen Gesellschaft, in der alle Menschen Freiheit und Gleichheit genießen könnten und in der nach dem Vorbild der Urkirche das Privateigentum, die Steuern und die Abgaben abgeschafft werden sollten.
4. Die Radikalisierung der ursprünglichen Forderungen Der mos bohemicus,57 der die konkrete Umsetzung des göttlichen Rechts in der Welt erreichen wollte, fand durch Wanderprediger und Flugschriften Anhänger auch in den deutschen Territorien, wie 1476 bei der Massenpredigt zu Niklashausen bei Würzburg. Hans Behaim, der sich selber „der Mann Gottes“ nannte,58 hatte Forderungen aufgestellt, die bis hin zur Abschaffung des Kaisertums und des Papsttums reichten. Zwar hatte die unmittelbar vorher in Süddeutschland entflammte Bundschuherhebung einige seiner Grundprinzipien aufgenommen, jedoch waren seine Forderungen nicht in die Artikel der Bauern von 1525 übernommen worden. Die Abschaffung der Obrigkeit hatte zu keiner Zeiten zu ihren Forderungen gehört, aber öfter wurde die Einheit der Obrigkeit durch Vereinigung der Kirche mit dem Kaisertum verlangt. Was aber mit allem Nachdruck gewünscht wurde, war die Reform der Machtverteilung und -ausübung sowie die Aufwertung des armen Mannes innerhalb der Gesellschaft. Hans Behaims Ideen wurden in der so genannten „Reformation Kaiser Sigismunds“ (1438 entstanden und 1497 veröffentlicht)59, deren Grundgedanke das Verlangen nach Freiheit und Gleichheit aller Menschen im Sinne der Taboriten war, rezipiert.60 Von dessen revolutionären Thesen übernahmen die Bauernartikel von 1525 die Forderungen nach Säkularisierung des Kirchenvermögens, Beseitigung der belastenden Binnenzölle, Münzeinheit, Beschränkung der großen Handelsunternehmungen und die Aufwertung der Rechte der Armen und Schwachen.61
Artikel“ weitgehend anerkannte, wurden die Taboriten ein Jahr später bei Lipan von dem vereinten Heer der Utraquisten und den kaiserlich-katholischen Truppen geschlagen. Ihre Tradition wurde jedoch von den Böhmischen Brüdern fortgesetzt. 57 Höfler, Geschichte der hussitischen Bewegung in Böhmen, Bd. I., S. XXV. 58 Zöllner, Zur Vorgeschichte des Bauernkrieges, S. 76. 59 „Reformatio Sigismundi“ hrsg. von Altmann, siehe auch Dohna, Reformatio Sigismundi, Struve, Reform oder Revolution?, S. 73 – 129. 60 Eine Anspielung auf die Verkündigung des einen Evangeliums ohne revolutionären Konnotation wird das 1520 und 1525 entstandene Tafel-Bild von Lucas Cranach dem Älteren „Die Verklärung Christi auf dem Berg Tabor“ sein, das im Alten Rathaus zu Leipzig neben dem Porträt von Luther und Melanchthon hängt. Diesen Hinweis verdanke ich meinen Doktorvater, Prof. Dr. Wulf-Eckart Voß. 61 Beer, Die Reformation Kaiser Sigismunds.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
93
Zur gleichen Zeit wurde die so genannte „Reformation Kaiser Friedrichs III.“ publiziert. Diese Magna Charta Deutschlands62 stellte einen Verfassungsentwurf dar, in dem „eine völlige Umgestaltung der gesamten öffentlichen Zustände und eine Neuordnung des Reichs auf der Grundlage christlicher Freiheit“ gefordert wurde.63 Lastenfreiheit aller Güter wurde verlangt, Abgaben in gerechtem Maß und Grundzinsen wurden jedoch aufrechterhalten. 64 Vor allem sollte die Anwendung des kaiserlichen bzw. römischen Rechtes abgeschafft und alle doctores aus den Verwaltungsinstitutionen der Städte und der Fürsten entfernt werden. Neben den Idealen der Wiederbelebung der Urkirche sowie der Freiheit und der Gleichheit unter den Christen drückt sich in dieser Reformschrift die Abneigung gegen das römische Recht, gegen die in seiner Tradition ausgebildeten Juristen und gegen die Leibeigenschaft aus. Diese Programmschrift fordert ihrem Inhalt und dem verwendeten Sprachstil nach eine kommunistische Wirtschafts- und Staatsordnung65 und ruft die Bevölkerung im Namen Gottes zum Aufstand gegen die alte gesellschaftliche Ordnung auf. 5. Die Bundschuhbewegung von 1513 Unmittelbar vor dem Bauernkrieg brach 1513 am Oberrhein und im Elsass der Aufstand der Bundschuhbewegung aus. Das Programm des Bundschuh berief sich ausschließlich auf das „göttliche Recht“, das für den Agitator Joß Fritz die einzige Norm für die Reform der Gesellschaft bildete, eine Idee, die sehr schnell viele Anhänger unter den armen gläubigen Leuten fand.66 Die Verweltlichung der Gerechtigkeit Gottes, von der die Evangelien sprechen, sollte den elenden Menschen eine bessere Stellung in der Gesellschaft verschaffen und sie wirksam vor der Willkür der Mächtigen schützen. Die weltliche Ordnung sollte abgeschafft werden, da sie im Widerspruch zum ius divinum stehe; an ihre Stelle sollte das Gesetz Gottes als einzige Rechtsquelle treten.
62 Boehmer, Kaiser Friedrichs III. Entwurf einer magna Charta, Hesslinger, Die Anfänge des Schwäbischen Bundes. 63 Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. III, S. 115. 64 Goldhast, Reichssatzungen, 3. Teil, S. 116 ff. und Deklaration zu Artikeln 3, 5 und 7. 65 Haupt, Ein oberrheinischer Revolutionär aus dem Zeitalter Maximilians I., S. 128 f., 130, 136, 167, 170 und 210. 66 Andreas, Der Bundschuh, S. 531 ff., Franz, Der deutsche Bauernkrieg und Rosenkranz, Der Bundschuh, Bd. II: Quellen, S. 91, 191 – 194.
7 Deflers
94
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
III. Gründe für die Einsetzung des „göttlichen Rechts“ in die Forderungen der Bauern in 1525 1. Die Rolle der Rechtfertigung des Widerstandsrechts durch die Reformation Luther hatte sich oft zur Frage des Widerstandsrechts und zur Freiheit eines Christenmenschen geäußert. Als seine Lehre von den sogenannten Prädikanten aufgegriffen und verbreitet wurde, entfaltete sich eine ganz andere, von ihm nicht beabsichtigte Wirkung. Unter dem Einfluss der wortmächtigen Agitatoren wurde sie von den leicht manipulierbaren armen Schichten in der Bevölkerung missverstanden und politisch instrumentalisiert. In diesem Sinne hat die evangelische Lehre ohne Zweifel eine wesentliche Rolle im dramatischen Ablauf der Ereignisse der 20er Jahren des 16. Jahrhunderts gespielt.67 Sie trug entscheidend zur Verhärtung des Widerstandes und zum Krieg gegen alle Formen der Obrigkeit bei. Der uralte Kampf für die Freiheit der Menschen erhielt mit der reformatorischen Lehre eine neue Berechtigung, seitdem er auch im Namen Gottes und des Evangeliums geführt werden konnte.68 Luthers Ruf nach Freiheit konnte in einer Gesellschaft, in der die meisten Bauern Leibeigene (homines proprii) waren, nicht ohne Anklang bleiben. Schon Erzbischof Johann von Jentzenstein69 hatte diese Art der Abhängigkeit als Form einer in der feudalen Gesellschaft anerkannten Sklaverei gebrandmarkt und als Verbrechen gegen die naturrechtliche Freiheit der Menschen kritisiert. Seine Kritik richtete sich vor allem gegen das übliche Heimfallsrecht,70 wobei er sich auf das dritte Buch des Sachsenspiegels stützen konnte: 67 „Dauernde Erfolge wurden nur da erreicht, wo die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Belange mit den religiösen Forderungen konform gingen, insbesondere bei der Aufwertung der weltlichen Berufe und Obrigkeiten, bei der Säkularisation der Kirchengüter, beim Aufbau des Bildungswesens. ,Die Reformation‘ baute dabei überall organisch auf Tendenzen der spätmittelalterlichen ,Reformbewegung‘ auf. Von rein ,revolutionären‘ Erscheinungen im 16. Jahrhundert wird man demnach da sprechen, wo die Verbindung zur Tradition bewusst oder faktisch unterbrochen wurde, wo die Bindung an die Bibel als Norm des Glaubens abgeschnitten ist wie bei Thomas Müntzer, wo die fälligen sozialen Reformen mit Gewalt eingeleitet wurden wie in der Ritterschaftsbewegung und im Bauernkrieg. Alle revolutionären Strömungen waren damals zum Scheitern verurteilt. ( . . . ) Der Luther des Kasthans lehnt zwar die Gewalt ab, doch der stereotype Ruf nach dem Flegel und das offene Bekenntnis zum Widerstandsrecht wirkten revolutionär; man darf dem Verfasser so viel Geist zutrauen, dass ihm dies bewusst war.“; siehe Scheible, Melanchthon und die Reformation, S. 466 f. 68 Franz, Der deutsche Bauernkrieg, insb. S. 89 ff. 69 Burdach, Vom Mittelalter zur Reformation, Bd. III, Teil 2: Der Dichter des Ackermann aus Böhmen und seine Zeit, S. 63 f. 70 Im Lehnrecht bedeutete das Heimfallrecht, dass ein Lehnsgut mit allen Leibeigenen an den Lehnsherrn zurückfällt, wenn keine Erben des Vasallen vorhanden waren. Vom Heimfallrecht leitet sich das Erbrecht des Fiskus ab, wenn weder Ehegatte noch Verwandte des Erblassers vorhanden sind (§ 1936 BGB). Heutzutage bedeutet es auch die Verpflichtung des
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
95
„Got hat den man nach im selben gebildet unde hat in mit siner martere gelediget, den einen alse den anderen. Ime iz der arme also lieb (nahe verwandt) alse der riche.“71 „Do man ouch recht allirerst satzte, do en waz kein dienstman unde waren alle lute vri, do unse vorderen her zu lande quamen. An mime sinne en kan ichz ouch nicht bescheiden nach der wahrheit, daz imant des anderen wesen solle. Ouch en habe wir des nekein orkunde.“72
Das Widerstandsrecht gegen die ungerechte Obrigkeit rechtfertigt schon der Sachsenspiegel.73 Es ist offenbar bereits germanischen Ursprungs und geht auf die zwischen dem Herren und seinem Gefolge geschworenen Treue zurück, die im Fall eines Treubruches die offene Gehorsamsverweigerung legitimierte.74 Auch die Bibel weist auf die Möglichkeit des Widerstands gegen die weltliche Autorität hin, wenn diese mit der göttlichen in Kollision gerät. Sie schließt aus der Unterscheidung zwischen weltlichem und geistlichem Reich die Unterrangordnung des ersten gegenüber dem zweiten, wenn sie nicht miteinander übereinstimmen: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“75
und: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“76
Auf diese biblischen Sätze gestützt rechtfertigte auch Melanchthon das Widerstandsrecht in den Loci 1521: „In iis, quae exiguntur iure divino, nullo respectu scandali iure divino obtemperandum est, faciendum et docendum, quod exigitur iure divino. Semper enim fides caritati praeferenda est. Atque huc iterum facit, quod est in Actis V.: „Oportet deo magis oboedire quam hominibus.“ ( . . . ) Nec nos pareamus impiis principibus damnantibus evangelium hoc tempore.“77 Nutzungsberechtigten, die jeweilige Sache unter bestimmten Voraussetzungen auf den Eigentümer zurück zu übertragen; ggf. beim Erbbau- und Dauerwohnrecht. 71 Sachsenspiegel, III. Buch, XLII, § 1. 72 Sachsenspiegel, III. Buch, XLII, § 3. 73 „Der man muz ouch wol sime koninge unde sime richter unrechtes (Widerstand leisten, wenn Richter und König Unrecht tun) wedersten unde helfen werden in alle wiz, aleine si her sin mag adir sin herre, unde en tut dar an weder sine truwe nicht“, Sachsenspiegel, III. Buch, LXXVIII, § 2. 74 Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, S. 177. 75 Matth. 22, 24. 76 Apg. 5, 29. 77 „In den [Dingen], die kraft göttlichen Rechts gefordert werden, muss man ohne Rücksicht auf ein Ärgernis dem göttlichen Recht gehorchen und man muss tun und lehren, was vom göttlichen Recht verlangt wird. Denn immer soll dem Glauben vor der Menschenliebe der Vorrang zukommen. Und daher gehört hierher wieder, was im 5. Kapitel der Apostelgeschichte steht: ,Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen‘ (Mt. 10, 34 – 36) ( . . . ) Auch wir wollen nicht den gottlosen Machthabern gehorchen, die das Evangelium gegenwärtig verdammen.“, Übersetzung Pöhlmann, S. 373. 7*
96
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Melanchthon folgt hierin der kirchlichen Tradition, die ursprünglich nur einen passiven Widerstand anerkannt hatte, aber mit der Zeit auch den Untertanen das aktive Widerstandsrecht zubilligte und gegenüber einer ungerechten Obrigkeit dessen Ausübung sogar als Pflicht ansah. Die mittelalterliche Kirche war sich bewusst gewesen, dass sie die Unterstützung der gläubigen Bevölkerung benötigte, um sich vor den weltlichen Mächten zu schützen.78 Sie betrachtete daher den Widerstandsakt als lex naturalis, das aus dem ius divinum stammt und über den menschlichen Verordnungen stand. Die Stellung der Kirche zu dem berechtigten Widerstandsrecht bedeutete nichts anderes, als die Macht der weltlichen Obrigkeit mittels des Naturrechts zu begrenzen. Die Kirche versuchte die weltlichen Herrscher mit dieser rechtlichen Begründung in Zaum zu halten. Die Dualität der Universalmächte im Spätmittelalter führte zur sogenannten „Notrechtslehre“. Der Begriff „Not“ bezeichnete alle Arten von Lücken und Missbräuchen des geltenden Rechts, die der Billigkeit entgegenstanden, und die durch das geistliche Einschreiten ausgefüllt werden sollten. Im Fall ihres Versagens sollte dann wiederum der weltliche Arm eingreifen und allein nach einer juristischen und billigen Lösung suchen.79
2. Der Einfluss der Bestrebungen nach einer neuen Machtverteilung Die Feststellung solcher Lücken erfolgte durch Überprüfung der Gültigkeit der betreffenden Rechtsnormen auf ihre Billigkeit. Ähnlich hatten zuvor Occam und sein Schüler Wiclif argumentiert, als die Kirche einen vergleichbaren Notstand erlebte. Sie hatten das Eingreifen der weltlichen Gewalt als notwendige Hilfe für das geistliche Regiment interpretiert: „ ( . . . ) ubi spirituale brachium . . . non sufficit convertendi christos. . . , seculare brachium adiuvit matrem suam severa cohercione. . .“80
Zwei Arme – ein geistiger und ein körperlicher – sollten im Dienst eines einzigen Haupts agieren. Dieses zweiarmige çorpus mysticum“ ist später in dem berühmten Frontispiz des Leviathan (1651) von Th. Hobbes (1588 – 1671) aufgegriffen und bildlich umgesetzt worden; ein Symbol für ein Einheitsmodell, das auf begrifflicher Vorstellung beruht und keine Verbindung zwischen weltlichem und transzendentalem Reich zulässt. In diesem Sinne sollte das göttliche Recht auch nach den Forderungen der Bauern, die während des Krieges 1525 formuliert wurden, angewandt werden. Deutlich erkannten Occam und Wiclif, dass eine 78 Im Investiturstreit hatte so der Bischof von Mailand mit den „Patarenern“ (die Pataria war eine revolutionäre demokratische Bewegung in Oberitalien) die Unzufriedenen und sozial zu kurz Gekommenen unter der städtischen Bevölkerung gegen die kaiserliche Partei mobilisieren können. Dazu siehe u. a. Bonizo (Bonitho), in: Bauz, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. I, Spalte 694. Zum Recht der Kirche, die weltlichen Herrscher abzusetzen, siehe Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, S. 422 ff. 79 Hashagen, Staat und Kirche vor der Reformation, S. 433 ff. 80 Hashagen, Staat und Kirche vor der Reformation, S. 438.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
97
Reform der Kirche nur mit Hilfe der in der Person des Kaisers und des Fürsten verkörperten weltlichen Gewalt gelingen könnte. Deshalb forderten sie für die Umstrukturierung der gesellschaftlichen Ordnung nicht die Abschaffung der obrigkeitlichen Vertreter, sondern eine Neuverteilung der Macht zwischen den beiden Regimenten. Die Auffassung der Machtverhältnisse zwischen Untertanen und Obrigkeit wurde 1524 von Vertretern der Armen – wie dem Pfarrer zu Waldshut Balthasar Hubmaier in seiner Schrift „Vom Schwert“81 und dem schweizerischen Reformator Zwingli in seiner Schrift „Usslegung und Gründ der 67 Schlussreden“82 – radikalisiert. Der Reformator aus St. Gallen verlangte im 42. Artikel seiner Schrift die sofortige Entfernung ungerechter weltlicher Obrigkeiten, die im Widerspruch zu Gottes Worte ständen. Verboten sei jedoch bei der Durchführung dieser Absetzungen jegliche Art von Gewalt im Respekt vor Gottes Frieden. Auch Zwingli plädierte für die Abschaffung der Zinsen und des Privateigentums, weil sie gegen das Wort Gottes verstießen und der Ursprung der Sünde seien. Sein Aufruf zur Befreiung bzw. zur Revolte fand großen Anklang in der unterdrückten Bevölkerung, die schon jahrzehntenlang nach einer Verbesserung ihrer ökonomischen Grundlagen und ihrer sozialen Stellung verlangte.
3. Der Einfluss der Forderung Luthers nach Erneuerung der Kirche Luther hatte in seinen Schriften über die Freiheit und Gleichheit auch die Frage eines bedingten, aber möglichen Widerstandsrechts der Christen gegen eine ungerechte Obrigkeit behandelt. Sein Ziel war einzig die Verbreitung der „richtigen“ biblischen Lehre, deren Grundprinzipien das persönliche Verhältnis der Christen zu Gott und die Rechtfertigung „sola fide“ bildeten. Die Heilige Schrift gilt nach Luther im Bereich des Glaubens und nimmt – so auch Erasmus – nur als Mittel zur Bildung der Herrschenden und ihrer Untertanen Einfluss auf die weltlichen Verhältnisse. In seiner Lehre über den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium erklärt Luther, das Evangelium sei „lex sine legibus“. Die Heilige Schrift sei Ausdruck des Gesetzes der Liebe Gottes, das ohne weitere Gebote und ihre festgelegten Formen allein durch das Lesen der Bibel und den persönlichen Glauben erfüllt werden könne. Luther war sich der Gefahr eines möglichen Missverständnisses seiner Lehre bewusst. Darum versuchte er die Fürsten in seiner Schrift „Von der weltlichen Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (1523),83 vor der Radikalisierung Mau, Balthasar Habmaier, S. 41 – 43. Loserth, Die Stadt Walshut und die vorderösterreichische Regierung, Bd. 27, S. 47 ff. und Wolf, Die Sozialtheologie Zwinglis, S. 167 – 188, insb. S. 185. 83 WA 11, S. 245 – 281 [(229)]. 81 82
98
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
der Bauern zu warnen. Gleichzeitig verbot er der revoltierenden Bevölkerung 1525 mit der „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“84, den Namen Gottes dadurch zu beschmutzen, dass sie ihn als Vorwand für ihren Aufruhr nahmen. Er erkannte einige ihrer Artikel als annehmbare und gerechte Beschwerden an, lehnte aber unwiderruflich ab, dass sich die Bauern auf das Evangelium beriefen, um ihre weltlichen Forderung zu rechtfertigen. Luther kämpfte gegen diese falschen Propheten und ihre ketzerische Bibelauslegung, weil sie die ungebildete und „elende“ Bevölkerung auf Irrwege führten. Die durch Luther eingeleitete Erneuerung der Kirche und des christlichen Glaubens war ohne Zweifel mit den Forderungen der Bauern verwandt. Die Grundlinien seiner religiösen Lehre und seiner Einstellung gegenüber der römischen Kirche und deren Machtausübung als weltliche Herrschaft gaben Anlass zu grundsätzlicher Kritik an der politischen Ordnung, vor allem an der Machtverteilung zwischen Rom und dem deutschen Kaiser, aber auch zwischen den Fürsten und ihren Untertanen. Zwinglis, Karlstadts oder Müntzers radikale Kritik hätte auch von Luther stammen können, wenn er politisch engagiert gewesen wäre. Luther war aber Reformator, kein Revolutionär. Die Hilfe seines Fürsten brauchte er, um nicht dasselbe Schicksal wie Jan Hus zu erleiden und um seine reformatorische Lehre zu verbreiten. Die Hilfe der weltlichen Macht war aber auch nötig, um die der Dekadenz verfallene Papstkirche zu reinigen und aus der Tradition der biblischen Urkirche neu zu errichten. 4. Analyse der Forderungen der Bauern nach „altem“ oder „göttlichem“ Recht Was von den Bauern 1525 unter dem Begriff „göttliches Recht“ verstanden wurde, wird man allenfalls unter Zuhilfenahme soziologischer Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Gesellschaft ermitteln können. In dieser Epoche herrschte im Volk eine eigenartig labile Stimmung. Es war eine geradezu explosive Mischung aus Lebensangst, geistiger Lähmung, aufgeregten Erwartungen und ständigen Unruhen. In einer Gesellschaft, in der Religiosität und Aberglauben ineinander flossen, und in der die Bauern, die die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, noch in Schollenabhängigkeit standen, sehnten sich die unterdrückten Menschen nach Freiheit und Ordnung. Die Bauern, die unter den Verwirrungen in den weltlichen und kirchlichen Institutionen doppelt litten, da sie von Kirche und Adel abhängig waren, lebten in so miserablen Verhältnissen, dass sie für die rasante Ausbreitung sozialer Kritik besonders empfänglich waren. Das mit dem neuen Recht einhergehende Gefühl, jeder Willkür in der Rechtsprechung ausgesetzt zu sein, verstärkte die Unsicherheit bei ihnen noch. Die Nähe der natürlichen Ordnung zur göttlichen Schöpfung, die von den radikalen Führern ständig betont wurde, hatte demgemäß zur Folge, dass das religiöse Gefühl und der verständliche Wunsch, in ihren 84
WA 18, S. 291 – 334 [(279)].
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
99
Lebensverhältnissen endlich nach Recht und Billigkeit beurteilt zu werden, sich miteinander verbanden und zu Aufbegehren reizten.85 Das Landvolk, das bei der kirchlichen Obrigkeit Hilfe und Unterstützung suchte, sah sich nicht selten enttäuscht, wenn es um Hilfe gegenüber dem Herrscher oder dem Grundherren ging. Dieser Schutz wurde nicht wegen des Unwillens der Pfarrer, sondern eher wegen ihrer Ohnmacht verweigert. Verantwortlich dafür war das Verfahren, nach dem die Priester und die der Reformation gegenüber offenen Pfarrer ihre Pfarrstellen („Pfründe“) erhielten. Wenn die Besetzung für eine Eigenkirche des weltlichen oder geistlichen Grundherren nicht überhaupt der Grundherr allein vornahm, dann war er doch wesentlich an der Auswahl beteiligt und vor allem für die Ausstattung zuständig. Auch nachdem das Eigenkirchenwesen durch Patronate oder Inkorporationen abgelöst worden war, änderte sich an dem Einfluss des Patrons nichts.86 Diese Feudalisierung der beneficia minora war sicherlich ein Grund dafür, dass sich im Laufe des 14. Jahrhunderts unter der Bevölkerung der Unmut gegen die Grundherren auch auf die Vertreter der Kirche erstreckte. Die Entwicklung bahnte den Weg für die religiösen und sozialen Reformforderungen im 15. und 16. Jahrhundert – für die Wiclifs, aber auch für die gutwilliger und hellsichtiger Kaiser wie Kaiser Sigismund, oder später für die solcher Anführer wie Joß Fritz. Wie komplex die Erwartungen der Unzufriedenen an die Wiederherstellung des „alten Rechts“ und die Einsetzung des „göttlichen Rechts“ gewesen waren, hat Heide Wunder in einer begriffshistorischen Untersuchung in einem umfangreichen Überblick über die zentralen Ergebnisse der Forschung erschlossen. Historische, anthropologische, psychologische und nicht zuletzt rechtsgeschichtliche Aspekte fließen zusammen und werden so zur Legitimation der bäuerlichen Forderungen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert.87 Die bedeutendste und differenzierteste Analyse der bäuerlichen Forderungen nach „altem“ oder nach „göttlichem“ Recht bleibt aber immer noch die 1933 von Günther Franz veröffentlichte, die das gesamte Forschungsfeld bis heute beeinflusst.88 In seinen Untersuchungen wird scharf zwischen den Begriffen „altes Recht“ und „göttliches Recht“ differenziert, die hier für zwei unterschiedliche Gruppierungen der sozialen Bewegung stehen. G. Franz meint, die Berufung auf 85 „Gott war der Schöpfer aller Dinge, seinem Willen war alles im irdischen und überirdischen Reich Gehorsam schuldig. Eine Trennung von körperlichen und seelischen rechtlichen Bindungen war dem klaren eindeutigen Empfinden des Volkes fremd, unverständlich.“, Schmidt, Das göttliche Recht, S. 19. 86 Siehe dazu die Artikeln in der Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), 3. Aufl., s. u. „Eigenkirche“ (A. Erler), Bd. 2, S. 356 f. „Inkorporation“ (Cl. Bauer), Bd. 3, S. 754 ff., „Patronat“ (Reicke), Bd. 5, S. 156 – 159, vgl. auch im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), s. u. „Eigenkirche“ (W. M. Plöchl), Bd. 1, S. 879 f., „Inkorporation“ (ders.), Bd. 2, S. 366 ff., „Patronat“ (P. Leisching), Bd. 3, S. 1558 – 1564 und „Patrozinium“ (H.-J. Becker), Bd. 3, S. 1564 – 1568. 87 Wunder, „Altes Recht“ und „göttliches Recht“ im deutschen Bauernkrieg, S. 54 – 66. 88 Franz, Der deutsche Bauernkrieg.
100
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
das „alte Recht“ sei durch Spontaneität und Kleinraumgebiet der Aufstände charakterisiert, habe aber auch eine breite Mobilisierung der Bauern bewirkt. Dagegen zeigten Bewegungen wie der Bundschuh, die sich auf das „göttliche Recht“ beriefen, einen eher konspirativen Charakter und eine lange Vorbereitung; sie hätten auch demgemäss eine größere räumliche Verbreitung erfahren und in den Händen einiger Eingeweihter gelegen, die eine konzentrierte Führungsstruktur aufgebaut hätten. Nach G. Franz ist das Zusammentreffen der sozialen und rechtlichen Forderungen auf der einen Seite mit der religiösen Kritik der lutherischen Reformation auf der anderen Seite der zentrale Grund dafür, dass die bäuerliche Wut die Grenze der Territorien sprengte und schließlich zur Eskalation im Bauernkrieg führte. Da Luther seine Kritik allein auf das Evangelium stützte und von allen kirchlichen und kirchenrechtlichen Traditionen frei machte, waren seine Forderungen nach Reformen auch für die Bauern in ihrer Begründung verständlich. So konnte das Evangelium zur wirkungsvollen Legitimation der geforderten gesellschaftlichen Veränderungen werden.89 Die beiden bis dahin getrennt verlaufenen Bewegungen fanden somit in der reformatorischen Lehre des sola scriptura eine gemeinsame Rechtfertigung für ihre Beschwerden gegen die Obrigkeit und für den auch gegen die Kirche gerichteten Aufruhr. Die auf der Basis des „alten Rechts“ formulierten Forderungen waren naturgemäß territorial begrenzt, fanden aber nun in der Berufung nach dem „göttlichen Recht“ eine Legitimation, die nicht nur kraftvoller überzeugte, sondern auch die traditionellen Herrschaftsgrenzen des territorialen Rechts sprengte. Die Bauernaufstände weiteten sich mit der Berufung auf göttliches Recht und auf das Evangelium bis 1525 immer schneller aus und erfassten weite Teile der süd- und mitteldeutschen Territorien. Durch die qualitative Veränderung des rechtlichen Topos durch die Reformation fanden die Bauernbeschwerden auch unter den Bürgern leichter Akzeptanz, die sich von dem Ruf nach dem „alten Recht“ nicht angesprochen fühlen konnten, zumal ja die Rezeption des römischen Rechts nicht unwesentlich von den Städten und ihrer romanistischen „Stadtrechtreformation“ ausgegangen war; das ist ein wesentlicher Grund für die starke extraterritoriale Ausbreitung der Geschehnisse in der Zeit von 1524 bis Ende April 1525. Im Gegensatz zu Franz’ Unterscheidung der Bewegungen in solche, die ihre Legitimation entweder im „alten Recht“ oder im „göttlichen Recht“ sahen, bezweifeln Thomas Nipperdey und P. Melcher, dass eine klare Trennung zwischen den beiden Arten der Legitimation bestanden habe. Sie heben nicht ohne Berechtigung 89 „In dieser Umdeutung wurde das göttliche Recht zum massenmitreißenden Schlagwort. In ihm verband sich reformatorische Gesinnung mit dem Streben nach einer neuen, biblisch begründeten, zugleich aber den alten Rechtszustand wiederherstellenden Ordnung. Die Reformation schlug die Brücke zwischen altem und göttlichem Recht.“, Franz, Geschichte des Bauernaufstandes, S. 137.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
101
hervor, dass auch das alte Recht von der bäuerlichen Bevölkerung als göttlich empfunden worden war.90 Schon in der Einleitung zum Sachsenspiegel wird die Identität zwischen Gott und Recht mit dem knappen und unmissverständlichen Satz „Got is selve recht“ festgestellt.91 Peter Blickle, ein Schüler von Franz, stellt die beiden Legitimationssysteme einander gegenüber und verbindet sie in einer plausibel erscheinenden Stufenabfolge. Die Bauern hätten erst nach dem Misserfolg ihrer Berufung auf das alte Recht zur neuen Legitimation nach göttlichem Recht gegriffen und dadurch ihren Widerstand gegen die Herrschaft mit einer noch überlegeneren Rechtfertigung fortsetzen können.92 Auch G. Vogler hebt in seiner Analyse der „Zwölf Artikel“ der oberschwäbischen Bauern hervor, dass sich beide Legitimationssysteme ergänzt hätten.93 Um diese Behauptung zu belegen, hält er es für notwendig, eine geographisch differenzierte Vergleichsanalyse zwischen denjenigen Bewegungen, die sich auf das alte, und denjenigen, die sich auf das göttliche Recht berufen, durchzuführen, um die jeweilige Art der Verbindung präziser erkennen zu können.94 Bei aller Unterschiedlichkeit der Legitimation der Bauernunruhen waren die Forderungen, vor allem während der früheren Unruhen, ähnlich. Hauptsächlich ging es um die Verletzung der erworbenen Rechte und um die Begrenzung der steuerlichen Abgaben an die Grund-, Leib- und Gerichtsherren. Dazu kamen die neuen Herrschaftsansprüche der Territorialherren gegenüber ursprünglich reichsunmittelbaren Dorfgemeinden („Reichsdörfer“),95 die nicht mehr in der Lage waren oder gewesen seien, ihre elementaren Ordnungsaufgaben, wie die Friedenswahrung, Rechtsprechung und Heerfolge, erfüllen zu können. Darüber beschwerte man sich in vergleichbarer Weise.
5. Luthers Reaktion zu den damaligen Konsequenzen seiner Lehre und Kritik In der genauen Bewertung der Frage, welchen Einfluss Luther auf den Wandel der ursprünglich nach Territorien differenzierten Forderungen der Bauern hin zu den politisch-theokratischen Zielen, die zum Krieg gegen die Obrigkeit führten, 90 Nipperdey / Melcher, Bauernkrieg, S. 611 – 627. Wiederabdruck ohne Literaturverzeichnis in: Reformation oder frühbürgerliche Revolution?, hrsg. von R. Wohlfeil, München 1927, S. 287 – 306. 91 Sachsenspiegel, hrsg. von Friedrich Ebel, Stuttgart, 1953 und 1993, S. 28. 92 Blick, Die Revolution von 1525, insb. S. 135 – 143: Biblizismus contra Feudalismus. 93 Vogler, Der revolutionäre Gehalt und die räumliche Verbreitung der oberschwäbischen Zwölf Artikel. 94 Vgl. Heide Wunder in: „Altes Recht“ und „göttliches Recht“ im deutschen Bauernkrieg, S. 54 – 66, für eine semantische Betrachtung der verschiedenen Interpretationen der Begriffe „altes“ und „göttliches Recht“. 95 Siehe im HRG „Reichsdörfer“ (E. Kaufmann), 27. Lieferung, S. 561 – 564.
102
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
ausgeübt hat, unterscheiden sich die Meinungen in der historischen Forschung erheblich. Insgesamt besteht jedoch Einigkeit, dass Luthers Lehre auf die veränderte Legitimation der Aufstände von 1525 von größtem Einfluss gewesen war. Über seinen (unfreiwilligen) Beitrag zur Entwicklung der Verhältnisse bis hin zu dem gewaltsamen Ausbruch der Unruhen in den Territorien war sich Luther sehr bewusst. Er hatte die Fürsten noch vor Kriegsausbruch aufgefordert, soziale und steuerliche Reformen einzuleiten. Auch hatte er versucht, den Bauern die kategorische Trennung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment deutlich zu machen, damit sie die im Evangelium angekündigte Freiheit der Seele nicht mit Libertinismus und dem Recht zum gewalttätigen Widerstand verwechselten.96 Luther hielt es für legitim, ungerechte Machtausübung mit der Verweigerung von Zinsen, Zehnten und Fronen zu beantworten. Doch hatte er weder zu gewalttätigem Aufstand aufgefordert, noch die Aufstände unterstützt. Bezeichnend ist seine Reaktion auf seine Bestellung zur Begutachtung der Bibeltreue der „Zwölf Artikel“ und ihrer Forderungen. Statt sich dem Anliegen der Bauer zu unterstellen, rief Luther sie in der „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“ Ende April 1525 auf, Frieden und Ruhe zu bewahren. Er nutzte das Ansehen, das er unter den Aufständischen genoss, dazu, jenen seine Zwei-Regimente-Lehre erneut darzustellen. Die Bibel sei als Regelkanon für die bürgerliche Ordnung nicht anwendbar, schrieb er. Die Rechtsprechung solle allein auf weltlichen Gesetzen basieren. Er forderte den Gehorsam der Untertanen gegenüber der Obrigkeit, den Gott von ihnen verlange, und erklärte, die Auswanderung sei die einzige annehmbare Widerstandshandlung. Doch drohte er auch den Fürsten mit Gottes Gericht wegen ihrer Ungerechtigkeit und wegen ihres Unwillens, den Frieden zu halten. Als die Aufstände aber Anfang Mai nicht mehr vermieden werden konnten, schlug er sich auf die Seite der Obrigkeit: „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ (1525) ist seine Antwort auf den Ausbruch der Gewalt:97 „So bitte ich nu: Fliehe von den Bauren, wer da kann, als vom Teufel selbs! Die aber nicht fliehen, bitte ich, Gott wöllte sie erleuchten und bekehren. Wilche aber nicht zu bekehren sind, da gebe Gott, daß sie kein Gluck noch Gelingen haben mussen. ( . . . ) Dunkt das jemand zu hart, der denke, daß unträglich ist Aufruhr, und alle Stünde der Welt Verstörung zu warten sei.“
96 Althaus, Luthers Haltung im Bürgerkrieg, Lütge, Luthers Eingreifen in den Bürgerkrieg, Greschat, Luthers Haltung im Bürgerkrieg. „Ohne es zu wollen, hatte er [Luther] ihm [dem Bauernkrieg] mit seiner Berufsethik Vorschub geleistet, die auch den Bauern lehrte, seine Arbeit als Gottesdienst zu verstehen.“, Fuchs, Der Bauernkrieg, insb. S. 59. 97 Martin Luther, Ausgewählte Werke, Bd. 4: Der Kampf gegen Schwarm- und Rottengeister, S. 148 – 152.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
103
IV. Melanchthons Gutachten zu den „Zwölf Artikeln“ Nach den Verhandlungen mit aufständischen Bauern in Forst bei Neustadt an der Hardt versprach Kurfürst Ludwig V. von der Pfalz den Bauern eine Entschließung zu den „Zwölf Artikeln“.98 Diese sollten sie noch vor dem Heidelberger Landtag, der für den 4. Juni 1525 geplant war, erhalten. Melanchthon und Johannes Brenz99 wurden am 18. Mai gebeten, als Schiedsrichter ein Gutachten zu den bäuerlichen Forderungen zu erstellen.100 Am selben Tag erfuhr Melanchthon von der Niederlage der Bauern, die sich drei Tage zuvor bei Frankenhausen ereignet hatte, wobei die fürstlichen Herren von Philipp von Hessen und Herzog Georg von Sachsen geführt worden waren.101 Obwohl er den schrecklichen Tod der armen Leute tief bedauerte, hielt er die Strenge der Fürsten für unentbehrlich, wenn der innere Frieden, auch in den anderen Territorien Deutschlands, bewahrt werden sollte. In dieser Überzeugung sandte Melanchthon am 5. Juni Kurfürst Ludwig V. seine Antwort, die sog. „Widerlegung der Artikel der Bauern“.102 Darin begrüßte er den Sieg über die aufständischen Bauern, rief die Fürsten jedoch auch zur Barmherzigkeit auf. Dabei übernahm Melanchthon Luthers Worte aus der „Ermahnung“ von April 1525, zeigte aber noch weniger Verständnis für die Forderungen der Bauern als Luther. In „Eyn schrifft Philippi Melanchthon widder die artikel der Bawrschafft“103 (1525) legitimiert er mit Worten der Bibel das Monopol der Herrscher auf Gewaltanwendung gegen ungehorsame Untertanen als ein ihnen von Gott gegebenes Recht zur Aufrechterhaltung von Frieden und Ordnung in der Gesell98 Die sog. „Zwölf Artikel“ wurden Ende Februar 1525 durch den Kürschnergesellen und Laienprediger Sebastian Lotzer und den Prediger Christoph Schappeler, einen Schüler Zwinglis, in Memmingen verfasst. Lotzer hatte schon fünf Flugschriften veröffentlicht und verfasste in diesem Jahr in Bezug auf die Beschwerden der Baltringer Bauern „Die gründlichen und rechten Hauptartikel aller Bauernschaft und Hintersassen der geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, von denen sie sich bewert vermeinten“, in: Franz, Geschichte des deutschen Bauernstandes, S. 138. 99 Johannes Brenz, der schwäbische Reformator (geb. am 24.6. 1499 in Weilderstadt – gest. am 11.9. 1570 in Stuttgart); siehe „Brenz, Johannes“ in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. I, Spalte 743 – 744. 100 MBW 1, 193, Nr. 401. 101 Der todkranke Kurfürst Friedrich der Weise hatte sich nicht entschließen können, die Gewalt der Bauern mit obrigkeitlicher Gewalt zu brechen. Die militärische Zerschlagung des Bauernaufstands in den oberdeutschen und thüringischen Kerngebieten vollzog sich innerhalb weniger Wochen zwischen dem 12. Mai und dem 2. Juni 1525 ohne ihn, in: Maurer, Der junge Melanchthon, Bd. II, S. 456. 102 CR 1, 748, Nr. 338, MBW 1, 194, Nr. 404, Übersetzung in Melanchthon deutsch, Bd. I, S. 261 – 287. 103 Auch MSA, Bd. 1, S. 192 – 214. Das vor dem 5. Juni verfasste Gutachten erschien überarbeitet Ende August / Anfang September 1525 in Wittenberg und erlebte noch im selben Jahr einen Nachdruck in Augsburg, Nürnberg, Zwickau und Straßburg (VD 16 M 4201 – 4206, siehe Kirchner, Der deutsche Bauernkrieg im Urteile der Freunde und Schüler Luthers).
104
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
schaft.104 Außerdem fordert der Pädagoge Melanchthon, die „barbarischen“ Bauern noch stärker zu disziplinieren und sie nach Sitten und Glauben streng zu erziehen. In diesem Zusammenhang verteidigt Melanchthon sogar die Leibeigenschaft: „Es ist auch Unrecht und Gewalt, dass sie nicht leibeigen sein wollen. Sie ziehen die Heilige Schrift heran, Christus habe uns frei gemacht. Dazu ist zu sagen: Das ist von der geistlichen Freiheit gesagt. ( . . . ) Äußerlich erträgt ein Christ weltliche und bürgerliche Ordnung und Gebräuche wie Speisen und Kleidung geduldig und fröhlich. Er kann leibeigen und untertan sein. Er kann auch ein Adliger und ein Regent sein. Er kann den Gebrauch und die Verteilung der Güter nach sächsischem oder römischem Recht richten. Diese Dinge hindern den Glauben nicht. Ja, das Evangelium fordert, dass man solche weltliche Ordnungen um des Friedens willen halte.105 ( . . . ) Darum hat das Verlangen der Bauern [nach Freiheit] keine Berechtigung. Ja, es wäre nötig, dass ein so wildes, unerzogenes Volk, wie es die Deutschen sind, noch weniger Freiheit hätte, als es hat. ( . . . ) Aber unsere Herrschaften gestatten dem Volk allen Mutwillen, nehmen nur Geld von ihm, daneben halten sie keine Zucht, daraus folgt große Unordnung.“106
1. Die Notwendigkeit der Bestrafung und der strafrechtlichen Ordnung Auch in seinem Kommentar zum neunten Artikel der Bauernforderungen über die Bestrafung unterstrich er die Notwendigkeit, über das ungebildete Volk besonders streng zu herrschen:107 „Die Deutschen sind ein so unerzogenes, mutwilliges und blutgieriges Volk, dass man es gerechterweise viel härter halten soll.108 ( . . . ) Außerdem nennt Gott das weltliche Regiment ein Schwert. Ein Schwert aber soll schneiden, es sei Strafe an Gut, Leib oder Leben, wie es die Missetat erfordert. Es ist allzu mild, wenn einer den anderen verprügelt, ihm am Leib Schaden zufügt und ihn lähmt, dass man das mit Geld abgelten kann. ( . . . ) Außer104 „Von der Obrigkeit. Und besonders fordert das Evangelium Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. ( . . . ) Paulus spricht Röm 13 [1 – 7] folgendermaßen: „Ein jeder soll der Obrigkeit Untertan sein, die über ihn herrscht. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott, und jede Obrigkeit ist von Gott geordnet. Wer nun der Obrigkeit widersteht, der widersteht Gottes Ordnung. Und wer widersteht, der wird bestraft. Und die Obrigkeit ist nicht ein Schrecken der guten Werke, sondern der bösen. Willst du aber die Obrigkeit nicht fürchten, tue Gutes, so hast du Lob von ihr. Denn sie ist eine Dienerin Gottes dir zugute. Tust du aber Böses, so fürchte sie, denn sie trägt das Schwert nicht vergeblich, sondern sie ist eine Dienerin Gottes zur Rache und Strafe dem, der Übles tut. Darum ist vonnöten, dass man ihr nicht allein um der Strafe willen untertan sei, sondern auch um des Gewissens willen. Darum gebt Steuern, denn sie sind Diener Gottes und haben Arbeit dazu. Darum gebt allen, was ihr schuldig seid. Wem Steuern gehören, dem gebt Steuern. Wem Zoll gehört, dem gebt Zoll. Wem Ehrfurcht gebührt, dem gebt Ehrfurcht, wem Ehre gebührt, dem gebt Ehre.“, Übersetzung Pöhlmann, S. 265 – 266. 105 Nach Eph. 6,5, Kol. 3, 22 und 25. 106 Übersetzung Pöhlmann, S. 276 – 277: „Zum dritten Artikel: die Leibeigenschaft“. 107 Übersetzung Pöhlmann, S. 279. 108 Nach Spr 26, 3, Sir 33, 25.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
105
dem hat er [Gott] im Gesetz geboten, 5. Mose 19: ,Du sollst nicht Barmherzigkeit erweisen.‘109 Damit hat er angezeigt, dass er will, dass man im weltlichen Regiment mit Ernst vorgeht, doch so, dass niemand Unrecht geschieht und nichts Ungesetzliches durch die Obrigkeit vorgenommen wird, wie Ahab tat und andere, die Gott hart bestraft hat.110 Nun gibt es in Deutschland maßlos viel Schlägereien, auch Schlemmen und Hurerei, Sünden, die Gott im Alten Testament mit dem Tod bestraft hat, 5. Mose 21.“111
Melanchthon beklagt den Zustand des damaligen Strafsystems mit seinen geldgierigen Strafrichtern und die willkürliche Rechtsprechung. Da diese Beurteilung noch vor der Einführung der Carolina erfolgt war, konnte Melanchthon mit Recht scharfe Kritik darüber äußern, dass es in Deutschland an festen Grundsätzen über die Voraussetzungen der Strafbarkeit und das Strafmaß fehle.
2. Kurze Darstellung der damaligen Rechtslage im Bereich des Strafrechts Da es damals noch üblich war, unter Fortdauer der letzten Reste des alten Kompositionssystems peinliche Strafen durch Geldzahlungen an das Gericht zu ersetzen,112 kam es sehr oft zu einer willkürlichen Rechtsprechung, der im Vergleich der Territorien untereinander jede Gleichförmigkeit fehlte. Es kam aber auch zu grausamer Härte und zu einem vielfältigen Missbrauch des Strafsystems durch die Geldgier der Strafrichter. All dies führte in der Bevölkerung zu großer Unsicherheit. Wie auf dem Reichstag zu Lindau 1496 berichtet worden war, sollte die durch den Mangel an festgeschriebenen Normen hervorgerufene Notlage vom neu eingerichteten Reichskammergericht bekämpft werden. Täglich trafen dort Klagen darüber ein, dass Fürsten, Reichsstädte und andere Obrigkeiten, z.T. unverschuldet, aber auch bewusst ohne hinreichende Beweise, ihre Landsleute ungerechterweise zum Tode verurteilt und hingerichtet hatten.113 Die Rechtslage konnte nur durch die Festlegung des Strafverfahrens, der Strafen an Leben, Leib, Freiheit und Vermögen und der Rechte zur Verteidigung des Angeklagten verbessert werden. Damit war der Weg für Schwarzenberg114 und seine Dtn 19, 13. 21. Zu Ahab vgl. 1 Kön 21, 1 – 24; 22, 34 – 38. 111 Dtn 21, 20 f., 22, 20 – 27. 112 Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, S. 607 – 647. 113 Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, S. 607 – 648. 114 Johann Freiherr von Schwarzenberg und Hohenlandsberg (15. 12. 1463 – 21. 10. 1528) stammte aus dem ritterlichen Stand. Nach einer dilettierenden Jugend heiratete er mit zwanzig Jahren die Gräfin Kunigunde von Rieneck, reiste nach Palästina, begleitete nach seiner Heimkehr Kaiser Maximilian auf seinen deutschen und italienischen Feldzügen und wurde als „vir clarus armis et belli arte primus“ gelobt. Im Alter wandte sich sein Interesse der staatlichen Verwaltung zu. 1501 wurde er Hofmeister – das höchste weltliche Amt des Bistums – und bekleidete dieses Amt bis 1524. Diese Tätigkeit führte ihn zur gerichtlichen Praxis. Er wurde Vorsitzender des z.T. mit Rechtsgelehrten besetzten Hofgerichts, das als erste und 109 110
106
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
zwischen 1507 und 1515 verfasste Gesetzgebung frei. Mit Hilfe der Beisitzer des Bamberger Hofgerichts verfasste Schwarzenberg 1507 die Halsgerichtsordnung der Stadt115, wofür er die damals gängigen Landrechtsbücher, den Klagenspiegel116 und die Wormser Reformationsgespräche verwendete. Bis zum Ende des ersten Drittels des 16. Jahrhunderts kannte das Reich keine eigene Gesetzgebung zum Strafrecht und Strafprozess.117 Das Strafrecht war in der Rechtsliteratur und an den Rechtsfakultäten nur ein Bestandteil der justinianischen Rechtsbücher. Bei der Exegese der libri terribiles, wie die Bücher 47 und 48 der Pandekten genannt wurden, des 9. Buches des Codex Justinianus, des letzten Titels der Institutionen und der strafrechtlichen Teile des Corpus iuris canonici, stand noch die Verbindung zum Zivilprozess im Vordergrund. Das akademische Desinteresse erklärt den katastrophalen Zustand des deutschen Strafsystems zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die gelehrten Rechtsdoktoren mussten zur Anfertigung strafrechtlicher Gutachten durch die Regenten geradezu gezwungen werden, wie dies 1529 der Fall war, als die Wittenberger Doktoren durch ein kurfürstliches Reskript den Befehl erhielten, „in peinlichen Sachen Urteile abzufassen und sich dessen nicht zu [ver-] weigern.“118 Die Einführung der römisch-kanonischen Verfahrensregeln und ihrer Beweismittel aus dem Inquisitionsprozess im Laufe des 15. Jahrhunderts hatte dem Strafprozess eine andere Gestalt gegeben. Die Verfolgung der Straftat wurde nicht mehr als persönliche Angelegenheit des Verletzten oder seines Vertreters verstanden, sondern als eine amtliche Aufgabe angesehen, weil das Verbrechen die öffentliche Ordnung verletzt hatte. Der Zweck der staatlichen Strafgewalt, die Öffentlichkeit vor gefährlichen Verbrechern zu schützen, wurde deutlich betont. Die Strafrichter wurden verbeamtet zweite Instanz in Zivil- und Kriminalsachen zu urteilen hatte. In diesem Zusammenhang bereitete er mit Hilfe der gelehrten Beisitzer des Hofgerichts die Bambergische Halsgerichtsordnung 1507 vor, die in deutscher Sprache verfasst und die 1524 als Landesgesetz für die fränkischen Fürstentümer publiziert wurde. Sein Verlangen nach sittlicher Kräftigung der Bevölkerung ließ ihn sich der lutherischen Reformation anschließen, die er in Franken verbreitete. Anwesend auf dem Reichstage zu Worms 1521, trat er 1522 in das Reichsregiment ein, wo er die Stellung der neuen Konfession stärkte. 1523 verwaltete er das Amt des kaiserlichen Staatshalters und lernte Luther persönlich kennen. 1524 verließ er den bambergischen Dienst und übernahm das Amt des Landhofmeisters bei den Markgrafen Kasimir und Georg von Brandenburg. Seine wichtige Stellung bei der Regierung ermöglichte ihm, die Reformation durch kirchliche Neuerungen, Organisation seines Landes und Einrichtung der Kirchenvisitationen in Franken voran zu treiben. Siehe Herrmann, Johann Freiherr zu Schwarzenberg, Güterbock, Die Entstehungsgeschichte der Carolina und Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, S. 612. 115 Seitz, Das Bamberger Hofgerichtsbuch, Bd. II, S. 435 ff. 116 Anfang des 15. Jahrhunderts erschien „der richterliche Klagspiegel“ in Deutschland als das erste und wirksamste Rechtsbuch für die Rechtspraxis, das aus den geistlichen und weltlichen Rechten bestand. 117 Die Peinliche Gerichtsordnung des Kaisers Karls V. (Carolina) von 1532. 118 Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, S. 134.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
107
und sollten nicht mehr ausschließlich die von den Anklägern vorgebrachten formellen Beweise prüfen, sondern die Schuld des Verdächtigen untersuchen; darum sollten sie das Beweismaterial selber sammeln, seine Überzeugungskraft einschätzen und den Leumund der Zeugen überprüfen. Nur aufgrund eines vollständigen Zeugenbeweises (Vollbeweis) oder nach einem Geständnis, zu dessen Erzwingung bei Vorhandensein genügender Verdachtsmomente auch die Folter angewandt werden konnte, durfte das Gericht das Urteil sprechen. Die Klagen gegen die willkürliche Strafjustiz waren gegen Ende des 15. Jahrhunderts immer häufiger geworden. Die Beschwerden der Bauern richteten sich gegen die Härte der Strafen. In den „Zwölf Artikeln“ war darum verlangt worden, die Strafkompetenz der Obrigkeit abzuschaffen. Auch insoweit war zur Rückkehr zum „alten Recht“ aufgerufen worden, damit die Delikte an Leib und Leben weiterhin nach Landrecht im Wege von Bußgeldzahlungen geahndet werden konnten. Die Klagen spiegeln die tatsächliche Brutalität des damaligen Strafsystems und die Angst der Bevölkerung vor dem Strafverfahren wider. Diese Beschwerden wurden von den Reformatoren als berechtigt angesehen. Trotz ihrer grundsätzlichen Unterstützung der fürstlichen Seite appellierten die Reformatoren, die sich der Grausamkeit der Strafen, die auf die aufständigen Bauern warteten, bewusst waren, mehrmals an die Billigkeit und Barmherzigkeit der Fürsten.
3. Melanchthons Appell zur Wiederherstellung der Ordnung und der gesellschaftlichen Ruhe Obwohl auf dem Heidelberger Landtag Verhandlungen, zu denen Melanchthon als Berater gerufen worden war, zwischen dem pfälzischen Kurfürsten und den Bauern stattfinden sollten, schlug der Kurfürst den Aufruhr mit Hilfe niederländischer Soldaten schon vorher nieder. Die Beratung fand deshalb nicht statt. Nachdem die Reformatoren zunächst zur Strenge aufgerufen hatten, blieben ihre Appelle, wie der Melanchthons, an die Barmherzigkeit der Sieger wirkungslos: „Da Gott nun den Sieg gegeben hat und die mörderische Horde, die keinen Frieden haben wollte, gemäß Gottes Ordnung bestraft worden ist, sollen die Fürsten nun maßvoll sein, damit den Unschuldigen kein Unrecht widerfährt. Sie sollen den armen Leuten auch Gnade erweisen, von denen einige aus Furcht, einige aus Dummheit gesündigt haben. ( . . . ) Denn Gott will, dass man Liebe erweist und einer dem anderen verzeiht, besonders die Mächtigen und Weisen den Schwachen und Törichten, die der Liebe bedürften. ( . . . ) Entsprechend sollen die Mächtigen und Weisen mit dem armen, törichten, irrenden Volk auch umgehen und denen, von denen Besserung zu hoffen ist, Gnade erweisen, ihnen wieder aufhelfen und dafür Dank und Lohn von Gott erwarten. ( . . . ) Denn die Fürsten sind immer verpflichtet, nicht nur die Bösen zu bestrafen, sondern auch den Unschuldigen behilflich zu sein, damit diese, wie der heilige Paulus sagt, in Ruhe und Stille leben können.“119 119 1 Tim 2,2. Vgl. „Eyn schrifft Philippi Melanchthon widder die artickel der Bawrschafft“, 1525, Übersetzung in Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, S. 283 ff.
108
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Melanchthon beendet sein Gutachten mit einem Aufruf zur Wiederherstellung von Frieden und Ruhe. Er betont noch einmal, wie wichtig es sei, die Jugend im Respekt vor der wahren evangelischen Lehre richtig zu erziehen und auszubilden, um dieses Ziel zu erreichen. Die Obrigkeit solle dafür sorgen, dass Schulen eingerichtet und Gottes Wort richtig gepredigt würden; durch ein auf Billigkeit und Gerechtigkeit gegründetes Rechtssystem sollten Ordnung und Frieden in den Gemeinden Deutschlands wiederhergestellt werden.
V. Die Rezeption des römischen Rechtes in den Beschwerden der Bauern Eine der wichtigsten Ursachen für die Bauernrevolte 1525 waren die tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft, in deren Verlauf sich der soziale Status der Bauern stark verschlechtert hatte: So führte die Zentralisierung der Verwaltung in den Händen der Territorialfürsten zu überhöhten Abgaben. Die Dorf-, Go-, und Landgerichte, jeweils als „Schöffenstühle“ seit langem tätig, wurden mit gelehrten und verbeamteten Richtern besetzt oder aufgehoben. Die in römischem Recht ausgebildeten Doktoren zerrütteten geradezu die hergebrachten Bräuche und unterkommenen Gewohnheiten. Die Landesherrschaft beanspruchte als ihr Obereigentum die Allmenden, die allgemeinen Gewässer und Wälder und unterband die Nutzung durch die Bauern. Die Jagd wurde begrenzt und zu guter Letzt stiegen auch die Fronleistungen und die Abgaben.120 1. Der Hass gegen das „fremde Recht“ Zur Zeit des Bauernkrieges war die praktische Rezeption des römischen Rechtes in Deutschland nahezu abgeschlossen. In den Flugschriften der Aufrührer, aber auch in zahlreichen Reformschriften, wie der Kaisers Friedrich III., kam die Abneigung gegen das „fremde Recht“ deutlich zum Ausdruck. Es musste denen, die dieses Recht nicht studiert hatten, unverständlich bleiben. Weil es die altbekannten einheimischen Gewohnheitsrechte und Gebräuche verdrängte,121 war das Misstrauen gegen das römische Recht groß. Dazu kam, dass es als eines der Hauptinstrumente zur Festigung der landesherrlichen Gewalt galt. Den Fürsten dagegen entsprach das „moderne“ römische Recht vollkommen. Es unterstützte sie in ihrem Fuchs, Der Bauernkrieg, S. 51 – 64. Kübel, Zur Frage der rechtlichen Begründung der Reformforderungen des gemeinen Mannes im Bauerkriege 1525, S. 33: „Die Doktoren dürfen nur noch Rechtsgutachten anfertigen, wenn sie das durch die „Reformation“ geschaffene Recht beherrschen. Mit den Doktoren soll auch das übrige kaiserliche Recht abgeschafft werden.“ 120 121
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
109
Bestreben, die ihnen lehnrechtlich anvertrauten Territorien zu quasi souveränen Staaten fortzuentwickeln, was ihnen bei Fortgeltung der konservativen territorialen Gewohnheitsrechte nicht möglich gewesen wäre. Allerdings blieben sowohl das Lehnrecht, etwa zur Unteilbarkeit und Unveräußerlichkeit von Adelsgütern, ebenso wie privatrechtliche Normen im Bereich des Erbrechts und des Eherechts, noch lange von den alten deutschen Gebräuchen bestimmt, es sei denn, das gegenüber dem römischen Recht sehr viel offenere kanonische Recht bestimmte die Rechtsverhältnisse. Die Rezeption des „fremden Rechts“ und dessen Handhabung durch die Juristen musste den einfachen Bürgern wie eine Invasion vorkommen. In der Bevölkerung machten sich Angst und Hass breit. Das Unverständnis ging so weit, dass die Menschen ihre gesellschaftliche Unterdrückung und den Verlust ihres eigenen Rechtslebens als Konsequenz der römisch-rechtlichen Rezeption deuteten.122 Der Bauernkrieg 1525 war deshalb nicht nur ein Kampf gegen gesellschaftliche Benachteiligung, sondern auch ein Aufstand für die Herstellung einer neuen, auf der Basis des Evangeliums gegründeten Staats- und Rechtsordnung. Man wird wohl kaum in den „Zwölf Artikeln“ den Vorläufer eines kommunistischen Programms sehen dürfen, wie dies in der vom historischen Materialismus geprägten Literatur versucht worden ist. Doch ist es unübersehbar, dass sie auch sozialrevolutionäre Ziele verfolgten. Das zeigt sich in ihren Forderungen nach allgemeiner Gütergemeinschaft, nach Brüderlichkeit unter den Mitbürgern, nach Wiederherstellung einer in Armut lebenden Kirche, so wie man sich die Urkirche vorstellte, oder nach Gleichheit und Anerkennung von Rechten, die für alle Menschen gültig und unverletzlich seien. Diejenigen, die diese weitgehenden Forderungen aufstellten, waren Männer aus ärmlichen Verhältnissen, die im Laufe der Bauernunruhen auftraten und den ursprünglichen Programmen der Aufrührer ihre Vorstellungen hinzufügten.123
2. Die Forderung der Bauern nach der Ersetzung des römischen Rechts durch göttliches Recht Im Hintergrund der Forderung nach „göttlichem Recht“ oder nach dem „alten Recht“ stand der Kampf grosser Kreise des Bauernstandes gegen das römische Recht. Eine Antwort auf die Frage, inwieweit er auch der Wiederherstellung des „Ordalsrechts“ galt und dazu dienen sollte, das römische Recht zu verdrängen und „germanische“ Rechtsnormen wieder einzuführen, bedürfte einer vertieften Beschäftigung. Deutlich erkennbar sind zumindest zwei rechtliche Legitimationen des Kampfes:124 die Berufung auf die alten Gewohnheitsrechte und die Berufung Beseler, Volksrecht und Juristenrecht. Menrad, Zur Charakteristik der deutschen Volkserhebungen von 1524 und 1525, S. 256 ff. 124 Kübel, Zur Frage der rechtlichen Begründung, insb. S. 55 f. Er erläutert die Widersprüche im Heilbronner Verfassungsentwurf und in den „Zwölf Artikeln“, in denen neben122 123
8 Deflers
110
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
auf das göttliche Recht. Doch wird man dem Ruf nach Einführung der Heiligen Schrift als Rechtsbuch die stärkere legitimierende Wirkung beizumessen haben.125 Demnach sollte der zukünftige Staat nach göttlichen bzw. natürlichen Rechten und in der Stärkung der sittlichen Freiheit reformiert werden. Klar ist auch, dass das damals geltende Recht abgeschafft und an seiner Stelle das göttliche Recht treten sollte. Doch was genau die Bauern unter dem Begriff „göttliches Recht“ verstanden haben, ist von der historischen Forschung bis heute noch nicht geklärt worden. Denn „göttliches Recht“ war vor allem ein Schlagwort, das weite Kreise ansprach. Ein politisches oder gar juristisches Programm zu seiner Umsetzung in anwendbaren Normen hat es aber nicht gegeben. Es bleibt daher offen, ob die Aufständischen tatsächlich eine theokratische verfasste Rechtsordnung auf der Basis der Bibel einrichten wollten. Die rechtshistorische Forschung hält es für wahrscheinlicher, dass die Bauern nicht nach gänzlich Neuem verlangten, sondern dass sie vor allem an einer Wiedereinführung der vor der Rezeption des römischen Rechtes geltenden Gesellschafts- und Rechtsordnung und damit an der Wiederherstellung ihrer früheren sozialen Stellung interessiert waren.126 Diese Vorstellungen dürften dem Konservatismus der Bauernschaft, der sich eher in althergebrachten Strukturen und Mustern ihres „guten alten Rechts“ äußerte, eher gerecht werden, als eine vage Hoffnung auf unfertige Rechtsprogramme. Das schließt nicht aus, dass die Bauern mit der Berufung auf die althergebrachten Rechtsgrundsätze gerade diese Verbindung zum „göttlichen“ Recht, wie sie auch im Sachsenspiegel vorhanden ist, betonen wollten. Die religiöse Erneuerung, die mit der Reformation thematisiert wurde, wird es ihnen erleichtert haben, in der alten Identifikation „Got ist selve recht“ eine besondere Aktualität jenes Rechts zu erblicken. Der Bezug der alten Normen auf die göttliche Rechtsquelle legitimierte ihre Forderungen in so hohem Maße, dass sie gegen diejenigen, die sie in den benachteiligenden Zustand herabgedrückt hatten, zu revoltieren wagten. In ihrem Verlangen nach „göttlichem Recht“ erhofften sie die Rückkehr zu dem Recht, das sie vor der Rezeption des römischen Rechts genossen hatten.
einander und ohne Unterscheidung sowohl vom „göttlichen Recht“ als auch vom „alten Recht“ die Rede sei. 125 Wunder, Zur Mentalität aufständischer Bauern. 126 Kübel, Zur Frage der rechtlichen Begründung S. 56 – 62 und Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 157.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
111
C. Zum damaligen Stand der Rezeption des römischen Rechtes Die Mehrheit der Beschwerden über den Zustand der Jurisprudenz lässt sich mit der damaligen Rechtspraxis begründen. Die Kritik richtete sich zunächst gegen die Laienrichter und deren fundamentale Unkenntnis des neuen Rechts, die zu einer Gefahr für den Rechtsfrieden wurde, weil sie zu weit verbreiteter Rechtsunsicherheit und Willkür in der Rechtssprechung geführt hatte. Weiterhin wurden die römisch-rechtlichen Normen kritisiert, die der Mehrheit der Bevölkerung unverständlich waren und die sich von den alten landrechtlichen Gebräuchen und laienhaften Gewohnheiten als „fremdes Recht“ ganz grundsätzlich abhoben. Wie groß die Abneigung der beiden Lager gegeneinander war, ist auch in den Stellungsnahmen Melanchthons zu sehen, der allerdings zu den Befürwortern der Rezeption gehörte. Er verspottete in fast allen seine Reden über die Gesetze die ungenügenden Rechtskenntnisse der Schöffen. Natürlich müsse es ihnen sehr unangenehm sein, Juristen gehorchen zu müssen, die im römisch-kanonischen Recht ausgebildet seien. Im Vergleich zu ihnen müssten sie täglich ihre eigene Ignoranz feststellen, ohne die Möglichkeit zu haben, ihr geschwundenes Ansehen als Rechtssprecher aufbessern zu können.127 Der Pädagoge der Reformation kommt nicht umhin, den erbärmlichen Zustand der Rechtsprechung bzw. der Rechtsausbildung nach dem alten Recht wieder und wieder zu beklagen; er sieht auch eine besondere Gefahr darin, dass das neue Recht pädagogisch gesehen nicht gut genug vermittelt würde. Und so betont er mehrfach die fundamentale Rolle einer guten Ausbildung für die zukünftigen Vertreter der weltlichen Gewalt und hebt hervor, dass deren ungenaue Rechtsanwendung und ihre Unkenntnis der Rechtsnormen Ruhe, Ordnung und Frieden des ganzen Staates gefährdeten. Melanchthon verlangt vehement, dass die Staatsdiener zur Qualifizierung ein Fachstudium des Rechts an der Universität absolvieren sollten; es müsste stets von einer intensiven sittlichen Erziehung begleitet sein, damit die Rechtstreue der Richter (fidem iudicum)128 gewährleistet sei. Diese Forderungen münden in eine 127 „Einige nämlich sind ungehalten darüber, dass ihnen in den Gerichtsverfahren nicht zu reden erlaubt sei, bis auf das, was von den Rechtsgelehrten abgelesen wird. Und weil es beschämend ist, wie Stumme in den Gerichtsverhandlungen herumzusitzen, bekämpfen sie es nicht so sehr wegen des öffentlichen Nutzens, sondern wegen ihres eigenen Ansehens, und ordnen an, dass das geschriebene Recht beseitigt werde, damit sie selbst auch angesehen werden, sie wüssten etwas.“, „Nonnulli aegre ferunt sibi in iudiciis nihil loqui licere, nisi dictata a iureconsultis. Et quia pudet velut mutas personas assidere in iudiciis, non de publica utilitate, sed de sua existimatione dimicant, iubent auferri hoc scriptum ius, ut ipsi quoque sapere aliquid putentur.“; in: „Oratio Res non iudicandas secundum arbitrium iudicis, sed secundum scriptum ius“, 1532, CR XI, S. 215 – 218, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 2, S. 210 f.
8*
112
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
allgemeine Verfassungstheorie, die die Fundamente des Staates in einem fortschrittlichen (römischen) Recht sieht, zugleich aber auch für die Abgrenzung der Macht neue Parameter setzt. Denn für Melanchthon ist der Mensch nicht vernünftig und altruistisch genug, um von sich aus seine Macht abzugrenzen und vorgegebene Beschränkungen einzuhalten. Deshalb müsse diese wesentliche Frage der Machtbeschrankung geklärt werden. Da hier die Rechtslage unbestimmt sei, seien nicht endende Streitigkeiten unausweichlich. Deshalb verlangt Melanchthon nach einem sogenannten „Vertrag mit der Obrigkeit“ (pactus cum magistratu cumque tota republica),129 der dazu diene, den Staat sowohl zur Begrenzung seiner willkürlichen Machtbefugnisse wie auch zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Sicherheit zu verpflichten. Dadurch würde auch das Ansehen der Staatsdiener steigen, ihre Autorität gefestigt und die für eine effektive Staatsregierung notwendige gesellschaftliche Ruhe und Ordnung gesichert. Hier klingt die Idee eines Verfassungsstaates an, in dem sich die Obrigkeit (magistratus) mit ihrer Machtfülle gegenüber der gesamten Bevölkerung (tota res publica) in einen (Gesellschafts-) Vertrag eingebunden sieht. Ob dieser Vertrag auch dem Volk (populus) Rechte gegenüber der Obrigkeit einräumt, ist nicht thematisiert. Fraglich ist allerdings, ob man den Ausdruck „pactus“ als eine Vereinbarung sehen darf, die keine gesetzlichen Ansprüche (actiones), wohl aber Einreden (exceptiones), also Weigerungsrechte, begründet. Dann würde man aufgrund dieses pactus, der ganz dem weltlichen Recht angehört, die Obrigkeit in eine staatsrechtliche Konstruktion eingebunden sehen, die den Regierenden ein Höchstmaß an Befugnissen zubilligt, ihnen aber auch ein Widerstandsrecht des Volkes entgegengestellt.130 I. Das römische Recht in der deutschen Rechtsprechung131 Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts waren besonders in Norddeutschland, wo bis dahin die Rezeption des römischen Rechtes ausgeblieben war, immer mehr Lehrstühle für das römische Recht an den Universitäten eingerichtet worden. Die lutherische Reformation, die das Corpus iuris canonici als ein Instrument der päpstlichen Autorität sah und dementsprechend verabscheute, hatte ursprünglich auch für das römische Recht allenfalls ein wissenschaftliches Interesse entwickelt. Erst nachdem Melanchthon Luther die Augen für die Bedeutung des römischen 128 „Oratio in promotione cuiusdam iurisconsulti, habita a Doctore Sebaldo Munstero: Res non iudicandas secundum arbitrium iudicis, sed secundum scriptum ius“, 1532, CR XI, S. 215 – 218, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 2, S. 211. 129 „Res non iudicandas secundum arbitrium iudicis, sed secundum scriptum ius“, 1532, CR XI, S. 215 – 218, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 2, S. 211. 130 Siehe unten im vierten Kapitel. 131 Zu Rezeption und Gewohnheitsrecht, siehe Trusen, Römisches und partikuläres Recht in der Rezeptionszeit, S. 97 – 120, Diestelkamp, Das Verhältnis vom Gesetz und Gewohnheitsrecht im 16. Jahrhundert, S. 1 – 33, Willoweit, Gesetzgebung und Recht im Übergang vom Spätmittelalter zum frühneuzeitlichen Obrigkeitsstaat, S. 123 – 149.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
113
Rechts geöffnet hatte, wurde auch in Norddeutschland der Praxisbezug des römischen Rechtes hervorgehoben.132 1. Die Reichskammergerichtsordnung und die Rezeption des römischen Rechts Die Rezeption des römischen Rechtes hatte die Auffassung gefördert, der deutsche Kaiser sei als Nachfolger des römischen Kaisertums anzusehen.133 Kaiser Friedrich III. (1440 – 1493) hatte sich bereits mit in römischem Recht ausgebildeten Juristen umgeben. Und Maximilians Reichsreform, die 1495 zur Gründung des Reichskammergerichts als ständige höchste Instanz führte, hatte die Stellung der Juristen in der gerichtlichen Praxis des Reiches weiter gestärkt.134 So hatte die Reichskammergerichtsordnung (§ 1) vorgesehen, dass der vorsitzende Richter stets aus dem Fürsten-, Grafen- und Herrenstand stammen sollte, die Hälfte der 16 Rechtssprecher (assessoren) sollte das römische Recht studiert haben und die andere Hälfte mindestens aus dem Ritterstand stammen.135 Die Folge dieser institutionalisierten Verbindung zwischen den im römischen Recht ausgebildeten Rechtsgelehrten und den mit dem herkömmlichen (Gewohnheits-)Recht Vertrauten war, dass die Traditionen der partikularen Rechte und das rezipierte Recht in der Rechtsprechung zusammen wuchsen und so die kommende Epoche des usus modernus pandectarum vorbereiten halfen. Schon sehr viel früher hatte die so angelegte Zusammenarbeit der höchsten Richter des Reiches ein praxisbezogenes gemeines Recht entwickeln können, das das Partikularrecht nicht nur respektiert, sondern konsequent und relativ früh den Institutionen des römischen Rechtes angepasst hatte. Die tiefe Kluft zwischen gelehrtem und überkommenem Recht wäre möglicherweise bald überbrückt worden. 132 „Die ständige Vertretung des römischen Rechts an deutschen Universitäten reicht freilich bei den städtischen Gründungen weiter zurück, als die bisherige Forschung annahm. In Köln (1388), Rostock (1419) und Greifswald (1456) wurden seit der Gründung legistische Lehrstühle eingerichtet; in Erfurt bestanden sie spätestens seit 1430. An nichtstädtischen Universitäten finden wir sie dagegen in Heidelberg erst 1452, in Leipzig 1457, in Freiburg erst 1479“, Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 155. 133 Die Lotharische Legende, die die Kontinuität des justinianischen und des Gemeinen Rechts in Deutschland verfassungsrechtlich zu begründen suchte, findet man zunächst bei Carion in seiner „Chronica“ (1533); sie wurde von Melanchthon später dahingehend ergänzt, dass Kaiser Lothar 1135 das römische Recht durch Reichsgesetz ausdrücklich rezipiert habe; Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 140 f. und S. 145. 134 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 175 ff. 135 Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, S. 6 ff. und S. 57 – 60. Über die Reichsreform allgemein: Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte, Oestreich, Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters, Bd. 2, Ziehen, Frankfurt, Reichsreform und Reichsgedanke 1486 – 1504, Bader, Kaiserliche und ständische Reformgedanken in der Reichsreform, Wiesflecker, Maximilian I. und die Wormser Reichsreform von 1495, ders., Der Traum des Hans von Hermannsgrün, Angermeier, Begriff und Inhalt der Reichsreform, ders., Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter.
114
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
In der veränderten Reichskammergerichtsordnung von 1521 wurde jedoch das Gewicht des römischen Rechts weiter verstärkt. Neben der Bank der assessores, die „der Recht gelehrt und gewürdigt, dazu die fürpracht rechtlichen Sachen zu referieren geschickt“136 waren, sollte nun auch die andere Hälfte aus der Ritterschaft das römische Recht studiert haben.137 Offenbar waren die Erfahrungen, die man bei der nur lückenhaften „Reformierung“ des niedergeschriebenen deutschen Rechtes und seiner römisch-rechtlichen Überformung gemacht hatte, wenig ermutigend gewesen, jedenfalls solange sich in den Kammern des Gerichts Gruppen von Richtern gegenübersaßen, die sich methodisch nicht einigen konnten. Die aufkommende Gattung der juristischen Differentienliteratur, in der spezielles heimisches Recht mit den entsprechenden Einrichtungen des römischen Rechtes verglichen wurde, versuchte, die Kluft zu überwinden.138 Um den Einfluss in der höchsten Instanz der Rechtsprechung gegenüber den besser ausgebildeten Rechtsgelehrten nicht zu verlieren, mussten die Ritter sich nun auch bereit finden, sich dem Rechtsstudium zu widmen. Die Verfahrensordnung für das höchste Gericht machte die Kenntnis des römisch-kanonischen Rechts unentbehrlich. Denn der Prozess folgte strikt dem Grundsatz, dass den Entscheidungen die rationes decidendi vorauszuschicken waren, so dass die Exegese der leges für die juristische Begründung unverzichtbar wurde. Genaue Rechtskenntnisse und praxisbezogene Erfahrung wurden notwendig, um innerhalb der Spruchkammer die juristische Argumentation und Entscheidungsfindung zu ermöglichen und der nächsten Instanz einen Einblick in die Gründe, die für die empfohlene Entscheidung maßgebend waren, mitzuteilen.139 Als Rechtssprecher der Appellationsinstanz sollten die Mitglieder des Reichskammergerichts die Reichsgesetze und das gemeine Recht kennen. Die Formulierung der entsprechenden Passage zeigt, dass sie zwar auch mit den Gewohnheitsrechten der Territorien umgehen können mussten, jedoch nur soweit diese von den Parteiein vorgelegt worden waren. Somit sollten die Richter nach § 3 der Reichskammergerichtsordnung (R.K.G-Ordnung) von 1495 schwören, ihre Entscheidung zu treffen: „nach des Reychs und gemainen Rechten, auch nach redlichen, erbaren, und leydlichen Ordnungen, Statuten und Gewonheyten der Fürstenthumb, Herrschafften und Gericht, die für sie bracht werden.“140
136 So hatte es schon der Augsburger Reichstag von 1518 proponiert, Harprecht III, S. 392, zitiert bei Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, S. 84 f., Anm. 7. 137 Smend, Das Reichskammergericht, Bd. I, Koser, Repertorium der Akten des RKG. 138 Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, S. 284. 139 Siehe „Urteilsbegründung“ (D. Werkmüller), HRG 35, Lieferung, S. 611 – 614. 140 Datt, „De pace publica“, S. 712, § 103. Zur Lesart der K.-G.-O. 1495 „nach des Reichs und gemeinen Rechten“, vgl. Datt, S. 716, § 144,145, zitiert bei Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, S. 86, Anm. 10.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
115
2. Das Subsidiaritätsprinzip der Anwendung des römischen Rechts in Theorie und Praxis Drei Rechtsquellen sollten bei Urteilen vor allem berücksichtigt werden: die Reichsgesetze, die hauptsächlich öffentlich-rechtliche Angelegenheiten regelten, das „gemeine“ kaiserliche Recht, mit dem seit Albrecht II. (1397 – 1439, deutscher König seit 1438), das römische Recht gemeint war,141 sowie die territorialen Gewohnheitsrechte und Statuten, die als ius locale in der Eingangsinstanz angewandt wurden. Die Pflicht, diese drei Quellenmassen zu berücksichtigen, verlangte nach einer Regel, in welchem Rang sie zueinander stehen sollten. Die Entscheidung, dass das ius proprium den Vorrang vor dem ius commune haben sollte, begründete die Lehre von der Subsidiarität des römischen Rechtes als „gemeinem“ Recht; sie ist in die R.K.G.-Ordnung aufgenommen worden.142 Obwohl die überwiegende Mehrheit der Rechtsfälle infolge der Mitte des 15. Jahrhunderts vollzogenen „Vollrezeption“ nach römischem Recht entschieden wurde, erhielt die ausdrückliche Anerkennung der Subsidiarität des gemeinen-kaiserlichen Rechtes besondere Bedeutung für den späteren Aufbau der territorialen Gerichtsorganisation. Über die Prozessordnungen des Reichskammergerichts wurde die Subsidiarität stark zurückgenommen und in den späteren Ordnungen erhielt das römische Recht sogar ein faktisches Übergewicht.
3. Der Aufstieg eines Juristenstands im Dienst der Landesfürsten Die Gründung des Reichskammergerichts gab dem Studium der Jurisprudenz Schwungkraft und verstärkte die Bedeutung des gebildeten Juristenstandes. Die Organisation des obersten Gerichts wurde zum Vorbild für die Erneuerung des Gerichtsaufbaus in den Territorien, da die Landesherren versuchten, die Entscheidung in ihren Territorien zu belassen. So begangen auch sie, ihre Rechtsprechung zu verbessern. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstand eine Reihe territorialer Kodifikationen, wofür das Herzogtum Sachsens ein wichtiges Beispiel ist. Seine Gerichtsordnung galt für die Provinzen Dresden, Eckartsberge, Weissenfels, Wittenberg und Meissen, wo sich jeweils ein Hofgericht befand. Neben diese Hofgerichte stellte der Landesherr an seiner Residenz ein eigenes Obergericht mit konkurrierender Gerichtsbarkeit. Die Herzöge Ernst und Albert begründeten 1483 in der Universitätsstadt Leipzig ein Obergericht, an das bedeutende Rechtsgelehrte berufen wurden, die einen starken Einfluss auf die Rechtsbildung ausübten.143 Hödl, Albrecht II. Zu allem vgl. den klassischen Überblick bei Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 138 ff. Speziell zum Verhältnis „ius commune – ius proprium“, siehe Bellomo, Probleme der juristischen Geschichtsschreibung, S. 9 – 22. 141 142
116
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
1491 einigten sich die albertinische und ernestinische Linie auf ein gemeinschaftliches Hofgericht, das in Altenburg und in Leipzig je zweimal jährlich tagen sollte. Die 1493 erneuerte Gerichtsordnung erweiterte die Zahl der Beisitzer auf jeweils vier Urteilende aus jeder Gruppe, bis der Krieg zwischen beiden Linien dieser Gemeinsamkeit ein Ende setzte. 1548 ordnete Kurfürst Moritz für sein Territorium die Fortsetzung des Obergerichts in Leipzig mit der ursprünglichen Zahl von neun Richtern an. 1583 kamen drei weitere Beisitzer hinzu, von denen zwei doctores sein sollten, so dass es schließlich sieben adelige assessoren und fünf doctores waren.144 Über diese reguläre Besetzung hinaus waren üblicherweise stets mehr Doktoren beim Gericht eingestellt als in den Ordnungen festgelegt war. Wie am Reichskammergericht brachten die doctores auch am Obergericht das römische Recht ein und zogen seine Anwendung derjenigen nach partikularem Gewohnheitsrecht vor. Da die „Juristen“ normalerweise mehr als die Hälfte der Urteilenden bildeten, kam es in der Praxis zu einer kontinuierlichen Stärkung des rezipierten Rechts. In den reichsunmittelbaren Städten wurden, soweit sie sich die Besoldung von Rechtsgelehrten leisten konnten, ebenfalls Doctoren als Rechtsberater (Syndici, Beamte) eingestellt. In den kleineren Städten und Dörfern urteilten dagegen die profanen Schöffen auch weiterhin nach den alten Statuten und Gewohnheitsrecht. Als später in komplexeren Rechtsfragen Gutachten von den Rechtsfakultäten als Spruchkörper eingeholt werden mussten, wurden diese von Rechtsprofessoren verfassten Entscheidungsempfehlungen von jeder Art Gericht, sei es ein Obergericht, ein Hofgericht oder ein unteres Gericht, verwendet.145 Die Vollrezeption, die das römische Recht praktisch umsetzte, war vor allem der landesherrlichen und städtischen Gesetzgebung zu verdanken. Die Besetzung der wichtigsten Ämter mit gelehrten Juristen hatte zur Folge, dass das gemeine Recht gegenüber dem gering geschätzten Partikularrecht an Gewicht gewann und auf diese Weise das Prinzip der Subsidiarität des römischen Rechtes umgekehrt wurde. Mit dem wachsenden Einfluss des Juristenstandes setzte sich dessen Methode das Recht zu handhaben mehr und mehr durch und erstreckte sich auf die anderen Rechte, auch wenn das römische Recht in den territorialen Gesetzgebungen nie als einzige legitime Rechtsquelle neben das Gesetzesrecht trat. Die Gesetzgebung 143 Nachdem das wettinische Herzogtum Sachsen durch die Leipziger Teilung 1485 in das albertinische und das mit der Kurwürde betraute ernestinische Sachsen umgebildet worden war, hatte die albertinische Obergerichtsordnung von 1488 angeordnet, dass das Gericht in Leipzig viermal jährlich abzuhalten und mit neun Urteilenden (drei Ritter, drei Doctores und drei Richter aus der Ritterschaft) zu besetzen sei, „der itzlicher uff seynem standt erfarenn geubet, aufrichtigk und vorstendigk sey“, Schindling, Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, Bd. 2: Der Nordosten, S. 9 ff., Kretschmann, Geschichte des Churfürstl. Säschischen Obergerichts zu Leipzig, S. 27 – 39 und Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, 2. Bd., S. 92 ff. 144 Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, 2. Bd., S. 93 f. 145 Siehe „Aktenversendung“ (G. Buchda), HRG, Bd. I, S. 84 – 87.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
117
blieb notwendigerweise lückenhaft, so dass der alte Normenbestand und das Gesetzesrecht mit Hilfe des gelehrten Rechts ergänzt, damit aber auch sachlich verändert werden musste.
4. Unterschiedliche Einstellungen über die Rezeption des römischen Rechts Das Ersetzen des „ungeschriebenen“ Rechts durch die (römischen) leges wurde auch von Melanchthon, der seiner Bewunderung für die Weisheit, Klarheit und die begriffliche Durchdringung des römischen Rechtes in seinen Reden über die Gesetze immer wieder Ausdruck verleiht, befürwortet. Die römischen Rechtsnormen seien zweckmäßiger und gerechter und könnten zum Maßstab für alle partikularen Rechtssätze werden, die er, soweit sie nicht mit den Grundsätzen des römischen Rechts übereinstimmten, abgeschafft sehen mochte. Melanchthons Reden über die Gesetze öffnen den Blick für die sich in Deutschland gerade vollziehende Rezeption des römischen Rechts. Bei ihm wirkt der gleiche Impetus, der verantwortungsbewusste Stadt- und Landesherren veranlasst hatte, das überkommene alte Recht zu „reformieren“ und den römisch-rechtlichen Prinzipien anzunähern. Es wird erkennbar, dass die Rezeption in den einzelnen Territorien ganz unterschiedlich erfolgte. Denn einige Länder ersetzten in ihrer Gesetzgebung das traditionelle Recht einfach durch die römischen Regeln, die zur Beherrschung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen geeigneter erschienen. In anderen Territorien wurden dagegen die Lücken des Gewohnheitsrechts durch das römische Recht gefüllt, so dass dem Subsidiaritätsprinzip Genüge getan wurde. Wieder anders verfuhr man im Hamburgischen Stadtrecht, wo bestimmt ist, dass die einheimischen Gesetze und Gewohnheiten nach dem „gemeinen Kaiserrecht“ „gebeugt und gedeutet“ werden sollten: statuta stricte sunt intelligenda contra jus commune.146 Die Kluft zwischen volkstümlichem und gelehrtem Recht wurde durch die Tatsache gemildert, dass nicht das justinianische Corpus iuris rezipiert worden war, sondern das europäische ius commune der Glossatoren und Konsiliatoren. Denn diese hatten bereits bei den römischen Rechtsnormen durch ihre Erläuterungen und Kommentierungen der gerichtlichen Praxis Wege geöffnet und erste Anpassungen vorgenommen, die zur Einfügung der oberitalienischen Statuten, Gewohnheiten und Handelsbräuche geführt hatten. Nicht der Text, sondern der Gehalt des Corpus iuris hatte durch die italienischen bzw. langobardischen Bearbeitungen seit dem 11. Jahrhundert durch die Glosse und die Kommentierungen letztlich eine andere Gestalt angenommen als sie durch die Quellen vorgegeben war. Mit der Zeit nahm die Glosse eine dominante Position ein, und die ursprünglichen Texte wurden allmählich durch die Kommentare abge146
Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, 2. Bd., S. 121, Anm. 26.
118
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
löst, so dass sie schließlich als einzig studierte Rechtsquellen galten. Als die scholastische Methode sich zu verengen begann, bekam der Satz „quidquid non agnoscit glossa, non agnoscit curia“ eine ganz neue Bedeutung. Während ursprünglich damit gemeint war, dass die nicht glossierten Stellen des Corpus iuris civilis auch kein Ansehen hätten und darum auch nicht rezipiert würden, interpretierte man ihn später dahingehend, dass für die Lösung rechtlicher Streitfragen die unter den Glossatoren hauptsächlich vertretene Meinung bevorzugt werden sollte.147 Eine weitere Veränderung hatte sich dadurch ergeben, dass die griechischen Texte systematisch beseitigt worden waren. Nach dem Motto „Graeca non leguntur“ war die lateinische Übersetzung der Authentica an ihre Stelle in den Novellen getreten. Ebenso veränderten Ergänzungen das Corpus des Rezeptionsrechts gegenüber der justinianischen Masse. Neben das justinianischen Recht traten die beiden libri feudorum des langobardischen Lehnrechts, das als Decima collatio novellarum zum Bestandteil der justinianischen Rechtsbücher wurde, als gleichwertige Rechtsquelle.148 Als spezielle Materie hatten die Libri feudorum vor dem gemeinen Kaiserrecht Vorrang, unterlagen aber dort selbst dem Subsidiaritätsprinzip, wo sie auf besondere lehnrechtliche Rechtslagen stießen. Als Teil des Corpus iuris wurde so das langobardische Lehnrecht an den Rechtsfakultäten gelehrt und von den praktischen Juristen an den Lehnsgerichten angewandt.
5. Der geringe Einfluss der humanistischen Prinzipien auf die Rechtsprechung in Deutschland Die Rezeption des römischen Rechtes im 16. Jahrhundert war auf dem gesamten Territorium des Heiligen Reichs jedoch nicht den Prinzipien des Humanismus gefolgt. Mit der italienischen Wissenschaft war auch deren Methode, der mos italicus, übernommen worden, der sich durch die unendlich erscheinende glossa ordinaria und ihre distinctiones auszeichnete.149 Zwar erlebte die humanistische Jurisprudenz am Anfang des 16. Jahrhunderts auch in Deutschland eine Blüte, die jedoch mit dem historisierenden Zweig des von Cujas und der Rechtsschule von Bourges fortgebildeten mos gallicus nicht vergleichbar war. Der akademische Streit an den deutschen Universitäten zwischen Vertretern der humanistischen und der scholastischen Lehrmethode hatte die neue Bearbeitung des römischen Rechtes eingeleitet, allerdings waren die humanistischen Juristen zunächst Gelehrte mit einem auf die Universität beschränkten Wirkungskreis. Unter den wenigen AusWieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 129 ff. Weitere mittelalterliche Quellen wurden aufgenommen, weil sie z. B. in der Lehnrechtpraxis der Juristen von Pavia und Mailand als Gesetzgebungsakte der salischen Kaiser schon Anwendung gefunden hatten. Auch die Gesetzgebung der Staufer (wie u. a. die „Constitutiones Friderici“) wurde dem bologneser Corpus hinzugefügt; siehe Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 133 ff. 149 Kisch, Humanismus und Jurisprudenz. 147 148
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
119
nahmen, die diesen Zwiespalt vermieden, waren die Rechtsgelehrten Ulrich Zasius150 und Johann Fichard151. Sie mussten für ihre praktische Tätigkeit als Rechtskonsulenten oder Stadtschreiber auch die älteren Gewohnheitsrechte kennen und anwenden. Andererseits widmeten sie sich an der Universität dem Studium der Quellen des römischen Rechtes, deren ursprüngliche Form sie zu ermitteln suchten, die aber keine praktische Anwendung erfuhr.152 Nicht nur die kleineren Reichsstände, die sich nicht das privilegium de non appelando verschaffen konnten, spürten den wachsenden Einfluss des römischen Rechtes. Auch in den größeren Territorien, die sich für den Ausbau ihrer Gerichtsorganisation das Privileg, eigene Appellationshöfe einzurichten, zunutze machen konnten und daher nicht zwangsläufig unter die Kontrolle des Reichskammergerichts gerieten, erhielt das gelehrte Recht für ihre eigene Gerichtsbarkeit eine bedeutende Rolle.
II. Der Zustand der Jurisprudenz in Wittenberg 1. Die Besonderheit des Sachsenspiegels Für die Lage der Rechtsquellen in Sachsen war der von Eike von Repgow zwischen 1220 und 1230 verfasste Sachsenspiegel zum Landrecht und zum Lehnrecht maßgeblich gewesen.153 Das Werk, das auf der Basis der praktischen Erfahrungen des Ritters als Rechtsberater, Urteiler und Lehnsmann des Grafen Hoyer von Falkenstein (Stiftsvogt von 150 Ulrich Zasius (1461 in Konstanz geboren, 1535 in Freiburg im Breisgau gestorben), Hauptvertreter des deutschen juristischen Humanismus, Verfasser des Freiburger Stadtrechts und erfolgreicher Rechtsprofessor, siehe Stintzing, Ulrich Zasius, S. 155 – 174, Thieme, Zasius und Freiburg, Winterberg, Die Schüler von Ulrich Zasius, Wolf, Große Rechtsdenker. 151 Fichard, Johann (1512 – 1581), ein Schüler Zasius und Verfasser der Frankfurter Stadtrechtsreformation, siehe Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, S. 159 f. 152 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 146 ff., Coing, SZRom 56, S. 256 ff., 59, S. 697, Koschaker, Europa und das römische Recht, Kisch, Humanismus und Jurisprudenz. 153 Die exakte Zeit der Urfassung bleibt unbekannt, weil Eike von Repgow (geb. 1180) selbst mehrmals sein Werk ergänzt und geändert hat, und spätere Modifikationen durch Fremde durchgeführt worden sind. Die ursprüngliche Fassung wurde in Latein geschrieben, aber sofort danach in den elbostfälischen Dialekt, der viele Ähnlichkeiten mit dem damaligen Hochdeutsch hatte, übertragen. Zum Sachsenspiegel siehe u. a. Ebel, Sachsenspiegel, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, S. 1228 – 37, Eckhardt, Rechtsbücherstudien, Heft 2: Die Entstehungszeit des Sachsenspiegels und der Sächsischen Weltchronik, Herkommer, Überlieferungsgeschichte der „Sächsischen Weltchronik“, Ignor, Über das allgemeine Rechtsdenken Eikes von Repgow, Lieberwirth, Eike von Repchow und der Sachsenspiegel, ders., Der Sachsenspiegel als Buch, zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, siehe: Der Oldenburger Sachsenspiegel, hrsg. von Schmidt-Wiegand, Sachsenspiegel: die Wolfenbütteler Bilderhandschrift Cod. Guelf 3. 1. Aug 2, Berlin 1993.
120
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Quedlinburg) entstanden ist,154 gliedert sich in zwei Teile: Der erste Teil enthält die Normen des Landrechts für das Bauernvolk und die Bevölkerung der Landstädte, der zweite betrifft das Lehnrecht für den Adel.155 Im Laufe des Mittelalters wurde der Sachsenspiegel in andere deutsche Mundarten sowie ins Niederländische, Polnische, Tschechische und Lateinische übersetzt156 und durch spätmittelalterliche Handschriften157 weiter verbreitet. Der Sachsenspiegel, auch „Spiegel deutscher Leute“ genannt, ist in der ersten Blütezeit der deutschen Nation entstanden und wurde als einer ihrer literarischen Höhepunkte betrachtet. Die Sammlung des überkommenen Rechtes fällt in die Zeit der beginnenden Rezeption des römischen Rechtes nördlich der Alpen. Aus der Entstehungsgeschichte geht hervor, dass die erste lateinische Fassung offenbar bei kirchlichen Gerichten zum Einsatz gekommen ist oder zumindest kommen sollte. Allerdings zeigten sich auch die Go- und Landgerichte158 an der Anwendung interessiert. Der Sachsenspiegel wurde nämlich als eine Art „Schutzwehr“ vor der wachsenden Autorität des „fremden“ Rechts verstanden.159 154 Johanek, Eike von Repgow, Hoyer von Falkenstein und die Entstehung des Sachsenspiegels, S. 716 – 755. Sowohl der Ritter Eike von Repgow als auch der Graf Hoyer von Falkenstein waren beide Angehörige der Hofgesellschaft des Grafen von Anhalt. 155 Das erste Buch des Landrechts beginnt mit der Zwei-Schwerter-Theorie, im Sinne des Kaisers und gegen die Kirche. Dann folgen Regeln zu Erbrecht, Vormundschaft und eheliche Güterrecht. Im zweiten Buch werden das Strafrecht, das privatrechtliche Deliktrecht und das Nachbarrecht behandelt, im dritten wieder Strafrecht, Vorschriften über Wehrgeld, und nach den Bußen für die Tötung von Hühnern und Gänsen etwas unvermittelt Regeln für die Königswahl und die Rechte von Fürsten und Grafen, Märkte und Burgen, die Gerichtsbarkeit und dann wieder Erbrecht. Im Gegensatz zu diesem Durcheinander ohne vertragsrechtliche Regeln bildet das Lehnrecht mit seinen fast 80 Kapiteln eine allgemeine Beschreibung des Rechtes seiner Zeit. 156 Lück, Die Verbreitung des Sachsenspiegels und des Magdeburger Rechts in Osteuropa, S. 37 – 49. 157 Etwa 200 vollständige Handschriften sind heute noch erhalten, außerdem eine größere Anzahl an Fragmenten und Sonderformen. Vgl.: Handschriften-beschreibungen: 1) Merseburg, Domstiftsarchiv, Hs. 70, Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 727. 158 Vgl. Sachsenspiegel, Landrecht I, 2 § 4. 159 Vor den geistlichen Gerichten war es geradezu erforderlich gewesen, das „lokale“ Recht in objektivierter Form und losgelöst von der sonst notwendigen Anwesenheit von Personen vorzustellen. Das Recht war dem Richter, den Parteien und dem Umstand zu „verburgen“. (Vgl. den friesischen „asega“, die fränkischen „rachinburgi“ und die karolingischen „scabini“, deren Entwicklungslinien in den Schöffen des Sachsenspiegels fortgesetzt werden (Sachsenspiegel III, 30 § 2)). Der Prozess nach dem Sachsenspiegelrecht wird durch die strenge Trennung zwischen dem Richter mit seiner prozessleitenden Funktion und den Urteilenden gekennzeichnet, die ihre Sprüche entsprechend dem einschlägigen materiellen Recht zu fällen hatten („Prozessleitung“ (F. Battenberg), HRG, 25. Lieferung, S. 53 ff.). In der Frühen Neuzeit wurden sie durch gelehrte Richter ersetzt, denen neben der Prozessleitung auch die Urteilsfindung übertragen wurde (H. Hagemann, Zur Krise spätmittelalterlicher Schöffengerichtsbarkeit, S. 89 ff.).
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
121
Auch nach der Rezeption des römischen Rechtes behielt der Sachsenspiegel in der Rechtspraxis seine Gültigkeit. Zu seiner Rechtfertigung gegenüber dem neuen Recht wurde hervorgehoben, er mit dem gemeinen Recht übereinstimme, dass er auf einem Privileg Karls des Großen beruhe und sein zweiter Teil, das Lehnrecht, auf Gesetze Barbarossas zurückginge. Tatsächlich lag ein enger Bezug zum römischen Recht vor. Denn das Gesetzbuch wurde später durch den brandenburgischen Hofrichter Johann von Buch glossiert, der 1305 in Bologna studiert hatte und die Verbindungen des Sachsenrechtes mit dem römischen Recht betonte.160 Der Sachsenspiegel genoss ein so hohes Ansehen, dass er als Grundlage für andere Rechtsbücher wie den Schwabenspiegel161 und das sogenannte „Klein Kaiserrecht“162 diente. Das Werk, das nicht systematisch gegliedert war, berücksichtigt vor allem das konkrete juristische Leben der Bauern und Edelmänner. Das städtische Recht und das Dienstrecht der Ministerialen wurden ausgeklammert, so dass vor allem privatrechtliche, prozessrechtliche und staatsrechtliche Regelungen, aber auch strafrechtliche Normen einiger Landesfriedensgesetze und kirchenrechtliche Regeln in den Sachsenspiegel Eingang gefunden haben. Genau wie das Corpus iuris wurde der ursprüngliche Text durch eine Glosse sowie durch andere traditionelle sächsische Regeln ergänzt. In dieser neuen Gestalt wurde er als „Sächsisches gemeines Recht“ bezeichnet,163 das schließlich die Grundlage des „sächsischen Rechts“ bildete.164 Johann von Buch und viele Gelehrte nach ihm betrachteten die Rechtsgemeinschaft der nach sächsischem Recht regierenten Territorien als einen besonderen Vorzug im Hinblick auf die Rechtssicherheit des aufkommenden Handels. Denn viele Hansestädte besaßen ein aus dem Sachsenspiegel entwickeltes Stadtrecht.165 Auch über das 16. Jahrhundert hinaus wurde das Sachsenspiegelrecht mit Stolz Vgl. „Buch, Johann v.“ (H. Schlosser), HRG, Bd. I, S. 526 f. Vgl. „Schwabenspiegel“ (W. Trusen), HRG, 31. Lieferung, S. 1547 – 1551. 162 Zum „Kleinen Kaiserrecht“, s. u. „Frankenspiegel“ (G. Dolezalek), HRG, Bd. I, S. 1202 f. 163 Über den Begriff des gemeinen sächsischen oder des landläufigen sächsischen Rechts ist oft gestritten worden. Insbesondere wurden Zweifel erhoben, ob allein der Sachsenspiegel oder auch die anderen Rechtsbücher wie das sächsische Weichbild als Quelle fungieren, vgl. Heimbach, Lehrbuch des partikulären Privatrechts, § 12, N. 8, dagegen Weiske, Quelle des gemeinen sächs. Rechts, S. X f. 164 So auch im Sprachgebrauch von Melchior Kling, als er in der Vorrede zu seinem Sachsenspiegel schrieb, man habe ihn ersucht, auch Statuten und Gewohnheiten aufzunehmen. Diese sei jedoch nicht möglich gewesen, weil er dazu alle Statuten und Gewohnheiten sowie die verschiedenen Gerichte mit ihren sehr verschiedenen Grundsätzen hätte kennen müssen. „Wo aber nicht, hielt man sich an das gemeine Sachsenrecht, welches ich ( . . . ) in eine Ordnung gebracht (habe).“ Hier denkt er also nur an den Sachsenspiegel, nicht an die übrigen sächsischen Quellen. 165 Zu den Stadtrechten und dem Recht der Hanse vgl. „Hanse – Handelsgenossenschaft“ (H. Kellenbenz), HRG Bd. I, S. 1992 – 2002, „Stadtrecht“ (G. Dilcher), HRG, 32. Lieferung, 160 161
122
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
und Sorgfalt gepflegt, kommentiert und angewandt. Es wurde in den Rechtssprüchen der Schöffenstühle („Schöppenstühle“), den Gutachten der Juristenfakultäten und der Rechtsprechung der Hofgerichte von Leipzig und Wittenberg, aber auch über die Kommentare von Justin Gobler166 und später Christoph Zobel167 weiter geführt. Auf diese Weise verbreitete sich sein Wirkungsfeld und damit seine Autorität. Es wurde nicht nur im Kurfürstentum Sachsen und in den sächsischen und thüringischen Fürstentümern angewandt, sondern auch in der Mark Brandenburg, in Schlesien, im Lüneburgischen, im Lauenburgischen, in Hannover und im Holsteinschen.168 Erst im 17. Jahrhundert wurde der Sachsenspiegel in denjenigen Territorien, die die Übernahme des gelehrten römischen Rechtes in ihre Gesetzgebungen als fortschrittlicher ansahen, durch Kodifikationen ersetzt. Dennoch wurde am Anfang des 16. Jahrhunderts vielfach Kritik an einigen veralteten Regeln laut. Das Leipziger Hofgericht hatte schon am Ende des 15. Jahrhunderts eine Reform des Sachsenspiegels verlangt.169 Mit der Publikation der S. 1863 – 1873, „Magdeburger Recht“ (G. Buchda), HRG Bd. 3, S. 134 – 138 und „Weichbild“ (R. Schmidt-Wiegand) HRG, 37 Lieferung, S. 1209 – 1212. 166 Gobler, Justin (1503 – 1567) studierte Philosophie und Jurisprudenz u. a. in Bourges bei Alciat, promovierte in Mainz, diente als Rat, Richter oder Kanzler u. a. den Häusern Braunschweig, Münster und Nassau. Gobler ist heute vor allem als erster Übersetzer und Kommentator der Halsgerichtsordnung Karls V bekannt. Von seinen Zeitgenossen wurde er ausserdem als ein vom Humanismus beeinflusster Handschriftsammler justinianischer Texte geschätzt. Sein literarisches Werk war von grundlegender Bedeutung für die Rezeption des römischen Rechts. Als erster hat er die Novellenepitome Julians und die Hexabiblos des Harmenopoulos (beide 1564 ff.) bald nach deren Erscheinen in lateinischen Ausgaben in deutschen Versionen verbreitet; in: HRG (H.E. Troje), Bd. 1, S. 1726 – 1729. 167 Über Christoph Zobel, siehe unten. 168 Schmidt-Wiegand, Die Bedeutung und Wirkung des Sachsenspiegels Eikes von Repgow in Land und Stadt, in: „der sassen speyghel. Sachsenspiegel – Recht – Alltag“, Bd. 2: Beiträge und Katalog zu den Ausstellungen „Bilderhandschriften des Sachsenspiegels – Niederdeutsche Sachsenspiegel“ und „Nun vernehmet in Land und Stadt – Oldenburg – Sachsenspiegel – Stadtrecht“, S. 33 – 46. 169 Diese Arbeit wurde von den wichtigsten Kommentatoren des Sachsenspiegels wie dem Glossator Johann von Buch und nach dem Buchdruck Christoph Zobel in folgenden Werken unternommen („Sachsenspiegel Auffs newe ubersehen / mit Summariis und newen Additionen / so aus den gemeinen Keyserrechten und vieler vornemer dieser Lande Doctorn / bericht und Radtschlegen / Auch der Hoffgericht und Schöppenstuel ublichen Rechtsprüche zusammen bracht / und an den Glossen und Allegaten vielfeltig gebessert. . .Durch den Hochgelarten Herrn Christoff Zobel / der Rechten Doctorn seligen in der löblichen hohen Schul zu Leipzigk, Leipzigk, 1563“) sowie in C. W. Gärtnerns Ausgabe von 1732 („Eykens von Repgow, Sachsen=Spiegel, Oder Das Sächsische Land=Recht, Jn dreyen Büchern, Wie solches mit denen älteste Codd.MSS. zusammen gehalten, daraus nach dessen wahren Verstande hergestellet, und von denen bisherigen vielfältigen Corruptionen gesaubert worden, Nebst zweyen noch nie gedruckten Texten der alten Ober=Sächsischen ursprünglichen Sprache dieses Rechts auch dessen Lateinischen Version. . .ausgefertigt von Carl Wilhelm Gärtnern, Leipzig, 1732“), vgl. „der sassen speyghel. Sachsenspiegel – Recht – Alltag“, Bd. 2: Beiträge und Katalog zur Ausstellung „Aus dem Leben gegriffen – Ein Rechtsbuch spiegelt seine Zeit“, insb. S. 47 ff. und 59 ff.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
123
strafrechtlichen Gesetzgebung des Kaisers, der Carolina, im Jahre 1534 wurde das Strafrecht des Sachsenspiegels aufgehoben, obwohl es dafür als Vorbild gedient hatte. Um Letzteren zu verbessern, verfasste Christoph Zobel, Doctor jure und Professor in Leipzig, 1535 den ersten und 1537 den zweiten Teil des Sachsenspiegels in meißner Dialekt, wobei er ihn auch inhaltlich modernisierte.170 Im Auftrag des Kurfürsten Johann Friedrich begann 1542 Melchior Kling171, den Sachsenspiegel systematisch zu erneuern. Die politischen Umstände in den sächsischen Ländern hinderten ihn jedoch daran, sein Projekt zu Ende zu bringen. Erst nach seinem Tod wurde das erneuerte sächsische Landesrecht in mehreren Auflagen (1571, 1572, 1577, 1600) publiziert.172 Das geschriebene Recht Sachsens galt für andere Territorien und Reichstädte als Vorbild. Die drei Rechtsfakultäten der Universitäten Leipzig, Wittenberg und Jena waren bedeutend und stützten noch diesen Ruf. Es entstand eine einzigartige Kooperation zwischen Rechtsprofessoren, Schöffenstühlen und Mitgliedern der Oberhofgerichte, die eine ständige Verbindung von Theorie und Praxis sicher stellte und im Heiligen Reich eine Ausnahme war. Außerdem entstand in Sachsen – wie auch anderswo – ein über Generationen erblich wirkender Juristenstand, der sich vorwiegend aus dem Umkreis der Patrizier-Familien zusammensetzte. Seit Anfang des 16. Jahrhunderts publizierten diese Juristen eine Fülle von Arbeiten und Handbüchern zum sächsischen Prozessrecht,173 die dem spezifisch sächsischen Verfah-
170 Siehe die nach seiner Handschrift ausgearbeiteten Ausgaben des Landrechts durch Menius 1560 und des Lehnrechtes durch Romanus 1589. 171 Melchior Kling (1. 12. 1504 – 25. 02. 1571) stand während seiner Ausbildung sowohl unter dem Einfluss Melanchthons, als auch unter dem von Apel, Lagus und Schürpf. 1534 las er kanonisches Recht in Wittenberg, wo er ein Jahr zuvor promoviert hatte. Als Berater des Kurfürsten nahm er ab 1541 am Reichstag zu Regensburg teil und begleitete die Visitationen des Reichskammergerichts in Speyer 1543 und 1544. Nach dem schmalkaldischen Krieg, den er als kurfürstlicher Gesandter in Dänemark verbracht hatte, ließ er sich 1547 in Halle als privater Rechtskonsultent nieder. Er wurde auch Beisitzer des städtischen Schöffenstuhls und des 1566 zu Jena errichteten Hofgerichts, siehe Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaften, S. 305 ff. 172 Der Sachsenspiegel von Melchior Kling wurde mehrfach veröffentlicht, vgl. „Das Gantze Sechsisch Landrecht in Text und Gloss, in eine richtige Ordnung gebracht. . . . Doch mit dieser Erklerunge, das er den Stenden, die das Sechsisch Recht gebrauchen, nicht genugsam, Sondern der Alte Sachssenspiegel, sonderlich Doctor Christoff Zobels, welcher wol erklert, dabey sein mus, Wie in Epistola dedicatoria erhebliche und gnugsame ursachen angezeiget werden sollen“, Leipzig 1571, 1572, 1577 und 1600. Vgl. Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaften, S. 308 und Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaften, S. 31 und 149 ff. 173 Dazu zählen u. a. die berühmte Familie Pistoris in Leipzig, i.e. Simon (1489 – 1562) und seine Söhne Modestinus (1516 – 1565) und Hartmann (1543 – 1601), Henning Göde (1450 – 1521), Georg von Rotschitz, Kilian König (1470 – 1526), Kilian Goldstein (1499 – 1568); Balthasar Klammer (1578 gest.), Matthias Coler (1530 – 1587) und Jacob Schultes (1571 – 1629), Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaften, S. 559 – 573.
124
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
ren neben dem gemeinrechtlichen Prozess des Kammergerichts ein hohes Maß an Eigenständigkeit sicherte. Die vorbildliche Rechtspflege in Sachsen wurde durch die Neuerungen aus Wittenberg ergänzt; denn dieser Ort war nicht nur das Zentrum religiöser Reformstrebungen, sondern stand insbesondere auch für die Erneuerung der akademischen Lehr- und Lernformen.174
2. Humanistische Gedanken an der Universität Wittenberg Der Humanismus, der aus der Krise der mittelalterlichen „respublica Christiana“ entstanden war, verlangte nach einer weitgehenden Restrukturierung der Gesellschaft. Eine erneuerte Bildung sollte ihr Fundament sein.175 Ihr Ideal war die Erziehung des Menschen zu einem Individuum, das in der Lage sein sollte, seine Begabungen und Fähigkeiten im Rahmen einer „eruditio institutioque in bonae artes“ zu entwickeln. Gemeint war die umfassende Gestaltung der „humanitas“, die der Epoche des Humanismus den Namen gab. Die humanistische Bildung sollte die ästhetisch-theoretischen und die praktisch-ethischen Werte vereinigen, ein Ziel, das sich wesentlich von der dogmatischen Ausrichtung der mittelalterlichen Scholastik unterschied. Die humanistisch ausgebildeten Gelehrten, deren wissenschaftliches Programm dem Grundsatz ad fontes folgte, kritisierten nämlich die moralische Unverbindlichkeit und die ästhetische Formlosigkeit scholastischer „Sophisterei“. Die Wiederbelebung des griechisch-römischen Altertums war für sich genommen keine neue Entdeckung, da die antike Tradition prinzipiell auch im Mittelalter präsent war. Der Unterschied bestand aber darin, dass der Humanismus die Antike insgesamt neu entstehen lassen und nicht, wie im Mittelalter, nur mit ein paar Werkstücken zufrieden sein wollte. So begann der humanistische Lernprozess mit der Aneignung der antiken Quellen, die im Unterricht an Lateinschulen und Universitäten eine fundamental neue Bedeutung erhielt.176 Moeller, Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation, S. 46 – 61. Zum humanistischen Bildungsprogramm existiert eine Fülle von Literatur; nur einige Titel seien hier exemplarisch genannt: Dilthey, Gesammelte Schriften, II. Bd.: Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation, Hammerstein / Buck, Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. I: 15. bis 17. Jahrhundert, Kaemmel, Geschichte des deutschen Schulwesens, Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, ders., Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten, Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland (Teil 1), Reinhard, Humanismus im Bildungswesen des 15. und 16. Jahrhunderts, Scheible, Aristoteles und die Wittenberger Universitätsreform, S. 123 – 154. 176 Das Schulwesen war sowohl vom Humanismus als auch von der Reformation beeinflusst. Das beste Beispiel für die Verquickung beider Geistesbewegungen im Bildungsprogramm bietet die Persönlichkeit Melanchthons, siehe Cohrs, Philipp Melanchthon, Deutschlands Lehrer, Hartfelder, Philipp Melanchthon als „Praeceptor Germaniae“, Joachimsen, Loci communes. Eine Untersuchung zur Geistesgeschichte des Humanismus und der 174 175
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
125
In Deutschland diente die Bildung zusätzlich der Entwicklung eines reichspatriotisch-religiösen Bewusstseins, das zur Grundlage eines deutschen Nationalbewusstseins und einer gebildeten Frömmigkeit werden sollte. Humanistisch war das Ideal der beata tranquillitas. Sie verfolgte wissenschaftliche, aber auch sittliche und religiöse Ziele und schien sich mit der religiösen Reformation Luthers zu decken.177 Die Ablehnung der Scholastik, die Neuentdeckung und die Verbreitung der Kenntnis der Heiligen Schrift durch die Übersetzung in die Volkssprachen, aber auch Luthers intensive Beziehung zu den Humanisten seiner Zeit verstärkten den Eindruck der Übereinstimmung zwischen beiden Geistesbewegungen. In den ersten Jahren der Reformation um 1520 gab es unter den Humanisten viele, die sich als Anhänger Luthers sahen. Doch der Radikalismus der reformatorischen Lehre, gesteigert durch aufrührerische Interpreten der 1520er Jahre und die von ihnen geschürten gesellschaftlichen Unruhen, erschreckte viele. Auf der Suche nach Ruhe und Ordnung kehrten sie zur katholischen Kirche zurück. Intensiver als anderswo in Deutschland trug man diese Konflikte an der Universität Wittenberg aus, wo sie zusammen mit weiteren Auseinandersetzungen, z. B. über die Anwendung des kanonischen Rechts, im Laufe der 1520 / 30er Jahre sogar zu Spaltungen unter den direkten Anhängern der reformatorischen Lehre führten und insbesondere Juristen und Theologen trennten.178 a) Die Einführung der humanistischen Gedanken in der Pädagogik Als am 29. August 1518 der junge Humanist Melanchthon mit seiner Antrittsrede De corrigendis adolescentiae studiis sein Bildungsprogramm in Wittenberg vortrug179 und nicht mit scharfer Kritik an dem erbärmlichen Zustand der vorherrschenden scholastischen Methode sparte, hatte er die Grundlage für einen heftigen Streit mit den Anhängern des spätmittelalterlichen aristotelischen Lehrprogramms gelegt. Diese Auseinandersetzung fand auch an zahlreichen anderen Universitäten des Reiches statt. Trotz des Einflusses der Reformation auf die Verbreitung der humanistischen Prinzipien blieb die alte Scholastik noch lange die dominierende Lehrmethode. Reformation, S. 27 – 97, Liedtke, Theologie und Pädagogik der deutschen evangelischen Schule im 16. Jahrhundert, Mertz, Das Schulwesen der deutschen Reformation im 16. Jahrhundert. 177 Zum Verhältnis von Humanismus und Reformation siehe u.v.a. Bauer, Die Wittenberger Universitätstheologie, Hägglung, Die Frage der Willensfreiheit in der Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther, S. 181 – 195, Moeller, Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation, S. 46 – 61, Stupperich, Der Humanismus und die Wiedervereinigung der Konfessionen, S. 160. 178 Dieser Konflikt wird im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Hieronymus Schürpf und Luther erläutert. 179 Joachimsen, Loci communes, insb. S. 69 ff. 9 Deflers
126
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Nachdem die Universität Wittenberg 1502 – 1507 gegründet worden war,180 war es zunächst Christoph Scheurl gewesen, der den humanistischen Geist dort eingeführt hatte.181 Scheurl hatte 1506 in Bologna promoviert und hielt als Doktor der beiden Rechte 1507 in der Artistenfakultät in Wittenberg Vorlesungen über das kanonische Recht (in denen er auch Teile des Lehnrecht behandelte), aber auch über allgemeine humanistische Themen. Am 1. Mai 1507 wählte man ihn zum Rektor. Er verfasste 1508 die Universitätsstatuten, die den Vertretern des Humanismus gegenüber den anderen Magistern eine gleichrangige Position zuerkannten. Obwohl das Studienprogramm den Zugang der Studierenden zu den humanistischen Vorlesungen erschwerte, verbreitete sich dennoch die Prinzipien der neuen Lehre in Wittenberg. Diese Entwicklung war das Verdienst weniger Professoren, unter ihnen Friedrich Scheurl,182 Nikolaus Marschalk und Hermann Trebelius,183 die ersten Lehrer der griechischen Sprache in Wittenberg. Insgesamt etablierte sich aber der Humanismus an der Wittenberger Universität schnell. Das neue Sprachprogramm wurde in den ersten zehn Jahren noch gegen den Widerstand der Scholastiker eingeführt. Dennoch erhielt die hebräische Sprache, vertreten durch Thileman Conradi, 1516 zum ersten Mal in Deutschland einen festen Platz in einer theologischen Studienordnung.184 Zur Verbreitung und Fortentwicklung der humanistischen Gedanken spielten neben der Reformation Luthers besonders auch Kurfürst Friedrich und Georg Spalatin eine wichtige Rolle. Die dogmatische Erneuerung der Kirche bewirkte einen Aufschwung des geistlichen Lebens. Durch eine stark konfessionsbetonte Erneuerung des Unterrichtswesens gewann die neue Bibelauslegung schnell an Einfluss. Nachdem Melanchthon 1518 den miserablen Zustand des Universitätsunterrichtes hervorgehoben hatte, führte er die Prinzipien des „Ad fontes“-Lehrprogramms in seine eigenen Vorlesungen ein. Sein Beitrag zur Reformation war von der Überzeugung getragen, dass eine Schul- und Universitätsreform für die Ausbildung der Christen bzw. für die richtige Bibellehre notwendig sei.
180 Die Universität Friedrichs wurde aufgrund eines am 6. Juli 1502 von Kaiser Maximilian in Ulm ausgestellten Diploms gegründet. Die Auswahl der Fächer traf man noch im selben Jahr und am 18. Oktober 1502 konnte der Beginn der Studien gefeiert werden. Erst 1506 erhielt die Universität die königliche Bestätigung und 1507 das päpstliche Privilegium. Vgl. Ludolphy, Friedrich der Weise, S. 315 – 336 und zur Geschichte der Universität Wittenberg siehe vor allem Friedensburg, Geschichte der Universität Wittenberg. 181 Friedensburg, Geschichte der Universität Wittenberg, S. 58 ff. 182 Trotz wiederholter Versuche des Fürsten, Friedrichs Scheurl an Wittenberg definitiv zu binden, kehrte dieser 1512 in seine Heimatstadt Nürnberg zurück. 183 Friedensburg, Geschichte der Universität Wittenberg, S. 75 ff. 184 Friedensburg, Geschichte der Universität Wittenberg, S. 98.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
127
Seit Mitte der 1520er Jahre mussten sich die Reformatoren in ihrer Bibelauslegung nicht nur von der alten Kirchenlehre, sondern auch von den falschen Auslegungen der diversen radikalen Schwärmer distanzieren. Melanchthon kam zu dem Schluss, dass die Reformation, deren Erfolg durch Missverständnisse und falsche Interpretation der lutherischen Lehre gefährdet werden konnte, nur mit Hilfe einer evangelisch geprägten und von einer sittlichen Erziehung begleiteten Ausbildung durchgesetzt werden könne. Der Umsetzung dieser pädagogischen Aufgabe widmete Melanchthon sein ganzes Leben. Aus seiner Sicht sollte der Staat für eine entsprechende Ausbildung der Bürger sorgen, damit sie lernten, die öffentliche Ordnung zu achten und als Mitglieder der Gesellschaft ihre Verantwortung wahr zu nehmen. In seiner „Rede zu Ehren der neuen Schule“, Oratio in laudem novae scholae (1526),185 unterstrich Melanchthon, dass die Gesellschaft die Verantwortung für die Bildung ihrer Mitglieder trage. Er lobte den italienischen Humanismus als Vorbild, da dieser die Wissenschaften und die europäische Kultur wieder habe aufblühen lassen.186 Die Vertreter der neuen Konfession waren auf die Unterstützung der regierenden Autorität angewiesen, um die Lehre zur Anerkennung zu bringen und in der Öffentlichkeit durchsetzen zu können. Damit trugen sie wiederum zur Entwicklung und Stärkung der Staatsgewalt bei, deren Aufgabe es war, für eine friedliche Ordnung der Gesellschaft zu sorgen. Gleichzeitig erwarteten die Reformatoren vom Staat, dass er in der Erfüllung seiner Aufgabe die Bildung seiner zukünftigen Mitglieder sichere, und dass er den Gelehrten die pädagogisch wichtige Aufgabe übertrage, das konfessionell geprägte Lehrprogramm in Schule und Universität einzuführen. Mit Hilfe seiner Kirche sollte der Staat die letzte Stufe der Souveränität erreichen können. Melanchthon hob hervor: „Dem Menschen macht sie [die Natur] es aber zur Pflicht, dass er die von ihm in die Welt gesetzten Kinder nicht nur in frühester Kindheit ernährt, sondern dass er – sobald sie herangewachsen sind – ihre Gesinnung zur Sittlichkeit hin ausbildet. Daher besteht gerade in einer wohlgeordneten Bürgerschaft ein Bedarf an Schulen, in denen die Jugend, die Pflanzstätte der Bürgerschaft, ausgebildet wird. Denn wenn einer meint, dass man ohne Unterweisung zu einer wirklichen Tüchtigkeit gelangen könne, so täuscht er sich gewaltig. Und keiner ist zur Leitung des Staates hinreichend befähigt ohne Kenntnisse in den Wissenschaften, welche die ganze Methode enthalten, wie Gemeinwesen zu regieren sind.“187 185
„Lobrede auf die neue Schule“, Übersetzung bei Melanchthon Deutsch, Bd. I, S. 92 –
101. 186 Bereits vor dem Fall Konstantinopels am 29. Mai 1453 waren griechisch-byzantinische Gelehrte vor der Bedrohung und der schrittweisen Eroberung des Byzantinischen Reiches durch die Osmanen nach Italien geflohen. Sie gaben den Anstoß zu einer intensiven Beschäftigung mit der griechischen Sprache und Literatur. Florenz, mit seiner um 1440 gegründeten Platonischen Akademie, wurde unter Cosimo und Lorenzo Medici zum Zentrum des Humanismus der Renaissance. 187 Melanchthon deutsch, Bd. I, S. 100.
9*
128
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
In mehreren Reden hat Melanchthon die Pflichten der Fürsten gegenüber Kirche und Schule als ihre von Gott festgelegte höchste Aufgabe definiert.188 Spalatin hatte 1521 die neue von humanistischen Grundgedanken geprägte Universitätsordnung der Artistischen Fakultät erlassen. Davor hatte sich aber unter den Professoren des Wittenberger Kollegiums das Gefühl verbreitet, die Universität werde von dem Fürsten Friedrich und seinem Hofrat vernachlässigt.189 Immer wieder wurden darum die Fürsten an ihre Verpflichtung, die Bildung zu fördern, erinnert. Von Friedrich dem Weisen, Kurfürst von Sachsen, der sich für die Bildung, Kunst und Religion persönlich engagierte, erhielten sie dann auch die erforderliche Unterstützung.190 b) Die humanistische Jurisprudenz In der juristischen Fakultät gestaltete sich die Einführung der humanistischen Prinzipien schwieriger als in der Artistenfakultät, da die Wiederbelebung der römischen Rechtsquellen nicht ohne weiteres mit den Bedürfnissen der regionalen Rechtspraxis vereinbar war. Die „elegante Jurisprudenz“ wurde bis 1538 oft verspottet und man warf ihr vor, nur sog. Grammatiker, aber keine Juristen auszubilden. aa) Gründe für die notwendige Verbesserung des Rechtsstudiums In den Rechtsvorlesungen dominierte deshalb nach wie vor die traditionelle Methode. Die römischen und kanonischen Rechtsnormen wurden in der Legalordnung in ihren Details erklärt, wobei das niedrige Niveau der studentischen Kenntnisse in Latein gegen Ende des Mittelalters vermuten lässt, dass die Studenten von dem Vortrag nicht viel verstanden haben.191 Die übertriebene Fülle an Details und die Breite der Rechtsbereiche machten ein vernünftiges und gründliches Rechtsstudium kaum möglich. Eine weitere Schwierigkeit war, dass die jungen Studenten keine Einführung ins Rechtsstudium erhielten. Aber das größte Problem, das in den Korrespondenzen und in festlichen Universitätsreden immer wieder angesprochen wurde, lag darin, dass die Professoren zu 188 „De coniunctione scholarum“, 1543, CR XI, S. 108, 213, 438, 445, 612, 615 ff. und CR XII, S. 162. 189 Am 16. April 1525 klagte Luther gegenüber Spalatin: „Ich gehe diese Stunde ( . . . ) nach Eisleben ( . . . ), um dort eine christliche Schule einzurichten, während ihr lau seid und unsere vernachlässigt“, WABr 3 Nr. 789 (1. 11. 1524), 5 – 13, Nr. 857 (16. 4. 1525) 6 – 8. 190 Ludolphy, Friedrich der Weise. 191 Muther, Aus dem Universitätsleben, S. 237: „Als Spalatin die Absicht hatte, sich der Jurisprudenz zuzuwenden, schrieb ihm Mutian: „Latinus inter barbaros versabere“. Wir dürfen daher wohl annehmen, dass durchschnittlich den damaligen Rechtsstudenten selbst eine notdürftige Kenntnis der lateinischen Sprache abging, geschweige denn, dass sie in den anderen Wissenschaften, die Apel ihnen empfiehlt, bewandert gewesen wären.“
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
129
häufig abwesend waren. Zur Aufbesserung der Besoldung vernachlässigten die Rechtsprofessoren nahezu regelmäßig ihre Vorlesungen, um neben ihrer Lehrtätigkeit zusätzlich als Gutachter, Urteiler, Mitglied des Stadtrats oder im Dienst des Kurfürsten tätig zu sein.192 Die schlechte Ausbildung führte zu einer schlechten Rechtsprechung. Die Juristen der Praxis waren nicht in der Lage, die Rezeption des römischen Rechtes zu fördern oder auf ihrer Grundlage gerechte Urteile in schwierigen, alltäglichen Rechtsstreitigkeiten zu fällen. Das Institut der Aktenversendung sah zudem vor, dass die Gerichte erst nach Einholung eines Gutachtens durch einen Rechtsgelehrten – oft auch von außerhalb des Territoriums – ihre Entscheidung trafen; dieses Verfahren war kostspielig, verlangte Zeit und Geduld und brachte den Landesherren und Reichstädten auch keine Ehre ein. So wurde das Interesse der Territorialfürsten geweckt, die juristische Bildung an den Universitäten zu fördern und die Gerichtsordnungen zu erneuern. Den im römischen Recht ausgebildeten Juristen wurde größerer Einfluss zugestanden. Das 1505 gegründete Wittenberger Hofgericht193 war schon bei der ersten Erneuerung seiner Ordnung im Jahre 1529 auch Rechtsgelehrten zugänglich. Unter den zwölf Rechtsprechern sollten nun vier doctores sein. Mit der Ordnung von 1550 wurde diese Zahl sogar auf fünf – im Verhältnis zu sieben Vertretern aus anderen Ständen194 – erhöht. Durch die Anwesenheit der Rechtsgelehrten war es möglich, dass das römische Recht nun in der Tat, wenn auch subsidiär, angewandt wurde. Ihr Ansehen wurde durch die Gutachten, die sie für auswärtige Gerichte in benachbarten Territorien erstellten, weiter gestärkt. Die Gutachten sollten unter Ausschließung der anderen Beisitzer nur diejenigen doctores abfassen, die Mitglieder der Juristenfakultät waren.195 Nicht zuletzt durch die elitäre Besetzung des Obergerichts gewann Wittenberg ab dem Anfang des 16. Jahrhunderts an politischer Bedeutung.
192 Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, S. 31: Gegen diese Missbräuche wurde 1616 in die universitären Statuten von Leipzig ein Dekret eingefügt, das u. a. folgendes bestimmte: Die juristischen Professoren sollten „von einem Capitulo oder Lege, so nicht viel Paragraphos hat, nach Gelegenheit nicht über ein, zwei oder drei Lectiones zubringen, auch nicht in forma tractatuum oder paratitlorum lesen, sondern in explicatione textuum per formationem casus seu quaestionis, propositis rationibus dubitandi et decidendi cum notabilibus ufs schleunigste fortfahren, zuförderst der Professor Institutionum alle vier Bücher zum längsten innerhalb zwei Jahren jedesmahl gäntzlich absolviren“. 193 Zur Festellung dieses Datums siehe Muther, Allerlei zu Otto Stobbe’s Quellengeschichte des deutschen Rechtes, in: Zur Geschichte der Rechtswissenschaften, S. 136, dasselbe Hinweis auf Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, 1864, Neudruck, 1965, S. 93, Anm. 30. 194 Ordnung für das Wittenberger Oberhofgericht von 1529 (Cod. Aug. I. p. 1335), von 1550 (p. 1337, 1344, 1345), und von 1588 (p. 1347 – 1350). 195 Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, S. 74, Anm. 47.
130
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
bb) Einführung einer neuen systematischen Methode Im Gegensatz zur scholastischen bzw. bartolistischen Tradition stand die humanistische Jurisprudenz vor der Frage der rationalen Durchdringung der Rechtslehre. Das Wichtigste war nicht mehr die Fülle der oft geistlos auswendig gelernten Rechtsnormen aus dem Corpus iuris, sondern die Erstellung einer systematischen Anordnung dieser Regeln.196 Die methodologischen Bemühungen der Humanisten beeinflussten die pädagogischen Reformen, die auch im Studium der Jurisprudenz eingeführt wurden. Deshalb entwickelte sich in der juristischen Literatur des 16. Jahrhunderts eine umfangreiche methodologische Literatur. Am Ende des 16. Jahrhunderts wurden mehrere Sammlungen von systematisch geordneten Schöffensprüchen als Anleitung für das praktische Studium veröffentlicht. Die pädagogischen Bemühungen zielten zu dieser Zeit vor allem auf die Rechtspraxis. Die von Reusner und später Besold herausgegebenen Sammlungen Wittenberger und Leipziger Schöffensprüche197 folgten den Programmschriften Cantiunculas, Apels und Hegendorfs. Cantiuncula verfasste 1520 die Topica legalis und 1522 die Paraenesis de studio juris legalis; 1529 erschien Hegendorfs Oratio de artibus futuro, iurisconsulto et necessariis et frugiferis und 1531 die Libri dialecticae legalis quinque. Die beiden letzten Werke waren als Lehrbücher zur Vorbereitung des juristischen Studiums gedacht.198 Johann Apel forderte als Humanist von den Juristen nicht nur gründliche lateinische Sprachkenntnisse, sondern auch eine intensive Beschäftigung mit der antiken Geschichte, vor allem Roms, der römischen Kaiser, der Juristen und der römischen Gesetze. Den historischen Überblick sollten sie anhand der Rechtsauffassungen Ciceros, Terenz’, Sallusts, Livius’, Quinctilians, aber auch über Erasmus’ Schriften vertiefen.199 cc) Melanchthons Einfluss auf die Einführung der humanistischen Lernprinzipien in das Rechtsstudium Melanchthons Einfluss auf diese Programmschriften ist von Stobbe200 und Stintzing201 ausführlich untersucht worden. Schon ab 1518 hatte Melanchthon juris196 Die Frage, ob eine solche Systematik im Corpus schon vorab existierte, war unter den Humanisten selber umstritten, siehe Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaften, S. 255. 197 Eine Auswahl der Leipziger Schöffenurteile früherer Zeit ist bei Wasserschleben, Sammlung deutscher Rechtsquellen. 198 So folgten sie beide die Spuren von Rudolph Agricola mit seinem „De inventione dialectica“ und seinen „Loci communes“. Seine Schriften: „Topica“, Basil 1520, 1545, „Oratio apologetica in patrocinium juris civilis“, Basil 1522, „Paraenesis de studio juris“, Basil 1522, „Paraphrasis in libros tres priores Institutionum“, in libr. 1, Hagen 1533, in libr. 2, Lugdun 1535, in libr. 3, Lovan 1549, „De officio judicis“, Basil 1543, „Consilia ed. per G. Cnutelium“, Colon 1571. 199 Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, S. 34. 200 Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, S. 34.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
131
tische Vorlesungen über die Institutionen bei dem berühmten und von ihm hochgeschätzten Professor beider Rechte Hieronymus Schürpf gehört. Melanchthons Dialektik und seine systematische Lehrmethode hat die Werke von Apel, Lagus, Schneidewin, Kling, von Beust, Goldstein dem Älteren und von Cantiuncula – hier vor allem dessen Topica – sowie Hegendorfs Dialectica unmittelbar beeinflusst. Später wurde auch die Rechtssprechung durch die Vertreter der zweiten Generation von Humanisten, die bereits Männer der Praxis waren, von humanistischem Geist geprägt.202 Der Einfluss, den in Wittenberg der Humanismus auf den juristischen Unterricht genommen hatte, zeigte sich zuerst in der praktisch orientierten Pädagogik. Die systematische Methode mit einer sachlichen Ordnung der Rechtsnormen fand z. B. ihren Ausdruck in Klings Bearbeitung des Sachsenspiegels.203 Typische Merkmale des humanistischen Einflusses auf das Studium der Rechtswissenschaften sind weiter die Einführung in das Rechtsstudium auf der Grundlage der Institutiones und die Abkehr von der endlosen und überflüssig erscheinenden Fülle der nach der scholastischen Methode verlangten Rechtskenntnisse. Der Rechtsstoff sollte durch eine logische Auswahl der Rechtsquellen begrenzt werden. Melanchthon beeinflusste vor allem das juristische Lehrprogramm durch seine Dialectica. Mit ihr wurden zum ersten Mal die Forderungen von Agricola und Erasmus über die an einer deutschen Universität zu erlangende Bildung verwirklicht.204 Agricola hatte 1484 sein Lehrprogramm mit fünf notwendigen methodologischen Hauptforderungen definiert,205 die erst 1515 auf die Jurisprudenz übertragen wurden: – Erstens sollten die Einzelheiten mit allgemeinen Begriffen in Verbindung gebracht werden. – Zweitens sollten die Studierenden weniger, dafür aber mit Verstand lesen. – Drittens sollte das Gedächtnis durch Wiederholung des Stoffes trainiert werden. Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Wissenschaft, S. 102 – 301. Unter anderen Wesenbeck (Klings Schüler), Reusner (Beusts Schüler) und Goldstein, der seit 1521 in enger Verbindung mit Melanchthon stand. 203 Schon 1543 hatte Kling vor dem Kurfürsten Johann Friedrich den Wunsch geäußert, den Sachsenspiegel zu bearbeiten. Er erklärte sich bereit, „das sächsische Recht in eine solche Ordnung zu bringen, dass es jeder leichtlich verstehen und sich darein richten solt“, siehe: Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, S. 352 ff. Das Werk erschien aber erst nach seinem Tod 1572 in Leipzig unter dem Titel: „Das ganze sächsische Landrecht mit Text und Glosse in eine richtige Ordnung gebracht durch Doktor Melchior Klingen von Steinau an der Straße, izo zu Halle“, siehe Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Wissenschaft, S. 308 f. 204 Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Wissenschaft, S. 284. 205 Die Hauptgedanken seines methodischen Verfahrens hat er 1484 in einem später wiederholt abgedruckten Brief dargestellt: „Libellus de formando studio vere aureus – cujus auctores sunt R. Agricola, Erasmus Roterodamus, Phil. Melanchthon“, Colon 1532, 8 . 201 202
132
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
– Viertens sollten die Rechtsnormen durch eine vergleichende Analyse besser verstehbar gelehrt werden. – Fünftens sollten die ursprünglichen Texte statt der herrschenden Kommentare und Meinungen gelesen und studiert werden („ad fontes“).
Traditionell mussten sich die Studierenden zunächst allgemeine Vorkenntnisse in Logik und Dialektik verschaffen, bevor sie zu den speziellen Wissenschaften (Medizin, Jurisprudenz und Theologie) zugelassen wurden. Jedes dieser Fächer hatte den zu erlernenden Stoff methodisch zu erläutern, indem der Gegenstand erst allgemein und dann im Besonderen vorgestellt wurde. Mit der Anwendung dieser Methode auf die Jurisprudenz bekamen die Institutionen im Corpus iuris über ihren Gesetzescharakter hinaus eine propädeutische Rolle für den Anfang des Rechtsstudiums, wie dies auch in der Antike der Fall gewesen war. Außerdem entwickelten sich neue ausbildungsspezifische Literaturgattungen wie die Institutionensummen, die Loci communes und die Topica, deren Sinn darin lag, die Überfülle des Rechtsstoffes den allgemeinen Begriffen unterzuordnen und diese durch Definitionen zu erklären. Melanchthon übernahm für seine Schriften die humanistischen Grundprinzipien der von Erasmus und Agricola verfassten Lehrprogramme. Seine als Professor und später auch als Rektor der Universität Wittenberg betriebene Studienreform führte diese Lehrprogramme auch in den anderen Fakultäten ein.206 Die im Bereich der Philosophie geltende humanistische Methode entsprach aber nicht der an der Praxis orientierten Funktion des Rechtes. Die humanistischen Grundprinzipien konnten nicht vollständig im Rechtsstudium fruchtbar gemacht werden. Im Deutschland des 16. Jahrhunderts gelang es der humanistischen Jurisprudenz noch nicht, Justinians Corpus iuris als geltendes Gesetz einzuführen. Die alten Lehrfächer wurden nicht vollkommen aufgegeben, sondern revidiert. Im Gegensatz zu der noch herrschenden scholastischen Interpretationsmethode wurden die alten Quellen wieder aufgenommen, historisch ausgelegt und im Wege einer im sachlichen Rahmen zugelassenen subjektiven Anschauung durch das Einbringen persönlicher Ideen – was zur historisch-kritischen Auslegung führte – neubewertet. Beide Interpretationsprogramme bildeten die Hauptlinien des methodologischen und reformatorischen Konzepts, das Melanchthon bewegte: „Die Testimonia (müssten) der Quelle, d. h. der Heiligen Schrift selbst, entnommen werden und (es dürfte) nicht einfach auf Sammelwerke und Blütenlesen zurückgegriffen werden. Zum anderen wird gefordert, dass in erster Linie das zu erforschen sei, was die Heilige Schrift selbst sage. Es dürfte also nicht fremde Inhalte in die Schrift eingetragen und die Schriftaussage nach eigenem Belieben verdreht werden. ( . . . ) Dunkle Stellen seien durch den Vergleich mit klaren Stellen zu erklären. Immer müsse darüber hinaus der Gesamtzusammenhang der ganzen Schrift berücksichtigt werden.“207 Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae. Wiedenhofer, Formalstrukturen humanistischer und reformatorischer Theologie bei Philipp Melanchthon, S. 26. 206 207
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
133
Auf dieser Basis hat Melanchthon seine Naturrechtslehre entwickelt. Das Konzept der Gerechtigkeit und die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht wurden der Heiligen Schrift entnommen. Die Fähigkeit zur Unterscheidung wurde den Menschen von Gott ins Herz eingepflanzt. Das Rechtsverständnis ist daher prinzipiell bei jedem Menschen dasselbe. Mit Hilfe der ursprünglichen Rechtsquellen sollen und können die naturrechtlichen Normen wiedererkannt werden. Obwohl Melanchthons Einfluss auf die Pädagogik und seine Rolle in der Entwicklung einer wissenschaftlichen Methode nicht genug hervorgehoben werden können, blieb seine Wirkung auf die Juristen relativ begrenzt. Hier kommen seine Leistungen nur in geringem Umfang zum Tragen. Melanchthons Naturrechtslehre konnte nicht unmittelbar auf die humanistischen Juristen seiner Zeit in Wittenberg wirken. Denn als seine systematische Programmschrift zur Naturrechtslehre, die Epitome philosophiae moralis, 1538 erschien, waren die reformtragenden Juristen bereits über das ganze Land zerstreut. Nur Oldendorps Naturrechtsanschauung wurde unmittelbar von Melanchthon geprägt. Schließlich entwickelte sich das später definierte Naturrecht hauptsächlich unter dem Einfluss der Spätscholastik Spaniens auf der Grundlage einer laizistischen, gesellschaftlichen und nicht biblisch fundierten Ethik.208
D. Melanchthons spätere Aufwertung des römischen Rechtes I. Einfluss des Rechtsgelehrten Hieronymus Schürpf 209 In jeder der für diese Untersuchung bearbeiteten Reden Melanchthons, den Orationes de legibus, findet sich ein Lob oder zumindest ein Hinweis auf Hieronymus Schürpf, den Melanchthon wegen seiner Gelehrsamkeit und seiner Didaktik stets bewunderte.210 Er hatte die Rechtskenntnisse und Rechtsauffassung des jungen Praeceptors erweitert und beeinflusst. 208 Kisch, Melanchthons Rechtslehre, S. 72 und Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Wissenschaft, S. 311 ff. In dieser Hinsicht bildet Hugo Grotius eine Ausnahme, der reformiert und offener Calvinist war und dessen Naturrechtslehre von seiner christlichen Überzeugung geprägt wurde, siehe u. a. über Grotius’ Rechtsauffassung: Edwards, Hugo Grotius, the miracle of Holland, Hölzel, Grundlagen des Rechts- und Staatsdenkens bei Hugo Grotius, Hendrik van Eikema Hommes, Hugo Grotius. Einige Betrachtungen seines Rechtsdenkens, S. 56 – 70, Carl von Kaltenborn, Die Vorläufer des Hugo Grotius auf dem Gebiete des ius naturae et gentium, Knieper, Die Naturrechtslehre des Hugo Grotius, Ottenwälder, Zur Naturrechtslehre des Hugo Grotius. 209 Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 178 – 229 und bei Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Wissenschaft, S. 266 f. 210 Melanchthon erwähnt seinen Rechtslehrer 1532 in der Einleitung seiner Promotionsrede über das Thema: „Rechtsangelegenheiten sollen nicht nach freiem Ermessen des Richters, sondern nach geschriebenem Recht beurteilt werden“ mit den Worten „vir clarissimus“ und „praeceptor noster optime meritus“, „Oratio in promotione cuiusdam iurisconsulti“, CR XI, S. 215, Rede Nr. 2 bei Kisch, Melanchthons Rechts-und Soziallehre, S. 210.
134
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
1. Kurze biographische Darstellung von Schürpf Hieronymus Schürpf, der zwischen alter Tradition und humanistischer Erneuerung schwankte, verkörperte als Jurist und Reformator den Zeitgeist seiner Epoche. Er hat die Reformationsgeschichte und die Geschichte der Wittenberger Rechtsfakultät geprägt. Geboren am 12. April 1481 in St. Gallen, entstammte Schürpf einer frommen, angesehenen Familie.211 Sein Vater war Doktor der Medizin und als Arzt tätig. Zugleich hatte er das Amt des Bürgermeisters inne und stand in Verbindung zu gelehrten Juristen und Theologen wie Nauclerus, Summerhart und Lampater. Schürpf bekam in der Klosterschule seiner Stadt die übliche scholastische Ausbildung im Trivium. In Basel, wo trotz der Blüte der Universität noch keine Spuren humanistischer Gedanken zu finden waren, studierte er zuerst Medizin. Durch den Einfluss des Humanisten Ulrich Kraft212 widmete er sich später der Jurisprudenz. Nachdem Kraft 1500 oder 1501 nach Ulm berufen wurde, zog Schürpf nach Tübingen, wo er Rechtsvorlesungen bei den Rechtsprofessoren Ebinger213 und Lupdich214 hörte, die stark vom humanistischen Lehrprogramm geprägt waren. Außerdem hörte er auch theologische Vorlesungen bei Summenhart, der versuchte, in der Tradition Gersons215 die kirchliche Lehre zu reinigen. Nachdem Schürpf den Baccalaureat in der Artistenfakultät absolviert hatte, erlangte er während seines 2. oder 3. Semesters in Tübingen die Würde eines Magister artium. Seine ursprüngliche Ausbildung war von dem Formalismus der scholastischen Schaich-Klose, D. Hieronymus Schürpf. Ulrich Kraft (oder Krafft) stammte aus einer wohlhabenden Familie aus Ulm, studierte mit Sebastian Brant 1475 – 76 in Basel, wurde Magister in Freiburg, immatrikulierte sich 1478 in Tübingen, promovierte 1484 in Pavia zum Dr. jur. utr. und wurde 1485 Rektor in Tübingen. Sein Leben lang unterrichtete er als Rechtsprofessor in den vier Städten und starb zwischen 1515 und 1518 in Ulm, ohne bekannte Schriften zu unterlassen; Vgl. Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Wissenschaft, S. 35. 213 Melanchthon, „Oratio de vita Hieronymi Schurffii, recitata à D. Michaele Teubero Doctore, cum decerneretur gradus Doctoris, docto viro, M. Georgio Cracovio Pomerano, additis quibusdam ritibus in illo actu observatis, die septimo mensis Augusti, Witebergae 1554, [36] Bl., 8 “: Ebinger (1479?-1532), der eigentlich Pluklin oder Plucklin hieß und aus Ebingen kam, wird neben Georg Simmler auch als Lehrer Melanchthons genannt. Er genoss während seines Lebens ein hohes Ansehen unter seinen Zeitgenossen. 1531 wurde er Doctor Decretorum und 1532 kurz vor seinem Tode J.U.D. (Doctor jure utrumque) und Ordinarius in Tübingen. 214 Ioh Lupfftich, Dr., ist 1508 und 1509 als Anwalt des Bischofs von Augsburg beim schwäbischen Bundesgericht bekannt (Staatsarchiv. 3. Th. S. 234 ff.). 1507 wurde er zum Fiscal beim Reichskammergericht vorgeschlagen. 215 Jean de Gerson (Jean Charlier de Gerson in Département Ardennes in Frankreich) wurde am 14. 12. 1363 in Gerson geboren und starb am 12. 07. 1429 in Lyon. Als führender Theologe auf dem Konstanzer Konzil (1414 – 1418) zeichnete er sich als Gegner von John Wycliffe und Jan Huss aus. Er verteidigte den Konziliarismus und lehnte den Tyrannenmord als Form des Wiederstands ab. 211 212
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
135
Lehrtradition geprägt, zeigte aber schon einige Spuren des neuen humanistischen Geistes. Als am 18. Oktober 1502 die Wittenberger Universität feierlich eröffnet wurde, war Schürpf anwesend. Im selben Jahr begann er als Magister legens Vorlesungen über Aristoteles zu halten, hörte aber als Scholar auch weiterhin juristische Vorlesungen. An der neugegründeten Universität hielt er die erste Disputation in der Artistenfakultät. Seine Vorlesungen über die Jurisprudenz wurden sogar vom Kurfürsten Friedrich und seinem Bruder Herzog Johann besucht und hochgelobt. 1504 wurde er zum Rektor der Universität gewählt. Ein Jahr später wurde er Legent des kanonischen Rechtes und las den Liber sextus und die Clementinen. Zur selben Zeit erwarb er den Doktortitel beider Rechte. 1507 wurde er Ordinarius iuris civilis in Codice der juristischen Fakultät, später auch kurfürstlicher Berater und Beisitzer des gemeinschaftlichen sächsischen Oberhofgerichts zu Altenburg und Leipzig. 1536 wurde er nach den erneuerten Universitätsstatuten zum ersten Rechtslektor, d. h. in Digesto veteri, Infortiato und Digesto novo, ernannt. Wie damals üblich, war Schürpf neben seinen Lehrveranstaltungen als Rechtskonsultent tätig. Seine Erfahrung erstreckte sich auf alle juristischen Bereiche. Bekannt wurde seine dreibändige Sammlung von jeweils 100 Gutachten, die seine zeitgenössischen Kollegen zum Vorbild nahmen und mit seiner Zustimmung drucken ließen.216 Er war einer der bedeutendsten Rechtskonsultenten seiner Zeit. Für Melanchthon verkörperte er sogar die ideale Verbindung von hervorragenden Rechtskenntnissen in der Theorie und durch aequitas geprägter praktischer Erfahrung.217 Sein Einfluss beschränkte sich nicht nur auf den universitären Bereich. Auch Staatsmänner wie Melchior Kling und Franz Burkhard, die wichtige Rollen als Kanzler und Rat im sächsischen Territorium im Rahmen der Reformationsgeschichte spielten, hörten bei ihm Vorlesungen. Außerdem knüpfte Schürpf zahlreiche wichtige Beziehungen im höfischen Rat, dann zu vielen Kurfürsten und Herzögen in Deutschland und zu König Christian III. von Dänemark. 2. Schürpfs Verhältnis zur Reformation Als Ende 1508 Luther nach Wittenberg kam, war Hieronymus Schürpf von der Persönlichkeit des Mönchs sehr beeindruckt. Es entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden. Die gereinigte christliche Lehre der Heiligen Schrift, die der zukünftige Reformator in seinen theologischen Vorlesungen erläuterte, kam der Frömmigkeit Schürpfs so entgegen, dass er schnell ein überzeugter 216 Seine „Consilien“ sind in drei „Centurien“ gesammelt: Cent.1.2, 1545, 1551, Franco ad Moen. Cent.3, 1553, Francof. ad Viadr. fol. Neue Auflagen: 1582, 1594, 1612, 1617, vgl. Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Wissenschaft, S. 266 ff. 217 „Oratio de vita clarissimi viri Hieronymi Schurffi, I.V. Doctoris, recitata a D. Michaele Teubero Doctore“, 1554, CR XII, S. 86 – 94, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 13, S. 288 – 297.
136
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Anhänger der reformatorischen Lehre wurde.218 Im Streit zwischen den Dunkelmännern und den Humanisten, an dem ab 1514 auch Luther und sein Freundeskreis an der Seite Reuchlins involviert waren,219 und dann besonders, als am 3. Oktober 1520 die Bannbulle gegen Luther Wittenberg erreichte, stellte sich der Universitätsrat, zu dem u. a. Schürpf gehörte, auf Luthers Seite. Mit Luthers Aversion gegen das kanonische Recht konnte sich Schürpf, der ehemalige Lektor des Corpus iuris canonici, jedoch nicht abfinden. Obwohl Schürpf der reformatorischen Lehre sein Leben lang treu blieb, wurden sie später erbitterte Gegner in der Frage der Weiterverwendung des kanonischen Eherechts, die sich zu einem heftigen Streit entwickelte. 1523 – 1525 war zunächst ein Streit zwischen dem noch sehr stark mit der kanonischen Lehre verbundenen Rechtsprofessor und den Schwärmern ausgebrochen, als diese unter der Führung Karlstadt von Bodensteins die Abschaffung des römischen zu Gunsten der Einführung des biblischen mosaischen Rechts forderten.220 Herzog Johann hätte sich zu dieser theokratischen Erneuerung überreden lassen, wenn sich nicht der Kurprinz Johann Friedrich und der Kanzler Brück, beeinflusst durch Luthers und Melanchthons Gutachten, dagegen ausgesprochen hätten. Schürpf hielt aus diesem Anlass eine Rede über das römische Recht, ein Plädoyer zugunsten der „billigen und hochzuschätzenden römischen Gesetze“.221 Melanchthon, durch Schürpfs Lehre auf Justinians Corpus iuris aufmerksam geworden, griff später dieses Thema in seiner Rede über die Gesetze (1523 / 1525)222 wieder auf und entwickelte es weiter. Nachdem Schürpf von 1527 bis 1529 an der Kirchenvisitation teilgenommen hatte, wurden die Differenzen zwischen ihm und Luther tiefer und führten 1531 schließlich zum Bruch. Dem Reformator gegenüber stand der kompromissbereite und gemäßigte Jurist, der die kanonische Tradition der Kirche zu sehr respektierte, um ihre Autorität in theologischer und in rechtlicher Hinsicht abzulehnen.223 Mit Melanchthons Hilfe versuchte er mehrmals, den Weg der Versöhnung und der Vereinigung mit der alten Kirche zu gehen. Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Wissenschaft, S. 267 f. Wegen seiner Stellungnahme gegen die Vernichtung der außerbiblischen jüdischen Literatur geriet der Tübinger Rechtslehrer und Humanist Johannes Reuchlin in Konflikt mit der Inquisition. Zu seiner Verteidigung veröffentlichte er 1514 eine Auswahl seines Briefwechsels unter dem Titel „Clarorum virorum epistolae“. Daraufhin erschien anonym eine fingierte Briefsammlung mit dem Titel „Epistolae obscurorum virorum“, die sogenannten Dunkelmännerbriefe, eine in barbarischem Latein verfasste Satire auf die sinnentleerte Spitzfindigkeit der Spätscholastik, auf die Borniertheit, Heuchelei und Unmoral von Mönchtum und Weltklerus. 220 Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae, S. 230 – 250. 221 „Philippi Melanchtonis de legibus oratio“ ed. Muther (Reg. 1860) p. 2 not. 3. cf. p. 14 not. 27 Melanthon. Declamatt. T. IIII. in praefat. 222 „Oratio de legibus“, CR XI, S. 66 – 86, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 1, S. 189 – 209. 223 Muther, Der Reformationsjurist D. Hieronymus Schürpf. 218 219
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
137
Trotz des Widerstands des lutherischen Kreises las Schürpf, mit kurzen Unterbrechungen, weiterhin seine Vorlesungen über das kanonische Recht an der Wittenberger Rechtsfakultät. Die Abschaffung der gesamten kanonistischen Verordnungen, die erst 1580 unter dem Namen „Corpus iuris canonici“ veröffentlicht wurden, wurde dadurch unausführbar gemacht, dass im Zivilrecht, Kriminalrecht und vor allem im Prozessrecht das römische und das kanonische Recht sehr eng miteinander verbunden waren.224 Außer Luther, der von einer tiefen Abneigung gegen alle Formen der alten Kirche geleitet und sogar verblendet war, verlangte niemand die Beseitigung des rezipierten Rechts. Vor allem Schürpf setzte sich gegen Luthers Forderung durch, indem er nicht nur die Autorität der Consilien verteidigte, sondern in einigen Rechtsfällen sogar das kanonische Recht dem römischen vorzog.
3. Der Streit an der Wittenberger Universität zwischen den Juristen und den Theologen Der Hauptstreit, der in Wittenberg Juristen und Reformatoren entzweite, betraf das Prinzip der Unauflösbarkeit der Ehe und die Auswirkung der sog. heimlichen Verlöbnisse.225 In diesem Bereich folgte Schürpf den klar definierten Prinzipien der katholischen Kirche statt den Dogmen der Heiligen Schrift. Die ohne Einwilligung der Eltern geschlossenen heimlichen Verlöbnisse, soweit sie zu einer Ehe führten, wurden im Corpus iuris canonici als unlösbare Verbindung definiert.226 Juristisch gesehen bedeutete die Anerkennung der „heimlichen Ehe“ die Ohnmacht der Eltern gegenüber den von ihnen ungewollten Eheschließungen und die Durchbrechung der elterlichen Rechte.227 Diese Vorschrift brachte ein erhebliches Unruhepotential in die Familien, das die Reformatoren bekämpfen und beilegen wollten.228 Auf der Basis strenger römischer Rechtsprinzipien vertrat Luther die gegensätzliche Meinung. Eine ohne Einwilligung des Vaters geschlossene Ehe sollte ungültig bleiben. Er verstärkte dieses Rechtsprinzip durch die Forderung nach einer 224 Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, insb. Kap. I: Römisches und canonisches Recht im deutschen Mittelalter, S. 1 – 37. 225 Steding, Hieronymus Schürpf und sein Verhältnis zu Martin Luther, S. 186 – 192, Köhler, Luther und die Juristen, Heckel, Lex charitatis, Müller, Luthers Stellung zum Rechte, Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Wissenschaft, S. 266 f., S. 273 – 276 f., Muther, Aus dem Gelehrtenleben, S. 211 f., S. 442 – 452. 226 Schürpfs „Consilien“ III 9, I. 1. 227 Über die heimliche Ehe vgl. Kuschfeldt, Stellung und Funktion von Form und Öffentlichkeit der Eheschließung, Gaudemet, Église et Cité. Histoire du droit canonique, Werckmeister, La fidélité conjugale dans le droit canonique médíeval, S. 17 – 34, Duby, Ritter, Frau und Priester, Le Bourgeois, Questions des divorcés à l’Église. 228 Tischreden u. a. IIII, 125, 480, 84, 104, 185, 491. Siehe Lingelbach, „yhe weniger gesetz, yhe besser recht“, S. 851 ff.
138
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
öffentlichen Eheschließung. Luther erklärte deshalb schon 1524 heimliche Verlöbnisse für ungültig. 1527, 1532 und 1538 bekämpfte er vor den Wittenberger Juristen weiterhin die kanonischen Vorschriften. Aufgrund dieser Meinungsverschiedenheit verschlechterte sich 1539 endgültig die Freundschaft zwischen Luther und Schürpf. In seinen Reden vom 2. und 23. März 1539 hielt Luther seine Wut gegen die Juristen nicht mehr zurück und griff sie so heftig an, dass der später zum geflügelten Wort gewordene Spruch: „Juristen, böse Christen!“229 in die Volksprache aufgenommen wurde; der Bruch mit Schürpf war dadurch endgültig geworden.230 Als anerkannter und hochgeschätzter Rechtsprofessor der Universität Wittenberg hatte Schürpf die Möglichkeit, die Ansichten seiner Schüler über das Corpus iuris canonici als Hauptquelle des protestantischen Kirchenrechtes unmittelbar zu beeinflussen. Für sie galt das kanonische Recht als Rechtsquelle, solange die Vorschriften nicht im Widerspruch mit dem ius divinum der prophetischen und apostolischen Schriften standen. Der juristische Streit über die heimliche Eheschließung wurde durch die in der Tradition des Respekts vor dem kanonischen Recht ausgebildeten Juristen mehrere Jahrzehnte lang geführt. 1544 verlangte Kurfürst Johann Friedrich von den streitenden Juristen und Theologen, dass sie einen gemeinsamen Text über diese privatrechtliche Angelegenheit unter besonderer Berücksichtigung der evangelischen Prinzipien abfassen sollten.231 Nachdem erste Versuche erfolglos blieben, fanden sich die beiden Parteien von 1544 bis Anfang 1545 zur Abfassung einer Konkordienformel (Concordia) zusammen,232 die nicht nur die heimlichen Verlöbnisse, sondern alle Streitfragen des neuen Eherechts behandelte. Von der heftigen Abneigung der ersten Reformatoren gegen das kanonische Recht finden wir bei den späteren Anhängern des lutherischen Glaubens keine Spuren mehr. Der Konflikt wurde für die Nachfolger dadurch gelöst, dass die Anwendung des kanonischen Rechtes erforderlich blieb, dass aber das Corpus iuris canonici nicht mehr als Instrument der päpstlichen Autorität angesehen wurde. Außerdem erfüllte sich Luthers Befürchtung nicht, dass die evangelische Kirche bei Anwendung des Corpus iuris canonici unter die Herrschaft des Papsttums fallen würde. Das Corpus iuris canonici blieb vielmehr eine nützliche Rechtsquelle, die sich von der institutionalisierten katholischen Lehre abheben ließ. Für die Entwicklung eines evangelischen Kirchenrechts hatte Schürpf das kanonische Recht gesichtet, überarbeitet und ihm diejenigen Vorschriften entnommen, die für die 229 Siehe das Sprichwort: „Juristen böse Christen“ und seine geschichtlichen Bedeutungen. Rede gehalten beim Antritt der Universität Bonn am 18. Oktober 1875 von Stintzing, Bonn, 1875, Lingelbach, „Juristen – Böse Christen“, S. 327, Stein, Martin Luthers Meinungen über die Juristen, S. 362 ff. 230 Tischreden IIII, 531, 505. 231 Reskript von dem Kurfürsten Johann Friedrich am 8. Januar 1544 an Bugenhagen, Melanchthon und Brück, siehe Muther, Aus dem Universitätsleben, S. 211 ff. 232 Der Text der „Concordia“ 1545 befindet sich als Anhang des Buches von Muther, Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 444 – 454 beigefügt.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
139
Konstituierung der Reformkirche notwendig waren. Dabei war von ihm eine kategorische Trennung von Rom nicht beabsichtigt, vielmehr sollten nur die reformatorischen Grundgedanken auch kirchenrechtlich stärker zur Geltung gebracht werden. Von einigen seiner Zeitgenossen wurde Schürpf verdächtigt, Papist zu sein. In der Tat glaubte er an die Wiedervereinigung der beiden christlichen Lehren unter einer einzigen gemeinsamen Institution. Ob dies der Papst von Rom sein musste, war für ihn eine sekundäre Frage. Schürpf blieb sein ganzes Leben lang Anhänger der reformatorischen Lehre. Dafür stand sein treuer Glaube an die Rechtsfertigungslehre und an das Sakrament unter beiderlei Gestalt. Als nach der Schlacht bei Mühlberg 1547 Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen von Karl V. gefangen genommen wurde, verließ die Mehrheit der Gelehrten Wittenberg. Schürpf wurde an die Universität Frankfurt / O. berufen, wo er acht weitere Jahre lehrte. Einen Ruf zum assessor am Reichskammergericht lehnte er wegen seines hohen Alters ab. Er starb am 6. Juni 1554 und wurde in der Frankfurter Kathedrale begraben.233
II. Melanchthons Apologie des römischen Rechts Die Reflexionen über die Eigenschaften des römischen Rechtes und seine Vorteile, die Melanchthon in seinen Reden über das Gesetz anstellt, folgen demselben Grundmuster und übernehmen ähnliche Beweisführungen. Die erste Gruppe von Argumenten betrifft die Notwendigkeit für die Staatsführung, ein geschriebenes Recht zu haben. Die zweite Gruppe umfasst die inhaltlichen positiven Eigenschaften des römischen Rechts als Gesetzgebung.
1. Die Notwendigkeit eines festgeschriebenen Rechts Nur mit einer festgeschriebenen Gesetzgebung könne dem gemeinen Nutzen, der gesellschaftlichen Ruhe und dem öffentlichen Frieden gedient werden. a) Als Schutzmittel gegen die unprofessionellen Schöffen Der in der ungebildeten und einfachen Bevölkerung verbreitete Unwille gegen eine festgeschriebene Gesetzgebung spiegele, Melanchthons Ansicht nach, hauptsächlich den Widerwillen der Schöffen wider. Diese Laien-Richter fürchteten, dass durch die Anwendung des gelehrten Rechts ihre Kenntnisse nicht mehr benötigt würden und fühlten sich um ihre Entscheidungsfreiheit gebracht. Um gegen den Verlust ihrer sozialen Stellung anzukämpfen, wiegelten sie die leicht erregbare 233
Schaich-Klose, D. Hieronymus Schürpf.
140
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Landbevölkerung gegen das „fremde Recht“ auf. Die Stimmung dafür war leicht zu gewinnen, da für die Bevölkerung das neue Recht nicht nur unverständlich war, sondern auch ihre altbekannten Gewohnheitsrechte und Gebräuche weitgehend zurückgedrängt, wenn nicht sogar ersetzt wurden: „Institui autem disputare de quadam vulgari persuasione hominum sive imperitorum sive invidorum, qui ius scriptum ex foro et iudiciis eici volunt et iudicari res sine certis legibus arbitrio eorum, qui iudicia exercent.“234
Diese Thematik gab Melanchthon bei jeder Gelegenheit Anlass, die Dummheit und Ignoranz der arroganten und egoistischen Schöffen zu verspotten. Festgeschriebene Normen betrachtete er geradezu als Notwendigkeit für die Sicherheit des Rechtsverkehrs, da feste Regeln die Gefahr juristischer Streitigkeiten unter den „ungebildeten“, d. h. nicht gelehrten Richtern vermeiden helfen würden. Der Eindruck von der Willkür der Rechtssprecher konnte von der Obrigkeit nur durch eine Festschreibung der Gesetze vermieden werden. In dem zwischen Obrigkeit und Bürgern beschlossenen Gesellschaftsvertrag hätten sich die Repräsentanten des Staates gegenüber den Bürgern verpflichtet, die Gesetze festzuschreiben und sie durch staatliche Gerichte und Behörden achten zu lassen, um Sicherheit im Rechtsverkehr zu garantieren. Die Bürger – durch die herkömmlich mit Laienrichtern besetzten Schöffenstühle vertreten – hätten ihrerseits in diesem Vertrag die Begrenzung ihrer Entscheidungsfreiheit anerkannt. Als staatlicher Beamter würde der Rechtsprecher an sozialem Ansehen gewinnen und die Machthaber könnten durch diesen Vertrag die gegenseitige Rechtstreue festigen und wechselseitig die Vorteile der juristischen Sicherheit und rationaler Gerichtsentscheidungen genießen. Übliche Praxis war, dass der Kaiser und die Kurfürsten bei der Wahl des Kaisers über die Wahlkapitulationen in einem Vertragsverhältnis standen. Durch einen solchen Vertrag war der junge Kaiser Karl V. 1521, und dann auch später, dazu gezwungen worden, seine Zustimmung zur Mitwirkung der Reichsstände an der Regierungstätigkeit zu geben.235 In Analogie dazu dürfte Melanchthon auch zwischen Kaiser und Reichsbevölkerung einen vergleichbaren „Gesellschaftsvertrag“ angenommen haben, auch wenn ein solcher nur ungeschrieben war und hypothetisch sein musste.
234 CR XI, S. 215 – 218. „Ich habe mir vorgenommen, eine Ansicht zu erörtern, die in der Bevölkerung unter ungelehrten und missgünstigen Menschen verbreitet ist, nämlich solchen, die wollen, dass das geschriebene Recht aus dem Gericht und aus den Urteilen verjagt werde und dass die Rechtsangelegenheiten ohne bestimmte Gesetze aufgrund des Gutdünkens derer entschieden würden, die jene Verfahren durchführen“, in: „Oratio in promotione cuiusdam iurisconsulti: Res non iudicandas secundum arbitrium iudicis, sed secundum scriptum ius“ (Rede zur Promotion eines gewissen Rechtsgelehrten: Die Rechtsangelegenheiten sollen nicht nach dem Gunsten der Richter, sondern nach dem geschriebenen Recht beurteilt werden) 1532, Rede Nr. 2 bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 210. 235 Angermeier, Die Reichsreform 1410 – 1555, S. 230 ff.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
141
b) Als Lösung für die damalige Rechtsunsicherheit im Reich und in den Territorien Im 15. Jahrhundert waren die Klagen über zahlreiche Missstände im Reich immer intensiver geworden. Vor allem betrafen sie in hohem Grade die Rechtsunsicherheit im Reich, die durch die unzureichende Gerichtsverfassung, durch das lückenhafte materielle Recht und durch das überhand nehmende Fehdewesen hervorgerufen worden war. Zu der weitgehenden Schutzlosigkeit im Reich kam die äußere Bedrohung, die durch die unzulängliche Wehrverfassung nicht beseitigt war und die Angst vor der Türkengefahr noch gesteigert hatte. Auf diese massive Unzufriedenheit in der Bevölkerung reagierten die Herrscher auf verschiedene Weise. Das Kaisertum versuchte, zeitweise im Bündnis mit dem Niederadel und den Reichsstädten, die monarchische Zentralgewalt zu stärken. Damit gerieten sie aber in Widerspruch zu den Kurfürsten und Fürsten, die eine Lösung eher in der weiteren Entmachtung des Kaisers zugunsten eines Ausbaus halbsouveräner Territorien und einer institutionalisierten reichsständischen Mitwirkung an der Reichsgewalt sahen. Als Maximilian I. (1493 – 1519) die Unterstützung des Fürstenstandes in seinen Kriegen gegen den französischen König Karl VIII. benötigte, beschloss er, den Forderungen der Reichsstände entgegenzukommen und auf dem Wormser Reichstag 1495236 das Fehderecht zugunsten eines Ewigen Landfriedens237 aufzuheben. Außerdem wurde vom Reichstag die Errichtung eines vom Kaiser weitgehend unabhängigen Reichskammergerichts beschlossen.238 Zur Stärkung der Reichsfinanzen wurde eine allgemeine Reichssteuer („Gemeiner Pfennig“) eingeführt, über die vom Reich zu führenden Kriege finanziert werden sollten.239 Auf dem Augsburger Reichstag von 1500 errichtete Maximilian das sogenannte „Reichsregiment“, das eine ständisch gebundene Reichsregierung vorsah, an dessen Zustimmung alle Maßnahmen des Kaisers gebunden sein sollten. Zur Vollstreckung von Urteilen gegen Verbrecher, die gegen den Reichslandfrieden vorgegangen waren, aber auch zur Vollstreckung der Reichskammergerichtsurteile, wurde dort und dann auch auf den Reichstagen von Trier und Köln von 1512 eine Reichsexekutionsordnung beschlossen, die auf einer Einteilung des Reichs in überterritoriale Verwaltungseinheiten (Reichskreise) beruhte.240 Im Gegensatz zum Reichsregiment und zur Reichssteuer, die sich als dauerhafte zentrale Institutionen 236 Über die Gründe der Konzessionen Maximilians I. auf dem Wormser Reichstag 1495, siehe Angermeier, Die Reichsreform 1410 – 1555, S. 164 – 184. 237 Siehe Angermeier, Die Reichsreform 1410 – 1555, S. 174, Anm. 46. 238 Ordnung des Reichskammergerichts von 1495, revidiert 1521 und 1548. Über die Rezeption des römischen Rechtes als kaiserliches Recht, siehe Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 176 ff., Koser, Repertorium der Akten des Reichkammergerichts. Über den Reichshofrat: Gschließer, Der Reichshofrat. 239 Angermeier, Die Reichsreform 1410 – 1555, S. 178 f. 240 Angermeier, Die Reichsreform 1410 – 1555, S. 196 ff.
10 Deflers
142
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
nicht durchsetzen konnten, waren dem Ewigen Landesfrieden, der Reichskammergerichtsordnung und der Reichsexekutionsordnung einschließlich der Einteilung des Reiches in „Reichskreise“ große Erfolge beschieden. Diese Ergebnisse der Reichsreform wurden dann auch vom Augsburger Reichstag 1555 mit einigen Modifizierungen bestätigt. 1532 war noch mit der Constitutio Criminalis Carolina als Reichsstrafgesetzbuch eine Vereinheitlichung des materiellen und prozessischen Strafrechts hinzugekommen. Trotz dieser bedeutenden Reichsreformen war die ersehnte Rechtssicherheit nicht erreicht worden. Die Unsicherheit in Rechtsdingen blieb eine der Hauptklagen sowohl der Landbevölkerung als auch der Gelehrten. Die Ursache für die schlechte Rechtslage sah die Bevölkerung in der Rezeption des römischen Rechts, das an die Stelle des herkömmlichen Gewohnheitsrechts trat. Für die Mehrheit der deutschen Gelehrten hingegen lag sie vor allem in der Rechtssprechung der Schöffen. Nur ein kleiner Kreis unter den Gelehrten stellte sich auf die Seite der Laien und verwarf die Rezeption. Für sie kam allerdings alle Rechtsunsicherheit aus der Anwendung des römisch-kanonischen Rechts, zumal die in den Territorien tätigen Rechtsberater oder Rechtsprecher keine grundlegenden Kenntnisse des Rezeptionsrechts hatten. Für die Rechtsunsicherheit gab es nicht nur eine einzige Ursache; schwer wog aber die Vielfalt der Rechtsnormen, auf deren Basis eine Gerichtsentscheidung herbeigeführt werden musste.
c) Als Schutzmittel gegen die Willkür Das Thema der rechtlichen Sicherheit bot darum auch Melanchthon nicht nur einmal Gelegenheit, gegen arrogante und unfähige Schöffen zu spotten. Ihn trieb die grundlegende Sorge um, wie in einer Zeit, die durch innere Unruhen und Aufstände aus religiös-politischen Motiven gekennzeichnet war, eine praktikable und akzeptierte Rechtsordnung geschaffen werden könne. Voraussetzung dafür war, dass zunächst die zahlreichen Gewohnheitsrechte in den Territorien schriftlich fixiert würden, um so einer willkürlichen Anwendung entgegenzuwirken. Denn allein eine definitive Festlegung des geltenden Rechts könne der Macht und Willkür der Herrscher feste Grenzen aufzeigen. Nur sichere Rechtsquellen würden die weltliche Gerechtigkeit und die Freiheit der Bürger, auch der Schwächeren unter ihnen, gegenüber der Willkür der Mächtigen, gleich ob Herrscher, Richter oder Vertreter der Obrigkeit, festigen können. In seiner „Rede über das geschriebene Recht und den Wert der alten Interpreten des Rechts“, Oratio de scripto iure et dignitate veterum interpretum iuris,241 241 „Oratio publice habita Vuittenbergae in promotione Doctoris iuris de scripto iure et dignitate veterum interpretum iuris“, 1539, CR XI, S. 218 – 223, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 5, S. 228 – 233.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
143
wiederholt Melanchthon 1539 die Gründe, aus denen sich die Aversion der Mächtigen gegen das festgeschriebene Recht speise. Sie wollten weder ihre Handlungsund Entscheidungsfreiheit noch ihre Habgier durch feste Regeln begrenzt sehen. Vor allem aber wollten sich die Machthaber durch eine auch für sie verbindliche Anwendung des „fremden“ Rechts nicht von qualifizierten Rechtsberatern bevormunden lassen. In Staaten mit einem komplexen Rechtssystem wäre nämlich die rechtliche Beratung auch von Juristen, die im römisch-kanonischem Recht ausgebildet waren, jedem Staatslenker unentbehrlich, aber sie wollten sich auch nicht als „Knechte der Doktoren“ fühlen. Eine solche Aversion sei, meint Melanchthon, nicht bei allen Mächtigen festzustellen. Die gemäßigteren unter ihnen würden feste, definierte rechtliche Begrenzungen der Macht durch das Recht leichter akzeptieren als die störrischen, die alle Zügel ablehnen würden, um nur nach eigenem Gutdünken regieren zu können.242
d) Als Schutzmittel gegen die schwache Natur des Menschen Für Melanchthon ist der Mensch, unabhängig von seinem sozialen Status, schon von Natur aus zwiespältig. Einerseits, so erklärt er, beherrschten ihn seine Begierde, seine persönlichen Interessen, sein Egoismus und seine Willkür. Andererseits besitze der Mensch auch Verstand und damit eine von Gott gegebene Fähigkeit, zwischen Ehrenhaftem und Schändlichem zu unterscheiden.243 Als Humanist und Reformator blieb er davon überzeugt, dass eine gute Ausbildung, ergänzt durch eine christliche Erziehung der Sitten, die tyrannischen und egoistischen Instinkte der Menschen beseitigen könnte. Zumindest würden die ratio und das schlechte Gewissen die schlechten Eigenschaften zum Schweigen bringen. Melanchthons Menschenkenntnis war aber durch seinen pädagogischen Optimismus nicht getrübt. Er wusste, dass diejenigen, die die Macht besitzen und ausüben, trotz einer noch so guten Ausbildung vom Rausch der Macht und ihren Reizen immer wieder verführt würden und dass nur allzu viele diesen Verlockungen nicht widerstehen könnten.244 242 CR XI, S. 219 f. „Altera causa est, quod nonnulli fremunt, se suis iureconsultis in republica tanquam mutas personas esse, quod velut in aliena tutela esse, et ad alienum praescriptum decernere cogantur. Hanc servitutem, ut ipsis esse videtur, aegre ferunt, praesertim si qui sunt ferocioribus ingeniis praediti. Nam ut natura alii temperantiores facilius patiuntur iustas leges, alii intemperantes minus eis sunt morigeri, ita in genere fit; aliae naturae magis contumaces sunt et minus patientes freni“, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 5, S. 229. 243 CR XII, S. 95. „Etsi autem humanae mentes intelligunt, hanc naturalem noticiam, discernentem honesta et turpia, esse radium divinae sapientiae in nos transfusum ( . . . )“, Oratio de lege Placiut Codice de iudiciis (3.I.8), 1554, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 12, S. 281. 244 „Oratio publice habita Vuittenbergae in promotione Doctoris iuris de scripto iure et dignitate veterum interpretum iuris“, 1539, CR XI, S. 219 f. „Außerdem werden auch die Guten leicht verdorben unter sovielen Verführungen“ (Deinde et boni facile depravantur inter
10*
144
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Eine Hilfe für die schwache menschliche Natur sollten die Staatsverfassung und die Gesetze sein. Sie sollten der Staatsführung helfen, das gesellschaftliche Leben im Respekt aller zueinander zu organisieren. Um dieses Ziel zu erreichen, mussten besondere Tugenden vorhanden sein, um deren Förderung sich die Fürsten und Mächtigen besonders bemühen sollten: „Pro hac opponant corpora sua, hanc autoritate sua ,tanquam clypeo tegant‘ adversus opiniones illorum, qui leges scriptas ac certas, qui hanc eruditam iuris formam et doctrinam e republica tolli cuperent, quae aequitatem ac libertatem singulorum munit, frenat licentiam potentium, ne quid sibi sumant adversus imbecilliores contra iustitiam; denique quae magnum decus est civilis societatis.“245
Die antike Geschichte der Staatsführung bietet für Melanchthon viele weise Beispiele,246 die auch in seiner Zeit noch als Vorbilder gelten könnten, um die Gefahr einer willkürlichen Regierung optimal zu reduzieren.247 Zur qualifizierten Rechtsberatung im Fürstenrat sollte die Anwendung eines festgeschriebenen Rechts treten. Die doppelte Begrenzung der Machtausübung sei keine unnötige Absicherung. Denn „wie selten gute Fürsten sind, deutet der Ausspruch des Kaisers Claudius an, der gesagt hat, dass von allen Herrschern, die gut waren, die Porträts in einem einzigen Ring eingraviert werden könnten.“248
tot corruptelas.), Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 5, S. 229 f. und weiter: „Denn Habgier und Zorn verderben die Regenten, auch wenn sie zuvor die allerbesten Männer gewesen waren“ (Nam cupiditates et ira gubernatores depravant, etiamsi fuerint optimi viri ( . . . ), CR XI, S. 220, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 5, S. 230. Deswegen „ist es erforderlich, dass es eine bestimmte Regel gibt, die die Herrin beim Gericht und beim Regieren ist“, „( . . . ) necesse est extare certam regulam, quae dominetur in iudiciis et gubernatione“, CR XI, S. 220, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 5, S. 229. 245 CR XI, S. 350 f. „Dafür [für die Gegenwehr der Rechtgelehrsamkeit und Profession] stellen sie [die Kaiser] ihre Körper zu Wehr, schützen sie mit ihrem Ansehen „wie mit einem Schild“ gegen die Meinungen derer, die geschriebene und sichere Gesetze und auch diese Art der Rechtsgelehrsamkeit aus dem Staatswesen zu vertreiben begehren, das die Billigkeit und die Freiheit der Einzelnen schützt und die Willkür der Mächtigen zügelt, damit sie nicht irgend etwas für sich ergreifen, das zum Nachteil der Schwächeren und gegen die Gerechtigkeit ist; Denn schließlich ist der Staat die große Zierde der bürgerlichen Gesellschaft.“; in: „De Irnerio et Bartolo iurisconsultis“, 1537 (?), CR XI, S. 350 – 356, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 3, S. 214 f. 246 Über die Rolle der Geschichte im humanistischen Lehrprogramm, siehe Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae. 247 In seiner Argumentation bezieht sich Melanchthon auf Aristoteles [Pol. III, 16, 128 7a] und auf Seneca [Thyestes, 312 f.] 248 Zitat aus „Scriptores Historiae Augustae“, Flavius Vopiscus, Vita Aureliani XLII 5 in CR XI, S. 220: „Vide, quaeso, quam pauci sint principes boni, ut bene dictum sit a quodam mimico scurra Claudii huius temporibus, in uno anuto bonos principes posse perscribi atque depingi“; in: Loeb Classical Library, Scriptores Historiae Augustae, III, S. 280, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 5, S. 229, Anm. 2.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
145
e) Als Schutzmittel gegen die radikalen Reformatoren Melanchthon fürchtete sich nicht nur vor der grenzlosen Willkür der Mächtigen, sondern auch vor den Forderungen einiger Schwärmgeister, die die gesamte staatliche Ordnung durcheinander bringen und die geltenden Gesetze aufheben wollten. An Stelle der weltlichen Staatsverfassung wollten sie einen auf der Grundlage des Evangeliums errichteten neuen Staat mit entsprechender Gesetzgebung einführen. Dieser radikale Biblizismus und der Bauernkrieg 1525 mit seinem Ruf nach „göttlichem Recht“ hatten Melanchthon zutiefst entsetzt, so dass er in jeder seiner Reden über das Gesetz seinem Publikum mindestens einmal einen Hinweis auf diese Schreckenszeit vor Augen hielt und stets scharfe Kritik an den Schwärmern übte: „Denn ich weiß, dass vor einigen Jahren jemand von jüdischer Gesinnung249 hier sogar öffentlich behauptet hat, Christen dürften sich nicht des heidnischen Rechts bedienen, da sie sich durch das Wort Gottes regieren lassen müssten. Später missbilligten seine Anhänger in öffentlichen Vorträgen die übliche Strafe für Diebstahl und viele andere Verordnungen der jetzigen Rechtspflege. Solche wohlfeile Abschaffung der Gesetze ist nicht nur ungerecht, sondern erschüttert auch die Staaten, wie die Ergebnisse der furchtbaren Volksunruhen vor dreizehn Jahren gezeigt haben.“250
Einfach sei es, den gegenwärtigen Zustand des Staates zu kritisieren, aber „was würde künftig sein, wenn die Gesetze aufgehoben wären?“, warnte Melanchthon.251 Statt die Rezeption des römischen Rechts abzulehnen – wie dies in einigen Territorien wegen seiner Fremdheit und seiner Unverständlichkeit für die Laienrichter geschah – und den gelehrten Richtern vorzuwerfen, die Rechtslage zu verunsichern, sollte ein Kampf, so Melanchthon, gegen die schlechte Auslegung dieser Gesetze geführt werden. Andere Gegner des römischen Rechts stellten zwar die Notwendigkeit einer Gesetzgebung nicht in Frage, kritisierten jedoch die damalige Rechtssprechung und missbilligten die Spitzfindigkeiten in der Auslegung und die Unübersichtlichkeit der Kommentierungen durch die Rechtsgelehrten. Sie kritisierten nicht das römische Recht selbst, sondern warfen den Scholastikern vor, dass sie durch ihre mangelhafte Interpretationsmethode den Wortlaut und vor allem den Geist der römischen Gesetze verfälscht hätten.
249 Luther und Melanchthon haben angefangen, sich 1522 von Karlstadts Radikalismus zu entfernen. Sie hielten Bodensteins Verwerfung der kultischen Bilder unter der Berufung auf den Dekalog für gesetzlich und judaisierend; siehe in: Gestalten der Kirchengeschichte, Reformationszeit I, Beitrag von Bubenheimer, Karlstadt von Bodenstein, S. 105 – 116, insb. 111. 250 Übersetzung der Rede von der Würde der Gesetze, „Oratio de dignitate legum“, 1538, CR XI, S. 357 – 364, in: Schwab, Phillip Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 185. 251 „( . . . ) semper enim facillimum est, praesentem rerumpublicarum statum reprehendere. Sed quid futurunt esset sublatis legibus?“, in: „Oratio in promotione cuiusdam iurisconsulti“, 1532, CR XI, S. 216, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 2, S. 211.
146
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
f) Als Schutzmittel gegen nutzlose Gesetzesänderungen Im Hinblick auf die antike Rechtsgeschichte verweist Melanchthon auf Weisheit, Gelehrsamkeit und Erfahrung, die im römischen Recht im Laufe seiner langen Anwendungszeit zusammen getragen worden seien.252 Obwohl er die scholastische Interpretationsmethode ablehnt, erkennt Melanchthon in seiner Rede 1539 doch an, dass die mittelalterlichen Kommentare das wiederentdeckte römische Recht erst verständlich gemacht hätten. Nur was glossiert worden sei, sei anwendbar gewesen. Die überkommenen Erläuterungen und Kommentare sollten darum in verschiedene Kategorien unterteilt werden, in notwendige, nützliche, unnötige, verfälschende. Damit verfalle man nicht in den Irrtum Justinians, der meinte, dass seine Gesetze ohne Interpretation angewandt werden könnten.253 Geltende Gesetze zu kommentieren könne nicht verboten werden. Die Rechtsanwendung sei auf die Erläuterungsarbeit der Rechtswissenschaft angewiesen. Bei der Erwähnung des justinianischen Interpretationsverbots finden sich zwei charakteristische Elemente für die Entwicklung in Melanchthons Rechtsauffassung. Zunächst wird deutlich, dass Melanchthon bei seinem Rechtslehrer Hieronymus Schürpf gelernt hatte, das wissenschaftliche Verdienst anzuerkennen, das den Glossatoren und Kommentatoren für ihre Erläuterungen und Anwendungen des Corpus iuris zukäme. Von den spätscholastischen Kommentatoren seien sie deshalb abzuheben; jene verdienten vielmehr Kritik und Spott der Humanisten. Zweitens wiederholt er seine Warnung vor der Gefahr nutzloser Veränderungen einer gelehrten, weisen und erfahrungsreichen Gesetzgebung wie der des Corpus iuris. Wenn der Staat eine gute Verfassung besitze, sollten die Gesetze nicht einfach geändert werden. Denn solche Gesetzesänderungen würden nur verwirren und zu juristischer Unsicherheit und gesellschaftlichen Unruhen führen. Die Beibehaltung von billigen und gelehrten Gesetzen sei ein Faktor für soziale Ruhe und Frieden und damit eine Bedingung für die Kontinuität, die durch die Anwendung festgeschriebenen Rechts, d. h. bei Melanchthon das römische Recht, garantiert würde.
252 „Nullum certum ius habebant Athenae, itaque ex iudiciorum confusione maximae seditiones extiterunt. Nec poterat restitui civitatis tranquillitas, nisi certae leges essent, quibus praepositis nemo posset fidem. iudicum in dubium vocare. Idem Romae accidit; et quidem populus Romanus Graecas leges describi, ut optimae atque humanissimae eligi possent, curavit.“, in: „Oratio in promotione cuiusdam iurisconsulti“, 1532, CR XI, S. 216, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 2, S. 211. 253 Justinian hatte die Interpretatio auf dem Wortlaut begrenzt: Kein neues Recht sollte durch Auslegung geschaffen werden, sondern nur das bestehende Recht könnte erläutert werden. Sein Interpretationsverbot entsprach den Digesten und dem Codex: Omnem 8 und C1, 17, 1, 12. Iust.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
147
2. Die Rolle der Pädagogik bei der Festigung des Respekts vor dem Gesetz a) Ausbildung und Erziehung der künftigen Juristen Der Pädagoge Melanchthon versteht es als seine Pflicht, die Studenten vor jeglicher Dummheit und besonders vor dem gefährlichen Einfluss derer zu warnen, die gegen das geschriebene Recht kämpfen. Er will ihnen bewusst machen, dass sie Pfleger der Rechtsordnung sind und deshalb immer zwischen ihrem eigenen Ansehen als Rechtsberater und der höherwertigen Gerechtigkeit unterscheiden müssen. Nur der Letzteren dürften sie dienen.254 Melanchthon sah das Studium der Jurisprudenz eng mit der Erziehung zur Tugend verbunden.255 Die anderen Wissenschaften, wie die Geschichte oder die Literatur und die Textgeschichte, aber auch die Logik und Rhetorik, sollten dem Juristen helfen, die alten römischen Gesetze anzuwenden. Mit Hilfe der Hermeneutik sollten sie Texte so auslegen, dass ihr wirklicher Inhalt wiedergefunden und dadurch eine Angleichung an die von den alten germanischen Gewohnheitsrechten und Gebräuchen geprägte Rechtstradition ermöglicht würde.256 Kurz gefasst sind dies die Grundprinzipien des humanistischen und christlichen Bildungsprogramms, das der Praeceptor Germaniae entwickelt und als methodisches Programms für alle textorientierten Wissenschaften bereitgestellt hat. Pädagogik bedeutete für Melanchthon aber nicht nur Vermittlung von Kenntnissen an die Jugend. Er betrachtete seine Lehrtätigkeit auch als Mittel, um gegen die Abqualifizierung der Wissenschaften durch die Tyrannen, gegen die Verachtung 254 Melanchthon übernimmt in seiner „Oratio res iudicandas secundum scriptum ius“ 1532, genau dieselbe Argumentation und dieselben historischen Beispiele, um seine Ansichten zu erläutern, wie in seiner ersten Rede, „Oratio de legibus“ 1523 / 25: „Demosthenes sagt in irgendeiner seiner bedeutenden Gerichtsreden*, dass es bei den Lokern ein Gesetz gegeben habe, wonach, wenn einer ein neues Gesetz einbringen wollte, er seine Ansicht der Gemeinde mit einem Strick um den Hals vortragen sollte. Und zwar darum: Wenn die Sache missfiel, sollte er sofort erdrosselt werden. Wenn aber das neue Gesetz auf Zustimmung stieß, wurde sein Urheber unversehrt entlassen und sein Hals aus der Schlinge genommen. Und weil keiner gern sich einem solchen Urteil zu unterwerfen gewagt hatte, ist mehr als zweihundert Jahre lang kein neues Gesetz erlassen worden. Das führt Demosthenes an, um hervorzuheben, dass in einer gutverfassten Stadtgemeinde besonders darauf geachtet wird, dass nicht leichfertig die Gesetze verändert würden“, in: Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 2, S. 212, CR XI, S. 217. * In Timocratem (744), Loeb Classical Library, Demosthenes, III, P. 463, 139. 255 CR XI, S. 218: „Dabitis igitur operam, ut cum ipsa doctrina studium iusticiae et omnium virtutum coniungatis“, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 2, S. 213. 256 CR XI, S. 218: „Et cum perfectam doctrinam expetetis, ordo etiam adhibendus erit, et sumenda ex aliis artibus instrumenta necessaria ad hanc professionem. Quare si quis est, qui contemptis omnibus literis irruit ad ius, is sciat, se ipsi doctrinae iuris iniuriam facere, qua neque vult contemni alias bonas artes, neque percipi sine magna scienta multarum aliarum artium potest“; bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 2, S. 213.
148
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
und Vernachlässigung der kirchlichen Botschaft und gegen die Einführung des Barbarentums anzukämpfen. Als Beisitzer in Ratsversammlungen und als Bedienstete des Staates oder der Kirche sollte die Hauptaufgabe des Professorenstandes darin bestehen, die Wissenschaften und Künste zu unterstützen und deren Weitergabe an die Jugend zu sichern. Die Fürsten sollten darauf aufmerksam gemacht werden, welche Vorteile eine gute Ausbildung und sittlich einwandfreie Erziehung ihrer Staatsdiener und Bürger für den Staat bedeutet. Frömmigkeit und Mäßigung sind für Melanchthon die ersten Voraussetzungen für Respekt vor dem Gesetz und für eine gerechte Staatslenkung.257
b) Ausbildung der Herrscher Nicht allein die Bürger sollten diese Art Ausbildung erhalten, sondern vor allem die Staatslenker selbst. Eine an Billigkeitskriterien orientierte Staatsführung kann – so Melanchthon – trotz noch so guter Rechtsberater auf Dauer nicht ohne fromme und gerechte Herrscher gewährleistet werden. Eine schlechte Politik und insbesondere der ungerechtfertigte Einsatz des Militärs müssten alle Bemühungen um eine sachgerechtere Rechtssprechung zunichte machen. Um Ordnung, Ruhe und Frömmigkeit in der Gesellschaft zu sichern, sollte das Recht gleichzeitig mit der Staatslehre auch den Herrschern beigebracht werden. Nur so – und damit übernimmt Melanchthon Ciceros Worte – könne jede Art tyrannischer Staatslenkung und die damit einhergehende Rechtlosigkeit vermieden werden; darauf verweisen die folgenden Zitate: „Inter arma silent leges .258 „Marius dixit, se legum vocem inter classica et tubarum sonos non audivisse .259 „Voluntatem principis esse ius non scriptum.“260
257 Über die Aufgabe der Professoren durch ihre Lehrtätigkeit und ihr Engagement auf die Ausbildung ihrer Studenten einzuwirken, siehe „Oratio de dignitate legum“, 1543, CR XI, S. 630 – 636, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 234 – 240. 258 CR XI, S. 631. „Zwischen den Waffen schweigen die Gesetze“ (pro Milone IV, 10)“, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 235. 259 CR XI, S. 631. „Oder Marius hat gesagt, dass er die Stimme der Gesetze unter den Kriegshörnern und den Getöse der Posaunen nicht gehört habe“ (Plutarch, Marius c.28, Valerius Maximus V, 2,8), bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 235. 260 CR XI, S. 631. „Und Nazianz hat über Julian [Apostata] gesagt, der Wille des Kaisers ist ungeschriebenes Recht“ (Gregor von Nazianz, „I. Oratio contra Iulianum“ c.93, Migne Pars Graeca 35, 625 C, vgl. auch Cicero „De legibus“, III, 2), bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 235, zitiert nach MWA., III, p. 116, n. 25.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
149
3. Eine festgeschriebene Gesetzgebung als Schutzmittel gegen die Kriegsgefahr Die Ausrichtung dieser Rechtsordnung auf justinianische Grundlagen sollte zudem der Festigung des Reiches dienen, das damals vor seiner größten Herausforderung stand. Als nämlich Melanchthon 1543 seine Oratio de dignitate legum261 schrieb, wurde Europa durch die Türkengefahr in steigenden Maße bedroht. Er rief die Eroberung Konstantinopels durch die moslemischen Osmanen 1453 in Erinnerung;262 die gesamte Rede ist von der Angst vor dem Sieg der ungläubigen Barbaren geprägt. Die Verbindung von Recht und Staat war so eng, weil sich noch Karl V. als Nachfolger der mittelalterlichen Kaiser verstand. Als er am 28. Juni 1519 zum Kaiser gewählt wurde, konnte er sich deshalb als vornehmster Herrscher des Abendlandes und als Verteidiger des wahren Glaubens titulieren lassen.263 Diese Aufgabe wurde nicht zuletzt durch seine Kaiserkrönung durch Papst Clemens VII. in Bologna 1530 bestätigt. Es sollte die letzte eines deutschen Kaisers durch den Papst gewesen sein. Sein Machtstreben brachte ihn in Konflikt mit Franz I. von Frankreich, aber auch mit dem Papst. Den Schutz der Christenheit vor den Türken und die Wiederherstellung der Einheit der Kirche, die er seit dem Wormser Edikt 1521 auf dem Wege der Gegenreformation und mit gleichzeitiger Unterdrückung der beginnenden Reformation zu erreichen versuchte, verstand er als seine Hauptaufgaben. Wegen ihrer politischen und religiösen Verflechtung war die Durchsetzung dieser Ziele aber geradezu unmöglich. Während Karl V. zwischen 1521 und 1544 vier Kriege gegen den König von Frankreich führte, in denen es um den Einfluss in Oberitalien und um das burgundische Erbe ging, sah sich sein Bruder und späterer Nachfolger auf dem Kaiserthron, Ferdinand264, dazu gezwungen, den evangelischen Reichständen mehrmals freie Hand zur Reformation in ihren Territorien zu geben, damit die unentbehrliche 261 „Oratio de dignitate legum“, 1543, Abdruck nach dem Erstdruck der Rede „De dignitate studii iuris“, Wittenberg, 1556, CR XI, S. 630 – 636, bei Kisch, Melanchthons Rechtsund Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 234 – 240. 262 CR XI, S. 630: „Nam ut veterum exempla omittam, quid Turcica barbaries ullas leges curat? Progreditur quo potest et vi oppressis imperat, quae libet. Ante centum et tres annos Constantinopolis florentissima schola fuit nostrarum legum. Nunc procul pulsa hac doctrina, omnia unius tyranni nutu aut barbari alicuius ducis reguntur“, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 234. 263 Über Karl V. siehe u.v.a. Brandi, Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches, Laubach, Karl V., Ferdinand I. und die Nachfolge im Reich, S. 1 – 51, Lehmann, Universales Königtum. Dynastische Weltmacht oder Imperialismus, S. 1 – 83, Ludolphy, Die Voraussetzungen der Religionspolitik Karls V., Lutz / Müller-Luckner, Das römisch-deutsche Reich im politischen System Karls V., Rabe, Reichsbund und Interim. 264 Thomas, „Moderación del poder“, S. 101 – 140, von Bucholtz, Geschichte der Regierung Ferdinand I., Kohler, Antihabsburgische Politik in der Epoche Karls V., Sutter-Fichtner, Ferdinand I. Wider Türken und Glaubensspaltung.
150
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
finanzielle und militärische Unterstützung gegen die mit Frankreich verbündeten Türken aufgebracht werden konnte. Das türkische Reich hatte unter der muslimischen Dynastie der Osmanen in Europa erstmals 1354 Fuß gefasst und Konstantinopel, die Hauptstadt des im übrigen bereits unterworfenen byzantinischen Reiches, 1453 erobert. Damit war die letzte Bastion des Oströmischen Reiches gefallen.265 Die Kämpfe gegen die Osmanen wurden zuerst von den Kreuzfahrern, später von den Venezianern geführt. Nach dem Sieg des Sultans Suleiman des Prächtigen über den Ungarnkönig Ludwig II. bei Mohács 1526 standen die türkischen Truppen an der Grenze der habsburgischen Territorien.266 Der osmanische Herrscher fand in König Johann Zápolya von Siebenbürgen einen wertvollen Verbündeten. Gemeinsam bildeten sie im Südosten eine für Habsburg gefährliche Allianz aus innerer Opposition und äußerem Gegner. Das Bündnis des Sultans mit dem französischen König im Westen schließlich verstärkte diese Umklammerung, mit der Franz I. auf die habsburgische Umklammerung Frankreichs durch Spanien und das Reich antwortete. Alle politischen Anstrengungen des Kaisers dienten vordringlich der Bekämpfung dieser grossen Gefahr. Nachdem 1529 der erste Vorstoß der Türken auf Wien gescheitert war, eroberte der Sultan 1541 in einem neuen Krieg den größten Teil Ungarns und machte das Territorium der Siebenbürgern zu einem omanischen Vasallenstaat. Auch seine Flotte errang gegen die im Dienst des Kaisers unter Andrea Doria kämpfenden Genuesen Sieg auf Sieg, bis 1571 der Halbbruder Philipps II. von Spanien, Don Juan dÁustria, bei Lepanto am Golf von Korinth die gesamte Flotte des Sultans vernichtete. Mit diesem Erfolg endete die osmanische Vormacht im Mittelmeer. Auf dem Balkan jedoch versuchten die Habsburger noch lange vergeblich die Osmanen zurückzudrängen. Ein durchschlagender Erfolg in diesem „langen Türkenkrieg“ von 1593 – 1606 wurde aber wegen der Opposition der mehrheitlich protestantischen Stände in Ungarn und Böhmen gegen die gegenreformatorische Politik der Habsburger267 letztlich verhindert.268 265 Über die damalige Außenpolitik und die Türkenabwehr siehe u. a. Glassl, Das Heilige Reich und die Osmanen im Zeitalter der Reformation, S. 61 – 72, Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhunderts. 266 Rabe, Deutsche Geschichte 1500 – 1600, München, 1991, S. 301 ff. 267 Die ungarischen Aufständigen verbanden sich 1606 mit dem osmanischen Herrscher, um ihre ständischen und religiösen Freiheiten von Kaiser Matthias, dem Bruder und Nachfolger Rudolfs II. (1612 – 19), anerkannt zu bekommen. Auch die böhmischen Stände ließen sich 1609 von dem durch brüderliche Machtkämpfe geschwächten Kaiser im „Majestätsbrief“ ihre Rechte garantieren. Als Ferdinand II. versuchte diese Zugeständnisse rückgängig zu machen, rief er grossen Widerstand hervor. Die darauf folgenden Aufstände steigerten sich als Ursache des so genannten Prager Fenstersturzes bis zum Dreißigjährigen Krieg. 268 Die gefährliche Lage des Christentums angesichts der Türkengefahr sieht Melanchthon als Strafe für die Verletzung der Gerechtigkeit und der guten Sitten an: „Und die Strafen stehen uns vor Augen: Die Türken dehnen sich straflos in der Nachbarschaft aus. Die Willensäußerungen der Fürsten gehen in verschiedene Richtungen. Deutschland wird nicht vertei-
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
151
Die oft gegenläufigen Eigeninteressen der Fürsten verhinderten die Realisierung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gegen die ungläubigen „Barbaren“; daneben waren es insbesondere ihre konfessionellen Konflikte, die das Reich in den großen Religionskrieg führen sollten. Nur die Mäßigung der eigenen Ansprüche, der Respekt vor den Gesetzen, vor allem aber die Furcht vor Gott hätten, so Melanchthon, die Kriegsgefahr verringern können. Doch wurde „die rechte Lehre“, wie sich nach Auffassung des Praeceptor Germaniae das evangelische, aber auch das römische Recht darstellen, nicht berücksichtigt. Die Unruhe, durch die Deutschland auf Grund der Türkengefahr erschüttert wurde, sei kein zufälliges Ereignis der Weltpolitik, sondern eine Strafe Gottes für das Sakrileg, die christliche Gemeinde nicht vor den grauenvollen Überfällen durch ungläubige Barbaren vehement genug verteidigt zu haben: „An casu putatis subici iam mundum barbaricae tyrannidi Turcarum, qualis alia nulla similis unquam fuit? Nequaquam hoc casu accidit, sed hoc tristi carcere hominum furor cohercendus et compescendus est, qui nullis legibus frenari suos mores sinunt, qui concedi sibi licentiam ut beluis volunt, exercendae petulantiae, ut libet. O deplorandam principum negligentiam.“269
Gottes Strafe drücke sich durch den Krieg, die Türkengefahr, die Unsicherheit und die Todengefahren aus. Durch diese Gräuel würde den Menschen der richtige Weg zu gottgefälliger Lebensführung im Respekt vor dem Recht und vor den festgeschriebenen Gesetzen gewiesen. Die gute Ausbildung der Staatslenker sei nicht nur erforderlich, sondern unentbehrlich für eine Staatsführung. Diese müsse im Sinne Melanchthons und Ciceros mit dem Naturrecht übereinstimmen und darauf gerichtet sein, die gesellschaftliche Ordnung und den Frieden zu sichern.
4. Die positiven Eigenschaften des römischen Rechts nach Melanchthons Auffassung Die weiteren Argumente zu Gunsten des römischen Rechtes, die Melanchthon in seinen Reden über das Gesetz entwickelt, betreffen nicht mehr die äußeren Umstände, die für seine Einführung sprechen, sondern behandeln die besonderen digt; ja, es drohen sogar Kriege im eigenen Haus“, „Et poenae sunt in conspectu. Turci impune grassantur in vicinia. Distractae sunt principum voluntates. Germania non defenditur, imo et domestica bella imminent.“, CR XI, S. 635, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 239. 269 CR XI, S. 635 f. „Ob ihr nun glaubt, dass es durch Zufall geschehen ist, dass die ganze Welt der barbarischen Tyrannei der Türken unterworfen sei, der bisher noch keine andere gleich gewesen ist. Keineswegs ist das durch Zufall geschehen, sondern durch dieses trauriges Gefängnis soll die Wut derjenigen Menschen bestraft und in Schranken gehalten werden, die zulassen, dass ihre Sitten von keinem Gesetz gebändigt werden, die sich wie wilden Tieren Ungebundenheit gestatten wollen und dass, ganz wie es beliebt, ihre Übermut auszuleben sei. Oh, wie ist doch die Nachlässigkeit der Fürsten zu beklagen!“, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 239 / 240.
152
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Eigenschaften des glossierten Corpus iuris, also diejenigen Gründe, die aus dem Recht selbst abgeleitet werden können, um vor all den anderen Rechtsordnungen die bevorzugte Anwendung dieses Rechts zu rechtfertigen. Melanchthons Gedanken richten sich auf zwei Bereiche: die Suche nach Gründen für den Vorzug des römischen Rechts vor anderen Rechtsordnungen und die Frage nach der Anwendung des justinianischen Rechts. Der erste Komplex behandelt die Frage, warum das mosaische Recht nicht die einzig denkbare Gesetzgebung ist, die für Christen gelten kann, und welche Gründe es dafür gäbe, ein von Laien entwickeltes Recht für die christlichen Gemeinden als passender und billiger anzusehen. Im zweiten Komplex konzentriert sich Melanchthon darauf, die Qualitäten der römischen Gesetze aufzulisten; dabei kommt es ihm darauf an, das römische Recht als die erfolgreichste Ausdruckform einer langen, weisen, gelehrten und erfahrenen Rechtstradition seit der griechischen und römischen Antike darzustellen. a) Die Übereinstimmung des römischen Rechts mit seiner Naturrechtslehre Hier verknüpft Melanchthon die Rezeption mit seiner eigenen biblischen Naturrechtslehre. Erst in diesem Zusammenhang werden für Melanchthon die Gründe verständlich, die seiner Ansicht nach das römische Recht nicht nur als mögliche oder nur empfohlene, sondern vielmehr als die von Gott unterstützte nicht-biblische Rechtsordnung sein lassen. In seiner Rede über die Rechtsgelehrten Irnerius und Bartolus von 1537270 wiederholt Melanchthon den Gedanken, dass es für das Recht der menschlichen Gesellschaft und ihrer weltlichen Ordnung eine göttliche Quelle gebe. Die Gemeinschaft der Menschen verstehe sich nach göttlicher Botschaft als ein notwendiges Bündnis, um deren höchstes Ziel, die Verbreitung der Erkenntnis Gottes, zu ermöglichen. Die menschliche Gemeinschaft sei aus dem Wunsch Gottes entstanden, dieses Ziel zu erreichen und die Gesetze sollten hierbei die Wächter dieser Ordnung sein.271. Mittels eines kurzen rechthistorischen Überblickes über die Bedeutung 270 „De Irnerio et Bartolo iurisconsultis oratio recitata a D. Sebaldo Mustero“, 1537, CR XI, S. 350 – 356, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 214 – 245. 271 CR XI, S. 350 f. „Einzigartig und bewundernswürdig ist das Werk Gottes und seine Wohltat ist diese bürgerliche Gesellschaft, durch die Gott sich mit den Menschen vereint und sich mit ihnen in besonderer Weise verbunden hat, sodass sie das Wissen um ihn untereinander verbreiten können. Für dieses göttliche Werk, natürlich auch für die menschliche Gesellschaft, ist der Wächter das Gesetz. Das nämlich erhält und beschützt die Gesellschaft, dass die Kenntnis Gottes weithin verbreitet wird, dass im Frieden der Kirche regiert wird und unterrichtet wird, damit die Jugend zur Erkenntnis Christi angehalten wird“, „Singulare et admirabile Dei opus ac beneficium est haec civilis societas, qua Deus inter se coniunxit ac devinxit homines praecipue, ut ipsius noticiam alii aliis communicare possent. Huius divini operis, videlicet humanae societatis, custos est lex; haec retinet ac munit societatem, ut noticia Dei late propagari, ut regi Ecclesiae in pace, et erudiri, ut institui inventus ad agnitionem Christi possit“, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 6, S. 215.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
153
des Corpus iuris seit dem Untergang des Römischen Reiches unterstreicht Melanchthon die besonderen Eigenschaften der „römischen Gesetze“ sowie der Gelehrten, die Glossen und Kommentare verfasst hatten. In der Oratio de dignitate legum von 1538272 wird die Argumentation fortgeführt und darin hervorgehoben, „dass die Christen nicht notwendigerweise die mosaischen Gesetze annehmen müssen, sondern dass es ihnen erlaubt sei, die Gesetze anzunehmen, die im Einklang mit dem Naturrecht stehen, mögen sie auch von heidnischen Obrigkeiten aufgestellt worden sein.“273
Damit die Christen die menschlichen Gesetze als das für sie geltende Recht anerkennen, stehen diese – die letzten auf der dreistufigen Skala der Gesetzesgattungen, die Melanchthon in den Loci communes entwickelt hat – unter der einzigen, aber fundamentalen Voraussetzung, dass sie den drei obersten Naturgesetzen nicht widersprächen.274 Und diese Bedingung, so Melanchthon, würden die römischen Gesetze erfüllen: „Deinde ostendam, Romanum ius antecellere legibus aliarum gentium et vere quandam philosophiam esse.“275
Indem Melanchthon das Gesetz nicht nur als eine unbedingte Autorität in einer sündigen Welt betrachtet, sondern auch, nach antikem Vorbild, als Ausdruck philosophischer Gerechtigkeit, befindet er sich in einem deutlichen Gegensatz zu Luther. Die so hergeleitete Gerechtigkeit soll die Grundlage jeder menschlichen Gesellschaft sein und die Stabilität der öffentlichen Ordnung sichern. Das Gesetz als Hüter der von Gott gegebenen menschlichen Gemeinschaft soll sie beschützen, damit sie die Gotteserkenntnis unter den Menschen verbreite, die Kirche in Frieden regiere und die Jugend nach den Geboten Christi erzogen werden könne. Die mit einem Haus verglichene Staatsverfassung – eine damals wie heute verbreitete Metapher – „ausgestattet mit obrigkeitlichen Gesetzen (legibus magistratuum), äußerer Ordnung (ordine), Verträgen (contractibus), Gerichtsbarkeit (iudiciis), Anspruch auf Gehorsam (disciplina), Mitteln zur Verteidigung (praesidiis armata), Strafen (poenis)“,276 sei von Gott für die Menschen eingerichtet worden. Und dennoch sei es „für das geistliche und ewige Leben nicht wichtig, ob dieses 272 „De dignitate legum oratio“ 1538, CR XI, S. 357 – 364, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 4, S. 221 – 227. Übersetzung von Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 184 – 193. 273 Übersetzung bei Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 185. 274 „Loci communes 1521“, Übersetzung Pöhlmann. Siehe im ersten Kapitel. 275 CR XI, S. 357. „Sodann will ich zeigen, dass das römische Recht die Gesetze aller übrigen Völker übertrifft und wirklich eine Art von Philosophie darstellt.“, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 4, S. 222. 276 CR XI, S. 359: „Ita universa politia ceu domus quaedam est, mira arte divinitus fabricata, legibus magistratuum, ordine, contractibus, iudiciis, disciplina, praesidiis armata, poenis etc.“, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 4, S. 223.
154
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Haus von Mose oder von anderen Gesetzgebern erbaut worden sei, vorausgesetzt, es stimmt mit dem Naturrecht überein.“277 Als scharfe Kritik an den Schwärmern und den dramatischen Folgen ihrer falschen Lehre im Bauernkrieg definiert Melanchthon die Aufgabe der weltlichen Gesetze und erläutert die Prinzipien seiner Zwei-Reiche-Lehre ein weiteres Mal. Die Gesetze seien der weltliche Ausdruck des Naturrechts und als solche sollten die menschlichen Gesetze die Ordnung der Gesellschaft, den Frieden und die Verbreitung der christlichen Lehre sichern; für diese Aufgaben sollte die weltliche Obrigkeit verantwortlich sein. Die weltlichen Gesetze sollten die Erwartungen einer Gesellschaft in territorialer und zeitlicher Hinsicht berücksichtigen. Weil die Sicherung der sozialen Harmonie in dem „eingerichteten Haus“, die wichtigste Aufgabe der Gesetze sei, verliere die Frage nach ihrem Ursprung jegliche Bedeutung. Im Gegenteil sollte deren Anpassung an die gesellschaftlichen Bedürfnisse in der jeweiligen Epoche als besonders wichtig hervorgehoben werden. Denn die Gesetzgebung gebe jeweils die passende Antwort auf eine weltliche Problemstellung. Die Besonderheiten ihres Anwendungsbereiches sollten beachtet werden, damit sie eine Vielfalt von Problemen lösen könne. In qualitativer Hinsicht sollten die Gesetze alle wesentlichen Eigenschaften besitzen, die die römischen Gesetze charakterisierten. Von der Überlegenheit des römischen Rechtes gegenüber allen anderen Gesetzgebungen überzeugt, erklärt Melanchthon im zweiten Teil seiner Rede De dignitate legum von 1538, weshalb in Deutschland die Anwendung gerade des römischen Rechts und nicht die des mosaischen Rechts erforderlich sei.278 Was das Volk Israel an Recht erlassen habe, sei a contrario nur für eine bestimmte Bevölkerung, für einen begrenzten Zeitraum und für ein besonderes Territorium gültig gewesen. Das mosaische Recht könne darum heutzutage nicht mehr als geltende Gesetzgebung angewandt werden. Erstsprechendes sei für die spartanische Gesetzgebung zu sagen. Denn sie kenne im Bereich der Bebauung und Bewirtschaftung von Ländereien kein Privateigentum, sondern nur die ländliche Gemeinschaftsproduktion und die gleichmäßige Verteilung des gesamten Ertrages. Dieses sei eine Regelung, deren Anwendung, so Melanchthon, in der Gegenwart wegen der höheren Bevölkerungsanzahl nicht anwendbar sei. Auch würde die Rechtsinstitution des Privateigentums seit Jahrhunderten einen wesentlichen Platz im Rechtsbewusstsein der Bewohner europäischer Länder besitzen. Weiter fänden sich in zahlreichen mosaischen und heidnischen Gesetz277 CR XI, S. 359. „( . . . ) nec interest vitae spirituali ac aeternae, utrum haec domus, id est, politia, sit a Moise an ab aliis legumlatoribus, ut ita dicam, fabricata, modo ut sit consentanea iuri naturae.“, Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 4, S. 223. 278 „Aber ich will nun von dem anderen Punkt sprechen, nämlich dem römischen Recht, weshalb der Staat gerade dieses annehmen soll.“, bei Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 189.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
155
gebungen Regeln, wie die über die Ehe, die für Christen unannehmbar seien und deren Anwendung deshalb ausgeschlossen sei. Eine Wiederbelebung der athenischen Gesetzgebung wäre wegen ihrer Verwandtschaft mit der römischen schon eher denkbar, doch sei das Strafmaß für die meisten Verbrechen in der Gesetzgebung Athens zu mild, die Regeln des Erbrechts seien zu ungenau und vor allem sei die Technizität des griechischen Rechtssystems viel niedriger als die der Römer.279
b) Die besondere Gelehrsamkeit und Weisheit des römischen Rechts Das bedeutendste Argument zugunsten des römischen Rechtes sei seine Wissenschaftlichkeit und die Gelehrsamkeit.280 Obwohl die Menschen über die angeborene Fähigkeit verfügen, zwischen Gut und Böse, gerecht und ungerecht zu unterscheiden, und ein natürliches Rechtsempfinden besitzen, könnten die Meinungsverschiedenheiten der Menschen ohne eine wissenschaftliche Festlegung dessen, was als richtige Lehre zu verstehen sei, gefährliche Folgen haben. Trotz der traumatisierenden Erfahrungen von 1525 glaubte der Humanist weiterhin, dass die Besserung der Menschheit durch Erziehung des Geistes und der Sitten mittels historischer Vorbilder möglich sei. Der Historiographie281 und den Biographien der größten Persönlichkeiten der Antike komme größte Bedeutung zu: „An non infantes, an non velut in densa caligine rerum versari videbimur, si hac luce destituamur?“ „Vita humana in universum sine cognitione historiae aliud nihil est quam perpetua quaedam pueritia, imo vero perpetua caligo et caecitas“282
Der ciceronischen Tradition folgend betrachtete Melanchthon die Geschichte nicht als ein eigenständiges Wissensgebiet, sondern als Teil der Rhetorik. Außer der intellektuellen Freude, die das Geschichtsstudium verschaffe, sei die Beschäftigung mit der Vergangenheit vor allem ein Hilfsmittel, Beweise für die reine christliche Lehre und Beispiele für den richtigen Weg der Staatslenkung zu finden.283 Die Geschichte hat also für Melanchthon vor allem einen moralischen Nutzen; sie 279 Übersetzung von Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 189 und CR XI, S. 361 f., bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 4, S. 225. 280 „Denn oft wundere ich mich über die Unverschämtheit gewisser Leute, die meinen, was recht und billig sei, könne ohne Wissenschaft und Gelehrsamkeit durch ein gewisses natürliches Gefühl erkannt werden ( . . . ). Allerdings gebe ich zu, dass – wie die Natur für verschiedene Kunstfertigkeiten gleichsam die Anfangsgründe lehrt, etwa bei staunenswerten Messungen, bevor die Kenntnisse durch Wissenschaft voranschreiten –, auch bei der Pflege des Rechts und der Sitten die Anfänge von der Natur herrühren.“, bei Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 190. 281 Über die pädagogische Rolle der Geschichte in Melanchthons Bildungsideal, siehe Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae, S. 197 – 202. 282 „Ohne Kenntnis der Geschichte bleiben wir beständig Kinder, ohne das Licht der Geschichte tappen wir im Dunkeln?“, CR XI, S. 862 und CR III, S. 1115. 283 Brettschneider, Melanchthon als Historiker, S. 20 ff.
156
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
warne vor dem Bösen und halte die Strafen exemplarisch vor Augen. Der theologische Nutzen sei noch größer, da ohne historische und sprachliche Kenntnisse die urchristliche Lehre in ihrer Reinheit unbekannt geblieben wäre. Für Christen sei es notwendig, „Historien zu lesen“, um durch Beispiele des Zorns Gottes und seines Gerichts die Heilige Schrift richtig zu verstehen und die aus ihr hervorgehende richtige Lehre wahrzunehmen:284 „Ist doch nur auf historischem Wege die Feststellung der wahren kirchlichen Lehrbegriffe möglich, gleiches gilt auch für den Nachweis, dass so vieles, was gelehrt werde, eitel Irrtum und Betrug sei, wie etwa die Ansprüche der Päpste.“285
Weiter sei die Geschichte als pädagogisches und wegweisendes Mittel für Staatsdiener und Staatsführer von höchstem praktischen Nutzen. Aus der Geschichte seien alle anderen Wissenschaften, die für das bürgerliche Leben unentbehrlich seien, hervorgegangen.286 Sie ermögliche es, zwischen dem Notwendigen, dem Überflüssigen und dem Gefährlichen in der Staatslenkung zu differenzieren, außerdem sei die Gesellschaft durch ihre eigene Historia besser zu verstehen und könne dadurch weiser regiert werden. Deswegen müsse das Studium der Geschichte der Feststellung historischer Zusammenhänge dienen. Ihnen nachzugehen, müsse ein fundamentaler Teil der Ausbildung – und für die Staatslenker sogar ein Pflichtprogramm – sein, wie Melanchthon es in einigen seiner den Fürsten gewidmeten Werke über den Wert der Geschichte betont hat.287 Der Christ Melanchthon ist überzeugt davon, dass der Gang der Geschichte von Gott bestimmt ist. Auch wenn die Historia, ebenso wie die anderen Wissenschaften und Künste, den schwachen, sündigen Menschen nicht immer helfen könnte, sich zu verändern und zu bessern, verlöre sie ihre Rolle als Stütze dennoch nicht. Indem 284 Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae, S. 199, Anm. 3, CR III, S. 880 f. 285 CR III, S. 880, CR IX, S. 537: „Die Macht des Papstes wuchs durch seine Verbindung mit den Franken, die er in geschickter Weise gegen die Griechen aufzuhetzen verstand; und dann noch mehr“, „propter regum discordias. In his confusionibus tandem nati sunt Monachi, quorum avaricia cumulavit Idola et errores“, Übersetzung bei Brettschneider, Melanchthon als Historiker, S. 20. 286 „Hac (sc. historia) nulla vitae pars neque publica neque privata vacare potest. Huic admnistratio rerum urbanarum domesticarumque debet. Ac nescio an minore incommodo mundus hic noster sole, animo videlicet suo cariturus sit, quam historia, civilium negociorum ratio. Consensu maiorum nostrorum celebratum est Musas ex memoria natas esse. Eo, ni fallor, significatum ex historia omne artium genus manare“, CR XI, S. 23, bei Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae, S. 200, Anm. 1. 287 „Prodest ad pietatem initia incrementa depravationes correctiones religionum videre, considerare etiam quomodo non humano consilio aut viribus sed divinitus imperia constituta sint, deinde propter iustitiam defensa, postremo propter Tyrannidem impietatem libidines ambitionem conciderint. Illud etiam utile est occasiones observare, quibus ab aliis gentibus ad alias imperia translata sint“, CR III, S. 217, S. 882, S. 1115, CR IV, S. 929, CR IX, S. 532, Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie, S. 206. Über Melanchthons historischen Arbeiten, siehe Brettschneider, Melanchthon als Historiker, S. 9 ff.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
157
sie die politischen und religiösen Fehler der Vergangenheit ans Licht bringe,288 lehre sie vor allem die modestia, d. h. die Bescheidenheit aus der resignierten Einsicht, dass der Mensch eben ein schwaches Geschlecht289 sei. Melanchthon steht, ebenso wie Wimpfeling, Peutinger, Pirckheimer und Celtis, mit seinem Interesse an der Geschichte, insbesondere der Geschichte Deutschlands, in voller Übereinstimmung mit der humanistischen Tradition.290 Dennoch sei das römische Recht wegen seiner universellen Anwendungsmöglichkeit und seiner Übereinstimmung mit dem Naturrecht als eine Sammlung hervorragender historischer Vorbilder weiser und erfahrener Staatsführer und Rechtsberater anzusehen, die allen anderen Gesetzgebungen und Rechtskennern überlegen seien und deshalb vorgezogen werden müssten. Am Ende der Oratio de dignitate legum von 1538 legt Melanchthon dar, dass die Rezeption des römischen Rechtes für die deutsche Rechtsprechung und für die akademische Lehre an den juristischen Fakultäten eine Wohltat für die Gesellschaft sei, da viele der rezipierten Institutionen die alten Gewohnheitsrechte der Barbaren und die alten germanischen Gebräuche verbessert hätten. Die hohe Gelehrsamkeit des Corpus iuris drücke sich schon durch die Struktur der Sammlung von Rechtsfällen und Entscheidungen aus über fünf Jahrhunderten aus, die stets erweitert und fortentwickelt worden seien; sowie die aus jenen Entscheidungen sprechende Lehre über die Gerechtigkeit und die Billigkeit: „Wenn es daher zur Einsicht und Unterscheidung von Recht und Unrecht der Wissenschaft bedarf, welchen anderen Meistern sollten wir folgen als den gelehrtesten, erfahrensten Menschen, die dies in den weisesten Ratsversammlungen des größten Reiches erörtert haben? Es ist daher richtig, wenn wir uns des römischen Rechts bedienen.“291
Melanchthon zieht die bedeutendsten und weisesten römischen Kaiser als Beispiele heran, um zu demonstrieren, wie wichtig die Zusammenarbeit von weltlichen Herrschern und Rechtsgelehrten ist. Die auf dieser Kooperation basierenden Entscheidungen seien bedeutende Lösungen für die schwierigsten (staats-)rechtlichen Fragen sowie für eine billige und gerechte Staatsführung.292 Die Gefahr 288 „So kann man einsehen, wie es möglich war, dass der Mohamedanismus und die türkische Herrschaft eine so weite Ausdehnung fanden. Der Islam wurde ermöglicht durch die wüsten theologischen Streitigkeiten im Orient; im Gegensatz zu den „obscurae disputationes“ schienen die Lehren Mohameds „plausibilia humanis iudiciis“ (CR IX, 536). Bei der zunehmenden Verwahrlosung der Kirche wurden die Erfolge der Türken immer größer; und ein Fehler war es, dass Europa es geschehen ließ, dass die Türken das griechische Reich eroberten (CR III., 444)“, bei Brettschneider, Melanchthon als Historiker, S. 20. 289 Brettschneider, Melanchthon als Historiker, S. 22. 290 Hagen, Deutschlands literarische und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter, Bd. I, S. 288 ff., Horawitz, Nationale Geschichtsschreibung im XVI. Jh., S. 66 – 101, ders., Zur Geschichte des deutschen Humanismus und der deutschen Historiographie, S. 65 – 86. 291 Übersetzung von Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 191. 292 „Die Geflogenheit des Augustus behielten auch die Kaiser nach ihm bei und ließen ohne Rechtsgelehrte bei gerichtlichen Streitigkeiten keine Beschlüsse ergehen. Nerva und
11 Deflers
158
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
einer willkürlichen Machtausübung verstärke sich, wenn die Fürsten als Staatslenker keine gelehrte und effektive Rechtsberatung erhielten: „Daher ergehen viele ungereimte und dem Recht widersprechende Entscheidungen, die das Ansehen der Fürsten in nicht geringer Weise beeinträchtigen.“ 293
Die Unfähigkeit der Staatsdiener, eine gerechte und billige Rechtssprechung zu sichern, war, wie wir gesehen haben, bereits zu Anfang des Jahrhunderts ein wichtiger Grund für die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung über die damalige Rechtslage. Anders als das Volk, das aus seiner Abneigung gegen das römische Recht keinen Hehl machte, plädierte Melanchthon für die Anwendung eines auf dessen Basis fortentwickelten Rechtes. Die Gesetze, die das römische Recht über die „Stellung der Personen, die Unterscheidung der Sachen, die Arten des Erwerbs, die Verträge, die Erbfolge, die Erbschaften, die Bürgschaften, die Klagen und die Strafen für Verbrechen“ entwickelte, sicherten in ihrer Gesamtheit die gesellschaftliche Ordnung. Es sei ein Gewinn für die Gerechtigkeit gewesen, als diese über 500 Jahre außer Kraft gesetzten Normen wieder in das deutsche Prozessrecht und als universitäre Lehre der Jurisprudenz in die öffentliche Ordnung eingeführt worden waren: „Denn das geschriebene Recht ist ein starker Schutz gegen die Tyrannei, und je gelehrter es ist, desto mehr Gerechtigkeit enthält es.“294
c) Das römische Recht als europäisches „ius commune“ Für Melanchthon gab es demnach genügend Gründe, die Rezeption des römischen Rechts zu unterstützen, und dies nicht nur, weil sie die gesellschaftliche Ordnung und den Frieden sichere. Daneben war für ihn auch ausschlaggebend gewesen, dass das Corpus iuris für viele andere Rechtsordnungen als Quelle gedient hatte. Durch diese Verwandtschaft entstand ein gemeinsames Rechtsbewusstsein auf überregionaler Ebene in Europa. Melanchthon erhoffte sich von diesem europäischen Rechtsverbund eine größere Kompromissbereitschaft im Falle internationaler Konflikte oder mindestens eine gewisse Solidarität bei gemeinsamen Gefahren wie z. B. bei dem Türkeneinfall. Wenn aber aus irgendwelchen Gründen die Rezeption des Corpus iuris in der deutschen Rechtspraxis nicht durchgeführt wurde, sollten die römischen Gesetze Cassius standen Tiberius zur Seite, Cassius Vespanian, Trajan und Hadrian Celsus und zahlreiche andere. Und dennoch wurde niemand in den Rat hinzugezogen, ohne durch Zeugnisse des römischen Senats dem Fürsten empfohlen worden zu sein. Später hatten die Antonien Pius und Marcus noch weitaus häufigere Beratungen mit Rechtsgelehrten. Alexander Severus, von dem die meisten Gesetze im Codex sind, ließ ohne Hinzuziehung von zwanzig Rechtsgelehrten kein Dekret ergeben.“, bei Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 191. 293 Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 191. 294 Übersetzung Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 192.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
159
dennoch als historische Vorbilder für Gelehrsamkeit und Weisheit in der akademischen Ausbildung gelehrt werden: „Denn nirgends ist das Bild der Gerechtigkeit vollkommener und strahlender ausgedrückt als in diesen Gesetzen.“295
III. Plädoyer für das „allerbilligste Recht“ ( ius aequissimum) Melanchthons Apologie des römischen Rechtes sieht einen zusätzlichen Vorteil für seine Einführung darin, dass das Corpus iuris ein Vorbild für die Billigkeit sei, die er bisweilen griechisch als epieikeia, aber auch lateinisch mit aequitas bezeichnet. Die in der justinianischen Gesetzgebung enthaltene Rechtsphilosophie stimmt seiner Ansicht nach mit der Epieikeia-Aequitas-Lehre, aber auch mit der Naturrechtslehre, so wie er sie in den Loci communes eingeführt hat, überein. Beide Begriffe scheint Melanchthon gleichwertig zu verwenden. Guido Kisch dagegen ist der Ansicht, dass ihnen der Reformator unterschiedliche Bedeutungen gegeben habe. Dem soll hier nachgegangen werden.
1. Definition und Inhalt Melanchthons epieikeia-aequitas-Lehre Die epieikeia-aequitas-Lehre des Wittenberger Reformators wurde durch Guido Kisch in seinen beiden Büchern Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit296 und Melanchthons Rechts- und Soziallehre297 ausführlich betrachtet. Die epieikeia habe dem Gesetz gegenüber bei Melanchthon eine korrigierende Funktion. Andererseits sei die aequitas298 funktional zu verstehen, wo sie auf Verbesserung, Anpassung und Ergänzung der fest geschriebenen Rechtsnormen ausgerichtet sei. Das ist nach Kisch dann der Fall, wenn eine Lücke im Gesetz geschlossen werden muss oder ein Mangel in der Formulierung des rechtlichen Textes eine angemessene Lösung eines Falls unmöglich macht. Der zweite Aspekt der aequitas soll den Inhalt des Begriffes betreffen. Jede Entscheidung muss das Gebot der Angemessenheit erfüllen. Letztlich wird durch sie, so Kisch, die Menschlichkeit der gerichtlichen Entscheidungen eingefordert. Sie müsse sich besonders dann bewähren, wenn äußere Umstände auf das Normengefüge einwirkten und der Rechtsanwender oder die Parteien vor der Frage stünden, ob das einmal vereinbarte oder angeordnete Normenprogramm unverändert durchgeführt und durchgesetzt werden solle. Dies würde die Warnung, die in der berühmten Parömie „summum ius summa Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 193. In der Reihe der Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Heft 56, insbesondere im ersten Teil, Basel, 1960, S. 1 – 54. 297 Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, 8. Kapitel, S. 168 – 184. 298 Nikomachische Ethik, V. Buch, Kapitel 10 (14), 1137 a – b. 295 296
11*
160
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
iniuria“299 („das strengste Recht ist größtes Unrecht“) steckt, beherzigen. Methodisch würde das eine Anpassung des schriftlich Gebotenen an die veränderten Umstände bedeuten.300 Melanchthons Verwendung der beiden Begriffe (epieikeia und aequitas) hängt also allein von dem Kontext seiner Betrachtung und nicht von einem inhaltlichen Unterschied ab. Während er bei Kommentierungen von Gedanken des Aristoteles dessen Begriff der epieikeia übernimmt, verwendet er in seinen Reden De legibus ausschließlich den Begriff der aequitas und wählt damit die Tradition der römischen Juristen. Der Begriff epieikeia war 314 in die Konstitution des Kaisers Konstantin (Constitutio Placuit, C 3.1.8)301 nicht aufgenommen worden. Statt dessen werden dort iustitia und aequitas der ratio stricti iuris gegenübergestellt. Dies entspricht der Tradition, da die Römer nur die aequitas als Synonym für Gerechtigkeit kannten. Es fragt sich daher, ob unter aequitas ein Inhalt im Sinne von „Ausgewogenheit“ verstanden werden kann und die epieikeia als „Billigkeit“ verstanden werden muss. Melanchthons Gleichsetzung der aequitas mit „Gerechtigkeit“, aber nicht mit „Billigkeit“, ist in vielen Quellen des frühen Mittelalters und im kirchlichen Sprachgebrauch bis zurück in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts festzustellen. Erst Thomas von Aquin beschäftigte sich wieder mit der epieikeia-Lehre der Griechen. In der Rechtslehre wird epieikeia im Sinne von „Billigkeit“ erst in Zusammenhang mit der humanistischen Gelehrsamkeit nicht vor dem Bekanntwerden der aristotelischen Schriften im 16. Jahrhundert benutzt. Schon Thomas von Aquin çhristianisierte“ den Begriff „Billigkeit“. Die aequitas der Juristen übernahm den Aspekt der Besserung aus der aristotelischen Definition und ergänzte ihn um den weiteren der „Milderung“ des Gesetzes.302 Gleichzeitig mit der Kommentierung der Nikomachischen Ethik303 entwickelte Melanchthon eine eigene Lehre der Billigkeit. Inwiefern er sich dabei von seinem griechischen Mentor distanzierte, haben Philosophen genauer untersucht.304 Hier 299 Die frühesten Erscheinungen der Billigkeit finden wir in der Bibel und in der griechischen Philosophie. Terenz formuliert in „Heautontimorumenos“ (v. 796) den Kernspruch der Billigkeit so: „ius summum saepe summa est malitia“ und Cicero in „De officiis“ I, 10, 33: „summum ius, summa iniuria“. 300 Kisch notiert in Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 170, dass dieser Satz häufig bei Luther zu finden war, aber von Melanchthon in dieser Formulierung nicht benutzt worden sei. 301 C 3.1.8, Imperatores Constantinus, Licinius. „Placuit in omnibus rebus praecipuam esse iustitiae aequitatisque quam stricti iuris rationem“. 302 Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 168 f. 303 CR XVI „Philosophiae moralis Epitome“ (S. 21 – 164), „Ethicae doctrinae Elementa“ (S. 165 – 276), „Enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis“ (S. 277 – 416). 304 Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland, S. 60 – 108, Dilthey, Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
161
soll es ausschließlich darum gehen, wie sich Melanchthons Verständnis von Billigkeit mit seinem Plädoyer für die Rezeption des römischen Rechtes verbinden lässt. Vom griechischen Recht hat die römische Rechtswissenschaft das Gegensatzpaar „strenges Recht“ und „Billigkeit“ übernommen, um strengrechtliche Rechtsverhältnisse nach ius civile zu unterscheiden, die vom Prätor ex bono et aequo anerkannt worden sind und für die er auf Grund seines imperium eine Klagemöglichkeit gewährte.
a) Billigkeit als Mittel für die Gesetzinterpretation Da das „strenge Recht“ ebenso zur Rechtsordnung gehört wie die methodisch gesicherte Erweiterung der Rechtsordnung über die aequitas, ist Melanchthons Aussage „summum ius non est calumniosa interpretatio iuris“305 zuzustimmen. Melanchthons Schrift Philosophiae moralis epitome beginnt mit der Erläuterung des Unterschieds zwischen strengem Recht und Billigkeit. Summum ius sei die strenge Anwendung des Gesetzes ohne den Versuch einer Milderung durch Rücksichtnahme auf die äußeren Umstände. Die aequitas steht mit der humanitas in enger Verbindung, da dort, wo eine menschliche Behandlung eines Falles verlangt wird, eine Rechtsanpassung mittels der aequitas erfolgen muss. Melanchthon fragt in diesem Zusammenhang, welche Umstände für eine billige Beurteilung zu beachten seien. Die epieikeia sei aufgerufen, das Gesetz dann zu mildern, wenn die vorhandenen Normen nicht ausreichten. Die aequitas bzw. die epieikeia ist immer dann anzuwenden, wenn das Gesetz unvollständig ist oder auch, wenn gegen das bestehende Recht entschieden werden soll. In Rom war es der Prätor, der „adiuvandi vel supplendi vel corrigendi causa“ in das bestehende Recht eingreifen sollte. Seine Intervention sollte sich nicht nur auf Ausnahmefälle beschränken; denn das Gesetz konnte und sollte nicht die gesamte Kasuistik betrachten. Insofern stellt die epieikeia eine Kompetenz zur Interpretation des Gesetzestextes in solchen Fällen dar, in denen Änderungs- oder Erweiterungsbedarf besteht. Wenn zwei Gesetze bei der Lösung eines Falles konkurrieren, wird auf die ratio legis zurückgegriffen. Letztlich muss im Bedarfsfall, wenn eine angemessene Entscheidung gefunden werden soll, auch auf die obersten Grundsätze der Gerechtigkeit zurückgegriffen werden. Dieser Sachverhalt wird in Rom, aber auch noch bei Melanchthon, am Schulbeispiel von der Rückgabe des hinterlegten Schwertes an einen wahnsinnig Gewordenen erörtert:306
305 „Philosophiae moralis epitome“, CR XVI, S. 73. „Das strenge Recht sei keine bösartige, sophistische, rechtsverdreherische Rechtsauslegung“. 306 „Wenn jemand in körperlicher Gesundheit einem anderen ein Schwert zur Aufbewahrung gibt, inzwischen jedoch wahnsinnig geworden es zurückfordert, so befiehlt zwar das niedere Gesetz die Rückgabe, das höhere jedoch verbietet, dem Wahnsinnigen durch Rückgabe Schaden zufügen; also ist die Rückgabe des Schwertes verboten.“ Auch Cicero bezieht sich in „De officiis“ III, 25, 95, auf das Beispiel von dem Schwert.
162
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
„Cum enim concurrunt diversae leges, quae pariter servari non possunt, praeferenda est superior, ut, si quis apud te sanus gladium deposuerit, eumque reposcat furiosus, lex inferior iubet reddere, at lex superior vetat nocere furioso, videlicet: Neminem laedas. Ideo reddi gladium vetat.“307
Die epieikeia ist aber auch dann gefordert, wenn es um die beste Interpretation der Regeln geht. Der Inhalt der Gesetze müsse in gutem Sinn interpretiert und dürfe nicht gebeugt werden; letzteres hätte ein hohes Maß an Unsicherheit in der Rechtssprechung zur Folge. Schon das klassische römische Recht verlange: „Man muss immer nach dem hauptsächlichen Sinne des Gesetzes fragen, um der Verschiedenheit der Umstände Rechnung tragen zu können [D.48.9.1].“308
Die Aufgabe der Billigkeit ist deshalb auch eng mit der Interpretation der Gesetze verbunden. So erklärte Aristoteles bei der Definition des Gesetzes, es müsse so allgemein gehalten sein, dass es die Mehrheit der Fälle berücksichtige. Für die ungewöhnlichen Fälle, die die Ausnahme bilden, solle sich der Urteiler wie ein Gesetzgeber verhalten, um über den allgemeinen Text des Gesetzes hinaus eine neue Regel zu finden, die dem neuen Kasus entspreche. So lag für Aristoteles die Funktion der epieikeia allein darin, das mangelhafte Gesetz zu verbessern. Diese Aufgabe sieht Melanchthon ebenfalls. Darüber hinaus aber erweitert er den Aufgabenbereich; die epieikeia diene nicht nur der Verbesserung des allgemeinen Gesetzes, sondern besonders der „Milderung des Gesetzes, wenn gewisse Umstände eingetreten seien, von denen das Gesetz nicht ausgegangen war.“309
b) Die Billigkeit als Instrument zur Milderung des „ius strictum“ Die Rechtsfolgen des Gesetzes seien dann zu mildern, wenn die wörtliche Anwendung der Rechtsnormen ohne die Berücksichtigung der veränderten Umstände (im Einzelfall) zu einem ungerechten Ergebnis führe. Die veränderten Umstände seien jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn sie so geartet seien, dass sie der Gesetzgeber, wenn er sie gekannt hätte, nicht hätte unberücksichtigt lassen dürfen. Melanchthon setzt, im Gegensatz zu Aristoteles, bei der epieikeia den Akzent nicht auf den funktionellen, sondern auf den materiellen Aspekt. Inwieweit die Deutung der epieikeia durch Melanchthon gegenüber der aristotelischen Definition als „Verbesserung, Ergänzung und Anpassung des Gesetzes“310 im Sinne einer Milderung der Anwendung des Gesetzes einen wirklichen Unterschied bedeutet, bedarf einer „Philosophiae moralis epitome“, CR XVI, S. 75. Kisch setzt diesen juristischen Satz parallel zur Aussage in der Bibel: „Daher mahnt auch die Heilige Schrift zur Mäßigung, wenn gesagt wird [Eccles. 7,17]: „Ne sis nimis iustus“ und [Prov. 30,33]: „Qui nimium emungit, elicit sanguinem“, in: Melanchthons Rechtsund Soziallehre, S. 172. 309 „Verum epieikeia est moderatio legis in aliqua circumstantia, praesertim in casu, de quo non principaliter lex loquitur“, CR XVI, S. 74. 310 Bei Aristoteles Buch V. der Nikomachischen Ethik, Kapitel 10 (14) 1137a – b. 307 308
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
163
näheren Betrachtung. Denn Melanchthons Interpretation eines Gesetzes könnte sich auf dessen Rechtsfolge beziehen, während Aristoteles’ Definition die Arten der Einwirkung der epieikeia auf das Gesetz zum Gegenstand hat. Die (Neu-)Interpretation, die Ergänzung oder Anpassung des Gesetzes wird erforderlich, damit bei der Rechtsanwendung keine unmenschliche Härte entsteht; deshalb hebt Melanchthon die besonderen, unvorhersehbaren Umstände, deren Nichtbeachtung zu Ungerechtigkeiten führen, besonders hervor. Wenn er die epieikeia darum auch „legum interpres“311 (Ausleger der Gesetze) nennt, bleibt er – vielleicht mit einer gewissen Verschiebung des Akzents auf die Rechtsfolgenseite – dennoch auf dem von Aristoteles abgesteckten Terrain. Mit der Hierarchie der Rechtsnormen, die Melanchthon in seiner Naturrechtslehre entfaltet, übernimmt er die Lehre von Duns Scotus über die Rangordnung der Werte und Gewaltbereiche sowie der sich aus ihnen ergebenden sittlichen Werturteile. Mache die Anwendung des speziellen Gesetzes keinen Sinn oder verkehre sich die ratio leges in ihr Gegenteil, müsse auf die nächst höhere Normebene ausgewichen werden, so dass in einem Fall wie dem des hinterlegten Schwertes das höherrangige Gesetz vor dem niedrigeren den Vorzug erhält.312 c) Die Verbindung Melanchthons epieikeia-aequitas-Lehre mit seiner Naturrechtslehre Die Tatsache, dass Melanchthon dieses Beispiel übernimmt, beweist den engen Bezug seiner Naturrechtslehre mit der epieikeia, wie er sie verstand. Die Verpflichtung zur Rückgabe des geliehenen Objektes ist für Melanchthon eine weltliche Rechtsnorm, die auf dem dritten Naturgesetz beruht, das der gerechten Güterverteilung mittels des Vertragsrechtes zu Grunde liegt. Aber das Erkennen der Gefahren, die mit der Rückgabe an einen Wahnsinnigen verbunden sind, richtet sich nach der Vernunft. Die geistige Verwirrtheit des Eigentümers gehört zu dem Komplex der äußeren Umstände, die in dem Gesetz über die Rückgabe von ausgeliehenen Gegenständen nicht berücksichtigt worden sind und eine „billige“ bzw. „vernünftige“ Anwendung verlangen; denn der Gesetzgeber hätte diesen Fall nicht ungeregelt gelassen, wenn er ihn bedacht hätte. In diesem Fall bedeutet „Billigkeit“ für Melanchthon zunächst die Unanwendbarkeit des Prinzips der Rückgabe. Die Grundlage dafür ist ihm das zweite Naturgesetz, nach dem man niemandem Schaden zufügen soll, „neminem laedere“. Diese Anpassung ist für ihn keine Ergänzung eines mangelhaft erlassenen Gesetzes, weil es eine Fallgestaltung unberücksichtigt gelassen hat, sondern eine von der CR XVI, S. 75, Anm. 4 „interpretes“. Dieses Beispiel fand sich, nach Kisch, zum erstem Mal bei Plato in „Politeia“, I, 331 C, vgl. Cicero, „De officis“, 3, 95, auch D. 16. 3. 31. Siehe Ehrhardt, Parakatatheke, S. 86 f., Haring, Die Lehre von der Epieikeia, eine rechtswissenschaftlichmoraltheologische Studie, S. 584, S. 806 f. 311 312
164
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Menschlichkeit und der Vernunft gleichermaßen gebotene Milderung des Gesetzes. Denn würde es streng angewandt, stünde es im Widerspruch zum Naturrecht.313 Auf der Grundlage der von Melanchthon entwickelten Hierarchie der Rechtsnormen ist ein Widerspruch der Wertungen auf der zweiten Normebene nicht möglich, da das höhere Gesetz Vorrang vor dem niedrigeren hat. Das zweite Naturgesetz (neminem laedere) steht vor dem aus dem dritten Naturgesetz abgeleiteten Prinzip der Rückgabe der geliehenen Sache (suum cuique tribuere). Melanchthon erkennt den Moralgesetzen wegen ihrer Vollkommenheit einen höheren Rang zu, was auch den Unterschied seiner Definition der epieikeia zu der des Aristoteles erklärt. Die Billigkeit ist für den Reformator keine Frage der Ergänzung oder Verbesserung der Gesetze, sondern eine Frage der Milderung der Rechtsfolgen, veranlasst durch die Moral, die Vernunft und die Menschlichkeit. Auch wenn man vielleicht in dieser Verschiedenheit nur einen Aspektwechsel von der Zielrichtung des methodischen Eingriffs in das geltende Recht hin zu den damit erreichten neuen Rechtsfolgen zu sehen hat, so hebt Melanchthon mit seiner Deutung jedenfalls die mitmenschlichen und christlichen Dimensionen des Vorganges hervor, während Aristoteles und die klassische römische Rechtsmethodologie in erster Linie den Grund in der Vernünftigkeit und der durch sie gebotenen Rechtsfortbildung sehen. Den ganz anderen Zugang zu diesem Problem, den Kisch Melanchthon unterstellt, wird man jedoch so nicht bestätigen können. Wenn Kisch meint, dass Melanchthons hierarchisches Rechtssystem von den Moralgesetzen beherrscht werde und die Milderung der Gesetze nur das Ergebnis einer ganz „normalen“ interpretatio legum bzw. der Auslegung des Moralgesetzes sei,314 dann wird diese Auffassung Melanchthons Ansicht nicht gerecht. Man müsste dann nämlich annehmen, dass Melanchthons Definition der Billigkeit das Prinzip der epieikeia mit bloßer Gesetzauslegung verwechsele. Angesichts der Kollision und der Abwägung zugunsten der Höherrangigkeit des Moralgesetzes wird bei Melanchthon das ungerechte Gesetz nicht angewandt; vielmehr erhält das abstrakte Moralgesetz für den positiven Fall eine aktuelle Konkretisierung.
d) Anpassung seiner Naturrechtslehre mit Hilfe der Moralgesetze Melanchthon baut sein Rechtssystem auf der Basis der Naturgesetze auf. Damit wird deutlich, dass er sich der Überlegenheit des Moralgesetzes bewusst ist, das 313 Folge des Zitats CR XVI, S. 75: „Nam est epieikeia temeraria legum et disciplinae laxatio, sed regenda est certa ratione, sicut vulgo dicitur: Dispensatio non sit dissipatio. Nam contra iura naturae et contra ius divinum non sunt concedendae laxationes.“ 314 Kisch, „Das ganze gedankliche Bild wird beherrscht von der Vorstellung der Superiorität des Moralgesetzes. Diese zu konstatieren und zur Geltung zu bringen, genügt die interpretatio legum, welche somit bei Melanchthon zu Unrecht den Namen epieikeia trägt“, S. 174.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
165
sich gegenüber den Schwächen der Menschen, die sich aus ihrer Gier und aus ihrem Ehrgeiz ergeben, stets bewähren müsse; es ist aber auch in der Lage, die erforderlichen Korrekturen des positiven Rechts vorzunehmen. Angesichts der Zwei-Reiche-Lehre mit ihrer Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, in dem über den Dekalog die reinen Naturgesetze zum Glaubensinhalt werden, ist die Unmöglichkeit einer stets treffenden Anwendung dieser Naturgesetze im weltlichen Rechtsbereich offenbar. Als Melanchthon in den Loci das dritte Naturgesetz der Gütergemeinschaft definierte, relativierte er es bereits mit dem nächsten Satz, weil die menschliche Natur, die sich nach Privateigentum und Exklusivität sehnt, nicht unberücksichtigt bleiben konnte. Auf Grund der Natur der Menschen und der Anfälligkeit der politischen Umstände war es Melanchthon bewußt, dass eine „göttliche“ Regel auf Erden keine konkrete Anwendung finden könne. Und dennoch ist es nach Melanchthon den Menschen trotz ihrer Unzulänglichkeit auferlegt, für den Frieden in der Welt und für die Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung zu sorgen. Ohne Anleitung durch das Moralgesetz ist die Bewältigung dieser schweren Aufgaben auch den dazu berufenen Menschen nicht möglich.
e) Die „epieikeia“ und die „interpretatio legum“ Melanchthons Anerkennung der beiden Reiche – des von den Evangelien regierten geistlichen Reichs und des vom weltlichen Recht gelenkten irdischen Reichs – erklärt sein Plädoyer für die Anwendung des römischen Rechtes auf Erden und für die Geltung der biblischen Schriften und ihrer praecepta für die Vorbereitung der Gläubigen auf das himmlische Reich, die civitas Dei des Augustinus. In theologischem und staatskirchlichem Zusammenhang erscheint Melanchthons Differenzierung von der interpretatio legum und der epieikeia folgerichtig. Auch wenn das Rechtssystem auf den überlegenen Moralgesetzen basiert, kann es dennoch zu Kollisionen kommen, da die Übereinstimmung der weltlichen Gesetze mit dem Naturrecht dann gefährdet ist, wenn das Gesetz Mängel aufweist, die erst durch den gebotenen Rückgriff auf das Moralgesetz wieder behoben werden können. Für Melanchthon ist demnach die interpretatio legum die Auslegung der weltlichen Gesetze, die per se mit dem Naturrecht übereinstimmen. Bedürfen sie aber einer Ergänzung oder Anpassung für einen bisher unberücksichtigten Fall, dann muss, wie auch Aristoteles es fordert, über die epieikeia Abhilfe geschaffen werden. Für Melanchthon aber ist erst dann ein Grund zum Eingriff in das bestehende Gesetz gegeben, wenn dieses den Fall nicht berücksichtigt und die Milderung wegen bestimmter äußerlicher Umstände geboten ist. Melanchthon unterscheidet daher nicht zwischen epieikeia und aequitas, sondern vielmehr zwischen epieikeia und interpretatio legum. Denn die Billigkeit hat bei Melanchthon eine ganz spezifische Aufgabe, die außerdem im Rahmen seiner
166
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
Zwei-Reiche-Lehre begründet ist. Weiterhin fügt er die Moralgesetze und ihr Verhältnis zum weltlichen Rechtssystem in seine theologische Lehre ein, während bei Aristoteles die epieikeia ganz dem säkularen Bereich der Ethik zugerechnet wird.
2. Melanchthons epieikeia-aequitas-Lehre und deren Verwirklichung im rezipierten römischen Recht Wie vereinbart Melanchthon nun aber seine Forderung nach einem certum ius mit der von ihm als notwendig erachteten Milderung des „strengen“ Rechts in bestimmten, aber im Voraus nicht definierbaren Fällen? Bei dieser Fragestellung sieht er sich mit dem von den römischen Juristen verwendeten Begriff der aequitas konfrontiert.315 Bei der Erörterung der Bedingungen für die Umsetzung der Billigkeit in die Gesetzespraxis greift er diese juristische Terminologie auf und erkennt dabei, dass die beiden Begriffe aequitas und certum ius keine Gegensätze darstellen. Vielmehr ergänzen sie sich, was er auch am Ende seiner Philosophiae moralis epitome feststellt. Auch hier benutzt Melanchthon die Begriffe „aequitas“ und „epieikeia“ nicht als Synonyme.316 Die Lösung der zwischen aequitas und certum ius bzw. certa lex bestehenden Spannung liegt für ihn nicht in der Entscheidung für das eine oder das andere Prinzip; er sieht vielmehr einen Weg, auf dem sich beide vereinbaren lassen. a) Die begrenzte Anwendung der aequitas als Konsequenz der Rezeption des römischen Rechts Für Melanchthon erhebt sich zunächst die Frage, wie die Rechtssprechung geartet sein müsse, um für die gesellschaftliche Ordnung und den inneren Frieden Billigkeit und Sicherheit zu gewährleisten. Entweder könne sie sich auf der Basis eines fest geschriebenen Rechts oder auf dem Wege einer freien Entscheidungsfindung als Beraterin von Rechtsprechung und Politik entfalten. Bei freier Entscheidungsfindung müssten die Prozessparteien dem natürlichen Gerechtigkeits315 Im folgenden Kapitel seiner „Philosophiae moralis Epitome“ verwendet Melanchthon ausschließlich den Begriff „Aequitas“, der schon in der Titelüberschrift „Estne iudicandum iuxta scriptum ius an secundum aequitatem“ zu finden ist, CR XVI, S. 78 – 81. 316 Dennoch hat der Begriff der „epieikeia“ für Melanchthon eine größere Bedeutung. Die Definition der Billigkeit bei Aristoteles scheint umfassender zu sein als die der „aequitas“: „Sed hic obiicitur: At Aristoteles vocat aequitatem mitigationem legis non scriptam. Respondeo. Aristoteles generaliter aequitatem vocat mitigationem legis, sive scriptam, sive non scriptam. Ut enim nunc plurimae mitigationes extant scriptae in ipsis legum textibus, et in commentariis interpretum: sic Athenis leges mitigabantur, declarabantur, inflectebantur, aut exasperabantur decretis, quae ipsi vocabant („Psephismata“; Volksbeschluß). Idem accidit in omnibus rebuspublicis“, S. 79 f. und vorher S. 77: „Postermo adiiciendum et hoc est, quod ipsum Evangelium tradit mirificam Epieikeian legis divinae. Docet enim placere Deo inchoatam et imperfectam obedientiam in his qui credunt Christo. In hac epieikeia lucet magnitudo misericordiae Dei.“
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
167
empfinden der Obrigkeit vertrauen. Sie müssten hoffen, dass die Richter intuitiv stets das Richtige fänden und so ihre Entscheidungen träfen. Doch wäre dies ein überaus vager Zustand. Darum befürwortete Melanchthon den anderen Weg, wonach eine billige und gerechte Rechtsprechung nur durch Anwendung eines für alle geltenden fest geschriebenen Rechts effektiv gesichert sei und auf dieser Basis die Billigkeit nur in Einzelfall gewährleistet werden müsse. Diese Bedingung erfülle aber allein das römische Recht.317 Daraus erwächst für Melanchthon die zweite Frage. Wenn das fest geschriebene römische Recht Anwendung vor den Gerichten finden soll, darf dann der Richter überhaupt noch von dessen Vorschriften abweichen und nach der aequitas eine Entscheidung für den Einzelfall treffen? Das klassische römische Recht hatte dies bejaht. Für das Rezeptionsrecht war die Lage jedoch anders. Melanchthon befürwortete den auf Grund der territorialen Vielfalt langwierigen und schwierigen Prozess der Substitution ländlicher Gebräuche und Gewohnheitsrechte durch das römische Recht im ganzen Reich. Diese Rezeption traf auf vielerlei Widerstände, auch in Sachsen, wie seine an der Wittenberger Universität gehaltenen Reden über die Qualitäten des römischen Rechtes es genügend beweisen.318 Luther benutzte oft römisch-rechtliche Sätze für seine Argumentation gegen das kanonische Recht,319 unterstützte aber die altgewohnten Landrechte, da er in ihnen die konkrete Verwirklichung der geschätzten und befürworteten Billigkeit sah. Dieses Thema wurde aber nicht in der juristischen Disziplin verhandelt. Die Frage nach dem sicheren Weg zur Gerechtigkeit wurde, da sie eine ethische und allgemein-philosophische Problematik in sich barg, hauptsächlich in der Artistenfakultät diskutiert; sie barg aber auch in politischer Hinsicht Zündstoff. In der Rede De aequitate et iure stricto von 1542 distanzierte sich Melanchthon von der aristotelischen Auffassung der aequitas, weil sie seiner Meinung nach das Tor zur willkürlichen Rechtsprechung nicht fest genug verschließe.320 Seine große Sorge war nämlich, wie der gesellschaftliche Frieden und die soziale Gerechtigkeit gegenüber willkürlicher Machtausübung durch die Herrscher zu sichern sei. Hier mag der eigentliche Grund dafür liegen, dass Melanchthon eine von Aristoteles abweichende Auffassung zur aequitas bzw. epieikeia vertrat. In dieser Rede wiederholte er seine Bewunderung für die Billigkeit der römischen Rechtsnormen, die auf der Grundlage des geschriebenen Rechts durch eine 317 Siehe die Grundsätze Melanchthons in seinem Plädoyer für das römische Recht (Zweites Kapitel, D). 318 Melanchthon reflektiert dieses Thema in seinen Reden, u. a. 1542 in „De aequitate et iure strito“, CR XI, S. 550 – 555, 1544 in „Oratio de stricto iure et aequitate ex l. Placuit Codice de iudiciis [3.I.8]“, CR XI, S. 669 – 675 und 1554 in „Oratio de lege Placuit, Cod. de iudiciis [3.I.8]“, C R XII, S. 95 – 101. 319 Siehe Kapitel II zu Luthers Streit mit den Wittenberger Juristen über die Verlöbnisse und die geheime Ehe. 320 Übersetzung dieser Rede bei Melanchthon Deutsch, Bd. I, S. 170 – 177.
168
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
besondere Methode erreicht wurde. Bereits das römische corpus iuris enthalte nämlich weitgehend das billige Recht: „Auch kann die aequitas mit dem geschriebenen Recht nicht im Widerspruch stehen, denn in jenen Fällen, von denen das Gesetz hauptsächlich redet, hat der Gesetzgeber nach reiflichster Überlegung das, was er bestimmt, als aequissimum erachtet.“321
Dieses hohe Lob des römischen Rechts gilt dem Prinzip, das auf Grund der langjährigen Anwendung und Umsetzung des geschriebenen Rechts in der Antike den vorbildlichen Zustand erhalten habe. Und wenn es dann noch Fälle gebe, in denen die aequitas unberücksichtigt geblieben sei, dann müssten sie mit Rückgriff auf die Grundsätze der Billigkeit selbst gelöst werden: „Regulariter ex scripto iure pronuntiandum est, praesertim in iis casibus, de quibus lex principaliter loquitur. Ut enim magistratui, sic scriptae legi debetur obedientia. Ergo non licet discedere a scripta lege. Item iudicis sententia habet autoritatem, non quia privata cogitatio est, sed quia legis vox est. Ergo iudex debet legem sequi, non privatas opiniones, nec pugnat aequitas cum scripto iure, nam in iis casibus, de quibus lex principaliter loquitur, gravissima deliberatione lator deprehendit id esse aequissimum, quod constituit.“322
Melanchthon hebt also hervor, dass der Richter im Regelfall keinen Anlass habe, von dem geschriebenen Recht abzuweichen. Die Anzahl der Fälle, in denen die Einzelfallgerechtigkeit vom Gesetz unberücksichtigt geblieben sei und die darum Anlass zu einer billigen Milderung sein könnten, seien demgemäss selten und müssten auch eingeschränkt werden, damit das geschriebene Gesetz nicht untergraben werde. Die Milderungsfälle sollten daher auf offensichtliche Fälle beschränkt werden; ihre Veranlassung und Ursache sollten offen gelegt werden, da ansonsten der Rechtsprecher mit seinen Kompetenzen den Gesetzgeber ersetzen würde. Das aber könnte die mittelbare Rückkehr zu willkürlichen Entscheidungen zur Folge haben. Dennoch sollte die Anpassung des geschriebenen Rechts dort, wo eine Milderung geboten sei, nicht ausgeschlossen sein. Die Verknüpfung dieser beiden Grundregeln der Jurisprudenz finden sich im Codex selbst; darauf weist Melanchthon ausdrücklich, allerdings mit einer spezifischen Veränderung, hin: „So lautet das Gesetz [C. 3.1.8]: ,Man hat für gut befunden, dass in allen Dingen der geschriebenen Gerechtigkeit und Billigkeit (iustitiae aequitatisque scriptae) Vorrang einzuräumen sei gegenüber dem strengen Recht‘.“323 321 „Philosophiae moralis Epitome“ unter dem Titel „Estne iudicandum iuxta scriptum ius an secundum aequitatem“ CR XVI, S. 78 – 81, durch Kisch kommentiert, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 175 ff. 322 CR XVI, S. 79. Bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 177: „In der Regel gebührt dem aufgezeichneten Recht der Vorzug; von ihm darf nicht abgewichen werden in Fällen, von denen das Gesetz hauptsächlich redet. Was für einen Zweck würde es sonst haben, Gesetze aufzuzeichnen, wenn es gestattet wäre, nach irgendjemandes Gutdünken oder Willkür Rechtsfälle unter Hintansetzung des Gesetzes zu entscheiden? ( . . . ) Es gibt aber bisweilen doch Fälle, von denen das Gesetz nicht hauptsächlich redet, welche wegen irgendwelcher offensichtlicher Umstände eine Milderung [des Gesetzes] erheischen.“
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
169
b) Melanchthons Interpretation der „lex Placuit“ Das Gesetz ist im Corpus iuris so zu verstehen, dass die Billigkeit dem strengen Recht vorzuziehen sei. Insoweit ist das Gesetz Placuit Ausdruck des „Sieg(es) der aequitas über das ius“.324 Indem aber Melanchthon sich der traditionellen Interpretation, wie sie sich seit der Glosse und den Kommentaren herausgebildet hatte, anschließt, kommt er zu Schlussfolgerungen, die ursprünglich wohl nicht mit dieser Stelle zu verbinden waren. Das konstantinische Gesetz in C.1.18.1 folgte bereits ein Jahr später (316), wohl als Reaktion auf die in der lex Placuit angesprochene Freiheit für die Rechtsanwendung, auf die die Richter und die unteren Instanzen nicht genügend vorbereitet waren. So behielt sich der Kaiser nun selbst die von der aequitas gebotene Rechtserneuerung vor, die damit automatisch in schriftlicher Form, nämlich als Gesetz, erfolgte. Weil das ius scriptum damit allein maßgeblich war, musste darum auch die Billigkeit schriftlich ihren Ausdruck finden. Der ursprüngliche Text im Codex spricht nur von „iustitiae aequitatisque“, hat jedoch den Zusatz „scriptae“ nicht. So fragt sich Melanchthon in seiner Oratio de aequitate et iure stricto (1542), was das „strenge“ Recht von der „geschriebenen“ Billigkeit unterscheide.325 Im weiteren Verlauf dieser Rede, wie auch in den in den Jahren 1544 und 1554326 verfassten Reden, wiederholt er seine Auffassung von der Notwendigkeit eines geschriebenen Rechtes. Diesem sei bei allen im Gesetz berücksichtigten Fällen der Vorrang vor einer individuell vom Rechtssprecher entwickelten Billigkeit zu geben. Dieses sei im öffentlichen Interesse und müsse der Willkür der Mächtigen entgegengehalten werden, wie es das historische Beispiel Athens zeige, wo der Gehorsam aller gegenüber dem geschriebenen Recht gegolten habe. Die Behauptung, dass Melanchthons Auslegung der Codex-Stelle 3.1.8. auf einem Missverständnis beruhe, da er dort „geschriebene“ Billigkeit (aequitas „scripta“) lese, bedarf einer kritischen Diskussion. Dennoch handelt es sich bestimmt nicht um ein Missverständnis, auch wenn der Gesetzestext jenes scripta nicht kennt. Zwar kommt Melanchthon durch die Einfügung des Wortes scripta zu 323 „Placuit in omnibus rebus praecipuam esse iustitiae aequitatisque scriptae quam stricti iuris rationem.“, Übersetzung bei Melanchthon Deutsch, S. 172, CR XI, S. 671 und CR XVI, S. 78 – 80. Dieses Zitat Melanchthons finden wir in einer anderen Rede in CR XII, S. 97: „Placuit in omnibus rebus praecipue haberi tam iusticiae aequitatisque scriptae quam stricti iuris rationem“. Der richtige Text des Codex lautet jedoch: „Placuit in omnibus rebus praecipuam esse iustitiae aequitatisque quam stricti iuris rationem.“ 324 Pringsheim, Römische aequitas der christlichen Kaiser, S. 136 ff., Lange, Ius aequum und ius strictum bei den Glosatoren, S. 325. 325 „De aequitate et iure stricto“, 1542, Übersetzung in Melanchthon deutsch, S. 172. 326 „Oratio de stricto iure et aequitate ex l. Placuit Codice de iudiciis [3.I.8]“, 1544, CR XI, S. 669 – 675, bei Kisch, Rede Nr. 11, S. 274 – 280, „Oratio de lege Placuit, Cod. de iudiciis [3.I.8]“, 1554, CR XII, S. 95 – 101, bei Kisch, Rede Nr. 12, S. 281 – 287.
170
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
einer sehr viel engeren Auffassung über die Möglichkeiten richterlicher Rechtsfortbildung als es jene Stelle eigentlich zulässt. Die Schwierigkeit, die Melanchthon hat, um seine Unterscheidung zwischen aequitas und aequitas scripta herzuleiten, hätte er umgehen können, wenn er gleich auf die zu seiner Zeit übliche Textinterpretation jener Codex-Stelle eingegangen wäre.327 Denn Melanchthon orientiert sich an einer völlig gesicherten Auslegung, die auf C. 1.18.1 basiert.328 Insofern überlässt er die Entscheidung von gesetzlich nicht geregelten Fällen allein dem Gesetzgeber, also dem Fürsten, und entzieht so dem Richter die in klassisch-römischer Zeit noch mögliche Rechtsfortbildung. Melanchthon warnt deshalb seine Zuhörer vor der eigenwilligen Interpretation der Gesetze329 und betont die Notwendigkeit eines festgelegten Rechtes für den Rechtsverkehr und für die Rechtsicherheit. Seinen Worten ist eine Kritik an Rabulisten und spitzfindigen Scholastikern zu entnehmen: „Anderseits begegnet unser Text einem weiteren Übel, dass unter dem Vorwand des Geschriebenen durch eine spitzfindige und böswillige Ausdeutung die Gerechtigkeit untergraben wird.“330
c) Die Billigkeit des römischen Rechts als Argument zugunsten seiner Rezeption Melanchthons Lob des römischen Rechtes wurde durch das Argument, das er in der Auslegung des Gesetzes Placuit (C. 3.1.8) vorfand, in hohem Maße unterstützt. Alle Gesetze des Corpus iuris seien nämlich schon in ihrer ursprünglichen Gestalt von der Billigkeit geprägt. Damit hatte er ein wichtiges Argument zugunsten des römischen Rechtes gegen seine skeptischen und verängstigen Zeitgenossen in der Hand, die an die alte territoriale Rechtsprechung gewohnt waren und beklagten, dass die römischen Normen unmenschlich streng seien. Vor einer Gesetzgebung, 327 Zwar enthält der Text des Codex 3.1.8 diesen Zusatz nicht. Jedoch wurde diese Deutung bereits in die Glosse „in omnibus rebus“ eingeführt und auch von Bartolus und Baldus übernommen. 328 Der Text des C. 1.18.1 des Kaisers Antoninus im Titel „De iuris et facti ignorantia“ lautet: „Quamvis, cum causam tuam ageres, ignorantia iuris propter simplicitatem armatae militiae adlegationes competentes omiseris, tamen si nondum satisfecisti, permitto tibi, si coeperis ex sententia conveniri, defensionibus tuis uti.“ 329 Damit betont er die wichtige Rolle, die die Ausbildung in römischem Recht für die zukünftigen Wächter der Gesetze spielt. Weiterhin hebt er seine pädagogische Aufgabe hervor, die Jugend nicht nur im Respekt der gesetzlichen Ordnung, sondern als guten Christen in der Liebe der gesellschaftlichen Ordnung und des sozialen Friedens zu erziehen: „Darum, Studenten, ermahne ich euch, die Schwierigkeit dieser Aufgabe [die Leitung des Gemeinwesens] im Herzen zu erwägen, damit euch der Umfang öffentlicher wie persönlicher Gefahr zu interessiertem Lernen und zur Mäßigung ruft und erweckt. Gott ruft durch Eltern und Obrigkeit diejenigen, die für diese Aufgabe ausersehen sind, zur Leitung des Gemeinwesens.“ Bei Melanchthon deutsch, Bd. I, S. 176. 330 „De aequitate et iure stricto“, 1542, Übersetzung in Melanchthon deutsch, S. 175.
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
171
die sich schon von ihrem Geist und ihrer Philosophie her durch die Betrachtung des Prinzips der aequitas auszeichnete, sollten die deutschen Bürger keine Angst haben; sie würden nur davon profitieren können. Melanchthons traditionelle Interpretation des Gesetzes Placuit kann auf den ersten Blick überraschend wirken, da er selber kein Jurist war. Durch seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Rechtsgelehrten Schürpf wird er aber Hinweise auf die herrschende Interpretation bekommen haben. Melanchthons Beitrag zur Auslegung der aequitas ist jedoch außerhalb der juristischen Fakultät rezipiert worden. Seine Aequitas-Lehre hat er nämlich im Rahmen seiner Kommentare zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles ausgebildet; damit steht sie in einem philologischen und rechtsphilosophischen Zusammenhang. Melanchthon wird den ursprünglichen Text des Corpus iuris gekannt haben, als er seine Rede verfasst hat. Da der herkömmlichen juristischen Auslegung der Stelle über die Freiheit der Rechtsgestaltung, so wie sie noch Aristoteles fordern konnte, durch C. 1.18.1 Schranken gesetzt waren, wird sich Melanchthon auf eine eingeschränkte Bedeutung der aequitas / epieikeia im Sinne einer Milderung der Gesetzesanwendung verlegt haben. Denn dies war auch dort möglich, wo das geschriebene Recht seine freie Korrektur durch die aequitas verhinderte.
d) Die Gegenüberstellung des „ius scriptum aequissimum“ und des „ius strictum“ Bei der Rechtfertigung einer aequitas non scripta treten mehrere Probleme auf. Wenn allein das geschriebene Recht die absolute Billigkeit bildet, stellt sich die Frage, ob es bei den unberücksichtigt gebliebenen Fällen noch Raum für eine Milderung gibt. In welchen Fällen ist dann noch eine nicht schriftlich fixierte Billigkeit erforderlich? In diesem Zusammenhang entwickelt Melanchthon in seiner Rede de stricto iure et aequitate ex l. Placuit im Jahre 1544 den neuen Begriff des „ius strictum“ als ein dem „ius scriptum ( . . . ) aequissimum“ entgegen gesetztes Prinzip.331 Diese Unterscheidung war ihm durch C. 1.3.8. vorgegeben. Mit der Definition des ius strictum ließ sich der Text des Gesetzes Placuit im Sinn von C. 1.18.1 verstehen. So konnte nach Melanchthons Auffassung jede böswillige sophistische Interpretation (çalumniosa interpretatio“)332 vermieden werden, wie er es in der Rede von 1554 darlegt: „Ex his exemplis intelligi potest, aliud esse calumniosam interpretationem, aliud revera ius summum seu ius strictum. Sed ego prorsus hoc adfirmo, in lege Placuit intelligi proprie calumniosam interpretationem. Hanc prohibet, nec vult iudices sua calliditate exasperare 331 „semper id quod scriptum est, aequissimum esse“, in: „Oratio de stricto iure et aequitate ex l. Placiut Codice de iudiciis (3.I.8), recitata a D. Melchiore Kling“, 1544, CR XI, S. 669 – 675, bei Kisch, Rede Nr. 11, S. 278, CR XI, S. 673. 332 CR XI, S. 551 – 555.
172
1. Teil: Das Gesetz bei Melanchthon
aut laxare leges, sed vult eos ex scripto dextre intellecto iudicare. Et totum hoc ius scriptum, quod imperii autoritas gravissimo consilio recepit, nominat scriptam aequitatem“.333
Der Sinn des Gesetzes Placuit ist für Melanchthon demnach folgender: „Urteile müssen nach geschriebenem Recht (ius scriptum) gefällt werden; jede Milderung der Gesetze auf Grund privater Willkür ist unzulässig. Aequissimum bedeutet vielmehr, den wahren Sinn des Gesetzes (ius scriptum & aequitas scripta) festzustellen und jede sophistische Interpretation (calumniosa interpretatio) im Sinne einer rigorosen Rechtsanwendung (ius strictum) abzulehnen.“334
Nach Kisch liegt die Schwierigkeit für eine juristische Betrachtung der Epieikeia-Aequitas-Lehre Melanchthons in dem Mangel einer „juristischen“ Anwendung der Quellen.335 Als Kommentator der aristotelischen Ethik336 vermische Melanchthon in seinem Gedankengang Hinweise auf das Corpus iuris mit biblischen Argumentationen, die er zugunsten der christlichen Misericordia deute.337 Melanchthons Aequitas-Lehre soll demnach eine bloße moraltheologische Reflexion gewesen sein, ohne tieferes Eingehen auf die juristische bzw. auf die römischrechtliche Argumentation. Dem wird man entgegenhalten können, dass Melanchthon ernsthaft bestrebt war, die Rezeption des römischen Rechts zu befördern, wie es von Q. J. Withman gezeigt worden ist.338 Zu diesem Zweck hat er sich intensiv mit den Grundlagen befasst, die für die Einführung des römischen Rechts und für die Zurückdrängung des einheimischen Rechts sprachen. Während das sogenannte „deutsche“ Recht mit seinen starren Rechtsprinzipien und seinem eingeschränkten Normbestand der Willkür Tür und Tor öffnete, falls sich ein Richter vom geschriebenen Text entfernte, um Billigkeit walten zu lassen, konnte Melanchthon mit dem römischen Recht immerhin auf eine Quelle verweisen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, der aequitas Rechnung zu tragen. Wenn darüber hinaus noch Fallgestaltungen auftreten sollten, die ungeregelt waren, dann sollte die Entscheidung „Oratio de lege Placuit“, bei Kisch, Rede Nr. 12, S. 285 f., CR XII, S. 98 f. CR XII, S. 99 f.: „Hanc prohibet, nec vult iudices sua calliditate exasperare aut laxare leges, sed vult eos ex scripto dextre intellecto iudicare. Et totum hoc ius scriptum ( . . . ) nominat scriptam aequitatem; quia leges in ilis casibus, de quibus principaliter loquuntur, aequalitatem illam sanciunt, quam vera demonstratio ostendit artifici. Postea ubi in casu dissimilitudo circumstantiae est, saepe leges ipsae addunt epieikeia; ut de caede fortuita, de ignorantia facti, de dolo, de culpa, de metu. Et expressae sunt in scriptis legibus multae mitigationes plenae humanitatis;“ bei Kisch, Rede Nr. 12, S. 286. 335 Kisch, S. 184. 336 „De discrimine summi iuris et aequitatis“, CR XVI, S. 399 – 411. 337 Hier verweist Melanchthon auf die Bedeutung der Billigkeit sowohl für den Bereich der Kirche als auch für den des weltlichen Rechtes, wobei sich die Argumentation hauptsächlich auf biblische und antike Literatur stützt. Zur Übereinstimmung mit der Epieikeia-Lehre Gersons siehe Kisch, S. 182 f., dort vor allem die Anmerkungen über die theokratisch fundierte Epieikeia-Aequitas-Lehre Melanchthons. 338 Whitman, The legacy of roman law in the german romantic era. 333 334
2. Kap.: Welches weltliche Recht soll angewandt werden?
173
entweder dem Fürsten überlassen bleiben oder es sollten gemilderte Rechtsfolgen verhängt werden.
E. Schlusswort des zweiten Kapitels Die bedeutende Rolle, die die Reformatoren u. a. beim Verfall rechtshistorisch relevanter Ereignisse, etwa auf Grund ihres Engagements bei der Rechtfertigung des Widerstandsrechts der Fürsten gegen die kaiserliche Macht, gespielt haben, wird in den letzten Jahrzehnten in der reformationsgeschichtlichen Forschung immer wieder hervorgehoben. Neuere Forschungsprojekte beschäftigen sich damit, die Entwicklung juristischer Prinzipien und der damaligen Rechtssprechung, die Rezeption des römischen Rechts – die akademischen Bildungsreformen des Rechtsstudiums, die Weiterverwendung des kanonischen Rechts u. a. betreffend – in einen Zusammenhang mit der Geschichte der Reformation und deren Hauptvertreter zu stellen. In Übereinstimmung mit den neuen Analysen über den Einfluss von Martin Bucer (1491 – 1551)339 und Hugo Donellus (1527 – 1591)340 auf die Rechtssprechung und die Juristen ihrer Zeit lässt sich auch hier die bedeutende Rolle, die Melanchthon als Reformator, Praeceptor und Rechtsdenker in der Entwicklung sowohl der damaligen territorialen Kodifikationenbewegung als auch des neuen Verständnisses weltlicher Obrigkeit spielte, deutlich erkennen. Dieser letzte Aspekt wird im zweiten Teil dieser Arbeit in Bezug auf Melanchthons Auffassung von ordo politicus und societas civilis ausführlicher erläutert.
Strohm, Martin Bucer und das Recht. Siehe Volker Heise, Der calvinistische Einfluss auf das humanistische Rechtsdenken in den Niederlanden – Exemplarisch dargestellt am Werk von Hugo Donellus (1527 – 1591), Diss., FB Rechtswissenschaften, Univ. Osnabrück, erscheint voraussichtlicht 2004. 339 340
12 Deflers
Zweiter Teil
Definition des ordo politicus bei Melanchthon Melanchthon entwickelte seine Naturrechtslehre auf der Basis einer philosophischen Überlegung bezüglich der Rolle des Gesetzes und der Gerechtigkeit im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung mit den antiken Autoren. Die Entwicklung der reformatorischen Lehre und die religiös-politischen Umstände, die Unruhen im Reich verursachten, zwangen den Praeceptor Germaniae dazu Stellung zu nehmen. Melanchthon, der führende Reformator an der Seite Luthers wurde zusätzlich zu seiner Lehrtätigkeit und seinen Bemühungen, humanistisch geprägte Schul- und Universitätsreformen einzuführen, als Berater für kirchenpolitische Fragen in den Dienst seines Kurfürsten berufen. Als dessen Vertreter nahm er an den Religionsgesprächen teil. Die Bauernunruhen Anfang der zwanziger Jahre, die Angst vor dem drohenden Bauernkrieg, die Türkengefahr und Melanchthons dauernde Bestrebungen zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und des Friedens veranlassten ihn dazu, sich mit der Definition der Form und Funktion des Staates und der Stellung der Kirche, sowie der Aufgaben der Obrigkeit und der anderen Rechtsinstitutionen der societas civilis auseinander zu setzen. Melanchthon hat jedoch kein systematisches Werk über sein Verständnis vom Staat verfasst. Die Grundlinien seiner Definition des Staates hat er, wie im Falle seiner Naturrechtslehre, hauptsächlich in akademischen Reden,1 in Gutachten,2 in 1 „De ordine politico“ 1552, CR XI, S. 1011 – 1016. Rede, die bisher als von Hieronymus Schürpf geschrieben galt. Übersetzung bei Melanchthon deutsch, Bd. I, S. 313 – 320. In Kirchenpolitik: „De officio principum, quod mandatum Dei praecipiat eis tollere abusus Ecclesiasticos“ 1539 (Rede über das Amt der Fürsten, Gottes Befehl auszuführen und kirchliche Missbräuche abzustellen), in: Melanchthon deutsch, Bd. II, S. 199 – 225, MSA 1, S. 388 – 410, „Quaestio recitata a Mag. Georgio Burmanno“ 1541 (Eine Frage nach der Autorität von Synoden), S. 226 – 232, CR X, S. 732 – 736. 2 Briefe und Gutachten zur Reichs- und Kirchenpolitik, in: Melanchthon deutsch, Bd. II, S. 242 – 259: Gutachten für Fürst Georg von Anhalt, Dessau, 23. November 1546, MBW 4, S. 448 (Nr. 4460), Gutachten für die Fürsten Georg und Johann von Anhalt, Zerbst, 15. Januar 1547, MBW 5, S. 28 f. (Nr. 4556), Melanchthon an Markgraf Johann von Brandenburg, Wittenberg, 31. Juli 1548, MBW 5, S. 324 (Nr. 5238), Melanchthon an Fürst Georg von Anhalt, 25. Januar 1549, CR VII, S. 319 f. (Nr. 4474) und MBW 5, S. 419 f. (Nr. 5424), Gutachten für Kurfürsten Moritz von Sachsen, Ende Oktober 1551, MBW 5, S. 324 (Nr. 5238), Melanchthon an Joachim Moller, Wittenberg, 7. September 1552, CR VII, S. 1061 – 11063 (Nr. 5194), MBW 6, S. 344 (Nr. 6552), Gutachten für Kurfürst August von Sachsen zum Problem des geistlichen Vorbehalts bei der Verhandlung des Augsburger Religionsfriedens, Wittenberg, Juli 1555, MBW 7, S. 329 (Nr. 7545).
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
175
Briefen3 und in seinem Kommentar zur Politik des Aristoteles4 dargestellt. Viele seiner Äußerungen wurden von den damaligen stürmischen politischen Ereignissen geprägt. Daher lassen sich in seinen Reflexionen im Laufe der Jahre extreme Wandlungen feststellen. Da er in seinen Schriften über die politische Ordnung Worte wie „Souveränität“ oder „Staatsräson“ nicht verwendet, kann bei Melanchthon nicht im engeren Sinne von einer Staatslehre gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich um die Aufzählung und Definition von Pflichten und Rechten der Fürsten. Deswegen ist es eher angebracht, bei Melanchthon von einer „Obrigkeitslehre“ wie auch von einer Definition des ordo politicus zu reden, bei der er sich mit der Form der weltlichen Ordnung auseinandergesetzt hat. Wie bei seiner Naturrechtslehre finden seine Rechtsauffassung und sein Verständnis der weltlichen Ordnung ihren Ursprung im biblischen bzw. göttlichen Recht. Melanchthons Ansichten unterscheiden sich von der mosaischen Staatsauffassung der radikalen Reformatoren dadurch, dass er das Evangelium nur als persönliche iustitia spirituale und nicht als einen Korpus von Regeln versteht, der das weltliche, bürgerliche Leben zu regieren hat. Für ihn sollen die Grundprinzipien des Dekalogs, als Ausdruck des Naturrechts, die Quelle der weltlichen, menschlichen Gesetze bilden, wobei die Verordnung solcher naturrechtlich geprägten, geltenden Gesetze nicht die Aufgabe der Geistlichen, sondern der weltlichen, politischen Obrigkeit ist. Deshalb werden die Reformatoren in der heutigen Geschichtsschreibung als Wegbereiter der Säkularisierung der politischen Macht betrachtet.5 Ihr Verständnis von der Rolle und den Pflichten der Obrigkeit kennt noch keine Trennung zwischen Moral und Recht. Die Definition der obrigkeitlichen Funktionen basiert daher bei Melanchthon auf ethisch-philosophischen Prinzipien. Die utilitaristische Funktion der obrigkeitlichen Macht und der weltlichen Ordnung in der Definition Melanchthons drückt sich bereits durch die Einführung der Begriffe „ordo“ und „ordo politicus“ in seinen Schriften aus. In seinen Schriften vor 1535 verwendet Melanchthon noch nicht den Begriff „ordo politicus“, sondern zunächst den des „ordo“.6 Erst nachdem die politischen und religiösen Unruhen im Reich eine gefährliche Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit des Landes geworden waren, suchte Melanchthon nach einer unbestreitbaren Legitimierung der weltlichen Gewalt gegenüber den theokratischen Reformforderungen. In 3 Briefe an Spalatin von April 1524, CR I, S. 655 f., am 10. April 1525, CR I, S. 731 f. und S. 732 ff. 4 „Commentarii in aliquot politicos libros Aristotelis“, CR XVI, S. 417 – 452. Auch wichtig für meine Untersuchungen: „Philosophiae moralis Epitome“ 1538 – 1540, CR XVI, S. 21 – 164. 5 Stolleis, Staat und Staatsräson, Heckel, Reformation (rechtsgeschichtlich), in: Evangelisches Staatslexikon, Spalte 2897 – 2931, Hubatsch, Wirkungen der deutschen Reformation bis 1555. 6 Siehe die Analyse der Begriffe „ordo“ und „ordo politicus“ von Huschke in: Melanchthons Lehre vom Ordo politicus, S. 61 ff.
12*
176
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
seinen damaligen Schriften bezeichnete er darum die Staatsgewalt erstmals ausdrücklich als die von Gott bestimmte Hüterin der weltlichen Ordnung. Aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit der Politika des Aristoteles ab 1530 sowie mit ciceronischen Schriften, übernahm er den Begriff ordo politicus, um die politische weltliche Ordnung als Teilbereich der Schöpfung zu erklären. Nachdem sich der erste Teil dieser Arbeit mit der Definition der Gesetze in Melanchthons Naturrechtslehre beschäftigte, widmet sich der zweite Teil dem konkreten Anwendungsbereich dieser ethisch-rechtsphilosophischen Lehre. Welche Form die weltliche Ordnung übernehmen und auf welchen Prinzipien sie beruhen sollte, beantwortete Melanchthon in seinen Schriften über den ordo politicus. Auf der Suche nach einer harmonischen Gesellschaftsordnung setzte er sich zunächst intensiv mit der Definition des ordo und des ordo politicus und vor allem mit dessen Trägern und deren Rollen auseinander.7 In weiteren Schriften beschäftigte sich Melanchthon mit den Hauptinstitutionen dieser Ordnung, von denen er hauptsächlich fünf Institutionen als Fundament der gesamten Ordnung anerkannte und präzisierte. Die beiden folgenden Kapitel über Melanchthons Verständnis von der weltlichen Ordnung gliedern sich nach diesem Schema.
7 Über die Pflichten der Fürsten: „Oratio de legibus“, CR XI, S. 908 – 916, „Oratio de dignitate doctrinae legum et iurisconsultorum“, CR XII, S. 19 – 27, bei Kisch, Rede 7, S. 241 – 250 und Rede 8, S. 251 – 259.
Drittes Kapitel
Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus In dem ersten Teil über die Definition der Gesetze und der Naturrechtslehre Melanchthons wurde festgestellt, dass er dem Menschen als Bürger bzw. als Gesetzgeber eine wichtige Rolle in der Bestimmung der weltlichen Gesetze verlieh. Auf der Basis der aus dem Dekalog stammenden, naturrechtlichen Prinzipien soll die weltliche Gesetzgebung, die mit den zeitlichen und örtlichen Bedürfnissen einer jeweiligen societas übereinstimmen muss, angepasst werden. Ohne „Stimme“ bleiben aber diese Gesetze „stumme Buchstaben“, deshalb brauchen sie eine passende institutionelle Anwendung. Die Abhängigkeit zwischen dem Inhalt der Gesetze und deren Verkündungsmittel, d. h. den staatlichen Gewalten, ergibt den naturrechtlichen Charakter der Institutionen in Melanchthons Definition der weltlichen Ordnung. Nicht nur die anzuwendenden Gesetze, sondern auch die weltlichen bzw. menschlichen Institutionen entstammen dem göttlichen Recht bzw. dem Naturrecht. Die Frage, inwieweit die weltlichen Institutionen, ebenso wie die Naturgesetze, vorgegeben und unabänderlich sind oder im Gegenteil den Bedürfnissen einer bestimmten Gesellschaft entsprechend angepasst werden können, führt ihn zu Überlegungen über die Natur des Menschen. Dieser lässt sich sowohl durch seine vernunftbezogene Selbstbestimmungsfähigkeit als auch, im Gegensatz hierzu, durch seine Stellung als dem Schicksal ausgeliefertes Wesen charakterisieren. Dieses philosophische Problem kann aber hier nicht näher betrachtet werden. Die Antwort Melanchthons auf die Frage, inwieweit die weltlichen Institutionen vorexistent sind, ob sie zugunsten der Situation des Menschen verbessert oder verändert werden können, kann im Zusammenhang mit seiner Definition des ordo politicus gegeben werden. Wie seine Naturrechtslehre ist Melanchthons Verständnis der gesellschaftlichen Ordnung durch die Synthese seiner humanistischen Philosophie und seines reformatorischen Glaubens gekennzeichnet. Wie Werner Elerts1 in seinen Untersuchungen der politischen Ethik Melanchthons zeigt, hat der Reformator in seiner Staatsterminologie und seinem societas-Begriff die antike Tradition übernommen und – wie in seiner Naturrechtslehre – sie mit den reformatorischen Grundprinzipien verbunden. Über die Rezeption der antiken Philosophen in der Entwicklung seines ordo-Begriffs finden wir als Hilfsmittel für unsere juristische Untersuchung eine umfangreiche philologische Literatur, in der hauptsächlich die Politik Aristoteles’ als Vorbild angegeben wird.2 1 Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons, S. 522 ff. und ders., Societas bei Melanchthon, siehe auch Weber, Grundlagen und Normen politischer Ethik bei Melanchthon über den Widerstand, Sohm, Die Soziallehren Melanchthons, S. 64 – 76, Joachimsen, Sozialethik des Luthertums.
178
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
A. Definition des ordo politicus bei Melanchthon Um Melanchthons Auffassung der weltlichen Ordnung, deren göttlichen Ursprung und seine Ansicht über die Rolle der Politik und die Aufgabe der obrigkeitlichen Gewalt zu verstehen, muss man sich zunächst mit der Definition bzw. mit den Definitionen des ordo politicus-Begriffs in seinen Schriften beschäftigen. Deswegen werden mit Hilfe der ausführlichen Darstellung des ordo-Konzepts bei Bernhard Huschke zunächst die verschiedenen Interpretationen des ordo politicus analysiert.3 Wie Huschkes Untersuchungen zeigen, verwendet Melanchthon den Begriff „ordo politicus“ statt „ordo“ im Jahre 1535 erstmals in seinen Schriften und danach immer häufiger. In den secunda aetas der Loci 1535 definiert Melanchthon die bestehende politische Ordnung als Teil der gesamten Ordnung und unterscheidet zwischen dem ordo politicus und dem usus politicus legis: Während der ordo politicus die gesetzlich verfassten Formen politischer Ordnung beinhaltet, wozu Verträge, Pakte, Gerichte, Gewalten und Strafen gehören,4 bedeutet der usus politicus legis hingegen allein die Anwendung des Gesetzes auf den politischen Bereich. Diese beiden Begriffe hat Melanchthon später oft auch als Synonyme verwendet. 1. In der declamatio de dignitate legum (1543)5 umfasst der ordo politicus alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Der ordo sei von Gott gestiftet und eingesetzt worden und habe als Endbestimmung die Erkenntnis Gottes durch die Gesellschaft, damit das Menschengeschlecht nicht untergehe.6 2. In den Enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis (1546)7 betrachtet Melanchthon in Übereinstimmung mit Aristoteles den Menschen als „zur Ordnung geschaffenes Wesen“8 und übernimmt von der antiken Philosophie die Definition der persönlichen Gerechtigkeit nach geometrisch proportionaler Gleichheit. Die iustitia particularis distributiva solle in Gesetzen fixiert werden, um die Gleichheit der Bürger vor dem Gericht zu sichern.9 Dabei schließe sie die Einrichtung verschiedener Rangstufen nicht aus, da diese für die Stabilität der Ordnung notwendig seien.10 Auch wenn viele gegen diese Naturordnung handelten, müsse sie als gött2 Huschke, Melanchthons Lehre vom ordo politicus, S. 18 ff., Ritter, Naturrecht bei Aristoteles, Wolf, Zur Frage des Naturrechts bei Thomas von Aquin und bei Luther. 3 Huschke, Melanchthons Lehre vom ordo politicus, S. 61 ff. 4 CR XXI, S. 398 f., S. 551, S. 554, MSA V, S. 97, S. 29 f. 5 CR XI, S. 630 – 636. 6 MSA III, S. 121, S. 26 ff. 7 „Enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis“ 1546, CR XVI, S. 277 – 416 (Bücher I und II, Wittenberg, 1529, Bücher III und V, Wittenberg, 1532 – 2. Aufl.: Bücher 1 – 3, 1546, Buch 5, 1560). 8 „Libri III“, CR XVI, S. 381. 9 CR XVI, S. 368. 10 CR XVI, S. 374 f.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
179
liche Stiftung respektiert werden.11 In dieser Schrift bezeichnet Melanchthon „Ordnung“ auch als das Verbot der Privatrache. Seine Betonung der Unabänderlichkeit der Ordnung und der Naturgesetze sowie sein „göttliches“ Verständnis des Zweckes der menschlichen Gemeinde lassen eine gewisse Abweichung von der Ethik Aristoteles erkennen. 3. Im Jahre 1550 bezeichnete er in den Deklamationen De legibus12 und De legum fontibus et causis13 unter dem Begriff ordo politicus sowohl die bestehende politische Ordnung als auch die Institutionen, d. h. die Ehe, die obrigkeitliche Gewalt, das Eigentumsrecht, das Vertragsrecht und das Strafrecht. Da die menschliche Vernunft (notitiae) nicht allein zu einer hinreichenden Erkenntnis des göttlichen Willens führt, hat Gott zum Heile des Menschen den ordo politicus eingesetzt, in dem die Naturgesetze verwirklicht werden sollen. In den beiden Reden wird vor allem der naturrechtliche Rahmen des ordo politicus betont. Der ordo politicus, der in der Oratio de legum causis auch als „vincula societatis“ bezeichnet wird, umfasst hier auch die Institutionen, deren Zahl aber nicht wirklich festgelegt ist. In dieser Rede wird die göttliche Abstammung der politischen Institutionen wie die der Gesetze deutlich formuliert. Daher wird die pädagogische Rolle der kirchlichen Lehre von der politischen Ordnung hervorgehoben. Zugleich werden sowohl staatliche Institutionen als auch weltliche Gesetze als Folge der menschlichen Fähigkeit zur Ordnung definiert. 4. In der Ethicae doctrinae elementorum (1550)14 betrachtet Melanchthon den ordo in drei Büchern. In dem ersten Buch fragt er nach dem Ziel menschlichen Handelns und unterscheidet zwischen dem obersten Ziel (Gott selber) und anderen untergeordneten Zielen wie Rangordnung und Weltordnung (ordo bonorum).15 In dem zweiten Buch übernimmt er den Gerechtigkeitsbegriff aus dem 5. Buch der Nikomachischen Ethik Aristoteles und plädiert weiter für die Anwendung der iustitia particularis distributiva. In dem letzten Buch erklärt er das Vorgehen gegen die Gesetze und die staatliche Ordnung als Todsünde und identifiziert anders als in seinen früheren Ausführungen den ordo mit den bestehenden Gesetzen.16 5. In der Confessio Saxonica (1551)17 wird die Begründung der politischen Ordnung hauptsächlich als eine göttliche Stiftung dargestellt. Die in diesem Bekenntnis erhaltene Definition des ordo politicus betont vor allem den notitiae- und CR XVI, S. 386 ff. CR XI, S. 908 – 916, bei Kisch, Rede Nr. 7, S. 241 – 250. 13 CR XI, S. 917 – 924, bei Kisch, Rede Nr. 9, S. 260 – 268. 14 „Ethicae doctrinae elementorum“, 1550, CR XVI, S. 165 – 276. 15 CR XVI, S. 170. 16 „Deus subiecit nos imperiis, et ut tueatur ordinem a se institutum, et iustitiam suam, punit contumaces ipse, sicut Paulus dicit (Rom. 13,5): Necesse est obedire propter conscientiam. Haec vox manifesta affirmat, peccatum mortale esse, contumaciter violare leges magistratuum. . .“, CR XVI, S. 230. 17 „Confessio doctrinae Saxonicarum ecclesiarum“ 1551, MSAVI, S. 80 – 167. 11 12
180
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
societas-Gedanken, und nur zum Schluss werden die Rechtsinstitutionen, wie z. B. das Vertragsrecht, angesprochen.18 6. In den Enarratio epistolae Pauli ad Romanos (1556)19 betont Melanchthon vor allem die Rolle der Obrigkeit: Jeder soll den von Gott eingesetzten Behörden gehorchen und diese als Diener Gottes ansehen. Der ordo politicus wird als „die auf das göttliche Gesetz bezogene, gesetzlich verfasste Grundstruktur der politischen Ordnung, zu der ein Grundriss von Institutionen gehört“, definiert.20 Die Sorgepflicht der Obrigkeit für Recht und Gesetz wird als Sorgepflicht für die Ausführung des Naturrechts interpretiert. 7. In den Disputationes (1558)21 sowie in dem Kolosserbrief-Kommentar (1559)22 erklärt Melanchthon, dass die Täufer sich nicht gegen einzelne Gesetze wenden würden, sondern gegen die gesamte politische Ordnung, die ihrer Meinung nach dem Evangelium grundsätzlich widerspricht, ohne sie weiter zu definieren.23 8. Auch im Jahre 1559 erläutert Melanchthon in dem Kapitel über die Schöpfungslehre in den Loci praecipui theologici,24 dass die menschliche Natur keine vorbestimmte Ordnung in sich berge, sondern dass diese erst entwickelt werden müsse. Infolge dessen steht weiter in dem Kapitel über das Gesetz, dass das göttliche Gesetz die „rechte Ordnung“ der menschlichen Handlungen fordere. Das gesamte Handeln habe sich ursprünglich auf das erste Gebot bezogen; jetzt aber erlebe man die Zerstörung dieser von Gott gestifteten Ordnung. Die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Ordnung sei aber erhalten geblieben, weil der Mensch von „göttlicher“ Natur aus ein soziales Wesen sei. Da er die politische Ordnung als Gottes Werk erkenne, sollte er sie lieben und aufrechterhalten. 25 In dem Kapitel „De magistratibus civilibus“ definiert Melanchthon das Moralgesetz als „die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft“, wobei die lex moralis derjenige Teil des Naturgesetzes ist, der das sittliche Verhalten der christlichen Bürger regelt. In diesem Kapitel benutzt Melanchthon den Begriff „ordo“ als Verbindung von Personen und Dingen, die der lex naturae entspricht, und in seinen Erläute18 „. . . ordo, qui est discrimen virtutum et viciorum, et consociatio hominum per legitima imperia et contractus miranda sapientia ordinatos“, MSAVI, S. 162, S. 11 ff. 19 „Enarratio epistolae Pauli ad Romanos“ 1556, CR XV, S. 797 – 1052. 20 „Est enim ordo ipse legis divinae notitia, et gradus eorum, qui regunt et reguntur, et leges latae vear autoritate magistratuum, coniugia, contractus, iudicia, poena, defensio, legitima militia, legitima tributa, disciplina in pace, studia doctrinarum et aliarum honestarum artium.“, CR XVI, S. 1011. Zitiert bei Huschke, Melanchthons Lehre vom ordo politicus, S. 92. 21 „Disputationes theologicae“, CR XII, S. 437 – 704. 22 „Enarratio epistolae Pauli ad colossenses“, 1559, CR XV, S. 1221 – 1282. 23 CR XII, S. 660. 24 „Loci communes, 3. aetas“ 1559, CR XV, S. 561 – 1106. 25 „. . . coniugium et politicum ordinem esse opera et beneficia Dei, sicut vices motuum et temporum et multos miros eventus consideraverunt in politiis, unde ratiocinati sunt Deo curae esse genus humanum“, MSA II, S. 303,28 ff.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
181
rungen spiegelt sich die doppelte Natur des Begriffes einerseits als Teil des ewigen Naturgesetzes und andererseits als konkrete weltliche Ordnung der menschlichen Institutionen wider.26 9. Nirgends als in den Prolegomena in Officia Ciceronis (1562)27 lässt sich bei Melanchthon eine Identifikation des ordo politicus mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen deutlicher beobachten. Die Obrigkeit wird als „Dienerin der göttlichen Ordnung“ (minister ordinis divinis) definiert, und die göttliche Ordnung parallel zum ordo-Begriff Ciceros als die Ordnung der Eigentumsverhältnisse verstanden.28 Hinsichtlich dieser Verwendungsmöglichkeiten des Begriffs ordo politicus in Melanchthons Schriften erscheint jene im Römerbrief-Kommentar 1556 eine der umfangreichsten zu sein: „Est enim ordo ipse legis divinae notitia, et gradus eorum, qui regunt et reguntur, et leges latae vera autoritate magistratuum, coniugia, contractus, iudicia, poenae, defensio, legitima militia, legitima tributa, disciplina in pace, studia doctrinarum et aliarum honestarum artium.“29
Der ordo politicus umfasst hier sowohl eine religiöse Aufgabe als auch die Kenntnis der göttlichen Gesetze und ihre Anwendung im weltlichen Bereich durch die Verordnung der auf dem Naturrecht beruhenden geltenden Gesetze. Der Begriff bezieht sich ebenfalls auf den Respekt aller Menschen vor der gesellschaftlichen Hierarchie: Während einige die Aufgabe haben zu regieren, sollen die anderen ihre Stellung als Untertanen akzeptieren und dies als von Gott vorgegebene Rollenverteilung betrachten. Die politische Ordnung spiegelt sich auch in den weltlichen Gesetzen wider, die jeden Bereich des zwischenmenschlichen Lebens betreffen, beispielsweise: – das öffentliche Recht in den Vorschriften über die Stellung der Magistraten als Staatsdiener und Staatsführer; – die privatrechtlichen Bereiche in den Gesetzen über das Eherecht und das Vertragsrecht; 26 „Ordo est, inquit, videlicet series personarum et rerum, congruens ad regulam mentis divinae lucentem et in nobis iuxta Legem naturae, ut usitate vocamus.“, MSA II, S. 700, 29 ff. 27 „Prolegomena in Officia Ciceronis“ 1562 wurde nach dem Tode Melanchthons von Peucer herausgegeben, CR XVI, S. 529 – 614. 28 Trotz der engen Verbindung zwischen Obrigkeit und Eigentum in dieser Schrift unterstreicht Huschke, dass Melanchthon der Überzeugung war, dass „ein Ausgleich sozialer Ungerechtigkeit nur karitativ, nicht aber institutionell möglich ist“, Melanchthons Lehre vom ordo politicus, S. 103 f. 29 „Ordo ist die Kenntnis der göttlichen Gesetze, die Rangstufe von denjenigen, die regieren und regiert werden, und die Gesetze über das Ansehen der Magistraten, die Ehe, die Verträge, die Strafen, die Verteidigung, die gerechtmäßige Polizei, die gerechtmäßigen Steuern, die Zucht im Frieden, das Studium der Doktrin und alle anderen ehrenhaften Prinzipien“, CR XV, S. 1011.
182
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
– das Strafrecht in den Regelungen über das Strafverfahren, das Verteidigungsrecht und die Polizeiordnung; – das Steuerrecht; – die sittliche Ordnung; – den Frieden; – und zuletzt das Studium der Doktrinen, der Wissenschaften und aller anderen „ehrenhaften Prinzipien“.
Das Gesetz Gottes macht die Bewahrung der von ihm geschaffenen Ordnung zur Pflicht der Menschen. Der Begriff „usus politicus legis“ beinhaltet die spezielle Aufforderung, an der von Gott geschaffenen politischen Ordnung teilzunehmen und sie zu beschützen. Diese Aufgabe kann der Mensch nur dann erfüllen, wenn er Einsicht in die Ordnung (intellectus ordines) bekommen hat. Diese Definition ist die umfangreichste, da sie alle gesetzlichen Bereiche (private und öffentliche), die verschiedenen Teilnehmer des öffentlichen Lebens (die Regenten und Untertanen), das Ziel der Gesellschaft (der Friede in der Gesellschaft und im Lande), die christliche Lehre (die sittliche Ordnung und die Verbreitung der Bibel) und den Bereich der Ausbildung (christliche und wissenschaftliche) erwähnt. Auch wenn die „Kirche“ nicht ausdrücklich genannt wird, bedeutet dies nicht, dass sie nicht dazu gehört; an dieser Stelle wird sie aber lediglich angedeutet. In dieser Definition fehlt nur noch die Rollenverteilung unter den gesellschaftlichen Akteuren, die er aber in seinen späteren Schriften erläutert. Auch die Fragen, welche Stellung Melanchthon den Regierten gegeben hat, und ob er sie als Bürger oder als Untertanen verstanden hat, sind schwer zu beantworten. Melanchthon erwähnt zwar alle Institutionen, die einen Staat bilden, beschreibt aber nur die „Magistraten“, d. h. die Vertreter der weltlichen Gewalt. Ob Melanchthon ein eher modernes oder ein eher feudalistisches Verständnis des ordo hatte, bleibt deshalb noch ohne eindeutige Antwort. Ob es sich in seiner weltlichen Ordnung um einen „Staat“ als selbstständiges Wesen mit eigenen Kompetenzen im Sinne Machiavellis oder um die einzelnen Personen handelt, die er unter dem Begriff „Obrigkeit“ versteht, wird erst beantwortet, nachdem die Pflichten und Aufgaben der rivalisierenden Hauptakteure der politischen Ordnung erläutert werden.
B. Die Rollenverteilung zwischen Staat und Kirche30 Die Reformation hat aufgrund ihres neuen Verständnisses der staatlichen Aufgaben und ihres Ursprungs eine wesentliche Rolle beim Aufbau der Territorialstaaten, deren Verweltlichung und ihrer Unabhängigkeit der Kirche gegenüber gespielt. 30
Nürnberger, Kirche und weltliche Obrigkeit bei Melanchthon.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
183
Da der Staat seine Legitimation nicht mehr von dem Klerus, sondern unmittelbar von Gott bekam, verselbständigte sich der ordo politicus als eigener Stand und befreite sich dadurch von der Vormundschaft der kirchlichen Institution. Gleichzeitig bedeutete die deutliche Trennung zwischen Kirche und Staat in der frühen Neuzeit auch die Trennung der Kirche von dem politischen Bereich, und somit ihre Rückkehr zu einer rein christlichen Botschaft.31 Als ein von Gott gestifteter Grundriss von Institutionen, die der Mensch aufgrund seiner „Begabung zur Ordnung“ übernehmen und ausgestalten kann, setzte Melanchthons Lehre des ordo politicus eine reife Gesellschaft voraus, in der die Bereitschaft zur Erziehung zum politischen Handeln vorhanden war. Melanchthons Lehre des ordo politicus war seine eigene Schöpfung, wobei er verschiedene antike Traditionen mit den Präzepten des reformatorischen Glaubens verbunden hat. Er entwickelte sie als Schutz angesichts der damaligen Schwärmerei, dem Risiko der Konfessionsspaltung und den sozialen Unruhen, die die gesellschaftliche Ordnung ins absolute Chaos zu stürzen drohten. Die Instabilität, die er und seine Zeitgenossen erlebten, gab ihm immer wieder Anlass, die unbedingte Wahrung der Gesetze und der gesellschaftlichen Ordnung durch die Obrigkeit zu wiederholen. Als Anhänger von Aristoteles hatte Melanchthon am Anfang seiner Konfrontation mit der lutherischen Lehre die „Unentbehrlichkeit des Schwertes“ als eine von Natur aus fundamentale menschliche Institution abgelehnt.32 Nur als eine Notlage für die Gesellschaft erkannte er die weltliche Gewalt zunächst an. Durch die Wittenberger Unruhen im Winter 1520 / 21 wurde ihm klar, dass die fürstliche Hilfe für die Aufrechterhaltung der Kirche, ihrer Einheit und ihrer reinen Lehre absolut notwendig war. Sein Verständnis von der „Notlage“ wurde schon 1524 durch ein positives Urteil über die Obrigkeit ersetzt.33 Melanchthon war der Ansicht, dass ohne einen starken Herrscher, der als Diener Gottes gleichzeitig die Macht des Gesetzgebers und des Strafrichters auszuüben hatte, die gesellschaftliche Ruhe und der Frieden nicht aufrechterhalten werden könnte. In diesem Punkt zeigt seine Auffassung über die Rolle der Volkserziehung34 und über die absolute Macht der Obrigkeit Parallelen zu den Überlegungen von Machiavelli oder der Anhänger des Absolutismus. Im Gegensatz zu der machiavellischen Lehre, die den Staat als natürliche Machtorganisation ohne jede religiöse und sittliche Verpflichtung verstand, kennzeichnete sich die Trennung des Nürnberger, Kirche und weltliche Obrigkeit bei Melanchthon, S. 2. „Loci communes 1521“ und der Neudruck 1523. 33 Vgl. sein Gutachten an Philipp von Hessen 1524 „Epitome renovatae ecclesiasticae doctrinae“, CR I, S. 703 ff., in dem er die „iustitia humana“ auch als „paedagogica politica“, d. h. als verantwortlich für die Lehre der guten Sitte, betrachtet. 34 Maurer analysiert die Strenge des Humanisten dem ungebildeten Volk gegenüber als „den Mangel an Liebe, der sich hinter seiner pessimistischen Gegenwartsbetrachtung, seinem pädagogischen Drängen auf Zucht und Ordnung verbirgt“, in: Der junge Melanchthon, Bd. II, S. 459. 31 32
184
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
geistlichen und weltlichen Bereichs bei den Reformatoren als Folge ihres religiösen Verständnisses der reinen Kirche. Die ecclesia wurde dadurch von der Politik befreit. Folglich konnte die Verweltlichung der obrigkeitlichen Macht als eine Konsequenz der Vertiefung des christlichen Glaubens verstanden werden.35
I. Die neue Legitimation der weltlichen Macht Das im 16. Jahrhundert entstehende, neue Verhältnis der Kirche zu der obrigkeitlichen Macht beruht auf dem grundlegenden, im Evangelium offenbarten Prinzip, dass die weltliche Gewalt unmittelbar von Gott geschaffen wurde. Ihre Legitimation bekommt sie dennoch von der Heiligen Schrift selbst und dies bricht mit ihrer bislang selbstverständlichen Unterordnung gegenüber der Kirche. Im Gegensatz zu Machiavelli verstehen die Reformatoren unter dem Begriff der „weltlichen Macht“ nicht den Staat als eigengesetzliches Wesen von Macht und Recht, sondern die Obrigkeit als Dienerin Gottes, die die Person des Herrschers verkörpert.36 Infolgedessen ist es im Falle Melanchthons darum eher angebracht, von einer Obrigkeitslehre statt von einer Staatslehre zu sprechen. Für die Reformatoren handelt es sich nicht um ein selbständiges Wesen (lo stato), das über Macht und Recht verfügt, sondern um den persönlichen Auftrag Gottes an die Herrscher. Die immer wieder umformulierten und wiederholten Definitionen des ordo politicus sowie die häufig betonte Rolle der Obrigkeit erklären sich durch die religiösen und politischen Ereignisse seiner Zeit, die ihn zur Anpassung seiner theoretischen Lehre zwangen. Außerdem erklärt sich die Aufgeschlossenheit der Reformatoren gegenüber der obrigkeitlichen Macht durch ihre Überzeugung, dass der Aufbau der evangelischen Kirche bzw. die Errichtung einer neuen Kirchenordnung ohne die Unterstützung der weltlichen Macht nie erreicht werden könne. Im Zusammenhang mit der Widerstandsfrage beschäftigten sich die Reformatoren mit der Definition und Begrenzung des Rechts der Fürsten zur Kirchenreform.37 Das jede Art von Gewalt ablehnende sog. Recht zur Reformation wurde später – ganz im Gegensatz zu der anfänglichen Intention Melanchthons – als eine fürstliche Pflicht dargestellt.38 35 Stolleis, Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, Meisner, Staats- und Regierungsform, S. 323. 36 Nürnberger, Kirche und weltliche Obrigkeit und Lutz, „Ragione di stato“. 37 Gutachten an Friedrich den Weisen 1523 über die Frage „Ob ein Fürst seine Unterthanen wider des Kaisers oder anderer Fürsten Verfolgung um des Glaubens willen mit Krieg schützen möge.“, CR I, S. 600 ff. 38 In seinem Gutachten Januar 1537 spricht Melanchthon nicht mehr von einem Recht der Fürsten zur reformatorischen Lehre, sondern von der Pflicht der Obrigkeit im Dienste der Kirche („vera doctrina“). Dafür sollen sie gegen die falschen gottlosen Lehren einschreiten und bei der Verbreitung der richtigen helfen. Zu diesem Patronatsrecht gehört auch die Verwaltung der Kirchen- und Klostergüter zum Unterhalt der Pastoren, der Schulen und der Krankenhäuser; siehe CR III, 240: „Principes et Magistratus debere impios cultus tollere, et
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
185
Der entscheidende Faktor in der Entwicklung der Reformation u. a. in Sachsen war die Verbindung von Kirche und Landesfürstentum, die Kurfürst Johann in der Zeit zwischen 1525 bis 1532 als politisches Mittel benutzte. Unterstützt vom Landgraf Philipp von Hessen forderte Melanchthon auf dem Reichstag zu Speyer 1526 die staatsrechtliche Anerkennung der konfessionellen Selbstbestimmung für die territorialen Herrscher. Für Melanchthon stand als erste Priorität in dieser Diskussion die Erhaltung der pax publica, die nur mit der Feststellung der reinen Lehre zu erreichen war. In dem Gutachten, dass er Philipp von Hessen 1526 sandte, setzte er sich für die Verbreitung und vor allem für die Verteidigung der reinen Lehre gegen die falschen radikalen Forderungen ein.39 In seiner langen Antwort an den sächsischen Kurfürsten August I. (1559) über den „Unterschied des Kirchenampts und weltlicher Obrigkeit“40 zerstörte Melanchthon den Mythos der überlegenen Macht des Papsttums gegenüber der weltlichen Herrschaft. Papst Paulus IV. hatte 1556 weder die Abdankung Kaisers Karl V. noch das Erbe Ferdinands als römischer König im Reich anerkennen wollen. Er behauptete, dass der Kaiser seine Abdankungserklärung nicht an den Orden Germaniens, sondern an ihn, den Papst, richten sollte, der allein das Recht besaß, Kaiser zu krönen. Gleichsam konnte Ferdinand die Rechte und Würden eines Kaisers nicht erlangen, ohne dass der Papst sie ihm gäbe. Nachdem Ferdinand die Kurfürsten über die Verweigerung Papstes unterrichtet hatte, sandte der Kurfürst von Sachsen 27 Fragen an Melanchthon, über die er Antwort und Urteil verlangte. In seiner anhand von zehn Hauptfragen aufgebauten Antwort wiederholte Melanchthon die Prinzipien der Zwei-Reiche-Lehre und kritisierte in einem historischen Überblick die auf päpstlichen Lügen errichtete Vormundschaft der institutionellen Kirche gegenüber den weltlichen Herrschern.
II. Melanchthons Argumentation in seiner Schrift von 1559 Melanchthon leitet seine Schrift zunächst mit der Definition des Kirchenamtes als rein geistliche Aufgabe ein: Die Kirche soll das Evangelium predigen, die Sünder bestrafen, die Sakramente reichen, das Kirchengericht halten, die Schuldigen aus der Kirche ohne leibliche Gewalt, sondern mit dem Wort entfernen, die Bekehrten wieder aufnehmen und die Vergebung der Sünden verkündigen. Die weltliche Obrigkeit ihrerseits sei ein Amt, das säkulare Gesetze und Gerichte, Zucht und Friede erhalten solle. Zu diesem Zweck solle sie einerseits leibliche Strafe anwenden und andererseits von der Hilfe ihrer Untertanen Gebrauch machen. Diese beiden Ämter, Predigt und Schwert, seien deutlich zu unterscheiefficere ut in Ecclesiis vera doctrina tradatur et pii cultus proponantur“, vgl. CR II, S. 2 24 f., CR V, S. 129 und 257 sowie CR III, S. 289 f. 39 CR I, S. 819 f. 40 CR IX, S. 851 – 889.
186
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
den, würden aber beide von Gott stammen. Das Predigtamt, das entweder ohne Mittel als „vocatione prophetica“ oder durch Mittel als „in vocatione pastoris“ ausgeübt werden könne,41 wäre durch den göttlichen Befehl verordnet. Nun sollten sich aber die Bischöfe auf keinen Fall für Propheten halten und ausschließlich das tun, was ihnen befohlen wurde. Die weltliche Macht würde ihrerseits oft ohne göttliches Wort gegeben. Mittelbar verkündige Gott den Herrschern seine Unterstützung durch das „impetus heroicos“, das ihnen die Siege verschafft und die großen Frevel durch Krieg und Zerstörung bestraft.42 Genau wie bei der Gesetzgebung, für die das mosaische Recht nicht mehr gültig ist, solle das Regiment Israels für andere Königreiche kein Vorbild sein. Es wäre ausschließlich für das damalige Volk Israel geordnet und dann mit ihm zusammen zerstört worden, damit es nicht an andere vererbt werde. Im Gegenteil dazu verbietet das Neue Testament, ein weltliches Reich unter dem Schein des Evangeliums zu regieren. Deshalb würden Apostel, Bischöfe und Prediger kein Recht haben, weltliche Hoheit, Kaisertum, Königreich oder Fürstentum einzunehmen oder einzusetzen. Genauso verfüge der Papst aufgrund des göttlichen Rechts über keine Autorität, Kaiser oder König zu krönen oder abzusetzen. Die Clementina pastoralis sowie die Constitutio Bonifacii 43 nennt Melanchthon öffentliche Lügen, da sie verkündeten, dass der Papst solche Autorität aus Christi Befehl bekommen habe.44
1. Über die kaiserliche Würde Nach dieser allgemeinen Einleitung über die zwei Reiche betrachtet Melanchthon die erste kurfürstliche Frage: Wer hat die Gewalt weltliche Hoheit zu ordnen und einzusetzen und wie hat Karl I. die kaiserliche Würde erlangt?45 Für Melanchthon sind die alten Königreiche entweder erblich gewesen oder durch Krieg verändert worden, und der Sieg ist als Gottes Werk zu verstehen, der Tyrannen und Unzucht strafe. Ein zusätzliches Argument zugunsten des alten römischen RechtsCR IX, S. 855. CR IX, S. 855. 43 Bonifatius VIII. (geb. 1235; Papst 1294 – 1303) erklärte 1300, als er das Heilige Jahr (als Jubeljahr) in die katholische Kirche einführte, die Überlegenheit des Papstes über die Könige. Nach einem Kampf 1301 gegen den französischen König, Philipp den Schönen, der gegen die päpstliche Auffassung der absoluten theokratischen Macht die Auffassung des Naturrechts der Staaten entgegenstellte, erneuerte er mit der Bulle „Unam sanctam“ (18. 11. 1302) die Forderung nach dem Vorrang der geistlichen vor der weltlichen Macht. Nach dem Prozess von Bernard Saisset wiederholte Bonifatius die Rechte des Klerus in der Bulle „Ausculta, filii“. 1303 exkommunizierte er den König Frankreichs, der ein Konzil einberief und gleichzeitig Nogaret und Colonna nach Anagni sandte, um den Papst gewaltsam zu verhaften. Bonifatius wurde von den Einwohnern Anagnis befreit, starb aber kurz nachdem er nach Rom (11. Oktober 1303) zurückgekehrt war. 44 CR IX, S. 857. 45 CR IX, S. 858. 41 42
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
187
systems und der Staatsordnung ist für Melanchthon die Tatsache, dass der römische Senat, die Magistraten, Konsule und Praetoren 400 Jahre lang erhalten geblieben sind, was für ihn nicht nur als Beweis der Überlegenheit der römischen Institutionen, sondern auch als Zeichen der Zustimmung Gottes zu verstehen sei. Was die Succession betrifft, so war es zur Tradition geworden, dass der römische Kaiser selbst seinen Nachfolger wählte, oder im Falle des vacante imperio, dass der Rat und die vornehmsten Kriegsführer einen Herrscher wählten. Durch diesen Modus waren zwar auch Bürgerkriege und Unruhen entstanden, aber die Struktur des römischen Reichs wurde nicht zerstört. Auch nachdem das Reich sich aufgespalten hatte, war die Tradition in Konstantinopel erhalten geblieben. Die Succession erfolgte daher entweder erblich im Rahmen der Familien oder auf Grund der Wahl durch Senatoren und Fürsten. So wurde das Imperium Romanum insgesamt 600 Jahre ohne päpstliche Autorität aufrechterhalten. Auch die Bischöfe im römischen Reich hatten nie behauptet, die Kaiser einsetzen oder ersetzen zu können.46 Später erlangte Karl I. seine Kaiserwürde und seine Rechte durch Verträge mit den Kaisern zu Konstantinopel. Die Franken hatten seit langer Zeit schon Galliam und Germaniam durch Transaktionen als Territorien gewonnen, was Justinian gebilligt hatte. Dennoch erhalte Karl I. sein Land und seine Kaiserwürde nicht vom Papst, sondern unmittelbar von Gott, der ihm Gallien, Germanien und Italien übergebe. Der Papst hatte ihm also nur den Titel überreicht und diesen hatte er erst angenommen, als die Verteilung der Reiche mit Konstantinopel durch einen Vertrag geregelt war. Die spätere Kaiserkrönung sei nur als öffentliches Zeugnis und Verkündigung sowohl für das Volk als auch für die anderen Länder zu betrachten. Ebenso wie Lorenzo Valla 1440, der in seinem Pamphlet „Über die falsche Donatio Constantini“ von 863 die Legende widerlegt hatte, bezeichnet Melanchthon das Dokument im Decretum Gratiani, auf Grund dessen Kaiser Konstantin (geb. 270; Kaiser 288 – 337) dem Papst Sylvester I. den Besitz von Rom und Italien übertragen hätte, als Lüge.47 Die Geschichte der europäischen Kaiser zeige, so Melanchthon, dass die Päpste zu dieser Zeit nicht das Recht besaßen, die kaiserliche Würde beliebig nach ihren persönlichen Interessen zu übergeben. Außerdem war die Hoheit in den Händen der deutschen Kaiser geblieben, auch wenn die Krönung zeitweise vom Papst verhindert wurde.48 Für Melanchthon besteht kein Zweifel, dass einerseits die Kaiser des HeiCR IX, S. 860. CR IX, S .863. 48 Melanchthon unterstreicht seine Argumentation mit der Geschichte der ersten Kaiser Germaniens: Der erste Kaiser des Heiligen Reiches Otto I. (geb. 912; Kaiser 962 – 973) hat statt den Papst Johannes XII. Leonem VIII. wählen lassen. In den „Distictione“ (963) wurde verordnet, dass bei der Erwählung des Papstes die kaiserlichen Gesandten anwesend sein sollten, und dass er ohne die kaiserliche Confirmatio den päpstlichen Titel nicht bekommen könnte. 46 47
188
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
ligen Reiches ihre Hoheit rechtlich erlangt und erhalten hatten, und andererseits dass die Autorität des Papstes zur Kaiserkrönung nicht auf dem göttlichen Recht, sondern ausdrücklich auf einer kaiserlichen Anordnung beruhe.49 Gleichermaßen hätte der Kurfürst die Autorität inne, nicht allein einen deutschen Kaiser, sondern vielmehr einen Herrscher über Deutschland und Italien zu erwählen, der sodann die Regierung und den Schutz beider Länder übernähme, auch wenn die Krönung noch nicht vollzogen worden sei. Die kurfürstliche Ordnung sei nicht nur das Mittel, um den deutschen Kaiser zu wählen, sondern zugleich um Uneinigkeit in der kaiserlichen Succession zu verhindern. Der Papst habe keinerlei Gewalt, die kurfürstliche Ordnung nach seiner Willkür zu ändern oder den erwählten Kaiser zu verwerfen. Solch eine Entscheidung könne nur mit Bewilligung der Kurfürsten getroffen werden.50 Letzten Endes entspränge die Autorität des Papstes aus der des Kaisers und nicht umgekehrt. Seine Rolle beschränke sich auf die Verkündigung der Wahl und auf die Krönung des Kaisers. Er besäße weder ein göttliches noch ein weltliches Recht, diese Wahl zu bestätigen.51 Mit dieser Begrenzung der päpstlichen Macht leitet Melanchthon den dritten Teil seiner Antwort „Von angenommen übermäßigen Gewalt der Päpste“52 ein. Die päpstliche Behauptung, sie selbst hätte nach göttlichem Recht die Gewalt, kaiserliche oder königliche Hoheit einzunehmen, sei nichts anderes als eine Lüge, so Melanchthon. Da die beiden Ämter von Gott geschaffen wurden, werden die weltlichen Gesetze über die Herrschaft oder die Succession durch ihn gebilligt und erhalten. Nur ein großer Machtmissbrauch verursache Veränderungen bis zur Vernichtung der weltlichen Herrscher als Bestrafung. Allein um der Gerechtigkeit willen werden Königreiche verändert: „propter iniustitiam transferuntur regna.“53 49 „So viel nun der Papst Autorität hat zu Krönung und Verkündigung der Kaiser, hat er nicht durch göttlich Recht, sondern ausdrücklich durch diese Ordnung Kaiser Otto des Dritten“, CR IX, S. 868 f. Der für die römische Antike begeisterte Otto III. (geb. 983; Kaiser 996 – 1002) hatte die Stadt Rom zum Zentrum des Christentums und der kaiserlichen Weltherrschaft machen wollen und hatte deswegen seinen Regierungssitz dorthin verlegt. Er wurde aber gezwungen, vor den Volksunruhen zu fliehen und seine Pläne blieben unerfüllt. Die „Constitutio Ottonis tertii“ gab den Kurfürsten alle Gewalt, einen Kaiser zu wählen, wie es zuvor die Kaiser selbst gemacht hatten, die ihre Nachfolger ernannt hatten. Kraft dieser „Constitutio“, d. h. kraft „iure humano“ und nicht „iure divino“, sind die Bistümer Mainz, Köln und Trier Kurfürstentümer geworden, und der Papst als höchster Bischof hat das Amt bekommen, den Kaiser zu krönen. (Wiederholung Melanchthons, S. 874). 50 CR IX, S. 869. 51 Während eines römischen Schismas 1045, als drei „Antipäpste“ (Gregor VI., Benoit IX. und Sylvester III.) den Titel des Hauptes des Christentums verlangten, reiste der Kaiser Heinrich III. nach Rom, um sie mit den Synoden von Sutri und Rom 1046 abzusetzen und an ihrer Stelle den Papst Clemens II. (1046 – 1047) auszuwählen, der ihn später gekrönt hat. Der Kaiser erneuerte auch die alte „Constitutio“ Ottos I., nach der kein Papst ohne Einwilligung des Kaisers erwählt werden konnte, und dass bei der Wahl nur der Klerus sowie die „Legati“ des Kaisers anwesend zu sein hatten, aber nicht das Volk Roms, CR IX, S. 870. 52 CR IX, S. 870 ff. 53 CR IX, S. 870.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
189
Melanchthon definiert und begrenzt erneut die Macht des Papstes, die sich nur als Confirmatio, d. h. als Zeugnis der Einigkeit beider Potestaten des Christentums kennzeichnen lässt. Der Papst hat deshalb nicht die Macht, erstens einen anderen, als den von den Kurfürsten erwählten Kaiser zu krönen, zweitens diesen ohne Bewilligung des Kurfürstenrats zu verwerfen oder abzusetzen, drittens die kaiserliche Hoheit auf andere Könige und Länder zu übertragen, und viertens sich zu verhalten, als ob er dem Kaiser sein Land und das ius gladii gäbe, da dieser sie ausschließlich von den Kurfürsten empfängt. Seit der Zeit Karls I. und bis zur Regierung Heinrichs IV. haben die Kaiser ohne vorhergehende Wahl des Kapitels54 Bischöfe und Abaten55 eingesetzt. Nachdem aber einige Kaiser dieses Recht missbraucht und öfter die Prälaturen an unerfahrene Personen übergeben hatten, gaben die Päpste vor, die Kirchenregenten würden durch öffentliche Wahl der Kollegien bestimmt werden. So verlor einerseits die weltliche Gewalt die Macht, ohne die Kollegienwahl Bischöfe und Abaten zu ernennen, und andererseits gelang es dem Papst, die Bischöfe an sich zu binden. Dies nutzte er aus, um Heinrich IV. zu exkommunizieren und an seiner Stelle Kaiser Rudolf wählen zu lassen. Die Machtausübung der Päpste verstärkte sich mit der Zeit bis zur Tyrannei. Die zahlreichen Exkommunikationen sowie die Behauptung, dass der erwählte Kaiser keine Macht in Italien haben könnte, verursachten große Unruhen und führten zu zahlreichen Kriegen, die in der falschen iure divino-Legitimierung ihrer Taten zusätzliche Nahrung fanden. 2. Über das Amt des Papstes Die nächste Frage, mit der Melanchthon konfrontiert wird, lautet: „Ob und welcher Gestalt der Papst für einen Statthalter Christi, und also für das oberste Haupt der Christenheit zu halten [ist]“56 Es sei nicht iure divino, dass der römische Bischof der oberste Bischof des Abendlandes ist, sondern iure humano nach der Anordnung der Konzil von Nicaea.57 Sein Amt sei aber das gleiche wie das der anderen Bischöfe, d. h. ähnlich den berufenen Personen, wie Episkopen, Pastoren und Doktoren, als Diener Christi das Evangelium zu predigen. Auf die Frage, „ob es recht sei, dass der Papst keinen Oberherrn auf Erden erkennt“, antwortet Melanchthon, dass Bischöfe, Pastoren und Prediger alle Unter54 In dem katholischen Kirchenrecht bezeichnet das Kapitel das Kollegium von Priestern an einer Dom- oder Stiftskirche sowie die Versammlung der Klostergemeinde auf allen Ebenen. 55 Abate stammt aus dem Italienischen „Abt“ und bezeichnet den Titel der Weltgeistlichen in Italien und Spanien. 56 CR IX, S. 876. 57 Zwei Konzile fanden in Nicaea (Nikaia) statt: Das erste von 20. Mai bis 25. Juli 325 öffnete sich unter der Regentschaft des Kaisers Konstantins in Anwesenheit von 250 Bischöfen, um den kirchlichen Frieden nach den Unruhen des Arianismus wieder herzustellen. Das zweite ökumenische Konzil fand im Jahre 787 (24. Sept. bis zum 23. Okt.) statt und widerlegte die ikonoklastischen Entscheidungen des Jahres 754.
13 Deflers
190
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
tanen der weltlichen Obrigkeit seien.58 Um seine Ansicht zu erläutern, zitiert er die Kirchen und Schulen, die von den guten Regenten zum Besten der Kirchen und des Studiums gegeben worden sind, und die jedoch nicht durch iure divino entstehen. Maßgebend im Kirchenregiment sei ausschließlich Gottes Wort, das als Richter der Gewissen zu erkennen und zu akzeptieren sei. Seine Aufgabe läge daher darin, das Evangelium zu verkündigen und zu predigen.
3. Über die Wahl des Papstes Die dritte Frage betrifft das Problem, wer die Macht hat, einen Papst zu wählen oder einzusetzen. Die Organisation der Wahl in Rom und in allen Episkopaten durch die vornehmsten Personen der Kirche, die Prädikaten, die Regenten und den Ausschluss des Volkes sei auch in den decretis Synodi Nicaenae zu finden. Wegen Unruhen wurde später das Wahlkollegium verkleinert und nach Theodosius I. (11. 1. 347 geb., 379 – 395) sollten auch kaiserliche Statthalter bei der päpstlichen Wahl anwesend sein, wie es von Karl I. bis Heinrich III. Tradition gewesen war. Danach übernahmen die Kardinäle – ursprünglich Pastoren der Stadt Roms – die Wahl des Papstes, und später entstand der Senatus, der den Namen Cardinales behielt. 4. Über die Rangordnung der päpstlichen Macht „Ob der Papst den Vorzug für allen Potentaten habe“ bildet die vierte kurfürstliche Frage. Als oberster Bischof habe der Papst den Vorrang vor allen abendländischen Bischöfen, aber nicht die Macht, Königreiche zu geben oder zu übertragen, so Melanchthons Antwort. Deswegen habe er keinen Vorrang vor den Königen und Fürsten. Die zwei Reiche seien deutlich zu unterscheiden: Der Papst folge der Regel „tu supplex ora“, d. h. du sollst beten, und die Könige richteten sich nach dem Prinzip „tu protege“, d. h. du sollst regieren und schützen.59
5. Über die Berufung der Synoden Über die Frage „Was Gewalt der Papst in Religion und Glaubens Sachen habe“ hat sich Melanchthon schon mehrmals geäußert. In seiner Antwort hebt er erneut das Recht hervor sowohl für den Papst als auch für Kaiser, Könige und Fürsten, unabhängig von der Zustimmung der anderen, Synoden zu berufen. In Melanchthons Auffassung über die Kirche hat jeder ein Bestimmungsrecht, deswegen sollten die Synoden nicht ausschließlich durch die obersten Bischöfe berufen werden, sondern durch Fürsten, gelehrte Theologen und Christen, die zusätzlich das Recht 58 59
CR IX, S. 877. CR IX, S. 878.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
191
auf freie Meinungsäußerung (vox decisiva) besitzen. Aus dem allgemeinen Priestertum der frommen Christen wurde das ius reformandi der Landesherren beim Aufbau der Landeskirchen hergeleitet.60 Das Prinzip des praecipuum membrum ecclesiae im Melanchthons Kirchenbegriff bedeutet aber keineswegs eine demokratische, sondern vielmehr eine aristokratische Auffassung des allgemeinen Priestertums der Gläubigen, wie sie auch in seinem Kommentar zur Politik des Aristoteles zu finden ist. Die Aufgabe solcher Synoden bestehe nicht darin, schreibt er, neue Glaubensartikel zu verordnen, sondern die umstrittenen Interpretationen des Wort Gottes zu erläutern. Dies sei auch die Aufgabe der Konsistorien,61 die auf keinen Fall berechtigt seien, den Kaiser an der Ausübung seiner Macht zu hindern, sondern deren Auftrag es sei, als geistliche Juridiktionen62 die schlechten Christen zu exkommunizieren sowie ein beschränktes Recht auf Berufung der Synoden auszuüben. 6. Über die Gehorsamspflicht und Ungehorsamspflicht der Kirche gegenüber Weiterhin beschäftigt sich Melanchthon mit der Frage, „ob männiglich den päpstlichen Rechten und Constitution zu gehorsam schuldig sei und wie weit“63. Die Gehorsamspflicht ist für Melanchthon Gottes Gesetz, es solle aber nicht unbegrenzt gelten. Hier wiederholt er, dass der Gehorsam gegenüber Gott, der Kirche und der weltlichen Obrigkeit ein Befehl Gottes sei, solange „die Bischoff und Prediger Gottes Wort lehret, und nicht außer dem Befehl Gottes“.64 Im Falle der Verkündung einer falschen Lehre gilt im Gegensatz zu der Gehorsamspflicht die Regel 60 CR III, S. 244: „Principes et caeteri magistratus debent esse praecipua membra Ecclesiae“, weiter S. 251 und S. 472: „Cum Episcopi non faciunt suum officium, debent Imperatores et Reges convocare Synodos, sicut et Constantinus indixit aliquas Synodos, et quidem mandat, ut iis, qui nolunt venire in Synodum, adimantur Episcopatus“ sowie CR X, S. 701 ff. 61 Das „Consistorium“ war ursprünglich eine durch den Papst berufene Versammlung. Das römische Konsistorium übernahm ab dem XIII. Jahrhundert immer mehr Gewicht in der Regierung der Kirche und ersetzte allmählich die Synode. 62 Die Konsistorien waren zunächst als Kirchengerichte zur „Erhaltung rechter Zucht“, die mit Gottes Wort, mit der Ausschließung von Abendmahl und mit der Verbannung bestrafen sollten. Genau wie die Bischöfe hielt Melanchthon sie für eine notwendige Institution zur Aufrechterhaltung der Ordnung bzw. der christlichen Disziplin. Auch in diesem Bereich wurde der Pragmatismus Melanchthons oder sein Verlangen nach Ordnung, die ihn zu einer für die Lutheraner zu großen Kompromissbereitschaft den sogenannten „päpstlichen“ Machtinstrumenten gegenüber führten, sehr kritisiert: „Je in Kirchen müssen iudicia und Consistoria seyn, und diese sollen von der Lehr Befehl haben und rechte Ordnung in Prozeß halten, nicht allein aus ihrer Autorität sprechen, sondern mehr tüchtige Personnen zu sich ziehen und soll norma iudicii seyn der Propheten und Aposteln Schrift und Symbola, und nicht eigener Trutz, denn es soll die Kirche nicht eine Barbarey sein ohne ordentliche Gerichte“, CR IX, S. 619, 1558. 63 CR IX, S. 879 f. 64 CR IX, S. 879.
13*
192
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
„oportet Deo magis obedire quam hominibus“, wobei der Ungehorsam wiederum auch Pflicht wird. Daher ruft Melanchthon zum Ungehorsam gegenüber dem Papst und den Bischöfen auf, mit der Begründung, dass „sie falsche Lehre schützen“ und unter dem Deckmantel dieser Lehre unschuldige Menschen sterben lassen. Außerdem solle jedem Versuch eines Bischofs oder des Papstes, sich in weltliche Angelegenheiten einzumischen, ein gerechtfertigter Ungehorsam wegen der Überschreitung seines „göttlichen“ Amtes entgegengestellt werden. Zu dieser „falschen Lehre“ gehört nach Luthers Ansicht auch die Aufrechterhaltung der von den Katholiken eingeführten Adiaphora in der Ausübung des Glaubens. Als kompromissbereiter Reformator erklärt aber Melanchthon hier, dass die Anordnungen über die traditionellen Formen des katholischen Kults, die sogenannten Adiaphora (wie z. B. bestimmte religiöse Feste, Gesänge, Kultobjekte und Rituale), behalten werden könnten, solange sie mit Überzeugung befolgt würden. Da sie die Gerechtigkeit nicht verkörpern, sondern nur äußerlicher Ausdruck des Glaubens sind, sollten sie nicht den Anlass zu ewigen Streitigkeiten und Unruhen geben und könnten deshalb hinsichtlich der Aufrechterhaltung der guten Ordnung weitergeführt werden.
7. Über die Rolle der Obrigkeit als Beschützerin der neuen Glaubenslehre „Welche Gewalt die römischen Kaiser über die Kirche und Geistlichen gehabt und noch haben“ lautete die siebte Frage.65 Die Aufgaben der weltlichen Obrigkeit gegenüber ihren Untertanen werden hier kurz wiederholt. Betont wird die Rolle der Obrigkeit als öffentliches Ministerium des Evangeliums, als Amt höchsten Ansehens, dem der Schutz und die Anwendung der zehn Gebote aus Gottes Wort zugewiesen wurde. Die höchsten Regenten haben eine Vorbildfunktion zu erfüllen und sollten sich deshalb als Beschützer der Evangelien verhalten. In diesem Zusammenhang haben sie die Pflicht, Laien, Priester und Bischöfe zu bestrafen, die sich als Verbrecher gegen die weltliche Ordnung oder die kirchlichen Sitten erwiesen haben. Die damalige Verquickung von Zucht und Disziplin mit der strafrechtlichen Aufgabe der Obrigkeit kommt hier sehr deutlich zum Ausdruck.
8. Über die strafrechtliche Funktion der Kirche „Ob und welcher Maßen ein Papst einen römischen Kaiser oder weltliche Obrigkeit strafen möge“ lautet die achte Frage.66 Sollte der Papst von einem sträflichen Laster entweder in der kirchlichen Lehre oder in dem privaten und öffentlichen Leben eines Obersten erfahren, so müsste er diesen vor ein unparteiisches 65 66
CR IX, S. 880 ff. CR IX, S. 882 ff.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
193
Konsistorium zitieren, ihn verhören und zunächst versuchen, die Bekehrung der Person zu erreichen, ansonsten jedoch die kirchliche Jurisdiktion gegen ihn berufen. In den zahlreichen Prozessen gegen die Könige ging es hauptsächlich um Ehebruch. Sie wurden erst vor das Konsistorium zitiert und appellierten danach vor der Synode, die zu berufen ausschließlich sie und der Papst das Recht besaßen. Dass Gott allein der oberste Richter über die Synode sei, wurde von den christlichen Königen öfter als Argument genannt, um sich von dem päpstlichen Urteil zu befreien. Trotz verschiedener Missbräuche der Synode ist Melanchthon der Meinung, dass diese Regel weiter eingehalten werden sollte.
9. Über die strafrechtliche Funktion der Obrigkeit gegenüber der Kirche „Ob ein Papst eines Amtes entsetzt werden möge und durch welche“, dies ist die neunte Frage. Die positive Einstellung Melanchthons gegenüber der Funktion der Bestrafung sowie deren unentbehrliche Rolle in der Aufrechterhaltung der Ordnung wird hier erneut formuliert: Ohne Strafe, meint er, würden alle Päpste untugendhaft handeln. Die Aufgabe der Kirche sei also, die sittliche und geistliche Zucht durch Predigen zu bewahren, die der weltlichen Obrigkeit hingegen mit ordentlichen Prozessen die Verbrecher von der Öffentlichkeit zu trennen. In der Geschichte ist es nicht selten vorgekommen, dass Päpste wegen ihres schändlichen Lebens durch kaiserliche Entscheidung abgesetzt worden sind. Da die kirchliche Jurisdiktion die Aufgabe hat, die Ordnung in ihrem Inneren aufrecht zu erhalten, muss die weltliche Macht im Falle der Passivität der Kirche diese strafende Rolle übernehmen. Jede durch Verbreitung der falschen Lehre ausgeübte Gotteslästerung soll zunächst durch die Kirche bestraft werden. Wenn diese es jedoch unterlässt, muss die weltliche Obrigkeit in ihren Gebieten eine Synode vornehmster Personen berufen und die im Irrtum bleibenden Prediger absetzen. Als Schützerin der beiden Tafeln ist die Obrigkeit verpflichtet, die Blasphemie zu bestrafen. Ein christlicher Kaiser ist demnach verpflichtet, im Rahmen ordentlicher Prozesse die Päpste wegen öffentlicher Lästerung und Irrtum ihres Amtes zu entheben. 10. Über die Unterwerfung des Papstes durch die weltliche Macht „Ob ein Papst keines Menschen auf Erden gerichtszwang unterworfen sei“67 ist die Formulierung der letzten Frage, die Melanchthon in dieser späten Schrift beantwortet. Es sollten die Ämter und nicht die Personen betrachtet und differenziert werden. Der Papst sei in seiner Funktion keinem Gerichtszwang unterworfen, aber 67
CR IX, S. 885 ff.
194
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
sein Richter sei Gott. Wenn ein Papst ein Verbrechen begeht, sollte ihn das Kirchenamt entweder bestrafen oder exkommunizieren. Die Bestrafung dieser Übeltaten sei aber auch die Aufgabe der weltlichen Obrigkeit gegenüber dem geistlichen Stand. Wenn der Papst und mit ihm die gesamte Kirche eine falsche Lehre verbreiten sollte, droht auch ihnen die Exkommunikation. Der christliche Kaiser sollte eine Synode berufen, sich die Verteidigung des falschen Propheten anhören und ihn letzten Endes bestrafen. Viel Tyrannei komme aus der römischen Kirche, setzt Melanchthon fort, wie es der Fall bei Jan Hus,68 Hieronymus aus Prag,69 Johannes Wesalia,70 Drandorf,71 Wesselus von Gröningen72 u. v. a. war. Einer dieser Irrtümer, der durch den Papst verbreitet wurde, sei die Behauptung, er dürfe dem ius divinus zufolge die Kaiser nach seinem Willen sowohl einsetzen als auch absetzen: „Qui dixerit blasphemiam contra Spiritum sanctum, non remittetur ei.“73 Durch diese ausführliche Darstellung der begrenzten Rechte, die dem Papst bzw. der römischen Kirche als weltliche Institution gegenüber den weltlichen Herrschern und umgekehrt von Melanchthon zuerkannt werden, erläutert er mit Hilfe konkreter historischer Beispiele die Konsequenzen der Zwei-Reiche-Lehre für die geltende Machtausübung. Durch die Abgrenzung der kirchlichen Macht gegenüber der weltlichen Gewalt erlangen die weltlichen Herrscher eine verstärkte Legitimation ihrer Autonomie. Auch die Selbstständigkeit der Kurfürsten, was die Wahl des Kaisers betrifft, wird erneut betont, um jeden Einfluss des Papsttums auf die kaiserliche Würde noch einmal zu bestreiten. Diese Schrift beinhaltet jedoch keine Staatslehre im engen Sinne, weil hier keine konkreten Formen einer Staatsverfassung erläutert oder vorschlagen werden, die mit Melanchthons ethisch-philosophischen Prinzipien übereinstimmen würden. 68 Jan Hus (1369 – 1415) war böhmischer Anhänger der reformatorischen Ideen eines Wyclifs, revoltierte gegen die römische Hierarchie und forderte in seinen Predigten die Unabhängigkeit Böhmens. Nachdem er 1411 und 1412 exkommuniziert wurde, wurde er vor das Konzil zu Konstanz berufen, wohin er glaubte, mit einem kaiserlichen Schutzbrief, in Sicherheit gehen zu können. Der Kaiser ließ ihn aber verhaften und er wurde wegen Ketzerei zum Tode verurteilt. 69 „Die Päpste haben in 400 Jahren oft rechtgläubige Menschen verfolget vor und nach Johannes Huß, und Hieronymo de Praga“, CR IX, S. 887. Der religiöse Reformator aus Prag (1380 – 1416) wurde als Anhänger von J. Hus durch das Konzil von Konstanz wegen Ketzerei zum Tode verurteilt. 70 „Im Thmstift Mainz ist ein Präsicant gewesen, J. Wesalia, der gleich unser Lehr gepredigt, deß Schriften bei vielen noch zu finden, der ist in großem Alter in der Gefängniß gestorben“, CR IX, S. 887. 71 „Zu Spreyer ist ein Edelmann Drandorf aus dem Churfürstenthum Sachsen Lector im Stift gewesen, deß Schriften ich auch gesehen habe, die christlich und rein sind; der ist verbrannt worden“, CR IX, S. 887. 72 „Wesselus von Gröningen, sehr ein gelehrter Mann, deß Schriften in Druck ausgegangen sind, ist aus Paris verjagt worden. So ist die Verfolgung dieser Zeit vor Augen“, CR IX, S. 887. 73 CR IX, S. 887. „So jemand redet wider den Heiligen Geist, dem wird solche Sünde nicht vergeben werden.“
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
195
Die Frage einer angebrachten Staatsordnung beantwortet er dennoch in seinem Kommentar zur Politik Aristoteles, den er 1531 verfasste, in Zusammenhang mit der Frage der Politik:74 „Politica ars est continens generalia quaedam praecepta de ordinatione civitatis. Sicut architectonica ars est qua formae aedificiorum describuntur. Ita politica certam formam civitatis describit, disputat de rerum divisione, de connubiis, de magistratibus, de legibus, de populi officiis, de contractibus, de poenis.“75
C. Die Politik Die Auseinandersetzung mit Melanchthons Politikverständnis beginnt bereits mit der Analyse der verwendeten Begrifflichkeit. Seine Reflexion über die Rolle der Politik blieb nicht allein eine philologische Beschäftigung in der Form einer Kommentierung der politischen Schriften Aristoteles und Ciceros. Sie entwickelte sich eher im Zusammenhang mit seiner Naturrechtslehre, seinem Ordnungsgedanken und seiner theologischen Überzeugung und konzentrierte sich entweder auf den sozialen Aspekt der politiae oder auf die Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung, die sich mit Hilfe der Policey und der moralisch-ethischen Ausbildung sowohl der Herrscher76 als auch der Untertanen aufrecht erhalten konnte. Sein Verständnis der Politik wird deshalb in der Melanchthonforschung durch eine vielfältige Auswahl von Begriffen („Soziallehren“, 77 „Polizeiordnung“,78 „politische Ethik“79 und „Ordo-Lehre“80) gekennzeichnet, die die verschiedenen Aspekte seiner politischen Überlegungen widerspiegeln. Der humanistischen Tradition entsprechend sind bei ihm, wie bei den meisten Gelehrten seiner Zeit, die Diskurse über Astrologie, Naturwissenschaften und Ordnung der Natur, über Politik und Ordnung der Gesellschaft, über Ethik und Ordnung der Sitten unlösbar miteinander verflochten, und alle dienen dem Zweck der Religion. Dies macht eine Differenzierung zwischen den „sozialen“, „polizeilichen“, „politischen“, „ethischen“ und „staatsrechtlichen“ Themen unmöglich.
CR XVI, S. 417 – 452. „Die politische Wissenschaft handelt von gewissen allgemeinen Vorschriften über die Einrichtung des Staates. So wie die Architektur eine Wissenschaft ist, die die Formen der Gebäude beschreibt, so beschreibt die Politik eine bestimmte Form des Staates, handelt von Verteilung der Güter, Ehen, Behörden, Gesetzen, Pflichten des Volkes, Verträgen und Strafen“, Übersetzung bei Weber, Grundlagen und Normen politischer Ethik, S. 8 f. 76 Über die Rolle der Fürstenspiegel vom Mittelalter bis 16. Jh., siehe Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters. 77 Sohm, Die Soziallehren Melanchthons, S. 54 – 76. 78 Mayer, Die Strafrechtstheorie bei Luther und Melanchthon, S. 77 – 105. 79 Weber, Grundlagen und Normen politischer Ethik bei Melanchthon. 80 Huschke, Melanchthons Lehre vom ordo politicus. 74 75
196
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
I. Begründung der Autonomie der gesellschaftlichen Ordnung Die Grundlage Melanchthons Weltverständnisses liegt in der Überzeugung, dass die bestehende gesellschaftliche Ordnung das Spiegelbild einer gottgewollten kosmischen Gesamtordnung, die mit der biblischen Offenbarung von den Menschen als weiterer Beweis der Existenz Gottes anzusehen sei. Genau wie die Naturgesetze, die der Mensch dank seiner angeborenen noticiae naturales erkennen kann, seien die Bewegungen der Planeten, die Geographie sowie die Arithmetik, als „Ordnung der Zahlen“, „Spuren Gottes“.81 Deshalb soll auch die weltliche Ordnung weitergeführt, beschützt und respektiert werden. Dieses Ziel definiert Melanchthon als die Pflicht der Landesherren, ja sogar als göttlichen Auftrag. Die Daseinsberechtigung der Obrigkeit basiert darauf, dass sie das Evangelium durch die Kirche verkünden lässt, die Verbreitung der christlichen Lehre durch die Schule garantiert und den Frieden durch die Anwendung einer festgeschriebenen Gesetzgebung sichert. Um diese Ziele zu erreichen, hat die Obrigkeit als Hüterin der weltlichen Ordnung die Pflicht, Recht zu sprechen, sich um die religiöse Erziehung der Bürger zu kümmern und die Verstöße gegen die Sittengesetze und die kirchliche Ordnung zu bestrafen. Dies hat Melanchthon in seinen Reden De legibus (1550)82 und De dignitate legum et iurisconsultorum (1553)83 ausgeführt. Die enge Verbindung von „richtiger“ Lehre mit dem Begriff des öffentlichen Friedens, die bei Melanchthon besonders häufig hervortritt, hat den Weg für das landesherrliche Kirchenregiment vorbereitet, da die Reformatoren im Gegensatz zu Calvin es nicht gewagt haben, eine evangelische Kirche unabhängig von der Obrigkeit zu organisieren.
1. Naturrechtliche Legitimation der weltlichen Macht bei Melanchthon Als religiös überzeugter Pädagoge betrachtet Melanchthon die Gesellschaft als Schule, in der die Kenntnis Gottes die Grundlage aller Rechte und Pflichten im privaten und öffentlichen Zusammenleben in rein rechtlichem Sinne bilde. Diese Aussage scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu seiner deutlichen Trennung zwischen Evangelium und Gesetz – dem Kern seiner Theologie – zu stehen. Dennoch offenbart sich genau in diesem Gedanken der Unterschied zwischen der theokratischen Einstellung der Schwärmer und der Zwei-Reiche-Lehre Melanchthons oder der Zwei-Regimente-Lehre Luthers: Die Obrigkeit soll christlich sein, aber ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, die Ordnung der weltlichen Gesell81 Cf. „De dignitate legum oratio“, CR XI, S. 362: „Haec noticiae sunt imago Dei, et magis regunt vitam, quam aliae noticiae seu ideae artium“, siehe Bauer, Die göttliche Ordnung in der Natur und Gesellschaft, S. 217 – 230. 82 CR XI, S. 908 – 916. 83 CR XII, S. 19 – 27.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
197
schaft zu bewahren und nicht die Seele der Menschen zu leiten. Weiterhin soll sie mit ihrer Gesetzgebung den weltlichen Bedürfnissen einer bestimmten Gemeinde und deren geographischen, historischen, sittlichen und religiösen Besonderheiten entsprechen. Deswegen stellt das Evangelium bzw. das mosaische Recht auf keinen Fall eine passende Gesetzgebung für die zeitgenössische Gesellschaft dar. Die Notwendigkeit einer in Übereinstimmung mit den christlichen Prinzipien stehenden Gesetzgebung hat in Melanchthons Weltauffassung eine naturrechtliche, aber niemals theokratische Basis.84 Die politische Ordnung sowie die Institution der Ehe seien von Gott eingesetzt und geschützt worden und sollten als Gesetze betrachtet werden, die mit der natürlichen Vernunft übereinstimmen und die Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens bilden. Seine Kritik an den radikalen Reformatoren drückt sich auch durch den Vorwurf aus, sie würden keine Ordnung anerkennen. Im Gegensatz zu deren Behauptungen lässt sich in der Bibel (Röm. 13, 1 – 7) die ausdrückliche Legitimation der Gründung sowie der Aufrechterhaltung einer staatlichen Ordnung finden. Seit 1525 wiederholte Melanchthon in fast all seinen Reden die absolute Notwendigkeit einer obrigkeitlichen Macht und deren Rechtmäßigkeit. Die Verquickung der weltlichen und der naturrechtlichen Grundgedanken in Melanchthons Verständnis des ordo erklärt die Diversität der Begrifflichkeit, die man in diesem sogenannten „politischen“ oder „staatsrechtlichen“ Bereich der Melanchthonforschung findet. Einen weiteren Beweis dafür bietet sein Kommentar zur Politik Aristoteles von 1531.85 Von den acht Büchern der Politika behandelt er nur die drei ersten, wobei er sie eher interpretiert als kommentiert.
2. Machiavellis gegensätzliche Begründung der Autonomie des Staates Im Vergleich zu Melanchthon liegt die Argumentationslinie bei Machiavelli, der sich auch von der Politik Aristoteles hat inspirieren lassen, offensichtlich ganz anders: Der italienische Ausleger der Staatsräson – eines der frühen Grundelemente sowohl seines Hauptwerks Il Principe (1513) als auch des modernen Staatsdenkens – konzentrierte seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf das fünfte Buch der Politik, d. h. auf die Staatsverfassungen, deren rechtphilosophische Grundlagen und Veränderungen. Er benutzt aber diese ursprünglichen Gedanken nur, um sich im 84 Siehe Melanchthons Kommentar zu der Politik Aristoteles’, CR XVI, S. 417 und Übersetzung von Weber, Grundlagen und Normen politischer Ethik, S. 8: „Sondern so wie es wünschenswert ist, dass ein Arzt fromm sei, genau so ist es auch wünschenswert, dass jemand, der ein Staatswesen leitet, fromm sei. Die Wissenschaften selbst haben nichts zu tun mit dem Evangelium.“ 85 CR XVI, S. 417 – 452.
198
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Zusammenhang mit seinen Zentralkategorien „necessità“, „fortuna“ und „virtù“ ausschließlich um den Erwerb der Macht zu kümmern.86 Bis zum Ende des Mittelalters setzte die religiöse Einheit der „republica christiana“ den Maßstab und die Grenzen des politischen Handelns. Die neue machiavellische Maxime, die „Handle der Staatsräson gemäß“ lautete, legitimierte die Autonomie des politischen Bereiches der Religion gegenüber. Deswegen wurde er grundsätzlich als „teuflischer Autor“ verurteilt. In Gegensatz zu Machiavelli gehörte Melanchthon noch lange zu dem Kreis derjenigen, die treu an eine mögliche Rettung der christlichen Einheit durch Karl V. glaubten.87 Deshalb kämpfte er für die Gehorsamspflicht und gegen alle Formen des Widerstandsrechts. Bis zum Augsburger Reichstag betrachtete er die Städte als Hauptvertreter des Widerstands gegen den Kaiser und rückte deshalb immer mehr an die Seite der Fürsten. Obwohl sich schon 1530 seine Meinung über die Städte völlig geändert hatte, bewahrte er für den Kaiser und das damalige Reich seine Loyalität, die – mehr als aus einer politischen Meinung – aus einer Art romantischer Einstellung zur kaiserlichen Geschichte entsprang. Sein humanistisch geprägter Nationalstolz drückt sich vor allem in seinen Geschichtsbüchern deutlich aus und erklärt auch seine immer wieder aufkeimende Hoffnung, dass Karl V. das deutsche Reich zu alter Größe aufbauen könne.88 Weit von der Machtfixierung von Machiavelli entfernt, erklärt sich die Bedeutung der Obrigkeit bei Melanchthon durch seine feste religiöse Überzeugung, dass staatliche Gemeinschaft und obrigkeitliche Gewalt göttliche Stiftungen seien. Die weltliche Ordnung mit ihrer Hierarchie zwischen Machthabern und Untertanen sei genauso wie die Naturgesetze in der menschlichen Natur eingepflanzt. Die naturrechtliche Begründung der Obrigkeit bei Melanchthon erläutert auch sein Verständnis der Institution der Ehe.89 Zusammen mit der Familie sei diese das erste und einfachste Gebilde menschlicher Gemeinschaft, deren göttliche Existenz durch das 4. und 6. Gebot bezeugt wird.90 An die Stelle der privaten Familienstruktur tritt im öffentlichen Bereich die Obrigkeit, deren Legitimation ebenfalls auf der göttlichen Ordnung beruht.
86 Mayer-Maly, „Necessitas constituit ius“, S. 177 – 199, ders., Topik der necessitas, S. 477 – 486, ders., Gemeinwohl und Necessitas, S. 135 – 145, Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten, S. 450 – 520, Münkler, Macchiavelli, Pichler, Necessitas, Sasso, Niccolò Machiavelli. 87 Elinger, Philipp Melanchthon, S. 588 f. 88 Elinger, Philipp Melanchthon, S. 588. 89 „De coniugio“, CR XXI, S. 1051 – 1076. 90 Siehe im zweiten Kapitel.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
199
II. Melanchthons Kommentar zu der Politik des Aristoteles (1531) Die Verbindung zwischen Politik und Religion beweist auch Melanchthons Kommentar zu der Politik des Aristoteles, in dessen Einleitung er sowohl die Aufnahme biblischer Sätze in die geltende Rechtsprechung verurteilt, als auch die durch die Evangelien anerkannte Notwendigkeit einer politischen Ordnung betont.91 Durch die These des göttlichen Ursprungs der politischen Ordnung legitimiert Melanchthon erneut die Selbständigkeit der Obrigkeit der kirchlichen Institution gegenüber.92 Die überlegene unantastbare Autorität der in Übereinstimmung mit der Vernunft stehenden Gesetze begründet das Verbot von Gesetzesänderungen. Melanchthon zielt damit insbesondere auf diejenigen Änderungen ab, die unter religiösem Vorwand vorgenommen werden, wie es die radikalen Reformatoren in ihren Thesen verlangten.93 Die Überlegenheit der römischen Gesetze wird in diesem Zusammenhang wiederholt.94 Obwohl Sokrates, Platon, Demosthenes u. a. in diesem Absatz mehrfach zitiert werden, wird das Wort „Evangelium“ viel häufiger verwendet, was in einem Kommentar zu einem politischen Buch eines antiken Autors nicht unbedingt zu erwarten ist. Die Besonderheit Melanchthons, d. h. diese oft betonte Verbindung zwischen seiner humanistischen Ausbildung und seiner religiösen Überzeugung, findet hier einen weiteren Ausdruck. Von Cicero übernimmt Melanchthon z. B. die Idee des natürlichen Lichts, das den Menschen in der Form ihrer Grundvorstellungen 91 „Quare prodest adversus hanc impietatem bene munitum esse, et recte tenere discrimen Evangelii et politices, ac scire quod Evangelium ad cordis iustitiam pertineat, non pertineat ad civilem statum. Imo approbet omnes formas rerumpublicarum, modo sint consentaneae rationi, sicut approbat architectonicam, aut medicinam rationi consentaneam.“ und weiter „Nos igitur diligenter observemus maximum intervallum inter Evangelium et politicam esse. Et politias omnes approbari ab Evangelio, si cum ratione consentiant“, CR XVI, S. 419 f. und weiter unter dem Titel „Quod Evangelium approbet politicas ordinationes“: „Evangelium tradit iustitiam spiritualem et aeternam, quae paucorum est, interea opus est mundo ad cohercendos impios tanquam carcere alia quadam doctrina, videlicet politica. Ut autem approbat Evangelium alias artes vitae necessarias, ut agriculturam, architectonicam: ita etiam approbat leges et politicas ordinationes retioni consentientes“, S. 421. 92 „Deinde subditi maiore religione parebunt tanquam Dei vicariis, quia sentient magistratus et politicam ordinationem perinde ad vitae utilitatem a Deo conditam esse ( . . . )“, „Nunc defendit Deus politias, et vindicta quam magistratus exercet, vere est opus Dei“, „Est igitur bona res politica ordinatio, sicut et Paulus docet Rom. 13 (1.2.4.6.)“, CR XVI, S. 422. 93 „Vetat enim privatos homines praetextu Evangelii publicas leges mutare et imperia invadere. Habent exemplum Christi, habent Apostolorum, qui non aboleverunt Romanas leges, non attigerunt politica, tantum Dei privatim sparserunt in pios“, CR XVI, S. 421. 94 „Verum est enim illud Platonis, veteres leges mutare, perinde esse ac hydrae capita praecidere. ( . . . ) sic unius legis mutatio ruinam trahit omnium. Qua ex re necesse est infinitos motus existere: quare omnes magni viri et periti reipublicae regendae clamitant, omnem legum mutationem prohibendam esse, quantumvis habeant incommodi, quia semper mutatio reipublicae plus affert mali“, CR XVI, S. 420.
200
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
(notitiae) gegeben wurde und ihnen die Erkenntnis ermöglicht.95 Diesem natürlichen Licht weist er allerdings einen christlichen Ursprung zu. Auf dieselbe Art und Weise verschmelzen im Bereich der Ethik die natürlichen Sittengesetze mit dem Dekalog. Die Verquickung seines Humanismus mit der reformatorischen Grundidee, dass alles religiöse Leben eine rein innerliche Sache sei, ermöglichte ihm, zunächst die heidnische Philosophie als Hilfsmittel zu benutzen und das römische Recht zu loben. Außerdem ordnete er der bürgerlichen Ordnung, der Arbeit und dem weltlichen Leben einen neuen und vor allem größeren Wert als Luther zu.96 Die Ehe und die Familie bilden für beide die ersten natürlichen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens (prima societas).97 1. Form und Zweck der gesellschaftlichen Ordnung a) Die Familie So wie Aristoteles behandelt Melanchthon in seinem Kommentar zu der Politik (1531) zunächst das Wesen staatlicher Gemeinschaft bzw. deren Existenzberechtigung. Für beide entstammt jede Gesellschaftsform (societas) aus der Natur des Menschen, aber für Melanchthon ist das ius naturale auch als ius divinum zu verstehen.98 Von der durch den Reformator gelobten methodischen Darstellung des Aristoteles übernimmt Melanchthon zwei Grundsätze, auf deren Basis die weiteren Erläuterungen Aristoteles aufgebaut sind: erstens, dass der Mensch von Natur aus für das gesellschaftliche Leben bestimmt sei, und zweitens, dass die erste Gesellschaftsform die gesetzliche Ehe zwischen Mann und Frau sei.99 Diese beiden Grundsätze führen zu zwei weiteren Hauptprinzipien: Einerseits, dass aus der ursprünglichen Gesellschaftsform das Haus entsteht, in dem Eltern, Kinder und Diener (oder SklaDilthey, Das natürliche System der Geisteswissenschaften, S. 240 ff. Sohm, Die Soziallehren Melanchthons, S. 64 – 76, insb. S. 69 f. 97 „Omnes igitur sententiae de civili societate, quae bona et firma consequentia collinguntur ex natura, pro divinis legibus erunt habendae atque colendae. ( . . . ) Ut enim oculis divinitus mirabile quoddam lumen donatum est ad videndum, ita ratio divinis habet lumen quoddam ad iudicandas res ad corporalem vitam necessarias“, CR XVI, S. Die Ehe und die Familie bilden für beide die ersten natürlichen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens (prima societas). 98 „Est igitur locus est in hoc libro de causis societatis. Est itaque initium societatis coniunctio maris et foeminae. Inde tanquam coloniam ex familiis, civitatem deducit. Deinde colligit rationes, quod homo natura ad societatem ducatur, non tantum utilitatis gratia“, CR XVI, S. 422 f. Bei Aristoteles: „Man muss also vorerst die vereinigen, die ohne einander nicht existieren können, wie etwa zum einem das Weibliche und das Männliche um der Fortpflanzung willen – und das nicht zufolge einer freien Entscheidung, sondern wie das sowohl bei den anderen Tieren als auch bei den Pflanzen als Trieb naturgegeben ist. . .“, in der Politik, Übersetzung von Schwarz, S. 76. 99 „Homo est ad societatem natura conditus. Prima societas est legitima coniunctio maris et foeminae. Nunc attexit alia principia. . . .“, CR XVI, S. 423. 95 96
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
201
ven bei Aristoteles) zusammenleben; andererseits, dass es in einer Gesellschaft von vielen Menschen notwendig sei, dass die einen regieren und die anderen gehorchen.100 Diese Verteilung der Rollen sei eine von Gott als unveränderlich gegebene Ordnung, die jeder mit Geduld und auch mit Leid zu akzeptieren habe. Dieses fundamentale Prinzip der unveränderlichen Gesellschaftsordnung findet in allen Bereichen des zwischenmenschlichen Lebens seinen Ausdruck. Es bildet in der Tat den ethischen Grundgedanken der Reformation: im Wirtschaftsleben unter den ökonomischen Kräften, in der Politik in der Beziehung zwischen Obrigkeit und Untertanen, in der Rechtsprechung zwischen Magistraten und Verdächtigten, in der Familie zwischen Eltern und Kindern, in der Ehe zwischen Mann und Frau, im Schulwesen zwischen Lehrenden und Lernenden und in der Kirche zwischen dem Pastor und seiner Gemeinde. In allen Gesellschaftsbereichen bekommt der Mitbürger oder das Mitglied der christlichen Gemeinde eine bestimmte Rolle, einen bestimmten Platz und bestimmte Rechte und Pflichten zugewiesen. So lange diese gesellschaftliche Ordnung mit den naturrechtlichen Prinzipien übereinstimme, solle sich ihr keiner widersetzen, da jede Abweichung von dieser Ordnung zu Unruhen, Krieg und weiteren Gottesbestrafungen führen würde. b) Die Ablehnung der Sklaverei Die Sklaverei, die in Aristoteles Staatsverfassung als ein von Natur aus selbstverständlicher Stand bestimmter Gesellschaftsmitglieder angesehen wird, erkennt Melanchthon nicht an. Im aristotelischen Sinne bezeichnet „servitus“ denjenigen, dessen Verstand „imbecillitatem“ ist und der deswegen von den Befehlen anderer geleitet werden muss.101 Für Melanchthon gibt es aber nur eine Befehlsform, die 100 „Ex prima societate domus oritur, in qua sunt parentes, liberi, servi. In societate multorum necesse est alios preaesse, alios parere“, CR XVI, S. 423. 101 „Hic disputari solet, quare Aristoteles dicat quosdam nasci servos, cum iurisconsulti doceant servitutem naturae contrariam esse, et iure naturali omnes homines ab initio liberos esse natos. Hoc sic explicandum est. Aristoteles de causa eius servitutis loquitur, quam sic vocant iurisconsulti. Irurisconsulti autem de effectu loquuntur, seu de certa forma servitutis. Servitus apud Aristotelem significat imbecillitatem ingenii, cui opus sit regi alieno consilio. Apud iurisconsultos significat certam formam, qua victor continet victos. Et quidem litigat Aristoteles cum his qui sentiunt hanc servitutem naturae contrariam esse. ( . . . ) Illa vox: Honora patrem et matrem, subiicit omnes homines servituti. Cum autem et illa sententia sit in natura scripta, sentiendum est vere causas servitutis in natura positas esse. Recte igitur reprehendit Aristoteles illos, qui immoderata et iniusta cupiditate libertatis accusant, et ut ipsius verbis utar, formam servitutis iure gentium receptam“, CR XVI, S. 426. Bei Aristoteles: „Das Lebewesen besteht zunächst einmal aus Seele und Körper, davon ist von Natur aus das eine das Herrschende, das andere aber das Beherrschte. ( . . . ) Denn bei Menschen, die schlecht sind oder sich in einem schlechten Zustand befinden, scheint wohl des öfteren der Körper über die Seele zu herrschen, weil sie sich in einem schlechten Zustand befinden und sich wider die Natur verhalten. Man kann demnach,. . . zunächst beim Lebewesen die zwingherrschaftliche und die staatsbezogene Herrschaft beobachten. Denn die Seele übt über den Körper eine Herrenherrschaft aus, die Verstandseinsicht aber über das Streben eine staatsmännische und königliche.“, Übersetzung von Schwarz, S. 83.
202
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
alle Menschen zum Diener macht: Es sind die „in der Natur geschriebenen“ Gebote, die die Menschen vor der unangemessenen und ungerechten Ausnutzung ihrer Freiheit zurückhalten sollen. Melanchthon versteht aber unter dem Begriff „servitus“ eher den Untertan, nicht den Sklaven der Politik Aristoteles’. Alle Menschen sind Diener Gottes und Untertanen seiner Ordnung. Deswegen verwendet er öfter in seinen Schriften den Begriff çives“, um die gleichberechtigte Stellung aller Gesellschaftsmitglieder, die alle eine bestimmte Aufgabe innerhalb dieser Ordnung zu erfüllen haben, und die sie als Dienst an Gott verstehen müssen, zu unterstreichen.
c) Die Rolle der Wirtschaft und der Güterverteilung In diesem Teil seines Kommentars sowie in dem Absatz über die Rolle der Wirtschaft (oeconomia) beendet Melanchthon seine Ausführungen mit einer Kritik an den „Fanatikern“ seiner Epoche, die diese Wahrheiten bzw. die Regeln dieser Ordnung nicht anerkennen. Unter dem Vorwand einer „reinen“ evangelischen Auslegung lehnten sie, so Melanchthon, alle Arten „servitutem“ ab und behaupteten sogar, dass diese in Widerspruch zur biblischen Schrift ständen.102 Im Gegensatz dazu erklärt Melanchthon, dass auch der Handel, das Privateigentum und alle Formen des Kapitalerwerbs biblisch anerkannte und notwendige Grundregeln für die Erfüllung der gesellschaftlichen Bedürfnisse seien.103 Allein die Wucherei, die er mit einer juristisch geprägten Formel als naturwidrig ansieht, sei für ihn wie auch für Aristoteles absolut abzulehnen: „In rebus, in quibus usus est consumptio, non potest usus a re separari, et pro usu seorsum aliquid exigi. At in usura venditur usus, separatus a re. Est igitur contra naturam. Item, res quae natura non fructificat, non debet transferri pro re fructificante. At in usura transfertur pecunia, quae natura non fructificat. Et tamen exigitur aliquid tanquam ex re fructificante. Igitur usura est contra naturam.“104
Im Gegensatz zu der Behauptung der Schwärmer sei es aber für die Christen auf keinen Fall verboten, Reichtümer zu erwerben und Gewinne zu machen, solange sie dafür legale Instrumente wie die gesetzlich geregelten Verträge benützten und diese mit „bona fides“ verwendeten. Mit Hinweis auf den „guten Glauben“ ver102 „Sed nos multo iustius accusare possemus fanaticos homines nostri temporis, qui praetextu Evangelii vulgus ad oileum, hoc est, ad libertatem vocarunt, et contenderunt servitutem contra Evangelium esse“, CR XVI, S. 426 f. 103 „Quarta species mercatura est, qua res domi natae venduntur, ut his distractis quibus abundamus, alia importemus, quae alioqui desunt nobis. Hanc vocat oeconomicam mercaturam eamque laudat: est enim necessaria ad vitam, eaque oportebat etiam uti homines ante usum nummi, quum permutatione rerum suarum aut operarum es quaereret unusquisque quibus indigebat.“ Und weiter „Haec calliditas odiosa est, quia non videtur proprie ad necessitatem comparata, et propemodum defraudat alios, qui tantum usus causa empturi erant“, CR XVI, S. 427 und S. 428. 104 CR XVI, S. 429.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
203
urteilt er sowohl den Wucherer als auch die radikalen Reformatoren, die behaupten, dass jegliche Art Vertrag für einen Christen verboten sei.105 Auch ihre Theorie der Gütergemeinschaft im Sinne Platons lehnt Melanchthon zu Beginn seines Kommentars zum zweiten Buch der Politika ab. In Übereinstimmung mit Aristoteles betrachtet er die Verteilung der Güter als von Natur aus gegeben und deshalb berechtigterweise durch das Völkerrecht geschützt.106 Auch im Bereich der Ehe sei eine Art „Verteilung“ der Menschen in Ehepaare notwendig, um eventuelle Risiken von Blutsverwandtschaften zu vermeiden. Mit dem Gebot der Ehegemeinschaft, das in der Bibel steht, fängt darum für den Reformatoren die zivilisierte Gesellschaftsordnung an.107 Was die Güterverteilung betrifft, macht die übermäßige Habgier an Macht, Ruhm und Geld Einiger eine klar definierte und durch bestimmte Gesetze geschützte Eigentumsverteilung notwendig.108 Alle anderen sogenannten biblischen Lehren der Gütergemeinschaft seien jedoch nur Lüge und gegen die Natur, so Melanchthon.109 Wie es schon oben betont wurde, liegt hier der Unterschied zwischen zwei Kategorien von Naturrecht; eine eher idealisiert vor dem Sündenfall des Menschen und eine danach eher realistisch. In diesem Teil des Kommentars zur Politik Aristoteles’ handelt es sich um ein Naturgesetz, das nach dem Sündenfall der Natur des Menschen entspricht. So wird auch die Verteilung der Güter als eine in Übereinstimmung mit der jetzigen natürlichen Vernunft stehende Institution, die als notwendig für das zwischenmenschliche Leben angesehen wird, gerechtfertigt.110 Als 105 „Utetur autem aliis contractibus legitimis, quos probat magistratus. Multi hoc tempore miras tragoedias agunt de contractibus, qui nostris temporibus in usu sunt. Nos meminisse convenit, quod iudicium de contractibus, non pertinet ad privatos homines, aut docentes Evangelium. Tota res ad magistratum reiicienda est. Is debet pronuntiare, qui contractus sint probandi, sicut medici est pronuntiare, quae pharmaca danda sint in febri, quae in pleuritide“, CR XVI, S. 429 f. 106 „Recte igitur sentit Aristoteles divisionem rerum consentaneam esse naturae. Hoc est, quod iurisconsulti erudissime dicunt, esse eam iuris gentium seu iuris naturalis“, CR XVI, S. 430. 107 Genes. 2, 24, Matth. 19, 5 und Marc 10, 7, CR XVI, S. 431. 108 „Itaque quia omnis generis cupiditates nobiscum nascuntur, necessaria est rerum divisio“, CR XVI, S. 431. 109 „Errant autem qui docent rerum communicationem iuris divini esse, ac multo magis errant qui docent in Evangelio praecipi, ut res in commune conferantur, et tamen hic error pertinaciter haeret in animis stultorum. Adeo ut etiam in Decretis distinctione octava quidam scripserit his verbis: Iure divino omnia sunt communia omnibus*. Porro dum haec persuasio tenet animos, non potest fieri quin exoriantur homines fanatici, qui per superstitionem contendant res in commune conferendas esse, hinc necesse est exoriri maximos motus in rebuspublicis“, *in: Decreti Gratiani, I. Teil, VIII. I.Partis c. I. (C.I.Can. ed Richter P.I, S. 11). Der gesamte Text dieses Kanones lautet: „Iure divino omnia sunt communia omnibus: iure vero constitutionis hoc meum, illud alterius est.“ CR XVI, S. 431. 110 „Nos quum loquimur de praesenti statu post peccatum originis, recte dicimus divisionem rerum iuris naturalis esse. Nec existimo apud veteres iurisconsultos reperiri hanc vocem, quod iure naturalis omnia sint communia. Nam isti de praesenti naturae statu loquuntur, cui vident necessariam esse rerum divisionem. Itaque sic dicunt: Quod ante nullius est, id natu-
204
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
weiteren Beweis für den naturrechtlichen Ursprung der Güterverteilung zitiert Melanchthon die biblischen Sätze, in denen die ausdrückliche Anerkennung des Güteraustausches die Notwendigkeit der Güterverteilung voraussetzt.111
d) Die Notwendigkeit festgeschriebener Gesetze So wie Aristoteles, der in seiner Darstellung einiger bedeutender, alter Staatsverfassungen vor der Gefahr leichtsinniger Gesetzesveränderungen warnt, wiederholt Melanchthon sein Plädoyer zugunsten festgeschriebener Gesetze, die durch ihre Unveränderlichkeit die Stabilität der Rechtsprechung sichern. Dafür zitiert er sowohl die vorbildlichen antiken Gesetzgeber, die diese Grundregel angewandt haben, als auch die biblischen Beispiele, in denen die göttliche Ordnung durch unerwünschte Veränderungen der Gesetzgebung zerstört wurde.112 Diese Formulierung findet Melanchthon bei Aristoteles selbstverständlich nicht; dennoch trifft der Begriff „Ethik“ in der Politika genau diesen Grundsatz Melanchthons, nach dem die Gesetze mit dem Urteil der natürlichen Vernunft des Menschen übereinstimmen sollen.113 Nur wenn dies nicht mehr der Fall ist, werden Gesetzesänderungen grundsätzlich unentbehrlich. Auch wenn es einen guten Grund für eine praktische Gesetzesverbesserung gibt, sollte die Gesetzgebung geändert werden.
e) Der Zweck der gesellschaftlichen Ordnung Im dritten Teil seines Kommentars behandelt Melanchthon die Frage, zu welchem Zweck der Mensch das Zusammenleben in einer Gemeinschaft braucht und wiederholt in Übereinstimmung mit Aristoteles, dass der Mensch von Natur aus die Gesellschaft benötigt.114 Genauso fundamental ist die Rollenverteilung zwischen „dominibus“ und „servitibus“, zwischen Herrschenden und Gehorchenden, rali ratione occupanti conceditur. Haec sententia docet naturali ratione dominium seu proprietatem occupatione contingere, idque ratione naturali. Est autem ratio naturalis ius naturae“, CR XVI, S. 432. 111 „Röm. 13, 1: Si quis disputabit esse iuris naturalis rerum communicationem, oppone rationis iudicium, quod impossibile sit res esse communes in his hominum vitiis“ und weiter zitiert er Gen. 3, 19, CR XVI, S. 433. 112 Ulpian, Demosthenes, Herodotus sowie Ecclesiasticus werden zitiert und er führt weiter an: „Sed meo iudicio nihil efficacius dehortatur a consiliis mutandi receptas leges, quam si sciamus legitimum statum reipublicae Dei ordinationem esse, et honore affici debere propter Deum, ut res sacras, etiamsi habeat aliquid incommodi“, CR XVI, S. 434. 113 „Verum hic quaeri potest, quatenus sint dissimulanda legum vitia, Aristoteles hoc in Ethicis docet. Leges debent consentire cum iudicio naturali rationis humanae“, CR XVI, S. 434. 114 „Homo natura ad societatem conditus est. Prima societas est coniugium“, CR XVI, S. 435.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
205
im Rahmen jeder Gesellschaftsstruktur.115 Das Ziel des bürgerlichen Lebens definiert Melanchthon folgendermaßen: „Civitas est societas civium iure constituta, propter mutuam utilitatem, ac maxime propter defensionem. Cives sunt, qui in eadem societate, magistratus aut iudicandi potestatem consequi possunt. Finis omnium civium est publica utilitas, seu, ut dicam claris, tranquilitas vel incolumitas publici statu. Sicut omnium nautarum finis est incolumitas navis, tametsi diversa sint officia.“116
2. Die Frage der Staatsform und der Machtausübung Auf die Frage, welche Staatsform die beste sei, antwortet Melanchthon deutlich, dass zwischen den drei Hauptverfassungen – Monarchie, Aristokratie und Demokratie – die königliche Monarchie die passendste sei.117 Seine Ablehnung der Demokratie gründet in seinen schlechten Erfahrungen mit den radikalen Formen von Volksregierungen, wie sie in der Zeit des Bauernkrieges vor allem durch die schweizerischen Schwärmer praktiziert wurden.118 Genauso wie er den Gedanken einige Jahre später in seiner Schrift „Fragstück von kaiserlicher und päpstlicher Gewalt“ (1559) erneut entwickeln wird, bestreitet Melanchthon in diesem Absatz die Behauptungen, nach denen die Könige ihre Autorität seitens des Papstes durch den Krönungsakt bekämen. Der lügnerischen Legende der „translatio imperii“ der Kurialisten setzt er biblische Sätze entgegen, die die Prinzipien seiner Zwei-Reiche-Lehre bestätigen.119 Die Aufgaben der Obrigkeit im Gegensatz zu denen der Kirche beständen in rein weltlichen Pflichten: Die Reiche besäßen die Macht, zunächst Gesetze als Waffe gegen die äußeren Gefahren zu verordnen, dann mit dem Schwert die Bürger zum Gehorsam zu zwin115 „Politica est legitima ordinatio civitatis, secundum quam alii praesunt, alii parent“, CR XVI, S. 426. 116 „Die Bürgerschaft ist [als] die Gemeinschaft der Bürger rechtlich konstituiert, wegen des gegenseitigen Nutzens, aber noch mehr wegen der Verteidigung. Bürger sind diejenigen, die in dieser Gemeinschaft die Regierungsgewalt oder die richterliche Gewalt erlangen können. Das Ziel aller Bürger ist der öffentliche Nutzen, oder genauer die Ruhe und Unverletztheit des öffentlichen Status: So wie das Ziel aller Matrosen die Unverletztheit des Schiffes ist, obwohl die einzelnen Aufgaben verschieden sind.“, CR XVI, S. 435, Übersetzung bei Weber, Grundlagen und Normen politischer Ethik bei Melanchthon, S. 14. 117 „Deinde agitur quaestio, quae species sit optima: nec dubium est quin monarchia seu regnum sit optimus status. . .“, CR XVI, S. 426. 118 „Tertia species est, quum summum imperium est penes populum, hanc, quum degenerat, vocat Aristoteles Demokratie, in qua vulgus autoritatem suam confert ad augendam potentiam tenuiorum civium contra optimates: quales statum somniabat plebs in tumultu rusticorum: aut qualis est propemodum Helvetiorum status“, CR XVI, S. 436. 119 „Sed haec opinio longe dissentit ab Evangelio, Christus enim inquit (Ioann. 18, 36): Regnum meum non est de hoc mundo. Item (Matth. 25, 26): Reges gentium dominantur eorum, vos autem non sic.( . . . ) Episcopi officium est docere Evangelium, remittere peccata, minari iudicium Dei impiis, ut Christus inquit (Marc. 16, 15): Ite praedicantes Evangelium etc..“, CR XVI, S. 437.
14 Deflers
206
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
gen, und zuletzt diejenigen, die sich den Gesetzen widersetzen, zu bestrafen. Und diese Macht sei eine von Gott gegebene Pflicht, deren einziger Zweck die Aufrechterhaltung der Ordnung sei. In Übereinstimmung mit seiner Naturrechtslehre erklärt Melanchthon, dass die Macht nicht aus dem Volk stamme, sondern aus dem ius divinum bzw. aus dem ius naturale – Begriffe, die er in dieser Schrift als Synonym verwendet.120 Die universalistischen Ansprüche des römischen Kaisers wurden im 16. Jahrhundert durch eine Verteilung der Macht zwischen den bedeutendsten abendländischen Herrschern ersetzt. An die Stelle einer mittelalterlichen universalistischen Weltanschauung tritt eine neue völkerrechtliche Anschauung, die nicht nur die kaiserliche Gewalt relativieren wird, sondern mehr noch die Ansprüche der päpstlichen Macht.121 Durch das Studium der antiken Geschichte erkennt Melanchthon die Gefahr der Abweichung einer durch feste Gesetze nicht gezügelten Regierung sowohl in Form eines dominanten Herrschers als auch eines falsch geleiteten Volkes in Tyrannei. Deswegen plädiert Melanchthon immer wieder für die Anwendung fester Regeln, deren Einhaltung durch ehrenhafte Magistrate gesichert werden soll: „Quaedam nationes etiam addiderunt custodes regibus, qui ius haberent redigendi eos in ordinem. Sicut Lacedaemonii addiderunt ephoros, quibus scribit Thucydides licuisse capere regem. Tales reges non sunt omnino [gr.: autokrátores] seu [gr.: auhypéuthynoi],122 hoc est, non habent ita summam potestatem, ut nemini liceat de eis iudicare, aut eorum actionibus adversari. Ac fere nunc talia regna sunt. Habent enim leges, habent et custodes. In Germania sunt electores, in Gallia certi principes curiae parlamenti, tanquam ephori regum. Sed alibi plus, alibi minus possunt.“123
Die Begrenzung der regierenden Gewalt findet ihre Begründung für den Humanisten nicht nur in der Weltgeschichte, die als Vorbild für die gegenwärtige Führung gilt, sondern für den Reformator vor allem in der Bibel, und sie betrifft nicht nur die weltliche bzw. bürgerliche Regierung, sondern auch die Machtansprüche der Kirche.124 Die angesprochene Rolle der Fürsten wird in diesem Kommentar 120 „Praeterea naturale iudicium rationis est, oportere esse qui imperent. Est autem ius divinum, ut saepe diximus, ius naturale, seu naturale iudicium rationis“, CR XVI, S. 438. 121 Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Kimminich, Die Entstehung des neuzeitlichen Völkerrechts. Über Melanchthon und das Völkerrecht, siehe das erste Kapitel. 122 Beide griechischen Begriffe sind auch in Platons Leges (10, 875b – d) zu finden. 123 „Einige Nationen geben auch ihren Königen Wächter bei, die das Recht haben, sie zur Ordnung zurückzubringen. So gaben die Spartaner ihnen Ephoren bei, von den Thukydides schreibt, dass sie den König wählen konnten. Solche Könige sind nicht schlechthin selbstherrlich und niemandem verantwortlich, d. h. sie haben nicht jene oberste Gewalt, dass niemand über sie zu Gericht sitzen oder ihren Aktionen entgegentreten dürfte. Und in etwa gibt es auch jetzt solche Königreiche. . . In Deutschland sind die Kurfürsten, in Frankreich die Fürsten des Parlaments gleichsam die Ephoren der Könige. Aber sie haben einmal mehr, einmal weniger Gewalt“, CR XVI, S. 440, Übersetzung bei Weber, S. 28. 124 „Et haud scio, an in statua Danielis lutum admixtum ferro (Dan. 2, 33. 34.), significet hanc in omnibus regnis episcoporum et principum mixturam“, CR XVI, S. 440.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
207
nicht weiter ausgeführt. Es ist vielmehr die Frage des Widerstandsrechts, die Melanchthon hier beschäftigt.
a) Die Begrenzung der Machtausübung: Die Frage des Widerstandsrechts Wie es später im Zusammenhang mit der Definition der Rolle, der Pflichten und der Rechte der Obrigkeit bei Melanchthon erläutert wird, bildete die Widerstandsfrage bis zu dem Gutachten der Reformatoren von 1536 zugunsten des Widerstrebens der Territorialfürsten gegen den Kaiser125 einen grundsätzlichen Teil der politisch-ethischen Überlegungen Melanchthons und Luthers.126 Melanchthon hatte sich bis zu diesem Datum für die bedingungslose Gehorsamspflicht der Christen gegenüber der Obrigkeit intensiv eingesetzt. Die Legitimation der bürgerlichen Ordnung durch die göttliche Schöpfung hatte zur Konsequenz, dass diese von der Obrigkeit und den Magistraten verkörperte Ordnung absolut unantastbar wurde.127 Melanchthon bekämpfte vor allem jede Art gewaltsamen Widerstandes, erkannte aber das Recht auf passiven Widerstand an, wenn die Befehle des Herrschers zur Todsünde führten. In Übereinstimmung mit seinem Verständnis von einer „göttlichen“ Weltordnung betrachtete er die grausame Regierung durch einen tyrannischen Herrscher als Strafe Gottes gegen das sündige Volk. Deswegen müssten die gottlose Obrigkeit sowie die Magistrate, die sie vertraten,128 in Demut ertragen werden. Nichts Schlimmeres konnte sich Melanchthon vorstellen, als die dramatischen Jahre des Bauernkrieges, die er erleben musste. Mit ihrem leicht zu predigenden Widerstandsrecht hatten die fanatischen Reformatoren die verzweifelte und unausgebildete Bevölkerung zum Krieg und in die Zerstörung geführt.129
125 CR III, S. 128 – 131: „Ich Martinus Luther will auch dazu thun mit Beten, auch [wo es sein soll] mit der Faust“, unterschrieben von Luther, Jonas, Bugenhagen, Amsdorff, Cruciger und Melanchthon. 126 Lüthje, Melanchthons Anschauung über das Recht des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, S. 512 – 542. 127 „Magistratus enim iudicans ex Romanis legibus, potest habere fidem, ac certus esse quod sententia Deo placeat. Habet enim verbum Dei Rom. 13 (1 sqq) et alibi, quo Deus approbat magistratum et civiles ordinationes“, CR XVI, S. 449. 128 Siehe den Titel „Dominari potest magistratus, quamvis sit impius“, CR XVI, S. 449 ff. 129 „Einige ziehen das in Zweifel und behaupten, es sei dem Privatmann erlaubt, Ungerechtigkeiten der Obrigkeit mit Gewalt zurückzuweisen! Aber diese glauben nach menschlicher Art, dass dort, wo erlaubt ist, nicht zu gehorchen, auch erlaubt sei, die Gewalt zurückzutreiben. Wir wissen aber, dass dazwischen ein sehr großer Unterschied ist nach dem Evangelium, das verbietet zu gehorchen, wenn die Obrigkeit zu sündigen befiehlt, und trotzdem private Rache verbietet“, CR XVI, S. 440 f. Übersetzung von Weber, S. 20.
14*
208
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
b) Die Begrenzung der Machtausübung: Die Rolle der Gesetze und der Erziehung Melanchthons Verlangen nach Frieden und gesellschaftlicher Ordnung findet seinen Ursprung sowohl in seiner religiösen Überzeugung als auch in den dramatischen politischen Ereignissen seiner Zeit. Dies drückt sich auch 1530 in seinem Kommentar der aristotelischen Politika aus. Dort wiederholt er die Notwendigkeit einer festgeschriebenen Gesetzgebung,130 die das römische Recht übernehmen sollte,131 seine Kritik an den radikalen Schwärmern,132 die Grundprinzipien seiner Naturrechtslehre und seiner Zwei-Reiche-Lehre. Letztendlich erläutert er die Pflichten und Aufgaben der obrigkeitlichen Gewalt und die Begrenzung ihrer Macht u. a. im Bereich des Privateigentums.133 Seinen Kommentar schließt der Pädagoge mit einer Mahnung an die Jugend vor dem Fanatismus der radikalen Thesen, die eine falsche Lehre verbreiten und durch Vorschützen eines biblischen Vorwands nicht nur zum Irrtum, sondern sogar zur Sünde führen.134 Die Rolle der Pädagogik135 findet aber nicht nur in diesem Abschlusswort ihren Ausdruck, sie bildet vielmehr einen Grundgedanken in Melanchthons societas-Auffassung. Da für ihn Ausbildung und sittliche Erziehung untrenn130 In dem Titel „De legibus“ entwickelt er die schon berücksichtigten Argumente zugunsten einer festgeschriebenen Gesetzgebung als Mittel gegen die Willkür der Schöffen, gegen die Unsicherheit der Rechtsprechung und gegen alle Arten gesellschaftlicher Unruhen: „Itaque scriptum ius munit magistratus adversus importunitatem litigantium, qui cum norunt ius, vident iudicem nihil privato affectu, nihil errore pronuntiare, sed sequi praescriptum, quod mutare illi non liceat. Et intelligunt se hoc ius debere tolerare, quod excogitatum est, non ad ullius gratiam, aut privatam utilitatem, sed ad retinendam societatem et tranquilitatem inter cives“, CR XVI, S. 445. 131 Vgl. Melanchthons Plädoyer für die Anwendung des römischen Rechts, CR XVI, S. 446. 132 „Videmus exempla ante annos aliquot, Monetarii Strthii, qui vulgus incitabant, ut arma caperet adversus magistratus.( . . . ) Nam ut praesenti potestati praecipit Evangelium obedire, ita praecipit legibus praesentibus parere. Et approbat leges illorum, quia lex est vox magistratus. Et Roman. 13, (1. 2.) vocatur ordinatio Dei. Nam sine legibus, sine iudiciis, sine institutis civilibus, nulla est in imperiis ordinatio“, CR XVI, S. 448. 133 „Ubi regum potestas legibus circumscripta est, quae concedunt subditis tenere proprium, et aliis quibusdam beneficiis libertatis frui, ibi principes peccant, cum contra suas leges eripiunt proprias facultates subditis, tanquam servis“, CR XVI, S. 443. 134 „Quanquam prodest interdum in talibus disputationibus haec exempla ostendere iuvenibus, ad acuenda iudicia, ut videant qualibus somniis fanaticae mentes quum a veritate semel deerraverunt, decipiantur“, CR XVI, S. 452. 135 Über Melanchthons Pädagogik und Bildungsideal, siehe u.v.a. Arnhardt / Reinert, Philipp Melanchthon, Dilthey, Gesammelte Schriften, II. Bd.: Weltanschauung, Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae, Kaemmel, Geschichte des deutschen Schulwesens, Muther, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft, ders., Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts, Scheible, Melanchthons Bildungsprogramm, S. 233 – 248, Stempel, Melanchthons pädagogisches Wirken, Stupperich, Der unbekannte Melanchthon.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
209
bar sind, ist die Erziehung der christlichen Bürger nicht nur die Aufgabe der Kirche und Schule, sondern auch die der Obrigkeit. Die Herrschenden haben die Pflicht, in der politia civilis die Menschen zur sittlichen Disziplin zu erziehen. Dies beinhaltet einerseits ihre Verantwortung dem Schul- und Kirchenwesen gegenüber, berechtigt sie andererseits auch, eine starke Staatsgewalt bzw. Policey einzuführen.136
3. Melanchthons Auffassung von der gesellschaftlichen Ordnung – Eine kurze Zusammenfassung Anders als bei Machiavelli verwendet Melanchthon einen stark von der Moral geprägten Obrigkeits- und Kirchenbegriff.137 Seiner Ansicht nach gehörte es u. a. zu den Pflichten der weltlichen Macht, der Kirche hospitium und domicilium anzubieten. Wie bei Machiavelli übernimmt die Obrigkeit hier auch die führende Rolle, jedoch aus einem ganz anderen Grund als in Machiavellis Staatsauffassung. Die Herrscher sollten sich, um dieses natürlich-ethische Ziel zu erreichen, der weltlichen Kircheninstitution bedienen. Mit diesem Grundsatz löst Melanchthon den mittelalterlichen Konflikt bezüglich des Verhältnisses zwischen sacerdotium und imperium. Die hervorgehobene Stellung der Obrigkeit erfordere die Gründung einer reformatorischen Staatskirche, die dann für die Ausbildung der christlichen Bürger in Bezug auf Disziplin und Respekt vor der Autorität verantwortlich sei.138 Aber die Zuständigkeit der kirchlichen Institution entlaste die Obrigkeit nicht von ihrer Verantwortung in diesem Bereich. Wie Melanchthon in seiner Schrift „Über das Amt der Fürsten, Gottes Befehl auszuführen und kirchliche Mißbräuche abzustellen“139 betont hat, sei sie im Gegenteil verpflichtet, Schulen, Universitäten und Wissenschaften insgesamt zu pflegen.140 Was Melanchthon als seinen Kommentar zu der Politik Aristoteles bezeichnet hat, ist in der Tat eher als Darstellung seiner eigenen Staatsauffassung und Obrigkeitslehre zu betrachten, die von seinen ethischen und christlichen Gedanken geprägt ist. Sowohl bei Aristoteles wie auch bei Melanchthon finden sich der Bezug auf das Natürliche in der Legitimation der Staatsexistenz wie auch die Idee, dass in einem Staat von Natur aus einige regieren und andere gehorchen sollen. Diese 136 Mayer, Die Strafrechtstheorie bei Luther und Melanchthon, S. 77 – 105, Münch, Zucht und Ordnung, Dilcher / Diestelkamp, Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. 137 Stolleis, „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“, S. 1 – 23. 138 „Fragstück von kaiserlicher und päpstlicher Gewalt“, 1559, CR IX, S. 851 – 889, über die Pflichten der Obrigkeit „De officiis magistratus“, 1559, CR IX, S. 1003, „Oratio de legibus“, 1550, CR XI, S. 908 – 916 und „Oratio de dignitate doctrinae legum et iurisconsultorum“, CR XII, S. 19 – 27. 139 „De officio principum, quod mendatum Dei praecipiat eis tollere abusus Ecclesiasticos“, 1539, MSA 1, S. 388 – 410, Übersetzung bei Melanchthon deutsch, Bd. II, S. 199 – 225. 140 Über die Rechte und Pflichten der Obrigkeit, siehe Viertes Kapitel, A. II.
210
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Rollenverteilung wird aber nicht als ungerecht empfunden, da sie einem übergeordneten Zweck dient, der über allen Staatsfunktionen und Privatinteressen steht: Die Aufrechterhaltung des salus publica und der natürlichen, von Gott gewollten weltlichen Ordnung.141 Beide gesellschaftlichen Rollen – herrschen und gehorchen – verstehen sich als gegenseitige Verpflichtungen. Auf dieser Basis bildet sich Melanchthons societas-Gedanke. Jeder steht unter dem Recht, das entweder als Schutz oder als Zwang empfunden wird. Die Vorstellung, dass alle Mitbürger freiwillig und spontan von ihrer Dienstverantwortung erfüllt seien, ist eine Idealvorstellung Melanchthons. Deshalb spielt die Erziehung in dieser Hinsicht eine fundamentale Rolle. Der Vorrang des Rechtes selbst gegenüber dem Staat ist bei Melanchthon eine Übernahme der antiken Staatsidee, die er mit seinem ethisch-christlichen Glauben ergänzt hat.142 Aufgrund der tiefen Verbindung zwischen seiner Naturrechtslehre und der reformatorischen Glaubensüberzeugungen wird Melanchthon als der Begründer der naturrechtlichen Staatsauffassung im Protestantismus bezeichnet. Auch im Bereich der Politik vertritt er einen gewissen Konservatismus, der, wie schon in seiner Naturrechtslehre festgestellt wurde, durch die Verquickung mittelalterlicher Tradition und humanistischer Einstellung charakterisiert ist. Seine Beschäftigung mit dem Verhältnis der evangelischen Landeskirche zu dem Territorialfürstentum resultiert aus seinen Bemühungen um die Einrichtung einer festen Ordnung für die junge Kirche. In seinen Gedanken über die Festigung der weltlichen Gewalt finden wir auch die Grundidee des christlichen Polizeistaats, der sich zu dieser Zeit herausbildete.
D. Politica und politia „Magistratus est custos legis, quod ad externam disciplinam attinet eamque vi corporali tuetur. Ut prohibet adulteria, sic prohibere et punire Epicureos sermones et externam idolatriam ac blasphemias debet.“143
In den größeren Territorien Deutschlands entwickelten sich im Laufe des 15. Jahrhunderts zentrale Regierungsbehörden um die Fürsten, das so genannte colElert, Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums, S. 291. Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat, Maier, Die Lehre der Politik an den deutschen Universitäten, Müller, Die Aristoteles-Rezeption im deutschen Protestantismus, S. 55 ff., Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland. 143 „Die weltliche Ordnung ist der Hüter des Gesetzes, weil es sich auf die äußere Ordnung erstreckt und diese mit materieller Gewalt aufrechterhalten wird. Wie sie Ehebrüche verbietet, so muss sie epikureische Reden und öffentlichen Götzendienst und Gotteslästerung verbieten und bestrafen“, „De officio principum, quod mendatum Dei praecipiat eis tollere abusus Ecclesiasticos“, 1539, MSA 1, S. 388 – 410, Übersetzung bei Melanchthon deutsch, Bd. II, S. 212. 141 142
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
211
legium formatum. Die Herausbildung neuer gesellschaftlicher Ordnungsmodelle sowie die Fragen über eine wohlgeordnete Einrichtung des Gemeinwesens gehörten damals nicht hauptsächlich zum Bereich der Jurisprudenz, sondern vielmehr zu dem der Politik bzw. der Philosophie. Diese beschäftigte sich allerdings mit der Frage der Ethik, wie das Gemeinwesen zum Wohle der Bevölkerung beschaffen sein sollte. Im Bereich der Jurisprudenz wurden damals die ersten verfassungsrechtlichen Überlegungen über die Rolle der Gesetzgebung für die Festigung der Staatsgewalt entwickelt. Als notwendige, wenn auch minimale Zentralisierung der Macht wurde im Reich und in den Landesterritorien die Publizierung der Gesetze und damit deren Verbreitung angesehen, die dann mit Hilfe einer Kanzlei, einer Polizei und von Juristen durchgesetzt werden konnten. Die Intensivierung der Gesetzgebung, die sich schon im Mittelalter bei den Landesherren und Städten bemerken ließ, nahm auch zu dieser Zeit entweder als fürstlicher Befehl oder als Beschluss der Landesstände immer stärker zu. Aber vor allem die Legitimation dieser von den fürstlichen Obrigkeiten ausgeübten Hoheitsrechte wurde auch den traditionellen Gewohnheitsrechten gegenüber unbestreitbar. Im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts wuchs das Gewicht des Herrschaftsapparats kontinuierlich: Die Zahl der „gelehrten“ Juristen und Räte am Hof, in Kanzlei, Rat und Kammer stieg stetig und verschaffte dem Herrscher die für seine Machtausübung notwendige so genannte Bürokratie und Rationalisierung der Herrschaft. Wie Michael Stolleis es in seinem Buch „Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit“ erläutert, ersetzte damals das Beamtentum allmählich das Lehnsystem und aus dem Personal- wurde der Territorialverband.144 Die zahlreichen landrechtlichen Ordnungen versuchten, sowohl eine einheitliche Gesetzgebung auf ihrem Territorium in Kraft treten zu lassen, als auch die Regelungen der Unteilbarkeit des Landes und der Primogenitur bei der Thronfolge zu festigen. Damit wurden die ersten Verfassungsgrundlagen des modernen Staates, die sogenannten leges fundamentales, im Fürstenstaat gelegt.145 Sie definierten und begrenzten zugleich als abgeschlossener Vertrag zwischen Fürsten und Ständen den Spielraum der Machtausübung der Herrscher. Obwohl der Begriff „Souveränität“ erst durch Jean Bodin146 in seinen „Six livres de la république“ im Jahre 1576147 als Grundlage des modernen Staates verwendet wurde, lassen sich am Anfang des 16. Jahrhunderts bei den Zeitgenossen Melanchthons sowie in seiner eigenen Definition der Rolle des Herrschers und dessen „göttlichen“ Auftrages die Suche nach einer zentralisierten, stabilisierenden und friedlichen weltlichen Gewalt erkennen. Bodins Definition einer „höchsten, unteilbaren, beständigen, nur Gott, dem Naturrecht und den leges imperii unter144 145 146 147
Stolleis, Staat und Staatsräson, S. 180. Mohnhaupt, Die Lehre von der „Lex fundamentalis“, S. 3 ff. Jean Bodin (Bodinus), Angers 1529 oder 1530 und verstorben in Laon 1596. Jean Bodin, Six livres de la république.
212
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
worfenen Zentralgewalt“148 fand daher in diesem historischen Kontext den passenden Boden für ihre Rezeption. Auch die Frage des Gesetzgebungsrechts des Herrschers erhält sowohl bei Melanchthon als auch bei dem späteren Staatsdenker eine zentrale Stellung in ihrer Staatsanschauung.149 Aber im Gegensatz zu dem Souveränitätsdenker empfing das Gesetz in Melanchthons Definition seine Geltung nicht aus dem souveränen Willen,150 dessen Begriff ihm fremd war, sondern aus dessen naturrechtlichem Inhalt. Außerdem betrachtete Melanchthon das Recht der Landesherren, constitutiones vel nova iura facere,151 nicht als ein unantastbares Recht, sondern vielmehr als eine ethisch-religiöse Pflicht des Herrschers. Die frühneuzeitlichen Staatsdenker entwickelten theoretische Modelle von der rechten Ordnung des Gemeinwesens und deren Verwirklichung mittels der Organisation eines Herrschaftsapparats verbunden mit einer entsprechenden Gesetzgebung.152 Aus dieser praktischen Verwirklichung politischer Konzepte der „guten Ordnung“ stammt der Begriff „Politia“, die sogenannte „Policey“.153 Diese Entwicklung wurde besonders deutlich hinsichtlich der Anzahl der Landesordnungen, Policeyordnungen des Kaisers und des Reiches sowie der Kirchenordnungen, die im Laufe des 16. Jahrhunderts erlassen wurden.154
148 Stolleis, Staat und Staatsräson, S. 184. Die Souveränitätsformel von Bodin lautet: „Maiestas est summa in cives ac subditos legibusque soluta potestas“, siehe auch Schieder, Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. III, S. 363 ff., 401 f., 411 f. 149 „Et par ainsi nous conclurons que la première marque du Prince souverain, c’est de donner loy à tous en général, & à chacun en particulier“, Bodin, Les six livres de la république, S. 221. 150 „Principi leges a se latas sua voluntate ac sine subditorum consensu abrogare, vel ex parte legibus derogare vel subrogare vel abrogare licere“, Cap. I, 8 der lateinischen Auffassung. 151 Seit dem Reichsspruch über das Recht der Landstände v. 1. Mai 1231 besaßen die Landesherren das Recht auf Gesetzgebung, aber sie brauchten für die Verordnung ihrer Gesetze die Zustimmung der meliorum et maiorum terr(a)e; siehe Zeumer, Quellensammlung, I. Teil, Nr. 48. 152 Stolleis, Staatsdenker in der frühen Neuzeit. In der Einleitung definiert M. Stolleis seinen Begriff von „Staatsdenker“: „Was sie verbindet, ist das Nachdenken über den Staat, über die religiöse, ethische und rechtliche Rechtfertigung und über die Formen und Grenzen von Herrschaft. Dies geschieht sowohl in Entwürfen einer idealen Politik oder Verwaltung oder in more geometrico errichteten Systemen des Natur- und Völkerrechts als auch in Auseinandersetzung mit der konkreten Verfassung des Hl. Römischen Reichs Deutscher Nation“, S. 9. 153 Thieme, Polizei- und Landesordnungen, 1968, Wolzendorf, Der Polizeigedanke des modernen Staats, Segall, Geschichte und Strafrecht, Richter, Die ernestinischen Landesordnungen. 154 Siehe über die Gesetzgebung der entstehenden Territorialstaaten bis 1500 bei Coing, Handbuch der Quellen, Bd. 1, S. 586 ff. Für die frühe Neuzeit: Hartz, Die Gesetzgebung des Reiches, Angermeier, Die Reichsreform 1410 – 1555, Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
213
I. Regelungen der damaligen Landesund Reichspoliceyordnungen Durch ihren Inhalt waren die damaligen Policeyordnungen Ausdruck einer „modernen“ Gesetzgebung. Sie begnügten sich nicht damit, die alten Gebräuche zu kodifizieren, sondern entwickelten Rechtsgebote und herrschaftliche Pflichten, die diesen Ordnungen einen Fürsorgecharakter verliehen. Im Namen der „guten Ordnung“ wurde für alle Mitglieder der Gesellschaft nach Stabilität, Sicherheit und Wohlfahrt gesucht. Wie Karl Härter gezeigt hat, kommt „der Policeygesetzgebung ( . . . ) folglich im Prozess der Formierung der europäischen Gesellschaft in der frühen Neuzeit eine Schlüsselfunktion zu: Sowohl hinsichtlich der Entstehung und Durchsetzung des „modernen“ Verwaltungsstaats als auch bezüglich der Fundamentalvorgänge der Sozialdisziplinierung (Gerhard Oestreich), der Rationalisierung (Max Weber) und des Zivilisationsprozesses (Norbert Elias).“155 Die Begriffe „Landes- und Policeyordnung“ waren so eng mit dem Bereich der Disziplin, der Zucht, d. h. der sittlichen Ordnung, verbunden, dass „Ordnung“ und „Policey“ oft als Synonym hierfür verwendet wurden.156 Doch eine effektive Sozialdisziplinierung der Untertanen durch die Policey lässt sich erst im staatlichen Absolutismus feststellen, der sich zur Zeit Melanchthons weder im damaligen Reich noch in den sich bildenden Territorialstaaten entwickelt hatte. Sogar in der Hochzeit der territorialen Policeygesetzgebung gab es keinen Absolutismus in den Fürstenstaaten. Im Bereich der Policeysachen ist die landesherrliche Gewalt nie ganz unabhängig von der Reichshoheit, d. h. nie absolut, gewesen. Das Policeyrecht war aber nicht nur ein Instrument des absolutistischen Staates zur Durchführung landesfürstlicher Souveränitätsinteressen, sondern auch zur Sozialdisziplinierung. Sowohl im Reich als auch in den Territorien bekam das Policeyrecht eine zentrale Stellung im Rahmen des Versuches, dem Zerfall der alten Ordnung, in der auch die ordnende Kraft der Amtskirche seit dem 15. Jahrhundert nachließ, ein neues Korpus politischer, strafrechtlicher und sittlicher Regeln entgegenzusetzen.157 Härter, Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung, S. 61 – 141, insb. S. 62. Härter präzisiert aber: „Policey ( . . . ) bezieht sich jedoch konkret auf einen begrenzten Kreis bestimmter Regelungsinhalte und Policeymaterien und postuliert damit einen relativ klar umrissenen Bereich staatlicher Ordnungsaufgaben“, in: Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung, S. 70, sowie Anm. 29: „Der Begriff Ordnung wird in den Reichstagsakten in zweifacher Weise gebraucht: 1) als ein existierender oder herzustellender Zustand der Ständegesellschaft oder bestimmter gesellschaftlicher Bereiche; 2) als Satzung und ausführliches Gesetz, das mehrere Bestimmungen umfasst oder eine Materie (relativ) erschöpfend regelt.“. Ähnlich definiert auch Knemeyer, (Polizeibegriffe in Gesetzen, S. 154 – 180) den Inhalt des Policeybegriffs: 1) Zustand der guten Ordnung des gesamten Gemeinwesens, 2) die von der Obrigkeit erlassenen Policeynormen, die ordnungspolitische Zielvorstellungen und Inhalte, aber auch das Instrumentarium zur Herstellung der „guten Ordnung“ des Gemeinwesens angeben, 3) die innenpolitischen staatlichen Ordnungsaufgaben und die diesbezüglichen Policey-Anstalten und Institutionen. 155 156
214
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Das Reich im 16. Jahrhundert erlebte eine ernste religiös-politische Krise, die sich auch in der Rechtsprechung und in den Verfassungen widerspiegelte. Diese Phase der Neuorientierung drückte sich u. a. in der Intensivierung der Gesetzgebung und in den Reichsreformen aus. Zu dieser Zeit hatte das Reich bereits die notwendigen institutionellen Instrumente: Im selben Jahr 1495 wurde das Reichskammergericht gegründet, das Reichsregiment eingerichtet und der „ewige Landfrieden“ verordnet. Gleichzeitig entwickelte sich der Reichstag zum zentralen Organ der Reichsverfassung, da seine Versammlungen regelmäßiger und der Kreis der reichsständigen Teilnehmer immer konstanter wurden. Der Reichstag gewann im selben Jahr auch deshalb an Bedeutung, weil auf dem Wormser Reichstag beschlossen wurde, dass Kaiser und Reichsstände, die in drei Kurien (Kurfürsten-, Fürsten- und Reichsstädterat) organisiert waren, nur gemeinsam auf den Reichstagen das Gesetzgebungsrecht ausüben durften.158 Durch den vertraglichen Charakter der Reichsgesetze (sowohl der Reichsabschiede als auch der Reichsbeschlüsse)159 gewannen die Reichsstände einerseits an politischer Macht, andererseits wurden sie stärker an die Entscheidungen des Reiches gebunden, was den Spielraum ihrer eigenen Machtausübung wiederum begrenzte. Deswegen bestritten vor allem die stärksten Landesherren noch nach 1495 die Verbindlichkeit der Reichsgesetze.160 Die Mehrheit der kleineren Herrschaften wie die Grafschaften, die Reichsstädte und die Reichsritter betrachteten jedoch die Gesetze des Reiches als Schutz und Rechtsmittel für ihre eigene Existenz. Die schwierigste Aufgabe des Reichstags lag deshalb darin, dass er die sehr unterschiedlichen Interessen der Reichsstände und anderer Herrschaften zu koordinieren hatte.
1. Die Reichspoliceyordnungen von 1497 bis 1530 Die Auflistung der Verordnungen der Reichstage von Lindau (1497), Freiburg (1498) und Augsburg (1500), die auf der Basis der Regelungen des Wormser Reichstages erlassen wurden, erläutert ihre politische Zielrichtung: – Ordnung des Münzwesens, – ständisch gestufte Kleiderordnung, 157 van Dülmen, Formierung der europäischen Gesellschaft, S. 5 – 41 sowie Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. I: Reichspublizistik und Policeywissenschaften 1600 – 1800. 158 Angermeier, Begriff und Inhalt der Reichsreform, S. 181 – 205, Mohnhaupt, Potestas legislatoria und Gesetzesbegriff, S. 188 – 239, Wolf, Die Gesetzgebung der entstehenden Territorialstaaten, S. 517 – 800, insb. S. 539 – 548 und S. 586 – 594. 159 Die Reichsabschiede umfassen die Gesamtheit der auf einem Reichstag gefassten und vom Kaiser verkündeten Beschlüsse. Nach dem letzten sog. „Jüngsten Reichsabschied“ von 1654 gab es keine Reichsabschiede mehr, da der Reichstag in Permanenz tagte. 160 Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation, S. 113 – 140, Durchhardt, Deutsche Verfassungsgeschichte 1495 – 1806, S. 29 – 44.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
215
– Vermeidung von Aufwand bei Hochzeiten und anderen Festen, – Qualitätsnormen für den Verkauf von Tüchern, – Qualitätsnormen für die Herstellung und den Verkauf von Wein, – Vorschriften über die „Haltung“ von Narren, Musikern und Spielleuten, – Verbot des „unziemlichen Bettelns“ und Arbeitspflicht für die Bettlerkinder, – „Ausschaffung und Abhaltung“ der Zigeuner, – Verbot des „Zutrinkens“, – Beschränkung des Bettelns der Stationierer (Bettelmönche), – Ordnung der Amtsführung der Notare, – Verbot der „wucherischen Contracte“ und des „Fürkaufs“, – Verbot der Gotteslästerung einschließlich des gotteslästerlichen Fluchens und Schwörens.161
Diese ersten Grundprinzipien der Reichspoliceyordnung wurden ab 1512 in den folgenden Reichsordnungen immer wieder übernommen und um neue repressive Maßnahmen ergänzt: In dem Reichsabschied des Reichstags zu Köln und Trier 1512 wurden erstmals Handelsmonopole (die der „Spezereien“, „Erze“ und „Wolltücher“) bekämpft. Die Idee einer von den anderen Reichsordnungen getrennten Policeygesetzgebung entwickelte sich ab diesem Datum allmählich und wurde mit der Erlassung der Reichspoliceyordnung 1530 konkretisiert.162
2. Die Reichspoliceyordnung von 1530 und ihre spätere Ergänzung In der Reichspoliceyordnung im Jahre 1530 wurden nicht nur die schon erlassenen Regelungen neu formuliert, ergänzt und bzgl. der Strafmaße präzisiert. Sie beinhaltete auch zahlreiche neue Normen wie: – das Verbot des öffentlichen Ehebruchs, – das Gebot an die Obrigkeit in ihren Territorien, sowohl die Arbeitsbedingungen der Tagelöhner, Arbeiter, Dienstboten und des Gesindes als auch die Preis- und Angebotsvorschriften für Gaststätten in speziellen landesherrlichen Ordnungen zu regeln, Härter, Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung, insb. S. 71 f. Ein erster Entwurf entstand im April 1521 auf dem Wormser Reichstag. Später auf dem Nürnberger Reichsregiment 1524 kam ein weiter ergänzter Entwurf hinzu. Auf den Reichstagen von 1528 / 29 wurden wichtige Maßnahmen zur Zensur gegen die Täufer sowie erneut im Bereich der Handelsmonopole beschlossen. Letzten Endes kam der definitive Entwurf aus der „Ordnung“, die von den schwäbischen Bundesstädten im August 1530 beschlossen wurde. Dieser wurde im selben Jahr auf dem Wormser Reichstag in die erste Reichspoliceyordnung übernommen. Quellen: Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, siehe auch Neuhaus, Der Augsburger Reichstag, S. 167 – 211. 161 162
216
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
– Qualitätsnormen für den Verkauf von Ingwer, – das Verbot des Judenwuchers, d. h. der Hehlerei und Zinsnahme durch Juden, – die Bestimmungen zu den Handwerksmissbräuchen, wie u. a. das Verbot des Schenkens, der Arbeitsvermittlung durch die Gesellenvereine und der Unredlichmachung, – und schließlich verpflichteten sich die Obrigkeiten, einheitliche Maße und Gewichte in allen Territorien des Reiches einzuführen.163
Schon 1532 entstanden neue Verordnungen bezüglich der Monopole, der Wucherverträge und zu dem „Judenwucher“. Vor allem der Aufenthalt von Juden in den verschiedenen Territorien wurde durch eigene sogenannte Judenordnungen geregelt.164 Die Wiedertäufer wurden vor allem auf dem Reichstag zu Worms 1535 mit dem Verbot ihrer Schriften und mit der Beseitigung ihrer bürgerlichen Ansprüche bekämpft. Die Reichspoliceyordnung von 1530 wurde 1541 bestätigt und von den Reichsständen wurde verlangt, dass sie Ergänzungs- bzw. Verbesserungsvorschläge für die nächsten Reichstage vorbereiteten. Erst 1545 wurden die eingegangenen Vorschläge von den Reichsständen und dem Kaiser diskutiert. Die Umsetzung blieb aber wegen Uneinigkeit zwischen den beiden Parteien erfolglos.165 Eine neue „Ordnung und Reformation guter Policey“ wurde trotz der Kontroverse über die oben genannten Bereiche166 auf dem Augsburger Reichstag 1548 erlassen, allerdings erst nachdem die Reichsstädte sowohl von den Beratungen, als auch von den Beschlüssen weitgehend ausgeschlossen wurden.167 Diese Policeyordnung übernahm die zahlreichen Regelungen, die bis dahin auf den Reichstagen verordnet wurden, und bemühte sich um eine systematische Klassifizierung.168 Zuerst wurden die eher „privaten“ Angelegenheiten wie das Verbot 163 Grundmann, Valentin von Tetleben, insb. S. 185 f., RA und RPO vom 19. 11. 1530, NSRA II, S. 306 – 345 und §§ 134 – 136. 164 RA 27. 7. 1532, NSRA II, S. 352 – 365, Tit. VIII und RTA JR X, Nr. 303. Dazu die Aktenstücke in RTA JR X. Nr. 118, 119 und 130. 165 Die Reichsstädte hatten sich allerdings gegen ein verschärftes Verbot des Judenwuchers und der Handelsmissbräuche sowie gegen die Vereinheitlichung der Maße und Gewichte eingesetzt; siehe Härter, Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung, S. 79. 166 Vor allem über die Verschärfung und Ausweitung der Wuchers- und Handwerksbestimmungen, über die Einführung allgemeiner Lohntaxen für Handwerker und Arbeitskräfte, über detaillierte Aufwandsordnungen, über die Aufnahme einiger neuer Policeymaterien (Zensur, Glücksspiel) sowie über den Judenwucher und den Statut der Juden insgesamt; Härter, Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung, S. 79 f. 167 Stadtarchiv Frankfurt, Reichstagsakten 1397 – 1806 (StdAFFM), hier Bd. 60 – 62, Reichspoliceyordnung (RPO) und Reichsabschied (RA) vom 30. 6. 1548, in: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, hier Bd. II, S. 587 – 606 und S. 527 – 550, siehe auch Rabe, Reichsbund und Interim. 168 Das Verbot des öffentlichen Ehebruchs wurde neu gefasst und mit dem Verbot „anderer leichtfertiger und unziemlicher Beywohnungen“ sowie der Kuppelei ergänzt. Die Über-
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
217
des Ehebruchs und des offensichtlichen Konkubinats berücksichtigt. Danach wurde die Gehorsampflicht der Untertanen geregelt und insbesondere das Verbot von Aufruhr und Widerstand betont. Es folgten vielfältige wirtschaftliche Bestimmungen, die sich sowohl mit Angelegenheiten, die heutzutage „sozialrechtlich“ genannt werden, als auch mit Qualitätsnormen für bestimmte Produkte befassten, deren Import den deutschen Markt gefährden könnte. Die Handelsfreiheit aber auch die Handlungsfreiheit der gesamten Bevölkerung wurden durch zahlreiche Regelungen beschränkt. Eine weitere Gruppe von Normen beinhaltet einen gewissen rechtlichen Schutz der Bevölkerung vor wirtschaftlicher Ausbeutung (Überwachung der Vormundschaft), vor falschen Amtsträgern (Kontrolle der Richter, Advokaten und Prokuratoren), vor unmittelbarer Gewalt (Warnung vor den Soldatenangriffen und Kriegsknechten) und schließlich vor falschen Lehren, wobei die Zensur als staatliches Kontroll- und Kampfmittel angewandt werden konnte.169 Nur einige Aufgaben der Policey (das Münzwesen,170 die öffentliche Sicherheit im Reich bzw. die Wahrung des Landesfriedens und das Vorgehen bei Aufständen und Unruhen)171 wurden nicht in der Reichspoliceyordnung behandelt, sondern in getrennten Ordnungen erlassen. Auf dem Reichstag 1551 wurden hauptsächlich Bestimmungen im wirtschaftlichen Bereich ergänzt und an die Pflicht der Obrigwachung der Apotheken und der Arzneimittel wurde eingeführt. Teilweise umfassende Bestimmungen regelten Einsetzung, Pflichten und „staatliche“ Überwachung von Vormündern, die Amtsführung von Richtern, Advokaten und Prokuratoren, den Schutz der Bevölkerung vor Soldatenübergriffen und das Vorgehen gegen herumziehende und „gartende“ (im Freien lagernde) Kriegsknechte sowie die Zensur. Aufgenommen wurden weiterhin Qualitätsvorschriften für den Gewürz- und Weinhandel, Ausfuhrbeschränkungen für Wolle, die Verfolgung und Bestrafung flüchtiger Bankrotteure, das Verbot des Fürkaufs bei Feldfrüchten und Wein, Vorschriften für Gold und Silberschmiede sowie das Verbot von Preisabsprachen bzw. der Preistreiberei im Handwerk und die Aufhebung des Zunftausschlusses für sogenannte „unehrliche“ Handwerker und Berufe. Drei weitere kaiserliche Edikte wurden auch verabschiedet: Über die Durchführung der Zensurbestimmungen, über die Amtsführung der Notare und über das Verbot der Ausfuhr von ungemünztem oder unbearbeitetem Silber; Auflistung bei Härter, Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung, S. 82. 169 „Kaysers Caroli V. Edictum, die Censur der Bücher betreffend“ 1548 (30. 6. 1548), in: Das teutsche Reichsarchiv (TRA), Bd. I-XXIV, hg. von Johann Christian Lünig, Leipzig 1713 – 1722, hier Bd. II, S. 849 f., „Kaysers Caroli V. Edictum, derer Notarien halben“, 1548 (3. 8. 1548), TRA II, S. 866 f., „Kaysers Caroli V. Edictum, worin die Verhandlung ungemüntzt / oder ungewercktes Silbers aus dem Reiche Teuschter Nation verboten wird / und was deme mehr anhängig“ 1548, TRA I, S. 497 f. 170 Münzmandat, 31. 5. 1549, NSRA II, S. 634 f., RA 14. 2. 1551, NSRA II, S. 609 – 632, §§ 35 – 52, Münzordnung, 14. 2. 1551, TRA II, S. 890 – 905, Münzordnung, 19.8. 1559, NSRA III, S. 186 – 199, Probierordnung, 20. 8. 1559, TRA I, S. 349 – 355, RA 30. 5. 1566, NSRA III, S. 211 – 244, §§ 147 – 176, RA 20. 9. 1582, NSRA III, S. 399 – 418, §§ 66 – 71. 171 Landfriede von 1548, NSRA II, S. 574 – 587, RA 25. 9. 1555 (Reichsexekutionsordnung), NSRA III, S. 14 – 43, RA 16. 3. 1557, NSRA III, S. 136 – 152, §§ 69 – 72, RA 19. 8. 1559, NSRA III, S. 163 – 186, §§ 19 – 26, RA 30. 10. 1600, NSRA III, S. 471 – 498, § 148.
218
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
keiten, in ihren Territorien die Reichsverordnungen zu erlassen, erinnert. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe bestand darin, dass die alten Gebräuche, Gewohnheiten und Ordnungen der Herrschaftsbereiche aufgehoben werden mussten, was nicht immer ohne Unruhe in der Bevölkerung geschehen konnte. 1555 wurde ein generelles Ausfuhrverbot für Wolle verabschiedet, da eine Änderung der geltenden Policeyordnung nicht als notwendig erachtet wurde. Erst 1577 wurde auf dem Deputationstag in Frankfurt eine „Reformation“ der Reichspoliceyordnung erlassen, die jedoch im Grunde genommen nur eine Ergänzung der bisherigen Normen war.172 Zusammenfassend lassen sich drei Hauptperioden in der Entstehung der Policeygesetzgebungen herausstellen: Zunächst von 1495 bis 1500, dann von 1529 bis 1532 und von 1548 bis 1551, wobei der Augsburger Reichstag 1548 den Höhepunkt der Reichspoliceygesetzgebung bildet, da danach nur noch Ergänzungen und Präzisionen an den bereits vorhandenen Normen vorgenommen wurden.
II. Religiöse Aspekte der „Policey“: Die Frage der Gotteslästerung In der Darstellung der Reichspoliceygesetzgebungen wird die Verquickung der privaten mit den öffentlichen Angelegenheiten, der religiösen mit den rein staatlichen Normen, der wirtschaftlichen mit den politischen Regeln, die der Begriff „Policey“ umfasst, noch einmal deutlich. Die Normen behandeln sowohl die Kleider, die jeden Stand charakterisieren, als auch den juristischen Status der Juden, die auf dem Gebiet des Geldhandels als Wucherer systematisch eingeschränkt werden, bis zur Vertreibung der Zigeuner, die als „unehrliches“ Volk rechtlich legitimiert verurteilt werden. Diese Normen spiegeln daher ein großes Spektrum gesellschaftlichen Lebens wieder. Einige Themen der Reichspoliceyordnungen, die immer wieder behandelt und die bis ins kleinste Detail auf den Reichstagen geregelt wurden, finden wir in Melanchthons Schriften wieder. Die Wucherei z. B., die in jeder Policeyordnung seit dem Reichstag von Lindau 1497 mit neuen Verboten bekämpft wurde, verurteilte Melanchthon in mehreren seiner Reden und Schriften.173 Auch die Gotteslästerung 172 „Der Römischen Kayserl. Majestät reformirte und gebesserte Policey-Ordnung, zu Beförderung gemeines bürgerlichen Wesen und Nutzen auf Anno MDLXXVII. zu Franckfort gehaltenem Reichs-Deputation Tag, verfaßt und aufgericht“ (9. 11. 1577), NSRA III, S. 379 – 398, siehe Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen, S. 476 f., Blaich, Die Wirtschaftspolitik des Reichstags, S. 144 f. 173 Cf. u. a. in den „Loci communes“ (1521), CR XXI, S 146: „( . . . ) in universum interdictum est foenus“; In Oratio de legibus (1523 / 25), CR XI, S. 78: „Avarus nihil esse vitii in foenore faciendo existimat. At si valerent leges, quae foenerationibus maiorem mulctam constituerunt quam furibus, quis non execraretur foenus?“; Im Titel der „Prolegomena: De venditione et emptione“, CR XVI, S. 576: „Vult Deus in commutatione servari aequalitatem ordinatam in praeceptis (Exod. 20, 13.15.): Non occides, Non moechaberis, Non furtum facies“.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
219
in all ihren Formen wurde in den Reichspoliceyordnungen immer wieder verboten: In den drei ersten Reichstagen zu Lindau 1497, zu Freiburg 1498 und zu Augsburg 1500, später auch in der ersten Reichspoliceyordnung 1530 und auch danach auf den späteren Reichstagen von 1532, 1535, 1541, 1545, 1551, 1555 und 1577 sowie in der „Reformation“ 1548 wurde das Verbot immer wiederholt. „Policey“ kennzeichnete im 16. Jahrhundert alles, was die Bevölkerung unter dem Begriff der „inneren Verwaltung“ verstand. Diese innere Verwaltung erhielt durch die jeweilige Ordnung die Maßstäbe, nach denen sie das alltägliche bürgerliche Leben reglementieren und kontrollieren musste. „Ordnung“ bedeutet deshalb nicht nur Verbote bzw. strafrechtliche Gesetzgebung, sondern auch die Organisation des Zusammenlebens sowie die sittliche und ständische Klassifizierung der Gesellschaftsmitglieder, wie es besonders in der Kleiderordnung ausdrücklich formuliert wurde. Die Landesordnungen erließen zunächst einige polizeiliche Vorschriften über das gesamte bürgerliche Leben, wie z. B. eine Kleiderordnung, eine Lebensmittelpolizei und Spielverbote, die durch eine gut strukturierte, effiziente, innere Verwaltung in Kraft treten konnten. Nachdem die Ausbildung der fürstlichen Verwaltung sich verbessert hatte, wurden diese Regelungen erweitert, bis sie die Landesordnungen sprengten und daraufhin in getrennten Policeyordnungen formuliert wurden. Die zahlreichen damaligen Kodifikationen hatten hauptsächlich zum Ziel, dem „allgemeinen Nutzen“, auch „allgemeine Wohlfahrt“ genannt, zu dienen.174 Daher wird der damalige Staat entweder als „Wohlfahrtsstaat“, oder als „Polizeystaat“ bezeichnet, je nachdem ob man das Mittel oder das Ziel hervorheben will. Über die Verbreitung der „richtigen“ Lehre finden wir in den Reichsverordnungen angesichts der Konfessionsspaltung im Reich verständlicherweise kein Wort. Ausdrücklich wurde nur das gotteslästerliche Fluchen und Schwören verboten, aber der Begriff „Gotteslästerung“ konnte auf sehr unterschiedliche Art interpretiert werden. Für Melanchthon bedeutet Ordnung im wesentlichen sittliche „gute Policey“. Deswegen setzte er sich nur mit bestimmten Regelungen der Policeyordnungen auseinander, nämlich mit denen, die seiner religiösen und politischen Überzeugung entsprachen. 1539 setzte er sich in seiner Schrift „De officio principum quod mandatum Dei praecipiat eis tollere abusus Ecclesiasticos“175 mit dem Begriff der Gotteslästerung, den er sehr breit definierte, auseinander. In Übereinstimmung mit den Reichspoliceyordnungen machte er die Bekämpfung der Blasphemie in den Territorien zur Pflicht der Obrigkeiten, ja sogar zu deren erstrangiger Pflicht:
Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 63. Über das Amt der Fürsten, Gottes Befehl auszuführen und kirchliche Missbräuche abzustellen, MSA 1, S. 388 – 410, Übersetzung bei Melanchthon deutsch, Bd. II, Leipzig, 1997, S. 199 – 225. 174 175
220
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
„Magistratus est custos primae et secundae tabulae legis, quod ad externam disciplinam attinet, hoc est, prohibere externa scelera et punire sontes debet et proponere bona exempla.“176
Die Gotteslästerung bedeutete aber für Melanchthon auch die durch die Fürsten geleistete Unterstützung der römischen Kirche, das Amt der Bischöfe sowie die obrigkeitliche Passivität der „reinen“ Lehre gegenüber. Auf die Frage „An principes debeant mutare impios cultus cessantibus aut prohibentibus Episcopis aut superioribus dominis?“177 antwortet er im Gegensatz zu denen, die meinten, dass die weltlichen Obrigkeiten sich in die kirchlichen Angelegenheiten nicht einzumischen haben: „Sed reiectis his cavillationibus respondeo. Principes et magistratus debere impios cultus tollere et efficere, ut in Ecclesiis vera doctrina tradatur et pii cultus proponantur.“178
Pflicht der Obrigkeit sei es, die „falsche Lehre“, die er später in dieser Schrift ausdrücklich als „öffentliche Gotteslästerung“ bezeichnet, abzuschaffen, genau wie „der Hausherr den Lästerungen bei seiner Familien ein Ende machen muss ( . . . ).“179 Diese Parallele zwischen der Rolle des Pater familias und des Fürsten bestätigt das in der Geschichtsschreibung über die Frühe Neuzeit verbreitete Urteil, die Einstellung der Reformatoren sei eine „patriarchalistische und konservative“ gewesen. Die Verquickung der Sozialdisziplinierung mit der Politik war keine Neuigkeit der Konfessionalisierung, aber die Reformation hat die Entstehung des modernen Staats benützt und dadurch auch gefördert, um ihrer Kirche eine sichere institutionelle Unterstützung zu geben. Später wird sich der Prozess umdrehen, d. h. „die Religion (wird) nicht mehr (herrschen), sondern sie wird in der Neuzeit instrumentell benutzt, taktisch eingesetzt, vor allem eben als Disziplinierungsmittel“.180 Erst in der Frühaufklärung wird viel deutlicher zwischen Staat und Kirche, zwischen Religion und Politik, zwischen Politik und Moral und zwischen Moral und Recht differenziert.181 176 „Die weltliche Obrigkeit ist der Wächter der ersten und zweiten Gesetzestafel, was die äußere Ordnung betrifft, d. h. sie muss öffentliche Laster unterbinden und die Schuldigen bestrafen und gute Beispiele öffentlich machen“, MSA I, S. 390, Übersetzung bei Melanchthon deutsch, S. 202. 177 „Ob die Fürsten den falschen Gottesdienst korrigieren müssen, wenn die Bischöfe oder Oberherrn darin nichts unternehmen oder sich dagegen stellen“, MSA 1, S. 388, Übersetzung bei Melanchthon deutsch, S. 199. 178 „Aber ich weise diese Spitzfindigkeiten zurück und halte dagegen, dass Fürsten und weltliche Obrigkeit den falschen Gottesdienst beenden und erreichen müssen, dass in den Kirchen die wahre Lehre überliefert wird und richtige Gottesdienste stattfinden“, in: „De officio principum, quod mandatum Dei praecipiat eis tollere abusus Ecclesiasticos“, 1539, S. 388, Übersetzung bei Melanchthon deutsch, S. 200. 179 „Item, tollere blasphemias externas apud omnes, quibus praees, ut paterfamilias debet tollere blasphemias in sua familia, multo magis princeps in ditione, cui praeest“, in: „De officio principum“, MSA 1, S. 389, Übersetzung bei Melanchthon deutsch, S. 201. 180 Stolleis, „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“, S. 1 – 23, insb. S. 22.
3. Kap.: Kirche und weltliche Obrigkeit, Träger des ordo politicus
221
Bei Melanchthon hingegen bestand noch keine Differenzierung. Im Gegenteil wird die Logik seiner Auffassung von Staat und Religion, von Ethik und Politik in seinem auf dem Naturrecht fundierten Weltverständnis noch einmal deutlich, wenn man in seiner Schrift über das Amt der Fürsten folgendes liest: „Ergo necesse est magistratum externam idolatriam et blasphemias tollere et curare, ut pia doctrina et pii cultus proponantur. Etsi enim magistratus non mutat corda nec habet ministerium spiritus,182 tamen habet suum officium externae disciplinae conservandae etiam in iis, quae ad primam tabulam pertinent. ( . . . ) Nec revocamus politiam Mosi, sed lex moralis perpetua est et omnium aetatum. Morale et naturale mandatum est prohibere et punire idolatriam et blasphemias, quia prohibentur in primo et secundo praecepto, quae sunt moralia, sicut omnes gentes puniverunt periuria, et haud dubie magistratus deberet punire prophanos seu [gr. atheus], qui delectantur Epicureis sermonibus de Deo et de providentia.“183
E. Zusammenfassung des dritten Kapitels Melanchthons Lehre vom ordo politicus vereinigt die altgriechische und römische Ansicht des ordo mit der alten Stoa und der mittelalterlichen Scholastik. Im Zusammenhang mit seiner Definition des Naturrechts übernimmt er den ciceronischen Begriff der notitiae, d. h. der dem Menschen angeborenen Gotteserkenntnis sowie der Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, als Ursprung der politischen Ordnung.184 Die Auffassung Melanchthons, dass die politische Ordnung unentbehrlich sei, beruht auf seiner Überzeugung, dass sie von Gott nicht nur gebilligt, sondern vielmehr gestiftet wurde. Den Beweis dafür sieht Melanchthon in der Hierarchie der Rechtsnormen und deren Inhalt: Die Naturgesetze verlangen die Erhaltung menschlicher Institutionen wie Ehe und Familie, Obrigkeit, Gesetz, Verträge, Strafrecht. Aufgrund deren Abstammung aus dem lex divina ist 181 Stolleis, „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“, S. 20, in Bezug auf die Meinung von Christian Thomasius. 182 Gemeint ist das Predigtsamt, Anm. 19 der Übersetzung bei Melanchthon deutsch, S. 202. 183 „Also ist es notwendig, dass die weltliche Obrigkeit öffentlichen Götzendienst und Lästerungen beseitigt und dafür sorgt, dass in der Öffentlichkeit die wahre Lehre und richtige Gottesdienste zu finden sind. Wenn auch die weltliche Obrigkeit nicht die Herzen bekehren kann und nicht den Dienst am Geist innehat, hat sie dennoch entsprechend ihrer eigenen Aufgabe die äußere Ordnung auch in den Dingen zu wahren, die die erste Tafel betreffen. ( . . . ) Und wir stellen damit nicht die Rechtsordnung des Moses wieder her, sondern das moralische Gesetz ist beständig und in allen Zeitaltern gültig. Moralisches und Naturgesetz ist es, Götzendienst und Lästerungen zu verbieten und zu bestrafen, weil sie auch im ersten und zweiten Gebot, die moralisch sind, verboten werden, so wie alle Völker Verbrechen bestraft haben, und ohne Zweifel muss die weltliche Obrigkeit die Heiden und Atheisten bestrafen, die Freude an epikureischen Reden über Gott und die Vorsehung haben“, in: „De officio principum“, MSA 1, S. 390, Übersetzung bei Melanchthon deutsch, S. 202. 184 Huschke, Melanchthons Lehre vom „ordo politicus“, insb. ab S. 125.
15 Deflers
222
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
der göttliche Wille einer weltlichen gesellschaftlichen Ordnung für Melanchthon unzweifelhaft, vor allem weil Gott der Schöpfer aller weltlichen Lebensformen sei. Seine Auffassung der weltlichen Institutionen, die den ordo der societas civilis bilden, ist auch naturrechtlich fundiert: Die Bestimmung der Institutionen durch den Dekalog entspricht allerdings seiner so genannten biblischen Naturrechtslehre.
Viertes Kapitel
Die Grundinstitutionen des ordo politicus Nachdem Zweck und Formen, Träger und Mittel der gesellschaftlichen Ordnung berücksichtigt wurden, lassen sich in dem genauen Inhalt des ordo politicus zahlreiche rechtliche Institutionen, denen Melanchthon einen bestimmten Platz in diesen Schriften über den ordo zuschreibt, entnehmen. Ihre Anzahl wechselt ständig, da in einigen Schriften auch die Künste, die Wissenschaften und das Militär u. a. als Komponenten der gesellschaftlichen Ordnung erwähnt werden.1 Unter den Grundinstitutionen können wir allerdings fünf zentrale Einrichtungen erkennen, die zur unveränderlichen Naturordnung gehören: Die Obrigkeit, die Ehe und Familie, das Eigentum, das Vertragsrecht und das Strafrecht.
A. Die Obrigkeit Die Rolle der Wittenberger Reformatoren als Gutachter der evangelischen Kurfürsten zwang sie, sich mit der Frage der Pflichten und Rechte der Obrigkeit im Zusammenhang mit der Problematik des Widerstandsrechts auseinander zu setzen. Auf Grund ihrer Reflexion über das Recht, sich gegen einen ungerechten oder tyrannischen Herrscher zu wehren, formierte sich eine Reihe von Äußerungen über die Pflichten der Obrigkeit gegenüber ihren Untertanen, der Kirche, den anderen Herrschern sowie dem Kaiser. Aus dem Zwang, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen, ihre Meinungen zu erläutern und zu begründen, entwickelte sich ihre Position über die Rolle des Herrschers in der gesellschaftlichen Ordnung. Im Folgenden wird zuerst die Stellung der Reformatoren insgesamt und die Melanchthons im Besonderem zur Frage des Widerstandsrechts betrachtet, um später die verschiedenen Aspekte der obrigkeitlichen Aufgaben zu analysieren.
1 CR XII, S. 14: „Totus hic ordo politicus: leges, discrimen honestorum et turpium, magistratus, coniugia, dominiorum distinctio, contractus, iudicia, poenae, Dei opus est ( . . . )“, S. 22: „Magistratus, praesidia, contractus, iudicia, poenas ( . . . )“; in der Confessio Saxonica 1551, MSA VI, S. 161, S. 18 f. „( . . . ) in tota doctrina Dei . . . adfirmari ordinem politicum, magistratus, leges, iudicia et legitimam societatem hominum ( . . . )“, in: „Oratio de veris legum fontibus et causis“, CR XI, S. 918: „Memini furores multorum, qui prorsus totum ordinem politicum damnabant, imperia, magistratus, leges, contractus, iudicia, poenas“, CR XV, S. 1011: „Voco autem politicum ordinem, ut supra monui, non iniustas perturbationes ordinis, sed ipsas Leges cum ratione congruentes, coniungentes societatem civilem, ut multitudini certi homines praesint. Item contractus, iudicia, legitimas poenas, depulsionem latrociniorum, militiam“.
15*
224
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
I. Die Stellung der Reformatoren zur Frage des Widerstandsrechts Mit dem Widerstandsrecht beschäftigten sich Luther und Melanchthon von 1521 bis zum Ende des Schmalkaldischen Krieges im Jahre 1547 intensiv. Sie wurden mit zwei verschiedenen Arten von Widerstand konfrontiert. In der Stellung Melanchthons hat H. Lüthje daher zwei verschiedene Perioden unterschieden: Bis 1530 lehnte Melanchthon jede Art von Widerstand gegen die weltlichen Herrscher außer dem passiven „leidenden“ ab. Erst nach dem Augsburger Reichstag, nachdem der sächsische Kurfürst Johann der Beständige die Führungsposition des Schmalkaldischen Bunds übernommen hatte, wurde der Reformator mehr oder weniger gezwungen, seine Meinung zu revidieren.2 1. Erste Periode: Melanchthons strenge Ablehnung des aktiven Widerstandsrechts a) Widerstand der Bauern gegen die Obrigkeit In seiner Schrift „Unterschied zwischen weltlicher und christlicher Fromkeit“3 (1521) nimmt Melanchthon zu der Frage Stellung, wann Untertanen gegen die Befehle eines Herrschers Widerstand leisten dürften. Grundsätzlich verlangt er von den Christen einen gutwilligen Gehorsam gegenüber der Staatsgewalt, erklärt aber gleichzeitig den passiven Widerstand der Untertanen für zulässig, wenn die Obrigkeit gegen Gottes Gebot verstößt: „Aeußerliche Fromkeit ist gar gefaßt zum Ersten in die Gewalt, welche die Schrift das Schwert nennt; und wie uns Gott dem Schwert unterworfen hat, also fordert er auch äußerliche Zucht und Sitten, welche weltliche Obrigkeit Frieden zu erhalten einsetzt. Und ist man weltlicher Obrigkeit Gehorsam schuldig, sofern sie nichts wider Gott gebeugt zu thun, ob sie schon sonst mit Gewalt führt.“4
In der Tradition des „leidenden Sohnes Gottes“ erkennt der Theologe ausschließlich den leidenden Widerstand der Christen an, der auf keinen Fall zu Gewalttaten führen darf. Diese Ansicht finden wir in den Loci communes desselben Jahres wieder: „Porro non licet magistratui statuere adversus ius divinum, nec obtemperari adversus ius divinum debet iuxta illud in actis Apostolicis:5 ,Oportet deo magis oboedire quam hominibus‘.“6 Lüthje, Melanchthons Anschauung, S. 512 – 542. CR I, S. 523 – 528. 4 CR I, S. 526: „wenn sie auch sonst, nämlich außer dem Falle des Widerspruchs gegen ein göttliches Gesetz, Gewalt braucht.“ 5 Apg. 5, 29, Röm. 13.1 ff. 6 CR XXI, S. 130. „Andererseits ist es der Obrigkeit nicht erlaubt, Verordnungen zu erlassen, [die] im Widerspruch [stehen] zum göttlichen Recht; und man darf nicht Gehorsam 2 3
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
225
In dem zehnten Kapitel De magistratus7 erklärt er, was er unter den Ausdrücken „Gehorsam der Christen“ und „passiver Widerstand“ versteht: „Deinde si imperarint, quod est ex utilitate publica, obtemperandum est iuxta illud Roma. XIII. [vs. 5.] Obediendum esse non solum propter iram, sed et propter conscientiam. Nam caritas nos obtringit ad omnia onera civilia.8 Postremo, si quid imperent tyrannice, hic quoque ferendus est magistratus, propter caritatem, ubi sine publico motu, sine seditione nihil mutari potest. Iuxta illud [Matth. 5,39], Qui percusserit te in dextram, obverte ei et sinistram. Quod si citra scandalum, citra publicum motum elabi possis, elabere, ut si coniectus sis in carcerem nihil mali meritus, et effringere possis, sine publico motu, nil vetat fugere.“9
Die Aufrechterhaltung der sozialen Ruhe und des Friedens sei die wichtigste Verantwortung der Christen im weltlichen Reich. Es wird aber von ihnen nicht nur die einfache Erfüllung ihrer erzwungenen Gehorsamspflicht als Bürger erwartet. Vielmehr verlangt der Reformator von ihnen als Christen die Anerkennung der staatlichen Autorität als durch Gott eingesetzt bzw. das bewusste Akzeptieren aller Formen von Staatsgewalten. Trotz Trennung von weltlicher Macht und religiösem Bereich im jeweiligen Herrschaftsgebiet bleibt das göttliche Recht die höchste Rechtsquelle, die alle anderen Gesetze mitbestimmt.10 Deshalb soll den gottlosen, tyrannischen Herrschern, die neue in Widerspruch mit dem göttlichen Recht stehende Verordnungen zulassen, kein Anlass gegeben werden, ihre willkürliche Macht auszuüben. Die Flucht und das schweigende Verweigern sind deshalb als vom Evangelium zugelassene passive Widerstandsmittel, die Melanchthon empfiehlt. Jedoch soll alles, was zum Aufruhr führen könnte, vermieden werden. Wie H. Lüthje herausstellt, ist es bemerkenswert, dass der immer wiederholte Hauptgrund für die Duldung einer brutalen und ungerechten Staatsgewalt ausschließlich auf dem rein theologischen Hinweis der christlichen Liebe und der leisten[, wenn etwas] gegen das göttliche Recht [verstößt] gemäß jener Weisung in der Apostelgeschichte: ,Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen‘“, Übersetzung bei Pöhlmann, S. 134 / 135 idem auch S. 366 / 367. 7 CR XXI, S. 223 ff. 8 Röm. 13, 5. 9 CR XXI, S. 223 f. „Ferner, wenn sie etwas befohlen haben, was von öffentlichem Nutzen ist, muss man ihnen nach jenem [Wort] Röm. XIII gehorchen: Man soll nicht nur wegen der [Angst vor der] Strafe (Zorn), sondern um des Gewissens willen gehorchen. Denn die Liebe verpflichtet uns zu allen staatlichen Abgaben. Schließlich, wenn sie etwas mit tyrannischer Gewalt aufzwingt, ist die Obrigkeit auch hiermit um der Liebe willen zu ertragen, wenn ohne öffentlichen Aufruhr und ohne Aufstand nichts verändert werden kann gemäß jenem [Wort]: „Wer dich auf die rechte [Backe] geschlagen hat, dem biete auch die linke dar.“ Wenn du ohne Ärgernis und ohne öffentlichen Aufruhr davonkommen kannst, [dann] mach dich aus dem Staub; z. B. wenn du ins Gefängnis geworfen wurdest, ohne dir etwas böses zuschulden kommen zu lassen und, ohne öffentlichen Aufruhr zu erregen, ausbrechen kannst, verbietet [dir] nichts, zu fliehen“, Übersetzung bei Pöhlmann, S. 366 / 367. 10 Vgl. Erstes Kapitel über das Gesetz bei Melanchthon.
226
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Aufrechterhaltung des Friedens basiert.11 Nirgendwo in seiner frühen Argumentation erwähnt Melanchthon den göttlichen Ursprung der Obrigkeit als Basis der Gehorsamspflicht. Im Laufe der zwanziger Jahre wurde die Wahrscheinlichkeit des sozialen Aufruhrs unter den Bauern vor allem in Verbindung mit den aggressiven politischen Programmen ihrer Führer, der sogenannten falschen Propheten, immer deutlicher. Luther entwickelte im Laufe des Jahres 1525 seine Zwei-Regimente-Lehre 12 und bekämpfte die theokratischen Thesen der Schwärmer mit dem Argument, dass das Evangelium nur das geistige Reich zu regieren hatte und deswegen sich in die weltlichen Angelegenheiten nicht einmischen sollte.13 Melanchthon gelangte in Folge der besorgniserregenden Entwicklung der Bauernunruhen schnell zu der festen Überzeugung, auf der seine Zwei-Reiche-Lehre beruhte, dass eine klare Trennung zwischen weltlichem und geistlichem Bereich dringend erforderlich war. Die beiden Reformatoren wiederholten angesichts der sich nähernden Kriegsgefahr einstimmig mit immer schärferem Ton ihre strikte Ablehnung aller Widerstandsarten der Untertanen gegen ihre Herrscher auf Grund der bedingungslosen Gehorsamspflicht der Christen ihrer Obrigkeit gegenüber.14 Der göttliche Ursprung der Obrigkeit und die daraus entstehende strenge Gehorsamspflicht als christliche Gewissenspflicht der Untertanen wurden durch die beiden Kirchenpolitiker im Dienst des sächsischen Kurfürsten mit einer extremen Strenge betont. Sie lehnten jede Möglichkeit auch des passiven Widerstands ab und erkannten nur die absolute Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit an. Zwei Ausnahmen wurden von Melanchthon dennoch zugelassen: „ohn alleyn, so die oberkeit gebötte widder Gott zu tun“15
und „es sey denn, das er (Gott) sonderlich eynem gebiete widder die obrigkeit zu handeln, wie er Mose, oder Jesu gebott, da gab er zeychen und zeugnis.“16
Diese beiden Einschränkungen wurden lediglich in kurzen Nebensätzen erwähnt. Neben Melanchthons zahlreichen Appellen, die die Bürger zur Unterwerfung gegenüber der von Gott eingerichteten weltlichen Obrigkeit aufriefen, als Lüthje, Melanchthons Anschauung, insb. S. 515. Zunächst in seiner Schrift: „Von weltlicher Obrigkeit, wieweit man ihr Gehorsam schuldig sei“ und auch WA 11, S. 249,24, S. 251, 1 ff., siehe auch Maier, Klassiker des politischen Denkens, Bd. I, S. 199 – 215. 13 Siehe das zweite Kapitel über die radikalen theokratischen Thesen der Schwärmer und der Bauernkrieg als Faktoren der Meinungsänderung Melanchthons. 14 Nur eine Ausnahme wurde genannt: Der Widerstand als unmittelbarer Befehl Gottes, was aber nicht weiter berücksichtigt wurde, weil Luther dies nur als eine Überlieferung des Alten Testaments betrachtete, Lüthje, Melanchthons Anschauung, S. 515. 15 „Confutatio articulorum rusticanorum“, CR XX, S. 641 – 662, insb. S. 646, „Eyn schrifft Philippi Melanchthon widder die artickel der Bawrschafft“, MSA I, S. 190 – 214. 16 CR XX, S. 647, MSA I, S. 196. 11 12
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
227
auch neben seiner wiederholten Erklärung des als gegen Gottes Gebot verstoßenden Widerstands erschienen sie damit als unbedeutend.
b) Eine neue Art von Widerstand: die Fürsten gegen die kaiserliche Autorität Diese strenge Position bereitete Melanchthon in den folgenden Jahren große Schwierigkeiten, und zwar als er am Ende der zwanziger Jahre mit einer anderen Art von Widerstand konfrontiert wurde: mit dem der protestantischen Territorialfürsten gegen den altgläubigen Kaiser. Schon 1518 finden wir in Sachsen die ersten Spuren des späteren Ungehorsams der Fürsten gegen die kaiserliche Autorität. Als der Kardinal Cajetan im Oktober dieses Jahres Friedrich dem Weisen befahl, Luther entweder auszuliefern oder aus seinen Territorien auszuweisen, entschied der Kurfürst, Luther weiter zu schützen.17 Da sich bis dahin aber weder der Kaiser noch der Reichstag über die Lutherfrage geäußert hatten, führte der Ungehorsam Friedrichs noch nicht zur Konfrontation mit der Frage des Widerstandsrechts. Das Feld der zukünftigen Auseinandersetzungen war jedoch schon bereitet. Zur Konfrontation kam es erst nach dem Reichstag zu Worms, als Karl V. nach der päpstlichen Entscheidung schon im Januar 1521 den Bann Luthers und seiner Anhänger mit dem Wormser Edikt im Mai beschloss. Für die Durchführung des Ediktes wurde die Unterstützung des Kurfürsten verlangt.18 In diesem Zusammenhang sollten die Wittenberger auf die Frage Spalatins, ob der Kurfürst das Recht oder die Pflicht hat, im Fall eines gegen ihn geführten Religionskrieges sein Land zu verteidigen, antworten. Im Gegensatz zu Luthers, Bugenhagens und Amsdorfs Gutachten19 war Melanchthons Antwort am 8. Februar 152320 eine definitive Ablehnung jeder Art von Widerstand auf Grund der unbedingten Friedenspflicht des christlichen Fürsten: „Zum Ersten ist das gewiß, dass niemand in dieser Sachen kann recht und billig Krieg führen ( . . . ). Zum Andern will dem Fürsten nicht gebühren, einen Krieg ohne Bewilligung seiner Landschaft und Unterthanen zu führen, von welchen er das Land und Fürstenthum hat. ( . . . ) Und ist ja gewiß, dass der Unterthanen Meinung und Gemüth nicht ist, dass man von wegen des Evangeliums einen Krieg führen soll ( . . . ) Darum soll auch der Fürst keinen Krieg führen ( . . . ).
Ludolphy, Friedrich der Weise, S. 403 – 414. Brecht, Martin Luther, Bd. II, S. 111 – 116. 19 Über diese Gutachten, siehe Wolgast, Die Wittenberger Theologie, bes. S. 95 – 108, sowie Kunst, Evangelischer Glaube, insb. S. 93 f. 20 CR I, S. 600 – 602: „Ob ein Fürst seine Unterthanen wider des Kaisers oder anderer Fürsten Verfolgung um des Glaubens Willen mit Krieg schützen möge“. 17 18
228
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Zum Dritten ( . . . ): dass dem jüdischen Volke gebothen war zu kriegen, darum mussten beide, ihre Fürsten und Volk, Krieg führen. ( . . . ) Nun hat je unser Volk keinen Befehl, sich zu vertheidigen und zu schützen, sondern, die Christen sind, sollen ihr Leib und Leben von wegen des Evangel. lassen fahren ( . . . ).“21
1528 erreichte diese Problematik ihren Höhepunkt, als die Packschen Händel die Frage eines Präventivkrieges aufwarfen22 sowie ein Jahr später, als der Plan eines evangelischen Bündnisses gegen Kaiser und Reich eine politische Realität wurde.23 Nach dem Protest auf dem Reichstag von Speyer 1529 wurde die Gefahr einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen den beiden Parteien immer größer. Wie konnten sich die Reformatoren in dieser Phase irgendeine Abweichung von ihrem strengen, mit so viel Leidenschaft gehaltenen Erstplädoyer für die absolute Gehorsamspflicht erlauben und dabei gleichzeitig den Schein wahren, nachdem der Bauernkrieg so blutig zu Ende gegangen war? Für sie stellte sich aber vor allem die Frage danach, wie eine friedliche Lösung für die damaligen politischen, gewaltsamen Konflikte gefunden werden könnte. In seinem Gutachten an den protestantischen Fürsten vom 6. März 1530 konnte Melanchthon daher nur eine negative Antwort geben:24 Gegen den Kaiser als rechtmäßige Obrigkeit der Fürsten durfte kein Widerstand geleistet werden.25 Sein Kampf um den Frieden und seine Idealvorstellung des Kaisertums führten Melanchthon als Humanisten und Bewunderer des antiken Weltbilds zu dieser Antwort. Im Gegensatz dazu beriefen sich die Juristen der Fürstenräte auf das römische Recht sowie auf das Naturrecht, um einen Widerstandskrieg zu rechtfertigen.26 Ihre Gutachten kurz vor dem 26. Oktober 153027 gingen von der Frage aus, ob es erlaubt sei, gegen einen in einem Prozess ungerechten Richter Widerstand zu leisten.28 Im Gegensatz zu den Theologen und insbesondere zu Melanchthon unterCR I, S. 600 f. Das von Pack erdichtete Bündnis der mächtigsten katholischen Reichsfürsten zur Niederwerfung der Lutheraner, siehe Dülfer, Die Packschen Händel. Einige wichtige Gutachten sind auch bei Scheible, Das Widerstandsrecht, abgedruckt. 23 Darüber siehe auch die Gutachten bei Scheible, Das Widerstandsrecht, S. 25 – 63 bzw. die Äußerungen von Bugenhagen, Spengler, Brenz, Landgraf Philipp, Luther, Melanchthon. 24 CR II, S. 20 – 22 und bei Scheible, Das Widerstandsrecht, S. 57 – 60. 25 CR II, S. 20: „Sed illa pugnat cum iure divino. Dei mandatum est non resistere potestati et malos magistratus tolerare. Qui acceperit gladium, gladio peribit. Ideo etiam cum potestas iniuriam facit, non licet christiano se contra potestatem vi defendere“ und zum Schluß: „Permittatur imperatori, ut ipse cum subditis agat pro sua voluntate. Si vult ordinare ecclesias, ordinet. Interea qui volunt confiteri evangelium tanquam privati, confiteantur et patiantur, ubi opus erit“, S. 22. 26 Die sächsischen Juristen traten seit 1529 entschieden für den Widerstand ein und beseitigten deshalb das kanonische Recht (CICan, Liber Extra I, 19,8). 27 Gutachten der kursächsischen Juristen, Torgau oder Wittenberg, kurz vor 26. Oktober 1530, bei Scheible, Das Widerstandsrecht, S. 63 – 66. 21 22
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
229
schieden sie nicht zwischen passivem (non oboedire) und aktivem Widerstand (vi resistere), sondern verteidigten auf Grund des Naturrechts den Satz, dass man Gewalt mit Gewalt abwehren dürfe.29 Sie zogen aus den vertraglichen Verhältnissen zwischen Kaiser und Fürsten die Konsequenz, dass der Gehorsam der Fürsten nur unter der Bedingung, dass der Kaiser seine Versprechungen halte, als Pflicht zu betrachten sei. Dagegen berief sich Melanchthon auf das göttliche Gebot und verfestigte seine Argumentation mit Nützlichkeitsgründen. Eine durch einen Krieg verursachte Änderung der Reichsverfassung könnte neue Anlässe zu weiteren Gewalttaten im Reich zwischen all den Territorialmächten, die nur für ihre eigenen Interessen kämpfen würden, verursachen. Aber vor allem bestritten die Juristen die Kompetenz des Kaisers als Richter im Bereich der Glaubensfrage: „Praeterea caesar omnino nullam habet iurisdictionem in causis fidei. Convocare potest concilium papa negligente, sed nihil statuere. Statuta autem concilii potest manutenere et exequi.“30
Jede Überschreitung der juristischen Macht des Kaisers würde die Ablehnung der Fürsten und Stände und die Berufung nach einem Konzil rechtfertigen, wobei bis dahin die Rechtsprechung suspendiert würde: „Sed licitum est resistere iudici, qui iudex est et iurisdictionem de causa cognoscendi habet, quando iniuste procedit vel est ab eo appellatum etc. A fortiori illi, qui causae non est iudex et nullam in causa iurisdictionem habet, et si haberet, esset per appellationem suspensa, quia extra terminos suae iurisdictionis ius dicenti non paretur impune.31 Nec potest papa caesari potestatem iurisdicendi vel statuendi in causa fidei demandare, maxime cum ad concilium appellatum sit.“32
Auf das Argument der suspendierten Rechtsprechung antwortete keiner der Theologen. Sie erklärten vielmehr, welche Verhaltensmuster die Stände fortführen sollten, damit der Konflikt zwischen Fürsten und Kaiser nicht entflammte.33 Melanchthons Angst vor verbreiteten Unruhen, wie diejenigen, die von den Schwärmern vor kurzem verursacht worden waren, begründete die Verteidigung des Friedens um jeden Preis. 28 Der erste Satz des Gutachten lautet: „Iudici procedenti iniuste an licitum sit resistere.“, bei Scheible, Das Widerstandsrecht, S. 63. Siehe Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand?, S. 136 – 146, mit Erörterung der einzelnen, von den Juristen herangezogenen Rechtsquellen. 29 Anlässlich des Packschen Händels, CR I, S. 979 f., ferner auch die Schreiben von Luther und Melanchthon Juni 1528, de Wette III, S. 332 ff., endlich das Bekenntnis an Erasmus aus dem selben Jahre, CR I, S. 947: „mihi nihil erit antiquius publica pace“. 30 „Im übrigen hat der Kaiser in Glaubensfragen überhaupt keine Jurisdiktion. Er kann ein Konzil einberufen, wenn der Papst dies versäumt, aber er kann nichts beschließen. Die Konzilsbeschlüsse kann er handhaben und ausführen“, Cf. Gutachten der kursächsischen Juristen [Torgau oder Wittenberg, kurz vor 26. Oktober 1530]. 31 D. 2, I, 20. 32 Gutachten der kursächsischen Juristen, 26. Oktober 1530, bei Scheible, Das Widerstandsrecht, S. 66. 33 Lohse, Die Bedeutung des Rechts, S. 217 – 229.
230
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Auch in seinem Kommentar zur Politik Aristoteles34 wiederholte er 1530 die bedingungslose Gehorsamspflicht der Christen gegenüber ihrer Obrigkeit und lehnte jede Art von gewaltsamem Widerstand ab35, übernahm erneut die Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Widerstand. Letzteres wiederum ließ er nur in den Fällen zu, in denen die Herrscher etwas Sündhaftes verlangten.36 Tyrannische Herrschaften entständen aber nicht per Zufall. Sie seien vielmehr als Strafe Gottes gegen das sündige Volk zu verstehen. Sie sollten deshalb geduldet werden und Anlass zur Andacht sein. Aber in unruhigen Zeiten nützten falsche Propheten die menschliche Schwäche der Zweifelnden aus, um ihre fanatischen Ansichten zu verbreiten.37
2. Zweite Periode: Anerkennung des Widerstandsrechts der Fürsten gegen den Kaiser Nachdem die Hoffnung, auf dem Augsburger Reichstag eine konfessionspolitische Einigung zwischen den Parteien zu finden, aufgegeben wurde, entschloss sich Johann der Beständige, Kurfürst von Sachsen, entgegen der Meinung der Wittenberger Theologen alle möglichen Mittel gegen den Kaiser einzusetzen. Zugleich mit der Angst, die Reformation gefährdet zu sehen, führte zudem die politische Unannehmbarkeit, sich dem Kaiser unterwerfen zu müssen, die mächtigsten Territorialherrschaften zu diesem Schritt. Ging es darum, Politik unter dem Deckmantel der Religion zu betreiben? Die Frage stellt sich vor allem im Hinblick auf Moritz’ von Sachsen, der sich privat zwar zu seinen religiösen Überzeugungen kaum geäußert, aber die Reformation als Grundlage seiner politischen Aktion genützt hat.38 Angesichts des Ablaufes der religiös-politischen Ereignisse sahen sich Luther und Melanchthon gezwungen, ihre bisherige Stellung über das Widerstandsrecht CR XVI, S. 417 – 452. CR XVI, S. 440: „Nam Evangelium omnem privatam vindictam prohibet, et Christus inquit (Matth. 26, 52): Qui acceperit gladium, gladio peribit. Quare non licet Christiano occidere dominum, quantumvis tyrannum“, weiter S. 442: „Sic autem sentiendum est, primum quod approbet Deus omnes politias legitimas, hoc est, ut Paulus loquitur, quae timori malo sunt operi, et honore afficiunt bonum opus, seu quae sequuntur iudicium rationis, et legem naturae, et honesta praecipiunt, et turpitudinem prohibent ac puniunt“ und auch S. 449 ff.: „Magistratus enim iudicans ex Romanis legibus, potest habere fidem, ac certus esse quod sententia Deo placeat. Habet enim verbum Dei Rom. 13 (1 sqq.) et alibi, quo Deus approbat magistratus et civiles ordinationes. ( . . . ) Et Paulus vocat magistratum Dei ministrum, et scribebat hoc ad Romanos (13, 4. 6.), ubi sciebat impios magistratus esse.“ 36 CR XVI, S. 441: „Nos autem sciamus plurimum inter haec interesse iuxta Evangelium, quod vetat obedire, si magistratus iubeant peccare, et tamen privatam vindictam prohibet.“ 37 CR XVI, S. 448: „Vidimus exempla ante annos aliquot, Monetarii (Thomas Münzer), Struthii (Jakob Strauss), qui vulgus incitabant, ut arma caperet adversus magistratus.“ 38 Wartenberg, Moritz von Sachsen, S. 106 – 122, ders., Landesherrschaft und Reformation. 34 35
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
231
zu revidieren. Da die Problematik des Widerstandsrechtes die Hauptfrage des Schmalkaldischen Bundes bildete, wurden Luther und Melanchthon immer wieder um Gutachten gebeten. Sie versuchten, noch eine kurze Zeit neutral zu bleiben und diese Frage zu einer Sache der Rechtsgelehrten zu erklären.39 Nachdem aber Luther 1531 den Fürsten das aktive Widerstandsrecht nicht mehr bestritt, unter der Voraussetzung, dass auch die Juristen dieses Recht anerkannten,40 öffnete sich allmählich das Tor zur allgemeinen Anerkennung des Widerstandsrechtes als „Notwehr gegen den Tyrannen“. Melanchthon konnte nur noch den Zwang der politischen Umstände anerkennen und übernahm deshalb dieselbe Stellung wie Luther.41 Die tiefe Gewissenskrise Melanchthons nach dieser Positionsverschiebung lässt Lüthje vermuten, dass Melanchthon seine frühere Verteidigung der Gehorsampflicht länger durchgehalten hätte, wenn Luther nicht die Gegenmeinung vertreten hätte.42 Das Widerstandsrecht wurde sehr schnell als unbestrittenes Recht angesehen und schon im Jahre 1536 schrieben die Reformatoren ein Gutachten zugunsten des Widerstrebens der Territorialfürsten gegen den Kaiser.43
a) Die Rechtfertigung des Widerstands als „Notwehr“ Der Meinungswandel hätte kaum extremer ausfallen können. Die Kirchenpolitiker stützten ihre neue Argumentation zugunsten der Notwehr auf das Naturrecht. Sie behaupteten, die Notwehr gegen öffentliche iniuria atroci sei nicht nur berechtigt, sondern bildete für jeden Fürst eine Pflicht. Gegen einen anderen Herrscher oder gegen eine übergeordnete Obrigkeit müsse er sich zuwider setzen, um das Leben und den Glauben seiner Untertanen sowie sich selbst vor den Gewalttaten eines Tyrannen zu beschützen. Diese Auslegung bezog den gegen den Kaiser gerichteten Widerstand ein. Die naturrechtliche Begründung der Notwehr44 ermöglichte Melanchthon, sie in Übereinstimmung mit seinem „göttlichen“ Rechtssystem zu bringen und daher als gerechtfertigter Widerstand zu definieren:
Siehe das Gutachten Ende Oktober 1530 bei Müller, Luthers Äußerungen, S. 93 f. Am 15. Februar 1531 meldete Melanchthon an seinen Freund Camerarius das Zugeständnis Luthers, hoffte aber noch, dass diese Meinung der Öffentlichkeit unbekannt bleiben würde, CR II, S. 471. Die Nachricht verbreitete sich jedoch im Kreis des schmalkaldischen Bundes sehr schnell und wurde von der sächsischen Kanzlei aufgegriffen und genutzt. 41 Siehe auch den Brief an Camerarius vom 1. Januar 1531, CR II, S. 469. 42 Lüthje, Melanchthons Anschauung, S. 528. 43 CR III, S. 128 – 131: „Ich Martinus Luther wil auch dazu thun mit beten, auch (wo es sein sol) mit der faust“, unterschrieben von Luther, Jonas, Bugenhagen, Amsdorff, Cruciger und Melanchthon, bei Scheible, Das Widerstandsrecht, S. 89 – 92. 44 Auch in dem Gutachten am 13. / 14. November 1538 bildet das Naturrecht die Legitimierung: „Denn öffentliche „violentia“ hebt uff alle Pflicht zwuschen dem unterthan und oberherrn „iure naturae“, bei Scheible, Das Widerstandsrecht, S. 93. Cf. Hortleder, Handlungen und Ausschreiben, II. Bd., oder Enders, Dr. M. Luthers Briefwechsel, , XII, S. 78 ff., das Gutachten wurde von Luther, Jonas, Butzer und Melanchthon unterschrieben. 39 40
232
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
„Und können sich Ew. Ehrenvest selbst leichtlich unterrichten aus diesem Exempel: so ein Fürst einem Unterthan sein Weib wegführen wollte, und der Mann könnte sie schützen, so wäre er das zu tun schuldig, unangesehen dass er ein Unterthan wäre, und thät hierin christlich und recht, wenn er gleich seinen Herrn in der Gegenwehr umbrächte. Und das aus diesem Grunde: das Evangelium ist eine Lehre von ewigen Dingen, und will in diesem zeitlichen Leben natürliches und kaiserliches Recht nicht austilgen. Nun ist der Schutz natürliches Recht; item, natürliches Recht ist wahrhaft göttliches Recht.“45
Als öffentliche „violentia“ und „atrox iniuria“ wurden die kaiserlichen Taten, u. a. das Vorgehen pendente appelatione, die Wiedereinführung der Abgötterei und die Aufhebung der Priesterehen, verurteilt. Die extreme Meinungsänderung der Wittenberger findet hier ihren deutlichsten Ausdruck: Auf der Basis des Naturrechts und des göttlichen Rechts wurde der Widerstand gegen solche Verbrechen nicht mehr als Unrecht, sondern, sogar im Gegenteil, als Pflicht erklärt. Auch das Lehnsrecht, schrieb Melanchthon, erkenne das Widerstandsrecht gegen die Tyrannen als erforderliche Notwehr an.46 Widerstandsrecht sei nicht mehr nur erlaubt, sondern geradezu erforderlich – so lautete jetzt die Rede derjenigen, die 15 Jahre zuvor für die bedingungslose Gehorsamspflicht plädiert hatten.
b) Die Begrenzung der Anwendung der „Notwehr“ Mit der Frage konfrontiert, ob, was für die Fürsten ihrem Kaiser gegenüber galt, auch für ihre Untertanen gelten sollte, erweiterte Melanchthon das Anwendungsgebiet des Widerstands in den folgenden Jahren. In seiner Philosophiae moralis epitome47 von 1538 betrachtete er den Widerstand als Recht und Pflicht aller Opfer einer schrecklichen und öffentlichen Gewalttat. Darunter fielen u. a. die ungerechtfertigte unmittelbare Bedrohung des Lebens und der Raub der Kinder und Ehefrau zu verstehen; von diesen sollten die geringeren Unrechte unterschieden werden, die leidend zu ertragen seien.48 Melanchthon bezog sich für die Begründung dieser Unterscheidung zwischen Widerstand und Notwehr auch auf das römische Recht.49 Die Trennung zwischen irdischem und geistlichem Bereich, zwischen Gesetz und 45 Im Corpus Reformatorum Bd. II, S. 603 wird der Brief an den Herrn Heinrich von Einsiedel auf den 8. Juli 1532 datiert. Gottfried Weber erläutert in seinem Buch, Grundlagen und Normen politischer Ethik bei Melanchthon, S. 33, Anm. 90, dass der Brief erst im Jahre 1546 verfasst wurde (vgl. WABr. 5, S. 253, Anm. 1.) 46 CR III, S. 630 – 632, Gutachten an einem Unbekannten und S. 968 / 69, Brief vom 19. Februar 1540 an den Kottbuser Prediger Kaspar Marsilius, siehe auch Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht, S. 55 ff. 47 CR XVI, S. 21 – 164. 48 CR XVI, S. 105 f., unter dem Titel: „Licetne privatis interficere tyrannos?“ wird unter 3 Fällen: 1) „Primum si tyrannus est homo privatus ( . . . )“, 2) „Si tyrannus est in magistratu, et atroci iniuria ac notoria subditos affecit“ und 3) „Si iniuria non est notoria ( . . . )“. 49 CR XVI, S. 105: „Et iura in Pandectis concedunt, consulem in adulterio deprehensum interficere. Et in similibus casibus, si qui fiunt, hostes recte excusantur, etiamsi non in continenti ulciscuntur iniurias notorias.“
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
233
Evangelium, hatte in dieser Frage zur Konsequenz, dass die Ungehorsamen zwar in der weltlichen Rechtsprechung Legitimation erfahren. Das Evangelium verpflichtete jedoch zu leidendem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit auch im Fall des Ärgernisses (casum scandali).50 Die Voraussetzungen für den berechtigten Widerstand der Untertanen gegen ihre Obrigkeit waren jedoch eingeschränkter als die der Fürsten: Erstere könnten sich nur in körperlicher Notwehr auf Grund des Naturrechts verteidigen, während die Fürsten sich schon bei der Achtpublizierung (bellum indizieret) gegen den Kaiser erwehren dürften. Außerdem wurde ihr Recht zusätzlich mit positivrechtlichen Anordnungen legimitiert. Erst 1546, nach Luthers Tod, als sich die kaiserlichen Truppen von Sachsen näherten, äußerte sich Melanchthon öffentlich in seinem letzten Gutachten über die Notwendigkeit des Widerstands der Fürsten gegen den Kaiser.51 Er legimitierte den Krieg, an dessen Führungsspitze sein Kurfürst stand, als Notwehr der Kirche Gottes gegen den Überfall des Antichristen (latrocinium antichristi). Seine damaligen Schriften52 sind von kriegerischer Aggressivität gegen den Feind geprägt und lassen nichts mehr von seiner früheren Sorge um den Frieden erkennen. Im Gegenteil rechtfertigte er jetzt den Schmalkaldischen Krieg mit Sätzen wie: „Natürliche Gegenwehr ist ein recht Werk, das Gott in die Natur eingepflanzt hat.“53
Er bestätigte dabei auch das Widerstandsrecht der Untertanen gegen die ungerechte und gewalttätige Obrigkeit und erklärt, dass die Gehorsamspflicht von Röm. 13, 1 ff. sich nur auf die guten Gesetze (honestis legibus) bezog: „So besteht denn gar kein Zweifel, dass jedem Menschen die Verteidigung seiner Person, seiner Gattin und seiner Kinder gegen offenbare schnöde Gewalttat, mag sie ihm von seinesgleichen oder von seinen Vorgesetzten zugefügt werden, zugestanden ist. Ja es ist empörend (indignissimum), wenn ein Mann in einem solchen Falle nicht seinen Schmerzen bekundet; sehen wir doch, dass alle Tiere und sogar Hennen für ihre Jungen kämpfen. ( . . . ) Diese Liebe hat Gott in unser Herz gelegt, damit sie uns an die Liebe gemahne, die er selbst gegen seinen Sohn und gegen uns hegt.“
Mit diesen Worten fasst Melanchthon seine entgültige Meinung zu der Definition des erlaubten Widerstandsrechts zusammen. Der Krieg hatte die letzten Spuren eines eventuellen Gewissenskonflikts vertilgt. 50 CR XVI, S. 109: „violare leges civiles seu edicta magistratuum civilium est peccatum mortale, etiam extra casum scandali.“ 51 CR VI, S. 122 – 124. Das Gutachten wurde von Bugenhagen, Cruciger, Major und Melanchthon unterschrieben; siehe: Gutachten [für die Häupter des Schmalkaldischen Bundes, Wittenberg, Ende Mai / Anfang Juni] 1546, bei Scheible, Das Widerstandsrecht, S. 98 ff. 52 Cf. Die Vorreden zur Neuauflage zwei von Luthers Schriften: „Warnung an seine lieben Deutschen“ im Juli 1546, CR VI, S. 90 – 197 und Luthers Gutachten vom 6. März 1530, im Januar 1547, CR VI, S. 356 – 362. 53 CR VI, S. 195.
234
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Der Wandel seiner Stellung gegenüber dem Widerstandsrecht drückt sich auch durch die Auswahl der von ihm zitierten Rechtsquellen aus verschiedenen Bereichen zur Rechtfertigung seiner Argumente aus. Während er am Anfang der zwanziger Jahre zunächst das Evangelium zitierte, übernahm er kurz danach als zweite Quelle seiner Notwehr-Argumentation die Lehre der antiken Autoren. Seine Rückkehr zu den humanistischen Vorbildern Mitte der zwanziger Jahre erklärt sich auch durch seine Beschäftigung mit der Politik des Aristoteles,54 mit De officii des Cicero,55 und drückt sich durch die in seinen Gutachten erwähnten historischen Beispiele aus. In dieser Etappe wurden das Naturrecht und das römische Recht zu Quellen, die er für die Rechtfertigung des Krieges als Handlung der berechtigten Notwehr anführte. Im Gegensatz dazu wurde das Evangelium niemals mehr als rechtliche Anordnung über die Formen irgendwelcher Widerstandsart genannt. Das religiöse Gebot des Gehorsams bezog sich jetzt nur noch auf die „guten Gesetz“, was zur Folge hatte, dass hier der Bereich des Widerstandes nur indirekt berücksichtigt wurde und dessen Regelungen dem weltlichen Recht überlassen waren. Schließlich wurde auch das Lehnsrecht als eine gültige Rechtsquelle erwähnt, obwohl in keiner anderen Rede ein Hinweis auf dieses von ihm nicht sehr hoch geachteten Recht zu finden war. Obwohl Melanchthon das aktive Widerstandsrecht aus Notwehr ab 1536 nicht mehr bestritt, zweifelte er aber weiter an der Richtigkeit dieser von den evangelischen Fürsten verfolgten Politik. Den Kaiser erkannte er sein Leben lang als eine legitime, von Gott verordnete Obrigkeit an und blieb von der Vorstellung besessen, dass Gott im Fall eines Krieges gegen die weltliche Macht zu drastischen Strafen greifen würde.56 II. Rechte und Pflichten der Obrigkeit nach Melanchthons Auffassung Im Zusammenhang mit der Anerkennung und Abgrenzung des Widerstandsrechts gegen die Obrigkeit entwickelte Melanchthon eine klare Definition der weltlichen Obrigkeit, insbesondere von deren Pflichten und Rechten ihren Untertanen, den anderen territorialen Mächten, dem Kaiser und Gott gegenüber. Ausgangspunkt seiner Reflexion war der Römerbrief 13, 1 – 7, in dem die Gehorsamspflicht aller gegenüber der von Gott gewollten weltlichen Ordnung lautet: „Jedermann ordne sich der obrigkeitlichen Gewalt unter; denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott ist. Die bestehenden (Gewalten) sind von Gott angeordnet. Wer sich daher „Commentarii in aliquot politicos libros Aristotelis“, CR XVI, S. 417 – 452. „Prolegomena in officiis Ciceronis“ [Ed. 1530], 1562, CR XVI, S. 529 – 614. 56 In einem Brief Melanchthons an den Kurfürsten Moritz von Sachsen Anfang 1552 erklärt er sich weit davon, den aktiven Widerstand der evangelischen Fürsten gegen Karl V. zu bewilligen, CR VII, S. 904. 54 55
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
235
der Gewalt widersetzt, widersetzt sich der Anordnung Gottes; ( . . . ) Denn sie ist für dich Gottes Dienerin für das Gute. Wenn du aber Böses tust, so fürchte, denn nicht umsonst trägt sie das Schwert, ist sie doch Dienerin Gottes, Rächerin zum Zorn für den, der Böses tut.“57
Durch die politischen Umstände im Reich und in Sachsen ab 1530 sah sich Melanchthon veranlasst, das Widerstandsrecht gegen die kaiserliche Obrigkeit zu rechtfertigen. Dabei unterschied er zwischen zwei verschiedenen Arten von Obrigkeit. Die erste Kategorie umfasst die ungerechten und gewalttätigen Herrscher, die nur nach ihrer Willkür und aus persönlicher Gier ihre Landsleute in den Krieg führen. Diese seien trotz ihrer weltlichen Rolle als Obrigkeit nicht Gottes Diener, im Gegenteil widersprächen sie dem Evangelium bzw. dem Naturrecht und deswegen sollte man gegen sie Widerstand leisten. Ob dabei passiver oder aktiver Widerstand anzuwenden war, wurde in dem vorangegangenen Absatz behandelt. Die zweite Kategorie von Obrigkeit umfasst diejenige, die als Gottes Dienerin anerkannt werden sollte und die im Römerbrief beschrieben ist. Sie regierte für das Gemeinwohl ihrer Untertanen, für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ruhe und für den Frieden. Nur in diesem Fall verhielt sie sich als Gottes Dienerin auf Erden; deshalb müsse ihr bedingungslos und trotz ihrer gelegentlichen Strenge gehorcht werden. Melanchthons Auffassung von der Obrigkeit stimmt in dieser Definition mit seiner Zwei-Reiche-Lehre und mit seiner Naturrechtslehre überein. Die der Obrigkeit von Gott gegebene Aufgabe, die weltliche Ordnung mit Hilfe des Schwertes aufrecht zu erhalten, lässt sich aus der Trennung zwischen dem Wirkungsbereich des Evangeliums und des Gesetzes, d. h. aus der Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Reich, herleiten. 1. Definition der weltlichen Pflichten der Obrigkeit Als 1555 Karl V. auf seinen Kaisertitel verzichtete, erkannte Papst Paulus IV. weder dessen Abdankung noch die Ernennung des Bruders von Karl V. Ferdinand I. als von den Kurfürsten gewählter, neuer Kaiser an. Die römische Kurie behauptete, dass nur der Papst das Recht besäße, den Kaiser zu wählen; deshalb sei ohne seine Bestimmung die neue Ernennung wirkungslos. Der sächsische Kurfürst August I. stellte Melanchthon 27 Fragen über diese Problematik, die er 1559 in seiner Schrift „Fragstück von kaiserlicher und päpstlicher Gewalt“58 beantwortete. In dem ersten Absatz dieser Schrift „Vom Unterschied des Kirchenampts und weltlicher Obrigkeit“ wiederholt Melanchthon zunächst die Trennung zwischen geistlichem und weltlichem Bereich. „Das ewige Licht im Herzen ist ein ander Ding 57 58
Übersetzung aus Herders Bibelkommentar, 26. Aufl., Freiburg im Breisgau, 1965. „Epistolarum“ Lib.XIII, 1559, CR IX, S. 851 – 889.
236
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
denn die äußerliche Nothdurst und Ordnung“59, schreibt er, nachdem er die Rolle der Kirche als Predigtsamt bzw. als geistliche Macht folgendermaßen definiert: „( . . . ) Dieses ist der Anfang des Kirchenampts, welches hernach allein diesen Befehl hat, das Evangelium vom Sohne Gottes zu predigen, die Sünd mit Gottes Wort, nicht mit dem Schwert, zu stafen, Sacrament zu reichen, Kirchengericht zu halten von der Lehr und äußerlichen Übelthaten, die Schuldigen aus der Kirchen auszuschließen, mit dem Wort ohne leibliche Gewalt und ohne Schwert, und die sich bekehren wiederum anzunehmen, und ihnen Vergebung der Sünden zu verkündigen.“60
In den Loci communes (1521) werden die Aufgaben der Obrigkeit folgendermaßen definiert: „Gladii partes sunt iura civilia, ordinationes civiles iudiciorum forensium, poenae sontium. Estque ius gladii dispensatio legum de non occidendo, de non vindicando etc.“61
Eine ausführlichere Erklärung gibt er in dem „Fragstück“. Hier ist eine umfangreiche Liste zu finden, in der die obrigkeitlichen Aufgaben aufgeführt werden, die sie als Gottes Dienerin und als berechtigte, weltliche Macht gegenüber ihren Untertanen auszeichnet. Die Obrigkeit sei hier: „ein Ampt, das äußerliche rechte Gesetze und Gerichte, Zucht und Friede erhalten soll, und soll zu solcher Erhaltung leibliche Straf und Hülf der Unterthanen mit gebührlicher Ordnung gebrauchen, Rom. 13. Also sind die Aempter unterscheiden, Predigt und Schwert.“62
Ihre weltlichen Pflichten können in sechs verschiedene, voneinander abhängige Gruppen gegliedert werden: 1. Für die Feststellung der anzuwendenden Gesetze sei die Obrigkeit zuständig. Festgeschriebene und billige Gesetze sollten als Faktor der gesellschaftlichen Ruhe für die Rechtssicherheit erhalten werden und müssten mit dem Naturrecht übereinstimmen. Die Gesetze sollten den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Zeit und des Ortes entsprechen. Als vorbildliche Gesetzgebung betrachtet Melanchthon das römische Recht als Sammlung aller weisesten, gelehrtesten und billigsten Gesetze, die vor allem in Übereinstimmung mit dem Naturrecht ständen. Es gehöre zur Pflicht der Obrigkeit, diese Übereinstimmung der weltlichen Gesetze mit den Naturgesetzen zu bewahren, wie Melanchthon in seinem Oratio de legibus (1550) sowie in dem Oratio de dignitate doctrinae legum et iurisconsultorum (1553) betont: „In hoc ordine cum praesit gubernator seu magistratus politicus. ( . . . ) praecipua habet officia quatuor, quorum sine ulla dubitatione primum et summum est, ut sonet in genere CR IX, S. 854. „Epistolarum“ Lib. XIII, 1559, CR IX, S. 854. 61 CR XXI, S. 223. „Die Aufgabe des Schwertes sind die weltlichen Rechtssachen, die weltlichen Ordnungen der Gerichtsverfahren und die Strafen der Schuldigen. Und das Recht des Schwertes besteht in der Aufhebung der Gesetze, nicht zu töten, sich nicht zu rächen usw.“, Übersetzung bei Pöhlmann, S. 367. 62 „Epistolarum“ Lib. XIII, 1559, CR IX, S. 854. 59 60
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
237
humano vocem decalogi, et sit, ut ita dicam, vox Dei, qui vult genus humanum honesta disciplina regi, quae congruat ad legem naturae, quae est expressa in decalogo, ut omnes eruditi norunt.“63
In seiner Rede De dignitate doctrinae legum et iurisconsultorum formuliert er drei Jahre später: „Attribuit autem magistratui hos quatuor gradus officiorum. Primum, ut sonet vocem legis divinae, id est decalogi, seu ut nominamus, legis naturae in genere humano. Vult conspici sese Deus in sua lege. Hanc igitur vult proponi et normam esse omnium consiliorum, non vult nos nostris imaginationibus regi, aut cimminisci leges, quae malarum cupiditatum sint ministrae, ut Lycurgus concessit adulteria, si adulter paciscens cum marito, permittente eo, frueretur aliena coniuge.“64
Melanchthon erklärt hier, dass zwei Kategorien von Gesetzen von der obrigkeitlichen Macht angeordnet und beschützt werden sollen. Die ersten entsprechen den fundamentalen Grundregeln der göttlichen Gesetze durch ihrer Übereinstimmung mit dem Naturrecht des Dekalogs.65 Sie bilden eine Art „allgemeiner Grundgesetze“, die übergeordnet sind. In diesen Grundgesetzen finden die biblischen Gebote ihren Ausdruck, z. B. in dem Gesetz der Gottesgemeinschaft („Du sollst keine anderen Götter haben als mich“), der Lebensgemeinschaft („Ehre deinen Vater und deine Mutter“, „Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht ehebrechen“) und der Gütergemeinschaft („Du sollst nicht stehlen“, „Du sollst nicht als falscher Zeuge gegen deinen Nächsten auftreten“, „Du sollst nicht das Haus und das Weib deines Nächsten begehren“). Die zweite Kategorie von Gesetzen beinhaltet Anordnungen, die in Übereinstimmung mit diesen fundamentalen Prinzipien von dem Magistrat hinzugefügt 63 „Weil die Lenkung in dieser (weltlichen) Ordnung dem Lenker oder auch dem Oberbeamten der Gemeinschaft zukommt, hat er vor allem vier Pflichten, von denen zweifellos die erste und oberste die ist, dass er unter der Menschheit die Stimme der zehn Gebote vernehmen lässt, und zwar, wie ich sagen möchte, dass sie Gottes Stimme sei, der will, dass die Menschheit von einer Sittenordnung regiert werde, die mit dem Gesetz der Natur übereinstimmt, die im Dekalog Ausdruck gefunden hat, wie alle Gebildeten wissen“, siehe „Oratio de legibus“, 1550, CR XI, S. 912 f., bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 7, S. 245 f. 64 „(Gott) hat aber dem Regenten folgende vier Grade von Pflichten auferlegt: Erstens, dass er die Stimme des göttlichen Gesetzes, d. h. des Dekalogs oder wir auch sagen, des in der Natur des Menschen liegenden Gesetzes, vernehmlich sein lässt. Gott will, dass er in seinem Gesetz erkannt werde. Er will also, dass es verkündet werde und die Richtschnur sei für alle Beratungen. Er will nicht, dass wir von unseren Einbildungen regiert würden, dass wir uns Gesetze ausdächten, die Dienerinnen schlechten Begehrens sind, z. B. so wie Lykurg Ehebruch zugelassen hat, oder wenn ein Ehebrecher nach dem Genuss einer fremden Ehefrau mit dem Ehemann ein Abkommen darüber schließt, dass der Ehebruch zugelassen wird“, siehe „Oratio de dignitate doctrinae legum et iurisconsultorum“ 1553, CR XII, S. 21 f., bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 8, S. 253 f. 65 „Secundum officium est, ut magistratus sit executor legum divinarum, ac severe puniat contumaces.“, CR XII, S. 22, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Rede Nr. 8, S. 254.
16 Deflers
238
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
wurden. Mit Blick auf die konkreten Umstände der zu entscheidenden Fälle solle die Rechtsprechung aktuelle und individuelle Faktoren berücksichtigen, um ein billiges und gerechtes Urteil abzugeben. Die von den Rechtssprechern hinzugefügten Gesetze sollten die göttlichen Regeln in ihrer praktischen Anwendung unterstützen. So beispielweise im strafrechtlichen Bereich, wenn der Richter eine Abstufung der Strafen hinsichtlich des Alters und Geschlechts des Verbrechers, dessen wirtschaftlichen Lebensbedingungen, sozialen Milieus und intellektuellen Möglichkeiten anordnete.66 Als „Vollstrecker der göttlichen Gesetze“ (executor legum divinarum) und als „Vollstrecker ihrer eigenen Gesetze“ (executor suarum legum) müsse die Obrigkeit die Einhaltung beider Kategorien von Gesetzen überwachen und Verbrecher bestrafen (ac severe puniat contumaces). Die strafrechtlichen Aspekte der obrigkeitlichen Macht sind auch als Pflicht definiert, wie wir weiter sehen werden. 2. Diese beiden Gesetzeskategorien sollten vor Gericht praktische Anwendung finden. Die endlosen scholastischen Gesetzinterpretationen sollten durch eine gerechte und effiziente Jurisprudenz auf der Basis des römischen Rechts ersetzt werden.67 Melanchthon kritisiert hier, wie in allen seiner Reden über das Gesetz, den damaligen Zustand der Rechtsprechung und betont erneut die Notwendigkeit einer Erneuerung der juristischen Ausbildung.68 3. Unter dem Begriff „ordo“ versteht Melanchthon sowohl die sittliche Zucht, als auch im Zusammenhang mit dem Frieden die gesellschaftliche Ordnung. Die sittliche Zucht bzw. die Disziplinierung der Jugend als zukünftige Bürger ist immer ein zentrales Thema seiner Pädagogik gewesen. Als Praeceptor wollte er nicht die Köpfe mit gelehrtem Stoff füllen, sondern die Unterrichtsfächer mit einem ethischen und tiefreligiösen Verständnis des Inhaltes verknüpfen. Die Kenntnis der Wissenschaften hatte in Melanchthons Weltbild keinen anderen Zweck als die Anerkennung der weltlichen Ordnung als eine von Gott bestimmte und als Beweis der göttlichen Anwesenheit. Seine humanistische Überzeugung von der Lernfähigkeit der Menschen vereinbarte sich hinsichtlich des Zweckes der sittlichen und akademischen Ausbildung mit seinem religiösen Glauben. Lehrtätigkeit und religiöse Überzeugung hingen bei Melanchthon grundsätzlich zusammen. Deswegen hat er 66 „Tertium, ut suas quasdam leges addat, non pugnantes cum divinis, sed quae circumstantias aliquas legum generalium determinent, probabili ratione, et sint adminicula legum divinarum, ut cum gradus suppliciorum ordinat“, CR XII, S. 22, bei Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, S. 254. 67 „Idque agunt nostri interpretes, Bartolus, Baldus et similes, ut leges conferant et vel demonstrationes ostendant vel probabilem rationem. Ac vituperanda est multorum inscitia, qui dicunt, ideo varios legum intellectus fingendos esse, quia leges conditae sint mutabilibus hominum arbitriis, quorum cum nulla sit constantia, possint leges varie flecti ad diversas interpretationes. Hic perniciosus error animis eximendus est. Nam et falsa opinio est et ontumeliosa contra Deum, et labefactat magistratuum autoritatem“, CR XII, S. 23, bei Kisch, „Oratio de dignitate doctrinae legum“, S. 255. 68 Siehe das zweite Kapitel.
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
239
sich nicht nur der Erneuerung der akademischen Ausbildung, sondern des gesamten Schulsystems gewidmet. Durch seine Visitationen hat er zugleich die Entfaltung der reformatorischen Lehre ermöglicht und die Verbesserung der sittlichen Erziehung der Christen als fromme Christen gewünscht. 4. Aufgrund der Erfahrungen, die er in seiner Kindheit gemacht hatte, war die Aufrechterhaltung des Friedens eines seiner Hauptanliegen geworden. 1508 hatte er seinen Vater durch den Krieg verloren69 und die blutigen Folgen des Bauernkriegs 1525 erschütterten ihn so tief, dass er sein ganzes Leben lang versuchte, den Frieden zu retten. Dieses Ziel erklärt seine gemäßigte Haltung während der Religionsgespräche über die Adiaphora und vor allem seine Kompromissbereitschaft gegenüber der altgläubigen Partei während der Abfassung der Confessio Augustana 1530. Auch sein langes Schweigen, bevor er das Widerstandsrecht als Notwehr gegen ungerechte Gewalt anerkannte, ist darauf zurückzuführen. In seinen Reden über Obrigkeit, Gesetz und Gerechtigkeit treten seine Bemühungen um die Erhaltung des gesellschaftlichen Friedens hervor. Melanchthon übernahm deshalb den Satz Ciceros „Inter arma silent leges“,70 als Ausdruck seiner eigenen Sorge: „Nam mihi aspicienti legum libros et cogitanti pericula Germaniae, saepe totum corpus cohorrescit, cum reputo quanta incommoda sequutura sint, si Germania propter bella [amitteret], hanc eruditam doctrinam iuris et hoc curiae ornamentum.“71
5. Auf Grund ihrer strafrechtlichen Aufgabe wird die weltliche Obrigkeit in der Definition des Römerbriefs als „Schwert“ bezeichnet. Die kirchlichen Gerichte verurteilen die Verbrecher als Sünder und die obrigkeitlichen Gerichte bestrafen sie als Zerstörer der gesellschaftlichen Ruhe. Sie sollen von der Gemeinde entfernt werden, damit sie die Schwächeren nicht weiter unterdrücken können. Die Bestrafung der bürgerlichen Verbrechen sei Pflicht der Obrigkeit, weil die Unterscheidung zwischen „anständigen und schändlichen Handlungen“ (discrimen honestarum et turpium actionum)72 durch das Exemplarische der Bestrafung für die Bevölkerung deutlich werde. Durch sie werde der Gerechtigkeitssinn erzogen und an die oft verblendete, natürliche Vernunft der Menschen appelliert. Außerdem sei die Bestrafung der Verbrechen Ausdruck der obrigkeitlichen Gerechtigkeit und Faktor gesellschaftlicher Ruhe und des Friedens: 69 Als er sieben Jahre alt war, erlebte Melanchthon die Belagerung seiner Heimatstadt Bretten im Landshuter Erbfolgekrieg, aus dem sein Vater als kranker Mann zurückgekehrt war, siehe Scheible, Philipp Melanchthon, S. 76. 70 Cicero, „Pro Milone“, IV. 10. 71 „Mit Blick auf die Gesetzesbücher und in Gedanken an die Gefahren für Deutschland lässt es mich meinen ganzen Leib erschaudern, wenn ich wiederholt daran denke, welche Unannehmlichkeiten eintreten dürften, wenn Deutschland wegen seiner Kriege diese gelehrte Wissenschaft und Zierde der Staatsverwaltung verlöre. Es werden Tyrannen heranwachsen, es werden alle Wissenschaften zunehmend verachtet werden, die Kirchen werden mehr und mehr vernachlässigt werden und schließlich wird ein vielfältiges Barbarentum die Folge sein“, CR XI, S. 634, bei Kisch, „Oratio de dignitate legum“ 1543, S. 238. 72 „Oratio de legibus“, CR XI, S. 913, bei Kisch, Rede Nr. 7, S. 246.
16*
240
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
„Vultque has poenas commonefactiones esse de sua iusticia. Consulit et paci communi, cum praecipit tolli grassantes adversus alios cives, et metu poenarum alios coherceri.“73
Das Thema der Obrigkeit als Hüterin der pax civilis hatte Melanchthon schon 1521 in den Loci communes auf der Basis von Röm. 13 angesprochen: „Civiles magistratus est qui gladium gerit, et civilem pacem tuetur.“74
Diese Auffassung betonte er auch in seinen folgenden Reden immer wieder: Die Obrigkeit müsse der utilitas publica, dem „Gemeinwohl“ der Bevölkerung, dienen. Obwohl ihre Macht aus göttlichem Recht entstehe, lägen die Aufgaben der Obrigkeit „in der Welt für die Welt“.75 6. Im letzten Teil der Definition der obrigkeitlichen Pflichten verweist Melanchthon darauf, dass die weltliche Gewalt die Hilfe der Untertanen bei der Erhaltung der bürgerlichen Ordnung in Anspruch nehmen solle. Unter dieser „Hülf“ kann man die verschiedenen Pflichten verstehen, die die Bevölkerung um des Friedens und der Ordnung willen im Einklang mit ihrem Herrscher erfüllen muss. Sie beinhaltet im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Aufgabe der Magistrate die Gehorsamkeit den Gesetzen gegenüber, den Respekt vor den Verboten und vor den naturrechtlichen Grundprinzipien des gesellschaftlichen Miteinanderlebens. Auf einer anderen Ebene verweist er im Bezug auf die erwartete Mitwirkung der Untertanen auf das Ideal eines Bürgers, der sich fromm, pflichtbewusst und der Liebe Gottes wegen gerecht und billig seinen Mitbürgern gegenüber verhält. Melanchthon meinte, dass die Bevölkerung, über deren Grobheit und barbarischen Gebräuche er sich oft beklagt hatte,76 bei frommer Erziehung und sittlicher Ausbildung von selbst die weltliche Ordnung respektieren und bei ihrer Erhaltung mithelfen würde. Schon 1524 in seinem Epitome renovatae ecclesiasticae doctrinae77 erklärte Melanchthon, dass neben der iustitia christiana eine iustitia humana stehe. Da aber der Glaube wegen der sündigen Natur des Menschen nicht Lenker aller ihrer Taten sei, müssten ihre Handlungen durch eine humana iustitia, die sich in der weltlichen Rechtssprechung, durch die Obrigkeit oder im Strafsystem manifestierte, gelenkt werden. Er bezeichnete sie auch als paedagogia politica, deren Aufgabe es sei, die 73 „Und er will, dass diese Strafe seine Gerechtigkeit in Erinnerung rufe. Er sorgt sich auch um den gemeinen Frieden, indem er bestimmt, dass diejenigen, die gegen andere Bürger wüten, beseitigt werden und andere durch Furcht vor Strafe im Zaum gehalten werden“, CR XI, S. 913, bei Kisch, Rede Nr. 7, S. 246. 74 „Die weltliche Obrigkeit ist die, die das Schwert führt und den weltlichen Frieden erhält“, CR XXI, S. 223, Übersetzung bei Pöhlmann, S. 365. 75 Nürnberger, Kirche und weltliche Obrigkeit. 76 MSA 1, S. 206: „Ja, es wäre nötig, dass ein so wildes, unerzogenes Volk, wie es die Deutschen sind, noch weniger Freiheit hätte, als es hat.“ und weiter S. 208: „Die Deutschen sind ein so unerzogenes, mutwilliges und blutgieriges Volk, dass es gerechterweise viel härter halten soll“, Übersetzung in Melanchthon deutsch, Bd. I, S. 277 und S. 279. 77 CR I, S. 703 ff.
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
241
sittliche Erziehung zu gewährleisten, den Gottesdienst (ritus) zu erhalten, menschliche und bürgerliche Pflichten zu lehren, die Jugend zur Gottesfurcht anzuleiten und böse Werke zu verhindern.78 Durch die Übernahme ihrer sozialen Verantwortungen erfüllten die Obrigkeiten, die Bürger und die Untertanen, jeder auf seine Art und nach persönlicher Fähigkeit, ihren Dienst an Gott. Jeder nehme in der politischen und wirtschaftlichen Ordnung am guten Gang der Gesellschaft teil und bilde durch seine Arbeit einen unentbehrlichen Teil der miteinander verbundenen und voneinander abhängigen Faktoren des politischen Systems. Die Idee zusammenhängender Kräfte im ökonomischen und politischen Bereich entspricht genau dem Begriff der „Ordnung“, in der jeder Akteur seine Rolle zu spielen hat und als einzelne Person einen bestimmten Platz in Mitwirkung mit allen anderen Mitgliedern zugewiesen bekommen hat. Diese Ordnung ist für Melanchthon von Gott gegeben. Deswegen werden diejenigen, die sie zu zerstören versuchen, nicht nur als Bekämpfer der gesellschaftlichen Ruhe, sondern vor allem als Verbrecher gegen die göttliche Weltordnung angesehen und verurteilt.
2. Die doppelte Natur der Obrigkeit: selbstständig, aber auch in Gottes Hand Melanchthons Gesellschaftslehre beinhaltet jedoch einen scheinbaren Widerspruch. Wie kann er seine Lehre von der Trennung zwischen geistlichem und weltlichem Reich mit seiner Überzeugung, dass Gott in den Ablauf der Menschheitsgeschichte eingreift, vereinbaren? In seinem Fragstück von kaiserlicher und päpstlicher Gewalt (1559) deutet er die geschichtlichen Ereignisse von der Antike bis zur Gegenwart entweder als göttliche Strafen gegen die Zerstörer seiner Weltordnung oder als Gottes „glückliches“ Wirken durch die Großtaten der politischen Herrscher: „Es ist auch also wie Daniel spricht: Gott erhält und ändert die Königreiche. Dieses geschieht mancherlei Weise, und durch Kriege so Gott einen Theil strafen will und einen andern erhöhen, und geschiehet dieses zum öftern Mahl ohne mündlichen Befehl eines Propheten oder Priesters, sondern durch heimliche göttliche Wirkung; als, da die Persen viel Tyranney übten, erwecket Gott den Jüngling Alexandrum, dass er in Asiam zoge, und die Persen strafete. Also kommt die Hoheit auf Alexandrum durch göttliche Wirkung.“79
Mit seiner Erklärung dieser „göttlichen Wirkung“ setzt Melanchthon fort: „Aus diesen und dergleichen sehr viel Exempeln ist Unterscheid des Kirchenampts und der weltlichen Obrigkeit zu verstehen, und zu merken, wie sie beide von Gott sind, das Predigampt durch einen gegebenen Befehl und mündlich Wort Gottes, ohne Mittel, als in vocatione prophetica, oder durch Mittel, als in vocatione Pastoris, welche geschiehet durch 78 79
Nürnberger, Kirche und weltliche Obrigkeit, S. 10 f. „Epistolarum“ Lib.XIII, 1559, CR IX, S. 854 f.
242
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
die Kirchen, oder welchen die Kirch Befehl giebet. Aber die weltliche Hoheit wird geben durch Gott oft ohne mündlich Wort, als Alexandri und Julii Hoheit; und wirket Gott gleichwohl dasselbige Werk; denn Gott giebt impetus heroicos und Sieg, und strafet den großen Frevel.“80
Die weltliche Obrigkeit entstehe nicht aus unmittelbarem Gottesbefehl. Deshalb sei auch keine politische Ordnung in der Bibel zu finden, wie er schon 1523 gegenüber den „schwärmerischen“ Thesen eingewandt hatte. Gottes Wirkung auf die weltlichen Ereignisse drücke sich jedoch indirekt durch die historischen Erfolge der politischen Machthaber aus.81 Von einer metaphysischen Ebene aus gesehen, erlangten die auserwählten Helden die göttliche Erleuchtung, die ihre Taten bestimmten. Das Wesen der Obrigkeit ist in dem „Fragstück“ noch nicht vollständig definiert. Melanchthon deutet zwar noch weitere Aufgaben der weltlichen Obrigkeit an, zeichnet sie aber nicht deutlich. Als wichtigste Pflichten der politischen Gewalt sind jedoch nach Melanchthon ausserdem die Sorge für die Ausbildung der Untertanen, der Ausbau des Schul- und Universitätssystems und vor allem der Schutz der Kirche und die Verkündung der „wahren“ Lehre zu nennen.
III. Weitere Aufgaben der Obrigkeit nach Melanchthons Auffassung „Es gibt nichts Nützlicheres im Leben, als dem Bewußtsein eine gute und ehrenvolle Meinung von den Gesetzen einzupflanzen. Und nichts Verderblicheres gibt es im ganzen Leben, als den Geist an die Verachtung und Verhöhnung der Gesetze zu gewöhnen. Da es äußerst heilsam ist, dies der Jugend oft einzuprägen, so tut man meiner Meinung nach recht daran, wenn bei den öffentlichen Promotionen dieses Thema von der Würde der Gesetze häufiger behandelt wird. Was ist rühmlicher, als die Geschenke Gottes zu preisen und zu verherrlichen, und Verstand und Achtung der unerfahrenen Jugend für jene Dinge zu begeistern, die die nützlichsten im Leben sind? Oder was verdient in gelehrten Kreisen mehr zu ertönen als solche Reden, die sowohl zur Verherrlichung Gottes wie zur Disziplin der Jugend dienen, zumal ja die Gesellschaften unwissender und lasterhafter Menschen von Schmähungen der Gesetze überfließen. ( . . . ) Es gehört aber zu den Pflichten unserer Stellung, diese Stachel, das heißt die falschen Überzeugungen, aus dem Bewußtsein herauszureißen, die Würde der Gesetze und des Rechtes durch Wort und Beispiel ins rich„Epistolarum“ Lib.XIII, 1559, CR IX, S. 854 f. „De ordine politico“ 1552, CR XI, S. 1011 – 1016. „So viele traurige Anblicke von Bestrafungen, öffentliche Hinrichtungen, Krankheiten, Kriege, Hungersnot, Mord, Unglücksfälle unter den Nachkommen, Trennungen von Familien, Zwietracht im Staate und zahlreiche große Betrübnisse im öffentlichen wie privaten Leben stehen uns vor Augen als Mahnungen, dass wir die Richtschnur der Lebensführung, die nach Gottes Willen in den Gesetzen vorgegeben ist, lernen und befolgen. Dies ist oft zu bedenken, sowohl was den Ursprung der Gesetze betrifft, als auch hinsichtlich der Gegenwart Gottes bei der Wahrung der politischen Ordnung und bei der Bestrafung von Verbrechen, damit die Sinne an die Ehrfurcht vor den Gesetzen gewöhnen“, Übersetzung in Melanchthon deutsch, Bd. I, S. 315 f. 80 81
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
243
tige Licht zu rücken und, soviel wir nur vermögen, für die Aufrechterhaltung der Disziplin Sorge zu tragen.“82
Melanchthon bekam seine Bezeichnung als Praeceptor Germaniae nicht nur wegen seiner Studienreformen an zahlreichen Universitäten und der Einführung seines humanistischen Bildungsprogramms, sondern auch weil er seine Tätigkeit als Pädagoge als eine göttliche Aufgabe angesehen hat. Die Pädagogik war für ihn nicht nur ein Mittel, um Wissen zu vermitteln. Da er der Universität die Aufgabe zuwies, die zukünftigen Bürger und unter ihnen die zukünftigen Lenker des Staates auszubilden, empfand er sie vielmehr als Verantwortung für das Wohlergehen der Gesellschaft. Melanchthon betrachtete sich deswegen als mitverantwortlich für die zukünftige Erfüllung der gesellschaftlichen Ordnung. Wie schon vorher beobachtet, teilte er seine Sorge um die Aufrechterhaltung der Ruhe und des Friedens mit den Fürsten, die er für die öffentliche Ordnung verantwortlich erklärte. Als Ratgeber der obrigkeitlichen Macht sei es Pflicht der Professoren, „den Sinn der Fürsten ( . . . ) zur sorgfältigen Verteidigung frommer Studien und der Wissenschaften, die der Menschheit Heil bringen“,83 hinzuwenden. Das „Studium“, das für die Reformatoren sowohl akademische Ausbildung als auch sittliche Erziehung bedeutete, hatte zum Hauptzweck, den Christen zu der Erkenntnis Gottes zu führen.84 In diesem Zusammenhang verband sich die Aufgabe der Obrigkeit als Lenkerin ihrer Gemeinde mit ihrer Rolle als Hüterin der christlichen Lehre. Das pädagogisches Programm, die reformatorische Lehre, die Verantwortung der Obrigkeit für die Ausbildung der Bevölkerung und für die neue Glaubenslehre richteten sich nur nach einem einzigen Zweck, der Aufrechterhaltung der von Gott bestimmten Ordnung der Welt: „Magistratus est minister Dei custodiens honestam disciplinam externam sui coetus et pacem ac coercens ac puniens contumaces legitimis poenis corporum.“85
82 CR XI, S. 357, Übersetzung bei Schwab, Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands, S. 184. 83 „Oratio de legibus“ 1543, CR XI, S. 635: „Possunt autem optime mereri de Ecclesia nostri ordinis viri, cum mentes principum, a quibus consuluntur, ad curam defendendi pia studia et artes salutares humano generi flectunt. Dixi pauca de professoribus“. 84 „Etsi igitur iuventus ferocior est, tamen ideo haec ipsa gubernatio politica instituta est, ut doctrina, imperiis, carcere erudiat iuventutem, et cicuratam ac domitam flectat ad agnitionem Dei, ut gravissime Paulus inquit, Lex est paedagogus, et additur laus aplissima, cum inquit esse paedagogum, ut Christum agnoscamus. . .“, in: „Oratio de legibus“, 1550, CR XI, 910 f. 85 Aus dem Römerbrief-Kommentar 1556, MSA II, S. 727. Die Rolle der Obrigkeit als „strafender Richter“ werden wir in dem Absatz über das Strafrecht erläutern.
244
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
B. Die Ehe und die Familie Als Melanchthon in der Capita (1520)86 seine erste Auffassung der Naturgesetze entwickelte, leitete er aus jedem Gebot ein entsprechendes Gesetz ab, das im Rahmen der von Gott geforderten weltlichen Ordnung seinen Platz fand.87 Das Gesetz der Ehegemeinschaft ging auf das vierte Gebot (Iungenda sunt connubia) zurück und auf der Basis des fünften Gebots (Genitum seruandum est) definierte er das Autoritätsprinzip als das Fundament sowohl der Obrigkeit als auch der Familien.88 In seinen späteren Schriften bezog er sich immer wieder auf die Ehe und die Familie als die ersten aus göttlichem Recht entstandenen, weltlichen Institutionen, auf die sich eine Gesellschaftsordnung gründen konnte. Nach Melanchthons Auffassung gehört zur politischen Ordnung eine Ordnung der Gesetze, der Institutionen und der Personen, die den Gesetzen Geltung verschaffen. In der Ordnung der Personen soll jeder an seinem Platz in einem Befehl-Gehorsamverhältnis leben (die Obrigkeit gegenüber den Bürgern, der Mann gegenüber seiner Frau, der Vater gegenüber seinen Kindern) und diese Machthierarchie nicht nur dulden, sondern respektieren. In dieser Hinsicht erscheint deutlich das nicht nur akademische, sondern auch sittliche Erziehungsprinzip des patriarchalischen Reformatoren und Pädagogen. Da jeder als Teil der Weltordnung einen von Gott bestimmten Platz bekommen habe, müsse er geachtet und unterstützt werden. Jeder müsse seine soziale Rolle als einen Dienst an Gott betrachten: „Nascimur enim omnes, ut Deo serviamus, qui suam cuilibet stationem in hac vita attribuit. ( . . . )“89
In dem Oratio de legibus (1550) wird die gesamte Weltordnung von den natürlichen Erscheinungen bis zu den rechtlichen Institutionen nochmals dargestellt: „Ut hic pulcherrimus ordo, positus corporum, coeli, aeris, terrae circumfusae oceano, et ut ordo motuum coelestium, qui vices temporum, dies et noctes, aestates et hiemes efficit, sine ulla dubitatione a Deo conditus est et conservatur: ita totum hunc ordinem politicum, foedus coniugii, imperia, dominiorum distinctionem, contractus iudicia, poenas, verissime statuas, a Deo institutum est.“90 CR XXI, S. 11 – 48. Fild, Justitia bei Melanchthon, S. 76 ff. 88 CR XXI, S. 25 f. 89 „Oratio de stricto iure et aequitate“ 1544, CR XI, S. 670, bei Kisch, Rede Nr. 11, S. 274 – 280. 90 „Oratio de legibus“ 1550, CR XI, S. 912, bei Kisch, Rede Nr. 7, S. 241 – 250. „Wie diese wunderschöne Ordnung, zusammengesetzt aus Körpern, aus dem Himmel, aus der Luft und aus der Erde, die vom Ozean umflossen wird, sowie die Ordnung der Bewegungen am Himmel, die den Wechsel der Zeiten, den Tag und die Nacht, den Sommer und den Winter hervorruft, ohne jeden Zweifel von Gott geschaffen sind und erhalten werden, so wird man feststellen dürfen, dass auch diese ganze politische Ordnung: der Ehebund, die Reiche, die 86 87
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
245
Die Beschreibung der weltlichen Ordnung leitet in dieser Schrift die Erläuterung der obrigkeitlichen Pflichten nur ein, deshalb werden die anderen zitierten Institutionen dort nicht näher betrachtet. Ebenfalls wird in seinem Oratio de dignitate legum (1543) die Ehe nur als eine von Gott gestiftete Institution ohne weitere Erläuterungen erwähnt: „Et si concutit Deus aut evertit imperia, tamen Ecclesiam suam non sinit funditus deleri. Et haec, ut maneat, dat hospitia, conservat connubia, procreationem, educationem, contractus, literas, doctrinam de coelo traditam. Esse igitur coetus legibus iunctos necesse erit.“91
I. Melanchthons und Luthers unterschiedliche Auffassungen von Ehe und Ehegerichtsbarkeit Diese kurzen Hinweise auf die Institution der Ehe erklären sich in den Orationes de legibus dadurch, dass Melanchthons Beschäftigung mit den eherechtlichen Prinzipien nicht von seiner rechtsphilosophischen Reflexion herrührte, sondern von der Festlegung der reformatorischen Prinzipien gegenüber der katholischen Kirche und den kanonistischen Regeln. Als religiöse Institution gehörten seit dem Mittelalter die Klagen im eherechtlichen Bereich in die Zuständigkeit der bischöflichen Gerichte. Die Herrschaft der päpstlich-kirchlichen Gewalt in diesen Rechtsangelegenheiten konnten die Reformatoren nicht mehr zulassen. Außerdem verstanden sie im religiösen Sinne die Ehe als biblische Institution völlig anders. Melanchthon hatte sich auch im Zusammenhang mit der Gründung der reformatorischen Kirche tiefer mit der Institution der Ehe beschäftigt. Zwar waren Luthers und Melanchthons religiöses Verständnis der Ehe sehr verwandt – beispielsweise führten sie gemeinsame Kämpfe u. a. gegen das Priesterzölibat –; dennoch vertraten sie zwei grundsätzlich verschiedene Meinungen im Bereich der eherechtlichen Regelungen und der zuständigen Gerichtsbarkeit für die Rechtsprechung über Ehestreitigkeiten.92 Beide verneinten die Sakramentalität der Ehe, betrachteten sie jedoch als göttliche Stiftung, deren Zweck die Bekämpfung der menschlichen Sünde war. Da nach dem Sündenfall die Ehe durch die Geschlechtlichkeit pervertiert wurde, sollte sie als Regulierungsmittel der zwischenmenschlichen Beziehungen angewandt Unterscheidung der Eigentumsverhältnisse, die Verträge, die Prozesse, die Strafen von Gott eingerichtet sind; ( . . . ) Weil die Leitung in dieser Ordnung dem Lenker oder auch dem Oberbeamten der Gemeinschaft zukommt ( . . . ), hat er vier Pflichten . . .verordnet. . .“. 91 „Oratio de dignitate legum“ 1543, CR XI, S. 632, bei Kisch, Rede Nr. 6, S. 234 – 240. „Und wenn Gott Reiche erschüttert oder vertilgt, lässt er dennoch nicht zu, dass seine Kirche vollkommen zerstört wird. Und auch das: Damit sie bestehen bleibt, stiftet er die Gastfreundschaft, bewahrt die Ehen, die Nachkommenschaft, die Erziehung, die Verträge, die Wissenschaften und die vom Himmel offenbarte Lehre. Dass es deshalb auch Vereinigungen gibt, die von Gesetzen zusammengehalten werden, wird notwendig sein“. 92 Dieterich, Das protestantische Eherecht.
246
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
werden.93 Auch über die doppelte Natur der christlichen Ehe als fons politiae und seminarium ecclesiae, d. h. was die procreatio sobolis, das mutuum adiutorium der Gatten und die christliche Kindeserziehung betrifft, waren sie sich einig. Aber hinsichtlich der konkreten Gerichtsbarkeit im Bereich der eherechtlichen Streitigkeiten trennten sich ihre Meinungen. Im Gegensatz zu Luther setzte sich Melanchthon nicht intensiv mit der Frage der rechtlichen Natur der Ehe im reformatorischen Verständnis auseinander, sondern versuchte vielmehr, die alte Ordnung der Ehegerichtsbarkeit für die Festigung der Reformation nutzbar zu machen. Seine Kompromissbereitschaft den alten kirchlichen Institutionen gegenüber, die von den Lutheranern im Zusammenhang mit der Verfassung der Confessio Augustana (1530) stark kritisiert wurde, drückte sich in Bezug auf die bischöfliche Ehegerichtsbarkeit nochmals aus.94 Die Legitimation ihrer Gewalt begründete er aber neu: Das Gesetzgebungsrecht gehöre allein der Obrigkeit95 und mit entsprechenden Strafgesetzen und Verboten solle sie sexuelle Vergehen in der gesellschaftlichen Ordnung verhindern. Die weltliche Gewalt habe als defensor coniugii die Aufgabe, auch für die Zulässigkeit der Priesterehe zu sorgen.96 Deshalb forderte Melanchthon in seinem Tractatus de potestate Papae (1537) die Neuordnung der bischöflichen Ehegerichte durch die Landesfürsten.97 Die landesfürstliche Ehegerichtsbarkeit bekämen die Bischöfe allerdings Kraft menschlichen Rechts und nicht durch Gott wie es bei der Rechtsgewalt der Obrigkeit der Fall sei. Wenn das Gericht diese Rechtsprechung aber vernachlässigte, hatten an seiner Stelle die Fürsten die Pflicht, in Ehesachen Recht zu sprechen.98 Elert, Bd. I: Theologie und Weltanschauung, Bd. II: Soziallehren und Sozialwirkungen. „Confessio Augustana“ 1530, S. 125: „Dass aber die Bischöfe sonst Gewalt und Gerichtszwäng haben in etlichen Sachen, als nämlich Ehesachen oder Zehenten, dieselben haben sie aus Kraft menschlicher Recht. Wo aber Ordinarien nachlässig in solchem Ampt seind, so seind die Fursten schuldig, sie tun’s auch gleich gern oder ungern, hierin ihren Untertanen, um Friedes willen, Recht zu sprechen, zu Verhutung Unfrieden und großer Unruhe in Ländern.“; und weiter S. 129: „Solch Ordnung [der Kirche] gebuhrt der christlichen Versamblung umb der Lieb und Friedes willen zu halten, und den Bischofen und Pfarrern in diesen Fällen gehorsam zu sein, und dieselben soferne zu halten, dass einer den anderen nicht ärgere, damit in der Kirche keine Unordnung oder wustes Wesen sei“; in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. 95 „De officio magistratus in tuendis legibus coniugii“, in: „De coniugio“, CR XXI, 1072 ff. 96 CR XXI, S. 1072: „Haec officia Magistratus et in coniugii defensione considerent. Sciant severissimis mandatis Dei praecipi, ut leges coniugiorum conservent et puniant adulteria, vagas et incestas libidines, et tollant e medio illa dira portenta, quae et iram Dei irritant et polluunt genus humanum tetris libidinum confusionibus, qui certissimum est Deum horribiliter irasci et ipsis libidinum confusionibus et negligentiae gubernatorum, qui eas non puniunt, nec sontes e medio tollunt.“ und weiter S. 1074: „Ostendant etiam honesti gubernatores amorem Castitatis in defensione coniugii, aboleant impias et diabolicas leges Episcoporum de coelibatu Sacerdotum et concedant pium coniugium omnibus, qui ad id vitae genus idonei sunt, iuxta legem divinam [1. Cor. 7,2.]: Unusquisque habeat uxorem suam vitandae scortationis caussa“. 97 „Tractatus de potestate Papae“ (1537) in: Die Bekenntnisschriften, S. 469 – 498. 98 „Confessio Augustana“ (1530) Art. 28, in: Die Bekenntnisschriften, S. 125. 93 94
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
247
Auf den ersten Blick scheint diese Auffassung mit der Zwei-Regimente-Lehre Luthers übereinzustimmen, der die strittigen Ehesachen der weltlichen Gerichtsbarkeit überlassen wollte. Gegenüber dem lutherischen Dualismus vertrat aber Melanchthon eine monistische Lehre des Eherechts, die sogenannte causa mixta, die mittelalterliche Anschauungen mit reformatorischen Prinzipien in einem neuen System verknüpfte. Von Pragmatismus geprägt, vermischten sich in dieser Lehre die geistliche und die weltliche Seite der Ehe: „Denn der Begriff der çausa mixta“ setzt die Ehe als ein abgeschlossenes und einheitliches Institut voraus, das nur deswegen „res mixta“ ist, weil dafür verschiedene Rechte (göttliches, kanonisches, römisches und partikulares) einschlägig sind und die Ehesachen nicht nur zivil- oder strafrechtliche Natur haben, sondern auch die Gewissen betreffen.“99
In dem Tractatus de potestate Papae (1537) sowie in der Confessio Augustana (1530) tritt der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Ansichten deutlich hervor. Für Melanchthon steht die Ehegerichtsbarkeit den bischöflichen Instanzen nur Kraft weltlichen Rechtes zu. Diese Auffassung findet ihren Grund darin, dass vor dieser im Mittelalter entstandenen kirchlichen Gerichtsbarkeit die Ehesachen von der justinianischen Gesetzgebung geregelt wurden.100 Weil aber die kanonistischen Gerichte die eherechtlichen Gesetze falsch ausgelegt oder ganz vernachlässigt haben, sollten die Fürsten sie neu ordnen, wie es 1539 in Wittenberg der Fall war.101 Melanchthon spricht daher nur von „Neuordnung“ (anderst zu bestellen) der schon existierenden Ehegerichte mit Hilfe der Obrigkeit, wohingegen Luther auf der Basis der weltlichen Natur der Ehe die Gründung ganz neuer, in den Händen der Fürsten stehender Gerichte verlangt. Die Einigung der Reformatoren über die Zuweisung der Ehesachen an weltliche Gerichte ist dann trotz des ersten Eindruckes nicht zu behaupten.
Dieterich, Das protestantische Eherecht, S. 176. „Tractatus de potestate papae“ (1537): „Darnach ist ein Jurisdictio in den Sachen, welche nach bapstlichem Recht in das forum ecclesiasticum oder Kirchengericht gehoren, wie sonderlich die Ehesachen sind. Solche Jurisdictio haben die Bischofe auch nur aus menschlicher Ordnung an sich bracht, die dannoch nit sehr alt ist, wie man ex Codice und Novellis Justiniani siehet, dass die Ehesachen dazumal gar von weltlicher Oberkeit gehandelt sind, und ist weltliche Oberkeit schuldig, die Ehesachen zu richten, besonder so die Bischofe unrecht richten oder nachlässig sind, wie auch die Canones zeugen. Darumb ist man auch solcher Jurisdictio halb den Bischofen keinen Gehorsam schuldig, und dieweil sie etliche unbilliche Satzung von Ehesachen gemacht und in Gerichten, die sie besitzen, brauchen, ist weltliche Oberkeit auch dieser Ursach halb schuldig, solche Gericht anderst zu bestellen“, in: Die Bekenntnisschriften, S. 494. 101 „Beneficium datur propter officium. Darumb konnen sie solch Almusen mit guetem Gewissen nicht gebrauchen und berauben damit die Kirche, welche solcher Gueter darf zu Underhaltung der Kirchendiener und gelehrte Leut aufzuziehen und etlich Arme zu versorgen und sonderlich zu Bestellung der Ehegericht“, in: „Tractatus de potestate papae“, in: Bekenntnisschriften, S. 495. Die Erneuerung des Wittenberger Ehegerichts wird später erläutert. 99
100
248
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
II. Die damalige Reform der Ehegerichtsbarkeit in Wittenberg Die Geschichte der Ehegerichtsbarkeit in Wittenberg zeigt auch deutlich den Zwiespalt zwischen Luthers Auffassung einerseits und Melanchthon und den reformatorischen Juristen andererseits. 1527 wurde als Folge der Kirchenvisitation der Landesherren eine neue Regelung in Ehesachen verordnet, die Luthers Wunsch der Verweltlichung der Ehegerichte entsprach. Im Falle strittiger Ehesachen war erst der Pfarrer und, für die schwierigsten Fragen, der Superintendent zuständig. Im gerichtlichen Verfahren aber saß neben dem Pfarrer oder dem Superintendenten ein zugeordneter Vertreter der weltlichen Instanz, entweder der „Amtsmann“ oder der „Schosser“, und in Zweifelsfällen sollte letztlich das Wittenberger Hofgericht entscheiden. Die strittigen Ehesachen waren in der Tat – allerdings mit wechselndem Erfolg – der weltlichen Obrigkeit überlassen worden.102 Insbesondere waren die ländlichen Pfarrer im Vergleich zu den städtischen Instanzen unsicher über die anzuwendenden Gesetze, deswegen waren die Hofgerichte schnell überfordert. Wegen dieser Umstände gewann Melanchthons Auffassung von einer notwendigen Erneuerung der schon bestehenden kirchlichen Ehegerichte durch die Fürsten an Einfluss, vor allem auch weil die Einführung einer komplett neuen Gerichtsbarkeit zu viel Zeit kosten bzw. gesellschaftliche Unruhen verursachen würde. Im Mai 1537 schlug deshalb der kursächsische Landschaftsausschuss in Torgau dem Kurfürsten vor, auf seinem Territorium vier Konsistorien zu verordnen, die die gesamte kanonische Gerichtsbarkeit übernehmen sollten. Darüber forderte Johann Friedrich ein Gutachten von den Wittenberger Professoren, das 1538 von den Theologen Jonas, Cruciger, Bugenhagen und Melanchthon sowie von den Juristen Schürpf und Benedikt Pauli unterschrieben wurde.103 Melanchthons Gedanken übernehmend plädierten sie für die Einrichtung eines eigenen Gerichtes. 1539 eröffnete der Kurfürst in Wittenberg ein allein in strittigen Ehesachen zuständiges Konsistorium, in dem weltliche und geistliche Beisitzer entscheiden sollten, und das nach Luthers Meinung als rein weltliches Gericht gelten könnte. Die Mehrheit der Wittenberger Professoren drängten aber auf eine geistliche Gerichtsbarkeit in allen Ehesachen und verfassten deshalb 1542 eine „Constitution des geistlichen Consistorii zu Wittenberg“, die dem Konsistorium zusätzliche Kompetenzen für die Visitationen zuschrieb.104 Das ursprünglich verordnete weltliche Gericht war dadurch nicht mehr allein für die strittigen Ehesachen zuständig, sondern erhielt auch Kompetenz für den geistlichen Aspekt der Ehe. Dies veranlasste Luther, 1544 die Gerichtspraxis des Konsistoriums und vor allem die weitere Anwendung des kanonischen Rechts zu ver102 Visitations-Instruktion 1527, bei Richter, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bd. I, S. 77 (81) und ders., Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung, S. 45 und 64 f. 103 Das Gutachten ist bei Richter, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung, S. 82 ff. abgedruckt. 104 Richter, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bd. I, S. 367 ff.
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
249
werfen. 1545, kurz vor seinem Tod, gelang es Luther noch einmal, seine Haltung bezüglich der Wittenbergischen Reformation durchzusetzen. Die Aufgabe des Kirchengerichts, in dem geistliche sowie weltliche Beisitzer weiter entscheiden sollten, lag hauptsächlich in der Erhaltung der Zucht, wofür sie das geistliche Instrument des kleinen Banns (Exkommunikation) besaßen. Die Zuständigkeit diese Gerichts wurde in dieser Schrift ausdrücklich der weltlichen Gewalt gegenübergestellt und im Bereich der Ehesachen wird sie auf die Fälle begrenzt, in denen „der richter den gewissen rathen muss, welches die weltlichen gericht nicht achten“.105 In der Praxis aber blieb das Konsistorium hauptsächlich ein geistliches Gericht, das auch die „weltlichen“ Ehesachen behandelte. Schließlich wurde die von Melanchthon bereits in der Confessio Augustana entwickelte Auffassung definitiv aufgenommen. Demnach waren alle Ehesachen kraft menschlichen Rechts von kirchlichen Gerichten zu entscheiden. Die Übernahme dieses Prinzips in die Praxis ermöglichte es den Juristen, das kanonische Eherecht weiter anzuwenden, dessen fortdauernde Geltung eine weitere Streitfrage zwischen Luther einerseits, Melanchthon und den Wittenberger Juristen andererseits gebildet hatte.106 III. Auseinandersetzungen über die Weiterverwendung des kanonischen Rechts in Ehesachen Die Reformatoren haben sich Jahrzehnte lang mit den Juristen an der Universität Wittenberg über die Frage der Rechtsgültigkeit von heimlichen Verlöbnissen gestritten und diese Auseinandersetzung spiegelte die beiden konträren Meinungen über die Anwendung des kanonischen Rechts wider. Die Juristen, die mehrheitlich Anhänger der reformatorischen Lehre waren, hatten im Laufe ihres Studiums die Prinzipien des Corpus iuris canonici gelernt. Sie kannten deshalb dessen Stellenwert im Bereich des Ehe-, Familien- und Prozessrechts und plädierten grundsätzlich für die weitere Gültigkeit des kanonischen Rechts. Anderseits betrachteten die Reformatoren das kanonische Recht als rein päpstliche Gesetzgebung und verlangten deshalb dessen bedingungslose Abschaffung. Dennoch waren die Differenzen zwischen Jurisprudenz und Reformation nicht so deutlich. Es mag zwar stimmen, dass sich die beiden Parteien (reformatorische Juristen einerseits und Theologen andererseits) bei einzelnen Rechtsfragen über die anzuwendende Rechtsquelle gestritten haben. Aber es wäre falsch zu behaupten, dass die Juristen sich einheitlich grundsätzlich für die Weiterverwendung des gesamten kanonischen Rechts im eherechtlichen Bereich eingesetzt und dass die Theologen eine einheitliche Partei gegen die Rezeption des kanonischen Rechts gebildet hätten. Die Meinungen über diese Problematik müssen viel differenzierter Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen, Bd. I, S. 220. Über den Streit zwischen dem Juristen Hieronymus Schürpf und dem Theologen Martin Luther, siehe das zweites Kapitel. 105 106
250
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
betrachtet werden. Im Laufe der Reformationszeit stellte sich der Gegensatz nicht zwischen „den Theologen“ und „den Juristen“ ein, sondern deutlich zwischen der Stellung Luthers einerseits und der Mehrheit der Theologen sowie der Juristen andererseits.107 Diese Konstellation war schon am Anfang der Reformationszeit vorhanden, wie es der Streit um die Rechtsgeltung der heimlichen Verlöbnisse zeigt. 1. Der Streit über die Rechtsgültigkeit von heimlichen Verlöbnissen a) Auffassung Luthers und der Juristen Solche Verlöbnisse, die ohne Zustimmung und Kenntnis der Eltern zur Schließung der Ehe führten, wurden von dem kanonischen Recht bzw. von der Mehrheit der Wittenberger Juristen, u. a. Hieronymus Schürpf, Henning Goden und Sichardus als gültig und unlösbar erklärt.108 Nach kanonischem Recht verloren die Eltern nach der heimlichen Eheschließung das Recht, eine ungewünschte Ehe ihrer Kinder nicht zu bewilligen. Die Juristen fundierten in solchen Fällen ihre Entscheidung auf der kanonischen Unterscheidung zwischen sponsalia de futuro (das Verlöbnis) und sponsalia de praesenti (die Eheschließung), die beide unterschiedliche rechtliche Konsequenzen mit sich brachten. Die sponsalia de futuro wurde als Vertrag zur künftigen Eheschließung betrachtet, während die sponsalia de praesenti die vollgültige und verbindliche Ehe bildete. Schon durch die Semantik wird die Übernahme der kanonischen Unterscheidung zwischen matrimonium initiatum und matrimonium consumatum (C. 27 q. 2 c. 2 ss.) in der damaligen Rechtspraxis deutlich.109 Diese Unterscheidung wurde von Luther bestritten. Er verlangte allein die Betrachtung der näheren Umstände, um festzustellen, ob es sich um ein Verlöbnis im eigentlichen Sinne handelte. Zu dieser Kategorie gehörten erstens die heimlichen Verlöbnisse, zweitens die Verlöbnisse mit „ehrenhaften“ Bedingungen und drittens die Verlöbnisse, die entweder von den unreifen Minderjährigen selbst oder durch ihre Eltern oder Vormünder abgeschlossen wurden.110 Kraft des in der Öffentlichkeit gegebenen gegenseitigen Einverständnisses der Verlobten wurden in allen anderen Fällen die Verlöbnisse, auch vor der copula carnalis, von den Theologen, im Gegensatz zu den Juristen, als vollgültige Eheschließungen erklärt. Luther war besorgt über die familiären und sozialen Unruhen, die sowohl aus dem latenten Ungehorsam der Kinder gegenüber ihren Eltern als auch aus der Geheimhaltung der ehelichen Bindung gegenüber den Dritten entstehen könnten. Dieterich, Das protestantische Eherecht, S. 113 ff. Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 207 ff. 109 Kling, „c de sponsalibus de praesenti“ fol. 3 a ss., „c. de matrimonio initiato“, fol. 4 a s.“, Schneidewin, „c. de sponsalibus“, pars I n. 14 p. 429. 110 „De coniugio“, CR XXI, S. 1071: „Sunt et sponsalia de futuro, quando nomine impuberum fit promissio a parentibus vel tutoribus de coniugio contrahendo inter hos impuberes, cum aetas erit idonea, aut cum ispi impuberes, vel altera persona, cuius aetas nondum est idonea, coniugium futurum promittit.“ 107 108
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
251
Deswegen plädierte er einerseits für die öffentliche Zeremonie der Eheschließung (Zeugenerfordernis und Elternkonsens), andererseits für die Anwendung des römischen Rechtes im Falle heimlicher Ehen, weil in den Digesten die Einwilligung der Eltern als eine unentbehrliche Bedingung für die Eheschließung ihrer Kinder betrachtet wurde.111 Seine erste Kritik gegen die heimlichen Gelöbnisse drückte er 1524 aus, aber sein eigentlicher Kampf gegen die Anwendung des kanonischen Rechts in solchen Fällen begann erst drei Jahre später. Von diesem Zeitpunkt an bis 1545, als die von Kurfürst Johann Friedrich verlangte Concordia von beiden Parteien unterschrieben wurde, steigerte sich die Aggressivität Luthers gegen die Juristen und führte sogar im März 1539 zum Bruch mit Hieronymus Schürpf.112 b) Melanchthons Position zu den in Ehesachen geltenden Rechtsquellen Welche Stellung nahm aber Melanchthon zwischen kanonischem und römischem Recht und vor allem zwischen dem von ihm verehrten Rechtsprofessor und dem Vater der reformatorischen Lehre ein? Über die Frage der heimlichen Verlöbnisse im engeren Sinn existiert zwischen 1524 und 1545 keine systematische Schrift, die seine Auffassung hätte erläutern können. 1540 schrieb er zwar über die Ehe, berücksichtigte dabei aber ausschließlich die diversen Eheverbote auf Grund der Blutsverwandtschaft.113 In einigen Fragen war die Mehrheit der Theologen, unter ihnen Melanchthon, Luthers Meinung. Beispielweise gab es Übereinstimmung darüber, dass ein hinter dem Rücken der Eltern abgeschlossenes Verlöbnis als ungültig erklärt werden musste. Wenn aber die copula carnalis schon geschehen war, war Melanchthon der Auffassung, dass das heimliche Verlöbnis trotz des fehlenden Elternkonsens als vollgültige und verbindliche Ehe angesehen werden musste, genau im Sinne des kanonischen Rechts. Erst im Jahre 1551 schrieb Melanchthon in seinem Tractatus de coniugio,114 das die juristischen Bedingungen der Eheschließung in elf Absätzen erläutert, über die Einwilligung der Eltern: „Sciendum et hoc est, post concubitum non posse rescindi coniugia auctoritate parentum, quia non est iam quaestio de futuro coniugio, et violata est auctoritas parentum, ac fieret iniuria desertae mulieri.“115 111 Ohne die Zustimmung des Vaters ist die Ehe der Kinder ungültig: Digesten, L. XXIII, Tit. 2, „De ritu nuptiarum“, Lex 2 von Paulus: „Eine Ehe kann nicht bestehen, wenn nicht Alle einwilligen, das heißt, die, welche sich vereinigen, und die, in deren Gewalt sie sich befinden“. 112 Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 209 und im zweiten Kapitel. 113 „De arbore consanguinitatis et affinitatis, sive de gradibus“, CR XVI, S. 509 – 524. 114 Das „tractatus“ wurde später der dritte „aetatis“ der „Loci communes“ angehängt, CR XXI, S. 1051 – 1076. 115 „De consensu parentum“, CR XXI, S. 1060.
252
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Wie die Juristen erkennt Melanchthon hier die juristische Gültigkeit einer nicht bewilligten, aber vollzogenen Ehe an. In solchen Fällen hätte die verlassene Ehefrau den größeren Schaden zu erleiden, was sowohl gegen die Billigkeit als auch gegen die zukünftige Gesellschaftsordnung wäre. Melanchthon betrachtete die Ehe als die erste von Gott bestimmte menschliche Gemeinschaft116 und widmete ihr als solcher seine besondere Aufmerksamkeit. In der klaren und strukturierten Erklärung der eherechtlichen Regeln seines Traktats unterstreicht er zunächst in einer kurzen Definition den göttlichen Charakter der Institution.117 Im Anschluss behandelt er die Beschränkungen der Eheschließung auf Grund der Person (z. B. wegen Blutsverwandtschaft, wie in der Schrift De arbore consanguinitatis 1540118), außerdem definiert er die Eheverwandtschaft und erläutert die zu erfüllenden Bedingungen für die gültige Eheschließung, die Zustimmung der Eheleute sowie der Eltern, die Konsequenzen der verschiedenen Arten von Irrtum, die Möglichkeiten zur Scheidung oder zur Lösung der Ehe, die Verlöbnisse der Minderjährigen und zuletzt die Rolle der Obrigkeit hinsichtlich der Ehegesetze.119 Grundlage seiner Argumentation sind die biblischen Sätze sowie die kanonischen und römischen Gesetze. In dieser Quellenauswahl manifestiert sich seine Suche nach den billigsten und menschlichsten Rechtslösungen zugunsten der sozialen Ordnung. Melanchthon übernimmt die römisch-rechtlichen Scheidungsgründe der Sävitien und der Insidien und erklärt, trotz der biblischen Sätze „Erunt duo in carnem unam“120 und „Wer seine Frau entlässt, außer wegen Unzucht, und eine andere heiratet, begeht Ehebruch“121, die Scheidung wegen Gewalt, Vergiftung und Angst für sein eigenes Leben nach dem lex consensu Theodosii des Codex (C. 5, 17, 8) als gültig.122 116 Melanchthon schrieb schon 1531 in seinem Kommentar der aristotelischen Politik: „Est itaque initium societatis coniuctio maris et foeminae. Inde tanquam coloniam ex familiis, civitatem deducit“, CR XVI, S. 423. 117 CR XXI, S. 1052: „Est ergo coniugium legitima et indissolubilis copulatio unius maris et unius feminae instituta divinitus, ut agnoscamus Deum esse mentem castam, et ei in castitate serviamus, et hoc modo propagato genere humano colligatur aeterna Ecclesia Deo. Et quidem Ecclesiae initium fuit illa prima societas duorum coniugum“. 118 „De arbore consanguinitatis et affinitatis, sive de gradibus“, CR XVI, S. 509 – 524. 119 Siehe auch Dieterich, Das protestantische Eherecht, insb. S. 93 – 108. 120 Matth. 19, 5, Gen. 2, 24. 121 Matth. 19, 9. 122 In dem Absatz „De divortiis propter seavitiam, veneficia et insidias structas vitae“ (CR XXI, S. 1068 f.) erwähnt Melanchthon den Codex (L. V, Tit 17, lex 8 § 2): „Wenn demnach irgend eine Frau ihren Ehemann als einen Ehebrecher, oder Todschläger, oder Giftmischer, oder als einen Empörer gegen Unser Reich, oder als einen wegen des Verbrechens der Fälschung Verurteilten befunden, als Räuber oder Begünstigter von Räubern, oder Viehdieb, oder Menschenräuber, oder als einen Menschen, der aus Verachtung gegen sie und ihr Haus vor ihren Augen mit liederlichen Weibspersonen (was keusche Frauen am meisten erbittert) Umgang pflegt, wenn sie ihn als einen, der ihrem Leben mittels Gifts oder Schwerts oder auf
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
253
Der Widerspruch zwischen den beiden Quellen veranlasste ihn, die Trennung zwischen lex und Evangelium zu betonen bzw. sich auf seine Zwei-Reiche-Lehre zu beziehen und damit die Rolle der obrigkeitlichen Gerechtigkeit erneut zu unterstreichen. Demnach haben sowohl die kirchlichen als auch die weltlichen Magistraten die Pflicht, die gefährlichen Individuen aus der Öffentlichkeit zu entfernen, das Leben der Unschuldigen zu beschützen und die Ungerechtigkeit als Faktor von Unruhen und Unordnung zu bekämpfen: „Si quis est igitur talis maritus, qui saevitiam in coniugem exercet et admonitus a Pastoribus non desinit furere et domesticae Ecclesiae invocationem turbare et uxorem ita crudeliter tractare, ut vita in periculo sit, hic certe magistratus politici imperio coërcendus est, qui non solum vitam personae innocentis tueri debet, sed etiam debet eius conscientiae consulere, ne fracta dolore et indignatione tandem abiiciat invocationem aut aliquid iniuste faciat, ut dicitur: Furor fit laesa saepius patientia. In eo casu in persona crudeli, non pertinente ad Ecclesiam, Magistratus politicus Theodosii lege uti posse videtur.“123
c) Melanchthons Betonung der Rolle der Obrigkeit in Ehesachen Der „göttliche“ Charakter der weltlichen Obrigkeit, der sich in den von Gott bestimmten, von ihnen zu erfüllenden Pflichten ausdrückt, wird von Melanchthon in diesem Tractatus de coniugio wiederholt: „Imperia politica vult Deus honori esse bonis et terrori malis. Vult Deus tegi eos, quorum mores sunt sine scelere, vult eis concedi pacem ad invocationem, ad educationem et ad institutionem sobolis, vult latrones reprimi, sive domi sive foris latrocinia exerceant. Nec desunt unquam in imperiis homines contumaces, iniusti et [gr. hastorgoi], exercentes in suos iniustam seavitiam, quales nominat Dominus in hac concione duros corde.“124
In der Einleitung des Absatzes über die Aufgabe der Obrigkeit gegenüber den Ehegesetzen greift er nochmals auf die vier Pflichten zurück, die auch in den Reden De legibus (1550) und De dignitate doctrinae legum (1553) zu finden sind. Diese sind erstens der Respekt der Magistrate vor dem lex divina, zweitens die Rolle des Magistraten als Hüter der göttlichen Gesetze bzw. als strenger Bestrafer der Verbrechen gegen die von Gott gewollte, weltliche Ordnung, drittens seine Rolle als Gesetzgeber, dessen Gesetze mit dem göttlichen Recht übereinstimmen müssen und viertens die Bestrafung der Verbrecher.125 Die Rolle der Obrigkeit als Gesetzgeberin geht zurück auf die Vorstellung, dass der Staatsdiener das institutionelle Schwert Gottes (gladius) für die Aufrechterhaltung der weltlichen Ordnung und der menschlichen Zucht sei.126 eine andere Weise nachstellt, oder wenn sie ihn als einen Menschen, der sie mit Schlägen, welche einer Freigebornen unwürdig sind, misshandelt, überweiset, dann gewähren Wir notgedrungen ihr die Erlaubnis, sich der Hülfe der Ehetrennung zu bedienen, und die Gründe der Scheidung auf gesetzmässige Art nachzuweisen“. 123 CR XXI, S. 1068 f. 124 CR XXI, S. 1069. 125 CR XXI, S. 1072. 17 Deflers
254
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Die Obrigkeit als Ministerin Gottes sei auf Grund ihrer strafrechtlichen Rolle verpflichtet, in das soziale Leben der christlichen Bürger einzugreifen; für Melanchthon ist das eine fundamentale Pflicht der Obrigkeit. Den Begriff „Strafe“ versteht er nicht nur im strafrechtlichen Sinne; Strafe sei gleicherweise ein Kerker für die Gefährlichen wie auch ein Schutz für die Unschuldigen und Schwächeren. Ihre Abschreckungsfunktion sei ein Erziehungsmittel für die Bevölkerung und diene dazu, die gesellschaftliche Ordnung zu sichern.127 Die Vernachlässigung des Strafsystems durch die weltliche Macht vor allem im Hinblick auf die Bekämpfung der Unzucht ist nach Melanchthon die Ursache des menschlichen Unglücks und macht das göttliche Eingreifen in der Weltgeschichte notwendig.128 Außerdem sei es eine obrigkeitliche Aufgabe, die „unfrommen und teuflischen Gesetze des Episkopats über das Zölibat der Priester“ abzuschaffen, damit die für alle gültige, göttliche Institution der Ehe eine übereinstimmende Anwendung in der Gesellschaft finden könne.129 Abgesehen von einigen Rechtsprofessoren der alten Generation, wie vor allem Hieronymus Schürpf, waren sich fast alle reformatorischen Theologen und Juristen über die Abschaffung des kanonischen Eheverbots für Priester einig. Schürpfs stillschweigende Akzeptanz des Eheverbots für die Kleriker gründet in der Annahme, dass er die Kinder aus Pfarrerehen als illegitim bzw. als nicht erbberechtigt betrachtete. Eine deutliche Stellungnahme über die Ungültigkeit dieser Ehen ist aber nirgendwo in seinen Schriften zu finden. Seine Treue dem kanonischen Recht gegenüber äußert sich auch in seiner Ablehnung einer eventuellen Wiederheirat der unschuldigen Partei nach einer gerichtlichen Scheidung (Verbot der sukzessiven Polygamie) oder in seiner mehrmals wieder-
126 CR XXI, S. 1074: „Sed tamen in hac vita gubernatores honesti et pii de hac re etiam voluntatem Dei considerare debent et dirigere gubernationem ad legem Dei et, quantum fieri potest, curare, ne cumulentur peccata et poenae, ut apud Iesaiam dicitur [10,1]: Vae illis, qui scribunt leges iniustas.“ 127 „( . . . ) drittens sollen sie [die rechtgläubigen Fürsten] auch die Beispiele der Könige Judas und Israels erwägen, von denen sie wissen, dass sie nicht nur die mosaische Ordnung betreffen, wenn es moralische sind, sondern die Fürsten zu allen Zeiten. Daraus sollen sie lernen, dass die, die Götzendienst fördern, schrecklich bestraft werden, die anderen aber, die Götzen beseitigt haben, mit den schönsten Siegen, Wundern und himmlischen Gaben belohnt werden. Wegen Salomos Götzendienst wurde das Reich Israel zertrennt. Die Größe dieser Strafe musste mit Recht alle vom Götzendienst abschrecken“; in: „De officio principum, quod mandatum Dei praecipiat eis tollere abusus Ecclesiasticos“, 1939. Übersetzung bei Melanchthon deutsch, Bd. II, S. 199 – 225, hier S. 203. 128 CR XXI, S. 1072: „Sciant severissimis mandatis Dei praecipi, ut leges coniugiorum conservent et puniant adulteria, vagas et incestas libidines, et tollant e medio illa dira portenta, quae et iram Dei irritant et polluunt genus humanum tetris libidinum confusionibus, quia certissimum est Deum horribiliter irasci et ipsis libidinum confusionibus et negligentiae gubernatorum, qui eas non puniunt, nec sontes e medio tollunt. Et propter haec scelera vagantur in genere humano multae poenae publicae, bella, vastationes, dissipationes hominum et aliae magnae calamitates, ut ostendunt exempla Sodomorum, Cananaeorum, tribus Beniamin, exilii Davidis, eversionis Troia, et alia innumerabilia“. 129 CR XXI, S. 1074.
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
255
holten Erklärung über die Gültigkeit der Eheverlöbnisse, die ohne elterliche Zustimmung abgeschlossen wurden.130 Schließlich erwähnt und zitiert Melanchthon mehrmals in dem Absatz über die Scheidung (de divortio) die Dekretalen, den Codex und die Digesten als sich untereinander ergänzende Rechtsquellen (die sogenannte causa mixta),131 erläutert die verschiedenen Lösungen und beweist dadurch die Tiefe seiner Rechtskenntnisse. Seiner Position zu eherechtlichen Sachen folgte die Mehrheit der Wittenberger Juristen: Sie bevorzugten in vielen Fällen die Anwendung des kanonischen Rechtes, seine Übernahme aber betrachteten sie nicht mehr als selbstverständlich, sondern maßen dessen Prinzipien an den Sätzen des Neuen Testaments. Die Stellung des kanonischen Rechts war nicht mehr unbestritten. Wie die Praxis bei der Lösung einzelner eherechtlicher Sachen zeigt, wurde das römische Recht bevorzugt angewandt. Insofern wäre also eher von einer freien Rezeption des kanonischen Rechtes zu sprechen als von dessen Weitergeltung.
2. Kurzer Überblick über die damalige eherechtliche Praxis Es ist schwierig, sich ein vollständiges Bild der damaligen Rechtsprechung zu machen, weil die Rechtspraxis, die sich in den Kirchen-, Ehe- und Konsistorienordnungen niederschlägt, eine Fülle einzelner Lösungen anbietet, die auf situationsbedingten Entscheidungen – vielfach Notlösungen – beruhen und keine Systematik erkennen lassen. Die unterschiedlichen, für die eherechtliche Rechtspraxis zuständigen Instanzen tragen nicht zur Vereinfachung bei. Neben den eigentlich für den Problembereich zuständigen, geistlichen Ehegerichten wurden die eherechtlichen Regeln von den theologischen und juristischen Fakultäten sowie von den ordentlichen weltlichen Gerichten angewandt, die sich incidenter mit eherechtlichen bzw. mit güter-, erb- und strafrechtlichen Fragen beschäftigten. Über die sächsische Rechtspraxis sind die Quellen aussagekräftiger. Beisitzer der Konsistorien, wie z. B. Schneidewin, haben im Zusammenhang mit ihrer Richtertätigkeit Lehrbücher verfasst, die ein realistisches Bild ihrer Jurisprudenz abgeben.132 130 Schürpf, „cent. I consil. 47 fol. 157 ss. n. 1“, „cent. I consil. 57 fol. 218 ss. n. 7“ (bei Ehebruch Scheidung nur zu Tisch und Bett), „cent I consil. 47 fol. 157 ss. n. 2“ (bei Sävitien Scheidung nur zu Tisch und Bett) in: Schürpf, „Consiliorum seu Responsorum Iuris Centuria I – III“, Francofordiae ad Moenum, 1564. 131 In dem Absatz über den Zeitraum für die Wiederheirat nach der Scheidung („De tempore, post quod alia coniugia concedi possunt“ CR XXI, S. 1067 f.) werden zuerst der Codex (lib. V., tit I, lex II), dann der Korintherbrief (1, ep. 7, 15) und zuletzt die Digesten (lib. XXIV, tit. II, leges VI) im Zusammenhang mit den Decretalen des „Corpus Iuris Canonici“ (lib. IV, tit. I „De sponsalibus et matrim.“ cap. XIX) als Rechtsquelle zitiert. 132 Das gilt insbesondere für den Ehekommentar von Schneidewin und für das „Corpus Iuris Matrimonialis“ von Sarcerius über das Scheidungsrecht, siehe Mejer, Zum Kirchenrechte des Reformationsjahrhunderts, S. 188 f.
17*
256
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Durch Melanchthons Bericht133 ist bekannt, dass am Anfang der 30er Jahre des 16. Jahrhunderts das Wittenberger kursächsische Hofgericht das kanonische Recht in der Frage der heimlichen Verlöbnisse ohne elterliche Zustimmung (C. 27, q. 2, c. 2) nicht mehr anwandte; deshalb wurden sie für nichtig erklärt. Weil Luther die Zustimmung der Eltern nicht mehr nur als eine Formalität, sondern als eine Notwendigkeit für die Schließung des Ehevertrages betrachtete, sollte auch ihre nachträgliche Genehmigung von dem Konsistorium für ungültig erklärt werden. Zwar konnte Luther sich einmal durchsetzen, indem er über den Kurfürsten die Aufhebung eines nachträglichen Ehevertrags erreichte. Dennoch wurde in der konsistorialen Rechtspraxis die spätere elterliche Genehmigung als gültig beurteilt.134 Weil für die Entwürfe der landesherrlichen Ehegesetze die Theologen mehr beteiligt wurden als die Juristen, wurde die Auffassung der causa-mixta, d. h. die Anwendung sowohl kanonischen als auch römischen Rechts für die Konfliktlösungen, am häufigsten vertreten. Das Verbot der Priesterehe wurde im Reich erst 1564 von Kaiser Ferdinand I. aufgehoben. Sein Sohn und Nachfolger, Maximilian II., bemühte sich weiter, dieses reformatorische Prinzip in Kraft treten zu lassen. Jedoch forderte Papst Paul IV. die Gestaltung der Priesterehe; noch im selben Jahr wurde an die zu Trient versammelten Konzilsväter eine kaiserliche Denkschrift darüber gesandt.135 Die Frage blieb aber zunächst ein theologischer Streit ohne Folge für die gerichtliche Jurisprudenz. Die Rechtszuständigkeit der Konsistorien verbreitete sich in den evangelischen Territorien, sie wurden sowohl mit Theologen als auch mit Juristen besetzt. Als Rechtsquelle wurde immer wieder das göttliche Recht oder die Heilige Schrift als oberste Richtschnur für alle Entscheidungen erklärt. Der Rückgriff auf das römische Recht neben der Rezeption des kanonischen Rechts erscheint in mehreren Kirchenordnungen.136 Die Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung des Corpus Iuris Canonici lösten sich am Ende der Reformationszeit auf. Im Sinne der herrschenden Praxis hatte man festgelegt, dass es – im Sinne der Naturrechtslehre Melanchthons – dort angewandt werden sollte, wo es mit der Heiligen Schrift übereinstimmte. Abhängig von den einzelnen Fragen, die von den Konsistorien behandelt werden mussten, wurden entweder die kanonischen Prinzipien – wie beispielweise im Bereich der Abgrenzung zwischen Verlöbnis und Eheschließung – oder das römische Recht – wie entweder im Bereich der Ausweitung der Melanchthons Brief an Spalatin am 5. 4. 1531, CR II, S. 492. Dieterich, Das protestantische Eherecht, S. 156 f. 135 Brief Ferdinands I. bei Lünig, Das Teutsches Reichsarchiv, Spicilegii ecclesiastici continuatio III, 1. Theil (Bd. 15), S. 504 ff. Brief Maximilians II. bei Lünig, S. 514 f. Die kaiserliche Denkschrift, bei Lünig, S. 509 ff. Die Denkschrift liest sich geradezu wie eine schulmäßige Widerlegung des Verbotes der Priesterehe aus evangelischer Feder; siehe: Dieterich, Das protestantische Eherecht, S. 150. 136 Richter, Die evangelischen Kirchenordnungen, Bd. 1, S. 273 ff., Bd. 2, 128 f. und Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen, Bd. 6, II, S. 944 (1012), Bd. 1, I, S. 292. 133 134
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
257
Ehescheidungsgründe137 oder des Pflichtteilsrechts für Kinder, Eltern und Geschwister – angewandt.138
C. Das Eigentum Melanchthon definiert das Eigentum als weitere mit dem Naturrecht übereinstimmende weltliche Institution der externa disciplina aus dem siebten Gebot. Das Verbot des Diebstahls bezieht die Anerkennung des privaten Eigentumsrechtes ein, wie es in den Loci communes (1521) in der Definition des dritten Naturgesetzes erst mittelbar angedeutet wurde. In der idealen Gesellschaft Melanchthons regiert das Prinzip der Gütergemeinschaft, und nur die Benutzung der gemeinsamen Güter verlangt die Einführung verschiedener Arten von Verträgen. Hinsichtlich der menschlichen Natur bekommt aber dieser erste Satz sofort ein Korrektiv: „Proinde pro tertia lege alia supponenda est. Scilicet res dividendas esse, quandoquidem ita postulet communis multorum salus.“139
Dass Melanchthon sich mit Eigentumsordnung befasst hat, resultiert vor allem aus seinen Kommentaren der Politik des Aristoteles und Ciceros de officiis.140 Als Naturgesetz sei das Eigentumsrecht unantastbar.141 Durch diese Aussage trennte er sich deutlich von der alten Stoa sowie von den radikalen Biblizisten seiner Zeit.142 Anders als die radikalen Reformatoren forderten, sollten seiner Meinung nach die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse nicht geändert werden; somit sollte sich die Ordnung der Güterverteilung auch nicht verändern. Seine Ansichten sind von der traumatischen Erfahrung mit den sozialen Unruhen in den zwanziger JahHesse, Evangelisches Ehescheidungsrecht, insb. S. 35 ff. Ursprünglich war dieses Pflichtteilsrecht ein Viertel des gesetzlichen Erbteils, die sog. falzidische Quart nach der „Lex Falcidia“ von 40 v. Chr., aber Justinian hatte es für die Kinder auf ein Drittel erhöht, bei mehr als vieren sogar auf die Hälfte (Novelle 18, 536 n. Chr.), siehe Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. I: Älteres Gemeines Recht (1500 – 1800), 1985, 10., 18., 25. und 27. Kapitel und Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, insb. S. 771 – 775. 139 „Nur zu einem gewissen Grad kann [also] von Gütergemeinschaft die Rede sein. Daher muss für das dritte Gesetz ein anderes hinzugefügt werden, nämlich: die Güter sind zu teilen, da nämlich das Gemeinwohl der Mehrheit es so fordert“, CR XXI, S. 119, Übersetzung bei Pöhlmann, S. 107. 140 „Phi. Mel. commentarii in aliquot politicos libros Aristotelis“, CR XVI, S. 417 – 452 und „Prolegomena in officia Ciceronis“, 1530, veröffentlicht im Jahre 1562, CR XVI, S. 539 – 614. 141 CR XVI, S. 549: „Naturalia sunt immutabilia, videlicet notitiae, quae sunt praecepta, ut notitia numerorum est immutabilis: sic immutabilia sunt praecepta moralia: Agnosce et invoca verum Deum, Honora parentes, Non occides, Non moechaberis, Non furtum facies, Non dices falsum testimonium etc. Sed bona utilia sunt mutabilia, ut quanquam sic condita est natura hominis, ut retineret vitam, sanitatem corporis et tamen haec bona propter peccatum postea mutata sunt. Sic facultas communiter utendi rebus, fuisset bonum utile, quod mutatum est post peccatum propter multas causas“. 142 Huschke, Melanchthons Lehre vom ordo politicus, S. 102 ff. 137 138
258
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
ren geprägt. Deswegen wird auch der göttliche Ursprung des Ordo politicus insgesamt und vor allem die Rolle der Obrigkeit als Hüterin dieser Ordnung und der Eigentumsordnung insbesondere immer wieder betont:143 „Nego consequentiam, et ratio est, quia proceditur a non sufficientibus causis, quia sola autoritas magistratuum nequaquam est principalis causa distinctionis dominiorum, sed hoc sequitur, quod aliquid agat magistratus, videlicet, est minister ordinis divini in executione vel defensione etc.“144
Das erklärt auch die Rolle der Verträge, die die proportionelle Güterverteilung ermöglichen sollen: „At in vera societate quilibet socius manet dominus pro proportione: ut cum plures eundem fundum communiter tenent, perit pars cuilibet pro proportione.“145
D. Das Vertragsrecht „Venditio et emptio sunt contractus, in quo obligat se vendens ad tradendam mercem alteri, videlicet ementi, atque ita ad transferendum dominium et possessionem mercis pro certo pretio, et vicissim emptor obligat se ad dandum pretium, et ut merx fit ementis, ita pretium fit vendentis, nec licet emptori repetere pretium.“146
Melanchthons Rechtskenntnisse über die vertraglichen Regeln deuten darauf hin, dass er sich mit dem Corpus iuris intensiv beschäftigt hat.147 In seinem Kommentar über den Verkaufs- und Kaufvertrag betont er aber auch den biblischen Ursprung der Institution des Vertrags148 sowie des juristischen Prinzips „Pacta sunt servanda“.149 Auf der Grundlage des achten Gebots, dem Verbot des falschen Huschke, Melanchthons Lehre vom ordo politicus, S. 104. CR XVI, S. 550. Mehrmals wiederholt sich Melanchthon: „( . . . ) sed hoc ius immediate a Deo est, minister autem est ordinis divini magistratus in iudiciis, et in poena ( . . . )“, „Sed magistratus est minister Dei ad executionem istius iuris.“, S. 551 und weiter: „In his non dat ius tenendi humana autoritas, sed Deus ipse dedit ius, magistratus est tantum custos, seu defensor, seu executor ordinis divini, sicut est tantum defensor vitae et coniugii“, S. 557 f. 145 „Prolegomena in officia ciceronis“, CR XVI, S. 581. 146 Im Titel der „Prolegomena: De venditione et emptione“, CR XVI, S. 581 – 588. 147 „Esse autem hanc formam emptionis antiquam et probatam legibus, ostendit textus in Codice de pactis, inter emptorem et venditorem, lege Si fundum etc“, Codex IV, tit. 54 „De pactis inter emptorem et venditorem compositis“, 2, und das Zitat aus dem Gesetz ist vollständig und richtig. 148 CR XVI, S. 581: „Extant exempla emptionum et venditionum, Abrahae, Iacob, Davidis, Hieremiae, quae et hunc contractum et alios legitimos contractus ostendunt concessos esse Christianis, iuxta regulam: Evangelium non abolet politicas et oeconomicas ordinationes: imo Deus vult nos agnoscere politiam et eoconomiam esse suas ordinationes et opera, et vult nos illis reverenter uti“. 149 CR XVI, S. 560: „Et honesta pacta servanda esse praecipit lex divina. De iuramento confirmatis praecipit secundum praeceptum (Exod. 20,7.): Qui vane usurpat nomen Dei, non erit impunitus“. 143 144
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
259
Zeugnisses, entsteht das Gesetz des Respekts vor dem mündlich und schriftlich gegebenen Wort in vertragsrechtlichem Rahmen. Durch Verträge werde die Ordnung gesichert.150 Der Vertrag definiere sich als die Verpflichtung (obligatio), die sich entweder aus der ausdrücklichen Bewilligung (expressus consensus) oder aus einer gesetzlichen Regelung gebildet habe, und durch die eine Sache entweder einem anderen übergeben werden solle oder in seinen eigenen Besitz eintreten werde.151 Da der Güterverkehr der in dem Dekalog geregelten Gleichheit (aequalitatem ordinatam) dienen soll, wird die Wucherei von der Liste von Vertragsarten ausdrücklich ausgeschlossen (ut excludantur pactiones usurarum).152 In der zweiten Tafel des Dekalogs unterteilt Melanchthon alle politischen und wirtschaftlichen Handlungen der Menschen in zwei Kategorien: in „Dienste“ (officia) und in vertragliche Rechtsverpflichtungen (opera debita ex contractibus).153 Die Verpflichtungen, wie sie der Vater gegenüber seinen Kindern im Bereich der Erziehung und der Ernährung übernimmt – oder die Magistraten ihren Untertanen gegenüber, Eheleute untereinander, Lehrer ihren Schülern gegenüber, Freunde und Mitbürger untereinander –, bilden keine bürgerlichen Verpflichtungen (non debita obligationes civili), sondern natürliche Verpflichtungen aus göttlichem Recht.154 Durch den Abschluss eines Vertrags unterwerfen sich die Vertragspartner nicht nur einer göttlichen und natürlichen Verpflichtung, sondern auch einer weltlichen (non solum divina et naturali obligatione, sed etiam civili), deren Beachtung durch die Obrigkeit gesichert werden muss.155 In den Loci communes (1521) waren zunächst die Verträge nur als Mittel erwähnt, um den gemeinsamen Gebrauch der Güter der Natur zu regeln. „Porro quia rerum humanarum ea est conditio ut aliqua saltem communicatione rerum opus sit, cum deberent esse res natura communes, institutum est ut usu communicentur, nempe per contractus, emptionem, venditionem, locationem, conductionem et caeteros. CR XVI, S. 575: „Fit per contractus certo ordine“. CR XVI, S. 575. 152 CR XVI, S. 576: „Vult Deus in commutatione servari aequalitatem ordinatam in praeceptis (Exod. 20, 13.15.): Non occides, Non moechaberis, Non furtum facies“. 153 Im Titel „Discrimen officiorum et contractuum“, CR XVI, S. 591 f.: „Hae possunt distingui in duo genera: in officia et in opera debita ex contractibus“. 154 CR XVI, S. 592: „Vocantur officia omnia opera oeconomica et politica debita obligatione naturali, ut officia parentum erga sobolem, educatio, nutritio, institutio, magistratuum erga subditos, coniugis erga coniugem, docentium erga discentes, amicorum erga amicos, civium erga cives, non debita obligatione civili. ( . . . ) Ut parentes debent soboli etiam ingratae benefacere, quia sunt obligati obligatione naturali, hoc est, ordine divinitus sancito: sic magistratus debet benefacere populo, etiamsi multi sint ingrati ( . . . )“. 155 CR XVI, S. 592: „Etsi autem in quibusdam mutuis compensationibus quaedam similitudo est officii et contractus, tamen propria significatio contractuum pertinet ad civilem obligationem, ut inter amicos mutuum vinculum est, velut in contractibus, item inter dantem beneficium et accipientem. Sed hoc vinculum est naturalis obligatio seu divina, non civilis, id est, non accedit ad eam executio magistratus, quia non potest magistratus omnia delicta punire, sed quaedam punit atrocia, item insigniter turbantia pacem, ut caedes, rapinas, furta est“. 150 151
260
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
( . . . ) sunt itaque reperti contractus per quos suae cuiusque res communicarentur multis, ne nulla prorsus esset rerum communio.“156
Dieses ciceronische Ideal der Gütergemeinschaft, das vor allem unter Freunden (Amicorum omnia sunt communia, scilicet virtute, non obligatione seu iure civili) Geltung hat, widerlegt Melanchthon in seinem Kommentar 1530. Insbesondere wurde die Einführung der Gütergemeinschaft in der weltlichen Wirtschaft zur Folge haben, dass die politische Ordnung einer radikalen Änderung zu unterziehen sei, was nicht ohne gesellschaftliche Unruhe geschehen könne. Die bestehende Ordnung solle aber nicht verändert, sondern im Gegenteil aufrechterhalten werden. Die Sorge um diese Aufrechterhaltung sei die Aufgabe der als Bestrafer der Verbrechen betrachteten Obrigkeit, die mit dem strafrechtlichen Apparat die Macht der Bestrafung in der externa disciplina von Gott erhalten habe.157
E. Das Strafrecht In seinem Kommentar zu dem Libri V. ethicorum Aristotelis, vor allem in dem Absatz, der dem Unterschied zwischen Naturrecht und positivem Recht gewidmet ist,158 befasst sich Melanchthon mit der Rolle des Strafrechts. Wie die anderen Rechtsinstitutionen findet auch das Strafrecht seine Quelle im Dekalog bzw. in dem fünften Gebot „Du sollst nicht töten“ und wird als wesentlicher Bestandteil der weltlichen Ordnung betrachtet. Ohne Strafe bleibt das Gesetz wirkungslos, deshalb bekommt die institutionelle Gewalt die Macht und die Pflicht, die von Gott gestiftete Ordnung zu verteidigen und zu diesem Zweck die Verbrecher zu bestrafen.159 Für den Schutz des Menschen und der anderen irdischen Lebewesen, so Melanchthon, wurde eine gegen alle Verbrechensarten unmittelbare Verteidigung sowie die Einrichtung sicherer Strafen benötigt.160 156 „Ferner, weil es ein Erfordernis menschlicher Verhältnisse ist, dass es wenigstens in irgendeiner Weise eine Gütergemeinschaft geben muss, da doch die Güter von Natur allen gemeinsam sein sollen, wurde der gemeinsame Gebrauch [dieser Güter] geordnet, nämlich durch Verträge: Kauf, Verkauf, Verpachtung, Miete usw. Es wurden daher Verträge ersonnen, durch die man die Güter eines jeden vielen zugänglich macht, damit es wenigstens in irgendeiner Beziehung eine Gütergemeinschaft gibt“, CR XXI, S. 119, Übersetzung bei Pöhlmann, S. 106 – 109. 157 CR XVI, S. 592, schon zitiert in Anm. 154. 158 „Enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis“, CR XVI, S. 277 – 416, Librum V, ab S. 363 und hier insb. S. 383 – 394. 159 CR XVI, S. 388: „Divinitus insita est cuilibet animanti appetitio conservationis sui, nec solum individui, sed multo magis speciei, ideo enim et bestiae diligunt sobolem, et pro ea dimicant ac oppetunt mortem, sed supra illam appetitionem, homini indita est notitia, ordinans officia defensionis et poenae“. 160 CR XVI, S. 388: „Etsi igitur in natura integra, nec pugnae, nec supplicia, nec bella fuissent, tamen nunc, cum multi turbant societatem humanam, necesse est speciem conservari, quod fit vel defensione subita, vel postea certis poenis, et utramque rem ordinat ratio,
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
261
I. Die Strafe als Notwendigkeit In seinen auf Deutsch verfassten Loci communes (1555) erklärt Melanchthon vier Hauptgründe für die Notwendigkeit der Strafe. Den ersten Grund für die Strafe sieht er darin, dass Sünde durch die Gerechtigkeit Gottes bestraft würden, und dass sich Gottes Zorn seinem Willen nach auch in den gegenwärtigen Gesetzen wiederfinden solle: „Die erste [Ursache], Gott ist ein weiss und gerechtes Wesen, und hat die vernünfftige Creatur also geschaffen aus grosser und ordenlicher gütigkeit, das sie im gleichförmig sein solte, darumb so sie jm widerstrebet, ist ordnung der gerechtigkeit, das er sie widerumb vertilget, Also ist die erste ursache der straffen, ordnung der gerechtigkeit in Gott.“161
Zweitens sollten die Verbrecher zur Sicherheit der Bevölkerung und zur Gewährleistung des weiteren Ablaufs des gesellschaftlichen Lebens entfernt werden: „Die ander ursache ist, Notdurfft der andern stillen menschen, Denn so die Mörder, Ehebrecher, Reuber, und Diebe, nicht offgereumet würden, were niemand sicher.“
Drittens diene die öffentliche Strafe zur Abschreckung der zuschauenden Mitbürgern, die vielmehr die guten Sitten befolgen sollten:162 „Die dritte ursache ist, das Exempel, Denn so etliche gestrafft werden, werden die andern erinnert, das sie Gottes zorn betrachten und die straffe fürchten, und also die ursachen der straffen meiden.“163
Viertens sei die weltliche Strafe Ausdruck der göttlichen Gerechtigkeit, denn die strafrechtliche Gesetzgebung solle der naturrechtlichen Unterscheidung zwischen gerecht und ungerecht entsprechen. Die als Gottes Dienerin definierte legitime weltliche Obrigkeit bekomme die Aufgabe, in ihren Gesetzen die naturrechtlichen Regeln zu verwirklichen. Solange ihre Gesetze mit dem „göttlichen Recht“ in Übereinstimmung ständen, müssten die Untertanen ihr gehorchen: „Die vierde ursache ist, Bedeutung göttliches Gerichts und der ewigen straffen, darinne bleiben werden alle, die in diesem leben nicht zu Gott bekeret werden, Denn dieweil Gott in diesen zeitlichen straffen anzeiget, das er unterschied halte zwischen Tugend und untugend, und das Er ein gerechter Richter sey, werden wir durch diese Exempel erinnert, das auch nach diesem leben alle Sünder gestraffet werden, die nicht zu Gott bekeret sind. constituit metas defensionis, et certis personis cognitionem, et officium puniendi mandat ac intelligit ratio tres esse poenarum causas, quarum prima est, iustitia Dei, qui vere irascitur peccatis, et iram suam conspici vult in poenis praesentibus“. 161 CR XXII, S. 224. 162 Sowie bei Melanchthons Kommentar der Ethik des Aristoteles: „Secunda causa poenarum est, ut castigatus fiat melior, vel tollatur muniendae pacis causa ( . . . ) Tertia causa est exemplum, ut caeteri deterriti, regant mores diligentius, et sint modesti“, CR XVI, S. 389. 163 CR XXII, S. 224.
262
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
So ist dieses der erste und fürnemeste befehl, aller Potentaten, Vater, Mutter, Herrschafften, das sie das göttliche Gesetze den Unterthanen fürhalten, und eusserliche obertrettunge mit ernst straffen, Darnach hat Oberkeit gewalt auch besondere Gesetze zu machen, so zu frieden dienlich sind, doch also, das sie nicht wider göttliche Gesetze gebieten.“164
1. Die utilitaristische Funktion der Strafe Dieses Verständnis von Strafe lässt die sogenannte utilitaristische Theorie erkennen, die zwischen Generalprävention und Spezialprävention sowie zwischen Besserungstheorie und Sicherungstheorie unterscheidet.165 Dieser Utilitarismus tritt in verschiedenen Schriften Melanchthons deutlich hervor, wie z. B. in den deutschen Loci166, in denen die Nützlichkeit der Strafe durch ihre Verknüpfung mit der Sittlichkeit besonders betont wird: „( . . . ) Gott [hat] der weltlichen Oberkeit die Execution, das ist, den Schutz der unschüldigen, und straffe der ungehorsamen ernstlich befohlen, Wie Röm. 13. Cap. [v. 4] klar ausgedruckt ist, Die Oberkeit ist Gottes Dienerin, und ist die Strafferin zum zorn wider den, der ubel thuet. Hie ist ausdrücklich geboten, das die weltliche Oberkeit, sol Rach oder Straffe, und Gegenwehr an Gottes stat uben.“167
Da die strafrechtliche Macht der Obrigkeit ein göttlicher Auftrag sei, dürfe sich niemand dieser Gewalt widersetzen, noch eine private Fehde verursachen: „So sol man nu wissen, das zweierley Rach ist, amptsrach, die Gott geordnet und geboten hat, Dagegen ist eigene Rach ausserhalb dem Ampt ernstlich verboten.“168
Das utilitaristische Verständnis von Strafe erklärt auch, weshalb in verschiedenen Gesellschaften zu verschiedenen Zeiten dieselben Verbrechen mit unterschiedlicher Strenge bestraft werden. In seiner Schrifft widder die artickel der Bawrschafft (1525)169 erklärt Melanchthon, dass die Strenge der Strafen von dem „Zivilisierungsgrad“ einer Bevölkerung abhängig sei: „Eine Obrigkeit kann entsprechend den Bedürfnissen der Länder Strafen festsetzen. Denn Gott hat sie eingesetzt, dem Bösen zu wehren und es zu bestrafen. Und die Bauern haben kein Recht, dass sie der Herrschaft hierin Vorschriften machen wollen. Die Deutschen sind ein so unerzogenes, mutwilliges und blutgieriges Volk, dass man es gerechterweise viel härter halten soll. ( . . . ) Außerdem nennt Gott das weltliche Regiment ein Schwert. Ein Schwert aber soll schneiden, es sei Strafe an Gut, Leib oder Leben, wie es die Missetat erfordert.“170 164 165 166 167 168 169 170
CR XXII, S. 224. Mayer, Die Strafrechtstheorie, S. 77 – 105. Im Titel „Von der Rach: Straffe, und Gegenwehr“, CR XXI, S. 285 – 289. CR XXII, S. 285. CR XXII, S. 286. MSA 1, S. 192 – 214, Übersetzung in: Melanchthon deutsch, Bd. I, S. 261 – 287. Übersetzung in: Melanchthon deutsch, Bd. I, S. 279.
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
263
Dieselbe Idee finden wir mit derselben Strenge den Deutschen gegenüber in der Philosophia moralis Epitome (1540)171 sowie in der dritten aetatis der Loci communes (1543 / 44)172 wieder. Es scheint, dass das Plädoyer der Reformatoren zugunsten strenger Strafen zu ihrem Appell an die Fürsten nach Barmherzigkeit den armen leicht manipulierbaren Bauern gegenüber im Widerspruch steht. Dieser scheinbare Gegensatz lässt sich mit der theologischen Begründung der Strafe erklären. Unabhängig von ihrer Strenge sei sie, für Luther wie für Melanchthon, Ausdruck des Liebesgebots.173 Die Aufgabe der Obrigkeit zu strafen, sehen beide als Werke der Liebe.174 Die Betonung wird überwiegend auf die obrigkeitliche Pflicht, den Frieden wiederherzustellen, gesetzt sowie auf die Auffassung, dass die strafrechtliche Aufgabe der Obrigkeit „aus dem Gesetz der Liebe quillt“.175 Trotz der in seiner Schrift gegen die Forderungen der Bauern ausgedrückten Strenge den Aufrührern gegenüber176 erklärt Melanchthon die Schwertgewalt vor allem als Dienst an den Untertanen. Das Liebesgebot bezieht sich auf eine von Gott gestiftete, sittliche Weltordnung, die in den wesentlichen Institutionen der Obrigkeit, der Ehe und Familie, im Eigentum, im Vertragsrecht und im Strafrecht für alle Völker gültig sei. Jeder Mensch müsse den göttlichen wie den Naturgesetzen folgen, seinen Platz in der Gesellschaft als Dienst an Gott betrachten und respektieren sowie seinen Beruf mit christlicher Liebe erfüllen.177 Aber auch diese religiös formulierte Definition der 171 CR XVI, S. 71: „Ius positivum est sententia magistratus, quae addit ad ius naturae circumstantiam aliquam ratione probabili, non necessaria, ut ius naturae docet in genere furta punienda esse. Deinde magistratus addit speciem, videlicet modum poenae, in quo constituendo sequitur probabilem rationem, ingenia ferociora durioribus vinculis cohercenda sunt. Germani non possunt coherceri levibus poenis. Ergo est utendum capitali poena“. 172 CR XXI, S. 1008: „Etsi grassatorem, ut latronem, etiam vetustae leges capitali supplicio afficiebant, et hac ratione quidam legi usitatae non imprudenter patrocinantur, quia in his barbaricis gentibus fures plerumque sunt grassatores et telis et voluntate nocendi armati, ut latrones; tamen iudex Christianus et hoc consideret, satis esse, si lex congruat ad hanc regulam, ut turpia facta puniat, Deinde gradus permittendos esse legum conditoribus, severius puniendos esse fures in iis Gentibus, ubi disciplina laxior est, quam alibi, ubi fuerunt alia multa disciplinae vincula“. 173 CR XXI, S. 723: „Nec pugnat cum Evangelio aut cum hac voce: Diligite inimicos vestros, Nam Evangelium non abolet ius naturae et vincula politicae societatis, hoc est, Leges rectae rationi consentaneas. Imo hanc ipsam ob caussam tam variis officiis in hac societate Deus colligavit homines, ut sit occasio exercendae et declarandae fidei, obedientiae et dilectionis. Paterfamilias debet defensionem suae coniugi et suis liberis, ergo in oppugnatione aedium facit officium dilectionis, et luceat in animo eius fides. Sic dux debet defensionem subditis in caussis iustis; Quare cum iustum bellum gerit, facit officium dilectionis, et luceat invocatio Dei in periculo. Haec non pugnant cum Evangelio, ( . . . ) nec pugnant cum hoc dicto [Matth. 5, 44]: Diligite inimicos“. 174 Siehe auch CR XXI, S. 690, 703, 705, 1005 und 1006. 175 WA XIX, S. 657, siehe Mayer, Die Straftheorie bei Luther und Melanchthon, S. 91. 176 Der Absatz über die Obrigkeit ist im Vergleich zu den anderen übermäßig lang und verteidigt die bedingungslose Gehorsampflicht der Untertanen gegenüber der von Gott beauftragten Gewalt.
264
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
sittlichen Rolle der gesetzlichen Strafe soll von dem Zivilisationsideal der Schwärmer unterschieden werden. Auf keinen Fall betrachtet Melanchthon die biblischen Sätze als weltliche Gesetzgebung; die Sittlichkeit sei allen christlichen und nichtchristlichen Menschen vorgegeben worden und die weltliche Obrigkeit erfülle ihre strafrechtliche Aufgabe nur gegen die öffentlichen Verbrechen. Im Zusammenhang mit der Zwei-Reiche-Lehre wird die Strafgerechtigkeit der Obrigkeit als rein weltliche Gerechtigkeit erklärt: „Magistratus est custos primae et secundae tabulae legis, quod ad externam disciplinam attinet, hoc est, prohibere externa scelera, et punire sontes debet, et proponere bona exempla.“178
Diese weltliche strafrechtliche Gewalt übernimmt durch die Ausübung der justitia distributiva das natürliche Recht der Vergeltung, nach dem jedes Verbrechen bestraft werden soll,179 und bestimmt so die passende Strafe für die begangene Tat.180 Die utilitarische Funktion der Strafe zugunsten des gesamten Gemeinwohls beruht auf einem gewissen Pragmatismus, indem die Bestrafung eines Verbrechers positive Konsequenzen für die gesellschaftliche Ordnung bringen soll. Trotz der absoluten Notwendigkeit, einen Verbrecher zu bestrafen, sollte deshalb die Strafe zeitlich verschoben werden, falls ihre sofortige Durchführung schwerwiegende Konsequenzen für die Allgemeinheit hätte.181 Genau wie bei der geheimen Eheschließung entscheidet sich Melanchthon auch hier für diejenige Lösung, die die soziale Ruhe und den Frieden am wenigsten stört.
177 CR XXI, S. 1005: „Fiunt ergo cultus Dei labores oeconomici et politici, et quia ad hunc finem referuntur, ut Deo praestetur obedientia, et quia his ipsis laboribus misceri oportet invocationem Dei. ( . . . ) Quarto exercentur in his laboribus dilectio erga proximum, tolerantia et pietas in retinenda possessione doctrinae de Deo. Miscentur igitur multae virtutes laboribus oeconomicis et politicis, propter quas fiunt sacrificia seu cultus Dei, id est, opera, quibus Deus iudicat se honore affici“. 178 CR XVI, S. 87 und auch S. 95, S. 118 und S. 121. 179 CR XVI, S. 69: „Item in distributiva (justitia), necesse est poenam flagitiosis pro scelere reddi. ( . . . ) Redditur et ius suum latroni, cum supplicio afficitur“. 180 Genau wie der Kaufpreis der gekauften Sachen, CR XVI, S. 67, siehe Mayer, Die Strafrechtstheorie bei Luther und Melanchthon, S. 99. 181 Luther erklärt dieses Prinzip in seiner Schrift Von weltlicher Obrigkeit, 1523: „Aufs dritte dass er, der Fürst acht habe, wie er mit den Überltätern verfahre. Hier muss er gar klug und weise sein, auf dass er ohne der anderen Verderben bestrafe.“, WA XI, S. 276 und auch „Dass man einen bösen Buben so bald nicht kann strafen ohne großen Schaden und Fährlichkeit der anderen. So doch alle Strafen sollen endlich dahin gerichtet sein, dass sie zum Schrecken und Besserung der anderen und zum Frieden und Sicherheit der Frommen geschehe“, Auslegung des 101. Psalms 1534 / 5, WA L I, S. 206 f.
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
265
2. Die pädagogische Funktion der Strafe Die Theorie von Besserung durch Strafe prägt auch die Auffassung der Reformatoren hinsichtlich der sittlichen Aufgabe des Strafsystems durch dessen pädagogische Rolle. Die externa disciplina bzw. die weltliche Strafe verweist darum auf das (geistliche) göttliche Gericht, das dazu beitragen soll, die Bevölkerung aus Angst vor einer göttlichen Bestrafung nach dem Tod zu bessern.182 Obwohl Melanchthon in vielen seiner Schriften die Notwendigkeit der Strafe wiederholt, äußert er sich weder über die strafrechtliche Gerichtspraxis in Sachsen noch über die Einführung der Carolina ab 1532 als Strafgesetzgebung des Reiches.183 Melanchthon interessierte sich offenbar für konkrete juristische Themen, wie die Rechtsaktionen oder die Strafe, die als Illustration oder als Teil seiner Naturrechtslehre von Bedeutung sind. Die Strafe sowie die Aktionen, die er in dem 1546 hinzugefügten Titel Collatio actionum Atticarum et Romanarum der Prolegomena in officiis Ciceronis betrachtet hat,184 spielen eine wesentliche Rolle im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung des Friedens, der Ordnung (disciplina) und der Tugend (virtutem) in der Gesellschaft. Ihr Studium sei nicht nur deshalb erforderlich, weil es ein juristisches Mittel sei, um Streitigkeiten zwischen den Bürgern zu schlichten, sondern auch weil sie die Lehre des Dekalogs über die Tugenden widerspiegelten.185 Die Pflege der guten Sitten sowie der Respekt vor den von Gott gewollten weltlichen Ordnungen sei unentbehrlich, um den Kampf gegen die Tyrannei zu führen. In diesem Zusammenhang werden die vier Hauptpflichten der Obrigkeit wiederholt, die als Hüterin der Gesetze eine bestimmte Art von Strafen für die Lenkung der menschlichen Ordnung durchsetzt. Diese weltliche Ordnung sei Gottes Werk, in der die einen verordnen, die anderen gehorchen müssten und in der das Familienleben, die Verteilung des Eigentums, Verträge und gerechte und gesetzmäßige Strafen ihren Platz hätten. 182 In dem Titel „De magistratus civilibus et dignitate rerum politicarum“ der 3. „aetas“ der „Loci communes“: „Est igitur, ut dixi, politicus ordo res bona, pulchra, grata humano generi, singulare Dei opus, quod videlicet homines coniuncti legibus in societate civili vivunt, quod multitudo regitur a Magistratibus, qui sunt custodes disciplinae, exercent iudicia, curant de Deo recte doceri cives, prohibent Epicureos furores et idola, periuria, libidines, iniurias corporum, denique qui curant, ut civitas sit modestissima schola, in qua luceat Dei notitia et exerceantur virtutis officia, communis defensio et aliorum beneficiorum communicatio“, CR XXI, S. 987. Dieselbe Idee wiederholt er auch S. 999 und in der „Epitome“, CR XVI, S. 87, S. 117 und S. 389. 183 Die „Constitutio Criminalis Carolina“ ist am 27. Juli 1532 in Kraft getreten. Über die Entstehungsgeschichte der peinlichen Gerichtsordnung Karls V. sowie über ihren Verfasser Johann von Schwarzenberg, siehe Malblank, Geschichte der peinlichen Gerichtsordnung, Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, S. 607 – 648, Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, S. 102 – 137. 184 CR XVI, S. 593 – 614. 185 CR XVI, S. 593, Anm. 51: Das Studium der Rechtsquelle und die Achtung vor allen politischen Ordnungen sind höchst nützlich, weil sie Gottes Beweise sind (Lehre der „notitia naturales“): „conservationem societatis hominum et poenas sceleratorum esse opera Dei“.
266
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Die Magistrate üben aber keine Rache aus, sondern folgen den Vorschriften Gottes, indem sie ihr Richteramt erfüllen, um die Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten und die Gesellschaft zu verteidigen.186 Deshalb sei die Meinung der Anabaptisten zu bekämpfen, die behaupten, dass es für die Christen verboten sei, vor Gericht zu gehen.187 Das Neue Testament aber verurteile die Gerichtsverfahren nicht, sondern rechtfertige sie als notwendiges Mittel, um die Schäden, die aus der Schwäche der sündigen menschlichen Natur stammen, zu beurteilen und die Schuldigen zu bestrafen.188 Melanchthons wiederholte Betonung der grundlegenden Rolle des Strafrechts für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung erklärt sich durch die Verquickung der sittlichen mit der religiösen Erziehung, die die reformierte Kirchenordnung kennzeichnet. Moral und Religion, Ordnung und Erziehung sind in Melanchthons naturrechtlicher Auffassung des ordo politicus sehr eng miteinander verbunden. Die unruhige Zeit bot Melanchthon einen weiteren Grund für sein Plädoyer zugunsten der Notwendigkeit strenger Strafen.189
II. Überblick über die damalige strafrechtliche Gerichtsbarkeit In der strafrechtlichen Terminologie erschien das Wort „Strafe“ erst Anfang des 13. Jahrhunderts. Seine Aufnahme in das Strafsystem brachte den endgültigen Durchbruch zum öffentlichen Strafrecht mit sich. Die Form des Privatstrafrechts mit seinem alten Bußsystem wurde langsam durch die Errichtung einer strafrechtlichen Gerichtsbarkeit ersetzt, nachdem beide im Spätmittelalter noch eine Zeit lang nebeneinander existiert hatten. Die Entwicklung der fürstlichen Staatlichkeit, der aktive Kampf der Städte gegen die „landschädlichen Leute“ sowie die kirchlichen Inquisitionsprozesse und die Rezeption des römischen Rechtes auch auf diesem Gebiet spielten eine wichtige Rolle in der Festigung der neuen Form des Strafprozesses und des Strafrechts.190 186 CR XVI, S. 595: „Ut autem confusio ordinis tollatur, expresse constituit et sanxit Deus, ut magistratus exerceat legitimam vindictam, loco Dei, sed privati non exerceant vindictam, petant autem, ut magistratus faciat ea, quae ipsi Deus praecepit, et ad iustitiae conservationem, et ad defensionem societatis“. 187 CR XVI, S. 596. 188 CR XVI, S. 596: „Respondeo brevissime: Haec dicta non prohibent officium magistratus, qui divinitus constitutus est, ut sit honori bonis, et terrori malis, id est, defendat innocentes et puniat sontes“. 189 Sellert, Die Krise des Straf- und Strafprozessrechts, S. 27 – 48. 190 Über die Entstehungsgründe der „peinlichen Strafe“ im Hochmittelalter gibt es verschiedene Theorien: Die Eidbruchtheorie durch Rudolf His vertreten, die Nivellierungstheorie durch Gustav Radbruch und Eberhard Schmidt vertreten und die Erweiterungstheorie durch Hans Hirsch und Joachim Gernhuber vertreten, siehe Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 33 – 63, Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, § 3, S. 11 – 23, Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch, S. 91 – 190.
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
267
Aber wie Melanchthon es in seiner Reflexion über die Rolle der Strafe betont, könnte die Entstehung des öffentlichen Strafsystems seine eigentliche Ursache allein in der Festigung der obrigkeitlichen Macht und der staatlichen Ordnung finden. Um dieses Ziel zu erreichen, brachte die Rezeption des römischen Staatsrechtes mit seinem überschätzten, dennoch mitwirkenden Motiv des justinianischen Absolutismus eine wichtige Hilfe. Das römische Staatsrecht wurde zuerst durch die Kanzleien des Reiches rezipiert und fügte ihnen säkulare und imperiale Züge hinzu, was auch den fürstlichen Anspruch auf eine Gesetzgebung sowie auf das Rechtsprechungsmonopol unterstützte.191 In den landesfürstlichen Territorien entwickelten sich unter dem Einfluss der reformatorischen Kirche die passenden Voraussetzungen für die Entwicklung einer staatlich gesicherten politischen bzw. strafrechtlichen Organisation. Die Fürsten hatten aber zunächst gegen das Fehdewesen, das vor allem unter dem niederen Adel noch verbreitet war, zu kämpfen. Die Reformatoren sahen in der Fehde ein wesentliches Hindernis für die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Friedens und bekämpften sie u. a. mit dem Hinweis auf das biblische Verbot jeder Form von Privatgewalt.192 Um den Unterschied zwischen dem anerkannten staatlichen Strafrecht und der Privatrache klar zu stellen, unterstreicht Melanchthon immer wieder die naturrechtlich legitimierte Aufgabe der Obrigkeit als Strafrichter. Nur sie dürfe im Auftrag des göttlichen Rechts die strafrechtliche Gewalt ausüben. 1. Die Strafe als Kampfmittel gegen die radikalen Reformatoren Außerdem sahen die Kirchenleute beider Konfessionen die Einrichtung der strafrechtlichen Gewalt als effizientes Mittel, um gegen die „Ketzer“ zu kämpfen. In diesem Zusammenhang beschäftigte sich Melanchthon mit der Frage, ob ein Fürst als weltlicher Richter in Glaubenssachen seiner Untertanen eingreifen dürfte. In seiner Schrift De officiis Magistratus (1559)193 definierte er als erste Pflicht der Obrigkeit die Sorge um die Verbreitung der richtigen religiösen Lehre, der sowohl durch die Einrichtung von Kirchen und Schulen als auch durch die Bestrafung von „epikuräischem Gerede“, Blasphemie und Meineid Rechnung getragen werden sollte.194 Dadurch wurde Melanchthon mit der Frage konfrontiert, ob Häretiker 191 Übernommen wurden die „privilegia principis“ und seit Karl V. der „Crimen laesae maiestatis“ (Hochverratsbegriff). Umstritten war aber der Satz „principes legibus solutus“ (D. 1, 3, 31), der im Widerspruch mit dem mittelalterlichen „Rechtsbewahrungsstaat“ und mit dem altständischen Rechtsbewusstsein stand, S. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 135 ff. 192 Diese Thematik wird u.v.a. im Titel „Von der Rach: Straffe, und Gegenwehr“ der 3. „aetas“ der „Loci communes“, CR XXII, S. 285 – 289 behandelt. 193 „De officiis magistratus“ 1559, CR IX, S. 1002 – 1004. 194 „Magistratus debet curare, ut populus recte doceatur de Deo, et prohibeantur et puniantur Epicuraei sermones, blasphemiae, et periuria“, CR IX, S. 1002.
268
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
von staatlichen Behörden zu bestrafen seien.195 Dabei unterscheidet er zunächst zwischen zwei Arten von Häretikern, einerseits den Ketzern wie den Wiedertäufern, die sich nicht allein im religiösem Bereich irrten, sondern sich auch der Obrigkeit widersetzten,196 und andererseits den Ketzern, die nur in ihren theologischen Lehren Gotteslästerungen verbreiteten.197 Mit Ersteren solle folgenderweise verfahren werden: Man müsse zunächst versuchen, sie zu belehren und wenn sie sich einsichtig zeigten, solle man sie versöhnen und von Strafen gegen sie absehen. Wenn sie jedoch auf ihrem Irrtum beharrten, solle die übliche Strafe gegen Aufständische, d. h. die Todesstrafe, eingesetzt werden. Das gleiche Verfahren sei gegen die Vertreter theologischer Irrtümer anzuwenden. Für den Fall, dass sie sich unbelehrbar zeigten, solle ein kirchliches Urteil ausgesprochen werden. Dem weltlichen Richtern obliege aber immer noch die Pflicht, jede Art von Blasphemie, Meineid und Gotteslästerung zu bestrafen, deren Verbote natürliche Gesetze (leges naturae) seien.198 Das Urteil der weltlichen Obrigkeit sei zeitlich, räumlich und personenbezogen auf ein bestimmtes Verbrechen begrenzt. Die Schwere der Strafe solle dem Grad des Verbrechens entsprechend verhandelt werden.199 In schweren Fällen würden harte Strafen und im Falle minderer Verbrechen mildere Strafen, wie z. B. die Absperrung der Irrenden als Sicherheitsmaßnahme, verlangt. In beiden Fällen werde ein gerechtes Urteilsverfahren unausgesprochen vorausgesetzt. Die Verteilung der Rollen macht Melanchthon im Rahmen seiner Zwei-ReicheLehre deutlich: Die weltliche Obrigkeit kontrolliert und bestraft durch Verbote, Zerstörung falscher Bilder, Beseitigung und Begrenzung der Risiken, wie z. B. bei der Bestrafung des Ehebruches und des Diebstahls, die mit den naturrechtlichen Gesetzen nicht in Übereinstimmung stehen. Die Kirche hingegen kümmert sich um den Glauben und belehrt die Menschen über die richtige Lehre Gottes, deren Verbreitung auch durch die Obrigkeit unterstützt werden soll.200 In dieser Schrift finden wir nicht nur eine Reflexion über die strafrechtliche Aufgabe der Obrigkeit in Religionssachen, sondern auch die fundamentale, optimistische Einstellung des Pädagogen, der die Bedeutung von Lehrinstitutionen wie Schule, Kirchenschule, Gymnasien, Pfarreien und Universitäten betont. Allein die Festigung des Glaubens und eine sittliche Erziehung können die Bürger zum Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit führen und sie davon überzeugen, dass sie als freie Christen durch ihre spontanen richtigen Handlungen Gott dienten.201 195 „Ex hoc ipso dicto iudicari potest de his quaestionibus: An haeretici puniendi sint a Magistratu politico?“, CR IX, S. 1002. 196 „Duplices sunt errores Anabaptisti“, CR IX, S. 1003. 197 „Sunt autem alii haeretici, qui non vociferantur de politicis negotiis, ut Anabaptistae, sed tantum in dogmatibus serunt blasphemias ( . . . )“, CR IX, S. 1003. 198 CR IX, S. 1003. 199 CR IX, S. 1004. 200 CR IX, S. 1004.
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
269
2. Die Einführung des Inquisitionsprozessverfahrens und der Carolina (1532) Mit der Rezeption des römischen Rechtes und der Durchführung der ersten mittelalterlichen Kirchenprozesse gegen ketzerische Bewegungen entwickelte sich ein neues Strafprozessverfahren: die Inquisition. Der Richter in strafrechtlichen Sachen war nicht mehr bloßer Schiedsrichter zwischen zwei Privatparteien, sondern er gewann an Selbständigkeit, was die Eröffnung der Untersuchungen und die Suche nach Beweisen betrifft. Von Amts wegen und meistens auf Grund einer Anzeige beschloss der staatliche Richter, die Untersuchungen zu beginnen und nahm an der Feststellung der materiellen Wahrheit effektiv teil. Die Beweismittel änderten sich ebenso: Die alten formalisierten Beweismittel (Parteieid oder Gottesurteil) wurden durch Zeugen und Geständnisse ersetzt. Die Angst vor der Willkür der Richter und deren Irrtümer hatte dazu geführt, dass die Beweismittel gesetzlich in der Constitutio Criminalis Carolina (1532) genau geregelt wurden und, dass sie nun vor allem erforderlich für die Verurteilung des Angeklagten waren.202 Die Erkenntnis, dass Verbrechensverfolgung Staatsaufgabe ist, schlug sich in dem Inquisitionsprozessverfahren nieder. Das neue Beweisverfahren brachte allerdings auch die Grausamkeit der Folter mit sich. Die Verurteilung konnte nur mit dem Bekennen des Angeklagten („Urgicht“) oder mit dem Schuldbeweis von zwei Augenzeugen („Beweisung“) ausgesprochen werden, deshalb benutzten die Richter oft – sogar systematisch – die Folter, um das Geständnis des Angeklagten zu erzwingen, wenn zwar zahlreiche Indizien, aber keine Augenzeugen gegen ihn zu finden waren. Die Folter wurde jedoch auch außerhalb solcher Fälle angewandt, weil das (wenn auch erzwungene) Geständnis des Verdächtigten als das zuverlässigere Beweismittel angesehen wurde und galt als „vor Gott geredet“. Die strafrechtlichen Regelungen der Carolina (1532) verursachten in diesem Zusammenhang einerseits die verbreitete Anwendung der „peinlichen Frage“, andererseits aber beabsichtigten sie, deren missbrauchte und ungerechte Anwendung zu begrenzen.203 Nach den Verordnungen der Gesetzgebung sollte die Folter nur dann angewandt werden, wenn Verdachtstatsachen, Indizien und „Anzeigungen“ 201 „Et Carolus Magnus, in institutione Episcopatus Hamburgensis scripsit: Volumus gentem Saxonicam non nobis, sed Deo servire, retenta libertate“, CR IX, S. 1004. 202 Schmidt, Sinn und Bedeutung der Constitutio Criminalis Carolina, S. 239 – 257, Landau / Schröder, Strafrecht, Strafprozess und Rezeption, van Dülmen, Theater des Schreckens. 203 „Dass auf anzeygung eyner mißthat, alleyn peinlich frag, und nit ander peinlich straff solt erkent werden. Item es ist auch zumerken, dass niemant auff eynicherley anzeygung, argkwons warzeichen, oder verdacht, entlich zu peinlicher straff soll verurtheylt werden, sonder alleyn peinlich mag man darauff fragen, so die anzeygung (als hernach funden wirdet) gnugsam ist, dann soll jemant entlich zu peinlicher straff verurtheylt werden, das muss auß eygen bekennen, oder beweisung (wie an andern enden inn diser ordnung klerlich funden wirdt) beschehen, vnd nit auff vermutung oder anzeygung.“ Art. 22 der „Carolina“, sowie Art. 67 „Von gnugsamen gezeugknuß“, in: Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532.
18 Deflers
270
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
keinen Zweifel mehr über die Identität des Täters zuließen. Dennoch sollte auch in solchen Fällen nicht sofort die Tortur geübt werden, sondern es sollte zunächst versucht werden, das Geständnis des Verdächtigten unter bloßer Androhung der Folter („Territion“) zu erreichen (Art. 46).204 Aber trotz diverser Regeln, die die Benutzung der Folter begrenzen sollten, ließen die vielen Lücken der Gesetzgebung über ihre konkreten Anwendungsarten, wie z. B. über die Häufigkeit ihrer zulässigen Wiederholung oder über die anwendbaren Foltermittel, den Richtern noch viel Spielraum.205 Obwohl die Carolina zahlreiche Mahnungen an die ungelehrten Schöffen hinsichtlich der Rezeption des römischen Rechtes enthielt, ihren Mangel an Rechtsverständnis mehrmals betonte und das noch nicht gereifte Verantwortungsgefühl der Richter kannte, überließ sie trotzdem die Anwendungsarten der Folter ihrem persönlichen Ermessen. Melanchthons spöttische Kritik an den rechtsungelehrten Schöffen schlug sich in der strafrechtlichen Gesetzgebung in einer anderen Ausdrucksform nieder. Neben den ungebildeten Schöffen setzte sie gelehrte Richter ein, die bei der Urteilsfindung mitbestimmen sollten (Art. 81, 92)206 und die allmählich die allein Urteilenden in der Praxis wurden. Das offensichtliche Misstrauen der Carolina in die sittliche und verstandesmäßige Reife der Laienrichter drückte sich auch dadurch aus, dass sie in fast allen Fällen die sog. Aktenversendung, d. h. die Hinzuziehung eines Rechtsgelehrten, die Einholung eines Gutachten eines Oberhofs bzw. einer Juristenfakultät, verordnete (Art. 219).207 Da die Aktenversendung einen Ersatz für den in der Carolina fehlenden Appell vor einer höheren Instanz in strafrechtlichen Sachen darstellte, wurde dieses Verfahren immer häufiger verwendet. Dies hatte zur Folge, dass allmählich die Gutachter die Funktion des Gerichts übernahmen. Die Carolina war eine Gesetzgebung, die den Geist ihrer Epoche widerspiegelte. Ihre Verordnungen wurden sowohl durch das römische Recht als auch 204 Art. 46 „Von peinlicher frag: Item so man dann den gefangen peinlich fragen will, ( . . . ) soll der selbig zuuor inn gegenwurtigkeyt des Richters ( . . . ) auch mit bedrohung der marter bespracht werden, ob er der beschultigten missethat bekentlich sei oder nit“. 205 Art. 58: „Von der maß peinlicher frage: Item die peinliche frag soll nach gelegenheyt des argkwons der person, vil, offt oder wenig, hart oder linde nach Ermessen eines guten, vernünftigen Richters, fürgenommen werden“. 206 Art. 81 „Vnderredung der vrtheyler vor dem rechttag: Vnd wo sie (Richter und Urteiler) zweiffelig sein, sollen sie weither radts pflegen, bei den rechtuerstendigen.“ Art. 92: „Wie der Richter vnd schöffen oder vrtheyler nach beyder theyl, vund allem fürbringen auch entlichem beschluß die vrtheyl fassen, vnd wie auch nachmals die schöffen oder vrtheyler durch den Richter gefragt werden söllen“. 207 Art. 219 „Erklerung bei wem, vnd an welchen orten rath gesucht werden soll: ( . . . ) so sollen die Richter, wo jnen zweiffeln zufiele, bei den nechsten hohen schulen, Stetten, Communen oder andern rechtuerstendigen, da sie die vnderricht mit dem wenigsten kosten zu erlangen vermeynen, rath zu suchen schuldig sein. Vnd ist dabei nemlich zu mercken, dass inn allen zweiuelichen fellen, nit alleyn richter vnd schöffen, sonder auch wes eyner jeden solchen oberkeyt inn peinlichen straffen zu rathen vnd zu handeln gebürt, derhalb rechtuerstendiger vnd ausserhalb der partheien kosten radts gebrauchen sollen“.
4. Kap.: Die Grundinstitutionen des ordo politicus
271
durch die mittelalterlichen Gebräuche, wie z. B. den „endlichen Rechtstag“ (der endgültige Gerichtstag) der Artikel 78 – 98,208 geprägt. Außerdem war sie eine grundsätzliche Antwort auf schwerwiegende Mängel des Strafwesens, die vor allem in dem mittelalterlichen Strafverfahren ihre Ursachen fand: Einleitung und Durchführung des Strafprozesses wurde den beteiligten Privatpersonen überlassen; ein gesetzlich gesichertes Strafverfahren existierte noch nicht. Sowohl die polizeiliche Macht als auch die aktive Teilnahme der Obrigkeit am Ablauf des strafrechtlichen Prozesses waren wichtige Instrumente ihrer Machtausübung, ohne die u. a. das Gesetzgebungsmonopol der Fürsten innerhalb ihrer Territorien wirkungslos blieb. Melanchthon wusste dies und deshalb verknüpfte er die Funktion der Strafe (Verbesserung der Sitte, Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und des Gemeinwohls u. a.) immer wieder mit den Pflichten der Obrigkeit (Ausübung des Schwertes als Hüterin der Gesetze und des Friedens, Amt der Magistraten u. a.). III. Melanchthons Schweigen über die Anwendung der Folter Die 1532 in Kraft getretene Carolina entsprach im Hinblick auf die Aufgabe des Strafrechtes den Anforderungen Melanchthons. Sie beinhaltete zunächst einen Korpus festgeschriebener Gesetze, die für die Sicherheit der Rechtssprechung eine Voraussetzung war. Durch die Übernahme römischer („billiger und gerechter“) Gesetze entsprach sie dem Gerechtigkeitsideal Melanchthons. Sein Insistieren auf der Strafe als obrigkeitlicher Pflicht fand in der Einführung des Inquisitionsprozesses bzw. in der neuen Rolle des Staates als aktiver Teilnehmer an der Führung des Gerichtsverfahrens eine konkrete Anwendung. Da Melanchthon sich über die Folter ausschwieg, kann man annehmen, dass er sie entweder akzeptierte oder zumindest tolerierte. Diese Auffassung stimmt auch mit seinem utilitaristischen Verständnis des Strafsystems überein. Ebenso finden wir die grosse Strenge, die er den sittenlosen und ungebildeten (barbarischen) Bauern gegenüber in seiner Schrift „Widder die artickel der Bawrschafft“ (1525) ausdrückte, in seinen Worten über die Strafe der Verbrecher wieder. Dies lässt vermuten, dass – aus seiner Sicht – alle Mittel, auch die strengsten, durch die obrigkeitliche Gewalt anzuwenden sind, wenn es sich um die öffentliche Ruhe und um den gesellschaftlichen Frieden handelt. 208 Der endgültige Gerichtstag wird mit großer Feierlichkeit vor der Öffentlichkeit in mündlicher Wechselrede zwischen Ankläger und Angeklagtem oder ihren Fürsprechern gehalten; aber das Urteil liegt schon fertig auf dem Gerichtstisch (Art. 81, 94) und der ganze Rechtstag bedeutet nur die zeremonielle Verkündung des Urteils, an die sich dessen Vollstreckung unmittelbar anschließt. Die Bambergische Halsgerichtsordnung von 1507, die Vorgängerin der „Carolina“, verrät uns, dass der endliche Rechtstag nur „um des gemeinen Volks und alter Gewohnheit willen aus guter Meinung nicht unterwegen bleiben“ solle, siehe Die Peinliche Gerichtordnung Kaiser Karls V. von 1532, die Einführung von Radbruch, S. 22.
18*
272
2. Teil: Definition des ordo politicus bei Melanchthon
Schließlich entspricht Melanchthons schweigende Zustimmung zur Folter genau dem damaligen Zeitgeist bzw. der üblichen Grausamkeit des Strafsystems und den gesamten Sitten seines Zeitalters.209 Deswegen ist es nicht überraschend, neben seinem Plädoyer für die Strenge der Strafe in seinen Schriften keine Kritik an der strafrechtlichen Anwendung der Tortur zu finden.
209 Siehe u. a. van Dülmen, Theater des Schreckens, Rennefahrt, Grausamkeit und Mitleid im Rechtsleben des Mittelalters, S. 17 – 68, Schild, Das Strafrecht als Phänomen der Geistesgeschichte, S. 7 – 38, Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch, S. 91 – 190.
Zusammenfassung der Ergebnisse Obwohl aus der heutigen Sicht Melanchthons Rechtsauffassung eher als eine religiöse Interpretation des Rechtes, des Staates und der Obrigkeit betrachtet wird, bedeutet sie in der Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte für die Entwicklung eines neuen Verständnisses der Jurisprudenz in der damaligen Zeit und, vor allem wegen ihres pädagogischen Einflusses auf die offizielle Ausbildung der Juristen über mehrere Jahrhunderte, eine wesentliche Etappe in der Herausbildung des modernen Naturrechts.1 Das heute in unseren abendländlichen Gesellschaften herrschende positivistische Rechtsverständnis hat seit den modernen Gesetzgebungen das Naturrecht als antiquarischen Gegenstand so zurückgedrängt, dass die damalige Verquickung der Jurisprudenz und der Theologie uns absolut fremd geworden ist. In der Geschichte der philosophischen Ideen wurde oft Melanchthons Naturrechtslehre als ein Wendepunkt zwischen der mittelalterlichen Scholastik und der neuen Definition des modernen Naturrechts angesehen. Auf Grund neuer Forschungsergebnisse wird diese Interpretation, die die Modernität Melanchthons Auffassung überschätzte, widerlegt und vielmehr als „Übergangsperiode“ statt als „Wendepunkt“ beurteilt. Melanchthon verkörpert mit seinen Äußerungen über das Recht und die Staatsgewalt die Verwirrung seiner Zeit, die zwischen Tradition und Moderne schwankte. Statt eine wirkliche Reform der traditionellen aristotelischen, thomistischen und scholastischen Lehre zu entwickeln, bot Melanchthon eher eine „Popularisierung der Darstellung, einen Versuch, die philosophische Betrachtung dem praktischen Leben näher zu bringen“2, an. So liegt es weniger an der Modernität seiner Naturrechtslehre, sondern eher an ihrer klaren Darstellung und der zeitgemäßen philosophischen Antwort, die sie anbot, dass der Einfluss von Melanchthons Rechtsverständnis unter den späteren Juristen in Deutschland und in Nordeuropa von Dauer war. Dies lag nicht in einer völlig neuen Definition des Naturrechts, sondern eher in der Hierarchie der Rechtsquellen. Auf der Basis ihrer traditionellen Dreiteilung in ius divinum, ius naturae und ius humanum entwickelt der Reformator eine Unterordnung des Zivilrechts unmittelbar aus dem Naturrecht und legitimiert dadurch die Selbstständigkeit der legislativen Macht, die allein in den Händen der Herrscher liegt. 1 Frank, Die theologische Philosophie, S. 155 – 158, Scattola, „Notitia naturalis de Deo et de morum gubernatione“, S. 865 ff., Villey, La formation de la pensée juridique moderne, S. 277 f. 2 Haenel, Melanchthon, der Jurist, S. 268 f. Auch über den Einfluß Ciceros auf Melanchthons Naturrechtsgedanken siehe Strohm, Zugänge zum Naturrecht bei Melanchthon, S. 339 – 356.
274
Zusammenfassung der Ergebnisse
Aus dieser Legimitation entsteht das Prinzip des absoluten Gehorsams der Untertanen gegenüber den menschlichen bzw. geltenden Gesetzen. In der Geschichte der Entstehung der staatlichen Gewalt wird deshalb nicht zufällig die Reformationszeit als die Epoche der Emanzipation der weltlichen Macht gegenüber der geistlichen Herrschaft gekennzeichnet.3 Auf der Basis der durch die Reformatoren neu entwickelten religiösen Interpretationsfreiheit des vernunftbegabten Menschen entstand zur selben Zeit ein neues Bewusstsein der weltlichen Obrigkeit gegenüber den Vertretern der geistlichen Macht. Die Instrumentalisierung der religiösen Erneuerung durch die von den Landesherren betriebene Politik ermöglichte diesen, sich als Inhaber der Exekutive, Legislative und Judikative auch gegenüber dem Kaiser zu emanzipieren. Die ersten Spuren dieses neuen Bewusstseins zeigen sich u. a. in den Gründungen zahlreicher Universitäten und in der Ausbildung eines gelehrten Juristenstandes bzw. eines neuen Körpers von Staatsdienern und einer neuen Rechtsprechung im Rahmen einer erneuerten Gerichtsbarkeit.4 Angesicht der späteren Rolle des Naturrechts in der Zeit des Absolutismus wird deutlich, dass Melanchthons Definition des ius naturae die Funktion hat, die als Fürstenrecht und Fürstenethik bezeichnet wird. Obwohl das spätere Vernunftrecht sich von der Moral und von einer religiösen Sozialethik (im Gegensatz zu der melanchthonischen Definition) ablösen wird, übernimmt das Naturrecht des XVI. Jahrhunderts schon „die Rolle einer speziell und unmittelbar auf die Interessen der souveränen Fürsten zugeschnittenen rechtlichen und ethischen Ordnung“5. Schon zu Melanchthons Lebzeiten wird das Naturrecht als Instrument zugunsten der Fürstenmacht definiert und verwendet. Dadurch wird sowohl der „gerechte Krieg“, den im Gegensatz zu der nun verbotenen Fehde der Untertanen nur die Herrscher führen dürfen, legitimiert als auch die „natürliche“ Gesellschaftsordnung, die die Regierten zum Gehorsam gegenüber den Regierenden verpflichtet. Zugleich begründet das Naturrecht auch bei Melanchthon das Eigentumsrecht und das Vertragsrecht. Auf Grund der bedeutenden gesellschaftlichen und moralischen Rolle, die in seinem Rechtsverständnis dem Recht und der Rechtssprechung zugeordnet wird, legt das Naturrecht auch den Grund zu der ersten Gesellschaftsstruktur, d. h. die Ehe und die Familie. Diese sozialethische Komponente seiner Auffassung erklärt auch die Betonung der Notwendigkeit der Bestrafung aller Verbrecher durch die Obrigkeit. Das Strafrecht wird hier nicht nur als unabdingbares Instrument der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und der Ruhe verstan3 Hoffmann, Die Entstehung des modernen souveränen Staates, Stolleis, „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“, S. 1 – 23. 4 Schnur, Die Rolle der Juristen, Stichweh, Der frühmoderne Staat, Stolleis, Staat und Staatsräson, ders., „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“, S. 1 – 23. 5 Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 94, Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 266 ff.
Zusammenfassung der Ergebnisse
275
den, sondern hat für den Pädagogen auch eine Vorbildfunktion in Bezug auf die moralische und sittliche Erziehung der Bürger. Wenn man der Interpretation zustimmt, nach der das Naturrecht von den späteren absolutistischen Herrschern als Instrument benutzt worden ist, findet man in Melanchthons Auffassung von der Bedeutung der Obrigkeit für die Aufrechterhaltung der guten gesellschaftlichen Ordnung schon Spuren dieser späteren Entwicklung. Melanchthons Formulierungen zur Legitimierung der Rolle des Fürsten lassen eine Überordnung der Staatsführer gegenüber ihren Untertanen deutlich erkennen. Im Gegensatz zu den zu seinen Lebzeiten gescheiterten Versuchen, über die sog. radikalen religiösen Bibelinterpretationen den einfachen Menschen zu einem vollständigen und anerkannten politischen Akteur zu erhöhen, bleibt in Melanchthons Augen der einfache Bürger und vor allem der ungebildete Bauer nur ein Untertan. Ihm wird als Christ eine gewisse geistige Selbständigkeit (doch diese erst nach einer moralisch und religiös kontrollierten „guten“ Erziehung) zuerkannt. Aber als Gesellschaftsmitglied wird er noch nicht als eigenständiger Bürger im modernen Sinne angesehen.6 Die überwiegende Betonung der Obrigkeit, ihrer Rolle, Pflichten und Rechte, unterstreicht noch diese Interpretation einer Hierarchie der Akteure im Rahmen der Staatsordnung. Viel mehr als von „Staatslehre“ sollte bei dem Reformator von „Obrigkeitslehre“ die Rede sein, deren überlegene Stellung gegenüber ihren Untertanen unmittelbar aus der lex naturae und aus dem göttlichen Heilsplan (regula mentis divinae)7 stammt. Schließlich stimmen die Ansichten über die Rezeption von Melanchthons Rechtsauffassung darüber überein, dass er durch seine Dialektik mehrere Jahrhunderte lang nicht nur die Ausbildung der Theologen beeinflusst hat, sondern auch die der Juristen8 und vor allem die der reformatorischen Rechtsdenker und Rechtsprecher.9 Es herrscht auch Einigkeit darüber, dass seine Naturrechtslehre trotz der 6 Über die semantische Analyse des Wortgebrauches „subditus“ und „civis“ gegenüber dem Begriff „Magistratus“, und von „Untertan“ und „Bürger“ gegenüber den Begriffen „Obrigkeit“, „Amt“, „Regiment“ und „Stand“, siehe Huschke, Melanchthons Lehre vom ordo politicus, S. 117 – 121. 7 Bauer, Die göttliche Ordnung in der Natur und Gesellschaft, S. 217 – 229, hier insb. S. 221: „Der wichtigste biblische Beleg für die göttliche Legitimation der staatlichen Ordnung und zugleich die Argumentationsbasis für die theologische Verurteilung jeglichen sozialen Aufruhrs war Röm. 13, 1 – 7: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet“. 8 Über Melanchthons Rezeption vor allem im pädagogischen Bereich siehe Wartenberg, Werk und Rezeption Philipp Melanchthons in Universität und Schule bis ins 18. Jahrhundert. 9 Eine Liste einiger der berühmtsten Namen befindet sich in der Einleitung. Auch bemerkenswert ist der Einfluss Melanchthons auf den Franzosen, Hubert Languet (1518 – 1581), der als Informant für den Kurfürsten August von Sachsen von 1559 bis 1577 tätig gewesen
276
Zusammenfassung der Ergebnisse
hier relativierten Neuheit schon wesentliche Merkmale der späteren modernen Naturrechtslehre enthält.10 Aber nicht nur auf Grund seiner Naturrechtslehre wird behauptet, er habe auf die späteren Juristen Einfluss ausgeübt. Vielmehr habe er mit seinem Plädoyer zugunsten des römischen Rechts der Rechtswissenschaft in den folgenden Jahrhunderten ihre Gestalt gegeben. In seiner Studie über die Rezeption des römischen Rechts von Melanchthons Epoche bis zum Jahre 1861, dem Todesjahr von Friedrich Karl von Savigny, zeigt James Q. Whitman, dass Melanchthons höchst positive Wertschätzung des römischen Rechts, die nicht zuletzt auf der von ihm übernommenen Lothar-Legende beruhte, zur Rezeption des römischen Rechts als dem unparteiischen, sicheren und billigen „Recht des Friedens“ erheblich beigetragen habe.11 Als Humanist und Liebhaber des antiken Roms sieht Melanchthon in dem römischen Recht eine Friedensbotschaft, in der, wie z. B. in seiner Rede De Irnerio et Bartolo 1537,12 die Juristen „Friedensagenten“ und die Fürsten „Bewahrer des Gesetzes und der Gerechtigkeit“ (custos legum et iusticiae) sind. In Übereinstimmung mit der von ihm betonten Rolle der Rechtsgelehrten an der Seite ihrer Herrscher im alten Rom gewannen auch im Heiligen Römischen Reich die im römisch-kanonischen Recht ausgebildeten Juristen und u. a. die Rechtsprofessoren zunehmend Macht und die soziale Stellung als Berater der kaiserlichen oder landesherrlichen Obrigkeit. Die Institutionalisierung eines stolzen und einflussreichen Professorenstandes für römisches Recht entwickelte sich in einer Gesellschaft, in der ihr Status auf der Glorie des römischen Rechts, wie Melanchthon es verkündete, basierte. Auf Grund der Rezeption der justinianischen Rechtsbücher, die eine sechs Jahrhunderte währende Tradition von Respekt gegenüber der juristischen Autorität jener klassischen Sammlung von Rechtsansichten zur Folge hatte, genossen die späteren deutschen Juristen eine besondere Aura, die sich auch im Umfang ihrer Wirkungsfelder widerspiegelt. Die Universitätsgründungen, die Zusammenfassung der Lehrprogramme in den Statuten, der Zustand der ersten landesherrlichen Gesetzgebungen ist. Dieser kam 1549 nach Wittenberg und wurde Melanchthons Anhänger bzw. Philippist, siehe Nicollier-De Weck, Hubert Languet (1518 – 1581). 10 Kern, Philipp Melanchthon als Interpret des Naturrechts, S. 147 – 160, Raisch, Juristische Methoden, Stolleis, Reichspublizistik, S. 9 – 28. 11 Whitman, The legacy of roman law, insb. S. 3 – 40. 12 CR XI, S. 350 – 356, insb. S. 356: „Cm enim principes sit custos legum et iusticiae, et respublica habeat opus scripto iure, non potest sine voce, sine consilio iurisconsulti recte tueri suum munus. Sed ut Demostenes inquit: Dei sedi astare iusticiam gubernatricem hominum, sic adesse principibus monitores eruditos in legibus oportet.“ Und weiter: „Pertinet enim haec ars ad custodiam publicae pacis, quam si adiuvamus, ita ut officia nostra referamus eo, ut ornemus religionem, ut luceat nostra fides in his actionibus, et prosimus verae Ecclesiae, sciamus nos Deo gratissimum cultum praestare. Hunc enim finem esse civilis societatis Deus voluit ( . . . )“.
Zusammenfassung der Ergebnisse
277
und die juristische Praxis von der Rechtsprechung bis zur politischen Beratung13 prägten seit dem XVI. Jahrhundert die Juristen und ihren Umgang mit dem römischen Recht in gleicher Weise, wie Melanchthon es sich gewünscht hatte und wofür er sein Leben lang eingetreten war. Angesicht der schwierigen sozialen, politischen und religiösen Situation Deutschlands zu dieser Zeit, die von der Suche nach einem Ausgleich zwischen dem politischen System des Reiches und dem der Fürsten, den Städte und den zahlreichen Rechten gekennzeichnet war, bedeutet der Aufstieg des Juristenstandes zu einer ausgeprägten Autorität im Laufe nur eines Jahrhunderts einen besonderen Gewinn für die Rechtswissenschaften. Im Sinne Melanchthons betrachteten sich seitdem die Rechtsgelehrten als unparteiische Bewahrer der Ruhe und Ordnung der Gesellschaft. Obwohl Melanchthons Friedensträume durch den Kampf der Konfessionen und schließlich durch den Ausbruch des dreißigjährigen Krieges vernichtet wurden, blieb das römische Recht als Instrument des sozialen Friedens bis zum Absolutismus des XVIII. Jahrhunderts bestehen. Nach 1790 kam der Aspekt seiner Unparteilichkeit unter völlig anderen politischen Umständen erneut zur Geltung. Auch nach der französischen Revolution bedeutete für die deutschen Rechtswissenschaftler das römische Recht die einzige zeitpolitisch unverdächtige Quelle zur Vorbereitung und Lösung der Kodifikationsprobleme in der nachnapoleonischen Ära.14
13
Schnur, Die Rolle der Juristen, Willoweit, Juristen im mittelalterlichen Franken, S. 225 –
267. 14 von Below, Die Ursachen der Rezeption, Koschaker, Europa und das römische Recht, von Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. VI, Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaften.
Quellen- und Literaturverzeichnis I. Gedruckte Quellen Altmann, Ursula (Hrsg.): Reformatio Sigismundi, gedruckt bei Lukas Zeissenmair, Augsburg 1497, Neudruck der Originalausgabe von 1497, Leipzig 1979. Aristoteles: Politik, übersetzt und hrsg. von Franz F. Schwarz, Stuttgart 1989. Behrends, Okko (Hrsg.): Corpus iuris civilis. Text und Übersetzung auf der Grundlage der von Theodor Mommsen und Paul Krüger besorgten Textausgaben, Bd. 1: Die Institutionen, Heidelberg 1993, 2. Auflage, Heidelberg 1997, Bd. 2: Digesten 1 – 10, Heidelberg 1995, Bd. 3: Digesten 11 – 20, Heidelberg 1999. Bodin, Jean: Six livres de la république, Paris 1576, 2. von ihm selbst besorgte lateinische Ausgabe, Paris 1586. Bretschneider, Carol Gottlieb / Bindseil, Henricus Ernestus (Hrsg.): Philippi Melanthonis Opera, quae supersunt omnia, in: Corpus Reformatorum (CR), 28 Bände, Halis Saxonum 1834 – 1860. D. Martin Luthers Werke, Kritische Ausgabe, Weimar 1883 ff., Neudruck Graz 1964 ff. D. Martin Luthers Briefwechsel, 16 Bände, Weimar, 1930 ff., Neudruck Graz, 1969 ff. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hrsg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession, 2. verbesserte Auflage, Göttingen 1952. Enders, Ernst Ludwig (Hrsg.): Dr. Martin Luther’s Briefwechsel, Frankfurt a. M., 1884 ff. Friedberg, Aemilius (verfasst und kommentiert von): Corpus iuris canonici. Concordia discordantium Canonum ac primum. De iure naturae et constitutionis. Decretum magistri Gratiani, Unveränderte Nachdruck von 1879, Graz, 1959. Lünig, Johann Christian (Hrsg.): Das teutsche Reichsarchiv (TRA), Bd. I – XXIV, Leipzig 1713 – 1722. Spicilegii ecclesiastici continuatio III, 1. Theil, Bd. 15. Melanchthon, Philipp: Oratio de vita Hieronymi Schurffii, recitata à D. Michaele Teubero Doctore, cum decerneretur gradus Doctoris, docto viro, M. Georgio Cracovio Pomerano, additis quibusdam ritibus in illo actu observatis, die septimo mensis Augusti, Witebergae 1554, [36] Bl., 8 . Otto, Carl Eduard / Schilling Bruno / Sintenis, Carl Friedrich Ferdinand (Hrsg.): Das Corpus iuris civilis ins Deutsche übersetzt, Leipzig, 1830 – 1833. Repgow, Eike von: Sachsenspiegel: Landrecht und Lehnrecht, herausgegeben von Friedrich Ebel, Stuttgart 1953, Nachdruck Stuttgart 1993. Scheible, Heinz (Hrsg.): Melanchthons Briefwechsel, kritische und kommentierte Gesamtausgabe im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Heidelberg 1977.
Quellen- und Literaturverzeichnis
279
Schürpf, Hieronymus: Consiliorum seu Responsorum Iuris Centuria I-III, Francofordiae ad Moenum 1564. Sehling, Emil (Hrsg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Sachsen und Thüringen nebst angrenzenden Gebieten, Leipzig 1902, Neudruck Leipzig 1979. Stupperich, Robert (Hrsg.): Melanchthons Werke in Auswahl, Studienausgabe / Philipp Melanchthon, 7 Bde, Gütersloh 1951 – 1975. In dem Buch von Kisch, Guido: Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Berlin 1967 wurde eine Reihe von Reden über das Recht, den Staat und die Rechtswissenschaft neugedruckt und kommentiert: 1. Oratio de legibus, 1523 – 1525, CR XI, S. 66 – 86. 2. Oratio in promotione cuiusdam iurisconsulti, habita a Doctore Sebaldo Munstero: Res non iudicandas secundum arbitrium iudicis, sed secundum scriptum ius, 1532, CR XI, S. 215 – 218. 3. De Irnerio et Bartolo iurisconsultis oratio recitata a D. Sebaldo Munstero, 1537 (?), CR XI, S. 350 – 356. 4. De dignitate legum oratio, 1538, CR XI, S. 357 – 364. 5. Oratio publice habita Vuittenbergae in promotione Doctoris iuris de scripto iure et dignitate veterum interpretum iuris, 1539, CR XI, S. 218 – 223. 6. Oratio de dignitate legum, 1543; Abdruck nach dem Erstdruck der Rede De dignitate studii iuris, Wittenberg 1556, CR XI, S. 630 – 636. 7. Oratio de legibus, recitata a D. Laurentio Lindeman, Doctore iuris, cum decerneretur gradus Doctoris Doctori Michaeli Deubero, Witebergae 1550, CR XI, S. 908 – 916. 8. Oratio de dignitate doctrinae legum et iurisconsultorum, recitata a viro clarissimo et nobili Ioachimo à Beust, Doctore iuris, cum gradus Doctorum in iure decerneretur viro clarissimo Chiliano Goldstein iuniori anno 1553, excudebat Iohannes Crato, Witebergae 1553, CR XII, S. 19 – 27. 9. Oratio de veris legum fontibus et causis; explicans simul et hanc quaestionem: An Romano iure et scriptis eorum, qui id interpretati sunt, utendum sit, 1550 (?), CR XI, S. 916 – 924. 10. De aequitate et iure stricto ex l. Placiut Codice de iudiciis (3.I.8), 1542, CR XI, S. 550 – 555. 11. Oratio de stricto iure et aequitate ex l. Placiut Codice de iudiciis (3.I.8), recitata a D. Melchiore Kling, 1544, CR XI, S. 669 – 675. 12. Oratio de lege Placiut Codice de iudiciis (3.I.8), 1554, CR XII, S. 95 – 101. 13. Oratio de vita clarissimi viri Hieronymi Schurffi, I. V. Doctoris, recitata a D. Michaele Teubero Doctore, 1554, CR XII, S. 86 – 94. 14. Oratio de dignitate studii Iuris recitata, cum decernerentur insignia Doctorum in utroque Iure D. Iohanni Reinero Oldenburgensi, a Doctore Georgio Cracovio. Vitebergae ex officina haeredum Georgii Rhaw. Anno M.D.LVI, 1556, CR XII, S. 152, daselbst jedoch nicht abgedruckt mit Hinweis, dass diese Rede wortwörtlich mit der Rede De dignitate legum von 1543 übereinstimmte, die im CR XI S. 630 – 636 abgedruckt sei.
280
Quellen- und Literaturverzeichnis
II. Literatur Aland, Kurt: Die theologische Fakultät Wittenberg und ihre Stellung im Gesamtzusammenhang der Leucorea während des 16. Jahrhunderts, in: 450 Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I: Wittenberg 1502 – 1817, Wittenberg 1952, S. 155 – 210. Althaus, Paul: Luthers Haltung im Bürgerkrieg, erschien zuerst als Aufsatz im Lutherjahrbuch 1925 (Jahrbuch der Luther-Geschichte; 7) Sonderausgabe Tübingen, 1952, Basel 1953. – Die beiden Regimente bei Luther. Bemerkungen zu Johannes Heckels „Lex charitatis“, in: Luther und die Obrigkeit, hrsg. von Gunther Wolf, Darmstadt 1972, S. 66 – 76. Andreas, Willy: Italien und die Anfänge der neuzeitlichen Diplomatie, abgedruckt in: Staatskunst und Diplomatie der Venezianer im Spiegel ihrer Gesandtenberichte, Leipzig 1943. – Der Bundschuh, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 60, Heft 3, S. 531 ff. Angermeier, Heinz: Begriff und Inhalt der Reichsreform, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 75, 1958, S. 181 – 205. – Reichsreform und Reformation in der deutschen Geschichte, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5, hrsg. von Heinz Angermeier, München / Wien 1983, S. 1 – 16. – Die Reichsreform 1410 – 1555, München 1984. Arnhardt, Gerhard / Reinert, Gerd-Bodo: Philipp Melanchthon. Architekt des neuzeitlichchristlichen deutschen Schulsystems, Studienbuch, Reihe Geschichte und Reflexion, Donauwörth 1997. Arnold, Franz Xaver: Zur Frage des Naturrechts bei Martin Luther, München 1937. Barge, Hermann: Andreas Bodenstein von Karlstadt, I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation, Leipzig 1905. Barton, Peter F.: Die exegetische Arbeit des jungen Melanchthons 1518 / 19 – 1528 / 29, in: Archiv für Reformationsgeschichte, LIV, 1963, Nr. 1 / 2, S. 52 – 88. Bauch, Gustav: Die Einführung der Melanchthonischen Declamationen und andere gleichzeitige Reformen an der Universität zu Wittenberg, Breslau 1900. – Die Anfänge des Humanismus in Ingoldstadt. Eine literarische Studie zur deutschen Universitätsgeschichte, in: Historische Bibliothek, hrsg. von der Redaktion der historischen Zeitschrift, Bd. XIII, München / Leipzig 1901, insbes. S. 85 – 91. Bauer, Barbara: Gott, Welt, Mensch und Sterne in Melanchthons „Initia doctrinae physicae“, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Begleitband zur Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Rostock 25. April bis 13. Juli 1997, Rostock 1997, S. 149 – 173. – Die göttliche Ordnung in der Natur und Gesellschaft. Die Geschichtsauffassung im „Chronicon Carionis“, Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts, Rostock 1997, S. 217 – 229. – Jurisprudenz und Naturrecht, in: Melanchthon und die Marburger Professoren (1527 – 1627), Katalog und Aufsätze hrsg. von Barbara Bauer, Bd. II, Marburg 1999, S. 551 – 597.
Quellen- und Literaturverzeichnis
281
Bauer, Clemens: Melanchthons Wirtschaftsethik, in: Archiv für Reformationsgeschichte, Heft 1 / 2, 1958, S. 115 – 160. – Melanchthons Naturrechtslehre, in: Archiv für Reformationsgeschichte, Jahrgang 42, 1951, neue Auflage 1969, S. 64 – 98. – Die Naturrechtsvorstellungen des jüngeren Melanchthons, in: Festschrift für Gerhard Ritter zu seinem 60. Geburtstag, Tübingen 1950, S. 244 – 255. Bauer, Karl: Die Wittenberger Universitätstheologie und die Anfänge der deutschen Reformation, Tübingen 1928. Baumann, Franz Ludwig (Hrsg.): Akten zur Geschichte des deutschen Bauernkriegs aus Oberschwaben, Freiburg 1877. – Die Zwölf Artikel der oberschwäbischen Bauern 1525, Kempten 1896. Baumgart, Peter: Die Renaissancepäpste Julius II. und Leo X. und die Anfänge der Reformation, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, 2. Auflage Frankfurt a. M. 1997, S. 309 – 329. Beck-Mannagetta, Margarethe: Die çlausula rebus sic stantibus“ und die Geschäftsgrundlage in der Dogmengeschichte, in: La formazione storica del diritto moderno in Europa, Congresso internazionale della Società italiana di storia del diritto, 3, Florenz, 1977, S. 1263 ff. Beer, Karl (Hrsg.): Die Reformation Kaiser Sigismunds. Sigismund Kaiser von Deutschland. Eine Schrift des 15. Jahrhunderts zur Kirchen- und Reichsreform, in: Reichstagsakten, 1. Beiheft, Stuttgart 1933. Bellomo, Manlio: Probleme der juristischen Geschichtsschreibung. „Ius commune“ und „Ius proprium“ im Europa des Mittelalters, in: Summe – Glosse – Kommentar, hrsg. von Frank Theisen und Wulf-Eckart Voß, Osnabrück 2000, S. 9 – 22. Below, Georg von: Die Ursachen der Reformation, in: Historische Zeitschrift, Bd. CXVI, München / Berlin 1916, S. 378 – 458. – Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechtes in Deutschland, München 1905, neue Auflage München 1964. Benker, Gertrud: Ludwig der Bayer. Ein Wittelsbacher auf dem Kaiserthron 1282 – 1347, München 1997. Benrath, Gustav Adolf: Die deutsche evangelische Universität der Reformationszeit, in: Universität und Gelehrtenstand 1400 – 1800, hrsg. von Hellmuth Rössler und Günther Franz, Limburg / Lahn 1970, S. 63 – 83. Berges, Wilhelm: Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters, Stuttgart 1938, Nachdruck 1952. Berwald, Olaf: Philipp Melanchthons Sicht der Rhetorik, Wiesbaden 1994. – Philipp Melanchthons Rhetoriksbücher, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Begleitband zur Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Rostock 25. April bis 13. Juli 1997, Rostock 1997, S. 111 – 123. Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht, Leipzig 1844. Beyer, Hermann Wolfgang: Luther und das Recht. Gottes Gebot, Naturrecht, Volksgesetz in Luthers Deutung, München 1935.
282
Quellen- und Literaturverzeichnis
Beyer, Michael: Philipp Melanchthon und Leipzig 1518 bis 1539, in: Philipp Melanchthon und Leipzig. Beiträge und Kataloge zur Ausstellung, hrsg. von Günther Wartenberg, Christian Winter und Rainer Behrends, Universität Leipzig 1997, S. 21 – 28. Beyer, Michael / Hasse, Hans-Peter / Wartenberg, Günther (Hrsg.): Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1997. Beyer, Michael / Rhein, Stefan / Wartenberg, Günther (Hrsg.): Melanchthon deutsch, Bd. I: Schule und Universität. Philosophie, Geschichte und Politik, Bd. II: Theologie und Kirchenpolitik, Leipzig 1997. Bezold, Friedrich von: Rudolf Agricola. Ein deutscher Vertreter der italienischen Renaissance, Festrede zur Vorfeier des Allerhöchsten Geburts- und Namensfestes seiner Majestät des Königs Ludwig II, gehalten in der öffentlichen Sitzung der königlichen Akademie der Wissenschaften zu München am 25. Juli 1884, München 1884. Blaich, Fritz: Die Wirtschaftspolitik des Reichstags im Heiligen Römischen Reich. Ein Beitrag zur Problemgeschichte wirtschaftlichen Gestaltens, Stuttgart 1970. Blaschka, Anton: Der Stiftsbrief Maximilians I. und das Patent Friedrichs des Weisen zur Gründung der Wittenberger Universität, in: 450 Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I: Wittenberg 1502 – 1817, Wittenberg 1952, S. 69 – 85. Blickle, Peter: Die Revolution von 1525, München / Oldenburg 1975, 3. erweiterte Auflage 1993. Bluntschli, Johann Kaspar: Geschichte der neuen Staatswissenschaft: allgemeines Staatsrecht und Politik seit dem 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 3. Auflage München / Leipzig 1881. Boehmer, Georg Wilhelm: Kaiser Friedrichs Entwurf einer magna Charta für Deutschland oder die Reformation dieses Kaisers vom Jahr 1441, Göttingen 1818. Bohatec, Josef: Calvin und das Recht, 2. Auflage Darmstadt 1971. Böhmer, Heinrich (Hrsg.): Urkunde zur Geschichte des Bürgerkrieges und der Wiedertäufer, Bonn 1910, Neudruck Berlin 1933. Böttcher, Diethelm: Ungehorsam oder Widerstand? Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandrechtes in der Reformationszeit (1529 – 1530), Berlin 1991. Brackmann, Albert: Der römische Erneuerungsgedanke und seine Bedeutung für die Reichspolitik der deutschen Kaiserzeit, in: Sitzungen-Berichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1932. – Die Wandlungen der Staatsanschauungen im Zeitalter Kaiser Friedrich I., in: Historische Zeitschrift (HZ) Nr. 145, 1932, S. 1 – 18. Brady, Thomas: Zwischen Gott und Mammon. Protestantische Politik und deutsche Reformation, Berlin 1996. Brandi, Karl: Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches, 2 Bde, 1. Bd. 8. Auflage Frankfurt a. M. 1986, 2. Bd. 2. Auflage Darmstadt 1967.
Quellen- und Literaturverzeichnis
283
Brauneder, Wilhelm: Frühneuzeitliche Gesetzgebung: Einzelaktionen oder Wahrung einer Gesamtrechtsordnung?, in: Gesetz und Gesetzgebung im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. von Barbara Dölemeyer und Diethelm Klippel, Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 22, Berlin 1998, S. 109 – 129. Brecht, Martin: Rückgriff mit Zukunft – Das Neue im Denken Luthers und der Reformation, in: Europa in der Krise der Neuzeit. Martin Luther: Wandel und Wirkung seines Bildes, hrsg. von Susanne Heine, Wien / Köln / Graz 1986, S. 27 – 40. – Martin Luther, Bd. II: Ordnungen und Abgrenzung der Reformation 1521 – 1532, Stuttgart 1986, S. 111 – 116. Breen, Quirinus: The terms „Loci communes“ and „Loci“ in Melanchthon, in: Church History, 16, 1947, S. 196 – 208. Brettschneider, Harry: Melanchthon als Historiker. Ein Beitrag zur Kenntnis der deutschen Historiographie im Zeitalter des Humanismus, in: Programm des Königlichen Gymnasiums mit Realklassen zu Insterburg, Insterburg 1880, S. 5 – 23. Breuer, Stefan: Sozialgeschichte des Naturrechts, Opladen 1983. Bring, Ragnar: Der Glaube und das Recht nach Luther, in: Gedenkschrift für D. Werner Elert, Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, hrsg. von Friedrich Hübner, Berlin 1955, S. 140 – 162. Brüls, Alfons: Die Entwicklung der Gotteslehre beim jungen Melanchthon 1518 – 1535, Bielefeld 1975. Bubenheimer, Ulrich: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation, Tübingen 1977. – Andreas Bodenstein von Karlstadt, in: Gestalten der Kirchengeschichte. Reformationzeit I, Bd. V, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1981, S. 105 – 116. – Luthers Stellung zum Aufruhr in Wittenberg 1520 – 1522 und die frühreformatorischen Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments, in: Zeischrift für Rechtsgeschichte (ZRG) Kanonische Abteilung (K), Bd. LXXI, 1985, S. 147 – 214. Bucholtz, Franz Bernard von: Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten, 9 Bde, Wien 1831 – 1838, Neudruck mit einer Einleitung von B. Sutter, Graz 1968 – 1971. Buchwald, Georg: Zur Wittenberger Stadt- und Universitätsgeschichte in der Reformationszeit, Leipzig 1893. Burdach, Konrad: Vom Mittelalter zur Reformation, Forschung zur deutschen Geschichte der deutschen Bildung, Halle 1893. Buszello, Horst: Gemeinde, Territorium und Reich in den politischen Programmen des deutschen Bauernkrieges 1524 / 25, in: Der deutsche Bauernkrieg 1524 – 1526, hrsg. von HansUlrich Wehler, Göttingen 1975, S. 105 – 128. Butler, Sir Geoffrey / Maccoby, Simon: The development of International law, London 1928. Buttler, Gottfried: Neues Interesse an Melanchthon. Ein Literaturbericht, in: Monatsschrift für Pastoraltheologie, Jahrgang 53, 1964, S. 109 – 120.
284
Quellen- und Literaturverzeichnis
Calasso, Francesco: I glossatori e la teoria della sovranità, 3. Auflage Milano 1957, deutsche Übersetzung wichtiger Partien bei Reibstein, Ernst: Völkerrecht, eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Bd. I: Von der Antike bis zur Aufklärung, Freiburg 1958, S. 151 ff. Cameron, Euan: Theologians Revisited. Philipp Melanchthon: Image and Sustance, in: Journal of Ecclesiastical History, Vol. 48, N. 4, Cambridge October 1997, S. 705 – 722. Carl, Horst: Landfriedenseinung und Standessolidarität – der Schwäbische Bund und die „Raubritter“, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1997, S. 471 – 492. Carlyle, Robert Warrand / Carlyle, A. J.: A History of Mediaeval Political Theory in the West, Edinburgh 1903. Clausert, Dieter: Das Problem der Gewalt in Luthers Zwei-Reiche-Lehre, in: Luther und die Obrigkeit, hrsg. von Gunther Wolf, Darmstadt 1972, S. 397 – 424. Clemen, Otto: Melanchthons Briefwechsel, in: Supplementa Melanchthoniana, VI. Abt., Bd. I, Leipzig 1926, S. 1510 – 1528. Cohrs, Ferdinand: Philipp Melanchthon, Deutschlands Lehrer. Ein Beitrag zur Feier des 16. Februar 1897, Halle 1897. Coing, Helmut (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neuen europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. I: Mittelalter (1100 – 1500), München 1973, Bd. II: Neuere Zeit (1500 – 1800), München 1976. – Europäisches Privatrecht, 2. Bde, Bd. I: Älteres Gemeines Recht (1500 – 1800), München 1985, Bd. II: 19. Jahrhundert, München 1989. Conring, Hermann: De origine iuris Germanici, Erstausgabe 1643, 2. Auflage Helmstedt 1649; Der Ursprung des deutschen Rechts, Übersetzung von Ilse Hoffmann-Meckenstock, hrsg. von Michael Stolleis, Frankfurt a. M. / Leipzig 1994. Courtine, Jean-François: Nature et empire de la loi, études suaréziennes, Paris 1999. Diestelkamp, Bernhard: Das Verhältnis vom Gesetz und Gewohnheitsrecht im 16. Jahrhundert aufgezeigt am Beispiel der oberhessischen Erbgewohnheiten von 1572, in: Rechtshistorische Studien, Köln / Wien 1977, S. 1 – 33. – Zur Krise des Reichsrechts im 16. Jahrhundert, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5, München / Wien 1983, S. 49 – 64. – Vom Königlichen Hofgericht zum Reichskammergericht. Betrachtungen zu Kontinuität und Wandel der höchsten Gerichtsbarkeit am Übergang zur frühen Neuzeit, in: Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie. Symposium für Adalbert Erler, hrsg. von Gerhard Dilcher und Bernhard Diestelkamp, Berlin 1986, S. 44 – 64. Dieterich, Hartwig: Das protestantische Eherecht in Deutschland bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, München 1970. Dilcher, Gerhard / Diestelkamp, Bernhard: Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie, Berlin 1986.
Quellen- und Literaturverzeichnis
285
Dilthey, Wilhelm: Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation, in: Gesammelte Schriften, Bd. II, Stuttgart 1957, 7. Auflage Stuttgart 1964, S. 162 – 202. – Das natürliche System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. VI, 1893, S. 240 ff. Dirksen, Heinrich Eduard: Zur Würdigung der Verdienste des Gregor Haloanders um die Textes-Kritik der justinianischen Rechtsquellen, in: Hinterlassene Schriften zur Kritik und Auslegung der Quellen römischer Rechtsgeschichte und Alterthumskunde, hrsg. von Friedrich Daniel Sanio, 2 Bde, Leipzig 1871, Bd. II, S. 506 – 551. Dohna, Lothar Graf zu: Reformatio Sigismundi. Beiträge zum Verständnis einer Reformschrift des 15. Jahrhunderts, Göttingen 1960. Döhring, Erich: Die Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, Berlin 1953. Dolezalek, Gero: Die Assessoren des Reichskammergerichts und der Nürnberger Religionsfriede vom 23. Juli 1532, in: Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie. Symposium für Adalbert Erler, hrsg. von Gerhard Dilcher und Bernhard Diestelkamp, Berlin 1986, S. 84 – 96. Dorn, Max: Melanchthons Antrittsrede von 1518, ein Bekenntnis und ein Appell zum Fortschritt, in: 450 Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I: Wittenberg 1502 – 1817, Wittenberg 1952, S. 141 – 148. Dreitzel, Horst: Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die „Politica“ des Henning Arnisaeus (ca.1575 – 1636), Wiesbaden 1970. Duby, George: Ritter, Frau und Priester. Die Ehe im feudalen Frankreich, Frankfurt a. M. 1986. Duchhardt, Heinz: Quellen zur Verfassungsentwicklung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1495 – 1806), bearbeitet von H. Duchhardt, Darmstadt 1983. – Das Reichskammergericht des konfessionellen Zeitalters als „Sozialkörper“ – forschungsstrategische Anmerkungen, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, 2. Auflage Frankfurt a. M. 1997, S. 387 – 395. Duchrow, Ulrich: Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zweireichelehre, Stuttgart, 1972, 2. Auflage Stuttgart 1983. Dülfer, Kurt: Die Packschen Händel, in: Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landgrafen Philipp des Großmütigen. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, 2 Bde, Marburg 1958. Dülmen, Richard van (Hrsg.): Das Täuferreich zu Münster 1534 – 1535. Berichte und Dokumente, München 1974. – Formierung der europäischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft, Bd. VII, 1981, S. 5 – 41. – Theater des Schreckens – Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1985, 2. Auflage München 1988. Durchhardt, Heinz: Deutsche Verfassungsgeschichte 1495 – 1806, Stuttgart 1991. Edwards, Charles S.: Hugo Grotius, the miracle of Holland: A study in political and legal thought, Chicago 1981. 19 Deflers
286
Quellen- und Literaturverzeichnis
Ehrhardt, Arnold: Parakatatheke, in: ZRG Römische Abteilung (R), LXXV, 1958, S. 86 ff. Eichhorn, Karl Friedrich: Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 5. Auflage Göttingen 1843 – 1844. Elert, Werner: Societas bei Melanchthon, in: Festschrift für Ludwig Ihmels „Das Erbe Martin Luthers und die gegenwärtige theologische Forschung“, Leipzig 1928, S. 101 – 115. – Morphologie des Luthertums, Bd. I: Theologie und Weltanschauung des Luthertums hauptsächlich im 16. und 17. Jahrhundert, München 1931, Bd. II: Soziallehren und Sozialwirkungen des Luthertums, München 1932, verbesserter Nachdruck der 1. Auflage München 1952 – 53. – Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons und seiner Schüler, in: Zeitschrift für systematische Theologie, Bd. IX, 1932, S. 522 – 534. Elliger, Walter: Luthers Stellung zu Staat, Gesellschaft und Wirtschaft in der Frühzeit seines Wirkens, in: 450 Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I: Wittenberg 1502 – 1817, Wittenberg 1952, S. 283 – 297. Ellinger, Georg: Philipp Melanchthon, Berlin 1902. Elm, Kaspar: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts. Ein Resümee, in: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. von Rainer Christoph Schwinges, Zeitschrift für historische Forschung, Bieheft 18, Berlin 1996, S. 515 – 525. Elsener, Ferdinand: Deutsche Rechtssprache und Rezeption, in: Studien zur Rezeption des gelehrten Rechts. Ausgewählte Aufsätze, Sigmaringen 1989, S. 240 – 258. – Gesetz, Billigkeit und Gnade im kanonischen Recht, in: „Summum ius-summa iniuria“ Individualgerechtigkeit und der Schutz allgemeiner Werte im Rechtsleben. Ringvorlesung gehalten von Mitgliedern der Tübinger Juristenfakultät im Rahmen des „Dies academicus“ Wintersemester 1962 / 63, Tübingen 1963, S. 168 – 190. – Luther und Emser: ihre Streitschriften aus dem Jahre 1521, 2 Bde, Halle 1890 – 1891. Erdmann, Karl: Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1935, Nachdruck Darmstadt 1974. Erhard, Heinrich August: Geschichte des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bildung, vornehmlich in Deutschland bis zum Anfang der Reformation, Bd. III, Hildesheim / New York 1977, S. 466 – 485 über die Rechtswissenschaft. Erler, Adalbert / Kaufmann, Ekkehard: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 3 Bde, Berlin, Bd. 1, 1971, Bd. 2, 1978, Bd. 3, 1984. Ernst, Fritz: Über Gesandtschaftswesen und Diplomatie an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Archiv für Kulturgeschichte, Bd. XXXIII, 1951, S. 64 ff. Estes, James M.: The role of godly magistrates in the church: Melanchthon as Luther’s interpreter and collaborator, in: Church History Studies in Christianity & Culture, Bd. 67, 1998, S. 463 – 483. Fansa, Mamoun (Hrsg.): der sassen speyghel . Sachsenspiegel – Recht – Alltag, Bd. 2: Aus dem Leben gegriffen – Ein Rechtsbuch spiegelt seine Zeit, Oldenburg 1995. Fehr, Hans: Deutsche Rechtsgeschichte, 6. Auflage Berlin 1962.
Quellen- und Literaturverzeichnis
287
Fild, Horst Alfred: Justitia bei Melanchthon, theol. Diss., Erlangen 1953. – Artikel „Melanchthon“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Bd. III, Berlin 1984. Flückiger, Felix: Geschichte des Naturrechts, Bd. I: Altertum und Frühmittelalter, Zürich 1954. Förstel, Christian: Die griechische Grammatik Melanchthons, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Begleitband zur Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Rostock 25. April bis 13. Juli 1997, Rostock 1997, S. 35 – 57. Förstemann, Karl Eduard (Hrsg.): Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Bd. 1 – 2, Nachdruck Osnabrück 1966. Franck, Günter: Die theologische Philosophie Philipp Melanchthons (1497 – 1560), Leipzig 1995. – Melanchthons Dialektik und die Geschichte der Logik, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Begleitband zur Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Rostock 25. April bis 13. Juli 1997, Rostock 1997, S. 125 – 145. Franck, Günter / Rhein, Stefan (Hrsg.): Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit. Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten, Bd. IV, Sigmaringen 1998. Fränckel, Peter: Die „Loci“ und Melanchthons Entwicklung, in: Fünfzehn Jahre Melanchthons Forschung. Versuch eines Literaturberichtes, Philipp Melanchthon Forschungsbeiträge zur 400. Wiederkehr seines Todestages, dargeboten in Wittenberg, Göttingen 1961, S. 34 – 40. Fränckel, Peter / Greschat, Martin: Fünfzehn Jahre Melanchthonforschung. Versuch eines Literaturberichtes, in: Zwanzig Jahre Melanchthonstudium, Travaux d’Humanisme et Renaissance, N. 93, „Sechs Literaturberichte (1945 – 1965)“, Genf 1967, S. 1 – 42. – Complementum Melanchthonianum. Nachtrag zur Chronik „Fünfzehn Jahre Melanchthonforschung“, ebd., S. 43 – 52. – Melanchthoniana Jubilaria I und II, ebd., S. 53 – 88, S. 89 – 138. Franz, Günther: Geschichte des deutschen Bauernstandes vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 1970. – Der deutsche Bauernkrieg, Berlin / München 1935, 5. Auflage Darmstadt 1980. – Geschichte des deutschen Bauernstandes: vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jh., 2. Auflage Stuttgart 1976. Friedell, Egon: Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum ersten Weltkrieg, München 1974. Friedensburg, Walter: Geschichte der Universität Wittenberg, Halle 1917. Fuchs, Gerhard: Karlstadts radikal-reformatorisches Wirken und seine Stellung zwischen Müntzer und Luther, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Jahrg. 3, Heft 3, Halle 1954, S. 523 – 552. Fuchs, Josef: Lex Naturae. Zur Theologie des Naturrechts, Düsseldorf 1955. 19*
288
Quellen- und Literaturverzeichnis
Fuchs, Thomas: Humanistische Politik zwischen Reformation und alter Kirche. Hieronymus Vehus und die lutherische Frage auf den Reichstagen der Reformationszeit, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, hrsg. von Johannes Kunisch, Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 19, Berlin 1997, S. 133 – 179. Fuchs, Walter Peter: Der Bauernkrieg, in: Der Bauernkrieg 1524 – 1526. Bauernkrieg und Reformation. 9 Beiträge, hrsg. von Rainer Wohlfeil, München 1975, S. 51 – 64. Fueter, Eduard: Geschichte des europäischen Staatensystems von 1492 bis 1559, München, 1919, Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, hrsg. von Georg von Below und Friedrich Meinecke, Abt. 2: Politische Geschichte. Galling, Kurt (Hrsg.): Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 7 Bde, 3. Auflage Tübingen 1957 – 1965. Gans, Eduard: Naturrecht und Universalrechtsgeschichte, hrsg. von Manfred Riedel, Stuttgart 1981. Gaudemet, Jean: Église et Cité. Histoire du droit canonique, Paris 1994. Geyer, Hans-Georg: Von der Geburt des wahren Menschen. Probleme aus den Anfängen der Theologie Melanchthons, Neukirchen 1965. Glassl, Horst: Das Heilige Reich und die Osmanen im Zeitalter der Reformation, in: Südosteuropa unter dem Halbmond. Untersuchungen über Geschichte und Kultur der südeuropäischen Völker während der Türkenzeit, hrsg. von P. Bartl und H. Glassl, Festschrift Georg Stadtmüller, München 1975, S. 61 – 72. Graus, Frantisek: „Freiheit“ als soziale Forderung. Die Bauernbewegungen im Spätmittelalter, in: Die Abendländische Freiheit vom 10. zum 14. Jahrhundert. Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich, hrsg. von Johannes Fried, Sigmaringen 1991, S. 409 – 433. Greschat, Martin: Luthers Haltung im Bürgerkrieg, in: Archiv für Reformationsgeschichte, Bd. 56, 1965. – Melanchthon neben Luther. Studien zur Gestalt der Rechtfertigungslehre zwischen 1528 und 1537, Wittenberg 1965. – Bucer Martin: ein Reformator und seine Zeit, München 1990. Grewe, Wilhelm G.: Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984. Grochol, Werner: Herrscher, Ideologen und Heiler. Weltbild und Kultur im Mittelalter, Egelsbach / Frankfurt a. M. / Washington 1997. Grossmann, Maria: Humanism in Wittenberg 1485 – 1517, Nieuwkoop 1975. Grundmann, Herbert (Hrsg.): Valentin von Tetleben. Protokoll des Augsburger Reichstages 1530, Göttingen 1958. Gschliesser, Oswald v.: Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1559 bis 1806, Wien 1942. Güterbock, Carl: Die Entstehungsgeschichte der Carolina auf Grund archival. Forschungen und neu aufgefundener Entwürfe, Würzburg 1876. Haendler, Klaus: Wort und Glaube bei Melanchthon. Eine Untersuchung über die Grundlagen des melanchthonschen Kirchenbegriffes, Heidelberg 1967.
Quellen- und Literaturverzeichnis
289
Haenel, Albert: Melanchthon, der Jurist, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, hrsg. von D. Rudorff, D. Bruns, D. Roth u. a., Bd. 8, Weimar 1869, S. 249 – 270. Hagemann, H.: Zur Krise spätmittelalterlicher Schöffengerichtsbarkeit, in: Wege europäischer Rechtsgeschichte, Festschrift für Karl Kroeschell, hrsg. von G. Köbler, Frankfurt a. M. 1987, S. 89 ff. Hagen, K.: Deutschlands literarische und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter: mit bes. Rücksicht auf Wilibald Pirkheimer. Der Geist der Reformation und seine Gegensätze I und II, Neudruck der 2. Auflage Frankfurt a. M. 1868, Aalen 1966. Hägglund, Bengt: Die Frage der Willensfreiheit in der Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther, in: Renaissance-Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, Vorträge hrsg. von August Buck, Wiesbaden 1984, S. 181 – 195. Hammerstein, Notker (Hrsg.) unter Mitwirkung von Buck, August: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. I: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München 1996, insb. S. 39 – 50. Hannemann, Kurt: Reuchlin und die Berufung Melanchthons nach Wittenberg, in: Festgabe Johannes Reuchlin 1455 – 1522, Pforzheim 1955, S. 108 – 138. Hansen, Reimer: Philipp Melanchthon. Lehrer des Friedens, in: Grenzfriedenshefte (GFH), Heft 2, 1981, S. 73 – 89. Haring, Johann B.: Die Lehre von der Epikie, eine rechtswissenschaftlichmoraltheologische Studie, in: Theologisch-praktische Quartalschrift, LII, Linz 1899. Härter, Karl: Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 16. Jahrhundert, in: Ius commune, Bd. XX, Frankfurt a. M. 1993, S. 61 – 141. Hartfelder, Karl: Zur Geschichte des Bauernkrieges in Südwestdeutschland, Stuttgart 1884. – Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae, Nieuwkroop, Neudruck 1964. Hartung, Fritz: Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1950, 9. Auflage Stuttgart 1969. – Staatsbildende Kräfte der Neuzeit, Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961. Hartwig, Hans: Die Verfassung der Universität Wittenberg, ihre ursprüngliche Form und deren Grundlagen, in: 450 Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I: Wittenberg 1502 – 1817, Wittenberg 1952, S. 93 – 101. Hartz, Werner: Die Gesetzgebung des Reiches und der weltlichen Territorien in der Zeit von 1495 bis 1555, Diss. phil., Marburg 1931. Hashagen, Justus: Staat und Kirche vor der Reformation, Essen 1931. Hasse, Hans-Peter: Die Beziehungen Philipp Melanchthons nach Leipzig 1550 bis 1560, in: Philipp Melanchthon und Leipzig. Beiträge und Kataloge zur Ausstellung, hrsg. von Günther Wartenberg, Christian Winter und Rainer Behrends, Universität Leipzig, 1997, S. 51 – 64. Haubold, Christian Gottlieb: Oratio de Philippi Melanchthonis in iurisprudentiam insignibus meritis, in: Opuscula academica, hrsg. von Haubold, Bd. I, Leipzig 1825, S. 701 – 717.
290
Quellen- und Literaturverzeichnis
Haug-Moritz, Gabriele: Kursachsen und der Schmalkaldische Bund, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, Bettina Braun und Heise Stratenwerth, überarb. Auflage Frankfurt a. M 1997, S. 507 – 524. Haupt, Herman: Ein oberrheinischer Revolutionär aus dem Zeitalter Maximilians I., in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst, Heft VIII, 1893. Haussleiter, Johannes: Aus der Schule Melanchthons: Theologische Disputationen und Promotionen zu Wittenberg in den Jahren 1546 – 1560, Greifswald 1897. Heckel, Johannes: Initia iuris ecclesiastici Protestantium, München 1950. – Melanchthon und das heutige deutsche Staatskirchenrecht, in: Festgabe für Erich Kaufmann zu seinem 70. Geburtstage, Stuttgart / Köln 1950, S. 83 – 102. – Naturrecht und christliche Verantwortung im öffentlichen Leben nach der Lehre Martin Luthers, in: Zur politischen Predigt. Aus der Vorbereitungsarbeit des evangelisch-lutherischen Dekanats München zur Tagung des lutherischen Weltbundes in Hannover 1952, München 1952. – Lex charitatis. Eine juristische Untersuchung über das Recht in der Theologie Martin Luthers, in: Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, philosophischhistorische Klasse, Neue Folge, Heft 36, München 1953. – Im Irrgarten der Zwei-Reiche-Lehre. Zwei Abhandlungen zum Reichs- und Kirchenbegriff Martin Luthers, München 1957. – Widerstand gegen die Obrigkeit? Pflicht und Recht zum Widerstand bei Martin Luther, in: Luther und die Obrigkeit, hrsg. von Gunther Wolf, Darmstadt 1972, S. 1 – 21. – Luthers Lehre von den zwei Regimenten. Fragen und Antworten zu der Schrift von Gunnar Hillerdal, in: Luther und die Obrigkeit, hrsg. von Gunther Wolf, Darmstadt 1972, S. 51 – 65. Heckel, Martin: Summum ius – summa iniuria als Problem reformatorischen Kirchenrechts, in: „Summum ius-summa iniuria“. Individualgerechtigkeit und der Schutz allgemeiner Werte im Rechtsleben. Ringvorlesung gehalten von Mitgliedern der Tübinger Juristenfakultät im Rahmen des „Dies academicus“ Wintersemester 1962 / 63, Tübingen 1963, S. 240 – 266. – Reformation (rechtsgeschichtlich); in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Auflage Stuttgart 1987, Spalte 2897 – 2931. Heimbach, Carl Wilhelm Ernst: Lehrbuch des partikulären Privatrechts der zu den O.-A.-Gerichten zu Jena und Zerbst vereinten Länder, Jena 1848. Heimbach-Steins, Marianne (Hrsg.): Naturrecht im ethischen Diskurs, Münster 1990. Heine, Susanne: Erziehung in der Reformationszeit: Luther und Erasmus als Pädagogen, in: Europa in der Krise der Neuzeit. Martin Luther: Wandel und Wirkung seines Bildes, hrsg. von Susanne Heine, Wien / Köln / Graz 1986, S. 129 – 165 (und auch ihr Nachwort, S. 167 – 184). Heinemeyer, Walter: Die Territorien zwischen Reichstradition, Staatlichkeit und politischen Interessen, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5, München / Wien 1983, S. 77 – 89.
Quellen- und Literaturverzeichnis
291
Heinrich, Gerd: Frankfurt und Wittenberg. Zwei Universitätsgründungen im Vorfeld der Reformation, in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, hrsg. von Peter Baumgart und Notker Hammerstein, Neudeln / Liechtenstein 1978, S. 111 – 129. Helm, Jürgen: Zwischen Aristotelismus, Protestantismus und zeitgenössischer Medizin. Philipp Melanchthons Lehrbuch „De anima“, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Begleitband zur Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Rostock 25. April bis 13. Juli 1997, Rostock 1997, S. 175 – 191. Herrmann, Emil: Johann Freiherr zu Schwarzenberg. Ein Beitrag zur Geschichte des Criminalrechts und der Gründung der protestantischen Kirche, Leipzig 1841. Hermann, Johannes: Augsburg-Leipzig-Passau. Das Leipziger Interim nach Akten des Landeshauptarchives Dresden, theol. Diss., Leipzig 1963. Hesse, Hans Gert: Evangelisches Ehescheidungsrecht in Deutschland. Schriften zur Rechtslehre und Politik, hrsg. von Ernst v. Hippel, Bd. XXII, Bonn 1960. Hesslinger, Helmo: Die Anfänge des Schwäbischen Bundes. Ein Beitrag zur Geschichte des Einungswesens und der Reichsreform unter Kaiser Friedrich III, Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 9, Stuttgart 1970. Heubner, Heinrich: Die Stadt Wittenberg und die Universität, in: 450 Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I: Wittenberg 1502 – 1817, Wittenberg 1952, S. 149 – 154. Hinrichs, Carl: Luther und Müntzer. Ihre Auseinandersetzung über Obrigkeit und Widerstandsrecht, Berlin 1962. Hödl, Günther: Albrecht II. Königtum, Reichsregierung und Reichsreform 1438 – 1439, Wien / Köln / Graz 1978. Höffner, Joseph: Kolonialismus und Evangelium. Spanische Kolonialethik im Goldenen Zeitalter, 3. Auflage Trier 1972. Höfler, Constantin: Geschichte der hussitischen Bewegung in Böhmen, Wien 1856 – 1866. Holthöfer, Ernst: Literaturtypen des mos italicus in der europäischen Rechtsliteratur der frühen Neuzeit (16.-18. Jahrhundert), in: Ius Commune II, 1969, S. 130 – 166. Holtzmann, Robert: Der Weltherrschaftsgedanke des mittelalterlichen Kaisertums und die Souveränität der europäischen Staaten, in: HZ 159, 1939, S. 251 – 264. Hölzel, Christoph: Grundlagen des Rechts- und Staatsdenkens bei Hugo Grotius, Diss., München 1970. Hommes, Hendrik van Eikema: Hugo Grotius : Einige Betrachtungen seines Rechtsdenkens ; Der Unterschied zu dem Rechtsdenken des Johannes Althusius, in: Theologische, juristische und philologische Beiträge zur frühen Neuzeit, 1986, S. 56 – 70. Honnefelder, Ludger: Naturrecht und Geschichte. Historisch-systematische Überlegungen zum mittelalterlichen Naturrechtsdenken, in: Naturrecht im ethischen Diskurs, hrsg. von Marianne Heimbach-Steins, Münster 1990, S. 1 – 27. Horawitz, Adalbert: Nationale Geschichtsschreibung im XVI. Jh.. in: Sybels Historische Zeitschrift, Bd. XXV, 1871, S. 66 – 101.
292
Quellen- und Literaturverzeichnis
– Zur Geschichte des deutschen Humanismus und der deutschen Historiographie, in: Müllers Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte, Neue Folge, IV. Jahrgang, 1875, S. 65 – 86. Hortleder, Friedrich: Handlungen und Ausschreiben von Rechtsmäßigkeit und Verlauf des Teutschen Kriegs Kaiser Karl V. wider die Schmalkaldischen Bundesobersten, Bd. II, Frankfurt 1617 / 18. Hoyer, Siegfried: Georg von Sachsen – Reformer und Bewahrer des alten Glaubens, in: Europäische Herrscher. Ihre Rolle bei der Gestaltung von Politik und Gesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. von Günter Vogler, Weimar 1988, S. 95 – 105. Hubatsch, Walther (Hrsg.): Wirkungen der deutschen Reformation bis 1555, in: Wege der Forschung Bd. 203, 2. Auflage Darmstadt 1970. Hübner, Friedrich: Natürliche Theologie und theokratische Schwärmerei bei Melanchthon, Gütersloh 1936. – Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5. Auflage Leipzig 1969. Hübner, Heinz: Jurisprudenz als Wissenschaft im Zeitalter des Humanismus, in: Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag, München 1973, S. 41 – 62. Huschke, Rolf Bernhard: Melanchthons Lehre vom Ordo politicus. Ein Beitrag zum Verhältnis von Glauben und politischem Handeln bei Melanchthon, Gütersloh 1968. Ilting, Karl-Heinz: Art. „Naturrecht“, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. IV, Stuttgart 1978, S. 245 – 313. Jaeger, Werner: Solons Eunomie, Akad. Abh., Berlin 1926. Janssen, Wilhelm: Die Anfänge des modernen Völkerrechts und der neuzeitlichen Diplomatie. Erweiterter Sonderdruck aus: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaften und Geistesgeschichte, Jahrgang 38, 1964, Heft 3 und 4, 1965. Joachimsen, Paul: Loci communes: Eine Untersuchung zur Geistesgeschichte des Humanismus und der Reformation, in: Luther-Jahrbuch, Bd. VIII, 1926, S. 27 – 97. – Sozialethik des Luthertums, München 1927. – Vom Mittelalter zur Reformation, Darmstadt 1959. – Die Reformation als Epoche der deutschen Geschichte, München 1970. Johanek, Peter: Eike von Repgow, Hoyer von Falkenstein und die Entstehung des Saschenspiegels, in: Civitatum Communitas. Studien zum europäischen Städtewesen. Festschrift für Heinz Stoob zum 65. Geburtstag, hrsg. von H. Jäger u. a., Teil 2, Köln / Wien 1984, S. 716 – 755. Kaemmel, Heinrich Julius: Geschichte des deutschen Schulwesens im Übergange vom Mittelalter zur Neuzeit, Leipzig 1882, Neudruck Hildesheim / Zürich / New York 1986. Kähler, Ernest: Karlstadts Protest gegen die theologische Wissenschaft, in: 450 Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I: Wittenberg 1502 – 1817, Wittenberg 1952, S. 299 – 312. Kaltenborn, Carl von: Die Vorläufer des Hugo Grotius auf dem Gebiete des „Ius naturae et gentium“ sowie der Politik im Reformationszeitalter, Leipzig 1848, Nachdruck Frankfurt a. M. 1965.
Quellen- und Literaturverzeichnis
293
Kawerau, Gustav: Beiträge zur Geschichte des antinomistischen Streites, in: Beiträge zur Reformationsgeschichte, hrsg. von P. Albrecht, D. Brieger, P. D. Buchwald u. a., Gotha 1896, S. 60 – 80. – Die Versuche, Melanchthon zur katholischen Kirche zurückzuführen, Halle 1902. Kern, Fritz: Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie, Leipzig 1914. Kessler, Eckhard: Die Pädagogik der italienischen Humanisten im Kontext des späten Mittelalters, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie, hrsg. von Hartmut Boockmann, Bernd Moeller und Karl Stackmann, Göttingen 1989, S. 160 – 180. Kimminich, Otto: Die Entstehung des neuzeitlichen Völkerrechts, in: Handbuch der politischen Ideen, Bd. 3, hrsg. von I. Fetscher und H. Münkler, 1985, S. 73 – 100, 3. Auflage München 1987. Kinder, Ernst: Gottesreich und Weltreich bei Augustin und bei Luther, in: Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, hrsg. von Friedrich Hübner, Berlin 1955, S. 24 – 42. – Luthers Abteilung der geistlichen und weltlichen „Oberkeit“ aus dem 4. Gebot, in: Für Kirche und Recht. Festschrift für Johannes Heckel zum 70. Geburtstag, hrsg. von Siegfried Grundmann, Köln / Graz 1959, S. 270- 286. Kirchner, Hubert: Der deutsche Bauernkrieg im Urteile der Freunde und Schüler Luthers, Habil. Schrift, Greifswald 1968. Kisch, Guido: Humanismus und Jurisprudenz. Der Kampf zwischen mos italicus und mos gallicus an der Universität Basel, Basel 1955. – Bartolus und Basel, Basel 1960. – Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit. Studien zum humanistischen Rechtsdenken, Basel, 1960. – Zasius und Reuchlin. Eine rechtsgeschichtlich-vergleichende Studie zum Toleranzproblem im 16. Jahrhundert, Stuttgart 1961, insb. S. 47 – 56. – Melanchthon und die Rechtswissenschaft, in: Festschrift für Hans Liermann zum 70. Geburtstag, Erlangen 1964, S. 87 – 95. – Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Berlin 1967. – Gestalten und Probleme aus Humanismus und Jurisprudenz. Neue Studien und Texten, Berlin 1969. – Claudius Cantiunculas. Ein Basler Jurist und Humanist des 16. Jahrhunderts, Basel 1970. – Studien zur humanistischen Jurisprudenz, Berlin / New York 1972. Kleinheyer, Gerd / Schröder, Jan: Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, Heidelberg 1989. Klingenstein, Grete / Lutz, Heinrich / Stourzh, Gerald (Hrsg.): Bildung, Politik und Gesellschaft. Studien zur Geschichte des europäischen Bildungswesens vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1978.
294
Quellen- und Literaturverzeichnis
Klippel, Diethelm: Zur Geschichte der Gesetzgebung in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung, in: Gesetz und Gesetzgebung im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. von Barbara Dölemeyer und Diethelm Klippel, Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 22, Berlin 1998, S. 7 – 13. Klüber, Franz: Naturrecht als Ordnungsnorm der Gesellschaft. Der Weg der katholischen Gesellschaftslehre, Köln 1966. Knemeyer, Franz-Ludwig: Polizeibegriffe in Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts. Kritische Bemerkungen zur Literatur über die Entwicklung des Polizeibegriffes, in: Archiv des öffentlichen Rechtes, Bd. 92, 1967, S. 154 – 180. Knieper, Barbara: Die Naturrechtslehre des Hugo Grotius als Einigungsprinzip der Christenheit, dargestellt an seiner Stellung zum Calvinismus, Augsburg 1971. Köbler, Gerhard (Hrsg.): Wege europäischer Rechtsgeschichte: Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag dargelegt von Freunden, Schülern und Kollegen, Frankfurt a. M. 1987. Koch, Ernst: Aufbruch und Weg. Studien zur lutherischen Bekenntnisbildung im 16. Jahrhundert, Stuttgart 1983. – Auseinandersetzungen um die Autorität von Phillip Melanchthon und Martin Luther in Kursachsen im Vorfeld der Konkordienformel von 1577, in: Luther Jahrbuch, Bd. 59, 1992, S. 128 – 159. – Ausbau, Gefährdung und Festigung der lutherischen Landeskirche von 1553 bis 1601, in: Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen. Festgabe zum 450jährigen Bestehen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, hrsg. von Helmar Junghans, Berlin 1989, S. 195 – 223. – Der kursächsische Philippismus und seine Krise in den 1560er und 1570er Jahren, in: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der „zweiten Reformation“. Wissenschaftliches Symposium des Vereins für Reformationsgeschichte, hrsg. von Heinz Schilling, Gütersloh, 1986, S. 60 – 78. Koehn, Horst: Philipp Melanchthons Reden. Verzeichnis der im 16. Jahrhundert erschienen Drucke, Frankfurt a. M. 1985. Kohler, Alfred: Antihabsburgische Politik in der Epoche Karls V. Die reichsständische Opposition gegen die Wahl Ferdinands I. zum römischen König und gegen die Anerkennung seines Königtums 1524 – 1534, Göttingen 1982. – Karl V., Ferdinand I. und das Reich. Bemerkungen zur Politik der habsburgischen Brüder, in: Europäische Herrscher. Ihre Rolle bei der Gestaltung von Politik und Gesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. von Günter Vogler, Weimar 1988, S. 58 – 70. Köhler, Karl: Luther und die Juristen, Gotha 1873. Köhler, Manfred: Melanchthon und der Islam. Ein Beitrag zur Klärung des Verhältnisses zwischen Christentum und Fremdreligionen in der Reformationszeit, Leipzig 1938. Kolde, Theodor von / Plitt, Gustav Leopold: Die Loci communes Melanchthons in ihrer Urgestalt, 4. Auflage Leipzig 1925.
Quellen- und Literaturverzeichnis
295
Komatsu, Guido: Die Türkei und das europäische Staatensystem im 16. Jahrhundert. Untersuchungen zu Theorie und Praxis des frühneuzeitlichen Völkerrechts, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, 2. Auflage Frankfurt a. M. 1997, S. 121 – 144. Koolman, Egbert / Gäßler, Ewald / Scheel, Friedrich (Hrsg.): „der sassen speyghel“. Sachsenspiegel – Recht – Alltag, Bd. 1: Beiträge und Katalog zu den Ausstellungen „Bilderhandschriften des Sachsenspiegels – Niederdeutsche Sachsenspiegel“ und „Nun vernehmt in Land und Stadt – Oldenburg-Sachsenspiegel-Stadtrecht“, Oldenburg 1995. Koschaker, Paul: Europa und das römische Recht, München 1947. Koser, Otto (Hrsg.): Repertorium der Akten des Reichskammergerichts, 2 Bde, Heppenheim 1933 – 1936. Krauske, Otto: Die Entwicklung der ständigen Diplomatie vom 15. Jahrhundert bis zu den Beschlüssen von 1815 und 1818, in: Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen, hrsg. von Gustav Schmoller, Bd. V, 1885. Kraye, Jill: Melanchthons ethische Kommentare und Lehrbücher, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Begleitband zur Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Rostock 25. April bis 13. Juli 1997, Rostock 1997, S. 195 – 215. Kretschmann, Christian Gottfried: Geschichte des Churfürstl. Säschischen Obergerichts zu Leipzig, von seiner Entstehung 1483 an bis zum Ausgange des 18. Jahrhunderts, Leipzig 1804. Kübel, Lothar: Zur Frage der rechtlichen Begründung der Reformforderungen des gemeinen Mannes im Bauernkriege 1525, jur. Diss., Heidelberg 1939. Künneth, Walter: Die evangelisch-lutherische Theologie und das Widerstandrecht, in: Luther und die Obrigkeit, hrsg. von Gunther Wolf, Darmstadt 1972, S. 104 – 115. Kunst, Hermann: Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seiner Landesherren und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens, Stuttgart 1976. Kuschfeldt, Rolf: Stellung und Funktion von Form und Öffentlichkeit der Eheschließung im Wandel der englischen Rechts- und Gesellschaftsordnung vom 13. bis zum 20. Jahrhundert: sponsalia de praesenti und common law (in: Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, Bd. 144) Göttingen 1990. Kusukawa, Sachiko: The tranformation of natural philosophy: The case of Philipp Melanchthon, Cambridge 1995. Landau, Peter / Schröder Friedrich-Christian (Hrsg.): Strafrecht, Strafprozess und Rezeption – Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina, Frankfurt a. M. 1984. Landsberg, Ernst: Artikel „Hieronymus Schurff“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. XXXIII, Leipzig 1891, S. 86 ff. Lange, Hermann: Ius aequum und ius strictum bei den Glossatoren, in: ZRG: (R), LXXI, 1954, S. 319 – 347.
296
Quellen- und Literaturverzeichnis
Lau, Franck: Die prophetische Apokalyptik Thomas Müntzers und Luthers Absage an die Bauernrevolution, in: Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, hrsg. von Friedrich Hübner, Berlin 1955, S. 163 – 170. – Die lutherische Lehre von den beiden Reichen, in: Luther und die Obrigkeit, hrsg. von Gunther Wolf, Darmstadt 1972, S. 370 – 396. Lau, Franz / Bizet, Ernst: Reformationsgeschichte Deutschlands bis 1555, Göttingen 1964. Laubach, Ernst: Karl V., Ferdinand I. und die Nachfolge im Reich, in: Mitt. d. Östr. Staatsarchivs, Bd. 29, 1976, S. 1 – 51. Le Bourgeois, Armand: Questions des divorcés à l’Église, Paris 1994. Lechler, Gotthard Viktor: Johannes Hus: ein Lebensbild aus der Vorgeschichte der Reformation, Halle 1889. Lehmann, Hartmut: Universales Königtum. Dynastische Weltmacht oder Imperialismus. Zur Beurteilung der Politik Karls V., in: Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs, hrsg. von H. Fichtenau und E. Zöllner (VÖIG 20), Wien / Köln / Graz 1974, S. 1 – 83. Leonardt, Jürgen: Melanchthon als Verfasser von Lehrbüchern, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Begleitband zur Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Rostock 25. April bis 13. Juli 1997, hrsg. von Jürgen Leonardt, Rostock 1997, S. 13 – 33 – Nachtrag zur Grammatik: Melanchthons lateinischen Metrik, in: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts, Rostock 1997, S. 103 – 107. Lieberwith, Rolf: Martin Luthers Kritik am Recht und an den Juristen, in: Martin Luther und seine Universität. Vorträge anläßlich des 450. Todestages des Reformators, hrsg. von Heiner Lück, Köln / Weimar / Wien 1998, S. 53 – 72. Liermann, Hans: Zur Geschichte des Naturrechts in der evangelischen Kirche. Eine rechtsund geistesgeschichtliche Studie, in: Festschrift Alfred Bertholet zum 80. Geburtstag, hrsg. von Walter Baumgartner, Otto Eissfeldt, Karl Elliger und Leonhard Rost, Tübingen 1950, S. 294 – 324. – Der Jurist und die Kirche. Ausgewählte kirchenrechtliche Aufsätze und Rechtsgutachten, in: Jus Ecclesiasticum, Bd. 17, München 1973, S. 24 – 55 und S. 108 – 131. Lingelbach, Gerhard: „yhe weniger gesetz, yhe besser recht“ – Zu den Auffassungen von Martin Luther zum spätfeudalen Recht, in: Staat und Recht, Bd. XXXII, 1983, S. 851 ff. – „Juristen – Böse Christen“ – Gedanken zu Martin Luthers Verhältnis zum Juristenstand, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschaftswissenschaftliche Reihe 33, 1984, S. 327 ff. Link, Christoph: Das Gesetz im späten Naturrecht, in: Zum römischen und neuzeitlichen Gesetzesbegriff. 1. Symposium der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“ vom 26. und 27. April 1985, hrsg. von Okko Behrends und Christoph Link, Göttingen 1987, S. 150 – 174. Lipp, Martin: Die Bedeutung des Naturrechts für die Ausbildung der Allgemeinen Lehren des deutschen Privatrechts, Berlin 1980. Loewenich, Walther von: Luthers Stellung zur Obrigkeit, in: Luther und die Obrigkeit, hrsg. von Gunther Wolf, Darmstadt 1972, S. 425 – 442.
Quellen- und Literaturverzeichnis
297
Lohse, Bernhard: Die Bedeutung des Rechtes bei der Frage des obrigkeitlichen Widerstandes in der frühen Reformation, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, Bettina Braun u. Heise Stratenwerth, überarb. Auflage, Frankfurt a. M. 1997, S. 217 – 229. Loserth, Johann: Die Stadt Walshut und die vorderösterreichische Regierung in den Jahren 1523 – 26, in: Archiv für österreichische Geschichte, Bd. XXVII, S. 47 ff. Lück, Heiner: Die Verbreitung des Sachsenspiegels und des Magdeburger Rechts in Osteuropa, in: „der sassen speyghel“. Sachsenspiegel – Recht – Alltag, Bd. 2: Beiträge und Katalog zu den Ausstellungen „Bilderhandschriften des Sachsenspiegels – Niederdeutsche Sachsenspiegel“ und „Nun vernehmet in Land und Stadt – Oldenburg – Sachsenspiegel – Stadtrecht“, hrsg. von E. Koolman, E. Gäßler und F. Scheele, Oldenburg 1995, S. 37 – 49. – Die Wittenberger Juristenfakultät im Sterbejahr Martin Luthers, in: Martin Luther und seine Universität. Vorträge anläßlich des 450. Todestages des Reformators, hrsg. von Heiner Lück, Köln / Weimar / Wien 1998, S. 73 – 93. Ludolphy, Ingetraut: Die Voraussetzungen der Religionspolitik Karls V., in: Arbeiten zur Theologie, Reihe 1, Heft 24, Stuttgart 1965. – Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen 1463 – 1525, Göttingen 1984. Lütge, Friedrich: Luthers Eingreifen in den Bürgerkrieg in seinen sozialgeschichtlichen Voraussetzungen und Auswirkungen, in: Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Gesammelte Abhandlungen, Bd. 5, Stuttgart 1963. Lüthje, Hans: Melanchthons Anschauung über das Recht des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. XLVII, 1928, S. 512 – 542. Luttenberger, Albrecht Pius: Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530 – 1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg), Göttingen 1982. – Kurfürsten, Kaiser und Reich. Politische Führung und Friedenssicherung unter Ferdinand I. und Maximilian II., Mainz 1994. Lutz, Heinrich (Hrsg.): Ragione di Stato und christliche Staatsethik im 16. Jahrhundert, Münster 1976. Lutz, Heinrich / Müller-Luckner, Elisabeth (Hrsg.): Das römisch-deutsche Reich im politischen System Karls V., in: Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 1, München / Wein 1982. – Europa in der Krise: Sozialgeschichtliche und religionssoziologische Analyse der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Europa in der Krise der Neuzeit. Martin Luther: Wandel und Wirkung seines Bildes, hrsg. von Susanne Heine, Wien / Köln / Graz 1986, S. 11 – 26. – Karl V. Biographische Probleme, in: Europäische Herrscher. Ihre Rolle bei der Gestaltung von Politik und Gesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. von Günter Vogler, Weimar 1988, S. 31 – 57. Maier, Hans: Die Lehre der Politik an den deutschen Universität vornehmlich vom 16. bis 18. Jahrhundert, in: Wissenschaftliche Politik. Eine Einführung in Grundfragen ihrer Tradition und Theorie, hrsg. von Dieter Oberndörfer, Freiburg i. Br. 1962, S. 59 – 116.
298
Quellen- und Literaturverzeichnis
Maier, Hans / Rausch, Heinz / Denzer, Horst (Hrsg.): Klassiker des politischen Denkens, Bd. I. München 1968. Malblank, Julius Friedrich: Geschichte der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl V. von ihrer Entstehung und ihren weitern Schicksalen bis auf unsere Zeit, Nürnberg 1783. Manschreck, Clyde L.: The role of Melanchthon in the adiaphora controversy, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 1957, Heft 1, S. 165 – 182. Mau, Wilhelm: Balthasar Hubmaier, Berlin / Leipzig 1912, vollständig als: Abhandlungen und Mitteilungen zur mittleren und neueren Geschichte, Heft 40, Phil. Diss., Freiburg i. Br. 1912. Maurer, Helmut: Bäuerliches Gedächtnis und Landesherrschaft im 15. Jahrhundert. Zu einer oberschwäbischen „Kundschaft“ von 1484, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, 2. Auflage Frankfurt a. M. 1997, S. 179 – 198. Maurer, Wilhelm: Lex spiritualis bei Melanchthon bis 1521, in: Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, hrsg. von Friedrich Hübner, Berlin 1955, S. 171 – 198. – Zur Komposition der „Loci“ Melanchthons von 1521. Ein Beitrag zur Frage Melanchthon und Luther, in: Luther-Jahrbuch, Bd. XXV, 1958, S. 146 – 180. – Melanchthons Anteil am Streit zwischen Luther und Erasmus, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 1958, Heft 1 / 2, S. 89 – 115. – Melanchthons „Loci communes“ von 1521 als wissenschaftliche Programmschrift. Ein Beitrag zur Hermeneutik der Reformation, in: Luther-Jahrbuch, Bd. XXVII, 1960, S. 1 – 50. – Theologie und Jurisprudenz. Ihre Begegnung im Kirchenrecht, in: Festschrift für Gerhard Ritter zu seinem 60. Geburtstag, Erlangen 1964, S. 124 – 143. – Melanchthons Studien, Gütersloh 1964. – Reste des kanonischen Rechts im Frühprotestantismus, in: ZRG (K), Bd. LXXXII, 1965, S. 190 – 253. – Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, Bd. I: Der Humanist, Göttingen 1967, Bd. II: Der Theologe, Göttingen 1969. Mayer, Hellmuth: Die Strafrechtstheorie bei Luther und Melanchthon, in: Rechtsideen und Staasgedanke. Beiträge zur Rechtsphilosophie und zur politischen Ideengeschichte. Festgabe für Julius Binder, Berlin 1930, Neudruck Aalen 1973, S. 77 – 105. Mayer, Theodor: Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates im Hohen Mittelalter in: in: HZ 159, 1939, S. 457 – 487, und in: Herrschaft und Staat im Mittelalter, hrsg. von Hellmut Kämpf (= Wege der Forschung, 2) Darmstadt 1956, S. 284 – 331. Mayer-Maly, Theo: Necessitas constituit ius, in: Festschr. G. Grosso, Bd. 1, Turin 1968, S. 177 – 199. – Topik der necessitas, in: Festschr. J. Maqueron, Aix-en-Provence 1970, S. 477 – 486. – Gemeinwohl und Necessitas, in: Festschrift für Adalbert Erler, Aalen 1976, S. 135 – 145. Meinhold, Peter: Philipp Melanchthon. Der Lehrer der Kirche, Berlin 1960.
Quellen- und Literaturverzeichnis
299
Meisner, Heinrich Otto: Staats- und Regierungsform in Deutschland seit dem 16. Jh., Nachdruck der Sonderausgabe (2. überprüfte Auflage) Darmstadt 1967. Mejer, Otto: Zum Kirchenrechte des Reformationsjahrhunderts, Drei Abhandlungen, Hannover 1891. Melanchthonhaus Bretten (Hrsg.): Philipp Melanchthon. Briefe für Europa. Letters for Europe, Katalog der internationalen Wanderausstellung zum 500. Geburtstag Philipp Melanchthons, Bretten 1997. Menger, Christian-Friedrich: Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 4. Auflage Heidelberg 1984. Merk, Wilhelm: Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechtsentwicklung, in: Festschrift für Alfred Schultze, Weimar 1934, Nachdruck 1968, S. 450 – 520. Merks, Karl-Wilhelm: Naturrecht als Personrecht? Überlegungen zu einer Relektüre der Naturrechtslehre des Thomas von Aquin, in: Naturrecht im ethischen Diskurs, hrsg. von Marianne Heimbach-Steins, Münster 1990, S. 28 – 46. Merzbacher, Friedrich: Johann Apels dialektische Methode der Rechtswissenschaft, in: ZRG (R), Bd. LXXV, 1958, S. 364 – 374. Meuthen, Erich: Charakter und Tendenzen des deutschen Humanismus, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5, München / Wien 1983, S. 217 – 266. Moeller, Bernd: Die letzten Ablaßkampagnen. Der Widerspruch Luthers gegen des Ablaß in seinem geschichtlichen Zusammenhang, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie, hrsg. von Hartmut Boockmann, Bernd Moeller und Karl Stackmann, Göttingen 1989, S. 539 – 567. – Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. LXX, 1959, S. 46 – 61. Mohnhaupt, Heinz: Potestas legislatoria und Gesetzesbegriff im Ancien Régime, in: Ius Commune, Bd. 4, 1972, S. 188 – 239. – Die Lehre von der „Lex fundamentalis“ und die Hausgesetzgebung der europäischen Dynastien, in: Der dynastische Fürstenstaat, zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, hrsg von Johannes Kunisch und Helmut Neuhaus, Berlin 1982, S. 3 – 33. – Gesetzgebung des Reichs und Recht im Reich vom 16. bis 18. Jahrhundert in: Gesetz und Gesetzgebung im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. von Barbara Dölemeyer und Diethelm Klippel, Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 22, Berlin 1998, S. 83 – 108. Mühleisen, Hans-Otto / Stammen, Theo / Philipp, Michael (Hrsg.): Fürstenspiegel der frühen Neuzeit, Leipzig 1997. Müller, G.: Luthers Stellung zum Rechte, Leipzig 1906. Müller, Gerhard: Die Aristoteles-Rezeption im deutschen Protestantismus, in: Die Rezeption der Antike. Zum Problem der Kontinuität zwischen Mittelalter und Renaissance, hrsg. von August Buck, Hamburg 1981, S. 55 – 70.
300
Quellen- und Literaturverzeichnis
Müller, Karl: Luthers Äußerungen über das Recht des bewaffneten Widerstands gegen den Kaiser, SB. München, philos.-historische Klasse, Jahrgang 1915, München 1915, S. 65 ff. über Melanchthons Gutachten. Müller, Nikolaus: Zur Chronologie und Bibliographie der Reden Melanchthons 1545 – 1560, in: Beiträge zur Reformationsgeschichte, hrsg. von P. Albrecht, D. Brieger, P. D. Buchwald u. a., Gotha 1896, S. 116 – 157. – (Hrsg.): D. Martin Luther: Ein Urteil der Theologen zu Paris über die Lehre D. Luthers. Ein Gegenurteil D. Luthers, Schutzrede Philipp Melanchthons wider dasselbe parisische Urteil für D. Luther, Halle 1892. – Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522; in: Archiv für Reformationsgeschichte, Bde VI, VII, VIII, Leipzig 1909 – 1911, S. 185 – 224, S. 233 – 293, S. 352 – 412, Heft 2, S. 1 – 43. Münch, Paul: Zucht und Ordnung. Reformierte Kichenverfassungen im 16. und 17. Jahrhundert (Nassau-Dillenburg, Kurpfalz, Hessen-Kassel), Stuttgart 1978. Münkler, Herfried: Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt a. M. 1982. Muther, Theodor: Der Reformationsjurist D. Hieronymus Schürpf, Erlangen 1858. – Die Reform des juristischen Unterrichtes. Eine akademische Antrittsvorlesung, Weimar 1873. – Zur Geschichte der Rechtswissenschaft und der Universitäten in Deutschland, Jena 1876, Nachdruck Amsterdam 1961. – Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben im Zeitalter der Reformation, Erlangen 1866, Nachdruck Amsterdam 1966. Näf, Werner: Die Entwicklung des Staatensystems, in: Schweizer Beitrag zur allgemeinen Geschichte, Bd. IX, 1957. Neugebauer-Wölk, Monika: Reformation und Krise – oder: Wo liegen die Gründe für den Ausbruch der Reformation?, in: Martin Luther und seine Universität. Vorträge anläßlich des 450. Todestages des Reformators, hrsg. von Heiner Lück, Köln / Weimar / Wien 1998, S. 11 – 29. Neuhaus, Helmut: Der Augsburger Reichstag des Jahres 1530. Ein Forschungsbericht, in: Zeitschrift für historische Forschung (ZHF), Bd. IX, 1982, S. 167 – 211. – Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert. Reichstag – Reichskreistag – Reichsdeputationstag, Berlin 1982. – Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, hrsg. von Johannes Kunisch, ZHF, Beiheft 3, Berlin 1987, S. 113 – 140. – Von Karl V. zu Ferdinand I. Herrschaftsübergang im Heiligen Römischen Reich 1555 – 1558, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, 2. Auflage Frankfurt a. M. 1997, S. 417 – 440. Neuser, Wilhelm H.: Der Ansatz der Theologie Philipp Melanchthons, Neukirchen 1957. – Die Abendmahlslehre Melanchthons in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1519 – 1530), Neukirchen 1968.
Quellen- und Literaturverzeichnis
301
Nicollier-De Weck, Béatrice: Hubert Languet (1518 – 1581). Un réseau politique international de Melanchthon à Guillaume dÓrange, Genf 1995. Nipperdey, Thomas: Theologie und Revolution bei Thomas Müntzer, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 1963, Nr. 1 / 2, S. 145 – 179. Nipperdey, Thomas / Melcher, P.: Bauernkrieg, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, hrsg. von C. D. Kernig u. a., Bd. I, Freiburg / Basel / Wien 1966, S. 611 – 627. Nörr, Knut Wolfgang: Naturrecht und Zivilprozeß. Studien zur Geschichte des deutschen Zivilprozeßrechts während der Naturrechtsperiode bis zum beginnenden 19. Jahrhundert, Tübingen 1976. Nürnberger, Richard: Kirche und weltliche Obrigkeit bei Melanchthon, phil. Diss., Freiburg i. Br., 1937. – Kirche und weltliche Obrigkeit bei Melanchthon, Inaugural-Dissertation, Würzburg, 1937. Oestreich, Gerhard: Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des alten Reiches, in: Handbuch der deutschen Geschichte, von Bruno Gerhardt, hrsg. V. H. Grundmann, Bd. 11, 6. Auflage München 1986. Ottenwälder, Paul: Zur Naturrechtslehre des Hugo Grotius, Tübingen 1950. Patschovsky, Alexander: Fehde im Recht. Eine Problemskizze, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, 2. Auflage Frankfurt a. M. 1997, S. 145 – 178. Paul, Frank: Philippus. Ein Lehrer für Deutschland. Spuren und Wirkungen Philipp Melanchthon, Berlin 1996. Paulsen, Friedrich: Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterricht, Leipzig 1885, Nachdruck Leipzig 1919. – Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudiums, Berlin 1902, Neudruck Hildesheim 1966. Paulus, Gotthard: Die juristische Fragestellung des Naturrechts, Berlin 1979. Petersen, Peter: Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland, Leipzig 1921. Petry, Ludwig: Die Reformation als Epoche der deutschen Universitätsgeschichte. Eine Zwischenbilanz, in: Festgabe Josef Lortz, hrsg. von Erwin Iserloh und Peter Manns, BadenBaden 1958, S. 317 – 353. Pfister, Hermann: Die Entwicklung der Theologie Melanchthons unter dem Einfluß der Auseinandersetzung mit Schwarmgeistern und Wiedertäufern, phil. Diss., Freiburg i. Br. 1968. Pianzola, Maurice: Thomas Müntzer ou la guerre des paysans, Ludd 1997. Pichler, Johannes Werner: Necessitas. Ein Element des mittelalterlichen und neuzeitlichen Rechts, Berlin 1983. Pöhlmann, Horst Georg (Übersetzt von): Philipp Melanchthon. Loci communes 1521. Lateinisch-deutsch, Gütersloh 1993. 20 Deflers
302
Quellen- und Literaturverzeichnis
Polin, Raymond: Le concept de Raison d’Etat avant la lettre d’après Machiavel, in: Staatsräson, Studien zur Geschichte eines politischen Begriffes, hrsg. von R. Schnur, Berlin 1975, S. 27 – 42. Preiser, Wolfgang: Völkerrechtsgeschichte I, in: Wörterbuch des Völkerrechts, hrsg. von Strupp-Schlochauer, Bd. III, Berlin 1962, insb. S. 693 – 703. – Die Völkerrechtsgeschichte. Ihre Aufgaben und ihre Methode, Wiesbaden 1964. Pringsheim, Fritz: Römische aequitas der christlichen Kaiser, in: Acta Congressus Iuridici Internationalis Romae, 12.-17. Nov. 1934, Bd. I, Rom 1935, S. 136 ff. Rabe, Horst: Reichsbund und Interim. Die Verfassungs- und Religionspolitik Karls V. und der Reichstag von Augsburg 1547 / 48, Köln / Wien 1971. – Deutsche Geschichte 1500 – 1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung, München 1991. Radbruch, Gustav: Elegantiae juris criminalis. Vierzehn Studien zur Geschichte des Strafrechts, Basel 1950. Rädle, Fidel: Erasmus als Lehrer, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie, hrsg. von Hartmut Boockmann, Bernd Moeller und Karl Stackmann, Göttingen 1989, S. 214 – 232. Rambeau, Eugen: Über die Geschichtswissenschaft an der Universität Wittenberg, in: 450 Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I: Wittenberg 1502 – 1817, Wittenberg 1952, S. 255 – 270. Rassow, Peter: Honor Imperii: Die neue Politik Friedrich Barbarossas 1152 – 1159, München 1961. Reibstein, Ernst: Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Bd. I: Von der Antike bis zur Aufklärung, München 1957. Rennefahrt, Hermann: Grausamkeit und Mitleid im Rechtsleben des Mittelalters, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, Bern 1949, S. 17 – 68. Rhein, Stefan: Philipp Melanchthon. Reformator. Lehrer Deutschlands. Weggefährte Luthers. Zum 500. Geburtstag 1497 – 1997, Lahr 1996. – „Italia magistra orbis terrarum“. Melanchthon und der italienische Humanismus, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1997, S. 367 – 388. Rhein, Stefan / Schlechter, Armin / Wennemuth, Udo (Hrsg.): Philipp Melanchthon in Südwestdeutschland. Bildungsstationen eines Reformators. Ausstellung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, der Universitätsbibliothek Heidelberg, der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart und des Melanchthonhauses Bretten zum 500. Geburtstag Philipp Melanchthons, Karlsruhe 1997. Rhein, Stefan / Weiß, Johannes (Hrsg.): Melanchthon neu entdecken, Stuttgart 1997. Richter, Gregor: Die ernestinischen Landesordnungen und ihre Vorläufer von 1446 und 1482, Köln 1964. Richter, Ludwig Aemilius: Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, 2 Bde, Weimar 1846. – Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in Deutschland, Leipzig 1851.
Quellen- und Literaturverzeichnis
303
Ritter, Gerhard: Die Neugestaltung Europas im 16. Jahrhundert, Berlin 1950. – Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts, Darmstadt 1975. Ritter, Joachim: Naturrecht bei Aristoteles, Stuttgart 1961. Rogge, Joachim: Melanchthon im Kreise der Humanisten, in: Theologia Viatorum, Jahrbuch der kirchlichen Hochschule Berlin, Bd. VII, 1959 / 60, S. 130 – 143. Rommen, Heinrich: Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, 2. Auflage München 1947. Rosenkranz, Albert: Der Bundschuh, Heidelberg 1927. Roth, Friedrich: Der Einfluß des Humanismus und der Reformation auf das gleichzeitige Erziehungs- und Schulwesen bis in die ersten Jahrzehnte nach Melanchthons Tod, Halle 1898. Rüping, Hinrich: Grundriß der Strafrechtsgeschichte, 2. Auflage München 1991. Sapper, Karl: Der Werdegang des Protestantismus in vier Jahrhunderten, München 1917. Sasso, Gennaro: Niccolò Machiavelli. Geschichte seines politischen Denkens, Stuttgart 1965. Savigny, Friedrich Carl von: Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. VI, 2. Auflage Heidelberg 1850. Scattola, Merio: „Notitia naturalis de Deo et de morum gubernatione“: Die Naturrechtslehre Philipp Melanchthons und ihre Wirkung im 16. Jahrhundert, in: Melanchthon und die Marburger Professoren (1527 – 1627), Katalog und Aufsätze hrsg. von Barbara Bauer, Bd. II, Marburg 1999, S. 865 – 882. Schäfer, Rolf: Christologie und Sittlichkeit in Melanchthons frühen Loci, in: Beiträge zur historischen Theologie, hrsg. von Gerhard Ebeling, Tübingen 1961. Schäfer, Rudolf: Die Geltung des kanonischen Rechts in der evangelischen Kirche Deutschlands, in: ZRG (K), Bd. XXXVI, 1915, S. 165 – 413. Schaffstein, Friedrich: Zum rechtswissenschaftlichen Methodenstreit im 16. Jahrhundert, in: Festschrift für Hans Niedermeyer zum 70. Geburtstag, Göttingen 1953, S. 195 – 214. Schaich-Klose, Wiebke: D. Hieronymus Schürpf: Der Wittenberger Reformationsjurist aus St. Gallen 1481 – 1554, in: 107. Neujahrsblatt, hrsg. vom Historischen Verein des Kantons St. Gallen, Trogen 1967. Scheible, Heinz (Hrsg.): Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten 1523 – 1546, Gütersloh 1969. – Gründung und Ausbau der Universität Wittenberg, in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, hrsg. von Peter Baumgart und Notker Hammerstein, Neudeln / Liechtenstein 1978, S. 131 – 147. – Philipp Melanchthon, in: Die Reformationszeit, Bd. II: Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. VI, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1981, S. 75 – 101. – Melanchthon zwischen Luther und Erasmus, in: Renaissance-Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, Vorträge hrsg. von August Buck, Wiesbaden 1984, S. 155 – 180. 20*
304
Quellen- und Literaturverzeichnis
– Melanchthons Bildungsprogramm, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie, hrsg. von Hartmut Boockmann, Bernd Moeller und Karl Stackmann, Göttingen 1989, S. 233 – 248. – Melanchthons Auseinandersetzung mit der Reformkatholizismus, in: Vermittlungsversuche auf dem Augsburger Reichstag 1530. Melanchthon-Brenz-Vehus, hrsg. von Rolf Decot, Stuttgart 1989, S. 68 – 90. – Melanchthon, Philipp, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. XXII, Berlin / New York 1992, S. 371 – 410. – Melanchthons biographische Reden. Literarische Form und akademischer Unterricht, in: Biographie zwischen Renaissance und Barock. Zwölf Studien, hrsg. von Walter Berschin, Heidelberg 1993, S. 73 – 96. – Philipp Melanchthon. Eine Gestalt der Reformationszeit. 50 Bilder und 2 Landkarten ausgewählt und erläutert, Karlsruhe 1995. – Melanchthon und die Reformation: Forschungsbeiträge, hrsg. von Gerhard May und Rolf Decot, Mainz 1996, S. 393 – 469. – Aristoteles und die Wittenberger Universitätsreform. Zum Quellenwert von Lutherbriefen, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1997, S. 123 – 154. – Melanchthon. Eine Biographie, München 1997. Schieder, Theodor (Hrsg.): Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. III, 4. Auflage Stuttgart 1994. Schiemann, Gottfried: Usus modernus und Gesetzgebung, in: Gesetz und Gesetzgebung im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. von Barbara Dölemeyer und Diethelm Klippel, Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 22, Berlin 1998, S. 157 – 170. Schiess, Traugott / Marti, Adam: Appenzeller Urkundenbuch, Trogon 1913. Schild, Wolfgang: Das Strafrecht als Phänomen der Geistesgeschichte, in: Justiz in alter Zeit. Schriftenreihe des mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber, Bd. VI, Rothenburg o.d.T. 1984, S. 7 – 38. Schilling, Heinz: Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Berlin 1994. Schilling, Johannes: Melanchthons Loci communes deutsch, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1997, S. 337 – 352. Schilling, Otto: Das Völkerrecht nach Thomas von Aquin, Freiburg i. Br. 1919. Schindling, Anton: Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650 – 1800, in: Enzyklopädie deutscher Geschichte, hrsg. von Lothar Gall, Bd. 30, München 1994. – (Hrsg.): Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, Bd. 2: Der Nordosten, Münster 1990, 2. Auflage Münster 1991. Schmauss, Johann Jakob / Senckenberg, Heinrich Christian Freiherr von (Hrsg.): Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede [ . . . ], Bd. I-IV, Frankfurt, 1747 (NSRA).
Quellen- und Literaturverzeichnis
305
Schmid, Peter: Reichssteuern, Reichsfinanzen und Reichsgewalt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5, München / Wien 1983, S. 153 – 199. Schmidt, Eberhard: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage Göttingen 1965. Schmidt, Georg: Deutschland am Beginn der Neuzeit: Reichs-Staat und Kulturnation?, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, Bettina Braun und Heize Stratenwerth, überarb. Auflage Frankfurt a. M. 1997, S. 1 – 30. Schmidt, Gerhard: Sinn und Bedeutung der Constitutio Criminalis Carolina als Ordnung des materiellen und prozessualen Rechts, in: ZRG Germanische Abteilung (GA), Bd. 85, Weimar 1968, S. 239 – 257. Schmidt, Irmgard: Das göttliche Recht und seine Bedeutung im deutschen Bauernkrieg, Jena 1939. Schmidt-Wiegand, Ruth: Die Bedeutung und Wirkung des Sachsenspiegels Eikes von Repgow in Land und Stadt, in: „der sassen speyghel“. Sachsenspiegel – Recht – Alltag, Bd. 2: Beiträge und Katalog zu den Ausstellungen „Bilderhandschriften des Sachsenspiegels – Niederdeutsche Sachsenspiegel“ und „Nun vernehmet in Land und Stadt – Oldenburg – Sachsenspiegel – Stadtrecht“, hrsg. von E. Koolman, E. Gäßler und F. Scheele, Oldenburg 1995, S. 33 – 46. Schmitt, Eberhard: Machiavelli, in: Klassiker des politischen Denkens, Bd. I, hrsg. von H. Maier, H. Rausch und H. Denzer, 6. Auflage München 1986, S. 165 – 180. Schneider, Friedrich: Melanchthons Entscheidung nach der Katastrophe von Mühlberg (24. April 1547) zwischen der neu zu gründenden Universität Jena und seiner langjährigen akademischen Wirkungsstätte in Wittenberg, in: 450 Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I: Wittenberg 1502 – 1817, Wittenberg 1952, S. 313 – 322. Schneider, Josef: Die Verpflichtung des menschlichen Gesetzes nach Joh. Gerson, in: Zeitschrift für Katholische Theologie (ZKTh.) Bd. 75, 1953, S. 1 – 54. Schnur, Roman (Hrsg.): Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986. Scholz, Richard: Germanischer und römischer Kaisergedanke im Mittelalter, in: Zeitschrift für deutsche Geisteswissenschaften, Bd. III, 1940. Schröteler, Josef: Das Elternrecht in der katholisch-theologischen Auseinandersetzungen, München 1936. Schubert, Ernst: Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts, in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, hrsg. von Peter Baumgart und Notker Hammerstein, Neudeln / Liechtenstein 1978, S. 13 – 74. Schulte, Joh. Friedrich von: Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts, Bd. I: Von Gratian bis auf Papst Gregor IX, Bd. II: Von Papst Gregor IX bis zum Concil von Trient, Bd. III: Von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Graz 1956.
306
Quellen- und Literaturverzeichnis
Schulze, Winfried: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhunderts. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978. – Soziale Bewegungen als Phänomen des 16. Jahrhunderts, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5, München / Wien 1983, S. 113 – 131. – Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert 1500 – 1618, Darmstadt 1987. Schwab, Hans-Rüdiger: Philipp Melanchthon. Der Lehrer Deutschlands. Ein biographisches Lesebuch, München 1997. Schwarzenau, Paul: Der Wandel im theologischen Ansatz bei Melanchthon von 1525 – 1535, Gütersloh 1956. Schwendemann, Wilhelm / Stahlmann, Matthias: Reformation und Humanismus in Europa. Philipp Melanchthon und seine Zeit. Eine Einführung mit Praxisentwürfen für den Unterricht, Stuttgart 1997. Schwinges, Rainer Christoph: Karrieremuster: Zur sozialen Rolle der Gelehrten im Reich des 14. bis 16. Jahrhunderts. Eine Einführung, in: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. von Rainer Christoph Schwinges, Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 18, Berlin 1996, S. 11 – 22. Seebaß, Gottfried: Evangelische Kirchenordnung im Spannungsfeld von Theologie, Recht und Politik: Die Gutachten der Nürnberger Juristen zum Entwurf der BrandenburgischNürnbergischen Kirchenordnung von 1533 und ihre Bedeutung für deren endgültige Gestalt, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, Bettina Braun und Heise Stratenwerth, überarb. Auflage Frankfurt a. M. 1997, S. 231 – 273. Segall, Josef: Geschichte und Strafrecht der Polizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577, Breslau 1914, Neudruck Frankfurt a. M. 1977. Sehling, Emil: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Sachsen und Thüringen nebst angrenzenden Gebieten, Leipzig 1902, Neudruck Leipzig 1979. Sellert, Wolfgang: Die Krise des Straf- und Strafprozeßrechts und ihre Überwindung im 16. Jahrhundert durch Rezeption und Säkularisation, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5, München / Wien 1983, S. 27 – 48. – Zur Geschichte der rationalen Urteilsbegründung gegenüber den Parteien insbesondere am Beispiel des Reichshofrats und des Reichskammergerichts, in: Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie. Symposium für Adalbert Erler, hrsg. von Gerhard Dilcher und Bernhard Diestelkamp, Berlin 1986, S. 97 – 113. Sellert, Wolfgang / Rüping, Hinrich: Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Bd. I, Aalen 1989. – Die Bedeutung der Reichskreise für die höchste Gerichtsbarkeit im alten Reich, in: Regionen in der frühen Neuzeit, hrsg. von Peter Claus Hartmann, Berlin 1994, S. 145 – 178. Siegfried, Walter: Zur Staatslehre des Aristoteles, in: Schriften zu den Politika des Aristoteles, hrsg. von Peter Steinmetz, Hildesheim / New York 1973, S. 242 – 335.
Quellen- und Literaturverzeichnis
307
Simon, Thomas: Recht und Ordnung in der frühen Neuzeit, in: Rechtshistorisches Journal, Bd. XIII, 1994, S. 372 – 392. Smend, Rudolf: Das Reichskammergericht, Bd. I, Weimar 1911. Smirin, Moisej Mendelevic: Die Volksreformation des Thomas Münzer und der grosse Bauernkrieg, 2. Auflage Berlin 1956. Soder, Josef: Die Idee der Völkergemeinschaft, Francisco de Vitoria und die philosophischen Grundlagen des Völkerrechts, Frankfurt a. M. 1955. Sohm, Walter: Die Soziallehren Melanchthons, in: Historische Zeitschrift, Bd. CXV, 1916, S. 64 – 76. Sperl, Adolf: Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation. Eine Untersuchung über den Wandel des Traditionsverständnisses bei Melanchthon und die damit zusammenhängenden Grundfragen seiner Theologie, München 1959. Stadler, Peter: Eidgenossenschaft und Reformation, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5, München / Wien 1983, S. 91 – 99. Stadtmüller, Georg: Geschichte des Völkerrechts, Hannover 1951. Steding, Rolf: Hieronymus Schürpf und sein Verhältnis zu Martin Luther. Porträtskizze eines namhaften Wittenberger Juristen, in: Ius commune, Bd. XX, 1993, S. 186 – 192. Stein, Albert: Martin Luthers Meinungen über die Juristen, in: ZRG (K), Bd. 54, 1968, S. 362 – 374. Steinmetz, Max: Die Universität Wittenberg und der Humanismus, in: 450. Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I, Halle 1952, S. 103 – 139. Stempel, Hermann-Adolf: Melanchthons pädagogisches Wirken, Bielefeld 1979. Stern, Leo: Die geschichtliche Gesamtlage Deutschlands zur Zeit der Gründung der Universität Wittenberg, in: 450. Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I, Halle 1952, S. 1 – 68. – Martin Luther und Philipp Melanchthon – Ihre ideologische Herkunft und geschichtliche Leistung, Berlin 1953. – Philipp Melanchthon – Humanist-Reformator-Praeceptor Germaniae, Halle 1960. Stern, Selma: Josel von Rosheim, Stuttgart 1959. Stichweh, Rudolf: Der frühmoderne Staat und die europäische Universität. Zur Interaktion von Politik und Erziehungssystem im Prozeß ihrer Ausdifferenzierung (16. – 18. Jahrhundert), Frankfurt a. M. 1991. Stintzing, Roderich v.: Das Sprichwort: „Juristen böse Christen“ und seine geschichtlichen Bedeutungen. Rede gehalten beim Antritt der Universität Bonn am 18. Oktober 1875, Bonn 1875. Stintzing, Roderich v. / Landsberg, Ernst: Geschichte der deutschen Wissenschaft, Bd. XVIII: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaften, 2. Auflage Aalen 1978. Stobbe, Otto: Geschichte der deutschen Rechtsquellen, 2 Bde, Braunschweig 1864, Neudruck Braunschweig 1965.
308
Quellen- und Literaturverzeichnis
Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I: Reichspublizistik und Policeywissenschaften 1600 – 1800, München 1988. – Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt a. M. 1990. – „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“ bei der Entstehung des frühmodernen Staates, in: Ius commune, Bd. XX, Frankfurt a. M. 1993, S. 1 – 23. – (Hrsg.): Reichspublizistik – Politik – Naturrecht im 17. und 18. Jahrhundert, in: Staatsdenker in der frühen Neuzeit, 3. Auflage München 1995, S. 9 – 28. Stolzenau, Karl-Ferdinand: Die Frage des Widerstandes gegen die Obrigkeit zugleich in ihrer Bedeutung für die Gegenwart, in: Luther und die Obrigkeit, hrsg. von Günther Wolf, Darmstadt 1972, S. 196 – 302. Stratenwerth, Günter: Die Naturrechtslehre des Johannes Duns Scotus, Göttingen 1951. Strickhausen, Waltraud: Staatstheorie – Sozialethik – Fürstenerziehung, in: Melanchthon und die Marburger Professoren (1527 – 1627), Katalog und Aufsätze hrsg. von Barbara Bauer, Bd. I, Marburg 1999, S. 263 – 313. Strohm, Christoph: Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie Aspekte am Beispiel des CalvinSchülers Lambertus Danaeus, Berlin / New York 1996. – Philipp Melanchthon – Reformator und Humanist, in: Philipp Melanchthon. Exemplarische Aspekte seines Humanismus, hrsg. von Gerhard Binder, Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium, Bd. XXXII, Trier 1998, S. 9 – 46. – Zugänge zum Naturrecht bei Melanchthon, in: Der Theologe Melanchthon, hrsg. von Günter Frank, Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten, hrsg. von G. Frank und J. Loehr, Bd. 5, Stuttgart 2000, S. 339 – 356. – (Hrsg.): Martin Bucer und das Recht. Beiträge zum internationalen Symposium vom 1. bis 3. März 2002 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden, Travaux d’Humanisme et Renaissance, Nr. CCCLXI, Genf 2002. Struve, Tilman: Reform oder Revolution? Das Ringen um eine Neuordnung in Reich und Kirche im Lichte der „Reformatio Sigismundi“ und ihrer Überlieferung, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (ZGO) 126, 1978, S. 73 – 129. Stupperich, Robert: Der Humanismus und die Wiedervereinigung der Konfessionen, in: Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Jahrgang 52, Heft 2, Bd. 160, 1936. – Das Melanchthons Verständnis in der Theologie der letzten hundert Jahre, in: EvangelischLutherische Kirchenzeitung, 1952, S. 253 ff. – Melanchthons Werke in Auswahl, VII Bände, Gütersloh 1951 – 1978. – Kirche und Synode bei Melanchthon, in: Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, hrsg. von Friedrich Hübner, Berlin 1955, S. 199 – 210. – Melanchthoniana inedita II, in: Archiv für Reformationsgeschichte, Heft 1, 1957, S. 217 – 224. – Der unbekannte Melanchthon. Wirken und Denken des Praeceptor Germaniae in neuer Sicht, Stuttgart 1961.
Quellen- und Literaturverzeichnis
309
– Melanchthons deutsche Bearbeitung seiner Loci nach der Olmützer Handschrift, Amsterdam / London 1973. – Philipp Melanchthon. Gelehrter und Politiker, Göttingen 1996. Süsterhenn, Adolf: Das Naturrecht, in: Naturrecht oder Rechtspositivismus?, hrsg. von Werner Maihofer, Darmstadt 1962, S. 11 – 26. Sutter-Fichtner, Paula: Ferdinand I. Wider Türken und Glaubensspaltung, Wien / Köln / Graz 1986. Tanner, Klaus: Der lange Schatten des Naturrechts. Eine fundamentalethische Untersuchung, Stuttgart / Berlin / Köln 1993. Tellenbach, Gerd: Vom Zusammenleben der abendländischen Völker im Mittelalter, in: Festschrift für G. Ritter zu seinem 60. Geburtstag, hrsg. von Richard Nürnberger, Tübingen 1950. Thieme, Hans: Das Naturrecht und die europäische Privatrechtsgeschichte, 2. Auslage Basel 1954. Thieme, Hans / Schmelzeisen, Gustaf Klemens / Kunkel, Wolfgang / Beyerle, Franz (Hrsg.): Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands, Bd. I: Reich und Territorien, Bd. 2: Polizei- und Landesordnungen, Weimar 1936, Neudruck Weimar 1968. Thomas, Christiane: „Moderación del poder“: Zur Entstehung der geheimen Vollmacht für Ferdinand I., in: MittÖsterrStaatsarch. 27, 1974, S. 101 – 140. Thomas, Heinz: Ludwig der Bayer. Kaiser und Ketzer, Regensburg 1993. Thüringer, Walter: Die Melanchthonhandschriften der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel, Sonderband 2, Frankfurt a. M. 1982. Treu, Martin: Hutten, Melanchthon und der nationale Humanismus, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1997, S. 353 – 366. – Die Leucorea zwischen Tradition und Erneuerung – Erwägungen zur frühen Geschichte der Universität Wittenberg, in: Martin Luther und seine Universität. Vorträge anläßlich des 450. Todestages des Reformators, hrsg. von Heiner Lück, Köln / Weimar / Wien 1998, S. 31 – 51. Troeltsch, Ernst: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1919, S. 427 – 605. – Deutscher Geist und Westeuropa. Gesammelte kulturphilosophische Aufsätze und Reden, hrsg. von Hans Baron, Tübingen 1925. Troje, Hans Erich: Wissenschaftlichkeit und System in der Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts, in: Philosophie und Rechtswissenschaften, hrsg. von J. Blühdorn und J. Ritter, Frankfurt a. M. 1969. – Graeca leguntur. Die Aneignung des byzantinischen Rechts und die Entstehung eines humanistischen Corpus iuris civilis in der Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts, Köln / Wien 1971. – Die Literatur des Gemeinen Rechts unter dem Einfluß des Humanismus, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neuen europäischen Privatrechtsgeschichte, hrsg. von Helmut Coing, München 1973, S. 615 – 797.
310
Quellen- und Literaturverzeichnis
– Humanistische Jurisprudenz. Studien zur europäischen Rechtswissenschaft unter dem Einfluß des Humanismus, Goldbach 1993. Trusen, Winfried: Die Rechtsspiegel und das Kaiserrecht, in: Gelehrtes Recht im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Goldbach 1997, S. 775 – 822. – Johannes Reuchlin und die Fakultäten. Voraussetzungen und Hintergründe des Prozesses gegen den „Augenspiegel“, in: Gelehrtes Recht im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Goldbach 1997, S. 835 – 877. – Römisches und partikuläres Recht in der Rezeptionszeit, in: Gelehrtes Recht im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Goldbach 1997, S. 736 – 762 sowie in: Rechtsbewahrung und Rechtsentwicklung. Festschrift für H. Lange, hrsg. von Kurt Kuchinke, München 1970, S. 97 – 120. Truyol Serra, Antonio: Die Grundsätze des Staats- und Völkerrechts bei Francisco de Vitoria, Zürich 1947. – Staatsräson und Völkerrecht in der Zeit Karls V., in: Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Festschrift für Alfred Verdross, hrsg. von Friedrich August Frhr. von der Heydte, Ignaz Seidl-Hohenveldern u. a., Wien 1960, S. 273 – 292. Utz, Arthur Fridolin: Naturrecht im Widerstreit zum positiven Gesetz, in: Naturrecht oder Rechtspositivismus?, hrsg. von Werner Maihofer, Darmstadt 1962, S. 219 – 238. Verdross Alfred / Verosta, Stephan: Die Geschichte des Völkerrechts, 5. neubearbeitete und erweiterte Auflage, Wien 1964. Villey, Michel: Leçons d’histoire de la philosophie du droit, Paris 1961. – La formation de la pensée juridique moderne, Paris 1975. – Questions de saint Thomas sur le droit et la politique, Paris 1987. Voggensperger, René: Der Begriff des „ius naturale“ im römischen Recht, Basel 1952. Vogler, Günter: Der revolutionäre Gehalt und die räumliche Verbreitung der oberschwäbischen Zwölf Artikel, in: Revolte und Revolution in Europa, hrsg. von Peter Blickle, HZ, Beiheft 4 N.F., 1975, S. 206 – 231. Vogt, Wilhelm: Die Vorgeschichte des Bauernkrieges, Halle 1887. Voigt, Alfred: Die juristische Hermeneutik und ihr Abbild in Melanchthons Universitätsreden, in: Staat-Recht-Kultur. Festgabe für Ernst von Hippel zu seinem 70. Geburtstag, Bonn 1965, S. 265 – 277. Wackernagel, Jacob: Die geistigen Grundlagen des mittelalterlichen Rechts: ein Vortrag, in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Nr. 62, Tübingen 1929. Walter, E.: Der politische Gehalt der 12 Artikel von 1525, in: Schweiz. Beitrag zur allgemeinen Geschichte, Bd. XII, 1954. Wartenberg, Günther: Nachwirkungen des Bauernkrieges in der albertinischen Politik unter Moritz von Sachsen (1547 – 1551), in: Jahrbuch für Regionalgeschichte, Weimar 1979, Bd. VII, S. 243 – 251. – Philipp Melanchthon und die sächsisch-albertinische Interimspolitik, in: Lutherjahrbuch, Göttingen, 55. Jahrgang, 1988, S. 60 – 82.
Quellen- und Literaturverzeichnis
311
– Moritz von Sachsen. Zur Politik des ersten albertinischen Kurfürsten zwischen Reformation und Reich, in: Europäische Herrscher. Ihre Rolle bei der Gestaltung von Politik und Gesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. von Günter Vogler, Weimar 1988, S. 106 – 122. – Landesherrschaft und Reformation. Moritz von Sachsen und die albertinische Kirchenpolitik bis 1546, Gütersloh 1988. – Melanchthon und die reformatorisch-humanistische Reform der Leipziger Universität, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1997, S. 409 – 415. – Philipp Melanchthon und Johannes Pfeffinger, in: Philipp Melanchthon und Leipzig. Beiträge und Kataloge zur Ausstellung, hrsg. von Günther Wartenberg, Christian Winter und Rainer Behrends, Universität Leipzig 1997, S. 41 – 50. – Die „Confessio Saxonica“ als Bekenntnis evangelischer Reichsstände, in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, hrsg. von Christine Roll, Bettina Braun und Heise Stratenwerth, überarbeitete Auflage Frankfurt a. M. 1997, S. 275 – 294. – (Hrsg.) Werk und Rezeption Philipp Melanchthons in Universität und Schule bis ins 18. Jahrhundert. Tagung anlässlich seines 500. Geburtstages an der Universität Leipzig, Leipzig 1999. Wasserschleben, Hermann: Sammlung deutscher Rechtsquellen, Aalen, Neudruck der Ausgabe Giessen 1860 – 1969. Weber, Gottfried: Grundlagen und Normen politischer Ethik bei Melanchthon, in: Theologische Existenz heute, hrsg. von K. G. Steck und G. Eichholz, N. 96, München 1962. Weber, Hellmuth von: Calvinismus und Strafrecht, in: Festschrift für Eberhard Schmidt, Göttingen 1961, S. 39 – 53. – Der Dekalog als Grundlage der Verbrechenssystematik, in: Festschrift für Wilhelm Sauer, Berlin 1949, S. 44 – 70. Wegele, Franz Xaver von: Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus, München / Oldenburg 1885, Neudruck New York 1965. Weichert, Friedrich: Die Stellung Luthers und Melanchthons zur Obrigkeit, in: Pastoralblätter, Monatsschrift für den Gesamtbereich des evangelischen Pfarramts, 1926, S. 335 – 339. Weigand, Rudolf: Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes Teutonicus, München 1967. Weinkauff, Hermann: Das Naturrecht in evangelischer Sicht, in: Naturrecht oder Rechtspositivismus?, hrsg. von Werner Maihofer, Darmstadt 1962, S. 210 – 218. Welzel, Hans: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. neubearbeitete und erweiterte Auflage Göttingen 1962. Werckmeister, Jean: La fidélité conjugale dans le droit canonique médiéval, in: Revue de Droit Canonique, Bd. 44, 1994, S. 17 – 34. Weymar, Ernst: Martin Luther: Obrigkeit, Gehorsam und Widerstand, in: Luther und die Obrigkeit, hrsg. von Günther Wolf, Darmstadt 1972, S. 303 – 334.
312
Quellen- und Literaturverzeichnis
Whitman, Q. James: The legacy of roman law in the german romantic era. Historical vision and legal change, Princeton / New Jersey 1990. Wieacker, Franz: Humanismus und Rezeption. Eine Studie zu Johannes Apels „Dialogus de studio iuris recte instituendo“, in: Gründer und Bewahrer. Rechtslehrer der neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, Göttingen 1959, S. 44 – 91. – Ratschläge für das Studium der Rechte aus Wittenberger Humanistenkreise, in: Gründer und Bewahrer. Rechtslehrer der neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, Göttingen 1959, S. 92 – 104. – Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Auflage Göttingen 1967. Wiedenhofer, Siegfried: Formalstrukturen humanistischer und reformatorischer Theologie bei Philipp Melanchthon, Regensburger Studien zur Theologie, Bd. II, Teil I, Text, Frankfurt a. M. / München 1976. Willoweit, Dietmar: Dominium und Proprietas. Zur Entwicklung des Eigentumsbegriffs in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Rechtswissenschaft, in: Historisches Jahrbuch, hrsg. von Johannes Spörl, 94. Jahrgang, München / Freiburg 1974, S. 131 – 156. – Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt. Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit, Köln 1975. – Genossenschaftsprinzip und altständische Entscheidungsstrukturen in der frühneuzeitlichen Staatsentwicklung. Ein Diskussionsbeitrag, in: Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie. Symposium für Adalbert Erler, hrsg. von Gerhard Dilcher und Bernhard Diestelkamp, Berlin 1986, S. 126 – 138. – Gesetzgebung und Recht im Übergang vom Spätmittelalter zum frühneuzeitlichen Obrigkeitsstaat, in: Zum römischen und neuzeitlichen Gesetzesbegriff. 1. Symposium der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“ am 26. und 27. April 1985, hrsg. von O. Behrends und C. Link, Göttingen 1987, S. 123 – 149. – Juristen im mittelalterlichen Franken. Ausbreitung und Profil einer neuen Elite, in: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. von Rainer Christoph Schwinges, Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 18, Berlin 1996, S. 225 – 267. Windelband, Wolfgang: Die Auswärtige Politik der Großmächte in der Neuzeit von 1494 bis zur Gegenwart, Stuttgart 1922, 3. Auflage Stuttgart 1936, Nachdruck der 5. erweiterten Auflage Essen 1942, Darmstadt 1964. Winterberg, Hans: Die Schüler von Ulrich Zasius, Stuttgart 1961. Woitkowitz, Torsten: Die Freundschaft zwischen Philipp Melanchthon und Joachim Camerarius, in: Philipp Melanchthon und Leipzig. Beiträge und Kataloge zur Ausstellung, hrsg. von Günther Wartenberg, Christian Winter und Rainer Behrends, Universität Leipzig 1997, S. 29 – 40. Wolf, Armin: Die Gesetzgebung der entstehenden Territorialstaaten, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hrsg. von Helmut Coing, Bd. I, München 1973, S. 517 – 800. Wolf, Erik: Die Sozialtheologie Zwinglis, in: Festschrift Guido Kisch, Stuttgart 1955, S. 167 – 188.
Quellen- und Literaturverzeichnis
313
– Naturrecht und Gerechtigkeit, in: Naturrecht oder Rechtspositivismus?, hrsg. von Werner Maihofer, Darmstadt 1962, S. 52 – 72. – Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Auflage Tübingen 1963. – Das Problem der Naturrechtslehre, 3. Auflage Karlsruhe 1964. Wolf, Ernst: Zur wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung der Disputationen an der Wittenberger Universität im 16. Jahrhundert, in: 450. Jahre Martin Luther Universität Halle Wittenberg, Bd. I, Halle 1952, S. 335 – 345. – Christum habere omnia mosis. Bemerkungen zum Problem Gesetz und Evangelium, in: Für Kirche und Recht. Festschrift für Johannes Heckel zum 70. Geburtstag, hrsg. von Siegfried Grundmann, Köln / Graz 1959, S. 287 – 303. – Philipp Melanchthon: Evangelischer Humanismus, Göttinger Universitätsreden, Heft 30, Göttingen 1961. – Naturrecht und Gerechtigkeit, in: Naturrecht oder Rechtspositivismus, hrsg. von Werner Maihofer, Darmstadt 1962, S. 52 – 72. – Zur Frage des Naturrechts bei Thomas von Aquin und bei Luther, in: Peregrinatio I, 2. Auflage München 1962. Wolgast, Eike: Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen, Gütersloh 1977. Wolter, Udo: Ius canonicum in iure civili. Studien zur Rechtsquellenlehre in der neueren Privatrechtsgeschichte, Bd. XXIII, Köln / Wien 1975. Wolzendorff, Kurt: Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, Breslau 1916. – Der Polizeigedanke des modernen Staats, Breslau 1918, Neudruck Breslau 1964. Wriedt, Markus: Die theologische Begründung der Bildungsreform bei Luther und Melanchthon, in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1997, S. 155 – 183. – Continuity and competition: Luther’s call for educational reform in the light of medieval precedents, in: Reformations Old and New. Essays on the Socio-Economics Impact of Religious Change c. 1470 – 1630, hrsg. von Beat A. Kümin, Aldershot, Hants 1996, S. 171 – 184. Wunder, Heide: Zur Mentalität aufständischer Bauern. Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Geschichtswissenschaft und Anthropologie, dargestellt am Beispiel des Samländischen Bauernaufstandes von 1525, in: Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft zum Bauernkrieg, 1. Jahrgang, Göttingen 1975. – „Altes Recht“ und „göttliches Recht“ im Deutschen Bauernkrieg, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, Jahrgang 24, Frankfurt a. M. 1976, S. 54 – 66. Zahnd, Urs Martin: Der Bildungsweg von Stadt- und Ratschreibern in eidgenössischen Städten des ausgehenden Mittelalters, in: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. von Rainer Christoph Schwinges, Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 18, Berlin 1996, S. 453 – 476.
314
Quellen- und Literaturverzeichnis
Zeumer, Karl: Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, I. Teil, 2. Auflage Mainz 1913, Neudruck Mainz 1947. Ziegel, Karl-Heinz: Völkerrechtsgeschichte: ein Studienbuch, München 1994. Zöllner, Walter: Herausbildung und Weiterentwicklung der Wissenschaftsgebiete an der Universität Wittenberg bis zum Ende der Lutherzeit (unter besonderer Berücksichtigung der Artistenfakultät), in: Martin Luther und seine Universität. Vorträge anläßlich des 450. Todestages des Reformators, hrsg. von Heiner Lück, Köln / Weimar / Wien 1998, S. 117 – 132. Zorzin, Alejandro: Karlstadt als Flugschriftenautor, Göttingen 1990.
III. Enzyklopädien Bautz, Wilhelm / Bautz, Traugott: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, 22 Bde, Hamm, 1975 – 2003. Betz, Hans Dieter / Galling, Kurt / Campenhausen, Hans Frhr. von (Hrsg.): Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 6 Bde, 3. völlig neu bearbeitete Auflage Tübingen 1957 – 1965, 4. völlig neu bearbeitete Auflage Tübingen 1998-. Brunner, Otto / Conze, Werner / Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde, Stuttgart 1972 – 1997. Müller, Gerhard / Balz, Horst / Krause, Gerhard (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie, 33 Bde, Berlin 1976-.
Sach- und Personenregister Aegidius Romanus 71 aequitas 60, 135, 159 – 161, 163, 165 – 169, 171, 172 Agricola, Rudolf 131, 132 Apel, Johann 15, 23, 130, 131 Aquin, Thomas von 14, 56, 57, 69, 71, 72, 160 Aristoteles 16, 18, 24, 55, 60, 135, 160, 162 – 167, 171, 175 – 179, 183, 191, 195, 197, 199 – 204, 209, 230, 234, 257 Augsburg 87, 214, 219 Augustinus 56, 62, 67, 165 Baldus 64 Bartolus 62, 64, 152 Bauernkrieg 19, 47, 83, 87, 89, 90, 93, 100, 108, 109, 145, 154, 174, 205, 207, 228, 239 bellum 233 – bellum iniustum 71 – bellum iustum 67, 71 – bellum Romanum 71 Beust, Joachim von 23, 131 Biblizismus 27, 83, 145 Bucer, Martin 173 Bundschuh 88, 89, 92, 93, 100 Burkhard, Franz 135 Cicero 16, 18, 24, 30, 31, 55, 67, 84, 130, 148, 151, 181, 195, 199, 234, 239, 257, 265 Codex Justinianus 106, 168 – 170, 252, 255 Confessio Augustana 239, 246, 247, 249 Confessio Saxonica 179 Constitutio Criminalis Carolina 105, 123, 142, 265, 269 – 271 Corpus Christianum 14 Corpus Iuris 15, 45, 49, 50, 117, 118, 121, 130, 132, 136, 146, 152, 153, 157 – 159, 168 – 172, 258
Corpus iuris canonici 106, 112, 136 – 138, 249, 256 Corpus iuris civilis 118 Cujas, Jacob 118 Decretum Gratiani 31, 67, 187 Dekalog 22, 32, 33, 35, 40, 57 – 60, 75, 78, 165, 175, 177, 200, 222, 237, 259, 260, 265 Demosthenes 199 Digesten 74, 135, 251, 255 Donellus, Hugo 173 Dorfgericht 108 Edikt 83, 149, 227 Ehe 25, 34, 137, 155, 179, 197, 198, 200, 201, 203, 221, 223, 244 – 248, 250 – 252, 254, 263, 274 Ehebruch 193, 215, 217, 252, 268 Ehegericht 246 – 248, 255 Ehegerichtsbarkeit 245 – 248 Eherecht 109, 136, 138, 181, 245 – 247, 249, 252, 255 Eheschließung 137, 138, 250 – 252, 256, 264 Eigentum 25, 36, 53, 90, 91, 108, 223, 257, 263, 265 – Eigentumsordnung 34, 181, 257, 258 – Eigentumsrecht 179, 257, 274 – Eigentumsverteilung 203 – Gemeineigentum 35 – Privateigentum 35, 38, 57, 59, 92, 97, 154, 165, 202, 208 endgültiger Gerichtstag 271 epieikeia 54, 159 – 167, 171, 172 Erasmus 52, 79, 97, 130 – 132, 159 Erbrecht 89, 109, 155 Ethik 18, 21, 24, 32, 133, 166, 172, 179, 195, 200, 204, 211, 221 – politische Ethik 177, 195
316
Sach- und Personenregister
Familie 25, 34, 35, 123, 134, 137, 187, 198, 200, 201, 221, 223, 244, 263, 274 Familienrecht 249 Ferdinand I. 235, 256 Fichard, Johann 119 Folter 269 – 272 Fürstenrat 144 Gaius 55, 56, 67 Gericht 23, 26, 49, 78, 102, 105, 107, 114 – 116, 119, 120, 129, 140, 167, 178, 185, 236, 238, 239, 245 – 249, 255, 261, 265, 266, 270 – Gerichtsordnung 116, 129 Gerichtsbarkeit 86, 115, 119, 153, 245 – 248, 266, 274 Gerichtsinstanzen 13 Gerichtsordnung 115 Gerichtsorganisation 115 Gerichtspraxis 50 Gerichtsverfahren 271 Goden, Henning 250 Gogericht 108, 120 Goldstein der Ältere, Chilian 24, 131 Grotius, Hugo 61, 65 Halsgerichtsordnung 106 Hegendorf, Christoph 24, 130, 131 heimliche Verlöbnisse 20, 137, 138, 249 – 251, 256 Hofgericht 106, 115, 116, 122, 129, 248, 256 Hofrat 128, 135 Humanismus 15, 17, 79, 84, 118, 124, 126, 127, 131, 200 Imperium Romanum 66, 187 Irnerius 152 ius 15, 28, 30, 31, 115, 148, 153, 159, 161, 166, 169, 171, 189, 206, 229, 236 – ius civile 55, 56, 67, 77, 161 – ius civilis 50 – ius commune 15, 115, 117, 158 – ius divinum 40, 42, 81, 82, 86, 89, 90, 93, 96, 138, 200, 206, 224, 273 – ius divinus 194 – ius gentium 37, 55, 56, 59, 60, 65 – 67, 69, 70, 73, 74, 76, 77
– – – – – – – – – –
ius honorarium 67 ius humanum 23, 42, 273 ius naturae 43, 55, 60, 274 ius naturale 42, 55, 56, 59, 77, 200, 206, 273 ius privatum 26 ius publicum 26 ius reformandi 191 ius scriptum 140, 169, 171, 172 ius strictum 162, 171, 172 ius utrumque 15
kanonisches Recht 16, 18, 69, 91, 109, 125, 126, 135 – 138, 167, 173, 248 – 251, 254 – 256, 276 Karl V. 139, 140, 149, 185, 198, 227, 235 Karlstadt (Andreas Bodenstein von) 28, 46, 79, 83, 98, 136 Kirchengericht 185, 236, 249 Kirchenordnung 86, 184, 212, 256, 266 Kirchenregiment 85, 190, 196 Klage 105, 107, 141, 142, 158, 161, 245 Klagenspiegel 106 Kling, Melchior 23, 123, 131, 135 Konfessionalisierung 220 Kurfürstenrat 189 Lagus, Konrad 15, 23, 131 Landesfrieden 142, 217 – Landesfriedensgesetz 121 Landgericht 108, 120 leges 32, 39, 40, 43, 46, 51, 114, 117, 144, 148, 162, 163, 172, 181, 206, 237, 239 – leges ceremoniales 39 – leges civiles 85 – leges divinae 32, 39, 54 – leges fundamentales 211 – leges humanae 32, 40 – leges imperii 211 – leges iudiciales 39 – leges morales 39 – leges naturae 32, 40, 82, 268 Lehnsgericht 118 lex 28 – 32, 34, 35, 51, 58, 82, 90, 97, 162, 166, 168, 221, 252, 253 – lex aeterna 57 – lex divina 22, 42, 43, 57, 59, 221, 253 – lex humana 22, 43, 57, 59
Sach- und Personenregister – lex moralis 180 – lex naturae 25, 42, 43, 59, 180, 275 – lex naturalis 22, 57, 96 – lex Placuit 169 Livius 130 Luther 153, 167, 174, 192, 196, 200, 207, 224, 226, 227, 230, 231, 233, 245 – 251, 256, 263 Luther, Martin 14, 16, 19 – 21, 24, 46 – 48, 52, 57, 58, 79, 83 – 86, 90, 94, 97, 98, 100 – 103, 112, 125, 126, 135 – 138 Machiavelli 13, 42, 182 – 184, 197, 198, 209 Marschalk, Nikolaus 126 mos gallicus 15, 118 mos italicus 15, 50, 118 mosaisches Recht 44, 49, 53 Müntzer, Thomas 46, 48, 87, 98 Nikomachische Ethik 160, 171, 179 Obergericht 115, 116, 129 Oberhofgericht 123, 135 Obrigkeit 19 – 21, 25, 36 – 38, 40, 41, 48, 58, 72, 73, 76, 81, 82, 84, 86, 90, 92, 94 – 97, 99 – 102, 105, 107, 108, 112, 140, 142, 153, 154, 167, 173 – 175, 177, 179 – 185, 187, 189 – 199, 201, 203, 205, 207, 209, 211, 213, 215 – 221, 223, 224, 226, 228, 230, 231, 233 – 236, 238 – 244, 246 – 248, 252 – 254, 258 – 260, 262 – 268, 271, 273 – 276 – Obrigkeitslehre 175, 184, 209, 275 Oldendorp, Johannes 24, 60, 133 ordo politicus 20, 22, 24, 25, 173, 175 – 181, 183, 184, 221, 223, 266 Papst Paulus IV. 185, 235 Paulus 40, 52, 67, 107 Platon 17, 34 – 36, 55, 199 Policey 195, 209, 212, 213, 217 – 219 – gute Policey 216, 219 – Policeygesetzgebung 213, 215, 218 – Policeyordnung 212, 213, 216, 218, 219 – Policeyrecht 213 – Reichspoliceygesetzgebung 218 – Reichspoliceyordnung 213 – 219 Politika 176, 197, 203, 204, 208 21 Deflers
317
Praeceptor Germaniae 16, 25, 50, 147, 174, 243 Quinctilian 130 Regiment 84, 96, 97, 102, 104, 105, 186, 262 – Reichsregiment 141, 142, 214 Reichsabschied 214, 215 Reichskammergericht 15, 105, 113 – 116, 119, 124, 139, 141, 142, 214 – Reichskammergerichtsordnung 113, 114 Reichsstädterat 214 Rezeption des römischen Rechts 13, 15, 16, 23, 27, 45, 87, 89, 100, 108 – 113, 115 – 118, 120, 121, 129, 142, 145, 152, 157, 158, 161, 166, 167, 170, 172, 173, 212, 266, 267, 269, 270, 276 römisch-kanonisches Recht 18, 111, 114, 128, 142, 143 Sachsenspiegel 94, 95, 101, 110, 119 – 123, 131 Sallust 130 Scheurl, Friedrich 126 Schiedsgericht 70 Schiedsgerichtsbarkeit 70 Schneidewin, Johann 23, 131, 255 Schürpf, Hieronymus 16, 24, 43, 131, 133 – 139, 146, 171, 248, 250, 251, 254 Schwabenspiegel 121 Sichardus, Johannes 24, 250 societas civilis 20, 22, 24, 25, 42, 173, 174, 222 Sokrates 199 sponsalia de futuro 250 sponsalia de praesenti 250 Stadtrat 79, 83, 129 Strafrecht 22, 39, 59, 106, 123, 179, 182, 221, 223, 260, 263, 266, 267, 274 summum ius summa iniuria 160 Terenz 130 Teuber, Michael 23 Trebelius, Hermann 126 Türkengefahr 66, 76, 141, 149, 151, 174 Ulpian 55, 67 Universitätsrat 136
318
Sach- und Personenregister
Vertragsrecht 179 – 181, 223, 258, 263, 274 Wesenbeck, Matthaeus 23, 131 Zasius, Ulrich 119 Zucht 185, 192, 193, 213, 238, 249, 253 – Unzucht 186, 252, 254
Zwei-Regimente-Lehre 14, 58, 102, 196, 226, 247 Zwei-Reiche-Lehre 23, 42, 51, 85, 154, 165, 166, 185, 194, 196, 205, 208, 226, 235, 253, 264, 268 Zwingli, Huldrych 46, 97, 98 Zwölf Artikel 87, 101 – 103, 107, 109